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Springer-Lehrbuch

N. Maass
B. Schiessl

Gynäkologie
und Geburtshilfe
IN 5 TAGEN
Unter Mitarbeit von
D. Bauerschlag, U. Heindrichs, R. Kirschner-Hermanns,
I. Meinhold-Heerlein, L. Najjari, J. Neulen, T. Papathemelis, V. Perlitz,
D. Piroth, B. Rösing, S. Trepels-Kottek, M. Wölfler

123
Prof. Dr. med. Nicolai Maass
Universitäts-Frauenklinik für
Gynäkologie und Geburtshilfe
RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30
52074 Aachen

Prof. Dr. med. Barbara Schiessl


Universitäts-Frauenklinik für
Gynäkologie und Geburtshilfe
RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30
52074 Aachen

ISBN 978-3-642-20409-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg

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Planung: Christine Ströhla, Heidelberg


Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg
Lektorat: Susanne Meinrenken, Bremen
Titelbild: Sonja Werner, Köln
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Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg

SPIN 80011415

Gedruckt auf säurefreiem Papier 15/2117 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort
Eine optimale Prüfungsvorbereitung in den Fächern Gynäkologie und Geburtshilfe in 5 Tagen erscheint
auf den ersten Blick fast unmöglich.

Nach dem Vorbild anderer in dieser Reihe bereits erschienener Werke behandelt das vorliegende Buch in
komprimierter Form sämtliche prüfungsrelevanten Themen der Frauenheilkunde, die es in 5 Tagen zu
erlernen gilt.

Dieses Buch dient als Ergänzung zu umfassenden Standardwerken, kann jedoch neben einer kurzfristigen
Prüfungsvorbereitung auch im Rahmen von Praktika und Famulaturen als übersichtliches und informati-
ves Nachschlagewerk genutzt werden.

Die einzelnen Kapitel wurden größtenteils von Spezialisten ihres jeweiligen Fachgebiets verfasst. Die Bei-
träge fügen sich jedoch zu einem einheitlichen und kohärenten Werk zusammen.

Unser Dank gilt deshalb allen an diesem Buch beteiligten Beitragsautoren sowie den Mitarbeitern des
Springer Verlages.

Aachen, im Sommer 2011 N. Maass


B. Schiessl
VII

Inhaltsverzeichnis
6 Gynäkologische Erkrankungen
Tag 1 – Allgemeine Gynäkologie bei Neugeborenen, Säuglingen,
Kindern und Adoleszenten
1 Allgemeine Gynäkologie . . . . . . . . . 1 mit Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . 84
1.1 Entzündliche Erkrankungen . . . . . . . . . 2 6.1 Erkrankungen in verschiedenen
1.2 Erkrankungen der Brust . . . . . . . . . . . . 10 Altersgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
1.3 Gutartige Erkrankungen des Uterus, 6.2 Störungen der Pubertät . . . . . . . . . . . . 86
der Eileiter und Eierstöcke, der Vulva
und der Vagina . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7 Kontrazeption . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
1.4 Endometriose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
7.2 Hormonelle Wirkstoffe . . . . . . . . . . . . 90
7.3 Andere Kontrazeptiva . . . . . . . . . . . . . 91
Tag 2 – Gynäkologische Onkologie,
Lageveränderung des Genitals und 8 Hormonersatztherapie . . . . . . . . . . . 93
Harninkontinenz, Gynäkologische 8.1 Menopause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Endokrinologie 8.2 Klimakterische Beschwerden . . . . . . . . 94

2 Gynäkologische Onkologie . . . . . . . . 27 9 Gynäkologische Psychosomatik . . . . 96


2.1 Maligne Tumore des Uterus . . . . . . . . . 28 9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
2.2 Maligne Tumore der Eileiter und Eierstöcke 36 9.2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
2.3 Das Vulvakarzinom und seine Vorstufen . 40 9.3 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . 98
2.4 Maligne Tumore der Mamma . . . . . . . . 44 9.4 Ätiopathogenese – Entstehungs-
zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . 101
3 Lageveränderungen des Genitals 9.5 Psychosomatisch-gynäkologische
und Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . 55 Simultandiagnostik . . . . . . . . . . . . . . 101
3.1 Descensus genitalis . . . . . . . . . . . . . . 56 9.6 Abwehranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
3.2 Funktionsstörungen des unteren 9.7 Traumatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Harntrakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
10 Notfälle in der Gynäkologie . . . . . . . 105
4 Gynäkologische Endokrinologie . . . . 68 10.1 Extrauterine Gravidität . . . . . . . . . . . . 106
4.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 10.2 Ovarialtorsion (Stieldrehung) . . . . . . . . 107
4.2 Initiale Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . 69 10.3 Ovarialzystenruptur . . . . . . . . . . . . . . 108
4.3 Ovarialinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . 70 10.4 Tuboovarialabszess . . . . . . . . . . . . . . 109
4.4 Störungen der Menstruationsblutungen . 74 10.5 Genitale Blutungen . . . . . . . . . . . . . . 111

11 Frühschwangerschaft . . . . . . . . . . . . 115
Tag 3 – Reproduktionsmedizin 11.1 Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
bis Schwangerenvorsorge 11.2 Schwangerschaftsdauer . . . . . . . . . . . 118
11.3 Pathologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
5 Prinzipien der Kinderwunsch-
behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 12 Schwangerenvorsorge . . . . . . . . . . . 120
5.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 12.1 Mutterschaftsrichtlinien . . . . . . . . . . . . 121
5.2 Basisdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 12.2 Durchführung der Schwangeren-
5.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
VIII Inhaltsverzeichnis

12.3 Auswahl pränatal diagnostizierbarer


Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Tag 5 – Geburt
12.4 Invasive Pränataldiagnostik . . . . . . . . . 128
12.5 Gemini (Mo-Mo, Mo-Di, Di-Di) . . . . . . . . 130 14 Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
14.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
14.2 Notfälle im Kreißsaal: Blutung, Ruptur,
Tag 4 – Schwangerschaftspathologien Eklampsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
14.3 Wochenbett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
13 Schwangerschaftspathologien . . . . . 133 14.4 Das Neugeborene . . . . . . . . . . . . . . . 225
13.1 Schwangerschaft und Diabetes . . . . . . . 135
13.2 Venöse Thromboembolie und Schwanger-
schaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 233
13.3 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie/
Präeklampsie/HELLP . . . . . . . . . . . . . . 141
13.4 Frühgeburtlichkeit und vorzeitiger
Blasensprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
13.5 Intrauteriner Fruchttod . . . . . . . . . . . . 153
13.6 Intrauterine Wachstumsrestriktion,
»small for gestational age« . . . . . . . . . . 156
13.7 Infektionen in der Schwangerschaft
und peripartal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
13.8 Maternale Erkrankungen . . . . . . . . . . . 181
IX

Autorenverzeichnis
Dr. med. Dirk Bauerschlag Dr. med. Volker Perlitz
Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie
und Geburtshilfe und Geburtshilfe
RWTH Aachen RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30 Pauwelsstr. 30
52074 Aachen 52074 Aachen

Dr. med. Uwe Heindrichs Dr. med. Daniela Piroth


Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie
und Geburtshilfe und Geburtshilfe
RWTH Aachen RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30 Pauwelsstr. 30
52074 Aachen 52074 Aachen

PD Dr. med. Ruth Kirschner-Hermanns Dr. med. Benjamin Rösing


Interdisziplinärer Bereich Urologie, Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie
Gynäkologie und Allgemeinchirurgie und Geburtshilfe
RWTH Aachen RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30 Pauwelsstr. 30
52074 Aachen 52074 Aachen

PD Dr. med. Ivo Meinold-Heerlein Prof. Dr. med. Barbara Schiessl


Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie
und Geburtshilfe und Geburtshilfe
RWTH Aachen RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30 Pauwelsstr. 30
52074 Aachen 52074 Aachen

Dr. med. Laila Najjari Dr. med. Sonja Trepels-Kottek


Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
und Geburtshilfe Sektion Neonatologie und Kinderintensivmedizin
RWTH Aachen RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30 Pauwelsstr. 30
52074 Aachen 52074 Aachen

Prof. Dr. med. Joseph Neulen Dr. med. Monika Wölfler


Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie
und Geburtshilfe und Geburtshilfe
RWTH Aachen RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30 Pauwelsstr. 30
52074 Aachen 52074 Aachen

Dr. med. Thomas Papathemelis


Universitäts-Frauenklinik für Gynäkologie
und Geburtshilfe
RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30
52074 Aachen
1

Tag 1 –Allgemeine Gynäkologie

1 Allgemeine Gynäkologie

1.1 Entzündliche Erkrankungen – 2


T. Papathemelis
1.1.1 Erkrankungen der Vulva – 2
1.1.2 Erkrankungen der Vagina – 6
1.1.3 Erkrankungen des Uterus – 8
1.1.4 Erkrankungen der Adnexe – 9

1.2 Erkrankungen der Brust – 10


U. Heindrichs
1.2.1 Entzündliche Erkrankungen der Brust – 10
1.2.2 Gutartige Erkrankungen der Mamma – 12
1.2.3 Gutartige Tumore – 15

1.3 Gutartige Erkrankungen des Uterus, der Eileiter und Eierstöcke,


der Vulva und der Vagina – 17
D. Bauerschlag
1.3.1 Gutartige Erkrankungen des Uterus – 17
1.3.2 Gutartige Erkrankungen der Eileiter und der Eierstöcke – 20
1.3.3 Gutartige Erkrankungen der Vulva und der Vagina – 22

1.4 Endometriose – 24
M. Wölfer

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_1,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
2 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen 1.1 Entzündliche Erkrankungen


1
T. Papathemelis

Infektionskrankheiten des weiblichen Genitale sind aufgrund der Häufig-


keit des Auftretens ein wichtiger Bestandteil jeder gynäkologischen Sprech-
stunde. Nahezu jede Frau erleidet im Laufe ihres Lebens zumindest einmal
Beschwerden, die auf eine genitale Infektion zurückzuführen sind, wobei
diverse Einteilungen existieren. So kann man zum einen diese Erkran-
kungen nach anatomischer Lokalisation klassifizieren:
4 Vulvitis
4 Kolpitis
4 Zervizitis
4 Endo(myo)metritis
4 Salpingitis/Oophoritis
4 Pelveoperitonitis bis zur Perihepatitis (Fitz-Hughes-Curtis-Syndrom)
4 Sepsis

Entzündliche Veränderungen des weiblichen Genitale können eine Teiler-


scheinung einer dermatologischen oder einer systemischen Erkrankung
sein. Des Weiteren unterscheidet man entzündliche weibliche Erkrankun-
gen je nach Ätiologie und Pathogenese in aszendierende und deszendie-
rende Infektionen, je nach Primäraffektion in endogen (Östrogenmangel,
Diabetes mellitus, Allergie) und exogen (Medikamente, Noxen, mangelnde
Hygiene, IUD [intrauterine device], frühzeitige Kohabitarche und Promis-
kuität) verursacht. In Abhängigkeit von der Zeitachse kann der Verlauf akut,
subakut oder chronisch sein.
In den letzten Jahrzehnten ist eine Verschiebung der Prävalenz be-
stimmter gynäkologischer Infektionen eingetreten. So gehören der auf eine
Syphilis zurückzuführende Primäraffekt oder die Genitaltuberkulose mitt-
lerweile zu Raritäten im europäischen Raum. Außerdem bestimmen loko-
regionale Unterschiede die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Erkran-
kungen, so treten z.B. das Lymphogranuloma venereum und das Granulo-
ma inguinale selten in unseren Breitengraden auf.

1.1.1 Erkrankungen der Vulva

Entzündliche Erkrankungen der Vulva und des Introitus bezeichnet man als
Vulvitis. Trotz multifaktorieller Genese, auf die wir im weiteren Verlauf
eingehen werden, existiert eine nahezu einheitliche klinische Manifestation
mit Pruritus, brennenden Schmerzen, Schwellung, Rötung, Fluor, Dysurie,
Dyspareunie, gelegentlich auch in Kombination mit schmerzhafter Schwel-
lung der inguinalen Lymphknoten.

Mykotische Vulvitis
Unter einer mykotischen Vulvitis versteht man eine Infektion mit Sprosspil-
zen der Gattung Candida. Überwiegend wird eine mykotische Vulvitis durch
Candida albicans ausgelöst, seltener wird Candida glabrata nachgewiesen.
1.1 · Entzündliche Erkrankungen
3 1
Diagnostik Eigene Notizen
Zur Diagnostik ist die Inspektion des äußeren Genitale essenziell. Charak-
teristisch sind ein weiß-krümeliger Ausfluss, rasenartige Beläge am Introi-
tus und oft eine erythematös veränderte, mit weißlichen Auflagerungen
versehene Scheidenhaut. Im Nativpräparat sind bei ausgeprägter Pilzbesied-
lung Sprosszellen und Pilzhyphen nachweisbar, allerdings berechtigt ein
negatives Ergebnis im Nativpräparat nicht zur Annahme, dass keine Pilz-
infektion vorliegt. Diesbezüglich sollte bei entsprechendem klinischem Ver-
dacht eine Pilzkultur mit selektiven Nährböden angelegt werden.

Therapie
Die Therapie der mykotischen Vulvitis erfolgt zunächst lokal mit Imida-
zolcremes und Vaginaltabletten oder Ovulae. Bei Nichtansprechen, Rezidiv
oder nachgewiesener Darmbesiedlung sollte eine systemische Behandlung
mit oralen Triazolen, Fluconazol, Itraconazol oder Nystatin in Erwägung
gezogen werden. Oft wird eine Partnerbehandlung simultan durchgeführt,
allerdings konnten Studienergebnisse bezüglich Partnerbehandlung keine
verbesserte Heilungsrate bezeugen.
Es ist zu betonen, dass ein Candida-Nachweis ohne entsprechende kli-
nische Symptomatik nicht behandlungsbedürftig ist; es handelt sich in
diesem Falle um eine Kolonisation und nicht um eine Infektion. In der
gesunden weiblichen Population geht man von einer Kolonisationsrate
zwischen 5 und 30% aus. Candida glabrata ist ein typischer Kolonisations-
keim.

Tinea inguinalis
Zu den mykotisch entzündlichen weiblichen Erkrankungen gehört, wenn
auch selten auftretend, eine durch Fadenpilze (Dermatophyten) hervorge-
rufene Infektion.

Klinik
Die Tinea inguinalis befällt die Außenseite der Labia majora, den Mons
pubis, die Genitokruralfalten und die angrenzende Haut. Leitsymptom ist
der Pruritus. Die infizierte Haut weist Rötung und Schuppung auf mit zen-
trifugaler Ausbreitung und scheinbar zentralen Abheilung.

Therapie
Die Therapie erfolgt durch lokal oder systemisch anwendbare Antimyko-
tika.

Bakterielle Vulvitis
Erysipel (Wundrose)
Die Erysipel Infektion wird durch β-hämolysierende Streptokokken der
Gruppe A ausgelöst.

Klinik
Es zeigt sich eine flächenhafte umschriebene, überwärmte, schnell fort-
schreitende Rötung. Eintrittspforte sind kaum sichtbare Rhagaden oder
4 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen Mikrotraumen. Die Infektion geht mit einem ausgeprägten Krankheitsge-
1 fühl einher; die Patientinnen weisen Schüttelfrost, hohes Fieber und eine
Entzündungskonstellation im Blut auf.

Therapie
Therapie der Wahl ist die intravenöse Gabe von Penicillin G über 7–10 Tage.
Alternativ kommen Cephalosporine, Erythromycin oder Makrolide in Be-
tracht.

Bartholinitis
Die Bartholinitis ist eine isolierte Entzündung des Ausführungsgangs der
Bartholin-Drüse.

Klinik
Es zeigt sich eine Rötung und Schwellung des Ausführungsgangs der Drüse.
Dies führt zu hühnereigroßen, zystischen Veränderungen im hinteren Be-
reich des Vestibulums. Der Introitus kann eingeengt werden, Sitzen und das
Allgemeinempfinden werden zunehmend beeinträchtigt.

Therapie
Therapie der Wahl ist die Inzision, Entlastung und Marsupialisation der
Zyste. Postoperativ können der Patientin Kamillenextrakt-Sitzbäder emp-
fohlen werden. Bei bakterieller Superinfektion mit Scheiden- oder Darm-
bakterien sollte eine Antibiotikagabe in Erwägung gezogen werden.

Furunkel/Karbunkel
Furunkel sind Entzündungen eines Haarfollikels oder einer Talgdrüse, sie
werden durch eine Infektion mit koagulase-positiven Staphylokokken
(Staph. aureus) hervorgerufen. Wenn Furunkel flächenartig konfluierend
verschmelzen, dann spricht man von Karbunkel.

Klinik
Es zeigt sich eine flächenhafte Entzündung mit zentraler Einschmelzung an
den Haarfollikeln um die Vulva herum.

Therapie
Das therapeutische Vorgehen beinhaltet eine lokale antiseptische Behand-
lung, bei Fluktuation ist eine lokale Inzision und Drainage des Abszesses
indiziert. In diesem Falle sollte eine systemische antibiotische Therapie in
Erwägung gezogen werden. ! Cave Vorsicht ist geboten bei der Wahl des
geeigneten Antibiotikums; viele Staph.-aureus-Stämme sind oft resistent
gegenüber Penicillin. In diesem Falle kann die Gabe von Cephalosporinen
oder Aminopenicillinen in Kombination mit β-Laktamase-Hemmern emp-
fohlen werden.

Erythrasma
Unter dem Begriff Erythrasma fallen Hautinfektionen perivulvär, die durch
das Corynebacterium minutissimum hervorgerufen werden.
1.1 · Entzündliche Erkrankungen
5 1
Klinik Eigene Notizen
Die Infektion ähnelt klinisch einer Pilzinfektion, deswegen auch als Pseu-
domykose bezeichnet; es kommt zum Auftreten von rosafarbenen Flecken,
bedingt durch die Porphyrinbildung der Korynebakterien, welche im Ver-
lauf eine Braunfärbung annehmen. Die Infektion verläuft relativ asympto-
matisch und tritt häufiger bei älteren Frauen auf. Feuchtwarme Verhältnisse,
Adipositas, Diabetes mellitus sowie ein schlechter Hygienestatus begünsti-
gen diese bakterielle Infektion.

Therapie
Die Therapie erfolgt durch Imidazolpräparate.

Virale Vulvitis
Herpes simplex der Vulva
Übertragen durch Geschlechtsverkehr wird diese Erkrankung durch persis-
tierende Viren in den Spinalganglien hervorgerufen. HSV-Typ-1 verursacht
Herpes labialis, selten Herpes genitalis; HSV-Typ-2 verursacht überwiegend
Herpes genitalis.

Klinik
Klinisch zeigen sich zunächst unspezifische Allgemeinsymptome wie Fie-
ber, Abgeschlagenheit, Kopf- und Muskelschmerzen. Lokal bestimmen
Juckreiz, Schmerz, Fluor und Dysurie das Beschwerdebild.

Diagnostik
Pathognomonisch sind schmerzhafte ulzerierende Bläschen im Genitalbe-
reich. Zellkulturen, Fluoreszenztests vom Bläscheninhalt oder ELISA kön-
nen die virale Erkrankung nachweisen.

Differenzialdiagnostik
Abzugrenzen ist der Herpes zoster der Vulva; ausgelöst durch das Varizella-
Zoster-Virus beschränkt sich die Erkrankung auf bestimmte Dermatome
und weist ein dem Herpes simplex sehr ähnliches Krankheitsbild vor.

Therapie
Valaciclovir oder Aciclovir als systemische antivirale Therapie, lokale anti-
septische Maßnahmen um bakterielle Superinfektionen vorzubeugen,
Schmerztherapie.

Condylomata acuminata
Genotypen des Humanen Papillomavirus (HPV) induzieren Proliferatio-
nen des Hautepithels. Einige der so genannten High-Risk-Genotypen
(16,18, 31, 33, 39, 45,59 u.a.) sind an der Entstehung von Anogenitalkarzi-
nomen beteiligt und aus diesem Grunde auch von besonderer Bedeutung.

Klinik
Die meisten HPV-Infektionen verlaufen asymptomatisch oder subklinisch.
Kommt es zur Entstehung von genitoanalen Warzen, so handelt es sich hier
6 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen um variabel ringförmig angeordnete, blasse bis rötliche blumenkohlartige


1 Kondylome, bevorzugt im Bereich der hinteren Kommissur. Juckreiz oder
Brennen können begleitende Symptome sein, allerdings sind Kondylome
meist störend durch Aussehen und Größe.

Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt durch Inspektion, kolposkopische Untersuchung
und Essigsäureprobe (3%ig). Bei subklinischer Infektion und entspre-
chendem Verdacht ist auch ein alleiniger DNA-Nachweis der HPV-Typen
mit Hybridisierung oder PCR möglich.

Differenzialdiagnostik
Differenzialdiagnostisch ist die Entstehung einer intraepithelialen Neo-
plasie der Vulva (VIN) auszuschließen.

Therapie
In ca. 30% der Fälle kann es zu einer spontanen Remission kommen, sodass
ein abwartendes Verhalten durchaus gerechtfertigt sein kann. Alternativ
stehen sowohl operative als auch diverse sonstige Maßnahmen zur Verfü-
gung, z.B. elektrochirurgische Maßnahmen, Lasertherapie, Kryotherapie,
Podophyllotoxin, Interferon-β-Gel, Imiquimod oder Trichloressigsäure.

1.1.2 Erkrankungen der Vagina

Bakterielle Vaginose/Aminkolpitis
Essenzieller Bestandteil der bakteriellen Kolpitis ist eine Störung der physio-
logischen Vaginalflora; Gardnerella vaginalis, anaerobe Bakterien, Myko-
plasmen und Ureaplasmen kommen gehäuft vor, während der Anteil der
milchsäurebildenden Döderlein-Bakterien reduziert ist.

Klinik
Rötung des Vaginalepithels, »fischig« riechender Ausfluss, Brennen, Pruri-
tus, Nässegefühl durch vermehrten Ausfluss. Im Rahmen einer Schwanger-
schaft kann eine bakterielle Kolpitis zu einer peripartalen Infektion führen.
Die Frühgeburtlichkeitsrate ist erhöht.

Diagnostik
pH-Wert des Vaginalsekrets >5,0. Die Zugabe einer KOH-Lösung zum Va-
ginalsekret verstärkt den charakteristischen »fischigen« Geruch (Amintest).
Die vermehrte Bakterienzahl ist in einem Kochsalzpräparat des Vaginalse-
krets bei adäquater Vergrößerung sichtbar. Nachweis von so genannten
»Clue Cells« (mit Bakterien besetzte Epithelzellen).

Therapie
Metronidazol, Clindamycin.
1.1 · Entzündliche Erkrankungen
7 1
Soorkolpitis Eigene Notizen
Die Candidainfektion der Vagina kann auf den Partner übertragen werden
und wird in der Mehrheit der Fälle durch Candida albicans verursacht.

Klinik
Juckreiz und ein meistens dickflüssiger weißkrümeliger Ausfluss sind cha-
rakteristisch für eine Candidainfektion der Vagina.

Diagnostik
Grau-weißliche Beläge an Introitus und Vagina, Ausfluss, erythematöse
Schwellung der Vagina, Nachweis von Pilzmyzelen im Nativausstrich.

Therapie
Lokale antimykotische Therapie mit z.B. Clotrimazol, Miconazol, Tiocona-
zol; bei rezidivierender Vaginalmykose systemische Therapie mit Flucona-
zol oder Itraconazol.

Trichomonaden-Kolpitis
Die Trichomoniasis ist bei Weitem die häufigste sexuell übertragbare Er-
krankung weltweit.

Klinik
Gelblich schaumiger übel riechender Fluor, Juckreiz, Dyspareunie.

Diagnostik
Typische klinische Symptomatik im Sinne des charakteristischen Fluors,
lokale Infektionszeichen, Scheiden-pH >4,5. Bei adäquater Vergrößerung
unter dem Mikroskop Nachweis der Trichomonaden-Flagellaten im Nativ-
präparat.

Therapie
Metronidazol systemisch; eine Partnertherapie und vorübergehend sexuel-
le Abstinenz tragen zum Erfolg der Therapie bei.

Streptokokken-Kolpitis
Streptokokken gehören zu den seltenen Kolpitis-Ursachen und sind oft Ko-
lonisationskeime. Sowohl A- als auch B-Streptokokken können allerdings
zu schwerwiegenden systemischen Erkrankungen führen (Erysipel, Phleg-
mone, nekrotisierende Fasziitis, Streptokokken-Toxic-Schock-Syndrom).
B-Streptokokken können im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft zu
peripartalen Komplikationen führen. So zählen die akute Chorioamnioni-
tis, der vorzeitige Blasensprung, eine erhöhte Frühgeburtlichkeitsrate und
potenzielle schwere Neugeborenen-Infektionen zu möglichen Folgen einer
B-Streptokokken Besiedlung der Vagina.

Klinik
Unspezifische lokale Beschwerdesymptomatik im Sinne von Fluor, Juckreiz,
Brennen, Rötung.
8 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen Diagnostik


1 Mikrobiologischer kultureller Nachweis, ein Schwangeren-Screening im
letzten Trimenon auf B-Streptokokken wäre zu empfehlen.

Therapie
Penicilline, Cephalosporine, Lincosamide, Gyrasehemmer, Makrolide.

1.1.3 Erkrankungen des Uterus

Endo(myo)metritis
Entzündliche Erkrankungen des Uterus können Zervix, Endometrium oder
Myometrium einbeziehen; dementsprechend unterscheidet man (eine Pa-
rametritis kann im Rahmen einer Endomyometritis ebenfalls auftreten):
4 die Zervizitis
4 die akute oder chronische Endometritis
4 die Endo(myo)metritis
4 die Endometritis puerperalis
4 die Pyometra

Die häufigste Infektion des Uterus ist mit dem Wochenbett assoziiert (En-
dometritis puerperalis) und entsteht durch eine mangelhafte Rückbildung
des Uterus postpartum. Die Endometritis ist eine meist aufsteigende geni-
tale Infektion bedingt durch Chlamydien, Anaerobier, Gonokokken oder
E.-coli-Bakterien. Als Risikofaktoren gelten die Mens, Aborte oder Entbin-
dungen, invasive Eingriffe (Hysteroskopie, Abrasio, Myomenukleation,
Polypentfernung) und natürlich ein meist seit längerer Zeit platziertes IUD.

Klinik
4 Uterine Blutungsstörung
4 Unterbauchschmerz
4 Druckempfindlichkeit und Auflockerung des Uterus (»Uteruskanten-
schmerz«)
4 zervikaler Fluor
4 Fieber
4 Entzündungskonstellation im Blut

Bleibt die lokale inflammatorische Reaktion unerkannt und unbehandelt,


kann es bis zur generalisierten septischen lebensbedrohlichen Schocksymp-
tomatik kommen.

Diagnostik
Anamnese, Risikofaktoren, die gynäkologische Tastuntersuchung, eine Ul-
traschalluntersuchung (Verifizierung einer Sero- oder Pyometra z.B.) und
die mikrobiologische Abstrichentnahme aus Vagina und Zervix können zur
Diagnosestellung führen.
1.1 · Entzündliche Erkrankungen
9 1
Therapie Eigene Notizen
Gabe von Breitspektrumantibiotika und Uterotonika (Methylergometrin),
falls notwendig IUD-Entfernung. Bei Endometritis puerperalis ist an Pla-
zentareste zu denken, sodass eine instrumentelle Nachtastung im Intervall
indiziert sein kann. Bei häufig älteren Patientinnen mit einer Zervikal-
kanalstenose und konsekutiver Sero- oder Pyometra sollte eine Dilatation
des Zervikalkanals zur Pusentleerung erfolgen.

1.1.4 Erkrankungen der Adnexe

Adnexitis
Der Begriff Adnexitis beschreibt die infektiöse meist aszendierende Er-
krankung des oberen weiblichen Genitaltrakts (Tube, Ovarien). In schweren
Fällen kann sich die Infektion entlang des Peritoneums bis zur Leberkap-
sel ausbreiten und zu perihepatischen Adhäsionen führen (Fitz-Hugh-
Curtis-Syndrom). Im angloamerikanischen Raum wird die Erkrankung
auch als »pelvic inflammatory disease« (PID) bezeichnet. Eine PID ent-
steht überwiegend durch sexuell übertragbare Erreger, z.B. Chlamydia tra-
chomatis und Neisseria gonorrhoe. Auch Streptokokken, Staphylokokken,
E. coli und Anaerobier können das klinische Bild einer Adnexitis hervor-
rufen.
Prädisponierende Faktoren sind, ähnlich wie bei den uterinen entzünd-
lichen Erkrankungen:
4 IUD
4 diagnostische bzw. operative Eingriffe
4 frühe Aufnahme sexueller Aktivität

Bei amenorrhoeischen Frauen kommt eine Adnexitis viel seltener vor; das
Menstruationsblut ist ein gutes Kulturmedium für die Erreger, zusätzlich
können aufsteigende Erreger die Zervixbarriere während der Mens leichter
durchbrechen.

Klinik
Das entzündliche Geschehen führt zur ödematösen Schwellung des Gewe-
bes, die Tuben inklusive Fimbrientrichter können verkleben, das Tubenlu-
men wird verlegt. Pyosalpinx kann eine mögliche Folge sein, Eiter kann
über die Fimbrienenden auch in den Douglas-Raum gelangen und dort eine
Pelveoperitonitis auslösen, sekundär kann dies zu einem ausgedehnten Ad-
häsionssitus führen. Bei eitriger Beteiligung der Ovarien spricht man auch
vom Tuboovarialabszess. Das klinische Erscheinungsbild kann von symp-
tomarm und verkannt bis zu akut und lebensbedrohlich sein.
Mögliche Symptome sind:
4 akuter Unterbauchschmerz
4 Abwehrspannung
4 Fieber oder subfebrile Temperaturen
4 Nausea
4 Meteorismus
10 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen 4 Brechreiz


1 4 übel riechender Fluor vaginalis

Bei der klinischen Untersuchung ist das so gennante »chandelier sign«


oder der Portioschiebeschmerz richtungsweisend für die Diagnose-
stellung.

Diagnostik
Die bimanuelle gynäkologische Tastuntersuchung, die mikrobiologische
Abstrichentnahme, das Nativpräparat aus der Vagina oder dem Zervikalka-
nal und eine entsprechende Entzündungskonstellation im Blut können ers-
te diagnostische Hinweise liefern; mehr diagnostische Sicherheit erlangt
man allerdings durch Ultraschall und Laparoskopie.

Differenzialdiagnostik
4 Eileiterschwangerschaft
4 Septischer Abort
4 Endometriose
4 Ovarialzystenruptur
4 Ovarialtorsion
4 Nekrotische Myome
4 Appendizitis, Divertikulitis
4 Harnweginfektionen
4 Entzündliche Darmerkrankungen

Therapie
Gabe einer antibiotischen und antiphlogistischen Therapie, z.B. mit Ampi-
cillin/Sulbactam, Cephalosporinen, Clindamycin, Metronidazol, Doxy-
cyclin.
Die operative Therapie ist bei sonografisch nachweisbaren Tast-
befunden im kleinen Becken essenziell. Die operative Laparoskopie dient
simultan nicht nur der Diagnosestellung, sondern ermöglicht in einer
Sitzung auch die Sanierung eitriger Befunde, im Sinne einer Salpingotomie,
Peritoneallavage, Salpingektomie oder Salpingoovarektomie, falls not-
wendig.

1.2 Erkrankungen der Brust

U. Heindrichs

1.2.1 Entzündliche Erkrankungen der Brust

Thelitis
Es handelt sich um eine Mamillenentzündung, die in der Regel im Rahmen
des Stillens auftritt durch eine mechanische Gewebeläsion.
1.2 · Erkrankungen der Brust
11 1
Therapie Eigene Notizen
4 desinfizierende und kühlende Maßnahmen
4 evtl. Antiphlogistika
4 bei Bedarf Antibiotika und Abstillen (ultima ratio)
4 prinzipiell trockene Wundbehandlung

Prophylaxe
4 Stillen mit Anleitung (korrekte Stilltechnik)
4 Beachtung von allgemeiner Hygiene (Asepsis)
! Cave Infolge einer lymphogenen Erregerausbreitung kann eine
Mastitis resultieren.

Mastitis
Synonym für entzündliche Erkrankung der Brustdrüse, die in rund 90% der
Fälle im Wochenbett auftritt (Mastitis puerpuralis) mit einer Häufigkeit von
bis zu 2% der Wöchnerinnen (Kap. 14). Ursächlich sind meist bakterielle
Infektionen, in erster Linie Staphylokokken, aber auch Streptokokken,
Echerichia coli oder Proteus-Stämme. Sehr selten kommt in unseren Breiten
eine tuberkulöse Mastitis vor, die dann im Zusammenhang mit einer pul-
monalen Tuberkulose auftritt.

Klinik
An erster Stelle steht die lokalisierte Rötung und Überwärmung der Brust
mit entsprechender Schmerzsymptomatik. Je nach Ausprägungsgrad
kommt es zur Auffieberung mit Schüttelfrost sowie Druckschmerzhaftig-
keit der gesamten Brust. Im Verlauf ist dann eine Abszedierung mit zen-
traler Nekrosenbildung möglich.

Diagnostik
Die beschriebene klinische Symptomatik ist in der Regel pathognomonisch;
die Hinzuziehung serologischer Parameter zur Bestätigung des Entzün-
dungsprozesses (Leukozytose und CRP-Wert-Erhöhung) wie auch der Be-
stimmung der Körpertemperatur können zum einen die Verdachtsdiagno-
se bestätigen, zum anderen als Verlaufsbeurteilung dienen. Zum Nachweis
bzw. Klärung der Ausdehnung sowie Bestimmung der Konsistenz einer
möglichen Abszedierung ist die Ultraschalldiagnostik hilfreich. Im Rahmen
dieser kann eine zusätzlich durchgeführte Stanzbiopsie hilfreich sein, und
zwar zum einen um in Zweifelsfällen die Diagnose histopathologisch zu
klären, zum anderen um über einen Probeversand in die Mikrobiologie zu
einem Erregernachweis zu führen.

Differenzialdiagnostik
! Cave Insbesondere bei atypischem Verlauf ist rechtzeitig an ein inflamm-
atorisches, ggf. superinfiziertes Mammakarzinom zu denken. Hierzu gehört
auch die Röntgenmammografie, die jedoch in der Akutphase aufgrund der
Schmerzhaftigkeit nicht suffizient durchzuführen und daher ggf. nachzu-
holen ist.
12 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen Therapie


1 Diese ist abhängig vom Ausprägungsgrad, d.h. bei kleinen Entzündungs-
herden bis hin zu kleinen Abszedierungen kann ein konservatives Manage-
ment durchgeführt werden mit physikalischen Maßnahmen, wie lokaler
Kühlung, Abpunktieren des Abszesses (Entlastung und Erregernachweis),
ggf. antibiotische Therapie.
Bei chronischen bzw. ausgeprägten Befunden, ggf. bei der Puerpural-
mastitis, ist auf sorgfältiges Entleeren der Brust zu achten, ggf. wird Abstil-
len erforderlich. Ultima ratio ist die operative Sanierung des Abszesses mit
Nekrosenabtragung, Drainagen- bzw. Lascheneinlage zur konsekutiven
Spülung/Reinigung des Wundgebiets.
Bei der nonpuerpuralen Mastitis, bei der überwiegend Frauen im
Alter zwischen 20 und 40 Jahren erkranken, liegt häufig eine Mischinfek-
tion vor; nicht selten gelingt ein Erregernachweis nicht, sodass eine symp-
tomatische Therapie indiziert ist. Bei der nonpuerpuralen Mastitis werden
hormonelle Schwankungen als auslösende Faktoren vermutet, wie auch ein
Vitamin-A-Mangel und stattgehabte Schwangerschaften. Ebenso stellt der
Nikotinabusus einen Risikofaktor dar, insbesondere für eine fistelnde Mas-
titis auf dem Boden einer bakteriellen Infektion. Solche Erkrankungen
neigen zu chronischer Rezidivierung (Notwendigkeit der Fistelgangexstir-
pation).
Rezidivierende Mastitiden, ggf. Abszessneigung anderer Körperregio-
nen (Haut, Genitalbereich), sind manchmal mit förderlichen Begleiterkran-
kungen vergesellschaftet, z.B. einem Diabetes mellitus oder einer Hyperpro-
laktinämie.

1.2.2 Gutartige Erkrankungen der Mamma

Mastopathie
Die Bezeichnung »mastopathische Brustdrüsenerkrankung« umfasst so-
wohl fibröse als auch zystische Veränderungen des Brustdrüsengewebes
in Abhängigkeit von der Lokalisation der Veränderung: so können Milch-
gänge erweitert sein mit oder ohne papillärer Gangepithelwucherung wie
auch der Ausbildung von Mikro- oder Makrozysten; im Falle der bindege-
webigen (fibrösen) Proliferation kommt es zur typischen lokalen Konsis-
tenzvermehrung mit entsprechendem Tastbefund.
Nicht selten liegt eine Kombination zystischer und fibröser Verände-
rungen vor, dementsprechend fibrozystische Mastopathie genannt. Grund-
sätzlich ist die einfache (chronisch) fibrös-zystische Mastopathie eine gut-
artige Erkrankung, allerdings ist der Übergang zu einer atypisch duktalen
Hyperplasie (ADH) möglich (Kap. 2.4).
Als Oberbegriff bezeichnet man die feingeweblichen Abweichungen des
Brustdrüsengewebes auch als Mammadysplasie, wobei der Zusatz »aty-
pisch« anzeigt, dass hier der Übergang zu einer Präkanzerose erfolgt.
1.2 · Erkrankungen der Brust
13 1
Ätiologie Eigene Notizen
Am ehesten wird von einer hormonellen Dysregulation ausgegangen, zumal
Frauen mit anovulatorischen Zyklen häufiger betroffen sind; außerdem fin-
det man die Mastopathie im Kontext einer Hyperprolaktinämie.

Klinik und Diagnostik


Die Mastopathie kann sowohl schmerzlos als auch schmerzhaft empfunden
werden, aus den genannten Gründen durchaus auch zyklusabhängig mit
einem Maximum prämenstruell.
Zur Diagnose führen Anamnese und klinischer Untersuchungsbefund
in Korrelation zur Bildgebung (Sonografie, Mammografie); in Zweifelsfäl-
len ist eine stanzbioptische Klärung erforderlich.

Therapie
Symptomorientiert, ggf. hormonelle Regulation nach entsprechender Dia-
gnostik. Im Falle einer tastbaren Resistenz mit lokaler Beschwerdesympto-
matik ist selten eine Exstirpation indiziert.

Mastodynie
Dieser Begriff beschreibt die einseitige oder beidseitige Schmerzhaftigkeit
(auch Berührungsempfindlichkeit) der Mammae. Sie tritt nicht selten zy-
klisch auf, insbesondere prämenstruell im Zusammenhang mit der ovariel-
len Lutealphase; jedoch ist auch eine zyklusunabhängige Symptomatik
möglich, ebenso eine Korrelation mit einer Mastopathie (s. oben). Dement-
sprechend sind sowohl Mastopathie als auch -dynie eher die Symptome der
prämenopausalen Frau.

Diagnostik
Anamnese, insbesondere auch den Zyklus betreffend, ggf. zyklische Hor-
monanalyse, Bildgebung (Sonografie, ggf. Mammografie).

Therapie
Zyklusregulation, manchmal sind lokale Progesterongele wirksam, ggf. Ein-
leitung von Entspannungsverfahren zur Dämpfung bzw. Balancierung der
hormonellen Dysregulation (auch Prolaktin) über die Stresshormone.

Angeborene Fehlentwicklungen
Es können sowohl eine oder beide Brustwarzen fehlen (Athelie) als auch
eine oder beide Brustdrüsen, ggf. auch der Brustmuskel (Aplasie, Poland-
Syndrom).
Therapeutisch sind plastisch-chirurgische Maßnahmen indiziert, wobei
sowohl autologe wie auch heterologe Verfahren zum Einsatz kommen.
Da der Mensch zu den Säugern gehört, sind entlang der ehemaligen
Milchleiste auch zusätzliche Anlagen von Brustwarzen (Polythelie) oder
auch Brustdrüsen (Polymastie) möglich. Sollten diese kosmetisch oder
funktionell störend sein, kommt eine chirurgische Entfernung in Betracht.
14 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen Fehlentwicklungen im Rahmen des Brustwachstums


1 Es kann sowohl zu Minderentwicklungen der Mammae (Mikromastie bzw.
Mammahypoplasie) kommen als auch zu einer überschießenden Brustent-
wicklung (Mammahyperplasie oder Makromastie), wobei die Übergänge
fließend sind und der entsprechende Leidensdruck im Einzelfall schwer
objektivierbar ist.
Zur Therapie der Mammahypoplasie kommen Augmentationsplasti-
ken, in der Regel mit Implantaten, in Betracht, die in aller Regel in den
Formenkreis der kosmetischen Operationen gehören. Im Gegensatz dazu
führt die ausgeprägte Makromastie häufig auch zu körperlichen Beschwer-
den, wie Schulter-/Nackenbeschwerden, Einschneiden der BH-Träger so-
wie Einschränkungen bei bestimmten körperlichen oder sportlichen Betä-
tigungen. Zur Korrektur gibt es diverse Techniken zur Volumenverkleine-
rung (Mammareduktionsplastik). In Abhängigkeit vom Kausalzusammen-
hang zur körperlichen Symptomatik stellt diese Maßnahme eine Leistung
der Krankenversicherung dar.

Ptosis mammae (Hängebrust)


Die Ptosis mammae sei hier der Vollständigkeit halber aufgeführt, da sie
nicht selten zu hohem Leidensdruck bei den betroffenen Frauen führt.
Letztlich resultiert eine Hängebrust aus einem Missverhältnis zwischen ge-
gebenem (zu großem) Hautmantel und Brustvolumen. Dies kann gewisser-
maßen physiologisch gegeben oder auch erworben sein (z. B. nach starker
Gewichtsschwankung oder Schwangerschaften), aber auch bei einer so ge-
nannten Involutionsmamma, d.h. im Falle einer meist altersbedingten
Brustdrüsenrückbildung.
Die Behandlungsmöglichkeiten bestehen in der operativ kosmetischen
Korrektur in der alleinigen Mastopexie (straffende Operation) oder ggf. bei
Volumenmangel unter Zuhilfenahme von Implantaten.

Tubuläre (tuberöse) Fehlbildung der Mamma


Bei dieser Fehlentwicklung, die sich in der Regel schon früh in der Brust-
entwicklung abzeichnet, kommt es bei einer oder beiden Mammae zu einer
Hypoplasie der unteren Quadranten, häufig mit übergroßen Areolae verge-
sellschaftet, sowie einer zu weit kranial positionierten Unterbrustfalte
(konstruktive Submammarfalte); nicht selten kommt dazu eine deutlich
asymmetrische Entwicklung beider Mammae.
Als Therapie kommen hier nur chirurgische Korrekturen mit plasti-
scher Neuformierung der Drüsenkörper, der Areolae sowie ggf. Implantat-
einlage infrage.

Gynäkomastie
Gynäkomastie bezeichnet die ein- oder beidseitige Vergrößerung der
männlichen Brust. Bei der Gynäkomastia vera ist das Brustdrüsengewebe
proliferiert, während bei der Pseudogynäkomastie die Brust durch Vermeh-
rung des Fettgewebes (Lipomastie, z.B. bei allgemeiner Adipositas) an Vo-
lumen zunimmt.
1.2 · Erkrankungen der Brust
15 1
Ätiologie Eigene Notizen
Eine mögliche Ursache findet sich im Rahmen hormoneller Veränderungen:
so gibt es die Neugeborenengynäkomastie, die Pubertätsgynäkomastie und
die Altersgynäkomastie, bei denen entsprechende Verschiebungen hin zu
einer mehr östrogenhaltigen Stoffwechsellage stattfinden können. Aber
auch Erkrankungen der Gonaden, chronische Stoffwechselerkrankungen
(Niere, Leber), Alkoholmissbrauch und verschiedene Medikamente können
den Hormonhaushalt zugunsten einer Gynäkomastie verschieben. Manch-
mal findet sich keine fassbare Ursache, sodass in solchen Fällen von einer
höheren relativen Empfindlichkeit der Hormonrezeptoren des Brustdrü-
sengewebes ausgegangen wird. Je nach anamnestischer Konstellation ge-
winnt man zudem den Eindruck, dass auch diverse Stressoren – wiederum
durch ihren Einfluss auf hormonelle Kreisläufe (z.B. Kortison, Prolaktin)
eine Gynäkomastie begünstigen.

Klinik und Therapie


Bei der Gynäkomastia vera findet man häufig eine einseitige schmerzhafte
Resistenz in der Brust, was neben kosmetischen Aspekten mit den häufigsten
Grund für die ärztliche Konsultation darstellt. Hier muss differenzial-
diagnostisch auch an das seltene männliche Mammakarzinom gedacht wer-
den mit der entsprechenden weiterführenden Diagnostik (vgl. Kap.2.4).
Ist eine maligne Erkrankung ausgeschlossen, richtet sich die Therapie
nach der Ursache, wobei sich eine manifeste, d.h. tumoröse bzw. fettgewebs-
bedingte Gynäkomastie meistens nur operativ entfernen lässt.

1.2.3 Gutartige Tumore

Meist sind die selbst getasteten Mammatumoren benigne (ca. 75%).

Fibroadenom
Dieser stellt neben den Zysten (s. unten) den häufigsten gutartigen Tumor
in der Mamma dar. Gemäß seiner Bezeichnung besteht er aus Binde- und
Drüsengewebe, ggf. multilokulär bzw. bilateral auftretend. Das häufig
schubweise Wachstum gilt als hormonabhängig, weshalb Fibroadenome
v.a. bei jungen Frauen (15.–30. Lebensjahr) und prämenopausalen Frauen
(45–55 Jahre) bemerkt werden, z.B. nach schubweisem Wachstum in der
Schwangerschaft bzw. hormonellen Inbalancen (Östrogen/Gestagen).

Diagnostik
Häufig neu aufgetretener Tastbefund mit Nachweis eines prall elastischen,
am ehesten glatt begrenzten und verschieblichen Tumors. In der Sonografie
ebenso relativ homogen glatt und mobil, in der Regel mit quer verlaufender
Längsachse mit so genannter bilateraler Schallauslöschung und dorsaler
Schallverstärkung bei ansonsten eher hypodensem Binnenecho.
16 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen Therapie


1 Da Fibroadenome harmlos sind, müssen sie in der Regel nicht entfernt
werden; nur solche mit ausgeprägter Wachstumsneigung und entspre-
chender Druckproblematik sollten in Absprache mit der Patientin recht-
zeitig entfernt werden. Nach der Menopause kommt es regelmäßig zum
Sistieren der Symptome. ! Cave Mammakarzinome auf dem Boden einer
genetischen Mutation (BRCA-Mutation) sehen in der Bildgebung häufig
Fibroadenomen sehr ähnlich, weshalb neu aufgetretene vermeintliche
Fibroadenome entsprechend engmaschig zu kontrollieren sind, insbeson-
dere bei Patientinnen aus entsprechend betroffenen Familien, ggf. frühzei-
tige stanzbioptische Klärung.

Zysten
Eine Mammazyste stellt eine aufgrund der Verlegung eines Ausführungs-
gangs mit Flüssigkeit gefüllte Erweiterung eines Drüsenläppchens dar.
Symptomatisch häufig bei Frauen im Alter von 30–50 Jahren bzw. zu Beginn
der Wechseljahre. Mikro- oder Makrozysten stehen häufig im Zusammen-
hang mit einer chronisch zystisch-fibrösen Mastopathie (s. oben).

Klinik
Zysten werden als prall-elastischer Tumor in der Brust wahrgenommen und
können aufgrund der Verdrängung des umgebenden Brustgewebes mit
Druckgefühl und Schmerzen einhergehen, wiederum auch zyklusabhängig.
Aufgrund des flüssigen Inhalts können sie in einigen Fällen gewissermaßen
über Nacht entstehen und führen dann zu entsprechender Besorgnis bei den
Patientinnen.

Diagnostik
Neben dem typischen Tastbefund stellt die Zyste eine ideale Domäne für
den Ultraschall dar: In der Regel sind Zysten rund, glatt berandet mit ent-
sprechendem bilateralem Schallschatten und dorsaler deutlicher Schallver-
stärkung, während der Inhalt echoleer ist. Es gibt jedoch auch so genannte
komplexe Zysten mit abweichendem Schallverhalten, z.B. einer Entrun-
dung, einer Septierung oder mit inhomogenen Binnenechos. Letztere be-
dürfen zumindest der engmaschigen Kontrolle (zweizeitiger Vergleich), bei
soliden Binnenechos, evtl. mit Durchblutung, sollten diese weitergehend
abgeklärt werden (z.B. bioptisch). Eine rein zytologische Abklärung mittels
Punktion ist zum einen eher problematisch, da meist keine eindeutige Dia-
gnose für den Pathologen zu treffen ist, zum anderen die vermeintliche
Malignität in der Zystenwand bzw. deren Wucherung zu finden wäre. Die
weitere Abklärung mittels Biopsie beinhaltet daher bei größerem solidem
Zysteninhalt entweder die gezielte Stanzbiopsie oder – falls nicht vorhanden
oder möglich – am ehesten die komplette Zystenexstirpation.
Blande Zysten können in ihrer Größe mit der Zeit variieren, sich ggf.
auch spontan zurückbilden; insbesondere nach der Menopause stellen sie
nur noch selten ein Problem dar.
1.3 · Gutartige Erkrankungen des Uterus, der Eileiter und Eierstöcke, der Vulva
17 1
Milchgangspapillom Eigene Notizen
Milchgangspapillome sind primär gutartige Wucherungen in den Milch-
gängen; sie können mikroskopisch klein und quasi rasenförmig auftreten,
aber auch mehrere Millimeter bis wenige Zentimeter groß werden. Da sie
eher kleinvolumig sind, sind sie oft und lange asymptomatisch. Sie können
zur Sekretion des betroffenen Milchgangs führen, z.T. auch blutig; ihre Ent-
artungstendenz wird statistisch mit 2–5% angegeben. ! Cave Somit sollte
insbesondere jede einseitige Mamillensekretion, erst recht wenn sie blutig
ist, weiter abgeklärt werden.

Diagnostik
Das Mamillensekret kann zytologisch auf Blut und entartete Zellen unter-
sucht werden. Bei entsprechendem Verdacht sollte eine weitergehende Bild-
gebung angeschlossen werden (Ultraschall, Mammografie, ggf. Galaktogra-
fie bzw. MRT). In einzelnen Zentren werden auch so genannte Duktusko-
pien durchgeführt.

Therapie
In vielen Fällen, d.h. bei Verdacht auf Papillom, wird eine Operation zur
histologischen Sicherung nötig sein, je nach Bildgebung stanzbioptisch oder
durch offene Biopsie bzw. Milchgangsresektion. In einigen Fällen lässt sich
kein Papillom verifizieren, sodass bei blutiger Sekretion die Differenzial-
diagnose eines duktalen In-situ-Karzinoms besteht (Kap. 2.4). Daher ist die
sorgfältige Abklärung einer pathologischen Mamillensekretion begründet,
selbst wenn Tast- und Ultraschallbefund ohne pathologischen Befund
sind.

Lipom
Sehr seltener Tumor, der auch aus dem Fettgewebe der Mammae hervor-
gehen kann und dementsprechend weich und verschieblich imponiert.
Ultrasonografisch findet man das typische Echomuster des meist umge-
benden Fettgewebes, ggf. mit Kapselbildung. Ggf. Beweis durch stanz-
bioptische Sicherung. Eine Exstirpation sollte bei lokalen Beschwerden er-
folgen.

1.3 Gutartige Erkrankungen des Uterus,


der Eileiter und Eierstöcke, der Vulva
und der Vagina

D. Bauerschlag

1.3.1 Gutartige Erkrankungen des Uterus

Bei den gutartigen Erkrankungen des Uterus unterscheidet man zunächst


den Entstehungsort der Veränderung, hierzu sei der dreischichtige Aufbau
des Uterus rekapituliert:
18 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen 4 Perimetrium/Serosaüberzug des Uterus


1 4 Myometrium
4 Endometrium mit der Unterteilung in:
5 Stratum functionale und Stratum basale

Gutartige Erkrankungen des Myometriums


Häufigster gutartiger Tumor des Uterus ist das Leiomyom, dieser tritt bei
ca. jeder 3. Frau oberhalb des 35. Lebensjahrs auf. Hierbei handelt es sich
um einen klonalen, östrogenabhängigen Tumor, der während der fertilen
Phase der Frau ein Wachstumspotenzial besitzt. In der Postmenopause,
unter Östrogenentzug, zeigen sich die meisten Myome regredient. Sollte es
in der Postmenopause zu einem raschen Wachstum von Myomen kommen,
so sollte differenzialdiagnostisch an das Vorliegen eines Leiomyosarkoms
gedacht werden.

Klinik
Generell unterscheidet man symptomatische und asymptomatische Myome,
nur letztere stellen häufig eine Indikation zur Operation dar. Mögliche
Symptome eines Uterus myomatosus sind:
4 Sterilität
4 Blutungsanomalien
4 Dysmenorrhoe
4 Verdrängungserscheinungen/Kompression von Blase und Darm, ggf.
auch Inkontinenz

Die Symptomatik hängt entscheidend von der Lokalisation der Myome in


Bezug auf das Myo- und Endometrium ab. Man unterscheidet:
4 Submuköse Myome: Blutungsanomalien und Sterilität
4 Intramurale/transmurale Myome: Blutungsanomalien, Sterilität, Ver-
drängungssymptome
4 Subseröse und gestielte Myome: Unterbauchschmerzen, Verdrängungs-
symptome
4 Intraligamentäre/zervikale Myome: Verdrängungssymptome, z.B.
Kompression des Ureters, Geburtshindernis

Diagnostik
Wegweisende Diagnostik besteht aus folgenden Schritten:
4 Bimanuelle vaginale Untersuchung: mehrknolliger vergrößerter Uterus
4 Vaginaler Ultraschall: Darstellung der Myome im Bezug zur Uterus-
wand
4 Abdominaler Ultraschall mit Darstellung der Nieren

Therapie
Prinzipiell stehen drei etablierte Therapieverfahren zur Verfügung, die sich
stark unterscheiden:
4 Endokrine Therapie mit Unterdrückung der Östrogenproduktion
4 Operative Therapie zur Myomresektion
4 Embolisation der zuführenden Gefäße
1.3 · Gutartige Erkrankungen des Uterus, der Eileiter und Eierstöcke, der Vulva
19 1

Die endokrine Therapie, z.B. mittels GnRH-Analoga, nutzt die Östrogen- Eigene Notizen
abhängigkeit des Myoms aus. Durch Suppression der hypophysär-gonada-
len Achse kommt es zum Absinken des peripheren Östrogenspiegels und
konsekutiv zum Wachstumsstillstand oder zur Größenminderung des
Myoms. Dieser Effekt ist jedoch nur temporär und wird z.T. genutzt, um
eine Operation vorzubereiten.
Die klassische operative Therapie des Uterus myomatosus nach abge-
schlossener Familienplanung ist die Hysterektomie. Diese erfolgt in Abhän-
gigkeit von der Uterus/Myomgröße per Laparotomie, per vaginam oder
laparoskopisch.
Bei Patientinnen mit Kinderwunsch oder mit Wunsch nach Organer-
halt erfolgt die Entfernung der Myome wie folgt:
4 Per Laparoskopie, wenn das Myom subserös (gestielt) oder intramural
liegt
4 Per Hysteroskopie, wenn das Myom submukös liegt; hierbei sollte das
Myom das Endometriumniveau um mindestens die Hälfte überragen.

Entscheidend für den Organerhalt und die folgende Schwangerschaft ist der
suffiziente Nahtverschluss des Myombetts, um das Risiko einer Uterusrup-
tur im Narbenbereich zu senken. Häufig wird Patientinnen nach Myome-
nukleation eine Re-Laparoskopie empfohlen, um die Situation am Uterus
vor der Konzeption zu evaluieren.
Liegt bei einer Schwangeren ein Uterus myomatosus vor, so kann es zur
»Konkurrenz« um die Blutversorgung zwischen sich entwickelnder Schwan-
gerschaft und dem Myom kommen. Da sich operative Eingriffe am schwan-
geren Uterus verbieten, bleibt nur die konservative Therapie mit Analgetika
und Kühlung des Myoms. ! Cave Auch im Falle einer Sectio caesarea
sollte eine simultane Myomenukleation vermieden werden, da es in diesen
Fällen zu komplizierten Blutungen kommen kann, die schlussendlich die
Hysterektomie nach sich ziehen können.
Wünscht die Patientin keine Operation des Uterus myomatosus und
liegt keine diffuse Myomatose vor, so kann eine Embolisation des Myoms
erfolgen. Über eine arterielle Schleuse im Bereich der A. femoralis wird
unter radiologischer Kontrolle mittels Kontrastmittel ein Katheter bis in die
A. uterina vorgeschoben. Von dort aus werden Polymer-Mikropartikel ap-
pliziert, die die zuführenden Gefäßäste des Myoms verschließen. Durch den
Verschluss kommt es zur Nekrose des Myoms, was häufig zu starken bis
stärksten Schmerzen führen kann und eine suffiziente Schmerztherapie,
wenn möglich über eine patientinnenkontrollierte Schmerzpumpe, nötig
macht. In seltenen Fällen kann es im Rahmen der Nekrose zu Keimbesied-
lungen kommen, die einer chirurgischen Sanierung bedürfen.

Gutartige Erkrankungen des Endometriums

Ätiologie und Klassifikation


Veränderungen des Endometriums liegt häufig eine hormonelle Imbalance
zugrunde, z.B. Persistenz eines Corpus luteum des Ovars. Aber auch Medi-
kamente können zu Veränderungen am Endometrium führen, so kann das
20 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen Tamoxifen über seine partielle Östrogenrezeptor-agonistische Wirkung zu


1 einer Endometriumhyperplasie führen. Nach WHO unterteilt man:
4 die einfache (glandulär-zystische) Hyperplasie
4 die komplexe Hyperplasie
4 die einfache Hyperplasie mit Atypien
4 die komplexe (adenomatöse) Hyperplasie mit Atypien

Die Varianten mit Atypien weisen ein hohes Entartungsrisiko auf und gelten
als Vorstufen des Endometriumkarzinoms.
Kommt es, während der Menses, nicht zur ausreichenden Abstoßung
des Stratum functionale, können sich Endometriumpolypen bilden.

Klinik
Klinisch äußern sich krankhafte Veränderungen in Blutungsstörungen, z.B.
Dauerblutungen. Blutungen ex utero, die in der Postmenopause auftreten,
sollten bis zum Ausschluss als malignomverdächtig betrachtet werden (wei-
teres s. Endometriumkarzinom, Kap. 2).

Diagnostik
4 Bimanuelle gynäkologische Untersuchung
4 Rektovaginale Untersuchung
4 Vaginal-Ultraschall

Therapie
Die operative Therapie umfasst folgende Möglichkeiten:
4 Fraktionierte Abrasio (getrennte Gewinnung und Untersuchung von
Zervix- und Corpus-Abradat)
4 Operative Hysteroskopie
4 Endometriumablation bei ausgeschlossener Malignität und abgeschlos-
sener Familienplanung
4 Hysterektomie als ultima ratio

Zur endokrinen/hormonellen Therapie kommen folgende Substanzen in-


frage:
4 Einsatz von oralen Kontrazeptive zur Zyklusregulation
4 Einsatz von Progesteron oder hormontragende Spirale

1.3.2 Gutartige Erkrankungen der Eileiter


und der Eierstöcke

Zystische Veränderungen unterschiedlicher Genese stellen die häufigste


gutartige Veränderung der Ovarien dar. Hierbei reichen die Differenzial-
diagnosen von einfacher funktioneller Ovarialzyste bis hin zum Ovarial-
karzinom.

Klinik
Die Erkrankungen treten häufig als Zufallsbefund bei Routineuntersuchung
auf. Ansonsten können dumpfer, ansteigender Schmerz bei Torsion des
1.3 · Gutartige Erkrankungen des Uterus, der Eileiter und Eierstöcke, der Vulva
21 1

Ovars sowie Verdrängungsbeschwerden bei großen Ovarprozessen auf- Eigene Notizen


treten.

Diagnostik
Diagnostisch wichtig sind:
4 Bimanuelle gynäkologische Untersuchung
4 Rektovaginale Untersuchung
4 Vaginal-Ultraschall
4 Labordiagnostik mit ggf. CA 125 und CEA
4 Regelanamnese/Dyspareunie

Ultraschallbefunde umfassen:
4 Zystengröße
4 Echogenität (»echoleer«, »echoreich«, gemischt)
4 Abgrenzung (glatt berandet, unscharft)
4 Kammerung (einkammerig, mehrkammerig mit Septen unterschied-
licher Dicke)
4 Aszitesdarstellung

Therapie
Abwartendes Vorgehen bei beschwerdefreier Patientin:
4 Prämenopausal: <5–7 cm im Durchmesser → Zysten-Kontrolle in
8–12 Wochen
4 Postmenopausal: <3 cm im Durchmesser → Zysten-Kontrolle in
8 Wochen

Ein operatives Vorgehen ist angezeigt in folgenden Situationen:


4 Notfallindikation: Stielgedrehtes Ovar oder persistierende Blutung aus
rupturierter Zyste
4 Beschwerden
4 Persistenz und/oder Größenzunahme nach Kontrollintervall
4 Suspekter Befund
4 Sonografisches Bild wie bei Endometriose oder Dermoid

Im Rahmen der Operation erfolgt in Abhängigkeit von der klinischen Ein-


schätzung des Malignitätspotenzials und der Befundgröße:
4 die Laparoskopie bei benigner Befundkonstellation oder kleinen Ad-
nexzysten <5–7 cm im Durchmesser
4 die Laparotomie bei maligner Befundkonstellation oder großen Andex-
zysten >7 cm im Durchmesser

Für das intraoperative Vorgehen gilt:


4 Gewinnung von Douglaszytologie
4 Zyste möglichst immer intakt lassen und mittels Bergebeutel entfernen
4 Bei benignen Befunden Zystenenukleation oder Adnektomie
4 Bei suspekten Befunden zystischen Befund intakt lassen, ggf. PE vom
Peritoneum, Zuführung zur Laparotomie
22 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen 1.3.3 Gutartige Erkrankungen der Vulva und der Vagina
1
Condylomata accuminata
Ausgelöst durch die venerisch übertragenen Humanen Papillomaviren,
inzwischen >70 Typen charakterisiert.
4 Low Risk: z.B. 6 und 11: Condylomata accuminata
4 High Risk: z.B. 16 und 18: Cervicale Intraepitheliale Neoplasie (CIN),
Zervixkarzinom

Übertragung bei Spontangeburt im Geburtskanal möglich.


Die genaue Prävalenz ist unbekannt, jedoch steigt sie bis zum 30. Le-
bensjahr an und nimmt danach wieder ab. Die Infektion ist zu meist tran-
sient und bereits nach 7–10 Monaten nicht mehr nachweisbar.

Klinik
4 Pruritus vulvae
4 Vulvodynie/Dyspareunie
4 Fremdkörpergefühl

Diagnostik
4 Anamnese (Sexualanamnese: Frage nach Analverkehr, da auch intra-
anal Condylome auftreten können)
4 Inspektion von Vulva, Vagina und Portio
4 PAP-Abstriche auch von Vulva (feuchter Tupfer)
4 Kolposkopie nativ und unter Betupfung mit 3% Essigsäure
4 PE-Entnahme

Therapie
Lokaltherapie mit:
4 Podophyllotoxin (Condylox, Wartec)
4 Imiquimodcreme (Aldara)

Chirurgisch kommen die Laservaporisation mittels CO2-Laser unter kol-


poskopischer Kontrolle (erzielt die besten kosmetischen Ergebnisse) sowie
die elektrochirurgische Abtragung in Betracht.

Lichen sclerosus et atrophicus


Wahrscheinlich durch immunoloigsche Prozesse ausgelöste Dermatose, die
sowohl junge als auch Frauen im Senium betrifft.

Klinik
4 Ausgeprägter Pruritus
4 Dyspareunie bis hin zur Unmöglichkeit des Geschlechtsverkehrs durch
z.T. ausgeprägte Synechien der Labien
4 Vulnerable Haut der Vulva mit Rhagaden
4 Porzellanweiße Hyperkeratosen
4 Vagina nicht betroffen
1.3 · Gutartige Erkrankungen des Uterus, der Eileiter und Eierstöcke, der Vulva
23 1
Diagnostik Eigene Notizen
4 Anamnese
4 Inspektion mit Kolposkop
4 PE-Entnahme

Therapie
Lokale Steroidtherapie z.B. Dermatop, initial täglich, dann Reduktion bis
auf minimale Erhaltungsdosis (langfristige lokale Steroidtherapie kann
atrophisierend auf die Haut wirken).

Vulvaatrophie
Neben dem Lichen sclerosus et atrophicus zeigt die Vulvaatrophie aufgrund
von Östrogenmangel sehr ähnliche Symptome.

Therapie
Lokale Östrogenisierung mit Salben oder vaginal Ovula, zunächst täglich
für ca. 10 Tage, danach erfolgt die Absenkung auf die niedrigste mögliche
Erhaltungsdosis.

Chronische Schmerzen der Vulva, Vulvodynie,


Vestibulitis-Syndrom
Ausgeprägte Schmerzen und Überempfindlichkeit im Bereich des Peri-
neums unklarer Ätiologie.

Klinik
4 Ausgeprägte Schmerzen im Bereich des Damms und/oder der Labien
4 Lokal zumeist unauffälliger Befund

Diagnostik
4 Ausschluss von bakterieller oder mykotischer Vulvitis
4 Positiver Wattetupfertest (Patientin verspürt schon bei der leichtesten
Berührung mit einem Tupfer Schmerzen)
4 Lokale Inspektion mit Kolposkop
4 Ggf. PE-Entnahme

Therapie
Weite Kleidung aus Baumwolle. Folgende Medikamente kommen infrage:
4 Lokale Therapie:
5 Lokalanästhetika haltige Salben
5 Östrogenhaltige Salben
5 Steroidhaltige Salben
4 Systemische Therapie:
5 Antihistaminikum (Cetirizin)
5 Trizyklische Antidepressiva (Amitryptilin)
5 Antiepileptika (Gabapentin)

Operativ ist ggf. eine Vestibuloektomie indiziert.


24 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen 1.4 Endometriose


1
M. Wölfler

Definition und Einteilung


Die Endometriose ist nach Myomen die zweithäufigste gutartige gynäko-
logische Erkrankung; sie ist definiert und charakterisiert durch das Vor-
handensein von endometrialen Epithel- und Stromazellen außerhalb des
Cavum uteri. Die Prävalenz beträgt 10–16% der Frauen im reproduktions-
fähigen Alter.
Man unterscheidet drei Entitäten:
4 Endometriosis genitalis externa mit Endometrioseherden an Perito-
neum viscerale, Ovar, Septum rectovaginale, Vagina
4 Endometriosis genitalis interna mit endometrialen Epithel- und Stro-
mazellen im Myometrium = Adenomyosis uteri
4 Endometriosis extragenitalis mit Endometrioseherden am Darm,
Zwerchfell, Pleura, an Laparotomienarben etc.

Die Einteilung der Endometriosis genitalis externa erfolgt in 4 Stadien (nach


der American Society for Reproductive Medicine, ASRM):
4 Stadium I: minimale Endometriose (oberflächliche Herde)
4 Stadium II: milde Endometriose (oberflächliche und tief infiltrierende
Herde, Adhäsionen)
4 Stadium III: moderate Endometriose (tief infiltrierende Herde, ovariel-
le Endometriosezysten, Adhäsionen)
4 Stadium IV: schwere Endometriose (alle Veränderungen und partielle/
komplette Obliteration des Cavum Douglasii)

Ätiologie
4 Transplantationstheorie: Der vermutete Mechanismus besteht in einer
Verschleppung von endometrialen Zellen in die Peritonealhöhle wäh-
rend der Menstruation (retrograde Menstruation). Allerdings wurde
retrograde Menstruation bei bis zu 90% aller Frauen nachgewiesen. Die
viel geringere Prävalenz der Endometriose lässt darauf schließen, das
auch andere Faktoren, wie veränderte peritoneale Clearance und verän-
derte humorale Immunität sowie Veränderungen der verschleppten
endometrialen Zellen (möglicherweise endometriale Stammzellen)
eine Rolle in der Entstehung der Erkrankung spielen.
4 Metaplasietheorie: Der vermutete Mechanismus besteht hier in der
Metaplasie aus embryonalem Zölomepithel. Nach dieser Theorie kön-
nen sich aus Zölomzellen unter dem Einfluss verschiedener Stimuli
(Inflammationsreize, Hormonschwankungen, Wachstumsfaktoren und
mechanische Umwandlungen) Zellen mit endometriumähnlicher Dif-
ferenzierung entwickeln – diese Theorie ist bis heute nicht gesichert.

Klinik
Das typische klinische Bild der Endometriose gibt es nicht, sondern häufig
sind unterschiedliche Beschwerden in unterschiedlich starker Ausprägung
1.4 · Endometriose
25 1

vorhanden, die meist auch unabhängig vom Stadium der Endometriose Eigene Notizen
sind.
Häufige Symptome sind:
4 Schmerzhafte, analgetikapflichtige Menstruation (Dysmenorrhoe)
4 Chronische Unterbauchschmerzen
4 Kohabitationsbeschwerden (tiefe Dyspareunie)
4 Subfertilität
4 Defäkationsbeschwerden (zyklusabhängig)
4 Darmblutungen (zyklusabhängig)
4 Miktionsbeschwerden (zyklusabhängig, selten: Hämaturie, Harnstau)
> Memo Analgetikapflichtige Dysmenorrhoe sowie zyklusabhän-
gige Beschwerden bei Miktion oder Defäkation sind verdächtig für
Endometriose und sollten durch spezialisierte Zentren abgeklärt
werden.

Diagnostik
4 Anamnese mit gezielten Fragen nach den oben genannten Symptomen
4 Gynäkologische Untersuchung:
5 Inspektion (Abdomen: Laparotomienarben; bei Spekulumeinstel-
lung: Vaginalepithel, insbesondere Fornix posterior vaginae)
5 Palpation (bimanuell, tief, rektal)
5 Sonografie (transabdominal, transvaginal, transrektal, Nierensono-
grafie)
4 Erweiterte Diagnostik:
5 Chirurgische Darmabklärung (Rektoendosonografie, Rektoskopie,
Sigmoidokoloskopie)
5 Urologische Diagnostik: Zystoskopie, Darstellung der ableitenden
Harnwege (i.v.-Pyelografie), Nierensonografie
5 Magnetresonanztomografie (Computertomografie nicht äquieffek-
tiv)
> Memo Die sichere Diagnosestellung von Endometriose ist nur
invasiv mittels Laparoskopie (oder Laparotomie) möglich, idealer-
weise erfolgt die Diagnosesicherung durch histomorphologische
Untersuchungen.

Therapie
Die operative Therapie der Endometriose sollte gut geplant und an die
Befunde und Ausgangssituation der Patientin angepasst erfolgen. Ziel der
operativen Therapie ist die möglichst vollständige Resektion aller Endomet-
rioseherde. Mittlerweile ist die operative Laparoskopie Standardtherapie
und nur selten ist eine Laparotomie erforderlich:
4 Oberflächliche Endometriose: Koagulation oder Exzision
4 Tief infiltrierende Endometriose: vollständige Exzision
4 Ovarielle Endometriosezysten: vollständige Exzision des Zystenbalgs,
Schonen des gesunden Ovargewebes (Fertilitätserhalt!)
4 Darmendometriose: bei Symptomatik ggf. Darmteilresektion
4 Adenomyosis uteri: bei abgeschlossener Familienplanung Hysterek-
tomie
26 Kapitel 1 · Allgemeine Gynäkologie

Eigene Notizen > Memo Zur Rezidivprophylaxe nach operativer Therapie soll bei
1 symptomatischer Endometriose oder Endometriose ab Stadium II im-
mer eine hormonelle Therapie (s.u.) angeschlossen werden.

Nach operativer Diagnosesicherung und Therapie stellt die medikamentöse


Therapie – im Rahmen der hormonellen Therapie langfristig auch als Re-
zidivprophylaxe – eine wichtige Therapieoption dar.
Die hormonelle Therapie beinhaltet folgende Optionen:
4 Orale Therapie: Kontrazeptiva, »Pille«. Die Kombinationen aus niedrig
dosierten Östrogen- und Progesteronderivaten haben eine antigonado-
trope Wirkung durch negative Rückkopplung und wirken dazu weitge-
hend antiproliferativ durch das Überwiegen der zugeführten Gestagene
gegenüber den Östrogenen. Grundsätzlich können alle oralen Kontra-
zeptiva bei Endometriose eingesetzt werden; gestagenbetonte Pillen
erwiesen sich jedoch effektiver in der Langzeitprophylaxe.
5 Progesteronderivate (Gestagene) verringern die Östrogenkonzent-
ration durch zentrale Hemmung der Ovarialfunktion und vermin-
dern zusätzlich die Ausbildung von Östrogenrezeptoren im Endo-
metrium und in den Endometrioseherden.
5 GnRH-Agonisten führen durch kontinuierlich hohe GnRH-Spiegel
im Blut zu einer Downregulation der GnRH-Rezeptoren in der Hy-
pophyse und verringern so die Sekretion von LH und FSH und
verursachen dadurch einen Menopause-ähnlichen Hormonmangel,
insbesondere von Östrogenen. Um Nebenwirkungen durch diesen
Östrogenmangel (Hitzewallungen, Schlafstörungen, Osteoporose)
zu vermeiden, werden niedrig dosierte Östrogen-Gestagen-Präpa-
rate als so genannte »add-back-Therapie« hinzugegeben. GnRH-
Agonisten werden bei besonders schwerer Endometriose und als
Vorbereitung für eine Kinderwunschbehandlung eingesetzt.

Im Rahmen der medikamentösen Schmerztherapie werden v.a. nichtste-


roidale Antiphlogistika (NSAIDs) eingesetzt, die die Prostaglandinsynthese
hemmen und somit die Schmerzentstehung auch kausal beeinflussen. Bei
chronischen Schmerzen wird nach dem Stufenmodell der Schmerztherapie
vorgegangen und in der unten genannten Reihenfolge Medikamente der
verschiedenen Wirkstoffklassen eingesetzt:
4 Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs)
4 Schwache Opioide ggf. in Kombination mit NSAIDs
4 Antidepressiva (additiv bei chronischen Schmerzzuständen)
2

Tag 2 – Gynäkologische Onkologie,


Lageveränderung des Genitals
und Harninkontinenz, Gynäkologische
Endokrinologie

2 Gynäkologische Onkologie

2.1 Maligne Tumore des Uterus – 28


T. Papathemelis, I. Meinhold-Heerlein
2.1.1 Endometriumkarzinom – 28
2.1.2 Gemischt mesenchymale Uterusneoplasien – 31
2.1.3 Zervixkarzinom – 32

2.2 Maligne Tumore der Eileiter und Eierstöcke – 36


T. Papathemelis, I. Meinhold-Heerlein
2.2.1 Allgemeines – 36
2.2.2 Borderline-Tumore des Ovars – 39
2.2.3 Maligne Keimzelltumore – 40
2.2.4 Keimstrangstromatumore – 40

2.3 Das Vulvakarzinom und seine Vorstufen – 40


T. Papathemelis, I. Meinhold-Heerlein
2.3.1 Vulväre intraepitheliale Neoplasie – 40
2.3.2 Vulvakarzinom – 41
2.3.3 Vaginalkarzinom – 43

2.4 Maligne Tumore der Mamma – 44


U. Heindrichs
2.4.1 Grundlagen – 44
2.4.2 Läsionen mit unsicherem biologischem Potenzial
(B3 der B-Klassifikation der Stanzbiopsien) – 46
2.4.3 Lobuläres Carcinoma in situ (LCIS bzw. CLIS) – 47
2.4.4 Duktales in situ Karzinom (DCIS) – 47
2.4.5 Invasives Mammakarzinom – 48
2.4.6 Mammakarzinom des Mannes – 53
2.4.7 Interdisziplinäre Tumorkonferenz – 54

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_2,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
28 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen 2.1 Maligne Tumore des Uterus

T. Papathemelis, I. Meinhold-Heerlein
2
2.1.1 Endometriumkarzinom

Epidemiologie und Definition


Das Endometriumkarzinom ist der häufigste maligne Tumor des inneren
Genitales der Frau in der westlichen Welt. Die Inzidenz dieser Erkrankung
variiert zwischen 9 und 25 pro 100000 Frauen pro Jahr. Die Erkrankungs-
häufigkeit nimmt mit steigendem Alter zu. Das mittlere Erkrankungsalter
liegt in der 7. Lebensdekade der Frau, über zwei Drittel der Patientinnen
sind zum Zeitpunkt der Erstdiagnose postmenopausal.
Der Begriff Endometriumkarzinom umfasst eine heterogene Gruppe von
Tumoren; grundsätzlich unterscheiden wir 2 Typen von Endometriumkar-
zinomen:
4 Östrogenabhängiges Typ-I-Karzinom
4 Östrogenunabhängiges Typ-II-Karzinom

Die 2 Gruppen unterscheiden sich in Tumorbiologie, Entstehung, Risiko-


profil, Prognose und therapeutischem Ansatz.

