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Jens Kurreck · Joachim W.

Engels
Friedrich Lottspeich  Hrsg.

Bioanalytik
4. Auflage
Bioanalytik
Jens Kurreck • Joachim W. Engels • Friedrich Lottspeich
Hrsg.

Bioanalytik
4. Auflage
Hrsg.
Jens Kurreck Joachim W. Engels
Institut für Biotechnologie Institut für Organische Chemie
Technische Universität Berlin Goethe Universität Frankfurt
Berlin, Deutschland Frankfurt am Main, Deutschland
Friedrich Lottspeich
Max Planck Institut für Biochemie
Planegg-Martinsried, Deutschland

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ISBN 978-3-662-61706-9    ISBN 978-3-662-61707-6 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6

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Planung: Sarah Koch


Redaktion: Angela Simeon
Zeichnungen: Martin Lay, Breisach

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Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V

Vorwort

Dies ist ein Methodenbuch. Warum aber, mag sich mancher schon bei der ersten Auflage
des Werkes gefragt haben, soll (noch) ein Methodenbuch erscheinen, und – was den Le-
ser mehr interessieren dürfte – warum soll er es kaufen? Dafür können wir mindestens
zwei gute Gründe anführen. Der erste Grund ist erkenntnistheoretischer Natur: Die Me-
thode bestimmt letztendlich den Wahrheitsgehalt der wissenschaftlichen Aussage, die
durch sie gewonnen wurde. Durch die Kenntnis einer Methode, ihrer Potenziale und vor
allem ihrer Limitationen lässt sich also überhaupt erst einschätzen, inwieweit eine Aus-
sage oder eine Theorie (allgemein) gültig ist. Die Weiter- oder Neuentwicklung von Me-
thoden ist demnach ein Weg, um die „vorläufigen Wahrheiten“, die eine experimentelle
Wissenschaft erzeugt, zu erweitern und zu verbessern. Deshalb wurde bei der Konzep-
tion dieses Buches und bei den Ausführungen in den einzelnen Kapiteln größter Wert
darauf gelegt, das Geschriebene kritisch darzustellen und zu durchleuchten, um eine
fundierte Auseinandersetzung des Benutzers mit dem Stoff zu ermöglichen. Das ist un-
seres Erachtens der wichtigste Grund, warum überhaupt Methoden als Lehr- und Lern-
stoff angeboten werden müssen.
Aber nicht nur in der Retrospektive ist die tiefe und breite Kenntnis von Methoden
wichtig. Der zweite Grund ist die Absicht – und hoffentlich auch das erreichte Ziel – die-
ses Buches: Das Kennenlernen und das Verstehen der Methoden, die darin enthalten
sind, leicht und übersichtlich zu gestalten und dieses Buch zum unerlässlichen Werkzeug
des Studenten und des Lehrers zu machen. Diese Absicht resultiert aus unserer Über-
zeugung und Erfahrung, dass heutzutage jeder Einzelne, ob Lehrender oder Lernender,
bei der Vielzahl und Vielfalt der Techniken, die in den Biowissenschaften in Gebrauch
sind, hoffnungslos überfordert ist. Gleichwohl ist die Anwendung dieser Techniken nun-
mehr imperativ geworden. Es war unser stolzes Vorhaben und unser eigenes intellektuel-
les Bedürfnis, diese Techniken in einer Weise zusammenzustellen, die nach Möglichkeit
lückenlos, zwingend und auf jeden Fall „modern“ ist. Unseres Wissens existiert im
deutschsprachigen, aber wohl auch im englischsprachigen Raum kein anderes Lehr-
buch, welches in ähnlicher Weise und vor allem in ähnlichem Umfang diesem Ziel ge-
widmet ist.
Vielleicht wundert sich der geneigte Leser, warum wir als Grund für die Veröffentli-
chung dieses Buches nicht auch – sogar als Erstes – den offensichtlichsten anführen: dass
man durch ein Methodenbuch eben die Methoden lernt oder zu lernen hofft, die man für
seine Arbeit unmittelbar braucht. Dazu zwei Klarstellungen: Dies ist kein „Kochbuch“.
Das heißt, dass der Leser nach der Lektüre eines Abschnitts nicht zu seinem Labortisch
gehen und unmittelbar das soeben Gelesene „nach Vorschrift“ umsetzen kann – dazu
wird er zuerst die Literatur durcharbeiten müssen. Er sollte aber imstande sein – so je-
denfalls unser Anspruch und Wunsch –, durch den Überblick und Einblick, den er sich
verschafft hat, konzeptionell seine Vorgehensweise optimal zu gestalten.
Und die zweite Klarstellung: Dieses Buch versteht sich nicht als Konkurrenzwerk zu
schon vorhandenen Laborhandbüchern für verschiedenste Techniken, etwa für Protein-
bestimmungen oder PCR.  Vielmehr besteht sein Anspruch (auch) darin, durch abge-
stimmte und umfassende Darstellung des Stoffes und häufige Bezugnahme der verschie-
denen Kapitel aufeinander den Zusammenhang von scheinbar unterschiedlichen
Techniken und ihre gegenseitige Bedingtheit aufzuzeigen. Wir denken, dass sich der Le-
ser nach der Lektüre dieses Buches besser zurechtfinden sollte, da ihm eine Orientierung
gegeben ist und Querverbindungen besser oder überhaupt erst klar werden. Wir wollen
nicht verschweigen – im Gegenteil! – dass uns, den Herausgebern, bestimmte methodi-
sche Zusammenhänge in der Tat auch erst nach Durcharbeitung einiger Manuskripte
bewusst wurden. Damit will dieses Buch von übergeordneter Funktionalität sein, mehr
als es jede einzelne Methodenanleitung oder eine bloße Sammlung davon sein kann.
Was ist nun der eigentliche Stoff dieses Buches? Das Buch heißt „Bioanalytik“ und
deutet damit an, dass es um analytische Methoden in den Biowissenschaften geht. Das
VI Vorwort

muss jedoch erklärt bzw. eingeschränkt werden. Was sind denn Biowissenschaften? Ist es
die Biochemie oder auch die molekulare Genetik, etwa die Zell- und Entwicklungsbio-
logie, oder gar die Medizin? Auf jeden Fall würde man wohl die Molekularbiologie hin-
zunehmen. Noch komplizierter wird es, wenn man bedenkt, dass Medizin oder Zellbio-
logie heutzutage ohne Molekularbiologie nicht denkbar sind. Das Buch kann aber nicht
die Bedürfnisse all dieser Wissenschaften befriedigen. Auch sind nicht sämtliche analy-
tischen Methoden darin enthalten, sondern nur diejenigen, die biologische Makromole-
küle und ihre Modifikationen betreffen. Makromoleküle sind in diesem Fall insbeson-
dere die Proteine und Nucleinsäuren – DNA bzw. RNA –, aber auch Kohlenhydrate und
Lipide. Spezielle Methoden für die Analyse von niedermolekularen Metaboliten sind
also nicht berücksichtigt. Manchmal haben wir die selbst gesetzte Grenze aber auch
überschritten. So werden Methoden zur präparativen Aufarbeitung von DNA und RNA
vorgestellt, einfach deshalb, weil sie so unmittelbar und zwingend mit den anschließen-
den Analysetechniken zusammenhängen. Außerdem können viele Techniken (etwa
Elektrophorese oder Chromatographie) sowohl im analytischen als auch im präparati-
ven Maßstab angewendet werden. Bei anderen Techniken wiederum ist es nicht ohne
Weiteres auseinanderzuhalten, was Präparation, was Analyse ist – wenn man nicht der
traditionellen Aufteilung der Begriffe folgen will, wonach es allein durch die Menge der
Substanz bestimmt wird, mit der man es zu tun hat. Ist etwa beim Two-Hybrid-System
die Identifizierung von wechselwirkenden Proteinpartnern eine analytische Methode,
wenn dieser letzte Schritt auf der arbeitsintensiven Konstruktion der entsprechenden
Klone beruht – also auf einer Methode, bei der vorerst nichts bezüglich der Wechsel-
wirkung analysiert wird? Ähnlich verhält es sich bei der gezielten Genmodifikation,
nach der die Genfunktion analysiert werden kann, bei der aber zuvor die Konstruktion
(und nicht die Analyse) der mutanten Sequenzen in vitro vollbracht werden muss. Ande-
rerseits wurde auf die Beschreibung einiger eindeutig präparativer Techniken konse-
quent verzichtet. Die Synthese von Oligonucleotiden  – eine eindeutig präparative Tech-
nik  – oder die DNA-Klonierung etwa wurden ganz weggelassen. Letztere ist, obwohl
Voraussetzung oder Ziel einer großen Zahl analytischer Methoden, selbst keine analytische
Technik. In diesem Fall war die Entscheidung für uns auch deshalb sehr leicht zu fällen,
weil es bereits zahlreiche gute Einführungen und Manuals zur DNA-Klonierung gibt!
Zusammenfassend würden wir sagen, dass das Buch die analytischen Methoden der
Protein- und Nucleinsäure(bio)chemie, der Molekularbiologie und zum Teil auch der mo-
dernen Cytogenetik beschreibt. In diesem Zusammenhang sind mit „Molekularbiologie“
diejenigen Teile der molekularen Genetik und Biochemie gemeint, die sich mit der Analyse
der Struktur und Funktion der Nucleinsäuren auseinandersetzen. Vieles für die medizini-
sche Anwendung Relevante wurde an entsprechenden Stellen betont. Methoden der (klas-
sischen) Genetik sowie der traditionellen Zellbiologie sind hingegen kaum enthalten.
Wir möchten hervorheben, dass wir Kapitel, die unmittelbar die Funktion der Pro-
teine und Nucleinsäuren betreffen, einem besonderen Teil im Buch zugewiesen haben,
der „Systematischen Funktionsanalytik“. Wir haben versucht, dem Paradigmenwechsel
von der traditionellen Bioanalytik zu holistischen Analyseansätzen Rechnung zu tragen.
In diesem Abschnitt werden viele Themen aufgegriffen, die – obwohl teilweise noch kei-
neswegs ausgereift – an der vordersten Front der Wissenschaft zu finden sind. Wir sind
uns der Tatsache bewusst, dass gerade dieser Bereich einem schnellen Wandel unterliegt
und sich einige Aspekte vielleicht schon in naher Zukunft als zu optimistisch oder zu
pessimistisch bewertet herausstellen können. Dennoch glauben wir, dass die Diskussion
der zum jetzigen Zeitpunkt modernsten Techniken und Strategien spannende Aspekte
aufzeigt und hoffentlich inspirierende Wirkung hat.
Die steigende Verfügbarkeit von DNA- und Proteinsequenzen von vielen Organis-
men ist einerseits die wesentliche Grundlage für diese systematische Funktionsanalyse
und macht andererseits eine Hochdurchsatzanalytik und eine Analyse der Daten immer
wichtiger. So werden die aus Genom, Proteom und Metabolom gewonnenen Informa-
tionen durch In-Silico-Analysen miteinander abgeglichen, die Lokalisation und Inter-
aktionen der Biomoleküle berücksichtigt und alles zu komplexen Netzwerken zusam-
mengestellt. Das Fernziel eines umfassenden Systemverständnisses kann aber sicher nur
VII
Vorwort

über die Einbeziehung von weiteren, bis jetzt nicht selbstverständlich in der Bioanalytik
angesiedelten Expertisen erreicht werden. Bioanalytiker müssen und werden interdiszi-
plinär, in enger Kooperation mit Informatikern, Systemtheoretikern, Biotechnologen
und Zellbiologen arbeiten müssen, um bis jetzt nicht ausgeschöpfte Synergien zu errei-
chen. Dieser Ausblick in die (vielleicht schon nahe) Zukunft soll im abschließenden Ka-
pitel „Systembiologie“ gegeben werden.
An wen wendet sich dieses Buch? Das vorher Gesagte lässt es mehr oder weniger ah-
nen: Es sind in erster Linie Biochemiker, Biologen, Chemiker, Pharmazeuten, Lebens-
mittelchemiker, Mediziner und Biophysiker. Für die einen (etwa Biochemiker, Biologen,
Chemiker) wird das Buch interessant sein, weil es Methoden zu ihrem eigenen Wissens-
gegenstand beschreibt. Der zweiten Gruppe (z.  B.  Pharmazeuten, Lebensmittelchemi-
kern, Medizinern, Biophysikern) mag das Buch relevant erscheinen, weil sie darin die
Hintergründe und Grundlagen für eine Vielzahl der Kenntnisse in ihren Disziplinen fin-
det. Darüber hinaus wendet sich das Buch an jeden interessierten Leser, der bereit ist,
sich mit dem Inhalt ein wenig auseinanderzusetzen. Der behandelte Stoff setzt voraus,
dass der Nutzer zumindest eine Grundvorlesung in Biochemie oder molekularer Gene-
tik/Gentechnik gehört hat – am besten beides – oder dass er gerade dabei ist. In unserer
Vorstellung wäre es ideal, wenn das Buch als Begleitlektüre zu einer solchen Vorlesung
genutzt würde. Es kann und sollte zudem während der experimentellen Tätigkeit (etwa
Praktikum, Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit oder der alltäglichen Arbeit im La-
bor) zurate gezogen werden. Das Buch möchte von gleichem Wert für Studierende, für
Lehrende und für beruflich Tätige in diesen Wissenschaften sein.
Die Gliederung des Stoffes hat sich als eine der schwierigsten Aufgaben bei der Ge-
staltung dieses Buches herausgestellt. Es ist fast unmöglich, die Arbeitstechniken eines
so komplexen Gebietes in den zwei Dimensionen, die uns das Papier allein bietet, völlig
realitätstreu abzuhandeln, ohne gleichzeitig die didaktische Absicht des Buches zu be-
einträchtigen. Uns standen zwei Herangehensweisen zur Auswahl: eine mehr theoreti-
sche und gedanklich stringentere und eine stärker praxisorientierte. Die theoretische
Möglichkeit wäre gewesen, die Methoden ausschließlich nach den verschiedenen Arten
aufzuteilen, zum Beispiel Chromatographie, Elektrophorese, Zentrifugation usw. Unter
der jeweiligen Methodenart wäre dann ihre Anwendung je nach konkreter Absicht und
bei den verschiedenen Stoffklassen beschrieben. Dieses Vorgehen ist zwar gedanklich
logischer, aber unübersichtlicher und praxisfremd. Die stärker praxisbezogene Präsenta-
tion geht vom konkreten Problem und der konkreten Fragestellung aus und sucht nach
der Methode, die die Frage beantwortet. Das ist intuitiv einsichtiger, führt aber zu un-
vermeidbaren Redundanzen, und ein richtiges, „mehrdimensionales“ und tiefes Ver-
ständnis des Stoffes ergibt sich erst nach seiner gesamten Durcharbeitung. Unser Vor-
gehen in diesem Buch lehnt sich entschieden an die zweite, praxisbezogene Alternative
an. Wo es aber möglich war, vor allem im Teil „Proteinanalytik“, werden die Methoden
nach prinzipiellen Gesichtspunkten eingeteilt und besprochen. Dieser Teil enthält auch
die Grundlagen instrumenteller Techniken, deren Verständnis und Kenntnis Vorausset-
zung für andere Buchteile sind. Dem Problem der Redundanz sind wir begegnet, indem
gewöhnlich an die Stelle verwiesen wird, an der die Methode zum ersten Mal beschrie-
ben ist. Manchmal ließen wir aber aus didaktischen Zwecken Redundanzen stehen. Es
bleibt unseren Lesern überlassen, zu urteilen, ob die Frage der Aufteilung durch unsere
Wahl optimal gelöst wurde.
Eine Übersicht der vorgestellten Methoden und ihrer Zusammenhänge findet der Le-
ser auch in der Abbildung am Ende dieses Vorworts. Dieses Flussdiagramm soll  – vor
allem dem Einsteiger – veranschaulichen, wie man sich die analytische Vorgehensweise
vom Aufschluss der Zellen bis hinunter zu den molekularen Dimensionen vorzustellen
hat. In dem Diagramm sind die natürlichen Turbulenzen des Flusses ­wohlwissentlich auf
dem Altar der Übersichtlichkeit geopfert worden. Der Fachmann möge uns verzeihen!
An dieser Stelle sei noch auf eine Konvention im Buch verwiesen, die nicht allgemein
gebräuchlich ist: Es geht um die Begriffe in  vitro und in  vivo. Um Missverständnissen
vorzubeugen, möchten wir hier erklären, dass wir diese Termini so benutzen, wie sie die
Molekularbiologen verstehen, also in  vitro für „zellfrei“, in  vivo für „in der lebenden
VIII Vorwort

Zelle“ (in situ heißt wörtlich „an Ort und Stelle“ und wird auch als solches benutzt und
verstanden). Wo es unklar sein könnte, haben wir die eindeutigen deutschen Beschrei-
bungen gewählt, also „zellfrei“, „in der lebenden Zelle“, „im Tierexperiment“.
Gut 20 Jahre nach der ersten Veröffentlichung des Bioanalytik Lehrbuches und neun
Jahre nach dem Erscheinen der vorherigen, 3. Auflage erschien es uns dringend notwen-
dig, das Buch grundlegend zu überarbeiten und zu aktualisieren. Man denke an die ra-
santen Fortschritte der Biowissenschaften seit dem Beginn des neuen Jahrtausends.
Gerade die Weiterentwicklung der DNA-Sequenziertechniken (Next Generation Se-
quencing, NGS) haben zu einem ungeheuren Erkenntnisgewinn über Genfunktionen,
Krankheitsursachen und evolutionäre Verwandtschaftszusammenhänge geführt. Die
moderne Massenspektrometrie erlaubt nicht mehr nur die qualitative, sondern auch die
rapide quantitative Analyse von Proteomen. Mit der CRISPR/Cas-­Technologie haben
wir ein Werkzeug, eukaryontische Genome einfach und präzise zu editieren. Dies sind
nur einige Beispiele, die zeigen, wie wichtig die Weiterentwicklung analytischer Metho-
den für den biowissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist.
An dieser Stelle müssen wir ein äußerst trauriges Thema ansprechen. Im Sommer
2018 verstarb unser geschätzter Kollege Joachim Engels, der Mitherausgeber der beiden
vorangegangenen Ausgaben der Bioanalytik war. Er war nicht nur ein hervorragender
Nucleinsäurechemiker, sondern mit seiner ruhigen und humorvollen Art vor allem auch
ein allseits beliebter Kollege, dem wir freundschaftlich zugetan waren. Joachim Engels
konnte noch das Erscheinen der ersten englischsprachigen Ausgabe des „Bioanaly-
tics“-Lehrbuches miterleben. Wir, Joachim Engels und Jens Kurreck, haben zahlreiche
Nucleinsäure-Konferenzen gemeinsam besucht – bis in entlegene Provinzen Chinas. Da
er von meiner Begeisterung wusste, die Fortschritte der Forschung in Lehrbüchern und
Vorlesungen an Studierende weiterzugeben, hat er mich dem Begründer des Bioanaly-
tik-Lehrbuches, Friedrich Lottspeich, als neuen Mitherausgeber für den Nucleinsäure-
teil vorgeschlagen. Es versteht sich von selbst, dass diese ehrenvolle Anfrage umgehend
angenommen wurde. Als neues Herausgeberteam haben wir, Friedrich Lottspeich und
Jens Kurreck, von Anfang an hervorragend harmoniert. Stets bestand Einigkeit, an Be-
währtem in aktualisierter Form festzuhalten und Neues hinzuzufügen. Dies bedeutete,
„Altautoren“ zur Überarbeitung ihrer Kapitel zu motivieren, für einige bestehende Ka-
pitel neue Autoren zu gewinnen, aber auch völlig neue Themen hinzuzunehmen, bei-
spielsweise mikrophysiologische Multi-Organ-Chips. Wir hoffen, dass uns der Balance-
akt aus Bewahren und Erneuern gelungen ist.
Wir haben größte Sorgfalt verwendet, die Kapitel aufeinander abzustimmen und Feh-
ler der vorigen Auflage zu eliminieren. Wir danken den Lesern, die uns auf Unstimmig-
keiten oder Lücken in der Vorauflage hingewiesen haben, die wir trotz aller Sorgfalt
übersehen haben, und hoffen auch für die Zukunft auf derart konstruktive Verbesse-
rungsvorschläge. Wie zu erwarten, hat uns dieses Werk viel Arbeit, aber auch sehr viel
Spaß gemacht! Wir möchten uns an dieser Stelle bei unseren Autoren bedanken, die
durch ihre großartige, gewissenhafte Arbeit und Kooperationsbereitschaft zu dieser
Freude wesentlich beigetragen haben. Vor allem aber möchten wir unseren Dank dem
Spektrum-Verlag und seinem engagierten Team um Frau Koch und Frau Saglio ausspre-
chen und hier besonders der Lektorin Frau Dr. Simeon, die mit bewundernswerter Ge-
duld und Zähigkeit unsere Hauptstütze in der redaktionellen Realisierung des Buches
war. Bedanken möchten wir uns auch bei dem Grafiker, Herrn Lay, für die Überarbei-
tung und Neugestaltung der Abbildungen, die bei einem Lehrbuch eine zentrale didakti-
sche Rolle spielen. Last but not least danken wir unseren Familien für das Verständnis,
dass wir neben all unseren anderen Verpflichtungen mit dem Bioanalytik-­Lehrbuch ein
weiteres Großprojekt bearbeitete haben, in das wir viel Zeit investiert haben.

Friedrich Lottspeich
Planegg-Martinsried, Deutschland

Jens Kurreck
Berlin, Deutschland
Juli 2021
Zellen/Gewebe

Bioanalytik als Wissenschaft 1


Vorwort

Proteine Kohlenhydrate und Lipide Nucleinsäuren Holistische Funktionsanalyse

Kohlenhydratanalytik 27 Sequenzdatenanalyse 37
Proteinisolierung Nucleinsäureisolierung
Lipidanalytik 28 Cytogenetische Genomanalyse 38
Proteinisolierung und -reinigung 2 Genkartierung 39
Nucleinsäureisolierung 30
Proteinmengenbestimmung 3 DNA-Microarrays 40
Enzymatische Aktivitätstests 4 Silencing-Technologien 41
Nucleinsäureanalyse Proteomanalyse 42
Metabolomics 43
Proteincharakterisierung Analyse von Nucleinsäuren 31 Interactomics 44
PCR 33 Chemische Biologie 45
Kalorimetrie 5 DNA-Sequenzierung 34 Toponomanalyse 46
Immunologie 6 Human-on-a-Chip 47
Chemische Modifikationen 7
Spektroskopie 8 Nucleinsäureinteraktionsanalyse
Lichtmikroskopie 9
DNA-Methylierung / Epigenetik 35 Erkenntnisse aus allen
Protein-Nucleinsäure-Wechselwirkung 36 Analyseverfahren
Protein-Primärstrukturaufklärung

Spaltung 10
Chromatographie 11
Elektrophorese 12,13 Systembiologie
Aminosäureanalyse 14
Proteinsequenzanalyse 15 Systembiologie 48
Massenspektrometrie 16, 17, 18

Proteinmodifikationsanalyse

Synthetische Peptide als Werkzeuge 26


Posttranslationale Modifikationen 29
Fu
n nk
Proteininteraktionsanalyse io
at tio
rm ns
i
Protein-Protein-Wechselwirkungen 19 fo nf
Sensoren 20 urin or
m
kt at
ru io
St n
3D-Strukturaufklärung

NMR/EPR-Spektroskopie 21, 22
IX

Elektronenmikroskopie 23
Rasterkraftmikroskopie 24
Röntgenstrukturanalyse 25
Strukturanalyse von Nucleinsäuren 32 Verständnis des gesamten biologischen Systems
XI

Inhaltsverzeichnis

1 Bioanalytik – eine eigenständige Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


Jens Kurreck, Friedrich Lottspeich und Joachim W. Engels
1.1 Paradigmenwechsel in der Biochemie: von der Proteinchemie zur Systembiologie. . . . . 3
1.1.1 Klassische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1.2 Holistische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Methoden begründen Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2.1 Proteinanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.2 Molekularbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.2.3 Bioinformatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.2.4 Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I Proteinanalytik
2 Proteinreinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Friedrich Lottspeich
2.1 Eigenschaften von Proteinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2 Proteinlokalisation und Reinigungsstrategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3 Homogenisierung und Zellaufschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.4 Die Fällung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.5 Zentrifugation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.5.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.5.2 Zentrifugationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.6 Abtrennung von Salzen oder hydrophilen Verunreinigungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.7 Konzentrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.8 Detergenzien und ihre Entfernung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.8.1 Eigenschaften von Detergenzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.8.2 Entfernen von Detergenzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.9 Probenvorbereitung für die Proteomanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

3 Proteinbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Lutz Fischer
3.1 Quantitative Bestimmung durch Färbetests. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.1.1 Biuret-Assay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.1.2 Lowry-Assay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3.1.3 Bicinchoninsäure-Assay (BCA-Assay) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.1.4 Bradford-Assay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.2 Spektroskopische Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.1 Messungen im UV-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.2 Fluoreszenzmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.3 Radioaktive Markierung von Peptiden und Proteinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.3.1 Iodierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

4 Enzymatische Aktivitätstests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


Hans Bisswanger
4.1 Michaelis-Menten-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
4.2 Kriterien für die Konzentrationen der Testsubstanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.3 Einflüsse auf die Enzymaktivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.3.1 pH-Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4.3.2 Abhängigkeit von der Ionenstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
XII Inhaltsverzeichnis

4.3.3 Abhängigkeit von der Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50


4.3.4 Stabilität von Enzymen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4.4 Aufbau eines Testsystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.4.1 Generelle Vorgehensweise bei Enzymtests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.4.2 Konzipierung eines speziellen Testverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.5 Messtechniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.5.1 Optische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.5.2 Elektrochemische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.5.3 Radioaktive Markierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.5.4 Chromatographische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.5.5 Diverse Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

5 Mikrokalorimetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Alfred Blume
5.1 Differential Scanning Calorimetry (DSC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
5.2 Isothermal Titration Calorimetry (ITC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
5.2.1 Bindung von Liganden an Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
5.2.2 Bindung von Molekülen an Membranen: Einbau und periphere Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.3 Pressure Perturbation Calorimetry (PPC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

6 Immunologische Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77


Hyun-Dong Chang und Reinhold Paul Linke
6.1 Antikörper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
6.1.1 Antikörper und Immunabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
6.1.2 Antikörper als Reagens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
6.1.3 Eigenschaften von Antikörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
6.1.4 Funktionelle Struktur von IgG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
6.1.5 Antigenbindungsstelle (Haftstelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
6.1.6 Handhabung von Antikörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
6.2 Antigene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
6.3 Antigen-Antikörper-Reaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
6.3.1 Immunagglutination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
6.3.2 Immunpräzipitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
6.3.3 Immunbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
6.4 Komplementfixation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
6.5 Methoden der zellulären Immunologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
6.5.1 Immunhistochemie, Immuncytochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
6.5.2 Durchflusscytometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6.5.3 Serielles Zellsortierverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
6.5.4 Parallele Zellsortierverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
6.6 Herstellung von Antikörpern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
6.6.1 Arten von Antikörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
6.6.2 Ausblick: künftige Erweiterung der Bindungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

7 Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen . . . . . . . . . . . . 117


Sylvia Els-Heindl, Anette Kaiser, Kathrin Bellmann-Sickert und
Annette G. Beck-­Sickinger
7.1 Chemische Modifikation funktioneller Gruppen von Proteinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
7.1.1 Lysinreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
7.1.2 Cysteinreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.1.3 Glutamat- und Aspartatreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
7.1.4 Argininreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
7.1.5 Tyrosinreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
7.1.6 Tryptophanreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
XIII
Inhaltsverzeichnis

7.1.7 Methioninreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126


.1.8 Histidinreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
7
7.2 Modifizierung als Mittel zur Einführung von Reportergruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
7.2.1 Untersuchungen an natürlich vorkommenden Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
7.2.2 Untersuchungen an mutierten Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
7.3 Protein-Crosslinking zur Analyse von Proteinwechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
7.3.1 Bifunktionelle Reagenzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
7.3.2 Photoaffinitätsmarkierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

8 Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Werner Mäntele
8.1 Physikalische Prinzipien und Messtechniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
8.1.1 Physikalische Grundlagen optischer spektroskopischer Messmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
8.1.2 Wechselwirkung Licht-Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
8.1.3 Absorptionsmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
8.1.4 Photometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
8.1.5 Kinetische spektroskopische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
8.2 UV/VIS/NIR-Spektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
8.2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
8.2.2 Chromoproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
8.3 IR-Spektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
8.3.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
8.3.2 Molekülschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
8.3.3 Messtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
8.3.4 Infrarotspektroskopie von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
8.4 Raman-Spektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
8.4.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
8.4.2 Raman-Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
8.4.3 Resonanz-Raman-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
8.5 Fluoreszenzspektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
8.5.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
8.5.2 Fluoreszenzspektren als Emissionsspektren und als Aktionsspektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
8.5.3 Fluoreszenzuntersuchungen mit intrinsischen und extrinsischen Fluorophoren . . . . . . . . . . . 182
8.5.4 Spezielle Fluoreszenztechniken: FRAP, FLIM, FCS, TIRF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
8.5.5 Förster-Resonanz-Energietransfer (FRET) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
8.5.6 Einzelmolekülspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
8.6 Methoden mit polarisiertem Licht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
8.6.1 Lineardichroismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
8.6.2 Optische Rotationsdispersion und Circulardichroismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

9 Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193


Thomas Quast und Waldemar Kolanus
9.1 
Wegbereiter der Mikroskopie – von einfachen Linsen zu
hochauflösenden Mikroskopen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
9.2 Moderne Anwendungsbereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
9.3 Physikalische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
9.3.1 Phänomene der Beugung und Bildentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
9.4 Nachweismethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
9.4.1 Histologische Färbungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
9.4.2 Physikalische Färbungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
9.4.3 Physikochemische Vorgänge bei Färbungen (Elektroadsorption) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
9.4.4 Chemische Färbungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
9.4.5 Fluoreszenzmarkierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
9.4.6 Direkte und indirekte Immunfluoreszenzmarkierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
XIV Inhaltsverzeichnis

9.4.7 In vitro-Markierung mit organischen Fluorochromen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205


.4.8 Fluoreszenzmarkierung für Live Cell Imaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
9
9.4.9 In vivo-Markierung mit organischen Fluorochromen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
9.4.10 Markierung mit Quantum Dots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
9.4.11 In vivo-Markierung mit fluoreszierenden Fusionsproteinen (GFP und Varianten) . . . . . . . . . . . 206
9.4.12 Fluorochrome und Lichtquellen für die Fluoreszenzmikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
9.5 Präparationsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
9.5.1 Isolierte Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
9.5.2 Gewebebiopsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
9.5.3 Paraffinpräparate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
9.5.4 Gefrierschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
9.6 Spezielle fluoreszenzmikroskopische Analytik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
9.6.1 cLSM (Confocal Laser Scanning Microscopy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
9.6.2 Multi-Photon Fluorescence Microscopy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
9.6.3 Konfokale High-Speed-Spinning-Disk-Systeme (Nipkow-Systeme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
9.6.4 Live Cell Imaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
9.6.5 Lichtmikroskopische Superauflösung jenseits des Abbe-Limits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
9.6.6 Messung von Molekülbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

10 Spaltung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225


Josef Kellermann
10.1 Proteolytische Enzyme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
10.2 Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
10.3 Denaturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
10.4 Spaltung von Disulfidbrücken und Alkylierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
10.5 Enzymatische Fragmentierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
10.5.1 Proteasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
10.5.2 Proteolysebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
10.6 Chemische Fragmentierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
10.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

11 Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine . . . . . . . . . . . . 239


Reinhard Boysen
11.1 Instrumentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
11.2 Chromatographische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
11.3 Die physiko-chemischen Charakteristika der Peptide und Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
11.4 Chromatographische Trennmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
11.4.1 Ausschlusschromatographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
11.4.2 Hochleistungs-Reversed-Phase-­Chromatographie (HP-RPC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
11.4.3 Hochleistungsnormalphase-­Chromatographie (HP-NPC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
11.4.4 Hochleistungs-Hydrophile-­Interaktionschromatographie (HP-HILIC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
11.4.5 Hochleistungs-Aqueous-­Normalphasechromatographie (HP-ANPC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
11.4.6 Hochleistungs-Hydrophobe-­Interaktionschromatographie (HP-HIC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
11.4.7 Hochleistungsionenaustauschchromatographie (HP-IEX) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
11.4.8 Hochleistungsaffinitätschromatographie (HP-AC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
11.5 Methodenentwicklung für die analytische Chromatographie am Beispiel der HP-RPC. . . 256
11.5.1 Entwicklung und Optimierung einer Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
11.5.2 Übergang zur präparativen Chromatographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
11.5.3 Fraktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
11.5.4 Analyse der Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
11.6 Multidimensionale HPLC. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
11.6.1 Trennung von individuellen Peptiden und Proteinen in der MD-HPLC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
11.6.2 Trennung von komplexen Peptid- und Proteinmischungen mit der MD-HPLC . . . . . . . . . . . . . 261
11.6.3 Methodenstrategien für die MD-HPLC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
XV
Inhaltsverzeichnis

11.6.4 Entwurf eines effektiven MD-HPLC-Schemas für Peptide und Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
11.7 Schlussbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

12 Elektrophoretische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265


Reiner Westermeier und Angelika Görg
12.1 Geschichtlicher Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
12.2 Theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
12.3 Instrumentierung und Durchführung von Gelelektrophoresen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
12.3.1 Probenvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
12.3.2 Gelmedien für Elektrophoresen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
12.3.3 Nachweis und Quantifizierung der getrennten Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
12.3.4 Zonenelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
12.3.5 Porengradientengele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
12.3.6 Puffersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
12.3.7 Disk-Elektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
12.3.8 Saure Nativelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
12.3.9 SDS-Polyacrylamid-­Gelelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
12.3.10 Kationische Detergenselektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
12.3.11 Blaue Nativ-­Polyacrylamidgelelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
12.3.12 Isoelektrische Fokussierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
12.4 Präparative Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
12.4.1 Elektroelution aus Gelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
12.4.2 Präparative Zonenelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
12.4.3 Präparative isoelektrische Fokussierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
12.5 Trägerfreie Elektrophorese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
12.6 Hochauflösende zweidimensionale Elektrophorese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
12.6.1 Probenvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
12.6.2 Vorfraktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
12.6.3 Erste Dimension: IEF in IPG-Streifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
12.6.4 Zweite Dimension: SDS-­Polyacrylamid-­Gelelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
12.6.5 Detektion und Identifizierung der Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
12.6.6 Differenzgelelektrophorese (DIGE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
12.7 Elektroblotting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
12.7.1 Blotsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
12.7.2 Transferpuffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
12.7.3 Blotmembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

13 Kapillarelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Philippe Schmitt-Kopplin und Gerhard K. E. Scriba
13.1 Geschichtlicher Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
13.2 Aufbau der Kapillarelektrophorese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
13.3 Grundprinzipien der Kapillarelektrophorese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
13.3.1 Der Elektroosmotische Fluss (EOF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
13.3.2 Joule‘sche Wärmeentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
13.3.3 Injektion der Proben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
13.3.4 Detektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
13.4 Die Methoden der Kapillarelektrophorese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
13.4.1 Kapillarzonenelektrophorese (CZE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
13.4.2 Micellarelektrokinetische Chromatographie (MEKC) und Mikroemulsion
elektrokinetische Chromatographie (MEEKC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
13.4.3 Kapillaraffinitätselektrophorese (ACE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
13.4.4 Kapillarelektrochromatographie (CEC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
13.4.5 Enantiomerentrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
XVI Inhaltsverzeichnis

13.4.6 Kapillargelelektrophorese (CGE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314


3.4.7 Isoelektrische Fokussierung (CIEF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
1
13.4.8 Isotachophorese (ITP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
13.5 Spezielle Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
13.5.1 Online-Probenkonzentrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
13.5.2 Fraktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
13.5.3 Mikrochipelektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
13.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

14 Aminosäureanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Josef Kellermann
14.1 Probenvorbereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
14.1.1 Saure Hydrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
14.1.2 Alkalische Hydrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
14.1.3 Enzymatische Hydrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
14.2 Freie Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
14.3 Flüssigchromatographie mit optischer Detektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
14.3.1 Nachsäulenderivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
14.3.2 Vorsäulenderivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
14.4 Aminosäureanalyse mit massenspektrometrischer Detektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
14.5 Datenauswertung und Beurteilung der Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

15 Proteinsequenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Friedrich Lottspeich
15.1 N-terminale Sequenzanalyse: der Edman-Abbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
15.1.1 Reaktionen des Edman-Abbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
15.1.2 Identifizierung der Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
15.1.3 Die Qualität des Edman-Abbaus: die repetitive Ausbeute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
15.1.4 Instrumentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
15.1.5 Probleme der Aminosäuresequenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
15.1.6 Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
15.2 C-terminale Sequenzanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
15.2.1 Chemische Abbaumethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
15.2.2 Peptidmengen und Qualität des chemischen Abbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
15.2.3 Abbau der Polypeptide mit Carboxypeptidasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
15.3 Single Molecule Protein Sequencing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
15.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

16 Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Helmut E. Meyer, Thomas Fröhlich, Eckhard Nordhoff und Katja Kuhlmann
16.1 Ionisationsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
16.1.1 Matrixassistierte Laserdesorptions/Ionisations-Massenspektrometrie (MALDI-MS) . . . . . . . . . 362
16.1.2 Elektrospray-Ionisation (ESI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
16.2 Massenanalysatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
16.2.1 Flugzeitanalysator (TOF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
16.2.2 Quadrupolanalysator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
16.2.3 Elektrische Ionenfallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
16.2.4 Magnetische Ionenfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
16.2.5 Orbital-Ionenfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
16.2.6 Hybridgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
16.3 Ionendetektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
16.3.1 Sekundärelektronenvervielfacher (SEV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
XVII
Inhaltsverzeichnis

16.3.2 Faraday-Becher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390


16.4 Fragmentierungstechniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
16.4.1 Kollisionsinduzierte Dissoziation (CID) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
16.4.2 Prompte und metastabile Zerfälle (ISD, PSD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
16.4.3 Photoneninduzierte Dissoziation (PID, IRMPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
16.4.4 Erzeugung von Radikalen (ECD, HECD, ETD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
16.5 Massenbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
16.5.1 Berechnung der Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
16.5.2 Einfluss der Isotopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
16.5.3 Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
16.5.4 Bestimmung der Ladungszahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
16.5.5 Signalverarbeitung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
16.5.6 Ableitung der Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
16.5.7 Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
16.6 Identifizierung, Nachweis und Strukturaufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
16.6.1 Identifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
16.6.2 Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
16.6.3 Strukturaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
16.7 LC-MS und LC-MS/MS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
16.7.1 LC-MS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
16.7.2 LC-MS/MS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
16.7.3 Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
16.8 Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

17 Massenspektrometriebasierte Immunassays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415


Oliver Pötz, Thomas O. Joos, Dieter Stoll und Markus F. Templin
17.1 
Fängermoleküle für massenspektrometriebasierte Immunassays. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
17.2 Auswahl der Peptide für massenspektrometriebasierte Immunassays. . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
17.3 Gezielter Nachweis von Proteinen über
massenspektrometriebasierte Immunassays. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
17.4 Anwendung in der Forschung und Klinik – Proteinbiomarker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
17.5 Proteomweite Immunaffinitäts-MS-basierte Ansätze
mit gruppenspezifischen Antikörpern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
17.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

18 Bildgebende Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423


Bernhard Spengler
18.1 Analytische Mikrosonden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
18.2 Images: Massenspektrometrische Rasterbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
18.3 SMALDI-MS: Die Grenzen der Auflösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
18.4 Weitere Methoden der bildgebenden Massenspektrometrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
18.5 Auflösung versus Nachweisgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
18.6 MS-Imaging als phänomenologische Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
18.7 SMALDI-Imaging als exakte Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
18.8 Identifizierung und Charakterisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

19 Protein-Protein-­Wechselwirkun­gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
Peter Uetz, Eva-Kathrin Ehmoser, Dagmar Klostermeier,
Klaus Richter und Ute Curth
19.1 Das Two-Hybrid-System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
19.1.1 Das Konzept des Two-Hybrid-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
19.1.2 Die Elemente des Two-Hybrid-­Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
XVIII Inhaltsverzeichnis

19.1.3 Konstruktion des Köderproteins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437


9.1.4 Welche Köderproteine eignen sich für das Two-Hybrid-System? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440
1
19.1.5 Aktivator-Fusionsprotein und cDNA-Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440
19.1.6 Durchführung des Two-Hybrid-­Screenings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
19.1.7 Modifizierte Anwendungen und Weiterentwicklungen der Two-Hybrid-Technologie . . . . . . 445
19.1.8 Biochemische und funktionale Analyse der Interaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
19.2 TAP-Tagging und Reinigung von Proteinkomplexen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
19.2.1 Retrovirale Transduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
19.2.2 TAP-Reinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
19.2.3 Massenspektrometrische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
19.2.4 Limitationen der TAP-Reinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
19.3 In vitro-Interaktionsanalyse: GST-Pulldown. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
19.4 Ko-Immunpräzipitation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
19.5 Far-Western-Blot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
19.6 Plasmonenspektroskopie (Surface Plasmon Resonance). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
19.7 Fluoreszenz-Resonanz-­Energietransfer – FRET. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
19.7.1 FRET-Effizienzen und ihre experimentelle Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
19.7.2 Methoden der FRET-Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
19.7.3 Einbringen von FRET-Sonden in Biomoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
19.7.4 Anwendungen von FRET: Interaktions- und Strukturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
19.7.5 FRET als diagnostisches Werkzeug: Biosensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
19.7.6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
19.8 Analytische Ultrazentrifugation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
19.8.1 Instrumentelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
19.8.2 Sedimentationsgeschwindigkeits­experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
19.8.3 Sedimentationsgleichgewichtsexperimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
Zitierte und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

20 Bio- und biomimetische Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473


Frieder W. Scheller, Aysu Yarman und Reinhard Renneberg
20.1 Das Konzept von Bio- und biomimetischen Sensoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
20.2 Aufbau und Funktion von Biosensoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
20.3 Enzymelektroden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
20.3.1 Gekoppelte Enzymreaktionen in Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
20.3.2 Biosensoren für Diabetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
20.4 Zellsensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
20.4.1 Mikrobielle Sensoren/biochemischer Sauerstoffbedarf von Abwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
20.5 Immunsensoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
20.6 Biomimetische Sensoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
20.6.1 Molekular geprägte Polymere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
20.6.2 Aptamere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
20.7 Mikrofluidische Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
20.8 Ausblick: Von der Glucoseelektrode zum „Einzel-Molekül-Transistor“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

II 3D-Strukturaufklärung
21 Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
Markus Zweckstetter, Tad A. Holak und Martin Schwalbe
21.1 NMR-Spektroskopie von Biomolekülen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
21.1.1 Theorie der NMR-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
21.1.2 Eindimensionale NMR-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
21.1.3 Zweidimensionale NMR-­Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
XIX
Inhaltsverzeichnis

21.1.4 Dreidimensionale ­NMR-­Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506


1.1.5 Signalzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
2
21.1.6 Bestimmung der Proteinstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
21.1.7 Proteinstrukturen und mehr – ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526

22 EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527


Olav Schiemann und Gregor Hagelueken
22.1 Grundlagen der EPR-Spektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
22.1.1 Elektronenspin und Resonanzbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
22.1.2 cw-EPR-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
22.1.3 g-Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
22.1.4 Elektronenspin-Kernspin-Kopplung (Hyperfeinkopplung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
22.2 g- und Hyperfeinanisotropie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
22.2.1 g-Anisotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
22.2.2 Hyperfeinanisotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
22.3 Elektronenspin-Elektronenspin-Kopplung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
22.4 Gepulste EPR-Experimente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538
22.4.1 Grundlagen gepulster EPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
22.4.2 Relaxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540
22.4.3 Spinechos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540
22.4.4 ESEEM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
22.4.5 HYSCORE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
22.4.6 ENDOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543
22.4.7 Gepulste dipolare EPR-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
22.4.8 Vergleich zwischen PELDOR und FRET . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
22.5 Weitere Anwendungsbeispiele für EPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
22.5.1 Quantifizierung von Spinzentren/Bindungskonstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
22.5.2 Lokale pH-Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
22.5.3 Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
22.6 Generelle Bemerkungen zur Aussagekraft von EPR-Spektren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
22.7 Vergleich EPR/NMR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

23 Elektronenmikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553
Philipp Erdmann, Sven Klumpe und Juergen M. Plitzko
23.1 Historischer Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
23.2 Transmissionselektronenmikroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
23.2.1 Instrumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
23.2.2 Elektronenerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
23.2.3 Elektronenlinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
23.2.4 Elektronenaufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
23.2.5 Objektträger und Probenhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
23.3 Präparationsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
23.3.1 Negativkontrastierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
23.3.2 Native Proben in Eis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
23.3.3 Kryo-FIB-Lamellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
23.4 Abbildung im Elektronenmikroskop. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569
23.4.1 Auflösung des Transmissionselektronenmikroskops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569
23.4.2 Wechselwirkungen des Elektronenstrahls mit dem Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
23.4.3 Phasenkontrast in der Elektronenmikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572
23.4.4 Elektronenmikroskopie mit Phasenplatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
23.4.5 Kryo-Elektronenmikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
23.4.6 Aufnahme von Bildern – Elektronendetektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576
XX Inhaltsverzeichnis

23.5 Bildverarbeitung für die 3D-Elektronenmikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577


23.5.1 Die Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
23.5.2 Eigenschaften und Nutzen der Fourier-Transformation in der Bildverarbeitung . . . . . . . . . . . . 579
23.5.3 Die Kontrastübertragungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
23.5.4 Erhöhung des Signal-Rausch-­Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582
23.6 Einzelpartikelanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
23.6.1 2D-Alignierung und Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584
23.6.2 Dreidimensionale Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
23.6.3 Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
23.7 Tomographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593
23.7.1 Aufnahmeschemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
23.7.2 Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
23.7.3 Template Matching und Subtomogramm-Averaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
23.8 Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600

24 Rasterkraftmikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
Nico Strohmeyer und Daniel J. Müller
24.1 Funktionsprinzip des Rasterkraftmikroskops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602
24.2 
Wechselwirkung zwischen Spitze und Objekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604
24.3 Präparationsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
24.4 Abbilden biologischer Makromoleküle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
24.5 Kraftspektroskopie einzelner Moleküle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
24.6 Multifunktionelles Abbilden von Oberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
24.7 Detektion des funktionellen Zustands und der Wechselwirkung einzelner Proteine. . . . . 607
24.8 Analyse der biomechanischen Eigenschaften lebender Zellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610

25 Röntgenstrukturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611
Dagmar Klostermeier und Markus G. Rudolph
25.1 Erzeugung und Detektion von Röntgenlicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
25.2 Apparativer Aufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
25.3 Streuung und Beugung von Röntgenstrahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
25.3.1 Kleine Physik der Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
25.3.2 Kleine Physik der Diffraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
25.4 Kleinwinkel-Röntgenstreuung (SAXS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
25.4.1 Probenvorbereitung und Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
25.4.2 Analyse von SAXS-Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
25.4.3 Strukturbestimmungen mit SAXS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
25.5 Röntgenkristallographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
25.5.1 Makromoleküle und ihre Kristallisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
25.5.2 Kristalle und ihre Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626
25.5.3 Datensammlung und -analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
25.5.4 Das Phasenproblem und seine Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631
25.5.5 Modellbau und Strukturverfeinerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
25.5.6 Validierung von Strukturmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
25.6 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638

III Spezielle Stoffgruppen


26 Analytik synthetischer Peptide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
Annette G. Beck-Sickinger und Jan Stichel
26.1 Prinzip der Peptidsynthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644
XXI
Inhaltsverzeichnis

26.2 
Untersuchung der Reinheit synthetischer Peptide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
26.3 Charakterisierung und Identität synthetischer Peptide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650
26.4 Charakterisierung der Struktur synthetischer Peptide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
26.5 Analytik von Peptidbibliotheken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657

27 Kohlenhydratanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
Andreas Zappe und Kevin Pagel
27.1 Theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
27.1.1 Aldosen und Ketosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
27.1.2 Cyclisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
27.1.3 Anomerer Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662
27.1.4 Die glykosidische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
27.1.5 Oligosaccharide und Glykane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666
27.2 Analytische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670
27.2.1 Methoden zur Trennung und Analyse von Glykanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
27.2.2 Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
27.3 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688

28 Lipidanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
Hartmut Kühn
28.1 Aufbau und Einteilung von Lipiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
28.2 Extraktion von Lipiden aus biologischem Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
28.2.1 Flüssigphasenextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
28.2.2 Festphasenextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
28.3 Methoden der Lipidanalytik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694
28.3.1 Chromatographische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694
28.3.2 Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698
28.3.3 Immunassays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699
28.3.4 Weitere Methoden in der Lipidanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
28.3.5 Online-Kopplung verschiedener Analysesysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
28.4 Analytik ausgewählter Lipidklassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
28.4.1 Gesamtlipidextrakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
28.4.2 Fettsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
28.4.3 Unpolare Neutrallipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
28.4.4 Polare Esterlipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
28.4.5 Lipidhormone und intrazelluläre Signaltransduktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
28.5 Lipidvitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716
28.6 Lipidomanalytik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719
28.7 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721

29  nalytik posttranslationaler Modifikationen:


A
Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation von Proteinen . . . . . . 723
Gereon Poschmann, Nina Overbeck, Katrin Brenig und Kai Stühler
29.1 
Funktionelle Bedeutung der Phosphorylierung und oxidativer
Cysteinmodifikation bei Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725
29.1.1 Phosphorylierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725
29.1.2 Oxidative Cysteinmodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726
29.2 Strategien zur Analyse der posttranslationalen Phosphorylierung und oxidativer
Cysteinmodifikation von Proteinen und Peptiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
29.3 Probenvorbereitung, Trennung und Anreicherung phosphorylierter und oxidativ
cysteinmodifizierter Proteine und Peptide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
29.3.1 Trennung und Anreicherung phosphorylierter Proteine und Peptide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
XXII Inhaltsverzeichnis

29.3.2 Probenvorbereitung, Trennung und Anreicherung oxidativer Cysteinmodifikationen von


Proteinen und Peptiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731
29.4 Detektion der Phosphorylierung und oxidativer Cysteinmodifikationen
von Proteinen und Peptiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734
29.4.1 Detektion mittels enzymatischer, radioaktiver, immunchemischer und
fluoreszenzbasierender Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734
29.4.2 Detektion phosphorylierter und cysteinoxidierter Proteine mittels
Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737
29.5 Lokalisation und Identifizierung posttranslational modifizierter Aminosäuren . . . . . . . . . 738
29.5.1 Lokalisation phosphorylierter Aminosäuren mittels Edman-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . 738
29.5.2 Lokalisation phosphorylierter und cysteinoxidierter Aminosäuren mittels
massenspektrometrischer Fragmentionenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739
29.6 Quantitative Analyse posttranslationaler Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
29.7 Zukunft der Analytik posttranslationaler Modifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744

IV Nucleinsäureanalytik
30 Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Marion Jurk
30.1 Reinigung und Konzentrationsbestimmung von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
30.1.1 Phenolextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
30.1.2 Chromatographieverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751
30.1.3 Ethanolpräzipitation der Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753
30.1.4 Konzentrationsbestimmung von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
30.2 Isolierung genomischer DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755
30.3 Isolierung niedermolekularer DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
30.3.1 Isolierung von Plasmid-DNA aus Bakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
30.3.2 Isolierung niedermolekularer DNA eukaryotischer Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
30.4 Isolierung viraler DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
30.4.1 Isolierung von Phagen-DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
30.4.2 Isolierung von DNA aus eukaryotischen Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
30.5 Isolierung einzelsträngiger DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
30.5.1 Isolierung von M13-DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
30.5.2 Trennung von einzel- und doppelsträngiger DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
30.6 Isolierung von RNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
30.6.1 Isolierung zellulärer RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
30.6.2 Isolierung von poly(A)+-RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766
30.6.3 Isolierung niedermolekularer RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767
30.7 Isolierung von Nucleinsäuren unter Verwendung von magnetischen Partikeln . . . . . . . . . 767
30.8 Lab-on-a-chip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768

31 Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769


Tobias Pöhlmann und Marion Jurk
31.1 Verfahren zur Analytik von Nucleinsäuren aus biologischen Proben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771
31.1.1 Elektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771
31.1.2 Färbe- und Markierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
31.1.3 Blottingverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786
31.1.4 Restriktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791
31.2 Chemische Analytik von Nucleinsäuren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800
31.2.1 Herstellung von Oligonucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800
31.2.2 Untersuchung der Reinheit von Oligonucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
31.2.3 Gel-Elektrophorese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
XXIII
Inhaltsverzeichnis

31.2.4 Charakterisierung von Oligonucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806


31.2.5 Aufreinigung von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810

32 RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811


W.-Matthias Leeder und H. Ulrich Göringer
32.1 Grundlagen der RNA-Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813
32.1.1 RNA-Primärstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813
32.1.2 RNA-Sekundär- und Tertiärstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814
32.2 RNA-Modifikationsreagenzien und ihre Spezifitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817
32.2.1 Basenspezifische Modifikationsreagenzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818
32.2.2 Basenunabhängige Modifikationsreagenzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818
32.3 Identifizierung der modifizierten Nucleotidpositionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819
32.4 Experimentelle Durchführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
32.4.1 RNA-Synthese und notwendige Kontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
32.4.2 Chemische Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
32.4.3 Einbindung der Modifikationsdaten in 2D-Strukturvorhersagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
32.5 Transkriptomweite Strukturaufklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824
32.6 Erweiterung der Strukturaufklärungsmöglichkeiten durch Mutational Profiling. . . . . . . . . 825
32.7 In vivo-Modifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829

33 Polymerasekettenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831
Sandra Niendorf und C.-Thomas Bock
33.1 Möglichkeiten der PCR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833
33.2 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833
33.2.1 Ablauf einer PCR-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833
33.2.2 Instrumentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
33.2.3 Komponenten der PCR-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
33.2.4 Optimierung der PCR-Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
33.3 Spezielle PCR-Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
33.3.1 Quantitative PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
33.3.2 Reverse-Transkriptase-PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
33.3.3 Nested-PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844
33.3.4 Asymmetrische PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845
33.3.5 Touchdown-PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845
33.3.6 Multiplex-PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845
33.3.7 Direct Cycle Sequencing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
33.3.8 In vitro-Mutagenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
33.3.9 Digitale PCR (dPCR; Chamber Digital PCR, cdPCR und Droplet Digital PCR, ddPCR) . . . . . . . . . 846
33.3.10 Emulsions-PCR (ePCR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848
33.3.11 Immunquantitative Echtzeit-PCR (iPCR, iqPCR, irtPCR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848
33.3.12 In situ-PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849
33.3.13 Weitere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849
33.4 Kontaminationsproblematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
33.4.1 Vermeidung von Kontaminationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
33.4.2 Dekontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851
33.5 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852
33.5.1 Nachweis von Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852
33.5.2 Nachweis von genetischen Defekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853
33.5.3 Humangenomprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854
33.6 Alternative Verfahren der Amplifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 855
33.6.1 Isotherme PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856
33.6.2 Ligase Chain Reaction (LCR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 860
33.6.3 Branched DNA Amplification (bDNA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 861
XXIV Inhaltsverzeichnis

33.7 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 861


Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 862

34 DNA-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863
Andrea Thürmer und Kilian Rutzen
34.1 Gelgestützte DNA-­Sequenzierungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866
34.1.1 Sanger-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866
34.2 Gelfreie DNA-­Sequenzierungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 870
34.2.1 Next-Generation-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 870
34.2.2 Third-Generation-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 882

35 Analyse der epigenetischen Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885


Reinhard Dammann
35.1 Überblick über die Detektionsmethoden der DNA-Modifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887
35.2 Analyse der Cytosin-Modifikationen mit der Bisulfittechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887
35.2.1 Amplifikation und Sequenzierung von bisulfitbehandelter DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 889
35.2.2 Restriktionsanalyse nach Bisulfit-PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 890
35.2.3 Methylierungsspezifische PCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891
35.3 Analyse der DNA mit methylierungsspezifischen Restriktionsenzymen . . . . . . . . . . . . . . . . 893
35.4 Methylierungsanalyse durch Methylcytosin-bindende-Domäne-­Proteine. . . . . . . . . . . . . . 895
35.5 Antikörperspezifische Analysen der modifizierte DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 896
35.6 Analyse von modifizierten Basen durch DNA-Hydrolyse und Nearest-Neighbor-­Assays. 897
35.7 Analyse von epigenetischen Modifikationen von chromatinassoziierten Proteinen. . . . . 898
35.8 Chromosomenkonformationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
35.9 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900

36 Protein-Nucleinsäure-Wechselw-irkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901
Rolf Wagner und Benedikt M. Beckmann
36.1 Grundlagen der Protein-DNA/RNA-Wechselwirkung:
Gemeinsamkeiten und Unterschiede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902
36.1.1 Struktur von DNA und RNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902
36.1.2 DNA- und RNA-Bindungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904
36.1.3 Gebräuchliche Methoden zur Analyse von Nucleinsäuren und Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 906
36.2 Generelle Methoden (DNA oder RNA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907
36.2.1 Filterbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907
36.2.2 Electrophoretic Mobility Shift Analysis (EMSA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907
36.2.3 Crosslinking von Proteinen und Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911
36.3 Protein-DNA-Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912
36.3.1 DNA-Footprint-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912
36.3.2 Primer-Extension-Analyse für DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913
36.3.3 Chromatin-Immunpräzipitation (ChIP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914
36.3.4 Nucleosome Mapping, Assay for Transposase-Accessible Chromatin using Sequencing
(ATAC-Seq) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915
36.4 Protein-RNA-Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916
36.4.1 Analyse einzelner RBPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916
36.4.2 Analyse von Proteinen, die mit einzelnen RNAs interagieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 919
36.4.3 Systemweite Analyse von Proteinen, die mit RNA interagieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 920
36.4.4 Polysome/Ribosome Profiling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
36.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924
XXV
Inhaltsverzeichnis

V Systematische Funktionsanalytik
37 Sequenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 929
Boris Steipe
37.1 Sequenzanalyse und Bioinformatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 930
37.2 Datenbanken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
37.2.1 Sequenzabruf aus öffentlichen Datenbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 932
37.2.2 Daten und Datenformat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934
37.3 Webdienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934
37.3.1 EMBOSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934
37.4 Sequenzzusammensetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936
37.4.1 Sequenztendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937
37.5 Muster in Sequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938
37.5.1 Zeichenketten und regular expressions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 939
37.5.2 Gewichtungsmatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 939
37.5.3 Sequenzprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940
37.5.4 Anwendungsbeispiel: Identifizierung codierender Bereiche in DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940
37.5.5 Anwendungsbeispiel: Proteinlokalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941
37.6 Homologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941
37.6.1 Identität, Ähnlichkeit und Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 942
37.6.2 Optimales Alignment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943
37.6.3 Alignment für schnelle Datenbanksuchen: BLAST . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944
37.6.4 Orthologe und paraloge Sequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946
37.6.5 Profilbasierte Datenbanksuchen: PSI-BLAST . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946
37.7 Multiples Alignment und Konsensussequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 947
37.8 Sequenz und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 949
37.9 Funktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950
37.10 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 951
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952

38  ybridisierung fluoreszenzmarkierter DNA zur Genomanalyse in der


H
molekularen Cytogenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953
Gudrun Göhring, Doris Steinemann, Michelle Neßling und Karsten Richter
38.1 Methoden zur Hybridisierung fluoreszenzmarkierter DNA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954
38.1.1 Markierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954
38.1.2 DNA-Sonden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955
38.1.3 Markierung der DNA-Sonden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956
38.1.4 In situ-Hybridisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956
38.1.5 Fluoreszenzauswertung der Hybridisierungssignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
38.2 Anwendungen: FISH und CGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
38.2.1 Analyse genomischer DNA durch FISH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957
38.2.2 Vergleichende genomische Hybridisierung (CGH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960
38.2.3 SNP-Array . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963
38.2.4 Neue Entwicklungen zur Detektion von Kopienzahlveränderungen im Genom . . . . . . . . . . . . 963
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963

39 Physikalische, genetische und funktionelle Kartierung des Genoms . . . . . . . 965


Christian Maercker
39.1 Physikalische Kartierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 966
39.2 Genetische Kartierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 967
39.2.1 Rekombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 967
39.2.2 Genetische Marker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 967
39.2.3 Kopplungsanalyse – die Erstellung genetischer Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969
XXVI Inhaltsverzeichnis

39.2.4 Die genetische Karte des menschlichen Genoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971


9.2.5 Kartierung von genetisch bedingten Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972
3
39.3 Funktionelle Kartierung des Genoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973
39.3.1 Charakterisierung von Krankheitsgenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973
39.3.2 Mutationen als Ursache vererbbarer Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975
39.3.3 Transkriptkarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976
39.3.4 Zelluläre Assays zur Charakterisierung von Genfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 977
39.4 Integration der Genomkarten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979
39.5 Das menschliche Genom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980

40 DNA-Microarray-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983
Jörg Hoheisel
40.1 RNA-Analysen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984
40.1.1 Analyse der Transkriptmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984
40.1.2 RNA-Reifung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986
40.1.3 RNA-Struktur und Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987
40.2 DNA-Analysen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987
40.2.1 Genotypisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987
40.2.2 Epigenetische Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987
40.2.3 DNA-Sequenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989
40.2.4 Analyse der Kopienzahl genomischer DNA-Abschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
40.2.5 Protein-DNA-Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
40.2.6 Genomweite Identifizierung funktionell-essenzieller Gene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991
40.3 Molekülsynthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993
40.3.1 DNA-Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993
40.3.2 Chipgebundene Proteinexpression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993
40.4 Neue Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993
40.4.1 Eine universelle Chip-Plattform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993
40.4.2 Strukturanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994
40.4.3 Jenseits von Nucleinsäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995

41 Silencing-Technologien zur Analyse von Genfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 997


Jens Kurreck
41.1 Antisense-Oligonucleotide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
41.1.1 Wirkweisen von Antisense-Oligonucleotiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999
41.1.2 Modifikationen von Oligonucleotiden zur Steigerung der Nucleasestabilität . . . . . . . . . . . . . . 1000
41.1.3 Einsatz von Antisense-Oligonucleotiden in Zellkultur und in Tiermodellen . . . . . . . . . . . . . . . . 1002
41.2 RNA-Interferenz und microRNAs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003
41.2.1 Grundlagen der RNA-Interferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003
41.2.2 Anwendung der RNAi-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1004
41.2.3 RNA-Interferenz durch Expressionsvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1005
41.2.4 Genomweite Screens mit RNAi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1005
41.2.5 microRNAs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1006
41.3 CRISPR/Cas-Technologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007
41.3.1 Biologische Funktion des CRISPR/Cas-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1008
41.3.2 CRISPR/Cas-Anwendungen in eukaryotischen Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1008
41.4 Induzierte pluripotente Stammzellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1010
41.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1012

42 Proteomanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013
Friedrich Lottspeich, Kevin Jooß, Neil L. Kelleher, Michael Götze,
Betty Friedrich und Ruedi Aebersold
42.1 Definition der Ausgangsbedingungen und der Fragestellung, Projektplanung. . . . . . . . . 1017
XXVII
Inhaltsverzeichnis

42.2 Probenvorbereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1018


42.3 Quantitative Analyse der Proteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020
42.4 Klassische gelbasierte Proteomanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020
42.4.1 Probenvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020
42.4.2 Trennung der Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020
42.4.3 Färbung der Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021
42.4.4 Bildverarbeitung und Quantifizierung der Proteine, Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021
42.4.5 Identifizierung und Charakterisierung der Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022
42.4.6 Zweidimensionale differenzielle Gelelektrophorese (2D-DIGE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1023
42.5 Top-down-Proteomics: Massenspektrometrie von intakten Proteinen-. . . . . . . . . . . . . . . . . 1024
42.5.1 Grundlagen intakter Protein-Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024
42.5.2 Dekonvolution von Proteinmassenspektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1027
42.5.3 Fragmentierung von Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029
42.5.4 Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029
42.5.5 Top-down-Proteomics in der Hochdurchsatzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1032
42.5.6 Native Top-down-­Massenspektrometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034
42.5.7 Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036
42.6 Bottom-up-Proteomanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037
42.6.1 Bottom-up-Proteomics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037
42.6.2 Bottom-up-Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1039
42.6.3 Quantitative Peptidanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1041
42.6.4 Datenabhängige Analyse (DDA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1041
42.6.5 Selected Reaction Monitoring (SRM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1042
42.6.6 SWATH-MS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1048
42.6.7 Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1050
42.6.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051
42.7 Isotopenlabel-basierte Proteomanalysen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051
42.7.1 Isotopenlabeling-Strategien für Top-down-Proteomics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1053
42.7.2 Isotopenlabelstrategien für Bottom-up-Proteomanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1058
42.7.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1062

43 Metabolomics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1065
Christian G. Huber
43.1 Technologische Plattformen für Metabolomics. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1068
43.1.1 NMR-basierte Metabolomics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069
43.1.2 Massenspektrometrie-basierte Metabolomics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071
43.2 Datenauswertung und biologische Interpretation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1074
43.3 Metabolisches Fingerprinting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1076
43.4 Unspezifische Metabolomics und Metabonomics. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1076
43.5 Spezifische Metabolomics und Metaboliten-Profiling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077
43.6 Anwendungsfelder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1079
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1079

44 I nteraktomics – systematische Analyse von


Protein-Protein-­­Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1081
Markus F. Templin, Thomas O. Joos, Oliver Pötz und Dieter Stoll
44.1 Protein-Microarrays. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1083
44.1.1 Sensitivität durch Miniaturisierung – Ambient Analyte Assay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084
44.1.2 Von DNA- zu Protein-Microarrays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084
44.1.3 Anwendungen von Protein-­Microarrays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086
44.2 Diskussion und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1089
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1090

45 Chemische Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1091


Daniel Rauh und Susanne Brakmann
XXVIII Inhaltsverzeichnis

45.1 
Chemische Biologie – innovative chemische Ansätze zum Studium biologischer
Fragestellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1092
45.2 Chemische Genetik – kleine organische Moleküle zur
Modulation von Proteinfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1094
45.2.1 Das Studium von Proteinfunktionen mit kleinen organischen Molekülen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1095
45.2.2 Vorwärts und rückwärts gerichtete Chemische Genetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097
45.2.3 Chemo-genomische Ansätze am Beispiel der Bump-and-Hole-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098
45.2.4 Identifizierung von Kinase-Substraten mithilfe der ASKA-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1102
45.2.5 Biologische Systeme mit kleinen organischen Molekülen schaltbar machen . . . . . . . . . . . . . . . 1102
45.2.6 Modifikation von Proteinen durch Erweiterung des genetischen Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104
45.3 Ligation exprimierter Proteine – Studium der posttranslationalen Modifikation von
Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104
45.3.1 Analyse lipidierter Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105
45.3.2 Analyse phosphorylierter Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1106
45.4 Chemische Biologie der Nucleinsäuren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1108

46 Toponomanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109
Walter Schubert
46.1 Konzept des Proteintoponoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1111
46.2 Imaging cycler robots: Grundlage einer Toponomlesetechnologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1112
46.3 Ein Beispiel: Spezifität und Selektivität des Zelloberflächentoponoms . . . . . . . . . . . . . . . . . 1113
46.4 Methoden der Toponomanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114
46.4.1 Multi-Epitop-Ligand-Kartographie (MELK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114
46.4.2 Probenvorbereitung und Antikörperkalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1120
46.4.3 Werkzeuge zur Visualisierung von Toponomdatensätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121
46.4.4 Funktionelle Charakterisierung topologischer Molekülhierarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1122
46.5 Hochauflösende Toponome: Biomarker für erfolgreiche Therapien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1123
46.6 Zusammenfassung und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1123
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1125

47 Organ-on-Chip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1127
Peter Loskill und Alexander Mosig
47.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129
47.1.1 Mikrofluidik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129
47.1.2 (Bio-)Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1130
47.1.3 Zellquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1131
47.2 Beispiele von Organ-on-Chip-Systemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1134
47.2.1 Gewebe mit Barrierefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1134
47.2.2 Gewebe mit Stoffwechselfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1135
47.2.3 Gewebe mit mechanischer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1136
47.2.4 Neuronale Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1136
47.2.5 Multi-Organ-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1138
47.3 Analytische Möglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1138
47.3.1 In-Chip-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1139
47.3.2 Off-Chip-Perfusatanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1140
47.3.3 Terminale Ex-situ-Analytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1140
47.4 Anwendungsgebiete der OoC-Technologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141
47.4.1 Wirksamkeitstestung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141
47.4.2 Toxikologische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1142
47.4.3 Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1142
47.4.4 Personalisierte Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1143
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1143
XXIX
Inhaltsverzeichnis

48 Systembiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1145
Olaf Wolkenhauer und Tom Gebhardt
48.1 Methodischer Ursprung systembiologischer Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1146
48.2 Der Begriff des Systems und dessen Darstellung als Netzwerk und Graph. . . . . . . . . . . . . . 1147
48.2.1 Zelluläre Funktionen, realisiert durch die Regulierung von Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1147
48.2.2 Die Beschreibung zellulärer Mechanismen als dynamische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1148
48.3 Die Rolle der Modellierung in der Molekular- und Zellbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1148
48.3.1 Methodische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1149
48.4 Der Begriff des Pathways und seine Grenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1150
48.4.1 Abstraktionen und Annahmen als Grundlage zur Untersuchung komplexer Systeme . . . . . . 1150
48.4.2 Standards als Treiber für Austausch und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1151
48.5 Ansätze zur Konstruktion und Analyse von Modellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1151
48.5.1 Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1151
48.5.2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1152
Literatur und Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1153

Serviceteil
Standard-Aminosäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1156
Nucleinsäuren und Kohlenhydrate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1157
Ausgewählte wichtige Lipide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1158
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1159
Autorenverzeichnis

Prof. Dr.  Ruedi  Aebersold  Institut für Molekulare Systembiologie, ETH Zürich, Zürich,
Schweiz

Dr.  Benedikt  M.  Beckmann  IRI Life Sciences, Humboldt Universität zu Berlin, Berlin,
Deutschland

Prof. Dr.  Annette  G.  Beck-Sickinger  Institut für Biochemie, Universität Leipzig, Leipzig,
Deutschland

Dr. Kathrin Bellmann-Sickert  Institut für Biochemie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

Prof. Dr. Hans Bisswanger  Interfakultäres Institut für Biochemie, Eberhard Karls Universität


Tübingen, Tübingen, Deutschland

Prof. Dr. Alfred Blume  Institut für Chemie - Physikalische Chemie, Martin-Luther-Universität


Halle-Wittenberg, Halle/Saale, Deutschland

Prof. Dr.  C.-Thomas  Bock  Fachgebiet Virale Gastroenteritis- und Hepatitiserreger und
Enteroviren, Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland

Dr. Reinhard Boysen  School of Chemistry, Monash University, Melbourne, Australia

Prof. Dr.  Susanne  Brakmann  Chemische Biologie, Technische Universität Dortmund,


Dortmund, Deutschland

Dr.  Katrin  Brenig  Molecular Proteomics Laboratory (MPL), Heinrich Heine Universität,
Düsseldorf, Deutschland

Prof. Dr. Hyun-Dong Chang  Institut für Biotechnologie, Technische Universität Berlin und


Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin, Berlin, Deutschland

Prof. Dr. rer. nat.  Ute  Curth  Institut für Biophysikalische Chemie OE4350, Medizinische
Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

Prof. Dr. Reinhard Dammann  Institut für Genetik, Justus-Liebig Universität Gießen, Gießen,


Deutschland

Prof. Dr.  Eva-Kathrin  Ehmoser  Institut für synthetische Bioarchitekturen, Universität für
Bodenkultur, Wien, Deutschland

Dr. Sylvia Els-Heindl  Institut für Biochemie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

Joachim  W.  Engels  Institut für Organische Chemie, Goethe Universität Frankfurt, Frankfurt
am Main, Deutschland

Dr.  Philipp  Erdmann  Molekulare Strukturbiologie, Max-Planck-Institut für Biochemie,


Martinsried, Deutschland

Prof. Dr. Lutz Fischer  Biotechnologie, Universität Hohenheim, Stuttgart, Deutschland

Dr. Betty Friedrich  Institut für Molekulare Systembiologie, ETH Zürich, Zürich, Schweiz


XXXI
Autorenverzeichnis

Dr. Thomas Fröhlich  Gene Center  – Laboratory for Functional Genome Analysis, Ludwig-­


Maximilians-­Universität, München, Deutschland

Tom  Gebhardt  Department of Systems Biology and Bioinformatics, Universität Rostock,


Rostock, Deutschland

Prof. Dr. Gudrun Göhring  Institut für Humangenetik, Medizinische Hochschule Hannover,


Hannover, Deutschland

Prof. Dr. Angelika Görg  Wissenschaftszentrum Freising-Weihenstefan, Technische Universität


München, Freising, Deutschland

Prof. Dr.  H.  Ulrich  Göringer  Fachbereich Biologie, Technische Universität Darmstadt,
Darmstadt, Deutschland

Dr. Michael Götze  Institut für Molekulare Systembiologie, ETH Zürich, Zürich, Schweiz

PD Dr. Gregor Hagelueken  Institut für Physikalische und Theoretische Chemie, Universität


Bonn, Bonn, Deutschland

Prof. Dr. Jörg Hoheisel  Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg, Deutschland

Prof. Dr. Tad A. Holak  Jagiellonian University, Kraków, Poland

Prof. Dr. Christian G. Huber  Fachbereich Molekulare Biologie, Universität Salzburg, Salzburg,


Deutschland

Dr.  Thomas  O.  Joos  Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut, Universität


Tübingen, Reutlingen, Deutschland

Dr. Kevin Jooß  Departments of Chemistry, Molecular Biosciences, and the Feinberg School


of Medicine, Northwestern University, Evanston, USA

Dr. Marion Jurk  Miltenyi Biotech GmbG, Bergisch Gladbach, Deutschland

Dr. Anette Kaiser  Institut für Biochemie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

Prof. Dr. Neil L. Kelleher  Departments of Chemistry, Molecular Biosciences, and the Feinberg


School of Medicine, Northwestern University, Evanston, USA

Dr. Josef Kellermann  Abteilung Molekulare Maschinen und Signalwege, Max-Planck-Institut


für Biochemie, Martinsried, Deutschland

Prof. Dr.  Dagmar  Klostermeier  Institut für Physikalische Chemie, Universität Münster,
Münster, Deutschland

Sven Klumpe  Molekulare Strukturbiologie, Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried,


Deutschland

Prof. Dr. Waldemar Kolanus  Life and Medical Sciences Institute (LIMES), Universität Bonn,
Bonn, Deutschland

Dr. Katja Kuhlmann  DLR Projektträger, Medizin NRW, Düsseldorf, Deutschland

Prof. Dr. Hartmut Kühn  Institut für Biochemie und Zellbiologie, Charité-Universitätsmedizin


Berlin, Berlin, Deutschland
XXXII Autorenverzeichnis

Prof. Dr.  Jens  Kurreck  Institut für Biotechnologie, Technische Universität Berlin, Berlin,
Deutschland

Dr. W.-Matthias Leeder  Fachbereich Biologie, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt,


Deutschland

Prof. Dr.  Reinhold Paul Linke  domatec GmbH, Mühldorf am Inn und amYmed, München,
Deutschland

Prof. Dr.  Peter  Loskill  Fraunhofer Institute for Interfacial Engineering and Biotechnology
IGB, Stuttgart, Deutschland

Dr. Friedrich Lottspeich  Max Planck Institut für Biochemie, Planegg-Martinsried, Deutschland

Prof. Dr.  Christian  Maercker  Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg,


Deutschland

Prof. Dr.  Werner  Mäntele  Institut für Biophysik, Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

Prof. Dr. Helmut E. Meyer  Recklinghausen, Deutschland

PD Dr.  Alexander  Mosig  Institut für Biochemie II, Universitätsklinikum Jena, Jena,
Deutschland

Prof. Dr.  Daniel  J.  Müller  Department Biosystems Science and Engineering, ETH Zürich,
Basel, Schweiz

Dr.  Michelle  Neßling  Elektronenmikroskopie, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ),


Heidelberg, Deutschland

Dr. Sandra Niendorf  Fachgebiet Virale Gastroenteritis- und Hepatitiserreger und Enteroviren,


Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland

Dr.  Eckhard  Nordhoff  Medizinisches Proteom-Center, Ruhr-Universität Bochum, Bochum,


Deutschland

Dr.  Nina  Overbeck  Molecular Proteomics Laboratory (MPL), Heinrich Heine Universität,
Düsseldorf, Deutschland

Prof. Dr. Kevin Pagel  Institut für Chemie und Biochemie/Organische Chemie, Freie Universität
Berlin, Berlin, Deutschland

Dr.  Juergen  M.  Plitzko  Molekulare Strukturbiologie, Max-Planck-Institut für Biochemie,


Martinsried, Deutschland

Dr. Tobias Pöhlmann  Bianoscience GmbH, Gera, Deutschland

Dr. Gereon Poschmann  Molecular Proteomics Laboratory (MPL), Heinrich Heine Universität,


Düsseldorf, Deutschland

Dr. Oliver Pötz  SIGNATOPE GmbH, Reutlingen, Deutschland

Dr.  Thomas  Quast  Life and Medical Sciences Institute (LIMES), Universität Bonn, Bonn,
Deutschland
XXXIII
Autorenverzeichnis

Prof. Dr.  Daniel  Rauh  Chemische Biologie, Technische Universität Dortmund, Dortmund,
Deutschland

Prof. Dr. Reinhard Renneberg  Emeritus der Hong Kong University of Science and Technology,
Clear Water Bay, Hong Kong

Dr.  Karsten  Richter Head Core Facility Unit Electron Microscopy, Deutsches


Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, Deutschland

PD Dr.  Klaus Richter  Group Leader AUC I, Coriolis Pharma Research GmbH, Martinsried,
Deutschland

Dr. Markus G. Rudolph  Chemical Biology, Hoffmann-La Roche Ltd, Basel, Schweiz

Kilian Rutzen  Genomsequenzierung, Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland

Prof. Dr.  Frieder  W.  Scheller  Institut für Biochemie und Biologie, Universität Potsdam,
Potsdam, Deutschland

Prof. Dr.  Olav  Schiemann  Institut für Physikalische und Theoretische Chemie, Universität
Bonn, Bonn, Deutschland

Prof. Dr. Philippe Schmitt-Kopplin  Department of Environmental Sciences (DES), Helmholtz-­


Zentrum München, Neuherberg, Deutschland

Doz. Dr. Walter Schubert  Otto von Guericke Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland

Dr. Martin Schwalbe  Magdeburg, Deutschland

Prof. Dr.  Gerhard K. E. Scriba  Pharmazeutische/Medizinische Chemie, Universität Jena, Jena,


Deutschland

Prof. Dr. Bernhard Spengler  Institut für Anorganische und Analytische Chemie, Justus Liebig


Universität Giessen, Giessen, Deutschland

Prof. Dr.  Doris Steinemann  Institut für Humangenetik, Medizinische Hochschule Hannover,


Hannover, Deutschland

Prof. Dr.  Boris  Steipe  Bioinformatics and Computational Biology, Universität of Toronto,
Toronto, Canada

Dr. Jan Stichel  Institut für Biochemie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

Dieter Stoll  Institut für Angewandte Forschung, Universität Albstadt-Sigmaringen, Albstadt,


Deutschland

Dr.  Nico Strohmeyer  Department Biosystems Science and Engineering, ETH Zürich, Basel,
Schweiz

Prof. Dr.  Kai Stühler  Molecular Proteomics Laboratory (MPL), Heinrich Heine Universität,
Düsseldorf, Deutschland

Markus F. Templin  Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut, Universität Tübingen,


Reutlingen, Deutschland

Dr. Andrea Thürmer  Genomsequenzierung, Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland


XXXIV Autorenverzeichnis

Dr.  Peter  Uetz  Center for Biological Data Science (CeBiDaS), Virginia Commonwealth
University, Richmond, USA

Prof. Dr.  Rolf  Wagner  Institut für Physikalishe Biologie, Heinrich Heine Universität,
Düsseldorf, Deutschland

Dr. Reiner Westermeier  Wissenschaftszentrum Freising-Weihenstefan, Technische Universität


München, Freising, Deutschland

Prof. Dr.  Olaf Wolkenhauer  Department of Systems Biology and Bioinformatics, Universität


Rostock, Rostock, Deutschland

Dr.  Aysu  Yarman  Institut für Biochemie und Biologie, Universität Potsdam, Potsdam,
Deutschland

Dr. Andreas Zappe  Institut für Chemie und Biochemie/Organische Chemie, Freie Universität


Berlin, Berlin, Deutschland

Prof. Dr.  Markus  Zweckstetter  Fachgebiet Proteinstrukturbestimmung mittels NMR, Max-


Planck-Institut für Biochemie für Biophysikalische Chemie, Göttingen, Deutschland
1 1

Bioanalytik – eine
eigenständige Wissenschaft
Jens Kurreck, Friedrich Lottspeich und Joachim W. Engels

Inhaltsverzeichnis

1.1  aradigmenwechsel in der Biochemie: von der Proteinchemie


P
zur Systembiologie – 3
1.1.1  lassische Strategie – 3
K
1.1.2 Holistische Strategie – 3

1.2 Methoden begründen Fortschritt – 4


1.2.1  roteinanalytik – 6
P
1.2.2 Molekularbiologie – 7
1.2.3 Bioinformatik – 9
1.2.4 Funktionsanalyse – 9

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_1
2 J. Kurreck et al.

Im Jahr 1975 weckten O’Farrell und Klose mit zwei Pu- Sequenzierung eingesetzt. Bestrebungen, immer mehr
1 blikationen das Interesse der Biochemiker: In ihren Ar- Genome in immer kürzerer Zeit zu analysieren, haben
beiten zeigten sie spektakuläre Bilder von Tausenden aber bald eine der wichtigsten technologischen Revolu-
voneinander getrennten Proteinen, die ersten 2D-­ tionen in den Biowissenschaften der vergangenen Jahr-
Elektropherogramme. Eine Vision entstand damals bei zehnte ausgelöst, die Entwicklung der Next-Generati-
einigen Proteinbiochemikern: Über die Analyse dieser on-Sequencing- (NGS-)Technologien (7 Kap.  34). Hat

Proteinmuster komplexe Funktionszusammenhänge die erste Sequenzierung des menschlichen Genoms noch
aufzuzeigen und damit letztendlich Vorgänge in der 13 Jahre gedauert und rund 3  Mrd. US-$ gekostet, so
Zelle aus den Proteindaten verstehen zu können. Dazu kann das Genom eines Individuums heute an einem Tag
allerdings mussten die aufgetrennten Proteine charakte- sequenziert werden. 2014 wurde das lange verfolgte Ziel
risiert und analysiert werden – eine Aufgabe, mit der die erreicht, die Kosten für die Sequenzierung eines huma-
Analytik damals hoffnungslos überfordert war. Erst nen Genoms auf unter 1000 US-$ zu senken. Damit be-
mussten völlig neue Methoden entwickelt und beste- steht heute für jeden Menschen (in den reichen Ländern
hende drastisch verbessert, die Synergieeffekte von Pro- der Welt) die Möglichkeit, sein Genom sequenzieren zu
teinchemie, Molekularbiologie, Genomanalyse und Da- lassen. Nachdem die Sequenzierung individueller Ge-
tenverarbeitung erkannt und genutzt werden, ehe wir nome technisch möglich geworden ist, besteht nun die
heute mit der Proteomanalyse an der Schwelle zur Rea- eigentliche Herausforderung darin, die ungeheuren Da-
lisierung dieser damals so utopisch scheinenden Vision tenmengen bioinformatisch auszuwerten und Schluss-
stehen. folgerungen für die Gesundheit eines Menschen zu zie-
Im Jahre 1995 entschloss sich ein internationales hen (beispielsweise die Anpassung des Lebensstils oder
Konsortium (HUGO für Human Genome Organisation) der Krebsvorsorgemaßnahmen an genetisch bedingte
mit starker Unterstützung von James Watson, das Risikofaktoren).
menschliche Genom zu sequenzieren. Wenn auch zu- Dem anfänglichen Projekt zur Entzifferung des
nächst die wissenschaftliche Gemeinde geteilter Mei- menschlichen Genoms folgten vergleichende Genom-
nung über den Nutzen dieses Unterfangens war, so ha- projekte, einerseits um die Entwicklung von Homo sa-
ben doch die Beteiligten gezeigt, dass es möglich ist, im piens zu verfolgen, und andererseits um genetische Zu-
internationalen Miteinander ein solch riesiges Unter- sammenhänge von Krankheiten zu verstehen. Wir
fangen nicht nur in der beabsichtigten Zeit, sondern so- kennen zwar den Umfang genetischer Unterschiede von
gar schneller zu erledigen. Hierbei hat sicher auch der Mensch und Schimpansen (etwa 40  Millionen geneti-
Wettstreit der kommerziellen und akademischen Teil- sche Unterschiede), die Analyse deutet aber eher auf
nehmer seinen Teil beigetragen. Craig Venter ist vielen statistische Divergenz. Bezüglich der Entwicklung out of
durch sein Auftreten und seinen Anspruch der Shotgun-­ Africa deuten die derzeitigen Daten eher auf eine Split-
Sequenzierung in Erinnerung. Die wesentlichen Grup- and-­Mix-Entwicklung, sozusagen Kombinatorik. Inter-
pen der Sequenzierung kamen aus den USA und Eng- essant ist auch der Befund, dass der Neandertaler mit
land, wobei Institute wie das Sanger in Cambridge, involviert ist. So konnten mittlerweile nicht nur die Ge-
England, das Whitehead in Cambridge, Massachusetts nome von Jetztmenschen aufgeklärt werden, sondern
und das Genome Sequencing Center in St. Louis hervor- auch die des Neandertalers und eines weiteren Mitglieds
zuheben sind. Im Jahr 2003 konnte der Goldstandard der Gattung Homo, des Denisova-Menschen. Überra-
des Humangenoms fertiggestellt werden. Als größte schenderweise sind im Genom der heute lebenden Men-
Überraschung gilt es festzuhalten, dass die tatsächliche schen einige Prozente Erbmaterial der ausgestorbenen
Zahl der Gene deutlich niedriger als erwartet ist. Mit Verwandten des modernen Menschen enthalten, d.  h.
nur etwa 20.000 Genen liegt der Mensch nicht an der die verschiedenen Populationen haben sich vor Zehn-
Spitze mit der Zahl der Gene, sondern wird von der Pe- tausenden von Jahren miteinander vermischt.
tersilie deutlich übertroffen. Die Genauigkeit der Se- Auch die Analyse der für Krankheiten verantwort-
quenzierung wird mit 99,999 % oder weniger als einem lichen Gene ist komplexer geworden. Die genomweite
Fehler in 100.000 angegeben und, was noch viel bemer- Assoziierungsstudie (GWAS) untersucht möglichst
kenswerter ist, alle Daten sind frei in Datenbanken zu- unvoreingenommen die Gene und ihre Netzwerke in
gänglich. Jeder Wissenschaftler auf der Erde hat so biologischen Stoffwechselwegen, um physiologische
freien Zugang zu dem menschlichen Genom. Damit Zusammenhänge zu entziffern. Im Falle der sog. Krebs-
sollte es möglich sein, alle erblichen Faktoren und Prä- gene (Onkogene) solider Tumoren hat sich die Zahl der
dispositionen für Krankheiten wie Diabetes oder Brust- bekannten Kandidaten in den vergangenen Jahrzehnten
krebs mit hoher Verlässlichkeit zu untersuchen. vervielfacht, und weitere Gruppenklassifizierungen fin-
Für die ersten Sequenzierungen des humanen Ge- den statt. Aktivitäten wie „The Cancer Genome Atlas“
noms wurde noch die klassische Methode der Sanger-­ zielen darauf ab, alle relevanten Gene für somatische
Bioanalytik – eine eigenständige Wissenschaft
3 1
Veränderungen zu klassifizieren. Es sollte möglich sein, posttranslationaler Modifikationen aufgeklärt und das
die Beziehungen zwischen DNA und Protein zu studie- Gen zu diesem Protein „gefischt“. So wurde das ganze
ren und festzustellen, welche Genabschnitte für regula- Arsenal der Bioanalytik für die genaue Analyse eines
torische Einheiten, wie z. B. die große Menge an kleinen wichtigen Proteins eingesetzt. Molekularbiologische
und auch großen, nicht für Proteine codierenden RNAs, Techniken erleichterten und beschleunigten enorm die
zuständig sind. Dieser als funktionelle Genomanalyse Analyse und die Validierung und gaben Hinweise auf
bezeichnete Zusammenhang ist jetzt für systematische das Expressionsverhalten der gefundenen Proteine.
Studien offen. Mit dem erfolgreichen Abschluss des Physikalische Methoden wie Röntgenstrukturanalyse
Humangenomprojekts war der Grundstein für eine (7 Kap. 25), NMR (7 Kap. 21) und Elektronenmikro-
   

groß angelegte Sequenzierung weiterer Genome gelegt. skopie (7 Kap. 23) erlaubten tiefe Einblicke in die mole-

Ein weiteres vorrangiges Ziel ist die Untersuchung der kularen Strukturen, die auf ein Verständnis der biologi-
Individualität: Was unterscheidet einzelne Menschen? schen Abläufe auf molekularer Ebene abzielten.
Hier ist eine Liste mit mehreren Millionen Einzelbasen- Man erkannte aber schnell, dass biologische Effekte
polymorphismen  – SNPs oder Single Nucleotide Poly- selten durch die Wirkung eines einzelnen Proteins zu er-
morphisms – zu nennen. Des Weiteren spielen aber auch klären sind, sondern häufig auf die Aktionsabfolge ver-
Deletionen und Insertionen sowie Translokationen, schiedener Biomoleküle zurückzuführen sind. Daher
nicht zu vergessen Variationen der Kopienzahl der Gene war es ein wesentlicher Schritt bei der Aufklärung von
(CNV, Copy Number Variation), eine wichtige Rolle bei Reaktionswegen, Interaktionspartner zu dem betrachte-
der Entstehung der Individualität. ten Protein zu finden. Waren sie gefunden, wurde an die-
sen die gleiche intensive Analytik durchgeführt. Es ist
leicht einzusehen, dass dieser iterative Prozess recht
1.1  Paradigmenwechsel in der Biochemie: langwierig war und damit die Aufklärung eines biologi-
von der Proteinchemie zur schen Reaktionswegs in der Regel mehrere Jahre in An-
spruch nahm.
Systembiologie
Trotz dieser Langsamkeit war die klassische Vorge-
hensweise unglaublich erfolgreich. Praktisch all unser
Das Humangenomprojekt hatte einen fundamentalen
jetziges Wissen um biologische Vorgänge resultiert aus
Einfluss auf die gesamten Lebenswissenschaften. Dabei
dieser Strategie. Sie hat aber dennoch einige prinzipielle
waren wesentliche Erkenntnisse, dass es technisch mög-
Limitationen. So ist es äußerst schwierig, damit netz-
lich ist, in der Bioanalytik vollautomatisierte Hoch-
werkartige Strukturen und transiente Interaktionen auf-
durchsatzanalytik zu betreiben und die enormen Daten-
zuklären und einen vollständigen Einblick in komple-
mengen auch datentechnisch zu verarbeiten. Die
xere Reaktionsabläufe biologischer Systeme zu erhalten.
Resultate der Genomprojekte zeigten, dass eine vorwie-
Eine weitere prinzipielle Limitation ist, dass die gewon-
gend datengetriebene, systematische Forschung funda-
nenen Daten in den seltensten Fällen quantitativ sind
mentale Aussagen zur Biologie liefern kann. All dies
und meist eine sehr artifizielle Situation widerspiegeln.
leitete einen tief greifenden Wandel von der klassischen,
Dies liegt in der Strategie selbst begründet, bei der ja das
zielgerichteten und funktionsorientierten Bearbeitung
komplexe biologische System immer weiter in Module
biologischer Fragestellungen zu einer systematischen,
und Untereinheiten zerlegt wird und sich damit immer
holistisch angelegten Sichtweise ein.
weiter von der biologischen in-vivo-Situation entfernt.
Bei den vielen Trenn- und Analyseschritten treten auch
unweigerlich Materialverluste auf, die unterschiedliche
1.1.1  Klassische Strategie
Proteine in unterschiedlicher und nicht vorhersagbarer
Weise betreffen. Damit sind quantitative Aussagen, die
In der klassischen Strategie war (und ist) der Ausgangs-
aber äußerst wichtig für eine mathematische Modellie-
punkt fast jeder biochemischen Untersuchung die Be-
rung von Reaktionsabläufen sind, praktisch nicht mehr
obachtung eines biologischen Phänomens (z.  B. die
möglich.
Veränderung eines Phänotyps, das Auftreten oder Ver-
schwinden einer enzymatischen Aktivität, die Weiter-
leitung eines Signals, usw.). Man versuchte nun, dieses
biologische Phänomen auf eine oder wenige molekulare 1.1.2  Holistische Strategie
Strukturen  – in den meisten Fällen auf Proteine  – zu-
rückzuführen. Hatte man ein Protein isoliert, das in Ermutigt vom Erfolg des Humangenomprojekts, be-
dem betreffenden biologischen Kontext eine entschei- gann man konzeptionell neue Wege zur Beantwortung
dende Rolle spielt, wurde nach allen Regeln der protein- biologischer Fragen anzudenken. Es keimte die Idee,
chemischen Kunst seine molekulare Struktur inklusive statt eine biologische Situation analytisch zu zerlegen
4 J. Kurreck et al.

und dann selektiv kleinste Einheiten genau zu analysie- Man versuche, sich eine moderne Biochemie vorzustel-
1 ren, das biologische System als Ganzes (holistisch, len, in der eine oder mehrerer dieser fundamentalen me-
griech. holos, ganz) zu betrachten und zu untersuchen. thodischen Entwicklungen fehlten!
Diese Vorgehensweise wird sehr erfolgreich z. B. in der Zuerst wurden die Trennmethoden entwickelt und
Physik angewendet, indem man ein definiertes System entscheidend in ihren Ausführungen verbessert. Die um-
gezielt stört und die Reaktion des Systems beobachtet fassende Bedeutung der Trennmethoden wird dadurch
und analysiert. Diese so genannte Perturbationsanalyse deutlich, dass in ihren Anfängen die Begriffe Scheide-
(lat. perturbare, stören) hat den enormen Vorteil, dass kunde oder Scheidekunst äquivalente Ausdrücke für die
die Systemantwort vorurteils- und annahmefrei beob- Chemie waren. Beginnend mit den einfachsten Trenn-
achtet werden kann und jede beobachtete Veränderung verfahren, den Extraktionen und Fällungen, wurden
direkt oder indirekt auf die Störung zurückzuführen über deutlich effektivere Methoden wie Elektrophorese
sein sollte. Diese Strategie ist für sehr komplexe Systeme und Chromatographie die Voraussetzungen geschaffen,
prädestiniert. Sie gibt auch netzwerkartige, transiente gereinigte und homogene Verbindungen zu erhalten.
und vor allem auch unerwartete Zusammenhänge wie- Mit der Darstellung reiner Stoffe war automatisch ein
der und sie ist, da sie am ganzen System ansetzt, auch ungeheurer Entwicklungsdruck auf die Analysenme-
sehr nahe an der realen biologischen Situation. Um die thoden gegeben. Bald stellte sich heraus, dass Biomak-
Vorteile dieser Strategie allerdings voll ausschöpfen zu romoleküle weitaus komplexere Strukturen besitzen als
können, müssen die beobachteten Veränderungen quan- die bis dahin bekannten kleinen Moleküle. Neue Me-
titativ gemessen werden, bei der Vielzahl an Komponen- thoden mussten entwickelt, alte an die neuen Erforder-
ten in einem biologischen System eine Herausforderung nisse angepasst werden.
an die Hochdurchsatzanalytik, die Datenverarbeitung Für ihren wirklichen Durchbruch mussten die Me-
und an eine anspruchsvolle Informatik. Die methodi- thoden erst instrumentell umgesetzt und die Instru-
schen Entwicklungen der Bioanalytik und Bioinforma- mente kommerziell verfügbar werden. Seit den
tik, getrieben und motiviert von der Genomanalyse, ha- 1950er-Jahren sind Methoden und Geräte enorm weiter-
ben aber einen Stand erreicht, der diese Art von entwickelt worden; sie sind heute manchmal bis zu ei-
holistischer Analyse eines biologischen Systems zumin- nem Faktor 10.000 schneller und empfindlicher als bei
dest mittelfristig machbar erscheinen lässt. Sie wird als ihrer Einführung. Auch der Platzbedarf der Geräte ist
wesentlicher Weg für die nächste große Vision der Le- dank modernster Mikroprozessorsteuerungen im Ver-
benswissenschaften für die nächsten Jahrzehnte gese- gleich zu ihren Urahnen um Größenordnungen geringer,
hen, die Systembiologie (7 Kap. 48), die eine mathema-
  und die Bedienung ist durch softwareunterstützte Be-
tische Beschreibung komplexer biologischer Vorgänge nutzerführung im gleichen Maße einfacher geworden.
zur Zielsetzung hat. Die Komplexität des menschlichen Jedes dieser Instrumente mag zwar für sich durchaus
Organismus zu verstehen ist auch das Ziel neuer An- teuer sein, der hohe Durchsatz der meisten Methoden
sätze, mehrere Organäquivalente in mikrophysiologi- (High-­Throughput-­Analysen) führte de facto jedoch zu
schen Systemen zu Multiorganchips oder sogar einem einer ungeheuren Kostenreduktion.
„Human-on-a-Chip“ zu kombinieren (7 Kap. 47).
  Die hochdynamische Phase der Entwicklungen dau-
ert bis in die jüngste Zeit, wie das Beispiel der Massen-
spektrometrie zeigt, die in den späten 1990er-Jahren in
1.2  Methoden begründen Fortschritt die Biologie und Biochemie Einzug hielt und die erst die
oben genannten, vollständig neuen Strategien zur Be-
So wie die zweidimensionale Gelelektrophorese, die antwortung biologischer Fragen ermöglichte, wie sie
DNA-Sequenzierung oder auch die Polymeraseketten- etwa die Proteomanalyse (7 Kap.  42) stellt. Auf der

reaktion (7 Kap. 33) bis dahin nicht mögliche Qualitä-


  Ebene der Nucleinsäuren haben die Next-Generati-
ten der Erkenntnis über biologische Zusammenhänge on-Sequencing- (NGS-)Verfahren (7 Kap.  34) die Bio-

eröffneten und gleichzeitig einen ungeheuren Entwick- wissenschaften grundlegend verändert. Stellte vor 20
lungsdruck auf ihr Umfeld ausübten, waren es prak- Jahren die Sequenzierung eines einzelnen Gens noch
tisch immer methodische Entwicklungen, die die wirk- eine Herausforderung dar, so ist heute die Analyse gan-
lich signifikanten Fortschritte in der Wissenschaft zur zer Genome zur Routine geworden. Zur Untersuchung
Folge hatten. Vor allem in den letzten Jahrzehnten ha- biologischer Zusammenhänge in lebenden Zellen kön-
ben sich die Biowissenschaften rasend schnell entwickelt nen Technologien wie RNA-Interferenz (RNAi,
und das Verständnis biologischer Zusammenhänge re- 7 Abschn.  41.2) oder CRISPR/Cas (7 Abschn.  41.3)
   

volutioniert. Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung genutzt werden, mit denen jedes der 20.000 menschli-
ist eng korreliert mit der Entwicklung der Trenn- und chen Gene in einem experimentellen Ansatz selektiv
Analysenmethoden, wie sie in . Abb. 1.1 dargestellt ist.
  ausgeschaltet werden kann, um den resultierenden Phä-
Bioanalytik – eine eigenständige Wissenschaft
5 1

..      Abb. 1.1  Wichtigste methodische Entwicklungen

notyp zu analysieren. Die neuen Technologien generie- 4Pi) zu immer höherer Auflösung erlaubt es nun, Mole-
ren ungeheure Datenmengen, die verarbeitet werden küle in Aktion in der Zelle zu beobachten. Der große
müssen. Diese Herausforderungen haben die Bioinfor- Satz: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du“ aus der
matik (7 Kap.  37) zu einer zentralen Disziplin in den
  Bibel ist auch auf den Naturwissenschaftler anzuwen-
Lebenswissenschaften werden lassen. Mit ihrer Hilfe den. All dies zeigt deutlich, dass wir uns in einer Um-
können die erhobenen Daten unter Verwendung von bruchphase befinden, in der die Analytik nicht nur die
Gen- und Proteindatenbanken analysiert werden. Trotz Aufgabe hat, als eine Hilfswissenschaft die Daten ande-
der enormen Fortschritte auf diesem Feld ist es heute rer zu bestätigen, sondern als eigenes, relativ komplexes
fast immer einfacher, genom-, transkriptom- und pro- Fachgebiet aus sich heraus Fragen formulieren und be-
teomweite Daten zu erhalten, als ihren biologischen antworten kann. So wandelt sich die Analytik immer
Sinn zu ergründen. Die Weiterentwicklung der Lichtmi- mehr von einer rein retrospektiven zu einer diagnosti-
kroskopie (beispielsweise 7 Kap. 9, Near Field Scanning
  schen und prospektiven Wissenschaft. Typisch für eine
Optical Microscope, NFOM, und Konfokalmikroskop, moderne Analytik ist das Zusammenspiel verschiedens-
6 J. Kurreck et al.

ter Einzelverfahren, bei denen jede Methode für sich nur zur genauen Qualitätskontrolle durchgeführt. Für an-
1 begrenzt fruchtbar ist, deren konzertierte Aktion aber dere Fälle reichen meist einige wenige, relativ leicht zu-
Synergismen hervorruft, bei denen Antworten ganz er- gängliche Teilsequenzen aus. Man nutzt diese Teilse-
staunlicher und neuer Qualität entstehen können. Um quenzen zur Herstellung von Oligonucleotidsonden
aber dieses Zusammenspiel erst zu ermöglichen, muss oder von synthetischen Peptiden, mit deren Hilfe mono-
ein Wissenschaftler heute die Einsatzgebiete, Möglich- spezifische Antikörper generiert werden können. Oligo-
keiten und Grenzen der verschiedenen Techniken im nucleotidsonden werden zur Isolierung des entsprechen-
Grundsatz kennen und erlernen. den Gens eingesetzt und führen letztendlich über die
DNA-Analyse, die um Größenordnungen schneller und
einfacher als eine Proteinsequenzanalyse ist, zur
1.2.1  Proteinanalytik DNA-Sequenz. Diese wird in die vollständige Amino-
säuresequenz des Proteins übersetzt. Allerdings werden
Proteine als Träger der biologischen Funktion müssen bei diesem Umweg über die DNA-Sequenz posttransla-
normalerweise aus einer relativ großen Menge Aus- tionale Modifikationen (7 Kap. 29) oder unterschiedli-

gangsmaterial von einer Unzahl anderer Proteine abge- che Proteoformen nicht erfasst. Da sie aber die Eigen-
trennt und isoliert werden. Dabei kommt einer Strate- schaften und Funktionen von Proteinen entscheidend
gieplanung, die eine gute Ausbeute bei gleichzeitigem mitbestimmen, müssen sie im Nachhinein mit allen zur
Erhalt der biologischen Aktivität anstrebt, eine enorme Verfügung stehenden, hochauflösenden Techniken am
Bedeutung zu (7 Kap. 2 und 3). Die Reinigung des Pro-
  gereinigten Protein analysiert werden. Diese Modifika-
teins selbst ist auch heute noch eine der größten Heraus- tionen können  – wie im Fall von Glykosylierungen
forderungen der Bioanalytik, sie ist oft zeitraubend und (7 Kap. 27) – sehr komplex sein, und ihre Strukturauf-

verlangt vom Experimentator fundierte Kenntnisse über klärung ist sehr anspruchsvoll.
die Trennmethoden und Eigenschaften von Proteinen Wenn man die Primärstruktur eines Proteins
(7 Kap. 11, 12, 13 und 14). Die Proteinreinigung wird
  kennt, seine posttranslationalen Modifikationen be-
begleitet von spektroskopischen (7 Kap. 8 und 9), im-
  stimmt hat und gewisse Aussagen über seine Faltung
munologischen (7 Kap. 6) und enzymologischen Unter-
  ­(Sekundärstruktur) machen kann, so wird man doch
suchungen, mit denen Proteine in einer großen Anzahl den Mechanismus seiner biologischen Funktion auf mo-
sehr ähnlicher Substanzen identifiziert und in ihrer lekularer Ebene nur in den seltensten Fällen verstehen.
Menge erfasst werden. Damit kann die Aufreinigung Um dies zu erreichen, ist die hochaufgelöste Raumstruk-
über verschiedene Schritte verfolgt und beurteilt wer- tur durch Röntgenstrukturanalyse (7 Kap.  25), NMR

den. Gründliche Kenntnisse der klassischen Proteinbe- (7 Kap.  21) oder Elektronenmikroskopie (7 Kap.  23)
   

stimmungsmethoden und enzymatischer Aktivitätstests eine Voraussetzung. Auch die Analyse von verschiedenen
sind dabei unerlässlich, da diese Methoden oft von den Komplexen (z. B. zwischen Enzym und Inhibitor) kann
spezifischen Eigenschaften des zu messenden Proteins detaillierten Einblick in molekulare Mechanismen der
abhängig sind und durch kontaminierende Substanzen Proteinaktion geben. Wegen des hohen Materialbedarfs
erheblich beeinflusst werden können. erfolgen diese Untersuchungen im Allgemeinen über den
Ist ein Protein isoliert, versucht man im nächsten Umweg der Überexpression von rekombinanten Genen.
Schritt, möglichst viel Information über die Reihenfolge Wenn die gesamte Primärstruktur, die posttransla-
seiner Aminosäurebausteine, die Primärstruktur, zu er- tionalen Modifikationen und eventuell sogar die Raum-
halten (7 Kap. 15 und 16). Dazu wird das isolierte Pro-
  struktur aufgeklärt sind, bleibt oft die Funktion eines
tein gewöhnlich direkt mit massenspektroskopischen Proteins doch noch im Dunkel. Die Funktionsanalytik
Methoden untersucht. In der Regel kann schon auf die- (7 Kap.  42,  43,  44,  45,  46,  47 und  48) als ein neuerer

ser Ebene die Identität des Proteins durch Datenbank- Bereich der Bioanalytik steht heute im Mittelpunkt des
vergleiche (7 Kap. 37) geklärt werden.
  Forschungsinteresses. So versucht man, beginnend mit
Wenn das Protein unbekannt ist oder es genauer einer intensiven Datenanalyse über die Messung von
analysiert werden muss, z. B. zur Bestimmung von post- Molekülinteraktionen (7 Kap.  36 und  44) bis hin zu

translationalen Modifikationen, wird es enzymatisch neuen Strategien zur Beantwortung von biologischen
oder chemisch in kleine Fragmente zerlegt (7 Kap. 14).
  Fragen, von den Strukturen auf die funktionellen Ei-
Diese Fragmente werden meist chromatographisch ge- genschaften der untersuchten Substanzen zu schließen.
trennt und einige davon vollständig analysiert. Die Be- Dabei haben technologische Weiterentwicklungen – vor
stimmung der Gesamtsequenz eines Proteins mit prote- allem im Bereich der Massenspektrometrie und der Bio-
inchemischen Methoden allein ist schwierig, langwierig informatik  – maßgeblich dazu beigetragen, die klassi-
und teuer und wird heute eigentlich nur bei therapeu- sche Proteinanalytik, die im besten Fall eine Funktions-
tisch eingesetzten, rekombinant hergestellten Proteinen analytik einzelner Proteinmoleküle war, in die Richtung
Bioanalytik – eine eigenständige Wissenschaft
7 1
einer Funktionsanalytik komplexer Systeme zu entwi- für er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die
ckeln. Die holistisch konzipierten Techniken, wie Pro- Technik, deren Grundprinzip gleichermaßen genial wie
teomics, Metabolomics, Toponomics und Interactomics einfach ist, wird heute in fast jedem molekularbiologi-
(7 Kap.  42,  43,  44 und  46) sind  – im Zusammenspiel
  schen Labor der Welt eingesetzt. Kleinste Mengen von
mit der Informatik und den klassischen proteinanalyti- DNA und RNA können mit ihr detektiert, quantifiziert
schen und molekularbiologischen Techniken  – dabei, und ohne Klonierung amplifiziert werden. Der Fantasie
sich zu einer echten Systembiologie (7 Kap. 48) zu ent-
  des Forschers scheinen bei den PCR-Anwendungen fast
wickeln. Um diese Entwicklung erfolgreich abzuschlie- keine Grenzen gesetzt. Wegen ihrer hohen Sensitivität
ßen, sind aber noch wesentliche Schritte zu gehen, z. B. birgt sie jedoch auch Fehlerquellen in sich, was vom An-
in der absoluten Quantifizierung und der räumlichen wender besondere Vorsicht erfordert. Ihre Weiterent-
in-vivo-Positionierung der einzelnen Proteine. wicklung zu einer miniaturisierten schnellen und kosten-
günstigen standardisierten Methode ist ein gutes Beispiel
für die Lab-on-a-Chip-Zukunft.
1.2.2  Molekularbiologie Die PCR fand natürlich auch Einzug in die Sequen-
zierung von Nucleinsäuren, eine der klassischen Domä-
In ihrer gesamten Entwicklung haben sich Methoden nen der Molekularbiologie. Die Nucleinsäuresequenzie-
der Biochemie und der Molekularbiologie stets gegen- rung war die Grundlage für das höchst anspruchsvolle,
seitig befruchtet und ergänzt. War am Anfang die Mole- internationale Humangenomprojekt. Viele vergleichen
kularbiologie vor allem mit Klonierung gleichzusetzen, das Humangenomprojekt mit dem bemannten Flug zum
so ist sie schon seit geraumer Zeit eine selbstständige Mond (allerdings erfordert es keine ähnlich hohen Geld-
Wissenschaft mit eigenen Zielen, Methoden und Ergeb- summen  – das Budget betrug durchschnittlich „nur“
nissen. Bei allen molekularbiologischen Ansätzen, sei es 200–300  Mio. US-$ pro Jahr für gut zehn Jahre). Wie
in der Grundlagenforschung oder in diagnostisch-­ ähnlich hoch gesteckte Ziele hat es zu wesentlichen tech-
therapeutischen und industriellen Anwendungen, nischen Innovationen geführt, ­insbesondere den neuen
kommt der Experimentator mit Nucleinsäuren in Kon- Techniken des Next Generation Sequencing (NGS). So
takt. Natürlich vorkommende Nucleinsäuren weisen wurden neben dem menschlichen Genom auch die Ge-
eine Vielfalt von Formen auf, d. h., sie können doppel- nome von Modellorganismen durchsequenziert, und
oder einzelsträngig, zirkulär oder linear, hochmolekular mittlerweile sind Hunderte von Eukaryotengenomen
oder kurz und kompakt, eher „nackt“ oder mit Protei- und Tausende bakterieller bzw. viraler Genome sequen-
nen assoziiert sein. Je nach Organismus, Form der Nu­ ziert. Die innerhalb des Humangenomprojekts entwi-
cleinsäure und Zielsetzung der Analyse wird eine pas- ckelten Methoden gewinnen großen Einfluss auch auf
sende Methode zu ihrer Isolierung gewählt (7 Kap. 30), biotechnologienahe Industriezweige, z.  B.  Medizin,

gefolgt von Analysemethoden zur Überprüfung ihrer Landwirtschaft oder Umweltschutz.


Intaktheit, Reinheit, Form und Länge (7 Kap. 31). Die
  Der große Fortschritt der Sequenziertechniken
Kenntnis dieser Eigenschaften ist eine Voraussetzung (7 Kap. 34) ermöglicht es nun, dass nicht nur ein Refe-

für jeden anschließenden Gebrauch und die Analyse von renzgenom für das menschliche Erbmaterial bekannt
DNA und RNA. ist, sondern dass auch das Genom einzelner Individuen
Eine erste Näherung an die Analyse der DNA-­ komplett entschlüsselt werden kann. Dies wiederum ist
Struktur erfolgt durch die Restriktionsendonuclease- für die individualisierte Medizin von großer Bedeutung,
spaltungen, gewöhnlich kurz als Restriktionsanalyse be- die die Diagnose und Therapie von Krankheiten auf je-
zeichnet (7 Abschn.  31.1.4). Erst dieses Werkzeug den spezifischen Patienten zuschneiden möchte. Die be-

ermöglichte die Geburt der Molekularbiologie in den kanntesten Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Herzin-
frühen 1970er-Jahren. Die Restriktionsendonuclease- farkt, Depression und Stoffwechselkrankheiten werden
spaltung ist auch die Voraussetzung für die Klonierung, von vielen Genen und Umweltfaktoren beeinflusst.
also die Amplifikation und Isolierung von individuellen Wenn auch zwei nicht verwandte Menschen über 99 %
und einheitlichen DNA-Fragmenten. Ihr schließt sich identische Gensequenzen tragen, so ist der geringe rest-
eine Vielzahl biochemischer Analysemethoden an, allen liche Anteil von entscheidender Bedeutung für den Er-
voran die DNA-Sequenzierung und diverse Hybridisie- folg einer Therapie. Diese Unterschiede in den Gense-
rungstechniken, mit denen aus einer großen, heteroge- quenzen zu finden, die für die Risiken verantwortlich
nen Menge verschiedener Nucleinsäuremoleküle ein sind, bietet eine große Chance zum Verständnis komple-
spezielles identifiziert, lokalisiert bzw. quantifiziert wer- xer Krankheitsursachen und -abläufe. Interessant wird
den kann. auch sein festzustellen, welche Basenaustausche in wel-
In den frühen 1980er-Jahren entwickelte Kary Mul- chen Positionen dazu beitragen, dass ein Individuum ein
lis die Polymerasekettenreaktion (PCR, 7 Kap. 33), wo- Medikament verträgt und dass dieses Medikament auch

8 J. Kurreck et al.

die gewünschte Wirkung zeigt. Pharmakogenetische tödlicher Erkrankungen beschrieben waren, in der Be-
1 Analysen haben bereits Eingang in die personalisierte völkerung weit verbreitet und nicht immer ursächlich
Behandlung gefunden, in der die Auswahl und Dosie- für Krankheiten sind. Hier ist also eine vorsichtige Revi-
rung auf den spezifischen Patienten zugeschnitten wird, sion älterer Befunde mit modernsten Technologien not-
statt die Behandlung nach dem bisherigen One-­size-­fits- wendig.
all-Prinzip vorzunehmen. Die Chemische Biologie (7 Kap. 45) als eine neuere

Nach dem Abschluss des Humangenomprojektes Disziplin der Chemie im Grenzbereich der Biologie hat
wurden aufgrund des großen Erfolges der weltweiten sich die Aufgabe gestellt, für alle Proteine kleine organi-
Kooperation im großen Stil weitere internationale Groß- sche Moleküle zu finden, die ihre Funktionen oder
projekte initiiert, so z.  B. das International HapMap Wechselwirkungen beeinflussen. Hierbei können zwar
Project, das das Ziel verfolgte, Haplotypen als Satz mit- ähnlich wie im Falle der RNAi- oder CRISPR/Cas-Tech-
einander assoziierter Single Nucleotide Polymorphisms nologie Funktionen der Zelle analysiert werden, aber
(SNPs) in einem Teil eines Chromosoms zu identifizie- zusätzlich haben die kleinen organischen Moleküle den
ren. In diesem Rahmen wurden mehrere Millionen Ein- Vorteil, schnelle Antworten zu generieren, die räumlich
zelbasenaustausche identifiziert. und zeitlich reversibel sind. So kann es gelingen, für alle
Ein weiteres Großprojekt, das ENCODE- (Encyclo- zellulären Targets kleine Moleküle zu finden, die die
pedia of DNA Elements) Projekt, wurde initiiert, um alle physiologischen Zusammenhänge erleuchten und so
funktionellen Elemente im humanen Genom zu identi- letztendlich der Medizin helfen, neue therapeutische
fizieren. Die rund 20.000 proteincodierenden Gene des Anwendungen zu nutzen.
Menschen machen weniger als 2  % des gesamten Erb- Die Analyse der linearen Struktur der DNA wird
materials aus. Die frühere Annahme, dass die restlichen durch die Bestimmung der DNA-Modifikationen abge-
98 % Junk-DNA, also Müll seien, hat sich als falsch er- rundet, allen voran die Basenmethylierung (7 Kap. 35).

wiesen. Das ENCODE-Projekt konnte zeigen, dass 75– Sie beeinflusst die Struktur der DNA und ihre Assozia-
80  % des Genoms in sog. nichtcodierende RNAs tion mit Proteinen und wirkt sich auf eine V ­ ielzahl bio-
(ncRNAs) transkribiert werden. Der Begriff ncRNA ist logischer Prozesse aus. Besonders wichtig ist die Basen-
verwirrend, und es wäre besser, von nicht Protein codie- methylierung für die Aktivität der Gene. So kann der
render RNA zu sprechen, da die ncRNAs wichtige Mensch bei seiner vergleichbar kleinen Zahl an Genen
Funktionen haben. Heute kennen wir Tausende von mi- durch Methylierung der Base Cytosin eine transkriptio-
croRNAs (miRNAs), long non-coding RNAs (lncRNAs), nelle Regulation durchführen. Dieses als Epigenetik be-
PIWI-interacting RNAs (piRNAs) und zirkulären kannte Phänomen ist für die differenzielle Expression
RNAs (circRNAs), um nur ein paar Beispiele zu nennen, der Gene in unterschiedlichen Zellen verantwortlich. Da
die vor allem regulatorische Funktionen in der Zelle die spezifischen Modifikationen der genomischen DNA
übernehmen. Das internationale FANTOM- (Functio- bei Klonierungen oder PCR-Amplifikationen verloren-
nal Annotation of Mammalian cDNA) Konsortium hat gehen, muss für ihre Detektion zuerst direkt mit geno-
2017 annähernd 30.000 humane lncRNAs beschrieben. mischer DNA gearbeitet werden, was Methoden mit
Durch die Fortschritte der Sequenziertechniken hoher Sensitivität und Auflösung erfordert.
konnte das „1000 Genome Projekt“, das im Namen de- Auch wenn sich die meisten Kapitel des vorliegenden
finierte Ziel übertreffen und mehrere Tausend mensch- Buches mit Nucleinsäuren und Proteinen beschäftigen,
liche Genome entziffern und eine Übersicht über die im so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch
menschlichen Erbmaterial auftretenden Variationen ge- weitere Klassen von Biomolekülen für das Verständnis
ben. In einem Nachfolgeprojekt, das von 2013 bis 2018 zellulärer Prozesse von essenzieller Bedeutung sind. Li-
lief, wurden sogar 100.000 Genome entziffert. Das lang- pide (7 Kap.  29) sind nicht nur der Hauptbestandteil

fristig angelegte Personal Genome Project zielt nicht nur von Membranen und wichtige Energieträger. Sie sind
darauf ab, die Genome von 100.000 Freiwilligen zu se- auch bedeutsame Signalmoleküle und Interaktionspart-
quenzieren. Vielmehr sollen die Genomdaten mit ge- ner anderer Biomoleküle. Kohlenhydrate (7 Kap.  27)  

nauen Informationen über den Lebensstil und Gesund- gehören ebenfalls zu den wichtigsten Energieträgern der
heitszustand der Sequenzierten verknüpft werden. Erst Zelle, sie zeichnen sich aber auch durch ihre hohe struk-
dadurch wird es möglich werden, die Relevanz geneti- turelle Vielfalt aus, da sie nicht nur lineare, sondern auch
scher Variationen zu verstehen. So haben neuere Stu- verzweigte Polymere bilden können. Auf der Zellober-
dien wie die des Exome Aggregation Consortium (ExAC) fläche spielen sie  – gekoppelt an Lipide und Protein  –
oder die Genome Aggregation Database (gnomAD) ge- eine wichtige Rolle bei der Interaktion von Zellen und
zeigt, dass Mutationen, die als Auslöser schwerer bzw. bei deren Kommunikation.
Bioanalytik – eine eigenständige Wissenschaft
9 1
1.2.3  Bioinformatik cDNA exprimiert werden kann, die selbst schon kloniert
vorliegt. Ein zu diesem Zweck entwickeltes – intelligen-
In den vergangenen Jahrzehnten ist eine deutliche Ten- tes – genetisches Verfahren ist die Two-Hybrid-Technik,
denz von wet labs zu dry labs zu verzeichnen; d. h. die mit der auch Wechselwirkungen zwischen Proteinen
Aktivität einiger Forscher verlagerte sich zunehmend und RNA untersucht werden können. Es darf bei allen
mehr vom Labortisch hin zu Tätigkeiten am Computer diesen Möglichkeiten jedoch nicht vergessen werden,
(7 Kap.  34 und  37). Anfangs beschränkten sich diese

dass die physiologische Signifikanz der einmal gefunde-
auf simple Homologievergleiche von Nucleinsäuren nen Wechselwirkungen von Molekülen miteinander, so
oder Proteinen, um Verwandtschaften zu ergründen plausibel sie auch erscheinen mögen, gesondert gezeigt
oder Hinweise auf die Funktion von unbekannten Ge- werden muss.
nen zu erhalten. Hinzu kommen heute mathematisch Protein-DNA-, Protein-RNA- und Protein-Protein-­
fundierte Simulationskonzepte, Mustererkennungs- und Wechselwirkungen setzen in der Zelle eine Reihe von
Suchstrategien nach strukturellen und funktionellen Prozessen in Gang, z.  B. die Expression bestimmter  –
Elementen und Algorithmen zur Gewichtung und Be- und nicht aller – Gene. Die Aktivität von Genen, die nur
wertung der Daten. Datenbanken, mit denen der Mole- in ganz bestimmten Zelltypen oder unter ganz bestimm-
kularbiologe heute Bekanntschaft macht, enthalten ten Bedingungen exprimiert werden, kann mit einer
nicht nur Sequenzen, sondern auch dreidimensionale Reihe von Methoden erfasst werden, so mit der Me-
Strukturen. Bemerkenswert und erfreulich ist, dass man thode des differential display, die einem 1:1-Vergleich ex-
über das Internet freien und manchmal interaktiven Zu- primierter RNA-Spezies gleichkommt. Nachdem man
gang zu dieser Unmenge von Daten und deren Verarbei- Gene fand, die einer differenziellen Expression unterlie-
tung hat. Diese vernetzte Informationsstruktur und de- gen, können die cis- und trans-Elemente – mit anderen
ren Bewältigung sind die Grundlagen der heutigen Worten die Promotor- bzw. Enhancerelemente und die
Bioinformatik. notwendigen Transaktivatorproteine  – bestimmt wer-
den, die diese Regulation bewirken. Dazu werden funk-
tionelle in-vitro- und in-vivo-Tests ausgeführt.
1.2.4  Funktionsanalyse Liefern alle diese Analysen einen soliden Einblick in
die spezifische Expression eines Gens und seine Regula-
Mit der Bioinformatik haben wir bereits ein Thema auf- tion, so bleibt die eigentliche Funktion des Gens – mit
gegriffen, das die systematische Funktionsanalytik er- anderen Worten sein Phänotyp  – unbekannt. Dies ist
öffnet. Hierher gehören auch die Untersuchungen der eine konsequente Folge der Ära der reversen Genetik, in
Wechselwirkungen von Proteinen untereinander oder der es vergleichsweise leicht geworden ist, DNA zu se-
mit Nucleinsäuren. Protein-DNA-Wechselwirkungen quenzieren und „offene Leserahmen“ festzustellen. Ei-
(7 Kap. 36) haben die Forscher schon früh in der Ge-

nen offenen Leserahmen bzw. eine Transkriptionsein-
schichte der Molekularbiologie beschäftigt, nachdem heit mit einem Phänotyp zu korrelieren ist schwieriger.
klar wurde, dass die genetischen trans-Faktoren meist Dazu bedarf es einer Expressionsstörung des interessie-
DNA-­bindende Proteine sind. Die Bindungsstelle kann renden Gens. Diese Genstörung kann von außen z.  B.
mit sog. Footprint-Methoden sehr genau charakterisiert durch Genmodifikation eingeführt werden, also durch
werden. In-vivo-Footprints erlauben zudem, den Beset- Mutagenisierung der interessierenden Region. Noch
zungszustand eines genetischen cis-Elements mit einem Ende des 20. Jahrhunderts war eine ortsspezifische Mu-
definierten Vorgang  – z.  B. aktiver Transkription oder tagenese nicht oder nur mit großem Aufwand durch die
Replikation – zu korrelieren. Das kann Aufschlüsse über Anwendung genetischer Rekombinationskunstgriffe
den Mechanismus der Aktivierung und auch über die in vivo möglich. Verschiedene Techniken sind heute so-
Proteinfunktion in der Zelle geben. weit optimiert worden, dass es möglich ist, in vitro ver-
Wechselwirkungen zwischen Biomakromolekülen änderte Gene auch in höhere Zellen oder Organismen
können auch durch biochemische und immunologische einzuführen und das endogene Gen zu ersetzen.
Verfahren (7 Kap.  6) aufgespürt werden, wie Affini-

Eine Modifikation des Gens bzw. der Genfunktion
tätschromatographie oder Quervernetzungsmethoden kann aber auch durch andere Methoden erbracht wer-
(7 Kap.  7), Affinitätsblots (far-Western), Immunprä-

den: Hierbei haben sich die Methoden der Translations-
zipitation und Analyse mittels Ultrazentrifugation regulation besonders bewährt. Während zunächst die
(7 Kap.  19). Bei diesen Verfahren muss in der Regel

Antisense- (7 Abschn.  41.1) bzw. Antigentechnik, bei

ein unbekannter Partner, der mit einem gegebenen Pro- der zu bestimmten Regionen komplementäre Oligonuc-
tein wechselwirkt, anschließend proteinchemisch iden- leotide in die Zelle eingeführt werden und die Expres-
tifiziert werden. Bei gentechnischen Verfahren ist dies sion des Gens inhibieren, im Vordergrund standen, hat
leichter, weil der wechselwirkende Partner von einer seit 1998 die RNAi-Technologie (7 Abschn. 41.2) eine

10 J. Kurreck et al.

gewaltigen Siegeszug erfahren. Durch die geeignete wirtschaft gefunden. Die Gründe sind vielfältig und lie-
1 Wahl der komplementären RNA kann jede beliebige gen auf der Hand; zum einen sind sie wirtschaftlich
mRNA ausgeschaltet werden. Hierbei ist es wichtig fest- begründet: Mit transgenen Tieren oder Pflanzen lassen
zuhalten, dass es sich nicht um einen Knock-out, son- sich landwirtschaftliche Erträge steigern. Expressions-
dern um einen partiellen (in der Regel 80–90  %igen) klonierung im klinischen Bereich kann neue Möglich-
Knock-down handelt. keiten zur Bekämpfung von malignen Zellen eröffnen,
Seit 2012 steht mit der CRISPR/Cas-Technologie die ohne die Expression von bestimmten Oberflächen-
(7 Abschn.  41.3) eine komplementäre Methode zur
  antigenen nicht vom körpereigenen Immunsystem er-
Verfügung, mit der die Expression eines Gens nicht nur kannt werden. Mit der Antisense- und RNAi-Technik
posttranskriptional auf der mRNA Ebene, sondern (7 Kap.  41) wird außerdem versucht, die Aktivierung

auch auf genomischer Ebene durch Zerstörung des inte- von unerwünschten Genen, z.  B. von Onkogenen, zu
ressierenden Gens unterbunden werden kann. Auch die- unterdrücken. Da jedoch ein Organismus ein unendlich
ser Ansatz wird genutzt, um durch Analyse der Loss-of-­ komplexeres System darstellt als ein kontrollierter in-­
Function-Phänotypen die Funktion und Bedeutung vitro-Ansatz oder eine einzelne Zelle, kommt es nicht
eines Gens zu untersuchen. Anders als bei der Anwen- immer zum erwünschten Effekt. Es sei an dieser Stelle
dung der RNAi-Technologie werden mit CRISPR/Cas beispielhaft daran erinnert, dass einige Erfolge in der
vollständige Knock-outs erzeugt. Ein großer Vorteil der Therapie durch diese Technik nichts mit Nucleinsäure-
CRISPR/Cas-Technologie ist es, dass Zielgene nicht nur hybridisierung in vivo zu tun hatten, sondern – wie man
zerstört werden können, um ihre Expression zu unter- später erkannte – eher mit einer lokalen, unspezifischen
binden; vielmehr ist es auch möglich, gezielte Mutatio- Aktivierung des Immunsystems aufgrund fehlender Me-
nen (oder sogar ganze Gene) in eukaryotische Zellen thylgruppen an den CpG-Dinucleotiden der verwende-
einzuführen. Hiermit lassen sich gezielt Modelle geneti- ten Oligonucleotide. Die Abkürzung CpG steht hierbei
scher Erkrankungen generieren, an denen Pathomecha- für eine Abfolge eines Cytosins und eines Guanins, die
nismen untersucht und neue Wirkstoffe entwickelt wer- über eine Phosphodiesterbrücke verknüpft sind. Derar-
den können. tige Sequenzen sind im menschlichen Genom größten-
Statt des Herunterregulierens kann durch eine Über- teils methyliert, und ihre nichtmethylierte Form wird
expression die Menge des Genproduktes erhöht werden. vom Immunsystem als Invasion eines Pathogens inter-
Dieser Ansatz wird als Kontrolle zur Komplementation pretiert. Dieser Mechanismus war nicht vollständig be-
bei RNAi- oder CRISPR/Cas-Experimenten genutzt: kannt, als die Wirkung von Antisense-­Oligonucleotiden
Zunächst wird durch RNAi-/CRISPR-Inhibition eines mit CpG-Motiven deren ­Basenpaarung an komplemen-
Gens ein Phänotyp erzeugt. Erst wenn dieser wieder täre mRNAs zugeschrieben wurde (7 Abschn.  41.1).

durch die Überexpression des blockierten Gens rück- Tatsächlich hatten die Oligonucleotide aber durch die
gängig gemacht wird, kann die Schlussfolgerung gezo- Aktivierung des Immunsystems gewirkt. Heutzutage
gen werden, dass das Gen tatsächlich ursächlich für den vermeidet man CpG-Motive in Oligonucleotiden, die
Phänotypen ist. Die Überexpression von Genen kann über den Antisense Mechanismus wirken sollen, oder
aber auch direkt zur Analyse von Genfunktionen einge- die Motive werden bewusst eingesetzt, sofern das Im-
setzt werden, indem Phänotypen analysiert werden, die munsystem aktiviert werden soll. Solche Fehlinterpreta-
durch die Überexpression hervorgerufen werden. Wei- tionen und andere, möglicherweise weniger harmlose
terhin wird die Technik der (Über-)Expression eines Komplikationen vergrößern in unseren Augen die ohne-
Transgens in der Landwirtschaft für die Produktion ge- hin gegebene Pflicht des Forschers wie auch des Anwen-
wünschter Genprodukte in transgenen Pflanzen oder ders, bei ihrer Arbeit sehr genau auf das zu achten, was
Tieren angewandt. geschieht und was geschehen kann. Eine gute Kenntnis
Sämtliche der genannten Technologien – Genmodifi- der zur Verfügung stehenden Analysenmethoden und
kation, Antisense-, RNAi- und CRISPR/Cas-­vermittelte der Interpretation der biologischen Zusammenhänge ist
Inhibition der Genexpression, Überexpression von Ge- eine der Voraussetzungen dazu. Dieses Buch will (auch)
nen  – haben reichlich Eingang in Medizin und Land- in dieser Richtung ein Beitrag sein.
11 I

Proteinanalytik
Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2 Proteinreinigung – 13
Friedrich Lottspeich

Kapitel 3 Proteinbestimmungen – 33
Lutz Fischer

Kapitel 4 Enzymatische Aktivitätstests – 45


Hans Bisswanger

Kapitel 5 Mikrokalorimetrie – 59
Alfred Blume

Kapitel 6 Immunologische Techniken – 77


Hyun-Dong Chang und Reinhold Paul Linke

Kapitel 7 Chemische Modifikation von Proteinen und


Proteinkomplexen – 117
Sylvia Els-Heindl, Anette Kaiser, Kathrin Bellmann-Sickert
und Annette G. Beck-Sickinger

Kapitel 8 Spektroskopie – 145


Werner Mäntele

Kapitel 9 Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging – 193


Thomas Quast und Waldemar Kolanus

Kapitel 10 Spaltung von Proteinen – 225


Josef Kellermann

Kapitel 11 Chromatographische Trennmethoden für Peptide


und Proteine – 239
Reinhard Boysen

Kapitel 12 Elektrophoretische Verfahren – 265


Reiner Westermeier und Angelika Görg
12

Kapitel 13 Kapillarelektrophorese – 299


Philippe Schmitt-Kopplin und Gerhard K. E. Scriba

Kapitel 14 Aminosäureanalyse – 327


Josef Kellermann

Kapitel 15 Proteinsequenzanalyse – 341


Friedrich Lottspeich

Kapitel 16 Massenspektrometrie – 359


Helmut E. Meyer, Thomas Fröhlich, Eckhard Nordhoff und
Katja Kuhlmann

Kapitel 17 Massenspektrometriebasierte Immunassays – 415


Oliver Pötz, Thomas Joos, Dieter Stoll
und Markus Templin

Kapitel 18 Bildgebende Massenspektrometrie – 423


Bernhard Spengler

Kapitel 19 Protein-Protein-Wechselwirkungen – 433


Peter Uetz, Eva-Kathrin Ehmoser, Dagmar Klostermeier,
Klaus Richter und Ute Curth

Kapitel 20 Bio- und biomimetische Sensoren – 473


Frieder W. Scheller, Aysu Yarman und Reinhard Renneberg
13 2

Proteinreinigung
Friedrich Lottspeich

Inhaltsverzeichnis

2.1 Eigenschaften von Proteinen – 14

2.2 Proteinlokalisation und Reinigungsstrategie – 17

2.3 Homogenisierung und Zellaufschluss – 18

2.4 Die Fällung – 20

2.5 Zentrifugation – 21
2.5.1  rundlagen – 22
G
2.5.2 Zentrifugationstechniken – 23

2.6  btrennung von Salzen oder hydrophilen


A
Verunreinigungen – 25

2.7 Konzentrierung – 27

2.8 Detergenzien und ihre Entfernung – 28


2.8.1 E igenschaften von Detergenzien – 28
2.8.2 Entfernen von Detergenzien – 31

2.9 Probenvorbereitung für die Proteomanalyse – 32

Literatur und Weiterführende Literatur – 32

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_2
14 F. Lottspeich

Proteinreinigung ist ein wesentlicher Bestandteil der Lö- zwanzigsten Jahrhunderts die Struktur und der Aufbau
sung biologischer Fragestellungen. Dabei bestimmt die von Proteinen im Dunkeln. Erst die Entwicklung von
Fragestellung ganz maßgeblich die Reinigungsstrategie. leistungsfähigen Reinigungsmethoden, mit denen sich
2 55 Aufgrund der unterschiedlichen Proteineigenschaften
sind die Art und Reihenfolge der benötigten Reini-
einzelne Proteine aus komplexen Gemischen isolieren
lassen, begleitet von einer Revolution der Techniken zur
gungsschritte für einen optimalen Reinigungsgang oft Analyse der aufgetrennten Proteine, ermöglichte unser
nicht einfach vorherzusagen. heutiges Verständnis der Proteinstrukturen.
55 Der Einsatz von Detergenzien oder chaotropen Agen- In diesem Kapitel werden diese Reinigungsmetho-
zien ist für schlecht lösliche Proteine fast immer erfor- den beschrieben; dabei soll erkennbar sein, wie sie syste-
derlich. matisch und strategisch eingesetzt werden. Es ist äußerst
55 Wird ein spezifisches Protein in sehr reiner Form be- schwierig, das Thema unter generellen Aspekten zu be-
nötigt, wie z.  B. für die Untersuchung von Struktur- trachten, da sich die physikalischen und chemischen Ei-
Funktions-­ Beziehungen oder für therapeutische genschaften verschiedener Proteine immens unterschei-
Zwecke, müssen im Allgemeinen verschiedenste Reini- den können. Diese Vielfalt ist aber biologisch notwendig,
gungsmethoden kombiniert werden. Das Kapitel soll da Proteine – die eigentlichen Werkzeuge und Baustoffe
helfen, ein Konzept dafür zu designen. einer Zelle  – die unterschiedlichsten Funktionen aus-
55 Für viele Fragestellungen  – vor allem in der Proteo- üben müssen.
manalyse  – wird eine quantitative Aussage über die
Menge eines oder mehrerer Proteine benötigt. Hier
können nur wenige effiziente Reinigungsschritte unter 2.1  Eigenschaften von Proteinen
Verwendung hochselektiver Trennverfahren eingesetzt
werden. Größe von Proteinen  Die Größe von Proteinen kann sehr
unterschiedlich sein, von kleinen Polypeptiden, wie dem In-
Die Untersuchung von Struktur und Funktion von Pro- sulin, das aus 51 Aminosäuren besteht, bis zu sehr großen
teinen beschäftigt die Wissenschaft schon seit über zwei- multifunktionellen Proteinen, z. B. dem Apolipoprotein B,
hundert Jahren. 1777 fasste der französische Chemiker einem cholesterintransportierenden Protein, das aus einer
Pierre J. Macquer unter dem Begriff Albumine alle Subs- Kette von über 4600 Aminosäuren besteht, mit einer mo-
tanzen zusammen, die das eigenartige Phänomen zeig- lekularen Masse von mehr als 500.000 Dalton (500 kDa).
ten, beim Erwärmen vom flüssigen in festen Zustand Viele Proteine bestehen aus Oligomeren von gleichen oder
überzugehen. Zu diesen Substanzen gehörten das Hüh- verschiedenen Proteinketten und haben Molekülmassen
nereiweiß, das Casein und der Blutbestandteil Globulin. bis zu einigen Millionen Dalton. Ganz allgemein ist zu er-
Schon 1787, etwa zur Zeit der französischen Revolution, warten, dass, je größer ein Protein ist, umso schwieriger
wurde über die Reinigung von gerinnbaren, eiweißarti- seine Isolierung und Reinigung sein wird. Dies hat seinen
gen Substanzen aus Pflanzen berichtet. Im frühen neun- Grund in den analytischen Verfahren, die bei großen Mo-
zehnten Jahrhundert wurden viele Proteine wie Albu- lekülen sehr geringe Effizienz zeigen. In . Abb. 2.1 ist die

min, Fibrin oder Casein gereinigt und analysiert, und es Trennkapazität einzelner Trennverfahren (die maximale
zeigte sich bald, dass diese Verbindungen erheblich Anzahl von Analyten, die unter optimalen Bedingungen
komplizierter aufgebaut waren als die damals bekann- voneinander getrennt werden können) gegen die Molekül-
ten anderen organischen Moleküle. Das Wort Protein masse aufgetragen. Man sieht, dass für kleine Moleküle
wurde wahrscheinlich von dem schwedischen Chemiker wie Aminosäuren oder Peptide einige chromatographische
Jöns J. von Berzelius um 1838 geprägt und dann von Verfahren durchaus in der Lage sind, mehr als 50 Analyten
dem Holländer Gerardus J. Mulder zusammen mit einer in einer Probe zu trennen. Im Bereich der Proteine erkennt
chemischen Formel publiziert, die Mulder damals als man, dass von den chromatographischen Techniken eigent-
allgemeingültig für eiweißartige Stoffe ansah. Homoge- lich nur die Ionenaustauschchromatographie komplexere
nität und Reinheit dieser damals gereinigten Proteine Gemische halbwegs effizient aufzutrennen vermag und
entsprachen natürlich nicht den heutigen Ansprüchen, dass in diesem Molekülmassenbereich die elektrophoreti-
sie zeigten jedoch, dass sich einzelne Proteine durchaus schen Techniken weitaus leistungsfähiger sind. Aus diesem
voneinander unterscheiden lassen. Die Reinigung Grund wird auch in der Proteomanalyse (der Analyse al-
konnte damals nur gelingen, weil man einfache Schritte ler Proteine einer Zelle), bei der mehrere Tausend Proteine
nutzen konnte: die Extraktion zur Anreicherung, die aufgetrennt werden müssen, heute praktisch ausschließlich
Ansäuerung zur Ausfällung und die Kristallisation beim mit elektrophoretischen Verfahren (ein- und zweidimensio-
einfachen Stehenlassen einer Lösung. Schon 1889 er- nale Gelelektrophorese) gearbeitet. Aus der Abbildung ist
hielt Hofmeister das Hühneralbumin in kristalliner auch ersichtlich, dass es keine effizienten Trennverfahren
Form. Obwohl Sumner 1926 enzymatisch aktive Urease für große Moleküle, z. B. für Proteinkomplexe mit Mole-
kristallisieren konnte, blieben doch bis zur Mitte des külmassen von mehr als 150 kDa, oder für Organellen gibt.
Proteinreinigung
15 2

Molekülmasse (in Da)

1D-Elektro-
phorese

..      Abb. 2.1  Die Trennkapazität einzelner Trennmethoden (die maxi- terschiedlich. SEC Ausschlusschromatographie; HIC Hydrophobe
male Anzahl der in einer Analyse voneinander getrennten Substanzen) Interaktionschromatographie; IEC Ionenaustauschchromatographie;
ist für unterschiedliche Molekülmassen der Substanzen deutlich un- RPC Reversed-Phase-Chromatographie; CE Kapillarelektrophorese

Molare Masse = Molmasse (M) Die Trenneffizienz einer Methode ist jedoch nicht immer
fälschlich oft als Molekulargewicht bezeichnet; ist der relevante Parameter, der bei der Reinigung eine
keine Masse, sondern der Quotient aus Masse einer Rolle spielt. Stehen selektive Reinigungsschritte zur Ver-
Substanz, dividiert durch die Stoffmenge der Subs- fügung, tritt die Bedeutung der Trennkapazität ganz in
tanz. Einheit: g mol–1. den Hintergrund, und die Selektivität wird zur entschei-
denden Größe. So hat eine Affinitätsreinigung, die auf
der spezifischen Wechselwirkung einer bestimmen Subs-
tanz zu einer Affinitätsmatrix beruht, z. B. eine Immun-
Absolute Molekülmasse (mM)
präzipitation oder eine Antikörperaffinitätschromato-
Die molare Masse (M) eines Moleküls dividiert graphie, eine ganz schlechte Trennkapazität von „1“,
durch die Anzahl der Teilchen in einem Mol (Avoga- aber eine extrem hohe Selektivität, mit der man aus einer
dro-Konstante NA): mM = M/NA. Einheit: g. sehr komplexen Mischung ein Protein in einem einzigen
Schritt isolieren kann.
Da bei den wichtigsten Reinigungstechniken, der
Relative Molekülmasse (Mr) Elektrophorese 7 Kap.  12 und der Chromatographie

(7 Kap.  11), die Analyten in gelöster Form vorliegen


Die auf 1/12 der Masse des 12C-Isotops normierte


müssen, ist die Löslichkeit, die das Protein in wässrigen
Molekülmasse (dimensionslos).
Puffermedien besitzt, ein weiterer wichtiger Parameter
bei der Planung einer Proteinreinigung. Viele intrazellu-
läre, im Cytosol lokalisierte Proteine (z. B. Enzyme) sind
Dalton (Da) gut löslich, während Proteine, die strukturbildende
Eine nach dem englischen Naturforscher John Dal- Funktionen haben, wie z. B. die Proteine des Cytoske-
ton (1766–1844) benannte, nicht SI-konforme Mas- letts oder Membranproteine, meist deutlich schlechter
seeinheit. Ein Dalton ist gleich der atomaren Mas- löslich sind. Besonders schlecht in wässrigen Medien
seneinheit (u  =  1/12 der Masse von 12C) und handhabbar sind die sehr hydrophoben, integralen
entspricht in etwa der Masse eines Wasserstoffatoms Membranproteine, deren natürliche Umgebung Lipid-
(1,66 · 10−24 g). Gebräuchlich in der Biochemie ist membranen sind und die ohne Lösungsvermittler wie
vor allem kDa (Kilodalton = 1000 Da). Detergenzien (7 Abschn.  2.8) aggregieren und ausge-

fällt werden.
16 F. Lottspeich

Verfügbare Menge  Die im Ausgangsmaterial verfügbare Oft geht sie einher mit Bindungseigenschaften zu ande-
Menge spielt eine entscheidende Rolle für den Aufwand, ren Molekülen, z.  B.  Enzym-Substrat oder -Cofaktor,
der für eine Proteinreinigung betrieben werden muss. Ein Rezeptor-Ligand, Antikörper-Antigen, etc. Diese sehr
2 zur Reinigung bestimmtes Protein ist vielleicht nur in we-
nigen Kopien pro Zelle vorhanden (z. B. Transkriptions-
spezifischen Bindungen werden zum Design von Affini-
tätsreinigungen verwendet (Affinitätschromatographie)
faktoren) oder in wenigen Tausend Kopien (z.  B. viele und zeichnen sich unter optimalen Bedingungen durch
Rezeptoren). Häufige Proteine (z.  B.  Enzyme) können hohe Anreicherungsfaktoren und damit durch eine an-
Prozentanteile des Gesamtproteins einer Zelle ausma- ders kaum erreichbar große Effizienz aus.
chen. Überexprimierte Proteine liegen oft in deutlich hö-
herer Menge vor (>50 %), ebenso einige Proteine in Kör- Stabilität  Extrahiert man Proteine aus ihrem biologischen
perflüssigkeiten (z.  B.  Albumin in Plasma >60  %). Da Milieu, werden sie oft in ihrer Stabilität merklich beein-
normalerweise die Reinigung mit steigender Menge eines trächtigt, da sie von Proteasen (proteolytischen Enzymen)
Proteins um ein Vielfaches einfacher wird, sollten gerade abgebaut werden oder zu unlöslichen Aggregaten assoziie-
bei der Isolierung von seltenen Proteinen verschiedene ren, was fast immer zu einem irreversiblen Verlust der bio-
Quellen von Ausgangsmaterial auf den Gehalt des inter- logischen Aktivität führt. Aus diesen Gründen werden in
essierenden Proteins untersucht werden. den ersten Schritten einer Proteinisolierung oft Protea-
se-Inhibitoren zugesetzt, und die Reinigung wird generell
Säure/Base-Eigenschaften  Proteine haben aufgrund ih- rasch und bei niedrigen Temperaturen durchgeführt.
rer Aminosäurezusammensetzung bestimmte saure oder
basische Eigenschaften, was bei der Trennung über Ionen-
Bedenkt man die Vielfalt der Eigenschaften von Protei-
austauschchromatographie und Elektrophoresen ausge-
nen, wird schnell klar, dass eine Proteinreinigung nicht
nutzt wird. Die Nettoladung eines Proteins hängt vom
einer schematischen Vorschrift folgen kann. Für eine
pH-Wert der umgebenden Lösung ab und ist bei niedri-
erfolgreiche Isolierungsstrategie ist – neben einem Ver-
gem pH-Wert positiv, bei hohem pH-Wert negativ und
ständnis des Verhaltens von Proteinen in den verschie-
null am isoelektrischen Punkt; bei diesem pH-Wert kom-
denen Trennverfahren und einem minimalen Wissen
pensieren sich die positiven und negativen Ladungen.
um die Löslichkeits- und Ladungseigenschaften des zu
reinigenden Proteins – auch eine klare Vorstellung not-
Biologische Aktivität  Erschwert wird die Reinigung eines
wendig, zu welchem Zweck das Protein gereinigt wer-
Proteins oft dadurch, dass ein bestimmtes Protein nur auf-
den soll.
grund seiner biologischen Aktivität in der Vielfalt der ande-
ren Proteine zu erkennen und zu lokalisieren ist. Daher
muss man in jeder Phase einer Proteinisolierung auf den
Erhalt dieser biologischen Aktivität Rücksicht nehmen. Sie Zielsetzung einer Aufreinigung  Vor allem die ersten
beruht normalerweise auf einer bestimmten molekularen Schritte eines Reinigungsganges, die anzustrebende Rein-
und räumlichen Struktur. Wird sie zerstört, spricht man heit und auch die einzusetzende Analytik sind in hohem
von Denaturierung, diese ist oft irreversibel. Um Denatu- Maße davon abhängig, mit welcher Intention ein be-
rierung zu vermeiden, muss man in der Praxis den Einsatz stimmtes Protein gereinigt werden soll. So müssen bei der
einiger Reinigungsverfahren von vorneherein ausschließen. Isolierung eines Proteins für therapeutische Zwecke
Die biologische Aktivität ist oft unter verschie- (z. B. Insulin, Wachstumshormone oder Blutgerinnungs-
denen Umgebungsbedingungen unterschiedlich sta- hemmer) ungleich höhere Anforderungen an die Reinheit
bil. Zu hohe oder zu niedrige Pufferkonzentrationen, gestellt werden als für ein Protein, das im Labor für struk-
Temperaturextreme, Kontakte zu unphysiologischen
­ turelle Untersuchungen gebraucht wird. In vielen Fällen
Oberflächen wie Glas oder fehlende Cofaktoren können will man ein Protein nur für die eindeutige Identifizierung
biologische Charakteristika von Proteinen verändern. oder für die Aufklärung einiger weniger Aminosäurese-
Manche dieser Veränderungen sind reversibel: Vor al- quenzabschnitte isolieren. Dazu reicht eine sehr kleine
lem kleine Proteine sind auch nach Denaturierung und Menge Protein (üblicherweise im Mikrogrammbereich).
Verlust der Aktivität häufig in der Lage, unter bestimm- Mit der Sequenzinformation kann man das Protein in
ten Bedingungen zu renaturieren, d.  h. ihre biologisch Proteindatenbanken identifizieren, oder es lassen sich Oli-
aktive Form wiederzugewinnen. Bei größeren Proteinen gonucleotidsonden herstellen und das Gen des Proteins
gelingt dies selten und oft nur mit schlechter Ausbeute. isolieren. Das kann dann in einem Gastorganismus in viel
Die Messung der biologischen, etwa der enzymati- größerer Menge (bis zu Grammmengen) exprimiert wer-
schen Aktivität gibt die Möglichkeit, die Reinigung ei- den, als es in der ursprünglichen Quelle vorhanden war
nes Proteins zu verfolgen: Mit zunehmenden Reini- (heterologe Expression). Viele der weiteren Untersuchun-
gungsschritten wird eine höhere spezifische Aktivität gen werden dann nicht mit dem Material aus der natürli-
gemessen. Daneben kann die biologische Aktivität chen Quelle durchgeführt, sondern mit dem rekombinan-
selbst für die Reinigung des Proteins ausgenutzt werden. ten Protein.
Proteinreinigung
17 2
Strategisch neue Ansätze zur Analyse biologischer Um ein intrazelluläres Protein zu isolieren, müssen
Fragestellungen, wie die Proteomanalyse und subtrak- die Zellen in einer Weise zerstört werden, die den lösli-
tive Ansätze, erfordern vollständig neue Arten der Pro- chen Inhalt der Zelle freigibt und die das interessierende
benvorbereitung und Proteinisolierung, da hier die Protein intakt lässt. Die Methoden des Zellaufschlusses
quantitativen Verhältnisse der einzelnen Proteine nicht (Zelldisruption) unterscheiden sich vor allem je nach
verändert werden dürfen (7 Kap.  42). Eine große Er-
  Zellart und Menge der aufzuschließenden Zellen.
leichterung bei diesen neuen Strategien ist aber, dass auf
den Erhalt der biologischen Aktivität nicht mehr geach- Membranproteine und andere unlösliche Proteine  Mem-
tet werden muss. branassoziierte Proteine werden üblicherweise nach Iso-
Auch wenn jede Proteinreinigung als ein Einzelfall lierung der relevanten Membranfraktion aus dieser gerei-
zu betrachten ist, so kann man doch vor allem für die nigt. Dazu werden periphere Membranproteine, die nur
ersten Reinigungsschritte einige allgemeine Regeln und lose an Membranen gebunden sind, durch relativ milde
Verfahren finden, die bei erfolgreichen Isolierungen Bedingungen, z. B. hohen pH-Wert, EDTA-Zugabe oder
schon häufig angewendet worden sind und im Folgen- niedere Konzentrationen eines nichtionischen Deter-
den im Detail besprochen werden sollen. gens, von der Membran abgetrennt und können dann oft
weiter wie lösliche Proteine behandelt werden. Integrale
Membranproteine, die außerhalb ihrer Membran über
2.2  Proteinlokalisation und hydrophobe Aminosäuresequenzbereiche aggregieren
Reinigungsstrategie und unlöslich werden, können nur mithilfe hoher Deter-
genskonzentrationen aus der Membran isoliert werden,
Der erste Schritt jeder Proteinreinigung hat zum Ziel, sie stellen heute wohl die größte Herausforderung an die
das gewünschte Protein in Lösung zu bringen und al- Isolierungs- und Reinigungstechniken dar.
les partikuläre und unlösliche Material abzutrennen. In normalen wässrigen Puffern unlösliche Proteine
. Abb. 2.2 zeigt ein Schema für verschiedene Proteine.
  sind i.  A.  Strukturproteine (z.  B.  Elastin), die manch-
Für die Reinigung eines löslichen extrazellulären Pro- mal auch noch über posttranslational angefügte funk-
teins müssen Zellen und andere unlösliche Bestandteile tionelle Gruppen (posttranslationale Modifikationen)
abgetrennt werden, um eine homogene Lösung zu erhal- quervernetzt sind. Hier ist der erste und sehr effiziente
ten, die dann den in den weiteren Abschnitten bespro- Reinigungsschritt die Entfernung aller löslichen Pro-
chenen Reinigungs- oder Analyseverfahren unterworfen teine. Weitere Schritte sind meist nur mehr unter Be-
werden kann (Fällung, Zentrifugation, Chromatogra- dingungen möglich, die die native Struktur des Proteins
phie, Elektrophorese, etc.). Quellen für extrazelluläre zerstören. Die weitere Bearbeitung erfolgt oft nach Auf-
Proteine sind beispielsweise Kulturüberstände von Mi- lösung der Quervernetzung an den denaturierten Protei-
kroorganismen, pflanzliche und tierische Zellkultur- nen und unter Verwendung von chaotropen Reagenzien
medien oder auch Körperflüssigkeiten wie Milch, Blut, (z. B. Harnstoff) oder Detergenzien.
Harn oder Cerebrospinalflüssigkeit. Meist liegen extra-
zelluläre Proteine gelöst in relativ geringen Konzentra- Rekombinante Proteine  Eine besondere Situation liegt
tionen vor und erfordern als nächsten Schritt eine effizi- bei der Herstellung von rekombinanten Proteinen vor.
ente Konzentrierung. Eine sehr einfache Reinigung ergibt sich nach der Expres-

..      Abb. 2.2  Reinigungsschema für


verschiedene Proteine. Je nach
Lokalisation und Löslichkeit der zu
reinigenden Proteine sind verschie-
dene Vorreinigungsschritte durchzu-
führen, bevor selektive und hocheffi-
ziente Schritte folgen können
18 F. Lottspeich

sion von rekombinanten Proteinen in inclusion bodies. 55 Verhinderung von Aggregation


Dies sind dichte Aggregate des rekombinanten Produktes, 55 möglichst wenig Zerstörung von Organellen
die in einem nicht nativen Zustand vorliegen und unlös- 55 keine Interferenz mit biologischen Analysen und
2 lich sind, sei es, weil die Proteinkonzentration zu hoch ist,
weil das exprimierte Protein in der bakteriellen Umge-
funktionellen Tests

bung nicht korrekt gefaltet werden kann oder weil die Normalerweise geschieht dies durch isotonische Puffer
Ausbildung der (richtigen) Disulfidbrücken in dem redu- bei neutralem pH-Wert, denen oft ein Cocktail von Pro-
zierenden Milieu im Inneren des Bakteriums nicht mög- tease-Inhibitoren zugesetzt wird (. Tab. 2.1).

lich ist. Nach einer einfachen Reinigung durch differenzi- Will man intrazelluläre Organellen wie Mitochond-
elle Zentrifugation (7 Abschn. 2.5.2), bei der die anderen
  rien, Kerne, Mikrosomen etc. oder intrazelluläre Pro-
unlöslichen Zellbestandteile abgetrennt werden, erhält teine isolieren, müssen die (noch) intakten Zellen auf-
man das rekombinante Protein praktisch rein, muss es gebrochen werden. Dies wird durch eine mechanische
aber durch Renaturierung noch in den biologisch aktiven Zerstörung der Zellwand erreicht, bei der Reibungs-
Zustand überführen. wärme entstehen kann und die daher möglichst unter
Wenn die Expression von rekombinanten Proteinen Kühlung durchgeführt werden soll. Die technische Rea-
nicht zu inclusion bodies führt, liegt das Protein je nach lisierung des Aufschlusses variiert je nach Ausgangsma-
verwendetem Vektor in löslichem Zustand innerhalb terial und Lokalisation der gewünschten Zielstruktur
oder außerhalb der Zelle vor. Hier lehnt sich die Reini- (. Tab. 2.2).

gung sehr an die Reinigung von natürlichen Proteinen Bei sehr empfindlichen Zellen (z.  B.  Leukocyten,
an, nur mit dem Vorteil, dass das zu isolierende Protein Ciliaten) genügt oft ein wiederholtes Pipettieren der
schon in relativ großer Menge vorliegt. Zellsuspension oder Pressen durch ein Sieb, um einen
Rekombinante Proteine können durch Verwendung Aufschluss durch schwache Scherkräfte zu erreichen.
spezifischer Markerstrukturen (Tags) (7 Kap.  19) sehr
  Für die etwas stabileren tierischen Zellen werden die
einfach gereinigt werden. Typische Beispiele sind die Fu- Scherkräfte mit einem Glaspistill in einem Glasröhr-
sionsproteine, bei denen auf DNA-Ebene die codieren- chen erzeugt (Dounce-Homogenisator). Für pflanzli-
den Bereiche für eine Tag-Struktur und für das ge- che und Bakterienzellen sind diese Methoden nicht
wünschte Protein ligiert und als ein Protein exprimiert geeignet.
werden. Über spezifische Affinitätschromatographien 55 Zellen, die keine Zellwand besitzen und die nicht in
mit Antikörpern gegen die Tag-Struktur können solche Zellverbänden assoziiert sind (z. B. isolierte Blutzel-
Fusionsproteine mit einem einzigen Schritt gereinigt len), können osmolytisch aufgebrochen werden, in-
werden. Beispiele dafür sind GST-Fusionsproteine mit dem sie in eine hypotonische Umgebung gebracht
Antikörpern gegen GST oder biotinylierte Proteine über werden (z.  B. in destilliertes Wasser). Das Wasser
Avidinsäulen. Eine weitere häufig verwendete Tag-­ dringt in die Zellen ein und bringt sie zum Platzen.
Struktur sind Polyhistidinreste, die an das N- oder Bei Zellen mit Zellwänden (Bakterien, Hefen) müs-
C-terminale Ende der Proteinkette geknüpft werden und sen die Zellwände enzymatisch (z. B. mit Lysozym)
die über immobilisierte Metallaffinitätschromatogra- abgedaut werden, bevor ein osmolytischer Auf-
phie einfach zu isolieren sind. schluss gelingt. Diese Aufschlussart ist sehr scho-
nend und eignet sich daher besonders für die Isolie-
rung von Zellkernen und anderen Organellen.
2.3  Homogenisierung und Zellaufschluss 55 Für Bakterien wird oft wiederholtes Einfrieren und
Auftauen als Aufschlussmethode eingesetzt, wobei
Um biologische Bestandteile aus intakten Geweben rei- der Wechsel der Aggregatzustände die Zellmembra-
nigen zu können, müssen diese komplexen Zellverbände nen so deformiert, dass sie aufbrechen und der intra-
in einem ersten Schritt durch Homogenisieren zerstört zelluläre Inhalt frei wird.
werden. Dabei entsteht ein Gemisch aus intakten und 55 Mikroorganismen und Hefen können in dünner
aufgebrochenen Zellen, Zellorganellen, Membranfrag- Schicht zwei bis drei Tage bei 20–30  °C getrocknet
menten und auch kleinen chemischen Verbindungen, die werden, wobei die Zellmembran zerstört wird. Die
aus dem Cytoplasma und aus beschädigten subzellulä- getrockneten Zellen werden in einem Mörser zerrie-
ren Kompartimenten stammen. Da die zellulären Kom- ben und können bei 4 °C auch über längere Zeit ge-
ponenten in eine unphysiologische Umgebung überführt lagert werden. Lösliche Proteine lassen sich mit ei-
werden, sollte das Homogenisierungsmedium verschie- nem wässrigen Puffer aus dem trockenen Pulver in
dene Grundvoraussetzungen erfüllen: wenigen Stunden wieder in Lösung bringen.
55 Schutz der Zellen vor osmotischem Platzen 55 Mit kalten, wassermischbaren organischen Lösungs-
55 Schutz vor Proteasen mitteln (Aceton, −15  °C, 10-faches Volumen) kön-
55 Schutz der biologischen Aktivität (Funktion) nen Zellen schnell entwässert werden, wobei die Li-
Proteinreinigung
19 2

..      Tab. 2.1 Protease-Inhibitoren

Substanz Konzentration Inhibitor von

Phenylmethylsulfonylfluorid (PMSF) 0,1–1 mM Serinproteasen


Aprotinin 0,01–0,3 μM

ε-Amino-n-capronsäure 2–5 mM

Antipain 70 μM Cysteinproteasen

Leupeptin 1 μM
Pepstatin A 1 μM Aspartatproteasen

Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) 0,5–1,5 mM Metalloproteasen

..      Tab. 2.2  Biologische Ausgangsmaterialien und Aufschlussmethoden. (Nach Methods in Enzymology 1990)

Material Aufschlussmethode Bemerkungen

Bakterien
grampositiv enzymatisch mit Lysozym Peptidoglykanzellwand
EDTA/Tris macht Zellwand permeabel
French-Presse
gramnegativ Zellmühle mit Glaskugeln mechanische Zerstörung der Zellwand
Einfrieren-Auftauen
Ultraschall für große Mengen wegen lokaler Überhitzung
ungeeignet
Hefen Autolyse 24–28 h mit Toluol
French-Presse mehrfach, da ineffizient
mechanisch mit Glaskugeln gute Effizienz
enzymatisch mit Zymolase Protease-Inhibitoren zufügen
Pflanzen Messerhomogenisator hoher Proteasengehalt in Pflanzen
+ Dithiothreitol Polyvinylpyrrolidon
+ Phenoloxidase-Inaktivatoren
+ Protease-Inhibitoren
faserige Gewebe Zermahlen in flüssigem Stickstoff kalter Homogenisierungspuffer
nicht faserige Gewebe Zermahlen, eventuell nach Trocknen
höhere Eukaryoten
Zellen, die in Suspensionskultur Osmolyse mit hypotonischem Puffer sehr empfindliche Zellen
wachsen Pressen durch Sieb
wiederholtes Pipettieren der Protease-Inhibitoren zufügen
Suspension
faserige Zellen Zerkleinern
Dounce-Homogenisator
Muskelgewebe Kleinschneiden, Fleischwolf schwierig aufzuschließen

pide in die organische Phase extrahiert und so die 55 Bei stabilen Zellen wie Pflanzenzellen, Bakterien und
Zellwände zerstört werden. Nach Abzentrifugieren auch Hefen kann das Zerreiben mit Mörser und Pis-
bleiben die Proteine im Niederschlag, aus dem man till zum Zellaufschluss angewendet werden, wobei
sie durch Extraktion mit wässrigen Lösungsmitteln allerdings auch größere Organellen (Chloroplasten)
wiedergewinnen kann. geschädigt werden können. Durch Zugabe eines Ab-
20 F. Lottspeich

rasionsmittels (Seesand, Glasperlen) wird der Auf- erstmals vor über 130 Jahren!). Die Methode beruht auf
schluss erleichtert. der Interaktion von präzipitierenden Agenzien mit den
55 Für größere Mengen eignet sich ein Messerhomoge- in Lösung befindlichen Proteinen. Diese Agenzien kön-
2 nisator, bei dem das Zellgewebe durch ein schnell
rotierendes Messer zerschnitten wird. Dabei entsteht
nen relativ unspezifisch sein und praktisch alle Proteine
aus einer Lösung ausfällen, was in den ersten Schritten
erhebliche Wärme, sodass eine Möglichkeit zur Küh- eines Reinigungsgangs zur Gewinnung der Gesamtpro-
lung vorhanden sein sollte. Für kleine Objekte wie teine aus einem Zelllysat eingesetzt wird. Die Fällung
Bakterien und Hefen wird die Effizienz des Auf- kann aber auch so geführt werden, dass eine Fraktionie-
schlusses durch Zugabe von feinen Glasperlen deut- rung der Bestandteile einer Lösung möglich wird. Ein
lich verbessert. Beispiel dafür ist die Kohn-Fraktionierung von Plasma,
55 Vibrationszellmühlen werden für einen relativ rauen die schon 1946 ausgearbeitet wurde und heute noch zur
Aufschluss von Bakterien verwendet. Dies sind ver- Plasmaproteingewinnung in großem Maßstab eingesetzt
schließbare Stahlgefäße, in denen die Zellen zusam- wird. Dabei wird Blutplasma mit steigenden Mengen
men mit Glasperlen (Durchmesser 0,1–0,5 mm) hef- von kaltem Ethanol versetzt und das jeweils ausgefällte
tig geschüttelt werden. Auch hier muss die Protein in Fraktionen abzentrifugiert. Mit Ausnahme
entstehende Wärme abgeführt werden. Zellorganel- der Präzipitation von Antigenen mit Antikörpern ist die
len können bei dieser Aufschlussmethode geschädigt Fällung nicht proteinspezifisch und wird daher nur für
werden. eine grobe Vorreinigung von Proteingemischen einge-
55 Schnelle Druckänderungen brechen Zellen und Orga- setzt.
nellen sehr effizient auf. So werden mit Ultraschall- Je nach Fragestellung und Ausgangsmaterial kann
wellen im Frequenzbereich von 10–40 kHz über einen die Fällung unter verschiedenen Bedingungen durchge-
Metallstab starke Druckänderungen in der Suspen- führt werden. Dabei sollte nicht nur die Effizienz der
sion eines Zellmaterials erzeugt. Da auch bei dieser Fällung an sich, sondern auch immer weitere Aspekte
Methode viel Wärme freigesetzt wird, sollte man nur beachtet werden:
relativ kleine Volumina und kurze  – maximal zehn 55 Wird die biologische Aktivität durch das Fällungs-
Sekunden lange – Beschallungspulse einsetzen. DNA mittel und die Fällungsbedingungen beeinträch-
wird unter diesen Bedingungen fragmentiert. tigt?
55 Bei einer weiteren Aufschlussmethode, die sich vor 55 Unter welchen Bedingungen kann das Fällungsmit-
allem für Mikroorganismen eignet, werden bis zu tel wieder entfernt werden?
50  ml einer Zellsuspension unter Druck durch eine
enge Öffnung (<1  mm) gepresst, wobei durch die Aussalzung  Die Eigenschaft eines Salzes, Proteine zu fäl-
auftretenden Scherkräfte die Zellen zerstört werden len, ist in der sog. Hofmeister-Serie beschrieben
(French-Presse). (. Abb. 2.3). Dabei sind die weiter links stehenden (sog.

antichaotropen oder kosmotropen) Salze besonders gute


Je nach Zielsetzung werden die gewünschten Pro- und schonende Fällungsmittel. Sie vergrößern hydro-
teine in löslicher Form weiteren Reinigungsschritten phobe Effekte in der Lösung und fördern Proteinaggrega-
unterworfen. Dazu wird das Homogenisat normaler- tionen über hydrophobe Wechselwirkungen. Die weiter
weise durch differenzielle Zentrifugationsverfahren rechts stehenden (chaotropen) Salze vermindern hydro-
(7 Abschn. 2.5.2) grob in verschiedene Fraktionen auf-
  phobe Effekte und halten Proteine in Lösung.
getrennt. Die älteste Methode Proteine zu fällen ist, sie durch
Zugabe von Ammoniumsulfat auszusalzen. Die Pro-
teine sollen vor der Fällung in einer Konzentration von
2.4  Die Fällung etwa 0,01–2  % vorliegen. Ammoniumsulfat ist beson-
ders gut geeignet, da es in Konzentrationen oberhalb
Die Fällung (Präzipitation) von Proteinen ist eine der von 0,5 M die biologische Aktivität auch empfindlicher
ersten Techniken, die zur Reinigung von Proteinen ein- Proteine schützt. Es ist leicht wieder von den Proteinen
gesetzt wurde (das Aussalzen von Proteinen geschah zu entfernen (Dialyse, Ionenaustausch) und überdies

..      Abb. 2.3  Die Hofmeister-­


Serie antichaotrop chaotrop

Kationen: NH4+ K+ Na+ C(NH2)3+ (Guanidin)

Anionen: PO43– SO42– CH3COO– Cl– Br– NO2– ClO3– I– SCN–


Proteinreinigung
21 2
preiswert, deshalb kann es auch für Fällungen aus grö- konzentration von 3–4 % erreicht werden sollte. Nach Ab-
ßeren Volumina und somit schon in den ersten Reini- zentrifugieren wird das Präzipitat im gewünschten Puffer
gungsschritten eingesetzt werden. Ammoniumsulfat resuspendiert und weiterverwendet, wobei der pH-Wert
wird üblicherweise unter kontrollierten Bedingungen der Lösung geprüft werden sollte. Diese Methode denatu-
(Temperatur, pH-Wert) portionsweise zu der Proteinlö- riert die Proteine und wird daher vor allem zur Konzent-
sung zugegeben, wodurch eine fraktionierte Fällung und rierung für eine Gelektrophorese oder vor enzymatischen
damit eine Anreicherung des interessierenden Proteins Spaltungen eingesetzt. Die minimale Probenkonzentra-
möglich werden. Man sollte beachten, dass eine voll- tion sollte 5 μg ml−1 betragen.
ständige Fällung einige Stunden dauern kann! Ammo-
niumsulfatpräzipitate sind normalerweise dicht und gut Fällung von Nucleinsäuren  Proteinlösungen von Zellauf-
abzuzentrifugieren (100 g, 7 Abschn. 2.5). Der einzige
  schlüssen, speziell von Bakterien und Hefen, enthalten
größere Nachteil von Ammoniumsulfat betrifft die Fäl- einen großen Anteil an Nucleinsäuren (DNA und RNA),
lung von Proteinen, die für ihre Aktivität/Struktur Cal- die mit einer Proteinreinigung interferieren können und
cium benötigen, da Calciumsulfat praktisch unlöslich ist daher gewöhnlich abgetrennt werden müssen. Da Nucle-
und so von den Proteinen entfernt wird. Diese Proteine insäuren hoch negativ geladene Polyanionen sind, können
müssen daher mit anderen Salzen (z. B. Acetaten) gefällt sie mit stark basischen Substanzen (z. B. Polyaminen, Po-
werden. lyethyleniminen oder Anionenaustauscherharzen) oder
auch sehr basischen Proteinen (Protaminen) gefällt wer-
Fällung mit organischen Lösungsmitteln  Schon seit über den. Durch Optimierung der Präzipitations- und Wasch-
hundert Jahren ist bekannt, dass Proteine mit kaltem Ace- bedingungen muss vermieden werden, dass auch interes-
ton oder kurzkettigen Alkoholen (hauptsächlich Ethanol) sierende Proteine vom Fällungsreagens oder im Komplex
gefällt werden können. Längerkettige Alkohole (größer mit den Nucleinsäuren (z. B. Histone, Ribosomen) gefällt
als C5) sind in Wasser zu wenig löslich und für eine Fäl- werden.
lung nicht brauchbar. Für die Wahl des organischen Fäl-
lungsmittels oder der optimalen Temperatur können
keine allgemeingültigen Regeln angegeben werden. Etha- 2.5  Zentrifugation
nol hat sich besonders bei der Fällung von Plasmaprotei-
nen bewährt. Für Proteinlösungen, die noch Lipide ent- Die Zentrifugation ist nicht nur eine der ältesten Techni-
halten, wird oft Aceton eingesetzt, da neben der ken zur Abtrennung von unlöslichen Bestandteilen, son-
Präzipitation der Proteine gleichzeitig die Lipide extra- dern auch zur Zellfraktionierung und Isolierung von
hiert werden. Um zu hohe lokale Konzentrationen des Zellorganellen. Sie basiert auf der Bewegung von Teil-
organischen Lösungsmittels zu vermeiden, was die Dena- chen in einem flüssigen Medium durch Zentrifugal-
turierung der Proteine zur Folge haben kann, sollte das kräfte. Der zentrale Bestandteil einer Zentrifuge ist der
Lösungsmittel langsam zugegeben werden. Gute Küh- Rotor, der zur Aufnahme der Probenbecher dient und
lung und langsame Zugabe sind auch sinnvoll, da sich durch einen Motor zu hoher Umdrehungsgeschwindig-
durch die Zumischung des organischen Lösungsmittels keit angetrieben wird. Es gibt verschiedene Bauausfüh-
(z. B. Ethanol zu Wasser) Wärme entwickeln kann, die zu rungen der Rotoren, wie z. B. Festwinkelrotoren, Verti-
unerwünschter Denaturierung führt. Das Präzipitat wird kal- oder Schwingbecherrotoren (. Abb.  2.4), die in

durch Zentrifugation pelletiert (7 Abschn. 2.5) und wie-


  verschiedenen Größen und Materialien erhältlich sind.
der in wässrigen Puffern aufgenommen. Ein häufig ange- Sie erlauben Trennungen von wenigen Mikrolitern bis
wendetes Protokoll für eine Acetonfällung setzt einen zu einigen Litern und können je nach Aufgabenstellung
5-fachen Volumenüberschuss von −20 °C kaltem Aceton mit verschiedenen, einstellbaren Umdrehungsgeschwin-
zu der Proteinlösung zu und inkubiert über Nacht bei digkeiten betrieben werden. Für Arbeiten mit biologi-
−20  °C.  Dann wird für 30  min bei 20.000  g abzentrifu- schen Materialien werden meist kühlbare Zentrifugen
giert. Diese Fällung liefert auch für sehr kleine Protein- verwendet. Hochgeschwindigkeitszentrifugen, die Ult-
mengen normalerweise ausgezeichnete Resultate. Die razentrifugen, werden durchwegs an ein Vakuumsystem
Ausbeute der Fällung muss mit analytischen Methoden angeschlossen betrieben, um die bei hohen Geschwin-
überprüft werden (SDS-Gelelektrophorese, Aktivitäts- digkeiten infolge des Luftwiderstandes auftretende Rei-
tests, etc.). bungswärme zu vermeiden. Beim Betrieb von Zentrifu-
gen sind bestimmte Sicherheitsmaßnahmen zu beachten,
Fällung mit Trichloressigsäure  Eine häufig eingesetzte vor allem müssen die einander gegenüberliegenden Pro-
Methode, um Proteine aus Lösungen auszufällen, ist die bengefäße gut austariert sein, um jegliche Unwucht zu
Fällung mit 10 %iger Trichloressigsäure, wobei eine End- vermeiden, die die Zentrifuge zerstören könnte.
22 F. Lottspeich

A B C D E

Festwinkelrotor

Vertikalrotor

Ausschwingrotor

..      Abb. 2.4  Rotoren für die Zentrifugation. Festwinkelrotor, Verti- C; beim Abbremsen D und nach Beendigung der Zentrifugation E.
kalrotor und Ausschwingrotor bei Beladung A; unter Zentrifugati- Protein enthaltende Fraktionen sind rot eingezeichnet
onsbedingungen zu Beginn der Trennung B; während der Trennung

2.5.1 Grundlagen schleunigung RZB in Vielfachen der Erdbeschleunigung


(g) angegeben:
Das physikalische Prinzip der Zentrifugation ist eine
ω 2r
Trennung nach Größe und Dichte. Auf ein Teilchen, das RZB = (2.2)
mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω um eine Dreh- 981
achse bewegt wird, wirkt eine Zentrifugalkraft, die das
Die Beziehung zwischen der Winkelgeschwindigkeit und
Teilchen nach außen beschleunigt. Die Beschleunigung
der Rotationsgeschwindigkeit in Rotationen pro min
B ist von der Winkelgeschwindigkeit ω und dem Ab-
(rpm) ist gegeben durch:
stand r von der Rotationsachse abhängig:
π ⋅ rpm
B = ω 2r (2.1) ω= (2.3)
30
Die Beschleunigung wird auf die Erdbeschleunigung g
(981  cm  s−2) bezogen und als relative Zentrifugalbe- woraus sich durch Substitution ergibt:
Proteinreinigung
23 2

RZB = 1,118 ⋅10−5 ⋅ r ⋅ ( rpm )


2 v
(2.4) s= (2.6)
rω 2
Zu berücksichtigen ist, dass sich normalerweise wäh-
1  S entspricht 10−13  s. In dieser Größenordnung lie-
rend einer Zentrifugation die Entfernung der Teilchen
gen verschiedene biologische Moleküle. Die Svedberg-­
von der Rotationsachse und damit auch die RZB än-
Einheit eines Biomoleküls fließt zuweilen in seine Be-
dern. Für Umrechnungen nimmt man daher oft den
nennung ein (z. B. 18S-rRNA), was dann einen Schluss
Mittelwert.
auf die Größe des Teilchens zulässt. In . Tab.  2.3  

Die Sedimentationsgeschwindigkeit von sphärischen


sind die Größe und die Zentrifugationsbedingungen
Partikeln in einer viskosen Flüssigkeit wird durch die
für die Reinigung von Zellen und einiger zellulärer
Stokes’sche Gleichung beschrieben:
Kompartimente angegeben. Eine gute Übersicht gibt

v=
(
d 2 ρp − ρm g ) (2.5)
auch die Darstellung der Teilchen in einem Dichte/
Sedimentationskoeffizient-­Diagramm (. Abb.  2.5)  

18η oder in einem Dichte/g-Werte-Diagramm.


Dabei sind v die Sedimentationsgeschwindigkeit, g die Aus der Stokes’schen Gleichung können die verschie-
relative Zentrifugalbeschleunigung, d der Durchmesser denen Techniken der Zentrifugation leicht verstanden
des Teilchens, ρp und ρm die Dichte des Teilchens bzw. werden.
der Flüssigkeit und η die Viskosität des Mediums.
Die Sedimentationsgeschwindigkeit wächst mit dem
Quadrat des Teilchendurchmessers und der Differenz 2.5.2 Zentrifugationstechniken
der Dichten zwischen Teilchen und Medium und nimmt
mit der Viskosität der Flüssigkeit ab. Wenn nun die Sedi- Differenzielle Zentrifugation  Die differenzielle Zentrifu-
mentation in einem Medium wie z.  B. 0,25  M Sucrose gation nützt die unterschiedlichen Sedimentationsge-
stattfindet, das weniger dicht als alle Teilchen ist und schwindigkeiten verschiedener Teilchen aus. Sie wird im
außerdem eine niedrige Viskosität hat, so ist der Durch- Festwinkelrotor durchgeführt und setzt voraus, dass die
messer der Teilchen der für die Sedimentationsgeschwin- Sedimentationsgeschwindigkeiten ausreichend unter-
digkeit dominierende Faktor. schiedlich sind. So sedimentieren die großen und schwe-
Der Sedimentationskoeffizient s ist die Sedimentati- ren Zellkerne relativ schnell (1000 g, 5–10 min) und finden
onsgeschwindigkeit unter geometrisch vorgegebenen sich schon bei niedriger Zentrifugationsgeschwindigkeit
Bedingungen des Zentrifugalfeldes. Er wird in Svedberg-­ im Niederschlag (Pellet). Bei höheren RZB sedimentieren
Einheiten (S) angegeben. dann Mitochondrien (10.000 g, 10 min) und Mikrosomen

..      Tab. 2.3  Typische Dichte, Teilchendurchmesser und S-Werte von biologischen Materialien

Partikel Durchmesser (in μm) Dichte (in g cm−3) S-Wert Sedimentiert im Sucrosegradienten bei

Zellen 5–15 1,05–1,2 107–108 1000 g/2 min


Kerne 3–12 >1,3 106–107 600 g/15 min
Kernmembran 3–12 1,18–1,22 1500 g/15 min
Plasmamembranen 3–20 1,15–1,18 1500 g/15 min
Golgi-Apparat 1 1,12–1,16 2000 g/20 min
Mitochondrien 0,5–4 1,17–1,21 1 · 104–5 · 104 10.000 g/25 min
Lysosomen 0,5–0,8 1,17–1,21 4 · 103–2 · 104 10.000 g/25 min
Peroxisomen 0,5–0,8 1,19–1,4 4 · 103 10.000 g/25 min
Mikrosomen 100.000 g/1 h
endoplasmatisches 0,05–0,3 1,06–1,23 1 · 103 150.000 g/40 min
Reticulum
Ribosomen 1,55–1,58 70–80
lösliche Proteine 0,001–0,01 1,2–1,7 1–25
24 F. Lottspeich

..      Abb. 2.5  Dichte und Sedimenta-


tionskoeffizienten einiger Zellkompar-
timente. Die Abbildung zeigt die
Verteilung verschiedener Zellbestand-
2 teile bezüglich ihrer Dichte und ihres
Sedimentationskoeffizienten

Dichte (in g/ml)

Sedimentationskoeffizient (in S)

(100.000 g, 1 h). Die einzelnen Fraktionen sind aber kei- Isopyknische Zentrifugation  Die bisher besprochenen
neswegs rein, da langsame Teilchen, die sich geometrisch Techniken der differenziellen und der Zonenzentrifuga-
nahe dem Boden des Zentrifugenröhrchens befanden, die tion sind beide besonders für die Trennung von Teilchen
schnellen Teilchen, die nahe der Oberfläche waren und geeignet, die sich in ihrer Größe unterscheiden. Teilchen,
einen längeren Weg zurücklegen mussten, kontaminieren. die eine ähnliche Größe, aber unterschiedliche Dichten ha-
Die differenzielle Zentrifugation wird nicht nur zur An- ben, lassen sich mit diesen Techniken schlecht trennen.
reicherung von Teilchen verwendet, sondern auch zur Für diese Fälle wird die isopyknische Zentrifugation (auch
Konzentration. So können z. B. aus einem Liter bakteriel- Sedimentationsgleichgewichtszentrifugation) eingesetzt.
ler Zellkultur die Zellen durch Zentrifugation von 15 min Hierbei zentrifugiert man über längere Zeit mit hoher Ge-
mit 2000 g pelletiert und dann in einem kleinerem Volu- schwindigkeit in einem Dichtegradienten bis zur Gleich-
men resuspendiert werden. gewichtseinstellung. Nach der Stokes’schen Gleichung
bleiben Teilchen im Schwebezustand, wenn ihre Dichte
Zonenzentrifugation  Wenn sich die Sedimentationsge- und die Dichte des umgebenden Mediums gleich sind
schwindigkeiten nicht ausreichend unterscheiden, kann (v = 0). Partikel im oberen Bereich des Zentrifugenröhr-
man über die Viskosität und Dichte des Mediums einen chens sedimentieren, bis sie den Schwebezustand erreicht
selektierenden Einfluss einbringen. Bei der Zonenzentrifu- haben und nicht weiter sedimentieren können, da die
gation wird ein vorgeformter flacher Dichtegradient, meist Schicht unter ihnen eine größere Dichte aufweist. Die Teil-
aus Sucrose, benutzt und die Probe über den Gradienten chen im unteren Bereich steigen entsprechend bis zur
geschichtet (vgl. unten, Abschnitt Dichtegradientenzen- Gleichgewichtsposition auf. Damit diese Art der Zentri-
trifugation). Die Teilchen, die zu Beginn der Zentrifuga- fugation funktioniert, muss die größte Gradientendichte
tion – im Gegensatz zur differenziellen Zentrifugation – in die Dichte aller zu zentrifugierenden Teilchen übersteigen.
einer schmalen Zone vorliegen, werden jetzt über die Sedi-
mentationsgeschwindigkeit getrennt. Der Dichtegradient
hat neben der Minimierung der Konvektion auch die Wir- Dichtegradientenzentrifugation  Für die Erzeugung des
kung, dass über die zunehmende Dichte und Viskosität Dichtegradienten, der kontinuierlich oder auch diskonti-
die schnelleren Teilchen abgebremst werden, die aufgrund nuierlich (in Stufen) sein kann, werden verschiedene Me-
der mit zunehmender Entfernung von der Rotorachse dien verwendet, die sich für die unterschiedlichen Anwen-
steigenden RZB mit steigender Geschwindigkeit sedimen- dungsgebiete als geeignet erwiesen haben:
tieren würden. Man erhält so eine annähernd konstante CsCl-Lösungen können mit Dichten bis zu 1,9 g ml−1
Sedimentationsgeschwindigkeit der Teilchen. Die Zonen- hergestellt werden. Sie sind von sehr niedriger Viskosität,
zentrifugation, die bei relativ geringen Geschwindigkeiten haben aber den Nachteil hoher Ionenstärke, was einige
meist mit Schwingbecher- oder Vertikalrotoren durchge- biologische Materialien (Chromatin, Ribosomen) disso-
führt wird, ist eine unvollständige Sedimentation, wobei ziieren lässt. Auch haben CsCl-Lösungen hohe Osmolali-
die maximale Dichte des Mediums die niedrigste Dichte täten, was sie für osmotisch empfindliche Teilchen wie
der Teilchen nicht übersteigen darf. Die Zentrifugation Zellen ungeeignet macht. CsCl-Gradienten eignen sich
wird beendet, bevor die Teilchen pelletieren. besonders gut für die Auftrennung von Nucleinsäuren.
Proteinreinigung
25 2
Sucrose wird häufig für die Trennung subzellulärer durch das Glasröhrchen auf den Boden des Zentrifugen-
Organellen über die Zonenzentrifugation eingesetzt. Die gefäßes. Der Gradient wird angehoben und durch die
preiswert und einfach herzustellenden Lösungen sind Fraktionieröffnung gesammelt.
nichtionisch und relativ inert gegenüber biologischen
Materialien. Die geringe Dichte von isotonischen Sucro-
selösungen (<9  % w/v) verhindert oft eine Zentrifuga- 2.6  Abtrennung von Salzen oder
tion von Zellen, und bei der isopyknischen Zentrifuga- hydrophilen Verunreinigungen
tion führt die hohe Viskosität von hoch konzentrierten
Sucroselösungen zu schlechter Auflösung. Im Verlauf einer Proteinreinigung erhält man häufig
Natürliche, hochmolekulare Polysaccharide wie Gly- Lösungen, die in ihrer Ionenstärke oder Pufferzusam-
kogen, Dextran oder auch synthetische Polysaccharide mensetzung für den nächsten Reinigungsschritt unge-
wie Ficoll werden wegen der hohen Osmolalität der Su- eignet sind. So ist z. B. nach einer hydrophoben Inter-
crose zur Gradientenbildung eingesetzt. Diese Polysac- aktionschromatographie der Salzgehalt einer Probe für
charide haben zwar eine bessere Osmolalität als Sucrose, eine direkt anschließende Ionenaustauschchromatogra-
aber ihre höhere Viskosität führt zu längeren Zentrifu- phie praktisch immer zu hoch. In vielen Fällen wird es
gationszeiten und schlechteren Trennungen. Die Poly- gelingen, durch eine gute Planung der Reinigungsstrate-
saccharide werden für Zonenzentrifugation und isopyk- gie zusätzliche Schritte zur Entsalzung zu vermeiden
nische Zentrifugation eingesetzt und nach der und vor allem im letzten Reinigungsschritt vor der wei-
Zentrifugation über Verdünnung und anschließende teren analytischen Bearbeitung der Probe durch Ver-
Präzipitation der biologischen Partikel abgetrennt. wendung flüchtiger Lösungsmittelsysteme salzfrei zu
Kolloidale, mit Polymer beschichtete Silicapartikel enden. Andererseits gibt es eine Reihe von Möglichkei-
können auch als Dichtegradientenmedien eingesetzt wer- ten der Um- und Entsalzung, die bei gut löslichen Pro-
den; sie zeigen niedrigere Osmolalität, aber höhere Visko- teinen meist auch mit guter Ausbeute ablaufen.
sität verglichen mit den Cäsiumsalzen. Percoll besteht aus
Polyvinylpyrrolidon- (PVP-)beschichteten Silicapartikeln
von ca.  15–30  nm Durchmesser, die als Suspension mit Verdünnen  Oft ist es sehr einfach, die für den nächsten
einer Dichte von 1130 g ml−1 erhältlich sind. Bei Zentri- Reinigungsschritt erforderliche Ionenstärke zu erreichen,
fugation bilden sich wegen der kolloidalen Natur von Per- indem man die Probe mit destilliertem Wasser verdünnt.
coll schnell von selbst Dichtegradienten aus, deren Profil Als nächster Schritt im Reinigungsgang sollte dann eine
sich allerdings während der Zentrifugation ändert. Durch konzentrierende Methode, wie z. B. Ionenaustauschchro-
Zugabe von Sucrose oder Salzen können mit Percoll iso- matographie oder eine Affinitätsreinigung, gewählt wer-
tonische Dichtegradienten ausgebildet werden. den. Wenn Verdünnen nicht ausreicht, um die Salzkon-
Eine Klasse von iodinierten Medien, die ursprüng- zentration in gewünschter Weise zu erniedrigen, müssen
lich als Kontrastmedien für die Röntgenstrukturanalyse die eigentlichen Entsalzungstechniken angewendet wer-
entwickelt worden waren, wird heute auch für die Aus- den, die im Folgenden beschrieben werden.
bildung stabiler, inerter und nicht toxischer Dichtegra-
dienten verwendet. Der am meisten verwendete Vertre- Dialyse  Die am längsten bekannte Entsalzungsmethode
ter dieser Medien ist Nycodenz, das besonders für die ist die Dialyse. Der wichtigste Bestandteil der Dialyse ist
Zentrifugation von Zellen und membrangebundenen die Dialysemembran, die kleine Moleküle frei diffundie-
Partikeln geeignet ist. ren lässt, während größere Moleküle zurückgehalten wer-
den. Es sind verschiedene Membranen im Handel, die
Fraktionierung der getrennten Banden  Nach der Zentri- sich vor allem in der Porengröße (Molekulargewichtsaus-
fugation müssen die getrennten Banden aus dem Zentri- schlussgröße, der sog. Cut-off-Wert) unterscheiden. Der
fugengefäß isoliert werden. Wenn diskontinuierliche Gra- Ausschlusswert gibt normalerweise das Molekularge-
dienten verwendet wurden, sind die interessierenden wicht der Proteine an, die zu 90 % von der Membran aus-
Fraktionen manchmal an den Dichtegrenzen sichtbar geschlossen werden. Diese Werte werden mit Dextranen
und können mit einer Pasteurpipette vorsichtig abgesaugt oder globulären Proteinen bestimmt und sind bei der
werden. Bei kontinuierlichen Gradienten, bei denen die Membranbeschreibung angegeben. Daneben spielen aber
Fraktionen oft nicht deutlich zu erkennen sind, wird frak- auch die Form, der Hydratationszustand und die Ladung
tioniert, indem man in den Boden des Zentrifugenröhr- eines Proteins eine wesentliche Rolle für einen Durchtritt
chens ein Loch sticht und den Gradienten tropfenweise in durch die Membran. Der Cut-off-Wert gibt also keine
Probengefäße sammelt. Eine andere Methode ist, das scharfe Molekulargewichtsgrenze an, sondern kann nur
Zentrifugenröhrchen mit einem speziellen Deckel zu ver- einen Anhaltspunkt geben, welche Molekülgrößen die
schließen, der einerseits ein Röhrchen bis an den Boden Membran noch relativ ungehindert passieren können.
des Zentrifugengefäßes führt und andererseits eine Öff- Die Proteinlösung wird in einen Schlauch gefüllt, der
nung zu einem Fraktionskollektor hat. Man pumpt nun aus einer Dialysemembran besteht. Es empfiehlt sich, vor
eine Lösung, die die Dichte des Gradienten übersteigt, der Dialyse den Schlauch, der meist aus regenerierter
26 F. Lottspeich

Cellulose hergestellt wird und erhebliche Mengen an (PVDF) entwickelt wurden. Die Ultrafiltration wird nicht
Schwermetallen enthält, in destilliertem Wasser einige wie die Dialyse durch einen Konzentrationsgradienten ge-
Minuten auszukochen und mit destilliertem Wasser aus- trieben, sondern durch die Flussrate des Lösungsmittels
2 giebig zu spülen, um diese Verunreinigungen zu entfer-
nen. Da das Volumen der Probelösung durch Wasserein-
durch die Ultrafiltrationsmembran. Dabei werden die
Salze (oder andere Moleküle mit Molekulargewichten
wanderung während der Dialyse erheblich zunehmen deutlich unter der Ausschlussgrenze) gemeinsam mit dem
kann, darf der Dialyseschlauch nur zu maximal zwei Wasser durch die Membran gepresst. Dazu können Über-
Dritteln gefüllt werden. Der so gefüllte, weitgehend luft- druck, Vakuum oder Zentrifugation verwendet werden.
freie und durch Knoten an beiden Enden verschlossene Die Ultrafiltration wird meist in Einweggefäßen unter-
Dialyseschlauch wird in ein Becherglas mit dem ge- schiedlicher Größe je nach Probenvolumen durchgeführt.
wünschten Puffer gehängt. Die Diffusionsrate durch die Das Probenvolumen wird dabei ohne signifikante Ände-
Membran wird durch den Konzentrationsgradienten der rung der Salzkonzentration verringert.
diffundierbaren Teilchen, die Diffusionskonstanten die- Auf demselben Prinzip beruht die Diafiltration, bei
ser Teilchen, die Membranoberfläche und die Tempera- der die Probe ähnlich wie bei einer Dialyse entsalzt wird.
tur bestimmt. Für eine effektive Entsalzung soll der Puf- Hier wird während der Ultrafiltration das Volumen der
fer gerührt und einige Male gewechselt werden, um einen Probe konstant gehalten, indem kontinuierlich frischer
möglichst großen Konzentrationsgradienten an der Dialysepuffer der Probe zugegeben wird, der das ins Fil-
Membranoberfläche aufrecht zu erhalten. Zur Stabilisie- trat abgegebene Volumen ersetzt. Zur Abschätzung, wie
rung von Proteinen wird die Dialyse normalerweise im lange man diafiltrieren muss, kann das Volumen des Fil-
Kühlraum durchgeführt. Der Fortschritt der Entsalzung trates dienen. Dabei muss für eine Reduktion der Salz-
kann durch Leitfähigkeitsmessung des Puffers überprüft konzentration um einen Faktor 10 das Volumen des ge-
werden. Normalerweise genügt ein zwei- bis dreimaliger sammelten Filtrates das 2,3-Fache des Ausgangsvolumens
Pufferwechsel mit jeweils 4–6 h Äquilibrierungszeit. der Probe sein, für eine 100-fache Abreicherung das
4,6-Fache. Bei einer Variante der Diafiltration wird die
Probe nach der Volumenverringerung verdünnt und er-
Bei einer weitgehenden Entsalzung (Dialyse gegen neut ultrafiltriert. Dies wird so oft wiederholt, bis die
Wasser) muss beachtet werden, dass wegen der niede- gewünschte Salzkonzentration erreicht ist.
ren Ionenstärke Proteine teilweise ausfallen können.
Die Niederschläge können abzentrifugiert und oft in
einem kleinen Volumen einer Lösung mit etwas höhe- Wie bei der Dialyse werden die Konzentrierung, Um-
rer Ionenstärke wieder gelöst werden. salzung oder Entsalzung wegen der besseren Protein-
stabilität bei 4 °C ausgeführt. Auch bei der Ultrafiltra-
tion besteht die Gefahr, dass kleine Proteinmengen in
sehr verdünnten Lösungen (<20 μg ml–1) an den Mem-
Die Dialyse ist eine sehr einfache, relativ langsame Tech-
branen oder den Gefäßwänden adsorbieren. Kleine
nik, die bei sehr kleinen Probenmengen (Mikrogramm)
Mengen an Glycerin oder Detergenzien (z.  B.  Triton
wegen Adsorptionsverlusten an ihre Grenzen stößt. Für
X-100) in Konzentrationen unter der kritischen micel-
diese kleinen Mengen und für kleine Volumina (<500 μl)
laren Konzentration (CMC, 7 Abschn. 2.8.1), die der
werden keine Dialyseschläuche mehr verwendet, sondern

Proteinlösung zugegeben werden, können manchmal


verschiedene spezielle Konstruktionen verwendet, die
helfen, die Adsoptionsverluste zu minimieren.
eine kleine Probenkammer von wenigen Mikrolitern be-
sitzen (z. B. Eppendorfgefäße oder auch der Deckel eines
Eppendorfgefäßes) und die auf einer Seite gegen den Puf-
fer mit der Dialysemembran abgedichtet werden. Gelchromatographie  Bei der Entsalzung durch Gelchro-
Mit einem Dialyseschlauch kann man auch Proben matographie werden die in der Probe vorhandenen Subs-
konzentrieren, indem man den Dialyseschlauch nicht in tanzen nach ihrer Größe getrennt. Salze eluieren dabei
einen Puffer hängt, sondern in ein hygroskopisches Ma- nach dem Durchlauf von etwa einem Säulenvolumen. Die
terial, z. B. Sephadex G100, legt, das durch die Memb- Gelchromatographie hat einige Nachteile, die sie vor al-
ranwand Flüssigkeit und kleine Moleküle saugt. Das lem für große Mengen und große Volumina, wie sie oft
Material wird gewechselt, wenn es feucht ist. am Anfang eines Reinigungsganges anfallen, ungeeignet
machen:
Ultrafiltration und Diafiltration  Für eine schnelle Kon- 55 Das Probenvolumen darf etwa fünf Prozent des Säu-
zentration von Proteinlösungen ist die Ultrafiltration ge- lenvolumens nicht übersteigen, da sonst die Tren-
eignet, für die asymmetrische Membranen mit verschie- nung zwischen Proteinen und Salzen nicht mehr aus-
den großen Poren an Unter- und Oberseite und reichend ist.
verschiedenen Ausschlussgrenzen aus Cellulose, Cellulo- 55 Die Gelchromatographiesäulen können mit großen
seester, Polyethersulfon oder Polyvinylidenfluorid Proteinmengen schnell überladen werden, was auch
Proteinreinigung
27 2
zu einer Vermischung von Protein- und Salzberei- Säulchen binden die Peptide an das Reversed-­Phase-­
chen führt. Material, werden dort konzentriert und können dort mit
55 Die Trennung ist bei geringer Flussrate besser, wor- wässrigen Lösungen (z. B. 0,1 % Trifluoressigsäure) ge-
aus eine relativ lange Analysenzeit resultiert. waschen und entsalzt werden. Die gebundenen Proteine
55 Bei der Gelchromatographie wird das Volumen der werden durch kleine Mengen hochprozentiger organi-
Ausgangsprobe zumindest verdreifacht, was als scher Lösungsmittel eluiert. Wichtig ist, dass beim Pro-
nächsten Schritt in einem Reinigungsgang normaler- benauftrag kein organisches Lösungsmittel in der Probe
weise eine Konzentrierung oder ein konzentrierendes vorhanden ist, da dieses die Bindung der Peptide an das
Trennverfahren nötig macht. Reversed-Phase-Material beeinträchtigen würde. Falls
in der zu entsalzenden Probe organisches Lösungsmittel
Für kleine Probenvolumina und kleine Proteinmengen aus früheren Reinigungsschritten vorhanden ist, muss
sind heute auch verschiedene kleine Einmalsäulchen dessen Konzentration durch Abdampfen oder Verdün-
(spin columns) auf dem Markt, die Gelchromatogra- nen unter maximal 5 % gebracht werden.
phiematerial beinhalten und die bei der Entsalzung aus-
gezeichnete Wiederfindungsraten für Proteine zeigen. Immobilisierung auf einer Membran  Eine ausgezeichnete
Möglichkeit, Proteine für die weitere Analytik zur Pri-
Reversed-Phase-Chromatographie  Vor allem für späte märstrukturaufklärung (Sequenzanalyse, Aminosäure-
Reinigungsschritte bietet sich die Reversed-Phase-Chro- analyse, Massenspektrometrie) zu entsalzen, ist, sie auf
matographie zur Entsalzung von relativ hydrophilen eine chemisch inerte Membran zu transferieren (Immobi-
Proteinen an, wobei oft gleichzeitig eine weitere Auf- lisierung). Dabei kann die salzhaltige Proteinlösung auf
trennung der applizierten Probe stattfindet. Unter Ein- eine hydrophobe Membran (z.  B.  PVDF) in Portionen
satz flüchtiger Lösungsmittel wie 0,1  % Trifluoressig- auf eine kleine Fläche aufgetragen und getrocknet wer-
säure in Wasser können auch größere Volumina den. Bei nicht zu großer Salzmenge ist die hydrophobe
salzhaltiger Proben entsalzt werden, da die Salze vom Bindung von Proteinen an diese Membranen stark genug,
Reversed-Phase-Material nicht gebunden werden, wäh- dass auch intensives Waschen mit Wasser die Proteine
rend Proteine über ihre hydrophoben Bereiche an die nicht mehr ablöst. Auch durch Elektroblotten können
Säule binden. Mit einem Gradienten eines organischen Proteine immobilisiert und entsalzt werden, wobei dies
Lösungsmittels (meist 0,1 % Trifluoressigsäure in Aceto- meist mit einer gelelektrophoretischen Reinigung als letz-
nitril) können die Proteine wieder eluiert werden. Für tem Trennschritt verbunden wird. Die Immobilisierung
die Entsalzung von Proteinen sollten möglichst hydro- auf einer Membran eignet sich nur für reine Proteine, also
phile, großporige Reversed-Phase-­ Materialien einge- als letzter Reinigungsschritt einer Probenvorbereitung für
setzt werden, da hydrophobe, engporige Materialien, die die Strukturaufklärung, da die Rückgewinnung von
sich sehr gut für Peptidtrennungen eignen, oft sehr membranimmobilisierten Proteinen äußerst schwierig ist.
schlechte Ausbeuten bei der Elution von Proteinen zei-
gen. Die Protein enthaltende Fraktion wird gesammelt
und in einer Vakuumzentrifuge eingedampft oder mit 2.7  Konzentrierung
Stickstoff abgeblasen. Die Nachteile der Entsalzung mit
Reversed-Phase-Chromatographie sind eine mögliche Vor allem nach den ersten Schritten eines Reinigungs-
Denaturierung des Proteins, eine generell schlechte Wie- ganges ist man oft mit großen Volumina verdünnter
derfindungsrate von hydrophoben Proteinen und der Proteinlösungen konfrontiert, die auch bezüglich der
hohe Preis des Säulenmaterials. Ionenstärke oder des pH-Werts nicht den Bedingungen
Das besondere Retentionsverhalten von Proteinen für den nächsten Reinigungsschritt genügen. Daher
an Reversed-Phase-Materialien, das sich nach einem ty- müssen Methoden eingesetzt werden, um einerseits Lö-
pischen Umkehrphasenmechanismus bei höheren An- sungen zu konzentrieren, sie andererseits aber auch zu
teilen von organischen Verbindungen in ein Normal- entsalzen oder umzusalzen. Da jede Proteinreinigung in
phasenverhalten umkehrt, erlaubt eine Entsalzung von einer minimalen Anzahl von Teilschritten erreicht wer-
Proteinen mit einem inversen Gradienten. Dabei wird den soll, sollte die Konzentrierung und Umsalzung/Ent-
die Probe in praktisch reinem organischem Lösungsmit- salzung möglichst kombiniert in einem Schritt ausge-
tel auf die Reversed-Phase-Säule aufgetragen. Das Pro- führt werden (7 Abschn. 2.6).

tein bindet nach einem Normalphasenmechanismus,


während Salze und auch hydrophobe Verunreinigungen Fällung  Wie oben besprochen (7 Abschn.  2.4), ist die

eluiert werden. Das Protein wird mit einem Gradienten Fällung ein effektiver Weg, ein Protein aus seiner Lösung
zu 0,1 % Trifluoressigsäure in Wasser eluiert. zu konzentrieren und es gleichzeitig weitgehend von Sal-
Für Peptide werden als Probenvorbereitung/Entsal- zen zu befreien. Nach Zentrifugation (normalerweise in
zung für die Massenspektrometrie häufig Einmalpipet- der Kälte) wird der Überstand verworfen und das Pellet in
tenspitzen eingesetzt, die wenige Mikroliter Rever- dem gewünschten Puffer wieder gelöst. Probleme ergeben
sed-Phase-Material enthalten. Beim Auftrag auf so ein sich bei Proteinlösungen, die Detergenzien enthalten, da
28 F. Lottspeich

hier die Fällung im Allgemeinen nur schlechte Ausbeuten 2.8.1 Eigenschaften von Detergenzien
liefert.
Detergenzien sind amphiphile Moleküle, d. h. sie besit-
2 Dialyse und Ultrafiltration  Dialyse und Ultrafiltration
werden neben der Entsalzung auch zur Konzentrierung
zen einerseits einen polaren hydrophilen, eventuell auch
ionischen Molekülteil, der für eine gute Wasserlöslich-
von Proben eingesetzt (7 Abschn. 2.6). Besonders für die

keit verantwortlich ist, und andererseits einen unpola-
Konzentrierung kleiner Volumina und kleiner Protein- ren, lipophilen Molekülteil, der mit hydrophoben Regi-
mengen, also oft in den letzten Reinigungsschritten vor onen eines Membranproteins interagieren kann und
einer S
­ trukturaufklärung, werden spezielle Mikrokonzen- damit annähernd die natürliche Lipidumgebung dieser
tratoren verwendet, bei denen durch ihre Bauart nur ge- Proteine ersetzen kann. Eine wichtige Eigenschaft von
ringe Adsoptionsverluste auftreten. Detergenzien ist ihre Fähigkeit zur Bildung von Micel-
len. Dies sind Aggregate von einzelnen Detergensmole-
Bindung an das chromatographische Material  Eine ele- külen, bei denen alle hydrophilen Gruppen nach außen
gante Methode, Proteine und Peptide auch aus großen und alle hydrophoben Gruppen nach innen gerichtet
Volumina anzureichern und zu konzentrieren, ist, sie an sind (. Abb. 2.6). Die Größe von Micellen ist vom ein-

Reversed-Phase-Material zu binden. Der Probenauftrags- zelnen Detergens abhängig (. Tab. 2.4). Membranpro-


puffer darf nur keine Substanzen beinhalten, die eluie- teine werden als hydrophobe Moleküle in diese Micellen
rende Bedingungen für das Reversed-Phase-Material eingebaut und können so auch außerhalb einer biologi-
schaffen (z. B. Acetonitril, Alkohole, Detergenzien). schen Membran in Lösung gebracht werden und oft
Alternativ können auch Ionenaustauschmaterialien auch ihre biologische Aktivität behalten. Die niedrigste
eingesetzt werden, um Proteine und Peptide anzurei- Konzentration, bei der Detergenzien noch Micellen bil-
chern. Dies ist aber nur erfolgreich, wenn die Ionen- den können, wird die kritische micellare Konzentration
stärke des Probenpuffers sehr gering ist (<10 mM), was (CMC) genannt. Sie ist für verschiedene Detergenzien
über Entsalzung oder Verdünnung erreicht werden unterschiedlich (. Tab. 2.4) und abhängig von Parame-

kann. tern wie Temperatur, Ionenstärke, pH-Wert, Anwesen-


heit di- und trivalenter Kationen oder organischer Lö-
sungsmittel. Die CMC von ionischen Detergenzien
2.8  Detergenzien und ihre Entfernung nimmt mit höherer Ionenstärke deutlich ab und ist rela-
tiv wenig von der Temperatur abhängig, hingegen ist die
Viele Proteine und Enzyme sind in ihrer natürlichen CMC von nichtionischen Detergenzien relativ unabhän-
Umgebung nicht von Wasser umgeben, sondern von hy- gig von der Salzkonzentration, nimmt aber mit zuneh-
drophoben Lipidschichten, den biologischen Membra- mender Temperatur deutlich zu.
nen. Bei der Zelldisruption bleiben diese Proteine mit Wie aus . Tab. 2.4 zu ersehen ist, gibt es eine ganze

den Membranen vergesellschaftet. Periphere Membran- Anzahl unterschiedlichster Detergenzien, die in der Rei-
proteine, die nur oberflächlich an die Membran assozi- nigung und Analyse von Membranproteinen eingesetzt
iert sind, können normalerweise durch relativ milde Be- werden. Welches Detergens für ein spezielles Protein op-
handlungen solubilisiert werden, ohne dass dabei die timal ist, muss für jeden Einzelfall empirisch ermittelt
Membran gelöst werden muss. Dazu werden hohe Salz- werden, wobei i.  A.  Detergenskonzentrationen von
konzentrationen, extreme pH-Bedingungen, hohe Kon- 0,01–3  % eingesetzt werden. Die Solubilisierung von
zentrationen von chelatisierenden Agenzien (10  mM Proteinen erfolgt häufig bei einer Detergenskonzentra-
EDTA) oder auch denaturierende Stoffe (8 M Harnstoff tionen nahe der CMC.
oder 6 M Guanidinhydrochlorid) eingesetzt. Sobald sich
aber die Proteine teilweise oder praktisch vollständig in
der Membran befinden (Membrananker bzw. integrale Um zu entscheiden, ob ein Detergens ein bestimmtes
Membranproteine), versagen Lösungsversuche mit nor- Protein in Lösung gebracht hat, sollte das Protein (oder
malen wässrigen Puffern. Diese Proteine stellen heute seine Aktivität) auch nach einer Stunde Zentrifugation
eine große Herausforderung an die Reinigungs- und bei 100.000 g im Überstand zu finden sein. Falls mit ver-
Analysetechniken dar. schiedensten Detergenzien keine biologische Aktivität
Werden die Lipide entfernt, bilden Membranpro- gemessen werden kann, sollten die Pufferbedingungen
teine über ihre hydrophoben Bereiche unlösliche Aggre- geändert werden oder Substanzen zugegeben werden,
gate und fallen aus oder binden äußerst stark an alle von denen bekannt ist, dass sie die Proteinstruktur stabi-
Arten von Oberflächen, die einen gewissen Anteil an lisieren, z. B. 20–50 % Glycerin, reduzierende Agenzien
hydrophoben Charakter besitzen. Sie können i. A. nur wie Dithiothreitol, Chelatbildner wie 1 mM EDTA oder
mithilfe von Detergenzien in Lösung gebracht und in Protease-­Inhibitoren (7 Abschn. 2.4 und . Tab. 2.1).
   

Lösung gehalten werden.


Proteinreinigung
29 2
..      Abb. 2.6  Bildung von
Detergensmicellen oberhalb der
CMC und Einbau von Proteinen
in die Micellen. In der Micelle
sind die hydrophilen, polaren
Teile nach außen zur wässrigen
Phase gerichtet und die
hydrophoben Teile nach innen.
Membranproteine können sich
in solche Micellen einlagern und
als Detergens-Protein-Komplex
in Lösung gehalten werden

Je nach den geplanten weiteren Reinigungsschritten wichtsbestimmung in Polyacrylamidgelen verwendet.


müssen bestimmte Eigenschaften einzelner Detergen- Die Salzkonzentration beeinflusst die CMC von SDS er-
zien berücksichtigt werden: heblich (salzfrei: 8  mM, in Anwesenheit von 0,5  M
55 Die hohe UV-Absorption einiger Detergenzien (z. B. NaCl: 0,5 mM). Das kationische Detergens 16-BAC er-
bei Triton oder Nonidet durch den aromatischen möglicht gute Trennungen von (Membran-)Proteinen
Ring) kann eine Detektion von Proteinen z.  B. bei im sauren Milieu. Dabei bleiben basenlabile Proteinmo-
chromatographischen Analysen stören. difikationen wie z. B. Proteincarboxymethylester erhal-
55 Ionische Detergenzien können nicht bei Ionenaus- ten, die bei den üblichen Reinigungsverfahren in saurem
tauschchromatographien eingesetzt werden, da sie oder alkalischem Medium hydrolysiert werden. 16-BAC
mit den Proteinen um die ionischen Bindungsstellen wird auch erfolgreich bei der ersten Dimension für eine
am Säulenmaterial konkurrieren. zweidimensionale gelelektrophoretische Trennung von
55 Detergenzien binden oft stark über hydrophobe Membranproteinen eingesetzt. Die zweite Trenndimen-
Wechselwirkungen an Reversed-Phase-Säulen und sion ist dabei eine konventionelle SDS-Gelelektropho-
verändern die Trenneigenschaften. rese.
55 Wie leicht ist ein Detergens wieder von Protein zu Nichtionische Detergenzien wirken sich weniger
entfernen (7 Abschn. 2.8.2)?
  stark auf Protein-Protein-Wechselwirkungen aus und
55 Vor allem nichtionische Detergenzien der Oxyethy- sind generell weniger denaturierend als ionische Deter-
lenfamilie (Triton, Tween, Nonidet) können leicht genzien. Sie sind daher besonders gut für die Isolierung
oxidative Verunreinigungen, vor allem Peroxide, be- von funktionell intakten Proteinkomplexen geeignet,
inhalten. Da diese Proteine modifizieren können, können jedoch bei integralen Membranproteinen Ag-
sollten diese Detergenslösungen möglichst frisch gregationen nicht verhindern und sind aufgrund ihrer
sein, unter Stickstoff gelagert werden und nur mit niedrigen CMC schlecht durch Dialyse zu entfernen.
einer Spritze aus dem Gefäß entnommen werden. Eine besondere Stellung nimmt Triton X-114 ein, das
bei 4  °C wasserlöslich ist, aber bei Temperaturen über
Ionische Detergenzien mit kationischen oder anioni- 20 °C wasserunlösliche Micellen formt und damit eine
schen hydrophilen Gruppen bringen Proteine sehr effizi- Trennung zwischen wässriger und Detergensphase zeigt.
ent in ihre monomere Form und solubilisieren Memb- So bleiben hydrophile Proteine in der wässrigen Phase,
ranproteine ausgezeichnet. Sie haben aber den Nachteil, während integrale Membranproteine in der Detergens-
die Struktur der Proteine so aufzuweiten und diese so phase gefunden werden; damit lassen sich lösliche Pro-
weit zu denaturieren, dass sie fast immer ihre biologi- teine und Membranproteine unterscheiden.
sche Aktivität verlieren. Das wohl am häufigsten einge- Zwitterionische Detergenzien, die in ihrem polaren
setzte Detergens, Natriumdodecylsulfat (SDS), wird bei Molekülteil positiv und negativ geladene Gruppen tra-
der elektrophoretischen Trennung und Molekularge- gen, liegen in ihren dissoziierenden und denaturierenden
2
30
F. Lottspeich

..      Tab. 2.4  Gebräuchliche Detergenzien (n: Aggregationszahl zur Bildung von Micellen)

Name M des n M CMC dialysierbar Anwendungskonzentration Bemerkungen


Monomers Micelle (in
mM)

ionische Natriumdodecylsulfat (SDS) 288 60– >18 8 – 10 mg mg−1 Protein CMC stark von Ionenstärke
Detergenzien 100 kDa abhängig
Desoxycholat 416 10 4 kDa 4 – 0,1–10 mg mg−1 präzipitiert bei niedrigem pH-Wert
in 50 Membranlipid und in Gegenwart divalenter
mM Kationen, Aggregationszahl nimmt
NaCl mit Ionenstärke zu
Benzyldimethyl-n-hexadecyl-­ 396 kationisches Detergens, erfolgreich
ammoniumchlorid (16-BAC) für Elektrophoresen von
Membranproteinen
Cetyltrimethyl-ammoniumbromid 365 170 62 kDa 1 –
(CTAB)
nichtionische Triton X-100 (Poly- ≈628 140 90 kDa 0,2 – 1–5 mM absorbiert im UV durch
Detergenzien (ethylenglycol)n-­octylphenylether) aromatischen Ring
Triton X-114 ≈514 0,2 – 5 mM Phasentrennung bei Erwärmung
über 22 °C
Tween 80 (Poly(oxyethylen)n-­ ≈1310 58 76 kDa 0,02 – >10 mg mg−1
sorbitanmonooleat) Membranlipid
zwitterionische Octylglucosid (N-Octyl-1-thio-β-d- 292 30– 8 kDa 15 + 20–45 mM
Detergenzien glucopyranosid) 100

CHAPS (3-[(3-Cholamidopropyl)- 615 4–14 6 kDa 4 + 6–13 mM


dimethylammonio]-1-­
propansulfonat)
Zwittergent 3-12 (n-Dodecyl-N,N- 335 10 3 kDa 3,6 + 15–30 mM
dimethyl-3-­ammonio-1-
propansulfonat)
Proteinreinigung
31 2
Eigenschaften zwischen ionischen und nichtionischen werden. Die Wiederfindungsraten für Proteine sind oft
Detergenzien. Diese Detergenzien können wie die nicht- 80 % und größer.
ionischen in der Ionenaustauschchromatographie oder
bei isoelektrischen Fokussierungen eingesetzt werden. Ionische Retardierung  Es gibt chromatographische Ma-
terialien aus polymerisierter Acrylsäure, die im Inneren
ein starkes Ionenaustauscherharz (quarternäre Ammoni-
2.8.2 Entfernen von Detergenzien umgruppen an einer Polystyrol-Divinylbenzol-Matrix)
besitzen. Protein-­SDS-Komplexe, die über diese Säulen
Für eine nachfolgende Analytik (Aminosäureanalyse, chromatographiert werden, verlieren fast das gesamte
Aminosäuresequenzanalyse, Massenspektrometrie etc.) SDS, und das Protein wird mit Ausbeuten von 80–90 %
stören die in relativ hohen Konzentrationen vorliegen- eluiert. Diese Säulen sind als Einmalsäulen konzipiert, da
den Detergenzien fast immer und müssen möglichst das gebundene SDS praktisch nicht mehr entfernt werden
weitgehend entfernt werden. Bei allen Verfahren zur kann.
Entfernung von Detergenzien ist jedoch zu beachten, Auch bei der ionischen Retardierung können Salze
dass die solubilisierten hydrophoben Proteine fast im- die SDS-Bindung an das Säulenmaterial stören und soll-
mer die Gegenwart dieser Substanzen für ihre Löslich- ten vorher entfernt werden. Dies kann über Gelfiltration
keit und Aktivität brauchen, da sonst leicht Aktivitäts- geschehen oder einfach durch Aufbringen einer kleinen
verluste oder Adsorptionsverluste an alle Arten von Schicht eines Ausschlussgels am Kopf der Ionenretar-
Oberflächen auftreten! Die Entfernung der Detergen- dierungssäule, was zu einer Verzögerung und damit Ab-
zien sollte also immer als letzter Schritt vor der eigentli- trennung der Puffersalze führt.
chen Analyse so geplant werden, dass keine weitere Pro-
benmanipulation stattfinden muss. Gelfiltration in Gegenwart organischer Lösungsmittel  Vor
allem relativ schwach hydrophobe Proteine können
Verdünnen unterhalb der kritischen Micellenkonzentra- manchmal in einem Puffer, der organisches Lösungsmittel
tion  Detergenzien mit hoher CMC (z. B. Octylglycosid) (z. B. 20 % Acetonitril) enthält, in Lösung gehalten und
können durch Verdünnen unter ihre CMC in ihren mono- über eine Gelchromatographie von Salzen und Detergen-
meren Zustand gebracht und danach einfach durch Dia- zien abgetrennt werden. Hydrophobere Proteine müssen
lyse entfernt werden (Vorsicht: Adsorption der detergens- durch geeignete, möglichst flüchtige Lösungsmittelgemi-
freien Proteine an die Dialysemembranen!). Detergenzien sche mit einem hohen Anteil an organischen Säuren wie
mit niedriger CMC, also die meisten nichtionischen De- z. B. Ameisensäure/Propanol/Wasser in Lösung gehalten
tergenzien, sind durch Dialyse praktisch nicht zu entfer- werden.
nen und werden am besten durch spezielle chromatogra-
phische Säulen entfernt (s. unten). Abtrennung von Detergenzien durch Reversed-Pha-
se-HPLC  Membranproteine können auch an Reversed-
Extraktion  Verschiedene Extraktionsverfahren werden Phase-­Säulen chromatographiert und von Detergenzien
zur Entfernung von SDS angewendet. Neben der Chloro- abgetrennt werden, wobei hier kurze, relativ hydrophile
form/Methanol-Extraktion wird vor allem die Ionenpaar- Säulen (RP-C4) mit geringer Oberfläche zur Verwendung
extraktion eingesetzt. Die trockene Probe wird mit einer kommen müssen, um befriedigende Wiederfindungsra-
Lösung des Ionenpaarreagens in einem organischen Lö- ten zu erzielen. Die chromatographischen Bedingungen
sungsmittel extrahiert. Typische Systeme sind Aceton/ werden i. A. so gewählt, dass ein Kompromiss zwischen
Triethylamin/Essigsäure/Wasser oder Heptan/Tributyla- Wiederfindungsrate und Qualität der Trennung resul-
min/Essigsäure/Butanol/Wasser. Es muss immer genü- tiert. Dabei gilt generell, dass kurze, steile Gradienten
gend Wasser (ca. 1 %) vorhanden sein, damit sich das re- unter Verwendung von flüchtigen Lösungsmittelsys-
lativ unpolare und somit mit organischen Lösungsmitteln temen mit hohen Anteilen an organischen Säuren (s.
extrahierbare Alkylammonium-SDS-­ Ionenpaar ausbil- oben) eingesetzt werden sollten. Diese Methoden wer-
det. Auch Proben, die in kleinen Volumina wässriger Lö- den vor allem benutzt, wenn das primäre Ziel die Struk-
sung vorliegen, können so von SDS befreit werden, nur turaufklärung von Membranproteinen ist, da die biolo-
wird das Wasser in den Extraktionslösungen weggelassen. gische Aktivität durch den hohen Anteil an organischem
Mit dieser Methode kann in einem Extraktionsschritt bis Lösungsmittel und an Säure fast immer zerstört wird.
zu 95 % des SDS entfernt werden. Das Protein wird als Für die Entsalzung und Abtrennung von Detergenzien
Niederschlag durch Zentrifugation gewonnen, und restli- und hydrophoben Komponenten hat sich auch die Re-
ches SDS kann dann durch Waschen mit Heptan oder versed-Phase-Chromatographie mit einem inversen
Aceton entfernt werden. Salze können die Entfernung des Gradienten bewährt (7 Abschn.  2.6, Reversed-Phase-­

SDS stören und sollten vor der Extraktion abgetrennt Chromatographie).


32 F. Lottspeich

Spezielle chromatographische Trägermaterialien zur Ab- trophorese. Es folgen eine enzymatische Spaltung
trennung von Detergenzien  Die Abtrennung von De- direkt im Gel, Elution der Peptide und LCMSMS
tergenzien an speziellen, kommerziell angebotenen Analyse.
2 Materialien beruht im Prinzip auf einem hydrophilen
Säulenmaterial mit so kleinem Porenvolumen, dass Pro-
55 Solubilisierung mit Harnstoff/Thioharnstoff, Re-
duktion und Alkylierung und Fällung der Proteine.
teine mit einem Molekulargewicht über 10.000 Da nicht Die nachfolgende enzymatische Spaltung erfolgt in
in das Innere der stationären Phase eindringen können Lösung, und die Peptide werden dann (auch multi-
und im Ausschlussvolumen eluieren. Die relativ kleinen dimensional) chromatographisch getrennt und mas-
Detergensmoleküle hingegen gelangen in das Innere des senspektrometrisch analysiert.
Säulenmaterials, wo sie mit hydrophoben Bindungsplät- 55 Eine häufig verwendete Probenvorbereitung in der
zen interagieren und dort gebunden werden. Bindungs- Proteomanalyse ist die FASP- (Filter Aided Sample
kapazitäten für die verschiedenen Detergenzien liegen Preparation) Methode. Durch eine Inkubation der
zwischen 50 und 100 mg Detergens pro ml Säulenmate- Probe mit 4 % SDS, 100 mM Tris/HCl pH 7,6, 0,1 M
rial. Die Proteinkonzentrationen sollten über 50 μg ml−1 DTT bei 95  °C für 3  min wird oft auch schwieriges
liegen, da sonst zu hohe Verluste über unspezifische Ad- Ausgangsmaterial erfolgreich in Lösung gebracht, wo-
sorptionen an das Säulenmaterial gefunden werden. bei vor weiteren Schritten aber auf jeden Fall eventuell
vorhandenes Pellet abzentrifugiert werden sollte. Bei
Blotten auf chemisch inerte Membranen  Der einfachste dieser Vorgehensweise werden Disulfidbrücken redu-
Weg, ein hydrophobes Protein zu reinigen und zu analy- ziert. DNA soll durch Ultraschallbehandlung durch
sieren, ist, es direkt aus einem detergenshaltigem Poly- Scherkräfte in kleinere Bruchstücke fragmentiert wer-
acrylamidgel (SDS-Gel) auf eine chemisch inerte Memb- den. Vor allem das SDS in der Probe verhindert aber
ran zu blotten. Das immobilisierte Protein kann dann eine direkte weitere Fraktionierung, enzymatische
direkt weiteren Analysen unterworfen werden, z. B. Ami- Spaltung oder massenspektrometrische Analyse der in
nosäureanalyse, Sequenzanalyse, immunologischen Me- Lösung gebrachten Proteome. Daher werden die Pro-
thoden oder Massenspektrometrie. ben mit 8 M Harnstoff versetzt und in eine Ultrafiltra-
tionskartusche (10-K- oder 30-K-Filter) transferiert,
alkyliert, mit Puffer gewaschen und auf dem Filter en-
2.9  Probenvorbereitung für die zymatisch gespalten. Die entstandenen Peptide kön-
Proteomanalyse nen dann vom Filter eluiert, entsalzt und massenspek-
trometrisch analysiert werden.
Eine sinnvolle Proteomanalyse (7 Kap.  42) darf die

quantitativen Verhältnisse, die die einzelnen Proteine


zueinander bei der Probennahme aufweisen, nicht ver-
ändern. Das hat zur Konsequenz, dass aufwendige Rei- Literatur und Weiterführende Literatur
nigungsverfahren über viele Schritte, wie sie in der klas-
Methods in Enzymology (1990) Guide to protein purification, Bd
sischen Proteinreinigung Einsatz finden, nicht mehr 182. Academic Press, New York
verwendet werden können, da die Verluste in den einzel-
nen Schritten erheblich, vor allem aber für jedes Protein Weiterführende Literatur
unterschiedlich sind. Die Probenvorbereitung für die Ahmed FE (2009) Sample preparation and fractionation for pro-
Proteomanalyse ist sehr von der Fragestellung und dem teome analysis and cancer marker discovery by mass spectrome-
Ausgangsmaterial abhängig und kann daher nicht all- try. J Sep Sci 32:771–798
Bollag DM, Edelstein SJ (1991) Protein methods. Wiley-Liss,
gemein behandelt werden. Sie muss aber im Prinzip alle
New York
interessierenden Proteine quantitativ so in Lösung brin- Donnelly DP, Rawlins CM, DeHart CJ, Fornelli L, Schachner LF,
gen, dass sie direkt für eine Trennung, z. B. für eine zwei- Lin Z, Lippens JL, Aluri KC, Sarin R, Chen B, Lantz C, Jung W,
dimensionale Gelelektrophorese, geeignet sind oder Johnson KR, Koller A, Wolff JJ, Campuzano IDG, Auclair JR,
nach einer enzymatischen Spaltung direkt der Massen- Ivanov AR, Whitelegge JP, Paša-Tolić L, Chamot-Rooke J, Da-
nis PO, Smith LM, Tsybin YO, Loo JA, Ge Y, Kelleher NL,
spektrometrie zugeführt werden können.
Agar JN (1919) Best practices and benchmarks for intact protein
Auch wenn keine allgemeinen Vorschriften für eine analysis for top down mass spectrometry. Nat Methods 16:587–
Solubilisierung jedes biologischen Materials gegeben wer- 594
den kann, werden im Wesentlichen drei Strategien für die Methods in Enzymology (1990) Guide to protein purification,
Bottom-up-Proteomics (7 Abschn. 42.5) eingesetzt:

Bd 182. Academic Press, New York
Rickwood D (1991) Centrifugation, a practical approach, 2. Aufl.
55 Nach Homogenisierung/Aufschluss von Zellen/Ge-
IRL Press, Oxford
webe folgt eine Solubilisierung mit Detergenzien und Wisniewski JR, Zougmann A, Nagaraj N, Mann M (2009) Universal
Trennung der Proteine mit  – je nach verwendetem sample preparation method for proteome analysis. Nat Methods
Detergens  – ein- oder zweidimensionaler Gelelek- 6:359–361
33 3

Proteinbestimmungen
Lutz Fischer

Inhaltsverzeichnis

3.1 Quantitative Bestimmung durch Färbetests – 35


3.1.1 Biuret-Assay – 37
3.1.2 Lowry-Assay – 37
3.1.3 Bicinchoninsäure-Assay (BCA-Assay) – 38
3.1.4 Bradford-Assay – 38

3.2 Spektroskopische Methoden – 39


3.2.1 Messungen im UV-Bereich – 39
3.2.2 Fluoreszenzmethode – 41

3.3 Radioaktive Markierung von Peptiden und Proteinen – 41


3.3.1 Iodierungen – 42

Literatur und Weiterführende Literatur – 44

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_3
34 L. Fischer

55 Für die Isolierung, Reinigung, Charakterisierung und ten Methoden für die Quantifizierung in Betracht zu
Analyse von Proteinen ist die quantitative Bestimmung ziehen sind und welche von vornherein ausscheiden.
des Proteingehalts (in g  l–1) der wässrigen Probe
unerlässlich. Komplexität und Individualität der Proteine  Proteine sind
55 Die gängigsten Methoden der Proteinquantifizierung aus bis zu zwanzig verschiedenen Aminosäuren in unter-
erfolgen über die Anfärbung der Proteine mit Farbstof- einander variablen, individuellen Verhältnissen aufge-
3 fen und/oder Kupferionen oder die Absorptionsmes- baut. Die Gesamtanzahl der Aminosäuren variiert eben-
sung der Probe im UV-Bereich. Der Proteingehalt der falls von Protein zu Protein. Prosthetische Gruppen und
Proben sollte ca. 10–50 μg betragen. Zuckerstrukturen erhöhen die Komplexität zusätzlich.
55 Die Bestimmungsmethoden basieren auf den spezifi- Funktionelle Gruppen in Proteinen werden zudem oft
schen Eigenschaften der Proteine, die durch die Prote- durch Nachbargruppeneffekte in ihrem chemischen oder
insequenz, Puffersalze und weitere Bestandteile der physikalischen Verhalten beeinflusst. Es gibt keine Farb-
Probe beeinflusst werden. Dies ist bei der Wahl und reaktion oder spektroskopische Methode, die in gleicher
Durchführung der Methode zu berücksichtigen. Weise auf alle Eigenschaften eines Proteins ansprechen
55 Die Bestimmung der Konzentration der Probe erfolgt kann. Die Reaktion mit einem Farbstoff beziehungsweise
anhand einer Eichgerade, die mit einem Referenzpro- die Absorption oder Emission bei einer bestimmten Wel-
tein, meist Rinderserumalbumin oder Ovalbumin, er- lenlänge betrifft daher jeweils einige wenige Funktionali-
stellt wird. Daraus resultiert ein zum Referenzprotein täten oder Gruppen des Proteins. Kommen sie in einem
relativer Konzentrationswert für den Proteingehalt, je- Protein oder Proteingemisch zufällig häufig vor, wird irr-
doch kein absolut genauer Wert. tümlich ein höherer Proteingehalt gemessen und umge-
kehrt.
In biochemischen und biologischen Labors stellt sich Einige Farbreaktionen basieren auf der komplexbil-
häufig die Aufgabe, den Proteingehalt von wässrigen denden oder reduzierenden Eigenschaft der Peptidbin-
Lösungen zu ermitteln. Man muss daher die Prinzipien, dung. Da die Anzahl der Peptidbindungen in einem Pro-
vor allem aber auch die Vor- und Nachteile der wichtigs- tein ein vergleichsweise gutes Mittel zur Quantifizierung
ten Methoden kennen und sich über ihre – methodisch von Proteinen darstellt, sind diese Reaktionen weniger
bedingten  – Ungenauigkeit und Fehlerquellen im Kla- stark von der individuellen Aminosäurezusammenset-
ren sein. Objektive Methoden zur Quantifizierung von zung abhängig. Andere Methoden basieren hingegen
Proteinen sind die quantitative Aminosäureanalyse oder stärker auf den Eigenschaften der Seitenketten  – io-
die Gewichtsbestimmung des reinen Proteins als Fest- nisch, hydrophil, hydrophob oder aromatisch – und sind
stoff. Letzteres ist nach Probenaufarbeitung durch Va- daher stärker subjektiv. „Objektiv“ und „absolut genau“
kuumgefriertrocknung oder durch Hitzetrocknung bei ist keine der in diesem Kapitel vorgestellten Methoden!
104–106 °C für 4–6 h möglich. Beide Methoden sind je- Dennoch haben sie sich in der Praxis bewährt, wenn
doch für die routinemäßige Ermittlung des Proteinge- man ihre Einschränkungen kennt und berücksichtigt,
halts einer Lösung zu zeit- und arbeitsaufwendig. Für dass jede für sich einen mehr oder weniger hinlänglichen
viele Fragestellungen ist es auch völlig ausreichend, den Kompromiss darstellt.
ungefähren Gehalt, verglichen mit einem definierten
Standard wie beispielsweise Serumalbumin, zu kennen. Quantifizierung komplexer Proteingemische oder reiner
Dies gilt z. B. für Proteinbestimmungen bei der Protein- Proteinlösungen?  Die Aufgabenstellung  – das Ziel der
aufreinigung oder bei der Immobilisierung von Protei- Analyse – ist ausschlaggebend für die Wahl
nen. 55 der Proteinbestimmungsmethode und
Bei den häufig verwendeten kolorimetrischen Me- 55 von welchen Basisdaten (Referenzen) ausgehend die
thoden werden die Proteine aufgrund der Farbreaktion Quantifizierung erfolgen soll.
im stark Sauren oder Basischen irreversibel denaturiert.
Spektroskopische Methoden bewahren hingegen die Muss beispielsweise der Proteingehalt eines komplexen
biologische Funktion, und das Protein kann anschlie- Proteingemisches, etwa der Gesamtproteingehalt von
ßend weiter verwendet werden. Leider haben spektros- Zellmaterial, bestimmt werden, sollten Methoden ge-
kopische Methoden im Vergleich zu kolorimetrischen wählt werden, die relativ objektive Funktionalitäten in
Methoden geringere Sensitivitäten. Beide Verfahren Proteinen wie Peptidbindungen erfassen. Die Auswer-
können außerdem durch die Anwesenheit anderer Subs- tung sollte dann anhand analytisch gut charakterisierter
tanzen erheblich gestört und beeinflusst werden. Man „Durchschnittsproteine“, Standardproteinen wie Rin-
muss daher die Gegenwart von Salzen, Zuckern, Nucle- derserumalbumin oder Chymotrypsin, erfolgen. Mit
insäuren oder Detergenzien berücksichtigen und dar- dem Standardprotein wird eine Eichgerade ermittelt,
aufhin entscheiden, welche der im Folgenden dargestell- oder es werden Daten aus der Literatur benutzt.
Proteinbestimmungen
35 3
Will man hingegen in einer weniger komplexen Pro-
..      Tab. 3.1  Auswahl einiger Substanzen, die bei den
teinlösung, etwa einer bereits aufgereinigten und ange- verschiedenen Farbassays und den UV-Methoden stören
reicherten Proteinfraktion, gezielt ein bestimmtes Pro-
tein quantifizieren, kommen prinzipiell alle Methoden Proteinbestimmungsmethode Störende Substanzen
in Betracht. Entscheidend ist, dass das Zielprotein als
Standardprotein zur Verfügung steht (Eichgerade) oder Biuret-Assay Ammoniumsulfat
Glucose
Literaturdaten des Zielproteins bekannt sind. In allen
Sulfhydrylverbindungen
Fällen ist zu beachten, dass bei Probelösung und Refe- Natriumphosphat
renz identische Bedingungen (Lösungen, pH-Wert,
Lowry-Assay EDTA
Temperatur, Inkubationszeiten etc.) einzuhalten sind!
(modifiziert nach Hartree) Guanidin-HCl
Triton X-100
Nichtproteinbestandteile in Proteinlösungen  Die Bedeu- SDS
tung der Nichtproteinverbindungen in Probelösungen Brij 35
wurde bereits erwähnt. Sie können die Farbstoffbildung >0,1 M TRIS
Ammoniumsulfat
oder Absorptionsmessung erheblich manipulieren und
1 M Natriumacetat
verfälschen. Da Proteine Makromoleküle mit einem Mo- 1 M Natriumphosphat
lekulargewicht von meist über 10.000 Dalton sind, die
Bicinchoninsäure-Assay EDTA
störenden Nichtproteinmoleküle jedoch überwiegend nie-
>10 mM Saccharose oder
dermolekular mit weniger als 1000 Dalton sind, können Glucose
beide durch einfache Dialyse, Säurefällung, Gelausschlus- 1,0 M Glycin
schromatographie oder Ultrafiltration voneinander ge- >5 % Ammoniumsulfat
trennt werden. Für die zwei letztgenannten Methoden 2 M Natriumacetat
1 M Natriumphosphat
steht von verschiedenen Laborausstattern eine spezielle
Ausrüstung für kleine Volumina (0,5–5  ml) zur Verfü- Bradford-Assay >0,5 % Triton X-100
gung. Da manche Nichtproteinsubstanzen den einen As- >0,1 % SDS
Natriumdesoxycholat
say zwar stören, den anderen nicht, reicht oft der Wechsel
zu einer anderen Methode. Dies muss von Fall zu Fall ent- UV-Methoden Pigmente
schieden werden. Einen Anhaltspunkt liefert hierzu phenolische Verbindungen
organische Cofaktoren
. Tab. 3.1.

Weitere, nicht detailliert abgehandelte Methoden  Außer


den in diesem Kapitel beschriebenen Methoden können siert werden. Dies geschieht beispielsweise durch Ko-
nach dem sauren thermischen Abbau der Proteine die tit- chen in 6 %iger Schwefelsäure bei 100 °C (12–15 h) in
rimetrische Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl und der verschmolzenen Glasgefäßen bei Abwesenheit von Sau-
Ninhydrin-Assay zur Quantifizierung von Proteinen her- erstoff. Das Proteinhydrolysat wird mit dem Ninhydrin-­
angezogen werden. Beide werden aufgrund ihres hohen Reagenz versetzt und die resultierende, purpurblaue Lö-
Aufwands nicht im Detail angesprochen, sollen jedoch an sung spektralphotometrisch bei einer Wellenlänge von
dieser Stelle der Vollständigkeit halber kurz erläutert wer- 570  nm vermessen. Als Standard zur Erstellung einer
den. Eichgeraden wird meist l-Leucin verwendet, jedoch sind
Bei der Kjeldahl-Methode werden unter definierten die mit den verschiedenen Aminosäuren des Proteins
Bedingungen beim Erhitzen mit konzentrierter Schwe- entstehenden Farbintensitäten nicht identisch. Dies ist
felsäure und einem Katalysator (Schwermetalle, Selen) eine von mehreren Fehlerquellen bei der Ninhydrin-­
organische Stickstoffverbindungen zu CO2 und H2O Methode.
oxidiert, und es entsteht eine dem organisch gebundenen
Stickstoff äquivalente Menge NH3. Diese wird durch
H2SO4 als (NH4)2SO4 gebunden (feuchte Veraschung). 3.1  uantitative Bestimmung durch
Q
Nach Zugabe von NaOH wird Ammoniak freigesetzt, in Färbetests
eine Destillationsapparatur überführt und titrimetrisch
quantifiziert. Da der Stickstoffgehalt von Proteinen un- Proteinproben bestehen häufig aus einem komplexen
gefähr 16  % beträgt, kann nach Multiplikation des Gemisch verschiedener Proteine. Der quantitative Nach-
N-Gehalts mit 6,25 die Proteinmenge rückgerechnet weis des Proteingehalts solcher Rohproteinlösungen er-
werden. Der Nichtproteinstickstoff muss natürlich zu- folgt meist anhand von Farbreaktionen funktioneller
vor entfernt werden! Gruppen der Proteine mit farbstoffbildenden Reagen-
Der Farbassay mit Ninhydrin wird als Nachweisme- zien. Die Intensität des Farbstoffs korreliert direkt mit
thode für freie Aminogruppen eingesetzt. Daher muss der Konzentration der reagierenden Gruppen und kann
das Protein zuerst in seine freien Aminosäuren hydroly- in einem Spektralphotometer exakt gemessen werden.
36 L. Fischer

Die Grundlagen der Spektroskopie (Lambert-­Beer’sches volumina und die sich gegen Rinderserumalbumin als
Gesetz etc.) und die dafür geeigneten Geräte sind in Standard ungefähr ergebenden spektralen Absorptions-
7 Kap. 8 ausführlich beschrieben. Von den vier hier im
  koeffizienten (in ml Endvolumen pro μg gelösten Prote-
Detail behandelten Färbemethoden gibt es mitunter ins pro cm) sind in . Tab. 3.2 als Übersicht dargestellt.

eine Vielzahl von Varianten, die in der Literatur be- Ungefähre Werte nennt die Tabelle deshalb, da in der
schrieben sind, die jedoch auf denselben Prinzipien be- Literatur aufgrund der Komplexität beeinflussender
3 ruhen. Faktoren – wie u. a. der Reinheit der Chemikalien und
des verwendeten Wassers – beispielsweise allein für den
Biuret-Nachweis unter scheinbar gleichen Bedingungen
In jedem Fall sollte man Mehrfachbestimmungen, ge-
spektrale Absorptionskoeffizienten von 2,3 bis 3,2  ml
wöhnlich Dreifachbestimmungen, durchführen und
Endvolumen pro μg gelösten Proteins pro cm nachzu-
einen Mittelwert bilden. Die Proben werden grundsätz-
lesen sind!
lich bei gleicher Wellenlänge gegen einen sog.
Blank-Ansatz vermessen, der aus den gleichen Be-
standteilen und Volumina des jeweiligen Farbassays Sehr wichtig bei den Färbemethoden ist die Angabe,
besteht, bei dem jedoch die Proteinlösung durch destil- worauf sich das Volumen (ml) bezieht, da je nach Me-
liertes Wasser ersetzt wurde. thode mehrere Lösungen in unterschiedlichen Volu-
mina mit der Proteinprobe vereint werden müssen. Das
angegebene Volumen sollte stets das nach der Durch-
führung des Assays vorliegende Endvolumen des An-
Spektrale Absorptionskoeffizienten  Jede Färbemethode
satzes sein und nicht das Volumen der eingesetzten
kann nur in einem bestimmten Konzentrationsbereich
Proteinlösung.
eingesetzt werden. In diesem Bereich ergibt sich bei defi-
nierter Wellenlänge ein konstantes Abhängigkeitsverhält-
nis von gemessener Absorption zu Proteinkonzentration,
das grafisch als Steigung (spektraler Absorptionskoeffizi- Relative Abweichungen der Färbemethoden  Können
ent) bei der Auftragung von Absorption gegen die Kon- nicht proteinogene Beeinträchtigungen der Assays idea-
zentration (Abszisse) ermittelt wird. Der Absorptionswert lerweise ausgeschlossen werden und sieht man von eini-
bezieht sich standardmäßig auf die Schichtlänge der Kü- gen Ausnahmen ab, ergeben sich unter den hier vorgestell-
vette (in cm), der Konzentrationswert auf Mikrogramm ten Bestimmungsmethoden für ein und dasselbe Protein
gelöstes Protein pro Milliliter. Alternativ kann bei be- Abweichungen zwischen wenigstens fünf bis zwanzig Pro-
kanntem Molekulargewicht des Proteins die Konzentra- zent. Bei der Quantifizierung von Rohproteinlösungen ist
tionseinheit Mol gelöstes Protein pro Milliliter verwendet der Unterschied noch weitaus größer. Für die Angabe
werden. Dann ergibt sich ein molarer spektraler Absorp- spezifischer Aktivitäten von Enzymen, Antikörpern oder
tionskoeffizient (früher: molarer Extinktionskoeffizient) Lectinen, ausgedrückt in biologischer Aktivität pro mg
mit der Einheit 1/(Mol gelöstes Protein pro Liter) pro cm Protein, ist es daher nicht nur äußerst wichtig, unter wel-
bzw. Liter pro Mol gelöstes Protein pro cm. chen Testbedingungen (Substrat, pH-Wert, Temperatur
Die für die hier vorgestellten Färbemethoden an- etc.) die Aktivität ermittelt wurde, sondern auch, mit wel-
zuwendenden Proteinkonzentrationsbereiche, Probe- cher Methode die Proteinbestimmung erfolgte.

..      Tab. 3.2  Übersicht der verbreitetsten Färbemethoden zur Proteinbestimmung

Methode Ungefähr benötigtes Nachweisgrenzen (in μg Spektraler Absorptionskoeffizient* (in ml


Probevolumen (in ml) Protein ml−1) Endvol. pro μg gelösten Proteins pro cm)

Biuret-Assay 1 1–10 2,3 × 10−4 A550


Lowry-Assay (modifiziert 1 0,1–1 1,7 × 10−2 A650
nach Hartree)
Bicinchoninsäure-Assay 0,1 0,1–1 1,5 × 10−2 A562
Bradford-Assay 0,1 0,05–0,5 4,0 × 10−2 A595

*mit dem Standardprotein Rinderserumalbumin


Proteinbestimmungen
37 3
3.1.1 Biuret-Assay 3.1.2 Lowry-Assay

Der Name dieser Proteinbestimmungsmethode beruht Die von Lowry und Mitarbeitern 1951 zur quantitativen
auf einer Farbreaktion mit gelöstem Biuret (Carbamo- Bestimmung von Proteinen veröffentlichte Kombina-
ylharnstoff) und Kupfersulfat in alkalischem, wässrigem tion von Biuret-Reaktion mit dem Folin-Ciocalteu-­
Milieu (Biuret-Reaktion). Es entsteht ein rotvioletter Phenol-­Reagenz wird als Lowry-Assay bezeichnet. In
Farbkomplex zwischen den Cu2+-Ionen und je zwei Biu- alkalischer Lösung bildet sich der oben erwähnte
retmolekülen. Die Reaktion ist typisch für Verbindun- Kupfer-­Protein-Komplex. Dieser unterstützt die Reduk-
gen mit mindestens zwei CO–NH-Gruppen (Peptidbin- tion von Molybdat bzw. Wolframat, die in Form ihrer
dungen) und kann daher für den kolorimetrischen Heteropolyphosphorsäuren eingesetzt werden (Folin-­
Nachweis von Peptiden und Proteinen verwendet wer- Ciocalteu-­Phenol-Reagenz), durch vornehmlich Tyro-
den (. Abb. 3.1). Sind Tyrosinreste vorhanden, tragen
  sin, Tryptophan und, in geringerem Maße, Cystein, Cys-
diese ebenfalls merklich durch die K­ omplexierung von tin und Histidin des Proteins. Dabei wird vermutlich
Kupferionen zur Farbstoffbildung bei. Der Nachweis Cu2+ im Kupfer-Protein-Komplex zu Cu+ reduziert, das
orientiert sich also überwiegend objektiv an den Peptid- dann mit dem Folin-Ciocalteu-Phenol-Reagenz reagiert.
bindungen und subjektiv an den Tyrosinresten der Pro- Aufgrund der zusätzlichen Farbreaktion ist die Sensiti-
teine. Der in . Tab. 3.2 angegebene spektrale Absorp-
  vität gegenüber dem reinen Biuret-Assay enorm gestei-
tionskoeffizient wurde bei 550 nm ermittelt. Ansonsten gert. Die resultierende tiefblaue Färbung wird bei einer
kann die Messung der Farbintensität auch bei 540 nm Wellenlänge von 750 nm, 650 nm oder 540 nm vermes-
erfolgen. Beide Wellenlängen liegen in der Nähe des von sen.
Protein zu Protein mitunter leicht variierenden Absorp- Für den Lowry-Assay ist in der Literatur eine Fülle
tionsmaximums des Farbkomplexes. von Modifikationen beschrieben. Ziel war meistens, die
Der Biuret-Assay ist im Vergleich zu den anderen recht hohe Störanfälligkeit der Lowry-Methode zu ver-
Farbassays der unempfindlichste (. Tab. 3.2). Die Pro-
  bessern. Die in . Tab. 3.1 und 3.2 angegebenen Daten

teinprobe oder Standardprobe wird mit vier Teilen sind mit einer von Hartree 1972 veröffentlichten Vari-
Biuret-­Reagenz versetzt und für 20 min bei Raumtempe- ante ermittelt worden. Sie erweitert bei gleicher Sensiti-
ratur stehen gelassen. Dann wird direkt die Farbintensi- vität den linearen Bereich des herkömmlichen Low-
tät in einem Spektralphotometer gemessen. Störend wir- ry-Assays um 30–40  % auf ca. 0,1–1,0  mg ml–1
ken vor allem Ammonium, schwach reduzierende und (. Tab. 3.1), sie zeigt keine Probleme mit ausfallenden

stark oxidierende Substanzen (. Tab.  3.1). Geringe


  Salzen und kommt anstelle der fünf Stammlösungen des
Mengen an Natriumdodecylsulfat (SDS) oder anderen ursprünglichen Lowry-Assays mit nur drei Ansätzen
Detergenzien sind hingegen tolerabel. Muss aufgrund aus, die zudem eine bessere Lagerungsstabilität aufwei-
der hohen Absorption die Lösung verdünnt werden, sen. Bei dieser Variante werden zu einem Anteil Protein-
darf dies auf keinen Fall mit der fertigen Endlösung probe (1,0) nacheinander drei Reagenzien A (Carbonat/
nach der Farbbildung geschehen, sondern mit der ein- NaOH-Lösung), B (alkalische CuSO4-­Lösung) und C
gesetzten Probelösung, und die Reaktion muss wieder- (verdünntes Folin-Ciocalteu-Reagenz) gegeben (Anteile
holt werden. Damit ist gewährleistet, dass aufgrund der A:B:C = 0,9:0,1:3,0). Nach Zugabe von A und C wird
konzentrationsabhängigen Gleichgewichtseinstellungen jeweils für 10 min auf 50 °C temperiert. Insgesamt dau-
die zur vollständigen Absättigung der komplexbilden- ert der Lowry-Assay nach Hartree ca. 30 min. Eventuell
den Gruppen notwendige Menge an Kupferionen auch notwendige Verdünnungen müssen, wie bereits beim
vorliegt. Biuret-Assay erläutert, mit der Proteinlösung erfolgen.
Die Lowry-Methode wird von einem breiten Spekt-
rum nicht proteinogener Substanzen beeinträchtigt
O R1
(. Tab.  3.1). Besonders die bei einer Enzymaufreini-

gung üblichen Zusätze wie EDTA, Ammoniumsulfat


N N
oder Triton X-100 sind nicht mit dem Lowry-Assay
Cu2+ kompatibel. Im Vergleich zum Biuret-Assay tragen ver-
N N stärkt subjektive Kriterien zur Farbstoffbildung bei  –
vor allem die je nach Protein individuellen Anteile an
R2 O Tyrosin, Tryptophan, Cystein, Cystin und Histidin. Be-
: Polypeptidkette
achtet werden muss auch, dass die Färbung relativ in-
stabil ist. Die Vermessung der Proben sollte daher inner-
..      Abb. 3.1  Der farbige Protein-Cu2+-Komplex, der bei der Biuret-­ halb von 60  min nach dem letzten Reaktionsschritt
Reaktion entsteht erfolgen.
38 L. Fischer

3.1.3 Bicinchoninsäure-Assay (BCA-Assay) 3.1.4 Bradford-Assay

Smith und Mitarbeiter veröffentlichten 1985 eine seit- Im Unterschied zu den bisher beschriebenen Färbeme-
dem vielbeachtete Alternative zum Lowry-Assay, die thoden sind bei diesem nach M. M. Bradford benannten
den Biuret-Assay mit Bicinchoninsäure (BCA) als De- und 1976 veröffentlichten Assay keine Kupferionen in-
tektionssystem kombiniert. BCA wurde bis dahin be- volviert. Im Mittelpunkt stehen blaue Säurefarbstoffe,
3 reits zum Nachweis anderer Kupfer reduzierender Ver- die als Coomassie-Brillantblau bezeichnet werden. Häu-
bindungen, wie Glucose oder Harnsäure, verwendet. Zu fig wird der in . Abb.  3.3 dargestellte Vertreter, das

einem Anteil Probe werden zwanzig Anteile einer frisch Coomassie-­Brillantblau G 250, verwendet. In Gegen-
angesetzten Bicinchoninsäure/Kupfersulfatlösung gege- wart von Proteinen und in saurem Milieu verschiebt sich
ben und für 30 min bei 37 °C inkubiert. das Absorptionsmaximum des Coomassie-Brillantblau
Wie der Lowry-Assay beruht die Methode auf der G 250 von 465 zu 595 nm. Grund dafür ist vermutlich
Reduktion von Cu2+ zu Cu+. BCA bildet spezifisch die Stabilisierung des Farbstoffs in seiner unprotonier-
mit Cu+ einen Farbkomplex (. Abb.  3.2). Dies er-
  ten, anionischen Sulfonat-Form durch Komplexbildung
möglicht einen sensitiven, kolorimetrischen Nachweis zwischen Farbstoff und Protein. Der Farbstoff bindet
von Proteinen bei einer Wellenlänge von 562  nm, dem dabei recht unspezifisch an kationische und nichtpolare,
Absorptionsmaximum des Komplexes. Vergleichsstu- hydrophobe Seitenketten der Proteine. Am wichtigsten
dien mit dem Lowry-Assay zeigten, dass Cystein, Cys- sind die Wechselwirkungen mit Arginin, weniger die mit
tin, Tyrosin, Tryptophan und die Peptidbindung Cu2+ Lysin, Histidin, Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin.
zu Cu+ reduzieren können und daher die Farbbildung Der Bradford-Assay wird auch für die Anfärbung von
mit BCA ermöglichen. Dabei hängt die Intensität der Proteinen in Elektrophoresegelen verwendet. Er ist etwa
­Farbstoffbildung, also das Redoxverhalten der beteilig- um den Faktor zwei sensitiver als der Lowry- oder
ten Gruppen, u. a. von der Temperatur ab. Der BCA-As- BCA-Assay (. Tab.  3.2) und somit der empfindlichste

say kann somit für eine gewünschte Sensitivität über die quantitative Färbeassay. Er ist auch der einfachste, da die
Temperatur variiert werden. Stammlösung, bestehend aus Farbstoff, Ethanol und
Bei dem Vergleich mit dem Lowry-Assay zeigt sich Phosphorsäure, in einem Verhältnis von 20:1 bis 50:1 zur
außerdem, dass die beiden Methoden bei der Bestim- Probelösung hinzugegeben wird und nach 10  min bei
mung der Konzentrationen von Standardproteinen, wie Raumtemperatur mit der Vermessung der Absorption
Rinderserumalbumin, Chymotrypsin oder Immunglo- bei 595 nm begonnen werden kann. Von Vorteil ist auch,
bulin G, gut übereinstimmen. Beträchtliche Abweichun- dass eine Reihe von Substanzen, die den Lowry- oder
gen von fast hundert Prozent gibt es jedoch mit Avidin, BCA-Assay stören, das Ergebnis nicht beeinträchtigt
einem Glykoprotein aus Hühnereiweiß. Der Mechanis- (. Tab.  3.1). Insbesondere ist hier die Toleranz gegen-

mus des BCA-Assays ist dem des Lowry-Assays prinzi-


piell ähnlich, darf diesem jedoch auf keinen Fall gleich- H3C CH2
gesetzt werden. Vorteile gegenüber dem Lowry-­Assay +
N
sind die einfachere Durchführung, die beeinflussbare NaO3S
Sensitivität und die gute zeitliche Stabilität des gebilde-
H3C SO3–
ten Farbkomplexes. Nachteilig ist der höhere Preis des CH2
Assays, da das teure Natriumsalz der Bicinchoninsäure
N C
dafür gebraucht wird. Die Sensitivität des BCA-Assays
liegt im Bereich des nach Hartree modifizierten Low- H2C CH2
CH3
ry-Assays (. Tab.  3.2). Die Störanfälligkeit des

BCA-Assays ist ebenfalls recht hoch. Neben den in


. Tab.  3.2 genannten Substanzen interferieren bei-

HN OCH2CH3

spielsweise geringe Mengen an Ascorbinsäure, Dithio-


threitol oder Glutathion, neben komplexierenden also ..      Abb. 3.3  Coomassie-Brillantblau G250 (als Sulfonat), das Rea-
auch reduzierende Verbindungen. genz des Bradford-Assays

..      Abb. 3.2  Der Bicinchoninsäure-Assay:


Kombination der Biuret-­Reaktion mit der
selektiven Bicinchoninsäurekomplexierung
von Cu+

OOC N N COO–
OH– 2 BCA
Protein + Cu2+ Cu+ Cu+

OOC N N COO–
Proteinbestimmungen
39 3
über Reduktionsmitteln zu nennen! Hingegen stören alle
Substanzen, die das Absorptionsmaximum von Coomas- von spektraler Absorption zu Konzentration nicht mehr
sie-Brillantblau beeinflussen, und das ist aufgrund der gegeben ist. Bei Fluoreszenzmessungen sollte der Emis-
Unspezifität der Wechselwirkungen manchmal vorher sionswert nicht über 0,5 liegen. Gegebenenfalls muss die
kaum abzuschätzen. Der wohl größte Nachteil des Brad- Probelösung verdünnt und der Verdünnungsfaktor bei
ford-Assays besteht darin, dass gleiche Mengen an ver- der Konzentrationsermittlung berücksichtigt werden.
schiedenen Standardproteinen erhebliche Differenzen in
ihren resultierenden Absorptionskoeffizienten verursa-
Eine Übersicht zu den im Folgenden detailliert behan-
chen können. Die Subjektivität dieses Färbeassays ist so-
delten spektroskopischen Methoden gibt . Tab. 3.3.  

mit beträchtlich und verglichen mit den drei anderen, et-


was aufwendigeren Färbemethoden, am größten.

3.2.1 Messungen im UV-Bereich


3.2 Spektroskopische Methoden
Absorptionsmessung bei 280  nm (A280)  Bereits Anfang
Spektroskopische Methoden sind im Vergleich zu kolori- der Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts führten War-
metrischen Methoden unempfindlicher und benötigen hö- burg und Christian die Messung der Proteinkonzentra-
here Konzentrationen an Protein. Sie sollten eher bei reine- tion von Zellextraktlösungen unterschiedlichen Aufreini-
ren oder hochreinen Proteinlösungen angewendet werden. gungsgrades bei einer Wellenlänge von 280  nm (A280)
Es werden die spektralen Absorptions- oder Emissionsei- durch. Bei dieser Wellenlänge absorbieren die aromati-
genschaften der Proteine bei definierter Wellenlänge in ei- schen Aminosäuren Tryptophan und Tyrosin, in geringe-
nem Strahlengang vermessen. Die Proteinlösung (Probelö- rem Maß auch Phenylalanin (. Tab. 3.4). Da in den Pro-

sung) wird dazu einfach in eine Quarzküvette gegeben, die teinlösungen zum Teil auch größere Mengen an
in der Regel 1 cm Schichtdicke hat. Das Spektralphotome- Nucleinsäuren und Nucleotiden vorhanden sind – dies ist
ter wird zuvor mit dem reinen, proteinfreien Lösungsmittel allgemein nach Aufschluss von Zellen der Fall – mussten
(Referenz) in der gleichen Quarzküvette auf null gestellt. die bei A280 gemessenen Werte korrigiert werden, da die
Der mit der Probelösung gemessene Wert führt dann Nucleinsäurebasen ebenfalls bei A280 absorbieren. War-
entweder anhand von Literaturtabellen oder anhand burg und Christian ermittelten folglich einen zweiten Wert
einer Eichgerade zur entsprechenden Proteinkonzent- bei 260  nm (A260), der mit dem bei A280 nach folgender
ration in mg ml–1. Letzteres empfiehlt sich oftmals auf- Formel in Beziehung gesetzt wurde:
grund der interferierenden Einflüsse von Puffersubstan-
zen, verwendetem pH-Wert, Geräteungenauigkeiten etc. (
Proteinkonzentration in mg ml−1 )
Ideal wäre es, wenn eine Eichung mit dem reinen Pro- = (1,55 ⋅ A280 ) − ( 0,76 ⋅ A260 ) (3.1)
tein, dessen Konzentration in der Probelösung bestimmt
werden soll, durchgeführt werden könnte.
Diese Beziehung kann bis zu 20 % (w/v) Anteil an Nuc-
Der mit Probe- oder mit Standardlösung gemessene Ab-
leinsäuren in der Lösung oder einem A280/A260-­Verhältnis
sorptionswert sollte 1,0 nicht überschreiten, da bei ei-
<0,6 angewendet werden. Bei Proteinlösungen mit nur
nem Wert größer als 1,0 die Linearität der Abhängigkeit
geringem Gehalt an Nucleinsäuren reicht die A280-Mes-
sung aus.

..      Tab. 3.3  Übersicht der gängigsten spektroskopischen Proteinbestimmungsmethoden

Methode Proteinbestandteil, auf Nachweisgrenzen (in μg Abhängigkeit von Störanfälligkeit


dem der Nachweis Protein ml−1) Proteinzusammensetzung
maßgeblich basiert

photometrisch:
A280 Tryptophan, Tyrosin 20–3000 stark gering
A205 Peptidbindungen 1–100 wenig hoch
fluorimetrisch:
Anregung280 Tryptophan (Tyrosin) 5–50 stark gering
Emission320–350
40 L. Fischer

..      Tab. 3.4  Molare spektrale Absorptionskoeffizienten ε bei ..      Tab. 3.5  Maximal zu verwendende Konzentration von
280 nm und Absorptionsmaxima von aromatischen störenden, häufig in der Proteinchemie verwendeten Zusätzen
Aminosäuren* bei der A205- und A280-Methode. (Nach Stoscheck 1990)

Aminosäure ε · 10−3 (in l mol−1 Absorptionsmaxima (in Zusatz A205-­Methode A280-­Methode


cm−1) bei 280 nm nm)
3 Ammoniumsulfat 9 % (w/v) >50 % (w/v)
Tryptophan 5,559 219, 279
Brij 35 1 % (v/v) 1 % (v/v)
Tyrosin 1,197 193, 222, 275
Dithiothreitol (DTT) 0,1 mM 3 mM
Phenylalanin 0,0007 188, 206, 257
Ethylendiamintetraessig- 0,2 mM 30 mM
säure (EDTA)
*Angabe für wässrige Lösungen bei pH 7,1
Glycerol 5 % (v/v) 40 % (v/v)
Harnstoff (Urea) <0,1 M >1 M
Wie anhand der molaren spektralen Absorptionsko- KCl 50 mM 100 mM
effizienten ε in . Tab. 3.4 deutlich wird, orientiert sich

2-Mercaptoethanol <10 mM 10 mM
die A280-Methode maßgeblich an Tryptophan, das ein
Absorptionsmaximum bei 279 nm aufweist. Die beiden NaCl 0,6 M >1 M
anderen aromatischen Aminosäuren tragen vergleichs- NaOH 25 mM >1 M
weise weniger zum A280-Wert bei. Da der Gehalt an aro- Natriumdodecylsulfat 0,1 % (w/v) 0,1 % (w/v)
matischen Aminosäuren von Protein zu Protein variie- (SDS)
ren kann, variieren folglich auch die entsprechenden
Phosphatpuffer 50 mM 1 M
A280-­Werte. Die meisten Proteine liegen bei einem Kon-
zentrationsbereich von 10 mg ml−1 (A1 %) zwischen A280 Saccharose 0,5 M 2 M
= 0,4–1,5. Es gibt aber auch extreme Ausnahmen, bei Trichloressigsäure (TCA) <1 % (w/v) 10 % (w/v)
denen A1% bei 0,0 (Parvalbumin) oder 2,65 (Lysozym)
TRIS-Puffer 40 mM 0,5 M
liegen kann. Ein ideales Standardprotein sollte den glei-
chen Gehalt an aromatischen Aminosäuren aufweisen Triton X-100 <0,01 % (v/v) 0,02 % (v/v)
wie das zu messende Protein oder mit ihm identisch sein.
In der Praxis ist dies leider äußerst selten realisierbar.
Die A280-Methode kann bei Proteinkonzentrationen
von 20–3000 μg ml−1 eingesetzt werden. Sie ist leicht und
eine relativ neue Deuteriumlampe im Spektralphotometer
schnell anzuwenden und wird wesentlich weniger durch
und höchstens geringe Konzentrationen an geeigneten
parallele Absorptionen von Nichtproteinsubstanzen ge-
Puffersubstanzen (. Tab. 3.5) sollten bei der Durchfüh-

stört als die nachfolgend beschriebene, ebenfalls gängige


rung der A205 verwendet werden.
UV-Proteinbestimmungsmethode, die die Absorption
Können die Einflüsse von Puffer und Nichtprotein-
im unteren UV-Bereich bei 205 nm (A205) misst und we-
substanzen ausgeschlossen werden, so fällt der A1 %205-­
sentlich empfindlicher ist (. Tab. 3.5).
Wert fast aller Proteine in den Bereich von 28,5 bis 33.

Ist der A1 %205-Wert des zu untersuchenden Proteins


Absorptionsmessung bei 205 nm (A205)  Die A205-Methode
nicht bekannt, kann die Proteinkonzentration nach fol-
wurde Anfang der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhun-
gender Formel berechnet werden:
derts von Goldfarb, Saidel und Mosovich publiziert und
liefert in einem Konzentrationsbereich von 1–100 μg ml−1 ( 31⋅ A205 )
verlässliche Werte. Sie basiert auf den Absorptionseigen- (
Proteinkonzentration in mg ml−1 = ) X
(3.2)
schaften der Peptidbindungen und ist daher weniger von
der Zusammensetzung der Proteine abhängig. Leider in- Der A205-Wert hat in diesem Fall die Einheit mg ml−1
terferieren neben einer Vielzahl von Puffersubstanzen cm−1, und X ist die Schichtdicke der Quarzküvette in
(. Tab.  3.5) auch die Absorptionsmaxima mehrerer
  cm, also normalerweise 1. Die Genauigkeit des Verfah-
Aminosäuren (beispielsweise Histidin 211 nm; Phenylala- rens liegt bei ca. ±10 %.
nin 206  nm; Tyrosin 193 und 222  nm; Tryptophan Scopes korrigierte 1974 die A205-Methode um den
219 nm). Allgemein sind bei der A205-Methode alle Nicht- Gehalt an Tryptophan und Tyrosin, indem er Absorpti-
proteinmoleküle störend, die C=C- oder C=O-Doppel- onswerte sowohl bei A280 als auch bei A205 ermittelte und
bindungen enthalten. Eine sehr saubere Quarzküvette, in folgende Formel einsetzte:
Proteinbestimmungen
41 3
A  ner Ionisierung (pH-abhängig) oder der engen Nachbar-
( )
Proteinkonzentration in mg ml−1 = 27, 0 + 120· 280  schaft einer Amino- oder Carboxygruppe bzw. eines
 A205  Tryptophanrests, was häufig gegeben ist. Entscheidend
(3.3) für die Fluoreszenzmethode ist demnach, ähnlich wie
bei der A280-Methode, der Tryptophangehalt des Prote-
Der auf diese Weise vorausgesagte Gehalt an untersuch-
ins, obwohl auch Tryptophan durch acide Nachbargrup-
tem Protein hatte lediglich eine maximale Abweichung
pen gequencht werden kann. Ein zusätzlicher signifikan-
von 2 %.
ter Beitrag zur Quantenausbeute eines Proteins kann
von fluoreszierenden prosthetischen Gruppen ausgehen.
Die Fluoreszenzemission von Proteinen ist im
3.2.2 Fluoreszenzmethode
­Vergleich zu den photometrischen Methoden in einem
kleineren Bereich linear. Sie ist zudem stark vom pH-
Bei dieser Methode wird die Eigenfluoreszenz (Primär-
Wert und der Polarität des Lösungsmittels abhängig.
fluoreszenz) der aromatischen Aminosäuren in Protei-
Der Aspekt störender Nichtproteinmoleküle braucht
nen, hauptsächlich die des Tryptophans, nach entspre-
bei dieser Methode nicht weiter angesprochen zu wer-
chender Anregung in einem Spektralfluorometer
den, da die Anwendung ohnehin nur in sehr sauberen
gemessen. Für eine Quantifizierung mit dieser Methode
Lösungen erfolgen kann.
muss in jedem Fall unter identischen Bedingungen mit
dem zu vermessenden Protein als Standardprotein eine
Eichgerade erstellt werden. Ist dies nicht möglich, eignet
sich die Fluoreszenzmethode nur zum qualitativen 3.3  adioaktive Markierung von Peptiden
R
Nachweis von Proteinen in Lösung, da hierbei das und Proteinen
Lambert-­Beer’sche Gesetz, anders als bei der Photome-
trie, nicht direkt gilt. In einigen Bereichen der Biochemie, beispielsweise für
Im Allgemeinen erfolgt die Anregung der fluoreszie- bestimmte Bindungsstudien oder Radioimmunassays,
renden Gruppen in den Proteinen bei 280  nm und die werden Peptide oder Proteine in  vitro radioaktiv mar-
Ermittlung der Emissionswerte, je nach Protein, in ei- kiert und dann über die Radioaktivität quantitativ be-
nem Bereich zwischen 320–350 nm. Die genaue Emissi- stimmt. Der große Vorteil dieser Methode besteht in der
onswellenlänge wird durch die Aufzeichnung eines hohen Selektivität und Sensitivität. So können mit einem
Emissionsspektrums bei 280 nm Anregungswellenlänge Szintillationszähler, einem Gerät zur Quantifizierung
ermittelt. Die Wellenlänge, bei der das Protein sein von Radioaktivität, noch Konzentrationen bis 10−15
Emissionsmaximum besitzt, wird als fester Wert einge- Mol pro Liter eines vierfach mit 125I markierten Peptids
stellt. Die Methode ist in einem Konzentrationsbereich oder Proteins nachgewiesen werden. Die Nachweis-
von 5–50 μg ml−1 anwendbar, also ähnlich dem der grenze liegt damit um mehrere Größenordnungen unter
A205-Methode. der von spektralen Methoden.
In . Tab. 3.6 sind die Fluoreszenzeigenschaften der
  Für radioaktive Markierungen muss das Peptid oder
aromatischen Aminosäuren dargestellt. Phenylalanin ist Protein zuerst rein vorliegen, bevor die eigentlichen Un-
in Gegenwart der beiden anderen Aminosäuren nicht tersuchungen beginnen können. Es wird mittels speziel-
merklich detektierbar. Man könnte daraus schließen, ler chemischer Reagenzien radioaktiv markiert und die
dass Tryptophan und Tyrosin einen nahezu gleichen Bei- durchschnittliche Radioaktivität pro Mol ermittelt (Ei-
trag zur Quantifizierung liefern. Dies ist jedoch oft nicht chung). Danach ist das markierte Biomolekül einsatz-
der Fall, da die Fluoreszenz des Tyrosinrests leicht aus- bereit und kann in verschiedensten Proben detektiert
zulöschen ist (Quenching). Dazu bedarf es lediglich sei- und quantifiziert werden.

..      Tab. 3.6  Fluoreszenzeigenschaften von aromatischen Aminosäuren1

Aminosäure Anregungswellenlänge (in nm) Emissionswellenlänge (in nm) Quantenausbeute2

Tryptophan 285 360 0,20


Tyrosin 275 310 0,21
Phenylalanin 260 283 0,04

1Angaben für wässrige Lösungen bei pH 7,0 und 25 °C


2Quantenausbeute ist das Verhältnis von emittierten zu absorbierten Photonen (7 Abschn. 8.1 und 8.5)

42 L. Fischer

Für die Radioaktivmarkierung kommen vorwiegend ten von 14C und 3H sind jedoch extrem lang (5760 bzw.
Peptide in Betracht. Die Methoden sind jedoch ebenso 12,26 Jahre), und beide sind β-Strahler.
für Proteine geeignet, wobei man beachten muss, dass
eventuell deren Tertiärstruktur beeinflusst wird und Ne-
Auf die besonderen Sicherheitsvorkehrungen und -re-
benreaktionen an sensitiven Aminosäuren stattfinden
geln, die bei dem Umgang mit radioaktiv markierten
können. Beides kann die biologische Aktivität leicht zer-
3 stören.
Substanzen und Lösungen nötig sind und strengstens
befolgt werden müssen, soll an dieser Stelle ausdrück-
Da in der später zu untersuchenden Probe nur das
lich hingewiesen werden.
Zielpeptid radioaktiv markiert ist, erklärt sich die Selek-
tivität der Methode durch die der Markierung vorge-
schalteten Aufreinigungsschritte. Einen Überblick der
3.3.1 Iodierungen
gängigsten Markierungsstrategien und Marker geben
. Tab. 3.7 und . Abb. 3.4. Einige der Methoden wer-
Die Iodierung von Peptiden kann direkt durch die elek-
   

den in 7 Kap. 7 beschrieben.


trophile Addition an Tyrosin oder Imidazol oder indi-

Die Wahl des Radioisotops hängt maßgeblich davon


rekt über Einführung eines iodierten Tyrosinanalogons
ab, welche Aminosäurereste modifiziert werden können,
mittels Bolton-Hunter-Reagenz, eines aktivierten Es-
welche Halbwertszeiten für die Untersuchungen ge-
ters, an die freien, primären Aminogruppen des Lysins
wünscht sind und welche Methode kompatibel mit der
und des N-Terminus erfolgen (. Abb. 3.4). Die letztge-
biologischen Aktivität der Peptide und Proteine ist.

nannte Reaktion wird ausführlich in 7 Kap. 6 beschrie-


Die einfachste und häufigste Methode ist die Radio-

ben. Bei der elektrophilen Addition wird Na125I (oder


aktivmarkierung mit 125I (Halbwertszeit 60 Tage) oder,
Na131I) durch Oxidationsmittel wie N-Chlorbenzolsul-
wenn eine kürzere Halbwertszeit bei höherer spezifi-
fonamid (als Chloramin T oder immobilisiert als Iodo-
scher Radioaktivität (Ci mmol−1) gewünscht ist, mit 131I
beads) oder, etwas schonender für das Peptid, enzyma-
(8 Tage). Iod ist ein γ-Strahler, was für die Detektion
tisch mittels Lactoperoxidase und H2O2 in seine
günstig ist. Daher wird im Folgenden auf die Strategie
aktivierte Form („I+“) überführt. Die direkte chemische
zur 125Iodierung von Peptiden oder Proteinen näher ein-
Iodierung kann dann zweifach an den ortho-Positionen
gegangen. 14C- oder 3H-Markierung haben im Vergleich
von Tyrosin und an den beiden Imidazolkohlenstoffato-
dazu zwei wichtige Vorteile: Zum einen können andere
men erfolgen (. Abb. 3.4). Die enzymatische Iodierung
Aminosäurereste modifiziert werden (Lysin oder Cys-

beschränkt sich auf Tyrosin. Da Lactoperoxidase ein


tein); zum anderen können durch De-novo-Synthese mit
Molekulargewicht von ca. 77,5 kDa besitzt, kann es
zuvor radioaktiv markierten Aminosäuren chemisch
keine Zellwände oder Membranen passieren und wird
identische Peptide hergestellt werden. Die Halbwertszei-
deshalb auch zur schonenden, selektiven Radioaktiv-
markierung von Membranproteinen ganzer, lebender
..      Tab. 3.7  Übersicht häufig angewendeter Methoden zur Zellen eingesetzt.
radioaktiven Markierung von Peptiden oder Proteinen

Der schwerstwiegende Nachteil der radioaktiven Io-


Aminosäurerest Eingeführter Methode
Marker dierung ist, dass die biologische Aktivität häufig ver-
loren geht. Entweder verursacht das Iod selbst die In-
Histidin, Tyrosin 125I, 131I Chloramin T, aktivierung  – immerhin nimmt es den Raum eines
Iodobeads Phenylringes ein und kann dadurch die Tertiärstruktur
Tyrosin 125I, 131I Lactoperoxidase empfindlich beeinträchtigen – oder in Nebenreaktio-
125I, 131I nen werden bestimmte, sensitive Aminosäurereste oxi-
Lysin, Bolton-Hunter-­
N-Terminus Reagenz diert. Besonders oxidationsempfindliche Aminosäuren
14C, 3H
sind Tryptophan, Methionin und Cystein.
Lysin, a) Anhydrid
N-Terminus b) Aldehyd,
Borhydrid Da die Iodierung normalerweise nicht vollständig ab-
Cystein 14C, 3H Iodessigsäure läuft, müssen die radioaktiv markierten Peptide von
Tyrosin 3H Reduktion von 127I
nicht markiertem Ausgangsmaterial getrennt werden.
Dies geschieht effizient durch Reversed-Phase-HPLC
jeder Rest 14C, 3H Peptidsynthese (z. B. einer RP-C18-Säule), die als Eluentensystem einen
Zuckerrest 3H Periodat, Borhydrid Acetonitrilgradienten benutzt. Auf diese Weise werden
markierte von nicht markierten und auch verschieden
Proteinbestimmungen
43 3
I I
A OH OH OH
a)
I
+ + NaI + + NaI +
H3N – H3N – H3N –
COO COO COO
+ Oxidations- + Oxidations-
N mittel N mittel N
b) I
N I N I N
H H H

O
+ I
B NH3 O HN

OH
O O
I
O
+
H3N COO– + 2 HN COO–
I
I O

HO I HO
I
O
+
C NH3 H3C NH

O
+ H3C O CH3 H3C
H3N COO– + 2 HN COO–
O O
CH3
+
D NH3 N CH2 HN CH3 N CH3
+ NaCNBH3
+ H2C O + NaCNBH3 + H2C O

+
H3N COO– N COO– HN COO– H3C N COO–
CH2 CH3 CH3

E SH H2 S CH2 COO–
+ C –
+ I COO +
H3N COO– H3N COO–
H2
C (oder S CH2 CONH2)
oder I C NH2
O

..      Abb. 3.4  Häufig verwendete Methoden zur Radioaktivmarkie- rung von Lysin und dem N-Terminus mittels Aldehyd und anschlie-
rung von Peptiden und Proteinen. A Iodierungen durch elektrophile ßende Reduktion mit Natriumcyanoborhydrid. E Alkylierung von
Addition: a) von Tyrosin, b) von Histidin. B Iodierung von Lysin Cystein mit Iodessigsäure (oder Iodessigsäureamid). (Nach Coligan
und dem N-Terminus mit dem Bolton-Hunter-Reagenz. C Acetylie- et al. 1995)
rung von Lysin und dem N-Terminus mittels Anhydrid. D Alkylie-

stark markierten Peptiden getrennt und als homogene chungen handelt. Ein direkter Vergleich mit den zuvor
Fraktionen zugänglich. beschriebenen Methoden, den Farbnachweisen und
Bei der Bewertung der Radioaktivmarkierung von spektroskopischen Verfahren, die routinemäßig, ohne
Proteinen und Peptiden als einer Quantifizierungsme- besondere Sicherheitsvorkehrungen, schnell und einfach
thode sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es zur Quantifizierung von Proteinen eingesetzt werden, ist
sich um eine spezielle Technik für spezielle Untersu- daher nicht sinnvoll.
44 L. Fischer

Literatur und Weiterführende Literatur Tsomides TJ, Eisen HN (1993) Stoichiometric labeling of peptides
by iodination on tyrosyl or histidyl residues. Anal Biochem
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the bicinchoninic acid protein assay: identification of the groups
Hartree EF (1972) Determination of protein: a modification of the
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Lowry method that gives a linear photometric response. Anal
3 Biochem 48:422–427
Noble JE, Bailey MJA (2009) Quantitation of protein. Methods En- Protokolle für praktisches Vorgehen
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Stoscheck CM (1990) Quantitation of protein. Methods Enzymol tification. Russ J Plant Physiol 58:737–742
182:50–68
45 4

Enzymatische Aktivitätstests
Hans Bisswanger

Inhaltsverzeichnis

4.1 Michaelis-Menten-Gleichung – 46

4.2 Kriterien für die Konzentrationen der Testsubstanzen – 49

4.3 Einflüsse auf die Enzymaktivität – 49


4.3.1 pH-Abhängigkeit – 49
4.3.2 Abhängigkeit von der Ionenstärke – 50
4.3.3 Abhängigkeit von der Temperatur – 50
4.3.4 Stabilität von Enzymen – 51

4.4 Aufbau eines Testsystems – 52


4.4.1 Generelle Vorgehensweise bei Enzymtests – 52
4.4.2 Konzipierung eines speziellen Testverfahrens – 52

4.5 Messtechniken – 54
4.5.1 Optische Methoden – 54
4.5.2 Elektrochemische Methoden – 55
4.5.3 Radioaktive Markierung – 56
4.5.4 Chromatographische Verfahren – 56
4.5.5 Diverse Methoden – 56

Literatur und Weiterführende Literatur – 57

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_4
46 H. Bisswanger

55 Enzymatische Aktivitätstests dienen der Erkennung, ßigkeiten von Enzymreaktionen und die Regeln zur Be-
Quantifizierung und Charakterisierung spezieller En- stimmung von Umsatzgeschwindigkeiten behandelt.
zyme.
55 Geeignet sind die Absorptionsphotometrie, Fluorime-
trie, Polarimetrie, Luminometrie, pH-Stat, Potenzio- 4.1 Michaelis-Menten-Gleichung
metrie sowie Sauerstoff- und CO2-Elektroden.
55 Bei ungenügendem Signal wird die Reaktion gestoppt Grundlage der Beschreibung praktisch aller Enzymre-
und die Komponenten werden durch nachgeschaltete aktionen ist die Michaelis-Menten-Gleichung in der von
4 Farbreaktionen (Kolorimetrie) oder durch Trennung G.E.  Briggs und J.B.S.  Haldane modifizierten Form.
mittels chromatographischer Verfahren analysiert. Demnach bindet das Substrat S in einem raschen Schritt
mit der Geschwindigkeitskonstanten k1 an das Enzym E
Enzyme sind äußerst wirkungsvolle Katalysatoren. Sie unter Bildung eines Enzym-Substrat-Komplexes ES, der
steigern die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen bis wiederum gemäß der thermodynamischen Reversibilität
zu 1010-fach, eine Grundvoraussetzung für das Funktio- mit der Geschwindigkeitskonstanten k-1 zerfällt, sodass
nieren jeder lebenden Zelle, in der eine Vielzahl verschie- sich durch Bindung und Zerfall ein stabiler Gleichzu-
dener Reaktionen simultan und exakt koordiniert ne- stand ausbildet, der durch die Dissoziationskonstante
beneinander abläuft. Lebensvorgänge können nicht von Kd = k–1/k1 quantifiziert wird. In einem katalytischen, als
unkatalysierten Reaktionsprozessen, die oft Tage und irreversibel angenommenen Prozess wird das an das En-
Wochen dauern, abhängen. Ein zweiter essenzieller Vor- zym gebundene Substrat mit der Geschwindigkeitskons-
teil von Enzymen ist, dass katalysierte Reaktionen, im tanten k2 in Produkt P umgewandelt:
Gegensatz zu spontanen chemischen Reaktionen, durch
Veränderung der Menge und der Effizienz des Katalysa- k1
k2
tors exakt zu steuern sind, eine weitere Grundvoraus- 
E + S 
 ES → E + P (4.1)
k
setzung des Lebens.
−1

Die dreidimensionale Proteinstruktur der Enzyme wobei angenommen wird, dass die chemische Umwand-
formt aktive Zentren mit hoher Selektivität und Spezifi- lung deutlich langsamer erfolgt als das vorangehende
tät für die jeweiligen Substrate. Viele Enzyme reagieren schnelle Gleichgewicht, also k1 ~ k–1 >> k2. Unter diesen
nur mit ihrem eigentlichen, physiologischen Substrat, an- Bedingungen halten sich Bildung und Zerfall (nach bei-
dere akzeptieren eine gewisse Variationsbreite, wie die den Richtungen) des Enzym-Substrat-Komplexes die
Alkohol-Dehydrogenase, die Alkohole verschiedener Waage, seine Konzentration bleibt zeitlich unverändert:
Kettenlänge umsetzt, jedoch mit unterschiedlicher Effi- d[ES]/dt = 0. Unter dieser Voraussetzung ergibt sich die
zienz. Diese Eigenschaft, auch ähnliche Verbindungen als Michaelis-Menten-Gleichung aus den Gleichungen für
Substrate anzunehmen, machen sich verschiedene Test- die Teilreaktionen:
verfahren zunutze, wenn das eigentliche Substrat nicht
verfügbar oder instabil ist. Enzymtests dienen dem Nach- d [S]
weis spezieller Enzyme. Oft genügt der qualitative Test, = −k1 [S][ E ] + k−1 [ ES] (4.2)
dt
also das Vorhandensein des Enzyms in einer bestimmten
Probe zu dokumentieren, zumeist aber soll der Test wei-
tere Informationen über das betreffende Enzym liefern, d [E]
wie dessen Menge, Aktivität, Spezifität, Temperatur- und = −k1 [S][ E ] + ( k−1 + k2 ) [ ES] (4.3)
pH-Verhalten (quantitativer Test). Dank der hohen Spe- dt
zifität lässt sich ein bestimmtes Enzym durch sein Subst-
rat eindeutig identifizieren, selbst in Zellhomogenaten,
d [ ES]
die eine Vielzahl verschiedener Enzyme enthalten. = k1 [S][ E ] − ( k−1 + k2 ) [ ES] = 0 (4.4)
Für die Entwicklung von Testverfahren wäre eine ge- dt
nerelle Vorgehensweise mit einer Standardisierung der
Testbedingungen wünschenswert. Aufgrund der kom-
plexen Proteinnatur besitzt jedoch jedes einzelne Enzym d [P]
= k2 [ ES] = v  (4.5)
spezielle Eigenschaften. Selbst gleichartige Enzyme aus dt
verschiedenen Organismen unterscheiden sich oft
grundlegend in ihren Eigenschaften, jedes Enzym ist als
ein Individuum zu betrachten. Dieser Umstand kompli- k2 [ E ]0 [S] V [S]
ziert die Beschreibung von Enzymtests und wird einen v= = max (4.6)
k−1 + k2 K m + [S]
breiten Raum in diesem Kapitel einnehmen. Zuvor wer- + [S]
k1 
den die für Enzymtests wichtigen generellen Gesetzmä-
Enzymatische Aktivitätstests
47 4
Sättigung
Su vmax
bs
tra
Substrat- bzw. Produktkonzentration

ta
bn
ah
m
e

Umsatzgeschwindigkeit v
Substrat-
abnahme

Halbsättigung
Reaktionen Reaktionen Substrat- ½vmax
1. Ordnung 0. Ordnung verarmung

Produkt-
zunahme e
a hm
un
ktz
o du
Pr
0 Zeit Km [Substrat]

..      Abb. 4.1  Zeit-Umsatz-Kurven der Produktbildung bzw. Subst- ..      Abb. 4.2  Hyperbole Sättigungsfunktion für die Abhängigkeit
ratabnahme für eine enzymkatalysierte Reaktion 0. Ordnung und der Umsatzgeschwindigkeit v von der Substratkonzentration [S] ge-
eine unkatalysierte Reaktion 1. Ordnung. Der Reaktionsverlauf 0. mäß der Michaelis-Menten-Gleichung
Ordnung ist linear, bis Substratverarmung einsetzt
zu der unzutreffenden Annahme führt, das Enzym
müsse mit Substrat gesättigt sein. Dies ist zwar vorteil-
v ist die Umsatzgeschwindigkeit. haft, doch, wie im folgenden Absatz beschrieben, keine
Km, die Michaelis-Konstante, ist die um die katalyti- zwingende Voraussetzung für das Vorliegen des Stea-
sche Konstante k2 bzw. kcat, erweiterte Dissoziationskon- dy-State-Bereichs. Tatsächlich kann das Substrat schon
stante. aus praktischen Gründen, wie begrenzte Löslichkeit,
vmax = k2[E]0 ist die Maximalgeschwindigkeit, die er- nicht immer sättigend eingesetzt werden, auch können
reicht wird, wenn die gesamte Menge des eingesetzten zu hohe Substratkonzentrationen hemmend auf die En-
Enzyms [E]0 an der Reaktion beteiligt ist. zymreaktion wirken.
Solange die Bedingung d[ES]/dt = 0 erfüllt ist, ver- Die Abhängigkeit der Umsatzgeschwindigkeit
läuft die Produktbildung linear als eine Reaktion 0. Ord- von der Substratkonzentration gemäß der Michaelis-­
nung. Ein solcher Reaktionsverlauf ist nur mit kataly- Menten-­ Gleichung ergibt einen hyperbolen Kurven-
sierten Reaktionen möglich, nicht katalysierte chemische verlauf, der einem Sättigungswert vmax = k2[E]0 zustrebt,
Reaktionen folgen nichtlinearen exponentiellen Abhän- diesen aber erst im Unendlichen erreicht (. Abb. 4.2).  

gigkeiten (. Abb. 4.1). Im Gegensatz zu einem echten,


  Selbst bei sehr hohem Substratüberschuss kann man
zeitunabhängigen Gleichgewicht wird dieser Zustand sich diesem Wert allenfalls annähern. Die Substratkon-
als Fließgleichgewicht oder Steady-State bezeichnet. Er zentration bei Halbsättigung gibt den Wert der Michae-
hält so lange an, wie genügend Substrat vorhanden ist. lis-Konstanten an. Auch wenn die Substratmenge so
Verarmt das Substrat im Verlaufe der Reaktion, nimmt weit reduziert wird, dass das Enzym nicht mehr gesättigt
auch die Menge des ES-Komplexes ab, d[ES]/dt = 0 und ist, kann der Substratüberschuss gegenüber einer sehr
damit die Michaelis-Menten-­Gleichung sind dann nicht geringen Enzymmenge ausreichen, um die Steady-Sta-
mehr gültig. Im Steady-State-Bereich ist die Reaktions- te-Bedingung zu erfüllen. Jedoch verkürzt sich der li-
geschwindigkeit von der Substratkonzentration unab- neare Bereich mit abnehmender Substratkonzentration
hängig und wird nur durch die Menge des Enzyms be- stetig und ist bei sehr geringen Substratmengen, wie bei-
stimmt. Daher ist man bei Enzymtests bestrebt, die spielsweise für die Erstellung der in . Abb. 4.2 gezeig-  

Reaktion nur in diesem Bereich zu verfolgen. Zwingende ten Substratabhängigkeit erforderlich, nicht mehr zu
Voraussetzung dafür ist die strikte Einhaltung der Be- erkennen. Eine weitere Reduzierung der Enzymmenge
dingung [E] ≪ [S]. Die Enzymmenge muss deutlich un- und damit der Umsatzrate würde den Steady-State-Be-
ter der des Substrats liegen, je mehr, desto länger dauert reich verlängern, doch ist dies nur so lange möglich, wie
der Steady-State-Zustand an. Fällt die Substratkonzent- noch ein Reaktionsumsatz erkennbar ist. Verläuft die
ration durch die Reaktion schließlich so weit ab, dass Zeit-Umsatz-Kurve bereits von Beginn an nichtlinear,
kein Substratüberschuss mehr vorliegt, nehmen auch behilft man sich mit der Tangentenmethode. Eine Tan-
der ES-Komplex und damit die Reaktionsgeschwindig- gente wird in den Anfangsbereich der Kurve gelegt und
keit ab, man befindet sich nicht mehr im Steady-Sta- aus deren Steigung v bestimmt unter der Annahme, dass
te-Bereich. Daraus folgt, dass der Substratüberschuss beim Start der Reaktion noch Steady-State-Bedingun-
möglichst hoch gewählt werden sollte, was aber häufig gen vorliegen (. Abb. 4.3).  
48 H. Bisswanger

v = d[P]/dt
Produktkonzentration

1/Umsatzgeschwindigkeit 1/v
Tangente

4
v = d[P]/dt

Steigung =Km/vmax

–1/Km 1/vmax
0 1 2
Zeit (min)
1/[S]
..      Abb. 4.3  Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit v = d[P]/dt B
eines Enzyms direkt aus einer linearen Zeit-Umsatz-Kurve (blau)

[Substrat]/Umsatzgeschwindigkeit [S]/v
und mithilfe der Tangentenmethode aus der Anfangssteigung einer
nichtlinearen Zeit-Umsatz-Kurve (rot) am Beispiel der Produktzu-
nahme; v ist bezogen auf 1 min

Die kinetischen Konstanten Km und vmax können, wie


in . Abb.  4.2 gezeigt, aus der hyperbolen Sättigungs-

Steigung =1/vmax
kurve entnommen werden, da aber der dafür erforder-
liche Sättigungswert experimentell nicht erreicht werden
kann, ist dies nur mithilfe eines nichtlinearen Regres-
sionsverfahrens sinnvoll. Durch Umformung kann die
Michaelis-Menten-Gleichung in eine Geradengleichung Km/vmax
überführt und die Konstanten durch Extrapolation in –Km
einem entsprechenden Diagramm erhalten werden.
Von drei möglichen Verfahren ist die doppelt-reziproke [S]
Form nach Lineweaver und Burk die gebräuchlichste
C
(. Abb. 4.4A). Allerdings führt sie zu Verzerrungen der

vmax
Fehlergrenzen, zur Auswertung ist eine gewichtete Re-
gression erforderlich. Bei der Linearisierungsmethode Steigung =–Km

nach Hanes wird dieser Nachteil weitgehend vermieden


Umsatzgeschwindigkeitv

(. Abb. 4.4B). Als das zuverlässigste gilt das Verfahren


nach Eadie und Hofstee (. Abb. 4.4C).  

Während, wie . Abb.  4.2 zeigt, die Umsatzge-


schwindigkeit in hyperboler Weise von der Substratkon-


zentration abhängt, ist die Abhängigkeit vom Enzym
strikt linear, halbe Enzymmenge ergibt halben Umsatz,
doppelte Menge doppelten Umsatz. Diese strikte Li-
vmax/Km
nearität kann bei Enzymtests zur Kontrolle der Testbe-
dingungen dienen, eine nichtlineare Abhängigkeit von v v/[S]
von der Enzymmenge ist ein Hinweis für unzureichende
Bedingungen. ..      Abb. 4.4 Linearisierungsverfahren der Michaelis-Menten-­
Gleichung zur Bestimmung der kinetischen Konstanten Km und vmax.
Die Michaelis-Menten-Gleichung wurde für eine ir-
Extrapolation zur Bestimmung der Konstanten ist durch gestrichelte
reversible Ein-Substrat-Reaktion abgeleitet. Zwar sind Linien angezeigt, die roten Linien markieren den Verlauf der Fehler-
vom thermodynamischen Blickpunkt alle Reaktionen grenzen. A Lineweaver-Burk-Diagramm; B Hanes-Diagramm; C Ea-
reversibel, bestimmte Reaktionen, vor allem Spaltungs- die-Hofstee-Diagramm
reaktionen wie bei Proteasen, Phosphatasen, Hydrola-
sen, können als quasi-irreversibel betrachtet werden und
entsprechen diesem Reaktionsschema. Bei den meisten Frage stellt, ob die Michaelis-Menten-­Gleichung auch
Enzymreaktionen sind jedoch zwei oder drei Substrate für solche Enzymreaktionen anwendbar ist. Mehrsubst-
beteiligt. Viele verlaufen auch reversibel, sodass sich die ratreaktionen gehorchen unterschiedlichen Reaktions-
Enzymatische Aktivitätstests
49 4
mechanismen (random, ordered, Ping-Pong), für die ≪ [S] zu erfüllen, was dem Umstand, dass Enzyme in der
komplexere Gleichungen gelten. Betrachtet man jedoch Regel sehr kostbar sind, entgegenkommt. Es gibt keine
die Reaktion in Abhängigkeit eines variablen Substrats weitere Vorgabe für eine bestimmte Konzentration, das
bei ansonsten konstanten, sättigenden Bedingungen al- untere Limit ist die Erkennbarkeit der Enzymreaktion.
ler anderer Substrate und Komponenten, lassen sich Das gilt allerdings nicht für Indikatorenzyme bei gekop-
diese wieder auf die einfache Michaelis-Menten-Glei- pelten Tests, die gegenüber dem zu testenden Enzym in
chung zurückführen. Das gilt auch für die Anwesenheit großem Überschuss vorliegen müssen. Besondere Re-
von Hemmstoffen oder Aktivatoren. geln gelten auch für Zusatzstoffe, wie Puffersubstanzen,
Etwas komplizierter gestalten sich die Verhältnisse Komplexbildner, Thiolreagenzien und Proteaseinhibito-
bei reversiblen Reaktionen. Die hierfür gültige Glei- ren (7 Abschn. 4.3).

chung muss Hin- und Rückreaktion berücksichtigen.


Bei Wegfall eines Reaktionsteils reduziert sie sich wieder
zur einfachen Michaelis-Menten-Gleichung, der somit 4.3 Einflüsse auf die Enzymaktivität
jeder Reaktionsteil separat gehorcht. In der Praxis las-
sen sich Hin- und Rückreaktion zwar nicht trennen, Mehr noch als die Herleitung der nach ihnen benannten
wohl aber kann unterstellt werden, dass zu Beginn der Gleichung (genau genommen nahmen Adrian Brown
Hinreaktion mit dem Start des Substrats noch kein Pro- und Victor Henri diese bereits um 1900 vorweg) ist das
dukt vorliegt, die Rückreaktion somit nicht stattfinden Verdienst von Leonor Michaelis und Maud Menten die
kann. Auch für den Anfangsbereich, wo noch wenig Erkenntnis, dass die Enzymaktivität von verschiedenen
Produkt entsteht und Rückreaktion und mögliche Pro- Einflüssen abhängig ist und Enzymtests nur dann repro-
dukthemmung kaum ins Gewicht fallen, lässt sich die duzierbare Werte ergeben, wenn sie unter exakt definier-
Michaelis-­Menten-­Gleichung anwenden. Das schränkt ten Bedingungen durchgeführt werden. Unmittelbar be-
allerdings den linearen Steady-State-Bereich weiter ein, einflusst wird die Enzymaktivität durch pH-Wert,
man muss sich noch strikter auf Anfangsgeschwindig- Ionenstärke und Temperatur.
keiten beschränken.
Somit ist die Michaelis-Menten-Gleichung auf die
meisten Enzymreaktionen anwendbar, und es ist prakti- 4.3.1 pH-Abhängigkeit
kabel, eine bestimmte Enzymreaktion zunächst mit die-
ser Gesetzmäßigkeit zu behandeln. Andere Abhängig- Die starke Abhängigkeit der Enzymaktivität vom pH-­
keiten (z. B. kooperative Effekte allosterischer Enzyme) Wert hat zwei Ursachen. Zur Ausführung der kata-
geben sich durch charakteristische Abweichungen zu lytischen Reaktion besitzt das aktive Zentrum gela-
erkennen. dene Gruppen, wie Amino-. Carboxy-, Hydroxy- und
­Thiolgruppen, deren jeweiliger Ladungszustand für die
Katalyse essenziell ist. Optimal ist dieser Zustand bei
4.2  riterien für die Konzentrationen der
K physiologischem pH-Wert: Verschiebungen ins saure
Testsubstanzen oder basische Milieu verringern die Enzymaktivität, bis
diese schließlich bei extremen pH-Werten völlig zum Er-
Die optimale Konzentration der erforderlichen Kom- liegen kommt. Testet man die Enzymaktivität über den
ponenten ist ein wichtiges Kriterium für Enzymtests. gesamten pH-Bereich, so ergibt sich eine Optimums-
Prinzipiell sind alle nicht variablen Komponenten im kurve (. Abb.  4.5). Für die meisten Enzyme liegt das

Überschuss einzusetzen, damit diese nicht die Umsatz- Optimum im neutralen Bereich um pH 7,4, doch finden
geschwindigkeit limitieren. Spezifisch bindende Kom- sich auch Enzyme mit extremen pH-Optima, wie die
ponenten, wie Substrate und Cosubstrate, Cofaktoren, saure und die alkalische Phosphatase mit pH-Optima
Hemmstoffe oder Aktivatoren zeigen ein hyperboles von 3–4 bzw. 9–10 und Pepsin im Magenlumen mit ei-
Sättigungsverhalten entsprechend dem in . Abb.  4.2

nem pH-Optimum von 2. In der Regel wird für Enzym-
für das Substrat gezeigten, wobei die Michaelis-Kons- tests der pH-Wert des Optimums und damit die höchste
tante Km durch die Dissoziationskonstante Kd zu erset- Enzymaktivität gewählt, doch können andere Gründe
zen ist. Diese Konstanten dienen als Anhaltspunkt für ein Abweichen erfordern. Zur Vermeidung des giftigen
die erforderlichen Konzentrationen, sie entsprechen der und flüchtigen Substrats Acetaldehyd bei der Alkohol-
Halbsättigung. Zumindest ein zehnfacher, besser noch dehydrogenase beispielsweise testet man die Rückreak-
ein hundertfacher Überschuss ist zu empfehlen. Bei Va- tion mit Ethanol bei pH 9, um die ungünstige Gleichge-
riation der Substratkonzentration, z. B. zur Bestimmung wichtslage durch Abfangen der freigesetzten Protonen
von Km und vmax, ist ein Bereich eine Zehnerpotenz un- des reduzierten NADH + H+ zu beeinflussen.
terhalb bis eine Zehnerpotenz oberhalb Halbsättigung Die dreidimensionale Proteinstruktur von Enzymen
praktikabel. Dagegen ist die Enzymmenge so gering wie wird, neben hydrophoben Wechselwirkungen, entschei-
möglich zu wählen, um die Steady-State-Bedingung [E] dend durch ionische Kräfte stabilisiert, die selbst stark
50 H. Bisswanger

vmax pH-Optimum
..      Tab. 4.1  Wichtige biologische Puffer

Bezeichnung Abkürzung pKa pH-Bereich

3-(N-Morpholino) MOPS 7,2 6,5–7,9


Enzymaktivität

propansulfonsäure
Phosphatpuffer (Na+ 7,21 6,5–8,0
½vmax oder K+ als (pKa2)
4 Gegenionen)
N-Tris(hydroxymethyl) TES 7,5 6,8–8,2
methyl-2-­
aminoethansulfonsäure
N-(2-Hydroxyethyl) HEPES 7,55 6,8–8,2
pKEA1 pKEA2 piperazin-N’-
ethansulfonsäure
pH
Triethanolamin TEA 7,8 7,3–8,3
..      Abb. 4.5  pH-Optimumskurve. Aus den Flanken lassen sich, wie
gezeigt, die pKa-Werte der beteiligten geladenen Gruppen ermitteln, Tris(hydroxymethyl) Tris 8,1 7,0–9,0
doch können Überlagerungen mehrerer Gruppen das Ergebnis be- aminomethan
einträchtigen
N-Tris(hydroxymethyl) Tricin 8,15 7,4–8,8
methylglycin
pH-abhängig sind. Eine pH-Verschiebung beeinflusst
N-Tris(hydroxymethyl) TABS 8,9 8,2–9,6
die Stabilität des Enzyms besonders in extremen pH-­ methyl-4-­
Bereichen. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen re- aminobutansulfonsäure
versiblen Ionisierungsvorgängen im aktiven Zentrum
2-(N-Cyclohexylamino) CHES 9,3 8,6–10,0
sind diese Strukturveränderungen zumeist irreversibel ethansulfonsäure
und bewirken Denaturierung und Inaktivierung des En-
3-(Cyclohexylamino) CAPS 10,4 9,7–11,1
zyms.
propan-1-sulfonsäure
Um den pH-Wert konstant zu halten, werden En-
zymtests in gepuffertem Milieu durchgeführt. Die Wahl
des Puffers hängt, neben dem pH-Wert, von dessen Ver-
träglichkeit für das jeweilige Enzym ab. So wirken Phos- 4.3.2 Abhängigkeit von der Ionenstärke
phat- und besonders Diphosphatpuffer komplexierend
auf divalente Metallionen, wie Ca2+ und Mg2+, sind aber Starken Einfluss auf die Enzymaktivität hat weiterhin
einfache und für das Enzym gut verträgliche Puffer. die Ionenstärke. Dazu tragen alle Komponenten des
Häufig verwendet werden die von N.E. Good eingeführ- Testsystems bei, aber zumeist bestimmt der Puffer als
ten biologischen Puffersubstanzen (MOPS, HEPES, die konzentrierteste Komponente die Ionenstärke. Für
TABS, CHES, CAPS). Es soll ein Puffersystem gewählt die meisten Enzyme ist ein Konzentrationsbereich zwi-
werden, dessen pKa-Wert möglichst nahe am gewünsch- schen 0,05 und 0,2 M optimal. Enzyme aus halophilen
ten pH-Wert liegt, jedoch nicht mehr als eine pH-Einheit und thermophilen Organismen bevorzugen jedoch weit
darunter oder darüber. Auch hängt die Kapazität des höhere Konzentrationen. Enzymtests, die die durch die
Puffers wesentlich von seiner Konzentration ab Reaktion verursachte pH-Veränderung verfolgen, benö-
(7 Abschn. 4.3.2). In . Tab. 4.1 sind häufig verwendete
   
tigen ein ungepuffertes Milieu.
Puffersysteme aufgeführt. Da solche Puffersysteme
nicht mehr als zwei pH-Einheiten überdecken, müssen
bei Messungen breiter pH-Bereiche verschiedene Puffer- 4.3.3 Abhängigkeit von der Temperatur
systeme kombiniert werden. Allerdings unterscheiden
sich die Enzymaktivitäten in verschiedenen Puffersyste- Chemische Reaktionen gehorchen der RGT-Regel nach
men selbst bei gleichem pH-Wert aufgrund der verschie- van’t Hoff, gemäß der die Reaktionsgeschwindigkeit pro
denen Ionenzusammensetzung. In diesen Fällen müssen 10  °C Temperaturerhöhung um den Faktor 2–4 zu-
die Enzymaktivitäten rechnerisch miteinander abgegli- nimmt. Das gilt auch für enzymkatalysierte Reaktionen.
chen werden. Die Verwendung von Universalpuffern, Allerdings destabilisieren hohe Temperaturen die drei-
die aus mehreren Komponenten bestehen und breite dimensionale Proteinstruktur und führen schließlich zur
pH-Bereiche abdecken, wie der Britton-­Robinson-Puffer irreversiblen Denaturierung. Diese Vorgänge lassen sich
und der Teorell-Stenhagen-­Puffer, ist zu empfehlen. durch ein auf der Gleichung von Arrhenius
Enzymatische Aktivitätstests
51 4
− Ea der Test erst gestartet wird, wenn die vorgegeben Tem-
k = Ae RT (4.7) peratur erreicht ist und diese während der gesamten
Testphase unverändert bleibt:
basierendes Diagramm verdeutlichen (. Abb.  4.6), in  
55 25 °C, nahe Raumtemperatur, einfache Thermostati-
dem die Abhängigkeit der katalytischen Konstanten k sierung, aber geringe Enzymaktivität
bzw. der dazu proportionalen Reaktionsgeschwindig- 55 30  °C, schwierigere Thermostatisierung, dafür hö-
keit v, jeweils in logarithmierter Form (ln), von der rezi- here Enzymaktivität
proken Temperatur aufgetragen wird. A ist ein Kollisi- 55 37  °C, physiologische Temperatur bei Säugetieren,
onsfaktor. hohe Enzymaktivität bei schwieriger Thermostati-
Der Anstieg nach der Van’t-Hoff-Regel zeigt in die- sierung
sem Diagramm eine linearen Abhängigkeit, aus deren
Steigung die Aktivierungsenergie Ea errechnet werden Enzyme aus thermophilen Organismen sind wesentlich
kann. Die einsetzende thermische Denaturierung führt thermoresistenter und können bei deutlich höheren
zu einer Abweichung und schließlich zu einem Abfall Temperaturen gemessen werden.
der Aktivität. Die Kurve durchläuft ein Maximum, in
Anlehnung an das pH-Optimum häufig, aber unzutref-
fend, als Temperaturoptimum bezeichnet. Gegenüber 4.3.4 Stabilität von Enzymen
dem pH-Optimum befindet sich hier das denaturierende
Enzym keinesfalls unter optimalen Bedingungen, auch Enzyme, besonders als gereinigte Präparate in verdünn-
sind der Denaturierungsprozess und damit die Lage des ter Lösung, wie sie bei Enzymtests eingesetzt werden,
Maximums zeitabhängig. Ist das Enzym für längere Zeit sind nicht sehr stabil und verlieren vielfach innerhalb
der erhöhten Temperatur der Denaturierung ausgesetzt, kurzer Zeit, Stunden bis Tagen, ihre Aktivität. Diese In-
nimmt seine Aktivität kontinuierlich ab, das Maximum stabilität ist nicht alleine durch die Proteinstruktur zu
verschiebt sich zu niederen Temperaturen und geringe- erklären, ihr liegen inaktivierende Prozesse zugrunde.
ren Aktivitäten (. Abb.  4.6). Das Temperaturmaxi-

Diese zu erkennen und zu vermeiden kann die Lebens-
mum ist daher keine konstante Stoffgröße, Temperatu- dauer des Enzyms deutlich verlängern.
ren in diesem Bereich sind für Enzymtests völlig Proteolytischer Abbau des Enzyms durch zelleigene,
ungeeignet. Vielmehr sollte eine Temperatur im linearen im Reinigungsverfahren nicht vollständig abgetrennte
Bereich gewählt werden, in dem das Enzym noch stabil Proteasen ist eine häufige Ursache der Instabilität.
ist, wobei wiederum eine möglichst hohe Temperatur Durch geeignete Proteaseinhibitoren lässt sich dieser
höhere Aktivitäten erzielt. Empfohlen für Enzymtests Prozess unterbinden. Phenylmethylsulfonylfluorid
sind drei Temperaturen, wobei es darauf ankommt, dass (PMSF) blockiert Serinproteasen durch kovalente Bin-
dung an das aktive Zentrum. Metalloproteasen werden
durch Metallentzug mit Ethylendiamintetraessigsäure
nichtlineare (EDTA) gehemmt. Leupeptin hemmt Serin- und Cyst-
Abweichung durch
einsetzende
einproteasen, α2-Macroglobulin wirkt gegen alle Protea-
Denaturierung setypen.
Oxidative Prozesse, oft durch divalente Metallionen
begünstigt, inaktivieren Enzyme vor allem durch Modi-
fizierung von Thiolgruppen. Thiolreagenzien, wie Mer-
ln k oder ln v

li
St nea
ei re
gu r captoethanol, Dithioerythritol (DTE) und Dithiothrei-
Verschiebung des ng Be
Maximums nach längerer = reic tol (DTT) sind wirkungsvolle Gegenmittel, unterstützt
Ak h
Vorinkubation bei tiv
ie
durch EDTA als Komplexbildner, wobei sichergestellt
erhöhter Temperatur ru
ng werden muss, dass diese Substanzen nicht das Enzym
se
ne
rg
selbst schädigen, etwa durch Entzug essenzieller Metall-
ie ionen.
E
a
Gelöster Sauerstoff im wässrigen Milieu der Testmi-
1/Temperatur (in 1/K) schung kann nicht nur das Enzym schädigen, sondern
auch Substrate und Cofaktoren stören, z. B. bei Redox-
..      Abb. 4.6  Temperaturverhalten einer enzymatischen Reaktion in reaktionen. Durch Entgasen der Lösung im Vakuum
der Arrhenius-Darstellung. Aufgrund thermischer Denaturierung
des Enzyms durchläuft die Aktivität nach einem linearen Anstieg ein
oder durch Stickstoffbegasung lässt sich Sauerstoff
Maximum und fällt danach wieder ab. Bei längerem Verweilen bei weitgehend entfernen. Noch verbleibende Spuren kön-
den hohen Temperaturen verschiebt sich das Maximum zu niederen nen durch Natriumdithionit oder enzymatisch mit Glu-
Temperaturen und geringeren Aktivitäten cose-Oxidase und Katalase eliminiert werden.
52 H. Bisswanger

Stabilisierend auf verdünnte Enzyme wirken inerte die Bedingungen stabil bleiben, sich pH-Wert und Tem-
Proteine, wie Rinderserumalbumin (BSA). peratur nicht verändern und auch keine Ausfällungen
durch Interaktion einzelner Komponenten erfolgen.

4.4 Aufbau eines Testsystems


4.4.2  onzipierung eines speziellen
K
4.4.1 Generelle Vorgehensweise bei Testverfahrens
Enzymtests
4 Für ein Testverfahren wird man zunächst die physiolo-
In den vorhergehenden Abschnitten wurden die für gische Reaktion des Enzyms mit seinen natürlichen
einen Enzymtest erforderlichen Komponenten und die Substraten und Cofaktoren zugrunde legen, doch müs-
Testbedingungen diskutiert. Grundsätzlich müssen En- sen diese bestimmte Anforderungen erfüllen. Vor allem
zym und Substrat anwesend sein, gegebenenfalls ein muss die Reaktion testbar sein, der Reaktionsverlauf
Cosubstrat, ein Cofaktor, ein essenzielles Metallion und muss anhand der Substratabnahme oder der Produkt-
die in 7 Abschn. 4.3.4 beschriebenen Zusätze. Der Test
  zunahme verfolgt werden können. Das erfordert ein
erfolgt in gepufferter Lösung bei eingestelltem pH-Wert Messsignal für das Substrat oder das Produkt, in dem
und konstanter Temperatur. Konzentrationen und Vo- sich beide Komponenten voneinander unterscheiden. So
lumina der Zugaben sind auf die Testprobe zu berech- zeigen praktisch alle Substanzen eine messbare Absorp-
nen, alle Proben müssen das gleiche Endvolumen (z. B. tion zumindest im UV-Bereich. Damit wären alle En-
1 ml) besitzen. Soweit es die Verträglichkeit zulässt, ist zymreaktionen bequem über Absorptionsmessungen
es vorteilhaft, alle Komponenten bereits in der endgül- erfassbar. Allerdings sind die Unterschiede zwischen
tigen Konzentration in einer Testmischung zu vereini- Substrat und Produkt in den meisten Fällen äußerst ge-
gen, mit Ausnahme der zum Reaktionsstart dienenden ring und praktisch nicht nachweisbar. Die betreffende
Komponente, in der Regel das Enzym oder ein Substrat Methode muss die eine Komponente in Gegenwart der
(. Abb. 4.7). Die Testmischung kann in größerer Menge
  anderen zweifelsfrei erkennen. Es ist dabei prinzipiell
angesetzt werden, sodass sie für alle vorgesehenen Tests gleichgültig, ob es sich um das Substrat oder das Pro-
ausreicht. Das hat auch den Vorteil, dass alle Proben dukt handelt, da für beide dieselbe Umsatzgeschwindig-
völlig identisch sind und Konzentrationsschwankungen keit, nur mit anderem Vorzeichen, gilt.
z. B. durch ungenaues Pipettieren ausgeschlossen sind. Findet sich kein geeignetes Messsignal, bzw. sind die
Es muss kontrolliert werden, dass im endgültigen Test Komponenten instabil oder anderweitig nicht zugäng-

optionale Zugaben
Cosubstrat
Substrat Cofaktor
Puffer Hemmstoff/Aktivator
Proteaseinhibitor
Oxidationsschutz
Test- Reaktionsstart
mischung Enzymlösung

Temperierung Messzelle mit Kühlung 4 °C


37 °C Reaktions-
lösung
Mess-
instrument

Temperierung Registrierung
37 °C

..      Abb. 4.7  Generelle Vorgehensweise bei Enzymtests. Eine Test- verkürzen. Die für den Test erforderliche Menge der Testmischung
mischung mit allen erforderlichen Komponenten, außer der Start- wird in die Messzelle pipettiert und die Reaktion mit der Zugabe der
substanz (hier das Enzym) wird vorbereitet und auf die Testtempera- Enzymlösung gestartet. Das Messinstrument registriert den zeitli-
tur (hier 37  °C) temperiert, um die Aufwärmzeit der Probe zu chen Verlauf der Reaktion
Enzymatische Aktivitätstests
53 4
lich, wird man ein anderes Substrat suchen, das das En- reaktion erhalten wird. Um diese Anlaufphase so kurz
zym noch akzeptiert. Besonders geeignet sind dafür wie möglich zu machen, ist es wichtig, dass das Substrat
künstliche Substrate, die bereits die erforderlichen Ei- sättigend vorliegt ([S] ≫ Km).
genschaften mitbringen, wie p-Nitrophenol- und Um- Die Planung eines Enzymtests muss auch die Art des
belliferonderivate, deren Absorptions- bzw. Fluores- zu erwartenden Ergebnisses einbeziehen. Oft reicht der
zenzeigenschaften sich während des Umsatzes ändern. Nachweis des Vorhandenseins des Enzyms (qualitative
Zahlreiche derart modifizierte Enzymsubstrate sind er- Analyse). Solche Tests sind einfach und rasch durchzu-
hältlich. führen, exakte Messungen und komplizierte Berechnun-
Für reversible Enzymreaktionen ist zu entscheiden, gen sind nicht erforderlich. Das Ziel der meisten Enzym-
welche Richtung als Testreaktion zu nehmen ist. In der tests aber ist die genaue Ermittlung der Enzymaktivität
Praxis wird die der Gleichgewichtslage entsprechende und der Enzymmenge in den Proben. Noch eingehen-
Richtung bevorzugt, sodass die Reaktion spontan ab- dere Untersuchungen dienen der genaueren Ermittlung
läuft. Es kann aber auch Gründe geben, die ungünstige der Enzymeigenschaften, der Bestimmung der kineti-
Richtung vorzuziehen, indem das Produkt abgefangen schen Konstanten, dem Reaktionsmechanismus und
und so aus dem Gleichgewicht gezogen wird. Das dem Verhalten gegenüber Hemmstoffen (quantitative
Gleichgewicht der Alkohol-Dehydrogenasereaktion be- Analyse).
günstigt die Bildung des Ethanols, wofür jedoch das gif- Schließlich können Enzymtests auch der Substratbe-
tige und flüchtige Acetaldehyd als Substrat benötigt stimmung dienen. Aufgrund der hohen Enzymspezifität
wird. Um das zu vermeiden, testet man die ungünstige lassen sich damit auch Spuren von Substanzen in Ge-
Rückreaktion mit Ethanol als Substrat und zieht den mischen, wie Zellhomogenaten, quantitativ bestimmen.
Acetaldehyd aus dem Gleichgewicht durch Abfangen Die Vorgehensweise unterscheidet sich von normalen
mit Semicarbazid. Enzymtests. Ein linearer Anstieg ist hier bedeutungslos,
Ein anderer Weg, nicht messbare Reaktionen zu- vielmehr interessiert nur der Endpunkt der Reaktion,
gänglich zu machen, ist deren Kopplung an eine gut de- aus dessen Differenz zum Startpunkt die Substratmenge
tektierbare Reaktion. Musterbeispiele sind NAD- bzw. berechnet wird (Endpunkt-Methode). Erforderlich ist
NADP-abhängige Reaktionen von Dehydrogenasen. Im ein vollständiger Reaktionsumsatz, die Reaktion muss
Gegensatz zu den oxidierten zeigen die reduzierten quasi irreversibel verlaufen. Um die Reaktion zu be-
Komponenten ein zusätzliches Absorptionsmaximum schleunigen und die Zeit abzukürzen kann die Enzym-
bei 340 nm, das photometrisch einfach gemessen werden menge hoch gewählt werden. Bei Gleichgewichtsreakti-
kann. Ein bekanntes Beispiel ist die Glucosebestimm- onen, bei denen kein vollständiger Substratumsatz
mung mit Hexokinase (HK) als nicht detektierbare Test- erfolgt, muss zur Substratbestimmung die Gleichge-
reaktion und Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase wichtskonstante bekannt sein. Eine andere Möglichkeit
(G6PDH) als messbares Indikatorenzym: ist die Bestimmung der Substratkonzentration gemäß
der Michaelis-Menten-Gleichung (kinetische Substrat-
HK
bestimmung) aus der Anfangsgeschwindigkeit. Dazu
Glucose + ATP → Glucose − 6 − phosphat
muss das Substrat in geringen Mengen (nicht sättigend)
vorliegen.
Entscheidend für die endgültige Wahl einer bestimm-
G 6 PDH
Glucose − 6 − phosphat + NADP + → ten Testmethode ist, wie bereits erwähnt, das Vorliegen
eines erfassbaren Messsignals, wobei es auch wichtig ist,
Gluconat − 6 − phosphat + NADPH + H +
ob der gesamte Reaktionsverlauf, also die Zeit-­Umsatz-­
Kurve, bestehend aus dem linearen Steady-­State-­Bereich
Für derartige gekoppelte Tests, bei denen auch drei und der vor allem durch Substratverarmung verursach-
Reaktionen verknüpft werden können, sind spezielle ten nichtlinearen Abweichung, (. Abb. 4.1) dokumen-

Regeln zu beachten. Während das Testenzym weiter- tiert werden können. Auch Störungen und artifizielle
hin in geringen, katalytischen Mengen vorliegt, sind Abweichungen lassen sich so erkennen. Aus der Stei-
für Indikatorenzyme, die nicht limitierend sein dürfen, gung des linearen Steady-State-Bereichs wird die Um-
größere Mengen erforderlich. Zu beachten ist auch, satzgeschwindigkeit und damit die Enzymaktivität be-
dass die generellen Bedingungen, wie pH, Ionenstärke rechnet. Solche kontinuierlichen Tests lassen sich mit
und Temperatur, für alle beteiligten Enzyme akzeptabel praktisch allen photometrischen Methoden und elektro-
sind. Je nach Versuchsbedingungen startet die Reaktion chemischen Verfahren durchführen (7 Abschn.  4.5).

mit einer Verzögerungsphase. Es muss dann abgewartet Sind derartige Methoden nicht anwendbar, muss die Re-
werden, bis das System die lineare Steady-State-Phase aktion nach einer definierten Zeit gestoppt und die
erreicht, aus der die Umsatzgeschwindigkeit der Test- Menge des verbliebenen Substrats bzw. des gebildeten
54 H. Bisswanger

Produkts mit einer geeigneten Methode analysiert wer- tanzen der Enzymtests, besonders das Enzym selbst, be-
den (gestoppter Test). Pro Test erhält man jeweils einen gründen das Bestreben nach Mikromethoden, die aber
Messpunkt. Dieses Verfahren ist zwar einfach, erlaubt nur bei ausreichender Intensität des Messsignals an-
aber keine Kontrolle über den Reaktionsverlauf, vor al- wendbar sind. Für absorptionsphotometrische und
lem ob der Messpunkt innerhalb des linearen Bereichs fluorimetrische Mikrotests hat sich das ursprünglich für
liegt, aber auch nicht über artifizielle Beeinflussungen. ELISA-Tests entwickelte System der Mikrotiterplatten
Selbst wenn die Testvorschrift einen bestimmten Zeit- (Microplates) bewährt. Viele konventionelle Testverfah-
wert vorgibt, sollten in einer separaten Testserie mehrere ren lassen sich auf dieses Mikrosystem adaptieren. Jede
4 Messwerte über eine längere Zeitspanne bestimmt und lichtdurchlässige Platte besitzt acht Reihen mit je zwölf
so zumindest punktweise der Verlauf der Zeit-Umsatz- Vertiefungen (96-well), jede einem kleinen Reaktionsge-
Kurve dokumentiert werden. Zu beachten ist auch, dass fäß für Volumina von 50–200 μl entsprechend. Sie wer-
Abänderungen der Testbedingungen den linearen Be- den manuell, aber auch mit Pipettierautomaten be-
reich verändern können und gegebenenfalls einen neuen schickt. Auf einer einzigen Platte können somit ganze
Zeitwert erfordern. Testserien ablaufen. Nach der Reaktion werden die Plat-
Die Steigung des linearen Bereichs der Zeit-Umsatz-­ ten in einem Mikroplatten-Lesegerät (Microplate Rea-
Kurve beziehungsweise der Differenz zwischen Refe- der) vermessen. Dieses Verfahren ist besonders für Rou-
renzwert beim Start der Reaktion und dem Messwert bei tinetests äußerst material- und zeitsparend.
gestoppten Tests ergibt die Reaktionsgeschwindigkeit v
als Substrat verbraucht bzw. Produkt gebildet pro Zeit-
einheit, –d[S]/dt, bzw. d[P]/dt, aus der die Enzymeinhei- 4.5 Messtechniken
ten berechnet werden (. Abb.  4.3). Zunächst wurden

Internationale Enzymeinheiten (IU) definiert als die 4.5.1 Optische Methoden


Menge eines Enzyms, die pro Minute ein Mikromol
Substrat umsetzt bzw. Produkt bildet: Die UV/Vis- oder Absorptionsphotometrie ist eine sehr
1 IU = 1 μmol pro min. Die ab 1973 gültigen Enzymein- brauchbare Testmethode. Die zumeist computergesteu-
heiten (Katal bzw. kat) gemäß dem SI-System verstehen erten Geräte sind auch ohne große Fachkenntnis einfach
sich als Mol pro Sekunde: 1 kat = 1 mol Substrat bzw. zu bedienen, sind wenig störanfällig und sind vielfach
Produkt umgesetzt in 1 s. Da sich dabei etwas unhand- anwendbar, so für Protein-, Nucleinsäure- oder Phos-
liche Zahlenwerte ergeben, sind die früheren IU weiter- phatbestimmungen, sodass ein entsprechendes Gerät
hin in Gebrauch. Einzelne Testverfahren verwenden praktisch in jedem biochemischen Labor vorhanden ist.
spezielle Einheiten, z.  B.  Anson-Einheiten für Protea- Photometer sind in verschiedenen Ausführungen erhält-
sen. lich. Am einfachsten sind Filterphotometer, die nur be-
Ein weiteres Kriterium für die Wahl der Testmethode stimmte, durch die Lichtquelle vorgegebene Wellenlän-
ist eine einfache Handhabung besonders für Routine- gen aufweisen, was insbesondere für Routinetests kein
tests. Der apparative Aufwand soll sich in Grenzen hal- Nachteil ist, da die Einstellung festgelegt und exakt re-
ten und die Probenmengen, vor allem hinsichtlich des produzierbar ist. Auf diesem Prinzip beruhen auch Mi-
Enzyms, möglichst gering sein. Für viele Enzyme exis- kroplatten-Lesegeräte. Mehr Flexibilität bieten Spekt-
tieren daher verschiedene Testverfahren, die je nach den ralphotometer, wovon die einfacheren nur den sichtbaren
Möglichkeiten des jeweiligen Labors gewählt werden Spektralbereich abdecken, die meisten sind aber zusätz-
können. lich mit einer UV-Lampe ausgestattet und überdecken
Von nicht geringer Bedeutung sind die für die betref- den Bereich von ca. 200–700 nm. Für Forschungszwecke
fende Nachweismethode erforderlichen Substanzmen- sind aufwendigere Ausführungen erhältlich, wie Dop-
gen. Küvetten optischer Verfahren, wie Absorptions- pelstrahl-, Doppelwellenlängen- und Diodenarraypho-
photometrie und Fluorimetrie, sind standardmäßig auf tometer, die sich aber aufgrund ihrer komplizierten Be-
einen Lichtweg von 1 cm und ein T ­ estvolumen von 3 ml dienung, den vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten und
ausgelegt. Durch seitliche Verengung der Küvetten lässt der Gefahr von Fehlbedienungen für einfache Tests we-
sich das Volumen bis unter 1 ml verringern, der Licht- niger eignen. Temperierbare Küvettenhalterungen sind
strahl muss aber ungehindert passieren können. Eine für Enzymtests unabdingbar, für Routinetests ist eine
Verkürzung des Lichtwegs, die zwangsläufig mit Emp- Küvettenwechselautomatik von Vorteil. Während ältere
findlichkeitsabnahme einhergeht, ist nicht zu empfehlen. Geräte die Messwerte in analoger Weise anzeigen, wer-
Testvolumina um 1 ml werden auch für die meisten an- den heute praktisch ausschließlich computergesteuerte
deren Verfahren benötigt. Radioaktive Messmethoden Bildschirmgeräte angeboten, die den Reaktionsverlauf
kommen bei entsprechend hoher Markierung mit deut- abbilden und die Umsatzgeschwindigkeiten direkt be-
lich kleineren Mengen aus. Die meist kostbaren Subs- rechnen.
Enzymatische Aktivitätstests
55 4
Aufgrund der oft geringen Absorptionsunterschiede wird das Licht an den Partikel gestreut. Die Intensitäts-
zwischen Substrat und Produkt sind viele Enzymreakti- veränderung des Streulichts lässt sich fluorimetrisch
onen der Absorptionsphotometrie nicht direkt zugäng- messen (Nephelometrie).
lich, doch die gut messbaren NAD(P)-abhängigen De- Luminometrie ist eine der empfindlichsten Analysen-
hydrogenasereaktionen und die mit diesen gekoppelten methoden. Sie beruht auf der Luciferasereaktion, die
Enzymreaktionen ergeben ein breites Anwendungsspek- Ursache für das Leuchten des Glühwürmchens ist:
trum. Durch Modifizierung des Substrats mit farbge-
benden Gruppen, wie der p-Nitrophenylgruppe, lassen Luciferase

sich weitere Enzymreaktionen der Absorptionsphoto- Luciferin + ATP + O 2 → Oxyluciferin


metrie zugführen. Schließlich können Reaktionen nach + PPi + H 2 O + hν
einer bestimmten Zeit gestoppt und das verbleibenden
Substrat bzw. das gebildete Produkt durch eine nachge- Die Menge des umgesetzten ATP entspricht der Intensi-
schaltete Farbreaktion sichtbar gemacht werden. Dieses tät des emittierten Lichts. Mit dieser Methode können
kolorimetrische Verfahren erlaubt keine kontinuierliche noch ATP-Mengen von 1  ×  10–15 mol nachgewiesen
Verfolgung des Reaktionsverlaufs. Daher werden nur werden. Bakterielle Luciferase erlaubt einen empfindli-
einfache Geräte (Kolorimeter) benötigt, doch lassen chen NAD(P)H-Nachweis. Das emittierte Licht lässt
sich diese Tests mit allen Absorptionsphotometern mes- sich mit konventionellen Fluorimetern messen, doch
sen. sind spezielle computergesteuerte Luminometer erhält-
Fluoreszenzmessungen sind gegenüber Absorptions- lich.
messungen bis zu hundertfach sensitiver und erscheinen Die Methode der Polarimetrie misst die Ablen-
dadurch für Enzymtests prädestiniert, aber die kompli- kung der Ebene linear polarisierten Lichts durch op-
zierteren Instrumente und der Umstand, dass nur we- tisch aktive Strukturen und eignet sich besonders für
nige biologische Substanzen Fluoreszenzlicht emittie- Enzymreaktionen, bei denen asymmetrische Zentren
ren, stehen einer breiteren Anwendung im Wege. Auch verändert werden, besonders bei Kohlenhydraten. Die
ist diese Methode sehr störanfällig und verlangt höchste Erforschung der Invertasereaktion, der enzymatischen
Reinheit der verwendeten Substanzen. NAD(P)-abhän- Spaltung von Saccharose zu Glucose und Fructose, mit
gige Dehydrogenasereaktionen und auch die damit ge- dieser Methode führte zur Entwicklung der Michaelis-­
koppelten Reaktionen lassen sich mit deutlich höherer Menten-­Gleichung. Der Ablenkungswinkel wird durch
Sensitivität als bei der Absorptionsphotometrie messen, Drehung eines Polarisationsfilters (Analysator) be-
da nur die reduzierte Form des NAD(P) fluoresziert. Da stimmt, bis die optimale Lichtintensität erreicht ist. In
aber für die meisten Anwendungen die Empfindlichkeit einfachen Geräten erfolgt dies manuell, in modernen
der Absorptionsmessungen ausreichend ist, wird dieser Polarimetern automatisch.
einfacheren Methode meist der Vorzug gegeben. Be-
stimmte Substrate lassen sich durch geeignete Modifika-
tionen in fluoreszierende Verbindungen überführen. Ein
Beispiel hierfür ist die Modifizierung des nicht fluores- 4.5.2 Elektrochemische Methoden
zierenden ATP und verwandter Verbindungen durch ei-
nen zusätzlichen fünfgliedrigen Ring zum fluoreszieren- Zahlreiche Enzymreaktionen verursachen eine pH-­
den 1-N-6-Etheno-ATP.  Zahlreiche Enzymtests Veränderung, wie die Freisetzung langkettiger Fett-
verwenden Substrate markiert mit fluoreszierenden säuren aus Lipiden durch Lipasen oder die Spaltung
Gruppen, die durch die Enzymreaktion abgespalten von Acetylcholin zu Cholin und Essigsäure durch die
werden und dabei ihre Fluoreszenzeigenschaften verän- Acetylcholin-Esterase. Diese pH-Veränderung kann, in
dern. Auf diesem Prinzip beruht der Glucosidasetest ungepuffertem Milieu, mit einem pH-Meter mit Glas-
mit Methylumbelliferylglucosid. elektrode gemessen werden. Allerdings beeinflusst die
Enzymreaktionen, bei denen Partikel oder makro- zunehmende pH-Verschiebung die Enzymaktivität,
molekulare Strukturen abgebaut werden, wie der Zell- sodass die pH-Änderung immer wieder kompensiert
wandverdau durch Lysozym, der Celluloseabbau durch werden muss. Dies besorgt eine spezielle Apparatur, ein
Cellulasen oder der Abbau emulgierter Lipide durch pH-Stat, bestehend aus einem pH-Meter mit Glaselek-
Lipasen, lassen sich durch Trübungsmessungen verfol- trode, einer Kontrolleinheit und einem Autotitrator. Bei
gen. Das durch die Probe fallende Licht wird durch die Absenken des pH-Wertes von einem voreingestellten
Partikel abgeschwächt. Ihr Abbau durch das Enzym ist Sollwert wird über diese automatische Bürette eine al-
daher verbunden mit einer Zunahme der Lichtintensität kalische Normallösung mit bekanntem Titer zugegeben,
und kann bei einer beliebigen Wellenlänge in einem Ab- bei pH-Anstieg entsprechend eine saure Lösung, bis der
sorptionsphotometer beobachtet werden. Andererseits Sollwert wieder erreicht ist. Die Kontrolleinheit regist-
56 H. Bisswanger

riert die Zugaben zeitabhängig und errechnet daraus die werden. Es hat eine mittlere Halbwertszeit von 12,3 Jah-
Umsatzgeschwindigkeit des Enzyms. ren. Bei unsachgemäßer Handhabung besteht ebenfalls
Redoxrektionen, wie NAD(P)-, FAD- oder cyto- die Gefahr der Speicherung im Organismus.
chromabhängige Enzymreaktionen, lassen sich mit der
Methode der Potenziometrie verfolgen. Es wird die Po-
tenzialdifferenz zwischen einer Referenzelektrode mit 4.5.4 Chromatographische Verfahren
konstantem Potenzial und einer in die Probe tauchenden
Indikatorelektrode (einer Platinelektrode) gemessen. Kann eine bestimmte Enzymreaktion durch keine der
4 Der Messwert bezieht sich auf ein Standardpotenzial oben beschriebenen Methoden verfolgt werden, ver-
von null einer wasserstoffumspülten Platinelektrode, die bleibt die Möglichkeit, in der Testmischung nach dem
in eine 1,228 M HCl-Lösung taucht. Stopp der Reaktion nach einer bestimmten Zeitspanne
Gase, in der Regel O2 oder CO2, sind bei zahlreichen die Menge einer an der Reaktion beteiligten Kompo-
Enzymreaktionen entweder Substrate oder sie werden nente zu bestimmen. Die besser zu identifizierende
freigesetzt. Derartige Reaktionen können mit gasspezi- Komponente, Substrat oder Produkt, wird durch ein
fischen Elektroden gemessen werden. Die 1953 von chromatographisches Trennverfahren separiert und
L.C.  Clark entwickelte und auch zur Bestimmung des quantifizieren. Für bestimmte Enzymtests ist eine dünn-
Partialdrucks pO2 des Bluts verwendete Sauerstoffelek- schichtchromatographische Trennung zweckmäßig,
trode besteht aus einer teflonummantelten Platinka- wobei nach der Entwicklung der betreffende Spot aus-
thode und einer Ag/AgCl-Anode. Sauerstoff penetriert gekratzt, die Substanz extrahiert und quantifiziert wird.
durch die Teflonbeschichtung und wird an der Platin- Vielfach erfolgt die Trennung aber auf einer geeigneten
elektrode reduziert. Der gemessene Reduktionsstrom ist Chromatographiesäule. Da Substrat und Produkt zu-
abhängig von der in der Zeiteinheit zur Elektrode dif- meist eine vergleichbare Größe besitzen, kommen Gel-
fundierenden O2-Menge und damit direkt proportional chromatographie- und Molekularsiebsäulen weniger
zu pO2. zum Einsatz, häufiger dagegen Ionenaustausch- und
Im Medium gelöstes CO2 lässt sich mit einer CO2-­ Reversed-Phase-Säulen. Eine sehr selektive und für die
Elektrode bestimmen. Es handelt sich um eine mit einer betreffende Substanz spezifische Technik ist die Affini-
CO2-durchlässigen Membran beschichtete Glaselekt- tätschromatographie. Die Chromatographiesäulen kön-
rode. Die Veränderung des pH-Werts an der Elektrode, nen in konventioneller Weise betrieben werden, sehr zu
verursacht durch das durch die Membran diffundie- empfehlen sind jedoch die empfindlichen, mit kleinen
rende CO2, wird gemessen. Proben arbeitenden und zeitsparenden HPLC- und
FPLC-Systeme.
Die Nachweismethode richtet sich nach der Art der
4.5.3 Radioaktive Markierung jeweiligen Substanz. Ist deren Migrationsverhalten im
betreffenden System bekannt, lässt sie sich durch einen
Substrate können mit radioaktiven Isotopen markiert UV-Detektor lokalisieren, ansonsten muss eine nachge-
und die markierten Produkte nach der Reaktion analy- schaltete chemische Reaktion erfolgen. Die zugehörige
siert werden. Das Isotop 32P wird in Nucleotide einge- Peakfläche des Detektordiagramms ist der Substanz-
baut, z. B. in die endständige Phosphatgruppe von ATP menge proportional und kann zur Quantifizierung die-
und GTP.  Nach der Reaktion z.  B. einer ATPase wird nen. Ansonsten wird die betreffende Fraktion abge-
freigesetztes 32Pi abgetrennt und in einer geeigneten trennt und separat analysiert.
Szintillationsflüssigkeit in einem Szintillationszähler ge-
messen. Der Vorteil des relativ stark strahlenden 32P-Iso-
tops ist seine kurze Halbwertszeit von zwei Wochen, was 4.5.5 Diverse Methoden
die Dekontamination vereinfacht. Dagegen hat das
14C-Isotop eine Halbwertszeit von 5730 Jahren, dafür ist Die bequemeren und genaueren gasspezifischen Elekt-
seine Strahlung nicht weitreichend. 14C wird besonders roden haben das manometrische Verfahren zur Bestim-
bei Reaktionen verwendet, die CO2 freisetzen, wie der mung gasabhängiger Reaktionen von Otto Warburg
Pyruvat-Decarboxylase. Das freigesetzte CO2 adsorbiert weitgehend verdrängt. Die Enzymreaktion findet dort in
an einer alkalischen Membran und wird im Szintillati- einem Reaktionsgefäß statt, das so gearbeitet ist, dass
onszähler gemessen. Das Entweichen von 14CO2 muss Enzym- und Substratlösung und anschließend eine
verhindert werden, da es eingeatmet und das langlebige Stopplösung zum Beenden der Reaktion durch einfache
14C-Isotop in den Organismus eingebaut werden kann. Kippbewegung des gasdichten Systems vermischt wer-
In protonenabhängigen Reaktionen, wie NAD(P)+/ den können. Ein angeschlossenes Manometer zeigt die
NAD(P)H + H+ kann das Tritium-Isotop 3H eingesetzt Menge des verbrauchten bzw. gebildeten Gases.
Enzymatische Aktivitätstests
57 4
Sehr schnelle Reaktionsabläufe bis in den Millise- Literatur und Weiterführende Literatur
kundenbereich lassen sich mit einer Stopped-Flow-­
Apparatur analysieren. Enzym- und Substratlösungen Barmann TE, Schomburg D (1983) Enzyme handbook. Springer,
werden mit hohem Druck über eine Mischkammer Berlin
Bergmeyer HU (1983) Methods of enzymatic analysis, 3. Aufl. Ver-
vereinigt und die ablaufende Reaktion absorptions-
lag Chemie, Weinheim
photometrisch oder fluoreszenzspektroskopisch ver- Bisswanger H (2017) Enzyme kinetics, 3. Aufl. Wiley-VCH, Weinheim
messen. Die aufwendige Methode ist mehr für For- Bisswanger H (2019) Practical enzymology, 3. Aufl. Weinheim, Wi-
schungsstudien an Enzymen geeignet und bringt für ley-Blackwell
Enzymtests, die bei entsprechend geringer Enzym- Cornish-Bowden A (2004) Fundamentals of enzyme kinetics, 3.
Aufl. Portland Press Ltd, London
menge im normalen Zeitrahmen ablaufen, keinen zu-
Eisenthal R, Danson JM (2002) Enzyme assays, 2. Aufl. Oxford Uni-
sätzlichen Vorteil. versity Press, Oxford, UK
Die freigesetzte (exotherm) oder verbrauchte (endo- Enzyme Database BRENDA. www.­brenda-enzymes.­org
therm) Wärmemenge bei enzymatischen Reaktionen Leskovac V (2003) Comprehensive enzyme kinetics. Kluwer Acade-
lässt sich mit Kalorimetern messen und damit die Reak- mic, Dordrecht
Marangoni AG (2003) Enzyme kinetics. A modern approach. Wiley-­
tion analysieren. Verschiedene Ausführungen von Kalo-
Interscience, Hoboken
rimetern sind erhältlich, für die Messung von Enzymre- Purich DL (1999) Handbook of biochemical kinetics. Academic,
aktionen eignen sich Mikrodurchflusskalorimeter, die New York
geringe Probenmengen benötigen. Schomburg D (2000) Springer handbook of enzymes. Springer, Berlin
59 5

Mikrokalorimetrie
Alfred Blume

Inhaltsverzeichnis

5.1 Differential Scanning Calorimetry (DSC) – 61

5.2 Isothermal Titration Calorimetry (ITC) – 67


5.2.1  indung von Liganden an Proteine – 67
B
5.2.2 Bindung von Molekülen an Membranen: Einbau und periphere
Bindung – 72

5.3 Pressure Perturbation Calorimetry (PPC) – 75

Literatur und Weiterführende Literatur – 76

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_5
60 A. Blume

55 Die Differential Scanning Calorimetry (DSC) ist eine wicklungen auf dem Gebiet der mechanischen Ferti-
Analysemethode, um Umwandlungstemperaturen gung und der Elektronik, die die Empfindlichkeit der
und -wärmen bei thermisch induzierten Umwandlun- Kalorimeter so stark gesteigert haben, dass die Geräte
gen von Biopolymeren (Peptide, Proteine, Nucleinsäu- auch zur thermodynamischen Charakterisierung biolo-
ren) bzw. Umwandlungen in natürlichen und Modell- gischer Proben, bei denen häufig die Materialmenge den
membranen schnell und mit wenig Materialeinsatz zu limitierenden Faktor darstellt, routinemäßig eingesetzt
bestimmen. werden können. Wegen der nun möglichen Untersu-
55 Die DSC liefert über die Bestimmung der Umwand- chung von kleinen Probemengen wurde der Begriff Mi-
lungstemperaturen und -wärmen wichtige Aussagen krokalorimetrie eingeführt.
über die thermische Stabilität von Proteinen, Nuclein- Mithilfe der Kalorimetrie misst man, wie oben er-
säuren und Membranen. wähnt, die bei einer Reaktion auftretende Wärme, die
5 55 Die Isothermal Titration Calorimetry (ITC) ist eine ka- mit der Umgebung unter quasi-isothermen Bedingun-
lorimetrische Messtechnik, bei der Reaktionswärmen gen ausgetauscht wird. Wird bei der Reaktion Wärme
gemessen werden, die bei der Bindung von Liganden entwickelt, spricht man von einer exothermen Reaktion,
an Makromoleküle oder Membranen auftreten. Die die Wärme wird dann an die Umgebung abgegeben. Bei
Experimente können in einem weiten Temperaturbe- einer endothermen Reaktion dagegen wird Wärme ver-
reich durchgeführt werden. braucht und fließt von der Umgebung auf das System.
55 Der Vorteil der ITC ist, dass sowohl die Bindungskon- Für die Bestimmung der geflossenen Wärme gibt es ver-
stante als auch die Bindungsenthalpie direkt bestimmt schiedenste Messmethoden, auf die hier nicht näher ein-
werden. Aus diesen Größen können dann die freie Bin- gegangen werden soll. Neben der Bestimmung von Re-
dungsenthalpie und die Bindungsentropie berechnet aktionswärmen bei annähernd konstanter Temperatur
werden. (isotherme Kalorimetrie) kann man physikalische Pro-
55 Beide kalorimetrischen Methoden sind automatisier- zesse auch durch eine Änderung der Temperatur errei-
bar für einen höheren Probendurchsatz und miniaturi- chen. Als Beispiel wurde oben schon das Schmelzen des
sierbar für verringerten Substanzbedarf. Die DSC und Eises oder das Verdampfen von Wasser am Siedepunkt
die ITC werden sowohl in der Grundlagenforschung erwähnt. Bei diesen Prozessen wird Wärme benötigt,
eingesetzt als auch routinemäßig in der Produktion, d.  h. es muss von außen die Schmelzwärme bzw. Ver-
z. B. zur Proteinanalytik von monoklonalen Antikör- dampfungswärme zugeführt werden. Bei biologischen
pern. Systemen sind solche Prozesse, die durch Temperatur-
erhöhung ausgelöst werden, z. B. die Denaturierung von
Die Kalorimetrie ist eine Methode zur Bestimmung von Proteinen in wässrigen Lösungen, die Entfaltung der
Wärmemengen, die zwischen einem geschlossenen Sys- DNA-Doppelhelix oder der Übergang von Membranen
tem und seiner Umgebung ausgetauscht werden. Sie ist von einem geordneten in einen ungeordneten Zustand.
eine sehr alte Methode, die auf erste Beobachtungen in Diese Art der Kalorimetrie nennt man Scanning Calori-
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückgeht, metry, weil hier ein bestimmter Temperaturbereich
dass z. B. Eis beim Schmelzen Wärme aufnimmt, ohne durchfahren (gescannt) wird.
dabei seine Temperatur zu ändern. Damals wurde der Die Anwendung der kalorimetrischen Methoden
Begriff der „latenten“ Wärme geprägt (Joseph Black, auf biologische Systeme, wie Proteine, Nucleinsäuren
Edinburgh). Während die meisten kalorimetrischen oder Membranen in wässrigen Pufferlösungen, ist eng
Messungen das Ziel hatten, chemische und physikali- verknüpft mit der Entwicklung von hochempfindlichen
sche Prozesse zu verstehen und die dabei auftretenden Differential-Scanning-Kalorimetern. Dabei standen un-
Wärmemengen zu bestimmen, gab es auch schon sehr ter anderem zwei Personen im Vordergrund, die diese
früh biologische Anwendungen. Lavoisier konstruierte Entwicklungen maßgeblich vorangetrieben haben, Ju-
um 1780 ein Eiskalorimeter, mit dem er den Metabolis- lian Sturtevant und Peter Privalov. Ab Ende der 1970er-
mus eines Meerschweinchens über die Menge des ge- Jahre standen dann empfindliche DSC-Geräte kommer-
schmolzenen Eises bestimmte. Er baute dabei auf den ziell zur Verfügung, und zwar zunächst, aufbauend auf
Erkenntnissen von Joseph Black über die latente Wärme der Entwicklung von P.  Privalov, aus russischer Ferti-
(Schmelzwärme) des Eises auf. gung gebaute Geräte. Später wurden dann von J.  F.
Während die Kalorimetrie in der Chemie und der Brandts DSC-Geräte entwickelt und nach Gründung
Physik danach eine weit verbreitete Methode wurde, mit der Firma MicroCal kommerziell vertrieben.
deren Hilfe eine große Anzahl von thermodynamischen Die von der Firma MicroCal vertriebenen Geräte
Daten und Stoffeigenschaften, wie z. B. spezifische Wär- wurden dann nach einer revolutionären Idee von J.  F.
men, Reaktionswärmen, Phasenumwandlungswärmen, Brandts Ende der 1980er-Jahre zu Isothermal Titration
gemessen und tabelliert wurden, wird die Methode seit Calorimeters (ITC) umgebaut, indem in die kalorimetri-
circa 40 Jahren zunehmend für biologische Fragestellun- sche Messzelle eine motorgetriebene Injektionsspritze
gen eingesetzt. Dazu beigetragen haben apparative Ent- mit Rührpaddel eingebaut wurde. Dieses ermöglichte
Mikrokalorimetrie
61 5
eine Titrationskalorimetrie mit Leistungskompensation Diffusion der Moleküle stark erhöht, sodass die Memb-
der Wärmeeffekte, wodurch die Messzeiten außeror- ran fluide erscheint. Der Temperaturbereich, über den
dentlich verkürzt wurden und wodurch aufgrund der sich diese Umwandlung erstreckt, hängt von der chemi-
Empfindlichkeit des benutzten Systems erstmalig Bin- schen Struktur der Lipidkomponenten und der Zusam-
dungsstudien von Liganden an z.  B.  Proteine routine- mensetzung der Lipidmembran ab. Zur Untersuchung
mäßig durchgeführt werden konnten. Die entwickelte dieser thermisch induzierten Umwandlungen muss ein
Methode nannte sich zwar Isothermal Titration Calori- DSC-Gerät die folgenden Ansprüche erfüllen:
metry, in Wahrheit werden jedoch Probe- und Referenz- 55 Es muss eine hohe Empfindlichkeit besitzen, damit
zelle mit konstanter, aber sehr niedriger Heizleistung auch in verdünnten wässrigen Lösungen die Um-
aufgeheizt, wodurch eine Leistungskompensation so- wandlungen mit guter Genauigkeit verfolgt werden
wohl für endo-, aber auch für exotherme Prozesse mög- können. Dies ist besonders bei Proteinlösungen
lich wurde. Die heutigen DSC- und ITC-Geräte basieren wichtig, da bei höheren Konzentrationen leicht eine
alle auf einem ähnlichen Prinzip und sind im Wesentli- Aggregation der Proteine erfolgen kann.
chen nur in ihrer Elektronik, ihren Zellvolumina, der 55 Das Probenvolumen sollte klein sein, um den Mate-
Automation bzw. der Ausführung der Injektionsspritzen rialbedarf gering zu halten.
(ITC) weiterentwickelt worden, um die Empfindlichkeit 55 Die Reproduzierbarkeit der Basislinie muss gegeben
zu verbessern und den praktischen Einsatz komfortabler sein, damit bei Umwandlungen, die sich über einen
zu machen. großen Temperaturbereich erstrecken, die Umwand-
In den folgenden Abschnitten sollen die Grundlagen lungsenthalpie durch Integration sicher ermittelt
der Kalorimetrie sowie die zwei wesentlichen Metho- werden kann.
den, die heute zur Untersuchung von biologischen/bio- 55 Die Heiz- und Kühlgeschwindigkeiten müssen sehr
chemischen Fragestellen verwendet werden, dargestellt gut kontrollierbar sein und die Empfindlichkeit im
werden. Dabei werden auch einige Bespiele zur Illustra- Kühlmodus sollte ähnlich wie beim Heizen sein. Dies
tion der Möglichkeiten der kalorimetrischen Methoden ist besonders für die Untersuchung reversibler Um-
aufgeführt werden. wandlungen wichtig.

Diese Anforderungen werden fast ausschließlich durch


5.1  ifferential Scanning Calorimetry
D adiabatische bzw. quasi-adiabatische Differenz-­
(DSC) Kalorimeter mit Leistungskompensation erfüllt. Zudem
besitzen diese Kalorimeter nicht wie viele andere Kalo-
In einem Differential Scanning Calorimeter werden rimeter herausnehmbare, sondern fest eingebaute Zel-
wässrige Lösungen von Makromolekülen, wie z. B. Pro- len, die von außen gefüllt werden. Diese Konstruktion
teinen oder Nucleinsäuren bzw. Suspensionen von Li- ist essenziell, um gut reproduzierbare Basislinien zu be-
pidvesikeln oder Membranen, in einem vorgegebenen kommen. In . Abb. 5.1 ist der prinzipielle Aufbau eines

Temperaturbereich aufgeheizt. Beim Aufheizen werden DSC-Gerätes mit Leistungskompensation dargestellt.


in den Lösungen thermische Umwandlungen ausgelöst, In einem typischen DSC-Gerät, das für die Untersu-
die mit der DSC registriert werden. Bei Lösungen von chung von Umwandlungen von Biopolymeren benutzt
Proteinen induziert man die Entfaltung von der nativen werden kann, sind die beiden Zellen von einem adiabati-
Form des Proteins in das statistische Knäuel, die ent- schen Mantel umgeben, der verhindern soll, dass Wärme
weder in einem Alles-oder-Nichts-Prozess (Zweizu- zwischen Umgebung und Proben- und Referenzzelle aus-
standsmodell) passiert oder über verschiedene, teilweise getauscht wird. Die beiden Zellen und der Mantel, oder in
entfaltete Zwischenzustände erfolgen kann. Bei Desoxy- neuen DSC-Geräten auch mehrere adiabatische Mäntel,
ribonucleinsäuren wird durch Temperaturerhöhung die werden mit kontrollierter Leistung über Heizwiderstände,
Doppelhelix-Knäuel-Umwandlung induziert. Auch die auf dem Mantel bzw. den Zellen aufgebracht sind, be-
diese Umwandlung kann nach verschiedenen Mechanis- heizt. Die Heizleistung wird so ausgelegt, dass eine be-
men ablaufen, entweder hoch kooperativ oder sequen- stimmte Temperaturerhöhung pro Zeiteinheit erreicht
ziell mit verschiedenen Zwischenzuständen. wird. Dies wird über auf den Mantel aufgebrachte Tem-
Bei Lipidvesikeln bzw. Liposomen als Modellen für peraturfühler gemessen und kontrolliert. Damit beim
biologische Membranen erzeugt man durch die Tempe- Heizen kein Wärmeaustausch zwischen Zellen und Man-
raturerhöhung eine Umwandlung von einer geordneten tel erfolgt, muss dafür gesorgt werden, dass der adiabati-
Membran (Gelphase), in der die Lipidmoleküle mit all- sche Mantel und die beiden Zellen auf möglichst exakt
trans-Ketten vorliegen und die Bewegung eingeschränkt gleicher Temperatur sind. Thermoelemente oder Halblei-
ist, in eine flüssigkristalline Membran, in der die Beweg- terthermosensoren, die eine mögliche auftretende Tempe-
lichkeit der Ketten stark erhöht ist, bedingt durch ein raturdifferenz zwischen dem adiabatischen Mantel und
teilweises „Schmelzen“ mit erhöhter Anzahl von gau- den Zellen bzw. zwischen den beiden Zellen detektieren,
che-Konformeren in den Ketten. Auch ist die laterale werden dazu benutzt, die Heizleistung der Zellen und/
62 A. Blume

Heizungen für Computer


C C adiabatischen
Temperatur-
sensor Mantel mit
Controller

Zelle adiabatischer
Zellheizungen mit Controller Mantel

B C

..      Abb. 5.1  A Schematischer Aufbau eines Differential Scanning geht, damit keine Wärme aus der Umgebung auf die Zellen fließt.
Calorimeters (DSC). Die beiden Zellen (C) werden mit konstanter Alle Regelkreise werden über einen Computer gesteuert, der die im
Heizleistung aufgeheizt. Dabei wird über die Temperatursensoren Falle einer thermischen Umwandlung auftretende Zusatzheizleis-
die Temperatur der beiden Zellen gemessen und die Heizleistung tung der Probe gegen die Zeit bzw. die Temperatur abspeichert und
über den Controller so reguliert, dass die Temperaturdifferenz an- auf dem Schirm darstellt. B Zellaufbau der zwei Zellen eines
nähernd null wird. Die Zellen werden von einem adiabatischen Man- VP-DSC-Gerätes von MicroCal mit Halbleiterthermosensorblock
tel umgeben, der ebenfalls beheizt wird und dessen Temperatur über zwischen den beiden Zellen. C Links Zellaufbau, rechts demontierte
einen Controller ebenfalls so reguliert wird, dass die Temperaturdif- adiabatische zylinderförmige Mäntel verschiedener Größe. Die äu-
ferenz zwischen Zellen und adiabatischem Mantel auf null zurück- ßeren sind mit Polyurethanschaum isoliert

oder des Mantels so zu regeln, dass diese Temperaturdif- Dieses ist normalerweise aus Fertigungsgründen nicht er-
ferenz minimiert wird. Tritt nun beim Aufheizen eine en- reichbar, sodass die so genannte Basislinie, die man bei
dotherme Umwandlung, z. B. eine Entfaltung eines Pro- Füllung beider Zellen mit Puffer erhält, keine Gerade als
teins auf, so wird in der Probenzelle ein Teil der Funktion der Temperatur darstellt. Aus diesem Grunde
zugeführten Heizleistung für die Umwandlung des Prote- wird entweder die Basislinie vor jeder Messung mit neuen
ins benötigt, sodass die Probenzelle weniger schnell er- Proben neu registriert, oder, falls die Reproduzierbarkeit
wärmt wird und somit eine Temperaturdifferenz zwischen der Basislinie sehr gut ist, kann auf im Computer abge-
den beiden Zellen entsteht. Diese Temperaturdifferenz speicherte Basislinien zurückgegriffen werden, die nach
wird über eine Thermosäule zwischen den beiden Zellen der Messung der Probe von der neuen Messkurve abgezo-
detektiert und das resultierende elektrische Signal dazu gen werden.
benutzt, über einen Regelkreis die Probenzelle mit einer Es gibt für die Form der Zellen bei den heute kom-
zusätzlichen Heizleistung PDiff zu versorgen, wodurch die merziell erhältlichen DSC-Geräten zwei verschiedene
Temperaturdifferenz wieder auf annähernd null zurück- Typen: zum einen der so genannte Lollipop-Typ und an-
geführt wird. Diese Differenzheizleistung PDiff ist die ei- dererseits die Kapillarzelle. Beim Lollipop-Typ handelt
gentliche Messgröße, die als Funktion der Zeit bzw. der es sich um Zellen, die die Form und Größe eines etwas
Temperatur in einem Computer, der auch die Apparatur dickeren Geldstückes haben und an die eine Einfüllka-
steuert, gespeichert und gleichzeitig auf dem Bildschirm pillare angebracht ist, die durch den adiabatischen Man-
dargestellt wird. In einem idealen DSC-Gerät sind die bei- tel nach außen geführt ist (. Abb. 5.1B). Die Kapillar-

den Zellen exakt gleich und haben nach Füllung mit der zelle hingegen besteht aus mehreren Windungen einer
gleichen Flüssigkeit (Wasser oder Puffer) auch exakt die Metallkapillare. Beide Enden der Kapillare sind nach
gleiche Wärmekapazität, sodass PDiff gleich null sein sollte. außen geführt, sodass die Zelle im Durchfluss befüllt
Mikrokalorimetrie
63 5
..      Abb. 5.2  DSC-Kurve einer Liposomen- 0,020 hydriertes Ei-PS
suspension von hydriertem Ei-Phosphatidyl- c = 6,42 mg/ml
serin (PS), das eine Membranumwandlung
von einer geordneten Gelphase in eine
flüssigkristalline Phase zeigt. Die Basislinie 0,015
für den Fall, dass beide Zellen mit Puffer
gefüllt sind, ist zusätzlich dargestellt

0,010

cdiff (in cal K–1)


0,005
Puffer-Puffer-Basislinie

0,000

–0,005
10 20 30 40 50 60 70 80 90
Temperatur (in °C)

und auch gespült werden kann. Die Volumina der Zellen In einem kalorimetrischen Experiment wird zunächst
der heute verfügbaren DSC-Geräte liegen zwischen 0,1 die Basislinie registriert, wobei beide Zellen mit Puffer
und ca. 1 ml. In neueren Entwicklungen wird bereits von gefüllt sind. Danach wird die Probenzelle mit der Lö-
Zellen mit nur 1 μl Probenvolumen berichtet. Die Mate- sung der zu untersuchenden Substanz in Puffer gefüllt
rialien der Zellen sind aus Metallen wie Gold, Platin und die Differenzheizleistung registriert. Man erhält
oder Tantal 61™, die chemisch sehr inert sind und gute schematisch folgende zwei Messkurven (. Abb. 5.2):  

Wärmeleitfähigkeit zeigen. DSC-Geräte, bei denen die . Abb.  5.2 zeigt die Puffer-Puffer-Basislinie und

Befüllung und Reinigung der Kapillarzellen automati- eine Messkurve einer Suspension von hydriertem Soja-
siert sind, werden ebenfalls angeboten. Die Befüllung bohnen-PS, das eine Umwandlung der Lipidvesikel von
und Reinigung erfolgt hier durch einen Roboter, sodass einer geordneten Gelphase in eine flüssigkristalline
der Durchsatz des Systems durch Ankopplung an ein Phase zeigt. Angegeben ist auch die Verschiebung der
System mit Mikrotiterplatten mit bis zu 96 Näpfchen er- Basislinie Δ zwischen Puffer-Puffer-Basislinie und ei-
heblich höher ist als bei einem konventionellen System. gentlicher Messkurve. Aus dieser Verschiebung kann
Heutige DSC-Geräte haben sehr hohe Empfindlich- die scheinbare Molwärme ϕCP der gelösten oder sus-
keiten und gute Basislinienstabilität. Das Signalrauschen pendierten Substanz ermittelt werden, wenn das spezi-
der Basislinie im Kurzzeitbereich liegt bei 0,015–0,025 μW, fische Volumen VP der Probesubstanz bekannt ist. Die
dies entspricht ca. 0,21–0,35 μcal s−1 bei einer Aufheizge- dazu notwendige Beziehung ist in Gl.  5.2 dargestellt,
schwindigkeit von 1 °C min−1. Die Wiederholbarkeit der wobei VW das spezifische Volumen und cpW die spezifi-
Basislinie nach Wiederbefüllung spielt eine wichtige sche Wärme von Wasser sind sowie mP und MP die
Rolle. Hier erreichen die heutigen Geräte Standardabwei- Masse der eingewogenen Probesubstanz bzw. die Mol-
chungen von 0,025–0,5 μW, wobei die Geräte mit Kapil- masse der Probe.
larzellen etwas niedrigere Standardabweichungen haben
als die Geräte mit Zellen mit Lollipop-Design.  V ∆ 
φ
Wie oben erwähnt, wird in einem DSC-Gerät beim CP = cpW P −  MP (5.2)
 VW mP 
Aufheizen die Differenzheizleistung als Funktion der
Zeit bzw. der Temperatur registriert. Diese Differenz-
heizleistung PDiff hängt mit der Differenz der Wärmeka- Subtrahiert man einfach die Basislinie in . Abb.  5.2  

pazitäten cDiff zwischen Probe und Referenzzelle in fol- von der Messkurve und rechnet durch Berücksichtigung
gender Weise zusammen: der Konzentration in der Messzelle um, so erhält man
die auf das Mol Substanz normierte Messkurve CDiff als
dt Funktion der Temperatur, die in . Abb. 5.3 dargestellt
cDiff = cProbe − cReferenz = PDiff (5.1)  

dT ist.
In . Abb. 5.3 sind auch die Temperaturen TA und TE

wobei dt das Zeitintervall ist, in dem sich die Tempera- eingetragen, die für die Bestimmung der molaren Um-
tur um dT ändert. wandlungsenthalpie notwendig sind. Diese erhält man
64 A. Blume

..      Abb. 5.3  Normierte DSC-Kurve, die nach 5 hydriertes Ei-PS


Abzug der Basislinie und Umrechnung auf die c = 7,88 mM
molare Menge an Lipid erhalten wird. TA und
TE sind die Temperaturen, zwischen denen die
Fläche unter dem Peak bestimmt wird, um die 4
molare Umwandlungsenthalpie ΔHUmwandlg zu
erhalten
3

cp (in kcal mol–1 K–1)


2

5
1

TA TE
0

–1
10 20 30 40 50 60 70 80 90
Temperatur (in °C)

..      Abb. 5.4  Nicht normierte DSC- Lysozym


Kurve einer Lösung von Lysozym. Die Tm
0,00025
thermisch induzierte Umwandlung des
Proteins erfolgt bei einer bestimmten
Temperatur Tm. Die Umwandlung kann
durch ein Zweizustandsmodell beschrie- 0,00020
ben werden
cdiff (in cal K–1)

0,00015

0,00010

TE
0,00005
TA
DcP

0,00000

20 30 40 50 60 70 80 90 100
Temperatur (in °C)

durch Integration der Messkurve im Temperaturbereich Was hier für die Umwandlung in Lipiddoppelschichten
von TA bis TE, wobei als Nulllinie C0, die gestrichelte Li- gezeigt wurde, gilt analog für die Umwandlung von Pro-
nie, durch den Experimentator bestimmt wird. Die mo- teinen bzw. Nucleinsäuren in wässriger Lösung.
lare Umwandlungsenthalpie ΔHUmwandlg entspricht also . Abb.  5.4 zeigt die Denaturierung von Lysozym bei

der Fläche zwischen Messkurve und der im Umwand- einer Temperatur Tm. Bei einer Proteindenaturierung
lungsbereich gelegten Nulllinie C0: findet man häufig eine Änderung der Wärmekapazität
Δcp, die zu einem Versatz der Basislinien vor und nach
TE
der Umwandlung führt. Dieses erschwert die Integra-
∆H Umwandlg = ∫ ( CDiff − C0 ) dT (5.3) tion des Umwandlungspeaks. Üblicherweise wird die
TA Basislinie dann als sigmoide Kurve zwischen die An-
Mikrokalorimetrie
65 5
fangs- und Endtemperatur der Umwandlung gelegt, wie Setzt man Gl. 5.7 in Gl. 5.6 ein so erhält man den Um-
es in . Abb. 5.4 dargestellt ist, und dann die Integration
  wandlungsgrad als Funktion der Temperatur. Aus der
durchgeführt. Steigung der Umwandlungskurve am Mittelpunkt der
Für eine Denaturierung eines Proteins oder für die Umwandlung bei Tm kann man ΔHv.H. ermitteln. Es er-
Umwandlung in einer Lipidmembran von der geordne- gibt sich:
ten Gelphase in die flüssigkristalline Phase kann man im
einfachsten Fall ein Zweizustandsmodell zwischen Spe-  dθ  ∆H v.H.  dθ 
  = ; ∆H v.H. = 4 RTm2   (5.8)
zies A und B annehmen, zwischen denen ein Gleichge-  d T Tm 4 RTm2
 dT 
wicht existiert, z. B. zwischen einem nativen Protein und
seinem denaturiertem Zustand:
Nach Differenziation von Gl.  5.6 und Multiplikation
A  B (5.4) mit der kalorimetrischen Umwandlungsenthalpie ΔHcal
ergibt sich als theoretische Kurve für die differenzielle
Wärmekapazität cDiff für ein Zweizustandsmodell:
Die Gleichgewichtskonstante K ist dann nach dem Mas-
senwirkungsgesetz definiert als Verhältnis der Konzent-
rationen der Spezies:  dθ 
cDiff = ∆H cal  
 dT 
[ B] = θ  −2
 
K= (5.5)  1 + exp  −∆H v.H.  1 − 1    ⋅ 
[A] 1 − θ   R  T Tm    
= ∆H cal   
  −∆H v.H.  1 1   ∆H v.H. 
wobei θ der Umwandlungsgrad ist, der zwischen 0 und 1  exp   −   (5.9)
 R  T Tm   RT
2
läuft. Damit wird θ als Funktion der Gleichgewichts-  
konstante zu:
. Abb. 5.5 zeigt schematisch die resultierenden Kurven,
K

θ= (5.6) die bei einer Variation des Verhältnisses von ΔHv.H./


1+ K ΔHcal = n erhalten werden. n bezeichnet man als koope-
rative Einheit. Ist dieses Verhältnis 1, so erhält man die
Die Gleichgewichtskonstante ist wiederum temperatur- schwarze Kurve. Sie entspricht einer Umwandlung eines
abhängig. Diese Temperaturabhängigkeit wird bestimmt Proteins von einem gefalteten in einen entfalteten Zu-
durch die van’t Hoff’sche Umwandlungsenthalpie stand ohne Kooperativität, wie es häufig bei Proteinum-
ΔHv.H, sodass man für K(T) erhält: wandlungen zu beobachten ist. Wird dieses Verhältnis
größer als 1, so spricht man von kooperativen Umwand-
 −∆H v.H.  1 1   lungen, wie sie z.  B. in Lipidbilayern zu beobachten
K (T ) = K (Tm ) exp  · −  (5.7)
 R  T Tm   sind. Hier wird die Umwandlung immer schärfer und

..      Abb. 5.5  Nach dem Zweizustandsmodell 120 n = ∆Hv.H./∆Hcal


berechnete Kurven mit unterschiedlichen ∆Hcal = 100 kcal mol–1
Verhältnissen von n = ΔHv.H./ΔHcal. Der Wert
n = 10
von n wurde von 0,5 bis 10 variiert. ΔHcal 100
betrug 100 kcal mol−1. Mit steigendem n wird n=5
die Halbwertsbreite des Peaks immer geringer, n = 2,5
cdiff (in kcal mol–1 K–1)

die Fläche unter der Kurve bleibt gleich 80 n=1


n = 0,5

60

40

20

330 335 430 345 350 355 360 365


Temperatur (in K)
66 A. Blume

nähert sich einer Phasenumwandlung erster Ordnung, Peaks werden separat integriert und ausgewertet, sodass
bei der n gegen unendlich geht. Für Umwandlungen in dann ein prozentualer Anteil der einzelnen Umwand-
kleinen Lipidvesikeln liegt n etwa bei 50–100. lungen an der Gesamtumwandlung angegeben werden
Für die Simulationen, die in . Abb. 5.5 gezeigt wer-
  kann. In der Abbildung wurde die gesamte Umwand-
den, wurde für ΔHcal ein Wert von ca. 100 kcal mol−1 an- lung mit sechs verschiedenen Peaks simuliert, deren Pa-
genommen, wie z. B. bei der Denaturierung von Lyso- rameter in der Abbildung angegeben wurden. Jeder die-
zym gemessen (. Abb.  5.4). Variiert wurde nun n von
  ser Peaks wurde mit dem Zweizustandsmodell berechnet.
dem Wert 0,5 über 2,5, 5 bis 10. Die Umwandlung wird Die Auswerteprogramme der Hersteller ermöglichen es
immer schärfer, aber die Fläche unter der Kurve bleibt auch, diese komplexen Umwandlungen mit anderen
gleich, da sie ΔHcal entspricht. Modellen zu simulieren, in denen z. B. kooperative Ef-
In . Abb.  5.6 ist die Messkurve für die Denaturie- fekte mitberücksichtigt werden.
5  

rung von Lysozym aus . Abb.  5.4 in der normierten


  Mithilfe der heute verfügbaren DSC-Geräte können
Form dargestellt. Wie man sieht, ist die Denaturierung auch Abkühlungskurven gemessen werden. Hiermit ist
schon recht gut mit einem Zweizustandsmodell (rote es möglich, Hystereseeffekte und die Reversibilität von
gestrichelte Kurve) ohne Kooperativität beschreib- Umwandlungen zu ermitteln. Umwandlungen von Li-
bar. Die aus der Simulation sich ergebenden Werte für pidmembranen sind in der Regel reversibel, es wird
Tm und die Umwandlungsenthalpie ΔHcal liegen bei ca. meistens beim Abkühlen nur eine geringe Hysterese,
74  °C und  100  kcal  mol−1. Eine bessere Anpassung fin- d. h. eine Verschiebung der Umwandlungstemperatur zu
det man mit einem Modell, bei dem auch ΔHv.H. mit in niedrigeren Temperaturen, beobachtet. Die durch Tem-
die Simulation eingeht, wie mit der gestrichelten blauen peraturerhöhung induzierte Denaturierung eines Prote-
Kurve ersichtlich. ΔHcal liegt dann etwas niedriger mit ins ist in den meisten Fällen allerdings nicht vollständig
91,5 kcal mol−1 und das Verhältnis ΔHv.H./ΔHcal bei ca. 1,3. reversibel. Dies erkennt man daran, dass beim zweiten
Nicht bei allen Proteinen folgt die Entfaltung einem Aufheizen sich eine andere Kurve ergibt mit beispiels-
simplen Zweizustandsmodell. In vielen Fällen können weise verschobenem Maximum und geringerer Um-
Proteindomänen separat bei unterschiedlichen Tempe- wandlungsenthalpie. Zudem kann es zu irreversibler
raturen entfalten. Dies führt zu DSC-Kurven mit meh- Aggregation nach der Entfaltung des Proteins kommen.
reren Peaks, wie es z. B. in . Abb. 5.7 für ein Immun-
  Dies gibt sich in den DSC-Kurven durch einen plötzli-
globulin dargestellt ist. chen Abfall der Basislinie nach dem Umwandlungspeak
Die Auswertung dieser DSC-Kurven erfolgt durch bei höheren Temperaturen zu erkennen, da die Aggrega-
Annahme von mehreren Umwandlungen, das heißt die tion mit exothermen Effekten verbunden ist.

..      Abb. 5.6  Normierte DSC-Kurve Lysozym


(schwarz) für die Denaturierung von 12
Lysozym mit zwei verschiedenen
Simulationen. Die gestrichelte rote Modell: 2-Zustandsmodell mit
Kurve wurde unter der Annahme des n = ∆Hv.H./∆Hcal = 1
10
Zweizustandsmodells, berechnet mit Tm = 73,93 ± 0,036 °C
ΔHv.H./ΔHcal = 1, erhalten, während
∆Hcal = 102,9 ± 0,43 kcal mol–1
die gestrichelte blaue Kurve einen
cp (in kcal mol–1 °C–1)

etwas größeren Wert für ΔHv.H. hat 8


und damit besser passt
Modell: 2-Zustandsmodell mit
6 n = ∆Hv.H./∆Hcal = 1,3
Tm = 73,97 ± 0,0084 °C
∆Hcal = 91,4 ± 0,21 kcal mol–1
4 ∆Hv.H. = 120,8 ± 0,35 kcal mol–1

40 50 60 70 80 90
Temperatur (in °C)
Mikrokalorimetrie
67 5
..      Abb. 5.7  Normierte DSC-Kurve 160 Model: 2-state transitions IgG
(schwarz) der Entfaltung eines Tm1 = 69,58 ± 0,030 °C
Immunglobulins mit verschiedenen ∆H 1 = 1,605E2 ± 0,873 kcal mol–1
140
Stufen der Entfaltung. Die simulierte Tm2 = 81,06 ± 0,16 °C
Kurve basiert auf der Summe von
∆H 2 = 1,184E2 ± 3,30 kcal mol–1
sechs verschiedenen Peaks (die 120
Tm3 = 83,40±0,11 °C
einzelnen Peaks sind in verschiedenen
Farben dargestellt) mit unterschied- ∆H 3 = 1,558E2 ± 2,61 kcal mol–1
100

cdiff (in kcal mol–1)


lichen Umwandlungstemperaturen. Tm4 = 92,50 ± 0,0087 °C
Dieses Simulationsverfahren ∆H 4 = 3,290E2 ± 2,22 kcal mol–1
ermöglicht es, den unabhängig sich 80 Tm5 = 88,36 ± 0,058 °C
umwandelnden Untereinheiten jeweils ∆H 5 = 2,210E2 ± 1,82 kcal mol–1
eine Umwandlungsenthalpie 60 Tm6 = 90,61 ± 0,029 °C
zuzuordnen ∆H 6 = 2,934E2 ± 1,99 kcal mol–1
40 ∆Htotal = 1280 kcal mol–1

20

–20
50 60 70 80 90 100
Temperatur (in °C)

5.2 Isothermal Titration Calorimetry (ITC) kann. . Abb.  5.8 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines

ITC-Gerätes.
Wie die DSC ist die ITC heute eine Routinemethode zur Durch schrittweise Injektion kleiner Volumina (1–
Untersuchung von Bindungen von Liganden an Biopo- 25 μl) der Lösung des Reaktanden in der Spritze in die
lymere oder Lipidmembranen. Auch hier hat die appa- vorgelegte Lösung wird die Reaktion ausgelöst. Die
rative Entwicklung in den letzten Jahrzehnten einen we- durch die Wärmeeffekte auftretende Temperaturände-
sentlichen Anteil daran, dass die Methode sich etabliert rung gegenüber der Referenzzelle wird durch Änderung
hat. Die heute kommerziell erhältlichen ITC-­Geräte ha- der Heizleistung in der Reaktionszelle wieder ausgegli-
ben eine Empfindlichkeit erreicht, die es ermöglicht, chen und die Differenzheizleistung als Funktion der
Wärmeeffekte bis hinunter zu 0,1 μcal (ca. 0,4 μJ) zu be- Zeit aufgetragen. Die Integration des auftretenden
stimmen. Dadurch wird es möglich, Bindungskonstan- Peaks führt zur bei der Reaktion verbrauchten oder ent-
ten im Bereich von 104–109 M−1 (KD = 100 μM bis 1 nM) standenen Wärme. Diese Injektionen werden wieder-
zuverlässig zu ermitteln. Die ITC hat als Messmethode holt, bis die Injektionsspritze erschöpft ist bzw. die Re-
den Vorteil, dass sie ohne Zusatz von Sonden auskommt aktionswärme auf annähernd null abgeklungen ist.
und dass sie, wie auch die DSC, eine differenzielle Me-
thode ist, die dadurch grundsätzlich anderen Methoden, 5.2.1 Bindung von Liganden an Proteine
bei denen Gleichgewichtskonzentrationen bestimmt
werden um Bindungskonstanten zu ermitteln, überlegen . Abb.  5.9 zeigt als Beispiel die Reaktionswärme, die

ist. bei Bindung eines Detergens (Tween 80®) an Rinderse-


Prinzipiell sind die heutigen ITC-Geräte aus DSC-­ rumalbumin auftritt. Üblicherweise wird für die erste
Geräten abgeleitet worden. Die Geräte arbeiten quasi-­ Injektion mit 1 μl Lösung aus der Spritze injiziert, um
isotherm, denn um eine Leistungskompensation zu er- mögliche Luftblasen aus der Injektionskanüle auszutrei-
möglichen, bei der sowohl endo- als auch exotherme ben. Bei den folgenden Injektionen wurden jeweils 10 μl
Reaktionswärmen gemessen werden sollen, werden die injiziert. Man erkennt, dass die Reaktionsenthalpie mit
Messzellen mit einer sehr geringen Heizleistung aufge- steigender Injektionszahl abnimmt und am Ende kons-
heizt. Die Temperaturerhöhung der Messzelle ist aber tante, relativ kleine Injektionspeaks auftreten, die von
während der Dauer der Messung zu vernachlässigen. In Verdünnungswärmen herrühren können.
die Probezelle wird nun eine Kanüle einer Mikroliter- Bei der Planung eines ITC-Experiments ist es wich-
spritze eingeführt, die am Ende die Form eines kleinen tig, vorher eine ungefähre Kenntnis von der Größe der
Paddels hat, mit der die Reaktionslösung durch Drehen Bindungskonstanten Ka zu haben, damit man die Kon-
der Kanüle bzw. der ganzen Spritze gerührt werden zentrationsverhältnisse zwischen Reaktanden in der
68 A. Blume

100

Differenzheizleistung (in µcal s–1)


0

Injektionsspritze
–100

–200
adiabatischer Mantel Ausgabe der
Differenzheizleistung
an Computer. –300

5
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Zeit (in min)
Referenzzelle Probenzelle

Referenzzelle wird Heizleistung der Proben-


mit konstanter zelle wird nachgeführt.
Leistung beheizt. ∆T wird auf an-
nähernd null reguliert.

∆T

..      Abb. 5.8  Schematische Darstellung des Aufbaus eines Isother- hen ist. Durch Drehen der Spritze wird die Lösung kontinuierlich bei
mal Titration Calorimeter (ITC). Im Prinzip ist die Gerätesteuerung der Injektion gerührt. Rechts oben ist schematisch die Registrier-
ähnlich wie bei einem DSC-Gerät. Als zusätzliche Einheit hat man kurve gezeigt, die durch die Injektionen kleiner Volumina aus der
hier eine motorgesteuerte Injektionsspritze, die in die Probenzelle Spritze erhalten wird
eingeführt wird und deren Injektionskanüle mit einem Paddel verse-

..      Abb. 5.9  ITC-Kurve für die Bindung


von Tween 80® an Rinderserumalbumin
–5
(BSA). Eine Tween-80®-Lösung wurde
dabei in 10-μl-Injektionen in die vorgelegte
BSA-Lösung titriert
–10
Differenzheizleistung (in µcal s–1)

–15

–20

–25

–30
0 2000 4000 6000 8000 10000 12000
Zeit (in s)

Spritze und vorgelegtem Bindungspartner optimal ein- das Signal-Rausch-Verhältnis außerdem von der Bin-
stellen kann. Für das experimentelle Vorgehen ist der dungsenthalpie ab. In manchen Fällen kann es vorkom-
sogenannte c-Parameter wichtig (c = Ka · [Mt]), d. h. das men, dass die Bindungsenthalpie bei der gewählten
Produkt aus der Bindungskonstanten Ka und der Ge- Temperatur sehr gering ist. Dann ist es sinnvoll, das Ti-
samtkonzentration des Makromoleküls [Mt] in der Zelle. trationsexperiment zusätzlich bei anderen Temperatu-
Dieser c-Parameter sollte generell zwischen 1 und 1000 ren erneut durchzuführen, da die Bindungsenthalpie
liegen, mit einem Optimum bei 40. Nimmt man einen häufig temperaturabhängig ist (s.  u.). Damit man eine
Wert für Ka von 106 M–1 an, so wäre also eine vorgelegte möglichst sigmoide Bindungskurve erhält, muss die
Konzentration von 40 μM die optimale. Natürlich hängt Konzentration des Liganden in der Spritze entsprechend
Mikrokalorimetrie
69 5
angepasst werden, damit man über den gesamten Be- Nach [ML] aufgelöst, ergibt sich eine quadratische Glei-
reich der Titration auch in die Sättigung gelangt. Opti- chung mit der Lösung:
mal ist hier, wenn das molare Verhältnis zwischen Mak-
romolekül und Ligand von 1 etwa bei der Hälfte der 1 1
Gesamtzahl der Injektionen erreicht ist. Dies ist im vor- [ ML] =  [M t ] + [Lt ] +  −
2 K
liegenden Fall der . Abb. 5.9 nicht optimal erfüllt. Au-

2
1  1
ßerdem ist die Bindungskonstante Ka in diesem Fall ⋅  [ M t ] + [ L t ] +  − [ M t ][ L t ] (5.15)
niedriger als 106  M−1, was zu einer Verbreiterung der 4  K

sigmoiden Kurve führt (s. nachfolgende Analyse).
Zur Analyse der Daten werden die Flächen unter Diese Gleichung beschreibt die Konzentration des
den Injektionspeaks durch Integration bestimmt und Komplexes ML als Funktion entweder der Totalkon-
die Daten normiert, d. h. auf die injizierte Menge in Mol zentration von L oder von M. Wenn das Experiment
umgerechnet, sodass man eine Darstellung der Reakti- so ausgeführt wird, dass der Ligand L aus der Spritze
onswärme in Energie pro Mol gegen die Konzentration zu der Lösung des Makromoleküls M in der Zelle tit-
an Liganden erhält. Diese Normierung ist in der Soft- riert wird, dann ändert sich pro Injektion die Konzen-
ware der Gerätehersteller enthalten. tration des Liganden um die Konzentration Δ[Lt], was
Die experimentellen Werte kann man nun durch An- zu einer Konzentrationsänderung des Komplex
nahme verschiedener Bindungsmodelle versuchen zu simu- Δ[ML] führt, während [Mt] konstant ist. Dies bedeu-
lieren. Für den einfachen Fall der Bindung nur eines Ligan-
tet, dass Gl.  5.15 nach [Lt] abgeleitet werden muss.
den an ein Makromolekül, wie z. B. an ein Protein, ist die
Man erhält:
Analyse der Bindungskurven relativ einfach. Die Bindung
kann durch eine Gleichgewichtskonstante beschrieben wer-  1
den für die Bindung eines Liganden L an ein Makromole- 2· [ M t ] + [ L t ] +  − [ M t ]
∆ [ ML ] 1  K
kül M, die zur Bildung eines Komplexes ML führt: = −
∆ [Lt ] 2 1 1
2
2· · [ M t ] + [ L t ] +  − [ M t ][
· Lt ]
L + M  ML (5.10) 4 K
(5.16)
Die Gleichgewichtskonstante K in den Konzentrations-
einheiten mol l−1 ist definiert als: Die beobachtete Reaktionswärme Q ist dann dieser
Ausdruck multipliziert mit der molaren Bindungsen-
K=
[ ML] = θ
(5.11)
thalpie für die Ligandenbindung ΔHBind:
[ Lf ][ M f ] (1 − θ ) [ Lf ]
∆ [ ML ]
Q= ·∆H Bind + ∆H Dil (5.17)
∆ [Lt ]
mit [ML], der Konzentration des Komplexes, [Mf], der
Konzentration des freien Makromoleküls und [Lf], der
Konzentration des freien Liganden, sowie θ, dem Bin- Der Term ΔHDil berücksichtigt etwaige Verdünnungs-
dungsgrad. Der Bindungsgrad θ entspricht dem Ver- wärmen der Ligandenlösung bei Injektion in die Pro-
hältnis aus der Konzentration [ML] des Komplexes ML belösung. Diese Größe kann separat durch eine Injek-
und der Gesamtkonzentration des Makromolekül [Mt]. tion der Ligandenlösung in Puffer bestimmt werden
Die Konzentrationen des freien Liganden und des freien oder ergibt sich aus den letzten Injektionspeaks
Makromoleküls sind mit der Gesamtkonzentration von (. Abb. 5.9).

L und M verknüpft über: Man kann nun auch das Experiment umdrehen, d. h.
die Lösung des Makromoleküls in die in der Zelle enthal-
[ Lf ] = [ L t ] − [ ML] (5.12) tene Lösung des Liganden titrieren. Dann muss Gl. 5.15
nach der Gesamtkonzentration des Makromoleküls ab-
geleitet werden, wobei [Lt] konstant ist. Man erhält:
[ M f ] = [ M t ] − [ ML] (5.13)
 1
2· [ M t ] + [ L t ] +  − [ L t ]
∆ [ ML ] 1  K
Setzt man dies in Gl. 5.11 ein, erhält man: = −
∆ [M t ] 2 1 1
2
· [ M t ] + [ L t ] +  − [ M t ][
· Lt ]
K=
[ ML] (5.14)

4 K
([ L t ] − [ ML]) ([ M t ] − [ ML]) (5.18)
70 A. Blume

Die beobachtete Reaktionswärme für die Bindung ist Daraus resultieren zwei Bindungskonstanten K1 und K2
dann analog zu Gleichung (Gl. 5.17):
K1 =
[ ML] (5.22)
∆ [ ML ] [ Lf ][ M f ]
Q= ·∆H Bind + ∆H Dil (5.19)
∆ [M t ]

wobei hier jedoch der Term ΔHDil der Verdünnungs-


K1 =
[ ML] (5.23)
wärme des Makromoleküls entspricht. [ Lf ][ M f ]
. Abb.  5.10 zeigt eine normierte Darstellung und

verschiedene simulierte Kurven. Die in . Abb. 5.10 dar-


und die sich daraus ergebenden Beziehungen

5 gestellte gestrichelte rote Kurve wurde mit dem oben


vorgestellten Bindungsmodell simuliert und angepasst.
Wie man sieht, bestehen erhebliche Abweichungen zwi-
[ L t ] = [ L] + [ ML] + 2 [ ML2 ] (5.24)
schen simulierter und experimenteller Kurve. Insbeson-
dere ergibt sich ein Stöchiometriefaktor N  =  1,34, der
darauf hinweist, dass das Molekül möglicherweise meh- [ M t ] = [ M ] + [ ML] + [ ML2 ] (5.25)
rere Bindungsplätze hat. Aus diesem Grunde wurden
noch zwei weitere Modelle verwendet, um die experi- Analog zur Ableitung für das einfache Bindungsmodell
mentellen Werte besser zu simulieren. Das zweite Bin- müssen jetzt die Gleichungen umgeformt werden, um
dungsmodell berücksichtigt eine sequenzielle Bindung einen Ausdruck für Δ[ML]/Δ[Lt] bzw. Δ[ML2]/Δ[Lt] zu
mit folgenden zwei Schritten: bekommen, die über analoge Gleichungen wie Gl. 5.17,
die die Bindungsenthalpien ΔH1bind und ΔH2bind enthal-
L + M  ML (5.20) ten, mit der beobachteten Wärme Q verknüpft sind.
Die in . Abb. 5.10 gezeigte durchgezogene rote Li-

nie wurde mit diesem sequenziellen Bindungsmodell be-


ML + L  ML 2 (5.21) rechnet. Sie passt deutlich besser und zeigt, dass es of-

..      Abb. 5.10  Normierte Kurve für die Bindung von Bindung von Tween 80 an BSA, 15 °C
Tween 80® an BSA (schwarze Quadrate). Die blaue
gestrichelte Kurve basiert auf der Simulation mit 0
einem einfachen Bindungsmodell. Die rote durchge-
zogene Kurve wurde mit einem Bindungsmodell, das
zwei unabhängige Bindungsplätze mit unterschied-
lichen Bindungskonstanten beinhaltet, berechnet. Modell: 1 Bindungsstelle
–2 Chi^2 = 7,578E4
Eine formal noch bessere ­Anpassung wird mit einem
N 1,34 ± 0,043
sequenziellen Bindungsmodell erhalten (schwarze
K 2,13E4 ± 3,2E3 M–1
gestrichelte Kurve), die ermittelten Parameter sind
∆H –1,224E4 ± 514 cal mol–1
jedoch nicht sinnvoll (s. Text)
∆S –22,7 cal mol–1 K–1
Q (in kcal mol–1)

–4 Modell: 2 Bindungsstellen, sequenziell


Chi^2 = 2,961E4
K1 3,14E5 ± 8,0E4 M–1
∆H 1 –1,021E4 ± 170 cal mol–1
∆S 1 –10,3 cal mol–1 K–1
–6
K2 5,98E3 ± 7,9E2 M–1
∆H 2 –7212 ± 366 cal mol–1
∆S 2 –7,74 cal mol–1 K–1
Modell: 2 Bindungsstellen, unabhängig
–8 Chi^2 = 7910
N1 0,264 ± 1,2
K1 2,30E3 ± 7,8E2 M–1
∆H 1 –2,521E4 ± 1,18E5 cal mol–1
∆S 1 –72,1 cal mol–1 K–1
–10 N2 1,14 ± 0,056
K2 9,58E4 ± 5,5E4 M–1
∆H 2 –1,032E4 ± 186 cal mol–1
∆S 2 –13,0 cal mol–1 K–1

0,0 0,5 1,0 1,5


Konzentration Tween 80 (in mM)
Mikrokalorimetrie
71 5
fenbar einen zweiten Bindungsplatz mit geringerer Rückschlüsse ziehen über die Art der Bindung, insbe-
Affinität gibt. sondere, ob ein Anteil der Affinität durch hydrophobe
Man könnte die experimentelle Kurve in . Abb. 5.10   Wechselwirkungen zwischen Liganden und Protein be-
auch mit zwei unabhängigen Bindungsplätzen beschrei- dingt ist. Die Verringerung der Exposition hydrophober
ben. Hier treten damit entsprechend zwei Bindungs- Oberflächen gegenüber dem Wasser bei der Bindung
gleichgewichte auf kann einen wesentlichen, wenn nicht sogar den Haupt-
anteil der Affinität ausmachen. Um dieses zu untersu-
L + M  MLa (5.26) chen, ist es wichtig, die Titrationsexperimente bei ver-
schiedenen Temperaturen durchzuführen und die
Kurven zu simulieren, um sowohl die Bindungskonstan-
L + M  ML b (5.27) ten als auch die Bindungsenthalpien zu ermitteln. In
. Abb. 5.12 sind beispielhaft Titrationskurven von ei-

mit den zwei Bindungskonstanten Ka und Kb: nem Protein (Staphylococcus Protein A, SpA) zu einer
Lösung mit einem Antikörper (IgG1) dargestellt.

Ka =
[ MLa ] ; Kb =
[ MLb ] (5.28)
Die Auswertung dieser Titrationskurven erfolgt mit-
hilfe der Simulation eines einfachen Bindungsmodells
[ Lf ][ M f ] [ Lf ][ M f ] zur Bestimmung der Bindungskonstante Ka. Danach
werden die Werte für die freie Standardbindungsenthal-
In . Abb. 5.10 ist die Simulation mit diesem Modell als

pie ΔG0, die Standardbindungsenthalpie ΔH0 und die
schwarze Kurve dargestellt. Sie passt am besten, führt Standardbindungsentropie ΔS0 mithilfe folgender ther-
aber zu unsinnigen Parametern, nämlich einem Stöchio- modynamischer Formeln berechnet:
metriefaktor für die erste Bindung von 0,264 mit einem
extremen Fehler ebenso wie einem Wert für ΔH1Bind, des- ∆G ° = − RT ln K a (5.29)
sen Fehler größer als der Absolutwert ist. Hier zeigt
sich, dass Simulationen, die bessere Fehlerquadratsum-
men liefern, nicht unbedingt sinnvoll sind.
Wenn die Bindungskonstanten sich bei der Bindung ∆G ° = ∆H ° − T ∆S ° (5.30)
von zwei Liganden sehr stark unterscheiden und mögli-
cherweise auch unterschiedliche Vorzeichen der Bin- In vielen Fällen zeigt sich eine Temperaturabhängigkeit
dungsenthalpie aufweisen, dann können Kurven mit der Bindungskonstanten Ka. Wenn man die thermody-
deutlich zu sehenden zwei Stufen auftreten. Ein Beispiel namischen Größen ΔG0, ΔH0 und ΔS0 berechnet, erhält
dafür ist in . Abb. 5.11 zu sehen, wo Kurven für eine
  man ein Bild wie in . Abb. 5.13 dargestellt.

sequenzielle Bindung von zwei Liganden berechnet wur- Wie man aus . Abb.  5.13 sieht, ändert sich die

den. Die Simulation wurde hier mit unterschiedlichen ­Bindungskonstante mit der Temperatur und hat ein Ma-
Verhältnissen der Bindungsenthalpien durchgeführt, die ximum bei 25 °C, bevor sie mit steigender Temperatur
sich um den Faktor 100 unterscheiden. wieder kleiner wird. Bei der Berechnung der freien Bin-
Aus der Temperaturabhängigkeit der Bindungskons- dungsenthalpie ΔG0 mit Gl. 5.29 ergibt sich eine fast li-
tanten und der Bindungsenthalpien kann man wichtige neare Beziehung mit der Temperatur durch die Bildung

..      Abb. 5.11 Simulierte Q/Konzentrations-Kurven 20


auf der Basis eines sequenziellen Bindungsmodells mit
unterschiedlichen Bindungskonstanten und Bindungs- 15
enthalpien. Bindung eines Liganden an ein Protein
(c = 10 mM) in zwei Stufen mit K1 = 106 M−1 und 10 ∆H1 = –15 kcal mol–1
K2 = 104 M−1 ∆H2 = +15 kcal mol–1
Q (in kcal mol–1)

–5 ∆H1 = –20 kcal mol–1


∆H2 = –5 kcal mol–1
–10

–15

–20

0 5 10 15 20 25 30
Ligandenkonzentration (in mM)
72 A. Blume

des Logarithmus von Ka. ΔH0 und –TΔS0 sind ebenfalls


0
linear von der Temperatur abhängig, haben jedoch ein-
mal eine negative (ΔH0) bzw. eine positive Steigung
(–TΔS0). Die negative Steigung von ΔH0 ermöglicht die
–100
Bestimmung der Änderung der molaren Wärmekapazi-
tät zwischen Protein und Protein-Ligand-Komplex:

( )
∆C p = ∆H T0 2 − ∆H T01 / (T2 − T1 )

(5.31)
–200
Temperatur
Aus dem Vorzeichen und der Größe von ΔCp lassen sich
Q (in kJ mol–1 SpA)

5 °C
5 Informationen über die Art der Bindung zwischen Pro-
15 °C
tein und Liganden ermitteln. Ausgeprägte negative Werte
–300 25 °C von ΔCp deuten darauf hin, dass die Bindung des Ligan-
35 °C den sehr stark durch hydrophobe Wechselwirkungen ge-
45 °C trieben ist, also durch die Verringerung der Exposition
–400 hydrophober Oberflächen beim Protein-Ligand-Kom-
55 °C
plex im Vergleich zum ungebundenen Zustand.
60 °C

–500 5.2.2  indung von Molekülen


B
an Membranen: Einbau und
periphere Bindung
0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 Die ITC wird auch weit verbreitet zum Studium des
molares Verhältnis [SpA]/[lgG1] Einbaus von hydrophoben oder amphiphilen Molekü-
len in Membranen benutzt. Im Prinzip verlaufen die Ex-
..      Abb. 5.12  Kalorimetrische Titrationskurven für die Bindung perimente ähnlich wie bei der Untersuchung der Bin-
von Staphylococcus Protein A (SpA) an IgG1 bei verschiedenen
dung von Liganden an Proteine. Entweder wird das
Temperaturen. (Nach Arouri et al. 2007)
hydrophobe bzw. amphiphile Molekül zu einer Suspen-

600

300 ∆H 0
–T∆S 0
Energie (in kJ mol–1)

∆G 0
40
Ka
0
30
K a • 10–7 (in M–1)

20
–300

10
∆c p = –6,42 kJ mol–1 K –1

0 –600
0 10 20 30 40 50 60 70 0 10 20 30 40 50 60 70
A Temperatur (in °C) B Temperatur (in °C)

..      Abb. 5.13  Temperaturabhängigkeit der Bindungskonstanten Ka A und der thermodynamischen Funktionen ΔG0, ΔH0 und –TΔS0 B.
(Nach Arouri et al. 2007)
Mikrokalorimetrie
73 5
sion von Lipidvesikeln gegeben oder das umgekehrte Mit DW = Dt − De (Dt ist die Gesamtkonzentration) und
Experiment gemacht. Dabei muss wieder darauf geach- DW + W ≈ W erhält man:
tet werden, dass man die richtigen Konzentrationsver-
hältnisse wählt. In diesem Fall gibt es aber keine defi- 1  P ( Dt − L ) − W + 
nierten Bindungsplätze, das heißt keine einfache De =  
2 P  P ( Dt + L ) − 2 ·P ·W ( Dt − L ) + W 
2 2 2
Stöchiometrie, sondern das Molekül baut sich in die  
Membran ein unter Zunahme der Membranfläche. Die- (5.36)
ser Prozess ist allerdings nicht bis zu beliebigen Verhält-
nissen der Konzentration von Lipiden zu Ligand mög- Bei einem Experiment, bei dem die Lipidvesikelsuspen-
lich, weil die Lipidmembran nicht beliebig viele sion zur Lösung der hydrophoben Moleküle gegeben
Moleküle aufnehmen kann, ohne dass ein Zerfall oder wird, muss man die Änderung von De nach Zugabe von
eine Umwandlung der Membran in eine andere Aggre- ΔL Molen Lipid berechnen:
gationsform, z. B. Micellen, stattfindet. Wenn diese Um-
wandlung nicht erwünscht ist und dezidiert der Einbau ∆De 1 P · ( Dt + L ) + W
untersucht werden soll, dann muss man die Konzentra- =− +
tionsverhältnisse so wählen, dass immer ein Lipidüber- ∆L 2 2 · P 2 · ( D + L )2 + 2 · P · W · ( L − D ) + W 2
t t

schuss vorhanden ist, d.  h., dass das effektive molare
(5.37)
Verhältnis Lipid/Ligand in der Membran möglichst
größer als ca. 10 ist. Zur Berechnung dieses effektiven Die beobachtete Reaktionswärme Q ergibt sich dann zu:
Verhältnisses braucht man die Bindungskonstante bzw.
den Verteilungskoeffizienten des Moleküls zwischen ∆De
Wasser und Membran. Dieser wiederum kann aus den Q= · ∆H T + ∆H Dil (5.38)
∆L
ITC-Experimenten bestimmt werden. Die mathemati-
schen Ausdrücke zur Berechnung der ITC-Kurven sind
mit ΔHT als der molaren Enthalpie für den Transfer des
ähnlich wie beim einfachen Bindungsmodell in Gl. 5.10
Moleküls von Wasser in die Lipidmembran und ΔHDil,
und folgende, nur dass statt einer Bindungskonstante
der Verdünnungswärme der Vesikel. ΔHT wird nun mit
ein Verteilungskoeffizient verwendet wird. Der Vertei-
einer nichtlinearen Anpassung der berechneten Kurve
lungskoeffizient P des Moleküls zwischen Membran
an die experimentellen Werte errechnet, mit ΔHT und P
und Wasser wird am besten über das Verhältnis der Mo-
als anpassbaren Parametern. ΔHDil kann aus einem se-
lenbrüche definiert:
paraten Experiment der Vesikelinjektion in einen Puffer
xe bestimmt werden.
P= (5.32) . Abb. 5.14 zeigt ein Experiment dieser Art für den

xW Einbau des Detergens Octylglucosid (OG) in Lipidvesi-


kel aus Dimyristoylphosphatidylcholin (DMPC). Bei
mit xe, dem Molenbruch des hydrophoben Moleküls in diesem Experiment wurden Lipidvesikel einer Konzent-
der Membran, bzw. xW, dem Molenbruch in Wasser: ration von 30 mM DMPC zu einer Lösung von 3 mM
Octylglucosid hinzutitriert. Die beim Einbau des Deter-
De gens in die Lipidmembran beobachteten Wärmeeffekte
xe = (5.33)
De + L nehmen mit zunehmender Injektionszahl in charakteris-
tischer Weise ab. Normiert man die beobachteten Re-
aktionswärmen auf die Menge an zugegebenen Lipid,
DW dann können die Werte mit dem oben genannten Ver-
xW = (5.34) teilungsmodell analysiert werden (Gl. 5.38). Aus diesem
DW + W
Modell ergibt sich für das gezeigte Beispiel ein Vertei-
lungskoeffizient P = 3480 und eine Reaktionsenthalpie
De ist dabei die Konzentration des hydrophoben Mole-
von −2,16  kcal  mol−1 für den Transfer des Detergens
küls in der Doppelschicht und DW in Wasser, wobei
von Wasser in die Lipidmembran.
beide Werte auf das Gesamtvolumen der Probe bezogen
Titriert man das hydrophobe Molekül zu den Vesi-
sind. L ist die Lipidkonzentration und W die des Was-
keln, dann ergibt sich aus Gl. 5.36:
sers (55,55  mol  l−1). Somit ergibt sich für den Vertei-
lungskoeffizienten:
∆De 1 P · ( Dt + L ) − W
=+ +
De · ( DW + W ) ∆Dt 2 2 · P 2 · ( D + L )2 + 2 ·P · W · ( L − D ) + W 2
P= (5.35)
t t

( De + L )· DW (5.39)
74 A. Blume

1 3 mM OG + 50 mM DMPC 0
Differenzheizleistung (in µcals–1)

0 –100

Q (in cal mol–1 DMPC)


–1 –200
–2
–300
–3 T = 70 °C
–400
P = 3479
–4 ∆HT = –2,16 kcal mol–1
–500
–5
–600
5 0 50 100 150 200 250 300 0 2 4 6 8 10
A Zeit (in min) B DMPC (in mM)

..      Abb. 5.14  A Experimentelle ITC-Kurve für die Titration von gene rote Kurve ist eine Anpassung, basierend auf einem Vertei-
DMPC-Lipidvesikeln in eine Detergenslösung aus Octylglucosid lungsmodell des Detergens OG zwischen Wasser und Lipidmembran
(OG). Der auftretende Wärmeeffekt entsteht durch den Einbau von (s. Text). Der ermittelte Verteilungskoeffizient ist P und die Transfer-
OG-Molekülen in die Lipidmembran. B Normierte ITC-Kurve für enthalpie für den Einbau von OG aus Wasser in die Membran ist
den Einbau von OG in DMPC-Lipidmembranen. Die durchgezo- ΔHT. (Nach Keller et al. 1997)

und analog erhält man für die Reaktionswärme Q: nämlich nur peripher an der Oberfläche der Membran
gebunden, ohne in die Membran eingelagert zu werden.
∆De Als Beispiel sei hier die Bindung eines Modellpep-
Q= · ∆H T + ∆H Dil (5.40)
∆Dt tids, nämlich Pentalysin (Lys5), an negativ geladene

unilamellare Lipidvesikel aus dem Phospholipid Di-
Das oben beschriebene Model geht von einem idealen Mi- myristoylphosphatidylglycerol (DMPG) genannt.
schungsverhalten des in die Membran eingebauten Mole- Pentalysin hat fünf positiv geladene Seitenketten.
küls aus, d. h., dass P nicht von xe abhängt. Dies ist jedoch Aufgrund dieser positiven Ladung bindet es durch
häufig nicht der Fall, sodass man eine Abhängigkeit von P elektrostatische Wechselwirkung an die DMPG-Mem-
von der Beladung der Membran bekommt. In diesem Fall branen. Die eigentliche elektrostatische Wechselwir-
kann man einen Nichtidealitätsparameter ρ für die Vertei- kung ist nur mit marginalen Wärmeeffekten verknüpft,
lung in die Membran einführen. Für P ergibt sich dann: die auftretenden Bindungswärmen resultieren haupt-
sächlich von anderen Prozessen, insbesondere Ände-
 (1 − x )2  rungen der Hydratation der Membrangrenzfläche und
P = P ( xe = 1) ·exp  − ρ e
 (5.41) des Peptids.
 RT 
 In . Abb. 5.15 ist eine ITC-Titrationskurve für die

Bindung an fluide Lipidvesikel gezeigt. Wie man aus


mit P(xe = 1), dem Verteilungskoeffizienten für die ide- der sigmoidalen Änderung der Reaktionswärme sieht,
ale Mischung. Die Analyse der experimentellen Kurven ergibt sich eine Sättigung in der Bindung bei einem stö-
wird dann schwieriger, weil eine einfache analytische chiometrischen Verhältnis von ca. 5. Dies bedeutet,
Darstellung von Q als Funktion der zugegebenen Menge dass alle DMPG-Moleküle für Lys5 zugänglich sind,
nicht mehr möglich ist. Die detaillierte Analyse ist in der d. h. während der Titration der Lipidvesikel in die Pep-
Originalliteratur bzw. neueren Übersichtsartikeln nach- tidlösung werden die Vesikel durchlässig für das Penta-
zulesen (Weiterführende Literatur). peptid und somit auch die Innenseite der Lipidvesikel
Für biologische und Modellmembranen ist die Un- zugänglich. Dies kann durch zeitweilige Porenbildung
tersuchung der Bindung von Peptiden und Proteinen an der Vesikel geschehen oder durch komplettes Aufbre-
Membranen von großem Interesse. Wenn die Bindungs- chen der Vesikel nach Bindung des Pentapeptids. Tem-
affinität im Wesentlichen durch elektrostatische Wech- peraturabhängige Messungen ergeben, dass dieser Ef-
selwirkungen hervorgerufen wird, dann ist die Analyse fekt bei tieferer Temperatur nicht auftritt, d.  h., dass
der Titrationskurven relativ einfach, insbesondere dann, dann die Vesikel das Pentapeptid nur auf der Außen-
wenn keine Korrekturen aufgrund von elektrostatischen seite binden.
Doppelschichteffekten an der Membran notwendig Die Analyse der Titrationskurven kann mit einem
sind. Dieses ist meistens der Fall, wenn die Ionenstärke Bindungsmodell analog Gl.  5.16 erfolgen, sodass die
der Lösung einer physiologischen Kochsalzlösung ent- Gleichgewichtskonstante Ka aus der Reaktionsglei-
spricht. In diesem Fall werden die Peptide oder Proteine chung:
Mikrokalorimetrie
75 5
Spritze: DMPG (0,1 M NaCl, pH 7)
Zelle: Lys5 (0,1 M NaCl, pH 7)
Differenzheizleistung (in µJ s–1)

0 0

Q (in kJ mol–1 DMPG)


–5
–1
–10

–15 –2

T = 50 °C
–20
–3
–25
0 50 100 150 200 0 5 10 15 20
A Zeit (in min) B molares Verhältnis DMPG:Lys5
..      Abb. 5.15  A Experimentelle ITC-Kurve für die Titration von uni- gative geladene Lipidmembran verbunden mit Änderungen der Hyd-
lamellaren Lipidvesikeln aus DMPG zu einer Lösung des kationi- ratation der Membranoberfläche. B Normierte ITC-Kurve für die
schen Pentapeptids Lys5. Der auftretende Wärmeeffekt entsteht durch Bindung von Lys5 an die negativ geladene DMPG-Membran
die elektrostatische Bindung des kationischen Pentapeptids an die ne-

Lys5 + PG 5  ( Lys5 · PG 5 ) (5.42) 5.3  ressure Perturbation Calorimetry


P

(PPC)
sich als folgender Ausdruck darstellt:
Eine weitere kalorimetrische Methode, die in den letzten
( Lys5 · PG 5 )  Jahren eingeführt wurde, ist die Pressure Perturbation
Ka =  (5.43) Calorimetry (PPC). Bei dieser Methode wird ein DSC-­
[ Lys5 ][ PG 5 ] Gerät wie z. B. das MicroCal VP-DSC verwendet, das
sehr langsam aufgeheizt wird und bei dem zusätzlich die
Aus der Analyse der in . Abb. 5.15 dargestellten Kurve   Zelle kurzzeitig unter einen Überdruck von ca. 4–5 bar
ergibt sich eine Bindungskonstante Ka von ca. 2 · 105 M−1 gesetzt und anschließend der Überdruck wieder schnell
und eine Bindungsenthalpie ΔH0 von −28 kJ mol−1 be- heruntergesetzt wird. Bei diesen Drucksprüngen ent-
zogen auf Lys5. steht jeweils ein Wärmefluss δQrev, aus dem der thermi-
Wie schon oben erwähnt, besteht der große Vorteil sche Ausdehnungskoeffizient der Lösung bestimmt wer-
der Titrationskalorimetrie darin, dass gleichzeitig zwei den kann, da bei der geringen Druckdifferenz die
thermodynamische Größen bestimmt werden können, Vorgänge weitestgehend reversibel sind. Der Wärme-
nämlich die Gleichgewichtskonstante und die Standard- fluss ist nach den Maxwell-Beziehungen mit dem ther-
reaktionsenthalpie. Damit ist es möglich, auch die ande- mischen Ausdehnungskoeffizienten verknüpft:
ren thermodynamischen Größen mithilfe der Gl.  5.29
und 5.30 zu berechnen.  ∂Qrev   ∂V 
  = −T   (5.44)
Die Interpretation der Messgrößen bzw. berechneten  ∂p T  ∂T  p
thermodynamischen Größen im Sinne molekularer In-
terpretationen ist nicht immer einfach und kann auch Durch Vergleich mit dem thermischen Ausdehnungsko-
mehrdeutig sein. Um zusätzliche Informationen zu er- effizienten des Puffers kann der thermische Ausdeh-
halten, ist es daher von Vorteil, die Messungen bei ver- nungskoeffizient des gelösten Proteins bestimmt werden,
schiedenen Temperaturen durchzuführen, da die Reak- und zwar punktweise bei verschiedenen Temperaturen.
tionsenthalpien häufig stark von der Temperatur Aus der Integration des thermischen Ausdehnungskoef-
abhängig sind gemäß Gl. 5.31. Diese Temperaturabhän- fizienten über den Temperaturbereich der thermisch in-
gigkeit ist auf Unterschiede in der Wärmekapazität ΔCp0 duzierten Entfaltung lässt sich schließlich die apparente
zwischen Edukten und Produkten bedingt. In wässrigen Volumenänderung berechnen. Die PPC ist keine Routi-
Systemen kann dabei die unterschiedliche Hydratation nemethode, da das Experiment sehr zeitaufwendig ist.
der Edukte und Produkte eine der Hauptursachen für Zudem ist die Analyse der Daten schwierig, ebenso die
die beobachteten ΔCp0-Werte sein, wie bereits erwähnt. Interpretation. Dies liegt daran, dass die thermischen
76 A. Blume

Ausdehnungskoeffizienten und die Volumenänderung Danforth R, Krakauer H, Sturtevant JM (1967) Differential calori-
nicht nur durch das Protein selbst, sondern auch stark metry of thermally induced processes in solution. Rev Sci In-
strum 38:484–487
durch die Hydratation und ihre Änderung bedingt sind. Feig AL (Hrsg) (2016) Calorimetry. Methods Enzymol, Bd 567. El-
Nähere detaillierte Beschreibungen sind in Übersichts- sevier Inc., Amsterdam/New York
artikeln zu finden (Weiterführende Literatur). Feng J, Svatoš V, Liu X, Chang H, Neužil P (2018) High-perfor-
mance microcalorimeters: design, applications and future de-
velopment. TrAC, Trends Analyt Chem 109:43–49
Freyer MW, Lewis EA (2008) Isothermal titration calorimetry: ex-
Literatur und Weiterführende Literatur perimental design, data analysis, and probing macromolecule/
ligand binding and kinetic interactions. Methods Cell Biol
Arouri A, Garidel P, Kliche W, Blume A (2007) Hydrophobic inter- 84:79–113
actions are the driving force for the binding of peptide mimoto- Hemminger W, Höhne G (1984) Calorimetry. Fundamentals and
5 pes and Staphylococcal protein A to recombinant human IgG1. practice. Verlag Chemie, Weinheim
Eur Biophys J 36(6):647–660 Plotnikov VV, Brandts JM, Lin L-N, Brandts JF (1997) A new ultra-
Keller M, Kerth A, Blume A (1997) Thermodynamics of interaction sensitive scanning calorimeter. Anal Biochem 250:237–244
of octyl glucoside with phosphatidylcholine vesicles: partitio- Privalov PL, Ptitsyn OB, Birshtei TM (1969) Determination of stabi-
ning and solubilization as studied by high sensitivity titration lity of the DNA double helix in an aqueous medium. Biopoly-
calorimetry. Biochim Biophys Acta 1326(2):178–192 mers 8:559–571
Schweiker KL, Makhatadze GI (2009) Use of pressure perturbation
Weiterführende Literatur calorimetry to characterize the volumetric properties of prote-
Bastos MA (Hrsg) (2016) Biocalorimetry: foundations and contem- ins. Methods Enzymol 466:527–547
porary approaches. CRC Press, Boca Raton Spink CH (2008) Differential scanning calorimetry. Methods Cell
Blume A, Garidel P (1999) Lipid model membranes and biomembra- Biol 84:115–141
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calorimetry, From macromolecules to man, Bd 4. Elsevier Press, ment of binding constants and heats of binding using a new tit-
Amsterdam, S 109–173 ration calorimeter. Anal Biochem 179:131–137
77 6

Immunologische Techniken
Hyun-Dong Chang und Reinhold Paul Linke

Inhaltsverzeichnis

6.1 Antikörper – 78
6.1.1  ntikörper und Immunabwehr – 78
A
6.1.2 Antikörper als Reagens – 78
6.1.3 Eigenschaften von Antikörpern – 79
6.1.4 Funktionelle Struktur von IgG – 81
6.1.5 Antigenbindungsstelle (Haftstelle) – 82
6.1.6 Handhabung von Antikörpern – 83

6.2 Antigene – 84

6.3 Antigen-Antikörper-Reaktion – 85
6.3.1 I mmunagglutination – 86
6.3.2 Immunpräzipitation – 87
6.3.3 Immunbindung – 97

6.4 Komplementfixation – 106

6.5 Methoden der zellulären Immunologie – 106


6.5.1 I mmunhistochemie, Immuncytochemie – 106
6.5.2 Durchflusscytometrie – 108
6.5.3 Serielles Zellsortierverfahren – 111
6.5.4 Parallele Zellsortierverfahren – 111

6.6 Herstellung von Antikörpern – 112


6.6.1  rten von Antikörpern – 112
A
6.6.2 Ausblick: künftige Erweiterung der Bindungskonzepte – 114

Literatur und Weiterführende Literatur – 115

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_6
78 H.-D. Chang und R. P. Linke

55 Die Immunanalytik basiert auf der hohen Spezifität


von Antikörpern für alle nur erdenklichen Strukturen, Humoral-zelluläre Immunität
wie Proteinen, Kohlenhydraten und Glykolipiden. Der Schutz der Vertebraten vor mikrobieller und vira-
55 Spezifische Antikörper können auf natürliche Weise ler Invasion basiert auf zwei Säulen:
durch Immunisierung, aber auch durch rein syntheti- 55 humorale Immunantwort: In der Extrazellularflüs-
sche Methoden in großen Mengen generiert werden sigkeit (Blutplasma, Sekrete und Gewebewasser)
und stehen für den quantitativen, aber auch präparati- befindliche lösliche Antikörper, mithilfe derer ein
ven Nachweis für eine potenziell unbegrenzte Anzahl Schutz auf ein anderes Individuum übertragbar ist
von Analyten zur Verfügung. (passive Immunisierung, eingeführt durch Emil von
55 Durch signalverstärkende Markierungen der Antikör- Behring, Nobelpreis 1902).
per, wie Fluoreszenz oder Enzyme, oder deren Bindung 55 zelluläre Immunantwort: Verschiedene Immunzel-
an eine feste Phase können kleinste Mengen von Ana- len des blutbildenden Systems, die an ihrer Oberflä-
lyten nachgewiesen und angereichert werden. Somit che zellständige Rezeptoren und chemisch verwand-
6 gehört die Immunanalytik zu den sensitivsten Nach- te Erkennungsstrukturen für Teile von eindringenden
weismethoden überhaupt. Fremdorganismen tragen. Auch dieser Schutz ist
55 Techniken, wie Immunpräzipitation, Enzyme-Linked übertragbar, allerdings nur über die Immunzellen
Immunosorbent Assay (ELISA), Western-Blot, Immun- selbst.
histochemie, Durchflusscytometrie und deren Weiter-
entwicklungen, erlauben die Analyse von komplexen
Gemischen, Geweben und Zellen und finden Anwen- Antikörper stellen im Wesentlichen Rezeptoren dar, die der
dung in allen Bereichen der Bioanalytik. spezifischen Erkennung, Neutralisierung und Markierung
(Opsonisierung) von körperfremden Strukturen und Orga-
Dank ihrer hohen Spezifität in der Erkennung von allen nismen dienen, mit dem Ziel, Fremdes zur Aufrechterhal-
möglichen molekularen Strukturen, vor allem auch von tung der Integrität des Organismus zu eliminieren, ohne bei
solchen, die sich nur geringfügig unterscheiden, haben dieser Aktion den Organismus selbst in Mitleidenschaft zu
Antikörper eine steigende Bedeutung in der Bioanaly- ziehen. Um der gewaltigen Anzahl unterschiedlicher Spe-
tik, aber auch als Therapeutika gewonnen. Da die In- zies von Mikroorganismen, die dank ihrer sehr kurzen Ge-
duktion und Synthese von Antikörpern in vivo ein sehr nerationszeit und ihrer großen Wandelbarkeit durch ge-
komplexer, in der Immunologie abgehandelter Vorgang netische Mutationen alle nur denkbaren Lebensräume
ist, sollen hier einige für das Verständnis der Synthese, einnehmen konnten, entgegentreten zu können, haben die
Struktur und Funktion von Antikörpern wichtige As- langlebigen Vertebraten ein adaptives Immunsystem ent-
pekte erläutert werden. Diese Übersicht beschäftigt sich wickelt, dessen Spezifitäten nicht von Generation zu Gene-
vor allem mit dem Einsatz von Antikörpern als analyti- ration vererbt werden, sprich in der Keimbahn angelegt
sches Reagenz in einer großen Fülle von immunologi- sind. Stattdessen ist das adaptive Immunsystem in der
schen Nachweisverfahren für unzählige Aufgaben, bis Lage, in jedem Individuum wieder neu über somatische
hin zu adaptierten und vollsynthetischen Immunthera- Rekombination, d. h. zufällige Rekombination von Gen-
peutika. fragmenten des Immunglobulingens, eine schier unbe-
grenzte Anzahl von Rezeptoren, Antikörper, zu generieren.
Dieses Immunsystem ist im Hinblick auf die möglichen
Spezifitäten so breit angelegt, dass nicht nur Antikörper
6.1  Antikörper spezifisch für die in der Evolution entstandene große Fülle
neu entstandener Mikroorganismen generiert werden, son-
6.1.1 Antikörper und Immunabwehr dern auch Antikörper gegen praktisch jede im Labor syn-
thetisch hergestellte Substanz generiert werden können.
Unter dem Begriff Antikörper versteht man lösliche
und zellgebundene multifunktionelle Glykoproteine
von Vertebraten, die im Wesentlichen der Abwehr von 6.1.2 Antikörper als Reagens
Mikroorganismen und Viren dienen. Dabei bindet der
Antikörper Mikroorganismen oder deren Toxine nach Antigen
dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Antikörper, auch Im- Das Antigen ist nicht durch eine chemische Konfigu-
munglobuline genannt, sind die Effektormoleküle des ration definiert, sondern durch die Existenz eines
sog. humoralen Arms des adaptiven Immunsystems Antikörpers, der an dieses Molekül bindet. Antigene
und gehören zur Proteinfamilie mit einer der größten können Proteine, Polysaccharide, Glykolipide, oder
chemischen Diversitäten, die in der Evolution erreicht jegliche andere Substanz sein.
wurden.
Immunologische Techniken
79 6
Die Bindung von Antikörpern an ihre Zielstruktur, das anwendbar, die hier zum Teil im Detail beschrieben sind.
Antigen, auch Antigen-Antikörper-Reaktion genannt, Antikörper sind di- (z. B. IgG), tetra- (IgA) bis dekavalent
über die fremde Organismen in vivo erkannt und elimi- (IgM) und kreuzvernetzen natürliche multivalente Anti-
niert werden können, kann in einfachen Experimenten gene (. Abb. 6.5). Die wachsenden Immunkomplexe ver-

seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts in  vitro lieren durch Aggregatbildung ihre Löslichkeit und fallen
nachvollzogen werden. Karl Landsteiner (Nobelpreis als weiße Niederschläge aus, was Präzipitation genannt
1930) konnte als Erster die exorbitant große Zahl von wird (7 Abschn. 6.3.2). IgM und IgG binden und aktivie-

unterschiedlichen Spezifitäten von Antikörpern nach- ren nach Antigenbindung auch Komplement und führen
weisen und zeigen, dass Antikörper sogar unterschiedli- dadurch schließlich zur vicinalen Zellmembranlyse und
che Konformationen von Antigenen und Stellungsiso- zur Aktivierung auch anderer Funktionen (7 Abschn. 6.4).

mere wie z.  B. ortho- und meta-Nitrophenyl-­Reste Die Zellbindung durch Antikörper führt zu Nachfolgere-
unterscheiden können. aktionen wie z. B. Phagocytose und zellvermittelter Cyto-
Die Antigen-Antikörper-Reaktion wird mittlerweile toxizität (7 Abschn. 6.5).

genutzt, um alle nur denkbaren Antigene, aber auch An-


Isotyp
tikörper selbst zu identifizieren, zu quantifizieren und zu
isolieren. Mithilfe von Antikörpern ist es gelungen, eine Homologe, näher verwandte Proteine, die in duplizier-
große Zahl von Proteinen sicher zu identifizieren und da- ten Strukturgenen (an verschiedenen Genorten!) co-
mit den Weg zu deren Funktionsaufklärung zu ebnen. diert sind und alle in einem Individuum koexprimiert
Antikörper haben sich in allen Sparten der Biowis- werden. Beispiele: die Immunglobuline A, D, E, G und
senschaften als ideales Reagens durchgesetzt, da der M, die IgG-Subklassen 1–4 oder die zwei Immunglo-
Nachweis einer großen Zahl von Proteinen und anderer bulin-Leichtketten λ und κ mit ihren Subgruppen (Al-
Substanzen nur ein einziges Nachweisprinzip, nämlich lotyp).
die Antigen-Antikörper-Reaktion, benötigt. Da solche
Immunassays relativ leicht handhabbar und verlässlich
sind, haben sie sich vielfach auch für die Automatisie- Klon, klonal, monoklonal
rung als tauglich erwiesen. Vermehrt sich eine Zelle ohne weitere Differenzierung
Das Ziel dieses Kapitels ist es, einige wichtige Prinzi- durch fortlaufende Zellteilung mit der Generierung
pien der Antigen-Antikörper-Reaktion darzustellen, die identischer Tochterzellen, so spricht man von klona-
die Natur für die Immunabwehr entwickelt hat und die lem Wachstum. Das Resultat ist die Bildung eines Zell-
von Wissenschaftlern und Anwendern in der Medizin klons. Jede Zelle eines Antikörper bildenden Klons
und in der Industrie in Form von mannigfaltigen Test- synthetisiert den gleichen Antikörper, den man mono-
verfahren für analytische, diagnostische, therapeutische klonal nennt.
und präparative Zwecke genutzt werden.
Nach einer kurzen Darstellung der Struktur und
Charakteristika der Antikörper und Antigene sowie der
Antigen-Antikörper-Reaktion werden typische immu- Obwohl IgA bei Säugern das am meisten produzierte
nologische Techniken abgehandelt und auf die Herstel- Immunglobulin im Körper ist, ist sein Einsatz als ana-
lung von Antikörpern, insbesondere auch auf das mo- lytisches Reagens nur auf spezielle Fragestellungen be-
derne Engineering von Antikörpern bis hin zur grenzt. Es kommt vor allem auf Schleimhautoberflä-
Herstellung vollsynthetischer Antikörper, eingegangen. chen des Verdauungstraktes, der Lungen, in Sekreten
exokriner Drüsen sowie im Blutplasma vor und ist i. A.
weniger gut zugänglich. IgA stellt, im Gegensatz zu IgG
6.1.3 Eigenschaften von Antikörpern (s. unten), aber nur 15  % der Plasma-Immunglobuline
dar und kann als Monomer (160 kDa), Dimer (390 kDa),
Im Organismus von Säugern werden fünf Antikörperklas- sekretorisches Dimer (385  kDa) und höhere Polymere
sen, Immunglobulin M, D, G, E, A, abgekürzt IgM, IgD exprimiert werden.
usw., unterschieden, die alle gleichzeitig im Plasma eines IgM ist ein dekavalentes, pentameres Immunglobulin
einzigen Individuums vorkommen und Isotypen genannt von 970  kDa Größe, das etwa 7  % der Plasma-­
werden. Es muss jedoch betont werden, dass die Zusam- Immunglobuline ausmacht. Wegen seiner Größe ist es
mensetzung der Immunglobuline (Ig) im Plasma, in exo- weniger gut löslich und lässt sich bereits durch zehnfache
krinen Sekreten und in den Geweben differiert und dass je Verdünnung mit Aqua bidest. aus Vollserum reversibel
nach Art der Immunisierung bzw. der Immunantwort ausfällen. Seine Adsorption an alle möglichen Oberflä-
unterschiedliche Immunglobulinklassen induziert werden. chen kann mannigfache unspezifische Bindungen hervor-
Die Funktionen der Antikörper sind sehr vielfältig. Eine rufen. Daher ist, wie bei IgA, auch bei IgM die Anwen-
Reihe dieser Funktionen sind in Form von Standardtests dung auf bestimmte Fragestellungen beschränkt.
80 H.-D. Chang und R. P. Linke

IgD (180 kDa) und IgE (190 kDa) sind Antikörper, Das IgG übertrifft mengenmäßig im Plasma und Extra-
die zum größten Teil auf der Oberfläche von Lymphocy- zellularraum  – nicht jedoch auf den Schleimhautober-
ten, Basophilen und Mastzellen gebunden sind. Sie sind flächen  – alle anderen Immunglobuline (ca.  75  % aller
nur in Spuren (0,5 % und 0,002 % der Immunglobuline) Immunglobuline) und repräsentiert den analytischen
im Plasma vorhanden. Als analytischer Antikörper hat Antikörper der Immunchemie. IgG-Antikörper sind,
IgD keine Bedeutung. IgE hingegen vermittelt allergi- wie die anderen Antikörper-Isotypen, durch Immunisie-
sche Reaktionen und wird insbesondere für die Diag- ren in Tieren induzierbar und über eine Gefäßpunktion
nose von Allergien genutzt. aus dem Serum leicht zu gewinnen und daher einfach
zugänglich (7 Abschn. 6.6). Außerdem sind sowohl die
Fc-Rezeptoren

mithilfe von Adjuvans induzierten polyklonalen Anti-


Bindungsstrukturen auf Zelloberflächen von z. B. Mo- körper von Versuchstieren als auch die entsprechenden
nocyten und Lymphocyten, die an den Fc-Teil eines monoklonalen Antikörper (7 Abschn.  6.6) meist vom

Antikörpers binden (. Abb.  6.1). Der Fc-Rezeptor



IgG-Typ.
6 bindet (durch Antigene oder Aggregation) kreuzver- Als Monomer von 150 kDa Größe ist IgG kleiner als
netzte Antikörper. Diese Bindung hat eine Reihe von die Vertreter der anderen Immunglobulin-Klassen. Es
wichtigen Abwehrfunktionen, z.  B.  Phagocytose und gibt vier Isotypen von IgG beim Menschen (IgG1, 2, 3
antikörpervermittelte Cytotoxizität, zur Folge. und 4) und fünf bei der Maus (IgG1, 2a, 2b, 2c, und 3).
Die IgG-Isotypen tragen auch eine Reihe von allotypi-

hv1
hv2 H
variabel (V)

Paratop
hv3
L
V=
Fv
hv1 VH + VL
hv2 Fab
hv3 F(ab')2
C1 =
CH1 + CL
Papain Facb
Hinge
konstant (C)

Pepsin
C2 =
CH2 + CH2
Pepsin Fc
Papain
C3 =
pFc'
CH3 + CH3

H H
Module = Fragmente
2 Domänen
Disulfidbrücken der Homologieregionen
Disulfidbrücken, welche die H-Ketten bzw. die H- und die L-Kette miteinander verbinden
Polysaccharid
Spaltstellen der angegebenen Enzyme
hypervariable Region der H- und L-Kette

..      Abb. 6.1  Schematischer Aufbau und Funktionen eines IgG-­ riablen Modul (V) und den konstanten Modulen (C) gebildet.
Moleküls. Ein IgG-Molekül besteht aus zwei identischen schweren (H, V (VH + VL) ist das paratoptragende Modul mit den jeweils drei hy-
50 kDa) und zwei identischen leichten (L, 24 kDa) Polypeptidketten, pervariablen Regionen sowohl der H-Kette als auch der L-Kette, die
die über Disulfidbrücken kovalent miteinander verbunden sind. Es ent- den Epitopkontakt mit dem Antigen herstellen; C1 (CH1 + CL1) ver-
stehen zwei kovalent gebundene, funktionell identische Einheiten mittelt die Bindung der Komplementkomponente C4b; C2 (CH2 + CH2)
[2 · (H + L) zu je 75 kDa], auf denen die für die Funktion so wichtige vermittelt die Komplementaktivierung und bestimmt den metaboli-
Bivalenz beruht. Diese monovalenten Einheiten sind in der Hinge- schen Abbau und die Protein-A-Bindung (zusammen mit C3), C2 ent-
(Türangel-)Region über mehrere Disulfidbrücken verbunden. Diese hält eine strukturbildende Polysaccharidkomponente. Das C3-Modul
Anordnung erlaubt es, den Winkel zwischen den Fab-Fragmenten (für (CH3 + CH3) vermittelt zusammen mit C2 die Bindung auf Zellober-
eine bessere Antigenbindung) stark zu ändern. Die Module sind als flächen und induziert zelluläre Immunantworten via Fc-­Rezeptoren.
globuläre Einheiten dargestellt, die aus je zwei Domänen aufgebaut Eine Trennung der verschiedenen Module durch limitierte Verdauung
sind. Das Immunglobulin-Molekül wird von einem N-terminalen va- mithilfe etwa von Papain und Pepsin ist angegeben
Immunologische Techniken
81 6
schen, nach Gregor Mendel vererbbaren Mutationen, 6.1.4 Funktionelle Struktur von IgG
die als Gm-Faktoren bezeichnet und für genetische Stu-
dien herangezogen werden. Zunächst muss angemerkt werden, dass sich alles im
Allotyp Folgenden Gesagte im Wesentlichen auf die IgG-­
Antikörper bezieht. Im Jahre 1967 hat Gerald Edelman
Variante mit einem oder mehreren Aminosäureaustau- (Nobelpreis 1972) die erste Aminosäuresequenz und die
sche, codiert in einem der Allele (an einem Genort!). vollständige kovalente Struktur eines IgG1-Antikörpers
Allotypen kommen nur bei einigen Individuen einer beschrieben. In . Abb.  6.1 ist ein IgG1-Antikörper

Population vor: Sie unterscheiden sich von sporadi- schematisch wiedergegeben.


schen Aminosäureaustauschen durch die Tatsache, Die insgesamt vier Immunglobulin-­Polypeptidketten,
dass sie sich in der Gesamtpopulation über 1 % aus- die einen IgG-Antikörper bilden, bestehen jede aus der
gebreitet haben. Beispiele: Blutgruppensubstanzen Vervielfachung eines Ur-Immunglobulins von 12  kDa,
oder die Immunglobulin-Gm-Faktoren (Isotyp). das eine Disulfidbrücke trägt, die eine Schlinge (Loop)
von 60 Aminosäuren bildet. Die schwere Kette hat vier
und die leichte Kette zwei Homologieregionen, von de-
IgG ist gut löslich und bleibt auch bei vermindertem nen jede entsprechend der Ur-Ig-Kette durch eine eigene
Salzgehalt aktiv. IgG-Antikörper reagieren in einem Disulfidbrücke stabilisiert wird. Die Homologieregio-
pH-Bereich von etwa 4–9,5. IgG kann in sterilem Serum nen der verschiedenen Ketten falten sich zu Domänen,
bei 4 °C über viele Monate bis einige Jahre aufbewahrt von denen sich je zwei zu relativ unabhängigen Funkti-
werden. Die funktionelle Halbwertszeit von IgG im Se- onseinheiten (Modulen) zusammenlagern. So lagern
rum nach Schockgefrieren (in CO2-Trockeneis/Alkohol sich z. B. die N-terminalen Domänen der schweren und
oder besser in flüssigem Stickstoff) kann bei einer Lage- leichten Kette zu einem variablen Modul mit der von
rung bei −80 °C mehrere Jahrzehnte betragen. beiden Ketten gebildeten Haftstelle zusammen
Antikörper können reversibel denaturiert werden, (7 Abschn.  6.1.5). Andere Module vermitteln andere

sodass eine Antigen-Antikörper-Bindung wieder gelöst Funktionen (. Abb. 6.1).


werden kann, ohne dass die Antikörper größeren Scha- Die sehr kompakten Module lassen sich an den en-
den nehmen (. Tab. 6.1 ). Diese Eigenschaft erlaubt die

zymsensiblen Verbindungen enzymatisch voneinander
Isolierung von Antigenen oder von Antikörpern aus trennen. Die so erhaltenen Fragmente lassen sich indivi-
komplexen Proteingemischen über die Affinitätschro- duell auf ihre Funktionen hin untersuchen sowie für
matographie, wenn einer der Bindungspartner immobi- mannigfache Fragestellungen einsetzen. Auch ist die
lisiert ist (7 Abschn. 6.3.3).

gentechnische Herstellung dieser Teilsegmente in Bakte-
Außerdem kann an IgG unter Wahrung seiner Anti- rien zu ihrer speziellen Untersuchung oder Nutzung
körperaktivität eine Reihe amplifizierender Substanzen möglich (7 Abschn.  6.6). Manchmal ist die Monova-

kovalent gekoppelt werden. Diese amplifizierenden lenz eines Antikörpers erwünscht, dann können die
Substanzen, wie Fluorochrome, Enzyme, Radionuclide, Halbmoleküle durch milde Reduktion der Disulfidbrü-
dienen der Steigerung der Empfindlichkeit zur Identifi- cken zwischen den H-Ketten getrennt werden, oder man
zierung und Quantifizierung der gebundenen Antikör- gewinnt das monovalente Fab-Fragment durch enzyma-
per in Bindungstests (7 Abschn. 6.3.3).

..      Tab. 6.1  Reversibles Lösen von Antigen-Antikörper-Komplexen in vitro

Saure Bedingungen
Optimal ist pH 2,6; bei hoch affinen Antikörpern können auch schärfere Bedingungen, z. B. kurzfristig bei 4 °C bis zu pH
1,8 – allerdings unter stärkerer Antikörperschädigung – für die Rückgewinnung eines gebundenen Antigens erforderlich sein.
Alkalische Bedingungen
Optimal ist pH 11,2; zum Einsatz harscherer Bedingungen gilt dasselbe wie unter sauren Bedingungen. Allerdings werden Antikörper
durch alkalische Bedingungen im Allgemeinen stärker geschädigt als durch saure.
Chaotrope Ionen

Cl−, I−, Br−, SCN−; typische Eluanzien sind 3 M MgCl2, 1–3 M NaSCN.
Epitope
Höhere Konzentrationen von kompetitierenden freien Antigenen, von synthetischen Peptiden, isolierten Epitopen oder
immundominanten Epitopabschnitten, z. B. von freien Haptenen (. Abb. 6.2B, C).

82 H.-D. Chang und R. P. Linke

tische Entfernung des Fc-Fragments und der Hinge-­ und VH) gebildet wird. Sowohl die H-Kette als auch die
Region mithilfe von Papain. Pepsinspaltung liefert das L-Kette besitzt drei hypervariable Regionen (hv1, hv2
bivalente F(ab’)2-Fragment mit der intakten Hinge-­ und hv3) und vier flankierende konstante Framework-­
Region, an dem der Einfluss der Haftstellen und die Regionen (FR1, FR2, FR3 und FR4). Die hypervariab-
Wirkung allein der Divalenz ohne zusätzliche Fc-­ len Regionen der H- und L-Kette stellen den unmittel-
Aggregation, aber auch die Funktion der Hinge-Region baren Epitop-Kontakt her. Diese Regionen werden
untersucht werden können. In . Abb. 6.1 sind weitere
  daher auch Complementarity Determining Regions
typische Fragmente von IgG angegeben und die Funk- (CDR1–3) genannt. Der Anteil der H-Kette an der Spe-
tion der IgG-Domänen beschrieben. Wie durch zifität ist mit etwa 70 % größer als der der L-Kette mit
Antikörper-­Engineering im letzten Jahrzehnt stark zu- etwa 30 %, sodass die isolierte H-Kette ihre Antikörper-
nehmend neue Anwendungsbereiche eröffnet wurden, aktivität besser bewahrt als die entsprechende isolierte
ist in 7 Abschn. 6.6.2 kurz dargestellt.
  L-Kette (. Abb. 6.2). Die L-Kette verliert die Antikör-

peraktivität gewöhnlich nach Trennung von der H-Kette.


6 Eine erneute Zusammenlagerung der schweren und
6.1.5 Antigenbindungsstelle (Haftstelle) leichten Kette kann jedoch die Antikörperspezifität und
Affinität (s. unten) wiederherstellen. Eine Zusammenla-
Die Antigenbindungsstelle (Paratop) befindet sich auf gerung mit einer anderen leichten Kette führt jedoch zu
dem variablen Modul (V), das von den variablen Domä- einer veränderten Spezifität des Antikörpers.
nen der leichten und schweren Immunglobulinkette (VL

A Zeichenerklärung:

Antikörper
H L
Paratop

Antigen
C HoA
Epitop
O Ho

H H Ho L Komplementarität
+
a Paratop-Subsite
a b c
Epitop-Subsite

B Ho-Ho hydrophobe Bindung


HeA
H 1 2 3 3 2 1 L O-H Wasserstoffbrückenbindung
O Ho
hv hv
a H Ho +-– ionische (Salz-)Bindung
H L
+
b H schwere Kette
a b c
L leichte Kette

H L HoA hv hypervariable Region


b Ho HoA homologes Antigen
O

Ho HeA heterologes
H Ho (kreuzreagierendes) Antigen
H L
H L +
c freie immundominante
c a b c Ho Antigen-Subsite

..      Abb. 6.2  Die Antigenbindungsstelle, das Paratop, schematisch. der verschiedenen Bindungsfunktionen innerhalb des Paratops ist
A Aufsicht. Das Paratop, die Haft- oder Antigenbindungsstelle, wird auch die Komplementarität. C Feindarstellung der Epitop-­Paratop-­
von der schweren (H-)Kette (dunkelgrau) und der leichten L-Kette Bindung einer homologen Antigen-Antikörper-Bindung, d.  h. das
(hellgrau) gebildet, wobei die H-Kette den größeren Anteil (auch Immunogen ist das homologe Antigen (HoA, a), und eines hetero-
funktionell) am Paratop besitzt. B Seitenansicht dreier Paratope mit logen Systems mit einem heterologen Antigens (HeA, b). Außerdem
unterschiedlicher Spezifität und schematischer Angabe der hv-­ ist die Hemmung einer homologen Immunreaktion durch ein domi-
Regionen. Die hv-Regionen liegen allerdings auf der Fläche des Pa- nantes Teilepitop gezeigt (c)
ratops (A) dreidimensional verteilt (B). Ebenso variabel wie die Lage
Immunologische Techniken
83 6
Paratop Als weitere Funktion ist die Hemmung einer homo-
Unter Paratop (Haftstelle) versteht man den antigen- logen Immunreaktion in . Abb. 6.2Cc dargestellt. Ge-

bindenden Teil des Antikörpers. zeigt ist das Epitop mit dem homologen Paratop, wie in
. Abb. 6.2Ca. In diesem Falle jedoch ist eine hv-Region

der Paratop-Subsite (Ho) durch eine isolierte homologe


Epitop Epitop-Subsite besetzt, sodass das sonst bindende Para-
Das Epitop ist der vom Paratop gebundene Antigen- top über eine zentrale Teilfunktion so weit gehemmt ist,
abschnitt. dass die homologe Reaktion zwischen Antigen und An-
tikörper nicht mehr zustande kommen kann. Man kennt
diese Art immundominanter Teilepitophemmungen von
Die Größe der Haftstelle wurde mit kleinen Antigenen Haptenen, wie etwa Dinitrophenol, von Proteinfrag-
von unterschiedlichem Polymerisationsgrad und später menten oder synthetisierten Peptiden, die Epitop-Subsi-
mittels Kristallanalysen gemessen; Hexa- bis Octamere tes darstellen können. Eine ähnliche Unterbindung von
zeigten bei Aminosäuren die maximale Bindung, die ver- Immunreaktionen finden man auch etwa im Agglutina-
gleichbar der des intakten Immunogens war. Aus diesen tion-Inhibitionstest, beim Auslöschphänomen in der
Daten kann eine Kontaktfläche der Antigenhaftstelle von Immunpräzipitation in . Abb. 6.9 (4. Zeile), beim kom-

etwa 3 nm Durchmesser abgeleitet werden. Dieses Areal, petitiven Radioimmunassay (. Abb. 6.16) und dem ent-

das Paratop, kann eine Reihe unterschiedlicher physiko- sprechenden ELISA (. Abb. 6.22).

chemischer Funktionen beherbergen (7 Abschn. 6.3). Je


nach Spezifität des Antikörpers ist die Oberfläche der


Haftstelle unterschiedlich gestaltet. Die Passgenauigkeit 6.1.6 Handhabung von Antikörpern
wird über die Komplementarität gewährleistet. So kann
die Haftstelle eine Vertiefung, aber auch eine Vorwölbung Das größte Problem bei der Handhabung und Lagerung
oder eine andere Konfiguration in unterschiedlichen Teil- von Antikörpern ist der Verlust der Antikörperaktivität
abschnitten aufweisen (. Abb. 6.2).
  durch strukturelle Änderung. Vor allem isolierte, reine
Wie man sich eine Epitop-Paratop-Bindung mit den Antikörper neigen nach Einfrieren zur Aggregation und
verschiedenen Teilfunktionen vorstellen kann, wird in werden leicht durch bakterielles Wachstum geschädigt.
. Abb.  6.2C dargestellt. Die Stabilität der Bindung
  Daher sollen einige Hinweise gegeben werden, wie diese
wird von etwa sechs Teilfunktionen (Paratop-Subsites) Probleme vermieden werden können.
des Antikörpers (hv-Regionen, . Abb.  6.1 und  6.2B)
  Isolierte Antikörper können durch Hinzufügen von
und durch die entsprechenden Epitop-Subsites gewähr- 1 % bovinem Serumalbumin (BSA) vor Aggregieren und
leistet, von denen drei als Beispiele unterschiedlicher dem Verlust durch Anhaften an Plastikoberflächen ge-
Bindungsmechanismen dargestellt sind, und zwar in schützt werden. Bakterielles Wachstum ist bei 4 °C stark
. Abb. 6.2C die Wasserstoffbrückenbindung O–H, die
  verzögert und durch zusätzliche Addition (der stark to-
hydrophobe Bindung Ho–Ho und die ionische oder xischen Substanzen) Natriumazid (NaN3; 0,02 % End-
Salzbindung. In . Abb. 6.2Ca wird ein Beispiel für eine
  konzentration) oder Thimerosal (0,01  %) weitgehend
homologe Antigen-­Antikörper-Reaktion anhand einer gehemmt. Lagerung in gefrorenem Zustand nach
Paratop-­Epitop-­Bindung gezeigt. Entsprechend ist die Schockgefrieren (s. oben) verringert den lagerungsbe-
stereochemische Passgenauigkeit und damit der Fit von dingten Antikörperverlust, vorausgesetzt, es handelt
Epi- und Paratop mit allen drei hier dargestellten Bin- sich um einfrierbare Antikörper. Einfrieruntaugliche
dungsfunktionen perfekt. Damit ist die Bindungsstärke Antikörperpräparationen lagert man am besten steril
(Affinität, s. auch Avidität,7 Abschn. 6.3) hoch.
  bei 4  °C und in NaN3, eventuell auch Lagerung bei
Im Gegensatz dazu ist in . Abb. 6.2Cb ein Beispiel
  −20  °C nach Glycerinzusatz. Bei kommerziellen Anti-
einer heterologen Antigen-Antikörper-Reaktion (Kreuz- körpern finden sich entsprechende Angaben auf dem
reaktion) gezeigt, in der ein heterologes Epitop eines he- Beipackzettel.
terologen Antigens (HeA) mit demselben Antikörper
wie in . Abb. 6.2 Ca reagiert. Da dieses heterologe Epi-

top mit dem homologen in . Abb. 6.2Ca zwar chemisch



Antikörper sind am stabilsten in ihrer „natürlichen
verwandt, aber nicht identisch ist, ergibt sich keine per- Umgebung“, d.  h. in ihrer ursprünglichen Form als
fekte physikochemische Komplementarität. In diesem Antiserum. Hier ist Einfrieren gewöhnlich kein Prob-
Falle ist die Salzbindung in . Abb.  6.2Cb nicht mehr
  lem. Es sollten aber häufige Einfrier-und-­ Auftau-
vorhanden. Daher erlaubt die heterologe Epitopkonfor- Zyklen vermieden werden. Um Antikörper gleicher
mation nicht mehr den perfekten Fit. Es ist auch ange- Aktivität stets zur Verfügung zu haben, lagert man die
deutet, dass der Wegfall einer einzigen Bindungsfunk- Antikörper am besten portioniert und schockgefroren
tion die Gesamtkonformation des Epitops so weit bei −80 °C ein und taut jeweils ein neues Röhrchen für
ändern kann, dass auch vicinale Subsites destabilisiert die anstehenden Einsätze auf.
werden können (c in . Abb. 6.2Cb).

84 H.-D. Chang und R. P. Linke

Beim Einfrieren in kleinen Teilmengen und bei langer dichten Schachtel aufbewahrt und die Proben vor-
Lagerung kann es zum Austrocknen der Probe und da- nehmlich in einer von oben zugänglichen Truhe gela-
durch zum Aktivitätsverlust des Antikörpers kommen. gert werden.
Austrocknen der Proben kann durch den Einsatz eines Für die Kryopräservierung in nicht gefrorenem Zu-
Schraubverschlusses mit Plastikring und durch einen stand unter 0 °C können dem Antikörper auch Schutz-
Parafilmüberzug mit Verschluss des Gewindes von au- stoffe beigemischt werden, welche die Antikörperaktivi-
ßen weitestgehend verhindert werden. Austrocknung tät nicht verringern und den späteren Einsatz nicht
tritt aber auch bei festem Verschluss ein, wenn der beeinträchtigen, etwa Glycerin in 10–50 % Endkonzen-
Raum über der Probe zu groß ist. Der Grund liegt in tration. Sie führen z. B. je nach Konzentration zu einer
den ständigen Temperaturschwankungen bei der auto- Gefrierpunktserniedrigung, welche die Proteine nicht
matischen Temperaturregulierung und vor allem bei nur vor der Entmischung durch Eiskristallbildung, son-
häufigem Öffnen und Schließen des Eisschranks: Bei dern auch vor Austrocknung schützt. Glycerin wird da-
jeder Temperaturerhöhung steigt der Dampfdruck des her vor allem bei der Kältelagerung sehr kleinen Proben-
6 gefrorenen Wassers der Probe, und Flüssigkeit ver- mengen (bei der Aliquotierung ganz unterschiedlicher
dampft in den Raum über der Probe. Beim Abkühlen Proteine) als Kryopräservanz eingesetzt.
kondensiert die Feuchtigkeit an den kältesten, d. h. an
den oberen probenfreien Arealen des Röhrchens. Pro-
ben mit Eiskristallen an den Gefäßen sollten nicht 6.2  Antigene
mehr verwendet werden, da die Antikörper vom Lö-
sungsmittel getrennt wurden und die Aktivität dadurch Antigene werden komplette Antigene oder Immunogene
vermindert sein kann. Daher sollten über lange Zeit (Allergene, Tolerogene) genannt. Eigenschaften eines An-
eingelagerte Proben möglichst drei Viertel des Röhr- tigens, die für eine antikörpervermittelte Immunantwort
chenvolumens einnehmen. Die Temperaturschwankun- im immunisierten Individuum unerlässlich sind, sind in
gen sind zu minimieren, indem die Röhrchen in einer . Tab. 6.2 aufgeführt. Ist eine Substanz zu klein, um im-

..      Tab. 6.2  Voraussetzung für die Immunogenität von Antigenen für eine Antikörperantwort

Strukturen, welche die Immunogenität eines Antigens bestimmen und zur Epitopselektion im immunisierten Tier führen, wurden an
künstlichen Antigenen (haptenisierte Immunogene) und synthetischen Antigenen (polymerisierte Aminosäuren) vor allem durch
Michael Sela (vor 1970) und später durch andere Arbeitsgruppen gefunden.
Folgende Punkte scheinen wichtig zu sein:
- Große chemische Differenz des Moleküls zum immunisierten Organismus, die vor allem durch die evolutionäre Distanz bedingt ist.
- Die Größe des Proteins soll oberhalb von 5–10 kDa liegen. Aminosäuren und kleine Peptide unter etwa 30 Aminosäuren sind
gewöhnlich nicht immunogen. Peptide koppelt man zur Induktion von Antikörpern kovalent an stark immunogene Träger, z. B. an
Hühner-Gammaglobulin (Chicken Gamma Globulin, CGG) oder das Hämocyanin der Schlitzschnecke Megathura crenulata (Keyhole
Limpet Hemocyanin, KLH). Ebenso verfährt man mit chemischen Substanzen von niedrigem Molekulargewicht, die als Haptene
eingesetzt werden (Hapten-Carrier-Effekt).
- Das Immunogen muss eine gewisse Komplexität besitzen. Polymerisierte Monoaminosäuren sind i. A. nicht immunogen. Eine
Kombination verschiedener Aminosäuren ist unerlässlich. Jedoch ist die Immunogenität der einzelnen Aminosäuren sehr
unterschiedlich.
- Die Art der Seitenkette der Aminosäuren beeinflusst die immunogene Potenz der Epitope. Die am stärksten epitopbestimmenden
Aminosäuren sind saure und basische Aminosäuren (z. B. Glutaminsäure, Asparginsäure, Lysin und Arginin) und solche mit großen
Seitenketten, vor allem diejenigen mit Ringen (Tyrosin, Phenylalanin, Tryptophan).
- Die immunogenen Epitope müssen für die Erkennung frei zugänglich auf der Oberfläche des Moleküls liegen.
- Mäßige und geordnete Denaturierung und Aggregation können die immunogene Potenz erhöhen.
- Das Immunogen muss von antigenpräsentierenden Zellen (Makrophagen, dendritische Zellen und verwandten Zellen, aber auch
B-Zellen selbst) limitiert abbaubar („prozessierbar“) sein und T-Helferlymphocyten präsentiert werden. T-Zell-Hilfe ist unerlässlich für
die Bildung von hochaffinen Antikörpern.
- Statistisch weisen die Epitope einen hohen Antigenindex (antigenic index) auf, der sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt.
Immunogene Epitope sind exponiert an der Oberfläche des Moleküls (hohe Oberflächenwahrscheinlichkeit) mit eher hydrophilen
Aminosäuren (niedrigem Hydrophobizitätsindex). Sie sind flexibel (hoher Flexibilitätsindex), weisen keine β-Struktur (geringe
β-Strukturwahrscheinlichkeit) auf und enthalten gehäuft Glycin und Prolin, die zu Turns (Umkehr des Verlaufs der Polypeptidkette)
führen.
Immunologische Techniken
85 6
Polypeptidkette
a b

antigene Determinante enzymatische


Spaltung
c d
Disulfidbrücke

..      Abb. 6.3  Antigene Determinanten oder Epitope haben die rung oder durch Disulfidspaltung zerstört werden; c verborgene an-
Größe von etwa 5–8  Aminosäuren, die sich in unterschiedlicher tigene Determinanten, sie können z.  B. durch Denaturierung oder
Weise formieren können. a Sequenzielle oder kontinuierliche Epi- durch Disulfidspaltung exponiert werden; d durch Proteolyse neu
tope; b konformationsbedingte oder diskontinuierliche Epitope; sie entstandene antigene Determinanten (Neoantigen)
können durch Änderung der Konformation infolge von Denaturie-

munogen zu sein (inkomplettes Antigen, Hapten), kann 6.3  Antigen-Antikörper-Reaktion


diese durch Kopplung an einen immunogenen Träger
(. Tab.  6.2) immunogen werden. Inkomplette Antigene

Die bei der Antigen-Antikörper-Reaktion wirksamen
können aus einer Fülle chemisch sehr unterschiedlicher Prinzipien und Kräfte sind dieselben, welche z. B. auch
Stoffklassen stammen und auch im Labor synthetisierte bei der Ligand-Rezeptor-, der Enzym-Substrat-Bindung
Substanzen darstellen, die in der Natur nicht vorkommen. und bei der Sicherung der Konformation von Proteinen
Ein Antikörper reagiert in der Regel nur mit eini- wirksam sind; es sind stereochemische Passgenauigkeit
gen Teilbereichen der Oberfläche eines Antigens, den (Komplementarität) und intermolekulare Wechselwir-
sog. antigenen Determinanten (Epitopen). Epitope kungen, wie Wasserstoffbrücken- und Ionenbindungen,
können sequenziell, konformationsbedingt und verbor- Van-der-Waals-Kräfte und hydrophobe Wechselwirkun-
gen sein oder auch nach enzymatischer Spaltung neu gen (. Abb. 6.2C). Die Spezifität eines Antikörpers ist

auftreten (Neoantigene), wie in . Abb.  6.3 illustriert



abhängig von der Bindungsstärke (Avidität) zu seinem
ist. Die natürlichen Antigene sind meist multivalent, Antigen. Die Avidität setzt sich aus mehreren Teilkom-
d.  h. sie haben je nach Größe des Antigens mehrere ponenten zusammen:
bis viele antigene Determinanten. Das Epitop besteht 55 der Affinität, welche über die monovalente Bin-
aus Teilabschnitten, den sog. Subsites, von denen jede dungsstärke zwischen Epitop und Paratop (über alle
eine andere physiko-chemische Funktion besitzen kann Subsites) definiert wird und die über die Bestimmung
(7 Abschn.  6.3). Diese Teilabschnitte korrespondieren

der Gleichgewichtskonstante gemessen wird
mit den entsprechenden individuellen Paratop-Subsites 55 der Multivalenz von Antikörpern
der Antigenbindestelle des Antikörpers. Die Summe der
Teilabschnittbindungen ergibt die Gesamtbindungs- Während die Gleichgewichtskonstante beim Vorliegen
stärke eines Epitops. chemischer Einheitlichkeit sowohl des Antigens (eine ein-
Eine Antikörperbindung kann auch zu einer Kon- zige Konformation) als auch des Antikörpers (möglichst
formationsänderung eines Antigens führen. So ist es ge- monoklonal, 7 Abschn. 6.6) durch die Gleichgewichts-

lungen, Antikörper gegen bestimmte instabile Interme- dialyse (und andere Methoden) exakt messbar ist, bleibt
diate herzustellen, wie sie bei der enzymatischen Katalyse der Begriff Avidität ein mehr funktioneller, der sich nicht
entstehen. Die so erzeugten Antikörper können entspre- so exakt definieren lässt. Die Avidität wird jedoch über
chende Antigene dann in eine Konformation zwingen, die Geschwindigkeit der Antigen-­Antikörper-­Reaktion
die Antigene zu Substraten mit einer nachfolgenden en- im Vergleich von monovalenten Fab- und divalenten
zymähnlichen Reaktion macht. Damit können Antikör- F(ab’)2-Fragmenten näher fassbar (7 Abschn. 6.3.3).

per katalytische Eigenschaften besitzen. Katalytische Die Affinität beruht auf der stereochemischen Kom-
Antikörper können für die Präparation bestimmter Che- plementarität von Epitop und Paratop (. Abb.  6.2C)  

mikalien oder auch für die Etablierung homogener Im- und den oben genannten Bindungsfunktionen. Für die
munassays genutzt werden (7 Abschn. 6.3.3).

Passgenauigkeit spielen Flexibilität und Mobilität von
Die genaue Bestimmung eines Epitops kann durch Epi- und Paratop eine bedeutende Rolle für den letzten
Epitopkartierung erfolgen. Dies erfolgt heutzutage Bindungsschluss (final fit). Homologe Antigene (= indu-
durch die Testung der Bindung der Antikörper an syste- zierende Immunogene) besitzen die stärkste Affinität.
matisch versetzte synthetische Peptide von etwa Octa- bis Eine geringere Affinität haben gewöhnlich kreuzreagie-
Duodecapeptiden, die kommerziell hergestellt werden. rende Antigene (heterologe Antigene), die mit den Im-
Die Epitopkartierung ist an einem Beispiel in . Abb. 6.4 
munogenen nicht identisch, sondern nur chemisch ver-
gezeigt. wandt sind (. Abb. 6.2C). In seltenen Fällen, wenn das

86 H.-D. Chang und R. P. Linke

A
Epitop
1 5 10 15 20 25

6
reaktiv

B schwächer reaktiv

nicht reaktiv

kleinstes voll reaktives Peptid

1–25 individuelle Aminosäuren

..      Abb. 6.4  Epitopkartierung eines monoklonalen Antikörpers. A 7–17 und 10–20 reagieren voll, was zeigt, dass das Epitop innerhalb
Orientierende Kartierung des Epitops. Eine Polypeptidkette von 26 von Position 10–17 liegen muss. B Feinkartierung des Epitops. Eine
Aminosäuren stellt das Immunogen eines monoklonalen Antikör- Verkürzung des Peptides 10–17 vom N- und C-­terminalen Ende her
pers dar, dessen genaues Epitop mithilfe von überlappenden Hende- zeigt nur bei Peptid 10–16 noch die volle Immunreaktivität mit dem
kapeptiden gesucht wird, die jeweils um drei Aminosäuren fortlau- monoklonalen Antikörper, das damit das gesuchte Epitop darstellt
fend versetzt sind und das ganze Polypeptid abdecken. Die Peptide

heterologe Antigen stärker bindet als das homologe, aktionen und die Folgereaktionen kurz dargestellt und
nennt man dieses Antigen heteroklitisch. Die Ursache ihre Einsatzbereiche erläutert werden.
kann eine antikörperbedingte Konformationsänderung
des Antigens sein mit Offenlegung bisher verborgener
antigener Determinanten (. Abb. 6.3). Da es zwischen
  6.3.1 Immunagglutination
Antigenen und Antikörpern, bedingt durch Epi- und
Paratop-Teilkomplementaritäten und die genannte Fle- Wenn antigentragende mikroskopische, suspendierte
xibilität, auch Bindungen niedriger Affinität gibt, ist bei Partikel, wie Bakterien oder Blutzellen, oder antigen-
allen Immunassays auf stringente Bedingungen zu ach- beladene Latexpartikel mit einem entsprechenden Im-
ten, um Bindungen niedriger Affinität, d. h. die paratop- munserum vermischt werden, kommt es zur Zusam-
vermittelten „unspezifischen“ Bindungen, zu verringern menballung der Korpuskeln und einer darauffolgenden
oder gar auszuschließen. sichtbaren Sedimentation. Diese Form der Antigen-­
Die Antigen-Antikörper-Reaktion ist historisch auf Antikörper-Reaktion wird Agglutination genannt.
unterschiedliche Art und Weise sichtbar gemacht wor- Die direkte Agglutination (Agglutination über den
den. Je nach Art des Antigens wird die sichtbare Folge Primärantikörper) beruht auf der Kreuzvernetzung von
der Immunreaktion als Agglutination, Präzipitation, Antigenen auf der Oberfläche von Korpuskeln durch
Immunbindung und Komplementfixation bezeichnet. Antikörper, wobei ein einziges Antikörpermolekül mit
Während die ersten zwei unmittelbarer Inspektion zu- seinen identischen Paratopen die gleichen antigenen De-
gängig sind, müssen die Immunbindung und die Kom- terminanten auf verschiedenen Partikeln überbrücken
plementfixation allerdings erst nachträglich durch amp- muss. Es ist klar, dass für diese Überbrückung von zwei
lifizierende Systeme sichtbar gemacht werden. und mehr Partikeln wegen seiner Größe und Dekavalenz
Jede der vier immunologischen Nachweisarten folgt vor allem der IgM-Antikörper geeignet ist und weniger
ihren eigenen Gesetzen und besitzt ihren eigenen An- gut der monomere, bivalente IgG-­Antikörper. Sollte ein
wendungsbereich. Daher sollen im Nachfolgenden die IgG-Antikörper nicht agglutinieren, kann der Einsatz
speziellen Charakteristika der vier Arten von Immunre- eines zusätzlichen Antikörpers, der gegen dieses IgG
Immunologische Techniken
87 6
gerichtet ist (Sekundärantikörper), zu einer Agglutina-
tion führen. Diese Form der Agglutination nennt man keit des eingesetzten Detektionssystems. Heutzutage
indirekte Agglutination (Agglutination durch einen Se- wird der Ausdruck Titer meist nur noch genutzt, um
kundärantikörper). Sie spielt in der Klinik bei der Dia- eine Antikörperkonzentration in Masse pro Volumen
gnostik von pathogenen Antikörpern gegen Zelloberflä- auszudrücken.
chenantigene eine Rolle.
Ein starker Antikörperüberschuss führt jedoch zu
einer Agglutinationshemmung, weil statistisch jedes Auch wenn die Immunagglutination nur semiquantita-
Epitop dann einen einzigen Antikörper monovalent bin- tive Daten liefern kann, ist sie doch wegen ihrer hohen
det und damit eine Kreuzvernetzung von Partikeln nicht Empfindlichkeit und ihrer besonders großen Versatilität,
stattfindet. Um diesen sog. Prozoneneffekt, der bei allen vor allem aber auch wegen ihrer relativ einfachen An-
Immunassays auftreten kann, zu verhindern, muss eine wendbarkeit und ihrer geringen Kosten, für umfangrei-
Immunreaktion mit einem unbekannten Antikörper che Untersuchungsreihen von großem Wert. Mit der
(oder mit einem unbekannten Antiserum) zunächst in Entwicklung sehr empfindlicher und exakt quantitativer
einer entsprechenden Verdünnungsreihe optimiert Bindungstests (7 Abschn. 6.3.3) hat die Bedeutung der

­werden. Immunagglutination bis auf die Anwendung in der Me-


dizin allerdings sehr stark abgenommen.
6.3.1.1 Anwendung
Die direkte Agglutination wird angewendet, um Zell- 6.3.2 Immunpräzipitation
oberflächenantigene zu identifizieren, wie etwa bei der
Blutgruppenbestimmung, die über eine Hämagglutina- Eine Vermischung von löslichem Antigen mit spezifischen
tion erfolgt. Es können auch beliebige Antigene kovalent Antikörpern führt zu einer Antigen-Antikörper-­Reaktion,
auf Erythrocyten gebunden und mithilfe dieser „passi- die durch Verlust der Löslichkeit der Antigen-Antikör-
ven Immunagglutination“ (direkt oder indirekt) Im- per-Komplexe zu einer Trübung mit nachfolgender Sedi-
munreaktionen in vitro durchgeführt werden. Außerdem mentation führt. Dieser Vorgang, welcher der Agglutina-
können mithilfe von auf Erythrocyten oder Latexparti- tion ähnlich ist, nur dass hier beide Partner löslich sind,
keln gebundenen Antikörpern – diese Variante bezeich- wird traditionell Immunpräzipitation genannt. Eine Prä-
net man als „umgekehrte Immunagglutination“  – ge- zipitation kann nur dann zustande kommen, wenn we-
löste Antigene innerhalb von Minuten qualitativ (und nigstens drei, in manchen Fällen zwei, antigene Determi-
durch vergleichende Verdünnungsreihen semiquantita- nanten auf einem Antigen verfügbar sind.
tiv) nachgewiesen werden. Auch Agglutinationsinhibi- Wie bei der Agglutination kann es auch bei der
tionsassays sind einsetzbar, vor allem bei monovalenten Präzipitation zu einem ausgeprägten Prozoneneffekt
Antigenen, Antigenfragmenten, einzelnen immundomi- kommen. Die quantitative Untersuchung dieses Effek-
nanten Epitop-Subsites oder bei durch Mutation verän- tes haben Larsen im Jahr 1922 und später unter ande-
derten Epitopen. ren Michael Heidelberger und Forrest E. Kendall 1937
Die Hämagglutination ist ein äußerst sensitiver Test veröffentlicht (. Abb. 6.5). Füllt man in eine Serie von

für Antikörpertiterbestimmungen. Lässt man z. B. ver- Röhrchen mit derselben Antikörpermenge von links
dünnte Erythrocyten in einem kleinen Plastiktrichter nach rechts eine steigende Menge von Antigen und
(spezielle Mikrotiterplatten) über eine zirkuläre, schiefe misst nach erfolgter Antigen-Antikörper-Reaktion die
Ebene der Plastiktrichterwand zum tiefsten Punkt des Präzipitatmenge in jedem Röhrchen, so stellt sich bei
Trichters hinabrollen, wird eine Bindung des Antikör- einem bestimmten Verhältnis von Antigen zu Antikör-
pers an Erythrocyten (und im besonderen Maße die per in der Ausgangslösung ein maximales Immunpräzi-
Kreuzvernetzung) durch die Hemmung des Hinabrol- pitat ein. Wird nach Sedimentation des Präzipitats der
lens bereits durch wenige Antikörper sichtbar. Gehalt löslichen Antigens bzw. aktiven Antikörpers im
Überstand untersucht, so ergibt sich, dass in den Röhr-
Titer chen mit maximaler Präzipitation der Überstand we-
Historisch versteht man unter einem Antikörpertiter der Antigen noch Antikörper enthält, d. h. Antikörper
die höchste Verdünnungsstufe, bei der eine Antikörper- und Antigen sind in toto kreuzvernetzt sedimentiert,
funktion noch messbar ist. Der Titer wird eingesetzt während die Röhrchen links davon aktiven Antikörper
für einen praktischen Vergleich von Antikörperwirkun- (Zone des Antikörperüberschusses; . Abb. 6.5Bb) und

gen. Der Titer ist abhängig von der Antikörperkonzen- rechts davon lösliches Antigen (Zone des Antigenüber-
tration, seiner Affinität und Avidität (7 Abschn. 6.1.3), schusses; . Abb.  6.5Bc) enthalten. Die Zone mit der

vor allem aber auch von der Art und der Empfindlich- maximalen Präzipitation wird die Zone der Äquivalenz
genannt, d.  h. der Äquivalenz von Epi- und Paratop
88 H.-D. Chang und R. P. Linke

..      Abb. 6.5  Quantitative Immun- A


präzipitation (Heidelberger-­Kurve).
A Auffinden des Präzipitationsopti-
mums durch Messung sowohl der
Menge des präzipitierten Antikörpers
als auch der von Antigen- und
Antikörperaktivität im Überstand
nach abgelaufener Immunpräzipita-
tion. B Veranschaulichung der
einzelnen Partner der Antigen-Anti-
körper-Reaktion bei unterschiedli-
chem Antigen/Antikörper-Verhältnis.
Präzipitation am Äquivalenzpunkt b
ist bedingt durch die Bildung eines
Raumgitters unbestimmter Größe,
6 das unlöslich ist. a Löslicher
Immunkomplex im Antikörper-, c im
Antigenüberschuss

(. Abb. 6.5Bb). Der Befund einer Äquivalenz weist auf


  Antikörper (anti-1; 7 Abschn. 6.6) kann mit diesem in

ein stöchiometrisches Verhältnis von Epi- und Paratop . Abb.  6.6A gezeigten Antigen nicht präzipitieren

hin, eine Tatsache, welche den Einsatz quantitativer Im- (. Abb.  6.6B), sondern nur beim Vorhandensein von

munassays begründet hat (s. unten). Die maximale Prä- drei identischen Epitopen auf einem Antigen
zipitation bei Epi- und Paratopäquivalenz ist natürlich (. Abb. 6.6C). Da mit Ausnahme von Strukturprotei-

bei jedem Antigen-Antikörper-System („serologisches nen natürliche lösliche Antigene in der Regel keine iden-
System“ oder „antigenes System“) verschieden und so- tischen oder repetitiven Epitope tragen, können entspre-
wohl abhängig von der Valenz der Antigene als auch chend monoklonale oder Peptidantikörper mit diesen
der Anzahl der in einem Antiserum vorhandenen spezi- natürlichen Antigenen nicht präzipitieren.
fischen Paratope. Die Geschichte der analytischen Immunpräzipita-
Es ist daher verständlich, dass der exakte Äquiva- tion beginnt am Ende des vorletzten Jahrhunderts mit
lenzpunkt nicht über die Molarität der Reaktionspart- einem Glasröhrchen, in dem ein Antiserum mit einer
ner ermittelt werden kann. Antigenlösung überschichtet wurde. Nach einiger Zeit
der Diffusion beider Reaktionspartner gegeneinander
Antigenes System
bildete sich in der Nähe der Grenzschicht ein weißer
Es handelt sich um die Beschreibung eines jeweiligen Diskus, der einer spezifischen Immunpräzipitation ent-
Antigen-Antikörper-Systems. Ein antigenes System be- sprach. Dieser Test, der sog. Ringtest, war Ausgangs-
steht aus einem Antigen und allen im gegebenen System punkt aller Immunpräzipitationsmethoden, von denen
mit diesem Antigen reagierenden Antikörpern. Syno- es grundsätzlich vier verschiedene Grundanordnungen
nym ist „serologisches System“ (Jaques Oudin 1946). gibt, die in . Abb. 6.7 dargestellt und im Folgenden mit

wichtigen Beispielen näher ausgeführt sind.

Der Begriff „antigenes System“ ist in . Abb.  6.6 ver-


anschaulicht. Dargestellt sind Minimalsysteme von An-


Voraussetzung für das Gelingen einer Präzipitation sind
tigen-Antikörper-Reaktionen auf der Ebene der Epitop-­
in physiologischen Puffern lösliche Antigene. In physio-
Paratop-Bindung. . Abb. 6.6A zeigt ein präzipitierendes
logischen Puffern unlösliche Antigene (Lipoproteine,

antigenes System mit drei Epitopen (1–3) und entspre-


Membranproteine, Proteinfragmente) können die die
chenden drei Antikörpern (anti-1, anti-2, anti-3). Ein
Aktivität der Antikörper nicht wesentlich beeinflussen.
einzelner, gegen ein Epitop (1) gerichteter monoklonaler
Immunologische Techniken
89 6
..      Abb. 6.6 Minimalmodelle
A anti-1 B anti-1
antigener Systeme. A Präzipitieren-
des System, das aus einem Antigen
mit drei antigenen Determinanten
(Epitope 1–3) und drei passenden
Antikörpern (anti-1 bis anti-3)
besteht. Die Antikörper können anti-2
von einem Antiserum stammen
oder drei monoklonale Antikörper
repräsentieren. B Nicht präzipitie-
rendes System, das aus demselben
Antigen wie in A und einem
monoklonalen Antikörper gegen anti-3
eines der Epitope (1, anti-1)
besteht. C Präzipitierendes System
mit drei identischen antigenen
Determinanten und monoklonalen
Antikörpern identischer Spezifität
C anti-1

anti-1

anti-1 anti-1, anti-2, anti-3

bedingten Konvektion schwierig. Daher wurde von Ou-


Dennoch können Salze in hohen molaren Konzentratio- din ein Reaktionspartner, meist das Antiserum, in weit-
nen (z. B. Guanidin-HCl), Harnstoff oder/und auch De- maschigen Gelen eingegossen und dabei stabilisiert.
tergenzien eingesetzt werden. Da bei dieser Art der Lö- Diese Gele erlauben einerseits die freie Diffusion auch
sung von Antigenen jedoch Artefakte bei der großer Reaktionspartner von über 1000  kDa, anderer-
Immunpräzipitation auftreten können, sind entspre- seits fixieren und stabilisieren sie die entstehenden Im-
chende Kontrollen erforderlich. Die Immundiffusion munpräzipitate in den Gelmaschen. Als stabilisierendes
mithilfe denaturierenden Solvenzien kann aber nur ge- Gel verwendet man heute für Präzipitationstests 0,5–
lingen, wenn die Antigene in hoher Konzentration und 1,5  % Agarose in physiologischen Puffern. Wie in
die Lösungsmittel in geringer Menge vorhanden sind. . Abb. 6.7A gezeigt, wird der im Gel eingegossene An-

Da die Lösungsmittelmoleküle sehr klein sind und da- tikörper mit flüssigem Antigen überschichtet und je nach
her entsprechend schnell diffundieren, sind sie durch Anordnung z. B. das in . Abb. 6.8 dargestellte Ergebnis

Diffusion genügend weit verdünnt, bevor Antigen und erzielt, an dem wichtige Erkenntnisse über Prinzipien
Antikörper aufeinander treffen. der Immunpräzipitation abgeleitet werden konnten.
Wird die gleiche Menge des gelstabilisierten Anti-
körpers anti-A mit einer Lösung steigender Konzen-
trationen von Antigen A überschichtet (. Abb.  6.8, 

6.3.2.1 Lineare Einfachimmundiffusion Röhrchen 1–3), so entsteht mit steigender Antigen-


nach Oudin konzentration eine Präzipitationslinie in größerem
Jaques Oudin hat 1956 wesentliche Erkenntnisse zum Abstand von der Kontaktfläche K zwischen A und
Verständnis der Immunpräzipitation beigetragen, sodass anti-­A.  Bei gleichbleibender gelstabilisierter Antikör-
einige seiner jetzt historischen Experimente hier aus di- perkonzentration, sinkt die Antigenkonzentration auf
daktischen Gründen Erwähnung finden. Die Untersu- dem Diffusionsweg in das Gel. Wird der Äquivalenz-
chung einer Präzipitation in Lösung (Ringtest, s. oben) punkt erreicht, fallen die Immunkomplexe als deutli-
ist wegen der Instabilität der Flüssigkeiten, der höheren ches Präzipitat aus. Ist mehr Antigen vorhanden, be-
Dichte des entstehenden Präzipitats und der temperatur- darf es einer stärkeren Verdünnung, die durch einen
90 H.-D. Chang und R. P. Linke

größeren Diffusionsabstand erreicht wird. Wegen der


Stöchiometrie von Epi- und Paratop ist dieser Abstand
von der Kontaktfläche zum Präzipitat proportional
zur Antigenkonzentration. Damit gelang Oudin die
erste exakte Konzentrationsbestimmung eines einzigen
Antigens in einer komplexen Proteinmischung mithilfe
eines monospezifischen Antiserums über die quantita-
A C tive Immunpräzipitation.
Eine Austestung einer Mischung von zwei verschie-
denen Antigenen A und B mit den entsprechenden Anti-
seren anti-A und anti-B führt zu zwei Präzipitationsli-
nien, die unabhängig voneinander auftreten, da sie sich
ebenso verhalten wie in Einzelröhrchen (. Abb.  6.8,
6

Röhrchen 4, 5, 6).
Da die Präzipitationslinien in Oudins System in das
Antikörperkompartiment hineinwandern und nicht sta-
bil sind, wurde die einfache Diffusion durch eine gegen-
einander gerichtete („doppelte“) Diffusion ersetzt
B D
(. Abb. 6.7B). In diesem System von Oakely und Fult-

horpe (1953) nimmt die Konzentration beider Partner


während der Diffusion in ein proteinfreies Gelsegment
zunehmend ab. Dadurch wird das Präzipitationsopti-
Antigen
eindimensionale Diffusion mum relativ stabil mit dem Ergebnis scharfer Präzipita-
Antikörper tionslinien in bester Auflösung. Dieses Prinzip wurde
auch von Ouchterlony in der zweidimensionalen Im-
zweidimensionale Diffusion
1% Agarose mundiffusion verwirklicht.
Die Ouchterlony-Technik ist die einfachste Technik
..      Abb. 6.7  Systematik immunpräzipitierender Systeme. Die vier we-
hoher Präzision, mit der vor allem Proteine (Antigene
sentlichen Anordnungen sind unmittelbar nach Auftragen der Reaktan-
den am Beginn der Diffusion gezeigt. A lineare Einfachdiffusion nach und Antikörper) in kurzer Zeit mit einem Minimum an
Oudin, B lineare Doppeldiffusion nach Oakley und Fulthorpe, C radiale Aufwand sicher identifiziert und verglichen werden
Einfachdiffusion nach Mancini, D Doppeldiffusion nach Ouchterlony ­können.

..      Abb. 6.8  Lineare Einfachimmundiffu-


sion nach Oudin

A/anti-A

B/anti-B

anti-A anti-A anti-B anti-A,B

lösliche Immunkomplexe
A/anti-A bzw. B/anti-B
lösliche Immunkomplexe
(anti-A, anti-B oder anti-A,B) B/anti-B und freie anti-A

D
Immunologische Techniken
91 6
6.3.2.2 Doppelimmundiffusion nach nien nur schwer ausgewertet werden (. Abb.  6.11A).

Ouchterlony Daher werden die Proteine zunächst im elektrischen


Bei der von Örjan Ouchterlony 1948 beschriebenen Feld in einer Dimension aufgetrennt (. Abb.  6.11B)

Technik werden Antigen und Antikörper in je ein Stanz- (7 Kap. 12) und anschließend einer Immundiffusion in

loch einer Agaroseplatte (z. B. 1 % Agarose, physiologi- einer zweiten Dimension unterzogen. Dabei wird der
scher Puffer) gefüllt und diffundieren gegeneinander Antikörper bzw. das Antiserum in einer Rinne appli-
(. Abb. 6.7D). Bei der Diffusion bilden beide Partner

ziert, wie in . Abb. 6.11C gezeigt. Diese Immunelekt-

einen Konzentrationsgradienten, es entsteht bei ihrer rophorese kann je nach Antiserum und Anordnung
Begegnung am Ort der Epi- und Paratopäquivalenz etwa 15–30 Serumproteine auftrennen. Sie dient der
eine scharfe Präzipitationslinie. Diese Doppeldiffusion Orientierung bezüglich des Vorhandenseins bestimmter
folgt den Regeln Oudins. Allerdings ist das Ergebnis bei Proteine und deren Mengen sowie der Orientierung be-
wesentlich geringerem Aufwand viel eher abzulesen. züglich von Ladungsänderungen oder der Identifizie-
Das Hinzufügen eines dritten bzw. weiteren Stanz- rung monoklonaler Immunglobuline. Man kann auch
löchern erlaubt die gleichzeitige Detektion, Quantifizie- mithilfe von monospezifischen Antiseren in komplexen
rung und Vergleich mehrerer antigener Systeme. Wie in Proteingemischen (Plasma, Cytosol, Bakterienlysat) ein-
. Abb. 6.9 gezeigt, kann über die Doppelimmundiffu-

zelne Proteinkomponenten identifizieren und ihre Akti-
sion die Nichtidentität, Identität und partielle Identität vierung oder Fragmentierung bis hin zum Abbau unter
antigener Systeme festgestellt werden. bestimmten experimentellen oder klinischen Bedingun-
In . Abb. 6.10 findet sich ein Beispiel einer Doppel-

gen untersuchen.
immundiffusion nach Ouchterlony. Ein Beispiel einer Immunelektrophorese vom Se-
Ein anderes, wichtiges immunspezifisches Präzipita- rum eines Patienten mit entarteten Plasmazellen (Mye-
tionsmuster ist das Auslöschphänomen (. Abb.  6.9D).

lom), jenen Zellen, die Antikörper produzieren, ist in
Es handelt sich um eine Immunreaktion kleiner Proteine, . Abb. 6.12 dargestellt.

Proteinfragmente, einzelner dominanter Teilepitope oder Zur Beschleunigung der Immundiffusion kann man
synthetischer Peptide mit mono- oder divalenten antige- Antigene und Antikörper im elektrischen Feld gegenei-
nen Determinanten (in . Abb. 6.9D als A’ bezeichnet),

nander laufen lassen, vorausgesetzt, beide Partner ha-
die selbst zu keiner Präzipitation fähig sind, jedoch durch ben eine unterschiedliche Ladung. Diese sog. Elektro-
Blockierung einzelner, für die kooperative Präzipitation diffusion hat den weiteren Vorteil erhöhter Sensitivität,
wichtiger Antikörperspezifitäten zum abrupten Abbruch da das gesamte Antigen im elektrischen Feld in eine
der Präzipitationslinie führen oder sogar eine Antikör- Richtung und damit auf den Antikörper zu läuft. Das-
perreaktion verhindern können (. Abb. 6.2Cc).

selbe gilt für die Antikörper, die ebenfalls quantitativ,
In der Immundiffusion weist eine Krümmung der aber dem Antigen entgegen laufen. Das steht im Gegen-
Präzipitationslinie auf die Schnelligkeit der Diffusion satz zur Doppelimmundiffusion von Ouchterlony
hin, und zwar mit konkaver Krümmung zum langsame- (. Abb.  6.9), bei der Antigen und Antikörper in alle

ren Partner. Ein Partner ist langsamer sowohl bei gerin- Richtungen diffundieren, wobei nur diejenigen Anteile
gerer Konzentration als auch bei höherem Molekularge- von Antigen und Antikörper der Präzipitation dienen,
wicht. Bei ähnlichen Konzentrationen der Partner weist die sich jeweils gegenüberliegen.
die Krümmung daher auf das Molekulargewicht relativ Elektrophoretisch aufgetrennte Proteinmischungen
zu dem des Antikörpers hin, wie in . Abb. 6.9E gezeigt.

(wie in . Abb. 6.11B) können mithilfe einer Elektrodif-

Eine ähnlich hohe Genauigkeit bei dem Nachweis fusion in ein antikörperhaltiges Gel elektrophoresiert
von antigenen Systemen bei geringem Arbeits- und Zeit- werden. Diese Variante wird zweidimensionale Immun-
aufwand erzielt keine andere Technik. Daher ist die Im- elektrophorese oder Kreuzelektrophorese nach Clark
mundiffusion eine zentrale Technik der Immunchemie und Freedman genannt. Ein Ergebnis ist in . Abb. 6.11D

und findet noch breite Anwendung in der klinischen skizziert. Entsprechend der Zahl der antigenen Systeme
Diagnostik, z. B. zum Nachweis von spezifischen Anti- entstehen Präzipitationsgipfel, die je nach der Qualität
körpern oder Antigenen im Serum. In den Biowissen- der Antiseren eine Quantifizierung der einzelnen Teil-
schaften wird die Immundiffusion weitestgehend durch komponenten etwa in Seren, Zellextrakten und von
Western-Blotting (7 Abschn.  6.3.3) ersetzt, was eine

Membranproteinen, letztere in nichtionischen Deter-
exakte Bestimmung des Molekulargewichts und der genzien, gestatten. Mithilfe der Linien auf Identität,
Quantität des Antigens erlaubt. Nichtidentität und partielle Identität gelingt die Zuord-
nung der einzelnen Proteine nach den bereits in
6.3.2.3 I mmun- und Kreuzelektrophorese, . Abb. 6.9 genannten Kriterien. Auch die letzten zwei

Elektrodiffusion Techniken können nur erfolgreich ausgeführt werden,


Wird eine Mischung aus vielen Antigenen einer Im- wenn Antigen und Antikörper eine andere Ladung be-
mundiffusion unterzogen, kann das Präzipitationsmus- sitzen, sodass sie im elektrischen Feld gegeneinander
ter wegen der Fülle unterschiedlicher Präzipitationsli- laufen können. Sollte dies nicht der Fall sein, kann man
92 H.-D. Chang und R. P. Linke

A A B A B A B

Nichtidentität
von A und B

anti-A anti-B anti-A


anti-B

B A,B C A,B A A,B B

Identität
6 von A und A und
von B und B

anti-A anti-A anti-A


anti-B anti-B anti-B

C Aa A Aa A Aa A

partielle Identität
von A und Aa

anti-A anti-a anti-A


anti-a

D A A'

Auslöschphänomen

anti-A

..      Abb. 6.9 Doppelimmundiffusion nach Ouchterlony (sche- unabhängig voneinander und von Antigen C. Mitte: Applikation
matisch). Gezeigt sind die Immunpräzipitationsmuster nach von Antigen A erlaubt die Identifizierung des antigenen Systems an-
etwa einem Tag Diffusion bei Raumtemperatur, wie sie in der ti-A/A aufgrund der Fusion der Präzipitationslinien. Rechts: Appli-
­Doppelimmundiffusion für die Unterscheidung und den Vergleich kation von Antigen B erlaubt die Identifizierung des antigenen Sys-
von Proteinen eingesetzt werden. A Nichtidentität von Antigen A tems anti-B/B aufgrund der Fusion der anderen Präzipitationslinien.
und B. Links: Die Präzipitationslinie zwischen Antigen A und dem C Partielle Identität. Links: Antigen A ist Fragment eines größeren
Antiserum anti-A wird in ihrem Verlauf durch Antigen B nicht be- Antigens Aa. Anti-A bindet sowohl A als auch Aa und bildet eine
einflusst. Mitte: Das antigene System anti-B/B wird durch Antigen A fusionierte Präzipitationslinie und deutet auf Identität von A und Aa
nicht beeinflusst. Rechts: Werden beide Antiseren anti-A und anti-B hin. Mitte: Anti-a bildet eine Präzipitationslinie mit Antigen Aa, un-
ins Antikörperstanzloch eingefüllt, werden unabhängige Präzipita- beeinflusst von Antigen A, was auf ein unabhängiges antigenes Sys-
tionslinien mit Antigen A und Antigen B gebildet. B Identifizierung tem Anti-a/Aa hindeutet (Nichtidentität mit A). Rechts: Gleichzei-
eines Antigens. Links: Antigengemisch A und B bildet zwei Präzipi- tige Applikation von Anti-A und Anti-a zeigt eine partielle Identität
tationslinien mit den Antiseren anti-A und anti-B unabhängig von von Antigen A und Aa an. Während die Anti-­A/A Präzipitationslinie
Antigen C, d. h. die antigenen Systeme anti-A/A und anti-­B/B sind mit der Anti-A/Aa Präzipitationslinie fusioniert, wird die Anti-a/Aa
Immunologische Techniken
93 6
Waschen in einem physiologischen Puffer von lösli-
chen Proteinen befreit und die im Maschenwerk ge-
fangenen Immunkomplexe z.  B. mit Amidoschwarz
angefärbt. Zur Optimierung der Immunfixation müs-
sen Antigenmenge, Antikörperverdünnung, Expositi-
onszeit und nachfolgende Antigendiffusion so variiert
werden, dass das Präzipitationsoptimum in der Anti-
körper enthaltenden Membran zu liegen kommt. Die
Immunfixation wird eingesetzt, um z.  B. allotypische
Proteine in Plasma und Serum verschiedener Indivi-
duen zu identifizieren. Allotypbestimmungen sind
wichtig in der Anthropologie, Humangenetik, forensi-
schen Medizin und beim Vaterschaftsnachweis. Die
Immunfixation wird auch eingesetzt, um monoklonale
Antikörper im Serum und Urin bei Patienten mit mul-
..      Abb. 6.10  Beispiel einer Immundiffusion nach Ouchterlony: tiplem Myelom aufzufinden. Ein Beispiel einer All-
Agaroseplatte (1,5 % Agarose in 0,1 M Trispuffer, pH 7,4) mit Stanz- otypbestimmung mithilfe der Immunfixation ist an-
löchern von 1,0 und 1,5 mm Durchmesser. Die Stanzlöcher enthal- hand des Vitamin  D bindenden Serumproteins in
ten: oben: NHS, normales Humanserum, 1:10 verdünnt; links: hu- . Abb. 6.13 gezeigt.

manes Albumin, 5  mg ml−1; rechts: humanes IgG (aus Serum


isoliert), 3  mg ml−1; unten: Anti-NHS-Serum, hergestellt in einer
Ziege. Proteine im NHS werden mit Antikörpern in dem an-
6.3.2.5  adiale Immundiffusion und
R
ti-NHS-Serum präzipitiert, deren antigene (und chemische) Spezifi- Raketenelektrophorese
tät mithilfe von isolierten Proteinen durch einen Antigenvergleich Die einfache zweidimensionale Diffusion von löslichem
geklärt wird. Das links aufgetragene Kontrollantigen Albumin zeigt Antigen in einen in Agarose stabilisierten Antikörper ist
eine Linie auf Identität mit einer der Präzipitationslinien des
NHS.  Die Nähe zum Antikörperstanzloch zeigt, dass Albumin die
die radiale Immundiffusion nach Giulana Mancini
höchste Serumkonzentration besitzt. Die Präzipitationslinie vom Al- (1965). Das Prinzip ist in . Abb.  6.7C gezeigt und in

bumin ist leicht konkav zum Ziegen-Antiserum, da Albumin mit . Abb.  6.14 näher ausgeführt. Das Ergebnis zeigt die

66 kDa vergleichsweise klein ist. Das isolierte humane IgG im rech- Entstehung von Präzipitationsringen am Ort der Epi-
ten Stanzloch zeigt ebenfalls eine Linie auf Identität und identifiziert und Paratopäquivalenz nach etwa ein bis zwei Tagen
das humane Serum-IgG. Die relativ gerade Präzipitationslinie deutet
auf eine ähnliche Größe zwischen humanem und Ziegen-IgG hin.
Diffusionsdauer bei Raumtemperatur. Die von den Rin-
Weitere Präzipitationslinien, die nicht durch die Anwesenheit von gen eingenommene Fläche ist proportional zur appli-
humanem Albumin und IgG beeinflusst werden, weisen auf weitere zierten Antigenmenge (. Abb. 6.14A). Nach Kalibrie-

Antigene im NHS bzw. Antikörpern mit weiteren Spezifitäten im rung mithilfe einer Reihe von Proben mit bekannter
Anti-NHS-Serum hin Proteinmenge und Etablierung einer Standardkurve las-
sen sich einzelne Proteine in komplexen Lösungen, ba-
in die Antikörper etwa über Carbamylierung negative sierend auf der Stöchiometrie von Epi- und Paratop,
Ladungen einführen. auf einfache Weise mit hoher Genauigkeit quantifizie-
ren (. Abb. 6.14B). Verschiedene antigene Systeme, er-
Immunfixation

6.3.2.4 kenntlich durch das sichtbare Auftreten mehrerer kon-


Die Immunfixation ist ebenfalls eine Präzipitations- zentrischer Ringe, kann man unter Einsatz isolierter
methode zur Identifizierung von Proteinen, die im Proteine durch Ringe auf Identität, Nichtidentität, par-
elektrischen Feld (Elektrophorese, isoelektrische Fo- tielle Identität oder das Auslöschphänomen sicher iden-
kussierung), (7 Kap. 12) aufgetrennt wurden. Bei die-

tifizieren (. Abb. 6.14C).

ser Methode diffundieren die aufgetrennten Proteine Die zeitliche Dauer der Immundiffusion kann auf
aus dem Trenngel (z.  B.  Agarose) in eine aufgelegte wenige Stunden reduziert werden, wenn Antigene im
Celluloseacetatmembran hinein, die mit spezifischen elektrischen Feld in ein Antikörper enthaltendes Gel
Antikörpern getränkt ist. Dabei präzipitieren die An- einwandern. Dabei entstehen raketenähnliche Präzipita-
tigene in den Maschen der Membran, die im Gegen- tionsmuster (. Abb.  6.15). Die Möglichkeit dieser

satz zu Nitrocellulose oder Immobilon kaum Proteine Elektrodiffusion setzt einen unterschiedlichen isoelekt-
adsorbiert. Diese Membran wird anschließend durch rischen Punkt von Antigen und Antikörper voraus, da-

Präzipitation nicht beeinflusst und bildet einen Sporn von Aa über A, aber nicht zu einer Präzipitation fähig. E Präzipitationslinienverlauf
d. h. Aa besitzt mehr präzipitierende antigene Determinanten als A in Abhängigkeit von der Antigengröße. 60, 150, 900: Molekularge-
und ist somit größer als das Antigen A. D Auslöschphänomen. Anti- wichte von Antigenen in Kilodalton (kDa); 150: Molekulargewicht
gen A’ blockiert die Bindung von Antigen A mit anti-A und ist selbst von IgG (in kDa)
94 H.-D. Chang und R. P. Linke

..      Abb. 6.11  Immun- und Kreuzelektrophorese. A


Immundiffusion mit vielen antigenen Systemen. X:
Komplexe Antigenmischung; anti-X: polyklonales
B
Antiserum gegen X. Es bilden sich viele Präzipita-
tionslinien, die sich schwer auflösen lassen. B
Immunelektrophorese. Auftrennung einer Proteinmi-
schung im elektrischen Feld. Die Proteine sind im Gel
(mit Amidoschwarz) angefärbt. Es sind 5–6
Proteinflecken zu sehen, die Proteine mit unterschied-
licher Ladung darstellen. C Immunelektrophorese. A C
Anschließende Immundiffusion der aufgetrennten
Proteine gegen anti-X. Nach ausreichender Diffusion anti-x
anti-x
sind sieben verschiedene Präzipitationslinien und
deren antigene Beziehung zueinander zu erkennen:
Nichtidentität (B/D, C/D, E/D, B/A’), Identität
6 (A’/A″) und partielle Identität (A/A’, wobei A über A’
spornt). D Kreuzimmunelektrophorese nach Clark
und Freedman. In der ersten Dimension aufgetrennte
Proteine wurden in der zweiten Dimension in ein
D
anti-X-enthaltendes Gel elektrophoresiert. Die antige-
nen Systeme erscheinen als Präzipitationsgipfel, die anti-x
eine (semiquantitative) Konzentrationsbestimmung
der einzelnen Komponenten in hoher Auflösung
gestatten. Der Antigenvergleich (identisch, nicht
identisch und partiell identisch) ist analog dem der
Immunelektrophorese, allerdings klarer sichtbar

mit sie im elektrischen Feld gegeneinander laufen kön- Protein immunchemisch (. Abb.  6.21) oder chemisch

nen. Sollte dies nicht gegeben sein, kann der Antikörper (Aminosäuresequenzanalyse) (7 Kap.  15) charakteri-

durch Carbamylierung einen niedrigeren isoelektrischen siert. Hier können polyklonale Antikörper, die mithilfe
Punkt erhalten (s. oben). des vollständigen Proteins induziert worden sind, von
Die Spitzenhöhe der Präzipitate ist proportional zur Vorteil sein, da multivalente Bindungen zu erwarten
Antigenkonzentration (vgl. . Abb.  6.14C). Die Rake-
  sind. Peptidspezifische oder monoklonale Antikörper,
tenelektrophorese eignet sich für große Reihenuntersu- die eher lösliche Immunkomplexe bilden, wenn keine re-
chungen. petitiven Epitope vorhanden sind (. Abb. 6.6), können

mit schrittweiser Hinzugabe eines Zweitantikörpers, der


6.3.2.6 Präparative Immunpräzipitation gegen den ersten gerichtet ist, komplexiert und zur Prä-
Die Immunpräzipitation kann auch eingesetzt werden, zipitation am Äquivalenzpunkt gebracht werden
um ein Protein aus einer komplexen Proteinmischung (. Abb. 6.5). Membranproteine oder hydrophobe Pro-

(Serum, Zellextrakt, Kulturüberstand) zu isolieren, teine (Apolipoproteine) bleiben in PBS lipidgebunden


wenn ein spezifischer Antikörper vorhanden ist. Das und müssen daher vor einer Präzipitation mithilfe von
Proteingemisch sollte nicht zu konzentriert sein, um bei nichtionischen (seltener ionischen) Detergenzien vom
der Präzipitation nicht unnötig viele irrelevante Proteine Lipid abgetrennt und monomerisiert werden, bevor sie
unspezifisch mitzureißen. Eine Konzentration von dann in der oben genannten Weise präzipitiert werden
1–5  mg  ml−1 Protein kann als Richtwert gelten. Man können. Da bei lipophilen Proteinen eher unspezifische
verdünnt die Proteine mit einem physiologischen Puffer, Wechselwirkungen vorkommen als bei hydrophilen Pro-
pH 7,2 (PBS, phosphatgepufferte Kochsalzlösung) und teinen, sollte ein ähnliches Proteingemisch ohne Anti-
gibt den Antikörper in kleinen Mengen schrittweise gen in gleicher Weise präzipitiert und analysiert werden,
hinzu, mischt und sättigt langsam das Antigen, um ei- um die jeweiligen falsch positiven Interaktionen identi-
nen Antikörperüberschuss und die Entstehung löslicher fizieren und dann subtrahieren zu können.
Immunkomplexe (. Abb. 6.5) zu vermeiden. Nach In-
  Um die Anwesenheit der Antikörper im Präzipitat
kubation des Gemisches bei 4 °C für einige Stunden zu vermeiden, kann der Erstantikörper an einen fes-
oder über Nacht wird das Präzipitat abzentrifugiert und ten, nichtlöslichen Träger, wie z.  B.  Eisen- oder Aga-
nach Polyacrylamid-Gelelektrophorese das selektierte rosekügelchen, gebunden werden, der dann nach Auf-
Immunologische Techniken
95 6
IgG Transferrin Albumin

anti-NHS

anti-IgG

anti-IgM

anti-

-Leichtkette

IgM IgM-IgG

..      Abb. 6.12  Beispiel einer Immunelektrophorese. Gezeigt ist die das aufgrund normaler Ladungsheterogenität mehrere Präzipitati-
Auftrennung eines Patientenserums (PS) mit einem monoklonalen onsbögen bildende IgG im NHS und PS. Die Präzipitation mit An-
IgMλ-IgGλ-Doppelmyelom im Vergleich zum Serum eines Gesun- ti-IgM (Rinne 3) zeigt, dass das monoklonale IgM mit dem mit IgG
den (NHS) im elektrischen Feld. Die Anode liegt rechts. Der Auf- komplexierten IgM identisch ist. Der isolierte Immunkomplex IgM-
tragsort der jeweiligen Proben sind die Stanzlöcher. Der Patient IgG-λ zeigt dasselbe Präzipitationsverhalten gegenüber anti-IgM
zeichnet sich durch die Gegenwart von großen Mengen an mono- wie im Serum. Die in Rinne 5 aufgetragene isolierte λ-Leichtkette
klonalen IgM-leichten Ketten (IgMλ) im Serum aus, die IgG binden. wird von dem in Rinne 4 aufgetragenen Anti-λ-Leichtkette als ge-
Gleichzeitig hat der Patient große Mengen an monoklonalen IgGλ, rade Linie präzipitiert, zeigt jedoch eine Ausbuchtung in Richtung
wodurch hauptsächlich IgMλ-IgGλ-Immunkomplexe vorhanden der Antiserumrinne. Die Ausbuchtung der Anti-λ/λ-Linie entspricht
sind. Die Präzipitationsbögen vom NHS und PS aufgrund der Re- genau der Position des IgM-IgG-Komplexes, dessen Leichtkette so-
aktion mit in dem Rinne 1 aufgetragenen Anti-NHS zeigen die Ge- mit bestimmt ist
samtzusammensetzung des Serums. Anti-IgG (Rinne 2) identifiziert

trennung des Immunkomplexes (. Tab.  6.1 ) einfach


  Antikörper-­Reaktion in Lösung nach Mischung radio-
abzentrifugiert werden kann. Bei Eisenkügelchen kann markierten (meist 125I, 3H) löslichen („heißen“) Anti-
der ungelöste Antikörper mit einem Magneten von gens einer bekannten Konzentration mit steigenden
der übrigen Lösung getrennt werden. Ist dieser Träger Mengen von nicht markiertem („kaltem“), zu quantifi-
größer und wird er zur Trennung in Form einer Säule zierenden Antigen. Dabei wird das „heiße“, über seine
verwendet, spricht man von Affinitätschromatographie Radioaktivität messbare Antigen mit steigender Kon-
(7 Abschn. 6.3.3).
  zentration durch „kaltes“ Antigen ersetzt. Die Verdrän-
gung kann durch die bekannte Antigenmengen kalib-
6.3.2.7 Radioimmunassays (RIA) riert werden. Anhand der resultierenden Standardkurve
Eine höchst sensitive Methode, Antigenkonzentrationen kann eine unbekannte Antigenmenge gemessen werden,
auch in komplexen Proteinmischungen zu messen, re- wie in . Abb. 6.16 gezeigt ist. 

präsentiert der Radioimmunassay (RIA), veröffentlicht Es gibt eine große Fülle unterschiedlicher Ansätze,
1960 von Rosalyn Yalow und Solomon A. Berson (No- welche die extrem hohe Sensitivität und Spezifität des
belpreis für R. Yalow 1977). Dabei können Antigenkon- RIA für die verschiedensten Anwendungen in allen
zentrationen von 0,5 pg ml−1 bestimmt werden. Der Bereichen der Biowissenschaften und vor allem auch
kompetitive Radioimmunassay nutzt die Antigen-­ der Medizin nutzen. Routinetests für die verschie-
96 H.-D. Chang und R. P. Linke

1 2 3 4 5 6 7 8
6 ..      Abb. 6.13  Immunfixation am Beispiel der Allotypbestimmung
des Vitamin  D bindenden Serumproteins (Gc-Protein). (Vollserum
von verschiedenen Individuen*) in der isoelektrischen Fokussierung, ..      Abb. 6.15  Raketenelektrophorese nach Laurell, eine Immunprä-
aufgetrennt und mithilfe der Immunpräzipitation in einer Antikörper zipitationsmethode zur quantitativen Bestimmung von löslichen
enthaltenden Celluloseacetatmembran in Form eines Immunkomple- Antigenen auch in komplexen Antigenmischungen. Standardkon-
xes fixiert. Die Anode ist oben. (Bekannte und sichtbare Allotypen zentrationen eines Proteins (1–5) werden in ein Antiserum enthalten-
des Gc-Proteins: 1F–1F: (nicht gezeigt); 1S–1S: 7,8; 1F–1S: 4; 1F–2: des Gel elektrophoresiert. Das Ergebnis sind raketenförmige Präzi-
(nicht gezeigt); 1S–2: 3, 5, 6; 2–2: 1, 2. (F = fast, S = slow).*) Studen- pitationslinien, deren Höhe proportional der Antigenkonzentration
ten des Sero-anthropologischen Großpraktikums an der LM-Univer- ist. Eine Standardkurve kann daher ähnlich wie in . Abb.  6.14B

sität in München, Sommersemester 1995 ­erstellt werden

A densten Plasmabestandteile mit niedrigen Konzentra-


1 2 3 4
tionen wie etwa Proteohormone (ACTH 2 pg ml−1;
Insulin 5 pg ml−1; Calcitonin 10 pg ml−1), Steroidhor-
mone (Testosteron 50 pg ml−1; Progesteron 20 pg
ml−1), Interleukine, Enzyme, Antikörper, Pharmaka
(Digoxin 100 ng ml−1), Drogen (Morphin 100 pg ml−1)
B oder virale bzw. bakterielle Produkte sollen hier nur
erwähnt sein, um die Bedeutung des RIA zu unter-
Fläche

streichen.
Trotz der großen Versatilität und überaus präzisen
Messgenauigkeit hat der RIA gravierende Nachteile,
die mit der für seine Empfindlichkeit unerlässlichen
Antigenmenge
Radioaktivität zu tun haben. Die fehlende Lagerfä-
C higkeit, bedingt durch die Halbwertszeit der Radio-
1 2 3 4 5
nuclide, der schwierige Transport und alle mit der
Verwendung der Radioaktivität verbundenen Aufla-
gen bezüglich des Schutzes des Personals, die hohen
Kosten für den Bau und den Unterhalt des Kontroll-
bereichs, in dem radioaktiv gearbeitet werden darf,
..      Abb. 6.14  Radiale Immundiffusion nach Mancini. Es handelt
sich um eine Immunpräzipitationsmethode zur Quantifizierung von
die kostspieligen Zählgeräte und die finanziellen Pro-
löslichen Antigenen auch in komplexen Proteinmischungen. A Das bleme bei der Beseitigung des radioaktiven Abfalls
Gel enthält ein spezifisches Antiserum gegen ein einziges Protein. seien z.  B. hier genannt. Daher werden alternative
Nach Auftragen von Antigenen bekannter Konzentration in die Methoden genutzt, die diese Nachteile vermeiden
Stanzlöcher 1–4 erhält man nach etwa zwei Tagen Diffusionsdauer (7 Abschn. 6.3.3).

stabile Präzipitationsringe, deren Fläche gegen die Konzentration


aufgetragen eine lineare Funktion ergibt (B). C Präzipitationsringe
unterschiedlicher Proteine, erhalten mit einem Antiserum gegen diese 6.3.2.8 Nephelometrie
Antigene, zeigen die antigenen Verhältnisse der Proteine zueinander:
Identität zwischen Antigen 1 und 2 (abgekürzt 1 und 2), Nichtidenti-
Bei der Nephelometrie wird die Antigenkonzentra-
tät 2 und 3, partielle Identität 3 und 4, wobei 3 über 4 spornt, und das tion über die Messung der Lichtstreuung einer Lö-
Auslöschphänomen in 4 durch Antigen 5 (vgl. . Abb. 6.9)   sung nach Immunkomplexbildung quantifiziert. Da
Immunologische Techniken
97 6
100

Grad der Trübung (in %)


50
(in %)

0
10
Zeit (in min)

..      Abb. 6.17  Nephelometrie. Die Trübungsmessung ermittelt die


Antigenkonzentration aus der Geschwindigkeit und Stärke der Trü-
bung. Gemessen wird hier am Umkehrpunkt des Trübungsanstiegs

depunkts oder der halbmaximalen Trübung bestimmt


„kaltes“ Antigen (in pg) werden (. Abb. 6.17).

Bei der Trübungsmessung gehen die Gesamtstärke der


markiertes „heißes“Antigen
Bindung, die Avidität und die Affinität (7 Abschn. 6.1.3)  

ein. Da die Antigen-Antikörper-­Reaktion dem Massen-


unmarkiertes „kaltes“Antigen
wirkungsgesetz folgt, hängt die Schnelligkeit der Reak-
tion bei konstanter Antikörperkonzentration allein von
der Konzentration des Antigens ab.
Die Messdauer von etwa 5–12 min und die Automa-
, tisierbarkeit haben die Nephelometrie in der medizini-
schen Routinepraxis zur wichtigsten Methode für die
immunologische Quantifizierung von Proteinen in Se-
rum, Urin und anderen Flüssigkeiten mit komplexen
..      Abb. 6.16  Kompetitiver Radioimmunassay (RIA) in Lösung
Proteingemischen werden lassen. Es gibt kommerzielle
oder an der festen Phase zur Quantifizierung von löslichen Antige-
nen Automaten, die die Konzentration unterschiedlicher Se-
rumproteine gleichzeitig in kurzer Zeit zu bestimmen
vermögen. Die Sensitivität der Nephelometrie liegt etwa
die Kinetik der Trübung den Regeln der Heidelberger bei 20  μg  ml−1 und ist somit erheblich geringer als die
Kurve (7 Abschn. 6.3.2; . Abb. 6.5) folgt, ist der Grad
   
des RIA und auch wesentlich geringer als die des Enzy-
der Trübung nur auf dem aufsteigenden Schenkel der mimmunassays (7 Abschn.  6.3.3). Die Erhöhung der

Kurve, d.  h. im Antikörperüberschuss, mit der Menge Sensitivität um etwa das Zehnfache gelingt allerdings
des Antigens korreliert. Um sicher zu sein, dass die Mes- durch Trübungsmessungen von Immunreaktionen an
sung im Antikörperüberschuss erfolgt, sollten bei jeder kleinen Korpuskeln.
gegebenen Antikörperkonzentration zunächst mehrere
Verdünnungsstufen des Antigens eingesetzt werden.
Vorhandene Trübungen und solche, die unspezifisch 6.3.3 Immunbindung
bei der Mischung der komplexen Proteinlösungen mit
den entsprechenden Puffern oder mit einem Präimmun- Ist einer der Partner der Immunreaktion, d. h. entwe-
serum (einem Antiserum ohne spezifische Antikörper) der das Antigen oder der Antikörper, immobilisiert,
entstehen, müssen bei der Auswertung berücksichtigt spricht man bei Assays mit Einsatz der entsprechenden
werden. Gemessen und später über Standardkurven ­Antigen-­Antikörper-­Reaktion von Bindungstests. Im-
umgerechnet werden, je nach Art des Antigens, die mobilisiert wird meist durch einfache Adsorption an
Schnelligkeit der Trübung oder die maximale Trübung. proteinbindende Plastikoberflächen (z.  B.  Polystyrol)
Es kann aber auch die Zeit bis zum Erreichen des Wen- oder an unlösliche Träger durch kovalente Kopplung.
98 H.-D. Chang und R. P. Linke

Reaktionsstärke (O.D.)
Wegen der hohen Empfindlichkeit und der außeror-
dentlichen Versatilität spielen die Bindungstests eine
überragende Rolle in den Biowissenschaften und der
Medizin.
spezifisch

Antigen-Antikörper-Reaktionen an einem unlöslichen


unspezifisch
Träger sind nicht unmittelbar sichtbar. Eine Antigen-­
Antikörper-Bindung kann mit hochempfindlichen Ge- 1 2 3 4 5 n
räten unter bestimmten Bedingungen auf einem stan- Antikörperverdünnung (10–n)
dardisierten Träger in Echtzeit gemessen werden, z.  B.
über die Plasmonenresonanz-Technik (Biacore,
spezifisches Fenster
. Abb. 6.23).
6  

Weiter verbreitet sind jedoch amplifizierende Sys-


B
teme, die die Antigen-Antikörper-Reaktion sichtbar

Reaktionsstärke (O.D.)
machen, wobei Fluoreszenz, Lumineszenz, Radioakti-
vität, Reduktion von Silbersalzen, enzymatische Farb- spezifisch
reaktionen oder elektronendichte Korpuskeln zum Ein-
satz kommen. Ein anderer wesentlicher Unterschied unspezifisch
zur Immunagglutination oder Immunpräzipitation ist,
dass die Immundetektion mithilfe von Bindungstests
bereits bei einer einzigen Epitop-Paratop-Bindung mög-
lich ist, ohne die Notwendigkeit einer bi- (oder multi-) 1 2 3 4 5n
–n)
valenten Kreuzvernetzung. Da monoklonale Antikör- Antikörperverdünnung (10
per (7 Abschn.  6.6.1) in der Regel mit einem einzigen

Epitop reagieren, sind Bindungstests für deren Einsatz ..      Abb. 6.18  Bindungstests: Optimierung und Auffindung des spe-
ideal. Allerdings muss die Unterscheidung zwischen zifischen Fensters. A Nicht optimal: Der Unterschied von spezifi-
scher und unspezifischer Reaktion ist zu gering für eine exakte Mes-
spezifisch gebundenen und unspezifisch adsorbierten sung der spezifischen Reaktion. Durch Optimierung der
Antikörpern beachtet werden, was das zentrale Problem Reaktionsbedingungen, wie z.  B.  Blocken unspezifischer Adsorp-
aller Bindungstests darstellt. tion, kann versucht werden, den Abstand zwischen unspezifischer
Während bei den Immunpräzipitationsmethoden der und spezifischer Reaktion zu vergrößern. B Optimal. Durch serielle
komplexe Vorgang der Formierung des Antigen-­ Verdünnung des Antikörpers kann ein optimaler Messbereich, das
spezifische (oder diagnostische) Fenster, bestimmt werden, in dem
Antikörper-­ Komplexes als unlösliches Raumgitter der Abstand zwischen spezifischer und unspezifischer Bindung maxi-
(. Abb. 6.5Bb) die hohe Spezifität dieser Methoden so- miert ist

zusagen von selbst garantiert, ist bei allen Immunbin-


dungstests wegen der möglichen konkurrierenden man- Bei der Etablierung eines Bindungstests versucht man
nigfachen unspezifischen Adsorptionen das Aufsuchen das Verhältnis zwischen Spezifität (Signal) und „Un-
des spezifischen Fensters jedes neu eingeführten Testsys- spezifität“ (Hintergrund) zu maximieren. Dazu werden
tems unerlässlich, um sicher zu stellen, dass die Immun- in der Regel Bindungstests mit unterschiedlichen Ver-
bindungstests spezifisch messen. dünnungen/Konzentrationen des Antiserums oder des
monoklonalen Antikörpers durchgeführt. Die spezifi-
sche Epitop-Paratop-Bindung ist durch eine höhere
Da Proteine generell an allen möglichen Materialien Affinität gekennzeichnet als die unspezifische Bindung
haften, ist auch die unspezifische Bindung der Reakti- und wird bei geringeren Konzentrationen gegenüber
onspartner (Antigen oder Antikörper) an die immobi- der unspezifischen Bindung gefördert. Auch können
lisierenden Träger möglich. Es gilt, diese unspezifische die Verkürzung der Inkubationszeit und die Wahl eines
Adsorption möglichst niedrig zu halten oder gar zu empfindlicheren Amplifikationssystems (. Abb. 6.19)  

verhindern und die spezifische zu verstärken, um den für das Signal-zu-Hintergrund-Verhältnis oft günstig
Abstand zwischen beiden maximieren zu können. Für sein.
einen optimalen Bindungstest geht bei maximaler spe- Weitere unspezifische Adsorption kann durch Blo-
zifischer Reaktion die „Unspezifität“ gegen null, wie in cken mit Gelatine, Rinderserumalbumin, Casein, Ma-
. Abb. 6.18 illustriert ist.
  germilchpulver, Eiklar oder anderen Proteinen sowie
Proteinmischungen minimiert werden. Für die Zurück-
Immunologische Techniken
99 6
drängung von unspezifischen Wechselwirkungen hat
sich auch der Einsatz bestimmter nichtionischer Deter-
genzien in den Waschlösungen bewährt.
Alle Bindungstests benötigen zur Sichtbarma-
chung der abgelaufenen Immunreaktion ein amplifi-
zierendes System, das die qualitative Erkennung und
die quantitative Messung erlaubt. Einige Beispiele
wichtiger Anordnungen für die Sichtbarmachung wer-
den im Folgenden besprochen und sind in . Abb. 6.19

dargestellt.
Die Sichtbarmachung einer Immunreaktion beruht
auf einer stabilen Brücke zwischen dem gesuchten
­Reaktionspartner (Antigen oder Antikörper) und dem
Amplifikationssystem (A in . Abb. 6.19). Als Amplifi-

katoren (oder Indikatoren) werden eingesetzt: Fluores-


zenzfarbstoffe (Albert H. Coons hat 1941 das Fluores-
ceinisothiocyanat eingeführt und damit die
Immunfluoreszenzmikroskopie begründet) (7 Kap. 9),  

Lumineszenzfarbstoffe, Radioaktivität, Enzyme


(. Abb.  6.19, a–f und j–m,), Reduktion von Edelme-

tallsalzen und elektronendichte Korpuskel wie kolloi-


dales Gold (. Abb.  6.19g, h). Amplifikatoren werden

kovalent oder nichtkovalent (adsorptiv) an die Reak-


tanden gekoppelt.
Als stabile Brücken zwischen Indikator und gesuch-
tem Reaktionspartner dienen die Antigen-­Antikörper-
(. Abb. 6.19b–d), Biotin-Avidin- (. Abb. 6.19e), Pro-
   

tein-A- (. Abb.  6.19f–h), Lectin- (. Abb.  6.19j) und


   

Antigen- (. Abb.  6.19k–m) Bindungen. In Abbildung


. Abb. 6.19 k wird ein bifunktioneller Antikörper (ge-


gen zwei unterschiedliche Antigene gerichtet) gezeigt.