Pathogenese
90% aller Endometriumkarzinome sind dem Typ I zuzuordnen. Es besteht
ein langjähriger östrogener Stimulus, dieser hormonelle Überschuss führt
über eine Endometriumhyperplasie mit zunehmender Atypie zur Tumor-
entstehung. Risikofaktoren für die Entstehung des Typ I endometrioiden
Karzinoms sind:
4 Frühe Menarche
4 Späte Menopause
4 Nicht opponierte, reine Östrogen-Hormonersatztherapie
4 Östrogen produzierende Tumoren
4 Metabolisches Syndrom
4 Infertilität und Nulliparität
4 Daneben sind ansteigendes Lebensalter, hoher sozioökonomischer Sta-
tus und die Einnahme von Tamoxifen weitere Risikofaktoren.

Das hormonunabhängige prognostisch ungünstigere Endometriumkarzi-


nom Typ II macht ca. 10% der Fälle aus. Bei diesem Typ II ist das Endo-
metrium meist atrophisch, es finden sich aggressive High-grade-Zell-
kerne oder eine seröse und klarzellige Histologie. Die lymphogene und
peritoneale Metastasierungstendenz ist höher beim Typ-II-Karzinom, das
Ausbreitungsmuster der Erkrankung entspricht dem Verlauf des Ovarial-
karzinoms. So sollte in diesem Fall die operative Therapie aggressiver sein
und die adjuvante systemische Therapie einen höheren Stellenwert haben.
Die Familienanamnese kann in diesem Patientinnenkollektiv auf ein
Risiko für genetisch bedingte Krebserkrankungen hinweisen, wie das
2.1 · Maligne Tumore des Uterus
29 2

hereditäre nichtpolypöse kolorektale Karzinom (HNPLCC). Das Endo- Eigene Notizen


metriumkarzinom ist in diesem genetisch prädisponierten Kollektiv
sogar das zuerst auftretende Karzinom (Lebenszeitrisiko zwischen 40 und
60%).

Diagnostik
Früherkennungsmaßnahmen, die ein adäquates Screening leisten würden,
gibt es nicht. So ist die Einleitung diagnostischer Maßnahmen bei mög-
lichen ersten klinischen Anzeichen der Erkrankung von großer Bedeutung.
Hauptsymptom ist die Postmenopausenblutung. Es sollte eine vaginale
Untersuchung zusammen mit einer Vaginalsonografie klären, wo sich die
Blutungsquelle befindet. Auffälligkeiten im Bereich des Endometriums,
des Myometrium bzw. der Zervix oder organübergreifend des Beckens
sollten ausgeschlossen werden. So müssen auch diverse Differenzial-
diagnosen erwogen werden, z.B. der Uterus myomatosus, Endometrium-
hyperplasien und Polypen wie auch funktionelle hormonell bedingte Blu-
tungen. Auch andere Tumorentitäten kommen infrage, z.B. das Zervixkar-
zinom.
Ausreichend für die Diagnosestellung Endometriumkarzinom sind
letztlich die Vaginalsonografie und eine Endometriumbiopsie, entweder
mittels Pipelle, hysteroskopisch oder mit Kürette entnommen. Weitere
Bildgebung ist nicht notwendig. Bei histologisch nachgewiesenem Karzi-
nom kann präoperativ zum Ausschluss von Fernmetastasen ein Röntgen-
Thorax und eine Oberbauchsonografie durchgeführt werden.

Therapie
Das Staging der Erkrankung erfolgt operativ, so ist die komplette systema-
tische Operation der Patientin entscheidend für die Notwendigkeit einer
adjuvanten Therapie. Die chirurgische Klassifikation erfolgt nach den Vor-
gaben der FIGO (Féderation Internationale de Gynécologie et Obstétrique
Mai 2009):
4 Tx: unklarer Primärtumor
4 T0: Primärtumor nicht darstellbar
4 Tis: Carcinoma in situ
4 FIGO I: Tumor auf Corpus uteri begrenzt
5 IA: Keine oder <50% Invasion des Myometriums
5 IB: Tumor infiltriert genau oder >50% des Myometriums
4 FIGO II: Tumor infiltriert das Stroma der Cervix uteri, ist aber nicht
organüberschreitend
5 T2a – Endozervikaler Drüsenbefall
5 T2b – Infiltration des Zervixstromas
4 FIGO III: Lokale oder regionale Ausbreitung
5 IIIA: Tumor infiltriert die Serosa oder die Adnexe
5 IIIB: Infiltration der Vagina und/oder Parametrien
5 N1 IIIC Pelvine und/oder paraaortale Lymphknotenmetastasen
J IIIC1 Positive pelvine Lymphknoten
J IIIC2 Positive paraaortale Lymphknoten mit oder ohne pelvine
Lymphknotenmetastasen
30 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen 4 FIGO IV: Tumor infiltriert Blase/Darm und/oder Fernmetastasen


5 IVA: Tumor infiltriert Blasenmukosa oder Darmmukosa
5 M1 IVB: Fernmetastasen, exkl. Vaginalmetastasen, peritonealen
2 Metastasen oder Adnexen, inkl. intraabdominale Lymphknotenme-
tastasen, außer pelvin/paraaortal und/oder inguinale Lymphkno-
tenmetastasen

Die systematische Staging-Operation umfasst die Spülzytologie aus dem


intraperitonealen Raum, die Hysterektomie mit beidseitiger Adnektomie
und bei Stadien höher als FIGO IB auch die systematische pelvine und
paraaortale Lymphonodektomie. Komplettiert wird das Staging durch
Biopsien an suspekten Stellen und zytoreduktivem Vorgehen bei uterus-
überschreitendem Tumorwachstum. Insbesondere adipöse mulitmorbide
Patientinnen mit Typ-I-Endometriumkarzinom profitieren von der mini-
mal-invasiven Chirurgie. Die vorhandenen Daten weisen für die endosko-
pische oder Roboter-assistierte Operation eine dem offenen Vorgehen
ebenbürtige onkologische Sicherheit vor. Bei seröser oder klarzelliger His-
tologie sollten zusätzlich die Omentektomie sowie die Entnahme multipler
Peritonealbiopsien erfolgen.
Für die alleinige nichtchirurgische Therapie besteht nur selten eine
Indikation. Die operative Primärtherapie sollte angestrebt werden. Für Ra-
diotherapie, Chemotherapie oder Hormontherapie bestehen v.a. adjuvante
und palliative Therapieindikationen. Der Einsatz der jeweiligen Option
wird im Wesentlichen vom Tumorstadium bestimmt.

Radiotherapie
Die Indikationsstellung zur Radiatio ist an die Einschätzung des Lokalrezi-
divrisikos als auch an die Lymphknotenmetastasierung gekoppelt. Patien-
tinnen mit niedrigem Risiko, z.B. mit FIGO Ia G1/G2 Tumoren, bedürfen
keiner weiteren adjuvanten Behandlung. Ab FIGO Ib G2 wird eine vaginale
Brachytherapie adjuvant durchgeführt; diese Maßnahme scheint das Rezi-
divrisiko zu senken, hat allerdings keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben
der Patientin. Patientinnen mit einer extrauterinen Erkrankung (FIGO Sta-
dium III, IV) und oder nachgewiesener Lymphknotenmetastasierung ha-
ben ein erhöhtes Rezidivrisiko und sollten nach Möglichkeit eine adjuvante
Radiatio erhalten in der Form der kombinierten Therapie, sowohl von
vaginal aus als auch perkutan. In der palliativen Situation ist die Radiothe-
rapie zur Schmerzkontrolle und lokaler Begrenzung des Tumorprogresses
indiziert.

Chemotherapie
Bei Endometriumkarzinomen ab FIGO II oder bei aggressiven Typ-II-
Tumoren kann alternativ zur Radiatio die Indikation zur adjuvanten
Chemotherapie gestellt werden. Substanzen im Einsatz sind aktuell Car-
boplatin/Paclitaxel oder Doxorubicin kombiniert mit Cisplatin. Diese
Kombinationstherapien können Vorteile im rezidivfreien Überleben er-
zielen, deren genauer Stellenwert im Vergleich zur Radiatio wird noch er-
forscht.
2.1 · Maligne Tumore des Uterus
31 2
Hormontherapie Eigene Notizen
Die Indikation für eine Hormontherapie ist hauptsächlich der Palliativ-
situation vorbehalten. Gestagene wie das Medroxyprogesteronacetat kön-
nen gegen gut differenzierte Hormonrezeptor-positive Endometriumkarzi-
nome eingesetzt werden; die Ansprechrate ist allerdings mit knapp 30%
moderat. Eine weitere spezielle therapeutische Indikation für die Hormon-
therapie besteht im Falle des Wunschs nach Fertilitätserhalt. So kann bei
gut differenziertem (G1) endometrioidem Adenokarzinom im Stadium
FIGO IA eine konservative Therapie in Erwägung gezogen werden. Die
orale Gabe von Megesterolacetat bzw. Medroxyprogesteronacetat über
mindestens 3 Monate ist die Therapie der Wahl. Ein engmaschiges Follow-
up mit erneuten Endometriumbiopsien im Intervall sollte erfolgen; nach
Abschluss der Familienplanung sollte die operative Therapie nachgeholt
werden.

Nachsorge
Eine symptomorientierte Nachsorge ist nach Abschluss der Behandlung
üblich, mit dem Ziel frühzeitig ein Lokalrezidiv zu erkennen. Etwa 25% der
Patientinnen erleiden ein Rezidiv, die Mehrheit der Rezidive treten in den
ersten 2 Jahren nach Primärtherapie auf. Die Tumorreduktion in der Rezi-
divsituation bringt einen Überlebensvorteil, falls keine operative Interven-
tion mehr möglich ist, sollte insbesondere beim Beckenwandrezidiv eine
erneute Radiotherapie favorisiert werden. Bei distanter Metastasierung ist
die zytostatische Systemtherapie eine Alternative.

2.1.2 Gemischt mesenchymale Uterusneoplasien

Einteilung
Die histologische Heterogenität und die Seltenheit dieser Tumore (Inzidenz
<1/100000) erschwert standardisierte Angaben zu Ätiologie, Diagnose und
Therapie. Je nach Tumortyp bzw. Ursprung der Neoplasie unterscheiden wir
u.a. endometriale Stromasarkome, Leiomyosarkome, Adenosarkome und
mesodermale Mischtumore (Karzinosarkom oder Müller-Mischtumor).

Klinik
Die klinische Symptomatik ist unspezifisch; sie umfasst hauptsächlich ute-
rine Blutungsstörungen. Frühsymptome existieren selten, im frühen Stadi-
um handelt es sich meist um eine Zufallsdiagnose nach Hysterektomie. Es
existiert keine effektive Vorsorge asymptomatischer Patientinnen. Späte
Symptome insbesondere bei stattgefundener Fernmetastasierung sind Un-
ter- und Oberbauchschmerzen, Husten oder Atemnot.

Diagnostik
Frauen mit persistierenden Blutungsstörungen sollten einer histologischen
Abklärung des Cavum uteri unterzogen werden. Endometriale Stromasar-
kome weisen ein inhomogenes Endometrium auf, welches gegenüber dem
Myometrium schlecht abgegrenzt ist. Leiomyosarkome imponieren in der
32 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen Bildgebung als unscharfe, schnell wachsende myomatöse Raumforderungen


des Uterus. Folgende Klassifikation nach FIGO ist gültig:
4 FIGO I: Tumor beschränkt auf Corpus uteri
2 4 FIGO II: Tumorausdehnung auf Cervix uteri
4 FIGO III: Tumorausdehnung über den Uterus hinaus, allerdings nicht
jenseits des kleinen Beckens
4 FIGO IV: Tumormanifestation außerhalb des Beckens

Therapie
Die Operation hat einen hohen Stellenwert in der Therapie der Sarkome,
zumal die meisten Tumore dieser Art schlecht auf eine Strahlen- und Che-
motherapie ansprechen. In den Grundsätzen unterscheidet sich die Thera-
pie nicht vom Vorgehen bei Endometriumkarzinom. Hysterektomie, bilate-
rale Adnektomie, Omentektomie und optional auch die Lymphadenektomie
pelvin/paraaortal sollten durchgeführt werden. Der therapeutische Benefit
der Lymphadenektomie wird kontrovers diskutiert.
Gemischt mesenchymale Uterusneoplasien sind aufgrund ihrer ag-
gressiven Wachstumspotenz selten kurativ behandelbar. Beckenrezidive
sollten einer Radiotherapie unterzogen werden, bei frühzeitiger extrapel-
viner Metastasierung sollte eine systemische Therapie erfolgen. Wirksame
Substanzen sind Cisplatin, Doxorubicin, Gemcitabine, Taxane und Ifos-
famid.

2.1.3 Zervixkarzinom

Epidemiologie
Die Inzidenz des Zervixkarzinoms in Deutschland liegt bei etwa 13 pro
100000 Frauen. Es gibt 2 Altersgipfel der Erkrankung. Der erste liegt im
Lebensalter von 35–55 Jahren und der zweite ab 60 Jahre. Die Inzidenz zer-
vikaler Präkanzerosen liegt um das 100-Fache höher. Das verhornende
(squamöse) oder nichtverhornende Plattenepithelkarzinom sowie das Ade-
nokarzinom sind die häufigsten histologischen Typen. Bei ca. 80% der Fäl-
le liegt ein Plattenepithelkarzinom vor. Ätiologisch ist für die Krebsentste-
hung eine chronische Infektion mit high-risk humanen Papillomviren
(hauptsächlich die HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 45, 51, 52 und 56) in Kombi-
nation mit weiteren Konditionalfaktoren unabdingbar. Als Risikofaktoren
werden der Nikotinabusus, Promiskuität, die Langzeiteinnahme oraler
Kontrazeptiva, eine mögliche Immunschwäche und persistierende Genital-
infektionen diskutiert.

Prävention
Die Vermeidung genitaler Infektionen und auch die Verwendung von Kon-
domen vermindert das Übertragungsrisiko einer HPV-Infektion. Die pri-
märe Prävention des Zervixkarzinoms und seiner dysplastischen Vorstufen
ist mittels Impfung gegen einzelne HPV-Typen möglich. Die prophylak-
tische Vakzinierung mit einem bivalenten Impfstoff gegen HPV 16/18 bzw.
einem tetravalenten Impfstoff gegen HPV 16/18 sowie den Genitalwarzen
2.1 · Maligne Tumore des Uterus
33 2

verursachenden HPV-Typen 6/11 zeigte eine gute Verträglichkeit, eine Eigene Notizen
100%ige Serokonversion, und eine fast vollständige Verhinderung von per-
sistierenden Infektionen, Zervixdysplasien und Genitalwarzen. Aus diesem
Grunde propagiert die Ständige Impfkommission (STIKO) in Deutschland
seit kurzer Zeit die prophylaktische Vakzinierung gegen die HPV-Typen
16/18 bei Mädchen im Alter von 12–17 Jahren. Im Falle einer breiten Teil-
nahme der Bevölkerung am Impfprogramm ist von einem deutlichen Rück-
gang der Neuerkrankungsrate prospektiv auszugehen. Die Vakzinierung
ersetzt allerdings nicht regelmäßige Krebsfrüherkennungsuntersuchungen,
zumal die Impfung nicht alle HPV-Typen erfasst. Die Früherkennbarkeit
der Erkrankung ist durch die Vorsorgeuntersuchungen (Portio-Zytologie,
HPV-Testung) hoch.

Diagnostik
Die Spiegeleinstellung und die gezielte zytologische Abstrichentnahme aus
Portio und Zervikalkanal, nach Möglichkeit kolposkopisch kontrolliert, ge-
hören sowohl zu den Vorsorgeuntersuchungen als auch zu den grundle-
genden diagnostischen Erstmaßnahmen bei Zervixkarzinomverdacht. Von
Bedeutung kann auch der Nachweis einer persistierenden risikohaften
HPV-Infektion mittels PCR oder Hybrid-Capture-II-Assay sein. Bei symp-
tomatischen Patientinnen und hochgradigem Verdacht auf ein Karzinom
werden diese Erstmaßnahmen ergänzt durch die bimanuelle rektovaginale
Untersuchung, (ggf. in Narkose) und gezielte Gewebeentnahmen zur histo-
logischen Sicherung (bei intrazervikalen Läsionen durch eine Zervixküret-
tage). Durchgeführt werden sollten auch eine Zystoskopie und Rektoskopie
zum Ausschluss eines Tumoreinbruchs in Harnblase oder Rektum. Bildge-
bende Untersuchungen wie CT und MRT geben einen Anhalt sowohl über
die potenzielle Tumorausdehnung im Becken als auch Hinweise über den
Lymphknotenstatus pelvin/paraaortal.
Röntgen des Thorax, Ober- und Unterbauchsonografie und die Be-
stimmung der Tumormarker (SCC beim Plattenepithelkarzinom, CEA
bzw. CA 125 beim Adenokarzinom) komplettieren die präoperativen
diagnostischen Maßnahmen.

Klinik
Die klinische Symptomatik umfasst initial vaginale Blutungen (in der Re-
gel Kontaktblutungen) und verstärkt übel riechenden Fluor; mit Fort-
schreiten der Erkrankung sind Lymphstau der unteren Extremität, Häma-
turie/Hämatochezie bis zur Anurie bei beidseitiger Ureterummauerung
möglich.
Die prätherapeutische Stadieneinteilung des Zervixkarzinoms nach
der FIGO-Klassifikation ist an die klinische Erfahrung des Untersuchers
gekoppelt, zumal das Staging der Erkrankung »klinisch« erfolgt:
4 FIGO I: Karzinom ist streng auf die Cervix uteri begrenzt
5 FIGO IA: Invasives Karzinom, das mikroskopisch identifiziert wird.
Die Invasion ist begrenzt auf eine gemessene Stromainvasion mit
einer maximalen Tiefe von 5 mm und einer Oberflächenausdeh-
nung von nicht mehr als 7 mm.
34 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen J FIGO IA1: Gemessene Stromainvasion von nicht mehr als 3 mm
in der Tiefe und einer Oberflächenausdehnung von nicht mehr
als 7 mm.
2 J FIGO IA2: Gemessene Stromainvasionstiefe von mehr als 3 mm
und nicht mehr als 5 mm bei einer Oberflächenausdehnung von
nicht mehr als 7 mm.
5 FIGO IB: Klinisch erkennbare Läsionen, begrenzt auf die Cervix
uteri oder subklinische Läsionen mit größeren Maßen als Sta-
dium IA.
J FIGO IB1: Klinisch erkennbare Läsionen <4 cm.
J FIGO IB2: Klinisch erkennbare Läsionen >4 cm.
4 FIGO II: Zervixkarzinom infiltriert jenseits des Uterus, aber nicht bis
zur Beckenwand und nicht bis zum unteren Drittel der Vagina
5 FIGO IIA: Ohne Infiltration des Parametriums. Infiltration der
oberen zwei Drittel der Vagina.
5 FIGO IIB: Mit Infiltration des Parametriums aber keine Ausbrei-
tung zur Beckenwand.
4 FIGO III: Zervixkarzinom breitet sich bis zur Beckenwand aus und
befällt das untere Drittel der Vagina und verursacht Hydronephrose
oder stumme Niere.
5 FIGO IIIA: Tumor befällt unteres Drittel der Vagina, keine Ausbrei-
tung zur Beckenwand.
5 FIGO IIIB: Tumor breitet sich bis zur Beckenwand aus oder verur-
sacht Hydronephrose oder stumme Niere.
4 FIGO IV: Tumor infiltriert Schleimhaut von Blase oder Rektum und/
oder überschreitet die Grenzen des kleinen Beckens.
5 FIGO IVA: Ausbreitung auf angrenzende Organe des Beckens.
5 FIGO IVB: Ausbreitung auf entfernte Organe (Fernmetastasen).

Therapie
Die Therapie des Zervixkarzinoms besteht heute in einer stadienadap-
tierten, individuell ausgerichteten therapeutischen Strategie; sie umfasst
diverse Operationsverfahren, die Strahlentherapie sowie die systemische
Zytostatika-Gabe.

Operation
Primärziel der operativen Strategie ist die komplette Resektion des Tumors
inklusiver tumoröser Absiedlungen in die drainierenden Lymphgefäße. Die
Radikalität der Operation richtet sich je nach FIGO-Stadium nach der
Wahrscheinlichkeit eines Lymphknotenbefalls. In frühen Stadien wird an-
gestrebt, die Radikalität der Operation zurückzunehmen und die periope-
rative Morbidität zu reduzieren. Bei jungen Frauen mit nicht abgeschlos-
sener Familienplanung kann in frühen Stadien (FIGO IA1 und IA2) eine
uteruserhaltende Operation erwogen werden.
Im Stadium FIGO IA1 G1 erscheint bei Wunsch nach Erhalt der Ferti-
lität die Konisation ausreichend. Sie sollte mit der elektrischen Schlinge
oder als Laserkonisation erfolgen. Durch die Konisation können prämalig-
ne oder mikroinvasive Veränderungen in sano entfernt werden. In einer
2.1 · Maligne Tumore des Uterus
35 2

darauffolgenden Schwangerschaft sollte das höher Risiko für Zervixinsuf- Eigene Notizen
fizienz und möglicher Zervixstenose beachtet werden.
Ebenfalls fertilitätserhaltend ist die radikale Trachealektomie. Bei G1-
und G2-Plattenepithelkarzinomen, fehlender Lymphangiosis und Häman-
giosis sowie einer Tumorgröße bis 2 cm kann diese Operation durchge-
führt werden; die dazugehörige pelvine Lymphadenektomie ist offen abdo-
minal oder endoskopisch möglich.
Die operative Therapie des Zervixkarzinoms im Stadium FIGO IB bis
IIA umfasst primär die radikale Hysterektomie nach Wertheim-Meigs und
Okabayashi. Die Grundprinzipien der Operation bestehen aus folgenden
Schritten:
4 Hysterektomie mit Scheidenmanschettenentfernung und Parakolpien-
resektion
4 Resektion von Parametrien mit Ligamenta sacrouterina und Ligamenta
vesicouterina
4 Pelvine Lymphadenektomie

Die Nähe der Resektionsränder zur Beckenwand hin ist abhängig von der
Tumorgröße. Ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Tumor sollte ge-
währleistet sein. Die Adenektomie ist bei prämenopausalen Frauen nicht
obligatorisch, allerdings sollte man diese insbesondere beim Adenokarzi-
nom der Zervix in Erwägung ziehen.
Die Operation nach Wertheim-Meigs kann sowohl offen abdominal als
auch minimal-invasiv durchgeführt werden. Der Fortschritt der minimal-
invasiven Chirurgie ermöglicht eine der Abdominalchirurgie ebenbürtige
onkologische Sicherheit.
Varianten der Operation nach Wertheim-Meigs sind die vaginale Ra-
dikaloperation nach Schauta-Amreich und die totale mesometriale Resek-
tion als Weiterentwicklung der Präparationstechnik in anatomisch-embryo-
nalen Entwicklungsgrenzen.

Radiochemotherapie
Ab dem Stadium FIGO IIB umfasst die Therapie der Wahl die primäre
simultane kombinierte Radiochemotherapie, bestehend aus Cisplatin
wöchentlich 40 mg/m2, externer Beckenradiatio und intrakavitärer Brachy-
therapie. Bei Kontraindikationen, z.B. Vorliegen einer schweren Nieren-
insuffizienz, entfällt die Chemotherapie und es wird kombiniert bestrahlt.
Die Radiochemotherapie kommt zusätzlich in der adjuvanten Situation
zum Einsatz, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen, z.B. das Adenokar-
zinom, entdifferenzierte Tumore (G3), Lymph- oder Hämangiosis und der
positive Lymphknotenstatus.

Chemotherapie
Cisplatin, Carboplatin, Ifosfamid und Topotecan, evtl. auch in Kombination
mit Anthrazyklinen, Mitomycin, Bleomycin oder Taxanen, sind eine The-
rapieoption beim fortgeschrittenen, insbesondere fernmetastasierten Zer-
vixkarzinom (FIGO IVB). Als neoadjuvante Wahl kann eine intervallver-
kürzte platinhaltige Therapie die Operabilität verbessern. Insbesondere in
36 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen der Rezidivsituation und bei fehlender Bestrahlungsmöglichkeit bietet die
systemische Therapie eine Alternative.

2 2.2 Maligne Tumore der Eileiter und Eierstöcke


T. Papathemelis, I. Meinhold-Heerlein

2.2.1 Allgemeines

Epidemiologie und Klassifikation


Der Begriff Ovarialkarzinom umfasst mehrere histologische Typen, in der
Mehrzahl der Fälle ist der Tumor epithelialen Ursprungs (>70%), andere
histologische Typen umfassen Keimzell- (ca. 10%), Keimstrang-/Stroma-
(10%) und in das Ovar metastasierende Tumoren (5%). Die primär tumo-
röse Entartung der Eileiter gehört mit einem Anteil von knapp 0,5% in der
Gesamtheit der Malignome des weiblichen Genitaltrakts zu den seltenen
malignen Erkrankungen der Frau.
Die Inzidenz für das Ovarialkarzinom beträgt in Deutschland 15,6 pro
100000 Frauen pro Jahr; nach dem Bronchialkarzinom hat das Ovarialkar-
zinom die zweitschlechteste Prognose, zu einem wesentlichen Teil bedingt
durch die Unspezifität und relative Symptomfreiheit der Erkrankung in
den frühen Stadien. Etwa zwei Drittel der Patientinnen befinden sich zum
Zeitpunkt der Diagnose bereits im Stadium III nach der FIGO-Klassifika-
tion. Die Stadieneinteilung/Staging der Erkrankung erfolgt chirurgisch,
gängig ist die Klassifikation nach FIGO:
4 Stadium I: beschränkt auf das Ovar
5 IA: beschränkt auf ein Ovar, kein Aszites (Kapsel intakt)
5 IB: beschränkt auf beide Ovarien, kein Aszites
5 IC: beschränkt auf ein oder beide Ovarien; Kapseldurchbruch und/
oder Aszites mit Tumorzellen
4 Stadium II: Befall eines oder beider Ovarien und Ausdehnung in das
kleine Becken
5 IIA: Ausdehnung oder Metastasen auf oder in den Uterus und/oder
die Tuben
5 IIB: Ausdehnung auf andere Organe des kleinen Beckens
5 IIC: Wie IIB, zusätzlich Aszites mit Tumorzellen
4 Stadium III: Befall eines oder beider Ovarien mit intraperitonealer Me-
tastasierung außerhalb des kleinen Beckens oder Befall retroperitone-
aler Lymphknoten
5 IIIA: mikroskopische peritoneale Metastasen
5 IIIB: makroskopische peritoneale Metastasen <2 cm
5 IIIC: Metastasen >2 cm und/oder regionäre Lymphknotenmetastasen
4 Stadium IV: Befall eines oder beider Ovarien mit Fernmetastasen
außerhalb der Peritonealhöhle
> Memo Pleuraerguss wird nur als IV gewertet, wenn Tumorzellen
nachweisbar; Leber: oberflächliche Kapselmetastasen gelten nicht,
intrahepatische Herde immer als IV.
2.2 · Maligne Tumore der Eileiter und Eierstöcke
37 2
Klinik Eigene Notizen
Die klinische Symptomatik umfasst:
4 Bauchumfangzunahme, meist durch Aszitesbildung bedingt
4 Gastrointestinale Beschwerden
4 Druckgefühl
4 Schmerz im Unterbauch und/oder Oberbauch
4 Obstipation
4 Gewichtsabnahme
4 Miktionsprobleme
4 Vaginale Blutung

Diagnostik
Die gynäkologische bimanuelle Untersuchung und die Inspektion durch
Spiegeleinstellung gehören zu den grundlegenden und ersten diagnosti-
schen Maßnahmen. Der Nachweis von blutigem Fluor, das mögliche Ver-
drängen von Scheidenwand und Portio durch tumoröse Raumforderungen
im kleinen Becken oder der palpatorische Nachweis von knotigen Auflage-
rungen im Sinne einer Douglasperitonealkarzinose können auf ein mög-
liches Ovarialkarzinom hinweisen.
Die transvaginale Sonografie hat den höchsten Stellenwert in der Dia-
gnostik des Ovarialkarzinoms. Sonomorphologische Kriterien zur Be-
schreibung und letztlich Einschätzung des malignen Potenzials von Ova-
rialtumoren sind die Tumorgröße, Aszitesnachweis, Binnenstrukturen
innerhalb der zystischen Raumforderung, Septendicke, solide Anteile, pa-
pilläre und echogene Randstrukturen, Inhomogenität und Perfusionsmus-
ter. Es existiert kein einzelnes sonografisches Kriterium, welches patho-
gnomonisch ist für die Dignität einer ovariellen Raumforderung. Nimmt
allerdings der erfahrene Untersucher alle Teilaspekte in Betracht, so kann
er eine gute Einschätzung hinsichtlich Dignität erbringen.
Weitere apparative Diagnostik im Sinne von CT des Beckens/Abdo-
mens oder MRT ist nicht obligat und verbessert nicht die diagnostische
Sicherheit; letztlich ist die Operation mit histologischer Sicherung nicht
nur Teil des therapeutischen Konzepts, sondern auch beweisend für das
Ovarialkarzinom.

Differenzialdiagnostik
Differenzialdiagnostisch kommen alle tumorösen Raumforderungen des
Abdomens in Betracht, diese können gutartige Veränderungen sein, z.B.
funktionelle Zysten der prämenopausalen Frau, Kystome, Fibrome, Der-
moidzysten oder Endometrioseläsionen. Maligne Neoplasien sind differen-
zialdiagnostisch alle kolorektalen Tumoren, Gallenblasenkarzinome, Ma-
genkarzinome, das Pankreaskarzinom sowie Metastasen anderer Tumor-
entitäten.

Therapie
Etablierte Prognosefaktoren der Erkrankung sind:
4 das Tumorstadium
4 der postoperative Tumorrest
38 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen 4 das Alter der Patientin


4 der Allgemeinzustand
4 der histologische Typ des Tumors inklusive Tumorbiologie
2
Diese Faktoren sind maßgebend für ein differenziertes alters- und stadien-
abhängiges therapeutisches Vorgehen.
Die operative Exploration/Staging bis zum maximal möglichen Tu-
mordebulking und die adjuvante zytostatische Therapie sind die zwei
wesentlichen therapeutischen Pfeiler des Ovarialkarzinoms.
Bei unilateralem Tumor im Stadium FIGO I ist ein fertilitätserhalten-
des operatives Vorgehen nach entsprechender Aufklärung und Risiko-
abwägung möglich. Stadiumunabhängig ist die makroskopisch vollstän-
dige Tumorresektion mit einem längeren Überleben und einer höheren
Heilungsrate assoziiert.
Das operative Vorgehen umfasst folgende Schritte:
4 Längslaparotomie
4 Inspektion und Palpation des gesamten Bauchraums
4 Peritonealzytologie
4 Biopsien aus auffälligen Stellen inklusive Peritonealbiopsien aus unauf-
fälligen Regionen
4 Hysterektomie mit hoher Adnexexstirpation
4 Omentektomie mindestens infrakolisch, besser sogar infragastrisch
4 Appendektomie bei muzinösem oder unklarem Tumortyp
4 die systematische pelvine und paraortale Lymphonodektomie bis hoch
zu den Nierengefäßabgängen.

Auch wenn der prospektive Überlebensvorteil für die Lymphonodektomie


noch aussteht, weisen retrospektive Daten darauf hin. Die Patientin profi-
tiert möglicherweise am meisten von einer systematischen Lymphonodek-
tomie, wenn eine komplette Tumorresektion geleistet wurde, bei Tumor-
resten postoperativ >1 cm erscheint die Lymphonodektomie nicht von
Vorteil für die Patientin.
Das operative Vorgehen kann in den FIGO-Stadien III und IV Resek-
tion von infiltrierten Dünn- und Dickdarmanteilen, Zwerchfelldeperito-
nealisierung, Splenektomie und eine Leberteilresektion umfassen, sollte
eben das Ziel der makroskopischen Tumorfreiheit möglich erscheinen.
Die Kombination aus der bestmöglichen Operation und einer platin-
haltigen adjuvanten zytostatischen Therapie hat den besten Überlebens-
vorteil für die Patientin. Carboplatin AUC 5 und Paclitaxel 175 mg/m2
über 3 h intravenös für insgesamt 6 Zyklen alle 3 Wochen ist aktuell der
Standard. Ausnahme stellen die Patientinnen im Stadium FIGO IA G1 dar;
sie benötigen keine adjuvante Chemotherapie – vorausgesetzt ein adä-
quates operatives Staging ist erfolgt.
Trotz optimaler primär operativer und adjuvanter Systemtherapie er-
leidet ca. die Hälfte der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzi-
nom innerhalb der ersten 2 Jahre ein Rezidiv. Bei der Therapie des Rezidivs
sollte die Erhaltung der Lebensqualität gegenüber anderen Therapiezielen
im Vordergrund stehen. Die Länge des progressionsfreien Überlebens ist
2.2 · Maligne Tumore der Eileiter und Eierstöcke
39 2

ein wichtiger prognostischer Parameter, der zudem auch prädiktive Bedeu- Eigene Notizen
tung für das erneute Ansprechen einer platinbasierten Chemotherapie
hat.
Platinresistente Rezidive haben kein Ansprechen im Sinne einer Re-
mission auf die Primärtherapie gezeigt und/oder die Patientinnen erleiden
bereits nach weniger als 6 Monaten nach Ersttherapie ein Rezidiv. Diese
Untergruppe der Patientinnen hat eine besonders eingeschränkte Progno-
se, es besteht eine umfassende Zytostatikaresistenz. In dieser Gruppe bietet
eine Kombinationstherapie bisher keinen Vorteil gegenüber einer Mono-
therapie. Einzusetzende Zytostatika sind in diesem Falle das pegylierte
liposomale Doxorubicin, Topotecan, Gemcitabine, Treosulfan, Etoposid,
Vinorelbin. Die Ansprechrate sämtlicher Substanzen liegt im besten Falle
zwischen 20 und 25%, das progressionsfreie Intervall ist kurz.
Davon ist die Gruppe der so genannten platinsensiblen Rezidive ab-
zugrenzen; diese Gruppe umfasst Patientinnen, welche auf eine platin-
basierte Primärtherapie mit einer objektiven Remission angesprochen
haben und ein rezidivfreies Intervall von mehr als 6 Monaten nach Ab-
schluss der Therapie aufweisen. In dieser Gruppe ist eine platinhaltige
Reinduktionstherapie möglich; die Kombinationstherapie ist hier der Pla-
tinmonotherapie überlegen. So zeigen die Kombination von Carboplatin/
pegyliertes liposomales Doxorubicin, Carboplatin/Paclitaxel, Carboplatin/
Gemcitabin ein erneutes gutes Ansprechen in bis zu 50% der Fälle. Wenn
eine platinhaltige Therapie bei einem rezidivfreien Intervall von 6–12 Mo-
naten nicht geeignet erscheint, ist pegyliertes liposomales Doxorubicin in
Kombination mit Trabectedin effektiv.

2.2.2 Borderline-Tumore des Ovars

Borderline-Läsionen des Ovars umfassen Tumore mit niedrigem malignen


Potenzial (»low malignant potential«). Im Großteil der Fälle kommt es zu
einem benignen klinischen Verlauf, die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt
etwa 97%, über 90% der Fälle werden im Stadium I nach FIGO diagnosti-
ziert. Borderline-Tumore treten im Vergleich zum Ovarialkarzinom etwa
10 Jahre früher auf. Für die Diagnose des Borderline-Tumors sind mindes-
tens zwei der folgenden Kriterien erforderlich:
4 (Mikro)papilläres Wachstumsmuster, erhöhte Mitoserate
4 Mehrschichtiges Epithel
4 Zellkernatypien

Histologisch werden seröse, muzinöse, endometrioide und klarzellige Bor-


derline-Tumore unterschieden, wobei die serösen und muzinösen Tumore
zusammen >90% ausmachen. Peritoneale Implantate können eine invasive
Morphologie aufweisen; invasive Implantate stellen eine der wichtigsten
Prognosefaktoren für das Gesamtüberleben und das Rezidiv dar. So ist eine
adäquate histologische Diagnosesicherung und Subtypisierung essenziell.
Dies schließt die Charakterisierung evtl. vorhandener Implantate (invasiv/
nichtinvasiv) sowie Angaben zur Mikroinvasion ein.
40 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen Die klassische chirurgische Therapie besteht aus einer zytoreduktiven
Operation mit beidseitiger Adenektomie, Hysterektomie, Omentektomie
und Entnahme multipler peritonealer Biopsien. Bei muzinöser Differen-
2 zierung ist zusätzlich die Appendektomie zum Ausschluss einer primären
Appendixneoplasie erforderlich. Ein sorgfältiges chirurgisches Staging
sollte durchgeführt werden. Der Lymphknotenstatus hat keine gesicherte
prognostische oder therapeutische Konsequenz. Demnach ist die Lym-
phonodektomie kein Bestandteil der Operation. ! Cave Im Falle von
noch bestehenden Kinderwunschs bzw. Wunschs nach Erhalt der ovariel-
len Funktion ist ein fertilitätserhaltendes Vorgehen möglich, allerdings
muss die Patientinnen über das erhöhte Rezidivrisiko aufgeklärt werden.
Der Nutzen einer adjuvanten Therapie wurde bislang für Tumore von
niedrigem malignem Potenzial nicht gezeigt. Die Nachbeobachtung muss
den langwierigen zeitlichen Verlauf der Erkrankung berücksichtigen und
sollte deshalb über mindestens 10–15 Jahre erfolgen.

2.2.3 Maligne Keimzelltumore

Ziel der chirurgischen Therapie ist die komplette Tumorresektion und


adäquate Stadieneinteilung unter Erhalt der Fertilität bei unauffälligem
verbleibendem Genitale. Adjuvant ist bei malignen Keimzelltumoren ab
Stadium FIGO IA eine cisplatinhaltige Chemotherapie erforderlich, die aus
2–3 Substanzen besteht. Platin und Etoposid sind die Substanzen der ersten
Wahl, als dritte Substanz kommen Bleomycin oder Ifosfamid in Betracht.

2.2.4 Keimstrangstromatumore

Auch diese Tumorentität erfordert ein adäquates chirurgisches Staging


analog der chirurgischen Therapie der Keimzelltumore. Der Nutzen der
systematischen Lymphonodektomie ist ebenfalls nicht belegt. Adjuvante
Strahlen-, Chemo- oder endokrine Therapiekonzepte werden kontrovers
diskutiert; sie sind allerdings nicht Teil der aktuellen Therapieempfeh-
lungen.

2.3 Das Vulvakarzinom und seine Vorstufen

T. Papathemelis, I. Meinhold-Heerlein

2.3.1 Vulväre intraepitheliale Neoplasie

Epidemiologie und Ätiologie


Die vulväre intraepitheliale Neoplasie ist die häufigste präinvasive Erkran-
kung der Vulva, aktuell geht man von einer Inzidenz von 7 pro 100000
Frauen aus. Die Inzidenz der vulvären intraepithelialen Neoplasie und auch
2.3 · Das Vulvakarzinom und seine Vorstufen
41 2

konsekutiv die des Vulvakarzinoms hat über die letzten Jahrzehnte zuge- Eigene Notizen
nommen. Die Ursachen sind nicht gänzlich geklärt, es wird u.a. postuliert,
dass eine verbesserte Diagnostik und die Teilnahme der Frauen an den
Vorsorgeuntersuchungen zu den Gründen gehören. Sowohl die Zunahme
der HPV-Neuinfektionsrate, insbesondere in den jüngeren Altersklassen,
als auch möglicherweise unbekannte lokale Faktoren tragen ebenso dazu
bei.

Klassifikation
Die vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN) wird je nach Schweregrad his-
tomorphologisch in VIN 1–3 unterteilt. Eine neuere Klassifikation (Inter-
national Society for the Study of Vulvovaginal Disease) unterscheidet zwi-
schen kondylomatösen reaktiven Veränderungen (alt VIN 1) und zwischen
differenzierten bzw. undifferenzierten intraepithelialen Neoplasien (alt VIN
2 und 3).
4 Die differenzierte VIN betrifft eher die ältere Patientin, ist meist unifo-
kal, hat eine hohe maligne Potenz und kann z.B. auf Basis eines Lichen
sclerosus entstehen.
4 Die undifferenzierte VIN ist in der Regel die Erkrankung der jüngeren
Patientin, HPV-assoziiert (z.B. HPV Typ 16, 33), multilokulär und mit
einer moderaten malignen Potenz.

Therapie
VIN-2- und -3-Läsionen sollten durch chirurgische Exzision und/oder
Laservaporisation im Gesunden entfernt werden. Ziel der operativen The-
rapie ist die Prävention des invasiven Vulvakarzinoms bzw. die Entfernung
okkulter Frühkarzinome. In der operativen Therapie der Vorstufen sollten
die Rezidivvermeidung und der Erhalt der normalen Anatomie und Funk-
tion gleichmäßig berücksichtigt werden.

Prävention
Ein Großteil der vulvären intraepithelialen Neoplasien und Karzinome der
jungen Frauen können durch die HPV-Impfung verhindert werden. Mäd-
chen vor Aufnahme des ersten Geschlechtsverkehrs haben nach 3-facher
Impfung einen hohen Impfschutz gegen durch HPV (6,11) 16, 18 induzierte
Läsionen.

2.3.2 Vulvakarzinom

Epidemiologie und Ätiologie


Das Vulvakarzinom ist das vierthäufigste Genitalkarzinom mit einer gegen-
wärtigen Inzidenz von etwa 2,5 pro 100000 Frauen. Als Risikofaktoren
gelten:
4 Persistierende HPV-High-risk-Infektionen
4 Assoziierte vulväre/zervikale/vaginale/anale intraepitheliale Neoplasien
oder Karzinome
4 Nikotinabusus
42 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen 4 Herpes genitalis


4 Lues
4 Immunschwächesyndrome (z.B. AIDS)
2 4 Lichen sclerosus et atrophicans
4 Squamöse Hyperplasie

Klinik
Frühsymptome des Vulvakarzinoms sind entweder in ca. der Hälfte der
Patientinnen nicht vorhanden oder sehr unspezifisch. In vielen Fällen ver-
geht oft >1 Jahr zwischen Symptombeginn und Diagnosestellung. Haupt-
symptome dieser Erkrankung, wenn vorhanden, sind:
4 Pruritus
4 Vulvodynie
4 Dysurie
4 Perinealer Schmerz
4 Lokales Brenngefühl
4 Die Symptomatik wird durch das subjektive Erfassen palpabler oder
sichtbarer Veränderungen im Bereich der Vulva begleitet.

Diagnostik
Inspektion, Palpation, Vulvoskopie und Applikation von Essigsäure gehö-
ren zu den primären diagnostischen Maßnahmen. Lokalisation, Anzahl,
Verteilung, Größe, Begrenzung und Farbe von vulvären Veränderungen
sind zu beschreiben. Die häufigsten Lokalisationen sind die Labia majora,
gefolgt von der Klitoris, den Labia minora, dem Perineum, der Periurethral-
region und der Bartholin-Drüse. Hinweise für Malignität sind:
4 Rasche Größenprogredienz
4 Bildung eines Ulkus
4 Farbveränderung
4 Unscharfe Begrenzung
4 Asymmetrie

Jede unklare vulväre Läsion gehört bioptisch abgeklärt.

Klassifikation
Das Staging der Erkrankung erfolgt operativ nach folgender FIGO-Klassi-
fikation:
4 FIGO I: Tumor beschränkt auf die Vulva oder Vulva und den Damm,
größter Durchmesser <2 cm; ohne Lymphknotenmetastasen (T1N0)
5 FIGO IA: Stromainvasion ≤1,0 mm
5 FIGO IB: Invasionstiefe >1,0 mm
4 FIGO II: Tumor beschränkt auf die Vulva oder Vulva und den Damm;
>2 cm ohne Lymphknotenmetastasen (T2N0)
4 FIGO III: Tumor jeglicher Größe mit Ausdehnung auf die distale
Urethra, Vagina oder den Anus und/oder unilaterale inguinale Lymph-
knotenmetastasen
4 FIGO IV: Tumorinvasion in Nachbarorgane, bilaterale inguinofemora-
le Lymphknotenmetastasen
2.3 · Das Vulvakarzinom und seine Vorstufen
43 2

5 FIGO IVa: Tumor jeglicher Größe mit Infiltration der proximalen Eigene Notizen
Urethra, der Blasenmukosa, der Rektummukosa, des Beckenkno-
chens, bilaterale inguinofemorale Lymphknotenmetastasen
5 FIGO IVb: Fernmetastasen, inklusive pelviner Lymphknotenme-
tastasen

Therapie
Die lokale Therapie des Vulvakarzinoms umfasst stadienadaptiert die loka-
le radikale Exzision, die Vulvektomie und die primäre Radiochemotherapie.
Ziel der operativen Therapie ist die Resektion des Tumors in sano mit einem
10 mm gesunden Randsaum. Die operative Lokaltherapie hat in den letzten
Jahren eine Reduzierung der Radikalität zugunsten der Verminderung von
Komplikationen erfahren. So ist die 3-Schnitt-Technik, d.h. Vulvektomie
und inguinofemorale Lymphonodektomie von separaten Schnitten aus, der
En-bloc-Technik vorzuziehen. Weiterhin versucht man den vollständigen
Verlust der Vulva dann zu vermeiden, wenn eine radikale Exzision im
makroskopisch Gesunden möglich ist.
Therapie der Wahl beim Vulvakarzinom FIGO IA–II ist die lokale ra-
dikale Exzision. Im Stadium III kann die radikale Vulvektomie indiziert
werden, ab FIGO IV kommt die Radiochemotherapie primär in Betracht.
Ab einer Infiltrationstiefe von >1,0 mm (≥FIGO IB) ist die inguinofemo-
rale Lymphonodektomie obligat. Bei lateralem FIGO-I-Karzinom und
freien ipsilateralen Lymphknoten kann auf eine kontralaterale Lympho-
nodektomie verzichtet werden. Die Behandlung der pelvinen Lymphkno-
ten ist indiziert bei 3 oder mehr positiven unilateralen Leistenlymphkno-
ten, Kapseldurchbruch oder dem Vorliegen von Makrometastasen >10 mm.
Ungeklärt ist, ob in diesem Fall die Patientin von der pelvinen Lymphaden-
ektomie oder der Radiatio des Beckens mehr profitiert.

Prävention
Die Prävention dieser Erkrankung, bestehend aus primären und sekundär-
en Maßnahmen, beinhaltet die prophylaktische HPV-Impfung (primäre
Prävention) und frühzeitige diagnostische und therapeutische Maßnahmen
(sekundäre Prävention).

2.3.3 Vaginalkarzinom

Epidemiologie
Primäre Vaginalkarzinome sind Plattenepithelkarzinome und mit einer In-
zidenz von 0,3–0,4 pro 100000 Frauen im Jahr sehr selten. Häufiger ist ein
sekundärer Befall der Vagina durch kontinuierliche Ausbreitung anderer
lokaler Tumore. Analog zum Vulvakarzinom werden Vorstufen dieser Er-
krankung als vaginale intraepitheliale Neoplasien Grad I–III bezeichnet. Je
nach Schweregrad der intraepithelialen Neoplasie ist die Beobachtung
(VAIN I) oder die Destruktion und lokale Exzision (VAIN II und III) das
Mittel der Wahl.
44 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen Klinik


Fleischwasserfarbener Fluor, Blutungen, Schmerzen und Druckgefühl ge-
hören zu den Hauptsymptomen des Vaginalkarzinoms.
2
Diagnostik
Inspektion, Palpation, Spekulumeinstellung, Kolposkopie und gezielte
bioptische Sicherung umfassen die Hauptmaßnahmen, die zur Diagnose
des Vaginalkarzinoms führen. Das Staging der Erkrankung erfolgt nach
FIGO wie folgt:
4 FIGO I: Tumor begrenzt auf Vagina
4 FIGO II: Tumor infiltriert paravaginales Gewebe aber nicht bis zur Be-
ckenwand
4 FIGO III: Tumor erreicht die Beckenwand und/oder Lymphknoten-
metastasen
4 FIGO IV
5 FIGO IVA: Tumor infiltriert die Mukosa von Blase/Rektum und/
oder überschreitet das kleine Becken
5 FIGO IVB: Fernmetastasierung

Therapie
Beim Vaginalkarzinom wird häufig die primäre Strahlentherapie der Ope-
ration vorgezogen. Die Entscheidung, ob Operation oder (primäre) Strah-
lentherapie indiziert ist, richtet sich nach der primären Ausdehnung und
der Lokalisation des Tumors, der Erfahrung des Operateurs, dem Allge-
meinzustand der Patientin und der Abwägung möglicher Nebenwirkungen/
Komplikationen. Nebenwirkungen sind:
4 Strahlentherapie: Spätfolgen an Darm und Blase, trockene, verklebte
Vagina, Fistelbildungen
4 Operation: Verlust der Vagina, Neovagina nötig, sehr großer Eingriff,
häufig lokoregionäre Rezidive

Der operative Aufwand variiert je nach Größe und Lokalisation des Tumors
von einer Exzision im Gesunden, einer Kolpektomie mit Parakolpienentfer-
nung, einer radikalen Kolpohysterektomie bis zur Exenteration. Alternativ
ist stadienübergreifend die primäre Radiotherapie möglich.

2.4 Maligne Tumore der Mamma

U. Heindrichs

2.4.1 Grundlagen

Epidemiologie und Ätiologie


Das Mammakarzinom stellt die häufigste Krebserkrankung der Frau mit
rund 60000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland dar. Die Inzidenz ist
damit mehrfach höher als z.B. in Asien oder Südamerika. Epidemiologisch
2.4 · Maligne Tumore der Mamma
45 2

können verschiedene Risikofaktoren benannt werden, die im Sinne einer Eigene Notizen
Prävention mehr oder weniger beeinflussbar sind: So gilt die Nulliparität
bzw. Schwangerschaft jenseits des 35. Lebensjahres, nicht stillen, ledig sein
oder familiär mit der Erkrankung vorbelastet zu sein als risikobehaftet;
ebenso der frühe Eintritt in die Menarche bzw. eine späte Menopause wie
auch bestimmte Hormonsubstitutionsschemata in der Postmenopause.
Somit erscheinen hormonelle Einflüsse das Brustkrebsrisiko maßgeb-
lich zu steuern, daneben spielen Faktoren der Lebensführung, z.B. Über-
gewicht, Bewegungsmangel und schädliche Genussmittel (Alkohol, Niko-
tin) ebenfalls eine erhebliche Rolle.
Das nachgewiesenermaßen erbliche Mammakarzinom (BRCA-Muta-
tion) macht derzeit <10% aller Mammakarzinomfälle aus, ist aber gerade
für betroffene Familien entsprechend bedeutsam.
Hinsichtlich der Therapie des Mammakarzinoms kommt der Früh-
erkennung die bedeutendste Rolle hinsichtlich der möglichen Heilungs-
chancen zu. Demzufolge sollte die entsprechende Diagnostik möglichst
zielgerichtet und effizient eingesetzt werden. Im Folgenden werden die
verschiedenen Diagnostika vorgestellt und hinsichtlich ihrer Möglich-
keiten bewertet.

Anamnese
Mithilfe der Krankengeschichte kann erfragt werden, inwieweit eine fami-
liäre Vorbelastung oder weitere Risikofaktoren bestehen. Sollte die Patientin
selber einen Tumor getastet haben, führt die Erfragung der Dynamik und
der Begleitfaktoren (Schmerzhaftigkeit, Rötung, Fieber) der Erkrankung
schon zu Rückschlüssen hinsichtlich der Differenzialdiagnosen.

Palpation
Es ist noch relativ häufig, dass Frauen mit selbst neu getasteten Herdbefun-
den der Mammae in die Sprechstunde kommen; in solchen Fällen können
anhand der Konsistenz und Verschieblichkeit von Tumoren Rückschlüsse
auf deren Dignität (benigne oder maligne) gemacht werden. Dabei sollten
die lokoregionären Lymphabflusswege einbezogen werden. Danach schließt
sich die weiterführende Bildgebung mit evtl. Biopsie an (s. unten).
Grundsätzlich ist zur Palpation festzustellen, dass hier die Detektions-
rate für Mammakarzinome häufig erst bei einem T1c- bis T2-Stadium be-
ginnt (vgl. TNM-Klassifikation), d.h. Tumoren ab einer Größe von 1,5 cm
und größer. Dabei findet man in rund 30% bereits axilläre Lymphknoten-
metastasen. Vergleicht man diese Daten mit Kollektiven aus Screening-
Mammografien, so findet man dort Tumoren vielfach im Stadium T1b–c,
also mit einer Größe von 1–1,5 cm, manchmal auch kleiner, selten größer.
In solchen Fällen geht der axilläre Lymphknotenbefall auf etwa 6% zurück.
Man geht von einer früheren Mammakarzinomdetektion von etwa 1 Jahr
aus im Vergleich zur Palpationsmethode. Ein solches Mammografie-Scree-
ning steht in Deutschland zurzeit für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren
zur Verfügung.
Nichtsdestotrotz kann auch die regelmäßige Selbstuntersuchung be-
fürwortet werden, wenn auch in großen Metaanalysen kein signifikanter
46 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen Benefit festzustellen war, was am ehesten der Ungenauigkeit der Methode
zuzuschreiben ist (T2-Stadium = 2–5 cm). Zum einen führt die Methode
in einzelnen Fällen dennoch zu einer früheren Erkennung eines Karzinoms
2 und zum anderen, so die Studien, führt die regelmäßige Selbstuntersu-
chung zu einer größeren Achtsamkeit hinsichtlich der eigenen Gesundheit
und damit auch zur besseren Nutzung der Früherkennungsprogramme.
Es gilt also, das Mammakarzinom unterhalb der Tastbarkeit erfassen zu
können, evtl. sogar vor seinem »Ausbruch«. Histopathologisch gesprochen
ist dieses denkbar und z.T. möglich. Daher sollen für das bessere Verstehen
der Karzinomerkrankung zunächst die so genannten Vorläuferläsionen
und Präkanzerosen besprochen werden:

2.4.2 Läsionen mit unsicherem biologischem Potenzial


(B3 der B-Klassifikation der Stanzbiopsien)

Anatomisch betrachtet besteht die Brust aus Läppchen und Gängen, mikro-
skopisch spricht man von der tubulo-duktulo-lobulären Einheit. Kommt es
nun zur Adenose, also zunächst gutartigen proliferativen Veränderung der
Läppchen mit Hyperplasie der Epithel- und Myepithelzellen (klinisch der
Mastopathie entsprechend), so findet man histomorphologisch die so ge-
nannte Blunt-duct-Adenose (BDA). Bei fortschreitender Proliferation kön-
nen hieraus Mikrozysten oder die so genannte einfache duktale Hyperplasie
entstehen. Dieses könnte unter Umständen bereits eine klinische Sympto-
matik im Sinne einer Mastodynie hervorrufen, wäre im Übrigen jedoch
harmlos.
Bei weiterem Proliferationsanreiz könnte jedoch eine flache epitheliale
Atypie (FEA) erwachsen oder auch eine atypische duktale Hyperplasie
(ADH); Läsionen können nicht selten gemeinsam vorkommen, ebenso die
lobuläre Neoplasie (Vorläuferläsion in einem Lobulus). Die besagten Ver-
änderungen haben das Risiko eines assoziierten duktalen In-situ-Karzi-
noms oder gar invasiven Karzinoms, gelten somit als Risikomarker bzw.
sind bereits vergesellschaftet mit höhergradigen Läsionen.

Diagnostik
Die beschriebenen Precursor-Läsionen sind in der Regel nicht tastbar und
auch in der Sonografie nicht abzugrenzen. Nicht selten bilden sie jedoch so
genannten gruppierten Mikrokalk, der wiederum in der Mammografie –
auch bei höherer Gewebedichte – gut abgrenzbar ist. Im Falle eines solchen
suspekten Mikrokalks sollte eine histologische Sicherung am ehesten durch
Vakuumbiopsate erfolgen mit anschließender Besprechung in einer multi-
disziplinären Tumorkonferenz, wo geklärt wird, ob die Bildgebung konkor-
dant zum histopathologischen Befund ist (Treffgenauigkeit, Übereinstim-
mung zwischen Erwartung und Ergebnis). Sollte dies nicht der Fall sein,
muss sich eine weitere Abklärungsdiagnostik, z.B. mittels MRT der Mam-
mae, anschließen bzw. ggf. die Vakuumbiopsie wiederholt werden oder der
Herdbefund per Drahtmarkierung markiert und mittels offener Biopsie
komplett entfernt werden.
2.4 · Maligne Tumore der Mamma
47 2

Im Falle der suffizienten Gewebesicherung mit der erstmaligen Biopsie Eigene Notizen
erfolgt das weitere Vorgehen gemäß dem histologischen Typ der Läsion;
4 Bei der FEA sind laut der aktuellen Empfehlungen keine weiteren Maß-
nahmen erforderlich, vorausgesetzt, der wegweisende Mikrokalk wurde
komplett entfernt.
4 Im Falle der ADH (in Stanze oder Vakuumbiopsie) ist außer bei nied-
riggradigen Hyperplasien und sehr kleinen Läsionen in der Regel die
offene Exzisionsbiopsie erforderlich; Ausnahme ist wiederum, falls die
ADH den Randbefund eines In-situ- oder invasiven Karzinoms dar-
stellt: In dieser Konstellation bedarf es keiner weiteren Abklärung wegen
mangelnder prognostischer Relevanz bzw., weil die Patientin sowieso
weiter therapiert bzw. überwacht wird.

2.4.3 Lobuläres Carcinoma in situ (LCIS bzw. CLIS)

Die einfache lobuläre intraepitheliale Neoplasie ist synonym zu betrachten


mit der atypischen lobulären Hyperplasie (ALH) und dem lobulären Carci-
noma in situ. Sie gilt ebenfalls als Indikator bzw. Vorläuferläsion mit einem
ipsi- und kontralateral erhöhten Brustkrebsrisiko (etwa 7-fach nach 10 Jah-
ren bzw. ca. 1% pro Jahr). Entsprechend sollten engmaschige Verlaufs-
mammografien erfolgen (so genannte kurative Mammografie, jährlich).
Davon zu unterscheiden ist das so genannte pleomorphe CLIS, welches
mit Nekrosen und extensiver Beteiligung und Konfluens der Lobuli ein-
hergeht: Diese Form der lobulären Neoplasie wird als echtes In-situ-Karzi-
nom betrachtet und auch so behandelt (wie ein duktales In-situ-Karzinom
= DCIS, s. unten).

Therapie
Das pleomorphe CLIS sollte in sano reseziert werden (analog DCIS). Ab-
weichend hiervon wird eine Nachbestrahlungsindikation bei Vorliegen
eines CLIS nicht gesehen (u.a. unzureichender Datenlage geschuldet).

2.4.4 Duktales in situ Karzinom (DCIS)

Auch diese Form der Präkanzerose zeigt sich am ehesten durch den Nach-
weis von gruppierten Mikroverkalkungen in der Mammografie (ca. 70% der
DCIS-Fälle mit Mikrokalk), nur selten findet sich ein Tastbefund und gele-
gentlich eine blutige Mamillensekretion.

Diagnostik
Sicherung der stereotaktische Stanzbiopsie bzw. Vakuumbiopsie. Es sollte
eine Präparateradiografie der Biopsate durchgeführt werden zum Nachweis,
dass die Mikrokalkareale erfasst wurden. Außerdem können die Proben
nach solchen mit und ohne Kalk separiert werden; in der abschließenden
histopathologischen Begutachtung kann dann abgeschätzt werden, ob auch
in den kalkfreien Gewebebereichen In-situ-Karzinomverbände vorliegen.
48 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen Zur präoperativen Größenabschätzung des DCIS kann eine Magnetreso-
nanztomografie herangezogen werden, wobei das DCIS Grad 1 (low-grade)
sich entsprechend schwer erfassen lässt, während die In-situ-Karzinome des
2 intermediate grade (G2) und high grade (G3) besser darstellbar sind.

Therapie

Operative Therapie
Es wird eine weite Exzision angestrebt, wobei in der Regel eine radiologische
Drahtmarkierung bei fehlender Tastbarkeit erforderlich ist. Das Exzidat
sollte wiederum präparateradiografiert werden und im Falle einer knappen
Randsituation (bezogen auf den Mikrokalk) sollte eine entsprechende
Nachresektion erfolgen. In der späteren histopathologischen Auswertung
gilt eine Resektionsrandsicherheit von <1 mm als zu knapp, während ein
Sicherheitssaum von 10 mm als sicher ausreichend gilt. Sicherheitsabstände
zwischen 1 und 10 mm sind somit diskutabel (aktuelle Empfehlung der
Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie: Sicherheitsabstand
von 2–5 mm anstreben). Sollten nach ggf. mehrfachen Nachresektionen
keine sicheren Ränder erzielbar sein bzw. auch bei initial großen Läsionen,
kommt nur eine Mastektomie in Betracht. In solchen Fällen sollte zusätzlich
die Abklärung der zugehörigen axillären Lymphknoten über die Wächter-
lymphknotendiagnostik erfolgen (s. unten).

Strahlentherapie
Nach brusterhaltender Operation ist regelmäßig die Nachbestrahlung der
betroffenen Brust indiziert (Senkung des Lokalrezidivrisikos um etwa
75%).

Antihormontherapie
Bei hormonrezeptorpositiven duktalen In-situ-Karzinomen sollte die The-
rapie mit einem Antiöstrogen (Tamoxifen) mit der Patientin individuell
besprochen werden im Sinne einer Risiko-Nutzen-Abwägung (Restrisiko
kann nochmals annähernd halbiert werden, wobei dieses Restrisiko oftmals
<10% zu veranschlagen ist).

2.4.5 Invasives Mammakarzinom

Am häufigsten findet man das invasiv-duktale Mammakarzinom (knapp


80% der Fälle), seltener den invasiv-lobulären Typ (etwa 15%), weitere Sub-
typen sind entsprechend selten oder es liegen Mischtypen vor. In etwa 13%
der Fälle liegt eine Multizentrizität vor (Befall mehr als eines Mammaqua-
dranten), seltener ein bilaterales Karzinom. Hinsichtlich der Tumorgröße,
des Lymphknotenstatus und einer möglichen Metastasierung wird die eine
TNM-Klassifizierung vorgenommen (. Tabelle) (alternativ die internatio-
nale UICC-Stadieneinteilung, bei der bestimmte Cluster der verschiedenen
TNM-Konstellationen in prognostisch relevante Gruppen zusammenge-
fasst werden).
2.4 · Maligne Tumore der Mamma
49 2

. Tab. 2.1 TNM-Klassifikation des Mammakarzinoms (vereinfacht) Eigene Notizen

T0 Keine Evidenz für Tumor

Tis Tumor in situ

T1 Tumordurchmesser bis 2 cm ohne oder mit Fixierung an der Haut bzw.


Pektoralisfaszie
T1a = 1–5 mm
T1b = 6–10 mm
T1c = 11–20 mm

T2 Tumordurchmesser 2–5 cm ohne oder mit Fixierung an der Pektoralisfaszie


oder am Muskel

T3 Tumordurchmesser >5 cm ohne oder mit Fixierung an der Pektoralisfaszie


oder am Muskel

T4 Tumor jeder Größe mit direkter Ausdehnung auf Brustwand oder Haut

N0 Kein palpabler Lymphknoten

N1 Palpabler, nicht fixierter Lymphknoten

N2 Palpabler Lymphknoten, fixiert u.a. auch an anderen Strukturen

N3 Befall der supra- oder infraklavikulären Lymphknoten

M0 Keine Fernmetastasen

M1 Nachweisbare Fernmetastasen

Diagnostik
Hier gilt Ähnliches wie für die Vorläuferläsionen, d.h. Ziel sollte es sein,
einen Tumor vor seiner Tastbarkeit zu erfassen, was heutzutage mithilfe des
Mammografie-Screenings gelingt, im Rahmen dessen Frauen im Alter
zwischen 50 und 69 Jahren alle 2 Jahre zu einer Mammografie eingeladen
werden (Durchschnittsalter für das Mammakarzinom etwa 62 Jahre). Na-
türlich haben jüngere und erst recht ältere Frauen ein statistisch ähnliches
oder sogar höheres Risiko. Das gewählte Screeningalter beruht auf zugrun-
de liegenden Studiendaten und ist der Praktikabilität (Röntgentransparenz
der Mammae steigt mit dem Alter) wie auch der möglichen Finanzierbar-
keit geschuldet.
Außerhalb solcher Programme spricht man von einer so genannten
kurativen Mammografie, nicht selten tasten die Betroffenen in dieser Zeit
ihre Tumoren selber; man schätzt, die Erkrankung außerhalb von Scree-
ningprogrammen 1 Jahr später zu entdecken.
Selten führen auch ein- oder beidseitige Mamillensekretionen die
Frauen zum Arzt; insbesondere die einseitige und blutige Sekretion gehen
mit malignen Brusterkrankungen einher. Neben der zytologischen Abklä-
rung stehen hier die Galaktografie (Mammografie mit Kontrastmittel,
welches in den betroffenen Gang injiziert wird) oder eine Magnetreso-
nanztomografie zur Verfügung.
Einen hohen Stellenwert in der Mammadiagnostik hat bei der Beurtei-
lung von röntgenologisch auffälligen oder getasteten Herdbefunden auch
50 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen die Sonografie: Mittlerweile stehen Schallköpfe mit deutlich mehr als
10 MHZ zur Verfügung, sodass wenige Millimeter kleine Tumore (ca.
>3 mm) gesehen werden, insbesondere im dichten Brustdrüsengewebe
2 kann die Sonografie gewissermaßen Licht in die Schattenseiten der Mam-
mografie bringen, während diese insbesondere hinsichtlich der Detektion
von Mikrokalk oder kleinen Herden außerhalb des Hauptdrüsengewebes
ihre Stärken hat; somit sollte man die Verfahren als komplementär ver-
stehen.
Die Sonografie ist zeitintensiver und schwerer reproduzierbar als die
Röntgenmammografie, ein weiterer Grund, weshalb sie sich nicht als
Screeningmethode durchgesetzt hat.
Die Magnetresonanztomografie (MRT) stellt die Methode mit der
höchsten Sensitivität (>99%) hinsichtlich der Detektierbarkeit von Ma-
lignomen der Brust dar, sie beruht auf der Erfassung unterschiedlich stark
durchbluteter Gewebeareale, benötigt Kontrastmittel, jedoch keine Rönt-
genstrahlen. Auch mittel- bis schnellwachsende Vorläuferläsionen können
erfasst werden. Um die Rate an falsch positiven Befunden niedrig zu hal-
ten, ist eine hohe Expertise hinsichtlich der Handhabung der Methode
erforderlich.
Die Kostenträger stehen der Mamma-MRT sehr restriktiv gegenüber
(s. Indikationskatalog).
Vor jeder Therapieplanung sollte die suspekte Läsion histopatholo-
gisch geklärt werden, um eine optimale Therapieplanung zu gewährleisten.
Dieses kann mithilfe alle genannten bildgebenden Methoden erfolgen,
wobei die einfachste mögliche Methode gewählt wird. Zur Untersuchung
gelangen mittels der Stanzbiopsie (Core-Biopsie) wenigstens 3–5 Stanz-
zylinder von 2 mm Durchmesser und ca. 15–22 mm Länge. Durch so ge-
nannte Vakuumstanzen kann die Gewebemenge erhöht werden. Ziel ist die
repräsentative Histologie. Bereits an der Stanzbiopsie können Aussagen
zur minimalen Tumorgröße, dem Tumorgrading und dem Rezeptorstatus
(Östrogen-, Progesteron- und Her-2-neu) gemacht werden.

Therapie
Grundsätzlich stehen folgende Behandlungssäulen zur Verfügung:
4 Operation
4 Chemotherapie
4 Strahlentherapie
4 Antihormontherapie
4 Antikörpertherapie
4 Psychoonkologie

Operation
Ziel der Operation ist es, sämtliches Tumorgewebe zu entfernen und den
axillären Lymphknotenstatus zu erfassen. Etwa bis 25% (ein Quadrant) der
Brust können entfernt werden, sodass noch ein kosmetisch akzeptables Er-
gebnis rekonstruierbar ist, ggf. mit speziellen onkoplastischen Techniken
oder solchen, die aus der plastisch-ästhetischen Chirurgie bekannt sind
(Lifting, Reduktionsplastik). In gut 70% der Fälle gelingt dieses (wenigstens
2.4 · Maligne Tumore der Mamma
51 2

80% der T1-Stadien). In den anderen Fällen wird eine Amputation der Brust Eigene Notizen
notwendig; auf Wunsch stehen dann rekonstruktive Verfahren (Eigengewe-
be oder Implantate) zur Verfügung, wobei in der Zeitabfolge (sofort versus
später) der Gesamtbehandlungsplan zu berücksichtigen ist: So ist es z.B.
deutlich günstiger, eine Brust zunächst mit Implantat zu rekonstruieren und
anschließend zu bestrahlen, während das Vorgehen bei Verwendung von
Eigengewebe gerade andersherum erfolgen sollte.
Der Lymphknotenstatus wird durch die so genannte Wächtermethode
(Sentinel-Methode) durchgeführt. Durch Injektion von radioaktiven Tech-
netiums und/oder von Patentblau (subareolär) wird/werden der oder die
vordersten Lymphknoten, die das Brustdrüsengewebe drainieren, radioak-
tiv bzw. farblich markiert und können so gezielt entfernt werden. Da die
Axilla in mehr als 70% der Fälle metastasenfrei ist, stellt dies ein scho-
nendes Verfahren zur Erhebung des Lymphknotenstatus dar. Im Falle der
Metastasierung sollte derzeit noch eine komplettierende (klassische) Axil-
ladissektion erfolgen.

Chemotherapie
Die Chemotherapie dient dazu, okkulte Tumorzellen außerhalb des ope-
rierten Bereichs zu eliminieren. Dazu haben sich v.a. anthrazyklin- und
taxanhaltige Kombinationstherapien als besonders wirksam gezeigt. Es
handelt sich in der Regel um Infusionsschemata, die meist dreiwöchentlich
(seltener wöchentlich) über einen Zeitraum von wenigstens 18 Wochen
appliziert werden.
Um die Wirksamkeit in vivo zu verfolgen, kann auch eine neoadjuvante
(primäre) Chemotherapie erfolgen, d.h. bei gegebener Indikation vor der
Operation des Primarius. Gemäß der bisherigen Studienlage hierzu konn-
te die Rate an brusterhaltenden Operationen durch die primäre Chemo-
therapie erhöht werden. Hinsichtlich der Mortalität und des krankheits-
freien Überlebens ergaben sich keine Unterschiede. Hier könnten neue
Studiendesigns mit stärkerer Anpassung der Chemotherapie an das Tu-
morverhalten unter der laufenden Therapie weitere Vorteile bringen.
Der Mehrzahl der Frauen mit Brustkrebs wird eine adjuvante (=M0-
Status) Chemotherapie empfohlen, obwohl bekannt ist, dass insbesondere
bei so genanntem mittlerem Risiko gut zwei Drittel der Betroffenen nicht
profitieren werden. Daher steht im Fokus der heutigen Forschung, Verfah-
ren zu entwickeln, das Risiko für eine okkulte Metastasierung besser ab-
schätzen zu können. Hier haben sich molekularbiologische Verfahren etab-
liert bzw. werden aktuell in Studien überprüft. Hintergrund ist die Er-
kenntnis, dass Tumore ein spezielles genetisches Profil brauchen, um z.B.
hämatogen zu metastasieren. Im Falle eines »Niedrigrisikoprofils« wird
dann auf eine zusätzliche Chemotherapie verzichtet.

Strahlentherapie
Ziel der Strahlentherapie ist die Erhöhung der lokalen Sicherheit. Sie ist
indiziert nach brusterhaltender Therapie eines DCIS (s.o.) oder invasiven
Mammakarzinoms. Dadurch wird die lokale Rezidivgefahr um etwa 75%
reduziert. In der Regel brauchen die operierte Axilla oder die Brustwand
52 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen nach Brustamputation nicht nachbestrahlt zu werden, jedoch in bestimm-


ten Fällen kann auch dieses einen zusätzlichen Nutzen für die Patientin
darstellen.
2 Die Strahlentherapie erfolgt fraktioniert über mehrere Wochen
(50,4 Gray), in einigen Fällen wird der betroffene Mammaquadrant ver-
stärkt bestrahlt (so genannter Boost), da hier das höchste Rezidivrisiko von
etwa 80% besteht.
In den letzten Jahren wurden zunehmend intraoperative Bestrahlungs-
verfahren in Studien überprüft, um die Bestrahlungsdauer kürzer und ef-
fektiver zu gestalten. Der so genannte intraoperative Boost ist bereits leit-
linienkonform. Inwieweit die alleinige intraoperative Bestrahlung (Teil-
brustbestrahlung) ausreichend ist, wird derzeit in Studien überprüft.

Antihormontherapie
Etwa zwei Drittel aller Mammakarzinome sind hormonrezeptorpositiv, d.h.
haben entweder Östrogen- und/oder Progesteron-Rezeptoren. Das Anti-
östrogen Tamoxifen wurde vor mehr als 20 Jahren bis heute erfolgreich
eingesetzt, um entsprechende Brustkrebszellen zu blockieren. Die mittler-
weile langjährige Erfolgsstory zeigte, dass damit das Rezidivrisiko nahezu
halbiert werden konnte. Es handelt sich – ähnlich der Chemotherapie – auch
um eine Systemtherapie, um okkulte Tumorzellen zu vernichten. Es ist eine
jahrelange Therapie, meist fünfjährig, erforderlich.
Ergänzt werden kann die antihormonelle Therapie durch die zusätz-
liche Verabreichung eines GnRH-(Gonadotropin-Releasing-Hormon-)
Analogons. Dadurch wird ein künstlicher Postmenopausenstatus herge-
stellt, sodass die ovarielle Hormonproduktion sistiert.
Seit mehr als 10 Jahren werden in zunehmenden Maße Aromatase-
hemmer eingesetzt; diese Medikamentengruppe blockiert die Aromatase,
die in den extraovariellen Geweben (Nebenniere, Fettgewebe), aus Hor-
monvorstufen die wirksamen Formen synthetisiert. Daher dürfen diese
Medikamente nur bei sicherem Postmenopausenstatus angewendet wer-
den. Gemäß vergleichender Studien sind Aromatasehemmer der alleinigen
Tamoxifenbehandlung etwas überlegen, weshalb sie entweder alleine oder
in sequenzieller Kombination mit dem Antiöstrogen zum Einsatz kommen
(5 bzw. 10 Jahre).