Die hier gezeigte Technik gelingt ebenso mit einem Anti-
körper mit zwei gleichen Paratopen, wobei das an die
feste Phase gebundene Antigen das gleiche ist wie das
markierte.
Bei der direkten Anordnung (. Abb.  6.19a) ist der

Primärantikörper jeweils mit dem Amplifikator kova-


lent gekoppelt.
Bei der indirekten Anordnung (. Abb. 6.19b) wird

ein Anti-Immunglobulin gegen den Primärantikörper


eingesetzt, der mit dem Amplifikator markiert ist.
Dieser Sekundärantikörper, der i.d.R. aus einer ande- ..      Abb. 6.19  Bindungstests: Sichtbarmachung der Antikörperbindung.
ren Tierspezies gewonnen wird, bindet an die spezies- a Direkte Methode, b indirekte Methode, c unmarkierte oder Peroxida-
spezifische konstante Region eines Antikörpers und se-Anti-Peroxidase- (PAP)-Methode von Sternberger, als Amplifikator
(A) dient hier Peroxidase (P). Dargestellt ist ein polyklonaler PAP-Kom-
daher an alle Primärantikörper jeder beliebigen Spe-
plex. d Doppelt unmarkierte Methode. Doppel-­PAP-­Methode, hier dar-
zifität aus der ersten Spezies. Ein weiterer Vorteil der gestellt mit einem monoklonalen PAP-Komplex. e Avidin-Biotin-Kom-
indirekten Methode ist die höhere Sensitivität, da der plex (ABC-Technik), direkt. Üblicher ist die indirekte ABC-Technik, bei
zweite Antikörper eine Amplifikation um etwa das der der Sekundärantikörper biotinyliert ist. Dieses System kann weiter
Zwanzig- bis Hundertfache bedeuten kann. Ein amplifiziert werden. f Nachweis über amplifikatormarkiertes Protein A,
g direkte Protein-­A-­Gold-Methode, h indirekte Protein-A-Gold-Me-
Nachteil ist, dass der Sekundärantikörper eine wei-
thode, j Nachweis über amplifikatormarkiertes Lectin, k Nachweis über
tere Quelle für unspezifische Signale sein kann markiertes Antigen, l Nachweis der Spezifität von Antikörpern in Zellen
(. Abb. 6.18).
  und Geweben mithilfe von markiertem Antigen, m Nachweis der Spezi-
Eine noch empfindlichere Methode ist die nicht- fität von Antikörpern in Zellen und Geweben bzw. Nachweis von Anti-
markierte Anordnung von Sternberger, bei der drei gen mithilfe der Sandwich-Methode
100 H.-D. Chang und R. P. Linke

Antikörper nacheinander appliziert werden. Wie in Proteine adsorbieren und somit die Brücke zum Antigen
. Abb.  6.19c gezeigt, wird der Primärantikörper von
  oder Antikörper herstellen.
einem entsprechenden Sekundärantikörper im Über- Als Brücke zwischen Amplifikator und Antigen
schuss gebunden, sodass statistisch eine monovalente können auch Lectine und sogar Antigene eingesetzt
Bindung frei bleibt, die dann einen dritten, gegen einen werden, wie in . Abb.  6.19j–m gezeigt. So kann

Amplifikator gerichteten Antikörper binden kann, der man mithilfe markierter Antigene sowohl Antigene
aus derselben Tierspezies gewonnen sein muss wie der (. Abb.  6.19k) als auch Antikörperspezifitäten nach-

Primärantikörper. Dieser dritte Antikörper ist mit dem weisen (. Abb. 6.19l, m). Die letzten zwei Anordnun-

Indikator komplexiert. Bei der Verwendung von Meer- gen können auch eingesetzt werden, um immunhisto-
rettichperoxidase (P) als Indikatorenzym spricht man chemisch Antikörper gesuchter Spezifität im Gewebe
auch vom Peroxidase-­ Anti-­Peroxidase- (PAP-)Kom- aufzufinden.
plex. Peroxidase spaltet Peroxid unter Bildung hoch- Eine besonders interessante Anordnung ist die Sand-
reaktiver Sauerstoffradikale, die ihrerseits bestimmte wichanordnung (. Abb.  6.19m), da ein fixierter Anti-
6

Chromogene oxidieren können. Die dabei auftretende körper gelöstes Antigen binden kann, bevor dieses mit-
Farbentwicklung ist sichtbar und quantifizierbar. Das hilfe eines Antigendetektionssystems (M) nachgewiesen
PAP-System ist über 1000-mal empfindlicher als das di- werden kann. Die Antigenbindung durch einen fixierten
rekte System. Zu einer weiteren Steigerung der Empfind- Antikörper führt zu einer Antigenkonzentration, welche
lichkeit können der Sekundärkörper, der auch Verbin- eine sehr starke Amplifikation bewirkt und damit auch
dungsantikörper genannt wird, und der PAP-Komplex den Nachweis von Antigenen in sehr geringen Konzent-
noch ein zweites Mal appliziert werden (. Abb. 6.19d).
  rationen ermöglicht (s. unten).
Allerdings kann man mit der Steigerung der Empfind- Andere Amplifikatoren sind Radionuclide, die aller-
lichkeit eines Assays auch dessen Unspezifitäten stei- dings wegen der Umweltproblematik (s. o. Radioimmu-
gern. Der gebundene Primärantikörper kann nicht nassay) zugunsten anderer Amplifikatoren wie etwa En-
nur über die Antigen-­ Antikörper-­ Reaktion, sondern zyme (. Abb.  6.19) zurückgedrängt werden, deren

auch durch andere Bindungssysteme sichtbar gemacht Arbeitsweise über die katalytischen Eigenschaften prä-
werden. Ein hochspezifisches System mit sehr hoher zise messbar ist.
Empfindlichkeit ist die außerordentlich stabile Avidin- Der hochempfindliche Nachweis eines Proteins ist
Biotin-­Komplexbildung (ABC-System; . Abb.  6.19e),
  mithilfe der Immundetektion relativ einfach und
wobei der Primär- (hier gezeigt) oder der Sekundäranti- schnell möglich. Wenn ein Protein etwa in einer Kon-
körper biotinyliert sein können. Die Amplifikatoren (A), zentration von 0,1 mg ml−1 vorliegt und von dieser Lö-
Peroxidase oder die alkalische Phosphatase (AP), sind sung 0,2 μl, insgesamt also 20 ng Protein, auf eine Nit-
biotinyliert und werden an das tetravalente Avidin ge- rocellulosemembran getropft werden, die Membran
bunden unter Absättigung dreier Bindungsstellen. Die geblockt und mit einem oben genannten Detektions-
freie Bindungsstelle kann dann an den biotinylierten Pri- system, z. B. der PAP-Methode, untersucht wird, ergibt
mär- (hier gezeigt) oder Sekundärantikörper (indirekte sich eine starke spezifische Anfärbung des Protein-
ABC-­Methode) binden. Sind die Amplifikatoren mehr- flecks, über die dieses Protein spezifisch nachgewiesen
fach biotinyliert, ergeben sich sehr große Avidin-Enzym-­ werden kann. Die Empfindlichkeit solch eines Dot-Im-
Komplexe, die zu einer stark erhöhten Empfindlichkeit munassays kann so weit gesteigert werden, dass Prote-
der ABC-Methode führen können. inmengen auch unter 1  ng noch erkannt werden kön-
Eine andere Bindung kann durch bakterielle Pro- nen. Appliziert man eine Serie unterschiedlicher
teine, wie das bakterielle Protein A (. Abb.  6.19f–h)
  Proteinkonzentrationen, kann über die Messung der
oder Protein G, erfolgen, die selektiv an den Fc-Teil be- Farbtiefe des Proteinflecks eine Eichkurve erstellt und
stimmter IgG-Isotypen von Mensch und Tier binden. die Menge eines unbekannten Antigens (semi-) quanti-
Die Antikörperbindung kann auch über die Markie- tativ bestimmt werden.
rung mit korpuskulären Elementen entweder am Pri- Der Dot-Immunassay kann auch für die Spezifi-
mär- oder Sekundärantikörper erkannt werden. So ver- tätskontrollen von Antiseren und die Selektion von
wendet man in der Lichtmikroskopie synthetische monoklonalen Antikörpern verwendet werden, da
Microbeads als sichtbare Indikatoren und in der Elekt- eine große Serie unterschiedlicher Antigene mit der-
ronenmikroskopie Ferritin, virale Partikel oder kolloi- selben Antikörperpräparation gleichzeitig auf einer
dale Goldpartikel. Kolloidale Goldpartikel können Pro- Nitrocellulosemembran ausgetestet werden kann
tein A (. Abb.  6.19g und h), Antikörper oder andere
  (. Abb. 6.20).

Immunologische Techniken
101 6
scheinen, wie sie nach Auftrennung im Gel vorliegen.
Wie in . Abb. 6.21B gezeigt, werden die gesuchten Pro-

A teine auf der Membran mithilfe eines der in . Abb. 6.19


beschriebenen Detektionssysteme identifiziert.


In . Abb.  6.21-Ba-1 ist die Auftrennung eines

Proteingemischs im Polyacrylamidgel, angefärbt mit


Coomassie-­ Blau, vor dem Kapillartransfer schema-
tisch dargestellt. In . Abb.  6.21-Ba-2 wurde ein iso-

B C liertes Protein aus diesem Proteingemisch in derselben


Weise aufgetrennt und angefärbt. Nach Elektrotransfer
auf eine Nitrocellulosemembran und anschließender
Immundetektion ist im Proteingemisch auch nur eine
Bande zu sehen (. Abb. 6.21-Ba-3). Durch die Nutzung

von Detektionsantikörpern, die an unterschiedliche


D E Amplifikatoren gekoppelt sind, z.  B. unterschiedliche
Fluoreszenzfarbstoffe, können auch mehrere Antigene
..      Abb. 6.20  Dot-Immunassay. Das Beispiel zeigt eine Epitopkar- gleichzeitig detektiert werden. Alternativ können die
tierung von monoklonalen Antikörpern (B–E), die gegen β2-­ Antikörper nach Detektion auch durch Salzpuffer wie-
Mikroglobulin (β2m) und dessen Fragmente (1–4) hergestellt wurden. der entfernt werden (. Tab. 6.1) und weitere Antigene

Die unter 1–4 aufgeführten Antigene wurden in einer Konzentration mit weiteren Antikörpern sequentiell detektiert werden.
von 0,05 mg ml−1 auf eine Nitrocellulosemembran aufgetropft und
Diese in den Biowissenschaften weithin angewendete
die Membran anschließend mit einer Gelatinelösung geblockt. Die
Bindung des Primärantikörpers wurde mithilfe der PAP-­Methode Methode ist äußerst vielseitig, da auch Proteine aufge-
sichtbar gemacht. Antigene 1–4 sind β2m und synthetische Peptide trennt und immundetektiert werden können, die unter
(die Zahlen entsprechen der Aminosäureposition von β2m). 1  β2m, physiologischen Bedingungen unlöslich sind. So können
intakt, 1–99; 2 β2m, 1–19; 3 β2m, 9–24; 4 β2m, 20–36. Die monoklo- z. B. Membranproteine in Harnstoff und ionischen De-
nalen Antikörper A, B, C, D, E reagieren sehr unterschiedlich, wie an
tergenzien aufgetrennt, nach erfolgreicher Auftrennung,
diesem orientierenden Test sichtbar wird. Der monoklonale Antikör-
per A bindet ausschließlich mit einem Epitop auf dem nativen Pro- nach Elektrotransfer und Immobilisation auf einer Mem-
tein. E reagiert nur mit Peptid 4, einem vermutlich verborgenem Epi- bran in einen für die Immunreaktion kompatiblen Puffer
top von β2m (7 Abschn.  6.2). Antikörper B–D binden an überführt und immunchemisch untersucht werden.

verschiedene, durch die Peptidsequenz näher bestimmbare Epitope, In einer Reihe von biologischen Systemen kann z. B.
die auch im nativen Protein exponiert liegen (. Abb. 6.4)

die Fülle unterschiedlicher Proteine so groß sein, dass
die einzelnen Konstituenten in einer Dimension nicht
6.3.3.1 Western-Blotting, Proteintransfer, mehr ausreichend getrennt werden. In diesem Fall kann
Immobilisierung und man die Auflösung über den Einsatz der zweidimensio-
Immundetektion nalen Auftrennung steigern, wobei die erste Dimension
Proteinblotting mit nachfolgender Immundetektion eine Auftrennung nach Ladung, z. B. über eine isoelekt-
wurde von Harry Towbin 1979 eingeführt. Die ge- rische Fokussierung und die zweite Dimension eine Auf-
bräuchliche Trivialbezeichnung Western-Blotting geht trennung nach Größe einschließt (. Abb. 6.21Bb). Mit  

auf den Namen des Erfinders der Blotting-Technik na- solch einer 2-dimensionalen Gelelektrophorese kann
mens Edwin Southern zurück, der 1971 eine Methode eine Auflösung von bis zu 10.000 Proteinen pro Gel-
für die Auftrennung von DNA-Fragmenten und nach- platte erreicht werden. Die hohe Auflösung wird vor al-
folgender Hybridisierung als Southern-Blotting einge- lem auch eingesetzt, um zu zeigen, ob ein Protein der
führt hat (7 Kap. 31). In Anlehnung an seinen Namen Ladung und Größe nach einheitlich ist. . Abb. 6.21Bb
   

wurde die entsprechende Auftrennung von RNA-­ gibt ein Beispiel für ein homogenes Protein (1). Dagegen
Fragmenten Northern-Blotting genannt und das Prot- ist die Protein (2) der Größe, nicht aber der Ladung
einblotting mit anschließender Immundetektion West- nach einheitlich, da es bei der Auftrennung nach La-
ern-Blotting (7 Kap. 12).
  dung in drei Flecken (Ladungsvarianten) zerfällt. Auch
Beim Western-Blotting werden die in einem Proteinbanden einheitlicher Ladung (3) können Flecken
Gel aufgetrennten Proteine über Kapillartransfer unterschiedlicher Größenklassen ergeben, vor allem,
(. Abb. 6.21Aa) oder Elektrotransfer (. Abb. 6.21Ab) wenn anschließend die Größenauftrennung in reduzie-
   

auf einen Träger (z.  B.  Nitrocellulose) übertragen und renden Puffern erfolgt, wobei die kovalente Struktur ei-
für die nachfolgende Immundetektion immobilisiert. nes Proteins sichtbar wird. Nach Übertragung auf eine
Wichtig ist, dass bei der Übertragung die Proteine auf Nitrocellulosemembran kann die Immundetektion indi-
dem Träger in derselben geometrischen Anordnung er- vidueller Proteine erfolgen welche dann durch
102 H.-D. Chang und R. P. Linke

A a Kapillarblotting b Elektroblotting

Anode

4 4

3 3
2 2

6
1 1

Kathode

B a b
1
kDA 1 2 3 4
– 2
~245 3
~180
~135
2
~100
~75
1
~63
~48

~35

~25

~20

~17

~11
~5

..      Abb. 6.21  Western-Blotting: Proteintransfer und Immundetek- ihrem Antigengehalt untersucht werden. B Ergebnisse. a West-
tion, schematisch. A Proteintransfer. a Kapillarblotting: (1) ein mit ern-Blotting. (1) Ein Größenmarker zur Bestimmung der Protein-
Transferpuffer getränkter Filterpapierstapel, der auch in einer Wanne größe und (2) eine Proteinmischung wurde in einem Polyacrylamidgel
mit Puffer liegen kann; (2) Gel mit aufgetrennten Proteinen; (3) Trä- in SDS nach der Größe aufgetrennt und die Proteinbanden mit Co-
ger, meist Nitrocellulose, auf den die Proteine durch den kapillaren omassie-Blau angefärbt; (3) ein isoliertes Protein wurde ebenso auf-
Sog des trockenen Filterpapierstapels in (4) übertragen werden. Das getrennt und angefärbt; Protein in (4), das denen in (2) und (3) ent-
Gewicht auf einer Glasplatte sorgt für gleichmäßigen Kontakt. b spricht, wurden mithilfe eines Antiserums gegen das isolierte Protein
Elektroblotting: (1) Kathode mit in Tansferpuffern getränkten Filter- in (2) und der indirekten Immunperoxidase-Methode angefärbt. In
papieren; (2) und (3) wie beim Kapillarblotting; (4) Anode mit Filter- der Proteinmischung gibt nur das gesuchte Protein ein Signal (4). b
papieren, getränkt wie (1). Der elektrophoretische Transferpuffer ent- Zweidimensionale Auftrennung der Proteinmischung von Ba-2. (1)
hält gewöhnlich 20  % Methanol. Dieser Proteintransfer kann Auftrennung nach Ladung mithilfe der isoelektrischen Fokussierung;
eingetaucht in Puffer in einem Pufferbehälter oder halbtrocken zwi- (2) Auftrennung nach Größe. Als Referenz ist die eindimensionale
schen Filterpapieren mit graphit- oder platinbeschichteten Elektroden Auftrennung in Ba-2 beigefügt (2). Durch die weit höhere Auflösung
erfolgen. Die übertragenen und immobilisierten Proteine können mit- in der zweiten Dimension wird die Uneinheitlichkeit einiger in einer
hilfe der genannten Immundetektionsmethoden (. Abb.  6.17) nach
  Dimension erhaltenen Einzelbanden ersichtlich
Immunologische Techniken
103 6
­ minosäuresequenzierung weiter charakterisiert wer-
A ten Partner statt, was die Trennung von gebundenen und
den können. nicht gebundenen Reagenzien erheblich erleichtert.
Der ELISA wird an Plastikoberflächen durchge-
6.3.3.2 Affinitätschromatographie führt, die die Antigene oder Antikörper nicht kovalent,
Nach Immobilisierung eines Reaktionspartners kann aber mit einer erstaunlichen Festigkeit binden. Die gro-
mithilfe einer Immunreaktion der gelöste Partner ge- ßen Vorteile sind die relative Leichtigkeit der Testdurch-
bunden und damit durch Immobilisation einer komple- führung und die Möglichkeit der Automatisierung sowie
xen Proteinmischung selektiv isoliert bzw. vom Gemisch die Messung der Farbtiefe des Chromogens in kürzester
entfernt werden (7 Kap.  11). So kann bei kovalenter Zeit mithilfe eines speziellen Photometers, des Mik-

Bindung eines Antigens der spezifische Antikörper und ro-ELISA-Readers. Die Quantifizieriung erfolgt mit-
umgekehrt durch Kopplung eines isolierten spezifischen hilfe einer Standardkurve.
Antikörpers ein Antigen isoliert werden. Gekoppelt Man unterscheidet grundsätzlich drei ELISA-­
werden kann an eine Fülle kommerziell erhältlicher Trä- Systeme, die in einer großen Fülle von Varianten für alle
ger, die je nach Art der Affinitätschromatographie un- möglichen Zwecke entwickelt worden sind (. Abb. 6.22).

terschiedliche Eigenschaften haben (Dextran, Agarose, Zunächst gibt es ein EIA-System, das mithilfe eines
Silicat und andere Träger, wie z.  B. magnetische Parti- enzymmarkierten Antigens kompetitiv nicht markiertes
kel). Die Träger unterscheiden sich auch hinsichtlich der Antigen in komplexen Proteinmischungen messen kann
chemischen Gruppe, über die ein Protein gekoppelt wer- (. Abb. 6.22A). Dieses Prinzip entspricht dem kompe-

den kann (z.  B. –NH2, –COOH, –SH). Die Isolierung titiven Festphasen-RIA.  Wie beim RIA kann die Ver-
erfolgt gewöhnlich über die Bindung und Elution von drängung des markierten Antigens mit Standardlösun-
granulären Trägern in einer Chromatographiesäule. Der gen nicht markierten Antigens kalibriert werden. Über
gebundene und freigewaschene Partner wird dann meis- eine Standardkurve kann der Verdrängungsgrad
tens im Sauren eluiert (. Tab.  6.1 ) und anschließend (. Abb.  6.22Aa–c) durch ein unbekanntes Antigen
   

neutralisiert. über die Standardkurve exakt quantifiziert werden.


Die Affinitätschromatographie kann unter entspre- Eine zweite Variante des EIA, der nichtkompetitive
chenden Bindungs- und Elutionsbedingungen auch ELISA, arbeitet mit sukzessiv applizierten Reagenzien
über eine Substrat-Enzym-Bindung, eine Nucleinsäu- (. Abb.  6.22Ba). Das System entspricht der Anord-

ren- und Komplementärstrangbindung und jede andere nung typischer Bindungstests, wobei das an eine Mikro-
Art einer biospezifischen Bindung erfolgen. Die Versati- titerplatte adsorbierte Antigen einen Antikörper bindet,
lität dieser Methoden und die gewöhnlich sehr hohe Ef- der über typische Amplifikationen (A) nachgewiesen
fizienz der Reinigung, die über biospezifische Bindun- werden kann. Das Erkennungs- und Amplifikationssys-
gen erreichbar sind (100–1000-fache Anreicherungen tem für den Nachweis dieser Bindung ist meist das in-
sind in einem Schritt je nach Ausgangslage möglich), direkte, kann aber auch ein anderes in . Abb. 6.19 dar-

haben die Affinitätschromatographie zu einer der wich- gestelltes System sein. Diese ELISA-Variante dient vor
tigsten präparativen Methoden in der Biochemie werden allem zur Untersuchung von Antikörpern, deren Titer-
lassen. Vor allem kann bei einer sehr geringen Konzent- bestimmung oder der Aufdeckung der Antigen- und
ration von Proteinen in hochkomplexen Proteinlösun- Epitopspezifität sowie der Epitopkartierung monoklo-
gen und der Aussichtslosigkeit einer Isolierung mithilfe naler Antikörper.
klassischer Verfahren die biospezifische Konzentration Ein weiteres System, der Sandwich-ELISA, dient vor
des Liganden den entscheidenden Vorteil bedeuten. allem der Quantifizierung von Antigenen, die in niedri-
ger Konzentration in komplexen Mischungen vorliegen.
6.3.3.3 Enzymimmunassays (EIA, ELISA) Dieser ELISA beginnt mit der Immobilisierung eines
Die Entwicklung der Prinzipien des Enzymimmunas- spezifischen Antikörpers in einer Mikrotiterplatte, des
says (EIA), dessen erste Darstellung durch Eva Engvall Fangantikörpers (catching antibody), der das relevante
und Peter Perlman 1971 erfolgte und ELISA (Enzyme-­ gelöste Antigen bindet. Ein wesentlicher Aspekt ist die
linked Immunosorbent Assay) genannt wird, ist durch durch den Fangantikörper bedingte Konzentrationsstei-
die notwendige Vermeidung der im RIA verwendeten gerung des Antigens. Durch diese Konzentrierung aus
Radioaktivität entscheidend vorangetrieben worden. hoch verdünnten Lösungen kann dieser ELISA daher
Beim EIA/ELISA wird als Amplifikator eine durch eine Empfindlichkeit erreichen, die der des RIA nahe
ein Enzym katalysierte Substrat- mit folgender Chromo- kommt. Das durch den Fangantikörper gebundene Anti-
genumwandlung genutzt. Das lösliche und farblose gen kann nun (. Abb. 6.22Bb) mit einem zweiten mar-

Chromogen wird, in der Regel durch Alkalische Phos- kierten Antikörper detektiert werden. Hierbei ist es wich-
phatase oder Peroxidase, zu einem löslichen, gefärbten tig, dass der Detektionsantikörper (detection antibody)
und quantifizierbaren Farbstoff umgesetzt. Alle Reak- eine andere Epitopspezifität hat als der Fangantikörper.
tionen des EIA/ELISA finden mit einem immobilisier-
104 H.-D. Chang und R. P. Linke

A B C

Enzym-markiertes Antigen

(Paratop-Subsites)

(Epitop-Subsites)

..      Abb. 6.22  Enzymimmunassay EIA, heterogen und homogen. A dargestellt; das Antigen wird von zwei Antikörpern unterschiedlicher
Kompetitiv (wie RIA, 7 Abschn.  6.3.2), a mit 100  % markiertem
  Spezifität über zwei entsprechend verschiedene Epitope gebunden. C
Antigen, b 50 % Verdrängung von markiertem (E) durch unmarkiertes Homogener EIA, sehr schematisch. a Antigen-Antikörper-­Reaktion
Antigen, c völlige Verdrängung des markierten Antigens durch un- bedingt partielle oder komplette Inaktivierung des katalytischen Zen-
markiertes. E: enzymatische Aktivität als Amplifikator. B ELISA a trums. b Antigen-Antikörper-Reaktion bedingt durch eine Konforma-
einfach, b Sandwich-ELISA; (A) Amplifikator wie in . Abb.  6.19
  tionsänderung eine Aktivierung des katalytischen Zentrums

Im Gegensatz zu den besprochenen Varianten des Die homogenen Immunassays arbeiten in der in
EIA oder ELISA, die wegen der vielfachen Überschicht- . Abb. 6.22C dargestellten Weise. Das Prinzip des ho-

ungen mit diversen Reagenzien und Waschschritten als mogenen EIAs beruht auf einer Änderung einer enzy-
heterogen bezeichnet werden, gibt es auch den homoge- matischen Aktivität, die durch die Antigen-Antikör-
nen EIA.  Diese Variante wird in einem einzigen Röhr- per-Reaktion ausgelöst wird. Homogene Immunassays
chen ohne Waschschritte durchgeführt und kann daher sind so konstruiert, dass entweder ein katalytisches Zen-
in Minuten abgeschlossen werden. Da das homogene trum durch die Bindung eines nahen Haptens abgedeckt
System keine antikörperbedingten Amplifikations- wird und seine Aktivität verliert (. Abb. 6.22Ca), oder

schritte einschließt, ist es naturgemäß weniger empfind- dass ein Antigen über die Immunbindung eine sterische
lich als die heterogenen EIAs. Komformationsänderung erfährt, die zur Aktivierung
Immunologische Techniken
105 6
eines katalytischen Zentrums führt (. Abb.  6.22Cb).
  genau verfolgen und gleichzeitig quantifizieren kann.
Beide nachfolgenden Änderungen einer Enzymaktivität Die Biacore-Technik nutzt das Prinzip der Oberflächen-­
können quantifiziert werden. Über diese Änderung der Plasmon-­Resonanz (SPR, S für surface) (7 Abschn. 19.6),  

Enzymaktivität kann daher eine Immunreaktion im sel- die auf einem Sensorchip generiert wird. Die SPR beruht
ben Röhrchen unmittelbar nach Zugabe des Antikör- auf der Änderung des Reflexionswinkels von polarisier-
pers erkannt und quantifiziert werden. Dieser One-pot tem Licht auf der Glasinnenseite aufgrund eines Plasmons
eines Goldfilmes als Funktion der Menge von Proteinen,
Test, dessen Herstellung nicht trivial ist, kann leicht au-
tomatisiert werden und erlaubt einen sehr hohen Pro- die sich auf der Rückseite dieses Goldfilmes befindet
bendurchsatz in kurzer Zeit. (. Abb.  6.23A). Freies Antigen hat einen anderen Re-

flexionswinkel als antikörpergebundenes Antigen. Dieser


6.3.3.4 Oberflächen-Plasmon-Resonanz Sensorchip, der sich in einer kontinuierlich durchström-
(Surface Plasmon Resonance, baren Mikrozelle befindet, kann verschiedenen Liganden
Biacore-Technik) und Puffern aussetzt werden und die Kinetik und das Bin-
Biacore ist eine Bezeichnung für die erste Firma, die ein dungs- und Trennungsprofil für jedwedes Bindungspaar
System angeboten hat, das den Vorgang der spezifischen von Makromolekülen r­ egistrieren. Dabei wird die Ände-
Interaktion zweier Bindungspartner, wie z.  B.  Antigen-­ rung der SPR in quantitative Messwerte umgerechnet, wie
Antikörper-­Reaktionen, präzise identifizieren, zeitlich an einem Beispiel in . Abb. 6.23B dargestellt.

Antikörper

Antigen

Puffer in Sensorzelle

Fließrichtung
S
Sensorchip
S (Goldfilm auf
α1
Glasscheibe)
β2
β3 polarisiertes Licht
(Lichtkegel)
P
LQ D
reflektiertes Licht
(Kegel) mit
Absorptionsbande
A
LQ Lichtquelle

RU P Prisma
α1 β2 β3 α1
40 D Detektor

30 RU Resonanzeinheiten

20 α1 Winkel absorbierten
Lichts zur Zeit T1/T4
10
β 2/3 Winkel absorbierten
0 Lichts zur Zeit T2/T3

1 2 3 4 5 6 7 8
0 1 5 10 Zeit (in min)

B T1 T2 T3 T4

..      Abb. 6.23  Messung der Antikörperbindung an ein Antigen mit- schung überschüssigen Antigens; 4 zunehmende Antikörperbin-
hilfe der SPR-Biacore-Technik in Echtzeit. A Schematischer Aufbau dung; 5 Antikörperbindung gesättigt; 6 Puffer ohne Antikörper, Dis-
der Anordnung mit Lichtquelle (LQ), Sensorchip (S), Detektor (D) soziation zunächst der niedrig affinen Antikörper; 7 Dissoziation der
und kontinuierlich durchströmbarer Minikammer mit insolubilisier- höher affinen Antikörper mit denaturierendem Puffer (. Tab. 6.1)

tem Antigen auf der dem Puffer zugewandten Seite des Goldfilms. B und Regeneration für einen weiteren Test. α1 Winkel zur Zeit T1,
Das Messprofil der Antigen-Antikörper-Reaktion, die in a darge- Ausgangslage (Phase 1 und 8); β2 Winkel zur Zeit T2 (Phase 4, das in
stellt ist. Das Profil zeigt die in den Phasen 1–8 am Sensorchip ge- a dargestellte Stadium); β3 Winkel zur Zeit T3 in Phase 5; RU Reso-
bundenen Proteinmengen. 1 Basislinie (Sensorchip ohne Protein); 2 nanzeinheiten, eine Einheit entspricht 1pg mm−2. (Die Lichtkegel in
Antigenadsorption an den Goldfilm bis zur Sättigung; 3 Auswa- ihrem Verlauf durch das Prisma sind sehr vereinfacht dargestellt.)
106 H.-D. Chang und R. P. Linke

Da jeweils einer der beiden biomolekularen Bin- hinzugegeben. Antikörper und Antigen bilden Kom-
dungspartnern immobilisiert ist, gehört die Biacore-­ plexe, die das Komplement binden. Je mehr Antikörper-­
Technik zu den Bindungstests und unterliegt deren Ge- Antigen-Komplexe vorhanden sind, desto mehr Kom-
setzen, nach denen das spezifische Fenster für die plement wird gebunden. Durch Zugabe von
Messung der spezifischen Interaktion zweier Partner ge- Erythrocyten-anti-Erythrocyten-Komplexen kann die
funden werden kann (. Abb. 6.18). Dieses System kann
  Gegenwart von antigenspezifischen Antikörpern ausge-
sowohl die Assoziation als auch die Dissoziation beider lesen werden. Je mehr Komplement durch die
Partner in Echtzeit dokumentieren. Man gewinnt auch Antikörper-­Antigen-Komplexe gebunden wurde, desto
wichtige Hinweise zur Reaktionskinetik (Schnelligkeit weniger Komplement ist für die Lyse der Erythrocyten
der Assoziation und Charakteristika der Dissoziation) (Hämolyse) übrig. Dabei ist die Konzentration des aus
und zur Konzentration. Die Methode kommt ohne den lysierten Erythrocyten in das Medium ausgetrete-
Markierung und mit sehr geringen Proteinmengen aus. nen Blutfarbstoffs (Hämoglobin) der Messwert für die
Die Empfindlichkeit  – man kann eine spezifische Bin- Stärke der Lyse. Die Komplementfixation hat in der Me-
6 dung von 1  pg  mm−2 noch messen –, die Schnelligkeit dizin beim Nachweis von Antikörpern gegen verschie-
und Einfachheit der Durchführung nach eingehender denste Erregern eine große Rolle gespielt. Mittlerweile
Optimierung (nach Auffindung des spezifischen Fens- ist sie aber weitgehend vom ELISA (. Abb. 6.22) ver-

ters) treffen sich mit der Möglichkeit zur Automatisie- drängt worden.
rung und zu High-Throughput-Techniken. Für die Isolierung bestimmter Zellen aus gemischten
Dieses System kann für die Auffindung von Reak- Zellpopulationen ist die komplementinduzierte Lyse mit
tanden in großen Serien verschiedener Substanzen ein- komplementbindenden monoklonalen Antikörpern zur
gesetzt werden, aber auch für die Optimierung von Bin- Elimination unerwünschter Zellen ein gängiges
dungseigenschaften der gefundenen Liganden, was vor ­Verfahren.
allem auch wegen der hohen Durchsatzzahlen pro Zeit
bei der Auffindung neuer Medikamente einschließlich
von Immunpharmaka eingesetzt wird. 6.5  Methoden der zellulären Immunologie

Dieser Abschnitt befasst sich mit der Identifizierung,


6.4  Komplementfixation
Quantifizierung und Isolierung bestimmter Zelltypen
mithilfe immunologischer Techniken. Wie lösliche Anti-
Das Komplementsystem gehört zum angeborenen Im-
gene, so können auch intracytoplasmatische und Zell-
munsystem und besteht aus einer Reihe von Proteinen,
oberflächenantigene als Marker für die Identifizierung,
die nach Aktivierung eine enzymatische Amplifi-
die nähere Charakterisierung, die Quantifizierung und
zierungskaskade durchlaufen, die letztendlich zur Bil-
Isolierung von Zellen eingesetzt werden. Diese Marker
dung von Poren in der Zellmembran und zur Lyse der
oder Muster von Markern, die eine zunehmende Kom-
Zielzelle führen (Jules Bordet, Nobelpreis 1919). Be-
plexität, angefangen von Bakterien bis zu höheren mul-
stimmte Antikörperisotypen (beim Menschen IgM,
tizellulären Organismen, zeigen, können heute mittels
IgG1, IgG2 und IgG3) sind in der Lage Komplement-
einer Fülle kommerzieller monoklonaler Antikörper si-
komponenten zu fixieren und zu aktivieren.
cher erkannt und während der Entwicklung der Zellsys-
Da Komplementkomponenten stöchiometrisch an Anti-
teme verfolgt werden. So kann auch die Differenzierung
ganzer Zellstammbäume ausgehend von der Zygote bis
Komplementkomponenten
zum ausdifferenzierten Organismus, das heißt von seiner
Komplementkomponenten sind eine Reihe von Se- Entstehung bis zum Alter, mithilfe immunologischer
rumproteinen des Komplementsystems, die z. B. durch Techniken verfolgt werden. Die Entwicklung dieser
eine Antigen-Antikörper-Reaktion über IgM und IgG Analysemöglichkeit expandiert unaufhörlich und ist
aktiviert werden mit der Folge einer kaskadenartigen noch nicht abgeschlossen.
Aktivierung, an deren Ende ein Proteinkomplex steht,
der Zellmembranen lysieren und damit z. B. Bakterien
vernichten kann. 6.5.1 Immunhistochemie,
Immuncytochemie

gen-Antikörper-Komplexe binden, kann man sie zur Während in den vorherigen Abschnitten Methoden be-
Quantifizierung von sowohl Antigenen als auch Anti- sprochen wurden, mit deren Hilfe lösliche Proteine oder
körpern verwenden. In der Klinik wurde der Komple- insolubilisierte Proteine untersucht werden können, be-
mentfixationstest zum Nachweis von spezifischen Anti- schäftigt sich dieser Abschnitt mit Proteinen in situ. Mit-
körpern im Serum eingesetzt. Zum Serum werden eine hilfe dieser Methoden kann die Frage nach der mikros-
standardisierte Menge an Komplement und das Antigen kopischen (7 Kap.  9) und elektronenmikroskopischen

Immunologische Techniken
107 6
(7 Kap. 23) Lokalisation bestimmter Proteine und an-
  den die hier verwendeten löslichen, farblosen Chromo-
derer Substanzen innerhalb des Gewebeverbandes oder gene durch die chromogene Oxidation unlöslich, sodass
innerhalb der Zellen beantwortet werden. Die Immun- sie als gefärbte Farbindikatoren in unmittelbarer Nähe
detektion im Gewebe (Immunhistochemie) und an Ein- des Antigens in den Gewebemaschen hängen bleiben.
zelzellen (Immuncytochemie) ist seit der Einführung der Auf elektronenoptischer Ebene haben sich elektro-
Immunfluoreszenz durch Albert H. Coons 1941 eine mit nendichte Korpuskeln bewährt. Wegen der großen Ver-
einer großen Zahl von Varianten etablierte Standardme- satilität verwendet man heute vielfach Goldkolloid, das
thode zur meist qualitativen Erkennung bestimmter elektronendicht und in verschiedenen Größen für die
Antigene. Identifizierung unterschiedlicher Antigene am selben
Die Vorbereitung der Gewebe und Zellen ist von ent- Ultradünnschnitt herstellbar ist.
scheidender Bedeutung für den Erfolg der Immundetek- Es sind auch Methoden bekannt, mit deren Hilfe
tion, denn die antigenen Determinanten der gesuchten man am selben Schnitt unterschiedliche Antigene nach-
Antigene müssen beim Einsatz dieser Methoden verfüg- weisen kann. Hierzu können zur Unterscheidung ver-
bar sein. Heute gibt es licht- und elektronenoptische im- schiedener Antigene anders färbende Chromogene ein-
munhistochemische Verfahren sowohl für die Untersu- gesetzt werden, wobei die Diskriminierung von mehr als
chung von nativen Gewebeschnitten als auch von drei Antigenen gleichzeitig schon schwierig wird. Durch
Schnitten von fixiertem Gewebe, das in Paraffin oder den Einsatz von verschiedenen fluoreszenten Farbstof-
Kunststoff eingebettet wurde. fen (Fluorochromen) in der Fluoreszenzmikroskopie
Immunreaktionen können am nativen Gewebe erfol- (Immunfluoreszenz) kann die Anzahl der zu detektieren-
gen, d. h. vor dem Schneiden und Einbetten (Prozessie- den Antigene noch weiter erhöht werden (. Abb. 6.24).  

rung). Diese Methode wurde in früheren Jahren wegen Hier sind die Anzahl der Laser für die Anregung ver-
der besseren Verfügbarkeit der antigenen Determinanten schiedener Fluoreszenzfarbstoffe und die Anzahl der
vorgezogen. Wesentliche Probleme sind jedoch die Fluoreszenzdetektoren limitierend. Durch zyklische
schlechte Penetration der relativ großen Antikörper in Färbe- und Entfärbe-Reaktionen von Fluoreszenzfarb-
das Gewebe und die erschwerte Auswaschung der nicht stoffen auf einem Gewebsschnitt kann die Anzahl der
gebundenen Reagenzien. Heute führt man die Immun- Antigene, die detektiert werden können, extrem erhöht
detektion meist nach dem Prozessieren am Schnitt selbst werden. Diese Methode wurde erstmals von Walter
durch, der nativ oder fixiert sein kann. Viele der erforder- Schubert 1997 beschrieben und von ihm Multi-epitope
lichen antigenen Determinanten können mit bestimmten Ligand Cartography (MELC) genannt (. Abb.  6.25)  

Fixativen unverändert erhalten werden, z. B. mit 2 % Pa- (7 Kap. 46). Hierbei wird die Fluoreszenz, die durch die

raformaldehydlösung bei 0 °C für einige Stunden. Ande- Antikörper auf den Gewebsschnitt gebracht wurde, mit-
rerseits kann man den fixationsbedingten Verlust von tels Weißlicht ausgebleicht, bevor mit dem nächsten
antigenen Determinanten durch enzymatische Vorbe-
handlung von fixiertem Gewebe oder durch „Ätzen“ von
Plastikschnitten durch H2O2 oder Natriumethoxid und
viele andere Methoden, die man auch als antigenic retrie-
val bezeichnet, teilweise wieder rückgängig machen.
Wegen der leichteren Handhabung und besseren mor-
phologischen Präservation werden heute meist fixierte
Gewebeschnitte für die Immunhistochemie eingesetzt.
Vor allem aber erscheint das Auffinden des spezifischen
Fensters mithilfe unterschiedlicher Konzentrationsrei-
hen verschiedener Reagenzien wesentlich leichter, wenn
die Optimierung nach der Prozessierung direkt auf dem
Gewebeschnitt durchgeführt werden kann. Da es sich
hier um klassische Bindungstests handelt, folgt auch die
Optimierung des Detektionssystems und die Auffindung
..      Abb. 6.24  Beispiel einer immunhistochemischen Detektion auf
des spezifischen Fensters nach den bereits oben genann- immunfluoreszenter Ebene. Immunfluoreszente Analyse eines Pey-
ten Regeln (7 Abschn. 6.3.3).
  er’schen Plaques vom Dünndarm einer Maus. Detektiert werden
In der Lichtoptik verwendet man zur Erkennung der B-Zellen mit einem anti-B220-Antikörper in Rot, T-Zellen mit einem
Bindung des Primärantikörpers an gesuchte Antigene CD4-Antikörper in Grün und dendritische Zellen mit einem CD11c-­
Antikörper in Grau. Bei allen Zellen wurde eine Kernfärbung (in
im Gewebeschnitt meistens die indirekte, die PAP- oder
blau) mit dem DNA-bindenden Farbstoff DAPI (4’,6-Diamidino-­2-
die ABC-Methode. Im Gegensatz zu Chromogenen, die phenylindol) durchgeführt. Zu sehen ist die typische Organisation
beim Mikro-ELISA (s. unten) verwendet werden und der immunologischen Struktur in getrennte Bereiche mit B- und
nach der chromogenen Oxidation löslich bleiben, wer- T-Zellen umgeben von dendritischen Zellen
108 H.-D. Chang und R. P. Linke

Immunfluoreszenzfärbung

A Entfärbung

..      Abb. 6.25  Immunfluoreszente Charakterisierung mittels der Fluoreszenzsignals durch Bleichen mit Weißlicht) aufgenommen. B
MELC-Methode. Beispiel einer 10-­ParameterImmunfluoreszenzfärbu Überlagerung von jeweils 4 Fluoreszenzsignalen auf dem Gewebs-
ng einer humanen Tonsille. A Die angegebenen Parameter werden in schnitt. Links: CD3 rot, Foxp3 grün, CD11c blau, CD31 weiß; rechts:
wiederholten Zyklen (Immunfärbung mit jeweils unterschiedlichen CD19 rot, CD138 grün, IgG blau, Bcl6 weiß (mit freundlicher Geneh-
Antikörpern, Aufnahme des Fluoreszenzsignal und Entfernen des migung von Dr. Anna Pascual-Reguant und Prof. Dr. Anja E. Hauser)

Antikörper mit dem gleichen Fluorochrom ein weiteres In Kombination mit Antikörpern, an die Fluoro-
Antigen gefärbt wird. Dieser Färbe-Ausbleich-­Zyklus chrome gekoppelt sind, können auch Antigene auf oder
kann mehrfach wiederholt werden. in den Zellen detektiert und relativ quantifiziert werden.
Die Zellbiologie hat einen großen Aufschwung ge- Hierzu werden direkt oder indirekt (. Abb.  6.19) mit

nommen mit der Möglichkeit, das Schicksal von Myria- Antikörpern markierte Zellen einzeln an einem oder
den von Proteinen und Proteinkomplexen verfolgen zu mehreren Laserstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge
können. So interessiert die Zell- und Gewebezusammen- vorbeigeleitet, die die Fluoreszenz der Farbstoffe anre-
setzung etwa in der Ontogenese, die Funktionsänderung gen. Um die Zellen im Laserlicht zu fokussieren, wird
während der Entzündung, der Apoptose und der Neo- die Zellsuspension (Probenstrom) in einen Flüssigkeits-
plasie. strom (Hüllstrom) injiziert (. Abb.  6.26). Durch eine

höhere Fließgeschwindigkeit des Hüllstroms relativ zum


Probenstrom entsteht ein laminarer Fluss, in dem sich
der Strom der Zellsuspension auf den Durchmesser der
6.5.2 Durchflusscytometrie Zellen verjüngen lässt. Alternativ werden in manchen
Geräten auch Schallwellen genutzt, um die Zellen zu fo-
Die Durchflusscytometrie ist die am weitesten verbreitete kussieren (acoustic focussing). In modernen Durchfluss-
Methode, um Zelltypen zu identifizieren, quantifizieren cytometern können mehrere Tausend Zellen pro Se-
und charakterisieren. Das Prinzip der Durchflusscytome- kunde gemessen werden.
trie wurde von Wallace Coulter Ende der 1940er-Jahre Am Messpunkt werden sowohl die Lichtstreueigen-
entwickelt und basierte auf dem Prinzip, dass Zellen, schaften als auch die Fluoreszenzsignale der einzelnen
während sie durch eine kleine Öffnung von einer Kam- Zellen gemessen. Bei den Lichtstreueigenschaften, in der
mer in eine andere Kammer fließen, den elektrischen Wi- Regel die vom primären 488-nm-Laser (blau) induzier-
derstand zwischen zwei Elektroden verändern. Dadurch ten, wird zwischen der Vorwärtsstreuung (forward angle
kann sowohl die Zellzahl als auch die Größe der Zellen scatter) als Annäherung für die Größe und die Seit-
sehr genau bestimmt werden. Der Coulter-Zähler wird wärtsstreuung (side oder 90° angle scatter) als Annähe-
aufgrund seiner Einfachheit und Genauigkeit heutzutage rung für die Granularität der Zellen unterschieden.
noch zur Blutzellzählung weitverbreitet eingesetzt. Über ein System aus Spiegeln und optischen Filtern
Immunologische Techniken
109 6
A Hüll-
flüssigkeit

Probe

Seitwärtsstreulicht- und
Fluoreszenzdetektoren

optische Filter und Spiegel


Laser
Vorwärts-
streulichtdetektor
optischer Filter

1 2 3
CD19
SSC

CD8

FSC CD3 CD4

..      Abb. 6.26  Prinzip eines Durchflusscytometers. Das Durchfluss- Zellen nach FSC (Vorwärtsstreuung, Maß für die Größe) und SSC
cytometer dient zur Messung von einzelnen immunmarkierten und (Seitwärtsstreuung, Maß für die Granularität). Zu erkennen sind in
gefärbten Zellen. A Die Zellprobe wird in eine Hüllflüssigkeit den „Punktewolken“ (Zellpopulationen) von unten nach oben die
­injiziert und hydrodynamisch fokussiert am Laserlicht vorbeigelei- Lymphocyten, Monocyten und Granulocyten. 2 Darstellung der in 1
tet. Das Streulicht und das Fluoreszenzsignal von mehreren Tausend rot eingegrenzten Lymphocyten anhand der Immunfärbung mit An-
Zellen pro Sekunde werden in mehreren Detektoren gemessen. B tikörpern gegen CD19 (Marker für B-Zellen) und CD3 (Marker für
Beispiel einer Analyse von weißen Blutzellen mithilfe eines Durch- T-Zellen). 3 Auftrennung der CD3+ T-Zellen anhand der Immun-
flusscytometers. Gezeigt ist humanes Vollblut nach Lyse der Er- färbung gegen CD4 (Marker für T-Helferlymphocyten) und CD8
ythrocyten. Jede gemessene Zelle stellt einen Punkt dar, der in der (Marker für cytotoxische T-Zellen)
jeweiligen bivariaten Darstellung aufgetragen ist.1 Auftrennung der

wird das Fluoreszenzsignal der verschiedenen Fluoro- der Zelle bekommen. Hierfür werden leichte Detergen-
chrome jeder gemessenen Zelle aufgetrennt und ein spe- zien, wie z.  B.  Saponin, NP-40, Tween oder Triton
zifischer Wellenlängenbereich (ca. 20–50 nm) auf hoch- X-100, genutzt, um die Plasmamembran zu durchlö-
sensitive Photodetektoren geleitet und quantitativ chern, damit Antikörper auch in das Innere der Zelle
gemessen. Mittlerweile können mit den modernsten Ge- kommen. Um zu verhindern, dass der intrazelluläre In-
räten bis zu 30 „Farben“ auf einzelnen Zellen gemessen halt durch die perforierte Plasmamembran ausläuft,
werden und unterschiedliche Zellarten z. B. nach ver- müssen die Zellen zuvor z. B. in 2 % Paraformaldehyd-
schiedenen Oberflächenmarkern (CD-Marker, Cluster lösung fixiert werden.
of Differentiation) unterschieden werden. Da diese Tech- Ein Problem der konventionellen fluoreszenzba-
nologie auf spezifischer Antigen-Antikörper-­Interaktion sierten Durchflusscytometrie, wie sie oben beschrieben
beruht, ist, wie in 7 Abschn. 6.3.3 beschrieben, das op-
  ist, ist die spektrale Überschneidung von Fluoroch-
timale spezifische Fenster für jeden Antikörper zu be- romen, wodurch zwei oder mehrere Fluorochrome
stimmen (. Abb. 6.18). Für die Messung intrazellulärer
  im gleichen Photodetektor gemessen werden können
Antigene müssen die Antikörper Zugang zum Inneren (. Abb. 6.26A). Diese spektrale Überschneidung kann

110 H.-D. Chang und R. P. Linke

zu falsch-positiven Signalen führen und muss mathema- metallisotope gekoppelt. Zur Detektion werden die mit
tisch korrigiert werden (Kompensation), indem der An- Antikörpern markierten Zellen in einem Aerosol einzeln
teil des Signales, der in den „falschen“ Photodetektor in ein induktiv gekoppeltes Plasma injiziert. Bei Tem-
hineinstrahlt, subtrahiert wird (. Abb.  6.26A). Trotz
  peraturen von ca.  6000  K werden die Zellen atomisiert
der Kompensationsmöglichkeit wird dennoch die An- und ionisiert. Nach Filtration der Ionen mit niedriger
zahl der verschiedenen Fluorochrome, die gleichzeitig Masse, d. h. aller biologischstämmigen Ionen, in einem
eingesetzt werden können, eingeschränkt. Quadrupol, werden die Schwermetallionen im Time-of-
Weitere technologische Entwicklungen versuchen Flight-­Massenspektrometer identifiziert und quantifi-
diese Einschränkung zu umgehen. Auf zwei Ansätze soll ziert (. Abb.  6.28). Mit der Massencytometrie können

hier kurz eingegangen werden, auf die multispektrale theoretisch über 100 Parameter, d. h. Antigene, auf Ein-
Durchflusscytometrie und die Massencytometrie. In der zelzellebene bestimmt werden. Im Moment ist dies noch
multispektralen Durchflusscytometrie wird das Fluores- durch die Erhältlichkeit von hochaufgereinigten Metal-
zenzsignal über das gesamte sichtbare Spektrum (400– len auf ca. 50 Parameter beschränkt. Ein entscheidender
6 800 nm) in mehreren Photodetektoren gemessen. Über Nachteil der Massencytometrie ist, dass die Zellen nach
spektrale Entmischung (spectral unmixing) wird der je- der Messung nicht mehr für weitere Analysen vorhanden
weilige Anteil eines Fluorochroms zum Gesamtspekt- sind und nicht mehr sortiert werden können. Allerdings
rum errechnet (. Abb. 6.27B). Dies ist möglich, da das
  kann die Massencytometrie auch eingesetzt werden, um
Fluoreszenzspektrum eines Fluorochroms relativ kons- Gewebsschnitte mit einer ebenfalls so hohen Parameter-
tant ist. Somit spielen spektrale Überschneidungen von anzahl zu analysieren. Dazu wird ein Gewebsschnitt nach
mehreren Fluorochromen keine Rolle mehr, und es kön- Färbung mit schwermetallisotopen-gekoppelten Anti-
nen auch Fluorochrome mit sehr ähnlichem Fluores- körpern mithilfe eines Lasers in 1 μm × 1 μm Fragmente
zenzspektrum unterschieden werden. „zerschossen“, die dann nacheinander in das induktiv ge-
In der Massencytometrie, auch CyTOF (Cytome- koppelte Plasma injiziert und gemessen werden. Danach
try by Time-of-Flight) genannt, werden die Antikörper wird ein Bild vom Gewebe mit den gefärbten Antigenen
nicht an Fluorochrome sondern an reine, stabile Schwer- bioinformatisch wieder rekonstruiert (. Abb. 6.28).

A
Fluoreszenzintensität
relative

= –

Wellenlänge (in nm)

B
Fluoreszenzintensität
relative

Wellenlänge (in nm)

..      Abb. 6.27  Schematische Darstellung der Überschneidung der falsch-positiven Signalen führen. Mittels mathematischer Korrektur
Emissionsspektren unterschiedlicher Fluoreszenzfarbstoffe in den (Kompensation) müssen die überlappenden Signale herausgerechnet
jeweiligen Detektionskanälen eines Durchflusscytometers. A Fluo- werden. B Bei der Multispektral-Cytometrie wird das gesamte Fluo-
reszenzdetektion mittels Fluoreszenzfiltern. Anhand der relativ brei- reszenzspektrum einer gefärbten Zelle gemessen. Mittels spectral
ten Emissionsspektren der Fluoreszenzfarbstoffe werden Signale unmixing kann der Beitrag eines jeden Fluorochroms zum Gesamt-
von spektral benachbarten Fluorochromen im selben Detektor (De- fluoreszenzspektrum einer Zelle berechnet werden
tektionsbandbreite der Detektoren in grau) gemessen und können zu
Immunologische Techniken
111 6
Time-of-Flight-
Massenspektrometer

Nebulizer ICP Quadrupol

..      Abb. 6.28  Funktionsweise des Massencytometers, CyTOF. An- leichten Ionen biologischer Herkunft werden im Quadrupol heraus-
tikörper, an die Schwermetallisotope gekoppelt sind, werden für die gefiltert und die übriggebliebenen Schwermetallionen werden im Ti-
Immunmarkierung von Zellen genutzt. Eine Suspension der mar- me-of-Flight-Massenspektrometer (TOF) identifiziert und quantifi-
kierten Zellen wird über den Nebulizer in feine Tröpfchen mit jeweils ziert. Über die bestimmten Schwermetalle kann bestimmt werden,
einer Zelle zerstäubt. Die einzelnen Zellen werden in einem induktiv welche Antigene und wie viele auf der einzelnen Zellen vorhanden
gekoppelten Plasma (ICP) bei 6000 K atomisiert und ionisiert. Die waren

6.5.3 Serielles Zellsortierverfahren 6.5.4 Parallele Zellsortierverfahren

Eine wichtige Erweiterung der fluoreszenzbasierten Neben der fluoreszenzaktivierten Zellsortierung, bei der
Durchflusscytometrie ist die Zellsortierung. Das Prinzip jede Zelle einzeln analysiert und sortiert wird, gibt es auch
der Einzelzellsortierung wurde 1965 von Mack Fulwyler sog. parallele Zellsortierverfahren, die den Vorteil haben,
entwickelt und basiert auf dem Prinzip eines Tinten- dass eine große Anzahl von Zellen gleichzeitig (parallel) an-
strahldruckers. Bei der Einzelzellsortierung wird der hand bestimmter Eigenschaften voneinander getrennt wer-
Probenstrom nach der Messung der Zellen, wie oben be- den kann. Die parallelen Zellsortierverfahren sind in der
schrieben, durch hochfrequente Vibration der Austritts- Regel auch schonender, da die Zellen nicht wie bei der fluo-
düse (4–200  kHz) in einzelne Tröpfchen gebrochen, in reszenzaktivierten Zellsortierung aufgrund der Beschleuni-
denen sich statistisch jeweils nur eine Zelle befindet. gung durch eine Düse Scherkräften ausgesetzt sind. Lym-
Nach der Messung der Zellen in der Messkammer gibt phocyten und Monocyten aus dem Blut von Mensch und
es ein Zeitfenster, bevor die im Tröpfchen verpackte Tier können mithilfe der Dichtegradientenzentrifugation
Zelle den Kontakt mit dem Probenstrom verliert (drop getrennt werden. Die erforderliche Dichte wird mithilfe ei-
delay). Dieses Zeitfenster ist konstant und erlaubt das nes Dichtemediums, z. B. Ficoll Isopaque, vorgegeben, so-
exakte Timing für einen elektrischen Puls, der an den dass die weniger dichten mononuclearen Zellen oben auf
Probenstrom angelegt wird und dem Tröpfchen am Ab- dem Dichtmedium verbleiben, während die dichteren Er-
bruchpunkt (break-off point) eine positive oder negative ythrocyten, Plättchen und Granulocyten während der Zen-
elektrische Ladung überträgt. Das Tröpfchen passiert trifugation durch das Dichtemedium bis auf den Grund
daraufhin zwei geladene Kondensatorplatten, die das des Röhrchens sinken und damit von den mononuclearen
Tröpfchen je nach Ladung in das entsprechende Sam- Zellen getrennt werden. Auch lassen sich T-Zellen des Men-
melröhrchen ablenken. Der Ablenkungswinkel kann je schen mithilfe von Schaf-Erythrocyten trennen, gegen die
nach Stärke der elektrischen Ladung verändert werden, die T-Zellen Rezeptoren tragen. Die von Schaf-Erythrocy-
sodass bis zu sechs verschiedene Zelltypen gleichzeitig ten umringten T-Zellen (direktes Rosetting) verändern die
sortiert werden können. Auf diese Weise kann man bis Dichte der Komplexe, die sich dann mithilfe eines Dichte-
zu 100.000 Zellen pro Sekunde analysieren und in Sub- gradienten von anderen Zellen abtrennen lassen. Erythro-
populationen zur weiteren Analyse oder für funktionelle cyten lassen sich auch mit Antikörpern beladen und erlau-
Tests separieren (. Abb.  6.29). Die Technologie bzw.
  ben dann die Technik des inversen Rosetting.
die Geräte werden oft als FACSTM (Fluorescence-­ Zellen kann man auch mithilfe der Immunadhäsion
activated Cell Sorter) bezeichnet, nach einem eingetra- trennen. Zellen können mittels Antikörper, die entweder
genen Markenzeichen der Firma Becton-Dickinson, die direkt an einer Platte gebunden sind oder indirekt über
das erste fluoreszenzbasierte Zellsortiergerät, entwickelt Anti-Antikörper (Sekundärantikörper) an einer Platte
von Leonard Herzenberg an der Stanford Universität, anhaften, von den nicht haftenden Zellen durch Abspü-
auf den Markt gebracht hat. len getrennt werde, eine Methode, die Panning genannt
112 H.-D. Chang und R. P. Linke

Marktführer auf dem Gebiet der magnetischen Zellsor-


tierung, hat das Akronym MACS® für Magnetic Cell
Sorting in Anlehnung an FACSTM erfunden.

vibrierende Düse
elektrischer Ladungsgeber 6.6  Herstellung von Antikörpern

Laser Im Folgenden wird aufgezeigt, wie Immunreagenzien


Messpunkt gegen Antigene, z. B. gegen Proteine und Haptene, her-
drop delay gestellt werden können. Voraussetzung ist der Zugang
zu einem Tierlabor, das behördlicher Aufsicht unterliegt
break-off point und von einem Tierarzt betreut wird, und/oder zu einem
– Gewebekulturlabor für die Herstellung monoklonaler
6 + Antikörper, wenn die Antikörper oder die Fv-­Fragmente

(V-Module) nicht gentechnisch hergestellt werden.
+
Antikörper können aber auch gegen Polysaccharide,
+ – Glykolipide und fast alle chemischen Gruppen hergestellt
– +
– + elektrisch geladene werden, die aber eine Reihe von Voraussetzungen mit-
– + bringen müssen, um immunogen zu sein (. Tab. 6.2 ).
Kondensatorplatten  

+

+
– +
– +
+

+ 6.6.1 Arten von Antikörpern
..      Abb. 6.29  Funktionsweise eines Zellsortiergerätes. Die antikör- 6.6.1.1 Polyklonale Antiseren
permarkierten Zellen werden wie im Durchflusscytometer gemessen.
Im Gegensatz zum normalen Durchflusscytometer wird beim Zell-
Um Antiseren herstellen zu können, werden verschie-
sortiergerät die Düse in Vibration versetzt, sodass der Probenstrom dene Labortiere (Maus, Ratte, Meerschweinchen) und
in kleine Tropfen gebrochen wird. Da mehr Tropfen pro Sekunde Haustiere (Kaninchen, Ziege, Schaf, Schwein, Pferd,
generiert werden, als Zellen pro Sekunde durchlaufen, wird statis- Lama, Huhn; etwa in der Reihenfolge der Wichtigkeit)
tisch nur eine Zelle in ein Tropfen verpackt. In einem definierten immunisiert. Diese Tiere werden eigens gezüchtet und
Zeitabstand nach Messung der Zelle bricht der Tropfen mit der Zel-
len vom Probenstrom ab (drop delay). Zum jeweiligen Zeitpunkt des
zur Antiserumgewinnung kommerziell angeboten. Das
Tropfenabbruchs vom Probenstrom (break-off point) wird der Pro- Antigen wird für die Immunisierung in unterschied-
benstrom mit einer elektrischen Ladung versehen, je nachdem, ob licher Weise vorbereitet und appliziert. Die Vorberei-
man die Zelle sortiert haben möchte oder nicht. In Abhängigkeit tung schließt den Einsatz von Adjuvantien zur Steige-
seiner Ladung wird der Tropfen mit der jeweiligen Zelle durch gela- rung der Immunantwort und damit die Erhöhung der
dene Kondensatorplatten in Auffangröhrchen abgelenkt
Antikörperkonzentration ein. Die erste Applikation
­
(Immunisierung) erfolgt meistens an multiplen Stellen
wird. Andere Methoden elimieren die unerwünschten in Form von Mikrodepositen streng intrakutan, was die
Zellen mithilfe von komplementfixierenden Antikör- Versuchstiere kaum belastet. Die resultierenden Antise-
pern und der komplementvermittelten Cytotoxizität ren enthalten eine große Fülle verschiedener Antikörper
(7 Abschn.  6.4) oder über Immuntoxine (mit Toxinen

mit unterschiedlicher Epitopspezifität und -affinität, de-
beladene Antikörper). Man kann Zellen auch in einer ren Zusammensetzung sich nach Blutabnahmezeit und
Affinitätssäule über an Nylonwolle adsorbierte Antikör- Zahl der Boosterinjektionen (Auffrischungsinjektio-
per binden und erreichen, dass die nicht markierten Zel- nen), die etwa monatlich nach der Erstimmunisierung
len ungehindert passieren können. subkutan oder/und intramuskulär stattfinden und auch
Das mittlerweile gängigste parallele Zellsortierver- Adjuvans enthalten, durch antigeninduzierte Expansion
fahren ist die magnetische Zellsortierung. Hierbei ist der immer neuer Plasmazellklone verändert.
Antikörper an einen eisenhaltigen Trägerpartikel gebun- Antiseren enthalten polyklonale Antikörper, die mit
den. In einem Magnetfeld können die markierten Zellen dem homologen Antigen reagieren, wie in . Abb. 6.6A

aus einem Zellgemisch selektiv abgetrennt werden. und 6.2C modellhaft dargestellt ist. Da ein natürliches
Durch Nutzung des ABC-Systems oder sekundäranti- Antigen gewöhnlich mehrere Determinanten hat, be-
körpergekoppelter Magnetpartikel kann man auch eine steht das polyklonale Antiserum in der Regel aus meh-
Depletion verschiedener unerwünschter Zelltypen im reren verschiedenen Antikörpern, die gegen mehrere
Magnetfeld erreichen. Dies findet Anwendung, wenn Epitope des Antigens gerichtet sind. Die Zusammenset-
eine Antikörpermarkierung des gewünschten Zelltyps zung der Antikörper ist individuell für jede Immunisie-
vermieden werden soll. Die Firma Miltenyi Biotec, der rung und für jedes Tier und ist daher nie exakt zu repro-
Immunologische Techniken
113 6
duzieren. Andererseits erkennt dieses Antiserum das Wegen seiner monovalenten Bindung an Antigene
Antigen in fast allen Konformationen, selbst nach stär- (. Abb.  6.6B) präzipitiert daher ein Peptidantiserum

kerer Denaturierung (reduktiver Spaltung der Disulfid- nicht, ist aber hochspezifisch in Bindungstests, voraus-
brücken und auch bei Anwesenheit bestimmter Deter- gesetzt, das Peptidepitop ist dem Immunogen homolog
genzien) oder nach Fragmentierung, da in vielen Fällen oder chemisch sehr ähnlich.
genügend antigene Determinanten für eine Bindung
übrig bleiben. Antiseren sind daher ideal zum Einsatz Monoklonale Antikörper
bei Immunpräzipitationsmethoden. Von einem Zellklon gebildete Antikörper chemisch
einheitlicher Struktur und Funktion, die in vitro durch
Adjuvans
Fusion von Immunmilzzellen induzierter Spezifität
Substanz, welche die Immunreaktion verstärkt und (mit begrenzter Lebensdauer) und potenziell unbe-
den Antikörpertiter erhöht. Bei einigen Schutzimpfun- grenzt wachsenden Tumor-B-Zellen hergestellt wer-
gen des Menschen werden Immunogene z. B. an Alu- den (7 Abschn. 6.4).
miniumverbindungen adsorbiert. Zum Immunisieren
von Versuchstieren zur Antiserumgewinnung haben
sich Mineralöle bewährt, die mit der Immunogenlö- Peptidantikörper werden nach Kopplung von Peptiden
sung emulgiert injiziert werden (inkomplettes an immunogene, hochmolare Trägermoleküle, wie Thy-
Freund’sches Adjuvans). Die Zugabe von abgetöteten reoglobulin oder KLH, hergestellt. In ähnlicher Weise
Mycobakterien (Mycobacterium tuberculosis) steigert werden auch Haptenantikörper gewonnen, die gegen
die Immunreaktion weiter (komplettes Freund’sches kleinere chemische Substanzen (etwa Steroidhormone,
Adjuvans; bei dieser Anwendung das Tierschutzgesetz Pharmaka, Drogen, Umweltgifte) hergestellt werden
befragen!). Es werden aber nur Teilkomponenten von können und gewöhnlich nur einen Teilabschnitt des Pa-
Bakterienmembranen als Adjuvans benutzt, um eine
ratops (paratope subsite) binden (. Abb. 6.2C).

geringere Entzündungsreaktion auszulösen.


Polyklonale Antikörper
Isotypwechsel, Antikörperklassenwechsel Antikörper gegen ein Antigen, die von vielen Zellklo-
Beim ersten Kontakt eines Organismus mit ei- nen gebildet werden und viele verschiedene Isotypen
nem Fremdantigen werden i.  A.  IgM-Antikörper mit unterschiedlicher Affinität zu verschiedenen Epi-
(7 Abschn. 6.1.3) gebildet. Bei weiterer Antigenexpo- topen repräsentieren. Durch Immunisierung indu-
sition werden jedoch zusätzlich IgG-Antikörper und zierte Antikörper sind meist polyklonal.
Antikörper anderer Immunglobulinklassen gebildet.
Es findet also ein Wechsel der Immunglobulinklassen
statt, den man als Isotypwechsel (class switch) be-
zeichnet. Dabei werden nur die konstanten Teile der
6.6.1.3 Monoklonale Antikörper
Immunglobuline ausgewechselt, d.  h. die variablen Eine einzelne B-Zelle produziert nur eine einzige Antikör-
Abschnitte und die Leichtketten der Immunglobu- perspezifität im Organismus (Gustav Nossal und Joshua
linmoleküle (.  Abb.  6.1) bleiben erhalten, wie auch Lederberg 1958), die selbst beim Isotypwechsel nicht ge-
die Antikörperspezifität. Durch die Wahl des Adju- ändert wird. Entartet solch eine B-Zelle n
­ eoplastisch mit
vans kann der Immunglobulin-Klassenwechsel zu be- der Folge ungebremster Proliferation, kann eine exorbi-
stimmten Isotypen bevorzugt werden. tante Menge dieses einen Antikörpers produziert werden
(homogener Antikörper). Am Auftreten dieses einen Im-
munglobulins im Blutplasma kann die Krankheit
6.6.1.2 Peptidantikörper (z.  B.  Multiples Myelom, Plasmocytom) diagnostiziert
Unter Peptidantikörpern versteht man polyklonale Anti- werden (. Abb. 6.12). Es handelt sich hier gewöhnlich um

körper gegen synthetische Peptide unterschiedlicher einen einzigen normalen Antikörper in exzessiver Menge,
Länge, die maßgeschneidert gegen ganz bestimmte, meist deren Spezifität man jedoch nur in Ausnahmefällen kennt.
funktionell oder strukturell wichtige Regionen eines Ma-
kromoleküls gerichtet sind, etwa zur Untersuchung kata-
lytischer oder anderer Bindungsfunktionen. Die Reaktion B-Zelle
von Peptidantikörpern entspricht der in . Abb.  6.6B
  Als B-Zellen/-Lymphocyten bezeichnet man die Lym-
gezeigten, nur dass diese gegen ein einziges oder wenige phocyten, welche sich zu antikörperbildenden Zellen,
Epitope reagieren, aber mit einer Fülle unterschiedlicher d. h. Plasmazellen, differenzieren. Diese Zellen gene-
Antikörper. Man erzeugt Peptidantikörper auch paar- rieren die humorale Immunität. Dagegen vermitteln
weise zur bimodalen Bindung eines Makromoleküls in be- die T-Zellen die zelluläre Immunität.
stimmten Assays (z. B. Sandwich-­ELISA, . Abb. 6.22).

114 H.-D. Chang und R. P. Linke

George Köhler und Cesar Milstein ist es 1975 (Nobel- stellt werden, da sie nicht für die genetische Instabilität
preis 1984) in der Maus gelungen, durch somatische Hy- der Hybridome anfällig sind, die von Zeit zu Zeit sub-
bridisierung (Fusion) von B- und entarteten Plasmazel- kloniert und selektioniert werden müssen.
len (Myelom), die keine eigenen Antikkörper mehr Bei der Produktion von Antikörpern durch die oben
herstellen, monoklonale Antikörper mit intendierter genannten Methoden gibt eine weitere Limitation, die
Spezifität von unbegrenzter Wachstumsdauer in der Ge- darin besteht, dass nur Antikörper bereitgestellt werden
webekultur zu erzeugen. Über einen chemischen Selek- können gegen Substanzen, die als Immunogene vom
tionsmechanismus für das Wachstum nur fusionierter Organismus erkannt werden können. Aufgrund bereits
Zellen (Hybridome) und die funktionelle Selektion über erwähnter Toleranz-/Kontrollmechanismen, die eine
die Antigenbindung werden nur Klone mit der ge- Immunantwort gegen körpereigene Strukturen unter-
wünschten Antikörperspezifität propagiert. drücken, ist es schwierig, Antikörper gegen Antigene
Die Hybridomtechnik hat die Immundetektion revo- herzustellen, die in Wirbeltieren evolutionär konser-
lutioniert, da nun Antikörper chemisch einheitlicher viert sind.
6 Struktur und Funktion in potenziell unbegrenzter Menge Ein Ansatz, diese Einschränkung zu umgehen, ist die
zur Verfügung stehen. Mit der Produktion monoklonaler gentechnische Herstellung von vollsynthetischen Antikör-
Antikörper gewann der Einsatz von analytischen und pern. Das Ausgangsmaterial für die Paratope sind Gen-
präparativen Antikörpern in Chemie, Biowissenschaften banken, aus denen dann die erstrebten Spezifitäten durch
und Medizin einen gewaltigen Aufschwung. Durch die kompetitive Mechanismen aus zufallsgenerierten Varian-
Möglichkeit der routinemäßigen Herstellung chemisch ten selektiert werden. Hochaffinität wird dann über die
einheitlicher Reagenzien in unbegrenzter Menge gegen Selektion entsprechender Varianten gewonnen (Affini-
praktisch jedes beliebige Antigen konnte ein bis dahin tätsreifung in vitro). Des Weiteren gibt es auch vielverspre-
nicht bekannter Grad von Präzision und eine erstaunli- chende Ansätze, Antikörper zu verkleinern bzw. deren
che Applikationsbreite erreicht werden, da man mit die- rekombinante Herstellung zu vereinfachen. Insbesondere
ser Technik der Schaffung eines Antikörpers als ein che- Single-­Chain-­Antikörper, die aus kovalent gebundenen
misches Reagens mit einheitlicher Struktur und Funktion Fv-Domänen in Form einer Polypeptidkette (scFv, single
sehr nahe kam. Daher wurden sowohl hochpräzise und chain Fv) bestehen, haben hier großes Potenzial.
automatisierbare In-vitro-Testsysteme möglich. Beson-
ders erwähnenswert ist die Anwendung von monoklonal-
ren Antikörpern als hochselektives therapeutisches 6.6.2  usblick: künftige Erweiterung
A
Agens in der Medizin. Solche Biologika erzielen heutzu- der Bindungskonzepte
tage mehrere Milliarden Euro Umsatz pro Jahr.
Die Entwicklung der Bioanalytik ist bei Weitem nicht
6.6.1.4 Synthetische Antikörper abgeschlossen. Die Entwicklung bisher nicht gekannter
Bindungsproteine mit bisher noch ungeahnten Möglich-
Rekombinante Antikörper keiten ist im vollen Gange. Dabei spielen nicht nur andere
Wirbeltierspezies mit ungewöhnlichen Antikörpern, wie
Gentechnisch hergestellte Antikörper, die klassische
z.  B Camelide mit natürlich vorkommenden scFv-An-
Antikörperfragmente, Miniantikörper oder kontinu-
tikörpern, eine Rolle. Besonders interessant sind auch
ierliche Antikörper darstellen können.
die diversen antigenbindenden Rezeptoren der nächsten
Verwandten der Wirbeltiere, der kieferlosen Agnatha,
deren Rezeptoren auf Leucin-rich Repeats (LRR) basie-
Eine Weiterentwicklung der Produktion von monoklo-
ren. Man kann aber auch an ­Bindungssysteme denken,
nalen Antikörpern durch die Hybridomtechnik ist die
die über die Biomimeten hinausgehen. Diese können
Herstellung von rekombinanten Antikörpern. Hierbei
auf jeder Struktur beruhen, sogar über die Proteine
werden die Gene für die leichte und schwere Antikörper-
hinaus. Insbesondere haben Nucleinsäuremoleküle,
kette gentechnisch kloniert und transgene Zelllinien her-
deren Sekundär- und Tertiärstruktur in Abhängigkeit
gestellt, die die Antikörper im großen Maßstab herstel-
der Nucleotidsequenz eine ähnlich hohe Diversität wie
len. Mittels gentechnischer Methoden kann man die
Antikörper erreichen (Aptamere und Spiegelmere), ein
Antikörper dann relativ einfach manipulieren und an
hohes Potential. Hier stehen vor allem auch für neue
die funktionellen Bedürfnisse anpassen, wie z. B. Verän-
Generationen von Wissenschaftlern Optionen offen, die
derung der konstanten Region auf einen anderen Isotyp
auch für die Bioanalytik ganz neue Perspektiven eröff-
oder sogar Spezies. Rekombinante Antikörper können
nen werden.
in der Regel auch über längere Zeiträume stabil herge-
Immunologische Techniken
115 6
Literatur und Weiterführende Literatur Oudin J (1946) Méthode d’analyse immunochimique par précipita-
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117 7

Chemische Modifikation von


Proteinen und
Proteinkomplexen
Sylvia Els-Heindl, Anette Kaiser, Kathrin Bellmann-Sickert
und Annette G. Beck-Sickinger

Inhaltsverzeichnis

7.1  hemische Modifikation funktioneller Gruppen


C
von Proteinen – 119
7.1.1 L ysinreste – 119
7.1.2 Cysteinreste – 122
7.1.3 Glutamat- und Aspartatreste – 123
7.1.4 Argininreste – 124
7.1.5 Tyrosinreste – 124
7.1.6 Tryptophanreste – 125
7.1.7 Methioninreste – 126
7.1.8 Histidinreste – 126

7.2  odifizierung als Mittel zur Einführung


M
von Reportergruppen – 127
7.2.1  ntersuchungen an natürlich vorkommenden Proteinen – 127
U
7.2.2 Untersuchungen an mutierten Proteinen – 130

7.3  rotein-Crosslinking zur Analyse


P
von Proteinwechselwirkungen – 132
7.3.1  ifunktionelle Reagenzien – 133
B
7.3.2 Photoaffinitätsmarkierung – 133

Literatur und Weiterführende Literatur – 143

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_7
118 S. Els-Heindl et al.

55 Die verschiedenen Funktionalitäten von Aminosäure- fikationen oder gerichtete Mutagenese zurückgreifen
seitenketten können durch eine Reihe von chemischen muss. In schwierigen Situationen, wenn z. B. die gerich-
Reaktionen selektiv adressiert und modifiziert werden. tete Mutagenese zu signifikanten Strukturänderungen
An nativen Proteinen reagieren häufig mehrere Reste, führt, ist man allerdings mitunter immer noch auf che-
eine erhöhte Selektivität kann durch Unterschiede im mische Modifikationen angewiesen. Wichtiger für die
lokalen pKa und der Zugänglichkeit oder in Kombina- NMR-spektroskopische Strukturanalyse ist heutzutage
tion mit gerichteter Mutagenese erreicht werden. jedoch die Markierung des Proteins mit 15N- und/oder
55 Anwendung findet dies zur funktionellen Untersu- 13C-Atomen auf dem Weg der Biosynthese.

chung einzelner Reste als Ergänzung zu gerichteter Dennoch ist die chemische Modifikation für die Be-
Mutagenese, zur Beladung von Proteinen mit diversem stimmung von Raumstrukturen gerade heute wieder
„Cargo“ (Antikörperkonjugate, Fluoreszenz- oder ra- wichtig und nützlich: Sie wird bei großen Proteinen ein-
dioaktive Markierungen usw.) sowie für strukturelle gesetzt, die der NMR-Strukturanalyse nicht zugänglich
Untersuchungen. sind, und bei Molekülen, von denen keine Kristalle für
55 Fluoreszenz- oder Spinsonden an spezifischen Positio- die Röntgenstrukturanalyse erhältlich sind. Hier erlaubt
nen liefern wertvolle Informationen zur lokalen Struk- z.  B. die Einführung von sog. Reportergruppen (Son-
7 tur und Dynamik von Proteinen. den), d. h. von Fluoreszenz- und Spinlabels, die Analyse
55 Crosslinker nutzen verschiedene Funktionalitäten oder der Mikroumgebung in Nachbarschaft der eingeführten
photoinduzierte Radikale zur Vernetzung von Protein- Gruppe durch Fluoreszenz- oder Spinresonanz- (EPR-)
komplexen, was zur Abschätzung von Abständen so- Spektroskopie. Sie ermöglicht darüber hinaus eine Ab-
wie Identifizierung funktioneller Interaktionen genutzt schätzung von intramolekularen Abständen, von Form
werden kann. und Dimension von Proteinmolekülen.
Viele biologisch wichtige Proteine (Rezeptoren,
Die chemische Modifikation von Proteinen spielte – und Transporter, Ionenkanäle, diverse Enzyme) sind Memb-
spielt noch immer – eine bedeutende Rolle in der Prote- ranproteine, deren Kristallisation heute noch immer
inforschung. Während sie im vergangenen Jahrhundert problematisch ist  – trotz der eindrucksvollen Fort-
hauptsächlich zur Identifizierung essenzieller funktio- schritte, die bei der Röntgenstrukturanalyse von Kali-
neller Gruppen in Enzymen diente, wird sie heute haupt- umkanälen, G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, Calci-
sächlich genutzt, um Reportergruppen einzuführen, die um-ATPasen und einigen anderen Membranproteinen
ihrerseits Informationen über die Struktur von Protei- in neuerer Zeit erzielt wurden. Für diese ist die Bestim-
nen sowie ihre Struktur-Wirkungs-­Beziehungen liefern mung räumlicher Zusammenhänge mithilfe von Repor-
oder ermöglichen, das Schicksal eines Proteins in der tergruppen, die durch kovalente Reaktionen mit dem
Zelle orts- und zeitaufgelöst, z. B. über Fluoreszenzmik- nativen Membranprotein in situ eingeführt werden,
roskopie, zu verfolgen. mehr als nur ein Notbehelf.
Historisch war die chemische Modifikation prak- Ein anderes Anwendungsgebiet der chemischen Mo-
tisch die einzige Möglichkeit zur Untersuchung von difikation ist die Analyse von Quartärstrukturen und
Struktur-Wirkungs-Beziehungen, worunter man damals von Komplexen mit anderen Proteinen. Hier besteht die
im Wesentlichen das Auffinden der für die enzymatische Methodik darin, kovalente Vernetzungen (Crosslinks)
Aktivität essenziellen funktionellen Gruppen verstand. zwischen Untereinheiten bzw. benachbarten Molekülen
Die Zugänglichkeit – oder umgekehrt die Nichtzugäng- einzuführen, wobei diese wiederum Proteine oder aber
lichkeit – einer funktionellen Gruppe für das modifizie- Nucleinsäuren, Lipide und Peptide sein können. Studien
rende Reagenz weist auf ihre Lokalisation an der Ober- dieser Art erlauben Rückschlüsse auf räumliche Bezie-
fläche bzw. im Innern des Proteins hin. Die Nähe einer hungen. Die Verwendung von Crosslinking-­Reagenzien
funktionellen Gruppe zu anderen kann sich auf charak- verschiedener Länge ermöglicht eine Abschätzung von
teristische Eigenschaften wie den pK-Wert auswirken, Abständen zwischen vernetzten Komponenten.
sodass chemische Modifikationsreaktionen Informatio- Auch abseits von strukturellen Untersuchungen ist
nen über räumliche Zusammenhänge geben können. die spezifische Modifizierung von Proteinen ein unver-
Zusätzlich war die Zuordnung von Signalen aus zichtbares Werkzeug bei zahlreichen praktischen An-
komplexen NMR-Spektren durch chemische Modi- wendungen der Proteinchemie: z.  B. bei der Synthese
fizierung eine wichtige Anwendung, was jedoch heute von Proteinkonjugaten für die Antikörpergewinnung,
leichter durch ortsgerichtete Mutagenese erfolgt. Der für die Herstellung von Chips für diverse Methoden der
schnelle Fortschritt der NMR-Technik in den letzten Affinitätsisolierung, für die Aufdeckung posttranslatio-
Jahrzehnten ermöglicht mittlerweile jedoch eine voll- naler Modifikationen, bei der radioaktiven Markierung
ständige Zuordnung von Signalen und die Aufklärung von Proteinen, der Synthese fluoreszenzmarkierter Pro-
von 3D-Strukturen von Proteinen bis zu 150–200 Ami- teine in der Zellbiologie für zeit- und ortsaufgelöste An-
nosäuren Länge, ohne dass man auf chemische Modi- wendungen, für FRAP (Fluorescence Recovery after
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
119 7
Photo Bleaching) und FRET (Förster-Resonanz-­ lektive Adressierung von nur einer funktionellen Gruppe
Energie-­Transfer) und für die Präparation von Protein- ermöglicht. Nach Erhalt der beiden Proteinteile können
bzw. Peptidmatrices zur Affinitätschromatographie. diese mittels Ligation, z. B. der nativen chemischen Li-
Heute steht eine Vielzahl von Methoden und Reak- gation oder der Staudinger-Ligation, miteinander ver-
tionen zur Verfügung, um gezielte chemische Modifika- knüpft und anschließend korrekt gefaltet werden.
tionen durchzuführen. Diese werden noch erheblich er-
weitert durch die Kombination chemischer Modifikation
mit gerichteter Mutagenese. Diese ermöglicht die Ein- 7.1.1 Lysinreste
führung von geeigneten Modifikationsstellen (z. B. von
Cysteinresten) in spezifische Positionen der Polypeptid- N-terminale α-Aminogruppen und ε-Aminogruppen
kette. Sie lassen sich anschließend entweder für Modifi- von Lysinresten sind bevorzugte Ziele chemischer Mo-
kationsreaktionen oder für die Platzierung gewünschter difikationen. Lysinreste kommen ubiquitär in Proteinen
Reportergruppen verwenden. Außerdem können chemi- vor, befinden sich überwiegend an der Oberfläche von
sche Modifikationen heute auch durch Einfügung un- Proteinen und sind somit normalerweise für Modifika-
natürlicher Aminosäuren (direkt funktionalisiert oder tionsreagenzien zugänglich. Bei Proteinen in Lösung
spezifisch modifizierbar) bei der ribosomalen Transla- mit freien funktionellen Aminogruppen führen Reaktio-
tion nach der von Peter G. Schultz ausgearbeiteten Me- nen bei pH-Werten >9 überwiegend zur Modifikation
thodik eingeführt werden. von ε-Aminogruppen. α-Aminogruppen haben niedri-
Im Folgenden werden die Prinzipien der hier skiz- gere pK-Werte und sie können durch Senken des pH-­
zierten Anwendungen chemischer Modifikationen be- Wertes selektiv modifiziert werden. Alternativ kann
schrieben. Im Fokus stehen Beispiele, bei denen chemi- über einen synthetischen Weg die selektive Modifikation
sche Modifikationen zur Einführung verschiedener der Proteine sichergestellt werden.
Gruppen für Strukturuntersuchungen oder für prakti-
sche Anwendungen eingesetzt werden. Acylierung  Acylierungsreaktionen werden mit Anhydri-
den (z. B. Acetanhydrid) oder mit Aktivestern wie p-Nit-
rophenyl- oder N-Hydroxysuccinimidestern durchgeführt
7.1 Chemische Modifikation funktioneller (. Abb. 7.1).

Gruppen von Proteinen Eine breite Anwendung findet die radioaktive


Markierung mit dem Bolton-Hunter-Reagenz N-­
In diesem Abschnitt werden sog. seitenkettenspezifische Succinimidyl-­ 3-(4-hydroxyphenyl)propionat, die in
Reagenzien beschrieben. Die meisten der gegenwärtig . Abb. 7.2
  gezeigt ist. Hier wird in einem ersten Schritt
erhältlichen Seitenkettenreagenzien richten sich gegen das Reagenz iodiert, z. B. mit der Bolton-Hunter- oder
die ε-Aminogruppen von Lysinen. Es gibt jedoch auch der Chloramin-T-­ M ethode. Das mono- oder diiodierte
eine Anzahl von Modifikationen von Cystein-, Tyrosin-, Reagenz wird anschließend zur Alkylierung des Proteins
Histidin-, Methionin-, Arginin- und Tryptophanresten. eingesetzt (Weg 1 in .   Abb. 7.2). Oder aber man modi-
In einigen Fällen reagiert ein Reagenz spezifisch nur mit fiziert das Protein oder Peptid zunächst mit dem unio-
einem Typ von Seitenketten. In vielen anderen Fällen dierten Reagenz. Die erhaltenen Derivate kann man la-
können prinzipiell mehrere dieser Reste reagieren. Ein gern und erst unmittelbar vor der Verwendung iodieren
Beispiel hierfür ist die Reaktion von Cystein-, Histidin-, (Weg 2). Dieser Weg ist natürlich nur möglich, wenn das
Methionin- und Lysinresten mit Iodacetamid. Hier ist Protein selbst keinen Tyrosin- oder Histidinrest besitzt,
die überwiegende Reaktion mit nur einem Typ von Sei- da dieser sonst ebenfalls iodiert würde.
tenketten durch die sorgfältige Kontrolle der Reaktions- Acylierung entfernt die positive Ladung der Amino-
bedingungen, z.  B. des pH-Wertes, sicherzustellen. Da gruppe und bewirkt dadurch eine beträchtliche Verän-
funktionelle Gruppen eines bestimmten Typs unter- derung der chromatographischen Eigenschaften. Durch
schiedliche Mikroumgebungen haben, die den pK-Wert Ionenaustauschchromatographie oder Reversed-­Phase-­
der dissoziierbaren Gruppe beeinflussen, kann ein Rea- HPLC können die einfach modifizierten von nicht mo-
genz durchaus nur mit einer dieser Gruppen reagieren difizierten und polymarkierten Präparaten abgetrennt
und somit eine gewisse Selektivität aufweisen. Eine wei- werden. Die Reaktion mit Ethylthiotrifluoracetat stellt
tere Möglichkeit zur spezifischen Modifikation ist die eine schonende Methode zur Einführung einer Trifluo-
synthetische Herstellung. Das Protein kann in zwei Teile racetylgruppe dar. Auf diese Weise wurde eine Vielzahl
geteilt werden, von denen mindestens eines mittels Fest- ein- oder mehrfach trifluoracetylierter Derivate von
phasenpeptidsynthese (SPPS) erzeugt wird. Durch opti- kleinen Proteinen, z.  B. von Cytochrom c, hergestellt
19
mal gewählte Schutzgruppenbedingungen wird eine se- und mit F-NMR-Spektroskopie untersucht.
120 S. Els-Heindl et al.

..      Abb. 7.1  Acylierung von O


Proteinen mit Acetanhydrid oder C CH3 O
N-Hydroxysuccinimidessigester
Protein NH2 + O Protein NH C CH3 + CH3COOH
C CH3
O

Acetanhydrid

O O
O O
Protein NH2 + H3C C O N Protein NH C CH3 + HO N

O O

N-Hydroxysuccinimid-
essigester

7
..      Abb. 7.2 Radioaktive A
Markierung mit dem Bolton- O 125
I O
O O
Hunter-­Reagenz N-Succinimi-
Na125I
dyl-3-(4-hydroxyphenyl) HO (CH2)2 C O N HO (CH2)2 C O N
propionat. Dabei kann das
Reagenz entweder zuerst mit O O
Na125I iodiert und dann mit dem
Protein umgesetzt werden, sodass Bolton-Hunter-Reagenz +
das radioaktiv markierte 125
I O
Proteinderivat entsteht (Weg 1), O
oder man alkyliert das Protein
mit dem uniodierten Reagenz und HO (CH2)2 C O N
markiert es erst unmittelbar vor 125
der Verwendung (Weg 2) I O
2 1

Protein NH2
1
2

O
Protein NH C (CH2)2 OH

2 Na125I

125 125
I I
O O
125
Na I
Protein NH C (CH2)2 OH Protein NH C (CH2)2 OH

125
I

Amidinierung  Die Modifikation von Aminogruppen mit bis pH 10 ausschließlich mit ε- und α-Aminogruppen re-
Imidoestern (. Abb.  7.3) bewahrt die positive Ladung
  agieren. Die daneben ebenfalls auftretenden Modifikatio-
der Lysinreste. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist die nen von Methionin-, Tyrosin- und Histidinresten zerfal-
Wasserlöslichkeit der Imidoester, die im Bereich von pH 7 len sehr schnell.
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
121 7
Ein Beispiel für natürlich vorkommende (posttrans-
Die Amidinierung ist eine bequeme Methode zur Mar- lational und nichtenzymatisch) durch Aldehyde mo-
kierung von Proteinen mit 3H- oder 14C-Isotopen. difizierte Proteine stellen die Retinale enthaltenden,
membrangebundenen Chromoproteine dar: Distinkte
isomere Retinale bilden Schiff’sche Basen mit den ε-
Wenn erforderlich, kann die Modifikation durch Desa-
Aminogruppen von Lys216 bzw. Lys296 des Bakterio-
midinierung mit starken Nucleophilen (Hydrazin, Hyd-
rhodopsins bzw. des Rhodopsins der Rinderretina. Die
roxylamin, wässriges Methylamin) rückgängig gemacht
Reduktion dieser Aldimine mit NaBH4 oder NaCNBH3
werden.
ergibt stabile fluoreszierende Produkte, die die Identifi-
zierung der oben genannten Lysinreste als Bindungsort
Reduktive Alkylierung  Aminogruppen reagieren mit Al- ermöglichten.
dehyden zu Schiff’schen Basen, die mit Borhydriden zu
stabilen Alkylaminen reduziert werden können Reaktion mit Isothiocyanat  Phenylisothiocyanat wird zur
(. Abb.  7.4). Die meisten Aldehyde führen zu mono-
  Peptid- und Proteinsequenzierung eingesetzt. Verschie-
substituierten Derivaten. Bei Verwendung von Formalde- dene fluoreszierende Gruppen können unter Verwendung
hyd entsteht allerdings überwiegend ein Dimethylpro- der jeweiligen Isothiocyanatderivate in Proteine einge-
dukt. führt werden.
Verwendet man das bei Weitem schonendere
NaCNBH3, so hat dies den Vorteil, dass bei neutralem Cage-Verbindungen  Eine neuere Entwicklung stellt die
pH-­Wert anders als mit NaBH4 nur die Schiff’sche Base, Herstellung von Konjugaten aus Proteinen und sog. Ca-
nicht aber das eingesetzte Aldehyd reduziert wird. Mit ge-Verbindungen dar. Cage-Verbindungen sind temporär
NaCNB3H3 oder NaB3H4 kann man radioaktive Prote- inaktive Moleküle, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in
inderivate herstellen. Ein wichtiger Vorteil der redukti- situ durch Bestrahlung aktiviert werden können.
ven Alkylierung ist es, dass durch diese Reaktion die Das Reagenz [(Nitroveratryl)oxy]chlorcarbamat
positive Ladung der modifizierten Aminogruppe nicht wurde von Patchornik und Mitarbeitern als lichtemp-
beseitigt wird. Eine Methylierung bewirkt eine leichte findliche, N-schützende Gruppe für die Festphasensyn-
Zunahme der Basizität durch Erhöhung des pK-Werts these von Peptiden eingeführt (. Abb. 7.6). Heute wird

der substituierten Aminogruppe um ungefähr 0,5 Ein- die Nitroveratryloxycarbonyl-Gruppe u.  a. als Schutz-
heiten. gruppe für α-Aminogruppen bei der Festphasensyn-
Pyridoxal-5′-phosphat (. Abb.  7.5), das Coenzym
  these von Peptidbibliotheken auf Mikrochips eingesetzt.
verschiedener Aminotransferasen und Decarboxylasen, Nach dem Kupplungsschritt wird die Schutzgruppe
das an sein jeweiliges Apoenzym als Aldimin an Lysin- durch Bestrahlung entfernt.
reste gebunden ist, ist ein reaktives Aldehyd und wird
zur Untersuchung der Zugänglichkeit von Lysinresten 6π-aza-Elektrozyklisierung  Die 6π-aza-Elektrocyclisie­
in wasserlöslichen oder membrangebundenen Proteinen rung ist hochselektiv für Lysinseitenketten (. Abb. 7.7).

eingesetzt. Die Modifizierung von ε-Aminogruppen geschieht

..      Abb. 7.3  Amidinierung mit NH2+ NH2+


einem Imidoester
Protein NH2 R O C Protein NH C + R OH
CH3 CH3
Imidoester

..      Abb. 7.4 Schiff’sche O
Basenbildung mit Aldehyden und
Protein NH2 + R C H Protein NH CHOH R
anschließende Reduktion mit
Natriumborhydrid zu einem
stabilen Alkylamin
NaBH4
Protein N CH R Protein NH CH2 R
Reduktion

Schiffsche Base
122 S. Els-Heindl et al.

..      Abb. 7.5  Aldiminbildung mit HO CH3 HO CH3


Pyridoxal-5′-phosphat und O
+ +
anschließende Reduktion zum Protein NH2 + H C N H Protein N CH N H
Alkylamin
H2C O H2C O

O P O O P O–

O O–

Pyridoxal-5 -phosphat

HO CH3

NaBH4 +
Protein NH CH2 N H

H2C O
O P O–

O
7 Alkylamin

OCH3 OCH3
O O
Protein NH2 + Cl C O CH2 OCH3 Protein NH C O CH3 OCH3

O 2N O2N
[(Nitroveratryl)oxy]-
chlorcarbamat

hu (320–420 nm) O OCH3


5 nM DTT
Protein NH2 + H3C C OCH3
pH = 6,9

O2N

..      Abb. 7.6  α-Methyl-[(Nitroveratryl)oxy]chlorcarbamat als Schutzgruppe für α-Aminogruppen. Die Schutzgruppe kann durch Bestrahlung
wieder entfernt werden

..      Abb. 7.7 6π-aza- CO2Et R


Elektrocyclisierung für die
selektive Modifikation von Protein NH2 + R Protein N CO2Et
Lysinseitenketten
O H

in ungefähr 10–20  min, während die Reaktion an α- Das freigesetzte Thionitrobenzoat-Anion kann wegen
Aminogruppen mehr als 5  h dauert. Diese Reaktion seines hohen Absorptionskoeffizienten (ε412: 13.600 bei
wurde bereits genutzt, um effizient und selektiv den Che- pH 8,0) leicht spektroskopisch bestimmt werden.
lator 1,4,7,10-­Tetraazacyclododecan-­1,4,7,10-tetraessig In der klassischen Enzymologie erfolgte der Nach-
säure (DOTA) an Lysinseitenketten für Positronenemis- weis essenzieller SH-Gruppen durch Reaktion mit
sionstomographie (PET) und Magnetresonanztomogra- p-Chlormercuribenzoat (. Abb. 7.9).  

phie (MRT) einzuführen. SH-Gruppen reagieren mit Iodacetat bzw. Iodaceta-


mid und mit Maleinimiden (. Abb.  7.10). Zahlreiche

Methoden zur Einführung von Gruppen für die Spekt-


7.1.2 Cysteinreste roskopie beruhen auf diesen beiden Reaktionen.

Ein großes Repertoire von Methoden steht zur Modifi- Die Reaktion zwischen Thiolen und Maleimiden wird
kation von SH-Gruppen in Proteinen zur Verfügung. heutzutage gern für die Einführung von Reportergrup-
Für ihre Detektion und Quantifizierung ist das Ellman-­ pen genutzt.
Reagenz (. Abb. 7.8) noch immer das Mittel der Wahl.

Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
123 7
..      Abb. 7.8  Derivatisierung von
Cysteinresten mit Ellman-Rea- Protein SN + O2N S S NO2
genz

OOC COO –
5,5'-Dithiobis(2-nitrobenzoesäure)
(DTNB, Ellman-Reagenz)


Protein S S NO2 + S NO2

COO – COO –

..      Abb. 7.9  Nachweis essenzieller


SH-Gruppen mit Chlormercuribenzoat Protein SH + Cl Hg COO– Protein S Hg COO–

..      Abb. 7.10  Reaktion von ICH2COO–


Proteinen mit Iodacetat bzw. Protein S CH2COO–
N-­Ethylmaleinimid

Protein SH
O

N C2H5
Protein S
O O

N C2H5

Lichtempfindliche Gruppen können in Proteinen nicht 7.1.3 Glutamat- und Aspartatreste


nur über ihre Aminogruppen, sondern auch über die
SH-Gruppen der Cysteinreste eingeführt werden. Carboxygruppen der Seitenketten dieser Reste können
Hierfür werden 2-Nitrobenzylbromid oder das was- ebenso wie C-terminale Carboxygruppen mit Carbo-
serlösliche 2-Brom-2-(2-nitrophenyl)acetat eingesetzt diimiden modifiziert werden (. Abb. 7.13), insbeson-  

(. Abb. 7.11). Die Anfügung von Haptenen über Cys- dere mit deren wasserlöslichen Derivaten wie 1-Ethyl-3-

teine kann wertvoll für die Antikörpergewinnung sein. (3-­dimethylaminopropyl)carbodiimid.


Cysteine können auch für die selektive Modifikation Das Additionsprodukt kann dann mit Nucleophilen
mit einem Tag genutzt werden. Werden Proteine rekom- (HX) weiterreagieren. HX steht hier für ein Nucleophil
binant mit einer Tetracysteinsequenz, welche aus vier und ist im Fall eines Proteins die Aminogruppe. Durch
Cysteinen unterbrochen mit einem zwei Aminosäuren die nucleophile Substitution wird eine intramolekulare
langen Spacer (CCXXCC) besteht, hergestellt, kann Vernetzung erzeugt (oder eine intermolekulare, wenn
diese Sequenz mit einem FlAsH- (Fluorescein Arsenical Carboxy- und Aminogruppe zu verschiedenen Proteinen
Hairpin Binder) Tag modifiziert werden (. Abb. 7.12). gehören), unter Abspaltung von H2O.  Eine praktische

Das relativ kleine, vom Fluorescein abgeleitete La- Anwendung derartiger Vernetzungen ist die Herstel-
bel kann zur Untersuchung von Protein-Protein-­ lung von Protein-­ Protein- oder Peptid-Proteinkonju-
Interaktionen oder zur Untersuchung der Proteinfal- gaten (z. B. zur Gewinnung von Antikörpern gegen ein
tung eingesetzt werden. Peptid, das nicht über die Aminogruppe des Peptids an
Die chemische Modifikation anderer funktioneller ein Carrierprotein gebunden werden kann). Mit einem
Gruppen von Proteinen wird hier nur kurz behandelt, extern zugeführten Nucleophil, z.  B. N-substituiertem
da sie gegenüber den Amino- und SH-Gruppenmodifi- Glycinamid, können radioaktive oder spektroskopisch
kationen zurzeit wesentlich seltener eingesetzt wird. sichtbare Gruppen in Proteine eingeführt werden.
124 S. Els-Heindl et al.

7.1.4 Argininreste denn, ein essenzieller Tyrosinrest ist betroffen. Iodide


wie Na125I (mit spezifischen Radioaktivitäten bis zu
Die Guanidingruppen von Argininresten können, z. B. 2000  Ci mmol–1) dienen als Quellen radioaktiver Iso-
zur Bestimmung ihrer funktionellen Rolle im aktiven tope. Für die Reaktion mit dem Protein werden die Io-
Zentrum eines Enzyms oder in der Ligandenbindungs- did-Ionen mit starken Oxidanzien wie Chloramin T, Io-
tasche eines Rezeptors, recht spezifisch mit verschiede- dogen oder Iodobeads in hoch reaktive Spezies (I2 oder
nen 1,2- oder 1,3-Dicarbonylverbindungen (Glyoxal, ICl) umgewandelt. Zum gleichen Zweck kann auch un-
Phenylglyoxal, 2,3-Butandion u.  a.) modifiziert wer- ter milderen Reaktionsbedingungen gearbeitet werden:
den. . Abb.  7.14 illustriert die Reaktion mit Phenyl-

Enzymatisch katalysiert durch Lactoperoxidase lässt
glyoxal. sich in Gegenwart von H2O2 I– zu I2 umsetzen. Enthält
ein Protein zugängliche Histidinreste, können diese zu-
sätzlich zu Tyrosinresten oder anstelle von diesen iodiert
7.1.5 Tyrosinreste werden.
Häufig werden Tyrosinreste von Proteinen mit Tet-
Die radioaktive Markierung von Proteinen durch Iodie- ranitromethan modifiziert (. Abb.  7.16). Die 3-Nitro-

7 rung von Tyrosinresten mit Chloramin T ist ein uner- tyrosingruppe scheint eine gute Reportergruppe zu sein:
lässliches Werkzeug in vielen Gebieten der Biowissen- Bei niedrigem pH-Wert hat sie ein Absorptionsmaxi-
schaften (. Abb. 7.15).
  mum bei 360 nm (ε360 etwa 2800 M–1cm–1), das bei hö-
Bei dieser Reaktion entstehen sowohl mono- als herem pH-Wert nach 428  nm verschoben wird, wobei
auch diiodierte Tyrosinderivate. Die Iodierung zerstört die Absorption zunimmt (ε428 etwa 4200 M–1cm–1). Da
im Allgemeinen die Funktion eines Proteins nicht, es sei 3-Nitrotyrosinreste einen pK-Wert von ca. 7,0 besitzen,

..      Abb. 7.11 Derivatisierung O2N


von Proteinen mit
BrCH2
O2N
2-­Nitrobenzylbromid bzw.
2-Nitrohydroxybenzylbromid
Protein S CH2

Protein SH

O2N

Protein S CH
O2N OH
Br CH
OH

S S S S
As As Protein
SH S S S S
O O OH As As
SH
Protein + O O OH

SH SH
COOH
COOH

..      Abb. 7.12  Einführung einer FlAsH-Modifikation über eine Tetracysteinsequenz (i, i+1, i+4, i+5)

+
O O NHR O
H+ HX
Protein C + R N C N R Protein C O C Protein C X

O NHR

..      Abb. 7.13  Modifikation der C-terminalen Carboxygruppe mit einem Carbodiimid. Das Additionsprodukt kann dann mit Nucleophilen
(HX) weiterreagieren
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
125 7
..      Abb. 7.14  Reaktion von NH O O
Argininresten mit Phenylglyoxal
Protein (CH2)3 NH C + 2 C C H
NH2
Phenylglyoxal

H
O
N C O
pH 7-8
Protein (CH2)3 NH C CH C
HN C O

..      Abb. 7.15  Iodierung von O O


Tyrosinresten mit Chloramin T
2 H+ + H3C S NH Cl H3C S NH2
O O
Chloramin T

125
I

Protein CH2 O– Protein CH2 O–

125
ICl
+ +
125
I
O
H3C S NH2 Protein CH2 O–
O 125
I

..      Abb. 7.16  Modifikation von


Tyrosinresten mit Tetranitrome- Protein CH2 OH + C(NO2)4 Protein CH2 OH
than
NO2

beeinflusst diese Modifikation den Ionisierungszustand ven Prozessen beteiligt sein kann. NO kann auch zur
von Tyrosin, dessen Rolle im Protein auf diese Weise S-Nitrosylierung von Cysteinresten führen.
untersucht werden kann. Der pK-Wert liegt normaler-
weise  – je nach Umgebung im Protein– bei etwa 10,5.
Da der pK-Wert von 3-Nitrotyrosin sensitiv bezüglich 7.1.6 Tryptophanreste
der Mikroumgebung ist, kann diese Gruppe somit wert-
volle Informationen über das Milieu in Nachbarschaft Tryptophane sind die seltensten unter den 20 natürlich
des modifizierten Restes liefern. Eine ernsthafte Ein- vorkommenden Aminosäuren (ca.  1  %). Dadurch ist
schränkung für die Nitromethanmodifikation von Tyro- eine gewisse natürliche Spezifität gegeben. Allerdings
sinresten ist dadurch gegeben, dass das Reagenz auch sind bis heute bekannte Modifikationsmethoden teil-
Cystein-, Methionin- und Tryptophanreste modifizieren weise nicht selektiv auf Tryptophan, sondern greifen
kann. Außerdem kann es intra- oder intermolekulare auch andere Aminosäuren an. Die Modifizierung von
Vernetzungen erzeugen. Tryptophanresten hat meistens die spezifische Spaltung
Interessant ist ein Befund aus neuerer Zeit, dass die des Proteins auf der C-terminalen Seite des Tryptophans
Nitrierung von Tyrosinresten durch endogen erzeugtes zum Ziel. Die für diesen Zweck eingesetzten Reagenzien
NO erfolgen und eventuell an einigen neurodegenerati- sind o-Iodosobenzoesäure oder 2-(2-Nitrophenylsulfe-
126 S. Els-Heindl et al.

nyl)-3-bromo-3-methylindolenin (BNPS-Skatol). Brom- reste können der vorherrschende Ort der Modifikation
succinimid wird mitunter verwendet, um den Effekt der bei Reaktionen mit Iodacetamid oder Iodessigsäure
Tryptophanoxidation auf die Aktivität des Proteins zu sein, wenn die Reaktionen bei pH 4 bis pH 5 oder dar-
prüfen. N-Bromsuccinimid kann jedoch auch Tyrosin- unter durchgeführt werden (. Abb.  7.18). Auf diese

und Histidinreste oxidieren und die Peptidbindungen Weise können diverse Reportergruppen eingeführt wer-
auf deren und auf der C-­terminalen Seite von Trypto- den. Der Vorteil dieser Reaktion ist ihre Reversibilität.
phanresten spalten. Daher kann die funktionelle Rolle
von Tryptophanresten durch N-Bromsuccinimidoxida-
tion nicht immer eindeutig bestimmt werden. 7.1.8 Histidinreste
Tryptophanreste können auch mit 2-Hydroxy-5-­
nitrobenzylbromid (Koshland-Reagenz) modifiziert Ein Reagenz mit recht hoher Selektivität für Histidinreste
werden (. Abb.  7.17). Sulfenylhalogenide können
  ist Diethylpyrocarbonat (. Abb.  7.19). Es wird verwen-

ebenfalls Tryptophanreste modifizieren. Dabei wird det, um herauszufinden, ob Histidinreste für die funktio-
2-­Nitrophenylsulfenylchlorid kovalent an die 2-Position nelle Aktivität eines Proteins essenziell sind. Dies ist wich-
des Indolrings geknüpft. tig, da zahlreiche Enzyme wie die Ribonucleasen und die
7 Serinproteasen Histidinreste im aktiven Zentrum besitzen.
Iodacetat und Iodacetamid, die wir bereits als Rea-
7.1.7 Methioninreste genzien für Sulfhydryl-, Amino- und Methioningruppen
kennengelernt haben, können ebenfalls Histidinreste
Die verbreitetste und praktikabelste chemische Modifi- modifizieren. Die Reaktionen können zu 1- und 3-Car-
kation von Methioninresten ist die CNBr-Spaltung von boxymethylhistidinen und zu disubstituierten 1,3-Dicar-
Peptidbindungen C-terminal an Methionin. Methionin- boxymethylhistidinen führen (. Abb. 7.20).  

..      Abb. 7.17  Modifikation von NO2


Tryptophanresten mit
2-Hydroxy-­5-nitrobenzylbromid
CH2 Protein NO2 Protein H2C
(Koshland-Reagenz)

+ Br CH2 O
NH NH
HO

Koshland-Reagens

+
..      Abb. 7.18  Modifikation von Protein S CH3 + ICHRCONH2 Protein S CHRCONH2
Methioninresten mit Iodaceta-
Iodacetamid- CH3
midderivaten
derivat
R SH

..      Abb. 7.19  Modifikation von O


Protein H2C
Histidinresten mit Diethylpyro- C O CH2CH3
carbonat N
+ O
N C O CH2CH3
H O

Diethylpyrocarbonat

Protein H 2C
N
pH 4-7 + +
CH3CH2OH CO2
N
C O
OCH2CH3
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
127 7
..      Abb. 7.20  Modifikation von
Protein H2C
Histidinresten mit Iodacetat zu
1- und 3-Carboxymethylhistidi- N
+ ICH2COO–
nen bzw. 1,3-Dicarboxymethyl-
N
histidinen
H

Protein H2C CH2COO– Protein H 2C Protein H2C CH2COO–


N N N
+ + +
N N N
H CH2COO– CH2COO–

1-Carboxymethylhistidin 3-Carboxymethylhistidin 1,3-Dicarboxymethylhistidin

Ein Sonderfall chemischer Modifikation ist die „Af- Die Einführung fluoreszierender Gruppen beruht
finitätsmodifikation“. Hierbei enthält das modifizie- auf den Reaktionen, die bereits in 7 Abschn.  7.1 be- 

rende Reagenz eine reaktive Gruppe und eine Struktur, schrieben wurden. Die beliebtesten „Aufhänger“ sind
die hohe Affinität für das aktive Zentrum eines Enzyms Amino- und SH-Gruppen, verknüpft wird in den meis-
oder für die Ligandenbindungsstelle eines Rezeptors be- ten Fällen mit N-Hydroxysuccinimidestern oder Isothi-
sitzt. Die reaktive Gruppe interagiert mit einer funktio- ocyanaten (NH2) bzw. Iodacetamid oder Maleimid
nellen Gruppe des Enzyms bzw. des Rezeptors in Nach- (SH). Die entsprechenden funktionalen Gruppen sind
barschaft derjenigen Molekülstruktur, deren A ­ ufgabe im Wesentlichen mit allen Fluorophoren kombinierbar
das Andocken an die Bindungsstelle ist. Die Affinität und kommerziell erhältlich. Maleimide sind dabei in der
trägt gewissermaßen die reaktive Gruppe an das ge- Regel selbst nicht fluoreszierend. Fluoreszenz tritt nur
wünschte Ziel. Auf diese Weise erhält sie ihre Selektivi- auf, wenn die betreffende Gruppe kovalent an eine SH-­
tät: Das aktive Zentrum reichert das Reagenz durch Gruppe des Proteins gebunden wird.
seine Affinität an; die reaktive Gruppe reagiert daher an Es gibt mittlerweile eine sehr große Anzahl an flu-
dieser Stelle des Proteins wesentlich schneller als an- oreszierenden Gerüsten, die stetig weiterentwickelt
derswo. Ein klassisches Beispiel sind die Halogenketone, werden, ausgewählte Beispiele sind in . Tab.  7.1 auf-  

das N-Tosyl-l-phenylalanin-chlormethylketon (TPCK) geführt. Typische und häufig verwendete Fluoreszenz-


oder das N-Tosyl-L-argininchlormethylketon, die selek- farbstoffe sind Derivate des Fluoresceins (grün-gelb,
tiv die Histidinreste im aktiven Zentrum von Chymo- . Abb. 7.21) und des Rhodamins (grün-rot), die beide

trypsin bzw. Trypsin modifizieren. eine Carboxyphenyl-Xanthen-Grundstruktur besitzen.


Diese Farbstoffe haben eine gute Helligkeit (hohe Ab-
sorption und Quantenausbeute), bleichen aber zum Teil
7.2  odifizierung als Mittel zur Einführung
M leicht aus. Farbstoffe der sog. BODIPY®-Familie besit-
von Reportergruppen zen ein Boradiazaindacen-Grundgerüst und sind damit
verhältnismäßig klein und häufig ungeladen. Damit ein-
her geht eine eher geringe Wasserlöslichkeit und erhebli-
7.2.1 Untersuchungen an natürlich
che Fluoreszenzverstärkung in hydrophober Umgebung
vorkommenden Proteinen (durch vermindertes Aggregationsquenching), z. B. bei
Bindung an Zellmembranen. Durch verschiedene Subs-
7.2.1.1 Fluoreszenzmarkierung titutionen reicht das Farbspektrum von blau-grün bis
Der Einbau von fluoreszierenden Gruppen in Proteine infrarot. BODIPY®-Farbstoffe haben eine sehr hohe
durch chemische Modifikation dient unterschiedlichen Absorption und Quantenausbeute und sind sehr photo-
Zwecken und muss entsprechend verschiedenen An- stabil. Man kann sich BODIPY® als rigidisiertes Mono-
forderungen genügen. Zur Untersuchung räumlicher methin-Cyanin vorstellen. Die entsprechenden flexiblen
Strukturen von Proteinen ist es notwendig, Anzahl und Mono- oder Multimethin-­Cyanin-­Grundgerüste werden
Ort der eingeführten Gruppen zu kennen. Für prakti- ebenfalls als Fluoreszenzfarbstoffe eingesetzt. Ihre Flu-
sche Anwendungen andererseits, wie die Herstellung flu- oreszenzemission liegt typischerweise im roten bis infra-
oreszierender Antikörper, muss das Protein einfach nur roten Bereich, zur Erhöhung der Wasserlöslichkeit kön-
fluoreszieren, je stärker, desto besser. Außerdem spielen nen Sulfonierungen eingefügt werden. Allerdings weisen
Stabilität sowie spektrale Eigenschaften und Kombi- Cyanine oft eine geringe Photostabilität auf, und durch
nierbarkeit mit weiteren Fluorophoren in Imaging- und ihre flexible Struktur und kurze Fluoreszenzlebensdauer
FRET-Anwendungen eine große Rolle. sind sie kaum für Fluoreszenzpolarisationsmessungen
128 S. Els-Heindl et al.

..      Tab. 7.1  Fluoreszenzmarkierende Reagenzien

+ BODIPY
(BODIPY-FL)

Cl
Cl

geeignet. Unter den Markennamen AlexaFluor® bzw. Sulfonylchloride wie Dansylchlorid (. Abb.  7.22)

Atto® ist eine große Palette verschiedenfarbiger prop- werden ebenfalls zur Fluoreszenzmarkierung eingesetzt.
rietärer Fluorophore mit diversen Grundgerüsten und Außer mit Aminogruppen reagieren sie mit Tyrosin-,
spezifischen Linkern zur chemischen Verknüpfung er- Histidin- und Cysteinresten. Die entsprechenden Deri-
hältlich. Diese weisen i. d. R. exzellente spektrale Eigen- vate sind jedoch im Vergleich zu den Sulfonamiden sehr
schaften mit großer Helligkeit, Stabilität und guter Flu- viel weniger stabil.
oreszenzlebensdauer auf.
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
129 7
..      Abb. 7.21 Fluoreszenzmarkierung O O OH O O OH
mit Fluoresceinisothiocyanat

COOH COOH

Protein NH2 + S C N Protein NH C NH


S
Fluorescein-
isothiocyanat

..      Abb. 7.22 Fluoreszenzmarkierung N(CH3)2 N(CH3)2


mit Dansylchlorid

Protein NH2 + Cl S O Protein NH SO2


O
Dansylchlorid

..      Abb. 7.23 Fluoreszenzmarkierung
mit Fluorescamin

O
Protein NH2 + Protein N
O
O O
OH
COOH
O
Fluorescamin

Dansylamide sind auch unter den Bedingungen der abzuschätzen, was auch hier besonders gut funktioniert,
Aminosäureanalyse stabil. Dansylchlorid wird daher wenn möglichst nur ein Rest modifiziert ist oder sich in
häufig zur Bestimmung N-terminaler Aminosäuren von Reichweite des Tryptophans befindet.
Peptiden und Proteinen und bei der Dansylvariante des Hierzu lässt man einen Liganden mit einer Dansyl-
Edman-Abbaus eingesetzt. gruppe an das Protein, z.  B. an sein aktives Zentrum,
Dansylmodifikationen sind ein gutes Beispiel dafür, binden. Strahlt man nun Licht geeigneter Wellenlänge
dass die spektralen Eigenschaften stark von der Umge- ein, so wird ein Teil der absorbierten Energie auf einen
bung abhängen können: Eine Verschiebung des Emissi- in der Nachbarschaft lokalisierten Tryptophanrest über-
onsmaximums zu kürzeren Wellenlängen und eine Zu- tragen. Dadurch wird dieser zur Fluoreszenz angeregt.
nahme der Fluoreszenzintensität weisen auf eine Die Ausbeute dieser Fluoreszenz (relativ zur einge-
hydrophobe Umgebung hin. Ähnlich umgebungssensi- strahlten Energie) korreliert mit dem Abstand (und der
tiv sind beispielsweise auch Nitrobenzoxadiazol (NBD, Orientierung) vom Dansyl- und Tryptophanrest.
häufig als NBD-Cl eingesetzt und reaktiv gegenüber Neben der Dansylierung ermöglichen zwei andere
NH2- und SH-Gruppen; 6 in . Tab. 7.1) sowie Mono-
  Reaktionen, die fluoreszierende Gruppen mit Amino-
brombiman (alkyliert SH-Gruppen wie Iodacetamid; gruppen des Proteins verknüpfen, eine sensitive De-
7  in . Tab.  7.1). Während diese Veränderungen der
  tektion von Proteinen und sollten in diesem Zusam-
spektralen Eigenschaften z. B. bei der Markierung von menhang nicht fehlen: Die Reaktion mit Fluorescamin
Antikörpern eher stören, kann dies ausgenutzt werden, und mit o-Phthaldialdehyd (OPA). Fluorescamin
um in ortsspezifisch markierten Proteinen Auskunft selbst fluoresziert nicht, ergibt aber mit Aminogrup-
über die lokale Umgebung und deren Änderung zu er- pen ­fluoreszierende Reaktionsprodukte (. Abb.  7.23).  

halten (7 Abschn. 7.2.2).
  Sie sind zu deren Quantifizierung und zur Detektion
Zudem sind Dansylreste gute Partner in Akzeptor-­ und Quantifizierung von Proteinen sehr nützlich. o-­
Donor-­Paaren mit endogenen Tryptophanresten als in- Phthaldialdehyd (OPA) reagiert mit Aminen in Gegen-
trinsischen Fluorophoren. Sie sind somit geeignet, durch wart von Thiolen, wobei stark fluoreszierende Isoindole
Bestimmung des Fluoreszenzenergietransfers Abstände entstehen (. Abb.  7.24). Diese Reaktion erlaubt die

130 S. Els-Heindl et al.

O
C
Protein NH2 + H + HS (CH2)2 OH Protein N
H
C
S (CH2)2 OH
O
o -Phthaldialdehyd
(OPA)

..      Abb. 7.24  Fluoreszenzmarkierung mit o-Phthaldialdehyd in Gegenwart von Thiolen

Quantifizierung von Proteinen im Pikomolmaßstab und . Tab.  7.2), das etwas ungewöhnlich durch einen

wird deshalb in der Aminosäurenanalyse genutzt. Methanthiosulfonat-­Rest aktiviert ist. Methanthiosul-


fonate wie MTSL sind sehr reaktiv und reagieren selek-
7.2.1.2 Spinlabel tiv an freien SH-Gruppen, hydrolysieren aber leicht. Die
Stabile Verbindungen mit einem ungepaarten Elektron, Markierungsreaktion ist in . Abb. 7.25 dargestellt. Es

7 z. B. die N-Oxide der Tetramethylpyrrolin- oder der Te- bildet sich eine Disulfidbrücke aus, daher ist das Spinla-
tramethylpiperidylverbindungen (. Tab.  7.2), ermögli-
  bel empfindlich für Reduktionsmittel, was auch für ein
chen die Aufnahme von elektronenparamagnetischen internes Kontrollexperiment ausgenutzt werden kann.
Resonanz- (EPR-)Spektren. Kovalent oder über Neben- Wenn keine reaktiven Sulfhydrylgruppen vorhanden
valenzen an ein Protein gebunden werden sie als Spinla- sind, kann man Iodacetamid zur Histidinmarkierung
bel bezeichnet. verwenden. Auf Basis von TEMPO hat sich zudem
Aus den EPR-Spektren lässt sich auf die Mobilität 4-Amino-4-carboxylsäure (TOAC) als Cα-disubstitu­
des Spinlabels an seinem Bindungsort schließen. Das ierte Aminosäure für die Festphasenpeptidsynthese eta-
Spinlabel signalisiert Informationen über die Mikro- bliert. In Kombination mit einer bioorthogonalen Liga-
umgebung der Struktur, an die es gebunden vorliegt. tion können so modifizierte Peptide auch in Proteine
Eine Anwendung besteht darin, den Ort einer Gruppe eingebaut werden.
in einem Protein (ob im Inneren oder an der Oberfläche Ursprünglich war das Problem beim Spinlabeling
des Proteins lokalisiert) zu bestimmen: Hierzu wird die von Proteinen, dass nur selten ein einzelnes Spinlabel in
Zugänglichkeit des Spinlabels für ein von außen zuge- eine spezifizierte Position eingeführt werden konnte. Er-
gebenes paramagnetisches Ion (z.  B.  Ni2+) untersucht. folgreiche Beispiele dieser Art waren eine Serie einfach
Kollidieren die beiden, führt dies zu einer gewissen Ver- markierter α-Neurotoxine aus Schlangengift und von
breiterung des Signals im EPR-Spektrum. (Elektronen-) EGF (Epidermal Growth Factor) mit einem Spinlabel an
Spinlabels interagieren auch mit Kernspins, was für pa- jeweils einem Lysinrest. Diese Derivate wurden zur Un-
ramagnetische Resonanzverstärkung (Paramagnetic Re- tersuchung der Liganden-Rezeptor-­ Wechselwirkung
sonance Enhancement, PRE) genutzt werden kann und eingesetzt.
die Ermittlung von Abständen zwischen 15–24  Å er- Zwei Spinlabel, die sich in spezifizierten Positionen
möglicht. Ferner können Spinlabel auch zusammen mit eines Proteins befinden, können durch EPR über die
Fluoreszenzlabeln eingesetzt werden, deren Fluoreszenz Messung der paramagnetischen Dipolwechselwirkung
sie quenchen, wenn sie sich in ihrer Nähe befinden. Ein zur Bestimmung des Abstandes dieser Gruppen heran-
Beispiel hierfür ist das Quenching des sehr hydrophoben gezogen werden (Pulsed Electron Double Resonance,
Pyren-Fluorophors durch Fettsäuren einer Lipidmem- PELDOR/DEER). Aufgrund technischer Probleme
bran, die ein Spinlabel in verschiedenen Positionen be- wurde diese Methodik jedoch mit natürlich vorkom-
sitzen, was eine Abschätzung der Anordnung der Pyren- menden Proteinen nur selten realisiert. Sie wurde weiter-
fluorophore relativ zur Membran-­ Wasser-­Grenzfläche entwickelt und wird jetzt auf mutierte Proteine ange-
ermöglicht. wendet (7 Abschn. 7.2.2).

Die Methodik für die Einführung von Spinlabeln in


Proteine ist der für die Fluoreszenzmarkierung verwen-
deten sehr ähnlich. Meist wird an Sulfhydrylgruppen
modifiziert, seltener an Aminogruppen oder Histidinen. 7.2.2 Untersuchungen an mutierten
Einige repräsentative Spinlabelderivate sind in Proteinen
. Tab. 7.2 aufgeführt, dabei dienen stabilisierte Nitro-

xide basierend auf Tetramethylpyrrolidin (PROXYL) Die beschriebene Bandbreite chemische Reaktionen so-
oder -pyrrolin oder Tetramethylpiperidin (TEMPO) als wie die möglichen Modifikationen von Proteinen wur-
Grundgerüst. Sehr häufig eingesetzt wird MTSL (1  in den (und werden) über Jahrzehnte weiterentwickelt, um
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
131 7

..      Tab. 7.2  Reagenzien zur Einführung von Spinlabel

Nr. Strukturformel Linker Name

Linker
O
(1-Oxy-2,2,5,5-tetramethylpyrrolin-3-methyl)methanthiosulfonat
S S
1 N O (MTSL)
O
O O
(1-Oxy-2,2,5,5-tetramethylpyrrolin-3-carboxyl)NHS Ester
2 O N

O
Linker
NH
3 (3-(2-Iodacetamid)-2,2,5,5-tetramethyl-1-pyrrolidinyl-1-oxyl
N O I (3-(2-Iodoacetamido)-PROXYL)
O
O
3-Maleimid-2,2,5,5-tetramethyl-1-pyrrolidinyl-1-oxyl
4 N
(3-Maleimido-PROXYL)
O
Linker
4
NH
5 4-(2-Iodacetamid)-2,2,6,6-tetramethyl-piperidyl-1-oxyl
N O I (4-(2-Iodoacetamido)-TEMPO)
O
O
6 4-Maleimid-2,2,6,6-tetramethyl-piperidyl-1-oxyl
N
(4-Maleimido-TEMPO)
O

..      Abb. 7.25  Spinmarkierung an eine freie O


Sulfhydrylgruppe mit (1-Oxy-2,2,5,5-tetra- Protein SH + S S Protein S S
methylpyrrolin-3-methyl)methanthiosulfonat O
(MTSL) N N
O O

1-Oxy-(2,2,5,5-tetramethylpyrrolin-
3-methyl)methanthiosulfonat
(MTSL)

möglichst chemoselektive und damit aussagekräftige lative Häufigkeit in Proteinen im Gegensatz zu z. B. Ly-
Markierungen an isolierten Proteinen zur erhalten. Die sinen eher gering ist und sich die verbliebene freie Sulf-
Methoden der rekombinanten DNA-Technologie haben hydrylgruppe sehr effizient und selektiv modifizieren
die Möglichkeiten und Anwendungsbereiche für Fluo- lässt. Wie in 7 Abschn.  7.1 beschrieben, können auch

reszenz- und Spinlabel an Proteinen jedoch noch erheb- die Erweiterung des genetischen Codes und bioorthogo-
lich erweitert. Insbesondere wenn diese als strukturelle nale Reaktionen zur spezifischen Modifizierung genutzt
Sonden genutzt werden sollen, wurde die „klassische“ werden. Solche ortsspezifisch markierten Proteine sind
Herangehensweise der Markierung wildtypischer Pro- ideal für strukturelle Untersuchungen geeignet. Zum
teine mittlerweile fast vollständig verdrängt. Heute kann einen lassen sich so für Proteine, die sehr schwer kristal-
gentechnisch ein Protein sehr leicht so mutiert werden, lisierbar oder durch NMR-Spektroskopie analysierbar
dass es nur noch eine potenzielle Gruppe zur Reaktion sind, strukturelle Parameter ermitteln (z. B. Membran-
mit einem bestimmten Reagenz besitzt. Meist werden proteine). Zum anderen geben biophysikalische Sonden
dafür die endogenen Cysteine ausgetauscht, da die re- auch komplementäre Informationen zur „statischen“
132 S. Els-Heindl et al.

Kristallographie, indem lokale und globale Protein- stimmte Positionen einbaut. Der Photorezeptor Rho-
dynamik, d.  h. das Vorhandensein verschiedener Kon- dopsin ist auch für diese Anwendung ein wesentliches
formationen und deren Beeinflussung, verfolgt werden Modellsystem. Hubbell, Altenbach und Mitarbeiter
kann. konnten durch PELDOR/DEER-Experimente mit einer
Die ersten Anwendungen ortsspezifischer Markie- Reihe von Nitroxid-Paaren erstmals die konzertierten
rungen für die Strukturanalyse von Membranproteinen Bewegungen der Transmembranhelices bei der Rezep-
waren sog. Cysteinscanning-Zugänglichkeits-Ansätze toraktivierung zeigen, deren Endpunkte später in Kris-
(Scanning Cysteine Accessibility Method, SCAM). Für tallstrukturen sichtbar wurden (Altenbach et al. 2008).
den nicotinischen Acetylcholinrezeptor gaben z. B. Pho- Durch die technischen Fortschritte im Bereich der
toaffinitätsmarkierungs- und Mutagenese-/Chimärenex- Fluoreszenzfarbstoffe und -Detektion finden auch orts-
perimente Anlass zu der Vermutung, dass der Ionenka- spezifische Fluoreszenzsonden aktuell breite Anwen-
nal aus den Transmembransequenzen M2 der fünf dungen. Durch die neuen Generationen von Fluores-
Rezeptoruntereinheiten gebildet wird. Um die Amino- zenzfarbstoffen können maßgeschneiderte FRET-­Paare
säurereste dieser Segmente herauszufinden, die an der generiert werden. Neue empfindliche und super-hoch-
Ionenleitung unmittelbar beteiligt sind, ersetzten Karlin auflösende Mikroskopietechniken ermöglichen mittler-
7 und Mitarbeiter Aminosäure für Aminosäure durch weile auch FRET-Analysen in einzelnen Proteinen bzw.
Cystein (Akabas et al. 1994). Diese Substitution beein- Proteinkomplexen (single-molecule FRET, smFRET),
trächtigte die Kanaleigenschaften nur unwesentlich. sodass die zeitliche Abfolge von Konformationsände-
Brachte man jedoch das jeweilige Cystein mit einem ge- rungen und die Lebenszeit der Zustände verfolgt werden
ladenen hydrophilen Reagens zur Reaktion, wurde der kann (während NMR, EPR oder Fluoreszenztechniken
Kanal blockiert, allerdings im mittleren Abschnitt die- „nur“ Aussagen über das Vorhandensein und die rela-
ser Sequenz nur bei jeder zweiten Position. Aus dieser tive Häufigkeit von verschiedenen Zuständen in einem
Periodizität des beobachteten Effektes wurde auf eine Ensemble von Proteinen liefern).
β-Strangstruktur von M2 in diesem Bereich geschlossen Einige sehr eindrucksvolle Beispiele in der jüngsten
(im Fall einer α-Helix hätte man bei jeder vierten Posi- Vergangenheit für die Nutzung verschiedener ortsspezi-
tion einen blockierenden Effekt erwartet). fischer biophysikalischer Sonden zur Untersuchung der
Analog kann eine Serie von Cysteinresten auch mit Dynamik und Funktion von Rhodopsin-ähnlichen
Spinlabeln markiert und anschließenden mittels EPR Membranproteinen (G-Protein-gekoppelte Rezeptoren,
analysiert werden, um die Mikroumgebung und lokale GPCR) kamen aus dem Labor von Brian K. Kobilka
Dynamik zu analysieren. So wurde beispielsweise von (Nobelpreisträger 2012 für seine strukturellen Arbeiten
Khorana, Hubbel und Mitarbeitern für den Photore- zu GPCR, gemeinsam mit Robert J. Lefkowitz). Seine
zeptor Rhodopsin eine Serie von Cysteinmutationen Arbeiten fußen auf Kristallstrukturen von GPCR in
über Transmembranhelices und Loop-Bereiche erstellt verschiedenen Zuständen. Durch gezielte Platzierung
und anschließend jeweils mit einer Nitroxidgruppe und Nutzung von Fluoreszenz- und Spin-Sonden wur-
(. Tab.  7.2) substituiert (Nitroxidscanning, Site-direc-
  den die mechanistische Konzepte zur Funktionsweise
ted Spin Labeling, SDSL; Hubbell et  al. 2003.). Die von GPCRs erheblich erweitert (Weiterführende Litera-
Analyse der Zugänglichkeit der Nitroxidgruppen für tur). Dies unterstreicht, dass auch im Zeitalter diverser
polare und unpolare paramagnetische Substanzen gab verfügbarer Kristallstrukturen für pharmakologisch
Auskunft über die Transmembranbereiche und Topolo- wichtige Zielstrukturen wie GPCR ortsspezifisch einge-
gie des Rezeptors, und das einige Jahre, bevor die erste fügte biophysikalische Sonden exzellente und essenzielle
Kristallstruktur des Rhodopsins bestimmt werden komplementäre Techniken darstellen, um die Dynamik
konnte. Die Periodizität der Schwankungen der Parame- und Funktion von Proteinen zu verstehen.
ter der Elektronenresonanz bei einem derartigen Nitro-
xidscanning hängt von der Sekundärstruktur ab und
lässt somit α-Helices und β-Stränge unterscheiden. Dar- 7.3  rotein-Crosslinking zur Analyse von
P
über hinaus zeigten sich Unterschiede in der Mobilität Proteinwechselwirkungen
diverser Reste nach der Rezeptoraktivierung mit Licht.
Wie im vorigen Abschnitt erwähnt, können ferner Crosslinking-Reagenzien (es wird hier bewusst der eng-
intra-oder intermolekulare Abstände durch paarweise lischen Bezeichnung vor der auch möglichen deutschen
eingefügte Spinlabel und gepulste EPR-Experimente be- Vokabel „Vernetzungsreagenz“ der Vorzug gegeben, da
stimmt werden. Dies sind meist zwei Nitroxide, prinzi- sie sich im Sprachgebrauch der meisten Labors durch-
piell ist aber auch die Kombination eines kovalent ge- gesetzt hat) werden zur Analyse räumlicher Verhältnisse
bundenen Nitroxids mit einem komplexierten Metallion in Proteinen, häufiger jedoch von Interaktionen eines
möglich, das von spezifischen Resten gebunden wird. Proteins mit anderen Proteinen, Nucleinsäuren oder Li-
Auch dies kann wiederum durch gerichtete Mutagenese piden eingesetzt. Über die oben bei den chemischen Mo-
erfolgen, indem man die Metallbindungsstelle in vorbe- difikationen genannten Kriterien hinaus gibt es bei der
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
133 7
Auswahl eines geeigneten bifunktionellen Crosslinkers ester (9–11) sind selbst zwar nicht spaltbar, die entspre-
mehrere Gesichtspunkte: Neben der Spezifität und Se- chenden spaltbaren Derivate sind aber ebenfalls erhält-
lektivität sind Eigenschaften wie die Membrangängig- lich. Die Spaltung wird durch reduzierende Agenzien
keit und der Abstand zwischen den beiden reaktiven (Verbindungen 6 und 12) oder durch Oxidation vicinaler
Gruppen zu beachten. Darüber hinaus wird die Analyse Diole (Verbindungen 7 und 8, . Tab. 7.3) erreicht.

der Crosslinking-Produkte durch die Verwendung von


spaltbaren Crosslinkern meist wesentlich erleichtert.
Mit homobifunktionellen Reagenzien kann man vor
Zwei Anwendungsgebiete des Crosslinking sind her-
allem Molekulargewichte und Quartärstrukturen von
vorzuheben: die Messung von Abständen innerhalb ei-
Proteinen, die aus mehreren Polypeptidketten beste-
nes Moleküls oder zwischen zwei Molekülen durch ko-
hen, bestimmen: Durch kovalente Verknüpfung wird
valente Verknüpfung mit einem Crosslinker definierter
verhindert, dass ein Proteinkomplex bei der Analyse
Länge, und die Analyse von „Nachbarschaften“, d.  h.
auseinanderfällt, sodass man das Molekulargewicht
derjenigen Moleküle, die sich in unmittelbarer Nähe ei-
des Gesamtkomplexes erhält. In günstigen Fällen je-
nes Proteins befinden und daher vermutlich auch funk-
doch kann man darüber hinaus den Crosslink bis auf
tionelle Partner sind. Hierbei ist hervorzuheben, dass
die betroffene Aminosäure in den beteiligten Proteinen
man mithilfe von Crosslinking, im Gegensatz zu
lokalisieren. Dadurch werden wertvolle Struktur- und
z. B. Phagendisplay, transiente, wenig stabile Interaktio-
Nachbarschaftsinformationen gewonnen.
nen einfangen und charakterisieren kann.
In diesem Abschnitt sollen das Crosslinking mit bi-
funktionellen Reagenzien und in einem gesonderten Heterobifunktionelle Reagenzien besitzen zwei verschie-
Unterabschnitt die Photoaffinitätsmarkierung beschrie- dene reaktive Gruppen, z. B. eine Maleinimid- (oder Io-
ben werden. Bei der Photoaffinitätsmarkierung trägt der dacetamid-)Gruppe für die Reaktion mit SH-Gruppen
Ligand, z. B. ein Substrat oder Coenzym, eine funktio- auf der einen und einen aktivierten Ester für die Reak-
nelle Gruppe, ist also monofunktionell. Von Photocross- tion mit Aminogruppen des Proteins auf der anderen
linking wird gesprochen, wenn bifunktionelle Reagen- Seite (13–15 in . Tab. 7.3). Das Reagenz 16 der Tabelle

zien verwendet werden, bei denen mindestens eine der ist ein weiteres Beispiel für ein spaltbares bifunktionelles
beiden reaktiven Gruppen photoaktivierbar ist. Reagenz. Hier dient die reduktive Spaltung jedoch ei-
nem ganz speziellen Zweck: Sie wird nicht wie üblich zur
7.3.1 Bifunktionelle Reagenzien Trennung der vernetzten Komponenten eingesetzt, son-
dern zur Entfernung einer Schutzgruppe und dadurch
Bifunktionelle Crosslinking-Reagenzien können in drei zur Freisetzung einer SH-Gruppe für die Verknüpfung
Gruppen eingeteilt werden: homobifunktionelle, he- mit einer anderen SH-Gruppe oder zu ihrer Modifika-
terobifunktionelle und Reagenzien ohne eigene Länge tion mit einem spezifischen SH-Reagenz.
(zero length). Ein Beispiel für Letztere ist die Bildung
von Amidbindungen zwischen Amino- und Carboxy-
gruppen eines Proteins unter Verwendung von Carbo- 7.3.2 Photoaffinitätsmarkierung
diimiden oder die Bildung von Disulfidbrücken aus
zwei SH-Gruppen. Homo- und heterobifunktionelle Bei Affinitätsmarkierungen wird ein Bindungspartner,
Reagenzien sind in . Tab. 7.3 aufgeführt. Diese Spacer
  z. B. ein Enzymsubstrat, ein Rezeptoragonist oder -ant-
sind in spaltbarer und nichtspaltbarer Form erhältlich. agonist, mit einer schwach aktiven Funktionalität aus-
Für spaltbare Crosslinker entscheidet man sich, wenn gestattet, die eine chemische Reaktion mit dem anderen
sich die finale Analyse der Crosslinking-Produkte zu Bindungspartner erlaubt, sobald beide in räumliche
komplex gestaltet. Bei der Spaltung verbleibt ein Teil Nähe zueinander kommen. Das Besondere bei Photoaf-
des Crosslinkers als Reportergruppe am Target, so- finitätsmarkierungen ist, dass der Ligand mit einer licht-
dass mithilfe analytischer Methoden der Interaktions- aktivierbaren Gruppe derivatisiert ist. Ähnlich wie bei
ort der ursprünglich miteinander vernetzten Moleküle der Affinitätsmarkierung trägt die Affinität des Ligan-
identifiziert werden kann. Homobifunktionelle Rea- den die reaktive Gruppe zum Bindungsort. Die chemi-
genzien haben zwei identische funktionelle Gruppen, sche Reaktion mit dem Bindungspartner findet bei der
die durch einen „Spacer“ mit variabler Länge vonei- „normalen“ Affinitätschromatographie dann aber so-
nander getrennt sind (. Tab.  7.3). Zu ihnen gehören
  fort statt. Im Gegensatz dazu lässt sich durch die Photo-
1,5-Difluor-­2,4-dinitrobenzol (1  in . Tab.  7.3), Form-
  aktivierung der Zeitpunkt und damit auch der Ort der
aldehyd und Glutaraldehyd (2 und 3 in . Tab. 7.3), N-­
  Reaktion bestimmen, sodass Photoaffinitätsreagenzien,
Hydroxysuccinimidester (4–8), und die Imidate (9–12). zumindest theoretisch, selektiver als „normale“ Affini-
Disuccinimidylsuberat (DSS; 5) wird oft verwendet, um tätsreagenzien sind. Die Anwendungen reichen von ein-
radioaktiv markierte Peptide oder Proteine mit einem fachen Markierungen bestimmter Proteine in einem
Protein zu vernetzen. Aktivierte Ester (4, 5) und Imido- Proteingemisch bis zur „Kartierung“ von Bindungsstel-
134 S. Els-Heindl et al.

..      Tab. 7.3  Bifunktionelle Reagenzien

Nr. Strukturformel R oder n Name


F NO2

1 1,5-Difluor-2,4-dinitrobenzol

F NO2
O
2 H C H Formaldehyd
O O
3 H C (CH2)3 C H Glutaraldehyd

O O
O O
4 n=3 Disuccinimidylglutarat
7 5
N O C (CH2)n C O N
n=6 Disuccinimidylsuberat (DSS)

O O

O O
O O
6 N O C (CH2)2 S S (CH2)2 C O N Dithiobis(succinimidylpropionat)

O O

O O
O OH OH O R
7 R=H Disuccinimidyltartrat
N O C C C C O N
8 R = SO3Na Disulfosuccinimidyltartrat
H H
O O
+ +
– –
9 Cl H2N NH2 Cl n=4 Dimethyladipimidat · 2 HCl
10 C (CH2)n C n=5 Dimethylpimelidat · 2 HCl
11 H3CO OCH3 n=6 Dimethylsuberimidat · 2 HCl
+ +
Cl– H2N NH2 Cl–
12 C (CH2)2 S S (CH2)2 C Dimethyl-3,3 - dithiobispropionimidat · 2 HCl
H3CO OCH3
O O
O
13 N O C (CH2)3 N N-g -Maleinimidobutyzyloxysuccinimidester

O O

O O
O
14 N O C CH2 N Succinimidyl-4(N -maleinimidomethyl)-
cyclohexan-1-carboxylat
O O

O
O O
15 N O C NH C CH2I N-Succinimidyl-(4-iodacetyl)aminobenzoat

O
O
O
16 S S (CH2)2 C O N N-Succinimidyl-3-(2-pyridyldithio)propionat
N
O
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
135 7
len durch Identifizierung von Aminosäureresten, die mit stellt. Das Arylfluorid (1) ist ziemlich unspezifisch und re-
dem Photoaffinitätsreagenz reagierten. agiert mit Aminen, Thiolen, Phenolen und anderen Nu-
Heute werden in der Proteinchemie ganz unter- cleophilen. Dagegen wurden N-­Hydroxysuccinimidester
schiedliche Typen von Photoreagenzien eingesetzt. Ende (2) in zahlreichen Untersuchungen für den selektiven
der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre waren die Einbau von Photolabeln in Aminogruppen verwendet.
bei Photoaktivierung Nitrene bildenden Arylazide am Die Ethylaminogruppe (3) ermöglicht die Photomarkie-
populärsten. Ihr Vorteil liegt in ihrer relativ leichten prä-
rung von Proteinen über ihre Carboxygruppen durch
parativen Zugänglichkeit. Es wurde vermutet, dass Nit- Reaktion in Gegenwart von Carbodiimiden.
rene in alle möglichen Bindungen, einschließlich Die in neuerer Zeit eingeführten perfluorierten Ary-
C–H-Bindungen, insertieren und deshalb sämtliche lazide (4) haben den Vorteil, Nitrene zu bilden, die in
Aminosäurereste in ihrer Nähe „treffen“. Arylazide er- weitaus geringerem Ausmaß Ringerweiterungen einge-
füllten ihre Aufgabe, solange diese darin bestand, ein hen und daher mit viel größerer Effizienz in C–H-­
makromolekulares Target (Enzym, Bindungsprotein, Bindungen insertieren als ihre nicht fluorierten Gegen-
Rezeptor, Transporter) zu identifizieren. Als man jedoch stücke.
den genauen Ort der Photoinsertion im Zielprotein ken- Mit den Derivaten der Azidosalicylsäure (5 und 6)
nenlernen wollte, wurden entscheidende Nachteile er- kann radioaktives Iod unmittelbar in die photoaktivier-
sichtlich: Vor allem ist die Ausbeute der Photoreaktion bare Verbindung eingeführt werden (. Abb. 7.27). Die

mit Arylaziden meist nicht viel höher als ein paar Pro- Sulfogruppe in (6) gibt dieser Verbindung eine wesent-
zent. Außerdem ist die Lebensdauer der entstehenden lich bessere Wasserlöslichkeit.
Nitrene relativ groß, sodass nichtspezifische oder mul- Die Ester (5) und (6) ermöglichen es, iodierbare
tiple Insertionen zum Problem werden können. Vielver- Gruppen in Aminogruppen einzuführen, während Ioda-
sprechender erschienen daher Diazirine (11–17  in cetamid (7) hauptsächlich zur Modifizierung von Sulf-
. Tab. 7.4), die bei Photolyse reaktive Carbene bilden.
  hydrylgruppen verwendet wird. Das Vorhandensein von
Ihr Vorteil liegt in ihrer wesentlich kürzeren Lebens- Radioaktivität in dem Photolabel selbst anstatt in Tyro-
dauer und geringeren Promiskuität. Wie bei den Aryla- sin- oder Histidinresten des Proteins erleichtert die Iden-
ziden ist allerdings auch hier die Ausbeute gering. Die tifizierung des Ortes des Crosslinking erheblich. In der
Situation wird noch dadurch verschärft, dass die erhal- Tat ist dies ein Muss, wenn ein spaltbares Crosslinking-­
tenen Vernetzungsprodukte häufig instabil sind und die Reagenz verwendet wird (s. unten). Arylazide aber, be-
Isolierung und proteinchemische Charakterisierung der sonders jene, die das Iod-Atom im gleichen aromati-
Crosslinking-Produkte nicht überstehen. schen Ring wie die Azidogruppe haben, setzen bei der
Sehr viel höhere Crosslinking-Ausbeuten (70–80  %) Photolyse Iod frei. Daher sollten die Photolysebedin-
wurden für Reagenzien vom Benzophenontyp, z.  B. gungen schonend sein. Man sollte dabei einen Kompro-
p-Benzoyl-l-phenylalanin (Bpa) berichtet (20  in miss zwischen dem Erhalt des Iods im Molekül und der
. Tab. 7.4). Seither wurde Bpa für die Synthese zahlrei-
  kompletten Photoumwandlung des Photolabels suchen.
cher Peptide (Hormone, Neurotransmitter) verwendet. Die Verbindungen 8–10 sind Beispiele für spaltbare
Photomarkierungsreagenzien. Der Ester (9) kann vor
7.3.2.1 Die Chemie einzelner Photolabel der Proteinmodifizierung mit radioaktivem Iod mar-
Arylazide  Bei Bestrahlung geben Arylazide reaktive Nit- kiert werden. Nachdem Aminogruppen des Proteins mit
rene. Die zunächst entstehenden Singulettnitrene (S in diesem Reagenz reagiert haben, wird der Komplex mit
. Abb.  7.26) insertieren bevorzugt in N–H- und dem Zielprotein bestrahlt, und anschließend wird der

O–H-Bindungen oder in andere Nucleophile. Crosslinking-Arm mit β-Mercaptoethanol oder Dithio-


Triplettnitrene dagegen können Protonen aus C–H-­ threitol gespalten. Als Ergebnis hiervon ist nur ein Teil
Bindungen abziehen. Arylnitrene durchlaufen eine des Reagenzes kovalent an das Zielprotein gebunden,
schnelle Ringerweiterung unter Bildung von Dehydro- wodurch die Analyse sehr erleichtert wird. Ein ähnliches
azepinen. Diese sind weniger reaktiv als Nitrene und re- Ergebnis kann mit dem Denny-Jaffe-Reagenz (10) durch
agieren bevorzugt mit Nucleophilen und dem Solvens Spaltung der Azogruppe mit Natriumdithionit erzielt
(z.  B.  Wasser). Zusätzlich können Dehydroazepine mit werden.
der Ausgangsverbindung, dem Arylazid, zu einer Mi-
schung von Polymerisationsprodukten reagieren. Bei Carben bildende Reagenzien  Gegenwärtig sind die effizi-
Abwesenheit von Nucleophilen in der Ligandenbin- entesten Ausgangsverbindungen für Carbene die 1-Triflu-
dungsstelle eines Proteins kann daher die Photomarkie- ormethyl-1-phenyldiazirine.
rung misslingen. Ähnlich wie die Arylazide sollten auch die Diazirine
Einige der für die Photomarkierung von Proteinen im Dunkeln oder bei gedämpftem Licht gehandhabt
verwendeten Arylazide sind in . Tab. 7.4 zusammenge- werden.

136 S. Els-Heindl et al.

..      Tab. 7.4  Reagenzien für die Photomarkierung

Nr. Strukturformel Name

1 N3 F 4-Fluor-3-nitrophenylazid

NO2

O
O
2 N3 C O N N-Hydroxysuccinimidyl-4-azidobenzoat

3 N3 NH CH2 CH2 NH2 N-(2-Aminoethyl)-4-azido-2-nitroanilin

7 F F O
O
4 N3 C O N N-Hydroxysuccinimidyl-4-azido-2,3,5,6-tetrafluorbenzoat

F F O

OH O
O R
5 R =H
N3 C O N N-Hydroxysuccinimidyl-4-azidosalicylsäure
6 R = SO 3Na
N-Hydroxysulfosuccinimidyl-4-azidosalicylsäure
O

OH
O O
7 N3 C NH (C H2)3 NH C C H2I 1-( p-Azidosalicylamido)-4-(iodacetamido)butan

O
O
8 N3 S S CH 2 CH 2 C O N N-Hydroxysuccinimidyl-(4-azidophenyl)-1,3 ’ -dithiopropionat

OH O
O O
9 N3 C NH (C H2) 2 S S (C H 2) 2 C O N Sulfosuccinimidyl-2-[p -azidosalicylamido]ethyl-1,3 -’
dithiopropionat
O

125 I O
O O
10 N3 N N C NH (C H2)2 C O N N-[4-(4 ’ -acido-3, -[125I]iodphenylazo)-benzoyl]-3-aminopropyl-125
N-oxysuccinimidester (Denny-Jaffe-Reagens)
O

CF 3
N
11 C 3-(Trifluormethyl)-3-(m-[125I]iodphenyl)diazirin, [125I]TID
N
125I

CF 3
N
12 C CH 2 CH CO O – 4’-(Trifluormethyl-diazir inyl)phenylalanian
N
+
NH 3
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
137 7

..      Tab. 7.4 (Fortsetzung)

Nr. Strukturformel Name

NO2 O
CF3 O
N
13 C O CH2 C O N [2-Nitro-4-[3-(trifluormethyl)-3H-diazirin-3-yl]phenoxy]acetyl-
N N-hydroxysuccinimidat
O
COO–
CF3
N
14 C CH2 S S NO2
N

O
OH OH O
CH CH C O N
CF3
N
15 C O 3-[3-(3-(Trifluormethyl)diazirin-3-yl)phenyl]-
N 2,3-dihydroxypropionyl-N-hydroxysuccinimidat

125I
CF3
N
C CH2OR
N
O
O O
16 R= C (CH2)2 C O N 3-[[[2-(125I)Iod-4-[3-(trifluormethyl)-3H-diazirin-3-yl]benzyl]-
oxy]carbonyl]propanoyl-N-hydroxysuccinimidat
O
O
O O
17 R= C (CH2)2 C O N 2-([125I])Iod-4-[3-(trifluormethyl)-3H-diazirin-3-yl]benzyl-
3-maleimidopropionat
O
O O
18 N2 CH C C O NO2 p-Nitrophenyl-3-diazopyruvat

O
NH C CH2Br
O O
19 N2 CH C C NH N-Bromacetyl-N ′-(3-diazopyruvoyl)-m-phenyldiamin

O
20 C CH2 CH COO – p-Benzoyl-L-phenylalanin (Bpa)
+
NH3

O
O O
21 C C O N p-Benzoylbenzoyl-N-hydroxysuccinimidat

O
O
O O
22 C CX2 CX2 C O N X = 1H, 3H
[3H]p-Benzoyldihydroxycinnamoyl-N-hydroxysuccinimidat

O
O
O
23 C N 4-Maleinimidobenzophenon

O
138 S. Els-Heindl et al.

..      Tab. 7.4 (Fortsetzung)

Nr. Strukturformel Name

24 O Photo-Leucin
H 2N
OH
N
N

25 O Photo-Methionin
H 2N
OH

N
N

7
..      Abb. 7.26  Reaktionen der
Arylazide nach Bestrahlung. Die R NH N
entstehenden Singulettnitrene (S)
können in N–H-Bindungen HN
insertieren oder sich über eine
Ringerweiterung in Dehydroaze- Insertion
pine umlagern
R
hn ··
R N3 R N
·· N
Ring-
erweiterung
(S) Dehydroazepin

Umlagerung
zum Triplett

··
R N· ·

(T)

..      Abb. 7.27  Modifikation mit O HO HO


N-Hydroxysuccinimidyl-4-­
azidosalicylsäure und anschlie- Protein NH2 + N O C N3 Protein NH C N3
ßende radioaktive Markierung
mit Chloramin T O O
O

125
HO I
125
Na[ I]
Protein NH C N3
Chloramin T
O

Photolyse von Aryltrifluormethyldiazirinen (A in wandlung zu dem Diazoisomer (D) begleitet. Wegen des
. Abb.  7.28) ergibt die Carbene (B), die effizient in
  Elektronen anziehenden Effektes der CF3-Gruppe ist es
C–H-­Bindungen insertieren und dabei die stabilen Pro- ziemlich stabil und ergibt keine unerwünschten Dunkel-
dukte (C) ergeben. Addukte mit O–H- oder N–H-Bin- reaktionen.
dungen (E) sind instabil, eliminieren HF und hydrolysie- Das Reagenz 11 in . Tab. 7.4 wird häufig für die un-

ren schnell zu Difluormethylketonen (F) und den spezifische Markierung hydrophober Teile von Memb-
ursprünglichen -O–H oder -N–H enthaltenden Verbin- ranproteinen, speziell jener, die mit Lipiden in Kontakt
dungen. Photolyse von (A) ist außerdem von einer Um- sind, eingesetzt. Das Diazirinylanalogon des Phenylala-
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
139 7
..      Abb. 7.28  Carben bildende
CF3 CF3 CH2 CF3
Substanzen. 1-Trifluormethyl-­1- N hn
phenyldiazirin A bildet nach C C ·· CH CH
N Insertion
Bestrahlung ein Carben, das in
C–H-­Bindungen C und A Diazirin B Carben C
N–H-Bindungen E insertieren kann.
Die entstehenden Alkylverbindungen
sind stabil, während die Trifluorme-
Isomeri-
thylamine HF eliminieren und zu Insertion NH
sierung
Trifluormethylketonen F hydrolysie-
ren. Das Diazirin A kann sich
außerdem zum entsprechenden
Diazoisomer umlagern D CF3 CF3 CHF2
1. –HF
C N N CH N C O + NH
2. H2O

D E F

..      Abb. 7.29  Vernetzung mit p-Nitrop- O


O
henyldiazopyruvat A. Das Reaktionspro- O C H
Protein NH2 + C C Protein HN C H
dukt durchläuft eine Wolff-Umlagerung C C
O N2
zum entsprechenden Keten C, das dann O2N O N2
mit Nucleophilen intra- oder intermole- A B
kulare Crosslinks D bildet
O
C
hn R-Nu
Protein HN C Protein HN CH2 Nu
Wolff- C H C C R
Umlagerung
O O O
C Keten D

nins (12) kann in Peptide bei deren Synthese (unter Ver- 19 in . Tab. 7.4) eingesetzt. So reagiert z. B. p-Nitrophe-

wendung der entsprechenden N- oder C-geschützten nyldiazopyruvat (A in . Abb. 7.29) mit Aminogruppen  

Derivate) anstelle von Phenylalanin eingebaut werden. von Proteinen. Bei UV-Bestrahlung (ca. 300 nm) durch-
Das für Aminogruppen spezifische Reagenz (13) wurde laufen diese Verbindungen eine Wolff-Umlagerung zu
zur Untersuchung von Bindungsstellen in Rezeptoren Ketenen (C). Letztere können vorhandene Nucleophile
und Ionenkanälen eingesetzt. Mit dem Reagenz (14) acylieren, sodass intra- oder intermolekulare Crosslinks
kann ein Aryldiazirinylderivat über einen Thiol-­ (D) entstehen. Der Vorteil der Diazopyruvoylreagen-
Disulfid-­Austausch an einen Cysteinrest angeheftet wer- zien ist ihre Stabilität gegenüber Thiolen (die auf Aryla-
den; nach der Bestrahlung des Komplexes mit dem Ziel- zide erheblich desaktivierend wirken können). Reagenz
protein kann die S–S-Brücke des Crosslinks mit (19) dient der Reaktion von Diazopyruvoylresten mit
reduzierenden Agenzien gespalten werden. SH-Gruppen von Peptiden und Proteinen.
Der „Spacerarm“ in dem Ester (15) kann durch Per­ Für Crosslinking-Reaktionen sind auch Diazirin tra-
iodatoxidation gespalten werden. Der Vorteil dieses gende Aminosäuren interessant, die spezifisch an eine
spaltbaren Reagenzes ist der relativ kleine Abstand zwi- Position im Peptid oder Protein durch chemische Syn-
schen den reaktiven Gruppen. Die von Brunner synthe- these eingebracht werden können. In den letzten Jahren
tisierten Diazirine (16) und (17) enthalten eine Esterbin- spielten besonders Photo-Leucin (24) und Photo-­
dung, die unter alkalischen Bedingungen gespalten Methionin (25) eine zunehmend große Rolle. Damit
werden kann. Diese Reagenzien besitzen sehr hohe spe- können Protein-Protein-Wechselwirkungen untersucht
zifische Radioaktivität (ca. 2000 Ci mmol−1). Ihre Pho- werden, um z. B. die Bindungstasche eines Rezeptors zu
toaktivierung setzt, anders als bei den iodierten Arylazi- charakterisieren.
den, kein Iod frei.
Sollen gezielt nucleophile Gruppen in Proteinen ver- Benzophenon-Photolabel  Gegenüber den Arylaziden
netzt werden, werden Diazopyruvoylverbindungen (18, oder Diazirinen haben Benzophenone mehrere Vorteile.
140 S. Els-Heindl et al.

O O·
C C·
hn

A Benzophenon B Triplett-Benzophenon

R O
R O HN
OH HO C C
NH C C
C· R O C
H
+ NH C C
·

C Ketyl D E

7 ..      Abb. 7.30  Photomarkierung von Peptiden mit Benzophenon. Benzophenon A geht nach Bestrahlung in den Triplettzustand B über, bildet
ein Ketyl C und reagiert mit dem entstehenden Alkylradikal D zu dem Addukt E mit einer neuen C–C-Bindung

Sie sind chemisch stabiler, und ihre Photoumwandlung photoaktivierbaren thiolspezifischen Reagenzien vom
kann bei längeren Wellenlängen (ca. 350  nm) erfolgen, Benzophenontyp.
wodurch das Risiko der Strahlenschädigung des Proteins Vor Abschluss dieses Abschnittes sollen zwei Me-
vermindert wird. Benzophenone reagieren bevorzugt mit thoden erwähnt werden, die im Prinzip mit Photorea-
C–H-Bindungen, und die Crosslinking-Ausbeute ist meist genzien verschiedener Natur angewendet werden kön-
höher als bei Arylaziden oder Diazirinen. Es gibt aller- nen. Eine interessante, wenn auch nicht sehr weit
dings auch Fälle, in denen die Photomarkierung mit ei- verbreitete Version der Photomarkierung verwendet
nem Arylazid erfolgreich war, aber misslang, wenn der- Energietransfer. Wenn sich eine photosensitive Gruppe
selbe Ligand eine Benzophenongruppe enthielt. Offenbar in einem Komplex aus Ligand und Rezeptor bzw. En-
steigert die Hydrophobizität des Benzophenons die Aus- zym in räumlicher Nähe zu einem Tryptophanrest be-
beute bei hydrophoben, besonders bei Membranprotei- findet, kann die Photoaktivierung über die Anregung
nen. In einigen Fällen ist jedoch die sterische Hinderung des Tryptophanrestes erfolgen. Hier spielt das Photola-
durch diese Gruppe eindeutig von Nachteil. bel die Rolle eines Akzeptors, und seine Absorption
Bestrahlung der Benzophenone (. Abb.  7.30, A)   sollte bei der Anregungswellenlänge des Tryptophans
führt zu dem diradikalischen Triplettzustand (B), dessen gering sein, jedoch beträchtlich mit dessen Emissions-
Wechselwirkung mit C–H-Bindungen zur Abspaltung wellenlänge (ca.  320–340  nm) überlappen. Diese Me-
von Wasserstoff führt. Die Rekombination der interme- thode sollte im Prinzip unspezifische Reaktionen erheb-
diär auftretenden Ketyl- (C) und Alkylradikale (D) er- lich vermindern.
gibt das Addukt (E), wobei eine neue C–C-Bindung ge- Photoaktivierbare Gruppen können in Proteine nicht
knüpft wird. Eine charakteristische Eigenschaft des aus nur durch chemische Modifikation oder im Verlauf der
den Benzophenonen entstehenden Triplettzustands ist Peptidsynthese, sondern auch biosynthetisch einge-
dessen Möglichkeit, in den Grundzustand überzugehen. führt werden. Die Methodik der genetischen Einfüh-
Deshalb können Benzophenone wiederholte Anre- rung nicht proteinogener Aminosäuren hat sich im ver-
gungszyklen durchlaufen, die im Ergebnis zu höheren gangenen Jahrzehnt enorm entwickelt und ist nun eine
Crosslinking-Ausbeuten führen können. Standardmethode in der ortsspezifischen Markierung
Die besten Ergebnisse bei der Anwendung von Ben- großer Proteine. Hierbei wird eine nicht proteinogene
zophenonen in der Untersuchung von Peptid-Protein-­ Aminosäure mit einem seltenen tRNA-Codon-Paar
Interaktionen wurden in den Fällen erzielt, in denen über eine entsprechende Aminoacyl-tRNA-Synthetase
Phenylalaninreste von Peptiden im Verlauf der Peptid- verknüpft. Diese Synthetase stammt im Regelfall aus
synthese durch Bpa (20  in . Tab.  7.4) ersetzt wurden
  einem Organismus, der heterolog ist zu dem Wirtsorga-
oder wenn Bpa-Reste anstelle anderer ersetzbarer Reste nismus, in dem das Zielprotein hergestellt werden soll.
eingeführt wurden. Alternativ können aber auch Ami- So erkennt sie keine tRNAs des Wirtsorganismus und
nogruppen im Protein mit Benzoylbenzoylgruppen un- kann selektiv für die nicht proteinogene Aminosäure
ter Verwendung von N-Hydroxysuccinimid (21) modifi- codieren. Auch die tRNA für die neue Aminosäure darf
ziert werden. Für eine radioaktive Markierung ist auch nicht von den Aminoacyl-tRNA-Synthetasen des Wirts-
tritiummarkiertes N-Hydroxysuccinimid (22) erhältlich. organismus erkannt werden. Genauso muss ein Codon
4-Maleinimidobenzophenon (23) ist ein Beispiel für die verwendet werden, dass im Wirtsorganismus nahezu un-
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
141 7
benutzt ist. Diese Nichtinterferenz mit den endogenen Hier kann die Affinitätschromatografie Abhilfe
Translationswerkzeugen des Wirtsorganismus nennt schaffen. Affinitätschromatografie kann genutzt werden,
man Orthogonalität. Die am häufigsten verwendeten wenn in der Nähe der Crosslinking-Stelle ein Affinitäts-
tRNA/Synthetase-Paarungen sind folgende beiden: Die tag, z. B. Biotin, eingeführt wurde. Dies kann wieder am
Tyrosyl-tRNA-Synthetase/tRNACUA aus Methanocal- zu untersuchenden Liganden geschehen oder direkt am
dococcus jannaschi, welche orthogonal zur Expression Crosslinker. Die Eigenschaft von Biotin, sehr feste Kom-
in Escherichia coli ist, und die Pyrrolyllysyl-tRNA-­ plexe mit Avidin oder Streptavidin zu bilden (KD etwa
Synthetase/tRNACUA aus Methanosarcina mazei, die so- 10–15 M), hat in der Biochemie und Molekularbiologie
wohl in E. coli als auch in eukaryotischen Systemen ein- verbreitet Anwendung gefunden. Kombiniert mit diver-
gesetzt werden kann. Um diese Systeme für eine Vielzahl sen Enzymtests und Affinitätsharzen bietet die „Bio-
verschiedener Aminosäuren nutzbar zu machen, werden tin-Technik“ sensitive Möglichkeiten zur Detektion und
sie mithilfe gerichteter Evolution verändert und mittels Isolierung von Peptiden, Proteinen, Nucleinsäuren und
positiver und negativer Selektionszyklen isoliert. Der sogar von großen Proteinkomplexen. Biotinylierungs-
Einsatz in eukaryotischen Systemen ermöglicht so die reagenzien (. Tab.  7.5) mit nur einer funktionellen

Photoaffinitätsmarkierung unter in vivo-­Bedingungen. Gruppe für die spezifische Reaktion mit Aminosäureres-
Auf diese Weise konnten Coin et al z. B. die Bindungs- ten von Proteinen (z. B. die N-­Hydroxysuccinimidester
tasche von Urocortin-I an seinem Rezeptor, dem Cor- 1–3 und die Maleimide 4 und 5) oder für die unspezi-
ticotropin Releasing Factor Receptor Type 1 (CRF1R) fische Verknüpfung (Photobiotin, 6) können als bifunk-
aufklären. Hierfür wurden verschiedene Mutanten des tionelle, nicht vernetzende Reagenzien klassifiziert wer-
Rezeptors erzeugt, bei denen mithilfe der oben beschrie- den, denn der Biotinanteil bindet nichtkovalent, wenn
benen Methode ein Photocrosslinker, Azidophenylala- auch sehr fest, an Avidin oder Streptavidin. „Wirkliche“
nin, an verschiedenen Positionen entlang der extrazellu- Crosslinker auf Biotinbasis dagegen tragen tatsächlich
lären Domänen eingeführt wurde. Die Positionen, die in zwei kovalent verknüpfende Gruppen und zusätzlich das
räumlicher Nähe zum Liganden im Bindungsgleichge- Biotin (. Tab. 7.5, 7–9). Betrachtet man bei diesen die

wicht lagen, ergaben Crosslinking-Produkte, die mittels Biotinbindung an Avidin als eine zusätzliche Funktion,
Western-Blot identifiziert werden konnten. könnte man sie als trifunktionell bezeichnen. Biotinhal-
tige Reagenzien einschließlich der photoaktivierbaren
7.3.2.2 Methoden zur Identifizierung des können entweder spaltbare (3 oder 7 in . Tab. 7.5) oder

Crosslink-Ortes nicht spaltbare Spacerarme besitzen. Längere Arme er-


Wie im letzten Abschnitt erwähnt, ist die Aufgabe rela- leichtern die Bindung des biotinylierten Liganden an das
tiv einfach, wenn nur das Molekulargewicht eines ver- Avidin. Die meisten photoaktivierbaren Biotinderivate
netzten Proteins bestimmt werden soll. Gelelektropho- enthalten eine Arylazidgruppe. Ebenfalls erhältlich sind
rese und Autoradiographie oder Western-Blot lösen N-Hydroxysuccinimidate (8), bei denen die Biotinyl-
diese Aufgabe problemlos. Will man jedoch den genauen gruppe über einen hydrophilen Spacerarm an einen Dia-
Ort, d.  h. den Aminosäurerest des Crosslinks, wissen, zirinylrest gebunden vorliegt. Ebenso gibt es Photolabel
treten größere Probleme auf. Hier ist vor allem darauf (9), die nach Entfernung einer Boc-Schutzgruppe mit
zu achten, dass nach enzymatischem oder chemischem Carboxyresten eines Proteins verknüpft werden können.
Verdau des Crosslinking-Komplexes die Crosslinking-­ Anfänglich wurden photoaktivierbare Gruppe und
Produkte angereichert und von nicht vernetzten Pepti- Biotinylrest an unterschiedlichen und voneinander ent-
den getrennt werden, um ausreichende Signalstärken in fernten Orten angebracht. Die photosensitive Gruppe
der massenspektrometrischen Analyse zu gewährleisten und der Biotinylrest können aber durchaus auch be-
und Signalunterdrückung durch hohe Konzentration nachbart oder an derselben Stelle lokalisiert sein. Wei-
nicht vernetzter Peptide zu vermeiden. Da die Chemie tere Funktionalität sollte die Radioaktivität enthalten.
der Photoreaktion in den meisten Fällen aber nicht Am Ende sieht das Produkt aller dieser Modifikationen
„sauber“ bekannt ist und die Crosslinking-­Ausbeuten ganz anders als das ursprüngliche Peptid aus, was zu-
niedrig sind, stellt dies eine besondere Hürde dar. lasten der Affinität des Liganden zum Zielprotein gehen
Chromatographische Trennungsverfahren können kann. Daher muss die Einführung verschiedener Label
diese Probleme teilweise lösen. Ist der Ligand oder der stets in Bindungs- und Aktivitätsassays auf deren Eig-
Crosslinker radioaktiv markiert, kann die hohe spezifi- nung überprüft werden.
sche Radioaktivität genutzt werden, um die Reaktions- Sind Antikörper für die vermutete Bindungsstelle
produkte zweifelsfrei zu isolieren. Allerdings generiert eines Proteins vorhanden, kann man sie zur Identifizie-
die Photovernetzung eine Vielzahl von Crosslinking-­ rung des Crosslinks einsetzen.
Produkten, die meist nicht einfach voneinander und von Die zuverlässigste Lokalisierung eines Crosslinks er-
nicht markierten Peptiden zu trennen sind. zielt man durch Massenspektrometrie. Je nach Stärke
142 S. Els-Heindl et al.

..      Tab. 7.5  Biotinylierungsreagenzien (B: Biotin)

Nr. Strukturformel Name

1 B O N Biotin-N-hydroxysuccinimidester

O
O
O
2 B NH (CH2)5 C O N Succinimidyl-6-(biotinamido)hexanoat

O
O
O
3 B NH (CH2)2 S S (CH2)2 C O N Sulfosuccinimidyl-2-(biotinamido)ethyl-

7 O
1,3-dithiopropionat

O
O O
4 B NH C (CH2)4 NH C CH2 N 1-Biotinamido-4-[4′-(maleinimidomethyl)-cyclohexan-
carboxamido]butan
O
O
O
5 B NH (CH2)4 CH NH C CH2 N 3-(N-Maleimidopropionyl)biocytin
COOH
O

6 B NH (CH2)3 N (CH2)3 NH N3 Photobiotin


CH3
O2N

NH CO N3
O
7 B NH (CH2)4 CH O O SO3R 2-[6-(Biotinamido)-2-(p-azidobenzamido)hexanamido]-
ethyl-1,3′-dithiopropionat
CO NH (CH2)2 S S (CH2)2 C O N

O
N N
C CF3

8 O 2-[2-[2-(2-Biotinylaminoethoxy)ethoxy]ethoxy]-
B NH (CH2CH2O)3 4-[3-(trifluormethyl)-3H-diazirin-3-yl]benzoesäure-
N-hydroxysuccinimidester
COO N

O
O O
B NH (CH2)4 CH NH C C
9 1-N-[N α-(4-Benzoylbenzoyl)-L-biocytinoyl]amino-
CO NH (CH2)6 NH Boc
6-(N ′-Boc-amino)hexan

O
(CH2)4 C OH
H
N
B OH, O C S Biotin
N
H
Chemische Modifikation von Proteinen und Proteinkomplexen
143 7
der zu untersuchenden Interaktion kann man ihren Ort the pattern of helix movement due to activation. offiziell: Proc
eingrenzen, angefangen bei Domänen innerhalb des Natl Acad Sci USA 105:7439–7444
Baslé E, Joubert N, Pucheault M (2010) Protein chemical modifica-
Proteins bis hin zur Identifikation einzelner interagieren- tion on endogenous amino acids. Chem Biol 17:213–227
der Aminosäuren. Historisch wurde diese Methode oft Boutureira O, Bernardes GJL (2015) Advances in chemical protein
mit Edman-Abbau kombiniert, aber heutzutage kann modification. Chem Rev 115:2174–2195
mithilfe der Tandem-Massenspektrometrie die Sequen- Coin I, Katritch V, Sun T, Xiang Z, Siu FY, Beyermann M, Stevens
zierung einzelner Peptidfragmente in subpikomolarem RC, Wang L (2013) Genetically encoded chemical probes in cells
reveal the binding path of urocortin-I to CRF class B GPCR. Cell
Bereich durchgeführt werden, sodass auf die mühsame 155:1258–1269
und ihrerseits mit Nachteilen belastete Edman-Sequen- Dorman G, Prestwich GD (1994) Benzophenone photophores in
zierung verzichtet werden kann. Für Peptide und Pro- biochemistry. Biochemistry 33:5661–5673
teine kommen hier MALDI- und ESI-­ MS in Frage, Hubbell WL, Altenbach C, Hubbell CM, Khorana HG (2003) Rho-
gekoppelt mit Flugzeitanalysatoren (TOF) bzw. Ionen- dospin structure, dynamics, and activation: a perspective from
crystallography, site-directed spin-labeling, sulfhydryl reactivity,
fallen, vorzugsweise Orbitrap-Technologie. Oft wird der and disulfide cross-linking. Adv Protein Chem 63:243–290
massenspektrometrischen Analyse nochmals eine Flüs- Johnson I, Spence MTZ (2010) Molecular probes handbook, a guide
sigchromatografie vorangestellt (LC-MS), bei der das to fluorescent probes and labeling technologies, 11. Aufl. Life
Peptidgemisch zunächst aufgetrennt und dann direkt Technologies, Carlsbad
analysiert wird. Um die Analyse weiterhin zu erleichtern, Lavis LD (2017) Teaching old dyes new tricks: biological probes bu-
ilt from fluoresceins and rhodamines. Annu Rev Biochem
bietet sich der Einsatz von Isotopengemischen an. So 86:825–843
kann der Ligand oder auch der Crosslinker selbst deute- Manglik A, Kim TH, Masureel M, Altenbach C, Yang Z, Hilger D,
riert oder 13C- oder 15N-markiert werden. Wird er dann Lerch MT, Kobilka TS, Thian FS, Hubbell WL, Prosser RS, Ko-
in einem Gemisch von 1:1 in der Crosslinking-Reaktion bilka BK (2015) Structural insights into the dynamic process of
eingesetzt, ergeben sich in der Massenspektrometrie für β2-adrenergic receptor signaling. Cell 161:1101–1111
Nguyen TA, Cigler M, Lang K (2018) Expanding the genetic code to
Crosslinking-Produkte 1:1-Isotopenmuster, nach denen study protein-protein interactions. Angew Chem Int Ed Engl
gezielt gesucht werden kann. Gleichermaßen eignet sich 57:14350–14361
der Einsatz von Crosslinkern, die unter massenspekt- Preston GW, Wilson AJ (2013) Photo-induced covalent cross-linking
rometrischen Bedingungen, z.  B. kollisionsinduzierter for the analysis of biomolecular interactions. Chem Soc Rev
Dissoziation (CID), spaltbar sind und in Produkten mit 42:3289–3301
Rademann J (2004) Organic protein chemistry: drug discovery
charakteristischer Reportergruppe resultieren. through chemical modification of proteins. Angew Chem Int Ed
Mittels Kombination aus Crosslinking und Massen- Engl 43:4554–4557
spektrometrie konnte so die Interaktion zwischen dem Sakamoto S, Hamachi I (2019) Recent progress in chemical modifi-
Pheromon α-Faktor und seinem G-Protein-­gekoppelten cation of proteins. Analyt Sci 35:5–27
Rezeptor Ste2p auf die interagierenden Aminosäuren Sinz A (2006) Chemical cross-linking and mass spectrometry to map
three-dimensional protein structures and protein-protein inter-
genau – Dihydroxyphenylalanin an Position 1 im Ligan- actions. Mass Spectrom Rev 25:663–682
den und Lysin 269 im Rezeptor  – bestimmt werden. Sinz A (2017) Divide and conquer: cleavable cross-linkers to study
Auch ist es möglich, durch den Einsatz von Crosslinkern protein conformation and protein-protein interactions. Anal
bestimmter Länge Konformationsänderungen in Pro- Bioanal Chem 409:33–44
teinen nach Bindung eines Liganden zu beobachten. Sinz A (2018) Cross-linking/mass spectrometry for studying protein
structures and protein-protein interactions: where are we now
Auf diese Weise wird das Spektrum strukturermitteln- and where should we go from here? Angew Chem Int Ed Engl
der Methoden erweitert, zumal Crosslinking in cellulo 57:6390–6396
durchgeführt werden kann, also unter nativen Bedin- Tann CM, Qi D, Distefano MD (2001) Enzyme design by chemical
gungen. modification of protein scaffolds. Curr Opin Chem Biol 5:696–704
Thermofisher. https://www.­thermofisher.­com/de/de/home/life-­science/
protein-biology/protein-labeling-crosslinking/protein-crosslin-
king/crosslinker-selection-tool.­html. Zugegriffen am 25.01.2021
Literatur und Weiterführende Literatur Ulrich G, Ziessel R, Harriman A (2008) The chemistry of fluroescent
BODIPY dyes: versatility unsurpassed. Angew Chem Int Ed
Akabas MH, Kaufmann C, Archdeacon P, Karlin A (1994) Identifi- Engl 47:1184–1201
cation of acetylcholine receptor channel-lining residues in the Wilchek M, Bayer EA (1990) Avidin-biotin technology. Meth Enzy-
entire M2 segment of the alpha subunit. Neuron 13:919–927 mol 184:5–13. Academic Press
Altenbach C, Kusnetzow AK, Ernst OP, Hofmann KP, Hubbell WL Zhang J, Campbell RE, Ting AY, Tsien RY (2002) Creating new fluo-
(2008) High-resolution distance mapping in rhodopsin reveals rescent probes for cell biology. Nat Rev Mol Cell Biol 3:906–918
145 8

Spektroskopie
Werner Mäntele

Inhaltsverzeichnis

8.1 Physikalische Prinzipien und Messtechniken – 147


8.1.1  hysikalische Grundlagen optischer spektroskopischer
P
Messmethoden – 147
8.1.2 Wechselwirkung Licht-Materie – 148
8.1.3 Absorptionsmessungen – 156
8.1.4 Photometer – 159
8.1.5 Kinetische spektroskopische Untersuchungen – 160

8.2 UV/VIS/NIR-Spektroskopie – 162


8.2.1  rundlagen – 162
G
8.2.2 Chromoproteine – 162

8.3 IR-Spektroskopie – 168


8.3.1  rundlagen – 168
G
8.3.2 Molekülschwingungen – 170
8.3.3 Messtechniken – 171
8.3.4 Infrarotspektroskopie von Proteinen – 174

8.4 Raman-Spektroskopie – 177


8.4.1  rundlagen – 177
G
8.4.2 Raman-Experimente – 178
8.4.3 Resonanz-Raman-Spektroskopie – 178

8.5 Fluoreszenzspektroskopie – 180


8.5.1  rundlagen – 180
G
8.5.2 Fluoreszenzspektren als Emissionsspektren und als
Aktionsspektren – 181
8.5.3 Fluoreszenzuntersuchungen mit intrinsischen und extrinsischen
Fluorophoren – 182
8.5.4 Spezielle Fluoreszenztechniken: FRAP, FLIM, FCS, TIRF – 184
8.5.5 Förster-Resonanz-Energietransfer (FRET) – 185
8.5.6 Einzelmolekülspektroskopie – 185

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_8
8.6 Methoden mit polarisiertem Licht – 186
8.6.1 L ineardichroismus – 186
8.6.2 Optische Rotationsdispersion und Circulardichroismus – 189

Literatur und Weiterführende Literatur – 191


Spektroskopie
147 8
55 Die Spektroskopie ermöglicht die strukturelle und Pigment
funktionelle Charakterisierung von Molekülen, Mem- Farbstoff, d. h. ein Molekül, das im sichtbaren Spekt-
branen und Zellen. ralbereich Licht absorbiert und dadurch einen Farb-
55 Spektroskopische Methoden wurden für den ultra- eindruck hervorruft. Beispiel: das Sehpigment Rho-
violetten, den sichtbaren, infraroten und den Tera- dopsin in der Sehzelle oder das Pigment Chlorophyll
hertz-Spektralbereich etabliert und erlauben die bei der Photosynthese.
Untersuchung von elektronischen und vibronischen
Zuständen.
55 Dynamische spektroskopische Methoden können für
die Untersuchung von chemischen und biochemischen Im Gegensatz zu den Spektren von kleinen Molekülen,
Reaktionen bis in den Piko- und Femtosekundenbe- die auch im theoretischen Ansatz gut verstanden sind
reich verwendet werden; und die gut modelliert werden können, können die
55 Die Breite der Anwendungen reicht von der Grundla- Spektren von Makromolekülen, insbesondere die von
genforschung über die industrielle Analytik und den Biomolekülen, oft nur phänomenologisch beschrieben
Umweltschutz bis in die Medizin. werden. Modellrechnungen für solche Spektren benö-
55 Spektroskopische Methoden werden zunehmend au- tigen häufig aufwendige Normierungen, um mit den
ßerhalb von Labors mit kompakten portablen oder mit beobachteten Spektren übereinzustimmen. Dennoch
Handheld-Geräten möglich. lassen sich mit optischen spektroskopischen Methoden
bei einer empirischen Vorgehensweise Moleküle identi-
Mit biophysikalischen Messmethoden möchte man In- fizieren, quantifizieren, ihre Reaktionen untersuchen
formationen über Form, Größe, Aufbau, Struktur, La- und ihre Funktion in komplexen Systemen wie in einer
dung, Molekulargewicht, Funktion und Dynamik von lebenden Zelle oder einem lebenden Organismus cha-
biologischen Makromolekülen erlangen. Optische spek- rakterisieren.
troskopische Methoden können Teilaspekte aufklären, Dieses Kapitel soll zunächst die physikalischen
zwar nicht in so detaillierter Form wie es beispielsweise Grundlagen vorstellen. Im Mittelpunkt steht dabei die
bei der hochaufgelösten Kristallstruktur eines Enzyms Wechselwirkung von Licht mit Materie, die Grundlage
möglich ist, aber dafür mit sehr viel weniger Aufwand. aller optischen spektroskopischen Methoden. Es folgen
Nicht nur der apparative Aufwand ist relativ niedrig, die einzelnen Methoden. Die vorgestellten Beispiele um-
sondern auch die Anforderungen an Reinheit, Menge fassen etablierte Routineanwendungen, aber auch aktu-
oder spezielle Formen eines Präparats. Auch der Auf- elle Anwendungen aus der Forschung.
wand, den ein Experimentator treiben muss, um zu einer Die Frage nach der Funktion und Dynamik von
sinnvollen Interpretation zu kommen (Auswertung, Mo- Biopolymeren ist eng mit der Möglichkeit von zeitauf-
dellbildung, Experimente an Modellsystemen), ist in der gelösten Messungen verknüpft, sodass bei den einzel-
Regel niedrig. nen Methoden auch Anwendungen in verschiedenen
Im Verhältnis zum Informationsgewinn erfordern Zeitbereichen – von Sekunden bis Pikosekunden – be-
optische spektroskopische Methoden einen vergleichs- sprochen werden.
weise geringen Aufwand. Dies lässt sie zu Routineme-
thoden werden, die in vielen Laboratorien angewandt
werden. Zu diesen Routinemethoden gehören Absorp-
8.1  hysikalische Prinzipien und
P
tionsmethoden im ultravioletten und im sichtbaren
Spektralbereich. Sie können zur Bestimmung der Kon- Messtechniken
zentration oder Reinheit eines Proteins eingesetzt oder
für die Untersuchung von Pigmenten (z. B. in Pigment-­ 8.1.1  hysikalische Grundlagen optischer
P
Protein-Komplexen) herangezogen werden. Die Ab- spektroskopischer Messmethoden
sorptionsmethoden setzen sich jenseits des sichtbaren
Spektralbereichs im Infraroten fort. Dieser Bereich ist Alle optischen spektroskopischen Methoden beruhen auf
von zunehmendem Interesse für die Struktur- und demselben Grundprinzip: elektromagnetische Strahlung
Funktionsanalytik von Biopolymeren. Andere Metho- bestimmter Wellenlänge und Intensität wird in das zu un-
den wiederum beruhen auf Emissions- oder Streupro- tersuchende Objekt eingestrahlt und von ihm absorbiert,
zessen. Fluoreszenzmethoden zur Untersuchung von gestreut oder wieder emittiert (. Abb. 8.1). In einer pho-

Nachbarschaftsbeziehungen in Biopolymeren oder von tometrischen Messung muss also die elektromagnetische
Faltungsprozessen haben inzwischen weite Verbreitung Strahlung nach ihrem Austritt aus dem „Objekt“ auf ihre
erlangt. Intensität, Wellenlänge und Winkelverteilung (relativ zur
148 W. Mäntele

..      Abb. 8.1  Prinzip einer photometrischen d


Messung. Die eintretende elektromagnetische Welle
hat die Wellenlänge λ, die spektrale Breite Δλ und
die Intensität I0. Die Welle durchläuft das „Objekt“ eintretende elektromagnetische
der Schichtdicke d und tritt – je nach Eigenschaften Welle I, λ, Θ
und Konzentration c der Substanzen – mit bestimm-
ter Wellenlänge und Intensität I, gegebenenfalls λ, ∆λ, I0 Θ
unter dem Winkel Θ, aus
austretende bzw. gestreute
elektromagnetische Welle
Objekt

Ausbreitungsrichtung der eingestrahlten Strahlung) un-


tersucht und mit der ­eintretenden Strahlung verglichen richtung des elektrischen (bzw. magnetischen) Feld-
und verrechnet werden. vektors nennt man die Polarisation des Lichts. Bei
Elektromagnetische Wellen bestehen aus einer elekt- natürlichem Licht sind alle Ausrichtungen gleich häu-
rischen und einer magnetischen Komponente, die so- fig vertreten. Bei Reflexion des Lichts an Grenzflä-
wohl vom Ort x als auch von der Zeit t abhängen. Diese chen oder bei Absorption durch orientierte Moleküle
Abhängigkeit wird durch die Oszillation des elektri- können bestimmte Ausrichtungen (Polarisationsrich-
8 schen (E) und des magnetischen Feldvektors (H) be- tungen) bevorzugt werden. Solches Licht bezeichnet
schrieben: man als polarisiertes Licht und unterscheidet zwi-
schen linear und zirkular polarisiertem Licht. Auf der
  x  linearen Polarisation von Sonnenlicht beruht bei-
E ( x,t ) = E0 ⋅ cos  2π ν t −  + φ 
  λ   spielsweise die Orientierungsfähigkeit der Bienen; zir-
kular polarisiertes Licht ist für die Wirkungsweise von
  x  Flüssigkristallanzeigen wichtig.
H ( x,t ) = H 0 ⋅ cos  2π ν t −  + φ  (8.1)
  λ 

Dabei ist mit ν die Frequenz des Lichts und mit λ seine tern. Durch die Messung der Intensität der austretenden
Wellenlänge bezeichnet. Mit Φ ist die Phase für x  =  0, Welle als Funktion der Polarisationsrichtung kann ein
t = 0 bezeichnet. Zwischen der Wellenlänge λ und der Fre- Bezug zwischen der mikroskopischen, molekularen Ori-
quenz ν gilt die Beziehung c = ν · λ, wobei c die Lichtge- entierung der Probe und der durch die Achse der Probe
schwindigkeit bedeutet. Sie hängt vom Medium ab und und die Polarisationsrichtung vorgegebenen makrosko-
beträgt im Vakuum c0 = 2,9979 · 108 m s–1. Der elektrische pischen Orientierung erhalten werden (. Abb. 8.2).

und der magnetische Feldvektor stehen stets senkrecht Wird statt linear polarisiertem Licht zirkular polari-
zur Ausbreitungsrichtung der Welle. Bei natürlichem siertes Licht verwendet, so können optisch aktive Subs-
Licht kommen alle Richtungen für den elektrischen (und tanzen untersucht werden. Statt einer makroskopischen
den magnetischen) Feldvektor gleich verteilt vor. Man Ordnung wird hier die Eigenschaft ausgenutzt, dass
spricht dagegen von linear polarisiertem Licht, wenn der links-zirkular bzw. rechts-zirkular polarisiertes Licht
elektrische (und damit der magnetische Feldvektor) nur unterschiedlich absorbiert werden kann (. Abb. 8.3).

in einer Richtung auftritt, oder von zirkular polarisiertem


Licht, wenn der Feldvektor eine Spiralbahn um die Aus-
8.1.2 Wechselwirkung Licht-Materie
breitungsrichtung des Lichtes beschreibt.
Das in . Abb.  8.1 gezeigte Prinzip einer photometri-
Elektromagnetische Strahlung kann im Teilchenbild

schen Messung lässt sich mit der Vorgabe einer be-


oder im Wellenbild verstanden werden; die Synthese bei-
stimmten Polarisationsrichtung bei linear polarisiertem
der Bilder wird als Welle-Teilchen-Dualismus bezeich-
Licht und einer Orientierung des „Objekts“ noch erwei-
net. In der Darstellung im Teilchenbild geht man von
einem Strom von Lichtteilchen (Photonen) aus, deren
Polarisiertes Licht
Ruhemasse null ist, die sich mit Lichtgeschwindigkeit
Licht ist elektromagnetische Strahlung, hat also eine bewegen und deren Energie aus der Beziehung E = h · ν
elektrische und eine magnetische Komponente. Die bestimmt wird (h ist das Planck’sche Wirkungsquan-
Feldstärken dieser Komponenten werden durch einen tum, 6,62 · 10–34 J s, ν ist die Schwingungsfrequenz des
elektrischen und einen magnetischen Feldvektor re- Lichts in s–1). Argumente für die Teilchennatur des
präsentiert, die senkrecht aufeinander und auf der Lichts liefern beispielsweise die quantisierte Antwort
Ausbreitungsrichtung stehen (. Abb.  8.2). Die Aus-

der Photorezeptoren im Auge, aber auch das Verhalten
von Photodetektoren. Im Wellenbild wird Licht als
Spektroskopie
149 8
wie in der fünften Spalte. Sie sind vor allem dann nütz-
E E
lich, wenn in Verbindung mit Lichtabsorption der Über-
trag von Elektronen beobachtet wird, beispielsweise bei
den Primärreaktionen in der Photosynthese.
Berücksichtigt man, dass Bindungsenergien zwi-
H H
schen Atomen in einem Molekül bei mehreren Elekt-
orientiertes ronenvolt liegen, so wird aus . Tab.  8.1 sofort klar,

Objekt dass bei Absorption der in der Bioanalytik angewand-


ten elektromagnetischen Strahlung (mit Ausnahme
..      Abb. 8.2  Prinzip einer photometrischen Messung mit linear po-
von Röntgenstrahlung, UV-C und UV-B) chemische
larisiertem Licht. E ist der elektrische Feldvektor, H der magnetische
Feldvektor Bindungen nicht aufgebrochen werden können und in
der Regel auch keine Ionisation der Moleküle erfolgt.
Allerdings kann durch Absorption eines Photons ein
Elektron von einem niederen in ein höheres Orbital ge-
hoben werden, es kann ein sog. elektronischer Über-
gang erfolgen.
Elektronenvolt
Die Energieeinheit Elektronenvolt ist folgenderma-
ßen definiert: Ein Elektron, das ein elektrisches Feld
mit einer Beschleunigungsspannung von 1 Volt durch-
laufen hat, hat aus diesem Feld die Energie 1 Elektro-
..      Abb. 8.3  Prinzip einer photometrischen Messung mit zirkular nenvolt (1 eV) entnommen. Da sich die kinetische
polarisiertem Licht. I0R, I0L: Intensität der rechts- bzw. links-zirkular Energie Ekin des Elektrons aus dem Produkt der Be-
polarisierten Komponente der eintretenden Welle; IR, IL: Intensität schleunigungsspannung U und der Elementarladung
der rechts- bzw. links-zirkular polarisierten Komponente der austre-
e (1,6 · 10–19 Coulomb) ergibt, erhält man:
tenden Welle
1 eV = 1, 6 ⋅ 10−19 C ⋅ V = 1, 6 ⋅10−19 A⋅ s ⋅V
transversale elektromagnetische Welle dargestellt, deren = 1, 6 ⋅10−19 W ⋅ s = 1, 6 ⋅10−19 J.

Eigenschaften bereits oben diskutiert wurden. Argu-
mente für die Wellennatur sind Phänomene wie die Bre-
chung, Beugung oder Interferenz des Lichts. Verknüpft
man das Teilchen- mit dem Wellenbild, so kann man Für die Diskussion der Wechselwirkung von Licht mit
von Photonenenergien sprechen und gleichzeitig den Materie ist das Wellenbild geeigneter, und wir können
Begriff der Wellenlängen benutzen: Der Ausdruck „… uns zunächst auf den elektrischen Feldvektor der elekt-
ein Photon der Wellenlänge 500 nm …“ verdeutlicht die- romagnetischen Welle beschränken, da seine Eigen-
sen Dualismus. Für die in diesem Kapitel betrachteten schaften in weiten Spektralbereichen die Wechselwir-
spektroskopischen Grundlagen sind Photonen im ultra- kung bestimmen. Der magnetische Feldvektor spielt
violetten, im sichtbaren, im nahen infraroten und im eine wichtige Rolle bei den Resonanzmethoden. Genau
mittleren infraroten Spektralbereich maßgeblich. An genommen müsste man bei der Diskussion der elektro-
diese schließt sich der Bereich der Mikrowellen und Ra- magnetischen Welle die räumliche und die zeitliche Ab-
diowellen an, der für magnetische ­Resonanzmethoden hängigkeit des elektrischen Feldvektors betrachten. Die
(ESR, NMR) wichtig ist. Dimensionen der absorbierenden Moleküle sind typi-
In . Tab. 8.1 ist für alle Spektralbereiche zusätzlich
  scherweise sehr klein im Vergleich zur Wellenlänge, bei
noch der Bereich in Wellenzahlen (Einheit cm–1) angege- der sie absorbieren. Nimmt man z. B. ein Molekül mit
ben. Die Wellenzahl gibt die Zahl der Wellenzüge pro cm einer maximalen Ausdehnung von 15–20  Å wie das in
an und wird bis heute von Spektroskopikern, vor allem . Abb. 8.11 gezeigte Retinal, das in isolierter Form bei

bei der Infrarotspektroskopie und Raman-Spektrosko- ca.  360  nm absorbiert, so ist diese Moleküldimension
pie, bevorzugt verwendet. Sie ist proportional zur Ener- immer noch sehr klein gegenüber der kürzesten Wellen-
gie der Photonen. Für die Energie dieser Photonen ist länge elektromagnetischer Strahlung, bei der es Licht
die „makroskopische“ Einheit Joule, die man aus der absorbiert (etwa 300 nm oder 3000 Å). Deshalb kann in
Beziehung E = h · ν erhält, offensichtlich keine beson- guter Näherung die elektrische (und die magnetische)
ders griffige Größe. Aus diesem Grund ist in . Tab. 8.1   Feldstärke der elektromagnetischen Welle innerhalb ei-
zusätzlich die Energie in Elektronenvolt (eV) angegeben. nes Moleküls als räumlich konstant angesehen werden.
Auf diese Weise erhält man handliche Energiegrößen Für die Wechselwirkung mit Materie brauchen wir nur
8
150
W. Mäntele

..      Tab. 8.1  Einteilung der Spektralbereiche des elektromagnetischen Spektrums. UV: ultraviolette Strahlung; VIS: sichtbare („visible“) Strahlung; NIR, MIR, FIR: nahes, mittleres
und fernes Infrarot; THz: Terahertz

Bereich Wellenlänge Wellenzahl (in cm−1) ca. Photonenenergie (in J) Photonenenergie (in eV) Anregung von Anwendungen

Röntgenstrahlung 0,01–100 nm 109–105 2 · 10−14 – 2 · 10−18 105–10 inneren Elektronen Strukturbestimmung

UV-C 100–280 nm 100.000–35.000 2 · 10−18 – 7 · 10−19 12,4–4,4 äußeren Elektronen

UV-B 280–320 nm 35.000–30.000 7 · 10−19 – 6,25 · 10−19 4,4–3,9 delokalisierten Elektronen UV Proteine

UV-A 320–400 nm 30.000–25.000 6,25 · 10−19 – 5 · 10−19 3,9–3,1

VIS 400–760 nm 25.000–13.000 5 · 10−19 – 2,6 · 10−19 3,1–1,6 UV Pigmente

NIR 760–3 000 nm 13.000–33300 2,6 · 10−19 – 6,6 · 10−20 1,6–0,4 Oberschwingungen

MIR 3–30 μm 3000–330 6,6 · 10−20 – 6,6 · 10−21 0,4–0,04 Schwingungsniveaus IR/Raman

FIR/THz 30–1 000 μm 330–10 6,6 · 10−21 – 2 · 10−22 0,04–0,001 Rotationsniveaus THz-Bildgebung

Mikrowellen 1000 μm–10 cm 10–0,1 2 · 10−22 – 2 · 10−24 10−3–10−5 Elektronenspins EPR

Radiowellen 10 cm–100 m 10−1–10−4 2 · 10−24 – 2 · 10−27 10−5–10−8 Kernspins NMR


Spektroskopie
151 8
die zeitliche Abhängigkeit zu betrachten. Die zeitliche σ*
Variation des elektrischen Feldvektors kann folgender-
maßen beschrieben werden: π*

E = E ( t ) = E0 ⋅ cos (ωt )
π → π* n → π* n → σ* σ → σ*
= E0 ⋅ cos ( 2πν t ) (8.2)
= E0 ⋅ exp ( iωt ) n

mit π

σ
E0 - statische Größe des Feldvektors
ω - Kreisfrequenz ..      Abb. 8.4  Schema der möglichen elektronischen Übergänge zwi-
schen Molekülorbitalen. Die Länge der Pfeile entspricht der Energie
i - imaginäre Einheit der Photonen, mit denen ein Übergang angeregt werden kann
ν - Frequenz des Lichts

8.1.2.1 Moleküleigenschaften
Für die Wechselwirkung des elektromagnetischen Feld- Eigenschaften von Elektronen und Orbitalen
vektors mit dem Molekül betrachten wir zunächst die Ge- Spin S: Betrachtet man das Elektron als negative La-
samtenergie des Moleküls aus den Beiträgen der Bewe- dungsverteilung, so erzeugt eine Rotation (Drehim-
gungen der Atomkerne und der Elektronen. In der puls) ein magnetisches Moment.
klassischen Beschreibung zeigen die Kerne Translations-, Jedes Orbital kann nur mit maximal zwei Elektro-
Vibrations- und Rotationsbewegungen, und die Elektro- nen besetzt werden, wobei das Pauli-Prinzip antiparal-
nen bewegen sich in diskreten Bahnen um die Kerne. In lelen Spin erfordert. Die typische Darstellung dieser
einem etwas detaillierteren, aber immer noch klassischen Spinkonfiguration ist {–1/2, +1/2} oder {+1/2, –1/2}.
Bild halten sich die Elektronen in Schalen oder Orbitalen Unter der Multiplizität versteht man die nach dem
auf, die in vorgegebener Weise besetzt werden können. Schema M = 2 · |S| + 1 berechnete Größe.
Quantenmechanisch werden diese Orbitale durch Elektro- (|S| (ist der Betrag der Summe der magnetischen
nendichteverteilungen beschrieben. Für die Beschreibung Momente)). Zum  Beispiel ist für eine Spinkonfigura-
von Molekülen erweitert man dieses Orbitalmodell, indem tion mit {–1/2 +1/2} oder {+1/2, –1/2} S = 0 und damit
aus Atomorbitalen (AO) Molekülorbitale (MO) konstru- M = 1.
iert werden. Im Kasten „Eigenschaften von Elektronen Diese Spinkonfiguration wird daher als Singulett-
und Orbitalen“ sind einige der bei der Beschreibung von zustand bezeichnet. Wird z. B. bei einem photochemi-
Orbitalen verwendeten Begriffe zusammengefasst. schen Prozess ein Spin invertiert, sodass die Spinkonfi-
Für einfachere Moleküle (z. B. für C2H4, Ethen) las- guration {+1/2, +1/2} oder {–1/2, –1/2} ist, so ist
sen sich die Grundtypen dieser Molekülorbitale, in die- |S| = 1 und damit M = 3; diese Spinkonfiguration wird
sem Fall für die C=C-Bindung, angeben. Bei einem bin- als Triplettzustand bezeichnet.
denden σ-Orbital ist die Elektronendichte entlang der
Verbindungslinie zwischen den Kohlenstoffkernen loka-
lisiert. Bei seinem Gegenstück im angeregten Zustand, Elektronen haben einen Eigendrehimpuls und ein
dem σ*-Orbital, geht die Elektronendichte zwischen den magnetisches Moment, das als Spin bezeichnet wird. Bei
Kernen gegen null. Es wird antibindend genannt, weil es einem stabilen Molekül halten sich in der Regel in den
zur Kompensation der Kernabstoßung nicht beiträgt. Molekülorbitalen je zwei Elektronen mit antiparallelen
Ein bindendes π-Orbital zeigt maximale Elektronendich- Spins auf (Pauli-Prinzip). Durch Absorption eines Pho-
te in einer Ebene senkrecht zur Kernverbindungslinie, tons kann nun ein Elektron aus einem besetzten Mole-
hat entlang der Verbindungsachse jedoch minimale külorbital in ein leeres Molekülorbital gehoben werden.
Elektronendichte (einen „Knoten“). Das zugehörige In der Terminologie der Photochemie wird dies durch
antibindende π*-Orbital hat analog zum σ*-Orbital sei- Angabe der Molekülorbitale bezeichnet.
ne maximale Elektronendichte nicht zwischen den Ker-
nen. Eine Doppelbindung enthält vier Elektronen, zwei Ein π→π*-Übergang liegt dann vor, wenn das Elektron
in einem σ-Molekülorbital und zwei in einem π- aus einem π-Orbital in ein π*-Molekülorbital gehoben
Molekülorbital. Liegen π-Elektronenpaare vor, die nicht wird. Der Übergang von einem Orbital in ein leeres Or-
an der Bindung beteiligt sind, so werden diese als nicht- bital erfolgt entweder unter Beibehalten des Spins,
bindende Molekülorbitale (n) bezeichnet. Die Übergän- oder aber unter Spinumkehr.
ge zwischen diesen Orbitalen sind in . Abb. 8.4 gezeigt.

152 W. Mäntele

Der elektrische Feldvektor einer einlaufenden elekt- Schon für ein kleines mehratomiges Molekül ist die
romagnetischen Welle kann nun in der Ladungsvertei- Darstellung der Energiebeiträge als Funktion von
lung, die von der Molekülstruktur vorgegeben ist, Di- Atomkoordinaten nicht mehr übersichtlich. Ein viel-
pole induzieren. Der induzierte Dipol μind ist proportional atomiges Biomolekül kann auf diese Weise, zumindest
zur elektrischen Feldstärke E: als Ganzes, nicht mehr dargestellt werden. Als „Modell“
µind = α ⋅ E (8.3) wählt man daher üblicherweise ein zweiatomiges Mole-
kül, bei dem eine Größe der Molekülgeometrie, z. B. der
Hier ist die elektrische Feldstärke als Vektor dargestellt. Kernabstand, auf der Abszisse und die potenzielle Ener-
Dies bedeutet, dass auch das im Molekül induzierte Di- gie des Moleküls auf der Ordinate aufgetragen werden.
polmoment vektoriellen Charakter hat, d. h. innerhalb Für den elektronischen Grundzustand S0 (Begründung
der Molekülgeometrie orientiert ist. Die Proportionali- für diese Nomenklatur s. u.) erhält man eine Potenzial-
tätskonstante α wird Polarisierbarkeit genannt. Sie kurve mit einem Minimum, das dem Gleichgewichtsab-
hängt wiederum von der elektronischen Struktur des stand r0 der Kerne entspricht. Als klassisches Bild für
Moleküls ab und kann in allen drei Raumrichtungen das zweiatomige Molekül wird immer ein System von
verschieden sein, muss daher als Tensor geschrieben zwei mit einer Feder verbundenen Massen herangezo-
werden. Anschaulich ist eine hohe Polarisierbarkeit gen, wobei die Massen die Atome symbolisieren und die
dann gegeben, wenn ein Elektronensystem durch ein Feder den Bindungskräften entspricht. . Abb. 8.5 zeigt

von außen einwirkendes elektrisches Feld leicht „defor- zwei Schwingungspotenzialkurven; sie gehören zu zwei
8 miert“ werden kann. elektronischen Niveaus.
Durch die zeitliche Variation der elektrischen Feld- Für kleine Schwingungen um den Gleichgewichtsab-
stärke E variiert auch der induzierte Dipol μind mit der stand r0 kann die Potenzialkurve gut durch eine Parabel
Kreisfrequenz ω. Die Größe des induzierten Dipols μind, (harmonisches Potenzial, Parabelpotenzial) angenähert
bestimmt durch die Polarisierbarkeit α, ist ein Maß für werden: Für dieses Parabelpotenzial lassen sich Schwin-
die Wahrscheinlichkeit, mit der das Molekül durch die gungen quantenmechanisch gut berechnen; man erhält
Wechselwirkung mit der elektromagnetischen Welle in die Eigenschaften eines harmonischen Oszillators. Ver-
einen anderen Zustand übergehen kann. In der Molekül- ringert man die Kernabstände, so steigt die Energie stär-
spektroskopie wird der Begriff des Übergangsdipolmo- ker an als beim Parabelpotenzial erwartet, da die An-
ments verwendet. Darunter versteht man die Verschie- näherung der beiden positiv geladenen Kerne sehr viel
bung elektrischer Ladungen in einem Molekül beim Energie benötigt. Vergrößert man die Kernabstände, so
Übergang zwischen zwei elektronischen Zuständen. Bei geht das Parabelpotenzial asymptotisch auf einen
einem erlaubten Übergang – bei ihm absorbiert die Subs- Grenzwert, der der Energie der beiden dissoziierten
tanz recht stark  – entspricht die Größe dieses Über-
gangsdipolmoments etwa der Verschiebung einer Ele-
mentarladung (1,6 · 10–19 Coulomb) um die Länge einer
Bindung (10–10 m) Die Stärke eines Übergangs, die sich
in der Intensität der Absorption oder Emission äußert,
hängt vom Quadrat des Übergangsdipolmoments ab.

8.1.2.2 Energieniveaus eines Moleküls


Um die Übergänge zwischen verschiedenen Energieni-
veaus eines großen Moleküls verstehen zu können, muss
man zunächst die möglichen Energiebeiträge zur Ge-
samtenergie bilanzieren. Sie lassen sich in verschiedenen
Anteilen darstellen, die jeweils um ein bis zwei Größen-
ordnungen unterschiedliche Beiträge liefern:
Eges = Eel + Evib + Erot + Emagn (8.4)

Eges ist die Gesamtenergie des Moleküls. Sie setzt sich


zusammen aus der Energie Eel der Elektronen (elektro-
nischen Niveaus), der Schwingungsenergie Evib der
Atomkerne – sie schwingen relativ zueinander –, aus den
Rotationsenergien von Atomen oder Atomgruppen um
eine gemeinsame Achse (Erot) sowie aus den magneti-
..      Abb. 8.5  Schematische Darstellung der Energieniveaus für ein
schen Eigenschaften der Kerne und der Elektronenhül- zweiatomiges Molekül. Gezeigt sind die Potenzialkurve (rot) für
len (Emagn). Die magnetischen Eigenschaften werden wir zwei elektronische Niveaus und die zugehörigen Schwingungsni-
zunächst für die hier behandelten spektroskopischen veaus v = 1, 2, 3 … (schematisch); r0 ist der Gleichgewichtsabstand.
Techniken vernachlässigen. Eingezeichnet sind auch die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten
Spektroskopie
153 8
Atome entspricht. In beiden Fällen wird die Schwin- kant besetzt sind. Man stellt diese Konfiguration des
gung zunehmend anharmonisch. Eine analoge Potenzi- Moleküls als (S0, v = 0, r1 … rn) dar.
alkurve kann für den ersten angeregten Zustand S1 ge-
zeichnet werden, sie liegt energetisch höher und hat in 8.1.2.3 Übergänge zwischen Energieniveaus
der Regel ihr Minimum bei einem etwas anderen Kern- Ausgehend von diesem Zustand können jetzt durch
abstand r0′. Absorption eines Photons geeigneter Energie Über-
Innerhalb der beiden Potenzialkurven (S0 bzw. S1) gänge zwischen verschiedenen Niveaus erfolgen. Ab-
liegen nun Schwingungsniveaus v1, v2, v3 … vn bis zur sorptionen von Photonen im IR regen Rotations- und
Dissoziationsgrenze, d.  h. bis zu einer Energie, bei der Schwingungsübergänge innerhalb von S0 an; Absorp-
die Atome so weit voneinander entfernt sind, dass die tionen von Photonen im UV, sichtbaren und nahen in-
Bindung aufbrechen kann. Für kleine Auslenkungen, fraroten Spektralbereich regen elektronische Über-
für die die Schwingungen annähernd harmonisch sind gänge zwischen S0 und S1 (oder höher angeregten
und ein Parabelpotenzial als Näherung angenommen Zuständen) an.
werden kann, liegen diese Energieniveaus der Schwin- Eines der Auswahlprinzipien ist als Franck-Condon-­
gungen äquidistant bei: Prinzip bekannt und in . Abb. 8.5 dargestellt. Ihm liegt

zugrunde, dass der Gleichgewichtsabstand der beiden


Ev = hν ( v + 1 / 2 ) (8.5) Kerne im angeregten Zustand entweder gleich, kleiner
oder größer sein kann als im Grundzustand. Nur der
Dabei steht ν für die Schwingungsfrequenz des klassi- erstere Fall ist in . Abb. 8.5 dargestellt. Außerdem liegt

schen Oszillators, h ist das Planck’sche Wirkungsquan- zugrunde, dass der elektronische Übergang von S0 nach
tum und v die Schwingungsquantenzahl, die das Schwin- S1 sehr rasch erfolgt (in ca. 10–15 s), während Schwingun-
gungsniveau angibt. Man beachte, dass für v  =  0 die gen der Kerne relativ zueinander sehr viel langsamer er-
Energie mit E0 = 1/2 hν größer null ist: Diese Minimal- folgen (eine Schwingungsperiode dauert ca.  10–13  s).
energie wird als Nullpunktsenergie bezeichnet und hat Während eines elektronischen Übergangs bleibt der
ihre Ursache in der Heisenberg’schen Unschärferelation, Kernabstand damit nahezu konstant. Dem wird in der
nach der die gleichzeitige genaue Angabe des Ortes (z. B. Abbildung dadurch Rechnung getragen, dass der elekt-
der Gleichgewichtslage r0) und der Energie nicht möglich ronische Übergang senkrecht eingezeichnet ist; er führt
ist. Für größere Auslenkungen aus der Gleichgewichtsla- immer dann zu einem angeregten Schwingungszustand,
ge wird die Schwingung zunehmend anharmonisch, und wenn der Gleichgewichtsabstand im angeregten Zu-
die Näherung des parabelförmigen Potenzials kann nicht stand von dem im Grundzustand abweicht.
mehr angewandt werden. Diese Anharmonizität führt zu
einer Abnahme der Abstände der Energieniveaus bis zu
einem Verlaufen in einem Kontinuum bei der Dissoziati- Bedingung für einen Übergang ist stets, dass die Ener-
onsgrenze. Da in Molekülen unabhängig voneinander giedifferenz zwischen dem Ausgangs- und dem Endzu-
Schwingungs- und Rotationsbewegungen auftreten kön- stand der Energie des eingestrahlten Photons ent-
nen, sind die Schwingungsniveaus vn ihrerseits wieder spricht. Nicht alle Übergänge in diesem Schema sind
unterteilt in Rotationsniveaus r1, r2, r3 … rn. Beispiele für jedoch gleich wahrscheinlich. Es gibt vielmehr eine
Schwingungsformen einfacher Moleküle werden in Reihe von Auswahlregeln, nach denen Übergänge er-
7 Abschn. 8.3 angegeben.
  laubt (d. h. wahrscheinlich und mit starker Absorption
Eine einfache Abschätzung zeigt, dass sich bei verbunden) bzw. verboten (d. h. unwahrscheinlich und
Raumtemperatur alle Moleküle im elektronischen mit schwacher Absorption verbunden) sind.
Grundzustand S0 befinden. Die Energielücke zwischen
dem Grundzustand S0 und dem ersten angeregten Zu-
stand S1 beträgt typischerweise mindestens 1 eV (dies In der quantenmechanischen Darstellung dieses
entspricht der Energie eines Photons mit einer Wellen- Phänomens betrachtet man die Überlappung der Wel-
länge von etwa 1200  nm). Die Energielücke zwischen lenfunktion in S0 und S1 (bzw. S2 … Sn). Diese Wellen-
dem niedrigsten Schwingungsniveau (ν  =  0) und dem funktionen sind ein Maß für die Aufenthaltswahrschein-
nächsthöheren Schwingungsniveau (ν  =  1) liegt typi- lichkeit: Im niedrigsten Schwingungsniveau (v = 0) zeigt
scherweise bei mindestens 0,1–0,5 eV (dies entspricht die Wellenfunktion (und damit die Aufenthaltswahr-
der Energie eines Photons im mittleren Infrarot, scheinlichkeit) ihr Maximum beim Gleichgewichtsab-
. Tab. 8.1). Die thermische Energie bei Raumtempera-
  stand r0, bei allen anderen Schwingungsniveaus vn bei
tur beträgt jedoch nur etwa 0,025 eV, sodass im thermi- den Umkehrpunkten (. Abb. 8.5). Da, wie bereits dis-

schen ­Gleichgewicht alle Moleküle im elektronischen kutiert, die elektronischen Übergänge wesentlich schnel-
Grundzustand und fast immer im Schwingungsgrund- ler als die Schwingungen der Kerne erfolgen, sind dieje-
zustand vorliegen und nur Rotationszustände signifi- nigen Übergänge am wahrscheinlichsten, bei denen sich
154 W. Mäntele

..      Abb. 8.6  Termschema eines Moleküls v=3


mit möglichen Übergängen. In der
Ausschnittvergrößerung für v = 0 und v=2
v = 1 ist ein Übergang der Infrarotabsorp- S2
v=1
tion gezeigt. Strahlungslose Übergänge v=3
sind schwarz eingezeichnet; Übergänge, v=0
die unter Absorption oder Emission eines v=2
Photons verlaufen, sind rot dargestellt T2
Absorption v=1
innere
Umwandlung v=0
v=3

v=2 Absorption
S1
v=1
v=3
v=0
Inter- v=2
kombination T1
v=1
Absorption Fluoreszenz
v=0
innere
8 Umwandlung
v=3
Phosphoreszenz
v=2 4
3
S0 v=1 2 r
v=1 1
0

v=0 4
3
v=0 2 r
1
0

im Grundzustand und im angeregten Zustand die bung. . Abb. 8.6 zeigt ein Termschema mit dem elekt-

Schwingungszustände und damit die Aufenthaltswahr- ronischen Grundzustand und dem ersten sowie einem
scheinlichkeiten am ähnlichsten sind. zweiten angeregten Singulettzustand (S1 und S2) sowie
Wie oben bereits diskutiert, erfolgt ein elektronischer dem ersten und zweiten Triplettzustand (T1 und T2), wo-
Übergang in der Regel unter Beibehaltung des Spins. Da in bei die einzelnen Niveaus weiter in Schwingungsniveaus
diesem Fall der Anfangszustand durch die Spinkonfigura- (v1, v2, v3 … vn) unterteilt sind. Die Schwingungsniveaus
tion S  =  +1/2, –1/2 und der Endzustand ebenfalls durch teilen sich weiter auf in Rotationsniveaus (r1, r2, r3 … rn);
S = +1/2, –1/2 beschrieben wird, ist die Multiplizität in bei- sie sind der Übersicht halber nicht mit eingezeichnet (s.
den Fällen M  =  1, man spricht von Singulettzuständen aber Ausschnittsvergrößerung).
bzw. von einem Singulettübergang (s. auch . Tab.  8.3).
  Die mit Strahlungsabsorption oder -emission ver-
Unter bestimmten Bedingungen kann jedoch eine Spinum- bundenen Übergänge werden wie folgt benannt:
kehr erfolgen, sodass der Übergang von einer Spinkonfigu-
ration S = +1/2, –1/2 zur Konfiguration S = –1/2, –1/2 oder
Absorption Fluoreszenz
S = +1/2, +1/2 erfolgt, also von einem Singulettzustand zu
einem Triplettzustand. Man spricht in diesem Fall von In- S0, v = 0 → S1, v = 2 S1, v = 0 → S0, v = 1
tersystem Crossing. Die dazugehörige Auswahlregel be- S0, v = 0 → S2, v = 1 Phosphoreszenz
zeichnet man als Interkombinationsverbot von Singulett-
T1, v = 0 → T2, v = 2 T1, v = 0 → S0, v = 1
und Triplettzuständen. Nach dieser Auswahlregel sind
Übergänge mit Spinumkehr verboten, d. h. sehr unwahr-
scheinlich und in der Absorption schwach. Zusätzlich sind die strahlungslose innere Umwandlung
(innere Konversion, internal conversion) und der Über-
8.1.2.4 Das Jablonski-Diagramm gang in das Triplett-System (Interkombination, intersys-
Energieniveaus und Übergänge können bei einem viel- tem crossing) eingezeichnet. In der Ausschnittsvergröße-
atomigen Molekül nicht mehr in der in . Abb. 8.5 ge- rung rechts unten ist ein Übergang der Infrarotabsorption

wählten Form, d.  h. als Funktion des Atomabstands, v = 0 (r = 1) → v = 1 (r = 2) dargestellt.
dargestellt werden. Das Termschema (auch Jablonski-­ Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden elekt-
Diagramm genannt) ermöglicht unabhängig von der ronische und vibronische Niveaus von Molekülen im
Größe oder Komplexität des Moleküls eine Beschrei- Jablonski-Diagramm fast immer in dieser Form
Spektroskopie
155 8
(. Abb. 8.6.) angegeben. Für das Verständnis der mög-
  gängen sind photochemische Reaktionen möglich, bei-
lichen Übergänge ist es jedoch wesentlich, dass höher spielsweise die sehr schnelle Abgabe eines Elektrons an ein
angeregte Schwingungsniveaus des Grundzustands S0 benachbartes Molekül, sodass lichtinduzierte Redoxpro-
bis auf das Energieniveau des ersten angeregten Zu- zesse (Oxidation gekoppelt mit Reduktion) initiiert wer-
stands S1 reichen, ebenso die höher angeregten Schwin- den können. Solche Prozesse spielen eine zentrale Rolle
gungsniveaus von S1 bis zum zweiten elektronisch ange- bei den Primärprozessen in der Photosynthese.
regten Niveau S2, usw. Elektronische und vibronische Für die Betrachtung eines Moleküls in einer „realen“
Niveaus sind daher eng gekoppelt. Dadurch wird auch Umgebung, d. h. für Moleküle in Lösung oder in einer
verständlich, wie elektronisch angeregte Zustände strah- Proteinmatrix, muss das Modell des Jablonski-Dia-
lungslos deaktivieren können (innere Konversion, inne- gramms erweitert werden. Die ausgedehnte Elektronen-
re Umwandlung). verteilung im angeregten Zustand bei einem π→π*-
Für die kurze Zeit, die ein Molekül nach elektroni- Übergang führt zu stärkerer Wechselwirkung mit einem
scher Anregung (z. B. von S0, v = 0 nach S1, v = 2) in ei- polaren Lösungsmittel als im Grundzustand, senkt das
nem höheren Schwingungsniveau verbleibt, liegt kein Energieniveau ab und führt so zu einer Rotverschie-
Gleichgewicht mit der Umgebung vor; es sind Schwin- bung. Bei einem n→π*-Übergang dagegen ist im Grund-
gungsniveaus besetzt, die sonst nur bei höheren Tempe- zustand die Wechselwirkung mit einem polaren Medium
raturen erreicht würden. Hier kann man durchaus von stärker, sodass der Übergang blauverschoben wird.
einem „heißen“ Molekül sprechen, das jedoch durch Auch die Größe des Übergangsdipolmoments hängt
Energieabgabe schnell (in rund 10–12 s) seinen thermisch stark von der Wechselwirkung der chromophoren Grup-
„ausgeglichenen“ Zustand erreicht. pen untereinander und mit dem Medium ab. Die Dis-
Die Rückkehr aus einem der angeregten Zustände in kussion der physikalischen Effekte, die – abhängig von
einen Zustand niedrigerer Energie oder in den Grund- der Orientierung der Übergangsdipolmomente zueinan-
zustand lässt sich auch durch die Lebensdauer eines Zu- der – eine Erhöhung oder Verringerung der Absorption
stands beschreiben. Ein Zustand, der mit hoher Wahr- bewirken können, würde den Rahmen dieses Kapitels
scheinlichkeit entvölkert wird, ist kurzlebig; ein Zustand, sprengen. In der phänomenologischen Beschreibung des
der nur durch einen verbotenen Übergang abreagieren Absorptionsverhaltens sind die Begriffe Bathochromie
kann, wird eine entsprechend längere Lebensdauer ha- für die Rotverschiebung und Hypsochromie für die Blau-
ben. Für eine Rückkehr aus dem ersten angeregten Sin- verschiebung einer Absorptionsbande üblich; zur Cha-
gulettzustand (S1) in den Grundzustand (S0) durch Flu- rakterisierung einer erhöhten Absorption verwendet
oreszenz wird eine hohe Übergangswahrscheinlichkeit man den Begriff Hyperchromie, für eine verringerte Ab-
erwartet, da keine Spinumkehr erfolgt. Die Lebensdauer sorption den Begriff Hypochromie.
beträgt in einem solchen Fall ca.  10–9 s. Im Fall der Das Termschema eines Moleküls lässt sich jetzt
Rückkehr aus dem ersten angeregten Triplettzustand leicht in ein Spektrum „übersetzen“, das mit einem ge-
(T1) durch Phosphoreszenz ist dagegen Spinumkehr er- eigneten Spektralphotometer aufgenommen werden
forderlich. Dieser Übergang erfolgt nur mit geringer kann. Zunächst einmal findet Absorption nur dann
Wahrscheinlichkeit; die Lebensdauer kann hier bis in statt, wenn die Energie der eingestrahlten Photonen
den Bereich von Millisekunden oder Sekunden reichen. E = h · ν = h · c /λ der „Energielücke“ des Moleküls –
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass bei also beispielsweise dem Abstand zwischen S0 und S1,
der Deaktivierung eines angeregten Zustands strahlung- zwischen S0 und S2 usw. – entspricht. Je nach Termsche-
slose Prozesse mit Emissionsprozessen konkurrieren ma entsteht dabei ein „Spektrum“, das wegen der dis-
können. In diesem Fall wird eine kürzere Lebensdauer kreten Niveaus von S0, S1, S2, … aber nur aus Linien be-
beobachtet, da der angeregte Zustand durch zwei paral- stünde. Selbst bei Hinzunahme der Schwingungsniveaus,
lele Reaktionen schneller entvölkert werden kann. mit der Möglichkeit, dass elektronische Übergänge
Anhand des Termschemas können die Absorptions- nicht nur vom niedrigsten Schwingungsniveau des elek-
und Emissionsprozesse eines Moleküls, die für die Bio- tronischen Grundzustands (S0, v  =  0) zum niedrigsten
analytik auswertbar sind, gut beschrieben werden. Den- Schwingungsniveau des elektronisch angeregten Zu-
noch muss beachtet werden, dass das Schema nur eine stands (S1, v = 0), sondern zu höher angeregten Schwin-
grobe Näherung für die Beschreibung der Übergänge dar- gungsniveaus (S1, v = 1, v = 2, v = 3, …) erfolgen, wür-
stellt. Beispielsweise kann aus dem angeregten Zustand den nur Linienspektren beobachtet, bei denen je nach
ein strahlungsloser Energietransfer zu einem zweiten, eng Wahrscheinlichkeit dieser Übergänge eine Serie von Ab-
benachbarten Chromophor erfolgen. Wenn dieser aus sorptionslinien unterschiedlicher Stärke beobachtet
dem Singulett-Zustand erfolgt und diese Anregungsener- wird. In der Praxis ist dies nur bei den Spektren ver-
gie auf einen Singulett-Zustand übertragen wird, wird dünnter Gase der Fall; bei Molekülen in Lösung werden
dies als Singulett-Singulett-­Energietransfer bezeichnet. diese schwingungsabhängig strukturierten Spektren
Außer den „strahlenden“ und „strahlungslosen“ Über- durch die Wechselwirkung mit dem Lösungsmittel zu
156 W. Mäntele

Absorptionsbanden verbreitert. Eine solche Absorpti- los sein muss, ist die Absorption eine dimensionslose
onsbande ist charakterisiert durch ihr Absorptionsmaxi- Größe, dennoch findet man oft die nicht korrekte An-
mum bei einer bestimmten Wellenlänge (λmax), ihre Höhe gabe von „Absorptionseinheiten“ (AU) oder der „opti-
(Amax), und ihre Breite, die üblicherweise als Halbwerts- schen Dichte“ (OD). Da üblicherweise die Schichtdicke
breite (HWB, engl. FWHM, Full Width at Half Maxi- d in Zentimetern angegeben wird, ergibt sich für ε die
mum), d. h. als die Breite bei halber Maximalabsorption, Einheit l mol–1 · cm–1. Anstelle der Absorption wird oft
angegeben wird. auch die Transmission T oder die prozentuale Transmis-
Die bei Biomolekülen tatsächlich gemessenen Ab- sion T% angegeben:
sorptionsbanden zeigen Halbwertsbreiten, die haupt-
sächlich durch Schwingungsunterstrukturen sowie durch I I
=T = T% 100 · (8.7)
Heterogenität in der lokalen Konformation und Wech- I0 I0

selwirkung der Chromophore bestimmt sind. Eine Ver-
breiterung durch die endliche Lebensdauer der angereg-
ten Zustände oder durch Stöße spielt nur eine geringe Die Beziehungen zwischen Absorption und Transmis-
Rolle. Die Halbwertsbreiten von Banden bei elektroni- sion und zwischen den Lichtintensitäten I und I0, die
schen Übergängen hängen aus diesem Grund deutlich von einem Detektor verarbeitet werden müssen, zeigen
von der Temperatur ab. Bei tiefen Temperaturen sind ei- klar den sinnvollen Bereich von Absorptionsmessun-
nerseits höhere Schwingungsniveaus weniger stark be-
8 setzt, sodass die Übergänge mit geringerer Energieun-
gen. Bei einer Absorption von 1, also einer Transmis-
sion von 10 %, müssen im Photometer Intensitäten mit
schärfe erfolgen. Andererseits werden bei Absenken der hoher Genauigkeit und Linearität gemessen und ver-
Temperatur bestimmte Proteinkonformationen „einge- rechnet werden, die um eine Größenordnung auseinan-
froren“, sodass dadurch Absorptionsbanden ebenfalls derliegen. Bei einer Absorption von 2 liegen I0 und I
schärfer werden. Diese Effekte lassen sich gut nutzen, um um zwei Größenordnungen auseinander, bei einer Ab-
mithilfe von Kryostaten bei der Temperatur des flüssigen sorption von 3 um drei Größenordnungen, usw. Die
Stickstoffs (77  K) oder Heliums (4  K) heterogene Pig- moderne Elektronik von Photometern mit digitaler
mentpopulationen, z.  B. von photosynthetischen Pig- Anzeige und Computertechnologie verführt gelegent-
ment-Protein-Komplexen, zu unterscheiden. lich dazu, Absorptionswerte von 3 oder mehr ernst zu
nehmen (auch Gerätehersteller neigen zu dieser Sicht).
Sinnvoll erscheinen nach diesen Betrachtungen Werte
8.1.3 Absorptionsmessungen bis zu einer Absorption von höchstens 2; wer möglichst
genau messen will, sollte seine Lösung durch Verdün-
Die Absorption elektromagnetischer Strahlung mit ei- nen bzw. Konzentrieren oder durch Verwendung von
ner vorgegebenen Energie bzw. Wellenlänge, d.  h. eine Küvetten mit anderen Schichtdicken auf eine Absorp-
makroskopisch (im Labor) photometrisch messbare tion von etwa 1 einstellen.
Größe, die Aussagen über eine mikroskopische (im
Atom oder Molekül gültige) Größe erlaubt, wird durch
das Lambert-Beer’sche Gesetz beschrieben. Dabei wird
Wie oben erwähnt, gilt das Lambert-Beer’sche Ge-
vorausgesetzt, dass die absorbierende Substanz homo-
setz streng nur für monochromatisches Licht. Die Grö-
gen in der Lösung verteilt ist, dass keine Lichtstreuung
ßen I, I0, ε und damit auch A (oder T) sind also wellen-
vorliegt und keine Photoreaktionen in der Lösung statt-
längenabhängig. Man muss daher die jeweilige
finden. Die Absorption A eines derart gelösten Stoffs ist
Wellenlänge (z. B. als Index λ) angeben. Trägt man die
dann für monochromatisches Licht:
Absorption (oder Transmission) bzw. den Absorptions-
I  koeffizienten als Funktion der Wellenlänge auf, erhält
A = log  0 = ε ·c · d (8.6) man ein sog. Absorptions- bzw. Transmissionsspektrum.
 I Zweckmäßig ist es, anstelle der Absorptionsskala gleich
Dabei bedeuten I0 und I die Intensität der einfallenden den molaren Absorptionskoeffizienten ε als Funktion
bzw. aus der Messlösung austretenden Strahlung, c die der Wellenlänge aufzutragen, um unabhängig von expe-
Konzentration des absorbierenden Stoffes (in mol  l–1) rimentellen Parametern wie Schichtdicke oder Konzent-
und d die vom Messstrahl durchsetzte Schichtdicke der ration zu sein.
Lösung. Die Stoffkonstante ε wird als molarer Absorp- Enthält die zu untersuchende Probe mehrere absor-
tionskoeffizient (gelegentlich auch als Extinktionskoeffi- bierende Komponenten, so überlagern sich die Absorp-
zient, s. u.) bezeichnet. Da der Logarithmus dimensions- tionen additiv, falls die Komponenten keine Wechselwir-
Spektroskopie
157 8
kung miteinander zeigen. Das Lambert-­ Beer’sche streut werden, was zu einer geringeren Intensität am De-
Gesetz kann für diesen Fall erweitert werden: tektor (I) als bei einer nicht streuenden Probe führt. Die
Intensität am Detektor variiert dabei je nach Geometrie
(
A = ε1 c1 + ε 2 c2 +…+ ε j c j · d) (8.8) des Photometers, abhängig davon, welche Winkelberei-
che noch von der Fläche des Detektorelements erfasst
Die Begriffe Absorption und Extinktion werden in Lehr- werden. Da die Streuung wellenlängenabhängig ist, wird
büchern oft synonym verwendet, sollten aber strenger un- eine Streukurve beobachtet, die sich der wellenlängenab-
terschieden werden. Während die Absorption über das hängigen Absorption überlagert. . Abb. 8.7 zeigt sche-

Lambert-Beer’sche Gesetz direkt mit dem molekularen matisch eine solche Streukurve und ihre Auswirkung auf
Prozess der Wechselwirkung von Licht mit Materie ver- die Absorptionsmessung. Hier ist angenommen, dass die
knüpft ist, bezeichnet Extinktion (von lat. extingere, aus- streuenden Partikel Dimensionen in der Größenordnung
löschen) den aus dem ursprünglichen Messstrahl entnom- der Wellenlänge haben. In der Praxis könnten dies bei-
menen Anteil, unabhängig davon, ob durch Absorption spielsweise Membranfragmente, Zellen oder Zellorganel-
oder durch „scheinbare Absorption“ wie beispielsweise len sein.
Lichtstreuung. So kann eine Suspension lichtstreuender Die Streukurve kann nur in Ausnahmefällen analy-
Partikel wie beispielsweise Milch im sichtbaren Spektral- tisch beschrieben und präzise abgezogen werden. Sie
bereich zwar Extinktion zeigen, Absorption im Sinn des hängt vor allem von der Partikelgröße d relativ zur Wel-
Lambert-Beer’schen Gesetzes findet aber nicht statt. lenlänge, der Wellenlänge λ, und den Eigenschaften des
Während monochromatisches Licht für eine Absorpti- Mediums (z. B. der Brechzahl n) ab, im Detail auch von
onsmessung in guter Näherung erreicht werden kann, sind der Partikelform. Für spektroskopische Messungen im
die anderen Voraussetzungen oft nicht leicht zu erfüllen. ultravioletten oder sichtbaren Spektralbereich unter-
So können die untersuchten Stoffe beispielsweise fluores- scheidet man zwischen Rayleigh-Streuung (d  <<  λ),
zieren und damit einen Teil des absorbierten Lichts bei Rayleigh-Gans-Debye- (d < λ), Mie- (d ≈ λ) und Fraun-
größeren Wellenlängen wieder emittieren. Abhängig von hofer-Streuung (d > λ), wobei diese Begriffe jeweils für
der Geometrie des Messstrahls kann damit der Detektor die unterschiedlichen theoretischen Behandlungen ste-
eine wesentlich höhere Intensität I als bei einer nicht fluo- hen. Beispiele dafür sind der blau erscheinende Himmel
reszierenden Probe registrieren, was zu einer Unterschät- durch Rayleigh-Streuung des Sonnenlichts an den Mo-
zung der Absorption führt. Abhilfe schafft das Verdünnen lekülen der Erdatmosphäre und weiß erscheinende Wol-
der Probe bis zu einer Konzentration, bei der die Intensität ken durch Mie-Streuung an Wassertröpfchen im Grö-
des emittierten (und vom Detektor aufgefangenen) Fluo- ßenbereich von Mikrometern.
reszenzlichts gegenüber der aus der Probe austretenden Die Streuung von Partikeln mit Dimensionen bis
Messlichtintensität I vernachlässigt werden kann. etwa in die Größenordnung der Wellenlänge zeigt eine
Häufig sind biochemische und biologische Proben Abhängigkeit der scheinbaren Absorption von l/λ4. Ist
Suspensionen, z. B. von Zellen oder Zellorganellen, die eine Absorptionsbande einer Streukurve überlagert, ge-
(oft schon mit dem Auge sichtbar) das Messlicht streuen. nügt es i. A., Punkte außerhalb der Absorptionsbande
Abhängig von der Größe und Form der suspendierten zur Interpolation der Streukurve und zur Korrektur des
Partikel kann damit ein wesentlicher Teil des durchge- Absorptionswerts heranzuziehen (. Abb. 8.7). Durch

henden Messlichts aus der Vorwärtsrichtung herausge- geschickte Anordnung von Probe und Detektor im

Absorption plus
A A A Lichtstreuung

nur nur
Absorption Lichtstreuung
~ Amax
Amax

λ max λ λ
λ max λ

..      Abb. 8.7  Lichtstreuung und ihre Auswirkung auf die Absorpti- Beide überlagern sich im einfachsten Fall additiv und müssen durch
onsmessung. Im linken Teil ist Absorption ohne Lichtstreuung ge- geeignete Interpolation getrennt werden
zeigt, im mittleren Teil die Extinktion aufgrund streuender Partikel.
158 W. Mäntele

..      Abb. 8.8 Funktionsweise Referenz


von Photometern und wichtige Spalt
Fehlerquellen. A Einstrahlphoto- A dispersives
meter, Probe und Referenz Element
Lichtquelle
müssen getrennt vermessen I0 I
werden; B Zweistrahlphotome- Detektor
ter, Probe und Referenz werden λ
alternierend vermessen; C λ 1 ...... λ n Probe
Diodenarray-­Photometer, Probe
und Referenz werden getrennt
vermessen; D häufige Fehler bei S I S
der Photometrie (vgl. Kasten: B
Häufige Fehler bei der Photome- Lichtquelle Probe
trie) Wechsel-
Mono-
Detektor
chromator λ chopper
λ
Referenz

S I0 S
S: Spiegel

8 C
λn

Lichtquelle Probe λ3
λ 1 ...... λ n
λ2
λ1
dispersives Ausleseelektronik
Element
Referenz

D
Idealfall Detektor
I0
I

fluoreszierende Probe
Detektor
I0
I

streuende Probe Detektor


I0
I

Spektralphotometer oder durch geeignete Probenkam- Folgen: Intensität am Detektor zu hoch, scheinbar
mern können die Effekte der Streuung reduziert werden zu geringe Absorption
(. Abb. 8.8).
  Abhilfe: Verdünnung (bei fluoreszierenden Pro-
ben), Einsetzen einer Abdeckmaske (bei Mikrokü-
vetten)
Häufige Fehler bei der Photometrie (. Abb. 8.8D)

55 Streuende Proben: Intensität wird aus dem Strahl
55 Fluoreszierende Probe, nicht ausreichend gefüllte „herausgestreut“
Küvette oder nicht exakt im Strahl justierte Mikro- 55 Folgen: Intensität am Detektor zu niedrig, schein-
küvette bar zu hohe Absorption
Spektroskopie
159 8
schiedenen Spektralbereiche erfolgt meist automatisch
55 Abhilfe: Detektor dicht an der Probe montieren; durch Klappspiegel. Mit dem zunehmenden Spektrum
großflächigen Detektor verwenden; spezielle Pro- an Halbleiter-Lichtquellen, wie beispielsweise Lasern
benkammer: Ulbrichtkugel (integrating sphere), oder Leuchtdioden (Light-Emitting Diodes, LED), kön-
die Streulicht auch aus großen Winkelbereichen nen sehr preisgünstige und stabile Spektralphotometer
sammelt; Erhöhen der Brechzahl n des Lösungs- aufgebaut werden. Ihr Vorteil ist die hohe Leuchtdichte,
mittels, um die Streuung an den Partikeln zu ver- die Stabilität und die Abwesenheit der zusätzlichen Wär-
ringern. mestrahlung, die bei der Verwendung von Glühlampen
als Messlichtquellen stets Filtermaßnahmen erforder-
lich macht.
Der Vorzug des Zweistrahlphotometers ist, dass
8.1.4 Photometer durch die geeignete Wahl der Referenzküvette, die bei-
spielsweise das Lösungsmittel enthält, direkte Differenz-
Zur Messung der Absorption im UV/VIS-Bereich bis bildung der Absorptionen von Probe und Referenz
zum nahen IR werden heute in der Bioanalytik überwie- stattfindet und das Spektrum der gelösten Substanz er-
gend Routine-Spektralphotometer eingesetzt, die ent- halten wird. Die spektrale Charakteristik der Lampe,
weder einen Teil des Spektralbereichs von ca. 190 nm bis des Monochromators, des Detektors und der Optik he-
ca. 1000 nm oder sogar den gesamten Bereich abdecken. ben sich ebenfalls auf. Im Grunde spricht jedoch nichts
Es werden fast nur noch automatisch registrierende gegen die Verwendung von Einstrahlphotometern, die
Photometer benutzt, bei denen die Transmission oder in der optischen Konstruktion wesentlich einfacher
Absorption in einem bestimmten Wellenlängenbereich sind. Bei ihnen wird zunächst das Spektrum der Refe-
aufgenommen wird. renz I0(λ) aufgenommen, digitalisiert und abgespeichert,
In Zweistrahlphotometern (. Abb.  8.8B) wird der danach das der Probe I(λ). Im Anschluss daran wird die

Messlichtstrahl, der von einer Glühlampe oder einer Absorption nach A = log (I0/I) automatisch berechnet.
Gasentladungslampe stammt und dessen Wellenlänge Die einzige Voraussetzung dafür ist die hinreichende
durch einen Monochromator (meist ein Gittermono- zeitliche Stabilität von Lampe und Optik.
chromator) bestimmt wird, durch einen Strahlteiler in Zweistrahl- und Einstrahlphotometern mit Mono-
einen Probe- und einen Referenzstrahl aufgeteilt. Diese chromatoren ist gemeinsam, dass sukzessive alle Spekt-
Strahlen durchsetzen die Proben- bzw. die Referenzkü- ralelemente durchlaufen werden (scanning). Dies hat
vette und werden auf einem Detektor registriert. Es gibt den Vorteil, dass immer nur ein relativ schmales Spekt-
verschiedene Varianten bei der Geräteausführung: Ent- ralelement auf einmal die Probe durchsetzt und Photo-
weder wird der gleiche Strahl mittels eines rotierenden reaktionen dadurch minimiert werden. Der Nachteil ist
Spiegels im Wechsel durch die Probenküvette und die der Zeitaufwand aufgrund der minimalen Registrierzeit
Referenzküvette geleitet, und beide Signale werden im oder Integrationszeit des Detektors für jedes Spektral-
Wechsel detektiert. Oder der Messstrahl wird durch ei- element, während der quasi alle anderen Spektralele-
nen festen Strahlteiler in zwei etwa gleiche Anteile auf- mente vom Monochromator „nutzlos“ ausgeblendet
gespalten, und zwei Detektoren werden für den Proben- werden. Dieser Nachteil wird in Vielkanalspektrometern
und Referenzstrahl verwendet. Als Lichtquellen werden behoben, bei denen eine Vielzahl von Detektoren gleich-
für den UV-Spektralbereich in der Regel Deuterium-­ zeitig verschiedene Spektralelemente registriert. Das
Gasentladungslampen (ca. 200 nm bis ca. 400 nm) und Prinzip dieser Vielkanalspektrometer, die als Diodenar-
für den VIS/NIR-Spektralbereich Halogenglühlampen rays, optische Vielkanalanalysatoren (Optical Multichan-
verwendet, als Detektoren für den UV/VIS-Bereich bis nel Analyzer, OMA) oder mit neuerer Halbleitertechno-
ins NIR bei etwa 900 nm dienen Photomultiplierröhren. logie als Charge-Coupled Devices (CCD-Zeilenelemente)
Mit speziell rotempfindlichen Photomultipliern kann angeboten werden, ist in . Abb.  8.8C gezeigt. Diese

auch der NIR-Bereich bis etwa 1100 nm erfasst werden. optischen Geräte nutzen die Simultanmessung vieler
Häufig findet man dafür jedoch die wesentlich preiswer- (bis über 4096) Spektralelemente zur schnellen Aufnah-
teren und robusteren Silicium-Photodioden, die auch me von Spektren. Den Geschwindigkeitsgewinn nennt
bei kleineren Wellenlängen eingesetzt werden können, man Multiplexvorteil. Schon bei einfachen Geräten die-
deren Empfindlichkeit jedoch im UV stark abfällt. Der ses Typs dauert die Messung nur wenige Millisekunden,
Wechsel der Lichtquellen oder Detektoren für die ver- sodass die Untersuchung von zeitabhängigen Reaktio-
160 W. Mäntele

nen (z.  B. von Enzymkinetiken) im Sekundenbereich bringt das Funktionsprinzip eines Zweistrahlphotome-
und schneller möglich ist. Aus physikalisch-optischen ters durch das periodische Umschalten zwischen Pro-
Gründen muss bei diesen Vielkanalanalysatoren die ben- und Referenzstrahl Verzögerungen mit sich. Bei
Probe mit weißem Licht bestrahlt werden. Die Auftren- kommerziellen Geräten wird die beste Zeitauflösung mit
nung der Spektralelemente erfolgt nach der Probe, dem- Diodenarray- oder CCD-Detektoren erhalten, die für
entsprechend hoch ist die Belastung der Probe mit die Aufnahme eines gesamten Spektrums nur wenige Mi-
Messlicht. Bei l­ichtempfindlichen Proben kann es daher krosekunden bis Millisekunden benötigen.
zu Photoreaktionen, im Extremfall sogar zu einer Aus- Für die Aufnahme schneller kinetischer Messungen
bleichung kommen. Außerdem führen lichtstreuende liegt das eigentliche Problem meist nicht bei der Aufnah-
Proben dazu, dass der Lichtweg nach der Probe nicht me der Spektren, sondern beim Starten der Reaktion zu
mehr präzise definiert ist. Vom Aufbau her sind solche einem definierten Zeitnullpunkt. Nach der Zugabe eines
Vielkanalspektrometer Einstrahlphotometer, die Spekt- Substrats zu einem in einer Messküvette gelösten En-
ren der Referenz und der Probe werden also nacheinan- zym und einer homogenen Durchmischung dauert es
der vermessen. Aufgrund der schnellen Aufnahme der auch im Idealfall Sekunden, bis die Messlösung ohne
Spektren findet man solche Photometer häufig als De- Turbulenzen photometrisch untersucht werden kann.
tektoren für die Chromatographie, wo sie bei der Tren- Für dieses Starten von Reaktionen durch Mischen wur-
nung von komplexeren Gemischen die Einkanaldetekto- den Verfahren entwickelt, die unter dem Namen Rapid
ren ersetzen. Mixing oder Stopped Flow bekannt sind. Dabei werden
8 Die kleinen Emissionsflächen von LEDs und ihre die Reaktanden aus thermostatisierten Kammern mit
hohe Brillanz sowie die einfachen, oft integrierten Git- Kolben in eine spezielle Reaktionskammer mit Fenstern
teroptiken mit CCD-Detektoren erlauben den Bau ext- für den Messstrahl injiziert, wobei die Form der Reak-
rem kompakter, empfindlicher und stabiler Photometer. tionskammern schnellstmögliche Durchmischung ga-
Die LED-Lichtquellen können dabei in Lichtleiterfa- rantiert. Die kürzesten Mischzeiten, die auf diese Weise
sern als Sender eingekoppelt werden, die Empfängerfa- erzielt werden, liegen bei ca. 1 ms.
sern in das CCD-Spektrometer, sodass Tauchsonden Noch schnellere kinetische Untersuchungen sind nur
oder Sonden für die Messung der diffusen Reflexion ge- möglich, wenn Störungsmethoden angewandt werden,
baut werden können. Diese Kombination ermöglicht bei denen ein Reaktionsgleichgewicht durch eine sprung-
Spektrometer für Untersuchungen in vivo, beispielsweise hafte Änderung von Druck oder Temperatur gestört
für spektroskopische Messungen an Blättern, in Gewäs- wird und das Relaxieren in den neuen Gleichgewichts-
sern, an der menschlichen Haut. zustand verfolgt wird. Ebenfalls zu den Störungsmetho-
den zählen kinetische Messmethoden, bei denen eine
Reaktion photochemisch gestartet werden kann. Das
8.1.5 Kinetische spektroskopische Starten der Reaktion kann hier durch ultrakurze Laser-
Untersuchungen blitze erfolgen. Mit geeigneten Techniken für die photo-
chemische Anregung und für den spektroskopischen
Zeitaufgelöste spektroskopische Untersuchungen sind Nachweis von Reaktionsprodukten sind heute spektro-
sinnvoll und notwendig, um bei biochemischen Reaktio- skopische Untersuchungen im Pikosekundenbereich
nen Aussagen über den Anfangs- und Endzustand der und Femtosekunden möglich; allerdings sind diese auf
Reaktion sowie über die Anzahl und Identität von Re- photochemische Reaktionen beschränkt.
aktionsintermediaten zu erhalten. Im Prinzip ist jedes Auf indirektem Wege können photochemische Ver-
Spektralphotometer auch für kinetische Untersuchun- fahren auch dazu benutzt werden, Enzymreaktionen zu
gen geeignet, indem sukzessive Spektren aufgenommen starten. Dazu wird anstelle des Substrats für das Enzym
werden; allerdings begrenzt die Aufnahmezeit für ein ein inaktives Substratanalogon hinzugegeben, das pho-
Spektrum die Zeitauflösung: Sie sollte wesentlich kürzer tochemisch aktiviert und zum aktiven Substrat verän-
als die Halbwertszeit der Reaktion sein. Eine Alternati- dert werden kann. Solche photochemisch aktivierbaren
ve, die fast immer bei kommerziellen Spektralphotome- Moleküle werden als Cage-Verbindung (caged com-
tern vorgesehen ist, ist die Messung der Absorption bei pounds) bezeichnet (. Abb. 8.9). Es sind Verbindungen,

einer festen Wellenlänge als Funktion der Zeit. Auch aus denen das aktive Substrat- oder das aktive Effektor-
wenn damit keine kompletten Spektren erhalten werden, molekül freigesetzt wird, indem eine Schutzgruppe pho-
können das Entstehen und der Zerfall von Intermediaten tochemisch abgespalten wird. In einer Cage-Verbindung
bei verschiedenen Wellenlängen verfolgt werden. Alle in ist sozusagen die Reaktivität durch die Schutzgruppe
. Abb.  8.8 schematisch gezeigten Photometer eignen
  wie in einem Käfig eingesperrt. Deshalb kann die Cage-­
sich für solche Ein-Wellenlängen-Messungen, allerdings Verbindung schon vor der Reaktion homogen mit dem
Spektroskopie
161 8
A caged ATP
NO2 H NO
O
UV-Blitz
C ATP3– C + H+ + ATP4–
CH3 CH3

1-(2-Nitrophenyl)ethyl-
adenosin-5-triphosphat

B caged Neurotransmitter
NO2 H H O H H CH3 I– NO O H H CH3
O
+ UV-Blitz +
C N C O C C N CH3 C + H2N C O C C N CH
3
CH3 H H CH3
CH3 H H CH3

N-[1-(2-Nitrophenyl)ethyl]carbamoylcholiniodid Nitrosoacetophenon Carbamoylcholin

C caged Calcium
COO– COO–
N N
COO –
COO–

Ca2+
O COO H3C O
H3C N UV-Blitz O COO–
COO– + H N + Ca2+
H3C H3C COO–
O NO2 O NO2

5-(2-Nitro-4,5-dimethoxyphenyl)-
ethylendiamintetraacetat

D caged Proton
H O
C COOH
O2N ON
UV-Blitz

OCH3 OCH3
OCH2COOH OCH2COOH
4-Formyl-6-methoxy-
3-nitrophenoxyessigsäure

..      Abb. 8.9  Strukturen von photolabilen Effektormolekülen zum Starten biochemischer Reaktionen. A caged Adenosintriphosphat; B ca-
ged Neurotransmitter-Analogon; C caged Ca2+; D caged Proton für einen pH-Sprung

Enzym vermischt werden. Nach der Anregung der tochemisch einen schnellen pH-Sprung zu erzeugen.
Schutzgruppe (durch UV-Licht im Fall der häufig ver- Durch photochemische Anregung von Tris(2,2 -bipyri-
wendeten Nitrobenzyl-Schutzgruppe) wird das Effek- din)-Ruthenium(II) kann eine schnelle Photoreduktion
tormolekül im Zeitbereich von Nanosekunden bis Milli- induziert werden (caged electron).
sekunden abgespalten. Für den idealen Fall, dass das Zum Zünden dieser Reaktionen muss die Schutz-
inaktivierte Substrat nach dem Mischen bereits in der gruppe durch einen kurzen, intensiven UV-­Lichtblitz
aktiven Stelle des Enzyms gebunden war (sodass Diffu- aktiviert werden. Die primäre Photochemie der Cages
sionsschritte nach der Photolyse vermieden werden), ist nicht einfach, und nicht alle Teilschritte und unver-
können Enzyme quantitativ und in sehr kurzer Zeit – bis meidlichen Nebenreaktionen sind hinreichend aufge-
hinab zu einigen Mikrosekunden  – aktiviert werden. klärt. Andererseits werden zunehmend neue Cages syn-
. Abb. 8.9 zeigt die Strukturen von caged ATP und ca-
  thetisiert und eingesetzt, und mittlerweile sind viele
ged Ca2+, die für die schnelle Freisetzung von ATP (ana- verschiedene Substanzen kommerziell verfügbar. Es ist
log auch ADP, AMP) und von Ca2+ benutzt werden. daher abzusehen, dass in vielen Bereichen mit der Ver-
Aus dem ebenfalls gezeigten caged Neurotransmitter wendung von Cages die herkömmlichen Mischverfahren
wird photochemisch das Neurotransmitter-­ Analogon ersetzt werden können und kinetische spektroskopische
Carbamoylcholin freigesetzt; die als caged Proton be- Untersuchungen an Enzymen mit hoher Zeitauflösung
zeichnete Verbindung kann eingesetzt werden, um pho- möglich werden.
162 W. Mäntele

In ähnlicher Weise können Photoschalter, beispiels- von der Aminosäure Tryptophan (λmax  =  280  nm,
weise Azobenzole, für das schnelle Schalten von Kon- ε ≈ 6000 l mol–1 cm–1), bei der das komplexe Absorpti-
formationen durch cis-trans-Isomerisierung eingesetzt onsspektrum zwischen 250 nm und 300 nm verschiedene
werden. Im Gegensatz zu den oben genannten Cage-­ Übergänge anzeigt. Schwächere Beiträge in diesem
Molekülen können sie mit anderen Wellenlängen wie- Spektralbereich stammen vom π→π *-Übergang von
der „zurückgeschaltet“ werden. Diese bistabilen Pho- Phenylalanin (λmax = 260 nm, ε ≈ 200 l mol–1 cm–1) sowie
toschalter finden zunehmend Verwendung bei der von Tyrosin (λmax = 275 nm, ε ≈ 1500 l mol–1 cm–1). Die-
schnellen Spektroskopie von Peptiden und Proteinen, se Übergänge der aromatischen Seitenketten können zur
indem sie als künstliche Aminosäuren eingebaut wer- einfachen, wenn auch nicht sehr genauen Konzentrati-
den und das schnelle Schalten von Peptidkonformatio- onsbestimmung von Proteinen herangezogen werden.
nen gestatten. Dazu geht man von der „durchschnittlichen“ Verteilung
der Aminosäuren Trp und Tyr in Proteinen aus; Phenyl-
alanin kann vernachlässigt werden. Mit dieser Annah-
8.2 UV/VIS/NIR-Spektroskopie me erhält man für eine Proteinlösung der Konzentration
1  mg  ml–1 bei 1  cm Schichtdicke eine Absorption bei
8.2.1 Grundlagen 280 nm von etwa 1. Dieses Verfahren ist zwar weniger
empfindlich als die übliche Proteinbestimmung nach
8 Bei der Anwendung der UV/VIS/NIR-Spektroskopie Lowry, aber schnell und vor allem nichtdestruktiv, d. h.
zur Untersuchung von Proteinen muss zwischen der Ab- das Präparat kann weiterverwendet werden. Allerdings
sorption durch das Polypeptid selbst (Hauptkette und ist es üblich, nicht die über viele verschiedene Proteine
Seitenketten) und der Absorption durch chromophore ermittelte durchschnittliche Zahl von Tyr und Trp, son-
prosthetische Gruppen unterschieden werden. In dern für ein bestimmtes Protein die bekannte Zahl die-
. Abb.  8.10 ist ein Pentapeptid mit der Sequenz Ala-­ ser Aminosäuren zu nehmen. Der Test wird dadurch

Gly-­Asp-Trp-Ala gezeigt. wesentlich genauer und kann beispielsweise sehr gut in


Die elektronischen Übergänge der Peptidbindung Verbindung mit der Absorption von absorbierenden
und der Seitenketten der Aminosäuren können an dem Cofaktoren zur Abschätzung der Reinheit verwendet
in . Abb.  8.4 gezeigten Schema verdeutlicht werden. werden: Bei konstanter Chromophorabsorption weist

Die Grundeinheit eines Polypeptids, die Peptidbindung, eine erhöhte Absorption bei 280 nm auf eine Verunrei-
trägt nur zur Absorption im mittleren UV-Bereich bei. nigung mit anderen Proteinen hin.
Im Grundzustand liegt der Peptiddipol in etwa entlang
einer Achse, die das Peptid-Stickstoffatom und -Sauer-
stoffatom verbindet (. Abb.  8.10). Die Resonanz- 8.2.2 Chromoproteine

struktur der Peptidbindung führt zu einem π→π*-


Übergang mit einem Absorptionsmaximum bei ca. Wie bereits erwähnt, zeigt die Grundeinheit des Poly-
190 nm, der bei einem molaren Absorptionskoeffizien- peptids nur eine Absorption im mittleren UV-Bereich,
ten von ca.  7000  l  mol–1 cm–1 leicht detektiert werden sodass Polypeptide ohne chromophore prosthetische
kann. Der n→π*-Übergang bei ca.  220  nm ist mit Gruppe für das Auge farblos sind. Viele Proteine tragen
ε ≈ 100–200 l mol–1 cm–1 sehr schwach; er ist außerdem jedoch einen oder mehrere Cofaktoren, die elektroni-
überlagert von der Absorption der Seitenketten einiger sche Übergänge im sichtbaren Spektralbereich aufwei-
Aminosäuren (in . Abb. 8.10 ist es die Absorption der sen und das Protein farbig erscheinen lassen; in diesem

Seitenkette des Aspartats) und kann daher nicht für die Fall spricht man von Chromoproteinen. Diese Gruppen
Analyse des Polypeptids herangezogen werden. sind vielfach empfindliche Sonden für die Funktion des
Die π→π*-Übergänge der Seitenketten der aromati- Proteins, da sie meist direkt an der katalytischen Funk-
schen Aminosäuren ergeben eine ausgeprägte Absorp- tion beteiligt sind und dabei ihre elektronischen Eigen-
tion bei 260–280  nm. Der Hauptbeitrag stammt dabei schaften ändern. Sie umfassen eine Vielfalt von Atomen

..      Abb. 8.10  Schema eines Pentapeptids. Die HN


elektronischen Übergangsdipolmomente für die –
Peptidbindungen sind als rote Doppelpfeile COO
eingezeichnet
CH3 O H O CH2 O CH2 O CH3
+H
3
N C C N C C N C C N C C N C COO–

H H H H H H H H
Ala Gly Asp Trp Ala
Spektroskopie
163 8
oder kleineren Molekülen, von Metallzentren über Fla- ε-Aminogruppe eines Lysins zusammen mit den Ab-
vine, Hämmoleküle, Chlorophylle bis hin zu Retinalen. sorptionsspektren der freien Form und der an das Opsin
Ihre spektroskopischen Eigenschaften können im Rah- gebundenen Form.
men dieses Kapitels nicht im Detail behandelt werden; Belichtet man Rhodopsin mit Licht im Wellenlän-
wir werden uns daher auf Beispiele beschränken. genbereich um ca. 500 nm, so führt die Absorption zu
einer photochemischen Reaktion mit nachfolgenden
8.2.2.1 Rhodopsine thermisch aktivierten Dunkelreaktionen. Dabei werden
Bekannte Beispiele von Chromoproteinen sind die Rho- verschiedene Intermediate beobachtet, die vereinfacht
dopsine mit Retinal in unterschiedlichen Isomerenfor- in . Abb. 8.12 zusammengefasst sind. Der für die An-

men als prosthetischer Gruppe. In diesen Proteinen ist kopplung an die biochemischen Verstärkungs- und Re-
Retinal (Vitamin-A-Aldehyd) kovalent über eine gelungsprozesse wichtigste Schritt, der bei physiologi-
Schiff’sche Base an die ε-Aminogruppe eines Lysinrests schen Temperaturen in Millisekunden abläuft, ist die
gebunden und erfährt zusätzlich Wechselwirkungen mit Reaktion von Metarhodopsin I zu Metarhodopsin
Aminosäureseitenketten in der Bindungstasche. Die II. Da sich die Intermediate alle spektroskopisch durch
Bindung des Retinals im Rhodopsin bewirkt in allen Re- ihr Absorptionsmaximum und ihre unterschiedlich star-
tinalproteinen eine Rotverschiebung des Absorptions- ke Absorption unterscheiden, kann diese Bleichsequenz
maximums; freies 11-cis-Retinal in ethanolischer Lö- durch kinetische spektroskopische Untersuchungen
sung absorbiert bei ca.  360  nm, dasselbe Retinal im charakterisiert werden. Alternativ können bei tiefen
visuellen Pigment Rhodopsin absorbiert im Grundzu- Temperaturen die Spektren einzelner Intermediate er-
stand bei 500 nm. Dabei ist die Bindung des Retinals an halten werden. Das erste, rotverschobene Intermediat
das Apoprotein (Opsin) über eine Schiff’sche Base sowie Bathorhodopsin (λmax = 545 nm) zeigt eine stärkere De-
deren Protonierung nur zu einem Teil für diese Rotver- lokalisierung der π-Elektronen in der Polyenkette des
schiebung verantwortlich; die Wechselwirkungen der Retinals an. Die starke Blauverschiebung der Chromo-
Polyenkette und des β-Ionon-Rings in der Bindungsta- phorabsorption in dem Intermediat Metarhodopsin II
sche tragen ebenfalls zur Rotverschiebung bei. (λmax  =  380  nm) kann auf die Deprotonierung der
Die elektronischen Übergänge des Retinals, die Schiff’schen Base und eine strukturelle Öffnung des Pro-
durch delokalisierte π-Elektronen zustande kommen, teins zurückgeführt werden. Schließlich erfolgt im weite-
können so als empfindliche spektroskopische Sonde für ren Verlauf der Reaktionssequenz die Ablösung des Re-
den jeweiligen Zustand des Retinals in seiner Bindungs- tinals vom Opsin und man beobachtet die Absorption
stelle und damit für den Zustand des Proteins herange- von freiem Retinal.
zogen werden. . Abb. 8.11 zeigt die Struktur von Reti-
  Analoge Reaktionssequenzen treten bei vielen ande-
nal in der 11-cis-Form und seine Bindung an die ren Retinalproteinen auf. Bakterielle Rhodopsine durch-

..      Abb. 8.11  Struktur von Retinal, das über eine CH3


Schiff ’sche Base an die ε-Aminogruppe eines Lysinrests H3C CH3 7 9 11
gebunden ist. Diese Bindung des Retinals im Sehpigment 2
1
6
12
8 10
Rhodopsin führt zu einer Rotverschiebung im Absorp- 3 5 13
4
tionsspektrum CH3 H3C 14

ε (in l mol –1 cm –1) 15


C O
N (CH2)4 C H
+
70 000 H
N H
60 000

50 000

40 000
Rhodopsin
30 000
11-cis-Retinal
20 000

10 000

0
250 300 350 400 450 500 550 600 650
λ (in nm)
164 W. Mäntele

Rhodopsin* (Protein)
S Cys
(Protein)
Bathorhodopsin 545 nm
S Cys

Lumirhodopsin 495 nm
N N

Fe
Metarhodopsin I 480 nm
N N

Metarhodopsin II 380 nm

all-trans -Retinal + Opsin 380 nm


HO OH
11- cis -Retinal + Opsin 375 nm O O

Rhodopsin ..      Abb. 8.13  Struktur der Hämgruppe von Cytochrom c mit einem
500 nm Ausschnitt aus der Polypeptidkette
8
..      Abb. 8.12  Bleichsequenz des Rhodopsins nach Absorption eines
Photons. Die Wellenlängenangaben bei den Intermediaten geben die
Absorptionsmaxima an. Die gewellten Pfeile stehen für Reaktionen, A
die nicht spontan, sondern enzymatisch katalysiert erfolgen

laufen eine zyklische lichtgetriebene Reaktion. Ein Bei-


spiel ist Bakteriorhodopsin aus dem Archaebakterium
Halobacterium salinarium. Nach Absorption eines
Photons durch das Retinal (all-trans-Retinal, ebenfalls
gebunden über eine im Grundzustand protonierte
Schiff’sche Base an das Lysin der Position 216) geht die-
ses Bakteriorhodopsin in einen Reaktionszyklus ein, der
in wenigen Millisekunden abgeschlossen ist und in des-
sen Verlauf ein Proton aktiv aus dem Zellinneren nach
außen transportiert wird.
λ (in nm)
8.2.2.2 Cytochrome
..      Abb. 8.14  Absorptionsspektrum von oxidiertem und reduzier-
Als weitere Beispiele für chromophore Gruppen, die zu tem Pferdeherz-Cytochrom c und die daraus berechneten Differenz-
charakteristischen Absorptionen im sichtbaren Spekt- spektren für den vollständigen Übergang von der oxidierten in die
ralbereich führen, seien Porphyrine und Häme er- reduzierte bzw. von der reduzierten in die oxidierte Form. Die Re-
wähnt. In der großen Klasse der Hämproteine sind die doxreaktion wurde an einer transparenten Elektrode in einer spekt-
kleinsten Vertreter Cytochrom c bzw. Cytochrom c2. roelektrochemischen Zelle erhalten
Sie kommen ubiquitär in vielen Elektronentransferket-
ten, etwa im Atmungsprozess oder in der Photosynthe- vor allem aber zu unterschiedlichen Redoxpotenzialen,
se vor. Im Fall von Cytochrom c ist die prosthetische die es möglich machen, dass unterschiedliche c-Cyto-
Gruppe ein Häm, das über je eine Thioethergruppe an chrome in verschiedenen Teilen der Elektronentrans-
zwei Cysteinreste innerhalb einer Sequenz (–Cys– ferketten auftreten.
X–Y–Cys–His–) der Polypeptidkette kovalent gebun- Das Absorptionsspektrum von reduziertem Cyto-
den ist (. Abb.  8.13). Zusätzliche Wechselwirkungen

chrom c ist durch eine Absorptionsbande bei ca. 550 nm
erfährt das Häm über einen axialen Liganden des Ei- (α-Bande), eine breitere und etwas schwächere Absorp-
sens und über die Propionatgruppen des Häms sowie tionsbande bei ca. 530 nm und eine starke Absorptions-
durch polare oder unpolare Teile der Umgebung in der bande bei ca.  400  nm (Soret-Bande) charakterisiert
Bindungstasche. Diese Wechselwirkungen führen zu (. Abb. 8.14). Alle drei Banden sind vom Redoxzustand

deutlich unterschiedlichen spektralen Eigenschaften abhängig und können zu dessen Charakterisierung her-
der Häme in verschiedenen c- und c2-Cytochromen, angezogen werden  – nicht nur am isolierten Protein,
Spektroskopie
165 8
sondern auch in ganzen Membranen und sogar in gan- mit
zen Organellen oder Zellen. . Abb.  8.15 illustriert die

Redoxreaktion von Cytochrom c in einer spektroelekt- E - gemessenes bzw. eingestelltes Potenzial


rochemischen Zelle. Dabei wird an eine transparente, E0 - Mittelpunktspotenzial (gleiche Konzentration c der
vom Messstrahl durchstrahlte Elektrode ein Potenzial oxidierten (ox) und der reduzierten (red) Spezies)
angelegt und mittels einer Gegenelektrode und einer Re-
R - allgemeine Gaskonstante, R = 8,314 J K–1 mol–1
ferenzelektrode das Redoxpotenzial für das Protein ein-
gestellt. Das bei einem bestimmten Potenzial aufgenom- T - absolute Temperatur in K
mene Absorptionsspektrum spiegelt dann den Anteil an F - Faraday-Konstante, F = 9,6485 · 104 C mol–1
reduziertem Cytochrom wider und kann mit einem Ab- n - Zahl der übertragenen Elektronen
sorptionsspektrum des vollständig oxidierten (oder re-
duzierten) Proteins zu den gezeigten Differenzspektren Durch Anpassung dieser Nernst-Funktion an die gemes-
verrechnet werden. Trägt man, wie in . Abb.  8.15 ge-

senen Absorptionswerte können das Mittelpunktspoten-
zeigt, die Amplitude des Differenzsignals bei einer be- zial und die Anzahl n der übertragenen Elektronen (in
stimmten Wellenlänge gegen das Potenzial auf, so erhält diesem Fall ist n = 1) bestimmt werden. Solche Redoxti-
man eine Kurve, die durch eine Nernst-Funktion be- trationen können natürlich auch chemisch, d.  h. durch
schrieben werden kann: Zugabe von Reduktionsmitteln oder Oxidationsmitteln,
durchgeführt werden. Der Vorteil bei der Kombination
RT c ( ox )
E = E0 + ln (8.9) elektrochemischer Techniken mit spektroskopischer De-
nF c ( red ) tektion liegt jedoch in der genaueren Einstellung der Po-
tenziale sowie darin, dass Titrationszyklen ohne Verdün-
nung durchgeführt werden können, sodass die erhaltenen
Mittelpunktspotenziale wesentlich genauer sind. Damit
kann beispielsweise der Einfluss der Polarität oder La-
dung einzelner Aminosäuren auf die Redoxeigenschaft
des Häms charakterisiert werden, indem Cytochrome mit
ortsgerichteten Mutationen untersucht werden.