Antikörpertherapie
Etwa bei jedem fünften Mammakarzinom ist der Her-2-neu-Rezeptor über-
exprimmiert. Bei Stimulation dieses Rezeptors wird ein Wachstumsreiz
ausgelöst. In den 1990er Jahren wurde ein entsprechender monoklonaler
Antikörper für diesen Rezeptor entwickelt und erfolgreich bei metastasier-
ten Krankheitsverläufen eingesetzt. Es folgten Studien in der adjuvanten
Situation, die zur Zulassung des Medikaments beim frühen Brustkrebs im
Jahr 2006 führten. Die Applikation erfolgt intravenös, in der Regel dreiwö-
chentlich für 1 Jahr.
2.4 · Maligne Tumore der Mamma
53 2
Psychoonkologie Eigene Notizen
Die Diagnose Brustkrebs führt neben den körperlichen Belastungen durch
die multimodale Behandlung auch zu psychosozialem Stress, dem frühest-
möglich Rechnung zu tragen ist. An erster Stelle der potenziellen Begleit-
diagnosen findet man Angst und Depression, gefolgt von anderen Psycho-
pathologien, die sowohl vorübergehend (im Sinne der »Reaktion«), aber
auch chronisch verlaufen können. Man schätzt, dass etwa ein Drittel der
Patientinnen dringend, ein weiteres Drittel deutlich und ein Drittel kaum
von einer psychoonkologischen Therapie profitieren. Zur bestmöglichen
Erfassung der entsprechenden Subgruppe wurden spezielle Fragebögen
entwickelt (mindestens HADS = Hospital Anxiety and Depression Scale
und so genannte Checkliste, gemäß Anforderungskatalog für zertifizierte
Brustzentren NRW).
Es hat relativ lange gedauert, bis die Psychoonkologie ihren Stellenwert
als fester Bestandteil in der Behandlung an Brustkrebs erkrankter Frauen
erhalten hat, evtl. bedingt durch Studiendaten aus der metastasierten Situ-
ation, in der nach Erfolgen (Senkung der Mortalität) Ende der 1980er Jah-
re eine Reevaluation um die Jahrtausendwende keinen solchen Benefit
mehr zeigen konnte.
In neueren Untersuchungen, die den Lifestyle (Bewegung, Ernährung)
berücksichtigten oder ihn mit psychologischen Faktoren (Stimmung,
Compliance, Motivation) kombinierten, konnten in der adjuvanten Situa-
tion hervorragende Ergebnisse erzielt werden (Halbierung von Rezidivge-
fahr bzw. der Mortalität).

2.4.6 Mammakarzinom des Mannes

Das Mammakarzinom des Mannes ist selten und macht <1% aller Brust-
krebsfälle aus (rund 550 Neuerkrankungen in Deutschland pro Jahr).

Therapie
Grundsätzlich erfolgt die Behandlungsstrategie wie bei der Frau, wobei
die spezielle Datenlage aufgrund der geringen Inzidenz entsprechend ge-
ring ist.
Bei der Erstdiagnose sind die Fälle meist fortgeschrittener, sodass meist
(auch wegen der kleineren Brust) eine Mastektomie erfolgt. Die Lymph-
knotenabklärung kann analog zum weiblichen Mammakarzinom auch mit
der Wächtermethode erfolgen (falls klinisch nicht suspekt); ebenso Che-
mo- und Strahlentherapieindikation. Bei der Antihormontherapie stellt die
Therapie mit Tamoxifen den Standard dar, da zu den Aromatasehemmern
keine ausreichende Datenlage existiert.
In der metastasierten Situation gilt die Erkrankung als chronisch und
somit palliativ. Die Therapie zielt auf Symptom- bzw. Tumorkontrolle ab.
Aus sämtlichen genannten Disziplinen (zusätzlich nuklearmedizinische
Verfahren wie SIRT oder radiologisch unterstütze Maßnahmen wie Hoch-
frequenzablation) können Therapieformen (auch Kombinationen) heran-
gezogen werden, wobei die resultierende Lebensqualität an erster Stelle
54 Kapitel 2 · Gynäkologische Onkologie

Eigene Notizen steht. Nur bei höherem Remissionsdruck wird ein aggressiveres Verfahren
gewählt.

2
2.4.7 Interdisziplinäre Tumorkonferenz

Wegen der multidisziplinären und damit komplexen Behandlungsoptionen


beim Mammakarzinom (neoadjuvant, adjuvant, metastasiert) wird die Be-
handlungsstrategie sowohl prä- als auch postoperativ in einem interdiszip-
linären Team besprochen werden, um ein Optimum für die betroffene Pa-
tientin bzw. den betroffenen Patienten zu erzielen.
3

Tag 2 – Gynäkologische Onkologie,


Lageveränderung des Genitals
und Harninkontinenz, Gynäkologische
Endokrinologie

3 Lageveränderungen des Genitals


und Harninkontinenz

3.1 Descensus genitalis – 56


L. Najjari
3.1.1 Allgemeines – 56
3.1.2 Inkontinenz und Descensus genitalis – 57
3.1.3 Einteilung – 57
3.1.4 Klinik – 58
3.1.5 Diagnostik – 59
3.1.6 Therapie – 60

3.2 Funktionsstörungen des unteren Harntrakts – 62


R. Kirschner-Hermanns
3.2.1 Speicherstörungen der Blase – 62
3.2.2 Blasenentleerungsstörungen – 63
3.2.3 Inkontinenz im Alter – 66

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_3,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
56 Kapitel 3 · Lageveränderungen des Genitals und Harninkontinenz

Eigene Notizen 3.1 Descensus genitalis

L. Najjari

3.1.1 Allgemeines
3
Definition nach der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburts-
hilfe (DGGG):
4 Descensus genitalis: Verlagerung von Uterus und Vagina nach kaudal
bis zum Hymenalsaum.
4 Prolaps: Tiefertreten von Uterus und Vagina über den Hymenalsaum
hinaus. ! Cave Im englischsprachigen Raum wird jede Art von Des-
zensus als »prolapse« bezeichnet!

Die Prävalenz von Senkungsproblemen beträgt 30–50% der weiblichen Be-


völkerung.
Anatomische Grundlage sind tonische Kontraktion des M. levator ani
und Sicherung durch stabile Bandstrukturen (z.B. Arcus tendineus) und
festes Bindegewebe → Hiatus urogenitalis geschlossen → stabile Grundlage
für die Beckenorgane.
Pathophysiologisch kommt es zum Deszensus durch Verletzung des
Plexus sacralis/direktes Muskeltrauma/Bandabriss/Nachgeben des Binde-
gewebes → Öffnung des Hiatus urogenitalis → Deszensus von Becken-
organen.
Prädisponierende bzw. Risikofaktoren sind:
4 Prädisponierende Faktoren: traumatische Veränderungen der Becken-
bodenarchitektur, erhöhte intraabdominelle Druckverhältnisse, konsti-
tutionelle Schwäche der Beckenbodenstrukturen (siehe Kasten)
4 Gesicherte Risikofaktoren:
5 Vaginale Geburten (Traumatische Veränderungen des Beckenbo-
dens)
5 Alter und damit verbundener Hormonmangel (zunehmende Schwä-
che des Bindegewebes)
5 Adipositas (erhöhter intraabdomineller Druck)
4 Mögliche Risikofaktoren:
5 Traumatische Veränderungen der Beckenbodenarchitektur:
J Gynäkologische Faktoren: Schwangerschaften, niedriges Alter bei
der ersten Geburt, verlängerte zweite Wehenphase, Geburtsge-
wicht eines Kindes >4500 g
J Hysterektomien
5 Erhöhte intraabdominelle Druckverhältnisse:
J Häufiges Heben schwere Lasten
J Verstopfung
5 Konstitutionelle Schwäche der Beckenbodenstrukturen:
J Positive Familienanamnese
J Form und Orientierung des knöchernen Beckens
J Bindegewebsschwächen (z.B. Marfansyndrom)
3.1 · Descensus genitalis
57 3
3.1.2 Inkontinenz und Descensus genitalis Eigene Notizen

Unterschieden werden:
4 Harninkontinenz: Jeder unwillkürliche Harnabgang
5 Belastungsinkontinenz = Stressinkontinenz: unwillkürlicher
Harnabgang bei körperlicher Betätigung (50%)
5 Dranginkontinenz: Auftreten starken Harndrangs mit unmittel-
barem, unwillkürlichem Harnabgang (25%)
5 Weitere, seltenere Formen und Details s. entsprechendes Kapi-
tel 3.2

Belastungsinkontinenz bei Deszensus


4 70–75% der Deszensus-Patientinnen leiden gleichzeitig an einer Belas-
tungsinkontinenz.
4 Ursache:
5 Defekter Aufhängeapparat von Blasenhals, Urethra und Vagina im
Rahmen eines Deszensus
5 → überhöhter Druck auf die Urethra bei körperlicher Belastung
→ Belastungsinkontinenz

Dranginkontinenz bei Deszensus


4 Bedingt durch den Druck von deszendierten Organen (Uterus, Rektum)
auf die Harnblase

3.1.3 Einteilung

4 Nach Lokalisation:
5 Anteriorer Deszensus:
J Erschlaffen der medianen vorderen Vaginalwand → Deszensus
der vorderen Vaginalwand → Harnblase drückt sich nach (Pul-
sionszystozele)
J Abriss des lateral gelegenen Arcus tendineus → Einfallen der seit-
lichen vorderen Vaginalwände → Harnblase wird nachgezogen
(Traktionszystozele)
5 Apikaler Deszensus: Erschlaffen der Aufhängung von Uterus und
Vagina im Becken → Deszensus von Vagina, Uterus, Blase, Dünn-
darm (Enterozele) und Sigmoideum (Sigmoidozele) möglich
5 Posteriorer Deszensus: Erschlaffen der posterioren Vaginalwand
durch Riss in der Fascia rectovaginalis → Deszensus von Rektum
(Rektozele), Dünndarm und Dickdarm möglich.
4 Nach Schweregrad: . Tabelle
58 Kapitel 3 · Lageveränderungen des Genitals und Harninkontinenz

Eigene Notizen . Tab. 3.1 Deszensusklassifikation nach POP-Q (Pelvic organ prolapse Quantifica-
tion) der ICS (Internationale Continence Society)

Stadium Definition

0 Kein Prolaps
3 I Die größte distale Prolapsausdehnung befindet sich mehr als 1 cm
proximal des Hymenalsaums

II Die größte Prolapsausdehnung befindet sich weniger als 1 cm


proximal oder distal des Hymenalsaums

III Die größte Prolapsausdehnung befindet sich mehr als 1 cm distal


des Hymenalsaums, überschreitet ihn aber um nicht mehr als 2 cm
weniger als die Gesamtlänge der Vagina

IV Kompletter Prolaps der gesamten Vaginallänge

3.1.4 Klinik

Anamnese
Befragung nach:
4 Symptomen (s.u.)
4 Bisherigen Therapien
4 Geburten (Spontangeburt/Sectio)
4 Früheren chirurgischen Eingriffen, v.a. im kleinen Becken
4 Beruflicher Tätigkeit (schweres Heben?)
4 Mobilität
4 Leidensdruck
4 Komorbiditäten (Inkontinenz/Blasenentleerungsstörungen)
4 Medikamenten (Hormone?)
4 Miktions- und/oder Stuhlbeschwerden
4 Harn- und Stuhlinkontinenz

Häufige Symptome bei Deszensus- und Prolapspatientinnen sind:


4 Allgemeine Symptome bei allen Deszensus-Formen:
5 Fremdkörper- und Druckgefühl
5 Fühlen einer Organvorwölbung
5 Blasenentleerungsstörung
4 Symptome bei Descensus uteri:
5 Dyspareunie
5 Rückenschmerzen
4 Symptome bei Zystozele:
5 Deszensus Grad I–II → Absinken der Blase: Inkontinenz und/oder
häufiger Harndrang
5 Deszensus Grad III–IV → Abknicken der Urethra: Schwacher Harn-
strahl, verzögerte/verlängerte Miktion, Gefühl der unvollständigen
Entleerung bis hin zum Harnverhalt, Miktion nur nach manueller
Reposition des Prolaps möglich, rezidivierende Harnweginfekte
3.1 · Descensus genitalis
59 3

4 Symptome bei Rektozele: Eigene Notizen


5 Obstruktionsgefühl
5 Defäkation nur bei starkem Pressen möglich
5 Defäkation nur nach manueller Reposition des Prolaps möglich
5 Stuhldrang

3.1.5 Diagnostik

4 Gründliche Inspektion von Vulva, Introitus und Anus:


5 Zustand nach Dammriss oder -schnitt, Atrophien?
5 Falls vorhanden, Deszensus/Prolaps inspizieren: Erosionen? Ulze-
rationen?
5 Andere Auffälligkeiten: karzinomverdächtige Läsion → Biopsie
4 Palpation des Beckens:
5 Vaginal
5 Bimanuell = vaginal und rektal gleichzeitig
5 In Ruhe und beim Pressen
5 Beckenbodenevalutation: Stärke, Ausdauer und Symmetrie der Be-
ckenbodenmuskulatur in Ruhe und Kontraktion
4 Rektale Untersuchung:
5 Tonus des Analsphinkters in Ruhe und Kontraktion
5 Rektozele?
4 Neurologische Basisuntersuchung:
5 Bulbokavernosus-Reflex: Leichter Druck auf Klitoris führt zu Zu-
ckungen des Introitus
5 Sphinkter-ani-Reflex: Kontraktion des Sphinkters nach Berührung
der Perianalhaut
5 Symmetrie der Reflexe?
4 Spekulumeinstellung:
5 Charakterisierung des Deszensus nach ICS: anterior, posterior
oder apikal?
5 Fixierung der anterioren Vaginalwand mithilfe eines Spekulums →
Patientin pressen lassen → Vorwölbung des Rektums oder des Sig-
moids von posterior → posteriorer Deszensus (Rektozele/Sigmoido-
zele)
5 Fixierung der posterioren Vaginalwand:
J → Vorwölbung der Vaginalwand und Harnblase von anterior →
anteriorer Deszensus (Pulsionszystozele)
J → Einfallen der seitlichen Vaginalwände und der Harnblase von
anterolateral → anteriorer Deszensus (Traktionszystozele)
5 Fixierung der anterioren und posterioren Vaginalwand → Absen-
kung von Vagina, Apex, Uterus, Darm → apikaler Deszensus (bei
Darm-Prolaps Enterozele)
4 Quantifizierung des Deszensus nach POP-Q . Tabelle
5 International anerkannte, standardisierte Messung von neun ver-
schiedenen anatomischen Punkten, die das Ausmaß des Deszensus
recht präzise wiedergeben
60 Kapitel 3 · Lageveränderungen des Genitals und Harninkontinenz

Eigene Notizen 5 Orientiert sich stets an einer anatomisch fixen Struktur, dem Hymen
→ bessere Reproduzierbarkeit der Untersuchung
5 Vorgehen:
J Vorsichtiges Fixieren der Portio mithilfe eines Entenschnabel-
spekulums → Patientin pressen lassen → Spekulum langsam, dem
3 Deszensus folgend herausziehen → maximales Ausmaß der Ab-
senkung notieren
4 Urologische Untersuchungen: Harninkontinenz/Harnverhalt = häu-
fige Komorbidität
5 Harnweginfekt ausschließen!
5 Restharn-Bestimmung: <100 ml
5 Stress-Test: Harnhaltevermögen unter Belastung (Husten)
J Patientin mit gefüllter Blase und reponiertem Deszensus stehend
und liegend husten lassen → Abgang von Urin notieren
5 Pad-Test: Quantifizierung von Harnabgang im Alltag
J Wiegen einer Damenbinde → Patientin legt Binde ein und führt
alltägliche Bewegungen durch, die den Abgang von Harn verur-
sachen können (Treppenlaufen, Heben, Laufen) → nochmaliges
Wiegen der Binde
5 Urethrozystoskopie: Abklären unklarer Befunde
5 Urodynamik:
J Detaillierte Darstellung des Druck- und Flussverlaufs während
der Blasenfüllung und der Miktion
J Keine Routineuntersuchung: zur weitergehenden Diagnostik der
Harninkontinenz und nach Expertenmeinung obligat zur prä-
operativen Vorbereitung
J Ausführlichere Beschreibung im Abschnitt 3.2
4 Bildgebende Untersuchungen:
5 Vaginalsonografie:
J Zur präoperativen Abklärung und Ausschluss weiterer Befunde
J Sonografische Hinweise auf Endometrialkarzinom oder Ovarial-
karzinom?
5 Perinealsonografie:
J Beurteilung von Urethralage und –verlauf (z.B. Abknicken), von
Harnblase
J Ausschluss von Pathologien der unteren Harnwege (Tumore, Zys-
ten, Abszesse, …).
J Kostengünstig, nicht invasiv und gut akzeptiert
5 MRT und Röntgen: kaum Relevanz in der klinischen Routine

3.1.6 Therapie

Konservative Therapie
Beobachtung und Physiotherapie
4 Bei Frauen mit geringgradigem Deszensus (POP-Q Grade I–II) ohne
Einschränkung im Alltag.
3.1 · Descensus genitalis
61 3

4 Regelmäßiges Beckenbodentraining: Eigene Notizen


5 Nur bei geringgradigem Deszensus indiziert, da bei höhergradigen
Zuständen kein Nutzen
5 Einteilung der Beckenbodenfunktionalität in akontraktil, hypo-
kontraktil und gut kontraktil
5 Beckenbodentraining kann
J dem Deszensus prophylaktisch entgegenwirken
J die Progression des Deszensus hinauszögern
J zum Erhalt der Harn- und Stuhlinkontinenz beitragen

! Cave Ein hoher Leidensdruck, Komplikationen wie Obstruktion, Harn-


verhalt und Hydronephrose sowie Erosionen von Vagina und prolabierten
Organen stellen in jedem Fall eine Indikation zur Behandlung dar.

Lokale Östrogenisierung
4 Vaginale Applikation östrogenhaltiger Salbe
4 Indiziert bei allen postmenopausalen Frauen (außer bei vorhandener
systemischer Hormontherapie)
4 Wirkung: Wiederaufbau der atrophierten Schleimhaut → trägt zur Fes-
tigkeit des Bindegewebes bei und kann die Deszensus- und Inkonti-
nenzsymptomatik mildern

Pessare
4 Einzige nichtinvasive Therapie
4 Therapieziel:
5 Reduktion der Deszensusbeschwerden durch:
J Unterstützung der Beckenstrukturen
J Druckentlastung von Harnblase und Darm
4 Plastik- oder Silikonprodukte unterschiedlicher Form
4 Indikation:
5 Bei Patientinnen, die eine Operation ablehnen
5 Zur Überbrückung des Intervalls bis zur Operation
5 Bei Patientinnen, die wegen Komorbiditäten für eine Operation
nicht infrage kommen
5 Bei Schwangerschaftsbedingtem Deszensus mit Harninkontinenz
4 Passender Sitz des Pessars: ein Finger Platz zur Vaginalwand
4 Patientin sollte selbst in der Lage sein, den Pessar einzulegen und zu
entfernen
4 Applikation immer gemeinsam mit vaginaler Östrogensalbe (verein-
fachtes Einlegen des Pessars und gleichzeitige lokale Östrogenisierung
→ Verhinderung von Erosionen)
4 Regelmäßige Kontrolluntersuchungen:
5 Ausschluss von pessarbedingten Erosionen und Ulzerationen
5 Auftreten neuer Symptome ?
62 Kapitel 3 · Lageveränderungen des Genitals und Harninkontinenz

Eigene Notizen Operative Therapie


4 Ziel:
5 Reposition und Fixierung der prolabierten Organe
5 Beheben der Symptome
5 Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Sexualfunktion
3 4 Begleitende Hysterektomie?
5 Je nach Alter und Familienplanung der Patientin
5 Bei Beschwerden (perimenopausale Blutungen, Malignome)
4 Zugangswege: Vaginaler (80–90%) und abdomineller (10–20%) Zugang
4 Korrektur eines anterioren Deszensus:
5 Pulsationszystozele: Anteriore Kolporrhaphie: mediane Kolpotomie
→ Raffung der endopelvinen Faszie → Naht in der Medianlinie
5 Traktionszystozele: Kolpotomie → Darstellung des Abriss am Arcus
tendineus → Fixation an der endopelvinen Faszie und der Fascia
obturatoria → Naht in der Medianlinie
5 Ergebnisse: bei 75–97% dauerhafte Fixation
4 Korrektur eines apikalen Deszensus:
5 Abdominale sakrale Kolpopexie: Aufhängung der oberen Vagina in
Höhe des Promontorium mit oder ohne Netzinterponat
5 Vaginale sakrospinale Fixation nach Amreich-Richter: Aufhängung
der oberen Vagina/Zervix am Ligamentum sacrospinale
5 Ergebnisse: 97% dauerhafte Suspension
4 Korrektur eines posterioren Deszensus:
5 Spaltung der hinteren Scheidenwand → Raffung und Vernähung des
Fasziendefekts → Raffung des rektovaginalen Bindegewebes → Raf-
fung des abgesenkten Perinealgewebes und Aufbau einer neuen
posterioren Kommissur
4 Rezidivquote: je nach Operationsmethode 20–40% (nach 3–5 Jahren)
4 Komplikationen:
5 Verengung der Scheide
5 Blasenläsionen
5 Darmläsionen
5 Harninkontinenz
5 Kohabitationsbeschwerden
5 Vesikovaginale Fisteln

3.2 Funktionsstörungen des unteren Harntrakts

R. Kirschner-Hermanns

3.2.1 Speicherstörungen der Blase

4 Instabile oder kleinkapazitäre Blase:


5 Syndrom der überaktiven Blase (ÜAB) mit oder ohne Urinverlust
– häufig im Alter und bei neurogenen Blasenfunktionsstörungen,
z.B. bei Diabetes mellitus, Parkinson-Krankheit, Multiple Sklerose,
nach Apoplex und bei diversen Demenzformen
3.2 · Funktionsstörungen des unteren Harntrakts
63 3

4 Insuffizienter Blasenverschluss: Eigene Notizen


5 Beckenbodeninsuffizienz – Deszensus der Blase und/oder Harn-
röhre insbesondere bei Frauen
5 Extraurethrale Inkontinenz bei dystop angelegten Harnleitern oder
Epispadie (angeboren) oder bei Fisteln

3.2.2 Blasenentleerungsstörungen

Pathogenese
4 Atone Blase, Detrusorhypotonie:
5 z.B. bei neurogenen Blasenfunktionsstörungen, aber auch im Alter,
bei Diabetes mellitus etc.
5 Überlaufinkontinenz
4 Infravesikale Obstruktion:
5 Funktionell bei Detrusor/Sphinkterdyssynergie bei neurogenen
Blasenfunktionsstörungen
5 Organisch bei Frauen bei ausgeprägtem Prolaps

Klinik
4 Urinverlust bei körperlicher Bewegung, beim Husten, Niesen und La-
chen: Belastungsinkontinenz
4 Pollakisurie (häufiges Wasserlassen – definiert als >8 Miktionen am Tag
bei einer Trinkmenge von 1,5–2 l), Drangsymptomatik: überfallartiger,
nicht oder nur schwer unterdrückbarer Harndrang, Nykturie: nächt-
liches Wasserlassen ≥2-mal, Überaktives Blasensyndrom (ÜAB) ohne
oder mit Urinverlust (Dranginkontinenz))
4 Bei zentraler oder peripherer Nervenläsion Blasenspeicher- und Entlee-
rungsstörungen möglich: neurogene Blasenstörung
4 Ständiger Urinverlust ohne Sensorik: extraurethrale Inkontinenz

Diagnostik
Einfache Diagnostik umfasst:
4 Anamnese einschließlich Erfassung von Komorbidität, Trink- und Mik-
tionsverhalten (Blasen- oder Miktionstagebuch), Medikamentenanam-
nese
4 Körperliche Untersuchung bei Frauen rektovaginale Untersuchung (u.a.
Identifizierung verschiedener Formen eines Prolapses: Zystozele, Ente-
rozele, Rektozele, Gebärmuttervorfall)
4 Ultraschall von Blase (RH), ggf. Nierensonografie
4 Vorlagenwiegetest (Padtest)
4 Freier Uroflow ist eine sensitive, aber wenig spezifische Screeningme-
thode (nichtinvasive Bestimmung der Harnflussrate während der Mik-
tion [Menge pro Zeiteinheit gemessen in ml/s])
4 Grob neurologische Abklärung (Sensorik, Auslösbarkeit von Sphinkter-
und Bulbus-cavernosus-Reflex)
64 Kapitel 3 · Lageveränderungen des Genitals und Harninkontinenz

Eigene Notizen Weiterführende Diagnostik


4 (Video) Urodynamik (Blasendruckmessung): Kontinuierliche
Füllung der Blase mit physiologischer, möglichst auf Körpertempe-
ratur angewärmter, Natriumchloridlösung über einen doppellumi-
gen Blasenkatheter. Dabei Messung des Blasendrucks über einen
3 Kanal des Katheters, sowie zeitgleiche Messung des abdominalen
Drucks über einen rektal eingelegten Messkatheter. Vesikaler und
rektaler Druck werden gemessen. Der Detrusordruck ist ein errech-
neter Druck aus der Differenz von vesikalem und rektalem Druck:
pDet = pAbd – pVes.
5 Zystometrie: Beurteilung der Speicherfunktion der Harnblase und
der Funktion der Detrusormuskeln (insbesondere Beurteilung von
Detrusorüberaktivitäten, Blasenkapazität, Compliance und Ein-
schätzung der Blasensensorik)
5 Druckflussmessung: Beurteilung einer infravesikalen Obstruktion
durch Evaluation von dem Detrusordruck bei maximalem Flow in
Bezug zum maximalen Flow
5 Urethradruckprofilmessung: Beurteilung der Kompetenz der Harn-
röhre (in seiner Aussagekraft umstritten)
4 Miktionszystourethrogramm – radiologische Darstellung der Blase
und der Harnröhre während der Miktion:
5 Darstellung der Blasenkonfiguration (z.B. neurogene Konfigura-
tion)
5 Grobe Beurteilung der Blasenwand (Trabekulierung, Divertikel)
5 Insbesondere bei Detrusor/Sphinkter-Urethrae-Externum-Dys-
synergie, Beurteilung der hinteren Harnröhre
5 Beurteilung der Öffnung des Blasenhalses
5 Detektion eines Refluxes
5 Identifizierung von Blasen/Darm- oder Blasen/Scheidenfisteln
4 Perinealer oder intravaginaler Ultraschall
5 Identifikation von Zystozele, Enterozele und Rektozele
5 Beurteilung der Mobilität der Harnröhre
5 Pathologie der Urethra – Urethraldivertikel, paraurethrale Zyste
(Skenedrüse)
5 Gynäkologische Begleitpathologie an Uterus und Parametrien
4 Doppelballonurethrogramm (Identifizierung von Harnröhrendiverti-
keln bei der Frau)
4 Zystoskopie:
5 Ausschluss von Blasentumor, Blasenstein, Fisteln, in die Blase infilt-
rierende Tumoren, Zystitiden (z.B. Blutungsneigung bei Dehnung
und/oder Hunner-Ulzera bei Interstitieller Zystitis)
5 Beurteilung der Ureterostien (bei Verdacht auf Reflux, Ureterdop-
pelanlage)
3.2 · Funktionsstörungen des unteren Harntrakts
65 3
Therapie Eigene Notizen
4 Belastungsinkontinenz:
5 Konservativ:
J Beckenbodentraining
J Biofeedback zur besseren Wahrnehmung der Beckenbodenmus-
kulatur
J Duloxitin (Serotonin-Reuptake-Hemmer)
5 Operativ:
J Suburethral eingelegte Schlingen (tension free vaginal tape [TVT],
oder – falls transobturatorisch eingelegt: TVT-O bei Frauen)
J Bei nicht feststehendem Vaginalstumpf Sacrovaginopexie ggf. mit
Einlage einer suburethralen Schlinge, bei Prolaps diese korrigie-
rende Operation mit oder ohne alloplastisches Material.
J Blasenhalssuspension (wird heute seltener durchgeführt)
J Unterspritzung des externen urethralen Sphinkters bei intrin-
sischer Sphinkterschwäche (in seiner Wirksamkeit umstritten)
J Implantation eines künstlichen Schließmuskels (wird bei Frauen
selten durchgeführt)
4 ÜAB (Dranginkontinenz):
5 Konservativ:
J Miktions- und Blasentraining, bei dementen Patienten Miktion
nach Aufforderung
J Pharmakologische Therapie (insbesondere antimuskarinerg wir-
kende Medikamente)
J Umstellung der Lebensweise (Anpassung von Trinkmenge, Um-
gebungsmodifikation, Medikamentenumstellung etc.)
J Infravesikale Medikamentengabe in ausgesuchten Fällen (Oxybu-
tenin, Hyaluronsäure, etc.)
J Botulinumtoxin-A-Injektion (Off-Label-Therapie)
J Elektrostimulationstherapie (vaginale oder rektale Elektrostimu-
lation, Magnetstimulationstherapie, TENS, tibiale Elektrostimu-
lation)
5 Operativ:
J Invasive Elektrostimulationstherapie (Implantation einer Sacro-
modulationssonde)
J Blasenaugmentation mit Darm als ultimo ratio bei Patienten mit
ausgeprägtem Befund, hohem Leidensdruck und längerer Le-
benserwartung
4 Neurogene Inkontinenz:
5 In Abhängigkeit der Blasenfunktionsstörung, vorrangiges Ziel ist
der Schutz des oberen Harntrakts, sollte in Zusammenarbeit mit der
Urologie diagnostiziert und behandelt werden
5 Bei Detrusorhypo- oder -atonie:
J Sauberer Einmalkatheterismus
J In ausgesuchten Fällen Sakromodulationsbehandlung oder Im-
plantation eines Vorderwurzelstimulators
66 Kapitel 3 · Lageveränderungen des Genitals und Harninkontinenz

Eigene Notizen 5 Bei Detrusorüberaktivität


J Antimuskarinerge Therapie
J Instillationstherapie mit Botulinumtoxin A (noch off label)
J In ausgesuchten Fällen Blasenaugmentation ggf. mit Anlage eines
kontinenten Stomas
3 4 Extraurethrale Inkontinenz:
5 Operativ: In Abhängigkeit von der Ursache: Neuimplantation des
Harnleiters oder Fistelverschluss je nach Größe und Lage über einen
transvaginalen oder abdominalen Zugang.

3.2.3 Inkontinenz im Alter

Epidemiologie
4 Die deutsche Kontinenzgesellschaft schätzt die Anzahl der Betroffenen
auf 6–7 Mio. in Deutschland. Die Dranginkontinenz (ÜAB) ist dabei die
häufigste Inkontinenzform im Alter. (>60 Jahre 11% und bei >80-Jäh-
rigen nahezu 30%)
4 Hohe Bedeutung für Lebensqualität (z.B. Depression, Stürze, Hautkom-
plikationen, soziale Isolierung, Krankenhauseinweisungen, Pflegeheim-
aufnahmen und höhere Mortalität)

Pathophysiologie
Im Alter gilt:
4 Die Blasenkapazität nimmt ab.
4 Die Kontraktilität des Detrusors nimmt ab und die Restharnmengen
nehmen zu.
4 Bei Frauen nehmen der Harnröhrenverschlussdruck und die Harnröh-
renlänge ab.
4 Die Hauptflüssigkeitsmenge wird in der Nacht ausgeschieden.
4 Ein bis zwei Episoden von Nykturie bei leichterem Schlaf sind normal.

Folgende Faktoren beeinflussen insbesondere im Alter die Harninkonti-


nenz:
4 Verschiedene Medikamente:
5 Anticholinerge Medikamente (Detrusorhypotonie)
5 α-Blocker (Verminderung des Harnröhrenwiderstandes)
5 Antiepileptika (Verwirrung, Ataxie)
5 Antihypertonika (Müdigkeit/ Einschränkung der Mobilität)
5 Antiarrhythmika (Disopyramide) Tachykardie
5 Schleifendiuretika (Steigerung der Drangsymptomatik)
5 Schlaf-/Beruhigungsmittel (Reduktion der Vigilanz)
5 Narkosemedikamente, Spinalanästhesie (Detrusorhypotonie)
5 ACE-Hemmer (induzieren Husten)
5 Alkohol, Koffein (fördern Diurese und steigern Drangsympto-
matik)
4 Harnweginfekte
4 Lokale Faktoren des unteren Genitale insbesondere bei Frauen
3.2 · Funktionsstörungen des unteren Harntrakts
67 3

4 Polyurie Eigene Notizen


4 Eingeschränkte Mobilität
4 Obstipation
4 Zentralnervöse Störungen
4 Verwirrung
4 Psychische Erkrankungen
4 Komorbidität, insbesondere Diabetes mellitus

Therapie
4 Konservativ:
5 Blasen- und Miktionstraining – insbesondere Miktion nach der Uhr
oder nach Aufforderung
5 Beckenbodentraining zur besseren Wahrnehmung und zur Unter-
stützung des Blasentrainings
5 Anpassung der Trinkgewohnheit
5 Anpassung der häuslichen Umgebung (Toilettenstuhl, barrierefreier
Zugang zur Toilette, angemessene Kleidung)
4 Pharmakologische Therapie:
5 ! Cave Bei einer antimuskarinergen Therapie im Alter muss ins
Besondere auf zentralnervöse und kardiale Nebenwirkungen geach-
tet werden.
5 Es sind möglichst Medikamente zu wählen, die die Blut/Hirnschran-
ke weniger leicht passieren und/oder in der Rezeptorselektivität
Vorteile bieten.
5 Grundsätzlich ist bei der antimuskarinergen Therapie im Alter Fol-
gendes zu beachten:
J Die Blut-Hirn-Schranke wird durchlässig
J Altersbedingte Defizite bei den Neurotransmittern
J Metabolismus und Elimination von Arzneimitteln sind verlang-
samt
J Kumulative Effekte durch Einnahme mehrerer anticholinerger
Substanzen (Polypharmazie)
J Gefahr der Missdeutung medikamentös bedingter Nebenwir-
kungen als altersbedingte Veränderungen
5 Mögliche Nebenwirkungen einer antimuskarinergen Therapie:
J Auge: Mydriasis, Augeninnendruckerhöhung
J Gastrointestinaltrakt: Mundtrockenheit, Übelkeit, Obstipation
J Herzkreislaufsystem: Tachykardien
J Urogenitaltrakt: Restharnbildung
J Zentrales Nervensystem: Unruhe, Verwirrtheit, Delir
4 Operative Therapie:
5 Bei entsprechender Indikation auch im Alter gerechtfertigt.
5 ! Cave Operative Therapie bei Patienten mit neurogenen Erkran-
kungen, insbesondere Parkinson-Krankheit und Multiple Sklerose.
4

Tag 2 – Gynäkologische Onkologie,


Lageveränderung des Genitals
und Harninkontinenz, Gynäkologische
Endokrinologie

4 Gynäkologische Endokrinologie
B. Rösing und J. Neulen

4.1 Allgemeines – 69

4.2 Initiale Diagnostik – 69

4.3 Ovarialinsuffizienz – 70
4.3.1 Hyperandrogenämische Ovarialinsuffizienz – 70
4.3.2 Hypothalamisch-hypogonadale Ovarialinsuffizienz – 72
4.3.3 Hyperprolaktinämische Ovarialinsuffizienz – 73
4.3.4 Primäre Ovarialinsuffizienz – 73

4.4 Störungen der Menstruationsblutungen – 74

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_4,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
4.2 · Initiale Diagnostik
69 4
4.1 Allgemeines Eigene Notizen

Die hormonelle Steuerung des weiblichen Zyklus stellt eine komplizierte


Abfolge von endokrinen Ereignissen dar. Zunächst muss die Follikelreifung
durch das hypothalamisch/hypophysäre System so gesteuert werden, dass
in der Regel ein Follikel bis zur Ovulation ausreift und anschließend eine
fertilisierbare Eizelle freisetzt.
Das hypothalamische Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH)
wird in pulsatiler Weise während der ersten Zyklusphase alle 90 min
ausgeschüttet. Es gelangt über ein Pfortadersystem in die Hypophyse
und regt hier die Produktion und Sekretion von Follikel-stimulieren-
dem Hormon (FSH) und luteinisierendem Hormon (LH) an. Bei der
Frequenz von 90 min werden beide gonadotropen Hormone in etwa
gleicher Menge sezerniert. Wegen der längeren Halbwertszeit von FSH
überwiegt FSH zu Beginn des Zyklus. Mit der finalen Reifung des Fol-
likels steigt die Produktion von Östradiol in den Granulosazellen. Dies
führt zu einer Verkürzung der Frequenz von GnRH. Daher nimmt die
Produktion und Sekretion von LH zu. Mittzyklisch wird dann eine große
LH-Menge sezerniert, welche durch Induktion von Eikosanoiden und
Matrix-Metalloproteinasen die Ovulation hervorruft. In der zweiten Zyk-
lusphase wird die GnRH-Pulsfrequenz langsamer (ca. alle 120–240 min).
Dies ist wichtig, damit die Corpus-luteum-Funktion nicht vorzeitig ver-
siegt.
Zahlreiche endokrine Störungen können diese Steuerung des weib-
lichen Zyklusgeschehens kompromittieren. Dazu gehören:
4 Hyperprolaktinämie
4 Hyperandrogenämie
4 Hypo- und Hyperthyreose
4 Störungen des Glukosestoffwechsels

4.2 Initiale Diagnostik

Diagnostisch wichtig sind:


4 Zyklusanamnese
4 Messung von BMI, Bauchumfang, waist to hip ratio (W/H)
4 Basishormonuntersuchung der Parameter Follikel-stimulierendes Hor-
mon (FSH), Estradiol (E2), Prolaktin (PRL), und Thyroidea-stimulie-
rendes Hormon (TSH) am 3., 4. oder 5. Zyklustag. Beginn der Menstru-
ationsblutung ist der 1. Zyklustag
4 Progesteronbestimmung am 21.–23. Zyklustag
4 Funktionstests:
5 Gestagentest:
J Täglich Medroxyprogesteronacetat 10 mg oder Dydrogesteron
20 mg über 10 Tage
J Anschließende Blutung zeigt vorherige Östrogenisierung des
Endometrium
70 Kapitel 4 · Gynäkologische Endokrinologie

Eigene Notizen 5 Clomifentest:


J Clomifencitrat Gabe 50–100 mg/Tag vom 4.–9. Zyklustag nach
induzierter Menstruationsblutung. Anschließende Blutung nach
2–3 Wochen zeigt Stimulierbarkeit des Ovars.
5 GnRH-Test:
J Bestimmung des Gonadotropinanstiegs nach GnRH i.v.-Gabe.
LH- und FSH-Bestimmung nach 0 min, 30 min und 60 min. Das
Sekretionsmuster zeigt das Ausmaß der hypothalamisch-hypo-
4 physären Störung.
5 ACTH-Test:
J Bestimmung des 17α-OH Progesteron nach ACTH i.v.-Gabe zum
Zeitpunkt 0 min, 30 min und 60 min. Bei überschießendem An-
stieg besteht Verdacht auf ein heterozygotes Adrenogenitales
Syndrom (late onset AGS). Sicherung der Diagnose molekular-
diagnostisch (21-Hydroxylasemangel, 3-β-Hydroxysteroid-De-
hydrogenasemangel, 11-β-Hydroxylasemangel)
5 Oraler Glukosetoleranztest (OGTT) mit Insulinbestimmung:
J Bestimmung der Glukose und Insulinkonzentration im Serum
zum Zeitpunkt 0 min, 60 min und 120 min nach oraler Glukose-
applikation (75 g). Diagnostik einer verminderten Glukosetole-
ranz oder eines Diabetes mellitus.
5 Homeostasis Model Assessment (HOMA) Index: Berechnung des
Quotienten aus nüchtern Glukose-Wert zu nüchtern Insulin-
Wert:
J Insulin (nüchtern, μU/ml) × Blutzucker (nüchtern, mg/dl)/405
J Diagnostik einer Insulinresistenz

4.3 Ovarialinsuffizienz

Störung der Eizellreifung und der endokrinen Funktion. Pathophysio-


logisches Kontinuum von Corpus-luteum-Insuffizienz über Anovulation
mit regulären Blutungsintervallen oder Oligomenorrhoe bis zur Amenor-
rhoe.

4.3.1 Hyperandrogenämische Ovarialinsuffizienz

Pathophysiologie
4 Häufigste Ursache der Ovarialinsuffizienz
4 Erhöhte Androgenwerte mit Dysbalance der Gonadotropinauschüttung
(LH > FSH)
4 Erhöhte LH-Konzentration stimuliert Androgensynthese in ovariellen
Thekazellen
4 Relativer FSH-Mangel mindert Aromatisierung der Androgene zu Ös-
trogenen in ovariellen Granulosazellen
4 Circulus vitiosus mit follikulärem Wachstumsarrest und Oligo-/Anovu-
lation
4.3 · Ovarialinsuffizienz
71 4

4 Eine Insulinresistenz mit konsekutiver Hyperinsulinämie kann die An- Eigene Notizen
drogenproduktion steigern. Insulin und Insulin like Growth Factor
(IGF) können als Co-Gonadotropine LH-artig wirken.
4 Androgene (Testosteron, Androstendion und DHEA) werden etwa zu
gleichen Anteilen ovariell und adrenal freigesetzt. DHEAS ist fast aus-
schließlich adrenaler Herkunft. Das hepatische Sexualhormonbindende
Globulin (SHBG) bindet freies Testosteron und vermindert dessen An-
drogenisierungseffekte.

Klinik
Das klinische Ausmaß der Symptomatik ist sowohl von der Serumkonzen-
tration der Androgene als auch der Dauer der Hyperandrogenämie ge-
prägt.
Klinische Symptome sind:
4 Oligo- und Amenorhoe
4 Seborrhoe, Effluvium, Hirsutismus – Umwandlung von Velushaar in
Terminalhaar mit männlichem Verteilungsmuster (Oberlippe, Kinn/
Wangen, Brust, Schulter, oberes Abdomen, unteres Abdomen, Rücken,
Oberschenkel, Glutealbereich)
4 Virilisierungserscheinungen sind irreversibel (Absinken der Stimmfre-
quenz, Klitorishypertrophie, Zunahme der Muskulatur, Vermännli-
chung der Körperkontur) und zeigen eine ausgeprägte Hyperandrogen-
ämie an.
4 Acanthosis nigricans findet sich bei Insulinresistenz

Diagnostik
Diagnostisch wichtig sind:
4 Zyklusanamnese
4 Gewicht, Größe, BMI, waist to hip ratio (W/H)
4 Ferriman-Gallwey-Score zur Beurteilung des Hirsutismus. Bewertung
der Intensität der Terminalbehaarung in 9 Körperregionen (Oberlippe,
Kinn/Wangen, Brust, Schulter, oberes Abdomen, unteres Abdomen,
Rücken, Oberschenkel, Glutealbereich) jeweils von Grad 0–4
4 Hormonuntersuchung am 3.–5. Zyklustag (LH, FSH, Androgene,
SHBG)
4 Sonografische Beurteilung der Ovarien, polyzystische Ovarien nach
Rotterdam-Kriterien = mehr als 12 Follikel <11 mm, Ovarvolumen
(h × b × t × 0,5) >10 mm3
4 Zyklusbeobachtung mittels Ultraschall und Hormonbestimmung (Zyk-
lusmonitoring)
4 ACTH-Test, GnRH-Test, oGTT, HOMA

Therapie
4 Ausdauersport, kohlenhydratarme Ernährung und Gewichtsreduktion
senken die Hyperinsulinämie.
4 Bei adrenal bedingter Hyperandrogenämie niedrig dosiert Dexame-
thason
72 Kapitel 4 · Gynäkologische Endokrinologie

Eigene Notizen 4 Bei Kinderwunsch ovarielle Stimulation mit Clomifencitrat, ggf. zusätz-
liche Metformingabe (off-label use) Gonadotropinbehandlung s.c.
! Cave Geringe therapeutische Breite der Medikamente. Engmaschige
Überwachung der Stimulationsbehandlung zur Vermeidung einer ova-
riellen Überreaktion ist obligat.
4 Ohne Kinderwunsch:
5 Erste Wahl ist ein Ovulationshemmer mit antiandrogen wirksamem
Gestagen
4 5 Alternativ antiandrogen wirksame Medikamente: Spironolacton,
Finasterid, Flutamid

4.3.2 Hypothalamisch-hypogonadale Ovarialinsuffizienz

Pathophysiologie
4 Verminderte hypothalamische GnRH-Pulsatilität in Frequenz und
Amplitude
4 Konsekutiv reduzierte Gonadotropinausschüttung in variablem Aus-
maß
4 Ursächlich sind starker Gewichtsverlust, Anorexie, Kachexie, starker
Stress, Leistungssport, Allgemeinerkrankungen (Hämochromatose,
Trypanomosiasis, Thalassämie, Multiple Sklerose, Histiozytose), Raum-
forderungen im Hypothalamus-Hypophysen-System, Kallmann-Syn-
drom

Klinik
Abhängig vom Schweregrad der Störung entwickeln sich Corpus-luteum-
Insuffizienz, Anovulation und Oligo-/Amenorrhoe.

Diagnostik
4 Zyklusanamnese
4 Gewichtsmessung
4 Gestagentest
4 GnRH-Test

Therapie
4 Korrektur des Körpergewichts auf BMI >20
4 Bei Kinderwunsch ovarielle Stimulation mit:
5 Pulsatiler GnRH-Therapie mit GnRH-Pumpe
5 Clomifenstimulation 50–100 mg/Tag an Zyklustag 4–9 nur bei ge-
ring reduzierter GnRH-Sekretion möglich
5 Gonadotropinbehandlung s.c.
4 Ohne Kinderwunsch:
5 Ovulationshemmer/Hormonersatztherapie mit Östrogen-Gestagen-
kombination
4.3 · Ovarialinsuffizienz
73 4
4.3.3 Hyperprolaktinämische Ovarialinsuffizienz Eigene Notizen

Pathophysiologie
4 Pharmakologisch (Psychopharmaka, Antimemetika, Antihypertensiva)
oder tumorbedingt gestörte hypothalamische Dopaminsekretion in das
Portalvenensystem
4 Verminderte Hemmung der hypophysären Prolaktinfreisetzung
4 Stress, Hypothyreose, physiologisch in der Schwangerschaft und Still-
zeit
4 Sehr selten renale und hepatische Insuffizienz, Thoraxwandtrauma
4 Entwicklung eines Mikro- oder Makroprolaktinoms (>1 cm)

Klinik
4 Hypogonadismus
4 Amenorrhoe
4 Infertilität
4 Galaktorrhoe
4 Hyperandrogenämie
4 Bitemporale Hemianopsie durch Druck eines Makroprolaktinoms auf
das Chiasma opticum

Diagnostik
4 Prolaktinmessung im Serum
4 Kovalent gebundene Prolaktinpolymere (big-big prolactin) haben ge-
ringere biologische Aktivität und können durch Polyethylenglukol
(PEG)-Fällung erkannt werden
4 MRT der Hypophyse bei hohen Prolaktinwerten zum Ausschluss eines
Makroprolaktinoms

Therapie
4 Behandlung mit Dopaminagonisten (Cabergolin, Bromocriptin, Quina-
golid, Lisurid) ! Cave Risiko einer Herzklappenveränderung unter
Cabergolintherapie berichtet.
4 Neurochirurgische Therapie bei pharmakoresistentem Makroprolakti-
nom
4 Kontraindikation gegen Dopaminagonisten bei durch Psychopharmaka
bedingter Hyperprolaktinämie

4.3.4 Primäre Ovarialinsuffizienz

Pathophysiologie
4 Fehlende Follikelreifung mit verminderter Östrogenproduktion
4 Erschöpfung des Follikelpools durch Gonadendysgenesie, chromoso-
male Störungen, Galaktosämie, Virusinfektionen, Noxen, Chemo-Ra-
diotherapie bei onkologischer Erkrankung
4 Follikelresistenz gegen Gonadotropine (Resistent-Ovary-Syndrom)
74 Kapitel 4 · Gynäkologische Endokrinologie

Eigene Notizen 4 Enzymdefekte (17α-Hydroxylase, 17-20-Lyase, Desmolase) mit Andro-


genmangel
4 Autoimmunerkrankungen
4 Climacterium praecox, prämature Ovarialinsuffizienz (POF) bei pri-
märer Ovarialinsuffizienz vor 40. Lebensjahr
4 Durchschnittliches Menopausealter 52. Lebensjahr

Klinik
4 4 Klimakterische Ausfallserscheinungen, Hitzewallungen nur nach vor-
heriger Östrogenisierung
4 Symptomatik nach ursächlicher Begleiterkrankung

Diagnostik
4 Klinische Untersuchung des äußeren Genitale
4 Gonadotropinerhöhung, verminderte Östrogene, Oligo- und Amenor-
rhoe, Anti-Müller-Hormon (AMH) unterhalb der Nachweisgrenze
4 Sonografisch stark reduzierter ovarieller »antral follicle count« (AFC)
4 Karyotypisierung
4 Bildgebung und Laparoskopie zur Überprüfung des inneren Genitale
4 Funktionsuntersuchung Nebenniere, Schilddrüse, Nebenschilddrüse,
Pankreas bei Verdacht auf ein polyglanduläres Autoimmunsyndrom

Therapie
4 Bei Kinderwunsch ovarielle Stimulation mit:
5 Bei residualer ovarieller Aktivität Östrogen-Gestagenkombination
vor hochdosierter Gonadotropingabe s.c.
5 Kryokonservierung von Eizellen, befruchteten Eizellen, Ovargewe-
be vor onkologischer Behandlung
5 Embryonen- oder Eizellspende
4 Ohne Kinderwunsch: Nach Ausschluss therapiebedürftiger Begleiter-
krankungen Behandlung mit Ovulationshemmer/Hormonersatzthera-
pie mit Östrogen-Gestagenkombination

4.4 Störungen der Menstruationsblutungen

Definitionen
4 Amenorrhoe, primär: Patientin hat nie eine Menarche erlebt.
4 Amenorrhoe, sekundär: Patientin hat früher normale Periodenblu-
tungen gehabt, seit 3 Monaten ist die Periode ausgeblieben.
4 Oligomenorrhoe: Die Abstände zwischen den Menstruation betragen
>32 Tagen
4 Polymenorrhoe: Die Abstände zwischen den Menstruationen betragen
<24 Tagen
4 Hypomenorrhoe: es gibt nur eine kurze (z.B. 1 Tag dauernde Schmier-
blutung)
4 Hypermenorrhoe: Der Blutverlust ist hoch (>80 ml); die Blutung stark
und/oder länger als 7 Tage.
4.4 · Störungen der Menstruationsblutungen
75 4

4 Menorrhagie: Die Blutung dauert >7 Tage Eigene Notizen


4 Metrorrhagie: Es treten Zwischenblutungen auf, die >1 Tag dauern.
4 Dysmenorrhoe: schmerzhafte Menstruation (meist krampfartige Un-
terbauchschmerzen)
4 Dyspareunie: Schmerzen, ausgelöst durch Geschlechtsverkehr

Störungen des Regeltempos sind zurückzuführen auf die genannten endo-


krinen Störungen.
Veränderungen der Blutungsstärke und Beschwerden während der
Menstruation haben uterine Ursachen:
4 Myome (gutartige Muskelknoten), Adenomyosis (Endometriosis uteri
interna): Dysmenorrhoe, Hypermenorrhoe, Meno-Metrorrhagien,
Dyspareunie
5

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

5 Prinzipien der
Kinderwunschbehandlung
R. Rösing und B. Neulen

5.1 Allgemeines – 78

5.2 Basisdiagnostik – 78

5.3 Therapie – 79
5.3.1 Verwendete Medikamente – 79
5.3.2 Therapieformen – 80
5.3.3 Risiken der Fertilitätsbehandlung – 82
5.3.4 Kontraindikationen gegen eine reproduktionsmedizinische Therapie – 83

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_5,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
78 Kapitel 5 · Prinzipien der Kinderwunschbehandlung

Eigene Notizen 5.1 Allgemeines

Die Bedeutung der Reproduktionsmedizin nimmt stetig zu. Die Behand-


lung der Infertilität hat neben der individuellen psychologischen Relevanz
für die betroffenen Paare eine demografische und wirtschaftliche Impli-
kation.
Fruchtbarkeit ist altersabhängig und nimmt mit zunehmendem Le-
bensalter ab. Bei normaler Fruchtbarkeit und regelmäßigem Verkehr (2–3
Kohabitationen pro Woche ohne Kontrazeption) beträgt die Wahrschein-
lichkeit für eine Schwangerschaft pro Menstruationszyklus 0,25 in den
5 ersten 3 Monaten, danach fällt sie auf 0,15 ab. Die kumulative Schwanger-
schaftsrate in 1 Jahr beträgt dann 0,8–0,9.
Definition:
4 Primäre Sterilität: bislang keine Schwangerschaft eingetreten
4 Sekundäre Sterilität: nach vorangegangenen Schwangerschaften keine
erneute Schwangerschaft eingetreten

Paare, die nach 1 Jahr keine Schwangerschaft erzielen, sollten weiterführen-


de reproduktionsmedizinische Diagnostik erhalten.
Da die Fruchtbarkeit altersabhängig sinkt, sollte die diagnostische Klä-
rung der Infertilitätsursache bei Frauen über 35 Jahren bereits nach 6 Mo-
naten begonnen werden, da die Wahrscheinlichkeit für eine natürliche, wie
für eine medizinisch assistierte Konzeption abnimmt.
Sterilitätsursachen sind:
4 Ovarialinsuffizienz 20%
4 Tubarer oder uteriner Faktor 20%
4 Endometriose 6%
4 Männlicher Faktor 28%
4 Kohabitationsprobleme 5%
4 Idiopathisch 21%

5.2 Basisdiagnostik

Neben den bereits in Kap. 4 erwähnten endokrinen Parametern werden


weitere für die Fertilität relevante Befunde erhoben:
4 Spermiogramm
4 Tubarer und uteriner Faktor mittels Hysterosalpingokontrastsonografie
(HyCoSy), Hysteroskopie, Laparoskopie und Chromopertubation bei
normalen Werten im Spermiogramm
5.3 · Therapie
79 5
5.3 Therapie Eigene Notizen

5.3.1 Verwendete Medikamente

Medikamente zur ovariellen Stimulation


4 Clomifencitrat (CC) ist ein kompetitiver Estrogenrezeptorantagonist
4 Reaktive FSH-Freisetzung mit stimulierendem Effekt auf den Follikel
4 Aromataseinhibitor (off-label use)
5 Niedrige Serum-Estrogenkonzentration durch gehemmte Aromati-
sierung von Androgenen
5 Reaktive FSH-Freisetzung mit stimulierendem Effekt auf den Fol-
likel
4 FSH rekombinant (rFSH) oder urinär (uFSH)
5 Tägliche subkutane Injektion zur Stimulation des Follikelwachs-
tums
4 GnRH-Pumpe
5 Pulsatile GnRH-Injektion als Dauerbehandlung bei hypothala-
mischem Hypogonadismus

Medikamente zur Unterdrückung des LH-peak


und einer vorzeitigen Ovulation
4 GnRH-Agonist
5 Dauerstimulation der hypophysären GnRH-Rezeptoren überdeckt
die pulsatile hypothalamische GnRH-Freisetzung
5 Dem initialen (ca. 10 Tage) »flare-up« der Gonadotropine mit ver-
mehrter Gonadotropinfreisetzung folgt »down-regulation« der
GnRH-Rezeptoren
4 GnRH-Antagonist
5 Sofortiger antagonistischer Effekt am hypophysären GnRH-Rezep-
tor überdeckt die pulsatile hypothalamische GnRH-Freisetzung

Medikamente zur Ovulationsinduktion


Die Gabe von humanem Choriogonadotropin (hCG) stimuliert den folli-
kulären LH Rezeptor und imitiert den LH-peak. Im physiologischen Verlauf
reaktiviert der mittzyklische LH Anstieg (LH-peak) die Meiose der Eizelle,
die bis dahin in der Prophase arretiert ist. Parallel kommt es zur Follikelrup-
tur und Freisetzung der Eizelle. Die Ovulation folgt zeitlich präzise 36–40 h
nach einmaliger Gabe eines urinären oder rekombinanten hCG-Präparats
(5000–10000 IE s.c.)

Medikamente zur Lutealphasensubstitution


4 600 mg Progesteron vaginal
4 hCG stimuliert das Corpus luteum
80 Kapitel 5 · Prinzipien der Kinderwunschbehandlung

Eigene Notizen 5.3.2 Therapieformen

Zyklusoptimierung/Ovulationsinduktion
4 Zyklusoptimierung mit Verkehr zum Ovulationszeitpunkt (VZO) (al-
ternative Bezeichnung optimierter Geschlechtsverkehr opt. GV):
5 Sonografisch und laborchemisch begleitete Zyklusbeobachtung in
der Follikelphase.
5 Zeitlich präzisierte Vorhersage der Ovulation und gezielte Wahl des
Zeitpunkts für den Verkehr in den vorangehenden 24 h
4 Insemination:
5 5 Wie opt. GV. Eingabe eines aus dem Nativejakulat aufgearbeiteten
Spermienkonzentrats, mit höherem Anteil progressiv motiler Sper-
mien

Beide Therapieformen erfolgen im Spontanzyklus oder im monofollikulär


stimulierten Zyklus und mit spontaner oder exogen induzierter Ovulation.
4 Stimulation mit Clomifencitrat:
5 Einnahme von Clomifencitrat 50 mg/Tag vom 5.–9. Zyklustag und
anschließender sonografischer Kontrolle sowie Hormonbestim-
mung
5 Bei ausbleibender ovarieller Reaktion wird im »stair-step« Protokoll
die Clomifencitrat-Dosis nach 4–7 Tagen um 25 mg/Tag in weiteren
Stimulationszyklen gesteigert, bis das Follikelwachstum einsetzt.
4 Monofollikuläre Stimulation mit Gonadotropinen:
5 Tägliche, niedrig dosierte Gonadotropininjektion s.c. ab dem
2–3. Zyklustag führt zu Rekrutierung und Wachstum von 1–2 Fol-
likeln
5 Polyfollikuläre Stimulation mit Gonadotropinen
5 Tägliche, überschwellige Gonadotropininjektion s.c. ab dem
2–3. Zyklustag führt zu Rekrutierung und Wachstum mehrerer
Follikel
5 Long Protokoll:
J Gabe eines GnRH-Agonisten am 20. Zyklustag des Vorzyklus.
Nach initialem »flare-up« und meist zyklusgerecht eintretender
Blutung erfolgt eine Kontrolle der erfolgreichen »down-regula-
tion« durch Bestimmung der Serumkonzentration von FSH, LH
und Estradiol, sowie eine transvaginale Sonografie zum Aus-
schluss einer Ovarialzyste
J Beginn der polyfollikulären Stimulation mit Gonadotropinen
J Ovulationsinduktion bei einer Follikelgröße von 18–20 mm
(meist zwischen 10. und 14. Zyklustag). Follikelpunktion 34–37 h
nach hCG-Gabe.
5 Ultralong Protokoll:
J Bei Endometriose ist eine zeitlich ausgedehnte Vorbehandlung
mit GnRH-Agonisten über 6–8 Wochen indiziert. Die Endo-
metriose stört die Eizellreifung. Eine verlängerte Phase der Down-
regulation führt zu einer Verbesserung der Befruchtungsraten der
Eizellen und zu einer Steigerung der Schwangerschaftsraten.
5.3 · Therapie
81 5

5 Short Protokoll: Eigene Notizen


J Zeitgleiche Applikation des GnRH-Agonisten und der Gonado-
tropine
J Ausnutzen des initialen Gonadotropin »flare up«, z.B. bei ova-
riellen »low respondern«
J Risiko der vorzeitigen Ovulation durch GnRH-induzierten LH-
peak
4 Antagonistenprotokoll:
5 Stimulationsbeginn mit täglicher Gabe von FSH s.c. ab dem 2. oder
3. Zyklustag. Ab einem Leitfollikeldurchmesser von 13–14 mm
(meist zwischen 6.und 8. Zyklustag) zusätzliche Gabe eines GnRH-
Antagonisten. Dadurch wird der vorzeitige LH-peak vermieden.
Ovulationsinduktion bei einer Follikelgröße von 18–20 mm (meist
zwischen 10. und 14. Zyklustag). Follikelpunktion 34–37 h nach
hCG-Gabe.

ART (artificial reproductive Technique)


IVF (in vitro Fertilisation)/ICSI (intra-cytoplasmatische Spermien-
Injektion)
Follikelpunktion, Fertilisation, Embryotransfer
Nach einer etwa 2 Wochen dauernden Stimulationsbehandlung mit Gona-
dotropinen s.c. werden die Eizellen zur extrakorporalen Befruchtung durch
IVF oder ICSI aus dem Eierstock entnommen. Dazu wird bei der Frau eine
ultraschall-gesteuerte, vaginale Follikelpunktion durchgeführt. Der Eingriff
kann in Kurznarkose oder Analgosedierung erfolgen.
Nach Absaugen der Follikelflüssigkeit werden die Eizellen sofort unter
einem Mikroskop aufgesucht und in einer Schale mit den aufbereiteten
Spermien inseminiert (IVF) oder einzelne Spermien werden in die Eizelle
injiziert (ICSI).
Bei erfolgreicher Befruchtung entstehen 24 h später Embryonen nach
der Fusion der beiden Vorkerne (Pronuklei) aus Eizelle und Spermium. Die
entstandenen Embryonen werden im Mittel für weitere 1–4 Tage kultiviert
und anschließend über einen Katheter intrauterin transferiert (Embryo-
transfer, ET). Der Transfer von maximal zwei Embryonen reduziert das
Risiko einer höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft. Überzählig ent-
standene befruchtete Eizellen können kryo-konserviert (Gefrierlagerung
in Stickstoff) werden und zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaut und zu
einem Embryo gereift in die Gebärmutterhöhle transferiert werden.
Zwei Wochen nach der Follikelpunktion erfolgt eine hCG-Bestimmung
im Serum. Die Schwangerschaftsraten liegen durchschnittlich bei etwa
25–30% pro Behandlungszyklus, mit altersabhängiger Variabilität. Die ge-
samte Behandlung erfolgt ambulant.

TESE
Bei der testikulären Spermienextraktion erfolgt eine Hodenbiopsie zur
Spermiengewinnung bei Verschluss oder Aplasie des Vas deferens.
82 Kapitel 5 · Prinzipien der Kinderwunschbehandlung

Eigene Notizen 5.3.3 Risiken der Fertilitätsbehandlung

Ovarielles Überstimulationssyndrom (ovarian hyperstimulation


syndrome: OHSS)
4 Exzessive ovarielle Reaktion auf Stimulationsbehandlung mit Gonado-
tropinen
4 Risiko bei jungen Frauen und PCOS
4 Early onset 1–5 Tage nach Ovulationsinduktion mit hCG
4 Late onset 7–14 Tage nach Embryotransfer durch endogenes hCG bei
Schwangerschaft
5 ! Cave Das OHSS ist potenziell lebensbedrohlich.

Klinik
4 Das milde OHSS ist Ergebnis der Stimulation und nicht behandlungs-
bedürftig:
5 Abdominale Spannung
5 Ovarielle Vergrößerung 5–10 cm
4 Moderates OHSS (wie mildes OHSS mit):
5 Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
5 Dyspnoe
5 Hämatokriterhöhung
5 Sonografisch Aszites
4 Schweres OHSS (wie moderates OHSS mit):
5 Perihepatischem Aszites
5 Pleuraergüssen, Perikardergüssen
5 Thrombembolischen Ereignissen
5 Elektrolytverschiebung
5 Renaler und hepatischer Insuffizienz

Diagnostik
4 Klinische Untersuchung
4 Sonografie
4 Serumbestimmung, Blutbild, Elektrolyte, CRP, Nierenretentionswerte,
Leberwerte, Gerinnungsparameter, Serumeiweiß

Therapie
4 Stationäre Aufnahme ab moderatem OHSS
4 Rehydratation, Albumingabe, Plasmaexpander
4 Thromboseprophylaxe
4 Schmerztherapie
4 Aszites und Pleurapuktion
4 Korrektur der Elektrolytverschiebung
4 ggf. intensivmedizinische Therapie
5.3 · Therapie
83 5
Mehrlingsschwangerschaft Eigene Notizen
4 Risiko der Frühgeburtlichkeit
4 Senken des Risikos durch Stimulationsüberwachung und Behandlungs-
abbruch bei polyfollikulärer Reaktion in geplant monofollikulärem Be-
handlungszyklus
4 Transfer von maximal 2 Embryonen im ART-Zyklus

5.3.4 Kontraindikationen gegen eine reproduktions-


medizinische Therapie

Kontraindikationen bestehen bei:


4 Kontraindikationen gegen eine Schwangerschaft
4 Kontraindikationen gegen die verwendeten Medikamente
6

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

6 Gynäkologische Erkrankungen
bei Neugeborenen, Säuglingen,
Kindern und Adoleszenten mit
Handlungsbedarf
J. Neulen, B. Rösing

6.1 Erkrankungen in verschiedenen Altersgruppen – 85


6.1.1 Ovarialzysten bei Neugeborenen – 85
6.1.2 Vaginale Blutung bei Kleinkindern – 85
6.1.3 Labiensynechie – 85
6.1.4 Veränderungen im Klitorisbereich – 86

6.2 Störungen der Pubertät – 86


6.2.1 Definitionen – 86
6.2.2 Kompletter Verlust der Follikel vor der Pubertät – 87
6.2.3 Dysmenorrhoe – 88
6.2.4 Juvenile Meno-Metrorrhagien – 88

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_6,


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6.1 · Erkrankungen in verschiedenen Altersgruppen
85 6
6.1 Erkrankungen in verschiedenen Eigene Notizen
Altersgruppen

6.1.1 Ovarialzysten bei Neugeborenen

Häufigkeit ca. 1:2500, meist bereits per Ultraschall in der Schwangerschafts-


überwachung diagnostiziert.

Diagnostik
4 Postpartal: Ultraschall
4 Klinische Abklärung: abdominale Abwehrspannung

Therapie
4 Operative Zystenentfernung, wenn klinische Symptome vorhanden
sind.
4 Ohne klinische Symptome (kleine Zysten <2 cm) abwartendes Vorge-
hen; mit Ultraschall Verlaufskontrolle.

6.1.2 Vaginale Blutung bei Kleinkindern

Meistens durch Kratzverletzungen der Haut im Vulvabereich verursacht.

Differenzialdiagnose
4 Infektionen: Bei Kindern immer bakteriell; Pilzinfektion sind extrem
selten.
4 Diagnostik: mikrobiologischer Abstrich der Vulvaregion. Keimspekt-
rum: meist Darmkeime; weitere relevante Keime: Streptokokken beson-
ders problematisch Gruppe A und G.
5 Therapie: Antibiose systemisch und lokal nach Sensibilität.
4 Fremdkörper, die akzidentell in die Vagina eingeführt wurden.
5 Diagnostik und Therapie: operative Vaginoskopie, ggf. mit Fremd-
körperentfernung.
4 Selten Rhabdomyosarkom der Vagina.
5 Diagnostik: Vaginoskopie. Therapie: operative Entfernung des Tu-
mors
4 Missbrauch: Häufig wiederholte Verletzungen im Genitalbereich mit
frischen und älteren Verletzungen. Prellmarken an anderen Körperstel-
len. Analinspektion.
5 Diagnostik: Bilddokumentation der sichtbaren Verletzungen; Ab-
strichentnahme für mikrobiologische Untersuchungen, genetische
Untersuchungen

6.1.3 Labiensynechie

Ursache sind Infektionen oder übertriebene hygienische Maßnahmen mit


Kleinstverletzungen der Vulva.
86 Kapitel 6 · Gynäkologische Erkrankungen bei Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Adoleszenten

Eigene Notizen Klinik


Urin sammelt sich in der Vagina und läuft unkontrolliert später ab: Einnäs-
sen nach Miktio. Dadurch sekundäre Hautekzeme, Infektionen.

Diagnostik
4 Vulva-Inspektion

Therapie
4 Zunächst konservativ mit Östriol-haltiger Creme und Gerbsäure-Sitz-
bädern
4 Bei Therapieversagen: operative Lösung der Synechie (immer in Kurz-
narkose, da sehr schmerzhaft)
6 Differenzialdiagnose
4 Beim Hymen altus ist in der Regel der hintere Hymenalsaum bis unter
die Urethralmündung hochgewachsen.
4 Symptome wie bei Labiensynechie
4 Diagnose: Vulvainspektion
4 Therapie: operative Hymenalspaltung (immer in Kurznarkose, da sehr
schmerzhaft)

Nach beiden Eingriffen ist eine Nachbehandlung mit Östriol-haltiger Creme


und Gerbsäure-Sitzbädern für ca. 3–4 Wochen zur Rezidivprophylaxe er-
forderlich.

6.1.4 Veränderungen im Klitorisbereich

4 Karbunkel (Schwellung) Diagnostik: Inspektion. Therapie: Konservativ


mit Gerbsäure-Sitzbädern.
4 Zysten: Diagnostik: Inspektion; Verhalten abwartend. In seltenen Fäl-
len: operative Entfernung

6.2 Störungen der Pubertät

6.2.1 Definitionen

Bei normalen weiblichen Chromosomensatz (46, XX) wandern in der


8. Embryonalwoche ca. 10 Mio. Keimzellen in die undifferenzierte Gona-
denanlage aus dem Dottersack ein. Verlust von Keimzellen bis zur Geburt:
9 Mio. Zahl der Follikelapparate bei Einsetzen der Pubertät 100.000. Zahl
der Eizellen, die während des Lebens ovuliert werden: ca. 450.
4 Normales Pubertätsalter: 9–15 Jahre. Beurteilung der pubertären Ent-
wicklung nach Tannerstadien: Entwicklung der Mammae, Ausprägung
der Pubes- und Achselbehaarung (T1–T5)
4 Menarche: erste Regelblutung
6.2 · Störungen der Pubertät
87 6

4 Pubertät vor dem 9. Lebensjahr: Pubertas präcox; zusammen mit ande- Eigene Notizen
ren Erkrankungen (McCune-Albright-Syndrom); hormonproduzieren-
de Tumore (NNR; Gonaden; Hypophyse)
4 Pubertät nach dem 15. Lebensjahr: Pubertas tarda

6.2.2 Kompletter Verlust der Follikel vor der Pubertät

Klinik
4 Ausbleiben der Pubertät

Hypergonadotrope Gonadeninsuffizienz

Genetische Diagnostik
4 46, X0: Turner-Syndrom: 100% Kleinwuchs, bis zu 40% Pterygium colli,
ca. 20% Organfehlbildungen: Herz, Niere.
5 Therapie: Wachstumshormonsubstitution; Sexualsteroide
4 46, XX: (selten), Verlust der Follikel durch fehlende FSH-Wirkung im
Kindesalter (z.B. FSH-Rezeptordefekt), fehlende nächtlich FSH-Sekre-
tion im Kindesalter.
5 Bei operativer Abklärung finden sich histologisch leere Streakgona-
den. Übrige Genitalanlage unauffällig.
4 46, XY:
5 1. Androgen-Insensitivität durch Mutation des Androgenrezeptors
auf dem X-Chromosom. Pubertäre Brustentwicklung vorhanden.
Keine Menarche, keine oder extrem spärliche Pubes- und Achselbe-
haarung. Genitalanlage: Vagina vorhanden, kein Uterus, Gonaden
histologisch Testes. Entartungsrisiko der Gonaden möglich.
J Empfehlung Gonadenentfernung im Erwachsenenalter; anschlie-
ßend Sexualhormonersatz (Östrogene) nötig.
5 2. Swyer-Syndrom: Störung des SRY-Gens auf dem Y-Chromosom.
Fehlen des Anti-Müller-Hormons. Genitalanlage: phänotypisch
weiblich. Gonaden: histologisch undifferenziert, z.T. testikulär. Ent-
artungsrisiko der Gonaden sehr hoch.
J Entfernung der Gonaden sobald Diagnose gesichert. Sexualhor-
monersatz (Östrogene/Gestagene) nötig.

Normogonadotrope Ovarialinsuffizienz

Differenzialdiagnose
4 Anorektische Reaktion, Malabsorptionssyndrome, zystische Fibrose

Therapie
4 Änderung des Essverhaltens, Behandlung der Grundkrankheit
88 Kapitel 6 · Gynäkologische Erkrankungen bei Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Adoleszenten

Eigene Notizen Hypogonadotrope Ovarialinsuffizienz

Differenzialdiagnose
4 Manifeste Anorexia nervosa, Hochleistungssport, Abklärung der hypo-
thalamisch/hypophysären Achse: destruierende Tumore mit Ausfall der
gonadotropen Achse

Therapie
4 Behandlung der Grunderkrankung; bei Ausfall der Steuerungsachse
Sexualhormonersatz (Östrogene/Gestagene); bei Kinderwunsch: Gona-
dotropine

6 6.2.3 Dysmenorrhoe

Diagnostik
4 Symptomatisch; ggf. operativ bei Verdacht auf Endometriose (Sympto-
matik zunehmend)

Therapie
4 Hormonale Ovulationshemmer

6.2.4 Juvenile Meno-Metrorrhagien

Vaginale Dauerblutung mit Hb-wirksamem Blutverlust.

Diagnostik
4 Ultraschall der Genitalregion. Zystische Struktur in Ovarien: Follikel-
persistenz, Östrogenabfall (Labor), Durchbruchsblutung (klinisch)

Therapie
4 Östrogenersatz ca. 5 Tage, anschließend Gestagene zur Transformation
des Endometriums
4 Therapieversager oder Hb <10 g/l: Tranexamsäure, Cyclo-Oxygenase-
Hemmer (z.B. Ibuprofen; kein ASS); Blutung weiter persistierend oder
Hb< 7 g/l Sulproston-Infusionen (nur stationäre Behandlung)
4 Abklärung der Gerinnungsfunktion
7

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

7 Kontrazeption
J. Neulen, B. Rösing

7.1 Grundlagen – 90

7.2 Hormonelle Wirkstoffe – 90


7.2.1 Risiken/Nebenwirkungen der hormonellen Kontrazeption – 91

7.3 Andere Kontrazeptiva – 91


7.3.1 Intrauterinpessar (IUD, intrauterine device) – 91
7.3.2 Kupferspirale (PI 3) – 92
7.3.3 Hormonspirale (PI 0,5) – 92
7.3.4 Mechanische Kontrazeptiva (PI 3 bis >10) – 92
7.3.5 Operatives Verfahren – 92

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_7,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
90 Kapitel 7 · Kontrazeption

Eigene Notizen 7.1 Grundlagen

Zur Kontrazeption stehen hormonelle und mechanische Methoden zur


Verfügung. Die Effektivität eines Kontrazeptivums wird im Pearl-Index (PI)
festgehalten:

100 × Anzahl der Schwangerschaften × 12


PI =
Zahl der Frauen × Zahl der Anwendungsmonate

Ein PI von 5 bedeutet, dass von 100 Frauen, die mit einer bestimmten Me-
thode ein Jahr (12 Zyklen) lang verhüten, 5 schwanger werden.
Es werden PI im »perfect use« und »typical use« unterschieden. »Typi-
cal use« beschreibt die übliche Anwendung mit Einnahmefehlern und hat
daher einen höheren PI.

7
7.2 Hormonelle Wirkstoffe

Systemische hormonelle Kontrazeptiva sind als Pille, Pflaster, Vaginalring,


Implantat und Depotinjektion verfügbar. Bei guter Verträglichkeit bieten sie
hohe Sicherheit (PI 0,5–3) und einen reversiblen Empfängnisschutz.

Östrogen (Ethinylestradiol)
4 Hemmung des Follikelwachstums durch FSH-Suppression
4 Zyklusstabilisierung durch Endometriumstimulation

Gestagene (Progesteron- und Testosteronderivate)


4 LH-Hemmung mit Suppression des ovulatorischen LH-peak
4 Lokale Wirkung, die der Spermienaszension entgegenwirkt

Die systemische Hormongabe als Kombinationspräparate (Östrogen und


Gestagen oral oder als Pflaster) führt zur partiellen Hemmung der pulsatilen
Freisetzung von GnRH und LH und FSH. Es resultiert eine Suppression der
ovariellen Aktivität, einschließlich der ovariellen Androgenproduktion.
Die Minipille ist nur gestagenhaltig, mit lokalen Wirkmechanismen
im Vordergrund:
4 Keine Ovulationshemmung

Depotpräparate (Depotspritze, Implantat)


4 Gestagenpräparat mit großer Sicherheit und Hemmung des Eisprungs
4 Anwendungsfehler sind kaum möglich
4 Es wurde über einen Östrogenmangel mit resultierender reversibler
Osteoporose berichtet
4 Blutungsstörungen können auftreten
7.3 · Andere Kontrazeptiva
91 7
7.2.1 Risiken/Nebenwirkungen der hormonellen Eigene Notizen
Kontrazeption

Unerwünschte Wirkungen
4 Thrombembolische Ereignisse
4 Stimmungsschwankungen
4 Libidoverlust
4 Übelkeit
4 Kopfschmerzen
4 Brustspannen
4 Chloasmabildung

Nichtkontrazeptive, erwünschte Effekte


4 Zyklusregulation
4 Vermindertes Risiko für Endometriumkarzinom
4 Vermindertes Risiko für Adnexitiden
4 Antiandrogen wirksame Effekte:
5 Die ovarielle Suppression durch die »Pille« führt zur Reduktion des
ovariellen Androgenanteils in der Serumkonzentration.
5 Die peripher-gewebliche Androgenwirkung kann bei Bedarf durch
ein kontrazeptives Kombinationspräparat mit einem antiandrogen
wirksamen Gestagen abgeschirmt werden.
5 Gestagene mit antiandrogener Wirkung sind Cyproteronacetat,
Chlormadinonacetat, Dienogest und Drospirenon.
5 Ein weiterer anti-androgener Effekt ergibt sich durch die östrogen-
induzierte hepatische SHBG-Synthese und die konsekutive Vermin-
derung des freien Testosterons.
4 Behandlung zyklusgebundener (katamenialer) Erkrankungen

Kontraindikationen
4 Thrombembolisches Geschehen in der Vorgeschichte
4 Thromophilie
4 Vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen
4 Migräne
4 Nikotinabusus bei Frauen >35 Jahre
4 Nicht therapierter Diabetes mellitus, Hypertonus, Hypertriglyzeridämie
4 Hormonrezeptor-positive onkologische Erkrankung

7.3 Andere Kontrazeptiva

7.3.1 Intrauterinpessar (IUD, intrauterine device)

4 Ein IUD kann auch bei einer Nullipara eingesetzt werden. Vor dem
Einsetzen der Spirale muss ein vaginaler Infekt ausgeschlossen bzw. be-
handelt werden. Das Adnexitisrisiko ist bei entsprechender Vorberei-
tung nicht erhöht. Pillenanwenderin hat ein reduziertes Adnexitisrisiko
(Schutzeffekt der Pille).
92 Kapitel 7 · Kontrazeption

Eigene Notizen 4 Einsetzen der Spirale auch als Notfallkontrazeptivum innerhalb von
5 Tagen nach dem Eisprung.

7.3.2 Kupferspirale (PI 3)

4 Intrauterinpessar mit Kupfer lokal wirksam, hemmt v.a. die Spermien-


funktion und Eizellbefruchtung, (sehr selten eine Embryoimplantation)
4 Bei einer verstärkten Blutung (Meno-Metrorrhagie) ist der Einsatz einer
Hormonspirale empfehlenswert.

7.3.3 Hormonspirale (PI 0,5)

4 Intrauterinpessar mit Levonorgesterel ist lokal wirksam, hemmt v.a. die


7 Spermienfunktion und Eizellbefruchtung, (sehr selten eine Embryo-
implantation)
4 Die lokal freigesetzten Gestagene führen zu einer dauerhaften, aber
reversiblen Transformation des Endometriums
4 Die systemischen Hormonspiegel sind kaum beeinflusst
4 Die ovarielle Aktivität ist nicht unterdrückt

7.3.4 Mechanische Kontrazeptiva (PI 3 bis >10)

4 Kondome haben neben der Kontrazeptiven auch eine Schutzfunktion


gegen sexuell übertragbare Erkrankungen (STD).
4 Portiokappen werden vor dem Verkehr vaginal auf die Portio ange-
bracht.
4 Spermizide Cremes erhöhen Sicherheit, aber können gleichzeitig einge-
setzte Kondome schädigen, kein Schutz gegen STD.

7.3.5 Operatives Verfahren

4 Sterilisation ist ein potenziell irreversibler Eingriff


4 Nur bei abgeschlossener Familienplanung indiziert
4 Bei der Frau (PI 0,5–1) mittels Laparoskopie und Tubenverödung oder
-durchtrennung
4 Beim Mann (PI 0,2) lokaler Eingriff mit Durchtrennung des Vas de-
ferens
8

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

8 Hormonersatztherapie
J. Neulen, B. Rösing

8.1 Menopause – 94

8.2 Klimakterische Beschwerden – 94


8.2.1 Behandlungsmöglichkeiten – 95
8.2.2 Kontraindikationen/Risiken/Nutzen der HRT – 95

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_8,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
94 Kapitel 8 · Hormonersatztherapie

Eigene Notizen 8.1 Menopause

Menopause bezeichnet das permanente Sistieren der Menstruationsblutung


mit einer Amenorrhoedauer >1 Jahr. Der Menopauseeintritt ist retrospektiv
zu diagnostizieren und tritt im Mittel mit 52 Jahren ein.
»Menopausal transition« meint den Zeitraum mit zunehmenden ova-
riellen Funktionsstörungen, begleitet von sinkenden Östrogenwerten, ver-
kürzten und auch anovulatorischen Zyklen und steigenden Gonadotropin-
werten als Ausdruck der zentralen Gegenregulation. Die »Menopausal
transition« geht der Menopause um ca. 5 Jahre voraus.
Die Östrogenbildung verlagert sich in periphere Organe (Aromatase-
aktivität im Fettgewebe) und sistiert schließlich auf niedrigem Niveau,
ohne zyklische Schwankungen.

8.2 Klimakterische Beschwerden

8 Die hormonelle Wechselsituation kann mit deutlichen Beschwerden ein-


hergehen:
4 Vegetative Beschwerden, wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Er-
kältungen, Schlafstörungen
4 Neuropsychologische Beschwerden, wie Stimmungsschwankungen,
Nervosität, Gereiztheit, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Ab-
geschlagenheit
4 Organische Östrogenmangelsymptome, wie Trockenheit der Augen
und Vaginalschleimhaut, Blasenentleerungsstörungen, Harninkonti-
nenz, rezidivierende urogenitale Infekte

Folgende langfristige Effekte des Hormonmangels können auftreten:


4 Osteoporose
4 Arteriosklerose
4 Dyslipidämie
4 Kardiovaskuläre Erkrankungen
4 Demenz

8.2.1 Behandlungsmöglichkeiten

Hormonersatztherapie (HRT)
4 Ersatz der ovariellen endokrinen Funktion
4 Hormonpräparationen mit Östrogen und Gestagenanteil sowie Östro-
gen-Monopräparate
4 Östrogen-Monotherapie nur nach Hysterektomie
4 Präparate zur oralen und transdermalen (Pflaster, Gel, Vaginalring) Ap-
plikation
8.2 · Klimakterische Beschwerden
95 8
Hormonfreie Therapie Eigene Notizen
4 Bei Kontraindikationen gegen HRT sind Venlafaxin (SSRI), Gabapentin,
Veraliprid bei klimakterischen Beschwerden wirksamer als Placebo.
4 Phytoöstrogene und andere pflanzliche Produkte sind so wirksam wie
Placebo.

8.2.2 Kontraindikationen/Risiken/Nutzen der HRT

Kontraindikationen
4 Thrombembolisches Geschehen in der Vorgeschichte
4 Thromophilie
4 Vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen
4 Nicht therapierter Diabetes mellitus, Hypertonus, Hypertriglyzeridämie
4 Hormonrezeptor-positive onkologische Erkrankung

Risiken
4 Thromboembolische Erkrankungen besonders bei spätem Beginn
(>10 Jahre nach Menopause) einer HRT
4 Das Thromboembolierisiko ist deutlich geringer bei transdermaler ge-
genüber oraler Applikation
4 Das Brustkrebsrisiko ist mit einer zunehmenden Einnahmedauer der
HRT-Kombinationstherapie (Östrogen und Gestagen) erhöht, bei Ös-
trogen-Monotherapie unverändert gegenüber Nichtanwenderinnen
4 Irreguläre vaginale Blutungen und Endometriumkarzinom bei Östro-
gen-Monotherapie

Nutzen
4 Osteoporoserisiko sinkt
4 Kardiales Erkrankungsrisiko sinkt bei frühem Behandlungsbeginn in
den ersten Einnahmejahren

Fazit zur HRT


4 HRT ist die effektivste Therapie klimakterischer Beschwerden
4 HRT in möglichst niedriger Dosierung und nur so lange wie notwendig
(Auslassversuche)
4 Das Gesamtüberleben ist durch die HRT nicht verkürzt, die Lebensqua-
lität ggf. deutlich verbessert
9

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

9 Gynäkologische Psychosomatik
V. Perlitz

9.1 Einleitung – 97

9.2 Epidemiologie – 97

9.3 Ausgangssituation – 98
9.3.1 Weiterbildung – 98
9.3.2 Wie »geht« Psychotherapie? – 99
9.3.3 Welchen Beitrag kann Psychotherapie in der Behandlung körperlich kranker
Frauen leisten? – 100

9.4 Ätiopathogenese – Entstehungszusammenhänge – 101

9.5 Psychosomatisch-gynäkologische Simultandiagnostik – 101

9.6 Abwehranalyse – 102

9.7 Traumatisierung – 103

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_9,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
9.2 · Epidemiologie
97 9
9.1 Einleitung Eigene Notizen

Im Rahmen der gynäkologischen Psychosomatik werden psychosomatisch


erkrankte Frauen (und Männer, die Frauen werden wollen) untersucht und
behandelt. Die Aufgabengebiete der gynäkologischen Psychosomatik um-
fassen folgende diagnostische und therapeutische Bereiche:
4 Somatopsychische Symptome bei Reaktionen auf schwere körperliche
Erkrankungen
4 Psychosomatische Störungen unabhängig von somatischer Erkran-
kung
4 Körperliche Beschwerden, Symptome und Erkrankungen im Zusam-
menhang mit psychosomatischen Störungen
4 Sexualphysiologische und sexualpsychologische Probleme und Stö-
rungen
4 Reproduktionsmedizinische Interventionen (z.B. Schwangerschaftsab-
bruch, In-vitro-Fertilisation)

Obwohl der klinisch in der Gynäkologie tätige Arzt vorrangig körperliche


Erkrankungen unter Kautelen der Evidence based Medicine zu behandeln
hat, soll ein Bewusstsein entstehen, dass ein reduktionistisch biologisches
Paradigma der Krankheitsentstehung durch ein »bio-psycho-soziales«
Konzept in der gegenwärtigen Medizin auch aus pragmatischen Gründen
abgelöst werden sollte.
Bezüglich des Wissens von der Leib-Seele-Verbundenheit nimmt die
gynäkologische Psychosomatik historisch eine Pionierrolle ein. Erste wis-
senschaftliche Schriften zur Deutung seelischer Einflüsse bei prämenstru-
ellem Syndrom, chronisch funktionellen Unterleibsbeschwerden, Fluor
genitalis und Pruritus vulvae wurden schon in der Mitte des 19. Jahrhun-
derts vorgelegt.

9.2 Epidemiologie

In der Gynäkologie zeigen Schätzungen, dass 30–50% der Patientinnen psy-


chosomatische Beschwerden äußern. In anderen Untersuchungen blieben
in 17% der Fälle körperliche Symptome in der Gynäkologie organisch un-
geklärt. Diese Zahlen konnten in der ehemaligen DDR in einer internisti-
schen Universitätsambulanz zwar bestätigt werden, doch brauchten letztlich
nur 1,54% eine fachpsychotherapeutische Behandlung. In den meisten Fäl-
len halfen bei diesen Patienten primärärztliche Interventionen: Zuspruch,
Zuhören, Entlastung schaffen (Arbeitsunfähigkeit) oder Milieuwechsel
(Rehabilitationen).
Klinisch wichtig sind so genannte somatoforme Störungen. Diese wer-
den weltweit bei etwa 7% aller Patienten diagnostiziert. Im Mittelpunkt
stehen körperlich geäußerte Beschwerden: Schmerzen, Müdigkeit und Er-
schöpfung. Da diese Patienten diese Beschwerden nur organisch erklären,
beharren sie oft auf einer umfangreichen Organdiagnostik. Eine psychische
Genese von Schmerzen wird häufig heftig abgewehrt. Die biologische Sicht
98 Kapitel 9 · Gynäkologische Psychosomatik

Eigene Notizen des Problems entspricht der, die viele Ärzte aufgrund ihrer Ausbildung und
des Primärauftrags teilen. Diese Dynamik dieser Arzt-Patienten-Bezie-
hung zeigt im Negativen, wie machtvoll ein von Patient und Arzt geteiltes
»Krankheitsmodell« sein kann, denn die Behandlungskosten dieser Stö-
rungen liegen weit höher als gemäß deren Prävalenz zu erwarten wäre.
Bagatellbefunde erhärten die biologische Sichtweise des Patienten und
iatrogene Schäden entsprechender organpathologischer Behandlungsver-
suche liefern den anfangs noch fehlenden organpathologischen Auslöser.
Gelingt der Zugang zu diesen Patientinnen und Patienten, kann in den
meisten Fällen eine zufrieden stellende psychotherapeutische Behandlung
erfolgen.

9.3 Ausgangssituation

Dieser Buchbeitrag möchte die somatische, somatopsychische und psycho-


somatische Behandlungskompetenz junger Ärzte verbessern. Zwei von Stu-
dierenden der Medizin im Praktikum der Psychosomatik häufig gestellte
Fragen sollen dazu beleuchtet werden.
1. Wie »geht« Psychotherapie?
9 2. Welchen Beitrag kann Psychotherapie in der Behandlung körperlich
kranker Frauen leisten?

Beide Fragen sind nicht ohne Weiteres zu beantworten. Die Antwort auf die
Frage, wie Psychotherapie »geht«, ist in der umfangreichen Fachliteratur
nicht leicht zu finden. Verweise in Lehrbüchern auf die großen Psychothe-
rapieverfahren (verbale Psychotherapien: Psychoanalyse, Verhaltens-, Ge-
sprächs-, Gestalttherapie; non-verbale Psychotherapien: Musiktherapie,
Kunsttherapie, etc.) helfen zum Verständnis von deren Wirkungen nur we-
nig. Die zweite Frage ist wesentlich: Wenn kein greifbarer Nutzen vorläge,
gäbe es keine Rechtfertigung für den zeitlichen Aufwand, den Psychothera-
pie oft erfordert.

9.3.1 Weiterbildung

Wenngleich grundlegende zwischenmenschliche Umgangsformen den


Grundstein für Psychotherapie bilden, kann eine externe Weiterbildung in
einer so genannten »Balint-Gruppe« einen wichtigen Beitrag zur individu-
ellen und ärztlichen Weiterbildung und zum lebenslangen Lernen leisten.
Die Balint-Gruppen bzw. Junior-Balint-Gruppen, nach dem ungarischen
Psychoanalytiker Michael Balint (1896-1970) benannt, helfen abseits des
klinischen Alltags problematische oder belastende Arzt-Patienten-Bezie-
hungen intensiv zu durchleuchten. Denn folgende Faktoren können erheb-
lich belasten und den Behandlungserfolg gefährden:
4 zu viel Nähe,
4 zu große Distanz oder
4 zu intensive Emotionen.
9.3 · Ausgangssituation
99 9

Da es nicht immer Defizite der Patientin sind, die die Arzt-Patient-Bezie- Eigene Notizen
hung beeinträchtigen, ist ein externer Reflexionsraum erforderlich. Dort
können frühere Beziehungserfahrungen der Ärztin oder des Arztes erkannt
werden. Eigene Untersuchungen zeigen, dass dadurch gerade junge Ärzte
freier und unbelasteter arbeiten und lernen können.

9.3.2 Wie »geht« Psychotherapie?

Wissenschaftliche Befunde über die allgemeine Wirkungsweise der Psycho-


therapie zeigen, dass diese nicht schulen- oder verfahrensspezifisch ist. We-
sentlich für die psychotherapeutische Arzt-Patienten-Beziehung ist, dass
die Beziehung primär nicht über »objektive« Befundgrößen (Blutdruck,
EKG, Laborchemie oder Bildgebung) verläuft. Zwischen dem subjektiven
»Beobachter« und »Teilnehmer« Arzt und der Patientin besteht viel mehr
ein doppelter Dialog: Während der Arzt mit der Patientin spricht, reflektiert
er parallel intern als Beobachter seine eigene Gegenübertragung (seine
durch die Patientin ausgelösten Assoziationen, Gedanken und Gefühle).
Gefühle der Stimmigkeit, des Verschweigens, Aggressionen u.v.m. weisen
auf mögliche Problembereiche hin, die hinter körperlichen Befunden ste-
hen. Das bedeutet nicht, dass die einen die anderen ursächlich auslösen,
sondern nur, dass parallele Interventionen erforderlich sein können. Ent-
sprechende Untersuchungen zeigen, dass die Gegenübertragungsanalyse in
über 90% erfolgreich bei der Erkenntnis (= Diagnose) psychischer Prob-
leme ist. An dieser Stelle besteht im Zeitalter der Evidence based Medicine
daher völlig unberechtigt Angst vor Objektivitätsverlust (= Unwissenschaft-
lichkeit). Darüber hinaus können subjektive Phänomene mittlerweile
durchaus objektiviert werden. Die dazu notwendigen Methoden sind je-
doch von denen der anatomisch-physiologisch-biochemischen Diagnostik
völlig verschieden. Sie entsprechen ihrem Untersuchungsgegenstand. Psy-
chotherapie wird daher unnötig mit Misstrauen begegnet.
Folgende Wirkfaktoren sind allen Psychotherapieformen mehr oder
weniger gemein:
4 Hilfe beim Aufbau einer vertieften Beziehung (so genannter Rapport):
Das bedarf weniger Vorbedingungen. Ein geschützter Raum für Ver-
trautheit; non-verbale Signale des Arztes (am Bett der Patientin sitzen
anstatt stehen); die zur Verfügung stehende Zeit benennen; erste allge-
meine Fragen oder Aufmunterungen offen formulieren; abwarten und
die Patientin ins Gespräch kommen lassen.
4 Nicht-Intentionalität: Dies erscheint paradox, soll das Gespräch zwi-
schen Arzt und Patientin doch therapeutisch relevante Informationen
erbringen oder das Befinden der Patientin verbessern. Nicht-intentional
bedeutet, dem Gespräch kein Thema von oben herab vorzugeben, wie:
»Heute müssen wir einmal über Ihre sexuellen Probleme sprechen!«
Psychotherapie funktioniert am besten, wenn sie nicht intendiert und
nicht als solche deklariert wird!
4 Empathisches Zuhören: Aussagen der Patientin mit den Worten des
Arztes zusammenfassen. Dies zeigt der Patientin, dass der Arzt aktiv
100 Kapitel 9 · Gynäkologische Psychosomatik

Eigene Notizen zuhört und sich in ihr Erleben hineinversetzen möchte. Einfaches Nach-
fragen, ob Aussagen richtig verstanden wurden. Zuhören ist mitnichten
passiv!
4 Die Klage entgegen nehmen (»containing«): Die Patientin hat das Recht
zu klagen. Wenn nicht beim Arzt, bei wem sonst kann die Patientin »ihr
Herz ausschütten«? Während eines psychosomatischen Blockprakti-
kums »gesteht« eine 60-jährige Patientin einem 23-jährigen (männ-
lichen) Studierenden: »Zum ersten Mal in meinem Leben hat mir ein-
mal jemand eine Stunde zugehört!« Unvoreingenommenheit kann
schwer fallen, wenn die Wertesysteme von Arzt und Patientin aufgrund
soziokultureller Unterschiede sehr verschieden sind. Starke Affekte,
wie Angst vor Schuldzuweisungen und Verurteilungen und Scham als
Angst vor Bloßstellung, können die therapeutische Arbeitsbeziehung
vereiteln.
4 Fördern der Kommunikation: Der Patientin Worte verleihen, wenn sie
angesichts ihres Schicksals sprachlos ist: »Sie haben eine Katastrophe
überlebt!« kann schon Entlastung sein.
4 Reflexion und Deutung: Das Gehörte und das im Gespräch Erlebte neu
deuten. Dieser Schritt erfordert Vertrauen, um fremde Interpretationen
des (traumatisch) Erlebens ohne Abwehr annehmen zu können.
9
Diese allgemeinen Wirkmechanismen der Psychotherapie können körper-
liche Symptome positiv verändern. Daher sollte sie der somatisch arbeiten-
de Arzt gezielt nutzen, um seinen Handlungsspielraum zu erweitern. Des-
wegen werden zur Weiterbildung zum Facharzt für Gynäkologie und Ge-
burtshilfe Kenntnisse der psychosomatischen Grundversorgung mittler-
weile gefordert. Deswegen werden zur Weiterbildung zum Facharzt für
Gynäkologie und Geburtshilfe Kenntnisse der psychosomatischen Grund-
versorgung gefordert.

9.3.3 Welchen Beitrag kann Psychotherapie in der


Behandlung körperlich kranker Frauen leisten?

Psychotherapie wird heute weltweit eingesetzt, um Änderungsprozesse fol-


gender Parameter einzuleiten:
4 Verhalten (behaviorale Änderungsprozesse)
4 Denken (kognitive Änderungsprozesse)
4 Empfinden und Erleben (emotionale Änderungsprozesse)

Dazu werden unterschiedliche Psychotherapieformen eingesetzt (kognitive


Verhaltenstherapie [VT] zur Änderung z.B. automatisierter Denkmuster;
tiefenpsychologische [psychodynamische] Psychotherapieformen [z.B. Psy-
choanalyse] zur Änderung verdrängter traumatisierender Affekte).
Dabei werden vorrangig zwei Strategien verfolgt: Entweder werden
durch gezielte Destabilisierung dysfunktionale behavioral-kognitiv-emo-
tionale Muster verändert oder destabilisierte behavioral-kognitiv-emotio-
nale Muster restabilisiert.
9.5 · Psychosomatisch-gynäkologische Simultandiagnostik
101 9

Damit wird eine Behandlung seelischer und körperlicher Symptome Eigene Notizen
möglich, da zahlreiche seelische Leiden mit körperlicher Symptomatik ein-
hergehen (z.B. Zittern, Schwitzen, Obstipation, Diarrhoe).

9.4 Ätiopathogenese – Entstehungs-


zusammenhänge

Die Frage, wie psychische oder soziale Störungen somatische Störungen


und Krankheiten, z.B. Blutungen, Sterilität, Fluor u. ä. »verursachen« kön-
nen, ist nahe liegend. Sie kann in dieser Form aber nicht beantwortet wer-
den, denn wissenschaftstheoretisch sind kausale Zusammenhänge zwischen
zwei unterschiedlichen und nur lose gekoppelten Systemen nicht aufzuklä-
ren. Beweise sind hier und andernorts in der Medizin unmöglich, sie blei-
ben wenigen Gebieten der Mathematik vorbehalten. Möglich ist aber die
Beschreibung so genannter kontingenter Kopplungen, also von zeitlich
mehr oder weniger engen Zusammenhängen.
Dies ist relevant, da der Versuch Kausalzusammenhänge nachzuweisen
die Entwicklung einseitiger Sicht- und Behandlungsweisen verstärkt, ohne
immer positive therapeutische Konsequenzen zu bewirken. Ein Verständ-
nis von Entstehungszusammenhängen ist der Komplexität (Ursache-Wir-
kungsketten) weit angemessener und erklärt zahlreiche multifaktorielle
Krankheiten.
Diese Zusammenhänge in den Kontext der Biografie zu stellen, ist Ziel
des psychosomatischen diagnostischen Gesprächs.

9.5 Psychosomatisch-gynäkologische
Simultandiagnostik

Psychosomatisches Denken und Handeln in der klinischen Medizin reali-


siert das Konzept oder das Modell einer »bio-psycho-sozialen« Medizin.
Dies bedeutet konkret die Erhebung nicht nur biologischer Fakten, son-
dern auch psychischer Fakten und Eindrücke und sozial relevanter Größen
in einer bio-psycho-sozialen Anamnese. Thure von Uexküll, einer der gro-
ßen Psychosomatiker des vergangenen Jahrhunderts, fasste die Subjektivität
in folgender Aussage zusammen: Wir behandeln keine Krankheiten, son-
dern kranke Menschen. Die in der psychosomatisch-gynäkologischen For-
schung zur Objektivierung subjektiver Phänomene entwickelten Methoden
dienen der Erhebung exakter subjektiver wissenschaftlicher Daten. Im
Klinik- und Praxisalltag bedarf es dagegen pragmatischer Herangehens-
weisen.
Pathobiologische Befunde können anamnestisch erfragt und durch
eine gründliche körperliche Untersuchung zuverlässig erfasst werden. Bri-
tische Untersuchungen zeigen, dass in bis zu 70% die sorgfältige Erhebung
der Krankengeschichte zur richtigen Diagnose führen kann. Der voreilige
Einsatz apparativer Diagnostik im modernen Klinikbetrieb führt zu hö-
heren Fehlerraten als operative Eingriffe und Medikationen. Neben o.g.
102 Kapitel 9 · Gynäkologische Psychosomatik

Eigene Notizen vegetativen Beschwerden werden folgende Symptome v.a. von Angehöri-
gen zu erfragen sein:
4 Schlaflosigkeit
4 Gereiztheit
4 Krankheiten von Familienmitgliedern
4 Irrationale Sorgen
4 Schuldgefühle
4 Gewaltereignisse
4 Zwischenmenschliche Konflikte
4 Chronische Vereinsamung
4 Verluste durch Todesfälle

Diese oft beiläufig erwähnten Veränderungen des Verhaltens und Empfin-


dens werden bei zu kurzen oder standardisierten Kontakten mit der Patien-
tin »übersehen«, nicht erfragt oder es wird ihnen keine gebührende Bedeu-
tung beigemessen. Auch die Einbindung relevanter Dritter, z.B. Ehepartner,
in diagnostische Gespräche, kann überaus aufschlussreich sein.
Während diese Ereignisse interindividuell vergleichbar sind, ist es
deren subjektive Bedeutung keinesfalls. Arbeitsplatzverlust kann für eine
25-jährige Jungakademikerin eine berufliche Chance bilden, eine 45-jäh-
9 rige ungelernte Alleinerziehende kann das gleiche Ereignis finanziell
in ihrer Existenz maximal bedrohen. Eine schwere Erkrankung ist für
eine sozial gut eingebundene Patientin weniger bedrohlich als für eine
allein stehende Witwe. Diese individuelle Bedeutung muss erfragt wer-
den. Wie in der Schmerzdiagnostik kann mit so genannten »numme-
rischen« Analogskalen die subjektive Schwere eines Ereignisses quantifi-
ziert werden (0 = keine negative Bedeutung; 10 = größte vorstellbare Be-
deutung).
Prozessuale Fragen geben Aufschluss über die Prognose psychosoma-
tischer Interventionen. Fragen nach dem Überweiser zeigen, welche
Grundhaltung gegenüber der sprechenden Medizin besteht. Eine beste
Freundin, die eine Psychotherapie erfolgreich abgeschlossen hat, kann mit
ihrer Empfehlung »innere Türen« öffnen, die sich dem Arzt erst mit Mühen
auftun. Allerdings sollen unrealistische Erwartungen im Vorfeld erkannt
und korrigiert werden.
Am Ende des diagnostischen Prozesses soll eine Aussage über folgende
Faktoren möglich sein, die in je eigener Weise zur Dekompensation
beitragen können:
4 pathophysiologische oder pathobiologische,
4 psychische (emotionale) und
4 soziale Faktoren.

9.6 Abwehranalyse

Abwehrphänomene dienen der Regulation innerer Gefühle, Bedürfnisse


und Handlungsimpulse. Unlust wird vermieden, Sicherheit gesucht. Psy-
chische Abwehr ist dem Abwehrenden immer unbewusst.
9.7 · Traumatisierung
103 9

Psychische Abwehr sollte als Schutzmechanismus verstanden werden, Eigene Notizen


der vor Reaktivierung früherer Traumata schützt. Abwehrmechanismen
sind entsprechend der Persönlichkeit, die sie schützen, unreif oder reif.
Unreife Abwehrmechanismen sind:
4 Projektive Identifizierung
4 Primitive Idealisierung
4 Entwertung, Spaltung
4 Manische Verleugnung

Reife Abwehrmechanismen sind:


4 Verdrängung
4 Reaktionsbildung
4 Verleugnung
4 Isolierung
4 Projektion

Diese Unterscheidungen können Aufschluss über die Struktur der Persön-


lichkeit und damit auch Aufschluss über die Indikation der zu wählenden
Psychotherapie und der Prognose geben. Denn mit einem Verständnis psy-
chischer Abwehr als Schutzfunktion bedeutet das Vorhandensein unreifer
Abwehrmechanismen einen unzureichenderen Schutz des Individuums vor
Traumatisierung.
Konkreter soll daher auf die Rolle der Traumatisierung und der post-
traumatischen Erkrankungen eingegangen werden.

9.7 Traumatisierung

Fünf von 10 Frauen werden in ihrem Leben einem traumatischen Ereignis


ausgesetzt. Nicht jedes Trauma aber führt zu einer posttraumatischen Be-
lastungsstörung (PTBS). Insgesamt erleiden 7–8% der Bevölkerung zu ir-
gendeinem Zeitpunkt im Leben eine PTBS. Traumatisierung führt in 10%
der Frauen zu einer PTBS, gegenüber 5% bei den Männern. Typische PTBS-
Symptome (Hyperarousal, Flashbacks [Alpträume], Vermeidung und Ab-
gestumpftheit) treten bei beiden Geschlechtern mit unterschiedlicher Häu-
figkeit auf.
Das Risiko an einer PTBS zu erkranken, steigt bei:
4 Anamnese psychischer Erkrankungen
4 Schweren oder lebensbedrohlichen Traumata
4 Sexueller Gewalt
4 Körperlichen Verletzungen während des Ereignisses
4 Nachfolgenden stressreichen Ereignissen
4 Fehlen eines tragfähigen sozialen Netzes

In einer eigenen Untersuchung beobachteten wir bei akut an Brustkrebs


erkrankten Frauen chronische, durch lang zurückliegende Ereignisse aus-
gelöste PTBS. Da die Brustkrebserkrankung selbst ein traumatogenes Ereig-
nis ist, bedeutet das, dass bei akut an Brustkrebs erkrankten Frauen ein er-
104 Kapitel 9 · Gynäkologische Psychosomatik

Eigene Notizen höhtes Risiko für eine neuerliche akute PTBS besteht. Daher ist eine psy-
choonkologische Therapie zur Behandlung der alten PTBS sinnvoll, um
eine Stressreduktion herzustellen. Hochrangige Studien konnten zeigen,
dass Stressreduktionsmaßnahmen wesentlich zur Verbesserung der Tumo-
rabwehr beitragen. Dazu stehen heute spezialisierte psychotherapeutische
Verfahren aus dem Bereich der imaginativen Verhaltenstherapie zur Verfü-
gung. Dabei erfolgt die Behandlung traumatisierter Patientinnen nach Red-
demann in 6 Stufen:
1. stabilisieren,
2. stabilisieren,
3. stabilisieren,
4. stabilisieren,
5. verarbeiten,
6. neu starten.

9
10

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

10 Notfälle in der Gynäkologie


D. Piroth

10.1 Extrauterine Gravidität – 106

10.2 Ovarialtorsion (Stieldrehung) – 107

10.3 Ovarialzystenruptur – 108

10.4 Tuboovarialabszess – 109

10.5 Genitale Blutungen – 111


10.5.1 Prämenopausale genitale Blutungen – 111
10.5.2 Postmenopausale genitale Blutungen – 112

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_10,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
106 Kapitel 10 · Notfälle in der Gynäkologie

Eigene Notizen 10.1 Extrauterine Gravidität

Definition und Epidemiologie


4 Einnistung (Nidation) der Blastozyste außerhalb des Cavum uteri
4 1–2% aller Schwangerschaften
4 Zunehmende Häufung in den letzten Jahren
4 Unterschiedliche Nidationslokalisationen möglich:
5 Tube (Tubargravidität)
5 Ovar (Ovarialgravidität)
5 Bauchhöhle (Abdominalgravidität)
5 Uteruswand (Zervikalgravidität und intramurale Gravidität)

Ätiologie
4 Vorausgegangene aszendierende Entzündungen der Adnexe:
5 Mit sexuell übertragbaren Erregern (Chlamydien oder Gonor-
rhoe)
5 Fieberhafte Aborte
5 Kürettagen
5 nach Extrauteringravidität (EUG)
4 Vorausgegangene Operationen des Bauchraums (Adhäsionsbildung)
4 Endometriose
4 Sterilitätsbehandlung
10 4 IUP-Trägerinnen
4 Nach Sterilisation
4 Funktionelle Störungen des Eitransports

Klinik
4 Sekundäre Amenorrhoe über 6–8 Wochen
4 Subjektives Schwangerschaftsgefühl mit Brustspannung und Übelkeit
4 Basaltemperaturerhöhung
4 Unterbauchschmerzen, krampfartig, häufig einseitig oder seitenbetont
mit und ohne vaginale Blutung
4 Bei Ruptur des Eileiters in fortgeschrittener Schwangerschaftswoche
Abwehrspannung im Unterbauch, Schocksymptomatik, intraabdomi-
nelle Blutung

Diagnostik
4 Gynäkologische Untersuchung mit Spekulumeinstellung und bimanu-
elle Untersuchung
4 Vaginalsonografie: freie Flüssigkeit im Douglas? Uterus cavum leer oder
mit Pseudogestationssack? Endometriumhöhe? Adnexe mit oder ohne
Raumforderung? Ringstruktur?
4 Labordiagnostik: β-HCG im Serum (ca. 9 Tage nach Konzeption nach-
weisbar), Blutbild (Anämie bei intraabdomineller Blutung), Gerinnung,
CRP (Ausschluss Entzündung), Urinsediment (Ausschluss Zystitis, Nie-
renstein), Blutgruppe, Kreuzblut für Erythrozytenkonserven bereit-
stellen
10.2 · Ovarialtorsion (Stieldrehung)
107 10
Differenzialdiagnose Eigene Notizen
4 Abortus completus oder incompletus
4 Intrauterine Frühgravidität mit Unterbauchschmerzen
4 Adnexitis, Tuboovarialabszess
4 Ovarialzystenruptur
4 Stieldrehung des Ovars
4 Appendizitis
4 Peritonitis anderer Ursache

Therapie
4 Diagnostisch-operative Laparoskopie mit Salpingotomie oder Salping-
ektomie je nach Sitz der extrauterinen Gravidität, Ausmelken der Tube
bei unklarem Befund (Ziel ist der Tubenerhalt)
4 Selten expektatives Vorgehen unter β-HCG und Sonografiekontrolle
4 Laparotomie nur bei laparoskopisch nicht operablem Befund oder
Schock
4 Bei Rhesus negativer Patientin Anti-D-Prophylaxe
4 Bei persistierenden β-HCG-Werten Gabe von Methotrexat i.v. oder i.m.
(0,4–0,5 mg/kg KG, max. 30 mg)

10.2 Ovarialtorsion (Stieldrehung)

Definition, Ätiologie und Pathogenese


4 Stieldrehung des Ovars oder einer großen Ovarialzyste (funktionelle
Zysten, Endometriosezysten, Zystadenome) um die eigene Achse
4 Auslöser kann eine körperliche Anstrengung oder plötzliche vorausge-
gangene Bewegung sein
4 Unterbrechung der Gefäßversorgung des Ovars
4 Bei Behinderung des venösen Abflusses können Gefäßrupturen auf-
treten
4 Arterielles Versorgungsdefizit führt zur Nekrose des Ovars

Klinik
4 Bei plötzlichen Ereignissen akutes Schmerzereignis aus Wohlbefinden
heraus
4 Diffuse bis akut einsetzende stärkste Unterbauchschmerzen (Vernich-
tungsschmerz)
4 Peritoneale Reizzeichen mit Abwehrspannung, Übelkeit, Erbrechen,
Tachykardie, Schweißausbrüchen (akutes Abdomen)
4 Schocksymptomatik

Diagnostik
4 Bimanuelle Untersuchung mit Beurteilung der Adnexregion (häufig
wegen akuter Schmerzen oder Adipositas der Patientin von einge-
schränkter Beurteilbarkeit)
4 Vaginalsonografie und Doppleruntersuchung der Ovarien
4 Selten CT, MRT, Röntgen
108 Kapitel 10 · Notfälle in der Gynäkologie

Eigene Notizen 4 Labordiagnostik: Blutbild (Anämie bei intraabdomineller Blutung), Ge-


rinnung, CRP (Ausschluss Entzündung), β-HCG im Serum (ca. 9 Tage
nach Konzeption nachweisbar), Urinsediment (Ausschluss Zystitis,
Nierenstein), Tumormarker (CA 12-5)

Differenzialdiagnose
4 Ovarialzystenruptur
4 Ovarialabszess
4 Ovarialkarzinom
4 Extrauteringravidität
4 Akute Appendizitis

Therapie
4 Kreislaufstabilisierung und Schmerzmittelgabe
4 Diagnostisch operative Laparoskopie mit Detorquierung des Ovars, ggf.
Entfernung des Ovars bei Nekrotisierung, Zystenausschälung
4 Laparotomie, bei laparoskopisch nicht operablem Befund

10.3 Ovarialzystenruptur

Allgemeines
10 4 Zerreißen der Oberfläche einer Zyste mit Ergießen des Inhalts in die
Bauchhöhle
4 Häufig bedingt durch gutartige Ovarveränderungen
4 Rupturen können in jeder Zyklusphase auftreten
4 Bei postmenopausalen Patientinnen an ein Ovarialkarzinom denken
4 Bei Ruptur von Gefäßen der Oberfläche können intraabdominelle Blu-
tungen auftreten

Klinik
4 Unterschiedliche Schweregrade der Schmerzen möglich
4 Akute bis schleichende Schmerzen, teilweise mit Vernichtungs-
schmerz
4 Einseitig und oder diffus
4 Vaginale Schmierblutung
4 Kohabitationsschmerzen
4 Peritoneale Reizzeichen mit Abwehrspannung, Übelkeit, Erbrechen,
Tachykardie, Schweißausbrüchen (akutes Abdomen)
4 Hämodynamische Instabilität bei intraabdomineller Blutung und
Schock

Diagnostik
4 Bimanuelle Untersuchung mit Beurteilung der Adnexregion (häufig
wegen akuter Schmerzen oder Adipositas der Patientin von einge-
schränkter Beurteilbarkeit)
4 Vaginalsonografie und Doppleruntersuchung der Ovarien
4 Selten CT, MRT, Röntgen
10.4 · Tuboovarialabszess
109 10

4 Labordiagnostik: β-HCG im Serum (ca. 9 Tage nach Konzeption nach- Eigene Notizen
weisbar), Blutbild (Anämie bei intraabdomineller Blutung), Gerinnung,
CRP (Ausschluss Entzündung), Urinsediment (Ausschluss Zystitis, Nie-
renstein), Tumormarker (CA 12-5), Kreuzblut für Erythrozytenkonser-
ven bereitstellen

Differenzialdiagnose
4 Stieldrehung des Ovars
4 Adnexitis, Ovarialabszess
4 Ovarialkarzinom
4 Extrauteringravidität
4 Akute Appendizitis

Therapie
4 Subakute Ereignisse mit Kreislaufstabilität können z.T. konservativ be-
handelt werden mit Schmerzmitteln und sonografischen Kontrollen
4 Ggf. Kreislaufstabilisierung bei akuten Volumenschock und Schmerz-
mittelgabe
4 Diagnostisch operative Laparoskopie mit Ovarialzystenausschälung,
Stillen der Blutung, ggf. Entfernung des Ovars und Entfernung von Zys-
teninhalt und Blut aus der Bauchhöhle
4 Laparotomie bei laparoskopisch nicht operablem Befund

10.4 Tuboovarialabszess

Definition und Ätiologie


4 Entzündung von Tube und Ovar als Konglomerattumor mit gemein-
samer Abszesshöhle
4 Meist polymikrobielle Besiedelung oder bakterielle Vaginose
4 Seltener als hämatogene Komplikation einer Tuberkulose
4 Kann Folge einer akuten oder chronischen Adnexitis, Endometritis,
Divertikulitis (per continuitatem) oder Appendizitis (per continui-
tatem) sein
4 IUP-Trägerinnen und HIV-positive Frauen haben ein erhöhtes Risiko
für Tuboovarialabszesse
4 Begünstigend können operative transzervikale oder abdominelle Ein-
griffe sein

Komplikationen
4 Peritonitis
4 Eitrige Thrombophlebitis
4 Gerinnungsstörung
4 Ruptur des Konglomerattumors in die Bauchhöhle
4 Adhäsionen
4 Sterilität
4 Eileiterschwangerschaft
110 Kapitel 10 · Notfälle in der Gynäkologie

Eigene Notizen Klinik


4 Fieber (manchmal subfebril)
4 Einseitiger oder chronischer Unterbauchschmerz
4 Übel riechender Fluor vaginalis
4 Defäkationsschmerzen
4 Subileussymptomatik
4 Peritoneale Reizzeichen mit Übelkeit und Erbrechen
4 Vaginale Schmierblutung
4 Kohabitationsschmerzen

Diagnostik
4 Vitalparameter
4 Bimanuelle Untersuchung mit Beurteilung der Adnexregion (häufig
wegen akuter Schmerzen oder Adipositas der Patientin von einge-
schränkter Beurteilbarkeit)
4 Vaginalabstrich für Mikrobiologie und Nativpräparat
4 pH-Messung
4 Vaginalsonografie
4 Selten CT, MRT, Röntgen
4 Labordiagnostik: Blutbild (Leukozytose), CRP, BSG, Gerinnung, Urin-
sediment (Ausschluss Zystitis, Nierenstein)

10 Differenzialdiagnose
4 Akute Adnexitis
4 Stieldrehung des Ovars
4 Ovarialzystenruptur
4 Ovarialkarzinom
4 Extrauteringravidität
4 Akute Appendizitis

Therapie
4 Sofortiger Beginn einer antibiotischen intravenösen 2- oder 3-fach-
Therapie (Cephalosporin, Doxycyclin und Metronidazol) unter statio-
nären Bedingungen
4 Schmerzmittelgabe und Antiphlogistika
4 Bettruhe
4 Antikoagulation
4 Evtl. Entfernung des IUP, falls vorhanden
4 Diagnostisch operative Laparoskopie mit Abszessspaltung, ggf. Entfer-
nung des Konglomerattumors, Spülung der Bauchhöhle und Draina-
geneinlage
4 Laparotomie bei laparoskopisch nicht operablem Befund
10.5 · Genitale Blutungen
111 10
10.5 Genitale Blutungen Eigene Notizen

10.5.1 Prämenopausale genitale Blutungen

4 Blutungen, die bei prämenopausalen Frauen außerhalb des regulären


Zyklus vorkommen
4 Aufschluss über die Ursache ergibt eine korrekte Zyklusanamnese
4 Operationen oder Stressfaktoren können Grund für die Blutung sein
4 Trotz angegebener Verhütung kann eine Schwangerschaft vorliegen
4 Wichtig ist das Erfragen des letzten Frauenarztbesuchs
4 Internistische Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme
eruieren
4 Blutungen können mit und ohne Schmerzen vorkommen
4 Die Dauer und Intensität ist variabel
4 Genitale Blutungen können zu Anämien führen
4 Abklärung der Ursache immer zwingend notwendig

Gynäkologische Ursachen
4 Ektopie der Zervix uteri
4 Dysfunktionell bei Hormonschwankungen
4 Uterus myomatosus
4 Polypen der Zervix oder des Corpus uteri
4 Rupturierte Ovarialzyste
4 Entzündungen des inneren Genitale
4 Abort oder Eileiterschwangerschaft
4 Endometriumhyperplasie
4 Endometriose
4 Zervixkarzinom
4 Endometriumkarzinom
4 Uterussarkom
4 Verletzungen des Inneren Genitale
4 Fremdkörper

Klinik
4 Blutungsstärke und Dauer variabel
4 Seltener mit Schmerzen einhergehend
4 Bei akuter Blutung mit Anämie Schocksymptomatik möglich

Diagnostik
4 Inspektion des äußeren Genitale und Suchen nach Verletzungen
4 Spekulumeinstellung
4 Bimanuelle und rektale Untersuchung
4 Vaginalabstrich für Mikrobiologie und Nativpräparat
4 PAP-Abstrich
4 Vaginalsonografie
4 Kolposkopie
4 Ggf. Knipsbiopsie und Probeentnahme
4 Selten CT, MRT, Röntgen
112 Kapitel 10 · Notfälle in der Gynäkologie

Eigene Notizen 4 Labordiagnostik: Blutbild (Leukozytose), CRP, BSG, Gerinnung, Urin-


sediment (Ausschluss Zystitis, Nierenstein), β-HCG im Serum (ca.
9 Tage nach Konzeption nachweisbar), Blutgruppe und Kreuzblut

Differenzialdiagnose
4 Makrohämaturie bei Blaseninfektion
4 Harnblasentumoren
4 Hämorrhoiden
4 Darmtumoren
4 Gerinnungsstörung
4 Herz-Kreislauf-Erkrankungen
4 Lebererkrankungen
4 Nierenerkrankungen
4 Medikamente (Gerinnungshemmer)
4 Tumoreinbruch aus Rektum oder Harnblase
4 Metastasen

Therapie in Abhängigkeit der möglichen Ursache


4 Allgemeine Maßnahmen: Kreislaufstabilisation
4 Verletzungen müssen operativ versorgt werden
4 Aborte können je nach Schweregrad der Blutung und positiven Herzak-
tionen zunächst konservativ mit Bettruhe behandelt werden, bei inkom-
10 plettem Abort oder fehlenden Herzaktionen ist eine Ausschabung not-
wendig.
4 Dysfunktionelle Blutungen ohne organische Ursache (Ovarialzysten)
können medikamentös behandelt werden.
4 Karzinome müssen histologisch gesichert und stadienadaptiert the-
rapiert werden, in der akuten Blutungsphase zunächst Scheidentampo-
nade.
4 Operative Therapie mit Hysteroskopie und fraktionierter Abrasio bei
Polypen, Endometriumhyperplasie und Uterus myomatosus
4 Absetzen von Medikamenten
4 Antibiotische Therapie bei Entzündungen
4 Lokale Östrogentherapie

10.5.2 Postmenopausale genitale Blutungen

4 Blutungen nach der Menopause


4 35% der Blutungsursachen sind Malignome
4 Wichtig ist das Erfragen des letzten Frauenarztbesuchs
4 Tumorerkrankung in der Vorgeschichte
4 Abdominelle Voroperationen
4 Internistische Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme
eruieren
4 Genitale Blutungen können zu Anämien führen
4 Abklärung der Ursache immer zwingend notwendig
10.5 · Genitale Blutungen
113 10
Gynäkologische Ursachen Eigene Notizen
4 Ektopie der Zervix uteri
4 Dysfunktionell bei Hormonschwankungen
4 Uterus myomatosus
4 Deszensus uteri
4 Polypen der Zervix oder des Corpus uteri
4 Entzündungen des inneren Genitale (Kolpitis senilis)
4 Endometriumhyperplasie
4 Endometriose
4 Zervixkarzinom
4 Endometriumkarzinom
4 Uterussarkom
4 Verletzungen des Inneren Genitale
4 Fremdkörper

Klinik
4 Blutungsstärke und Dauer variabel
4 Seltener mit Schmerzen einhergehend
4 Bei akuter Blutung mit Anämie Schocksymptomatik möglich

Diagnostik
4 Inspektion des äußeren Genitale und Suchen nach Verletzungen
4 Spekulumeinstellung
4 Bimanuelle und rektale Untersuchung
4 Vaginalabstrich für Mikrobiologie und Nativpräparat
4 PAP-Abstrich
4 Vaginalsonografie
4 Kolposkopie
4 Ggf. Knipsbiopsie und Probeentnahme
4 Selten CT, MRT, Röntgen
4 Labordiagnostik: Blutbild (Leukozytose), CRP, BSG, Gerinnung, Urin-
sediment (Ausschluss Zystitis, Nierenstein, Tumormarker, Blutgruppe
und Kreuzblut

Differenzialdiagnose
4 Makrohämaturie bei Blaseninfektion
4 Harnblasentumoren
4 Hämorrhoiden
4 Darmtumoren
4 Gerinnungsstörung
4 Herz-Kreislauf-Erkrankungen
4 Lebererkrankungen
4 Nierenerkrankungen
4 Medikamente (Gerinnungshemmer)
4 Tumoreinbruch aus Rektum oder Harnblase
4 Metastasen
114 Kapitel 10 · Notfälle in der Gynäkologie

Eigene Notizen Therapie in Abhängigkeit der möglichen Ursache


4 Allgemeine Maßnahmen: Kreislaufstabilisation
4 Verletzungen müssen operativ versorgt werden
4 Dysfunktionelle Blutungen ohne organische Ursache (Ovarialzysten)
können medikamentös behandelt werden
4 Karzinome müssen histologisch gesichert und stadienadaptiert therapiert
werden, in der akuten Blutungsphase zunächst Scheidentamponade
4 Operative Therapie mit Hysteroskopie und fraktionierter Abrasio bei
Polypen, Endometriumhyperplasie und Uterus myomatosus
4 Antibiotische Therapie bei Entzündungen
4 Lokale Östrogentherapie
4 Absetzen von Medikamenten

10
11

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

11 Frühschwangerschaft
B. Schiessl

11.1 Physiologie – 116


11.1.1 Embryologie – 116

11.2 Schwangerschaftsdauer – 118

11.3 Pathologien – 118


11.3.1 Aborte – 118
11.3.2 Extrauteringravidität – 119

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_11,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
116 Kapitel 11 · Frühschwangerschaft

Eigene Notizen 11.1 Physiologie

11.1.1 Embryologie

Die Befruchtung der Eizelle erfolgt nach Ovulation durch ein Spermium im
Eileiter. Nach Imprägnation erfolgt die 2. Reifeteilung, die beiden haploiden
Chromosomensätze verschmelzen in der Konjugation: die Zygote ist ent-
standen. Unter Zellteilung über Morula zur Blastozyste erfolgt die Wan-
derung in das Cavum uteri, wo der Synzytiotrophoblast mit dem Endo-
metrium Kontakt aufnimmt. Die Nidation beginnt 5 Tage nach der Be-
fruchtung und ist nach bis zu 14 Tagen abgeschlossen (ggf. Auftreten einer
Nidationsblutung). Der aus der Blastozyste hervorgehende Trophoblast
differenziert weiter zum Chorion frondosum bzw. der Plazenta, der Embryo-
blast entwickelt sich zum Embryo.
Es kommt zur Einbettung der Chorionblase in die Zona compacta,
woraufhin die 1. Trophoblastinvasion mit Absiedlung von »plugs« in müt-
terlichen Gefäßen bis zur 12. SSW folgt. Die 2. Trophoblastinvasion be-
schreibt das Invadieren der extravillösen Trophoblasten in das innere Myo-
metrium und der endovaskulären Trophoblasten in die Spiralarterien, wo
die Muscularis-Schicht der arteriellen Gefäßwände durch Trophoblasten
ersetzt wird. Aus dieser Trophoblastinvasion resultiert eine Transforma-
tion der zuvor niedrigvolumigen Hochwiderstandsgefäße in hochvolumige
Niedrigwiderstandsgefäße. Hierdurch wird die ausreichende Versorgung
der fetoplazentaren Einheit gesichert.
11 Mit der Dopplersonografie der maternalen Aa. uterinae kann dieses
physiologische Phänomen nachvollzogen werden: ab 22–24 SSW ist das
Widerstandsprofil mit hohen Widerstandsindizes (wie PI und RI) sowie
die postsystolische Inzisur durch ein niedriges Widerstandprofil mit ver-
strichener Inzisur ersetzt. Wichtig zu beachten ist die oft vorhandene La-
teralisierung der Plazenta: physiologisch ist ein niedriger Widerstand auf
der Seite der A. uterina mit erhöhter Trophblastinvasion.

Plazenta
4 Funktionseinheit: Kotyledon, Basalplatte, Chorionplatte
4 Größe der reifen Plazenta am Entbindungstermin: 20 cm Durchmesser,
2–3 cm Dicke
4 Doppelte Gefäßversorgung:
5 Fetale Durchblutung Aa. umbilicales, V. umbilicalis
5 Maternale Durchblutung: Spiralarterien aus den beidseitigen
Aa. uterinae, Venen
4 Zottenreifung: Ankernde Stammzotten und aussprossende Zotten. Ziel
ist die Vergrößerung der maternofetalen Austauschfläche und Verkür-
zung der »Austauschstrecke«, Zottenoberfläche der reifen Plazenta
10–15 m2
4 Endokrine Funktion: Produktion von Gonadotropin-Releasing-Hormo-
nen (CRH, TRH, PRL, MSH), Proteohormonen, Steroidhormonen zum
Erhalt der Gravidität, Induktion maternaler genitaler und extragenitaler
SS-Veränderungen. Bildungsorte: Trophoblasten, Synzytiotrophoblast.
11.1 · Physiologie
117 11

5 Östrogene: Großteil in maternale Blutbahn ausgeschüttet Eigene Notizen


5 Progesteron: anfangs parallel zur Corpus-Luteum-Produktion: Ziel
ist SS-Erhalt mit lokaler Wirkung durch Kontraktilitätshemmung.
5 Proteohormone: Humanes Choriongonadotropin (Nachweis der
Untereinheit β-HCG): Erhalt der Corpus-luteum-Funktion im ers-
ten Trimenon mit raschem Anstieg in der Früh-SS. In der Schwan-
gerenbetreuung wird die Bestimmung bzw. Verlaufskontrollen bei
der Diagnostik von Abort, Extrauteringravidität, Molen und Cho-
rionkarzinomen eingesetzt.
5 Humanes Chorionsomatomammotropin (Plazentalaktogen/HPL):
kontinuierlicher Anstieg, Wirkung: proliferativ/anabol

Eihäute
4 Doppelte Wandung (Chorion/Amnion)
5 Chorion: verzahnt mit Dezidua, Bruchspannung 10 kg/cm3 (Para-
plazenta)
5 Intermediärschicht
5 Amnion fetalseitig mit Bruchspannung von 50 kg/cm3
4 Nabelschnur: 2 Arterien, 1 Vene, durchschnittliche Länge am Entbin-
dungstermin 50 cm, Wharton-Sulze, spiraliger Verlauf, Reißfestigkeit
5 kg
4 Amnionflüssigkeit: Sicherstellung des ungehemmten Wachstums des
Feten, v.a. der Lungenentwicklung, der aktiven und passiven Beweglich-
keit
4 Fetale Urinausscheidung:
5 etwa 40 ml/Tag ab 12 SSW,
5 Gesamtmenge mit 20 SSW = 500 ml, 38 SSW = 1000–1500 ml, ab
40 (+) SSW = 800 ml, Menge abnehmend.
4 Wichtige Entwicklungen des Embryo/Feten:
5 20.–23. Tag post conceptionem = 34.–37. Tag post menstruationem
(entsprechend 4+6 bis 5+2 SSW) misst die embryonale Scheitel-
Steiß-Länge (SSL) 1,5–2 mm
5 5+3 bis 5+6 = SSL 4 mm
5 6+0 SSW: ventraler Herzwulst: embryonales Herz beginnt zu schla-
gen, Größe des Embryo: 4–5 mm
5 9+0 SSW = SSL 30 mm, Differenzierung der Extremitäten
5 Gehirnentwicklung: 28. SSW, Phase der Neuronenteilung abge-
schlossen, postnatale Differenzierung der Neuronen bis zum 4. Le-
bensjahr
5 Lungenreife ab 24+0 SSW durch Bildung des Antiatelektasenfak-
tors, ab 34 SSW physiologischerweise ausreichend zur Verfügung
stehend. Induktion der Bildung ab 24+0 SSW durch Betamethason
möglich (s.a. Frühgeburtsbestrebungen).
118 Kapitel 11 · Frühschwangerschaft

Eigene Notizen 11.2 Schwangerschaftsdauer

Bei der Standard-Zykluslänge von 28 Tagen errechnet sich der Geburtster-


min nach Naegele wie folgt:
4 Errechneter Geburtstermin = 1. Tag der letzten Regelblutung + 7 Tage
– 3 Monate + 1 Jahr
4 oder: 1. Tag der letzten Regelblutung + 9 Monate + 7 Tage

Da von einer stabilen 2. Zyklushälfte ausgegangen wird, also 14 Tage nach


der Ovulation, ändert sich bei kürzerem oder längerem Zyklus die Berech-
nung wie folgt:
4 Errechneter Geburtstermin = 1. Tag der letzten Regel + 7 Tage – 3 Mo-
nate + 1 Jahr ± Abweichung in Tagen

11.3 Pathologien

11.3.1 Aborte

Definition
4 Abort/Fehlgeburt des Feten bis 23 SSW, der Übergang zur sehr frühen
Frühgeburt ist fließend.
4 Frühabort: bis 12 SSW
4 Spätabort: bis 23 SSW
11 4 Habituelle Aborte: ab 3 Aborten in Serie auftretende Spontanaborte
(laut WHO)

Klassifikation
4 Abortus imminens: drohender Abort, vaginale Blutung ohne Mutter-
munderöffnung bei intakter Schwangerschaft
4 Abortus incipiens: beginnender Abort, vaginale Blutung mit Mutter-
munderöffnung bei intakter Schwangerschaft (positive Herzaktion des
Feten)
4 Abortus incompletus: Schwangerschaftsmaterial ist bereits abgegangen,
die Schwangerschaft ist nicht mehr intakt, jedoch ist im Cavum uteri
noch Schwangerschaftsgewebe vorhanden
4 Abortus completus: die gesamte Schwangerschaftsanlage ist vaginal ab-
gegangen, das Cavum uteri ist leer
4 Missed abortion: verhaltener Abort, abgestorbener Embryo ohne Ge-
webeabgang oder vaginale Blutung
4 Molenschwangerschaft: Abortivei, leere Chorionhöhle ohne sonogra-
fisch darstellbaren Embryonalanteil
4 Blasenmole: proliferative Molenschwangerschaft mit degenerativer bla-
siger Wachstumsverstärkung des Trophoblasten. Sehr hohe Serum-
HCG-Werte (>200000 IU/l) komplette und inkomplette Form, typisches
sonografisches Bild (»Schneegestöber«)
4 Metastasierende gestationsbedingte Trophoblasterkrankungen: Inva-
sive Mole und Chorionkarzinom
11.3 · Pathologien
119 11

5 Sensitivster Tumormarker: Serum-hCG Eigene Notizen


5 Diagnostik und Therapie: s.a. unter Malignome (Kap 2)
4 Febriler Abort: auf den Uterus begrenzte Infektion im Rahmen des Ab-
ortgeschehens
4 Septischer Abort: Schwere Komplikation mit den typischen Zeichen
einer Pelveoperitonitis und Kreislaufschock durch die Endotoxinfreiset-
zung bei Bakteriämie.

Klinik
Das Beschwerdebild kann von einer schmerzlosen vaginalen Blutung bis
hin zu starken krampfartigen, oft als wehenartig beschriebenen Unter-
bauchschmerzen reichen, bei septischem Abort bis hin zu Schockzeichen
und Kreislaufversagen.

Diagnostik
4 Sonografie: Herzaktion, Koagel, Restgewebe beurteilen
4 Spekulumuntersuchung: Vaginale Blutung und Muttermunderöffnung
beurteilen

Therapie
Eine Therapie des Abortus imminens und incipiens gibt es praktisch nicht.
Das Angebot der stationären Überwachung insbesondere bei vaginaler Blu-
tung wird von den Patientinnen meist gerne angenommen. Von höchster
Wichtigkeit ist die Kontrolle des Rhesusfaktors, um bei negativem Rhesus-
status eine Sensibilisierungsprophylaxe zu verabreichen.
Die Therapie des Abortus incipiens, Abortus incompletus und comple-
tus kann in konservativem Zuwarten bestehen, meist aber wird aufgrund
der vaginalen Blutungsstärke eine instrumentelle Nachtastung erfolgen –
bei noch geschlossenem Muttermund nach erfolgtem priming mit einem
Prostaglandinpräparat.

11.3.2 Extrauteringravidität

S. Kap. 10 Notfälle.
12

Tag 3 – Reproduktionsmedizin
bis Schwangerenvorsorge

12 Schwangerenvorsorge
B. Schiessl

12.1 Mutterschaftsrichtlinien – 121

12.2 Durchführung der Schwangerenvorsorge – 121


12.2.1 Ultraschalldiagnostik in der Schwangerenvorsorge – 122

12.3 Auswahl pränatal diagnostizierbarer Fehlbildungen – 123


12.3.1 Fallot-Tetralogie – 123
12.3.2 Atrioventrikulärer Septumdefekt – 124
12.3.3 Hypoplastisches Linksherzsyndrom – 124
12.3.4 Fehlbildungen der Nieren und ableitender Harnwege – 125
12.3.5 Gastroschisis – 125
12.3.6 Omphalozele – 126
12.3.7 Skelettdysplasien – 127

12.4 Invasive Pränataldiagnostik – 128


12.4.1 Chorionzottenbiopsie – 128
12.4.2 Amniozentese – 129
12.4.3 Cordozentese – 129
12.4.4 Intrauterine Transfusion – 130
12.4.5 Punktionen – 130

12.5 Gemini (Mo-Mo, Mo-Di, Di-Di) – 130


12.5.1 Allgemeines – 130
12.5.2 Fetofetales Transfusionsyndrom (FFTX) – 131
12.5.3 Schwangerenvorsorge bei Mehrlingsschwangerschaften – 132

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_12,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
12.2 · Durchführung der Schwangerenvorsorge
121 12
12.1 Mutterschaftsrichtlinien Eigene Notizen

Gesetzliche Grundlage sind die Mutterschaftsrichtlinien (MSRL) des ge-


meinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen: Richtlinien
über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der
Entbindung vom 10.12.1985, letzte Änderung 12.05.2011.

12.2 Durchführung der Schwangerenvorsorge

4 Erstvorstellung: in der Regel in den ersten Wochen einer Schwanger-


schaft (6–10 SSW) mit:
5 Labor (Blutgruppe, Antikörper-Suchtest (AK-Suchtest), Infektions-
serologie: Lues, Röteln, Toxoplasmose fakultativ, HIV nach vorheri-
ger Pflichtberatung, Hämoglobin [Hb])
5 Sonografie zur Feststellung der SS (fakultativ)
5 Anamnese (eigene, geburtshilfliche, familiäre). ! Cave Bei jeder
Vorstellung Blutdruck und Urinstix.
4 Folgetermin in der Regel in Kombination mit folgenden Schritten:
5 Ultraschalluntersuchung nach MSRL zwischen 9 und 11 (13) SSW
(Festlegung des Gestationsalters, Überprüfung intrauteriner Sitz der
SS, Einling?, Mehrlinge?)
5 Beratung über mögliche pränatale invasive und nichtinvasive
Diagnostik
5 Vaginale Untersuchung
5 Zytologischer Abstrich (PAP, Krebsvorsorge), Chlamydien (Urin-
PCR, früher Zervixabstrich)
5 Anlegen des Mutterpasses mit Eintragung der vorliegenden Labor-
ergebnisse
4 4-wöchige Intervalle bis 34 SSW:
5 Wichtig mit 20 SSW: die nach MSRL vorgeschriebene Ultraschall-
untersuchung zur Beurteilung des fetalen Wachstums und der Mor-
phologie (Herz, Körperoberfläche, Gastrointestinaltrakt, Urogeni-
taltrakt, Extremitäten, Fruchtwasser, Plazenta)
5 ggf. Doppleruntersuchung der Aa. uterinae und weiterführende dif-
ferenzierte Ultraschalldiagnostik (DEGUM II/III [Deutsche Gesell-
schaft für Ultraschall in der Medizin])
5 2. AK-Suchtest, Hb-Kontrolle, bei Risiken oraler Glukosetoleranz-
test (OGTT), Rh-Prophylaxe mit 24–28 SSW
5 Mit 30 SSW der dritte nach MSRL festgelegte Ultraschall mit
Kontrolle von Wachstum, fetaler Lage und Plazentasitz, Frucht-
wasser
5 Mit 34 SSW Hb-Kontrolle, Hepatitis-B-Serologie, ab 35 SSW ggf.
Zervixabstrich (B-Streptokokken), 38 SSW Hb-Kontrolle
4 CTG ab Entbindungstermin, falls nicht durch Risiken früher indiziert.
Am Entbindungstermin Fruchtwasserkontrolle, ggf. Wachstums-
kontrolle, ab ET+7 Vorstellung in der Entbindungsklinik, Angebot Ein-
leitung/Entbindung.
122 Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge

Eigene Notizen 4 Wochenbett: Abschlussuntersuchung 4–6 Wochen nach Geburt, mit


Eintragung in den Mutterpass (Blutdruck, Urinkontrolle, gynäkolo-
gischer Befund).

Kostendruck und Veränderungen im Gesundheitssystem führten in den


letzen Jahren zu Hinterfragung bisheriger (z.B. Chlamydien, Zeitpunkte,
Inhalte) und potenziell zukünftiger (z.B. OGTT, CMV, HIV) Inhalte der
Mutterschaftsrichtlinien, bis dahin ohne Änderung derselben.

12.2.1 Ultraschalldiagnostik in der Schwangerenvorsorge

Laut Mutterschaftsrichtlinien sind 3 Ultraschalluntersuchungen in der


Schwangerenvorsorge Pflicht, daneben haben sich erweiterte risikoadap-
tierte Ultraschall- und Doppleruntersuchungen etabliert.

Nichtinvasive pränatale Diagnostik: Ersttrimester-Screening


Neben der in den MSRL vorgesehenen Ultraschallkontrolle hat sich in den
letzten Jahren das Ersttrimester-Screening weit verbreitet. Hier werden in
einem Zeitfenster von 11+0 bis 13+6 SSW die Parameter Scheitel-Steiß-
Länge, Nackentransparenz und evtl. weitere Parameter (Nasenbein, Ductus
venosus, Trikuspidalklappenfluss) untersucht. Untersuchungen zeigen ein
erhöhtes Risiko für Organfehlbildungen und chromosomale Erkrankungen
des Feten bei über der 95. Perzentile messbarer Nackentransparenz. In
einem Algorithmus können diese Parameter und das mütterliche Alter zu
einem individuellen Risiko für die Chromosomen 13, 18, 21 verrechnet
werden. Vorteil dieser Methode ist die nichtinvasive Risikoeinschätzung,
12 was insbesondere nach vielen Aborten oder Fertilitätsmaßnahmen (IVF,
ICSI) die Eltern von invasiver Diagnostik Abstand nehmen lässt. Eine wei-
tere Risikoevaluierung ist die Kombination der Ultraschallparameter mit
den mütterlichen Serumkonzentrationen von PAPP-A und β-HCG. Wich-
tig ist die Aufklärung und Erörterung der Untersuchung und der Methodik
vor Durchführung derselben.

Nichtinvasive pränatale Diagnostik: Organscreening


Bei Vorliegen verschiedener Risiken (maternaler Herzfehler, Diabetes, Me-
dikamenteneinnahme, früheres Kind mit Fehlbildung, Zustand nach intra-
uterinem Fruchttod [IUFT] etc.) ist die detaillierte Organsonografie in-
diziert. Hier werden die einzelnen Organabschnitte nach Vorgaben der
DEGUM untersucht. Wichtig ist die Dokumentation der Untersuchung (so-
wohl Parameter wie Bilder). Im Detail werden Biometrie des Kopfs,
Abdomens, der Röhrenknochen, des Kleinhirns, einzelner Organe und Pro-
portionen erhoben. Untersucht wird die Morphologie von:
4 Gehirn (Gyrierung, Balken, Ventrikel, Plexus, Raumforderungen, Ge-
fäßanomalien)
4 Herz (4 Kammern, Ausflusstrakt, venöser Einfluss rechts und links,
Rhythmus, Lage und Größe, Kontraktilität, Dopplersonografie)
12.3 · Auswahl pränatal diagnostizierbarer Fehlbildungen
123 12

4 Lungen (Größe, Zysten, Ergüsse, Raumforderungen bei Zwerchfell- Eigene Notizen


hernie)
4 Gastrointestinaltrakt (Magenblasenfüllung, Darmechogenität, Flüssig-
keit intraabdominell, Dilatationen)
4 Urogenitaltrakt (2 Nieren, Echogenität, zystische Veränderungen,
Nebennieren, Ureteren, Blase, Ureter, Fruchtwassermenge normal)
4 Genitale (eindeutig zuzuordnen)
4 Körperoberfläche (Spina bifida, Gastroschisis, Omphalozele, Enzepha-
lozele, Exenzephalus)
4 Extremitäten (4-mal 3 Segmente jeweils mit Ober-/Unterarmen, Ober-
/Unterschenkel, Händen, Füßen mit allen Knochen und 5 Fingern bzw.
Zehen, Beweglichkeit).

Dopplersonografisch können Flussmessungen kardial, aber auch gastroin-


testinal und zerebral durchgeführt werden. Zum Ausschluss einer fetalen
Anämie wird die maximale Geschwindigkeit der A. cerebri media gemes-
sen. Meist wird die fetale Untersuchung durch die Dopplersonografie der
Aa. uterinae ergänzt, um Risiken für die Entwicklung einer Präeklampsie
und/oder intrauterinen Wachstumsrestriktion zu erfassen.

12.3 Auswahl pränatal diagnostizierbarer


Fehlbildungen

12.3.1 Fallot-Tetralogie

Definition und Epidemiologie


Häufigster zyanotischer angeborener Herzfehler (9–11% aller angeborenen
Herzfehler). Inzidenz beträgt 2–2,6:10000 Lebendgeborene. 3 Haupt-
formen:
4 klassische (und häufigste) Form mit Pulmonalstenose
4 Fallot-Tetralogie (TOF) mit kompletter Pulmonalatresie
4 TOF mit so genanntem »Absent-pulmonary-valve-Syndrom«

Diagnostik
Sonografisch fällt ein abnormer 4-Kammerblick im Fall rechtsventrikulärer
Dilatation, eines AVSD (atrioventrikulärer Septumdefekt) oder einer »ab-
sent-pulmonary-valve« auf. Typisch sind der Malalignement-VSD (VSD:
Ventrikelseptumdefekt) und die darüber reitende Aorta mit farbdopplerso-
nografisch darstellbarer Füllung aus beiden Ventrikeln. Eine progrediente
Pulmonalstenose bewirkt eine retrograde Lungenperfusion über den Duc-
tus arteriosus botalli. In 20% liegt ein rechter Aortenbogen vor, ASD (atri-
aler Septumdefekt) sowie multiple VSDs und/oder Mitralstenose können
vorliegen. Bei Pulmonalatresie ist typischerweise ein reverse flow im Ductus
arteriosus zu sehen ohne antegrade Füllung der Pulmonalarterie, wohinge-
gen bei dem »Absent-pulmonary-valve-Syndrom« eine Regurgitation in die
Pulmonalarterie darstellbar ist.
124 Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge

Eigene Notizen In 25% liegen chromosomale Anomalien wie Trisomie 21, Trisomie 18
und Triploidien, insbesondere aber Mikrodeletion am Chromosom 22
(catch 22) im Fall einer Fallot-Tetralogie vor. Um die Progression der Pul-
monalstenose bis hin zur Pulmonalatresie zu erfassen, sollten Verlaufs-
kontrollen durchgeführt werden.
Die Prognose hängt stark von Begleitfehlbildungen oder chromosoma-
len Anomalien ab, was die streuende postnatale Mortalität zwischen 35
und 75% erklärt. Postnatales Ziel ist die korrigierende Operation.

12.3.2 Atrioventrikulärer Septumdefekt

Definition und Epidemiologie


Merkmal ist eine gemeinsame AV-Klappe mit 5 Segeln, häufigste Form ist
der »komplette« AVSD mit ASD und VSD, mit 3–7,3% aller angeborenen
Herzfehler relativ häufig, oft mit Heterotaxie-Syndromen assoziiert. In über
60% liegt ein Down-Syndrom vor.

Diagnostik
Im Rahmen der fetalen Echokardiografie auffällig sind die gemeinsame
AV-Klappe, ein ASD und VSD unterschiedlicher Größe mit teils verscho-
bener Aorta-/Pulmonalarterienrelation zuungunsten der Aorta; nach wei-
teren Auffälligkeiten, z.B. einer persistierenden linken V. cava superior mit
einem dilatierten Sinus coronarius sollte gefahndet werden. Falls sich intra-
uterin keine kardialen Dekompensationszeichen entwickeln, kann die vagi-
nale Geburt mit neonatologischem Standby erfolgen. Die betroffenen Kin-
der entwickeln meist 4–8 Wochen postnatal eine Herzinsuffizienz.
12
12.3.3 Hypoplastisches Linksherzsyndrom

Definition und Epidemiologie


22% der kardial bedingten Mortalität in der ersten Lebenswoche gehen
zu Lasten des hypoplastischen Linksherzsyndroms (HLHS), die Inzidenz
liegt bei 1–2,7 auf 10000 Lebendgeborene. Es gibt 4 Gruppen der Ausprä-
gung des HLHS mit variabler Ausprägung einer Aortenatresie und Mitral-
atresie.
Die Größe des linken Ventrikels ist abhängig von der Intaktheit des
Ventrikelseptums:
4 Ein nur rudimentärer linker Ventrikel findet sich bei kompletter Aor-
ten- und Mitralklappenatresie.
4 Ein hypoplastischer linker Ventrikel findet sich bei durchgängiger Mi-
tralklappe.

Diagnostik
In der fetalen Echokardiografie typisch ist der asymmetrische bzw. nicht
darstellbare Vierkammerblick und die oft retrograde Perfusion des Aorten-
bogens über den Ductus arteriosus botalli.
12.3 · Auswahl pränatal diagnostizierbarer Fehlbildungen
125 12
Therapie Eigene Notizen
Das postnatale Management besteht meist in medikamentöser Therapie mit
Prostaglandinen bis zum herzchirurgischen Eingriff (Norwood-Operation
oder Herztransplantation), die Option der palliativen Betreuung ohne Ent-
scheidung zur Operation wird in Einzelfällen gewählt, insbesondere bei
zusätzlichen Komplikationen (Frühgeburt, syndromale Fehlbildungen).
Die frühe Diagnosestellung erleichtert es, mit interdisziplinärem Konsil die
Therapieoptionen und postnatalen Prognosen zu erörtern. Die vaginale
Geburt ist möglich, sollte aber im Perinatalzentrum mit neonatologischem
Standby geplant werden.

12.3.4 Fehlbildungen der Nieren und ableitender


Harnwege

Nierenagenesie
Die Nichtanlage der Nieren wird als Nierenagenesie definiert, aufgrund
fehlender Fruchtwasserproduktion und konsekutiver Lungenhypoplasie ist
die Prognose bei beidseitiger Agenesie infaust, wohingegen die einseitige
Nierenagenesie eine gute Prognose aufweist.

Multizystische Nierendysplasie
Bei der Multizystischen Nierendysplasie (MCKD) unterscheidet man uni-
laterale und bilaterale multizystische Nierenveränderungen, in 25% sind
beide Nieren betroffen. Assoziierte Fehlbildungen zeigen sich bei bilate-
ralem Auftreten deutlich häufiger (67% versus 29%) als bei unilateralem
Auftreten. Sehr gute Prognose, falls keine weiteren Fehlbildungen vorliegen.
Die Funktion des Restgewebes ist entscheidend für die Prognose.
Polyzystische beidseitige Nieren (autosomal-rezessiver Erbgang) im-
ponieren durch ein überdimensionales Wachstum und ein typisch echo-
reiches Bild des Nierenparenchyms, in aller Regel entwickelt sich ein An-
hydramnion, die Prognose ist aufgrund der konsekutiven Lungenhypopla-
sie infaust.

Prune-belly-Megacystis
Eine meist männliche Feten betreffende Abflussbehinderung (als Urethral-
klappe bezeichnete Schleimhautfalte der Urethra) aus der Blase bewirkt
durch unzureichende Entleerung eine Megacystis mit Aufstau in Ureteren
und Nieren. Die Prognose ist sehr ungünstig bzw. abhängig von Restentlee-
rungsfunktion oder externen Entlastungsmaßnahmen, die eine Restmenge
an Fruchtwasser zur Ausbildung der Lungen sichern müssen. Häufig finden
sich begleitend eine Hypoplasie der Bauchdeckenmuskulatur und ein Mi-
krokolon.

Hydronephrose
Milde Nierenbeckendilatation bis massiver Nierenstau, ein- oder beidseitig,
keine frühzeitige Entbindung erforderlich, da kein Einfluss auf Entwicklung
des Nierenparenchyms, postnatale Sonografie.
126 Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge

Eigene Notizen 12.3.5 Gastroschisis

Definition
Bauchwanddefekt auf Höhe der Nabelschnurinsertion, mit Austritt von
Darm- und auch Leberanteilen in das Fruchtwasser.

Diagnostik
Die typischen sonografischen Merkmale können schon früh im ersten Tri-
menon dargestellt werden. Typisch ist die Raumforderung vor dem Abdo-
men mit flottierendem Eindruck, Austrittspforte meist rechtslateral der
Nabelschnurinsertion. Risikofaktoren sind Rauchen, niedriges mütterliches
Alter und die Einnahme vasoaktiver Substanzen, ein genetischer Faktor
scheint zu existieren. ! Cave Sonografisch müssen weitere Fehlbildungen
ausgeschlossen werden, erhöhtes Risiko insbesondere für Herzfehler be-
steht (bei 15% zusätzlich vorliegender Herzfehler).
Trotz fehlendem erhöhtem Risiko für chromosomale Aberrationen
wird die Karyotypisierung bei Vorliegen einer Gastroschisis im Rahmen
der pränatalen Diagnosestellung und Beratung angesprochen und von den
Eltern die Durchführung gewünscht.