8.2.2.3 Metalloproteine
In vielen Fällen ist die prosthetische Gruppe ein Me-
tallion, das in bestimmter Form im Protein komplexiert
oder gebunden ist. Beispiele dafür sind Eisen in photo-
synthetischen Reaktionszentren, Mangan im Wasser-
spaltungskomplex von Pflanzen oder Blaualgen, Kup-
fer in bestimmten Oxidasen oder kleinen wasserlöslichen
λ (in nm) Redoxproteinen wie Azurin oder Plastocyanin. Solche
Metallionen können magnetische Eigenschaften auf-
λ
grund ihrer Kernspins oder Elektronenspins aufweisen.
Fast immer entstehen aber bei der Bindung eines Me-
talls in einem Protein auch elektronische Niveaus mit
Übergängen im sichtbaren Spektralbereich oder im na-
hen IR.
Die tiefblaue Farbe des Kupferproteins Azurin (da-
her der Name) im oxidierten Zustand ist ein Beispiel
für solche elektronischen Übergänge bei einem Metal-
loprotein. Der elektronische Übergang mit einer Maxi-
malabsorption um 600 nm und mäßig hohem molaren
Absorptionskoeffizienten (2000 bis 5000  l  mol–1cm–1)
kommt durch Ladungstransfer zwischen den Ligan-
E (in mV) den und dem Kupfer zustande; die stärkste dieser sog.
..      Abb. 8.15  Redoxtitration der Absorption der α-Bande von Cy-
Charge-Transfer-Banden geht bei Azurin auf das
tochrom c bei 552 nm. Oben sind die Differenzspektren gezeigt, un- Cystein-­Schwefelatom zurück. . Abb. 8.16 zeigt sche-

ten die aus dem Differenzsignal erhaltene Nernst-Kurve matisch die Koordination des Kupferions durch zwei
Histidin- und zwei Cysteinseitenketten. Als fünfter Li-
166 W. Mäntele

che Varianten von Chlorophyllen bekannt und strukturell


charakterisiert. Allen gemeinsam sind die Tetrapyr-
O rol-Ringstruktur und das zentrale, durch die vier Stick-
stoffe koordinierte Magnesium. Sie unterscheiden sich
jedoch durch unterschiedliche periphere Substituenten.
HIS
N Diese Substituenten haben einen beträchtlichen Einfluss
HIS
auf das konjugierte System und damit auf die Lage und
N Cu S Intensität der elektronischen Übergänge.
Chlorophylle sind in biologischen Strukturen nicht-
kovalent gebunden und bis auf einen noch nicht end-
S Cys
– gültig geklärten Fall (die Chlorosomen aus grünen pho-
tosynthetischen Bakterien) stets mit einem Protein
assoziiert. In diesen meist transmembranen Protein-
Met
komplexen findet man Histidine als typische fünfte und
sechste (axiale) Liganden des Magnesiums. Die Bin-
dungstaschen für diese Tetrapyrrolpigmente enthalten
..      Abb. 8.16  Koordination des Kupferions durch Aminosäuresei- einen unpolaren Bereich in der Region des Tetrapyrrol-­
tenketten bei Azurin Ringsystems und einen polaren Bereich in der Region,
8 in der die peripheren Gruppen des Pigments liegen. Die
an der Peripherie gelegenen Carbonylgruppen können
durch Wasserstoffbrücken mit geeigneten Partnern im
Protein in Wechselwirkung treten.
. Abb. 8.18 verdeutlicht dies am Beispiel von Bakte-

riochlorophyll a aus photosynthetischen Bakterien. Außer


den nicht dargestellten axialen fünften und sechsten Li-
ganden des Magnesiums (aus der Bildebene heraus bzw. in
die Bildebene hinein) sind alle Carbonyle (2a-Acetylgrup-
pe an Ring I, 9-Ketogruppe an Ring V, 10a- und 7c-Ester
an Ring V bzw. an der Verbindung zur Phytolkette)
durch Wasserstoffbrückenbindungen mit Partnern im
Protein gebunden. In . Abb. 8.19 sind die Absorptions-

spektren von freiem Bakteriochlorophyll a und b in


Ethanol (. Abb. 8.19A) sowie Spektren von proteinge-

λ (in nm)
bundenem Bakteriochlorophyll a in verschiedenen Licht-
sammelkomplexen von photosynthetischen Bakterien
..      Abb. 8.17  Absorptionsspektren von Halocyanin bei verschiede-
nen Potenzialen

gand kommt zusätzlich eine Peptid-Carbonylgruppe in H


Frage. In . Abb. 8.17 sind die Spektren eines anderen

O
Vertreters, des Halocyanins aus einem halophilen Ar- H3C C H H3C
H
chaebakterium, bei verschiedenen Redoxpotenzialen H
H3C I II
gezeigt. N N C2H5
Durch eine andere Geometrie des Metallzentrums H Mg H
oder durch Wasserstoffbrückenbindungen kann sich die H N N
III IV
lokale Elektronendichte am Kupferatom verändern; als H3C
V
Folge davon verschieben sich die Lage des elektroni- CH2 C
O
schen Übergangs und die Lage des Mittelpunktspo- CH2
H C
H
O OCH3
tenzials. Auch in diesem Fall kann der elektronische H O C
Übergang zur Charakterisierung des Redoxzustands H
O
verwendet werden. R

8.2.2.4 Chlorophylle
..      Abb. 8.18  Struktur eines Bakteriochlorophyll-a-Moleküls in ei-
Zu den intensivsten elektronischen Übergängen in Bio- ner Bindungstasche im Protein. Die Carbonylgruppen an der Peri-
molekülen zählen die von Chlorophyllen und Chloro- pherie können Wasserstoffbrückenbindungen zu Aminosäureseiten-
phyll-Protein-Komplexen. Bis heute sind ca. 60 natürli- ketten im Protein ausbilden (rot gepunktete Bindungen)
Spektroskopie
167 8
A B

λ (in nm) λ (in nm)

λ (in nm)

..      Abb. 8.19  A Absorptionsspektrum von Bakteriochlorophyll a und b in Ethanol (Bchl = Bakteriochlorophyll); B Absorptionsspektren
von Bakteriochlorophyll a in Pigment-Protein-Komplexen aus photosynthetischen Bakterien

(. Abb. 8.19B) zu sehen. Der Singulett-Übergang mit der


  ronischen Spektren abgeleitet werden. Allerdings kann
niedrigsten Energie (S0→S1) am roten Ende des sichtbaren man mit diesen Absorptionsspektren Vorkommen und
Spektralbereich (λmax ≈ 770 nm) bei freiem Bakteriochloro- Menge sowie die Reaktionen der nativen Komplexe be-
phyll a ist sehr stark (Qy, ε ≈ 100.000 l mol–1 cm–1). Über- stimmen. Sie bieten außerdem einen empfindlichen Test
gänge mit höherer Energie liegen bei ca.  590  nm (Qx, dafür an, ob die Proteine und Pigmente im Verlauf einer
S0→S2) und bei 380 nm. Während die Grundstruktur des Isolation und Reinigung intakt geblieben sind. Denn
Spektrums mit den drei energetisch getrennten Übergän- schon geringe Degradation beim Protein und Oxidati-
gen beim Einbau des Bakteriochlorophylls in die Protein- onsprozesse beim Pigment führen zu neuen, weiter zum
struktur in etwa erhalten bleibt, ändert sich vor allem die Blauen verschobenen Banden.
Lage des S0→S1-Übergangs. Seine Energie wird abgesenkt,
und man beobachtet, je nach Population der Antennen- 8.2.2.5 Das grün fluoreszierende Protein (GFP)
pigmente, Absorptionsbanden bei ca.  800  nm, bei Eine besondere Rolle bei Untersuchungen in der Mole-
ca. 850 nm oder ca. 875 nm für das Pigment im Protein. kulargenetik nimmt ein erstmals vor ca. 30 Jahren näher
Noch drastischer ist diese Absenkung der Energie des charakterisiertes Protein ein, das als grün fluoreszieren-
niedrigsten Singulettübergangs für das strukturell ähnliche des Protein (green fluorescent protein, GFP) bezeichnet
Bakteriochlorophyll b. Beim freien Pigment in Ethanol wird und dessen Anwendungen z. B. in 7 Kap.  36 be-

liegt dieser Übergang bei ca.  790  nm, im Lichtsammel- schrieben sind. Bei diesem kleinen, aus 238 Aminosäu-
komplex des Purpurbakteriums Rhodopseudomonas viridis ren bestehenden Protein bildet sich die chromophore
ist er jedoch weit ins nahe IR bis 1020 nm verschoben. Gruppe aus den Seitenketten dreier benachbarter Ami-
Die detaillierten Wechselwirkungen, die die genaue nosäuren (Ser65–Tyr66–Gly67, . Abb. 8.20).

Lage und Intensität im Spektrum eines Pigments in sei- Dieser Rest, ein p-Hydroxybenzyliden-­Imidazolinon,
ner nativen Umgebung (etwa bei einem Bakteriochloro- führt, sozusagen als kovalent gebundener „Auto“-Chro-
phyllmolekül) bestimmen, sind noch nicht vollständig mophor des Proteins, zu zwei intensiven Absorptions-
verstanden und können auch nicht direkt aus den elekt- banden mit Maxima bei 396  nm und bei 475  nm. Die
168 W. Mäntele

..      Abb. 8.20  Bildung der chromophoren Gruppe Tyr 66 O Gly 67 O


des grün fluoreszierenden Proteins aus drei
benachbarten Aminosäuren (Ser65-Tyr66-Gly67) N N
H
durch Zyklisierung und Oxidation. Der Chromo- O HN O
HO HN O HO OH
phor liegt in zwei Formen in einem Protonierungs-
gleichgewicht (Mitte links/unten links) vor. (Nach Ser 65 N
Steipe und Skerra 1997) N OH
H OH –H2O

O O

N O2 N
N O N O
HO HO
NH OH NH OH

– H+

O O–

8 N N
–O
N O N O
O
NH OH NH OH

Absorption der beiden Banden wird vom Protonie- Fast immer lässt sich für ein Biomolekül ein elektro-
rungsgleichgewicht bestimmt, wobei die kürzerwellige nischer Übergang mit einer Absorption im UV/VIS-
Bande von der protonierten Form, die längerwellige von oder NIR-Bereich finden, mit dessen Hilfe zumindest
der deprotonierten Form kommt. Untersuchungen zur eine Quantifizierung möglich ist und dessen Lage und
Photophysik dieses Proteins im ultrakurzen Zeitbereich Intensität mit etwas Geschick weiter zu analytischen
zeigen, dass nach Anregung bei 396 nm eigentlich Emis- Zwecken ausgewertet werden kann. Zum Abschluss die-
sion bei 459 nm beobachtet werden sollte (7 Abschn. 8.5).
  ses Abschnitts sind in . Tab. 8.2 nochmals die Absorp-

Beobachtet wird jedoch Emission bei 508  nm, unab- tionseigenschaften von einigen wichtigen Chromopho-
hängig von der Anregung. Dies kann darauf zurückge- ren aus biologischen Strukturen zusammengefasst.
führt werden, dass die photochemische Anregung des
Chromophors bei der kurzwelligen Absorptionsbande
zur Deprotonierung und damit zur Verschiebung des 8.3 IR-Spektroskopie
Gleichgewichts zur im Bild unten links gezeigten Form
führt, sodass ausschließlich diese Form zur Emission 8.3.1 Grundlagen
kommt. Die außergewöhnlich hohe Ausbeute der Fluo-
reszenz (7 Abschn.  8.5) und die Möglichkeit, durch

Der infrarote Spektralbereich schließt an den Bereich
Mutationen die Wechselwirkungen der chromophoren des sichtbaren Lichts an. Er wird von ca. 760  nm bis
Gruppe mit einzelnen Aminosäuren zu untersuchen, ha- 3000 nm als nahes Infrarot (NIR), zwischen ca. 3000 nm
ben dieses Protein zu einem neuen „Haustier“ der Pho- (3  μm) und 30  μm als mittleres Infrarot (MIR) sowie
tophysiker und -Chemiker gemacht. Darüber hinaus zwischen 30 μm und 1000 μm als fernes Infrarot (FIR)
wird GFP, das leicht in Zellen und Organellen nachge- bezeichnet (. Tab.  8.1) Der erst in jüngerer Zeit er-

wiesen werden kann, auch zunehmend zu einer Sonde schlossene Terahertz-Bereich (THz), der vor allem durch
für komplexe Expressions- und Assemblierungsprozesse „Bodyscanner“ bekannt geworden ist, schließt sich
in der Biologie. Dabei muss jedoch beachtet werden, langwellig an das ferne Infrarot an. Für die Infrarot-
dass es als Sonde für Konformation und Dynamik auf- und Raman-Spektroskopie ist es üblich, statt der Wel-
grund seiner Größe einen nicht zu vernachlässigenden lenlänge λ die Wellenzahl (Anzahl der Wellenzüge pro
Einfluss haben kann. Für spektroskopische Untersu- cm, cm–1) anzugeben. Im mittleren Infrarot dominieren
chungen stehen inzwischen verschiedene Varianten des die Schwingungsübergänge, die im Termschema in
GFP mit unterschiedlichen Absorptions- und Emissi- . Abb.  8.6 (Ausschnittsvergrößerung) eingezeichnet

onsmaxima (BFP: blue, CFP: cyan, YFP: yellow, usw.) sind. Rotationsübergänge treten überwiegend im fernen
zur Verfügung.
Spektroskopie
169 8

..      Tab. 8.2  Absorptionseigenschaften von Chromophoren aus biologischen Strukturen

Bereich/λmax ε (in l mol−1 cm−1) Absorbierende Gruppe im Molekül

UV ca. 190 nm ca. 7000 π→π*-Übergang der Peptidbildung


ca. 220 nm ca. 100 n→π*-Übergang der Peptidbildung
260 nm ca. 13.000 n→π*, π→π* Adenin
275 nm ca. 6000 n→π*, π→π* Guanin
267 nm ca. 6000 n→π*, π→π* Cytosin
264 nm ca. 8000 n →π*, π→π* Thymin
258 nm ca. 6600 n →π*, π→π* DNA
257 nm ca. 200 π→π* aromat. Seitenkette, Phenylalanin
274 nm ca. 1400 π→π* aromat. Seitenkette, Tyrosin
280 nm ca. 5600 π→π* aromat. Seitenkette, Tryptophan
VIS 420 nm ca. 125.000 Soret-Bande des Häms
450 nm ca. 120.000 Carotin
500 nm ca. 42.000 Retinal im Sehpigment Rhodopsin
550 nm ca. 18.000 (Δ) α-Bande des Häms (Differenzspektrum, reduzierte Form minus oxi-
dierte Form)
590 nm ca. 25.000 Qx-Übergang Bakteriochlorophyll a (in EtOH)
ca. 600 nm ca. 5000 π→π* Flavin-Radikal
590–630 nm ca. 2000–5000 Charge-transfer-­Bande Typ-I-Cu-Protein
772 nm ca. 100.000 Qy-Übergang Bakteriochlorophyll a (in EtOH)
NIR 800 nm >100.000 Qy-Übergang Bakteriochlorophyll a in Antennenproteinen
850 nm >100.000 Qy-Übergang Bakteriochlorophyll a in Antennenproteinen
860 nm ca. 80.000 Bakteriochlorophyll-­Dimer in photosynthet. Reaktionszentrum
1020 nm >100.000 Qy-Übergang Bakteriochlorophyll b, Antennen in Rhodopseudomonas
viridis

Infrarot auf, während im Bereich des nahen Infrarots einer sog. reduzierten Masse, die durch μ  =  (m1  ⋅  m2)/
neben sehr niederenergetischen elektronischen Über- (m1  +  m2) gegeben ist, und sich relativ zu einer festen
gängen vor allem die Oberwellen von Schwingungsüber- Position (der in . Abb.  8.21 angedeuteten Wand) be-

gängen liegen. Zur Erklärung dieser Phänomene greifen wegt. Dieses System von Masse und Feder lässt sich
wir wieder auf das Modell des zweiatomigen Moleküls durch ein parabelförmiges Potenzial beschreiben, dessen
zurück, das wir in Form zweier Massen, die elastisch Scheitelpunkt bei r0 liegt (. Abb.  8.21, mittleres Bild)

durch eine Feder gekoppelt sind, bereits in 7 Abschn. 8.1


  und das als Oszillator folgende Schwingungsfrequenz
benutzt haben. hat:
Die Massen m1 und m2 können sich relativ zueinan-
der bewegen, d.  h. die Feder kann aus dem Gleichge- 1 k
v= (8.10)
wichtsabstand r0 heraus gedehnt oder komprimiert wer- 2π µ
den. In der klassischen Mechanik hat ein solches System Es wird als harmonischer Oszillator bezeichnet. Aus der
die potenzielle Energie E = 1/2 k (r – r0)2, wobei (r – r0) quantenmechanischen Behandlung des harmonischen
der Auslenkung vom Gleichgewichtsabstand entspricht. Oszillators kommt die Forderung, dass nur diskrete
Anstatt die Bewegung beider Massen relativ zueinander Energieniveaus möglich sind. Sie werden durch
zu beschreiben (was wegen der größeren Zahl von Para- E(v) = (v + 1/2)h · νvib erhalten, wobei h das Planck’sche
metern aufwendiger ist), rechnet man mit der Bewegung
170 W. Mäntele

Wirkungsquantum und v  =  0, 1, 2, 3 … die Schwin- zur Verbindungslinie erfolgen. Diese Rotationsfrequen-


gungsquantenzahl darstellt. Für v = 0 hat der Oszillator zen liegen weit niedriger als die Schwingungsfrequen-
aufgrund der Heisenberg’schen Unschärferelation die zen, die Übergänge dementsprechend niederenergeti-
Nullpunktsenergie E = 1/2 h · νvib. Nach den Auswahlre- scher im fernen Infrarot. Allerdings können Kopplungen
geln sind immer nur Übergänge zum nächstbenachbar- von Rotationen mit Schwingungen auftreten, sodass ein
ten Niveau möglich, also Δv = ±1. Schwingungsspektrum eine Rotationsstruktur aufweist.
Überträgt man diese Betrachtungen auf vielatomige
Moleküle, so müssen zunächst die möglichen Bewegun-
8.3.2 Molekülschwingungen gen des Moleküls und der einzelnen Atome festgelegt
werden. Für die Angabe der Position im Raum sind für
In der Realität lässt sich für ein Molekül das Modell des jedes Atom drei Koordinaten x, y und z notwendig. Die-
harmonischen Oszillators nicht anwenden, da bei der se bei N Atomen benötigten 3 N Koordinaten werden als
Verringerung des Abstands die starke elektrostatische Freiheitsgrade bezeichnet. Zieht man von den 3 N Frei-
Abstoßung der positiv geladenen Atomkerne zu einem heitsgraden drei Freiheitsgrade für die Angabe der
Anstieg der Potenzialkurve führt, der steiler als die Pa- Translation des Gesamtmoleküls und drei Freiheitsgra-
rabel verläuft, und bei der Vergrößerung des Abstands de für die Rotation des Gesamtmoleküls (zwei bei der
die Dissoziation des Moleküls erfolgt. Die daraus resul- Rotation eines linearen Moleküls) ab, so verbleiben für
tierende Potenzialkurve, die in . Abb. 8.21 rechts sche- ein nichtlineares Molekül mit N Atomen 3N – 6, für ein
8

matisch gezeigt ist, führt zum anharmonischen Oszilla- lineares Molekül 3N – 5 mögliche Schwingungsfreiheits-
tor, dessen Energieniveaus nun nicht mehr äquidistant grade, die sog. Normalschwingungen oder Normalmo-
sind und bei dem die Auswahlregeln Übergänge zu hö- den. Die Bezeichnungen der Normalmoden kann man
heren Niveaus erlauben (Δv  =  ±1, ±2, ±3 usw.). Diese . Abb. 8.22 entnehmen, Näheres über die IR-­Aktivität

Übergänge, die zu Oberwellen und Kombinations- der Normalmoden findet man in . Tab. 8.4.

schwingungen führen können, erklären die Absorptio- Die Existenz einer Normalschwingung allein ist nicht
nen von Molekülschwingungen im nahen Infrarot bis in ausreichend dafür, dass ein Molekül Energie aus einer
den sichtbaren Spektralbereich, obwohl die theoretisch elektromagnetischen Welle mit geeigneter Frequenz auf-
höchste vorkommende Schwingungsfrequenz eines nehmen und direkt in einen höheren Schwingungszu-
zweiatomigen Moleküls, nämlich die des Wasserstoff- stand übergehen kann. Die Voraussetzung dafür ist ein
moleküls (H2), noch im mittleren IR liegen würde (aller- Dipolmoment, das sich mit der Normalschwingung än-
dings ist das homonucleare Molekül H2 nicht infrarot- dert, sodass bei „passender“ Frequenz Wechselwirkun-
aktiv, s.  u.). Ein Beispiel sind die Oberwellen der gen zwischen dem elektrischen Feldvektor und dem mo-
Schwingungen des Wassers, die im nahen IR bei ca. lekularen Dipol möglich sind. In diesem Fall spricht man
1,6 μm und 0,9 μm absorbieren und damit beispielsweise von der Infrarot-Aktivität des Moleküls. Die Stärke des
eine sehr dicke Wasserschicht (einige Meter) blau ge- Dipols ist maßgeblich für die Absorptionswahrschein-
färbt erscheinen lassen. lichkeit und damit für die Stärke der Absorption.
Außer Schwingungen können Moleküle auch Rota- Grundsätzlich sind die durch Schwingungsübergän-
tionen ausführen, die im obigen Modell des zweiatomi- ge verursachten Absorptionen schwächer als die von
gen Moleküls beispielsweise um eine Achse senkrecht elektronischen Übergängen, wo „hocherlaubte“ Über-

m1 m2 E E
12
k 11
10
m1 m2 9
8
k
7
schwingende Massen m1 und m2 6
5
4 4
3 3
2 2
µ
1 1
k v=0 v=0
r0 r r0 r
Schwingung der reduzierten Masse harmonischer Oszillator anharmonischer Oszillator

..      Abb. 8.21  Schwingungseigenschaften eines zweiatomigen Moleküls


Spektroskopie
171 8

..      Tab. 8.3  Normalmoden von CO2 und H2O


O C O O C O O C O
Schwingungs- Abkür- IR-Ak- Wellen-
moden zung tivität zahl (in
cm−1)
O O O
H H H H H H CO2 symmetrische vs nein
Streckschwin-
gung
symmetrische antisymmetrische Biegeschwingung
Streckschwingung antisymmetri- vas ja ca. 2200
sche Streck-
H schwingung
H C
N R Biegeschwin- δ ja
gung (zweifach,
C d. h. in der Ebe-
C O
ne und aus der
Ebene heraus)

..      Abb. 8.22  Normalmoden von CO2 und H2O. Die Pfeile deuten H2O symmetrische vs ja ca. 3350
die Änderungen von Bindungslängen und Bindungswinkeln an. Im Streckschwin-
Fall der Amidbindung (unten) ist nur ein Teil der möglichen Moden gung
eingezeichnet
antisymmetri- vas ja ca. 3300
sche Streck-
schwingung
gänge mit molaren Absorptionskoeffizienten über 105
vorkommen (. Tab. 8.2). Demgegenüber liegen die Ab-

symmetrische δs ja ca. 1660
sorptionskoeffizienten von Schwingungsübergängen sel- Biegeschwin-
gung
ten über 103. Typisch ist ein Absorptionskoeffizient, wie
er bei der Carbonylgruppe auftritt: Die C=O-Gruppe,
beispielsweise in Ketonen oder protonierten Carbonsäu-
ren (auch bei Asparaginsäure oder Glutaminsäure), ab- für einen Teil dieses Spektralbereichs geeignet sind, sieht
sorbiert im IR mit Absorptionskoeffizienten zwischen man wegen der hohen Dispersion, teilweise auch wegen
100 und 300 l mol–1 cm–1. Die C=C-Schwingungen des des hygroskopischen Materials, in der Regel von ihrer
aromatischen Rings der Tyrosin-Seitenkette zeigen Verwendung ab und verwendet stattdessen oberflächen-
ebenfalls einen Absorptionskoeffizienten in dieser Grö- beschichtete Spiegel, die als sphärische, elliptische oder
ßenordnung (. Tab. 8.3).

parabolische Spiegel verschiedene Möglichkeiten der
Die O–H-Biegeschwingung des Wassers hat nur ei- Strahlführung erlauben. Ähnliche Betrachtungen gel-
nen geringen Absorptionskoeffizienten von <20 l mol–1 ten natürlich auch für die Fenstermaterialien der
cm–1, und einzig die Tatsache, dass Wasser als Lösungs- IR-Küvetten, die wegen der starken Absorption von
mittel ca. 55-molar vorhanden ist, ist schuld an der ho- Wasser sehr viel kleinere Schichtdicken als bei der Spek-
hen Hintergrundabsorption des Wassers bei der Infra- troskopie im UV- oder im sichtbaren Spektralbereich
rotspektroskopie. aufweisen müssen. Üblich sind hier zerlegbare Küvetten
mit optischen Weglängen von ca. 5–10  μm, mit denen
Untersuchungen im wässrigen Milieu ausgeführt wer-
8.3.3 Messtechniken den können (. Abb.  8.23). Diese geringen Schichtdi-

cken wiederum bedingen hohe Konzentrationen we-


Für die Messung von Infrarotspektren können Zwei- gen der geringen IR-Absorptionskoeffizienten. Für
strahlphotometer verwendet werden, die analog zu den größere Schichtdicken bis ca. 50  μm muss statt 1H2O
in 7 Abschn.  8.1.4 beschriebenen Photometern konst-

dann 2H2O (D2O) verwendet werden. In 2H2O sind so-
ruiert sind. Für den hier betrachteten mittleren Infrarot- wohl die O–H-­Streckschwingung als auch die O–H-Bie-
bereich von ca. 5000  cm–1 bis 500  cm–1 (entsprechend geschwingung zu kleineren Wellenzahlen verschoben,
2000 nm bis 20.000 nm) müssen allerdings geeignete op- sodass ein Fensterbereich zwischen ca. 1800  cm–1 und
tische Komponenten, Strahlungsquellen und Detekto- 1300 cm–1 entsteht, in dem Proteinspektren aufgenom-
ren eingesetzt werden. Obwohl Linsen aus infrarot- men werden können.
durchlässigen Materialien wie NaCl, KBr, CaF2, Ge, Si Als Fenstermaterial wird häufig CaF2 verwendet, das
gefertigt werden können und damit wenigstens jeweils vom UV (190  nm) bis tief in das mittlere IR (ca.
1000 cm–1) brauchbar ist und auch bei wässrigen Proben
172 W. Mäntele

A Material Durchlässigkeit Eigenschaften


CaF2 190 nm – 10 µm universell für UV/VIS/IR geeignet, sehr hart
BaF2 200 nm – 12 µm universell für UV/VIS/IR geeignet, spröde
ZnSe 500 nm – 20 µm hochbrechend, gut geeignet für ATR-Kristalle
ZnS 450 nm – 15 µm hochbrechend, gut geeignet für ATR-Kristalle
Ge 1,2 µm – 25 µm hochbrechend, benötigt Anti-Reflexionsschicht
Si 1,2 µm – 20 µm hochbrechend, benötigt Anti-Reflexionsschicht

B Zerlegbare IR-Dünnschichtküvette
Teflonring

CaF2-Scheibe mit
8 ringförmigen Graben
flache CaF2-Scheibe

Probevolumen: ab 1 µl
Querschnitt durch CaF2-Scheibe

C Strahlverlauf bei der abgeschwächten Totalreflexion

ankommender IR-Strahl Kristall IR-Strahl zum Detektor

..      Abb. 8.23  A Typische IR-Fenstermaterialien und ihre Durchläs- verwirklicht werden. © Innovectis GmbH. C Bei der abgeschwächten
sigkeit. In der Tabelle wurden nur wasserunlösliche und in breiten Totalreflexion (ATR) wird ein IR-Strahl in einem hochbrechenden
Bereichen durchlässige Materialien aufgenommen. Für einzelne Material (z. B. Ge oder ZnSe, s. Teil a) wie in einem Lichtleiter ge-
Spektralbereiche können auch Polyethylenfenster verwendet werden. führt. An der Grenzfläche tritt der Strahl in das optisch dünnere Me-
B Ansicht einer zerlegbaren IR-Dünnschichtküvette. Das in Seiten- dium aus und kann so Informationen über die dort gelösten oder
ansicht gezeigte Fenster besitzt in der Mitte einen Einschliff, der die adsorbierten Moleküle liefern. Die Eindringtiefe hängt von der
Schichtdicke definiert. Er ist von einem ringförmigen Graben umge- Brechzahl, vom Eintrittswinkel und von der Wellenlänge ab und be-
ben, der die überschüssige Probenmenge aufnimmt. Dieses Fenster trägt rund die Hälfte der verwendeten Wellenlänge. Gezeigt ist eine
wird mit einem ebenen Fenster abgedeckt. Auf diese Weise können Durchflusszelle, die beispielsweise mit chromatographischen Metho-
Küvetten mit reproduzierbaren Schichtdicken von <5 μm bis >50 μm den gekoppelt werden kann

verwendet werden kann. Glas wird bereits im nahen IR Eine Alternative zu Transmissionsmessungen, die
undurchlässig, und Quarz kann nur bis ca. 2000  cm–1 das Problem der geringen Schichtdicken löst, besteht in
verwendet werden. Viele andere IR-Fenstermaterialien Messungen nach dem Prinzip der Abgeschwächten To-
sind wegen der Wasserlöslichkeit (KBr, NaCl), der ho- tal-Reflexion (ATR). Hierbei wird ein Reflexionsele-
hen Reflexion (Ge, Si, ZnSe, ZnS), der Giftigkeit (Thal- ment (IRE, Internal Reflection Element) aus einem IR-­
liumverbindungen) oder wegen des Preises (Saphir, Dia- durchlässigen Material mit hoher Brechzahl so gestaltet,
mant) Spezialanwendungen vorbehalten. Im Fall hoher dass der Lichtstrahl bei der Einkopplung unter einem
Reflexion (z.  B. bei Ge, Si, ZnS, ZnSe) können durch bestimmten Winkel im Inneren totalreflektiert wird.
Oberflächenvergütungen geeignete IR-Fenster erhalten Das IRE wirkt dabei wie ein Lichtleiter; die Zahl der
werden. Totalreflexionen wird durch die Brechzahl, die Länge
des Elements und den Einkoppelwinkel bestimmt. Für
Spektroskopie
173 8
die Messung nutzt man die Tatsache, dass der IR-Strahl betreibenden IR-Lichtquellen dürfte die Zukunft der
bei der Totalreflexion etwas in das optisch dünnere Me- IR-Bioanalytik gehören.
dium eindringt. Dieser Anteil trägt Information über Als Detektoren kommen thermische IR-Detektoren
die IR-Absorption der Probe. Die Eindringtiefe ist ab- wie z. B. Thermoelemente oder pyroelektrische Detekto-
hängig von der Wellenlänge, dem Eintrittswinkel und ren in Frage. Sie setzen die Erwärmung eines Detektor-
der Brechzahl und beträgt beispielsweise bei einem IRE elements in eine Spannung um, die der Intensität pro-
aus ZnS ca. 0,7–1  μm pro Totalreflexion. Der Vorteil portional ist. Während sie als preiswerte, robuste und
dieser Methode liegt eindeutig in der Definition der ef- breitbandig empfindliche Detektoren in Routinegeräten
fektiven Schichtdicke durch die Totalreflexion selbst; eingesetzt werden, greift man für Forschungszwecke eher
die Probenschicht darüber kann beliebig dick sein. auf Quantendetektoren zurück. Bei ihnen wird der pho-
Während diese Technik ursprünglich für die Analyse toelektrische Effekt in Halbleitern wie Indiumantimonid
von Farbschichten, Lacken usw. in der chemischen In- (InSb) oder Quecksilbercadmiumtellurid (HgCdTe) aus-
dustrie entwickelt worden war, erfreut sie sich in der genutzt, und man erhält als intensitätsabhängiges Signal
Bioanalytik zunehmender Beliebtheit. ATR-Messzellen die Photoleitfähigkeit oder eine Photospannung bzw. ei-
mit Durchflusskammern können beispielsweise dazu nen Photostrom, der proportional zur Intensität der
verwendet werden, Produkte bei Fermentationsprozes- Strahlung ist. Diese Quantendetektoren zeigen eine stark
sen direkt zu identifizieren oder werden bei der Quali- von der Wellenlänge abhängige E ­ mpfindlichkeit und
tätskontrolle von Getränken (z. B. der Bestimmung von müssen gekühlt werden (in der Regel mit flüssigem Stick-
Inhaltsstoffen bei Bieren) und in der klinischen Analy- stoff), um geringes Rauschen, hohe Empfindlichkeit und
tik eingesetzt. Zeitauflösung zu erhalten.
Auch die Strahlungsquelle muss für den Spektralbe- Schon bei den in 7 Abschn. 8.1.4 beschriebenen Pho-

reich angepasst werden. Man verwendet üblicherweise tometern wurde der Nachteil der dispersiven Techniken
keramische Strahler, die elektrisch auf Temperaturen diskutiert, bei denen durch Drehen eines Gitters (oder
um ca. 700 °C aufgeheizt werden. Sie werden als Nernst-­ Prismas) im Monochromator sukzessive alle Spektralele-
Stift oder im Englischen als glow bar bezeichnet und mente durchlaufen werden. Dies gilt in besonderem Maß
emittieren in guter Näherung wie ein schwarzer Strah- für die Infrarotspektroskopie mit weit geringeren Strah-
ler mit einem geringen Anteil an sichtbarer Strahlung. lungsintensitäten und mit Photonenenergien, die kaum
Diese sichtbare Strahlung kann dabei zum Justieren über thermischen Energien liegen. Multiplexmethoden,
ausgenutzt werden; sie belastet aber die Probe oft un- die im sichtbaren Spektralbereich durch die parallele An-
nötig und sollte daher mit einem Germaniumfenster ordnung vieler Detektoren, z.  B. in Diodenarrays, ver-
ausgeblendet werden. Für Spezialanwendungen kön- wirklicht werden, konnten sich wegen ihres hohen Preises
nen abstimmbare IR-Laser eingesetzt werden. Hierzu und ihrer nicht einfachen Handhabung bisher für die Inf-
sind Gaslaser, beispielsweise CO2-Laser oder CO-Laser, rarotspektroskopie in der Routine nicht durchsetzen.
verfügbar, die über einen schmalen Spektralbereich ab- Stattdessen hat sich eine andere Methode für Simultan-
gestimmt werden können; sie sind jedoch für breite An- aufnahmen vieler Wellenlängen durchgesetzt und die dis-
wendungen zu aufwendig im Betrieb. Seit ca. 30 Jahren persiven Techniken fast vollständig verdrängt, bei der ein
sind abstimmbare Halbleiterlaser verfügbar, die dotier- Interferometer als Basis verwendet wird. Sie ist schema-
tes PbS oder PbSe als aktives Lasermedium nutzen. Sie tisch in . Abb. 8.24 gezeigt.

können mit der Betriebstemperatur (7 K bis ca. 200 K) Dabei wird ein Interferogramm I(x) gemessen, d. h.
über breite Wellenlängenbereiche (ca. 100–150  cm–1) die Intensität I am Detektor als Funktion der Position
abgestimmt werden, sind jedoch im Betrieb wegen der x eines beweglichen Spiegels im Interferometer. Das
tiefen Temperaturen zu aufwendig. Seit ca. 20 Jahren Interferogramm ist die Fourier-Transformierte des
sind sog. Quantenkaskadenlaser (Quantum Cascade Spektrums I(ν). Durch Rücktransformation muss dar-
Lasers, QCL) für Raumtemperaturbetrieb erhältlich. aus das Spektrum gewonnen werden. Wegen dieser er-
Bei ihnen erfolgt die Ladungsrekombination im Halb- forderlichen Fourier-Transformation I(x)  →  I(ν), die
leiter in einer Kaskade von vielen ultradünnen Schich- mit den heute verfügbaren Rechenprozessoren weniger
ten, was zu einer hohen Effizienz führt. QCL können als eine Sekunde in Anspruch nimmt, wird diese Me-
als Laser mit mehreren Moden und mäßiger Emissions- thode der IR-Spektroskopie als Fourier-Transform-In-
breite oder als Distributed-Feedback-Laser (DFB) mit frarotspektroskopie (FT-IR-Spektroskopie) bezeichnet.
nur einer einzigen festen Emissionswellenlänge verwen- FT-IR-Spektrometer sind heute für viele Routinean-
det werden, abhängig von den Anforderungen an das wendungen üblich, und erst ihre Einführung hat viele
Infrarot-­Messlicht. Mit einem externen Resonator (Ex- Anwendungen in der Spektroskopie von Biopolymeren
ternal-Cavity-QCL) kann mittlerweile über breite Be- ermöglicht.
reiche (bis über 200 cm–1) abgestimmt werden. Diesen Die FT-IR-Spektroskopie als Multiplextechnik er-
sehr intensiven, teilweise abstimmbaren und einfach zu möglicht die Aufnahme von Spektren mit hoher Zeitauf-
174 W. Mäntele

fester 12.000 Da, besteht aus rund 100 Aminosäuren und hat


Spiegel damit bereits mehr als einige Hundert Normalschwin-
gungsmoden. Für solche größeren Moleküle ist es
zweckmäßig, anstelle des Konzepts der Normalschwin-
beweglicher Spiegel gungen das von Chemikern für die Identifikation von
Strahlungsquelle
Stoffen benutzte Konzept der Gruppenschwingungen ein-
zuführen. Dabei macht man folgende Annahmen: Das
Molekül wird formal in einzelne Gruppen und Bindun-
Strahlteiler
gen zerlegt, die in erster Näherung unabhängig vonein-
–d 0 +d ander schwingen können. Jede Gruppe oder Bindung
Probe schwingt aufgrund der Atommassen und Kraftkonstan-
ten mit einer für sie typischen Frequenz in verschiede-
nen Moden und kann deswegen im Infrarotspektrum in
Detektor
einem bestimmten Bereich gefunden werden. Inner-
..      Abb. 8.24  Aufbau und Funktionsweise eines FT-IR-Spektrome- halb dieses Bereichs wird die Schwingungsfrequenz die-
ters. Polychromatische Infrarotstrahlung aus einer Quelle wird in ei- ser Gruppe dann abhängig von den Liganden, d. h. von
nem Michelson-Interferometer zunächst durch einen Strahlteiler in der Anbindung an den Rest des Moleküls, bestimmt.
einen durchgehenden Anteil (ca. 50 %) und einen reflektierten Anteil Mit diesem Konzept der Gruppenschwingungen kön-
8 (ca. 50 %) zerlegt. Der vom festen Spiegel reflektierte Anteil tritt wie-
nen selbst große Moleküle wie z. B. Proteine behandelt
der durch den Strahlteiler und wird dort mit dem vom beweglichen
Spiegel reflektierten Teil zusammengeführt. Je nach Wellenlänge und werden.
Phasenlage tritt konstruktive und destruktive Interferenz auf, die Bei einem Protein liefern folgende Schwingungsmo-
durch die Position des von –d nach +d bewegten Spiegels moduliert den Beiträge zum Infrarotspektrum:
wird. Der zusammengeführte Strahl durchsetzt dann die Probe und 55 Schwingungsmoden des Polypeptidrückgrats
trifft auf den Detektor. Aufgezeichnet wird die Intensität am Detektor
55 Schwingungen der Aminosäureseitenketten
als Funktion des Ortes des beweglichen Spiegels
55 Schwingungen von eventuell vorhandenen Cofakto-
ren
lösung bis zu Nanosekunden, sodass damit auch Funkti- 55 Schwingungen von Detergens, Lipiden, Wasser usw.
onsuntersuchungen von Proteinen möglich werden. Da (je nach Protein)
selbst bei einfachen FT-IR-Spektrometern die Spiegelbe-
wegung für die Aufnahme eines Interferogramms weniger Das Peptidrückgrat mit der Peptidbindung als repetie-
als eine Sekunde beträgt, können in diesem Zeitraster render Einheit trägt größenordnungsmäßig am meisten
Spektren erfasst werden. Wenn diese Zeitauflösung nicht zur IR-Absorption eines Proteins bei und dominiert im
gefragt ist, können über längere Zeit mehrere Interfero- Absorptionsspektrum. Die Schwingungsmoden der
gramme aufgenommen und gemittelt werden, bevor Peptidbindung sind in . Tab. 8.4 zusammengestellt.

durch die Fourier-Transformation ein Spektrum mit sehr Von diesen Schwingungsmoden der Peptidbindung
geringem Rauschen berechnet wird. lässt sich vor allem die Amid-I-Mode, die hauptsächlich
Mit speziellen Rapid-Scan-Interferometern, die auf auf die C=O-Streckschwingung (. Tab. 8.4) zurückgeht,

schnelle Spiegelbewegung optimiert und für die schnelle für die Analyse der Sekundärstruktur verwenden. Die
Datenerfassung geeignet sind, lassen sich (unter Ausnut- Frequenz und Intensität der Streckschwingung sind emp-
zung der Vorwärts- und Rückwärtsbewegung jeweils für findlich für die Stärke der Wasserstoffbrücken-­Bindung
ein Interferogramm) Messzeiten bis herab zu ca. 10 ms für zur C=O-Gruppe: Eine starke H-Brücke schwächt den
ein Spektrum erreichen. Eine noch höhere Zeitauflösung Doppelbindungscharakter und senkt die Schwingungs-
erreicht man mit der Stroboskop- oder mit der Step-Scan- frequenz; je schwächer die Wasserstoffbrücken-­Bindung
Technik. Dabei muss allerdings die zu untersuchende Re- ist, desto stärker ist die Doppelbindung und desto höher
aktion eines Proteins sehr oft (104–105 mal) in identischer ist die Schwingungsfrequenz. Da innerhalb von Sekun-
Form wiederholbar sein. In der Praxis ist dies bisher nur därstrukturen Wasserstoffbrücken ausgebildet werden,
bei wenigen photobiologischen Systemen gelungen. die zu einer für diese Struktur typischen Amid-I-Absorp-
tion führen, kann auf diese Weise eine einfache Quantifi-
zierung der Sekundärstrukturanteile bei Proteinen erfol-
8.3.4 Infrarotspektroskopie von Proteinen gen. Dazu wird folgendermaßen vorgegangen:
1. Aufnahme von FT-IR-Spektren des Proteins mit ho-
Das hier vorgestellte Konzept der Normalschwingun- her Qualität in geeigneten Puffern
gen oder Normalmoden eines Moleküls versagt an- 2. Abziehen der spektralen Beiträge von Puffer, Wasser
schaulich bereits bei mittelgroßen Molekülen und erst etc.
recht bei Proteinen. Schon ein verhältnismäßig kleines 3. Anwendung von Verfahren zur Auflösungsverbesse-
Protein, beispielsweise mit einem Molekulargewicht von rung und Bandenzerlegung
Spektroskopie
175 8

..      Tab. 8.4  Schwingungsmoden der Peptidbindung

Symmetrie Bezeichnung Wellenzahl (in cm−1) Zusammensetzung

in der Ebene der Peptidbindung Amid A ca. 3300 NHs (100 %)


Amid B ca. 3100 NHs (100 %)
Amid I ca. 1650 COs (ca. 80 %), CNs, CNd
Amid II ca. 1550 NHib (ca. 60 %), CNs (ca. 40 %)
Amid III ca. 1300 CNs (40 %), NHib (30 %), CCs (30 %)
aus der Ebene der Peptidbindung heraus Amid V ca. 725 NHob, CNt
Amid IV ca. 625 COb (40 %), COs (30 %), CNCd
Amid VI ca. 600 COob, CNt
Amid VII ca. 200 NHob, CNt, COob

s: Streckschwingung; d: Deformationsschwingung; t: Torsionsschwingung; ib: In-Plane-Biegeschwingung; ob: Out-of-­Plane-


Biegeschwingung
Neben der Symmetrie der Schwingung sind die übliche Bezeichnung, das ungefähre Absorptionsmaximum und die Aufteilung auf
verschiedenen Bindungen angegeben. Der angegebene Prozentwert gibt näherungsweise an, welchen Anteil der potenziellen Energie
eine bestimmte Bindung beiträgt

4. Auswertung auf der Basis von Standard-­Datensätzen Merkmale eines β-Faltblatt-Proteins zeigt, führt das
für bekannte Sekundärstrukturen „Schmelzen“ zu einer ungeordneten Struktur oberhalb
von ca.  90  °C.  Dieser Prozess ist reversibel; beim Ab-
Diese Verfahren sind mittlerweile gut etabliert und liefern kühlen bildet sich wieder das typische Muster für eine
schnell und mit geringem Aufwand Informationen zur β-Faltblattstruktur aus. Die Faltung dieses Proteins
Sekundärstruktur. Da sie auf lösliche Proteine und auf kann mit einem einfachen Zwei-Zustandsmodell be-
Membranproteine angewandt werden können, werden schrieben werden (gefaltet/ungefaltet).
auf diese Weise Informationen über Proteine erhalten, Das entsprechende Protein mit drei Punktmutatio-
die bisher noch nicht kristallisiert werden konnten. Dar- nen (Prolin→Alanin), das bei Raumtemperatur keinen
über hinaus können diese Informationen von Proteinen Strukturunterschied zum Wildtyp aufweist, aggregiert
in ihrer nativen Umgebung erhalten werden, während die jedoch irreversibel bei der Erwärmung.
Kristallographie möglicherweise artifizielle Zustände er- In den letzten Jahren haben sich infrarotspektrosko-
fasst. Nichtsdestoweniger ist bei der Interpretation der pische Methoden für die Untersuchung von Proteinen
Daten Vorsicht angesagt. Die Zerlegung der Einhüllen- etabliert, mit denen molekulare Details von Reaktionen
den der Amid-I-Bande in ihre Komponenten mit mathe- analysiert werden können. Alle basieren auf Differenz-
matischen Methoden ist in der Regel zuverlässig. Weitaus techniken im Sinn von Störungsverfahren, bei denen
problematischer ist jedoch die Zuordnung dieser so be- eine einzige Probe durch eine externe Störung beeinflusst
stimmten Komponenten zu Sekundärstrukturelementen. wird (7 Abschn.  8.1.5). Diese Störung sollte die ge-

Dies liegt vor allem daran, dass Sekundärstrukturele- wünschte Reaktion möglichst spezifisch, quantitativ
mente in ihrer IR-Absorption je nach Ausdehnung ge- und möglichst schnell auslösen, sodass sie mithilfe der
ringfügig unterschiedlich absorbieren. ­FT-­IR-­Spektroskopie oder mithilfe von IR-kinetischen
Über die reine Angabe von Sekundärstrukturantei- Techniken bei einzelnen Wellenzahlen verfolgt werden
len hinaus (x  % α-Helix, y  % β-Faltblatt, z  % Knäuel kann. Dabei können Anfangs- und Endzustand einer
usw.) kann diese Methode jedoch mit großem Erfolg an- Reaktion, metastabile Intermediate oder der Ablauf der
gewandt werden, um die Gewichtung dieser Anteile bei Reaktion in Echtzeit verfolgt werden, sodass sich ein
Faltungs- und Entfaltungsprozessen sowie bei der Un- Bild von den molekularen Änderungen im Protein im
tersuchung von Proteinstabilität und -Denaturierung zu Verlauf der Reaktion gewinnen lässt.
erfassen. . Abb.  8.25 zeigt die Infrarotspektren des
  Diesen Techniken liegt das Konzept zugrunde, dass
kleinen, löslichen Proteins Tendamistat, einem Inhibitor sich nur derjenige Teil eines Proteins in den Differenzspek-
der β-Amylase, bei der thermisch induzierten Entfal- tren abbildet, der sich im Verlauf der Reaktion verändert,
tung. Das Bändermodell des Proteins ist im kleinen Bild und dass sich die Absorption der „inerten“ Teile des Pro-
rechts zu sehen. Beim nativen Protein (. Abb. 8.25A),
  teins durch die Differenzbildung kompensiert. Eine Diffe-
das bei Raumtemperatur die typischen spektralen renzbildung zwischen zwei Proben in verschiedenen Zu-
176 W. Mäntele

0,3 0,3
Absorption

Absorption
0,2 0,2

0,1 0,1

0 0
30 30
40 40
50 50
T (in °C

T (in °C
60 60
70 70
)

)
80 80
90 1600 90 1600
1650 1650
1700 (in °C) 1700 (in °C)
A Wellenzahl B Wellenzahl
8
..      Abb. 8.25  Infrarotspektren des Proteins Tendamistat in der nati- die Amid-I-Region (1700–1600 cm–1) mit spezifischen Absorptionen
ven Form A und mit drei Punktmutationen, bei denen die drei Pro- für Sekundärstrukturen. Ganz rechts: Bändermodell von Tendamis-
line durch Alanine ersetzt wurden B. Die Temperaturserie wurde tat mit den farbig markierten Prolinen
durch schnelles Erwärmen aufgenommen. Der Spektralbereich zeigt

ständen versagt meist, da schon geringe Unterschiede in ten zur Verfügung, die die zeitaufgelöste Analyse von
der Konzentration oder in der Schichtdicke Differenzsig- Proteinreaktionen ermöglichen:
nale ergeben würden, die weit größer als alle bei einer Re- 55 lichtinduzierte Differenzspektroskopie mit Anre-
aktion erwarteten molekularen Änderungen sind. Bei die- gung durch Dauerlicht oder mit Lichtblitzen
sen sog. reaktionsmodulierten Differenztechniken kann 55 redoxinduzierte Differenzspektroskopie durch Elekt-
jedoch das Entstehen von neuen Banden, das Verschwin- ronenübertragung an einer transparenten Elektrode
den von Banden oder die Verschiebung von Banden ein- in einer für die IR-Spektroskopie geeigneten elektro-
deutig mit der Störung korreliert werden, sodass eine chemischen Zelle (. Abb. 8.15),

außergewöhnlich hohe Empfindlichkeit erreicht wird. Ty- 55 photochemisch induzierte Differenzspektroskopie


pischerweise können aufgrund der hohen Empfindlichkeit durch lichtgetriggerte Freisetzung von Substraten
der FT-IR-­Spektroskopie oder mit Einzelwellenlängen- aus inaktiven, photochemisch aktivierbaren Subst-
techniken Absorptionsänderungen von 10–3–10–5 der ratanalogen (Cages, 7 Abschn. 8.1.4; . Abb. 8.9)
   

Grundabsorption gemessen werden. Dies entspricht bei 55 thermisch induzierte Differenzspektroskopie durch
einem Protein mit einer Masse von 100 kDa dem Beitrag Probenerwärmung mit einem Laserblitz im nahen
von einzelnen Bindungen zur Gesamtabsorption. Nutzt Infrarot
man den gesamten diagnostisch relevanten Spektralbe- 55 Mischverfahren mit Dünnschichtzellen
reich von >2000 cm–1 bis unterhalb von 500 cm–1, so kann 55 Perfusionsverfahren mit ATR-Durchflusszellen
dadurch ein Bild der Änderungen von Bindungslängen,
Bindungswinkeln, Protonierungsänderungen oder Umge- Die methodischen Entwicklungen der letzten 30 Jahre
bungsänderungen des katalytischen Zentrums gewonnen haben dazu geführt, dass heute die Infrarotspektrosko-
werden. Dieses Bild eignet sich als Basis für ein „Szena- pie in weitem Umfang auch für die Charakterisierung
rio“ der Reaktion auf atomarer Ebene. von Biopolymeren unter nativen Bedingungen einge-
Ursprünglich wurden diese Techniken für Chromo- setzt werden kann. Die früher geltenden Einschränkun-
proteine entwickelt, bei denen die Photoreaktion durch gen der IR-Spektroskopie (wie z. B. zu hohe erforderli-
Belichtung mit Dauerlicht oder mit einem kurzen Licht- che Probenmengen im Milligrammbereich, das oft nicht
blitz induziert wird. Dadurch konnten beispielsweise Re- ausreichende Signal/Rausch-Verhältnis) oder die photo-
aktionen des visuellen Pigments Rhodopsin, der lichtge- metrische Einschränkung durch die Absorption des
triebenen Protonenpumpe Bakteriorhodopsin oder die Wassers stellen keine ernsthaften Hindernisse mehr dar.
Primärreaktionen in der Photosynthese untersucht wer- Da breitere Spektralbereiche als im sichtbaren Spektral-
den (7 Abschn. 8.2). Heute stehen als Störungsmetho-

bereich erfasst werden können, da die Zahl der diagnos-
den der Infrarotspektroskopie verschiedene Möglichkei- tisch brauchbaren Absorptionsbanden wesentlich höher
Spektroskopie
177 8
ist als bei elektronischen Übergängen und da Prozesse in Wellen erzeugt, trägt jedes Molekül auch einen Anteil
einem Protein direkt (d. h. ohne eine zusätzliche Sonde) zur elastischen Streuung (Rayleigh-Streuung) und zur
erfasst werden können, entwickeln sich diese Techniken inelastischen Streuung (Raman-Streuung) bei.
zunehmend zu Methoden, mit denen Informationen
über Struktur, Funktion und Dynamik von Biomolekü-
len erhalten werden können. Für diese IR-Methoden, Für das oszillierende Dipolmoment μ(t) gilt:
die als Fenster ins Protein bezeichnet werden können, sei µ ( t ) = α (ν ) ⋅ E0 ⋅ cos 2πν t (8.11)

auf die Weiterführende Literatur verwiesen.
mit:

α - Polarisierbarkeit
8.4 Raman-Spektroskopie E0 - elektrische Feldstärke

8.4.1 Grundlagen

Die Raman-Spektroskopie ist verwandt mit der Infrarot- Da das Molekül Schwingungen ausführt, ist α nicht
spektroskopie. Sie beruht auf einem Streueffekt und geht zeitlich konstant, sondern ändert sich mit der Frequenz
auf ein von Raman und Krishnan im Jahr 1928 beschrie- des eingestrahlten Lichts:
benes Phänomen zurück, bei dem neben der „normalen“
Lichtstreuung auch Streuung mit verschobenen Frequen- α (ν ) = α 0 (ν ) + α ′ (ν ) ⋅ cos 2πν ′t (8.12)
zen beobachtet wurde. Dieses Phänomen wurde nach ei- mit:
nem seiner Entdecker als Raman-Effekt bezeichnet, die
darauf basierende molekülspektroskopische Methode als α0 - Gleichgewichtspolarisation
Raman-Spektroskopie. Während diese Methode bald in
der Chemie Anwendung fand, hat sie in der Bioanalytik α′ - Änderung der Polarisierbarkeit mit der Bewe-
erst mit dem Aufkommen von Lasern, vor allem mit der gung der Kerne (ν′)
Entwicklung abstimmbarer Laser in den 1970er-Jahren,
ν′ - Frequenz der Kernbewegung
Eingang gefunden. Sie hat einen festen Platz bei der Unter-
suchung von pigmentierten Proteinen, z. B. bei Chlorophyll-
µ ( t ) = E0 α 0 (ν ) + α ′ (ν ) ⋅ cos 2πν ′t  cos 2πν ′t
Protein-­Komplexen oder Hämproteinen, und soll hier im
Anschluss an die Infrarotspektroskopie besprochen wer- (8.13)
den, da die resultierenden Informationen über die Schwin-
gungsspektren von Biomolekülen durchaus vergleichbar
sind. Die apparativen und theoretischen Grundlagen sind
jedoch völlig anders. Setzt man α und α′ ein und multipliziert aus, ergibt sich:
Für das Verständnis des Raman-Effekts betrachten
µ ( t ) = E0 ⋅ α 0 (ν ) cos 2πν t
wir zunächst die Prozesse, bei denen Photonen eines ein- 
normale induzierte Dipolstreuung
fallenden Lichtstrahls mit den Molekülen einer Probe
+ E0 α ′ (ν ) ⋅ cos 2πν′t cos 2πν t
wechselwirken. Neben dem Prozess der Lichtabsorpti-  
µ ′( t )
on, der bei geeigneter Photonenenergie einen Übergang
in ein energetisch höheres Niveau des Moleküls bewir- (8.14)
ken kann, können auch elastische und inelastische
Streuprozesse vorkommen, bei denen das Photon nicht
absorbiert wird. Allerdings kann seine Richtung verän-
dert werden. Im Termschema berücksichtigt man diese Mit der Identität cos A · cos B = 1/2 [cos (A + B) + cos
Prozesse durch virtuelle Niveaus. Die Raman-Streuung (A – B)] erhält man:
kann als inelastische Streuung eines Photons an einem µ ′ ( t ) ~ E0 α (ν ) [cos 2π (ν + ν ′ ) t + cos 2π (ν − ν ′ ) t :
Molekül aufgefasst werden. Bei dieser Streuung geht
(8.15)
das Molekül in einen höheren Energiezustand über, und
das gestreute Photon verliert einen Teil seiner Energie.
In der klassischen Beschreibung des Raman-Effektes
geht man davon aus, dass die einfallende Lichtwelle in Es treten um die Schwingungsfrequenz langwellig
dem betreffenden Molekül ein oszillierendes Dipolmo- (ν – ν′) und kurzwellig (ν + ν′) verschobene Frequenz-
ment induziert, das sich einem eventuell bereits vorhan- beträge im Streulicht auf.
denen permanenten Dipolmoment überlagert. Da ein
oszillierendes Dipolmoment neue elektromagnetische
178 W. Mäntele

Zunächst erscheint bei der klassischen Herleitung para- λexc


dox, dass aus einer Probe Licht mit höherer Energie Laser
emittiert werden kann, als in sie eingestrahlt wurde. Das Sammel-
Paradoxon wird leichter verständlich, wenn der Raman-­ optik
Prozess formal als Zwei-Photonen-Prozess beschrieben
wird: Das Molekül emittiert das eingestrahlte Quant
plus ein Vibrationsquant.
Doppel-
Monochromator
8.4.2 Raman-Experimente

Für die experimentelle Umsetzung des Raman-Effekts


wird mit monochromatischem, intensivem Licht in eine
Probe eingestrahlt und das gestreute Licht in seiner Fre-
Detektor
quenz durch einen Monochromator analysiert. Trägt
man die Intensität des Streulichts als Funktion der Dif- Photomultiplier
ferenz (eingestrahlte Wellenlänge minus emittierte Wel- oder Diodenzeile
lenlänge) auf, so erhält man das Raman-Spektrum der
8 Substanz, das sich, wie oben erwähnt, ähnlich charakte- ..      Abb. 8.26  Schematischer Aufbau eines Raman-Spektrometers
ristisch wie das Infrarotspektrum aus Schwingungsban-
den und Rotationsbanden zusammensetzt. chromator ist dabei notwendig, um die hohe Intensität
Bei der experimentellen Umsetzung muss bedacht der unverschobenen Rayleigh-Linie zu unterdrücken.
werden, dass der Raman-Effekt ein Streueffekt mit außer- Bei vielen biologischen Systemen wird intensive Fluo-
ordentlich geringer Wahrscheinlichkeit ist – in der Praxis reszenz (7 Abschn.  8.5) beobachtet, sobald die Anre-

wird nur jedes 1010te Photon wieder emittiert. Um den- gungswellenlänge innerhalb einer Absorptionsbande
noch überhaupt eine messbare Zahl von gestreuten Pho- liegt, d.  h. wenn die Resonanzverstärkung ausgenutzt
tonen zu erhalten, muss das Anregungslicht sehr hohe wird (Resonanz-Raman-Spektroskopie, 7 Abschn. 8.4.3).

Intensität haben. Aus diesem Grund konnte der Ra- In . Abb. 8.27 ist gezeigt, wie Fluoreszenz sich störend

man-Effekt erst mit der Entwicklung von Lasern für die dem Raman-Effekt überlagern kann. Hier ist es notwen-
Untersuchung biologischer Makromoleküle angewandt dig, nochmals die Größenordnungen zu betrachten: Bei
werden. Die Intensität des von der Probe wieder gestreu- manchen Fluorophoren mit einer Quantenausbeute von
ten Lichtes zeigt ein Maximum bei der Frequenz des ein- nahezu 100 % wird fast jedes Photon reemittiert; die In-
gestrahlten Lichtes: Hier handelt es sich um die Ray- tensität der Fluoreszenz bei einer bestimmten Wellenlän-
leigh-Linie, d. h. die elastisch gestreute Intensität aufgrund ge kann deswegen um viele Größenordnungen über der
der Rayleigh-Streuung. Sie ist – je nach Zustand des Prä- Intensität der Raman-­Streuung liegen.
parats und erst recht bei Partikeln im Präparat – um einige Für die Untersuchung von Proteinen kann Raman-­
Größenordnungen intensiver als die Raman-Streuung. Streuung im sichtbaren Spektralbereich oder im UV an-
In der Praxis können nur die zu kleineren Energien lie- geregt werden. Absorption des Lichtes ist nicht notwen-
genden Stokes-Linien beobachtet werden. Die zu höheren dig, da es sich um ein Streuverfahren handelt. Man wird
Energien verschobenen Antistokes-Linien, die der Summe daher die Anregungswellenlänge aufgrund der physika-
aus Schwingungsfrequenz und eingestrahlter Frequenz lischen Gegebenheiten für die Detektion auswählen und
entsprechen, werden aufgrund der Besetzung der Schwin- nach Möglichkeit versuchen, hochenergetisches, also
gungsniveaus nur außerordentlich schwach beobachtet. blaues Licht zu verwenden. Dabei muss beachtet wer-
Die Intensität der gestreuten Strahlung ist eine Funktion den, dass die hohe Intensität der Anregungsstrahlung
der Wellenlänge; sie variiert mit l/λ4. Dies bedeutet, dass auch unerwünschte photochemische Reaktionen im bio-
bei einer Anregung mit höher energetischen Photonen logischen Präparat auslösen kann.
(blauem Licht statt rotem Licht) auch höhere Streuinten-
sität für die R
­ aman-­Streuung beobachtet wird.
. Abb.  8.26 zeigt den schematischen Aufbau einer

8.4.3 Resonanz-Raman-Spektroskopie
Apparatur für die Raman-Spektroskopie. Licht aus einer
intensiven Lichtquelle mit einer bestimmten Wellenlänge Während die Anwendungen der Raman-Spektroskopie
λ wird auf ein Präparat fokussiert; die emittierten Photo- für Proteine, bei denen keine chromophoren Gruppen im
nen werden gesammelt und spektral zerlegt. Gewöhnlich sichtbaren Bereich oder im nahen UV vorhanden sind,
wird das gestreute Licht wie bei der Fluoreszenzmessung stets eingeschränkt war, kam mit dem Aufkommen ab-
seitwärts detektiert. Ein Doppel- oder Dreifachmono- stimmbarer Laser die Möglichkeit auf, die Anregung auf
die Absorptionsbanden der elektronischen Übergänge
Spektroskopie
179 8
von chromophoren Gruppen abzustimmen. Dieses Ver-
fahren wird als Resonanz-Raman-Spektroskopie bezeich-
net. Durch den Resonanzeffekt, bei dem die Polarisier-
barkeit des Moleküls wesentlich erhöht wird, wird die
Intensität der gestreuten Strahlung um ein Vielfaches hö-
her. Dadurch lassen sich die Raman-­Linien der betreffen-
den chromophoren Gruppen vor dem Hintergrund der
Raman-Linien aus dem gesamten Molekül leicht isolie-
ren. Diese Verfahren haben sich für viele pigmentierte
Systeme bewährt; es gibt zahlreiche Untersuchungen
i
über Retinal-Proteine und Chlorophyll-Proteinkomplexe.
Mit abstimmbaren Lasern für ultraviolettes Licht
können Raman-Untersuchungen mit resonanter ultra-
violetter Anregung, vor allem bei den Absorptionsban-
den der aromatischen Aminosäuren bei ca. 280  nm,
durchgeführt werden.
. Abb. 8.28 zeigt das Raman-Spektrum der Leber-­

Alkohol-­Dehydrogenase (LADH). Der Spektralbereich


zwischen 1700 und etwa 300  cm–1 zeigt zahlreiche Ra-
man-Banden, die im Detail zur Konformationsanalyse
des NADH in freiem und gebundenem Zustand verwen-
det werden können.
Mit dem Aufkommen von Fourier-Transform-Infra-
rotspektrometern (7 Abschn. 8.3.3) konnte sich im Be-

reich der Raman-Spektroskopie eine neue Methode eta-


blieren, bei der die emittierte Raman-Streuung nicht
mehr durch einen Monochromator wie in . Abb. 8.26  

analysiert wird, sondern in einem Interferometer zerlegt


und simultan für alle Wellenlängen detektiert wird. Der
Vorteil einer solchen Multiplexmethode wurde bereits
ausführlich in 7 Abschn. 8.1 beschrieben. Damit ist es

möglich, auch die sehr schwache Raman-Streuung, die


bei einer Anregung im langwelligen Spektralbereich er-
..      Abb. 8.27  Gemessenes Spektrum und berechnetes Raman-­
Spektrum halten wird, noch gut zu analysieren. Da hier eine Kom-

..      Abb. 8.28  Raman-Spektrum der 1668


Leber-Alkohol-Dehydrogenase
Leber-Alkohol-Dehydrogenase
Raman-Intensität

1003

Amid III 1450


1610
940
1340
650 895 1125
1210 1585
580 850 1030 1320
622 746 1400
488 1105
830
1165

300 500 700 900 1100 1300 1500 1700


Wellenzahl (in cm–1)
180 W. Mäntele

bination von Komponenten der FT-IR-­Spektroskopie, Emission eines Photons aus S2 wird nur in Ausnahme-
nämlich das Interferometer, und einer Komponente der fällen beobachtet.
Lasertechnik, überwiegend der Neodym-YAG-Laser Die Relaxation aus dem ersten angeregten Singulett-
mit einer Wellenlänge von 1064  nm, verwendet wird, zustand S1 dagegen kann über unterschiedliche Prozesse
spricht man von einer Nah-­Infrarot-­Fourier-Transform- erfolgen. Zum einen kann auch von S1 nach S0 durch
Raman-Spektroskopie (NIR-FT-Raman). Diese Tech- innere Konversion (innere Umwandlung) eine strah-
nik wird mittlerweile breit eingesetzt; sie bietet den Vor- lungslose Desaktivierung vorkommen. Dies lässt sich
teil der Anregung mit niedrigen Photonenenergien, die dadurch erklären, dass höher angeregte Schwingungs-
keine Photoreaktionen verursachen, und gleichzeitig die zustände von S0 durchaus Energiewerte in der Nähe von
Möglichkeit, mit interferometrischer Detektion zu sehr S1 erreichen können. Zum anderen  – und das ist der
rauscharmen Raman-Spektren zu gelangen. wichtigste Prozess der Desaktivierung von S1 – kann ein
Bei der Analyse von Raman-Spektren wird im Grun- Lichtquant emittiert werden, was in . Abb. 8.6 als Flu-

de genauso vorgegangen wie bei der Analyse von Infra- oreszenz dargestellt ist.
rotspektren. Die Lage der Raman-Banden kann in Form Vergleicht man hier die Länge der Pfeile, die für die
von Normalschwingungen oder Gruppenschwingungen Absorption bzw. für die Emission stehen, so wird zu-
(7 Abschn. 8.3.2) interpretiert werden, die Zuordnungen
  nächst klar, dass der Pfeil für die Fluoreszenz immer
erhält man wie bei der Infrarotspektroskopie durch den kürzer ist als der für die Absorption. Da die Länge der
gezielten Einbau von Isotopen. Da bei der Infrarotspekt- Pfeile ein Maß für die Energie des absorbierten bzw.
8 roskopie die Voraussetzung für die Aktivität eines Mole- emittierten Photons ist, entspricht dies einer Rotver-
küls ein mit der Schwingungsbewegung oszillierendes Di- schiebung der Fluoreszenz gegenüber der Absorption
polmoment ist, bei der Raman-­Spektroskopie jedoch eine bei ein und demselben Molekül. Um dies zu verstehen,
mit der Schwingung oszillierende Polarisierbarkeit, sind betrachten wir die Besetzungen und Relaxationen der
bei einfachen Molekülen beide Methoden komplementär. Schwingungsniveaus beim Absorptions- und Emissions-
Dies bedeutet, dass eine Schwingungsmode entweder inf- prozess.
rarotaktiv oder Raman-aktiv ist. Bei Biomakromolekülen Absorption aus dem Grundzustand erfolgt ausge-
ist diese einfache Symmetrieregel jedoch fast immer ver- hend von einer Besetzung der Schwingungsniveaus, die
letzt; man findet Moleküle, bei denen bestimmte Banden durch die Temperatur gegeben ist; bei Raumtemperatur
sowohl infrarot- als auch Raman-aktiv sind. erfolgt sie fast ausschließlich von v  =  0 aus. Entspre-
chend dem Franck-Condon-Prinzip (7 Abschn.  8.1)

führt der Absorptionsprozess zum gleichen (v = 0) oder


8.5 Fluoreszenzspektroskopie höher angeregten (v  =  1, 2, …) Schwingungsniveau in
S1. Im angeregten Zustand kommt es dann zunächst
8.5.1 Grundlagen wieder zu einem Besetzungsgleichgewicht (bei Raum-
temperatur also zum tiefstliegenden Schwingungszu-
Ein photochemisch angeregtes Molekül kann auf unter- stand in S1), bevor Relaxation nach S0 möglich ist. Als
schiedliche Weise wieder in den energetischen Grund- Folge dieses Verhaltens, das im Termschema anschau-
zustand gelangen: Neben der Möglichkeit zur strah- lich dargestellt werden kann, ergeben sich für die Fluo-
lungslosen Relaxation, bei der die Energiedifferenz in reszenz folgende Eigenschaften:
Form von Schwingungsenergie, letztlich als Wärme, 55 Das Spektrum der Fluoreszenz ist gegenüber dem
abgegeben wird, kann ein Photon emittiert werden. Spektrum der Absorption zu kleineren Energien,
Zur Diskussion beziehen wir uns wieder auf das in also zu größeren Wellenlängen, verschoben.
. Abb.  8.6 gezeigte Termschema. Während die Mes-
  55 Das Spektrum der Emission ist unabhängig vom
sung der Phosphoreszenz (Relaxation von T1 nach S0) Spektrum der Absorption.
für die Bioanalytik nur eine untergeordnete Rolle spielt, 55 Die Struktur der Schwingungsniveaus bestimmt die
ist die Messung der Fluoreszenz eine bei vielen Arbei- Struktur des Absorptions- bzw. Emissionsspekt-
ten angewandte Routinemethode. rums: Für die Absorption ist die Schwingungsunter-
Wie in 7 Abschn. 8.1 diskutiert und in . Abb. 8.6
    struktur von S1 maßgeblich, für die Emission hinge-
als Beispiel gezeigt, erfolgt die Anregung aus dem am gen die Schwingungsstruktur von S0.
niedrigsten liegenden Singulettzustand S0 in einen der
Schwingungszustände des ersten oder zweiten angereg- Die Tatsache, dass die Relaxation von S1 nach S0 über
ten Singulettzustands. Aus dem zweiten oder höher an- Strahlungsemission von einem Zustand aus erfolgt, der
geregten Singulettzustand S2 (bzw. Sn) erfolgt in der Re- eine vergleichsweise lange Lebensdauer hat, macht Flu-
gel sehr schnell (in ca. 10–13 s) und strahlungslos ein oreszenzuntersuchungen für biologische Moleküle be-
Übergang in den am niedrigsten liegenden Schwin- sonders attraktiv. Diese Lebensdauer, die der mittleren
gungszustand des ersten angeregten Singulettzustands; Verweildauer eines Moleküls in S1 entspricht, lässt sich
Spektroskopie
181 8
allerdings nur dann exakt aus der Rate der Fluoreszenz- Emission sinkt und der angeregte Zustand strahlungslos
emission bestimmen, wenn die Fluoreszenz der einzige desaktivieren kann. Für dieses Quenching sind Kollisi-
Deaktivierungsprozess ist und strahlungslose Deakti- onsprozesse bzw. die Bildung von Molekülaggregaten
vierung oder Intersystem Crossing, also der Übergang verantwortlich. Wenn bei Fluoreszenzmessungen Quan-
vom Singulett- zum Triplett-System, vernachlässigt wer- tenausbeuten bestimmt werden sollen, müssen solche
den können. Typische Lebensdauern für die Fluoreszenz Konzentrationsabhängigkeiten sehr sorgfältig betrach-
liegen in der Größenordnung von 10–9–10–7 s. Da diese tet werden.
Lebensdauern in derselben Größenordnung liegen oder Betrachtet man die Rotverschiebung der Fluoreszenz
sogar länger sind als die Zeiten für Diffusion, Rotation im Detail, so muss zusätzlich zu der bereits diskutierten,
oder Konformationsänderungen von biologischen Mak- durch das Termschema gegebenen Verschiebung die
romolekülen, bietet sich eine Messung von solchen Pro- Wechselwirkung der fluoreszierenden Gruppe mit dem
zessen durch Fluoreszenzmessungen an. Lösungsmittel betrachtet werden. Der Grund dafür liegt
Will man Fluoreszenzuntersuchungen an Biomolekü- darin, dass die Absorption in sehr kurzer Zeit aus einem
len in der Analytik einsetzen, so muss zunächst unterschie- mittleren Zustand des Lösungsmittels heraus erfolgt.
den werden, ob die Fluoreszenz von direkt am Molekül Während der längeren Lebensdauer des angeregten Zu-
vorhandenen Gruppen („intrinsischen Fluorophoren“) be- stands von 10–9–10–7 s können sich jedoch Lösungsmittel-
nutzt werden kann, oder ob zusätzliche Moleküle als fluo- moleküle umorientieren und zusammen mit der fluores-
reszierende Gruppen erst in das Molekül eingebaut werden zierenden Gruppe einen energetisch günstigeren Zustand
müssen („Fluoreszenz-Sonden“). bilden, sodass das Energieniveau dieses Zustands abge-
Bei der Fluoreszenzspektroskopie von Proteinen ohne senkt wird. Diese sog. Lösungsmittelrelaxation hängt von
Fluoreszenzsonden kann im Wesentlichen nur die Fluo- der elektronischen Verteilung der fluoreszierenden Grup-
reszenz der Aminosäure Tryptophan verwendet werden. pe im Grundzustand und im angeregten Zustand sowie
Wie bereits in 7 Abschn. 8.2 ausgeführt, zeigen die aro-
  von der Polarität des Lösungsmittels ab.
matischen Aminosäuren Absorptionsbanden der Seiten- Zusätzlich zu dieser durch die Photophysik gegebe-
ketten bei ca. 280 nm (Tryptophan); die Fluoreszenz die- nen Rotverschiebung wird in der Praxis oft eine weitere
ses elektronischen Übergangs wird bei Wellenlängen von Rotverschiebung beobachtet, die konzentrationsab-
oberhalb 300–350  nm beobachtet. Tryptophan zeigt in hängig ist und durch Verdünnen beseitigt werden
polarer Umgebung rotverschobene Fluoreszenz; daher kann. Sie hat ihren Grund in der mit steigender Kon-
kann über die Messung des Emissionsspektrums auf die zentration des Fluorophors erhöhten Wahrscheinlich-
molekulare Umgebung eines Tryptophanmoleküls ge- keit, dass ein emittiertes Photon wieder absorbiert
schlossen werden. wird, da sich Absorptions- und Emissionsbande des
Bei der Messung der Fluoreszenz findet man, dass Moleküls überlagern. Als Folge dieser Überlappung –
die Fluoreszenzintensität von der Konzentration des und das mit steigender Konzentration – wird der kurz-
untersuchten Moleküls abhängt: wellige Teil der emittierten Strahlung vorzugsweise re-
absorbiert, und der schließlich aus dem Präparat
F = I 0 ⋅ φ ⋅ ( 2,303 ⋅ ε ⋅ c ⋅ d ) (8.16) austretende Strahlungsanteil ist scheinbar weiter ins

Rote verschoben.
mit:
F - Fluoreszenzintensität
I0 - Intensität des eingestrahlten Lichts 8.5.2 Fluoreszenzspektren als
Φ - Fluoreszenzausbeute, das Verhältnis von emittier- Emissionsspektren und als
ten zu absorbierten Photonen
Aktionsspektren
ε - molarer Absorptionskoeffizient der Substanz
c - Konzentration Die prinzipiell möglichen Anordnungen zur Messung
d - Schichtdicke der Fluoreszenz sind in . Abb. 8.29 dargestellt. Für die

praktische Anwendung der Fluoreszenz in der Bioana-


Zusätzlich tritt häufig eine Rotverschiebung der Emissi- lytik ist es oft ausreichend, wenn die fluoreszierende
on mit zunehmender Konzentration auf. Die Gründe Gruppe durch Licht geeigneter Wellenlänge angeregt
für dieses Verhalten liegen zum einen darin, dass Fluo- und bei einer zweiten Wellenlänge die Intensität der
reszenzlöschung (Quenching) auftritt, wenn Energie von emittierten Strahlung gemessen wird. Dabei ist es aus-
einem angeregten Molekül auf ein zweites Molekül reichend, die Anregungswellenlänge durch Filter auf
übertragen wird, sodass die Wahrscheinlichkeit der den wirksamen Bereich der Absorptionsbande einzu-
182 W. Mäntele

schränken. Für die Messwellenlänge muss ein komple- sität als Funktion der Wellenlänge, die aufwendig mit
mentäres Filter vor dem Detektor geschaltet werden, Fluoreszenzstandards, d.  h. Proben mit bekanntem
um gestreutes Anregungslicht zu unterdrücken. Idealer- Emissionsspektrum, korrigiert werden muss. Erst die-
weise werden die beiden Filter so gewählt, dass kein An- ses quantenkorrigierte Emissionsspektrum kann quanti-
regungslicht den Detektor erreicht. Eine häufig benutzte tativ ausgewertet werden.
Anordnung, bei der das emittierte Licht senkrecht zur In vielen Fällen ist es wichtig, die Energieleitung
Anregung detektiert wird, ist hilfreich, aber nicht zwin- innerhalb einer Anordnung von Chromophoren zu
gend (. Abb. 8.29).
  verfolgen. Dazu kann die Messung eines Aktionsspek-
Wenn das Spektrum der Fluoreszenz erfasst werden trums dienen. Hierbei wird die Intensität des emittier-
soll, um beispielsweise aus der Lage der Maxima oder ten Lichts bei einer festen Wellenlänge gemessen und
aus der Struktur der Emissionsbande Informationen die Anregungswellenlänge variiert. Diese Vorgehens-
zu erhalten, so muss das Filter vor dem Detektor durch weise wird auch als Fluoreszenz-Aktionsspektroskopie
einen geeigneten Monochromator ersetzt werden. Nutz- bezeichnet.
bar ist dann im Idealfall ein Spektralbereich bis in Lichtquellen zur Anregung der Fluoreszenz müssen
die Nähe der festen Anregungswellenlänge. Bei dieser hohe Intensität im kurzwelligen Spektralbereich liefern.
Messung des Emissionsspektrums muss bedacht wer- Aus diesem Grund werden üblicherweise Xenon-Hoch-
den, dass die Transmission optischer Komponenten, drucklampen verwendet, seltener auch Wolfram-Halogen-
des Monochromators, vor allem aber die Nachweis- lampen. Im Pulsbetrieb können auch Laser für die Anre-
8 empfindlichkeit des Detektors stark von der Wellenlän- gung der Fluoreszenz verwendet werden, vor allem, wenn
ge abhängen. Eine Messung des Emissionsspektrums die Zeitabhängigkeit der Fluoreszenzintensität gemessen
liefert daher zunächst eine relative Fluoreszenzinten- werden soll. Mit der Entwicklung von LED oder Halblei-
terlasern, die im blauen Spektralbereich oder im nahen
UV emittieren, stehen einfache und preiswerte Anregungs-
Lichtquelle Filter Probe
quellen für die Fluoreszenz zur Verfügung. Da diese Licht-
quellen auch sehr schnell moduliert oder gepulst werden
können, sind zeitaufgelöste Fluoreszenzmessungen mög-
λexc
lich, z. B. die Messung von Abklingzeiten.
Filter
λem Als Detektoren werden überwiegend Photomultiplier-­
Röhren eingesetzt, die im UV-Spektralbereich sowie im
Detektor kurzwelligen sichtbaren Spektralbereich Photodioden
überlegen sind. Dabei macht man sich zunutze, dass
Photomultiplier-Röhren mit ihrer internen Verstärkung
Lichtquelle Probe so betrieben werden können, dass einzelne Photonen als
Stromimpuls am Ausgang nachgewiesen werden können
Monochromator (photon counting mode). Die Intensität der Fluoreszenz
λexc
wird dann als die Zahl der Photonen, die in einem be-
stimmten Zeitintervall eintreffen, ausgedrückt. Bei sehr
weit im Roten liegenden Emissionswellenlängen kön-
Monochromator

nen auch Photodioden verwendet werden. Die in


λem . Abb.  8.8C dargestellten Multiplexphotometer (Di-

odenarray oder CCD) können ebenfalls für Fluores-


zenzmessungen herangezogen werden, wenn die Emis-
sionsintensität ausreicht.

Detektor
8.5.3 Fluoreszenzuntersuchungen mit
..      Abb. 8.29  Schematische optische Anordnungen zur Fluores- intrinsischen und extrinsischen
zenzmessung. Im einfachsten Fall wird die Probe bei einer festen Fluorophoren
Wellenlänge (λexc) angeregt und die Intensität der Fluoreszenz bei
fester Wellenlänge (λem) gemessen. Die beiden Wellenlängen werden
Die Einsatzmöglichkeiten der Fluoreszenzspektrosko-
durch Filter gewählt, die komplementär sein müssen. Werden sie
durch durchstimmbare Filter (Monochromatoren) ersetzt, so kön- pie mit intrinsischen Fluorophoren bei Proteinen, d. h.
nen Emissionsspektren (λexc fest, Aufzeichnen der Fluoreszenzinten- lediglich mit der Emission der aromatischen Aminosäu-
sität als Funktion der Emissionswellenlänge λem) oder Aktionsspekt- ren, sind begrenzt. Die Tryptophan-Fluoreszenz eignet
ren (λem fest, Aufzeichnen der Fluoreszenzintensität als Funktion der sich jedoch sehr gut zur Beobachtung von Faltungspro-
Anregungswellenlänge λexc) aufgenommen werden
Spektroskopie
183 8
zessen, da sie empfindlich auf die Umgebung der Seiten- reaktiven Zentren weiterzuleiten. Aufgrund der Anord-
kette reagiert. Die Verschiebung des Fluoreszenzmaxi- nung der Pigmente kann Energie in strahlungslosen
mums kann auch zur Untersuchung des enzymatischen Prozessen effizient durch die verschiedenen Antennen-
Abbaus von Proteinen herangezogen werden, da Tryp- populationen von außen nach innen geleitet werden, bis
tophanseitenketten mit der Proteolyse zunehmend vom Energieübergabe an das photoreaktive Zentrum mög-
hydrophoben Inneren des Proteins in Bereiche kommen, lich ist. Die Basis für diesen Energieübertrag bildet die
die polarer und Wassermolekülen zugänglicher werden. exzellente Überlappung der Absorptionsspektren der
Bei Proteinen mit fluoreszierenden Cofaktoren wie Fla- weiter innen gelegenen Pigmente mit den Emissions-
vinen oder Chlorophyllen ergeben sich zahlreiche weite- spektren der weiter außen gelegenen Pigmente sowie die
re Anwendungen, bei der der Cofaktor als Sonde ver- direkte Kopplung der Pigmente. Die beteiligten Pigmen-
wendet wird und über seine Emission Informationen te (Bakteriochlorophyll a) zeigen eine Reihe von Singu-
über seine molekulare Umgebung im Protein, über den lettübergängen im sichtbaren Spektralbereich sowie im
Protonierungszustand oder über konformelle Änderun- nahen Infrarot: S0→S3 bei ca. 400  nm, S0→S2 bei ca.
gen vermittelt. Besonders ausgeprägt ist die Fluoreszenz 600  nm und S0→S1 bei Wellenlängen >750  nm. Der
bei Tetrapyrrol-­Systemen. Es liegt daher nahe, Chloro- Übergang S0→S1 variiert je nach Antennenpopulation,
phylle und Chlorophyll-­Protein-­Komplexe durch Fluo- sodass Energie förmlich „kanalisiert“ und wie mit einem
reszenzuntersuchungen zu charakterisieren. Die Fluo- Trichter ins Innere dieser Strukturen geleitet wird. Wird
reszenzquantenausbeute bei solchen Molekülen kann an irgendeiner Stelle dieser Energiefluss unterbrochen,
nahezu den Wert 1 erreichen, d. h. für fast jedes absor- z.  B. durch molekulargenetische Deletion oder durch
bierte Photon wird wieder ein Photon emittiert. Extraktion einer Pigmentpopulation, so kann dieser
. Abb. 8.30 zeigt die Absorptions- und Emissions-
  Energiefluss, der sich förmlich staut, nur noch über
spektren eines Chlorophyll-Protein-Komplexes aus dem Emission weitergegeben bzw. abgeleitet werden. Bei
photosynthetischen Bakterium Rhodobacter capsulatus. photosynthetischen Pigmenten erfüllt die Fluoreszenz-
Die Funktion des Komplexes besteht darin, Lichtener- emission häufig die Rolle eines „molekularen Blitzablei-
gie möglichst effizient zu absorbieren und an die photo- ters“, der verhindert, dass die Absorption eines Photons

A 855 B

868
B 800–855 B 870
375
Absorption

Absorption

802

590
590

300 500 700 900 300 500 700 900


Wellenlänge (in nm) Wellenlänge (in nm)

..      Abb. 8.30  Absorptionsspektren und Emissionsspektren von vom niedrigstliegenden Übergang von B 850 beobachtet wird. Das
Lichtsammelpigmenten des photosynthetischen Bakteriums Rhodo- Maximum der Fluoreszenz liegt bei ca. 865 nm. B Absorptionsspek-
bacter capsulatus. A Absorptionsspektrum (blaue Linie) des periphe- tren (blaue Linie) des unmittelbar mit dem photochemischen Reak-
ren Bakteriochlorophyll-Protein-Komplexes mit zwei unterschiedli- tionszentrum assoziierten Lichtsammelkomplexes B 870. Seine Ab-
chen Pigmentpopulationen, die bei ca. 800 nm und bei ca. 850 nm sorption überlappt ideal mit der Fluoreszenz des peripheren B
absorbieren (B 800–850). Wird dieser Komplex angeregt, so erfolgt 800–850-Komplexes. Die Fluoreszenz erfolgt auch hier nur vom nie-
ein schneller Energietransfer innerhalb der einzelnen Pigmente und drigstliegenden Singulettübergang
zwischen B 800 und B 850, sodass die Fluoreszenz (rote Linie) nur
184 W. Mäntele

das Pigmentsystem in einen Zustand bringt, in dem ir- kroskopie verbunden wird. Hier können nur einige
reversible photochemische Prozesse durch Triplett-­ aufgeführt werden.
Reaktionen die Pigmente schädigen. Fluorescence Recovery after Photobleaching (FRAP)
Neben dem intrinsischen Fluorophoren der Proteine wird mit Erfolg dort verwendet, wo die Diffusionseigen-
und der Fluoreszenz der Cofaktoren können zahlreiche schaften (Translationsdiffusion und Rotationsdiffusion)
extrinsische Fluoreszenzsonden verwendet werden, um von Molekülen in der Membran untersucht werden sol-
beispielsweise die Fluidität von Membranen, die Beweg- len. Dazu werden Fluoreszenzsonden an die zu unter-
lichkeit von Proteindomänen oder um Diffusions- und suchenden Moleküle, beispielsweise Lipide, gekoppelt,
Rotationsdiffusionsparameter zu bestimmen. Andere sodass im Fokus eines Mikroskops die Fluoreszenz be-
Fluoreszenzsonden wiederum sind empfindlich für obachtet werden kann. Im nächsten Schritt wird im Be-
Membranpotenziale und können als „molekulare Volt- obachtungsfeld des Mikroskops durch einen starken,
meter“ verwendet werden. Auch pH-Messungen, bei- fokussierten Laserimpuls der Fluoreszenzfarbstoff irre-
spielsweise in Zellkompartimenten, können durch geeig- versibel gebleicht und zerstört. Man spricht hier von
nete Sonden analog zu der Absorptionsmessung mit Photobleaching; konsequenterweise erscheint im Mikro-
pH-Indikatoren durchgeführt werden. skopbild ein schwarzer, nicht fluoreszierender Fleck.
Diese Fluoreszenzsonden können beispielsweise auf- Durch Diffusion ungebleichter, „frischer“ Farbstoffmo-
grund ihres hydrophoben Charakters transmembran leküle „füllt“ sich dieser schwarze Fleck wieder mit flu-
eingelagert werden, sodass ihre Emissionsintensität und oreszierenden Farbstoffmolekülen, sodass die Fluores-
8 das Emissionsmaximum durch das Membranpotenzial zenz regeneriert wird (Recovery). Aus der Zeitkonstante
beeinflusst werden. Andere wiederum binden kovalent der Erholung der Fluoreszenz kann auf die Diffusions-
an bestimmte Aminosäureseitenketten und können so eigenschaften geschlossen werden. Für die Messung der
für bestimmte Stellen als Reportergruppen verwendet Rotationsdiffusion kann eine Polarisationsrichtung in
werden. Noch eindeutiger werden Aussagen über mole- der Membranebene selektiv mit dem Laserpuls gebleicht
kulare Umgebungen, wenn ein Fluorophor nach orts- und die Erholung der Fluoreszenz durch die Rotation
spezifischer Mutagenese an einer bestimmten Amino- gemessen werden.
säure eines Proteins gebunden werden kann. Fluorescence Lifetime Imaging (FLIM) ist eine häufig
Fluoreszenzsonden lassen sich im Prinzip für die je- in der Zellbiologie verwendete, bildgebende Fluores-
weiligen Anwendungen maßschneidern. Einige der gän- zenztechnik, bei der die Fluoreszenzlebensdauer analy-
gigsten Fluoreszenzsonden, die ohne großen Aufwand siert wird. Die Lebensdauer der Fluoreszenz hängt von
eingesetzt und mit üblichen Fluorimetern vermessen den Konkurrenzprozessen ab, mit denen der Singulett-
werden können, sind im vorhergehenden Kapitel be- zustand entvölkert wird, beispielsweise die strahlungslo-
schrieben. se Deaktivierung, der Singulett-Triplett-Übergang oder
Das bereits in 7 Abschn. 8.2.2 erwähnte grün fluo-
  auch photochemische Reaktionen. Es sind diese Lösch-
reszierende Protein (GFP) nimmt sowohl in seinem Auf- prozesse (Quenching), die von der Umgebung beeinflusst
bau als auch in seiner Anwendung eine Sonderstellung werden und über ihren Einfluss auf die Lebensdauer der
ein. Seine Fluoreszenz kommt nicht von einem gebunde- Fluoreszenz beobachtet werden können.
nen Cofaktor, sondern aus einem durch Zyklisierung Mit der Fluoreszenz-Korrelationsspektroskopie (Fluo-
und Oxidation entstandenen „Auto-­ Fluorophor“ aus rescence Correlation Spectroscopy, FCS) können dynami-
drei benachbarten Aminosäureseitenketten. Das beim sche Prozesse bei gelösten Molekülen in sehr kleinen Vo-
GFP beobachtete Verhalten – zwei mögliche Emissions- lumina analysiert werden, sodass auch der Zugang zu
banden aufgrund eines Protonierungsgleichgewichts, einzelnen Molekülen möglich wird (s. Einzelmolekül-
das sich jedoch nach Anregung schnell verschiebt – ist spektroskopie, 7 Abschn. 8.5.6). Dazu werden die fluo-

nicht unüblich. Andererseits nimmt das GFP wiederum reszierenden Moleküle im Fokus eines Mikroskops unter-
in der Anwendung die Rolle einer Fluoreszenzsonde ein, sucht, sodass das Messvolumen kleiner als 1 μm3 ist. Die
mit der z. B. Transkriptionsprozesse nachgewiesen wer- Fluoreszenzphotonen aus diesem Volumen, die in Ab-
den können. hängigkeit von der Zeit gezählt werden, unterliegen den
Fluktuationen der Moleküle und damit der Brown’schen
Molekularbewegung. FCS wird benutzt, um beispielswei-
8.5.4 Spezielle Fluoreszenztechniken: se Diffusionskoeffzienten oder Reaktionsraten bei photo-
FRAP, FLIM, FCS, TIRF physikalischen und chemischen Reaktionen zu bestim-
men.
Auf der Grundlage von Fluoreszenzmessungen haben Bei der Total Internal Reflection Fluorescence Micro-
sich zahlreiche Techniken etabliert, die auf der Umge- scopy (TIRFM) wird die evaneszente Welle bei der To-
bungsabhängigkeit oder der Lebensdauer der Fluores- talreflexion in einem Lichtleiter genutzt, um oberflä-
zenz basieren und bei denen Fluoreszenz meist mit Mi- chennah Fluoreszenz zu detektieren, ohne dass störende
Spektroskopie
185 8
Fluoreszenz aus dem Zellvolumen überlagert. Dazu Biopolymere eingebaut werden. Oft werden auch FRET-­
werden Zellen auf die Oberfläche eines IRE-­Elements Paare verwendet, bei denen der Akzeptor ein Quencher
gebracht (7 Abschn.  8.3.3 und . Abb.  8.23), sodass
    ist, sodass nach Anregung des Donors und Energieüber-
mit der evaneszenten Welle im Nahbereich beispielswei- trag zum Akzeptor überhaupt kein Licht emittiert wird
se Prozesse an der Zellwand detektiert werden können. (erst dann, wenn der Donor räumlich vom Akzeptor ge-
Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass mit solchen trennt wird).
Methoden Prozesse in lebenden Zellen charakterisiert Eine sehr große Zahl an FRET-Untersuchungen hat
werden können. inzwischen den breiten Nutzen dieser Methode gezeigt:
Bei der Proteinfaltung kann die räumliche Nachbar-
schaft zweier Aminosäuren, die auf der Polypeptidkette
8.5.5 Förster-Resonanz-Energietransfer weit voneinander entfernt sind, gezeigt werden, indem
(FRET) die betreffenden Aminosäuren mit einem FRET-­Donor
und einem -Akzeptor modifiziert werden. FRET kann
Bereits bei den Grundlagen der Fluoreszenz zum Nachweis von Protein-Protein-­ Wechselwirkung
(7 Abschn.  8.5.1) wurde die Fluoreszenzlöschung

und zum Verfolgen von Konformationsänderungen ein-
(Quenching) behandelt. Eine besondere Form der Fluo- gesetzt werden. Eine besonders clevere Anwendung ist
reszenzlöschung ist die direkte, resonante und strah- bei der DNA-Hybridisierung möglich, indem eine Nuc-
lungslose Übertragung von Energie zwischen zwei eng leotidsequenz mit einem FRET-Paar aus Donor und
benachbarten Molekülen. Der Begriff Resonanz-Ener- Quencher markiert wird. Das freie Nucleotidstück in
gie-Transfer wurde von Förster (1910–1974) geprägt Lösung zeigt aufgrund des Quenching keine Lichtemis-
und wird als Förster-Resonanz-Energietransfer bezeich- sion; sobald es aber an einer Zielsequenz bindet und da-
net (FRET, fälschlicherweise oft als Fluoreszenz-Reso- bei Donor und Quencher getrennt werden, leuchtet es
nanz-Energietransfer gelesen). Für diesen Energie- auf. Diese Technik wird gerne als Molecular Beacon,
transfer muss die Entfernung zwischen Donor D und d. h. als „Blinker“ oder „Leuchtturm“, bezeichnet.
Akzeptor A gering sein, typischerweise unter 10 nm. Bei Trotz dieser vielen Einsatzmöglichkeiten der FRET-­
noch kleineren Abständen erfolgt aufgrund der Über- Messung sollte nicht vergessen werden, dass Fluores-
lappung der Orbitale direkter Elektronenaustausch, der zenz- und FRET-Sonden stets auch Eingriffe in ein
dann als Dexter-Energietransfer bezeichnet wird. Die Biopolymer darstellen, die Struktur, Konformation, Re-
Effizienz bei FRET hängt weiter von der Überlappung aktivität und Dynamik verändern können. Dies gilt ins-
des Emissionsspektrums des Donors mit dem Absorp- besondere für koexprimiertes GFP und seine vielfarbi-
tionsspektrum des Akzeptors sowie von der Orientie- gen Derivate, die sowohl sterisch als auch dynamisch
rung der Übergangsdipolmomente (7 Abschn.  8.1.2)

Proteine beeinflussen können.
von A und D relativ zueinander ab.
Die FRET-Übertragungsrate ist proportional zu
(R/R0)–6, sodass sie sehr schnell mit dem Abstand ab- 8.5.6 Einzelmolekülspektroskopie
fällt. R0 wird als „Förster-Radius“ bezeichnet und liegt
zwischen ca. 1 und 5 nm. Bei R = R0 wird die Hälfte der Bei allen bisher behandelten spektroskopischen Unter-
Fluoreszenz des Donors durch FRET gelöscht. suchungen wird immer ein großes statistisches Ensemble
Aufgrund der starken Abstandsabhängigkeit werden betrachtet. Geht man von Konzentrationen der Biomo-
FRET-Verfahren auch gerne als „molekulares Lineal“ leküle im Bereich von Mikromol pro Liter aus, so be-
bezeichnet, was jedoch angesichts der oft unbekannten finden sich auch in einem Probenvolumen von einem
Orientierung von D und A und der oft unbekannten Mikroliter noch gut 1010 Moleküle. Daraus ergibt sich,
Eigenschaften des Mediums zwischen D und A etwas dass die bisher betrachteten spektroskopischen Metho-
übertrieben ist. den stets einen statistischen Mittelwert der Eigenschaf-
Mittlerweile stehen eine Vielzahl von Donor-Akzep- ten der Moleküle wiedergeben. Für viele Fragestellun-
tor-Farbstoffkombinationen mit einem breiten Spekt- gen ist es jedoch wichtig, auch die Eigenschaften
rum an Absorptions- und Emissionswellenlängen zur einzelner Moleküle zu kennen.
Verfügung, die für FRET-Messungen in der Bioanalytik Zumindest bei der Fluoreszenzspektroskopie lassen
geeignet sind. Viele von ihnen sind kleine organische sich die spektroskopischen Eigenschaften einzelner Mo-
Moleküle, die kovalent gebunden werden können. An- leküle charakterisieren. Die Voraussetzungen dafür sind
dere wiederum, wie das bereits in 7 Abschn. 8.2.2 be-
  fluoreszente Gruppen mit einer hohen Quantenausbeu-
handelte GFP sowie seine Derivate, können mit einem te, d. h. mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Flu-
Protein koexprimiert werden. Eine dritte Gruppe, die oreszenzemission nach der Absorption eines Photons.
Lanthaniden (Europium, Samarium, Terbium, Dyspro- Die intrinsische Fluoreszenz von Polypeptiden reicht
sium), können als fluoreszierende Atome ebenfalls in dafür nicht aus, sodass Fluoreszenzsonden (s. oben) ver-
186 W. Mäntele

wendet werden müssen. Mit einem konfokalen Mikros- Besonders interessant ist die Einzelmolekülspektrosko-
kop, bei dem die beleuchtende Optik und das Mikro- pie bei der Untersuchung von oligomeren Molekülassozia-
skopobjektiv einen gemeinsamen Fokus aufweisen, ten. Beispiele sind die photosynthetischen Lichtsammel-
können Messvolumina von ca. 10–15  l  (1 Femtoliter, komplexe, bei denen Chlorophyll-Protein-Komplexe mit
1 μm × 1 μm × 1 μm) betrachtet werden. Bei verdünnten scheinbar gleichen Eigenschaften die photosynthetischen
Lösungen erscheinen dann nur noch einzelne Moleküle Reaktionszentren umgeben. Bei photosynthetischen Pur-
im Messvolumen, die, wenn sie ggf. auch noch fixiert purbakterien ist dies beispielsweise der Lichtsammelkom-
werden, über längere Zeit beobachtet werden können. plex B870 (B875), dessen Spektrum in . Abb. 8.19B ge-

Für die Anregung verwendet man einen Laserstrahl bei zeigt ist. Bei diesem Komplex umgibt ein Ring aus 32
fester Wellenlänge. Bakteriochlorophyll-a-­Molekülen das Reaktionszentrum.
Bei der Fluoreszenzmessung im Ensemble Mittels Einzelmolekülspektroskopie konnten die Eigen-
(7 Abschn. 8.5.3) beobachtet man eine zeitlich konstante
  schaften der einzelnen Komplexe bei verschiedenen An-
Fluoreszenz, falls der Farbstoff nicht ausbleicht und kei- ordnungen und bei unterschiedlichen Umgebungen unter-
ne Reaktion oder Diffusion für eine Konzentrationsände- sucht und damit die Prozesse der Energieleitung innerhalb
rung des Fluorophors sorgt. Im Gegensatz dazu liefert des Rings und von den Bakteriochlorophyllen im Ring zu
die Einzelmolekülspektroskopie keine kontinuierlichen denen im Reaktionszentrum aufgeklärt werden.
Signale mehr, sondern eine Abfolge von On- und Off-Zu-
ständen einzelner Farbstoffmoleküle. Dieses „Blinken“,
8 bei dem auch längere Off-Zeiten vorkommen können, 8.6 Methoden mit polarisiertem Licht
kann mehrere Ursachen haben. Zum einen kann ein
Farbstoffmolekül nach der Anregung mit einer gewissen Ein weiterer Ansatz, Biomoleküle zu untersuchen, sind
Wahrscheinlichkeit im Triplett-System (. Abb. 8.6) „par-
  spektroskopische Untersuchungen mit polarisiertem
ken“, sodass dadurch bis zu 100 ms lange Dunkelinter- Licht. Damit lassen sich zusätzliche Erkenntnisse über
valle vorkommen. In der Tat nimmt man das „Blinken“ die Konformation von Molekülen, von Molekülkomple-
eines Einzelmoleküls als Hinweis darauf, dass sich nur ein xen und über die Wechselwirkungen von Biomakromo-
einziges Fluoreszenzmolekül im Strahlengang befindet. lekülen untereinander gewinnen. Wir unterscheiden drei
Ein weiterer Grund für das Aussetzen der Fluoreszenz Verfahren: den Lineardichroismus, die optische Rotati-
kann die Photobleichung des betreffenden Farbstoffmo- onsdispersion und den Circulardichroismus. Die beiden
leküls sein, unter Umständen auch die Verschiebung der letztgenannten Methoden werden zur U ­ ntersuchung
spektralen Eigenschaften, falls größere Konformations- von optisch aktiven Molekülen eingesetzt.
änderungen die Eigenschaften des Farbstoffmoleküls ver-
ändert haben.
Die Auswertung der Fluoreszenzsignale von Einzel- 8.6.1 Lineardichroismus
molekülen erfolgt mit statistischen Methoden. Wird bei-
spielsweise die Häufigkeit der On-Zustände als Funkti- Die Lineardichroismus- (LD-)Spektroskopie nutzt die Ori-
on ihrer Dauer gemessen, so erhält man häufig eine entierung des Übergangs(dipol)moments (7 Abschn. 8.2)

exponentiell mit der On-Zeit abklingende Funktion, ein innerhalb der Geometrie des Moleküls aus. Wie bereits in
Hinweis auf eine Poisson-Verteilung des On-Zustands. 7 Abschn.  8.1 gezeigt, besteht eine Wechselwirkung des

Viele zellbiologische Methoden basieren heute auf elektrischen Feldvektors einer einfallenden elektromagne-
der Messung der Konzentration und Diffusion fluores- tischen Welle mit diesem Übergangsdipolmoment. Die
zierender Moleküle mittel Einzelmolekülspektroskopie. Stärke dieser Wechselwirkung hängt von der relativen Ori-
Bei der bereits genannten Fluoreszenz-Korrelations- entierung von Feldvektor und Übergangsdipolmoment zu-
spektroskopie (FCS) werden Fluktuationen untersucht, einander ab: Bei paralleler Orientierung ist sie maximal, bei
die bei der Diffusion der fluoreszierenden Teilchen senkrechter Orientierung null. Der Absorptionsbeitrag ei-
durch das Messvolumen entstehen. Wenn anstelle der nes Moleküls hängt daher außer von der Energie des Pho-
lokalen Intensität ein ortsempfindlicher Detektor, z. B. tons auch von der Orientierung des Absorbers zum Feld-
eine Kamera, verwendet wird, können die Diffusionswe- vektor ab. Eine Konsequenz ergibt sich dabei aus der
ge (Trajektorien) von fluoreszenzmarkierten Teilchen Eigenschaft des Lichts als Transversalwelle: Ein in der Aus-
verfolgt werden. Diese als Single Particle Tracking be- breitungsrichtung des Lichts liegendes Übergangsdipol-
zeichnete Methode ermöglicht es, zwischen freier Diffu- moment kann nicht angeregt werden.
sion, anomaler, d. h. orts- und zeitabhängiger Diffusion, Bei einem Ensemble von Molekülen in einer Probe,
und gerichtetem Transport (z. B. aufgrund eines Gradi- in der sich die Moleküle durch Diffusion frei bewegen
enten) zu unterscheiden, sodass dynamische Vorgänge bzw. rotieren können, mittelt sich diese Orientierungs-
in der lebenden Zelle verfolgt werden können. abhängigkeit aufgrund der großen Zahl leicht heraus.
Spektroskopie
187 8
Die Probe zeigt für alle Orientierungen des elektrischen chenaußensegment ähnlich wie ein Stapel CDs angeord-
Feldvektors (bzw. bei fester Orientierung des Feldvek- net sind. Diese Disks sind abgeplattete Vesikel, die in
tors für alle Orientierungen der Probe) gleiche Absorp- ihrer Membran das Sehpigment Rhodopsin mit der
tion. Betrachtet man jedoch biologische Strukturen, die chromophoren Gruppe Retinal enthalten. Auch wenn
orientierte Chromophore enthalten, so hängt deren Ab- dieses Rhodopsin innerhalb der Diskmembran äußerst
sorption unter Umständen stark von der Orientierung mobil ist und lateral diffundieren und rotieren kann,
des Feldvektors ab. Diese Abhängigkeit wird in der bleibt seine Längsachse dabei im Wesentlichen parallel
LD-Spektroskopie ausgenutzt, um die Orientierung von zur Einfallsrichtung des Lichtes. Der absorbierende
chromophoren Gruppen oder Pigmenten in Makromo- Chromophor Retinal ist nahezu senkrecht zu dieser
lekülen oder Biomembranen abzufragen. Längsachse angeordnet und liegt damit in der Ebene des
Unser Auge repräsentiert den „klassischen Fall“ ei- elektrischen Feldvektors. Die Rotationsmöglichkeit des
ner für den Lichteinfall und für alle Polarisationsrich- Rhodopsinmoleküls erlaubt alle Orientierungsmöglich-
tungen optimierten Absorption (. Abb.  8.31). In der
  keiten für das Retinal in dieser Ebene und somit effizien-
Retina sind die Sehzellen so eingebaut, dass der Einfall te Absorption für alle Polarisationsrichtungen.
des Lichts in ihrer Längsrichtung erfolgt. Damit fällt Ein LD-spektroskopisches Experiment kann außer-
Licht senkrecht zu den ca. 2000 Disks ein, die im Stäb- ordentlich einfach durchgeführt werden und benötigt

..      Abb. 8.31  Anordnung des „Absorbers“ Retinal im Sehpigment Rhodopsin relativ zum Lichteinfall
188 W. Mäntele

außer der Vorzugsorientierung einer Probe nur einen die Röntgenbeugung ausreichen, oder bei Kristallen, die
Polarisator, mit dem die Spektren für zwei Orientierun- für eine hohe Auflösung noch nicht hinreichend gut ge-
gen aufgenommen werden (. Abb. 8.32). In der Regel
  ordnet sind, außerordentlich hilfreich sein.
wird dabei das Spektrum der Probe einmal mit vertikal Die relative Orientierung des elektrischen ­Feldvektors
und einmal mit horizontal polarisiertem Licht aufge- und des Übergangsdipolmoments zueinander bestimmt
nommen; die dabei erhaltenen Messgrößen sind Ivert(λ) nicht nur die Stärke der Absorption von elektronischen
bzw. Ihor(λ). Die entsprechenden Referenzspektren mit Übergängen, sondern auch die von Schwingungsüber-
leerem Strahlengang oder einer geeigneten Referenzpro- gängen. So ist beispielsweise das Übergangsdipolmo-
be müssen ebenfalls für beide Polarisationsrichtungen ment einer C=O-Bindung entlang der Bindungsachse
aufgenommen werden: I0,vert(λ) bzw. I0,hor(λ), da nahezu gerichtet; auch bei komplizierten Molekülen nimmt es
alle optischen Komponenten eines Spektralphotometers eine feste Orientierung in der Molekülgeometrie ein.
eine „Vorpolarisation“ bzw. unterschiedliche Transmis- Für die Untersuchung der Orientierung von Proteinse-
sion für beide Polarisationsrichtungen zeigen. Anschlie- kundärstrukturen bietet sich damit eine einfache Mög-
ßend kann die Absorption berechnet werden: lichkeit an (. Abb. 8.33).

In einer α-Helix bildet sich eine Wasserstoffbrücke


 I 0, vert   I 0, hor  von der Peptid-N-H-Gruppe zur C=O-Gruppe der
Avert = log   bzw. Ahor = log   (8.17) nächsthöheren Helixwindung aus, sodass eine lineare
 I vert   I hor  Struktur –C=O····H-N– entsteht. Ähnliche Wasserstoff-
8 brücken bilden sich auch bei β-Faltblatt-Strukturen aus,
Die Differenz beider Absorptionswerte nennt man den
Lineardichroismus einer Probe; er liefert zusammen mit sie unterscheiden sich jedoch durch die Stärke der Brü-
der Absorption wichtige Informationen über die Lage cke und damit durch die Frequenz der C=O-­Schwingung.
eines Pigments in einer biologischen Struktur. In 7 Abschn. 8.3 wurde gezeigt, wie diese vom Typ der

Die für ein LD-Experiment erforderliche Orientie- Sekundärstruktur abhängige Absorption dazu verwen-
rung einer Probe kann auf vielerlei Weise erreicht wer- det werden kann, um eine „schnelle“ Analyse der Sekun-
den: Biologische Membranen erhalten durch vorsichti- därstrukturkomponenten durchzuführen und gegebe-
ges Antrocknen auf einem Träger eine Orientierung nenfalls Veränderungen bei der Faltung und Entfaltung
parallel zu diesem Träger, sodass zumindest eine Achse, von Proteinen zu detektieren. Die Orientierung der
die Membrannormale, festgelegt ist (analog zum Aus- C=O-Schwingungsmode kann darüber hinaus benutzt
leeren einer Sparbüchse auf einen Tisch, wo fast alle werden, um die Orientierung dieser Sekundärstrukturen
Münzen entweder mit Kopf oder Zahl auf der Tisch- zu ermitteln. Bei einer α-Helix führt die Wasserstoffbrü-
platte liegen, kaum eine jedoch auf der Schmalseite). ckenbindung zu einer Orientierung in etwa entlang der
Man bezeichnet solche Proben auch als einachsig orien- Helixachse, bei einer β-Faltblattstruktur senkrecht zur
tierte Proben. Faltblattrichtung.
Eine solche Orientierung kann auch durch Anlegen Nimmt man jetzt beispielsweise das Infrarotspekt-
eines Magnetfelds oder eines elektrischen Feldes erreicht rum einer Membran auf, die durch Trocknen auf einem
werden; im letzten Fall kann das Makromolekül dann in Träger orientiert wurde, so sollte für α-Helices, die senk-
Bewegung, d. h. bei der elektrophoretischen Wanderung, recht die Membran durchspannen, maximale Absorpti-
erfasst werden. Ideale Orientierung liegt bei Kristallen on dann auftreten, wenn der elektrische Feldvektor ent-
vor. So bietet z. B. die LD-Spektroskopie an kleinen Pro- lang der Membrannormalen orientiert ist. Aus diesem
teinkristallen die Möglichkeit, die Orientierung der Grund muss die Probe relativ zum Strahl gekippt wer-
Übergangsdipolmomente in allen Raumrichtungen ab- den, sodass die Komponenten des Übergangsdipolmo-
zufragen. Dies kann im Verlauf der Strukturanalyse ei- ments erfasst werden können. Aus der Absorption mit
nes Proteins bei Kristalldimensionen, die noch nicht für horizontal und vertikal polarisiertem Licht kann dann

..      Abb. 8.32  Anordnung zur vertikal


Aufnahme eines Lineardichroismus-
horizontal
spektrums Lichtquelle

Monochromator Detektor

Polarisator orientierte Probe


Spektroskopie
189 8
..      Abb. 8.33 Lineardichroismus-Infrarotspektro-
skopie zur Bestimmung der Orientierung von
α-Helices in Membranproteinen

N
H
O
C

Übergangsdiploment
C=O-Bindung in in Helixachse
α-helikaler Struktur

Träger

IV

Strahlrichtung

Tn

der maximale Neigungswinkel der α-Helices zur Memb- Licht aus zwei überlagerten, rechts und links gerichtet
ran berechnet werden, eine wichtige Größe bei der Erst- zirkular polarisierten Komponenten zusammensetzt
charakterisierung von Membranproteinen. (. Abb. 8.3), führt die Verzögerung einer Komponente

wiederum zu einer Drehung der Polarisationsebene bei


8.6.2  ptische Rotationsdispersion und
O linear polarisiertem Licht.
Circulardichroismus Diese Drehung ist der Schichtdicke und der Konzen-
tration der optisch aktiven Substanz proportional und
Optische Rotationsdispersion und Circulardichroismus einfach zu messen. Eine bekannte Anwendung ist die
nutzen die Wechselwirkung optisch aktiver Substanzen Konzentrationsbestimmung von Zuckerlösungen in Po-
mit polarisiertem Licht  – beide Verfahren betrachten larimetern (Saccharimeter). Die Drehung wird meist
dasselbe Phänomen, allerdings aus unterschiedlichen auf molare Konzentrationen und auf Schichtdicken von
Blickrichtungen. Die optische Rotationsdispersion 1 cm standardisiert angegeben.
(ORD) untersucht die unterschiedlichen Brechungsindi- Die dritte Methode, die die Polarisation des Lichts
zes einer optisch aktiven Substanz in Abhängigkeit von nutzt, beruht ebenfalls auf der Überlagerung einer
der Wellenlänge; der Circulardichroismus (CD) dagegen rechts- und einer links-zirkular polarisierten Lichtwelle
analysiert die unterschiedliche Absorption. zu linear polarisiertem Licht. Es ist die Circulardichrois-
Optische Aktivität entsteht z.  B. durch die Einfüh- mus- (CD-)Spektroskopie. Im Gegensatz zur ORD-­
rung eines chiralen Zentrums in ein Molekül, etwa wenn Spektroskopie, bei der die Unterschiede in den Bre-
ein Kohlenstoffatom vier verschiedene Substituenten in chungsindizes für die beiden Polarisationsrichtungen,
tetraedrischer Anordnung trägt. nL und nR, für die unterschiedliche Ausbreitungsge-
In solchen optisch aktiven Strukturen ist die Licht- schwindigkeit eine Rolle spielen, wird bei der CD-Spek-
geschwindigkeit für links- bzw. rechtsgerichtet zirkular troskopie zusätzlich die unterschiedliche Absorption
polarisiertes Licht unterschiedlich groß. Fällt daher zir- der links- und rechts-zirkular polarisierten Komponen-
kular polarisiertes Licht auf eine Probe mit einer op- te ausgenutzt. Wenn wir in Anlehnung an 7 Abschn. 8.2

tisch aktiven Substanz, so tritt nach dem Durchlaufen für den molaren Absorptionskoeffizienten ε nun die
der Probe eine Polarisationskomponente gegenüber der Absorptionskoeffizienten für links- und rechts-zirkular
anderen verzögert auf, d. h. die optisch aktive Substanz polarisiertes Licht (εL bzw. εR) unterscheiden, so wird in
hat unterschiedliche Brechungsindizes für links- bzw. der CD-Spektroskopie die Differenz Δε = εL – εR gemes-
rechtspolarisiertes Licht. Da sich linear polarisiertes sen. Sie wird als Elliptizität Θ angegeben:
190 W. Mäntele

..      Abb. 8.34 Circulardichrois- A B
mus A und optische Rotations- CD ∆n ORD
dispersion B. Beim Circulardich-
roismus ist der Unterschied der Dn
molaren Absorptionskoeffizien-
ten (Δε = εL – εR), bei der
optischen Rotationsdispersion
der Unterschied der Brechungs- ∆ε = 0 λ λ
∆n = 0
indizes (Δn = nL – nR) gegen die
Wellenlänge aufgetragen. Man
beachte, dass die CD-­Kurve A
einem „normalen“ Absorptions-
spektrum entspräche, wenn das
untersuchte Molekül nicht chiral Breite
wäre. (In diesem Fall wäre positiver CD
Δε = 0). Für den Fall B ergäbe
ein nicht chirales Molekül eine
„normale“ Dispersionskurve
(Δn = 0). (Nach Freifelder 1982) Amplitude

8 positive und negative


negativer CD
Cotton-Effekte

Θ ( λ ) = const. ( ε L − ε R ) ⋅ c ⋅ d etwas aufwendiger: Zunächst wird durch einen Mono-


(8.18)
chromator Licht einer Wellenlänge λ erzeugt, das dann
linear polarisiert wird. Die Polarisationsebene des Lichts
Dabei bedeuten d wieder die Schichtdicke der Küvette wird dann mit einem Modulator, der unter dem Einfluss
und c die Konzentration der Probe. Die Abhängigkeit eines hochfrequenten elektrischen Wechselfelds alterna-
der Elliptizität Θ von der Wellenlänge λ wird im tiv eine links- und eine rechts zirkular polarisierte Welle
CD-Spektrum aufgezeichnet. erzeugt, moduliert, sodass ein synchron dazu geschalte-
In . Abb.  8.34 sind ein CD-Spektrum (a) und ein
  ter Detektor alternativ IL und IR detektiert. Daraus kann
ORD-Spektrum (b) nebeneinander dargestellt. Beim die Elliptizität Θ bei einer Wellenlänge berechnet werden
CD-Spektrum ist die Differenz der molaren Absorptions- oder bei Variation der Wellenlänge ein CD-Spektrum
koeffizienten gegen die Wellenlänge aufgetragen; beim aufgenommen werden.
ORD-Spektrum die Differenz der Brechungsindizes Die wohl wichtigste Anwendung der CD-Spektrosko-
nL – nR. Die abgebildeten Kurven entsprechen einer Ab- pie ist die Analyse von Proteinsekundärstrukturen. Da
sorptionsbande in einem optisch aktiven Chromophor. für diese Zwecke der Spektralbereich von etwa 160–
Eine ORD- bzw. eine CD-Kurve dieser Form wird auch 250  nm untersucht wird, spricht man oft von
Cotton-Effekt genannt. Cotton-Effekte können positiv UV-CD-Spektroskopie. In diesem Spektralbereich liegen
oder negativ sein, wie in . Abb. 8.34 gezeigt. Dabei zei-
  die n→π*- und die π→π*-Übergänge der Peptidbindung,
gen jeweils zwei Enantiomere eines Moleküls denselben die im Absorptionsspektrum nur schwach und vor allem
Cotton-Effekt mit jeweils entgegengesetztem Vorzeichen. überlappt liegen, sodass sie diagnostisch kaum ausgewer-
Sowohl die bei der ORD-Spektroskopie auftreten- tet werden können. Aufgrund der Chiralität dieser Struk-
den Unterschiede in den Brechungsindizes als auch die turen ist aber das CD-Spektrum eines Peptids äußerst
Unterschiede in den Absorptionskoeffizienten bei der empfindlich für seine Sekundärstruktur. Dies lässt sich
CD-Spektroskopie sind klein im Verhältnis zum Bre- anhand von Modellpeptiden zeigen, die abhängig von äu-
chungsindex selbst bzw. zum Absorptionskoeffizienten. ßeren Bedingungen verschiedene Sekundärstrukturen
So werden beispielsweise bei der ORD-Spektroskopie zeigen. So zeigt beispielsweise Poly-­l-­Lysin bei pH-Wer-
für Aminosäuren nur Drehwinkel bis zu wenigen Grad ten unterhalb pH 10 α-helikale Struktur, oberhalb dieses
bei Schichtdicken von mehreren Zentimetern und Kon- pH-Werts eine ungeordnete Knäuelstruktur; dieser Über-
zentrationen von ca.  1  mM gemessen, und der Unter- gang lässt sich sehr genau im CD-Spektrum verfolgen.
schied in den Absorptionskoeffizienten Δε = εL – εR liegt Um die Sekundärstruktur eines noch nicht charakteri-
oft nur bei 10–3 oder weniger des Absorptionskoeffizien- sierten Proteins zu analysieren, nimmt man zunächst ein
ten selbst. Die Messtechnik für CD-Spektren ist daher CD-Spektrum dieses Proteins auf und passt diesem an-
Spektroskopie
191 8
schließend mathematisch eine Linearkombination von Literatur und Weiterführende Literatur
Beiträgen des CD-Spektrums einer reinen α-helikalen
Struktur, einer reinen β-Faltblattstrukur und einer reinen Cantor CR, Schimmel PR (1980) Biophysical chemistry Part II:
Knäuelstruktur an. Aus den Gewichtungsfaktoren für techniques for the study of biological structure and function.
W.H. Freeman and Company, New York
die Anpassung der einzelnen Sekundärstrukturkompo-
Colthup NB, Daly LH, Wiberley SE (1990) Introduction to infrared
nenten erhält man schließlich die Anteile für das unbe- and Raman spectroscopy. Academic Press, Boston
kannte Protein. Demtröder W (2005) Molecular physics. Wiley-VCH, Weinheim
Ein Beispiel für die Konformationsuntersuchungen Freifelder D (1982) Physical Biochemistry. W. H. Freeman, New York
an Peptiden ist in 7 Kap.  26 dargestellt. Neben der

Galla H-J (1988) Spektroskopische Methoden in der Biochemie.
Thieme, Stuttgart
Analyse der Sekundärstruktur kann die CD-Spektros-
Gottwald H (1998) UV/Vis-Spektroskopie für Anwender. VCH-­
kopie auch für Untersuchungen zur Faltung und Ent- Wiley, Weinheim
faltung von Proteinen eingesetzt werden. Dabei können Günzler H, Heise MH (1996) IR-Spektroskopie. VCH Wiley, Weinheim
beispielsweise Intermediate des Faltungsweges, also Haken H, Wolf C (1991) Molekülphysik und Quantenchemie. Sprin-
Zwischenstrukturen auf dem Weg zum nativ gefalteten ger, Heidelberg
Klessinger M, Michl J (1989) Lichtabsorption und Photochemie or-
Protein, nachgewiesen werden.
ganischer Moleküle. VCH-Wiley, Weinheim
Cotton-Effekte von Nucleinsäuren liegen im Bereich Mäntele W (2011) Biophysik. UTB-Verlag, Stuttgart
von 250–275 nm. Sie beruhen auf elektronischen Über- Schmidt W (2000) Optische Spektroskopie: Eine Einführung für Na-
gängen der Nucleotidbasen. Im sichtbaren Spektralbe- turwissenschaftler und Techniker, Bd 1994. VCH, Weinheim
reich und im nahen Infrarot kann die CD-­Spektroskopie Schmidt W (2005) Optical spectroscopy in chemistry and life scien-
ces. VCH Wiley, Weinheim
angewandt werden, um die Kopplung von Chromopho-
Siebert F, Hildebrandt P (2008) Vibrational spectroscopy in life sci-
ren zu untersuchen. Dabei macht man sich die Eigen- ence. Wiley VCH, Weinheim
schaften der engen elektronischen Kopplung von Chro- Smith K (Hrsg) (1989) The science of photobiology. Plenum Press,
mophoren zunutze, die zu einer Absenkung oder New York
Anhebung von elektronischen Niveaus führen können Steipe B, Skerra A (1997) GFP: Das Grün Fluoreszierende Protein.
Biospektrum 3:28–30
und die sich im CD-Spektrum als deutliche positiv/ne-
Turro N (1991) Modern molecular photochemistry. University Sci-
gative Bandenpaare auswirken. ence Books, Mill Valley
193 9

Lichtmikroskopische
Verfahren – Imaging
Thomas Quast und Waldemar Kolanus

Inhaltsverzeichnis

9.1  egbereiter der Mikroskopie – von einfachen Linsen zu


W
hochauflösenden Mikroskopen – 195

9.2 Moderne Anwendungsbereiche – 197

9.3 Physikalische Grundlagen – 197


9.3.1 Phänomene der Beugung und Bildentstehung – 201

9.4 Nachweismethoden – 202


9.4.1  istologische Färbungen – 203
H
9.4.2 Physikalische Färbungen – 203
9.4.3 Physikochemische Vorgänge bei Färbungen
(Elektroadsorption) – 204
9.4.4 Chemische Färbungen – 204
9.4.5 Fluoreszenzmarkierung – 204
9.4.6 Direkte und indirekte Immunfluoreszenzmarkierung – 204
9.4.7 In vitro-Markierung mit organischen Fluorochromen – 205
9.4.8 Fluoreszenzmarkierung für Live Cell Imaging – 205
9.4.9 In vivo-Markierung mit organischen Fluorochromen – 205
9.4.10 Markierung mit Quantum Dots – 205
9.4.11 In vivo-Markierung mit fluoreszierenden Fusionsproteinen (GFP und
Varianten) – 206
9.4.12 Fluorochrome und Lichtquellen für die
Fluoreszenzmikroskopie – 207

9.5 Präparationsmethoden – 209


9.5.1 I solierte Zellen – 209
9.5.2 Gewebebiopsien – 210
9.5.3 Paraffinpräparate – 210
9.5.4 Gefrierschnitte – 211

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J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_9
9.6 Spezielle fluoreszenzmikroskopische Analytik – 211
9.6.1 c LSM (Confocal Laser Scanning Microscopy) – 211
9.6.2 Multi-Photon Fluorescence Microscopy – 212
9.6.3 Konfokale High-Speed-Spinning-Disk-Systeme
(Nipkow-Systeme) – 214
9.6.4 Live Cell Imaging – 214
9.6.5 Lichtmikroskopische Superauflösung jenseits des Abbe-Limits – 215
9.6.6 Messung von Molekülbewegungen – 217

Literatur und Weiterführende Literatur – 223


Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
195 9
55 Die Anfänge der Lichtmikroskopie gehen bis ins 17. Linsen zu experimentieren, um auch kleine Materialien
Jahrhundert zurück. Inspiriert durch die Entwicklung in der Nähe möglichst hoch zu vergrößern.
des Fernrohrs durch Galileo Galilei (1564–1642), be- Johannes Kepler (1571–1630) entdeckte das Gesetz
gann man zur Vergrößerung kleiner Objekte in der der Totalreflexion und das Brechungsgesetz für kleine
Nähe mit Linsen zu experimentieren. Das erste aus Einfallwinkel und konstruierte das erste zusammenge-
zwei Linsen zusammengesetzte Mikroskop wurde von setzte Mikroskop mit zwei Sammellinsen. Der Englän-
Robert Hooke (1635–1703) entwickelt. der Robert Hooke (1635–1703), der Niederländer An-
55 Ein Meilenstein der Lichtmikroskopie ist die Entde- toni van Leeuwenhoek (1632–1723) und der Italiener
ckung und Modifikation des grün fluoreszierenden Marcello Malpighi (1628–1694) gelten als die herausra-
Proteins (GFP), das vielfältige Anwendung im Bereich genden Wegbereiter der eigentlichen Lichtmikroskopie.
der hochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie und des Der englische Universalgelehrte Robert Hooke ent-
Live Cell Imaging findet (Nobelpreis für Chemie 2008: wickelte ein aus zwei Linsen zusammengesetztes Mikro-
Shimomura, Chalfie, Tsien). skop, mit dem er u.  a. fein geschnittene Korkscheiben
55 Ein weiterer Meilenstein ist die lichtmikroskopische untersuchte. Die dort entdeckten winzigen Kammern
Superauflösung jenseits des Abbe-Limits, mit der es beschrieb er 1665 in seinem Hauptwerk „Micrographia“
möglich ist, die optisch bedingte Begrenzung der Auf- (. Abb.  9.1) als Zellen. Zur Auflichtbeleuchtung des

lösung stark zu verbessern (Nobelpreis für Chemie Präparats wurde das Licht einer Ölfunzel durch eine
2014: Moerner, Hell, Betzig). Schusterkugel gebündelt. Er konstruierte Schleifappara-
55 Vielseitige Technik- und Methodenentwicklungen er- turen für Linsen, die jedoch im Feinbereich nicht zu der
lauben sowohl die Visualisierung von Strukturen als gewünschten Auflösung führten. Zudem hatte das zu-
auch die Lokalisation und Quantifizierung von Fluo- sammengesetzte Mikroskop von Hooke den großen
reszenzintensitäten und -dynamiken. Bei den Weiter- Nachteil, dass durch sphärische Aberration verursachte
entwicklungen werden in erster Linie Sensitivität, Ge- Abbildungsfehler durch die Kombination von Linsen
schwindigkeit und Hochauflösung optimiert. potenziert wurden. Viel später entdeckte man, dass die
55 Die Anwendungsbereiche der Lichtmikroskopie erstre- zu Unschärfe führende sphärische Aberration durch
cken sich von der Grundlagenforschung, Hochsatz- den Einsatz von Blenden reduziert werden kann. Die
analytik, medizinischen Diagnostik bis hin zur Quali- chromatische Aberration bewirkt Farbsäume am Rand
tätskontrolle. des Präparats und konnte erst viel später durch spezielle
Linsenkombinationen beseitigt werden.
Aus diesem Grund waren bis zum neunzehnten Jahr-
9.1  Wegbereiter der Mikroskopie – von hundert sog. einfache Mikroskope sehr beliebt, die ledig-
einfachen Linsen zu hochauflösenden lich aus einer Einzellinse bestanden. Kleine Linsendurch-
Mikroskopen
Erste optische Phänomene, die Grundlage für eine spä-
tere Entwicklung von einfachen Lichtmikroskopen wa-
ren, wurden bereits in der Antike studiert. Der griechi-
sche Philosoph Euklid (323–285 v. Chr.) beschäftigte
sich mit charakteristischen Eigenschaften von Licht, wie
der geradlinigen Ausbreitung und der Reflexion. Der rö-
mische Philosoph Seneca (1 v. Chr.–65 n. Chr.) nimmt in
seinen Abhandlungen Bezug auf den Vergrößerungsef-
fekt von Wasser. Im Niltal wurden bei Ausgrabungsar-
beiten Spiegel aus der Zeit um 1900 v. Chr. und in Pom-
peji planarkonvexe Linsen gefunden.
Der arabische Naturforscher Alhazen (965–ca. 1040)
beschrieb in seinem Hauptwerk „Große Optik“ Phäno-
mene von Licht und Reflexion und Eigenschaften von
sphärischen und parabolischen Spiegeln. In der Neuzeit
wurden in Europa durch den englischen Philosophen
Roger Bacon (1214–1292) optische Instrumente und
Linsen zur Sehkorrektur entwickelt.
Die Anfänge der Lichtmikroskopie gehen bis ins
siebzehnte Jahrhundert zurück. Inspiriert durch den
großen Erfolg des Fernrohrs, das Galileo Galilei (1564– ..      Abb. 9.1  Titelblatt des Hauptwerks Micrographia von dem eng-
1642) in der Astronomie verwendete, begann man mit lischen Universalgelehrten Robert Hooke (1635–1703)
196 T. Quast und W. Kolanus

messer erlauben extreme Krümmungen und dadurch Ende des neunzehnten Jahrhunderts gelang es Ernst
kurze Brennweiten. Der niederländische Tuchmacher und Abbe (1840–1905) mithilfe von Untersuchungen zu Effek-
Naturforscher Leeuwenhoek benutzte winzige, blasenfreie ten der Beugung von Lichtwellen (Diffraktion) und der Be-
Einzellinsen (. Abb. 9.2), die er mit enormer Gründlich-
  rechnung des Auflösungsvermögens (7 Abschn.  9.3), die

keit so lange schliff, bis er fast 270-fache Vergrößerungen Herstellung von Mikroskopen entscheidend zu verbessern.
erzielte. Neben der Untersuchung von Blut und Kapillar- Die Firma Carl Zeiss baute seit 1886 eine Serie von Objek-
gefäßen der Kaulquappen entdeckte er die Protozoen. tiven nach den Berechnungen der Optik von Abbe, die es
Aufzeichnungen von sich bewegenden Objekten, die er Anatomen ermöglichte, Strukturen im Bereich der theore-
1675  in einem Brief an die Royal Society of London tischen Auflösung von sichtbarem Licht zu erkennen. Die
schickte, deuten darauf hin, dass sein Auge als Erstes in maximale Auflösung eines Lichtmikroskops wird durch
der Geschichte das sah, was später unter den Namen Bak- die Wellenlänge des verwendeten sichtbaren Lichts be-
terien und Zellmotilität bekannt werden sollte (. Abb. 9.3).
  grenzt, die annähernd den Bereich von 400 nm (violett) bis
Der italienische Arzt und Gelehrte Marcello Mal- 700 nm (dunkelrot) umfasst.
pighi (1628–1694), der als Pionier der Untersuchung Das Mikroskop wurde allmählich zum Hilfsmittel
von Pflanzenanatomie und Physiologie angesehen wird, der naturwissenschaftlichen Forschung. Ein Meilen-
entdeckte mithilfe von mikroskopischen Techniken in stein dieser Entwicklung war 1838/39 die durch Mat-
der Lunge des Froschs ein Gewirr von Blutgefäßen. thias J. Schleiden und Theodor Schwann propagierte
Theorie, dass alle Pflanzen und Tiere aus Zellen beste-
hen. Die zellbiologische Forschung begann mit lichtmi-
kroskopischen Techniken, die sich bis heute, neben elek-
9 tronenmikroskopischen Verfahren, zu unverzichtbaren,
vielseitig einsetzbaren Visualisierungsmethoden im bio-
analytischen Bereich entwickelt haben.
Mithilfe von Anilinfarbstoffen gelang es dem deut-
schen Mediziner und Mikrobiologen Robert Koch
(1843–1910), Mikroorganismen anzufärben und die
Erreger von Tuberkulose und Cholera zu identifizie-
ren. Mit der Erfindung der Phasenkontrastmikrosko-
pie durch den Nobelpreisträger Frits Zernike (1888–
..      Abb. 9.2  Einfaches Mikroskop, konstruiert von dem holländi-
schen Kaufmann Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723). Das Mik- 1966), der Interferenzmikroskopie durch Lebedeff und
roskop besteht aus einer winzigen Linse bzw. einem Vergrößerungs- dem von Georges Nomarski (1919–1997) entwickelten
glas, wie sie Tuchmacher zur damaligen Zeit benutzten, um die Differenzial-Interferenzkontrastverfahren wurde die
Stoffqualität zu beurteilen. Die von Leeuwenhoek selbst geschliffe- Mikroskopie von ungefärbten, lebenden Zellen mög-
nen Linsen wurden in Metallfassungen eingeklemmt. Mithilfe dieses
lich (7 Abschn. 9.3).

einfachen Mikroskops konnte Leeuwenhoek Präparate mit einer
270-fachen Vergrößerung betrachten, was die Leistung der ersten 1941 etablierte Albert Coons die spezifische Markie-
mehrlinsigen Mikroskope bei Weitem übertraf. (Quelle: Deutsches rung von zellulären Antigenen mittels fluoreszenzmar-
Museum, München) kierter Antikörper. Das Prinzip der konfokalen Mikro-
skopie wurde 1957 von Marvin Minsky patentiert. Auf
dieser Grundlage fertigten David Egger und Mojmir
Petran 1968 das erste konfokale Laser Scanning Micro-
scope (LSM) auf der Basis eines Spinning-Disk- (Nip-
kow-)Systems (7 Abschn.  9.6). Aufgrund der Kombi-

nation von verbesserter Computer- und Lasertechnologie


mit neuartigen Algorithmen zur digitalen Bildverarbei-
tung wurde der kommerzielle LSM-Einsatz seit Mitte
der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts stark ausgewei-
tet. Die jüngsten Entwicklungen konzentrieren sich in
erster Linie auf die Verbesserung der Auflösung sowie
die Beschleunigung der Bildaufnahmerate. Mithilfe von
klimatisierbaren Inkubatoren (Kontrolle von Tempera-
tur, CO2, Humidität), motorisierten Mikroskopsteue-
..      Abb. 9.3  Erste Zeichnung von Bakterien. Bei der Untersuchung von rungen und leistungsfähigen, sensitiven Detektionssys-
Zahnbelag entdeckt Antoni van Leeuwenhoek vermutlich als Erster
Bakterien. Die abgebildeten Aufzeichnungen von sich bewegenden Bak-
temen (Digitalkameras, Photomultiplier) ist es möglich,
terien schickt er Ende des siebzehnten Jahrhunderts in einem Brief an die Gewebe, Zellen und die Dynamik ihrer molekularen Be-
Royal Society of London. (Quelle: Deutsches Museum, München) standteile live über längere Zeiträume zu visualisieren.
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
197 9
Moderne Bildbearbeitungsprogramme erlauben zudem Elektronenmikroskopische Techniken ermöglichen
das Anfertigen von 4D-­Rekonstruktionen und die quan- zwar eine wesentlich höhere Auflösung, haben aber den
titative Auswertung von Zeitserien. großen Nachteil, dass Zellen nicht lebend untersucht
Die Möglichkeiten der Fluoreszenzmikroskopie werden können. Zudem sind die Präparationsmethoden
wurden wesentlich durch die Entdeckung und Entwick- für die Elektronenmikroskopie meist wesentlich zeitauf-
lung des grün fluoreszierenden Proteins (GFP) verbes- wendiger als für die Lichtmikroskopie.
sert, für die Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Weiterhin gestatten diverse Spezialentwicklungen im
Roger Tsien im Jahr 2008 den Chemie-Nobelpreis be- Bereich des Live Cell Imaging (FRET, FLIP, FRAP,
kamen. 1994 konnte GFP erstmals außerhalb der fluo- Einzelmolekülmarkierung; 7 Abschn. 9.6) das „Mani-

reszierenden Qualle Aequorea victoria (. Abb.  9.7A)


  pulieren“ von fluorochromierten Molekülen mithilfe
exprimiert werden, ein wesentlicher Fortschritt um das von Lasern und die Analyse von Interaktionen auf mo-
Protein als genetischen Marker einzusetzen. Das äußerst lekularer Ebene in Echtzeit (7 Abschn. 9.6).

stabile GFP (. Abb. 9.7B) kann mit beliebigen Protei-


  Lichtmikroskopische Technologien sind auch in der
nen fusioniert werden und ermöglicht nach der zellulä- medizinischen Diagnostik, insbesondere bei der patho-
ren Expression als spezifischer Fluoreszenzmarker die logischen Analyse von Gewebebiopsien (z. B. chemische
räumliche und zeitliche Lokalisation von Proteinen in Färbungen an Paraffinschnitten) und Blut von großer
lebenden Zellen. Das Gen wurde inzwischen vielfach Bedeutung. Auch bei neuro- und mikrochirurgischen
modifiziert, sodass Proteine entstanden sind, die in an- Operationen kommen hochauflösende optische Systeme
deren Farben fluoreszieren. Auf diese Weise wird große zum Einsatz. Ein interessantes Einsatzgebiet der in vivo
Flexibilität bei der gleichzeitigen Lokalisation von Fu- konfokalen LSM ist beispielsweise die Untersuchung
sionsproteinen in Zellen ermöglicht (7 Abschn. 9.4).
  von Basalzellkarzinomen. Mit einer Eindringtiefe von
maximal 200 μm in die menschliche Haut bietet dieses
Verfahren präoperative Diagnosemöglichkeiten, indem
Veränderungen des Gewebes oder der Gefäßausbildung
9.2  Moderne Anwendungsbereiche
als karzinomtypische Kriterien herangezogen werden.
Im Bereich der Zahnheilkunde wird dieses Verfahren be-
Die Vielfalt unterschiedlicher Techniken und die Mög-
reits für die Inspektion oraler Implantate verwendet, um
lichkeit der hochauflösenden Visualisierung und an-
die Kontaktzone zwischen Gewebe und Implantat zu
schließenden computergestützten Bild- und Datenver-
analysieren.
arbeitung sind Grund für den weitverbreiteten Einsatz
von Lichtmikroskopen nicht nur in den Lebenswissen-
schaften, sondern auch in der Materialkunde. Im Be-
reich der biologischen und medizinischen Grundlagen- 9.3  Physikalische Grundlagen
forschung werden Lichtmikroskope beispielsweise in der
Zellbiologie, den Neurowissenschaften, der Immunbio- Zum besseren Verständnis der physikalischen Eigen-
logie, der Entwicklungsbiologie und der Botanik einge- schaften eines Mikroskops und der Arbeitsvorgänge
setzt. Weiterhin finden sie Verwendung in der medizini- (Präparation und Analyse) werden im folgenden Glos-
schen Diagnostik und Therapie, der Qualitätssicherung sar einige wichtige Begriffe erklärt.
in der Pharma- und Lebensmittelindustrie und im Be-
reich von Boden- und Gewässerkunde. Mikroskopisches Glossar
Die Lichtmikroskopie in den Biowissenschaften be- Achromatisches Objektiv
schränkt sich längst nicht mehr auf die rein strukturelle Die Achromaten sind die am weitesten verbreiteten
Lokalisierung und Charakterisierung bestimmter sub- Objektive in der Mikroskopie. Die Abbildungsfehler
zellulärer Komponenten in fixierten Zellen und Gewe- dieser Objektive sind nicht in dem Maße korrigiert
ben mithilfe spezieller Nachweismethoden (z. B. fluores- wie dies beispielsweise bei den Planachromaten und
zenzbasierte und chemische Färbungen), sondern den Planapochromaten der Fall ist. Durch ihren ein-
umfasst auch die Untersuchung dynamischer Vorgänge facheren mechanischen und optischen Aufbau sind
in lebenden Zellen und Geweben. Dieses wird in erster Achromaten immer die preisgünstigsten Objektive
Linie durch die Automatisierung der Bildaufnahme und eines Herstellers und für viele mikroskopische Routi-
die computergestützte Motorisierung der Mikroskop- neuntersuchungen gut geeignet.
steuerung (Kreuztisch, Objektive, Autofokus, Fluores- Apochromatisches Objektiv
zenzfilter, Licht-­Shutter) ermöglicht. Diese als sog. Live Bei apochromatischen Objektiven werden die
Cell Imaging bezeichnete Technik macht es möglich, so- Farbsäume in der mikroskopischen Abbildung durch
wohl langsame als auch sehr schnell ablaufende zelluläre eine aufwendige Anordnung spezieller Linsen im Ob-
und intrazelluläre Vorgänge an lebenden Zellen in jektiv unterdrückt.
„Echtzeit“ zu detektieren (7 Abschn. 9.6).

198 T. Quast und W. Kolanus

Aperturblende sitzt einen anderen Lichtbrechungsindex als Luft und


Die Aperturblende ist eine Irisblende unterhalb beeinflusst damit den Verlauf des vom Präparat kom-
des Kondensors. Mit dieser Blende wird ein Kompro- menden Lichts. Dieses Phänomen muss bei der Kons-
miss zwischen der Auflösung einerseits und dem Kon- truktion eines Objektivs berücksichtigt werden. Übli-
trast andererseits eingestellt (sog. Beleuchtungsaper- cherweise sind Objektive für Deckglasdicken von
tur). Beim Öffnen der Blende nimmt die Auflösung 0,17 mm korrigiert.
zu, der Kontrast wird jedoch zunehmend reduziert; Interferenz
umgekehrt führt ein Schließen der Blende zu erhöh- Interferenz beschreibt die Überlagerung von zwei
tem Kontrast, dann jedoch zulasten der Auflösung. oder mehreren Wellen während ihrer Durchdringung,
Da sich gleichzeitig auch die Helligkeit des mikrosko- das heißt die Addition ihrer Amplituden und nicht
pischen Bilds verändert, wird die Aperturblende der Intensitäten. Unter konstruktiver Interferenz ver-
fälschlicherweise oftmals auch zur Regulierung der steht man die Amplitudenverstärkung, unter destruk-
Helligkeit eingesetzt. Dies ist einer der typischen Feh- tiver Interferenz die gegenseitige Wellenlöschung.
ler bei der Handhabung des Mikroskops. Die Hellig- Kreuztisch
keit wird entweder über den eingebauten Regler oder Für das vibrationsarme und systematische Durch-
durch Filter reduziert. mustern eines Präparats ist eine als Kreuztisch be-
Arbeitsabstand zeichnete Präparathalterung notwendig. Hierdurch
Der Abstand zwischen der Frontlinse des Objek- wird eine sehr exakte Führung des Objektträgers in
tivs und dem „Träger“ des Präparats (z.  B.  Deck- der x-, y- und z-Ebene ermöglicht. Mittlerweise sind
9 glas, Zellkulturschale) wird als Arbeitsabstand be- motorisierte Kreuztische erhältlich, die eine automa-
zeichnet. Die stärker vergrößernden Objektive mit tische Positionsverstellung in den drei Ebenen ermög-
hohem Auflösungsvermögen haben hierbei die ge- licht.
ringsten Arbeitsabstände (teilweise <0,20 mm). Um Kondensor
Objektiv und Präparat zu schützen verfügen derar- Unter dem Präparat befindet sich ein Linsensys-
tige Objektive meist über eine federnd gelagerte tem, vor dem noch eine verstellbare Irisblende (Aper-
Frontlinse. Daher lassen sich diese Objektive bei turblende; nur bei Hellfeldkondensoren – bei Dunkel-
größeren Arbeitsabständen, wie sie beispielsweise feldkondensoren fehlt eine Aperturblende) angebracht
bei der mikroskopischen Beobachtung auf Plastik- ist. Diese Bauteile werden im Kondensor zu einer Ein-
böden von Zellkulturschalen auftreten würden, heit zusammengefasst. Das Mikroskoplicht durch-
nicht verwenden. läuft, bevor es auf das Präparat trifft, zunächst diesen
Beleuchtungsoptimierung nach Köhler Kondensor. Die Funktion des Kondensors besteht in
Bei einer von August Köhler (1866–1948) veröf- der optimalen „Aufbereitung“ und Anpassung des Mi-
fentlichten Methode wird die Beleuchtungseinrich- kroskopielichts. Die Beleuchtung eines Mikroskops
tung eines Mikroskops so eingestellt, dass bei maxi- besteht somit aus einer Lichtquelle (z.  B.  Halogen-
maler Lichtausbeute eine homogene Ausleuchtung lampe) und dem Kondensor. Die Lichtquelle sorgt für
des Präparats erreicht wird (sog. Köhlern). die nötige Helligkeit (Lichtquantität), der Kondensor
Binokulartubus für die notwendige Lichtführung (Lichtqualität).
Ein Binokulartubus ermöglicht die gleichzeitige Kohärentes Licht
Beobachtung eines Präparats mit beiden Augen. Mit Die Bezeichnung Kohärenz entstammt dem wel-
diesen Tuben sieht man nicht mehr als mit einem Mo- lenoptischen Modell des Lichts. Lichtwellen, die die
nokulartubus und gewinnt auch keinen räumlichen nachfolgenden Kriterien erfüllen, werden als kohä-
Bildeindruck. Allerdings gestalten sich mikroskopi- rent bezeichnet:
sche Untersuchungen mit derartigen Beobachtungs- 55 gleiche Wellenlänge
tuben komfortabler und auch ermüdungsfreier als 55 die Wellen schwingen in der gleichen Ebene
mit den einfacheren Monokulartuben. 55 die Wellen wirken zum gleichen Zeitpunkt am
Deckglas gleichen Ort
In der Regel wird ein mikroskopisches Präparat
auf einen Glasobjektträger gebracht und anschlie- Nur Lichtwellen, die das Kriterium der Kohärenz er-
ßend mit einem Deckglas abgedeckt. Besonders bei füllen, sind in der Lage zu interferieren.
stärker vergrößernden Objektiven ist die Abdeckung Leuchtfeldblende
des Präparats auch aus optischen Gründen erforder- Die Leuchtfeldblende ist eine verstellbare Iris-
lich (s. Einschluss, 7 Abschn. 9.5). Das Deckglas be-
  blende und befindet sich bei Mikroskopen mit Köh-
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
199 9
halb derer das Auge das Objekt nicht mehr deutlich er-
lerscher Beleuchtung im Mikroskopstativ. Bei korrekt kennen kann. Bei einem erwachsenen Menschen liegt
eingestellter Beleuchtung wird durch diese Blende le- dieser Mindestabstand bei etwa 250 mm. Die Maßein-
diglich der gerade untersuchte Präparatausschnitt heit für die Fähigkeit, zwei Punkte zu unterscheiden,
ausgeleuchtet. Dadurch wird das Präparat vor über- wird als Auflösungsvermögen bezeichnet. Mithilfe von
mäßiger Lichteinstrahlung geschützt und die Entste- vergrößernden Linsen lässt sich die Auflösungsgrenze
hung von kontrastminderndem Streulicht minimiert. steigern. Die Vergrößerung der Linse lässt sich nach fol-
Objektivabgleich gender Formel berechnen:
Bei der mikroskopischen Arbeit muss ständig
zwischen den unterschiedlich stark vergrößernden V = 250 ( mm ) / f ( mm ) (9.1)

Objektiven des Mikroskops gewechselt werden. Bei
mit:
modernen Objektiven sollte das Präparat nach einem
V - Vergrößerung
derartigen Wechsel ohne wesentliche Nachfokussie-
rung weiterhin scharf zu erkennen sein. Objektive, 250 mm - Distanz zwischen Auge und Abbild
welche diese Eigenschaft besitzen, werden als unter- f - Brennweite der Linse
einander abgeglichen oder höhenkorrigiert bezeichnet.
Phasenkontrastkondensor Eine stärkere Vergrößerung kann durch die Verwendung
Für die Untersuchung im Phasenkontrast ist ein von zwei hintereinander angeordneten Linsen erzielt
spezieller Kondensor, der Phasenkontrastkondensor, werden. Diese Konstruktion entspricht bereits einem
notwendig. Dieser Kondensor verfügt über die sog. einfachen Mikroskop mit zwei Linsen (Objektiv und
Phasenblenden, welche die Aperturblende des Hell- Okular, . Abb. 9.4A). Das Objektiv vergrößert das Ob-

feldmikroskops bei der Untersuchung im Phasenkon- jekt (O) und bildet ein vergrößertes reales Bild (O′) vor
trast ersetzen. die Brennebene der zweiten Linse, d. h. des Okulars. Das
Phasenkontrastobjektiv Okular erzeugt dann ein vergrößertes, virtuelles Bild
Für den Phasenkontrast sind spezielle Objektive (O″), das als ein Abbild in einer Distanz von 250  mm
notwendig. Bei diesen Objektiven befindet sich im angesehen werden kann. Demnach berechnet sich die
Bereich der hinteren Brennebene ein dunkler Ring, Vergrößerung eines Mikroskops wie folgt:
der als Phasenring bezeichnet wird. Die stärker ver-
VMikroskop = VObjektiv · VOkular (9.2)
größernden Phasenkontrastobjektive liefern im Hell-
feld mitunter keine befriedigenden Ergebnisse.
In den letzten Jahren findet die Unendlichoptik bei al-
Planachromatisches Objektiv
len größeren Herstellern zunehmend Verbreitung. Der
Die Planachromaten sind so korrigiert, dass die
Strahlengang im Mikroskop ist bei diesen Geräten da-
normalerweise im mikroskopischen Bild auftretende
hingehend verändert, dass die Lichtstrahlen, nachdem
Bildfeldwölbung eliminiert wird.
sie das Objektiv verlassen haben, im Unendlichraum
Planapochromatisches Objektiv
parallel verlaufen (. Abb. 9.4B). In diesem Unendlich-

Die Planapochromaten besitzen von allen Objek-


raum können nun Eingriffe vorgenommen werden, für
tiven die aufwendigste Konstruktion. Bei diesen Ob-
die bei konventionellen Mikroskopen mit Endlichoptik
jektiven ist die Bildfeldwölbung, wie bei den Plan-
prinzipiell Zwischentuben notwendig sind (Differenzi-
achromaten, weitgehend beseitigt. Zusätzlich werden
al-Interferenzkontrast, Fluoreszenzmikroskopie). Der
bei diesen Objektiven die normalerweise auftretenden
Unendlichraum endet an der im Tubus integrierten Tu-
roten und blauen Farbsäume durch die sehr aufwen-
buslinse. Diese Linse hat zusätzlich noch die Funktion,
dige Konstruktion unterbunden.
das Zwischenbild besonders in chromatischer Hinsicht
Point Spread Function (PSF)
zu optimieren. Die Bauweise ist stabiler und flexibler,
Die PSF (Punktspreizfunktion) beschreibt in der
da auf die herkömmlichen Zwischentuben verzichtet
Optik die Wirkung von bandbegrenzenden Einfluss-
wird.
faktoren (Beugungserscheinungen, Abbildungsfehler
Die Höhe der Auflösung ist letztendlich limitiert
und andere). Die Funktion gibt an, wie ein punktför-
durch die Eigenschaften des Objektivs. Diese Eigen-
miges, idealisiertes Objekt durch ein System abgebil-
schaften werden nicht nur durch die Höhe der Vergröße-
det würde.
rung, sondern auch durch die sog. Numerische Apertur
(NA) des Objektivs bedingt. Die Numerische Apertur
ist definiert aus dem Produkt des halben Sinuswinkels α
Je näher ein Objekt zum Auge geführt wird, desto mehr des Lichtkegels von jeder Stelle des Objekts, die von dem
Details können wahrgenommen werden. Dieser Grund- Objektiv erfasst werden kann, und dem Brechungsindex
satz gilt aber nur bis zu einer bestimmten Grenze, unter- des Mediums, in dem sich das Objekt befindet (n).
200 T. Quast und W. Kolanus

..      Abb. 9.4  Strahlengang eines Okular


Mikroskops A, Prinzip der Unendlich- L
optik B. (Modifiziert nach Davidson Auge
und Abramowitz 2002) Objektiv
O''
Objekt Zwischenbild
O O'
h
A
h'

z f fb z’
a b

Okular
L
Auge
Objektiv
Objekt O''
Zwischenbild
O O'
h
B
h'

9
paralleler
Strahlengang
„Unendlichkeitsraum”

NA = n·sin α (9.3) mit:


d - Auflösung
mit:
λ - Wellenlänge des verwendeten Lichts
NA - Numerische Apertur
NAObjektiv - Numerische Apertur des Objektivs
n - Brechungsindex des Mediums
sin α - halber Winkel des emittierten Lichts Bei der Verwendung von Licht mit einer Wellenlänge
λ = 550 nm ergibt sich folgende Auflösung:
Normalerweise handelt es sich bei dem das Objekt um-
gebenden Medium um Luft mit einem Brechungsindex d = 550 ( in nm ) / ( 2 · 1,40 ) ≈ 200 nm
n = 1. Da der Winkel α niemals größer als 90° sein kann,
200  nm ist die höchste theoretische Auflösung, die mit
kann die Numerische Apertur nie mehr als NA = 1 be-
einem Lichtmikroskop erreicht werden könnte. Grob ab-
tragen. Der tatsächliche maximale Wert liegt aber bei
geschätzt ergibt sich die Auflösung eines Lichtmikros-
NA = 0,95, da die Distanz zwischen dem Objektiv und
kops bei der Verwendung eines hochaperturigen Immer-
der Oberfläche des Deckglases in keinem Fall einen Wert
sionsöls aus der Hälfte der Wellenlänge des verwendeten
von Null betragen kann. Eine Numerische Apertur von
Lichts. Wenn die Auflösungsgrenze des Lichtmikroskops
0,95 entspricht einem Winkel α von annähernd 72°. Eine
bekannt ist, kann die maximal nutzbare Vergrößerung
Steigerung der Numerischen Apertur kann durch die
ermittelt werden. Eine Vergrößerung wird dann als nutz-
Verwendung eines Mediums erreicht werden, dessen
bar oder sinnvoll betrachtet, wenn zwei gerade noch un-
Brechungsindex größer ist als der von Luft. Die Verwen-
terscheidbare Punkte so stark vergrößert werden, dass
dung eines speziellen Immersionsöls mit einem Bre-
sie mit dem menschlichen Auge als separate Einheiten
chungsindex n  =  1,515 hat sich als nützlich erwiesen.
wahrgenommen werden können. Bei einem Objektab-
Noch größere Brechungsindices sind wenig sinnvoll, da
stand zum Auge von 250  mm liegt das Auflösungsver-
die Numerische Apertur ebenfalls durch den Brechungs-
mögen des menschlichen Auges zwischen 150 und
index des Objektivs n = 1,525 limitiert wird. Das Auflö-
200 μm. Als Faustregel für eine nutzbare Vergrößerung
sungsvermögen d wird bedingt durch die Wellenlänge
gilt folgende Formel:
des verwendeten Lichts λ und die Numerische Apertur
des Objektivs (NAObjektiv): 500 bis 1000 · NA Objektiv (9.5)

d = λ / NA Objektiv (9.4)

Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
201 9
mit: nommen. Die Bereiche des Präparats, die nicht vom Auge
NAObjektiv - Numerische Apertur des Objektivs erfasst werden können, lassen das Licht passieren. Je nach
Beschaffenheit des Präparats werden die Lichtwellen aber
Ein Objektiv mit einer Numerischen Apertur NAObjektiv = in ihrer Phasenlage verändert, da ihre Geschwindigkeit
1,4 besitzt dementsprechend eine nutzbare Vergröße- bei dem Durchtritt durch das Präparat verringert wird. Es
rung von annähernd 1400-fach. ist schwierig, solche Phasenunterschiede zu detektieren,
da sie weder vom Auge noch von einer Kamera erkannt
werden können. Gelöst wurde dieses Problem, indem
9.3.1  hänomene der Beugung
P durch Manipulation im Strahlengang des Mikroskops die
und Bildentstehung Phasenunterschiede in Amplitudenunterschiede über-
führt wurden (Frits Zernike, 7 Abschn. 9.1).

Auf das Phänomen, dass Licht sowohl als Welle als auch Für die Phasenkontrastmikroskopie benötigt man ei-
als Teilchen beschrieben werden kann, wird hier nicht nen Spezialkondensor mit einer Ringblende und einen
ausführlicher eingegangen. Der Schwerpunkt wird im sog. Phasenring, der sich in der hinteren Brennebene des
Folgenden auf die grundsätzlichen Eigenschaften der Objektivs befindet. Der Phasenring hat die Funktion, die
Wellennatur von Licht gelegt, um die mikroskopische Helligkeiten von gebeugtem und ungebeugtem Licht an-
Bildentstehung zu verstehen. Dabei wird die Funktions- zugleichen, da die durch das Präparat direkt hindurch-
weise moderner lichtmikroskopischer Techniken, wie tretenden Lichtstrahlen in ihrer Intensität abgeschwächt
beispielsweise Phasenkontrast-, Polarisations- und In- werden. Im Gegensatz zu einem konventionellen Hell-
terferenzmikroskopie, vorgestellt. feldbild erscheint der Hintergrund eines Phasenkontrast-
bilds daher dunkel. Außerdem bewirkt der Phasenring
Wellenlänge und Interferenz von Licht  Die Wellenlänge
eine Verstärkung der Phasenverschiebung. Ergebnis ist,
des sichtbaren Lichts liegt in einem Bereich zwischen 400 dass durch Interferenz zwischen gebeugtem und nicht ge-
und 800 nm. Unter Interferenz versteht man den wechsel- beugtem Lichtstrahl Wellenberg auf Wellental folgen
seitigen Einfluss von zwei Lichtwellen, wobei die resultie- und es zur Auslöschung kommt. Der Nachteil dieser ver-
renden Scheitelpunkte entweder zu einer Steigerung oder stärkten Phasenverschiebung liegt darin, dass ab einer
zu einer Abflachung der Amplitude führen können. Der kritischen Dicke der Präparate (üblicherweise im Bereich
Extremfall ergibt sich durch zwei Wellen, die sich gegen- von Zellkernen) sog. Halo-­Effekte auftreten.
seitig auslöschen (s. Interferenzkontrastmikroskopie).
Als Beugung bezeichnet man die partielle Umlen-
Dunkelfeldmikroskopie  Voraussetzung für die Durchfüh-
kung des Lichtstrahls an den Kanten lichtundurchlässi-
rung der Dunkelfeldmikroskopie ist die Verwendung eines
ger Objekte.
Spezialkondensors, dessen Apertur so groß ist, dass die di-
Hellfeldmikroskopie  Die Hellfeldmikroskopie gehört zu rekt aus ihm austretenden Lichtstrahlen am Objektiv vor-
den klassischen mikroskopischen Verfahren, mit denen beigehen. Lediglich bei dem Einbringen eines Präparats in
Präparate möglichst objektgetreu vergrößert abgebildet den Strahlengang wird das vom Präparat gebeugte Licht
werden können. Sogenannte Amplitudenpräparate wie in das Objektiv gelenkt. Die abgebildeten Strukturen
beispielsweise gefärbte Ausstriche oder histologische ­erscheinen hell leuchtend vor dunklem Hintergrund.
Schnitte lassen sich gut mit einem herkömmlichen Hell-
feldmikroskop untersuchen. Bei transparenten Präpara- Fluoreszenzmikroskopie  Die derzeit verfügbaren Fluo-
ten stößt das Hellfeldmikroskop jedoch an seine Grenzen. reszenzfarbstoffe, die Methoden der spezifischen Mar-
Derartige Präparate werden durch das Hellfeldverfahren kierung (beides 7 Abschn. 9.4) sowie moderne Anwen-

nur extrem kontrastarm abgebildet. Deshalb wurden vor dungsmöglichkeiten im Bereich der Lichtmikroskopie
allem im 20. Jahrhundert zahlreiche optische Kontrast- und des Live Cell Imaging (7 Abschn. 9.6) werden de-

verfahren wie z. B. der Phasenkontrast entwickelt. tailliert in den angegebenen Abschnitten beschrieben.
Der Schwerpunkt hier wird auf die Funktionsweise
Phasenkontrastmikroskopie  Eine grundsätzliche Schwie- eines Fluoreszenzmikroskops gelegt (. Abb. 9.5). Vor-

rigkeit bei der mikroskopischen Beobachtung von biolo- aussetzung für die fluoreszenzmikroskopische Visuali-
gischen Objekten ist ihr geringer Kontrast. Nur wenn ein sierung ist die Verwendung von Fluorochromen, die ei-
ausreichender Kontrast besteht oder dieser durch die Ver- nen Teil ihres absorbierten Lichts wieder als Licht einer
wendung von kontrastverstärkenden Farbstoffen erreicht längeren Wellenlänge emittieren.
werden kann (7 Abschn. 9.4), können biologische Struk-
  Ein Fluoreszenzmikroskop muss über eine starke
turen lichtmikroskopisch visualisiert werden. Lichtabsor- Lichtquelle (z.  B.  HBO-Lampe, 7 Abschn.  9.4), über

bierende Bereiche eines Präparats schwächen die Ampli- einen Anregungsfilter und einen Sperrfilter verfügen.
tude der durch sie hindurchtretenden Lichtwellen ab. Der Anregungsfilter wird unterhalb des Präparats in den
Diese Abschwächungen der Amplituden werden vom Strahlengang eingebracht. Er hat die Aufgabe, dass nur
menschlichen Auge als Helligkeitsunterschiede wahrge- die für das jeweilige Fluorochrom charakteristische, an-
202 T. Quast und W. Kolanus

Detektor Filter (Analysator) ist oberhalb des Objektivs positioniert.


(Okular, CCD-Kamera) Der Einsatz von Polarisationsmikroskopen ist nur dann
sinnvoll, wenn Präparate mit Polarisationseigenschaften
untersucht werden sollen. Hauptanwendung findet dieses
strahlenteilender Verfahren daher in der Mineralogie. Im Bereich der bio-
(=dichroitischer)
Spiegel analytischen Forschung ist die Verwendung dieser Tech-
Lichtquelle nik selten und bisher auf den botanischen Bereich be-
(z.B. HBO- schränkt (z.  B.  Untersuchung des Aufbaus von
Lampe) Stärkekörnern oder von Cellulosefibrillen).

Interferenzkontrastmikroskopie  Basierend auf der Pola-


risationsmikroskopie wurde die Differenzial-Interferenz-
kontrastmikroskopie entwickelt. Im Unterschied zum
Polarisationsmikroskop benötigt man hier neben Polari-
Objektiv sator und Analysator zwei Wollaston-Prismen, die aus je
zwei verkitteten Kalkspatkeilen bestehen. An der Kittflä-
gewünschte che wird ein polarisierter Lichtstrahl in zwei senkrecht zu-
Fokusebene
einander stehende Wellenzüge aufgespalten. Das erste
Objekt Wollaston-­Prisma wird in die vordere Brennebene des
Kondensors eingesetzt, das zweite in die hintere Brenn-
9 ..      Abb. 9.5  Prinzip eines Fluoreszenzmikroskops weite des Objektivs. Das Objekt wird somit von zwei
senkrecht aufeinander stehenden Wellenzügen durch-
regende Wellenlänge des Lichts das Präparat erreicht. strahlt. Diese werden je nach Dicke oder Brechungseigen-
Der Sperrfilter wird zwischen Objektiv und Okular in schaften des Präparats in ihrer Phase verschoben. Opti-
den Strahlengang eingebracht. maler Interferenzkontrast entwickelt sich an Kanten im
Grundsätzlich unterscheidet man hinsichtlich der Präparat, an denen die beiden Teilstrahlen in ihrer Phase
Konstruktion zwei unterschiedliche Typen: unterschiedlich verschoben werden. Dabei ist es keines-
55 Auflichtfluoreszenzmikroskop (sog. Epifluoreszenz- wegs gleichgültig, wie das Präparat orientiert ist. Sinnvol-
mikroskop). Dieser Typ wird derzeit bei Weitem häu- lerweise verwendet man daher einen Drehtisch, um es in
figer zur fluoreszenzmikroskopischen Visualisierung allen Orientierungen analysieren zu können. Durch das
verwendet als das Durchlichtfluoreszenzmikroskop. zweite Wollaston-Prisma werden die beiden Wellenzüge
Bei der Epifluoreszenz fungiert das Objektiv auch wieder zusammengeführt. Um Interferenz zu erzielen,
gleichzeitig als Kondensor. Das Kernstück der Epi- müssen die Schwingungsebenen zusammenfallen, was
fluoreszenz ist eine spezielle Konstruktion im Strah- wiederum durch den Analysator bewirkt wird. Ein Inter-
lengang, über die der anregende Lichtstrahl einge- ferenzkontrastbild erscheint als plastisches Relief, was zu
bracht wird. Hier befinden sich zwischen Objektiv der Annahme verleiten könnte, man habe es hier mit einer
und Okular ein Anregungsfilter, ein Teilerspiegel dreidimensionalen Abbildung der Präparatstruktur zu
(sog. dichroitischer Spiegel) und ein Sperrfilter. tun. Das ist nicht der Fall, vielmehr ist es so, dass hier
55 Durchlichtfluoreszenzmikroskop Dieser Typ ist die Dichteunterschiede im Präparat in Höhenunterschiede im
ältere Konstruktion, die im Gegensatz zur Epifluo- Bild transformiert werden. Im Gegensatz zur Phasenkon-
reszenztechnik nur noch selten und dann hauptsäch- trastmikroskopie können auch relativ dicke Präparate vi-
lich bei schwach vergrößernden Objektiven einge- sualisiert werden.
setzt wird.

Polarisationsmikroskopie  Normalerweise schwingen die 9.4  Nachweismethoden


Wellenzüge des Lichts in alle Richtungen. Mithilfe speziel-
ler Polarisationsfilter kann eine bestimmte Schwingungs- Die Färbung oder Markierung (Labeling) des Präparats
ebene herausgefiltert werden, sodass linear polarisiertes ist von der jeweiligen Fragestellung abhängig. So können
Licht entsteht. Dieses kann durch den Einsatz eines zwei- ganze Zellverbände innerhalb eines Gewebes, ­spezifische
ten Polarisationsfilters vollständig ausgelöscht werden, Zellen innerhalb eines Zellverbands, bestimmte Kompar-
wenn man den zweiten Filter in der Art dreht, dass seine timente oder Organellen innerhalb einer Zelle oder ein-
Sperrwirkung senkrecht zu der des ersten Filters steht. zelne, spezifische Moleküle markiert werden. Für histo-
Derartige um ihre eigene Achse drehbare Polarisationsfil- logische Färbungen werden hauptsächlich chemische
ter können in den Strahlengang eines Mikroskops einge- oder physikochemisch wirkende Farbstoffe verwendet.
baut werden. Der erste Polarisationsfilter (Polarisator) Um eine höhere Spezifität auf molekularem Niveau
befindet sich dabei unterhalb des Kondensors, der zweite zu erzielen, sind eine Reihe von selektiven Nachweisver-
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
203 9
fahren insbesondere für Proteine oder andere Makro- werden. Für eine histologische Färbung werden in ers-
moleküle entwickelt worden. Um die Nachweisemp- ter Linie Paraffinschnitte verwendet, die auf Objektträ-
findlichkeit von Makromolekülen zu erhöhen, werden ger gezogen und anschließend mittels Xylol entparaffi-
beispielsweise katalytische Aktivitäten von intrazellulä- niert und durch eine bezüglich der Konzentration
ren Enzymen genutzt. Nach Zugabe geeigneter Subst- absteigende Alkoholreihe wieder in ein wässriges Milieu
ratmoleküle bildet jedes einzelne Enzymmolekül viele überführt werden. Die chemische Grundlage für die
Moleküle eines sichtbaren Reaktionsprodukts. Eine sen- Spezifität vieler Farbstoffe ist unbekannt. In . Tab. 9.1

sitivere Nachweismethode von Makromolekülen ist der sind einige Beispiele für histologische Färbungen zu-
Einsatz von Fluorochromen (7 Abschn. 9.4.5).
  sammengestellt.

9.4.1 Histologische Färbungen 9.4.2 Physikalische Färbungen


Die Färbung von Zellen und Gewebeschnitten ist erfor- Man unterscheidet das sog. Durchtränkungsverfahren,
derlich, da sie zu etwa 70 % aus Wasser bestehen. Dem- bei dem dichte Strukturen des Gewebes am stärksten ge-
nach sind bei ungefärbten Präparaten kaum Strukturen färbt werden, von dem Verfahren der Farbstoffaufnahme
vorhanden, die durch Ablenkung des Lichtstrahls einen durch Löslichkeit in Strukturbestandteilen. Letzteres
ausreichenden Kontrast bei der mikroskopischen Be- wird beispielsweise bei der Fettfärbung angewendet.
trachtung im Hellfeld gewährleisten würden. Mithilfe Hierbei lösen sich die Farbstoffe leichter in den Gewebs-
von unterschiedlichen Farbstoffen können intrazellu- lipiden als in der verwendeten alkoholischen Lösung
läre sowie extrazelluläre Bestandteile selektiv gefärbt und diffundieren somit in das Fettgewebe.

..      Tab. 9.1  Beispiele für histologische Färbungen

Bezeichnung Färbeergebnis

Hämatoxylin-Eosin (HE) blau: Zellkern


(. Abb. 9.8)
  rot: Cytoplasma, Kollagenfasern
Perjodsäure-Schiff-Reaktion in Kombination mit Hämatoxylin (PAS) blau: Zellkern
purpurrot: Mucopolysaccharide, Glykogen, Pilze, Parasiten
Elastica-van-Gieson (EvG) schwarz: Elastinfasern
rot: Kollagenfasern
gelb: Muskulatur, Fibrin, Cytoplasma
Giemsa blau: Zellkern, basophiles Cytoplasma
rot: Kollagenfasern, Eosinophilencytoplasma und -granula
violett: Basalmembran, Mastzellgranula
May-Grünwald-Giemsa blau: Zellkern, basophile Substrate
rot: eosinophile Substrate, Kollagenfasern
Papanicolaou blau: Zellkern
blau-grün: Cytoplasma basophiler Zellen
orange-rot: Keratin
rosa: Cytoplasma acidophiler Zellen
Azan blau: Kollagenfasern, retikuläre Fasern
rot: Zellkern, Nekrosefibrinoid
Versilberung Gomori schwarz: Kollagenfasern, retikuläre Fasern
Nissel blassblau: Cytoplasma
blauviolett: Zellkern, Tigroid
Kongorot rot: Amyloid
blau: Zellkern
Berliner-Blau-Reaktion blau: Eisen
von Kossa schwarz: Calciumphosphate
rot: Zellkern
204 T. Quast und W. Kolanus

9.4.3 Physikochemische Vorgänge bei A B


Färbungen (Elektroadsorption)
Grundlage der Färbungen ist der amphotere Charakter
des Eiweißes. Ist der pH-Wert höher als der isoelektri-
sche Punkt IP, hat die Struktur saure Gruppen und neigt
zur Salzbildung mit basischen Farbstoffen – und umge-
kehrt. Den unterschiedlichen IP von Zellkern und
Plasma nutzt man bei der Endpunktfärbung aus, deren
Färbeergebnis unabhängig von der Färbedauer ist. Liegt
C D
ein basischer Farbstoff in saurer Lösung bei einem pH-­
Wert vor, der zwischen dem IP der Kerne (etwa 3,8) und
dem des Plasmas (etwa 6,5) bei 4,5 eingestellt ist, so wer-
den selektiv nur die Zellkerne gefärbt, denn nur sie ha-
ben dann noch negative Ladung.

9.4.4 Chemische Färbungen


Die Reaktion zwischen Farbstoff und Substrat verläuft
9 nach den Gesetzmäßigkeiten chemischer Bindungen. Sie ..      Abb. 9.6  Dreifachfluoreszenzmarkierung an einem Keratinocyten.
A GFP-gekoppeltes, aktinbindendes Protein (Palladin); B AlexaFluor®
erlauben also einen Stoffnachweis im chemischen Sinne. 546-Phalloidin-markiertes F-Aktin; C Antikörpermarkierung eines
Ist der fragliche Stoff nicht vorhanden, fällt die Reak- Zell-Substrat-Adhäsionsproteins (Vinculin, Cy5-­gekoppelter, sekundä-
tion negativ aus (Beispiel: Eisennachweis). rer Antikörper fluoresziert im Infrarotbereich, hier blau dargestellt); D
Übereinanderlagerung der drei Fluoreszenzsignale. (Mit freundlicher
Genehmigung von Dr. Bodo Borm, Jülich)

9.4.5 Fluoreszenzmarkierung
Mehrfachfluoreszenzmarkierungen derzeitig die ein-
Bei dem Nachweis von Makromolekülen mithilfe der zige Methode, um Interaktionen zwischen Molekülen
Fluoreszenzmarkierung nutzt man den Effekt, dass und anderen Zellbestandteilen direkt zu untersuchen
fluoreszierende Farbstoffe (Synonyme: Fluorochrome, (. Abb. 9.6).

Fluorophore) Licht bei einer bestimmten Wellenlänge


absorbieren und es bei einer anderen, längeren Wel-
lenlänge emittieren (sog. Stokes’ Shift). Bei Bestrah- 9.4.6  irekte und indirekte
D
lung eines Fluorochroms mit Licht der Wellenlänge Immunfluoreszenzmarkierung
des Absorptionsbereichs und anschließender mikros-
kopischer Betrachtung durch einen Filter, der nur für Eine weit verbreitete Methode, um die Position (Lokali-
Licht des emittierten Wellenlängenbereichs durchläs- sation) von Makromolekülen in Zellen und Geweben
sig ist, sieht man das Fluorochrom vor dunklem Hin- fluoreszenzmikroskopisch nachzuweisen, ist die sog. Im-
tergrund leuchten. munfluoreszenzmikroskopie.
Fluorochrome finden hauptsächlich Anwendung bei Zur Detektion von Proteinen werden direkte und in-
dem selektiven Nachweis von Makromolekülen. Ferner direkte Immunfluoreszenzmarkierungen unterschieden.
werden sie eingesetzt bei der Lokalisierung von Enzym- Bei der direkten Immunfluoreszenzmarkierung werden
aktivitäten durch fluorometrische Varianten histoche- fluorochromierte primäre Antikörper eingesetzt, die
mischer Reaktionen sowie bei der Umsatzbestimmung hochspezifisch an Antigene der nachzuweisenden Mak-
zellulärer enzymatischer Reaktionen mittels fluoreszie- romoleküle binden. Zum Nachweis von Proteinen eig-
render Substrate. nen sich außerdem fluorochromierte Inhibitoren und
Bei der gleichzeitigen Kombination von zwei oder Cofaktoren. Zur Markierung von Membranen können
mehr Fluorochromen, die sich hinsichtlich ihrer spekt- fluoreszierende Verbindungen mit lipophilen oder am-
ralen Eigenschaften (Absorptions- und Emissionscha- phiphilen Eigenschaften in die entsprechenden Memb-
rakteristika) unterscheiden, lässt sich die Lokalisation ranen eingelagert werden.
verschiedener subzellulärer Strukturen oder Makro- Bei Anwendung der indirekten Immunfluoreszenz-
moleküle mikroskopisch nachweisen (sog. Kolokalisa- markierung wird ein nicht fluorochromierter primärer
tion). Dieses ist durch das Umschalten von Filtersätzen Antikörper nach der Bindung an das nachzuweisende
möglich, die jeweils spezifisch auf das entsprechende Molekül durch einen spezifischen, fluorochromierten se-
Fluorochrom ausgerichtet sind. Darüber hinaus sind kundären Antikörper detektiert. Der Vorteil der indi-
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
205 9
rekten Immunfluoreszenzmarkierung besteht in einer Proteinen mittels gentechnologischer Methoden zu ver-
Signalverstärkung, da mehrere sekundäre an einen pri- danken. Bei der Etablierung von neuartigen Technolo-
mären Antikörper binden. Weitere Vorteile der indirek- gien in diesem Bereich ist es aber unerlässlich, die phy-
ten Immunfluoreszenzmikroskopie liegen in einer größe- siologischen Eigenschaften der Zelle zu beachten. Live
ren Flexibilität und Kostenersparnis bei der Kombination Cell Imaging und die damit verbundene qualitative und
von Antikörpern und Fluorochromen. quantitative Analyse erfordert das Beladen subzellulärer
Die Immunfluoreszenzmarkierung wird üblicher- Strukturen mit fluorochromierten Proteinen. Dabei gilt
weise an fixiertem Material durchgeführt. Für die Pene- es abzuwägen zwischen einem effizienten und stabilen
tration der Antikörper in intrazelluläre Kompartimente Fluoreszenzsignal mit gutem Signal-Rausch-­Verhältnis
ist unter Umständen eine vorherige Permeabilisierung einerseits und einer möglichst großen Unversehrtheit
der Membranen beispielsweise mit Triton X-100 oder der gesamten Zelle andererseits. Im Besonderen sollten
Saponin notwendig. Unspezifische Bindungsstellen wer- aber die zelluläre Lokalisation und die physiologische
den je nach Fragestellung mit Rinderserumalbumin Funktion des zu untersuchenden Proteins möglichst ge-
oder spezifischen Seren abgesättigt. ring beeinträchtigt werden. Sowohl der Markierungs-
vorgang als auch die anschließende Visualisierung (Ein-
fluss der Lichtquelle, z.  B.  Laser) können Artefakte
9.4.7 In vitro-Markierung mit organischen verursachen. So sind Hitzeschäden durch energiereiche
Fluorochromen Beleuchtung oder fototoxische Reaktionen aufgrund
der Wechselwirkung von Fluorochromen oder Bestand-
Abgesehen von den vielen Vorteilen, die das in-vivo-­ teilen des Kulturmediums bzw. des Puffers mit dem La-
Labeling mit fluoreszierenden Proteinen (z.  B.  GFP-­ serlicht nicht auszuschließen.
Fusionsproteinen) bietet, besteht der große Nachteil,
dass die bekannten fluoreszierenden Proteine mit einem
Molekulargewicht von bis zu 27 kDa in ihrer monome- 9.4.9 In vivo-Markierung mit organischen
ren Form relativ große Marker für den Nachweis von Fluorochromen
intrazellulären Proteinen darstellen. Obwohl großes In-
teresse darin besteht, die fluoreszierenden Proteine zu Vor Kurzem wurden zwei innovative Technologien ent-
„verkleinern“, blieben bisherige molekularbiologische wickelt, die es ermöglichen, spezifische rekombinante
Versuche erfolglos. Zurzeit sind kleine organische Fluo- Proteine mit kleinen organischen Fluorochromen in le-
rochrome (z. B. Fluorescein, Rhodamin) die beste Alter- benden Zellen (in vivo) zu markieren.
native, wenn es darum geht, Proteine mit einem Moleku- Bei der ersten Methode werden rekombinante Pro-
largewicht unter einem Kilodalton nachzuweisen. teine, die eine Tetracystein-Domäne besitzen, durch ex-
Mithilfe von speziellen, gut etablierten affinitätscytoche- trazelluläre Zugabe von Fluoresceinderivaten markiert.
mischen (z. B. Markierung von F-Aktin mittels fluoro- Diese kleinen, membrangängigen Liganden fluoreszie-
chromiertem Phalloidin) und immuncytochemischen ren erst dann, wenn sie mit hoher Spezifität und Affini-
Techniken ist auf diese Weise eine gezielte subzelluläre tät an Cysteinreste binden.
Markierung von Molekülen an fixierten und ggf. per- Bei der zweiten Methode werden Derivate der huma-
meabilisierten Zellen (in vitro) möglich. Das Problem nen O6-Alkylguanin-DNA-Alkyltransferase (hAGT),
von möglichen sterischen Behinderungen und daraus einem DNA-Reparaturprotein, verwendet, die eine ko-
folgenden Beeinflussungen der Proteinfunktion ist bei valente Bindung mit Fusionsproteinen eingehen. Intra-
der Verwendung von kleinen organischen Fluorochro- zelluläre Esterasen hydrolysieren die Acetatgruppen des
men deutlich verringert. Außerdem können durch die an die hAGT-Derivate gekoppelten Fluoresceins und
seitenspezifische Bindung von unterschiedlich fluoro- bewirken dessen intrazelluläre Fluoreszenz.
chromierten Proteinen Änderungen in der lokalen Um- Andere Entwicklungen nutzen die selektiven Bin-
gebung oder Distanzen bzw. Interaktionen zwischen dungseigenschaften von chemischen Liganden an das
markierten Stellen des Proteins beispielsweise mittels entsprechende Rezeptorprotein. Ein Beispiel ist die Un-
FRET (Förster Resonance Energy Transfer) detektiert tersuchung der Regulation des pH-Werts der unter-
werden. schiedlichen subzellulären Kompartimente während des
sekretorischen Wegs.

9.4.8  luoreszenzmarkierung für Live Cell


F
Imaging 9.4.10 Markierung mit Quantum Dots

Die vermehrte Anwendung des Live Cell Imaging in der Neben kleinen organischen Fluorochromen werden Na-
bioanalytischen Forschung ist insbesondere den jüngs- nokristalle aus der Halbleiterindustrie, sog. Quantum
ten Entwicklungen der Fluoreszenzmarkierung von oder Q-Dots, als neuartige Fluorochrome verwendet.
206 T. Quast und W. Kolanus

Die Partikel besitzen mit einem Durchmesser zwischen


A
2–10 nm annähernd die Größe von typischen Proteinen
und überzeugen aufgrund ihrer Photostabilität und ih-
rem großen Wellenlängenbereich in Absorption und
Emission. Ungeachtet dieser Vorteile gegenüber organi-
schen Fluorochromen und fluoreszierenden Proteinen ist
die Verwendung der Q-dots aufgrund der mangelnden
Biokompatibilität bislang sehr eingeschränkt. Neuartige
Entwicklungen im Bereich der chemischen Oberflächen-
beschichtung (beispielsweise mit Streptavidin) haben
kürzlich Erfolge bei der Lösung dieser Probleme ver-
zeichnen können, sodass die Visualisierung von Mehr-
fachfluoreszenzmarkierungen über einen längeren Zeit-
B
raum in lebenden Zellen möglich ist.

9.4.11 I n vivo-Markierung mit


fluoreszierenden Fusionsproteinen
(GFP und Varianten)
9 Häufige Verwendung, insbesondere bei der Untersu-
chung der intrazellulären Lokalisation und Dynamik
von Proteinen in lebenden Zellen, finden Varianten des
grün fluoreszierenden Proteins (green fluorescent protein,
GFP). Mitte des letzten Jahrhunderts wurde GFP zufäl-
lig bei der Reinigung von Aequorin aus der lumineszie-
renden Qualle Aequorea victoria entdeckt (. Abb. 9.7).

Bereits zu diesem Zeitpunkt fiel die Eigenschaft des Pro-


teins auf, unter UV-Licht intensiv grün zu fluoreszieren.
Durch Fusion und anschließende Expression des GFP-­ C O
Gens mit dem zu untersuchenden Gen kann die intra- 67
N R
zelluläre Lokalisation und Dynamik des entsprechenden 66
Proteins durch fluoreszenzmikroskopische Analyse un- N
65
tersucht werden. Da GFP spontan fluoresziert, besteht R
bei den chimären Fusionsproteinen der große Vorteil, O
dass die Expression in Zellen in vivo durch Gentransfer O
H
möglich ist. Auf diese Weise umgeht man die Notwen- H
digkeit einer hohen heterologen Produktion, Aufreini-
gung, In-vitro-Markierung und Mikroinjektion von re-
..      Abb. 9.7 Tiefseemeduse Aequorea victoria A, Struktur des green
kombinanten Proteinen. Für die Entdeckung von GFP fluorescent protein (GFP) und Lokalisation des Chromophors B,
und die Entwicklung als genetischer Marker wurde im Chromophor des Wildtyp-GFP, bestehend aus dem zyklischen Tri-
Jahr 2008 der Chemienobelpreis verliehen (7 Abschn. 9.1
  peptid Ser65,Tyr66 und Gly67 C. (Quellen: Dr. Steven Haddock, Mon-
und 9.4). terey Bay Aquarium Research Institute. Moss Landing, USA (A);
Durch Mutationen von GFP aus Aequorea konnten Roger Y. Tsien, UCSD, La Jolla, USA (B))
spektrale Varianten mit blauen und grüngelblichen
Emissionen generiert werden (BFP, CFP, YFP), aller- Achse von einer α-Helix durchwunden ist. Das Chromo-
dings gibt es bisher keine Varianten, deren Emissions- phor ist Teil dieser α-Helix und in der Mitte des β-Fasses
maxima über einen Wellenlängenbereich von 529  nm lokalisiert. Das Chromophor ist ein p-Hydroxybenzyl-
hinausreichen. Erfreulicherweise hat die Entdeckung iden-Imidazolinon, das im Wildtypprotein (wtGFP) aus
von neuartigen GFP-ähnlichen Proteinen in Anthozoen dem zyklischen Tripeptid Ser65, Tyr66 und Gly67 besteht
(Korallentieren) das Spektrum von insgesamt annä- (. Abb. 9.7C).

hernd dreißig signifikant unterschiedlichen Fluorochro- GFP ist streng genommen das bislang einzige be-
men erheblich erweitert (. Tab.  9.2). Trotz einer nur
  kannte fluoreszierende Protein, da das Chromophor als
geringen Sequenzübereinstimmung der unterschiedli- Abschnitt der Peptidkette tatsächlich Teil des Proteins
chen GFP-­ähnlichen Proteine verfügen alle über eine ist. Die spontane Fluoreszenz basiert auf der autokata-
elfsträngige β-Fass-Struktur (. Abb. 9.7B), die in ihrer
  lytischen Synthese des Chromophors. Obwohl die meis-
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
207 9

..      Tab. 9.2 GFP-Varianten

Spezies Fluoreszierendes Mutanten (Alloformen) Absorption (in nm) Emission (in nm)


Protein Maximum Maximum

biolumineszierende Qualle Aequorea-GFP wtGFP (green fluorescent 395 475


Aequorea victoria protein)
BFB (blue fluorescent
protein)
CFP (cyan fluorescent 383 445
protein)
YFP (yellow fluorescent 434 477
protein)
PA-GFP 514 527
(photoactivatable GFP)
biolumineszierende Weichkoralle Renilla-GFP – 395 475
Renilla reniformis
nicht biolumineszierende DsRed (drFP583) T1 558 583
Korallenarten
E57
E5
mRFP1
cgigCP HcRed
EqFP611 –
AsFP595 KFP1
Kaede –

ten GFP-ähnlichen Proteine zur Gruppe der fluoreszie- gig, sondern wird auch wesentlich von der Effizienz be-
renden Proteine gehören, gibt es einige unter ihnen, die stimmt, mit der der Farbstoff Photonen absorbiert und
zwar eine starke Absorption, aber keine Emission auf- emittiert. Weiterhin spielt die Fähigkeit, wiederholte
weisen; diese werden als Chromoproteine bezeichnet. Absorptions-/Emissionszyklen zu durchlaufen, eine we-
Andere bekannte Proteine dienen zwar ebenfalls der sentliche Rolle. Die Quantifizierung von Absorption
Fluoreszenz, jedoch sind hier ausnahmslos die eigentli- und Emission erfolgen über den molaren Absorptions-
chen Chromophore als Cofaktoren, wie z. B. Lumazine koeffizienten ε für die Absorption und die Quantenaus-
oder Flavine, gebunden. beute QE für die Fluoreszenz (d. h. das Verhältnis von
emittierten und absorbierten Photonen). Beide Kons-
tanten sind von den Umgebungsbedingungen abhängig.
9.4.12  luorochrome und Lichtquellen
F Die Fluoreszenzintensität eines Farbstoffmoleküls ist
für die Fluoreszenzmikroskopie proportional dem Produkt von ε und QE.
Außerdem wird die Intensität der Fluoreszenz noch
Das für das menschliche Auge sichtbare Licht erstreckt durch die optischen Eigenschaften des Mikroskops re-
sich auf einen Wellenlängenbereich von 400  nm (violett) duziert. Demnach wird nur ein Teil des emittierten
bis 700  nm (rot). Einige Farbstoffe, die bei biologischen Lichts, ein bestimmter Lichtkegel, dessen Größe von der
Nachweisen Anwendung finden, absorbieren Licht im Numerischen Apertur (7 Abschn. 9.3) des verwendeten

UV-Bereich (. Tab. 9.3). Dementsprechend muss eine ge-



Objektivs abhängig ist, von der Mikroskopoptik einge-
eignete Lichtquelle auch diesen Bereich abdecken. Ein ge- fangen und von dem Detektor (Auge, Kamera, Photo-
bräuchlicher UV-Farbstoff ist beispielsweise Fura-2, der multiplier) erfasst. Aus diesen Gründen ist es verständ-
zur Visualisierung von Calciumsignalen verwendet wird. lich, dass zur Erzeugung von starken Emissionssignalen
Die Fluoreszenzintensität von markierten biologi- leistungsstarke Lichtquellen benötigt werden. Außer-
schen Präparaten ist im Vergleich zu der Intensität des dem ist es insbesondere für die Aufnahme von Zeitserien
Anregungslichts meistens recht gering. Sie ist nicht nur während des Live Cell Imaging erforderlich, dass die
vom Beladen des Präparats mit Fluorochromen abhän- Lichtquellen über einen längeren Zeitraum stabil sind.
208 T. Quast und W. Kolanus

..      Tab. 9.3  Fluorochrome und ihre spektralen Eigenschaften (Auswahl)

Fluorochrom Absorption (in nm) Emission (in nm) Farbe


Maximum Maximum

AMCA Aminomethylcumarin-Acetat 350 450 blau


DAPI 359 461
Cy2 Carbocyanin 492 510 gelb-grün
DTAF Dichlorotriazinylamino-Fluorescein 492 520
FITC Fluorescein-Isothiocyanat 492 520
AlexaFluor 488™ 495, 492 519, 520
Fluo-3 506 526
CFDA 494 520
Acridinorange + DNA 502 526
Cy3 Indocarbocyanin 550 570 orange-rot
TRITC Tetramethyl-Rhodamin 550 570

9 AlexaFluor 546™ 556, 557 572, 573


R-PE Phycoerythrin aus Porphyridium 488, 565 585
cruentum
Rhod. Red-X Rhodamin Red-X 570 590
Texas Red Rhodaminderivat 596 620
Cy5 Indodicarbocyanin 650 670 tief-/infrarot
Acridinorange + RNA 460 650
APC Allophycocyanin 650 660

Das bedeutet, dass Oszillationen und Flackern in der Nichtglühlampen  Lampen ohne Filament basieren auf
Lichtintensität während der Datenaufnahme vernach- der elektrischen Entladung innerhalb eines Gases. Wenn
lässigbar gering sein sollten. Sie sollten erheblich unter die elektrische Spannung zwischen den beiden Elektro-
dem Wert der zu erwartenden Signalveränderungen den groß genug ist, kommt es zur Ionisierung des Gases
während des Untersuchungszeitraumes liegen. Aus die- mit anschließender Weiterleitung von Elektrizität. Nach
sem Grund wird häufig Gleichstrom verwendet. dem Aufprall ordnen sich Elektronen und Gas-Ionen neu
aus und geben Energie in Form von Licht ab. Das Gas in
Typen von Lichtquellen  Leider gibt es keine Lichtquel- Neonröhren glüht beispielsweise in einer orange-­ roten
len, die den gesamten nutzbaren Wellenlängenbereich Farbe, während allgemein gebräuchliche Fluoreszenz-­
(naher UV- bis naher sichtbarer Infrarotbereich) abde- Quecksilberdampflampen ultraviolettes Licht produzie-
cken. Infolgedessen muss die Lichtquelle entsprechend ren. Die Innenfläche des Glaskörpers ist mit Phosphor
den jeweiligen Anwendungen ausgewählt werden. Ne- (Leuchtstoff) beschichtet, das diese Strahlung absorbiert
ben Lasern und Dioden unterscheidet man zwischen und sie als helles weißes Licht wieder emittiert. Bei den
Glühlampen und Nichtglühlampen. meisten Nichtglühlampen, die im Bereich der Mikrosko-
pie verwendet werden, handelt es sich um Quecksilber-
Glühlampen  Glühlampen erzeugen Licht durch das Hei- oder Xenondampflampen. Sie bestehen aus zwei Elektro-
zen von Filamenten (meistens Wolfram) mittels elektri- den, die sich unter Hochdruckbedingungen abgedichtet
scher Energie. Die Filamente befinden sich entweder im innerhalb eines Quarzglases befinden. Beim Anlegen ei-
Vakuum (Standardglühbirne), einem Edelgas (Stickstoff nes elektrischen Stroms regen die Elektronen, die die
oder Edelgas) oder einem Edelgas-Halogen-Gemisch (Ha- Spalte überbrücken, die Elektronen der Gasatome an,
logenlampe). Wolframlampen werden in der Fluoreszenz- wodurch diese in einen höheren Energiezustand versetzt
mikroskopie normalerweise nicht verwendet, da sie unzu- werden. Diese Energie wird anschließend in Form von
reichend im UV- und blauen Wellenlängenbereich sind. Licht freigesetzt, wenn die Atome in ihren Grundzustand
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
209 9
zurückkehren. Dampflampen müssen vorher aufgeheizt
..      Tab. 9.4  Emissionswellenlängen von Lasern im Vergleich
werden, um ihre maximale Intensität zu erreichen. Nach zu HBO-Lampen
einer bestimmten Nutzungszeit verlieren diese Lampen
an Leistung und es besteht die Gefahr der Implosion. Quelle Emissions-Wellenlängen (in nm)

Quecksilberdampflampen (HBO-Lampen)  Quecksilber- Argon 351 364 458 466 477 488 496 502 514
dampflampen waren früher in der Mikroskopie weit ver- Krypton 337 365 468 476 482 521 531 568 647
breitete Leuchtmittel. Ein Nachteil dieser Lampen be-
Argon/Krypton 488 568 647
steht darin, dass sie bei Implosion gesundheits- und
umweltschädliches Quecksilber freisetzen können. Zu- Helium/Neon 543 594 604 612 629 633 1152
dem liefern sie ein sehr ungleichmäßiges Emissionsspek- Helium/Cadmium 325 442 534 539 636
trum mit ausgeprägten Spitzen im nahen UV- (365 nm),
HBO-Lampe 313 334 365 405 436 546 577
Violett- (406 nm), Blau- (435 nm), Grün- (546 nm) und
Gelb- (578  nm) Bereich. Im übrigen Wellenlängenbe-
reich ist die Emission weitgehend gleichmäßig, aber
nicht so intensiv. Insbesondere wirkt sich nachteilig aus, Laser  Laser sind aufgrund ihres linienförmigen Emissi-
dass eine Spitze im Bereich einer Wellenlänge von onsspektrums besser für die spezifische Filterung einer für
480 nm fehlt, in dem viele gebräuchliche Fluorochrome, ein bestimmtes Fluorochrom erforderlichen Anregungs-
wie beispielsweise Cy2, Alexa488, FITC und GFP, ihr wellenlänge geeignet. Jeder Lasertyp emittiert Licht eines
Absorptionsmaximum besitzen. charakteristischen Wellenlängenbereichs, sodass sie de-
tektierbaren Fluorochrome entsprechend festlegt sind.
Xenondampflampen  Für die Fluoreszenzmikroskopie . Tab. 9.4 zeigt die verfügbaren Emissionswellenlängen

werden häufig Xenondampflampen verwendet, die eine der gebräuchlichsten Laser und im Vergleich dazu die
gleichmäßigere Emission in dem gesamten sichtbaren Be- stärksten Spitzen im Spektrum einer HBO-­Lampe. Es ist
reich aufweisen als Quecksilberdampflampen. Dennoch charakteristisch, dass bei der HBO-Lampe die Spitzen im
nimmt die Intensität auch bei diesem Lampentyp im na- Spektrum weiter sind als die spektralen Linien der Laser
hen UV-Bereich ab, ist aber für die meisten UV-Farbstoffe und dass zusätzlich eine signifikante Emission auch zwi-
noch ausreichend. Aufgrund dieses Vorteils werden Xe- schen den Spitzen vorhanden ist. Dadurch bedingt ist die
nonlampen beispielsweise bei CCD-Kameras gegenüber Auswahl an nutzbaren Fluorochromen, die durch
Quecksilberdampflampen bevorzugt. Die starke Spitze im HBO-Lampen angeregt werden können, größer als für die
Infrarotbereich deutet darauf hin, dass ein beträchtlicher einzelnen Laser.
Anteil der Energie in Form von Hitze freigesetzt wird. Die
Regulierung der Hitzeentwicklung in einem Xenonlam-
pengehäuse ist von entscheidender Bedeutung. Tempera- 9.5  Präparationsmethoden
turschwankungen, die beispielsweise durch ungleichmäßi-
gen Luftstrom verursacht werden, üben einen Bezüglich der Präparatvorbereitung für lichtmikros-
unmittelbaren Einfluss auf die Lichtintensität aus und kopische Untersuchungen muss man grundsätzlich zwei
behindern somit die quantitative Analyse. Anwendungsbereiche unterscheiden: Erstens die Visua-
lisierung von fixiertem Material und zweitens das Live
Quecksilber-Xenondampflampen  Diese neuartigen Lam- Cell Imaging von lebenden Präparaten. Weiterhin unter-
pen beinhalten ein Gemisch der beiden Gase und vereinen scheiden sich die Präparationsmethoden von Einzelzel-
so die jeweiligen optimalen Eigenschaften. Die Linien im len und Gewebebiopsien.
UV-Bereich sind bei diesem Lampentyp im Vergleich zu
herkömmlichen Quecksilberdampflampen stärker in der
Intensität und schärfer. Von größerer Bedeutung für die 9.5.1 Isolierte Zellen
mikroskopische Anwendung sind aber die deutlich redu-
zierten Schwankungen der Lichtintensität und die wesent- Für die mikroskopische Untersuchung von isolierten
lich längere Lebensdauer. Zellen werden diese üblicherweise auf dünnen Glasma-
terialien (Dicke: 0,17  mm) in Mehrlochplatten für die
Leuchtdioden (LED, Light-Emitting Diode)  Bedingt durch Zellkultur ausgesät. Für die Fluoreszenzmikroskopie
die hohe Lichtausbeute, die einfache Handhabung und von fixierten, adhärenten Zellen verwendet man in der
die Kostenersparnis aufgrund langer Lebensdauer sind Regel runde Deckgläschen, die zuvor beispielsweise mit
LED-Lichtquellen eine inzwischen weitverbreitete Al- Poly-l-Lysin beschichtet werden. Die positive Ladung
ternative zu konventionellen Mikroskopbeleuchtungen, der Aminosäure bedingt die bessere Haftung der an der
insbesondere zu gesundheits- und umweltschädlichen Oberfläche negativ geladenen Zellen (Glykocalyx). Zur
Quecksilberdampflampen. mikroskopischen Untersuchung der Wechselwirkung
210 T. Quast und W. Kolanus

von Zellen mit Bestandteilen der extrazellulären Matrix, allerdings meistens zu Lasten der Ultrastrukturerhaltung
beispielsweise während der Adhäsion oder Migration, des Präparats. Das geeignete Fixierungsmittel muss für die
werden die Deckgläschen mit entsprechenden Kompo- jeweilige Fragestellung individuell getestet werden.
nenten (z. B. Fibronectin, Kollagen, Laminin und ande- Die Dauer der Fixierung hängt von der Größe der
ren) beschichtet. Für die Fluoreszenzmikroskopie von Gewebeprobe ab. Grundsätzlich muss beachtet werden,
fixierten Suspensionszellen ist unter Umständen zwecks dass das Fixans in einem deutlichen Volumenüberschuss
besserer Haftung die Anfertigung eines Suspensionsaus- vorliegt. Bei größeren Präparaten ist es unter Umstän-
strichs auf einen Glasobjekträger ratsam. den notwendig, das Biopsiematerial vorsichtig anzu-
Für das Live Cell Imaging werden Zellen in Glasbo- schneiden, um eine gleichmäßige Penetration des Fixans
denkammern ausgesät, die je nach Fragestellung entwe- zu gewährleisten.
der selber gebaut oder aus dem mittlerweile großen Für die pathologische Diagnostik, die gegebenen-
kommerziellen Angebot ausgewählt werden. falls an Schnellschnitten (und/oder Tupfpräparaten für
die cytologische Diagnostik) noch während einer Opera-
tion durchgeführt wird, ist es nicht zuletzt aus zeitspa-
9.5.2 Gewebebiopsien renden Gründen notwendig, das frisch entnommene
Biopsiematerial unfixiert zu bearbeiten.
Abgesehen von der Intravital- und der Multiphotonen- Außerdem sind viele enzymhistochemische Tests
mikroskopie erfordert die mikroskopische Untersu- nur an unfixiertem Gewebe durchführbar. In der Im-
chung von Gewebebiopsien in aller Regel das vorherige munhistologie steht für unfixierte Kryostatschnitte eine
Anfertigen von Paraffin- oder Gefrierschnitten (Kryos- viel breitere Palette von Antikörpern als für fixiertes
9 tatschnitten) mithilfe von speziellen Mikrotomen. Die Gewebe zur Verfügung. Ferner kann man vom fri-
Schnitte werden auf Objektträger aufgezogen und an- schen Gewebe DNA und RNA für die molekularpa-
schließend mit Färbe- oder Detektionslösungen zum thologische Diagnostik isolieren. Bei Bedarf kann Ge-
Nachweis der gewünschten Strukturen behandelt. webe für eine mikrobiologische Diagnostik verwendet
werden.
Fixierung  Unmittelbar nach der Biopsie setzt die Autolyse
von Gewebe ein. Die Gewebeprobe muss daher entweder
unmittelbar nach der Entnahme bearbeitet oder aber fi- 9.5.3 Paraffinpräparate
xiert werden. Durch die Fixierung wird die Autolyse auf-
gehalten. Das am häufigsten verwendete Fixierungsmittel Sie sind hauptsächlich für die histologische Analyse von
ist das Formalin, eine verdünnte und gepufferte Formalde- Gewebebiopsien geeignet (. Abb.  9.8). Immunfluores-

hydlösung, die dem Gewebe eine gummiartige Konsistenz zenzmarkierungen lassen sich jedoch besser an Gefrier-
verleiht. Formaldehyd vernetzt Proteine, indem es an freie schnitten durchführen.
Aminogruppen bindet.
Der Nachteil der Formaldehydfixierung besteht da-
rin, dass die Proteine unter Umständen durch die Fixie-
rung ihre Funktion und ihre antigenen Eigenschaften
verlieren. Viele enzymhistochemische und immuncyto-
chemische Untersuchungen können daher nicht an form-
aldehydfixiertem Material durchgeführt werden. Bei der
wässrigen Formalinlösung werden Glykogen und viele
andere Polysaccharide sowie bestimmte Kristalle wie bei-
spielsweise Urate aus dem Gewebe herausgelöst.
Für elektronenmikroskopische Untersuchungen wird
oft Glutaraldehyd verwendet, das aufgrund von zwei Al-
dehydgruppen eine gegenüber Formaldehyd stärkere Re-
aktivität aufweist. Die Fixierung mit Glutaraldehyd ist
aber für fluoreszenzmikroskopische Anwendungen nicht
geeignet, da die enthaltende Doppelbindung unter Um-
ständen Eigenfluoreszenz verursacht.
Alternativ zu Aldehydfixierungen werden Fixierungen
mit Lösungsmitteln, beispielsweise Methanol oder Aceton,
durchgeführt, deren Funktionsweise auf dem Wasserent- ..      Abb. 9.8  Paraffinschnitt humaner Haut nach Färbung mit
zug der Präparate basiert. Häufig ist bei lösungsmittelba- Hämatoxylin-­Eosin (HE). Blau: Zellkerne, rot: Cytoplasma, Kolla-
sierten Fixierungen die Erhaltung der Antigenität besser, genfasern. (Quelle: Dr. T. Quast)
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
211 9
Einbettung  Für die Anfertigung von histologischen Herstellung von enzymhistochemischen und immunhis-
Dünnschnitten muss das Biopsiematerial Stabilität und tologischen Färbungen.
eine gleichmäßige Konsistenz aufweisen. Dieses erreicht
man durch die vorherige Einbettung in Paraffin. Das Bi- Herstellung von Gefrierschnitten (Schnellschnitte)  Für die
opsiematerial muss so in den Einbettkassetten ausgerich- Anfertigung von Gefrierschnitten werden kühlbare Kryo-
tet sein, dass die Schnittpräparate die gewünschte Orien- mikrotome (Kryostaten) verwendet. Ansonsten ist das
tierung aufweisen (z.  B.  Querschnitt der Haut). Bei der Verfahren vergleichbar mit der Herstellung von Paraffin-
pathologischen Diagnostik ist die korrekte Ausrichtung schnitten (s. oben).
des Biopsiematerials zur Beurteilung der Tumorausbrei-
tung, der Abtragungsebenen und der Metastasierung er- Einschluss  Zur mikroskopischen Untersuchung und Aufbe-
forderlich. Bei knochen- oder zahnhaltigem Material ist wahrung werden die gefärbten Präparate mit einem speziel-
vor der Einbettung eine Entkalkung notwendig. Für un- len Einschlussmedium zwischen Deckglas und Objektträger
entkalkte Hartgewebe (Zähne, Knochen) verwendet man konserviert. Dieser Vorgang kann auch mithilfe von Ein-
anstelle des Paraffins Acrylkunstharze oder Plastik, die deckmaschinen automatisiert durchgeführt werden. Das
auch ohne Entkalkung die Herstellung von Schnitt- oder Einschlussmedium soll die Präparate durchsichtig erhalten
Feinschliffpräparaten erlauben. und gleichzeitig ihre Strukturen und Färbungen nicht schädi-
Das Biopsiematerial wird mit heißem Paraffinwachs gen. Bei fluoreszenzmarkierten Präparaten sollte ein fluores-
infiltriert, das bei Abkühlung erstarrt. Da Paraffin nicht zenzfreies Einschlussmedium verwendet werden, das zusätz-
wasserlöslich ist, muss das Gewebe zuvor in einer bezüg- lich noch einen Ausbleichschutz enthält, um das sog.
lich der Konzentration aufsteigenden Alkoholreihe ent- Bleaching während des Mikroskopierens zu verringern.
wässert werden. Anschließend wird der Alkohol durch
ein Intermedium (üblicherweise Xylol) und schließlich
durch heißes Paraffinwachs ersetzt. Die von Paraffin 9.6  Spezielle fluoreszenzmikroskopische
durchtränkten Gewebestücke werden dann in ein Gieß-
schälchen gelegt, mit heißem Paraffin überschichtet und
Analytik
zu einem Paraffinblock verarbeitet. Nach Erkalten des
Insbesondere die hochentwickelte Fluoreszenzmikros-
Paraffins wird der Block aus der Gießform gelöst.
kopie macht es möglich, die Lokalisation, Dynamik und
Interaktion von Molekülen in lebenden Zellen zu unter-
Herstellung von Paraffinschnitten  Gewebsschnitte von
suchen (Live Cell Imaging). Bei der konventionellen
einigen Mikrometern Dicke (4–8 μm) lassen sich nur mit
Fluoreszenzmikroskopie ist die Auflösung in der
Spezialapparaten herstellen. Für die Anfertigung von Pa-
z-Ebene dadurch beschränkt, dass Emissionssignale
raffinschnitten werden Rotations- oder Schlittenmikro-
oberhalb und unterhalb der Fokusebene ebenfalls de-
tome mit speziellen Stahlmessern oder Einmalklingen
tektiert werden (. Abb. 9.9).
verwendet (. Abb. 9.8).

9.5.4 Gefrierschnitte 9.6.1 c LSM (Confocal Laser Scanning


Microscopy)
Einbettung  Das Biopsiematerial wird in einem speziel-
len, zucker- und gefrierschutzhaltigen Einbettmedium Mithilfe der konfokalen LSM (. Abb. 9.10) ist es mög-

infiltriert, das bei Temperaturen unterhalb von −20 °C lich, das von einem Präparat emittierte Licht aus der
aushärtet. Das Einbetten erfolgt üblicherweise in Ein- Fokusebene zu sammeln. Dabei wird das helle Licht ei-
bettschiffchen über der Atmosphäre von flüssigem nes Lasers über ein Objektiv auf einen Punkt in der zu
Stickstoff. Die Lagerung von eingebetteten Kryoproben untersuchenden Ebene des Präparats fokussiert. Das
sollte bei einer Temperatur von −80 °C erfolgen. von dort emittierte Licht wird auf eine als Pinhole be-
Unfixiertes Gewebe kann durch Einfrieren gehärtet zeichnete variable Lochblende fokussiert und von einem
und damit schneidbar gemacht werden. Diese Methode hinter dem Pinhole liegenden Detektor (üblicherweise
wird angewendet, wenn Wert auf eine schnelle (z. B. int- einem Photomultiplier) erfasst. Da der Fokuspunkt und
raoperative) Diagnose gelegt wird. Allerdings führen das Pinhole in konjugierten Ebenen liegen, also konfo-
das Einfrieren und die erhöhte mechanische Beanspru- kal sind, kann nur Licht aus dem Fokuspunkt das Pin-
chung des unfixierten Gewebes häufiger zu Artefakten. hole passieren. Streulicht, das ober- und unterhalb der
Zudem besteht eine größere Infektionsgefahr bei der Be- Fokusebene von dem Präparat emittiert wird, wird
arbeitung von unfixierten Gewebeproben. Besonders ge- durch das konfokale Pinhole wirksam unterdrückt
eignet ist die Gefriermethode zur Herstellung von (. Abb. 9.9B). Analog zu einem konventionellen Fluo-

Schnitten, in denen Fett dargestellt werden soll, da hier reszenzmikroskop (7 Abschn.  9.3) verfügt auch ein

die Anwendung fettlösender Mittel wegfällt, und zur LSM über einen dichroitischen, d.  h. strahlteilenden
212 T. Quast und W. Kolanus

A Spiegel, der anregendes Licht einer bestimmten Wellen-


länge durch Reflexion zum Präparat leitet und ferner
das emittierte Licht des Präparats zum Detektor lenkt.
Neuartige LSM-Systeme verfügen anstelle eines dichroi-
tischen Spiegels über einen sog. AOTF (Acousto-Optical
Beam-­Splitter) mit dem Vorteil eines größeren Durch-
gangs von Laserlicht zum Präparat und einer größeren
Flexibilität bei der Detektion.
Im Gegensatz zu der konventionellen Fluoreszenz-
mikroskopie, bei der das gesamte „Sichtfeld“ angeregt
und detektiert wird, erfolgt die Anregung und Detek-
tion mithilfe der LSM rasterartig (Punkt für Punkt und
B Linie für Linie).
Mithilfe von galvanometrischen Scanspiegeln wird
das Laserlicht sequenziell durch das Präparat geführt, es
entsteht ein kontrastreicher, hochaufgelöster optischer
Schnitt. Durch das schrittweise Verschieben der Fokus-
ebene lassen sich Stapel optischer Schnitte in der z-Ebene
anfertigen, die anschließend digital verarbeitet und zu
dreidimensionalen Rekonstruktionen zusammengesetzt
9 werden können. Obwohl sich die Verfahren der Bilder-
zeugung wesentlich unterscheiden, sind konfokale opti-
sche Schnitte im zellulären Bereich im Ergebnis ver-
gleichbar mit computertomographischen Bildern im
medizinischen Bereich.
..      Abb. 9.9  Vergleichende Darstellung konfokaler und nicht konfo- Die LSM ermöglicht die räumliche und zeitliche
kaler Lichtmikroskopie am Beispiel einer affintätscytochemischen
Markierung des Aktinfilamentsystems (FITC-gekoppeltes Phalloi-
hohe Auflösung von morphologischen Details auf zellu-
din) an Fibroblasten. A konventionelle nicht-konfokale Epifluores- lärer und subzellulärer Ebene. Mit diesem bildgebenden
zenz; B konfokale Laser-Scanning-Mikroskopie. (Mit freundlicher Verfahren können demzufolge physiologische und pa-
Genehmigung von Dr. Bodo Borm, Jülich) thologische Zusammenhänge analysiert werden. Auf-
grund der recht langsamen Bildgenerierung (geringe
Bildrate pro Sekunde) waren konventionelle LSM-Sys-
Detektor teme bislang für das Live Cell Imaging schnell ablaufen-
(Photomultiplier) der Prozesse nur bedingt geeignet. Auf der anderen Seite
bieten diese Systeme gegenüber Nipkow-Systemen den
konfokale Blende (pinhole) entscheidenden Vorteil, dass die Anregung spezifisch
auf einen kleinen Präparatbereich begrenzt werden
kann; eine notwendige Voraussetzung für die Durchfüh-
dichroitischer Spiegel rung von Photobleaching-Experimenten (z.  B.  FRAP,
7 Abschn. 9.6 und . Tab. 9.5).
   

Laser

9.6.2 Multi-Photon Fluorescence


Microscopy
Scanner Bei der Multiphotonenmikroskopie handelt es sich um
eine Modifikation der konfokalen LSM, mit der hoch-
auflösende Bilder von biologischen Präparaten unter
Ausnutzung nichtlinearer optischer Prozesse aufgenom-
Objektiv
men werden können.
Eine grundlegende Eigenschaft der Fluoreszenz be-
außerhalb steht darin, dass das eingestrahlte Licht mindestens ge-
Objekt innerhalb
außerhalb nauso energiereich sein muss wie das vom Molekül wie-
der Brennebene
Objekt der abgegebene (s. Stokes’ Shift, 7 Abschn. 9.4.5). Es ist

also nicht möglich, ein blau fluoreszierendes Molekül


.Abb.
.       9.10  Prinzip der konfokalen Laser-Scanning-Mikroskopie (LSM) (hohe Energie) mit rotem Licht (geringe Energie) anzu-
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
213 9

..      Tab. 9.5  Vergleich verschiedener bildgebender Verfahren für das Live Cell Imaging (Zusammenfassung)

Konventionelle Konfokales Laser-Scanning-Mikroskop Konfokales Spinning-Disk-


Fluoreszenzmikroskopie (Weitfeld) System (Nipkow)

Konfokales nicht konfokal: Emissionssignale eine variable Lochblende (Pinhole) eine rotierende Scheibe mit
Prinzip ober- und unterhalb der Fokusebene eliminiert Emissionssignale außerhalb kleinen Linsen fokussiert das
werden erfasst der Fokusebene Anregungslicht
eine weitere Scheibe mit
synchron rotierenden Pinholes
erzeugt die Konfokalität
Lichtquelle LEDs oder Xenondampflampen Laser Laser
Detektor CCD-Kamera Photomultiplier CCD-Kamera
Vorteile hohe Bildaufnahmeraten, große die Anregung kann spezifisch auf einen hohe Bildaufnahmeraten bei
Flexibilität hinsichtlich kleinen Präparatbereich begrenzt werden Verwendung einer Laserlinie
Wellenlängenbereich von Anregung (Voraussetzung für Photobleaching- reduzierte Phototoxizität
und Emission, falls entsprechende Experimente) aufgrund von verringertem
Filtersets vorhanden Bleaching
schneller Filterwechsel bei
Verwendung von Filterrädern oder
Monochromatoren möglich
Nachteile nicht konfokal Photomultiplier sind in der Regel limitierte Bildaufnahmeraten
weniger sensitiv als CCD durch Zeitverzögerung beim
die Scangeschwindigkeit limitiert hohe Umschalten von Laserlinien
Bildaufnahmeraten Photobleaching-Experimente
limitierte Bildaufnahmeraten durch nicht durchführbar
Zeitverzögerung beim Umschalten von
Laserlinien

regen. Wünschenswert aus Sicht des Mikroskopikers ist keit der Lichtintensität vom Ort des Fokus zur vierten
es aber, Licht mit möglichst geringer Energie einzustrah- Potenz ergibt. Die Folge ist eine erheblich verbesserte Lo-
len, weil sich damit die Gefahr von Schäden am Gewebe kalisierung in z-Richtung infolge einer Reduzierung der
verringert. Die Lösung dieses Problems gelingt mithilfe sog. Hintergrundfluoreszenz aus Bereichen außerhalb der
der Zwei-Photonen-Absorption, die bei sehr hohen Fokusebene. Die folgenden Vorteile ergeben sich auf-
Lichtintensitäten bei Verwendung von Infrarotlasern grund der verbesserten Lokalisierung: Das Ausbleichen
auftritt. Dann nämlich kann ein Molekül zwei Photo- und eine schädliche Beeinflussung des Präparats be-
nen fast gleichzeitig absorbieren und dabei die doppelte schränken sich auf einen sehr kleinen Bereich, wodurch
Energie aufnehmen. Dieser Vorgang basiert auf der andere Bereiche für weitere Untersuchungen unbeein-
quantenphysikalischen Vorstellung, wonach Licht auch flusst bleiben. Allein aufgrund der quadratischen Abhän-
ein Strom von Teilchen (Photonen) ist. gigkeit der Zwei-Photonen-Absorption kann oft sogar
Die zur Zwei-Photonen-Absorption erforderliche das Pinhole vor dem Detektor eingespart werden.
Lichtintensität wird durch gepulste Laser erzeugt. Sie ge- Die Wellenlängen von Anregungslicht und Emissi-
ben die im Puls gegebene Lichtenergie in extrem kurzen onssignal liegen weit auseinander, sodass die Fluores-
Zeiten ab, sodass sich Pulsspitzenleistungen von bis zu zenz über einen breiten Spektralbereich beobachtet wer-
100 kW ergeben. Die Pulswiederholraten liegen zwischen den kann, ohne dass es zum Übersprechen mit dem
10 und 100  MHz. Weit verbreitet sind Titan-­ Saphir-­ Anregungslicht kommt. Die Folge ist ein sehr geringes
Femtosekundenlaser. Sie sind jedoch aufwendig zu justie- Hintergrundrauschen bei hoher Fluoreszenzausbeute.
ren und reagieren empfindlich auf Langzeitdriften in der Gepulstes Laserlicht aus dem nahen Infrarotbereich
komplexen Mechanik. Vergleichbar mit der konventio- wird von den meisten biologischen Substanzen nur we-
nellen konfokalen LSM nimmt auch bei der Zwei-Photo- nig gestreut und gering absorbiert, sodass es zu einer
nen-Mikroskopie die Lichtintensität außerhalb des Fokus hohen Eindringtiefe kommt. Daher eignet sich die Zwei-­
mit einer quadratischen Funktion ab, sodass eine hohe Photonen-­Mikroskopie insbesondere zur Untersuchung
Ortsauflösung in der z-Ebene gewährleistet ist. Zusätzlich von Gewebebiopsien. Infrarotlicht wirkt weniger zell-
hängt die Wahrscheinlichkeit für die Zwei-Photonen-Ab- schädigend als sichtbare oder UV-Strahlung und gestat-
sorption quadratisch von der Lichtintensität ab, sodass tet Untersuchungen sogar an lichtempfindlichen Struk-
sich bei der Zwei-­Photonen-­Mikroskopie eine Abhängig- turen wie beispielsweise Retinazellen.
214 T. Quast und W. Kolanus

Intravital microscopy  Unter Intravitalmikroskopie ver- Coupled Device), die das emittierte Licht sämtlicher Pin-
steht man die Beobachtung der Interaktionen endogener holes schnell und simultan erfassen. Auf diese Weise
oder exogener Zellen in einem operativ zugänglichen Ge- werden phototoxische Effekte und das Photobleaching
webe (z. B. Extravasation von Leukocyten) unter Nutzung reduziert.
der Multiphotonenmikroskopie.

9.6.4 Live Cell Imaging


9.6.3 Konfokale High-Speed-Spinning-
Disk-Systeme (Nipkow-Systeme) Die Mikroskopie in den Biowissenschaften beschränkt
sich nicht mehr nur auf die rein strukturelle Charakteri-
Mit extrem hohen Bildraten von bis zu mehreren Hun- sierung fixierter Gewebe und Zellen, sondern umfasst
dert Bildern pro Sekunde sind diese bildgebenden Ver- auch die Untersuchung dynamischer Prozesse in leben-
fahren in erster Linie für die Visualisierung von schnell den Zellen mittels neuartiger Fluoreszenzmethoden.
ablaufenden Prozessen in Echtzeit (Realtime) geeignet Einen wichtigen Hinweis auf die Funktion eines Prote-
(Beispiel: Ca2+-Imaging und FRET). Nipkow-Systeme ins gibt die Lokalisation und Dynamik innerhalb der
besitzen zwei schnell rotierende Scheiben: Eine befindet Zelle. Dabei ist die Arbeit an lebenden Zellen besonders
sich hinter der Laser-Lichtquelle, wo sie mit einer gro- aufschlussreich, da hier beispielsweise die Wirkung von
ßen Anzahl von kleinen Linsen die Beleuchtung auf die Substanzen (Inhibitoren, Pharmaka und andere) oder
Probe fokussiert, die andere Scheibe mit mehreren Tau- der zelluläre Effekt nach genetischer Manipulation un-
send gleichzeitig rotierenden Pinholes generiert die mittelbar analysiert werden kann.
9 Konfokalität (. Abb. 9.11). Im Gegensatz zu konventi-

Dynamische Prozesse wie beispielsweise Zellmigra-
onellen LSM-Systemen erfolgt die Detektion nicht über tion, Zellwachstum, metabolischer Transport und Sig-
Photomultiplier, sondern über CCD-Kameras (Charge-­ naltransduktion können weniger als eine Sekunde
oder mehrere Tage dauern. Dementsprechend variie-
ren die Anforderungen an die Bildaufnahmeraten von
mehreren Bildern pro Sekunde bis zu mehreren Minu-
Laser ten. Bei kurzen Intervallen sind Bildaufnahmerate,
Lichtempfindlichkeit und Belichtungszeit die limitie-
renden Faktoren; bei Zeitserien, die über einen langen
Zeitraum erfolgen, stehen die Aufrechterhaltung der
Scheibe mit pinholes
korrekten Fokusebene und die Konstanz der Kultivie-
fokussiert den
Anregungsstrahlengang rungsbedingen (Temperatur, CO2, Humidität) im Vor-
dergrund.
dichroitischer Spiegel Zahlreiche Komponenten der mikroskopischen Sys-
teme limitieren die Geschwindigkeit der Bildaufnahme-
raten (beispielsweise der Wechsel von Laserlinien oder
Fluoreszenzfiltern). Bei Systemen, die monochrome Ka-
meras einsetzen, ist ein schnelles Umschalten zwischen
den anregenden Wellenlängen möglich (üblicherweise un-
Detektor terhalb von 3 ms), allerdings haben sie den Nachteil einer
(Photomultiplier) verminderten Beleuchtungsintensität, die durch das Ein-
koppeln der optischen Faser in das Mikroskop bedingt ist.
rotierende pinholes Filterradanordnungen bedingen in der Regel einen höhe-
bedingen Konfokalität
ren Lichtdurchlass, sind aber beim Umschalten deutlich
langsamer. Scanning-Systeme sind langsamer als CCD-­
Objektiv
Kameras, da sie nicht das Bild als Ganzes erfassen, son-
dern die Daten Pixel für Pixel detektieren.
Die Wahl eines geeigneten Systems zur Visualisie-
außerhalb rung von lebenden Zellen ist in erster Linie von drei
Objekt innerhalb Faktoren abhängig:
außerhalb 55 der Sensitivität des Detektors,
der Brennebene
Objekt
55 der Geschwindigkeit bzw. der Bildaufnahmerate,
55 der Schonung des zu untersuchenden Präparats, d. h.
..      Abb. 9.11  Prinzip der konfokalen Spinning-Disk-Mikroskopie der Vermeidung von Störungen normaler physiolo-
(Nipkow) gischer Prozesse.
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
215 9
Die lichtmikroskopische Beobachtung von lebenden haben alle konventionellen Methoden der Fluoreszenz-
Präparaten erfordert sowohl die Berücksichtigung eines mikroskopie, einschließlich Weitfeld-, Laser Scanning-
guten Signal-zu-Rausch-Verhältnisses als auch einer und Multiphotonenmikroskopie, eine Auflösungslimi-
potenziellen Zerstörung des Präparats. Für das hochent- tierung, die durch die Lichtbeugung durch Linsen und
wickelte Live Cell Imaging ist unerlässlich, dass Metho- Aperturen bedingt ist. Die Verbesserung der Auflösung
den entwickelt wurden, die neben zellschonenden Nach- jenseits der optischen Beugungsgrenze von 200 nm bei
weismethoden auch die Phototoxizität aufgrund von gleichzeitiger Ausnutzung der Vorteile der Lichtmikros-
Wechselwirkungen und Hitzeentwicklung (z. B. mit La- kopie gegenüber der Elektronenmikroskopie, insbeson-
serlicht) während der Visualisierung minimieren. dere im Bereich der Lebendzellbeobachtung, ist seit lan-
Mithilfe komplexer Software ist die vollautomati- ger Zeit ein wichtiges Ziel.
sche und interaktive Mikroskopsteuerung möglich. Au- Der Wellencharakter von gebeugtem Licht verhindert
ßerdem können komplexe Abläufe leicht konfiguriert die Visualisierung von Präparaten, die kleiner als 200 nm
werden. Auf diese Weise lassen sich Einstellparameter in der lateralen (xy-) und kleiner als 500 nm in der axialen
beliebig speichern und bei späteren Experimenten repro- (z-) Ebene sind. Da die meisten subzellulären Strukturen,
duzieren. wie beispielsweise cytoskeletale Filamente und Vesikel,
Die auf Fluoreszenzdetektion basierenden bildge- aber deutlich kleiner sind, wurden seit den Neunzigerjah-
benden Verfahren sind bereits eingehend beschrieben. In ren des 20. Jahrhunderts verschiedene Methoden entwi-
der Übersicht (. Tab. 9.5) sind die wesentlichen Merk-
  ckelt, die eine Auflösung jenseits des Abbe-Limits
male dieser Techniken und ihre Bedeutung für das Live (7 Abschn. 9.3) und damit eine sog. Superauflösung er-

Cell Imaging zusammengefasst. möglichen. Eine spezielle hochentwickelte Technik ba-


siert darauf, mithilfe von nichtlinearen Methoden die
Größe des mit Linsen erzielten fokussierten Lichtspots zu
9.6.5 Lichtmikroskopische Superauflösung reduzieren. Beispiele für Mikroskopietechniken mit Su-
jenseits des Abbe-Limits perauflösung sind STED (Stimulated Emission Deple-
tion) (. Abb. 9.12), GSD (Ground State Depletion) und

Lichtmikroskopische Techniken sind wichtige Metho- SSIM (Saturated Structured Illumination). Diese Techni-
den der modernen Zellbiologie und in Kombination mit ken ermöglichen durch spezifische Reduzierung der Point
Immunofluoreszenzmarkierungen, fluoreszierenden Fu- Spread Function (PSF; 7 Abschn. 9.3, Glossar) eine Auf-

sionsproteinen oder in-situ-­Hybridisierungstechniken lösung zwischen 20 und 50 nm in lateraler Ebene. Andere
wichtiges Werkzeug zur spezifischen Lokalisation von Techniken verzichten ganz auf die Fokussierung von
nahezu allen zellulären Komponenten. Abgesehen von Licht, indem sie die Eigenschaften von sog. evaneszenten
der großen Bedeutung für biologische Fragestellungen Wellen ausnutzen (TIRFM . Abb. 9.13 und SNOM).

A B

C D

..      Abb. 9.12  STED-Mikroskopie von EYFP-markierten Neuronen rung. B Volumenprojektionen von dendritischen und axonalen Struk-
in der molekularen Schicht des somatosensorischen Cortex der Maus turen zeigen C temporale Dynamiken der Dornenfortsätze mit D einer
in  vivo. A Anästhesierte Maus mit Endothrachealtubus unter der im Vergleich zur beugungsbegrenzten Mikroskopie ungefähr vierfach
Linse eines Glycerol-Immersionsobjektives mit 63-facher Vergröße- verbesserten Auflösung. Maßbalken 1 μm (Nach Berning et al. 2012)
216 T. Quast und W. Kolanus

..      Abb. 9.13  Total Internal Reflection


Vesikel
Microscopy (TIRFM). Totalreflexion entsteht,
wenn der Einfallswinkel des anregenden Mikrotubuli
Lichtstrahls einen kritischen Winkel über- Wasser Zelle
steigt. Ein sog. evaneszentes Feld entsteht, ≈100 nm
wenn Licht von einem Medium mit hohem
Brechungsindex (hier: Deckglas) in ein Glas α au
ein s
Medium mit geringem Brechungsindex (hier:
Zelle) übergeht. Die Intensität dieses
evaneszenten Feldes nimmt mit zunehmender
Entfernung vom Deckglas ab, sodass lediglich
ein Bereich von etwa 100 nm des dem
Deckglas angrenzenden basalen Zellbereichs
Vesikel und Mikrotubuli
angeregt wird. Folglich wird auch nur das
außerhalb des
Fluoreszenzsignal des Plasmamembran-proxi-
evaneszenten Feldes
malen Bereichs (rot gekennzeichnet) und nicht
der in anderen z-Ebenen liegende Bereich
visualisiert. Die TIRFM lässt sich mit der evaneszentes Feld
≈100 nm
konventionellen Weitfeldmikroskopie
kombinieren, um zusätzlich Ereignisse Vesikel und Mikrotubuli
außerhalb des evaneszenten Feldes visualisie- innerhalb des
ren zu können. (Verändert nach Stephens und evaneszenten Feldes
Allan 2003)
α
9
Besondere Bedeutung und Anerkennung hat die su- Fluoreszenzmoleküle im Fokusbereich des Anregungs-
perhochauflösende Lichtmikroskopie in der Nanodi- laserstrahls. Er schaltet aber die Fluoreszenzfarbstoffe
mension durch die Verleihung des Chemie-Nobelpreises im Außenbereich des Anregungsfokus durch stimulierte
2014 an die Wissenschaftler William Moerner, Stefan Emission aus; die Farbstoffmoleküle im Außenbereich
Hell und Eric Betzig erlangt. Durch ihre Entwicklungen bleiben dunkel, obwohl sie von dem Anregungslaser be-
im Bereich der superhochauflösenden Mikroskopie ist leuchtet werden. Es leuchten deshalb nur die Farbstoff-
es möglich, die Dynamik einzelner Moleküle in leben- moleküle genau aus dem Zentrum. Wenn der Ausschal-
den Zellen zu visualisieren. Bei der Bekanntgabe der testrahl eine hohe Intensität hat, ist dieser Bereich sehr
Preisträger äußerte das Nobelpreiskomitee folgende Be- viel kleiner als der mit dem Anregungslaser beleuchtete
gründung: „Lange Zeit wurde die optische Mikroskopie Bereich. Bei der Detektion des Präparats wird somit ein
von einer vermuteten Begrenzung aufgehalten: Dass sie Spot mit stärkerer Leuchtintensität erfasst, der viel klei-
nie eine bessere Auflösung haben kann als die Wellen- ner ist als in einem konventionellen konfokalen LSM,
länge von Licht. Mithilfe fluoreszierender Moleküle ha- das heißt die Auflösung ist größer.
ben die Chemie-Nobelpreisträger von 2014 dies auf ge- Die STED-Mikroskopie findet insbesondere in Zel-
niale Weise umgangen.“ len in vitro Anwendung. Die Arbeitsgruppe um Stefan
Hell vom Max-Planck-Institut in Göttingen hat die
STED (Stimulated Emission Depletion)  Die STED-Mikro- STED-Mikroskopie allerdings für die in-vivo-Super-
skopie steigert die beugungsbedingte Auflösungsgrenze hochauflösung (sog. Nanoscopy) von Neuronen und ih-
durch gezieltes Ausschalten von Fluoreszenzfarbstof- ren feinen Dynamiken in der Großhirnrinde von leben-
fen. Der Bereich des Präparats, von dem Fluoreszenz den Mäusen weiterentwickelt (. Abb. 9.12).

emittiert wird, wird dabei wesentlich kleiner gemacht als


der Bereich, der von dem Laserstrahl angeregt wird. PALM (Photoactivated Localization Microscopy) und STORM
Möglich ist das durch gezieltes Ausschalten der Fluores- (Stochastic Optical Reconstruction Microscopy)  PALM
zenzmoleküle im Außenbereich des Fokus. Dazu wird und STORM sind spezielle Verfahren, um die Auflösung
das Präparat nicht nur wie bei der konventionellen kon- eines Lichtmikroskops zu verbessern, indem sie die spezi-
fokalen LSM im Fokusbereich angeregt, sondern zu- fischen Eigenschaften von photoaktivierbaren Proteinen
sätzlich mit einem zweiten Laserstrahl, der zum geziel- (PA-Proteinen) nutzen. Es handelt sich um Varianten des
ten Ausschalten im Fokusaußenbereich führt. Dieser GFP, die durch Licht spezifischer Wellenlänge gezielt ak-
zweite Laserstrahl hat im Bereich der Fokusebene ein tiviert und deaktiviert werden können. Durch einen kur-
ringförmiges Profil. In dem Bereich, in dem der Anre- zen Lichtimpuls werden zufällig einige wenige dieser bis
gungslaserstrahl seine maximale Intensität hat, ist der zu diesem Zeitpunkt inaktiven, nicht fluoreszierenden
zweite Laserstrahl vollständig dunkel. Der zweite, sog. PA-Proteine zur Fluoreszenz aktiviert, d. h. „angeschal-
Ausschaltelaserstrahl hat also keinen Einfluss auf die tet“. Bei andauernder Anregung erfolgt ein irreversibles
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
217 9
Ausbleichen der Moleküle. Während des Ausbleichens parat erreicht (die Distanz ist wesentlich geringer als die
werden eine kontinuierliche Visualisierung und Positions- verwendete Wellenlänge des Lichts). Bei dieser Technik ist
bestimmung der Moleküle durchgeführt. Die Bedingun- die Auflösung nicht durch die Wellenlänge des verwende-
gen werden so gewählt, dass die Wahrscheinlichkeit einer ten Lichts, sondern durch die Apertur des Detektors limi-
gleichzeitigen Aktivierung von zwei dicht nebeneinander tiert.
lokalisierten Molekülen sehr gering ist. Dieses Verfahren
wird so lange wiederholt, bis alle PA-Proteine ausgebli-
chen sind. Die fluoreszierenden Moleküle können auf- 9.6.6 Messung von Molekülbewegungen
grund der Beugung zunächst nicht aufgelöst werden.
Durch spezielle Algorithmen und unter Verwendung der FRAP (Fluorescence Recovery after Photobleaching) ist
Point Spread Function (7 Abschn. 9.3, Mikroskopisches

eine optische Methode zur Messung von Diffusions-
Glossar) erfolgt die Berechnung der exakten Position der oder molekularen Bewegungsvorgängen in Zellen oder
räumlich isolierten Moleküle und schließlich die Kalkula- dünnen Flüssigkeitsfilmen (. Abb.  9.14). Dabei wird

tion des endgültigen, hochaufgelösten Bildes. zunächst die Intensität fluorochromierter Moleküle an
einem spezifischen Ort vermessen. Anschließend erfolgt
3D SIM (3D Structured Illumination Microscopy)  3D SIM er- an dieser Stelle ein gezieltes, irreversibles Bleichen der
möglicht die Hochauflösung unterhalb von 200 nm durch Fluoreszenz mittels Laserimpuls. Von den einströmen-
den Einsatz von strukturierter Beleuchtung, d. h. von drei den fluorochromierten Molekülen aus den angrenzen-
sich gegenseitig überlagernden Lichtstrahlen. Das fluores- den Bereichen in den ausgebleichten Bereich können
zierende Präparat wird dabei mit einem sinusförmigen, dann die Diffusionszeit bzw. Bewegungsvorgänge be-
engmaschigen Streifenmuster angeregt. Bei den emittie- rechnet werden.
renden Signalen ergeben sich dadurch Interferenzmuster, FLIP (Fluorescence Loss in Photobleaching) wird
deren Auswertung mit speziellen Algorithmen die Auflö- analog zu FRAP angewendet zur Untersuchung der
sung in der axialen und der lateralen Richtung verdoppelt. molekularen Dynamik in 4D (x-, y-, z- und t-­Dimension)
in lebenden Zellen, beispielsweise bei Diffusions-, Trans-
TIRFM (Total Internal Reflection Fluorescence Microscopy)  Die port- oder anderen molekularen Bewegungsvorgängen.
Variante TIRFM ist in erster Linie zur Visualisierung von Im Gegensatz zu FRAP wird hier die Abschwächung
zellulären Prozessen geeignet, die in distinkten Regionen der Fluoreszenzintensität eines definierten nicht mani-
der Zelle, beispielsweise der Plasmamembran, stattfinden pulierten Bereichs analysiert, der an einen mehrfach ge-
(. Abb.  9.13). Dabei können Ereignisse nachgewiesen bleichten Bereich angrenzt.

werden, die sich in unmittelbarer Nähe des Deckglases er- FCS (Fluorescence Correlation Spectroscopy) ermög-
eignen. Die Laserlichtanregung in ein Glasmedium in ei- licht die Analyse von Diffusionskonstanten und Wechsel-
nem bestimmten kritischen Einfallswinkel führt zur Total- wirkungen zwischen verschiedenen Molekülen in Lö-
reflexion. Bei der TIRFM macht man sich das Phänomen sung. Diese Spektroskopietechnik registriert in einem
des sog. evaneszenten Feldes zunutze, das entsteht, wenn definierten Volumen in  vitro die Zufallsbewegung von
dem Glas ein Medium mit geringerem Brechungsindex be- fluorochromierten Molekülen (Braun’sche Molekularbe-
nachbart ist. Ein Teil des einfallenden Lichts wird nicht wegung) mithilfe eines fokussierten Laserstrahls. Die In-
reflektiert, sondern „sickert“ in die optisch dünnere Zelle formationen werden aus Fluktuationen in der Fluores-
ein. Die Dicke des evaneszenten Feldes beträgt etwa zenzintensität gewonnen, die sich durch Bindung von
100 nm; die Lichtintensität nimmt mit zunehmender Ent- Molekülen ergeben. Entwickelt wurde die Technik An-
fernung vom Deckglas drastisch ab. Das Resultat ist, dass fang der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts, um die Dif-
auch das Emissionssignal ebenfalls nur aus dieser definier- fusion und Bindung von Ethidiumbromid an doppels-
ten Ebene kommt und störende Hintergrundfluoreszenz trängige DNA zu quantifizieren. Durch die Kombination
aus anderen z-Ebenen des Präparats unterdrückt wird. Die von FCS mit konfokalen Systemen (FCM, Fluorescence
Einkopplung von Laserlicht in spezielle Objektive ermög- Correlation Microscopy) kann das Detektionsvolumen in
licht den schnellen Wechsel zwischen TIRF- und Weitfeld- der Größenordnung von Femtolitern reduziert werden.
beleuchtung und somit die Beobachtung der Zelloberflä- Abgesehen von der Grundlagenforschung wird FCS/
che im Wechsel mit intrazellulären Strukturen. FCM gegenwärtig in erster Linie bei der Substanztes-
tung (Drug Screening) im medizinischen und pharma-
NSOM/SNOM (Near-Field Scanning Optical Microscopy)  zeutischen Bereich eingesetzt.
NSOM/SNOM nutzt vergleichbar zu TIRF die Eigen- RICS (Raster Image Correlation Spectroscopy) ist
schaften eines evaneszenten Feldes, um hohe räumliche, eine Weiterentwicklung der ursprünglichen FCS/FCM
zeitliche und spektrale Auflösung zu erreichen. Im Unter- zur Messung von Moleküldynamik und -konzentration
schied zu TIRF wird hier das evaneszente Feld durch Posi- in lebenden Zellen. Die Verbesserung von Sensitivität
tionierung des Detektors in unmittelbarer Nähe zum Prä- und Geschwindigkeit konfokaler Systeme ermöglicht
218 T. Quast und W. Kolanus

..      Abb. 9.14  FRAP (Fluorescence Recovery


after Photobleaching). Als Beispiel für ein
FRAP-Experiment sind hier Zellen abgebildet,
die mit einem Protein-GFP-Konstrukt
transfiziert wurden. Um das Protein im
Bereich des Endoplasmatischen Retikulums
zurückzuhalten, wurden die Zellen während
des Experiments bei 40 °C kultiviert. Die obere
Bildreihe zeigt eine Kontrollzelle, die Zelle der
unteren Bildreihe wurde zusätzlich mit dem
Gift Tunicamycin behandelt. Die Fluoreszenz-
wiederherstellung (Recovery) nach dem
Photobleaching zeigt, dass das GFP-markierte
Protein in den ER-­Membranen stark mobil ist.
Dies ist in Anwesenheit von Tunicamycin nicht
der Fall. (Quelle: Nehls et al. 2000)

9 die Kombination von Spektroskopie mit Methoden des


A
Live Cell Imaging. Auf diese Weise lassen sich durch an-
schließende Bildanalyse und spezielle Algorithmen Dy-
namik und Aggregatzustand von Molekülen berechnen.
Fluktuationen in der Intensität von fluorochromierten
Molekülen in Zellen entstehen beispielsweise bei der
Konformationsänderung von Proteinen oder der Bin-
dung von Proteinen an immobilisierte Makrostrukturen
oder Zellkompartimente.
FSM (Fluorescent-Speckle Microscopy) wurde entwi-
ckelt, um dynamische Ereignisse von Polymeren wie bei-
spielsweise Anlagerung und Trennung von Makromole-
külen in  vitro und in  vivo mittels Live Cell Imaging zu
visualisieren. Bei der von der analogen Cytometrie abge- B
leiteten Methode werden fluorochromierte Moleküle in
Zellen eingebracht (z. B. mittels Mikroinjektion), damit
sie dort in makromolekulare Strukturen inkorporieren.
Dabei ist der prozentuale Anteil an fluorochromierten
Molekülen mit weniger als einem Prozent an der Ge-
samtzahl der unmarkierten intrazellulären Moleküle so
gering, dass ihre Inkorporation in entsprechende Poly-
mere ein diskontinuierliches Markierungsmuster verur-
sacht. Die Analyse der Zeitserien liefert in hoher örtlicher
und zeitlicher Auflösung kinetische Informationen zu
dynamischen Ereignissen von Polymeren (beispielsweise
Kinetik von F-Aktin und Mikrotubuli, . Abb. 9.15). Die
  ..      Abb. 9.15  Fluorescent Speckle Microscopy (FSM). Vergleich von
vollständige Nutzung des enormen quantitativen Poten- konventioneller Epifluoreszenz-Mikroskopie A und Fluoreszenz-­
zials dieser mikroskopischen Technik ist limitiert durch Speckle-­Mikroskopie B am Beispiel der Detektion von X-Rhodamin-­
markiertem Tubulin in der Lamellenregion von Epithelzellen. Die
die aufwendige mathematische Analyse der Lokalisation Einführung des markierten Tubulins erfolgte durch Mikroinjektion,
sowie der photometrischen Eigenschaften mehrerer Hun- wobei bei der Zelle in (A) 10 % des injizierten Tubulins und in (B)
derttausend kleiner Emissionssignale (Speckles). Eine 0,25  % des Tubulins fluorochromiert waren. Maßbalken 10  μm.
weitere Schwierigkeit besteht in der sinnvollen Übertra- (Quelle: Waterman-Storer 1998)
gung der ermittelten Daten in biologisch relevante Infor-
mationen. Aufgrund der schwachen Fluoreszenzsignale tistische Aufbereitung. Diese Quantifizierung einer gro-
der Speckles erfordern alle mit FSM ermittelten Mess- ßen Datenmenge ist nur möglich mit robusten und
werte eine auf komplizierten Algorithmen basierende sta- automatisierten Softwarelösungen. Diese müssen in der
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
219 9
Lage sein, eine enorm große Anzahl von Speckles aus Spectral Unmixing ist eine neuartige Methode, die die
Zeitserien zu extrahieren, ihren Wegverlauf zu verfolgen bis dahin unübliche Kombination von Fluorochromen
und zu analysieren. Dies ist deshalb so schwierig, weil erlaubt, deren Emissionsspektren nahe beieinander lie-
Speckles stark in ihrer Fluoreszenzintensität schwanken gen oder überlappen. Derzeit befinden sich mehrere
und sich entsprechend den zugrunde liegenden molekula- kommerzielle Systeme auf dem Markt, die mit unter-
ren Prozessen gegebenenfalls sehr schnell bewegen. schiedlichen Verfahren die spektrale Zusammensetzung
FRET (Förster Resonance Energy Transfer) ist eine des Fluoreszenzlichts in jedem detektierten Punkt des
der neuesten Methoden zum Nachweis von Bindungen Präparats erfassen. Insbesondere lassen sich auf diese
und Interaktionen zwischen Proteinen, Lipiden, Enzy- Weise stark überlappende Fluoreszenzemissionen, wie
men, DNA und RNA in lebenden Zellen. Zwei Mole- z.  B. die der fluoreszierenden Proteine CFP, GFP und
küle von Interesse werden jeweils mit Fluorochromen YFP, mithilfe von digitalen Algorithmen exakt und effi-
markiert, wobei die Emissionswellenlänge des einen zient in separate Bildkanäle sortieren. In Kolokalisie-
Farbstoffs (Donor) mit der Anregungswellenlänge des rungsstudien lassen sich Artefakte, die durch überlap-
zweiten Farbstoffs (Akzeptor) überlappt. Bei hinrei- pende Absorptions- und Emissionsspektren auftreten
chend kleinem Molekülabstand (unter 10 nm) überträgt können (sog. Durchbluten oder Crosstalk), minimieren.
der Donor seine Energie strahlungslos an den Akzep- Bei FRET-Experimenten wird, beispielsweise unter Ver-
tor. Dieser emittiert Licht, welches detektiert werden wendung von CCP und YFP, das Vorliegen eines Ener-
kann. Mittels FRET kann die relative Nähe der Mole- gietransfers offensichtlich.
küle über die optische Grenze der Lichtmikroskopie hi- Single Molecule Detection ermöglicht die Visualisie-
naus aufgelöst werden. Nachweisbar sind mit dieser rung von fluorochromierten Einzelmolekülen (z. B. Pro-
Methode z. B.: teinen, Lipiden) und eröffnet damit die Möglichkeit, be-
55 molekulare Wechselwirkungen zwischen zwei Prote- liebige zelluläre Prozesse auf der Ebene der einzelnen,
inpartnern für den jeweiligen Prozess wesentlichen Moleküle zu
55 Strukturänderungen innerhalb eines Moleküls studieren (. Abb. 9.16). Bei diesem auch als Single-Dye

(unter anderem Enzymaktivität oder DNA/RNA-­ Tracing bezeichneten Verfahren wird die Dynamik von
Konformation) einzelnen Fluorochromen in 4D detektiert. Durch die
55 Ionenkonzentrationen Wahl von möglichst kleinen Fluorochromen wird das

A C D
0 60 cnts/pxl
2,0
(14)
(1) 1,5
Vesikel
y-Position (in µm)

Vesikel
1,0

0,5

70 ms Plasmamembran 0,0
(2)
(2)
10 µm –0,5
(14)
Lipid-Probe
–1,0
60

B
–1,0 –0,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0
x-Position (in µm)
5 µm 35 ms
cnts/pxl

(3) Vesikel

Lipid-
Probe
0

1 µm 5 µm

..      Abb. 9.16  Single Molecule Detection. Dieses Beispiel zeigt die Inser- einen deutlich erkennbaren Fluoreszenzpeak eines einzelnen Cy5-Lipid-
tion von exogen zugeführten, Cy5-markierten Lipiden in die Plasma- moleküls. Die Skalierung wurde mit blau = 0 Counts/Pixel und rot = 60
membran von HASM-Zellen (humane Glattmuskelzellen der Atem- Counts/Pixel gewählt. Kurze Belichtungszeiten (wenige Millisekunden)
wege). A Das Quadrat in der Durchlichtaufnahme kennzeichnet den für ermöglichen neben statischen Aufnahmen auch die Visualisierung der
die Fluoreszenzdetektion ausgewählten Zellbereich. B Die dreidimensio- Dynamik dieser Moleküle C und die Analyse der Trajektorien von einzel-
nale Darstellung des fluoreszenzmikroskopisch generierten Bildes zeigt nen Lipidmolekülen und Vesikeln D. (Quelle: Schütz et al. 2000)
220 T. Quast und W. Kolanus

Problem einer sterischen Behinderung der markierten von biologischen Prozessen in lebenden Organismen zu
Moleküle deutlich reduziert. Der Vorteil gegenüber kon- verbessern. Sie bietet damit, insbesondere im Bereich
ventionellen Markierungsmethoden, die vorwiegend neuro- und entwicklungsbiologischer Forschung (z.  B.
auf einer Signalverstärkung basieren (z. B. indirekte Im- neuronale Netzwerke im Gehirn und Imaging von Droso-
munfluoreszenz) und demnach Details häufig „maskie- phila melanogaster), eine probenschonende Alternative zu
ren“, liegt in der Erzielung einer höheren Auflösung. der weit verbreiteten Konfokal- und Multiphotonenmik-
Während die räumliche Auflösung weiterhin von der roskopie. Grundsätzlich basiert dieses Verfahren, das auch
Auflösung des Lichtmikroskops begrenzt wird, ist die als SPIM (Single Plane Illumination Microscopy) bezeich-
Auflösung der einzelnen Fluorochrome etwa um den net wird, auf einer optischen Restriktion der Beleuchtung
Faktor sieben höher (im Bereich von etwa 50 nm). Die der Probe. Diese wird erreicht durch eine Trennung und
hohe zeitliche Auflösung ist durch die geringen Belich- senkrechten Ausrichtung von Beleuchtungs- und Detek-
tungszeiten bedingt. Die Bildentstehung beruht auf der tionsachse. Das hat gegenüber bisherigen hochauflösen-
Detektion der emittierten Signale pro Pixel (Counts/Pi- den Methoden den wesentlichen Vorteil, dass die Anre-
xel) durch die CCD-Kamera. Mithilfe entsprechender gung von Fluorophoren auf die jeweilige Fokusebene
Software werden die Signale dann in Farben bzw. Hö- (Optical Sectioning) beschränkt ist und somit Ausbleichen
hen übersetzt (. Abb.  9.16B, C). Zeitserien erlauben
  und lichtinduzierter Stress reduziert werden (. Abb. 9.17).

die Analyse der Trajektorien von Einzelmolekülen Bei der Gitter-Lichtblattfluoreszenzmikroskopie (Lat-
(. Abb. 9.16D).
  tice Lightsheet Fluorescence Microscopy) handelt es sich
FLIM (Fluorescence Lifetime Imaging) Normaler- um eine Modifikation der LSFM, die sich durch eine er-
weise basiert die Detektion eines Fluoreszenzsignals auf höhte Bildaufnahmerate und eine verringerte Phototoxi-
9 der Quantifizierung der Photonen, die vom angeregten zität für die Probe auszeichnet. Bei dieser von Eric Betzig
Fluorochrom emittiert werden. Bei der Anwendung von (Nobelpreisträger für Chemie 2014, 7 Abschn. 9.6.5) in

FLIM wird dagegen die Dauer dieses angeregten Zu- der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts entwickelten
stands gemessen. Dieses Verfahren bietet die Möglich- Methode wird das Lichtblatt in Form von strukturierter
keit, verschiedene Fluorochrome zu ­ detektieren, bei- Beleuchtung verwendet, um stufenweise in optischen
spielsweise GFP-Varianten, die sich abgesehen von Ebenen Fluoreszenz in der Probe anzuregen und somit
überlappenden spektralen Eigenschaften in der Dauer Zeitserien von 3D-Bildern zu generieren. Die Dünnheit
ihrer Fluoreszenz unterscheiden. FLIM ist deshalb gut der einzelnen Lichtblätter führt zu einer hohen axialen
geeignet zur Messung von FRET-­Experimenten, weil die Auflösung bei äußerst geringem Photobleaching und
Dauer des angeregten Zustands deutlich abnimmt, wenn Hintergrundrauschen außerhalb der Fokusebene. Die si-
FRET-Ereignisse auftreten. Auf diese Weise gelang bei- multane Beleuchtung des gesamten Sichtfeldes ermög-
spielsweise vor einigen Jahren die Visualisierung von Ki- licht die Visualisierung von mehreren hundert Ebenen
nase-Aktivitäten. Dennoch schränken diverse Schwierig- pro Sekunde bei extrem niedrigen Anregungsenergien
keiten die Anwendung dieser neuartigen Technik ein. (. Abb. 9.18).