Beratung/Therapie
Zur pränatalen Beratung gehören das kinderchirurgische und neonatolo-
gische Konsil, die das postnatale Vorgehen erörtern. Auch wenn statistisch
kein evidenter Benefit für das Kind bei Durchführung eine Kaiserschnitts
gesichert ist, wird aus organisatorischen Gründen und Sicherheitsbedürfnis
der Eltern die elektive Schnittentbindung geplant und das Neugeborene
unmittelbar postnatal in die Kinderchirurgie innerhalb des Perinatalzent-
12 rums verlegt.

Verlauf, Prognose
Feten mit Gastroschisis haben ein erhöhtes Risiko für eine intrauterine
Wachstumsrestriktion (IUGR) und intrauterinen Fruchttod (IUFT) (10–
15%), daher werden regelmäßige sonografische, dopplersonografische und
Kardiotokografie-Verlaufskontrollen (CTG) durchgeführt. Die Prognose ist
abhängig von begleitenden vorliegenden Atresien oder Infarzierungen des
Darms sehr gut.

12.3.6 Omphalozele

Definition und Epidemiologie


Relativ häufige Fehlbildung mit 1:4000 bis 10000 Lebendgeborenen. Je nach
Ausprägung sind abdominale Muskeln, Faszien und Haut hypoplastisch.
Der Bruchsack besteht aus Peritoneum innen und Amnion außen. Der In-
halt sind viszerale Organe, je nach Ausdehnung kann ein kleiner Leber- bis
großer Leberanteil mit oder ohne Magen- und Darmanteile hinzukommen.
Die Nabelschnur setzt sich aus dem Bruchsack fort.
12.3 · Auswahl pränatal diagnostizierbarer Fehlbildungen
127 12
Diagnostik Eigene Notizen
Sonografisch typisch ist die extraabdominale an der vorderen Bauchwand
lokalisierbare Raumforderung mit glatter Begrenzung durch den Bruchsack
(im Vergleich dazu die unregelmäßige Begrenzung der extraabdominal ge-
legenen Organe bei Gastroschisis).
Aufgrund des erhöhten Risikos chromosomaler Aberrationen (4-mal
höher, falls Darm im Bruchsack enthalten ist) muss eine Karyotypisierung
besprochen und angeboten werden, der Anteil an Trisomie 13, 18 oder
Triploidien ist mit 61% bei Diagnostik zwischen 12–20 SSW sehr hoch.
Begleitfehlbildungen, insbesondere Herzfehler, müssen deshalb ausge-
schlossen werden. Ein pränatales kinderchirurgisches und neonatolo-
gisches Konsil informiert die Eltern über das peri- und postnatale Proce-
dere.

Therapie
In der Regel erfolgt die elektive Schnittentbindung und unmittelbare Verle-
gung des Neugeborenen aus dem Operationssaal in die Kinderchirurgie.
Postnatale und postoperative Prognose sind in Abhängigkeit von Begleit-
fehlbildungen relativ gut, die perinatale Mortalität wird aber dennoch mit
19% angegeben, die neonatale Morbidität mit 25%.

12.3.7 Skelettdysplasien

Epidemiologie und Klassifikation


Diese große Gruppe umfasst über 100 Krankheitsbilder mit einer Gesamt-
häufigkeit von 2,4:10000 Geburten. Die Klassifikation erfolgte früher an-
hand radiologischer, histologischer und klinischer Befunde, in den letzten
Jahren hat sich durch die molekulargenetische Diagnostik eine ätiologische
Klassifikation (Defekte von Strukturproteinen, Stoffwechseldefekte, Stö-
rung von Faltung und Abbau von Makromolekülen, DNA-, RNA-, Zellkern-
protein-, Transkriptionsfaktorstörungen etc.) etabliert. Entscheidend ist die
embryonale Skelettentwicklung.

Diagnostik
Sonografie mit abweichender Entwicklung des Skeletts (Dreigliedrigkeit der
Extremitäten, Länge, Dichte, Krümmung der Röhrenknochen, Achsenske-
lett, Thoraxform). Meist fallen verkürzte und/oder verkrümmte Röhren-
knochen, ein auffälliger Thorax oder eine auffällige Schädelform auf. Auf
weitere Fehlbildungen (Organe, Herz) ist zu achten. Die meisten letalen
Skelettdysplasien zeigen bereits im 2. Trimenon einen unter die 5. Perzentile
verkürzten Röhrenknochen. Ein großer Anteil der nicht letalen Skelettdys-
plasien wird jedoch erst spät im Schwangerschaftsverlauf oder postnatal
diagnostiziert.
Häufige Skelettdysplasien:
4 Achondrogenesie Typ I: autosomal-rezessiver Erbgang, seltene Skelett-
erkrankung mit massiv verkürzten langen Röhrenknochen, schlechter
Prognose mit intrauterinem IUFT oder postnatalem Versterben.
128 Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge

Eigene Notizen 4 Achondrogenesie Typ II: sehr selten, De-novo-Mutationen, Prognose


wie Typ I.
4 Achondroplasie: 1:10000 Geburten, fehlerhafte Knorpelbildung, mit
steigender SSW zunehmend kürzere proximale Röhrenknochen, ty-
pisch sind die eingesunkene Nasenwurzel und eine vorgewölbte Stirn,
die Intelligenzentwicklung ist normal, Prognose von orthopädischen
Problemen abhängig.
4 Ellis-van-Crefeldt-Syndrom: selten, autosomal-rezessiv, Verkürzung
der langen, v.a. distalen Röhrenknochen, Herzfehler, Spaltbildung. Pro-
gnose von Begleitfehlbildungen und Thoraxentwicklung abhängig.
4 Osteogenesis imperfecta: 4:100.000 Geburten, autosomal-dominant
unterschiedlicher Expressivität, meist De-novo-Mutationen, gestörte
Kollagensynthese. Pränatal bereits frakturierte verkürzte lange Röh-
renknochen darstellbar, Prognose abhängig vom Manifestationszeit-
punkt:
5 Letale Form vor 20 SSW
5 Bei Manifestationen jenseits des 2. Trimenons Überlebensfähigkeit
gegeben.

12.4 Invasive Pränataldiagnostik

Durch eine invasive Technik (Punktion) wird fetales Material (Fruchtwas-


ser, Chorionzotten, Blut, Urin, Pleurapunktat) zur genetischen, molekular-
genetischen, infektiologischen oder hämatologischen Diagnostik gewon-
nen. Die verschiedenen Eingriffe werden kurz skizziert.
12
12.4.1 Chorionzottenbiopsie

Durchführung der Chorionzottenbiopsie (chorionic villous sampling,


CVS) ab 12+0 SSW. Unter sterilen Bedingungen wird mit einer Nadel in
der Regel transabdominell unter Ultraschallsicht das Chorion punktiert
und 15–20 mg Zottengewebe in eine Spritze mit Nährmedium aspiriert.
Dieses wird zur genetischen Diagnostik verbracht. Nach meist weniger als
48 h ergibt die Direktpräparation ein Karyogramm, das in der Langzeit-
kultur bestätigt wird. Gezielte Gen-Diagnostik erfolgt bei Erkrankungssu-
che, wie Muskeldystrophie, Mukoviszidose, Stoffwechselerkrankungen.
! Cave Hier wird etwas mehr Gewebe benötigt, was bei der Entnahme
bedacht werden muss und es können die spezifischen Analysezeiten länger
sein.
Vor Durchführung des Eingriffs muss von der Patientin eine schrift-
liche Einwilligung mit Bestätigung über das Aufklärungsgespräch gegeben
werden. Risiken der Chorionzottenbiopsie sind:
4 Blutung
4 Blasensprung
4 Infektion
4 Abort
12.4 · Invasive Pränataldiagnostik
129 12

Das Gesamtrisiko wird in der Literatur mit 0,5 bis <1,0% angegeben. Risi- Eigene Notizen
koerhöhend sind Myome, Blutung in der Frühschwangerschaft, Uterusfehl-
bildungen.
Indikationen sind:
4 Karyotypisierung
4 Molekulardiagnostik
4 Selten Infektionsdiagnostik (Rötelninfektion der Mutter)

12.4.2 Amniozentese

Zeitpunkt ab 15+0 SSW. Unter sterilen Bedingungen werden transabdomi-


nell unter Ultraschallkontrolle 15–20 ml Fruchtwasser entnommen. In einer
Schnellanalyse kann binnen weniger Stunden bereits das Vorhandensein
bestimmter überzähliger (Chromosom 13, 18, 21) oder fehlender Chromo-
somen (X) diagnostiziert werden. Von Eltern wird diese Untersuchung meist
gewünscht und bei fehlender medizinischer Notwendigkeit als Eigenleistung
gezahlt, um zeitnah eine Diagnose zu den am häufigsten (90%) betroffenen
Chromosomen zu erhalten. Die Langzeitkultur ergibt nach bis zu 2 Wochen
ein komplettes Karyogramm, das typischerweise in Parallelkulturen erstellt
wird. Aufklärung und Dokumentation wie bei CVS.
Das Eingriffsrisiko (vorzeitiger Blasensprung [premature rupture of
membranes: PROM], Blutung, Wehen, Abort) liegt bei 0,6%, höher bei
Uterus myomatosus, Blutung in der Frühschwangerschaft.
Indikationen:
4 Meist Karyotypisierung
4 Infektionsdiagnostik: Erregernachweis (Toxoplasmose, CMV)
4 Interleukinbestimmung aus dem Fruchtwasser bei Verdacht auf Am-
nioninfektionssyndrom

12.4.3 Cordozentese

Unter sterilen Bedingungen ultraschall-gesteuerte Punktion der Nabel-


schnur, bevorzugt wird die Vene punktiert, da das Lumen größer und die
fetalen kardialen Komplikationen (Bradykardie) seltener sind. Punktiert
wird der plazentare Ansatz (evtl. transplazentar), eine freie Schlinge oder
der fetale Nabelschnuransatz. Risiko schwankt durch SSW und Indikation
(Karyotypisierung, Anämie, Hydrops) und wird bei 1–5% angegeben.
Komplikationen sind die fetale Bradykardie, Blutung aus der Punkti-
onsstelle ins Fruchtwasser, Tamponade der Nabelschnur, Blasensprung,
Wehen. Ab Erreichen der Lebensfähigkeit des Feten muss eine Cordozen-
tese in Sectiomöglichkeit (Anästhesie, Neonatologie, ggf. OP-Einwilligung
vorhanden) durchgeführt werden.
Indikationen:
4 Karyotypisierung bei unklarem CVS- oder AC-Befund in fortgeschrit-
tenem Gestationsalter,
4 Anämieabklärung, ggf. in einem Eingriff auch intrauterine Transfusion
130 Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge

Eigene Notizen 12.4.4 Intrauterine Transfusion

In einem Eingriff sind Anämiediagnostik (Rh-Inkompatibilität, Infektion


mit z.B. CMV oder Parvovirus B19) und bei Bestätigung Transfusion über
dieselbe Nadel möglich, daher sollte bei Verdacht auf Anämie vor Punktion
die Transfusionsbereitschaft hergestellt werden (Konserve: 0 neg, CMV-
negativ, gefiltert, bestrahlt).

12.4.5 Punktionen

Punktionen fetaler Strukturen sind individuellen Indikationen zugeordnet,


wie die Entlastung einer Megacystis und anschließende Urinanalyse zur
Abschätzung der fetalen Nierenfunktion, Shunt-Einlage zur Drainage einer
Megacystis oder eines Pleuraergusses. Komplikationen wie beschrieben
(PROM, Blutung, Wehen), ggf. Lungenreifeinduktion bei zu erwartender
Frühgeburtlichkeit und antibiotische Abschirmung bei länger dauernder
Prozedur.

12.5 Gemini (Mo-Mo, Mo-Di, Di-Di)

12.5.1 Allgemeines

Eine Zwillingsschwangerschaft entsteht entweder aus der Befruchtung einer


Eizelle mit nachfolgender Teilung (monozygot) oder aus der Befruchtung
zweier Eizellen (dizygot).
12 Je nach Teilungszeitpunkt entsteht aus einer monozygoten Anlage eine
Monochoriote (eine gemeinsame Plazenta) oder eine Dichoriote (zwei ge-
trennte Plazenten) Zwillingsschwangerschaft. > Memo Man unterschei-
det: Dichoriot – Diamniot, Monochoriot – Diamniot, Monochoriot – Mo-
noamniot.
Dass eine Schwangerschaft zweieiig ist, kann pränatal mit Sicherheit
nur bei unterschiedlichem Geschlecht der Feten ausgesagt werden.

Epidemiologie/Häufigkeit
4 Zwillinge: 1:85 (1,18%)
4 Drillinge: 1:852 (0,014%)
4 Vierlinge: 1:853 (0,0000016%)

Durch Reproduktionsmedizin höhere Inzidenz von 2–3% (11–14 SSW).


Zwillingsschwangerschaften haben eine 3- bis 6-fach erhöhte Rate
an Schwangerschaftskomplikationen, z.B. 3-mal häufiger eine vorzeitige
Plazentalösung, fetale Entwicklungsstörungen und perinatale und mater-
nale Entwicklungsstörungen sollten so früh wie möglich diagnostiziert
werden.
12.5 · Gemini (Mo-Mo, Mo-Di, Di-Di)
131 12
Risiken Eigene Notizen
Maternale Risiken:
4 Zervixinsuffizienz
4 Vorzeitige Wehentätigkeit
4 pre-PROM
4 Gestatonsdiabetes (18,4%)
4 Thromobose
4 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (SIH) (16,7%)
4 Präeklampsie
4 Abruptio placentae
4 Anämie (16,7%)
4 Cholestase (9,7%)
4 Thrombopenie (20,2%)

Neonatale Risiken:
4 Frühgeburtlichkeit: <28 SSW (8,8%), <32 SSW (42,1%)
4 54,4% Beatmung/Sauerstoffgabe
4 Sepsis/Pneumonie (25%)
4 Intraventrikuläre Hämorrhagie (IVH) (4,3%)
4 Ikterus (11,3%)
4 38,0% der Neugeborenen wiegen <1500 g
4 Erhöhte perinatale Mortalität (PNM) 2,74%

12.5.2 Fetofetales Transfusionsyndrom (FFTX)

Definition und Epidemiologie


Betroffen sind 10–20% der monochorioten Geminigraviditäten, ohne The-
rapie beträgt die perinatale Mortalität (PNM) 90% (<26 SSW), pathophy-
siologisch liegt eine Imbalance der fetalen Herzzeitvolumina durch Gefäß-
anastomosen in der Plazenta zugrunde.
4 Donor-Zwilling: Oligohydramnion, Anhydramnion, leere Magenblase,
leere Harnblase, Anämie, »stuck twin«.
4 Akzeptor-Zwilling: Polyhydramnion, große Magenblase, große Harn-
blase, Hypervolämie, Hydrops.

Diagnostik
4 Ultraschall, Dopplersonografie.

Therapie
4 Lasertherapie mit Koagulation der Anastomosen, bestes outcome (neu-
rologische Langzeitmorbidität der überlebenden Kinder) im Vergleich
zur Entlastungspunktion oder Septostomie.
4 Überwachung der Schwangerschaft:
5 Ultraschall: Fruchtwassermengen beider Kinder, HB, MB, Biomet-
rie und Wachstumsverlauf (Größendiskrepanz), Dopplersonografie
(A. umbilicalis, A. cerebri media, Ductus venosus), Echokardiogra-
fie zur Einschätzung der fetalen Kreislaufsituation, CTG.
132 Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge

Eigene Notizen TAPS (Twin-anemia polycythemia sequence)


4 2% der monochoriot-diamnioten Graviditäten! Zur Früherkennung
einer fetalen Anämie regelmäßig Messung der Vmax der A. cerebri
media

TRAP-Sequenz (Twin reversed arterial perfusion)


4 Acardius-Geminus ohne eigenes pumpendes Herz, evtl. zusätzlich
Acranius ohne oder mit nur rudimentärer Kopfanlage mit reverser Per-
fusion über (meist) eine Nabelarterie aus dem Herzminutenvolumen
des vitalen Geminus, schweres FFTS möglich mit Dekompensation des
kardialen pumpenden Geminus. Therapie: Clip, Laserung.

12.5.3 Schwangerenvorsorge
bei Mehrlingsschwangerschaften

Diese erfolgt prinzipiell entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien. Bei


monochorionalen Zwillingsschwangerschaften ist insbesondere zwischen
16 und 24 SSW eine engmaschige, mindestens 2-wöchige sonografische
Kontrolle indiziert, mit 20 SSW die Beurteilung der Zervixlänge und zum
Ausschluss einer bakteriologischen Fehlbesiedelung ein mikrobiologischer
Abstrich der Zervix. Frühzeitiges Erkennen und Informieren der Patientin
über mehrlingsspezifische Risiken und Befunde ist angezeigt.

12
13

Tag 4 – Schwangerschaftspathologien

13 Schwangerschaftspathologien
B. Schiessl

13.1 Schwangerschaft und Diabetes – 135


13.1.1 Gestationsdiabetes – 135
13.1.2 Betreuung von Schwangerschaften mit Diabetes mellitus Typ I
und Typ II – 138

13.2 Venöse Thromboembolie und Schwangerschaft – 139

13.3 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie/Präeklampsie/


HELLP – 141
13.3.1 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie
(SIH, Gestationshypertonie) – 141
13.3.2 Präeklampsie (Gestose/HELLP) – 142

13.4 Frühgeburtlichkeit und vorzeitiger Blasensprung – 147


13.4.1 Frühgeburt – 147
13.4.2 Vorzeitiger Blasensprung – 150

13.5 Intrauteriner Fruchttod – 153

13.6 Intrauterine Wachstumsrestriktion, »small for gestational


age« – 156

13.7 Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal – 158


13.7.1 Amnioninfektionssyndrom (Chorioamnionitis) – 158
13.7.2 Infektionen mit Streptokokken der Gruppe B – 160
13.7.3 HIV – 166
13.7.4 Parvovirus-B-19-Infektion (Ringelröteln) – 169
13.7.5 CMV – Zytomegalieinfektion – 170
13.7.6 Varizella-Zoster-Virus-Infektion – 172
13.7.7 HSV: Herpes-Simplex-Virus-Infektion (Typ 1 und Typ 2) – 174
13.7.8 Röteln-Infektion – 175
13.7.9 Toxoplasmose-Infektion – 177
13.7.10 Listerieninfektion – 179
13.7.11 Malariainfektion – 180

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_13,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
13.8 Maternale Erkrankungen – 181
13.8.1 Schilddrüsenerkrankungen – 181
13.8.2 Nierenerkrankungen – 182
13.8.3 Herz – 187
13.8.4 Autoimmunerkrankungen – 192
13.8.5 Myome – 197
13.1 · Schwangerschaft und Diabetes
135 13
13.1 Schwangerschaft und Diabetes Eigene Notizen

Ein erstmalig in der Schwangerschaft diagnostizierter Diabetes wird als


Gestationsdiabetes bezeichnet. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich um
einen präexistenten Diabetes handelt, der nach der Schwangerschaft persis-
tiert, ob es ein sich in der SS manifestierender Typ I oder Typ II Diabetes ist
oder ein »reiner« Gestationsdiabetes, der nach der Schwangerschaft wieder
»verschwindet«.

13.1.1 Gestationsdiabetes

Epidemiologie
Die Inzidenz des Gestationsdiabetes steigt in den letzten Jahren stark an,
wahrscheinlich bedingt durch eine Mixtur aus steigender Diagnostik und
steigendem Anteil des Risikokollektivs. Derzeit geht man von 5% aus.

Ätiologie
Durch hormonelle Veränderungen in der SS (Produktion plazentarer Hor-
mone) kommt es zu einer maternalen Insulinresistenz, die durch Mehraus-
schüttung von Insulin kompensiert wird. Wenn diese Mehrproduktion er-
schöpft ist, kommt es durch den Insulinmangel zur gestörten Glukosetole-
ranz bzw. Gestationsdiabetes.
Risikofaktoren sind:
4 Erhöhtes Alter
4 Adipositas
4 Familiäre Belastung mit Diabetes
4 Zustand nach Geburt eines Kindes >4000 g
4 Zustand nach schweren kindlichen Fehlbildungen in früherer SS
4 Zustand nach Aborten bzw. intrauterinem Fruchttod (IUFT)
4 Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen (Pima-Indianer,
Hispanier, etc.)
4 Aktuelle SS: Makrosomie des Feten, Polyhydramnion

Erhöhte Glukosespiegel im maternalen Organismus führen zu einer ver-


mehrten Diffusion der Glukose über die Plazentaschranke zum Feten, der
darauf mit gesteigerter Insulinproduktion reagiert. Bei Fortbestehen kommt
es zu einer Fehlprogrammierung des fetalen Stoffwechsels, mit der Folge der
Hyperinsulinämie und vermehrter Fetteinlagerung, das Wachstum nimmt
zu. Individuelle Ansprechbarkeit des fetalen Pankreas lassen das fetale kli-
nische Bild unterschiedlich ausgeprägt erscheinen. Trotz Wachstumsschub
sind sowohl Plazenta wie auch fetale Organe unreifer.

Klinik
Der Gestationsdiabetes verläuft ohne maternale klinische Symptome, häu-
fig fehlen anamnestische oder konstitutionelle Risikofaktoren, sodass es
eines Screeningtests bedarf, um einen Gestationsdiabetes auszuschließen.
136 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Diagnostik:


Das GDM-Screening ist nicht Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien, soll-
te aber entsprechend den AWMF-Leitlinien durchgeführt werden. Das
Screening mit 50 g Glukose (unauffällig, wenn nach 1 h <140 mg%) ist um-
stritten, da es ohne standardisierte Vorbedingungen durchgeführt wird. Der
standardisierte orale Glukosetoleranztest (OGTT) mit 75 g wird wie folgt
durchgeführt:
4 Zeitpunkt 24–28 SSW
4 Nach nächtlicher 8-stündiger Nüchternheit wird morgens nach Mes-
sung des Nüchternwerts eine Glukosebelastung mit 75 g Glukose-Test-
lösung durchgeführt, die Patientin muss Ruhe einhalten, nach 1 und 2 h
werden die Blutzuckerwerte erneut gemessen.
4 Grenzwerte: nüchtern <90 mg%, 1-h-Wert <180 mg%, 2-h-Wert
155 mg%
4 Bei einem erhöhten Wert liegt eine gestörte Glukosetoleranz vor, ab
2 erhöhten Werten ein Gestationsdiabetes.

Therapie
Die Konsequenz aus einem auffälligen OGTT besteht zunächst in der Er-
stellung eines Blutzuckertagesprofils. Normwerte sind:
4 Nüchtern <90 mg%
4 1 h nach dem Essen <140 mg%
4 2 h nach dem Essen <120 mg%

Ferner erfolgt eine Ernährungsberatung und ggf. Ernährungsumstellung,


die Schwangere sollte sich sportlich betätigen (Ausdauer: Fahrradergome-
ter, Schwimmen, Walken etc.), sofern keine Kontraindikationen vorliegen.
Falls mit diesen Maßnahmen keine ausreichende Blutzuckereinstellung er-
reicht wird, besteht eine maternale Indikation zur Insulintherapie.
13 Fetale Diagnostik und Überwachung: Bei (Verdacht auf) GDM: die
Makrosomie zeigt die Manifestation der fetalen Hyperinsulinämie an,
der wichtigste Parameter ist die Zunahme des fetalen Abdomenumfangs
(AU) >75. Perzentile, ferner das verdickte subkutane Fettgewebe (Wange,
Oberschenkel, Abdomen), sowie die erhöhte Fruchtwassermenge. Eben-
so muss eine fetale Wachstumsrestriktion ausgeschlossen werden (ur-
sächlich ist hier die unreife Plazenta mit sklerosiertem und ödematösem
Zottenstroma, verdickten Basalmembranen), diese Feten sind erhöhter
perinataler Morbidität und Mortalität ausgesetzt! Die Dopplersonografie
der uterinen Arterien hilft, das erhöhte Präeklampsierisiko von Dia-
betikerinnen zu erfassen, die Messung der fetalen Dopplerindizes dient
nicht zur Überwachung des Gestationsdiabetes, jedoch wird sie im
klinischen Alltag eingesetzt und hat insbesondere in der Überwachung
der IUGR-Feten ihren Stellenwert (IUGR: intrauterine growth restric-
tion). Eine fetale Indikation zur Insulintherapie besteht unabhängig
von den mütterlichen BZ-Werten bei einem fetalen Abdomenumfang
>75. Perzentile.
Ab 32 SSW wird die zusätzliche fetale Überwachung mittels CTG (Kar-
diotokografie) empfohlen.
13.1 · Schwangerschaft und Diabetes
137 13

Die Ernährungsberatung umfasst allgemeine und schwangerschafts- Eigene Notizen


spezifische Punkte:
4 6 Mahlzeiten/Tag
4 Energiebedarf 30–40 kcal/kg Körpergewicht
4 Keine Gewichtsreduktion bei Adipositas in der Schwangerschaft, je-
doch adaptierte Kalorienzufuhr (geringer!)
4 Kohlenhydratanteil 50–60% mit niedrigem glykämischem Index (Voll-
korn etc.).

Der Beginn einer Insulintherapie kann bei guter Compliance und engma-
schiger Überwachung auch ambulant erfolgen, typischerweise werden bei
pathologischen Nüchternwerten Verzögerungsinsuline zur Nacht und bei
pathologischen postprandialen Werten Altinsulin zu den Mahlzeiten ge-
geben.
Ziel:
4 Präprandial 60–90 mg%
4 Postprandial nach 1 h <140mg%, nach 2 h <120 mg%
4 Nächtliche Werte 60–90 mg%
> Memo Die Gabe von oralen Antidiabetika ist kontraindiziert.

Die Schwangerenvorsorge erfolgt nach den Mutterschutzrichtlinien, je-


doch intensiviert bei zusätzlichen Risiken und bei Insulintherapie.
Risiken und Komplikationen insbesondere bei nicht erkanntem bzw.
nicht adäquat behandeltem GDM sind:
4 Fetale Fehlbildungen
4 Erhöhtes Hypoxierisiko subpartal
4 Geburtstrauma (Schulterdystokie)
4 Postnatal:
5 ZNS-Schädigung durch Hypoglykämie
5 Atemnotsyndrom (Unreife der Lunge)
5 Hyperbilirubinämie (Unreife der Leber)
5 Adipositas im Kleinkind- und Schulalter

Maternale Risiken bestehen in:


4 Erhöhter Abortneigung
4 Harnweginfektionen
4 Vorzeitiger Wehentätigkeit
4 Präeklampsie
4 Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ II nach 20 Jahren bei 60%

Die Entbindung sollte auch bei fehlenden weiteren Risiken am errechneten


Termin stattfinden, früher bei maternalen Komplikationen (Präeklampsie,
HELLP-Syndrom, nicht einstellbare BZ-Werte), bei fetalen Komplikationen
(IUGR, auffälliges CTG, Makrosomie). Das Risiko der Schulterdystokie
steigt mit dem fetalen Gewicht, eine exakte Aufklärung hierüber und ent-
sprechende Dokumentation in der Krankenakte ist Pflicht und Dokumen-
tation ist Pflicht, ab 4500 g geschätztem Gewicht wird die primäre Sectio-
Entbindung besprochen und meist indiziert.
138 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Mit Beginn der Wehentätigkeit wird die Insulintherapie beendet. Im
Wochenbett erfolgt an Tag 2 oder 3 ein Blutzuckertagesprofil; wenn die
Werte im Normbereich liegen, wird ein OGTT nach 6–8 Wochen sowie
einmal jährlich durchgeführt.

Nachsorge/Prävention
Eine internistische/diabetologische Anbindung wird dringend angeraten,
da das Risiko eines Typ-II-Diabetes insbesondere bei zusätzlichen Risiko-
faktoren stark erhöht ist (60% nach 20 Jahren), hohes Wiederholungsrisiko
in den Folgeschwangerschaften.

13.1.2 Betreuung von Schwangerschaften


mit Diabetes mellitus Typ I und Typ II

Patientinnen mit Kinderwunsch sollten einer präkonzeptionellen Bera-


tung und Stoffwechseloptimierung zugeführt werden. Das Fehbildungs-
risiko korreliert mit der BZ-Einstellung im 1. Trimester. Eine Umstellung
auf eine Pumpe kann hilfreich sein, ist jedoch nicht zwingend erforder-
lich. Während der SS müssen folgende Aspekte bedacht bzw. überwacht
werden:
4 Retinopathie (Befund bei Konzeption und im SS-Verlauf)
4 Medikation eines präexistenten Hypertonus auf α-Methyldopa um-
stellen
4 Hypertonieentwicklung in der SS (SIH)
4 Nierenbefunde (Kreatininwert, Kreatininclearance, Nephropathie,
Mikroalbuminurie)

Die Intensität der Schwangerschaftsvorsorge richtet sich nach bestehenden


13 Begleiterkrankungen und der Stoffwechseleinstellung. Die Blutzuckerwerte
sollten bei folgenden Werten liegen:
4 Präprandial <90 mg%
4 Postprandial nach 1 h < 140 mg%
4 Nach 2 h <120 mg%
! Cave Zu beachten sind die großen BZ-Schwankungen im 1. Trime-
non mit der Gefahr der Hypoglykämie, dies noch verstärkt bei Hyper-
emesis.

Ab 16 SSW kommt es zur zunehmenden antiinsulinären Wirkung der Pla-


zentahormone mit erheblichem Anstieg des Insulinbedarfs im 2. Trimenon,
Stabilisierung im 3. Trimenon. Nachlassende antiinsulinäre Wirkung be-
steht in den letzten Schwangerschaftswochen (abnehmender Insulinbe-
darf!). Im Fall einer Stoffwechselentgleisung (pH <7,1, BE < -5 mmol/l), BZ
>250 mg%) ( ! Cave Junge Patientin, hier oft niedrigere BZ-Werte, Hyper-
kaliämie, erhöhtes Kreatinin und Harnstoff) muss die Therapie interni-
stisch, ggf. intensivmedizinisch erfolgen (ketoazidotisches Koma, erfordert
nicht zwingend Bewusstseinsverlust), die Schwangere muss vor einem ope-
rativen Eingriff stabilisiert werden!
13.2 · Venöse Thromboembolie und Schwangerschaft
139 13

Fetale Risiken bei maternalem Typ-I- oder Typ-II-Diabetes: Eigene Notizen


4 Fehlbildungen
4 Wachstumsbeschleunigung (Perzentilensprung nach oben)
4 Wachstumsrestriktion (entsprechend Pathomechanismus bei GDM)
4 Erhöhte perinatale Mortalität und Morbidität
4 Gefahr der Minderperfusion des uteroplazentaren Stromgebiets beson-
ders bei maternalen Begleit-/Folgeerkrankungen des DM

Überwachung in der SS durch Detailsonografie im 1. und 2. Trimenon,


Wachstumskontrolle, ggf. Dopplersonografie. Zuwarten mit Entbindung bis
zum errechneten Termin möglich. Sub partu ist die Indikation zur sekundär-
en Sectio früher und großzügiger zu stellen, da der Sauerstoffbedarf bei fe-
talem Hyperinsulinismus erhöht ist und eine Plazentainsuffizienz vorliegen
kann. Die angestrebten Blutglukosewerte subpartal liegen bei 70–110 mg%,
ggf. mittels Infusion (Glukose 5%) und Insulinperfusor titrieren.
Das Neugeborene muss zur Vermeidung neonataler Hypoglykämien
entsprechend der AWMF-Leitlinie überwacht werden.
Unmittelbar postpartal (Zielwerte in den ersten 5 Tagen 100–200 mg%)
und weiter im Wochenbett muss die Insulindosis reduziert werden, der BZ
zunächst engmaschiger kontrolliert werden (idealerweise 2. Pumpe mit
entsprechender Programmierung mitbringen lassen). Stillen wird befür-
wortet und sollte gefördert werden. ! Cave Zu beachten ist der BZ-Abfall
während des Stillens.

13.2 Venöse Thromboembolie


und Schwangerschaft

Epidemiologie und Ätiologie


Venöse Thromboembolien gehören zu den Haupttodesursachen während
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Der Anteil an der mütterlichen
Sterblichkeit beträgt weltweit 11%. Ein großer Teil der Betroffenen weist
Risikofaktoren auf und wäre einer Thromboembolieprophylaxe zugänglich.
Trotz Verfügbarkeit der medikamentösen Thromboseprophylaxe steigt
die Inzidenz an Thromboembolien, was durch ein verändertes Schwange-
renkollektiv (höheres Alter, höherer BMI, höherer Anteil diabetischer
Schwangerschaften, höhere Sectioraten als postpartales Risiko) bedingt
wird. Die bekannte Virchow-Trias aus Stase, Hyperkoagulabilität und trau-
matischer Endothelschädigung ist in Schwangerschaft und Wochenbett
gegeben und erhöht somit das Risiko bis zu 6-fach. Das Verhältnis tiefe
Beinvenenthrombosen zu Lungenembolie liegt bei etwa 5:1 in Schwanger-
schaft und Wochenbett.

Vorgehen und Risikofaktoren


3 Leitlinien prägen das aktuelle Vorgehen:
4 Leitlinie des American College of Chest Physicians 2008
4 AWMF-S3-Leitlinie 2009
4 Leitlinie des Royal College of Obstetricians and Gynecologists 2009
140 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Wesentlich ist die individuelle Erfassung und Einschätzung von Risiken für
das Auftreten einer Thromboembollie in der Schwangerschaft, unter der
Geburt und im Wochenbett, wobei präexistente und neu auftretende bzw.
vorübergehende Faktoren in die Evaluierung einfließen. Zu präexistenten
Risiken zählen:
4 Alter >35 Jahre
4 Parität >3
4 Nikotinabusus
4 Immobilität (Plegien)
4 Varikosis höheren Grades
4 Internistische Erkrankungen aus dem Autoimmun-/Kollagenosen-
kreis
4 Thrombophilien
4 Zustand nach kardialen Operationen (v.a. Klappenersatz)

Neu auftretende, ggf. vorübergehende Risikofaktoren sind in der Schwan-


gerschaft:
4 Dehydratation (Hyperemesis!)
4 Überstimulationssyndrom nach ART (Kap. 5)
4 Immobilität (Reisen)
4 Infektionen systemischer Art (Pneumonie, Pyelonephritis)
4 Operationen, insbesondere notfallmäßig indizierte Eingriffe (vaginal
operative Geburt, sekundäre Sectio)
4 Protrahierte Geburt
4 Postpartale Hämorrhagie (PPH) >1000 ml
4 Transfusionen

Anamnestisch ist der Zustand nach Thrombose/Embolie mit einem erheb-


lichen Wiederholungsrisiko verbunden. Die Erfassung der Risikofaktoren
13 muss aufgrund der Dynamik zu Beginn und im Verlauf der Schwanger-
schaft bei jeder sich ändernden Konstellation erfolgen (z.B. bei stationärer
Aufnahme). Je mehr vorhandene oder hinzutretende Risiken vorliegen,
desto höher die Einstufung in ein Risikoprofil, aus dem heraus sich die
Empfehlung für Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft und post-
partum ergibt. Diese erfolgt gewichtsadaptiert mittels subkutan appliziertem
niedermolekularem Heparin (NMH).

Klinik
Das klinische Bild einer tiefen Venenthrombose (TVT) wird nicht selten
durch die schwangerschaftstypischen Symptome geschwollene Beine, Bein-
schmerzen und Dyspnoe verschleiert.

Diagnostik
Bei Verdacht auf eine TVT sollte als erste diagnostische Maßnahme eine
Duplexsonografie der Beinvenen erfolgen. Da dies nicht zwingend eine
Unterschenkelvenenthrombose ausschließt, wird die Wiederholung nach
1–2 Tagen zum Ausschluss des Thrombuswachstums empfohlen. Bei unzu-
verlässigen Befunden oder nicht zuverlässiger Auswertung kann in Einzel-
13.3 · Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie/Präeklampsie/HELLP
141 13

fällen eine Venografie oder ein MRT durchgeführt werden. Bei Verdacht auf Eigene Notizen
eine Lungenembolie steht die Szintigrafie bei geringer Strahlenbelastung an
erster Stelle, die Diagnose Lungenembolie gilt als gesichert, wenn ein seg-
mentaler Perfusionsdefekt besteht. Die Bestimmung der D-Dimere hat in
der Schwangerschaft eine eingeschränkte Aussagekraft.

Therapie
Standard ist die intravenöse Applikation von Heparin bei einer TVT, die
Überwachung erfolgt über Messung der aPPT, was in der Schwangerschaft
erheblich komplizierter ist. Daher hat sich die Gabe niedermolekularer He-
parine als praktikabler erwiesen, wobei die Dosierung sich an der nicht
schwangerer Patienten anlehnt. Neben der Kontrolle des Anti-Xa-Spiegels
sollten Thrombozytenkontrollen erfolgen. Die früher empfohlene Immobi-
lisation hat sich im Sinne reduzierter Lungenembolien nicht bewährt, so-
dass von dieser wieder Abstand genommen wurde.
Die Therapie einer Unterschenkelthrombose wird kontrovers disku-
tiert, aufgrund der potenziellen Weiterentwicklung in eine TVT wird die
adäquate Therapie von vielen Autoren empfohlen. Die Applikation von
Thrombosestrümpfen unterstützt das Abschwellen und beugt dem post-
thrombotischen Syndrom vor. Die Indikation zur chirurgischen Thromb-
ektomie ist wenigen ausgedehnten Einzelfällen vorbehalten und wird dann
meist zeitgleich mit einer Sectio durchgeführt. Eine thrombolytische The-
rapie wird in der Schwangerschaft nicht routinemäßig durchgeführt und
bleibt vital bedrohlichen Indikationen vorbehalten.

13.3 Schwangerschaftsinduzierte
Hypertonie/Präeklampsie/HELLP

Etwa 6–8% aller Schwangerschaften werden durch hypertensive Erkran-


kungen kompliziert. Etwa ein Viertel der perinatalen und ein Drittel der
maternalen Mortalität geht zu Lasten der hypertensiven Schwangerschafts-
erkrankungen. Weltweit ist die Präeklampsie für mindestens 50000 mater-
nale Todesfälle pro Jahr verantwortlich. In Anlehnung an amerikanische
und australische Fachgesellschaften sowie der International Society for the
Study of Hypertension in Pregnancy (ISSHP) werden im folgenden Ab-
schnitt Definitionen und Empfehlungen zu Management und Therapie er-
örtert.

13.3.1 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie


(SIH, Gestationshypertonie)

Jenseits abgeschlossenen 20 SSW gemessene Blutdruckwerte ≥140/90 mmHg


ohne Proteinurie, zuvor normotensive Schwangere, 12 Wochen postpartal
normale Blutdruckwerte.
142 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 13.3.2 Präeklampsie (Gestose/HELLP)

Diese ist definiert durch Zusammentreffen einer Gestationshypertonie und


Proteinurie ≥300 mg/24 h, die nach abgeschlossenen 20 SSW auftritt. Eine
Präeklampsie liegt auch dann vor, wenn die Hypertonie in Kombination mit
einer fetalen Wachstumsrestriktion (IUGR), Nierenfunktionsstörung, Le-
berbeteiligung, neurologischen oder hämatologischen Störungen kombi-
niert auftritt.
Eine schwere Präeklampsie liegt vor, wenn zusätzlich einer der fol-
genden maternalen Befunde vorliegt:
4 Nierenfunktionseinschränkung (Kreatinin ≥0,9 g/l oder Oligurie
<500 ml/24 h)
4 Leberbeteiligung mit erhöhten Transaminasen
4 Schwere Oberbauchschmerzen
4 Lungenödem oder Zyanose
4 Hämatologische Störungen (Thrombozytopenie, Hämolyse)
4 Neurologische Symptome mit schweren Kopfschmerzen oder Sehstö-
rungen
4 Blutdruck ≥170/110 mmHg
4 Proteinurie ≥5 g/24 h
4 Fetale Wachstumsrestriktion

Die Eklampsie beschreibt die im Rahmen einer Präeklampsie auftretenden


tonisch-klonische Krampfanfälle ohne anderen Ursache (z.B. Epilepsie),
dennoch sind nur etwa 50% der eklamptischen Anfälle mit einer schwere
Hypertonie assoziiert und treten in bis zu einem Drittel ohne Hypertonie
oder Proteinurie auf.
Das HELLP-Syndrom definiert sich aus der Trias der Hämolyse
(H=Hemolysis), erhöhte Leberenzyme (EL=elevated liver enzymes) und
13 erniedrigter Thrombozytenzahl <100000/μl (LP=low platelets). In 5–15%
liegt keine signifikante Proteinurie und in bis zu 20% der Fälle keine
Hypertonie vor, in 15% fehlen sowohl Hypertonie als auch Proteinurie.
Chronische (präexistente) Hypertonie: vor der Schwangerschaft
oder vor 20 SSW bestehende Hypertonie mit o.g. Grenzwerten von
≥140/90 mmHg mit Persistenz auch länger als 12 Wochen postpartal.
Pfropfpräeklampsie: kombiniert chronische Hypertonie mit Gestati-
onsproteinurie oder chronische Hypertonie mit vor der 20. SSW bestehen-
der Proteinurie, dies ist auch mit den Kriterien der schweren Präeklampsie
kombinierbar.

Klinik
4 SIH/Präeklapsie: Reproduzierbar erhöhte Blutdruckwerte systolisch
>140 mmHg und/oder diastolisch >90 mmHg, Proteinurie >300 mg/
24 h, Gewichtszunahme ≥1 kg/Woche während des 3. Trimesters mit
Ödembildung, von besonderer Bedeutung im Gesicht.
4 Prodromi einer imminenten Eklampsie:
5 Oberbauchschmerzen
5 Übelkeit
13.3 · Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie/Präeklampsie/HELLP
143 13

5 Erbrechen Eigene Notizen


5 Zentralnervöse Symptome: Augenflimmern, Kopfschmerzen, Hy-
perreflexie
4 HELLP-Syndrom: Klinisches Leitsymptom ist der Oberbauchschmerz/
Schmerzen im Epigastrium.
4 Ödeme: Von Bedeutung nur bei rascher Zunahme, korrelierend mit
Gewichtszunahme >1 kg/Woche oder bei ausgeprägtem Gesichts-
ödem.

Diagnostik
4 Veränderungen der Laborparameter:
5 Thrombozyten <100000/μl; ! Cave Progredienter Abfall!
5 GPT(ALT)- und GOT(AST)-Anstieg über den Normbereich
5 LDH-Anstieg über den Normbereich
5 Indirekte Bilirubinerhöhung >1,2 mg/dl
5 Ab 32 SSW Harnsäureerhöhung >5 mg/dl
5 Kreatinin >0,9 mg/dl
5 Proteinurieaggravierung
5 Haptoglobin-Abfall unter den Normbereich
4 Sonografische Erfassung einer intrauterinen Wachstumsretardierung
mittels Biometrie und Dopplersonografie.
4 Reflexstatus, ! Cave Hyperreflexie! Abfragen von Prodromi (zentral-
nervös, abdominell)

Indikationen zur Vorstellung in der Klinik sind die Hypertonie ≥160 mmHg
systolisch bzw. ≥100 mmHg diastolisch sowie die manifeste Präeklampsie,
eine Proteinurie und starke Gewichtszunahme im 3. Trimenon (≥1 kg/Wo-
che) ebenso wie eine drohende Eklampsie (vgl. Prodomalsymptome). Allein
der klinische Verdacht auf HELLP-Syndrom, v.a. persistierende Oberbauch-
schmerzen, sind Indikationen zur Klinikvorstellung. Von fetaler Seite sind
ein suspektes/pathologisches CTG sowie ein suspektes/pathologisches
Dopplersonogramm ebenso wie die intrauterine Wachstumsrestriktion mit
einem Schätzgewicht <10. Perzentile Gründe für eine Überweisung in die
Klinik. Ferner sind eine Hypertonie oder Proteinurie in Kombination mit
Risikofaktoren wie vorbestehender mütterlicher Erkrankungen (z.B. Diabe-
tes mellitus), Mehrlingsgravidität, frühes Gestationsalter (<34. SSW), An-
oder Oligohydramnion abklärungsbedürftige Befunde.
Weiteres Vorgehen bei Aufnahme in die Klinik/Kreißsaal:
4 Blutdruckmessung bei Aufnahme sowie im Verlauf kontinuierlich, ggf.
24-h-Blutdruckmonitoring
4 Proteinurie-Diagnostik mittels Teststreifen bei Aufnahme und quanti-
tative Eiweißbestimmung
4 Tägliche Gewichtskontrolle
4 Laborkontrollen im Verlauf von evtl. mehrmals täglich bis zu minimal
2-mal/Woche
4 Klinische Verlaufskontrolle bzw. Erfassung der Symptome (Oberbauch-
schmerzen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hyperreflexie (Reflexsta-
tus!), Bewusstseinsstörungen, Dyspnoe, Blutungsneigung
144 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 4 Bei schwerer Präeklampsie stündlich Urinausscheidung kontrollieren


4 Pulsoxymetrie bei respiratorischer Symptomatik
4 Fetale Kontrollen mittels 1- bis 3-mal täglichen CTG-Kontrollen, Feto-
metrie im Verlauf und Bestimmung der Fruchtwassermenge, Doppler-
sonografie wöchentlich bis täglich, RDS-Prophylaxe (24. kpl. bis 34. kpl.
SSW) zur Erreichung der Lungenreife im Falle einer Entbindung.

Therapie
Beginn einer medikamentösen antihypertensiven Therapie erfolgt zumeist
unter stationären Bedingungen, v.a. um die Indikation zur rechten Zeit zu
stellen. Der fetale Nutzen ist nach wie vor nicht mittelbar gesichert, daher
sollte erst ab reproduzierbaren Blutdruckwerten ≥170 mmHg systolisch
und/oder ≥110 mmHg diastolisch damit begonnen werden, ggf. bei prä-
existenten Konstellationen (Hypertonus, Nierenerkrankung, Diabetes mel-
litus), früher ab Blutdruckwerten von >160/100 mmHg.
Die antihypertensive Behandlung bei schwerer Hypertonie beugt ma-
ternalen zerebro-/kardiovaskulären Komplikationen (v.a. Blutung) vor, die
Eklampsieprophylaxe erfolgt durch Magnesium (s.u.).
Bei erforderlicher Langzeitbehandlung einer Hypertonie in der
Schwangerschaft ist α-Methyldopa das Mittel der Wahl, β-Blocker haben
als Nebenwirkung fetale Wachstumsrestriktion und Störung des fetalen
Glukosestoffwechsels (i.S. von Hypoglykämien) und sind deshalb nur zu-
rückhaltend einzusetzen.
Auch bei akuter Hypertension besteht der Konsens zur Therapieindi-
kation ab Blutdruckwerten ≥170/110 mmHg, auch wenn randomisierte
Studien zur Notwendigkeit einer akuten Blutdrucksenkung in der Schwan-
gerschaft fehlen. Die Wahl des Medikaments ist umstritten, in Deutschland
weit verbreitet eingesetzt werden Urapidil i.v, Dihydralazin i.v. oder Nife-
dipin oral. Dabei zu beachten ist der Off-Label-Use von Nifedipin und
13 Urapidil.
Während der antihypertensiven Behandlung einer schweren Prä-
eklampsie muss der Fetus durch CTG überwacht werden, da eine zu rasche
maternale Blutdruckabsenkung mit akuter fetaler Gefährdung verbunden
sein kann. Die Schwangeren sind ebenfalls streng zu überwachen, neben
den engmaschigen Blutdruckkontrollen (diastolisch sind Werte unter den
angestrebten 90–105 mmHg zu vermeiden) müssen Klinik und Labor
überwacht werden.
Bei schwerem HELLP-Syndrom: Methylprednisolon 32 mg/Tag i.v.
wird eingesetzt zur maternalen Therapie, Leberwerte und Thrombozyten-
werte zeigen günstigeren Verlauf.
Therapie der Eklampsie: Magnesiumsulfat 4–6 g initial i.v. über 15–
20 min, dann 1–2 g/h bis 48 h postpartum. Bezogen auf die Prävention von
Rekonvulsionen und das neonatale outcome ist Magnesium sowohl Phe-
nytoin wie auch Diazepam überlegen.
Bei Lungenödem ggf. Furosemid 10–20 mg i.v., Wiederholung bei Be-
darf möglich. ! Cave maternale Hypovolämie, CTG-Kontrolle.
Entbindung ist die einzige kausale Therapie einer Präeklampsie bzw.
HELLP-Syndroms für die Schwangere. Der Versuch der Schwanger-
13.3 · Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie/Präeklampsie/HELLP
145 13

schaftsprolongation mit Induktion der fetalen Lungenreife dient der peri- Eigene Notizen
natalen Morbiditäts- und Mortalitätsreduktion im Rahmen der Frühge-
burt. Die Indikation zur Entbindung wird wesentlich vom Schwanger-
schaftsalter getriggert und besteht in der Regel nach abgeschlossenen
37 SSW. Patientinnen mit schwerer Präeklampsie und bei HELLP-Syn-
drom jenseits vollendeten 34 SSW sollten entbunden werden.
Die Betreuung einer Präeklampsie zwischen 24+0 und 33+6 SSW
sollte in einem Perinatalzentrum Level I erfolgen. Primäres Ziel ist das
konservative Vorgehen, um unter kontinuierlicher Überwachung die
schwerwiegenden Auswirkungen auf die Mutter zu kontrollieren und dem
Kind den Benefit der Schwangerschaftsverlängerung zukommen zu lassen.
Auch beim HELLP-Syndrom scheint ein konservativer Therapieansatz ver-
tretbar. Die schwere fetale Wachstumsrestriktion <5. Perzentile allein stellt
noch keine Indikation zur Entbindung vor 34 SSW dar. Der hochpatholo-
gische Dopplerfluss jedoch bedeutet hier die Dekompensation der fetalen
Kreislaufsituation und indiziert die Schwangerschaftsbeendigung. Daher
sind tägliche Reevaluierungen der fetalen Situation erforderlich. Die ab-
geschlossene RDS-Prophylaxe (Betamethason 12 mg i.m. 2-malig im Ab-
stand von 24 h induziert die Produktion des Antiatelektasenfaktors in den
Alveozyten) spielt eine wichtige Rolle im Rahmen dieser Entscheidungs-
findung.
Maternale Indikationen zur Entbindung:
4 Therapierefraktäre schwere Hypertonie
4 Therapierefraktäre Niereninsuffizienz
4 Akutes Lungenödem
4 Disseminierte intravasale Gerinnung
4 Persistierende schwere Oberbauchschmerzen
4 Neu aufgetretene schwere zentralnervöse Symptome
4 Eklampsie

Vor 24+0 SSW ist bei schwerer Präeklampsie mit einer hohen maternalen
und perinatalen Morbidität und Mortalität zu rechnen, die Entscheidung
über Fortsetzung der Schwangerschaft wird hier individuell getroffen, wo-
bei hier die maternale Morbidität und Mortalität im Vordergrund stehen.
Der Geburtsmodus richtet sich nach Schwangerschaftswoche, fetalem
und maternalem Zustand. Je kritischer maternale und fetale Situation
sind, desto eher wird die Indikation zur Sectio als zur vaginalen Geburt
gestellt.

Postpartale Betreuung
Bis 48 h Fortsetzung der intensivierten bis intensivmedizinischen Über-
wachung, da sich in 7–30% ein HELLP-Syndrom und in bis zu 28% eine
Eklampsie postpartum manifestieren können. Deshalb wird auch die
Eklampsie-Prophylaxe mit Magnesiumsulfat i.v. ggf. bis 48 h postpartal
fortgeführt.
Die postpartale Blutdruckkontrolle muss bis zur Stabilisierung bzw.
Normalisierung der Werte erfolgen, Anbindung an Hochdruckambulanz
und Selbstmessung! Blutdruckzielwerte bei Entlassung aus der Entbin-
146 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen dungsklinik liegen bei <150/100 mmHg, antihypertensive Therapie aus-
schleichen, ggf. umstellen. Umsetzen auf orale stillkompatible Medikation
mit Metoprolol, Nifedipin, α-Methyldopa, Dihydralazin. Einschränkung:
ACE-Hemmer wie Captopril, Enalapril (Empfehlungen Deutsche Hoch-
druckliga).
Nach HELLP-Syndrom: Überweisung zur Thrombophiliediagnostik.
Die Nierenfunktion ist zu kontrollieren, bei Proteinurie ist eine Anbin-
dung an nephrologische Ambulanz wichtig. Stillen ist mit den gängigen
Antihypertensiva möglich und die Patientin sollte dazu motiviert werden!
Vor Entlassung aus der stationären Betreuung: Abschlussgespräch mit
der Patientin und Partner über Pathophysiologie generell und individuell
über den Verlauf der Erkrankung und die Geburt, Hinweis auf das inter-
nistische Risikokonstellation (Wiederholungsrisiko von PE und HELLP,
kardiovaskuläres Risiko mit Entwicklung einer Hypertension in 90% nach
25 Jahren!) und ggf. weitere Nachkontrollen sind von immenser Wichtig-
keit, ebenso wie das Angebot zur Beratung vor Planung/Eintritt einer er-
neuten Schwangerschaft mit Hinweis auf Prävention.

Prävention
Eine sichere Vorhersage der Präeklampsie mithilfe eines Testverfahrens ist
bis dato nicht möglich. Zur Risikoabschätzung können die Anamnese-An-
gaben und Dopplersonografie der Aa. uterinae mit 20–22 SSW herangezo-
gen werden. Risiken sind:
4 Familiäre Belastung
4 Diabetes mellitus Typ I
4 Chronische Hypertonie
4 Chronische Nierenerkrankungen
4 Nierentransplantation
4 Vorausgegangene Präeklampsie
13
Je früher die erste Präeklampsie in der SS aufgetreten war, umso höher ist
das Wiederholungsrisiko, es liegt bei >60% bei Zustand nach PE vor der
28. SSW. Bei Vorliegen eines bilateral auffälligen Dopplersonogramms mit
persistierenden »Notches« (persistierende postsystolische Inzisur) und/
oder erhöhtem Widerstandsindex ist das Risiko der Entwicklung einer Prä-
eklampsie signifikant erhöht, insbesondere bei Vorliegen weiterer Risiko-
faktoren.
Bei Zustand nach Präeklampsie bewirkt die Einnahme von niedrig do-
sierter Acetylsalicylsäure von 100 mg/Tag eine signifikante Reduktion des
Wiederholungsfalls. Die Einnahme sollte ab Erstdiagnose der Folge-
schwangerschaft bis spätestens 16. SSW begonnen werden. Weitere prä-
ventive Maßnahmen entziehen sich zur derzeitigen Studien- und Daten-
lage dem Nachweis der Wirksamkeit.
13.4 · Frühgeburtlichkeit und vorzeitiger Blasensprung
147 13
13.4 Frühgeburtlichkeit und vorzeitiger Eigene Notizen
Blasensprung

13.4.1 Frühgeburt

Definition, Risikofaktoren, Epidemiologie


Eine Entbindung vor 37+0 SSW post menstruationem wird als Frühgeburt
(FG) bezeichnet. In sehr frühen Schwangerschaftswochen handelt es sich
auch bei Lebenszeichen <500 g um eine Frühgeburt.
Risikofaktoren sind:
4 Sozialstatus (niedriger Ausbildungsstatus, Arbeitslosigkeit, alleinstehend)
4 Ethnische Faktoren (Afroamerikanerinnen)
4 Höheres maternales Alter
4 Nikotinabusus
4 Belastete geburtshilfliche Anamnese (Zustand nach FG, Aborten, ute-
rinen oder zervikalen Operationen)
4 Mehrlingsschwangerschaften (auch nach reproduktionsmedizinischen
Maßnahmen)
4 Maternale Vorerkrankungen (Diabetes, Hypertonus, Autoimmuner-
krankungen, Transplantationen etc.)

5–7% der Entbindungen in Europa erfolgen vor vollendeten 37 SSW. Die


Inzidenz ist trotz Weiterentwicklung der Perinatalmedizin steigend mit Zu-
nahme der sehr frühen Frühgeburten und daraus resultierenden Geburts-
gewichten <1000 g.
Ursächlich werden die zunehmenden Größen der Kollektive mit o.g.
Risiken angesehen.

Ätiologie
Ätiologisch werden verschiedene Prozesse akzeptiert, die sämtlich in einer
Endphase mit vorzeitigen Wehen, vorzeitigem Blasensprung, Blutungen,
Plazentalösung und erforderlicher Beendigung der Schwangerschaft mün-
den. Die Diagnose »vorzeitige Wehen« ist meist nicht erste Ursache einer
Frühgeburt, sondern wird durch weitere Faktoren hervorgerufen. Im Ein-
zelnen sind dies folgende Faktoren:
4 Die Infektion: lokale oder systemische Infektionen bewirken durch ver-
mittelte Prostaglandinfreisetzung aus Dezidua, Chorion und Amnion
eine Aktivierung der uterinen Kontraktilität. In der Folge kommt es zur
Zervixreifung und bei fortbestehender Wehentätigkeit zur Eröffnung
des Muttermundes.
4 Eine gestörte Plazentation: Die Etablierung einer physiologischen ute-
roplazentaren Zirkulation durch die so genannte erste und zweite Tro-
phoblastinvasion in die maternale Dezidua und das innere Myometri-
um stellt die Versorgung des Feten sicher. Dies ist messbar bzw. nach-
vollziehbar an der Veränderung des Strömungsprofils in der Doppler-
sonografie an den uterinen Arterien. Bei Persistenz eines erhöhten
Widerstandes und/oder eines »Notches« ist das Risiko für die Entwick-
lung einer Wachstumsretardierung und/oder einer Präeklampsie deut-
148 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen lich erhöht. Beide Entitäten gehen in einem hohen Prozentsatz mit Ent-
bindungen im Frühgeburtszeitraum einher. Die pathologische Lokali-
sation der Plazenta im Sinne einer Plazenta praevia ist ebenso wie die
vorzeitige Lösung der Plazenta von ihrer Haftfläche eine der Haupt-
ursachen für die Frühgeburtlichkeit.
4 Pathologien aufgrund der anatomisch funktionellen Gegebenheiten:
Uterusfehlbildungen wie Uterus duplex, bicornis, subseptus, arcuatus
sind Risiken bzw. Ursachen von rezidivierenden Aborten, Wachstums-
restriktionen und Frühgeburtlichkeit. Myome können in einem Spek-
trum von komplikationsloser Schwangerschaft bis zu massiven Kompli-
kationen mit vorzeitigen Wehen, Wachstumsrestriktion, vorzeitiger
Plazentalösung bis zur Myomerweichung zudem Ursachen für eine
frühzeitige Entbindung sein. Die Insuffizienz der Zervix mit Verkür-
zung in ihrer Länge und in der Folge Eröffnung des Muttermundes ist
eine weitere funktionelle/anatomische Ursache der Frühgeburtlichkeit.
Dabei ist es von nachgeordneter Bedeutung, worauf diese zurückzufüh-
ren ist (Voroperationen wie Konisationen, wiederholte intrauterine Ein-
griffe wie Abort- oder Interruptioeingriffe, lokale Infektionen, Uterus-
dehnung durch Mehrlinge, Polyhydramnion etc.).
4 Fetale Erkrankungen bzw. Mehrlinge im Sinne pathologischer Belas-
tung der uterinen Reserven: Generell bedeutet jede fetale Erkrankung
ein höheres Frühgeburtsrisiko, insbesondere Fehlbildungen oder Syn-
drome, die mit einer intrauterinen Wachstumsrestriktion und auffäl-
ligen Dopplerflussprofilen einhergehen, aber auch genetische Erkran-
kungen (Triploidie, Trisomie, Mikrodeletionen). Bei maternalem Ge-
stationsdiabetes, der nicht erkannt oder unzureichend therapiert ist,
kommt es zur Entwicklung eines Polyhdramnions. Die Atresie oder
tracheal fistelnde Ösophagusanlage beim Kind führt ebenfalls häufig
zu einem Polyhdramnion. Dieses bewirkt durch die Überdehnung des
13 Uterus eine erhöhte Wehenbereitschaft.

Klinik
Regelmäßige frühzeitige Wehentätigkeit (vor 37+0 SSW) mit Zervixwirk-
samkeit (Verkürzung, MM-Eröffnung), ziehende Schmerzen bis zur symp-
tomlosen MM-Eröffnung bei Zervixinsuffizienz. Bei lokalen Infektionen
wird zum Teil von den Schwangeren veränderter Ausfluss beklagt.

Diagnostik
4 Kardiotokografie (CTG) zur Erfassung der uterinen Aktivität und Kon-
trolle der fetalen Herzaktion
4 Vaginale Spekulumeinstellung mit Beurteilung des Zervixbefundes in
Länge und Geschlossenheit
4 Abnahme eines bakteriologischen Abstrichs zur Identifizierung patho-
logischer Keime
4 ggf. palpatorische Beurteilung der Zervix und des Muttermundes
4 Unter sterilen Bedingen ggf. Messung der vaginalen Zervixlänge (ent-
scheidend ist die Strecke des geschlossenen Anteils, Grenzwert 25 mm,
ein innerer Trichter erhöht das Frühgeburtsrisiko)
13.4 · Frühgeburtlichkeit und vorzeitiger Blasensprung
149 13

4 Abdominale Ultraschalluntersuchung mit Biometrie und Dopplersono- Eigene Notizen


grafie des Feten und der uterinen Arterien zur Erkennung patholo-
gischer Flussmuster
4 Infektionsdiagnostik:
5 Messung des vaginalen pH-Werts (normal bis 4)
5 Nativzytologie erlaubt Infektionsdiagnose, jedoch keine Erreger-
identifizierung, daher ist ein mikrobiologischer Abstrich unabding-
bar. ! Cave Die Entnahme der Probe muss vor allen anderen Un-
tersuchungen erfolgen, da sonst die Ergebnisse verfälscht werden.
5 Systemischer Infektionsausschluss (CRP, Leukozyten, selten Präkal-
zitonin)

Therapie – Allgemeines
Ziel ist die Outcome-Verbesserung des Feten ohne Morbiditätserhöhung
für die Mutter. Daher kann im Einzelfall sowohl die Schwangerschafts-
verlängerung oder aber die Entbindung indiziert sein. > Memo Nach
34+0 SSW werden keine schwangerschaftsverlängernden Maßnahmen er-
griffen.
Vor 34+0 SSW muss abgewogen werden, ob die Prolongation der
Schwangerschaft mit einem Benefit für den Feten einhergeht. Je früher die
SSW, desto größer ist der Gewinn. Die Verlegung der Schwangeren in ein
Perinatalzentrum soll vor dem Hintergrund der optimalen neonatolo-
gischen Versorgung erfolgen.

Therapiemaßnahmen
4 Fetal: Lungenreifeinduktion mit 2-malig 12 mg Betamethason i.m. im
Abstand von 24 h, volle Wirksamkeit nach 48 h erreicht. Betamethason
ist plazentagängig und induziert in den fetalen Alveozyten die Produk-
tion des Antiatelektasenfaktors. Dadurch werden im Fall einer früh-
zeitigen Entbindung weniger lange Beatmungszeiten und niedrigere
Beatmungsdrücke erforderlich, ebenso ist eine signifikante Reduktion
von Hirnblutungen die Folge. Die Wirksamkeit ist ab 24+0 SSW bis
34+0 SSW gegeben. Die Nebenwirkungen einer eingeschränkten
Oszillation im CTG, reduzierter Kindsbewegungen innerhalb der ersten
Tage nach Applikation dürfen nicht falsch interpretiert werden. Eine
Wiederholung des Zyklus ist nicht indiziert. ! Cave Eingriff in den
maternalen Kohlhydratstoffwechsel, erhöhter Insulinbedarf bei Dia-
betikerinnen.
4 Maternal: Tokolyse mit Kalziumantagonisten (Nifedipin, Off-label-use)
oral, β-Sympathomimetika (Fenoterol) intravenös (orale Gabe ohne Ef-
fekt), Oxytocinrezeptorantagonisten (Tracotile) intravenös möglich.
Kontraindikationen sind die fetale oder maternale Indikation zur
Schwangerschaftsbeendigung, ein nicht überlebensfähiger Fetus und
das manifeste Amnioninfektionssyndrom.
4 Antibiose: Da ein beträchtlicher Anteil der vorzeitigen Wehentätigkeit
auf einer Infektion beruht, muss auch bei unbekanntem Keimspektrum
eine Antibiose begonnen werden. Zu den Antibiotika oberster Priorität
gehören Amoxicillin ggf. in Kombination mit Clavulansäure, alternativ
150 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Cephalosporine oder Erythromycin. Nur in Ausnahmefällen wird das


nephro- und ototoxische Gentamycin appliziert.
4 Hospitalisierung: Die Entkopplung vom Alltagstress mit eingeschränk-
ter Bettruhe zeigt zusätzlich zu den medikamentösen Maßnahmen po-
sitive Auswirkungen auf Schwangerschaftsdauer und Reduktion der
Wehentätigkeit.

Prävention
Gewissenhafte Schwangerenvorsorge deckt anamnestische Risiken auf; im
Verlauf Erfassung dynamischer Risiken wie Veränderung der Zervixlänge,
des Vaginal-pH. Der Nutzen einer prophylaktischen Cerclage ist umstritten,
scheint aber im »Hochrisiko-Anamnese-Kollektiv« (z.B. Zustand nach
3-fachem Abort, 2-maliger Konisation, 1-maliger Frühgeburt) individuell
von schwangerschaftserhaltendem und -verlängerndem Gewinn zu sein.
Cerclage:
4 In der Literatur keine einheitliche Aussage zu Nutzen in Hinblick auf
fetales Outcome.
4 Methode: Operationen nach Shirodkar und McDonald, Modifikation
nach Katz. Allen Techniken gemeinsam ist die Applikation eines kräfti-
gen Bändchens im Zervixhalsbereich mit Verknotung und damit me-
chanischer Verschluss- und Stützkomponente.
4 Durchführung als prophylaktische Maßnahme ab 14 SSW, aktuell in
abnehmender Indikationsstellung, bis etwa 24 SSW als Notfalleingriff
bei bereits sich öffnendem Muttermund. In beiden Indikationsstellun-
gen sollten negative mikrobielle Abstrichergebnisse und negative syste-
mische Infektionsparameter vorliegen und bei notfallmäßigem Eingriff
unter antibiotischem Schutz erfolgen.
4 Kontraindikationen: Amnioninfektionssyndrom, PROM (vorzeitiger
Blasensprung), regelmäßige Wehentätigkeit.
13
13.4.2 Vorzeitiger Blasensprung

Definition und Ätiologie


Premature rupture of membranes (PROM) bedeutet vorzeitiger Blasen-
sprung vor Geburtsbeginn. Der preterm PROM (P-PROM) bezeichnet den
vorzeitigen Blasensprung vor 37+0SSW.
Im reifen Gestationsalter führt der vorzeitige Blasensprung meist zur
Entwicklung von Wehentätigkeit und damit zur Geburt. Falls nach 8–24 h
keine körpereigenen Wehen einsetzen, ist die Indikation zur Einleitung der
Geburt und antibiotischem Schutz gegeben.
Risikofaktoren sind ähnlich der Frühgeburtlichkeit:
4 Mehrlingsschwangerschaften
4 Polyhydramnion
4 Fetale Erkrankungen
4 Lokale und systemische Infektionen
4 Cerclage
4 Amniozentese/Chorionzottenbiopsie
13.4 · Frühgeburtlichkeit und vorzeitiger Blasensprung
151 13

4 Intrauterine Eingriffe Eigene Notizen


4 Maternaler Diabetes
4 Blutungen im 1. und 2. Trimenon
4 Niedriger Sozialstatus
4 Nikotinabusus

Klinik
Meist berichten die Schwangeren von vaginalem Flüssigkeitsabgang, der
auch als verstärkter Ausfluss beschrieben wird. Nicht zwingend begleitet
von Schmerzen, Blutung oder Wehentätigkeit.

Diagnostik
Die Spekulumeinstellung erlaubt die klinische Verifizierung in 90% der
Fälle. Falls dies nicht eindeutig gelingt, so wird mittels eines biochemischen
Testverfahrens die Diagnose PROM gesichert. Hierbei werden Bestandteile
des Fruchtwassers mithilfe eines Indikatortests nachgewiesen: IGFBP,
Fibronektin.
Sonografisch muss die Fruchtwassermenge (FW) beurteilt werden, ein
Anhydramnion oder Oligohydramnion untermauern die Diagnose, eine
normale FW-Menge schließt jedoch einen Blasensprung nicht aus! Die
fetale Biometrie erfolgt zur Überprüfung des Gestationsalters und Doku-
mentation einer zeitgerechten Entwicklung bzw. der Erkennung zusätz-
licher fetaler pathologischer Befunde.
Der mikrobiologische Abstrich der Zervix dient dem Erregernachweis.
Mütterlicherseits müssen Infektionsparameter überwacht und klinisch
frühzeitig ein Amnioninfektionssyndrom erkannt werden (Fieber, Tachy-
kardie, druckdolenter Uterus). In vereinzelten Fällen, insbesondere in sehr
frühen Schwangerschaftswochen kann die Bestimmung des Interleukin
aus dem Fruchtwasser (Amniozentese) bei der Entscheidungsfindung zur
Entbindung wegweisend sein.

Therapie und Vorgehen


Ein Spontanverschluss ist selten. Ausnahme bildet das so genannte Frucht-
wasserleck nach Amniozentese, das eine Verschlusswahrscheinlichkeit von
>60% hat. Unabhängig von Medikamenten und Maßnahmen entbinden
60% der PROM-Fälle zwischen 15 und 25 SSW innerhalb einiger Tage.
Das Gestationsalter zum Zeitpunkt des Blasensprungs ist der entschei-
dende Parameter für pränatales Vorgehen und neonatales Outcome. Un-
terschieden wird zwischen dem konservativen schwangerschaftserhalten-
den und aktivem schwangerschaftsbeendenden Vorgehen. Erstes hat zum
Ziel die Vermeidung bzw. Reduzierung der Frühgeburtlichkeit, zweites
nimmt sie unter Umständen auch in frühen SSW bei überwiegenden Ri-
siken bzw. Indikationen in Kauf.
Wichtig ist die Überwachung folgender Parameter:
4 Entzündungsparameter (Leukozyten, CRP)
4 Maternale Temperatur
4 Herzfrequenz
4 CTG
152 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 4 Ultraschall (Wachstum, Fruchtwassermenge, Zervixbefund)


! Cave Keine vaginalen Untersuchungen; falls Erhebung eines Zervix-
befundes erforderlich ist, so muss dies durch eine Spekulumeinstellung
erfolgen.

Interdisziplinäre Konsile und Abstimmung mit Neonatologie, Psychologe,


ggf. Dolmetscher sind zu organisieren.
PROM vor 20 SSW: Es ist bei sehr schlechter Prognose die Beendigung
der Schwangerschaft zu diskutieren, ein zunächst abwartendes Verhalten
ist gerechtfertigt. Klare Aufklärung ist auch durch neonatologischen Kol-
legen über Risiken der extremen Unreife und Lungenhypoplasie bei zu
erwartender extremer Frühgeburt wichtig, falls Lebensreife erreicht würde.
Auch wenn eine antibiotische Prophylaxe nicht generell empfohlen wird,
so wird sie dennoch oft durchgeführt.
PROM 20+0 bis 23+5 SSW: Bei vorhandener Infektion ist die SS-Be-
endigung unter Antibiose indiziert. Bei fehlenden Infektionszeichen ist das
Vorgehen individuell, dennoch wird die Prognose für das Kind sehr kri-
tisch eingeschätzt. In die Entscheidungsfindung fließen der Wunsch der
Mutter/Eltern, maternale und fetale Parameter (FW-Menge, Wachstum,
Doppler etc.) ein und sollte im interdisziplinären Konsens mit der Neona-
tologie getroffen werden. Eine Antibiose zur Infektionsprophylaxe scheint
von Nutzen zu sein, eine Tokolyse wird ab 23 SSW in Einzelfällen erwogen.
Eine Lungenreife ist ab 23+5 SSW indiziert, sehr vereinzelt werden positi-
ve Effekte ab 23+0 SSW berichtet.
PROM 23+5 bis 32+0 SSW: Die neonatale Mortalität sinkt mit jedem
»gewonnenen« Tag in der Prolongation der Schwangerschaft. Auch die
Morbidität sinkt, signifikant nach 28+0SSW und beinhaltet intraventriku-
läre Gehirnblutungen, periventrikuläre Leukomalazie, Retinopathie, Bron-
chopulmonale Dysplasie, neurologische Entwicklungseinbußen und -ver-
13 zögerungen etc. Eine individuelle Prognose ist aufgrund des nicht vorher-
sehbaren postnatalen Verlaufs nicht möglich.
PROM 32+0 bis 34+0 SSW: Bei Vorliegen von Entzündungszeichen
Beendigung der SS unter Antibiose. Eine Lungenreifeinduktion ist nicht
mehr zwingend erforderlich. Bei Fehlen von Entzündungszeichen ist ein
zuwartendes Verhalten bis 34 SSW möglich, die berichteten zunehmenden
Fälle mit periventrikulärer Leukomalazie müssen gegen dieses Vorgehen
abgewogen werden.
PROM ab 34+0 SSW: Management entspricht dem Vorgehen am
Entbindungstermin, ab 8–12 h sollte mit dem aktiven Management der
Geburt begonnen werden, eine Einleitung mit dem Ziel der vaginalen
Geburt ist bei fehlenden Kontraindikationen (Beckenendlage bei Früh-
geburt, IUGR, pathologisches CTG etc.) möglich, antibiotische Prophy-
laxe.
Antibiosen der Wahl bei PROM sind Penicilline oder Makrolide. Sie
senken die Zahl der Chorioamniotiden (AIS: Amnioninfektionssyndrom)
und die Frühgeburtsrate sowie die neonatale Infektionsmorbidität, auch
eine Reduktion auffälliger postnataler sonografischer Gehirnbefunde wird
beschrieben.
13.5 · Intrauteriner Fruchttod
153 13

Der Geburtsmodus ist von der SSW abhängig. Vor 24 SSW ist keine Eigene Notizen
Verbesserung des neonatalen Outcome durch eine Sectio-Entbindung zu
erzielen, dennoch wird in Einzelfällen eine Kaiserschnittentbindung
durchgeführt, auch wenn weitere Indikationen hierzu fehlen. Ab 24+0
SSW soll die für den Feten schonendste Geburtsmethode gewählt werden,
diese stellt meist die Sectio dar. Jenseits 32 SSW wird bei Schädellage, zeit-
gerechter Entwicklung und unauffälligem CTG bei reifem Muttermunds-
befund auch die vaginale Geburt möglich.

13.5 Intrauteriner Fruchttod

Definition und Epidemiologie


Intrauteriner Fruchttod (IUFT) definiert das Absterben eines Feten nach
24+0 SSW, betrifft bundesweit 0,44% der Schwangerschaften, die Meldung
von Totgeburten ist gesetzlich vorgeschrieben ab einem Geburtsgewicht
>500 g.

Ätiologie
Mögliche Ursachen auf maternaler Seite umfassen:
4 Diabetes mellitus
4 Lupus erythematodes
4 Antiphosphlipid-Syndrom
4 Infektionen aus dem »TORCH-Spektrum«, insbesondere Chlamydien,
Streptokokken und Lues
4 Ferner sind Alkohol- und Drogenabusus mit dem IUFT ursächlich
assoziiert.

Fetale Ursachen sind:


4 Fehlbildungen (Gastroschisis, Herzvitien, Skelettdysplasien, Spina bifi-
da, Hydrozephalus etc.)
4 Chromosomenstörungen (Trisomie 21, 13, 18, XO)
4 PROM mit Infektionen
4 Schwere und frühe Wachstumsrestriktion mit pathologischen Doppler-
flüssen
4 Nabelschnurknoten
4 Fetomaternale Transfusion
4 Fetofetales Transfusionssyndrom bei monochoriot-diamnioten Gemini-
schwangerschaften (FFTX)
4 Vorzeitige Plazentalösung
4 Nabelschnurvorfall

Risikofaktoren sind:
4 Fetales Gewicht (50% <1500 g, 37% <1000 g)
4 Männlich > weiblich
4 Sozialstatus der Mutter (insbesondere Alleinstehende und Sozialhilfe-
empfänger)
4 Alter der Mutter (<18 und >40 am riskantesten)
154 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 4 Nikotinabusus (>16 Zigaretten/Tag)


4 Körpergewicht der Mutter (sowohl Untergewicht als auch Adipositas)
4 Mehrlinge (Gemini 5-fach, Drillinge 10-fach erhöhtes Risiko)
4 »Intensität« der Schwangerschaftsvorsorge (weniger ist riskanter)
4 Bedeutung möglicher Umwelt- oder saisonalen Faktoren ist unklar
4 Weitere Risikomarker sind das HELLP-Syndrom, Anämie der Mutter,
Drogenabusus, Zustand nach Cordozentese (Nabelschnurpunktion),
antenatale Fruchtwasserembolie (bis 40%), Lageanomalien (Becken-
endlage!), Schulterdystokie.

Klinik
4 Subjektiv: fehlende Kindsbewegungen
4 Objektiv: Fehlende kindliche Herztöne im CTG und Ultraschall.
4 Gefahren bestehen in einer Infektion der Fruchthöhle (AIS), Gerin-
nungsstörungen durch Einschwemmung thromboembolischen Mate-
rials in die maternale Blutbahn.

Diagnostik
4 CTG/Auskultation: keine Herztöne
4 Ultraschall: fehlende Herzaktion inklusive Dopplerkontrolle.
4 Todeszeitpunkt:
5 Mazerationsgrad:
J Grad I (wenige Stunden): Haut grauweiß, erweicht
J Grad II (wenige Tage): grauschmutzige Haut, abgehobene Blasen,
Hautfetzen, Subkutis und Fruchtwasser durch Hämolyse braun-
rötlich, Lockerung der Gelenk- und Knochenverbindungen.
J Grad III (2–3 Wochen p.m.): Haut schmutzig, vollständiger To-
nusverlust, Verflüssigung innerer Organe (Kolliquationsnekrose),
Flüssigkeitsansammlung in Kopf, Thorax und Abdomen.
13 J Fetus papyraceus: Eintrocknung
J Lithopädion: Inkrustation

Therapie
Je früher in der SS der Fruchttod eintritt, desto länger ist die Latenzzeit zur
spontanen Ausstoßung/Geburt. ! Cave Keine Maßnahmen, die zur Ver-
letzung der Mutter führen! Beendigung der SS erfolgt nach Diagnosesiche-
rung, wobei die Spontangeburt angestrebt wird. Die Weheninduktion er-
folgt mit lokaler Prostaglandinapplikation (Cergem) zur Zervixreifung, bei
reifer Zervix Weheninduktion mittels i.v.-Gabe (Nalador). Alternativ ist
auch eine Wehenunterstützung mit Oxytocin möglich.
4 Überwachung: Engmaschige Kontrolle des maternalen Gerinnungs-
status. Sectio oder Sectio parva bei schwerem maternalen Gerinnungs-
defekt, Plazenta praevia, vorzeitiger Lösung oder DIC.
4 Entbindung/Nachsorge: Obduktion und genetische Untersuchung des
Feten nur bei vorliegender Einverständniserklärung der Eltern.
4 Thromboseprophylaxe bei protrahiertem Verlauf, bei Verdacht auf In-
fektion Antibiose. FFP bei Fibrinogen <100 mg/dl, Thrombopenie
<20000/μl erfordert die Substitution mit Thrombozytenkonzentraten.
13.5 · Intrauteriner Fruchttod
155 13

4 Dead fetus syndrome: Innerhalb ersten 10 Tage selten, jedoch 5 Wo- Eigene Notizen
chen nach IUFT in 25–40%! Bei Retention des abgestorbenen Feten
schleichende Gerinnungsstörung mit Fibrinogenabfall <150 mg/dl,
Verlängerung der PTT, Thrombopenie <100000. Das Akutereignis einer
Fruchtwasserembolie erfordert bei sehr hoher maternaler Mortalität
Intensivtherapie und unmittelbare Entbindung.
4 IUFT eines Zwillings:
5 Chorionizität überprüfen
5 30 SSW anstreben
5 Bei FFTX Lasertherapie erwägen
5 Engmaschig BB, Gerinnung, CRP
5 CTG täglich
5 US/Doppler 2-mal/Woche
5 Entbindung: Spontangeburt anstreben, oft jedoch Sectio aufgrund
fehlender Einstellung des vitalen Zwillings. Unmittelbare Sectio bei
beginnender Gerinnungsstörung. Die Prognose für den überleben-
den Geminus ist bei monochorioter Situation mit 12% Mortalität
und 26% neurologischen Defekten ernst, hingegen bei dichorioter
Situation mit 4% Mortalität und 12% neurologischen Defekten
deutlich besser.

Der psychologischen Betreuung kommt große Bedeutung zu; wichtig ist die
Anerkennung der Schwangerschaft und des abgestorbenen Kindes unab-
hängig von SSW. Vorsichtige Wortwahl, Zeit geben. Möglichkeit professio-
neller Hilfe durch Psychosomatik bzw. Psychologie und Seelsorge sollte
aufgezeigt, Kind nach der Geburt im Kreißsaal/Zimmer belassen werden.
Sehr hilfreich neben oder im Rahmen professioneller Hilfe in der Verarbei-
tung sind Rituale, z.B. Lagerung des Kindes in einem Körbchen, Segnungs-
zeremonie durch SeelsorgerIn, Kerzen, Gebet, etc. Beerdigung ansprechen,
nach Gesetz Pflicht ab 500 g Geburtsgewicht. Besondere Beachtung gilt der
psychologischen Aspekte nicht nur im Akutfall und Nachbetreuung, son-
dern auch in der Folgeschwangerschaft.

Prävention und Schwangerenvorsorge


Bei Zustand nach IUFT sind bei der nächsten Schwangerschaft angezeigt:
4 Kontrolle von Labor (BB, Gerinnung)
4 Ausschluss Anti-Phospholipid-Syndrom, Lupus erythematodes
4 Blutgruppe, Antikörpersuchtest
4 Infektionsserologie (CMV; Toxoplasmose, Listerien, Röteln etc.)
4 OGTT früh und in 24–28 SSW
4 Ggf. Internistische Kontrolle zum Ausschluss präexistenter Nieren-
erkrankungen und Hypertonus.
! Cave Die Folgeschwangerschaft ist eine Risiko-Schwangerschaft!
Je nach SSW des ersten IUFTs wird die Einleitung der Geburt etwas
früher angeboten, der errechnete Entbindungstermin sollte nicht
überschritten werden.
156 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 13.6 Intrauterine Wachstumsrestriktion,


»small for gestational age«

Definition und Epidemiologie


Intrauterine Wachstumsrestriktion (intrauterine growth restriction =
IUGR) bedeutet das Verlassen der perzentilengerechten Wachstumskurve
in der Regel unter die 10. Perzentile der pränatalen Gewichtsschätzung, der
Fetus schöpft sein Wachstumspotenzial nicht mehr aus. Davon zu trennen
ist das Wachstum entlang einer Perzentile <10, aber ohne Dezeleration,
bezeichnet als »small for gestational age« (SGA); vereinzelt durchläuft ein
SGA-Fetus noch eine IUGR. In der Praxis werden die beiden Entitäten oft
nicht getrennt, was retrospektiv eine Vermischung der Ätiologie bzw. Ursa-
chen und eine erschwerte adäquate neonatale Betreuung bedeutet.
Betroffen sind 5% aller Neonaten, die Morbidität und Mortalität von
IUGR-Feten ist erhöht. Ein hoher Anteil der Frühgeborenen ist wachs-
tumsretardiert bzw. SGA, über ein Drittel der intrauterin verstorbenen
Kinder ist mangelernährt. Es besteht eine klare Assoziation zwischen in-
trauteriner Wachstumsrestriktion und erhöhtem Risiko kardiovaskulärer
(KHK, Herzinfarkt, Hypertonie) und metabolischer (Diabetes mellitus)
Erkrankungen im Erwachsenenalter (Barker-Hypothese).

Ätiologie
Ätiologisch zu unterscheiden ist die frühe symmetrische (20%, vor 20 SSW
beginnend) von der späten eher asymmetrischen (jenseits 20 SSW) IUGR.
Typische Ursachen für die frühe IUGR sind:
4 Chromosomale Störungen (Trisomie, Monosomie, Triploidie)
4 Infektionen (CMV, Toxoplasmose, Röteln, Listeriose, Malaria, etc.)

Für die häufige späte Form sind folgende Ursachen bekannt:


13 4 Mangelnde Trophoblastinvasion mit mangelhafter uteroplazentarer
Durchblutung
4 Maternale Erkrankungen (Hypertonie, Diabetes mellitus, Nierener-
krankungen, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Thrombophilien, etc.)
4 Mehrlingsschwangerschaften
4 Nikotin-, Drogen-, Medikamentenabusus etc.

Klinik
Eine typische klinische Symptomatik ist nicht definiert. Auffällig kann ein
der Schwangerschaftswoche nicht entsprechender Bauchumfang bzw. Sym-
physenfundusabstand sein, bei adipösen Bauchdecken wird dies jedoch
verkannt. Gelegentlich berichten die Schwangeren über verminderte Kinds-
bewegungen, was bereits für Kompensations- bzw. beginnende Dekompen-
sation des fetalen Mangelzustandes sprechen kann.

Diagnostik
Vor der Diagnose IUGR/SGA steht die exakte Überprüfung und ggf. Kor-
rektur des Gestationsalters. Überprüft werden hierbei die Regelanamnese
und der in der Frühschwangerschaft durchgeführte Ultraschall. Eine Kor-
13.6 · Intrauterine Wachstumsrestriktion, »small for gestational age«
157 13

rektur des Gestationsalters soll nur anhand von Messdaten bis zur 12. SSW Eigene Notizen
erfolgen und wird meist ab einer Diskrepanz von mehr als 5 Tagen zwischen
Berechnung über die letzte Periode und Ultraschalluntersuchung im 1. Tri-
menon durchgeführt. Eine spätere Angleichung aufgrund bereits verzöger-
ten Wachstums ist falsch.
Wichtigstes Diagnostikum ist der Ultraschall, mit dem einerseits die
Biometrie vermessen und die Diskrepanz zur SSW festgestellt wird, ande-
rerseits mithilfe der morphologischen Beurteilung des Feten Hinweise auf
mögliche Ursachen gibt: Häufig sind Chromosomenstörungen mit Fehl-
bildungen (ZNS-Fehlbildungen, Herzfehler, Skelettanomalien etc.) und/
oder IUGR/SGA verbunden. Die Durchführung einer Amniozentese oder
Chorionzottenbiopsie bzw. Plazentazentese ermöglicht die Analyse der fe-
talen Zellen und Erstellung eines Karyogramms bzw. gezielte Suche nach
Auffälligkeiten (Mikrodeletionen). Der Ausschluss einer infektiösen Ursa-
che erfolgt über die mütterliche serologische Untersuchung, in Einzelfällen
kann der Erregernachweis aus Fruchtwasser, Chorionzellen oder Fetalblut
nötig sein (CMV, Röteln, Toxoplasmose).
Das pathologische dopplersongrafische Flussprofil der Aa. uterinae
mit erhöhtem Widerstand, persistierender postsystolischer Inzisur
(»Notch«) spricht für eine unzureichende bzw. mangelnde Trophoblastin-
vasion in das mütterliche Deziduagewebe und Myometrium mit nachfol-
gend nicht adäquater Etablierung des uteroplazentaren Kreislaufs. In der
Folge reicht das Plazentazeitvolumen nicht aus, den Feten entsprechend
seines Wachstumspotenzials zu ernähren, schließlich kommt es zur Sauer-
stoffunterversorgung, die eine entsprechende Umstellung der Flussverhält-
nisse im fetalen Kreislauf zugunsten der Gehirndurchblutung zur Folge hat
(»brain sparing«).

Therapie und Betreuung


Diese richten sich nach den Ursachen bzw. der zugrunde liegenden Patho-
physiologie (Genetik, Infektion, Plazentationsstörung, Noxen). Regelmä-
ßige Kontrollen des fetalen Wachstums werden durch Dopplersongrafie der
maternalen Gefäße (Aa. uterinae) und der fetalen arteriellen (A. umbilica-
lis, A. cerebri media, Aorta) und venösen Gefäße (Ductus venosus, V. cava
inferior, V. umbilicalis) ergänzt. Ziel ist das Erkennen der fetalen Gefahren-
situation, die eine Entbindung erfordert.
Begleitend werden bei kritischen Befunden im Rahmen der statio-
nären Betreuung eine Lungenreifeinduktion ab Lebensfähigkeit (24+0
SSW) durchgeführt, Laborparameter überwacht (Präeklampsie, HELLP-
Labor) und täglich bis zur 3-malig ein CTG geschrieben. Je früher die
SSW, desto mehr Bedeutung kommt dem Ziel zu, die Schwangerschaft
zum fetalen Reifegewinn zu verlängern, je weiter fortgeschritten die
Schwangerschaft ist, desto niedriger ist die Indikationsschwelle zur Ent-
bindung.
Die dopplersonografische Diagnostik erlaubt die Erkennung der Um-
verteilung zugunsten des fetalen Gehirns (»brain sparing«) mit hohem
peripheren (A. umbilicalis) und niedrigem zentralen Widerstand (A. ce-
rebri media); das Phänomen eines enddiatolischen »reverse flow« in der
158 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen A. umbilicalis ist ab 32 SSW eine Indikation zur Entbindung, ebenso die
schweren Veränderungen im CTG mit tiefen späten Dezelerationen.
Eine evidenzbasierte Therapie der IUGR gibt es nicht, Zusatzrisiken
wie Stress, Noxen, schlechte Diabeteseinstellung sollen aber unbedingt re-
duziert werden.
Bei Zustand nach Präeklampsie und/oder schwerer IUGR ist der pro-
phylaktische Benefit einer ASS-Gabe (100 mg/Tag) ab Frühschwanger-
schaft erwiesen.

13.7 Infektionen in der Schwangerschaft


und peripartal

13.7.1 Amnioninfektionssyndrom (Chorioamnionitis)

Definition und Ätiologie


Das Krankheitsbild ist durch eine Infektion des Amnion und Chorions, des
Fruchtwassers, der Dezidua und des Feten charakterisiert. Die wichtigsten
Risikofaktoren sind:
4 Subpartal die protrahierte Geburt
4 Präpartal die Zervixinsuffizienz, der vorzeitige Blasensprung (häufigste
Ursache!!)
4 Frühgeburt

Im Genitaltrakt befindliche bzw. durch Manipulation (Operation, Untersu-


chung) importierte Keime stellen die Erreger des Amnioninfektions-
syndroms (AIS) dar. Je nach Typ und Virulenz entwickelt sich der klinische
Verlauf. Die für Mutter und Kind potenziell lebensgefährliche Infektion
muss daher so früh wie möglich erkannt und therapiert werden.
13 Erreger: zumeist Mischinfektion aus aeroben und anaeroben Keimen,
die wichtigsten sind:
4 Streptokokken der Gruppen B und A
4 Enterokokken
4 E. coli
4 Listerien
4 Mycoplasmen
4 Ureaplasma urealyticum
4 Chlamydien (trachomatis)
4 Bacteroides spp., etc.

Zwei typische Infektionswege:


4 Hämatogen transplazentar durch maternale Bakteriämie
4 Aszendierend durch Keime aus Zervix und Vagina

Klinik
Spektrum von subklinisch bis akutes septisches Vollbild. Meist auf der Stufe
der Chorioamnionitis diagnostiziert und therapiert, Vollbild des AIS ist
heute selten anzutreffen.
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
159 13

Maternale Kriterien eines AIS sind: Eigene Notizen


4 Fieber >38°C
4 Tachykardie
4 Leukozytose
4 Kontraktionen/Wehen
4 Druckschmerzhafter Uterus
4 Riechendes Fruchtwasser

Fetales Hauptkriterium eines AIS:


4 Tachykardie >160 bpm
4 Die neonatalen Risiken bestehen in den Infektionsfolgen (Meningitis,
Pneumonie, intrakranielle Blutungen, Sepsis)

Spätfolgen und Komplikationen für die Schwangere bzw. Wöchnerin


sind:
4 Puerperalinfektion bis –sepsis
4 Endometritis
4 Endomyometritis
4 Adnexitis
4 Peritonitis

Diagnostik:
Klinische Kriterien:
4 Temperatur
4 Tachykardie (maternal, fetal)
4 Druckschmerzhafter Uterus
4 Kontraktionen
4 Riechendes Fruchtwasser

Erregernachweis:
4 Kulturell aus mikrobiologischen Abstrichen aus Zervix/Vagina/Frucht-
wasser, mikroskopisch im Gram-Präparat der Abstriche, Erregernach-
weis aus Blutkultur
4 Postpartal sollte ein Erregernachweis aus Plazenta und Eihäuten erfol-
gen, identifizierte Erreger sind insbesondere für die Therapie des Neo-
naten wichtig (Informationsfluss!).

Laborparameter:
4 CRP
4 Leukozyten
4 Engmaschige Verlaufskontrollen
4 Ggf. Zytokinbestimmung (IL-6) aus Blut und Fruchtwasser
4 Glukosespiegel im Fruchtwasser
4 Gerinnungsdiagnostik zum Ausschluss DIC

CTG:
4 Monitoring bzw. Erkennung fetaler Tachykardie und uteriner Kontrak-
tionen.
160 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Therapie


Die hochdosierte antibiotische Therapie soll den septischen Verlauf abwen-
den. Der frühe Therapiebeginn und Entbindung entscheiden über den Ver-
lauf. Breitspektrumantibiose, z.B. Kombinationen aus Breitbandpenicillin
mit Gentamycin und/oder Clindamycin; Cephalosprin und Clindamycin;
Clavulansäure, Amoxicillin, Gentamycin und Metronidazol; Imipenem,
Breitbandpenicillin und Metronidazol; etc.
Bei Progression des AIS muss die rasche Beendigung der Schwanger-
schaft erfolgen, bei Sepsis oder Befall des Myometriums ist evtl. auch eine
Hysterektomie erforderlich.

Vorbeugung
Engmaschiges Monitoring der Schwangerschaft und der Parameter des AIS,
rechtzeitige hoch dosierte Antibiotikagabe.

Komplikation
Sepsis: Das AIS kann über Generalisation der »Lokalinfektion« Chorioam-
nionitis zu der typischen Klinik der Sepsis mit Fieber, Schüttelfrost, Blut-
druckabfall, Tachykardie, Bewusstseinseintrübung, Oligo/Anurie führen.
Laborparametrisch werden die Parameter Leukozytenzahlen, Thrombozy-
ten, Serumkreatinin, Procalcitonin, Gerinnungsparameter, Laktatspiegel
zur Definition herangezogen.
Oberstes Therapieziel ist die Eliminierung des Infektionsherdes und
die hoch dosierte Anitbiotikatherapie, die sich nach Erhalt des Erreger-
spektrums anpassen lässt.
Die interdisziplinäre intensivmedizinische Behandlung ist absolut er-
forderlich. ! Cave Auch ein infizierter Abort kann in ein Amnioninfek-
tionssyndrom und eine vital bedrohliche Sepsis münden. Das Erregerspek-
trum ist hier meist gemischt und die Infektion erfolgt durch Aszension,
13 Plazentareste oder operative Eingriffe sind prädisponierende Faktoren.
Therapeutisch sind auch hier die breit- und hoch dosierte Antibiotikaappli-
kation, die rasche Entfernung des Infektionsherdes (Kürettage, ggf. Hyster-
ektomie als ultima ratio) sowie intensivmedizinische interdisziplinäre Be-
treuung indiziert.

13.7.2 Infektionen mit Streptokokken der Gruppe B

Epidemiologie
Etwa 15% aller Schwangeren weisen eine vaginale Streptokokkenbesiedlung
auf. In einem Drittel ist die Besiedlung des Urogenitaltrakts während der
gesamten Schwangerschaft nachweisbar, bei zwei Dritteln nur intermittie-
rend. Abhängig vom Ausmaß der mütterlichen Besiedlung erfolgt eine sub-
partale Kontamination bei etwa 50–60% der Neugeborenen. Hieraus kann
sich die konnatale Infektion vom Early-Onset-Typ in 1–2% oder Late-On-
set-Typ in 0,5% entwickeln.
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
161 13
Ätiologie Eigene Notizen
4 Erreger: Streptokokken der Gruppe B sind grampositive Kokken, un-
terschieden werden 4 verschiedene Serotypen und Subtypen, bilden
Exotoxine und Endotoxine.
4 Übertragung: Pränatale und subpartale Infektion des Un- bzw. Neuge-
borenen. Die postnatale Infektion ist als nosokomiale Infektion einzu-
stufen. Infektionen von Erwachsenen mit Streptokokken der Gruppe B
entstehen häufig durch Kontaktschmierinfektionen.

Klinik
Das Spektrum ist bei Erwachsenen sehr variabel (Harnweginfektionen, Sep-
tikämien, Pneumonien, Meningitis, Arthritis, Otitis etc.). Eine Streptokok-
keninfektion in der Schwangerschaft geht häufig mit vorzeitiger Wehentä-
tigkeit einher und kann zu septischen Aborten, Amnioninfektionssyndrom
und transitorischer Bakteriämie führen. Postpartal besteht ein Zusammen-
hang mit Sepsis, Endometritis und Harnweginfektionen.
Die Neugeboreneninfektion ist abhängig von verschiedenen Risikofak-
toren:
4 Hohe Keimdichte im Urogenitaltrakt der Mutter
4 Zeitspanne zwischen Blasensprung und Geburt (>18 h)
4 Fieber sub partu >38°
4 Frühgeburt vor 37+0 SSW
4 Bakteriurie mit Streptokokken der Gruppe B während der Schwanger-
schaft
4 Zustand nach Geburt eines an einer Streptokokkeninfektion erkrankten
Neugeborenen

Die Erkrankung des Neugeborenen verläuft meist sehr schwer; die Frühform
(Early Onset) beginnt überwiegend am 1.–5. Lebenstag mit Zeichen der
Sepsis mit Atemnotsyndrom und Schock, Meningitis, seltener Pneumonie,
der Verlauf meist foudroyant mit 50–60% Mortalität. Die späte Form (Late
Onset) beginnt zwischen der ersten Lebenswoche und dem 3. Lebensmonat
meist mit Manifestationsform Meningitis und relativ guter Prognose.

Diagnostik
Schwerpunkt liegt in:
4 Kultureller Erregeranzucht und anschließender serologischer Gruppen-
bestimmung
4 Material: Blut, Urin, Liquor, Eiter, Vaginalabstrich, Zervixabstrich,
Analabstrich
4 Empfohlen wird die Untersuchung mittels Vaginal-/Zervixabstrich in
der 32.–35. SSW

Therapie
Empfindlichkeit auf β-Laktamantibiotika, in der Schwangerschaft Therapie
mit Penicillin oder Ampicillin als Mittel erster Wahl.
Bei bekannter Besiedlung mit Gruppe-B-Streptokokken (GBS) oder
Zustand nach infiziertem Kind muss sub partu eine antibiotische Prophy-
162 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen laxe mit Penicillin G i.v. einmalig 5 Mio E, dann alle 4 h verabreicht wer-
den, alternativ Ampicillin 2 g, dann 1 g alle 4 h.
Bei negativem oder unbekanntem Status erfolgt keine Prophylaxe. Aus-
nahme:
4 Unbekannter GBS-Status und drohende Frühgeburt von 37+0 SSW
4 Blasensprung vor ≥18 h
4 Mütterliche Temperatur ≥38°C

Die prophylaktische Gabe von Antibiotika während der Schwangerschaft


vor Beginn der Wehentätigkeit und/oder vor Blasensprung bei Besiedlung
ist nicht effektiv, da es bis zur Geburt in 70% zu einer Rekolonisation der
Schwangeren kommt.

Chlamydien-Infektion
Epidemiologie und Ätiologie
In Europa ist die Chlamydien-Infektion eine seltene Geschlechtskrankheit.
Der Erreger Chlamydia trachomatis mit Serovariationen L1–L3 wird über
sexuelle Kontakte übertragen.

Klinik
Regionäre Lymphknotenschwellung in 60%, einseitig, hart, schmerzlos.
Primärerscheinungen an der Portio sind möglich.
Lymphogranuloma venereum: Lymphangitis mit Hyperplasie des peri-
rektalen und intestinalen Gewebes. Weitere mögliche Folgen sind perianale
Abszesse, rektovaginale/anale Fisteln und Stenosen.

Diagnostik
Antikörpermarkierung macht Erreger im Fluoreszenzmikroskop sichtbar,
ferner ELISA und PCR. (Neue Regelung in der Schwangerenvorsorge: Urin-
13 kultur).

Therapie
Erythromycin 500 mg 4-mal täglich oral über 7 Tage. Bei Vorliegen eines
anorektalen Syndroms ist ggf. eine Entbindung per primärer Sectio indi-
ziert.

Prävention
Expositionsprophylaxe.
Neisseria gonorrhoeae (Gonorrhoe)
Epidemiologie und Ätiologie
Die Gonorrhoe gehört zu den häufigsten Geschlechtskrankheiten mit einer
weltweiten Ausbreitung von bis zu 25 Mio Neu(!)erkrankungen pro Jahr.
Besonders hohe Prävalenz in Entwicklungsländern, in Deutschland wird
mit 4 Erkrankten/100000 Einwohnern gerechnet, betroffen sind überwie-
gend Jugendliche und junge Erwachsene.
4 Erreger: Neisseria gonorrhoeae, gramnegative Diplokokken mit ver-
schiedenen serologischen Typen unterschiedlicher Pathogenität. Außer-
halb des menschlichen Organismus nicht überlebensfähig.
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
163 13

4 Übertragung: Durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder oralen/ Eigene Notizen


analen Kontakt. Frauen erkranken nach einmaligem Kontakt in 60–
90%. Infizierte Schwangere können sub partu die Gonokokken auf das
Neugeborene übertragen. Keine Übertragung durch Tiere oder Gegen-
stände. Ansteckung auf Toiletten sehr unwahrscheinlich.
Klinik
Bei 50% der infizierten Frauen verläuft die urogenitale Gonorrhoe asymp-
tomatisch.
Betroffen sind typischerweise Zervix, Urethra, Rektum, Bartholin-
Drüsen und Nasopharynx. Außerhalb der Schwangerschaft kommt es
durch Aszension zu Endometritis, Salpingitis, pelvic inflammatory disease
(PD) mit der Folge der Infertilität, selten Bakteriämie mit den Folgen Ar-
thritis, Konjunktivitis, Retinitis, Endokarditis, Perikarditis, Fieber.
Häufig bestehen Koinfektionen mit Chlamydien, Ureaplasmen, Tri-
chomonaden etc. ! Cave Auch Ko-Infektion mit Treponema pallidum
oder HIV möglich.
In der Schwangerschaft besteht eine erhöhte Gefahr der systemischen
Ausbreitung. Akute wie chronische Gonorrhoe kann während der Geburt
das Kind infizieren: Gonoblenorrhoe führt unbehandelt zur Kornea-
destruktion und konsekutiver Erblindung. Im Wochenbett kann es zu
Fieber durch Aszension kommen.
Diagnostik
Erregernachweis erfolgt mikroskopisch (Gram-Färbung) und kulturell (Se-
lektivnährböden) aus Urethra- und Zervixabstrich und ggf. weiteren Ent-
nahmeorten. Resistenzbestimmung!
Kontrollabstriche nach Abschluss der Behandlung.
Therapie
Zunehmende Resistenzen gegen Penicilline machen Cephalosporine der
2. und 3. Generation zu den Medikamenten der Wahl für eine Therapie in
der Schwangerschaft, Einmalgabe i.m. oder i.v. Bei Vorliegen einer kompli-
zierten Gonorrhoe ist die Therapie auf 7–14 Tage zu verlängern. ! Cave
Ko-Infektionen sind auszuschließen! Unabhängig von einer Symptomatik
erfolgt die Partnerbehandlung.

Prävention
Aufklärung über sexuelles Risikoverhalten. Es steht keine Impfung zur Ver-
fügung. Die Credé-Augenprophylaxe des Neugeborenen zur Vermeidung
der Gonoblenorrhoe mit Einträufeln 1%-iger Silbernitratlösung wird zu-
nehmend seltener durchgeführt.

Lues (Syphilis)
Epidemiologie und Ätiologie
4 Weltweit vorkommend, Abnahme in Industriestaaten.
4 Erreger: Schraubenförmiges Bakterium Treponema pallidum.
4 Übertragung: Hauptsächlich durch sexuelle Kontakte, Kontagiosität
am größten im Primär- und Sekundärstadium. Selten Übertragung bei
164 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Haut/Schleimhautkontakt oder Nadelstichverletzungen. In der Schwan-


gerschaft diaplazentare Übertragung v.a. in Stadium I und II, auch bei
Lues latens Möglichkeit der materno-fetalen Transmission. Übertra-
gung zu jeder Zeit möglich, bevorzugt jenseits 18 SSW. Übertragungs-
raten:
5 Primäre Syphilis 29%
5 Sekundäre Syphilis 59%
5 Frühlatente Syphilis 50%
5 Späte Syphilis 13%

Klinik
Erworbene und angeborene Syphilis sind zu unterscheiden.
Erworbene Syphilis ist zyklisch:
4 Primärstadium: nach 3-wöchiger Inkubationszeit im Bereich der La-
bien, Vulva, Portio mit typischer Konsistenz (harter Schanker) und
Lymphadenitis in den Leistenbeugen.
4 Sekundärstadium: 6–12 Wochen nach Primäraffekt auftretende Erschei-
nungen im Genitalbereich: Condyloma lata, syphilitisches Exanthem,
gelegentlich auch unter den Mammae, Achselhöhlen, und Mundschleim-
haut. Generalisierung der Infektion mit Allgemeinbeschwerden.
4 Latenzstadium: Symptomfreie Phase, in der die Symptome des Stadium
II wieder auftreten können.
4 Tertiärstadium, Spätsyphilis: Tuberonodöse Syphilitiden und Gummen
an der Haut, Befall des kardiovaskulären und zentralnervösen Systems
mit Aortenaneurysmen, Tabes dorsalis, und Apoplex, durchaus letaler
Ausgang.
Angeborene Syphilis:
4 Syphilis connata: Syphilis congenita praecox mit Manifestation bis
zum 2. Lebensjahr entsprechend dem Bild der Syphilis des Erwach-
13 senen.
4 Syphilis congenita tarda: entsprechend der Spätsyphilis des Erwachse-
nen, beginnt jenseits des 2. Lebensjahrs, charakteristisch ist die Hutchin-
son-Trias mit Keratitis parenchymatosa, Innenohrschwerhörigkeit und
Tonnenzähnen. Theoretisch können alle Organe betroffen sein.
4 In der Schwangerschaft keine Verschlechterung des Verlaufs, jedoch hat
das Erkrankungsstadium Einfluss auf den Ausgang der Schwanger-
schaft, Zeitpunkt der Infektion bestimmt die Schwere der kindlichen
Erkrankung. Erhöhte Rate an Spontanaborten, Tot- und Frühgeburten
und Hydrops fetalis, erhöhte perinatale Mortalität. 50% aller infizierten
Feten sterben intrauterin ab, postnatal frühe oder späte konnatale Sy-
philis mit den jeweiligen Defektzuständen.

Diagnostik
Hauptsächlich direkter Erregernachweis mittels Dunkelfeldmikroskopie
und serologische Nachweisverfahren.
Stadium I: Material aus Primäraffekt, serologische Stufendiagnostik:
4 TPHA erkennt IgG- und IgM-Antikörper (frühestens 2 Wochen nach
Infektion)
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
165 13

4 Treponema-pallidum-ELISA: quantitativ, ab 2 Wochen post infectionem. Eigene Notizen


4 Bestätigungstests:
5 FTA-Abs (Fluoreszenz-Treponema-pallidum-Antikörper-Absorb-
tionstest, qualitativ): positiv bei früher Primärsyphilis und späten
Infektionsstadien
5 Treponema-pallidum-ELISA: Bestätigung für TPHA, Tp-WB (Wes-
tern-blot) weist spezifische IgM- und IgG-Antikörper gegen Poly-
peptide nach
4 Tests für Behandlungsbedürftigkeit und Therapiekontrolle:
5 VDRL-Test
5 FTA-Abs-Test
5 Treponema-pallidum-IgM-ELISA
5 Treponema-pallidum-Western-Blot-IgM

Schwangere sind so früh wie möglich im 1. Trimenon und vor der Geburt
serologisch auf Syphilis-Antikörper zu untersuchen. Nach Totgeburt sollte
ein Screening erfolgen. Bei positiver Serologie wird der Ausschluss einer
HIV-Infektion empfohlen. Sonografische Hinweiszeichen:
4 Restriktives fetales Wachstum
4 Hydrops
4 Hepatomegalie
4 Hydropische Plazenta

Therapie
Eine Behandlung sollte ausschließlich bei Vorliegen eindeutiger serologi-
scher Befunde bzw. erfolgtem Erregernachweis erfolgen. In allen Stadien ist
Penicillin das Mittel der Wahl, wenn auch in unterschiedlicher Dosierung
und Anwendungsdauer (s.a. Empfehlungen der Deutschen STD-Gesell-
schaft sowie der internationalen Gremien (CDC, CEG) zur Therapie in der
Schwangerschaft). In Deutschland wird Clemozolpenicillin G empfohlen.
! Cave Behandlung kann eine Jarisch-Herxheimer-Reaktion hervorrufen,
meist mild und nach 48 h abgeklungen.
Alternative zu Penicillin sind Ceftriaxon oder Erythromycin. Präven-
tivbehandlung des Neugeborenen ist notwendig, wenn die Mutter noch gar
nicht, unzureichend oder erst gegen Ende der Schwangerschaft behandelt
wurde. Serologische und klinische Nachkontrollen sind nötig.

Prävention
Wichtig ist Vermeidung des Kontakts mit syphilitischen Effloreszenzen,
Kondomverwendung. Stillverbot gilt bei nicht ausreichender Therapie der
Mutter. Die erregerspezifischen serologischen Tests in der Schwangerschaft,
festgelegt in den Mutterschaftsrichtlinien, haben zur deutlichen Senkung
der konnatalen Lues beigetragen.
166 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 13.7.3 HIV

Epidemiologie
Weltweite Verbreitung, Schwerpunkte liegen in Osteuropa, Zentralafrika,
Asien, Teile Südamerikas; 2000 Neuinfektionen treten in Deutschland/Jahr
auf, davon ca. 25% Frauen. Letalität ohne Behandlung liegt bei >60% nach
15 Jahren. Fortschritte in der antiretroviralen Therapie haben Lebenserwar-
tung und Lebensqualität deutlich verbessert, sodass HIV-positive Frauen
zunehmend schwanger werden bzw. den Wunsch nach einer Schwanger-
schaft äußern. Vor diesem Hintergrund ist die Betreuung HIV-diskordanter
Paare von großer Bedeutung. Aktuelle Zahlen und Entwicklung der HIV-
Infektionen werden regelmäßig vom Robert-Koch-Institut publiziert.

Ätiologie
4 Erreger: das humane Immundefizienzvirus gehört zu den Retroviridae.
Unterschieden werden das HIV-1- und das HIV-2-Virus mit jeweils
9 und 5 Subtypen.
4 Übertragung: v.a. sexuell, abhängig von Viruslast, die in Sperma, Vagi-
nalsekret und Blut besonders hoch ist. Weitere Übertragungswege sind
intravenös verabreichte Blutprodukte/Konserven, intravenöser Dro-
genkonsum und maternofetale Transmission. Diese kann sowohl wäh-
rend der Schwangerschaft, sub partu und postpartal durch die Mutter-
milch geschehen. Auffällig hoch ist die peri- und intrapartale Transmis-
sion. 75% der maternofetalen Übertragung erfolgen unter der Geburt
oder kurz davor. 25% der Transmissionen geschehen durch das Stillen.
Sowohl HIV-assoziierte als auch geburtsmechanische Risikofaktoren
beeinflussen die maternofetale-HIV-Transmission.
5 HIV-assoziierte Risikofaktoren sind:
J Erhöhte HIV-Virämie, HIV-RNA-Zahl und p24-Antigen-Ämie
13 J Verringerte CD4-Zell-Zahlen und neutralisierende Antikörper
J HIV-Varianten und eine progrediente HIV-Infektion
5 Geburtsmechanische Risiken sind:
J Vaginale Entbindung
J Dauer der Zeitspanne Blasensprung – Geburt
J Amnioninfektion
J Frühgeburt
J Vorzeitige Wehen
J Induzierter Spätabort
J Blutiges Fruchtwasser
J Führender Zwilling gefährdeter

Durch entsprechende Diagnostik, antiretrovirale Medikamente, primäre


Sectio und Stillverbot wurde seit 1995 in Deutschland die Übertragungs-
wahrscheinlichkeit auf <1–2% gesenkt.

Klinik
Der für den klinischen Verlauf entscheidende Faktor einer HIV-Infektion
besteht in der Unfähigkeit des Organismus die Viren zu eliminieren, die
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
167 13

Infektion verläuft progredient und mündet in einer starken Immunsuppres- Eigene Notizen
sion bzw. einem Zusammenbruch des Immunsystems mit letalem Ausgang.
Das Stadium der Primärinfektion ist oft klinisch inapparent bis hin zu einem
mononukleoseähnlichen Krankheitsbild, gefolgt von einer Latenzphase, die
bis zu 15 Jahre ohne Symptome verlaufen kann; die generalisierte Lymph-
adenopathie steht in 40% vor dem Übertritt in das Immundefizienzstadium
AIDS, welches als Endbild der HIV-Infektion durch zahlreiche opportunis-
tische Infektionen, Malignome und neurologische Erkrankungen gekenn-
zeichnet ist.
Schwangerschaft und Geburt führen nicht zu einer Verschlechterung
des Verlaufs einer vorbestehenden HIV-Infektion, ebenso fehlen Hinweise
auf ein HIV-spezifisches Syndrom oder Hinweise für bestimmte fetale
Fehlbildungsmuster. Dennoch ist ein erhöhtes Morbiditätsrisiko in der
Schwangerschaft zu erwarten, wie Abort, vorzeitiger Blasensprung und/
oder Wehentätigkeit, Frühgeburt, uteroplazentare Mangelversorgung, Ko-
infektionen (Candida, HPV, HSV), Chorioamnionitis, Anämie, Gestations-
diabetes, Hautaffektionen, zervikale Dys- bzw. Neoplasien.
Das fetale Risiko ist v.a. durch die intrauterine Wachstumsrestriktion
mit erniedrigtem Geburtsgewicht und erhöhter perinataler Morbidität und
Mortalität gekennzeichnet. Im Fall einer perinatalen Infektion kommt es
in bis zu 30% zu einer schweren Verlaufsform der HIV-Infektion mit früh
auftretenden AIDS-definierenden Erkrankungen in den ersten Lebens-
monaten bis Jahren; in 70–75% langsam progrediente Verlaufsform.

Diagnostik
So früh wie möglich sollte nach Aufklärung und Einverständnis der
schwangeren Patientin ein HIV-Test durchgeführt werden. Screening-Me-
thode in der Schwangerenvorsorge ist der Nachweis spezifischer Antikör-
per gegen HIV-1 und HIV-2, ein positives Ergebnis muss stets durch ein
weiteres Untersuchungsverfahren (z.B. Western-Blot) gesichert werden.
> Memo HIV-Test und Test-Ergebnis dürfen nicht im Mutterpass doku-
mentiert werden.
Im Fall einer HIV-Infektion bzw. Erstdiagnose in der Schwangerschaft
muss die Patientin in ein Schwerpunktzentrum überwiesen und einer in-
terdisziplinären Betreuung (Gynäkologen, Geburtshelfern, Internisten,
Pädiatern) zugeführt werden, wo spezialisierte Beratung und Behandlung
sowie psychosoziale Betreuung erfolgen. Allgemeine Schwangerenvorsor-
ge erfolgt gemäß den Mutterschaftsrichtlinien.

Therapie
Bei der Betreuung HIV-positiver Schwangerer geht es neben der gesund-
heitlichen Behandlung um die Verhinderung einer maternofetalen Virus-
transmission. Dies wird insbesondere erreicht durch:
4 Antiretrovirale Therapie (ART)
4 Primäre Sectio am wehenlosen Uterus (Ausnahmen s.u.)
4 Antiretrovirale Prophylaxe und generelles Stillverbot
168 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Zur Verfügung stehen 3 Substanzgruppen:


4 Nukleosidanaloga (NA, NRTI)
4 Nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NN, NNRTI)
4 Protease-Inhibitoren (PI)

Bei der Auswahl müssen Pharmakokinetik, Resistenzsituationen, Teratoge-


netik und Kanzerogenität berücksichtigt werden. Als nicht teratogen bzw.
kanzerogen wird Azidothymidin (AZT, Zidovudin) eingestuft, bei den
meisten anderen Substanzen liegen Beobachtungen nur an kleinen Fall-
zahlen und lassen eine fundierte Risikobewertung kaum zu. Gegenwärtig
ist eine 3-fach-Kombination die Therapieform der Wahl in der Schwanger-
schaft. Die Indikation zur ART richtet sich nach den Parametern der Virus-
last und CD4-Zell-Zahlen und dem klinischen Bild. Im unkomplizierten
Schwangerschaftsverlauf wird ab 36 SSW am wehenlosen Uterus unter lau-
fender AZT-Infusion die primäre Sectio durchgeführt.
Ebenso soll ab 34 SSW bei vorzeitigen Wehen und drohender Frühge-
burt eine Schnittentbindung unter AZT-Infusion erfolgen. Auswahl und
Durchführung der Therapie sollten an einem Zentrum erfolgen und sich
jeweils an den jüngsten Empfehlungen orientieren.
Besonders wichtig ist die konsequente Diagnostik und Therapie geni-
taler Infektionen. Ko-Infektionen mit Chlamydien, Trichomonaden oder
eine bakterielle Vaginose korrelieren mit einem erhöhten Transmissions-
risiko v.a. bei vorzeitigen Wehen. Obligat sind in der Schwangerenvorsorge
neben den regulären Untersuchungen:
4 Untersuchung des pH-Werts des Vaginalsekrets
4 Anlage eines Nativpräparats und einer mikrobiologischen Kultur
4 STD-Diagnostik
4 Toxoplasmose-Screening zu Beginn der SS mit Wiederholungsuntersu-
chungen im 2. und 3. Trimenon inklusive einer kompletten Hepatitis-
13 serologie, um Neuinfektionen oder Reaktivierungen zu erfassen.

Prävention
Eine Impfung gibt es derzeit nicht. Prävention beschränkt sich auf Aufklä-
rung der Bevölkerung hinsichtlich der Gefährdung durch ungeschützten
Geschlechtsverkehr, sorgfältige Kontrolle von Blutkonserven und Blutpro-
dukten. Einem besonderen Risiko bei gemeinsamem Spritzen-/Kanülenge-
brauch sind Drogenabhängige ausgesetzt. Eine sekundäre Sectio ist unter
prophylaktischem Gesichtspunkt zur Verhinderung einer Transmission nur
bis 5 h nach Blasensprung und in der Eröffnungsperiode wirksam. Generell
gilt ein Stillverbot, da durch die Muttermilch selbst und durch blutige Ma-
millen eine Infektionsgefahr für das Neugeborene besteht.
Im 1. Trimenon wird die Durchführung eines Ersttrimester-Screening
mit Messung der Nackentransparenz empfohlen, um das individuelle An-
euploidierisiko einzugrenzen. Eine invasive Diagnostik sollte wegen Kon-
taminations- und Transmissionsgefahr nur bei strengster Indikationsstel-
lung und dann unter antiretroviraler Therapie bzw. Prophylaxe erfolgen.
Bei unbekanntem HIV-Status sollte vor invasiver Pränataldiagnostik ein
Test angeboten werden.
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
169 13

Entbindungsmodus: Die Transmissionsrate konnte durch die Einfüh- Eigene Notizen


rung der primären Kaiserschnittentbindung von 16,8% bei vaginaler Ge-
burt auf 8,4% gesenkt werden. Mit Einführung der HAART-Therapie wur-
de die Transmission auf 1–2% gesenkt.
Die Entbindung per primären Kaiserschnitt ohne Wehentätigkeit soll-
te Bestandteil des HIV-Transmissions-Prophylaxe-Vorgehens sein. Der
protektive Effekt ist bei Schwangerschaften, die eine HAART erhalten ha-
ben und deren Viruslast gegen Ende der Schwangerschaft unter der Nach-
weisgrenze liegt, minimal. Eine vaginale Entbindung ist deshalb unter
optimalen Bedingungen (HAART, Viruslast während der gesamten SS,
insbesondere zeitnah zur Geburt, unter der Nachweisgrenze, keine kontra-
indizierende Koinfektionen) vertretbar, wenn dies von der Schwangeren
auch so gewünscht wird und keine geburtshilflichen Befunde dagegen
sprechen.
Das Neugeborene wird unter Verwendung steriler Handschuhe nach
Reinigung mit NaCl 0,9% (um das ggf. kontaminierte Fruchtwasser zu
entfernen) abgesaugt (Mund- und Nasenhöhle). Nach Stabilisierung der
Kreislauffunktionen sind alle Körperöffnungen in gleicher Weise zu säu-
bern. Vor der Versorgung des Nabels sind die Handschuhe zu wechseln.
Die Bevorratung eines HIV-Postexpositionsprophylaxe-Notfall-Sets
und das Wissen um die Indikation für und das Vorgehen bei einer HIV-
Postexpositionsprophylaxe nach beruflicher HIV-Exposition (z.B. Nadel-
stichverletzung des Operateurs) ist in Kliniken, die HIV-infizierte Patien-
ten betreuen, zwingend (Deutsch-Österreichische Empfehlungen zur HIV-
Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen
– Update 2008; Leitlinie der DGGG).

13.7.4 Parvovirus-B-19-Infektion (Ringelröteln)

Epidemiologie und Ätiologie


4 Vorkommen weltweit, Durchseuchungsrate in Deutschland 70%, 30–
60% der Schwangeren sind seronegativ. Typischerweise kommt es zu
gruppenweisen Infektionen in Kindergärten oder Schulen.
4 Erreger der Ringelröteln: Widerstandsfähiges Parvovirus B19 gehört
zur Familie der Parvoviridae.
4 Übertragung über Tröpfcheninfektion (hohe Kontagiosität), möglich
auch über kontaminierte Blutkonserven/Blutprodukte. Diaplazentare
Übertragung bei Primärinfektionen in der Schwangerschaft in 10%.

Klinik
Akute Parvo-B19-Infektion kann symptomlos verlaufen, hat als typische
klinische Manifestation das Erythema infectiosum (Ringelröteln) im Be-
reich von Gesicht und Extremitäten. Arthralgien können über längere Zeit
persistieren. Sistieren der Erythropoese führt selten zu einer aplastischen
Krise. Infektion in der frühen Schwangerschaft führt gehäuft zum Abort.
Infektionen im zweiten Trimenon können durch die Suppression auch der
fetalen Erythropoese zu einer fetalen Anämie mit konsekutivem Hydrops
170 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen fetalis mit Herzinsuffizienz bis hin zum intrauterinen Fruchttod führen.
Fehlbildungen, die durch das Parvo-B19-Virus verursacht werden, sind
nicht bekannt.

Diagnostik
Serologische Untersuchung mit Nachweis von Immunglobulin-M- und Im-
munglobulin-G-Antikörpern. Bei positivem IgM-Nachweis besteht eine
frische Infektion. Bei Erstinfektion in der Schwangerschaft müssen durch
wöchentliche Ultraschall- und Doppleruntersuchungen des Feten Hinweise
auf eine beginnende Anämie (systolische Maximalgeschwindigkeit der
A. cerebri media) und Anzeichen eines Hydrops fetalis (Aszites, Pleuraer-
güsse, Hautödem) überwacht werden. Eine Untersuchung des fetalen Bluts
und/oder Fruchtwassers sichert die Verdachtsdiagnose einer fetalen Infek-
tion (IgM und PCR-Nachweis in Blut und Fruchtwasser).

Therapie
Einzig kurative Therapie der fetalen Anämie ist die intrauterine Transfusion.
Eine aktive Impfung existiert nicht. Passivimpfung theoretisch möglich,
wird aber nach Kontakt mit infizierter Person derzeit von der STIKO (stän-
dige Impfkommission) nicht empfohlen.

Prävention
Eine spezifische Expositionsprophylaxe steht nicht zur Verfügung, serone-
gative Schwangere sollen den Kontakt mit Parvo-B19-infizierten Personen
meiden (seronegative schwangere Kindergärtnerinnen erhalten z.B. Be-
schäftigungsverbot).

13.7.5 CMV – Zytomegalieinfektion


13
Epidemiologie
Weltweite Verbreitung, Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung sind eng
mit sozioökonomischem Status und Bevölkerungsdichte verknüpft. Ab
15 Jahre besteht eine etwa 60%ige Durchseuchung. Neuinfektionen erfolgen
in frühem Kindesalter und bei Aufnahme sexueller Aktivität. In Deutsch-
land werden pro Jahr etwa 9000 Kinder mit einer CMV-Infektion geboren.

Ätiologie und Pathophysiologie


4 Erreger: CMV gehört zur Gruppe der Herpesviren, je nach Immunsta-
tus Replikation in verschiedenen Geweben und Zelltypen.
4 Übertragung durch direkten Kontakt mit virusenthaltenden Körperse-
kreten (Urin, Speichel, Vaginalsekret, Spermine, Muttermilch). Bei pri-
märer maternaler Infektion ist während der Virämie zu jeder Zeit der
Schwangerschaft eine transplazentare Infektion des Feten möglich.
Ebenso bei Reaktivierung, hier aber meist durch transzervikale Aszen-
sion der Viren. Der vaginale Geburtsweg stellt wegen zunehmender
Ausscheidung aus Vaginal-/Zervixsekret mit fortschreitender SS die
Hauptinfektionsquelle für peripartale Infektionen dar. Postpartale
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
171 13

Übertragung der Viren meist über die Muttermilch, in 50% der infizier- Eigene Notizen
ten Mütter positiver Milchnachweis. Säuglinge und Kleinkinder schei-
den die Erreger bis über Jahre in Speichel und Urin aus (weitere Infek-
tionsquelle).

Klinik
Abhängig vom Immunstatus des Patienten ist der klinische Verlauf variabel.
Meist besteht ein asymptomatischer Verlauf einer Erstinfektion bei immun-
kompetenten Patienten. Unspezifische Symptome (Fieber, Müdigkeit,
Lymphknotenschwellung) sind möglich, selten Mononukleose-ähnliches
Krankheitsbild. Nach Primärinfektion besteht meist chronisch-persistie-
rende Infektion, Reaktivierung möglich. CMV ist die häufigste prä- und
postnatale Virusinfektion in Deutschland. Hauptrisiko besteht für das Kind
bei Primärinfektion in der Schwangerschaft, dann 25%iges Risiko für kon-
genitales Zytomegaliesyndrom mit verschiedenen klinischen Manifestatio-
nen und eine Letalität von 10%.
Kongenitales CMV-Syndrom:
4 Zerebral: Mikrozephalie, Hydrozephalus, lymphozytäre Meningitis,
Enzephalitis, periventrikuläre Verkalkungen, Neugeborenenkrämpfe,
Chorioretinitis
4 Viszeral: Hepatosplenomegalie, Aszites, Leberenzymwerterhöhung,
Ikterus, Thrombozytopenie (Petechien), Purpura, Anämie
4 Weitere Komplikationen: Frühgeburtlichkeit, intrauterine Wachstums-
restriktion, Neugeborenensepsis, CMV-Ausscheidung im Urin
4 Spätschäden: Sprachstörungen, Taubheit, Intelligenzdefekte, geistige
und körperliche Entwicklungsverzögerung

Diagnostik
Immunstatus, akute sowie reaktivierte Infektion mittels Antikörperbestim-
mung, ggf. Aviditätsbestimmung diagnostizieren. Serologische Diagnostik
weist IgG-/IgM-AK im Rahmen der Serokonversion nach. Pränatale inva-
sive Diagnostik (Virusnachweis mittels PCR, Immunglobulin-M-Bestim-
mung in fetalem Blut und Fruchtwasser) sollte bei auffälligen serologischen
Befunden und auffälligen sonografischen fetalen Befunden erfolgen. Auf-
fällige fetale Sonografie jenseits 24 SSW (Mikrozephalie, Hydrozephalus,
IUGR, echoreicher Darm, Aszites, Hydrops etc.) weist auf eine kongenitale
Infektion und Erkrankung hin.

Therapie
Während Schwangerschaft und Stillzeit können human CMV-neutralisie-
rende Immunglobuline (Cytoglobulin, Cytotect CP) verabreicht werden,
der Einsatz ebenso wie Aciclovir sollte jedoch derzeit nur unter Studien-
bedingungen erfolgen, eine ausreichende Neutralisation des CMV durch
die Immunglobuline erfolgt laut derzeitiger Datenlage nicht. Die Beendi-
gung der Schwangerschaft ist bei schwerer fetaler Schädigung und zu erwar-
tender schlechter postnataler Prognose mit den Eltern zu diskutieren.
172 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Prävention


60% der erwachsenen Frauen sind IgG-positiv, daher ist die Erkennung
Schwangerer ohne Immunschutz und somit Gefährdung einer Erstinfektion
möglichst früh in der Schwangerschaft sinnvoll. Verhaltensregeln: Vermei-
dung von Kontakt mit Risikokollektiven (Beschäftigungsverbot bei z.B.
Kindergärtnerinnen mit negativem Immunstatus, ggf. Testung des Part-
ners).

13.7.6 Varizella-Zoster-Virus-Infektion

Epidemiologie und Ätiologie


4 Weltweite Ausbreitung, Erkrankungsgipfel im Kindesalter, Durchseu-
chungsgrad 90–95%, Zostererkrankungsrisiko 10–20%, 1–5/10000
Schwangerschaften mit Varizellen.
4 Erreger: DNA-Virus aus der Gruppe der Herpes viridae, Erreger von
Varizellen (Windpocken) und Herpes zoster (Gürtelrose) mit geringer
genetischer Variabilität.
4 Übertragung: mit der Luft (»Windpocken«), Tröpfchen- und Schmier-
infektion.

Klinik
Varizellen sind durch das typische schubweise auftretende makulopapulöse
Exanthem gekennzeichnet, startend an Kopf, dann gesamten Körper ergrei-
fend, Abheilung nach 7–10 Tagen. Kopfschmerzen, Fieber, Unwohlsein,
Gliederschmerzen, nur in 5% subklinisch verlaufend.
Komplikationen:
4 Pneumonie
4 Meningoenzephalitis
13 4 Otitis media
4 Thrombozytopenie
4 Hämorrhagische Nephritis
4 Myokarditis
4 Bakterielle Superinfektionen

Herpes zoster: endogene Reaktivierung mit typischem einseitig lokalisier-


tem schmerzhaftem Bläschenexanthem.
4 Komplikationen: postzosterische Neuralgie, Radikuloneuritis, Guillain-
Barré-Syndrom, Enzephalitis, Fazialisparese.

Varizellenprimärinfektion in der Schwangerschaft kann zu schweren


Komplikationen führen, abhängig vom Gestationszeitpunkt der Infektion.
In den ersten 4–5 Monaten kommt es zu folgenden Auffälligkeiten:
4 Aborte und Mangelentwicklungen
4 In 2% kongenitales Varizellensyndrom mit Hautveränderungen (Ulze-
rationen, Narben), Hypoplasie der Gliedmaßen, IUGR/SGA, Muskel-
atrophie einzelner Gliedmaßen mit Paralyse, Katarakt und/oder weitere
Augendefekte, psychomotorische Retardierung bis Konvulsionen, rudi-
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
173 13

mentäre Fingeranlagen, Chorioretinitis, Hirnatrophie mit einer Letali- Eigene Notizen


tät von knapp 50%.

Schwer verlaufende neonatale Windpocken können bei einer Erkrankung


der Mutter innerhalb von 5 Tagen vor bis 2 Tage nach der Geburt entste-
hen. Da das Neugeborene in diesen Fällen transplazentar keine protektiven
Antikörper erhält und ein unreifes Immunsystem hat, sind die Verläufe
sehr schwer und mit einer Letalitätsrate bis zu 30% verbunden. Das größte
Risiko haben Neugeborene, die zwischen dem 5. und 10. Lebenstag an
Varizellen erkranken. Danach auftretende Varizellen sind erworben und
haben bei Reifgeborenen eine gute Prognose, wohingegen bei Frühgebo-
renen innerhalb der ersten 6 Monate Varizellen bedrohlich verlaufen
können.

Diagnostik
Virusnachweis aus Bläscheninhalt und Liquor (PCR, nur bei atypischen
Verläufen), ZNS-Beteiligung, ggf. in der Schwangerschaft, Antikörpernach-
weis aus Blut und Liquor, Nachweis fetaler Infektion aus Fruchtwasser oder
fetalem Blut.
Diagnostisches Vorgehen bei Varizellenkontakt in der Schwanger-
schaft:
4 Nachweis VZV-IgG und IgM im Serum
4 Falls IgG postitiv: Immunität vorhanden; IgG negativ: fehlender Im-
munschutz
4 Nach Inkubationszeit anhand des klinischen Bildes, ggf. Virusnachweis
aus Bläschen
4 Sonografische Detaildiagnostik mit 20–22 SSW.

Therapie
Symptomatische Therapie mit Antipyretika, Juckreiz stillenden Mitteln,
Antibiose bei bakteriellen Superinfektionen, Aciclovirgabe innerhalb 24–
72 h nach Krankheitsbeginn möglich. In Terminnähe ist eine Tokolyse sinn-
voll, um die Geburt 3–4 Tage zu verzögern, damit die maternalen Immun-
globulin-G-AK auf den Feten übertragen werden können, der peak ist etwa
5–6 Tage nach akuter Infektion zu erwarten. Ggf. auch Gabe von Varizellen-
Immunglobulin.
Passive Immunisierung mit Varicella-Zoster-Immunglobulin (VZIG):
Eine postexpositionelle Varizellenprophylaxe mittels VZIG wird innerhalb
von 96 h nach Exposition in den ersten 20 Schwangerschaftswochen wegen
Gefahr des kongenitalen Varizellensyndroms empfohlen, wodurch jedoch
auch bei optimalem Zeitmanagement nur 50% der Infektionen abgewendet
werden können. In den übrigen Fällen kommt es zu einem attenuierten
oder typischen Verlauf. Indiziert ist die Gabe bei mütterlicher Infektion in
Terminnähe, um einen Transfer der IgG transplazentar zu erzielen. Bei
maternaler postpartaler Infektion erhält nur das Neugeborene die Immun-
globulingabe. Es müssen dann Mutter und Kind voneinander isoliert wer-
den und ein Stillverbot bis zum Nachweis mütterlicher Antikörper einge-
halten werden.
174 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Absolute Aciclovir-Indikation: maternale Varizellen-Pneumonie,


neonatale Varizellen.
Die Empfehlungen der STIKO zu Impfungen und zur Postexpositions-
prophylaxe bei Varizellen finden sich im Epidemiologischen Bulletin
30/2009.

13.7.7 HSV: Herpes-Simplex-Virus-Infektion


(Typ 1 und Typ 2)

Epidemiologie und Ätiologie


4 Hoher Durchseuchungsgrad Erwachsener mit HSV-1 ca. 90–95%, mit
HSV-2 ca. 13–30%, Infektionen weltweit zunehmend, Inzidenz rezidi-
vierender HSV-Infektionen 10–20%.
4 Erreger: Herpes-simplex-Virus mit 2 Serotypen, Latenzorte sind:
5 HSV-1: Kopf-und Zervikalganglien (Ganglion Gasseri)
5 HSV-2: Sakralganglien
4 Übertragung: Tröpfchen- und Schmierinfektionen, Geschlechtsver-
kehr, Infektionsquellen sind erkrankte Personen und gesunde Virusaus-
scheider. Peripartale Infektion des Feten durch aufsteigende Erreger aus
dem Zervikal- und Vaginalbereich.

Klinik
Schmerzhafte Infektionen der Haut und Schleimhäute; unterschieden wer-
den muss zwischen der Primärinfektion und dem Rezidiv:
4 Primärinfektion: Bei genitalem Herpes treten nach 4–5 Tagen Inkuba-
tionszeit erythematöse Papeln auf, die zu Vesikeln und Pusteln werden,
die auf Vulva, Vagina und Zervix verteilt sind. Nach 4–5 Tagen Entlee-
rung und Bildung von schmerzhaften Ulzerationen, die nach weiteren
13 6 Tagen eintrocknen und 1 Woche Heilung benötigen. Teils starker Lei-
densdruck durch Schmerzen, Pruritus, Fluor, gelegentlich Dysurie,
Lymphknotenschwellungen in 75% Fieber.
4 Rezidiv: Milderer und kürzerer Verlauf, Prodromi sind Parästhesien im
Genitalbereich, oft nur Fluorveränderung als klinisches Zeichen des
Rezidivs bemerkt.

Intrauterine Infektion kann zu Abort oder Frühgeburt führen. Höchstes


Risiko für den Feten besteht bei Primärinfektion peripartal, Hauptgefahr
durch unmittelbare Infektion während der Geburt. 75% der perinatalen
HSV-Erkrankungen durch HSV Typ 2, jedoch 25% durch HSV Typ 1 verur-
sacht. Letztere haben ebenfalls als Infektionsquellen den maternalen Geni-
talbereich oder aber nichtgenitale Herde von Mutter und Pflegepersonal!
Neonatales Erkrankungsrisiko bei primärem Herpes genitalis der Mut-
ter liegt bei 40–60%, bei rekurrierender Infektion 4–10%. Ist die Infektion
pränatal bereits intrauterin erfolgt, so wird das Kind schon mit hochinfek-
tiösen Herpesbläschen geboren, die auf den Krankheitsprozess hinweisen,
der mit Manifestationen in Leber, Milz, Lungen, Nebennieren und Gehirn
einhergeht: Generalisierter Herpes mit hoher Letalität.
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
175 13
Diagnostik Eigene Notizen
Oft ist das klinische Bild ausreichend, Sicherung durch Erregernachweis
mittels PCR, Elektronenmikroskopie oder Virusanzucht aus Bläscheninhalt.
Serologische Antikörpernachweise zeigen eine durchgemachte Infektion
an. Differenzialdiagnostisch müssen im Anogenitalbereich andere vene-
rische Erkrankungen bedacht werden.

Therapie
Ab 15. SSW wird sowohl bei primären als auch rezidivierenden Herpes-
genitalis-Infektionen Aciclovir appliziert (5-mal 200 mg/Tag über 5 Tage).
Bei akuter symptomatischer Herpes-genitalis-Infektion sollte eine Sectio
caesarea vor bis spätestens 4–6 h nach Blasensprung erfolgen. Im Falle eines
Rezidivs ist eine vaginale Entbindung unter 5-mal 200 mg Aciclovir/Tag
möglich. Die Therapie des neonatalen Herpes erfolgt über 10 Tage gewichts-
adaptiert.

Prävention
Wichtig ist die Vermeidung einer maternofetalen Transmission durch Sec-
tio caesarea bei akuten Läsionen im Genitalbereich zum Zeitpunkt der Ge-
burt, Aciclovirgabe bei v.a. primärer HSV-Infektion. Zu beachten ist die
Verwendung von Kondomen während der SS und Vermeidung orogenitaler
Kontakte bei HSV-1- und HSV-2-negativen Schwangeren. Verdächtige
Neugeborene müssen von anderen isoliert werden. Bei primärer Herpes-
simplex-Infektion der Brustregion ist Stillen nicht erlaubt. Bei Herpes
labialis muss die Mutter einen Mundschutz tragen.

13.7.8 Röteln-Infektion

Epidemiologie und Ätiologie


4 Weltweite Verbreitung, Risiko für Schwangere durch immundefiziente
Kinder und seronegative Männer. Impfraten von >90% bis zum 2. Le-
bensjahr wären zur Ausrottung der konnatalen Röteln notwendig.
4 Erreger: RNA-Virus aus der Familie der Toga-Viren, nur ein Serotyp.
4 Übertragung: Tröpfcheninfektion aus oberem Respirationstrakt mit
hoher (70%) Kontagiosität, bereits 7 Tage vor bis 15 Tage nach Exan-
them besteht Infektiosität. Während der Schwangerschaft erfolgt auf-
grund mütterlicher Virämie die transplazentare Infektion des Feten mit
möglicher Folge der Rötelnembryopathie. ! Cave Säuglinge mit ange-
borenen Röteln sind bis 12 Monate lang hoch infektiös.

Klinik
Auf fieberhafte erkältungsähnliche Prodromi folgen dann insbesondere
nuchale, postaurikuläre und okzipitale Lymphadenopathie mit kleinflecki-
gem Exanthem von Gesicht/Hals über Rumpf und Gliedmaßen ausbreitend,
Rückgang nach wenigen Tagen. Mit 50% subklinischem Verlauf, selten
Komplikationen. Primärinfektion kurz vor oder während der Schwanger-
schaft kann zu schweren Embryo- und Fetopathien führen. Während der
176 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen maternalen Virämie erfolgt die transplazentare Übertragung auf Embryo
bzw. Feten, je früher die Infektion erfolgt, desto größer die Gefahr von Fehl-
bildungen der in der angetroffenen Phase sich entwickelnden Organe.
Häufigkeit der Schäden bei Infektion in SSW:
4 2–6 SSW >60%
4 7–9 SSW 25%
4 10–12 SSW 20%
4 13–17 SSW 10%
4 18–21 SSW <3,5%

Rubellasyndrom (Gregg-Syndrom): klassische Trias aus Fehlbildungen


von Herz (50–80%), Augen (50–55%) und Ohren (60%) mit Dystrophie,
Mikrozephalus, statomotorischer und geistiger Retardierung.
Erweitertes Rubellasyndrom: viszerale Symptome, SGA, Hepatosple-
nomegalie mit Ikterus, Exanthem, Thrombopenie, Anämie, Myokarditis,
Pneumonie, Enzephalitis, Osteopathie, 30% Letalität.
Late-Onset-Rubella-Syndrom: ab 4.–6. Lebensmonat mit Wachs-
tumsstillstand, chronischem Exanthem, rekurrierender Pneumonie, IgG-
und IgA-Hypo-Immunglobulinämien, Vaskulitis, Letalität bis 70%.
Spätmanifestationen mit Hörschäden im jugendlichen Alter, Diabetes
mellitus, endokrinen Störungen, Krampfleiden, progressiver Panenzepha-
litis.
Intrauterin infizierte Neugeborene sterben meist in den ersten 2 Le-
bensmonaten, es werden aber auch intrauterin infizierte Kinder gesund
geboren, wenn die Infektion jenseits 18 SSW erfolgt ist. Symptome können
uncharakteristisch sein, sodass erst eine Spätmanifestation eine Infektion
aufzeigt.

Diagnostik
13 Nachweis virusspezifischer Immunglobulin-M-Antikörper und signifi-
kanter IgG-Antikörperanstieg. Im Vordergrund steht meist die Einschät-
zung der Immunlage nach Rötelnkontakt in der Schwangerschaft:
4 HAH-Titer <1:8 keine Immunität
4 HAH-Titer 1:8–1:32 Immunität anzunehmen, wenn im ELISA nega-
tives IgM und positives IgG
4 HAH-Titer >1:32 Immunität anzunehmen

Im Rahmen der pränatalen Diagnostik Virusnachweis mittels PCR aus


Fruchtwasser oder Chorionzottenbiopsie bzw. fetalem Blut, IgM aus Fetal-
blut.

Therapie
Es ist keine spezifische Therapie verfügbar, daher symptomatische Behand-
lung. Indikation zur passiven Immunisierung besteht bei seronegativen
Schwangeren nach Rötelnkontakt bis 16 SSW, Effektivität ist aber umstrit-
ten, maternale Virämie und fetale Infektion sind nicht sicher verhinderbar.
Bei nachgewiesener Rötelninfektion sollte der Schwangeren im 1. Trimenon
aufgrund des hohen Risikos der kindlichen Schädigung die invasive prä-
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
177 13

natale Diagnostik angeboten werden, die bei positivem Ergebnis oft eine Eigene Notizen
Beendigung der Schwangerschaft zur Folge hat.
Prävention
Bestimmung der Immunitätslage vor bzw. in der frühen Schwangerschaft
(Pflicht nach Mutterschaftsrichtlinien), Impfung innerhalb der ersten 3 Mo-
nate nach Entbindung, Stillen ist möglich.

13.7.9 Toxoplasmose-Infektion

Epidemiologie und Ätiologie


4 Weltweit verbreitete Zoonose. Durchseuchungsgrad in Deutschland
25–50% in Abhängigkeit vom Lebensalter. Eine der häufigsten pränata-
len Infektionen, ein generelles Screening ist aber derzeit in den Mutter-
schaftsrichtlinien nicht verankert.
4 > Memo Feten AK-positiver Schwangerer sind auch bei Reaktivierung
geschützt.
4 Erreger: Toxoplasma gondii, den Sporozoen zugehörig. Katze als Wirt,
dort im Darm geschlechtliche Vermehrung. Infektiös ist die erstinfizier-
te Katze. Zwischenwirte Mensch, Säugetiere und Vögel. Immunantwort
stoppt nichtgeschlechtliche Vermehrung. Lebenslange Persistenz von
Zysten, die in Schlachtvieh lokalisiert eine Infektionsquelle für den
Menschen darstellen können.
4 Hauptübertragungswege neben Verzehr von und Handling mit rohem
Fleisch und der Hand-Mund-Übertragung von Zysten sind der Kontakt
mit Katzenkot sowie der transplazentare Übertritt auf den Feten bei
akuter Toxoplasmose in der Schwangerschaft.
4 Bei Erstinfektion in der Schwangerschaft sind Zeitpunkt, Infektions-
dosis, immunologische Kompetenz und mütterliche AK-Übertragung
entscheidend für die fetale Situation. Trophozoiten werden transplazen-
tar übertragen, bis zum Nachweis von Erregern im Fruchtwasser kann
ein Zeitraum von 4 Wochen verstreichen. Je weiter fortgeschritten die
SSW, desto wahrscheinlicher ist eine fetale Infektion, aber mit abneh-
mendem Schädigungsrisiko für das Kind. Je später die Infektion in der
SS auftritt, desto besser ist die Prognose für das Kind. Am häufigsten ist
die Geburt subklinisch infizierter Kinder mit späten Manifestationen
wie Chorioretinitis und postenzephalitischen Symptomen.

Klinik
4 Maternale Klinik: Meist verläuft die Toxoplasmose asymptomatisch
ohne Erkrankung. Symptome können grippeähnlich mit zervikaler
Lymphknotenschwellung und Lymphadenitis, Fieber, Gliederschmer-
zen sein.
4 Kindliche Manifestation bei Infektion im 1. Trimenon: Abort, 2./3. Tri-
menon: retinochorioditische Residuen, Hydrozephalus, intrazerebrale
Verkalkungen, postenzephalitische Schäden, Fieber, Splenomegalie,
Hepatomegalie, Lymphadenitis, Anämie, Retinochorioiditis bis hin zu
symptomlosen Verläufen mit Entwicklung von Spätmanifestationen.
178 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Diagnostik


4 Serologische AK-Bestimmung. Negatives IgG: keine Infektion, keine
Immunität. Verlaufskontrolle in der SS nach 8–12 Wochen.
4 IgG-AK-Nachweis positiv: aktive oder inaktive Toxoplasmose, IgM-
Testung erforderlich.
4 IgM negativ: inaktive/latente Toxoplasomose, keine weitere Testung
4 IgM positiv: aktive oder rückläufige persistierende Infektion, Kontrolle
nach 2 Wochen, bei hohem Titer aktive Infektion möglich, Aviditätstes-
tung. Falls der Index <0,09 ist, ist eine frische Infektion von <4 Monaten
nicht auszuschließen.
4 Pränatale Toxoplasmosediagnostik: PCR-Befund aus Fruchtwasser, so-
nografische Feindiagnostik. Vor FW-Entnahme muss sichergestellt sein:
Infektion >4 Wochen, sonst Gefahr des zu frühen negativen Befundes!
SSW sollte mindestens 15+0 sein, Antibiose mit Pyrimethamin/Sulfa-
diazin sollte noch nicht vorausgegangen sein. ! Cave Bei Nachweis
fetaler Toxoplasmose und sonografischer Anzeichen fetaler Schädigung
muss mit der Patientin die Möglichkeit des SS-Abbruchs besprochen
werden.
4 Neonatale Toxoplasmosediagnostik: sollte erfolgen, falls bei der Mutter
eine Erstinfektion in der Schwangerschaft oder der klinische Verdacht
beim Kind vorliegt. Direkter Erregernachweis aus Plazenta, Nabel-
schnurblut oder Gewebe. IgG-AK passieren die Plazenta, daher hat le-
diglich der Titerverlauf eine diagnostische Bedeutung.

Therapie
Bei Bestätigung der Infektion bzw. begründetem Verdacht erfolgt eine Me-
dikation bis zum Ende der 15. SSW mit Spiramycin. Ab 16. SSW Sulfadiazin
und Pyrimethamin über 4 Wochen. Folinsäuregabe zur Vorbeugung von
Hämatopoesestörungen. Durch Antibiose erfolgt keine Verringerung der
13 pränatalen Infektionen, aber Verringerung der Anzahl geschädigter Feten.
Eine darüber hinaus dauernde Therapie ist bei negativer FW-PCR in ihrem
Benefit nicht erwiesen, wohl aber reduziert sich die Compliance bei erheb-
lichen Nebenwirkungen. Bei Nachweis einer fetalen Toxoplasmose wird
eine Therapie in 4-wöchigem Wechsel der beiden Regime bis zur Geburt
empfohlen.

Prävention
Beratung Schwangerer mit negativer Toxoplasmose-Immunität: kein Ver-
zehr von rohem Fleisch, sorgfältige Händereinigung nach Handling mit
rohem Fleisch, rohes Gemüse und Salat vor dem Verzehr gründlich wa-
schen, Handschuhe bei der Gartenarbeit, Kontakt zu insbesondere jungen
und unbekannten Katzen meiden. Katzenkot rasch aus der Wohnung – von
anderen Personen – entfernen und die entsprechenden Kästen reinigen
lassen.
13.7 · Infektionen in der Schwangerschaft und peripartal
179 13
13.7.10 Listerieninfektion Eigene Notizen

Ätiologie
4 Erreger: Listeria monocytogenes, ein gramnegatives, fakultativ anaero-
bes Stäbchenbakterium mit hoher Umweltresistenz. Besonders gefähr-
det sind immunsupprimierte Personen, Schwangere, Neugeborene.
4 Übertragung durch Verzehr kontaminierter Nahrung, Kontakt mit in-
fizierten Tieren oder kontaminiertem Erdboden, transplazentare Über-
tragung, postnatale Übertragung durch Kontaktinfektion.

Klinik
Oft inapparente Infektion, die Besiedlung des Intestinaltrakts immunkom-
petenter Organismen bewirkt keine Infektion oder Erkrankung.
Krankheitsbild Listeriose: reduziertes Allgemeinbefinden, Glieder-
und Rückenschmerzen, Fieberschübe. Infektion in graviditate birgt die
Gefahr der intrauterinen Infektion (hämatogen oder lokal von vaginal auf-
steigend).
Symptome der Schwangeren mit Listerieninfektion:
4 Fieber
4 Rhinitis
4 Pharyngitis
4 Kopf- und Rückenschmerzen
4 Schüttelfrost
4 Abdominelle Symptomatik
4 Appendizitis
4 Pyelonephritis

Bei Aszension:
4 Vorzeitige Wehentätigkeit
4 Zervikaler Fluor

Neonatale Prognose ist vom Zeitpunkt der Infektion abhängig, hohe Mor-
talität besteht bei »Early onset«-, bessere Prognose bei »Late onset«-Liste-
riose des Neugeborenen.

Diagnostik
Erregernachweis aus Blut, Pus, Liquor, Zervixabstrich, Lochialabstrich, Me-
konium.

Therapie
Antibiose über 14 Tage mit Amoxicillin und Aminoglykosid (! Cave Per-
sistenz intrazellulär).
180 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 13.7.11 Malariainfektion

Epidemiologie und Ätiologie


4 Weltweit leben 40% der Bevölkerung in gefährdeten Gebieten (Afrika,
Asien, Mittel- und Südamerika). Malaria ist die bedeutendste impor-
tierte Tropenkrankheit Europas.
4 Erreger: 4 Erregertypen:
5 Plasmodium falciparum (M. tropica)
5 Plasmodium vivax
5 Plasmodium ovale (M. tertiana)
5 Plasmodium malariae (M. quartana)
4 Übertragung durch den Stich der Anophelesmücke zwischen Sonnen-
untergang und Morgendämmerung. Maternofetale-diaplazentare und
peripartale Parasitenübertragung sind beschrieben.