Neben einer reduzierten Auflösung ist FLIM nur schwer Unter der korrelativen Licht- und Elektronenmikros-
an lebenden Zellen durchführbar. Obwohl es bereits ei- kopie (CLEM, Correlative Light-Electron Microscopy)
nige kommerzielle Aufrüstungslösungen für konfokale versteht man die Kombination eines Fluoreszenzmikros-
Systeme gibt, ist FLIM nach wie vor eine technisch sehr kops mit einem Transmissions- oder Rasterelektronenmi-
anspruchsvolle Methode, die für die Analyse die Auswer- kroskop (. Abb. 9.19). Motivation für die Verwendung

tung komplizierter Algorithmen erfordert. beider Techniken ist eine umfassende Analysemöglichkeit
Die Lichtblattfluoreszenzmikroskopie (LSFM, Lights- in stark unterschiedlichen Auflösungsmaßstäben. Wäh-
heet Fluorescence Microscopy)wurde in den letzten Jahren rend die Fluoreszenzmikroskopie sowohl die Anfertigung
entwickelt, um die Visualisierung und Quantifizierung von Übersichtsaufnahmen als auch die spezifische Loka-

..      Abb. 9.17  Prinzip der Lightsheet Objektiv Lichtblatt (light sheet)


Fluorescence Microscopy (LSFM) Laser (Anregung) Objekt

Objektiv
(Detektion)

Detektor
(CCD)
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
221 9
..      Abb. 9.18  Lattice Light-Sheet
Microscopy (Gitter-­Lichtblattfluore
szenzmikroskopie). Ein ultradünnes
sog. strukturiertes Lichtblatt
(blau-grüne Markierung in der
Mitte der Abbildung) regt
schrittweise Fluoreszenz (orange
Markierung) in aufeinanderfolgen-
den Ebenen der Probe (grau) an
und generiert letztendlich ein
3D-Bild. Die Geschwindigkeit, das
nichtinvasive Verfahren und die
hohe räumliche Auflösung machen
diese Methode zu einem hervorra-
genden Ansatz zur 3D-in-vivo-Visu-
alisierung von schnell ablaufenden
dynamischen Prozessen in Zellen
und Embryonen, wie an den fünf
Präparaten exemplarisch darge-
stellt. (Quelle: Chen et al. 2014)

..      Abb. 9.19  Correlative Light-Elec- A


tron Microscopy (CLEM). Dieses
Beispiel zeigt die Lokalisation des M
Sec61-Proteins in antigenhaltigen
Endosomen von antigenpräsentierenden
dendritischen Zellen (DCs). Mithilfe
von CLEM konnte gezeigt werden, dass
der Proteintransportkomplex Sec61- ER
N
beta sowohl im Endoplasmatischen
Retikulum (a) als auch in intrazellulä-
ren Vesikeln lokalisiert ist A, B. Um
nachzuweisen, dass es sich dabei
tatsächlich um antigenhaltige Endoso-
men handelt, wurden DCs mit
fluorochromiertem Ovalbumin
inkubiert und anschließend mit CLEM
analysiert. GFP-Sec61-­beta (grün),
Ovalbumin (rot), Nucleus (DAPI, blau),
Immunogoldmarkierung gegen
Sec61-GFP (schwarze runde Partikel).
ER, Endoplasmatisches Retikulum; N, CLSM TEM Overlay
Nucleus; M, Mitochondrium; E, B
PM
Endosom; PM, Plasmamembran.
(Quelle: Zehner et al. 2015) N

E
ER

lisation von Molekülen ermöglicht, liefert die Elektro- Anwendung macht die Verwendung von zwei separaten
nenmikroskopie detaillierte, hochauflösende Strukturin- Mikroskopsystemen notwendig. Moderne integrierte
formation im Nanometermaßstab. Die herkömmliche CLEM-Systeme vereinen nun die Eigenschaften von Flu-
222 T. Quast und W. Kolanus

oreszenz-und hochauflösender Elektronenmikroskopie in Highly Multiplexed Tissue Imaging (CODEX TM):


einem Aufbau und ermöglichen auf diese Weise eine ein- Die sog. CODEXTM-Technologie (Co-Detection by In-
fachere und schnellere Kombination der beiden Detekti- dexing), die im Labor von Garry Nolan an der Stanford
onsverfahren. Der wesentliche Vorteil bei der integrierten Universität entwickelt wurde, ist ein neuartiges fluores-
CLEM ist, dass das System die mit den unterschiedlichen zenzmikroskopisches Verfahren zur räumlichen Ana-
Verfahren hergestellten Bilder der Probe mit den exakt lyse von Einzelzell-Interaktionen in Gewebeverbänden.
identischen räumlichen und zeitlichen Dimensionen ge- Die CODEX-Technologie basiert auf Antikörpern, die
neriert und übereinander lagert. mit spezifischen Oligonucleotidsequenzen gekoppelt
Unter virtueller (oder: hochauflösender digitaler) sind. Diese Sequenzen fungieren bei der sensitiven De-
Mikroskopie (Virtual Slide Microscopy) versteht man tektion als eine Art Barcode. Mit dieser innovativen
die digitale Umwandlung von komplexen lichtmikros- Methode ist die Entwicklung eines sehr probenscho-
kopischen Präparaten und die anschließende Darstel- nenden und äußerst flexiblen Detektionsverfahrensge-
lung und Übermittlung über Computernetzwerke. Diese lungen, welches die nichtinvasive, parallele Visualisie-
Art der Visualisierung wird u. a. bei der Untersuchung rung von bis zu 50 Biomarkern ermöglicht. Insbesondere
von histologischen Gewebeschnitten angewendet („digi- zur umfassenden Charakterisierung von Zellpopulatio-
tale Pathologie“). Die Bildaufnahme kann entweder nen in komplexen Geweben hat dieses Visualisierungs-
automatisiert über sog. Slide-Scanner oder durch Zu- verfahren unter Wissenschaftlern im Bereich der Im-
sammenfügen von Einzelbildern, die mit ­konventionellen munologie, Neurologie und Onkologie schon enormen
Lichtmikroskopen erstellt wurden, erfolgen. Zuspruch gefunden.
Die Laserdissektion (Laser Microdissection and Opti-
9 cal Tweezers) ermöglicht eine präzise und sterile Methode, Optische Verfahren in der Optogenetik  Optische Metho-
um spezifisch Zellen aus Zellkulturen oder Geweben zu den werden schon seit vielen Jahrzehnten im Bereich von
isolieren. Insbesondere bei sehr geringen Zellzahlen bietet genetischen Verfahren und Analytik eingesetzt, z. B. bei
dieses Verfahren eine hervorragende Möglichkeit, um der Sequenzierung von Genen, der genetischen Manipu-
reine Zellpopulationen als Ausgangspunkt für anschlie- lation sowie der Visualisierung von intrazellulären Struk-
ßende beispielsweise molekularbiologische Analysen zu turen (z. B. fluoreszierende Proteine, 7 Abschn.  9.4.11)

sammeln. Dabei wird ein fokussierter Laserstrahl eines und funktionellen Vorgängen (z.  B. genetisch codierte
Mikroskops als eine Art Messer benutzt, um Zielstruktu- Spannungsindikatoren). Neben dem Einsatz bei der Visu-
ren aus der Probe herauszuschneiden. Objektive mit ho- alisierung bekommt die Photonik in den letzten Jahren
hen Numerischen Aperturen ermöglichen eine sehr prä- aber zunehmend Bedeutung bei der Manipulation und
zise Bündelung der Laserenergie, sodass ein präzises Aktivierung von zellulären Vorgängen. Die Grundsteine
Schneiden in subzellulären Dimensionen unterhalb eines der Optogenetik wurden allerdings im nichtmikroskopi-
Mikrometers möglich ist, ohne dabei benachbarte Struk- schen Bereich gelegt, als es dem Neurobiologen Karl
turen zu beeinträchtigen. Eine sehr geringe Pulsdauer des Deisseroth von der Stanford Universität gelang, Gehirn-
Lasers (unterhalb von einer Nanosekunde) gewährleistet, zellen in Mäusen derart durch Lichtstrahlen zu steuern,
dass die Probe bei diesem Eingriff nur gering belastet und dass die Mäuse gezielt im Kreis liefen. Inzwischen ist es
die schädliche Hitzewirkung auf angrenzende Zellen oder nun auch möglich, Zellen mit Lichtsignalen zu steuern.
Gewebe vernachlässigbar gering ist. Auf diese Weise ist Diese gezielte optische Kontrolle und Manipulation von
eine schonende Zellisolation mit anschließender Rekulti- Proteinfunktionen an genetisch veränderten Zellen hat
vierung der Zellen möglich. insbesondere in den Neurowissenschaften, aber auch in
Mit sog. optischen Pinzetten können lebende Zellen der zellbiologischen, onkologischen und immunologi-
in Suspensionen eingefangen, bewegt und isoliert wer- schen Forschung Einzug erhalten. So können beispiels-
den. Ähnlich wie bei der Laserdissektion wird auch hier weise Ionenkanäle in Zellen innerhalb von Tausendstel-
ein fokussierter Laserstrahl zur Manipulation einge- sekunden durch Lichtimpulse, die sog. Photostimulation,
setzt. Die kontaktfreie und sterile Methode ist präzise aktiviert werden. Bei der Photostimulation werden zwei
bis in den Mikro- und Submikrometerbereich, sodass unterschiedliche Verfahren angewendet. Beim sog. Unca-
neben Zellen auch Organellen oder größere Biomole- ging wird Licht genutzt, um eine Zielstruktur zu „be-
küle manipuliert werden können. Meistens werden bei freien“, d. h. derart zu modifizieren das sie aktiviert wird.
diesem Verfahren Infrarotlaser mit Wellenlängen ober- Ein Beispiel für dieses Verfahren ist das Uncaging von
halb von 1000 nm verwendet, um belastende Störeffekte Glutamat, das die natürliche Aktivität von Synapsen
auf die lebenden Proben zu minimieren. nachahmt und auf diese Weise den Nachweis von Erre-
Häufig werden Laserdissektion und optische Pinzet- gungsleitungen zwischen Neuronen ermöglicht. Bei dem
ten auch in einem mikroskopischen System kombiniert anderen Photostimulationsverfahren wird Licht gezielt
eingesetzt. eingesetzt, um lichtsensitive Proteine, wie beispielsweise
Lichtmikroskopische Verfahren – Imaging
223 9
das Rhodopsin, zu aktivieren und somit die intrazelluläre Goltsev Y et al (2018) Deep profiling of mouse splenic architecture
Expression von Opsin zu induzieren. with CODEX multiplexed imaging. Cell 174:968–981
Jacobs RE et  al (2003) MRI: volumetric imaging for vital imaging
Calcium-Imaging findet Anwendung bei der intrazel- and atlas construction. Nat Rev Mol Cell Biol (Suppl):10–16
lulären Lokalisation und Quantifizierung der Ca2+-Kon- Krichevsky O, Bonnet G (2002) Fluorescence correlation spectro-
zentration. Dazu verwendet man sog. Calcium-Indikato- scopy: the technique and its applications. Rep Prog Phys
ren, die ihre Fluoreszenzeigenschaften nach der Bindung 65:251–297
von freien Ca2+-Ionen verändern. Dabei unterscheidet Lippincott-Schwartz J, Patterson GH (2003) Development and use
of fluorescent protein markers in living cells. Science
man generell zwei Klassen von Indikatoren: chemische 300(5616):87–91
und genetisch codierte Calcium-­Indikatoren. Lippincott-Schwartz J et al (2001) Studying protein dynamics in li-
Bei den chemischen Ca2+-Indikatoren sind die Carb- ving cells. Nat Rev Mol Cell Biol 2(6):444–456
oxygruppen mit Acetoxymethylgruppen verestert, sodass Lippincott-Schwartz J et al (2003) Photobleaching and photoactiva-
das dann liphophile Molekül die Plasmamembran von Zel- tion: following protein dynamics in living cells. Nat Cell Biol
4(Suppl):S7–S14
len passieren kann. Intrazelluäre Esterasen spalten an- Miyawaki A et al (2003) Lighting up cells: labelling proteins with flu-
schließend die Acetoxymethylgruppen ab, sodass calcium- orophores. Nat Cell Biol (Suppl):S1–S7
sensitive Indikatoren entstehen. Bei den chemischen Mohanty et al (2015) Optical techniques in optogenetics. J Mod Opt
Calcium-Indikatoren unterscheidet man fluoreszenzinten- 62:949–970
sitätsbasierte (z. B. Fluo3-8) und ratiometrische Farbstoffe Nehls et al (2000) Dynamics and retention of misfolded proteins in
native ER membranes. Nat Cell Biol 2:28–295
(z. B. Fura-2, Indo-1). Bei den letztgenannten Indikatoren Phair RD, Misteli T (2001) Kinetic modelling approaches to in vivo
kommt es nach der Bindung von freien Ca2+-Ionen nicht zu imaging. Nat Rev Mol Cell Biol 2(12):898–907
einer Zunahme der Fluoreszenzintensität, sondern zu einer Riede U-N, Werner M, Schaefer H-E (Hrsg) (2004) Allgemeine und
Verschiebung der Anregungs- und Emissionswellenlängen. spezielle Pathologie, 5. Aufl. Thieme-Verlag, Stuttgart
Eine Alternative zu den chemischen Farbstoffen sind Romeislk B (1989) Mikroskopische Technik, 17. Aufl. Urban und
Schwarzenberg, München
die genetisch codierten Calcium-Indikatoren. Analog Roy R, Hohng S, Ha T (2008) A practical guide to single-molecule
zu den chemischen Indikatoren unterscheidet man auch FRET. Nature Methods 5:507–516
hier fluoreszenzintensitätsbasierte (z. B. Camgaroo) und Rust MJ, Bates M, Zhuang X (2006) Sub-diffraction limit imaging by
FRET-basierte (7 Abschn.  9.6.6) ratiometrische Indi-
  stochastic optical reconstruction microscopy (STORM). Nature
katoren (z.  B.  Cameleons). Der Vorteil gegenüber den Methods 3(10):793–795
Sako Y, Yanagida T (2003) Single-molecule visualization in cell bio-
chemischen Indikatoren besteht darin, dass störende logy. Nat Rev Mol Cell Biol (Suppl):1–5
Manipulationen der Zellen von außen nicht mehr erfor- Schütz et al (2000) Properties of lipid microdomains in a muscle cell
derlich sind. Der Nachteil besteht allerdings unter Um- membrane visualized by single molecule microscopy. EMBO J
ständen in einer sowohl geringeren Calcium-­Sensitivität 19(5):892–901
als auch einer geringeren Fluoerszenzintensität. Schütz GJ, Schindler H (2002) Single dye tracing for ultrasensitive
microscopy on living cells, single molecule detection in solution.
In: Zander C, Enderlein J, Keller RA (Hrsg) Single molecule de-
tection in solution. Wiley-VCH, Weinheim
Literatur und Weiterführende Literatur Stephens DJ, Allan VJ (2003) Light microscopy techniques for live
cell imaging. Science 300(5616):82–86
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335:551 the plasma membrane. Nat Rev Mol Cell Biol 2(4):268–275
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cules to embryos at high spatiotemporal resolution. Science 67:509–544
346(6208). https://doi.org/10.1126/science.1257998 Tsien RY (2003) Imagining imaging’s future. Nat Rev Mol Cell Biol
Davidson und Abramowitz (2002) Optical microscopy. In: Encyclo- 4(Suppl):16–21
pedia of imaging science and technology. Wiley, New York Waterman-Storer CM (1998) Microtubules and microscopes: how
Dunn GA, Jones GE (2004) Cell motility under the microscope: vor- the development of light microscopic imaging technologies has
sprung durch Technik. Nat Rev Mol Cell Biol 5(8):667–672 contributed to discoveries about microtubule dynamics in living
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9:929–943 molecular interactions inside living cells. Am Laboratory
Gerlich D, Ellenberg J (2003) 4D imaging to assay complex dynamics 32:44
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Harbor org/prizes/chemistry/2014/summary
225 10

Spaltung von Proteinen


Josef Kellermann

Inhaltsverzeichnis

10.1 Proteolytische Enzyme – 226

10.2 Strategie – 227

10.3 Denaturierung – 228

10.4 Spaltung von Disulfidbrücken und Alkylierung – 228

10.5 Enzymatische Fragmentierung – 229


10.5.1  roteasen – 229
P
10.5.2 Proteolysebedingungen – 234

10.6 Chemische Fragmentierung – 235

10.7 Zusammenfassung – 236

Literatur – 237

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_10
226 J. Kellermann

55 Die enzymatische Spaltung von Proteinen ist ein ubi- Die Proteinanalytik macht sich die Spezifität und Se-
quitärer Prozess und spielt eine Schlüsselrolle in vielen lektivität der verschiedenen Proteasen vor allem bei der
biologischen Prozessen (Kontrolle der Homeostase, Aufreinigung rekombinanter Proteine und bei der
Qualitätskontrolle von Proteinen, kontrollierter Zell- Strukturanalyse von Proteinen und deren posttransla-
tod, Immunreaktion etc.). tionalen Modifikationen zunutze. Bei der Expression
55 Proteasen und deren Inhibitoren sind deshalb auch für von Proteinen werden an die zu exprimierenden Sequen-
Industrie und Pharma von großer Bedeutung. zen Affinitäts-Tags kloniert, die eine schnelle Aufreini-
55 In der Forschung kommt die Proteolyse vor allem in gung der überexprimierten Proteine erlauben, aber auch
der Zellkultur, bei der Herstellung rekombinanter Pro- die Löslichkeit der exprimierten Proteine verbessern
teine, bei der Strukturaufklärung von Proteinen und können. Diese Tags können anschließend durch hoch-
deren Modifizierungen und in der Peptidsynthese zur spezifische Proteasen abgespalten werden.
Anwendung. Zur Aufklärung der Primärstruktur werden die klas-
55 Eine Spaltung der Peptidbindung ist sowohl enzyma- sische Edman-Chemie und die Massenspektrometrie
tisch als auch chemisch möglich. verwendet. Trotz der Möglichkeit, mit hoher Genauig-
55 Die „Enzyme Commission“, EC, erarbeitete ein vier- keit auch von großen Proteinen „Total-Mass“-Spektren
stelliges Klassifizierungssystem und fasste die Enzyme zu erhalten, ist es häufig notwendig, die Proteine in klei-
in sechs Hauptgruppen zusammen (7 https://www.­
  nere Fragmente zu zerlegen, um die exakte Sequenz
enzyme-database.­org/). oder etwaige Modifikationen identifizieren zu können.
55 Um eine vollständige Spaltung erzielen zu können, ist Da mit einem Peptidsatz selten alle Positionen eindeutig
eine Zerstörung der Sekundär- und Tertiärstruktur bestimmt werden können, sind häufig die Peptidmuster
durch Denaturierung und Alkylierung des Proteins verschiedener Proteasen oder chemischer Spaltungen
notwendig. notwendig (. Abb. 10.1).

10 Die Spaltung von Proteinen durch proteolytische En-


zyme ist ein ubiquitärer Prozess, der in allen Zellen, 10.1  Proteolytische Enzyme
Geweben und Organismen zur Anwendung kommt.
Proteasen sind an einer Vielzahl physiologischer Pro- Die Eigenschaft von proteolytischen Enzymen, sehr spe-
zesse intra- wie extrazellulär beteiligt. Sie spielen eine zifisch Bindungen in Proteinen zu spalten, macht sie zu
Schlüsselrolle bei der Kontrolle der Homeostase, der einem wichtigen Werkzeug sowohl bei der Primärstruk-
Qualitätskontrolle von Proteinen, dem kontrollierten turaufklärung von Proteinen als auch bei der Aufklä-
Zelltod, der inter- und intrazellulären Signalweiterlei- rung von höheren Strukturordnungen. Dabei werden,
tung, der Kontrolle viraler Replikation, Wirt-Pathogen-­ entsprechend der Vollständigkeit der Spaltung, zwei
Wechselwirkungen, der Immunreaktion und bei vielen prinzipielle Mechanismen der Proteolyse unterschieden:
weiteren physiologischen Prozessen. Gerade deshalb Ein Enzym, das alle seiner Spezifität entsprechenden
sind Proteinasen und deren Inhibitoren auch von größ- Bindungen quantitativ spaltet, erzeugt einen äquimola-
ter Bedeutung bei der Erforschung und Entwicklung ren Satz von Peptiden, dessen Zusammensetzung sich
von pharmazeutischen Wirkstoffen. auch durch Zugabe von weiterem Enzym gleicher Spezi-
Proteinasen werden auch in weiten Bereichen der In- fität nicht mehr ändert. Die Hydrolyserate kann jedoch
dustrie und Biotechnologie eingesetzt. durch die Eigenschaften benachbarter Aminosäuren
Ebenso kommen Proteasen in vielen Forschungsfel- (z. B. die Hydrophobizität) beeinflusst werden.
dern zur Anwendung, wie in der Zellkultur, dem Verdau Läuft die enzymatische Spaltung nicht vollständig ab,
unerwünschten Proteins bei der Aufreinigung von Nuc- so entstehen unterschiedliche Peptidmuster mit dem glei-
leinsäuren, der Herstellung von Antikörperfragmenten, chen Enzym. Diese limitierte Proteolyse kann gesteuert
Diagnostik und Therapie, ebenso wie in der Peptidsyn- werden durch Entfernen oder Zugabe von Protease, Zu-
these. gabe eines Inhibitors oder durch Ändern der Reaktions-

Ile–Val–Arg–Trp–Val–Lys–Thr–Ser–Asp–Ile–Tyr-Ala–Met–Asn–Asn–Val–Lys–Tyr–Phe–Asp–Ala–Leu–Ser–Pro–Val–

Endoprotein-
ase LysC
BrCN

Endoprotein-
ase AspN

..      Abb. 10.1  Fragmentierung von Proteinen: Spaltung eines Proteins mit drei unterschiedlichen Enzymen zur Herstellung überlappender
Fragmente
Spaltung von Proteinen
227 10
bedingungen. Die limitierte Proteolyse wird z. B. einge- trophoreseschritten notwendig, bis ein Protein homo-
setzt, um das Spaltverhalten von Proteinen unter dem gen genug ist, um fragmentiert und weiter charakte-
Einfluss bestimmter Enzyme zu untersuchen und damit risiert zu werden. Von der Art der Aufreinigung ist es
größere Fragmente isolieren zu können. Der Zeitverlauf abhängig, wie die proteolytische Spaltung durchgeführt
der Fragmentierung kann dabei elektrophoretisch beob- wird: Dies kann sowohl in Lösung, gebunden an eine
achtet werden. Gerade sehr kompakte, native Proteine Membran oder in einer Polyacrylamidmatrix geschehen
werden häufig nur limitiert gespalten. In vivo findet das (. Abb. 10.2).

Prinzip der limitierten Proteolyse z. B. bei der Zymogen-


aktivierung Anwendung, bei der Prozessierung von Pro- Spaltung in Lösung  Am einfachsten ist die Spaltung in
hormonen oder bei der Blutgerinnungskaskade (wobei Lösung, die nur mit geringem Proteinverlust verbunden ist.
Peptide aus längeren Polypeptiden herausgeschnitten Es ist jedoch häufig schwer, das Protein zu lösen und dann
werden). In der Strukturaufklärung wird die limitierte auch in Lösung zu halten. Dabei werden gewöhnlich Puffer
Proteolyse bei Topologiestudien an nativen Proteinen ein- mit chaotropen Salzen und denaturierenden Detergenzien
gesetzt. Bei der Primärstrukturanalyse und zum Erstellen verwendet, die oft die Aktivität von Proteasen beeinflussen
von Peptide Maps muss in den meisten Fällen das Protein oder eine nachfolgende Chromatographie stören.
vollständig fragmentiert werden, um ein genau definier-
tes und reproduzierbares Peptidmuster zu erhalten. Spaltung membrangebundener Proteine  Meistens liegen
die Proben nicht in Lösung vor, sondern auf Gelen nach
ein- oder zweidimensionaler Elektrophorese oder immo-
10.2  Strategie bilisiert durch Elektroblotting auf einer Polyvinylidenflu-
oridmembran (PVDF), auf siliconisierten Glasfasern
Die den chemischen oder enzymatischen Spaltungen oder auf Nitrocellulose. Damit kann das weitere Vorge-
nachfolgenden Charakterisierungstechniken erfordern hen sehr flexibel gestaltet werden. Die immobilisierten
fast zur Homogenität aufgereinigte Proteine. Anderer- Proteine können durch Immunfärbung sichtbar gemacht
seits muss wegen der geringen Proteinmengen im unteren oder mit Coomassie-Blau, Amidoschwarz oder Ponceau
Pikomolbereich die Anzahl der Reinigungsschritte mög- S gefärbt werden; anschließend werden sie ausgeschnitten
lichst reduziert werden, um unnötige Probenverluste zu und auf den chemisch inerten PVDF- oder Glasfaser-
vermeiden. Den Maßstab für die verwendeten Protein- membranen N-terminal oder C-terminal sequenziert. Pa-
mengen geben dabei die Detektionsgrenzen der nachfol- rallel dazu können Proteine auf den genannten und auf
genden analytischen Verfahren vor (Edman-Abbau oder Nitrocellulosemembranen fragmentiert und die entste-
Massenspektrometrie). Nimmt man 1  pmol als heute henden Peptide von der Membran isoliert werden.
durchschnittlich zu einer Analyse notwendige Protein-
menge, so entspricht das 0,06 μg eines 60-kDa-Proteins. Spaltung in einer Polyacrylamidmatrix  Proteine lassen
Ausgehend von einem komplexen Gemisch von Pro- sich aber auch direkt in der Polyacrylamidmatrix spalten.
teinen, wie dies in einer ganzen Zelle z. B. der Fall ist, Nach elektrophoretischer Auftrennung werden die Pro-
sind eine ganze Reihe von Chromatographie- und Elek- teine durch Coomassie-Blau oder Silber angefärbt, und

..      Abb. 10.2  Strategie der


Proteincharakterisierung.
Fragmentierung von Proteinen
in Abhängigkeit von der Art der
Proteinaufreinigung: A
Spaltung in Lösung; B Spaltung
auf einer Membran; C Spaltung
in der Polyacrylamidgelmatrix

Analytik
z. B. Edman-Abbau (Kap.15)
oder Massenspektrometrie (Kap.16)
228 J. Kellermann

die gewünschte Bande wird mit dem Skalpell aus dem Gel Harnstoff oder Guanidinhydrochlorid werden diese ge-
ausgeschnitten. Das Gelstück wird zerkleinert, mit Puffer ordneten Strukturen zerstört. Detergenzien werden
gewaschen, durch Trocknen oder mit organischem Lö- hauptsächlich bei der Reinigung von Membranprotei-
sungsmittel geschrumpft und anschließend mit Protease, nen eingesetzt. Zur Denaturierung wird meist 6 M Gua-
gelöst in Puffer, versetzt. Das geschrumpfte Gel nimmt nidinhydrochlorid verwendet; verdünnt auf 1 M ist dies
beim Quellen Puffer und Protease auf. Die Spaltpeptide durchaus mit der Aktivität vieler Proteasen kompatibel.
können dann durch Diffusion aus dem Gel eluiert und an- Harnstoff ist oft mit Cyanationen verunreinigt; dies
schließend durch Reversed-Phase-HPLC aufgetrennt kann zur Blockierung der Aminogruppen durch Carba-
oder im Massenspektrometer analysiert werden. In einem moylierung führen. Disulfidbrücken sind häufig die Ur-
abgewandelten Verfahren wird das Gemisch aus Gelstü- sache für die Proteaseresistenz vieler Proteine. Aber
cken und Protease direkt auf dem Sammelgel eines hoch- auch gespaltene Proteinfragmente, die noch durch Di-
prozentigen Polyacrylamidgels platziert, sodass Spaltung sulfidbrücken miteinander verbunden sind, sind nur
und Trennung in einem Arbeitsgang durchgeführt wer- schwer zu charakterisieren.
den. Die getrennten Peptide können dann wiederum ge-
blottet oder mit organischen Lösungsmitteln aus dem Gel
eluiert werden. Die am weitesten verbreitete Methode ist 10.4  Spaltung von Disulfidbrücken
die direkte Spaltung in der Matrix, da sie mit einem Ar- und Alkylierung
beitsgang weniger auskommt. Gerade bei geringen Pro-
benmengen sollte jeder unnötige Probentransfer vermie- Disulfidbrücken müssen nach der Denaturierung ge-
den werden, um die Ausbeuten nicht unnötig zu verringern. spalten werden (. Abb. 10.3, . Tab. 10.1). Dies kann
   

durch Oxidation (. Abb.  10.3A) geschehen, wobei die


Disulfidbrücken durch Perameisensäure zu Cysteinsäu-


10 10.3  Denaturierung ren oxidiert werden. Zur Reduktion verwendet man Dit-
hiothreitol (DTT), 2-Mercaptoethanol oder Tributyl-
Die kompakte Sekundär- und Tertiärstruktur nativer phosphin (. Abb.  10.3B). DTT (Cleland’s Reagenz)

Proteine ist häufig die Ursache für schlechte Proteolyse- wird am häufigsten verwendet, da es ein niedriges Re-
ausbeuten, da die Spaltstellen für Proteasen schlecht zu- doxpotenzial besitzt und Cystine in kurzer Zeit vollstän-
gänglich sind. Durch Denaturierung mit Detergenzien, dig reduziert. Ein weiteres beliebtes Reduktionsmittel ist

O
Perameisensäure
A RS SR 2R S OH
Oxidation
O
Cystin Cysteinsäure

HO OH
HO OH
B Protein S S Protein + Protein SH + Protein S S SH
HS SH
Dithiothreitol
Protein HO OH
(DTT)

2 Protein SH +
S S

HO OH

Protein S S Protein + HS OH 2 Protein SH +


S S
2-Mercaptoethanol

H2O
Protein S S Protein + (nBu)3P 2 Protein SH + (n Bu)3P O
Tributylphosphin

..      Abb. 10.3  Spaltung von Disulfidbrücken. A Oxidation von Disulfidbindungen: Umsetzung von Cystin mit Perameisensäure zu Cystein-
säure; B Reduktion von Disulfidbindungen: Umsetzung mit Dithiothreithol, 2-Mercaptoethanol und Tributylphosphin (R: Peptidkette)
Spaltung von Proteinen
229 10

..      Tab. 10.1  Modifikationen von Cysteinresten


Deshalb sollten Cysteine bereits vor der Elektrophorese
Reagens Modifizierter Cysteinrest alkyliert werden, wenn sie anschließend massenspektro-
metrisch analysiert oder N-terminal sequenziert werden
Perameisensäure Cysteinsäure sollen. Dabei kann durch Zugabe des Alkylierungsmit-
Sulfit S-Sulfocystein tels zum Auftragspuffer eine vollständige Modifizierung
erreicht werden.
Iodessigsäure S-Carboxymethylcystein
In der Literatur ist noch eine große Anzahl weiterer
Iodacetamid S-Carboxamidomethylcystein Modifizierungsreaktionen beschrieben, diese spielen je-
Ethylenimin S-(2-Aminoethyl)ethylcystein doch in der Praxis keine große Rolle, da sie große Prote-
inmengen erfordern und durch die Ausbildung von Ne-
4-Vinylpyridin 4-Pyridylethylcystein
benprodukten oft unbrauchbar sind.
Acrylamid Cys-S-β-propionamid

10.5  Enzymatische Fragmentierung


A Protein SH + CH2 CH Protein S CH2 CH2
Die Art und Weise der Fragmentierung eines Proteins
hängt einerseits von der Zielsetzung ab, die mit der
N N Fragmentierung erreicht werden soll, andererseits von
4-Vinylpyridin 4-Pyridylethylcystein den Informationen, die von dem zu spaltenden Protein
bereits bekannt sind. Ist die Aminosäurezusammenset-
B Protein SH + I CH2 COOH Protein S CH2 COOH
zung durch eine Aminosäureanalyse bereits ermittelt
oder die Sequenz bereits bekannt, so kann eine genaue
Iodessigsäure S-(Carboxymethyl)cystein
Strategie mit einem geeigneten Enzym oder Reagens zu
Fragmenten der gewünschten Länge führen.
O O
Liegen diese Informationen nicht vor, so kann die
C Protein SH + I CH2 C NH2 Protein S CH2 C NH2
durchschnittliche Häufigkeit einer Aminosäure in einem
Iodacetamid S-(Carboxamidomethyl)cystein Protein Hinweise darauf geben, welches Enzym oder
welches Reagenz geeignet ist, die gewünschten Frag-
..      Abb. 10.4  Alkylierung von Cysteinresten. Umsetzung von Cys-
tein und 4-Vinylpyridin zu 4-Pyridylethylcystein A; mit Iodessigs-
mente zu erzeugen. Wenige lange Fragmente entstehen
äure zu S-(Carboxymethyl)cystein B und mit Iodacetamid zu S-(Car- durch Spaltung an einer seltenen Aminosäure oder
boxamidomethyl)cystein C durch Spaltung mit sehr spezifischen Enzymen. Viele
kürzere Fragmente entstehen durch Spaltung an häufi-
gen Aminosäuren und durch Spaltung mit weniger spe-
Tributylphosphin, da es flüchtig ist und deshalb unmit- zifischen Enzymen. . Tab. 10.2 zeigt die durchschnitt-

telbar vor dem Edman-Abbau eingesetzt werden kann. lichen Häufigkeiten von Aminosäuren, ermittelt aus der
Um die Reduktion irreversibel durchzuführen und NBRF-PIR-Datenbank, und – daraus errechnet – theo-
ungewünschte Reorganisation von Disulfidbrücken retische Fragmentlängen eines hypothetischen Proteins,
zu vermeiden, müssen die freien SH-Gruppen durch bestehend aus 300 Aminosäuren, das mit den gängigs-
Alkylierung modifiziert und damit stabilisiert werden ten Enzymen und Reagenzien proteolysiert wird.
(. Abb.  10.4). Auch sind im Edman-Abbau erst alky-

Das Spaltverhalten eines Proteins unter konstanten Be-
lierte Cysteinreste eindeutig identifizierbar, da unmodi- dingungen ist für jedes Protein charakteristisch und sehr
fiziertes Cystein während des Abbaus zerstört wird. Die reproduzierbar. Die Auftrennung der erhaltenen Frag-
häufigsten Alkylierungsreagenzien sind 4-Vinylpyridin, mente durch SDS-PAGE, Kapillarelektrophorese oder mit
Iodessigsäure und Iodacetamid. chromatographischen Methoden (HPLC) führt dabei zu
charakteristischen Peptidmustern (Fingerprints oder Pep-
Bei der Umsetzung mit 4-Vinylpyridin muss unmittel- tide Maps, . Abb. 10.5), von denen die einzelnen Peptide

bar nach der Reaktion überschüssiges Reagenz vom dann durch Massenspektrometrie oder Edman-Sequenzie-
Protein abgetrennt werden, da sonst Nebenreaktionen rung weiter charakterisiert werden können.
mit His, Trp und Met auftreten. Peptide, die mit Vinyl-
pyridin umgesetzt werden, besitzen ein zusätzliches
Absorptionsmaximum bei 256 nm und können so ge- 10.5.1 Proteasen
zielt isoliert werden.
Entsprechend ihrem Wirkmechanismus und ihrem akti-
ven Zentrum werden die Proteasen eingeteilt in Serin-,
Bei der Gelelektrophorese können freie Acrylamid- Cystein-, Aspartat- und Metalloproteasen. Je nach An-
monomere mit Thiolgruppen des Proteins reagieren. griffsort unterscheidet man weiter nach Endo- und Exo-
230 J. Kellermann

..      Tab. 10.2  Theoretische Anzahl und Länge von Peptidfragmenten eines hypothetischen Proteins mit 300 Aminosäureresten,
berechnet nach einer Proteindatenbank (NBRF-PIR)1

Enzym oder Reagens Spaltet spezifisch bei Durchschnittliche Fragmentlänge Anzahl von Fragmenten

Chymotrypsin Leu, Phe, Trp, Tyr 6 54


Trypsin Lys, Arg 9 35
Endoprotease GluC Glu 15 20
Endoprotease LysC Lys 16 19
Endoprotease ArgC Arg 18 17
Endoprotease AspN2 Asp 18 17
Bromcyan Met 38 8
BNPS-Skatol Trp 60 5

1National Biomedical Research Foundation – Protein Identification Resource


2Proteolyse erfolgt N-terminal von Asp

..      Abb. 10.5  Fingerprint eines mit LysC mit Spaltautomat


Endoprotease LysC gespaltenen Proteins
(40 kDa). Reversed-Phase-Chromato-
10 gramm (Superspher 60RP select B
(Merck), 2 × 125 mm) von 30 pmol
Protein; Puffer A: 0,1 % Trifluoressigsäure
(TFA) und Puffer B: 0,85 % TFA in
Acetonitril, Gradient 1 % min−1, Flussrate
0,3 ml min−1
A206 nm

t (in min)

proteasen. Endoproteasen spalten das Proteingerüst an 10.5.1.1  Endoproteasen


jeweils spezifischen, internen Aminosäuren und erzeu- Chymotrypsin  Chymotrypsin (25 kDa) ist eine Serinpro-
gen so ein für jedes Protein und das jeweils verwendete tease und hydrolysiert in der Regel Peptidbindungen
Enzym spezifisches Peptidmuster. Endoproteasen wer- C-terminal von Tyr, Phe und Trp. Leu, Met, Ala, Asp und
den deshalb in der Regel bei der Primärstrukturanalyse Glu werden ebenso, jedoch mit geringerer Hydrolyserate,
eingesetzt. Viele dieser Enzyme spalten dabei C- oder gespalten. Chymotrypsin wird auch in der Peptidsynthese
N-terminal von geladenen Aminosäuren (Endoprotease eingesetzt.
LysC, Trypsin, Endoprotease GluC oder Endoprotease
AspN). Bei anderen Proteasen, z.  B.  Chymotrypsin, Elastase  Elastase (25 kDa) ist ebenfalls eine Serinprote-
Thermolysin oder Pepsin, ist die Spezifität weniger aus- ase. Sie hydrolysiert Bindungen auf der C-terminalen
geprägt, wobei eine größere Anzahl, dafür in der Regel Seite von Aminosäuren mit ungeladenen, nichtaromati-
aber kürzere Fragmente entstehen (. Tab. 10.3).   schen Seitenketten (Ala, Val, Ile, Leu, Gly und Ser). Elast-
Spaltung von Proteinen
231 10

..      Tab. 10.3  Enzyme in der Proteinstrukturanalytik

Enzym EC-Nummer Typus Spezifizität pH-Optimum Inhibitoren

Endopeptidasen
Chymotrypsin 3.4.21.1 Serin Tyr, Phe, Trp 7,5–8,5 Aprotinin, DFP, PMSF
Trypsin 3.4.21.4 Serin Arg, Lys 8,0–9,0 TLCK, DFP, PMSF
Endoprotease GluC 3.4.21.19 Serin Glu 8,0 DFP, α2-Makroglobulin, 3,4
Dichlorisocoumarin
Endoprotease LysC 3.4.21.50 Serin Lys 7,5–8,5 DFP, TLCK, Aprotinin,
Leupeptin
Endoprotease ArgC 3.4.22.8 Cystein Arg 8,0–8,5 oxid. Reag., EDTA, Co2+,
Cu2+, Citrat, Borat
Endoprotease AspN 3.4.24.33 Metallo Asp*, Cys.säure 6,0–8,0 EDTA, o-Phenanthrolin
Elastase 3.4.21.36 Serin Ala, Val, Ile, Leu, Gly 8,9 DFP, α1-Antitrypsin, PMSF,
Elastinal
Pepsin 3.4.23.1 Aspartat Phe, Met, Leu, Trp 2,0–4,0 Pepstatin,
4-Bromphenacylbromid
Subtilisin 3.4.21.14 Serin nahezu alle AS 7,0–11,0 DFP, PMSF, Indol, Phenol
Thermolysin 3.4.24.4 Zn-Metallo hydrophobe AS 7,0–9,0 Chelatbildner (EDTA),
Phosphoamidon
Elastase 3.4.21.36 Serin ungeladene, 8,8 DFP, α1-Antitrypsin, PMSF
nichtaromatische AS
Papain 3.4.22.2 Cystein Arg, Lys, Glu, His, Tyr 7,0–9,0 Iodessigsäure, Iodacetamid,
TPCK, TLCK
Pronase Gemisch alle AS 7,5 keine speziellen
Protease K 3.4.21.64 Serin hydrophobe, aromatische 7,0 SH-Blocker (Iodacetamid)
AS
TEV-Protease 3.4.22.44 Cystein Glu-Asn-Leu-Tyr-Phe-­­ 8,0 Zink (5 mM) Iodacetamid
Gln I Ser/Gly
Thrombin 3.4.21.5 Serin Leu-Val-Pro-Arg 7,5 DFP, TLCK, PMSF,
Leupeptin, STI
Faktor X 3.4.21.6 Serin Ile-Glu-Gly-Arg 8,3 DFP, PMSF, STI
Enterokinase 3.4.21.9 Serin (Asp)4-Lys 8,0 DFP, TLCK
Exopeptidasen
C-terminal
Carboxypeptidase P 3.4.16.1 Serin PrO-Xaa-COOH 4,0–5,5 DFP, Iodessigsäure
Carboxypeptidase C 3.4.16.1 Serin C-terminal Pep. unspez. 4,0–5,0
Carboxypeptidase Y 3.4.16.1 Serin C-terminal Pep. unspez. 5,5–6,5 DFP, PMSF, ZPCK, Aprotinin
Carboxypeptidase A 3.4.17.1 Zn-Metallo C-terminal Pep. unspez. 7,0–8,0 Chelatbildner (Diphosphat,
Oxalat)
Carboxypeptidase B 3.4.17.2 Zn-Metallo basische AS, C-terminal 7,0–9,0 Chelatbildner, basische
Aminosäuren
N-terminal
Acylaminoacid-­ 3.4.19.1 Serin N-Acyl-AS 7,5–9,0 DFP
releasing Enzyme
(Fortsetzung)
232 J. Kellermann

..      Tab. 10.3 (Fortsetzung)

Enzym EC-Nummer Typus Spezifizität pH-Optimum Inhibitoren

Pyroglutamat-­ 3.4.19.3 Cystein Pyroglutamat 7,0–9,0 SH-Blocker (Iodacetamid)


Aminopeptidase
Cathepsin C 3.4.14.1 Cystein N-terminale Dipeptide 5,5 Iodacetat, Formaldehyd
Glykosidasen
N-Glykosidase A und 3.5.1.52 N-Acetyl-β-d-glucosamin 4,5–7,0
F
O-Glykosidase 3.2.1.97 d-Galactosyl-N-acetyl-d-­­ 6,0
galactosamin
Phosphatasen
Saure Phosphatase 3.1.3.2 o-Phosphomonoester 3,0–6,0 Fluorid, Molybdat,
Orthophosphat
Alkalische 3.1.3.1 o-Phosphomonoester 7,0
Phosphatase

10 ase wird hauptsächlich bei der Solubilisierung von Mem- spaltet. Bei längerem Einwirken des Enzyms werden je-
branproteinen angewendet, daneben auch zum Verdau doch nahezu alle Peptidbindungen gespalten. Papain wird
von Elastin, einem Gewebeprotein. deshalb vor allem zur Totalhydrolyse verwendet. Zusätz-
lich besitzt Papain Esterase- und Transamidaseaktivität.
Endoprotease ArgC  Endoprotease ArgC (30  kDa) ist Die Aktivität wird durch SH-blockierende Agenzien in-
eine Serinprotease mit sehr hoher Spezifität. Sie spaltet hibiert. Papain spaltet durch limitierte Proteolyse auch
Peptidbindungen C-­terminal von Argininresten und ist natives Immunglobulin in biologisch aktive Fragmente.
gerade wegen ihrer hohen Selektivität und ihre Stabilität Ebenso wie Elastase wird Papain auch zum Solubilisieren
gegenüber Autoproteolyse neben den anderen Endopro- integraler Membranproteine verwendet.
teasen eine der wichtigsten Proteasen in der Primärstruk-
turanalyse. Pepsin  Pepsin ist eine Aspartatprotease mit relativ
breiter Spezifität. Sie spaltet bevorzugt Bindungen von
Endoprotease AspN  Diese Metalloprotease (27 kDa) hy- Phe, Met, Leu oder Trp zu anderen hydrophoben Res-
drolysiert die Peptidbindung N-terminal von Aspartat ten. Interessant ist vor allem das pH-Optimum, das bei
und Cysteinsäuren. 2,0 liegt. Pepsin ist somit eines der wenigen Enzyme, das
in saurem pH-Bereich Peptidbindungen hydrolysiert.
Endoprotease GluC  Endoprotease GluC, auch Protease Pepsin spaltet ebenso wie Papain Immunglobuline in
V8 genannt (27 kDa), ist eine Serinprotease und kataly- aktive Fragmente.
siert in Ammoniumbicarbonat (pH 7,8) oder Ammoni-
umacetat (pH 4) die Spaltung von Peptidbindungen Pronase  Pronase ist ein nichtspezifisches Enzymgemisch
C-terminal von Glutamat. In Phosphatpuffer (pH 7,8) verschiedener Proteasetypen aus Streptomyces griseus.
kann die Spezifität auf Glu und Asp erweitert werden. Als Substrat verwendet man das sehr breit wirksame
Casein-­Resorufin. Es gibt keinen Inhibitor, der die sehr
Endoprotease LysC  Diese Serinprotease hydrolysiert sehr breite Proteaseaktivität umfassend hemmt. Pronase wird
spezifisch Amid-, Ester- und Peptidbindungen C-terminal vor allem zur Totalhydrolyse von Proteinen verwendet.
von Lysin. Das Enzym wurde zusätzlich durch Vernet- Gemeinsam mit anderen Proteasen wie Trypsin oder Kol-
zung stabilisiert, ist dadurch gegen Autoproteolyse ge- lagenase dient es zur Gewebedissoziation.
schützt und deshalb gerade für die Mikroanalytik beson-
ders wichtig.
Subtilisin  Subtilisin ist eine Serinprotease, die durch ihre
geringe Spezifität ebenfalls vor allem zur Totalhydrolyse
Papain  Papain (23  kDa) ist eine Cysteinprotease, die
Peptidbindungen nach Arg, Lys, Glu, His, Gly und Tyr
Spaltung von Proteinen
233 10
dient. Ihr Vorteil dabei ist die Aktivität bis in den alkali- thoden, nicht Aminosäure für Aminosäure vollständig
schen pH-Bereich (pH 7–11). abgebaut, isoliert und identifiziert, sondern in einem
Zeitverlauf durch Aminosäureanalyse der Anstieg an
Thermolysin  Thermolysin (37  kDa) ist eine Zinkprote- freigesetzten Aminosäuren zu verschiedenen Zeitpunk-
ase mit geringer Spezifität. Sie hydrolysiert vor allem Ami- ten gemessen.
nosäuren mit hydrophoben, großen Seitenketten wie Ile, In der Regel kommt ein Gemisch aus Carboxypepti-
Leu, Met, Phe, Trp und Val (außer wenn Pro C-terminal dase A, B und Y zur Anwendung, die alle unterschied-
davon liegt). Vorteil des Enzyms ist die hohe Thermosta- liche Spezifitäten zu den einzelnen Aminosäuren besit-
bilität (4–80 °C). zen. Carboxypeptidase A setzt nur sehr langsam Gly,
Asp, Glu, Cys und CysSO3H vom C-Terminus frei und
Trypsin  Trypsin (23  kDa) katalysiert die Spaltung von ist nicht in der Lage, Arg und Pro abzubauen. Carboxy-
Peptidbindungen C-terminal von Arg und Lys ebenso wie peptidase B setzt vor allem Lys und Arg frei. Carboxy-
deren Amide und Ester. Es ist die wohl am häufigsten ver- peptidase Y dagegen hat ein sehr breites Spaltspektrum.
wendete Serinprotease in der Proteinanalytik, vor allem Außer Gly und Asp werden nahezu alle Aminosäuren
zur Erstellung von Peptide Maps, gerade in Verbindung gut abgebaut.
mit der Massenspektrometrie (liefert genau definierte La-
dungsverteilung (–Lys oder  – Arg am C-Terminus des 10.5.1.4  Glykosidasen
Peptids.)) Trypsin wird auch beim Solubilisieren von Kohlenhydratseitenketten in Proteinen beeinträchtigen
Membranproteinen oder bei Topologiestudien eingesetzt. oft aus sterischen Gründen das Spalten des Proteinge-
rüsts. Sie verhindern auch die Identifizierung des Ami-
Protease K  Eine gerade in der Molekularbiologie häufig nosäurederivats, an dem das Kohlenhydrat anknüpft,
eingesetzte Endoprotease mit geringer Spezifität ist Pro- während des Edman-Abbaus.
tease K. Sie degradiert und inaktiviert Proteine während Glykosidasen sind eine Gruppe von Enzymen, die
der Isolierung von RNA und DNA. Ihre Spaltspezifität nicht zu den Proteasen gehören, aber auch der Struktur-
liegt C-terminal von hydrophoben, aliphatischen und aro- analyse unabdingbar sind. Speziell N-Glykosidasen sind
matischen Aminosäuren. in der Lage, die komplette Kohlenhydratseitenkette vom
Aminosäurerest (Asn) abzuspalten. Die N-­Glykosidasen
TEV-Protease, Faktor Xa, Thrombin und Enterokinase  Ein A und F spalten die Kohlenhydratkette komplett ab, wo-
weiterer spezieller Einsatzbereich für Endoproteasen ist bei Aspartat und Ammoniak entstehen. O-­Glykosidisch
die Isolierung rekombinanter Proteine. Dabei werden an Threonin gebundene Zucker werden durch O-Glyko-
hochspezifische Spaltstellen an entsprechende Positionen sidase vollständig abgebaut.
kloniert, die anschließend nach dem Aufreinigen des Fu-
sionsproteins ein gezieltes Herausspalten des gewünsch- 10.5.1.5  Phosphatasen
ten Fragments erlauben. Die Aktivität vieler Proteine ist durch die Phosphory-
lierung von Serin-, Threonin- oder Tyrosinresten regu-
10.5.1.2  Exoproteasen
liert. Die enzymatische Abspaltung der Phosphat-
Exoproteasen bauen Proteine von ihrem C- oder N-­ gruppe durch Phosphatasen führt zu einer
terminalen Ende her ab. Sie sind notwendig, um N-ter- Ladungsänderung und zu einer Änderung des Moleku-
minal blockierte, also für den Edman-Abbau nicht largewichts. Die Ladungsänderung kann im Wande-
zugängliche Aminosäuren abzuspalten oder die blo- rungsverhalten während einer isoelektrischen Fokus-
ckierende Gruppe zu entfernen. Die häufigsten enzy- sierung sichtbar gemacht werden. Die Verringerung
matisch abbaubaren Reste sind Acetylgruppen (acyl­ des Molekulargewichts kann massenspektrometrisch
amino acid releasing enzyme) und Pyroglutamatreste nachgewiesen werden.
(Pyroglutamat-­Aminopeptidase). In den meisten Fällen
arbeiten diese Exoproteasen jedoch weder an intakten 10.5.1.6  Klassifizierung von proteolytischen
noch an denaturierten Proteinen. Blockierte Proteine Enzymen
müssen meist zuvor enzymatisch zerlegt werden, bevor Es gibt vier verschiedene Klassen von Proteasen, die
sie dann an den isolierten N-terminalen Peptidfragmen- sich im Spaltmechanismus unterscheiden und wiederum
ten deblockiert werden können. aus sechs Familien bestehen. Diese Familien zeichnen
sich durch die Anordnung der Aminosäuren im aktiven
10.5.1.3  Carboxypeptidasen
Zentrum aus (. Tab.  10.4); sie werden nach dem Rest

Carboxypeptidasen verwendet man für den enzymati- benannt, der am Katalysemechanismus beteiligt ist,
schen Abbau von Aminosäuren vom C-terminalen z.  B. Serinproteasen. Die Familie der Serinproteasen
Ende. Dabei wird, anders als bei den chemischen Me- wird weiter unterteilt in Säuger- und Bakterienprotea-
234 J. Kellermann

..      Tab. 10.4  Klassifizierung proteolytischer Enzyme ..      Tab. 10.5 Proteolysebedingungen

Familie typische Vertreter aktives Puffer


Zentrum
0,1 M Ammoniumbicarbonat für viele Enzyme im Bereich
Serinprotease I Chymotrypsin, Trypsin, Asp102, N-Methylmorpholin pH 8 geeignet
Elastase, Ser195, His57 Detergenzien
Pankreaskallikrein
SDS 0,1 % für die meisten Enzyme (für
Serinprotease II Subtilisin Asp32, Subtilisin und Endoprotease
Ser221, LysC: bis 1 %)
His64
CHAPS, Octylglucosid, NP40
Cysteinprotease Papain, Cathepsin Cys25, bis 2 %
His159,
Asp158 Organische Lösungsmittel

Aspartatprotease Pepsin, Renin Asp33, Acetonitril 20 % Endoprotease GluC, Pepsin,


Asp213 Trypsin (bis 40 %),
Endoprotease LysC
Metalloprotease Carboxpeptidase A Zn, Glu270,
I Try248 Isopropanol 20 % Endoprotease AspN,
Subtilisin, Thermolysin,
Metalloprotease Thermolysin Zn, Glu143, Papain, Elastase
II His231
Reduzierende Agenzien
Mercaptoethanol 0,5 % Endoprotease LysC und
10 sen, die sich trotz gleichen aktiven Zentrums in ihrer GluC

dreidimensionalen Struktur unterscheiden. Gleiches gilt Mercaptoethanol 1 % Endoprotease AspN


für die Metalloproteasen. Spaltzeiten
Die Gesellschaft zur Klassifizierung von Enzymen
4–16 h bei 37 °C für vollständige Proteolyse meist ausreichend
(Enzyme Commission, EC) erarbeitete ein Klassifizie-
rungsschema, das Enzymen eine vierstellige Nummer zu- Enzym/Substrat-Verhältnis
ordnet, mit der sie charakterisiert werden können. Die Spaltung in Lösung: 1:20 bis
erste Nummer unterteilt die Enzyme in sechs Hauptgrup- 1:100
pen, wobei in der Strukturaufklärung von Proteinen die
Spaltung in Gel oder
Gruppe der Hydrolasen (EC 3) am wichtigsten ist. Die Membran: 1:1 bis 1:10
zweite Nummer charakterisiert die Art der h ­ ydrolysierten
Bindung, z. B. Peptidbindung (EC 3.4). Die dritte Num- (Achtung: bei hohen Enzymkonzentrationen kann Autopro-
mer steht für den katalytischen Mechanismus des aktiven teolyse eintreten!)
Zentrums des Enzyms (EC 3.4.21 für Serinproteasen oder
EC 3.4.24 für Metalloproteasen). Die letzte Nummer
steht für die Seriennummer eines Enzyms in seiner Unter-
klasse (EC 3.4.21.4 für Trypsin, vgl. . Tab. 10.3).  Spaltzeiten zwischen vier und 16 Stunden bei 37 °C
reichen in den meisten Fällen für eine vollkommene Pro-
teolyse der entsprechenden Peptidbindung. Für eine
10.5.2 Proteolysebedingungen Spaltung in Lösung sollte, um eine möglichst hohe
Substratkonzentration zu erreichen, das Volumen des
Die wichtigsten Parameter bei der Spaltung mit Enzy- Puffers so gering wie möglich gehalten werden. Bei ho-
men sind Puffer, pH-Wert, Temperatur, Spaltdauer und hen Enzymkonzentrationen sollten möglichst Enzyme
das Verhältnis von Enzym zu Substrat. . Tab. 10.5 ent-   verwendet werden, die keine autoproteolytische Frag-
hält eine Auswahl von Proteolysebedingungen für ver- mentierung aufweisen (z. B. Endoprotease LysC, Endo-
schiedene Enzyme. Die Pufferwahl wird in den meisten protease GluC). Die Enzyme sollten erst unmittelbar
Fällen durch den benötigten pH-Bereich bestimmt, wo- vor Gebrauch gelöst werden.
bei natürlich leicht zu entfernende Puffer bevorzugt wer- Einige Enzyme benötigen zu ihrer Aktivität noch
den. Die meisten Enzyme sind auch in Gegenwart von spezielle Ionen: So ist Trypsin nur in Gegenwart von
Detergenzien noch aktiv. Organische Lösungsmittel wie Ca2+ (2  mM) aktiv. Pyroglutamat-Aminopeptidase be-
Acetonitril und Isopropanol verbessern die Löslichkeit nötigt Thiole zu ihrer Aktivierung.
vieler Proteine, ohne die enzymatische Aktivität zu be- Zur Proteolyse geblotteter, membrangebundener
einträchtigen. Selbst die Gegenwart reduzierender Proteine ist es notwendig, die Membranen vor Protein-
Agenzien ist für viele Enzyme nicht schädlich. zugabe mit einem quenching reagent (z. B. Polyvinylpy-
Spaltung von Proteinen
235 10
rolidon, PVP40) abzusättigen, um eine unspezifische zifität, unerwünschte Nebenreaktionen und eine hohe
Bindung des Enzyms an die Membran zu vermeiden. Variabilität in der Sensitivität der zu spaltenden Bin-
Nach dem Absättigen müssen die Membranen intensiv dung machen viele dieser Reagenzien wenig reprodu-
gewaschen werden, da PVP40 störende Peaks bei nach- zierbar und so für die Strukturaufklärung uninteressant.
folgenden Chromatographien verursacht. Alternativ
dazu kann hydrogeniertes Triton X-100 (RTX-100), das Spaltung am Methionin mit Bromcyan  Das am häufigsten
im UV nicht absorbiert und so keine störenden Peaks im verwendete Reagens ist Bromcyan, da es eine ganze Reihe
Chromatogramm verursacht, dem Spaltpuffer zugege- von Vorteilen hat: Es spaltet nahezu quantitativ und hoch-
ben werden, was zum einen die Membran absättigt, aber spezifisch die Bindung Met-­Xaa, für die es sonst kein ge-
auch hilft, Peptide von der Membran zu eluieren. eignetes Enzym gibt. Sehr schlechte Spaltausbeuten wer-
Die enzymatische Spaltung im Polyacrylamidgel er- den allerdings bei Met-­ Thr- und Met-Ser-Bindungen
fordert ausgiebiges Waschen der Gelmatrix mit Spalt- erzielt. Da Methionin relativ selten in Proteinen vorkommt,
puffer, abwechselnd mit Schrumpfen des Gels durch werden wenige große Fragmente gebildet. Die Reaktion
Acetonitril. Das geschrumpfte Gel saugt sich anschlie- wird üblicherweise in 70 %iger Ameisensäure durchgeführt,
ßend mit Spaltpuffer und Enzym voll. Die Elution der einem für viele Proteine guten Lösungsmittel. Als Neben-
Spaltpeptide erfolgt mit organischen Lösungsmitteln reaktion kommt es zur partiellen sauren Hydrolyse von
und Säuren. Bei allen Spaltungen sollte eine Leerprobe Asp-Pro-­Bindungen. Das Reagens ist flüchtig und somit
(Membran oder Gel ohne Protein) mitbehandelt wer- ideal für die weitere Aufarbeitung des Proteins.
den, um Verunreinigungen und Artefakte, aber auch Die Selektivität von Bromcyan beruht auf dem elek-
Autolysefragmente identifizieren zu können. trophilen Angriff von Bromcyan am Schwefel der Me-
thioninseitenkette (. Abb.  10.6) unter Bildung eines

Sulfoniumions. Die Freisetzung von Methylthiocyanat


10.6  Chemische Fragmentierung führt zur Bildung eines intermediären Iminorings unter
Einbeziehung der Carbonylgruppe des Methionins. Zu-
Als Ergänzung zur enzymatischen Hydrolyse erlaubt die gabe von Wasser führt schließlich zur Hydrolyse des
chemische Spaltung die Hydrolyse von Peptidbindungen, Iminolactonrings und zur Spaltung der Peptidbindung
für die keine Enzyme zur Verfügung stehen. Von Vorteil unter Freisetzung einer neuen Aminogruppe. Als C-­
ist auch, dass die meisten Reagenzien, die zur chemischen terminale Aminosäure der gespaltenen Bindung ent-
Spaltung verwendet werden, unempfindlich gegenüber steht Homoserin, das in Homoserinlacton überführbar
Salzen oder Detergenzien sind. Sie kommen gerade dann ist und mit diesem im Gleichgewicht steht.
zum Einsatz, wenn Enzyme ungeeignet sind. Die Spaltung mit Bromcyan erfolgt gewöhnlich mit
Es ist zwar eine große Anzahl chemischer Spaltme- einem 100-fach molaren Überschuss von Bromcyan
thoden beschrieben, nur wenige davon wurden jedoch so über Methionin in 70 %iger Ameisensäure im Dunkeln
weit vorangetrieben, dass sie in der Praxis eingesetzt und unter Ausschluss von Sauerstoff, über einen Zeit-
werden können. Niedrige Spaltausbeuten, geringe Spe- raum von 2–16  h. Höherer Überschuss an Bromcyan

H H H H H2O
H
R1 C N CH C N R2 Br – R1 C N CH C N R2 CH3SCN
R1 C N CH C N R2
O CH2 O O O
O H2C O
CH2 A B C C
CH2 CH2 S CH3 H2
S CH3 C N
Iminolacton
C N Sulfonium-Ion

Br

H2O H2NR2 H H2O H


R1 C N CH C O R1 C N CH2 C O

E O H2C O O CH2 OH
D
C
H2 CH2OH
H2O
Homoserin-Lacton Homoserin

..      Abb. 10.6  Reaktionsschema der Bromcyanspaltung. Elektrophi- Hydrolyse des Iminolactonrings und Spaltung der Peptidbindung D;
ler Angriff A von Bromcyan auf das Schwefelatom der Methionin- Freisetzung einer neuen Aminogruppe E; Homoserin entsteht als
seitenkette unter Bildung eines Sulfoniumions; B Freisetzung von neue C-terminale Aminosäure. Homoserin steht im Gleichgewicht
Methylthiocyanat unter Bildung eines intermediären Iminorings C; mit seiner Lactonform
236 J. Kellermann

NHR1 NHR1 NHR1


Hal
C NHR2 Hal C NHR2 O NHR2
N O N O N Hal
H H H
Tryptophan

H Hal
NHR1

+H2O O O +R2NH3
N OH
H

Halogenierungsreagenzien:

O Br
COOH
CH3
N Hal
OI N S
O NO2
Hal = Cl: N-Chlorsuccinimid Iodosobenzoesäure
Hal = Br: N-Bromsuccinimid
BNPS-Skatol
10 ..      Abb. 10.7  Spaltung an Tryptophan durch oxidative Halogenierung des Indolrings unter Bildung eines Oxyindolrings

oder längere Spaltzeiten führen zu weiteren Nebenreak- Halogen. Nebenreaktionen und zusätzliche Spaltungen
tionen, die vor allem Tryptophan betreffen. an Histidin und Tyrosin sind häufig nicht zu vermeiden.
Die Spaltung mit Bromcyan kann auch mit Protei- Diese Spaltungen an Tryptophan (. Abb. 10.7) beruhen

nen durchgeführt werden, die auf PVDF-Membranen auf einer oxidativen Halogenierung des Indols unter Bil-
geblottet sind oder die sich in einer Polyacrylamidgel- dung eines O
­ xyindolrings.
matrix befinden.
Spaltung von Asn-Gly-Bindungen mit Hydroxylamin  In
Partielle saure Hydrolyse  Die Spaltung an Asn-Pro-Bin- der Asn-Gly-Sequenz einer Proteinkette kann sich
dungen kann selektiv mit 70  %iger Ameisensäure oder spontan eine Isopeptidbindung ausbilden. Ausgangs-
Trifluoressigsäure erreicht werden. Da diese Spaltung punkt dieser Modifizierung (. Abb.  10.8) ist die Bil-

aber nur unvollständig abläuft, entstehen bei Vorliegen dung eines Succinimidrings der Carbonylgruppe von
mehrerer dieser Bindungen sehr heterogene Fragmentie- Asparagin mit der benachbarten Aminogruppe des
rungsmuster, sodass diese Spaltung in der Proteinchemie Glycins mit Desamidierung von Asparagin (zu einer
kaum Anwendung findet. β-Carboxygruppe). Isomerisierung und Racemisierung
Weitere partielle saure Hydrolysen finden unter ext- von Asparagin sind häufige Reaktionen der Proteinche-
remen Bedingungen an Xaa-Ser und Xaa-Thr statt mie. Der Succinimidring führt nach Ringöffung zu
(11 M HCl, 4 Tage), kommen aber gezielt kaum zur An- Aspartat oder Isoaspartat.
wendung. Isopeptidbindungen führen zu einem Abbruch
des Edman-Abbaus. Die Succinimidbildung kann je-
Spaltung an Tryptophan mit BNPS-Skatol, Iodosobenzoe- doch auch zu einer Spaltung der Asn-Gly-Bindung
säure, N-Bromsuccinimid und N-Chlorsuccinimid  Eine ausgenutzt werden. Das Succinimid kann mit Hydro-
weitere seltene Aminosäure und damit geeignet zur Spal- xylamin durch einen nucleophilen Angriff in α- und
tung eines Proteins in große Fragmente ist Tryptophan. β-Aspartylhydroxamat und einen neuen N-terminalen
Eine Reihe unterschiedlicher Reagenzien sind für die Glycinrest gespalten werden.
Spaltung an Tryptophan beschrieben. Davon sind jedoch
nur N-Bromsuccinimid (NBS), N-­Chlorsuccinimid
(NCS), 2-(2-Nitrophenylsulfenyl)-3-methyl-3-bromindo- 10.7  Zusammenfassung
lenin (BNPS-Skatol) und O-Iodosobenzoesäure ausrei-
chend selektiv und erzielen Spaltausbeuten bis zu 80 %, Das Anwendungsgebiet für die Fragmentierung von
die ihren Einsatz noch rechtfertigen. Die Reagenzien ent- Proteinen im Rahmen der Strukturaufklärung hat sich in
halten ein positiv polarisiertes und daher elektrophiles den letzten Jahren grundlegend verändert. So wird die
Spaltung von Proteinen
237 10
O
C NH2

NH CO Protein
Protein NH C

O H
Asn Gly

NH3

O
C
NH CO Protein
Protein NH C
H
O
Succinimid
Desamidierung
NH2OH2H2O
Isomerisierung
OH– Hydroxylamin-
Spaltung

O O
C OH C OH

NH CO Protein NHOH + H2N CO Protein


NH C Protein NH C

O H O H
N-terminales
Glycin
+

O O
NH CO Protein
C C NHOH
H
OH
Protein NH COOH Protein NH C

O
Aspartylhydroxamat

..      Abb. 10.8  Hydroxylaminspaltung von Asn-Gly-Bindungen. Die Carbonylgruppe von Asparagin bildet mit der Aminogruppe der be-
nachbarten Peptidbindung ein Succinimid-Intermediat. Durch nucleophilen Angriff von Hydroxylamin wird die Asn-Gly-Bindung in α- und
β-Aspartylhydroxamat und einen neuen, N-terminalen Glycinrest gespalten

Primärstruktur heute nur noch von sehr kleinen Protei- allem bei Produktion rekombinanter Proteine zum Ab-
nen vollständig proteinchemisch ermittelt. Es ist also spalten der Affinitäts-­Tags unabdingbar.
nicht mehr notwendig, Proteine mit vielen unterschied-
lichen Enzymen zu spalten, um Überlappungsfragmente
für alle Segmentbereiche des Proteins zu erhalten. Routi-
nemäßig verwendet man heute wenige, gut und spezifisch Literatur
spaltende Enzyme  – meistens Trypsin oder Endoprote-
Kellner R (1999) Chemical and enzymatic fragmentation of proteins.
ase LysC –, um Proteine zu spalten und die Spaltpeptide
In: Kellner R, Lottspeich F, Meyer H (Hrsg) Microcharacteriza-
zu analysieren. Die Information über die Reihenfolge der tion of proteins. Wiley-VCH, Weinheim
Peptide innerhalb eines Proteins wird heute fast immer Motyan JA, Toth F, Tözser J (2013) Research applications of proteo-
aus der DNA-Sequenz ermittelt. In der modernen Prote- lytic enzymes in molecular biology. Biomolecules 3:923–942
inanalytik und in der Proteomanalyse werden enzymati- Patterson SD (1994) From electrophoretically separated proteins to
identification strategies for sequence and mass analysis. Anal
sche Spaltungen hauptsächlich eingesetzt, um Proteine
Biochem 221:1–15
durch Peptide Mass Fingerprints (PMF) und Sequenzie- Rawlings ND, Salvesen G (2013) Handbook of proteolytic enzymes,
rung der Peptide durch MS-MS zu identifizieren und um 3. Aufl. Elsevier, Amsterdam
posttranslationale Modifikationen zu charakterisieren. Sterchi E, Stöcker W (Hrsg) (1999) Proteolytic enzymes; tools and
Die hohe Spezifität der Spaltstellen macht Proteasen vor targets. Springer, Heidelberg. www.­brenda-enzymes.­org
239 11

Chromatographische
Trennmethoden für Peptide
und Proteine
Reinhard Boysen

Inhaltsverzeichnis

11.1 Instrumentierung – 241

11.2 Chromatographische Theorie – 242


11.3  ie physiko-chemischen Charakteristika der Peptide und
D
Proteine – 245

11.4 Chromatographische Trennmethoden – 246


11.4.1  usschlusschromatographie – 247
A
11.4.2 Hochleistungs-Reversed-Phase-­Chromatographie (HP-RPC) – 248
11.4.3 Hochleistungsnormalphase-­Chromatographie (HP-NPC) – 249
11.4.4 Hochleistungs-Hydrophile-­Interaktionschromatographie
(HP-HILIC) – 250
11.4.5 Hochleistungs-Aqueous-­Normalphasechromatographie
(HP-ANPC) – 250
11.4.6 Hochleistungs-Hydrophobe-­Interaktionschromatographie
(HP-HIC) – 251
11.4.7 Hochleistungsionenaustauschchromatographie (HP-IEX) – 253
11.4.8 Hochleistungsaffinitätschromatographie (HP-AC) – 254

11.5  ethodenentwicklung für die analytische Chromatographie


M
am Beispiel der HP-RPC – 256
11.5.1 E ntwicklung und Optimierung einer Methode – 256
11.5.2 Übergang zur präparativen Chromatographie – 258
11.5.3 Fraktionierung – 259
11.5.4 Analyse der Fraktionen – 259

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_11
11.6 Multidimensionale HPLC – 260
11.6.1 Trennung von individuellen Peptiden und Proteinen
in der MD-HPLC – 260
11.6.2 Trennung von komplexen Peptid- und Proteinmischungen mit der
MD-HPLC – 261
11.6.3 Methodenstrategien für die MD-HPLC – 261
11.6.4 Entwurf eines effektiven MD-HPLC-Schemas für Peptide
und Proteine – 262

11.7 Schlussbemerkung – 264

Literatur und Weiterführende Literatur – 264


Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
241 11
55 Die Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) der theoretischen Grundlagen der Chromatographie und
ist eine vollautomatisierte Form der Chromatogra- der physiko-chemischen Charakteristika der Peptide
phie, die es ermöglicht, Peptide und Proteine schnell, und Proteine hilfreich. Diese Grundlagen sind in den
selektiv, reproduzierbar und mit hoher Auflösung zu 7 Abschn. 11.1, 11.2 und 11.3 beschrieben. Die haupt-

trennen. sächlich angewendeten chromatographischen Methoden


55 Eine Reihe von HPLC-Methoden stehen zur Verfü- für die Trennung und Aufreinigung von Peptiden und
gung: die Ausschluss-, Reversed-Phase-, Normal- Proteinen sind in 7 Abschn. 11.4 ausführlich dargelegt.

phase-, hydrophile Interaktions-, Aqueous-Normal- Um eine spezifische HPLC-Methode voll ausnutzen zu


phase-, hydrophobe Interaktions-, Ionenaustausch- und können, wird eine umfassende, an das Zielmolekül an-
die Affinitätschromatographie, deren genaue Kenntnis gepasste systematische Methodenentwicklung empfoh-
eine Auswahl für den jeweiligen Anwendungszweck er- len. Diese Vorgehensweise wird dann durch Zeit- und
möglicht. Kostenersparnis belohnt, da ein unwirtschaftliches Aus-
55 Multidimensionale HPLC, d. h. die sukzessive Kombi- probieren entfällt. Solche Methodenentwicklung wird in
nation von verschiedenen chromatographischen Trenn- 7 Abschn. 11.5 anhand der Reversed-Phase-Chromato-

methoden in Verbindung mit Massenspektrometrie graphie, der meistbenutzten Methode in der Peptid- und
und Bioinformatik, kann für die Trennung, Detektion, Proteinanalyse, exemplarisch dargestellt. Da Peptide
Identifizierung und Quantifizierung einer hohen An- und Proteine meistens ausgehend von komplexen bio-
zahl von Analyten in komplexen Proben eingesetzt logischen Mischungen analysiert werden, ist für ihre
werden. Trennung oft mehr als ein chromatographischer Schritt
55 Systematische Methodenentwicklungen für mikroana- nötig. In direkt aufeinanderfolgenden Anwendungen
lytische und auch für präparative Aufgabenstellungen verschiedener Chromatographiemethoden muss deren
erlauben optimale, effiziente und nachhaltige Analy- Kompatibilität miteinander und mit den erforderlichen
sen. Detektionsmethoden beachtet werden. Die Konzepte
55 Anwendungsbereiche der HPLC von Peptiden und und Anwendungen zwei- und mehrdimensionaler Tech-
Proteinen erstrecken sich über die Grundlagenfor- niken für die Trennung von Peptiden und Proteinen sind
schung, Proteomanalyse, Systembiologie, Hochdurch- in 7 Abschn. 11.6 diskutiert.

satzanalytik, medizinische Diagnostik bis hin zur Qua-


litätskontrolle von Biotherapeutika.
11.1  Instrumentierung
Die Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC)
wurde in den letzten 30 Jahren zur unverzichtbaren Me- In der Bioanalytik kommt der Anpassung des chromato-
thode für die Trennung, Aufreinigung und Charakteri- graphischen Systems an die jeweilige Aufgabenstellung
sierung von synthetischen und biologischen Molekülen. eine wesentliche Bedeutung zu. Die moderne Instru-
Trotz großer Fortschritte, vor allem in der Instrumentie- mentierung gibt vielerlei Möglichkeiten, ein Trennsys-
rung, gibt es noch beachtliche Herausforderungen an tem aus verschiedenen Komponenten zusammenzustel-
die HPLC, wenn sie zur Analyse von biologischen Mole- len oder kompakte, integrierte, kommerziell erhältliche
külen wie Peptiden und Proteinen in sehr komplexen Chromatographiestationen einzusetzen. Ein einfaches
Mischungen dienen soll, wie es z.  B. in den Anwen- Trennsystem besteht aus mindestens einer binären Elu-
dungsbereichen Peptidomics, Proteomics und Degrado- entenpumpe, einem Probenaufgabesystem, einer Trenn-
mics der Fall ist. säule und einem UV-Detektor. Die Trennsäule kann
Da Proteine, bedingt durch chemische oder biologi- von der mobilen Phase einerseits bei atmosphärischem
sche Modifikationen nach der Translation, als Isoformen Druck durchströmt werden (offenes System) oder aber
oder durch genetische Modifikationen als Proteinvarian- unter erhöhtem Druck, in sog. Mittel-, Hoch- oder Ul-
ten auftreten können, müssen bei der Identifikation, die trahochdrucksystemen. Die Entwicklung der Hochleis-
über proteolytisch erzeugte Peptide erfolgt, die Massen- tungsflüssigkeitschromatographie (High-Performance
spektrometrie und Bioinformatik herangezogen werden, Liquid Chromatography, HPLC) brachte wesentliche
dasselbe trifft auch für die Qualitätskontrolle von rekom- Fortschritte bezüglich der Schnelligkeit, der Selektivität,
binant produzierten Proteinen und für die Analyse von der Reproduzierbarkeit, des Auflösungsvermögens und
synthetischen Peptiden zu. Weitere Strukturaufklärung der Automatisierbarkeit. Sie ist mittlerweile die wesent-
kann durch die Tandem-­Massenspektrometrie erfolgen, liche chromatographische Methode in der analytischen
wenn z. B. ein Ionenfallen-, Orbitrap-, Quadrupol- oder Biochemie. Als weitere Komponenten für ein chromato-
Fourier-Transform-­Massenspektrometer benutzt wird. graphisches System können je nach Bedarf noch weitere
Um eine Trennungs- und Analysenstrategie zu entwi- Eluentenpumpen, ein automatischer Eluentenentgaser,
ckeln, die genau an das oder die Zielmolekül(e) angepasst ein automatischer (und thermostatisierter) Probengeber
ist, ist die Kenntnis der verfügbaren Instrumentierung, (Autosampler), ein thermostatisiertes Säulenkomparti-
242 R. Boysen

ment mit integrierten Schaltventilen für Säulenschal- die niedrigen Flussraten ausgelegt, der Durchmesser der
tungen oder ein (thermostatisierter) Fraktionssammler Verbindungskapillaren, die Schaltventilvolumina und
hinzugefügt werden. Die einzelnen Systemkomponen- Detektorzellvolumina entsprechend angeglichen. Für
ten können direkt (manuelle Steuerung) oder von einem sehr komplexe Proben, wie sie in der Proteomanalyse
Computer kontrolliert werden, der auch dazu dienen anfallen, sind diese HPLC-Systeme notwendigerweise
kann, die Chromatogramme zu speichern und auszu- immer multidimensional, d.  h., sie kombinieren zwei
werten. Insgesamt ist ein chromatographisches System oder mehrere verschiedene chromatographische Trenn-
in seiner Konzeption auf bestimmte Problemstellungen methoden wie z. B. die Ionenaustauschchromatographie
ausgelegt, z. B. auf großen Probendurchsatz (was einen und Reversed-Phase-­ Chromatographie. Die massen-
Roboter erfordern kann, der den Autosampler bestückt), spektroskopischen Daten von solchen multidimensiona-
für die Methodenentwicklung, für hoch empfindliche len HPLC-Systemen können vielfach nur noch vollauto-
Detektion (unter Zuhilfenahme spezieller Detektoren, matisiert mithilfe modernster Bioinformatik und mit
z. B. einem Fluoreszenzdetektor), für zweidimensionale Sequenzdatenbanken ausgewertet werden.
Trennungen (was eine zusätzliche Pumpe und ein zusätz-
liches Schaltventil erfordert) oder auf präparative Auf-
reinigungen (erfordert präparative Pumpen), wofür die 11.2  Chromatographische Theorie
jeweiligen Systemkomponenten dementsprechend zu-
sammengestellt werden. Die Flüssigkeitschromatographie kann als Trennme-
Drei wesentliche Entwicklungen haben die bioanaly- thode definiert werden, bei der eine gelöste Substanzmi-
tischen Anwendungen der Chromatographie der letzten schung zwischen zwei Phasen, einer stationären Phase
drei Jahrzehnte beeinflusst: die Kopplung der Flüssig- und einer mobilen Phase, verteilt wird, wobei die mobile
keitschromatographie (LC) mit der Massenspektrome- Phase und damit auch die einzelne Substanzen je nach
trie (MS), die Miniaturisierung von chromatographi- Art der verwendeten Trennsäule in eine vorbestimmte,
schen Trennsäulen und die allgemeine Verfügbarkeit der axiale oder radiale Richtung fließen.
Bioinformatik. Die LC/MS-Kopplung ermöglicht die Eine chromatographische Trennung beginnt mit dem
11 hochempfindliche Detektion von Molekülmassen von Auftragen der Probe. Die Komponenten (oder Analy-
Peptiden und Proteinen, die Durchführung von MS/ ten) wandern dann als Banden in Abhängigkeit von der
MS-Untersuchungen zur Identifizierung von Peptiden Elutionsmethode mit unterschiedlicher Geschwindig-
und deren Modifikationen oder die De-novo-Sequen- keit durch die Säule und werden beim Austritt detektiert,
zierung von Peptiden sowie die relative (oder absolute) z.  B. mit der UV-Detektion mittels Diodendetektoren.
Quantifizierung von Peptiden unmittelbar nach der Dieser Vorgang wird im Chromatogramm dokumen-
chromatographischen Auftrennung. Das Eluat von der tiert, indem die Konzentration der eluierten Analyten
Chromatographiesäule wird nach einer Trennung oft als Elutionspeak gegen die Zeit oder das Elutionsvolu-
direkt (d.  h. ohne UV-Detektion) in ein Elektrospray-­ men aufgezeichnet wird (. Abb. 11.1). Die Zeit, die ein

Ionisations- (ESI-)MS geleitet, in dem die aufgetrennten Analyt benötigt, der nicht mit der stationären Phase in
Peptid- oder Proteinmoleküle nacheinander desolviert, Wechselwirkung tritt, um vom Injektor bis zum Säulen-
ionisiert, mittels der Ionenoptik manipuliert und dann ausgang zu gelangen, wird als Totzeit t0 bezeichnet. Das
detektiert werden. Der optimale Einsatz der Sprühtech- entsprechende Totvolumen V0 ist die Summe des inter-
nik erfordert eine konstant niedrige Flussrate und wird stitiellen Volumens zwischen den Partikeln des Säulen-
idealerweise mit der HPLC im Mikro- oder Nano-Maß- materials und des verfügbaren Volumens innerhalb der
stab kombiniert. Da das Massenspektrometer ein kon- Partikelporen. Bei der Wechselwirkung einer Proben-
zentrationsabhängiger Detektor ist, führt eine Vermin- komponente mit der stationären Phase wird die Elution
derung der Flussrate in der LC zu einer Erhöhung der des Analyten verzögert; dies wird durch die Retentions-
Detektionsempfindlichkeit. Des Weiteren ermöglicht der zeit tR bzw. das Elutionsvolumen VR beschrieben.
Einsatz von speziellen Mikrospottern das Auftragen von Um die Retention eines Analyten allgemein und un-
Eluat und Matrix auf Probenteller für darauffolgende abhängig von der Dimension der Säule oder der Fluss-
matrixunterstützte Laser-Desorptions/Ionisations-Flug- rate zu beschreiben, wird der Retentionsfaktor k be-
zeiten- (MALDI-TOF-)MS. Die Entwicklung der analy- nutzt:
tischen mikro- und nano-LC, die unter dem Oberbegriff
der Kapillar-LC zusammengefasst werden, und eine Ver- t R − t0
ringerung der Flussraten und Säuleninnendurchmesser k= (11.1)
t0
beinhalteten, spiegeln einen Trend der Miniaturisierung
wieder, der u. a. auch zur der Entwicklung von HPLC-
Chips mit integrierter Anreicherungs- und Trennsäule wobei tR die Retentionszeit und t0 das Totvolumen ist.
geführt hat. Die einzelnen Komponenten dieser Kapil- Der Retentionsfaktor kann aber auch über das Eluti-
lar-LC-HPLC-Systeme sind den Aufgaben entsprechend onsvolumen ausgedrückt werden, da die Beziehung der
angepasst. Die Mikro- oder Nano-LC-Pumpen sind für Retentionszeit tR und des Totvolumens t0 zum Elutions-
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
243 11
..      Abb. 11.1  Schematische Darstellung tR3 3
eines Chromatogramms. Abkürzungen: t0
Totzeit; entspricht der benötigten Zeit 400
von der Injektion bis zur Detektion für
einen nicht retardierten Analyten; tR 300

Absorption
Retentionszeit; die Zeit für einen tR2 2
retardierten Analyten; h Peakhöhe, 200 w½ h
Abstand von der Basislinie zum Peakma- tR1 1
ximum; w Peakbreite, gemessen an der 100 t0
Basislinie; w1/2 Halbwertsbreite, gemessen
w1 w2
auf halber Peakhöhe 0
0 2 4 6 8 10 12 14
Zeit (in min)
Injektion

volumen und der Flussrate F eines chromatographi- akbreiten wird dann durch die chromatographische Auf-
schen Systems folgendermaßen definiert ist: lösung RS ausgedrückt,

=VR tR=
·F und V0 t0 ·F (11.2) t R 2 − t R1
RS = (11.6)
(1 / 2 ) ( w1 + w2 )
und es ergibt sich
mit den Retentionszeiten tR1 und tR2 zweier benachbarter
V − V0 Peaks und deren Peakbreiten w1 und w2. Zwei Peaks sind
k= R (11.3)
V0 entweder gar nicht (RS = 0), kaum (RS < 1), teilweise

(RS = 1) oder basisliniengetrennt (RS > 1,5).
Dispersionseffekte von Analyten in chromatographi-
Somit kann der Retentionsfaktor als die Anzahl der zusätz-
schen Systemen sind eine der Ursachen von Bandenver-
lichen (Säulen-)Volumina V0 veranschaulicht werden, die
breiterung. Das Ausmaß der Bandenverbreiterung spie-
über das Totvolumen V0 hinaus benötigt werden, um einen
gelt die Säuleneffizienz wider, welche gewöhnlich als
Analyten von der Säule zu eluieren. Der Retentionsfaktor
Bodenzahl N oder als die Bodenhöhe H (auch Höhe ei-
kann Werte zwischen k = 0 (keine Retention) und k = ∞
nes theoretischen Bodens, HETP) ausgedrückt wird,
(irreversible Adsorption) annehmen, wobei Werte zwischen
1 und 20 aus praktischen und ökonomischen Gründen be-
vorzugt werden. Der Retentionsfaktor kann aber auch als L
N= (11.7)
das Verhältnis der Anzahl der Mole Probenmolekül ns, die H
mit der stationären Phase in Wechselwirkung sind, und der
Anzahl der Mole Probenmolekül nm, die sich in der mobilen wobei L die Säulenlänge ist.
Phase aufhalten, ausgedrückt werden. Die Bodenzahl geht auf das klassische Konzept der
„theoretischen Böden“ als die Anzahl an Destillations-
ns böden bei einer fraktionierten Destillation zurück. Je
k= (11.4) höher die Bodenzahl bei einer Säulenlänge L ist, desto
nm
besser ist die Qualität einer Säule und dementsprechend
schmaler die Peaks.
Um zwei Analyten voneinander trennen zu können,
Die Größe der Bodenzahl N hängt von verschiede-
müssen sie unterschiedliche Retentionsfaktoren aufwei-
nen chromatographischen Faktoren und Probenmole-
sen. Die Selektivität α beschreibt die Fähigkeit eines
küleigenschaften ab, u. a. von der Säulenlänge L, dem
chromatographischen Systems, zwei Analyten (1 und 2)
Durchmesser der chromatographischen Partikel dp, der
aufgrund ihrer unterschiedlichen Retentionsfaktoren k1
linearen Flussrate u, den entsprechenden Diffusions-
und k2 zu trennen. Im Fall α = 1 ist keine Trennung mög-
konstanten der Probenmoleküle Dm und Ds in der mobi-
lich. Für die Selektivität gilt:
len Phase und der stationären Phase, und kann folgen-
dermaßen beschrieben werden:
k2
α= (11.5)
k1
 t2   tR 
2
N =  R2  oder N = 16 w (11.8)
σ  
Um die Qualität einer Trennung beurteilen zu können,  t 
muss neben dem Peakabstand beider Komponenten
auch die Peakbreite beachtet werden. Das Verhältnis der wobei tR die Retentionszeit und σ t2 die Peakvarianz der
Peakabstände zweier benachbarter Peaks und deren Pe- eluierten Zone in Zeiteinheiten ist. Aus praktischen
244 R. Boysen

A
Gründen wird σ t2 oft durch die Peakbreite w ersetzt.
Für Peaks mit der Form einer Gauß‘schen Wahrschein-
lichkeitskurve entspricht die Peakbreite w annäherungs-

Bodenhöhe H (in µm)


weise 4σ (4-mal die Peak-Standardabweichung).
Um einen direkten Vergleich der Säuleneffizienzen
von Säulen mit identischen Dimensionen des chromato-
graphischen Bettes, aber chromatographischen ­Partikeln
mit unterschiedlichen physikalischen und chemischen
Eigenschaften (z.  B. unterschiedliche durchschnittliche
Partikelgröße, Liganden) zu erlauben, wurde die Boden-
höhe H durch die reduzierte Bodenhöhe h definiert und
dementsprechend die lineare Flussrate u = L/t0 durch die
reduzierte Flussrate ν der mobilen Phase: Flussrate (in cm/h)

H u ·dP B
=h = und v (11.9)
dP Dm

Bodenhöhe H (in µm)


mit der Säulenlänge L, dem Partikeldurchmesser dP und
der Diffusionskonstanten des Probenmoleküls in der
mobilen Phase Dm.
Die Bandenverbreiterung einer Peakzone ist das Re-
sultat von verschiedenen Massentransporteffekten in
der Säule und kann durch die Abhängigkeit der redu-
11 zierten Bodenhöhe h von der linearen Flussrate u oder
der reduzierten Flussrate ν durch die Van-Deemter-
Knox-Gleichung beschrieben werden:
Flussrate (in cm/h)
B B
h = A+ + C ·u oder h = A·v1/ 3 + + C ·v (11.10)
u v ..      Abb. 11.2  Van-Deemter-Knox-Kurven für Moleküle unter-
schiedlicher Größe. A Cytosin (M = 111) und B Myoglobin (M =
17.000). (Nach Janson und Ryden 1989)
In dieser Gleichung beschreibt der A-Term die Ed-
dy-Diffusion und die Massentransfereffekte in der mo-
bilen Phase. Er ist ein Maß für den Einfluss der Qualität phischen Effekte für Makromoleküle nur mit Näherun-
der Säulenpackung auf die Peakverbreiterung (eine gen und Durchschnittswerten beschrieben werden.
Konstante für die jeweilige Säule). Der B-Term steht für . Abb.  11.2 dokumentiert den Unterschied für

die Diffusion der Probenmoleküle im Verlauf der Trenn- kleine und große Moleküle am Beispiel der beiden Van-­
strecke (longitudinale Diffusion), und der C-Term be- Deemter-Knox-­Kurven von Cytosin (M = 111) und
schreibt die Wechselwirkungen der Probenmoleküle mit Myoglobin (M = 17.000). Die Bodenhöhe wurde nach
der stationären Phase (Massentransfereffekte). den Gelfiltrationsexperimenten für unterschiedliche
Um optimale Trennleistungen zu erzielen, sollte die Flussraten berechnet. Die Kurven lassen erkennen,
reduzierte Bodenhöhe h möglichst klein sein. Die opti- dass
male Flussrate kann aus dem Kurvenminimum für h aus 1. das chromatographische Verhalten von kleinen Mo-
der Van Deemter-Knox-Kurve entnommen werden lekülen durch deren Diffusion bestimmt wird, wäh-
(. Abb. 11.2).
  rend der Einfluss des B-Terms (longitudinale Diffu-
Die Van-Deemter-Knox-Gleichung kann dazu be- sion) für große Moleküle praktisch vernachlässigbar
nutzt werden, das chromatographische Verhalten von ist, insbesondere bei hohen Flussraten;
Molekülen kleiner Masse mit guter Näherung zu be- 2. die Wechselwirkung mit der stationären Phase
schreiben, hat aber für Moleküle großer Masse wie bei- (C-Term) bei großen Molekülen zur Peakverbreite-
spielsweise Proteine ihre Grenzen, da diese beträchtlich rung führt; und
in ihren Form- und Oberflächeneigenschaften variieren 3. eine optimale Bodenhöhe für große Moleküle bei we-
können. Aus diesem Grunde können die chromatogra- sentlich geringeren Flussraten erreicht wird.
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
245 11
Bandenverbreiterung entsteht nicht nur innerhalb der basische und saure funktionelle Gruppen. Sie zeigen
Säule, sondern auch außerhalb der Säule durch Disper- deshalb charakteristische isoelektrische Punkte, wobei
sionseffekte im HPLC-System: die Nettoladungen und Polaritäten in wässrigen Lösun-
gen mit pH-Wert, Lösungsmittelgehalt und Temperatur
σ t2 = σ column
2
+ σ extra
2
(11.11) variieren. Zyklische Peptide ohne ionisierbare Seitenket-

ten sind eine Ausnahme, sie haben keine Ladung. Die
Zahl und Verteilung der geladenen Gruppen beeinflusst
wobei σ column
2
und σ extra
2
den Peakvarianzen innerhalb
die Polarisierbarkeit, den Ionisierungsstatus und die Hy-
und außerhalb der Säule entsprechen. Besondere Auf-
drophobizität der Peptide und Proteine. In . Tab. 11.1

merksamkeit sollte daher der Verminderung der Totvo- sind die charakteristischen Daten für die meisten l-α-
lumina geschenkt werden (z. B. durch Wahl der Kapilla- Aminosäurereste, die in Peptiden und Proteinen zu fin-
ren, Fittings und der Detektorzelle in Bezug auf Länge den sind, mit ihren N- und C-terminalen Gruppen auf-
und Durchmesser, Passgenauigkeit sowie Volumen), um geführt. Diese Information kann bezüglich der
den Einfluss von σ extra
2
auf h zu vermindern. Methodenauswahl gute Dienste leisten. Der Einfluss der
Die Bandenverbreiterung oder Peakdispersion, aus- Aminosäurezusammensetzung (die z.  B. die Wahl des
gedrückt als die reduzierte Bodenhöhe h, hängt von kine- Eluenten oder Gradienten in der Reversed-­ Phase-­
tischen, zeitabhängigen Vorgängen ab. Bei Abwesenheit Chromatographie bestimmt) auf den Retentionsfaktor
von Sekundäreffekten (z. B. langsamer Gleichgewichts- kann mithilfe dieser Tabelle abgeschätzt werden. Auch
einstellung, pH-Effekten und Konformationsänderun- kann mit dieser Tabelle der Einfluss einer Aminosäure-
gen der Peptide oder Proteine) kann die Auflösung RS substitution oder Eliminierung auf die Retention klei-
folgendermaßen definiert werden: ner Peptide ermittelt werden. Ferner dient sie als Leit-
faden, um Peptidfragmente, die durch proteolytische
RS = (1 / 4 ) N 1/ 2 (α − 1) ( k / (1 + k ) ) (11.12) Spaltungen entstehen, zu identifizieren.

In Lösung weist ein Peptid (bis 15 Aminosäuren) ge-
Diese Gleichung verbindet die drei wichtigsten Parame- nerell keine Sekundärstruktur auf. Polypeptide (15–50
ter, die die Qualität einer chromatographischen Tren- Aminosäuren) oder Proteine (> 50 Aminosäuren) zeigen
nung ausmachen, nämlich die Bodenzahl N, die Selekti- α-helikale, β-Faltblatt- oder β-Schleifenmotive in ihrer
vität α und den Retentionsfaktor k, und beschreibt das Sekundärstruktur. Mit zunehmender Kettenlänge, je
Ausmaß, in dem die Bandenverbreiterung den Verlust nach Sequenz der Aminosäuren, nehmen spezifische Be-
der Trennleistung der Säule verursachen kann. Wie spä- reiche der Polypeptide oder Proteine sekundäre, tertiäre
ter noch gezeigt werden wird, bildet diese Gleichung die oder quaternäre Strukturen ein oder weisen keine defi-
Grundlage der systematischen Methodenentwicklung nierte Tertiärstruktur auf, wie die intrinsisch ungeord-
für die Auflösungsoptimierung. neten Proteine. Die Faltungen der Aminosäuren in Se-
kundär- und Tertiärstrukturen, die in wässrigen
Lösungen die hydrophoben Aminosäureseitenketten ei-
nes Proteins nach innen bringen und so die Struktur sta-
11.3  Die physiko-chemischen bilisieren, spielen in der chromatographischen Trennung
Charakteristika der Peptide und eine große Rolle. Abhängig von der jeweilig gewählten
Proteine Trennmethode werden die experimentellen Bedingun-
gen unweigerlich auch die Konformation der Peptide
Die Primärstruktur (Aminosäuresequenz) und Sekun- oder Proteine beeinflussen. Durch eine geeignete Me-
därstruktur (Faltung) der zu analysierenden Peptide thodenwahl kann diese Destabilisierung vielfach so ge-
und Proteine bestimmen die Wahl der chromatographi- ring wie möglich gehalten werden, jedoch muss in den
schen Methode. Es gibt 21 natürlich vorkommende meisten Fällen eine integrierte biophysikalische Analyse
Aminosäuren, die sich in den Eigenschaften ihrer Sei- erfolgen (z.  B. mit 1H-2-dimensionaler NMR-, FTIR-,
tenketten unterscheiden, daneben noch zahlreiche che- CD-ORD-Spektroskopie oder ESI-MS), um die Sekun-
mische und biologische Modifikationen (z.  B. durch där- oder Tertiär- (Quartär-)Struktur zu bestimmen
Acetylierung, Deamidierung, Glykosylierung, Lipidie- oder die Gegenwart eines spezifischen gebundenen Li-
rung und Phosphorylierung). Die Seitenketten werden ganden oder das Vorkommen von Selbst-Aggregaten si-
nach ihrer Polarität eingeordnet (als unpolar oder hyd- cher ausschließen zu können.
rophob bzw. polar oder hydrophil). Die polaren Seiten- Die Detektion der Peptide und Proteine erfolgt
ketten teilt man ein in ungeladen, positiv geladen oder hauptsächlich im UV-Bereich (λ = 205–215 nm), da dort
basisch und negativ geladen oder sauer. Peptide und die Peptidbindungen stark absorbieren, jedoch absor-
Proteine enthalten für gewöhnlich mehrere ionisierbare bieren aromatische Aminosäuren enthaltende Peptide
246 R. Boysen

..      Tab. 11.1  Eigenschaften der häufigsten l-α-Aminosäuren und der terminalen Gruppen

Drei-­ Ein-­ Monoisotopische Partialspezifisches Verfügbare pKa der Relative


Buchstaben-­ Buchstaben-­ Masse (amu) Volumen1 (in Å3) Oberfläche2 Seitenketten3 Hydrophobizität5
Abkürzung Symbol (in Å2) bzw. Termini4

Ala A 71,03711 88,6 115 0,06


Arg R 156,10111 173,4 225 12,48 −0,85
Asn N 114,04293 117,7 160 0,25
Asp D 115,02694 111,1 150 3,9 −0,20
Cys C 103,00919 108,5 135 8,37 0,49
Gln Q 128,05858 143,9 180 0,31
Glu E 129,04259 138,4 190 4,07 −0,10
Gly G 57,02146 60,1 75 0,21
His H 137,05891 153,2 195 6,04 −2,24
Ile I 113,08406 166,7 175 3,48
Leu L 113,08406 166,7 170 3,50
Lys K 128,09496 168,6 200 10,54 −1,62
Met M 131,04048 162,9 185 0,21
Phe F 147,06841 189,9 210 4,80

11 Pro P 97,05276 122,7 145 0,71


Ser S 87,03203 89,0 115 −0,62
Thr T 101,04768 116,1 140 0,65
Trp W 186,07931 227,8 255 2,29
Tyr Y 163,06333 193,6 230 10,46 1,89
Val V 99,06841 140,0 155 1,59

α-Amino 7,7–9,2

α-Carboxy 2,75–3

Monoisotopische Masse (amu) der N- und C-terminalen Gruppen: Wasserstoff (H) 1,00782, N-Formyl (HCO) 29,00274, N-Acetyl
(CH3CO) 43,01839, freie Säure (OH) 17,00274, Amide (NH2) 16,01872. 1 Zamyatnin (1972), S. 107–123. 2 Chothia (1975), S. 304–308.
3 Dawson et al. 1986. 4 Rickard et al. (1991), S. 197–207. 5 Wilce et al. (1995), S. 1210–1219

auch über 250 nm durch die konjugierten π-Systeme der gen (d. h. unterhalb von Absorptionswerten von 2–2,5
aromatischen Aminosäureseitenketten. Die Kenntnis AU). Die drei Aminosäuren Phenylalanin, Tryptophan
der UV/VIS-Absorptionsspektra und insbesondere die und Tyrosin zeigen zusätzlich Fluoreszenz. Die Fluores-
der Extinktionskoeffizienten der nicht überlappenden zenz kann dazu benutzt werden, um weitere Informatio-
Absorptionsmaxima der Aminosäuren ist für die Be- nen über den Faltungszustand oder die Zusammenset-
stimmung der Peakreinheit und des Aminosäuregehalts zung eines Proteins zu erhalten. Dabei ist zu beachten,
der Peptide und Proteine unabdingbar. Die Wahl der dass die Fluoreszenz in dem Maß abnimmt, wie die Po-
Wellenlänge für ihre Detektion hängt auch von der larität des Eluenten zunimmt.
UV-Eigenabsorption der Eluenten ab. Die oft benutzte
Wellenlänge von 215 nm ist ein guter Kompromiss zwi-
schen größtmöglicher Analysensensitivität und mög- 11.4  Chromatographische Trennmethoden
lichst niedriger Absorption durch die Eluenten. In prä-
parativen Anwendungen werden oft Wellenlängen von Eine Reihe von unterschiedlichen HPLC-Methoden
230 und 280 nm gewählt, um zu gewährleisten, dass die wird gegenwärtig für die Peptid- und Proteinanalyse
Detektorsignale noch im Messbereich des Detektors lie- eingesetzt: die Ausschlusschromatographie, die Rever-
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
247 11
sed-Phase-Chromatographie, die Normalphasechroma- namisches Volumen, Hydrophobizität/Hydrophilizität,
tographie, die hydrophile Interaktionschromatographie, Ladung, isoelektrischer Punkt, Löslichkeit, Funktion,
die Aqueous-Normalphasechromatographie, die hyd- Antigenizität, Anzahl der Kohlenhydratmodifizierun-
rophobe Interaktionschromatographie, die Ionenaus- gen, Anzahl freier Thiolgruppen, exponierte Histidinsei-
tauschchromatographie und die Affinitätschromatogra- tenketten, oder exponierte Metallionen, geleitet werden.
phie, welche die Metallchelatchromatographie und die In . Tab.  11.2 sind die wichtigsten chromatographi-

Immunaffinitätschromatographie mit beinhaltet. Die schen Trennmethoden aufgelistet und den relevanten
Prinzipien dieser Trennmethoden sind im Folgenden im molekularen Eigenschaften der Analyten gegenüberge-
Detail erläutert. Weniger häufig verwendete chromato- stellt.
graphische Methoden sind die Hydroxyapatitchroma- Zusätzlich zu den oben erwähnten funktionalen
tographie, die Ladungsübertragungschromatographie Charakteristika der chromatographischen Systeme wer-
oder die Ligandenaustauschchromatographie. Alle den die Trennung, Auflösung, quantitative Ausbeute
Methoden können mit isokratischer Elution (d. h. kon- und Bioaktivitätserhaltung der Zielmoleküle auch noch
stanter Eluentenzusammensetzung), Stufengradienten durch die chemischen und physikalischen Eigenschaften
oder Gradientenelution angewendet werden, wobei die der benutzten mobilen und stationären Phasen beein-
Eluentenzusammensetzung in Stufen oder aber kontinu- flusst. Diese Parameter sind in . Tab. 11.3 angeführt.

ierlich verändert wird. Die Ausschlusschromatographie


nimmt eine Sonderstellung ein und wird gewöhnlich nur
isokratisch betrieben. Alle Methoden können für analy- 11.4.1 Ausschlusschromatographie
tische, aber auch semipräparative oder präparative Zwe-
cke eingesetzt werden. Die Chromatographie, wie auch Hochleistungsgrößenausschlusschromatographie (HP-­
die Elektrophorese, nimmt daher eine Sonderstellung SEC), die auch Hochleistungsgelpermeationschromato-
in der Bioanalytik ein, da sie nicht nur als analytische graphie (HP-GPC) genannt wird, benutzt poröse statio-
Methode per se eingesetzt werden kann, sondern auch näre Phasen und trennt Analyten nach ihrer
für die Bereitstellung von hinreichend reinen Proben für Molekularmasse oder präziser deren hydrodynami-
andere, oft komplementäre, analytische Methoden, wie schem Volumen. Die Trennung basiert auf dem Kon-
z.  B. die NMR-Spektroskopie oder die Röntgenstruk- zept, dass Moleküle verschiedenen hydrodynamischen
turanalyse, verwendet werden kann. Um optimale Se- Volumens (Stokes-Radius) verschieden intensiv in die
lektivität und daher Auflösung für Peptide und Proteine porösen HP-­SEC-­Trennmedien penetrieren und somit
mittels der Hochdruckflüssigkeitschromatographie zu verschiedene Permeationskoeffizienten aufweisen, je
erlangen – unabhängig davon, ob analytische oder prä- nach den verschiedenen Molekülmassen/hydrodynami-
parative Trennungen durchgeführt werden sollen – sollte schen Volumina. Analyten mit einem Molekulargewicht,
die Wahl der Trennmethode durch die molekularen das größer ist als der Ausschlussgrenzwert (normaler-
Eigenschaften der Analyten, z. B. ihre Größe/hydrody- weise in den technischen Informationen der Säulenher-

..      Tab. 11.2  Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine

Trennmethode Abkürzung Ausgenutzte Moleküleigenschaft

Ausschlusschromatographie SEC oder GPC Größe, hydrodynamisches Volumen


Reversed-Phase-Chromatographie RPC Hydrophobizität
Normalphase-Chromatographie NPC Polarität
hydrophile Interaktionschromatographie HILIC Hydrophilizität
Aqueous-Normalphase-Chromatographie ANPC Hydrophilizität
hydrophobe Interaktionschromatographie HIC Hydrophobizität
Anionenaustauschchromatographie AEX negative Ladung
Kationenaustauschchromatographie CEX positive Ladung
Affinitätschromatographie AC Biospezifität
Metallchelatchromatographie IMAC Komplexierung
Immuno-Affinitätschromatographie IAC Antikörper-Antigen-Wechselwirkungen
248 R. Boysen

..      Tab. 11.3  Chemische und physikalische Faktoren der mobilen und stationären Phasen, die die Trennung, Auflösung, Ausbeute
und Bioaktivitätserhaltung in Analyse von Peptiden, Proteinen oder anderen Biomakromolekülen in der HPLC beeinflussen

Mobile Phase Stationäre Phase

Pufferzusammensetzung Partikelgröße
Ionenstärke Partikelgrößenverteilung
pH-Wert Partikelkomprimierbarkeit
organische Lösungsmittel Oberflächengröße
Metallionen Porendurchmesser
chaotrope Reagenzien Porendurchmesserverteilung
oxidierende oder reduzierende Reagenzien Ligandenstruktur
Beladungskonzentration und -volumen Ligandendichte
Temperatur Oberflächenheterogenität

steller angegeben), werden von den Poren ausgeschlos- tid- und Proteinanalyse. In der Reversed-Phase-Chro-
sen und eluieren im Totvolumen der Säule. Als eine nicht matographie ist die Polarität der stationären und
retentive Trennmethode wird HP-SEC normalerweise mobilen Phase umgekehrt zu der in der Normalpha-
isokratisch, mit wässrigen mobilen Phasen niedrigen sechromatographie. Peptide und Proteine werden unter
Salzgehalts betrieben. wässrigen Bedingungen auf die Säule geladen und mit
HP-SEC kann für Gruppentrennungen oder Hoch- einer mobilen Phase eluiert, die ein organisches Lö-
11 leistungsfraktionierungen verwendet werden. Bei der sungsmittel enthält. Die Säule enthält eine poröse oder
Gruppentrennung trennt HP-SEC kleine Moleküle von nicht poröse stationäre Phase mit darauf immobilisier-
großen und kann auch zum Pufferaustausch und zur ten nichtpolaren Liganden.
Entsalzung eingesetzt werden. Die SEC kann auch für HP-RPC trennt die Analyten nach ihrer relativen
das Entsalzen von Proteinen in kleinen Probenvolumina Hydrophobizität. Die am meisten akzeptierte Theorie
und Probenmengen mithilfe von Einmal-Säulen verwen- bezüglich der Retention in der HP-RPC ist die solvo-
det werden. Bei der Hochleistungsfraktionierung sepa- phobe Theorie, die die hydrophobe Wechselwirkungen
riert HP-SEC verschiedene Komponenten in einer Probe zwischen den unpolaren Oberflächenregionen der zu
anhand der hydrodynamischen Volumina und kann da- analysierenden Molekülen und den unpolaren, immo-
durch auch zu einer Molekulargewichtsverteilungsana- bilisierten Liganden der stationären Phase beschreibt.
lyse eingesetzt werden. Die solvophobe Theorie besagt, dass die Bindung von
Da HP-SEC-Säulen (idealerweise) keine Adsorpti- Peptiden und Proteinen an ein RPC-Säulenmaterial
onskapazität besitzen und die Probe bei der Elution ver- durch den solvophoben Ausschluss des Probenmoleküls
dünnen, werden sie normalerweise nicht während der aus der wässrigen mobilen Phase und durch Anlagerung
ersten Reinigungsschritte der Extraktion von biologi- an die unpolare Oberfläche der stationären Phase statt-
schen Ausgangsmaterialen, der Fraktionierung von findet (solvophober Effekt). Die Retention hängt dann
Rohextrakten oder bei der Zwischenreinigung in Viel- sowohl von der Kontaktfläche ΔA zwischen der hydro-
stufenprozessen eingesetzt. Sie finden jedoch Anwen- phoben Oberfläche des Probenmoleküls und der hydro-
dung bei der Entfernung von unerwünschten Aggrega- phoben Oberfläche der gebundenen Liganden als auch
ten, von multimeren Formen von Proteinen oder von von der Oberflächenspannung γ des Eluenten ab. Die
Verunreinigungen mit signifikant verschiedenem Mole- Oberflächenspannung γ wird während der Gradienten-
kulargewicht. HP-SEC kann direkt nach HP-AC, HP- elution kontinuierlich verringert, indem der Anteil der
HIC oder HP-IEX ohne Pufferaustausch eingesetzt wer- organischen Komponente des Eluenten (z. B. Acetonit-
den. ril, Ethanol oder Propanol, ausgedrückt als % B) konti-
nuierlich erhöht wird:

11.4.2 Hochleistungs-Reversed-Phase-­ ln k = A + N A / R ·T · ∆A·γ (11.13)


Chromatographie (HP-RPC)
dabei ist k der Retentionsfaktor, A ist eine Konstante,
Hochleistungs-Reversed-Phase-Chromatographie (HP-­ NA die Avogadro-Konstante, R die allgemeine Gaskon-
RPC) ist die meistbenutzte Analysenform für die Pep- stante und T die absolute Temperatur.
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
249 11
Normalerweise werden unpolare Liganden auf der HP-RPC kann isokratisch, mit einem Stufengradien-
Oberfläche von sphärischem, porösem oder nicht porö- ten oder mit einem kontinuierlichen Gradienten betrie-
sem Kieselgel gebunden, obwohl auch unpolare poly- ben werden und wird oft als eine intermediäre Stufe
mere Phasen (z.  B. von vernetztem Polystyrendivinyl- oder als letzter Reinigungsschritt in einer Mehrstufen-
benzen) vorkommen. Packmaterialien auf Kieselgelbasis trennung benutzt, idealerweise nach HP-IEX, denn es
mit durchschnittlich 3–10 μm Partikeldurchmesser und ist dann eine Entsalzung und Trennung in einem Schritt
7–100 nm (70–1000 Å) Porengröße, versehen mit n-Bu- möglich. Darüber hinaus kann die RPC auch für die
tyl- (C4-), n-Octyl- (C8-), oder n-Octadecyl- (C18-)Li- Probenvorbereitung bzw. die Entsalzung von Peptiden
ganden werden für die Trennung von Peptiden und Pro- und Proteinen für die Massenspektrometrie mittels Ein-
teinen viel benutzt. Kieselgelpartikel von 1 μm bis zu mal-Pipettenspitzen, die von zwei Fritten gehaltenes
mehr als 65 μm Durchmesser wurden durch verschie- RPC-Material enthalten, eingesetzt werden. Da die
dene Verfahren und mit einer Vielfalt von Kieselgelty- meisten Peptide und Proteine ein gewisses Maß an Hy-
pen in unterschiedlichen Größen und Konfigurationen drophobizität besitzen, ist HP-RPC eine hervorragende
entwickelt (z. B. sphärisch, irregulär, mit verschiedenen Methode sowohl im analytischen als auch im semiprä-
Porengeometrien und Porenstrukturen, pellicularen, parativen Bereich.
porösen oder monolithischen Strukturen) und werden
nach Unger in Typ I, II oder III nach Reinheit und Me-
tallanteil eingeteilt. Für niedermolekulare (< 4 000 Da) 11.4.3 Hochleistungsnormalphase-­
Polypeptide werden sehr oft Kieselgele von 7–8 nm Po- Chromatographie (HP-NPC)
rengröße und durchschnittlich 3–5 μm Porendurchmes-
ser benutzt, welche eine optimale Beladbarkeit und Chromatographische Systeme, in welchen die stationäre
Trennung erlauben. Für Proteine im Massenbereich Phase polarer als die mobile Phase ist, waren die ur-
4000–500.000  Da erbringt eine Porengröße von 30  nm sprünglichen („normalen“) Trennsysteme in der Flüssig-
eine hohe Effizienz. Die Beladbarkeit kann mit einem keitschromatographie. Die Hochleistungsnormalphase-­
größeren Säulendurchmesser weiter erhöht werden. Ma- Chromatographie (HP-­NPC) trennt die Analyten nach
kroporöse HP-RPC-Säulen mit 100  nm Porengröße Polarität und kann mit stationären Phasen aus unmodi-
werden zunehmend für die Fraktionierung von sehr fiziertem Kieselgel betrieben werden. Die mobile Phase,
komplexen Proteinmischungen benutzt. die die Retention bewirkt, enthält weniger polare, und
In der HP-RPC wird ein organisches Lösungsmit- die mobile Phase, die die Elution bewirkt, enthält stär-
tel (z.  B.  Methanol, Ethanol, Acetonitril, n-Propanol, ker polare organische Lösungsmittel. Wasser adsorbiert
Tetrahydrofuran), das eine bestimmte Viskosität und durch seine extreme Polarität sehr stark an die meisten
UV-­ Absorption aufweist, als Oberflächenspannungs- der in der NP benutzten stationären Phasen, was zu
veränderer angewendet. Die Elutionskraft der am nicht optimalen Trennungen führt. Im Gegensatz zur
häufigsten benutzten Lösungsmittel nimmt mit abneh- HP-RPC, in welcher immobilisierte n-Alkyl-Liganden
mender Polarität in folgender Weise zu: Wasser < Me- die solvophobe Wechselwirkung zwischen Probenmole-
thanol < Acetonitril < n-Propanol < Tetrahydrofuran. kül und stationärer Phase bewirken, basiert die Wechsel-
Additive, z. B. Essigsäure, Ameisensäure, Trifluoressig- wirkung in der HP-­NPC auf Adsorption. Das Trennver-
säure und Heptafluorbutansäure, werden zugefügt, um halten der Peptide und Proteine in der HP-NPC wird oft
einen bestimmten pH-Wert (normalerweise ≈ pH 2 für durch die klassischen Konzepte der Platzverdrängungs-
Kieselgele) herzustellen. Eine Ausnahme bilden poly- und Platzbeanspruchungstheorie beschrieben.
mere stationäre Phasen, diese haben einen erweiterten HP-NPC findet hauptsächlich Anwendung für die
pH-Bereich von pH 1–12. Einige Additive können auch Trennung von polyaromatischen Kohlenwasserstoffen,
als Ionenpaarreagenzien wirken, die mit den ionisierten heteroaromatischen Stoffen, Nucleotiden und Nucleo-
Analyten in Wechselwirkung treten, um sie zu neutrali- siden, weitaus weniger für mit Schutzgruppen versehene
sieren oder um silanophile Wechselwirkungen zwischen synthetische Peptide, ungeschützte kleine Peptide mit der
freien Silanolgruppen der stationären Phase und alkali- Einmal-Chromatographie (Flash Chromatography), und
schen funktionellen Gruppen der Analyten zu unterdrü- geschützte Aminosäurederivate, die in der Peptidsyn-
cken. Die Eigenschaften der Additive bestimmen ihre these vorkommen. Ursprünglich war die HP-NPC auf
Brauchbarkeit in Bezug auf die Massenspektrometrie. unmodifizierte Kieselgelsäulen beschränkt, jedoch ha-
Starke Wechselwirkungen zwischen dem Ionenpaarrea- ben neuere Anwendungen stationäre Phasen mit polaren
genz und den Analyten können die Ionisation im Ver- gebunden Liganden benutzt, z. B. mit Amino- (–NH2),
laufe der Elektrospray-­Ionisationsmassenspektrometrie Cyano- (–CN) oder Diol- (–COHCOH–) Gruppen.
unterdrücken. Diese waren besonders geeignet für Polar-Bonded-
250 R. Boysen

Phase-Chromatographie (PBPC) in der Trennung von dien über die Orthogonalität der Trennungen in der
Peptiden und Proteinen. Heute liegt das Schwergewicht zweidimensionalen Flüssigkeitschromatographie ge-
der Nutzung von modifizierten HP-­NPC-­Materialien in zeigt, dass HP-HILIC (mit einer unmodifizierten Kie-
ihrer Bedeutung bei der HPLC-­integrierten Festphasen- selgelsäule) und HP-RPC eine gute Kombination für
extraktion (Solid-Phase Extraction, SPE). Diese statio- Proteomanalysen in 2D-Systemen sein können. Im Ver-
nären Phasen erlauben die Isolierung bioaktiver Peptide, gleich zu der nichtwässrigen (organischen) mobilen
besonders wenn sie als Packmaterialien in Vorsäulen bei Phase in der HP-NPC erlaubt die teilweise wässrige mo-
LC-LC-­Säulenschaltungen mit Restricted-Access-Ma- bile Phase in der HP-HILIC eine größere Löslichkeit
terialien (RAM) benutzt werden. Dies gilt für multiple vieler polarer und hydrophiler Analyten und deren
Beladungen der Säulen mit unbehandelten, komple- schnelle Trennung aufgrund der niedrigen Viskosität der
xen biologischen Mischungen wie z.  B. hämolysiertem hoch organischen mobilen Phase, die überdies die Ioni-
Blut, Plasmaserum, Fermenten und Zellgewebshomo- sierung polarer Analyten in der darauffolgenden
genaten. RAM-­Materialien können immobilisierte hy- ESI-­MS fördert und somit ihre Detektierbarkeit in der
drophile, elektroneutrale Diolgruppen an der äußeren MS-Analyse erhöht.
Oberfläche von sphärischen Partikeln aufweisen. Diese Die physikalischen Grundlagen des Trennmechanis-
Oberflächenmodifizierung verhindert nichtspezifische mus in der HP-HILIC sind immer noch ein Gegenstand
Wechselwirkungen zwischen der Trägermatrix und Pro- intensiver Forschung, da thermodynamische und kineti-
teinen oder anderen hochmolekularen Biomolekülen. sche Anteile an der Trennung noch nicht vollkommen
Die innere Matrix der porösen RAM-Partikel ist jedoch aufgeklärt sind. Man geht davon aus, dass die Retention
chemisch modifiziert, z.  B. mit n-Alkyl-Liganden, die der polaren Analyten durch Partitionierung zwischen
nur für niedermolekulare Stoffe wie Peptide zugänglich der organischen mobilen Phase und einer stagnierenden,
sind. Dies resultiert in einer signifikanten Anreicherung wasserangereicherten Schicht, die teilweise immobili-
und Vortrennung der Biomoleküle. HP-NPC kann iso- siert an der Oberfläche der stationären Phase liegt, er-
kratisch, mit einem Stufengradienten oder mit einem wirkt wird. Es wurden seither aber auch Prozesse der
kontinuierlichen Gradienten betrieben werden. Adsorption oder eine Kombination von beiden Mecha-
11 nismen diskutiert.
HP-HILIC kann isokratisch, mit einem Stufengra-
11.4.4 Hochleistungs-Hydrophile-­ dienten oder mit einem kontinuierlichen Gradienten be-
Interaktionschromatographie trieben werden. Da HP-HILIC mehr für die Trennung
(HP-HILIC) polarer Analyten geeignet ist, hat diese Methode in Ver-
bindung mit ESI-MS hauptsächlich Anwendung für die
Hochleistungs-Hydrophile-Interaktionschromatogra- Analyse von Phosphopeptiden und Glykopeptiden ge-
phie (HP-HILIC) benutzt poröse stationäre Phasen mit funden.
immobilisierten hydrophilen Liganden und trennt die
Analyten nach ihrer Hydrophilizität. Diese Variante der
HP-NPC wurde 1990 von Andrew Alpert eingeführt, 11.4.5 Hochleistungs-Aqueous-­
demonstriert mit an Kieselgel gebundenen Polyaspara- Normalphasechromatographie
ginsäuren für die Trennung von Aminosäuren, kleinen (HP-ANPC)
Peptiden und e­ infachen Maltoglykosiden unter der Ver-
wendung von mobilen Phasen mit hohem organischem Hochleistungs-Aqueous-Normalphasechromatogra-
Anteil. Seitdem wurde die HP-HILIC zur Trennung von phie (HP-ANPC) ist ein neue chromatographische
verschiedenen Stoffgruppen, z. B. einfachen Kohlenhy- Methode, die erst in den letzten zwei Jahrzehnten für
draten und Aminosäuren und auch von Peptiden, an- die HPLC mit stationären Phasen aus Kieselgelhydri-
gewendet. den entwickelt wurde. Stationäre Phasen mit Kiesel-
Als polare stationäre Phasen werden in der HP-­ gelhydrid werden durch Silanisierung von hochreinem
HILIC Materialien mit Amid-, Aminopropyl-, Cyano- Typ-B-Kieselgel mit geringem Metallgehalt erzeugt,
propyl-, Diol-, Cyclodextrin-, Poly(succinimid)- und wobei die Oberflächen dieser Materialien mit unpola-
Sulfoalkylbetain-Gruppen benutzt. Die mobile Phase ren Kieselgelhydridgruppen (Si–H) anstatt mit polaren
besteht anfänglich aus einem hohen Anteil an organi- Silanolgruppen (Si–OH) bedeckt sind, die sonst bei
schen und einem niedrigen Anteil an wässrigen Lö- allen anderen herkömmlichen Varianten modifizierten
sungsmitteln. Die Elution erfolgt durch eine Erhöhung Kieselgels auftreten. Die chemisch gebunden unpola-
des Wasseranteils in der mobilen Phase. Die Reihenfolge ren Kieselgelhydridgruppen, welche durch Hydrosilie-
der Elution wurde ursprünglich als umgekehrt zu der in rung z. B. mit Alkylgruppen weiter modifiziert werden
der HP-RPC-Trennung angesehen, jedoch haben Stu- können, verleihen diesen Materialien einige nützliche
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
251 11
chromatographische Eigenschaften. Diejenige Eigen- die typischerweise Octyl- oder Octadecyl-­Liganden auf
schaft, die stationäre Phasen auf Kieselgelhydrid-Basis nicht porösen oder porösen Kieselgelen besitzen, gerin-
von den meisten auf konventionellen Kieselgelen beru- gere Hydrophobizität wird durch Propyl-, Butyl- oder
henden stationären Phasen der Normalphasechroma- Phenyl-Gruppen hervorgerufen. Die beiden am meisten
tographie, hydrophilen Interaktionschromatographie benutzten Trägermaterialien sind hydrophile Kohlen-
oder der Reversed-Phase-Chromatographie unterschei- hydrate (z. B. vernetzte Agarose) oder synthetische Ko-
det, ist die Möglichkeit, dass sie sowohl in der Normal- polymere. Die Liganden (Alkyl- oder Aryl-­Gruppen)
phasechromatographie als auch in der Reversed-Pha- beeinflussen die Selektivität der Säulen, meist werden
se-Chromatographie eingesetzt werden können. Diese unpolare Liganden mit geringer Hydrophobizität und
neuen Säulenmaterialien sind über einen sehr weiten geringer Ligandendichte (ungefähr zehnfach geringer
Zusammensetzungsbereich von mobilen Phasen, von als die in der HP-RPC) benutzt. Diese grundlegenden
100  % wässrig bis total organisch, verwendbar. Wenn Unterschiede zwischen HP-RPC und HP-HIC haben
der Anteil des Wassers an der mobilen Phase hoch ist, einen erheblichen Einfluss auf die Konformation und
dominiert die Reversed-Phase-Selektivität (die hydro- damit auf die Erhaltung der biologischen Aktivität der
phoben Analyten werden retardiert, während die hyd- Proteine. Die Beladbarkeit steigt mit steigender n-Al-
rophilen Analyten mit dem Totvolumen eluieren), wenn kyl-Kettenlänge und mit zunehmender Ligandendichte,
aber der Anteil des organischen Lösungsmittels an der erreicht aber ein Plateau für sehr hohe Ligandendichten.
mobilen Phase hoch ist, dominiert die Normalpha- Die Wahl der HP-HIC-­stationären Phasen sollte auf der
se-Selektivität (die polaren Analyten werden retardiert, Basis des kritischen Hydrophobizitätskonzepts erfolgen.
während die unpolaren Analyten mit dem Totvolumen Dementsprechend wird ein Protein am Punkt kritischer
eluieren). Da im Gegensatz zur Normalphasechromato- Hydrophobizität bei geringer Salzkonzentration der
graphie mit konventionellem Kieselgel Wasser als Kom- mobilen Phase nicht mit der stationären Phase in Wech-
ponente der mobilen Phase verwendet wird, wird von selwirkung treten, kann aber bei einem bestimmten
Aqueous-­Normalphasechromatographie gesprochen, Salzgehalt der mobilen Phase gebunden werden, mit der
wenn bei der Chromatographie mit Kieselgelhydriden Möglichkeit, dann durch einen abnehmenden Salzgradi-
Normalphase-­Selektivität beobachtet wird. Ein großer enten eluiert zu werden. Wenn die stationäre Phase eine
Vorteil der HP-ANPC ist, dass mit dieser Methode Ana- Hydrophobizität wesentlich unterhalb der kritischen
lyten mit unterschiedlicher Polarität in derselben Probe Hydrophobizität aufweist, ist eine Bindung des Prote-
gleichzeitig getrennt werden können. Man benutzt dazu ins möglicherweise nicht induzierbar. Wenn jedoch die
vorrangig wasserreiche Eluenten. stationäre Phase eine Hydrophobizität wesentlich ober-
Das Retentionsprinzip ist ähnlich dem in der HP-­ halb der kritischen Hydrophobizität aufweist, ist eine
NPC, aber die mobile Phase enthält immer Wasser als vollständige Elution des Proteins nicht möglich. Um ein
Teil des binären Eluenten. Der Unterschied zwischen bestimmtes Protein unter physiologischen Bedingungen
HP-ANPC und HP-HILIC liegt darin, dass in der HP-­ mit HP-HIC zu trennen ist es daher von Vorteil, eine
HILIC die Retention von einer adsorbierten Wasser- stationäre Phase zu wählen, die aufgrund der Länge der
schicht an der Oberfläche bestimmt wird, diese ist je- Alkyl-Liganden und deren Dichte (Oberflächenkonzen-
doch in der HP-ANPC stark reduziert. Die Erforschung tration) eine Hydrophobizität nahe der kritischen Hy-
der Mechanismen von HP-ANPC-Trennungen macht drophobizität besitzt.
gute Fortschritte. Aufgrund ihrer Versatilität wird die Der Mechanismus der Retention basiert auf einer re-
HP-­ANPC neben Anwendungen in Metabolomics auch versiblen hydrophoben Wechselwirkung zwischen dem
für Peptidtrennungen eingesetzt. Probenmolekül und der stationären Phase in Abhängig-
keit von mikroskopischen Oberflächenspannungsände-
rungen, verursacht durch die Änderung der Zusammen-
11.4.6 Hochleistungs-Hydrophobe-­ setzung der mobilen Phase. Ähnlich wie in der HP-RPC,
Interaktionschromatographie wo die Erniedrigung der Oberflächenspannung durch
(HP-HIC) eine Erhöhung des organischen Anteils in der mobilen
Phase erreicht wird, wird in der HP-HIC dies durch Er-
Die Hochleistungs-Hydrophobe-Interaktionschromato- niedrigung der Salzkonzentration, z. B. durch Erhöhung
graphie (HP-HIC) trennt Polypeptide und Proteine mit des Wassergehaltes im Eluenten, bewirkt.
hydrophoben stationären Phasen. Die Bindung der Pro- Die Selektivität der Proteintrennungen kann in der
teine erfolgt mit Eluenten mit hohem Salzgehalt, und die HP-HIC durch Parameter der stationären Phase
Elution der Proteine wird durch eine Verringerung der (z. B. Art und Dichte der Liganden), der mobilen Phase
Salzkonzentration während des Elutionsvorgangs er- (z. B. Art und Konzentration der Salze, Zusatz organi-
reicht. HP-HIC trennt Proteine mit stationären Phasen, scher Lösungsmittel, oberflächenaktive Zusätze und
252 R. Boysen

pH-Wert) und auch durch die Säulentemperatur verän- Oberflächenspannungserhöhung σ und der molalen
dert werden. Konzentration m des Salzes nach der Formel:
Die Wahl der Salze in der mobilen Phase hat einen
großen Einfluss auf die hydrophoben Wechselwirkun- γ = γ o +σ m (11.14)
gen zwischen Polypeptiden oder Proteinen und einer
stationären Phase, da jedes Salz einen anderen
molalen Oberflächen-Spannungserhöhungswert besitzt mit γ° = 72 dyn cm−1 für Wasser.
(. Tab.  11.4). Die Oberflächenspannung der mobilen

. Tab. 11.5 zeigt für viel benutzte wässrige Salzpuf-

Phase γ ist abhängig von der Zunahme der molalen fer die Parameter der Oberflächenspannungserhöhung
σ, die anfängliche Konzentration des Salzes in der mobi-
len Phase m und die resultierende Oberflächenspannung
γ.
..      Tab. 11.4  Häufig benutzte Salze in den Eluenten der Die minimale Oberflächenspannung, die in der HP-­
HP-HIC HIC für Polypeptide und Proteine mit binären Wasser-­
Salz-­Systemen erreicht werden kann, ist die Oberflä-
Salz Molale Oberflächenspan- chenspannung von reinem Wasser, 72 dyn cm−1.
nungserhöhung σ (103 dyn Die Wirkung der Salze auf die hydrophoben Wech-
g cm−1 mol−1)
selwirkungen von Probenmolekül und stationärer Phase
Calciumchlorid 3,66 folgt der lyotropen Hofmeister-Reihe, die für die Aus-
fällung von Proteinen aus wässrigen Lösungen beschrie-
Magnesiumchlorid 3,16
ben wurde, wie in . Tab. 11.6 dargestellt. Sie gruppiert

Kaliumcitrat 3,12 den Effekt der Anionen und Kationen bezüglich ihrer
Natriumsulfat 2,73 Fähigkeit, Proteine auszufällen. Ionen mit höherem
Aussalzeffekt unterstützen die auf hydrophoben Wech-
Kaliumsulfat 2,58
selwirkungen basierende Bindung von Probenmolekül
11 Ammoniumsulfat 2,16 zu hydrophoben stationären Phasen, während Ionen mit
Magnesiumsulfat 2,10 niedrigerem Aussalzeffekt deren Elution von stationä-
ren Phasen in der HP-HIC stimulieren.
Natriumdihydrogenphosphat 2,02
Die Salze am Beginn der Serie unterstützen hydro-
Kaliumtartrat 1,96 phobe Wechselwirkungen und auch Proteinfällungen
Natriumchlorid 1,64 (Aussalzeffekt), sie werden antichaotrop (oder kosmo-
trop) genannt und als wasserstrukturierend erachtet.
Kaliumperchlorat 1,40
Der Zusatz solcher Salze zum Equilibrium- und Proben-
Ammoniumchlorid 1,39 puffer fördert die Wechselwirkung von Protein und im-
Natriumbromid 1,32 mobilisierten Liganden in der HP-HIC.  Die Salze am
rechten Ende dieser Serien (chaotrop) randomisieren die
Natriumnitrat 1,06
Struktur von Wasser und haben die Eigenschaft, die
Natriumperchlorat 0,55 Stärke der hydrophoben Wechselwirkung zu erniedri-
Kaliumthiocyanat 0,45 gen. Das Chloridanion ist ungefähr neutral in Bezug auf
die Wasserstruktur.

..      Tab. 11.5  Wichtige Parameter von häufig benutzten wässrigen Salzpuffern

Salzpuffer σ (103 dyn g cm−1 mol−1) m (103 mol g−1) γ (dyn cm−1)

Ammoniumsulfat 2,16 2 77,31


Natriumchlorid 1,64 2 76,29
Magnesiumsulfat 2,1 1,4 75,95
Natriumsulfat 2,73 1 75,74
Natriumperchlorat 0,55 2 74,11
Natriumphosphat 2,02 0,05 73,01
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
253 11

..      Tab. 11.6  Die Hofmeister-Reihe

← Aussalzeffekt (Präzipitation)
Anionen
− − − 3− – − −
4 , SO 4 , CH3COO , Cl , Br , NO , ClO4 , I , SCN
PO3− 2−

Kationen
NH +4 , K+, Na+, Cs+, Li+, Mg2+, Ca2+, Ba2+

chaotroper Effekt →

Generell ist der Effekt der Salzkationen auf die tration oder mit hohem pH-Wert und niedriger Salzkon-
Wechselwirkungen in der HP-HIC nicht so ausgeprägt zentration.
wie der der Salzanionen, insbesondere, wenn das Kation Im Handel gibt es starke bis schwache Kationenaus-
monovalent ist, jedoch neigen divalente Kationen zur tauschsäulen (mit Sulfonopropyl- oder Carboxymethyl-­
Proteinbindung. In der HP-HIC der Polypeptide und Liganden) und auch starke bis schwache Anionenaus-
Proteine werden normalerweise kosmotrope Salze tauschsäulen (z.  B. mit quartären Ammonium- oder
(z.  B.  Ammoniumsulfat, Natriumsulfat, Magnesium- Dimethylamino-Liganden). Für die Trennung von Pep-
chlorid) mit hoher molaler Oberflächenspannungserhö- tiden und Proteinen hat die Verwendung einer starken
hung bevorzugt. Kationenaustauschsäule große Vorteile gegenüber ande-
Da die Wechselwirkung von Proteinen mit hydro- ren HP-IEX-Methoden, denn sie kann ihre negative La-
phoben Oberflächen durch Puffer mit hohen Ionenstär- dung über einen großen pH-Bereich erhalten (sauer bis
ken erhöht wird, ist die HP-HIC gut geeignet nach einer neutral). Bei neutralem pH-Wert werden die Seitenket-
Ammoniumsulfat-Fällung oder HP-IEX Elution mit ei- ten-Carboxygruppen von sauren Aminosäureresten
nem Puffer hohen Salzgehaltes. In Verbindung mit nicht (Glutamat und Aspartat) komplett ionisiert, jedoch un-
denaturierenden mobilen Phasen können mithilfe der terhalb pH 3 sind diese fast alle protoniert. So bewirkt
HP-HIC Proteine in ihrer natürlichen (nativen) Konfor- eine Änderung des pH-Werts eine Änderung der Reten-
mation getrennt werden. tion der Peptide und Proteine durch ihre veränderte La-
dung.
Zur Voraussage des Verhaltens von Peptiden und
11.4.7 Hochleistungsionenaustauschchro- Proteinen auf den stationären Phasen der HP-AEX und
matographie (HP-IEX) der HP-CEX wurde in der Vergangenheit das Nettola-
dungskonzept benutzt. Danach wird ein Protein in einer
Hochleistungsionenaustauschchromatographie (HP-­Kationenaustauschsäule zurückgehalten, wenn der pH-­
IEX) erfolgt an stationären Phasen mit immobilisierten Wert des Eluenten niedriger ist als der pI-Wert des Pro-
geladenen Liganden, und die Trennung beruht auf elek- teins, denn in diesem Fall trägt das Protein positive La-
trostatischen Wechselwirkungen zwischen der gelade- dungen. Im Gegensatz dazu wird ein Protein in einer
nen Oberfläche des Probenmoleküls in der Probe und Anionenaustauschsäule retardiert, wenn der pH-Wert
der komplementär geladenen Oberfläche des Säulen- des Eluenten über dem pI-Wert des Proteins liegt. Wenn
materials. In der Hochleistungsanionenaustauschchro- der Eluenten-pH dem pI-Wert des Proteins gleicht, kann
matographie (HP-AEX) werden Peptide und Proteine die Oberfläche des Proteins als elektrostatisch neutral
nach ihrer negativen Nettoladung getrennt, wobei die gelten, und es wird erwartet, dass das Protein auf beiden
retentive mobile Phase wässrig und von hohem pH-Wert Säulentypen ungebremst eluiert. Mittlerweile wird diese
und niedriger Salzkonzentration ist und die eluierende Sichtweise als zu stark vereinfacht angesehen. Neue Un-
mobile Phase wässrig ist, entweder mit hohem pH-Wert tersuchungen zeigten, dass das Ausmaß der elektrostati-
und hoher Salzkonzentration oder mit niedrigem pH-­ schen Wechselwirkungen zwischen Proteinen und statio-
Wert und niedriger Salzkonzentration. Hingegen trennt nären Phasen in HP-IEX neben der Ladungsdichte der
die Hochleistungskationenaustauschchromatographie stationären Phase und der Zusammensetzung der mobi-
(HP-CEX) Peptide und Proteine nach ihrer positiven len Phase auch von der Zahl und Verteilung der gelade-
Nettoladung, wobei die retentive mobile Phase wäss- nen Gruppen auf dem Protein abhängt, da diese seine
rig und von niedrigem pH-Wert und niedriger Salzkon- Oberflächenstruktur und Kontaktfläche zur stationären
zentration und die eluierende mobile Phase wässrig ist, Phase bestimmen. Somit kann eine Änderung der chro-
entweder mit niederem pH-Wert und hoher Salzkonzen- matographischen Parameter die Affinität des Proteins
254 R. Boysen

für die stationäre Phase in vielfacher Weise ändern, z. B. Peptiden und Proteinen zu Übergangsmetallionen (wie
durch die elektrostatische Ladung der Proteine oder be- Ni2+, Cu2+, Zn2+ oder Co2+ Ionen), die an den Koordi-
stimmte elektrostatische Wechselwirkungen der Ver- nationsstellen der stationären Phase immobilisiert sind,
drängungsionen und Gegenionen mit an der Oberfläche aus. Da Histidinseitenketten eine relative geringe Häufig-
angeordneten geladenen Gruppen des Proteins oder den keit in natürlich vorkommenden Proteinen aufweisen, ist
immobilisierten Liganden. Zusätzlich können Änderun- die Inkorporierung von mehreren Histidinseitenketten als
gen der dreidimensionalen Struktur der Proteine starke N- oder C-terminaler Sequenzabschnitt in rekombinante
Effekte auf das Retentionsverhalten ausüben. Studien Proteine in Kombination mit darauffolgender IMAC eine
zum Einfluss chromatographischer Parameter auf die weitverbreitete Strategie in der Proteintrennung gewor-
geladenen interaktiven Bereiche von Proteinen, die an den. Im Allgemeinen werden in IMAC di-, tri- oder tetra-
der Wechselwirkung mit stationären Phasen beteiligt dentate Liganden, z. B. Iminodiacetat (IDA), Nitrilotria-
sind, führten zur Postulierung eines speziellen elektro- cetat (NTA), Tris-(carboxymethyl)ethylendiamin (TED),
statisch aktiven Bereiches (oder Ionotops), mit welchem O-Phosphoserin (OPS) oder Carboxymethylaspartat
das Protein an die Säule gebunden wird. Peptide und (CMA) benutzt. Die retentiven mobilen Phasen sind wäss-
Proteine können in HP-IEX entweder isokratisch, mit rig mit neutralem pH-Wert und hoher Ionenstärke, die
einem Stufengradienten oder mit Gradientenelution mit eluierenden mobilen Phasen sind niedrig im pH-­Wert und
hoher Auflösung und Kapazität getrennt werden. enthalten konkurrierende Liganden oder EDTA.  Wenn
immobilisierte Chelate wie z.  B. 1,4,7-­Triazocyclononan
(TACN) als Liganden benutzt werden, entstehen ganz
11.4.8 Hochleistungsaffinitätschromato- andere chromatographische Eigenschaften im Vergleich
graphie (HP-AC) zu den normalen IMAC-­ Bedingungen. Solche Chelat-
systeme werden in Verbindung mit weichen Gelen in ver-
Die Hochleistungsaffinitätschromatographie (HP-AC) schiedenen analytischen und präparativen Proteinaufrei-
erfolgt mit stationären Phasen, welche immobilisierte nigungen angewendet.
biomimetische oder biospezifische Liganden besitzen, Neue Arbeiten, die einen IMAC-Liganden an der
11 die niedermolekular oder makromolekular (z. B. Anti- Oberfläche von Kieselgel immobilisieren, weisen auf
körper) sein können. Mit diesen Liganden kann ein Ziel- Möglichkeiten zur Produktion von sehr stabilen HP-­
protein aufgrund einer „molekularen Erkennung“ rever- IMAC-­ Systemen mit exzellenter Anwendbarkeit für
sibel gebunden und so von anderen Proteinen getrennt Peptide und Proteine hin.
werden. Generell kann die HP-AC zur Anreicherung, Eine weitere Variante der Affinitätschromatographie
als Zwischenschritt in einer Vielstufentrennung oder zur ist die Immunaffinitätschromatographie (IAC), bei der
Entfernung ungewünschter Proteine dienen unter der an Stelle eines niedermolekularen Moleküls der Ligand
Voraussetzung, dass ein brauchbarer Affinitätsligand ein Antikörper ist. IAC beruht auf der Spezifizität und
für das Zielprotein vorhanden ist. Die HP-AC ist hoch- der Affinität zwischen einem Antikörper und einem An-
gradig selektiv und hat normalerweise eine hohe Kapa- tigen, ein Zielprotein zu binden, welches das Antigen
zität für das Zielprotein. In der HP-AC werden Analy- enthält. Über die Proteinreinigung hinaus können auch
ten mit Gradienten oder Stufengradienten eluiert, wobei Proteinkomplexe, inklusive Multiproteinkomplexe, die
die retentive mobile Phase wässrig und von niedriger das Zielprotein und seine Wechselwirkungspartner ent-
Ionenstärke ist und die eluierende mobile Phase auch halten, gereinigt werden. Obwohl für die IAC sowohl
wässrig ist, aber eine höhere Ionenstärke oder einen an- monospezifische als auch polyspezifische Antikörper
deren pH-Wert hat, oder es wird ein Additiv zugefügt, verwendet werden können, werden meist monospezifi-
das mit dem Zielmolekül um die Bindung an den spezi- schen Antikörper bevorzugt.
fischen Liganden konkurriert. Wenn maximale Selekti- Die Immunaffinitätschromatographie findet vielfach
vität und höchste Affinität zwischen dem Zielmolekül Anwendung im Bereich der Proteomanalyse, z.  B. um
und der stationären Phase gewünscht werden, ist HP-AC die Isolierung und Identifizierung von Proteinen im
allen anderen Chromatographiemethoden überlegen, je- menschlichen Serum zu erleichtern. So sind gegenwärtig
doch müssen die Liganden spezifisch für das Zielmole- Säulen mit bis zu 14 verschiedenen gebundenen Anti-
kül hergestellt werden. HP-AC kann mit chemischen körpern kommerziell erhältlich (z.  B. als MARS-
oder biologischen Liganden durchgeführt werden oder (Multiple Affinity Removal System)) LC-Säulen, mit
sogar mit molekular geprägten Polymeren, welche ge- denen sich gezielt die häufigsten Proteine im menschli-
zielt Peptide oder Proteine binden. chen Plasma entfernen lassen. Die Abwesenheit dieser
Eine Variante der Affinitätschromatographie, die im- interferierenden Proteine verbessert die darauffolgende
mobilisierte Metallchelatchromatographie (IMAC), nutzt LC-MS und elektrophoretische Analyse von Serumpro-
die Affinität der Seitenketten spezifischer, an der Ober- ben, da der jeweilige effektive dynamische Bereich der
fläche angeordneter Aminosäuren (wie z. B. Histidin) in Analyse erweitert wird.
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
255 11
Darüber hinaus kann die Affinitätschromatographie eine Kombination von Formkomplementarität und
von Peptiden und Proteinen auch mit molekular gepräg- multiplen, stereochemisch definierten, nichtkovalenten
ten Polymeren (Molecularly Imprinted Polymers, MIPs), Wechselwirkungen mittels Wasserstoffbrückenbindun-
in der Form von Monolithen oder chromatographischen gen, hydrophoben und elektrostatischen Wechselwir-
Partikeln erfolgen. kungen. Moleküle, die nicht in die Kavität passen oder
Molekular geprägten Polymere erlangen ein moleku- keine komplementäre Wechselwirkung mit den funktio-
lares „Gedächtnis“ für bestimmte biologische Moleküle, nellen Gruppen in der Kavität eingehen können, werden
wie Peptide oder Proteine, indem etablierte Prozesse mo- nicht gebunden.
lekularer Selbstordnung ausgenutzt werden. Durch Wech- Die Selektivität eines molekular geprägten Polymers
selwirkung zwischen dem biologischen Templatmolekül für ein bestimmtes Protein kann erzeugt werden, indem
(das als „molekulare Vorlage“ dem Zielmolekül entspricht entweder das Protein als Ganzes oder aber ein Protein-
oder zumindest sehr ähnelt, z.  B. ein homologes Peptid fragment, z. B. ein Peptid (wie in der Epitop-Methode),
oder Protein) und chemischen Monomeren mit darauffol- als Templatmolekül verwendet wird.
gender Polymerisation dieser Monomere mit Vernetzter- Jüngste Anwendungsbeispiele zeigen, dass – bedingt
monomeren in der Gegenwart eines Initiators in einem durch die Vielfalt der Synthesemethoden  – molekular
geeigneten Lösungsmittel (dem Porenformer) entstehen geprägte Monolithe oder Partikel für die Extrahierung
funktionalisierte Kavitäten, die chemisch und räumlich von Proteinen (z. B. Proteinreinigung), die chromatogra-
auf das Templatmolekül abgestimmt sind. Nach Entfer- phische Trennung von Proteinen (z.  B. in der Protein
nung der eingebetteten Templatmoleküle aus der stark Biomarker Detektion und Quantifizierung in biomedizi-
vernetzten polymeren Matrix durch einen Extraktions- nischer Diagnostik) und vor einer gezielten Proteoma-
prozess, der auf einer Unterbindung der Wechselwirkun- nalyse (z.  B. zwecks Entfernung von interferierender
gen zwischen Polymer und Templatmolekül beruht, ent- Proteinen) eingesetzt werden können.
stehen poröse, polymere Materialen mit Nano-Kavitäten In . Tab. 11.7 ist ein Überblick über die Charakte-

von vorherbestimmter Form und komplementären funk- ristika der meistbenutzten stationären und mobilen
tionalen Gruppen als Bindungsstellen, die das molekulare Phasen für die besprochenen chromatographischen Me-
„Gedächtnis“ für das biologische Zielmolekül besitzen. thoden gegeben. Hinweise, nach welchem Gesichts-
Diese chemisch und physikalisch stabilen Materia- punkt eine Methode oder eine Kombination von Me-
lien können nun Moleküle spezifisch und reversibel bin- thoden für eine Peptid- oder Proteinanalyse ausgewählt
den, die als Templat verwendet wurden, und zwar durch werden kann, werden in 7 Abschn. 11.5 besprochen.

..      Tab. 11.7  Chromatographische Methoden für die Peptid- und Proteinanalyse und die Charakteristika ihrer stationären und
mobilen Phasen

Chromatographische Stationäre Phase Retentive mobile Phase Eluierende mobile Phase


Methode

SEC oder GPC porös (nicht retentiv) wässrig, niedriger Salzgehalt


RPC hydrophob wässrig organisches Lösungsmittel
NPC polar unpolar organisch polares organisches Lösungsmittel
HILIC hydrophil unpolar organisch polares organisches Lösungsmittel wässrig
ANPC polar organisch wässrig
HIC schwach hydrophob wässrig, hohe Ionenstärke wässrig, niedrige Ionenstärke
AEX geladen wässrig, hoher pH-Wert, wässrig, hoher pH-Wert, hohe Ionenstärke (oder
niedrige Ionenstärke niedriger pH-Wert), hoch selektives Gegenion
CEX geladen wässrig, niedriger pH-Wert, wässrig, niedriger pH-Wert, hohe Ionenstärke
niedrige Ionenstärke (oder hoher pH-Wert)
AC biomimetisch, niedrige Ionenstärke hohe Ionenstärke, konkurrierender Ligand
biospezifisch
IMAC Metallchelate wässrig, neutraler pH-Wert, niedriger pH-Wert, konkurrierender Ligand EDTA
hohe Ionenstärke
256 R. Boysen

11.5  Methodenentwicklung für die Verfügbarkeit, Anwendbarkeit in präparativen Syste-


analytische Chromatographie men und, wenn bekannt, anhand der Eigenschaften der
zu analysierenden Peptide oder Proteine ausgewählt.
am Beispiel der HP-RPC
Die Beiträge der mobilen Phase sind verursacht durch
Pufferzusammensetzung, Ionenstärke, pH-­Wert, orga-
Die Hochleistungs-Reversed-Phase-Chromatographie
nische Lösungsmittel, Metallionen, chaotrope Reagen-
ist neben der Ionenaustausch-Chromatographie und der
zien, oxidierende oder reduzierende Reagenzien, Bela-
Ausschlusschromatographie eine der am häufigsten an-
dungskonzentration und -Volumen und Temperatur.
gewandten Methoden in der chromatographischen
Da die Qualität einer Trennung durch die Auflösung
Analyse und präparativen Aufreinigung von Peptiden
individueller Peaks bestimmt wird, hat eine Methoden-
und Proteinen, insbesondere für Anwendungen, die
entwicklung immer die Verbesserung der Auflösung
Elektrospray-­Ionisations- (ESI-)Massenspektrometrie
zum Ziel. Die Methodenentwicklung für analytische
beinhalten. Die Entwicklung einer Methode für die prä-
Trennungen konzentriert sich daher gewöhnlich auf das
parative HP-RPC zur Trennung einer oder mehrerer
am geringsten aufgelöste Peakpaar (das sog. kritische
Komponenten einer peptid- oder proteinhaltigen natür-
Peakpaar). Wie bereits erwähnt, ist die Auflösung von
lichen oder synthetisierten Probe, die vielfach dem
der Bodenzahl N, der Selektivität α und dem Retenti-
Zweck dient, genügend reines Material für weitere Ana-
onsfaktor k abhängig. All diese Variablen können durch
lysen mit anderen Methoden wie z.  B. die NMR-­
systematische Änderungen der chromatographischen
Spektroskopie oder die Röntgenstrukturanalyse bereit-
Bedingungen experimentell beeinflusst werden. Für
zustellen, findet normalerweise in vier Stufen statt:
Trennungen mit isokratischer Elution ist die Auflösung
1. Entwicklung, Optimierung und Validierung einer
RS folgendermaßen definiert:
Analysemethode,
2. Erweiterung zu einem präparativen chromatographi-
schen System, RS = (1 / 4 ) N 1/ 2 (α − 1) ( k / (1 + k ) ) (11.15)

3. Anwendung der Methode auf die Trennung und
11 letztlich Die Bodenzahl N ist ein Maß für die Säulenleistung und
4. Analyse der individuellen Fraktionen. gibt die durch die Säule hervorgerufene Bandenverbrei-
terung an, der Trennfaktor α beschreibt die Selektivität
eines chromatographischen Systems für ein bestimmtes
11.5.1  ntwicklung und Optimierung einer
E Peakpaar, und der Retentionsfaktor k beschreibt die Re-
Methode tention unabhängig von der Säulendimension und der
Flussrate. Auf diese Weise kann die Vereinheitlichung
Die Entwicklung einer Methode zur Trennung von Pep- der relativen Retention für Säulen mit unterschiedlichen
tiden oder Proteinen beinhaltet die Wahl der stationären Dimensionen erreicht werden. Während die Variablen N
und mobilen Phase unter der Berücksichtigung der Ei- und α nur einen geringen Einfluss auf die Migration des
genschaften der Zielmoleküle (z.  B.  Hydrophobizität/ Analyten durch die Säule haben, kann k in der isokrati-
Hydrophilizität, Säure/Baseneigenschaften, Ladung, schen Elution durch die Änderung der Elutropie der
Temperaturstabilität und Molekülgröße) und wird von mobilen Phase um einen Faktor von 10 oder mehr ge-
einer systematischen Optimierung der (isokratischen ändert werden. Die besten chromatographischen Tren-
oder Gradienten-) Trennung unter der Hinzunahme von nungen von Analyten mittleren Molekulargewichtes
Aliquoten des Rohextrakts oder, wenn möglich, von werden gewöhnlich mit Kombinationen von mobiler
analytischen Standards gefolgt. und stationärer Phase erreicht, die einen k-Wert von
In der Auswahl der stationären und der mobilen 1–20 erzielen.
Phase sollten eine Reihe von chemischen und physikali- In der Gradientenelution, im Gegensatz zur isokrati-
schen Parametern des chromatographischen Systems schen Elution, werden jedoch N , α und k in Form der
berücksichtigt werden, die zur Variabilität von Auflö- mittleren Werte für N, α und k verwendet, denn diese
sung und Ausbeute von Peptiden und Proteinen beitra- Werte ändern sich im Laufe einer Trennung, da die Zu-
gen können. Die Beiträge der stationären Phase werden sammensetzung der mobile Phase während des Gradi-
hervorgerufen durch Partikelgröße, Partikelgrößenver- enten geändert wird.
teilung, Partikelkomprimierbarkeit, Oberflächengröße, Die mittlere Bodenzahl N hat keinen Einfluss auf
Porendurchmesser, Porendurchmesserverteilung, Ligan- die Selektivität oder die Retention (außer bei Tempera-
denzusammensetzung, Ligandendichte und Oberflä- turänderungen). Die Selektivität α und der Retentions-
chenheterogenität. Normalerweise wird eine HP-RPC- faktor k haben gewöhnlich nur einen geringen Einfluss
Säule unter Aspekten des Trennziels, veröffentlichter auf N . Während N und α sich während der Proben-
Methoden für die Trennung ähnlicher Stoffgruppen, migration durch die Säule nur geringfügig ändern, än-
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
257 11
des jeweils angestrebten Retentionsfaktorbereichs eluiert
dert sich der k -Wert um den Faktor 10 oder mehr, in werden können. Die Umwandlung von isokratischen Da-
Abhängigkeit von der Gradientensteigung. Ähnlich wie ten in Gradientendaten oder umgekehrt kann mit be-
bei der isokratischen Elution werden auch bei der Gra- kannten Algorithmen im Rahmen der linearen oder
dientenelution die besten chromatographischen Tren- nichtlinearen Lösungsmittelstärkentheorie (Linear Sol-
nungen gewöhnlich für k -Werte zwischen 1–20 erzielt. vent Strength Theory) erfolgen.
Obwohl die Auflösung in der isokratischen Elution und
Gradientenelution hauptsächlich durch die Variablen Optimierung der Retentionsfaktoren  Die weitere Opti-
α (oder α ) und k (oder k ) und damit durch die mo- mierung konzentriert sich darauf, für die verschiedenen
bile Phase beeinflusst wird und damit für eine gegebene Analyten in einer Mischung den jeweils angemessenen
Säule näherungsweise unabhängig von N (oder N ) Retentionsfaktor zu erreichen. In einer isokratischen Elu-
ist, sollte eine Trennung dennoch mit der Auswahl der tion kann in der HP-RPC die Beziehung zwischen der Re-
stationären Phase beginnen. Die Wahl der stationären tentionszeit eines Analyten (ausgedrückt als Retentions-
Phase (z.  B.  Säulendimension, Auswahl des Trägerma- faktor k) und dem Volumenanteil des organischen
terials und des immobilisierten Liganden) wird durch Lösungsmittelmodifizierers φ ausgenutzt werden. Ob-
das Ziel der Trennung bestimmt, z. B. ob eine Quanti- wohl diese Beziehung einer Kurve folgt, wird sie verein-
fizierung mehrerer Analyten oder ein Scaling-up zur prä- facht oft als linear behandelt. Dann erfolgt eine Änderung
parativen Trennung geplant ist und welcher Grad von des Retentionsfaktors in erster Näherung als Funktion
Produktreinheit angestrebt wird. Verschiedene compu- von φ nach der Formel:
tergestützte Expertensysteme sind erhältlich, um hier
die richtige Entscheidung zu treffen. Ist die Säule ausge- ln k = ln k0 − Sϕ (11.16)
wählt, wird die Trennung in drei Stufen optimiert unter
Berücksichtigung der oben aufgeführten Formel für die
Auflösung: Die Optimierung der Bodenzahl N, dann die wobei k0 der Retentionsfaktor des Analyten in Abwe-
Optimierung der Selektivität α und schließlich die Opti- senheit des organischen Modifizierungsadditivs ist und
mierung des Retentionsfaktors k . S die Steigung der Geraden in der Grafik, wenn ln k
über φ aufgetragen wird. Die Werte für ln k0 und S kön-
Optimierung der Säuleneffizienz  Die Optimierung der nen mit einer linearen Regressionsanalyse berechnet
Effizienz der Trennung erfolgt über die Optimierung der werden. Eine höhere Präzision für die Bewertung der
Bodenzahl N. Hierzu muss jeder Faktor, der N beeinflus- experimentellen Daten und somit auch eine bessere Vor-
sen kann, unabhängig bearbeitet werden. Faktoren, die aussage des Retentionsverhaltens der Analyten in
eine Bandverbreiterung der Peaks hervorrufen, können HP-RPC-Systemen für mobile Phasen mit verschiede-
sowohl innerhalb der Säule als auch außerhalb der Säule ner Zusammensetzung kann durch die expandierte For-
durch Dispersionseffekte entstehen. Für eine bestimmte mel erreicht werden:
stationäre Phase mit vorgegebenen Liganden, Partikel-
durchmesser und Porengröße kann die lineare Flussrate ln k = ln k0 − Sϕ + S ′ϕ 2 − S ′′ϕ 3 (11.17)
optimiert werden. Die Flussrate oder lineare Flussge-
schwindigkeit, die nötig ist, die optimale (geringstmögli- Auch in der Gradientenelution kann die Beziehung zwi-
che) Bodenhöhe H für eine bestimmte Säule zu erhalten, schen der Gradientenretentionszeit (ausgedrückt als der
kann aus der Literatur entnommen werden oder, wenn mittlere Retentionsfaktor k ) und dem mittlere Volu-
nötig, anhand publizierter Methoden bestimmt werden. menanteil des organischen Lösungsmittelmodifizierers
Daneben sind auch die Detektorzeitkonstante, Totvolu- ϕ auf der Basis der linearen Lösungsmittelstärken-­
menverminderung und Temperatur von Bedeutung. Theorie ausgenutzt werden nach der Formel:
Wichtig ist, die Säule thermostatisch zu kontrollieren, um
die Reproduzierbarkeit von Trennungen zu gewährleisten.
ln k = ln k0 − Sϕ (11.18)
Optimierung der Selektivität  Die effektivste Art, die
Trennleistung zu beeinflussen, ist über die Selektivität α. Wenn in isokratischer Elution die Retention eines Analy-
Dies wird in der Hauptsache durch eine Beeinflussung der ten (ausgedrückt als natürlicher Logarithmus des Reten-
chemischen Zusammensetzung des Eluenten d.  h. der tionsfaktors k) über der Zusammensetzung der mobilen
Konzentration des modifizierenden Lösungsmittels (z. Phase (als die Volumenfraktion des Lösungsmittels in
B. Acetonitril, Ethanol, Isopropanol, Methanol) in Ver- der mobilen Phase φ) aufgetragen wird (oder als k ver-
bindung mit der Wahl von geeigneten Additiven der mo- sus ϕ in der Gradientenelution), kann mit minimalem
bilen Phase erreicht. Die elutrope Stärke eines jeden Lö- Aufwand in zwei anfänglichen Experimenten, die sich
sungsmittels ist zu beachten, damit die Analyten innerhalb lediglich in der Zusammensetzung der mobilen Phase
258 R. Boysen

A B C Peak-
2
überlappung

Absorption

Absorption

ln k
0

0,14 0,16 0,16 0,20


Zeit (in min) Zeit (in min) φ

..      Abb. 11.3  Optimierung der isokratischen Elution. Es werden ln k-Werte über den Volumenanteil der organischen Lösungsmittel-
zwei Chromatogramme erstellt, eines mit 19 % A und eines mit 15 % modifizierer auftragen und durch die Verbindung der jeweiligen ln
(v/v) B organischem Lösungsmittelanteil in der mobilen Phase (ent- k-Werte durch eine Gerade wird die Zusammensetzung der mobilen
sprechend ist φ = 0,19 und 0,15). Die Retentionsfaktoren werden als Phase bestimmt, die zur optimalen Peakauflösung führt C

unterscheiden, ein angemessener Bereich bezüglich der 11.5.2  bergang zur präparativen
Ü
Bedingungen der mobilen Phase, in denen die Peaktren- Chromatographie
nung optimal ist, ermittelt werden (. Abb. 11.3).  

Durch zwei Experimente, die sich entweder in der Während die analytische HPLC die Identifizierung und/
Zusammensetzung der mobilen Phase oder durch die oder Quantifizierung der Analyten zum Ziel hat, wobei
Laufzeit des Gradienten unterscheiden, kann nach die Proben danach verworfen werden, strebt die präpa-
Nummerierung und Zuordnung der jeweiligen Peaks rative Chromatographie die Trennung der Proben in ei-
eine relative Auflösungskarte erstellt werden, die die ner Weise an, nach welcher die Analyten in einem Frak-
Auflösung RS über der Laufzeit tG aufträgt. Im Falle der tionssammler aufgefangen werden. In der präparativen
Gradientenelution erlaubt diese die Bestimmung der op- Chromatographie fokussiert sich die Methodenentwick-
timalen Gradientenlaufzeit und des Gradientenbereichs lung auf den Peak von Interesse und auch auf die zwei
11 mit einfachen Excel-Methoden und vorgegebenen For- benachbarten Peaks, jeder Schritt zielt darauf hin, einen
meln oder mit der entsprechenden Software (z. B. Dry- Peak von den beiden danebenliegenden gut zu trennen.
Lab oder LabExpert). Diese Optimierungen sparen Zeit, Die Optimierung der Auflösung muss auch die Proben-
Lösungsmittel, Reagenzien sowie Probe und erlauben, menge und die Zahl der relevanten Peaks berücksichti-
wenn völlig ausgenutzt, eine fast vollautomatische Inst- gen.
rumentenbedienung. Wenn eine analytische Methode für verschiedene
Die Optimierung kann auch in Form von Computer- Peptide oder Proteine wie besprochen erarbeitet worden
simulationen mit entsprechender Software (z.  B. ist, kann diese zu einer präparativen Trennung erweitert
Simplex-­ Methoden, multivariante Faktoranalysenpro- werden. Dazu sind die Funktionsbereiche der Säulen
gramme, DryLab) vorgenommen werden. Dabei wird in hinsichtlich der Beladbarkeit und geeigneter Flussrate
der Simulation die Auflösung der Peaks durch systema- (. Tab. 11.8) zu beachten. Es besteht auch die Möglich-

tische Anpassung der Zusammensetzung der mobilen keit der gezielten Säulenüberladung, die weiter unten
Phase (Veränderung des φ-Wertes) oder durch die Kon- besprochen wird.
zentration der Ionenpaar-Reagenzien verbessert. Bei ei- Das Konzept des Scaling-up oder Scaling-down geht
ner Gradientenelution wird die Optimierung in acht davon aus, dass die Trenneigenschaften (wie z. B. die Se-
Schritten ausgeführt: lektivität) der stationären Phasen, die in der präparati-
1. zwei Anfangsexperimente, die sich in der Gradien- ven HPLC benutzt werden, denen der analytischen
tenlaufzeit unterscheiden, HPLC bis auf die Partikelgröße gleichen. Sorgfältige
2. Peaknummerierung und Peakzuordnung, experimentelle Studien haben die Grundregeln für
3. Berechnung von ln k0 und S, Scaling-­up-Strategien und experimentelle Methoden für
4. Optimierung der Gradientenlaufzeit tG, deren Bewertung erarbeitet. Um ein gleichwertiges Elu-
5. Bestimmung des neuen Gradientenbereichs, tionsprofil beim Scaling-up oder Scaling-down für Säu-
6. Berechnung der neuen Gradientenretentionszeiten tg, len mit anderem Durchmesser zu erhalten, muss die
7. eventuelle Veränderung des Gradienten sowie Flussrate verändert werden, dies geschieht nach der For-
8. Kontrolle des Erfolgs durch Durchführung eines mel:
dritten Experiments.
2
Ausführliche Beispiele, in denen solche systematischen  rpraparativ
 
Fpraparativ =  ·Fanalytisch (11.19)
Optimierungen durchgeführt wurden, finden sich in der 
 ranalytisch 
 
Literatur.
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
259 11

..      Tab. 11.8  Funktionsbereiche der HPLC-Säulen

Bezeichnung Probenmenge Säulendurchmesser (in mm) Säulenlänge (in mm) Flussrate (in ml min−1)

präparative LC mg–g >4 15–250 5–20


analytische LC μg–mg 2–4 15–250 0,2–1

Mikro-LC mg 1 35–250 0,05–0,1


Nano-LC ng–μg <1 50–150 < 0,05

Nano-Chip ng < 0,1 50 < 0,01

wobei F die Flussrate ist und r der Säulenradius. mengen als mit der Konzentrationsüberladung getrennt
Hinweise für die Beladbarkeit der Säulenmaterialien werden können. In der Praxis wird jedoch oft eine Kom-
können generell vom Hersteller erhalten werden. Man bination beider Methoden angewendet.
berechnet die Beladbarkeit für eine Erweiterung zum
präparativen Maßstab mit der Formel:
11.5.3 Fraktionierung
2
 rpraparativ
 
M praparativ =  ⋅ M analytisch ⋅CL (11.20) Die Fraktionierung kann manuell (Knopfdruck am An-

 ranalytisch 
  fang und Ende des Sammelvorgangs), vorprogrammiert
zu gewissen Zeiten oder basierend auf dem Vorkommen
wobei M die Masse, r der Säulenradius und CL das Ver- von Peaks erfolgen, wobei ein Schwellenwert im auf-
hältnis der Säulenlängen ist. und absteigenden Signal des Detektors eingegeben wird.
In manchen Fällen ist die gezielte Säulenüberladung Auch kann eine Fraktionssammlung aufgrund der Mas-
eine ökonomische Methode, obwohl sie mit einem Ver- senspektrometrie erfolgen, in welcher die Sammlung
lust an Auflösung verbunden ist. In der analytischen ausgelöst wird, wenn hinreichend viele Ionen einer be-
HPLC ist die ideale Peakform eine Gauß-Kurve. Wenn stimmten Masse detektiert werden. In jedem Fall muss
unter analytischen Bedingungen eine größere Proben- die Verzugszeit hierbei bedacht und gemessen werden.
menge aufgetragen wird, verändern sich Peakhöhe und Für einen Peak mit einer Startzeit t0 und Endzeit tE muss
Fläche, aber nicht die Peakform oder die Retentionszeit. die Fraktionssammlung starten, wenn der Beginn des
Wird jedoch mehr als die empfohlene Menge an Probe Peaks am Verteilerventil ankommt (t0 + tD1), und enden,
aufgetragen, verändert sich die Adsorptionsisotherme wenn das Ende des Peaks an der Nadelspitze ankommt
in eine nichtlineare Funktion, wodurch die Auflösung, (tE + tD1 + tD2), wobei tD1 die Verzugszeit zwischen De-
die Form und die Retentionszeit der Peaks verändert tektor und Ventil und tD2 die zwischen Ventil und Nadel-
werden. spitze ist. Es kann zur Absicherung zusätzlich eine
Es gibt das Überladen in der Form der Volumen- Sammlung der nicht benötigten Fraktionen in einen se-
überladung und der Konzentrationsüberladung. Bei der paraten Behälter stattfinden.
Volumenüberladung wird die Konzentration der Probe
beibehalten, aber ihr Volumen erhöht. Hierbei erhöht
sich der Retentionsfaktor für alle Analyten. Ab einem 11.5.4 Analyse der Fraktionen
bestimmten Injektionsvolumen erhöht sich die Peak-
höhe nicht mehr, und die Peakformen werden breiter Nach der Fraktionssammlung muss das Lösungsmittel
und rechteckig. Im Fall der Konzentrationsüberladung entweder in einem Gefriertrockner, einem Rotationsver-
wird das Volumen der Probe beibehalten, aber ihre Kon- dampfer oder einem Hochdurchsatz-Parallelverdamp-
zentration erhöht. Die Anwendung ist durch die Lös- fer entfernt werden. Nicht flüchtige, ungewünschte
lichkeit der zu analysierenden Substanzen in der mobi- Komponenten können vorher mit HP-RPC-SPE ent-
len Phase beschränkt. Mit dieser Methode kann es zur fernt werden, wenn der wässrige Anteil des Puffers hoch
Erniedrigung der Retentionsfaktoren kommen, was bei genug ist. Wenn keine angeschlossene Massenspektro-
der Probensammlung unbedingt berücksichtigt werden metrie erfolgt, wird die Fraktionierung meist separat
muss. Die Peaks können ein Fronting oder ein Tailing kontrolliert mit einer vorpräparativen Analyse des Roh-
aufweisen, wobei die Peakform dreieckig werden kann. materials und einer nachpräparativen Analyse der indi-
In der Regel wird in der präparativen HPLC die Volu- viduellen Fraktionen, normalerweise mit analytischer
menüberladung vorgezogen, da mit ihr größere Proben- HPLC oder Massenspektrometrie, bei biologisch akti-
260 R. Boysen

ven Proben auch gegebenenfalls durch ­Aktivitätstests wird der Rohextrakt durch Filtrierung oder Zentrifuga-
verschiedenster Art. tion geklärt. Im nächsten Schritt wird ein Puffer gewählt,
der mit der oder den mobilen Phase(n) der ausgewählten
chromatographischen Methode(n) kompatibel ist. Da-
11.6  Multidimensionale HPLC nach folgt eine Anreicherung, vorzugsweise durch Fest-
phasenextraktion (SPE) oder Restricted-Access-Ma-
Oft ist in der HPLC eine Kombination von mehreren terialien (RAM) in einer Stufenelutionsmethode, um
Trennmethoden notwendig, um den erwünschten Grad die Mehrheit der niedermolekularen Verunreinigungen
der Reinheit für die Zielsubstanzen zu erreichen. Da (z. B. Detergenzien) zu beseitigen und das Probenvolu-
bei jedem der Schritte in solchen Kombinationsauftren- men drastisch zu reduzieren. Nach einer Zwischenreini-
nungen Material verloren geht, muss die Quantität der gung erfolgt die chromatographische Trennung, zu der
Ausbeute optimiert werden. Das wird zeit- und kosten- eine Vielfalt von HPLC-Methoden mit verschiedener
sparend erreicht, indem man eine sinnvolle Methoden- Selektivität benutzt werden kann. Die Trennungen er-
kombination wählt und die Zahl der Reinigungsschritte folgen z.  B. nach der Molekülgröße, Hydrophobizität/
möglichst niedrig hält. In der multidimensionalen (Viel- Hydrophilizität, Ladung oder Biospezifität nach den
schritt- und Mehrsäulen-)HPLC (MD-HPLC) werden Chromatographieprinzipien, wie in . Tab. 11.9 zusam-

die Elutionsprofile in aufeinanderfolgende Fraktionen mengefasst.


aufgeteilt, die dann unabhängig voneinander weiterver- Ein Peptid oder Protein kann mit wenigen – vorzugs-
arbeitet werden können. Dadurch wird die Peakkapa- weise drei oder weniger  – Stufen aufgereinigt werden,
zität erhöht, die durch die Anzahl der Peaks definiert wenn man passende, komplementäre Methoden aus-
wird, die zwischen dem ersten und letzten Peak bei wählt, in denen nur ein Teil der Analyten als eine Frak-
vorgegebener Auflösung im Chromatogramm unterge- tion von der ersten zu der nächsten Säule für weitere
bracht werden könnten. In jeder Fraktion können die Auftrennungen übertragen wird. Diese Methoden sind
Trennbedingungen separat optimiert werden, auch kön- schnell, aber nicht quantitativ, da die Hauptmenge der
nen einzelne Komponenten gezielt angereichert oder eli- Analyten nicht in die zweite Stufe oder Dimension über-
11 miniert werden. Für kleine Moleküle gibt es mittlerweile nommen wird. Gewöhnlich werden diese Methoden mit
eine große Anzahl von MD-HPLC-Methoden, jedoch einem Bindestrich verbunden abgekürzt (z.  B.  IEX-­
kann MD-HPLC insbesondere auch für komplexe Pep- RPC). Es müssen die Retentionszeiten der Analyten in
tidmischungen und Proteine angewendet werden. der ersten Säule bekannt sein, um die Segmente der
Fraktionierung auszuwählen. Der Vorteil ist, dass Ana-
lyten, die in der ersten Dimension koeluieren, dann bes-
11.6.1  rennung von individuellen
T ser in der zweiten Dimension trennbar sind. Dazu muss
Peptiden und Proteinen in der aber die erste und zweite Dimension vorzugsweise or-
MD-HPLC thogonal sein, d. h. deren zugrunde liegende Trennprin-
zipien (d. h. Selektivität) müssen unterschiedlich sein. In
Die Peptid- oder Proteinisolation wird generell durch jeder der einzelnen chromatographischen Dimensionen
eine Extraktion aus dem biologischen Ausgangsmate- besteht der Konflikt zwischen Geschwindigkeit, Auflö-
rial und eine Fraktionierung des Rohextrakts eingelei- sung, Kapazität und Ausbeute, wie in . Abb. 11.4 dar-

tet. Hierbei bestimmen die chemischen Eigenschaften gestellt. Diese Ziele können normalerweise nicht alle
des Zielmoleküls und der Matrix die Wahl der Methode. gleichzeitig optimiert werden, z. B. geht eine hohe Auf-
In manchen Fällen geht dem eine Proteinausfällung mit lösung meist auf Kosten der Geschwindigkeit und um-
Salz oder organischen Lösungsmitteln voraus. Danach gekehrt.

..      Tab. 11.9  Die Priorisierungen der Optimierung in jeder der drei Stufen einer multidimensionalen HPLC von Peptiden und
Proteinen und entsprechende chromatographische Methoden

Aufreinigungsschritt Priorität Untergeordnete Rolle Chromatographische


Trennmethode

Anreicherung hohe Geschwindigkeit, hohe Auflösung AC, IMAC, IAC, IEX, HIC
Beladbarkeit
Zwischenreinigung hohe Beladbarkeit, hohe Auflösung Geschwindigkeit, Ausbeute IEX, HIC, SEC
Endreinigung hohe Auflösung, hohe Ausbeute Geschwindigkeit, RPC, SEC
Beladbarkeit
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
261 11
Auflösung 11.6.2  rennung von komplexen Peptid-
T
und Proteinmischungen mit der
MD-HPLC
Belad-
barkeit Wenn eine komplexe Mischung verschiedener Pep-
Geschwin- tide oder Proteine umfassend getrennt werden soll,
digkeit wie es z.  B. in der Proteomanalyse erforderlich ist, ist
Ausbeute
es von Vorteil, orthogonale HPLC-Methoden zu ver-
..      Abb. 11.4  Optimierungsziele (Geschwindigkeit, Auflösung, Be- wenden. Dies erfordert jedoch durch die hohe Anzahl
ladbarkeit und Ausbeute) und ihre Beziehung zueinander für chro- der Fraktionierungen zusätzliche Infrastruktur, wie
matographische Trennungen eine weitere HPLC-Pumpe, thermostatisierte Auto-
sampler, automatische Autosamplerlader, Schaltventile,
ein thermostatisiertes Säulenkompartiment, thermo-
Eine dreistufige HPLC-Proteintrennung kann so an- statisierte Fraktionssammler und gegebenenfalls einen
gelegt werden, dass das Schwergewicht jeder Stufe auf Hochdurchsatz-­Parallelverdampfer. In der umfassenden
ein verschiedenes Paar der Optimierungsziele gelegt MD-HPLC, d.  h. wenn der gesamte Analytenpool der
wird. Die Methoden werden so nach ihrer Brauchbar- ersten Säule auf die zweite Säule weitergeleitet wird, in
keit für den jeweiligen Reinigungsschritt ausgewählt und Teilmengen nacheinander auf eine Säule oder auch ab-
auf eine Weise aneinandergereiht, die zeitaufwendige wechselnd auf zwei Säulen, wird die Methodenkombina-
Pufferwechsel vermeidet (. Tab. 11.9).

tion mit einem Kreuz (×) in der Abkürzung ausgedrückt
Bei dem ersten Reinigungsschritt liegt das Schwer- (z.  B.  IEC×RPC). Die Daten der Trennungen können
gewicht auf Geschwindigkeit und Beladbarkeit. Da in als dreidimensionale Grafiken dargestellt werden, wobei
diesem Schritt die anfängliche Trennung der gewünsch- die Retentionszeiten der zweiten Dimension gegen die
ten Peptide oder Proteine aus dem Rohextrakt erfolgt der ersten Dimension aufgetragen werden. Der Infor-
sowie deren Konzentrierung und die Eliminierung von mationsgehalt solcher Darstellungen ist auf jeden Fall
Verunreinigungen, sind HP-AC, HP-IMAC, HP-IEX
­ höher, als wenn die Daten für jede Stufe einzeln gezeigt
oder HP-HIC als nicht hochauflösende Methoden ge- würden.
eignet.
In der nachfolgenden Zwischenreinigung geht es um
Beladbarkeit und Auflösung, wobei chromatographi-
sche Methoden mit mittlerem Auflösungsvermögen, 11.6.3  ethodenstrategien für die MD-
M
z. B. HP-IEX, HP-HIC oder HP-SEC, gewählt werden HPLC
können. In diesem Stadium sollen die meisten Verunrei-
nigungen beseitigt werden, z.  B. bei der Aufreinigung Unabhängig davon, ob die multidimensionalen Schritte
von rekombinanten Proteinen andere Proteine, Nuclein- einzeln absolviert oder vollautomatisch nacheinander
säuren, Viren, Endotoxine, etc. geschaltet werden, ist die Kompatibilität der mobilen
In der letzten Stufe sind die Auflösung und Ausbeute Phasen in den aufeinanderfolgenden Schritten zu beach-
von überragender Bedeutung, somit finden hochauflö- ten. Es kann der Fall auftreten, dass die Fraktionen zwi-
sende Methoden wie HP-RPC Anwendung. In diesem schen den Schritten speziell behandelt werden müssen,
Stadium wird angestrebt, Spuren von Verunreinigungen z. B. mit Pufferaustausch, Konzentrierung oder Verdün-
oder ähnlicher Substanzen zu beseitigen, um ein reines nung, um die Kompatibilität der Eluentenzusammen-
Endprodukt zu erhalten. Zu diesem Zweck kann auch setzung von Fraktionen aus der ersten Dimension mit
HP-SEC benutzt werden, um z. B. unerwünschte multi- der retentiven mobilen Phase der zweiten Dimension zu
mere Formen des Zielproteins zu entfernen. erhöhen. Falls eine nicht retentive Methode wie SEC zu-
Manchmal können entweder die ersten beiden oder sammen mit einer retentiven, z. B. RPC oder IEX, kom-
die letzten beiden Stufen in einem Schritt vereint wer- biniert werden soll, ist die nicht retentive Methode vor-
den. Es gibt aber auch Fälle, z. B. in der Aufreinigung zuschalten. Dies ermöglicht die Reduzierung von relativ
von therapeutischen Proteinen, in denen vier oder mehr großen Mengen an Eluat (die durch die isokratische
Stufen nötig sind, um den erwünschten Grad der Rein- nicht retentive Trennung entstehen) durch die darauffol-
heit zu erlangen. gende retentive Methode, was eine Bandverbreiterung
262 R. Boysen

außerhalb der Säule und die daraus erfolgende Ernied- Damit ein zweidimensionales MD-HPLC bezüglich
rigung der Auflösung vermindert. der Peakkapazität voll ausgenutzt werden kann, ist es
In der Einzelschrittmethode (offline) der MD-HPLC von Vorteil, wenn die Mechanismen der chromatogra-
wird das Eluat der ersten Säule als Fraktionen gesam- phischen Systeme orthogonal sind, das heißt unabhän-
melt und manuell auf die zweite Säule aufgetragen. gig voneinander sind. Es ist allgemein akzeptiert, dass
Typische zwischengeschaltete Maßnahmen sind eine die Dimensionen einer zweidimensionalen Trennung
Volumenreduktion durch Gefriertrocknung oder auto- orthogonal sind, wenn die Trennmechanismen der bei-
matische Evaporationssysteme, wobei die verschiedenen den Dimensionen unabhängig voneinander sind, was
Siedepunkte und Dichten individueller organischer Lö- dazu führt, dass die Verteilung der Analyten in der
sungsmittel in den Fraktionen zu beachten sind. Ein re- ersten Dimension nicht mit der in der zweiten Dimen-
lativ schneller Pufferaustausch kann erfolgen, wenn nur sion korreliert ist. Beispiele solcher Orthogonalität in
flüchtige Additive in der mobilen Phase vorhanden sind. den HPLC-Trennmethoden sind die Reversed-Phase-­
Die vollautomatische (online) MD-HPLC benutzt Chromatographie (RPC) und die Ionenaustauschchro-
Hochdruckventile, die in verschiedenen Positionen mul- matographie (CEX oder AEX), da diese Methoden auf
tiple Umschaltungen erlauben. Einzelne Fraktionen der Basis der Hydrophobizität beziehungsweise auf der
werden von der ersten Säule auf vorbestimmten Wegen Basis elektrischer Ladungen trennen. Eine grobe Klas-
auf andere Säulen der zweiten Dimension geleitet, ent- sifizierung der in der Trennung von Peptiden und Pro-
weder über Auffangsäulen, um automatisch die Puffer teinen üblichen chromatographischen Methoden nach
zu wechseln oder Konzentrationen vorzunehmen, oder ihrer Ähnlichkeit ist in . Abb. 11.5 gegeben.

auch direkt. Dies erfordert komplexe Apparaturen und Für eine ideale orthogonale zweidimensionale Tren-
beinhaltet eine gewisse Unflexibilität, aber bringt einen nung ist die Gesamtpeakkapazität PC als das Produkt
großen Gewinn an Zeit, Ausbeute und Reproduzierbar- der Peakkapazitäten in jeder der Dimensionen definiert
keit. nach der Formel:

PC2 D −System = PC1.Dimension · PC2.Dimension


11 11.6.4  ntwurf eines effektiven MD-HPLC-
E
(11.21)

Schemas für Peptide und Proteine


Wenn jedoch zwei nicht identische, aber etwas ähnliche
Die MD-HPLC von Peptiden und Proteinen erfordert Chromatographiemethoden in einem MD-HPLC-­
eine bewusste Wahl von komplementären Trennme- System benutzt werden, verringert sich die Peakkapazi-
thoden und deren Abfolge sowie deren Optimierung tät und damit die Anzahl der Analyten, die getrennt wer-
im Hinblick auf die chromatographischen Trennziele den können. Die Peakkapazität hängt auch von der
Geschwindigkeit, Auflösung, Kapazität und Ausbeute. Elutionsmethode ab. Da Gradientenelution eine höhere
Zusätzlich müssen die Zusammensetzung (und Tempe- Peakkapazität ermöglicht als die isokratische Elution,
ratur) der mobilen Phasen der angewandten chroma- kann damit das Gesamtergebnis zusätzlich positiv beein-
tographischen Trennmethoden, die Elutionsmethode flusst werden. Da die Selektivität in der Chromatogra-
(isokratisch, Stufen- oder Gradientenelution) und phie nicht nur von der stationären Phase, sondern auch
Flussraten bedacht werden. von der mobilen Phase abhängt, können orthogonale
SEC

RPC

RPC orthogonal (unabhängig)


NPC

NPC schwach direkt korreliert


HILIC

HILIC stark direkt korreliert


HIC

HIC stark invers korreliert


CEX

CEX schwach invers korreliert


AEX

AEX

AC

..      Abb. 11.5  Grad der Ähnlichkeit der Trennungsprinzipien bei den chromatographischen Methoden von Peptiden und Proteinen
Chromatographische Trennmethoden für Peptide und Proteine
263 11
Trennungen in speziellen Umständen auch durch eine tographischen Dimension. In der Realität sind jedoch
Feinabstimmung der Trennbedingungen erreicht wer- 2D-LC×LC-Systeme selten total orthogonal in Bezug
den, selbst wenn der Trennmechanismus in beiden Di- auf Hydrophobizität oder Polarität. Viele partiell ortho-
mensionen ähnlich ist (z.  B.  RPC-RPC mit Eluenten gonale Systeme nutzen nur einen Teil der theoretisch
unterschiedlichen pH-Werts in der ersten und zweiten möglichen zweidimensionalen Trennungskapazität, kön-
Dimension). Zusätzlich beeinflusst die Struktur und che- nen aber durch Analyten, die sich in der Zahl der hydro-
mische Zusammensetzung der Analyten die Peakkapazi- phoben oder polaren Struktureinheiten unterscheiden,
tät. In vielen Chromatographiesystemen haben die struk- auf ihre Eignung hin beurteilt werden oder durch quan-
turellen Einheiten der Analyten, insbesondere die mit titative Struktur-Retentions-Verhältnisse beschrieben
multiplem Vorkommen, eine additive Auswirkung auf werden. Orthogonale Systeme mit nicht korrelierten Se-
die Assoziation von Analyten und den immobilisierten lektivitäten führen zur höchsten Peakkapazität und da-
Liganden der stationären Phasen. Diese repetitiven her zur höchsten Anzahl gut getrennter Peaks.
strukturellen Einheiten können hydrophob oder polar Obwohl in der zweidimensionalen Flüssigkeitschro-
sein. Wenn eine der beiden chromatographischen Me- matographie die Selektivität der jeweiligen HPLC-­
thoden des zweidimensionalen Systems keine Selektivi- Methode deren Eignung für eine Trennung bestimmt,
tät für ein strukturelles Element hat, sind die erste und spielt auch hier die Auswahl der mobilen Phasen eine
zweite Dimension orthogonal in Bezug auf die struktu- große Rolle, um die maximale Peakkapazität zu errei-
rellen Elemente (. Abb. 11.6A). In Systemen mit voll-
  chen. In vollständig automatisierten 2D-LC×LC-­
ständig korrelierten Retentionsfaktoren zwischen beiden Systemen (im Gegensatz zu den manuell nacheinander
Dimensionen ist die Trennkapazität durch unzurei- geschalteten 2D-LC-Prozeduren, wo die gesammelten
chende Selektivitätsunterschiede beider Dimensionen Fraktionen bearbeitet werden können, bevor sie in die
nicht voll ausgenutzt und daher nicht ideal zweite Säule injiziert werden) hat die Kompatibilität der
(. Abb.  11.6B). In invers korrelierten 2D-LC×LC-­
  mobilen Phasen in Bezug auf Mischbarkeit, Löslichkeit,
Systemen nimmt die Retentionszeit für jeden Analyten Viskosität und eluotrope Stärke eine besondere Bedeu-
in der ersten Dimension zu, aber in der zweiten ab mit tung. Die Kompatibilität der typischen mobilen Phasen
nachteiliger Auswirkung auf die Gesamtpeakkapazität in den verschiedenen chromatographischen Methoden,
(. Abb. 11.6C). Die Peakkapazität sinkt mit steigender
  die zur Analyse von Peptiden und Proteinen benutzt
Selektivität zwischen der ersten und der zweiten chroma- werden, ist in . Abb. 11.7 dargestellt. 

..      Abb. 11.6 Separationsgrafiken
ln k (2. Dimension)
ln k (2. Dimension)

ln k (2. Dimension)
zweidimensionaler Trennungen für eine
Gruppe von Peptiden oder Proteinen
(Punkte) in Systemen, die A unkorre-
liert (orthogonal), B korreliert und C
invers korreliert sind, wobei die
Retentionsfaktoren der zweiten
Dimension gegen die der ersten
Dimension aufgetragen wurden
A ln k (1. Dimension) B ln k (1. Dimension) C ln k (1. Dimension)

..      Abb. 11.7  Kompatibilität der mobilen


SEC

Phasen in verschiedenen chromatographi-


schen Methoden zur Analyse von
RPC

Peptiden und Proteinen, basierend auf RPC kompatibel


ihrer Mischbarkeit, Löslichkeit und
NPC

eluotropen Stärke NPC kompatibel mit minimalem Aufwand


HILIC

HILIC kompatibel nach Pufferwechsel


HIC

HIC
CEX

CEX
AEX

AEX

AC
264 R. Boysen

11.7  Schlussbemerkung Boysen RI (2019) Advances in the development of molecularly im-


printed polymers for the separation and analysis of proteins with
liquid chromatography. J Sep Sci 42(1):51–71
Die Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) Chothia C (1975) Structural invariants in protein folding. Nature
als eine vollautomatisierbare Form der Chromatogra- 254:304–308
phie ermöglicht es, Peptide und Proteine schnell, selektiv, Dawson RMC, Elliot DC, Elliot WH, Jones KM (1986) Data for
reproduzierbar und mit hoher Auflösung zu trennen. Die biomedical research, 3. Aufl. Clarendon Press, Oxford
Fanali S, Haddad PR, Poole C, Riekkola, ML (Hrsg) (2017) Liquid
HPLC findet daher, in Verbindung mit Massenspektro- chromatography: fundamentals and instrumentation. 2. Aufl. El-
metrie und Bioinformatik, ihre Anwendung in der sevier, Amsterdam
Grundlagenforschung, Proteomanalyse, Systembiologie, Fanali S, Haddad PR, Poole C, Riekkola, ML (2017) Liquid chroma-
Hochdurchsatzanalytik, medizinischen Diagnostik, und tography: Applications. 2. Aufl. Elsevier, Amsterdam
der Qualitätskontrolle von Biotherapeutika. Gooding KM, Regnier FE (Hrsg) (2002) HPLC of biological macro-­
molecules, 2. Aufl. CRC Press, Boca Raton
Die hier beschrieben Methoden der Ausschluss-, Re- Hearn MTW (1991) HPLC of proteins, peptides and polynucleoti-
versed-Phase-, Normalphase-, hydrophilen Interaktions-, des. VCH Verlagsgesellschaft, New York, Weinheim, Cambridge
Aqueous-Normalphase-, die hydrophobe Interaktions-, Henschen A, Hupe KP, Lottspeich F, Voelter W (Hrsg) (1987) High
Ionenaustausch- und Affinitätschromatographie, syste- performance liquid chromatography in biochemistry. VCH Ver-
matischen Methodenentwicklung und multidimensiona- lagsgesellschaft, Weinheim
Janson JC, Ryden L (1989) Protein purification. VCH Weinheim
len HPLC können selbstverständlich auch für die Analyse Kellner R, Lottspeich F, Meyer HE (Hrsg) (1998) Microcharacteri-
von anderen Analyten wie z.  B.  Metaboliten, Lipiden, zation of proteins, 2. Aufl. Wiley-VCH, Weinheim
Kohlenhydraten und Nukleinsäuren eingesetzt werden, Lundanes E, Reubsaet L, Greibrokk T (2013) Chromatography:
jeweils unter anderen experimentellen Bedingungen. basic principles, sample preparations and related methods. Wi-
Obwohl gegenwärtig viele leistungsfähige HPLC-­ ley-VCH, Weinheim
Mant CT, Hodges RS (1991) High-performance liquid chromatogra-
Methoden zur Verfügung stehen, sind deren Möglichkei- phy of peptides and proteins: separation, analysis, and confor-
ten für die Bioanalytik bei Weitem nicht ausgeschöpft. mation. 1. Aufl. CRC Press, Boca Raton
Insbesondere im Bereich der prozessanalytischen Tech- Meyer V (2010) Practical high-performance liquid chromatography.
nologien (PAT), der personalisierten Medizin und der 5. Aufl. Wiley, Chichester
11 medizinischen Diagnostik bestehen noch zahlreiche An- Pesek JJ, Matyska MT, Boysen RI, Yang Y, Hearn MTW (2013)
Aqueous normal phase chromatography using silica hydride-­
wendungsmöglichkeiten. Diese Herausforderungen sti- based stationary phases. Trends Anal Chem 42:64–73
mulieren die interdisziplinäre Forschung im Bereich der Rickard EC, Strohl MM, Nielsen RG (1991) Correlation of electrop-
Entwicklung von neuen stationären Phasen (z.  B. mit horetic mobilities from capillary electrophoresis with physicoche-
schaltbaren Polymeren als Liganden), bei der mathema- mical properties of proteins and peptides. Anal Biochem 197:
tischen Modellierung chromatographischer Prozesse, im 197–207
Simpson RJ (2003a) Proteins and proteomics: a laboratory manual.
Proteinengineering, in der Bioinformatik und für minia- Cold Spring Harbor Laboratory Press, New York
turisierte und portable HPLC Systeme. Simpson RJ (2003b) Purifying proteins for proteomics: a laboratory
Auch wird es ein Anliegen der analytischen Chemi- manual. Cold Spring Harbor Laboratory Press, New York
ker und Biochemiker sein, sicherzustellen, dass eine Ent- Simpson RJ, Adams PD, Golemis EA (2008) Basic methods in pro-
wicklung neuer Aufbereitungs-, Trenn- und Analyseme- tein purification and analysis: A laboratory manual. Cold Spring
Harbor Laboratory Press, New York
thoden angestrebt wird (oder existierende Methoden Snyder LR, Kirkland JJ, Glajch JL (1997) Practical HPLC method
modifiziert werden), die den Prinzipien der Grünen development. 2. Aufl. Wiley, Weinheim
Analytischen Chemie folgen, welche anstrebt, Reagen- Snyder LR, Kirkland J.J. Dolan JW (2011) Introduction to modern
zien zu benutzen, die eine niedrigstmögliche Gefahr für liquid chromatography. 3. Aufl. Wiley, Hoboken
die Umwelt darstellen, und danach strebt, Material und Unger KK, Weber E (1995) Handbuch der HPLC. GIT, Darmstadt
Vijayalakshmi MA (Hrsg) (2002) Biochromatography: theory and
Energie zu sparen. Die ersten Schritte dieses Ansatzes practice, 1. Aufl. Taylor & Francis, New York
sind schon gemacht, jedoch bei Weitem noch nicht in Wilce MCJ, Aguilar M-I, Hearn MTW (1995) Physicochemical basis
dem Maße angewendet, wie wir es den nächsten Genera- of amino acid hydrophobicity scales: evaluation of four new sca-
tionen schulden. les of amino acid hydrophobicity coefficients derived from RP-
HPLC of peptides. Anal Chem 67:1210–1219
Wintermeyer U (1989) Die Wurzeln der Chromatographie: Histori-
scher Abriss von den Anfängen bis zur Dünnschicht-­
Chromatographie. GIT
Literatur und Weiterführende Literatur Wixom RL, Gehrke CW (Hrsg) (2010) Chromatography – a science
of discovery. Wiley, Hoboken, New Jersey
Anderson J, Berthod A, Pino V, Stalcup AM (2016) Analytical sepa- Zamyatnin AA (1972) Protein volume in solution. Prog Biophys Mol
ration science, Bd 1−5. Wiley-VCH, Weinheim Biol 24:107–123
265 12

Elektrophoretische Verfahren
Reiner Westermeier und Angelika Görg

Inhaltsverzeichnis

12.1 Geschichtlicher Überblick – 267

12.2 Theoretische Grundlagen – 268

12.3 I nstrumentierung und Durchführung


von Gelelektrophoresen – 271
12.3.1  robenvorbereitung – 273
P
12.3.2 Gelmedien für Elektrophoresen – 273
12.3.3 Nachweis und Quantifizierung der getrennten Proteine – 274
12.3.4 Zonenelektrophorese – 277
12.3.5 Porengradientengele – 278
12.3.6 Puffersysteme – 278
12.3.7 Disk-Elektrophorese – 279
12.3.8 Saure Nativelektrophorese – 280
12.3.9 SDS-Polyacrylamid-­Gelelektrophorese – 280
12.3.10 Kationische Detergenselektrophorese – 282
12.3.11 Blaue Nativ-­Polyacrylamidgelelektrophorese – 282
12.3.12 Isoelektrische Fokussierung – 282

12.4 Präparative Verfahren – 287


12.4.1 E lektroelution aus Gelen – 287
12.4.2 Präparative Zonenelektrophorese – 287
12.4.3 Präparative isoelektrische Fokussierung – 288

12.5 Trägerfreie Elektrophorese – 290


12.6 Hochauflösende zweidimensionale Elektrophorese – 290
12.6.1  robenvorbereitung – 292
P
12.6.2 Vorfraktionierung – 292
12.6.3 Erste Dimension: IEF in IPG-Streifen – 293
12.6.4 Zweite Dimension: SDS-­Polyacrylamid-­Gelelektrophorese – 294
12.6.5 Detektion und Identifizierung der Proteine – 294
12.6.6 Differenzgelelektrophorese (DIGE) – 294

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_12
12.7 Elektroblotting – 296
12.7.1  lotsysteme – 296
B
12.7.2 Transferpuffer – 298
12.7.3 Blotmembranen – 298

Literatur und Weiterführende Literatur – 298


Elektrophoretische Verfahren
267 12
55 Elektrische Verfahren dienen der Trennung von gelade- ger oder trägerfrei) in einem homogenen Puffersystem,
nen Substanzen in wässriger Lösung im elektrischen die Isotachophorese im diskontinuierlichen Puffersys-
Feld. tem und die isoelektrische Fokussierung in einem
55 In der Proteinanalytik werden hauptsächlich drei Va- pH-Gradienten. In diesem Kapitel werden die unter-
rianten zur Trennung verwendet: die native Zonenelek- schiedlichen Trennsysteme, Instrumentierungen und
trophorese, die SDS-Elektrophorese und die isoelektri- Nachweisverfahren beschrieben.
sche Fokussierung sowie eine Variante zum Transfer Alle elektrophoretischen Verfahren bieten ein sehr
der Proteinzonen aus einem Gel auf eine Membran: hohes Auflösungsvermögen. Elektrophoretische Tren-
Elektroblotting. nungen führt man in unterschiedlichen Medien durch:
55 Man unterscheidet Techniken mit Trägermatrices, wie 55 in freier Lösung: In offenen Kapillaren oder dünnen
z. B. in Gelen, und trägerfreie Methoden wie z. B Free­ Pufferschichten (trägerfreie Elektrophorese) werden
flow- und Kapillarelektrophoresen. Gelelektrophoreti- die Probenkomponenten hauptsächlich aufgrund der
sche Methoden können auch kombiniert werden zur Ladungsunterschiede getrennt. Da bei der Elektro-
Zweidimensionalelektrophorese. phorese Joule’sche Wärme entsteht, können thermi-
55 Es existiert ein breites Spektrum von Detektionsver- sche Strömungen (Konvektion) die Trennung stören.
fahren, wie unspezifische und spezifische Anfärbun- 55 in stabilisierenden Matrices: Membranen oder Gele
gen, Fluoreszenzmarkierungen und immunologische (antikonvektive Medien) wirken Verbreiterungen
Nachweise auf Blottingmembranen. Außerdem wer- von Zonen (Dispersion) entgegen, die durch Kon-
den elektrophoretische Verfahren zur Vorfraktionie- vektion verursacht werden. Die Wanderungsge-
rung für die Massenspektrometrie eingesetzt. schwindigkeiten der Teilchen werden in diesen porö-
55 Elektrophoretische Verfahren verwendet man im ana- sen Matrices je nach Größe unterschiedlich verzögert
lytischen und mikropräparativen Bereich, vor allem in (retardiert), sodass sie von der Größe und der La-
der Biochemie und Molekularbiologie, in klinischer dung abhängig sind.
und forensischer Medizin sowie in der Taxonomie von
Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren.
12.1  Geschichtlicher Überblick
Elektrophorese ist die Wanderung geladener Teilchen in
einem elektrischen Feld. Unterschiedliche Ladungen Die erste Elektrophorese wurde in den Dreißigerjahren
und Größen der Teilchen bewirken unterschiedliche des letzten Jahrhunderts von dem schwedischen Wissen-
elektrophoretische Beweglichkeit. Ein Substanzgemisch schaftler Arne Tiselius entwickelt, der dafür– neben sei-
wird dabei in einzelne Zonen aufgetrennt (. Abb. 12.1).  
nen Arbeiten zur chromatographischen Adsorptions-
Bei der Elektrophorese gibt es im Wesentlichen drei ver- analyse – 1948 den Nobelpreis erhielt. Tiselius konnte in
schiedene Verfahren: die Zonenelektrophorese (mit Trä- einem mit Puffer gefüllten, U-förmigen Rohr, dessen
Schenkel mit einer Gleichstromquelle verbunden waren,
menschliches Serum in vier Hauptkomponenten auf-
– Kathode trennen: in Albumin und die α-, β- und γ-Globuline. In
Substanz- - - - - ---- . Abb. 12.2 ist ein typisches Trennergebnis der Tiselius-­

- -- -- Methode, wie es sich über die Messung mit einer Schlie-


gemisch
renoptik darstellte, auf einer schwedischen Briefmarke
gezeigt. Zusammen mit Arbeiten zur Ultrazentrifuga-
tion von The Svedberg war damit bewiesen, dass Pro-
- - -
- - Substanz 2
Puffer
pH = konstant

-- -- Substanz 1
-- -- --

+ Anode

..      Abb. 12.1  Trennprinzip der Elektrophorese: Geladene Teilchen


unterschiedlicher Ladung und Größe wandern im elektrischen Feld ..      Abb. 12.2  Schwedische Briefmarke, die die erste elektrophoreti-
mit unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeiten, die einzelnen sche Trennung von Serum zeigt, die von Arne Tiselius durchgeführt
Substanzen bilden diskrete Zonen wurde
268 R. Westermeier und A. Görg

teine nicht – wie bis zu diesem Zeitpunkt angenommen – quenzanalyse von Sanger entwickelt, die ebenfalls die
unterschiedlich zusammengesetzte Kolloidaggregate Elektrophorese zur Trennung einsetzt.
sind, sondern Makromoleküle mit definierter Größe, Ebenfalls in 1975 führte Southern die erste Blotting-­
Form und Ladung. Methode ein: die Übertragung von in Agarose getrenn-
Dieses erste Elektrophoreseverfahren der wandern- ten DNA-Fragmenten auf eine immobilisierende Mem-
den Grenzschichten wurde bald zur Zonenelektropho- bran und anschließende Hybridisierung. Mit den ab
rese weiterentwickelt: Man verwendete antikonvektive 1979 folgenden Modifikationen der Methode können
Medien wie Papier, Agargele und Kieselgele, auf welche Proteine immunologisch identifiziert oder ihre Amino-
die Proben in schmalen Zonen aufgetragen wurden. Weil säurenzusammensetzung und -sequenz bestimmt wer-
diese Trägermaterialien wegen ihrer starken Eigenladun- den.
gen und geringer Retardation sehr diffuse Banden erge- Durch die Einführung von immobilisierten pH-­
ben, wurden neue, inertere Matrices eingeführt: Stär- Gradienten konnte 1982 ein neues Konzept der isoelek-
kegele 1955 durch Smithies, Celluloseacetatfolien 1957 trischen Fokussierung realisiert werden. 1988 etablierte
durch Kohn, Polyacrylamidgele 1959 durch Raymond Görg die zweidimensionale Elektrophorese mit immobi-
und Weintraub sowie Agarosegele 1961 durch Hjertén. lisierten pH-Gradienten, die sich durch hohe Reprodu-
Stärkegele werden auch heute noch für genetische Un- zierbarkeit und Beladungskapazität auszeichnet. Neue
tersuchungen verwendet, Celluloseacetatfolien bei kli- technische Möglichkeiten haben sich durch die Entwick-
nischen Routineuntersuchungen. Agarosegele werden lung der Kapillarelektrophorese im Jahre 1983 ergeben.
hauptsächlich zur Trennung von DNA-­Fragmenten und Sie wird in 7 Kap. 13 besprochen.

für Immunelektrophoresen zur spezifischen und quanti- Parallel zu den analytischen Verfahren wurde auch
tativen Detektion von Proteinen eingesetzt. Polyacryla- eine Reihe von präparativen Methoden entwickelt, wie
midgele sind inert, vollständig transparent und besitzen die trägerfreie Elektrophorese, isoelektrische Fokussie-
das höchste Auflösevermögen für DNA-Fragmente und rung im Dextrangelbett, in mit Saccharosegradienten
Proteine. Die ­ diskontinuierliche Polyacryl-amidgelek- gefüllten Säulen oder zwischen isoelektrischen Memb-
trophorese (Disk-­Elektrophorese), 1964 durch Ornstein ranen.
und Davis eingeführt, ist die Grundlage moderner hoch-
auflösender Elektrophoresemethoden in Gelen und Ka-
12 pillaren. 12.2  Theoretische Grundlagen
Vesterbergs Synthese von Trägerampholyten ermög-
lichte ab 1966 die Verwirklichung des theoretischen Auf ein geladenes Teilchen wirken in einem elektrischen
Konzepts der natürlichen pH-Gradienten von Svens- Feld verschiedene Kräfte, eine beschleunigende Kraft
son-Rilbe. Dadurch wurde ein neues, sehr hochauflösen- Fe, die auf die Ladung q des Teilchens wirkt:
des Trenn- und Messprinzip für Proteine realisiert: die
=
isoelektrische Fokussierung. Hierbei wandern die Prote- Fe q= ·E mit q z ·e (12.1)

inmoleküle in einem pH-Gradienten bis zu dem pH-
Wert, der ihrem isoelektrischen Punkt entspricht, an und eine Reibungskraft Ffr, die bremsend wirkt:
dem sie eine Nettoladung von null haben. Das heißt,
ihre Wanderungsgeschwindigkeit ist an diesem Punkt Ffr = f c ·v (12.2)

ebenfalls gleich null. So kann man – zusätzlich zur Auf-
trennung – auf einfache Weise die isoelektrischen Punkte wobei E die elektrische Feldstärke, V die Wanderungs-
von amphoteren Substanzen bestimmen. geschwindigkeit des Teilchens und fc der Reibungskoeffi-
Die Elektrophorese mit Natriumdodecylsulfat zient ist. Der Reibungskoeffizient ist abhängig von der
(SDS), die von Shapiro, Vinuela und Maizel zur Mo- Viskosität des Mediums und gegebenenfalls der Poren-
lekulargewichtsbestimmung von Proteinen eingeführt größe der Matrix.
wurde, und die Gradientengeltechnik von Margolis
und Kenrick kamen 1967 hinzu. Durch die Kombina-
Die elektrophoretische Beweglichkeit, die Mobilität,
tion der isoelektrischen Fokussierung und der SDS-­
ist eine substanzspezifische Größe, die die Wande-
Polyacrylamid-­Gelelektrophorese zur zweidimensiona-
rungsgeschwindigkeit im elektrischen Feld bestimmt
len (2D-)Elektrophorese konnte 1975 O’Farrell erstmals
und damit für die Trennung entscheidend ist.
ganze Zelllysate oder einen Gewebeaufschluss in seine
sämtlichen Proteine auftrennen. Mit hochempfindlichen
Nachweismethoden wie Autoradiographie und Fluoro- Das Gleichgewicht dieser beiden Kräfte bewirkt, dass
graphie findet man in solchen Gelen mehrere Tausend sich das Teilchen mit einer konstanten Geschwindigkeit
Proteinspots. Im gleichen Zeitraum wurde die DNA-Se- im elektrischen Feld bewegt:
Elektrophoretische Verfahren
269 12

q ·E
Fe = Ffr ; q ·E = f c ·v ⇒ v = = u ·E (12.3)
fc

Fret

Der Proportionalitätsfaktor zwischen Wanderungsge- + –
– –
Ffr Fe
schwindigkeit und Feldstärke ist die substanzspezifische – +
Größe u, die Mobilität. Frel
– ––
Für kleine kugelförmige Teilchen lässt sich das Sto- –
kes‘sche Gesetz anwenden, um die Reibungskraft zu be-
rechnen, und es ergibt sich für die Mobilität folgender
Ausdruck:
..      Abb. 12.3  Beschleunigende und bremsende Kräfte, die in einem
q z ·e
u= = (12.4) elektrischen Feld auf ein geladenes, hydratisiertes Teilchen mit Io-
f c 6π ·η · r nenwolke wirken (Fe = Beschleunigungskraft, Ffr = Reibungskraft,

Fret = Retardationskraft, Frel = Relaxationskraft)
wobei z die Ladungszahl ist, e die Elementarladung in
Coulomb, η die Viskosität der Lösung und r der derungsgeschwindigkeit entscheidend, sondern die ef-
Stokes-Radius des Teilchens (das heißt der Radius des fektive Mobilität ueff, die über den Dissoziationsgrad α
hydratisierten Ions). (das Verhältnis zwischen Kation oder Anion zur Ge-
Für nicht kugelförmige Teilchen wie Peptide und samtkonzentration des Elektrolyten) mit der Ionenmo-
Proteine lässt sich ein empirischer Zusammenhang zwi- bilität verknüpft ist.
schen der Molekülmasse M und Mobilität angeben:
ueff = ∑α i · ui (12.6)
q i
u = 2/3 (12.5)
M
Das bedeutet, dass bei schwachen Säuren und Basen
wobei in der Literatur auch noch andere Werte für den (z.  B.  Peptiden und Proteinen) die Wanderungsge-
Exponenten der Molekülmasse zwischen 1/3 und 2/3 be- schwindigkeit und damit die Auflösung über den pH-­
schrieben werden. Wert des Elektrolyten optimierbar sind.
In unendlich verdünnten Protein- und Peptidlösungen Die spezifische Leitfähigkeit K einer Lösung ergibt
gewinnen zwei weitere Kräfte, die auf ein geladenes Teil- sich aus den effektiven Mobilitäten aller in Lösung be-
chen einwirken, an Bedeutung: die Relaxationskraft und findlichen Teilchen wie folgt:
die Retardationskraft, die durch die Ionenatmosphäre des K = F ⋅ ∑ci ⋅ ui ⋅ zi (12.7)
Teilchens hervorgerufen werden. Nach der Debye-Hückel- i =1
Theorie ist jedes Teilchen von einer Ionenatmosphäre ent-
gegengesetzter Ladung umgeben, deren Radius β von der wobei F die Faraday-Konstante ist und c die Konzentra-
Ionenstärke abhängt. Die Kraft, die das elektrische Feld tion der einzelnen ionischen Spezies.
auf die Ionen der Ionenatmosphäre ausübt, wird auf die Bei der Elektrophorese werden Puffersysteme aus
Lösungsmittelmoleküle übertragen, weshalb das Zentra- einer Säure und einer Lauge verwendet, z.  B.  Tris-­
lion nicht durch eine stationäre Flüssigkeit wandert, son- Chlorid, Tris-Borat. Im elektrischen Feld wandern
dern durch eine Lösung, die in die Gegenrichtung fließt. nicht nur die Probenionen, sondern auch – und dies im
Dieser Retardationseffekt bewirkt eine Verringerung der hohen Maße – die Ionen der dissoziierten Pufferkom-
Geschwindigkeit des Zentralteilchens. ponenten. Deshalb werden bei der Elektrophorese an
Bei Anlegen eines elektrischen Feldes „hinkt“ die Io- beiden Elektroden Pufferreservoirs benötigt. Die Puf-
nenwolke dem Zentralion hinterher und übt so eine ferkonzentrationen und -mengen in diesen Reservoirs
elektrische Kraft aus, die das Zentralion abbremst. Die- müssen hoch genug dosiert sein, damit der Puffer nicht
ser Effekt wird als Relaxationseffekt bezeichnet. erschöpft.
Aufgrund dieser beiden Effekte nimmt die Mobilität Während einer elektrophoretischen Trennung wird
mit zunehmender Ionenstärke ab. Die verschiedenen durch den elektrischen Stromfluss Joule‘sche Wärme
Kräfte, die auf ein geladenes Teilchen im elektrischen entwickelt. Für die pro Volumeneinheit erzeugte Wärme
Feld einwirken, und ihre Angriffspunkte sind in W gilt:
. Abb. 12.3 dargestellt.

Für schwache Säuren und Basen ist nicht die Mobili- W = E 2 ·λ ·c


tät des vollständig dissoziierten Teilchens für die Wan- (12.8)
270 R. Westermeier und A. Görg

Dabei ist c die molare Konzentration des Elektrolyten, λ


die Äquivalenzleitfähigkeit und E die elektrische Feld-
stärke. Für die Äquivalenzleitfähigkeit gilt:

λ = ui ⋅ zi ⋅ F (12.9)

Die Wärmeabfuhr erfolgt über die Wände oder eine


Seite des Systems. Es entsteht dadurch ein Temperatur-
gradient, der bei trägerfreien Elektrophoresen zu einer
konvektiven Durchmischung führt. Um die Tempera-
turdifferenzen gering zu halten, sollten geringe Kapilla-
rinnendurchmesser bzw. sehr dünne Schichten oder
Gele eingesetzt werden sowie Materialien mit guter
Wärmeleitfähigkeit und geringer Wandstärke. Eine effi-
ziente Wärmeabfuhr durch Flüssigkühlung ist eine wei-
tere Voraussetzung, um maximale Trennschärfe zu er-
zielen.
Eine Vielzahl von Materialien wie Glas, fused silica
(amorpher Quarz), Teflon, Papier, Agarose und Cellulo-
seacetatfolien bilden aufgrund von Oberflächenladun-
gen bei Kontakt mit einer Elektrolytlösung eine elektro-
chemische Doppelschicht. Am Beispiel von Kapillaren
aus fused silica, einem Material, welches sehr gründlich
untersucht wurde, soll der Aufbau dieser Doppelschicht
beschrieben werden: Durch Dissoziation der Silanol-
gruppen (–SiOH) werden negative Ladungen an der Ka-
pillarwand ausgebildet. Diese negativen Ladungen wer- ..      Abb. 12.4  Aufbau und Potenzialverlauf ψ der elektrochemi-
12 den auf der Lösungsseite durch positive Gegenladungen
schen Doppelschicht. x ist der Abstand von der Kapillarwand

kompensiert. Dabei ergibt sich ein Potenzialabfall, wie


in . Abb. 12.4 dargestellt. Die Doppelschicht setzt sich

fläche und/oder Gelmatrix (. Abb. 12.5). Da die Rich-

aus einer starren und einer diffusen Schicht zusammen, tung des elektroosmotischen Flusses der Wanderungs-
wobei der Potenzialabfall linear in der starren und ex- richtung der Probenionen entgegengerichtet ist, führt die
ponentiell in der diffusen Schicht ist. Je geringer die Io- Elektroendosmose zu unerwünschten Verzerrungen und
nenstärke der Lösung, desto weiter reicht die diffuse Verdünnungen der Zonen. Man verwendet deshalb mög-
Doppelschicht in das Lösungsinnere hinein. lichst ladungsfreie Materialien und Trennmedien.
Bei Anlegen einer elektrischen Spannung bewirken Bei Agarose gibt es unterschiedliche Qualitäten, die
die positiven Gegenladungen durch Impulsübertragung durch die unterschiedlichen Elektroendosmosewerte mr
auf das Lösungsmittel einen Fluss des Lösungsmittels definiert sind: von 0,25 (viele Ladungen) zu „0,00“ (fast
in Richtung Kathode  – den elektroosmotischen Fluss elektroendosmosefrei). Die Elektroendosmose kann
EOF. Die Geschwindigkeit des EOF (νEOF) ist abhängig mithilfe eines nichtionischen Farbstoffs, z. B. Dextran-
vom sog. ζ-Potenzial (Zeta-Potenzial), dem Potenzial in blau, gemessen werden, den man bei der Elektrophorese
der Scherebene (oft gleichgesetzt mit der Grenzfläche mitlaufen lässt.
zwischen starrer und diffuser Doppelschicht), der elekt- . Abb.  12.6 zeigt eine Trennung von Proteingemi-

rischen Feldstärke sowie von der Viskosität η und der schen in einem Agarosegel mit mittlerem Elektroendos-
Dielektrizitätskonstante ε in der Doppelschicht: mosewert. Die Banden sind unscharf, die Nachweisemp-
findlichkeit ist aus diesem Grund ebenfalls gering.
Der Effekt des elektroosmotischen Flusses, die Elek-
ε ·ζ ·E
vEOF = (12.10) troosmose, stört auch bei der isoelektrischen Fokussie-
4 · π ·η rung mit freien Trägerampholyten (7 Abschn. 12.3.12):

Da der EOF pH-abhängig ist, führen unterschiedliche


Während der Elektrophorese tritt somit eine Strömung pH-Werte im System zu einer zusätzlichen Durchmi-
der flüssigen Phase auf. Bei der Gelelektrophorese spricht schung, sodass es in diesem Fall zu einem Auslaufen des
man hierbei von Elektroendosmose. So wie bei der Elek- pH-Gradienten kommt. Bei der Kapillarelektrophorese
trophorese das elektrische Feld die Wanderung geladener werden dagegen viele Trennungen auch bei hohem EOF
Teilchen im flüssigen Medium bewirkt, verursacht es bei durchgeführt, weil das elektroosmotische Flussprofil
der Elektroendosmose eine Bewegung einer ionischen stempelförmig ist und in einem offenen Rohr auch kei-
Lösung in der Nähe einer fixierten Ladung einer Ober- nen Beitrag zur Peakverbreiterung leistet.
Elektrophoretische Verfahren
271 12

elektrophoretische Wanderung

elektroosmotischer Fluss H3O+

pH > 7,0
+ –
Anode Gelmatrix mit negativen Ladungen
Kathode

– H3O+ –
COO–
COO– COO–
H3O+ – – H3O+
H3O+
COO– –
H3O+ – H3O+
H3O+ –
Si-O– Si-O–
Si-O–

Glas mit negativer Oberflächenladung

..      Abb. 12.5  Elektroendosmose: Bei pH-Werten über pH 7 werden xierte Ladungen trägt, entsteht im elektrischen Feld ein osmotischer
Siliciumoxid auf Glasoberflächen und Carboxylgruppen in Gelen Fluss, welcher der Elektrophoreserichtung entgegengesetzt ist
negativ geladen. Wenn die Matrix oder eine Apparateoberfläche fi-

Die gesamte Peakverbreiterung wird durch die Stan-


dardabweichung der Konzentrationsverteilung (σges) be-
schrieben und setzt sich aus den Einzelbeiträgen (Diffu-
sion, Injektion, Temperaturgradient, Elektroosmose,
Adsorption) entsprechend der Addition der Varianzen
zusammen:

σ ges
2
= σ Dif
2
+ σ Inj
2
+ σ T2 + σ EOF
2
+ σ Ads
2
+… (12.11)

Der Beitrag durch das Injektionsprofil lässt sich durch


Einsatz eines diskontinuierlichen Puffersystems deutlich
verringern, das eine isotachophoretische Probenkonzen-
trierung bewirkt (7 Abschn.  12.3.7). Der Temperatur-

..      Abb. 12.6  Trennergebnis in einem Agarosegel mit mittlerer einfluss kann durch eine effektive Kühlung und Proben-
Elektroendosmose. Die Proteinbanden sind unscharf adsorption durch Pufferzusätze verringert werden.

Für die elektrophoretische Trennung ist noch eine


12.3  Instrumentierung und Durchführung
weitere Größe von Bedeutung: die Dispersion. Um eine
maximale Auflösung zwischen den einzelnen Proben- von Gelelektrophoresen
komponenten zu erzielen, ist es wichtig, das Eingangs-
profil, d.  h. die Breite der aufgebrachten Probenzone, Im Folgenden wird die gängige Instrumentierung für
möglichst schmal zu halten und eine übermäßige Dis- die in den meisten Labors durchgeführten elektropho-
persion (Verbreiterung) dieser Eingangszone während retischen Verfahren in Gelmedien zusammengestellt.
des Trennprozesses zu verhindern. Im Idealfall trägt nur Spezialvorrichtungen und -apparaturen für präparative
Diffusion in Längsrichtung zur Peakdispersion bei, in Verfahren, Elektroelution, zweidimensionale Elektro­
der Praxis sind jedoch Beiträge durch Konvektion auf- phoresen, trägerfreie und Kapillarelektrophoresen wer-
grund von Temperaturgradienten, durch Elektroos- den in den entsprechenden Abschnitten beschrieben.
mose, Probenadsorption oder zu breite Probenaufgabe- Es werden drei Apparaturen benötigt: Stromversorger,
profile nicht völlig auszuschließen. Kühlthermostat und Elektrophoresekammer.
272 R. Westermeier und A. Görg

Bei Elektrophoresen in Gelen reicht das Spektrum Die Probentaschen in Flachgelen erzeugt man mithilfe
der verwendeten Stromversorger von maximal 200  V eines Kamms, der beim Gelgießen zwischen die beiden
und 400 mA bis maximal 5000 V und 150 mA, je nach Glasplatten eingesetzt wird. . Abb. 12.7C zeigt ein ty-

der angewendeten Methode. Sehr praktisch sind pro- pisches Trennergebnis einer Vertikalelektrophorese.
grammierbare Stromversorger, da manche Methoden Bei horizontalen Systemen verwendet man meist
nur dann optimal funktionieren, wenn nacheinander Gele, die auf inerte Folien aufpolymerisiert sind, dabei
verschiedene Spannungs- und Stromwerte angelegt wer- ist die Oberfläche offen (. Abb.  12.8A). Die Proben

den. Moderne Stromversorger müssen eine Reihe von werden direkt in Probenwannen, die bei der Gelherstel-
Sicherheitsauflagen erfüllen. lung durch eine Schablone erzeugt werden, einpipettiert
Bei der Elektrophorese entsteht Joule‘sche Wärme, oder mit Lochbändern oder Papierstückchen aufgege-
die abgeführt werden muss. Zudem sind viele Proteine ben. Da die Gele bei der Trennung nicht hermetisch ein-
wärmeempfindlich, sodass die Trennung bei niedrigen geschlossen werden, kann man auf einer Apparatur
Temperaturen erfolgen muss. Mit gekühlten Kammern ohne weiteres unterschiedlich große Gele laufen lassen.
und definierten Temperaturen erhält man bessere und re- Hierbei braucht man keine großen Puffervolumina und
produzierbarere Ergebnisse als mit nicht kühlbaren. Die Tanks, die Elektrophoresen funktionieren mit Filterge-
Durchführung einer Elektrophorese im Kühlraum ist webestreifen, welche in konzentrierten Puffern getränkt
keine gute Alternative, da Luft ein schlechter Wärmelei- worden sind. Bei der Horizontalkonstruktion hat man
ter ist. Die Verwendung von Leitungswasser zur Küh- keine Probleme mit der Abdichtung der Pufferkam-
lung ist erstens zu ungenau und zweitens eine Verschwen- mern, man benötigt keine Glasplatten und Abstands-
dung von Trinkwasser. Die Gele werden besser mit einem halter. Als besonderer Vorteil erweist sich, dass dünnere
Umlaufkryostaten direkt über eine Kühlplatte oder in- Gelschichten verwendet werden können als bei Vertikal-
direkt über den Anoden- oder Kathodenpuffer gekühlt. apparaten. Dünnere Gele auf Folien können effektiver
Elektrophoretische Verfahren werden in vertikalen gekühlt werden als Vertikalgele; dadurch erzielt man
und horizontalen Elektrophoresekammern durchge- schnellere Trennläufe und schärfere Zonen als in dicken
führt. Bei vertikalen Systemen sind die Gele vollständig Gelen in Glaskassetten. Dies wirkt sich besonders vor-
von Glasröhrchen oder Glasplatten und den Puffern teilhaft für die hochauflösende Zweidimensional-­
eingeschlossen (. Abb. 12.7A und B). Die Proben wer-
  Elektrophorese aus. In . Abb.  12.8B ist ein Elektro-

12 den oben auf das Gel entweder in die Röhrchen oder in phoreseturm mit Schubladen-Kühlplatten für multiple
Geltaschen aufgetragen, indem man sie mit Saccharose Horizontaltrennungen dargestellt.
oder Glycerin beschwert und mit einer Spritze oder Mi- Bei den meisten Gelelektrophoresetechniken werden
kropipette unter den Kathodenpuffer unterschichtet. hohe Spannungen über 200 V angelegt, um die für die

..      Abb. 12.7 Vertikale A B Kathode


Elektrophoreseapparaturen. A Kathode
Proben Probentaschen
Rundgelapparatur für Polyacry-
lamid-Gelelektrophoresen und Kathoden- Gelschicht Kathoden-
isoelektrische Fokussierungen. B puffer Gummi- zwischen puffer
Flachgelapparatur für Polyacry- Gelstäbe in dichtungen zwei
lamid-Gelelektrophoresen. Die Glasröhrchen Glasplatten
Probentaschen werden bei der Anode Kühlsystem
Gelherstellung mithilfe eines Anoden-
Kamms erzeugt. C Trennergeb- puffer
nis einer Vertikalelektrophorese, Anode
Anfärbung mit Coomassie-Bril- Anoden-
lantblau puffer
C
Elektrophoretische Verfahren
273 12
A B Anschlüsse für
Stromversorger
Kathodenpuffer
konzentriert in Elektrodendeckel
Filtergewebestreifen
Elektroden-
Anode deckel Schläuche
zum
Kathode Kryostaten
Kühlplatten-
schubladen Umschalter
Bypass -
Kühlung
Gelschicht auf
Trägerfolie Anodenpuffer
Kühlplatte
konzentriert in
Filtergewebestreifen

..      Abb. 12.8  Horizontales Elektrophoresesystem. Hiermit erreicht lektrophoresen. Während der Beladung der Kühlplatten mit Gelen
man eine sehr effektive Kühlung. A Meist verwendet man Gele auf und Proben wird die interne Kühlung vom Umlaufkryostaten abge-
Trägerfolie. Die Elektroden werden von oben auf die Elektroden- koppelt („Bypass“), um zu verhindern, dass sich Kondenswasser-
streifen aufgelegt, die mit konzentriertem Elektrodenpuffer getränkt tröpfchen auf der Geloberfläche bilden können. Wenn die Elektro-
sind. B Turm mit Schubladen-Kühlplatten für multiple Horizontale- dendeckel aufgelegt sind, wird der Kühlkreislauf zusammengeschaltet

Trennung notwendigen Feldstärken zu erreichen. Um filtrieren und/oder zentrifugieren. Manche Proteine und
die Sicherheit im Labor nicht zu gefährden, sollten fol- Enzyme sind gegenüber bestimmten pH-Werten oder
gende Sicherheitshinweise berücksichtigt werden: Puffersubstanzen empfindlich, dabei kann es zu Konfi-
gurationsänderungen, Denaturierungen, Komplexbil-
dungen und zwischenmolekularen Wechselwirkungen
Elektrophoresen
kommen.
dürfen nur in geschlossenen Trennkammern durchge-
Elektrophoresen sind empfindlich gegenüber Salzen
führt werden. Kabel und Stecker müssen für Gleich-
und hohen Pufferkonzentrationen in der Probe, weil da-
strom mit hohen Spannungen richtig dimensioniert
durch zusätzlich Ionen in das System gelangen. Die
und isoliert sein. Außerdem sollen sich die Stromver-
Salzkonzentrationen sollen unter 50 mmol l−1 sein. Falls
sorger bei Kurzschlüssen sofort selbstständig ausschal-
nötig werden zur Verbesserung der Löslichkeit nichtio-
ten. Die Elektrophoreseapparaturen müssen an einem
nische Chaotrope wie Harnstoff in hohen Konzentratio-
trockenen Platz stehen und müssen so aufgestellt wer-
nen in der Probe und im Gel zugesetzt. Die Löslichkeit
den, dass eventuell auslaufender Puffer nicht in den
hydrophober Proteine wird zusätzlich durch nichtioni-
Stromversorger gelangen kann. Die Stromanschlüsse
sche Detergenzien (z. B. Triton X-100) oder zwitterioni-
der Trennkammern sind sicherheitshalber so platziert,
sche Detergenzien (z. B. CHAPS) gesteigert.
dass bei versehentlichem Öffnen der Kammern auto-
matisch der Stromkreis unterbrochen wird.

12.3.2 Gelmedien für Elektrophoresen


Zur Auswertung der Elektropherogramme in Gelen
und auf Membranen werden Densitometer, Videokame- Gelmedien können selbst hergestellt werden. Es gibt je-
ras oder Desktopscanner verwendet, welche die Ergeb- doch auch eine ganze Reihe von Firmen, die fertige Gele
nisse in digitale Signale umsetzen. Die Trennungen wer- und Puffer in verschiedenen Größen und für unter-
den dann mit Personalcomputern und der geeigneten schiedliche Methoden anbieten. Die Herstellung von
Software quantitativ und qualitativ evaluiert. Die Daten Gradientengelen wird in 7 Abschn. 12.3.5 beschrieben.

können mit Datenbanken im eigenen Computer oder in Agarosegele sind relativ großporig: 150  nm Poren-
einem Netzwerk verglichen und dort abgespeichert wer- größe bei 1 % (g ml−1) bis 500 nm bei 0,16 %. Agarose ist
den. ein Polysaccharid und wird aus roten Meeresalgen durch
Entfernen des Agaropectins hergestellt. Die Charakteri-
sierung des Agarosetyps erfolgt durch die Schmelztem-
12.3.1 Probenvorbereitung peratur (35–95 °C) und den Grad der Elektroendosmose
(mr-Wert), der von der Anzahl der polaren Restgruppen
Die Proteinlösungen dürfen keine festen Partikeln oder abhängig ist. Agarosepulver wird durch Aufkochen in
Fetttröpfchen enthalten, weil sie die Poren der Matrix Wasser gelöst und geliert beim Abkühlen. Dabei bilden
verstopfen und die Trennung stören. Deshalb sollte man sich aus dem Polysaccharidsol Doppelhelices, die sich in
die Proteinlösungen vor der Elektrophorese entfetten, Gruppen zu relativ dicken Fäden zusammenlagern
274 R. Westermeier und A. Görg

(. Abb.  12.9). Diese Struktur verleiht den Agarosege-



( g Bis ·100 )
len hohe Stabilität bei großen Porendurchmessern. C ( in % ) =
g Acrylamid + g Bis (12.13)

Vorteile der Agarosegele Ein Gel mit 5 % T und 3 % C hat einen Porendurchmes-
Sie sind ungiftig, einfach herzustellen und ideal zur ser von 5,3 nm, eines mit 20 % T von 3,3 nm. Bei kons-
Trennung hochmolekularer Proteine über 500 kDa. Da tantem C und steigendem T werden die Poren kleiner.
die Poren so groß sind, dass Immunglobuline eindif- Bei hohen und niedrigen C-Werten erhält man große
fundieren können, sind spezifische Nachweise von Pro- Poren, das Minimum liegt bei C = 5 %. Allerdings sind
teinen im Gel durch Immunfixation möglich. Gele mit C > 5 % spröde und hydrophob. Sie werden nur
in Sonderfällen verwendet.

Nachteile der Agarosegele Vorteile der Polyacrylamidgele


Sie sind niemals ganz elektroendosmosefrei, haben Sie sind sehr stabil und klar, haben fast keine Elektro-
niedrige Siebwirkung für Proteine unter 100 kDa und endosmose, bieten gute Siebwirkung über einen weiten
sind nicht ganz klar. Bei hochempfindlichen Nachweis- Trennbereich und sind nach der Trennung einfach auf-
techniken wie der Silberfärbung kommt es zu einer zubewahren. Sie eignen sich für viele Färbemethoden.
starken Hintergrundfärbung.

Die Gele werden in der Regel durch Ausgießen der Aga- Nachteile der Polyacrylamidgele
roselösung auf eine horizontale Glasplatte oder Träger- Die Monomere sind toxisch (Haut und Nervengift),
folie hergestellt. Die Geldicke ergibt sich dabei aus dem die Porengröße ist limitiert: Proteine über 800  kDa
Volumen der Lösung und der Fläche, auf die sie verteilt können nicht in das Gel einwandern. Basische Gele
wird. können nur kurze Zeit gelagert werden, da sie mit der
Polyacrylamidgele sind chemisch inert und beson- Zeit hydrolysiert werden.
ders stabil. Durch chemische Kopolymerisation von
12 Acrylamidmonomeren mit einem Vernetzer, meist N,N′- Die Polymerisation erfolgt unter Luftabschluss, da Sau-
Methylenbisacrylamid (Bis, . Abb.  12.10) erhält man

erstoff zum Kettenabbruch führt. Die Gele werden zur
ein klares, durchsichtiges Gel mit sehr geringer Elektro- Minimierung der Sauerstoffaufnahme meist in vertika-
endosmose. Die Porengröße wird durch die Totalacryla- len Gießständen polymerisiert: Rundgele in Glasröhr-
midkonzentration T und den Vernetzungsgrad C (von chen; Flachgele in Küvetten, die durch zwei Glasplatten
engl. crosslinking) definiert (g = Gramm Einwaage): und Dichtungen gebildet werden. Gele für Horizontal-
systeme werden auf eine Trägerfolie aufpolymerisiert
( g Acrylamid + g Bis ) ·100 und zur Trennung aus der Gießküvette entnommen.
T ( in % ) = (12.12)
100 ml Die Polymerisationseffektivität ist abhängig von

Temperatur, pH-Wert in der Lösung, T-Wert, Katalysa-
HO O
torkonzentration und Konzentration und Art von Zu-
CH2OH
O
satzstoffen. Die Gele sollten erst einen Tag nach ihrer
O
OH Herstellung verwendet werden, da es eine langsame
O O O Nachpolymerisation gibt.
OH

12.3.3  achweis und Quantifizierung


N
der getrennten Proteine
Die Proteine können direkt im Gel mit organischen
Farbstoffen detektiert werden. Ein seit den
­Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts viel verwende-
ter Farbstoff ist Coomassie-Blau (. Abb. 12.1), ein Tri-

phenylmethanfarbstoff, der ursprünglich für die Fär-


bung von Seide und Wolle verwendet wurde. Es gibt
verschiedene Varianten von Färbeprotokollen. Im ein-
fachsten Fall wird das Gel in eine Lösung von 0,02  %
..      Abb. 12.9  Struktur eines Agarosegels
Elektrophoretische Verfahren
275 12
CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH
C O + C O C O C O C O C O C O
NH2 NH NH2 NH2 NH NH2 NH2
Acrylamid CH2 CH2
NH NH
C O C O
CH2 CH CH2 CH [CH2 CH]x CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH
Bis C O C O C O C O C O
NH NH2 NH2 NH2 NH
CH2 CH2
NH NH
C O C O
CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH CH2 CH
CH2 CH C O C O C O C O
H2N C O NH2 NH2 NH2 NH2

..      Abb. 12.10  Struktur eines Polyacrylamidgels

Coomassie-Blau in 10 % Essigsäure bei 50 °C eingelegt. lösung erreicht. Auch bei der Silberfärbung gibt es eine
Die Proteine werden dabei zugleich durch die Essigsäure Anzahl von verschiedenen Protokollen, die sich in der
fixiert. Der überschüssige Farbstoff wird dann bei Handhabbarkeit, Schnelligkeit und Empfindlichkeit un-
Raumtemperatur mit 10 % Essigsäure entfärbt. Man er- terscheiden und immer weiter optimiert werden. Bei al-
reicht bei dieser Methode, je nach Farbstoffbindevermö- len Silberfärbungen muss auf peinlichste Sauberkeit ge-
gen der verschiedenen Proteine, Nachweisempfindlich- achtet werden, d.  h. es muss mit Handschuhen und
keiten von 100 ng bis 1 μg. Andere Protokolle sind auf reinsten Chemikalien und Lösungsmitteln gearbeitet
höhere Empfindlichkeit (bis 30 ng Protein) oder größere werden, da wegen der Empfindlichkeit der Methode alle
Schnelligkeit optimiert. Die höchste Nachweisempfind- Verunreinigungen zu hohem Hintergrund oder Artefak-
lichkeit erreicht man mit kolloidaler Coomassie-­Blau-­ ten führen. Sollen Proteinflecken oder -banden später
Anfärbung, die allerdings mehrere Tage in Anspruch mit Massenspektrometrie untersucht werden, muss man
nehmen kann. auf die meist übliche Vernetzung der Proteine mit dem
Ein ebenfalls häufig eingesetzter Nachweis von Pro- Gel durch Glutaraldehyd verzichten.
teinen ist die Silberfärbung. Sie ist deutlich empfindli- Für eine spätere Analyse der separierten Proteine
cher als die Coomassiefärbung und erreicht Nachweis- mit Western-Blotting oder Massenspektrometrie sind
grenzen von Subnanogrammmengen von Protein. Detektionsmethoden interessant, welche statt der Pro-
Bei der Silberfärbung werden die Proteine mit Essig- teine nur den Hintergrund anfärben. Solch eine Nega-
säure und Ethanol im Gel fixiert, mehrfach mit Wasser tivfärbung erhält man durch die Erzeugung eines Salz-
gewaschen und dann in eine Silbernitratlösung einge- komplexes aus SDS, Imidazol und Zinksulfat, welcher
legt. Einige Silberionen werden von den Proteinen ge- einen weißen opaken Hintergrund erzeugt, der aber in
bunden und durch Reduktion in Silberkeime umgewan- Gegenwart einer Proteinzone löslich bleibt. Die Nach-
delt, initiiert von den funktionellen Gruppen und den weisempfindlichkeit liegt zwischen der Coomassiefär-
Peptidbindungen. In einem Mechanismus ähnlich der bung und der Silberfärbung. Allerdings ist die Quanti-
Fotografie werden nun durch starke Reduktionsmittel fizierung der Proteinzonen problematisch, weil ja nicht
alle Silberionen im Gel zu metallischem Silber reduziert. das Protein, sondern der Hintergrund angefärbt wird.
Dies findet in der Nähe der Silberkeime viel schneller Das Salzpräzipitat kann mit konzentrierter EDTA-Lö-
statt als im übrigen Gel, und daher färben sich die Pro- sung wieder aufgelöst werden, sodass zum gewünsch-
teinbanden schnell dunkelbraun bis schwarz. Damit ten Zeitpunkt ein Western-Blot durchgeführt werden
nicht alle Silberionen im gesamten Gel zu metallischem kann.
Silber reduziert werden, muss die Reaktion rechtzeitig Fluoreszenzfärbungen mit Metallchelaten (z. B. SY-
gestoppt werden, was man gewöhnlich durch eine starke PRO Ruby) oder einem Fluorophor des Fungus Epi-
pH-Änderung mit verdünnter Essigsäure oder Glycin- coccum nigrum (z. B. Lava Purple) ergeben quantitative
276 R. Westermeier und A. Görg

Ergebnisse über einen sehr weiten linearen Konzen­ Gels gemessen und computerunterstützt verarbeitet
trationsbereich. Gleichzeitig ist die Nachweisempfind- (Scanner). Bei eindimensionalen Gelen erhält man eine
lichkeit sehr hoch, sie erreicht die Empfindlichkeit der Kurve der Extinktion ln I0/I über die Gellänge, wobei I0
Silberfärbung. Es ist auch möglich, Proteine vor der die eingestrahlte Intensität und I die am Detektor ge-
Trennung mit Fluoreszenzfarbstoffen zu markieren, die messene Intensität darstellen. Bei der Auswertung
entweder an Lysin oder Cystein binden. Wenn Fluores- zweidimensionaler Gele wird die Extinktion als Funk-
zenzfarbstoffe verwendet werden, die sich deutlich in ih- tion der Gelfläche dargestellt, etwa wie bei einer Land-
ren Anregungs- und Emissionswellenlängen unterschei- karte mit Höhenlinien. Dabei entspricht jeder Position
den, können verschieden markierte Proben gemischt auf der Gelfläche eine Extinktion als dritte Dimension
und zusammen in einem Gel aufgetrennt werden. Zur (die Höhenlinie). Als Lichtquellen werden Laser ver-
Detektion der Fluoreszenzfarbstoffe und -marker benö- wendet oder Weißlichtlampen, die durch entsprechende
tigt man Fluoreszenzscanner oder -kamerasysteme. Die Filter auf den optimalen Wellenlängenbereich einge-
meisten Fluoreszenzfärbungen und -markierungen sind stellt werden.
kompatibel mit darauf folgenden massenspektrometri-
schen Analysen.
Sehr empfindlich können auch Nachweismethoden Nach dem Lambert-Beer‘schen Gesetz nimmt die Ex-
sein, die spezifische Eigenschaften von Proteinen aus- tinktion einer verdünnten Lösung linear zur Konzent-
nutzen. So können Enzyme direkt im Gel nachgewiesen ration zu. Bei der Densitometrie von elektrophoreti-
werden, indem man das Gel in eine Lösung mit einem schen Banden oder Spots stimmt dieser Zusammenhang
spezifischen Substrat legt, an das ein Diazofarbstoff aber nicht mehr, da dort die Proteinkonzentration sehr
gekoppelt ist. Auch Glykoproteine oder Lipoproteine hoch ist und die Färbung in eine Sättigung übergeht,
können über spezifische Färbungen im Gel erkannt sodass über bestimmten Absorptionswerten (Extink-
werden. tion > 2,5 bei Weißlichtscannern und > 4 bei Laser-
Falls Antikörper gegen interessierende Proteine vor- scannern) hyperbolische oder sigmoidale Abhängig-
handen sind, können diese auch zum spezifischen Nach- keiten beobachtet werden. Dazu trägt bei, dass
weis und eventuell sogar zur Quantifizierung über im- während der Färbung starker Spots in der Gelumge-
munologische Verfahren verwendet werden. Dabei ist bung relativ weniger Farbstoff zur Verfügung steht als
12 der große Vorteil, dass nur das Antigen erkannt wird bei schwachen Spots, die daher eine für sie maximale
Menge an Farbstoff binden können  – deswegen wer-
und so auch ohne vollständige Aufreinigung Aussagen
über ein einzelnes Protein in einem komplexen Gemisch den schwache Spots in ihrer Menge oft überschätzt
möglich sind. und große Proteinmengen unterschätzt.
Die empfindlichste Nachweismethode für elektrop-
horetisch getrennte Proteine, die radioaktiv markiert Die Auswertung erfolgt nach Eichung der Geräte über
sind, sind die Autoradiographie und die Fluorographie. fotografische Graukeile über die Proportionalität der
Nach der Elektrophorese wird die radioaktive Emission Proteinkonzentration und der Bandenintensität im Falle
der Proteinbanden über die Schwärzung von Röntgen- von eindimensionalen Gelen oder des Spotvolumens im
filmen sichtbar gemacht. Die Empfindlichkeit dieser Falle von zweidimensionalen Gelen.
Methode übertrifft alle anderen bisher besprochenen Die Auflösung eines Densitometers hängt von der
Nachweismethoden um mehrere Größenordnungen. Breite des Lichtstrahls, von der Fokussierung des Licht-
strahls und von der Schrittweite der einzelnen Messun-
Densitometrie  Fast immer müssen die gelelektrophore- gen ab. Je breiter ein Lichtstrahl ist, desto eher wird er
tisch aufgetrennten und gefärbten Proteine quantitativ mehr als eine Bande erfassen und Maxima, Minima und
bestimmt werden. Die quantitative Auswertung von Fär- schmale getrennte Banden nicht mehr richtig darstellen.
bungsintensitäten ist aber mit dem bloßen Auge praktisch Die Breite des Lichtstrahls kann aber nicht beliebig
unmöglich. Dazu müssen sog. Densitometer eingesetzt klein gemacht werden, da sonst die Intensität abnimmt
werden, mit denen die Lichtabsorption einer elektropho- und dies die Messergebnisse verschlechtert. Das Opti-
retischen Bande oder eines Proteinspots in einem Gel ge- mum für Weißlicht liegt etwa bei 100  μm Strahlbreite,
messen werden kann. bei Laserlicht bei 50 μm.
Im Prinzip wird eine bewegliche Lichtquelle über Weißlichtstrahlen werden mit optischen Linsen auf
das Gel geführt und die Absorption an jeder Stelle des die Geloberfläche fokussiert und geben daher bei dicke-
Elektrophoretische Verfahren
277 12
ren Gelen eine schlechtere Auflösung. Hier hat das Bei Proteinen versucht man daher immer die Molekül-
hochparallele Laserlicht Vorteile. Wichtig für optimale größe, das Molekulargewicht oder den isoelektrischen
Ergebnisse ist auch die Schrittweite des Densitometers, Punkt zu bestimmen.
d. h. der Abstand zwischen zwei Messungen, der kleiner
als die Breite des Lichtstrahles sein sollte. Für die De-
Bei Proteinen kann wegen ihrer unterschiedlichen drei-
tektion von Fluoreszenzsignalen werden Densitometer
dimensionalen Strukturen nicht von der Molekülgröße
mit konfokaler Optik eingesetzt, weil der Farbstoff hier-
auf das Molekulargewicht geschlossen werden.
bei optimal angeregt und das bei Fluoreszenz auftre-
tende Streulicht ausgeschaltet wird.
Die Auswertung vor allem von zweidimensionalen
Gelen erfolgt heute ausschließlich computerunter- Der Ferguson-Plot  Bei der Elektrophorese im restrikti-
stützt, wobei spezialisierte Softwarepakete die Sub- ven Gel sind die elektrophoretischen Mobilitäten der Pro-
traktion der Hintergrundfärbung, die Spoterkennung, teine sowohl von der Anzahl ihrer Nettoladungen als
Quantifizierung und die Dokumentation übernehmen. auch vom Molekülradius abhängig. Dennoch kann man
Mit neuen, in den letzten Jahren entwickelten Algorith- mit dieser Methode auch physikochemische Parameter
men für die Bildanalyse wurde die stark personenbezo- von Proteinen bestimmen: Man trennt die Proben unter
gene manuelle Nachbearbeitung der Spoterkennung identischen Puffer-, Zeit- und Temperaturbedingungen,
und der Hintergrundsubtraktion auf ein absolutes Mi- jedoch in Gelen unterschiedlicher Konzentrationen auf.
nimum reduziert. Auch für den Vergleich von Protein- In den verschiedenen Gelen erhält man unterschiedliche
mustern verschiedener Gele, zwischen denen  – tech- Laufstrecken. Man bestimmt jeweils die relative Mobilität
nisch bedingt  – immer kleine Unterschiede und mr. Trägt man die mr-Werte des Proteins logarithmisch
Verzerrungen existieren, kann diese Software genutzt über den Gelkonzentrationen auf, so ergibt sich eine Ge-
werden. Die Qualität der Resultate hängt aber weitge- rade.
hend von der Qualität der Gele ab. Die Steigung der Geraden (. Abb.  12.11) ist ein

Maß für die Molekülgröße und ist definiert als der Re-
tardationskoeffizient, der KR-Wert. Bei globulären
12.3.4 Zonenelektrophorese Proteinen besteht eine lineare Beziehung zwischen KR
und dem Molekülradius r (Stokes-Radius), damit kann
Das Trennprinzip der Zonenelektrophorese beruht auf man die Molekülgröße aus der Steigung der Geraden
den unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeiten berechnen. Wenn die freie Mobilität und der Molekül-
der geladenen Teilchen im elektrischen Feld. Die elek- radius bekannt sind, kann man auch die Nettoladung
trophoretische Mobilität ist abhängig von der Ladung, berechnen. Bei Proteingemischen lassen sich aufgrund
Größe und Form der Proteine. In einem restriktiven Me- der Lage der Proteingeraden folgende Aussagen ma-
dium ist die Mobilität stärker vom Moleküldurchmesser chen:
abhängig als in einem großporigen Medium. Die La- 55 Parallele Geraden treten bei Proteinen mit identi-
dung wird beeinflusst vom pH-Wert des Puffers und der scher Größe, aber unterschiedlicher Nettoladung
Temperatur. In den meisten Fällen werden basische Puf- auf, z. B. bei Isoenzymen (. Abb. 12.11A).

fer verwendet, die Proteine sind dann negativ geladen 55 Schneiden sich mehrere Geraden in einem Punkt,
und wandern in Richtung Anode. Die relative elektrop- der sich im Bereich T < 2 % befindet, liegen verschie-
horetische Mobilität bestimmt man, indem man einen dene Polymere eines Proteins mit gleicher Nettola-
ionischen Farbstoff, z. B. Bromphenolblau, als Standard dung, aber unterschiedlichen Molekülgrößen vor
mitlaufen lässt. (. Abb. 12.11B).

In der Praxis werden Feldstärken von 10–100 V cm−1 55 Schneiden sich Geraden mit unterschiedlicher Stei-
verwendet. Die Trennzeiten erstrecken sich je nach gung nicht, ist das Protein der oberen Gerade kleiner
Trennproblem und Apparatekonstruktion von dreißig und stärker geladen als das andere (. Abb. 12.11C).

Minuten bis über Nacht. Die elektrophoretischen Mo- 55 Kreuzen sich die Geraden im Bereich über T = 2 %,
bilitäten werden meist als interne Zwischenwerte ver- ist das Protein, welches die y-Achse weiter oben
wendet. Typische Werte findet man selten in der Litera- schneidet, größer und stärker geladen als das andere
tur, weil dazu viele Parameter definiert werden müssen. (. Abb. 12.11D).

278 R. Westermeier und A. Görg

..      Abb. 12.11  Beim Fergu- A B


son-Plot trennt man die gleichen 200 200
Proben in Nativgelen mit

100 log (mr · 100)

100 log (mr · 100)


unterschiedlichen Porengrößen
auf. Trägt man die Logarithmen
der relativen Laufstrecken über 150 150
LDH1
den Gelkonzentrationen auf,
ergeben sich Geraden. Zur LDH2
Interpretation von A, B, C und
D siehe Text
100 100

2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14
Gelkonzentration (% T ) Gelkonzentration (% T )
C D
200 200
Ferritin
100 log (mr · 100)

100 log (mr · 100)


150 150
Ovotransferrin

100 100

2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14
Gelkonzentration (% T ) Gelkonzentration (% T )

12.3.5 Porengradientengele konzentrierte Lösung zu, dann nimmt die Konzentra-


tion in der Polymerisationskassette von unten nach oben
12 Molekülgrößen von Proteinen kann man auch in Poren- ab (. Abb. 12.12).

gradientengelen ermitteln. Diese Gradienten erhält man Damit sich die Schichten in der Kassette nicht vermi-
durch kontinuierliche Veränderung der Monomerkonzen- schen, wird die hochkonzentrierte Lösung mit Glycerin
tration in der Polymerisationslösung. Wählt man die Mo- oder Saccharose beschwert. Verwendet man eine offene
nomerkonzentration und den Vernetzungsgrad hoch ge- Mischkammer, erhält man einen linearen Gradienten.
nug, bleiben die Proteine im stets engmaschiger werdenden Dann gilt das Prinzip der kommunizierenden Röhren: Es
Gelnetzwerk je nach Größe an bestimmten Stellen stecken. fließt halb so viel leichte Lösung nach, wie aus der Misch-
Die Wanderungsgeschwindigkeiten der einzelnen Protein- kammer ausfließt, damit sind beide Flüssigkeitsniveaus
moleküle sind auch von ihren Ladungen abhängig, des- immer gleich hoch. Mit einem Stab im Reservoir kompen-
halb muss die Elektrophorese so lange dauern, bis auch siert man das Volumen des Magnetkernes und den Dich-
das Protein mit der niedrigsten Ladung seinen Endpunkt teunterschied zwischen den Lösungen.
erreicht hat. Strukturproteine nehmen im Verhältnis zu Für exponentielle Gradienten wird die Mischkammer
ihrer Masse ein größeres Volumen ein als dicht gepackte mit einem Stempel verschlossen. Weil das Volumen in der
globuläre Proteine und bleiben in der enger werdenden Mischkammer konstant bleibt, fließt so viel leichte Lö-
Matrix früher stecken. Deshalb kann man ihre Laufstre- sung nach wie aus der Mischkammer ausfließt.
cken nicht mit den Molekulargewichten korrelieren.
Für die Herstellung von Gelen mit linearen oder ex-
ponentiellen Porengradienten sind mehrere Methoden 12.3.6 Puffersysteme
entwickelt worden. Hier wird die einfachste beschrieben:
Man benötigt zwei Polymerisationslösungen mit unter- Für Proteine mit isoelektrischen Punkten im sauren und
schiedlichen Monomerkonzentrationen. Während des neutralen pH-Bereich kann man homogene Puffer wie
Gelgießens setzt man mithilfe eines Gradientenmischers Tris-HCl oder Tris-Glycin pH 9,1, Tris-Barbiturat und
der hochkonzentrierten Lösung kontinuierlich nieder- Tris-Tricin pH 7,6 verwenden. Für basische Proteine be-
Elektrophoretische Verfahren
279 12
nötigt man saure Puffer wie Glycinacetat pH  3,1 oder 12.3.7 Disk-Elektrophorese
Aluminiumlactat pH 3,1 und lässt die Trennung in Rich-
tung Kathode laufen. Wenn engporige Polyacrylamid- Mit der diskontinuierlichen Elektrophorese verhindert
gele verwendet werden, kann es beim Probeneintritt man das Aggregieren von Proteinen beim Eintritt in das
zum Aggregieren und Präzipitieren eines Teils der Pro- Gel und erhält schärfere Banden. Die Gelmatrix wird
teine kommen. hierfür in zwei Bereiche eingeteilt: das engporige Trenn-
gel und das weitporige Sammelgel. Außerdem kombi-
Kompensationsstab niert man verschiedene Puffer miteinander.
Das Tris-Chlorid/Tris-Glycin-System, ursprünglich
entwickelt von Ornstein und Davis, wird sehr häufig ein-
gesetzt und soll deshalb exemplarisch beschrieben werden
(. Abb. 12.13): Das Trenngel enthält 0,375 mol l−1 Tris-

HCl pH  8,8, das Sammelgel 0,125  mol l−1 Tris-­HCl


Mischkammer pH  6,8. Dieser pH-Wert liegt sehr nahe beim isoelektri-
schen Punkt des Glycins im Elektrodenpuffer. Dadurch
hat Glycin zu Beginn der Trennung eine sehr niedrige elek-
trophoretische Mobilität (Folgeion). Die Chloridionen in
Magnetkern den Gelpuffern haben hingegen eine sehr hohe Mobilität
(Leition). Wenn man das Proteingemisch zwischen diesen
Reservoir
Ionen auf das weitporige Sammelgel aufträgt, liegen die
Mobilitäten der Proteinionen zwischen denen der Leit-
Polymerisations- und Folgeionen.
Kassette Beim Anlegen des elektrischen Feldes beginnen in
diesem diskontinuierlichen System alle Ionen mit der
gleichen Geschwindigkeit zu wandern. Diesen Vorgang
nennt man Isotachophorese. Keines der Ionen kann auf-
grund seiner Mobilität schneller oder langsamer wan-
dern als die anderen, weil sich sonst eine Lücke zwischen
den Ionen ergeben würde. Im Bereich der Ionen mit ho-
..      Abb. 12.12  Gießen eines linearen Gradientengels. Zur Stabilisie- her Mobilität (Leition) stellt sich eine niedrige Feld-
rung des Gradienten wird die Lösung in der Mischkammer mit Sac- stärke ein. Im Bereich der Ionen mit niedriger Mobilität
charose oder Glycerin beschwert. Damit das Flüssigkeitsniveau in (Folgeion) ist die Feldstärke automatisch sehr hoch. So-
den beiden kommunizierenden Gefäßen gleich bleibt, fließt ständig
mit befinden sich die Proteinionen in einem Feldstärke-
halb so viel Flüssigkeit aus dem Reservoir in die Mischkammer, wie
von dort in die Polymerisationskassette fließt. Dort erfolgt eine kon- gradienten und bilden während der Wanderung einen
tinuierliche Überschichtung der Lösung mit abnehmender Dichte Stapel in der Reihenfolge ihrer Mobilitäten (Stapelef-

A Probenaufgabe
g B Proteinkonzentrierung
g C Trennung der Proteine
und Start im Sammelgel im Trenngel

Tris-Glycin Tris-Glycin Tris-Glycin


– –
Probe
Tris-Cl– pH 6,8
Sammelgel
0,125 molar Protein-Stapel

pH 9,5

Tris-Cl– pH
8,8 Trenngel
0,375 molar
Puffer-Front

Tris-Cl– + Tris-Cl– + Tris-Cl–

..      Abb. 12.13  Das Prinzip der diskontinuierlichen Elektrophorese: rung ein Proteinionen-Stapel erzeugt, der sich bei Erreichen der
A Die Probe wird auf ein weitporiges Sammelgel zwischen Chlorid- Kante des engporigen Trenngels schlagartig auflöst (C). Ab diesem
ionen mit hoher Mobilität und Glycinionen mit niedriger Mobilität Moment erhält man automatisch eine Zonenelektrophorese mit
aufgetragen. B Im elektrischen Feld wird während der Ionenwande- scharfen Proteinzonen
280 R. Westermeier und A. Görg

fekt oder Stacking-Effekt): Die Proteinionen mit der


höchsten Mobilität folgen unmittelbar dem Leition, die
mit der niedrigsten Mobilität werden vor den Folgeio-
nen her geschoben. Im elektrischen Feld gibt es eine Re-
gulationsfunktion: Wandert eine Komponente in die
Zone höherer Mobilität, befindet sie sich im Bereich
niedrigerer Feldstärke und fällt zurück, wandert eine
Komponente zu langsam, wird sie durch die höhere
Feldstärke in diesem Bereich nach vorne beschleunigt.
Der Stapeleffekt hat mehrere Vorteile: Die Proteine
wandern langsam in die Gelmatrix und aggregieren da-
mit nicht mehr, es erfolgt eine Vortrennung und Aufkon-
zentrierung der Zonen beim Start.
Der Proteinstapel bewegt sich relativ langsam mit
konstanter Geschwindigkeit in Richtung Anode, bis er
an die Grenzschicht des engporigen Trenngels gelangt.
Die Proteine erfahren plötzlich einen hohen Reibungs-
widerstand, es gibt einen Stau, der zur weiteren Zo- ..      Abb. 12.14  Saure Nativ-Polyacrylamidgelelektrophorese von al-
nenschärfung führt. Das niedermolekulare Glycin koholischen Weizenextrakten
wird davon nicht beeinflusst und überholt die Proteine.
Jetzt befinden sich die Proteine plötzlich in einem ho- 12.3.8 Saure Nativelektrophorese
mogenen Puffer, dadurch löst sich der Stapel auf, und
die einzelnen Komponenten beginnen sich nach dem Es gibt eine Reihe von Fragestellungen, bei denen basi-
zonenelektrophoretischen Prinzip aufzutrennen. Die sche Proteine getrennt werden müssen, z. B. bei der Sor-
Folge der Proteinionen arrangiert sich neu, weil im tendifferenzierung oder -identifizierung von Getreide.
engporigen Trenngel die Molekülgröße einen erhebli- Hierzu benötigt man ein saures Puffersystem, in dem
chen Einfluss auf die Mobilität hat. Die Proteine er- diese Proteine positiv geladen sind und zur Kathode
12 halten höhere Nettoladungen, weil der pH-Wert auf wandern. In . Abb.  12.14 ist eine saure Nativelektro-

pH 9,5 steigt. Dieser Anstieg erfolgt, weil das Glycin phorese von positiv geladenen, alkohollöslichen Protei-
in das Gel einwandert und die Chloridionen verdrängt. nen (Weizengliadinen) im horizontalen Polyacrylamid-
Der pK-Wert der Aminogruppe des Glycins beträgt gel gezeigt. Es wurde ein HEPES-Puffer pH 5,5
9,5. verwendet und das Gel mit Coomassie-Blau angefärbt.
Das Sammelgel wird erst unmittelbar vor der Elek­
trophorese auf das Trenngel aufpolymerisiert, weil an-
sonsten die Ionen ineinander diffundieren würden. 12.3.9 SDS-Polyacrylamid-­
Gelelektrophorese
In der Praxis wird häufig der Fehler gemacht, dass der SDS (Abkürzung für sodium dodecyl sulfate, Natrium-
Tris-Glycin-Puffer mit Salzsäure titriert wird, weil weit dodecylsulfat) ist ein anionisches Detergens und über-
verbreitete – irreführende – Vorschriften für diesen Puffer deckt die Eigenladungen von Proteinen so effektiv, dass
einen pH-Wert 8,4 angeben. Dann kann der Stapeleffekt Micellen mit konstanter negativer Ladung pro Massen-
nicht funktionieren, und es wandern beinahe ausschließ- einheit entstehen mit ca. 1,4 g SDS pro g Protein. Bei der
lich die Chloridionen, bis keine mehr im Kathodenpuffer Probenvorbereitung werden die Proben mit einem Über-
vorhanden sind. Die Folgen sind sehr lange Laufzeiten schuss von SDS auf 95 °C erhitzt und so die Tertiär- und
(bis zu über Nacht) und ungenügend aufgelöste Banden. Sekundärstrukturen durch Aufspalten der Wasserstoff-
Bei der Herstellung des Tris-Glycin-Puffers sollte man brücken und durch Streckung der Moleküle aufgelöst.
sich das Messen des pH-Wertes sparen. Schwefelbrücken zwischen Cysteinen werden durch die
Zugabe einer reduzierenden Thiolverbindung, z.  B.
β-Mercaptoethanol oder Dithiothreitol, aufgespalten.
Zur Trennung basischer Proteine mit pI > 6,8 verwendet Die mit SDS beladenen, gestreckten Aminosäureketten
man ein anderes Puffersystem, weil diese im oben be- bilden Ellipsoide.
schriebenen System in Richtung Kathode wandern und Wegen der hohen Auflösung, die mit der diskon-
verloren gehen würden. Es gibt Proteine, die ausschließ- tinuierlichen Elektrophorese erreicht werden kann
lich in sauren Puffersystemen mit kathodischer Wande- (7 Abschn.  12.3.7), wird standardmäßig für Protein-

rungsrichtung getrennt werden können. trennungen ein von U.  K. Laemmli eingeführtes SDS-­
Elektrophoretische Verfahren
281 12
haltiges, diskontinuierliches Tris-HCl/Tris-Glycin-Puf- Bei manchen Trennungen, z. B. bei Serum- oder Urin-
fersystem eingesetzt. proteinen, wird die Probe nicht reduziert, damit die Im-
munglobuline nicht in ihre Untereinheiten zerfallen. Al-
lerdings sind dann einige Polypeptide unvollständig
Vorteile der SDS-Elektrophorese
aufgefaltet und wandern schneller durch das Gel, als sie
Mit SDS gehen auch sehr hydrophobe und denatu-
aufgrund ihrer molaren Masse dürften: Die Albumin-
rierte Proteine in Lösung. Proteinaggregationen wer-
bande mit 68 kDa erscheint dann bei 54 kDa. Man kann
den verhindert, weil die Oberflächen negativ geladen
also nur die Molmassen von Untereinheiten exakt be-
sind. Man erreicht schnelle Trennungen, weil die
stimmen. In manchen Fällen lässt man die gleiche Probe
SDS-Protein-Micellen hohe Ladungen tragen. Alle
in einer Spur in der reduzierten, in einer zweiten in der
Proteine wandern in eine Richtung. Die Trennung er-
nicht reduzierten Form laufen, um Proteine mit Quartär-
folgt nach einem Parameter, der molaren Masse. Man
struktur zu erkennen. In . Abb. 12.16 erkennt man die

erhält eine Bande für ein Enzym, da Ladungsheteroge-
Unterschiede der Bandenmuster eines Serums, das nicht
nitäten nicht angezeigt werden.
reduziert wurde (Spur 1), und eines reduzierten Serums
(Spur 2).

Nachteile der SDS-Elektrophorese zz SDS-Elektrophorese für niedermolekulare Peptide


SDS denaturiert die Proteine, teilweise sogar irreversibel. Die Auflösung von Peptiden unter 15 kDa ist bei den
Für taxonomische Bestimmungen ist die SDS-Gelelek- meist verwendeten Puffern, z. B. dem Tris-Glycin-HCl-­
trophorese meist ungeeignet, da Aminosäurenaustau- System, sehr schlecht, weil diese in der Front mitwan-
sche, die Ladungsunterschiede ergeben, nicht erkannt dern und nicht genügend entstapelt werden. Mit der
werden können. SDS ist nicht mit nichtionischen Deter- Methode nach Schägger und von Jagow, bei welcher die
genzien kompatibel, die z. B. zur Solubilisierung hydro- Molarität der Puffer erhöht und anstelle von Glycin Tri-
phober Membranproteine eingesetzt werden. cin als Folgeion verwendet wird, ergibt sich eine lineare
Auflösung von 0,1 kDa bis 1 kDa.

Bei der Elektrophorese im Polyacrylamidgel mit 0,1 % zz Glykoproteine


SDS erhält man über bestimmte Bereiche eine lineare Glykoproteine werden nicht so stark mit SDS beladen
Beziehung zwischen dem Logarithmus der Molmasse wie nicht glykolisierte Proteine und wandern deshalb bei
und den Wanderungsstrecken der SDS-Polypeptid-Mi- der SDS-Elektrophorese langsamer als ein nicht glykoli-
cellen (. Abb.  12.15). Mithilfe von Proteinstandards
  siertes Protein gleicher Größe. Wenn man zur Proben-
lassen sich die Molmassen der Proteine abschätzen. vorbereitung einen Tris-Borat-EDTA-Puffer verwendet,
Bei Gelen mit konstanten T-Werten erstreckt sich die werden auch die Zuckeranteile negativ geladen und da-
Linearität über einen limitierten Bereich, der vom Grö- mit die Wanderungsgeschwindigkeit erhöht.
ßenverhältnis Molekulargewicht zu Porendurchmesser
bestimmt ist. Der gesamte und auch der lineare Trenn-
bereich sind bei Porengradientengelen erheblich weiter
als bei Gelen mit konstanten Porendurchmessern. Die
Banden sind schärfer, weil das Gradientengel der Diffu-
sion entgegenwirkt.

log M 94
linearer Bereich 67

43

30

20,1

14,4

relative Mobilität (mr)


1 2 3 4 5 6 7 8
..      Abb. 12.15  Molekulargewichtskurve in der SDS-Elektropho-
rese. Die Lage des linearen Bereichs ist abhängig von der Gelkonzen- ..      Abb. 12.16  SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese von Seren
tration und Markerproteinen
282 R. Westermeier und A. Görg

12.3.10 Kationische
Detergenselektrophorese
Die Umkehrung der SDS-Elektrophorese, die saure
Elektrophorese in Gegenwart eines kationischen De-
tergens, denaturiert die Proteine weniger stark als die
SDS-­Elektrophorese. Hierfür werden die Proteine mit
Cetyltrimethylammoniumbromid (CTAB) oder mit Ben-
zyldimethyl-n-hexadecylammoniumchlorid (16-­BAC)
solubilisiert und auf ein saures Polyacrylamidgel auf-
getragen, welches das entsprechende Detergens enthält.
Meist wird ein Natrium- oder Kalium-­Phosphatpuffer
verwendet. Das Trennmuster unterscheidet sich von
dem einer SDS-Elektrophorese, weil hier die Konfor-
mationen der Polypeptide anders sind. Deshalb wird die
Methode auch häufig als erste Dimension einer Zwei-
dimensional-Elektrophorese eingesetzt. Diese Technik
eignet sich auch besonders gut zur Auftrennung von
Membran-Glykoproteinen.

..      Abb. 12.17  Zweidimensionale Blau-Nativ/SDS-Polyacrylamid-


12.3.11 Blaue Nativ-­ gelelektrophorese. Trennung von Proteinkomplexen unter Blau-Na-
tiv Bedingungen von links nach rechts, Auftrennung der Kom-
Polyacrylamidgelelektrophorese plex-Untereinheiten in Gegenwart von SDS von oben nach unten
(Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Hans-PeterBraun, Leib-
Da der anionische Farbstoff Coomassie-Blau an hydro- nitz-Universität Hannover)
phobe Bereiche von Proteinen bindet, eignet er sich als
Detergensersatz während der Elektrophorese von intak-
12 ten Proteinkomplexen und Membranproteinen. Die mit
seine Nettoladung null ist und damit auch seine Wan-
derungsgeschwindigkeit. Dies ist sein isoelektrischer
nichtionischen Detergenzien solubilisierten Komplexe Punkt. Die Nettoladung eines Proteins ist die Summe
werden mit dem anionischen Farbstoff Coomassie Brilli- aller negativen und positiven Ladungen an den Amino-
ant Blau G-250 versetzt und auf ein natives Gradientengel säurenseitengruppen, wobei auch die dreidimensionale
mit pH 7,4 aufgegeben. Auch der Kathodenpuffer enthält Konfiguration des Proteins eine Rolle spielt. Auch Phos-
Coomassie-Blau. Die Trennung erfolgt bei 5  °C.  Wäh- phorylierung, Glykosylierung und Oxidationszustand
rend des Laufes wird kontinuierlich das Detergens gegen beeinflussen den Ladungszustand. Manche Mikrohete-
den Farbstoff ausgetauscht. Analog zur SDS-Elektro- rogenitäten in IEF-Mustern lassen sich auf diese Mole-
phorese sind alle Farbstoff-Protein-­ Komplexe negativ külmodifikationen zurückführen.
geladen, wandern zur Anode und trennen sich nach der Trägt man die Nettoladungen eines Proteins über
Größe auf, bis hinauf zu ca. zehn Megadalton. Aber im den pH-Werten auf, so ergibt sich eine charakteristische
Gegensatz zu SDS werden die Komplexe nicht modifi- Kurve, welche die x-Achse am isoelektrischen Punkt pI
ziert oder denaturiert; selbst Superkomplexe bleiben wäh- schneidet. Wenn man ein Proteingemisch an einer Stelle
rend der Trennung intakt. Meist werden die Trennspuren eines pH-Gradienten aufträgt, haben die verschiedenen
ausgeschnitten, diese Gelstreifen in SDS-Puffer umäquili- Proteine unterschiedliche Nettoladungen. Im elektrischen
briert und auf ein SDS-Elektrophoresegel aufgelegt. Da- Feld wandern die Proteine bis zu ihrem jeweiligen isoelek-
bei lösen sich die Komplexe in die Einzelproteine auf; das trischen Punkt. Ab diesem Punkt können sie nicht mehr
Ergebnis des SDS-Laufs gibt Auskunft über die Zusam- weiterwandern, da sie ja keine Ladung mehr tragen. Die
mensetzung der jeweiligen Komplexe und Superkomplexe IEF ist deshalb im Unterschied zu anderen Elektrophore-
(. Abb. 12.17).

sen, bei denen die Wanderungsstrecke auch durch die Zeit
beeinflusst wird, eine Endpunktmethode. Zudem beinhal-
tet sie einen Konzentrierungseffekt, welcher der Diffusion
12.3.12 Isoelektrische Fokussierung entgegenwirkt. Wenn ein Protein von seinem isoelektri-
schen Punkt wegdiffundiert, erhält es sofort eine Ladung
Die isoelektrische Fokussierung (IEF) ist ein elek- und wird vom elektrischen Feld zu seinem isoelektrischen
trophoretisches Verfahren, bei dem ein Protein oder Punkt zurücktransportiert (. Abb. 12.18).

Peptid im elektrischen Feld durch einen pH-Gradien- Das Auflösungsvermögen der isoelektrischen Fokus-
ten wandert, bis es an den pH-Wert gelangt, an dem sierung wird folgendermaßen definiert:
Elektrophoretische Verfahren
283 12
..      Abb. 12.18  Das Prinzip der A B –
isoelektrischen Fokussierung. A Nettoladung 10
Nettoladungskurven von zwei +3
9

Fokussierung
verschiedenen Proteinen A und B.
– –

Diffusion
B Trägt man diese zwei Proteine +2
an einer bestimmten Stelle in 8
einem pH-Gradienten auf, sind sie B
+ +
dort entweder positiv oder negativ +1 7
geladen. Im elektrischen Feld
wandern die Proteine bis an ihren 0 6
isoelektrischen Punkt und bleiben 3 4 5 6 7 8 9 10 pH – – Probenaufgabe
dort stehen. Durch das elektrische –1 5
Feld werden sie an ihrem A
isoelektrischen Punkt fokussiert, + +
–2 B
da sie in der Umgebung des 4
A
isoelektrischen Punkts wieder
geladen werden und damit an ihn –3 3
zurückwandern +

D d ( pH ) / dx  Vorteile der Agarosegele


∆pI = (12.14) Die Trennungen sind schneller, auch Proteine über
E  −du / d ( pH )  800 kDa können aufgetrennt werden. Agarose ist un-

giftig und enthält keine störenden Katalysatoren.
Dabei ist ΔpI das Auflösungsvermögen, D der
­Diffusionskoeffizient des Proteins, E die Feldstärke (V
cm−1), d(pH)/dx der pH-Gradient und du/d(pH) die
Mobilitätssteigung des Proteins am isoelektrischen Vorteile der Polyacrylamidgele
Punkt. Weniger Hintergrundfärbung und geringere Elektro-
ΔpI ist das Minimum der pH-Differenz, die nötig ist, endosmose, vor allem im basischen Bereich. Es kön-
um zwei benachbarte Banden aufzulösen. Aus der Formel nen auch Gele mit hohen Harnstoffkonzentrationen
kann man erkennen, wie sich die Auflösung steigern lässt: hergestellt werden.
Enge pH-Gradienten werden für die erhöhte Auflösung
für Proteine mit ähnlichen isoelektrischen Punkten ver-
wendet. Dies zeigt auch die Limitierung der isoelektri- zz Messung der pH-Gradienten
schen Fokussierung: Die Feldstärke kann man durch hohe Problematisch ist die Messung der pH-Gradienten mit
Spannungen erhöhen, aber nicht uneingeschränkt. Die Elektroden, da diese bei niedrigen Temperaturen sehr
Steigung der Mobilität eines Proteins an seinem isoelektri- langsam reagieren. Außerdem diffundiert Kohlendi-
schen Punkt lässt sich nicht beeinflussen. oxid aus der Luft in das Gel und bildet mit Wasser
Die IEF kann sowohl analytisch als auch präparativ Carbonationen: Dadurch verringern sich die pH-Werte
durchgeführt werden. Präparative Anwendungen sind in im basischen pH Bereich. Weniger Fehler macht man,
7 Abschn. 12.4.3 beschrieben.
  wenn man Standardproteine mit bekannten isoelektri-
schen Punkten mitlaufen lässt. Die pIs der Probenpro-
zz Trennmedien teine können mithilfe einer pH-Eichkurve ermittelt
Analytische IEF wird in Polyacrylamid- oder in Agaro- werden. Für die Bestimmung der pIs in Harnstoffgelen
segelen durchgeführt. Die besten Ergebnisse erzielt man gelten vollständig andere Bedingungen (Verschiebung
mit großporigen und sehr dünnen, auf Folie gegossenen des Gradienten, Dissoziation der Proteine in Unterein-
Gelen. Die isoelektrische Fokussierung in Agarosegelen heiten und Konformationsänderungen).
ist erst möglich, seit man die Eigenladungen der Aga-
rose durch Abtrennung der Agaropectinreste aus dem zz Arten von pH-Gradienten
Agarrohmaterial überdecken oder entfernen konnte. Der pH-Gradient soll möglichst stabil sein bei gleichmä-
0,8–1,0 % Agarose wird verwendet. ßiger und konstanter Leitfähigkeit und Pufferkapazität.
Weitere Eigenschaften der beiden Geltypen sind in Diese Anforderungen werden durch zwei verschiedene
7 Abschn. 12.3.2 aufgeführt.
  Konzepte erfüllt: pH-Gradienten aus freien Trägeram-
284 R. Westermeier und A. Görg

pholyten und immobilisierte pH-­Gradienten, bei wel- zz Elektrodenlösungen


chen die puffernden Gruppen Bestandteil des Gels sind. Um die Gradienten möglichst stabil zu halten, legt man
meist zwischen Gel und Elektroden Filterkartonstrei-
zz Trägerampholyten-Gradienten fen, die in Elektrodenlösungen getränkt sind: eine Säure
Trägerampholyte sind heterogene Synthesegemische aus an der Anode und eine Base an der Kathode. Gelangt
mehreren Hundert unterschiedlichen, niedermolekula- ein saures Trägerampholytmolekül an die Anode, wird
ren aliphatischen Oligoamino-Oligocarbonsäuren, die seine basische Gruppe positiv geladen und von der
sich in ihren isoelektrischen Punkten unterscheiden. Anode abgestoßen.
Ideale Trägerampholyte weisen folgende Eigenschaften
auf: zz Separator-IEF
55 hohe Pufferkapazität und Löslichkeit am pI, Sollte das Auflösungsvermögen nicht ausreichen,
55 gute und gleichmäßige Leitfähigkeit am pI, kann man Separatoren zumischen: Aminosäuren oder
55 Freiheit von biologischen Effekten, sowie amphotere Puffersubstanzen, die den pH-Gradienten
55 niedrige Molmasse. in der Nähe ihres isoelektrischen Punkts abflachen.
Dadurch erreicht man eine vollständige Trennung
Die unterschiedlichen amphoteren Homologe müssen sonst sehr eng benachbarter Proteinbanden: Zum Bei-
gleich konzentriert sein. Es darf keine Lücken im spiel kann glykosyliertes Hämoglobin von der eng be-
pH-Spektrum geben. Nicht geeignet sind in der Natur nachbarten Hämoglobinhauptbande durch einen Zu-
vorkommende Ampholyte, wie Aminosäuren und Pep- satz von 0,33  mol l−1 β-Alanin bei 15  °C getrennt
tide, da diese an ihren isoelektrischen Punkten eine sehr werden.
niedrige Pufferkapazität haben.
In der Regel werden Gele mit 2 % (g/v) Trägerampho- zz Kathodendrift
lyten verwendet. Die Gele haben zu Beginn einen einheit- Bei langen Fokussierungszeiten beginnt der Gradient
lichen Durchschnitts-pH-Wert. Dadurch sind fast alle Trä- nach einer gewissen Zeit in beide Richtungen, vor allem
gerampholyte geladen: die basischen positiv, die sauren jedoch zur Kathode, zu driften. Dies führt zum Verlust
negativ. Wird ein elektrisches Feld angelegt, bildet sich ein basischer Proteine.
pH-Gradient: Die negativ geladenen Trägerampholyte
12 wandern zur Anode, die positiv geladenen zur Kathode, 12.3.12.1 Immobilisierte pH-Gradienten
dabei wird die anodische Seite des Gels saurer, die katho- Immobilisierte pH-Gradienten (IPG) unterscheiden
dische basischer. Die Trägerampholytmoleküle mit dem sich grundsätzlich von mit Trägerampholyten erzeugten
niedrigsten isoelektrischen Punkt wandern bis an das ano- pH-Gradienten dadurch, dass sie in die Gelmatrix ein-
dische, die mit dem höchsten an das kathodische Ende des polymerisiert sind. Dazu werden so genannte Immobi-
Gels. Die anderen Trägerampholyte arrangieren sich da- line eingesetzt, die nicht amphoter, sondern bifunktio-
zwischen in der Reihenfolge ihrer isoelektrischen Punkte nell sind und folgende Strukturformel aufweisen:
und geben diesen pH-Wert an ihre Umgebung ab. Auf
diese Weise entsteht ein relativ stabiler, kontinuierlicher O
pH-Gradient. Dabei entladen sich die Trägerampholyte: H2C CH C NHR
Die Leitfähigkeit im Gel nimmt ab. Die pH-Gradienten
sind temperaturabhängig, deshalb müssen diese Trennun- Dabei enthält R eine puffernde Gruppe, entweder eine
gen bei definierten Temperaturen durchgeführt werden. Carboxy- oder eine tertiäre Aminogruppe, wie in
. Tab. 12.1 aufgeführt ist. Diese Immobiline sind Acry-

lamidderivate und zugleich schwache Säuren oder


Vorteile von Trägerampholyten-IEF schwache Basen, die durch ihre pK-Werte definiert sind.
Es kann zwischen Agarose- und Polyacrylamidgelen Um einen bestimmten pH-Wert puffern zu können, be-
gewählt werden. Die Gele sind einfach herzustellen. nötigt man mindestens zwei verschiedene Immobiline,
Trägerampholyte wirken als zwitterionische Puffer, sie eine Säure und eine Base. In . Abb. 12.19 ist schema-

halten Proteine in Lösung. tisch ein Polyacrylamidgel mit einpolymerisierten Im-


mobilinen gezeigt, der pH-Wert ergibt sich durch das
Mischungsverhältnis der Immobiline.
Nachteile von Trägerampholyten-IEF pH-Gradientengele erhält man durch kontinuierli-
Die Zusammensetzung verschiedener Chargen und da-
ches Verändern des Immobilin-Mischungsverhältnis-
mit der Verlauf der pH-Gradienten ist wegen der kom-
ses während des Gelgießens, analog zu Porengradien-
plexen Herstellung nicht vollständig reproduzierbar.
tengelen (7 Abschn.  12.3.5). Das Prinzip ist eine

Adduktbildung mit manchen Substanzen, auch mit ei-


Säure-Base-­Titration, der jeweilige pH-Wert auf der
nigen Proteinen.
Kurve ist durch die Henderson-Hasselbalch-Gleichung
definiert,
Elektrophoretische Verfahren
285 12
cB − cA
pH = pK B + log (12.15) wenn sie für die erste Dimension der hochauflösenden
cA
zweidimensionalen Elektrophorese eingesetzt werden.

wenn das puffernde Immobilin eine Base ist.

Nachteile von IPG-IEF


Vorteile von IPG-IEF Die Herstellung von IPG-Gelen ist aufwendiger als bei
Immobilisierte pH-Gradienten sind absolut zeitstabil; Trägerampholytgelen. Sie sind weniger geeignet für na-
es gibt keine Kathodendrift und kein Plateauphäno- tive IEF.
men. Exakt definierte pH-Gradienten können herge-
stellt werden: von sehr weiten bis zu sehr engen Inter-
vallen. Extrem hohe Auflösungen und Fokussierung cA und cB sind die molaren Konzentrationen der sau-
von Proteinen bis pH 12 können erzielt werden. Immo- ren bzw. basischen Immobiline. Ist das puffernde Immo-
bilisierte pH-Gradienten sind besonders vorteilhaft, bilin eine Säure, so lautet die Gleichung:

cB
pH = pK A + log (12.16)
cA − cB
..      Tab. 12.1  Strukturformeln der sauren und basischen
Acrylamidderivate zur Herstellung von immobilisierten
pH-Gradienten zz Herstellung immobilisierter pH-Gradienten
In der Praxis werden immobilisierte pH-Gradienten
pK Strukturformel
durch lineares Mischen von zwei unterschiedlichen Po-
3,6 CH2=CH–CO–NH–CH2–COOH lymerisationslösungen mit einem Gradientenmischer
hergestellt (. Abb.  12.12). Beide Lösungen enthalten

4,6 CH2=CH–CO–NH–(CH2)3–COOH
Acrylamidmonomere und Katalysatoren zur Polymeri-
6,2 sation einer Gelmatrix. Die mit Glycerin beschwerte
CH2 CH CO NH (CH2)2 N O
Lösung ist mit Immobilinen auf das saure Ende des ge-
7,0
wünschten pH-Gradienten, die andere Lösung auf das
CH2 CH CO NH (CH2)3 N O basische Ende eingestellt. Bei der Polymerisation bin-
den die Immobiline kovalent an das Polyacrylamidnetz-
8,5 CH2=CH–CO–NH–(CH2)2–N(CH3)2 werk. Da die Leitfähigkeiten der einpolymerisierten
9,3 CH2=CH–CO–NH–(CH2)3–N(CH3)2
Gradienten sehr niedrig sind, müssen nach der Polyme-
risation die bei der Trennung störenden Katalysatoren
10,3 CH2=CH–CO–CH–(CH2)3–N(C2H5)2 mit Wasser aus den Gelen ausgewaschen werden. An-
> 12 CH2=CH–CO–NH–(CH2)2–N(C2H5)2 schließend wird das Gel getrocknet. Vor Gebrauch wer-
den die trockenen Gele mit den für die IEF benötigten

..      Abb. 12.19  Immobilisierte puffernde R


Gruppen in einem Polyacrylamidnetz- +
NH
werk. Mit bestimmten Konzentrationen R
der jeweiligen, durch ihre pK-Werte defi-
nierten schwachen Säuren und Basen kann
man sehr exakte pH-Werte einstellen

NH+
O
R R
C O–

C O– NH+
O R R
286 R. Westermeier und A. Görg

..      Abb. 12.20 Isoelektrische A B
Fokussierung in immobilisierten
pH-­Gradienten. A Auftrennung
von α-Antitrypsin-PiM-
Subtypen aus Humanseren.
Ultraenger IPG 4,35–4,55,
20 cm, 20 % Glycerin; ΔpI =
0,001. B Trennung von Samen-
proteinen unterschiedlicher
Bohnensorten (Vicia faba).
Weiter IPG 4–10, 20 cm, 6 mol
l−1 Harnstoff, 15 % Glycerin.
(Nach Görg et al. 1986)

1 c m = 0,01pH

Additiva (wie Harnstoff, Dithiothreitol, Detergenzien) Mit IPGs können beliebige, dem Trennproblem an-
wieder gequollen. Aus diesem Grund werden Immobi- gepasste pH-Gradienten berechnet und hergestellt wer-
lingele immer auf Trägerfolien aufpolymerisiert. den. Man kann mit sehr engen Gradienten, bis zu
. Abb.  12.20 zeigt die isoelektrische Fokussierung im
  0,01  pH-Einheiten pro Zentimeter (ΔpI = 0,001), eine
12 engen pH-Gradienten (IPG 4,35–4,55) zur Typisierung extrem hohe Auflösung erreichen. Es können aber auch
von α1-Antitrypsin (. Abb.  12.20A) und im weiten
  sehr weite lineare oder nichtlineare Gradienten im Be-
pH-Gradienten (IPG 4–10) zur Sortendifferenzierung reich von pH 2,5 bis pH 12 hergestellt werden. Weil der
von Bohnen (. Abb. 12.20B).
  Gradient fest an die Gelmatrix gebunden ist, bleibt er
über die gesamte Trennzeit unverändert. Daraus resul-
tiert eine hohe Reproduzierbarkeit der Proteinmuster.
Vorteile der IEF
Immobiline sind definierte Einzelsubstanzen, keine
Die Methode besitzt – im Gegensatz zur Elektropho-
Synthesegemische. Außerdem wird das Profil des Gra-
rese – ein sehr hohes Auflösungsvermögen und ist im
dienten nicht durch Proteine und Salze in den Proben
Prinzip, wenn der pH-Gradient zeitlich stabil ist (IPG),
beeinflusst, die Iso-pH-Linien sind absolut gerade.
eine Endpunktmethode. Genetische Unterschiede wer-
IPGs haben den Nachteil, dass die Herstellung der
den sehr sensibel detektiert: Proteine, die sich nur
Gele relativ aufwendig ist, hohe Feldstärken und lange
durch eine geladene Aminosäure unterscheiden, wer-
Trennzeiten benötigt werden und unter Nativbedingun-
den voneinander getrennt. Eine wichtige physikalische
gen einige Proteine nicht in das Gel einwandern. Immo-
Größe eines Proteins, der isoelektrische Punkt, kann
bilisierte pH-Gradienten werden hauptsächlich für die
direkt abgelesen werden. Die IEF lässt sich hervorra-
denaturierende erste Dimension der hochauflösenden
gend mit anderen Techniken, vor allem der SDS-Gel­
2D-Gelelektrophorese verwendet; hierfür werden Fer-
elektrophorese, kombinieren.
tiggele von verschiedenen Firmen angeboten.

12.3.12.2 Titrationskurvenanalyse
Nachteile der IEF Mit dieser einfachen Methode können die Nettola-
Manche Proteine, z. B. Membranproteine, neigen zum dungskurven von Proteinen dargestellt werden. Man be-
Aggregieren und wandern nicht in das Gel ein, vor al- nötigt hierzu ein quadratisches Trägerampholytgel.
lem unter Nativbedingungen. Sehr basische Proteine Zunächst wird eine IEF ohne Proben durchgeführt,
sind mit der Trägerampholyt-IEF nicht einfach zu fo- bis sich der pH-Gradient aufgebaut hat. Dann wird das
kussieren. Die Trennungen dauern länger als bei einer Gel auf der Kühlplatte um 90 ° gedreht. Die Probe wird
Zonenelektrophorese. in eine schmale, in die Gelmitte einpolymerisierte Gel-
Elektrophoretische Verfahren
287 12
..      Abb. 12.21  A Zur Titra- A B
tionskurvenanalyse wird die
Probe auf ein vorfokussiertes
Trägerampholytengel – das somit
einen pH-­Gradienten enthält –
aufgegeben. B Im elektrischen
Feld senkrecht zum pH-Gradien-
ten wandern die Proteine
aufgrund ihrer Ladungen in der
Weise, dass sie ihre Nettola-
dungskurven ausbilden

3 4 5 6 7 8 9 10 pH 3 4 5 6 7 8 9 10 pH

rinne pipettiert. Wenn nun senkrecht zum pH-­ Dialysemembran transportiert, die es nicht mehr passie-
Gradienten ein elektrisches Feld angelegt wird, bleiben ren kann. Meist verwendet man einen Ammoniumcar-
die Trägerampholyte an Ort und Stelle, da sie sich an bonatpuffer, da dieser beim Lyophylisieren in die Gas-
ihrem isoelektrischen Punkt befinden und deshalb nicht phase entweicht. Der Vorteil der Methode ist die
geladen sind. Die Proteine wandern, abhängig vom je- Verwendung einer Standardapparatur. Allerdings muss
weiligen pH-Wert, mit unterschiedlichen Mobilitäten man eine Dialysemembran verwenden, an die manche
und bilden Titrationskurven (. Abb. 12.21). Im Prinzip Proteine häufig irreversibel adsorbiert werden.

werden sie durch viele parallele Nativelektrophoresen Ohne Membran funktioniert die in . Abb.  12.22B  

unter verschiedenen pH-Bedingungen in einem einzigen dargestellte Methode: Hier wird in ein Standardreakti-
Gel erzeugt. Der isoelektrische Punkt eines Proteins be- onsgefäß mit 1,5 ml Volumen ein Elutionsgefäß einge-
findet sich an der Stelle, an der seine Titrationskurve setzt, dessen schmale Spitze abgeschnitten ist. Nachdem
durch die Gelrinne verläuft. Das Gel ist so angeordnet, das Gelstückchen in diese Spitze gesteckt wurde, wird
dass die Kathode oben ist und die pH-Werte von links das Elutionsgefäß mit einem porösen Polyethylenstop-
nach rechts ansteigen. fen verschlossen. Nach dem Einfüllen des Puffers wird
Mit dieser Analyse erhält man viele Informationen die Elektrodenkappe aufgesetzt, die eine Kathode für
über die Eigenschaften eines Proteins, z.  B. die Mobi- das Elutionsgefäß und eine Anode für das Reaktions-
litätssteigung in der Nähe des isoelektrischen Punkts, gefäß enthält. Diese Minivorrichtung wird in eine spe-
über Konformationsänderungen oder Ligandenbin- ziell dafür konstruierte Elektroapparatur eingesetzt, in
dungen in Abhängigkeit vom pH-Wert; man kann welcher mehrere Elektroelutionen parallel erfolgen kön-
das pH-­Optimum für native Elektrophoresen und das nen. Das reine Protein wird aus dem Reaktionsgefäß
pH-Optimum zur Proteineluierung bei der Ionenaus- entnommen. Vorteilhaft ist die membranfreie Konstruk-
tauschchromatographie ermitteln (7 Abschn. 11.4.7).
  tion. Allerdings wird zusätzlich zur Elektrophoreseaus-
rüstung eine weitere Apparatur benötigt.

12.4  Präparative Verfahren


12.4.2 Präparative Zonenelektrophorese
12.4.1 Elektroelution aus Gelen
Elektrophoretische Trennverfahren zeichnen sich
In vielen Fällen reicht die in einer Bande vorhandene durch ihre hohe Auflösung aus. Bei präparativen Tren-
Proteinmenge für weitere Analysen aus. Um das Protein nungen ist die zu trennende Proteinmenge in der Regel
quantitativ aus einem hochauflösenden Polyacrylamid- auf wenige Milligramm limitiert, hauptsächlich wegen
gel zu eluieren, muss man zu elektrophoretischen Ver- des Problems der uneffektiven Entfernung der Jou-
fahren greifen. le‘schen Wärme. Es ist dennoch möglich, auch größere
Ein einfaches Prinzip ist in . Abb.  12.22A darge-

Proteinmengen mit elektrophoretischen Verfahren zu
stellt: Das ausgeschnittene Gelstückchen mit der Prote- reinigen.
inbande wird in ein Glasröhrchen auf eine Fritte plat- Im Prinzip bestehen die Vorrichtungen zur präpara-
ziert. Das Ende des Röhrchens wird mit einer tiven Zonenelektrophorese in Polyacrylamidgelen aus
Dialysemembran verschlossen. Das Röhrchen wird in einem Glasrohr, welches das Trenngel enthält. Die am
eine Vertikalelektrophoresekammer eingesetzt, mit der unteren Ende ankommenden Zonen werden von einem
man eine Reihe von Elektroelutionen gleichzeitig durch- kontinuierlichen Pufferstrom zu einem Fraktionen-
führen kann. Das Protein wird elektrophoretisch bis zur sammler transportiert (. Abb. 12.23). Die Apparaturen

288 R. Westermeier und A. Görg

..      Abb. 12.22 Elektroelution. A Die zu A B


eluierenden Gelstückchen werden auf
Elektrodenkappe
Fritten in Glasröhrchen gelegt, die am
unteren Ende mit einer Dialysemembran
verschlossen sind. Zur Elution werden
Glasröhrchen
die Röhrchen in eine Vertikalelektropho-
resekammer eingesetzt. B Hier werden
die Gelstückchen in das innere
Elutionsgefäß eingesetzt, das nach unten
spitz zuläuft. Dieses wird in ein
Reaktionsgefäß eingesetzt, das mit einer poröser
Elektrodenkappe verschlossen wird. Polyethylen- inneres Elutionsgefäß
Dieses System funktioniert ohne Stopfen
Dialysemembran
Gelstück

Gelstück Reaktionsgefäß
Fritte
Dialysiermembran


lyten und IEF in freier Lösung ohne Trägerampholyte
zwischen isoelektrischen Membranen. Eine dritte Tech-
nik, die trägerfreie IEF mit Trägerampholyten, wird in
kontinu-
ierlicher Probe 7 Abschn. 12.5 behandelt.

Puffer-
12 strom
zz Präparative Trägerampholyten-IEF
Ein hochgereinigtes Dextrangel wird mit Trägerampho-
lyten vermischt und in einen horizontalen Trog gegos-
Trenngel sen. Nach einer Vorfokussierung zur Ausbildung des
pH-Gradienten wird an einer bestimmten Stelle des
Gradienten ein Teil des Gels mit einem Spatel heraus-
zum genommen, mit der Probe vermischt und an gleicher
Fraktionen- Stelle wieder eingegossen. Nach der IEF werden die
Träger- sammler
gel Protein- oder Enzymzonen durch einen Papierabklatsch
+
detektiert, der mit Coomassie-Blau oder einer Substrat-
..      Abb. 12.23  Prinzip der präparativen Elektrophorese: Die am
reaktion angefärbt wird (wie ein Gel). Dann entnimmt
Ende des vertikalen Geles ankommenden Proteinzonen werden konti- man die Zone mit dem interessierenden Protein oder
nuierlich mit dem Pufferstrom zu einem Fraktionensammler geleitet fraktioniert das Gel mit einem Gitter; die Einzelfraktio-
nen werden mit Puffer mit kleinen Röhrchen mit Nylon-
unterscheiden sich durch die Art der Kühlung, sieben aus dem Gel eluiert. Die Trägerampholyte ent-
z.  B.  Mantelkühlung, und die Art der Fraktionenent- fernt man mit Gelfiltration, Ultrafiltration, Dialyse,
nahme. Ammoniumsulfatpräzipitation oder Elektrophorese.
Proteinmengen in der Größenordnung von 100  mg
­können so isoliert werden.
12.4.3 Präparative isoelektrische
Fokussierung zz Präparative IEF zwischen isoelektrischen
Membranen
Bei der isoelektrischen Fokussierung handelt es sich um Diese Technik ist eine Weiterführung des Prinzips der
eine Methode, bei der man bei niedriger Leitfähigkeit immobilisierten pH-Gradienten. Anstelle eines Gels mit
hohe Feldstärken erzeugen kann. Deshalb sind hier die einem immobilisierten pH-Gradienten verwendet man
Kühlungsprobleme erheblich geringer als bei Zonen- hier eine Mehrkammerfokussierungsapparatur, die
elektrophoresen. Im Folgenden werden zwei Techniken durch gepufferte isoelektrische Polyacrylamidmembra-
vorgestellt: IEF in granulierten Gelen mit Trägerampho- nen segmentiert ist (. Abb. 12.24). Isoelektrische Mem-

Elektrophoretische Verfahren
289 12
..      Abb. 12.24  Prinzip der Probenaufgabe
präparativen IEF zwischen Protein pI = 6,15
isoelektrischen Membranen: Im
elektrischen Feld wandern die
Proteine mit höheren oder
niedrigeren isoelektrischen ++
+
Punkten durch die Membranen +
in die benachbarten Kammern, +
bis sich das jeweilige Protein Anode Kathode

zwischen der nächstbasischeren + –
und der nächstsaureren
Membran befindet. Sie bleiben ++
in den Kammern, in welchen sie
+
isoelektrisch sind, und werden – +
am Ende der Trennung von dort
entnommen +

5,5 6,1 6,2 6,4 6,7 pH

isoelektrische Membranen

..      Abb. 12.25  Prinzip der Abdeckung


Off-Gel-isoelektrischen Fokussie- Fraktionierrahmen Probe
rung: Die Probenkomponenten IPG-Streifen
werden in flüssiger Phase an der pH3 pH10
Oberfläche eines IPG-Streifens
nach ihren isoelektrischen Punkten
aufgetrennt und angereichert.
Hierzu wird die verdünnte Probe in hohe Spannung
kleine Einzelkammern eines
Fraktionierrahmens pipettiert. Im
elektrischen Feld wandern die
geladenen Proteine oder Peptide getrennte
durch die Gelschicht des Komponenten
IPG-Streifens in die jeweils nächste
Kammer, bis sie diejenige mit dem
pH-Wert erreichen, der ihrem
isoelektrischen Punkt entspricht

branen kann man selbst herstellen, indem man jeweils Kammer zwischen diesen zwei Membranen und
eine Glasfasermembran in eine Acrylamid-­Immobilin-­ kann am Ende der Trennung von dort entnommen
Polymerisationslösung mit definiertem pH-­Wert einlegt werden. Hier werden bis zu Grammmengen Protein
und die Lösung unter Luftabschluss auspolymerisieren gereinigt.
lässt. Die benötigten pH-Werte werden durch einen ana- Bei der Off-Gel-isoelektrischen Fokussierung wird
lytischen Vorversuch mit einer IEF im immobilisierten ein schmaler Gelstreifen mit einem immobilisierten pH-­
pH-Gradienten ermittelt. Nach der Polymerisation ist Gradienten (IPG-Streifen; 7 Abschn.  12.6.3) in eine

der pH-Wert in der Membran fixiert. Die pH-Werte der Horizontalkammer eingelegt und ein Fraktionierrah-
Membranen werden so gewählt, dass der isoelektrische men mit 24 Einzelkammern auf die Geloberfläche auf-
Punkt des jeweiligen zu reinigenden Proteins möglichst gesetzt. In jede Einzelkammer werden 150 μl verdünntes
eng davon eingeschlossen wird, z. B.: Probengemisch einpipettiert. Die Geloberfläche des
IPG-Streifens dichtet die einzelnen Kammern nach un-
pI Protein = 6,15 ⇒ pH Membran I = 6,10; pH Membran II = 6, 20 ten ab. Nach oben werden die Kammern mit einem De-
ckel abgedichtet (. Abb. 12.25). Wenn nun an die En-

Gibt man ein Proteingemisch in diese Kammer und den des IPG-Streifens eine hohe Spannung angelegt
legt ein elektrisches Feld an, so wandern die Kompo- wird, wandern die geladenen Proteine und Peptide durch
nenten mit höheren oder niedrigeren isoelektrischen die Gelschicht, bis sie die Kammer erreichen, deren pH-­
Punkten durch die Membranen in die benachbarten Wert dem isoelektrischen Punkt des Moleküls ent-
Kammern. Das zu reinigende Protein bleibt in der spricht. Die Protein- und Peptid-Fraktionen in wässri-
290 R. Westermeier und A. Görg

ger Lösung können auf einfache Weise aus den chen Substanzen auch größere Partikel wie Zellorga-
Kammern entnommen werden. Die wesentlichen Vor- nellen oder ganze Zellen, Viren und Bakterien
teile der Off-Gel-IEF sind, dass relativ große Protein- auftrennen.
mengen (bis Milligramm) getrennt werden können und 55 Dies ist ein kontinuierliches Verfahren: Puffer und
dass die Probenkomponenten nach der Trennung in flüs- Probe durchfließen die Apparatur senkrecht zum
siger Phase vorliegen. elektrischen Feld und damit zur Trennrichtung.

Die Trennzelle kann vertikal oder horizontal ausgerich-


12.5  Trägerfreie Elektrophorese tet sein, sie wird durch einen 0,3–1 mm schmalen Spalt
zwischen einer gekühlten, mit Glas beschichteten Me-
Bei der trägerfreien Elektrophorese (Free-Flow-­ tallplatte und einer Glasplatte gebildet.
Elektrophorese) erfolgt die Trennung in einem kontinuier- Mit modernen Apparaturen kann man  – je nach
lichen Pufferstrom in einer Glasküvette. Dabei wird der Art des verwendeten Puffersystems – Zonenelektropho-
Puffer über die ganze Breite der Küvette hinweg zugeführt. rese, Isotachophorese und isoelektrische Fokussierung
Die Probe wird an einer definierten Stelle aufgetragen, an durchführen. Besondere Trenneffekte erzielt man mit der
der gegenüberliegenden Seite werden die Einzelfraktionen Feldsprungelelektrophorese und den ­unterschiedlichen
durch eine Reihe von nebeneinander angeordneten Schläu- Arten der isoelektrischen Fokussierung.
chen aufgefangen. Das elektrische Feld verläuft im rechten Bei der Feldsprungelektrophorese stellt man die un-
Winkel zur Fließrichtung, sodass die einzelnen Proben- terschiedlichen Feldstärken durch Puffer mit starken
komponenten mit unterschiedlichen Mobilitäten verschie- Leitfähigkeitsunterschieden ein. Die Probenlösung wird
den stark abgelenkt werden. Jede Fraktion trifft dabei an durch die mittleren Einlässe in einer breiten Zone zuge-
einer definierten Stelle an einem oder an wenigen bestimm- leitet, die Pufferlösungen links und rechts davon besit-
ten Auffangschläuchen auf (. Abb. 12.26).
  zen eine etwa 20-fach höhere Leitfähigkeit als die Pro-
Die trägerfreie Elektrophorese unterscheidet sich benlösung. Die Probenionen werden je nach Ladung
von den bereits beschriebenen Elektrophoreseverfahren relativ stark zur Anode bzw. zur Kathode abgelenkt. Bei
in zwei wesentlichen Punkten: Erreichen der Grenzflächen zwischen Proben- und Puf-
55 Da weder ein Gel noch irgendeine andere stabilisie- ferstrom verringert sich aufgrund des Feldstärkesprungs
12 rende Matrix verwendet wird, kann man außer lösli- ihre elektrophoretische Mobilität ganz erheblich, sodass
es zu einer Aufkonzentrierung der Probenionen an den
Grenzflächen kommt.
Grundelektrolyt Bei der trägerfreien isoelektrischen Fokussierung
werden entweder Trägerampholyte eingesetzt oder Viel-
Probe
komponentenpuffer, die sich aus amphoteren und nicht
amphoteren Puffern zusammensetzen. Verwendet man
Vielkomponentenpuffer, kann man keine linearen pH-­
Gradienten erzeugen, sie bedeuten aber eine erhebliche
Pufferstrom

Kostenersparnis. Als natürliche pH-Gradienten bezeich-


net man die im elektrischen Feld aus einem Gemisch
von Trägerampholyten oder Puffern erzeugten Gradien-
ten. Bei künstlichen pH-Gradienten werden einzelne
+ – pH-Stufen durch verschiedene Pufferlösungen unter-
schiedlicher pH-Werte zugeführt, welche die Trennkam-
mer in parallelen Zonen durchfließen.

12.6  Hochauflösende zweidimensionale


Elektrophorese
Elektrophorese Die Methode mit dem höchsten Auflösungsvermögen
für die Analyse komplexer Proteingemische (z. B. Zellly-
..      Abb. 12.26  Prinzip der trägerfreien Elektrophorese: In einer sate und Proteome 7 Kap. 42) ist die zweidimensionale

Trennkammer fließt ein kontinuierlicher Pufferstrom. Das elektri-


sche Feld senkrecht zur Fließrichtung lenkt die Probenkomponenten
(2D-)Elektrophorese. Die ersten 2D-Elektrophoresen,
unterschiedlich stark ab, sodass sie an unterschiedlichen, aber kon­ welche die Proteine nach zwei unterschiedlichen Para-
stanten Stellen am Ende der Trennkammer auftreffen metern, den isoelektrischen Punkten (pI, in der ersten
Elektrophoretische Verfahren
291 12
Dimension) und der elektrophoretischen Beweglichkeit Zur vollständigen Auftrennung von Zelllysaten, Ge-
(in der zweiten Dimension), auftrennten, wurden unter webeextrakten und Körperflüssigkeiten werden Gele in
nativen Bedingungen durchgeführt. Erst durch die Ein- der Größenordnung 20 × 20 cm oder größer eingesetzt.
führung von komplett denaturierenden Bedingungen Die Arbeitsschritte der hochauflösenden zweidimensio-
durch O’Farrell gelang es, ganze Zellinhalte in Tau- nalen Elektrophorese nach Görg sind in . Abb. 12.27  

sende Proteinspots aufzutrennen. Diese Bedingungen schematisch dargestellt. Prinzipiell versucht man, alle
erzielt man durch die Anwesenheit von nicht geladenen Proteine in einem Gel darzustellen, indem man einen
Chaotropen wie Harnstoff und Thioharnstoff, Reduk- weiten pH-Gradienten, z. B. pH 3–11, verwendet. Man-
tionsmittel und nichtionischem oder zwitterionischem che Proteingemische sind aber so komplex, dass es zu
Detergens bei der Probenvorbereitung und im Fokussie- Spotüberlagerungen kommen kann.
rungsgel. In der ursprünglichen Technik wurde der IEF-­ Sowohl für die Quantifizierung als auch für eine effi-
Schritt in individuellen Rundgelen in Röhrchen mit aus ziente Proteinidentifizierung mit dem Peptidmassenver-
Trägerampholyten gebildeten pH-Gradienten durchge- gleich (peptide mass fingerprinting (7 Abschn. 16.6)) ist

führt. Diese nur von wenigen Experten beherrschbare es wichtig, dass ein Spot nicht mehr als ein einziges Pro-
Technik wurde inzwischen von der IEF in foliengestütz- tein enthält. Die vollständige Auflösung von Proteinen
ten IPG-Streifen (immobilisierten pH-Gradienten) ab- erreicht man dann entweder durch die Verwendung grö-
gelöst. Damit ist die Methode vereinfacht und robuster ßerer Gele oder die Aufteilung der Trennstrecke in kür-
geworden; sie kann in jedem Proteinlabor ohne große zere pH-­Intervalle. Gele mit engen pH-Intervallen ha-
Probleme durchgeführt werden. Die Auftrennung in der ben zugleich eine höhere Beladungskapazität; damit
zweiten Dimension erfolgt in SDS-­Polyacrylamidgelen, kann man auch Proteine mit niedrigen Kopiezahlen de-
entweder in einer horizontalen Flachbettkammer oder tektieren und weiter analysieren. . Abb.  12.28 zeigt

in einer Vertikalgelapparatur. eine Auftrennung von Mäuseleberproteinen in einem

..      Abb. 12.27 Hochauflösende 1. Dimension


2D-Elektrophorese mit
Isoelektrische Fokussierung im IPG-Streifen
immobilisierten pH-Gradienten:
Probe
Horizontale IEF im auf Folie
polymerisierten IPG-Streifen.
Äquilibrieren des IPG-Streifens.
pH 3 pH 10
Transfer des IPG-­Streifens auf Probenaufgabetrichter
ein horizontales oder vertikales
SDS-Gel. (Nach Görg et al. Umpuffern des IPG-Streifens
1988) in SDS-Puffer

2. Dimension
SDS-Polyacrylamid-Gradientengelelektrophorese
vertikal
pH 3 pH 10
horizontal

pH 10

pH 3
292 R. Westermeier und A. Görg

..      Abb. 12.28 Hochauflösende Mr
2D-Elektrophorese (IPG-Dalt) pH 3 Isoelektrische Fokussierung pH 11 (in KDa)
von Mäuseleberproteinen. 1.

SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese
250
Dimension IPG 3–11, 2. 150
Dimension SDS-­Elektrophorese,
Silberfärbung. (Nach Görg 2000) 100

75

50

37

25

20

weiten pH-­Gradienten 3–11, in . Abb.  12.30 ist eine


  12.6.2 Vorfraktionierung
Auftrennung im engen pH-Intervall 6–7 gezeigt.
Es gibt unterschiedliche Gründe zur Vorfraktionierung;
hier sind ein paar Beispiele:
12 12.6.1 Probenvorbereitung
zz Subzelluläre Komponenten
Weil mit der 2D-Elektrophorese hochkomplexe Prote- Ein und dasselbe Protein kann unterschiedliche Funktio-
ingemische aufgetrennt werden, ist die wichtigste Vor- nen haben, je nachdem, in welcher Zellorganelle es lokali-
bedingung für verwendbare Ergebnisse die korrekte siert ist. Man verringert die Komplexität des Proteingemi-
Probennahme und -vorbereitung. Beim Zellaufschluss sches und gewinnt eine Reihe zusätzlicher Informationen,
und der Gewebeextraktion muss der Modifikation des wenn die Zellorganellen vor der 2D-­ Elektrophorese
Proteingemisches durch Aktivitäten diverser Enzyme durch Zentrifugation, Detergensfraktionierung oder trä-
sofort vorgebeugt werden, die Bildung von Komplexen gerfreie Elektrophorese separiert werden.
muss verhindert werden. Wichtig ist schnelles Arbei-
ten, da bei manchen Proben auch durch Zugabe von zz Immunpräzipitation
Proteaseinhibitoren der spontane Proteinverdau nicht Es werden entweder in hoher Konzentration vorhan-
gänzlich verhindert werden kann. Häufig enthält die dene Proteine abgereichert (Beispiel: Albumin aus Hu-
Probe noch eine Reihe störender Substanzen, wie Li- manserum) oder gezielt die zu trennenden Proteine aus
pide, Polysaccharide, Nucleinsäuren, Salzionen und einem hochkomplexen Proteingemisch herausgefischt,
feste P
­ artikeln. Meistens präzipitiert man die Proteine um eine verbesserte Darstellung der interessierenden
mit einer Kombination aus Trichloressigsäure, Aceton Proteine zu erhalten.
und Detergens, wäscht das zentrifugierte Pellet mit or-
ganischen Lösungsmitteln und bringt es mit einer zz Fraktionierung nach Ladung
wässrigen Lösung von hochmolarem Harnstoff und Wenn ein Gesamtproteingemisch auf einen IPG-­
Thioharnstoff, welche ein zwitterionisches Detergens, Streifen mit kurzem pH-Gradientenintervall aufge-
ein Reduktionsmittel und Trägerampholyte enthält, tragen wird, akkumulieren die Proteine mit isoelekt-
wieder in Lösung. Die Präzipitierung sorgt zudem für rischen Punkten, die außerhalb des Intervalls liegen,
eine irreversible Inhibierung der Proteasen. Wichtig ist an den Elektroden. Diese Proteine sind für die weitere
eine Ultrazentrifugation, um keine Partikel auf das Analyse verloren, zudem stören sie die isoelektrische
IPG-Gel aufzutragen. Fokussierung und schränken die Beladungsmenge ein.
Elektrophoretische Verfahren
293 12
Eine Vorfraktionierung nach isoelektrischen Punkten In . Abb.  12.30 sind Trennergebnisse im engen pH-­

ermöglicht die weitere Analyse aller Proteine und die Intervall ohne und mit Vorfraktionierung zu sehen.
Erhöhung der Proteinbeladung. Es gibt drei verschie-
dene Methoden: die trägerfreie isoelektrische Fokussie-
rung (7 Abschn.  12.5, trägerfreie Elektrophorese), die
  12.6.3 Erste Dimension: IEF in IPG-Streifen
elektrophoretische Trennung zwischen isoelektrischen
Membranen und die isoelektrische Fokussierung im Foliengestützte Gele mit immobilisierten pH-­Gradienten
horizontalen Sephadexgel. Letztere Methode kann mit können im trockenen Zustand in schmale Streifen ge-
dem geringsten Geräteaufwand in kurzer Zeit durch- schnitten werden, welche vor der isoelektrischen Fokus-
geführt werden. . Abb.  12.29 zeigt das Prinzip dieser
  sierung in Harnstofflösung mit den zusätzlich benötigten
Technik. Sephadex wird vorgequollen in Gegenwart al- Additiven angequollen werden. Weil die pH-­Gradienten
ler für die IEF benötigten Additive (Harnstoff, CHAPS, im Gel fixiert sind, ergeben sich bei der Trennung keine
HED, Trägerampholyte, farbige niedermolekulare am- Randeffekte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die
photere pI-Marker). Unmittelbar vor der IEF wird die Proben aufzugeben: Bei der Rehydratisierungsbeladung
zu fraktionierende Proteinlösung zugegeben und in den lässt man den trockenen IPG-­Streifen mit dem Proteinge-
horizontalen Trog der IEF-Apparatur gegossen. Nach misch in der Harnstoff-Additiv-Lösung anquellen. Dann
beendeter IEF (2–3 h) werden die entsprechenden Pro- sind die Proteine über den gesamten pH-Gradienten
teinfraktionen direkt auf die IPG-Gelstreifen aufge- verteilt und wandern im elektrischen Feld aus verschie-
tragen. Der Proteintransfer aus dem Sephadex in das denen Richtungen an ihren isoelektrischen Punkt. Diese
IPG-Gel erfolgt elektrophoretisch mit hoher Effizienz. Methode hat die Vorteile, dass sich keine Proteinpräzi-

..      Abb. 12.29 Schematische A B
Darstellung der Vorfraktionie-
rung eines Proteingemisches
durch isoelektrische Fokussie- + Gießen des
rung im Trägerampholyten-Se- Sephadex-Gels
phadex-(Dextran-)Gel. A
Sephadex-Brei Probe,
Vorbereitung der Gellösung mit Harnstoff, Marker
Proteingemisch. B Niedermole- CHAPS
kulare amphotere Farbmarker DTT pH = 3
ermöglichen eine einfache Ampholyte pH = 10
pH-Bestimmung zur korrekten
Isoelektrische Fokussierung
Entnahme der Proteinfraktio- im Ampholyten-Gradienten
nen. Die Gelfraktionen mit den
fokussierten Proteinen werden
direkt auf den IPG Streifen
appliziert. (Nach Görg et al.
2002)

Übertrag der Fraktion


auf den IPG-Streifen

..      Abb. 12.30 2D-Elektropho- A B C
resen im engen pH-Intervall 6–7.
Aufgetragen wurden: A 250 μg
Gesamtproteingemisch. B 250 μg
von im Sephadex-IEF-Gel
vorfraktionierten Proteinen. C
1 mg von im Sephadex-IEF-Gel
vorfraktionierten Proteinen. A
und B: silbergefärbt, C:
Coomassie-Blau-Färbung. (Nach
Görg et al. 2002)
294 R. Westermeier und A. Görg

pitate am Aufgabepunkt bilden, große Probenvolumina lösungsvermögen von homogenen SDS-Gelen mit einer
möglich sind und dass Rehydratisierung und IEF-Lauf Acrylamidkonzentration von etwa 13 % T ausreichend.
zu einem methodischen Schritt kombiniert werden kön- Bei sehr weit gestreuten Molekulargewichten und bei
nen: Dies erleichtert den Arbeitsablauf und verringert hohem Anteil von Glykoproteinen lässt sich das Trenn-
die Fehlermöglichkeiten. Bei der Beladung mit einem ergebnis mit Porengradientengelen deutlich verbessern.
Probenaufgabetrichter (. Abb.  12.27) appliziert man

die Probe an einem definierten pH-Wert, meist nahe der


Anode. Diese Variante muss unbedingt bei Trennungen
in basischen pH-Gradienten angewandt werden, zudem 12.6.5  etektion und Identifizierung der
D
gibt es einige Proteingemische, welche bei Applikation Proteine
mit dieser Methode bessere Spotmuster ergeben als mit
der Rehydatisierungsbeladung. Allerdings ist man dabei Die wichtigsten Proteindetektionsmethoden, die Densito-
auf maximal 150  μl Probenvolumen beschränkt, häufig metrie und Bildanalyse, sind in 7 Abschn. 12.3.3 beschrie-

wird Präzipitation von Proteinen an der Probenaufgabe- ben. Eine wichtige Funktion der Bildanalysesoftware ist
stelle beobachtet. Mit der Papierbrückenbeladung lassen der qualitative und quantitative Vergleich der hochkomple-
sich größere Volumina an einem Ende des IPG-Streifens xen Proteinmuster zur Auffindung von neu exprimierten,
aufgeben: Dabei wird ein mit Probenlösung getränkter verschwundenen sowie hoch- und herunterregulierten Pro-
Filterkartonstreifen zwischen Ende des IPG-Streifens teinen. Die Identifizierung und Charakterisierung dieser
und der Elektrode eingelegt. Die Stromstärken bei diesen Proteine erfolgt dann mit Massenspektrometrie. Die Prot-
3 mm breiten und 0,5 mm dünnen IPG-Streifen befinden einspots werden hierzu manuell oder mit automatischen
sich im Mikroampere-Bereich. Zu Beginn werden sehr Spotpickern aus den Gelen herausgestanzt 7 Kap 16. Die

niedrige Feldstärken angelegt, um zu verhindern, dass die Proteine werden – meist mit Trypsin – zu Peptiden verdaut,
Proteine aggregieren und präzipitieren. Am Ende der IEF die sich einfach aus den Gelpfropfen herauseluieren las-
wird mit mehreren Tausend Volt fokussiert; die Zeit ist sen und mit Massenspektrometrie analysiert werden. Die
abhängig von der Länge der Streifen und der Steigung schnellste und am wenigsten aufwendige Methode ist der
des pH-Gradienten. Die längsten Trennzeiten  – über Peptidmassenvergleich mit einem MALDI-TOF.  Wenn
Nacht – werden für kurze pH-­Intervalle in 24 cm langen diese Methode nicht zum Erfolg führt, z. B. weil mehr als
12 IPG-Streifen benötigt. Bei basischen pH-Gradienten ist ein Protein in einem Spot enthalten ist, werden Aminosäu-
die Zeit kritisch: Sie soll so kurz wie möglich sein, weil rensequenzen mit MALDI-TOF-PSD und Elektrospray-­
manche Proteine am isoelektrischen Punkt in alkalischem Tandem-­Massenspektrometrie bestimmt.
Milieu instabil sind.

12.6.6 Differenzgelelektrophorese (DIGE)


12.6.4  weite Dimension: SDS-­
Z Die Methode der Differenzgelelektrophorese erhöht die
Polyacrylamid-­Gelelektrophorese Zuverlässigkeit der qualitativen und quantitativen Aus-
sagen von 2D-Gelergebnissen beträchtlich. Hierzu wer-
Es ist sehr wichtig, die IPG-Streifen vor der SDS-­ den die Proteine der zu vergleichenden Proben vor der
Elektrophorese genügend lange mit SDS-Proben- Trennung mit unterschiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen
puffer  – erst mit Reduktionsmittel, dann mit Alkylie- markiert. Die Proben werden zusammengemischt, das
rungsreagens  – zu äquilibrieren. Die Alkylierung mit Gemisch auf ein Gel aufgetragen und zusammen in der
Iodacetamid verhindert Trennungsartefakte und bringt ersten und zweiten Dimension aufgetrennt. Die Farb-
die Cysteine bereits in die alkylierte Form, sodass für stoffe werden für diese Methode in der Weise modifi-
die Proteinidentifizierung mit der Massenspektromet- ziert, dass die gleichen Proteine aus unterschiedlicher
rie ein Schritt gespart werden kann. Hier wird bei der Probenherkunft exakt an die gleiche Stelle im Gel wan-
SDS-Elektrophorese kein Sammelgel benötigt, da die dern. Wenn man das Gel dann bei unterschiedlichen
Proteine bereits vorgetrennt sind. Wenn Vertikalgele Anregungswellenlängen scannt (densitometriert), erhält
verwendet werden, bettet man den IPG-Streifen mit man die – mehr oder weniger – unterschiedlichen Mus-
Agarose ein, um eine Gelkontinuität zwischen erster ter der verschiedenen Proben (. Abb.  12.31). Wichtig

und zweiter Dimension zu erzeugen. Bei Horizontal- ist, dass die Emissionswellenlängen so weit voneinander
systemen wird keine Agarose benötigt; der IPG-Streifen entfernt sind, dass es keine Überlagerungen der Signale
wird ganz einfach in eine vorgeformte Rinne in der Ge- geben kann. . Abb.  12.32 zeigt eine Falschfarbendar-

loberfläche eingelegt. In den meisten Fällen ist das Auf- stellung eines typischen Ergebnisses einer Differenzgele-
Elektrophoretische Verfahren
295 12
..      Abb. 12.31  Prinzip der
DIGE. Cy2, Cy3, und Cy5 sind
Fluoreszenzmarker, die an markieren
Proteine binden. Beispiel für
zwei verschiedene Proben. Wenn Kontrolle Cy3 Cy3 Bild
mehr Proben analysiert werden,
benötigt man mehr Gele. In IPG-Streifen
jedem Gel lässt man den markieren
internen Standard mitlaufen, der
mischen
sich aus Aliquots aus allen zu Mutante Cy5 Cy5 Bild
analysierenden Proben zusam-
mensetzt
markieren scannen
2D-Gel bei unter-
Gemisch von schiedlichen
Cy2 Wellenlängen
Probenaliquots Cy2 Bild
= interner Standard (Standard)

der Menge jedes Proteins eine Markierung trägt, werden


etwaige Mehrfachmarkierungen nicht mehr detektiert,
und die Proteine werden nicht hydrophob. Die Protein-
muster gleichen exakt denen, welche mit nicht markier-
ten Proteinen und Gelfärbung erzielt werden. Zudem
stehen für die Untersuchung mit der Massenspektrome-
trie die 95 % nicht markierten Proteine zur Verfügung,
was die Analyse erheblich erleichtert. Bei niedermoleku-
laren Proteinen, unter ca. 20.000 Dalton, macht sich in
der SDS-Elektrophorese die Molekulargewichtserhö-
hung um ca. 460 Dalton im Laufverhalten bemerkbar.
Man sollte deshalb durch eine Nachfärbung sicherstel-
len, dass beim Ausschneiden von Spots die nicht mar-
kierten Proteine erfasst werden, die etwas weiter gelau-
fen sind als die markierten
..      Abb. 12.32  Typisches DIGE-Ergebnis: Falschfarbendarstellung
von überlagerten Cy3- und Cy5-Bildkanälen zweier verschiedener zz Sättigungsmarkierung
Proben. Gelbe Spots zeigen unveränderte Proteine an, rote Spots Für die Markierung der Cysteine über eine Maleimid-
Proteinexpressionserhöhungen, grüne Spots niedrigere Proteinex-
gruppe werden ladungsneutrale Fluoreszenzmarker ver-
pressionen bei der zweiten Probe. Der IPG-Streifen wurde zur Kont-
rolle, ob alle Proteine in die zweite Dimension übertragen wurden, wendet, sodass es auch hier keine Verschiebung der iso-
mitgescannt (im Bild oben) elektrischen Punkte gibt. Allerdings ändern sich die
Molekulargewichte je nach Anzahl der Cysteine im je-
lektrophorese von zwei unterschiedlich markierten Pro- weiligen Protein. Vorher müssen die Disulfidbrücken
ben. der Proteine mit einem Reduktionsmittel, Dithiothreitol
oder Trishydroxycarboxylphosphin, geöffnet werden.
zz Minimummarkierung Die unterschiedlich markierten Proteine aus verschiede-
Für die Markierung der Proteine an der ε-Aminogruppe nen Proben wandern auch hier zu den gleichen Positio-
des Lysins verwendet man Fluoreszenzmarker mit einer nen im 2D-Gel. Die Muster sind aber mit denen von
basischen Gruppe, welche den Verlust der positiven La- nicht markierten oder minimal markierten Proteinen
dung kompensiert. Dadurch verhindert man eine Ver- nicht vergleichbar, da es viele Mehrfachmarkierungen
schiebung des isoelektrischen Punktes. Die Markierung gibt. Diese Technik ermöglicht die Detektion von Pro-
erfolgt über eine NHS-Ester-Gruppe. Die Massenzu- teinen weit jenseits der Empfindlichkeitsgrenze der Sil-
wächse sind für alle Farbstoffe gleich, damit es keine berfärbung, wenn ein Protein mehrere Cysteine enthält.
Verschiebung in der Molmassenachse gibt. Bei der Ly- Proteine, die kein Cystein enthalten, werden nicht de-
sinmarkierung vermeidet man eine Mehrfachmarkie- tektiert.
rung dadurch, dass man den Farbstoff im Unterschuss In einigen Fällen ist beobachtet worden, dass man-
anbietet (Minimummarkierung). Wenn nur ca.  3–5  % che Proteine von einem der Farbstoffe leicht bevorzugt
296 R. Westermeier und A. Görg

markiert werden. Um quantitative Fehlinterpretationen Kathode


Anode
durch diesen Effekt zu vermeiden, wird empfohlen, bei
der Markierung die Farbstoffe zwischen Wildtyp und
Mutanten gleichmäßig zu vertauschen, und geradzah- Gitter
lige statt ungeradzahlige biologische Probenreplikate zu Schwamm
Filterpapier
verwenden. Membran
Gel
Filterpapier
Schwamm
zz Interner Standard Gitter
Die DIGE bietet die einzigartige Möglichkeit, einen in- Puffer
ternen Standard für jedes einzelne Protein mitzuführen.
Dadurch erhöht sich die statistische Sicherheit des Er- ..      Abb. 12.33  Blotting-Tank für elektrophoretische Transfers der
gebnisses beträchtlich  – bei gleichzeitiger Reduzierung getrennten Proteine auf immobilisierende Membranen. Die mäan-
derförmig verlaufenden Elektrodendrähte sind an der vorderen und
der Notwendigkeit von Wiederholungsgelen. Hierzu der hinteren Wand angebracht. Das Gel und die Membran werden
wird jeder Probe ein Aliquot entnommen, die Probena- zwischen Filterpapiere, Schwämme und Gitter eingeklemmt
liquots zusammengemischt und dieses Gemisch mit ei-
nem der zur Verfügung stehenden Fluoreszenzmarker teine aus der Polyacrylamidmatrix auf eine Membran
markiert. Diesen Standard lässt man in jedem Gel zu- aus Nitrocellulose unter dem Einfluss eines elektrischen
sammen mit den Proben mitlaufen (. Abb. 12.32). Bei

Feldes transferiert und immobilisiert werden konnten.
der Auswertung der Proteinmuster werden nun alle ge- Diese Technik hat sich als Western-Blotting durchge-
messenen Spotpositionen und -volumina auf den ent- setzt; mit ihr lassen sich elektrophoretisch aufgetrennte
sprechenden Standardspot bezogen und angeglichen Proteine (z.  B.  Antigene, Glykoproteine oder Enzyme)
(normalisiert). Es ergeben sich relative quantitative mit spezifischen Bindungseigenschaften über Antikör-
Werte für das Ansteigen bzw. die Verringerung der Pro- per, Lectine oder Enzymsubstrate direkt auf der Memb-
teinkonzentration in den verschiedenen Proben bis zu ran nachweisen.
einem Minimalwert von 5  % bei einer statistischen Si- Die nicht besetzten Bindungsstellen der Membran-
cherheit von über 95 %. Solche Werte sind mit den her- oberfläche müssen mit inerten makromolekularen Subs-
12 kömmlichen Färbetechniken auch bei fünffachen Wie-
derholungsläufen bei Weitem nicht erreichbar.
tanzen blockiert werden. Dies geschieht entweder mit
einer Lösung aus Rinderserumalbumin, Fischgelatine,
Magermilchpulver, oder über Gemische mit Detergen-
zien wie Tween 20. Es muss darauf geachtet werden,
12.7  Elektroblotting dass es beim späteren Antigennachweis nicht zu Kreuz-
reaktionen mit dem Blockiermedium kommt.
Schon sehr bald nach der Etablierung der Elektropho-
rese versuchte man, die Proteine aus dem Gel für an-
schließende analytische Schritte in Lösung zu gewinnen,
durch Diffusion, Elektroelution oder durch Extraktion
12.7.1 Blotsysteme
mit Säuren oder organischen Lösungsmitteln. Die so er-
Für den elektrophoretischen Transfer sind zwei unter-
haltenen Eluate können in dieser Form jedoch beispiels-
schiedliche Verfahren im Laboreinsatz: das Tankblot-
weise nicht direkt für die Sequenzierung, Aminosäuren-
ting und das Semidry-Blotting.
analyse oder Massenspektrometrie verwendet werden.
In der Regel müssen die Proben aufkonzentriert und
zz Tankblotting
Salze, Detergenzien und lösliche Gelbestandteile ent-
Die Standardapparaturen für das Tankblotting sind
fernt werden. Bei der Aufarbeitung der Eluate ergeben
nach einer von Bittner et al. im Jahre 1980 vorgestellten
sich je nach Verfahren (Dialyse, Proteinfällung, Chro-
Konstruktion vertikale Puffertanks, an deren Seiten-
matographie etc.) zum Teil erhebliche Verluste in der
wänden mäanderförmig Platindrähte als Elektroden an-
Ausbeute. Ein weiterer Nachteil dieser eluierenden Ver-
gebracht sind (. Abb. 12.33). Gel und Membran wer-
fahren ist die mit zunehmender Hydrophobizität oder

den zwischen Filterpapiere gelegt und in eine


zunehmendem Molekulargewicht der Proteine schlech-
Gitterkassette eingeklemmt. Die gepackten Kassetten
ter werdende Elutionseffizienz aus dem Gel.
werden senkrecht in den Puffertank geschoben. Die be-
Anstatt die Proteine in eine Lösung zu isolieren, be-
nötigte Puffermenge liegt je nach Design der Apparatur
schrieben bereits 1979 zwei Arbeitsgruppen gleichzei-
zwischen zwei und vier Litern. In der Regel werden diese
tig – J. Renart et al. und H. Towbin et al. – ein anderes
Experimente mit konstanter Spannung von 50  mV ge-
Verfahren, mit dem elektrophoretisch aufgetrennte Pro-
fahren, um in einem konstanten elektrischen Feld eine
Elektrophoretische Verfahren
297 12
gleichmäßige Kraft auf die Ladungsträger auszuüben. dry-Blotexperimente bei konstantem Strom (z. B. 1 mA
Die Anfangswerte des Stromes liegen bei 500  mA und pro cm2 Blotfläche) durchgeführt, wobei sich zu Beginn
höher, je nach Größe des Tanks und Molarität des ver- nur sehr niedrige Spannungswerte ergeben (< 5 V). Wäh-
wendeten Blotpuffers, und sinken während des Trans- rend des Experiments nimmt mit der kontinuierlichen
fers durch eine kontinuierliche Zunahme des Ohm‘schen Zunahme des Ohm‘schen Widerstands auch die Span-
Widerstands. Unter diesen Bedingungen ist eine effizi- nung zu, in Abhängigkeit vom verwendeten Blotpuffer,
ente Kühlung notwendig, was durch einen vertikalen der Absolutmenge an Blotpuffer (damit auch von der
Kühleinsatz und ausreichende Pufferumwälzung er- Anzahl der verwendeten Filterpapiere sowie dem Sätti-
reicht wird. gungsgrad der Filterpapiere mit Puffer), der Gelstärke
und dem verwendeten Elektrodenmaterial. Nach drei
zz Semidry-Blotting Stunden Transferzeit werden Spannungswerte zwischen
Die Semidry-Apparatur, die erstmals 1984 von Kyse-­ 20 V und 50 V erreicht. Aufgrund der hohen elektri-
Andersen beschrieben wurde, besteht aus Plattenelekt- schen Leitfähigkeit der Plattenelektroden und der nur
roden, zwischen denen der Blotsandwich aus Filterpa- geringen elektrischen Leistung ist eine Kühlung der Se-
pieren, Gel und Membran horizontal eingebaut wird midry-Apparatur nicht notwendig.
(. Abb. 12.34). Verglichen mit dem Tankblotting ist der
  Die elektrochemische Reaktion des Wassers erzeugt
Aufbau einfacher, da keine Kassetten verwendet wer- einen pH-Gradienten von etwa pH 12 an der Kathode (4
den. Die in Puffer getränkten Filterpapiere, das Gel so- H2O + 4 e− → 2 H2 + 4 OH−) bis etwa pH 2 an der
wie die Blotmembran werden in bestimmter Reihenfolge Anode (6 H2O → O2 + 4  H3O+ + 4 e−) sowie stetiges
auf der Anode nacheinander aufgeschichtet. Falls not- Gasen der Reaktionsprodukte. Die Gase drücken den
wendig, lassen sich Luftblasen durch vorsichtiges Rollen Blotsandwich auseinander und erzeugen bei konstanter
eines Glasstabes über die einzelnen Schichten problem- Stromführung eine ungleichmäßige Zunahme der Span-
los entfernen. Die benötigte Puffermenge ist von den nung. Durch Beschweren der Blotapparatur mit einem
Dimensionen des Blotsandwich abhängig und beträgt Gewicht von etwa zwei Kilogramm kann unter gleichen
meist weniger als 100 ml. Blotbedingungen ein gleichmäßiger, reproduzierbarer
Diese geringe Puffermenge hat den Vorteil, dass Pro- Spannungsverlauf erreicht werden (. Abb. 12.34). Die

teine während des Transfers weniger mit reaktiven Ver- Stabilität der Elektrodenmaterialien ist recht unter-
unreinigungen der Puffersysteme konfrontiert werden schiedlich: Alle Graphitelektroden und graphitierte
als beim Tankblotting. Kunststoffe werden  – je nach Qualität unterschiedlich
Verschiedene Firmen bieten unterschiedliche Mate- schnell – an der Anode durch naszierenden Sauerstoff
rialien als Plattenelektroden an, die sich in der elektri- unter Bildung von CO2 angegriffen. Einige Kunststoffe
schen Leitfähigkeit und in der Stabilität gegenüber ano- lösen sich an der Kathode, bedingt durch den alkali-
dischen Oxidationsprozessen und extremen pH-­Werten schen pH-Wert, langsam auf. Praktisch inert sind P ­ latin-
unterscheiden (z.  B.  Reinstgraphit, Glaskohlenstoff, oder mit Platin überzogene Elektroden.
Graphit in Kunststoffmatrices, platinierte Bleche, lei- In den letzten Jahren hat sich das Semidry-Blotting
tende Kunststoffe). In den meisten Fällen werden Semi- immer mehr gegenüber dem Tankblot-Verfahren durch-

..      Abb. 12.34  Semidry-Blotting. Gel und


Membran werden zwischen Filterpapiere
gelegt, die mit Puffer getränkt sind

Graphitplatte
2 kg
Kathode Filterpapier mit Puffer
Gel
Membran
Filterpapier mit Puffer

Graphitplatte

Anode
298 R. Westermeier und A. Görg

gesetzt, zum einen wegen der einfacheren Handhabung Membranen sind chemisch inert, besitzen bessere mecha-
der Semidry-Apparatur. Zum anderen zeigten systema- nische Eigenschaften und höhere Bindungskapazität als
tische Vergleiche in der Literatur, dass bei einem homo- Nitrocellulose; sie sind aber sehr hydrophob und müssen
generen elektrischen Feld und höheren Feldstärken ein deshalb vor der Verwendung mit 100%igem Methanol
effizienterer Proteintransfer bei kürzeren Transferzeiten oder Isopropylalkohol benetzt werden. Niedermoleku-
erzielt wird. Proteinfärbung und Immunnachweise sind lare Proteine und Peptide werden von der Nitrocellulose
auf Semidry-Blots empfindlicher. Die Proteine wandern besser gebunden als von PVDF.  Für Western-Blotting
beim Semidry-Verfahren offensichtlich weniger tief in wird hauptsächlich Nitrocellulose eingesetzt. Wenn bei
die Membran als beim Tankblotting und bleiben eher an der Detektion von Sekundärantikörpern Fluoreszenz-
der Oberfläche haften. markierungen angewendet werden, muss man darauf
Für den Transfer von Proteinen aus isoelektrischen achten, dass die Blotmembran keine Eigenfluoreszenz
Fokussierungsgelen ist Kapillarblotting (7 Abb.  6.21)
  besitzt. Für Proben, die einer nachfolgenden protein-
besser geeignet als Elektroblotting, weil Proteine am iso- chemischen Analytik (z. B. Aminosäuresequenzanalyse)
elektrischen Punkt nicht geladen sind und sich schwer unterworfen werden, werden wegen ihrer chemischen
umpuffern lassen. Stabilität praktisch ausschließlich PVDF-Membranen
verwendet.

12.7.2 Transferpuffer

Der meist verwendete Transferpuffer enthält Tris-­Glycin Literatur und Weiterführende Literatur
mit pH 8,3 und 20 % Methanol. Das Methanol hat zwei Görg et al (1986) in Dunn MJ, Hrsg Electrophoresis‘86, VCH, Wein-
Funktionen: Es erhöht die Bindungseigenschaften der heim: 435−444
Membranoberfläche und es verhindert ein Anquellen Görg et al (1988) Review. The current state of two-dimensional elec-
der Gelplatte. Ein Quellen des Geles würde zu Zonen- trophoresis with immobilized pH gradients. Electrophoresis
verschmierungen auf der Membran führen. 9:531–546
Görg et al (2000) The current state of two-dimensional electrophoresis
Beim Tankblotting wird häufig auch CAPS-Puffer mit with immobilized pH gradients. Electrophoresis 21:1037–1053
pH 10 verwendet. Beim Semidry-Blotting ist der von Kyh- Görg et al (2002) Sample prefractionation with Sephadex isoelectric
12 se-Andersen eingeführte diskontinuierliche Puffer dem focusing prior to narrow pH range two-dimensional gels. Proteo-
Tris-Glycin-Puffer in der Transfereffektivität überlegen. mics 2:165–1657
Für den Transfer von Proteinen aus isoelektrischen
Fokussierungsgelen wurde meist 1 % Essigsäure verwen- Weiterführende Literatur
det, wobei die dann positiv geladenen Proteine in Rich- Andrews AT (1986) Electrophoresis, theory, techniques and bioche-
mical and clinical applications. Clarendon Press, Oxford
tung Kathode transferiert wurden. Allerdings ist bei
Celis JE (Hrsg) (1998) Cell biology. In: A laboratory handbook.
IEF-Gelen Kapillarblotting besser geeignet als Elektro- Academic Press, San Diego
blotting, weil die Proteine am isoelektrischen Punkt Righetti PG (1990) In: Burdon RH, van Knippenberg PH (Hrsg) Im-
nicht geladen sind und sich schwer umpuffern lassen. mobilized pH gradients: theory and methodology. Elsevier,
Amsterdam
Rothe GM (1994) Electrophoresis of enzymes. In: Laboratory Me­
thods. Springer, Heidelberg
12.7.3 Blotmembranen Simpson RJ (Hrsg) (2004) Purifying proteins for proteomics. Cold
Spring Harbor Laboratory Press, New York
Die meist verwendeten Membranen sind aus Nitro- Westermeier R (2016) Elektrophorese leicht gemacht, 2. Aufl. Wiley-­
cellulose oder Polyvinylidenfluorid (PVDF). PVDF-­ VCH, Weinheim
299 13

Kapillarelektrophorese
Philippe Schmitt-Kopplin und Gerhard K. E. Scriba

Inhaltsverzeichnis

13.1 Geschichtlicher Überblick – 300

13.2 Aufbau der Kapillarelektrophorese – 300

13.3 Grundprinzipien der Kapillarelektrophorese – 301


13.3.1  er Elektroosmotische Fluss (EOF) – 301
D
13.3.2 Joule‘sche Wärmeentwicklung – 303
13.3.3 Injektion der Proben – 303
13.3.4 Detektion – 304

13.4 Die Methoden der Kapillarelektrophorese – 305


13.4.1  apillarzonenelektrophorese (CZE) – 305
K
13.4.2 Micellarelektrokinetische Chromatographie (MEKC) und Mikroemul-
sion elektrokinetische Chromatographie (MEEKC) – 310
13.4.3 Kapillaraffinitätselektrophorese (ACE) – 313
13.4.4 Kapillarelektrochromatographie (CEC) – 313
13.4.5 Enantiomerentrennungen – 314
13.4.6 Kapillargelelektrophorese (CGE) – 314
13.4.7 Isoelektrische Fokussierung (CIEF) – 317
13.4.8 Isotachophorese (ITP) – 320

13.5 Spezielle Techniken – 321


13.5.1  nline-Probenkonzentrierung – 321
O
13.5.2 Fraktionierung – 321
13.5.3 Mikrochipelektrophorese – 323

13.6 Ausblick – 324

Literatur und Weiterführende Literatur – 325

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_13
300 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

55 Die Kapillarelektrophorese (CE) hat sich seit den Neun- der Röhre minimiert. Die weitere Verringerung des In-
zigerjahren des vorigen Jahrhunderts zu einer validen nendurchmessers auf 0,2  mm bei 1  m Kapillarlänge
Analysentechnik entwickelt. Vorteile sind vor allem die durch Virtanen (1969) ermöglichte die Trennung von Al-
hohe Trennselektivität, der geringe Materialverbrauch kalimetallionen. Everaerts (1970) verwendete 0,5  mm
und die Flexibilität bei der Methodenentwicklung sowie dünne Teflonschläuche zur isotachophoretischen Tren-
eine Vielzahl von Trennmodi. Trennungen in CE und nung organischer Säuren. Mit der Einführung sensitiver
HPLC beruhen auf unterschiedlichen Mechanismen Leitfähigkeits- und UV-­Detektoren für die Kapillariso-
(Ladungsdichte versus Lipophilie), sodass beide Techni- tachophorese (1979) durch Mikkers wurden Trennungen
ken orthogonal zueinander sind. Bedingt durch ver- mit hoher Auflösung realisiert.
gleichbare Detektions- und Auswertungsverfahren re- Als Geburtsstunde der CE gilt die Trennung von de-
sultiert das gleiche Ergebnisformat. rivatisierten Aminosäuren und Peptiden durch Jorgen-
55 Sehr früh eingesetzt wurde die CE als die Analysentech- son (1981) in einer Quarzkapillare mit 75  μm Innen-
nik in der Molekularbiologie zur Genom-Sequenzie- durchmesser (ID). Die Trenneffizienz erreichte die
rung. Heute findet sie Anwendung in vielen Bereichen theoretischen Vorhersagen und beflügelte das Interesse
der Biochemie, der Molekularbiologie, der Zellbiologie, an der CE. Einerseits stieg die Anzahl der Publikationen
der Forensik, der Umweltanalytik, der Lebensmittel- exponentiell, andererseits kam es zu einer raschen Ver-
analytik, der chemischen Industrie, der Pharmaindust- besserung der Instrumentierung. Die technologischen
rie sowie der Untersuchung des Proteoms und des Meta- Materialentwicklungen (reproduzierbare Qualität der
boloms. Kapillaren, kleinere Durchmesser, Miniaturisierung) be-
55 Im Vergleich zur Gelelektrophorese ist die Kapillarelek- stimmten über die Jahre die weitere Entwicklung. Heute
trophorese automatisierbar und eignet sich zur Analytik sind kommerzielle Geräte bezüglich Automatisierung
von ganzen Zellen, Bakterien und Viren, von Makro- und Routinetauglichkeit HPLC-Anlagen ebenbürtig.
molekülen wie RNA, DNA, Proteinen oder Polymeren, Weitere Miniaturisierung führte zur Entwicklung von
von niedermolekularen Substanzen wie Arzneistoffen, Mikrochip-CE-Technologien (MCE).
Vitaminen, Pestiziden, Tensiden oder Farbstoffen bis
hin zu anorganischen Ionen. Besonders effektiv ist die
CE zur Trennung von chiralen Verbindungen. 13.2  Aufbau der Kapillarelektrophorese

zz Prinzipieller Aufbau
13 13.1  Geschichtlicher Überblick Die Kapillarelektrophorese ist, in Bezug auf die zwin-
gend erforderlichen Bauelemente, eine sehr einfache
Das grundsätzliche Prinzip der Elektrophorese, als Technik, wenn man sie mit der HPLC oder GC ver-
Wanderung geladener Teilchen im elektrischen Feld de- gleicht. Prinzipiell sind eine Fused-Silica-Kapillare, eine
finiert, wurde zuerst von Kohlrausch (1897) beschrie- Hochspannungsquelle, zwei Elektroden, zwei Puffer-
ben. Tiselius entwickelte 1930 die Elektrophorese als reservoirs und ein On-Column-Detektor ausreichend
Analysenmethode für Proteine und erhielt 1948 für seine (. Abb. 13.1). Moderne CE-Geräte sind zusätzlich mit

Arbeiten den Nobelpreis. Probengeber, hydrodynamischem Injektionssystem und


Mit der Einführung antikonvektiver Medien (Papier, effektiven Thermostatisierungseinheiten ausgestattet.
Polyacrylamid- und Agarosegele) sind elektrophoreti-
sche Methoden heute unverzichtbar in der Biochemie. zz Hochspannungsquelle
Die Techniken beinhalten Gelpolymerisation, Färbung, Um die für die Kapillarelektrophorese erforderliche hohe
Entfärbung und densitometrische Auswertung, sodass Feldstärke zu liefern, ist eine bis zu +/− 30 kV regelbare
sie sehr arbeitsintensiv sind. Außerdem können Wechsel- Gleichspannungsquelle erforderlich. Sie sollte sowohl bei
wirkungen zwischen Analyten und Gelmatrix auftreten. konstanter Spannung als auch bei konstanter Stromstärke
Man war daher bestrebt, die Proben direkt – nur in Puf- betrieben werden können. Grundsätzlich sind höhere
fer gelöst – zu trennen und online zu detektieren. In dün- Spannungen einsetzbar, führen in der Praxis aber bei klei-
nen Kapillaren ist die Konvektion nur minimal, da bei neren Kapillarlängen zu Problemen durch Entladungen
dem großen Oberfläche/Innendurchmesser-Verhältnis aufgrund der Luftfeuchtigkeit oder über das Gehäuse. Je
eine gute Wärmeabführung gegeben ist, sodass größere nach Anwendung findet die Detektion kathodenseitig
Feldstärken angelegt und kürzere Trennzeiten erzielt bzw. anodenseitig statt, sodass die Polarität wählbar sein
werden können. Hjertén (1958) zeigte die erste Trennung muss. Über abgeschirmte Kabel wird die Hochspannung
in offenen Glasröhren mit 3 mm Innendurchmesser. Die an die Platinelektroden geleitet, die zusammen mit den
Konvektion wurde durch Rotation um die Längsachse Kapillarenden in die Puffergefäße tauchen.
Kapillarelektrophorese
301 13
..      Abb. 13.1  Schematischer Injektion Trennung Detektion
Aufbau einer Kapillarelektro-
phoreseapparatur Kapillare Lt
Detektionsfenster
Ld
Hochspannung
V

Einlass Auslass

Massenspektrometrie
Kapillare Lt = Ld

Hochspannung
V

injizierte Probe

Einlass

zz Kapillare 13.3  Grundprinzipien der


Das bei Weitem am häufigsten eingesetzte Kapillarma- Kapillarelektrophorese
terial ist fused silica (amorpher Quarz). Daneben wer-
den auch Kapillaren aus Borsilicatglas, PTFE (Teflon, In der Kapillarelektrophorese erfolgt die Wanderung
Polytetrafluorethylen) oder PEEK (Polyetheretherke- der Analyten auf den in 7 Kap. 12 erläuterten elektrop-

ton) eingesetzt, einem in der Isotachophorese häufig horetischen Prinzipien. Um zwei Substanzen voneinan-
verwendeten Material. Neben den mechanischen An- der zu trennen, müssen sich diese in Ladungsdichte
forderungen ist in erster Linie die UV-Transparenz für (Verhältnis Ladung zu hydrodynamischem Radius, vgl.
die klassische optische Detektion bei der Materialaus- Gl. 12.4 in 7 Abschn. 12.2) unterscheiden. Für schwa-

wahl limitierend. Die Notwendigkeit geringer Kapil- che Protolyte wie Aminosäuren, Peptide oder Proteine
lardurchmesser für eine effiziente Wärmeableitung, die hängt diese vom Ionisationsgrad und somit vom pH-­
eine Voraussetzung für die herausragende Trennleis- Wert der verwendeten Elektrolytlösung ab.
tung der Kapillarelektrophorese ist, wurde schon von
Tiselius erkannt, doch erst die technische Realisierung 13.3.1 Der Elektroosmotische Fluss (EOF)
Anfang der Achtzigerjahre des zwanzigsten Jahrhun-
derts ermöglichte den Durchbruch der Kapillarelekt- Zusätzlich zur elektrophoretischen Wanderungsge-
rophorese. Die üblicherweise verwendeten Kapillaren schwindigkeit wirkt auf alle Teilchen in einer Lösung
besitzen einen Innendurchmesser im Bereich von 50– ein allgemeiner Massenfluss durch den elektroosmosti-
100  μm. Geringere Kapillarendurchmesser haben das schen Fluss (EOF) als Bewegung relativ zu einer gelade-
praktische Problem der Verstopfung durch Kleinstpar- nen Kapillarenoberfläche aufgrund des elektrischen
tikel. Um die mechanische Stabilität zu erhöhen, ist die Felds. Die effektive Geschwindigkeit der Analyten setzt
Fused-Silica-­ Kapillare auf der Außenoberfläche mit sich daher aus der vektoriellen Summe der elektropho-
einer ca. 10 μm starken Polyimidschicht geschützt. Für retischen und elektroosmotischen Geschwindigkeit zu-
die Detektion ist das nicht UV-transparente Polyimid- sammen, wie in . Abb. 13.2 dargestellt.

coating zu entfernen (durch Flamme, starke Schwefel- Das ζ-Potenzial und damit der EOF sind abhängig
säure oder Skalpell). Vorsicht: Diese Stelle ist dann be- von der pH-abhängigen Dissoziation der Silanolgruppen
sonders zerbrechlich. an der Oberfläche der Fused-Silica-Kapillaren und da-
Die weitere Miniaturisierung des Systems führte zur durch vom pH-Wert der Elektrolytlösung (. Abb. 13.3).  

Mikrochip-Elektrophorese (MCE) auf Glas, thermo- Bei basischem pH-Wert ist der EOF üblicherweise
plastischen Polymeren wie Polydimethylsiloxan (PDMS) höher als die Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen,
oder auf Polymethylmethacrylat (PMMA). bei saurem pH-Wert geringer, weshalb bei basischem
302 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

pH-Wert auch Anionen durch den EOF zur Kathode Im Gegensatz zum hydrodynamischen Flussprofil,
transportiert werden. Dies bedeutet, dass sowohl Kat- welches parabolförmig ist, gleicht das Profil des EOF
ionen als auch Neutralmoleküle und Anionen katho- einem Stempel (. Abb. 13.4). Die Geschwindigkeit ist

denseitig detektiert werden. praktisch über den gesamten Querschnitt der Kapillare
Der Potenzialabfall in starrer und diffuser Doppel- konstant mit Ausnahme des geringen Bereichs der
schicht ist abhängig von der Ionenstärke der Lösung. Je ­diffusen Doppelschicht, in der die Geschwindigkeit des
höher die Ionenstärke, desto steiler ist der Potenzialab- EOF von null auf den Maximalwert zunimmt. Auf-
fall und desto geringer ist die Dicke der Doppelschicht. grund der konstanten Flussgeschwindigkeit trägt der
Die Geschwindigkeit des EOF nimmt daher mit der Io- EOF nicht zur Peakverbreiterung bei wie der hydrody-
nenstärke der Elektrolytlösung ab. namische Fluss in der HPLC. In der Kapillarzonenelek-
trophorese (CZE) werden deshalb in vielen Fällen Tren-
nungen auch bei hohem EOF durchgeführt.
Bei der Bestimmung von stark positiv geladenen Teil- Während die dynamische Belegung mit Polymeren
chen können häufig elektrostatische Wechselwirkungen (z. B. Polyethylenglykol, Cellulosederivate, Polyvinylal-
mit den negativ geladenen Silanolgruppen an der Kapil- kohol) nach Gl. 12.10 (7 Abschn. 12.2) zu einer Reduk-

laroberfläche zu einer drastischen Verschlechterung der tion des EOF führt, da die Viskosität in der Doppel-
Trennung (Signalverbreiterung) führen. In diesen Fällen schicht stark zunimmt, bewirkt die Adsorption positiv
kann die Trennung entweder durch chemische Modifi- geladener Detergenzien (wie Cetyltrimethylammonium-
kation der Silanolgruppen oder durch Adsorption von bromid) eine Richtungsumkehr des EOF. Um die Sila-
Polymeren oder positiv geladenen Detergenzien an die nolgruppen chemisch zu modifizieren, wurden zahlrei-
Oberfläche verbessert werden (dynamisches Coating). che Derivatisierungsreaktionen beschrieben, die sehr
hydrophile bis hydrophobe Coatings ergeben, wobei ein

O– O– O– O– O– O– O–+ O– O– O– O– O–+ O– O–
+ + +
+ + + + A
+ +
+ +
vEPH vEPH
+ – + –
13 vEOF vEOF vEOF

+
+ +
+ B
+ + +
+ +
+ + + +
O– O – O – O – O – O – O– O – O – O – O – O – O –

..      Abb. 13.2  Prinzip der Zonenelektrophorese: Wanderung der Io-


nen und Neutralteilchen in einer Kapillare mit dem elektroosmoti-
schen Fluss (vEPH elektrophoretische Geschwindigkeit, vEOF elektro- ..      Abb. 13.4  Vergleich verschiedener Flussprofile. A hydrodynami-
osmotische Geschwindigkeit) sches parabolförmiges Flussprofil, B EOF-Profil

3,5 1200
t EOF ID 100 µm ID 75 µm ID 50 µm ID 20 µm
3,0 1000 min nl min–1 nl min–1 nl min–1 nl min–1
Pufferfluss (in nl min–1)

2,0 1964 1105 491 79


t EOF (20 kV) (in min)

2,5
800 2,5 1571 884 393 63
2,0 3,0 1309 736 327 52
600 3,5 1122 631 280 45
1,5
4,0 982 552 245 39
400
1,0 4,5 873 491 218 35
200 5,0 785 442 196 31
0,5
5,5 714 402 178 29
0,0 0 6,0 655 368 164 26
2 7 12 604
6,5 340 151 24
pH-Wert

..      Abb. 13.3  pH-Abhängigkeit des elektroosmotischen Flusses bei neutrale Teilchen zum Detektor gelangen. (Nach Schmitt-Kopplin
konstanter Ionenstärke. Praktisch gesehen ändert sich der Puffer- und Frommberger 2003)
fluss in der Kapillare mit dem pH-Wert und somit die Zeit tEOF, in der
Kapillarelektrophorese
303 13
wesentlicher Faktor die Hydrolysebeständigkeit dar- pillarelektrophorese in der Routineanalytik notwendig.
stellt, die für die Langzeitstabilität dieser Kapillaren ent- Zwei Injektionsmodi werden in Routine eingesetzt:
scheidend ist. 55 hydrodynamische Injektion,
55 elektrokinetische Injektion.

13.3.2 Joule‘sche Wärmeentwicklung zz Hydrodynamische Injektion


Die hydrodynamische Injektion ist die am häufigsten
Während einer elektrophoretischen Trennung wird angewandte Probenaufgabetechnik in der Kapillarelekt-
durch den elektrischen Stromfluss durch die Kapillare rophorese. Das aufgebrachte Probenvolumen kann
Joule‘sche Wärme entwickelt. Die Wärmeabfuhr erfolgt durch eine Variante der Hagen-Poiseuille-Gleichung
nur über die Kapillarwand, woraus ein radialer Tempe- (mit dem Druckabfall ΔP in Pa, dem Kapillarinnen-
raturgradient resultiert, wie in . Abb. 13.5 dargestellt.
  durchmesser d, der Zeit t, der Viskosität η und der Ka-
Für eine maximale Trenneffizienz ist es äußerst wich- pillarlänge L) beschrieben werden:
tig, die Temperaturgradienten sehr klein zu halten. Dies
∆P · d 4 · π ·t 3
gelingt, auch bei hohen Stromstärken, durch Verringe- Vinj = 10 (13.2)
rung des Kapillarinnendurchmessers auf ≤ 100 μm und 128·η ·L

durch eine effektive Wärmeabfuhr, z. B. durch Flüssig-
Nach einlassseitigem Eintauchen der Kapillare in die
kühlung.
Probe kann der hydrostatische Druck aufgebaut werden
Die Temperaturdifferenz im Inneren der Kapillare
durch:
beträgt unter üblichen Bedingungen weniger als 1  °C,
55 Druck auf der Einlassseite,
während der Unterschied zur Außentemperatur bei
55 Vakuum an der Detektionsseite,
mehr als 10 °C liegen kann.
55 Gravitationskraft durch Anheben der Einlassseite.

Übermäßig lange Injektionszeiten (mit Probenzonen


13.3.3 Injektion der Proben
von über 10  % der Kapillarlänge) resultieren in einer
Verzerrung der Signale, da die Probenzonen vor der De-
Um die hohe Trenneffizienz der Kapillarelektrophorese
tektion nicht vollständig getrennt werden. Eine Beach-
zu gewährleisten, muss das Injektionsvolumen sehr ge-
tung von Injektionszeiten und Probenvolumina ist ins-
ring gehalten werden, damit es keinen signifikanten Bei-
besondere bei der Übernahme von Literaturmethoden
trag zur Bandenverbreiterung leistet. Die Varianz der
(mit unterschiedlichen Injektionsdrucken und Kapilla-
zusätzlichen Peakverbreiterung σ2Inj ist abhängig von der
rendurchmessern) wichtig. Die Druckinjektion ist heute
Länge l des rechteckförmigen Injektionsprofils:
unter den hydrodynamischen Injektionsarten die Me-
l2 thode der Wahl. Änderungen im Injektionsdruck kön-
σ Inj
2
= (13.1) nen geräteseitig durch automatische Korrektur der In-
12
Die reproduzierbare Injektion dieser kleinsten Volu- jektionsdauer kompensiert werden, wodurch eine
mina (einige Nanoliter Injektionsvolumen bei einem relative Standardabweichung von ca. 1 % erreicht wer-
Säulenvolumen von zwischen einigen Hundert Nanoli- den kann.
tern bis wenigen Mikrolitern) ist für den Einsatz der Ka-
zz Sample Stacking
Hydrodynamische Injektion wird häufig in Kombina-
tion mit den sog. Sample-Stacking-Verfahren eingesetzt.
Dabei nutzt man aus, dass das elektrische Feld entlang
einer elektrolytgefüllten Kapillare umgekehrt proportio-
nal zu der Leitfähigkeit des Elektrolyten ist. Somit

T
herrscht in der Zone geringerer Leitfähigkeit ein höhe-
res elektrisches Feld als im benachbarten Elektrolyten,
sodass die Ionen in dieser Zone eine höhere Geschwin-
digkeit erreichen. Sobald die Zone mit höherer Leitfä-
Innen- higkeit erreicht wird, werden die Ionen abgebremst und
durchmesser
konzentrieren sich in einer schmalen Bande. Durch diese
Außendurchmesser
Zonenschärfung werden eine bessere Trennqualität und
damit auch bessere Nachweisgrenzen erreicht. Wichtig
..      Abb. 13.5  Temperaturgradient über den Kapillarquerschnitt ist, dass die Ionenstärke und somit die Leitfähigkeit der
304 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

Probe mindestens um einen Faktor zehn geringer sind –– Lampenanregung


als die des Hintergrundelektrolyten. Der Idealfall ist –– laserinduzierte Anregung
eine Lösung der Analyten in reinem Wasser. Durch diese 55 Massenspektrometer
Probenkonzentrierung durch Leitfähigkeitsunterschiede 55 elektrochemischer Detektor
lassen sich die Injektionsvolumina und damit auch die 55 Radioisotopendetektor
Nachweisgrenze um einen Faktor von fünf bis zehn stei- 55 Leitfähigkeitsdetektor
gern. Aber auch hier gilt die Faustregel, die Länge der 55 Brechungsindexdetektor
Probenzone immer unter 10  % der Gesamtlänge der 55 Kernmagnetresonanzspektrometer
Trennkapillare zu halten.
Kommerziell erhältliche Geräte verfügen in der Grund-
zz Elektrokinetische Injektion ausstattung über einen Absorptionsdetektor und kön-
Die Probenaufgabe erfolgt durch Anlegen einer Hoch- nen optional mit weiteren Detektoren wie z.  B. einem
spannung an das Probengefäß, wodurch die Proben- Fluoreszenzdetektor oder einem Leitfähigkeitsdetektor
komponenten elektrophoretisch und elektroosmotisch ausgestattet werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit
in die Kapillare transportiert werden. Im Gegensatz zur der Online-Kopplung an ein Elektrospraymassenspekt-
hydrodynamischen Injektion erfolgt dadurch eine Dis- rometer.
kriminierung der Analyten entsprechend ihrer Mobili- Die Messung der Probenabsorption oder -fluores-
tät aus dem Probengefäß in die Kapillare, die aufge- zenz erfolgt üblicherweise durch die Kapillare, wofür bei
brachte Probenmenge nimmt mit der Mobilität der Fused-Silica-Kapillaren die nicht UV-transparente Poly-
Probeionen zu. Zusätzlich hängt die injizierte Analyt- imidschicht im Detektionsbereich entfernt werden muss.
menge von der Probenmatrix ab. Je höher der Anteil Die kleinen Abmessungen der Trennkapillare bedingen
und die Mobilität der Matrixionen, desto geringer ist eine sehr kurze optische Weglänge, wodurch die Kon-
die applizierte Analytkonzentration, da vermehrt Ma- zentrationsempfindlichkeit der Absorptionsdetektion
trixionen injiziert werden. Ist die Probe in Wasser ge- relativ gering ist. Beispielsweise sind für Peptidtrennun-
löst, findet dagegen eine starke Probenanreicherung in gen daher Konzentrationen von ca. 100 ng μl−1 üblich.
der Kapillare statt. Der Grad der Diskriminierung wird Falls ein geeigneter Fluorophor existiert, kann durch
jedoch mit zunehmendem elektroosmotischen Fluss Verwendung eines Fluoreszenzdetektors die Empfind-
verringert. lichkeit bis um den Faktor 1000 erhöht werden. Aller-
Gerätetechnisch ist die elektrokinetische Injektion dings weisen nur wenige Analyten eine native Fluores-
13 einfach zu realisieren und führt bei gleicher Probenzu-
sammensetzung zu hoher Reproduzierbarkeit. Bei un-
zenz auf, und die Derivatisierung bringt, wie auch in der
HPLC, eine Reihe von Problemen mit sich (die Derivate
terschiedlicher Matrix ist die wahre Analytkonzentra- sind z. B. instabil oder uneinheitlich).
tion jedoch nicht bestimmbar, da jede Komponente mit Durch die Kopplung der Kapillarelektrophorese an
ihrer eigenen Geschwindigkeit in die Kapillare einwan- ein Massenspektrometer besteht die Möglichkeit der di-
dert. Ohne Verwendung eines internen Standards ähnli- rekten Massenbestimmung. Am häufigsten findet die On-
cher Mobilität ist diese Injektionsart daher nicht sinn- line-Kopplung an ein Elektrospray- (ESI-)Massenspektro-
voll, weil die durch die Matrix verursachten Unterschiede meter statt. Weitere Ionisierungsmethoden wie Photoioni-
durchaus den Faktor 100 ausmachen können. Anderer- sierung (APPI), Laserionisierung (APLI) oder chemische
seits kann dieses Prinzip benutzt werden, um eine selek- Ionisierung (APCI) wurden beschrieben. Aufgrund der
tive Injektion zu erzielen. Pufferunempfindlichkeit und der schonenden Ionisierung
Trotz dieser Nachteile wird diese Injektionsart bei ist auch die matrixunterstützte Laserdesorptionsmassen-
gefüllten Kapillaren (z.  B. quervernetztes Gel, Puffer spektrometrie (MALDI-TOF-­MS) für eine exakte Mol-
mit hoher Viskosität, Elektrochromatographie CEC) massenbestimmung von Peptiden oder Proteinen geeignet.
eingesetzt, da die Injektion hier nicht hydrodynamisch Üblicherweise erfolgt diese Messung offline im Anschluss
erfolgen kann. an eine ­Fraktionierung.
Als deutlich seltener eingesetzte Detektionsarten
seien Leitfähigkeitsdetektion, elektrochemische oder ra-
13.3.4 Detektion diometrische Detektion, Messung des Brechungsindex
oder Kopplung mit der Kernmagnetresonanzspektros-
Zur Detektion der Analyten können in der Kapillarelek- kopie (NMR) genannt.
trophorese folgende Detektoren eingesetzt werden:
55 Absorptionsdetektor: zz UV-Detektion
–– UV-Detektor Der variable UV- und der Diodenarraydetektor sind die
–– Diodenarraydetektor am häufigsten verwendeten Detektoren und werden
55 Fluoreszenzdetektor: standardgemäß mit den Geräten geliefert.
Kapillarelektrophorese
305 13
Das Detektorfenster sollte deutlich schmaler als die Fluoreszenz auf und können mit UV-Lasern direkt an-
Breite der Analytzone sein, damit durch die Detektion geregt werden. Liegt keine native Fluoreszenz vor, exis-
kein Verlust an Auflösung auftritt. Die typischen Peak- tiert eine Reihe von Reaktionen zur Derivatisierung und
breiten liegen bei 1–5 mm; die Spaltbreite sollte deshalb Interkalation, wobei jedoch oft uneinheitliche Produkte
weniger als 1 mm betragen. Vor allem bei sehr schnellen auftreten.
Trennungen mit hunderttausenden theoretischer Trenn- Die gebräuchlichsten Laser, ihre Emissionswellen-
stufen ist der Einfluss des Detektionsfensters nicht zu länge λEM und Beispiele für Applikationen nach Um-
vernachlässigen. setzung mit den entsprechenden Farbstoffen sind in
Bei einem Absorptionsdetektor ist die Empfindlich- . Tab. 13.1 zusammengestellt.

keit durch das Lambert-Beer‘sche Gesetz limitiert. Die


Absorption ist dabei abhängig von der optischen Weg- zz Massenspektrometrische Detektion
strecke, welche die kritische Größe darstellt, da sie Die Kombination von Kapillarelektrophorese mit der
durch den Kapillarinnendurchmesser vorgegeben ist. Massenspektrometrie ist ein sehr leistungsstarkes Ver-
Lösungsansätze zur Vergrößerung der optischen Weg- fahren. Eine Online-Kopplung der CE an ein Elektro-
strecke (blasenförmige Aufweitung des Kapillarinne- spraymassenspektrometer (ESI-MS) ist auf verschie-
ren, z-­förmige Kapillaren oder rechteckförmige Kapilla- dene Weise möglich. Bei der Anordnung ohne sheath
ren) sind wegen Auflösungsverlusten oder technischen flow wird der elektrische Kontakt entweder über eine
Schwierigkeiten nur bedingt einsetzbar (nur für gut auf- Flüssig-­flüssig- (liquid junction) Verbindung oder ein
getrennte Analyten). So bleibt häufig nur die Erhöhung leitendes Kapillarende (z.  B. durch Bedampfen mit
der Konzentration der Probe oder die Beeinflussung des Metall oder Einbringen eines Metalldrahts) hergestellt
molaren Extinktionskoeffizienten durch Optimierung (. Abb.  13.6). Einfacher realisierbar und auch kom-

der Detektionswellenlänge (meist Verschiebung zu kür- merziell erhältlich ist die Kopplungstechnik, bei der ein
zerer Wellenlänge λ). koaxialer sheath flow von ca.  2–10  μl  min−1 zugespeist
wird, der folgende Aufgaben erfüllt:
zz Diodenarraydetektion 55 Er liefert die Gegenionen für die CE-Trennung (und
Im Gegensatz zum variablen UV-Detektor, bei dem nur sollte deshalb die gleichen Gegenionen enthalten),
Strahlung einer bestimmten Wellenlänge verwendet 55 er hilft den elektrischen Kontakt herzustellen, und
wird, wird hier Licht der gesamten spektralen Breite im 55 er erhöht die Stabilität des Elektrosprays.
UV-Vis-Bereich zur Detektion eingesetzt. Nach Durch-
tritt und eventueller Abschwächung durch die Probe Die kritischen Punkte einer Verwendung der Massen-
wird mit einem Gittermonochromator das Licht in die spektrometrie als Detektor für die Kapillarelektrophorese
spektralen Linien zerlegt und anschließend auf dem Di- sind einerseits die für die Kapillarelektrophorese benötig-
odenarray durch die der jeweiligen Wellenlänge zuge- ten Puffer (MS-kompatibel sind vor allem flüchtige Puf-
ordneten Dioden analysiert. Die spektrale Information fer, z. B. Ammoniumsalze der Essigsäure oder Ameisen-
lässt sich für eine automatisierte Online-Substanzerken- säure), andererseits die geringe Massenempfindlichkeit
nung heranziehen. der ESI-MS. Trotzdem ist die Massenspektrometrie eine
unverzichtbare Methode zur Identifizierung oder Cha-
zz Fluoreszenzdetektion rakterisierung der mit der CE getrennten Komponenten.
Grundsätzlich ist eine Fluoreszenzanregung durch eine
Deuterium-, eine gepulste Xenonlampe oder mittels La-
serlichtquelle möglich. Um die erforderliche Energie auf 13.4  Die Methoden der
das geringe Kapillarvolumen zu bündeln, ist der laser- Kapillarelektrophorese
induzierte Fluoreszenz- (LIF-)Detektor die geeignetste
Lösung. Im Gegensatz zur Absorptionsdetektion, bei Die verschiedenen Modi der Kapillarelektrophorese
der das Verhältnis der Intensitäten von eingestrahltem unterscheiden sich hinsichtlich der Zusammensetzung
und abgeschwächtem Lichtstrahl für die Signalgröße des Hintergrundelektrolyten und der substanzspezifi-
entscheidend ist, ist bei der Fluoreszenzdetektion die Si- schen Eigenschaften, die für die Trennung genutzt wer-
gnalintensität direkt proportional der Intensität der den (. Tab. 13.2).

eingestrahlten Anregungsenergie. Die Fluoreszenzde-


tektion zeichnet sich durch eine enorme Empfindlich-
keit – eine 10−12-molare Fluoresceinlösung kann noch 13.4.1 Kapillarzonenelektrophorese (CZE)
nachgewiesen werden – sowie durch eine hohe Selektivi-
tät aus. In der Kapillarzonenelektrophorese (CZE) beruht die
Peptide und Proteine, die aromatische Aminosäuren, Trennung der Analyten auf deren unterschiedlicher Mo-
insbesondere Tryptophan, enthalten, weisen eine native bilität, sowohl die Größe als auch die Ladung der Teil-
306 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

..      Tab. 13.1  Laser für die Fluoreszenzanregung

Energiequelle λEM (mm) Beispiel für Farbstoffe Applikation

Argon-Ionen-Laser 488 FITC1 Peptide, DNA


NBD-F2 Aminosäuren, Peptide
APTS3 Oligosaccharide
FQ4 Proteine
Helium-Neon-Laser 544 SYPRO Red Proteine
Merocyanin 540 Proteine
Helium-Cadmium-Laser 325 Dns-Cl5 Aminosäuren
ANTS6 Oligosaccharide
Diodenlaser 635 Cy 57 DNA, Antikörper
670 Dicarbocyaninfarbstoffe Aminosäuren, Peptide
Feststofflaser 355 Fluorescamin Aminosäuren, Peptide

1Fluoresceinisothiocyanat
24-Fluor-7-nitrobenzofurazan
31-Aminopyren-3,6,8-trisulfonsäure
45-Furoylquinolin-3-carboxaldehyd
5Dansylchlorid
68-Aminonaphthalin-1,3,6-trisulfonsäure
7Cyaninfarbstoff

flüssigkeitsgestützte Systeme direkte Spannungsapplikation

13 Koaxialflüssigkeit

A Trennkapillare MS C Trennkapillare MS

Koaxialflüssigkeit

B Trennkapillare MS D Trennkapillare MS


Kontaktflüssigkeit

..      Abb. 13.6  Typen von ESI-Interfaces. A System mit Koaxialflüs- tem (Spannungsapplikation distal zum Kapillarende oder über kon-
sigkeit (sheath liquid): Spannungsapplikation über äußeres Metall- duktive Beschichtung der Ionisierungsnadel). D Spannungsapplika-
rohr und Kontaktflüssigkeit auf das Ende der Trennkapillare (typi- tion über Platinelektrode in der Trennkapillare (In-Column-Elektrode).
scher Durchmesser ca. 1 mm). B Flüssigkeitsbrücke (liquid junction): (Nach Schmitt-Kopplin und Frommberger 2003)
Spannungsapplikation distal zum Kapillarende. C Sheathless-Sys-

chen sind für die Trennung entscheidend. Die Kapillare und werden bei ausreichenden Mobilitätsunterschie-
ist mit einem einheitlichen Elektrolytsystem gefüllt, um den voneinander getrennt. Das Trennprinzip ist in
den Stromtransport zu gewährleisten und um eine ein- . Abb. 13.7 skizziert.

heitliche Feldstärke und einen konstanten pH-Wert auf- Als Beispiel für eine zonenelektrophoretische Tren-
recht zu erhalten. Die Analytionen wandern unabhän- nung als Kation und als Anion ist in . Abb.  13.8 das

gig voneinander mit der ihrer Mobilität entsprechenden Elektropherogramm von Pestizidmetaboliten bei ver-
Geschwindigkeit (sowie der Geschwindigkeit des EOF) schiedene pH-Werten gezeigt.
Kapillarelektrophorese
307 13

..      Tab. 13.2  Trennmethoden der Kapillarelektrophorese

Trenntechnik Trennung nach Unterschieden in Applikation

Kapillarzonenelektrophorese CZE Größe/Ladung (Mobilität) kleine Ionen, Peptide, Proteine


Isotachophorese ITP Größe/Ladung (Mobilität) kleine Ionen, Proteine
Kapillaraffinitätselektrophorese ACE Größe/Ladung (Mobilität) Ligand-Wechselwirkung
nicht wässrige Kapillarelektrophorese NACE Größe/Ladung (Mobilität) kleine Ionen geringer
Wasserlöslichkeit
micellarelektrokinetische MEKC/ Hydrophobizität/Ladung ungeladene und geladene
Chromatographie MECC Substanzen
mikroemulsionselektrokinetische MEEKC Hydrophobizität/Ladung ungeladene und geladene
Chromatographie Substanzen
Kapillargelelektrophorese CGE Größe Proteine, DNA
Kapillarelektrochromatographie CEC chromatographischer kleine Ionen und Neutralteilchen
Retardierung
isoelektrische Fokussierung CIEF Ladung (isoelektrischer Punkt) Proteine

CE onsgrad ändert, ist die größte Mobilitätsänderung bei


AB CE dem pH-Wert zu beobachten, der dem pKa-Wert des
Analyten entspricht.
t=0
13.4.1.1 Signalverbreiterung
Der Trennung der Analyten wirkt die Signalverbreite-
rung entgegen, die in der CZE im Idealfall nur durch
longitudinale Diffusion verursacht wird und daher sehr
B A gering ist. In der CZE ist die Anzahl der theoretischen
Trennstufen nur von der angelegten Spannung (und
t = t' nicht von der Länge der Kapillare) und der Ladungs-
zahl des Analyten als einziger substanzspezifischer
Größe abhängig. In der Praxis wird jedoch in vielen
Fällen nicht die maximale Bodenanzahl erreicht, da zu-
sätzliche Phänomene zur Peakdispersion beitragen,
E
z.  B. durch Temperaturgradienten, Adsorption der
Analyten an die Kapillarwand, Injektion und Detek-
tion oder durch E­ lektrodispersion aufgrund von größe-
ren Mobilitätsunterschieden zwischen Analyt und Puf-
ferionen.

13.4.1.2 Elektrodispersion
z
Die Peakverbreiterung in der CZE wird nur dann aus-
..      Abb. 13.7  Prinzip der Zonenelektrophorese. Die gesamte Kapil- schließlich durch longitudinale Diffusion bestimmt, wenn
lare ist mit Trägerelektrolyt (CE) gefüllt. Die Feldstärke ist über den die elektrische Feldstärke in der gesamten Trennkapillare
gesamten Feldbereich konstant und wird im Idealfall nicht durch die konstant ist, d. h. nicht durch lokale Leitfähigkeitsunter-
Probenionen gestört. Die Probenionen A, B wandern aufgrund un- schiede gestört wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die
terschiedlicher Mobilität verschieden schnell. Diffusion führt zur
Zonenverbreiterung
Mobilitäten von Analytion und Pufferion sehr ähnlich sind
bzw. die Konzentration des Analyten sehr viel geringer
Die einfachste Optimierungsstrategie beginnt bei der (Faktor 100) als die des Puffers ist. In allen anderen Fällen
Auswahl des pH-Werts des Puffersystems. Da sich die findet eine zusätzliche Peakverbreiterung statt, da sich die
effektive Mobilität eines Analyten mit dem Dissoziati- elektrische Feldstärke in der Probenzone von der in der
308 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

0,05 5–11
0,02 2
pH 10,5 8 9 7 4
3
0,04 12

230 nm
6
0,01 10 1
EOF

0,03
0
3 4 5 6 7 8 9
0,02 Zeit (in min)
Simulation der Mobilitäten µ

0,01

0
2,5 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 7 7,5 8 8,5 9 9,5 10 10,5 11 11,5 12 12,5 13
pH-Wert
–0,01

–0,02 2
0,04 1
pH 2,5 6
43
0,03 5
230 nm

–0,03 7–8 9
0,02 11
12
0,01 10
–0,04
0
4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit (in min)
–0,05

..      Abb. 13.8  Zonenelektrophoretische Trennung von s-Triazin-­ Werten des Puffersystems ermöglicht eine gute Einschätzung der
Derivaten als Kationen bei pH 2,5 und als Anionen bei pH 10,5 in Trennung abhängig von den pKa-Werten der Analyten. (Nach
der CZE; die Simulation der Mobilitäten bei verschiedenen pH-­ Schmitt-Kopplin et al. 1997)

13 Umgebung, wenn auch nur geringfügig, unterscheidet. µA > µCE µA = µCE µA < µCE

Das resultierende Konzentrationsprofil ist nicht mehr


Gauß-förmig, sondern weist sog. Fronting oder Tailing auf. E

In einem Elektropherogramm sind häufig alle drei


Peakformen zu beobachten: Fronting, symmetrisch
und Tailing. Die Ursachen dafür liegen nicht in der
Adsorption von Analyten an die Kapillarwand, son-
c
dern nur in den unterschiedlichen Mobilitäten. Dieses
Problem lässt sich durch Anpassung der Mobilität des t

Pufferions an die des Analyten oder Verwendung ge-


ringerer Probenkonzentration oder höherer Pufferkon- ..      Abb. 13.9  Konzentrationsverteilung und Feldstärkeverlauf für
zentration lösen. unterschiedliche Werte von Proben- und Puffermobilität (μA Mobili-
tät des Probenions, μCE Mobilität des Pufferions)
Ist die Mobilität μA des Probenions geringer als die
des gleich geladenen Pufferions (μCE), so herrscht in der
Probenzone eine geringere Leitfähigkeit und damit eine Eine Verbreiterung des Injektionsprofils erfolgt
höhere Feldstärke als im Trägerelektrolyten. Die Vor- außerdem, wenn die Ionenstärke der Probenlösung
derfront des Peaks ist deshalb scharf, während das Ende sehr hoch ist, d. h. die anfängliche Leitfähigkeit in der
des Peaks diffus ist, da Ionen, die durch Diffusion im Probenzone höher ist als die im Trägerelektrolyten. In
Trägerelektrolyten zurückbleiben, durch die geringere der CZE sollten die Probenlösungen daher möglichst
Feldstärke noch weiter abgebremst werden (Tailing). Im wenige Fremdionen enthalten (7 Abschn. 13.3.3), vor  

Falle einer höheren Probenmobilität kehren sich die Ver- allem, wenn die Analytkonzentration sehr gering ist
hältnisse um, und das Konzentrationsprofil zeigt ein und entsprechend höhere Injektionsvolumina appli-
Fronting (. Abb. 13.9).   ziert werden.
Kapillarelektrophorese
309 13
13.4.1.3 Optimierung der Trennbedingungen pKa-Werte, Löslichkeit und Gleichgewichtsreaktionen.
Um die Auflösung der Probenkomponenten zu optimie- Die Reproduzierbarkeit von Trennungen ist direkt mit
ren, können eine Vielzahl von Parametern variiert werden, der Temperaturkonstanz verbunden.
die mehr oder weniger stark die Trennung beeinflussen: Höhere Temperaturen führen aufgrund der niedrige-
55 pH-Wert ren Viskosität der Lösung zu höheren Mobilitäten und
55 Ionenstärke daher kürzeren Analysenzeiten. Gleichgewichtseinstel-
55 Temperatur lungen werden beschleunigt, was zu höherer Effizienz
55 Kapillarbelegungen führen kann und die Löslichkeit oft verbessert. Eine Ab-
55 Pufferzusätze senkung der Temperatur ermöglicht das „Einfrieren“
von Gleichgewichten: Dadurch lassen sich Trennungen
zz pH-Wert des Puffers von Enantiomeren, Isomeren oder Komplexen erzielen,
Wie schon erwähnt, bewirkt bei schwachen Säuren und die bei Raumtemperatur nicht möglich sind. Wichtig ist
Basen die Variation des pH-Werts des Hintergrund- in allen Fällen, eine konstante Temperatur über die ge-
elektrolyten die größten Mobilitätsänderungen, da der samte Kapillare und über die Analysenzeit zu halten.
Dissoziationsgrad die effektive Mobilität bestimmt.
Durch pH-Änderungen wird aber neben der elektrop- zz Kapillarbelegungen
horetischen Mobilität auch der EOF verändert, da das Die Silanolgruppen der Fused-Silica-Kapillaren können
ζ-Potenzial pH-abhängig ist. Wie gezeigt, nimmt der in Kontakt mit einer Elektrolytlösung in Abhängigkeit
EOF mit dem pH-Wert zu. Ein höherer EOF führt zu vom pH-Wert dissoziieren. Dadurch entsteht eine nega-
kürzeren Analysenzeiten (im kathodischen Modus), tiv geladene Kapillaroberfläche, wodurch einerseits der
aber auch zu einer geringeren Auflösung für Kationen EOF resultiert, andererseits aber elektrostatische Wech-
und für Anionen mit μi < μEOF/2. Diese Effekte können selwirkungen mit kationischen Analytionen auftreten
sehr gut modelliert und Trennungen vorhergesagt wer- können. Adsorption von Probenkomponenten an die
den (. Abb. 13.8).
  Kapillarwand führt zusätzlich zu Bandenverbreiterung,
Substanzverlust und Änderungen im EOF, wodurch
zz Ionenstärke sich die Reproduzierbarkeit drastisch verschlechtert.
Die Ionenstärke des Puffers beeinflusst sowohl die Mobi- Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Probenad-
lität der Analyten als auch den EOF. Höhere Ionenstär- sorption zu verhindern:
ken haben den Vorteil, dass auch höhere Probenkonzent- 55 chemische Modifikation der Silanolgruppen
rationen bei geringer Elektrodispersion eingesetzt werden 55 dynamisches Belegen der Kapillarwand mit Poly-
können (Signalschärfe). Ebenso können elektrostatische meren
Wechselwirkungen der Probenionen (z. B. Proteine) mit 55 Zusatz kationischer Detergenzien
der Kapillarwand reduziert werden. Hohe Ionenstärken 55 hohe Ionenstärke der Elektrolytlösung
bei gleichzeitig hoher Mobilität (Leitfähigkeit) des Puf-
fers führen aber zu hohen Stromstärken und damit zu Die verschiedenen Methoden sind bei der Unterdrückung
hoher Joule’scher Wärmeentwicklung in der Kapillare, von Analyt-Wand-Wechselwirkungen unterschiedlich er-
wodurch die Trenneffizienz abnimmt. Abhilfe schaffen folgreich, vor allem bei Proteinen.
geringe Kapillarinnendurchmesser oder aber zwitterioni- Kapillarbelegungen weisen teilweise eine nur be-
sche Puffersubstanzen, die in sehr hoher Konzentration grenzte pH-Langzeitstabilität auf. Einige wichtige Ka-
eingesetzt werden können und in ihrer Mobilität oft auch pillarbelegungen werden bei den entsprechenden Appli-
besser den Analytionen entsprechen. kationsbeispielen beschrieben.

zz Temperatur zz Dynamisches Belegen


Temperaturgradienten in der Kapillare führen zu einem Dynamisches Belegen wird durch Spülschritte mit einer
Verlust an Trenneffizienz und sollten möglichst gering Polymerlösung vor jeder Trennung oder einfacher durch
gehalten werden. Eine effektive Kühlung ist deshalb eine Zusatz zum Pufferelektrolyten erreicht. Durch die Poly-
Voraussetzung, um die maximale Trennleistung zu er- merschicht auf der Kapillarwand werden die negativen
zielen und den Temperaturunterschied zwischen Kapil- Oberflächenladungen abgeschirmt. Der EOF wird da-
larinnerem und Umgebung gering zu halten. Zu hohe durch verringert, dass die Viskosität in der Doppel-
Innentemperaturen können z. B. bei labilen Verbindun- schicht durch das Polymer stark zunimmt. Dynamisches
gen zur Zersetzung führen. Eine wirksame Thermostati- Belegen kann sowohl auf unbehandelten Fused-Silica-­
sierung hat zudem den Vorteil, die Temperatur vorgeben Kapillaren angewendet werden als auch auf chemisch
und dadurch die Trennung beeinflussen zu können. Die modifizierte Kapillaren, wodurch der EOF sehr wirk-
Temperatur hat unter anderem Einfluss auf Mobilität, sam unterdrückt wird. In . Abb. 13.10 ist die Trennung

310 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

0,100 Die Trennung von Metallionen kann durch Zusatz


2 von Chelatbildnern, z.  B.  Citronensäure, Milchsäure
und α-Hydroxyisobuttersäure oder Kronenethern, opti-
3 miert werden.
0,075
Zusätze von Cyclodextrinen oder Kronenethern er-
möglichen eine sehr selektive Komplexierung und werden
4
häufig zur Trennung von Stereoisomeren eingesetzt. Cyc-
Absorption bei 200 nm

1
0,050 5
lodextrine sind zyklische Oligosaccharide mit sechs bis
acht Glucoseeinheiten, die im Inneren einen hydropho-
ben Hohlraum bilden, der mit Aromaten oder Alkylgrup-
pen wechselwirken kann. Die Selektivität lässt sich durch
0,025 die Ringgröße und durch Derivatisieren der äußeren Hy-
droxygruppen beeinflussen (7 Abschn.  13.4.5, Enantio-

merentrennung)
Weitere Möglichkeiten, die Trennung zu optimieren,
0,000
liegen im Zusatz von Ionenpaarbildnern und vor allem
Micellbildnern. Dies wird als eigene Technik, die
MEKC, in 7 Abschn. 13.4.2 abgehandelt.

10 15 Andere Pufferzusätze können Polymere sein, die ent-


Zeit (in min) weder die Kapillarwand dynamisch belegen oder als
Siebmedium wirken, organische Lösungsmittel, die ei-
..      Abb. 13.10  Trennung von fünf basischen Proteinen in einer mit
nerseits die Löslichkeit verbessern, andererseits den
Polyethylenglykol (PEG) dynamisch belegten Kapillare. Puffer:
0,05 M β-Alanin/Essigsäure mit 0,02% PEG, pH 4,0 (1 Cytochrom c, EOF, die pKa-Werte und Mobilitäten der Analyten be-
2 Lysozym, 3 Ribonuclease A, 4 Trypsinogen, 5 Chymotrypsinogen A) einflussen, und Harnstoff, um die Solubilisierung von
Proteinen zu verbessern.
von fünf basischen Proteinen in einer mit Polyethylen-
glykol dynamisch belegten Kapillare wiedergegeben.
Durch Unterdrückung von Proteinwechselwirkungen
13.4.2 Micellarelektrokinetische
mit der Kapillarwand wurde eine hohe Effizienz erzielt Chromatographie (MEKC) und
13 mit einer theoretischen Trennstufenzahl im Bereich von Mikroemulsion elektrokinetische
einer Million. Chromatographie (MEEKC)
Der Zusatz kationischer Detergenzien, die an die Ka-
pillarwand adsorbieren, bewirkt eine Umkehr der Ober- Die micellarelektrokinetische Chromatographie (MEKC)
flächenladung und damit des EOF.  Positiv geladene ist eine Hybridtechnik aus Elektrophorese und Chroma-
Analytionen können nicht mehr durch ionische Wech- tographie, die in den frühen Achtzigerjahren des letzten
selwirkungen mit der nun positiv geladenen Oberfläche Jahrhunderts von S. Terabe eingeführt wurde. Der Zu-
interagieren. satz von Micellbildnern (Detergenzien) zum Puffersys-
Die Erhöhung der Ionenstärke bewirkt eine bessere tem führt zur Bildung einer pseudostationären Phase
Verdrängung der Analytionen von der negativ gelade- aus geladenen Micellen. Der Begriff der pseudostationä-
nen Kapillaroberfläche. ren Phase hat seine Ursache darin, dass die Trennung wie
in der Chromatographie durch Interaktion mit einer
zz Pufferzusätze zweiten Phase erfolgt, diese aber im Unterschied zur
Die Selektivität einer Trennung kann auch durch Aus- Chromatographie beweglich ist. Die Trennung der Ana-
nützung sekundärer Gleichgewichte, die die Mobilität lyten basiert auf ihrer unterschiedlichen Verteilung zwi-
verändern, erzielt werden. schen der wässrigen Elektrolytlösung und den Micellen,
Vicinale Diolgruppen, etwa von Zuckermolekülen, wie in . Abb. 13.11 schematisch dargestellt ist. Neutral-

können mit Borationen Komplexe bilden, wodurch die moleküle, die in der CZE nicht getrennt werden können,
Analyten eine negative Ladung erhalten und elektrop- da sie nicht elektrophoretisch wandern und nur durch
horetisch wandern können. Zusätzlich können die gebil- den EOF transportiert werden, erhalten in der MEKC
deten Boratester mittels UV-Detektion detektiert wer- durch Wechselwirkung mit der geladenen Micelle eine
den. Das Komplexgleichgewicht wird durch pH-­Wert elektrophoretische Mobilität μi, die von der Mobilität der
und Boratkonzentration bestimmt. Micelle μMC und dem Kapazitätsfaktor k′i abhängt:
Kapillarelektrophorese
311 13
..      Abb. 13.11  Prinzip der
MEKC. Verteilung eines
neutralen Analyten zwischen
Lösung und Micellen. In Lösung µi
entspricht die Mobilität des
Neutralteilchens der des EOF
(μEOF) und in der Micelle der
Mobilität μMC. Daraus resultiert
+ –
eine effektive Mobilität μi, die
vom Verteilungskoeffizienten k µMC k µEOF
abhängt

..      Abb. 13.12  Zeitfenster der EOF


+ –
MEKC. Die Migrationszeit eines
neutralen Analyten (ti) ist
abhängig vom Kapazitätsfaktor
k′ und ist auf einen Bereich
beschränkt, dessen Grenzen
durch den EOF-t0 und die Micelle Analyt Wasser
Migrationszeit der Micelle tMC
gegeben sind Wasser Analyt Micelle

AU n MC
k‘ =
n aq

0 1 2 6 10 20 50
Kapazitätsfaktor k‘

0 t0 ti t MC
Zeit t

 k ′i  extrem hohen k′- Wert aufweisen und sich praktisch aus-


µi = µMC   (13.3) schließlich in der Micelle aufhalten.
 1 + k ′i  Je nach Polarität/Ladung besitzen Analyten eine un-
Der Kapazitätsfaktor k′i ergibt sich analog der HPLC terschiedliche Affinität zur pseudostationären Phase der
aus dem Verhältnis der Analytaufenthaltszeiten in der Micelle und daher eine unterschiedliche mittlere Aufent-
mobilen zur pseudostationären Phase und lässt sich ein- haltszeit in der Micelle und eine unterschiedliche Wan-
fach aus den Migrationszeiten von Analyt, Micelle und derungsgeschwindigkeit. Die Migrationszeiten aller
EOF (ti, tMC und t0) bestimmen: Analyten liegen in einem bestimmten Zeitfenster, wel-
ti − t0 ches durch den EOF und die Migrationszeit der Micelle
k ′i = (13.4) begrenzt ist (. Abb. 13.12).

 ti  Den größten Einfluss auf die Auflösung zwischen


t0 ·1 − 
 tMC  Analyten besitzen Änderungen in der Selektivität durch
t0 entspricht der Migrationszeit einer nicht retardierten Wahl unterschiedlicher Micellbildner und Änderungen
Komponente und lässt sich durch den „EOF-­ Peak“, in der Zusammensetzung der wässrigen Phase. Der Zu-
d. h. die Brechungsindexänderung des Puffers, leicht er- satz organischer Lösungsmittel bewirkt generell eine
mitteln. tMC lässt sich aus der Migrationszeit stark hyd- Verringerung des Kapazitätsfaktors sowie auch eine Ab-
rophober Farbstoffe (Sudan III) bestimmen, die einen nahme des EOF.
312 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

Als Micellbildner, die alle sowohl eine polare (hydro- Micelle. Die Größe einer Micelle liegt im Bereich von
phile) als auch eine unpolare (hydrophobe) Gruppe ent- 3–6 nm, es handelt sich also um homogene Lösungen.
halten, werden in der MEKC vor allem anionische, aber Für die als Micellbildner eingesetzten Detergenzien
auch kationische und zwitterionische Detergenzien ein- muss gelten:
gesetzt. Ab einer bestimmten Konzentration (kritische 55 gute Löslichkeit im Puffer (≫ CMC)
Micellkonzentration, CMC) aggregieren die Micellbild- 55 geringe UV-Absorption
ner, wobei die hydrophoben Enden zum Zentrum, die 55 geringe Viskosität
hydrophilen „Köpfchen“ zur wässrigen Pufferumge-
bung orientiert sind. . Tab.  13.3 zeigt eine Auswahl von Tensiden und ihre

Jeder Micellbildner besitzt eine bestimmte kritische kritische Micellkonzentration sowie Aggregationszahl.
Micellkonzentration und eine typische Aggregations- SDS ist der am häufigsten eingesetzte Micellbildner. Ein
zahl n, die durchschnittliche Anzahl der Moleküle pro Beispiel der Trennung von dansylderivatisierten Amino-
säuren in Gegenwart von SDS als Micellbildner ist in
. Abb. 13.13 gezeigt.

..      Tab. 13.3  Tenside, kritische Micellkonzentration (CMC)


und Aggregationszahl n in Wasser bei 25 °C
Bei Verwendung von quaternären Ammoniumsalzen
Micellbildner CMC n mit C10- bis C18-langen Alkylketten als kationischen
(in 10−3
M)
Micellbildnern ist zu beachten, dass diese bereits un-
terhalb der CMC so stark an die Fused-Silica-­
anionisch: Kapillarwand adsorbieren, dass es zu einer Flussum-
kehr kommt. Die negative Oberfläche bewirkt einen
  Natriumdodecylsulfat (SDS) 8,1 62
EOF in Richtung zur Anode, sodass Anionen auf-
  Natriumtetradecylsulfat (STS) 2,2 138 grund des EOF zusätzlich zur elektrophoretischen
  Natriumcholat (Salz der Gallensäure) 13–15 2–4 Wanderung vor Neutralmolekülen und anschließend
Kationen den Detektor erreichen (Umpolung!).
  Natriumtaurocholat 10–15 5
kationisch:
  Cetyltrimethylammoniumbromid (CTAB) 0,92 61 Die mikroemulsionselektrokinetische Chromatogra-
phie (MEEKC) verwendet eine O/W-Mikroemulsion als
13   Dodecyltrimethylammoniumbromid
(DTAB)
15 56
pseudostationäre Phase. Mikroemulsionen besitzen
meist eine höhere Stabilität als micellare Systeme. Die
zwitterionisch: Ölphase besteht aus einem mit Wasser nicht mischbaren
  3-(3-Cholamidopropyl)dimethylammonio- 4,2–6,3 9– organischen Lösungsmittel, wie z.  B. n-Heptan oder
3-propansulfonat (CHAPS) 10 Ethylacetat, die durch Tenside wie SDS und Kotenside
(kurzkettige Alkohole wie Butanol) stabilisiert werden.

..      Abb. 13.13 Trennung
Leu

Cys
Thr

dansylderivatisierter Aminosäu-
Ile

Lys (Didansyl)
Met

Glu

ren in Gegenwart von SDS als


Micellbildner. (Nach Miyashita
Hyp

Ala

Tyr (Didansyl)

und Terabe 1990)


Arg
Trp
Ser +Asn

Pro

0,01
Gln
Absorption

Asp
Gly
Aba

Phe
Val

0 2,5 5,0 7,5 10,0 12,5 15,0 17,5 20,0 22,5 25,0 27,5
Zeit (in min)
Kapillarelektrophorese
313 13
Die Emulsionströpfchen sind durch SDS negativ gela- wobei t[L] die Migrationszeit bei der Ligandenkonzentra-
den und besitzen somit wie SDS-Micellen eine Eigen- tion ist und t[L]=0 die Zeit ohne Ligandenzusatz.
mobilität zur Anode. Der Trennmechanismus für unge- Der Anteil α des Proteins, der als Komplex vorliegt,
ladene Analyten beruht analog zur MEKC auf der ist
Verteilung zwischen dem wässrigen Hintergrundelektro-
δt[ L]
lyten und den Emulsionströpfchen. α= (13.7)
δtmax

13.4.3 Kapillaraffinitätselektrophorese wobei δtmax die maximale Migrationsänderung darstellt,


(ACE) das heißt Sättigung erreicht wird. Durch Einführen der
Bindungskonstante Kb ergibt sich daraus:
Die Affinitätselektrophorese (ACE) wird eingesetzt, um K b · [ L]
Wechselwirkungen zwischen Molekülen zu untersuchen α= (13.8)
1 + K b · [ L]
und Bindungskonstanten sowie -stöchiometrie zu be-
stimmen.
Die Wechselwirkungen zwischen z. B. einem Protein Die Bestimmung der Bindungskonstante erfolgt z.  B.
und einem geladenen Liganden führen zu Unterschie- mittels Scatchard-Analyse nach folgender Gleichung,
den in der Mobilität zwischen Protein und dem gebilde- die sich durch Umformen des obigen Ausdrucks ergibt:
ten Komplex, wenn der Ligand eine Ladung trägt oder
sich die Molekülmasse des Komplexes wesentlich von α δt 1  δt 
= K b − K b ·α oder · = K b 1 − 
der des Proteins unterscheidet (. Abb. 13.14). Für viele
  [ ]
L δt max [ ]
L  δt max 

kleine Liganden sind in erster Linie Ladungsunter-
schiede für die beobachteten Mobilitätsunterschiede (13.9)
ausschlaggebend.
Als Beispiel ist die Bestimmung der Affinitätskonstante
Üblicherweise werden der Pufferlösung verschiedene
der Bindung eines 4-Alkylbenzolsulfonamids an Carbo-
Konzentrationen des Liganden zugesetzt und bei kons-
anhydrase B gezeigt. In . Abb. 13.15 ist eine Serie von
tanter Proteinkonzentration die Änderung in der Migra-  

Elektropherogrammen von Carboanhydrase B bei un-


tionszeit in Abhängigkeit von der Ligandenkonzentra-
terschiedlichen Konzentrationen von Sulfonamid im
tion bestimmt (Titration).
Puffer abgebildet. Die Verschiebung der Migrationszeit
Für die Komplexbildung monovalenter Protein-­
bei verschiedenen Ligandenkonzentrationen im Ver-
Ligand-­Komplexe gelten folgende Zusammenhänge:
gleich zur Trennung ohne Sulfonamidzusatz ergibt δt (in

Kb =
[ P ·L] der Abbildung δΔt, da die Zeiten auf das Referenzpro-
(13.5) tein Myoglobin bezogen werden, um die Präzision der
[ P ]·[ L] Messung zu erhöhen). Aus dem Scatchard-Plot, das
wobei Kb die Bindungskonstante, [P⋅L] die Konzentra- heißt durch Auftragen von (δt/δtmax) [L]−1 gegen δt/δtmax,
tion des Komplexes und [P] und [L] die Konzentrationen lässt sich direkt aus der Geradensteigung oder dem Ab-
von Protein und Ligand sind. szissenabschnitt die Bindungskonstante ablesen.
Die Änderung in der Migrationszeit δt bei einer be- Voraussetzung ist, dass eine Gleichgewichtseinstel-
stimmten Ligandenkonzentration ist gegeben durch: lung während des CE-Laufs erfolgt und die Proteinkon-
zentration niedrig genug ist, um bei höheren Liganden-
δt = t[ L] − t[ L]= 0 (13.6)
konzentrationen Sättigung erzielen zu können. Die so
erhaltenen Bindungskonstanten stimmen sehr gut mit
jenen überein, die mit anderen Methoden bestimmt
Kb
wurden.
+

13.4.4 Kapillarelektrochromatographie
Masse M m M+m
(CEC)
Nettoladung Z z Z+z
Die CEC verbindet die Vorteile der HPLC und der CE
Mobilität Z /M 2/3 z /m 2/3 (Z + z)/(M + m) 2/3 in einem Trennverfahren: die Trennphasen der Chroma-
..      Abb. 13.14  Mobilitätsänderung eines Proteins durch Komple- tographie und die elektrokinetischen Prinzipien der
xierung (zum Zusammenhang zwischen Mobilität und Molekül- Elektrophorese. Die HPLC ist die meisteingesetzte
masse vgl. 7 Abschn. 12.2)
  Trennmethode in der Bioanalytik und verfügt über eine
314 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

(in 10 6 M–1) 0,5 13.4.5 Enantiomerentrennungen


0,4
Zur Trennung von Enantiomeren wird dem Hintergrund-
0,3 elektrolyten ein chiraler Selektor zugegeben. Dabei han-
delt es sich um stereoisomerenreine Verbindungen, die
[L]
1

0,2 mit den Enantiomeren der Analyten diastereomere Kom-


·

plexe bilden. Diese Komplexe unterscheiden sich in ihrer


δ∆ t max

0,1 Stabilität (Bindungskonstante) oder den hydrodynami-


δ∆ t

schen Radien, sodass unterschiedliche elektrophoretische


0,0
0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Mobilitäten resultieren. Wichtige chirale Selektoren in
δ∆ t der CE sind Cyclodextrine (CDs), durch mikrobiologi-
δ∆ t max schen Abbau von Stärke gewonnene zyklische Oligosac-
charide, die aus 6 (α-CD), 7 (β-CD) oder 8 (γ-CD) α-(1,4)-
δ∆ t max glykosidisch verknüpften d-­Glucopyranose-­Einheiten
HHM CAB [L] (in µ M) aufgebaut sind (. Abb. 13.17). Dadurch bilden sich ko-

MO nische Hohlkörper mit lipophilem Innenraum und einem


180 hydrophilen Äußeren, die CDs unterscheiden sich in den
66
Dimensionen der Hohlräume. Durch Derivatisierung der
Hydroxygruppen sind zahlreiche Derivate kommerziell
33 verfügbar. Die Komplexierung der Analyten erfolgt
17
durch hydrophobe Wechselwirkungen für Substanzen,
die in den Hohlraum eingelagert werden, oder hydrophile
8 bzw. ionische Wechselwirkungen mit OH-Gruppen oder
3 ionischen Substituenten bei Derivaten. Im Falle der Tren-
nung eines positiv geladenen Analyten mit einem neutra-
0,9
len CD wandert das stärker komplexierte Enantiomer
0,3 langsamer als das weniger stark komplexierte Enantio-
mer, da der Komplex eine geringere Ladungsdichte und
0,0
damit geringere Mobilität besitzt als der freie Analyt
13 0 30
(. Abb. 13.18).

Zeit (in s)
Beispiele weiterer chiraler Selektoren sind makrozy-
klische Antibiotika wie Vancomyin oder Teicoplanin,
..      Abb. 13.15  Affinitätselektrophorese: Mobilitätsänderung δΔt chirale Kronenether, Metallkomplexe, Proteine oder
von Carboanhydrase B (CAB) bei unterschiedlichen Konzentratio- chirale Micellbildner.
nen des Liganden L (Sulfonamid) und dazugehöriger Scatchard-­ Enantiomerentrennungen werden in der Bioanalytik
Plot. Als interne Standards wurden Mesityloxid (MO) und Myoglo-
nur relativ selten durchgeführt, z.  B. zur Bestimmung
bin (HHM) verwendet. Die Bindungskonstante ergibt sich direkt aus
der Geradensteigung oder dem Abszissenabschnitt. (Nach Chu et al. des Verhältnisses von d- zu l-Aminosäuren in Protei-
1992) nen. Häufig angewendet wird die CE zur Enantiomeren-
trennung pharmazeutischer Wirkstoffe.
großen Vielfalt von Trennphasen sowohl für polare als
auch für stark apolare Moleküle (. Abb. 13.16). Diese  
13.4.6 Kapillargelelektrophorese (CGE)
wurden schon sehr früh in Kapillaren gefüllt und als
Trennphasen in der Elektrochromatographie genutzt, Die am häufigsten eingesetzte Elektrophoresetechnik ist
oft ergaben sich aber Probleme aufgrund ungleichmäßi- die Slab-Gelelektrophorese von Proteinen und DNA in
ger Packung oder aufgrund der Bildung von Glasbläs- biochemischen und molekularbiologischen Labors. In
chen wegen des Druckabfalls zwischen der Säulenpa- der klassischen Elektrophorese werden Gele als antikon-
ckung und der packungsfreie Zone. Daher haben sich vektive Medien eingesetzt, um eine Peakverbreiterung
die monolithischen Polymersäulen durch die Steue- durch Temperatureffekte zu verringern. Durch Verwen-
rungsmöglichkeit der Oberflächenchemie der Phase und dung von Kapillaren mit sehr geringem ­Innendurchmesser
der Porosität gegenüber den partikelgepackten und Sol-­ in der Kapillarelektrophorese ist die Wärmeabfuhr viel
Gel-­Kapillaren durchgesetzt. Die CEC ist eher ein „Ni- effizienter, sodass die Notwendigkeit, antikonvektive
schen-Verfahren“, Anwendungen in der Routineanaly- Medien zu verwenden, nicht mehr gegeben ist. Gele
tik gibt es derzeit nicht. spielen in der Elektrophorese aber als Siebmedien durch-
Kapillarelektrophorese
315 13
CEC (gepackte Kapillare) 3 6 1 Creatinin
1 2
+ EOF – 4 5 2 Cytidin
3 Adenosin
pH 2,00
4 Guanosin
2 5 Inosin
3 6 6 Uridin
1 5
4
pH 1,72
chromatographische Partikel
2
1 3
CEC (monolithische Kapillare)
6
+ EOF – 4 5
pH 1,50

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Zeit (in min)

Methacrylat-basierender Monolith 3 4
2 5
6
Alkylbenzol 1 7
Cn+6H2n+6
(n = 1–7)

10 kV × 8 s

10 kV × 1 s

0 3 6 9 12 15
Zeit (in min)

..      Abb. 13.16  Beispiele für Kapillarelektrochromatographie-­Trennungen (CEC) polarer und apolarer Substanzen in monolithischen Kapil-
laren (auf Methacrylatbasis). (Nach Ping et al. 2003 und 2004)

..      Abb. 13.17  Struktur und O CH2OH


O
Größe von α-, β- und γ- HOCH2 O
OH
Cyclodextrin. Die Dimensionen
O HO OH
der Hohlräume sind in den OH O
Strukturen angegeben O OH CH2OH
HO
470–520 pm
HOCH2 OH HO
OH
O OH OH
O
O HO
O
CH2OH
O O
CH2OH

CH2OH HOH2C O CH2OH


O O
O O
O O OH
O O
OH HO HO CH2OH
HO HO HO
O
HOCH 2 HO OH
O HOH2C HO CH2OH
OH HO
O OH
600–650 pm O O O
O OH HO
HO OH 750–850 pm
O HO O
CH2OH
HOCH2 OH OH
OH OH HO O CH2OH
O OH HO HOH2C
HO O O HO OH OH HO
O O
O CH2OH O HO O
CH2OH O
CH2OH O O
CH2OH
316 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

aus eine Rolle. Um diesen Effekt in der Kapillarelektro-


phorese ausnützen zu können, werden quervernetzte Vorteile der Kapillargelelektrophorese
oder lineare Gele eingesetzt. 55 schnellere Trennzeiten als bei der klassischen Slab-­
Die Kapillargelelektrophorese (CGE) ist eine Son- Gelelektrophorese durch bis zu 100-fach höhere
derform der CZE: In der CZE erfolgt die Trennung nach Feldstärken bei nur geringer Joule‘scher Wärme-
der Ladungsdichte (Masse/Ladung), also nach der Mo- entwicklung
bilität der Analyten. Sowohl Nucleinsäuren als auch 55 Automatisierbarkeit
(denaturierte) Proteine besitzen aber auch bei unter- 55 Online-Detektion der Analyten
schiedlichen Massen sehr ähnliche Ladungsdichten, so- 55 geringer Arbeits- und Geräteaufwand, z.  B. kein
dass sie in freier Lösung nicht zu trennen sind. Erst Gelgießen
durch einen zusätzlichen Siebeffekt ist eine Trennung 55 kein Färben und Entfärben, kein Densitometer
aufgrund der Größe möglich, da das Gelmedium die und kein Scanner erforderlich
elektrophoretische Wanderung der größeren Moleküle 55 kein Hantieren mit toxischem Acrylamid
stärker behindert als die der kleineren. Die Gelelektrop-
horese in der Kapillare zeigt gegenüber der klassischen Nachteile der Kapillargelelektrophorese
Slab-Gelelektrophorese gravierende Vorteile. 55 keine einfache präparative Probensammlung
55 nicht zweidimensional durchführbar

Anode Detektor Kathode


In der CGE werden meist nicht quervernetzte Polyacry-
µAS lamidgele, sondern lineare Polymere als Siebmedium
AS
+ µ AR eingesetzt (. Tab. 13.4).
AR  

+ Grundsätzlich lassen sich zwei Geltypen unter-


+ EOF – scheiden:
Quervernetzte Gele sind aus zwei Monomerbaustei-
nen (Acrylamid, Bisacrylamid) aufgebaut, zeigen defi-
nierte Porengröße und sind in ihren physikalischen Ei-
genschaften sehr starr. Sie werden in der Kapillare
..      Abb. 13.18  Prinzip der CE-Enantiomerentrennung. Das stärker polymerisiert und kovalent an die Kapillarwand gebun-
mit Cyclodextrin interagierende Enantiomer eines geladenen, chira- den (chemische Gele). Dabei kommt es häufig zur Gas-
13 len Analyten (hier AS) hat eine höhere Aufenthaltswahrscheinlich- blasenbildung und Schrumpfung des Gels. Sie sind nicht
keit mit dem Cyclodextrin als das schwächer komplexierte Enantio-
mer (AR). Da der Komplex langsamer wandert als der freie Analyt,
austauschbar und zeigen nur eine begrenzte Lebens-
migriert das schwächer komplexierte Enantiomer AR schneller als dauer (ca. 100 Trennungen), ihre Trennleistung ist aller-
das stärker komplexierte AS dings herausragend.

..      Tab. 13.4  Siebmedien in der CGE

Polymer Konzentration Anwendung

quervernetztes Polyacrylamid 2–6 % T 1 Oligonucleotide, DNA-Sequenzierung


3–6 % C 2

lineare Polymere
Polyacrylamid 6–10 % Oligonucleotide
< 6 % Restriktionsfragmente, PCR-Fragmente
Cellulosederivate < 1 % PCR-Fragmente
Polyethylenglykol < 3 % Proteine
Dextrane 10–15 % Proteine
Agarose < 1 % Proteine, Restriktionsfragmente

1Gesamtacrylamidkonzentration
2Vernetzungsgrad (vgl. 7 Abschn. 12.3)

Kapillarelektrophorese
317 13
Lineare Gele bestehen aus einem losen Geflecht linea- GCE aufgrund der im Vergleich zur SDS-PAGE größe-
rer Polymerketten, die nur durch physikalische Wechsel- ren Reproduzierbarkeit in der Routineanalytik von bio-
wirkungen zusammengehalten werden (physikalische technologischen Proteinarzneistoffen eingesetzt.
Gele). Die hoch viskosen Gelpufferlösungen sind durch
Druck austauschbar, sodass nach jeder Trennung ein
neues Gel in die Kapillare eingebracht werden kann. Mit 13.4.7 Isoelektrische Fokussierung (CIEF)
kommerziellen Geräten sind allerdings nur Lösungen von
linearem Polyacrylamid bis etwa 4  % austauschbar; die Die klassische isoelektrische Fokussierung (CIEF) ist
Unterscheidung zwischen „festem“ und „gelöstem“ Gel eine Methode, die aus der Proteinanalytik nicht mehr
stellt also nur eine praktische Sprachregelung dar. wegzudenken ist. Die Fokussierung im Gelformat hat
Für die Trennung von Proteinen ist die Verwendung den Nachteil, dass sie nicht automatisierbar, zeitauf-
von Polyacrylamid als Siebmatrix aufgrund der Eigen- wendig und aufgrund der Färbereaktion zur Detektion
absorption des Polyacrylamids unterhalb von 230  nm schlecht quantifizierbar ist. Variationen bei der Gelher-
problematisch. Bei einer Wellenlänge von 280 nm ist die stellung führen häufig zu Problemen in der Reproduzier-
Empfindlichkeit gegenüber 214 oder 200 nm extrem ab- barkeit. Die Übertragung der isoelektrischen Fokussie-
gesenkt (≈ 1 %). Für Routineanwendungen sind daher rung auf die Kapillare kann diese Probleme lösen,
Dextrane, Hydroxypropylcellulose oder Polyethylengly- erfordert aber eine Adaptierung an die instrumentellen
kole mit Molekülmassen im Bereich von 100.000 UV-­ Gegebenheiten. Bei der Verwendung von CE-­Geräten,
transparente Siebmedien der Wahl (. Abb.  13.19).   die nur die Detektion an einem fixen Punkt erlauben,
Viele Hersteller bieten Kits an, die reproduzierbare Ver- müssen Proteine nach ihrer Fokussierung mobilisiert,
fahren erlauben. d.  h. durch den Detektor transportiert werden. Man
Die Beziehung zwischen Migrationszeit und Mole- unterscheidet drei Methoden der Mobilisierung:
külmasse der SDS-Proteinkomplexe zeigt eine sehr gute 55 Ein-Schritt-Fokussierung mit Mobilisierung durch
Linearität. Die routinetaugliche Methode kann auf dem den EOF
analytischen Sektor durchaus die SDS-PAGE ersetzen. 55 Fokussierung mit Druck-/Spannungsmobilisierung
Der Molmassenbereich erstreckt sich von etwa 15 kDa (. Abb. 13.20)

bis über 200 kDa. In der Pharmaindustrie wird die SDS-­ 55 Fokussierung mit chemischer Mobilisierung

R Radius 25 mM Carbonatpuffer pH 9,4


lineare Polymere-Lösung Polymer-
Porengröße 0 % Gel a–d
254 nm
Brownsche Bewegung

R<
e
f

0 –0,01 –0,02 –0,03


loses Geflecht linearer Polymere c
0,1 % Gel d
254 nm

b e
R>
f
a
Wurm-Bewegung

0 –0,01 –0,02 –0,03


starkes Geflecht linearer Polymere
c
0,2 % Gel d
b
254 nm

e
R >> a
f

0 –0,01 –0,02 –0,03


µ (in cm2 V–1 min–1)

..      Abb. 13.19  Einfluss der Konzentration einer linearen Polymerlösung auf den Siebeffekt und die CGE-Auftrennung von Polystyrensulfonat-­
Polymeren verschiedener Größen. (CGE-­Trennungen nach Schmitt-Kopplin und Junkers in Wilkinson und Lead 2007)
318 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

Füllung der Kapillare pI 5,9 pI 5,1


B C

pI 9,45
pI 2,75
A
D
Simazin
+ Fokussierung –

230 nm
+ Mobilisierung im pH-Gradienten –
Mobilisierung im
pH-Gradienten
Druck Fokussierung Amelin

0 5 10 15 20 25 30 35 40
Zeit (in min)

..      Abb. 13.20  Prinzip der isoelektrischen Fokussierung mit Druck- dung des pH-Gradienten erfolgt auch die Fokussierung der Analyt-
mobilisierung. Die gesamte Kapillare wird mit einer Mischung aus proteine, die anschließend, um detektiert werden zu können, mobili-
Ampholyt und Proteinen gefüllt. Die Kapillarenden tauchen in siert werden müssen. A–D sind CIEF-aufgetrennte Proteine mit
NaOH bzw. H3PO4. Bei Anlegen einer Spannung an die Kapillare unterschiedlichem pI-Wert. (CIEF nach Schmitt-Kopplin et  al.
beginnt sich der pH-Gradient auszubilden. Gleichzeitig mit der Bil- 1997)

Durch Wahl der TEMED-­Konzentration kann genau der


Der pH-Gradient wird durch eine große Anzahl von Kapillarabschnitt vom Detektor bis zum Kapillarende
Ampholyten mit unterschiedlichen pI-Werten gebildet. von TEMED „besetzt“ werden. Diese Lösung ist experi-
Je geringer die Abstände zwischen den einzelnen mentell sehr einfach und reproduzierbar durchzuführen.
pI-Werten, desto homogener wird der pH-Gradient. Andere Methoden nützen den Vorteil der geringeren Dif-
13 Üblicherweise wird die gesamte Kapillare mit einer
Mischung aus Ampholyt und Probe gefüllt. Beim An-
fusion in viskosen Medien und verwenden Gele, wie in
7 Abschn. 13.4.6 beschrieben.

legen einer Spannung beginnen die Ampholytionen Üblicherweise werden bei allen Fokussiertechniken
entsprechend ihrem pI-Wert zu wandern und damit ei- belegte Kapillaren verwendet, um den EOF zu reduzie-
nen pH-Gradienten aufzubauen. Bei Erreichen eines ren bzw. komplett zu unterdrücken.
pH-Werts, der ihrem pI-Wert entspricht, endet ihre
elektrophoretische Wanderung, es kommt daher zu ei- 13.4.7.1 Ein-Schritt-Fokussierung
ner Abnahme der elektrischen Stromstärke während Hier wird gleichzeitig mit der Fokussierung auch eine
der Fokussierung. In diesem entstehenden pH-Gradi- Mobilisierung durchgeführt, da der EOF nur reduziert,
enten wandern die Proteine so lange, bis ihre Ge- aber nicht vollständig eliminiert wird. Aufgrund der pH-­
schwindigkeit null wird, d.  h. sie einen pH-Wert er- Abhängigkeit des EOF nimmt er während der Mobili-
reicht haben, der gleich ihrem pI-Wert ist. sierung ab, sodass kein linearer Zusammenhang zum pI
der Kalibratoren besteht. Verringern lässt sich diese
EOF-Abnahme während der Mobilisierung dadurch,
Da der On-Column-Detektor immer eine gewisse Dis- dass der pH-Gradient nur in einem kurzen Stück der
tanz vom Kapillarende entfernt ist und die Mobilisierung Kapillare (Kapillarende bis Detektor) aufgebaut wird
nur in eine Richtung erfolgt, sollte der pH-­Gradient nur und der größere Teil der Kapillare mit TEMED blo-
vor dem Detektor gebildet werden, um nicht stark saure ckiert wird. Dadurch erhält man auch während der Mo-
oder stark basische Proteine bei der Detektion zu verlie- bilisierung im Großteil der Kapillare einen basischen
ren. Dies kann erreicht werden, indem man den anderen pH-Wert.
Teil der Kapillare „blockiert“, entweder durch den Ka- Der Vorteil dieser Methode ist die einfache Durch-
tholyten (NaOH) oder durch Zusatz von N,N,N′,N′- führbarkeit und kurze Analysenzeit. Für stark basische
Tetramethylethylendiamin (TEMED) zur Ampholytmi- Proteine ist diese Methode jedoch weniger geeignet, da
schung. TEMED als sehr basische Verbindung wandert diese oft noch nicht vollständig fokussiert sind, wenn sie
zum basischen Ende des pH-Gradienten und blockiert den Detektor passieren. Im pH-Bereich von ca. 8,5–4,5
somit einen Teil der Kapillare für den pH-Gradienten. ist die Methode aufgrund ihrer Robustheit und Schnel-
Kapillarelektrophorese
319 13
0,10

Myoglobin
3 14

MAb3
4

MAb4
0,015
12

β -Lactoglobulin B
β -Lactoglobulin A

Absorption bei 280 nm


10
Absorption bei 280 nm

Strom (in µA)


MAb2

MAb5
Myoglobin
0,010
0,05 1 8

6
0,005 5 5
3

MAb1

MAb6
4
2
0,000 2
0,00
0
0 10 20 30
–0,005
7 8 9 10 11 Zeit (in min)
Zeit (in min)
..      Abb. 13.22  CIEF mit Druck-/Spannungsmobilisierung von
Standardproteinen. 1 Cytochrom c, 2 Ribonuclease A, 3 Myoglobin,
..      Abb. 13.21  Ein-Schritt-Fokussierung eines monoklonalen Anti-
4 Carboanhydrase, 5 β-Lactoglobulin A, B. (Nach Schwer 1995)
körpers mit internen pI-Markern. (Nach Schwer 1995)

ligkeit jedoch gut geeignet z. B. zur Trennung monoklo- 17 18 19


naler Antikörper, wie . Abb. 13.21 zeigt.  

13.4.7.2  okussierung mit Druck-/


F
Absorption bei 280 nm

0,05
Spannungsmobilisierung
Durch Ausschalten des EOF sind Fokussierung und 0,05
Mobilisierung voneinander getrennt. Proteine können
in einem ersten Schritt vollständig fokussiert werden
und werden erst anschließend durch Druck durch das
Detektionsfenster geschoben. Da dies mit konstanter 0,00
Geschwindigkeit erfolgt, bleibt die Linearität der Kalib-
0,00
riergeraden erhalten. In . Abb. 13.22 ist die Fokussie-  

rung von Standardproteinen, die einen weiten pI-Be- 16 18 20


Zeit (in min)
reich abdecken, gezeigt.
Um die hohe Trennschärfe der Fokussierung zu er- ..      Abb. 13.23  Vergleich der Auflösung von Druck-/Spannungsmo-
halten, ist es unbedingt notwendig, auch während der bilisierung (rot, gestrichelt) und chemischer Mobilisierung (—) am
Mobilisierung eine hohe Feldstärke an die Kapillare an- Beispiel eines sehr basischen monoklonalen Antikörpers (Aus-
zulegen, damit keine Vermischung durch das hydrody- schnitt). (Nach: Schwer 1995)
namische Flussprofil erfolgt. Nur bei hohen Feldstärken
ist die Auflösung bei Druckmobilisierung vergleichbar den. Die Linearität dieser Methode ist sehr gut, nur der
mit der Ein-Schritt-Fokussierung. zuletzt mobilisierte saure Bereich ist gestaucht. Für
saure Proteine ist daher eine anodische Mobilisierung
13.4.7.3  okussierung mit chemischer
F z. B. durch Na+-Ionen vorteilhafter.
Mobilisierung Die Analysezeiten können durch Erhöhung der Kon-
Auch hier erfolgen Fokussierung und Mobilisierung zentration des mobilisierenden Ions verkürzt werden,
voneinander getrennt, weshalb der EOF vollständig un- allerdings etwas auf Kosten der Auflösung, da bei höhe-
terdrückt werden muss. Die Mobilisierung erfolgt che- ren Konzentrationen die Joule‘sche Wärmeentwicklung
misch durch Änderung der Zusammensetzung des Ano- zunimmt.
lyten oder Katholyten. Bei kathodischer Mobilisierung Da bei dieser Methode weder ein hydrodynamischer
wird ein Teil der OH−-Ionen z. B. durch Cl−-Ionen er- Fluss noch ein uneinheitlicher EOF zu einem Effizienzver-
setzt, wodurch der pH-Wert in der Kapillare von der lust führen, liefert die Fokussierung mit chemischer Mobi-
Kathodenseite her erniedrigt wird. Das „Auflösen“ des lisierung die höchste Auflösung der drei Methoden. Ein
pH-Gradienten bewirkt, dass der pH-Wert nicht mehr Vergleich der Druck-/Spannungsmobilisierung und der
dem jeweiligen pI-Wert der Proteine entspricht. Sie er- chemischen Mobilisierung am Beispiel eines sehr basischen
halten wieder eine positive Ladung, wandern elektrop- monoklonalen Antikörpers macht die Überlegenheit der
horetisch zur Kathode und können dort detektiert wer- chemischen Mobilisierung deutlich (. Abb. 13.23).  
320 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

13.4.7.4 I maged isoelektrische Fokussierung als in der Zone des Endelektrolyten. Die Probe wird an
(iCIEF) der Grenzfläche der beiden Elektrolyte aufgebracht. Ent-
Um Mobilisierungsschritte gänzlich zu vermeiden, wur- sprechend der mittleren Leitfähigkeit der Zone herrscht
den von verschiedenen Herstellern spezielle CE-Geräte eine mittlere Feldstärke Emix. In dieser gemischten Zone
entwickelt, die eine Darstellung der gesamten Trennstre- wandern die Analytionen zunächst ihrer Mobilität ent-
cke in der Kapillare erlauben (whole column imaging de- sprechend verschieden schnell:
tection). In Kombination mit der CIEF spricht man von
vi = µi ·Emix (13.10)
der imaged CIEF (iCIEF). Dabei werden in speziellen
Kassetten relative kurze Kapillaren verwendet, die De- Dabei ordnen sich die Ionen mit hoher Mobilität an
tektion erfolgt über geeignete Optiken mithilfe von der Vorderfront und die mit geringer Mobilität am
CCD- (Charge-Coupled Device) oder CMOS- (Comple- Ende der Zone an, bis ein stationärer Zustand erreicht
mentary Metal-Oxide Semiconductor) Sensoren. Auf ist. Jedes Analytion bildet dabei eine eigene Zone, die
diese Weise kann die Fokussierung in Echtzeit verfolgt eine ihrer Mobilität entsprechende Feldstärke aufweist
werden. Die iCIEF wird häufig in der Pharmaindustrie (. Abb.  13.25). Alle Zonen wandern so unmittelbar

zur Qualitätskontrolle biotechnologischer Proteinwirk- hintereinander mit einer konstanten Geschwindigkeit,


stoffe eingesetzt. Dies ist schematisch in . Abb.  13.24   der Geschwindigkeit des Leitelektrolyten.
gezeigt. Der pI-Bereich wird durch Standardsubstanzen Die Analytzonen werden nicht wie in der CZE durch
mit bekannten pI-Werten begrenzt. Diffusion verbreitert, sondern bleiben aufgrund des
„selbstschärfenden Effekts“ durch den Feldstärkegradi-
enten scharf. In andere Zonen diffundierende Ionen wer-
13.4.8 Isotachophorese (ITP) den durch die dort herrschende unterschiedliche Feld-
stärke wieder in ihre eigene Zone abgebremst oder
Die Trennung in der Isotachophorese (ITP) erfolgt nach
der Mobilität, das heißt nach der Ladungsdichte der Io-
nen, analog wie in der CZE. Der Unterschied liegt in der TE
Elektrolytlösung. Während in der CZE die gesamte Ka- AB LE
pillare mit einem Trägerelektrolyten gefüllt ist, der eine
konstante Feldstärke bewirkt, verwendet man in der ITP
t=0
eine Anordnung mit zwei Elektrolytlösungen: einen Leit-
13 elektrolyten und einen Endelektrolyten, die so gewählt
sind, dass die Mobilität des Leitelektrolyten höher als die
Mobilitäten aller Analytionen ist und die des Endelek-
trolyten geringer. Nach Anlegen der Spannung bildet TE B A LE
sich aufgrund der unterschiedlichen Mobilitäten, d.  h.
der Leitfähigkeiten in den beiden Elektrolyten, nach dem t = t'
Ohm‘schen Gesetz ein Feldstärkegradient. In der Zone
des Leitelektrolyten herrscht eine geringere Feldstärke

Hauptpeak E TE

pI-Marker 2 A

LE
mAU

saure
pI-Marker 1 Varianten z
basische
Varianten
..      Abb. 13.25  Elektrolytanordnung und Feldstärkeverlauf in der
Isotachophorese. Das Trennsystem besteht aus einem Leitelektroly-
ten (LE) und einem Endelektrolyten (TE). Die Probenionen (A, B)
werden an der Grenzfläche zwischen beiden Elektrolyten aufge-
pI bracht. Nach einer Zeit t′ sind die Probenionen A, B voneinander
getrennt und bilden ihre eigene Zone, in der eine ihrer Mobilität ent-
..      Abb. 13.24  Schematische Darstellung der iCIEF-Trennung ei- sprechende Feldstärke herrscht. Dieser Stufengradient in der Feld-
nes monoklonalen Antikörpers stärke verhindert eine Diffusion der scharfen Zonengrenzen
Kapillarelektrophorese
321 13
beschleunigt. Das Konzentrationsprofil ist deshalb recht- CE
eckförmig, wobei die Konzentration an die des Leitelekt- H
+
A, B OH

CE
rolyten entsprechend Kohlrauschs „beharrlicher Funk-
tion“ adaptiert wird:

µ A ( µ L + µQ )
cA = cL (13.11)
µ L ( µ A + µQ )
CE: 0,02 M Na-Phosphat, pH 2,8
Dabei sind cA und cL die Konzentrationen des Analyten +
H : 0,1 M H3PO4
bzw. des Leitelektrolyten und μA, μL und μQ die Mobili- –
OH : 0,1 M NaOH
täten von Analyt, Leitelektrolyt bzw. Gegenion. A,B: Probenionen
Die Analytzonen enthalten außer dem Gegenion
keine Fremdionen. Im Gegensatz zur CZE, in der Ver- ..      Abb. 13.26  Elektrolytanordnung des Ein-Puffer-Stackingsys-
tems. Die Probenionen werden zwischen H+ und OH− „fokussiert“
dünnung der Probenzone durch Diffusion auftritt, wer-
den in der ITP verdünnte Proben durch die Konzentra-
tionsadaptierung angereichert. 13.5.1.2 Zwei-Puffer-Stackingsystem
Als Analysenmethode hat sich die ITP nicht durch- Das Elektrolytsystem besteht aus zwei Puffern, die so
gesetzt, obwohl sie schon in den Sechzigerjahren des gewählt sind, dass der Trennpuffer eine sehr geringe
letzten Jahrhunderts entwickelt wurde, möglicherweise Mobilität aufweist (Endelektrolyt) und der Leitelektro-
aufgrund nicht automatisierter Geräte und der für Ana- lyt eine sehr hohe Mobilität. Die Kapillare wird mit En-
lytiker unüblichen Konzentrationsverteilung und -dar- delektrolyt gefüllt, und vor der Probe wird eine etwa
stellung. Sie ist aber eine ideale Methode zur Online-­ gleich lange Zone an Leitelektrolyt in die Kapillare ein-
Probenkonzentrierung für die CZE und ermöglicht eine gebracht. Die Kapillarenden tauchen in den Endelektro-
bis zu 100-fache Erhöhung des Injektionsvolumens lyten. Zu Beginn der Trennung herrschen deshalb isota-
(7 Abschn.  13.3.3). Isotachophoretische Effekte kön-

chophoretische Bedingungen für die Probe, die zwischen
nen auch in der CZE bei entsprechender Probenmatrix- Leit- und Endelektrolyt konzentriert wird. Die Ionen
zusammensetzung auftreten, weshalb das Verständnis des Leitelektrolyten wandern aber auch zonenelektrop-
der ITP auch wichtig für die CZE ist. horetisch im Endelektrolyten, sodass sie sich von den
Probenionen entfernen, die schließlich auch zonenelek-
trophoretisch im Endelektrolyten getrennt werden
13.5  Spezielle Techniken (. Abb.  13.27). Eine ähnliche Wirkung wie eine Leit-

elektrolytzone vor der Probenzone bewirken auch Ionen


13.5.1 Online-Probenkonzentrierung hoher Mobilität, die sich in der Probenlösung befinden.

Obwohl die Kapillarelektrophorese nur sehr geringe


Probenvolumina erfordert, ist die für die UV-Detektion 13.5.2 Fraktionierung
erforderlich Konzentration relativ hoch (ca.  0,01 bis
0,1  mg ml−1), da nur winzige Probenvolumina injiziert Aufgrund der geringen Konzentration wird nur selten
werden, um die hohe Trenneffizienz der Kapillarelektro- eine Fraktionierung zur weiteren Charakterisierung der
phorese zu erhalten. Zur Erhöhung der Konzentrations- Analyten durchgeführt. Dabei müssen einige Punkte be-
empfindlichkeit ist es jedoch möglich, das Injektionsvo- rücksichtigt werden. Da der Detektor nicht am Ende
lumen um das 50- bis 100-Fache zu vergrößern, wenn der Kapillare angeordnet ist und sich unterschiedliche
ein Stacking der Analyten, wie auch in der klassischen Analyten nach der Peakerkennung nicht mit konstanter
SDS-PAGE angewendet, durchgeführt wird. Dazu wur- Geschwindigkeit zum Kapillarende bewegen, wie es in
den verschiedene diskontinuierliche Puffersysteme ent- der HPLC der Fall ist, muss für jeden einzelnen Peak
wickelt. nach der Detektion das Zeitfenster für die Fraktionie-
rung berechnet werden. Feldstärkegradienten im System
13.5.1.1 Ein-Puffer-Stackingsystem (z. B. durch Konzentrierungsschritte zur Erhöhung der
Dieses Konzentrierungssystem ist vor allem zur Kon- Probenbeladung) bedingen eine nicht konstante Wande-
zentrierung amphoterer Verbindungen geeignet. Die rungsgeschwindigkeit bis zum Detektor und erschweren
Probenzone wird dabei zwischen zwei Zonen mit extre- somit die genaue Zeitvorhersage für die Fraktionierung,
men pH-Werten (verdünnte NaOH und H3PO4) aufge- wenn ausschließlich die Detektionszeit bekannt ist. Ge-
bracht und dadurch „fokussiert“ (. Abb.  13.26). Die
  rade für sehr komplexe Trennungen (z.  B. nach trypti-
anschließende Trennung erfolgt z. B. in Phosphatpuffer. scher Spaltungen eines Proteins) ist aus diesem Grund
322 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

TE eine Anordnung wünschenswert, die eine automatische


A,B,C LE TE Fraktionierung ohne eine vorherige Ermittlung der je-
weiligen Wanderungsgeschwindigkeiten „HPLC-ana-
t=0 log“ ermöglicht.
Durch Zuspeisen eines Make-up-Flusses von
5–10 μl min−1 über ein T-Stück vor dem Detektor wird der
Transport der Analytionen nach der Detektion durch den
TE zugespeisten Fluss bestimmt und ist daher konstant. Pro-
C B A LE ben können am Kapillarende kontinuierlich gesammelt
werden, ohne die Spannung unterbrechen zu müssen.
t = t' Durch isotachophoretische Probenkonzentrierung
kann das Probenvolumen so weit erhöht werden, dass
die Probenmengen aus einer Trennung ausreichend für
eine nachfolgende Sequenzanalyse sind. In . Abb. 13.28  

LE: 0,05 M Ammoniumacetat ist das Elektropherogramm einer mikropräparativen


TE: 0,05 M Betain/ 0,05 M Essigsäure, pH 3,3 Trennung tryptischer Peptide mit der oben beschriebe-
A,B,C: Probenionen nen Anordnung zu sehen, wobei elf Peaks gesammelt
wurden, deren Reinheit durch Reinjektion eines kleinen
..      Abb. 13.27  Elektrolytanordnung des Zwei-Puffer-Stackingsystems. Anteils der Probe überprüft wurde (kleines Bild in
Die Leitelektrolytzone (LE) vor der Probenzone bewirkt anfänglich iso- . Abb.  13.28). Alle basisliniengetrennten Peaks konn-

tachophoretische Bedingungen, die zu einer Probenkonzentrierung füh- ten mit einer Reinheit von 95 % gesammelt werden. Die
ren. Nach einer bestimmten Zeit t wandern die Leitelektrolytionen je- Peptidmengen aus einer Trennung waren ausreichend
doch in den Endelektrolyten (TE), sodass der weitere Trennverlauf der
Probenionen zonenelektrophoretisch erfolgt
sowohl für eine Charakterisierung durch Aminosäure-

..      Abb. 13.28 Mikropräpara- 7
tive Trennung tryptischer
Peptide von Fetuin in Betain/
Essigsäure-Puffer, pH 3,3.
Fraktionen der nummerierten 4
13 Peaks wurden gesammelt und
durch Reinjektion auf ihre 3 0,005
Fetuin-Fraktion 7
Absorption bei 200 nm

Reinheit geprüft. Kleines Bild: 1 (QYGFC)


Reinheitskontrolle von Fraktion
7. Zur Erhöhung der Empfind-
lichkeit wurde eine isotachopho- 5
retische Online-Probenkonzent- 2
rierung durchgeführt. Die ersten 6
fünf Aminosäuren (QYGFC)
dieser Peptidfraktion wurden 0,000
durch Aminosäuresequenzana-
lyse bestimmt
0
10 15
9 Zeit (in min)

10
11

20 30 40 50 60 70
Kapillarelektrophorese
323 13
sequenzanalyse und auch für eine genaue Molekülmas- Probenauslass
senbestimmung über Laserdesorptionsmassenspektro-
Trennkanal
metrie (MALDI-MS). Im Gegensatz zur ESI-MS hat Puffer-
die MALDI-MS den Vorteil, dass sie weniger kritisch einlass
Puffer-
gegenüber dem Laufpuffer der Kapillarelektrophorese auslass
ist und eine bessere Massenempfindlichkeit bietet. Sie Probeneinlass
hat aber den Nachteil, dass sie nicht online gekoppelt
werden kann, sondern eine Fraktionierung erfordert. t o Injektion tn Trennung
Diese kann so durchgeführt werden, dass bereits
während des Aufbringens der Fraktionen direkt auf
die MALDI-Platte die benötigte Matrixlösung über
ein T-Stück zugespeist wird. Zudem steht der so er-
zeugte Spot für eine wiederholte Analyse zur Verfü-
gung, was bei MS/MS-Instrumenten (MALDI-TOF/
TOF) die Möglichkeit beinhaltet, zu einem späteren
Zeitpunkt weitere Precursor-Ionen zu fragmentieren
und zu identifizieren. Bei Online-ESI-Systemen muss
diese Entscheidung zeitgleich mit der Trennung getrof-
fen werden.

13.5.3 Mikrochipelektrophorese

Parallel zu den industriellen Halbleitertechnologien hat


die Miniaturisierung der Kapillarelektrophorese zur
Entwicklung der Mikrochipelektrophorese (MCE) ge-
führt. Eine Motivation waren u. a. die Verringerung der
Gerätedimensionen und die verbesserte Leistungsfähig-
keit miniaturisierter Systeme in Bezug auf hohe Trenn-
effizienz, kurze Analysenzeiten sowie der geringe Ver-
brauch von Lösungsmitteln und Probenmenge. Die sehr
geringen Analysezeiten der MCE ermöglichen Hoch-
durchsatzscreening oder Prozessanalytik mit höchster
Trennleistung. Ein Rekord unter vielen ist die Trennung ..      Abb. 13.29  Miniaturisierung als Mikrochipelektrophorese (MCE);
einer binären Mischung in 0,8  Millisekunden unter Injektion und Trennungsprinzip. (Trennungen nach Ping et al. 2004)
53  kV  cm−1 in einer Kapillare mit einer Länge von
200 μm. Die Möglichkeiten und das analytische Poten- können im Gegensatz zur pinched injection durch Verän-
zial der MCE zeigen auch die Mikrototalanalysensys- derung der Injektionszeiten auch variable Volumina inji-
teme (μ-TAS) als On-Chip-Analyselabors der Zukunft. ziert werden.
Sie beinhalten sämtliche Arbeitsschritte wie Probenvor- Die Trennprinzipien sind wie in der Kapillarelektro-
bereitung, Derivatisierung, Auftrennung und Detektion phorese mittels CZE, CGE, MEKC oder CEC mittels
in einem Mikrochip. Chips mit vielen Kanälen zur par- verschiedener Beschichtungen der Trennkanaloberflä-
allelen Messung vieler Proben sind ebenso beschrieben chen realisiert. Als Beispiele sind die Trennung von
wie die Kopplung mit ESI-MS. Aminosäuren durch Chip-MEKC sowie von Proteinen
Durch photolithographische Techniken werden Mik- durch Chip-CGE in . Abb. 13.30 gezeigt. Die schnellen

rokanäle erzeugt. Der Trennkanal wird mit dem Puffer Trennungen eignen sich besonders in zweidimensionalen
gefüllt (ausschließlich elektrokinetisch). Die Probe kann Trennverfahren, wie im MEKC × CZE-­Trennungsbeispiel
in einem zweiten Schritt über den in Kreuz angelegten eines verdauten Proteins gezeigt. Aufgrund der geringen
Kanal elektrokinetisch eingefüllt werden (. Abb. 13.29) –
  Probenkonzentration erfolgt die Detektion bevorzugt
die Probemenge ist hier durch die Kanalgrößen limitiert mit laserinduzierter Fluoreszenz (LIF) oder der Mas-
(pinched injection). Mit der Gated-­Injection-­Methode senspektrometrie.
324 P. Schmitt-Kopplin und G. K. E. Scriba

E
D N
QP
S G
T A
Y

Fluoreszenz
M I L F
K
V
W

R
C

80 100 120 140 160 180 200 220 240


Zeit (in min)

200 kD
97 kD

800
31 kD

116 kD

700
66,2 kD
Fluoreszenz

MEKC-Zeit (in s)

600
14,4 kD
21,5 kD

500
45 kD

400
13
300

10 15 20 25 30 35 40 45 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0


Zeit (in s) CZE-Zeit (in s)

..      Abb. 13.30  MCE-Trennung von derivatisierten Aminosäuren mittels Chip-MEKC (oben) und von Proteinen mittels Chip-CGE (unten
links); multidimensionaler Ansatz in der Trennung eines verdauten Proteins (bovines Serumalbumin) mittels MEKC × CZE (unten rechts)

13.6  Ausblick men (CE-CE-MS) oder der Kopplung der Kapillarelekt-


rophorese mit der HPLC als erste bzw. zweite Dimension
Die Bioanalytik ist ein begrenzter, aber wichtiger Anwen- (CE-HPLC-MS oder HPLC-CE-MS). Dabei ist sowohl
dungsbereich der Kapillarelektrophorese, da sowohl die der präzise und reproduzierbare Transfer von Proben aus
Untersuchung ganzer Zellen und Mikropartikel als auch der ersten in die zweite Dimension wichtig als auch eine
die Analytik von Makromolekülen, niedermolekularen effektive elektrische Isolierung der Transfereinheit (z. B.
Verbindungen oder anorganischen Ionen möglich sind. ein mechanisches 4-Wege-Nanoventil) von der Hoch-
Auch wenn die Chromatographie und die Gelelektropho- spannung, die zur Trennung in der CE notwendig ist. Die
rese die „Arbeitspferde“ der Proteinanalytik sind, haben Verwendung von Mikrochips in zweidimensionalen Sys-
sich besonders die iCIEF und die SDS-CE als Routine- temen wird ebenfalls weiter untersucht.
verfahren in der Analytik von Proteinwirkstoffen in der In der Bioanalytik von einzelnen Proteinen bzw. des
Pharmaindustrie etabliert. Große Anstrengungen werden Proteoms ist es auch wichtig, die extrem unterschiedli-
derzeit in der Forschung zur Entwicklung zweidimensio- chen Proteinkonzentrationen zu bewältigen, um auch
naler Verfahren mit massenspektrometrischer Detektion sehr gering exprimierte Proteine erfassen zu können.
unternommen, d.  h. der Kopplung von zwei CE-Syste- Hierfür sind selektive Anreicherungsverfahren für Pro-
Kapillarelektrophorese
325 13
teinklassen unverzichtbar. Andere technische Weiterent- Bartle KD, Myers P (Hrsg) (2001) Capillary electrochromatography.
wicklungen liegen besonders auf dem Gebiet der Mikro- The Royal Society of Chemistry, Cambridge
De Jong G (Hrsg) (2016) Capillary electrophoresis – mass spectro-
chips, wobei neben der weiteren Miniaturisierung vor metry: principles and applications. Wiley-VCH, Weinheim
allen als Mikrototalanalysensysteme als auch Chips mit Deyl Z, Svec F (Hrsg) (2001) Capillary electrochromatography.
vielen Kanälen zur simultanen Analyse vieler Proben er- J. Chromatogr. Library – vol 62. Elsevier Science Publishers B.V.,
forscht werden. Amsterdam
Einen wichtigen Beitrag leistet die Kapillarelektro- Fung YS (Hrsg) (2015) Microfluidic chip-capillary electrophoresis
devices. CRC Press, Boca Raton
phorese außerdem zur Untersuchung von Protein-­ Gacrica CD, Chumgimuni-Torres KY, Carrilho E (Hrsg) (2013) Ca-
Ligand-­Wechselwirkungen oder dem Strukturverhalten pillary electrophoresis and microchip electrophoresis: principles,
von Proteinen, ebenso zur Bestimmung physikalisch-­ applications and limitations. Wiley, New York
chemischer Konstanten wie dem pKa-Wert, also auf Ge- Gahoual R, Leize-Wagner E, Houzé P, Francois Y-N (2018) Revea-
bieten, die nicht der klassischen Analytik entsprechen. ling the potential of capillary electrophoresis/mass spectrome-
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London
327 14

Aminosäureanalyse
Josef Kellermann

Inhaltsverzeichnis

14.1 Probenvorbereitung – 329


14.1.1 Saure Hydrolyse – 329
14.1.2 Alkalische Hydrolyse – 330
14.1.3 Enzymatische Hydrolyse – 330

14.2 Freie Aminosäuren – 330

14.3 Flüssigchromatographie mit optischer Detektion – 330


14.3.1 Nachsäulenderivatisierung – 330
14.3.2 Vorsäulenderivatisierung – 333

14.4  minosäureanalyse mit massenspektrometrischer


A
Detektion – 335

14.5 Datenauswertung und Beurteilung der Analysen – 337

Literatur und Weiterführende Literatur – 339

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_14
328 J. Kellermann

55 Die Aminosäureanalytik (ASA) ist eine Methode, um siert. Immer noch besteht Bedarf, diese Techniken in
die Zusammensetzung und Konzentration von Amino- Bezug auf Geschwindigkeit der Analyse, Robustheit,
säuren in einer Probe zu bestimmen. Die Probe kann Reproduzierbarkeit und Sensitivität zu verbessern. Da-
aus freien Aminosäuren bestehen bzw. aus Proteinen/ bei verschiebt sich der Schwerpunkt von der Analyse
Peptiden, zu deren Analyse eine vorangehende Hydro- von Proteinhydrolysaten weg und hin zur Analyse freier
lyse notwendig ist. Aminosäuren unterschiedlichster biologischer Matrizes.
55 Zur Analyse stehen eine Reihe von chemischen Modifi- Begründet wurde die Technik der Aminosäure-
kations-, Trenn- (HPLC und CE) und Detektionstech- analyse durch Stein und Moore 1948. Sie führten die
niken (UV, Fluoreszenz, MS, MS-MS) zur Verfügung, Auftrennung der Aminosäuren zunächst an Stärke-
wobei eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten säulen durch. Die Detektion der getrennten Amino-
vor allem im wissenschaftlichen Umfeld zur Anwen- säuren erfolgte durch die Farbreaktion mit Ninhydrin
dung kommt. (7 Abschn.  14.3.1). Da Stärkesäulen nur eine geringe

55 Anwendungsbereiche der Aminosäureanalytik sind die Kapazität haben und empfindlich gegen salzkontami-
Bestimmung der Konzentration und Zusammenset- nierte Proben sind, verwendeten sie jedoch bald das sul-
zung einer Probe in der Proteinanalytik. Die bei Wei- fonierte Polystyrolharz Dowex 50. Die analytische Tren-
tem größten Anwendungsbereiche sind jedoch die nung eines Proteinhydrolysats dauerte damit nur noch
Pharmakologie, klinische Chemie und die Umwelt- fünf Tage – die Hälfte der Zeit, die für die Chromatogra-
und Nahrungsmittelanalytik, für die robuste Hoch- phie mit Stärke als stationärer Phase erforderlich war.
durchsatzmethoden entwickelt wurden. Als Puffersysteme verwendeten sie Lithium- und Natri-
55 Diese Routinemethoden basieren häufig auf der Kom- umcitratpuffer. Prinzipiell unterschied sich die Methode
bination Chromatographie (HPLC/UPLC), Nachsäu- von der noch heute verwendeten Technik nur durch die
len-Derivatisierung mit Ninhydrin/OPA und Detek- analysierte Menge. Bereits 1958 konnte die Trennung
tion durch UV. eines Hydrolysats in 24 h durchgeführt werden. Spack-
man veröffentlichte im gleichen Jahr ein „Instrument
Viele Techniken in der Proteinchemie setzen eine genaue zur automatischen Aufzeichnung der Farbausbeuten
Kenntnis der eingesetzten Proteinmenge voraus. Die von Ninhydrin“ und erreichte damit die quantitative Be-
Aminosäureanalyse liefert dabei weitaus mehr und ge- stimmung von 100 nmol Aminosäuren mit einer Genau-
nauere Informationen als kolorimetrische Methoden. igkeit von drei Prozent. Dies wurde das klassische Sys-
Sie dient neben der genauen Mengenbestimmung auch tem der Aminosäureanalyse. Stein und Moore erhielten
zur Ermittlung der relativen Aminosäurezusammenset- 1972 für diese Arbeiten über Aminosäureanalytik den
zung von Peptiden und Proteinen und zur Bestimmung Nobelpreis für Chemie.
von freien Aminosäuren. Die prozentuale Zusammen- Aminosäuren sind sehr kleine, polare Moleküle, die
14 setzung der Aminosäuren ergibt für jedes Protein ein durch nahezu alle Trennmethoden außer der Ionenaus-
charakteristisches Profil, das in vielen Fällen für eine tauschchromatographie schlecht zu trennen sind. Die
Identifizierung des Proteins in einer Datenbank bereits Trennung erfolgt an einem Kationenaustauscherharz
ausreicht. Der gleichzeitige Nachweis von Aminozu- und beruht auf dem unterschiedlichen Säure-­ Basen-­
ckern gibt auch Hinweise auf das Vorliegen eines Glyko- Verhalten der einzelnen Aminosäuren. Die im sauren
proteins. Die Aminosäurezusammensetzung dient häu- Bereich positiv geladenen Aminosäuren binden an das
fig als Entscheidungshilfe bei der Auswahl der richtigen Harz und werden mit steigender Ionenstärke und stei-
Protease zur gezielten Fragmentierung eines Proteins. gendem pH-Wert von der Säule eluiert. Die Detektion
Außerdem wird die Aminosäureanalyse bei der C-termi- der aufgetrennten Aminosäuren ist äußerst problema-
nalen Sequenzanalyse eingesetzt. tisch, da sie keinen Chromophor besitzen und so weder
Die Aminosäureanalyse wird in einem zweistufigen im UV-Licht noch durch Fluoreszenz nachweisbar sind.
Verfahren durchgeführt: Im ersten Schritt, der Hydro- In den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts konnten
lyse, werden die einzelnen Aminosäuren aus dem Peptid durch neue Derivatisierungsmethoden sowohl die chro-
bzw. Protein freigesetzt. Im zweiten Schritt erfolgt die matographischen Eigenschaften als auch der Nachweis
Auftrennung, Detektion und Quantifizierung der Ami- der Aminosäuren entscheidend verbessert werden, was
nosäuren. zu neuen Techniken in der Aminosäureanalytik führte.
Neben der Proteinanalytik übernimmt die Amino- Der entscheidende Anstoß kam dabei durch die Einfüh-
säureanalytik in zunehmendem Maße eine bedeutendere rung der Reversed-Phase-Chromatographie. Sie erlaubte
Rolle in anderen Bereichen wie der klinischen Diagnos- höhere lineare Flussraten und verkürzte die Trennzeiten
tik, der biomedizinischen Forschung, im Bioengineering drastisch. Die veränderten Absorptionscharakteristika
und in der Lebensmittelchemie. Dazu wurden unter- der neuen Aminosäurederivate führten zu einer weit hö-
schiedlichste Techniken entwickelt und kommerziali- heren Nachweisempfindlichkeit.
Aminosäureanalyse
329 14
Neben optischer Detektion, gekoppelt mit chroma- werden, muss die Hydrolyse unter verschiedenen Bedin-
tographischen Methoden, wurden in jüngerer Zeit auch gungen durchgeführt werden. Durch die Extrapolation
verschiedenste massenspektrometrische Detektionsme- der erhaltenen Werte erzielt man ein Ergebnis, das der
thoden beschrieben, gekoppelt mit unterschiedlichsten wahren Zusammensetzung am nächsten liegt. So gese-
Trenntechniken wie Chromatographie, Kapillarelektro- hen ist die Aminosäureanalyse, gerade wenn es sich um
phorese oder Gaschromatographie. eine Einzelanalyse handelt, keine wirklich quantitative
Methode.

14.1  Probenvorbereitung
Die Hydrolyse ist der Arbeitsgang der Aminosäure-
analyse, in dem am leichtesten Kontaminationen in die
Der erste Schritt bei der Bestimmung der Amino- Probe eingebracht werden und in dem auch Substanz
säurezusammensetzung ist die Freisetzung der einzel- verloren gehen kann. Die Quellen für Verunreinigun-
nen Aminosäuren. Die Spaltung der Peptidbindung gen sind kontaminierte Oberflächen und Lösungsmit-
(. Abb. 14.1) erfolgt dabei durch chemische oder enzy-

tel. Dies wirkt sich umso mehr aus, je geringer die zu
matische Hydrolyse. analysierende Probenmenge ist.

14.1.1 Saure Hydrolyse


Um das Verhältnis von Probenmenge zu Verunreini-
gung bei sensitiveren Analysetechniken zu verbessern,
Die Standardmethode in der Proteinchemie ist die 1963
verwendet man die Gasphasenhydrolyse. Dabei wird das
von Moore eingeführte saure Hydrolyse mit 6  N HCl
Hydrolysemedium nicht mehr direkt zur Probe gegeben
(24 h bei 110 °C) unter Ausschluss von Sauerstoff. Ab-
wie bei der Flüssigphasenhydrolyse, sondern in ein Hyd-
wandlungen dieser Methode  – Verwendung anderer
rolysegefäß, das evakuiert wird und in welches das Pro-
Säuren, erhöhte Temperaturen und kürzere Hydrolyse-
bengefäß selbst unverschlossen eingebracht wird.
zeiten und der Zusatz verschiedener Scavenger  – sind
Mit der Gasphasenhydrolyse und erhöhten Tempe-
notwendig, um den Problemen entgegenzuwirken, die
raturen verkürzte sich die Hydrolysezeit enorm (z. B. 4 h
durch das unterschiedliche Hydrolyseverhalten einzel-
bei 145 °C oder 1,5 h bei 165 °C). Außerdem werden Mi-
ner Aminosäuren entstehen. Die Standardbedingungen
schungen verschiedener Säuren verwendet, z. B. Propi-
sind ein Kompromiss von Hydrolysezeit und Tempera-
onsäure/HCl 1:1 bei 160 °C über 15 min oder TFA/HCl
tur, wobei man in Kauf nimmt, dass einige Aminosäu-
1:2 bei 166 °C und einer Hydrolysezeit von 25 min. Die
ren partiell zerstört werden. Dies führt zu Verlusten von
Hydrolyse mit organischen Säuren wie Methansulfon-
ca. 10–40  % bei Serin, Threonin und Methionin sowie
säure oder Toluolsulfonsäure führte zu einer wesentli-
50–100 % bei Cystein, Tryptophan oder bei Aminozu-
chen Verbesserung der Tryptophanausbeuten, sodass
ckern und phosphorylierten Aminosäuren. Asparagin
Werte bis zu 90  % erreicht werden können, ohne die
und Glutamin werden bei der sauren Hydrolyse voll-
Ausbeuten der anderen Aminosäuren wesentlich zu be-
ständig zu den entsprechenden Säuren desamidiert.
einträchtigen.
Verkürzte Hydrolysezeiten verbessern zwar die Aus-
Gerade Tryptophan und Methionin sind äußerst oxi-
beuten der empfindlichen Aminosäuren, verschlechtern
dationsanfällig. Sauerstoff wird deshalb durch abwech-
aber die Freisetzung von Aminosäuren aus hydropho-
selndes Evakuieren und Begasen mit Inertgas aus dem
ben Umgebungen (z.  B.  Ile–Val, Val–Val). Eine Erhö-
Hydrolysegefäß entfernt. Die Zugabe von Antioxidan-
hung auf bis zu 96  h kehrt dieses Verhältnis um. Um
zien zu 6 N HCl unterstützt dies zusätzlich. Als Scaven-
dem Hydrolyseverhalten aller Aminosäuren gerecht zu
ger werden dabei Phenol (1  %), Thioglykolsäure
(0,1–1  %), 2-Mercaptoethanol (0,1  %), Tryptamin
H O H
(3-(2-Aminoethyl)-indol) oder Natriumsulfit verwendet.
O
+H N C C N C C
3
Scavenger
R H R O– (engl. Aasfresser) Substanz, die einem Gemisch
zugeführt wird, um Verunreinigungen oder uner-
+H2O wünschte Nebenprodukte zu entfernen oder zu in-
aktivieren.
H O H O
+H +H N C C
3N C C 3
R O– R O–
Die quantitative Bestimmung von Cystein erfordert eine
..      Abb. 14.1  Hydrolyse einer Peptidbindung Vorbehandlung des zu untersuchenden Proteins. Die
330 J. Kellermann

Oxidation mit Perameisensäure überführt Cystin in 14.2  Freie Aminosäuren


Cysteinsäure. Die Reduktion des Proteins mit Thiol und
anschließende Alkylierung mit Iodessigsäure oder 4-Vi- Die Bestimmung freier Aminosäuren ist vor allem bei
nylpyridin führt zu gut analysierbaren, stabilen Deriva- physiologischen Proben wie Plasma oder Urin von gro-
ten wie Carboxymethylcystein bzw. Pyridylethylcystein. ßer Bedeutung, hat aber auch ihren Platz in der Lebens-
Eine Möglichkeit zur Bestimmung von Asparagin mittelindustrie oder in der biologischen Forschung. Die
und Glutamin, die bei der Hydrolyse desamidiert wer- Proben sind meist sehr komplexe Gemische aus äußerst
den, erfordert eine Umlagerung mit 1,1-Trifluoraceto- unterschiedlichen Substanzen wie Proteinen, Fetten,
xyiodbenzol zu den korrespondierenden Diaminopro- Salzen und natürlich freien Aminosäuren. Gerade die
pionsäure- und Buttersäurederivaten. Die Bestimmung hochmolekularen Substanzen erschweren die Analyse,
erfolgt dann durch Subtraktion der Glutaminsäure- da sie an die stationären Phasen der Säulen binden und
bzw. der Asparaginsäurewerte mit und ohne Vorbe- so die Kapazität vermindern oder gar die Säule zer-
handlung. stören. Häufig ist eine Analyse erst nach Präzipitation,
Eine Verkürzung der Hydrolysezeit auf wenige Mi- Filtration und Zentrifugation möglich. Eine gängige
nuten konnte durch den Einsatz der M
­ ikrowellenhydrolyse Methode ist die Präzipitation der Proteine mit 5-Sulfo-
erreicht werden, einer Gasphasenhydrolyse mithilfe ei- salicylsäure und anschließende Zentrifugation.
nes Mikrowellenofens. Im Gegensatz zur Analyse von Proteinhydrolysaten
mit normalerweise 18 Aminosäuren (Asparagin und
Glutamin werden bei der Hydrolyse desamidiert) erfor-
14.1.2 Alkalische Hydrolyse dert die Analyse physiologischer Proben die Auftren-
nung und Quantifizierung von bis zu fünfzig verschiede-
Die alkalische Hydrolyse wird nur sehr selten ange- nen Komponenten, was höhere Anforderungen an das
wandt, da sie fast ausschließlich zur Verbesserung der verwendete Analysensystem stellt.
Tryptophanausbeuten dient. Als Hydrolysemedium
wird 4 M Barium-, Natrium- oder auch Lithiumhydro-
xid verwendet (18–70 h bei 110 °C). Der Einsatz starker 14.3  Flüssigchromatographie mit optischer
Laugen erfordert spezielle Reaktionsgefäße, da Glas ge- Detektion
ätzt wird und die freigesetzten Silikate Nebenreaktio-
nen begünstigen. Der Reaktionsansatz muss nach der Wie bereits erwähnt, ist zum Nachweis und teilweise
Hydrolyse neutralisiert werden. Bariumionen müssen auch für die chromatographische Trennung eine Deriva-
durch Carbonat oder Sulfat ausgefällt und entfernt tisierung der Aminosäuren nötig. Die Derivatisierung
werden, was wiederum zu Verlusten an Aminosäuren kann dabei entweder vor (Vorsäulenderivatisierung)
14 durch Adsorption an das präzipitierte Bariumsalz oder nach der Chromatographie (Nachsäulenderivati-
führt. sierung) erfolgen. Ein ideales Derivatisierungsreagens
sollte folgende Kriterien erfüllen:
55 Es sollte mit primären und sekundären Aminen re-
14.1.3 Enzymatische Hydrolyse agieren.
55 Es sollte zu einer quantitativen, reproduzierbaren
Die enzymatische Hydrolyse wird ebenfalls nur sehr sel- Reaktion führen.
ten und in ganz speziellen Fällen angewandt. Glutamin 55 Jede Aminosäure sollte nur ein einziges, stabiles De-
und Asparagin werden nicht desamidiert und sind nach rivat bilden.
enzymatischer Hydrolyse nachweisbar. Ebenso ist es ein 55 Derivate sollten hohe UV-Absorption oder hohe
schonendes Hydrolyseverfahren zum Nachweis sulfa- Fluoreszenzausbeuten aufweisen.
tierter (Tyrosin-O-Sulfat) oder phosphorylierter Ami- 55 Das Reagenz oder Reaktionsnebenprodukte sollten
nosäuren, die bei saurer oder alkalischer Hydrolyse (vor selbst nicht absorbieren oder die Chromatographie
allem Phosphoserin) zerstört werden. stören.
Um einen vollständigen enzymatischen Verdau zu 55 Die Reaktion sollte unter milden Bedingungen ab-
erreichen, ist der aufeinanderfolgende Einsatz mehrerer laufen.
Endo- und Exopeptidasen mit breiter Spezifität notwen-
dig (7 Kap.  10). Zur Anwendung kommen Leucin-­

Aminopeptidasen, Prolidasen, Subtilisin, Papain und 14.3.1 Nachsäulenderivatisierung


Carboxypeptidasen. Auch Pronase, ein Gemisch unspe-
zifischer Proteasen, baut Proteine gut zu einzelnen Ami- Bei der Nachsäulenderivatisierung werden die freien
nosäuren ab. Aminosäuren über Ionenaustauschchromatographie
Aminosäureanalyse
331 14
mit einem Stufengradienten aufgetrennt und das Deri- Decarboxylierung der Aminosäure. Die Hydrolyse der
vatisierungsreagenz nach der Säule mit einer weiteren Schiff’schen Base des decarboxylierten Produkts führt
Pumpe zugemischt. Eine Reaktionsschleife, deren Länge zu einem Aldehyd und einem Ninhydrinderivat, das den
so gewählt ist, dass die Verweildauer der Reaktionsmi- Aminstickstoff der Aminosäure trägt. Dieses Ninhyd-
schung in der Schleife der erforderlichen Reaktionszeit rinderivat bildet mit dem mittleren Carbonyl-C-Atom
entspricht, ermöglicht die Umsetzung der Aminosäuren eines zweiten Ninhydrinmoleküls eine Schiff’sche Base,
mit dem Reagenz im kontinuierlichen Durchfluss. Ein die durch Deprotonierung einen blauvioletten Farbstoff
Detektor wird zum Nachweis und zur Quantifizierung ergibt. Der Rest R geht dabei nicht in das detektierbare
verwendet. Bei der klassischen Methode wird zur Um- Produkt ein. Die Identifizierung der Aminosäuren erfolgt
setzung mit den Aminosäuren Ninhydrin verwendet. nicht über ihre Derivate, sondern allein anhand der Re-
Daneben kommen wegen besserer Sensitivität aber auch tentionszeit während der Chromatographie. Der gebildete
Fluorescamin und ortho-Phthaldialdehyd (OPA) zum Farbstoff dient nur zur Quantifizierung. Die Ringstruk-
Einsatz. tur von Prolin und Hydroxyprolin führt zu einer abwei-
chenden Reaktionsfolge unter Bildung eines gelblichen
Ninhydrin  Seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahr- Farbstoffs aus je einem Molekül Ninhydrin und Prolin
hunderts, als Stein und Moore die Technik entwickelten, mit einem sehr breiten Absorptionsspektrum. Bei 570 nm
gab es enorme Fortschritte in Geschwindigkeit, Sensitivi- absorbiert dieser Farbstoff nur noch schwach und sein
tät und Instrumentierung. Die Methode selbst aber blieb Absorptionsmaximum liegt bei 440 nm.
praktisch unverändert. Während des Durchlaufs durch Es entstehen keine störenden Nebenprodukte oder
eine Reaktionsschleife reagiert Ninhydrin quantitativ Mehrfachderivate. Die Reaktionsprodukte absorbie-
mit primären und sekundären Aminen (. Abb.  14.2)
  ren im UV-Bereich bei 570  nm (primäre Amine) und
bei einer Temperatur von 100–130 °C. Ninhydrin bewirkt 440  nm (sekundäre Amine). Die Trennung erfolgt auf
über die Bildung einer Schiff’schen Base eine oxidative einem sphärischen Ionenaustauscherharz (10  % DVB-­

..      Abb. 14.2  Ninhydrinreaktion mit


primären und sekundären Aminen.
Ninhydrin bewirkt eine oxidative Decarboxy-
lierung der Aminosäure, wobei der gebildete
Ammoniak und Hydrindantin mit einem
weiteren Ninhydrinmolekül einen purpurnen
Farbstoff (Ruhemanns Violett) bilden
332 J. Kellermann

quervernetztes Polystyrol 4 × 150 mm) in Citratpuffer, thio-2-alkyl-substituierten Isoindol (. Abb.  14.5). Im  

beginnend bei pH 2. Die Elution erfolgt mit einem Stu- Gegensatz zu Ninhydrin bilden Fluorescamin und OPA
fengradienten mit steigender Ionenstärke und anstei- mit der umgesetzten Aminosäure Derivate, die auch eine
gendem pH-Wert (. Abb.  14.3). Die Nachweisgrenze
  Identifizierung der Aminosäure erlauben. Sekundäre
liegt heute bei etwa 50 pmol. Amine können mit OPA nicht nachgewiesen werden. Die
Reaktion erfolgt im Alkalischen (pH 9,5) bei Raumtem-
Fluorescamin  Fluorescamin wurde als erstes Reagenz peratur innerhalb weniger Minuten. Die Derivate können
zur Steigerung der Sensitivität gegenüber der von Ninhy- sowohl durch UV-Absorption (230  nm) als auch durch
drin getestet. Es bildet im Alkalischen mit primären Ami- Fluoreszenzemission (Anregung bei 330 nm, Emission bei
nen ein bei 475 nm fluoreszierendes Derivat (. Abb. 14.4).
  460  nm) detektiert werden. Das Reagenz selbst fluores-
Die Anregung erfolgt bei 390 nm. Das Fluoreszenzopti- ziert nicht und stört somit im Chromatogramm nicht. Die
mum liegt jedoch bei pH 9, also weit über den pH-Werten Detektion bei 230  nm kann jedoch durch UV-absorbie-
des Laufmittels der Ionenaustauschchromatographie. rende Kontaminationen gestört sein.
Außerdem ist Fluorescamin in wässriger Lösung nicht
stabil. Diese enormen Nachteile waren dafür verantwort-
lich, dass Fluorescamin nie eine wirkliche Rolle in der
Aminosäureanalytik spielte. R N
O
O + RNH2 O
ortho-Phthaldialdehyd (OPA)  Bei der Einführung von O OH
OPA in die Aminosäureanalytik wurde es zunächst aus- COOH
schließlich als Reagenz für die Nachsäulenderivatisierung O
eingesetzt. OPA reagiert wie Fluorescamin nur mit primä- Fluorescamin fluoresziert
bei 475 nm
ren Aminen. Zusammen mit einem Thiol reagiert es mit
der Aminosäure zu einem fluoreszierenden 1-Alkyl- ..      Abb. 14.4  Reaktion von Fluorescamin mit primären Aminen

..      Abb. 14.3 Chromatographi-
33,56 Dap
sche Auftrennung eines
Proteinhydrolysat-­Standards
(1 nmol) durch Ionenaustausch-

48,26 His
chromatographie in einem 0,60
Natriumcitrat-Puffersystem. Die

52,67 Lys
Trennung erfolgt mit einem
14
21,87 Gly

Dreistufengradienten mit
steigender Salzkonzentration,
32,77 Met

steigendem pH-Wert und


12,15 Ser

ansteigender Temperatur.
9,71 Asx
11,23 Thr

Detektiert wird bei 550 nm 0,40


35,45 Ile
36,61 Leu
Absorption

16,06 Glx

23,46 Ala

69,79 Arg
39,72 Tyr
41,71 Phe
29,33 Val

0,20
26,50 Cys

0,00

0,00 20,00 40,00 60,00 74,99


Zeit (in min)
Aminosäureanalyse
333 14
Sekundäre Amine reagieren nicht mit OPA und müs- Stabilität der einzelnen Derivate verantwortlich. Die
sen vor der Derivatisierung erst durch Oxidation zu pri- chromatographischen Parameter, wie stationäre Phase
mären Aminen umgesetzt werden (NaOCl oder Chlor- oder Elutionspuffer, unterscheiden sich deshalb je nach
amin T). Diese Reagenzien können kontinuierlich dem Reagenz. Im Allgemeinen verwendet man einen Aceto-
Pufferstrom zugeführt werden. Das Detektionslimit nitrilgradienten und einen Natriumphosphatpuffer mit
liegt bei ca. 10 pmol (Fluoreszenzdetektion). Heute wird pH 7,2 (. Abb.  14.6). Je nach Detektion erreicht man

OPA vor allem bei der Vorsäulenderivatisierung verwen- durch die Umsetzung mit OPA eine Nachweisgrenze von
det. 10 pmol im Ultravioletten oder von 200 fmol bei der Flu-
oreszenzdetektion.

14.3.2 Vorsäulenderivatisierung Phenylisothiocyanat (PITC)  Dieses Reagenz ist seit der


Einführung des Edman-­Abbaus in die Proteinchemie bes-
Die Entwicklung der Hochleistungsflüssigkeitschroma- tens untersucht. Es reagiert mit primären und sekundären
tographie (HPLC)  – und hier vor allem der Reversed-­ Aminen unter alkalischen Bedingungen innerhalb von
Phase-­ Chromatographie (RP)  – machte den Einsatz etwa zwanzig Minuten. Die entstehenden Phenylthiocar-
neuer Derivatisierungsreagenzien möglich, die das chro- bamoyl- (PTC-)Derivate der Aminosäuren (. Abb. 14.7)  

matographische Verhalten der Aminosäuren deutlich sind relativ stabil. Es entstehen keine in der Reversed-
verändern. Die polaren Aminosäuren werden durch die Phase-­Chromatographie störenden Nebenprodukte. Das
Kopplung mit einem aromatischen Rest wesentlich hyd- Absorptionsmaximum liegt bei 245  nm. Die Nachweis-
rophober und lassen sich so ideal durch Chromatogra- grenze beträgt ungefähr 1 pmol.
phien an Reversed-Phase-Materialien trennen. Moderne
Chromatographiegeräte und Säulenmaterialien ermög- Fluorenylmethoxycarbonyl-(FMOC-)chlorid  Fluorenyl-
lichen heute Trennungen in weniger als 15 min. Die Ein- methoxycarbonylchlorid fand zunächst Anwendung als
führung eines Chromophors oder eines Fluorophors er- Schutzgruppe in der Peptidsynthese. 1983 wurde die
höhen außerdem die Nachweisempfindlichkeit drastisch. 9-Fluorenylmethyloxycarbonylgruppe (FMOC) dann
Einige der Derivate haben eine Nachweisgrenze von zum ersten Mal als Derivatisierungsreagenz in der Ami-
50 fmol. Praktisch ist dieser Empfindlichkeitsbereich je- nosäureanalytik beschrieben (. Abb.  14.8). Die Reak-

doch kaum zu erreichen, da schon geringste Verunreini- tion erfolgt sowohl mit primären als auch mit sekundären
gungen die Analysen verfälschen und unbrauchbar ma- Aminen sehr schnell und führt bei pH 4,2 zu stabilen De-
chen. So ist hier nicht mehr die Sensitivität der Methode, rivaten. Das Reagenz FMOC-­Chlorid hydrolysiert jedoch
sondern die Probenvorbereitung der limitierende Faktor unter diesen Bedingungen schnell und muss aus dem Re-
der Analyse. Zum großen Teil erfordert die Vorsäulende- aktionsansatz extrahiert werden, da es mitten im Chroma-
rivatisierung auch eine vollständige Automatisierung togramm mit den Aminosäuren eluiert. Dieser zusätzlich
der Analyse, inklusive der Derivatisierung. Die unter- notwendige Schritt ist jedoch immer mit Verlusten von
schiedliche Stabilität der einzelnen Aminosäurederivate Aminosäuren verbunden. Die Aminosäurederivate absor-
setzt eine genau definierte und möglichst kurze Zeit- bieren bei 260  nm und fluoreszieren bei 305  nm (Anre-
spanne von der Derivatisierung bis zur Detektion vor- gungswellenlänge 266 nm). Die Detektionsgrenze liegt bei
aus, um auch sehr labile Aminosäurederivate möglichst 50 fmol.
quantitativ zu erfassen.
Dabsylchlorid (DABS-Cl)  Der Einsatz von 4-Dimethyl­
ortho-Phthaldialdehyd (OPA)  ortho-Phthaldialdehyd wird aminoazobenzol-4′-sulfonylchlorid (DABS-Cl) in der
sowohl in der Nachsäulenderivatisierung als auch bei Aminosäureanalytik wurde 1975 zum ersten Mal be-
der Vorsäulenderivatisierung verwendet (. Abb.  14.5). schrieben. Die Derivatisierung (. Abb.  14.9) gelingt
   

Für die Derivatisierung werden unterschiedliche Thiole mit primären und sekundären Aminen bei 70  °C und
eingesetzt (2-Mercaptoethanol, Ethanthiol, 3-Mercap- pH 9,0 innerhalb von 15 min. Die Derivate absorbieren
topropionsäure). Sie sind für die Hydrophobizität und im Sichtbaren bei 436  nm. Die Vorteile der Dabsylde-

S R
CHO
pH 9,5
+ R NH2 + R SH N R + 2 H 2O
1–2 min
CHO
OPA R = –CH2 –CH2OH

..      Abb. 14.5  Reaktion von ortho-Phthaldialdehyd (OPA) mit primären Aminen. Bildung eines Isoindolderivats bei der Reaktion von OPA
mit primären Aminen in Gegenwart eines Reduktionsmittels (2-Mercaptoethanol)
334 J. Kellermann

..      Abb. 14.6 Chromatographi-

4,342

8,078
3,21

7,39
sche Auftrennung eines

13,408
3,21
Proteinhydrolysates nach

27,045

32,878
Derivatisierung mit OPA durch

36,117
38,51

53,097
Reversed-Phase-­

31,157
13,9

27,9
Chromatographie an einer

37,033
C18-Säule (Shandon

15,008
250 mm × 4 mm) Puffer A:
10 mM Natriumphosphat, pH

54,948
20,598
7,2; Puffer B: Acetonitril.
Durchfluss: 1 ml min−1

41,483

53,7
2,775

19,762
3,243

55,673
57,422

69,663
24,738
26,648

28,845
30,518

33,352
35,513

42,323
45,867
45,993
48,595
50,682
52,183
8,595

69,147
60,112
10,775

68,367
65,678
58,865
27,45
22,732

56,792
49,45
18,99

61,23

66,34
Start

H 3C
N C S + R NH2 N N + H2NR
N SO 2 Cl

PITC H 3C
DABS-Cl
70 °C
pH 10 5–30 min pH 9,0
10 min

NH C NHR H 3C

S N N N SO2 NHR + HCl

PTC-Derivat H 3C

14 ..      Abb. 14.7  Reaktion von Phenylisothiocyanat (PITC) mit primä-


ren und sekundären Aminen unter Bildung eines Phenylthiocarbamoyl-­
..      Abb. 14.9  Reaktion von Dabsylchlorid (DABS-Cl) mit primären
und sekundären Aminen
Derivats (PTC)

Dansylchlorid  1-Dimethylaminonaphthalin-5-sulfonyl-
pH 4,2 chlorid (Dansylchlorid) wurde ursprünglich zur End-
+ R NH2 + HCl
gruppenbestimmung von Peptiden und Proteinen verwen-
det. Das Reagenz wurde 1981 zum ersten Mal in der
CH2 O C Cl CH2 O C NHR
Aminosäureanalytik beschrieben. Dansylchlorid reagiert
FMOC-Cl O O
mit primären und sekundären Aminen (. Abb.  14.10)  

und ergibt stark fluoreszierende Derivate. Die Reaktions-


..      Abb. 14.8 Reaktion von Fluorenylmethoxycarbonylchlorid
(FMOC-Cl) mit primären und sekundären Aminen geschwindigkeit ist allerdings sehr niedrig (Reaktions-
dauer ca. 60 min) und die Reaktion unvollständig. Außer-
rivate sind ihre über Wochen anhaltende Stabilität und dem entsteht eine ganze Reihe von Nebenprodukten. Das
ihr Absorptionsverhalten im sichtbaren Bereich, das bei Reagenz fand deshalb kaum Anwendung in der Amino-
unterschiedlichen chromatographischen Bedingungen säureanalytik.
zu einer stabilen Basislinie führt, da Lösungsmittel in
diesem Bereich nicht absorbieren. Der Nachteil der Re- 6-Aminoquinoyl-N-hydroxysuccinimidyl-carbamat (ACQ)  Ein
aktion ist, dass bisher noch keine Automatisierung aus- weiteres kommerziell erhältliches Komplettanalysensys-
gearbeitet werden konnte. Das Hauptproblem ist aller- tem beruht auf der Derivatisierung primärer und sekun-
dings, dass man die ungefähre Menge der vorliegenden därer Aminogruppen durch 6-Aminoquinoyl-­ N-
Aminosäuren abschätzen muss, da ein relativ genauer hydroxysuccinimidylcarbamat (ACQ, . Abb.  14.11).  

vierfacher Überschuss an Reagenz über die Aminosäu- Die entstehenden Derivate sind bis zu einer Woche bei
ren zur Derivatisierung notwendig ist. Das Detektions- Raumtemperatur stabil. Der bei anderen Reaktionen oft
limit liegt im Bereich von 1 pmol. zeitkritische Derivatisierungsschritt, der bei den meisten
Aminosäureanalyse
335 14
anderen Vorsäulenderivatisierungen nur durch Automati- Peptidsynthese, für die Kontrolle von Peptidpharmaka
sierung reproduzierbar umzusetzen ist, ist bei der und auch in der Lebensmittelindustrie von Interesse.
ACQ-Methode auch manuell gut durchzuführen. Die Enantiomerenanalyse wird durch die Bildung
In einer langsamer ablaufenden Reaktion (ca. 1 min) diastereomerer Komplexe erreicht. Die Vorsäulenderi-
hydrolysiert überschüssiges Reagenz zu Aminoquinolin vatisierung mit einem chiralen Reagenz erfüllt dabei alle
(AMQ), N-Hydroxysuccinimid (NHS) und Kohlen- geforderten Voraussetzungen. Zur Bildung von Diaste-
stoffdioxid. Das Haupthydrolyseprodukt AMQ fluores- reomeren mit d- und l-Aminosäuren ist ein optisch rei-
ziert schwach bei 395 nm, stört aber das Elutionsprofil nes Reagenz wie (+)-1-(9-Fluorenyl)-ethylchlorformiat
der über Reversed-Phase-Chromatographie getrennten (FLEC) erforderlich (. Abb.  14.12). Die Reaktion ist

Aminosäuren nicht. Die Detektionsgrenze liegt bei ca. analog zu der von FMOC und kann z. B. in Boratpuf-
100 fmol. Die Detektion erfolgt bei 395 nm (Anregung fer bei pH 6,8 und bei Raumtemperatur in wenigen
bei 250 nm), ist aber auch im UV-Bereich bei 248 nm bei Minuten erfolgen. Überschüssiges Reagenz muss dabei
geringerer Sensitivität möglich. ebenfalls (mit Pentan) extrahiert werden. Die Chroma-
tographie wird an C8- oder C18-Phasen durchgeführt.
Chirale Reagenzien zum Nachweis enantiomerer Aminosäu- Die Detektion erfolgt im UV bei 254 nm oder im Fluo-
ren  Der Nachweis enantiomerer Aminosäuren ist vor reszenzbereich bei 315 nm unter Anregung bei 260 nm.
allem in der Qualitätskontrolle von Aminosäuren für die Die Reaktion mit OPA und chiralen Thiolen unter Bil-
dung von Isoindolylderivaten kann ebenfalls zur Enan-
tiomerenanalyse verwendet werden. Die Trennung von
N(CH3)2 N(CH3)2
d- und l-Aminosäuren an C18-Reversed-Phase-Phasen
65 °C wurde auch nach Derivatisierung mit H2N-(5-Fluor-­
+ R NH2 + HCl
40 min 2,4-dinitrophenyl)-l-alaninamid (FDNP-Ala-NH2,
Marfey’s Reagenz) beschrieben. Als Puffersystem wird
SO2 SO2
Triethylammoniumphosphat pH 3,0 mit einem Aceto-
Cl HNR nitrilgradienten verwendet.
Dansylchlorid Eine weitere Möglichkeit der Enantiomerenana-
lyse bietet die Trennung von Enantiomeren an chiralen
..      Abb. 14.10  Reaktion von Dansylchlorid mit primären und se-
stationären Phasen mit Hochleistungsflüssigkeitschro-
kundären Aminen
matographie. Dabei werden reversible diastereomere
O
Komplexe zwischen der chiralen stationären Phase
R1 NH O (. Abb. 14.13) und dem adsorbierten Derivat gebildet.

N
HN +
O
R2 N O
14.4  Aminosäureanalyse mit
prim./sek. ACQ
Aminosäure massenspektrometrischer Detektion
Anders als bei der optischen Detektion mittels Photo-
R1 meter bietet das Massenspektrometer selbst eine eigene
O
NH N HO Trenndimension durch die Auftrennung der Analyten
R2 N
+ nach deren Masse (7 Kap. 16). Dadurch kann auf eine

O
N O hochauflösende Vortrennung durch Chromatographie,
derivatisierte Aminosäure NHS Elektrophorese oder Gaschromatographie verzichtet
werden. Dies ermöglicht deutlich kürzere Trennzeiten
..      Abb. 14.11  Reaktion von 6-Aminoquinoyl-N-­
und damit erhöhten Probendurchsatz. Der apparative
hydroxysuccinimidylcarbamat (ACQ) mit primären und sekundären
Aminen Aufwand ist allerdings durch den Einsatz von Massen-

..      Abb. 14.12  Reaktion des


chiralen (+)-1-(9-Fluorenyl)-ethyl­
chlorformiats (FLEC) mit d- *
NH2 CH COOH + FLEC
und l-Aminosäuren führt zu * * H CH
H CH CH3 H C 3
diastereomeren Produkten. R
O C Cl * COOH
O C NH CH
*Asymmetriezentrum
O O R
336 J. Kellermann

A sen sich Trennzeiten von 20 min bei einem Detektionsli-


mit im unteren Pikomolbereich erzielen.
O H O
C N Si CE-MS  Da Aminosäuren geladene Analyten darstellen, ist
O N C O
H O eine Trennung mittels Kapillarelektrophorese ohne vorher-
H O
gehende Derivatisierung möglich (7 Kap. 13). Die Kopp-

lung an ein ESI-Massenspektrometer erlaubt auch hier


Trennungen in kurzer Zeit. Die Nachweisgrenze für Ami-
B
nosäuren liegt jedoch relativ hoch, bedingt durch die gerin-
CH3 O H O gen Auftragsvolumina bei der Kapillarelektrophorese.
C N Si
H3C O N C O
CH3 H O GC-MS  Die Gaschromatographie bietet ideale Voraus-
H O
setzungen zur Kopplung an die Massenspektrometrie.
Allerdings setzt der Trennschritt eine Derivatisierung
C der Aminosäuren voraus. Häufig wird dabei eine Silylie-
rung verwendet, wobei ein aktiver Wassersoff durch eine
CH3 O O Alkylsilylgruppe ersetzt wird, meist Trimetylsilyl durch
H
C N Si
Umsetzung mit N,O-Bis-(trimethylsilyl)trifluoroacetamid
H3C O N C O (BSTFA) oder N-Methyl(trimethylsilyl)trifluoroacetamid
CH3 H O
H O (MSTFA). Leider sind nicht alle Derivate stabil.
Alternativ können die Aminosäuren auch acyliert
..      Abb. 14.13  Strukturen chiraler, über Silanolgruppen gekoppel- oder verestert werden, wobei Anhydrid/Alkohol-­
ter stationärer Phasen. A (d-Phenylglycin)2-NH(CH2)3-Si(OC2H5)2; B Kombinationen wie z.  B.  Pentafluoropropylanhydrid
Boc-d-Phenylglycin-NH(CH2)3-Si(OC2H5)2; C Boc-l-(1-Naphthyl)
glycin-­NH(CH2)3-Si(OC2H5)2
und Isopropanol verwendet werden.

aTRAQ-LC-MS-MS  Basierend auf der iTRAQ-Chemie


(7 Abschn. 42.7.2), die zur relativen Quantifizierung von

spektrometern deutlich höher und lässt sich im Routine- Peptiden in Proteomics-­Experimenten entwickelt wurde,
einsatz nur durch hohen Probendurchsatz rechtfertigen. wurde eine Methode eingeführt, bei der die Analyten mit
Deshalb sind nur wenige der nachfolgend beschriebenen einem reaktiven Ester umgesetzt werden. Dieser besteht
Kombinationen in der Routine im Einsatz. aus der reaktiven Gruppe, einem Linker und einem Repor-
14 Ionenpaar-LC-MS-MS  Underivatisierte
termolekül unterschiedlicher Isotopenzusammensetzung.
Aminosäuren Bei der Analyse durch LC-MS-MS wird durch die Kolli-
können durch Ionenpaarchromatographie über C18-Re- sionsenergie im MS-MS-Modus das Molekül fragmentiert
versed-Phase-Säulen getrennt werden. Die Verwendung und das Reporter-Ion freigesetzt und quantifiziert. Jede
flüchtiger Puffer, wie z. B. Fluorcarboxylsäure, erlaubt zur Aminosäure wird durch die Zugabe eines stabilen Isotops
Detektion eine direkte Kopplung der Chromatographie der gleichen Aminosäure als interner Standard mit einem
an ein Elektrospray-­Massenspektrometer, das im MRM-­ Reporterion anderer Molekülmasse quantifiziert.
Modus betrieben wird. Eine Quantifizierung wird durch
Zugabe von stabilen Isotopenanaloga der Aminosäuren Direktinfusions-MS-MS  Direktinfusions-MS-MS wird
erreicht. Da neben der Chromatographie als zweiter routinemäßig in der klinischen Diagnostik verwendet.
Trennparameter das Molekulargewicht der Aminosäuren Vor allem das Screening von Blut oder Urin Neugebore-
eingeführt wird, sind sehr kurze Analysenzeiten von weni- ner zum Nachweis von Stoffwechselstörungen wird mit
ger als 20 min für über 70 ­physiologische Aminosäuren zu dieser Methode in hohem Durchsatz durchgeführt. Dabei
erzielen. wird Blut oder Urin auf Filterpapier gesammelt, das be-
reits als interne Referenz isotopengelabelte Standardami-
HILIC-MS  Hydrophilic-Interaction-Chromatographie nosäuren zur absoluten Quantifizierung enthält. An-
setzt polare stationäre Phasen wie Silicagel-, Amid-, Hyd- schließend werden Scheibchen definierter Größe
roxyl-, Cyano- oder Amino-Säulenmaterialien voraus ausgestanzt und die Aminosäuren mittels Methanol ex-
(7 Abschn. 11.4). Die polaren Analyten werden im orga-
  trahiert. Durch Zugabe von Salzsäure in n-Butanol wer-
nischen Lösungsmittel, bevorzugt Acetonitril, an das den die Aminosäuren in ihre entsprechenden Butylester
Säulenmaterial gebunden und mit zunehmend wässriger überführt, die dann mittels MS-MS ohne weitere Vortren-
Phase eluiert. Mit ESI-MS-MS als Detektionssystem las- nung analysiert werden können. Der fehlende Trenn-
Aminosäureanalyse
337 14
schritt ermöglicht enorm schnelle Durchsatzzeiten, je- gen Mengen verlässliche Ergebnisse liefert. Die Werte
doch mit der Einschränkung, dass isobare Aminosäuren für Serin und Threonin sind wegen partieller Zerstörung
wie Isoleucin und Leucin oder Alanin und Sarcosin nicht zu niedrig (ebenso die für Aminozucker), Cystein und
unterschieden werden können. Tryptophan werden vollständig zerstört, und die Werte
Verwendet man zur Massenanalyse hochauflösende für Valin und Isoleucin sind wegen unvollständiger Hy-
Geräte wie Fourier-Transformations-Massenspektro- drolyse häufig zu niedrig. Methionin und Tyrosin sind
meter (FT-ICR) oder Orbitrap-Massenspektrometer, so ebenfalls äußerst oxidationsempfindlich und die Werte
ermöglicht dies sogar die Unterscheidung von Amino- liegen häufig zu niedrig (7 Abschn.  14.1.1). Um trotz

säuren mit annähernd identischer Nominalmasse wie des unterschiedlichen Hydrolyseverhaltens der einzel-
bei Glutamin und Lysin. nen Aminosäuren eine möglichst genaue Quantifizie-
rung zu ermöglichen, ist es notwendig, die Hydrolyse bei
verschiedenen Temperaturen zu wiederholen und dann
die Werte der einzelnen Analysen zu extrapolieren, um
14.5  Datenauswertung und Beurteilung so für jede Aminosäure den Maximalwert zu erhalten.
der Analysen Die Glycinwerte fallen durch Kontamination meistens
zu hoch aus. Die Prolinwerte sind gerade bei Ninhydrin-
Die über eine Chromatographiesäule aufgetrennten analysen, wenn nur bei einer Wellenlänge gemessen
Aminosäuren werden in einem UV- oder Fluoreszenz- wird, häufig ungenau, da die Prolinderivate wesentlich
detektor bei der Wellenlänge detektiert, die die höchsten schlechtere Absorptionseigenschaften besitzen. Bei an-
Absorptionsausbeuten, entsprechend dem verwendeten deren Derivatisierungen (OPA oder Fluorescamin) wer-
Chromophor oder Fluorophor, erwarten lässt. Die Ab- den die sekundären Amine überhaupt nicht erfasst.
sorptionswerte werden analog oder digital entlang einer Aminosäureanalysen sind heute mit einem Fehler
Zeitachse als Chromatogramm dargestellt. Die Flächen- kleiner ±10 % in einem Bereich über 10 pmol pro Ami-
werte der einzelnen Peaks sind proportional zur Menge nosäure quantitativ durchführbar, auch wenn die Nach-
des absorbierenden Derivats. Diese Flächenwerte wer- weisgrenze der einzelnen Methoden weit darunter (im
den mit den Flächenwerten eines Standardchromato- Femtomolbereich) liegt (. Tab. 14.1). Der Hauptanteil

gramms, in dem definierte Mengen aller Aminosäuren der Fehlerquote liegt dabei auf Seiten der Hydrolyse,
aufgetrennt sind und nach dem das System kalibriert ist, während die Analytik mit Fehlern kleiner 2  % durch-
verglichen und zur Quantifizierung verwendet. Da die führbar ist.
Absorption nicht bei allen Derivatisierungsmethoden Die flüssigchromatographischen Methoden mit opti-
linear mit der Menge an Aminosäuren zunimmt, muss scher Detektion und Quantifizierung sind hoch repro-
das System mit unterschiedlichen Aminosäurekonzent- duzierbar und seit vielen Jahren etabliert. Alle Vor- oder
rationen kalibriert werden. Die Konzentrationen der für Nachsäulen-Derivatisierungsmethoden leiden aber un-
die Eichung verwendeten Lösungen und der zu analysie- ter dem Nachteil langer Analysenzeiten. Ein weiterer
renden Probe sollten im gleichen Mengenbereich liegen. Nachteil der optischen Detektion ist das Fehlen einer
Zusätzlich können bei der Eichung Korrekturfaktoren Analytenspezifität. Diese ist in der massenspektrometri-
mit eingebracht werden, die problematische Aminosäu- schen Detektion gegeben, die dadurch eine zweite
ren bzw. deren Derivatisierungsverhalten berücksichti- Trenndimension einbringt und damit kürzere Trennun-
gen (z.  B. unvollständige Derivatisierung, mehrere gen mit schlechterer Auflösung in der ersten Dimension
Peaks). Gerade bei der Analyse geringer Mengen ist die erlaubt, ohne an Qualität zu verlieren. In der Massen-
Subtraktion einer „Nullwertanalyse“, das heißt einer spektrometrie wiederum führen Matrixeffekte und Io-
Hydrolyse, bei der nur Hydrolysemedium (aber keine nensuppression zu verminderter Genauigkeit und ma-
Probe) vorliegt, zur Korrektur von Verunreinigungen chen das Einführen von isotopengelabelten Aminosäuren
angebracht. Interne Standards  – Substanzen, die im als interne Standards unabdingbar. Massenspektromet-
normalen Proteinhydrolysat nicht vorkommen, wie rische Methoden (. Tab. 14.2) werden aber in Zukunft

Norleucin –, die bereits vor der Hydrolyse in definierter nach und nach in allen Bereichen der Aminosäureana-
Menge zugegeben werden, korrigieren Verluste, die wäh- lytik die Vorherrschaft übernehmen.
rend der einzelnen Analyseschritte auftreten. HILIC-MS und CE-MS haben den Vorteil, ohne
Trotz einer genauen Kalibrierung und der Einfüh- vorhergehende Derivatisierung quantifizieren zu kön-
rung interner Standards muss das Ergebnis einer Ami- nen, leiden aber an mangelnder Reproduzierbarkeit und
nosäureanalyse genau beurteilt werden. So gibt es nur geringem Durchsatz. aTRAQ-LC-MS-MS leidet unter
sehr wenige Aminosäuren, wie Alanin, Phenylalanin mangelnder Automatisierbarkeit der Probenvorberei-
oder Leucin, bei denen die Analyse auch noch bei gerin- tung, hohen Reagenzienkosten und mangelnder Genau-
338 J. Kellermann

..      Tab. 14.1  Reagenzien für Aminosäureanalysen – Übersicht

Detektion Nachweisgrenze Analysezeit anwendbar für

Ninhydrin UV 570 nm/440 nm 50 pmol 80 min prim./sek. A.S.


PITC UV 245 nm 10 pmol 30 min prim./sek. A.S.
Fluorescamin Fluoreszenz 90 min prim. A.S.
390 nm/475 nm
OPA UV 230 nm 10 pmol/200 fmol 30 min prim. A.S.
Fluoreszenz
330 nm/460 nm
FMOC Fluoreszenz 50 fmol 30 min prim./sek. A.S.
266 nm/305 nm
Dabsyl-Cl UV 436 nm 1 pmol 30 min prim./sek. A.S.
ACQ UV 248 nm/Fluoreszenz 100 fmol 35 min prim./sek. A.S.
250 nm/395 nm

..      Tab. 14.2  Vergleich unterschiedlicher Technologien der Aminosäureanalytik

Methode Vorteil Nachteil

LC-Methoden mit seit Langem etablierte Methoden, hoch Proteinabtrennung notwendig bei freien Aminosäuren,
optischer Detektion reproduzierbar, preiswerte Derivatisierung erforderlich, keine Analytenspezifität,
Geräte, gute Linearität koeluierende Analyten sind nicht unterscheidbar
LC-MS schnelle Trennung, hohe Auflösung Proteinabtrennung notwendig bei freien Aminosäuren, deckt
nur eine begrenzte Anzahl von Aminosäuren ab
IP-LC-MS-MS keine Derivatisierung, große Anzahl Proteinabtrennung notwendig bei freien Aminosäuren,
Analyten, hohe Auflösung für polare Ionensuppression, Systemkontamination mit IP-Reagenz
14 Aminosäuren
HILIC-MS keine Derivatisierung, gut geeignet für Proteinabtrennung notwendig bei freien Aminosäuren, schlechte
polare Analyten Reproduzierbarkeit, Ionensuppression
CE-MS keine Derivatisierung, geringer Proteinabtrennung notwendig bei freien Aminosäuren, nur
Materialverbrauch geringes Injektionsvolumen
GC-MS robust, hohe Reproduzierbarkeit, hohe Derivatisierung notwendig, nicht geeignet für thermolabile
Auflösung, schnelle Trennung Analyten
aTRAQ-LC-MS-MS schnelle Trennung, interner Standard für Proteinabtrennung notwendig bei freien Aminosäuren, schlechte
alle Analyten Ausbeute für schwefelhaltige Aminosäuren, schlechte
Automatisierbarkeit
Direktinfusions-­ keine Trennung notwendig, extrem hoher Extraktion und Derivatisierung der Aminosäuren notwendig,
MS-­MS Durchsatz isobare Aminosäuren nicht unterscheidbar

igkeit, die nur durch die Messung einer Vielzahl von wie z. B. Arginin, das zu Ornithin zerfällt, oder Gluta-
Übergängen im MRM-Modus zu verbessern ist. GC-MS minsäure, die zu Pyroglutamat zyklisiert.
ist eine sehr robuste Methode mit hoher Reproduzier- Direktinjektions-ESI-MS-MS ist gut automatisier-
barkeit der quantitativen Daten. Durch die Automati- bar, deshalb ideal für hohen Durchsatz und nur mit der
sierung ist auch ein hoher Probendurchsatz gegeben. Einschränkung behaftet, isobare Aminosäuren nicht
Allerdings sind thermolabile Derivate nicht messbar, unterscheiden zu können.
Aminosäureanalyse
339 14
Durch die hohe Selektivität und Spezifität der mas- Literatur und Weiterführende Literatur
senspektrometrisch basierten Methoden werden diese
in Zukunft die anderen Techniken mehr und mehr ver- Alterman MA (Hrsg) (2019) Amino acid analysis. Methods and pro-
drängen. Voraussetzung dafür ist, dass mit stabilen tocols. Methods in molecular biology, Bd 2030. Humana Press,
Totawa
Isotopen gelabelte Standardaminosäuren preiswert zur
Barrett GC (1985) Chemistry and biochemistry of the amino acids.
Verfügung stehen, mit denen eine robuste und repro- Chapman & Hall, London
duzierbare Quantifizierung möglich ist. Des Weiteren Blackburn S (1978) Amino acid determination, methods and techni-
müssen einfache Probenvorbereitung und Automatisier- ques. M. Dekker, New York/Basel
barkeit gewährleistet sein, um preiswert großen Proben- Poinsot V, Ong-Meang V, Gavard P, Perquis L, Couderc F (2018) Re-
cent advances in amino acid analysis by capillary electromigration
durchsatz zu ermöglichen.
methods: June 2015–May 2017. Electrophoresis 39:190–208
341 15

Proteinsequenzanalyse
Friedrich Lottspeich

Inhaltsverzeichnis

15.1 N-terminale Sequenzanalyse: der Edman-Abbau – 344


15.1.1  eaktionen des Edman-Abbaus – 344
R
15.1.2 Identifizierung der Aminosäuren – 345
15.1.3 Die Qualität des Edman-Abbaus: die repetitive Ausbeute – 346
15.1.4 Instrumentierung – 346
15.1.5 Probleme der Aminosäuresequenzanalyse – 350
15.1.6 Stand der Technik – 353

15.2 C-terminale Sequenzanalyse – 354


15.2.1  hemische Abbaumethoden – 354
C
15.2.2 Peptidmengen und Qualität des chemischen Abbaus – 356
15.2.3 Abbau der Polypeptide mit Carboxypeptidasen – 356

15.3 Single Molecule Protein Sequencing – 357

15.4 Ausblick – 357

Literatur und Weiterführende Literatur – 358

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_15
342 F. Lottspeich

Der Edman-Abbau wird seit Mitte des vorigen Jahrhun- Techniken identifiziert. Leider bekam man bei dieser
derts immer noch praktisch unverändert – aber natürlich Art von Analyse immer nur Informationen über die En-
mit verbesserter Instrumentierung – zur Sequenzanalyse den der Peptidkette, da man die Peptidkette zerstören
von Proteinen eingesetzt. musste, um die markierte Aminosäure zu isolieren und
55 Da die Massenspektrometrie immer größere Anteile zu identifizieren. Um Sequenzinformationen von größe-
der Proteincharakterisierung vor allem in den Proteo- ren Peptiden oder Proteinen zu erhalten, musste man
mics-Techniken übernommen hat, hat der Einsatz der diese über partielle Hydrolyse oder enzymatischen Ver-
klassischen Aminosäuresequenzanalyse deutlich abge- dau in kleine Fragmente zerlegen und dann jeweils die
nommen. N-terminale und C-terminale Aminosäure der Frag-
55 Dennoch hat der Edman-Abbau immer noch Bereiche, mente mit den von Sanger vorgeschlagenen Methoden
in denen er einfacher, schneller und sicherer Resultate bestimmen und zusätzlich die Aminosäurezusammen-
liefert als die massenspektrometrischen Techniken. setzung mittels Aminosäureanalyse ermitteln. So wurde
Dazu gehören Bestimmung des N-Terminus und von über viele kleine Bruchstücke des Insulins die gesamte
Prozessierungsstellen von Proteinen, die Kontrolle der Sequenz der 51 Aminosäurereste bestimmt und somit
Aminosäuresequenz von therapeutischen Proteinen zum ersten Mal gezeigt, dass ein Protein nur eine einzige
und die Aminosäuresequenzanalyse von Proteinen aus Aminosäuresequenz besitzt. Diese äußerst mühsame
Organismen mit unbekannter DNA-Sequenz. Arbeit, die 1958 mit dem Chemie-Nobelpreis ausge-
zeichnet wurde, erstreckte sich über zehn Jahre, dabei
Bereits 1940 war man sich einig, dass Proteine aus Ami- wurden etwa hundert Gramm Insulin eingesetzt.
nosäuren bestehen und dass die Aminosäuren über die Ein weitaus effizienteres Verfahren zur Bestimmung
sog. Peptidbindung verknüpft sind (. Abb. 15.1). Man   von Peptidsequenzen wurde bereits 1950 von dem
wusste, dass die so vorhandenen kettenartigen Moleküle schwedischen Wissenschaftler Pehr Edman veröffent-
an einem Ende, das als N-terminales Ende bezeichnet licht und verdrängte ab Mitte der Fünfzigerjahre den
wird, eine freie Aminogruppe tragen, und an dem ande- Sanger-Abbau völlig. In seiner Arbeit über den sequen-
ren, dem C-terminalen Ende, eine freie Carboxygruppe. ziellen Abbau von Proteinen und Peptiden beschreibt
Keineswegs einig war man sich zu dieser Zeit hingegen, Edman eine Reaktionskaskade, die unter dem Namen
ob ein bestimmtes Protein aus einem Gemisch verschie- Edman-Abbau bekannt geworden ist. Edman zeigte
dener Polymere besteht, die zwar eine definierte Anzahl nicht nur ein neues Reagenz und den chemischen Me-
und Art von Aminosäuren beinhalten, deren Reihen- chanismus einer zyklischen Reaktion, die vom N-­
folge aber ganz unterschiedlich sein kann, oder aus einer terminalen Ende der Peptidkette eine Aminosäure nach
einzigen Spezies von Molekülen, die eine ganz definierte der anderen abspalten kann, sondern gab auch eine de-
Aminosäuresequenz aufweisen. taillierte experimentelle Anleitung zur Identifizierung
Diese Frage wurde erst 1953 zumindest für kleine und Quantifizierung der Reaktionsprodukte. Er stellte
Proteine beantwortet, als Sanger und Mitarbeiter die so ein komplett ausgearbeitetes System zur Aminosäu-
15 vollständige Aminosäuresequenz des Peptidhormons resequenzanalyse zur Verfügung. Dies hat wesentlich zu
Insulin aufklären konnten. Sanger setzte dabei Reagen- der schnellen Akzeptanz und zum Erfolg der Methode
zien ein, die terminale Aminosäuren markieren können beigetragen, sodass 1961 G. Braunitzer auch die Amino-
(z.  B. 1-Fluor-2,4-dinitrobenzol, das spezifisch mit der säuresequenz des ersten größeren Proteins, des mensch-
freien Aminogruppe des N-terminalen Endes der Pep- lichen Hämoglobins, aufklären konnte. Damit wurde
tidkette reagieren kann, das sog. Sanger-Reagenz). klar, dass nicht nur Peptidhormone, sondern auch Pro-
Nach vollständiger hydrolytischer Zerlegung des Prote- teine eine einheitliche Sequenz aufweisen.
ins in die einzelnen Aminosäuren wurde die markierte Die Aufklärung der Aminosäuresequenz von Protei-
(terminale) Aminosäure über chromatographische nen und Peptiden wird auch heute noch mit dem Ed-
man-Abbau durchgeführt, wobei die Empfindlichkeit
seit der Einführung der Methode aber um den Faktor
H O 103 gesteigert werden konnte, sodass heute Aminosäure-
H2N C C H O sequenzen von wenigen Pikomol eines Proteins erhalten
R1 NH C C H O werden können. Der Edman-Abbau hat aber auch inhä-
N-terminale R2 NH C C H O rente Limitationen (s. weiter unten), die dazu führen,
Aminogruppe Rx NH C C dass man in einer Analyse nur die N-terminale Sequenz
Rz OH von etwa 30–60 Aminosäureresten erhalten kann. Da-
her muss man von größeren Peptiden oder Proteinen
C- terminale
Carboxygruppe Bruchstücke herstellen, diese chromatographisch oder
elektrophoretisch voneinander trennen und dann ein-
..      Abb. 15.1  Grundstruktur eines Peptids zeln wieder der Sequenzanalyse zuführen.
Proteinsequenzanalyse
343 15
nigung über Spaltungen bis zu den Analysenverfahren
Die Ergebnisse von Sanger und Edman waren von gefordert. Gerade bei der Analyse der posttranslationa-
enormer Bedeutung für die gesamte Biochemie, da da- len Modifikationen hat sich neben der Aminosäurese-
mit klar gezeigt wurde, dass Proteine definierte Amino- quenzanalyse die Massenspektrometrie als effizientes
säuresequenzen besitzen. Da die Aminosäuresequenz Werkzeug etabliert. Die Massenspektrometrie lässt in
(die Primärstruktur) im Prinzip die Grundlage für die vielen Fällen allein durch eine genaue Massenbestim-
Faltung und damit für die Raumstruktur (Tertiär- mung des Proteins bei bekannter DNA-Sequenz eine
struktur) des Proteins liefert, ist sie so auch letztendlich posttranslationale Modifikation ausschließen oder ver-
für die Funktion des Proteins verantwortlich. Eine muten.
Kenntnis der Aminosäuresequenz ist daher für das Die Massenspektrometrie, die ja auch in der Lage
Verständnis der Funktion auf molekularer Ebene äu- ist, Aminosäuresequenzinformationen zu liefern, ist
ßerst wichtig. Dies gilt umso mehr, als die anderen Me- heute eine Komplementierung und schnelle Alternative
thoden der Proteinstrukturaufklärung, wie die Rönt- zur klassischen Sequenzanalyse, allerdings nur für kleine
genstrukturanalyse oder die NMR-Spektroskopie, eine Peptide bis maximal 15–20 Aminosäurereste. Die Fort-
bekannte Aminosäuresequenz als Grundlage für die schritte der letzten Jahre in den Datenverarbeitungspro-
Interpretation ihrer Daten benötigen. grammen ermöglichen heute relativ einfach eine auto-
matische Auswertung der massenspektrometrischen
Daten und  – zumindest bei bekannten Aminosäurese-
Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Sequenzana- quenzen – eine schnelle und sichere Lokalisierung von
lyse für das Verständnis von Strukturfunktionsbezie- posttranslationalen Modifikationen. Auch die Kom-
hungen sind Homologievergleiche von Isoenzymen oder plettsequenzierung größerer Proteine wie z.  B.  Anti-
von funktionell äquivalenten Proteinen aus verschiede- körperketten ist heute durch die Entwicklung der mas-
nen Spezies, wobei für die Funktion des Proteins wich- senspektrometrischen Auswertesoftware in Reichweite
tige und daher in der Evolution konservierte Aminosäu- (7 Kap. 16 und 42). Dabei wird die massenspektromet-

rereste erkannt werden können. Noch vor 20 Jahren war rische Analyse auf hochauflösenden Massenspektrome-
die Sequenzanalyse praktisch der einzige Weg zur voll- tern durchgeführt, und die gewonnenen Fragmentionen-
ständigen Primärstrukturaufklärung von Proteinen. Die spektren werden mithilfe von Software (weit verbreitet:
Situation hat sich grundlegend durch die enorme Ent- „Peaks“ von Bioinformatics Solutions Inc.) zur De-no-
wicklung der molekularbiologischen Techniken geän- vo-Sequenzierung der entstandenen Peptide herange-
dert. Die Einfachheit und Geschwindigkeit, mit der zogen. Die ermittelten De-novo-­Peptidsequenzen kön-
heute die Primärstrukturinformation von Proteinen nen schließlich unter Verwendung spezieller Software
über molekularbiologische Techniken erhalten werden (z. B. PASS – Proteome Assembler with Short Sequence
kann, hat zur Folge, dass der weitaus größte Anwen- Peptide, free licence) in eine Konsensussequenz angeord-
dungsbereich der Aminosäuresequenzanalyse derzeit net werden. Die so durchgeführte datenbankunabhän-
die Aufklärung von Teilsequenzen aus unbekannten gige, massenspektrometrische De-novo-Sequenzierung
Proteinen ist, die dann zum Design von Oligonucleotid- kann nicht zwischen den isobaren Aminosäuren Leucin
sonden zur Isolierung der cDNA verwendet werden. Es und Isoleucin unterscheiden. Voraussetzung für die er-
sei allerdings hier auch auf eine große Gefahr hingewie- folgreiche Durchführung der beschriebenen Analytik ist
sen, die sich aus der heute praktizierten, nahezu aus- eine hohe Reinheit der zu analysierenden Proteine und
schließlichen Nutzung molekularbiologischer Techni- das Fehlen von Nebensequenzen. Die Methodik hat
ken zur Erstellung vollständiger Proteinsequenzen aber immer noch eine gewisse Unsicherheit aufgrund
ergibt: Viele posttranslationale Modifikationen, die die der auf Statistik beruhenden Auswertung der Massen-
Eigenschaften und Funktionen von Proteinen maßgeb- spektren.
lich mitbestimmen, sind nicht über die Aminosäurese- Für die Sequenzierung von z.  B. therapeutisch ein-
quenz codiert und können daher nicht auf der DNA- gesetzten Proteinen, bei denen jede Aminosäureposition
Ebene erkannt oder auch nur vermutet werden. Für die eindeutig abgesichert werden muss, bei Proteinen von
vollständige Charakterisierung und Strukturaufklärung Organismen mit nicht bekanntem Genom und für die
eines Proteins sind daher neben der übersetzten Bestimmung des N-Terminus eines Proteins oder von
DNA-Sequenz noch weitere komplementäre Analysen Proteinfragmenten bleibt die klassische Aminosäurese-
zur Erkennung von posttranslationalen Modifikationen quenzanalyse auf Basis des Edman-Abbaus (meist im
unbedingt notwendig. Hierbei sind dann wieder alle auf- Zusammenspiel mit der Massenspektrometrie) die Me-
wendigen proteinchemischen Techniken von Proteinrei- thode der Wahl.
344 F. Lottspeich

15.1  N-terminale Sequenzanalyse: der stoff (DPTU), dem einzig nennenswerten Nebenpro-
Edman-Abbau dukt des Edman-Abbaus (. Abb. 15.3).