Klinik
Symptome der Mutter sind:
4 Plötzlich auftretendes Fieber, Schüttelfrost, Schweißausbrüche
4 Starke Kopf- und Rückenschmerzen
4 Ggf. auch abdominale Symptomatik und Diarrhoe
4 Hepatosplenomegaile, Ikterus, zerebrale Eintrübung
4 Oligurie

M. tropica führt unbehandelt zu schweren Organkomplikationen – intersti-


tielle Pneumonie, Leber- und Nierenfunktionsstörungen – mit Todesfolge.
Schwangere Frauen sind häufiger betroffen als nicht schwangere. Bei Mala-
riainfektion in der SS hohe Parasitämie und schwerer Krankheitsverlauf mit
gesteigerter Komplikationsrate. Plazentainsuffizienz und in der Folge IUGR
gefährden additiv zur Anämie den Feten. Intrauterine Infektion bewirkt
13 kongenitale Malariainfektion mit 2–4 Wochen postnataler entsprechender
Klinik.

Diagnostik
4 Mikroskopie: Dicker Tropfen oder Blutausstrich. Ag-Nachweis im Blut
(Quick-Test).
4 Überwachung fetal: Ultraschall, Dopplersonografie, CTG.

Therapie
In Abhängigkeit der Resistenzlage. Gabe von Chloroquin und Proguanil in
der SS möglich. Mefloquin aufgrund berichteter Fehlbildungsfälle v.a. im
1. Trimenon kontraindiziert.
13.8 · Maternale Erkrankungen
181 13
13.8 Maternale Erkrankungen Eigene Notizen

13.8.1 Schilddrüsenerkrankungen

Physiologie
Schilddrüsenhormone sind für intrauterine und postembryonale Entwick-
lung des Zentralnervensystems von zentraler Bedeutung. Ein Mangel an
Schilddrüsenhormonen führt zur »minimal brain dysfunction« und zu
neurointellektuellen Entwicklungsstörungen.
In der Schwangerschaft liegen physiologischerweise durch erhöhte TBG-
Spiegel erhöhte Gesamt-T4- und -T3-Werte vor. In der Frühschwangerschaft
kommt es in bis zu 20% durch den Anstieg des β-HCG zu einer TSH-Rezep-
tor-vermittelten passageren Erhöhung der SD-Hormonspiegel mit Abfall des
TSH. Diese Hyperthyreose verläuft in der Regel subklinisch.
Selten kommt es in 1–2% zu plazentarer Überstimulation mit manifes-
ter Hyperthyreose, die von anderen Hyperthyreosen abzugrenzen ist (Ba-
sedow-Krankheit, Autonomie). In der Regel Normalisierung der Hyper-
thyreose nach 18 SSW.
SD-Hormonbedarf steigt in der SS um 50% an, dementsprechend er-
höht sich das Organvolumen um 15%. Vermehrte Jodidzufuhr wegen ge-
steigerter Jodid-Clearance, Jodverlust an den Feten und Verminderung der
Plasmajodkonzentration notwendig.
Schwangerschaft gilt insgesamt als Jodmangelsituation.
Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Mutter und Fetus; Vermitt-
lung oder Blockade über Plazenta:
4 T3, T4: möglicher diaplazentarer Übertritt
4 Antikörper und Thyreostatika: diaplazentarer Übertritt
4 TSH: blockiert

Fetale Schilddrüsenentwicklung: Bereits in ersten Embryonalwochen mit


Speicherung von Jodid, SD-Hormonbildung und TRH-Synthese. Eine ge-
störte maternale Schilddrüsenfunktion beeinflusst die fetale Entwicklung.
Einzige fetale Jodidquelle ist maternale Serumkonzentration.

Klinik
Symptome/Befunde sind:
4 Struma: Kloß- und Druckgefühl
4 Hyperthyreose: Tachykardie, Nervosität, Wärmeintoleranz, Gewichts-
abnahme
5 Komplikationen: Abort (bis 85%), Frühgeburt (bis 25%), IUGR,
Präeklampsie, thyreotoxische Krise, Abruptio placentae
4 Hypothyreose: Müdigkeit, Gewichtszunahme, Kälteempfindlichkeit,
Obstipation, Verlangsamung. Abort-, Frühgeburts-, Präeklampsierisiko
erhöht. ! Cave Subklinische Hypothyreose mit fetalen Entwicklungs-
störungen.
4 Thyreoiditis: Schmerzhaftigkeit
4 Schilddrüsenkarzinom: Schilddrüsenknoten, vergrößerte Lymphkno-
ten, Heiserkeit.
182 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Diagnostik


Labor:
4 TSH basal:
5 erhöht: primäre Hypothyreose
5 erniedrigt: Hinweis auf Hyperthyreose, Autonomie, Thyroxinthera-
pie, hypophysär bedingte Hypothyreose.
4 T3,T4: keine Aussage über die biologisch wirksamen Hormone
4 fT3, fT3: genaue Aussage über Verfügbarkeit der biologisch aktiven
SD-Hormone
4 SD-Auto-Antikörper:
5 TAK (Tg-Auto-AK) erhöht in 90% bei Hashimoto, Basedow-Krank-
heit, endokriner Orbitopathie
5 TRAK (TSH-Rezeptor-Auto-AK): bei Basedow-Krankheit

In der Schwangerschaft ist die In-vivo-Diagnostik auf Sonografie be-


schränkt. Szintigrafie und TRH-Test sind kontraindiziert.
Therapie
4 Hyperthyreose ist meist durch Basedow-Krankheit bedingt. Therapie
mit Thiamazol, Propylthiouracil, β-Blockern. Ziel: mütterliche Euthy-
reose mit geringstmöglicher Dosierung, um fetale Hypothyreose zu
vermeiden. ! Cave Radiojodtherapie in SS absolut kontraindiziert.
4 Hypothyreose: auch subklinisch Indikation zur Substitutionstherapie
zur Vermeidung fetaler Entwicklungsstörungen. Auch bei Kinder-
wunsch und latenter Hypothyreose wird eine Indikation zur Substitu-
tion gesehen.
4 Thyreoiditis: Autoimmunthyreoiditiden sind während der SS suppri-
miert, Exazerbation typischerweise post partum mit passagerer Hypo-
thyreose. Therapie mit L-Thyroxin.

13 13.8.2 Nierenerkrankungen

Physiologische Adaptation während der SS:


4 Anatomie: Größenzunahme der Nieren, Dilatation des Nierenbecken-
kelchsystems und der Ureteren (re>li).
4 Hämodynamik: Zunahme des Herzzeitvolumens, parallel hierzu An-
stieg des Plasmavolumens. Steigerung des renalen Plasmaflusses um
50% im ersten Drittel der SS bis 60–80% gegen Ende 2. Trimenon (dann
wieder Abfall) und der glomerulären Filtrationsrate (GFR) im ersten
SS-Drittel um 50%. Erhöhung der GFR bleibt erhalten. Mögliche
Schwangerschaftspolyurie ohne Krankheitswert.
Nierenerkrankungen und Schwangerschaft
Nierenerkrankungen können präexistent sein oder in der SS neu auftreten,
mit akutem, reversiblem oder chronisch bis irreversiblem Verlauf.
Akutes Nierenversagen (ANV):
4 Prärenal (Hyperemesis)
4 Renal (Tubulusnekrose im Rahmen Fruchtwasserembolie, vorzeitiger
Plazentalösung, Sepsis, Blutungsschock)
13.8 · Maternale Erkrankungen
183 13

4 Postrenal: Endothelschädigungen bei Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Eigene Notizen


hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) oder bei thrombotisch-
thrombozytopenischer Purpura (TTP) führen durch Aktivierung pro-
koagulatorischer Prozesse zur Obstruktion der Gefäßstrombahn mit
terminaler Nierenrindennekrose.

Nach behebbaren (Nierenarterienstenosen, Obstruktionen) oder therapier-


baren Ursachen (ANCA-positive Vaskulitis) muss gefahndet werden. Prä-
existente Nierenerkrankungen und Systemerkrankungen (Diabetes melli-
tus) prädestinieren für ein ANV. Schwere Verläufe der Präeklampsie können
zu einem peri- wie postpartalen protrahierten bis irreversiblem Nierenver-
sagen führen.
Häufigste Ursachen einer »de novo« Nierenerkrankung in der SS:
4 Glomerulonephritis
4 Interstitielle Nephritis
4 Lupusnephritis
4 ANV durch Tubulusnekrose, interstitielle Nephritis, Schwangerschafts-
fettleber, Präeklampsie/HELLP-Syndrom, mikroangiopathische Ne-
phropathie oder Nierenrindennekrose

Häufigste Ursachen einer chronischen Nierenerkrankung in der SS:


4 Glomerulonephritis
4 Interstitielle Nephritis
4 Zystennierenerkrankung
4 Malformationen

Nierenmalignome sind in der Schwangerschaft eine Rarität.

Klinik
Anamnese: Verringertes eigenes Geburtsgewicht, familiäre schwanger-
schaftsinduzierte und sonstige Hpertonien/Proteinurien sowie Systemer-
krankungen sollten erfragt werden, da sie Risikobedeutung für die aktuelle
Schwangerschaft haben.
Hinweise auf eine vorbestehende Nierenerkrankung sind:
4 Blutdruck- oder Nierenfunktionsveränderungen (inkl. Auftreten einer
Proteinurie) außerhalb und in früheren eigenen Schwangerschaften
4 Präexistente eigene oder familiäre Blutdruck- oder Nierenerkran-
kungen
4 Präexistente Miktionsveränderungen: Dysurie, Pollakisurie, Nykturie,
Polyurie, Hämaturie, schaumiger Urin. Makrohohämaturie, auch inter-
mittierend nach Infekten
4 Ödeme vor der SS, Gewichtsverlauf vor und während der SS
4 Systemische/immunologische Erkrankung
4 Flanken-/abdominelle Schmerzen
4 Urämiesymptome
4 Dyspnoe mit und ohne Belastung
4 Fieber
184 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Blutdruck: Physiologisches Absinken im 1. Trimenon mit der Folge, dass
80% der Schwangeren einen systolischen Blutdruck <124 mmHg haben. Im
SS-Verlauf ist ein leichter Wiederanstieg normal mit Erreichen der Start-
werte am Ende der SS. Ein Ausbleiben dieses Absinkens ist ebenso wie ein
Blutdruckanstieg in der Schwangerschaft als pathologisch zu werten, wei-
tere Abklärung ist notwendig.
Bei moderater bis schwerer Nierenfunktionseinschränkung tritt in bis
zu 85% eine Präeklampsie auf, sodass insbesondere bei Verschlechterung
eines eingestellten Blutdrucks diese ausgeschlossen werden muss.
Die physiologische Gewichtszunahme von etwa 12,5 kg wird im Fall
von Ödemen noch gesteigert, exzessive Gewichtszunahme sollte Anlass zu
weiteren Untersuchungen geben.
Einfluss der Schwangerschaft auf die Nierenerkrankung:
4 Hyperfiltration (Hämodynamik), vermehrte Proteinurie, erhöhter Blut-
druck, schwangerschaftsassoziiert: Präeklampsie, reversible Nieren-
funktionsverschlechterung, irreversible Nierenfunktionsverschlechte-
rung.
4 Einfluss der Nierenerkrankung auf die Schwangerschaft:
4 Erhöhte Risiken für Präeklampsie, Frühgeburt, intrauterine Wachs-
tumsrestriktion, intrauteriner Fruchttod, perinatale Morbidität und
Mortalität erhöht.

Diagnostik
Labordiagnostik:
4 Urinstatus und Urinsediment:
5 Urinstix mittels Teststreifen ist ein schnelles kostengünstiges Scree-
ning-Instrument. Spezifisches Gewicht: falls erniedrigt Hinweis auf
eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, falls erhöht Hinweis auf
prärenale Funktionseinschränkung.
13 5 Nachweis Leukozytenesterase mit oder ohne Nitrit als Hinweis auf
Harnweginfekt.
5 Positiver Albuminnachweis weist auf glomeruläre Proteinurie hin.
5 Höhergradige Ketonurie als Anzeiger einer Ketoazidose (Fastenzu-
stand, Hypermesis, Ketoazidose bei Diabetes)
5 Erhöhter Urobilinogenspiegel bei posthepatischer Cholestase oder
Hämolyse
5 Mikrohämaturie bei Hämolyse.
5 Urinsediment: Leukozyten/Bakterien bei bakterieller Infektion der
Nieren und ableitenden Systeme. ! Cave Leukozyten plus Mikro-
hämaturie: renoparenchymatöse nichtinfektiöse Erkrankung (z.B.
interstitielle Nephritis). Mikrohämaturie plus Proteinurie als Hin-
weis auf Glomerulonephritis.
5 Urinkultur bei Keimzahlen ≥105/ml inklusive Antibiogramm zur
gerichteten Antibiose.
4 Nierenfunktionsdiagnostik:
5 Serumkreatininspiegel: Durch Steigerung der GFR in der SS sinkt
der Kreatininspiegel um 30%, parallel dazu sinkt der Serumharn-
stoffwert um 25%. Daher liegt in der SS bereits ab 0,8 mg/dl Serum-
13.8 · Maternale Erkrankungen
185 13

kreatinin ein auffälliger Wert vor. Geringe Funktionseinschränkung Eigene Notizen


bei 0,8–1,5 mg/dl, Abklärung erforderlich, günstige Prognose.
5 Clearance-Bestimmungen sind von untergeordnetem Wert in der
Schwangerschaft, z.B. aber als Verlaufsuntersuchung im ANV.
4 Serumharnsäurespiegel:
5 Absinken in der SS um 25%. Anstieg des Spiegels bei Reduktion des
intravasalen Volumens durch steigende tubuläre Harnsäureabsorp-
tion. Guter Indikator bereits früh in der SS beginnende Verminde-
rung des Blutvolumens, noch vor klinischer Apparenz einer Prä-
eklampsie.
4 Natrium, Albumin, Hämatokrit:
5 Erfassung einer prärenalen Volumenverringerung durch Berech-
nung der fraktionellen Natriumexkretion
4 Proteinurie und Glukosurie:
5 Bei Überschreitung des tubulären Transportmaximums. Eine Pro-
teinurie > 0,3 g/24 h ist erhöht. Eine schwere Proteinurie liegt ab
>3 g/24 h vor.
4 Akutes Nierenversagen:
5 Serumkreatininanstieg um >50%, oligurisch (<500 ml Urinaus-
scheidung/24 h) oder anurisch (<200 ml Urinausscheidung/24 h)
5 Gerinnungsstörungen müssen ausgeschlossen werden (Prothrom-
bin, Fibrinogen, Antithrombin III, Fibrinspaltprodukte, Thrombo-
plastinzeit), ebenso hepatische Pathologien (Enzymaktivität von
GOT und GPT, γ-GT, Bilirubinspiegel)
4 Weitere Labordiagnostik: Hkt, Haptoglobin, Thrombozyten, Komple-
mentfaktoren, Kryoglobuline, Immunelektrophorese
Bildgebung:
4 Sonografie und MRT als bildgebende Verfahren der Wahl in der SS.
4 Histologie:
4 Eine Nierenbiopsie sollte seltenen Indikationen vorbehalten bleiben,
auch wenn keine erhöhte Komplikationsrate bekannt ist:
5 Rapide Nierenfunktionsverschlechterung zur Detektion einer ra-
pid-progressiven Glomerulonephritis
5 Symptomatisches nephrotisches Syndrom, das sich vor der 32. SSW
manifestiert.

Differenzialdiagnostik
4 ANV: Sepsis, Rhabdomyolyse, Hämolyse, schwere Präeklampsie/
HELLP, akute Schwangerschaftsfettleber, postpartales idiopathisches
Nierenversagen (HUS/TTP)
4 Chronisches Nierenversagen: idiopathische Glomerulonephritis, im-
munologische Systemerkrankung mit Glomerulonephritis, nicht im-
munologische Systemerkrankung, hypertensive Nephropathie/Nephro-
angiosklerose, genetisch determinierte Erkrankung,
4 Ferner: Kombinationen verschiedener Komponenten, akute Verschlech-
terung einer chronischen Nierenfunktionseinschränkung.
186 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Therapie


Akute Nierenfunktionseinschränkung:
4 Frühzeitige Erkennung hilft der Vorbeugung einer irreversiblen Nieren-
funktionseinbuße.
4 Ab 32 SSW und zunehmender fetaler Reife tritt die Entbindung als The-
rapie der Wahl in den Vordergrund.
4 Behandelt werden müssen Ursachen wie Volumenmangel, bei HUS ggf.
Plasmapherese/Hämodialyse. Nephrologische Betreuung!
Chronische Nierenerkrankung:
4 Enge Kooperation mit Nephrologie! Nephroprotektive Medikamente
wie ACE-Hemmer und AT-1-Rezeptorblocker sind in der Schwanger-
schaft kontraindiziert. Nichtsteroidale Antiphlogistika nur nach Rück-
sprache mit Nephrologie verabreichen ( ! Cave akute Verschlechte-
rung).
4 Therapie eines systemischen Lupus erythematodes muss auch in der SS
fortgeführt werden (Prednison, Azathioprin, Cyclosporin A).
4 Eisensubstitution, ggf. Erythropoietin.
4 Diuretika nur bei maternalen Ausnahmekomplikationen.
4 Bei rapid progressiven Nierenerkrankungen muss immunsuppressiv
behandelt werden, die fetale Situation muss angesichts der Lebensbe-
drohung der Schwangeren relativiert beurteilt werden.
4 Dialyse:
5 Adäquaten Erythropoetinersatz (Epoetin-β) und Eisensubstitution
beachten.
5 ! Cave sekundärer Hyperparathyreoidismus.
5 Magnesiumgaben nur unter Spiegelkontrollen, niedrigsttolerable
Antikoagulation
4 Elektive SS-Beendigung ab 34 SSW diskutieren

13 Betreuung in der Schwangerschaft


Chronische Nierenerkrankung:
4 Interdisziplinäre Betreuung zwischen Pränatalmedizin und Nephro-
logie.
4 Häufung der Komplikationen ab Serumkreatininwerten von 1,7–
2,0 mg/dl zu erwarten.
4 Engmaschige pränatale Vorsorge zur frühen Erkennung fetaler Kompli-
kationen.
5 Täglich: RR-Messung selbst
5 2-wöchentlich: nephrologisch/obstetrisch, Bestimmung hämatolo-
gischer und Serumretentionswerte, 24 h-Proteinuriebestimmung,
Urinstatus
5 2-wöchentlich fetale Überwachung (Biometrie, Dopplersonografie)
und Schwangerenvorsorge
5 Jedes Trimenon: CMV- und Toxoplasmose-IgM bei Seronegativität
5 Bei Verschlechterung der Nierenfunktion Diskussion der Entbin-
dung ab 32 SSW und bei zunehmender Reife des Feten.
4 Schwangere mit Transplantatniere: Immunsuppression muss angepasst
(meist erhöhte Dosen) werden, Abstoßung auch in SS möglich.
13.8 · Maternale Erkrankungen
187 13
Entbindung Eigene Notizen
4 Chronische Nierenerkrankung: bei schlecht eingestellter arterieller Hy-
pertonie, bei zerebralen Aneurysmen primäre Sectio, sonst vaginale
Geburt aus nephrologischer Perspektive möglich.
4 Dialyse: häufig Sectioindikation, falls Peritonealdialyse mit Leerbauch
durchzuführen.
4 Transplantation: Aufgrund der anatomischen Situation (Transplantat
meist in der linken oder rechten Fossa iliaca) wird meist eine primäre
Schnittentbindung durchgeführt, obschon eine vaginale Geburt nicht
kontraindiziert ist.

Postpartaler Verlauf
Antihypertensive und ggf. immunsuppressive Medikation muss hinsichtlich
Muttermilchkonzentrationen individuell geprüft werden. Dosisanpassung
der Immunsuppressiva. Enge nephrologische Anbindung erforderlich.

13.8.3 Herz

Physiologie
Im Schwangerschaftsverlauf kommt es zu erheblichen Veränderungen im
kardiovaskulären System, die mit einer erhöhten Kreislaufbelastung im Sinn
einer hyperdynamen Kreislaufsituation einhergehen: Zunahme des zirku-
lierenden Blutvolumens um 40% (Maximum 30–32 SSW), Steigerung des
Herzminutenvolumens als Produkt aus steigender Herzfrequenz und stei-
gendem Schlagvolumen auf ca. 7 l/min um bis zu 50%, größter Anstieg im
1. Trimenon, ab 32 SSW plateauförmig.
Die relative Tachykardie ist bei maternalen Herzerkrankungen von Be-
deutung, da eine ausreichend andauernde Diastole für die linksventriku-
läre Füllung notwendig ist. Der Blutdruck nimmt im 1. Trimenon ab, eben-
so der systemische Gefäßwiderstand. Die Folgen dieser Veränderungen
sind eine Reduktion der Nachlast mit weiter steigendem Schlagvolumen,
durch Remodelling wird das Herz dehnbarer, die Ejektionsfraktion bleibt
unter geringer Kontraktilitätssteigerung etwa stabil. Klappeninsuffizienzen
und Links-Rechts-Shunts werden relativ gut toleriert, da sich die Verände-
rungen günstig auf die Regurgitations- bzw. Shuntvolumina auswirken.
Die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz ist in der Schwangerschaft unverän-
dert. Die physiologische Ödembildung erschwert die Abgrenzung zu pa-
thologischen Ödemen.
Unter der Geburt wird das Herzminutenvolumens nochmals um 50%
gesteigert: neben Wehentätigkeit führen Schmerzen und Angst zu einer
Katecholaminfreisetzung (Tachykardie). Während einer Geburtswehe er-
folgt eine Akuttransfusion von bis zu 500 ml Blut in den maternalen Kreis-
lauf, was zu einer weiteren Vorlasterhöhung und Steigerung des Zeitvolu-
mens führt. Eine vorbestehende obstruktive Herzerkrankung kann unter
diesen Anforderungen zur Entwicklung eines Lungenödems führen. Wäh-
rend einer Sectio wird das Herzminutenvolumen in Regionalanästhesie
um 35% bzw. in Allgemeinnarkose um 25% gesteigert.
188 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Bereits in den ersten Stunden nach Geburt werden die hämodyna-
mischen Ausgangswerte erreicht und nach 2 Wochen im Wesentlichen die
prägraviden Werte.

Klinik
Beschwerden wie Müdigkeit, Leistungsabfall, Dyspnoe bei Belastung und
Schwindel sind physiologische Herz-Kreislauf-Symptome in der Schwan-
gerschaft. Die kardiale Belastbarkeit wird auch in der Schwangerschaft nach
der Einteilung der New York Heart Association vorgenommen:
4 NYHA-I: Beschwerdefreiheit ohne Einschränkung
4 NYHA-II: leichte Einschränkung, Beschwerden bei stärkerer Belastung
4 NYHA-III: deutliche Einschränkung, Beschwerden bei leichter Belas-
tung
4 NYHA-IV: schwere Einschränkung, Beschwerden in Ruhe

Patientinnen der Klassen III und IV haben ein hohes Risiko für kardiale
Komplikationen, da keine Reservekapazität vorhanden ist.

Evaluierung des Risikos


Auch wenn viele Schwangerschaften bei mütterlicher kardialer Vorerkran-
kung einen guten Verlauf zeigen, müssen solche mit Eisenmenger-Syndrom,
schwerer pulmonaler Hypertonie, Marfan-Syndrom mit Aortenbeteiligung
über die erhöhte Mortalität und Morbidität aufgeklärt werden.
Mittels körperlicher Untersuchung, ausführlicher Anamnese, EKG,
Echokardiografie und ggf. Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung ge-
lingt eine solide Einschätzung und ermöglicht die Beratung: Als niedriges
Risiko definierend gelten Faktoren wie:
4 Keine/wenige kardiale Symptome
4 Gute Pumpfunktion
13 4 Fehlen schwerer Arrhythmien und schwerer linksventrikulärer Obs-
truktion
4 Fehlen bzw. geringe pulmonale Hypertonie
4 Keine Indikation zur Antikoagulation

Medikamente müssen entsprechend den Kategorien der Food and Drug


Administration (FDA) umgestellt werden.
Als Faktoren, die mit hohem Risiko einhergehen, gelten:
4 Schwere pulmonale Hypertonie
4 Schwere Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts
4 Zyanotische Vitien

Aus kardiologischer Sicht sind folgende Befunde Indikationen zum


Schwangerschaftsabbruch:
5 NYHA-III oder IV
5 Schwere pulmonale Hypertonie
5 Schwere symptomatische Aortenstenose
5 Zyanotische Vitien
5 Eisenmenger-Syndrom
13.8 · Maternale Erkrankungen
189 13

4 Nicht korrigierter Ductus Botalli mit pulmonaler Hypertonie Eigene Notizen


4 Nicht operierte Aortenisthmusstenose (mit oder ggf. auch ohne Kom-
plikationen)
4 Kardiomyopathie mit Reduktion (50%) der Ejektionsfraktion (links-
ventrikulär)
4 Kardiovaskuläre Komplikationen bei Marfan-Syndrom

Kardiale Dekompensation
Die klinischen Zeichen sind oft schwer von denen der physiologischen
Schwangerschaftsveränderungen abzugrenzen; folgende Befunde können
eine schwere kardiale Erkrankung anzeigen:
4 Schwere und zunehmende Dyspnoe, Orthopnoe, nächtliche Dyspnoe
4 Belastungssynkopen
4 Thorakale Schmerzen
4 Neu aufgetretene Zyanose
4 Deutliche Halsvenenstauung
4 Lautes Systolikum und Diastolikum

Das Lungenödem bedeutet ein hohes maternales und fetales Mortalitäts-


risiko, ebenso müssen Tachyarrhythmien rasch in ihrer Signalfunktion er-
kannt werden. Durch die in der Schwangerschaft vorliegende Hyperkoagu-
labilität wird bei Patientinnen mit Eisenmenger-Syndrom und solchen mit
zyanotischen Vitien die Gerinnungsneigung verstärkt.

Fetale Überwachung
Entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien erfolgen je nach Risiken regel-
mäßige Wachstums- und Dopplerkontrollen. Da ein erhöhtes Risiko für ein
fetales kardiales Vitium besteht, sollte in der 20. SSW eine fetale Echokar-
diografie angeboten und durchgeführt werden. Bei Hochrisikopatientinnen
ist die Entbindungsrate ab 32 SSW mit 90% sehr hoch, je früher eine Entbin-
dung aus maternaler Indikation erforderlich ist, umso höher ist die perinatale
Mortalität und neonatale Morbidität aufgrund der Frühgeburtlichkeit.

Entbindung
Multidisziplinäre Betreuung durch Kardiologen, Anästhesisten, ggf. Kardio-
chirurgen, Geburtshelfer und Neonatologen ist bei steigenden Risiken un-
bedingt erforderlich. Eine vaginale Entbindung ist in den meisten Fällen
möglich, durch PDA sollte zusätzlicher Stress durch Wehenschmerz redu-
ziert werden, ggf. ist eine Verkürzung der Austreibungsperiode mit einer
vaginal-operativen Entbindung (Vakuum, Forceps) indiziert.
Die Schnittentbindung ist bei Hochrisikopatientinnen indiziert:
4 Aortendissektion
4 Marfan-Syndrom mit Aortendurchmesser >4,5 cm
4 Unkorrigierte Aortenisthmusstenose
4 Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten bei Klappenersatz

Die sub- und postpartale Überwachung erfolgt durch Kardiologen und An-
ästhesisten (Hämodynamik, Blutgase, invasive/nichtinvasive Blutdruck-
190 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen überwachung, Rechtsherzkatheter) ohne gängigen Konsens über das Aus-
maß derselben.

Typische Vitien
4 Vorhofseptumdefekt: meist gute Toleranz in der Schwangerschaft,
Komplikation supraventrikuläre Tachykardie.
4 Ventrikelseptumdefekt: meist asymptomatisch, da im Kindesalter bei
großen Defekten operiert, gute Toleranz in SS.
4 Offener Ductus Botalli: in der Schwangerschaft meist keine Probleme
bei kleinem Befund, bei großem offenem Ductus ! Cave pulmonale
Hypertonie! Plötzliche Shunt-Umkehr sub partu mit schwerer systemi-
scher Hypotonie.
4 Kongenitale Aortenstenose: bei linksventrikulärer Ausflusstraktob-
struktion Symptome einer Angina pectoris, Synkopen, Linksherzinsuf-
fizienz; v.a. peripartal kommt es zur Linksherzinsuffizienz, ggf. Ballon-
Valvuloplastie in entsprechendem Zentrum nach abgeschlossener Em-
bryogenese, kardiopulmonaler Bypass mit hoher fetaler Mortalität
verbunden, daher möglichst Entbindung ab guter Überlebensfähigkeit
per Sectio.
4 Pulmonalstenose: meist gute Toleranz in der SS, ! Cave Rechtsherz-
versagen, supraventrikuläre Tachykardie, Trikuspidalinsuffizienz.
4 Aortenisthmusstenose: Patientinnen mit unkorrigierter Aortenisth-
musstenose und Schwangerschaft sind selten, schwierige Behandlung
der Hypertonie, da Fetus in unterer Körperhälfte von Minimaldruck
abhängig ist, körperliche Belastung meiden, eine Ballonintervention ist
kontraindiziert wegen Rupturgefahr.
4 Fallot-Tetralogie: Zunahme des Rechts-Links-Shunts und der Zyanose,
deren Ausmaß das fetale und mütterliche Risiko bestimmen, körperlich
maximale Schonung, von SS sollte aus kardiologischer Sicht eher abge-
13 raten werden, hohes Risiko der Dekompensation peripartal durch
Shunt-Zunahme, ! Cave Rechtsherzversagen und Arrhythmien, teils
ursächlich für plötzliche Todesfälle spät nach Korrektur des Fallot, ge-
netische Beratung bzgl. Mikrodeletion 22q11 in Früh-SS.
4 Ebstein-Anomalie: in der Regel gute Toleranz trotz Gefahr des Rechts-
herzversagens, publizierte Daten ermutigen in der Schwangerschaftsbe-
ratung zur Schwangerschaftsplanung.
4 Eisenmenger-Syndrom = pulmonale Hypertonie mit Shunt-Umkehr:
symptomatische Patienten mit Belastungsdyspnoe und eingeschränkter
Belastbarkeit, weitere Symptome sind Synkopen, Angina pectoris,
Müdigkeit, Kopfschmerzen, mit bis zu 70% sehr hohe mütterliche Mor-
talität in der Schwangerschaft, weshalb aus kardiologischer Sicht zum
SS-Abbruch geraten wird. Verringerter systemischer Blutdruck im Rah-
men einer Blutung oder des Pressens, unter PDA oder postpartaler Blu-
tung kann zu Shunt-Verstärkung und kardialem Kollaps führen. Die
meisten Todesfälle treten unter oder nach der Geburt auf, die deshalb in
multidisziplinärem Setting – aus kardiologischer Sicht nicht zwingend
per Sectio – erfolgen sollte; eine Verkürzung der Austreibungsperiode
erscheint sinnvoll.
13.8 · Maternale Erkrankungen
191 13

4 Marfan-Syndrom: 80% mit kardialer Beteiligung, eindeutig erhöhtes Eigene Notizen


Risiko durch SS, Dissektionen v.a. im letzten Trimenon, falls Aorta
<4 cm bzw. keine vorliegende kardiale Beteiligung haben 1%, höhergra-
dige kardiale Beteiligung (Ao >4 cm) hingegen 10% Risiko für Aorten-
dissektion, Endokarditis und/oder Herzinsuffizienz. Beratung vor SS!
Hohe fetale Mortalität bei Aortenchirurgie in der Schwangerschaft,
β-Blocker beeinflussen den Verlauf günstig, ab Aortendurchmesser
4,5 cm Sectio als Entbindungsmodus. ! Cave schlechte Wundheilung,
Fäden länger belassen).

Erworbene Vitien
4 Rheumatisches Fieber ist nach wie vor ursächlich in Entwicklungslän-
dern (Migranten!), interdisziplinäre Planung der Geburt in Abhängig-
keit der kardialen Morbidität der Schwangeren.
4 Mitral- und Aorteninsuffizienz: meist rheumatischer Genese, sonst
aufgrund Mitralklappenprolaps, Kollagenosen ursächlich, Klinik bis
Linksherzinsuffizienz, meist aber gute Toleranz in der SS, ! Cave letz-
tes Trimenon mit Nachlastanstieg und auftretender Herzinsuffizienz.
Schnittentbindung nur bei schwerer Herzinsuffizienz.
4 Mitralstenose: fast immer rheumatischer Genese, häufiges Vitium,
transmitraler Gradient in 2. und 3. Trimenon steigend, kleine Öffnungs-
fläche erhöht das Lungenödem- und Herzinsuffizienzrisiko. Fetales
Risiko: IUGR. Engmaschige Kontrollen auch bei klinisch primär unauf-
fälligen Patientinnen.! Cave pulmonale Hypertonie und Lungenödem,
Vorhofflimmern, kardiale Instabilität, Interventionen mit hohem feta-
len Verlustrisiko.
4 Aortenstenose: selten schwere Formen, Entbindung unproblematisch,
falls stabile kardiale Dynamik.

Peripartale Kardiomyopathie
Dies ist eine Sonderform der dilatativen Kardiomyopathie einer typischer-
weise zuvor gesunden Schwangeren. Definition erfolgt über Echokardiogra-
fie als linksventrikuläre Dysfunktion während letzten 4 Wochen vor bis
5 Monate nach Geburt auftretend, andere Ursachen müssen ausgeschlossen
werden. Inzidenz liegt bei 1: 3000–15000 Geburten.
Risikofaktoren sind:
4 Höheres Alter
4 Multiparität
4 Mehrlingsschwangerschaft
4 Langzeittokolyse

Klinik und Diagnostik


Typisch sind:
4 Symptome der Herzinsuffizienz (Dyspnoe, Husten, Orthopnoe, Hä-
moptyse)
4 Flüssigkeitsretention
4 Gestaute Halsvenen
4 Basale Rasselgeräusche
192 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen 4 Tachykardie


4 Ödeme

Verlauf/Maßnahmen
Schwere Verläufe in ersten postpartalen Tagen. Die kardiale vermeintliche
Entlastung nach der Entbindung wird bei »fehlendem Blutverlust« in Volu-
menbelastung umgekehrt, insbesondere bei Sectio und großzügiger Volu-
mensubstitution. Mitunter kommt es zum fulminanten Linksherzversagen
mit der Indikation zu interventionellen Maßnahmen (ventrikulärer Assist-
Device) bis hin zur Herztransplantation. Ventrikelfunktion erholt sich in
der Regel, daher ist zuwartendes Management indiziert.

Therapie
4 Entbindung bei Dekompensation
4 Vasodilatoren, ! Cave ACE-Hemmer sind in der Schwangerschaft, die
sonst indiziert wären, kontraindiziert, alternativ Dihydralazin.
4 β-Blocker senken Morbidität und Mortalität
4 Bromocriptin wird zunehmend eingesetzt, unter Inkaufnahme der Lak-
tationshemmung

Prognose
Letalität bei 25–50%! Erhöhtes Wiederholungsrisiko in Folgeschwanger-
schaft, bei persistierender Ventrikeldysfunktion wird von einer solchen
wegen nicht einschätzbarer Eskalation abgeraten.

13.8.4 Autoimmunerkrankungen

Physiologie
13 Im Rahmen einer Autoimmunerkrankung wird die »Selbsttoleranz« zuun-
gunsten autoreaktiver Mechanismen verschoben, beteiligt sind T-Zellen
(Suppressor-, Kontrasuppressor- und T-Helferzellen), HLA-Antigene,
durch Konjugation eines tolerierten Autoantigen mit z.B. bakteriellen An-
tigenen Umkehr der Toleranz, Aktivierung von B-Zellen und T-Zellen
(s. Lehrbücher Innere Medizin).
Unterschieden werden systemische und organische Autoimmuner-
krankungen:
4 Systemisch: Kollagenosen und Arthritiden
4 Organisch:
5 Endokrines System: Hashimoto, Basedow-Krankheit, Typ-I-Diabe-
tes, Addison-Krankheit
5 Gastrointestinales System: Autoimmunhepatitis, sklerosierende
Cholangitis, primär biliäre Leberzirrhose, Autoimmunhepatitis,
Crohn-Krankheit, Colitis ulcerosa, glutensensitive Enteropathie
13.8 · Maternale Erkrankungen
193 13

Systemischer Lupus erythematodes (SLE) Eigene Notizen

Ätiologie
Bei dieser entzündlichen Autoimmunerkrankung können verschiedene Or-
gansysteme beteiligt sein, Frauen erkranken 10-mal häufiger. Durch Auto-
antikörper und Immunkomplexe werden die Kapillaren der viszeralen Or-
gane geschädigt. Antiphospholipid-Antikörper sind mit erhöhter Abortrate
assoziiert, ebenso ist der Pathomechanismus der Endothelschädigung mit
gestörter Prostazyklinsynthese und Flussverminderung inklusive Bildung
kleiner Thromben als mögliche Ursache der Schwangerschaftskomplika-
tionen anzusehen.

Klinik
Hauptmanifestationsorgane sind Niere, Gelenke (mit 90% die primäre Ma-
nifestationsform), Haut, Gerinnungssystem. Optisch typisch ist das schmet-
terlingsförmige Erythem im Gesicht. Seltener ist eine Enzephalopathie im
Rahmen des SLE. Die schweren Manifestationen verlaufen mit Myokarditis,
Hypertonie, neurologischen Symptomen, Nephritis und Lungenerkran-
kungen (Restriktion). Schwangerschaftskomplikationen sind gehäuft.
Die Kriterien des American College of Rheumatology finden Anwen-
dung zur Klassifikation des SLE:
4 Arthritis
4 Serositis
4 Hautausschlag
4 Fotosensitivität
4 Nierenbeteiligung
4 Leukopenie
4 Anämie (hämolytisch)
4 Thrombopenie
4 Anti-DNA-, Anti-Sm-, Antiphospholipid-Antikörper, ANA (Titererhö-
hung)

Diagnostik
Typische Befunde sind:
4 Fluoreszenztest (ANA, Anti-DNA)
4 Thrombopenie
4 Leukopenie
4 Hämaturie
4 Serumkreatinin erhöht
4 Anti-Phospholipid-AK, Anti-Ro-AK, Anti-LA-AK, Anti-Sm-AK
4 ! Cave falsch positive Lues-Testung in bis zu 10% der SLE-Patienten.
4 Differenzialdiagnostik in der Schwangerschaft:
4 Nephrotisches Syndrom, Präeklampsie

Verlauf und Komplikationen in der Schwangerschaft


Ein großer Teil der Schwangerschaften kann erfolgreich betreut werden, die
Patientinnen sollten bis 40 SSW (also zum errechneten Termin) entbunden
sein. Es werden deutlich erhöhte Abortraten bei SLE von bis zu 40% berich-
194 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen tet, und das Risiko eines IUFT mit bis zu 30% angegeben! In gut 10% ver-
schlechtert sich das klinische Bild, in einem Viertel der Schwangerschaften
kommt es zur intrauterinen Wachstumsrestriktion (IUGR).
Eine weitere fetale Komplikation ist der AV-Block durch die plazenta-
gängigen Anti-Ro-AK, der dann in 5% zu erwarten ist. Durch fetale und
maternale Komplikationen (Hypertonie und Präeklampsie) kommt es zu
einem erhöhten Anteil an Frühgeburten.

Therapie
Eine routinemäßige Verabreichung von Glukokortikoiden ist in der Schwan-
gerschaft nicht indiziert. Bei positivem Anti-Ro-Status besteht die Gefahr
eines fetalen AV-Blocks, dem mit der Applikation von Glukokortikoiden ab
12 SSW begegnet werden kann, die Effizienz ist nicht einheitlich belegt. Bei
Nachweis von Anti-Cardiolipin-AK sollte ab 12 SSW Prednison und ASS
low dose verordnet werden um oder ggf. eine Kombination aus Gluko-
kortikoid und eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin. Weitere
Indikationen für eine Prednisontherapie in der Schwangerschaft bestehen
bei einer Nephritis, Peri-/Myokarditis, Pleuritis, hämolytischer Anämie,
Thrombopenie, Leukopenie, etc.
Die Symptome einer Exazerbation entsprechen denen einer Präe-
klampsie (!) mit Hypertonie, Proteinurie, Organbeteiligung (Leber, ZNS,
Gerinnungssystem etc.) und ggf. Nephritis begleitend, dann häufig Exazer-
bationen.
Unter der Geburt (die vaginal erfolgen kann) ist dann eine Stresspro-
phylaxe mit z.B. 100 mg alle 8 h erforderlich, wenn in den letzten 12 Mo-
naten eine Steroidtherapie erfolgt ist.

Rheumatoide Arthritis

13 Klinik
Es besteht eine durch die Schwangerschaft unbeeinflusste Klinik mit fol-
genden Symptomen:
4 Müdigkeit
4 Subfebrile Temperaturen
4 Symmetrische Polyarthritis
4 Rheumaknoten
4 Organmanifestationen (kardial mit Perikarditis, Klappenverände-
rungen, Myokarditis)
4 Pleuritis
4 Unspezifische Leberenzymerhöhung
4 Neuropathien

Diagnostik
Mittels Labor:
4 Unspezifische Entzündungszeichen, CRP-Erhöhung
4 Erniedrigtes Serumeisen
4 Immunologie (Rheumafaktoren im Verlauf in 80% positiv, Anti-CCP,
antinukleäre AK, evtl. Antiphospholipid-AK)
13.8 · Maternale Erkrankungen
195 13

4 Bildgebung nur mit strenger Indikationsstellung in der SS (MRT und Eigene Notizen
Sonografie vor Röntgen)

Verlauf und Therapie


Verlauf in der Schwangerschaft mit Besserung der Symptomatik in 75%,
Behandlungsbedarf in 10–20%, Exazerbation im Wochenbett durch Hor-
monabfall möglich.
Es besteht kein erhöhtes Abortrisiko, jedoch erhöhte Rate an Frühge-
burtlichkeit, Entbindungsmodus nicht vorgegeben, ggf. Antibiose sub par-
tu zur Vorbeugung einer Bakteriämie mit Gefahr der Streuung in arthri-
tische bzw. prothetisch versorgte Gelenke und Endokarditis bei verän-
derten Klappen.
Effektive Therapie nach Diagnosestellung ist zur Reduktion der destru-
ierenden Prozesse am Gewebe indiziert. Neben physikalischen Maßnah-
men stehen zur Verfügung:
4 Nichtsteroidale Antirheumatika (Paracetamol ohne Kontraindikation,
Voltaren, Ibuprofen mit der Gefahr der Konstriktion bzw. Verschluss
des Ductus botalli mit fortschreitender Schwangerschaft kontraindi-
ziert)
4 Glukokortikoide
4 Basistherapeutika

Geburt sollte entsprechend obstetrischen Befunden erfolgen, Stillen sollte


gefördert werden, ist ohne Einfluss auf den Krankheitsverlauf.

Typ-I-Diabetes
Kap. 13.2.1.1

Hashimoto-Thyreoiditis, Basedow-Krankheit
Kap. 13.8.1: Schilddrüse.

Crohn-Krankheit, Colitis ulcerosa

Pathophysiologie
Wichtigste Vertreter chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, geprägt
durch einen chronischen Verlauf mit intermittierend akuten Schüben. Wäh-
rend bei Crohn-Krankheit diskontinuierlich einzelne Segmente typischer-
weise des Dünndarms (bis 60% terminales Ileum, proximales Kolon bis
15%) von einer bis in tiefe Schichten reichenden Entzündung der Darm-
wand betroffen sind, verläuft die Colitis ulcerosa mit kontinuierlicher Aus-
breitung typischerweise der oberflächlichen Kolonschleimhaut vom dista-
len Rektum (80%) nach oralwärts sich ausbreitend. Bei Erstdiagnose sind
die Patienten zwischen 20 und 40 Jahren alt.
Autoimmunmechanismen mit Immunreaktivität gegen die eigene
Darmflora und Bildung von Auto-AK gelten als involvierte ätiologische
Mechanismen. Weitere Triggerfaktoren sind Stress und Infektionen. Eine
familiäre Belastung ist bekannt, dennoch ist aufgrund der meist guten
Therapierbarkeit nicht von einer Schwangerschaft abzuraten. Entscheidend
196 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen für den Verlauf ist der Aktivitätszustand zu Beginn der Schwangerschaft
(Aktivitätsindex für Crohn-Krankheit).

Klinik
4 Crohn-Krankheit: Lange anhaltende Durchfälle (i.d.R. unblutig), abdo-
minelle Schmerzen (rechter Unterbauch), Koliken, Flatus, Fistelbildung,
Temperaturerhöhung.
4 Colitis ulcerosa: schleimig-blutige Durchfälle, abdominelle Schmerzen
(linker Unterbauch), Fieber, Erythema nodosum, Arthritis, Uveitis,
Gewichtsverlust, blande Proktitis bis septisches Krankheitsbild mit De-
hydratation, Elektrolytentgleisung, Schock.

Diagnostik
4 Anamnese
4 Körperliche Untersuchung, extraintestinale Symptome in bis zu 60%
4 Ausschluss anderer intestinaler Komplikationen (Ileus, Fisteln, Malab-
sorption, Abszesse)
4 Serologie (BB, CRP) zur Einschätzung der Aktivität, spezifische AK-
Suche (ASCA-AK, pANCA), bakteriologische Untersuchung bei Ver-
schlechterung bzw. akutem Schub.
4 Endoskopie mit Biopsie ist zur Primärdiagnostik Pflicht, um das kli-
nische Bild unter Zuhilfenahme der Histologie und des endoskopischen
Befundes (Befalltyp) einer Entität zuzuordnen.
4 Sonografie ist die Bildgebung der Wahl in der Schwangerschaft, die
Strahlenbelastung durch Röntgen- und CT-Untersuchungen sollten
vermieden werden, müssen aber bei Komplikationen (Verdacht auf
toxisches Megakolon) gegen die Schwere des Krankheitsbildes abge-
wogen werden.

13 Differenzialdiagnostik
4 Bakterielle Infektionen (Salmonellen, Yersinien, Shigellen, Clostridien,
Campylobacter, E. coli, Amöben)
4 Divertikulitis
4 Morbus Behçet
4 Systemische Vaskulitiden
4 Karzinome

Therapie
Nichtschwangere erhalten in Kombination je nach Aktivität 5-Amino-
salicylsäure, Antibiose im Schub, Antiphlogistika, ggf. Immunsuppression
(u.a. Kortikosteroide).
In der Schwangerschaft soll sowohl eine Kortikoid- wie auch Sulfa-
salazinbehandlung nicht abgesetzt werden. Medikamente sind:
4 1. Wahl: 5-ASA, Sulfasalazin, Kortikosteroide (Beclomethason, Bude-
nosid)
4 2. Wahl: 6-Mercaptopurin, Azathioprin, Cyclosporin, Metronidazol
4 Folsäure sollte im gesamten Verlauf substituiert werden.
13.8 · Maternale Erkrankungen
197 13
Komplikationen Eigene Notizen
4 Allgemein:
5 Toxisches Megakolon, akuter mechanischer Ileus, Fisteln (Crohn-
Krankheit), intestinaler Blutverlust, Abszessbildung (meist anorek-
tal), Malabsorption (! Cave Anämie durch Vitamin-B12-Mangel),
Kolonkarzinom als Langzeitrisiko bei Colitis ulcerosa, Iritis, Uveitis,
Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, Cholelithiasis,
Pericholangitis
4 Schwangerschaftsverlauf:
5 Erhöhte Frühgeburtlichkeit, erhöhte Abortrate, IUGR, erniedrigtes
Geburtsgewicht (small for gestational age), erhöhte perinatale Mor-
bidität und Mortalität
4 Geburt:
5 Vaginale Entbindung möglich, eine Indikation zur Sectio besteht bei
Beteiligung von Vagina, Damm, Zervix (Fistel)

13.8.5 Myome

Uterus myomatosus in der Schwangerschaft


Risikozunahme besteht mit steigendem Alter, Anzahl ausgetragener
Schwangerschaften, steigendem BMI, Herkunft (Schwarzafrika). Nach Lo-
kalisation werden submuköse, intramurale, subseröse und gestielte Myome
unterschieden.

Klinik
4 Meist symptomlos, ernährungsgestörtes Myom bis zur Nekrotisierung:
Schmerz, Fieber, durch Prostaglandinausschüttung
4 Vorzeitige Wehentätigkeit mit Frühgeburtsbestrebung, in Früh-SS:
Abort

Risiken
Im Schwangerschaftsverlauf entwickelt sich eine Plazentainsuffizienz durch
Minderperfusion der Plazenta, vorzeitige Plazentalösung, mechanische
Komplikationen durch Kompression des Ureter und der Blase.
Geburtsrisiken:
4 Geburtsmechanisches Hindernis mit fetalen Lageanomalien
4 Wehenschwäche, dystoke Wehenstörung
4 Postpartal: Wehenschwäche, Atonie, Rückbildungsstörung, Endo-
metritis

Risiken für das Kind:


4 Intrauterine Wachstumsrestriktion durch Plazentainsuffizienz (IUGR)
4 Druck – Deformierungen
4 Fehlgeburten: 15% insbesondere bei intrakavitärer und submuköser
Myomlokalisation
4 Frühgeburtsrisiko erhöht bei submukösen Myomen
198 Kapitel 13 · Schwangerschaftspathologien

Eigene Notizen Diagnostik


4 Ultraschall abdominal und vaginal
4 Palpation
4 Fetale Dopplersonografie
4 Farbdopplersonografie der Myome zur Beurteilung der zentralen Vas-
kularisation
4 Selten MRT

Differenzialdiagnostik
4 Abortus imminens (Hämatom)
4 Vorzeitige partielle Lösung (subplazentare Lokalisation)
4 Plazenta praevia (zervixnahe Lokalisation)
4 Adnexbefunde (Stieldrehung)
4 Appendizitis
4 Pyelonephritis
4 Urolithiasis

Therapie
Begrenzt auf symptomatische Maßnahmen:
4 Schmerz- und Entzündungstherapie
4 Tokolyse

Ultima ratio ist die operative Myomentfernung in graviditate. Auch bei Ge-
burt per Sectio sehr zurückhaltende Indikation zur Entfernung; postpartale
Involution der Myome macht eine spätere Therapie risikoärmer.

13
14

Tag 5 – Geburt

14 Geburt

14.1 Grundlagen – 200


B. Schiessl
14.1.1 Allgemeines – 200
14.1.2 Betreuung/Überwachung der Schwangeren und des Feten – 202
14.1.3 Geburtsverlauf – 206
14.1.4 Pathologie der Geburt – 208

14.2 Notfälle im Kreißsaal: Blutung, Ruptur, Eklampsie – 211


B. Schiessl
14.2.1 Blutung antepartal und subpartal – 211
14.2.2 Blutung postpartal – 212
14.2.3 Uterusruptur – 214
14.2.4 Eklampsie – 215
14.2.5 Therapie – 216

14.3 Wochenbett – 216


B. Schiessl
14.3.1 Physiologie des Wochenbetts – 216
14.3.2 Betreuung der Wöchnerin – 218
14.3.3 Pathologie im Wochenbett – 219

14.4 Das Neugeborene – 225


S. Trepels-Kottek
14.4.1 Gesundes, reifes Neugeborenes – 225
14.4.2 Vorgeburtliche Anamnese (Schwangerschaft und Mutter) – 226
14.4.3 Umstellungsvorgänge intrauterin → extrauterin – 226
14.4.4 APGAR – 226
14.4.5 Erstversorgung bei unkomplizierter Anpassung
des Neugeborenen – 227
14.4.6 Reanimationsmaßnahmen – 227
14.4.7 pH und BE – 229
14.4.8 Erstuntersuchung – 229

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4_14,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
200 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 14.1 Grundlagen

B. Schiessl

14.1.1 Allgemeines

Schwangerschaftsdauer
Die physiologische Dauer einer Schwangerschaft wird mit 40 SSW angege-
ben, als reif geboren gilt ein Kind ab 37+0, von Terminüberschreitung
spricht man über 40+0 SSW, von Übertragung ab 40+10 SSW (keine ein-
heitliche Definition).
Die meisten »Übertragungen« beruhen auf Terminfehlern (falsche Be-
rechnung, Irrtum, ausgebliebene Korrektur des ET nach diskrepantem
Früh-Ultraschall).
Am Entbindungstermin wiegt das reife Kind 3300–4000 g. Einflussfak-
toren auf das kindliche Gewicht sind Genetik, Herkunft, Größe der Eltern,
was im Beratungsgespräch bedacht werden soll. Davon unabhängig wirken
Einflüsse durch den Schwangerschaftsverlauf (Plazentainsuffizienz, Infek-
tionen, Gestationsdiabetes usw.).

Geburtsauslösung
Die Ursachen der Geburtsauslösung sind nach wie vor nicht geklärt, vermutet
werden Regelkreise zwischen maternalem und fetalem Kreislauf. So sezer-
niert die Hypophyse des Feten vor Wehenbeginn Oxytocin und die entspre-
chende Rezeptorenzahl an Dezidua und Myometrium steigt zum Entbin-
dungstermin hin an. Ebenso spielen das CRH (Corticotropin-Releasing-Hor-
mone) und Cortisol aus dem fetalen Kreislauf in der Initiierung der Geburt
eine wichtige Rolle (wachstumsrestriktive Feten zeichnen sich durch eine
erhöhte Rate an vorzeitigem Wehenbeginn mit Frühgeburtlichkeit aus).

Geburtsbeginn
14
Zur geburtshilflichen Definition des Geburtsbeginns gehören die Faktoren:
4 Regelmäßige Wehen mindestens alle 10 min über mindestens 30 min
mit Muttermundswirksamkeit (Verkürzung der Portio, Eröffnung des
Muttermundes),
4 ggf. der Blasensprung und/oder
4 eine Zeichnungsblutung (ggf. blutige Ausstoßung des Zervixschleim-
pfropfs).

Wehen
4 Geburtskräfte = Geburtswehen, man unterscheidet Wehenstärke, -dauer,
-pause und -frequenz. > Memo Erfassung durch Palpation plus Uhr!
4 Verschiedene Wehenarten prä-, intra- und postpartal:
5 Schwangerschaftswehen: Alvarezwellen (geringe Intensität), Brax-
ton-Hicks-Kontraktionen (häufiger gegen Schwangerschaftsende),
übergehend in Senkwehen 3–4 Wochen vor dem Termin, Vorwehen
(unregelmäßig, aber stärker).
14.1 · Grundlagen
201 14

5 Geburtswehen: Eröffnungswehen (regelmäßige Wehen zur Mutter- Eigene Notizen


mundseröffnung), Austreibungswehen (ab vollständigem Mutter-
mund, höherer Druck), Presswehen, Nachgeburtswehen (zur Lö-
sung und Geburt der Plazenta), Nachwehen (im Wochenbett zur
Rückbildung)

Geburtsmechanik
Der Geburtsablauf wird von der Reife des Kindes, den Geburtswegen und
Geburtskräften gestaltet. Das reife Kind wiegt zwischen 2500 und 4499 g,
eine Analyse der Geburten in Bayern erbrachte ein durchschnittliches Ge-
burtsgewicht von 3433–3414 g in den Jahren 2000–2007. Der meist voran-
gehende Kopf ist der geburtsmechanisch wesentliche Part des Kindes. Die-
ser ist zusammen mit Rücken und Steiß eines der großen Teile, kleine Teile
sind Arme und Beine.
Am Kopf tastbar sind Pfeilnaht, Lambdanaht, Kranznaht, Stirnnaht,
sowie die große und kleine Fontanelle. Die Kopfumfänge berechnen sich aus
den bezeichnenden Ebenen und unterscheiden sich in ihrem Umfang:
4 Circumferentia suboccipito-bregmatica
4 Circumferentia fronto-occipitalis
4 Circumferentia mento-occipitalis

Je nach Haltung und Stellung des Kindes wird ein unterschiedlicher Kopf-
umfang geburtsmechanisch wirksam.

Geburtsweg
Knochen-Weichteilkanal aus knöchernem Becken und Weichteilkanal (un-
teres Uterinsegment, Zervix, Vagina, Vulva, Beckenboden mit Diaphragma
pelvis und Diaphragma urogenitale).
Durchmesser des knöchernen Beckens:
4 Conjugata vera/anatomica 12 cm
4 Querdurchmesser im Beckeneingang 13 cm
4 Raumdiagonale des Beckeneingangsraums: I. und II. schräger Durch-
messer 12 cm

Klassisches Ebenensystem zur Höhenstandbeurteilung des vorangehenden


kindlichen Teils mit den Ebenen Beckeneingang, Beckenmitte, Beckenaus-
gang.
Geburtshilfliche Richtungsbezeichnungen an der schwangeren Pa-
tientin:
4 Vorn = symphysenwärts
4 Hinten = kreuzbeinwärts
4 Rechts und links immer im Sinne der Kreißenden
4 Oben = kopfwärts
4 Unten = fußwärts

Verhalten des Kopfs beim Durchtritt durch den Geburtskanal:


1. Eintritt in den BE (Beckeneingang):
5 Quer oder schräg verlaufende Pfeilnaht (PFN)
5 Synklitismus = Achsengerechte Einstellung mit PFN in Führungslinie
202 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 5 Asynklitismus:


J vorderer A. = physiologische Abweichung der PFN kreuzbein-
wärts
J hinterer A.= pathologische Abweichung der PFN symphysen-
wärts
2. Durchtritt durch die Beckenhöhle: 8 cm Höhenunterschied, der durch
Tiefertreten (Progression), Beugung (Flexion, Haltungsänderung)
und Drehung um 90° (Rotation, Stellungsänderung) des Köpfchens
überwunden wird.
3. Austritt aus dem Geburtskanal: Aus tiefer Beugehaltung am Becken-
boden überwindet der Kopf den »Bogen« um die Symphyse durch
eine Streckbewegung (Deflexion).

Nach der äußeren Drehung des Kopfs im Sinne einer Rückdrehung werden
die kindlichen Schultern geboren. Während der Geburt erfolgt die Höhen-
diagnose des kindlichen Kopfs durch äußere und innere (vaginale) Unter-
suchung.
Drei definierte Höhenstände des Kopfs im Becken:
4 Kopf tief und fest im Beckeneingang (größter Umfang hat die Terminal-
ebene überschritten)
4 Kopf in Beckenmitte
4 Kopf steht auf Beckenboden (sitzt dem Beckenboden fest auf)

Höhenstandsdiagnostik des vorangehenden Teils (Leitstelle), daraus ergibt


sich indirekt der Höhenstand des größten Kopfumfangs. Typisch ist die zu
tiefe Einschätzung des Höhenstandes von Anfängern bzw. unerfahrenen
Untersuchern. ! Cave Auch bei sichtbarer Geburtsgeschwulst in der Tiefe
der Vulva kann der Kopf mit seinem größten Umfang noch nicht ins Becken
eingetreten sein.

14.1.2 Betreuung/Überwachung der Schwangeren


14 und des Feten

Aufnahme in den Kreißsaal


Zur Dokumentation gehören bei Aufnahme Name, Alter und Parität der
Schwangeren (Zustand nach Spontan- oder Operativgeburten?) sowie ak-
tuelle Angaben (seit wann Wehen, wann Fruchtwasserabgang mit welcher
Farbe, Blutung, Fieber, Wohlbefinden?).
Erste Maßnahme ist das Anlegen eines CTGs zur Verifizierung der
fetalen Vitalität und Quantifizierung von Wehen.
Erhoben werden:
4 Mütterlicher Blutdruck, Puls, Temperatur
4 Bei Aufnahme in die Klinik Kontrolle von Blutbild, Gerinnung als Stan-
dard zur Geburtsvorbereitung, ebenfalls ein i.v.-Zugang
4 Weitere Laborparameter in Abhängigkeit von der klinischen Situation
(Frühgeburt? Blasensprung? Infektion? Maternale Erkrankungen?
etc.)
14.1 · Grundlagen
203 14
Überwachung Eigene Notizen
Die subpartale fetale und maternale Überwachung dient der Erkennung
von Gefahren, wie drohender intrauteriner Asphyxie bzw. maternaler Hy-
potonie, Blutung, Fieber etc.

Überwachung des Kindes unter der Geburt


Oberstes Ziel ist die Erkennung eines drohenden fetalen Sauerstoffmangels
bzw. einer fetalen Asphyxie. Als Überwachungsmethoden stehen zur Ver-
fügung:
4 Kardiotokografie (CTG)
4 Auskultation
4 Pulsoxymetrie
4 Mikroblutuntersuchung

Kardiotokografie
Apparative Ableitung der kindlichen Herztöne und der Wehentätigkeit. Fe-
tale Herzfrequenzregistrierung erfolgt über einen Ultraschalltransducer mit
Abgreifen des Dopplersignals des fetalen Herzschlags (Algorithmus, keine
Beat-to-beat-Ableitung) und eine mechanische Messung des Uterustonus
(relative, keine absolute Druckmessung). In der Beurteilung muss zwischen
antepartalem und intrapartalem CTG unterschieden werden.
Beurteilungskriterien sind:
4 Fetale Herzfrequenz
4 Oszillation
4 Akzelerationen
4 Dezelerationen
4 Wehentätigkeit (Frequenz und Dauer)

Normbefunde:
4 Fetale Herzfrequenz: 110–150 bpm, Oszillation 5–20 bpm, Akzelera-
tionen vorhanden, keine Dezelerationen
4 Antepartal: keine Geburtswehen

Kontinuierliche CTG-Registrierung unter der Geburt im Kreißsaal wird


empfohlen.
Absolute CTG-Indikationen bestehen in folgenden Situationen:
4 IUFT oder kindlichem Hirnschaden in der Anamnese
4 Aktuelle IUGR
4 Frühgeburt
4 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (SIH)
4 Kohlenhydratstoffwechselstörung
4 BEL (Beckenendlage)
4 Geburtseinleitung
4 Protrahierter Geburtsverlauf
4 Medikamentöse Wehenförderung (Oxytocin)
4 Mehrlingsgeburten
4 Blutungen in der 2. SS-Hälfte
4 Fetale Fehlbildung
204 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 4 Maternale oder fetale Infektion


4 Oligo- oder Polyhydramnion
4 Übertragung
4 Pathologische Wehentätigkeit (Polysystolie)

Subpartale Herzfrequenzmuster:
4 Dezelerationen: Absinken der fetalen Herzfrequenz um mehr als
15 Schläge von der Baseline über mehr als 0,5 min.
5 Unterschieden werden frühe, späte und variable Dezelerationen
(Typ I und Typ II):
J Dezelerationen Typ I (frühe Dezelerationen): treten wehensyn-
chron auf und sind meist Folge einer kompressionsbedingten
kurzen Ischämie des fetalen Gehirns (Nabelschnurkompression).
Ohne pathologische Bedeutung, falls keine weiteren Auffälligkei-
ten vorhanden sind.
J Dezelerationen Typ II (späte Dezelerationen): treten nach der
Wehe auf und zeigen eine hypoxische Gefährdung des Feten an.
Bei Wiederholung muss eine Abklärung durch eine Mikroblut-
untersuchung (MBU) erfolgen. Hierbei wird Blut aus dem kind-
lichen Köpfchen auf pH, base excess und pCO2 untersucht.
J Variable Dezelerationen treten häufig sub partu auf, ihre Progno-
se ist abhängig von den so genannten Zusatzkriterien (ungünstig:
flacher Wiederanstieg der Herzfrequenz, Oszillationsverlust in
der Dezeleration, Verlust der initialen Akzeleration, Fortbestehen
der kompensatorischen Akzeleration, Nichterreichen der initia-
len Baseline etc.). Auch hier muss bei ungünstigen Zusatzkrite-
rien eine Abklärung durch die MBU erfolgen.
4 Bradykardie: Fetale Herzfrequenz unter 100 bpm über mehr als 3 min
Dauer (kürzer als Dezeleration zu werten). Auftreten bei:
5 Mütterlicher Kreislaufstörung (akute Hypotonie, V. cava-Kompres-
sions-Syndrom)
14 5 Fetaler Erkrankung (Rhythmusstörung)
5 Länger anhaltendem O2-Mangel unter der Geburt als Ausdruck der
fetalen Hypoxie.
4 Tachykardie: Fetale Herzfrequenz über 160 bpm über mehr als 10 min
Dauer (falls kürzer: als Akzeleration zu werten). Häufigste Ursachen
sind:
5 Maternale Temperaturerhöhung (Fieber) oder Dehydrierung (Gas-
trointestinalinfekt)
5 Bei passagerer fetaler Hypoxie als Ausdruck der Kompensation
( ! Cave Bei zu langer Dauer pathologische Bedeutung.).
4 Akzelerationen:
5 Beschleunigung der fetalen Herzfrequenz bei fetalen Bewegungen,
mütterlichem Lagerungswechsel, vaginaler Untersuchung, Manipu-
lation am kindlichen Kopf (Anbringen einer Skalpelektrode), prog-
nostisch günstige Bedeutung.
5 Wehensynchrone Akzelerationen können eine Minderdurchblu-
tung und/oder Nabelschnurkompression anzeigen.
14.1 · Grundlagen
205 14

! Cave Verminderung der Oszillationsamplitude und -frequenz Eigene Notizen


haben insbesondere in Kombination mit Tachykardie, Bradykardie
oder in der Dezeleration eine pathologische Bedeutung.

Mikroblutuntersuchung (MBU)
Synonym: Fetal blood sampling (FBS)
4 Indikationen: pathologisches CTG bei eröffnetem Muttermund
4 Kontraindikation: maternale HIV-Infektion
4 Zunächst intrauterine Reanimation mit Gabe von i.v.-Bolus-Tokolyse
und Umlagerung der Gebärenden. Bei Persistenz der Pathologie Durch-
führung wie folgt:
5 Mittels Amnioskop oder Spekulumeinstellung (Patientin liegt in
Steinschnittlage im Querbett oder in Linksseitenlage im Kreißbett)
Darstellung des fetalen führenden Teils (meist Köpfchen), unter
Sicht Punktion und Gewinnung einer Kapillarfüllung Blut. Analyse
des fetalen pH-Werts in Analysegerät im Kreißsaal.
5 Aziditätsstadien nach Saling:
J pH ≥7,25 ohne pathologische Bedeutung
J pH 7,24–7,20 = Präazidose
J pH 7,19–7,15 = leichte Azidose
J pH 7,14–7,10 = mittelgradige Azidose
J pH 7,09–7,00 = fortgeschrittene Azidose
J ≤pH 6,99 = schwere Azidose
4 Wiederholung der MBU bei Persistenz des pathologischen CTG nach
15 min in Abhängigkeit der Pathologie. Bei sinkenden pH-Werten ggf.
Dauertokolyse.
4 Die Geburtsbeendigung ist bei pH-Werten <7,20 in der Regel indi-
ziert.

Weitere Überwachungsmöglichkeiten sub partu


4 Fetale STAN = Analyse der ST-Quotienten, derzeit noch nicht generell
etabliert oder empfohlen.
4 Fetale Pulsoxymetrie: Transkutane oder invasive (Skalpelektrode) Mes-
sung der fetalen Sauerstoffsättigung, Voraussetzung eröffnete Frucht-
blase, Einsatz in vielen Studien mit Nutzen gezeigt, derzeit kein generel-
ler Einsatz im klinischen Alltag.

Überwachung der Mutter


Blutdruck und Puls werden regelmäßig nach Aufnahme in den Kreißsaal
erfasst, häufiger bei PDA (Periduralanästhesie) oder bekannter Hypertonie,
Präeklampsie etc. Es ist sorgfältig auf eine bilanzierte Einfuhr und Ausfuhr
zu achten, in klimatisierten Räumen kann es zu einer Hypovolämie kom-
men, bei liegender PDA ist ein regelmäßiger Katheterismus der Harnblase
erforderlich. Um klinisch eine Infektion früh zu erfassen, erfolgen Tempe-
raturkontrollen, häufiger bei bekannter Infektion oder vorzeitigem Blasen-
sprung oder fetaler/maternaler Tachykardie.
Das Ausmaß der vaginalen Blutung muss akribisch dokumentiert wer-
den, um physiologische Zeichnungsblutung von pathologischen Blutungen
206 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen (Plazentalösung, Zervixriss, Uterusruptur etc.) abzugrenzen. Bei Zustand


nach Sectio muss auf Schmerzen im Narbenbereich insbesondere in den
Wehenpausen geachtet werden, sie können ein Hinweis auf eine begin-
nende Narbendehiszenz oder -ruptur sein.
Verarbeitung des Wehenschmerzes, psychische Unterstützung sind
Aufgaben der betreuenden Hebamme, die ggf. Analgesie durch eine PDA
vermittelt.

14.1.3 Geburtsverlauf

Eröffnungsperiode (EP)
Als EP gilt die Dauer ab regelmäßiger Wehentätigkeit bis zur vollständigen
Muttermundseröffnung.
Bei Erstgebärenden beginnt die Eröffnung am inneren Muttermund
mit Erweiterung zum äußeren Muttermund, nach Entfaltung des Zervix-
kanals erfolgt die Dilatation. Bei Mehrgebärenden geschieht die Eröffnung
von innerem und äußerem Muttermund gemeinsam.
> Memo Faustregel: Eröffnung 1 cm/h Muttermundsweite, schneller
bei Mehrgebärenden.
Blasensprung in der Eröffnungsperiode = frühzeitiger Blasensprung
(vorzeitig wäre vor Beginn der EP). Auf regelmäßige Entleerung der ma-
ternalen Harnblase ist zu achten. Lagerung und Mobilität den Wünschen
der Gebärenden entsprechend, solange Geburtsfortschritt und fetaler Zu-
standsüberwachung unauffällig sind.
Vaginale Untersuchung erfolgt mindestens alle 4 h in der EP, um den
Geburtsfortschritt im Partogramm zu dokumentieren.
Die Schmerzempfindung unter der Geburt unterliegt starken indivi-
duellen Schwankungen. Bekannt ist der »Angst-Spannungs-Schmerz-
Kreis«, dem mit guter Vorbereitung auf die Geburt, Aufklärung, Gymna-
stik, Entspannungsübungen und Atemtechnik begegnet werden kann.
14 Starke Schmerzen führen zur Verspannung, und Angst der Gebärenden,
was beides die Wehentätigkeit negativ (Dystokie, Schwäche) beeinträchti-
gen kann. Zur Linderung der Wehenschmerzen stehen verschiedene Ebe-
nen der Schmerzbekämpfung zur Verfügung:
4 Akupunktur
4 TENS
4 Medikamentöse Schmerzlinderung (Nichtopioidanalgetika, Opioid-
analgetika [z.B. Pethidin], Leitungsanästhesie mittels PDA)

Sehr bedeutend ist die Betreuung und Anleitung durch die Hebamme be-
reits in der frühen und späteren Eröffnungsperiode.

Austreibungsperiode
Die Austreibungsperiode beginnt mit vollständig eröffnetem Muttermund,
endet mit der Geburt des Kindes, enthält die Pressperiode.
Blasensprung in der Austreibungsperiode = rechtzeitig. In der Press-
periode werden die uterinen Wehen durch aktives Einsetzen der Bauch-
14.1 · Grundlagen
207 14

und Rumpfpresse unterstützt. Wenn der kindliche Kopf auf dem Becken- Eigene Notizen
boden steht, erfolgt die reflektorische Auslösung der Presswehen über
spinale Nervenbahnen, nicht willentlich beeinfluss- oder gar unterdrück-
bar.
Anleitung zum aktiven Mitpressen erfordert:
4 vollständig eröffneten Muttermund,
4 gesprungene oder eröffnete Fruchtblase,
4 ausreichend tief stehenden Kopf (am besten auf BB),
4 Pfeilnaht ausrotiert im geraden Durchmesser.

Mögliche Positionen bei der Geburt sind:


4 Rückenlage
4 Seitenlage
4 halb sitzend
4 Vierfüßlerstand
4 Knie-Ellenbogen-Haltung
4 hockend
4 stehend

Entscheidend ist die Betreuung und Anleitung durch die betreuende Heb-
amme. Dauerüberwachung durch CTG. Durch den Dammschutz der Heb-
amme wird der Kopfdurchtritt des Köpfchens verlangsamt und damit wer-
den mütterliche Weichteile geschützt. Bei drohendem Dammriss kann eine
Episiotomie nach rechts medio-lateral indiziert sein. ! Cave Nicht immer
wird durch die Episiotomie ein Dammriss verhindert: Untersuchungen ha-
ben gezeigt, dass die Anlage einer Episiotomie nicht zwingend einen Damm-
riss III. Grades (mit Riss des Sphincter ani externus) verhindert.
Als Geburtszeit gilt die beendete Geburt des gesamten kindlichen Kör-
pers (insbesondere bei Verzögerung durch Schulterdystokie von dokumen-
tatorischer Bedeutung!).
Abnabelung erfolgt in der Regel früh nach 1–2 min nach der Geburt.
Die Messung des pH aus Nabelschnurarterie und -vene wird im Kreiß-
saal durchgeführt und in Mutterpass, Kinderheft und Klinikakten doku-
mentiert.

Nachgeburtsperiode
Diese umfasst den Zeitraum nach Geburt und Abnabelung des Kindes,
beinhaltet Geburt der Plazenta (erst dann gilt eine Geburt als beendet) und
dauert bis ca. 2 h danach an. In Deutschland üblich ist die so genannte aktive
Nachgeburtsleitung mit Verabreichung von 3 IE Oxytocin i.v. an die Patien-
tin, um den Blutverlust in der Nachgeburtsperiode zu verringern. Die Lö-
sung der Plazenta geht mit einer physiologischen Lösungsblutung einher,
diese gilt ab >400 ml als verstärkt. Verzögerte Plazentalösung bedeutet, dass
>30 min seit Geburt des Kindes verstrichen sind. Wichtig sind Inspektion
der Plazenta auf Vollständigkeit der Plazenta (Oberfläche fetal und maternal
intakt?) und der Eihäute, Zählen der Nabelschnurgefäße. Bei unvollständi-
ger Plazenta müssen eine Spekulumeinstellung und oft eine instrumentelle
Nachtastung des Uterus erfolgen, um die Plazentareste zu gewinnen.
208 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 14.1.4 Pathologie der Geburt

Operative Geburtshilfe
Es gibt 2 Indikationen für einen geburtshilflichen Eingriff:
4 Gefahr für das Kind
4 Gefahr für die Mutter
4 Die Gefährdung kann für Kind oder Mutter allein, oder beide be-
stehen.
Gefährdung des Kindes:
5 Vorgeburtlich gegeben durch:
J Fehlbildungen
J IUGR
J FFTX bei Mehrlingen
J fetale intrauterine Infektionen oder Anämie etc.
5 Subpartale Gefahren und dadurch Indikationen bestehen bei:
J drohender Asphyxie des Kindes
J akuter fetaler Bradykardie
J pathologischem CTG bei geschlossenem Muttermund
J Blutung aus velamentösen Gefäßen
J Nabelschnurvorfall etc.
Beiderseitige Indikationen bestehen unter Umständen bei:
5 Präeklampsie
5 SIH
5 HELLP-Syndrom
5 akuter Blutung prä- und subpartal
5 vorzeitiger Plazentalösung
5 Uterusruptur etc.

Die operative Beendigung einer Geburt wird aus absoluter, dringlicher


oder relativer fetaler und/oder maternaler Indikation durchgeführt. Der
Modus wird durch den aktuellen Geburtsmoment bestimmt und entweder
14 eine vaginal oder abdominal operative Entbindung durchgeführt.

Zangenentbindung
Durch Zug mittels 2 angelegter Zangenlöffel erfolgt die wehensynchrone
Extraktion des führenden Teils (meist Kopf). Verschiedene Zangenmodelle
stehen zur Verfügung (Naegele, Kielland, Bamberger Divergenzzange,
Shute-Parallelzange etc.), in Deutschland wird die Naegelezange mit der
für sie typischen Beckenkrümmung der beiden Löffel am häufigsten ver-
wendet.
Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
4 Kind lebt
4 vollständig eröffneter Muttermund
4 Fruchtblase eröffnet
4 ausreichend Raum im Beckenausgang
4 zangengerechtes Stehen des kindlichen Köpfchens
4 normale Kopfgröße (kontraindiziert bei Hydrozephalus oder Anenze-
phalus)
14.1 · Grundlagen
209 14

Die Zangenlöffel werden einzeln, erst linker, dann rechter eingeführt und Eigene Notizen
vorsichtig geschlossen, die Zange fasst den Kopf quer bei gerade verlau-
fender Pfeilnaht, die Entwicklung des Köpfchens erfolgt in wehensynchro-
nen Traktionen. Die Gefahr dieser Methode liegt in Geburtsverletzungen
für die Mutter durch Vergrößerung des geburtsmechanisch wirksamen Um-
fangs des vorangehenden Teils (Dammriss, Scheidenriss, Levatorläsion,
Zervixriss, etc.).
Verletzungsgefahr für das Kind besteht durch Druck und Zug am Kopf
(Schädelfrakturen, intrakranielle Blutungen, Hautschürfungen, Verletzung
des N. facialis).