Mit einem unpolaren Lösungsmittel (z. B. Essigsäu-


15.1.1 Reaktionen des Edman-Abbaus reethylester), in dem das Protein als hydrophiles Mole-
kül nicht löslich ist, werden der Reagenzüberschuss und
ein Großteil des DPTU als relativ hydrophobe Kompo-
Der Edman-Abbau ist ein zyklischer Prozess, bei dem in
nenten vom Phenylthiocarbamoylpeptid abgetrennt.
jedem Reaktionszyklus von einem Ende der Peptidkette
Bei dem als Spaltung bezeichneten Reaktionsab-
die endständige (N-terminale) Aminosäure abgespalten
schnitt des Edman-Abbaus wird das getrocknete PTC-­
und identifiziert wird. Die Reaktion besteht aus drei
Peptid mit wasserfreier Säure (z.  B.  Trifluoressigsäure)
voneinander gut abgrenzbaren Schritten: Kupplung,
behandelt. Dabei wird durch einen nucleophilen Angriff
Spaltung und Konvertierung.
des Schwefelatoms an der Carbonylgruppe der ersten
Im ersten Schritt, der Kupplung, wird an die freie
Peptidbindung die erste Aminosäure als heterozykli-
N-terminale Aminogruppe der Peptidkette das Ed-
sches Derivat, eine Anilinothiazolinon- (ATZ-)Amino-
man-Reagenz Phenylisothiocyanat (PITC) gekoppelt
säure, abgespalten (. Abb. 15.4). Hier wird die Bedeu-
(. Abb.  15.2). Diese Reaktion läuft bei Temperaturen

tung des für die Kupplung eingesetzten PITC klar, da


von 40–55 °C und Reaktionszeiten von 15–30 min an-


nur der Schwefel nucleophil genug ist, um zur Ringbil-
nähernd vollständig ab, und es entsteht ein disubstitu-
dung zu führen. Befindet sich ein Sauerstoffatom an der
ierter Thioharnstoff, das Phenylthiocarbamoylpeptid
Stelle des Schwefels (wird also ein Isocyanat als Kupp-
(PTC-­Peptid). Die Addition von PITC kann nur an un-
lungsreagenz eingesetzt), kann das Reagenz zwar auch
protonierte Aminogruppen erfolgen, daher muss der
an die Aminogruppe des Peptids kuppeln, ist aber nicht
pH-Wert bei dieser Reaktion durch einen alkalischen
zur Ringbildung und damit auch nicht zur Abspaltung
Puffer bei etwa 9 gehalten werden. Ein noch höherer
der Aminosäure fähig. Daher muss jeder Schwefel-­
pH-Wert würde die Reaktionsgeschwindigkeit weiter
Sauerstoff-­Austausch im PITC und im PTC-Peptid
verbessern, beschleunigt aber auch eine wichtige Neben-
verhindert werden. Dies geschieht durch eine Inertgas-
reaktion: die alkalisch katalysierte Hydrolyse von PITC
atmosphäre, in der der gesamte Edman-Abbau durch-
zu Anilin. Das entstandene Anilin reagiert mit seiner
geführt wird.
freien Aminogruppe mit PITC zu Diphenylthioharn-

..      Abb. 15.2  Kupplungsreaktion des Edman-Abbaus. H O


Phenylisothiocyanat (PITC) kuppelt an die freie H
N C S + H2N C C O
Aminogruppe eines Peptids zum Phenylthiocarbamoyl-
R1 NH C C H O
peptid (PTC-Peptid)
PITC R2 NH C C H O
15 R3 NH C C
pH > 8
55 °C Peptid R4 NH–

H O
NH C NH C C H O
S R1 NH C C H O
R2 NH C C H O
R3 NH C C

PTC-Peptid R4 NH

..      Abb. 15.3  Die Entstehung von OH–


N C S + H2O NH2
Diphenylthioharnstoff (DPTU) während
des Edman-Abbaus. Phenylisothiocyanat
PITC Anilin
(PITC) hydrolysiert zu Anilin, das dann
mit einem weiteren Molekül PITC zu
DPTU reagiert.
N C S + H2N NH C NH
S
DPTU
Proteinsequenzanalyse
345 15
Nach Abdampfen eines Großteils der flüchtigen Säure Bei der Konvertierung wird die instabile Ring-
wird die kleine, relativ hydrophobe ATZ-­Aminosäure, die struktur der ATZ-Aminosäure mit wässriger Säure
sich in ihrem Löslichkeitsverhalten vom hydrophilen Rest- geöffnet und unter erhöhter Temperatur zur thermo-
peptid deutlich unterscheidet, mit einem hydrophoben dynamisch stabileren PTH-Aminosäure umlagert.
Lösungsmittel (Chlorbutan oder Essigsäureethylester) ex- Die PTH-­Aminosäuren werden meist chromatogra-
trahiert. Die chemisch instabile ATZ-Aminosäure wird in phisch im Vergleich zu den Retentionszeiten einer Re-
einem getrennten Schritt, der Konvertierung, zu einem sta- ferenzprobe, die die PTH-Derivate aller bekannten
bileren Derivat, der Phenylthiohydantoin- (PTH-)Amino- Aminosäuren enthält, identifiziert und quantifiziert
säure umgesetzt (. Abb. 15.5). Das um eine Aminosäure
  (. Abb. 15.6).

verkürzte Peptid wird getrocknet und kann weiteren Re-


aktionszyklen unterworfen werden, bei denen dann wie-
der die jeweils endständige Aminosäure abgespalten wird. 15.1.2 Identifizierung der Aminosäuren

H O Die PTH-Aminosäuren zeigen charakteristische UV-­


NH C NH C C H O Spektren mit einem Absorptionsmaximum bei 269 nm
NH C C H O und einem spezifischen molaren Absorptionskoeffi-
S R1
NH C C H O
zienten bei 269  nm von ε  ≈  33.000  mol−1. Sie können
R2
heute unter Verwendung von Microbore-Reversed-­
R3 NH C C
PTC-Peptid Phase-HPLC-Systemen mit einer Nachweisgrenze im
R4 NH
Femtomolbereich nachgewiesen werden. Die Bestim-
mungsgrenze, d.  h. die noch sicher quantifizierbare
H+ Nachweisgrenze, liegt für die meisten PTH-Aminosäu-
ren mit chromatographischen Methoden bei etwa einem
H
Pikomol. Seit der Veröffentlichung im Jahr 1950 wurde
R1
+
HN C
H O immer wieder versucht, die von Edman beschriebenen
+ chemischen Reaktionen zu verändern, um die Nach-
C O + H3N C C H O
C S NH C C H O weisempfindlichkeit für die abgespaltenen Aminosäu-
R2
NH NH C C
rederivate zu verbessern. Vor allem verschiedene fluo-
R3
reszierende Isothiocyanate, deren Nachweisgrenzen im
R4 NH
unteren Femtomolbereich liegen, wurden als Kupp-
lungsreagenzien vorgeschlagen. Keines dieser Reagen-
ATZ-Aminosäure um eine Aminosäure verkürztes Peptid
zien konnte sich aber durchsetzen, da mit ihnen entweder
bei der Kupplung oder bei der Spaltung keine quanti-
..      Abb. 15.4  Spaltungsreaktion des Edman-Abbaus. Unter sauren, tativen Reaktionsausbeuten erreicht werden konnten.
wasserfreien Bedingungen erfolgt ein nucleophiler Angriff des
Die Trennung der normalerweise recht großen und sich
Schwefelatoms an der Carbonylgruppe der ersten Peptidbindung. Es
entstehen die relativ instabile Anilinothiazolinon-(ATZ-)Amino- durch den Fluorophor auch chromatographisch ähnlich
säure und das um eine Aminosäure verkürzte Peptid, das wieder wie verhaltenden fluoreszierenden Aminosäurederivate be-
das Ausgangspeptid eine freie Aminogruppe zeigt. reitet ebenfalls große Probleme.

..      Abb. 15.5  Konvertierung. Die H R


ATZ-Aminosäure wird zunächst zur + 1
H
HN C O
Phenylthiocarbamoyl- (PTC-)Aminosäure C O + H2O NH C NH C C + H+
hydrolysiert, die dann durch eine sauer C S
S R1 OH
katalysierte Umlagerung zur stabilen
Phenylthiohydantoin-(PTH-)Aminosäure NH
umgesetzt wird ATZ-Aminosäure PTC-Aminosäure

R1
O CH
H O C
H+ NH
NH C NH C C N + H2O
C
S R1 OH
S

PTH-Aminosäure
346 F. Lottspeich

..      Abb. 15.6  Analyse der W


PTH-Aminosäuren. Die K
PTH-Derivate der zwanzig N
F L
natürlich vorkommenden V
Aminosäuren werden mit einem 0,0
A dptu
D M
RP-HPLC-System getrennt. Q Y P I
Die Identifizierung der
G E
PTH-Aminosäure wird durch
–0,4
einen Retentionszeitvergleich

Intensität bei A269


mit bekannten Referenzsubs- T
tanzen erzielt S R
–0,8
H

–1,2
dmptu

–1,6

4 6 8 10 12 14 16 18
min

15.1.3  ie Qualität des Edman-Abbaus: die


D nosäuresequenzanalyse eingesetzt. Pehr Edman veröf-
repetitive Ausbeute fentlichte 1967 eine automatisierte Version, die die un-
weigerlich auftretenden Verluste beim manuellen
Die Qualität des Sequenzabbaues wird objektiv durch Hantieren verminderte und damit die Qualität der Se-
die repetitive Ausbeute (repetitive yield) angegeben. Sie quenzanalyse deutlich verbesserte. Die inzwischen er-
bezeichnet die Gesamtausbeute eines Abbauschritts im reichte mehr als hunderttausendfache Empfindlichkeits-
Edman-Abbau. Wie aus . Abb.  15.7 ersichtlich ist,

steigerung von etwa 100 nmol Ausgangsmaterial in der
nimmt die Anzahl der in jedem Schritt vollständig ab- Publikation von Edman 1950 auf heute bis zu etwa
gebauten Peptidketten bei schlechten repetitiven Aus- 500 fmol wurde im Wesentlichen durch wenige Verbes-
beuten schnell ab und wird nach einigen Abbauschritten serungen erreicht, die aus . Tab. 15.1 zu ersehen sind:

sogar von der Anzahl längerer Moleküle übertroffen, einerseits durch die Umstellung des Nachweises der
die durch unvollständige Reaktionen entstanden sind. PTH-Aminosäuren von der Dünnschichtchromatogra-
Diese komplexen Gemische ergeben beim nächsten Ab- phie auf die Hochdruckflüssigkeitschromatographie,
15 bauzyklus natürlich auch ein komplexes Gemisch an durch technische Verbesserungen der Automaten und
andererseits durch die Entwicklung der Gasphasense-
PTH-Aminosäuren. Dies schlägt sich in einer immer
schwieriger zu interpretierenden PTH-Analyse nieder. quenzierung.
Meist wird eine Sequenz nicht mehr lesbar, wenn die neu Der Edman-Sequenator bestand aus einer Lösungs-
abgebaute Aminosäure unter 15 % der eingesetzten Pep- mittelfördereinheit, die die Lösungsmittel und Rea-
tidmenge fällt. Je höher die repetitive Ausbeute ist, desto genzien durch Stickstoffdruck über einen elektronisch
später wird dieser Wert erreicht, und umso längere Se- ansteuerbaren Ventilblock zu einem Reaktionskom-
quenzen können erhalten werden (. Abb.  15.8). Erst  
partiment transportierte. Nach den Reaktionsschritten
nach der Automatisierung des Edman-Abbaus wurden der Kupplung und Spaltung wurde die abgespaltene
repetitive Ausbeuten über 90  % erreicht. Heute liegen ATZ-Aminosäure in einem gekühlten Fraktionskollek-
„normale“ Ausbeuten bei ca. 95 %, was zu durchschnitt- tor gesammelt und dann offline der Konvertierung und
lich erreichbaren Sequenzlängen von 30–40 Aminosäu- Identifizierung zugeführt. Diese einfache, von Edman
ren führt. realisierte Anordnung gilt prinzipiell auch noch für die
modernen Sequencer (. Abb.  15.9). Zusätzlich wird

heute die von Wittmann-Liebold 1976 eingeführte auto-


15.1.4 Instrumentierung matische Konvertierung verwendet, bei der die abgespal-
tene ATZ-Aminosäure in ein eigenes Gefäß transportiert
Wie bereits erwähnt, wird die von Edman vorgeschla- und dort der Konvertierungsreaktion unterzogen wird.
gene Chemie des sequenziellen Abbaus von Peptiden Anschließend wird die PTH-­Aminosäureidentifizierung
und Proteinen seit 1950 praktisch unverändert zur Ami- online durchgeführt.
Proteinsequenzanalyse
347 15
Mengen (in pmol)

..      Abb. 15.7  Einfluss der repetitiven Ausbeute beim Edman-Ab- schon nach sieben Abbauzyklen von den längeren, unvollständig ab-
bau. Ein Peptid (100 pmol) wird mit einer repetitiven Ausbeute von gebauten Peptidmolekülen übertroffen wird. Dieses komplexe Ge-
90  % sequenziert. Man sieht, dass die Menge der erwarteten und misch spiegelt sich auch in den PTH-­Analysenchromatogrammen
vollständig abgebauten Peptidkettenmoleküle schnell abnimmt und wider
348 F. Lottspeich

..      Abb. 15.8 Erreichbare 100


Sequenzlängen bei verschiedenen
repetitiven Ausbeuten. Die
Anzahl der in jedem Edman-Zy- repetitive Ausbeute
klus vollständig abgebauten 80
98 %
Peptidketten fällt rasch ab. Wenn

pmol PTH-Aminosäure
der Wert der neu abgebauten 95 %
Aminosäure unter 15 % der 90 %
60
Ausgangsmenge fällt, ist die
Sequenz normalerweise nicht
mehr interpretierbar
40

20

0
1 6 11 16 21 26 31 36 41 46 51 56 61 66 71 76 81 66 71 96
Abbauzyklus

Flüssigphasensequenator  Edman verwendete in seinem


..      Tab. 15.1  Meilensteine in der Aminosäuresequenzanalyse 1967 vorgestellten Sequenator einen rotierenden Be-
und benötigte Materialmengen für die Aminosäuresequenz-
analyse
cher (spinning cup), in dem das Protein durch die Zent-
rifugalkraft an der Wand gehalten wurde. Base und
1950 Methode der Sequenzanalyse 100 nmol Säure wurden dabei in einer solchen Menge in den dre-
henden Becher zugegeben, dass nur der Protein enthal-
1967 automatischer Sequenator 5 nmol
tende Teil benetzt wurde. Nach beendeter Reaktion
1971 Festphasensequenator wurde die Hauptmenge an Base oder Säure über ein
1976 HPLC-Detektion der PTH- 500 pmol Vakuumsystem abgezogen. Die Extraktion von Rea-
Aminosäuren genzüberschuss oder Reaktionsnebenprodukten er-
1978 Polybren als Trägersubstanz
folgte sehr effizient durch kontinuierliche Zugabe der
Lösungsmittel durch den zentralen Schlauch und Ab-
1978 totvolumenfreie Ventilblöcke transport durch einen in einer Rinne am oberen Be-
1980 Gasphasen-Sequencer 100 pmol cherrand befindlichen Schlauch. Dieses Prinzip wurde
15 1984 Microbore-HPLC <10 pmol
in den folgenden Jahren für eine kommerzielle Version
dieses Flüssigphasensequencers übernommen und
praktisch ausschließlich bis Anfang der Achtzigerjahre
Der wichtigste Teil eines Sequenators, an dem auch im des letzten Jahrhunderts eingesetzt.
Laufe der Jahre die größten Veränderungen vorgenom-
men wurden, ist das Reaktionskompartiment. Es hat im Festphasensequenator  R.  Laursen veröffentlichte 1971
Wesentlichen die Aufgabe, das Protein an einer definier- das Prinzip der Festphasensequenzierung, bei dem das
ten Position zu immobilisieren, damit dort die verschiede- Problem der Proteinauswaschung umgangen wird, indem
nen Reaktionen des Edman-Abbaus reproduzierbar und das zu sequenzierende Protein kovalent – entweder über
kontrollierbar ablaufen können. Das größte Problem da- reaktive Seitenketten einzelner Aminosäuren oder über
bei ist, dass Proteine in einigen Lösungsmitteln oder Rea- die freie Carboxygruppe der C-terminalen Aminosäure –
genzien des Edman-Abbaus, hier vor allem in der Base an feste Matrixpartikel (Polystyrol, Glas) gebunden und
und der Säure, gut löslich sind. Daher müssen Bedingun- in eine kleine Säule gepackt wird. Hierbei kommen vor
gen gewählt werden, die das Auswaschen des Proteins allem bifunktionelle Reagenzien wie Diisothiocyanat
während der Sequenzanalyse verhindern. Die verschiede- oder verschiedene Carbodiimide zum Einsatz, deren eine
nen in . Abb. 15.10 gezeigten Reaktionskompartimente

Funktionalität mit der Matrix (z. B. Glas) und die andere
bestimmen also die verschiedenen Sequencer-Typen. mit dem Peptid verknüpft werden.
Proteinsequenzanalyse
349 15
..      Abb. 15.9  Schema eines Proteinseque-
nators. Eine Flaschenbatterie, bei der die Reaktions-
Lösungsmittel und Reagenzien unter einem Ventilblock kompartiment PTH-
Argongasdruck stehen, liefert durch Analysesystem
Öffnung von totvolumenfreien Ventilen
genaue Volumina in das Reaktionskompar-
timent, in dem alle Reaktionen des
Edman-Abbaus stattfinden. Nach HPLC
Abspaltung der ATZ-Aminosäure wird
diese zur Konvertierungseinheit transpor- Konvertierungs-
tiert, zur PTH-Aminosäure konvertiert einheit
und dann online im PTH-­Analysator
identifiziert
Lösungsmittel, Abfall
Reagenzien

..      Abb. 15.10 Reaktionskom-
partimente zur Aminosäurese-
quenzanalyse von Proteinen

Vorteile Nachteile
55 Durch die chemische Fixierung des Proteins an der 55 Aminosäuren, mit deren Seitenketten die Amino-
Matrix können auch drastische chemische Bedin- säure an die Matrix gebunden ist, können nicht ex-
gungen für den Sequenzabbau angewendet werden, trahiert und damit auch nicht als PTH-­Aminosäuren
ohne dass die Proteine ausgewaschen werden. nachgewiesen werden ⇒ Lücke in der Sequenzinfor-
55 Die Waschschritte können praktisch beliebig verlän- mation.
gert werden und so optimale und reproduzierbare 55 Das Protein muss vor dem Sequenzabbau durch che-
Bedingungen eingesetzt werden. mische Reaktionen an die Matrix gebunden werden,
55 Hohe Qualität, repetitive Ausbeute über 96 %. die Ausbeuten fallen dabei sehr unterschiedlich und
55 Am C-Terminus fixierte Proteine können vollständig oft nicht vorhersehbar aus.
sequenziert werden. 55 Der Festphasensequenator hat sich aufgrund seiner
55 Erzielt sehr lange Sequenzen (oft bis ca. 80 Amino- gravierenden Nachteile nicht allgemein durchsetzen
säurereste). können.
350 F. Lottspeich

Gasphasensequenatoren  Den bisher größten Fort- ganischen Lösungsmittelbedingungen gut bindet. Dies
schritt in der Sequenzanalyse brachte zweifellos die Ein- wird notwendig, wenn organische Lösungsmittel zur Ex-
führung der Gasphasensequenzierung 1981 von Hewick traktion der hydrophoben kleinen Reaktionsnebenpro-
und Mitarbeitern, ein Prinzip, das seitdem wegen seiner dukte oder der ATZ-Aminosäure verwendet werden müs-
Einfachheit und Effizienz die vorher genannten Formen sen. Das Protein wird an die Grenzfläche zwischen den
der Sequenzanalyse verdrängt hat. Bei der Gasphasen- beiden Säulen eingebracht, meist wird es direkt auf die
sequenzierung wird das Protein  – eventuell unter Ver- Reversed-Phase-Säule aufgetragen, wobei gleichzeitig
wendung einer Trägersubstanz (Polybren) – auf eine che- Salze und polare Verunreinigungen durch Waschen mit
misch inerte Glasfritte appliziert. Die beiden Reagenzien, Wasser oder 0,1  % Trifluoressigsäure entfernt werden
in denen das aufgetragene Protein löslich ist, die Base können. Die Lösungsmittel und Reagenzien können bei
und die Säure, werden gasförmig gefördert, indem ein diesem Sequencertypus wahlweise von beiden Seiten der
Argon- oder Stickstoffstrom durch eine wässrige Trime- kombinierten biphasischen Säule zugeführt werden.
thylaminlösung bzw. durch Trifluoressigsäure und dann Wässrige Lösungen (Base, Säure) werden immer durch
zur Reaktionskammer geleitet wird. So werden im Reak- die Silicagelsäule in Richtung Reversed-Phase-Säule ge-
tionskompartiment die gewünschten basischen oder sau- fördert und organische Lösungen über die Reversed-­
ren Bedingungen erzeugt, ohne dass das Protein ausge- Phase-­Säule in Richtung der Silicagelsäule, wodurch das
waschen werden kann. Die Reaktionsnebenprodukte und Protein immer gut konzentriert in der Mitte der biphasi-
die ATZ-Aminosäure werden weiter in flüssiger Phase mit schen Säule lokalisiert bleibt. Durch optimierte Bedin-
den organischen Lösungsmitteln extrahiert, in denen das gungen erhält man Reaktionsausbeuten von über 95 %.
Protein aber nicht löslich ist. Auf dem Gasphasenprin- Trotz dieser guten Qualität konnte sich auch dieses Kon-
zip beruhend entstand – in Verbindung mit einer neuen zept nicht in einem Markt durchsetzen, der vor allem
Entwicklung totvolumenfreier Ventilblöcke  – eine neue durch die Konkurrenz der Peptidstrukturaufklärung mit
Generation von Instrumenten, die optimal an die Erfor- Massenspektrometrie kontinuierlich rückläufig war.
dernisse immer geringerer Proteinmengen angepasst war.
Mit den ersten Instrumenten dieser Art konnten bereits
Mengen unter hundert Pikomol eines Proteins sequen- 15.1.5 Probleme der
ziert werden. Nach apparativen Verbesserungen wie der Aminosäuresequenzanalyse
Online-HPLC-Trennung und der dann immer weiter ver-
besserten HPLC-­Identifizierung der PTH-Aminosäuren Auch wenn die Reaktionen des Edman-Abbaus mit ho-
lassen sich mit einem Gasphasensequencer heute sogar her Ausbeute ablaufen, die Reaktionsbedingungen gut
mit Mengen im Bereich von zehn Pikomol eines Proteins untersucht sind und die Instrumente der führenden Her-
(in optimalen Fällen sogar bis ein Pikomol) Sequenzinfor- steller heute durchwegs ausgereift sind, gibt es in der Se-
mation erhalten. quenzanalytik immer noch eine große Anzahl von Prob-
lemen, die eine Sequenzierung – vor allem im untersten
15 Pulsed-Liquid-Sequencer  Der Pulse-Liquid-Sequencer Pikomolbereich  – durchaus schwierig und oft unmög-
ist im Prinzip ein Gasphasensequenator, bei dem durch lich machen. Diese Probleme lassen sich in zwei Kate-
die Förderung der Säure in flüssiger Form eine schnellere gorien aufteilen, die zum einen mit dem Zustand der
Spaltungsreaktion erreicht wird. Dies erfordert eine sehr Probe verknüpft sind, zum anderen die chemischen oder
genaue Dosierung, um das Protein mit der Säure zu be- instrumentellen Probleme bei der Sequenzanalyse selbst
netzen, aber nicht aus dem Reaktionskompartiment zu betreffen.
spülen. Optimierte Waschzeiten in Verbindung mit einer
Temperaturprogrammierung für die unterschiedlichen 15.1.5.1  Probleme der Probe
Reaktionsphasen des Edman-Abbaus erlauben es, die Die zu sequenzierende Probe muss N-terminal einheit-
Zeiten für einen Zyklus des Edman-Abbaus auf ca. lich (rein) sein. In einzelnen Zyklen des Edman-­Abbaus
30 min zu verkürzen. werden die jeweils N-terminalen Aminosäurederivate
von jeder in der Probe vorhandenen Proteinspezies abge-
Sequenatoren mit biphasischem Säulenreaktor  Seit 1990 spalten. Nach Extraktion und Konvertierung werden alle
wurde ein Sequenator entwickelt und auf den Markt ge- diese PTH-Aminosäuren über Reversed-Phase-HPLC
bracht, bei dem das Reaktionskompartiment aus zwei getrennt, identifiziert und quantifiziert. Während die
chromatographischen Säulen besteht. Eine Reversed-Pha- Interpretation der HPLC-­Chromatogramme bei reinen,
se-Säule bindet das Protein sehr effizient, wenn wässrige einheitlichen Proben i.  A. keine Schwierigkeiten berei-
Lösungsmittel und Reagenzien vorhanden sind. Die tet, treten bei nicht bis zur Homogenität gereinigten
zweite Säule besteht aus Silicagel, das Proteine unter or- Proben in jedem Abbauschritt mehrere PTH-Amino-
Proteinsequenzanalyse
351 15
säuren im HPLC-­Chromatogramm auf. Wenn z. B. zwei den und der letzte Schritt einer Protein- oder Peptidrei-
Proteine im Gemisch vorliegen, gelingt die Zuordnung nigung so geplant werden, dass die Probe möglichst
der PTH-Aminosäuren zu der entsprechenden Haupt- salzfrei und ohne Verunreinigung vorliegt. Für Peptide
und Nebensequenz nur dann, wenn sich die Mengen bietet sich als letzter Schritt der Reinigung eine Rever-
der Proteine – und damit die Mengen der zugehörigen sed-Phase-HPLC unter Verwendung flüchtiger Lö-
PTH-Aminosäuren  – deutlich unterscheiden. Die Zu- sungsmittelsysteme wie 0,1 % Trifluoressigsäure/Aceto-
ordnung wird bereits sehr unsicher, wenn die Proteine nitril an. Für Proteine, die unter Umständen nicht
in einem Verhältnis von 2:1 vorliegen, und praktisch un- einfach entsalzt und chromatographisch von Kontami-
möglich, wenn die Proteinmengen noch ähnlicher sind. nationen befreit werden können, ist eine einfache und
Die Hauptschwierigkeit, die Daten auch von Sequenz- gute Probenvorbereitung die nichtkovalente adsorptive
gemischen zu interpretieren, liegt in der von Amino- Immobilisierung an hydrophobe Membranen. Diese
säure zu Aminosäure unterschiedlichen Ausbeute der Immobilisierung kann auch aus Polyacrylamidgelen
einzelnen PTH-Aminosäuren. Diese Ausbeute ist von durch Elektroblotten der Proteine auf eine chemisch in-
der einzelnen Aminosäure, von Reaktionsbedingungen, erte Membran (z. B. PVDF) oder auf hydrophob modi-
Instrument und besonders auch von Auswaschverlus- fizierte Glasfasern erfolgen. Die Proteine werden dabei
ten des Peptids abhängig. Diese Auswaschverluste sind so fest gebunden, dass Salze leicht und ohne Proteinver-
wiederum von der Hydrophobizität und Peptidlänge lust weggewaschen werden können.
abhängig. Beide sind normalerweise nicht bekannt und Die Probenaufgabe auf die Sequenziermatrix ist ein
können für verschiedene Peptide sehr unterschiedlich trivialer, aber ganz entscheidender Schritt für eine er-
sein. folgreiche Sequenzanalyse. Hier wird oft unterschätzt,
dass kleine Proteinmengen (Mikrogramm-, Nano-
grammmengen) äußerst gut und schnell aus wässrigen
Kontaminationen von Salzen, Detergenzien und freien
Lösungen an verschiedenste Oberflächen (z.  B. von
Aminosäuren interferieren auch schon in kleinen Men-
Glasröhrchen, Eppendorfgefäßen, etc.) binden können
gen mit den chemischen Reaktionen des Edman-Ab-
und nur unter besonderen Vorkehrungen (z. B. Lösen in
baus oder verhindern die notwendigen effizienten Ex-
über 95  %iger Ameisensäure, Beschichtung von Gefä-
traktionsschritte.
ßen, etc.) vollständig für die Sequenzanalyse wiederge-
wonnen werden können.
Durch ihren meist polaren Charakter werden Konta- Das größte Problem für die Aminosäuresequenz-
minationen von den organischen Lösungsmitteln nur analyse stellt eine N-terminale Blockierung dar. Da für
schlecht aus dem Reaktionskompartiment entfernt die Kupplungsreaktion des Edman-Abbaus eine freie
und beeinträchtigen somit die Effizienz des Abbaus Aminogruppe am N-terminalen Ende des Proteins vor-
über viele Sequenzzyklen. Relativ unpolare Kontami- handen sein muss, sind alle Proteine, bei denen diese
nationen (z.  B. freie Aminosäuren aus Puffern, Gefä- Gruppe modifiziert ist, einem direkten Sequenzabbau
ßen etc.) werden zusammen mit den PTH-Aminosäu- nicht zugänglich. Etwa fünfzig Prozent aller natürlich
ren aus dem Reaktionskompartiment extrahiert und vorkommenden Proteine weisen eine solche N-terminale
erscheinen im HPLC-Chromatogramm. Dort erschwe- Modifikation auf (Acetylierung, Formylierung, Pyro-
ren oder verhindern sie die Identifizierung und Quanti- glutaminsäure, etc.). Nur in den seltensten Fällen kann
fizierung einzelner PTH-Aminosäuren. Unpolare Kon- die Blockierung chemisch oder enzymatisch vor der Se-
taminationen sind aber nach wenigen Sequenzschritten quenzanalyse entfernt werden, sodass Sequenzinforma-
ausgewaschen und erlauben dann eventuell noch eine tionen von blockierten Proteinen normalerweise nur von
erfolgreiche Sequenzierung. Dies ist der Grund, wa- internen Sequenzen möglich sind (also durch chemische
rum in Veröffentlichungen, auch bei sonst langen und oder enzymatische Fragmentierung des Proteins und
guten Sequenzen, häufig die erste Aminosäure nicht nachfolgende Auftrennung und Sequenzanalyse der ent-
eindeutig identifiziert ist. standenen Fragmente). Eine N-terminale Blockierung
Bei dem gesamten Problemkreis der Kontaminatio- kann auch unbeabsichtigt bei der Proteinreinigung oder
nen hat die Festphasensequenzanalyse eindeutige Vor- Probenvorbereitung eingeführt werden. Häufigste Ursa-
teile, da das an einen Träger gekoppelte Protein mit ver- chen für solche artifizielle Blockierungen sind bestimmte
schiedensten, auch polaren Lösungsmitteln gewaschen Chemikalien (z. B. Harnstoff bei alkalischem pH-Wert)
werden kann, sodass letztendlich die Sequenzanalyse und Verunreinigungen in Detergenzien (z. B. in längere
mit einer reinen Probe durchgeführt werden kann. Für Zeit gelagertem Triton X-100), die mit der N-termina-
die Gasphasensequenzierung müssen besonderer Wert len Aminogruppe reagieren können (z. B. Carbamoylie-
auf eine entsprechende Probenvorbereitung gelegt wer- rung, Oxidation).
352 F. Lottspeich

Ein besonders wichtiger und schwierig zu behan- 15.1.5.2  Probleme der Sequenzierung
delnder Aspekt ist die Quantifizierung der zu sequenzie- Problemaminosäuren  Leider erscheinen gleiche Mengen
renden Probenmenge. Eine gute Abschätzung der vor- verschiedener Aminosäuren keineswegs immer in gleicher
handenen Proteinmenge ist besonders wichtig, da es, wie Intensität im PTH-Chromatogramm. Einige Aminosäu-
oben erwähnt, eine große Anzahl N-terminal blockier- ren werden durch die aggressiven Reaktionsbedingungen
ter Proteine gibt. Eine „schöne“ Proteinbande im Gel, des Edman-Abbaus teilweise zerstört und geben mehrere
ein Spot in der 2D-Gelelektrophorese oder ein symmet- (kleine) Nebenpeaks. Zum Beispiel werden durch Dehyd-
rischer chromatographischer Peak ist per se keine Ga- ratisierung (β-Elimination) bis zu 80 % des Serins und bis
rantie für eine einheitliche Substanz. So muss bei jeder zu 50 % des Threonins zerstört, und Cystein ist underiva-
Sequenzierung geprüft werden, ob die Menge an einge- tisiert fast nicht detektierbar. Bei Tryptophan werden je
setztem Material der Menge der erhaltenen PTH-­ nach Sequenzposition etwa 30  % bis zu 100  % zerstört.
Aminosäure entspricht. Dabei ist auch zu berücksichti- Andere Aminosäuren werden aufgrund ihrer Polarität
gen, dass normalerweise nur etwa fünfzig Prozent des schlecht aus dem Reaktionskompartiment extrahiert (Ar-
vorhandenen Proteins sequenzierbar ist (Anfangsaus- ginin und Histidin). Lysin ist besonders oxidationsemp-
beute, s. unten). Wenn bei der Sequenzanalyse eine un- findlich und kann bei nicht optimaler Qualität der Lö-
erwartet geringe Menge an PTH-Aminosäure erhalten sungsmittel sehr schlechte Ausbeuten zeigen. Mit einiger
wird, kann das verschiedene Ursachen haben: Erfahrung können aber die meisten der genannten Ami-
55 Es kann ein Proteingemisch mit einem N-terminal nosäuren zumindest qualitativ richtig erkannt werden.
blockierten Protein vorliegen. Da man die Menge Bei kleinen Mengen oder bei nicht ganz einheitlichen Pro-
eines blockierten Proteins aus der Sequenzanalyse ben resultieren aus diesen Problemaminosäuren erhebli-
prinzipiell nicht erkennen kann, kann die erhaltene che Probleme in der Erstellung einer sicheren und eindeu-
Sequenz von einer Nebenkomponente des Proteinge- tigen Sequenz.
mischs stammen. Da aber normalerweise die Haupt- Einige modifizierte Aminosäuren wie z. B. glykosy-
komponente analysiert werden soll, stammt die Se- lierte und phosphorylierte Aminosäuren liefern so po-
quenz hier eventuell nur von einer nicht abgetrennten lare PTH-Derivate, dass sie mit organischen Lösungs-
Verunreinigung. Nur eine genaue quantitative Ab- mitteln nicht aus dem Reaktionskompartiment
schätzung bei der Sequenzanalyse kann hierbei hel- extrahiert werden und daher im PTH-Chromatogramm
fen, solche blockierten Proteine zu erkennen oder eine Leerstelle ergeben.
auch nur einen Verdacht auf das Vorliegen eines blo-
ckierten Proteins zu erhalten. Modifizierte Aminosäuren  Diese können unter den
55 Es ist weniger Protein vorhanden als angenommen. drastisch alkalischen oder sauren Bedingungen des Ed-
man-Abbaus instabil sein und eine „normale“, unmo-
Der erste Punkt hat sicher großen Einfluss auf die Aus- difizierte Aminosäure vortäuschen. Stabil modifizierte
sagekraft der erhaltenen Sequenz und stellt sich leider Aminosäuren können in der Nähe oder in Positionen
15 oft sehr spät in der Bearbeitung eines Projektes als ent- von „normalen Aminosäuren“ chromatographieren und
scheidend dar. Der zweite Punkt trifft in der Praxis sehr so zu Fehlinterpretationen führen. Da von modifizierten
häufig zu, da die gängigen ­Proteinbestimmungsmethoden Aminosäuren häufig keine PTH-Standardsubstanzen zur
bei kleinen Mengen entweder überhaupt nicht anwend- Verfügung stehen, sind nur sehr wenige Positionen von
bar sind oder oft mit sehr großen Fehlern (Faktor 10) modifizierten Aminosäuren im PTH-­ Chromatogramm
behaftet sind. Die einzige quantitative Proteinbestim- bekannt.
mungsmethode für kleine Mengen, die Aminosäureana- Die Interpretation der PTH-Chromatogramme wird
lyse, ist technisch schwierig durchzuführen, äußerst an- durch einen im Laufe der Sequenzanalyse zunehmenden
fällig gegenüber Kontaminationen, verbraucht oft einen Untergrund erschwert. Dieser entsteht, da es in Protei-
erheblichen Teil des vorhandenen Materials (0,1–0,5 μg) nen einige labilere Peptidbindungen (vor allem Aspartyl-
und wird aus diesen Gründen nur selten durchgeführt. bindungen) gibt, die in jedem Abbauzyklus, vor allem bei
In der Praxis wird oft die Proteinmenge aus einer Fär- der Spaltungsreaktion, zu wenigen Prozent hydrolysiert
bung in einem Polyacrylamidgel abgeschätzt, die aber werden. An den dadurch entstandenen freien N-Termini
von vielen Faktoren, wie der Geldicke, der Färbeme- dieser Fragmente findet natürlich auch ein Sequenzab-
thode, von individuellen Proteineigenschaften, und auch bau statt, bei dem PTH-Aminosäuren abgespalten wer-
von der Proteinmenge selbst abhängt, und daher großer den, die letztendlich im HPLC-­Chromatogramm auch
Erfahrung und Vorsicht bedarf. detektiert werden. Typischerweise nimmt der Unter-
Proteinsequenzanalyse
353 15
grund deutlich zu (bis etwa zum zwanzigsten Abbau- tet. Die auf dem Markt vorhandenen Sequencer können
zyklus), durchläuft ein Maximum, das oft recht gut die Proteinmengen im untersten Pikomolbereich sequenzie-
Aminosäurezusammensetzung des Proteins reflektiert, ren. Die quantitative Bestimmungsgrenze der PTH-Ami-
und nimmt gegen Ende der Sequenzanalyse wieder ab, nosäuren liegt mit den heute eingesetzten Detektoren
da dann einige dieser (Untergrund-)Fragmente zu Ende und Microbore-Trennsäulen bei etwa einem Pikomol.
sequenziert sind. Normalerweise müssen die zwanzig PTH-Aminosäuren
Aus bisher nicht verstandenen Gründen kann nicht (zuzüglich einiger Reaktionsnebenprodukte) in ca. 15–
die gesamte Proteinmenge, die in einen Sequencer ein- 25 min getrennt werden. Die dazu eingesetzten optimier-
gebracht wird, sequenziert werden. Die Anfangsaus- ten Lösungsmittelgradienten und Temperaturen sind äu-
beute (initial yield) ist die Menge der im ersten Schritt ßerst genau einzuhalten, da kleinste Änderungen in der
erhaltenen PTH-Aminosäure im Verhältnis zur einge- Lösungsmittelzusammensetzung und/oder Temperatur
setzten Proteinmenge. Sie beträgt normalerweise nur das Retentionsverhalten der PTH-Aminosäuren dras-
etwa 50 %. Sie ist aber sowohl vom eingesetzten Protein tisch beeinflussen. Daher werden eine hohe Konstanz der
als auch etwas vom einzelnen Sequencer und den aktu- Lösungsmittelförderung und eine außerordentlich hohe
ellen Reaktionsparametern abhängig. Reproduzierbarkeit der Gradientenbildung benötigt.
Die in einem Sequenator normalerweise frei wählba-
ren Parameter wie Reaktionszeit, Menge und Durch-
flussgeschwindigkeiten für die einzelnen Reagenzien 15.1.6 Stand der Technik
und Lösungsmittel, Trocknungszeiten und Temperatur
haben einen gravierenden Einfluss auf die Qualität eines Mit den heute am Markt erhältlichen Sequenatoren ist
Sequenzabbaus, wobei sowohl die Anfangsausbeute als es durchaus möglich, Sequenzinformation von Protein-
auch die repetitive Ausbeute betroffen sind. Die Para- oder Peptidmengen im untersten Pikomolbereich zu er-
meter sind auch noch von der Art und Menge der Probe halten. Eine Voraussetzung dafür ist eine Probe, die
und dem für die Sequenzanalyse eingesetzten Trägerma- salz- und detergensfrei ist, deren N-terminale Amino-
terial abhängig. Die mit den Instrumenten gelieferten gruppe frei vorliegt und nicht durch (natürliche oder
Standardprogramme berücksichtigen dies, indem ver- artifizielle) Blockierung für den Edman-Abbau unzu-
schiedene optimierte Programme für die Sequenzana- gänglich ist. Außerdem müssen die für die Sequenzana-
lyse angeboten werden. So gibt es unterschiedliche Pro- lyse eingesetzten Instrumente und Chemikalien in ei-
gramme für normal (d. h. auf Glasfasern) aufgetragene, nem optimalen Zustand sein und auch normalerweise
für auf PVDF-Membranen aufgetragene Proteine oder im unteren Pikomolbereich eingesetzt werden. z. B. in
für geblottete Proben. Auch gibt es spezielle Programme einem Sequenator routinemäßig Nanomolmengen syn-
zum Beispiel für serin- oder prolinreiche Proteine oder thetischer Peptide sequenziert, so verhindern unwei-
für synthetische Peptide, die noch an das Syntheseharz gerlich vorhandene Kontaminationen (sowohl im Se-
gekoppelt sind. In der Routine werden aber fast alle Se- quenator als auch im PTH-Analysesystem) die
quenzabbauten mit „dem“ Standardprogramm durch- Interpretation einer Sequenzanalyse im untersten Pi-
geführt, das auf hohe repetitive Ausbeuten bei möglichst komolbereich.
geringem Zeitbedarf optimiert ist. In Ringversuchen werden bei der Sequenzanalyse
von geringen, aber ausreichenden Peptidmengen immer
Reinheit der Chemikalien  Die für die Sequenzanalyse noch eine erstaunlich hohe Anzahl Sequenzfehler fest-
eingesetzten Chemikalien müssen äußerst hohen Quali- gestellt. Diese falschen Sequenzen verursachen im
tätsanforderungen genügen, da Verunreinigungen die re- Ernstfall erheblichen zeitlichen und finanziellen Scha-
petitive Ausbeute beeinträchtigen können oder zu Störpe- den und sind oft nur unter großem Aufwand zu erken-
aks im PTH-Chromatogramm führen können. Wegen der nen und zu korrigieren. Als Konsequenz müssen einer-
mannigfaltigen anderen möglichen Ursachen für eine re- seits die Hersteller von Sequenzierinstrumenten Wege
duzierte Sequenzausbeute (s. oben) ist in der Praxis eine finden, die Einfachheit und Robustheit der Geräte zu
Fehlerdiagnose äußerst schwierig und zeitaufwendig. Um verbessern und Softwarelösungen implementieren, die
eine konstant hohe Qualität der Reagenzien und Lösungs- Fehlinterpretationen vermeiden helfen. Andererseits
mittel garantieren zu können, werden sie daher standard- sollten für die Betreiber von Sequenziereinrichtungen
mäßig speziell gereinigt und unterliegen strengen Quali- unabhängige Methoden wie Massenspektrometrie und
tätskontrollen. Kapillarelektrophorese zur Verfügung stehen, die in vie-
len Fällen helfen können, Problemfälle zu erkennen oder
Empfindlichkeit des HPLC-Systems  Das gesamte HPLC-­ zu lösen. Letztendlich ist aber eine optimale und vom
System für die Trennung der PTH-­Aminosäuren muss ersten Reinigungsschritt an auf die Sequenzanalyse aus-
routinemäßig in einem hohen Empfindlichkeitsbereich gerichtete Probenvorbereitung der wichtigste Schritt zu
betrieben werden, was technische Schwierigkeiten berei- einer erfolgreichen Sequenzierung.
354 F. Lottspeich

15.2  C-terminale Sequenzanalyse ­ edingungen, die diesem Abbau zugrunde liegen, wur-
B
den 1991 von Inglis ausgearbeitet. Inzwischen wurden
Die Charakterisierung eines Proteins oder Peptids an unterschiedliche chemische Methoden automatisiert.
seinem C-terminalen Ende durch Bestimmung der letz- Bisher konnte jedoch mit keinem der vorgestellten Au-
ten Aminosäuren ist für viele Problemstellungen wün- tomaten die C-terminale Polypeptidkette ähnlich erfolg-
schenswert. Es wäre optimal, wenn die Polypeptidkette reich schrittweise abgebaut werden, wie dies routinemä-
gleich effektiv wie vom N-Terminus her auch vom C-­ ßig für die N-terminale Sequenzierung möglich ist.
terminalen Ende sequenziert werden könnte. Warum nun sind die Resultate der chemischen C-­
Keine der momentan vorhandenen Methoden zur terminalen Abbaumethoden denen der analogen N-ter-
C-terminalen Sequenzanalyse liefert ähnlich gute Er- minalen Verfahren nicht adäquat? Warum gelingt es
gebnisse wie der automatische, schrittweise N-ter- nicht, vom Carboxyende der Polypeptidkette schritt-
minale Edman-Abbau im Aminosäuresequencer weise dreißig oder mehr Aminosäuren auf analoge
(7 Abschn.  15.1.3). Durch die Fortschritte der Mas-

Weise zu bestimmen? Hauptgrund ist die geringe Reak-
senspektrometrie bei Strukturermittlung von Peptiden tionsfreudigkeit der C-terminalen Carboxygruppe im
und wegen der immer vollständiger zur Verfügung ste- Gegensatz zu der sehr reaktiven N-terminalen Amino-
henden Sequenzdatenbanken kann die C-terminale Se- gruppe in Polypeptiden. Die Carboxygruppe muss zu-
quenz heute oft einfach allein massenspektrometrisch nächst aktiviert werden, um eine Kupplung mit einem
oder mit einer Kombination von Massenspektrometrie Reagenz, das für den schrittweisen Abbau vom C-­
und N-terminaler Sequenzanalyse ermittelt werden. Die terminalen Ende geeignet ist, zu ermöglichen. Hierfür
C-terminale Sequenzanalyse hat zurzeit nur historische sind relativ drastische Versuchsbedingungen notwendig,
Bedeutung und soll hier nur in ihren Grundzügen wie- die für die zum Teil empfindlichen Aminosäuren in Pro-
dergegeben werden. teinen und Peptiden nicht zuträglich sind. Außerdem
werden durch die drastischen chemischen Bedingungen
Seitenketten modifiziert oder einzelne labile Peptidbin-
15.2.1 Chemische Abbaumethoden dungen gespalten.
Der chemische C-terminale Abbau besteht aus den
15.2.1.1 Schlack-Kumpf-Abbau folgenden Stufen (. Abb. 15.11):  

Der chemische C-terminale Abbau erfolgt mit einem 1. Aktivierung des C-Terminus,
Thiocyanatreagenz analog dem Edman-Abbau, der mit 2. Kupplung mit einem Thiocyanatreagenz unter Bil-
Phenylisothiocyanat durchgeführt wird (. Abb. 15.11).
  dung eines Peptidylthiohydantoins,
Er basiert im Wesentlichen auf einem von Schlack 3. Abspaltung der C-terminalen Aminosäure als Ami-
und Kumpf 1926 angegebenen Verfahren. Optimierte nosäurethiohydantoin,

15 ..      Abb. 15.11 Schlack-Kumpf-Abbau NH2CHR1CONHCHR2CONHCHR3COOH Peptid

AcOAc/AcOH
30–60 min 1. Aktivierung
60–80 °C

CH3CONHCHR1CONHCHR2CONHCHR3COOCOCH3 N -Acetylpeptidylanhydrid

NH4SCN 2. Kupplung

R3
HC CO
CH3CONHCHR1CONHCHR2CON NH N -Acetylpeptidylthiohydantoin
C
S
NaOH 3. Spaltung
R3
HC CO
CH3CONHCHR1CONHCHR2COOH + HN NH 2-Aminosäurethiohydantoin
C
verkürztes N-acetyliertes Peptid S
Proteinsequenzanalyse
355 15
4. das abgespaltene Aminosäurethiohydantoin (ATH) 3. Abspaltung des Aminosäurethiohydantoins  Die Ab-
wird anschließend durch Vergleich mit dem Eluti- spaltung der Thiohydantoine erfolgt durch Einwirkung
onsverhalten von Referenzthiohydantoinen aller von Basen oder Säuren. Die beste Methode ist die Ab-
Aminosäuren mittels HPLC identifiziert. spaltung mit verdünnter KOH in methanolisch-­wässriger
Lösung nach Inglis oder in ammoniakalischer Lösung,
1. Aktivierung  Durch Acylierung mit Essigsäureanhy- wobei aber ebenfalls drastische Bedingungen notwendig
drid/Essigsäure (AcOAc/AcOH) wird ein gemischtes sind (0,1–2 M Lösungen). Allerdings reichen wenige Mi-
Peptidanhydrid erzeugt, wobei die aminoterminale nuten bei Raumtemperatur für die Abspaltung aus. Beim
Gruppe des Peptids durch Acetylierung blockiert automatischen Abbau tritt die Schwierigkeit auf, dass der
wird. Dabei können auch interne Seitenkettencarb- schnelle Temperaturwechsel von 60–80 °C auf Raumtem-
oxygruppen je nach Reaktionsbedingungen teilweise peratur technisch nicht leicht zu bewerkstelligen ist und
mitreagieren. Auch N-terminal an Festphasen oder die nicht flüchtige KOH nach der Reaktion durch Aus-
Glas gebundene Peptide können über ihre Seitenket- waschen entfernt werden muss, wobei das Polypeptid,
ten derivatisiert werden, z. B. Lysin, Serin, Threonin, falls nicht kovalent an Träger gebunden, ebenfalls mit aus-
Asparaginsäure und Glutaminsäure. Die Bedingun- gewaschen wird.
gen für die Aktivierung sind sehr drastisch: hoher
Überschuss an Aktivierungsreagenz und Reaktions- 4. Identifizierung des Aminosäurethiohydantoins  Die
zeiten von etwa 30–60 min bei 60–80 °C. Unter diesen Trennung und Identifizierung der abgespaltenen Amino-
Bedingungen können bereits hydrolytische Spaltungen säurethiohydantoine erfolgt mit Reversed-Phase-­HPLC
säurelabiler Peptidbindungen wie die Spaltung der über C18-Säulenmaterial (5  μm, 100  A) in Gradienten
Asp–Pro- oder Tyr–Ser-Bindung erfolgen, sodass ver- von 0,1 % TFA in Wasser/Methanol oder Acetonitril bei
kürzte Peptidfragmente entstehen, was in den nachfol- 254  nm (. Abb.  15.12) in ähnlicher Weise wie für die

genden Abbauzyklen zu falschen C-terminalen Ami- Phenylthiohydantoin- (PTH-)Aminosäuren beim N-ter-


nosäuren führt. minalen Abbau. Im Gegensatz zu den Phenylthiohyd-
antoinen sind die ATH-Aminosäuren des C-terminalen
2. Kupplung mit einem Thiocyanat- oder Isothiocyana- Abbaus, die keine Phenylgruppen tragen, wesentlich hyd-
tanion zum Peptidylthiohydantoin  Für die Kupplung rophiler, eluieren daher schneller und lassen sich infolge-
wurden verschiedene Reagenzien ausprobiert: Am re- dessen schlechter trennen.
aktivsten ist die Thiocyanatsäure (HSCN). Sie entsteht
aus Ammoniumisothiocyanat durch Einwirkung von
K
rauchender Salzsäure und wird am besten durch Säulen-
chromatographie über einem Kationenaustauscher (Do- G
N
wex 50) in acetonischer Lösung hergestellt und durch Ti-
tration bestimmt. Sehr störend wirkt hierbei die leichte
Verunreinigung mit Eisen aus dem Austauscher bzw. E Y
Glas, die zu rosa bis roten Lösungen in Aceton führt.
Dieses Reagenz ist sehr aggressiv (wirkt stark ätzend auf D
V
M
Augen und Haut), greift alle Kunststoffe an, ist instabil
und eignet sich daher nicht zur Verwendung in Auto- Q
A
maten. Deshalb werden für den automatischen Abbau L
F
Ammoniumthiocyanat oder Guanidinthiocyanat in ace- W
tonischer Lösung vorgelegt; durch dosierte Zugabe von I
Säure entsteht HSCN in situ im Reaktor. Reste an Ak-
tivierungsreagenz (Essigsäureanhydrid, Essigsäure) und
das Thiocyanat müssen durch Ausblasen mit inertem
Gas (Stickstoff, Argon) und entsprechende Waschvor-
gänge entfernt werden.
Alle Stufen des Abbaus müssen unter absolutem
Sauerstoffausschluss durchgeführt werden, damit Oxi-
dationen, etwa von Methionin zu Methioninsulfon oder
Sulfoxid, die Oxidation von Tyrosin oder die Bildung ..      Abb. 15.12 HPLC-Trennung der Aminosäurethiohydantoine
(ATH). Die Trennung wurde mit zwei hintereinander geschalteten
von S–S-Brücken aus Cysteinen, unterdrückt werden HPLC-Säulen (LiChrosorber, Hibar Merck und Eurosil RP C18, 5 μm,
und das Thiocyanatreagenz nicht in das Cyanat umge- 100  A, Knauer) in einem Gradienten aus 3  mM Natriumacetat und
wandelt wird. Acetonitril bei 35 °C online im C-terminalen Sequencer durchgeführt
356 F. Lottspeich

15.2.2  eptidmengen und Qualität des


P Carboxypeptidase A spaltet bei pH 8 neutrale Ami-
chemischen Abbaus nosäuren, besonders Leucin, Phenylalanin, Isoleucin,
Methionin, Valin und Alanin ab; Carboxypeptidase B
Die Peptidmengen, die für den C-terminalen Sequena- nur die basischen Aminosäuren Lysin und Arginin,
tor notwendig sind, liegen immer noch im Bereich von ebenfalls bei pH 8. Carboxypeptidase Y hat den weites-
ein bis zwei Nanomol, wobei in der Regel drei bis fünf ten Anwendungsbereich, spaltet sowohl im sauren als
Zyklen interpretierbar sind. In Einzelfällen gelang es auch im alkalischen Bereich (pH 4–8) fast alle Bindun-
auch, bis zu zehn Aminosäuren zu sequenzieren. Die gen mit Ausnahme von Prolin. Carboxypeptidase P spal-
Schwierigkeiten resultieren aus der relativ schlechten re- tet auch Prolin ab, mit einem pH-Optimum bei pH 4–5.
petitiven Ausbeute von nur 75–85  % beim Abbau, da Alle Carboxypeptidasen gehören zu den Serin-­
Verluste an Peptid durch Hydrolyse der labilen Peptid- Proteasen, d. h. ein Serin ist am katalytischen Mechanis-
bindungen, Auswaschen der Peptide und Zerstörung der mus beteiligt. Je nach Reinheitsgrad der Enzyme können
labilen Aminosäurederivate auftreten. Dies bedingt den unterschiedliche Aktivitäten beobachtet werden. Auch
hohen overlap während des Abbaus, der unvollständig die Zeit, in der die Abspaltung der Aminosäuren vom
verläuft, sodass die Aminosäuren erst in den nachfol- C-Terminus erfolgt, variiert stark und ist konzentra-
genden Stufen abgebaut werden. Deshalb ist der Abbau tions- und temperaturabhängig. Deshalb werden oft
kurzer Peptide erfolgreicher als der großer Proteine. scheinbar zwei bis mehrere Aminosäuren gleichzeitig
Auch der unkontrollierte Abbau, das heißt die frühzei- abgespalten, wenn eine schnell abspaltbare Amino-
tige partielle Abspaltung im Sauren, gefolgt von neuer säure auf eine folgt, die nur langsam abgespalten wird,
Kupplung, wird beobachtet und ist Ursache für den wie z.  B. bei dieser Sequenz am C-terminalen Ende: –
beim C-terminalen Abbau auftretenden prelap (zu frü- Gln–Leu. In einem solchen Falle lässt sich mit Carb-
hes Erscheinen der Aminosäure der nachfolgenden Ab- oxypeptidasebehandlung zwar nicht die Sequenz aller
baustufe im vorhergehenden Schritt). Aminosäuren im Verdau ermitteln, dafür aber, welche
Aminosäuren abgespalten wurden. Üblicherweise wird
in einem Zeitexperiment ermittelt, welche Aminosäuren
nacheinander abgespalten werden. Dazu wird das Poly-
15.2.3  bbau der Polypeptide mit
A peptid unterschiedlich lange mit Carboxypeptidase be-
Carboxypeptidasen handelt, also werden z. B. zum Zeitpunkt 0 min (Kont-
rolle), 5 min, 10 min, 20 min, 30 min, 40 min, 80 min und
15.2.3.1 Spezifität der Carboxypeptidasen 2  h Proben vom Ansatz abgenommen und analysiert.
Beim enzymatischen Abbau werden Carboxypeptidasen Ein Beispiel ist in . Abb.  15.13 gezeigt. Um die Poly-  

eingesetzt, die als Exopeptidasen die Polypeptidketten peptidkette nicht zu unkontrolliert abzudauen, werden
vom C-terminalen Ende verdauen. Es gibt verschiedene gewöhnlich Temperaturen von 25–10 °C (oder 0 °C) an-
Carboxypeptidasen, die unterschiedliche Spezifitäten gewandt, obwohl das Optimum der Carboxypeptidasen
15 für die einzelnen Aminosäuren aufweisen: bei 37 °C liegt.

..      Abb. 15.13  Enzymatischer Abbau


abgespaltene Aminosäuremenge (in %)

einer Polypeptidkette mit der C-termina- Gly Ala Leu Gln Val Phe
len Sequenz Gly–Ala–Leu–Gln–Val–Phe Phe
100
durch Carboxypeptidase Y (Case) Case Val

Gly Ala Leu Gln Val + Phe 75


Gln
Leu
Case 50 Ala
Gly
Gly Ala Leu Gln + Val
25

Case
0
0 20 40 60 80 100
Gly Ala + Gln/ Leu
Zeit (in min)
Proteinsequenzanalyse
357 15
15.2.3.2  Detektion der abgespaltenen Dabei ist klar, dass die Herausforderung einer Protein-
Aminosäuren sequenzierung durch den komplexeren Aufbau von Pro-
In der Vergangenheit wurden die freigesetzten Amino- teinen aus ca. 20 Aminosäuren im Vergleich zu nur vier
säuren in den Spaltansätzen gewöhnlich im Aminosäu- Nucleotiden die ausgeprägte Faltung von Proteinen und
reanalysator bestimmt. Hierzu wurde zu verschiedenen die ungleichmäßige Ladungsverteilung bei Proteinen
Zeitpunkten jeweils ein Teil des Spaltansatzes auf pH ungleich größer sein wird. Zusätzlich ist auch keine den
2,0 eingestellt, um die Aktivität des Enzyms zu stoppen, Nucleinsäuren äquivalente Amplifikationstechnik für
und dann ohne Abtrennung der Restpeptide oder des Proteine in Sicht.
Enzyms auf die Trennsäule des Aminosäureanalysators Allein unterscheidbare Read-outs für alle natürlich
aufgebracht. Die Anwesenheit der Proteine stört nicht, vorkommenden Aminosäuren zu entwickeln erscheint
da diese auf der verwendeten Austauschersäule (Katio- enorm anspruchsvoll. Eine gerichtete Translokation von
nenaustauscher Dowex 50) oder bei Reversed-Pha- Proteinen z.  B. durch Poren ist aufgrund ihrer unter-
se-HPLC (C18, 80–100 Å) erst bei der Regeneration der schiedlichen Ladung und Ladungsverteilung wesentlich
Säule eluiert werden. Die Analyse der freigesetzten komplizierter als bei Nucleinsäuren.
Aminosäuren hat jedoch zwei gravierende Nachteile: Trotz dieser desperaten Ausgangslage gibt es in
Zum einen werden im Spaltansatz enthaltene Di- bis den letzten Jahren Versuche, Single-Molecule-Protein-­
Tripeptide ebenfalls bei der Chromatographie mit Sequenzierungstechniken zu entwickeln. Dabei ist
eluiert und können zu Verwechslungen mit den an der- ein naheliegender Weg, die so erfolgreichen DNA-­
selben Stelle eluierenden Aminosäuren führen. Zum an- Sequenzierungsmethoden auf ihre Eignung für die Pro-
deren können während der enzymatischen Spaltung teinwelt zu untersuchen. Für die gerichtete Transloka-
auch Brüche in der Polypeptidkette auftreten, wenn tion werden chemisches oder enzymatisches Entfalten
Peptidbindungen innerhalb der Kette gespalten werden. und/oder chemische Modifikationen der Proteine an
Die auftretenden Fragmente werden durch die Carb- den Termini in Betracht gezogen. Für die Detektion
oxypeptidasen ebenfalls abgedaut, sodass falsche Ami- werden Fluoreszenztechniken, Tunnelstrom oder syn-
nosäuren dem C-terminalen Ende der eingesetzten Po- thetische/biologische Nanoporen eingesetzt. Alle diese
lypeptidkette zugeordnet werden. Diese internen Wege werden bearbeitet, sind aber noch weit von einer
Spaltungen sind bei vielen Proteinen beobachtet wor- Einsetzbarkeit in der analytischen Praxis entfernt. Eine
den, sei es durch Verunreinigungen der Exopeptidasen neuere Übersicht ist in Restrepo-Pérez et  al. (2018;
mit Spuren von Endopeptidasen, breite Spezifität der Weiterführende Literatur) gegeben.
Enzyme oder bedingt durch Verunreinigungen mit Spu-
ren von Endoproteinasen. Oft ist das C-terminale Ende
des Proteins für den Verdau mit Carboxypeptidasen 15.4  Ausblick
ohne Denaturierung aus sterischen Gründen nicht zu-
Der Edman-Abbau wird immer noch – chemisch prak-
gänglich, wohl aber andere Sequenzbereiche, wenn diese
tisch unverändert  – zur Sequenzanalyse von Proteinen
sich an der Oberfläche des Proteins befinden und leicht
spaltbar sind. Deshalb ist die geschilderte Methode eingesetzt. Da die Massenspektrometrie immer größere
über die Analyse der abgespaltenen Aminosäuren sehr Anteile der Proteincharakterisierung vor allem in den
Proteomics-Techniken übernommen hat, hat die Bedeu-
riskant und prinzipiell heute nicht mehr zu empfehlen.
tung der klassischen Aminosäuresequenzanalyse deut-
Stattdessen ist es sinnvoller, die massenspektrometri-
sche Analyse der entstehenden abgedauten Ketten vor- lich abgenommen. Dadurch ist vor allem eine instru-
zunehmen. Auf einfache Weise lässt sich heute anhand mentelle Weiterentwicklung seit der Jahrhundertwende
der Ausgangsmasse des zu sequenzierenden Peptides praktisch nicht mehr vorhanden. Zurzeit bietet auch nur
noch eine Firma (Shimadzu) ein Proteinsequenzanaly-
oder Proteins feststellen, ob das C-terminale Ende der
Peptidkette abgedaut worden ist oder interne Frag- segerät kommerziell an. Die klassische Edman-Sequen-
mente entstanden sind. zierung erscheint in ihren chemischen Abläufen nahezu
optimal, für eine wesentliche instrumentelle Verbesse-
rung ist der Markt zu klein.
15.3  Single Molecule Protein Sequencing Dennoch hat der Edman-Abbau immer noch Be-
reiche, in denen er einfacher, schneller und sicherer Re-
Die technischen Fortschritte in der Instrumentierung sultate liefert als die massenspektrometrischen Techni-
und Informatik und die spektakulären Fortschritte in ken  – dazu gehören Bestimmung des N-Terminus und
den DNA-Sequenzierungstechnologien, in denen DNA-­ Prozessierungsstellen von Proteinen, Kontrolle der
Einzelmoleküle einer Analytik zugänglich geworden Aminosäuresequenz von therapeutischen Proteinen, Se-
sind, haben Überlegungen induziert, dass ähnliche quenzanalyse von Proteinen aus Organismen mit unbe-
Techniken auch mit Proteinen möglich sein könnten. kannter DNA-Sequenz.
358 F. Lottspeich

Die C-terminalen Sequenzabbautechniken haben Edman P, Begg G (1967) A protein sequenator. Eur J Biochem 1:80–91
aufgrund ihrer fundamentalen Probleme praktisch keine Hewick RM, Hunkapiller MW, Hood LE, Dreyer WJ (1981) A gas-­
liquid solid phase peptide and protein sequenator. J Biol Chem
Bedeutung in der Bioanalytik. Am ehesten werden hier 256:7990–7997
erfolgreich enzymatische mit massenspektrometrischen Inglis AS (1991) Chemical procedures for C-terminal sequencing of
Verfahren kombiniert. peptides and proteins. Anal Biochem 195:183–196
Nur eine im Vergleich zum Edman-Abbau tech- Laursen RA (1971) Solid-phase Edman degradation. An automatic
nisch vollständig andere Aminosäuresequenzanalytik, peptide sequencer. Eur J Biochem 20:89–102
Restrepo-Pérez L, Joo C, Dekker C (2018) Paving the way to single-­
wie z.  B. Single-Molecule-Protein-Sequencing-Techni- molecule protein sequencing. Nat Nanotechnol 13(9):786–796.
ken analog dem spektakulären Vorbild in der DNA-­ https://doi.org/10.1038/s41565-018-0236-6
Sequenzierung (nanopore sequencing, etc.), hätten das Sanger F, Thompson EO (1953a) The amino-acid sequence in the
Potenzial, mit den massenspektrometrischen Methoden glycyl chain of insulin. I.  The identification of lower peptides
in echte Konkurrenz zu treten und ermöglichten zudem from partial hydrolysates. Biochem J 53:353–366
Sanger F, Thompson EO (1953b) The amino-acid sequence in the
zum ersten Mal einen quantitativen Blick in die Welt der glycyl chain of insulin. II. The investigation of peptides from en-
Proteoformen. Erste Versuche finden zwar schon statt, zymic hydrolysates. Biochem J 53:366–374
aber bis zu einer praxistauglichen Anwendung scheint Schlack P, Kumpf W (1926) Über eine neue Methode zur Ermittlung
noch ein langer Weg. der Konstitution von Peptiden. Z Physiol Chemie Hoppe-Seyler
154:125–170
Thiede B, Salnikow J, Wittmann-Liebold B (1977) C-terminal ladder
sequencing by an approach combining chemical degradation
Literatur und Weiterführende Literatur with analysis by matrix assisted laser desorption ionization mass
spectrometry. Eur J Biochem 244:750–754
Braunitzer G, Gehring-Müller R, Hilschmann N, Hilse K, Hobom Warren RL, Sutton GG, Jones SJM, Holt RA (2007) Assembling
G, Rudloff V, Wittmann-Liebold B (1961) Die Konstitution des millions of short DNA sequences using SSAKE. Bioinformatics
normalen adulten Humanhämoglobins. Hoppe Seylers Z Physiol 23(4):500–501
Chem 325:283–286

15
359 16

Massenspektrometrie
Helmut E. Meyer, Thomas Fröhlich, Eckhard Nordhoff
und Katja Kuhlmann

Inhaltsverzeichnis

16.1 Ionisationsmethoden – 361


16.1.1 Matrixassistierte Laserdesorptions/Ionisations-Massenspektrometrie
(MALDI-MS) – 362
16.1.2 Elektrospray-Ionisation (ESI) – 367

16.2 Massenanalysatoren – 374


16.2.1 F lugzeitanalysator (TOF) – 376
16.2.2 Quadrupolanalysator – 378
16.2.3 Elektrische Ionenfallen – 380
16.2.4 Magnetische Ionenfalle – 382
16.2.5 Orbital-Ionenfalle – 383
16.2.6 Hybridgeräte – 384

16.3 Ionendetektoren – 389


16.3.1 S ekundärelektronenvervielfacher (SEV) – 389
16.3.2 Faraday-Becher – 390

16.4 Fragmentierungstechniken – 391


16.4.1  ollisionsinduzierte Dissoziation (CID) – 391
K
16.4.2 Prompte und metastabile Zerfälle (ISD, PSD) – 392
16.4.3 Photoneninduzierte Dissoziation (PID, IRMPD) – 394
16.4.4 Erzeugung von Radikalen (ECD, HECD, ETD) – 394

16.5 Massenbestimmung – 396


16.5.1  erechnung der Masse – 396
B
16.5.2 Einfluss der Isotopie – 396
16.5.3 Kalibrierung – 400
16.5.4 Bestimmung der Ladungszahl – 400
16.5.5 Signalverarbeitung und -auswertung – 400
16.5.6 Ableitung der Masse – 401
16.5.7 Probleme – 401

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J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_16
16.6 Identifizierung, Nachweis und Strukturaufklärung – 402
16.6.1 I dentifizierung – 402
16.6.2 Nachweis – 403
16.6.3 Strukturaufklärung – 404

16.7 LC-MS und LC-MS/MS – 410


16.7.1 L C-MS – 410
16.7.2 LC-MS/MS – 412
16.7.3 Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS) – 412

16.8 Quantifizierung – 413

Literatur und Weiterführende Literatur – 414


Massenspektrometrie
361 16
55 Die Massenspektrometrie (MS) ist ein Verfahren zur Be- von zwei Massenanalysatoren. In diesem Fall können
stimmung des Masse-zu-Ladungsverhältnisses (m/z) von nach einer ersten Massenanalyse in einem zweiten Schritt
ionisierten Atomen bzw. Molekülen in der Gasphase. ausgewählte Molekülionen im Massenspektrometer frag-
55 Die Massenspektrometrie wird in der chemischen mentiert und deren Zerfallsprodukte analysiert werden
Analytik routinemäßig zur Detektion und Charakte- (Tandem-MS). Hiermit ist es möglich, die Struktur neuer,
risierung eines breiten Spektrums von Stoffgruppen bisher unbekannter Moleküle aufzuklären oder diese
verwendet. durch Abgleich mit Datenbanken schnell und sicher zu
55 Seit der Entwicklung sanfter, für biologische Makro- identifizieren.
moleküle geeigneter Ionisationsverfahren findet die Für die Peptidanalytik reicht die Empfindlichkeit der
Massenspektrometrie auch zur Untersuchung von Bio- heutigen massenspektrometrischen Verfahren in den
molekülen (z. B. von Proteinen) breite Anwendung. Subfemtomolbereich. Für kleine Proteine (<20  kDa)
55 Die Kopplung von Hochleistungsflüssigkeitschroma- liegt diese Grenze bei 10–100 fmol, für mittelgroße wer-
tographie und Massenspektrometrie (LC-MS) ermög- den mindestens 50–500  fmol benötigt und für große
licht die sensitive Analyse sehr komplexer Probengemi- (>50  kDa) 0,5–5  pmol. Generell nimmt, unabhängig
sche (z. B. von Zelllysaten). von der Substanzklasse, die Nachweisempfindlichkeit
55 In der Proteomforschung sowie in der Qualitätskont- mit ansteigender Molekülmasse ab. Zwischen verschie-
rolle von Biotherapeutika stellt die LC-MS-Analyse denen Substanzklassen gibt es jedoch große Unterschie-
eines der wichtigsten analytischen Verfahren dar. de. So werden z. B. für die Analyse von Nucleinsäuren
und Kohlenhydraten bei gleicher Molekülmasse bis zu
Die Massenspektrometrie (MS) stellt eine Analysetech- tausendmal größere Mengen benötigt als für die Mas-
nik zur Bestimmung des Masse-zu-­Ladungsverhältnisses senbestimmung von Peptiden.
(m/z) von Ionen im Hochvakuum dar. Ende der Achtzi- Ein Massenspektrometer besteht im einfachsten Fall
gerjahre des letzten Jahrhunderts führten die Arbeiten aus einer Ionenquelle, in der aus einer Substanzprobe Io-
von John B. Fenn (USA) zur Entwicklung der Elektro- nen erzeugt bzw. freigesetzt werden, einem Massenana-
spray-Ionisation (ESI) und von Franz Hillenkamp und lysator, der die Ionen hinsichtlich des Masse-zu-La-
Michael Karas (Deutschland) sowie Koichi Tanaka (Ja- dungs-Verhältnisses (m/z) auftrennt, und schließlich
pan) zur Entdeckung und Anwendung der matrixassis- einem Detektor, der den Ionenstrom misst (. Abb. 16.1).

tierten Laserdesorption/Ionisation (MALDI). Erst diese Als Ergebnis wird ein Massenspektrum generiert, in
neuen, sanften Ionisationsmethoden machten die intakte dem die relativen Häufigkeiten der Ionen gegen m/z auf-
Überführung von größeren biologischen Makromolekü- getragen sind. Im Folgenden werden die einzelnen
len wie Proteinen, komplexen Kohlenhydraten und mehr- Schritte Ionisation, Massenanalyse und Ionendetektion
zähligen Nucleinsäuren in die Gasphase und damit ihre vorgestellt und die dabei eingesetzten Techniken und de-
massenspektrometrische Analyse möglich. Im Jahre 2002 ren Funktionsprinzip erörtert.
wurden Fenn und Tanaka für ihre methodischen Ent-
wicklungen zur Identifizierung von biologischen Makro-
molekülen mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeich- 16.1  Ionisationsmethoden
net. Beide Verfahren sind bezüglich ihrer spezifischen
Anforderungen und Stärken komplementär und domi- Die Ionisierung der Analytmoleküle in einem Massen-
nieren zusammen die biologische Massenspektrometrie. spektrometer kann ganz allgemein durch Aufnahme
Mithilfe der MALDI- und ESI-MS kann man die oder den Verlust eines Elektrons, Protons oder Kations
Masse von biologischen Molekülen sehr genau bestim- erfolgen. Dies wird beispielsweise durch den Beschuss
men und damit deren chemische Zusammensetzung veri- der Probenmoleküle mit Elektronen (Elektronenstoß-­
fizieren oder falsifizieren. Bei bekannter Aminosäurese- Ionisation, EI), durch so generierte reaktive Ionen die
quenz kann z. B. aus der Differenz der berechneten und dann ihre Ladung auf die Probenmoleküle übertragen
der gemessenen Masse eines gereiften Proteins direkt auf (chemische Ionisation, CI) oder durch den Beschuss der
posttranslationale Modifikationen wie Phosphorylierung Probe mit schnellen Atomen (Fast Atom Bombardment,
oder Glykosylierung geschlossen werden. Zudem können FAB), Ionen (Sekundärionen-Ionisation, SI) oder mit
unbekannte Proteinproben, nach proteolytischer Spal- Photonen (Laserdesorption/Ionisation, LDI) erreicht.
tung, basierend auf den exakten Massen der freigesetzten Für polare, nicht flüchtige und generell für größere bio-
Peptide mittels Abgleich mit einer Sequenzdatenbank logische Moleküle sind die Ionisierung der gelösten Pro-
schnell und einfach identifiziert werden. Weitergehende be mittels ESI oder aus der festen Phase mittels MALDI
Möglichkeiten ergeben sich z.  B. aus der Kombination die Methoden der Wahl.
362 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.1 Komponenten
eines Massenspektrometers

Elektronenstoß-Ionisation (EI) Quadrupol Faraday-Becher


(Faraday cup, FC)
chemische Ionisation (CI) Flugzeitanalysator
(time-of-flight, TOF) Konversionsdynode
fast atom bombardment (FAB) mit Sekundärelektronen-
elektrische Ionenfalle vervielfacher (SEV)
Sekundärionen-Ionisation (SI) (ion trap)
Vielkanalplatte
Elektrospray-Ionisation (ESI) elektromagnetische (multichannel plate)
Ionenfalle (Ionenzyklotron)
Laserdesorption/Ionisation (LDI)
Orbital-Ionenfalle (orbitrap)
matrixunterstützte Laser-
desorption/Ionisation (MALDI)

16.1.1 Matrixassistierte Laserdesorptions/ Mischt man auf einem metallischen Probenträger


Ionisations-Massenspektrometrie eine Probe mit einem 1000-fachen oder noch größeren
molaren Überschuss einer geeigneten, bei der verwende-
(MALDI-MS)
ten Laserwellenlänge absorbierenden Matrix (in der Re-
gel kleine organische Moleküle, . Tab. 16.1), so erfolgt
Seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts wur-

nach Verdunstung des Lösungsmittels auf dem Proben-


den Laser in der organischen Massenspektrometrie mit
träger eine Kokristallisation von Matrix und Analyt.
dem Ziel eingesetzt, durch eine geeignete Primäranre-
Der Einbau der Probenmoleküle in das Kristallgitter
gung eine direkte Desorption intakter Molekülionen
der Matrix wird als Voraussetzung für die nachfolgende
aus kondensierten Phasen zu erreichen. Bei diesen an-
MALDI angesehen (. Abb.  16.2). Im Hochvakuum
fänglichen Versuchen wurden Proben in dünner Schicht

der Ionenquelle des Massenspektrometers wird die kris-


auf eine Metalloberfläche aufgebracht und dann mit ei-
talline Oberfläche der präparierten Probe einem intensi-
nem gepulsten Laser bestrahlt. In der Regel zeigten die
ven Impuls kurzwelliger Laserstrahlung von wenigen
so erzeugten Massenspektren jedoch nur geringe Signal-
Nanosekunden Dauer ausgesetzt. Die Einkopplung der
intensitäten und eine ausgeprägte Fragmentierung der
für die Ionen notwendigen Energie erfolgt bei UV-Be-
Probenmoleküle. Da man gewöhnlich nur Ionen mit
16 Molekulargewichten unter tausend Dalton nachweisen
strahlung über resonante elektronische Anregung der
Matrixmoleküle, etwa in das π-Elektronensystem aro-
konnte, hatte die Laserdesorptions/Ionisations-­MS
matischer Verbindungen.
(LDI-MS) für die Analytik von Biomolekülen nur we-
Theoretische Berechnungen lassen vermuten, dass die
nig praktische Bedeutung. Dies änderte sich, als Micha-
zunächst in den Matrixmolekülen gespeicherte elektroni-
el Karas und Franz Hillenkamp von der Universität
sche Anregungsenergie in extrem kurzen Zeiten in das
Münster 1987 den Wechselwirkungsprozess zwischen
Festkörpergitter relaxiert und dort eine starke Störung
ultravioletter Laserstrahlung und organischen Molekü-
und Ausdehnung bewirkt. Es erfolgt dann weit vor Errei-
len untersuchten. Sie betteten die Probe in eine geeignete
chen eines thermischen Gleichgewichts ein Phasenüber-
Matrix, bestehend aus kleinen organischen Molekülen,
gang, der explosiv einen Teil der Festkörperoberfläche
die eine hohe Absorption bei der eingestrahlten Laser-
auflöst. Dabei werden neben Matrixmolekülen auch Pro-
wellenlänge zeigen, und beobachteten deutlich höhere
benmoleküle in die Gasphase freigesetzt (. Abb.  16.2).
Intensitäten der Analytionen und fast keine Fragmen-

Offensichtlich ist dabei die Anregung innerer Freiheits-


tionen in den Massenspektren. Mit dieser als MAL-
grade der beteiligten Moleküle so gering, dass sogar ther-
DI-MS bezeichneten Methode konnten erstmalig Pro-
misch labile Makromoleküle wie Proteine diesen Prozess
teine als intakte Moleküle analysiert werden.
intakt überstehen. Dies gilt allerdings nur in einem be-
Massenspektrometrie
363 16

..      Tab. 16.1  Typische Matrixsubstanzen für die MALDI-MS in der biochemischen Analytik

Matrix Wellenlänge geeignet für

α-Cyano-4-hydroxyzimtsäure CN 337 nm, 355 nm Peptide


COOH
C

HC

OH

2,5-Dihydroxybenzoesäure COOH 266 nm, 337 nm, 355 nm Peptide, Proteine, komplexe


(DHB) OH
Kohlenhydrate

HO

3,5-Dimethoxy-4-hydroxyzimt- H3CO COOH 266 nm, 337 nm, 355 nm Proteine


säure (Sinapinsäure)
HO
OCH3

3-Hydroxypicolinsäure N COOH 337 nm, 355 nm DNA und RNA

OH

grenzten Bereich der Bestrahlungsstärke (Laserintensität lungsstärke auf der Probe variabel einstellbar. Die Pro-
auf der Probe), der meist zwischen 105 und 107 W cm−2 be kann über eine Videokamera kontrolliert und der zu
liegt. Bei zu hoher Bestrahlung wird die Probe weitge- analysierende Bereich ausgewählt werden. Ist der Pro-
hend zerstört. Zahlreiche Experimente weisen darauf hin, benteller auf einem in x- und y-Richtung beweglichen
dass die Matrix auch eine wichtige Rolle bei der Ionisati- Tisch montiert (xy-Manipulator), können die Proben
on der Probenmoleküle spielt. Photoionisierte, radikali- systematisch angefahren und verschiedene Stellen selek-
sche Matrixmoleküle bewirken danach durch Protonen- tiv untersucht werden.
transfer eine hohe Ausbeute an elektrisch geladenen
Probenmolekülen. 16.1.1.1 Eigenschaften von ­MALDI-­
Für die MALDI werden Impulsfestkörperlaser im Massenspektren
UV-Bereich wie Nd-YAG-Laser (Yttrium-Aluminium-­ In den . Abb.  16.3 und  16.4 sind beispielhaft die im

Granat-Kristalle, dotiert mit Neodym) mit Impulsdau- positiven Ionenmodus aufgenommenen MALDI-Spek-
ern von etwa 5–15  ns und Wellenlängen von 355  nm tren eines Peptids und eines Proteins gezeigt. Für Pepti-
(Frequenzverdreifachung) oder 266  nm (Frequenzver- de beobachtet man überwiegend die intakten, einfach
vierfachung) oder Stickstofflaser mit einer Wellenlänge geladenen Molekülionen in den MALDI-Spektren. Bei
von 337  nm und Impulsdauern von 3–5  ns verwendet. der MALDI-Analyse größerer Moleküle, wie Proteine,
Für den Infrarotbereich stehen Er-YAG-Laser (Yttrium-­ werden neben den einfach geladenen, d. h. einfach pro-
Aluminium-­Granat-Kristalle dotiert mit Erbium) mit tonierten Molekülionen [M+H]+ und Dimerionen
Impulsdauern von 90  ns und einer Wellenlänge von [2M+H]+, auch mehrfach geladene Molekülionen vom
2,94 μm zur Verfügung. Der Laserstrahl wird mit einer Typ [M+2H]2+, [M+3H]3+ usw., detektiert. Das Verhält-
geeigneten Optik, je nach Bedarf, auf einen Durchmes- nis der entsprechenden Signalintensitäten zueinander ist
ser von 10–500 μm auf der Probenoberfläche fokussiert. von mehreren Faktoren abhängig, wie etwa den chemi-
Durch einen Strahlabschwächer (z. B. ein dielektrischer schen Eigenschaften des Analyten und dessen Konzent-
oder metallisch beschichteter Spiegel) ist die Bestrah- ration und Größe. Generell nimmt die Nachweisemp-
364 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.2  Prinzip des zum Massenanalysator


MALDI-Prozesses

+
+ + +
+
+ +
+

+ +
+
+
+
+

+
+

+
Laserimpuls
(3–4 ns)

elektrostatisches Feld
+ +

Protonenübergang
+

Matrixkristall mit
Analytmolekülen

16
..      Abb. 16.3  MALDI-­TOF- 1046,621
Spektrum des Peptids Angioten-
sin II
relative Intensität

600 800 1000 m /z


Massenspektrometrie
365 16
..      Abb. 16.4  MALDI-­TOF-

[M+2H]2+
Spektrum eines monoklonalen

[M+H]+
Antikörpers. (Mit freundlicher
Genehmigung von K. Strupat 100
und F. Hillenkamp, Universität
Münster)

[M+3H]3+
relative Intensität
50

LC

[2M+H]+
0
0 50 000 100 000 200 000 m/z

findlichkeit mit m/z ab, was den Nachweis von mehrfach lyt das molare Verhältnis von Matrix zu Analyt von
geladenen Ionen bei großen Molekülen begünstigt. In 1:104 bis 1:109 variieren kann.
der Regel beobachtet man bis zu einer Masse von Bei Probenlösungen mit zu geringer Konzentration
50  kDa das einfach geladene Molekülion [M+H]+ mit unterschreiten die Ionenströme die Nachweisgrenze
der höchsten Signalintensität im MALDI-­ Spektrum. des Detektors. Bei zu hohen Konzentrationen können
Darüber hinaus kann auch das zweifach geladene Mole- hohe Ionenströme eine Sättigung des Detektors bewir-
külion das Spektrum dominieren. ken, wodurch sehr breite, nicht mehr auswertbare Sig-
nale erzeugt werden. Oft wird mit zunehmender Pro-
16.1.1.2 Probenpräparation benkonzentration auch eine abnehmende Intensität des
Das Prinzip der MALDI-MS setzt die Isolation der Ionensignals (Suppression) beobachtet. In der Labor-
Analytmoleküle in einer festen, kristallinen Matrix vor- praxis empfiehlt es sich daher, von einer Probe unbe-
aus, welche die eingestrahlten Laserphotonen absor- kannter Konzentration unterschiedliche Verdünnun-
biert. Die MALDI-Standardprobenpräparation ist ein- gen zu analysieren.
fach und erfordert wenig Aufwand. Man mischt die In vielen Fällen, vor allem in der MALDI-MS-ba-
Lösungen von Probe und Matrix vor dem Auftragen sierten Proteinanalytik, gilt, dass physikalisch-chemi-
oder direkt auf dem Probenträger (. Abb. 16.5A). An-
  sche Effekte bei der Probenvorbereitung und -präpara-
schließend lässt man die Probe trocknen, weshalb die tion die entscheidenden, empfindlichkeitsbegrenzenden
Standardpräparation oft auch als dried droplet method Faktoren darstellen. Dies betrifft u.  a. die Löslichkeit
bezeichnet wird. Dabei wird die Matrix als Lösung in von Peptiden und Proteinen, irreversible Adsorptions-
reinem Wasser oder als Mischung von Wasser und orga- effekte, Verschleppungseffekte sowie den Einfluss von
nischem Lösungsmittel (Methanol, Acetonitril u. a.) in Kontaminationen aus Probengefäßen und Lösungsmit-
einer Konzentration von typischerweise 10–100  mM teln. Zur Entsalzung der Proben wird häufig die
eingesetzt. Für die Analytlösung gibt es keine ent- RP-Chromatographie eingesetzt. Sowohl die dabei be-
sprechende allgemeinverbindliche Vorgabe, weil hier die vorzugt als Ionenpaarreagenz verwendete Trifluoressig-
Spezifikationen für verschiedene Stoffklassen sehr stark säure (TFA) als auch das Lösungsmittel Acetonitril wer-
variieren. So sind für reine Peptidlösungen Konzentra- den beide ebenfalls bei der MALDI-­Probenpräparation
tionen von 0,1–1 nM ausreichend. In der Praxis werden verwendet, d. h. die entsprechenden Eluate müssen nicht
aber meist höhere Konzentrationen eingesetzt bzw. ge- weiter aufgearbeitet werden.
fordert (z. B. 10 nM). Für Proteine werden generell deut- Bei der MALDI-Probenpräparation entstehen durch
lich höhere Minimalkonzentrationen benötigt, je nach das Verdunsten des Lösungsmittels polykristalline Schich-
Struktur und Größe 0,1–10  μM.  Für DNA- oder ten aus Matrix mit eingelagertem Analyt. Der Kristallisa-
RNA-Proben sowie komplexe Kohlenhydrate ist der tionsprozess wird durch die physikalisch-­chemischen Ei-
Probenbedarf ähnlich hoch. Es folgt, dass je nach Ana- genschaften der Analyten selbst (Größe und Löslichkeit),
366 H.E. Meyer et al.

nisse beider Komponenten können aber trotzdem un-


A
terschiedlich sein, sodass eine mehr oder weniger
ausgeprägte Ortsabhängigkeit des Einbaus der Analyt-
moleküle auftritt.
Mithilfe anderer Präparationstechniken, wie z. B. der
Dünnschichtpräparation (thin layer preparation), ver-
sucht man eine homogenere Verteilung der Matrixkris-
talle auf dem Target zu erreichen. Sehr dünne Matrix-
schichten entstehen, wenn man eine wasserunlösliche
B
Matrixsubstanz, z. B. α-Cyano-4-­hydroxyzimtsäure oder
Sinapinsäure, in einem leichtflüchtigen organischen Lö-
sungsmittel, beispielsweise Aceton oder Tetrahydrofu-
ran, löst und ein Aliquot davon auf den Probenträger
aufträgt. Aufgrund der geringen Oberflächenspannung
des Lösungsmittels breitet sich die Lösung schnell auf
der Oberfläche aus, d. h. anstatt eines aufsitzenden Trop-
fens bildet sich ein dünner Flüssigkeitsfilm. Das restliche
Lösungsmittel verdampft sehr schnell, meist innerhalb
C weniger Sekunden, mit der Folge, dass die Lösung schnell
übersättigt und auskristallisiert. Das Ergebnis ist eine
homogene mikrokristalline Matrixschicht anstelle der
Ablagerung vereinzelter, verglichen hierzu viel größerer
Matrixkristalle, wie sie bei der Standardpräparation ent-
stehen. Erst im Anschluss trägt man die Analytlösung
auf und lässt sie eindampfen (. Abb. 16.5B). Die Folge

ist, dass Analytmoleküle in die obersten Schichten der


Matrixkristalle eingebaut werden bzw. an diese binden.
Salze und andere stark polare Substanzen, beispielsweise
Pufferbestandteile, tun dies hingegen nicht und verblei-
ben als Rückstand, z. B. in Form einer Salzkruste. Diese
Rückstände lassen sich durch Waschen mit saurem Was-
ser, beispielsweise 0,1  %iger TFA-Lösung, effektiv ent-
fernen. Hierzu wird die Probe für kurze Zeit, z. B. 1–3 s,
mit 3–5  μl Waschlösung überdeckt und der Überstand
danach wieder entfernt, meist mithilfe einer Pipette. Die
Waschlösung darf keinen merklichen Anteil eines orga-
nischen Lösungsmittels beinhalten und sollte einen pH-
16 ..      Abb.  16.5  MALDI-Probenvorbereitung: Standardpräparation
A, Dünnschichtpräparation B und Dünnschichtpräparation auf ei- Wert kleiner 2,5 aufweisen, weil ansonsten die Matrix-
nem Ankerchip C. (Mit freundlicher Genehmigung von J.  Gobom kristalle bzw. ein zu großer Teil davon wieder aufgelöst
und K. D. Klöppel, Arbeitsgruppe Massenspektrometrie, Abteilung
Lehrach, Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik, Berlin)
werden. Auch wenn nur ein sehr geringer Teil der Matrix
gelöst und somit entfernt wird, kann dies schon einen
Totalverlust der Analytmoleküle zur Folge haben. Die
die Wahl der Matrix und der Lösungsmittel sowie die Abhängigkeit vom pH-Wert resultiert daher, dass es sich
Reinheit des Analyten beeinflusst. bei den verwendeten Matrices um schwache Säuren han-
In . Tab.  16.1 sind geeignete Matrizes für ver-
  delt, die bei höheren pH-Werten dissoziieren. Die Säure
schiedene Substanzklassen (Proteine, Peptide, Nucle- ist nicht oder nur schwer in Wasser löslich, das Anion
insäuren und Kohlenhydrate) aufgelistet. Viele der ein- hingegen mäßig bis gut.
gesetzten Matrizes zeigen Kristalle von einer Größe Dünnschichtpräparationen liefern in der Regel einen
zwischen 10–100 μm. Das Kristallgitter bleibt bei typi- gleichmäßig hohen Ionenstrom über die gesamte Probe
schen Matrix-Analyt-Verhältnissen erhalten, was und erleichtern damit vollautomatische Analysen. Für
durch Röntgenstrukturanalyse für einige Matrices ge- bestimmte Analyten konnte mit dieser Technik, im Ver-
zeigt werden konnte. Die lokalen Mischungsverhält- gleich zur Standardpräparation, sowohl die Nachweis-
Massenspektrometrie
367 16
empfindlichkeit als auch die Massenauflösung deutlich phobe), mehrere Mikrometer dicke, teflonähnliche
verbessert werden. Dies gilt insbesondere für Peptide. Die Beschichtung, die an den durch das 96er-, 384er- oder
höhere Nachweisempfindlichkeit begründet sich darin, 1536er-Mikrotiterplattenformat definierten Positionen
dass die Analytmoleküle, anstatt über das gesamte Kris- jeweils kreisrunde, im Durchmesser 200, 400, 600 oder
tallvolumen verteilt zu sein, nur an die Oberfläche binden 800 μm messende Aussparungen aufweist, d. h. an die-
oder in deren Nähe eingebaut werden. Die höhere Mas- sen Stellen ist die Oberfläche hydrophil und fungiert als
senauflösung resultiert aus dem flachen Höhenprofil der Probenanker. Solche vorstrukturierten Probenträger
Probe, d. h. die Flugstreckenunterschiede sind geringer. werden häufig als Ankertarget oder Ankerchip (Anchor-
Interessanterweise gelten die genannten Vorteile von ChipTM) bezeichnet und können mit beiden beschriebe-
Dünnschichtpräparationen nicht für die Analyse intak- nen Präparationstechniken kombiniert werden. Dies er-
ter Proteine. Diese lassen sich damit überhaupt nur er- möglicht, dass die genaue Position und Fleckengröße
folgreich präparieren, wenn die entsprechenden Lösun- für jede Probe vorbestimmt ist. Das Ergebnis sind exak-
gen sehr rein sind, d. h. keine Salze, Detergenzien oder te Probenraster und -abmessungen, was vollautomati-
andere Zusätze enthalten. Die Standardpräparation ist sche Messungen vereinfacht und die dafür nötigen
diesbezüglich deutlich unempfindlicher. Aber auch wenn Messzeiten verkürzt. Weiterhin ermöglicht der wasser-
die Reinheitskriterien erfüllt sind, nimmt mit der Größe abweisende Teil der Trägeroberfläche den Einsatz größe-
der Proteine die Nachweisempfindlichkeit sehr schnell ab rer Probenvolumina bei gleichbleibender Fleckengröße
und ist schon oberhalb von 20 kDa generell deutlich ge- und Matrixmenge und damit eine Steigerung der Nach-
ringer als mit Standardpräparationen. Ein verbleibender weisempfindlichkeit. . Abb. 16.5C veranschaulicht das

Vorteil von Dünnschichtpräparationen von Proteinen ist zugrunde liegende Prinzip.


deren Homogenität und die damit verbundene geringere Um die Nachweisempfindlichkeit bei der Standard-
Abhängigkeit des Ionenstroms von der eingesetzten La- präparation von Peptiden, Proteinen oder Nucleinsäuren
serbestrahlungsstärke. mit gut wasserlöslichen Matrizes, wie DHB oder 3-Hyd-
Die Beschaffenheit der Oberfläche des Probenträgers roxypicolinsäure, zu erhöhen, muss deren Konzentration
nimmt einen direkten Einfluss auf die Probenpräparati- entsprechend reduziert werden, d. h. sowohl die Probe als
on. Sie beeinflusst die Fleckengröße der präparierten Pro- auch die Matrix wird auf dem Probenträger aufkonzent-
be, die Kristallisation der Matrix und ist zugleich eine riert, bevor diese kristallisiert. Voraussetzung für dieses
mögliche Quelle für Verunreinigungen und Verschlep- Vorgehen sind kontaminationsarme Proben, weil die
pungen, sofern Probenträger wiederverwendet werden, Konzentration aller evtl. störenden Bestandteile während
was in der Regel der Fall ist. Hierbei handelt es sich meist der Probenpräparation ebenfalls ansteigt. Für wasserun-
um rechtwinklige, planare Platten, gefertigt aus hochwer- lösliche Matrizes, wie α-Cyano-4-hydroxyzimtsäure oder
tigem Edelstahl oder Aluminium mit einer vernickelten Sinapinsäure, liefern vorstrukturierte Probenträger kom-
Oberfläche. Die Oberfläche muss chemisch hinreichend biniert mit Dünnschichtpräparationen die höchste Nach-
innert sein, sich gut reinigen lassen und ist typischerweise weisempfindlichkeit. Diese Kombination wird vor allem
unterteilt in ein Raster mit markierten Positionen für die in der Peptidanalytik eingesetzt.
An- und Zuordnung der Proben. Typische Raster sind
10 × 10 (100 Proben), 8 × 12 (96 Proben, Abstand: 9 mm),
16 × 24 (384 Proben, 4,5 mm) und 32 × 48 (1536 Proben, 16.1.2 Elektrospray-Ionisation (ESI)
2,25 mm). Die letzten drei entsprechen den Spezifikatio-
nen für Mikrotiterplatten (MTP-­Format) und erleichtern Der Begriff Elektrospray beschreibt die Dispersion ei-
damit den Einsatz von Pipettierrobotern und generell die ner Flüssigkeit in sehr viele kleine geladene Tröpfchen in
Organisation der Probenpräparation im Hochdurchsatz. einem elektrostatischen Feld. Dieses Phänomen wurde
Prinzipiell können aktuelle MALDI-TOF-Massenspek- bereits im vorletzten Jahrhundert beobachtet und ent-
trometer mehr als tausend Proben an einem Tag vollauto- wickelte sich zur Grundlage vieler technischer Anwen-
matisch verarbeiten. Dies ist in der Praxis noch die Aus- dungen, beispielsweise der Lackierung von Oberflächen.
nahme, die Analyse von mehreren hundert Proben ist Anfang der 1970er-Jahre nutzten erstmalig Malcolm
dagegen keine Seltenheit. Dole und seine Mitarbeiter das Elektrosprayverfahren
Um den Probendurchsatz zu vereinfachen und die zur Messung von Molekülmassen. In diesen Experimen-
Nachweisempfindlichkeit weiter zu steigern, wurden ten wurden Oligomere von 50–500.000 Da aus Polysty-
Probenträger entwickelt, deren Oberfläche die Proben- rol in flüchtigen Lösungsmitteln über eine Nadel in eine
präparation in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft beein- mit Stickstoff gefüllte Kammer gesprüht. Zur Erzeu-
flusst. Diese haben eine stark wasserabweisende (hydro- gung der Sprays war ein Potenzial von mehreren Tau-
368 H.E. Meyer et al.

send Volt zwischen Nadelspitze und Kammerwand er- dieser Prozess, wie bereits von Dole teilweise beschrieben,
forderlich. Dole erkannte, dass sich die Ladungsdichte formal in vier Schritte unterteilen lässt (. Abb. 16.6):

auf der Oberfläche mit zunehmender Verdampfung des 55 die Bildung von kleinen geladenen Tröpfchen aus
Lösungsmittels erhöhte und Ursache für den explosi- Elektrolyten,
onsartigen Zerfall eines Tropfens sein musste. Er argu- 55 kontinuierlicher Lösungsmittelverlust dieser Tröpf-
mentierte weiter, dass – bei ausreichender Verdünnung chen durch Verdampfen, wobei die Ladungsdichte
der Probe – ein extrem kleines Tröpfchen mit nur einem an der Tröpfchenoberfläche zunimmt,
Makromolekülion aus einer Reihe aufeinander folgen- 55 wiederholter spontaner Zerfall der Tröpfchen in Mik-
der Zerfälle entstehen müsste. Die noch verbliebenen rotröpfchen (Coulomb-Explosionen), und schließlich
Lösungsmittelmoleküle würden weiter verdampfen, wo- 55 Desolvatisierung der Analytmoleküle beim Transfer
bei ein Teil der Ladungen auf dem Makromolekül ver- in das Massenspektrometer.
bliebe. Ein direkter Nachweis dieser großen, ionisierten
Makromoleküle war Dole jedoch nicht möglich, da es Wie in . Abb. 16.6 schematisch für den Nachweis posi-

zu dieser Zeit noch keine geeigneten Massenanalysato- tiv geladener Ionen dargestellt, beginnt der ESI-­Prozess
ren gab. Erst ein Jahrzehnt später wurden die Untersu- mit der kontinuierlichen Zuführung des gelösten Analy-
chungen zum Elektrosprayverfahren von der Arbeits- ten an die Spitze einer leitfähigen Kapillare. Das ange-
gruppe J.  Fenn an der Universität Yale sowie von der legte elektrische Feld zwischen Kapillarspitze und Mas-
Arbeitsgruppe M.  Alexandrov an der Universität von senspektrometer durchdringt auch die Analytlösung
Leningrad mit der Studie kleiner Moleküle wieder auf- und trennt die Ionen, ähnlich wie bei der Elektrophore-
genommen. Zur Analyse der Ionen wurden sog. Quad- se. Dabei werden die positiven Ionen an die Flüssigkeits-
rupolmassenspektrometer eingesetzt, mit denen es nun oberfläche gezogen. Entsprechend werden die negativen
gelang, das Elektrosprayverfahren besser zu verstehen Ionen in die entgegengesetzte Richtung geschoben, bis
und zu optimieren. das elektrische Feld innerhalb der Flüssigkeit durch die
Mitte der 1980er-Jahre konnten beide Gruppen zei- Umverteilung negativer und positiver Ionen aufgehoben
gen, dass der Elektrosprayprozess eine definierte Ionisa- ist. Dadurch werden andere mögliche Formen der Ioni-
tion und komplette Desolvatisierung von in Lösung ver- sation unterdrückt, etwa die Ionisation durch Entfer-
sprühten Analytmolekülen bewirkte. Diese Arbeiten nung eines Elektrons aus dem Analytmolekül (Feldioni-
führten zur Etablierung der Elektrosprayionisation-­ sation) bei sehr hohen elektrischen Feldern.
Massenspektrometrie (ESI-MS). Die an der Flüssigkeitsoberfläche akkumulierten po-
sitiven Ionen werden weiter in Richtung Kathode gezo-
endergonisch gen. Dadurch entsteht ein charakteristischer Flüssig-
Nur unter Zufuhr von Energie ablaufend. keitskonus (Taylor-Konus), weil die Oberflächenspannung
der Flüssigkeit dem elektrischen Feld entgegenwirkt. Bei
ausreichend hohem elektrischem Feld ist der Konus sta-
bil und emittiert von seiner Spitze einen kontinuierlichen,
16.1.2.1 Ionisierungsprinzip
filamentartigen Flüssigkeitsstrom von wenigen Mikro-
Die Desolvatisierung, d. h. der Transfer von Ionen aus metern Durchmesser. Dieser wird in einiger Entfernung
16 der Lösung in die Gasphase, ist ein endergonischer Pro- von der Anode instabil und zerfällt in winzige, aneinan-
zess. Die Freie Energie, die z. B. benötigt wird, um ein dergereihte Tröpfchen. Die Oberfläche der Tröpfchen ist
Mol Natriumionen aus wässriger Lösung in die Gas- mit positiven Ladungen angereichert. Da keine negativen
phase zu überführen, ist sehr hoch: Gegenionen mehr vorliegen, liegt eine positive Nettola-
o
(
Na + ( aq ) → Na + ( g ) ∆Gsol )
Na + = 410, 9 mol−1 (16.1)

dung vor.
Die elektrophoretische Trennung der Ionen ist für die
Ionisierungsmethoden wie LD (Laserdesorption), FAB Ladungen in den Tröpfchen verantwortlich. Die im Mas-
(Fast Atom Bombardment) und PD (Plasmadesorption) senspektrum beobachteten positiven Ionen (wie auch
führen die notwendige Energie für den Transfer der Mole- nach Umpolung des Feldes die negativen Ionen) sind
küle in die Gasphase und deren Ionisation über komplexe stets die Ionen, die bereits in der (Elektrolyt-)Lösung vor-
Kaskaden von hochenergetischen Stößen und die lokale handen sind. Zusätzliche Ionen werden erst bei sehr ho-
Deposition von Energie zu. Im Gegensatz dazu führt die hen Spannungen als Folge elektrischer Entladungen an
ESI zu einer Desolvatisierung gelöster Ionen. Dabei wird der Kapillare (corona discharges) beobachtet. Die La-
nur wenig zusätzliche innere Energie auf die Ionen über- dungsbilanz innerhalb der Ionenquelle resultiert aus der
tragen. Im elektrischen Feld werden die Ionen bei Atmo- chemischen Oxidation an der positiven Elektrode und der
sphärendruck in die Gasphase transferiert, wobei sich Reduktion an der negativen Elektrode.
Massenspektrometrie
369 16
..      Abb. 16.6 Schematische
Darstellung des makroskopi-
schen (oben) und mikroskopi-
schen ESI-Prozesses (unten)

Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass das Rayleigh-Limit überschreitet. Danach zerfallen sie
die zuerst gebildeten Tröpfchen einen Durchmesser von durch die Abstoßung gleichnamiger Ladungen in viele
wenigen Mikrometern und eine hohe Ladungsdichte (≈ kleine Tröpfchen von nur wenigen Nanometern Durch-
105 Ladungen pro Tröpfchen) besitzen. Diese Tröpf- messer (Coulomb-Explosionen).
chen befinden sich bezüglich ihrer Zusammensetzung, Zurzeit existieren zwei Modellvorstellungen, die den
Größe und Ladung nahe an der Stabilitätsgrenze abschließenden Bildungsprozess der freien Gasphase-
(Rayleigh-­Limit). Diese Stabilitätsgrenze wird durch nionen beschreiben. Die ältere stammt von Dole und
die abstoßende Coulomb-Kraft gleicher Ladungen und wird als Modell des geladenen Rückstands (Charged-Re-
die zusammenhaltende Oberflächenspannung des Lö- sidue Model, CRM) bezeichnet. Dieses wurde später von
sungsmittels bestimmt. Die Rayleigh-Gleichung gibt Friedrich Röllgen zur SIDT-Theorie (Single Ion in Dro-
an, wann die Ladung Q die Oberflächenspannung γ plet Theory) ausgebaut. Kernthese dieses Modells ist,
ausgleicht: dass aus den primär gebildeten Tröpfchen durch eine
Serie von aufeinanderfolgenden Coulomb-Explosionen
Q 2 = 64 · π2 · ε 0 · γ · r 3 sehr kleine Tröpfchen von ungefähr einem Nanometer
mit : ε 0 Dielektrizitatskonstante
 im Vakuum (16.2) Radius gebildet werden, die nur noch ein einziges Ana-

r Radius des Tropfchens lytmolekül enthalten. Freie gasförmige Ionen entstehen
dann durch Desolvatisierung infolge von Kollisionen
Die Tröpfchen schrumpfen durch Verdampfung des Lö- mit den Stickstoffmolekülen des Gasstroms (curtain gas)
sungsmittels bei konstanter Ladung Q, bis der Radius r an der Schnittstelle zum Massenspektrometer (s. unten).
370 H.E. Meyer et al.

Der andere Mechanismus wurde von J.  Iribane und nach Spaltung von Disulfidbrücken oder nach Denatu-
B.  Thomson vorgeschlagen und wird als Ionenemissi- rierungen eine Verschiebung der Ladungsmuster zu hö-
onsmodell (Ion Evaporation Model, IEM) bezeichnet. heren Beladungen zeigen. Die Ladungsverteilung sowie
Im Mittelpunkt dieser Theorie steht die direkte Ionene- die Tatsache, dass kleine Moleküle vorzugsweise wenige
mission aus hoch geladenen Tröpfchen, die noch viele Ladungen, große Moleküle aber mehr Ladungen tra-
Analytmoleküle enthalten. Solche Tröpfchen haben gen, lässt sich mit der IEM-­Theorie wie folgt erklären:
noch einen Radius von etwa 8 nm und tragen etwa 70 Während der Verkleinerung der Tröpfchenradien durch
Ladungen. Unter diesen Bedingungen oberhalb des Verlust von Lösungsmittelmolekülen nimmt die Ober-
Rayleigh-­ Limits werden freie Ionen in die Gasphase flächendichte der Ladungen zu (. Abb.  16.7). Bei der

emittiert. Trotz der Abnahme der Ladungen bleibt die Ionenemission eines Moleküls von einem Tröpfchen mit
Ionenemission durch die kontinuierliche Abnahme des relativ großem Radius ist die Zahl der übertragenen La-
Tröpfchenradius‘ infolge der Verdampfung des Lö- dungen kleiner als bei der Emission von einem Tröpf-
sungsmittels aufrechterhalten. Damit kommt das IEM chen mit relativ kleinem Radius. Da eine kontinuierliche
ohne die restriktive Annahme von nur einem Analytmo- Verteilung der Tröpfchenradien vorliegt und diese inner-
lekül in einem sehr kleinen Tröpfchen aus. halb einer gewissen Verteilung zur Ionenemission bei-
Es gibt eine Reihe von experimentellen Beobachtun- tragen, führt dieses Phänomen zu der beobachteten Ver-
gen, die sich leichter mit dem einen oder anderen Modell teilung von Ladungszuständen.
erklären lassen. So spricht z. B. das Auftreten von nied- Abschätzungen der Elektrosprayionisationswahr-
rig geladenen Proteinspezies und von Addukten intakter scheinlichkeit haben Werte zwischen 0,01 und 0,1 er-
Proteinmoleküle für das CRM-Modell. Auch die Beob- geben. Damit erfolgt eine relativ effiziente Ionenbil-
achtung nichtkovalenter Wechselwirkungen zwischen dung aus den gelösten Analytmolekülen. Bei den
Makromolekülen bei der ESI-MS weist eher auf den gebildeten Ionen handelt es sich energetisch um relativ
schonenden Verlust von Lösungsmittelmolekülen aus „kalte“ Ionen, da beim Desolvatisierungsprozess den
Nanotröpfchen als auf Ionenemission. Wiederum las- verdampfenden Lösungsmittelmolekülen thermische
sen sich andere typische Phänomene der ESI besser mit Energie entzogen wird. Im Vergleich mit MALDI ist
der IEM-Theorie erklären. Wie . Abb. 16.7 zeigt, ha-  ESI deshalb eindeutig die schonendere Ionisierungs-
ben die Überschussladungen auf den ­Oberflächen der methode.
Tröpfchen aufgrund der starken Coulomb-­Abstoßung
eine fixierte, äquidistante Lage. Kommt ein Analyt an 16.1.2.2 ESI-Quelle und Interface
die Oberfläche eines Tröpfchens, so kann er in Abhän- Die ESI findet bei Atmosphärendruck statt, die an-
gigkeit von seiner räumlichen Ausdehnung positive La- schließende Analyse der freien Ionen jedoch im Hoch-
dungen bei seiner Emission mitnehmen. Eine größere vakuum (≤10−5 torr). Dies erfordert eine spezielle
räumliche Ausdehnung sollte demnach eine größere Schnittstelle (Interface), um den Übergang der Ionen in
Zahl von übertragenen Ladungen zur Folge haben. Dies den Massenanalysator zu gewährleisten. In . Abb. 16.8 

lässt sich experimentell an Proteinen beobachten, die ist der Aufbau einer ESI-Quelle mit einer Schnittstelle

16
+ + +
+ + +
+ + + +
+ + + + + + +
+ + + + + + + + + + + + + +
+ + + + + + + + + + + + + + + + +
+ + + + + +
+ + + + + + + + + + + + + + +
+ + + + + + + + + + + + + + + + + +
+ + + + + + + + + +
+ + + + + + + + +
+ + + + + + + + + + +
+ + + +
+ +

Verdampfung des Lösungsmittels


Zunahme der Ladungsdichte

..      Abb. 16.7  Modell zur Erklärung der ESI nach dem Ionenemissi- des Lösungsmittels nimmt die Ladungsdichte auf der Tröpfchenober-
onsmodell (IEM). Die mittels Elektrospray erzeugten Tröpfchen be- fläche zu. Die Analytmoleküle übernehmen vor der Ionenemission die
sitzen Überschussladungen, die auf der Oberfläche durch Coulomb-­ Anzahl an Ladungen, die sie aufgrund ihrer räumlichen Ausdehnung
Abstoßung eine äquidistante Lage einnehmen. Durch Verdampfung übernehmen können. (Nach Fenn et al. 1993)
Massenspektrometrie
371 16

..      Abb. 16.8  Aufbau einer ESI-Quelle mit Interface zu einem Quadrupolmassenspektrometer

zu einem Quadrupolmassenanalysator schematisch ge- Luft an die Spitze der Quelle befördert, um die Analyt-
zeigt. Der Ionisierungsraum steht dabei über eine Mik- lösung am Austritt durch Scherkräfte effizient zu zer-
roöffnung mit dem Massenspektrometer in Verbindung. stäuben. Mit solchen Quellen, die in vielen Geräten als
Trockener, geheizter Stickstoff (z. B. 60 °C) strömt zwi- Standardversion eingesetzt werden, können Flussraten
schen der Mündung und der viel größeren Öffnung der von 5 μl bis zu 1 ml min−1 versprüht werden.
Interface-Platte in den Ionisierungsraum.
Der Stickstoff, der auch als Curtain-Gas bezeichnet
wird, kollidiert mit den Molekülkomplexen des Elekt- Empfindlichkeitsstudien ergaben, dass der beobachtete
rosprays. Dadurch wird verhindert, dass eine große Ionenstrom eher mit der Analytkonzentration als mit
Zahl von Neutralteilchen in das Hochvakuum gesaugt der pro Zeiteinheit versprühten Lösungsmenge korre-
wird. Zum anderen unterstützen die Kollisionen auch liert. Bei einer hohen Flussrate von 1  ml  min−1 wird
die Desolvatisierung der Ionen. In anderen Geräte- etwa die gleiche Ionenintensität erhalten wie mit einer
konstruktionen wird anstelle einer einfachen Öffnung Flussrate von 5  μl  min−1. Das  heißt, dass mit zuneh-
in der Interfaceplatte in Verbindung mit einem Cur- menden Flussraten ein zunehmend größerer Teil des
tain-Gas eine geheizte (≈ 200  °C), Transferkapillare Sprays im Ionisierungsraum und an der Interfaceplatte
verwendet. Die Mikrotröpfchen des Elektrosprays wer- verloren geht. Die Charakteristik des Elektrospraypro-
den hier beim Durchqueren der Transferkapillare ef- zesses legt nahe, dass die Reduktion der Flussrate eine
fektiv desolvatisiert. Steigerung der Empfindlichkeit bei der massenspektro-
Die Elektrosprayquelle besteht im Prinzip aus einer metrischen Analyse ergibt.
Kapillare, über die kontinuierlich die Analytlösung in
das elektrische Feld injiziert wird. Gleichzeitig bildet
diese Kapillare auch die Gegenelektrode zur Interface- Diese Erkenntnis führte in den letzten Jahren zur Ent-
platte, mit der die Potenzialdifferenz für den Ionisie- wicklung von Mikro- bzw. Nanoelektrosprayquellen mit
rungsprozess erzeugt wird. In . Abb. 16.9 sind derzeit
  deutlich kleineren Flussraten (. Abb. 16.9). Diese haben

gebräuchliche Varianten von Elektrosprayquellen ge- vor allem große Bedeutung bei der Online-­Kopplung von
zeigt. Für höhere Flussraten, wie sie z.  B. bei direkter ESI-MS- und Nano-HPLC-Systemen mit Flussraten von
Kopplung mit der Flüssigkeitschromatographie (LC) ca. 200 nl min−1 erlangt. Bei Nano-­ESI-­Quellen misst die
auftreten können, wurde ursprünglich eine pneumatisch Austrittsöffnung der verjüngten Kapillare nur wenige Mi-
unterstützte Elektrosprayquelle entwickelt. Dabei wird krometer im Durchmesser. In diesem Fall können für die
durch eine zusätzliche, koaxiale Stahlkapillare kontinu- Analyse einzelner Proben auch 0,5–3 μl der Analytlösung
ierlich ein Gasstrom aus Stickstoff oder synthetischer direkt in die ESI-­Kapillare injiziert werden. Bei dieser
372 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.9 Schematischer
Aufbau und Varianten von
Elektrosprayquellen

auch als Offline-­Nano-­ESI bezeichneten Technik fördert Die Ladungsverteilung der Molekülionen hängt von
ein geringer Gasdruck die Probe kontinuierlich mit weni- mehreren Faktoren ab: Mit zunehmender Masse und
gen Nanolitern pro Minute in das elektrische Feld, wobei Zahl an basischen bzw. sauren funktionellen Gruppen
sehr kleine Primärtröpfchen mit einem Durchmesser nimmt die mittlere Zahl von Ladungen zu. Dieser Effekt
von ≈ 200 nm entstehen. Da sich nur sehr geringe Fluss- ist auch abhängig von der Wahl und der Zusammenset-
raten einstellen, können entsprechend lange Messzei- zung des Lösungsmittels. So beobachtet man beispiels-
ten für kleine Probenmengen erzielt werden. So steht weise in sauren Puffersystemen, wie sie bevorzugt in der
bei einer Lösung von 1 μl (typische Konzentration von RP-HPLC verwendet werden, dass bei Peptiden mit ei-
1–100 fmol μl−1) und einer Flussrate von 50 nl min−1 eine nem Molekulargewicht unter 1000 Da die einfach gela-
maximale Messzeit von 20 min zur Verfügung. Dies kann denen und bis etwa 2000 Da die doppelt geladenen Io-
zur Optimierung der Messbedingungen und zur Akku- nen dominieren. In dem gezeigten Beispiel (. Abb. 16.10)
16 mulation von Spektren schwacher Intensität (z.  B.  MS/

ist das zweifach protonierte Ion bei m/z 836,9 als häu-
MS-Spektren) sehr vorteilhaft sein. Ein Nachteil der fei- figstes Ion zu sehen und zusätzlich noch zwei Signale für
nen Kapillarspitzen ist die Gefahr der Verstopfung durch das einfach und dreifach geladene Ion bei m/z 1672,9
Mikropartikel oder Auskristallisieren des Analyten. und 558,3.
Die Spektren von Proteinen zeigen eine charakteris-
16.1.2.3  igenschaften von ESI-­
E tische, etwa glockenförmige Ladungsverteilung der Mo-
Massenspektren lekülionen. Das Maximum der Verteilung ist abhängig
Die Bildung von mehrfach geladenen Ionen ist für den von Parametern des ESI-Massenspektrometers (Mün-
ESI-Prozess charakteristisch. Im Massenspektrum be- dungsspannung, Dichte des Curtain-Gases etc.), dem
obachtet man für Peptide und Proteine ihrem Moleku- pH-Wert des Lösungsmittels sowie vom Denaturie-
largewicht entsprechend eine Serie von Ionensignalen rungszustand des Proteins. Nach Spaltung von Disulfid-
mit einer Ladungsdifferenz von jeweils eins (in der Regel brücken und durch Denaturierung nehmen Proteine
durch Addition eines Protons im positiven Modus eine räumlich mehr ausgedehnte Struktur an, sodass
oder Subtraktion eines Protons im negativen Modus). Ladungen an freien funktionellen Gruppen zusätzlich
. Abb. 16.10 zeigt das ESI-MS-Spektrum von Neurot-
  aufgenommen (oder abgeben) werden können. Das Ma-
ensin als Beispiel für ein Peptid, . Abb. 16.11 das Spek-
  ximum der Ladungsverteilung wird zu höheren Ladun-
trum eines Proteins (Protease LA). gen hin verschoben.
Massenspektrometrie
373 16
..      Abb. 16.10 ESI-Spektrum 100 [M+2H]2+
des Peptids Neurotensin

75

relative Intensität (in %)


50 [M+3H]3+
[M+H]+

25

0
400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800
m /z

..      Abb. 16.11 ESI-Spektrum [M+100H]100+
des Proteins Protease LA aus
Escherichia coli 100
[M+121H]121+

75
relative Intensität (in %)

50

25 [M+60H]60+

0
700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800
m /z

16.1.2.4 Probenpräparation
Neben dem negativen Einfluss auf den Elektrospray- Entsprechend dem Prinzip der ESI müssen die Analyt-
prozess erzeugen Puffer, Salze und Detergenzien selbst moleküle in gelöster Form zur Spitze der Sprühkapillare
starke Ionensignale, oftmals auch in Form von Ionense- geführt werden. Typische Lösungen sind meistens Gemi-
rien, die auf der Bildung von Clustern oder Aggregaten sche aus dipolaren organischen Lösungsmitteln (Metha-
(Dimere, Trimere usw.) beruhen. Eine hohe Empfind- nol, Ethanol, Acetonitril usw.) und – beim Nachweis po-
lichkeit der Messung sowie aussagekräftige Spektren sitiv geladener Analytionen (positive mode) – verdünnten
werden in der Regel nur dann erreicht, wenn die Analyt- wässrigen Säuren (z. B. 0,01–0,1 % Ameisensäure, Essig-
lösungen weitgehend frei von Puffern, Salzen und De- säure, usw.). Dabei beschleunigen die hohen Dampfdrü-
tergenzien sind. Biochemische Proben sind deshalb in cke der organischen Lösungsmittel deren Verdampfung,
den meisten Fällen nicht direkt verwendbar. und das saure Milieu unterstützt die Protonierung der
Analytmoleküle beim ESI-Prozess.
374 H.E. Meyer et al.

Zusätze wie Puffer, Salze und Detergenzien stören Gerade in der biologischen Massenspektrometrie wer-
den Elektrosprayprozess. Die Ionisierungseffizienz wird den zudem häufig auch Hybridgeräte eingesetzt, bei
bereits durch geringe Konzentrationen an Puffern und denen mehrere Massenanalysatoren gekoppelt sind.
Salzen (>0,1 mM) oder Detergenzien (>10 μM) beein- Alle Massenanalysatoren können mit MALDI und
trächtigt. Mit den in der Biochemie üblichen Konzent- ESI als Ionenquelle kombiniert werden. Für die Kopp-
rationen an Puffersystemen (z.  B. 100  mM Phosphat- lung gilt es zu beachten, dass mit MALDI Ionenpulse
puffer, 150 mM Kochsalz, 100 mM TRIS-Puffer usw.) und mit ESI ein kontinuierlicher Ionenstrom erzeugt
und Zusätzen an Detergenzien ist normalerweise keine wird und dass sich diesbezüglich die Anforderungen
Bildung freier Analytionen mehr möglich. Aus der oben der Analysatoren unterscheiden. Flugzeitanalysatoren
beschriebenen Modellvorstellung zum Ionisierungsme- benötigen zeitlich definierte Ionenpulse und wurden
chanismus kann man sich den negativen Einfluss dieser daher ursprünglich nur mit MALDI kombiniert. Qua-
Komponenten auf den Elektrosprayprozess wie folgt drupolinstrumente hingegen durchmustern einen kon-
vorstellen: Zum einen können die Pufferionen und Salz- tinuierlichen Ionenstrahl und wurden daher nur mit
ionen eine starke Ionenemission aus den Mikrotröpf- ESI als Ionenquelle betrieben. Diese Einschränkungen
chen hervorrufen und dadurch in Konkurrenz zur Ione- wurden jedoch inzwischen überwunden. Wird MALDI
nemission der Analytionen treten. Zum anderen werden mit hoher Frequenz (z.  B. 1  kHz) betrieben, können
sie als nichtflüchtige Bestandteile in den Mikrotröpf- die freigesetzten Ionenwolken quasi aneinandergereiht
chen auskristallisieren und so die Analytmoleküle irre- werden und so einen kontinuierlichen Strom ausbilden
versibel einschließen. Detergenzien zur Solubilisierung (. Abb. 16.12A). Auf der anderen Seite kann ein kon-

von Proteinen können aufgrund ihrer starken intermo- tinuierlicher Ionenstrom durch kurzzeitiges Ein- und
lekularen Wechselwirkung die Bildung von freien gas- Ausschalten von orthogonal ausgerichteten elektri-
förmigen Analytionen behindern. Außerdem reichern schen Feldern in Pakete unterteilt werden, die dann je-
sich Detergenzien aufgrund ihrer Oberflächenaktivität weils einzeln in schneller Folge (z. B. mit 10 kHz) von
an der Oberfläche der Mikrotröpfchen an und beein- einem Flugzeitmassenspektrometer analysiert werden
trächtigen auf diese Weise die Ionenemission. (. Abb. 16.12B).

Die beste und wichtigste Methode zur Vorbereitung Eine wichtige Eigenschaft eines Massenanalysators
biologischer Proben für ESI-MS ist die RP-Nano-­ ist das Auflösungsvermögen, d.  h. die Fähigkeit, Ionen
HPLC. Die dabei verwendeten Puffersysteme und Elu- mit geringen Massendifferenzen noch voneinander tren-
tionsmittel sind mit dem Elektrosprayprozess kompati- nen zu können. Das Auflösungsvermögen R ist demnach
bel bis auf das Ionenpaarreagenz TFA. Dieses hat einen definiert als der Quotient der Masse m und der Differenz
negativen Einfluss auf die ESI und wird daher meist Δm, mit der ein weiteres Ion der Masse m + Δm von m
durch Ameisensäure ersetzt, manchmal auch durch Es- unterschieden wird (. Abb. 16.13):

sigsäure, oder in nur sehr geringen Konzentrationen ein-


m m1
gesetzt (z. B. 0,05 %). R= = (16.3)
∆m ( m2 − m1 )

16.2  Massenanalysatoren
16 A MALDI

Für die Analyse der Analytionen steht eine ganze Reihe


von Massenanalysatoren zur Verfügung, die sich in ih-
ren physikalischen Wirkungsprinzipien zum Teil deut-
lich unterscheiden. Die Trennung der Ionen nach m/z
kann beispielsweise erfolgen:
55 nach ihrer Flugzeit in einem Messrohr in Verbin-
dung mit einer gepulsten Ionenerzeugung (Flugzeit- B
analysator) ESI-Ionenstrom
55 im Hochfrequenzfeld eines Quadrupolstabsystems
(Quadrupolanalysator)
55 nach Einfangen der Ionen in einer Ionenfalle. Dabei
unterscheidet man zwischen elektrischen und mag-
..      Abb. 16.12  Wird MALDI mit hoher Frequenz durchgeführt, kön-
netischen Ionenfallen sowie der Orbital-­Ionenfalle
nen die einzelnen Ionenwolken zu einem kontinuierlichen Ionenstrahl
(Orbitrap). Detektiert werden die Ionen hier entwe- vereint werden A. Umgekehrt können aus einem kontinuierlichen
der nach ihrer Ejektion aus der Falle oder durch cha- ESI-Ionenstrom orthogonal, mithilfe von gepulsten elektrischen Fel-
rakteristische Resonanzfrequenzen. dern, Ionenwolken extrahiert und einzeln analysiert werden B
Massenspektrometrie
375 16
Zu dieser Definition gehört auch die Angabe, wann zwei Prozent der Gesamtpeakhöhe, definiert (. Abb. 16.13B).

Peaks als getrennt betrachtet werden. Dies ist für ver- Im Zusammenhang mit dem Begriff der Einzelmassen-
schiedene Analysatoren unterschiedlich definiert: Für auflösung ist diese Definition allerdings problematisch.
solche mit einem sehr hohen Auflösungsvermögen gel- Anders als üblich bedeutet eine „instrumentelle“ Auflö-
ten zwei Peaks manchmal erst als getrennt, wenn das sung von beispielsweise 1000 keineswegs, dass zwei Mo-
Tal zwischen beiden Peaks zehn Prozent des Peaks mit leküle der Massen 1000 und 1001 im Spektrum tatsäch-
der geringeren Signalintensität ausmacht. Für Quadru- lich getrennt werden. Da sich vielmehr beide Peaks
polinstrumente dagegen gilt eine 50  % Tal-Definition gerade bei ihrer Halbwertsbreite kreuzen, entsteht ein
(. Abb. 16.13A). Eine Auflösung von R = 1000 bedeu-
  überlagertes Signal. Aufgrund der Definition von Δm als
tet dann beispielsweise, dass das Ion der Masse 1001 Halbwertsbreite des Peaks ist die Trennung dieser Signa-
von dem Ion der Masse 1000 durch ein 50  % Tal ge- le bis auf die Grundlinie erst ab einer Auflösung von
trennt detektiert werden kann. 2000 möglich.
Heutzutage hat sich die Definition des Auflösungs- Mit modernen, kommerziellen Flugzeitmassenanaly-
vermögens aus einem einzigen Peak durchgesetzt. In die- satoren können Auflösungen (FWHM) bis 60.000 er-
sem Falle ist Δm als die Halbwertsbreite FWHM (Full reicht werden. Orbital-Ionenfallen haben zurzeit ein ma-
Width at Half Maximum) des Peaks, d.  h. bei fünfzig ximales Auflösungsvermögen von 1.000.000. Es ist aber
absehbar, dass diese Grenze in naher Zukunft zu deutlich
höheren Zahlen hin verschoben wird. Absoluter Rekord-
A halter bezüglich Auflösungsvermögen sind die magneti-
schen Ionenfallen, mit denen schon mehrfach Auflösun-
gen jenseits von 1.000.000 demonstriert wurden.
Ein weiterer wichtiger Parameter zur Beschreibung
der Qualität eines Massenspektrums bzw. eines Mas-
relative Intensität (in %)

100
senanalysators ist die Massengenauigkeit (mass accura-
cy). Die Massengenauigkeit gibt an, wie genau die
Masse eines Moleküls bzw. Teilchens bestimmt wurde,
d. h. wie stark die experimentell bestimmte Masse von
50 50-% -Tal
der korrekten („richtigen“) Masse abweicht. Sie darf
nicht verwechselt werden mit der Genauigkeit, mit der
eine solche Bestimmung reproduziert werden kann
10 10-% -Tal (Wiederholgenauigkeit, mass precision). Diese Werte
können deutlich voneinander abweichen. Verantwort-
m1 m2 m /z
lich hierfür sind meist nicht erkannte systematische
Fehler. Typische Beispiele sind die falsche Zuordnung
von Signalen, Signalüberlagerungen oder einfach die
B Verwendung von falschen Kalibriermassen. In Anleh-
100 nung an die englische Bezeichnung mass accuracy und
zur besseren Unterscheidung von der Wiederholge-
nauigkeit wird in der deutschen Fachliteratur auch
manchmal der Begriff Massenrichtigkeit anstelle von
relative Intensität (in %)

Massengenauigkeit verwendet. Beide Werte werden


entweder als absolute Werte oder als relative Werte,
50 ∆m FWHM meist in ppm (parts per million) angegeben. Für ein
Peptid mit der Molekülmasse 400 Da würde beispiels-
weise eine relative Abweichung von 100, 10 oder 1 ppm
einer absoluten Abweichung von ± 0,04, 0,004 oder
0,0004 Da entsprechen.
Für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit eines
0 Massenspektrometers ist die Angabe der Massengenau-
m m /z igkeit einzelner, ausgewählter Messungen wenig aussa-
gekräftig, weil diese Werte stark schwanken können.
..      Abb. 16.13  Definitionen des Auflösungsvermögens eines Massen-
Sinnvoller sind hier die aus einer großen Zahl unabhän-
spektrometers. A Tal 10 % bzw. Tal 50 %. B Halbwertsbreite FWHM giger Messungen abgeleiteten statistischen Größen mitt-
376 H.E. Meyer et al.

leres Fehlerquadrat und Standardabweichung. Mit Durch Einsetzen von (Gl. 16.5) in (Gl. 16.4) ergibt sich:
hochauflösenden Massenanalysatoren lassen sich z.  B.
2
im Routinebetrieb Massenbestimmungen mit einer 1 L
· m ·  = z ·e ·U (16.6)
Standardabweichung von ±2 ppm realisieren, mit spezi- 2 t
eller Software zur Nachkalibration der Spektren an-
hand bekannter Massen sind sogar Werte von 0,5 ppm und durch Umrechnen nach m/z:
möglich. Dies bedeutet beispielsweise, dass bei jeweils m 2 ·e ·U
1000 Messungen im Mittel in 997 Fällen der relative = (16.7)
z L2
Fehler kleiner ±6 ppm bzw. ±1,5 ppm sein sollte und in
drei Fällen größer (99,7-%-Vertrauensintervall). Das bedeutet, dass in einem Flugzeitmassenspektrome-
ter das Verhältnis von Molekülmasse und Ladung dem
Quadrat der Flugzeit proportional ist. Damit lässt sich
16.2.1 Flugzeitanalysator (TOF) die jeweilige Masse aus der gemessenen Flugzeit ermit-
teln. Die Kalibrierung erfolgt über Referenzsubstanzen
Eine Möglichkeit zur Massenbestimmung der Ionen im mit bekannten Massen. Typische Flugzeiten bei der
Hochvakuum ist die sehr genaue elektronische Messung MALDI liegen zwischen wenigen Mikrosekunden und
der Zeit, die zwischen dem Start der Ionen in der Quelle einigen hundert Mikrosekunden. Die Driftstrecken sind
bis zum Eintreffen am Detektor vergeht, mit dem Flug- typischerweise ein bis vier Meter lang.
zeitanalysator (Time of Flight, TOF). Flugzeitanalysato-
ren können direkt mit einer MALDI-Quelle kombiniert
werden. Die Ionen werden in der Quelle durch das elekt- Eine Einschränkung der MALDI-MS ergibt sich aus der
rostatische Feld auf eine kinetische Energie von einigen Energieverteilung der gebildeten Ionen, die diese durch
Kiloelektronenvolt beschleunigt. Nach dem Verlassen den Ionisierungsprozess erhalten. Nicht alle Ionen wer-
der Quelle durchlaufen die Ionen dann eine feldfreie den vom gleichen Ort zur gleichen Zeit desorbiert und
Driftstrecke, in der sie nach ihrem Masse/Ladungs- (m/z-) ionisiert, sodass es zu Energie-, Orts- und Zeitunschärfen
Verhältnis aufgetrennt werden (. Abb. 16.14A). Dies ge-

kommt. Auch abstoßende elektrische Kräfte lösen beim
lingt, da Ionen mit unterschiedlichen m/z-Werten  – bei MALDI-Prozess eine Anfangsenergieverteilung der Io-
gleicher kinetischer Energie – in der Beschleunigungsstre- nen aus. Abschirmeffekte sorgen dafür, dass ein Ion nicht
cke der Quelle auf unterschiedliche Geschwindigkeiten schon in dem Moment, in dem es entstanden ist, das be-
gebracht wurden. Bei bekannter Beschleunigungsspan- schleunigende elektrische Feld „sieht“. Eine verzögerte
nung und Flugstrecke der Ionen in der feldfreien Drift- Ionenbildung an verschiedenen Orten in der Gasphase
strecke lässt sich durch die Messung der Flugzeit das führt dazu, dass Moleküle nicht die gesamte Beschleuni-
m/z-Verhältnis bestimmen. gungsstrecke als Ionen durchlaufen. Zeit- und Energie-
Nach dem Durchlaufen der Beschleunigungsspan- fehler ergeben sich auch durch Stöße der Moleküle unter-
nung U beträgt die kinetische Energie Ekin der Ionen: einander in der Beschleunigungsphase.

1
16 Ekin =
2
⋅ m ⋅ v2 = z ⋅ e ⋅U

(16.4) Aus solchen Startfehlern folgt, dass Ionen mit dem-
selben m/z nach dem Durchlaufen des Beschleunigungs-
mit: m  =  Masse des Ions
feldes nicht alle exakt die gleiche kinetische Energie be-
v  =  Geschwindigkeit des Ions nach der Be-
sitzen, sondern mit einer gewissen Energieverteilung die
schleunigungsstrecke
Quelle verlassen und damit zu geringfügig unterschied-
z = Ladungszahl
lichen Zeiten den Detektor erreichen (. Abb. 16.14A).

e = Elementarladung
Dies resultiert in einer Verbreiterung der Ionensignale
und einer Herabsetzung der erreichbaren Massenauflö-
Die Geschwindigkeit v ergibt sich aus der Gesamtflug-
sung. Bei Flugzeitanalysatoren mit einer einfachen linea-
zeit t, in der ein Ion die Strecke L entsprechend der Län-
ren Driftstrecke lassen sich die relative Energiebreite und
ge der feldfreien Driftstecke des Flugrohrs passiert hat:
deren Einfluss auf die Massenauflösung durch höhere
L Beschleunigungsspannungen reduzieren. Dies hat aller-
v= (16.5) dings geringere Flugzeiten zur Folge und erfordert damit
t
eine höhere Präzision der elektrischen Zeitmessung.
Massenspektrometrie
377 16
A Lineares Flugrohr

Beschleunigungs-
strecke Driftstrecke

Detektor
Probenteller

Beschleunigungselektrode(n)

Flugzeit m/z

B Reflektor-Flugrohr

Beschleunigungs-
strecke Driftstrecke

2
Detektor
1 2
1
1
2
1 2
1 2
m1 = m2
E1 < E2

Reflektor
Probenteller

Flugzeit m/z

..      Abb. 16.14  Prinzip eines linearen Flugzeitmassenspektrometers mit hohem m/z-Wert erreichen den Detektor später als leichte Ionen.
A und eines Reflektorflugzeitmassenspektrometers B. Die durch ei- Ionen gleicher Masse starten mit einer gewissen Verteilungsbreite
nen Laserimpuls erzeugten Ionen mit gleicher Ladung, aber unter- der Energie. Dies trägt zur Peakbreite der Ionensignale bei. Durch
schiedlichen m/z-Werten, haben nach Durchlaufen der gleichen Po- sog. Reflektoren lässt sich der Einfluss der Startenergien auf die
tenzialdifferenz unterschiedliche Geschwindigkeiten. Schwere Ionen Flugzeit am Ort des Detektors kompensieren

Eine elegante Lösung bieten Flugzeitmassenspek- langsameren Ionen nach der Richtungsumkehr an einem
trometer mit sog. Ionenspiegeln oder Reflektoren bestimmten Punkt in der Driftstrecke wieder ein. Positio-
(. Abb.  16.14B). Die Funktionsweise eines solchen Re-
  niert man den Detektor in diesem Fokussierungspunkt,
flektors basiert auf der Richtungsumkehr der Ionen in so werden Ionen unterschiedlicher Startenergie gleichzei-
einem elektrischen Gegenfeld, das sich an die Driftstrecke tig registriert: Man erhält ein scharfes Signal.
anschließt. Ionen gleicher Masse, aber höherer Startener- Eine weitere Möglichkeit, die Limitierung der Mas-
gie dringen dabei tiefer in das Gegenfeld ein, legen somit senauflösung zu überwinden, die bei MALDI auf der
einen weiteren Weg im Reflektor zurück und holen die Startgeschwindigkeitsverteilung für Ionen gleicher Mas-
378 H.E. Meyer et al.

sen und Ladung beruht, liegt in der verzögerten Ionenex- der Regel eine höhere Nachweisempfindlichkeit (gerin-
traktion (delayed extraction). Hierbei wird das elektri- gere Transmissionsverluste) ermöglicht und deutlich
sche Feld über der Probenoberfläche nicht permanent, kürzere Analysezeiten erlaubt. Manchmal wird die di-
sondern zeitversetzt zum Desorptionslaserimpuls einge- rekte Ionenextraktion zur Unterscheidung von der or-
schaltet. Ionen mit einer höheren Startgeschwindigkeit thogonalen Extraktion auch als lineare Extraktion be-
entfernen sich während der Verzögerungszeit weiter von zeichnet. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass schon
der Probenoberfläche und erfahren nach dem Einschal- beim TOF-Analysator zwischen linearer und Reflek-
ten des elektrischen Feldes eine geringere kinetische tor-Geometrie unterschieden wird.
Energie als Ionen mit niedrigerer Startgeschwindigkeit. Ein wesentlicher Vorteil der orthogonalen Ionenex-
Bei geeigneter Wahl von Verzögerungszeit und Extrak- traktion besteht darin, dass die MALDI nicht im Hoch-
tionsfeldstärke lässt sich der Einfluss der Startgeschwin- vakuum durchgeführt werden muss. Stattdessen können
digkeitsverteilung auf die Flugzeitverteilung der Ionen höhere Drücke bis zu Atmosphärendruck verwendet
am Ort des Detektors gerade kompensieren. In der Pra- werden. Dies ermöglicht eine effiziente Abfuhr über-
xis ergänzen sich die Verbesserungen des Auflösungsver- schüssiger interner Energie („Kühlung“) durch Stöße mit
mögens, die durch den Einsatz der verzögerten Ionenex- Gasmolekülen, womit besonders labile Ionen (z. B. RNA-
traktion und eines Reflektors möglich sind, d.  h. die und DNA-Molekülionen) effektiv stabilisiert werden
Kombination beider Maßnahmen liefert die besten Re- können. Ist deren interne Energie zu hoch, was bei der
sultate und ermöglicht inzwischen Auflösungen bis zu MALDI passieren kann, zerfallen (fragmentieren) sie so
60.000 (FWHM). schnell, dass die verbleibende Lebenszeit für eine Flug-
Der wesentliche Vorteil des Flugzeitmassenspektro- zeitanalyse nicht ausreicht.
meters liegt in einer sehr hohen Ionentransmission, so-
dass die geringen Ionenströme, die durch einen einzigen
Laserimpuls induziert werden, nachgewiesen werden 16.2.2 Quadrupolanalysator
können. Der zugängliche Massenbereich von Flugzeit-
massenspektrometern ist theoretisch unbegrenzt, in der Das Quadrupolmassenspektrometer ist im Prinzip ein
Praxis gibt es jedoch Grenzen bei der Auflösung und der Massenfilter, d.  h. unter einer vorgegebenen physikali-
Empfindlichkeit der Detektoren, die im höheren Mas- schen Bedingung werden nur Ionen mit einem bestimm-
senbereich mit zunehmenden Molekülmassen abnimmt. ten m/z-Verhältnis zum Detektor durchgelassen. Dies
Anfänglich war es schwierig, Flugzeitmassenanalysa- wird durch eine Anordnung von vier parallelen stabför-
toren mit kontinuierlichen Ionenquellen wie ESI zu kop- migen Metallelektroden (Quadrupol) erreicht. Unter
peln, und man beobachtete starke Intensitätsverluste den Einfluss eines kombinierten Wechsel- und Gleich-
und nur schlecht aufgelöste Peaks in den Spektren. Diese spannungsfeldes können Ionen eines definierten m/z-­
Probleme wurden durch die Einführung der orthogona- Verhältnisses auf einer stabilen oszillierenden Bahn den
len Ionenextraktion (. Abb. 16.12B) gelöst (ESI-o-TOF-
  Quadrupol durchlaufen (. Abb.  16.15). Alle anderen

MS), mit welcher die von der ESI-Quelle kontinuierlich Ionen mit einem unterschiedlichen m/z-Verhältnis flie-
emittierten Ionen als Ionenpakete mithilfe eines ortho- gen auf instabilen Bahnen und werden durch Kollisio-
gonal ausgerichteten gepulsten elektrischen Feldes in den nen mit den Metallstäben gestoppt.
16 Flugzeitanalysator überführt werden. . Abb. 16.24 zeigt
  Wie . Abb. 16.15 zeigt, besteht ein Quadrupol aus

den schematischen Aufbau eines orthogonalen Flugzeit- vier hyperbolisch geformten, stabförmigen Elektroden
massenspektrometers als Teil eines Hybridgeräts. Die be- (in der Praxis werden aus Kostengründen meist kreiszy-
sonderen Vorteile von Flugzeitanalysatoren stehen damit lindrische Stäbe verwendet), die auf einem Kreis mit
auch der ESI-MS zur Verfügung, und für die MAL- dem Radius r um die z-Achse angeordnet sind. An den
DI-MS gibt es seitdem eine weitere Option, d. h. die ge- Stäben liegen eine Gleichspannung U und eine Wechsel-
bildeten Ionen können alternativ auch orthogonal zuge- spannung [V·cos (2π·f·t)] mit der Frequenz f an. Gegen-
führt werden (MALDI-o-­TOF-MS). überliegende Stäbe besitzen die gleiche Polarität der
In der Praxis werden heute beide Optionen genutzt, Gleichspannung und die gleiche Phase der Wechselspan-
aber der oben beschriebene Flugzeitanalysator mit di- nung. Nebeneinander liegende Stäbe haben demnach
rekter Ionenextraktion dominiert bei Weitem die Zahl eine entgegengesetzte Polarität und eine um 180° ver-
der installierten MALDI-Massenspektrometer. Dies be- setzte Phase. In der Nähe der z-Achse entsteht ein elekt-
gründet sich darin, dass die direkte Ionenextraktion in risches Potenzial ϕ:
Massenspektrometrie
379 16
Feld, bestehend aus der Gleichspannung U und der
Wechselspannung V mit der Frequenz f.
Die Mathieu‘schen Gleichungen haben zwei Arten
y von Lösungen: Eine Lösung führt zu endlichen Ampli-
tuden der Oszillationen entsprechend einer stabilen Be-
wegung durch den Quadrupol, die andere führt zu Am-
plituden, die in x- und/oder y-Richtung exponentiell
anwachsen.
Für Ionen mit einem gegebenen m/z-Verhältnis gibt
es nun bestimmte Werte für die Parameter a und q, bei
denen stabile Oszillationen in x- und y-Richtung mög-
lich sind. Die numerische Auswertung der Mathieu‘schen
Gleichungen ergibt ein Stabilitätsdiagramm für a und q
r (. Abb.  16.16). Jeder Punkt in diesem Diagramm re-

x präsentiert – bei gegebenen Werten für r, U, V und f –


Ionen mit einem bestimmten m/z-Wert. Aus den Glei-
chungen für die Parameter a und q ergibt sich, dass das
Verhältnis a/q immer gleich 2U/V ist:
–U – V cos (2π · f · t )
2
2 z ⋅ e ⋅U m ⋅ ( π ⋅ f ⋅ r )
U + V cos (2π · f · t )
z a 2U
= 2
= (16.12)
..      Abb. 16.15  Elektrodenform und Elektrodenanordnung in einem
q m ⋅(π ⋅ f ⋅ r ) z ⋅ e ⋅V V

Quadrupolmassenfilter
Damit liegen bei gleichem z alle Massen auf der Gera-
den a/q = konstant, der sog. Arbeitsgeraden.
x2 − y 2 Beim Scannen des Massenbereiches werden Gleich-
φ ( x,y,t ) = U + V ·cos ( 2π · f · t )  · (16.8)
r2 spannung U und Amplitude V des Wechselfeldes gleich-
zeitig erhöht, wobei das Verhältnis U/V  – und damit
Die Ionen erhalten durch eine geringe Beschleunigungs-
auch das Verhältnis a/q – sowie die Frequenz f (im Ra-
spannung von 10–20  V eine ausreichende Translations-
diofrequenzbereich) konstant gehalten werden. Da-
energie, um in Richtung der z-Achse in das elektrische Feld
durch werden Ionen verschiedener Massen nacheinan-
des Quadrupols zu gelangen. Ihre Bewegung in der xy-Ebe-
der in den stabilen Bereich des Quadrupolfeldes
ne wird durch die Mathieu‘schen Gleichungen beschrieben:
gebracht. Im Prinzip wäre auch eine Erhöhung der Fre-
d2 ⋅ x
+ a + 2q ⋅ cos ( 2π ⋅ f ⋅ t )  ⋅ x (16.9)
d (π ⋅ f ⋅t )
2 0,25

m2
0,20 m1
d2 ⋅ y m3
+ a + 2q ⋅ cos ( 2π ⋅ f ⋅ t )  ⋅ y
U
Sta

a~
(16.10) m
d (π ⋅ f ⋅t )
bilit

2
 0,15
ng

ätsg
tu

Arbeitsgerade
ch

renz

Mit den Parametern a und q


Ri

a 2U
= = konst.
y-

0,10 q V
ze

e x-

n
re
2 z ⋅ e ⋅U z ⋅ e ⋅V tsg stabile
Rich

itä
a= und q = (16.11) 0,05
Sta
bil Oszillation
tung

m ⋅ (π ⋅ f ⋅ r ) m ⋅ (π ⋅ f ⋅ r )
2 2

0
wird dabei die Beziehung zwischen einem zu transferie- 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
renden Ion der Masse m mit z Elementarladungen e und q~
V
m
den Eigenschaften des Quadrupols festgelegt. Letztere
sind der Radius r entsprechend dem zwischen den Stä- ..      Abb. 16.16  Stabilitätsdiagramm der Mathieu‘schen Gleichun-
ben zur Verfügung stehenden Raum und das elektrische gen für das zweidimensionale Quadrupolfeld in x- und y-Richtung
380 H.E. Meyer et al.

quenz unter Konstanthaltung von U und V möglich, das tung der Quadrupolsysteme in der organischen und bio-
ist aber aus technischen Gründen aufwendiger zu reali- chemischen Analytik geführt.
sieren. Die Masse m ist direkt proportional zu U und V, Zur Aufnahme eines Spektrums, d. h. für das Scan-
sodass mit der Erhöhung der Spannungen ein lineares nen der Quadrupole über den Massenbereich, sind zwei
Massenspektrum erhalten wird. Parameter wichtig: die Stufengröße (Step Size), in die
Die Massentrennung und damit die Massenauflö- der gewählte Scanbereich gleichmäßig unterteilt wird (in
sung m/Δm werden durch das Verhältnis von U zu V er- der Praxis zwischen 0,05 und 0,5  amu) und die Zeit
reicht. Dieses Verhältnis wird so gewählt, dass Ionen mit (Dwell Time), mit der eine Stufe vermessen wird (unte-
einem bestimmten m/z-Verhältnis in den Bereich der sta- rer Millisekundenbereich). Mit der Step Size wird die
bilen Oszillationen gelangen (s. Schnittpunkte der Ar- Genauigkeit, mit der Dwell Time die Empfindlichkeit
beitsgeraden im Stabilitätsdiagramm, . Abb.  16.16)
  der Massenbestimmung beeinflusst. Man wird also mit
Die Ionen mit m1/z werden in diesem Beispiel aufgrund möglichst kleiner Step Size und möglichst langer Dwell
stabiler Oszillationen in x- und y-Richtung auf einer Time arbeiten. Aus dem Produkt von Step Size und
Trajektorie durch den Quadrupol den Detektor errei- Dwell Time ergibt sich die benötigte Scanzeit, um ein
chen. Für alle anderen Ionen (z. B. m2/z, m3/z) ergeben Spektrum aufzunehmen (in der Regel mehrere Sekun-
sich unter diesen Bedingungen in die x- oder y-­Richtung den). Da während der Messzeit für ein Spektrum konti-
instabile Oszillationen, sodass sie durch Stöße an die nuierlich der Analyt zugeführt wird, bestimmt die Scan-
Stäbe gestoppt werden oder zwischen den Stäben hin- zeit auch den absoluten Verbrauch an Analyten. In der
durch verloren gehen. Praxis wird man entsprechend der vorgegebenen Menge
und Konzentration der Analytlösung einen Kompro-
miss aus Step Size und Dwell Time wählen. Beispielswei-
Die Massenauflösung m/Δm hängt im Idealfall eines
se könnte man das Spektrum eines Peptids in einem
technisch perfekten Quadrupols nur vom Verhältnis
Messbereich von 300–2000 amu mit einer Step Size von
U/V ab. Theoretisch wäre die maximale Massenauflö-
0,2 amu und einer Dwell Time von 0,7 ms in 7 s erhalten.
sung erreicht, wenn die Arbeitsgerade in dem Stabili-
Besonders empfindlich lassen sich Messungen durch-
tätsdiagramm die Spitze des Bereiches stabiler Oszilla-
führen, wenn die Masse eines Analyten bekannt ist. Hier
tionen berühren würde, entsprechend einem Wert von
wird nur über den begrenzten Bereich des zu erwarten-
0,1678 für das Verhältnis U/V. In der Praxis ist jedoch
den Molekülions (etwa 5 amu) gescannt, wobei man die
die erreichbare Massenauflösung abhängig von der
Dwell Time in den oberen Millisekunden- bis Sekunden-
Anfangsgeschwindigkeit der Ionen in x- und y-Rich-
bereich setzt. Für das oben gewählte Peptid würde man
tung sowie von der Abweichung der Ionen von der
bei gleicher Step Size (0,2  amu) und gleicher Scanzeit
idealen z-Richtung beim Eintritt in den Quadrupol.
(7  s) eine Dwell Time von 0,5  s für einen Messbereich
Deshalb wird mit zunehmender Auflösung die Emp-
von 5  amu erreichen. Dieser als Single Ion Monitoring
findlichkeit abnehmen, da mehr Ionen mit einem be-
(SIM) bezeichnete Scanmodus ist nicht auf Quadrupole
stimmten m/z-Verhältnis den Detektor nicht mehr er-
beschränkt und wird oft zum hoch empfindlichen Nach-
reichen.
weis bekannter Substanzen in Gemischen eingesetzt.
16 Kommerzielle Quadrupolanalysatoren haben einen
maximalen Massenbereich bis etwa m/z = 4000 und er- 16.2.3 Elektrische Ionenfallen
zielen Auflösungswerte zwischen 500 und etwa 5000.
Die Massenauflösung kann variiert werden, wobei eine Alternativ zu den Quadrupolanalysatoren kann zur
erhöhte Auflösung aus den beschriebenen Gründen mit Massenanalyse von MALDI- und ESI-Ionen auch eine
einem Empfindlichkeitsverlust verbunden ist. In der Re- dreidimensionale elektrische Ionenfalle (ion trap) ver-
gel werden die Geräte so eingestellt, dass in etwa eine wendet werden. Deren Prinzip beruht auf dem Einfan-
Nominalmassenauflösung über den gesamten zugängli- gen von Ionen in einem geeigneten elektrischen Feld. Die
chen Massenbereich erreicht wird. Die Detektion der Ionen können für variable Zeiten (Mikrosekunden bis
Ionen erfolgt in der Regel über einen Sekundärelektro- Sekunden) auf stabilen Bahnen gehalten und dann nach
nenvervielfacher (7 Abschn.  16.3.1). Quadrupolmas-
  ihrer Masse analysiert werden. Eine ­dreidimensionale
senspektrometer verfügen über eine hohe Ionentrans- elektrische Ionenfalle besteht aus einer Ringelektrode
mission von der Quelle bis zum Detektor, sind leicht zu und zwei Endkappen, an die Wechselspannungen ange-
fokussieren und zu kalibrieren und verfügen über eine legt werden (. Abb. 16.17). In der Mitte der Endkappen

große Stabilität der Kalibrierung im Dauerbetrieb. Die- befinden sich kleine, zentrische Öffnungen zum Einlass
se praktischen Vorteile haben zu einer weiten Verbrei- sowie Auswurf der Ionen. Der gesamte Analysator ist
Massenspektrometrie
381 16
quadrupolare dipolare
Hochfrequenz Hochfrequenz a~ U
m
Instabilitätslinie
0,20 zur Ejektion der Ionen

0,15
He-Gas
Endkappe
0,10
Eintritts- End- Ringelektrode
kappe kappe

Ionenwolke
0,05
m1 > m2 > m3
0
Ringelektrode
0,75 0,50 0,75 1,0 V
q~ m
–0,05
..      Abb.  16.17  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip einer
dreidimensionalen elektrischen Ionenfalle –0,10

Ringelektrode
–0,15
nicht größer als ein Würfel von ca. 10 cm Kantenlänge.
Die Funktionen der Ionenfalle und des Quadrupols ba-
sieren weitgehend auf demselben Prinzip. Bei beiden –0,20
Massenanalysatoren bestimmt die Lösung der Mat-
hieu‘schen Differenzialgleichungen die Wertebereiche –0,25 Endkappe
von angelegter Gleich- und Wechselspannung, in denen
Ionen stabile Bahnen beschreiben. Bildlich gesehen kann ..      Abb.  16.18  Stabilitätsdiagramm der Mathieu‘schen Gleichun-
die Ringelektrode der Ionenfalle mit einem in sich gebo- gen für die dreidimensionale elektrische Ionenfalle
genen Quadrupolstab gleichgesetzt werden, dessen En-
den miteinander verbunden sind. Die Endkappen be- tiert werden müssen, treten sie dort mit einer bestimm-
grenzen das System von beiden Seiten ähnlich wie zwei ten Geschwindigkeit ein. Ähnlich einer Murmel, die aus
gegenüberliegende Stäbe im Quadrupol. Die Ionen wer- einiger Entfernung in eine kleine Mulde gerollt wird und
den damit nun nicht mehr wie im Quadrupol über eine wegen zu hoher Geschwindigkeit auf der anderen Seite
bestimmte Strecke transportiert, sondern beschreiben wieder herausrollt, würden die meisten Ionen wegen ih-
geschlossene Bahnen in dem System, sie sind „gefangen“. rer Eintrittsgeschwindigkeit die Potenzialmulde wieder
Das Stabilitätsdiagramm wird durch die Überlap- „hinauflaufen“ und die Falle verlassen bzw. gegen die
pung der stabilen Bereiche der beiden Endkappen und begrenzenden Wände stoßen. Um die Ionen daher nach
der Ringelektrode gebildet (. Abb.  16.18). Anders als

Eintreten in die Falle abzubremsen, ist sie mit Helium
beim Quadrupolanalysator kommt es hier zunächst bei einem Druck von 3 · 10−6 bar gefüllt. Durch Kollisio-
nicht darauf an, nur Ionen eines eng begrenzten Mas- nen mit den Heliumatomen verringern die Ionen ihre
senbereichs stabile Bahnen beschreiben zu lassen. Ziel Geschwindigkeit und können damit effizienter durch
soll sein, Ionen über einen möglichst weiten Massenbe- das quadrupolare Feld eingefangen werden.
reich einzufangen und zu speichern. Betrachtet man das Während eines Messzyklus werden nun Ionen für
Stabilitätsdiagramm, so ist der weiteste Massenbereich eine begrenzte Zeit, gewöhnlich zwischen 0,1 und eini-
stabiler Ionen gerade erreicht, wenn a = 0 ist, d. h. keine gen 10  ms, in der Falle akkumuliert. Danach wird die
Gleichspannung anliegt. Ionenfallen werden daher in Transferstrecke zwischen Ionenquelle und Falle durch
der Regel nur mit Wechselspannung betrieben. Durch Änderung der anliegenden elektrischen Potenziale blo-
Anlegen der Wechselspannung an der Ringelektrode ckiert, d. h. in die Falle können keine weiteren Ionen ein-
entsteht im Innern der Falle ein quadrupolares Feld. treten. Zum einen geschieht das, um eine zu hohe Raum-
Dieses Feld erzeugt eine räumlich ausgedehnte Potenzi- ladungsdichte von Ionen in der Falle zu vermeiden, die
almulde, in deren Mitte die Ionen fixiert werden. Allein zu gegenseitiger Abstoßung der gespeicherten Moleküle
durch das elektrische Feld könnten die in die Falle ein- und damit einer inkorrekten Bestimmung ihrer Masse
tretenden Ionen jedoch nur zu einem sehr geringen Teil führen würde. Zum anderen soll eine Beeinflussung der
eingefangen werden. Da sie in einer externen Quelle au- Massenanalyse durch nachfolgende Ionen verhindert
ßerhalb der Falle erzeugt und in die Ionenfalle transpor- werden. Zur Detektion werden die Ionen schließlich mit
382 H.E. Meyer et al.

ansteigendem Molekulargewicht aus der Falle ejiziert. 16.2.4 Magnetische Ionenfalle


Der Ionenaustritt kann dabei auf zweierlei Weise erfol-
gen. Die einfachste Möglichkeit ist, ähnlich wie beim In magnetischen Ionenfallen herrscht ein starkes homo-
Quadrupol, die Wechselspannungsamplitude V (bzw. q) genes Magnetfeld, das die Ionen auf kreisförmige Um-
zu erhöhen, um die Ionen nacheinander aus dem Stabili- laufbahnen senkrecht zum Magnetfeld zwingt. Diese
tätsbereich (. Abb. 16.18) herauszudrängen. Damit wä-

Bewegung wird Zyklotronbewegung oder Zyklotronos-
ren aber nur ähnlich langsame Scangeschwindigkeiten zillation genannt. Ihre Frequenz (Zyklotronfrequenz) ist
wie beim Quadrupol zu erreichen und die erzielbare umgekehrt proportional zu m/z und direkt proportional
Massenauflösung wäre recht begrenzt. Eine weitaus bes- zur Stärke des Magnetfelds.
sere Alternative ist es, die Ionen mithilfe von Multipol-
feldern aus der Falle heraus zu werfen. Dazu wird die z ⋅e⋅ B
Kopplung des quadrupolaren Feldes an der Ringelekt- ωion =
2⋅π⋅m
rode mit einem dipolaren Feld, das gleichzeitig an den
mit z = Anzahl der Ladungen
Endkappen erzeugt wird, ausgenutzt. Die Kopplung (16.13)
beider Felder entsteht durch eine spezielle Geometrie e = Ladung eines Elektrons
der Ringoberfläche oder der Endkappen der Ionenfalle. 
B = Magnetfeldstarke
Durch die additive Überlagerung beider Felder wird m = Masse
eine Vielzahl von Feldern höherer Ordnung, so genann-
te Hexa-, Octo-, Decapolfelder usw. in der Falle erzeugt. Diese Bewegung kann über einen Bildstrom, auch Spiegel-
Mit dem Anstieg von q können die Ionen aus diesem strom genannt, detektiert werden, der von den zirkulieren-
Angebot an vielen, verschiedenen Multipolfeldern reso- den Teilchen auf einer Elektrode bzw. Detektorplatte in-
nant Energie aufnehmen. Eine resonante Anregung be- duziert wird. Zirkulieren mehrere Ionen mit verschiedenem
fähigt sie extrem schnell zu größeren Schwingungen, m/z, so können deren Zyklotronfrequenzen durch eine
sodass sie innerhalb kürzester Zeit aus der Falle heraus- Fourier-Transformation des induzierten Bildstromsignals
katapultiert werden. Im Kontext von . Abb.  16.18 ist

bestimmt werden. Es resultiert ein Zyklotronfrequenz-
das mit scharfen Instabilitätslinien gleichzusetzen, die spektrum, das gemäß Gl. 16.13 unmittelbar in ein Mas-
innerhalb des eigentlichen Stabilitätsbereiches liegen. senspektrum umgerechnet werden kann. Das ist das zu-
Die Ionen werden nun aus der Falle ejiziert, sobald sie grunde liegende Prinzip von magnetischen Ionenfallen,
mit ansteigendem q diese scharfe Instabilitätslinie errei- besser bekannt als Fourier-Transformationsionenzyklo-
chen. tron-Resonanzmassenspektrometer (Fourier Transformati-
In kommerziellen Ionenfallenanalysatoren der neu- on-ion Cyclotron Resonance Mass Spectrometer, FT-ICR-
esten Generation können durch Anwendung des Multi- MS; . Abb. 16.19).

poleffektes Scangeschwindigkeiten bis zu 26.000  u s−1, Die Bewegung der Ionen in der Falle ist durch das
mehr als 20-fach schneller als in Quadrupolsystemen, magnetische Feld senkrecht zu seiner Ausrichtung be-
bei einer Peakbreite von ca. 0,6 u erreicht werden. Da- grenzt und in seiner Richtung durch ein elektrostati-
mit ist eine höhere Wiederholungsrate für die Aufnahme sches Einfangpotenzial (trapping potential). Zu Beginn
von Spektren verbunden, die wichtig für einen hohen so
16 genannten duty-cycle ist (die Rate der tatsächlich detek-
der Messung zirkulieren die eingefangenen Ionen nahe
um das Zentrum der Falle. Von dort werden sie mithilfe
tierten Ionen aus der kontinuierlich emittierenden Io- von äußeren, parallel zum magnetischen Feld ausge-
nenquelle während eines Messzyklus). Gleichzeitig wur- richteten Anregungselektroden durch ein gepulstes
de das Auflösungsvermögen auf Werte deutlich oberhalb elektrisches Wechselfeld angeregt. Stimmen Zyklotron-
von 10.000 verbessert. Der maximale m/z-Bereich kann frequenz und die Frequenz des eingestrahlten elektri-
bis zu 6000 betragen. Neben den dreidimensionalen gibt schen Wechselfeldes überein, tritt der Resonanzfall ein
es auch zweidimensionale elektrische, sog. lineare Ionen- (Zyklotronresonanz), und der Zyklotronradius der be-
fallen. In diesen werden die Ionen in einem zweidimen- treffenden Ionen vergrößert sich durch Aufnahme von
sionalen elektrischen Quadrupolfeld gespeichert. Durch Energie aus dem Wechselfeld. Dieser Vorgang wird zeit-
die lineare Geometrie der Falle werden Raumladungs- lich präzise gesteuert, d. h. das entsprechende Wechsel-
effekte reduziert. Infolgedessen kann eine größere An- feld liegt so lange an, bis der Zyklotronradius der Ionen
zahl geladener Teilchen in die Falle injiziert und gespei- sich dem halben Abstand der Detektorplatten nähert,
chert und damit die Nachweisempfindlichkeit erhöht sodass die Ionen nahe an diesen vorbeifliegen und dabei
werden. einen detektierbaren Bildstrom induzieren. Durch
Massenspektrometrie
383 16

Detektions- induzierter
elektroden Wechselstrom

Intensität
Anregungs- FT
elektroden

Transient m/z

Massenspektrum

Magnetfeld
Wechselspannung

..      Abb. 16.19  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip einer magnetischen Ionenfalle

A Keramik- B
isolator

äußere Elektrode
spindelförmige
innere Elektrode

Transient Massenspektrum
Intensität

FT

m/z

..      Abb. 16.20  A Scematischer Aufbau und Funktionsprinzip einer Orbital-Ionenfalle. B Die Orbitrap. (Mit freundlicher Genehmigung von
Thermo Fisher Scientific)

Überlagerung verschiedener Frequenzen und deren 16.2.5 Orbital-Ionenfalle


schnelle zeitliche Variation ist es möglich, alle Ionen
oder nur eine gezielte Auswahl davon anzuregen und zu Die dritte Möglichkeit einer Ionenfalle ist es, die Ionen
analysieren. auf stabile Kreisbahnen (Orbitale) um eine zentral an-
Das Auflösungsvermögen eines FT-ICR-MS steigt geordnete, spindelförmige Elektrode zu lenken. Dieses
mit der Kraft des eingesetzten Magnetfeldes. Dieses Prinzip ist in der Orbital-Ionenfalle, meist als Orbitrap
wird von supraleitenden Magneten erzeugt und er- bezeichnet, realisiert (. Abb. 16.20).  

reicht bei aktuellen Geräten Feldstärken von bis zu 15 Das angelegte elektrostatische Feld und die daraus
Tesla, das entspricht dem 300.000-Fachen der Stärke resultierende Anziehungskraft hin zur zentralen Elektro-
des Erdmagnetfeldes. Das Auflösungsvermögen ist de gleichen genau die Zentrifugalkraft aus, sodass sich
sehr hoch und kann Werte von mehreren 100.000 bis zu die Ionen ähnlich wie Satelliten im Orbit bewegen. Elek-
2.000.000 erreichen. Dies ermöglicht Massengenauig- troden an den Endkappen erzeugen eine Potenzialbarrie-
keiten im ppb-Bereich (parts per billion), erfordert dazu re, die verhindert, dass die Ionen die Orbitrap seitlich
aber Analysezeiten von mehreren Sekunden bis Minu- verlassen können. Zusätzlich zu den Kreisbewegungen
ten. um die zentrale Elektrode herum kommt es zu seitlichen
384 H.E. Meyer et al.

(radialen) Oszillationen. Diese sind unabhängig von Ein- 100.000 FWHM. Orbitrap-­Geräte der neuesten Genera-
trittswinkel und Geschwindigkeit der Ionen und hängen tion erlauben sogar Auflösungen bis 1.000.000. Damit er-
nur von ihrem m/z-Verhältnis ab. reicht die Orbitrap zwar nicht das Auflösungsvermögen
Eine äußere Elektrode, die in der Mitte durch einen von magnetischen Fallen, kommt aber dafür ohne einen
Keramikring unterteilt ist, kann diese Oszillationen als teuren und wartungsintensiven supraleitenden Magneten
induzierten Strom messen. Im einfachsten Fall, wenn aus. Darüber hinaus sind bei gleichem Auflösungsvermö-
nur eine Art von Ionen mit einem festen m/z-Verhältnis gen die Analysezeiten kürzer, d. h. die Orbitrap analysiert
in der Falle vorhanden ist, ergibt sich eine Sinusschwin- die eingefangenen Ionen schneller als eine magnetische
gung. Aus deren Frequenz kann das m/z-Verhältnis be- Ionenfalle und kann somit mehr Proben pro Zeiteinheit
rechnet werden: analysieren.

k
ω=
m/ z 16.2.6 Hybridgeräte
mit ω = Frequenz der Schwingung (16.14)

k = Geratekonstante Insbesondere in der biologischen Massenspektromet-

rie hat sich der Einsatz von Hybridgeräten, auch als
Wenn verschiedene Ionen mit unterschiedlichem m/z-Ver- Tandem-­Massenspektrometer bezeichnet, bewährt, die
hältnis vorhanden sind, erhält man eine Überlagerung mehrere Massenanalysatoren kombinieren. Dadurch
verschiedener Sinusschwingungen, den sog. Transient. können die Ionen beispielsweise in einem Analysator
Um daraus ein Massenspektrum zu berechnen, wird, wie fragmentiert und in einem anderen analysiert werden,
bei der magnetischen Ionenfalle, die Fourier-Transforma- und die verschiedenen Eigenschaften der Analysato-
tion eingesetzt. ren können optimal aufeinander abgestimmt werden.
Obwohl das grundsätzliche Prinzip einer Falle mit Io- Im Folgenden werden die wichtigsten Hybridgeräte
nen auf Orbitalbahnen schon seit 1923 bekannt war, wur- vorgestellt.
de das erste kommerzielle erhältliche Gerät erst 2005 ver-
wirklicht. Problematisch war dabei vor allem die Injektion 16.2.6.1 Triple-Quadrupol (Triple-Quad)
der Ionen in die Falle. Für einen kontinuierlichen Ionens- Das Triple-Quadrupol-Massenspektrometer war das
trom wäre es nicht möglich, die Ionen auf stabilen Kreis- erste Instrument, mit dem Ionen nicht nur nach ihrem
bahnen einzufangen, sondern sie würden aufgrund ihrer Masse-zu-Ladungsverhältnis aufgetrennt, sondern die
zu großen Geschwindigkeit an der Zentralelektrode vor- einzelnen Ionen zusätzlich isoliert und fragmentiert wer-
beifliegen. Dieses Problem wurde dadurch gelöst, dass den konnten, um so Informationen zu ihrer Struktur zu
Ionen in einer vorgeschalteten, C-förmigen Ionenfalle, gewinnen. Das Triple-­ Quadrupolmassenspektrometer
der sog. C-Trap, gesammelt und als gebündelte Pakete in besteht genau genommen aus vier Quadrupolen Q0 bis
die Orbitrap injiziert werden. Dort wird während des Ein- Q3 mit zwei Messquadrupolen (. Abb.  16.21). Q0 ist

tretens der Ionen die Spannung an der Zentralelektrode dabei ein mit Wechselstrom (ohne Gleichstromkompo-
kurzzeitig erniedrigt, um die Ionen abzubremsen. Die Or- nente) betriebener „Hilfsquadrupol“, mit dem die gene-
rierten Ionen zunächst fokussiert und nachfolgend in
16 bitrap ermöglicht Messungen mit einer Massengenauig-
keit von 0,5–2 ppm und einer Massenauflösung von bis zu den zentralen Ionenweg überführt werden. Da keine

Quadrupol 0 Quadrupol 1 Quadrupol 2 Quadrupol 3 Detektor

Interface „Hilfs“-Quadrupol 1. Messquadrupol Kollisionszelle 2. Messquadrupol Faraday-Platte


gasdurchlässiger Quadrupol und Elektronen-
zur Führung der Ionen vervielfacher

..      Abb. 16.21  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip eines Triple-Quadrupolmassenspektrometers


Massenspektrometrie
385 16
von der Gleichstromkomponente generierten Streufel- mention mit der selektierten Massendifferenz erzeugt.
der in Q0 vorliegen, werden die Ionen effizient ins Zen- Die Massenskala entspricht auch hier der Massenskala
trum des Quadrupolfeldes überführt und beginnen dort von Q1. Durch Neutralverlustanalyse können ebenfalls
zu oszillieren. Q1 ist der erste Messquadrupol zum gezielt bestimmte Modifikationen nachgewiesen werden.
Scannen der Ionen. Q2 führt die Ionen durch eine Kol- Typische Beispiele hierfür sind phosphorylierte Peptide
lisionskammer, die mit Gas (Stickstoff, Helium oder (Verlust von H3PO4, −98 Da).
Argon) gefüllt werden kann. Durch Kollision mit den
inerten Gasmolekülen bzw. -atomen fragmentieren die SRM- und MRM-Analyse  In der biologischen Massenspekt-
Ionen in Q2. Die Molekulargewichte der entstandenen rometrie werden inzwischen Triple-Quadrupole auch oft
Fragmentionen werden anschließend im Messquadru- für das so genannte Single Reaction Monitoring (SRM,
pol Q3 bestimmt. Die so erzeugten Fragmentionen- auch Selected Reaction Monitoring) oder Multiple Reac-
spektren werden als Tandem-Massenspektren oder als tion Monitoring (MRM) eingesetzt, eine Technik, die in der
MS/MS- oder MS2-Spektren bezeichnet. chemischen Spurenanalytik schon lange verwendet wird.
Mit einem Triple-Quadrupolmassenspektrometer las- Diese Technik ermöglicht den hoch sensitiven Nachweis
sen sich verschiedene Arten von MS/MS-Analysen durch- eines bekannten Moleküls in einer komplexen Probe, auch
führen (. Abb. 16.22):
  vor dem Hintergrund vieler anderer ähnlicher Moleküle.
Das gesuchte Molekülion wird dazu in Q1 selektiert
Produktionenanalyse  Bei der Produktionenanalyse wird und in Q2 fragmentiert. In Q3 wird nicht der gesamte
Q1 so eingestellt, dass nur Ionen eines bestimmten m/z-Bereich gescannt, sondern selektiv nur die m/z-­
m/z-Verhältnisses transferiert werden. Diese Vorläufe- Werte von einem oder mehreren bekannten Fragmen-
rionen werden in Q2 fragmentiert und die generierten tionen (m/z konstant). Die maximale Nachweisempfind-
Produktionen, die oft auch als Tochterionen bezeichnet lichkeit liefert SRM mit nur einem Fragmention. Die
werden, anschließend in Q3 analysiert. Die Produktio- Fehlerquote wird aber geringer, wenn mehrere detek-
nenanalyse ist die häufigste MS/MS-Methode, da eine tiert werden. Beim MRM werden in Q1 zeitlich alter-
Identifizierung oder auch Quantifizierung von Einzel- nierend mehrere verschiedene sehr schmale m/z-Berei-
komponenten in Gemischen ohne vorherige Auftren- che durchlässig geschaltet und in Q3 werden jeweils für
nung durchgeführt werden kann. den Nachweis des mit diesem m/z-Wert gesuchten Mole-
küls ausgewählte bekannte Fragmentionen zum Detek-
Vorläuferionenanalyse  Die Zuordnung zwischen Vorläu- tor durchgelassen. Beim MRM wird also ein Kompro-
fer- und Produktionen lässt sich auch in umgekehrter miss geschlossen zwischen Nachweisempfindlichkeit
Richtung durchführen. Dazu werden die Ionen des ge- und der Anzahl der nachzuweisenden Substanzen.
samten Massenbereiches wie bei der Aufnahme eines nor-
malen Massenspektrums durch Q1 transferiert. Die Io- 16.2.6.2 Tandem-TOF (TOF-TOF)
nen erreichen dann s­ equenziell Q2, wo sie nacheinander Mit dieser Gerätekonfiguration kann eine kontrollier-
fragmentiert werden. Q3 ist auf einen bestimmten, aus- te Fragmentierung von MALDI-Ionen erfolgen. Wie
gewählten m/z-Wert eingestellt, sodass über Q3 nur Ionen . Abb. 16.23 zeigt, befindet sich in einem TOF-TOF-In-

detektiert werden können, wenn Q1 die entsprechenden strument die Kollisionszelle zwischen zwei unabhängi-
Vorläuferionen dieser Fragmentionen in die Kollisions- gen TOF-Segmenten. Nach Bildung der Ionen in der
kammer transferiert. Die m/z-Skala eines Vorläuferionen- MALDI-Quelle werden diese zunächst in das erste linea-
spektrums entspricht der m/z-Skala von Q1. Mit der Vor- re TOF-Segment (TOF1) beschleunigt. Im TOF1 erfolgt
läuferionenanalyse kann in Molekülionen gezielt die dann die Selektion der Ionen von Interesse entsprechend
Anwesenheit bestimmter Modifikationen, beispielweise ihres m/z-Verhältnisses. Diese werden stark abgebremst
glykosylierter Peptidionen, über dafür spezifische Pro- und dann in der nachgeschalteten Kollisionszelle durch
duktionen (Zuckerbruchstücke) nachgewiesen werden. Stöße mit Argon fragmentiert. Die erzeugten Fragmen-
tionen werden nach der Kollisionszelle erneut beschleu-
Neutralverlustanalyse    Auch der Verlust eines Neutral- nigt und im zweiten TOF-Segment massenanalysiert.
teilchens aus einer Fragmentierung kann nachgewiesen Die enorme Schnelligkeit bei gleichzeitiger Möglichkeit
werden. Wie in der Vorläuferionenanalyse werden die Io- zur MS/MS-Analyse zeichnet das TOF-TOF-Instru-
nen des gesamten Massenbereiches durch Q1 in Q2 trans- ment aus. Das gesamte Experiment ist im Bruchteil einer
feriert und nacheinander fragmentiert. Q3 ist nun nicht Millisekunde abgeschlossen und mehr als tausend MS/
mehr auf eine bestimmte Masse gesetzt, sondern arbeitet MS-Spektren können pro Sekunde aufgenommen wer-
synchron mit Q1 im Scanbetrieb, allerdings um die Masse den. Hiervon werden jedoch oft mehrere Hundert auf-
des nachzuweisenden Neutralverlusts zurückversetzt. Da- summiert, um die Nachweisempfindlichkeit zu steigern.
durch werden Ionen nur dann am Detektor registriert, Neben dem beschriebenen TOF-TOF-Analysator wird
wenn ein entsprechendes Vorläuferion in Q2 ein Frag- noch eine zweite Variante eingesetzt, die auf eine Kolli-
386 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.22  Prinzipien verschiede- Produktionenanalyse


ner Analysen mit einem Triple-­Quadru
polmassenspektrometer

m /z = konstant Fragmentierung m /z-Scanning

Vorläuferionenanalyse

m /z-Scanning Fragmentierung m /z = konstant

Neutralverlustanalyse

m /z-Scanning Fragmentierung m /z-Scanning

SRM- und MRM-Analyse


16

m /z = konstant Fragmentierung m /z = konstant


Massenspektrometrie
387 16
CID-Ionen

Beschleunigungs- Detektor
elektroden 1
Kollisionszelle
Kollisionsgas

F+

+
Pm Fn

Driftstrecke 1 Driftstrecke 2 Reflektor


Beschleunigungs-
Probenteller Ablenkelektrode elektroden 2

TOF 1 TOF 2

..      Abb.  16.23  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip eines in der Kollisionszelle durch Stöße mit Argon fragmentiert. Die dabei
MALDI-TOF-TOF-Analysators. Molekülionen (Pm+) von Interesse erzeugten Fragmentionen werden im Reflektor TOF2 analysiert
werden im TOF1 entsprechend ihres m/z-Verhältnisses selektiert und

sionszelle zwischen den beiden TOF-Segmenten verzich- Massenfilter für die Selektion der Vorläuferionen, und
tet. Dieser Analysator wurde entwickelt und optimiert Q2 dient als Kollisionszelle zur Generierung der Frag-
für die Analyse von Fragmentionen, die während der mentionen. Die Massenanalyse erfolgt hingegen anstatt
Passage des ersten TOF-Segments gebildet werden auf- in Q3, in einem orthogonal angeordneten Reflektor-­TOF-
grund überschüssiger interner Energie, die sie in der MS (. Abb. 16.24).

Quelle aufgenommen haben. Nach dem Zerfall (Bin- Neben der Produktionenanalyse können mittler-
dungsbruch) bewegen sich die Fragmente mit der glei- weile auch Vorläuferionen-Scans mit einem Q-TOF-MS
cher Geschwindigkeit wie vor diesem Ereignis fort und durchgeführt werden. Bei der Vorläuferionenanalyse wer-
werden daher in einem linearen TOF-Analysator nicht den die Ionen im Q1 sequenziell selektiert und in die
räumlich getrennt. Solche Zerfälle sind typisch für Kollisionszelle Q2 überführt, beginnend mit niedrigen
MALDI ( prompte und metastabile Zerfälle – ISD, PSD m/z-Verhältnissen schrittweise zu hohen m/z-Verhältnis-
7 Abschn. 16.4.2).
  sen. Entsprechend werden für alle selektierten Vorläufe-
Nach der Auftrennung in TOF1 werden ausgewählte rionen die jeweils im Q2 generierten Produktionen im
Molekülionen zusammen mit den aus ihnen hervorge- TOF analysiert und die entsprechenden MS/MS-Spekt-
gangenen Fragmentionen isoliert und vor Eintritt in ren aufgezeichnet. Die Zuordnung von interessierenden
TOF2 durch das schnelle Anlegen elektrischer Felder an Produkt- und Vorläuferionen erfolgt mithilfe spezieller
spezielle Elektroden schlagartig wieder auf ein hohes Computerprogramme, die Vorläuferionen-Scans werden
elektrisches Potenzial angehoben. Von dort werden so- von den aufgenommenen Produktionen-Spektren re-
wohl die verbliebenen intakten Molekülionen als auch konstruiert. Generell ist die Vorläuferionenanalyse mit
die gebildeten Fragmentionen weiter beschleunigt und Q-TOF-Analysatoren aber weniger sensitiv und langsa-
anschließend, aufgrund der durch ihre unterschiedli- mer als mit Triple-Quadrupolen.
chen Massen danach resultierenden unterschiedlichen Q-TOF-Instrumente werden am häufigsten mit Na-
Geschwindigkeiten, in TOF2 aufgetrennt. Das Funkti- no-ESI kombiniert. Eine Kopplung mit MALDI ist
onsprinzip ähnelt im übertragenen Sinn dem eines Fahr- ebenfalls möglich. Da MALDI überwiegend einfach ge-
stuhls und wird als LIFT bezeichnet. ladene Peptidionen erzeugt, wird üblicherweise Argon
als Kollisionsgas eingesetzt. Durch den relativ großen
16.2.6.3 Quadrupol-TOF (Q-TOF) Stoßquerschnitt von Argon kann die innere Energie der
Das Q-TOF-Instrument ist ein Hybridmassenspektro- MALDI-Ionen effektiv erhöht und damit in der Regel
meter, in dem die Stärken des Quadrupolanalysators eine weitreichende Fragmentierung induziert werden.
(einfache Selektion von Vorläuferionen und kontrollierte
effektive Fragmentierung) und des Reflektorflugzeitana- 16.2.6.4  ineare Ionenfalle mit magnetischer
L
lysators (sehr großer Massenbereich, hohes Auflösungs- Falle bzw. Orbitrap
vermögen, hohe Nachweiseffizienz und sehr kurze Ana- Sowohl magnetische als auch Orbital-Ionenfallen werden
lysezeiten) kombiniert werden. In einem Q-TOF-­ MS in der Massenspektrometrie mit linearen elektrischen Io-
fungiert wie in Triple-Quadrupolinstrumenten Q1 als nenfallen gekoppelt (. Abb. 16.25). Der besondere Vor-

388 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.24 Schematischer Kollisionsgas
Aufbau und Funktionsprinzip Pusher
eines Quadrupolflugzeitmassen-
spektrometers (Q-TOF-MS). Für
F+
die Aufnahme von MS/
MS-Spektren mit einem
+
Pm Fn Detektor
Q-TOF-­Massenspektrometer
werden Molekülionen (Pm+) eines
bestimmten m/z-Verhältnisses im
Q1 selektiert und mithilfe eines
Stoßgases im Q2 fragmentiert. Skimmer Kollisionszelle
Die Massenanalyse der erzeugten Q0 CID-
Fragmentionen findet im Ionen
Reflektor-­TOF-­Analysator statt Ionenoptik Q1 Q2

Driftstrecke

Reflektor

TOF

lineare Ionenfalle
Kapillare Ionenoptik Ionenoptik C - Trap Transient Massenspektrum
He-Gas

+
Pm

Intensität
FT

m /z

Orbitrap
16
..      Abb. 16.25  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip des Hybridmassenspektrometers LTQ-Orbitrap, bestehend aus einer linearen
elektrischen (LTQ-) und einer Orbital-Ionenfalle

teil dieser Geräte besteht darin, dass sich die individuellen kleinen Fehlertoleranzen bei der Massenbestimmung. Ein
Stärken der beiden unterschiedlichen Massenanalysato- weiterer Vorteil der Kombination von zwei Ionenfallen
ren optimal ergänzen. Die besonderen Stärken der linea- besteht darin, dass beide Analysatoren gleichzeitig einge-
ren Ionenfalle sind ihre hohe Kapazität, d. h. für die fol- setzt werden können. Ein typisches Beispiel hierfür ist die
genden Analysen bzw. Experimente können sehr viele Aufnahme von MS/MS-Spektren in der linearen Ionen-
Ionen eingefangen werden. Weiterhin sind Ionenfallen falle, während in der magnetischen Falle oder der Orbital-
unübertroffen in ihrer Präzision, Geschwindigkeit und Ef- falle das nächste MS-Spektrum aufgenommen wird. Be-
fizienz, mit der Molekülionen isoliert und fragmentiert züglich der Auswahl des hochauflösenden Analysators
werden können. Magnetische Fallen haben eine geringere gilt es zu beachten, dass dem höheren Auflösungsvermö-
Kapazität und verarbeiten die Ionen langsamer. Die be- gen von magnetischen Fallen höhere Scangeschwindigkei-
sonderen Vorteile dieser beiden Analysatoren sind ihr ho- ten der Orbitalfallen gegenüberstehen und natürlich ge-
hes Auflösungsvermögen und die damit möglichen sehr ringere Anschaffungs- und Folgekosten.
Massenspektrometrie
389 16

Kapillare Ionenoptik Quadrupol Ionenoptik C - Trap HCD-Kollisionszelle

+
Pm

Transient Massenspektrum

Intensität
Orbitrap FT

m/z

..      Abb. 16.26  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip eines Quadrupol-Orbital-Ionenfallen-Hybridmassenspektrometers, bestehend


aus einem Quadrupol, einer HCD-Kollisionszelle und einer Orbital-Ionenfalle

16.2.6.5 Quadrupol mit Orbitrap 16.3.1 Sekundärelektronenvervielfacher


Eine leistungsfähige Kombination stellt auch die Kopp- (SEV)
lung eines Quadrupols an eine Orbitrap-Ionenfalle dar
(. Abb. 16.26). Ähnlich wie bei Q-TOF-Instrumenten

Ein Sekundärelektronenvervielfacher (SEV) ist eine
werden die Stärken des Quadrupolanalysators (einfa- Konstruktion, die es ermöglicht, durch Sekundärelektro-
che Selektion von Vorläuferionen, hohe Stabilität) und nenemission kleinste Elektronenströme oder sogar Ein-
der Orbital-Ionenfalle (hohes Auflösungsvermögen, zelelektronen mit hoher Zeitauflösung um viele Größen-
hohe Sensitivität und sehr kurze Analysezeiten) kombi- ordnungen zu verstärken. Ein Elektron setzt beim
niert. In einem Quadrupol-Orbitrap-Ionenfallen Gerät Auftreffen auf eine Metall- oder Halbleiteroberfläche bei
fungiert der Quadrupol als Massenfilter für die Selek- genügender Energie bis zu zehn Sekundärelektronen frei,
tion der Vorläuferionen. Zur Fragmentierung werden die dann mithilfe elektrischer Felder beschleunigt werden
diese in eine dedizierte Multipol-Kollisionszelle gelei- und anschließend diesen Vorgang wiederholen. Wird die-
tet, wo die Fragmentierung durch Stöße mit Stickstoff- ser Prozess fortgesetzt, entsteht mittels exponentieller
molekülen erfolgt. Da die Kollisionsenergie bei der Verstärkung ein messbarer Strom. Um mit einem SEV
Fragmentierung typischerweise leicht höher liegt als in Ionen nachzuweisen, müssen diese beim Aufprall auf den
einer Ionenfalle, wird der Vorgang auch als Hig- Detektor mindestens ein Elektron freisetzen, das dann
her-Energy C-Trap Dissociation (HCD) und die Kolli- die oben beschriebene Kaskade durchläuft. Hierzu müs-
sionszelle als HCD-­Zelle bezeichnet. Die Fragmentio- sen die Ionen vor dem Aufprall hinreichend schnell sein,
nen werden anschließend über die C-Trap in den d.  h. bei gleicher kinetischer Energie nimmt die Nach-
Orbitrap-­ Analysator geleitet, wo die unterschiedli- weiseffizienz mit der Masse ab. Für die Detektion von
chen m/z-Werte der Ionen bestimmt werden. Aufgrund großen, einfach oder zweifach geladenen Molekülionen
ihrer Leistungsfähigkeit (hohe Scanraten bei hoher kann der SEV mit einer Konversionsdynode kombiniert
Massengenauigkeit) finden Quadrupol-Orbitrap-Io- werden. An dieser liegt eine hohe Spannung an (bis zu
nenfallengeräte breite Anwendung im Bereich Metabo- 25 kV), mit der die Ionen vor dem Aufprall nachbeschleu-
lomik und ­Proteomik. nigt werden. Ziel ist es, ihre Geschwindigkeit so weit zu
erhöhen, dass Sekundärelektronen freigesetzt werden.
Hierbei werden mit ansteigendem m/z-Verhältnis der Io-
16.3  Ionendetektoren nen neben Sekundärelektronen auch zunehmend kleine
Sekundärionen (m/z  <  100  Da) von der Dynodenober-
Für den Nachweis von Ionen in Massenspektrometern fläche abgelöst (Ionen/Sekundärionen-Konversion). Die
wurden spezielle Detektoren entwickelt, die sich, je nach unterschiedlichen Massen der an der Konversionsdynode
Anforderung, in ihrem Funktionsprinzip und in ihren erzeugten Sekundärionen führen zu einer Laufzeitdisper-
Leistungsdaten unterscheiden. Im Folgenden werden sion zwischen Konversionsdynode und dem SEV. Dieser
die wichtigsten kurz vorgestellt. Effekt verursacht neben einem schmalen Sekundärelekt-
390 H.E. Meyer et al.

ronensignal ein zusätzliches, deutlich breiteres Sekundä- 16.3.1.3 Mikrokanalplatten


rionensignal. Aus diesem Grunde werden Konversions- Eine Mikrokanalplatte (Micro-Channel Plate, MCP) ist
dynoden nur in Kombination mit MALDI für den ein flächenhafter, bildauflösender Sekundärelektronen-
Nachweis sehr großer Moleküle verwendet, z.  B. von vervielfacher. Sie dient zur rauscharmen Verstärkung
Antikörpern. In diesen Fällen domminiert die Ionen/Se- geringer Ionenströme, die auf die Eingangsseite der
kundärionen-Konversion den Nachweis. Die damit ver- Platte aufschlagen und dort Sekundärelektronen auslö-
bundene Signalverbreiterung ist unerheblich, weil das sen. Anstelle eines Kanals beinhaltet eine Mikrokanal-
Isotopenmuster nicht aufgelöst wird. platte mehrere Tausend sehr kleine, parallel zueinander
angeordnete Kanäle (. Abb. 16.28).
Aufbau mit diskreten Dynoden

16.3.1.1
Hierzu werden mehrere Dynoden, d. h. speziell geform-
te Elektroden, in Reihe geschaltet. Über die gesamte Se- 16.3.2 Faraday-Becher
rie der Dynoden ist eine Beschleunigerspannung ange-
legt, sodass zwischen einem Paar die entsprechend der Ein Faraday-Becher (Faraday Cup), auch Faraday-­
Anzahl geteilte Spannung abfällt und Elektronen von Detektor genannt, besteht aus einem Metallbecher. Die
Dynode zu Dynode beschleunigt werden. Eine Dynode Ladung von auftreffenden Ionen wird darin quasi einge-
erfüllt sowohl die Eigenschaften einer Kathode als auch sammelt und anschließend, je nach Vorzeichen, durch
einer Anode, da sie Elektronen emittiert und absorbiert Elektronen, welche über einen angeschlossenen hochoh-
(. Abb. 16.27).
  migen Widerstand zufließen bzw. abfließen können, aus-
geglichen. Am Widerstand fällt deswegen eine Spannung
16.3.1.2 Kanalelektronenvervielfacher ab, welche als ein Maß für den Ionenstrom gemessen
Ein Kanalelektronenvervielfacher (KEV) erzeugt aus ei- wird (. Abb.  16.29). Mit einem Faraday-­Becher kann

nem Ion jeweils ca. 108 Elektronen. Er besteht oft aus ei- die Anzahl der aufgefangenen Ladungsträger pro Zeit-
nem Glasröhrchen, dessen innere Oberfläche mit einer einheit bestimmt werden. Die Form des Detektors (Be-
Schicht überzogen ist, die einen hohen elektrischen Wi- cher) und optional vorhandene Zusatzelektroden verhin-
derstand aufweist. Der Widerstand zwischen der Kathode dern dabei, dass evtl. freigesetzte Sekundärionen
am offenen Ende des Röhrchens und dem durch die Ano- und -elektronen den Detektor verlassen und damit die
de abgeschlossenen Ende beträgt ungefähr 109 Ohm, das Messung verfälschen.
Verhältnis Länge zu Durchmesser liegt typischerweise bei Faraday-Becher werden als Alternative oder zusätz-
70. Im Betrieb wird eine Spannung von ca. 2 kV angelegt. lich zum SEV eingesetzt. Vorteile des Faraday-Bechers
Der Detektor wird so ausgerichtet, dass die Ionen nicht sind seine Zuverlässigkeit und Robustheit und die Mög-
weit in das Röhrchen eindringen. Die beim Aufprall auf lichkeit, den Ionenstrom absolut zu messen. Zudem ist
die Innenwand freigesetzten Sekundärelektronen werden die Empfindlichkeit zeitlich konstant und im Gegensatz
durch das anliegende Feld schräg versetzt in Richtung der zum SEV nicht abhängig von den m/z-Werten der Ionen.
gegenüberliegenden Wand beschleunigt und setzen dort Nachteile sind die gegenüber einem SEV deutlich gerin-
beim Aufprall ihrerseits Elektronen frei. Dieser Vorgang gere Nachweisempfindlichkeit und längere Reaktions-
wiederholt sich, bis die Elektronenlawine die Anode er- zeit. Hierfür verantwortlich ist die Eigenkapazität in
16 reicht. Verbindung mit dem hohen Widerstand.

..      Abb. 16.27  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip eines Sekundärelektronenvervielfachers (SEV) mit in Reihe geschalteten Dyn-
oden und vorgeschalteter Konversionsdynode
Massenspektrometrie
391 16

10 µm 8 µm

Ionen

Sekundär-
elektronen

austretende Elektronen

..      Abb. 16.28  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip einer Mikrokanalplatte

16.4.1 Kollisionsinduzierte Dissoziation


(CID)
Ionen
Um Informationen über die Struktur von Molekülionen
zu gewinnen, werden diese im Massenspektrometer

fragmentiert und die Massen der dabei entstehenden
+ Fragmentionen bestimmt. Eine häufig genutzte Mög-
lichkeit, Molekülionen zu fragmentieren, besteht darin,
Elektrometer
diese mit neutralen kleinen Teilchen, meist Edelgasato-
men, kollidieren zu lassen. Hierzu werden spezielle Kol-
lisionszellen, in die das Stoßgas eingeleitet wird, oder
..      Abb.  16.29  Schematischer Aufbau und Funktionsprinzip eines das Restgas im Analysator verwendet. Letzteres ist der
Faraday-Bechers
Fall bei CID-Experimenten in elektrischen oder magne-
tischen Ionenfallen. Kollisionszellen werden in Triple-­
16.4  Fragmentierungstechniken Quadrupol-, QTOF- und TOF-TOF-Analysatoren ein-
gesetzt. In beiden Fällen kann bei Bedarf der Gasdruck
Die Fragmentierung von Ionen im Massenspektrometer durch Öffnen eines Ventils kurzfristig erhöht werden. In
und die nachfolgende Detektion der entstandenen Frag- Kollisionszellen ist der Druck oft nur lokal innerhalb
mentionen können über die reine Massenbestimmung der Zelle merklich erhöht, indem hier nur für eine be-
hinaus viele Informationen liefern. Für kleinere Mole- grenzte Zeit eine kleine Menge Gas eingelassen wird, um
küle kann anhand von Fragmentionenspektren, die elektrische Entladungen zu vermeiden. Ein Beispiel
auch als MS/MS- oder Tandem-MS-Spektren bezeich- hierfür sind TOF-TOF-Analysatoren.
net werden, durch Abgleich mit Datenbanken ermittelt Die Fragmentierung durch energetische Stöße wird
werden, um was für Strukturen es sich handelt. In der als CID bzw. CAD (Collision-Induced Dissociation,
biologischen Massenspektrometrie ist die Fragmentie- Collison-Activated Dissociation), die Fragmentionen als
rung insbesondere für die Identifizierung bzw. Sequen- CID-Ionen und die Spektren entsprechend als CID-­
zierung von Peptiden von Bedeutung, wird aber bei- Spektren bezeichnet. CID-Experimente in TOF-TOF-­
spielsweise auch eingesetzt, um die Struktur komplexer Analysatoren werden mit hohen kinetischen Energien,
Kohlenhydrate oder modifizierter Oligonucleotide auf- z.  B. 1000  eV, durchgeführt (High-Energy-CID). Unter
zuklären. diesen Bedingungen wird so viel Energie übertragen,
392 H.E. Meyer et al.

dass es sofort zum Bindungsbruch kommt (. Abb. 16.23).


  tionen direkt zu analysieren, werden in diesem Fall aus-
Die Ionen in einem Quadrupolanalysator besitzen nur gewählte Fragmentionen isoliert, weiter fragmentiert und
eine niedrige kinetische Energie (in der Größenordnung die dabei entstehenden Fragmentionen analysiert (MS3).
von einigen Elektronenvolt). Für eine effektivere Frag- Im Rahmen dieser als MSn bezeichneten Experimente
mentierung werden die Ionen daher vor der Stoßaktivie- können bis zu zehn MS-Zyklen durchlaufen werden. In
rung zusätzlich mit etwa 20–150  V beschleunigt. Unter der Praxis werden jedoch mehr als vier Zyklen nur selten
diesen Bedingungen sind einzelne Stöße meist nicht aus- durchlaufen, entweder weil für weitere Schritte keine aus-
eichend, um die Analytionen zu fragmentieren (Low-­ reichende Zahl an Ionen zur Verfügung steht oder weil
Energy-­CID; . Abb. 16.21 und 16.24). Neben der kineti-
  kein weiterer Informationsgewinn zu erwarten ist.
schen Energie ist daher auch der Gasdruck in der Wie viel Energie nötig ist, um die Fragmentierung der
Kollisionskammer ein wichtiger Regelparameter. Mit Analytionen zu induzieren, hängt von deren Stabilität
zunehmendem Druck nehmen der Anteil an Mehrfach- und damit von deren Struktur und Größe ab. Optimale
stößen und damit auch die Anregungsenergie zu. Ab- Ergebnisse erfordern in der Regel eine individuelle An-
schätzungen haben in diesen Fällen ergeben, dass bei der passung der CID-Parameter. Ein wichtiger Unterschied
Abnahme der Signalintensität eines Vorläuferions auf zwischen High- und Low-Energy-CID besteht im zeitli-
etwa dreißig Prozent jedes Vorläuferion im Mittel einen chen Ablauf der induzierten Fragmentierung. Im ersten
Stoß erfährt. In elektrischen und magnetischen Ionenfal- Fall geschieht dies quasi sofort, d. h. ohne merkliche Ver-
len werden ebenfalls Low-Energy-CID-­Fragmentierungen zögerung. Die Folge ist, dass diese Reaktion relativ un-
durchgeführt. In diesen Fällen wird das Restgas, meist spezifisch ist und bei großen Molekülionen daher auch
Helium, zur Fragmentierung verwendet und die Ge- eine große Zahl verschiedener Fragmentionen entstehen
schwindigkeit der Ionen ebenfalls gezielt erhöht. kann, inklusive interner Fragmente als Folge von mehr-
Vorab werden die interessierenden Ionen zunächst fachen Bindungsbrüchen. Im zweiten Fall wird viel weni-
isoliert. In einer elektrischen Ionenfalle werden hierzu ger Energie übertragen, und der Zerfall der Ionen erfolgt
alle Ionen mit kleineren m/z-Werten durch Anheben von zeitlich verzögert. Dies hat zur Folge, dass die hinzuge-
q aus der Falle ejiziert und solche mit größeren m/z-­ fügte Energie über das gesamte Ion (alle Bindungen) ver-
Werten werden durch ein Frequenzgemisch an den End- teilt wird. Zur Fragmentierung kommt es, sobald die auf
kappen resonant so stark angeregt, dass sie gegen die eine Bindung entfallende Energie deren Dissoziations-
begrenzenden Wände stoßen. Dieser Prozess kann sehr energie überschreitet. Die Folge ist, dass Low-Ener-
genau ausgeführt werden: Zum Beispiel können mono- gy-CID-Fragmentierungen deutlich spezifischer sind,
isotopische Peptidionen selektiert werden. Danach wer- d.  h. die Anzahl der verschiedenen Fragmentionen ist
den die isolierten Ionen durch resonante Anregung auf geringer als in entsprechenden High-Energy-CID-Expe-
einen höheren Orbit (mit einem größeren Abstand zur rimenten. Gibt es in den Molekülionen „Sollbruchstel-
Mitte der Zelle) gebracht, erhöhen dabei ihre Geschwin- len“, also Bindungen, für deren Spaltung besonders we-
digkeit und kollidieren nun mit den Heliumatomen un- nig Energie erforderlich ist, so werden diese bevorzugt.
ter Low-Energy-CID-Bedingungen. Hierbei erhöht sich
ihre innere Energie durch Mehrfachstöße so lange, bis
der kritische Punkt erreicht ist, ab dem die Fragmentie- 16.4.2  rompte und metastabile Zerfälle
P
16 rung einsetzt. Da sie während dieses Prozesses aber wei- (ISD, PSD)
terhin in der Falle eingefangen sind, kann die Dissozia-
tion sehr gut durch Variation der Amplitude und MALDI wird häufig als „sanfte“ Ionisationsmethode
Anregungsdauer kontrolliert werden. In sehr vielen Fäl- bezeichnet, da mit ihr große, thermisch labile Moleküle
len können die Muttermolekülionen zu hundert Prozent wie Proteine intakt in die Gasphase überführt und ioni-
fragmentiert werden. In einem Tandem-MS-­Experiment siert werden können. Ursprünglich nahm man an, dass
werden die Tochterionen anschließend analysiert, d. h. fast ausschließlich intakte Molekülionen und nur weni-
der Reihe nach aus der Falle ejiziert und detektiert. ge Fragmentionen durch den MALDI-Prozess erzeugt
Oft sind aber, wenn z. B. die Struktur einer Substanz werden. Man bemerkte in den MALDI-Spektren zu-
aufgeklärt werden soll, die Informationen, die sich hierfür nächst nur jene Fragmentionen als zusätzliche Signale,
aus einem MS/MS-Spektrum ableiten lassen, nicht aus- die sich direkt in der Quelle bilden. Solche prompten
reichend, beispielsweise weil nur wenige verschiedene Zerfälle werden mit der Bezeichnung ISD (In-Source
Fragmentionen entstanden sind oder weil es sich um eine Decay) klassifiziert. Erst weitere Untersuchungen erga-
große komplexe Struktur handelt. In solchen Fällen ist es ben, dass ein Teil der erzeugten Molekülionen auch
möglich, in der Ionenfalle eine Abfolge von Fragmentie- noch später während der Beschleunigung im elektri-
rungsexperimenten durchzuführen. Anstatt die Fragmen- schen Feld oder in der feldfreien Driftstrecke zerfallen.
Massenspektrometrie
393 16
Für die metastabilen Zerfälle in der feldfreien Driftstre- Molekülions weiter und lassen sich daher in einem linea-
cke wurde die Bezeichnung PSD (Post-Source Decay) ren Flugzeitanalysator nicht von diesen trennen. Mit ei-
geprägt. nem Reflektorflugzeitanalysator hingegen lassen sich
Fragmentierungen der Analytionen werden durch diese Ionen trennen und analysieren, weil sie bedingt
die Aufnahme relativ hoher Energien während der durch den Massenverlust eine geringere kinetische Ener-
MALDI induziert, unter anderem durch Stoßaktivie- gie besitzen als die intakten Molekülionen. Im Standard-
rungsprozesse innerhalb der Matrixwolke, die sich un- betrieb des Reflektors wird jedoch nur ein Teil der
mittelbar nach Auftreffen des Laserimpulses über der PSD-Ionen auf den Detektor gelenkt. Die meisten PSD-­
Probe bildet. Erfolgt der Zerfall nur aufgrund von Ionen kehren aufgrund ihrer zu geringen Energie zu früh
Stoßaktivierung, sind ISD- und PSD-Ionen zugleich um und treffen nicht auf den Ionendetektor. Der Durch-
CID-Ionen. Dies ist bei der MALDI aber nicht klar, bruch zur vollständigen Analyse der PSD-Ionen wurde
weil unklar ist, inwieweit andere Prozesse ebenfalls zur durch die Entwicklung spezieller Reflektoren mit variab-
„Aufheizung“ der Ionen beitragen. Bekannt ist, dass ler Spannung erzielt, die der geringen Energie der
bei bestimmten Matrices, z.  B. 2,5-Dihydroxybenzoe- PSD-Ionen angepasst werden kann (. Abb. 16.30). Um

säure, neben der Stoßaktivierung auch die Bildung von ein vollständiges Fragmentionenspektrum (PSD-Spekt-
Ionen mit einem ungepaarten Elektron prompte Zerfäl- rum) zu erhalten, werden abschnittsweise Serien von Teil-
le induziert. spektren mit sich stufenweise ändernder Reflektorspan-
Die Effizienz der Stoßaktivierung ist abhängig von nung aufgenommen. Diese Lösung, obwohl technisch
der Dichte der Matrixwolke nach dem Laserbeschuss überholt, wird immer noch vereinzelt angewandt, weil
sowie von der Geschwindigkeit der Analytionen und hierzu keine teuren zusätzlichen apparativen Komponen-
Matrixmoleküle. Die Dichte der Matrixwolke wird ten benötigt werden. Wesentlich einfacher und schneller
durch die Laserintensität bestimmt, die Kollisionsener- lassen sich PSD-Ionen mit TOF-TOF-Massenspektro-
gie durch die angelegte Beschleunigungsspannung. Beim metern analysieren. In diesem Fall wird z. B. die Kollisi-
Zerfall eines einfach geladenen Molekülions entstehen onszelle gar nicht benötigt, weil die Fragmentierung ja
ein Fragmention und ein neutrales Fragmentmolekül. schon stattgefunden hat. Dies bedeutet aber auch, dass es
Die Zeitskala, nach der der Zerfall der Molekülio- sich bei den mit aktiver (d. h. mit Kollisionsgas gefüllter)
nen stattfindet, entscheidet über die Detektierbarkeit Kollisionszelle analysierten Fragmentionen in der Praxis
der generierten Fragmentionen im Flugzeitmassenspek- immer um eine Mischung von PSD-, CID- (High-Ener-
trometer. Prompte Fragmente beobachtet man im Mas- gy-CID) und PSD-CID-Ionen handelt, d. h. neben noch
senspektrum als Ionensignale mit der dem Fragment intakten Molekülionen werden auch PSD-Ionen kollisi-
entsprechenden Masse. Fragmentionen, die sich in der onsinduziert fragmentiert.
Beschleunigungsstrecke bilden, nehmen abhängig von ISD-Ionen sind keine Besonderheit von MALDI,
ihrem Zerfallsort unterschiedliche kinetische ­Energien sondern lassen sich auch mit ESI gezielt erzeugen. Hier-
auf und tragen so zum Rauschen im Spektrum bei. zu wird die an der Quelle anliegende Spannung so weit
PSD-Ionen, die in der feldfreien Driftstecke entste- erhöht, dass sich die Analytionen aufgrund ihrer höhe-
hen, fliegen mit der Geschwindigkeit des ursprünglichen ren Geschwindigkeit bei den Stößen mit Stickstoffmole-

variable
kleine PSD-Ionen große PSD-Ionen Reflektorspannungen

+
U1 U2
Detektor PS

F+
+ Fn
Pm

Ablenkelektrode Driftstrecke Reflektor


Probenteller

..      Abb.  16.30  Prinzip der PSD-Massenanalyse im zweistufigen potenzials detektiert werden. Mit der Ablenkelektrode ist es mög-
Gitterreflektor. Molekülionen (Pm+), die in der feldfreien Driftstre- lich, nur Molekülionen mit einem bestimmten m/z-Verhältnis aus
cke zerfallen, können durch stufenweises Absenken des Reflektor- einem Gemisch zu untersuchen
394 H.E. Meyer et al.

külen zu stark „aufheizen“ und infolgedessen zerfallen. zeitnah zu induzieren. Der Absorptionsquerschnitt und
Liegen schwache elektrische Felder an, beispielsweise diese Zahl verhalten sich in ihrer Wirkung also gegen-
10  V, bewegen sich die Ionen vergleichsweise langsam, läufig.
und bei den resultierenden Stößen wird Energie von den Die IRMPD ist eine besonders „sanfte“ und gut
Ionen auf die Gasmoleküle übertragen. Bewegen sich kontrollierbare Fragmentierungstechnik, weil die zur
die Ionen hingegen schnell, wird bei den Stößen kineti- Dissoziation nötige Energie in vielen kleinen, definierten
sche Energie umgewandelt, und die interne Energie der Schritten zugeführt wird. Die Aufnahmerate lässt sich
Ionen nimmt zu. Zeitlich ausgedrückt, bestimmt die in- durch Variation der Laserbestrahlungsstärke gut kont-
terne Energie die mittlere Lebenszeit der Ionen, sofern rollieren. Bei der Low-Energy-CID werden die Molekü-
diese nicht anderweitig begrenzt ist. Je größer sie ist, lionen in der Regel ebenfalls in mehreren Schritten
desto schneller zerfallen die Ionen. (durch mehrere Stöße) aufgeheizt. Im Unterscheid zur
Im Gegensatz zur MALDI-TOF-MS spielen bei der IRMPD ist dabei aber die in jedem Schritt zugeführte
Kombination von MALDI mit anderen Massenanalysa- Energie nicht gleich, sondern kann, je nach Art des Sto-
toren und der ESI-MS generell PSD-Ionen keine analyti- ßes, erheblich variieren. IRMPD- und CID-Spektren
sche Rolle, weil in diesen Fällen das Zeitfenster zwischen derselben Molekülionen unterscheiden sich daher oft in
Ionenerzeugung und deren Analyse viel größer ist. In die- der Anzahl und Art der detektierten Fragmentionen
sen Fällen ist die Verweildauer der Ionen in der Quelle so und deren Häufigkeit. In MSn-Experimenten werden
lang, dass auch um mehrere Mikrosekunden verzögerte daher IRMPD und CID auch kombiniert, d. h. ausge-
Zerfälle zu ISD-Ionen führen. ISD-Ionen werden mit wählte IRMPD-Ionen werden mittels CID weiter unter-
beiden Ionisationsmethoden genutzt, insbesondere wenn sucht und umgekehrt.
Massenanalysatoren zum Einsatz kommen, die über kei- Weil MALDI ein photoneninduzierter Prozess ist,
ne Tandem-MS-Funktionalität verfügen. In anderen Fäl- liegt es nahe, die dabei ebenfalls entstehenden Fragmen-
len werden ausgewählte ISD-Fragmentionen mittels MS/ tierungsprozesse als photoneninduziert zu bezeichnen.
MS weiter analysiert. Solche Experimente werden häufig Dies ist aber nicht üblich, weil bei der MALDI bewusst
als pseudo-MS/MS/MS oder pseudo-MS3 bezeichnet. nicht die Analytmoleküle, sondern die Matrixmoleküle
das Ziel der eingestrahlten Photonen sind. Vereinzelt
werden anstelle von UV- auch IR-Laser eingesetzt. In
16.4.3 Photoneninduzierte Dissoziation diesen Fällen absorbieren in der Regel auch die Analyt-
(PID, IRMPD) moleküle Photonen und erhöhen damit ihre interne
Energie. Berechnungen zeigen aber, dass die bei der IR-­
Durch die Absorption von Photonen kann die interne MALDI verwendeten Bestrahlungsstärken viel zu ge-
Energie von Molekülionen erhöht und damit deren Dis- ring sind, um die Analytmoleküle mittels PID zu frag-
soziation induziert werden (Photon Induced Dissociati- mentieren. Das heißt, auch in diesen Fällen sind andere
on, PID). In der biologischen Massenspektrometrie wird Prozesse, unter anderem CID, für die Fragmentierung
dieser Ansatz bisher routinemäßig nur bei Verwendung der Ionen verantwortlich.
der magnetischen Ionenfalle umgesetzt. Hierzu werden
16 die im Analysator eingefangenen Ionen durch ein Fens-
16.4.4  rzeugung von Radikalen (ECD,
E
ter mit einem Infrarotlaser bestrahlt. Die Energie der
Photonen ist, verglichen mit den bei der MALDI am HECD, ETD)
häufigsten eingesetzten UV-Lasern, ungefähr eine Grö-
ßenordnung geringer. Dies bedeutet, dass die Molekü- Moleküle mit einem ungepaarten Elektron werden in der
lionen, bevor es zur Dissoziation kommt, viele Photo- Chemie als Radikale bezeichnet und sind oft sehr reak-
nen absorbieren müssen. Ihre interne Energie wird dabei tiv. Diesen Umstand macht man sich in der Massenspek-
in diskreten Schritten erhöht und die Fragmentierungs- trometrie zunutze, beispielsweise indem man mehrfach
technik als Infrared Multi Photon Dissociation (IRMPD) positiv geladene Molekülionen jeweils mit einem freien
bezeichnet. Die Zeitskala, innerhalb derer im Mittel Elektron vereint. Die interne Energie großer Molekülio-
eine bestimmte Anzahl Photonen aufgenommen wird, nen wird hierbei nur minimal verändert, trotzdem frag-
hängt von der Photonendichte, also der Bestrahlungs- mentieren diese in der Regel spontan. Verantwortlich
stärke, und dem Absorptionsquerschnitt der Molekülio- hierfür sind neue, durch das ungepaarte Elektron ermög-
nen ab. Dieser nimmt mit deren Größe zu. Allerdings lichte Fragmentierungsreaktionen. Hierzu werden an
wird bei größeren Molekülionen die mit jedem Photon Bindungen beteiligte Elektronenpaarungen aufgelöst,
aufgenommene zusätzliche Energie über mehr Bindun- um neue, unter den gegebenen Bedingungen günstigere
gen in Form von Schwingungen und Rotationen verteilt. (stabilere) Paarungen zu ermöglichen. Der Einsatz von
Dies bedingt, dass für größere Molekülionen eine größe- ungepaarten Elektronen zur Fragmentierung großer bio-
re Anzahl an Photonen nötig ist, um deren Dissoziation logischer Molekülionen wurde zuerst mit magnetischen
Massenspektrometrie
395 16
Ionenfallen etabliert. Hierzu wurden die eingefangenen kleines organisches Molekül, mithilfe einer Elektronen-
Ionen mithilfe einer Elektronenkanone (electron gun) kanone in Anwesenheit eines inerten Gases zum „Ab-
mit Elektronen beschossen. Diese Fragmentierungstech- bremsen“ der Elektronen ionisiert und dann in der Gas-
nik wird als Electron Capture Dissociation (ECD) be- phase mit den neutralen Analytmolekülen vereint. Bei
zeichnet. Durch die Aufnahme eines Elektrons entsteht Stößen wird durch Elektronen- oder Protonentransfer
aus einem mehrfach positiv geladenen Molekülion ein die Ladung auf die meist größeren Analytmoleküle
Radikalmolekülion mit einer um eins reduzierten La- übertragen und stabilisiert. Solche Reaktionen sind na-
dungszahl: türlich auch mit entgegengesetzt geladenen Molekülio-
nen, anstatt neutralen Teilchen möglich. Diese Reaktio-
[ M + nH ]n + + e− → [ M + nH ]( n −1) +•
nen sind dadurch begünstigt, dass sich die beteiligten
Ionen elektrostatisch anziehen und im Ergebnis jeweils
Ein wichtiger Parameter für die Durchführung von zwei Ladungen neutralisiert werden. Ob ein Proton
ECD-Experimenten ist die kinetische Energie der Elekt- (Proton Transfer Reaction, PTR) oder Elektron (Elec-
ronen. Ist diese sehr gering (<0,2 eV), ist die Einfangs- tron Transfer Reaction, ETR) übertragen wird, ist vor
wahrscheinlichkeit groß genug, um akzeptable Reakti- allem abhängig von der chemischen Struktur des ver-
onsausbeuten zu erzielen. Ist sie etwas größer, reduziert wendeten Anions und dessen Elektronenzahl. Stabile
sich diese Wahrscheinlichkeit deutlich. Beträgt sie z. B. Anionen mit geradzahliger Elektronenzahl sind für
1  eV, ist die Wahrscheinlichkeit zwei bis drei Größen- PTR geeignet, während für ETR stabile Radikalanio-
ordnungen kleiner. Unter diesen Bedingungen ist ECD nen zur Übertragung eines ungepaarten Elektrons be-
nicht mehr effizient und der Elektroneneinfang eine fast nötigt werden. Als besonders gut geeignet erwiesen
schon vernachlässigbare Nebenreaktion. Stattdessen hat sich dafür das organische Molekül Fluoranthen
dominieren unelastische Elektron-Ion-­Stöße, die die in- (. Abb.  16.31). Mittels PTR können Protonen von

terne Energie der Ionen erhöhen, ähnlich wie die Neut- mehrfach positiv geladenen Molekülionen abstrahiert
ralteilchen-Ion-Stöße bei der Low-Energy-CID. werden, um deren Ladungszustand zu verringern.
Systematische Untersuchungen haben später gezeigt,
PTR : [ M + nH ]
n+
dass die Einfangswahrscheinlichkeit der Elektronen in +
Abhängigkeit von deren kinetischer Energie zwei Maxi-
ma besitzt, ein relativ schmales bei 0 eV und ein deutlich
A →  M + ( n − 1) H 
− ( n −1)+
(
+ AH A − Anion )
breiteres bei 10 eV. Dem Einfangen der höher energeti-
schen Elektronen ist dabei eine elektronische Anregung Mittels ETR können einzelne Elektronen effizient auf
vorgeschaltet, d. h. in diesen Fällen wird die interne Ener- große, mehrfach positiv geladene Molekülionen über-
gie der Ionen merklich erhöht. Die Konsequenz ist, dass tragen werden, um deren Dissoziation zu induzieren.
in vielen Fällen der spontanen Fragmentierung mittels Diese Fragmentierungstechnik wird Electron Transfer
ECD eine weitere, sekundäre folgt. Diese umfasst auch Dissociation (ETD) genannt.
solche Bindungsbrüche, wie sie bevorzugt bei Low- und
( n −1)+•
ETD : [ M + nH ] + F−• → [ F1 + nH ]
n+
High-Energy-CID-Experimenten beobachtet werden. +
Diese Variante der ECD wird hot ECD oder auch HECD
genannt. HECD-Spektren von größeren Molekülen sind
( −•
F → Dissoziation F Fluoranthen -Radikalanion )
aus den genannten Gründen meist deutlich komplexer
als die entsprechenden ECD-Spektren, können also de- Ein wichtiger Vorteil von ETD versus ECD ist, dass sich
ren Informationsgehalt erweitern. Ergänzt um ECD und diese Technik leicht in den am Markt verfügbaren elekt-
HECD, ermöglichen moderne, hochauflösende und voll rischen Ionenfallen integrieren lässt. Hierzu wird eine
ausgestattete FT-­ICR-Massenspektrometer sehr detail- zusätzliche Ionenquelle angeschlossen, in der die Radi-
lierte Strukturanalysen auch von relativ großen Mole- kalanionen bei Bedarf gebildet werden. Von dort wer-
külen, insbesondere mittelgroßen Proteinen (<50 kDa),
vorausgesetzt diese liegen rein und in hinreichender
Menge vor (z. B. 1 nmol). In diesen Fällen können in Se-
rien von MSn-Experimenten ISD, CID, IRMPD, ECD
und HECD gezielt kombiniert werden, um verbleibende –
strukturelle Fragen zu beantworten.
Eine zweite Möglichkeit, um einzelne Elektronen
auf positiv geladene Molekülionen zu übertragen, leitet
sich aus der chemischen Ionisation von Molekülen ab.
Hierzu wird ein Ionisationsreagenz, in der Regel ein ..      Abb. 16.31 Fluoranthen-Radikalanion
396 H.E. Meyer et al.

den sie in die Ionenfalle überführt und treffen auf die ungepaarte Elektronen induzierte Fragmentierung, ins-
isolierten Analytionen. Ein besonderer Vorteil von elek- besondere die ETD, ein wichtiges Routinewerkzeug in
trischen Ionenfallen besteht darin, dass sich in diesen der biologischen Massenspektrometrie geworden ist.
Ionen entgegengesetzter Ladung leicht gleichzeitig in
einem kleinen Volumensegment einfangen lassen.
ETD-Reaktionen sind unter diesen Umständen sehr ef- 16.5  Massenbestimmung
fizient und der ECD überlegen, weil der Stoßquerschnitt
der Ladungsüberträgerteilchen im Vergleich zum Elekt- 16.5.1 Berechnung der Masse
ron bei der ETD viel größer ist. Die Integration von
ETD in kommerzielle QTOF-Analysatoren steht unmit-
Die Masse eines Moleküls mit einer gegebenen Elemen-
telbar bevor. Sie erfolgt im zweiten Quadrupol, wozu
tarzusammensetzung wird in drei Varianten berechnet,
dieser apparativ ergänzt und modifiziert wird.
die wie folgt definiert sind:
Die PTR-Technik war schon lange vor der Entde-
55 Durchschnittsmasse, mittlere Masse (in der Literatur
ckung der ETD bekannt und wurde genutzt, um die
oft mit av. indiziert, von engl. average mass): Masse
hohen Ladungszahlen und die damit einhergehende
eines Ions, berechnet aus den durchschnittlichen
große Anzahl unterschiedlicher Ladungszustände von
Atomgewichten der einzelnen Elemente unter Be-
mittels ESI erzeugten Proteinpolykationen in MS/
rücksichtigung aller Isotope (für Angiotensin II mit
MS-Experimenten zu reduzieren und damit die Kom-
der Formel C50 H72 N13 O12: 1047,21 Da)
plexität der aufgenommenen Massenspektren zu redu-
55 Monoisotopische Masse: Masse eines Ions, berech-
zieren. Damit einhergehend sinken die Anforderungen
net aus den exakten Massen des jeweils häufigsten
an das Auflösungsvermögen, und es können auch kos-
Isotops der enthaltenen Elemente (für Angiotensin
tengünstige, elektrische Ionenfallen für diese Experi-
II mit der Formel C50 H72 N13 O12: 1046,54 Da)
mente eingesetzt werden. In diesen Analysatoren nutzt
55 Nominelle Masse: Masse eines Ions, wobei (aus
man PTR in Kombination mit ETD insbesondere für
Gründen der Vereinfachung für kleine Moleküle
die Strukturanalyse von kleinen und mittelgroßen Pro-
<1000 Da) nur die ganzzahligen Massen des jeweils
teinen (<30 kDa).
häufigsten Isotops der enthaltenen Elemente zur Be-
Weil ECD, HECD und ETD mehrfach positiv gela-
rechnung verwendet werden (für Angiotensin II mit
dene Molekülionen voraussetzen, werden sie nahezu
der Formel C50 H72 N13 O12: 1046 Da)
ausschließlich mit ESI kombiniert. Eine wichtige Beob-
achtung war, dass mittels ECD oder ETD andere Frag-
mentionen erzeugt werden als mit CID, PSD oder
IRMPD, und dass diese in ihrem Informationsgehalt oft 16.5.2 Einfluss der Isotopie
sehr wertvoll sind, indem sie Lücken schließen, die mit
den anderen Fragmentierungstechniken verbleiben. Viele in der Natur vorkommende chemische Elemente
Dies gilt insbesondere für Peptide und Proteine und ver- sind Gemische von Isotopen, d. h. ihre Atomkerne ent-
besserte die Möglichkeiten für deren Strukturaufklä- halten gleich viele Protonen (gleiche Ordnungszahl),
rung, bzw. Identifizierung erheblich. aber verschieden viele Neutronen. Die Isotope eines und
16 Eine weitere wichtige Beobachtung war, dass ein Teil desselben Elements haben also verschiedene Massen-
der ECD- oder ETD-Ionen oft, vor allem bei größeren zahlen, verhalten sich aber chemisch weitgehend iden-
Molekülionen, erst detektiert wird, wenn deren interne tisch. Daraus folgt, dass man für fast alle Moleküle auch
Energie, z. B. mittels Stoßaktivierung, etwas erhöht wird Ionensignale mit unterschiedlichen Massen detektiert,
(collisional warming). In diesen Fällen hat die ECD- bzw. welche der natürlichen Isotopenverteilung entsprechen.
ETD-Fragmentierung stattgefunden, ohne dass die Typischerweise erhält man mehrere Signale, die sich in
Fragmente sich voneinander getrennt haben. Generell erster Näherung jeweils um die Masse eines Neutrons
gilt, dass der Informationsgehalt von Low-Energy-CID-­ (näherungsweise 1 Da, s. unten) unterscheiden. Als Ne-
Spektren mit der Größe der Molekülionen abnimmt. So beneffekt können die Abstände dieser Isotopensignale
werden bei mittelgroßen Proteinen oft nur noch wenige dazu genutzt werden, den Ladungszustand eines Mole-
verschiedene Fragmentionen detektiert. Diese Be- küls zu ermitteln: Für z = 1, 2, 3 usw. beträgt der Ab-
schränkung gilt nicht für ECD- bzw. ETD-Spektren. In stand 1; 0,5; 0,33 usw.
diesen Fällen wird ECD oder ETD daher typischerweise . Abb. 16.32A zeigt den Ausschnitt m/z 400–1000 ei-

zuerst eingesetzt und CID in Folgeexperimenten, um nes ESI-Massenspektrums eines tryptischen Verdaus des
ausgewählte Fragmentionen weiter zu fragmentieren. Proteins Myoglobin (isoliert aus Pferdeherzen), aufge-
Die genannten Vorteile haben bewirkt, dass die durch nommen mit einer Orbitalfalle als Massenanalysator und
Massenspektrometrie
397 16
einem voreingestelltem Auflösungsvermögen von 60.000. bare Varianten, d.  h. solche mit exakt gleicher Masse,
. Abb. 16.32B zeigt stark vergrößert im Ausschnitt m/z
  nicht unterschieden. Stellungsisomere der gleichen Iso-
689,5–692,5 die aufgelösten Isotopensignale der Molekü- topenzusammensetzung (Isotopomere) können aller-
lionen des tryptischen Peptids HGTVVLTALGGILK. dings nach Fragmentierung der zugehörigen Molekülio-
Deutlich sichtbar ist die aus der Erhöhung der Gesamt- nen sehr wohl unterscheidbar werden. Ein zweiter
neutronenzahl resultierende Verteilung. Diese Verteilung Grund leitet sich unmittelbar aus der natürlichen Häu-
bestimmt den massenspektrometrischen Nachweis, d. h. figkeit der beteiligten Isotope ab. Diese ist in vielen Fäl-
die ionisierte Substanz wird, abhängig von ihrer Größe, len gering oder sogar verschwindend gering. Bei Deute-
durch ein charakteristisches Muster von Signalen nach- rium beträgt sie z. B. nur 0,0115 % und bei Tritium nur
gewiesen, aus denen dann ihre Masse abgeleitet wird. Im ein Trillionstel Prozent, verglichen mit 99,9885  % für
Beispiel identifiziert ein Signalabstand von m/z 0,5 die den atomaren Wasserstoff. Dies bedeutet, dass natürli-
Ladungszahl z = 2. Das höchste Signal weist mit 689,93 che, tritiumhaltige Moleküle nicht nachgewiesen werden
den geringsten m/z-Wert auf. Diese Molekülionen bein- und dass deuteriumhaltige Varianten erst einen merkli-
halten nur die Isotope 1H, 12C, 14N und 16O, d. h. sie ent- chen Anteil ausmachen, wenn die Moleküle viele Was-
halten kein zusätzliches Neutron. Das gerade noch nach- serstoffatome enthalten (>100). Anders sieht es bei
weisbare Signal bei m/z 692,44 korreliert mit dem Einbau Kohlenstoff aus. Die natürliche Häufigkeit von 12C be-
von fünf zusätzlichen Neutronen. trägt 98,93 %, die von 13C 1,07 % und die des radioakti-
. Tab. 16.2 listet die stabilen Isotope der Elemente
  ven 14C ca. 0,0000000001  %. Dies bedeutet, dass auch
H, C, N, O, P, S, Cl, Se und Br auf und ordnet diesen bei kleinen Molekülen mit nur wenigen Kohlenstoffato-
ihre exakte Masse (relative Atommasse) und natürliche men Varianten, die ein 13C enthalten, leicht nachweisbar
Häufigkeit zu. Außerdem sind für jedes Element die mit sind. 14C-haltige Moleküle werden hingegen nicht nach-
der Erhöhung der Anzahl der Neutronen jeweils einher- gewiesen. Die Elemente N und O nehmen in diesem Zu-
gehenden Massendifferenzen angegeben. Ein Vergleich sammenhang eine Zwischenstellung ein (15N: 0,37  %;
dieser Zahlen mit der Masse des ungebundenen Neut- 18O: 0,2 %).

rons (. Tab. 16.2, letzte Zeile) zeigt, dass bei der Auf-


  Verglichen mit dem Massenzuwachs, der mit dem
nahme zusätzlicher Neutronen offenbar jeweils ein Teil Einbau eines zusätzlichen Neutrons einhergeht, ist der
von deren Masse verlorengeht und dass das Ausmaß des damit verbundene Massendefekt gering (. Tab.  16.2).  

Verlustes davon abhängt, welches Isotop ein weiteres Für die Massenspektrometrie bedeutet dies, dass die
Neutron aufnimmt. So beträgt der scheinbare Massen- Anzahl der nachweisbaren isotopischen Varianten einer
verlust beim Übergang von Wasserstoff zu Deuterium Substanz nicht nur von deren Häufigkeit, sondern auch
0,002388 Da, für 14N/15N hingegen 0,0116 Da. Generell vom Auflösungsvermögen des verwendeten Massenana-
gilt, dass die tatsächliche Masse eines Atoms stets klei- lysators abhängt.
ner ist als die Summe der Massen aller im Atom enthal- Die Isotopenverteilung (Häufigkeit versus Masse)
tenen Protonen, Neutronen und Elektronen. Verant- von Molekülen lässt sich aus den entsprechenden Bino-
wortlich für diese Differenz, die auch als atomarer minalverteilungen berechnen:
Massendefekt bezeichnet wird, sind die beteiligten
Wechselwirkungen, d. h. das Masseäquivalent der Bin- Isotopenverteilung =
dungsenergie (gemäß E = mc2), die beim Zusammenfü-
(I ) ·(I )
nC nH
+ IYC + I ZC +… + I YH + I ZH +… ·
gen der einzelnen Komponenten freigesetzt wird. Eine XC XH

(I +…)
nO
wichtige Konsequenz des atomaren Massendefekts ist, XO + I YO + I ZO
dass es schon von kleinen Molekülen viele verschiedene
isotopische Varianten geben kann und dass deren Zahl (16.15)
bei großen Molekülen, z.  B.  Proteinen, unermesslich H, C, O, … Elemente
groß werden kann. So gibt es unter Berücksichtigung X, Y, Z, … Isotopenmassen
aller drei natürlichen Isotope des Wasserstoffs, Kohlen- I XC , IYC , I ZC , Isotopenhäufigkeit des Elements C
stoffs und Sauerstoffs 18 isotopisch unterschiedliche nC, nH, nO, … Zahl der Atome eines Elementes in ei-
Wassermoleküle, 17.482 verschiedene Ethanolmoleküle, nem Molekül
und für den Blutfarbstoff Häm (C34H32FeN4O4), unter Nach der Berechnung der Verteilungssumme wird
Berücksichtigung der vier natürlichen Isotope des Ei- auf die höchste Intensität normiert.
sens, sind es mehr als 1033. . Abb.  16.32C zeigt zum Vergleich zur gemessenen

Für die Massenspektrometrie ist die Anzahl der rele- (. Abb.  16.32C) die berechnete Isotopenverteilung für

vanten isotopischen Moleküle aber sehr viel kleiner. das Spaltpeptid HGTVVLTALGGILK als Strichspekt-
Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zum einen werden iso- rum. Die Massendefekte bedingen, dass alle Signale, au-
398 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.32 ESI-Massenspek- 100 536,295


629,352

relative Intensität (in %)


trum eines tryptischen Verdaus des 90 424,563
Proteins Myoglobin, isoliert aus 80 460,290
689,930
Pferdeherzen A. Ausschnitt m/z 70
689,5–692,5 mit der Isotopenvertei- 60
50
lung der doppelt protonierten 803,938
40 908,63
Molekülionen des tryptischen 30 751,845
943,23
Peptids HGTVVLTALGGILK B. 20
Berechnete Isotopenverteilung, 10
dargestellt als Strichspektrum für 0
HGTVVLTALGGILK C für dieses A 450 500 550 600 650 700 750 800 850 900 950 m/z
Peptid, wenn die Aminosäure Alanin
689,930
gegen Selenocystein ausgetauscht 100

relative Intensität (in %)


wird D, und E für das humane 90
Protein Komplementfaktor D 80 690,432
70
60
50
40 690,933
30
20
10 691,434
691,936
0
B 689,5 690,0 690,5 691,0 691,5 692,0 m/z

100
relative Intensität (in %)

90 13C2

80
70
60
50 13C15N
40 18O
13C17O
13C2H
15N2
30
20 1379,83 1379,84
10
0
C 1378 1380 1382 1384 1386 m (in Da)
100
relative Intensität (in %)

90
80
70
60
50
40
30
20
10
16 D
0
1452 1455 1458 1461 1464 1467 m (in Da)

23814,60 23814,62
100
relative Intensität (in %)

90
80
70
60 23827,63 23827,65
50
40
30
20
10
0
E 23810 23820 23830 m (in Da)
Massenspektrometrie
399 16

..      Tab. 16.2  Masse und relative Häufigkeit der stabilen Isotope der Elemente H, C, N, O, P, S, Cl, Se und Br. Die letzte Zeile
beinhaltet zum Vergleich die Masse des ungebundenen Neutrons. Die Differenz zwischen diesem Wert und der in der vierten Spalte
für die verschiedenen Elemente angegebenen Massendifferenzen für die Aufnahme eines zusätzlichen Neutrons entspricht dem
Masseäquivalent der Bindungsenergie (aus: Audi et al. 2003, 7 http://www.­oecd-nea.­org/dbdata/data/mass-evals2003/mass.­

mas03round)

Isotop Masse (in Da) Unsicherheit (in Da) Differenz (in Da) Häufigkeit (in %)

1H (H) 1,00782503207 0,00000000010 99,99


2H (D) 2,0141017778 0,0000000004 1,006277 0,01
12C 12,000000000 0,0 98,93
13C 13,0033548378 0,0000000010 1,003355 1,07
14N 14,0030740048 0,0000000006 99,63
15N 15,0001088982 0,0000000007 0,997035 0,37
16O 15,99491461956 0,00000000016 99,76
17O 16,99913170 0,00000012 1,004217 0,04
18O 17,99916100 0,00000070 1,000029 0,20
31P 30,97376163 0,00000020 100
32S 31,97207100 0,00000015 94,93
33S 32,97145876 0,00000015 0,999388 0,76
34S 33,96786690 0,00000012 0,996408 4,29
36S 35,96708076 0,00000020 1,999214 0,02
35Cl 34,96885268 0,00000004 75,78
37Cl 36,96590259 0,00000005 1,997050 24,22
74Se 73,9224764 0,0000018 0,89
76Se 75,9192136 0,0000018 1,996737 9,37
77Se 76,9199140 0,0000018 1,000700 7,63
78Se 77,9173091 0,0000018 0,997395 23,77
80Se 79,9165213 0,0000021 1,999212 49,61
82Se 81,9166994 0,0000022 2,000178 8,73
79Br 78,9183371 0,0000022 50,69
81Br 80,9162906 0,0000021 1,997954 49,31
Neutron 1,0086649157 0,0000000006

ßer dem ersten, eine Feinstruktur aufweisen. Diese ist in ßer dem ersten, die mittlere Masse einer Untergruppe von
der Vergrößerung für die Aufnahme von zwei zusätzli- isotopischen Molekülen. Für deren exakte Berechnung
chen Neutronen gezeigt. Sie resultiert aus den verschiede- muss somit, neben der Summenformel, auch die Häufig-
nen Massendefekten, die sich ergeben, wenn ein H, C, N, keit der beteiligten Isotope berücksichtigt werden. Für
oder O ein zusätzliches Neutron aufnimmt. Um die sicht- das erste Signal hingegen ist die Masse der Moleküle
bare Feinstruktur vollständig aufzulösen, wäre ein Auf- gleich der Summe der Massen aller beteiligten Atome,
lösungsvermögen von mehreren Millionen nötig. Mit ei- weil diese Moleküle kein zusätzliches Neutron enthalten.
ner modernen magnetischen Ionenfalle könnte sie zum . Abb. 16.32E zeigt die berechnete Isotopenvertei-

Teil aufgelöst werden. Bei noch größeren Molekülen, lung für das humane Protein Komplementfaktor D mit
z. B. einem Protein, wäre aber auch dies nicht mehr mög- der Summenformel H1648C1047N309O306S10. In diesem Fall
lich. Für die hoch genaue Massenbestimmung hat dies beträgt die Häufigkeit der Variante, die nur aus 1H, 12C,
wichtige Konsequenzen (s. unten). Wird die Feinstruktur 14N, 16O und 32S aufgebaut ist, lediglich 0,08 %. Das be-

nicht aufgelöst, präsentieren die aufgelösten Signale, au- deutet, dass die entsprechenden Ionen in einem Massen-
400 H.E. Meyer et al.

spektrometer aufgrund ihrer geringen Zahl in der Regel destens eine bekannte Substanz enthält und dass diese
nicht mehr detektiert werden. Stattdessen wird, je nach störungsfrei detektiert wird, das entsprechende Signal
Auflösungsvermögen, eine ca. 20 Da breite Isotopenver- also z.  B. nicht von einem anderen Signal überlagert
teilung aufgelöst oder ein Signal, das diese beinhaltet. In wird. Die interne Kalibrierung kann am Ende der Aus-
jedem Fall wird der verfügbare Ionenstrom auf viele wertung oder zwischendurch, bevor alle anderen Signale
Spezies verteilt und die Nachweisempfindlichkeit damit analysiert werden, erfolgen. Das Resultat ist eine Kor-
reduziert. Dies ist in der Massenspektrometrie ein gene- rektur jedes Spektrums basierend auf Referenzsignalen.
relles Problem bei der Analyse großer Moleküle. Die
beiden Vergrößerungen in . Abb. 16.32E verdeutlichen,

wie die Komplexität der Signalfeinstruktur mit wach- 16.5.4 Bestimmung der Ladungszahl
sender Zahl zusätzlich vorhandener Neutronen zu-
nimmt. Werden Isotopenverteilungen aufgelöst, kann die La-
Die Elemente P und S sind ebenfalls häufige Bestand- dungszahl, wie oben beschrieben, unmittelbar aus dem
teile biologischer Moleküle. Das erste ist für die Massen- Abstand der Signale abgeleitet werden (1; 0,5; 0,33 etc.
spektrometrie großer Moleküle unkritisch, weil 31P das für z  =  1, 2,3 etc.). Bei großen Molekülen wird deren
einzige natürliche Isotop ist. Schwefel nimmt hingegen Isotopenverteilungen oft nicht aufgelöst, und auch die
eine Sonderstellung ein, weil von den vier natürlichen Iso- Breite der Peaks lässt keine eindeutige Aussage über die
topen neben dem ersten, 32S, auch das dritte, 34S, mit einer zugehörigen Ladungszustände zu. In solchen Fällen ist
Häufigkeit von 4,29 % einen relevanten Anteil ausmacht. es aber oft möglich, zusammengehörige, aufeinanderfol-
In der Praxis bedeutet dies, dass Schwefelatome das Iso- gende Ionensignale zu identifizieren (z. B. 5+, 6+, 7+).
topenmuster von biologischen Molekülen charakteris- Gelingt dies, kann die Anzahl der Ladungen n und da-
tisch beeinflussen. Diesbezüglich noch auffälliger sind die mit die mittlere Molekülmasse aus den gemessenen
weniger häufigen Bestandteile Se, Cl und Br. So ist bei m/z-Verhältnissen m zweier beliebig aufeinander folgen-
Brom der natürliche Anteil der beiden Isotope 79Br und der Molekülionen (m2 > m1) wie folgt berechnet werden:
81Br vergleichbar und bei Selen ist das erste Isotop, 74Se,
M +nX M + ( n − 1) X
sogar das am wenigsten häufige (0,89 %) und das fünfte, m1 = (1) und m2 = ( 2) (16.16)
80Se, mit 49,61 % das häufigste. . Abb. 16.32D zeigt, wie
  n ( n − 1)
sich die berechnete Isotopenverteilung für das Spaltpeptid
X ist dabei die Masse des Ladungsträgers. Für positiv
HGTVVLTALGGILK ändert, wenn Alanin durch die
geladene, protonierte Molekülionen [M+nH]n+ ist dies
21. proteinogene Aminosäure Selenocystein ersetzt wird.
die Masse des Protons (1,007 Da). Für negativ geladene,
Anstatt vom Kohlenstoff wird die Isotopenverteilung nun
deprotonierte Molekülionen [M−nH]n− ändert sich le-
vor allem vom Selen geprägt. Dies ist in der MS-basierten
diglich das Vorzeichen.
Proteinforschung insofern ein Problem, als dass die auto-
Aus den Gleichungen (1) und (2) in Gl.  16.16 lässt
matisierte Erkennung von Peptidsignalmustern und die
sich n berechnen:
sich daran anschließende Massenbestimmung oft auf
vom Kohlenstoff geprägten Verteilungsmustern basieren m2 − X
(. Abb. 16.32C). Das in . Abb. 16.32D gezeigte Muster n= (16.17)
16    

könnte dann fälschlicherweise als Überlagerung der Sig-


m2 − m1

nalmuster von drei verschiedenen Peptiden interpretiert und


werden.
M = n ( m1 − X ) (16.18)

16.5.3 Kalibrierung
16.5.5 Signalverarbeitung
Eine wichtige Voraussetzung für die Massenbestim- und -auswertung
mung ist die Kalibrierung (Eichung) des verwendeten
Massenspektrometers. Hierzu werden entsprechende Für die Auswertung der aufgenommen Massenspektren
Eichsubstanzen verwendet, deren exakte Masse bekannt werden spezielle, auf das verwendete Ionisationsverfah-
ist. Abhängig von der Güte des Geräts und dessen Emp- ren (MALDI oder ESI) sowie den eingesetzten Massen-
findlichkeit gegenüber Temperaturschwankungen wird analysator angepasste Programme eingesetzt. Je nach Be-
das Instrument einmal jährlich, wöchentlich, täglich schaffenheit und Qualität der Rohdaten werden diese vor
oder vor und während jeder Messung kalibriert. Die der Massenbestimmung noch vorverarbeitet. Gängige
besten Ergebnisse werden erzielt, wenn zusätzlich jedes Verfahren sind Abzug bzw. Korrektur des Signalhinter-
aufgenommene Massenspektrum für sich intern kalib- grunds (Basislinie) und das Entfernen bzw. Reduzieren
riert wird. Hierzu ist es erforderlich, dass die Probe min- von Signalrauschen, das elektronischer und chemischer
Massenspektrometrie
401 16
Natur sein kann, mithilfe entsprechender Filter. Im stimmtes Signal gehört, d. h. wie viele zusätzliche Neut-
nächsten Schritt werden Signale ausgewählt und diesen ronen vorhanden sind.
ein m/z-Wert zugeordnet. Typische Kriterien sind die For-
derung eines minimalen Signal-zu-Rausch-­Verhältnisses
(z. B. 6 oder 10) und einer maximalen Peakbreite bei einer 16.5.7 Probleme
bestimmten Peakhöhe (z.  B. m/z 0,2 bei halber Höhe).
Für die Bestimmung der m/z-Werte werden verschiedene Eine ganze Reihe von verschiedenen Ursachen kann sys-
Methoden verwendet. Diese nehmen z. B. als Grundlage tematisch falsche Massenbestimmungen hervorrufen.
den höchsten Punkt des jeweiligen Peaks oder, am häu- So können prompte Zerfälle von instabilen Molekülen
figsten, die Zentroide (Schwerpunktmasse) für den ge- in der Ionenquelle Signale verursachen (z. B. von Frag-
samten Peak oder eines definierten oberen Teils (z. B. dermentionen), die als solche nicht erkannt werden und
Schwerpunkt der Fläche des oberen Drittels des Peaks). dann fälschlicherweise mit ausgewertet werden. Eine
Eine solche Einschränkung ist gängige Praxis und be- weitere, bei Peptiden, Proteinen und insbesondere Nuc-
rücksichtigt bekannte Probleme, z. B., dass die Peaks im leinsäuren häufige beobachtete Veränderung der Masse
unteren Teil asymmetrisch verzerrt sind oder andere Ar- der Molekülionen geht auf den Austausch von sauren
tefakte aufweisen. Protonen durch Metallkationen, insbesondere die allge-
Andere, aufwendigere Verfahren berechnen für eine genwärtigen Alkalikationen Na+ und K+, zurück. Dies
bestimmte Substanzklasse (z. B. Peptide oder Oligonuc- betrifft z.  B. die Aminosäuren Aspartat und Glutamat
leotide) und für einen bestimmten m/z-Bereich ein erwar- und bei den Nucleinsäuren deren Phosphodiesterver-
tetes Isotopenmuster und gleichen dies mit dem beobach- knüpfungen. Bei diesen Gruppen liegt dann anstelle der
teten Muster ab. Dieser Abgleich beinhaltet oft, neben sauren Funktion deren Mononatrium- oder -kaliumsalz
der Bestimmung von m/z, auch Akzeptanzkriterien. Zeigt vor. Bei kleinen und mittelgroßen Molekülen verursacht
eine Signalserie z. B. ein für ein Peptid atypisches Muster,
dieser Austausch, sofern er nicht quantitativ ist, charak-
können diese Peaks von der Massenbestimmung ausge- teristische Satellitensignale (H/Na: +22  Da, H/K:
schlossen oder entsprechend bewertet werden. +38  Da). Gelingt es nicht, den Austausch des Protons
gegen ein Metallkation zu erkennen, wird ein protonier-
tes Molekülion angenommen und damit eine zu hohe
16.5.6 Ableitung der Masse Masse bestimmt.
Sind die Moleküle so groß, dass ihre Isotopenvertei-
Im letzten Schritt werden aus den bestimmten m/z-­ lung nicht mehr aufgelöst wird, ist das Signal oft so breit,
Werten Molekülmassen abgeleitet. Für einfach positiv dass die genannten Satellitensignale ebenfalls nicht auf-
geladene Molekülionen, wie sie bevorzugt durch MAL- gelöst werden. Je nach Verhältnis und Auflösung resul-
DI gebildet werden, muss hierzu lediglich von den tiert eine Peakverlagerung, Peakverbreiterung oder Aus-
m/z-Werten die Masse des Ladungsträgers, z. B. des Pro- bildung einer Schulter. Solche Effekte können auch auf
tons, subtrahiert werden. Für negativ geladene Molekü- andere Ursachen, z. B. die Anlagerung von Probenpuffer-
lionen wird dieser Betrag entsprechend addiert. Für bestandteilen oder Matrixmoleküle (MALDI), zurückge-
mehrfach geladene Molekülionen werden die m/z-Werte hen (Adduktbildung). Mögliche Abspaltungsreaktionen,
mit der jeweiligen Anzahl an Ladungen multipliziert insbesondere der Verlust von einem Wasser- oder Ammo-
und anschließend die Masse der Ladungsträger (z.  B. niakmolekül, wirken in ihrer Richtung gegenläufig.
zwei oder drei Protonen) subtrahiert bzw. addiert. Weitere Ursachen für Signalverlust, Satellitensignale
Für Moleküle mit einem Molekulargewicht bis oder Signalverformungen sind unerwünschte Derivati-
5  kDa ist es mit modernen Geräten kein Problem, die sierungsreaktionen während der Probenvorbereitung.
Isotopenverteilung bis zur Basislinie aufzulösen. In die- Ein Beispiel hierfür ist die schon durch Spuren von
sen Fällen wird routinemäßig die monoisotopische Mas- Ozon vermittelte Oxidation der Aminosäuren Methio-
se bestimmt. Wird die Isotopenverteilung hingegen nicht nin (+O: +16 Da) und Tryptophan (+O2: +32 Da), die
aufgelöst, wird die Durchschnittsmasse bestimmt. Diese besonders an sonnenreichen Tagen, wenn die Ozonbe-
ist in der Regel ungenauer als die monoisotopische Mas- lastungen ansteigen, massenspektrometrische Untersu-
se. Wird die Isotopenverteilung auch von Molekülen chungen, auch wenn diese im Keller des Gebäudes
>5 kDa gut aufgelöst, ist eine genauere Massenbestim- durchgeführt werden, über das Belüftungssystem stark
mung prinzipiell möglich, aber komplizierter, weil aus negativ beeinflussen kann. Dies betrifft insbesondere die
den schon genannten Gründen das monoisotopische Analyse von verdünnten Peptidlösungen mit MALDI-­
Signal nicht mehr detektiert wird. Unter den verbleiben- MS. Andere Beispiele betreffen unerwünschte Nebenre-
den Signalen verbirgt sich eine komplexe Feinstruktur aktionen mit den Bestandteilen von Pufferlösungen
und nicht eine einzelne Ionenspezies. Weiterhin ist nicht oder Trennmedien (. Abb. 16.33). Typisch sind Addi-

unmittelbar ersichtlich, zu welcher Signalgruppe ein be- tionsreaktionen der Sulfhydrylgruppe von Cystein-­
402 H.E. Meyer et al.