Vakuumextraktion
Durch Zug mittels einer Saugglocke Extraktion des führenden Teils. Ver-
schiedene Saugglockentypen und -größen stehen zur Verfügung (Metall-
glocken mit 4 cm, 5 cm oder 6 cm Durchmesser, Unterdruck mittels
Schlauch und Pumpe aufgebaut, ablesen am Gerät nach ca. 2–3 min). Alter-
nativ verwendet werden Silikonglocken insbesondere bei unreifen Kindern,
allerdings mit reduzierter Extraktionseffizienz. Jüngste Entwicklung ist die
so genannte Kiwi-Saugglocke, die mittels kleiner Handpumpe appliziert
wird (variabel in Akzeptanz und Effizienz bei ebenfalls geringerer Extrak-
tionseffizienz).
Die Voraussetzungen für die Vakuumextraktion (VE) sind dieselben
wie bei Zangengeburt, allerdings ist die VE auch am toten Kind möglich.
Es gibt keine direkten Gefahren für die Mutter, indirekte durch externe
Kraftverschiebung der Geburtsmechanik mit erhöhtem Risiko der Ge-
burtsverletzungen, kindliche Verletzungsgefahr durch Druckschwankun-
gen und Scher-/Zugkräfte mit der Folge eines Kephalhämatoms, intrakra-
nieller Druckschwankungen (! Cave große Fontanelle!) und konsekuti-
ven Blutungen intrakraniell und retinal, Schädelfraktur.
Kontraindikationen:
4 Frühgeburt <32 SSW
4 Gewichtsschätzung <1600 g

Sectio caesarea (Kaiserschnitt)


Die Sectiofrequenz hat in den letzten Jahren konstant zugenommen. Die
Ursachen liegen zum einen am Kollektiv der Frühgeburten und Lageano-
malien, zum anderen an der intensiveren Überwachung unter der Geburt
durch das Kardiotokogramm. Aber auch mangelnde Routine bei vaginal-
operativen Eingriffen, forensische Gesichtspunkte und die zunehmende
großzügige Indikation bei vorliegendem Wunsch der Schwangeren tragen
zur Erhöhung der Sectiofrequenz bei. Die genannten Punkte sind nicht
generell an allen Kliniken in derselben Gewichtung anzutreffen.
Bei der Definition des Begriffs »Sectio« im klinischen Alltag hat sich
eine Nomenklatur zur Differenzierung etabliert. So unterscheidet man
zwischen verschiedenen Formen von primärer elektiver Sectio, bei der
Zeitpunkt der Entbindung für Mutter und Team wählbar sind, über die
dringliche und eilige Sectio bis hin zur Notsectio, die sofortiges Handeln
erfordert.
210 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen Die Indikation kann sowohl aus fetaler als auch maternaler oder aus
gemischten Befunden/Gründen gestellt werden. So zählen u.a. zu den fe-
talen Indikationen:
4 das Signal der fetalen Minderversorgung unter der Geburt, was durch
ein auffälliges CTG oder Mikroblutuntersuchung angezeigt wird
4 der Nabelschnurvorfall oder der Vorfall kleiner kindlicher Teile unter
der Geburt
4 Auch fetale Erkrankungen oder Fehlbildungen wie eine Gastroschisis,
komplexe Herzvitien, fetale Tumoren oder die Myelomeningozele stel-
len Indikationen zur Entbindung per Sectio dar.
Maternale Indikationen sind:
4 Protrahierter Geburtsverlauf
4 Plazenta praevia
4 Schwere maternale Erkrankungen, wie das HELLP-Syndrom, die schwe-
re Präeklampsie, schwere maternale Herzkrankung oder ein invasives
Zervixkarzinom. Bei Zustand nach Sectio ist bis auf einige Befunde
nicht zwingend eine erneute Sectio notwendig.

Mögliche Indikationen zur Notfallsectio sind:


4 Akute therapierefraktäre Bradykardie ohne die Möglichkeit der vaginal-
operativen Entbindung
4 Uterusruptur
4 vorzeitige Plazentalösung
4 die für Mutter und Kind lebensbedrohliche Blutung bei Plazenta praevia

Vor der Sectio erfolgt in der Regel die Aufklärung der Patientin über die
Durchführung der Operation sowie über Risiken mit abschließender
schriftlicher Dokumentation derselben. Ebenfalls wird der fetale »Zustand«
des Feten vor dem Eingriff dokumentiert (Ultraschall, Lage des Kindes und
der Plazenta, CTG-Beurteilung).
Die Anästhesiemethode der Wahl ist heute das Regionalverfahren
14 (PDA, Spinalanästhesie), worüber die Patientin vom Team der Anästhesie
aufgeklärt wird und auch hier eine schriftliche Dokumentation und Ein-
willigung erfolgt.
Der Operationsverlauf ist weitgehend standardisiert. Heute wird von
den meisten Operateuren eine variierte Technik nach Misgav-Ladach be-
vorzugt. Der Hautschnitt verläuft quer im Unterbauch, der Uterus wird bis
auf spezielle Indikationen ebenfalls quer eröffnet. Die Entwicklung des
Kindes soll immer so schonend wie möglich erfolgen und nach Abnabe-
lung werden Kontraktionsmittel zur Verringerung des Blutverlusts und zur
Entwicklung/Entfernung der Plazenta sowie eine antibiotische Prophylaxe
verabreicht. Nach Kontrolle auf Vollständigkeit derselben durch die Heb-
amme wird der begonnene Verschluss des Uterus beendet und unter Kon-
trolle auf Bluttrockenheit und Stillung evtl. Blutungsquellen die Bauch-
decken wieder verschlossen.
Bei Regionalanästhesie ist die Patientin während der Operation wach,
ansprechbar und wird oft von ihrem Partner begleitet. Beide können un-
mittelbar nach Geburt ihr Kind sehen und in den Arm nehmen.
14.2 · Notfälle im Kreißsaal: Blutung, Ruptur, Eklampsie
211 14

Die Überwachung unmittelbar postoperativ erfolgt im Kreißsaal, die Eigene Notizen


Verlegung bei unauffälligem Verlauf auf die Station nach 6 h. Je nach
Schmerzempfinden können bei nachlassender Wirkung der Regionalanäs-
thesie Schmerzmittel gegeben werden. Heutzutage wird die Patientin be-
reits 3–4 h nach Operation mobilisiert und der Blasenkatheter nach 24 h
entfernt. Der frühzeitige postoperative Nahrungsaufbau je nach persönli-
chem Verlangen der Patientin ist ebenfalls Standard. Während des statio-
nären Aufenthalts erhält die Patientin eine Thromboseprophylaxe mit
niedermolekularem Heparin und es wird eine Laborkontrolle am ersten
Tag durchgeführt. Bei unauffälligem Verlauf ist eine Entlassung je nach
Befinden der Patientin nach 4 Tagen möglich.
Zu den möglichen Komplikationen der Sectio zählen wie bei jeder
Operation:
4 Wundheilungsstörung
4 Thrombose/Embolie
4 Fieber
4 Sepsis
4 Anämie
4 Blutung >1000 ml, speziell die Atonie, die, falls nicht beherrschbar, eine
Hysterktomie erfordert.

Die maternale Letalität entspricht nach der derzeitigen Datenlage aus der
bayrischen Perinatalerhebung von Welsch bei der primären elektiven Sectio
mit 1:60000 der Letalität der Spontangeburt.

14.2 Notfälle im Kreißsaal: Blutung, Ruptur,


Eklampsie

B. Schiessl

14.2.1 Blutung antepartal und subpartal

! Cave Bedeutet maternale und fetale Gefahr.

Häufigste Ursachen sind:


4 Placenta praevia
4 Vorzeitige Plazentalösung
4 Vorzeitige Wehentätigkeit
4 Muttermundseröffnung

Blutung bei Plazenta praevia


Klinik mit meist schmerzloser Blutung, falls keine Wehentätigkeit vorliegt.
Die Diagnostik erfolgt ante- wie subpartal mittels Ultraschall.
212 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen Therapie


In Abhängigkeit von Blutungsstärke in frühem Gestationsalter Versuch der
konservativen Therapie (Tokolyse, Bettruhe, Lungenreifeinduktion mit Be-
tamethason, Anästhesie, Sectioaufklärung, Kreuzblut).

Blutung bei vorzeitiger Plazentalösung


Klinik mit den klassischen Symptomen:
4 abdominaler Schmerz
4 brettharter Uterus
4 Panik
! Cave Blutung korreliert oft nicht mit Ausmaß der Lösung.

Diagnostik erfolgt ante- wie subpartal mittels Ultraschall und anhand der
typischen Klinik.

Therapie
! Cave Keine Tokolyse. I.v.-Zugänge, Entbindung! Meist erfolgt die Ent-
bindung durch Sectio, selten bei vollständigem Muttermund und entspre-
chendem Höhenstand des Köpfchens vaginal operativ (Forceps- oder Va-
kuumextraktion). Anästhesiologische Sicherung der Vitalparameter, Sub-
stitution EK; FFP, Gerinnungsfaktoren etc.

14.2.2 Blutung postpartal

Definition
Der normale Blutverlust einer Geburt liegt bei 300–500 ml. Von einer post-
partalen pathologischen Blutung spricht man ab einem Verlust >500 ml.
Aufgrund der physiologischen Hämodilution in der SS werden Blutverluste
bis 1500 ml relativ gut kompensiert und gehen mit geringer klinischer
Symptomatik einher.
Primäre Blutung:
14 4 In Anlehnung an das ACOG (American) und RCOG (Royal College of
Obstetricians and Gynecologists) wird die PPH (»primary postpartum
hemorrhage«) als Blutverlust >500 ml innerhalb 24 h nach der Entbin-
dung definiert. Auftreten in 1:10 Geburten, nicht immer klinisch signi-
fikant.
4 »major PPH« ist durch Blutverlust >1500 ml postpartum charakteri-
siert, unmittelbar, gelegentlich auch erst nach einigen Stunden, Auftre-
ten in 1:500 Geburten.
> Memo Weltweit verblutet alle 4 min ein Patientin postpartum! 25–
43% der maternalen Todesfälle in den Entwicklungsländern und 10–
20% der maternalen Todesfälle in den westlichen Industrienationen
sind durch postpartale Blutungen bedingt.

Sekundäre Blutung:
4 Die so genannte sekundäre postpartale Blutung, SPH (»secondary post-
partum hemorrhage«) beschreibt den Blutverlust >500 ml zwischen 24 h
und 6 Wochen nach Entbindung, tritt bei 1:100 Entbindungen auf.
14.2 · Notfälle im Kreißsaal: Blutung, Ruptur, Eklampsie
213 14

PPH Eigene Notizen


Ätiologie
Ursachen – TTTT, »4 T‘s« müssen als Hauptursachen ausgeschlossen
werden:
4 Tissue: Plazentaretention
4 Tonus: Atonie des Uterus
4 Trauma: Genitales Trauma (Verletzung Vulva, Vagina, Zervix)
4 Thrombin: Koagulopathie/Gerinnungsstörung
4 Infektion: insbesondere die sekundäre PH kann durch aufsteigende
Infektionen/Endometritis verursacht werden.

Die »major PPH« stellt nach wie vor die häufigste Ursache für maternale
Morbidität und Mortalität in der Geburtshilfe dar, sie verlangt unmittel-
bares Erkennen und Handeln mit effektivem Management. Deshalb muss
nach jeder Geburt mit Blutung gerechnet werden.

Therapie
4 Tissue – Plazentaretention/Plazentareste in utero:
5 Manuelle Plazentalösung bzw. Curettage in Analgesie (PDA, Spinal,
Intubationsnarkose)
5 Antibiose und
5 Kontraktionsmittel i.v. (Oxytocin 15 IE in 500 ml, Alternative Nala-
dor (2 Ampullen à 500 μg in 500 ml)
4 Tonus – Atonie des Uterus:
5 Uterus manuell komprimieren!
5 Ultraschall zum Ausschluss Koagel/Plazentareste, ggf. Curettage,
ggf. Uterustamponade
5 Kontraktionsmittel Oxytocin 15 IE/500 ml oder Nalador (2 Ampul-
len à 500 μg in 500 ml)
5 Anästhesie im Standby zur Stabilisierung der Vitalparameter
5 Bei persistierender Blutung Substitution mit EK, FFP, Thrombozy-
tenkonzentraten, Gerinnungsfaktoren, Tranexamsäure, Fibrinogen
5 Laparotomie mit Anbringung der Bee-lynch Nähte (»Rucksack«-
naht, Fundus-Kompressionsnähte, Z-Naht) zur mechanischen Blut-
stillung
5 Hysterektomie bei Versagen aller konservativen Maßnahmen
4 Trauma: Geburtsverletzungen:
5 Inspektion mittels Spekulumeinstellung von Vulva/Vagina, Zervix,
Anus (Sphinkter!) auch nach bereits versorgter Episiotomie und/
oder Rissen bei persistierender Blutung!
5 Blutstillung primär durch Klemme/Druck, sodann Versorgung der
Verletzung in ausreichender Analgesie, ggf. Narkose
5 Kontraktionsprophylaxe
5 Antibiose
4 Thrombin:
5 Gerinnungsstörung als Ursache einer postpartalen Blutung: Labor
(Blutbild, erweiterte Gerinnungsparameter) Anästhesie im Standby
5 Kreuzen, bzw. Bereitstellen von EK, FFP etc.
214 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen Risikofaktoren für Gerinnungsstörungen sub partu:


4 Präeklampsie, HELLP
4 Antepartale Blutung (Plazentalösung, Randsinusblutung) im Sinne Ver-
brauchskoagulopathie
4 Zustand nach Atonie oder traumatischer Geburt
! Cave Die akribische Dokumentation des Blutverlusts unter der Ge-
burt (während Eröffnungs- und Austreibungsperiode) ist von hoher
Wichtigkeit, um frühe Hinweise auf pathologische Ursachen zu erken-
nen, oft wird ein überstarkes Zeichnen fehlgedeutet.

SPH: Sekundäre postpartale Blutung

Ätiologie
Hauptursachen sind:
4 Mangelnde Rückbildung
4 Plazentareste im Cavum uteri
4 Infektionen (Endomyometritis)
4 Übersehene Rissverletzungen (hoher Scheidenriss, Zervixriss)

Therapie
4 Kontraktionsmittel
4 Antibiose
4 Curettage
4 Operative Versorgung der Verletzungen (s.a. Wochenbettpathologie)

14.2.3 Uterusruptur

1:100–1:2500 Schwangerschaften, hohes Potenzial katastrophalen Ausgangs


für Mutter und Kind (Perinatale Mortalität [PNM] >40%!).
Unterscheide spontane Ruptur am wehenfreien versus sub partu unter
14 Einfluss der Wehentätigkeit.
Risikofaktoren:
4 Zustand nach Sectio
4 Myomenukleation etc.
4 Trauma (Verkehrsunfall, hohe Zange, hoher Zervixriss)
4 Überdehnung (Mehrlinge, Polyhydramnion)
4 Plazentationsstörung (Plazentabett im Bereich alter Narben nach Myo-
menukleation oder Sectio)

Klinik
Bei Uterusruptur liegt eine Notfallsituation sub partu mit akuter fetaler und
maternaler Gefährdung vor. Nach initial kräftiger Wehentätigkeit sistiert
diese nach erfolgter Ruptur. Die fetale Herzfrequenz zeigt eine akute Brady-
kardie, die Gebärende ggf. massive hypovoläme Schocksymptomatik, eine
vaginale Blutung ist nicht obligat, aber meist präsent.
14.2 · Notfälle im Kreißsaal: Blutung, Ruptur, Eklampsie
215 14
Diagnostik Eigene Notizen
4 Klinische Symptomatik
4 Ultraschall: freie Flüssigkeit in der Bauchhöhle, ggf. fetale Lageverände-
rung, Bestätigung der Bradykardie

Therapie
4 Unmittelbare Entbindung, i.d.R. durch Sectio
4 Versorgung der rupturierten Uteruswand, ggf. interdisziplinär bei Ver-
letzung von Blase/Ureter
4 Anästhesiologische Sicherung der Vitalparameter, frühzeitig Substituti-
on erforderlicher EK, FFP, Gerinnungsfaktoren bei hohem Blutverlust,
bei nicht beherrschbarer Blutung Hysterektomie.

14.2.4 Eklampsie

(s.a. Kapitel 13, Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen)


Ein Notfall in der Geburtshilfe ist die Eklampsie bzw. der eklamptische
Anfall, der in zwei Dritteln prä- und einem Drittel postpartal (hiervon
wiederum 90% in den ersten 2 Tagen) auftritt. Nur etwa 50% sind mit einer
schweren Hypertonie assoziiert und sind auch bei fehlender Hypertonie
oder Proteinurie möglich (14–34%). Eine Eklampsie tritt oft unvorherge-
sehen ohne klassische Prodromi auf.

Klinik und Diagnostik


Ggf. gehen zentrale Symptome als Warnhinweise dem eklamptischen Anfall
mit tonisch-klonischen Krämpfen voraus – meist an Extremitäten begin-
nend und dann Stamm ergreifend, kaum von epileptischem Anfall zu un-
terscheiden. ! Cave Es besteht akute Lebensgefahr für Mutter und Fetus
mit einer Letalität maternal von 2–5% und bis 20% für den Feten.
Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind:
4 Epilepsie
4 Zerebrovaskuläres Geschehen (Blutung, Infarkt, Thrombose, Ödem)
4 Metabolische Entgleisungen (Blutzucker, Elektrolyte)
4 Intrakranielle Prozesse (Tumor, Meningitis, Enzephalitis)

Ohne bekannte Vorerkrankung gilt der tonisch-klonische Krampfanfall der


Schwangeren als Eklampsie.

14.2.5 Therapie

4 Sicherung der Vitalfunktionen


4 Lagerung
4 O2-Gabe
4 Intensivmonitoring
4 Anfallstherapie mit Magnesiumsulfat 4–6 g initial i.v. über 15–20 min,
dann 1–3 g/h Erhaltungsdosis (bis 48 h). Meist wird hierdurch der An-
216 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen fall durchbrochen. Magnesium ist sowohl Phenytoin wie auch Diaze-
pam überlegen, auf die Prävention von Rekonvulsionen und neonatales
Outcome bezogen.
4 Weiteres Vorgehen: Stabilisierung der Patientin, fetale Überwachung
mit Sonografie und CTG, in den meisten Fällen zeitnahe Entbindung,
um vitale maternale und fetale Gefährdung durch rezidivierende Anfäl-
le zu reduzieren.

14.3 Wochenbett

B. Schiessl

Puerperium = die Zeit nach der Geburt, in der sich die durch Schwanger-
schaft und Geburt entstandenen Veränderungen zurückbilden. Beginn mit
Geburt der Plazenta, Dauer 6–8 Wochen, beinhaltet Rückbildungsvorgän-
ge, Wundheilung, Beginn und Aufrechterhaltung der Laktation, Wiederauf-
nahme der Ovarialtätigkeit.

14.3.1 Physiologie des Wochenbetts

Rückbildung
Nach Geburt der Plazenta entfallen die von ihr in den mütterlichen Orga-
nismus abgegebenen Hormone (Choriongonadotropin [HCG], humanes
plazentares Laktogen [HPL], Gestagene und Östrogene) und ihre Wirkung
auf den Organismus.
Rückbildungsvorgänge (Involution) betreffen Uterus, Beckenboden,
Bauchdecken, Beckengürtel, Blase, Darm, Bauchmuskulaturtonus, Aus-
schwemmung von Ödemen.
Wochenbettwehen beinhalten die Dauerkontraktion des Uterus in den
14 ersten Stunden bis Tagen postpartal, rhythmische Kontraktionen = Nach-
wehen für ebenfalls Stunden bis Tage postpartal, durch Saugreiz ausge-
schüttetes Oxytocin bewirkt Reizwehen (Stillwehen).
Folgen sind die dramatische Reduktion des uterinen Blutflusses,
Blutstillung der Plazentahaftfläche in Ergänzung zur Thrombosierung
der großen uteroplazentaren Gefäße. Ausstoßung des Wundsekrets =
Lochien. Uterusgewicht reduziert sich von präpartal 1000 g auf 50–70 g
am Ende des Puerperiums. Die Wundheilung ist nach 4–6 Wochen mit
Re-Epithelisierung des Stromas an der Plazentahaftfläche abgeschlossen.
Die Lochien enthalten Keime aus der Vaginalflora (Streptokokken,
Staphylokokken, E. coli etc.), die sich ab dem 2.–3. Tag darin reichlich
vermehren:
4 Tag 1–3 Lochia rubra (rein blutig)
4 1. Woche Lochia fusca (braunrot, dünnflüssig, Zumischung von Serum,
Lymphe und Leukozyten)
4 Ende 2. Woche Lochia flava (schmutzig-gelb, verflüssigtes nekrotisches
Material)
14.3 · Wochenbett
217 14

4 Ende 3. Woche Lochia alba (wässrig-serös, zunehmende Wundepithe- Eigene Notizen


lisierung, Menge deutlich geringer)
4 Nach etwa 4 Wochen Versiegen der Lochien, Wundheilung abgeschlos-
sen. Lochien riechen fade, aber nicht fötide.

Laktation
Es werden 5 Prozesse unterschieden:
1. Entwicklung der Milchdrüse bis zur Funktionstüchtigkeit (Mammo-
genese) beginnt weit vor der Schwangerschaft in der Pubertät
2. Laktogenese während der Schwangerschaft: Brustdrüsenwachstum
mit Bildung neuer Läppchen, Parenchymzunahme durch Steroidhor-
mone, Drüsenzelldifferenzierung durch zunehmendes plazentares
HPL und hypophysäres Prolaktin, Hemmung der Milchsekretion in
der Schwangerschaft, aber wiederum durch die Steroidhormone, gele-
gentlich Vormilch, kein pathologischer Wert, jedoch sollten stimulie-
rende Behandlungen vermieden werden.
3. Mit Geburt der Plazenta abrupter Abfall der plazentaren Steroidhor-
monkonzentration im Blut und dadurch Auslösung der Milchsekre-
tion in den Drüsenzellen (Galaktogenese); Saugreflex des Neugebo-
renen unterstützt, bis die klinische Wirkung des Prolaktins ab Tag 3
einsetzt.
4. Die Galaktopoese bedeutet die Aufrechterhaltung der bestehenden
Laktation, hierzu am wichtigsten ist der Saugreiz an der Brustdrüse,
der in der Hypophyse die Prolaktinproduktion im Vorderlappen auf-
rechterhält sowie eine Oxytocinausschüttung aus dem Hinterlappen
bewirkt.
5. Letzteres Hormon (Oxytocin) ist für den Milchfluss, die Galaktokine-
se durch Kontraktion der Myoepithelien der Alveolarwand sowie der
feineren Milchgänge in der Brustdrüse verantwortlich. Nebeneffekt
der Oxytocinausschüttung sind Kontraktionen des Myometriums, die
der Rückbildung dienen.

Zusammensetzung der Milch:


4 Tag 1–3 Kolostrum (eiweißreich)
4 Tag 4–14 Übergangsmilch
4 Ab Tag 15 reife Frauenmilch (4 g Fett/100 ml) mit durchschnittlich
700 ml Produktion pro Tag

Die Wiederaufnahme der Ovarialfunktion hängt von der Wechselbezie-


hung zwischen HVL-Zwischenhirnsystem und Ovarien ab. Eine Laktati-
onsamenorrhoe besteht durch Prolaktinspiegel, der den hypophysär-ovari-
ellen Regelkreis hemmt – abhängig von Stillfrequenz höherer Spiegel. Bei
abnehmendem Stillen kehren Ovulation und Menstruation wieder. Den-
noch sind auch während des Stillens Ovulationen und Regelblutungen
möglich und das Stillen allein stellt keinen ausreichenden Empfängnis-
schutz dar.
218 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 14.3.2 Betreuung der Wöchnerin

Die klinische Visite im Wochenbett dient der Überwachung physiologisch


ablaufender Rückbildungsprozesse. Bevor die Patientin aus der stationären
Betreuung entlassen wird, sollten Fragen nach Schmerzen, Nachwehen,
Miktion, Stuhlgang, Wundheilung ebenso wie die Abschlussuntersuchung
einen unauffälligen Befund ergeben. In der Akte werden Puls, Temperatur,
Uterusstand und Lochien dokumentiert.
> Memo Falls die Blutgruppe der Mutter Rhesus-negativ ist, muss die
kindliche Blutgruppe bestimmt und dokumentiert werden und zeitnah
eine Rhesus-Prophylaxe im Fall einer Rh-positiven kindlichen Blutgruppe
verabreicht werden.

Temperatur im Wochenbett
Normwerte:
4 normal 36,5–37,0°C axillär
4 subfebril 37,1–37,9°C
4 Ab 38,0°C spricht man von Fieber im Wochenbett.

Obstetrisch ursächlich sind:


4 Puerperalfieber aufgrund infizierter Geburtsverletzung mit Keimaszen-
sion und folgender Endometritis, Endomyometritis, Salpingitis, Pelveo-
peritonitis, Parametritis bis hin zur schweren Puerperalsepsis
4 Weitere Ursachen können ein Harnweginfekt ggf. mit Pyelonephritis
sein, auch eine Thrombophlebitis kann als Leitsymptom Fieber bieten,
ebenso die tiefe Bein-/Beckenvenen-Thrombose, Sinusvenenthrom-
bose.
4 An der Brust kann ein Milchstau, ebenso eine beginnende Mastitis ur-
sächlich für Fieber oder Temperaturerhöhung sein.
4 Die infizierte Sectiowunde muss als Ursache ausgeschlossen werden.
! Cave Die klinische Untersuchung einer fiebernden Wöchnerin ist
14 unabdingbar.

Typisch ist die Temperatursteigerung am Nachmittag oder Abend, daher


müssen Routinemessungen nicht nur morgens, sondern v.a. nachmittags
und abends erfolgen.

Fundusstandkontrolle
Der Höhenstand des Uterus ist abhängig von Faktoren wie:
4 Größe des Kindes
4 Mehrlinge
4 Hydramnion
4 lange Geburtsdauer
4 Erst-/Mehrgebärende
4 Sectio (häufig verzögertes Tiefertreten des Fundus)
4 Plazenta/Eihautreste
4 Lochialstau
4 Unfähigkeit zu stillen (Stillen wäre rückbildungsfördernd)
14.3 · Wochenbett
219 14

Häufigste Gründe für einen zu hohen Fundusstand sind volle Blase und Eigene Notizen
Involutionsstörung.

Stillen
Muttermilch ist die natürliche und beste Ernährung für das Neugeborene
mit idealer Zusammensetzung von Eiweiß, Fett, Kohlenhydraten und Sal-
zen, die durch keine künstliche Ernährung erreicht werden kann.
Die Vorteile liegen in niedrigerer Infektanfälligkeit gestillter Kinder,
insbesondere bzgl. Darminfektionen, Dermatitiden, Rhinitiden, chro-
nisch-pulmonaler Infekte und Allergien. Risikominderung von Autoim-
munerkrankungen. Voraussetzung ist die Stillbereitschaft der Mutter, Be-
treuung und Beratung durch die nachsorgende Hebamme.

Nachsorge
Im unauffälligen Wochenbettverlauf erfolgt die Nachsorge nach Entlassung
aus der Geburtsklinik durch eine Hebamme. Diese ist in Deutschland ge-
setzlich verankert (Kostenübernahme durch die Krankenkassen). Eine
gynäkologische Nachuntersuchung erfolgt 6–8 Wochen nach der Entbin-
dung beim betreuenden Gynäkologen.

14.3.3 Pathologie im Wochenbett

Puerperalfieber
Ätiologie
Ursächlich für Kindbett- oder Wochenbettfieber ist eine Infektion im Be-
reich der Geburtswege: Ausgehend von einer Verletzung im Dammbereich
(insbesondere höhergradige Dammrisse), der Zervix, einer Episiotomie ge-
langen Keime in den mütterlichen Organismus. Von dieser Pathogenese
abzugrenzen ist das Fieber im Wochenbett, das auf verschiedenen Prozessen
beruhen kann, wie Harnweginfekt, Pyelonephritis, Mastitis etc.
Erreger des Puerperalfiebers sind anaerobe (Bacteroides, Clostridien,
Peptostreptokokken) und aerobe Keime (E. coli, Klebsiellen, Strepto- und
Staphylokokken); meist liegen Mischinfektionen vor.

Historie
Das Kindbettfieber wurde bereits von Hippokrates und Galen erwähnt, mit
Einrichtung der Geburtshäuser und Beginn der studentischen Ausbildung
am Krankenbett explodierte die Inzidenz des Kindbettfiebers und die ma-
ternale Sterblichkeit im Wochenbett, wie den Berichten aus dem »Hotel
Dieu, Paris«, dem ältesten Gebärhaus der Welt eindrücklich zu entnehmen
ist. Ignaz Philip Semmelweis (1818–1865) hat aufgezeigt, dass das Kindbett-
fieber durch übertragene Keime und damit hervorgerufene Infektionen
verursacht wird und führte die Hände- und Instrumentendesinfektion (da-
mals Chlorwaschung) ein. Diese Maßnahme senkte die Müttersterblichkeit
von 12% auf etwa 1%. Erst als die bakteriologischen Untersuchungen von
Pasteur und Lister die Semmelweis‘sche Lehre bestätigten, erlangte er die
verdient Anerkennung.
220 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen Infizierte Geburtsverletzung


Auch sorgfältig versorgte Geburtsverletzungen können zu einem lokalen
Infektionsherd werden, der genähte Dammriss ebenso wie die Episiotomie,
insbesondere tiefe Verletzungen mit Hämatombildung. Eine Infektion ist
insgesamt relativ selten, Risse und Nähte heilen in der Regel innerhalb we-
niger Tage symptomlos.

Klinik
Infektionen mit ödematöser Schwellung, Rötung der Wundränder, sich öff-
nende Nähte, klaffende Wunde, Wundflächen mit typisch schmierig, grün-
lich-schmutzigem Belag. Schmerzen (!)

Therapie
4 Vorlagen mit Rivanol- oder Octenisept
4 ggf. Entfernen einzelner Fäden (Vorteil der nicht komplett einfädig ge-
nähten Episiotomie)
4 nach Abfließen von gestautem Wundsekret rasche Besserung
4 ggf. Sitzbäder mit Tanolact
4 Sekundärheilung abwarten, bei großen klaffenden Wunden ist eine Se-
kundärnaht (erst bei reizlosen Wundrändern) sinnvoll.

Endometritis puerperalis
Hervorgerufen durch einen Aufstau des Wochenflusses, der zusammen mit
einer Keimaszension in den Bereich der Plazentahaftstelle eine Entzündung
derselben und des Endometriums zur Folge hat. Die Infektion kann sich
auch tiefer in das Myometrium ausbreiten, das dann im Sinne einer Endo-
myometritis mitbetroffen ist (Kap. 1).

Klinik
4 Auffällig ist oft primär der übel riechende Wochenfluss, der von subfe-
brilen Temperaturen und einer schlechten Uterusrückbildung mit ho-
14 hem Fundusstand begleitet wird.
4 Typisch ist der Uterusdruckschmerz, insbesondere im Bereich der Ute-
ruskanten.
4 Die Blutungen sind eher zu wenig wegen des Lochialstaus
4 Stirnkopfschmerz

Therapie
Zur lokalen »mechanischen« Therapie werden Kontraktionsmittel (meist
Oxytocininfusion) in Kombination mit Spasmolytika zur Relaxierung des
Zervikalkanals verabreicht in Kombination mit einer Antibiose, die vor
einer Erweiterung der lokalen Infektion schützen soll. Jede lokal begrenzte
Wochenbettinfektion kann eine Vorstufe der Puerperalsepsis sein, insbe-
sondere der reduzierte Allgemeinzustand einer Wöchnerin (Erschöpfung
nach protrahierter Geburt), ein hoher Blutverlust oder operative Eingriffe
sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Puerperalsepsis.
14.3 · Wochenbett
221 14

Puerperalsepsis Eigene Notizen

Definition und Epidemiologie


Schwerste Form der bakteriellen Infektion im Wochenbett, ausgelöst durch
eine Infektion im Bereich der Geburtswege (Episiotomie, Dammriss, Endo-
metrium). Die mütterliche Sterblichkeit aufgrund der Puerperalsepsis liegt
in Deutschland bei 1:100000 Geburten, in England bei 0,85, in den USA
bei13 und in Schweden bei 22:100000 Geburten.
Meist tritt sie als Einzelereignis auf, sollten mehrere Krankheitsfälle in
kurzer Zeit auftreten, so muss das Personal als Infektionsquelle ausge-
schlossen werden.

Ätiologie
Das traumatisierte Gewebe bietet den pathogenen Keimen (meist aus dem
kontaminierten Vaginalbereich) ideale Wachstumsbedingungen, sodass di-
ese lokale Infektion als Ausgangsort zur Einschwemmung der Keime in den
mütterlichen Organismus dient. Über kontinuierliche Ausbreitung, Lymph-
oder Blutbahn werden binnen kurzer Zeit sämtliche Organe involviert
und infiziert. Insbesondere die Virulenz der Erreger und ihre Toxine
(Hämolysine) lösen die klinischen Krankheitszeichen aus, die bis zum
Schock reichen.
Gefürchtetster und wichtigster Erreger ist Streptococcus pyogenes
(Gruppe A), der für die meisten Todesfälle durch Puerperalsepsis verant-
wortlich ist. Weitere Keime sind Streptokokken (Gruppe G oder Str. pneu-
moniae) sowie Staphylokokken, Anaerobier, Darmbakterien wie E. coli
und andere.

Verlauf und Klinik


Durch den Entzündungsprozess kommt es zur Freisetzung von proin-
flammatorischen und thrombophilen Faktoren, Zytokine bewirken eine
Gefäßwandveränderungen, sowohl im lokalen Infektionsherd wie auch sys-
temisch durch die Streuung bei Bakteriämie. Die Herabsetzung der Fibri-
nolyse sowie der Anstieg des Tissue Factors begünstigen beide die Bildung
von Thrombin, sodass erneut die Thrombenbildung verstärkt wird. In der
Folge kommt es zu Schädigung vitaler Organe und Gewebsuntergang. Mit
der Endstrecke der disseminierten Bildung von Mikrothromben kommt es
im septischen Schock durch das Organversagen zum Tod (s.a. Lehrbücher
Innere, Anästhesie und Infektiologie).
Streptokokken der Gruppe A bilden je nach Typ das M-Protein (Viru-
lenzfaktor), ebenso sind die Endotoxine, Streptolysin und Streptokinase
für die Aggressivität des Verlaufs verantwortlich.
Das frühe klinische Bild täuscht mit nicht dramatisch erhöhter Tempe-
ratur über die Schwere der Infektion hinweg – typisch sind kurz erhöhte
oder unveränderte Körpertemperaturen. Die Patientin ist müde, erschöpft,
gibt ein diffuses Krankheitsgefühl an, intestinale Symptome können vor-
handen sein. Die Laborparameter sind mit auffälligem CRP und einer Leu-
kozytose (die fehlen kann) verändert. Die Beschwerden sind nicht so gra-
vierend wie das Krankheitsbild, deshalb muss jede febrile Temperatur, aber
222 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen auch der geschilderte Allgemeinzustand, ernst genommen werden und an
eine beginnende Sepsis gedacht werden!
Im weiteren Verlauf kommt es durch die massive Erregerausbreitung
zu diffusen Schmerzen im Abdominalbereich mit Symptomen wie Erbre-
chen oder Diarrhoen, analgetische Medikamente wirken typischerweise
nur kurz. ! Cave Forensisch ist es wichtig, dass Patientin ärztlich gesehen
wurde. Die Patientin beklagt Glieder- und Kopfschmerzen, ein nun schwe-
res Krankheitsgefühl und wird dyspnoeisch, es kann sich eine Akrozynose
einstellen, die Temperatur steigt an, ggf. zeigt sich auch eine Hypothermie.
Im Labor sind nun Zeichen der Gerinnungsstörung, eine Leukopenie und
massiv erhöhtes CRP zu sehen. Die Oligo-/Anurie ist das klinische Korre-
lat zum Nierenversagen, es kommt zum Schock mit Hypotonie, Tachykar-
die und Tachypnoe mit respiratorischer Insuffizienz, das klinische Vollbild
der Sepsis ist gegeben.

Diagnostik
! Cave Jede auffällige Patientin im Wochenbett muss klinisch untersucht
werden. Dazu gehört die körperliche wie die gynäkologische Untersuchung,
an die seltene, aber dramatische A-Streptokokkensepsis muss gedacht
werden!
Eine Erregerisolierung aus Abstrichen von Dammriss, Naht, Zervix
und Blutkulturen sollte vor Beginn der Antibiose unbedingt angestrebt
werden. Es stehen Schnelltests für A-Streptokokken zur Verfügung, ein
genereller Einsatz in der Geburtshilfe erfolgt bis dahin nicht, die Antikör-
perdiagnostik für Streptolysin hilft bei fehlgeschlagenem Erregernach-
weis.
Labordiagnostik:
4 Blutbild mit Leukozyten, Thrombozyten, Hb, im Verlauf oft Absenken
der evtl. initialen Leukozytose, Kontrolle ggf. auch innerhalb von
Stunden.
4 Differenzialblutbild zeigt eine Linksverschiebung
14 4 CRP ist massiv erhöht, wichtig ist der Verlauf und die Dynamik, eine
Fehlinterpretation nach Geburt/Sectio wird dadurch vermieden
4 Gerinnungskontrolle: Durch die disseminierte intravasale Gerinnung
(DIC) hohe Letalität, bestimmt wird neben den Standardtests auch das
AT-III, typischerweise starker Abfall bei Sepsis.

Therapie
! Cave Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geburtsmedizin, Anästhe-
sie, Intensivmedizin und Mikrobiologie ist absolut erforderlich.
Je fulminanter der Verlauf ist, desto ausgedehnter und intensiver muss
die antibiotische Therapie erfolgen. Standardkombination ist Cephalospo-
rin (2. oder 3. Generation) in Kombination mit Metronidazol und Amino-
glykosid. Alternativ wird eine Monotherapie mit Meronem oder Imipenem
eingesetzt. Wichtig ist die Miterfassung der A-Streptokokken bei noch un-
bekanntem Erregerstatus. Falls dieser gesichert ist, so ist die Therapie der
Wahl der A-Streptokokken hochdosiertes Penicillin G, alternativ Cephalo-
sporine oder Erythromycin.
14.3 · Wochenbett
223 14

Die Patientin muss auf der Intensivstation betreut und engmaschig Eigene Notizen
überwacht werden (Kontrolle Temperatur, Atmung, Blutdruck, Ausschei-
dung, Labor: Blutgase, Elektrolyte, Kreatinin, Thrombozyten, Blutgerin-
nung etc.), venöse Infusionsmöglichkeiten möglichst über ZVK (inklusive
ZVD-Messung),
Chirurgische Intervention: Falls sich der klinische Zustand nicht bes-
sert oder gar verschlechtert, muss über eine Entfernung des primären In-
fektionsherdes eine Hysterektomie erwogen werden. Bei der A-Streptokok-
kensepsis liegt eine Multiorganerkrankung vor, sodass es auch Argumente
zum konservativen Vorgehen gibt. Die Indikation ergibt sich aus dem kli-
nischen Verlauf, der interdisziplinären Beratung und der Verantwortung
bzw. Erfahrung des behandelnden Geburtshelfers.

Komplikationen
Versagen einzelner Organe:
4 Niereninsuffizienz mit Folge Dialyse
4 Kardiorespiratorische Insuffizienz mit Folge Beatmung, pulmonale
Komplikationen sind oft im letalen Verlauf sehr schwer.
4 Gehirnblutung, Enzephalitis mit schlechter Langzeitprognose
4 Extremitätenverlust, großflächige Nekrosen
4 Gesamtletalität 20–60%

Blutungen im Wochenbett
Tagen bis Wochen nach Entbindung auftretende Blutung, die nicht den ty-
pischen Lochien entspricht.

Ätiologie
Ursachen sind:
4 Plazentareste oder -polypen im Cavum uteri
4 Endometritis puerperalis (verursacht zwei Drittel der postpartalen Blu-
tungen)
4 Funktionelle Ursachen
4 Selten geburtstraumatische Blutungen im Wochenbett

Plazentarest
Nach unvollständiger Plazentalösung, Leitsymptom Blutung ex utero, Poly-
pen durch Kontraktionen oft bei Spekulumeinstellung im Zervixkanal
sichtbar. Meist überraschend einsetzende Blutung, nicht selten stark und
bedrohlich blutend, Kontraktionsmittel ohne Effekt.
Komplikation ist die Infektion des Plazentarests und konsekutive
Endomyometritis.

Therapie
Operative Entfernung unter antibiotischem Schutz und wegen Perforations-
gefahr unter sonografischer Kontrolle. Ausnahmslos histologische Untersu-
chung, um Differenzialdiagnose Trophoblasttumor auszuschließen.
224 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen Prophylaxe


Sorgfältige Inspektion der Plazenta nach jeder Geburt.

Puerperale Endometritis
Zweithäufigste Ursache, überwiegend schwache Blutung, Therapie s. oben.

Funktionelle Blutungen im Wochenbett


Meist Blutungen als Folge einer glandulären Hyperplasie, typisch für ano-
vulatorische Zyklen im Wochenbett.

Geburtstraumatische Blutungen im Wochenbett


Falls Risswunden nach der Geburt übersehen oder nicht erkannt wurden,
typisch: Zervixrisse, stille Uterusruptur, infra- oder supralevatorielle Blu-
tungsquellen.

Symphysenschaden

Ätiologie und Klinik


Symphysenspalt ist physiologischerweise in der Schwangerschaft auf 7–
10 mm erweitert. In der Schwangerschaft und sub partu ist die Läsion mög-
lich. Typisch sind belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Symphy-
senfuge. Symphysenlockerung bis -zerreißung. Ursächlich ist meist eine
traumatische Geburt (Missverhältnis, schwere Zangenentwicklung), heute
sehr selten.

Therapie
Körperliche Schonung, Analgesie, ggf. Stützgürtel, orthopädische Nachbe-
handlung/-betreuung.

Mastitis puerperalis

Definition und Ätiologie


14
Brustentzündung im Wochenbett. 1% der Wöchnerinnen, in 95% in den
ersten 12 Wochen nach Entbindung, in 90% Infektion durch Staphylococ-
cus aureus haemolyticus verursacht, sonst Staph. epidermis, Streptokokken,
E. coli, Mischinfektionen.
Hauptweg der Übertragung ist der Nasen-Rachenraum des Pflegeper-
sonals (!!), der Mutter und des Kindes auf die Brustwarze. Infektion durch
Lochien spielt heute eine untergeordnete Rolle (nur in 2% sind in Lochien
hämolysierende Staphylokokken vorhanden).
Meist kommt es zur interstitiellen Ausbreitung durch über Rhagaden
oder Schrunden an der Mamille eingedrungene Keime, seltener findet sich
der kanalikuläre Infektionsweg, ausgehend von einer entzündeten Brust-
warze.
Ob lymphogen-interstitiell oder intrakanalikulärer Infektionsweg als
Entstehungsmodus gegeben ist, ist klinisch von untergeordneter Bedeu-
tung, da beide Formen im fortgeschrittenen Stadium ineinander übergehen.
Meist einseitig, typischerweise ist der obere äußere Quadrant betroffen.
14.4 · Das Neugeborene
225 14
Klinik Eigene Notizen
Lokale schmerzhafte umschriebene Stelle, Fieber, Rötung oft erst 12–14 h
nach Schmerz- und Fieberbeginn, verbunden mit Lymphangitis. Ausge-
prägtes Krankheitsgefühl, nicht selten hohes Fieber. Erfasst man die Masti-
tis nicht in der Frühphase, kann es zur Infiltration und Abszedierung kom-
men, im Verlauf 2–3 Tage an geröteter schmerzender Stelle, nach mehreren
Tagen Einschmelzung und Fluktuation.

Therapie
4 Schonung, Ruhe, stationäre Aufnahme, Analgesie!
4 Ausreichende Flüssigkeitssubstitution
4 Brust optimal entleeren (Stillschwester, Hebamme), Ruhigstellung der
Brust und Kühlung
4 Frühzeitiger Einsatz der Antibiose (Cephazolin, Flucloxacillin, Cla-
rithromycin etc.), um Abszessbildung zu reduzieren.
4 Abstillen bei Mastitis ist umstritten, in Frühstadien nicht empfohlen.
! Cave Beidseitige Mastitis: aggressivere Erreger zu vermuten.

Komplikation
4 Abszessbildung in der Brust:
5 Therapie: Chirurgische Inzision ggf. mit Gegeninzision, täglich
Spülung, Ausgranulation der Abszesshöhle.
5 Alternative ist die Punktion unter sonografischer Kontrolle (verhin-
dert in über zwei Dritteln der Fälle die operative Therapie)
5 Abstillen ist nicht erforderlich!

14.4 Das Neugeborene

S. Trepels-Kottek

14.4.1 Gesundes, reifes Neugeborenes

Das reife, gesunde Neugeborene wird zwischen 37 0/7 und 41 6/7 Schwan-
gerschaftswochen geboren. Normale Geburtsgewichte liegen zwischen
3000 g und 3500 g, jedoch abhängig von Geschlecht, Gestationsalter und
ethnischer Herkunft sehen wir eine größere Spanne zwischen 2500 g und
4200 g. Wenn das Gewicht im Bereich der 10. bis 90. Perzentile liegt, wird
das Kind als AGA-Neugeborenes bezeichnet (appropriate for gestational
age). Der Kopfumfang beträgt etwa 34 cm und die Länge 50 cm. Die Herz-
frequenz variiert zwischen 100–180/min und bei Aufregung, z.B. Hunger,
auch bis zu 220/min. Es atmet 40- bis 60-mal pro Minute.
226 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 14.4.2 Vorgeburtliche Anamnese


(Schwangerschaft und Mutter)

4 Reifealter des Kindes/errechneter Geburtstermin


4 Blutgruppe (ABO- oder Rhesusinkompatibilität)
4 HBs-Antigenstatus der Mutter (ggf. Simultanimpfung gegen Hepatitis B)
4 Aktuelle und frühere Erkrankungen der Mutter (Infektparameter, Fie-
ber, Leukozytose, B-Streptokokken im Vaginalabstrich)
4 Frühere Schwangerschaften (Anzahl, Komplikationen, Blutgruppen-
Inkompatibilitäten)
4 Komplikationen der aktuellen Schwangerschaft (z.B. Infektionen
[TORCH], Blutungen, Plazentainsuffizienz)
4 Einnahme von Drogen und Medikamenten
4 Vorzeitiger Blasensprung

14.4.3 Umstellungsvorgänge intrauterin → extrauterin

4 Lunge: flüssigkeitsgefüllt, hoher pulmonal-arterieller Widerstand, we-


nige Atemzüge → luftgefüllt, Abfall des pulmonal-arteriellen Widerstan-
des, regelmäßige Atmung
4 Herz-Kreislauf: Foramen ovale und Ductus arteriosus sind offen, 10%
HZV fließt durch die Lunge → funktioneller Verschluss Foramen ovale
und Ductus arteriosus, 100% HZV fließt durch die Lunge
4 Peripher-arterieller Widerstand: Anstieg durch Abklemmen der Nabel-
schnur
4 Thermoregulation: keine eigene Thermoregulation → Gefahr des Wär-
meverlusts durch Strahlung, Konvektion und Verdunstung
4 Sympathisches Nervensystem: gedämpfte Geräusche, relative Dunkel-
heit, »im Wasser schwimmend« → laute Geräusche, Helligkeit und
Schwerkraft
14 4 Ernährung: kontinuierlich über die Plazenta → enterale Nahrungs-
aufnahme mit Koordination von Saugen, Schlucken und Verdauen

14.4.4 APGAR

4 Einführung 1952 durch Virginia Apgar (1909–1974), Anästhesistin (◉


Tabelle)
4 Beurteilung von 5 Kriterien 1, 5 und 10 min nach der Geburt
4 Beurteilung des klinischen Zustandes und der Effektivität von Reanima-
tionsmaßnahmen beim reifen Neugeborenen, nicht übertragbar auf
Frühgeborene
4 Einleitung entsprechender Maßnahmen bei einem Wert <7
4 Prädiktiver Wert für Spätschäden sind die Ergebnisse nach 5 und
10 min
14.4 · Das Neugeborene
227 14

. Tab. 14.1 APGAR-Werte Eigene Notizen

Parameter 0 1 2

Atmung Keine Unregelmäßig Regelmäßig

Puls Nicht vorhanden <100/min >100/min

Grundtonus Schlaff Leichte Beugung der Aktive Beugung der


Extremitäten Extremitäten

Aussehen Blass oder Stamm rosig, peripher Komplett rosig


zyanotisch zyanotisch

Reflexe Keine Grimassieren Kräftiges Schreien

14.4.5 Erstversorgung bei unkomplizierter Anpassung


des Neugeborenen

4 Abtrocknen, stimulieren durch taktile Reize und warm halten ( ! Cave


Zugluft!)
4 Beurteilung von Atmung und Herzfrequenz
4 Ausreichende taktile Stimulation, falls die Atmung nicht suffizient ist
oder die Herzfrequenz <100/min ist
4 Absaugen, falls Sekret den Nasen- und/oder Rachenraum verlegt
4 Immer absaugen, bevor eine Atemhilfe (Beutelbeatmung, Blähmanö-
ver) eingesetzt werden muss. Immer erst oral den Rachen absaugen,
dann erst, wenn es noch notwendig sein sollte, nasal absaugen
4 Abnabeln und Kontrolle der 3 Nabelschnurgefäße (2 Arterien und
1 Vene)

14.4.6 Reanimationsmaßnahmen

4 Alle Geburtseinrichtungen müssen die Kompetenz besitzen, jederzeit


kompetent die Reanimation eines Neugeborenen durchführen zu kön-
nen. Risikoschwangere sollten in ein Zentrum verlegt werden (drohende
Frühgeburt, Mehrlinge, Gestationsdiabetes…)
4 Vorhandensein/Funktionieren des notwendigen Equipments, da es
auch nach unkomplizierter Schwangerschaft zu unvorhergesehenen
Komplikationen kommen kann:
5 Reanimationsplatz mit Wärmelampe, Licht, vorgewärmte Hand-
tücher
5 Pulsoxymetriegerät
5 O2-Anschluss
5 Absaugmöglichkeit (z.B. elektrisch mit Druckbegrenzung,
Sog – 0,2 bar)
5 Neugeborenenbeatmungsbeutel mit Druckbegrenzung auf 30–
35 cm H2O
5 Entsprechende Masken Größe 0–2 (rund und durchsichtig)
228 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 5 Laryngoskop mit Spatel Größe 0 und 1 (gerade und gebogen)
5 Magillzange und Führungsstab
5 Trachealtuben Größe 2.0, 2.5, 3.0 und 3.5
5 Stethoskop
4 Neugeborenen-Reanimation auf Grundlage der ERC-Leitlinien zum
»Newborn Life Support« 2010:
5 Abtrocknen und Warmhalten des Neugeborenen; Uhr starten
5 Kontrolle von Atmung und Herzfrequenz
5 Wenn das Neugeborene stöhnt oder nicht atmet → Freimachen der
Atemwege; 5 Beatmungen, SaO2-Monitoring
5 Reevaluation, Ausbleiben des Anstiegs der Herzfrequenz; ! Cave:
Thoraxbewegungen:
5 → Keine ausreichende Thoraxbewegung → Kontrolle der Kopfposi-
tion bei Beatmung, Korrektur der Kopfposition (nicht überstre-
cken!), Hilfe durch eine weitere Person, Erwägen einer alternativen
Atemunterstützung (Rachentubus, Larynxmaske), Wiederholen der
Beatmungen, SPO2-Monitoring, Beurteilung des Erfolgs
5 → Wenn Thoraxexkursion vorhanden, die Beatmung also suffizient
ist, Herzfrequenz aber weiterhin <60/min: Beginn der Herzdruck-
massage im Verhältnis 3:1 (kardiale Kompression:Beatmung)
5 Reevaluation von Herzfrequenz und Atmung alle 30 s. Wenn Herz-
frequenz nicht festzustellen ist oder <60/min → Erwägen von Medi-
kamentengabe, z.B. Suprarenin 0,01 mg/kg
4 Der/die verantwortliche Arzt/Ärztin sollte sich zu jeder Zeit fragen, ob
es sinnvoll und notwendig ist, Hilfe anzufordern (Neonatologischer In-
tensivtransport).
4 ! Cave Maskenbeatmung unter Raumluft, keine routinemäßige O2-
Gabe.
4 Nach erfolgter Intubation erfolgt die Herzdruckmassage ohne Unter-
brechung: kontinuierliche Beatmung und durchgehende Herzdruck-
massage.
14 4 Akzeptable präduktale Sauerstoffsättigungswerte bei suffizienter At-
mung und ausreichender Herzfrequenz sind wie folgt:
5 2 min 60%
5 3 min 70%
5 4 min 80%
5 5 min 85%
5 10 min 90%

14.4.7 pH und BE

4 Als Ergänzung zu APGAR-Score und klinischer Untersuchung dient die


Blutentnahme aus der Nabelarterie zur Bestimmung des pH und des
Basendefizits.
5 Normwertig zwischen pH von 7,22 und 7,42
5 Bei pH zwischen 7,1 und 7,2 sollte, soweit sich das Kind in klinisch
unauffälligem Zustand befindet, eine Kontrolle innerhalb 1 h erfolgen.
14.4 · Das Neugeborene
229 14

5 pH-Werte <7,1 erfordern eine sofortige Kontrolle der Blutgasanaly- Eigene Notizen
se und eine weitere engmaschige klinische Überwachung des Kin-
des (Blutdruck, Blutzucker, Puls, Atmung und Temperatur) bis zur
Normalisierung.
4 Weitere notwendige Blutentnahme beim Neugeborenen sind Blutzu-
ckermessungen beim Vorliegen von:
5 Hypo- oder Hypertrophie des Neugeborenen; mütterlichem (Gesta-
tions-)Diabetes
5 Kontrollen erfolgen ca. 0,5, 1, 2, 4, 8, 12 und 24 h post partum
5 Unabhängig von der Zeit, wenn das Neugeborene zittrig ist
4 Wichtig ist, dass keine Blutuntersuchung, z.B. C-reaktives Protein oder
Interleukin-6, eine suffiziente Überwachung des klinischen Zustandes
des Kindes ersetzen kann. Sinnvoll ist es, bei einer potenziellen Gefähr-
dung des Kindes, wie mütterlichen Infektzeichen (CRP-Erhöhung, Fie-
ber) oder fetaler unklarer Tachykardie, das Kind mittels Messung von
Puls, Atmung und Temperatur regelmäßig zu überwachen und eine
ärztliche Untersuchung zu veranlassen, falls die Werte außerhalb des
Normbereichs liegen. Normwerte sind:
5 Atmung 40–60/min
5 Herzfrequenz 120–180/min
5 Temperatur 36,5–37,5°C

14.4.8 Erstuntersuchung

4 Nach der Geburt findet die erste Vorsorgeuntersuchung des Kindes


statt: U1 (gelbes Untersuchungsheft).
4 Untersuchungsmodalitäten:
5 Das Kind sollte vollständig entkleidet sein
5 Ausreichende Helligkeit, jedoch ohne das Kind zu blenden
5 Warme Umgebung
4 Folgende, bereits erhobene Daten werden zur U1 dokumentiert:
5 Daten zur Schwangerschaft (Alter der Mutter, Anzahl der Schwan-
gerschaften und Schwangerschaftsrisiken gemäß dem Risikokatalog
im Untersuchungsheft)
5 Einzelheiten zur Geburt (z.B. Modus)
5 Körpermaße des Kindes mit Eintrag der Werte in die Perzentilen-
kurven
5 APGAR-Score und Nabelarterien-pH

Ganzkörperuntersuchung des Neugeborenen


(u.a. Detektion von Fehlbildungen)
4 Haut:
5 Kolorit, Hautbeschaffenheit, Turgor
5 Neugeborenenexanthem
5 »Storchenbiss«, Naevus simplex, eine angeborene Teleangiektasie,
symmetrisch im Gesicht (meist bis zum 3. Lebensjahr nicht mehr
nachweisbar) oder im Nacken (persistieren häufig)
230 Kapitel 14 · Geburt

Eigene Notizen 4 Kopf:


5 Fontanellenspannung
5 Kopfumfang mit Perzentilenkurven (Mikro-/Makrozephalus)
5 Kephalhämatom (durch Schädelnähte begrenzt, persistiert oft über
mehrere Wochen)
5 Caput succedaneum: teigige Schwellung, nicht durch Schädelnähte
begrenzt, meist nach wenigen Tagen resorbiert
5 Inspektion der Gehörgange und der Augen
5 Brückner Durchleuchtungstest (zum Ausschluss Katarakt, Glaskör-
pertrübung, Hornhauttrübung)
5 Ausschluss Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte ( ! Cave Vagusreiz)
4 Thorax:
5 Ausschluss einer Klavikulafraktur
5 Plexuslähmung
5 Thoraxform symmetrisch
5 Atemexkursion
5 Auskultation von Herz und Lunge
4 Abdomen:
5 Pathologische Resistenzen, Organomegalie
5 Nabelschnuransatz (Omphalozele?)
5 Nabelschnurgefäße (2 Arterien und 1 Vene)
4 Rücken:
5 Anhalt für Spina bifida, Sakralgrübchen
4 Genitale:
5 Geschlechtsbestimmung
5 Sind die Hoden deszendiert bzw. bedecken die großen die kleinen
Labien?
5 Hypospadie oder Hymenalatresie
5 Ist der Anus angelegt?
4 Extremitäten:
5 Puls (A. brachialis, A. femoralis)
14 5 Finger und Zehenanzahl
5 Vierfingerfurche, Sandalenlücke
5 Schonhaltung
5 Faltenasymmetrie gluteal als Anhalt für Hüftdysplasie
5 Fußfehlstellungen (Klumpfuß, Sichelfußhaltung)
4 Reifezeichen:
5 Hautbeschaffenheit
5 Ohrform und Ohrfestigkeit
5 Verteilung der Lanugobehaarung
5 Brustdrüsengröße und Brustwarze
5 Fältelung der Haut an den Fußsohlen
4 Neurologie:
5 Muskeltonus
5 Spontanmotorik (symmetrisch)
5 Reflexe (Auswahl): Saugreflex, Greifreflex, Schreitreflex, Galant-
reflex, Moro-Reflex
14.4 · Das Neugeborene
231 14

Wenn die Untersuchung unauffällig ist, können Mutter und Kind der Eigene Notizen
weiteren Wochenbettpflege zugeführt werden. Falls die Mutter nach am-
bulanter Entbindung mit ihrem Kind nach Hause geht, sollte im Rahmen
der U1 auch eine Blutentnahme zum Stoffwechselscreening erfolgen.
Diese muss jedoch erneut im Alter von 36–72 nach der Geburt wiederholt
werden.
233 A–E

Stichwortverzeichnis

Belastungsinkontinenz 57 Clomifen 79, 80


A – Therapie 65 Colitis ulcerosa, Schwangerschaft
Belastungsstörung, posttrauma- 195–197
Abdominalgravidität 106 tische 103 Comifentest 70
Abort 118, 119 Blase Condylomata acuminata 5, 6, 22
– febriler 119 – atone 63 Crohn-Krankheit, Schwanger-
– septischer 119 – überaktive 62, 65 schaft 195, 196
Abortus Blasenentleerungsstörungen 63,
– completus 118 64
– imminens 118 Blasenmole 118
– incipiens 118 Blasenspeicherstörungen 62, 63
D
Abwehrphänomene 102, 103 Blasensprung, vorzeitiger
Achondrogenesie 127, 128 150–153 dead fetus syndrome 155
Achondroplasie 128 Blutung Descensus genitalis 56–62
ACTH-Test 70 – antepartale 211 – Diagnostik 59, 60
Adnexitis 9, 10 – geburtstraumatische 224 – Einteilung 57, 58
Akzeleration 204 – genitale 111, 112 – Inkontinenz 57
Amenorrhoe 74 – – postmenopausale 112–114 – Klinik 58, 59
Aminkolpitis 6 – postpartale 212–214 – lokale Östrogenisierung 61
Amnion 117 – – primäre 212–214 – Therapie 60–62
Amnionflüssigkeit 117 – – sekundäre 214 – – konservative 60, 61
Amnioninfektionssyndrom 158–160 – subpartale 211 – – operative 62
Amniozentese 129 – vaginale, bei Kleinkindern 85 Detrusorhypotonie 63
Androgen-Insensitivität 87 – Wochenbett 223, 224 Diabetes mellitus, Schwanger-
Aorteninsuffizienz 191 Bradykardie, fetale 204 schaft 138, 139
Aortenisthmusstenose 190 Bulbokavernosus-Reflex 59 Diagnostik, endokrine 69, 70
Aortenstenose 191 Doppelballonurethrogramm
– kongenitale 190 64
APGAR 226, 227 Dranginkontinenz 57
Aromataseinhibitoren 79
C – Therapie 65
Arthritis, rheumatoide, Schwanger- Drillinge 130
schaft 194, 195 Carcinoma in situ Ductus arteriosus Botalli, offener
Asynklitismus 202 – duktales 47, 48 190, 226
Athelie 13 – lobuläres 47 Dysmenorrhoe 75, 88
Austreibungsperiode 206, 207 Cerclage 150 Dyspareunie 75
Autoimmunerkrankungen, Chlamydieninfektion, Schwanger-
Schwangerschaft 192–197 schaft 162
Chordozentese 129
Chorioamnionitis 158–160
E
Choriogonadotropin, humanes
B 79 Ebstein-Anomalie 190
Chorion 117 Eihäute 117
Bartholinitis 4 Chorionzottenbiopsie 128, Eileiterschwangerschaft 106
Beckenbodentraining 61 129 Eisenmenger-Syndrom 190

N. Maass, B. Schiessl, Gynäkologie und Geburtshilfe, DOI 10.1007/978-3-642-20410-4,


© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2012
234 Stichwortverzeichnis

Eklampsie 142–146 FSH 79, 81


– Geburt 215 Fundusstandkontrolle 218
H
Ellis-van-Crefeldt-Syndrom 128 Furunkel 4
Embryologie 116, 117 Hängebrust 14
Embryotransfer 81 Harninkontinenz 57
Endometriose 24–26 – extraurethrale 66
Endometritis 8, 9
G – im Alter 66, 67
– akute 8 – neurogene 65
– chronische 8 Galaktopoese 217 – operative Therapie 67
– puerperale 8, 224 Galantreflex 230 – Pharmakotherapie 67
Endometriumhyperplasie 19, 20 Gastroschisis 126 HELLP-Syndrom 142–146
Endometriumkarzinom 28–31 Geburt 200–224 Her-2-neu-Rezeptor 52
– Chemotherapie 30 – Überwachung 203 Herpes
– Diagnostik 29 Geburtsauslösung 200 – genitalis 5
– Hormontherapie 31 Geburtsbeginn 200 – zoster 172
– Nachsorge 31 Geburtsgewicht 225 Herpes-simplex-Infektion 5
– östrogenabhängiges 28 Geburtshilfe, operative 208–211 – Schwangerschaft 174, 175
– östrogenunabhängiges 28 Geburtskanal 201, 202 Herzerkrankungen, Schwanger-
– Pathogenese 28 Geburtsmechanik 201 schaft 187–192
– Radiotherapie 30 Geburtstermin 118, 200 Herzfehler
– Therapie 29–31 Geburtsverlauf 206, 207 – angeborene 123, 124
Endomyometritis 8 Geburtsverletzungen 213 – maternale 190
Entbindung Geburtsweg 201 Herzfrequenzmuster, subpartales
– 7 a. Geburt Geburtswehen 201 204
– bei Herzpatientinnen 189 Gehirnentwicklung 117 HIV-Infektion 166–169
– bei HIV-Infektion 169 Gemini 130–132 – Ätiologie 166
Eröffnungsperiode 206 Genitalblutung 111, 112 – Diagnostik 167
Erysipel 3, 4 – postmenopausale 112–114 – Entbindungsmodus 169
Erythrasma 4, 5 Gestagene 26, 90 – Klinik 166, 167
Extrauteringravidität 106, 107 Gestagentest 69 – Prävention 168
Gestationsdiabetes 135–138 – Schwangerschaft 166–169
Gestationshypertonie 141 – Therapie 167, 168
Gestose 142 HOMA-Index 70
F Glukosetoleranztest, oraler 70 Homeostasis Model Assessment
GnRH-Agonisten 26, 79, 80 Index 70
Fallot-Tetralogie 123, 124 GnRH-Antagonisten 79 Hormonersatztherapie 94, 95
– maternale 190 GnRH-Pumpe 79 Hormonspirale 92
Fehlgeburt 118, 119 GnRH-Test 70 Hydronephrose 125
Fertilisation 81 Gonadeninsuffizienz, hyper- Hypermenorrhoe 74
Fieber, rheumatisches 191 gonadotrope 87 Hyperplasie
Follikelpunktion 81 Gonadotropine 80 – atypische duktale 12
Frauenmilch, reife 217 Gonorrhoe, Schwangerschaft – atypische lobuläre 47
Fruchttod, intrauteriner 153–155 162, 163 Hyperprolaktinämie 13
Frühgeburt 147–150 Gravidität, extrauterine 106, Hyperthyreose, Schwangerschaft
– Ätiologie 147, 148 107 181, 182
– Diagnostik 148, 149 Gregg-Syndrom 176 Hypertonie, schwangerschafts-
– Therapie 149, 150 Greifreflex 230 induzierte 141–146
Frühschwangerschaft 116–119 Gynäkomastie 14, 15 Hypomenorrhoe 74
Stichwortverzeichnis
235 E–N

Hypothyreose, Schwangerschaft Laktogenese 217 Mastitis 11, 12


181, 182 Lichen sclerosus et atrophicus 22, – nonpuerperale 12
Hysterosalpingokontrastsonografie 23 – puerperale 224, 225
78 Linksherzsyndrom, hypoplasti- – rezidivierende 12
sches 124, 125 Mastodynie 13
Lipomastie 14 Mastopathie 12, 13
Listerieninfektion, Schwanger- McCune-Albright-Syndrom 87
I schaft 179 Mehrlingsschwangerschaft 83,
Lochien 216 130–132
Infertilität 78–83 Lues, Schwangerschaft 163–165 Menarche 86
– Basisdiagnostik 78 Lungenödem, Schwangerschaft Meno-Metrorrhagie, juvenile 88
– Therapie 79–83 189 Menopause 94
– Ursachen 78 Lungenreife 117 Menorrhagie 75
Inkontinenz 7 Harninkontinenz – Induktion 149 Metrorrhagie 75
Insemination 80 Lupus erythematodes, Mikroblutuntersuchung 205
Intrauterinpessar 91, 92 systemischer, Schwangerschaft Mikromastie 14
Intrauterintransfusion 130 193, 194 Miktionszystourethrogramm 64
In-vitro-Fertilisation 81 Milchgangspapillom 17
Minipille 90
Mitralinsuffizienz 191
M Mitralstenose 191
K Molenschwangerschaft 118
Malaria, Schwangerschaft 180 Morbus Crohn, Schwangerschaft
Kaiserschnitt 209–211 Mamma 195, 196
Karbunkel 4, 86 – Fehlentwicklungen 13, 14 Moro-Reflex 230
Kardiomyopathie, peripartale 191, – Fibroadenom 15, 16 Müller-Mischtumor 31
192 – Hyperplasie 14 Muttermilch 217, 219
Kardiotokographie 203, 204 – Hypoplasie 14 Mutterschaftsrichtlinien 121
Keimstrangstromatumore 40 – Lipom 17 Myom 18, 19
Keimzelltumore 40 – Zyste 16 – Schwangerschaft 197, 198
Kindbettfieber 219, 220 Mammakarzinom 44–54
Klimakterium 94 – Antihormontherapie 52
Kolostrum 217 – Antikörpertherapie 52
Kolpitis – Chemotherapie 51
N
– bakterielle 6 – des Mannes 53
– mykotische 7 – Diagnostik 46, 47, 49, 50 Nabelschnur 117
Kontrazeption 90–92 – Epidemiologie 44, 45 Nachgeburtsperiode 207
– hormonelle 90, 91 – invasives 48–53 Neisseria gonorrhoeae 162
– mechanische 92 – Palpation 45, 46 Neoplasie
Kopfumfang, Neugeborenes 225 – Psychoonkologie 53 – lobuläre intraepitheliale 47
Kupferspirale 92 – Strahlentherapie 51, 52 – vulväre intraepitheliale 40, 41
– Therapie 48, 50–52 Neugeborenes 225–231
– – operative 50, 51 – Blut-pH 228
Mammatumore, gutartige – Erstuntersuchung 229, 230
L 15–17 – Erstversorgung 227
Mammografie 49 – Reanimation 227, 228
Labiensyneckie 85, 86 Marfan-Syndrom, maternales – reifes 225, 226
Laktation 217 191 – Thermoregulation 226
236 Stichwortverzeichnis

Nierenagenesie 125 Ringelröteln, Schwangerschaft


Nierendysplasie, multizystische
P 169, 170
125 Röteln, Schwangerschaft 175–177
Nierenerkrankungen, Schwanger- Papillomavirus, humanes 5 Rubellasyndrom 176
schaft 182–187 Parvovirus-B19-Infektion,
Nierenversagen, akutes, Schwangerschaft 169, 170
Schwangerschaft 182, 183 Pessar 61
Notfälle Pfropfpräeklampsie 142
S
– gynäkologische 106–114 Placenta praevia 211
– im Kreißsaal 211–216 Plazenta 116 Saugreflex 230
Notfallsectio 210 Plazentalösung, vorzeitige 212 Schilddrüsenentwicklung, fetale
Poland-Syndrom 13 181
Polymastie 13 Schilddrüsenerkrankungen,
Polymenorrhoe 74 Schwangerschaft 181, 182
O Polythelie 13 Schilddrüsenkarzinom, Schwanger-
Präeklampsie 142–146 schaft 181
Oligomenorrhoe 74 Pränataldiagnostik Schreitreflex 230
Omphalozele 126, 127 – invasive 128–130 Schwangerschaft
Osteogenesis imperfecta 128 – sonographische 122, 123 – Chlamydieninfektion 162
Östrogene 90, 117 Progesteron 79, 117 – Colitis ulcerosa 195–197
Ovarialgravidität 106 Prolaktin 217 – Dauer 118
Ovarialinsuffizienz 70–74 PROM 150–153 – Diabetes 135–139
– hyperandrogenämische 70–72 Prune-belly-Megacystis 125 – Gonorhoe 162, 163
– hyperprolaktinämische 73 Psychosomatik, gynäkologische – Herpes-simplex-Virusinfektion
– hypogonadotrope 88 97–103 174, 175
– hypothalamisch-hypogonadale Psychotherapie 99, 100 – Herzerkrankungen 187–192
72 Ptosis mammae 14 – Hypertonie 141–146
– normogonadotrope 87 Pubertas – Infektionen 158–180
– prämature 74 – praecox 87 – Listeriose 179
– primäre 73, 74 – tarda 87 – Lues 163–165
Ovarialkarzinom 36–40 Pubertätsstörungen 86–88 – Malaria 180
– Borderline-Tumore 39, 40 Puerperalfieber 219, 220 – Myom 197, 198
– Diagnostik 37 Puerperalsepsis 221–223 – Nierenerkrankungen 182–187
– Epidemiologie 36 Puerperium 7 Wochenbett – Ringelröteln 169, 170
– Klassifikation 36 Pulmonalstenose 190 – Rötelninfektion 175–177
– Klinik 37 Pulsoxymetrie, fetale 205 – Schilddrüsenerkrankungen
– Rezidiv 38, 39 Pyometra 8 181, 182
– Therapie 37–40 – Streptokokkeninfektion
Ovarialtorsion 107, 108 160–162
Ovarialzyste 20, 21 – Toxoplasmose 177, 178
– bei Neugeborenen 85
R – Varizella-Zoster-Virusinfektion
Ovarialzystenruptur 108, 109 172–174
ovarielles Überstimulations- Reanimation, Neugeborenes 227, – venöse Thromboembolie 139–141
syndrom 82 228 – Zytomegalieinfektion 170–172
Ovulationsinduktion 79, 80 Reflexuntersuchung, Neugeborenes Schwangerschaftsdauer 200
Oxytocin 217 230 Schwangerschaftsvorsorge
Reifezeichen 230 121–132
Reproduktionsmedizin 78–83 – Durchführung 121, 122
Stichwortverzeichnis
237 N–Z

– Ultraschalldiagnostik 122, 123 Transfusion, intrauterine 130 Vestibulitis-Syndrom 23


Sectio caesarea 209–211 Transfusionssyndrom, fetofetales Vierlinge 130
Septumdefekt, atrioventrikulärer 131, 132 Vorhofseptumdefekt 190
124 TRAP-Sequenz 132 Vulva, Atrophie 23
Skelettdysplasien 127, 128 Traumatisierung 103, 104 Vulvakarzinom 40–44
small for gestational age 156–158 Trichomonaden-Kolpitis 7 – Diagnostik 42
Soorkolpitis 7 Tubargravidität 106 – Epidemiologie 41
Spermienextraktion, testikuläre 81 Tuboovarialabszess 109, 110 – Klassifikation 42, 43
Spermieninjektion, intra-zyto- Turner-Syndrom 87 – Klinik 42
plasmatische 81 – Therapie 43
Spermiogramm 78 Vulvektomie 23
Sphincter-ani-Reflex 59 Vulvitis 2–6
Spirale 91, 92
U – bakterielle 3, 4
Sterilisation 92 – mykotische 2, 3
Stillen 217, 219 Übergangsmilch 217 – virale 5, 6
Streptokokkeninfektion, Überstimulationssyndrom, Vulvodynie 23
Schwangerschaft 160–162 ovarielles 82
Streptokokken-Kolpitis 7, 8 Ultraschalldiagnostik, Schwanger-
Stressinkontinenz 57 schaft 122, 123
Struma 181 Urinausscheidung, fetale 117
W
Swyer-Syndrom 87 Urodynamik 64
Syphilis 163–165 Uterus Wachstumsrestriktion, intrauterine
– angeborene 164 – Atonie 213 156–158
– congenita tarda 164 – Leiomyom 18, 19 Wehen 200, 201
– Diagnostik 164, 165 – myomatosus 197 Windpocken, neonatale 173
– erworbene 164 – Rückbildung 215 Wochenbett 215–225
– Schwangerschaft 163–165 Uterusneoplasien, gemischt – Pathologien 219–225
– Therapie 165 mesenchymale 31, 32 – Temperatur 218
Uterusruptur 214, 215
Uterustumore
– gutartige 17–20
T – maligne 28–35
Z
Tachykardie Zangengeburt 208, 209
– fetale 204 Zervikalgravidität 106
– Schwangerschaft 187
V Zervixkarzinom 32–35
Tannerstadien 86 – Chemotherapie 35
TAPS 132 Vaginalblutung, bei Kleinkindern – Diagnostik 33
TESE 81 85 – Epidemiologie 32
Thelitis 10, 11 Vaginalkarzinom 43, 44 – Impfung 32, 33
Thromboembolie, venöse, Vaginose, bakterielle 6 – Klinik 33
Schwangerschaft 139–141 Vakuumextraktion 209 – Radiochemotherapie 35
Thyreoiditis, Schwangerschaft 181, Varizella-Zoster-Immunglobulin 173 – Therapie 34, 35
182 Varizella-Zoster-Virusinfektion, Zwillingsschwangerschaft 130–132
Tinea inguinalis 3 Schwangerschaft 172–174 Zyklusoptimierung 80
Tokolyse, maternale 149 Vena-cava-Kompressionssyndrom Zystoskopie 64, 65
Toxoplasmose, Schwangerschaft 204 Zytomegalieinfektion, Schwanger-
177, 178 Ventrikelseptumdefekt 190 schaft 170–172

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