O
CH2 CH C NH CH CO O
NH2
CH2 S CH2 CH2 C
Elektrophorese
NH CH CO NH2
Cys-Acrylamid-Addukt (+ 71 Da)
CH2 SH
Cystein NH CH CO
HS CH2 CH2 OH
CH2 S S CH2 CH2 OH
Reduktion
Cys-Mercaptoethanol-Addukt (+ 76 Da)

O
CH2 CH C
O
NH2
CHR NH CH2 CH2 C
Elektrophorese
O R NH CH CO NH2

C CH NH2 oder (CH2)4 O N-Terminus-oder Lys-Acrylamid-Addukt (+ 71 Da)

NH2 H C
O
OH
N-Terminus Lysin CHR NH C
BrCN-Spaltung
H
(+ 26 Da)

O3 (Ozon)
NH CH CO NH CH CO
Oxidation
CH2 CH2 S CH3 CH2 CH2 S CH3
O
Methioninsulf oxid (+ 16 Da)

..      Abb. 16.33  Beispiele für Modifikationen von Proteinen durch Pufferlösungen oder Trennmedien

Seitenketten mit dem Reduktionsmittel Mercaptoetha- klärung kann man zuletzt auch für bislang unbekannte
nol oder mit nicht polymerisiertem, monomerem Moleküle der Frage „Was für ein Molekül ist das?“ nä-
Acrylamid während der Gelelektrophorese. Auch die herkommen. Im Folgenden werden die wichtigsten
freien Aminogruppen des N-Terminus und von Ly- Techniken und Methoden vorgestellt, mit denen biologi-
16 sin-Seitenketten sind reaktiv und können beispielsweise sche Moleküle massenspektrometrisch identifiziert oder
während einer BrCN-Spaltung durch Ameisensäure besonders effizient nachgewiesen werden können. Im
zum Formylderivat modifiziert werden. dritten Teil wird dann beschrieben, wie mithilfe der
Massenspektrometrie unbekannte Strukturen aufge-
klärt werden können.
16.6  Identifizierung, Nachweis
und Strukturaufklärung
16.6.1 Identifizierung
In der Praxis werden unterschiedliche Fragestellungen
an die Massenspektrometrie herangetragen. Diese las- Die Masse von Molekülen ist durch die Summenformel
sen sich im Wesentlichen unter den Begriffen Identifizie- der enthaltenen Elemente festgelegt. In einigen Fällen
rung, Nachweis und Strukturaufklärung zusammenfas- kann daher eine Bestimmung der intakten Massen für
sen. Dabei versteht man unter einer Identifizierung die die Identifizierung schon ausreichend sein. Haben ver-
Beantwortung der Frage: „Welches Molekül (aus einer schiedene Strukturen allerdings die gleiche Summenfor-
Reihe bekannter Moleküle) ist in dieser Probe?“. Ein mel (isobare Moleküle), ist eine Unterscheidung auf-
Nachweis dagegen wäre die Antwort auf die Frage: „Ist grund ihrer Masse alleine nicht möglich. In diesen Fällen
Molekül X in dieser Probe vorhanden (die evtl. auch vie- werden für die Zuordnung zusätzliche Informationen
le andere Moleküle enthält)?“. Mittels der Strukturauf- benötigt. Diese können mithilfe von MS/MS-Experi-
Massenspektrometrie
403 16
menten gewonnen werden. Bei großen biologischen Mo- und Sensitivität, d.  h. die erzeugten Daten sollen mit
lekülen gibt es noch ganz andere Gründe, warum diese möglichst hoher Wahrscheinlichkeit nur die richtige
nicht durch eine exakte Bestimmung ihrer Molekülmas- Struktur identifizieren und die dafür benötigte Subs-
sen identifiziert werden können. Ein gutes Beispiel hier- tanzmenge soll möglichst gering sein. Die Spezifität mas-
für sind Proteine, weil deren Molekülmasse oft, bedingt senspektrometrischer Verfahren ist in der Regel sehr
durch eine Vielzahl möglicher posttranslationaler Modi- hoch, insbesondere wenn MS- und MS/MS-Analysen
fikationen, Polymorphismen oder chemischer Modifika- kombiniert werden. Generell nimmt sie mit der Genau-
tionen, deutlich von der aus der bekannten Aminosäu- igkeit, mit der die Massen bestimmt werden, zu. Je klei-
resequenz berechneten Masse abweicht. Wird das ner die Fehlertoleranzen, desto geringer die Zahl der
Protein auf anderem Wege identifiziert, ist umgekehrt möglichen Strukturen. Kommen MS/MS-Analysen zum
die Nichtübereinstimmung der gemessenen Masse ein Einsatz, so beeinflussen die Effizienz der Fragmentie-
klares Indiz dafür, dass dessen Primärstruktur eine oder rungstechnik sowie deren Selektivität ebenfalls die Spe-
mehrere Veränderungen aufweist. zifität der Methode.
Um Substanzen massenspektrometrisch zu identifi- Die Sensitivität massenspektrometrischer Verfahren
zieren, gibt es mehrere bewährte Verfahren. Das gän- variiert erheblich, abhängig von der Substanzklasse so-
gigste benutzt die bestimmte Masse als Filter, um die wie der Reinheit und Komplexität der zu untersuchen-
Anzahl der möglichen Kandidaten zu reduzieren, und den Probe. Für Peptide und Protein ist sie, verglichen zu
vergleicht dann die Massen der in einer MS/MS-­Analyse anderen Alternativen wie Edman-Sequenzierung, au-
detektierten Fragmentionen mit den für die verbliebe- ßerordentlich hoch. So genügen oft schon wenige Fem-
nen Kandidaten anhand ihrer Struktur berechneten tomol, um ein Peptid oder Protein zu identifizieren, und
möglichen Werten. Der Abgleich der Daten erfolgt in mit tausend humanen Zellen als Ausgangsmaterial ist es
der Regel vollautomatisch mithilfe von dafür optimier- möglich, mehr als tausend verschiedene, darin enthalte-
ten Algorithmen und einer Datenbank, in der alle oder ne Proteine zu identifizieren. Bei DNA- und RNA-­
eine große Auswahl der bekannten Strukturen hinterlegt Proben verhält es sich genau umgekehrt. Hier genügen
sind. Alternativ kann auch eine Spektrenbibliothek zum anderen Verfahren oft schon wenige Attomol, wohinge-
Einsatz kommen, d. h. anstelle von potenziell möglichen gen für den massenspektrometrischen Nachweis ein Pi-
(„vorhergesagten“) Fragmentionen werden zuvor nach- komol verfügbar sein sollte. Obwohl sich diese Vorgaben
gewiesene für die Identifizierung herangezogen. Dieser mithilfe der PCR in manchen Fällen erfüllen lassen, ist
Ansatz ist bei kleinen Molekülen, z.  B.  Metaboliten, der hohe Probenbedarf einer der Hauptgründe, warum
weit verbreitet, bei Peptiden und Proteinen hingegen sich die Massenspektrometrie nicht, wie bei den Protei-
werden fast ausschließlich Sequenzdatenbanken ver- nen, als Methode der Wahl für die Identifizierung von
wendet. Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung des DNA- und RNA-Molekülen hat etablieren können.
Ergebnisses einer Identifizierung ist dessen Zuverlässig- Gute Beispiele hierfür sind die kleinen Vertreter der im-
keit bzw. Glaubwürdigkeit. Hierzu werden mit statisti- mer noch wachsenden Familie der RNA-Moleküle, z. B.
schen Methoden Wahrscheinlichkeiten und daraus ab- siRNA und shRNA. Diese könnten massenspektromet-
geleitete Bewertungsparameter berechnet. risch relativ leicht identifiziert werden, wenn nur der
Bei sehr großen Molekülen ist die oben skizzierte Probenbedarf fünf Größenordnungen (Faktor 100.000!)
Methode oft nicht zielführend, weil die Anzahl der mög- geringer wäre. In der biologischen Massenspektrometrie
lichen Fragmentionen zu groß, deren Spezifität zu gering ist die Identifizierung von Proteinen eine der häufigsten
oder, was oft der Fall ist, deren Fragmentierungseffizi- Anwendungen.
enz zu schlecht ist. In diesen Fällen wird häufig die Frag-
mentierung im Massenspektrometer ersetzt oder ergänzt
durch spezifische chemische oder enzymatisch kataly- 16.6.2 Nachweis
sierte Reaktionen. Diese spalten selektiv bestimmte, we-
nig häufige Bindungen und bewirken, dass das Molekül Im Gegensatz zur Identifizierung ist beim Nachweis die
in eine überschaubare Zahl an kleineren Molekülen zer- Summenformel und Struktur der infrage stehenden
legt wird. Substanzen in der Regel bekannt. Hieraus lassen sich
Deren Massen werden dann bestimmt und verglichen die für die massenspektrometrische Analyse benötigte
mit berechneten Massen möglicher Kandidaten. Alter- exakte Molekülmasse und mögliche, bzw. zu erwartende
nativ oder ergänzend können alle oder eine Auswahl der Fragmentionen ableiten. Liegt die Substanz vor, können
analysierten kleineren Moleküle noch im Massenspekt- Art und relative Häufigkeit der Fragmentionen für das
rometer fragmentiert und auf diese Weise unabhängig zum Nachweis verwendete Massenspektrometer experi-
einzeln identifiziert werden. Die Leistungsstärke einer mentell bestimmt werden.
Methode, mit der bestimmte Substanzen identifiziert Beim Nachweis werden diese Informationen oder ein
werden können, zeichnet sich aus durch ihre Spezifität Teil davon gezielt gesucht oder als Filter verwendet. Die
404 H.E. Meyer et al.

oben beschriebenen Strategien für die Identifizierung Aminosäurereste davon betroffen sind, lässt sich aus
von Substanzen können auch für deren Nachweis ange- DNA- oder Proteinsequenzen sicher ableiten. Die De-no-
wandt werden, mit der Vereinfachung, dass keine Da- vo-Sequenzierung von Proteinen mithilfe der Massen-
tenbank oder Spektrenbibliothek benötigt wird. Die spektrometrie ist vor allem dann gefragt, wenn das
höchste Sensitivität für den Nachweis einer oder mehre- Genom des entsprechenden Organismus noch nicht se-
rer Substanzen in einer Probe wird mit Triple-Quadru- quenziert wurde. Peptide und Proteine sind, bis auf we-
polmassenspektrometern mithilfe von SRM bzw. MRM nige Ausnahmen (z. B. zirkuläre Peptide), lineare Mole-
erreicht (7 Abschn.  16.2.6). In diesen Fällen passieren
  küle. Dieser Aufbau ist für die Massenspektrometrie in
nur Ionen mit bestimmten m/z-Werten Q1, werden in Q2 zweifacher Hinsicht vorteilhaft. Zum einen genügen ein-
fragmentiert, und in Q3 werden ebenfalls nur Ionen mit zelne Bindungsbrüche, um strukturspezifische Frag-
bestimmten m/z-Werten, in diesem Fall Fragmentionen, mentionen zu erzeugen. Zum anderen erleichtert der re-
zum Detektor durchgelassen. Der Nachweis mittels guläre Aufbau die Dateninterpretation.
Molekülmasse und einem Satz von Fragmentionen er- Wird ein Peptidion mit Low-Energy-CID, ECD oder
folgt quasi schon auf der Hardwareebene, und der Io- ETD fragmentiert, so wird bevorzugt eine Peptidbin-
nenstrom wird hierzu optimal genutzt. dung dissoziiert, wobei es mehr oder weniger zufällig ist,
Manchmal sollen auch bei bekannten, in der Probe welche der verschiedenen Peptidbindungen es ist. Wer-
vorhandenen Substanzen bestimmte chemische Modifi- den viele Ionen des gleichen Peptids fragmentiert, be-
kationen, z.  B.  Methylierungen, Acetylierungen oder obachtet man daher in den Spektren mehr oder weniger
Phosphorylierungen, nachgewiesen werden. Dies ge- vollständige Fragmentionenserien. Zwei aufeinander-
lingt durch den Nachweis von für die Modifikation spe- folgende Fragmentionen einer Serie unterscheiden sich
zifischen Fragmentionen oder Neutralteilchenverluste. dabei um einen Aminosäurerest (. Abb. 16.34A). Die-

Auch hierfür sind Triple-Quadrupole die Analysatoren ser wird anhand der Massendifferenz identifiziert (Mas-
der Wahl. Mit Vorläuferionenanalysen können die ent- se der freien Aminosäure minus eines Wassermoleküls).
sprechenden Fragmentionen und mit Neutralverlust- Bei Peptiden gibt es prinzipiell sechs mögliche Serien,
analysen bekannte Abspaltungen (z.  B. −H3PO4: die aus Einfachdissoziationen hervorgehen, die N-­
−98 Da) sehr effizient nachgewiesen werden. terminalen a-, b- und c-Ionen sowie die C-terminalen x-,
y,- und z-Ionen (. Abb.  16.34B). Hiervon werden mit

ECD und ETD bevorzugt c- und z-Ionen gebildet, mit


16.6.3 Strukturaufklärung Low-Energy-CID b- und y-Ionen und mit PSD und
High-Energy-CID Vertreter aller Serien, wobei a-, b-,
Ist eine Substanz nicht bekannt, kann mithilfe der Mas- und y-Ionen häufiger gebildet werden als die anderen Se-
senspektrometrie ihre chemische Struktur aufgeklärt rien. a-Ionen können durch Abspaltung von Kohlenmo-
werden. Proteine und Nucleinsäuren gelten als bekannt, noxid (CO: −28  Da) aus b-Ionen hervorgehen, was er-
wenn ihre Sequenz vorliegt. Für die Aufklärung höher klärt, warum a-Ionen häufig als Begleiter der b-Ionen,
geordneter räumlicher Strukturen werden teilweise auch die entsprechenden x-Ionen aber nicht detektiert werden.
massenspektrometrische Methoden verwendet. Deren Mit PSD und High-Energy-CID werden zudem noch
Beschreibung würde aber den Rahmen dieses Kapitels Fragmentionen erzeugt, die auf Mehrfachdissoziationen
16 sprengen. Die folgenden Ausführungen widmen sich da- zurückgehen. Das sind interne Fragmentionen, die aus
her der Aufklärung von Primärstrukturen und deren der Spaltung von zwei Peptidbindungen hervorgehen,
Modifikationen. oder Fragmentionen, die auf die Spaltung einer Peptid-
Die Struktur vieler kleiner biologischer Moleküle, bindung und der Fragmentierung von einer oder mehre-
wie Aminosäuren, Nucleotide, Metaboliten usw., wurde ren Aminosäureseitenketten zurückgehen. Die Heraus-
mit Massenspektrometrie aufgeklärt. Für Peptide, Pro- forderung besteht insbesondere in diesen Fällen darin,
teine und insbesondere genomische DNA sowie die Welt die detektierten Fragmentionen richtig zuzuordnen.
der RNA-Moleküle trifft das, bis auf wenige Ausnah- Einschränkungen ergeben sich aus der Tatsache,
men, nicht zu. Für die Nucleinsäuren gibt es sehr leis- dass Leucin und Isoleucin isobare Aminosäuren sind
tungsfähige Sequenzierverfahren, und die mit Abstand und dass die Molekülmassen der Aminosäuren Lysin
meisten bekannten Proteinsequenzen wurden aus DNA-­ und Glutamin sich nur um 0,0434  Da unterscheiden.
Sequenzen abgeleitet. Die Massenspektrometrie ist für Um diesen Unterschied für die Massendifferenz von ei-
die Aufklärung der Primärstruktur von Peptiden und nem 20 und einem 21 Aminosäuren langen Fragment
Proteinen trotzdem eine sehr wichtige Technologie, weil sicher zu erkennen, sollte die relative Genauigkeit der
diese bei vielen biologisch aktiven Peptiden, insbesonde- beiden Massenbestimmungen 10 ppm nicht überschrei-
re toxischen, und der Mehrheit der Proteine nach der ten. Dies ist mit hochauflösenden Analysatoren in dem
Translation noch umfangreich modifiziert wird. Weder m/z-Bereich kein Problem, aber beispielsweise nicht zu
die chemische Struktur der Veränderung noch, welche bewerkstelligen mit den derzeit verfügbaren elektrischen
Massenspektrometrie
405 16
..      Abb. 16.34  A Prinzip der A y2 Peptid A–C–D–E–F
massenspektrometrischen
Sequenzierung von Peptiden:
Zwei aufeinanderfolgende b3
Fragmentionen einer Serie
y4
unterscheiden sich jeweils um F b4
einen Aminosäurerest. Dieser

relative Intensität
y1 y3
wird anhand der Massendiffe-
renz identifiziert. B Nomenkla-
„b5“ = „y5“
tur der Fragmentionen von b2
Peptiden und Proteinen. A [M+H]+
Fragmentionen, die den b1 E D C A
ursprünglichen N-Terminus
beinhalten, werden als a-, b- und C D E F
c-Ionen bezeichnet, C-terminale
Fragmentionen entsprechend als
x-, y-, und z-Ionen. Ein
zusätzlicher Index gibt die Zahl
der in dem Fragmention
enthaltenen Aminosäurereste an. m/z
Das y1-Fragmention resultiert
dabei aus der Spaltung der ersten B x2 y2 z2 x1 y1 z1
Peptidbindung auf der C-termi-
nalen Seite. Entsprechend ist das R1 R2 R3
b1-Fragmention das Spaltpro- H2 d2 H2
dukt der ersten Peptidbindung
auf der N-terminalen Seite. Der w2
Index für die a-, b- und c-Serie H H
CH2 CH2 CH2
läuft daher in umgekehrter v2
Reihenfolge wie für die x-, y-
und z-Serie. Chemisch handelt es H
sich bei der Fragmentierung um
Eliminierungs- und Umlage- H2N CH CO NH CH CO NH CH COOH
rungsreaktionen. Die dabei
übertragenen Wasserstoffatome H2 H2
sind eingezeichnet
a1 b1 c1 a2 b2 c2

R2 R3
CH2 CH2
a1: H2N CH CH2R1 O C NH CH CO NH CH COOH x2

R1 R2 R3
CH2 CH2 CH2
b1: H2N CH C O H3N CH CO NH CH COOH y2

R1 R2 R3
CH2 O CH2 O CH2

c1: H2N CH C NH3 CH C NH CH COOH z2

R1 R2 R3
CH2 O CH2 CH2
a 2: H2N CH C N CH O C NH CH COOH x1
H

b2: ect. ect. y1


406 H.E. Meyer et al.

Ionenfallen. Moderne Q-TOF- und Flugzeitanalysato- vorzugte Aufenthaltsorte für das ladungsgebende Pro-
ren nähern sich hier ihren Grenzen und versagen, wenn ton und beeinflussen durch ihre Position, welche Ionen-
die Fragmente deutlich größer sind. In beiden Fällen serien bevorzugt gebildet werden. Hierbei gilt es jedoch
(Leu/Ile und Lys/Gln) besteht aber auch die Möglich- zu beachten, dass man generell von einem mobilen Pro-
keit, die Identität der Aminosäure über den Nachweis ton (mobiler Ladung) ausgeht, das seinen Aufenthalts-
von weiteren Fragmentionen, die aus einem zusätzlichen ort häufig verändert und an der Fragmentierungsreak-
Bindungsbruch in der Seitenkette hervorgehen, zu be- tion aktiv beteiligt sein kann. Für die Bildung von b- und
stimmen. y-Ionen wird dies angenommen.
. Abb.  16.35 zeigt als Beispiel ein MALDI-PSD-­

Spektrum einfach protonierter Molekülionen des Pep-


Die Interpretation von Fragmentionenspektren von tids Angiotensinogen. Dessen Interpretation ist an-
Peptiden und Proteinen basiert auf der richtigen Zu- schließend tabellarisch aufgeführt. Durch die bevorzugte
ordnung der Fragmentionen zu den entsprechenden a-, Lokalisierung des Protons an der basischen Aminosäure
b-, c- oder x-, y-, z-Serien. Einige empirische Regeln Arginin in Position 2 dominieren bei diesem Peptid
können diese Zuordnung erleichtern. So ist für Frag- Fragmentionen der N-terminalen a- und b-Serie. Der
mentionen der a- und b-Serie eine Massendifferenz von charakteristische Verlust von NH3 ist auf eine zusätzli-
jeweils 28  Da charakteristisch. Andere Massendiffe- che Fragmentierung der Seitenkette von Arginin zu-
renzen weisen auf spezifische Aminosäuren hin, z.  B. rückzuführen. Neben den a- und b-Ionen werden mit
18 Da auf die Abspaltung von Wasser bei Serin, Thre- geringerer Häufigkeit auch zahlreiche C-terminale Frag-
onin, Aspartat und Glutamat und 17 Da auf die Ab- mentionen detektiert (. Abb. 16.35B).

spaltung von Ammoniak bei Glutamin, Asparagin und Fragmentionenspektren von mehrfach und einfach
Arginin. Spaltungen der C-terminalen Peptidbindung geladenen Peptidionen unterscheiden sich deutlich. Ein
von Prolin bleiben oft aus. Die Spaltung der N-termi- auffälliger Unterschied ist, dass die Fragmentionen von
nalen Peptidbindung ist im Gegensatz hierzu stark be- mehrfach geladenen Molekülionen höhere m/z-Werte
günstigt, wenn Aspartat der Bindungspartner ist. Ne- haben können als diese, d. h. auf der m/z-Skala werden
ben den Ionenserien treten in MS/MS-Spektren im Fragmentionen oberhalb und unterhalb der Mutterio-
niedrigen m/z-Bereich noch sog. Immoniumionen auf, nen detektiert. Zudem können die gleichen Fragmente
die für die Spektreninterpretation hilfreich sein kön- unterschiedliche Ladungszahlen tragen, z.  B. einfach
nen. Hierbei handelt es sich um interne Fragmentio- und zweifach geladene b- und y-Ionen, d. h. es entstehen
nen, die nur einen Aminosäurerest beinhalten und mehr Fragmentionen als bei einfach geladenen Molekü-
C-terminal einem a-Ion und N-terminal einem y-Ion lionen. Diese werden aber meist vollautomatisch und
entsprechen (RCHNH2+, R = Seitenkette). sicher anhand der Signalabstände der jeweiligen Isoto-
penverteilung erkannt und zugeordnet (. Abb. 16.36).

Weitere Unterschiede resultieren aus der elektrostati-


MALDI- und ESI-MS-Spektren von Peptiden un- schen Abstoßung der Ladungen in mehrfach geladenen
terscheiden sich in der Regel deutlich voneinander. Mit Molekülionen. Eine Konsequenz ist, dass bei der Spal-
MALDI werden von 10–25 Aminosäuren langen Pepti- tung von Peptidbindungen bevorzugt zwei Fragmentio-
16 den fast ausschließlich einfach geladene Molekülionen nen und weniger häufig ein Fragmention und ein Neut-
gebildet. Mit ESI werden hingegen jeweils Mischungen ralteilchen gebildet werden. Dies bedeutet, dass anstelle
von einfach, zweifach, dreifach und auch vierfach gela- von N- oder C-terminalen Fragmentionen oft beide
denen Molekülionen detektiert. Je nach Größe und Se- Fragmentionen detektiert werden und bei der Auswer-
quenz des Peptids ist dabei das zweifach oder das drei- tung gegenseitig als Kontrollen herangezogen werden
fach geladene Molekülion das häufigste. Entsprechend können. Eine zweite Konsequenz ist, dass mehrfach ge-
werden mit MALDI bevorzugt einfach geladene und ladene Molekülionen instabiler sind als ihre einfach ge-
mit ESI doppelt und dreifach geladene Molekülionen ladenen Verwandten, d.  h. es ist weniger Anregungs-
fragmentiert. energie notwendig, um sie zu fragmentieren. Damit
Bei einfach geladenen Peptidionen, egal ob mit einhergehend reduziert sich auch die Häufigkeit von in-
MALDI oder ESI erzeugt, führt jede Spaltung einer ternen Fragmentionen und solchen, die aus der zusätz-
Peptidbindung zu einem Fragmention und einem Neut- lichen Fragmentierung einer Seitenkette hervorgehen,
ralteilchen. Es ist somit möglich und nicht ungewöhn- mit der Konsequenz, dass die Spektren weniger komplex
lich, dass in MS/MS-Spektren bevorzugt C- oder N-ter- und damit leichter zu interpretieren sind. Hierbei gilt es
minale Fragmentionen beobachtet werden. In jedoch zu beachten, dass mit dem Ausbleiben von Mehr-
protonierten Peptidionen sind basische Gruppen, also fachdissoziationen wertvolle Informationen verloren ge-
die N-terminale Aminogruppe sowie die Seitenketten hen, die z. B. benötigt werden, um die isobaren Amino-
der Aminosäuren Lysin und insbesondere Arginin, be- säuren Leu und Ile zu unterscheiden.
Massenspektrometrie
407 16
A

..      Abb. 16.35  A PSD-Spektrum von Angiotensinogen mit der Se- (b-NH3-Serie) ist auf eine zusätzliche Fragmentierung der Seiten-
quenz DRVYIHPFHLLVYS und der Masse MH+ = 1758,9 Da. De- kette von Arginin zurückzuführen. Die Interpretation der Daten ist
tektiert werden fast ausschließlich Fragmentionen der N-terminalen tabellarisch zusammengefasst B (Mit freundlicher Genehmigung
Serien, da nach dem Zerfall der Molekülionen die Ladung bevorzugt von B.  Spengler und R.  Kaufmann, Düsseldorf; Fortsetzung der
am Arginin verbleibt. Der charakteristische Verlust von NH3 . Abb. 16.35 auf der nächsten Seite.)

408 H.E. Meyer et al.

..      Abb. 16.36 MSn-Spektren eines A 1370,6


Peptids aufgenommen mit ESI
gekoppelt mit einer elektrischen [M+2H]2+
Ionenfalle. A Massenspektrum des 2000
Peptids. Für die Sequenzierung wurden
2739,6
die doppelt geladenen Molekülionen
(m/z = 1370) isoliert und fragmentiert.
1500 [M+H]+

relative Intensität
B MS/MS-­Spektrum von m/z 1370
(gezeigt ist nur der obere m/z-Bereich).
Ist die Zuordnung der Signale zu den 914,1
verschiedenen Fragmentionenserien
nicht eindeutig oder verbleiben Lücken 1000 [M+3H]3+
in der Sequenz aufgrund fehlender
Fragmentionen, können MS3-Analysen
wertvolle zusätzliche Informationen
liefern. C MS3-Spektrum der b11-­Ionen 500
(m/z = 1208). Weil aus der Fragmentie-
rung von b-Ionen keine y-Ionen
hervorgehen können und umgekehrt,
ergibt sich für die neu entstandenen 0
Fragmentionen die Zuordnung b5–b10 1000 1250 1500 1750 2000 2250 2500 m /z
und damit die interne Teilsequenz
B 2+
LKKVAK. (Mit freundlicher Genehmi- b25 1352,4
gung von Arnd Ingendoh, Bruker 1,0
2+
Daltonik GmbH, Bremen) b*25

0,8
relative Intensität

0,6
y“12
2+ b14 1348 1352 1356
b*25
2+
0,4 b24

2+
b23 b13
0,2 b*13 b18
y“
B12 y“ 14
13 y“ y“ y“ b17
15 16 b16 17
0
1300 1400 1500 1600 1700 1850 m /z

16 b10
C 1079,8
3000

2500

b9
2000
relative Intensität

1008,8

1500
A

1000 b8
b6 b7
909,8
653,5 781,5
b5 V
500 540,2 K
K K
L

0
500 600 700 800 900 1000 1100 1200 m /z
Massenspektrometrie
409 16
Generell gilt, dass die Lokalisation der Ladung und Dissoziationsstufen (MSn) kombiniert werden, Sequenz-
die bevorzugten Fragmentierungsstellen von Peptiden lücken verbleiben und Leu und Ile oft nicht eindeutig zu-
von deren Aminosäuresequenz abhängen. Deshalb beob- geordnet werden können.
achtet man in ihren MS/MS-Spektren häufig unvollstän- Eine alternative Methode zur Aufklärung der Struk-
dige Ionenserien und stark variierende Signalintensitäten, tur von Proteinen nutzt, wie schon beschrieben, spezifi-
mit der Konsequenz, dass nur ein mehr oder weniger gro- sche chemische oder enzymatisch katalysierte Reaktio-
ßer Teil der Aminosäuresequenz sicher abgeleitet wer- nen um diese in Peptide zu zerlegen.
den kann. Um die verbleibenden Lücken zu schließen, Am häufigsten wird hierfür die Endoprotease Trypsin
gibt es mehrere Möglichkeiten. Hierzu können Low- und verwendet. Sie katalysiert die spezifische C-terminale
High-Energy-CID-Spektren kombiniert werden. Eine Spaltung bei den basischen Aminosäuren Lysin und Ar-
zweite Möglichkeit besteht darin, CID-Daten mit ECD- ginin, sofern Prolin nicht die folgende Aminosäure ist.
oder ETD-Spektren zu ergänzen. Elektrische und magne- Für die Massenspektrometrie ist diese Spezifität beson-
tische Ionenfallen verfügen mit MSn-Analysen über eine ders vorteilhaft, weil die freigesetzten Peptide neben der
dritte Möglichkeit, um Sequenzlücken zu schließen bzw. N-terminalen Aminogruppe immer auch eine zweite ba-
die Zuordnung von Signalen abzusichern. Hierfür werden sische Gruppe am C-Terminus aufweisen und bei voll-
Fragmentionen, die die betreffenden Regionen enthalten, ständiger Spaltung sonst keine weitere basische Gruppe
isoliert und weiter dissoziiert. . Abb. 16.36 zeigt hierfür
  enthalten, abgesehen von Histidinresten, die aber deut-
ein Beispiel. Von einem Peptid wurde mit einer elektri- lich weniger basisch sind. Dies sind optimale Vorausset-
schen Ionenfalle ein ESI-MS-Spektrum aufgenommen zungen, um in CID-Spektren von zweifach geladenen
(. Abb.  16.36A). Der gezeigte Ausschnitt umfasst die
  Peptidionen möglichst lange Serien von b- und y-Ionen
Signale der einfach, doppelt und dreifach geladenen Mo- zu detektieren und damit deren Sequenz vollständig zu
lekülionen. Die zweifach geladenen wurden isoliert, mit- bestimmen. Dies wird anschließend für alle Spaltpeptide
tels Low-Energy-­CID fragmentiert und die resultierenden versucht, gelingt aber in der Regel nicht in allen Fällen.
Fragmentionen analysiert (. Abb.  16.36B). Deren La-
  Im Protein benachbarte Peptidsequenzen lassen sich oft
dungszahlen wurden jeweils aus der gemessenen Isoto- daran erkennen, dass sie bei einer unvollständigen Re-
penverteilung bestimmt (Ausschnitt in . Abb.  16.36B).
  aktionsführung (Spaltung) gemeinsam in Form eines
Mithilfe des MS/MS-Spektrums konnten 20 von 25 Ami- größeren Peptids detektiert werden [Masse (Peptid 1) +
nosäuren bestimmt werden. Um eine Sequenzlücke zu Masse (Peptid 2) – Masse (H2O)]. Um die verbliebenen
schließen, wurden in einem MS3-Experiment b11-Ionen Sequenzlücken zu schließen und alle Teilsequenzen rich-
isoliert, weiter fragmentiert und die Produkte hiervon tig anzuordnen, wird das Protein alternativ noch mithilfe
analysiert (. Abb.  16.36C). Weil aus der Dissoziation
  von mindestens einer zweiten spezifischen Endoprotease,
von N-­ terminalen Fragmentionen keine C-terminalen meistens einer, die an sauren Aminosäuren spaltet, in
Fragmentionen hervorgehen können und umgekehrt, er- Peptide zerlegt. Diese werden dann ebenfalls, wie be-
leichtern MS3-Spektren die Interpretation von MS/ schrieben, analysiert. Anstelle des Proteins werden also
MS-Spektren. In diesem Fall wurden b5–b10 zugeordnet, viele verschiedene, überlappende Peptide sequenziert,
daraus die interne Teilsequenz LKKVAK abgeleitet und und aus diesen Informationen wird die Gesamtsequenz
hiermit eine Sequenzlücke geschlossen und ein Teil der rekonstruiert. Am effizientesten sind Kombinationen von
schon bestimmten Sequenz bestätigt. beiden Ansätzen, d.  h. sowohl das intakte Protein als
Im Vergleich zu Peptiden ist die vollständige Struk- auch spezifische Spaltprodukte von diesem werden mas-
turaufklärung von Proteinen nur mit massenspektromet- senspektrometrisch auf ihre Struktur hin analysiert und
rischen Methoden eine ungleich anspruchsvollere Aufga- die dabei gewonnene Information zusammengeführt.
be. Für kleinere Proteine gibt es hierfür in der Literatur Neben der Entschlüsselung der Sequenz von Protei-
zahlreiche Beispiele, für mittelgroße (<50 kDa) nur weni- nen ist die Aufklärung von chemischen Modifikationen,
ge und für große (> 50kDa) praktisch keine. In den meis- d.  h. von deren jeweiliger Struktur und Position in der
ten Fällen wurde auch nicht die Struktur eines vollkom- Sequenz, ein wichtiger Bestandteil der MS-­basierten Pro-
men unbekannten Proteins aufgeklärt, sondern eine teinanalytik. Hierzu werden ebenfalls die beiden be-
Sequenzvorlage verifiziert oder eine homologe Sequenz schriebenen Ansätze kombiniert. Ein MS-­Spektrum des
adaptiert. Ein Grund hierfür ist, dass mit zunehmender zu untersuchenden Proteins liefert oft wertvolle Hinweise
Länge der Aminosäuresequenz mit allen Fragmentie- bezüglich Art und Umfang der vorhandenen Modifika-
rungstechniken der Anteil davon, der sicher entschlüsselt tionen. Dies betrifft die gemessene Abweichung der Mo-
werden kann, immer kleiner wird. Die Anforderungen an lekülmasse von der für das unmodifizierte Protein be-
das Auflösungsvermögen und die Massengenauigkeit rechneten Masse sowie mögliche Satellitensignale, die
wachsen enorm, ebenso wie die Anzahl möglicher Frag- auf unvollständige (nicht quantitative) Modifikationen
mentionen und Ladungszustände. Dies bedingt, dass, zurückgehen. Liegen mehrere Modifikationen in quanti-
auch wenn verschiedene Fragmentierungstechniken und tativer Form vor, so werden diese durch die Spaltung des
410 H.E. Meyer et al.

Proteins in der Regel auf verschiedene Peptide verteilt. Viele ESI-Massenspektrometer werden ausschließlich
Eine MS-Analyse dieser Produkte mit nachfolgendem in Kombination mit einer RP-HPLC, insbesondere Na-
Abgleich der gemessenen und berechneten Massen er- no-RP-HPLC, eingesetzt, d.  h. Aufreinigung, Trennung
laubt dann, die Position der Modifikationen einzugren- und Konzentration sind fester Bestandteil des analyti-
zen und die damit einhergehenden Massenveränderun- schen Instrumentariums. Ein entscheidender Grund hier-
gen exakt zu bestimmen. Diese Werte sind ein hilfreicher für ist, dass die in einem noch gut handhabbaren Volumen
Filter für die Auswahl möglicher Kandidaten. So vergrö- von beispielsweise 10 μl enthaltenen Probenmoleküle mit
ßert beispielsweise jede Phosphorylierung die nominelle Nano-RP-LC mehr als tausendfach aufkonzentriert wer-
Molekülmasse um 80  Da (+HPO3), jede Methylierung den können, d. h. sie werden in weniger als 10 nl eluiert
um 14  Da (+CH2) und jede Acetylierung um 42  Da und online mit ESI-MS analysiert. Die Nachweisemp-
(+CH2CO). Ziel der folgenden MS/MS- und, optional, findlichkeit kann so im Idealfall (d. h. die Probenverluste
MSn-Analysen ist dann die Bestimmung der exakten während der RP-LC sind vernachlässigbar) um drei Grö-
Position (welche Aminosäure) und die Bestätigung der ßenordnungen gesteigert werden. Für die Proteinanalytik
vermuteten Modifikation anhand von charakteristi- ist darüber hinaus die hohe Trennleistung der Nano-RP-
schen Fragmentionen. Ist die Struktur unbekannt, sind LC für die Analyse von proteolytischen Peptiden ein
MSn-Experimente insofern besonders hilfreich, als dass auschlaggebender Grund dafür, dass diese ein fester Be-
sie es erlauben, gezielt solche Fragmentionen weiter zu standteil der ESI-­ MS-­
Ausstattung ist. Die Integration
dissoziieren, welche die Modifikation enthalten. geht dabei so weit, dass in den meisten Fällen die Flüssig-
keitschromatographie ebenfalls von der Software des
Massenspektrometers gesteuert wird und in einigen Fäl-
16.7  LC-MS und LC-MS/MS len sogar zentrale Elemente der Flüssigkeitschromatogra-
phie (Trennsäule, Vorsäule, Schaltventil) und der ESI
16.7.1 LC-MS (ausgezogene Kapillare, elektrische Anschlüsse) in einem
Bauelement (Chip) integriert sind (LC/ESI-Chip).
Der Vorteil der Kopplung von Flüssigkeitschromatogra- Im Gegensatz zu LC-ESI werden LC-MALDI-Kop-
phie (LC) und Massenspektrometrie besteht in der sehr plungen nur in wenigen Laboren routinemäßig eingesetzt.
effizienten Trennung und Aufkonzentrierung der einzel- Ein entscheidender Grund hierfür ist die Offline-Kopp-
nen Substanzen sowie der Abtrennung störender Kom- lung. Moderne LC-ESI-MS-Anlagen laufen vollständig
ponenten wie Salze, Harnstoff, Reduktionsmitteln und automatisch und sind hoch effizient, d. h. sie können kon-
Puffersubstanzen. Reine Proben in einem möglichst ge- tinuierlich, abgesehen von nötigen Wartungs- und Pflege-
ringen Volumen sind die Voraussetzung für eine hohe intervallen, 24  h pro Tag, 7 Tage die Woche eingesetzt
Nachweisempfindlichkeit. Dies ermöglicht die Nano-­ werden. Diese Effizienz bietet zurzeit keine der am
HPLC. Hierbei werden Flussraten kleiner als 1 μl min−1 Markt verfügbaren LC-MALDI-­Kopplungen. Ein weite-
(z. B. 200 nl min−1) verwendet, und die Trennsäule wird rer wichtiger Vorteil von ESI ist die deutlich bessere Re-
online mit ESI oder offline mit MALDI gekoppelt. Off- produzierbarkeit der Ionenerzeugung und die damit mög-
line bedeutet, dass das Eluat während des LC-Laufs auf lichen quantitativen Anwendungen von LC-MS ohne
einem MALDI-Probenträger fraktioniert und präpa- Einsatz von stabilen Isotopen.
16 riert wird, d. h. das Eluat wird fortwährend jeweils für Besondere Vorteile von LC-MALDI-MS ergeben sich
eine bestimmte Zeit (z. B. 20 s) auf eine Serie von Dünn- aus der Tatsache, dass in der Regel nur ein vernachlässig-
schichtpräparationen der Matrix übertragen oder beim bar kleiner Teil der präparierten Fraktionen bei deren
Austritt aus der Kapillare mit Matrixlösung vermischt Messung verbraucht wird, d. h. die präparierten Fraktio-
und dieser Fluss wird in definierten Fraktionen (z.  B. nen können nach Auswertung der Daten nochmals ge-
100  nl) auf den Träger abgesetzt. Aus den genannten messen, gelagert und bei Bedarf individuell auch zurück-
Gründen sind, je nach Substanzklasse, Normalphasen- gewonnen werden. Zwischen Flüssigkeitschromatographie
(hydrophile stationäre Phase) oder RP-LC (hydrophobe und Massenspektrometrie können noch eine Vielzahl zu-
stationäre Phase) gut geeignet für die Kopplung mit sätzlicher Messtechniken integriert werden, um zusätzli-
Massenspektrometrie. Für Proteine, Peptide und Oligo- che Informationen zu bekommen (z. B. Lichtabsorption,
nucleotide wird bevorzugt letztere eingesetzt. Kationen- Leitfähigkeit, Fluoreszenz). Am häufigsten sind UV-De-
und Anionenaustausch-LC sind dagegen für die direkte tektoren, um die Elution der Analytmoleküle zu quanti-
Kopplung mit Massenspektrometrie nicht geeignet, weil fizieren. . Abb. 16.37 zeigt exemplarisch das UV-Chro-

die Probenmoleküle mit hohen Salzkonzentrationen matogramm und den ­ nachfolgend am Detektor des
eluiert werden und diese die Massenspektrometrie emp- ESI-MS gemessenen Gesamtionenstrom (Total Ion Cur-
findlich stören. rent, TIC) eines proteolytischen Verdaus eines Proteins.
Massenspektrometrie
411 16
A 16
0,05
UV
11

0,05 5
15 17
1

8
9 14
Absorption

3
0,05 2
13
6 10
4 7

12
0,05

0,05

105
B 5 17
TIC 15

9 11
6 7

8
78
10

16
relative Intensität (in %)

3
52

13 14
4
2
26 1
12

0
400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800 2000
22,6 33,8 45,1 56,3 67,6 78,9 90,1 101,4 112,7
Scan/Zeit (in min)

..      Abb.  16.37  Analyse eines proteolytischen Verdaus eines Proteins quenziell aufgenommenen Massenspektren (in dem gezeigten Beispiel
mit RP-LC-ESI-MS. Während der Flüssigkeitschromatographie werden 2200). Jedes Massenspektrum kann durch Addition aller Ionensignale
zyklisch Massenspektren aufgenommen. Die Aufnahmezeit pro Spekt- auf einen Wert, den Totalionenstrom (TIC), reduziert werden. Die zeit-
rum (Scangeschwindigkeit) wird auf die Elutionszeiten der Chromato- liche Darstellung dieser TIC ergibt das Totalionen-Chromatogramm.
graphiefraktionen abgestimmt (in dem gezeigten Beispiel 3,4 Sekunden Somit entsprechen die einzelnen Peaks der UV-Absorption A den Peaks
pro Massenspektrum). Das Ergebnis der Massenanalyse besteht aus se- aus dem TIC B. (Nach Eckerskorn et al. 1997)
412 H.E. Meyer et al.

16.7.2 LC-MS/MS führen. Vorteilhaft gegenüber elektrischen Ionenfallen ist


das größere Auflösungsvermögen dieser Analysatoren
Durch die Kopplung von Nano-HPLC mit hochauflö- und die Möglichkeit, die m/z-Werte sowohl aller Molekü-
senden ESI-MS/MS-Geräten ist es möglich, mehr als lionen als auch aller Fragmentionen auf wenige ppm ge-
tausend Proteine in einer Probe in 2 h zu identifizieren. nau zu bestimmen. Mit zunehmender Komplexität der
Dazu werden diese zusammen proteolytisch gespalten Peptidmischung stößt die Methode aber an ihre Grenzen,
und die freigesetzten Peptide mittels Reversed-Phase-­ weil die richtige Zuordnung von vielen Peptidionen zu
Chromatographie (RP-LC) aufgetrennt und online mit noch mehr Fragmentionen basierend auf deren chromato-
ESI ionisiert. Dabei wird zunächst ein Übersichts-MS-­ graphischen Elutionsprofilen nicht immer möglich ist.
Spektrum aufgezeichnet. Dann werden mittels Software Bei sehr komplexen Peptidgemischen werden aus diesem
in Echtzeit die intensivsten Peptidsignale bestimmt (ty- Grunde nicht die Ionen des gesamten Massenbereichs ge-
pischerweise 3–50 für jedes MS-Spektrum) und nachein- meinsam fragmentiert, sondern in alternierenden Zyklen,
ander isoliert und fragmentiert. Der Wechsel zwischen sequenziell kleinere m/z-Bereiche (Massenfenster meist
MS-Scan und MS/MS-Scans geschieht kontinuierlich zwischen 10  Da und 25  Da) nacheinander fragmentiert
während des gesamten LC-Laufs. Dabei sind die Scan- (. Abb. 16.38), was die Komplexität der erhaltenen Spek-

geschwindigkeiten so groß, dass während eines chroma- tren deutlich erniedrigt. Zusätzlich werden solche Daten
tographischen Elutionspeaks mehrere Zyklen durchlau- häufig mithilfe von Spektrendatenbanken, in denen expe-
fen werden können. Aus den Massen der Peptide und rimentell ermittelte MS/MS Spektren von Peptiden und
den dazu aufgezeichneten MS/MS-Spektren können deren chromatographischen Retentionszeiten gespeichert
dann, wie beschrieben, die Peptide und darauf aufbau- sind, ausgewertet. Dieses Verfahren wird in der Fachlitera-
end die zugehörigen Proteine identifiziert werden. tur häufig als SWATH-­MS- (Sequential Windowed Acqui-
Auch bei LC-MS/MS wird hauptsächlich ESI für die sition of All Theoretical Fragment Ion Mass Spectra) oder
Erzeugung der Ionen eingesetzt. Zu den schon genannten DIA- (Data-Independent Acquisition) Analyse bezeichnet.
Gründen gesellen sich bei den MS/MS-Analysen noch
ECD, HECD und ETD als zusätzliche Fragmentierungs-
techniken hinzu, die mit MALDI in der Regel nicht ge- 16.7.3 Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS)
koppelt werden können, weil dafür mindestens zweifach
geladene Molekülionen erforderlich sind. Die Kopplung Eine Methode, die in Kombination mit LC-MS bzw. LC-
mit MALDI bietet aber auch besondere Vorteile, die sich MS/MS eingesetzt werden kann, ist die Ionenmobilitäts-
aus der Entkopplung von LC, MS und MS/MS ergeben. spektrometrie (Ion Mobility Spectrometry, IMS).
Es ist damit möglich, nach dem LC-Lauf zuerst von allen Hier werden Ionen mithilfe eines elektrischen Feldes
Fraktionen ein MS-Spektrum aufzunehmen und auszu- durch einen ihrer Bewegungsrichtung entgegengesetzten
werten. Basierend auf diesen Informationen wird dann Gasstrom geleitet. Anhand ihrer Driftzeit durch das
entschieden, welche Probenmoleküle in welcher Fraktion Flugrohr kann die Mobilität der Ionen ermittelt werden.
einer MS/MS-Analyse unterzogen werden. Hierbei gibt Diese hängt dabei nicht nur von ihrer Masse und La-
es, im Gegensatz zur Online-­Kopplung mit ESI, keine dung, sondern auch von ihrer Form und Größe ab. IMS
16 zeitlichen Beschränkungen, und Konflikte, z. B. aufgrund alleine
le, wie
wird schon lange
z. B. Sprengstoff
für die Analyse kleiner Molekü-
oder Drogen, eingesetzt.
überlappender Elutionszeiten von Substanzen mit sehr
geringen Massenunterschieden, können gezielt vermie- In Kombination mit der Massenspektrometrie er-
den werden. möglicht IMS eine Trennung von isobaren Molekülen
Ein neuer Ansatz für LC-ESI-MS/MS-Analysen ist die aufgrund ihrer Form. Das können beispielsweise Pepti-
sog. Multiplex-Analyse oder datenunabhängige Analyse. de sein, die die gleichen Aminosäuren in unterschiedli-
Hier wird ebenfalls zwischen Übersichtsspektren und cher Reihenfolge enthalten. Aber auch eine Analyse von
Fragmentspektren gewechselt. Allerdings werden nicht Proteinen oder sogar Proteinkomplexen ist möglich.
einzelne Analytionen zur Fragmentierung ausgewählt, IMS kann direkt mit der Massenspektrometrie ge-
sondern alle ankommenden Ionen werden gemeinsam mit koppelt werden und hat bereits in kommerziellen Mas-
CID fragmentiert und analysiert. Um die entstandenen senspektrometern Anwendung gefunden. Hier erfolgt
Fragmente dem richtigen Vorläuferion zuordnen zu kön- die IMS zwischen der chromatografischen Trennung
nen, werden die chromatographischen Elutionspeaks aller und der MS-Analyse. Anwendungen sind zum einen die
Fragmente und Vorläuferionen verglichen und die Frag- bessere Zuordnung von Fragmenten zu Vorläuferionen
mente darauf basierend softwaregestützt zugeordnet. Die in einer Multiplex-Analyse (7 Abschn. 16.7.2), zum an-

simultane Fragmentierung aller Molekülionen im laufen- deren die Untersuchung von Proteinstrukturen und
den Wechsel lässt sich einfach und effizient mit Quadru- Proteinkomplexen, da sich hier Aussagen über Struktur
pol-TOF und Quadrupol-­Orbitrap-­Analysatoren durch- bzw. Strukturänderungen machen lassen.
Massenspektrometrie
413 16
A

Zeit während der Chromatographie


Übersichtsspektrum

MS/MS-Spektren
Zyklus 1
Spektrum 1
Spektrum 2 Spektrum 3 Spektrum 4 Spektrum 5 Spektrum 6

Übersichtsspektrum

MS/MS-Spektren
Zyklus 2
Spektrum 1
Spektrum 2 Spektrum 3 Spektrum 4 Spektrum 5 Spektrum 6

B
300 m/z 325 m/z 350 m/z 375 m/z 400 m/z 425 m/z 450 m/z

m/z-Bereich 1 m/z-Bereich 2 m/z-Bereich 3 m/z-Bereich 4 m/z-Bereich 5 m/z-Bereich 6

Analysator 1 Kollisionszelle Analysator 2


ca. 25 Da

Intensität
m/z

m /z-Scanning Fragmentierung m /z-Scanning Massenspektrum

..      Abb. 16.38  Prinzip der datenunabhängigen Akquisition: A Wäh- men. B Hierbei werden alle Vorläuferionen aus einem gegebenen
rend der Flüssigchromatographie werden zyklisch ein Übersicht- m/z-­Bereich parallel fragmentiert. Dieser m/z-Bereich wird sukzes-
spektrum und eine Reihe vom MS/MS Spektren aufgenom- sive verschoben und der gesamte Bereich des Gerätes abgedeckt.

16.8  Quantifizierung Moleküls in zwei von ihrer Zusammensetzung her sehr


ähnlichen Proben oder der Vergleich chemisch quasi
Massenspektrometrie ist generell keine quantitative Me- identischer Moleküle in einer einzigen Probe (s. unten).
thode. Die Effizienz der Ionisation der Analytmoleküle Ein weiterer Grund für verfälschte Ergebnisse ist die
hängt von deren spezifischen physikochemischen Eigen- Instabilität der erzeugten Molekülionen und damit ver-
schaften und der jeweiligen Probenzusammensetzung bundene Verluste aufgrund von Zerfällen auf dem Weg
ab. Der Vergleich der gemessenen relativen Häufigkeiten von der Quelle durch den Analysator hin zum Detektor
(Signalintensitäten) verschiedener Molekülionen lässt (Transmission). Der Ionendetektor spielt insofern auch
daher keine Aussage über ihre jeweilige Konzentration eine Rolle, als dass Ionen mit großem m/z-Verhältnis in
in der Probe zu. Ebenso ist ein Vergleich desselben Mo- der Regel weniger effizient nachgewiesen werden als sol-
lekülions in zwei sehr unterschiedlichen Proben nicht che mit kleinerem m/z. Bei der Quantifizierung wird unter-
zulässig, da es zu einer Suppression des Signals durch schieden zwischen absoluten Mengen oder Konzentratio-
die anderen in der Probe vorhandenen Moleküle kom- nen (absolute Quantifizierung) und relativen Unterschieden
men kann. Zulässig sind der Vergleich eines identischen bzw. Veränderungen in Prozent (relative Quantifizierung).
414 H.E. Meyer et al.

Absolute Quantifizierungen mittels Massenspektrometrie reinen, isotopenmarkierten Referenzsubstanzen. Inzwi-


sind möglich, wenn bekannte Mengen der zu bestimmen- schen ist dieses Problem aber weitestgehend gelöst, und
den Verbindung zur Probe zugegeben werden. Relative es steht ein ganzes Arsenal an Methoden zur Verfügung,
Bestimmungen der gleichen Substanzen in verschiede- um bei diesen Molekülen gezielt stabile Isotope einzu-
nen Proben können hierauf verzichten, erfordern aber führen. Prinzipiell lassen sich diese unterscheiden in che-
sehr gut reproduzierbare Probenvorbereitungen und mische, enzymatische und biologische Verfahren.
MS-Analysen. Bei den chemischen Verfahren gibt es „leichte“ und
Mittels der Technik der Isotopenverdünnung, die für „schwere“ Formen eines Reagenz, mit dem biologische
die Quantifizierung von kleinen Molekülen schon lange Moleküle gezielt modifiziert werden können. Ein Bei-
eingesetzt wird, sind absolute und relative Quantifizie- spiel für ein enzymatisches Verfahren ist die alternative
rungen möglich, mit einem relativen Fehler von nur we- Proteolyse von Proteinen in H218O oder H216O. In die-
nigen Prozent. Die Technik basiert auf der Erkenntnis, sem Fall beinhaltet die C-terminale Carboxygruppe der
dass stabile isotopische Moleküle chemisch in der Regel resultierenden Peptide ein „schweres“ oder „leichtes“
nicht unterscheidbar sind, das bedeutet, sie werden bei Sauerstoffatom. Wird hierfür Trypsin verwendet, wird
der Probenvorbereitung nicht unterschieden und gleich im Anschluss an die Spaltung auch der Austausch des
gut ionisiert und detektiert. Eine Ausnahme ist der Aus- zweiten Carboxysauerstoffatoms katalysiert, sodass die
tausch von Deuterium gegen Wasserstoff, der zu leicht nominale Massendifferenz 4  Da beträgt. Bei biologi-
verändertem Laufverhalten der Moleküle bei einer RP-­ schen Verfahren werden die gewünschten Isotope wäh-
LC-­Trennung führen kann. Trotzdem wird auch 2H häu- rend der natürlichen Synthese der Moleküle eingebaut.
fig als schweres Isotop für die Quantifizierung verwen- Hierzu werden Bestandteile des Medium, z. B. Amino-
det. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Massen können säuren in Hefezellkulturen oder Ammoniumsalze als
isotopische Moleküle aber im Massenanalysator ge- Stickstoffquelle in Bakterienkulturen, gezielt ausge-
trennt werden. Dies macht man sich zunutze, indem tauscht gegen entsprechende „schwere“ Varianten.
man in dem zu bestimmenden Molekül gezielt beispiels-
weise einige 12C-, 14N- oder 16O-Atome gegen 13C, 15N
oder 18O austauscht. Entscheidend ist, dass der daraus Literatur und Weiterführende Literatur
resultierende Massenzuwachs so groß ist, dass die Iso-
topenverteilungen der beiden Moleküle (die unmarkier- Aebersold R, Mann M (2016) Mass-spectrometric exploration of
te, „leichte“ Form und die isotopenmarkierte, „schwere“ proteome structure and function. Nature 537:347–355
Audi G, Wapstra AH, Thibault C (2003) The Ame2003 atomic
Form) nur geringfügig überlappen, d. h. ihr Mengenver- mass evaluation: (II). Tables, graphs and references. Nucl
hältnis kann durch Vergleich von Signalhöhen oder Pe- Phys A729:337–676. http://www.­oecd-nea.­org/dbdata/data/mass-
akflächen bestimmt werden. Für proteolytische Peptide evals2003/mass.­mas03round. Zugegriffen im 2003.
sollte der Massenunterschied mindestens 4 Da betragen. Eckerskorn et  al (1997) High-sensitivity peptide mapping by mic-
Absolute Quantifizierungen sind durch den Einsatz ro-LC with on-line membrane blotting and subsequent detection
by scanning-IR-MALDI mass spectrometry. J Protein Chem
schwerer Isotope einfacher und genauer, weil die Refe- 16:349–362
renz mit bekannter Konzentration und die zu bestim- Fenn et al (1993) Ion formation from charged droplets: roles of geo-
mende Substanz in derselben Messung bestimmt werden
16 können, sofern die Mengen der Probe und der Referenz-
metry, energy, and time. J Am Soc Mass Spectrom 4:524–535
Lössl P, van de Waterbeemd M, Heck AJ (2016) The diverse and ex-
substanz sich nicht zu stark unterscheiden. panding role of mass spectrometry in structural and molecular
biology. EMBO J 35(24):2634–2657
Obwohl die Technik der Isotopenverdünnung viel äl- Steen H, Mann M (2004) The ABC’s (and XYZ’s) of peptide sequen-
ter ist als MALDI und ESI, hat es nach deren Einfüh- cing. Nat Rev Mol Cell Biol 5:699–711
rung noch gut zehn Jahre gedauert, bevor sie auch für die Watson JT, Sparkman OD (2007) Introduction to mass spectrome-
Quantifizierung von größeren biologischen Molekülen, try, 4. Aufl. Wiley, Hoboken, New Jersey, Vereinigte Staaten
insbesondere Proteinen, zum Einsatz kam. Ein Grund Zhang Y, Fonslow BR, Shan B, Baek MC, Yates JR 3rd (2013) Pro-
tein analysis by shotgun/bottom-up proteomics. Chem Rev
hierfür war die mangelnde Verfügbarkeit von geeigneten 113(4):2343–2394
415 17

Massenspektrometriebasierte
Immunassays
Oliver Pötz, Thomas O. Joos, Dieter Stoll und Markus F. Templin

Inhaltsverzeichnis

17.1  ängermoleküle für massenspektrometriebasierte


F
Immunassays – 416

17.2  uswahl der Peptide für massenspektrometriebasierte


A
Immunassays – 418

17.3  ezielter Nachweis von Proteinen über


G
massenspektrometriebasierte Immunassays – 419

17.4  nwendung in der Forschung und Klinik –


A
Proteinbiomarker – 420

17.5  roteomweite Immunaffinitäts-MS-basierte Ansätze mit


P
gruppenspezifischen Antikörpern – 421

17.6 Ausblick – 422

Literatur und Weiterführende Literatur – 422

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_17
416 O. Pötz et al.

55 Massenspektrometriebasierte Immunassays kombinie- Proteotypische Peptide


ren die Anreicherungsmethode Immunpräzipitation Peptide, die durch Probenvorbereitung oder natürli-
von Proteinen oder Peptiden mit der Nachweismetho- che Prozessierung nur aus einem einzigen Protein ent-
de der Massenspektrometrie. stehen können und deshalb für dieses Protein spezi-
55 Mithilfe moderner Massenspektrometer können die- fisch sind und nach derselben Probenvorbereitung in
se Assays Plasmaproteinbiomarker im unteren Na- einem (Tandem-)Massenspektrometer immer detek-
nogramm-pro-Milliliter- bis oberen Pikogramm- tiert werden.
pro-Milliliter-­Konzentrationsbereich nachweisen.
55 Membrangebundene Proteine wie Rezeptoren oder
Transporter können direkt ohne weitere Zellfraktionie-
Ein großer Vorteil von MSIAs liegt in der hohen Qualität
rungsmethoden analysiert werden.
der Ergebnisse. Der massenspektrometrische Nachweis er-
laubt es, die Identität der Proteine bzw. Peptide eindeutig
Massenspektrometriebasierte Immunassays (MSIA)
zu bestimmen. Mittels Tandem-­ Massenspektrometrie
kombinieren die schnelle Anreicherung von Proteinen
kann ein Peptid über weitere Fragmentierung im Massen-
oder Peptiden durch Antikörper mit der Spezifität der
spektrometer in Sekundärfragmente gespalten und da-
Massenspektrometrie und erlauben so den spezifischen
durch sequenziert werden. Für die Quantifizierung wird
und sensitiven Nachweis und die absolute Quantifizierung
üblicherweise nur ein spezifischer, mit maximaler Intensi-
von Proteinen in Blut, Urin und Geweben. Die hochspezi-
tät detektierbarer Massenübergang gewählt. Abhängig
fische Detektion von Proteinen und Peptiden mit moder-
von der Art des Massendetektors  – Triple-Quadrupol-
nen Massenspektrometern macht aufgrund der sehr ho-
oder Quadrupol-Orbitrap-­ Detektor  – nennt man diese
hen Massengenauigkeit und der Möglichkeit, spezifische
Methode Multiple Reaction Monitoring (MRM) oder Par-
Fragmentmassen für die Quantifizierung zu nutzen,
allel Reaction Monitoring (PRM; (7 Kap. 16 und 42)).
falsch-positive Ergebnisse äußerst unwahrscheinlich.

Die Detektion der angereicherten proteotypischen Pep-


Durch die Verwendung von Antikörpern oder anderen
tide mittels Massenspektrometrie ermöglicht es, mit ande-
Fängermolekülen in affinitätsbasierten chromatographi-
ren Methoden analytisch schwierig nachweisbare Proteine,
schen Systemen werden auch in sehr geringer Konzentra-
wie z. B. schlecht lösliche membranständige Proteine, Iso-
tion vorliegende Proteine oder Peptide aufkonzentriert,
formen oder posttranslationale Modifikationen, gezielt zu
während hochabundante Matrixproteine oder Peptide ab-
quantifizieren. Mit modernen Massenspektrometern kön-
gereichert werden. Dadurch können Analysenzeiten ver-
nen mit diesen Methoden Plasmaproteine im unteren Na-
kürzt, der Probendurchsatz gesteigert und Nachweisgren-
nogramm-pro-Milliliter- bis oberen Pikogramm-pro-Milli-
zen für die nachzuweisenden Proteine verbessert werden.
liter-Konzentrationsbereich nachgewiesen werden. Im
Die Kombination von Immunaffinitätsanreicherung
Vergleich zu gebräuchlichen MRM bzw. PRM-LC-­MSMS-
mit einem massenspektrometrischen Nachweis von Pro-
Analysenverfahren wird durch die Immunaffinitätsanrei-
teinen kann auf zwei Arten erfolgen:
cherung eine verbesserte Sensitivität und stark verkürzte
55 Die Immunpräzipitation des Proteins wird unmittel-
Analysendauer erreicht. Nachweisgrenzen im Femto-
bar ohne weitere Probenvorbereitung auf der Protein-
gramm-pro-Milliliter-Bereich, die mit hochentwickelten
ebene durchgeführt. Anschließend wird das präzipi-
Sandwichimmunassays möglich sind, werden mit MSIAs
tierte Protein entweder direkt im Massenspektrometer
jedoch noch nicht erreicht (s. auch 7 Kap. 6).
analysiert oder enzymatisch fragmentiert und an-

17 schließend über seine proteotypischen Fragmentpep-


tide detektiert.
55 Die biologische Probe wird zunächst mit einer Pro- 17.1  Fängermoleküle für
tease, meist Trypsin, enzymatisch fragmentiert. An- massenspektrometriebasierte
schließend werden ein oder mehrere proteotypische Immunassays
Fragmentpeptide immunpräzipitiert und massen-
spektrometrisch identifiziert und quantifiziert. Der erste Schritt bei der Etablierung eines MSIA ist
die Verfügbarkeit eines geeigneten Antikörpers für die
Der Unterschied besteht also in erster Linie in dem Zeit- Immunaffinitätsanreicherung des Proteins oder Pep-
punkt, wann der Immunpräzipitationsschritt im bioana- tids. Nicht jeder Antikörper ist für eine effiziente
lytischen Arbeitsablauf durchgeführt wird. Eine absolu- Immunpräzipitation geeignet. Im Allgemeinen werden
te Quantifizierung erfolgt in beiden analytischen Antikörper für eine bestimmte Anwendung, wie die
Strategien mithilfe isotopenmarkierter rekombinanter Immunhistochemie, Sandwichimmunassay, Western-­
isotopenmarkierter Protein- oder synthetischer Peptid- Blot oder Immunpräzipitation, entwickelt. Daher
standards, die den Proben definiert zugesetzt werden hängt die Qualität der Antikörperfunktion sehr stark
(. Abb. 17.1; s. auch 7 Kap. 6, 16, und 42).
    vom technischen Einsatzgebiet ab. In der Datenbank
Massenspektrometriebasierte Immunassays
417 17
antibodypedia (7 www.­antibodypedia.­com) sind bei-
  Antikörper benötigt, der meistens nicht kommerziell
spielsweise Informationen von mehr als vier Millionen verfügbar ist und deshalb erst neu generiert werden
Antikörpern zugänglich, die für den Nachweis von muss.
über 19.000 Proteinen hergestellt wurden. Für das Pro- Im ersten Fall sollte der Antikörper das intakte
tein HER2 sind über 5000 Antikörper gelistet. Eine Protein in seiner nativen Form binden. Im zweiten Fall
experimentelle Dokumentation der Hersteller, die be- muss der Antikörper das proteotypische Peptid erken-
legt, dass diese Antikörper für eine Immunpräzipitati- nen, da im ersten Schritt des Assays die Probe denatu-
on des HER2-Proteins geeignet sind, findet sich ledig- riert und alle Proteine in Peptide fragmentiert werden.
lich für etwa 20 Antikörper. Somit bestimmt bei der Generierung des Antikörpers
Die Generierung und Bereitstellung von guten Anti- der Analyt  – Protein oder Peptid  – die Auswahl des
körpern für biochemische Assays ist trotz optimierter Antigens. Für die Entwicklung eines proteinzentri-
Verfahren und trotz verschiedenster rekombinanter schen Tests sollte das vollständige Protein oder ein grö-
Technologien nach wie vor kosten- und zeitaufwendig. ßeres Proteinfragment zur Immunisierung verwendet
Deshalb sind kommerziell verfügbare Antikörper, die werden. Dies setzt voraus, dass das Protein in rekombi-
als Fängermoleküle in Sandwichimmunassays oder für nanter Form oder in einer gereinigten Form in ausrei-
Immunpräzipitationen eingesetzt werden können, in chender Menge und Reinheit vorhanden ist. Die re-
der Regel gut geeignet, um einen massenspektrometrie- kombinante Herstellung eines Proteins in voller Länge
basierten Immunassay aufzubauen, bei dem das intakte oder eines Proteinfragments ist jedoch viel aufwendi-
Protein in einem ersten Schritt angereichert wird. Für ger als die chemische Synthese von Peptiden. Mittels
den Fall, dass die Anreicherung auf der Peptidebene Festphasen-­Peptidsynthese können Peptide mit einer
durchgeführt werden soll, wird ein peptidspezifischer Länge von bis zu 30 Aminosäuren in hoher Qualität

A (1) (2) (3)

(4) (5) (6) (7)


Intensität

m/z

..      Abb. 17.1  Zwei Varianten von massenspektrometriebasierten Im- Geweben, aus Urin-, Plasma- oder Serumproben werden mit protein-
munassays. A Proteine aus lysierten Zellen oder Geweben, aus Urin-, spezifischen Antikörpern inkubiert. Antikörper bilden mit den Protei-
Plasma- oder Serumproben werden mithilfe von Enzymen (Trypsin) nen in der Probe Antikörper-Antigen-Komplexe (1). Protein-­A/Prote-
fragmentiert (1). Anschließend wird eine definierte Menge syntheti- in-G-beschichtete magnetische Partikel werden zugegeben. Die Partikel
scher stabil isotopenmarkierter Peptidstandards Abkürzung wird sonst binden die Antikörper-Protein-Komplexe (2). Magnete sammeln Parti-
nirgends verwendet der Probe zugesetzt (2). Peptidspezifische Antikör- kel an der Wand des Reaktionsgefäßes (3). Ungebundene Matrixpro-
per bilden mit den Peptiden in der Probe Antikörper-Peptid-Komplexe teine werden von den Partikeln gewaschen (4). Immunpräzipitierte
(3). Protein-A/Protein-G-beschichtete magnetische Partikel werden zu- Proteine werden mithilfe von Enzymen (Trypsin) fragmentiert (5). An-
gegeben. Die Partikel binden die Antikörper-Peptid-Komplexe (4). schließend wird eine definierte Menge synthetischer stabil isotopen-
Starke Magneten sammeln die Partikel an der Wand des Reaktionsge- markierter Peptidstandards der Probe zugeführt (6). Peptide werden
fäßes (5). Ungebundene Matrixpeptide werden vom Partikel gewa- eluiert und mittels Massenspektrometrie analysiert und quantifiziert
schen (6). Peptide werden eluiert und mit einem Massenspektrometer (7). Alternativ können in beiden Varianten zur Quantifizierung auch
analysiert und quantifiziert (7). B Proteine aus lysierten Zellen oder isotopenmarkierte Proteine vor Schritt 1 zugegeben werden
418 O. Pötz et al.

B (1) (2) (3)

(4) (5) (6) (7)

Intensität
m/z

isotopenmarkierter
Pepti d Trypsi n
Peptidstandard

magnetische Partikel
Protei n Antikörper
mit Protein A/G beschichtet

..      Abb. 17.1 (Fortsetzung))

und Reinheit innerhalb weniger Tage produziert wer- nales Arginin vorteilhaft, da die Ionisationswahr-
den. Die Antigenproduktion zur peptidspezifischen scheinlichkeit und somit die Testsensitivität im Ver-
Antikörpergenerierung ist daher im Vergleich zur re- gleich zu einem C-terminalen Lysin höher ist.
kombinanten Proteinproduktion relativ einfach und Prinzipiell ist es von Vorteil, die Ionisationseigen-
kostengünstig (s. auch 7 Kap. 6).   schaften und die Nachweisgrenze des Peptids im
Massenspektrometer vor dem Immunisierungspro-
zess zu ermitteln.
17.2  Auswahl der Peptide für
55 Die Hydrophilizität des Peptids sollte so gewählt
17 massenspektrometriebasierte werden, dass eine gute Löslichkeit des Peptids gege-
Immunassays ben ist. Bei LC-ESI-MS-Analysen sollte es auch
noch ausreichend an die hydrophobe LC-Trennsäule
Zum Aufbau eines MSIA sollten die gleichen Regeln an- binden.
gewendet werden, die auch bei der Auswahl eines pro- 55 Cystein-, Methionin- oder Tryptophanreste sollten,
teotypischen Peptids befolgt werden sollten (7 Kap. 42).
  wenn möglich, nicht in der Sequenz vorliegen, da
Im Allgemeinen erfolgt die Fragmentierung der Proteine diese Aminosäurereste während der Probenprozes-
mittels Trypsin. Daher sollte ein tryptisches Peptid für sierung in oxidierte Formen übergehen können. Da-
die Analyse unter Berücksichtigung der folgenden Über- durch ändert sich die Peptidmasse.
legungen verwendet werden: 55 Mögliche Polymorphismen und posttranslationale
55 Die Länge des Peptids sollte größer als acht Amino- Modifikationen sollten in den zugänglichen Daten-
säuren (800  Da) sein, um den Nachweis in einem banken überprüft werden. Wenn die Analyse dieser
ESI-basierten Massenspektrometer zu erleichtern. Modifikationen nicht erwünscht ist, sollten solche
Für MALDI-MS-basierte Assays wäre ein C-termi- Peptide vermieden werden.
Massenspektrometriebasierte Immunassays
419 17
17.3  Gezielter Nachweis von Proteinen spektrometrie mit einer Immunpräzipitation kombi-
über massenspektrometriebasierte niert. Der Immunaffinitätsschritt führte zu einer mehr
als 8000-fachen Anreicherung der Peptide. Die Nach-
Immunassays
weisgrenzen für Plasmaproteine liegen bei solchen Assay
im Allgemeinen im unteren Nanogramm-­pro-Milliliter-
In den letzten Jahren haben sich das Multiple Reaction
Konzentrationsbereich. Der Immunpräzipitationsschritt
Monitoring (MRM) und Parallel Reaction Monitoring
kann direkt mit der Chromatographie (online) erfolgen,
(PRM) in der LC-Massenspektrometrie als breit einsetz-
mittels integrierter Immunaffinitätssäule gekoppelt wer-
bare Multiplexmethoden zur parallelen absoluten Quan-
den oder abgekoppelt (offline) in einem separaten Schritt
tifizierung mehrere Proteine in einer Probe etabliert
mit magnetischen Mikropartikeln oder mit Chroma-
(7 Kap. 42). Proteotypische Peptide werden hier als Sur-
tographiematerial gefüllten Filterspitzen durchgeführt

rogate für die Proteine verwendet. Das Protein wird nach


werden.
einer Proteolyse über seine spezifischen Peptidfragmente
Beide analytischen Aufbauten haben ihre Vor- und
nachgewiesen und über definiert der Probe zugesetzte
Nachteile. Die direkte Kopplung der Immunaffinitäts-
isotopenmarkierte Peptidstandards absolut quantifiziert.
säule ggf. über eine RP-Trennsäule zur Probenentsal-
Die Sensitivität und Zuverlässigkeit der Nano-Flüssig-
zung mit dem ESI-MS, ermöglicht die vollautomatische
keitschromatographie- (nLC-) und Massenspektrometer
Prozessierung einzelner Proben. Sie hat allerdings den
ermöglichen es, gering konzentrierte Proteine in einem
Nachteil, dass Probenverschleppungen und der Verlust
Konzentrationsbereich von 10–100  ng  ml–1 im Plasma
der Bindekapazität der Immunaffinitätssäule die Repro-
nachzuweisen. Moderne nLC-MRM-Assays bieten ne-
duzierbarkeit der Analysen beeinträchtigen. Eine von
ben der hohen Spezifität eine gute Sensitivität und zei-
der Chromatographie abgekoppelte Durchführung des
gen einen dynamischen Bereich von 3–4 Größenord-
Immunpräzipitationsschrittes kann dagegen paralleli-
nungen. Zweidimensionale LC-Trennungen kombiniert
siert durchgeführt werden. Auf diese Weise kann der
mit MRM-Detektion (2D-LC-MRM) ermöglichen sehr
Probendurchsatz stark gesteigert werden. Zudem kön-
geringe Nachweisgrenzen, die es sogar erlauben, Cyto-
nen beim Einsatz von magnetischen Partikeln größere
kine im Pikogramm-pro-Milliliter-Bereich in Blutplas-
Probenvolumina verwendet werden. Da die Immunaffi-
ma nachzuweisen. Allerdings erfordern solche 2D-LC-
nitätsmatrix für jeden Assay neu bereitgestellt wird, ist
MRM-Assays sehr viel Zeit (Stunden), um Tausende von
die Bindekapazität reproduzierbar und eine Probenver-
Peptiden aufzutrennen und aufzukonzentrieren. Techni-
schleppung wird im IP-Schritt ausgeschlossen.
sche Grenzen ergeben sich v.a. durch die Säulenkapazi-
Es wurden bereits experimentelle Ansätze mit einem
tät. Durch die große Menge an Matrixpeptiden in der
Durchsatz von hundert Proben pro Stunde demonstriert.
Probe wird die Menge an Analytpeptiden, die auf der
Durch Kombination einer automatisierten Festphase-
LC-Säule angereichert werden kann, begrenzt. Der Pro-
nextraktionseinheit, in der die Immunpräzipitations-
benübertrag zwischen Injektionen und die Ionisations-
schritte durchgeführt werden, und direkter Injektion der
unterdrückung in der ESI-Quelle, wenn unterschiedliche
angereicherten Peptide ohne weitere chromatographische
Peptide gleichzeitig ionisiert werden, verhindern bisher
Trennung in ein Massenspektrometer sind Probenzyklus-
den Einsatz der LC-­MRM bzw. LC-PRM für eine routi-
zeiten von 7 s möglich. Dies ermöglicht die Analyse von
nemäßige Quantifizierung von niedrig konzentrierten
96 Immunpräzipitaten in nur 15 min. Diese Anordnung
Proteinen in der medizinischen Routinediagnostik.
kann z.  B.  Mesothelin, ein Plasmaprotein im mittleren
Durch die Kombination eines Immunpräzipitations-
Nanogramm-pro-­Milliliter-­Bereich quantifizieren.
schrittes mit einer chromatographischen Trennung ge-
Vergleichbare Analysegeschwindigkeiten sind auch
lingt es dagegen, die Matrixpeptide weitgehend abzu-
durch die Verwendung der MALDI-Massenspektrome-
trennen, die Peptide aus der Probe anzureichern und
trie für die Detektion der Peptide möglich. Das immuno-
dadurch sowohl die Sensitivität des folgenden LC-­
MALDI-Verfahren verwendet dazu magnetische Parti-
MRM- (PRM-)Assays zu steigern als auch die Analy-
kel mit Antikörpern, um proteotypische Peptide aus
senzeiten pro Probe auf wenige Minuten stark zu ver-
verdauten Proben oder direkt aus Plasma anzureichern.
kürzen. Dabei wird das Protein selbst oder ein tryptisches
Dazu werden den tryptisch verdauten Proben stabil iso-
Peptid aus diesem Protein vor dem massenspektrometri-
topenmarkierte Peptidstandards in definierter Menge zu-
schen Auslesen mit einem Antikörper angereichert.
gesetzt. Dann werden Antikörper zugegeben, die die Pep-
Leigh Anderson und Kollegen haben als eine der ersten
tide und die stabil isotopenmarkierten Standards binden.
Arbeitsgruppen Tests auf Basis ihrer SISCAPA-Metho-
Die Antikörper werden danach an Protein-A/Prote-
de (Stable Isotope Standards and Capture by Anti-Peptide
in-G-beschichtete Magnetpartikel gebunden. Nach Aus-
Antibodies) etabliert und dabei die nLC-MRM-Massen-
420 O. Pötz et al.

waschen der Probenmatrix werden die Magnetpartikel 17.4  Anwendung in der Forschung
mit den Antikörpern und den gebundenen Peptiden di- und Klinik – Proteinbiomarker
rekt auf einen MALDI-Probenträger pipettiert. Bei Zu-
gabe der Matrixlösung werden die Peptide vom Antikör- Durch die Kombination von mehreren Antikörpern in einer
per eluiert und können dann mittels MALDI-MS einzigen Immunpräzipitation, kombiniert mit der hochspe-
analysiert werden. Das immunoMALDI-Verfahren un- zifischen massenspektrometrischen Detektion der angerei-
terscheidet sich von anderen Verfahren dadurch, dass die cherten Peptide, können quantitative Analysen von bis zu
Peptide durch die Anwendung von organischer Säure, 500 Proteinen im Rahmen einer Analyse in sehr kurzer Zeit
die gleichzeitig als MALDI-Matrix dient, direkt vom (wenige Minuten) durchgeführt werden. Der Durchsatz, die
Fängerantikörper auf den MALDI-Objektträger eluiert Sensitivität und die Robustheit der MSIA ermöglichen es, in
werden. Ein Nachweis erfolgt direkt ohne weitere chro- der Validierungsphase einer Biomarkerentwicklung eine
matographische Trennung. Hier ist zu erwähnen, dass an Vielzahl von Analyten in hunderten biologischer Proben zu
den Antikörper besonders hohe Anforderungen in Bezug untersuchen. Im Vergleich zu den klassischen Methoden der
auf Affinität und Spezifität gestellt werden müssen. Da Proteinanalytik (ELISA, Western-­ Blot, etc.) kann somit
keine weitere Analytanreicherung und Matrixabtren- eine größere Zahl an Proteinbiomarkerkandidaten in dersel-
nung erfolgt, sollten möglichst nur das proteotypische ben Probe gleichzeitig analysiert und validiert werden. Da-
Peptid und der zugehörige stabil isotopenmarkierte Pep- durch kann die Auswahl geeigneter Biomarker für klinische
tidstandard aus der Probe angereichert werden. Tests verbessert und beschleunigt werden (. Tab. 17.1).

..      Tab. 17.1  Vor- und Nachteile einer Immunpräzipitation auf Protein- oder Peptidebene in einem massenspektrometriebasierten
Immunassay

17
Massenspektrometriebasierte Immunassays
421 17
Ein erstes Beispiel für den Einsatz eines MSIA in der chung von Protein/Peptid-Klassen. Im Vergleich zu den
klinischen Diagnostik ist die Messung von Thyroglobu- etablierten Proteomanalysestrategien ermöglichen grup-
lin. Thyroglobulin ist ein Serumbiomarker für Schilddrü- penspezifische Immunaffinitätsanreicherungen der Pro-
senkrebs. Für Thyroglobulin existiert eine Vielzahl an teine die Fokussierung auf beispielsweise Phosphorylie-
Sandwichimmunassays, die in der Klinik schon lange ein- rungen. Im Unterschied zu den in . Abb. 17.1 gezeigten

gesetzt werden. Allerdings kommt es in den Patienten massenspektrometriebasierten Immunassaystrategien


häufig zur Bildung von Autoantikörpern, die gegen Thy- für die Biomarkervalidierung oder für klinische Assays
roglobulin gerichtet sind. Diese Autoantikörper können werden bei gruppenspezifischen Anreicherungen keine
das Protein für die Fänger- und Detektorantikörper eines definierten Standardpeptide für die absolute Quantifi-
Sandwichimmunassays maskieren und so die diagnosti- zierung der Proteine zugesetzt. Es werden meistens rela-
schen Ergebnisse verfälschen. Durch die enzymatische tive Quantifizierungen über Vergleiche der Peptidsignale
Probenverarbeitung mit Trypsin werden Thyroglobulin in unterschiedlichen Proben durchgeführt. Häufig wer-
und auch die Autoantikörper in Peptide fragmentiert. So- den dazu die Proteine in den Proben auf metabolischem
mit wird auch durch Autoantikörper maskiertes Thyrog- oder chemischem Weg mit unterschiedlichen stabilen
lobulin über seine proteotypischen Peptidfragmente ro- Isotopen markiert (7 Kap. 42).

bust und eindeutig quantifizierbar. Der Vorteil eines Mittels phosphorylierungsspezifischen Antikörper
MSIA gegenüber dem Sandwichimmunassay besteht hier können z. B. phosphorylierte Proteinen bzw. Peptide an-
also darin, dass maskierende Probenbestandteile wie Au- gereichert werden. Hierbei werden drei Arten von phos-
toantikörper gegen Thyroglobulin den Test nicht mehr phorylierungsspezifischen Antikörpern verwendet. Die-
stören können. Weitere klinisch relevante Beispiele aus se Antikörper sind in der Lage, an
der Literatur für den Nachweis von Proteinbiomarkern 55 spezifische Phosphopeptidsequenzen,
mit MSIAs sind Troponin l, Epidermal Growth Factor 55 Phosphoserin- oder Phosphothreonin- oder Phos-
Receptor 2 (HER-2), Östrogenrezeptor und verschiedene photyrosinmotive
Proteinkinasen.
zu binden. Antikörper gegen Phosphotyrosin werden be-
sonders häufig bei der Immunaffinitätsanreicherung und
Fraktionierung von Phosphotyrosinproteinen und Pepti-
17.5  Proteomweite Immunaffinitäts-MS-
den eingesetzt. Kombiniert mit unterschiedlicher meta-
basierte Ansätze mit bolischer oder chemischer Markierung der Proteine der
gruppenspezifischen Antikörpern Vergleichsproben können so beispielsweise schnelle quan-
titative Studien über die Auswirkungen von Inhibitoren
Immunaffinitäts-MS-basierte Strategien werden zuneh- auf die Zellfunktion gemessen werden, indem die Phos-
mend auch in Projekten zur Entwicklung von Biomar- phorylierung von Proteinen in Rezeptorsignalkaskaden
kern eingesetzt. Da die Entwicklung von Dutzenden analysiert wird (z. B. Epidermal-Growth-­Factor- (EGF-)
von Antikörpern für die Validierung von Biomarker- Signalkaskade). Im Gegensatz zu Anti-Phosphotyro-
kandidaten teuer und zeitaufwendig ist, werden in sol- sin-Antikörpern wird die Bindung von bisher verfügba-
chen Projekten oft muster- oder peptidgruppenspezifi- ren Anti-Phosphoserin- und Anti-­Threonin-­Antikörpern
sche Antikörper eingesetzt. Die musterbasierte oder sehr stark von den umgebenden Aminosäuren der Phos-
peptidgruppenspezifische Immunaffinitätsanreicherung phorylierungsstelle beeinflusst. Daher hängen die Ergeb-
ermöglicht die Analyse von Peptidgruppen und kann nisse der generischen Anreicherung von Phosphoserin-
zur Identifizierung differenziell und posttranslational und Phosphothreonin enthaltenden Peptiden oder
modifizierter Proteine eingesetzt werden. Die Antikör- Proteinen stark von der Menge des Probenmaterials ab,
per, die hier zur Anreicherung verwendet werden, bin- die im Milligrammbereich liegen muss.
den entweder Peptide, die eine gemeinsame Teilsequenz Eine weitere gruppenspezifische Anreicherungsstra-
beinhalten, oder die dieselbe posttranslationale Modifi- tegie setzt Antikörper ein, die terminale Epitope mit nur
kation (z.  B.  Phosphorylierung, Acetylierung, Methy- vier Aminosäuren binden. Derartige Antikörper sind in
lierung, Ubiquitinylierung, Nitrosylierung, Nitrierung) der Lage, über diese kurzen Peptidmotive bis zu hundert
tragen. Die in diesen Strategien verwendeten Antikörper verschiedene Peptide in einer mit Trypsin enzymatisch
sind somit gruppenspezifische Affinitätsmoleküle, die an fragmentierten Probe zu binden. Über schnelle LC-
gemeinsame Epitope in den Peptidsequenzen oder Pro- MSMS Analysen können die wenigen Peptide und somit
teinen binden. Die Analysenstrategie folgt den in auch die zugehörigen Proteine in dieser Mischung ein-
. Abb.  17.1 beschriebenen Abläufen, mit dem IP-­ deutig identifiziert werden. Diese gruppenspezifischen

Fraktionsschritt vor oder nach der proteolytischen Spal- Antikörper lassen sich durch Immunisierung mit ent-
tung der Proteine und der folgenden LC-MS-Analyse. sprechenden Peptiden mit vier terminalen Aminosäuren
Die Strategie ermöglicht eine proteomweite Untersu- einfach herstellen. Durch bioinformatische Optimie-
422 O. Pötz et al.

rung der gebundenen Epitope kann eine gute Abde- tikörper für massenspektrometriebasierte Immunassay-
ckung der Proteine eines Proteoms mit weniger als hun- anwendungen oder gruppenspezifische Antikörper, die
dert Antikörpern erreicht werden. Da diese vorproduziert und damit universell eingesetzt werden
gruppenspezifischen Antikörper für Analysen der Pro- können, ermöglichen in Zukunft die sehr schnelle Etab-
teome unterschiedlicher Spezies einsetzbar sind, können lierung von quantitativen massenspektrometriebasierten
sie sowohl in Entwicklungsprojekten eine schnelle Über- Immunassays. Stabil isotopenmarkierte interne Stan-
sichtsanalyse von Proteomen ermöglichen als auch für dards, v. a. Peptide, können heute schon über die Fest-
den gezielten Nachweis einzelner Proteine mit gezielten phasensynthese sehr schnell in hoher Qualität hergestellt
massenspektrometriebasierten Immunassays eingesetzt werden. Deshalb werden in Zukunft Immunaffin-
werden. Während bei den oben beschriebenen MSIA täts-MS-basierte Strategien zum Nachweis und zur
Strategien mit spezifischen Antikörpern (z.  B.  SISCA- Quantifizierung von Proteinen vor allem im Bereich der
PA) mehrere Monate für die Herstellung der neuen An- Validierung von Proteinbiomarkern, aber auch in der
tikörper eingeplant werden müssen, können gruppen- klinischen Diagnostik häufiger zur Anwendung kom-
spezifische Antikörper vorab hergestellt und deshalb men und teilweise klassische Immunassays ersetzen.
sofort für neue Studien eingesetzt werden.

Literatur und Weiterführende Literatur


17.6  Ausblick
Anderson NL et al (2004) Mass spectrometric quantitation of pep-
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von massen- tides and proteins using Stable Isotope Standards and Capture
spektrometriebasierten Immunassays etabliert, mit de- by Anti-Peptide Antibodies (SISCAPA). J Proteome Res 3(2):
235–244
nen mehrere dutzend Proteine schnell und robust quan-
Jiang J et al (2007) Development of an immuno tandem mass spec-
tifiziert werden können. Darunter sind auch Proteine, trometry (iMALDI) assay for EGFR diagnosis. Proteomics Clin
die aufgrund geringer Löslichkeit oder hoher Sequenz- Appl 1(12):1651–1659
homologien ansonsten schwer zu analysieren sind, Nelson RW et  al (1995) Mass spectrometric immunoassay. Anal
(z.  B.  Transmembranproteine). Die breite Anwendung Chem 67(7):1153–1158
Palandra J et al (2013) Highly specific and sensitive measurements of
von massenspektrometriebasierten Immunassays (MSI-
human and monkey interleukin 21 using sequential protein and
As) in der Grundlagen- und angewandten Forschung tryptic peptide immunoaffinity LC-MS/MS.  Anal Chem
wird noch durch die Verfügbarkeit geeigneter Antikör- 85(11):5522–5529
per limitiert. Weltweit gibt es aber zahlreiche Bestrebun- Poetz O et al (2009) Proteome wide screening using peptide affinity
gen, Antikörper besser zu charakterisieren und vor al- capture. Proteomics 9(6):1518–1523
Ross AH et al (1981) Phosphotyrosine-containing proteins isolated
lem die möglichen Anwendungen der Antikörper in
by affinity chromatography with antibodies to a synthetic hap-
Datenbanken öffentlich zugänglich zu machen. Bessere ten. Nature 294(5842):654–656
Informationen über geeignete Reagenzien werden die Zhang H et al (2002) Phosphoprotein analysis using antibodies bro-
Entwicklung von Immunassays, aber auch von MSIAs adly reactive against phosphorylated motifs. J Biol Chem
enorm erleichtern. Schnell verfügbare kommerzielle An- 277(42):39379–39387

17
423 18

Bildgebende
Massenspektrometrie
Bernhard Spengler

Inhaltsverzeichnis

18.1 Analytische Mikrosonden – 424

18.2 Images: Massenspektrometrische Rasterbilder – 425

18.3 SMALDI-MS: Die Grenzen der Auflösung – 426

18.4  eitere Methoden der bildgebenden


W
Massenspektrometrie – 427

18.5 Auflösung versus Nachweisgrenze – 428

18.6 MS-Imaging als phänomenologische Methode – 429

18.7 SMALDI-Imaging als exakte Methode – 429

18.8 Identifizierung und Charakterisierung – 430

Literatur und Weiterführende Literatur – 431

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_18
424 B. Spengler

55 Bildgebende MALDI-Massenspektrometrie (MALDI-­


MS-­ Imaging) ist eine vielseitige und hoch genaue
analytische Methode für die Untersuchung von
biologischem Gewebe. Weitere häufig eingesetzte MSI-
Methoden sind DESI, LA-ICP-MS und SIMS.
55 Die erreichbare räumliche Auflösung der erzeugten
molekularen Verteilungsbilder hängt von verschiedenen
Parametern ab, wie z.  B. der Probenpräparation und
der Geometrie der Primäranregung. Die instrumentelle
Nachweisgrenze limitiert ebenfalls die nutzbare
räumliche Auflösung.
55 Mit MALDI und mit SIMS lassen sich für Biomoleküle
aus Gewebe räumliche Auflösungen von etwa 1–2 μm
erreichen.
55 Neue Methoden erlauben eine detaillierte und direkte
Charakterisierung der molekularen Struktur von
Gewebekomponenten, insbesondere durch MS/MS-
Imaging und durch strukturspezifische Derivatisierung.
55 Mithilfe automatisierter pixelgenauer Fokussierung
lassen sich auch nichtebene Objekte, wie z. B. Wurm-­
Parasiten, dreidimensionale Zellkulturen oder
nichtflache Gewebeschnitte, untersuchen.
m/z
Zelluläre Vorgänge werden durch molekulare Stoffklas-
sen repräsentiert, die mit Begriffen wie Genom, Tran-
skriptom, Proteom, Lipidom, Metabolom beschrieben
werden. Neben der kompositionellen Ebene der Zell-
funktionalitäten spielt auch der räumliche molekulare
Kontext innerhalb einer Zelle oder innerhalb eines Ge-
webes eine entscheidende Rolle. Es besteht heute kein
Zweifel, dass eine biologische Funktion nicht allein von
den Mengen der daran beteiligten Moleküle abhängig
ist, sondern es spielt auch – oder vielleicht sogar vor al-
lem – der lokale Kontext, die Nachbarschaft, in der sich ..      Abb. 18.1  Aufbau eines mikroanalytischen Bildes (Image) aus
die einzelnen funktionellen Moleküle befinden, eine we- ortsbezogenen, massenspektrometrischen Daten. (Mit freundlicher
sentliche Rolle. Daher müssen immer häufiger Techni- Genehmigung von © Bernhard Spengler 1994)
ken eingesetzt werden, die konsequent den räumlichen
Kontext von Biomolekülen, das sog. Toponom, analy-
sieren. Oligonucleotide, Peptide, Proteine oder auch Metabolite
biochemischer Reaktionsketten sein. Die örtliche Loka-
lisierung solcher Stoffe in biologischen Proben lässt sich
18 18.1  Analytische Mikrosonden mit dem Begriff „Toponomics“ zusammenfassen. Als
Toponom wird dabei die Gesamtheit räumlicher Kon-
Es ist offensichtlich, dass die globale molekulare Zu- zentrationsverteilungen von Mitgliedern einer Subs-
sammensetzung einer homogenisierten Gewebeprobe tanzklasse (z.  B. aller Proteine in einer biologischen
allein keine umfassende Aussage über biochemische und Zelle) verstanden. In einer engeren Definition dieses an
biologische Mechanismen machen kann. Neben der die bekannten Begriffe „Genom“ oder „Proteom“ an-
qualitativen und quantitativen Analyse ist vor allem die gelehnten Ausdruckes ist die Abbildung des Zusammen-
Lokalisierung einzelner Substanzen in Organen, Gewe- spiels bzw. der Kolokalisation jeweils mehrerer Kompo-
ben oder Zellen von entscheidender Bedeutung für das nenten einer Substanzklasse gemeint, um so z.  B. die
Verständnis natürlicher Zustände und Abläufe. Solche Orte und Gesetzmäßigkeiten des Auftretens heterogener
Substanzen (Marker) können anorganische Ionen Proteinkomplexe darzustellen (. Abb. 18.1).

(z. B. Ca2+, Fe2+), Spurenelemente (z. B. Selen, Cobalt), Die Zielsetzung, biochemische Prozesse nicht nur zu
pharmakologische Wirkstoffe, Lipide, Oligosaccharide, qualifizieren und zu quantifizieren, sondern darüber hi-
Bildgebende Massenspektrometrie
425 18

10 µm
Peptid: Salzverunreinigung: Matrix:
Substanz P Kalium 2,5-Dihydroxybenzoesäure

..      Abb. 18.2  Hochaufgelöste Darstellung der präparationsbeding- lonenbildung, da Peptidionenbildung offenbar nur aus Mikroberei-
ten räumlichen Verteilung eines Peptides in einer MALDI-Probe so- chen erfolgt, die frei von Alkaliionen sind. (Mit freundlicher Geneh-
wie Verteilung der Matrix 2,5-Dihydroxybenzoesäure und von Salz- migung von © Bernhard Spengler 1994)
verunreinigungen. Die Abbildung zeigt das Ausschlussprinzip der

naus auch zu lokalisieren, ist weitverbreitet. Die Fluo- Mit der Einführung der matrixassistierten Laserde-
reszenzmikroskopie im Zusammenspiel mit immunche- sorption/Ionisation (MALDI) durch Michael Karas
mischen Markierungstechniken beispielsweise erlaubt und Franz Hillenkamp sowie der Elektrospray-­
schon seit Langem die mikroskopische Abbildung phy- Ionisation durch John Fenn war das Interesse in den
siologischer Vorgänge. Nachteil aller Markierungstech- 1980er-Jahren zunächst auf die Querschnitts- (Bulk-)
niken ist jedoch, dass die abzubildenden Zielmoleküle Analyse großer Biomoleküle aus gelösten, aufgereinig-
bereits vor der Untersuchung bekannt sein müssen, um ten Proben gelenkt, kehrte jedoch bald zurück zur Ziel-
geeignete Markierungsstoffe (z. B. Antikörper) festlegen setzung der direkten analytischen Abbildung nativer
und anwenden zu können. Der aufwendige und ein- Proben. Das Prinzip der bildgebenden MALDI-­
schränkende Markierungsschritt lässt sich vermeiden, Massenspektrometrie von Biomolekülen wurde erst-
wenn die chemische Zusammensetzung einer biologi- mals 1994 demonstriert und dafür der Begriff MALDI
schen Probe an einem interessierenden Probenort ohne Imaging geprägt (. Abb.  18.2). Die Methode erlangte

Vorkenntnisse und ohne substanzspezifische Vorberei- in den folgenden Jahren breite Anwendung in der Un-
tungen bestimmt werden kann. Hierzu ist die Massen- tersuchung biologischer Proben.
spektrometrie im Grundsatz in der Lage. Schon in den
Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurden
mit Beginn der Verfügbarkeit von Hochleistungslasern 18.2  Images: Massenspektrometrische
mit ultravioletten Emissionswellenlängen Methoden Rasterbilder
entwickelt, um biologisches Material punktuell massen-
spektrometrisch mithilfe der Laserdesorption zu analy- Um aus massenspektrometrischen Daten mikroanalyti-
sieren. Diese als Laser Microprobe Mass Analysis sche Bilder zu erzeugen, sind umfangreiche Datenverar-
(LAMMA) bezeichnete Technik wird noch heute in ei- beitungsschritte notwendig. Im einfachsten Fall wird ein
nigen Labors eingesetzt, um z.  B.  Spurenelemente in Verteilungsbild auf die folgende Weise erzeugt: Ein stark
biologischem Gewebe nachzuweisen. fokussierter, zeitlich sehr kurzer Laser- oder Primärio-
In ähnlicher Weise war auch die sog. Sekundärionen-­ nenstrahl wird zunächst auf eine exakt positionierte
Massenspektrometrie (SIMS) schon sehr früh in der Probe gelenkt. Die dabei erzeugten Ionen werden mas-
Lage, Elemente und kleine Moleküle auf technischen senspektrometrisch analysiert und das so erhaltene Mas-
oder biologischen Oberflächen nachzuweisen. Beide senspektrum dieses einen Probenortes gespeichert. Der
Methoden arbeiteten mit räumlichen Auflösungen im Fokusdurchmesser des Laser- bzw. Ionenstrahls ent-
Bereich von etwa einem Mikrometer, besaßen jedoch zu- spricht dabei in erster Näherung der erzielbaren räumli-
nächst nicht die Möglichkeit, eine Probe abzurastern chen Auflösung des Verteilungsbildes und üblicherweise
und räumliche Konzentrationsverteilungen bildlich dar- auch der Schrittweite des Rasters. Im darauf folgenden
zustellen, sondern konnten lediglich einzelne Proben- Schritt wird entweder die Probe oder der Primärstrahl
orte punktuell analysieren. Erst mit der als Ion Imaging um eine Schrittweite weiterbewegt und ein weiteres Mas-
bezeichneten SIMS-Methode wurde dies für Elemente senspektrum registriert. Ist der gesamte zu untersuchende
und kleine Moleküle erstmals möglich. Probenbereich zweidimensional abgerastert, können die
426 B. Spengler

..      Abb. 18.3  Verschiedene Arten der


visuellen Codierung massenspektromet-
A
rischer Ortsinformationen. Die
räumliche Verteilungen von drei
Komponenten A, B, C können zunächst a
als Graustufenbilder dargestellt werden
(A, Mitte). Weiß entspricht dabei hohen
Signalintensitäten, Schwarz niedrigen.
Bis zu drei Komponenten können
darüber hinaus in einem RGB-Bild b
(Rot, Grün, Blau) gemeinsam
verlustfrei dargestellt werden, wenn
jeder der drei Farbkanäle mit den
Signalen einer Komponente codiert
wird (A, rechts). Das lokale Zusammen- c
treffen mehrerer Komponenten kann
aber auch durch z. B. logische
Verknüpfungen oder durch multivariate
statistische Datenanalyse der Signale
beliebig vieler Komponenten mit frei
B
wählbaren, zugeordneten Farben
dargestellt werden. Hierbei werden
a
nicht fließende Graustufen- (Intensi-
täts-)Werte verwendet, sondern
Intensitäten oberhalb und unterhalb
eines Schwellwertes als 1 bzw. 0
gewertet (B, rechts)
b

gespeicherten Massenspektren im Hinblick auf interes- es mit relativ geringem instrumentellem Aufwand mög-
sante Massensignale (= Probenkomponenten) durch- lich ist, Verteilungsbilder mit einer räumlichen Auflösung
sucht werden. Für beliebig viele solcher Massensignale von 25–50  μm mithilfe der MALDI-Methode zu erzeu-
können nun Graustufenbilder erzeugt werden, indem die gen, bereitet die an zelluläre Strukturen heranreichende
jeweiligen Signalintensitäten einer Komponente in den Auflösung im Bereich von 1 μm große prinzipielle Schwie-
ortsbezogenen Massenspektren in Helligkeitswerte der rigkeiten. Zur Unterscheidung von der niedrig auflösen-
Pixel des Verteilungsbildes übersetzt werden. Mithilfe den MALDI-­Imagingmethode wurde für die hochauflö-
farblicher Codierung können außerdem ausgehend von sende Technik der Begriff Scanning Microprobe MALDI
den Graustufenbildern aussagekräftigere Visualisierun- (SMALDI) eingeführt. Unterschiede liegen nicht nur in
gen einzelner Verteilungen, aber auch Kolokalisierungen der Zielsetzung, sondern vor allem in den zugrunde lie-
mehrerer Komponenten, differenzielle Konzentrations- genden Mechanismen der Materialverdampfung und
verteilungen unterschiedlicher Zustände oder komplexe Ionisation. Dass sich die MALDI-Methode überhaupt
18 Korrelationen dargestellt werden. Ein wichtiges Merk- für die biomolekulare Ionenerzeugung aus Laserfoci im
mal einer leistungsfähigen Bilderzeugungssoftware ist Mikrometerbereich eignet, wurde erstmals 1994 gezeigt
der Erhalt bzw. die Zugreifbarkeit und Validität der kom- (. Abb.  18.2). Ebenso wie bei der normalen MALDI-­

plexen analytischen Daten, die den farblich codierten Pi- Massenspektrometrie ist es auch bei der SMALDI-MS
xeln zugrunde liegen (. Abb. 18.3).
  von z. B. Peptiden notwendig, dass sich Matrix und Ana-
lyt im gelösten Zustand vermischen und Analytmoleküle
während der Trocknungsphase in die sich bildenden Ma-
18.3   MALDI-MS: Die Grenzen der
S trixkristalle eingebaut werden. Die Optimierung dieses
Auflösung Vorgangs ist bei gewöhnlichen MALDI-Analysen ledig-
lich im Hinblick auf die ­erreichbare Nachweisempfind-
Die erreichbare räumliche Auflösung ist natürlicherweise lichkeit von Bedeutung. Mikroskopisch betrachtet hat
ein entscheidendes Kriterium der Anwendbarkeit und dieser Prozess jedoch erhebliche Auswirkungen auf die
Nützlichkeit von toponomischen Methoden. Während Topographie der zu untersuchenden Probensubstanzen.
Bildgebende Massenspektrometrie
427 18
Die hochaufgelösten Abbildungen von MALDI-Proben sierter Analytkonzentrationen, andererseits aber auch
zeigen die auftretenden Phänomene sehr deutlich. In zu Segregationen und damit zur Bildung neuer arte-
der Verteilung des Peptides Substanz P innerhalb einer faktischer Konzentrationsspitzen verschiedener Proben-
MALDI-Probe zeigt sich die vorwiegende Lokalisierung komponenten. Für die Zielsetzung einer örtlich hoch-
in den Kristallen der Matrix 2,5-Dihydroxybenzoesäure aufgelösten und gleichzeitig hoch empfindlichen
(. Abb.  18.2). Demgegenüber werden Alkaliionen, die
  Analytik bedeutet dies ein Dilemma, das nur mit einem
sich, wie auch andere ionische Verbindungen, bei der in beide Richtungen vertretbaren Kompromiss gelöst
MALDI-­Massenspektrometrie i. A. negativ auf die analy- werden kann. Mit optimierten und standardisierten
tische Nachweisgrenze auswirken, aus den sich bildenden Sprühmethoden können mittlerweile auch von der ver-
Matrixkristallen herausgedrängt und nicht eingebaut. Mi- gleichsweise grob kristallisierenden Matrix 2,5-Dihydro-
kroskopisch betrachtet ist somit der Matrixpräparations- xybenzoesäure Matrixkristalle kleiner als 2 μm erzeugt
schritt offensichtlich ein Aufreinigungsvorgang, bei dem werden, die gleichzeitig niedrige Nachweisgrenzen lie-
im Anschluss die Desorption und Ionisation von Biomo- fern (Kompauer et  al. 2017a). Für Verbindungen, die
lekülen lokal aus salzfreien Bereichen erfolgen kann. Bei nicht zwingend einen Matrixeinbau erfordern, wie
der gewöhnlichen MALDI-­Massenspektrometrie, deren z. B. Phospholipide, werden alternativ auch Sublimati-
großer Laserfokus kristalline und nichtkristalline Berei- onsmethoden eingesetzt, die die Matrix im trockenen
che gleichzeitig überdeckt, kann dieses gegenseitige Aus- Zustand auf die Probe auftragen. Die Nachweisgrenzen
schlussprinzip nicht mit derselben Klarheit beobachtet sind jedoch selbst für Phospholipide erheblich höher als
werden. Bei der SMALDI-MS mit Mikrometer-Fokus- im Falle der Sprühpräparation (Kompauer et al. 2017a;
durchmessern hingegen gilt es offenbar sehr streng. Bouschen et al. 2010). Für den Nachweis von Peptiden
Der Einbau von Analytmolekülen in die Matrixkris- und Proteinen ist die Sublimationsmethode ungeeignet.
talle ist eine notwendige Voraussetzung für den emp-
findlichen Nachweis von Proteinen und Peptiden. Sollen
demzufolge biologische Gewebe oder Zellen mit
MALDI oder SMALDI untersucht werden, muss die 18.4   eitere Methoden der bildgebenden
W
Matrix so hinzugefügt werden, dass zumindest kurzfris- Massenspektrometrie
tig eine Durchmischung der Analyten mit der Matrix im
gelösten Zustand erfolgen kann, aus dem heraus dann Nicht zuletzt die oben genannte Matrixproblematik lässt
analytdotierte Matrixkristalle wachsen können. Dieser die Frage nach alternativen bildgebenden massenspekt-
Vorgang führt aber, wie an . Abb. 18.4 zu erkennen ist,
  rometrischen Methoden aufkommen. Den beiden ältes-
einerseits zu einer „Verschmierung“ ursprünglich lokali- ten bildgebenden Methoden SIMS und MALDI folgte

..      Abb. 18.4 SMALDI-Untersuchung
einer Dried-Droplet-­Präparation einer
Peptidmischung aus Substanz P, Melittin
und Insulin. Die Abbildung zeigt, dass
durch die Matrixpräparation die
Bestandteile einer Probe räumlich bewegt
werden. Aus einer ursprünglich homoge- Matrix 2,5-Dihydroxybenzoesäure
nen Lösung mehrerer Peptide wird nach
Matrixzugabe und Kristallisation eine
stark inhomogene Probe mit individuellen
Analytverteilungen, die als Artefakte der
MALDI-Präparation zu betrachten sind.
(Adaptiert nach Bouschen et al. 2007; mit
freundlicher Genehmigung von ©
Elsevier AG 2007) Melittin
[M+H]+=2848 u

Substanz P
[M+H]+=1348 u

Human-Insulin
[M+H]+=5808 u
428 B. Spengler

in den letzten Jahren eine Reihe weiterer alternativer Me- umgehen, da hier das Gewebewasser bereits als absor-
thoden mit spezifischen Eigenschaften (. Abb. 18.5).
  bierende Matrix agiert. Eine räumliche Auflösung bis zu
Die Laserablations-Massenspektrometrie mit in- etwa 30 μm ist mit IR-LDI-Imaging gezeigt worden.
duktiv gekoppeltem Plasma (LA-ICP-MS) hat sich als Im Vergleich der Methoden stellt MALDI-Imaging
leistungsfähige bildgebende Methode für die Element- derzeit den besten Kompromiss hinsichtlich räumli-
analyse biologischer Proben etabliert, die aufgrund einer cher Auflösung, molekularer Auflösung und Massen-
nahezu vollständigen Fragmentierung und Ionisierung bereich dar.
biologischer Materie eine gute Quantifizierbarkeit von
metallassoziierten oder -markierten Proteinen ermög-
licht. In einer Auftragung der drei wichtigen Parameter 18.5  Auflösung versus Nachweisgrenze
„räumliche Auflösung“, „Massenbereich“ und „mo-
lekulare Auflösung“ nimmt LA-ICP-MS eine Mittel- Die Matrixkristallisation ist nicht die einzige mechanisti-
stellung ein. Mit molekularer Auflösung ist in diesem sche Limitierung der erreichbaren Auflösung und Nach-
Schema gemeint, wie viele Signale mit unterschiedlichem weisgrenze. Unabhängig vom Prozess, d.  h. ebenso für
Masse-­ zu-­Ladungszahl-Verhältnis sich unter den ge- MALDI wie für die anderen bildgebenden massenspekt-
gebenen Messbedingungen pro Masseneinheit sauber rometrischen Methoden, ergibt sich eine andere, grund-
voneinander trennen und bestimmen lassen. Dieser sätzliche Limitierung der analytischen Möglichkeiten,
Wert wird beeinflusst von der Leistungsfähigkeit des die auf der Verringerung der Zahl nachweisbarer Ana-
Massenanalysators, der mit der jeweiligen Ionisierungs- lytmoleküle mit abnehmendem Fokusdurchmesser be-
methode gekoppelt worden ist bzw. werden kann. Bild- ruht. Befinden sich unter einem schwach fokussierten
gebende Ionisierungsmethoden, die mit Orbitrap- oder Laserfokus bzw. Primärionenstrahl bei einem Fokus-
Ionenzyklotronresonanz-­Massenspektrometern gekop- durchmesser von z. B. 200 μm noch etwa sechs Milliar-
pelt werden, ergeben hierbei die besten Werte. So kann den Moleküle einer gedachten Monolage eines Peptides,
z. B. die DESI-Methode (Desorption Electrospray Ionisa- so sind dies bei einem Fokusdurchmesser von 1 μm nur
tion) an Orbitrap-Massenspektrometern eine sehr hohe noch 200.000 Moleküle. Ein Massenspektrometer benö-
molekulare Auflösung erreichen. Die räumliche Auflö- tigt je nach Bauprinzip unter idealen Bedingungen zwi-
sung hingegen ist bei der DESI-Methode, die einen Elek- schen 1000 und 100.000 Probenmoleküle für die Erzeu-
trospray-Tröpfchenstrahl zur Desorption verwendet, gung eines auswertbaren Massenspektrums. Die
deutlich geringer als im Falle der laserbasierten MALDI- Problematik wird ein wenig erleichtert dadurch, dass in
oder LDI-Methode oder der p ­rimärionenbasierten der Massenspektrometrie nicht so sehr die absolute Sig-
SIMS-Methode. SIMS weist die beste erzielbare räumli- nalintensität, sondern eher das Signal-zu-­ Rausch-
che Auflösung auf, ist jedoch bislang nur mit Einschrän- Verhältnis über die Qualität eines Massenspektrums ent-
kungen an hochauflösenden Massenspektrometern und scheidet. Mit der Abnahme der Nachweisfläche eines
nur im Hochvakuum betreibbar. Zudem ist der Nach- Probenmesspunktes sinkt mit der Signalintensität auch
weis bei SIMS noch immer auf vergleichsweise kleine die Intensität der Störsignale (des sog. chemischen Rau-
Biomoleküle beschränkt, und die räumliche Auflösung schens), und somit werden auch sehr geringe absolute
für solche Biomoleküle liegt bei etwa 2 μm. Signalintensitäten besser messbar. Dennoch ist der
Die Matrixproblematik lässt sich auch durch Ver- Nachweisempfindlichkeit mit abnehmender Probenflä-
wendung von Infrarot-Wellenlängen von etwa 3000 nm che schon aus Gründen der Signalstatistik bei zu niedri-

18 ..      Abb. 18.5  Vergleich gängiger bildge-


bender Methoden hinsichtlich der
10000
molekulare Auflösung/Signale

Parameter molekulare Auflösung, 1000 DESI


MALDI
räumliche Auflösung und Massenbereich
pro Masseneinheit

100 IR LDI
LDI
m/z
10
LA-
ICPMS < 30.000
1
SIMS < 3000
0,1 < 1000

0,01
0,01 0,1 1 10 100 1000
räumliche Auflösung (µm)
Bildgebende Massenspektrometrie
429 18
gen Molekülzahlen eine natürliche Grenze gesetzt. In der 18.7  SMALDI-Imaging als exakte Methode
Regel sind es ja nicht vollständig besetzte Monolagen
einer einzigen Analytsubstanz, die untersucht werden Einen grundlegenden Qualitätssprung erfuhr die bildge-
sollen, sondern eher hoch komplexe Gemische einer gro- bende Massenspektrometrie durch die Kombination
ßen Zahl von Spezies. Wenig abundante Biomoleküle in von hoher räumlicher Auflösung mit hoher Massenauf-
biologischem Gewebe oder auf Zelloberflächen sind so- lösung und -genauigkeit, niedrigen Nachweisgrenzen,
mit einer hochauflösenden bildgebenden massenspektro- hoher Massenselektivität der Bildzuordnung, Struktur-
metrischen Analyse unter Umständen aus prinzipiellen aufklärung durch MS/MS-Methoden und weitgehenden
Gründen nicht zugänglich. Eine räumliche Auflösung Erhalt des nativen Gewebezustandes durch Atmosphä-
deutlich unter einem Mikrometer wird für bildgebende rendruck-Analyse. Weitere wichtige Aspekte sind die
massenspektrometrische Methoden grundsätzlich nur verbesserte Quantifizierbarkeit der Signale durch Auto-
für höher konzentrierte Biomoleküle erreichbar sein. fokussierung und die intrinsische Derivatisierung zur
Strukturaufklärung (Reactive MALDI).
Auch mit SMALDI-Imaging sind zelluläre und sub-
18.6   S-Imaging als phänomenologische
M zelluläre Auflösungen erreichbar. Im Gegensatz zur
Methode SIMS-Methode stellt dabei der Massenbereich der ab-
gebildeten Biomoleküle keine vorrangige Limitierung
Die bildgebende Massenspektrometrie erlebt derzeit dar. Am Beispiel des einzelligen Lebewesens Paramecium
eine rasante Entwicklung der Nutzbarmachung und caudatum konnten subzelluläre Strukturen bei 2 bzw.
technologischen Verbesserung. In den Anfängen publi- 3 μm Pixelgröße mit einem auf 1,4 μm fokussierten La-
zierte Anwendungen waren zwar bereits sehr vielver- serstrahl kontrastreich abgebildet werden (. Abb. 18.6).

sprechend, ließen jedoch noch keine tragfähige Aussage Um bei solch geringen Laserfokusdurchmessern zu
über die Validität, Reproduzierbarkeit und tatsächliche einheitlichen Ergebnissen zu kommen, war die Entwick-
biologische oder medizinische Aussagekraft der erzeug- lung einer pixelweisen hochgenauen Autofokussierung
ten analytischen Images zu. Die auf der Basis von mas- notwendig. Da aufgrund optischer Gesetzmäßigkeiten
senspektrometrischen Daten erzeugten Abbildungen mit abnehmendem Fokusdurchmesser auch die Schärfen-
von Geweben zeigten zwar molekulare Verteilungen an, tiefe abnimmt, ergibt sich mit erhöhter lateraler Auflö-
die Identität und Einheitlichkeit der zugrunde liegenden sung auch eine steigende Anforderung an die Planität der
Substanzen jedoch blieben zunächst unzugänglich. Bild- Probe. Ein Herauslaufen der lokalen Probenoberfläche
gebende Massenspektrometrie blieb, insbesondere auf- aus der Fokusebene hat zwangsläufig eine Vergrößerung
grund der oben beschriebenen methodologischen und des Strahldurchmessers und damit eine Verringerung der
technischen Schwierigkeiten, zunächst eine rein qualita- Bestrahlungsstärke bzw. Energiedichte auf der Probe zur
tive, beschreibende Methoden, die den Ansprüchen der Folge, die eine korrekte Quantifizierung des erzeugten Io-
analytischen Chemie nicht immer genügte. Publikatio- nensignals nahezu unmöglich macht. Eine für jeden Pro-
nen dieser in der Aussagekraft begrenzten Methoden
gab es in recht großer Zahl vor allem im niedrig aufge-
lösten Bereich für das MALDI-­Imaging sowie im nied-
rigen Massenbereich für das SIMS-Imaging.
Die in den letzten Jahren erfolgten technischen Ver-
besserungen der verfügbaren Massenanalysatoren und
die hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen weitge-
hende Entkopplung von Ionenquellen und Massenana-
lysatoren hatten große Auswirkungen auf die Weiterent-
wicklung der bildgebenden Massenspektrometrie. So
erst konnten sich zum einen die vielen neueren Ionisie-
rungsmethoden entwickeln, die unter Atmosphären-
druck betrieben werden, zum anderen verschob sich das
Anwendungsinteresse durch die verfügbare höhere Ge-
nauigkeit, Empfindlichkeit und Auflösung von den an-
fänglich favorisierten gewebegebundenen Proteinen zu
den kleineren und toponomisch spezifischeren Metabo- ..      Abb. 18.6  AP-SMALDI-Image eines einzelligen aquatischen
liten, Lipiden und pharmakologischen Wirkstoffen, die Lebewesens Paramecium caudatum (Pantoffeltierchen) mit einem auf
1,4 μm fokussierten Laserstrahl und einer Schrittweite (Pixelgröße)
zuvor aufgrund mangelnder massenspektrometrischer
von 3 μm. Dargestellt in Rot, Grün und Blau sind drei ausgewählte
Auflösung nicht von H ­ intergrundsignalen getrennt wer- Lipidspecies. (Adaptiert nach Kompauer et al. 2017a; mit freundli-
den konnten. cher Genehmigung von © Springer Nature Publishing AG 2017)
430 B. Spengler

benort durchgeführte Fokussierung des Strahls führt hin- sen mussten parallel zur bildgebenden Analyse klassi-
gegen zu deutlich verbesserter Quantifizierbarkeit auch sche Identifizierungsmethoden aus homogenisiertem
nichtebener Proben (Kompauer et al. 2017b). Material eingesetzt werden, und es musste anschließend
indirekt auf die Zugehörigkeit zu den bildgebenden Sig-
nalen geschlossen werden. Diese Einschränkung ist in
18.8  Identifizierung und Charakterisierung aktuellen Methoden beseitigt worden, die unmittelbar
vom Gewebe mit hoher Massenauflösung und Massen-
Bislang ist der überwiegende Teil publizierter massen- genauigkeit eine direkte Validierung der Bilddaten er-
spektrometrischer Images hinsichtlich des Informati- möglichen (. Abb. 18.7). Die Abbildung von struktur-

onsgehalts auf die Darstellung einer (grob quantitati- spezifischen Fragmentionen zusätzlich zu den
ven) Intensitätsverteilung eines ausgewählten Vorläuferionen ermöglicht dabei zum einen eine Struk-
Massensignals beschränkt. Die Identifizierung oder gar turaufklärung im klassischen Sinne, zum anderen kön-
Charakterisierung der zugrunde liegenden Substanz di- nen bei unzureichender Selektivität der Vorläuferionen-
rekt aus den bildgebenden Daten war bislang nicht mög- auswahl die einzelnen Fragmentionen den jeweiligen
lich. Ebenso war die substanzspezifische Eindeutigkeit Vorläuferionen zugeordnet werden, indem die Überein-
(analytische Homogenität) des verwendeten Massen- stimmung der zusammengehörigen Verteilungsbilder als
fensters bei niedrig massenauflösenden Massenspektro- Kriterium herangezogen wird (Li et al. 2014).
metern nicht gesichert. Eine analytische Validierung (die Nicht immer ist eine hinreichende strukturspezifische
vor jeder biomedizinischen Validierung stehen muss) Fragmentierung in einer direkten Tandem-MS-­ Analyse
war daher in aller Regel bislang nicht möglich. Stattdes- möglich. Insbesondere im Bereich der Lipidanalytik ergibt

K+ Na + K+ Na + K+ Na +
K+ Na +

Fragmentionen Vorläferionen
391.02653

100
685.33375

685.33375
509.32288

861.36526
relative Häufigkeit

861.38614

18
685.35493

50
509.32288
509.30124

861.36526
375.05273

0
0 150 200 250 300 350 400 450 500 550 600 650 700 750 800 850 900
m/z

..      Abb. 18.7  MALDI-MS/MS-Image von zwei Saponinen in einen tiert. Die einzelnen Fragmentionen-Images lassen sich aufgrund der
Rhizom-Gewebeschnitt von Glycyrrhiza glabra (Echtes Süßholz). übereinstimmenden Verteilungsmuster eindeutig jeweils einem der
Die beiden Vorläuferionen wurden aufgrund der sehr ähnlichen beiden Vorläuferionen zuordnen. (Adaptiert nach Li et al. 2014; mit
Masse im Massenspektrometer gemeinsam selektiert und fragmen- freundlicher Genehmigung von © Bernhard Spengler 2014)
Bildgebende Massenspektrometrie
431 18
Literatur und Weiterführende Literatur
Bouschen, Spengler B et  al (2007) Artifacts of MALDI sample
preparation investigated by high-resolution scanning micro-
probe matrix-assisted laser desorption/ionization (SMALDI)
imaging mass spectrometry. Int J Mass Spectrom
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Bouschen W, Schulz O, Eikel O, Spengler B (2010) Matrix vapour
deposition/recrystallization and dedicated spray preparation for
high-resolution Scanning Microprobe MALDI Imaging mass
spectrometry (SMALDI-MS) of tissue and single cells. Rapid
Commun Mass Spectrom 24:355–364
Guenther S, Römpp A, Kummer W, Spengler B (2011) AP-MALDI
Imaging of neuropeptides in mouse pituitary gland with 5 µm
spatial resolution and high mass accuracy. Int J Mass Spectrom.
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Hillenkamp F, Unsöld Ε E, Kaufmann R, Nitsche R (1975) Laser
microprobe mass analysis of organic materials. Nature 256:119–
120
Hummon AB, Sweedler JV, Corbin RW (2003) Discovering new neu-
ropeptides using single-cell mass spectrometry. Trends Anal
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Jespersen S, Chaurand E, van Strien FJC, Spengler B, van der Greef
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by MALDI-PSD. Mass Spectrom 71:660–666
Kompauer M, Heiles S, Spengler B (2017a) Atmospheric pressure
MALDI mass spectrometry imaging of tissue and cells at 1.4 μm
lateral resolution. Nat Methods 14:90–96
Kompauer M, Heiles S, Spengler B (2017b) Autofocusing MALDI
..      Abb. 18.8 MALDI-MS/MS-Images von charakteristischen
mass spectrometry imaging of tissue sections and 3D chemi-
Fragmentionen, die aufgrund von durch den Desorptionslaser ver-
cal topography of nonflat surfaces. Nat Methods 14:1156–
ursachten Doppelbindungsfunktionalisierungen erzeugt wurden.
1158
Die beiden gezeigten Phospholipide stimmen in ihrer Fettsäurezu-
Li B, Bhandari DR, Janfelt C, Römpp A, Spengler B (2014) Natural
sammensetzung und Masse überein und unterscheiden sich lediglich
products in Glycyrrhiza glabra (licorice) rhizome imaged at the
in der Position 7 bzw. 9 einer Fettsäure-Doppelbindung. (Adaptiert
cellular level by atmospheric pressure matrix-assisted laser de-
nach Wäldchen et  al. 2019; mit freundlicher Genehmigung von ©
sorption/ionization tandem mass spectrometry imaging. Plant J
American Chemical Society 2019)
80:161–171
Luxembourg SL, McDonnell LA, Duursma ΜC, Guo X, Heeren
sich diese Problematik, die die Aussagekraft der MAL- RΜA (2003) Effect of local matrix crystal variations in matrix-­
DI-Imaging-Methode in dieser Frage bislang limitierte. Die assisted ionization techniques for mass spectrometry. Anal Chem
äußerst hohe räumliche und funktionelle Spezifität von 75:2333–2341
Phospholipiden hat das Interesse an hochgenauer bildge- Römpp A, Guenther S, Schober Y, Schulz O, Takats Z, Kummer W,
Spengler B (2010) Histology by mass spectrometry: label-free tis-
bender Lipidanalytik erheblich gestärkt. Neben den ver-
sue characterization obtained from high-accuracy bioanalytical
schiedenen Kopfgruppen können die einzelnen Fettsäuren imaging. Angew Chem Int Ed 49:3834–3838
in ihrer elementaren Zusammensetzung auf direkte Weise Schröder WH, Fain GL (1984) Light-dependent calcium release
durch MALDI-Imaging und MALDI-MS/MS-Imaging from photoreceptors measured by laser micro-mass analysis. Na-
bestimmt werden. Ungeklärt blieb bislang jedoch die Posi- ture 309:268–270
Spengler B, Hubert M (2002) Scanning microprobe matrix-assisted
tion von Doppelbindungen innerhalb der einzelnen Fett-
laser desorption ionization (SMALDI) mass spectrometry: inst-
säuren, da die direkte Fragmentierung hierüber nur unzu- rumentation for sub-micrometer resolved LDI and MALDI sur-
reichend Informationen liefert. Die Derivatisierung der face analysis. J Am Soc Mass Spectrom 13:735–748
Doppelbindungen in vorgeschalteten Reaktionen konnte Spengler B, Hubert M, Kaufmann R MALDI ion imaging and bio-
hier weiterhelfen. Ein neues Verfahren hat diese Vorgehens- logical ion imaging with a new scanning UV-laser microprobe.
Proceedings of the 42nd ASMS Conference on Mass Spectro-
weise nun erheblich vereinfacht (Wäldchen et al. 2019). Die
metry and Allied Topics, Chicago, 29. Mai 29–3. Juni 1994,
Verwendung von Benzophenon als Matrix konnte so opti- S 1041
miert werden, dass gleichzeitig mit der MALDI-Messung Stoeckli M, Chaurand E, Hallahan DE, Caprioli RM (2001) Ima-
eine lichtinduzierte Derivatisierung der Doppelbindungen ging mass spectrometry: a new technology for the analysis of
stattfindet und die Produkte mit MALDI-MS/MS-Ima- protein expression in mammalian tissue. Nat Med 7:493–496
Wäldchen F, Spengler B, Heiles S (2019) Reactive matrix-assisted
ging abgebildet und ausgewertet werden können. Dieses als
laser desorption/ionization mass spectrometry imaging using an
Reactive MALDI bezeichnete Verfahren erlaubt nun eine intrinsically photoreactive Paternò-Büchi matrix for double-­
sehr schnelle und einfache Charakterisierung der Doppel- bond localization in isomeric phospholipids. J Am Chem Soc
bindungspositionen isomerer Lipide (. Abb. 18.8).
  141:11816–11820
433 19

Protein-Protein-­
Wechselwirkun­gen
Peter Uetz, Eva-Kathrin Ehmoser, Dagmar Klostermeier,
Klaus Richter und Ute Curth

Inhaltsverzeichnis

19.1 Das Two-Hybrid-System – 435


19.1.1  as Konzept des Two-Hybrid-Systems – 435
D
19.1.2 Die Elemente des Two-Hybrid-­Systems – 436
19.1.3 Konstruktion des Köderproteins – 437
19.1.4 Welche Köderproteine eignen sich für das Two-Hybrid-System? – 440
19.1.5 Aktivator-Fusionsprotein und cDNA-Bibliotheken – 440
19.1.6 Durchführung des Two-Hybrid-­Screenings – 441
19.1.7 Modifizierte Anwendungen und Weiterentwicklungen der
Two-Hybrid-Technologie – 445
19.1.8 Biochemische und funktionale Analyse der Interaktoren – 446

19.2 TAP-Tagging und Reinigung von Proteinkomplexen – 447


19.2.1  etrovirale Transduktion – 448
R
19.2.2 TAP-Reinigung – 449
19.2.3 Massenspektrometrische Analyse – 450
19.2.4 Limitationen der TAP-Reinigung – 450

19.3 In vitro-Interaktionsanalyse: GST-Pulldown – 450

19.4 Ko-Immunpräzipitation – 452

19.5 Far-Western-Blot – 453

19.6 Plasmonenspektroskopie (Surface Plasmon Resonance) – 453

19.7 Fluoreszenz-Resonanz-­Energietransfer – FRET – 456


19.7.1 F RET-Effizienzen und ihre experimentelle Bestimmung – 456
19.7.2 Methoden der FRET-Messung – 458
19.7.3 Einbringen von FRET-Sonden in Biomoleküle – 460
19.7.4 Anwendungen von FRET: Interaktions- und Strukturanalyse – 461
19.7.5 FRET als diagnostisches Werkzeug: Biosensoren – 461
19.7.6 Ausblick – 462

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_19
19.8 Analytische Ultrazentrifugation – 462
19.8.1 Instrumentelle Grundlagen – 463
19.8.2 Sedimentationsgeschwindigkeits­experimente – 465
19.8.3 Sedimentationsgleichgewichtsexperimente – 468

Zitierte und Weiterführende Literatur – 470


Protein-Protein-Wechselwirkungen
435 19
55 Das Yeast-Two-Hybrid-System (Y2H) ist eine geneti- Proteine oder auch komplexe Gemische, etwa Lysate,
sche Methode, um Protein-Protein-Interaktionen verwendet. Die Ultrazentrifugation nimmt insofern eine
(PPIs) zu identifizieren, indem potenziell interagie- Sonderstellung ein, da sie sehr kurzlebige Wechselwir-
rende Proteine in Hefezellen exprimiert werden. Die kungen nachweisen kann.
ursprüngliche Idee des Y2H wurde dramatisch erwei- Bei der biochemischen Detektion dürfen die Disso-
tert und auf zahlreiche Probleme, Moleküle und Zell- ziationsraten der Interaktionspartner nicht zu groß sein
typen ausgeweitet. Es wird heute als Teilmenge der (d.  h. die Interaktion sollte recht stabil sein), weil die
„Protein-Fragment-­Komplementationsmethoden“ an- wechselwirkenden Proteine in aller Regel stringente oder
gesehen. zeitaufwendige Waschprotokolle überstehen müssen,
55 Affinitätsreinigung von Proteinen, gekoppelt mit Mas- die Hintergrundsignale auf ein erträgliches Maß senken
senspektrometrie, ist heute die dominante Methode sollen.
zur Detektion von PPIs, vor allem von Proteinkomple- Das von Fields und Song entwickelte, sog. Two-­
xen. Hybrid-­System (auch interaction trap genannt) weist
55 Biochemische Methoden wie Ko-Immunpräzipitation Protein-Protein-Wechselwirkungen in intakten Zellen
und GST-Pulldowns sind klassische PPI-Methoden, (normalerweise in Hefezellen) auf genetischer Basis
obwohl bisher kaum zur Hochdurchsatzanwendung nach. Die oben genannten Nachteile der biochemischen
genutzt. Detektion werden dabei umgangen. Darüber hinaus
55 Surface Plasmon Resonance (SPR) ist eine physikali- bietet es die Möglichkeit, eine Vielzahl bislang unbe-
sche Methode, die Bindung von Proteinen an Oberflä- kannter Protein-Protein-Wechselwirkungen mit gerin-
chen quantitativ mit Lasern zu bestimmen. gem technischem Aufwand zu identifizieren. Nach ihrer
55 Förster-Resonanz-Energietransfer (FRET) ist eine ab- Erstbeschreibung im Jahr 1989 hat diese Methodik (und
standsabhängige Wechselwirkung zweier Farbstoffe, ihre zahlreichen Varianten) die moderne Zell- und Mo-
aus der PPIs und die Abstände zwischen Proteinen be- lekularbiologie bereits revolutioniert. Die große Mehr-
stimmt werden können. Intramolekularer FRET kann zahl der heute bekannten direkten Proteininteraktionen
zur Berechnung von Strukturmodellen verwendet wer- wurden entweder mit dem Two-Hybrid-System oder per
den. AP/MS entdeckt. In den folgenden Abschnitten sollen
55 Die Ultrazentrifugation (UZ) kann zur Charakterisie- diese Verfahren detailliert vorgestellt und erläutert wer-
rung von PPIs und Proteinkomplexen genutzt werden den. Außerdem wird auch auf die Varianten eingegan-
indem man sich die verschiedenen Sedimentationsei- gen, die sich vom Two-Hybrid-System ableiten oder die-
genschaften von Proteinen und ihren Komplexen zu- ses ergänzen.
nutze macht.

Bei jedem biologischen Prozess spielen Protein-­Protein-­


Wechselwirkungen eine wesentliche Rolle: DNA-Repli- 19.1  Das Two-Hybrid-System
kation, Transkription, Translation, Spleißen, Sekretion,
Kontrolle des Zellzyklus oder Signaltransduktion kön- 19.1.1  as Konzept des Two-Hybrid-
D
nen weitgehend anhand ihrer Proteininteraktionen be- Systems
schrieben werden. Daher ist die Aufklärung dieser Ab-
läufe vor allem eine Aufklärung der zugrunde liegenden Das klassische Two-Hybrid-System nach Fields und
Protein-Protein-­Wechselwirkungen. Song basiert auf dem modularen Aufbau eukaryotischer
Heutzutage werden interagierende Proteine mit rela- Transkriptionsfaktoren. Das Gal4-Protein aus der Bä-
tiv wenigen Methoden identifiziert, vor allem per ckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) ist ein beispielhafter
Proteinfragment-­Komplementierung (zu der auch das Vertreter dieser Proteinfamilie. Gal4 besteht neben an-
Two-Hybrid-System gehört) oder per Aufreinigung und deren Sequenzen vor allem aus zwei Domänen, nämlich
darauffolgender Massenspektrometrie (AP/MS, Affinity einer DNA bindenden Domäne und einer Transkrip-
Purification and Mass Spectrometry). tionsaktivierungsdomäne. Die DNA bindende Domäne
Hat man eine Interaktionen zwischen Proteinen bindet an eine spezifische Upstream-­Aktivatorsequenz
identifiziert, kann diese mithilfe von weiteren Methoden (UAS) der DNA und positioniert den Transkriptions-
verifiziert oder weiter charakterisiert und quantifiziert faktor in die Nähe einer Transkriptionseinheit. Der
werden, z. B. biochemisch (Affinitätschromatographie , auf der DNA fixierte Transkriptionsfaktor nimmt nun
Affinitätsblotting, Far-Western, Immunpräzipitation mithilfe der zweiten Domäne, der Aktivierungsdo-
etc.), chemisch (Crosslinking), oder physikalisch (Sur- mäne, Kontakt mit dem basalen Transkriptionsapparat
face Plasmon Resonance, 7 Abschn.  19.6, FRET
  auf und löst die Transkription aus. Die Beobachtung,
7 Abschn.  19.7, analytische Ultrazentrifugation,
  dass man DNA-Bindungsdomänen und Aktivierungs-
7 Abschn.  19.8). Dabei werden entweder gereinigte
  domänen von Transkriptionsfaktoren trennen und in
436 P. Uetz et al.

Prey-Protein (Y) oder Aktivierungsdomäne (AD)


Protein aus cDNA-Bibliothek (z. B. B42- oder Gal4-AD)

Bait-Protein (X)
„Köder“
DNA-Bindungsdomäne (DBD) Transkription
(z. B. lexA- oder Gal4-DBD)
DNA
UAS Reporter-Gen
(oder lexA-Operator) (z. B. His3, Leu2, LacZ)

..      Abb. 19.1  Das Prinzip des Two-Hybrid-Systems. Die funktiona- teine über die zusätzlichen Proteinanteile interagieren. Protein X
len Domänen eines Transkriptionsfaktors wurden getrennt und sind wird zumeist als Köder (Bait), Protein Y als Beute (Prey) bezeichnet.
auf zwei Fusionsproteine verteilt (daher two-hybrid). Die Aktivie- UAS = upstream activating sequence, eine Sequenz, an welche die
rung der Transkription wird wiederhergestellt, wenn die Fusionspro- DBD binden kann

allen möglichen Kombinationen wieder zusammenset- sem Zweck wird die Aktivatordomäne nicht mit einem
zen kann, erlaubte erst die Entwicklung der Two-Hy- gezielt gewählten Protein fusioniert, sondern meist mit
brid-Technik, einem genetischen System zur Detektion einer Zufallsauswahl von Sequenzen, die im Idealfall
von Protein-Protein-Wechselwirkungen (. Abb. 19.1).   allen Proteinen entsprechen, die in einem bestimmten
Das DNA-Bindungsmodul und das Aktivierungs- Gewebe exprimiert werden. Die überwältigende Mehr-
modul müssen nicht kovalent verbunden sein, sondern zahl der von dieser Bibliothek exprimierten Proteine
können auf zwei separat exprimierten Proteinen lie- wird mit dem Köderprotein nicht interagieren. Aber aus
gen, die nur durch eine nichtkovalente Protein-­Protein-­ denjenigen Hefe-Zellen, in denen das Reportergen akti-
Interaktion verbunden sind (. Abb. 19.1). Als notwen-
  viert wird, können cDNAs für die interagierenden Pro-
dige Komponente des Systems wird weiterhin ein sog. teine sehr einfach gewonnen werden. Diese Anwendun-
Reportergen benötigt, das durch die zwei hybriden Pro- gen machen das Two-Hybrid-System zu einem nahezu
teine angeschaltet wird. Das Reportergen verfügt über universellen Werkzeug zur Erforschung von Protein-­
folgende Eigenschaften: Die Promotorregion muss die Protein-­Wechselwirkungen in allen Feldern der Biologie.
DNA-Sequenz enthalten, an die das DNA-Bindungs-
modul bindet, und die aktivierbare Transkription muss
leicht messbar sein, z.  B. durch einen enzymatischen 19.1.2  ie Elemente des Two-Hybrid-­
D
Assay, der durch die Menge des translatierten Proteins Systems
bestimmt wird (weiter unten wird detailliert auf die tat-
sächlich verwendeten Reportersysteme eingegangen). Die von Fields und Song 1989 erstmals beschrie-
Die separate Expression der beiden Domänen in einer bene Technik verwendet Funktionsmodule aus dem
Zelle wird außerdem keine Transkription auslösen, da Gal4-­Protein und wurde daher zunächst in Hefezel-
die DNA-Bindungsdomäne kein Aktivierungspotenzial len realisiert. Brent und Kollegen haben unabhängig
besitzt und die Aktivierungsdomäne nicht in der Nähe davon ein weiteres Hefesystem mit folgenden Modifi-
des Reportergens binden kann. Die Situation ändert kationen veröffentlicht (vgl. . Abb.  19.1): Die DNA-­

sich, wenn diese Module mit zwei Proteinen oder Prote- Bindungsdomäne von Gal4 wurde durch ein funktional
indomänen X und Y fusioniert werden (daher Two-Hy- analoges DNA bindendes Segment aus dem bakteriel-
brid-System: zwei Hybridproteine), die miteinander len LexA-Protein ersetzt. Entsprechende Plasmide sind
interagieren können. Die Interaktion dieser Fusionspro- in . Abb.  19.2 gezeigt. Konsequenterweise muss das

teine rekonstituiert einen aktiven Transkriptionsfaktor, korrespondierende Reportergen natürlich die entspre-
19 dessen Aktivität durch die Aktivierung eines Reporter- chenden LexA-Erkennungssequenzen in seiner Promo-
gens indirekt messbar wird (. Abb. 19.1).
  torregion aufweisen (lexA-Operator). Da die basalen
Mit einem solchen System lassen sich Wechsel- Elemente (TATA-Box etc.) alleine aber nicht ausreichen,
wirkungen von bekannten Proteinen bestimmen oder um die Transkription nennenswert zu aktivieren, wird
strukturell kartieren. Eine immense Anwendungserwei- der Reporter nur dann eingeschaltet, wenn aktivierende
terung erfährt es aber erst dadurch, dass mit seiner Hilfe Proteine an den lexA-Operator rekrutiert werden. Als
bislang unbekannte Interaktoren für ein bestimmtes Reportergen wurde zunächst das lacZ-Gen aus Escheri-
„Köderprotein“ identifiziert werden können. Zu die- chia coli verwendet, das für das Enzym β-Galactosidase
Protein-Protein-Wechselwirkungen
437 19

A B

ampr ampr TRP1


HIS3

pEG202 pJG4-5
pBR ori pUC ori
9,8 kb 6,2 kb
2µ ori
2µ ori
Gal1-Prom.
NLS
ADH-Prom.
lexA- B24
ADH-Terminator HA ADH-Terminator
DBD

EcoRI-BamHI-Notl-Xhol-Pstl EcoRI-Xhol

..      Abb.  19.2  Hefe-Two-Hybrid-Vektoren (Expressionsplasmide). Dieses Plasmid codiert ein Fusionsprotein, bestehend aus Aktivie-
A Schematische Darstellung des pEG202-Vektors, der das Köderfu- rungsdomäne und einer zu untersuchenden Sequenz, die aus einer
sionsprotein codiert. LexA-DBD entspricht der DNA-­ cDNA-Bibliothek stammen kann. 2μ, pUC ori: Replikationsur-
Bindungsdomäne. Gesteuert wird deren Expression durch den Pro- sprünge der Hefe bzw. von Escherichia coli. ampr: Ampicillin-­
motor (Prom) und Terminator des ­Alkohol-Dehydrogenase-­Gens Resistenz. EcoRI, BamHI, etc.: Restriktionsschnittstellen zur Klo-
der Hefe (ADH1). B Schematische Darstellung des Vektors pJG4-5. nierung von Bait- und Prey-Sequenzen. Weitere Details im Text

codiert. β-Galactosidase setzt den Indikator X-Gal Beispiele zeigen schon die Flexibilität des Systems. Da-
(5-Brom-4-chlor-3-indolyl-β-d-galactopyranosid) zu neben wurden zahlreiche andere Varianten des Y2H-Sys-
einem blauen Produkt um, sodass Hefezellen, in denen tems entwickelt, von denen unten ein paar weitere vor-
das Reportergen aktiviert wurde, leicht an ihrer blauen gestellt werden.
Färbung zu identifizieren sind, wenn sie auf diesem
Substrat ausplattiert werden (. Abb.  19.3). Zusätzlich

wurde ein zweites Reporterkonstrukt in das Genom des 19.1.3 Konstruktion des Köderproteins
Hefestamms integriert, das LEU2-Gen (ebenfalls mit
lexA-Operator), das von essenzieller Bedeutung für die Zunächst muss die cDNA für ein Protein, für das mit
Biosynthese der Aminosäure Leucin ist. Diese Strategie dem Two-Hybrid-System Interaktoren gefunden wer-
bietet den Vorteil, dass Hefezellen nur dann wachsen den sollen, in den entsprechenden Ködervektor integ-
können, wenn durch die Interaktion der beiden Fusions- riert werden. Das Plasmid pEG202 besitzt die hierfür
proteine die Leucinbiosynthese ermöglicht wird. Somit nötigen Merkmale (. Abb. 19.2):

wurde zusätzlich zum Screeningkriterium „Blaufärbung“ 55 eine DNA bindende Domäne, hier des LexA-­
noch ein Selektionskriterium „Zellteilung“ eingeführt, Proteins, unter Kontrolle eines zumeist konstitutiv
was den Umgang mit der Methode sehr erleichtert. Vo- aktiven Promotors (hier des Alkohol-Dehydrogenase-­
raussetzung für die Selektion dieser Zellen auf Medien, Gens). An den Carboxyterminus dieser Domäne
die kein Leucin enthalten, ist natürlich die Deletion des wird das Köderprotein fusioniert
endogenen Leu2-Gens des Akzeptorhefestamms. 55 einen sog. Polylinker, der die Klonierung von cDNAs
Die zweite wesentliche Änderung betrifft das Akti- unter Einhaltung des richtigen Leserahmens ermög-
vierungsmodul: Hier verwendete Brent nicht die ent- licht
sprechende Funktion aus dem Gal4-Protein, sondern 55 eine hefespezifische Terminatorsequenz zum Ab-
eine synthetische saure Peptidsequenz (B42), die die bruch der Transkription (in diesem Fall ebenfalls
Transkription weniger stark aktiviert als Gal4 und dem- vom Alkohol-Dehydrogenase-Gen, deshalb auch
zufolge weniger empfindlich auf extrem schwache Wech- TADH1 genannt)
selwirkungen reagieren sollte (Vermeidung von Hinter- 55 Elemente, die seine Propagation in Hefe- bzw. Esche-
grundsignalen). Im Folgenden wird hauptsächlich auf richia-coli-Zellen ermöglichen: einen hefespezifischen
dieses zweite System Bezug genommen. Diese beiden Replikationsursprung (2μ-ori) sowie einen Replikati-
438 P. Uetz et al.

..      Abb. 19.3  Das Enzym β-Galactosidase CH2OH


(codiert vom lacZ-Gen) katalysiert die O
Umsetzung von X-Gal (farblos) zu HO Cl
O
5,5′-Dibrom-4,4′-dichlorindigo (blau) Br
OH

N
OH H

5-Brom-4-chlor-3-indoxyl-β-D-galactopyranosid (X-Gal)
(farblos)

β-Galactosidase

Cl OH Cl O
H
Br Br N
+ O2

N N Br
H H O Cl
5,5‘-Dibrom-4,4‘-dichlorindigo
(blau)

onsursprung für die Amplifikation des Plasmids in zelle exprimiert, die eine Bindungsstelle für das LexA-
Escherichia coli (z. B. pBR- oder pUC-origin) (oder Gal4-)Protein zwischen einer Aktivatorsequenz
55 einen Marker für die metabolische Selektion der mit (Upstream-Aktivatorsequenz, UAS) und einem Repor-
diesem Vektor transformierten Zellen, in diesem tergen enthält. Die Bindung des Köders wird dadurch
Falle das HIS3-Gen, welches für die Histidinbiosyn- das Reportergen inaktivieren oder dessen Expression
these in der Hefe benötigt wird. Das β-Lactamasegen zumindest schwächen. Hierfür kann z.  B. das Plasmid
(Ampicillin-Resistenz, ampr) dient zur Selektion in pJK101 verwendet werden, das hier allerdings nicht be-
Escherichia coli. sprochen wird.
Es muss weiterhin überprüft werden, ob das Köder-
Das von diesem Vektor codierte Köderprotein muss ei- protein selbst die Transkription des Reportergens aus-
nige weitere Kriterien erfüllen, um für ein Two-Hybrid-­ lösen kann (Kriterium „Autoaktivierung“), was die
Experiment tauglich zu sein. Diese sind: Durchführung des Two-Hybrid-Screenings schwierig
55 Expression des Fusionsproteins. Gelegentlich kann machen würde. Dies ist besonders dann ein zu erwarten-
es vorkommen, dass das Protein instabil ist und von des, ernstes Problem, wenn das Köderprotein ein be-
der Hefe abgebaut wird. Gegebenenfalls kann dies kannter Transkriptionsfaktor ist. Aber auch völlig hete-
durch Western-Blotting verifiziert werden, wofür zu- rologe Proteine enthalten manchmal saure Aminosäuren,
sätzliche Protein-Tags eingebaut werden können die die Transkription des Reportergens unspezifisch ak-
(z. B. ein HA-Tag, . Tab. 19.1)
  tivieren können. Tatsächlich sind rund 10  % aller Pro-
55 Transport des Fusionsproteins in den Zellkern des teine mehr oder weniger starke Aktivatoren! Es gibt
Akzeptorstamms und Bindung an die LexA binden- zwei prinzipielle Möglichkeiten, mit diesem Problem
den DNA-Elemente in der Promotorregion der Re- fertig zu werden. Die erste Lösung macht sich zunutze,
portergene; das LexA-Fragment enthält dafür ein dass unspezifische Aktivierung durch Proteinsequenzen
Kernlokalisationssignal (Nuclear Localization Sig- häufig nicht sehr stark ist und deshalb durch die Assay-
nal, NLS). bedingungen in den Griff bekommen werden kann.
19 55 Das Fusionsprotein selbst darf die Transkription des Beim LexA-Two-Hybrid-System kann man die Zahl der
Reportergens nicht auslösen. LexA-Bindungsstellen variieren: Je mehr LexA-Bin-
dungssequenzen in Tandemanordnung vor ein Repor-
Den Beweis für die Expression eines funktionalen Kö- tergen geschaltet werden, desto empfindlicher wird der
derproteins kann man entweder durch einen Western-­ Assay. Benutzt man das His3-Gen als Reporter, kann
Blot oder durch einen einfachen phänotypischen Assay man dessen Aktivität einfach durch Zugabe des Inhibi-
erbringen: Das Köderprotein wird einfach in einer Hefe- tors 3-Aminotriazol blockieren (. Abb. 19.4). Der Vor-  
Protein-Protein-Wechselwirkungen
439 19
mM
..      Tab. 19.1  Häufig benutzte Epitop-Tags für die Affinitäts-
3AT
reinigung von Proteinen

Einfache Tags Affinitätsreagenz

Protein A/Protein G Immunglobulin (IgG)


1
Glutathion-S-Transferase Glutathion-Sepharose
(GST)
Maltose-bindendes Protein Amylose
(MBP)
Grün fluoreszierendes anti-GFP
Protein (GFP)
Streptavidin-bindendes Streptavidin 3

Peptid (SBP)
Calmodulin-bindendes Calmodulin
Peptid (CBP)
HexaHis- (His6-)Tag Nickel-NTA 18C 19
(HHHHHH)
16
HA-Tag (YPYDVPDYA) anti-HA 25 25

V5-Tag anti-V5
(GKPIPNPLLGLDST)
Myc-Tag (EQKLISEEDL) anti-Myc
FLAG-Tag anti-FLAG
N
(DYKDDDDKG)
H2N
Strep-Tag (WSHPQFEK) StrepTactin
NH
N
TAP-Tags (Tandem-Tag) Referenz
3-Aminotriazol (3AT)
Protein A-TEV-CBP Rigaut et al. Nat. Biotechnol.
17 (1999) 1030 ..      Abb.  19.4 Inhibition des His3-Reporterproteins durch
Protein G-TEV-SBP Burckstummer et al. Nat. 3-­Aminotriazol (3AT). Jedes Foto zeigt Hefekolonien in Vierergrup-
Meth. 3 (2006) 1013 pen, die jeweils eine Y2H-Interaktion anzeigen. Bei 1  mM 3AT ist
ein deutliches Hintergrundsignal zu sehen, das mit zunehmender
LAP-tag Cheeseman et al. Sci. STKE Konzentration von 3AT reduziert oder komplett unterdrückt werden
266 (2005) 1 kann. Allerdings können ab einer gewissen 3AT-Menge auch echte,
aber schwache Interaktionen verloren gehen (z. B. rechts unten). Ge-
Strep-HA Glatter et al. Mol .Syst. Biol.
zeigt sind Interaktionen einer Ribonucleotid-­ Reduktase- (RNR-)
5 (2009) 237
Untereinheit des Windpockenvirus. Die Zahlen bei 25 mM geben die
ORF-Zahlen des Virus an, die mit der RNR-­Untereinheit interagie-
ren. (Nach Stellberger et al. 2010)

teil ist, dass verschieden starke Autoaktivatoren durch es sinnvoll sein, eher mit kleineren, funktionalen Einhei-
verschiedene 3AT-­Konzentrationen individuell suppri- ten (Domänen) nach Interaktionen zu suchen als mit
miert werden können. intakten Proteinen. Voraussetzung ist natürlich, dass
Im Falle einer sehr kräftigen Aktivierung der Repor- entsprechende Informationen zur Verfügung stehen. Oft
tertranskription durch den Köder (wenn das Protein kann man sich aber durch Sequenzvergleiche behelfen,
z. B. selbst ein Transkriptionsfaktor ist) gibt es kein ge- da Domänen in der Regel als konservierte Abschnitte
eignetes quantitatives Mittel, um es im Two-Hybrid- innerhalb eines Proteins abgegrenzt werden können. Zu-
Screen einzusetzen. In diesem zweiten Fall müssen die gleich kann man mit der Verwendung von Domänen
Sequenzen, die für die Eigenaktivierung verantwortlich gleichzeitig kartieren, welche Abschnitte innerhalb eines
sind, aus dem Protein entfernt werden. Überhaupt kann Proteins für die Interaktion verantwortlich sind.
440 P. Uetz et al.

19.1.4  elche Köderproteine eignen sich


W baut wie das zuvor beschriebene pEG202-­Köderplasmid.
für das Two-Hybrid-System? Selbstverständlich unterscheidet sich der metabolische
Marker, da beide Plasmide unabhängig voneinander in
Prinzipiell lassen sich sehr viele verschiedene Proteine den Hefestamm transformiert werden. Im Fall des
mithilfe des Two-Hybrid-Systems untersuchen. In pJG4-5 Vektors wird das TRP1-Gen verwendet, das es-
der Praxis gibt es jedoch Einschränkungen. So könn- senziell für die Tryptophanbiosynthese ist. Die für das
ten Protein-­ Protein-Wechselwirkungen von Modifika- Two-Hybrid-System benötigte Transkriptionseinheit
tionen dieser Proteine abhängen (z.  B.  Glykosylierung, setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Zunächst
Phosphorylierung, Sulfatierung, Myristylierung oder wurde hier mit dem GAL1-­Promotor ein durch Galac-
Isoprenylierung). Derartige Modifikationen treten bei tose aktivierbares Promotorelement verwendet, d. h. der
Two-Hybrid-Fusionsproteinen, die im Hefezellkern Promotor ist nicht konstitutiv aktiv, sondern induzier-
überexprimiert werden, unter Umständen gar nicht oder bar. Dies hat bestimmte Vorteile, auf die weiter unten
nicht spezifisch genug auf, sodass notwendige Elemente eingegangen wird. Der verwendete Transkriptionstermi-
der Interaktion fehlen. nator ist wiederum die Sequenz aus dem Alkohol-De-
Die Lösung dieser Probleme ist, wenn sie überhaupt hydrogenase-Gen. Das von dieser Transkriptionseinheit
als solche erkannt werden, in manchen Fällen möglich. codierte Fusionsprotein setzt sich aus folgenden Ele-
Wenn ein bestimmtes Köderprotein unter physiologi- menten zusammen: Aminoterminal enthält es eine nuc-
schen Bedingungen von einer bekannten Proteinkinase leäre Translokationssequenz, die für den Transport in
phosphoryliert wird, könnte man diese Kinase auch in den Hefezellkern notwendig ist (beim pEG202-Vektor
das Two-Hybrid-Experiment integrieren. Die Kinase wurde diese Funktion vom LexA-Protein übernom-
muss natürlich bei Überexpression in Hefezellkernen men). Daran schließt sich die eigentliche saure Aktivie-
eine ähnliche Aktivität und Spezifität besitzen wie in ih- rungsdomäne (B42) an, die, wie schon erwähnt, synthe-
rer eigentlichen Umgebung, und ihre biologische Funk- tischer Natur ist. Carboxyterminal wird entweder eine
tion darf für die Hefe nicht toxisch sein. Dies ist gegebe- bekannte Protein- beziehungsweise Proteindomänense-
nenfalls in Vorversuchen zu klären. In einigen Fällen hat quenz oder eine cDNA-Bibliothek inseriert. Zusätzlich
man die notwendigen Enzyme sogar direkt an das Kö- enthält der Vektor noch eine sog. Epitop-Tag-Sequenz
derprotein fusioniert und damit erfolgreich modifikati- (HA, . Abb. 19.2), welche die Detektion der Expression

onsabhängige Interaktionen nachgewiesen. Bei Memb- mithilfe entsprechender Anti-HA-Antikörper ermög-


ranproteinen oder Zelloberflächenproteinen wurden licht, die auch kommerziell erhältlich sind.
erfolgreich die cytoplasmatischen Domänen gescreent. Falls eine bekannte Sequenz insertiert wird, muss
Tatsächlich können auch Transmembranproteine als darauf geachtet werden, dass der korrekte Leserahmen
Köder benutzt werden. Allerdings scheint dies nur bei erhalten bleibt. Wenn jedoch eine cDNA-Bibliothek in
bestimmten Proteinen gut zu funktionieren, z.  B.  Pro- diesen Vektor eingefügt wird, ist die Wahrung des Le-
teine des sekretorischen Wegs. Man vermutet, dass diese serahmens nur statistisch möglich. Zwei Drittel bzw.
Proteine zuerst in die Membran des Endoplasmatische fünf Sechstel aller zufällig eingefügten Sequenzen wer-
Retikulums (ER) integriert werden und von dort in die den automatisch im falschen Rahmen abgelesen, je
Kernmembran wandern, die mit dem ER verbunden ist nachdem, ob die cDNA in direktionaler Weise in den
(eine Two-Hybrid-Interaktion muss im Kern stattfin- Vektor integriert wurde oder nicht. In der Praxis löst
den!). man das Problem aber einfach durch die Herstellung
einer möglichst umfangreichen Zufallsbibliothek, in
der alle Sequenzen in allen Leserahmen vorhanden
19.1.5  ktivator-Fusionsprotein und cDNA-
A sind.
Bibliotheken Mittlerweise sind nicht nur cDNA-Bibliotheken der
wichtigsten Modellorganismen (einschließlich des
19 Menschen) und Gewebe kommerziell erhältlich, son-
Die zweite Säule des Two-Hybrid-Systems ist eine
cDNA-Bibliothek oder eine bekannte Proteinsequenz, dern auch definierte Klonbibliotheken, die alle ORFs
die mit der Aktivatordomäne fusioniert werden muss. komplett enthalten. Dadurch vermeidet man die meist
Dieses zweite Fusionsprotein wird von einem zusätzli- drastische Ungleichverteilung einzelner Transkripte in
chen Plasmid exprimiert. Der zu diesem Zweck herge- einer cDNA-Bibliothek und erhält stattdessen eine
stellte Vektor pJG4-5 (. Abb. 19.2) ist in Bezug auf die

normalisierte Bibliothek. Ein häufig genutztes Klonie-
allgemeinen Steuerelemente, die der Propagierung in rungssystem für solche ORF-Bibliotheken ist das
Escherichia coli bzw. Hefe dienen, ganz ähnlich aufge- Gateway-System, ein Vielzweckvektorsystem, das die
Protein-Protein-Wechselwirkungen
441 19
rasche Umklonierung in andere Expressionsvektoren Reportergene zur Detektion der eigentlichen Interak-
für weitere Analysen ermöglicht (z.  B. als GFP-Fusi- tion einsetzt. Die üblicherweise verwendeten Reporter-
onsproteine für Lokalisationsstudien). gene sind
55 Ura3 = Orotidin-5′-phosphat-Decarboxylase (Uri-
dinsynthese)
19.1.6 Durchführung des Two-Hybrid-­ 55 His3 = Imidazolglycerolphosphat- (IGP-)Dehydra-
tase (Histidinsynthese)
Screenings 55 Trp1 = Phosphoribosylanthranilat-Isomerase (Tryp-
tophansynthese)
19.1.6.1 Voraussetzungen
55 Leu2 = 3-Isopropylmalat-Dehydrogenase (Leucin-
Um das Screening durchzuführen müssen alle beschrie- synthese).
benen Elemente, also Köderplasmid (1. Hybridprotein),
das cDNA-Bibliothek-­Aktivierungsdomänenplasmid Der Hefe-Stamm EGY48 erfüllt die notwendigen Vo-
(2. Hybridprotein) und das Reporterplasmid, in einen raussetzungen, da er auxotroph für Uracil, Histidin,
Hefestamm transformiert werden, in dessen Genom Tryptophan und Leucin ist. (das URA3-Gen wird als
zusätzlich ein Reporterkonstrukt für eine Wachstums- selektierbarer Marker für das lacZ-­Reporterplasmid ver-
selektion auf Protein-Protein-­ Wechselwirkungen in- wendet). Die ersten drei Marker werden ausschließlich für
tegriert wurde (. Abb.  19.5). Prinzipiell können die

die unabhängige Propagation der drei Plasmidelemente
Reportergene im Genom integriert sein oder auf Plas- benötigt, während das modifizierte LEU2-Gen – der ge-
miden liegen. Dieser Hefestamm muss demnach min- nomische Reporter  – für das eigentliche Screening ver-
destens dreifach selektierbar sein, obwohl man oft zwei wendet wird. Allerdings ist die Verwendung dieser Mar-

color
color
3 4

color 2 color 4
color 1
color 3

color
color
3 4

color 2
color 2

color 1
color 1

..      Abb.  19.5  Protein-Protein- und Protein-DNA-Wechselwirkun- terplasmid. Ein zweites Reportergen (LEU2) ist im Genom integriert.
gen im Hefezellkern beim Two-Hybrid-System. Rot: Bait- bzw. Prey-­ Weitere Details im Text
Proteine und proteincodierende Sequenzen. pSH18-34 ist ein Repor-
442 P. Uetz et al.

ker willkürlich – andere Two-Hybrid-Systeme verwenden exprimiert wird, deren Proteinprodukte teilweise to-
andere Kombinationen (z. B. mit His3 als ­genomischem xisch sein könnten. Würde also das Screening in einem
Reporter) oder ganz andere Markergene. Schritt, bei konstitutiver Expression beider Hybridpro-
teine, stattfinden, könnte ein Teil der frisch transformier-
19.1.6.2  Das Interaktionsscreening ten Zellen durch die toxische Wirkung der exprimierten
Im ersten Schritt des Screens müssen die benötigten cDNAs verlorengehen. Dies wird beim zweistufigen
Plasmide sequenziell in den Akzeptorstamm befördert Protokoll vermieden. Da die cDNA in glucosehaltigem
werden. Dies ist bis auf die Transformation mit einer Medium zunächst gar nicht exprimiert wird, erhalten
cDNA-Bibliothek trivial, da jeweils nur einige wenige alle transformierten Zellen die gleiche Chance zur Pro-
Klone benötigt werden, um zum nächsten Schritt zu ge- liferation. Danach wird die auf Glucose amplifizierte
langen. Die Transformation mit der cDNA-­Bibliothek Hefebibliothek auf galactosehaltiges und leucinfreies
muss jedoch sehr effizient sein, um später eine repräsen- Medium umgesetzt. Dies hat folgende Konsequenz: Das
tative Anzahl von Sequenzen screenen zu können. Die zweite Hybridprotein wird exprimiert, und es können
Faustregel lautet hier: Mindestens eine Million unab- nur noch solche Zellen weiterwachsen, in denen die Fu-
hängige Klone müssen analysiert werden, um seltene sionsproteine interagieren, denn der leucinauxotrophe
cDNAs mit zu erfassen. Für das Two-Hybrid-­ Stamm benötigt jetzt das vom genomischen Reporterlo-
Experiment bedeutet dies jedoch, dass ungefähr drei cus exprimierte Enzym für die Leucinbiosynthese. Auch
Millionen Sequenzen untersucht werden müssen, da bei diesem zweiten Schritt könnte theoretisch eine Toxi-
zwei Drittel (bzw. fünf Sechstel, vgl. oben) der transfor- zität des cDNA-Aktivator-Fusionsproteins ein Problem
mierten Bibliothek den falschen Leserahmen aufweisen darstellen. In der Regel ist dies jedoch nicht mehr prob-
(s. oben). Dies erfordert eine effektive Transformations- lematisch, da die proliferierten Zellen viel robuster sind.
methode. Wünschenswert ist etwa eine Effizienz von Zellen, in denen die Hybridproteine interagieren,
105–106 Transformanten pro Mikrogramm transfor- können sich auf leucinfreien Medien weiter teilen. Wenn
mierter DNA. Eine solche Effizienz war lange Zeit nur das Köderprotein keine aktivierenden Eigenschaften
schwer zu erreichen, da Hefe sich nicht annähernd so hat, die zum Hintergrund beitragen, überlebt nur ein
gut transformieren ließ wie das Bakterium Escherichia kleiner Teil der transformierten Hefezellen. Wie viele
coli, bei dem eine Ausbeute von 108–109 Transformanten primäre Hefeklone an dieser Stelle tatsächlich zu erwar-
pro Mikrogramm DNA kein Problem darstellt. Eine ste- ten sind, ist quantitativ nicht leicht zu bestimmen, in der
tige Verbesserung der bekannten LiOAc-Polyethylengly- Praxis erhält man hier zwischen einigen Dutzend und
kol-Transformation (diese Komponenten machen die mehreren hundert Isolaten. Aus diesen Kolonien kön-
Zellwand von Hefezellen für DNA durchlässig) löste nen Lager (stocks) angelegt werden, die unbegrenzt halt-
dieses Problem, sodass eine Effizienz von 105 Transfor- bar sind, sodass ihre anschließende Analyse gegebenen-
manten pro Mikrogramm DNA für Hefezellen heute in falls schrittweise erfolgen kann. Der gesamte Sachverhalt
vielen Labors Standard ist. Nach erfolgreicher Transfor- ist im Zusammenhang in . Abb. 19.6 dargestellt.

mation erhält man demnach eine Hefebibliothek, die


sich aus mehreren Millionen unabhängiger Klone zu- 19.1.6.3  Falsch-positive Klone
sammensetzt und die zusätzlich alle weiteren Plasmid- Mit einfachen genetischen Schritten kann der Hinter-
komponenten für das Screening enthält. In dieser Form grund von falsch-positiven Klonen eliminiert werden,
lässt sich die Bibliothek bei −70 °C unbegrenzt lagern. sodass sich die zu analysierende Zahl von Klonen wei-
Im zweiten Schritt erfolgt das eigentliche Scree- ter reduziert. Der falsch-positive Hintergrund entsteht
ning. Wir erinnern uns, dass das Köderprotein konsti- u. a. durch in der transformierten Population vorhan-
tutiv exprimiert wird, während das cDNA-Aktivator-­ dene, mutierte Hefezellen, die auf leucinfreien Medien
Fusionsprotein durch die Anwesenheit von Galactose wachsen können, obwohl die Hybridproteine nicht mit-
im Medium induzierbar ist (GAL1-Promotor). Für einander wechselwirken. Ein Teil dieses Hintergrunds
19 das Screening muss also die Hefebibliothek auf galac- kann durch Replattieren der positiven Population auf
tosehaltiges Medium umgesetzt werden (normalerweise X-Gal-­haltiges Medium subtrahiert werden, weil die
wird für Saccharomyces cerevisiae Glucose als Kohlen- Zellen zusätzlich zum chromosomalen Reporterlokus
stoffquelle verwendet). Dieser zusätzliche Schritt  – der noch den Plasmidreporter enthalten, der für
das Verfahren vordergründig komplizierter zu machen β-Galactosidase codiert. Im Falle einer echten Wechsel-
scheint – wird hauptsächlich deshalb durchgeführt, weil wirkung sollten beide Reporter, die sich nicht auf dem
mit einer gesamten cDNA-Bibliothek, die üblicherweise gleichen Genom und damit in trans-Stellung befinden,
auch noch aus einem heterologen Gewebe stammt, eine trotzdem in gleichem Maße aktiviert werden
Vielzahl bis dahin unbekannter Sequenzen in der Hefe (. Abb. 19.5).

Protein-Protein-Wechselwirkungen
443 19
..      Abb. 19.6 Flussdiagramm
eines Two-Hybrid-Screens Vgl.
mit . Abb. 19.5

Auch die Induzierbarkeit des cDNA-Hybridproteins ausbleiben (normalerweise wird man an dieser Stelle nur
kann und sollte zur Eliminierung von Hintergrundsignalen noch die β-Galactosidaseaktivität überprüfen).
herangezogen werden. Dieses Fusionsprotein wird durch Aus den Kandidaten, die diese Prozeduren überstan-
die Anwesenheit von Galactose im Medium induziert, wo- den haben, kann auf einfache Weise der cDNA-Vektor
mit die Präsenz oder das Fehlen dieser Kohlenstoffquelle isoliert werden, der dann für weiterführende Analysen
auch zu einem Testkriterium auf die Echtheit der Interak- (z. B. DNA-Sequenzierung) zur Verfügung steht. Beim
tion wird. Beim Replattieren der positiven Kandidaten auf Screening einer ganzen Klonbibliothek wird man er-
Glucose sollte nämlich die Aktivierung der Reportergene warten, dass gleiche oder ähnliche überlappende Klone
444 P. Uetz et al.

mehrfach gefunden werden. Findet man nur Einzel- haploide a-Zellen ausplattiert. Der Köderklon muss
klone, deutet das auf falsch-positive hin (weil diese dann als haploider α-Stamm vorliegen. Durch simples
durch Einzelmutationen entstehen können). Auftupfen der Köderzellen (haploid, α-Zellen!) auf die
Durch Rücktransformation der DNAs in Hefezellen, a-Zellen werden die Zellen gemischt. Innerhalb weniger
die mit Kontrollköderkonstrukten beladen sind, kann Stunden paaren sie sich und bilden diploide Zellen;
schließlich auch eine Aussage über die Spezifität der er- wenn man diese auf einem Medium ausplattiert, das
haltenen Interaktionen gemacht werden. z.  B. weder Leucin noch Tryptophan enthält, werden
nur diejenigen Zellen wachsen, die durch die Paarung
19.1.6.4  Einzeltests und Two-Hybrid-Arrays zwei Plasmide enthalten, die mit den Markergenen Leu2
Anstatt cDNA-Bibliotheken zu screenen werden Two-­ und Trp1 auch ohne diese Aminosäuren wachsen kön-
Hybrid-­Assays oft dazu benutzt, einzelne Interaktionen nen (. Abb. 19.5). Die Vorteile des Arrayscreenings lie-

zu testen. Beispielsweise kann man überprüfen, ob eine gen auf der Hand: Die positiven Klone müssen nicht
bekannte Interaktion konserviert ist und auch zwischen einzeln per DNA-Präparation und Sequenzierung über-
homologen Proteinen einer anderen Art stattfindet. Oft prüft werden, weil die Identität der Interaktoren unmit-
kommt es auch vor, dass ein Interaktionspartner zu ei- telbar aus der Position im Array hervorgeht. Falsch-po-
ner Genfamilie gehört und nun überprüft werden soll, sitive Klone können weitgehend vermieden werden, weil
ob die anderen Familienmitglieder ebenfalls dieselbe Hintergrundsignale sofort sichtbar werden und die Re-
Interaktion eingehen (was alles andere als selbstver- produzierbarkeit eines Signals mit einer einfachen Wie-
ständlich ist – man denke nur an die zahlreichen Prote- derholung des Screens sichergestellt werden kann.
inkinasen und ihre völlig verschiedenen Substrate!). Sol-
che Hypothesen können leicht mit einem einzelnen 19.1.6.5  Erfolgsquote des Two-Hybrid-
Two-­Hybrid-­ Test überprüft werden. Die Idee wurde Systems
aber noch weiter entwickelt bis hin zur vollständigen Das Two-Hybrid-System benutzt Fusionsproteine, die
Klonierung aller Gene (genauer: aller offenen Leserah- oft die Interaktion der benutzten Bait- und Prey-­Proteine
men) eines Organismus in Two-Hybrid-Vektoren. Wenn einschränken. Tatsächlich findet ein Two-­Hybrid-­Screen
man solche geordneten Bibliotheken systematisch in ei- mit einem einzigen Bait-Vektor und einer Klonbiblio-
nem Arrayformat ausplattiert, kann man damit ein gan- thek in einem Prey-Vektor nur ca. 20–30 % aller Inter-
zes Proteom mit einem einzigen Screening-Experiment aktionen. Das bedeutet, dass in einem typischen Screen
auf Interaktionen absuchen (. Abb. 19.7). In der Pra-
  70–80  % aller Interaktionen unentdeckt bleiben. Man
xis wird der Screen durchgeführt, indem man die Paa- kann dieses Problem z.  Z. nur dadurch umgehen, dass
rungsfähigkeit der Hefe ausnutzt, die sowohl als diplo- man mehrere Vektoren verwendet, die z. B. sowohl N- als
ide als auch als haploide Zelle wachsen kann (mit den auch C-terminale Fusionsproteine erzeugen. Mit einer
zwei „Geschlechtern“ a und α, hier Paarungstypen ge- ganzen Reihe von Vektoren und damit Fusionsproteinen
nannt). Die „Beute“-Klone im Array werden hierbei als können bis zu 80  % aller Interaktionen detektiert wer-

A B

19 384-Pin-Stempelroboter 96 x 4 Beute-Array nach Two-Hybrid-Selektion

..      Abb.  19.7 Array-Screen. A Anstatt einer Zufalls-cDNA-Biblio- Transfer auf selektives Medium für Interaktionen wachsen nach ca.
thek wurden hier alle etwa siebzig Proteine des Windpockenvirus einer Woche nur noch die Zellen, welche interagierende Proteine expri-
(Varicella-­Zoster-Virus) in Two-Hybrid-Beute-Vektoren kloniert. Die mieren (rechts). Aufgrund des Arrayaufbaus sieht man sofort, ob und
entstehenden Hefestämme wurden dann in Vierergruppen ausplat- wie viel Hintergrundsignal entsteht, welche Positiven reproduzierbar
tiert, sodass in jeder Position des Arrays vier identische Prey-Klone sind und wie stark eine Interaktion ist. Zu beachten ist, dass in einem
liegen. Anschließend wurde (mit einem 96er-Stempel) auf alle Beutek- Experiment das gesamte Virusproteom auf Interaktionen gescreent
lone derselbe Köderklon getupft, um die Hefen zur Paarung zu ver- werden kann. Da auf dem ganzen Array 96 Gene Platz finden, das
anlassen. Einen Tag nach Paarungsbeginn wurden die Zellen (wieder Virusgenom aber nur etwa siebzig Gene enthält, wurden in den übri-
mit dem 96er-Stempel) auf Two-Hybrid-selektives Medium übertra- gen Positionen Proteinfragmente exprimiert, sodass gleichzeitig inter-
gen. B Der Beute-Array nach Paarung mit Köderkolonien (diploide agierende Domänen identifiziert werden können. (Mit freundlicher
Zellen nach der Selektion auf Bait- und Prey-Plasmide; links). Nach Genehmigung von Seesandra V. Rajagopala)
Protein-Protein-Wechselwirkungen
445 19
Vektor-Paare bekannte Protein-Interaktionen (Positiv-Kontrollen)
pDEST32-X/pDEST22-Y
pDEST32-Y/pDEST22-X
pGBG-X/pGAD-Y
pGBG-Y/pGAD-X
pGBKC-X/pGADC-Y
pGBKC-Y/pGADC-X
pGBG-X/pGADC-Y
pGBG-Y/pGADC-X
pGBKC-X/pGAD-Y
pGBKC-Y/pGAD-X

≥0 ≥3 10 mM 3AT
Vektor-Paare nicht interagierende Proteinpaare (Negativ-Kontrollen)
pDEST32-X/pDEST22-Y
pDEST32-Y/pDEST22-X
pGBG-X/pGAD-Y
pGBG-Y/pGAD-X
pGBKC-X/pGADC-Y
pGBKC-Y/pGADC-X
pGBG-X/pGADC-Y
pGBG-Y/pGADC-X
pGBKC-X/pGAD-Y
pGBKC-Y/pGAD-X

..      Abb. 19.8  Die Grenzen des Hefe-Two-Hybrid-Systems. Ein ein- dern auch bei der Sensitivität gegenüber 3AT, die schwache Interak-
zelnes Bait/Prey-Vektorpaar kann in der Regel nur 20–30  % aller tionen unterdrückt (je dunkler, desto stärker die Interaktion, d.  h.
Interaktionen nachweisen. Diese Einschränkung kommt u.  a. von desto mehr 3AT braucht man, um sie zu unterdrücken). Man be-
den Fusionsproteinen, die bestimmte Interaktionen durch sterische achte auch, dass keine Interaktion mit allen Vektoren gefunden
Effekte blockieren. Hier wurden 50 wohlbekannte Interaktionen mit wurde, sowie einige bekannte (!) Interaktionen mit keinem der ge-
fünf verschiedenen Vektorpaaren getestet, wobei jedes Proteinpaar zeigten Vektoren. Im unteren Teil sind nicht interagierende Protein-
einmal als Bait (X) und einmal als Prey (Y) kloniert wurde. Jede paare (soweit bekannt) mit den gleichen Vektoren gezeigt. Diese
Spalte entspricht einer Interaktion. Unterschiede ergaben sich hier Negativkontrollen zeigen, welche Falschpositivraten man mit diesen
nicht nur bei der absoluten Nachweisbarkeit einer Interaktion, son- Vektoren erwarten kann (Nach Chen et al. 2010)

den, obwohl der Aufwand damit auch beträchtlich grö- werden, Protein-Protein-­Wechselwirkungen nachzuwei-
ßer wird (. Abb. 19.8). Das Gleiche trifft sicher auch für
  sen, die nur von phosphorylierten Bindungspartnern
die Vektorpaare zu, die man in andern Varianten des eingegangen werden.
Two-Hybrid-Systems verwendet (. Abb. 19.9).  Sucht man nach Proteinen, die an bestimmte DNA-­
Sequenzen binden, kann man die Methode sogar verein-
fachen (One-Hybrid-Technik, . Abb.  19.9B). Hierzu
19.1.7 Modifizierte Anwendungen und

wird zunächst eine cDNA-Bibliothek an eine Aktivie-


Weiterentwicklungen der Two- rungsdomäne fusioniert. Zusätzlich wird dann nur noch
Hybrid-Technologie ein Reporterkonstrukt benötigt, das in der Promotorre-
gion diejenige DNA-Sequenz enthält, für die bindende
Das Prinzip des Two-Hybrid-Systems kann man ver- Proteine gesucht werden. Wenn ein Protein mit solchen
allgemeinern. Anstatt einen Transkriptionsfaktor mittels Eigenschaften in der Bibliothek vorhanden ist, wird es
einer Interaktion zu rekonstituieren, kann man theo- an den Köderpromotor binden und die Reporterfunk-
retisch jedes andere Protein in zwei Fragmente teilen tion auslösen.
und mittels Interaktion angehängter Proteine wieder Eine andere Erweiterung erlaubt die Identifikation
zusammenbringen. Dieses Prinzip wurde z. B. auf Ubi- von RNA bindenden Proteinen. Hierfür sind drei Ele-
quitin (split-Ub) und einige andere Proteine angewandt mente nötig (Three-Hybrid-System, . Abb.  19.9C).  

(. Abb. 19.9A). Diese Varianten des Two-Hybrid-Sys- Das erste Fusionsprotein enthält wiederum die DNA

tems haben gelegentlich sogar eindeutige Vorteile gegen- bindende Domäne, die an ein RNA bindendes Protein
über dem klassischen, transkriptionsbasieren System. bekannter Spezifität gekoppelt ist (z. B. HIV-Rev). Das
Split-­Ub-­Proteine können z.  B. auch im Cytoplasma zweite Hybrid besteht aus RNA, und zwar wird in die-
rekonstituieren und müssen nicht in den Zellkern gelan- sem Fall das Rev-Bindungselement mit der Köder-­
gen. Damit können folglich auch Transkriptionsfakto- RNA-­Sequenz fusioniert. Dieses Köder-RNA-Hybrid
ren analysiert werden, die im klassischen Two-Hybrid-­ bindet bereits über das erste Fusionsprotein an die
System als „Aktivatoren“ falsch-positive Antworten DNA, löst aber nicht die Transkription des Reporters
erzeugen würden. aus. Das dritte Element ist wieder das bekannte Fusi-
Das Anwendungsspektrum des Two-Hybrid-­Systems onskonstrukt aus cDNA-Bibliothek und Aktivierungs-
lässt sich durch systematische Modifikationen beträcht- domäne. Wenn die cDNA für ein RNA bindendes Pro-
lich erweitern. So kann, wie bereits oben geschildert, die tein codiert, das die Zielsequenz bindet, wird der
zusätzliche Expression einer Proteinkinase dazu genutzt Reporter aktiviert.
446 P. Uetz et al.

A Split-Ub B One-Hybrid D reverses Two-Hybrid

K B

ORF AD B ORF AD
Nub Cub
DBD
HIS3 URA3
Proteasom Promotor +FOA
URA3

keine Interaktion:
URA3-Produktion! + Inhibitor (I)
O C Three-Hybrid
O
HN F
HN
O F
URA3
N O N ORF AD ORF AD
H H
COOH RBD MS2 B I
5-Fluororotinsäure 5-Fluoruracil DBD DBD
(nicht toxisch) (toxisch) HIS3 URA3

..      Abb.  19.9  Variationen des Two-Hybrid-Systems. A Das Split-­ stimmte DNA-Elemente binden, die vor das Reportergen (hier:
Ubiquitin-­ System verwendet anstatt eines rekonstituierten Tran- His3) kloniert werden. C Das Three-Hybrid-System lässt sich dazu
skriptionsfaktors reassoziierendes Ubiquitin. Wenn Köder und nutzen, RNA bindende Proteine zu klonieren. Dazu wird eine DNA
Beute (K–B) interagieren, dann werden auch die angehängten N- bindende Domäne (z.  B. von LexA oder Gal4) an eine RNA bin-
und C-terminalen Hälften von Ubiquitin (Nub und Cub) zusam- dende Domäne bekannter Spezifität fusioniert, die wiederum eine
mengeführt. Das rekonstituierte Ubiquitin wird vom Proteasom er- definierte RNA erkennt (hier die MS2-RNA des gleichnamigen Pha-
kannt, was wiederum zum Abbau des angehängten Ura3-­Proteins gen). Die RNA ist jedoch auch ein Hybrid aus der MS2-RNA und
führt. Interagieren Köder und Beute nicht und damit auch nicht Cub einer weiteren RNA, für die eine RNA bindende Domäne („ORF“)
und Nub, wird Ura3 nicht abgebaut. Behandlung der Hefe mit gesucht wird (deshalb three-hybrid). D Das reverse Two-Hybrid-Sys-
5-FOA (5′-Fluororotinsäure) führt dazu, dass nur Zellen mit einer tem macht sich wie das Split-Ubiquitin-System die Selektionswir-
Cub-Nub-Interaktion und damit ohne Ura3 überleben, da FOA von kung von FOA zunutze: Nur von einem Inhibitor („I“) blockierte
Ura3 zu dem lethalen Endprodukt 5-Fluoruracil abgebaut wird, das Interaktionen verhindern die Bildung von Ura3 und damit des töd-
die Zelle tötet. B Das One-Hybrid-System erlaubt das Screening von lichen Stoffwechselprodukts 5-Fluoruracil. Mit diesem System las-
AD-Fusionsproteinen auf DNA bindende Proteine, die an ganz be- sen sich Substanzen finden, die eine Interaktion inhibieren

Two-Hybrid-Systeme wurden außerdem für Bakte- Protein-­Interaktion blockiert wird. Man erreicht das, in-
rien (Bacterial Two-Hybrid System, B2H) und für Säu- dem man ein Reportergen verwendet, dessen Expression
gerzellen entwickelt (MAPPiT). In letzteren lassen sich tödlich für die Zelle ist, d. h. sie überlebt nur, wenn das
Two-Hybrid-Ideen darüber hinaus mit Ideen des Förs- Reportergen nicht aktiviert wird (. Abb. 19.9D).

ter-Resonanz-Energietransfer (FRET) kombinieren, so-


dass man als Interaktionssignal Lichtsignale bekommt
und damit eine Interaktion auch lokalisieren kann. Die 19.1.8  iochemische und funktionale
B
19 Möglichkeiten scheinen fast unbegrenzt. Eine Übersicht Analyse der Interaktoren
von neueren Varianten des ursprünglichen Y2H wurde
von Stynen et  al. (2012) zusammengefasst (Weiterfüh- Mit dem erfolgreichen Abschluss des Two-Hybrid-­
rende Literatur). Experiments beginnt die eigentliche Charakterisierung
Abschließend soll noch erwähnt werden, dass das der Interaktoren in heterologen biochemischen oder
Two-Hybrid-System auch dazu benutzt werden kann, biologischen Systemen. Dabei muss festgestellt werden,
Komponenten für die Herstellung von Medikamenten ob die gefundenen Interaktionen auch unter physiologi-
zu screenen, wenn die relevanten biologischen Pro- schen Bedingungen auftreten. Das Two-Hybrid-­System
zesse auf Protein-Protein-Wechselwirkungen beruhen. erlaubt keine Aussagen darüber, ob gefundene Interak-
Zum Beispiel kann ein Screen so aufgebaut werden, dass tionen tatsächlich von biologischer Bedeutung sind. So
eine Hefekolonie nur dann wächst, wenn eine Protein-­ kann es z. B. passieren, dass mithilfe der Two-­Hybrid-­
Protein-Protein-Wechselwirkungen
447 19
Technik die Bindung zweier Proteine entdeckt wird, die verfügbar (aus RNAseq oder massenspektrometrischen
normalerweise gar nicht im gleichen Zellkompartiment Analysen). Wird beispielsweise ein Protein in verschie-
vorkommen (z. B. in Mitochondrien und Zellkern). Al- denen Wachtumsmedien verschieden hoch exprimiert,
lerdings könnte es auch sein, dass sich hinter solchen un- lässt sich daraus oft auf eine Rolle im Stoffwechsel (oder
erwarteten Interaktionen besonders interessante physio- dessen Regulation) schließen.
logische Wechselwirkungen verbergen. Ein spektakuläres Meistens bestehen Proteine aus mehreren funktiona-
Beispiel hierfür ist die Interaktion des ER-Proteins len Elementen. So enthalten viele Proteinkinasen neben
SREBP (Sterol Response Element-Binding Protein), das der eigentlichen katalytischen Funktion noch weitere
normalerweise als Transmembranprotein im Endoplas- Domänen, die ihre Kopplung an spezifische Protein-
matischen Retikulum vorliegt und dort an ein Protein komplexe vermitteln. Bei Multidomänenproteinen ist
namens SCAP bindet. Bei niedriger Cholesterinkonzen- oft die Funktion einer Domäne bekannt, aber die einer
tration wandern beide Proteine gemeinsam zum Gol- weiteren (oder eines weiteren Proteinteils) nicht. Aus
gi-Apparat, und eine cytoplasmatische Domäne von solchen Teilfunktionen lassen sich dann weitere Vorher-
SREBP wird dort proteolytisch abgespalten. Diese kann sagen über den unbekannten Teils eines Proteins treffen.
dann in den Zellkern wandern, wo sie als Transkripti- Man kann auch experimentell untersuchen, ob ein Teil
onsfaktor wirkt und mit anderen Komponenten des eines Proteins eine Bindungsdomäne darstellt. Die dafür
Transkriptionsapparats interagiert. Hier interagiert also notwendige Kartierung kann auf einfache und elegante
ein ER-Protein mit einem Kernprotein auf physiologi- Weise wiederum mit der Two-Hybrid-Technik erfolgen,
sche Weise! Bei hoher Cholesterinkonzentration bleiben indem man einfach Fragmente der interagierenden Pro-
beide Proteine im ER, und Spaltung wie auch Kern- teine testet.
transport unterbleiben. Viele weitere Mechanismen sind Kommen zwei Proteine, deren Interaktion mit dem
bekannt, unter denen Proteine verschiedener Komparti- Two-Hybrid-System identifiziert wurde, auch unter phy-
mente interagieren können. siologischen Bedingungen zusammen vor? Diese Frage
Üblicherweise wird man zunächst versuchen, die kann mithilfe zellbiologischer (Immunfluoreszenz) oder
Wechselwirkung mit biochemischen Methoden nachzu- biochemischer Methoden (Ko-­Immunpräzipitation) be-
weisen. Dies kann mithilfe der weiter unten erwähnten antwortet werden. Für die Durchführung solcher Arbei-
Verfahren erfolgen, z. B. mit einem so genannten GST-­ ten sind aber zusätzliche Reagenzien wie z. B. Antikör-
Pulldown (7 Abschn.  19.3). Dazu müssen die unter-
  per (oder die o.  g. Protein-­ Tags) nötig. Ob sich der
suchten Proteine jedoch erst in anderen Systemen (z. B. technische Aufwand lohnt, der mit diesen Experimenten
in Escherichia coli) exprimiert und gegebenenfalls auf- verbunden ist, muss aber in jedem Fall abgewogen wer-
gereinigt werden. den.
Außerdem ist die biologische Funktion der neuen Aber eine detaillierte Analyse der biologischen
Proteine von Interesse. Manchmal lassen sich aus Se- Funktion kann in manchen Fällen auch mit dem Two-­
quenzhomologien zu bereits beschriebenen Proteinen Hybrid-­System erfolgen. Wenn z. B. vom Köderprotein
mit bekannter Funktion Rückschlüsse ziehen. Darüber Deletions- oder Punktmutationen vorhanden sind, die
hinaus kann man mit einer ganzen Batterie von bioin- die normale Funktion beeinträchtigt, kann mit dem
formatischen Analysen versuchen, weitere Eigenschaf- Two-Hybrid-System analysiert werden, welche für das
ten der Interaktoren zu identifizieren. Hierzu gehören Wildtypprotein gefundenen Interaktoren nicht mehr
z.  B. chemisch-physikalische Merkmale (hydrophobe mit der Mutante wechselwirken. So kann man definierte
Sequenzen deuten auf sezernierte oder Membranpro- Teilfunktionen eines Proteins einzelnen Domänen oder
teine hin usw.). In entsprechenden Datenbanken kann gar Aminosäuren zuordnen. Oft sind auch die Phänoty-
man auch herausfinden, ob das Protein schon einmal in pen von Deletionsmutanten aus Hochdurchsatz- (oder
einer Hochdurchsatzanalyse gefunden wurde, z.  B. in Transposon-)Screens bekannt, welche weitere wichtige
einem Proteinkomplex oder in einer Lokalisationsana- Informationen zur Funktion liefern.
lyse mit GFP.
Gelegentlich sind die gefundenen Interaktoren aber
völlig unbekannt, sodass die Sequenz keinen Aufschluss 19.2  TAP-Tagging und Reinigung von
über die Funktion gibt. In einigen Fällen kann man der Proteinkomplexen
physiologischen Bedeutung dieser Proteine mit verhält-
nismäßig einfachen Mitteln auf die Spur kommen. Da Die Tandem-Affinitätsreinigung (Tandem Affinity Puri-
mittlerweile zahlreiche Hochdurchsatzdaten vorliegen, fication, TAP) ermöglicht es, Proteinkomplexe aus Zel-
lassen sich daraus fast immer Anhaltspunkte gewinnen, len zu reinigen und die Zusammensetzung der Protein-
vor allem aus der Lokalisation oder Genexpression. Oft komplexe mittels Massenspektrometrie zu bestimmen
sind Daten zur Genexpression oder zur Proteinmenge (. Abb.  19.10). Zu diesem Zweck fusioniert man ein

448 P. Uetz et al.

1. 2. Im Unterschied zu vielen gängigen affinitätschroma-


tographischen Verfahren (HexaHis, FLAG, GST)
funktioniert TAP auch dann, wenn das Köderprotein
IgG nur sehr gering exprimiert ist (nahe an der physiolo-
gischen Situation) und in einem komplexen Protein-
gemisch wie einem Säugerzelllysat vorliegt. Das wird
2. TEV-Protease durch die hohe Affinität der verwendeten Tags für die
entsprechenden Matrizes erreicht (s. unten).
IgG
3. Im Unterschied zum Yeast- Two-­Hybrid-­Ansatz ist
die TAP-Methode geeignet, Proteinkomplexe in ihrer
Gänze zu isolieren und zu analysieren, während beim
3.
Yeast- Two-Hybrid-Ansatz nur binäre Interaktionen
gefunden werden können. Das ist vor allem dann von
Vorteil, wenn verschiedene Komplexkomponenten
kooperativ aneinander binden, also nur dann anein-
ander binden, wenn mehr als zwei Komponenten im
Calmodulin Komplex vorliegen.
4. Im Unterschied zum Yeast- Two-­Hybrid-­Ansatz ist
4. die TAP-Methode auch geeignet, Protein-Protein-In-
teraktionen zu finden, die auf posttranslationalen
Modifikationen wie Phosphorylierung oder Ubiqui-
tinierung beruhen. Diese sind in Hefezellen oft nicht
oder nicht in gleichem Umfang vorhanden (obwohl
ProteinA es mittlerweile einige zelltypspezifische Y2H-­Systeme
TEV-Schnittstelle gibt).
Calmodulin bindendes Peptid Um eine TAP für ein Köderprotein durchzuführen, be-
darf es in aller Regel einer stabilen Zelllinie, die das
..      Abb. 19.10  Tandem-Affinitätsreingiung (Tandem Affinity Purifi- TAP-getaggte Protein exprimiert. Um eine solche Zell-
cation, TAP). Weitere Details im Text
linie herzustellen, bieten sich verschiedene Systeme an.
Der Einfachheit halber soll hier nur die retrovirale
Köderprotein (die Terminologie „Köder- und Beutepro- Transduktion diskutiert werden, weil sie einen guten
tein“ ist vom Yeast- Two-Hybrid-Verfahren abgeleitet), Mittelweg aus Effizienz und Sicherheit darstellt. Bei Zel-
z. B. mit dem TAP-Tag (einem „Etikett“) und exprimiert len, die gut transfizierbar sind, bietet sich gegebenenfalls
das TAP-getaggte Köderprotein in einer geeigneten eine transiente Plasmidtransfektion mit anschließender
Zelllinie. Dann reinigt man den Proteinkomplex mittels Selektion mittels Antibiotika an. Bei primären Zellen,
zweier verschiedener Affinitäts-Tags (daher Tandem) die sich nur selten teilen und die folglich nur sehr ineffi-
auf und analysiert die Zusammensetzung des Protein- zient durch Retroviren zu infizieren sind, bietet sich die
komplexes per Massenspektrometrie. Obwohl diese Me- lentivirale Transduktion an.
thode vom Verlauf oder vom Ergebnis her Ähnlichkei-
ten zu den nachfolgend beschriebenen Methoden
(Ko-Immunpräzipitation, GST-Pulldown) aufweist, hat 19.2.1 Retrovirale Transduktion
sie doch entscheidende Vorteile:
1. Im Gegensatz zu einer Ko-­Immunpräzipitation ist Rekombinante Retroviren sind geeignet, die meisten
19 TAP aufgrund der massenspektrometrischen Ana- Zelllinien zu infizieren. Dazu benötigt man ein retrovira-
lyse des Proteinkomplexes unvoreingenommen: Es les Transferplasmid, das für das TAP-getaggte Köder-
bedarf keinerlei vorheriger Annahme, welche Pro- protein codiert. Flankierend benötigt das Plasmid retro-
teine an ein gegebenes Köderprotein binden können. virale Long-terminal Repeats (LTRs), die geeignet sind,
Begrenzend ist lediglich das Genexpressionsprofil die retrovirale mRNA in das Viruskapsid zu verpacken.
der Ziel-Zelllinie, d. h. es können nur solche Beute- Grundsätzlich unterscheidet man zwischen ecotropen
proteine gefunden werden, die in der Zielzelle auch und amphotropen Retroviren: Während erstere nur Na-
exprimiert werden. gerzellen infizieren können, sind letztere auch für hu-
Protein-Protein-Wechselwirkungen
449 19
mane Zellen geeignet. Der Tropismus eines Retrovirus rale Protease aus dem Tobacco Etch Virus (TEV) ge-
wird durch das Glykoprotein bestimmt, das auf der Vi- trennt sind (. Abb.  19.10). Protein A ist ein Immun-

rusoberfläche präsentiert wird und das das Andocken globulin bindendes Protein von Staphylococcus aureus,
an die Zielzelle vermittelt: Während bei ecotropen Viren das das Bakterium nutzt, um Antikörper des Wirts am
das Moloney-Murine-Leukemia-Virus-Envelope- Fc-­Teil zu binden und so die Opsonierung durch Mak-
(MMLV Env-)Protein zum Einsatz kommt, das den mu- rophagen zu verhindern. Das Calmodulin bindende Pep-
rinen Rezeptor mCAT1 erkennt, wird bei amphotropen tid ist ein kurzes Motiv, das in Gegenwart von zweiwer-
Viren das G-Protein des Vesikulären-Stomatitis-­Virus tigen Calciumionen an Calmodulin binden kann.
(VSV-G) verwendet, das an Phosphatidylserin (und so- Im ersten Schritt der TAP-Reinigung wird das Kö-
mit an alle Säugerzellen) bindet. Aus Sicherheitsgrün- derprotein zunächst mittels Protein A über eine Immun-
den ist man häufig bemüht, amphotrope Viren zu ver- globulinmatrix gereinigt. Dabei nutzt man die hohe Af-
meiden, da sie menschliche Zellen infizieren könnten. finität von Protein A für das Immunglobulin (im
Um dieses Risiko weiter zu minimieren, verwendet man nanomolaren Bereich), um auch solche Proteinkom-
gewöhnlich Viren, die replikationsdefizient sind und die plexe aus Zellen isolieren zu können, die nur sehr gering
daher nur einen einzigen Infektionszyklus durchmachen exprimiert sind. Das ist von besonderer Bedeutung, da
können. eine Methode, die auf einer geringeren Affinität des
Wenn man humane Zellen mit rekombinanten Ret- Tags für die Matrix basiert (z. B. GST-Tag/Glutathion-­
roviren infizieren will, verwendet man dazu eine retrovi- Matrix oder HexaHis-Tag/NiNTA-Matrix) zwar prinzi-
rale Verpackungszelllinie (z. B. 293gp), die die rekombi- piell möglich wäre, aber lediglich unter der Vorausset-
nanten Viren produziert. Diese Verpackungszelllinie zung, dass das Köderprotein in der Zielzelle in sehr
exprimiert die viralen Polyproteine Gag und Pol, die für großer Menge vorhanden ist. Solche Bedingungen sind
den Aufbau des Virus benötigt werden. Die Verpa- wiederum nicht kompatibel mit der Reinigung von in-
ckungszelllinie wird mit zwei Plasmiden transfiziert, die takten und physiologisch relevanten Proteinkomplexen,
zum einen das TAP-getaggte Transgen und zum anderen da die Bindungspartner in diesem Fall viel geringer ex-
das virale Glykoprotein (VSV-G) enthalten. Binnen 48 h primiert sind als der Köder und freie Bindungsstellen
sammeln sich rekombinante Viren im Überstand, die am Köderprotein durch Hitzeschockproteine und an-
zur Infektion der Zielzellen verwendet werden können. dere häufige zelluläre Proteine „abgesättigt“ werden.
Da die Infektion je nach Zielzelllinie selten alle Zellen Nach der Anreicherung der Proteinkomplexe an der Im-
erreicht, bietet es sich an, die transduzierten Zellen zu munglobulin-Matrix wird der Komplex mittels der
selektionieren. Dies wird entweder durch eine Antibioti- TEV-Protease von der Matrix eluiert. Die TEV-Protease
karesistenz oder durch GFP erreicht, die jeweils auf ist besonders geeignet, da die erste Elution sehr mild
dem retroviralen Transfervektor codiert werden. Im Er- vonstattengehen muss, um die Komplexarchitektur
gebnis erhält man einen Pool aus stabilen Zellen, die das nicht durch harsche Elutionsbedingungen zu stören.
TAP-getaggte Köderprotein exprimieren. Gegebenen- Außerdem weist die TEV-Protease eine hohe Spezifität
falls kann es notwendig sein, eine monoklonale Zellpo- auf, und bioinformatische Analysen legen den Schluss
pulation durch Einzelzellklonierung zu isolieren, bevor nahe, dass das humane Proteom nur sehr wenige
man die Zellen für eine TAP verwendet. TEV-Proteaseschnittstellen beinhaltet und es daher sehr
Je nachdem, welche Methode für die TAP gewählt unwahrscheinlich ist, dass die TEV-­Protease humane
wird, benötigt man zwischen 2 · 107 und 108 stabile Zel- Proteinkomplexe durch Spaltung zerstört.
len für ein Experiment. Die TAP-Methode ist also eine Im zweiten Schritt reichert man das Köderprotein
Methode, die einen relativ hohen Zellkulturaufwand be- mittels CBP über eine Calmodulin-Matrix in Gegenwart
nötigt und folglich zeit- und kostenintensiv ist. von Ca2+ an und eluiert durch Calciumentzug (mittels
EGTA) oder durch Kochen in SDS-Probenpuffer. In der
Zwischenzeit haben sich verschiedene Varianten des
19.2.2 TAP-Reinigung TAP-Tags etabliert, die durch höheren Effizienz über-
zeugen (. Tab. 19.1, S. 435). Da diese Methoden dem

Das ursprüngliche TAP-Protokoll wurde Ende der ursprünglichen TAP-Tag konzeptionell sehr ähnlich
1990er-Jahre von Bertrand Séraphins Labor am Euro- sind, soll hier nur der ursprüngliche TAP-Tag näher vor-
pean Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidel- gestellt werden. Für kurze Tags ist in . Tab.  19.1 die

berg entwickelt. Dazu wurde der so genannte TAP-Tag jeweilige Aminosäuresequenz angegeben, für die Tan-
konstruiert, der aus zwei Immunglobulin bindenden dem-Tags ein Literaturzitat für weitere Informationen
Untereinheiten von Protein A (kurz: Protein A) und (vgl. auch 7 Abschn. 19.3, GST-Pulldown).

dem Calmodulin bindenden Peptid (CBP) bestand, die Die TAP-Reinigung wurde ursprünglich für Hefe-
voneinander durch eine Proteaseschnittstelle für eine vi- zellen entwickelt und in Hefezellen verwendet, wo man
450 P. Uetz et al.

einzelne Hefegene mittels Rekombination am C-­ Hitzeschockproteine, ribosomale Proteine und andere)
Terminus mit dem TAP-Tag versehen konnte. In der enthält, weil andernfalls lediglich diese Kontaminanten
Zwischenzeit haben verschiedene Konsortien in syste- sequenziert werden. Vor diesem Hintergrund erscheint
matischen Ansätzen das gesamte Hefeproteom mittels die Zweischrittreinigung (Tandem) besonders gerecht-
TAP charakterisiert und daraus grundlegende Prinzi- fertigt, da es bei einer einstufigen Reinigung in aller Re-
pien der Proteomik abgeleitet. Während die Methode gel sehr schwierig ist, einen hinreichend sauberen Kom-
sehr erfolgreich in Hefe angewandt wurde, war sie plex zu isolieren. Alternativ kann man versuchen, das
schwieriger anwendbar in Säugerzellen. Das könnte Produkt der TAP-Reinigung weiter aufzutrennen – z. B.
zum einen an der höheren Komplexität des humanen durch die vorherige Auftrennung mittels SDS-Gelelek-
Proteoms gegenüber dem Hefeproteom liegen. Zum an- trophorese oder durch weitergehende chromatographi-
deren ist die Methode der homologen Rekombination sche Separation der erhaltenen Peptide –, um auch un-
in humanen Zellen nur im embryonalen Zellstadium terrepräsentierte Proteine durch Massenspektrometrie
anwendbar und mit einem hohen Aufwand verbunden. identifizieren zu können.
Infolgedessen musste man in Säugerzellen auf retrovi-
rale Transduktion zurückgreifen. Diese bringt das Pro-
blem mit sich, dass neben der TAP-­getaggten Variante 19.2.4 Limitationen der TAP-Reinigung
des Köderproteins immer noch das endogene Gegen-
stück vorhanden ist, das um die zu reinigenden Bin- 1. Die TAP-Reinigung ist eine insgesamt zeitaufwen-
dungspartner kompetiert. Infolgedessen ist eine milde dige und kostenintensive Methode, die den Zugang
Überexpression durchaus von Vorteil für den Erfolg zu ausgefeilten Zellkulturtechniken (retrovirale
einer TAP-Reinigung. Transduktion) und zur Proteinmassenspektrometrie
In der Zwischenzeit wurden jedoch auch weitere voraussetzt.
Methoden entwickelt, um die Proteinkomplexe auch 2. Die TAP-Reinigung ist in aller Regel in der Lage, ro-
im höheren Durchsatz aus Säugerzellen zu isolieren. buste Interaktionen in einer zuverlässigen und repro-
Zum  Beispiel hat man mittels bakterieller artifizieller duzierbaren Weise zu detektieren. Schwieriger ist die
Chromosomen (BACs) Proteine mit GFP fusioniert Analyse von transienten Interaktionen oder solchen
und die zugehörigen Komplexe aufgereinigt. Aber auch Interaktionen, die nur nach Stimulation von Zellen
die Expression der meisten menschlichen ORFs mittels zustande kommen. Solche Interaktionen sind meist
Lentiviren und FLAG-HA-Tags wurde mittlerweile in zu kurzlebig oder durch eine zu geringe Affinität ge-
Zellkultur erreicht und hat dadurch Tausende Protein- kennzeichnet, um die eher langwierige Reinigung
komplexe zutage gefördert. (3–5 h) zu „überleben“.
3. Die TAP-Reinigung ist geeignet, Proteinkomplexe
aus Zellen zu isolieren unter Bedingungen, die nahe
19.2.3 Massenspektrometrische Analyse an der physiologischen Situation sind. Aus den erhal-
tenen Interaktionsdaten – normalerweise einer Liste
Das Produkt einer TAP-Reinigung, das idealerweise ein von Proteinen, die das Produkt einer massenspektro-
Gemisch von (interagierenden) Proteinen von geringer metrischen Analyse des TAP-Eluats darstellt – lässt
Komplexität darstellt, wird mit einer geeigneten Prote- sich aber nicht ableiten, welche Proteine miteinander
ase – typischerweise Trypsin – verdaut. Die daraus resul- interagieren und ob die gefundenen Interaktionen di-
tierenden Peptide können säulenchromatographisch rekt oder durch ein anderes Protein vermittelt sind.
voneinander getrennt und dann im Massenspektrometer Solche Fragen nach der Architektur des Proteinkom-
identifiziert werden. plexes können erst in Folgeexperimenten (z. B. durch
Die Empfindlichkeit der massenspektrometrischen Ko-­Immunpräzipitation mit gereinigten Proteinen)
Analyse von Peptiden hat sich in den letzten Jahren stark geklärt werden.
19 verbessert. Allerdings besteht nach wie vor das Problem
der dynamischen Reichweite (dynamic range): Das Mas-
senspektrometer wählt pro gegebener Zeiteinheit nur die 19.3  In vitro-Interaktionsanalyse: GST-
abundantesten Peptide aus, und lediglich diese Peptide Pulldown
werden massenspektrometrisch gemessen und anschlie-
ßend durch Fragmentierung sequenziert. Daher ist es Während die Affinitätsreinigung mithilfe von TAP-Tags
wichtig, dass das Produkt der TAP-­Reinigung möglichst native Komplexe aus Zellen aufreinigen kann, ist es oft
wenige Kontaminantenproteine (Cytoskelettproteine, wünschenswert, einzelne Interaktionen oder Komplexe
Protein-Protein-Wechselwirkungen
451 19
in vitro zu untersuchen. Allerdings sollten die beteiligten mit einer Glutathionlösung von der Matrix eluieren, so-
Proteine heterolog exprimiert werden, d. h. nicht in dem dass man es in gereinigter Form zur Verfügung hat (wo-
Organismus, aus dem sie ursprünglich stammen. Wenn bei das Glutathion wiederum per Dialyse entfernt wer-
z. B. Hefeproteine untersucht werden, sollten sie für ei- den kann).
nen in-vitro-Assay in Bakterien exprimiert und daraus In der Regel wird man das Fusionsprotein aber auf der
gereinigt werden, sodass man nicht unerwünschte inter- Matrix belassen und sie mit einem zweiten Protein inku-
agierende Hefeproteine mit isoliert. bieren, dessen Bindung an das GST-Fusionsprotein man
Eine Standardmethode für in-vitro-Interaktionsas- nachweisen will. Oft wird hierfür ein radioaktiv markier-
says verwendet ein Fusionsprotein mit Glutathion-S-­ tes Protein verwendet, das man herstellen kann, indem
Transferase (GST) als „Etikett“ (Tag; . Abb.  19.11).   man ein kloniertes Gen in vitro transkribiert und zugleich
GST-­Fusionsproteine können leicht aus Escherichia coli translatiert. Für diesen Zweck gibt es kommerzielle Kits,
gereinigt werden, indem man einen Zellextrakt über eine die in einem Ansatz sowohl eine RNA-­Polymerase als
Matrix leitet, die mit Glutathion beschichtet ist. In der auch ein zelluläres Extrakt mit Ribosomen und anderen
Regel werden hierfür winzig kleine Kügelchen (Beads) Faktoren enthalten. Nach Zugabe von 35S-markiertem
verwendet, die mit Glutathion beschichtet sind, sog. Methionin und einem Plasmid mit entsprechendem Pro-
Glutathion-Sepharose. Nur die GST-Fusionsproteine motor wird die DNA transkribiert und sogleich transla-
(und ein paar wenige zelluläre Glutathion bindende tiert. Freilich muss man zuvor sicherstellen, dass das ge-
­Proteine) bleiben normalerweise an dieser Matrix haf- wünschte Protein auch mindestens ein Methionin enthält,
ten; andere, unspezifisch bindende Proteine kann man sodass die radioaktive Markierung gewährleistet ist. Al-
mit einer salzhaltigen Pufferlösung wie PBS leicht ab- ternativ zur radioaktiven Markierung kann aber auch ein
waschen. Theoretisch lässt sich das Fusionsprotein jetzt epitopmarkiertes Protein verwendet werden.

A GST-Pulldown

GST

ST Beuteprotein (Prey)
G

G
ST

Sepharose-
GST
GST

Kügelchen Köderprotein (Bait)


nicht gebundene GST
Proteine Glutathion-S-Transferase
G
ST

ST
G

GST
Glutathion

B Struktur von Glutathion-Sepharose C GST-Pulldown (Proteingel und Autoradiogramm)


Glutathion
GST-Fusion + PX-Domäne von...
COO–
CH2 Glycin Größen-
NH
Ypt35 Vps17 Snx4 Mdm1 (GST) marker
C=O
Kügelchen

–O–CH2–CH–CH2–O–(CH2)4–O–CH2–CH–CH2–S–CH2–CH Cystein – 45 kDa


OH OH NH
C=O – 31 kDa
CH2
CH2 Glutamat
HC–NH3+
Yif1
COO–

..      Abb. 19.11 GST-Pulldown A Prinzip (Details im Text). B Struk- teil zeigt ein Autoradiogramm mit dem gebundenen Yif1-Protein,
tur der Glutathion-Sepharose. Glutathion ist ein natürliches Tripep- das allerdings nur an die PX-Domäne von Ypt35 (stärker) und Vps17
tid ist, das auch als oxidiertes Dimer vorliegen kann, wenn zwei Mo- (schwächer) bindet. Yif1 wurde hierbei in vitro translatiert und mit
leküle über ihre SH-Gruppen verbunden werden. C Beispiel: radioaktivem 35S-Methionin markiert sowie mit den beadgekoppel-
Bindung des Hefeproteins Yif1 an verschiedene PX-Domänen der ten GST-Fusionsproteinen inkubiert, gewaschen und auf einem Gel
Hefe. Oben sind vier PX-Domänen, fusioniert an GST, sowie GST aufgetrennt, welches anschließend getrocknet und auf einen Film
alleine zu sehen (Coomassie-gefärbtes Proteingel). Der untere Bild- zur Exposition aufgelegt wurde. (Aus Vollert und Uetz 2004)
452 P. Uetz et al.

In jedem Fall wird das markierte Protein mit den mat- 19.4  Ko-Immunpräzipitation
rixgebundenen GST-Fusionsproteinen gemischt und in-
kubiert. Anschließend werden die Beads wieder gewa- Ko-Immunpräzipitationen (Ko-IPs) sind den GST-­
schen, sodass im Idealfall nur das GST-­Fusionsprotein Pulldowns prinzipiell sehr ähnlich (. Abb. 19.12). An-  

und das gebundene Protein zurückbleiben. In der Praxis stelle von Glutathion-Sepharose wird hier jedoch eine
wird die Glutathion-Sepharose jetzt mit einem denaturie- Sepharosematrix verwendet, die mit Protein A beschich-
renden Probenpuffer aufgekocht und dadurch die Pro- tet ist. Protein A aus Staphylococcus aureus bindet an
teine von der Matrix gelöst. Die resultierende Probe kann die konstanten Ketten von IgG-Antikörpern mit hoher
man jetzt auf einem Polyacrylamidgel auftrennen. Wenn Affinität, sodass Sepharose-Protein-A-Kügelchen ein-
genügend Protein isoliert wurde, lässt es sich direkt im Gel fach mit Antikörpern beschichtet werden können. Diese
(z. B. mit Coomassie-­Farbstoff) anfärben und damit seine Beads kann man nun wiederum mit Proteinen inkubie-
molekulare Masse bestimmen (im Vergleich mit einem ren, z. B. aus einem Zell- oder Organextrakt. Abhängig
Gemisch von Proteinen bekannter Masse). Oft reicht die von den Antikörpern werden nur ganz bestimmte Pro-
Proteinmenge für eine solche direkte Bestimmung aber teine an die Kügelchen binden; alle anderen Proteine
nicht aus. In diesem Fall muss das Gel auf eine Membran und Zellbestandteile lassen sich mit mehrfachem Wa-
geblottet werden, wo es mit Antikörpern gegen das ange- schen in Pufferlösung abtrennen. Die gebundenen Pro-
hängte Epitop (oder einem radioaktiv markierten Protein) teine werden durch Kochen in Probenpuffer von der
nachgewiesen werden kann. Matrix abgelöst und können mithilfe eines Proteingels
Das Epitop wird wiederum mit Antikörpern nach- getrennt und anschließend analysiert werden. Hierzu
gewiesen, die am einfachsten mit einem Enzym wie der eignet sich wiederum ein Western-Blot oder gegebenen-
Meerrettich-Peroxidase (HRP, . Abb. 19.13) gekoppelt

falls Ausschneiden und Analyse per Massenspektromet-
sind. rie.

A Ko-Immunopräzipitation
Beuteprotein
(Prey, z. B. Formin)
Köderprotein
YY (Bait, z. B. Src)
YY

Y
Epitop (z. B. HA-Peptid)
Sepharose-
YY

Kügelchen Antikörper (z. B. α-HA)


YY Protein A
nicht gebundene
Proteine

B Ko-Immunopräzipitation (Autoradiogramm)
– Peptid + Peptid
Antikörper: α2-17 α2-17 αSH3 α-Kinase IgG
transfizierte DNA: F FS S F FS S F FS S F FS S F FS S

Formin

19 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

..      Abb. 19.12  Ko-Immunpräzipitation (Ko-IP). A Prinzip (Details pelten Antikörpern gemischt. Nach Waschen der Kügelchen und
im Text). B Beispiel: Ein Forminprotein bindet an das Onkoprotein Elution mit Probenpuffer wurden die gebundenen Proteine aufge-
Src, Nachweis durch Ko-IP. In diesem Experiment wurden vier ver- trennt, geblottet („Western-Blot“) und mit einem Anti-­ Formin-­
schiedene Anti-Src-Antikörper verwendet: einer gegen ein Peptid mit Antikörper nachgewiesen. Formin kann nicht mit dem α-SH3-­
den Aminosäuren 2–17 (α2-17), einer gegen die SH3-Domäne Antikörper ko-immunpräzipiert werden, weil der Antikörper
(αSH3), einer gegen die Kinasedomäne (α-Kinase) und ein Kontroll- offensichtlich mit dem Formin um eine Bindungsstelle an der SH3-­
antikörpergemisch ohne besondere Spezifität (IgG). Die interagie- Domäne konkurriert. Das Peptid, gegen das der Antikörper α2-17
renden Proteine „Formin“ und „Src“ wurden jeweils einzeln (F, S) erzeugt wurde, konkurriert ebenfalls um die Bindung mit dem
oder zusammen (FS) in Kulturzellen exprimiert. Die Zellen wurden Formin, sodass dieses aus der Bindung verdrängt wird („+ Peptid“).
dann lysiert und mit den genannten, an Protein-A-Kügelchen gekop- (Modifiziert nach Uetz et al. 1996)
Protein-Protein-Wechselwirkungen
453 19
Für die Analyse von Proteininteraktionen sind Ko-­ Eine interessante Applikation stellt außerdem das
IPs ein wichtiges Hilfsmittel, nicht zuletzt zum Bestäti- Kartieren von Interaktionsdomänen oder -epitopen dar.
gen von Two-Hybrid-Daten. Die wichtigste Einschrän- Dabei wird ein Protein partiell mit Proteasen verdaut,
kung hierbei ist nur die begrenzte Verfügbarkeit von auf einem Gel aufgetrennt und geblottet. Die Sekundär-
spezifischen Antikörpern. Man behilft sich in der Regel inkubation der Membran mit einem interagierenden
damit, dass man an Proteine einfach Epitop-­Tags an- Protein führt zur Bindung an eine Teilmenge aller Ban-
hängt, sodass ein generischer Antikörper für viele ver- den. Aus der Größe dieser Banden kann in der Regel
schiedene Proteine verwendet werden kann. Auf diese geschlossen werden, welches Fragment die interagieren-
Weise hat man auch die meisten Hefeproteine systema- den Sequenzen enthält.
tisch „etikettiert“ und mit einer Affinitätsreinigung iso- Eine Variante zur Kartierung von Interaktionsepito-
liert. Die anschließende Identifikation assoziierter Pro- pen macht sich die Synthese von Peptiden direkt auf ei-
teine mittels Massenspektrometrie war ein Meilenstein ner Membran zunutze, z.  B. mit überlappenden Pepti-
in der Geschichte der Proteininteraktionsforschung. den von jeweils 10–20 Aminosäuren. Für diese Zwecke
gibt es bereits automatisierte Systeme, die man einfach
mit den gewünschten Sequenzen programmiert. Dabei
19.5  Far-Western-Blot kann man auch gleich Mutationen einbauen, um deren
Auswirkung zu studieren. Die Peptide werden dann wie
Die Methode des Western-Blots kann auch zur Analyse oben mit epitopmarkierten Proteinen inkubiert und
von Proteininteraktionen verwendet werden. Anstatt ein dann per Enzymreaktion (oder seltener per Radioaktivi-
Protein auf einer Membran direkt mit Antikörpern tät) nachgewiesen.
nachzuweisen, kann der Blot zunächst mit einem ande-
ren Protein behandelt werden. Üblicherweise nimmt
man hier ein epitopgetaggtes Protein, welches an ein 19.6  Plasmonenspektroskopie (Surface
oder mehrere Proteine auf der Blottingmembran bindet. Plasmon Resonance)
Erst im nächsten Schritt wird ein Antikörper gegen das
zweite Protein angewandt, sodass ein Sandwich entsteht Die Oberflächen-Plasmonenresonanzspektroskopie oder
(. Abb. 19.13).
  Surface Plasmon Resonance (SPR) ist eine Methode zur
Die Methode ist weitgehend identisch mit einem re- Messung von Bindungsvorgängen an Oberflächen. Das
gulären Western-Blot, außer einer zusätzlichen Inkuba- Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten reicht von
tion, weshalb die Technik auch „Far-Western“ genannt der Bestimmung von Bindungskonstanten (z.  B. bei
wird. Auch das Far-Western-Blotting wird in der Regel Antikörper-Antigen- oder Rezeptor-Liganden-­Paaren),
zur Bestätigung von anderweitig identifizierten Protein- Enzym-Substrat-Wechselwirkungen über DNA-Hybri-
interaktionen verwendet. disierung und DNA/RNA-Protein-­ Wechselwirkungen,

A Far-Western-Blot: Prinzip B Beispiel

Proteine aus:
Licht
interagierendes
Treponema Bacillus
GST-Fusionsprotein
567 792 868 870 yvzB Hag
α -GST-
geblottete HRP
Antikörper
Proteine

YviF
GST

Membran

..      Abb. 19.13  Far-Western-Blot. A Prinzip (s. Text für Details). B Anti-GST-Antikörper und ECL nachgewiesen (HRP, horseradish
Beispiel mit dem Nachweis, dass das Protein YviF (aus Bacillus sub- peroxidase, engl. Meerrettich-Peroxidase ist das antikörpergekop-
tilis) an Flagellenproteine aus verschiedenen Bakterien bindet. Die pelte Enzym für die Lichtreaktion). Dieser Far-Western zeigt nicht
Proteine TP0567 (Negativkontrolle), TP00792 (FlaB2), TP0868 nur, dass YviF an die Flagellenproteine FlaB1–3 bindet, sondern
(FlaB1), TP0870 (FlaB3) des Syphiliserregers Treponema pallidum dass diese Interaktion auch in mehreren nicht besonders nahe ver-
wurden zusammen mit den Flagellenproteinen yvzB und Hag aus wandten Bakterien konserviert ist (nämlich in Treponema und Bacil-
Bacillus subtilis in Escherichia coli exprimiert und ein Extrakt daraus lus). Die Pfeile zeigen die gesuchten Proteine an. Alle anderen Ban-
auf eine Membran geblottet. Diese Membran wurde mit dem GST-­ den sind Abbauprodukte oder unspezifische Interaktionen.
Fusionsprotein GST-YviF (dem Orthologen von TP0658 in Bacillus (modifiziert nach Titz et al. 2006)
subtilis) inkubiert und das Fusionsprotein anschließend mit einem
454 P. Uetz et al.

Membranproteincharakterisierungen bis hin zur zellu- Licht, das auf die Metalloberfläche trifft, kann nur
lären Analytik an plasmonenkompatiblen Oberflächen. dann ein Plasmon erzeugen, wenn es durch optisch dich-
SPR hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von der teres Medium als Luft geleitet wurde. Deshalb verwendet
Erforschung eines physikalischen Phänomens zu einer man zur Einkopplung des Lichtes in die Metalloberflä-
sehr interessanten Messmethode für biologische Frage- che z. B. ein Glasprisma, das an das Metall angrenzt. Das
stellungen entwickelt. Die Vorteile, die am häufigsten im in der Praxis am häufigsten verwendete Metall ist Gold,
Zusammenhang mit der SPR-­Methode genannt werden, und als Lichtquelle wird zumeist ein Helium-Neon-Laser
sind Sensitivität, Geschwindigkeit, Parallelisierbarkeit, verwendet. Diese Grundbestandteile eines exemplari-
Spezifität, labelfreie Detektion und die Tatsache, dass schen SPR-Aufbaus sind in . Abb. 19.15 gezeigt.

physiologische Bedingungen (Pufferlösungen) während Bei dieser Art des Messaufbaus ist die Goldoberfläche
der Messung verwendet werden können. mit dem angrenzenden Prisma auf eine drehbare Platt-
Zur Messung der Bindungskonstanten von Rezeptor-­ form aufgesetzt, sodass der Einfallswinkel des Laserlich-
Liganden-­Wechselwirkungen wird einer der Bindungs- tes verändert werden kann. Gemessen wird das von der
partner an die Oberfläche gebunden und mit dem ande- Goldoberfläche reflektierte Licht mit einer Photozelle.
ren Bindungspartner in Lösung in Kontakt gebracht. In . Abb.  19.16A ist gezeigt, wie sich das reflektierte

Um SPR-Experimente planen und interpretieren zu Licht in Abhängigkeit vom Einfallswinkel verhält: Ober-
können, ist es sinnvoll, sich mit dem zugrunde liegenden halb der Totalreflektionskante, bis zu der sich das Gold
Prinzip zu beschäftigen: wie ein Spiegel verhält, nimmt die Lichtintensität bei
An Metallen befindet sich an der Grenzfläche zu ei- höheren Winkeln kontinuierlich ab. Es kommt zu einem
nem Dielektrikum (z.  B.  Luft, Wasser, organische Lö- Minimum, das die maximale Anregung des Plasmons
sungsmittel etc.) ein Elektronengas, das unter bestimm- beschreibt (das Licht wird maximal in die Oberfläche
ten Bedingungen durch Licht in Schwingung versetzt eingekoppelt) und anschließend steigt die Lichtintensität
werden kann. Basierend auf dem Gesetz der Energieer- wieder auf ihren ursprünglichen Wert. In den linearen
haltung wird Licht in die Elektronengaswolke an der Bereichen dieser Kurve können zeitabhängige Messun-
Metalloberfläche eingekoppelt. Durch dieses Kop- gen, wie z. B. Bindungskinetiken, durchgeführt werden.
plungs- oder auch Resonanzphänomen wird ein Ober- Wie können jetzt Bindungsvorgänge an der Gold-
flächenplasmon angeregt. Die Resonanzbedingungen oberfläche messbar gemacht werden? Ändert sich durch
werden durch den Einfallswinkel des Lichtes und den Bindung von Molekülen der Brechungsindex an der
Brechungsindex des Mediums bestimmt, durch das das Oberfläche, ändern sich dadurch die Ausbreitungseigen-
Licht auf die Metalloberfläche trifft. Vorstellen kann schaften des Plasmons. Diese Änderung der Ausbrei-
man sich ein Plasmon als eine Lichtwelle, die sich an der tungseigenschaften des oberflächengebundenen Lichtes
Metalloberfläche entlang ausbreitet. Dabei fällt die Feld- ist das Messsignal, das die Bindung von Molekülen an
intensität dieser Welle exponentiell mit dem Abstand von die Metalloberfläche beschreibt. . Abb.  19.16B be-

der Oberfläche ab. Das hat zur Konsequenz, dass die


SPR-Methode eine oberflächensensitive Messung ist: Bis
ca. zweihundert Nanometer weit kann ein Plasmon – ge-
Licht
messen von der Oberfläche aus – „sehen“. Das ist auch
aus . Abb. 19.14 ersichtlich, in der die Feldintensität als

Funktion des Oberflächenabstandes dargestellt ist.


Glasprisma
Prisma Metall Wasser

optische Feldintensität

19 Fluoreszenz-
intensität

Fluoreszenz

0 100 200
Abstand (in nm) Messküvette mit Goldschicht
Beschichtungslösung Glasträger
..      Abb. 19.14 Surface Plasmon Resonance (SPR). Feldintensität als
Funktion des Oberflächenabstandes ..      Abb. 19.15  Grundbestandteile eines SPR-Aufbaus
Protein-Protein-Wechselwirkungen
455 19

100 % A dung vieler kleiner oder weniger großer Moleküle unter-


schieden werden kann – für die biologischen Anwendun-
gen heißt das: Die zu messenden Proben müssen insofern
Reflektivität
charakterisiert und gereinigt vorliegen, dass sie eine ein-
heitliche Größe haben, nur dann kann das Ergebnis
R2
R auch quantitativ interpretiert werden. Bei vielen Proben,
R1 wie z. B. Zellaufschlüssen oder Nahrungsmittelproben,
in denen ein bestimmtes Protein nachgewiesen werden
0% soll, ist eine Reinigung nicht möglich. Dann bietet es
Einfallswinkel (in Grad)
sich an, mit einer Antikörperbindung eine nachfolgende,
spezifische Reaktion anzuschließen und die elektromag-
Optische Schichtdicke (in nm)

B netische Welle des oberflächengebundenen Plasmons für


eine Verstärkung der Emission z.  B. eines fluoreszenz-
markierten, monoklonalen Antikörpers zu verwenden.
Jetzt ist auch offensichtlich, warum Oberflächen-
D2
eigenschaften eine so große Rolle in dieser Methode
D spielen: Eine Goldoberfläche ist für zahlreiche unspe-
D1 zifische Anbindungen von Molekülen zugänglich, aber
nur in Kombination mit einer geeigneten Passivierung
Zeit (in min) der Oberfläche können solche unerwünschten Beschich-
tungen wirkungsvoll verhindert werden. Viel Entwick-
..      Abb.  19.16  A Verhalten des Lichts in Abhängigkeit vom Ein- lungsarbeit ist notwendig, um eine geeignete Passivie-
fallswinkel. B Bindungskinetik als zeitabhängige Lichtintensitäts- rungsschicht mit Fänger-Molekülen zu dekorieren, die
messung ausschließlich mit dem Zielmolekül interagieren. In
besonderen Fällen kommt dieser Passivierungsschicht
schreibt eine Bindungskinetik, die als zeitabhängige auch noch eine weitere Funktion zu: Hydrophobe Mo-
Lichtintensitätsmessung dargestellt ist. leküle können hier in eine Matrix eingebettet werden
Gemessen wird damit die optische Schichtdicke der und so einer hydrophilen Phase gegenübergestellt wer-
angelagerten Moleküle, also die Änderung des Bre- den. Damit ist die Methode der SPR in der Lage, auch
chungsindexes an der Oberfläche. Damit ist eine Grund- diese Interaktionen messbar zu machen, die aufgrund
voraussetzung dieser Messmethode klar: Die Messun- von Löslichkeitsproblemen in Lösung nicht möglich
gen müssen unter optisch konstanten Bedingungen, also sind. Eine interessante Möglichkeit ist die Beschich-
im gleichen Puffersystem, gemessen werden, nur dann tung der Oberfläche mit einer künstlichen Membran,
lässt sich eine Anbindung von Molekülen an die Ober- um Bindungsvorgänge zu untersuchen, die mit memb-
fläche nachweisen. Durch Anwendung der sog. Fresnel-­ ranständigen Molekülen wie den Membranproteinen
Algorithmen kann aus einer optischen Schichtdicke die zu tun haben.
physikalische Schichtdicke dargestellt werden, voraus- Es lässt sich also eine Vielzahl von individualisierten
gesetzt, man kennt den Brechungsindex der sich bilden- Experimenten finden, die in der Lage sind, biologische
den Schicht. Fragestellungen an funktionalisierten Grenzschichten
Mittlerweile hat sich eine weitere Strategie zur Er- zu beantworten. Insofern stellt die SPR-Methode eine
zeugung von Plasmonen an Oberflächen etabliert: die flexible experimentelle Plattform in dem Methodenspek-
sog. Gitterkopplungsstrategien. Dabei kann der Gold- trum der modernen Bioanalytik dar.
film durch Goldgitter ersetzt werden, wobei lokalisierte In aktuellen SPR-Weiterentwicklungen werden Flu-
Plasmonen sehr empfindlich auf Bindungsvorgänge re- orophore oder Quantendots als Marker eingesetzt, um
agieren können. Oder es werden nanoskopische Struktu- in molekularer Auflösung Bindungsvorgänge zu detek-
ren in geeignete Halbleitermaterialien erzeugt, die dann tieren und durch spektrale Analyse verschiedene Ligan-
edelmetallfrei plasmonenbasierte Phänomene zur Mes- den voneinander zu differenzieren. In Kombination mit
sung von Bindungsvorgängen in der molekularen Di- der Methode der Plasmonenmikroskopie können struk-
mension erlauben. turierte Oberflächen auch lateral aufgelöst vermessen
Die SPR-Methode kann grundsätzlich bis zu einer werden. Mit dieser Erweiterung können Arrays aus Pro-
Grenze von wenigen Nanometern die Anlagerung einer benmaterialien vermessen werden, deren Interaktionen
Schicht beschreiben, allerdings mit einer lateralen Auf- mit Liganden zwar nicht mehr labelfrei, dafür aber in
lösung, die im Mikrometerbereich liegt. Das bedeutet molekularer Auflösung und räumlich differenzierbar
für das Messergebnis, dass nicht zwischen der Anbin- charakterisiert werden können.
456 P. Uetz et al.

19.7  Fluoreszenz-Resonanz-­ sität der beiden beteiligten Farbstoffe in einer Lösung


Energietransfer – FRET der Biomoleküle messen (Ensemble-Methoden); da-
raus lässt sich dann die FRET-Effizienz errechnen
Fluoreszenz-Resonanz-Energietransfer (auch: Förster-­ (7 Abschn.  19.7.1). Mithilfe von Weitfeld-, konfoka-

Resonanz-­Energietransfer, FRET) basiert auf einer ab- ler oder totaler interner Reflexionsmikroskopie (TIRF;
standsabhängigen Wechselwirkung zweier geeigneter 7 Abschn. 19.7.2) lässt sich FRET räumlich auflösen.

Fluoreszenzfarbstoffe. Da die Effizienz dieses Prozesses So können FRET-Effizienzen in einzelnen Molekülen


vom Abstand abhängt, können über die FRET-Effizienz in vitro in Lösung und an Oberflächen oder auch in vivo
Abstände bzw. Abstandsänderungen zwischen diesen in Zellen bestimmt werden.
Farbstoffen bestimmt werden (. Abb.  19.17). Geeig-

nete Farbstoffe können kovalent an Biomoleküle gekop-


pelt werden (7 Abschn.  19.7.3). Man unterscheidet
zwischen intra- und intermolekularem FRET. Bei inter- 19.7.1 FRET-Effizienzen und ihre

molekularem FRET befinden sich die Farbstoffe auf experimentelle Bestimmung


zwei unterschiedlichen Molekülen. Die FRET-Effizienz
dient hier als Sonde für Wechselwirkungen: Wenn die Die Absorption und Emission von Licht ist mit einer
beiden Biomoleküle keine Wechselwirkung eingehen, so Änderung der Ladungsverteilung der Farbstoffe ver-
ist die FRET-Effizienz null; bei Komplexbildung ist die bunden. Das Übergangsdipolmoment eines Farbstoffes
FRET-­Effizienz hoch. Bei intramolekularem FRET be- ist ein Maß für diese Ladungsverschiebung. Bei FRET
finden die Farbstoffe sich an zwei Positionen im selben findet eine dipolare Kopplung zwischen den Übergangs-
Molekül. Aus der FRET-Effizienz lassen sich dann Ab- dipolen der beiden beteiligten Farbstoffe statt, die zum
stände zwischen zwei Punkten innerhalb eines Moleküls Energieübertrag vom ersten Farbstoff, dem Donor, zum
bestimmen, die Strukturinformation liefern. Änderun- zweiten Farbstoff, dem Akzeptor, führt. Diese dipolare
gen der FRET-Effizienz dienen als Sonde für Konfor- Kopplung ist eine strahlungslose Wechselwirkung durch
mationsänderungen des Biomoleküls (. Abb.  19.17; den Raum, deren Effizienz EFRET mit der inversen sechs-

7 Abschn. 19.7.4).

ten Potenz des Abstandes rDA abnimmt (. Abb. 19.17).  

FRET-Effizienzen können über Spektroskopie oder


mittels Mikroskopie bestimmt werden (. Abb.  19.17;  
R6
7 Abschn.  19.7.2). Mit einem kommerziellen Fluo- EFRET = 6 0 6 (19.1)
R0 + rDA

reszenzspektrometer kann man die Fluoreszenzinten-

..      Abb. 19.17  FRET und mögliche Anwen-


A
dungen. A Abstandsabhängigkeit der FRET-­
1 D A r <<R0
Effizienz. Bei Abständen deutlich unter dem
Förster-Abstand R0 erreicht die FRET-Effizienz
EFRET den Wert 1 (100 %), bei Abständen
EFRET

deutlich über R0 geht sie gegen 0 (0 %). Bei D A r = R0


r = R0 beträgt die FRET-Effizienz 0,5 (50 %).
B Intermolekularer FRET zwischen Donor (D)
und Akzeptor (A) auf verschiedenen Molekü-
len zum Nachweis von Interaktionen. C 0 D A r >>R0
Intramolekularer FRET zum Messen von 0 2 4 6 8 10
Abständen und zum Nachweis von Konforma- r (nm)
tionsänderungen

19 B
D A D A
inter-
molekularer FRET

C
D
D A
intra-

EFRET niedrig EFRET hoch


Protein-Protein-Wechselwirkungen
457 19
Der Förster-Abstand oder charakteristische Transferab- fachsten Fall aus den gemessenen Fluoreszenzintensitä-
stand R0 gibt dabei den für jedes Donor-Akzeptor-­Paar ten für Donor und Akzeptor, FD und FA, bestimmen:
typischen Abstand an, der mit einer FRET-Effizienz
von 50  % verknüpft ist. Förster-Abstände für gängige FA
EFRET = (19.4)
Donor-Akzeptor-Paare liegen im Bereich von 45–60 Å FA + FD
(4,5–6,0 nm). Um diesen Förster-Abstand herum ändert
sich also das Signal besonders stark mit der Änderung
des Abstandes, sodass Abstandsmessungen über FRET Um eine FRET-Effizienz zur Ermittlung von Abstän-
auf den Bereich von ca.  1–10  nm beschränkt sind den zu bestimmen, müssen die gemessenen Intensitäten
(. Abb.  19.17). Für kleinere und größere Abstände

um Hintergrund sowie um nichtideale Effekte des Gerä-
liegt die FRET-Effizienz bei 1 bzw. 0 und zeigt keine Va-tes (unterschiedliche Detektionseffizienzen für Donor-
riation mehr mit dem Abstand, ist also als Signal nicht und Akzeptor-Fluoreszenz sowie unvollständige spekt-
hilfreich. rale Trennung der beiden Emissionen) korrigiert werden.
Der Förster-Abstand R0 hängt seinerseits von den Wird die FRET-Effizienz „nur“ als relative Sonde für
spektralen Eigenschaften der verwendeten Farbstoffe Interaktionen oder zum Verfolgen von Abstandsände-
ab: rungen verwendet, so kann eine sogenannte apparente
FRET-Effizienz oder proximity ratio ausreichend sein,
die ohne weitere Korrekturen direkt aus den gemessenen
J κ 2ΦD
R0 = 6 8, 785 ⋅10−11 (19.2) Werten berechnet wird.
n4 Die Löschung der Donor-Fluoreszenz in Anwesen-
heit des Akzeptors ist auch mit einer Abnahme der
In Gl. 19.2 ist J die Stärke der Überlappung des Donor-­ Fluoreszenzlebenszeit (7 Abschn.  8.5) des Donors

Emissions-spektrums mit dem Akzeptor-­ verbunden. Daher kann die FRET-Effizienz statt aus
Absorptionsspektrum (in nm4 M−1 cm−1), κ2 ein Maß Intensitäten aus der Fluoreszenzlebenszeit des Donors
für die relative Orientierung der Übergangs-dipol­ in Ab- und Anwesenheit des Akzeptors, τD und τDA, be-
momente von Donor und Akzeptor, n der Brechungsin- rechnet werden:
dex der Umgebung und ΦD die Quantenausbeute des
Donors. Damit FRET stattfindet, muss also die Emission τ
des Donors mit der Absorption des Akzeptors überlap- EFRET = 1 − DA (19.5)
τD
pen. Der Orientierungsfaktor κ ist 2

Analog zu Gl. 19.5 kann die FRET-Effizienz auch aus


κ 2 = ( cos θ DA − 3 cos θ D cos θ A )
2
(19.3)
der Abnahme der Donor-Fluoreszenz FD in Anwesen-
heit des Akzeptors, FDA, berechnet werden:
Dabei ist θDA der Winkel zwischen dem Übergangsdipol
von Donor und Akzeptor, sowie θD und θA die Winkel FDA
EFRET = 1 − (19.6)
der Übergangsdipole mit dem verbindenden Vektor. Die FD

Richtung der Übergangsdipole von Donor und Akzep-
tor ist in der Regel nicht bekannt und experimentell Die Bestimmung der FRET-Effizienz nach Gl.  19.4
nicht einfach zu bestimmen. Damit kennt man auch κ2 nennt man ratiometrisch, da hier sowohl Donor- als
nicht. Prinzipiell kann κ2 Werte zwischen 0 (Übergangs- auch Akzeptor-Fluoreszenz gemessen werden und das
dipole senkrecht zueinander) und 4 (Übergangsdipole Verhältnis aus beiden in die Berechnung eingeht. Das
parallel und hintereinander angeordnet) annehmen. Um hat zum einen den Vorteil, dass man anhand antikorre-
einen verlässlichen Wert für den Orientierungsfaktor lierter Änderungen der beiden Fluoreszenzintensitäten
einsetzen zu können, werden Farbstoffe für FRET-­ direkt auf FRET als Ursache schließen kann. Andere
Experimente über flexible Linker an das Zielmolekül Effekte wie Fluoreszenzlöschung (7 Abschn.  8.5) än-

angeknüpft. So können sich die Farbstoffe auf der Zeit- dern nur einen Wert oder beeinflussen beide Werte in die
skala der Messung frei bewegen und alle möglichen rela- gleiche Richtung. Zum anderen ist die bestimmte
tiven Orientierungen zueinander einnehmen. Für diesen FRET-­ Effizienz nicht konzentrationsabhängig, sofern
Fall nimmt κ2 den Wert 2/3 an. die Farbstoffe an dasselbe Molekül angeknüpft sind.
Durch die Energieübertragung vom Donor auf den Die Bestimmung der FRET-Effizienz anhand der
Akzeptor wird die Donor-Fluoreszenz teilweise ge- Donor-­Lebenszeit (Gl.  19.5) oder Donor-Fluoreszen-
löscht, während der Akzeptor stattdessen fluoresziert. zintensität (Gl. 19.6) in Ab- und Anwesenheit des Ak-
Die Transfereffizienz EFRET lässt sich deshalb im ein- zeptors ist fehleranfälliger, da hier nicht überprüft wird,
458 P. Uetz et al.

ob gleichzeitig mit einer Abnahme der Donor-Fluores- durchgeführt werden. Für in-vitro-Experimente an Mo-
zenz auch die Akzeptor-Fluoreszenz steigt und umge- lekülen in Lösung kommt die konfokale Mikroskopie
kehrt. So kann nicht klar unterschieden werden, ob die zu Einsatz. An Oberflächen immobilisierte Moleküle
Änderungen durch FRET oder andere Prozesse wie Lö- werden hingegen im Allgemeinen mittels Weitfeld-,
schung der Donor-Fluoreszenz verursacht werden. konfokaler Scanning- oder totaler interner Reflexions-
Die Beschränkung von FRET auf ein Farbstoffpaar mikroskopie (TIRF) abgebildet. Für in-vivo-Experi-
erlaubt das Verfolgen eines einzigen Abstands innerhalb mente kommt meist die TIRF-Mikroskopie zum Ein-
eines Moleküls oder Komplexes. Unter Verwendung satz (. Abb. 19.18).

von drei oder mehr geeigneten Farbstoffen können prin- Bei konfokaler Mikroskopie zur Untersuchung von
zipiell mehrere Abstände gleichzeitig verfolgt werden. Molekülen in Lösung erfolgt die Fluoreszenzanregung
Diese Messungen sind allerdings aufgrund der schwieri- des Donors mit Laserlicht, das durch ein Objektiv in ein
gen spektralen Trennung mehrerer Farbstoffe und der kleines Volumen innerhalb der Probe, das sogenannte
vielfältigen paarweisen Wechselwirkungen nicht einfach konfokale Volumen, fokussiert wird. Moleküle, die sich
zu interpretieren. Mehrere gekoppelte Farbstoffe kön- im konfokalen Volumen befinden und einen Donor tra-
nen aber helfen, die Abstandsbeschränkung auf Ab- gen, werden angeregt und emittieren Fluoreszenzlicht.
stände unter 10 nm zu überwinden. Hier kann die Ener- Das emittierte Licht wird durch das Objektiv gesammelt,
gie vom Donor über mehrere Akzeptoren schrittweise und die Spektralbereiche der Donor- und Akzeptor-­
auf den letzten Akzeptor in der Kette übertragen wer- Emission werden durch geeignete Strahlteiler auf se-
den. Über derartige Relay-Mechanismen können daher parate Punktdetektoren geleitet und detektiert. Daraus
größerer Abstände messbar gemacht werden. Allerdings erhält man die Donor- und Akzeptor-Fluoreszenz als
ist die ortsspezifische Einführung mehrerer Farbstoffe Funktion der Zeit; einzelne Fluoreszenz-Bursts entspre-
nicht einfach zu erreichen (7 Abschn. 19.7.3).
  chen dabei einzelnen Molekülen, die durch den Fokus
Eine Abwandlung der FRET-Methode stellt der sog. diffundieren Die Residenzzeit der Moleküle im Fokus
Bioluminescence Resonance Energy Transfer (BRET) liegt typischerweise bei wenigen Millisekunden. Aus der
dar. Hierbei wird als Donor eine Einheit eingesetzt, die Donor- und Akzeptor-Fluoreszenz für jedes einzelne
Biolumineszenz zeigt, z. B. Luciferase. Molekül während dieser Zeit kann dann dessen Trans-
fer-Effizienz EFRET berechnet werden (Gl.  19.4). Die
Verteilung der FRET-Effizienzen aller nacheinander de-
19.7.2 Methoden der FRET-Messung tektierten Moleküle wird dann in FRET-­Histogrammen
dargestellt. Prinzipiell kann auch die zeitliche Ände-
In Ensemble-FRET-Messungen kommen konventio- rung der FRET-Effizienz innerhalb eines Millisekun-
nelle, kommerziell erhältliche Fluoreszenzspektrometer den-Bursts erhalten werden. Meist sind die Konforma-
zum Einsatz. Hier misst man Emissionsspektren der do- tionen auf dieser Zeit- und Abstandsskala aber statisch.
nor-und akzeptormarkierten Moleküle nach Anregung Bei der Abbildung von Molekülen auf Oberflächen
des Donors und berechnet aus den gemessenen Fluores- wird das Bild entweder Punkt für Punkt abgerastert und
zenzintensitäten des Donors und Akzeptors die an jedem Punkt der Donor angeregt und die Donor-
FRET-Effizienz. Dieser Wert stellt einen Durchschnitt und Akzeptoremission detektiert (konfokale Scanning-­
über die einzelnen FRET-Effizienzen in allen vorhande- Mikroskopie), oder die Anregung erfolgt für alle Mole-
nen Molekülen in der untersuchten Lösung dar. Er hat küle gleichzeitig (Weitfeld- oder TIRF-­ Mikroskopie).
nur dann eine molekulare Bedeutung, wenn alle Mole- Über das Objektiv wird dann die Fluoreszenz der Mole-
küle den gleichen Abstand zwischen den Farbstoffen küle zur Abbildung auf einen Flächendetektor, typi-
zeigen, also in der gleichen Konformation vorliegen. scherweise eine CCD-Kamera, fokussiert. Auch hier
Liegen zwei Konformationen im Gleichgewicht vor, so werden Donor- und Akzeptoremission durch geeignete
liefert die Änderung des Mittelwerts der FRET-Effi- Strahlteiler getrennt und auf benachbarte Detektorflä-
19 zienz Informationen über eine Änderung der relativen chen abgebildet. So entsteht ein Paar von Bildern, eins
Populationen der beiden Formen, was als spektroskopi- für die Donorfluoreszenz, eins für die Akzeptorfluores-
sche Sonde z. B. in Titrationen ausgenutzt werden kann. zenz. Aus diesen kann für alle M ­ oleküle im Field of
Über die zeitliche Änderung der FRET-Effizienz kann View die Donor- und Akzeptorintensität und damit die
so auch die Kinetik von Bindungs- und Dissoziations- FRET-Effizienz bestimmt und ein Histogramm der Ver-
reaktionen oder von Konformationsänderungen ver- teilung der FRET-Effizienzen erstellt werden. Nimmt
folgt werden. man eine Serie von Bildern als Funktion der Zeit auf, so
Zur Messung vo FRET an einzelnen Molekülen liefert jedes Bildpaar für jedes einzelne Molekül eine
werden Mikroskope verwendet. Einzelmolekülmikro- FRET-Effizienz zum jeweiligen Zeitpunkt; alle Bild-
skopie kann in vitro mit isolierten, donor- und akzeptor- paare liefern die FRET-Effizienz als Funktion der Zeit
markierten Molekülen oder an lebenden Zellen in vivo für alle Moleküle. Da die Moleküle immobilisiert sind,
Protein-Protein-Wechselwirkungen
459 19
A

ID

Fluoreszenz
EFRET

IA

λ (nm)
EFRET

EFRET
Kd kass

[Partner 2] t (s)

B in Lösung C an Oberflächen
Moleküle Zellen
Anzahl

Anzahl
O
EFRET EFRET

P
Photonen

S
EFRET

DD
t (ms) t (s)
DA

..      Abb. 19.18  Messung von FRET-Effizienzen. A Bestimmung von fundieren. Aus den Intensitäten ID und IA kann dann für jedes der
FRET-Effizienzen für Moleküle in Lösung (in vitro, Ensemble) aus Moleküle EFRET berechnet und ein Histogramm der Verteilung erstellt
Spektren. Aus dem Fluoreszenzemissionsspektrum des Moleküls/ werden. C Totale interne Reflexionsmikroskopie zur Bestimmung von
Komplexes mit Donor und Akzeptor nach Anregung des Akzeptors EFRET an einzelnen oberflächenimmobilisierten Molekülen und Be-
(grau) werden die Donor-Fluoreszenz ID (grün) und die Akzeptor-­ stimmung von EFRET in vivo durch fluoreszenzmikroskopisches Abbil-
Fluoreszenz IA (rot) bestimmt. Daraus kann EFRET berechnet werden. den von Zellen. Blau: Anregungslicht, grün, rot: Emission von Do-
EFRET kann als spektroskopische Sonde für Wechselwirkungen in Tit- nor, Akzeptor. TIRF regt selektiv Moleküle in der Nähe der
rationen (unten links) oder in kinetischen Messungen (unten rechts) Oberfläche an (blauer Gradient); diese werden über ihre Donor- und
verwendet werden, um Gleichgewichtskonstanten (Kd) und Raten­ Akzeptor-Fluoreszenz abgebildet. Aus der Donor- und Akzep-
konstanten (kass) zu bestimmen. B Konfokale Mikroskopie zur Mes- tor-Fluoreszenz kann dann EFRET für alle Moleküle in einem Bildpaar
sung von EFRET an einzelnen Molekülen in Lösung. Blau: Anregungs- errechnet und ein FRET-­Histogramm erstellt werden. Aus einer Serie
licht, grün, rot: Emission von Donor, Akzeptor. Als Rohdaten wird von Bildern zu unterschiedlichen Zeitpunkten kann für jedes Molekül
die Donor- und Akzeptor-Fluoreszenz als Funktion der Zeit aus dem EFRET als Funktion der Zeit ermittelt werden. O Objektiv; L: Linse, P:
Beobachtungsvolumen erhalten; einzelne Fluoreszenz-­Bursts werden pinhole (Lochblende zur Ebenenselektion), S: Strahlteiler, DD: Detek-
durch einzelne Moleküle verursacht, die durch dieses Volumen dif- tor der Donor-Fluoreszenz, DA: Detektor der Akzeptor-Fluoreszenz
460 P. Uetz et al.

kann die FRET-Effizienz hier über lange Zeitbereiche die wie gewünscht mit beiden Farbstoffen modifiziert
(Minuten) aufgezeichnet werden, sodass auch langsame sind, sowie Moleküle, die nur den Donor oder nur den
Änderungen des Abstandes der Farbstoffe verfolgt wer- Akzeptor tragen (. Abb.  19.19). Für Einzelmolekül-­

den können. Das Abbilden von fluoreszenzmarkierten Experimente ist diese Verteilung i.  A. unproblema-
Molekülen in Zellen funktioniert nach dem gleichen tisch, da die verschiedenen Spezies unterschieden
Prinzip (. Abb. 19.19).
  werden können. In Ensemble-Experimenten, bei de-
nen das mittlere Fluoreszenzsignal aller vorliegenden
Formen gleichzeitig gemessen wird, ist hingegen eine
19.7.3  inbringen von FRET-Sonden
E definierte Anknüpfung von Donor und Akzeptor er-
in Biomoleküle forderlich. Diese kann erzielt werden, indem die Cys-
teine nach­einander modifiziert werden. Hierzu muss
Um FRET-Experimente mit Biomolekülen durchführen zunächst eines der Cysteine selektiv geschützt werden,
zu können, müssen zunächst die Donor- und Akzeptor- z.  B. durch Bindung eines Liganden. Dann kann das
farbstoffe an geeigneten Stellen eingeführt werden. Für andere mit dem ersten der beiden Farbstoffe umge-
in-vitro-Experimente können hierzu funktionalisierte setzt werden. Nach dem Entschützen wird dann das
organische Farbstoffe verwendet werden, die sich durch vorher geschützte Cystein mit dem zweiten Farbstoff
hohe Quantenausbeuten und Helligkeit sowie hohe umgesetzt. Alternativ können zwei verschiedene funk-
Photostabilität auszeichnen. Bei rekombinant herge- tionelle Gruppen zur Markierung verwendet werden,
stellten Proteinen verwendet man oft Cysteine, die über beispielsweise ein Cystein und eine nicht natürliche
ortsspezifische Mutagenese an geeigneten Positionen Aminosäure, die in einer bio-­orthogonalen Reaktion
eingeführt werden, und modifiziert diese spezifisch und selektiv umgesetzt werden kann (. Abb. 19.19). Es ist

kovalent mit Maleimid-Derivaten der Farbstoffe. Alter- auch möglich, das Protein in zwei Segmenten getrennt
nativ können über den Einbau nicht-natürlicher Ami- zu produzieren, ein Segment mit dem Donor und das
nosäuren andere reaktive Gruppen in das untersuchte zweite mit dem Akzeptor zu markieren, und diese
Protein eingeführt und selektiv kovalent mit Farbstof- Fragmente dann über eine Intein-­vermittelte Ligation
fen verknüpft werden. Eine weitere Möglichkeit stellt mittels einer Peptidbindung kovalent zu verknüpfen.
die Produktion des Proteins mit spezifischen Sequenzen, Die Verwendung zweier verschiedener Tags, die dann
Tags, dar, die dann zur Einführung eines Fluorophors mit Donor und Akzeptor umgesetzt werden, oder die
enzymatisch modifiziert werden. Beispiele hierfür sind Fusion mit zwei verschiedenen fluoreszierenden Protei-
der Halo-Tag, der CLIP-Tag oder der SNAP-Tag, so- nen ist ebenfalls möglich (. Abb.  19.19). Im Prinzip

wie eine Sequenz, die vom Enzym Sortase erkannt und sind der Kreativität bei der Kombination verschiedener
modifiziert wird. Prinzipiell kann das untersuchte Pro- Markierungsmethoden nur wenige Grenzen gesetzt.
tein auch als Fusionsprotein mit einem fluoreszierenden Zur Markierung von Nucleinsäuren können geeig-
Protein (z. B. grün fluoreszierendes Protein, GFP, oder nete Farbstoffe oft während der chemischen Synthese
Varianten davon) produziert werden, das dann als Part- eingeführt werden. Alternativ führt man während der
ner für FRET fungiert. Die Fusion mit Tags oder fluo- Synthese funktionelle Gruppen ein, die dann im An-
reszierenden Proteinen hat den Vorteil, dass die Farb- schluss mit Farbstoffen modifiziert werden. Längere
stoffe bzw. die fluorogenen Gruppen genetisch codiert Nucleinsäuren können unter Verwendung synthetisier-
sind, was einen Einsatz für in-vivo-Untersuchungen ter, farbstoffmarkierter Oligonucleotide als primer mit-
erlaubt. In vitro markierte Proteine können aber auch, tels PCR (7 Kap. 33) oder über Ligationsverfahren her-

z. B. durch Elektroporation oder Mikroinjektion, nach- gestellt werden; dies erlaubt auch die Einführung von
träglich in Zellen eingebracht und dann mittels FRET FRET-Paaren. Auch durch Hybridisierung zweier mar-
untersucht werden. kierter Einzelstränge kann eine DNA oder RNA mit
einem FRET-Paar hergestellt werden. Fluoreszierende
19 Während die Modifizierung von Proteinen mit ei-
nem einzigen Farbstoff einfach umzusetzen ist, erfor- RNA-Aptamere (7 Kap. 36) können analog zu fluores-

dert das Einführen eines Donor-Akzeptor-Paars für zierenden Proteinen als genetisch codierbare Farbstoffe
intramolekulare FRET-Untersuchungen oft aufwändi- eingesetzt werden, um doppelt markierte RNAs herzu-
gere Prozeduren. Prinzipiell kann eine Proteinvariante stellen.
mit zwei Cysteinen mit einer Mischung aus Donor- Von Lipiden sowie vielen Proteinliganden und En-
und Akzeptor-­Maleimiden markiert werden. Hierbei zyminhibitoren sind diverse Farbstoffderivate kommer-
erhält man eine statistische Mischung aus Molekülen, ziell erhältlich.
Protein-Protein-Wechselwirkungen
461 19
in-vivo-Markierung
in-vitro-Markierung

SH SH SH X

Tag 1 Tag 2 GFP YFP


D A

D A A D D A
A

D D A A D

..      Abb.  19.19  Einführung von FRET-Paaren in Proteine. Zwei Tags fusioniert werden, die dann chemisch oder enzymatisch mit
Cysteine (SH) können mit einer Mischung aus Donor-und Akzeptor-­ Farbstoffen modifiziert werden. Eine Modifizierung durch Fusion
Maleimid modifiziert werden; hier wird eine Mischung aller mögli- mit zwei fluoreszierenden Proteinen (GFP, YFP) ist ebenfalls geeig-
chen Spezies (DA, AD, DD und AA sowie nur teilweise markierte net, um ein FRET-Paar einzuführen. In-vivo-­Markierung erlaubt
Proteine  – nicht gezeigt  – erhalten). Alternativ können ein Cystein FRET-Messungen direkt in Zellen; Moleküle, die durch Markierung
(SH) und eine nicht natürliche Aminosäure (X) eingeführt werden, in vitro erhalten wurden, müssen durch Elektroporation oder Mikro-
die dann mit verschiedenen Farbstoffderivaten ortsspezifisch modi- injektion in Zellen eingebracht werden
fiziert werden. Das Zielprotein kann auch mit zwei verschiedenen

19.7.4  nwendungen von FRET:


A dann festgestellt werden, an welchen Orten in der Zelle
Interaktions- und Strukturanalyse der donor- und akzeptormarkierte Partner vorkommt,
und ob zwischen den Farbstoffen FRET stattfindet.
FRET kann als qualitative Sonde oder quantitative
19.7.4.2  FRET zur Strukturanalyse
Sonde verwendet werden. Das Vorliegen eines FRET-­
Signals kann als Reporter für die Wechselwirkung Aus FRET-Effizienzen bestimmte Abstände können
zweier Moleküle dienen. Hier geht es oft nur um binäre zur Strukturanalyse von Biomolekülen oder biomole-
Aussagen (FRET = Interaktion, kein FRET = keine kularen Komplexen eingesetzt werden, die aufgrund
Interaktion); die genaue Bestimmung von FRET-­ ihrer Flexibilität oder Größe nicht zugänglich für
Effizienzen ist dann nicht erforderlich. Über die Bestim- Strukturbestimmung mittels Röntgenkristallographie
mung von FRET-Effizienzen und die Berechnung von (7 Kap.  25) oder NMR-Methoden (7 Kap.  21) sind.
   

Abständen kann jedoch darüber hinaus strukturelle In- Hier kann im einfachsten Fall durch Messung eines Ab-
formation über die beteiligten Moleküle und Komplexe standes zwischen zwei alternativen Strukturmodellen
gewonnen werden. unterschieden werden. Durch das Messen mehrerer Ab-
stände zwischen Donor- und Akzeptor-Paaren, die an
19.7.4.1  FRET zur Untersuchung von verschiedenen Positionen im Biomolekülen oder biomo-
Interaktionen lekularen Komplexen eingebracht wurden, kann über
Zur Untersuchung von Interaktionen in  vitro wird ein Triangulationsverfahren die globale Konformation des
Bindungspartner mit einem Donor, der andere mit ei- Moleküls oder Komplexes bestimmt werden. Sind die
nem Akzeptor markiert. Die Anknüpfungspunkte soll- atomar aufgelösten Strukturen von Teilen des Moleküls
ten so gewählt sein, damit sie nicht mit der Komplex- oder Komplexes bekannt, können sie relativ zueinander
bildung interferieren. Gleichzeitig muss ihr Abstand positioniert werden, sodass die Abstandsbeschränkun-
klein genug sein, dass messbare FRET-Effizienzen vor- gen erfüllt sind (. Abb. 19.20).

liegen. Bilden die beiden Moleküle einen Komplex, so


findet FRET statt, interagieren sie nicht miteinander, so
wird kein FRET-Signal detektiert. Für die Untersu- 19.7.5  RET als diagnostisches Werkzeug:
F
chung von Interaktionen in vivo müssen die beiden po- Biosensoren
tenziellen Interaktionspartner in  vitro markiert und in
die Zelle eingebracht oder durch genetisch codierte Tags In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von FRET-­
markiert werden. Durch fluoreszenzmikroskopisches Sensoren entwickelt, die bei Bindung an Liganden eine
Abbilden der Zelle in zwei oder drei Dimensionen kann Konformationsänderung, verbunden mit einer Ände-
462 P. Uetz et al.

A D
Niedrig-
D A FRET
A
+ ?
D A
Hoch-
FRET

RecA_N RecA_C RBD

..      Abb. 19.20  FRET zur Strukturanalyse. A Nutzung von Abstän- sen Abständen von Donor-Akzeptor-markiertem Protein mit einem
den aus FRET-Messungen zur Platzierung zweier Teilstrukturen. Farbstoff in der N-terminalen (roter Pfeil) oder C-terminalen Do-
Eine mögliche Art der Komplexbildung führt zu einer niedrigen mäne (orangener Pfeil) der Helicase und einem zweiten in der RBD
FRET-­Effizienz, die alternative Art führt zu einer hohen FRET-Effi- (fünf verschiedenen Positionen, gelb) konnte ein Modell für die
zienz. Die Unterscheidung zwischen beiden Modellen ist mit der Struktur der Helicase in Lösung erstellt werden, das mit den gemes-
Messung eines einzigen Abstands möglich. B Bestimmung einer Viel- senen Abstandsbeschränkungen im Einklang steht. (Referenz: Sa-
zahl von Abständen zur Strukturbestimmung. Die RNA-Helicase matanga et al. (2017) Allosteric regulation of helicase core activities
YxiN besteht aus einer Helicase-Domäne (dunkelgrau, hellgrau), of the DEAD-box helicase YxiN by RNA binding to its RNA recog-
und einer C-­terminalen RNA-Bindungsdomäne (RBD, cyan). Ein nition motif. Nucleic Acids Res. 45(4):1994–2006). Die orangefarbe-
Strukturmodell der Helicase-Domäne sowie eine Kristallstruktur nen Linien zeigen vier Abstände an, die in vier einzelnen Experimen-
der RBD waren vorhanden, ihre relative Anordnung jedoch unbe- ten mit Donor und Akzeptor an den entsprechenden Stellen
kannt. Durch Messung von FRET-Effizienzen und damit paarwei- bestimmt wurden

rung der FRET-Effizienz, zeigen. Die so detektierbaren 19.8  Analytische Ultrazentrifugation


Liganden reichen von Ionen (z. B. H+, Ca2+ oder Mg2+)
bis hin zu größeren Metaboliten (z. B. Glucose, Gluta- Durch analytische Ultrazentrifugation untersucht man
mat, ATP). Auch Modifikationen wie Phosphorylierung die Bewegung oder Konzentrationsverteilung von bio-
von Proteinen oder Peptiden durch Kinasen (7 Kap. 29)  
logischen oder synthetischen Makromolekülen in Lö-
lassen sich durch geeignete FRET-Sensoren sichtbar sung. Die Methode hat wichtige historische Beiträge zu
machen. FRET-Sensoren erlauben auch die In-vivo-­ unseren Kenntnissen über Biomoleküle geliefert: Die
Messung von Kräften. Demonstration, dass es sich bei Proteinen um einheit-
liche Partikel definierter Größe handelt, und die Bestim-
mung der molaren Massen vieler Proteine, Nucleinsäu-
19.7.6 Ausblick ren und supramolekularer Aggregate sind Meilensteine
in der Entwicklung der Biochemie. Im Laufe der Sieb-
Mit der Weiterentwicklung mikroskopischer Methoden ziger- und Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts ver-
bis hin zur Super-Resolution-Mikroskopie werden auch lor die analytische Ultrazentrifugation allerdings um-
die Anwendungsmöglichkeiten für FRET immer vielfäl- fangreiche Aufgabengebiete, wie z.  B. die Bestimmung
tiger und erreichen immer höhere zeitliche und räumli- molarer Massen monomerer Proteine, an andere, vor-
19 che Auflösung. Die Kombinationen mit orthogonalen nehmlich elektrophoretische Techniken. Andererseits
Methoden wie der gleichzeitigen Messung von inter- machte es die Entwicklung der Computertechnik mög-
oder intramolekularen Kräften oder die Verwendung lich, mittels analytischer Ultrazentrifugation Probleme
von Abständen aus FRET-Messungen mit struktureller zu lösen, die vorher unlösbar schienen. Das gilt vor
Information aus Röntgenkristallographie (7 Kap.  25)  
allem für die Untersuchung komplexer Assoziationen
oder NMR-Methoden (7 Kap.  21) zur Erstellung von

zwischen Makromolekülen und die Analyse von Parti-
Strukturmodellen für große Komplexe macht FRET zu kelgrößenverteilungen. Eine Besonderheit der analyti-
einem zunehmend wichtigen Werkzeug für die Aufklä- schen Ultrazentrifugation ist, dass sie  – im Gegensatz
rung der Struktur und Dynamik von Biomolekülen. zur Massenspektrometrie oder zur SDS-PAGE – die Be-
Protein-Protein-Wechselwirkungen
463 19
stimmung molarer Massen unter nativen Bedingungen beschränkt. Je nach Ausstattung der Zentrifuge kann
in Lösung erlaubt, was eine Korrelation zwischen Pro- auch der Brechungsindex der Lösung mithilfe eines
teinfunktion und Molekülgrößenverteilung ermöglicht. Rayleigh-Interferometers vermessen werden. Da
Ein weiterer Vorteil der Methode ist, dass die Analyse Makromoleküle den Brechungsindex einer Lösung er-
ohne eine trennende Matrix erfolgt, sodass sie weniger höhen, lässt sich deren Sedimentation anhand der radia-
anfällig für Artefakte ist als andere native Methoden, len Analyse der Brechungsindices verfolgen. Mit der
wie z. B. Ausschlusschromatographie (SEC) oder Ober- Beckman Coulter ProteomeLab sind mithilfe eines Fluo-
flächenplasmonresonanz (SPR). Des Weiteren können reszenzdetektionssystems der Firma Aviv Biomedical
die Spezies im Gleichgewichtszustand analysiert werden, auch Fluoreszenzmessungen möglich. Dieses regt die
was die Methode auch befähigt, Reaktionsgleichge- Chromophore der Lösung bei 488 nm an und detektiert
wichte direkt zu quantifizieren. Als Untersuchungsob- die Fluoreszenz oberhalb der rotierenden Probe bei Wel-
jekte für diese „fortgeschrittene“ analytische Ultrazen- lenlängen zwischen 505 und 565 nm. Auch hier wird die
trifugation bieten sich vor allem Protein-Protein- und Probe radial vermessen, um ein fluoreszenzbasiertes
Protein-­Nucleinsäure-­Wechselwirkungen an. Typische Konzentrationsprofil zu erstellen. Bei der im Jahr 2016
Fragestellungen betreffen die Art der Selbstassozia- vorgestellten, neu entwickelten Optima AUC von Beck-
tion eines Proteins zu dimeren, trimeren und höher oli- man Coulter wurden die optischen Systeme so verbes-
gomeren Quartärstrukturen, die Zusammensetzung sert, dass nun trotz höherer Scangeschwindigkeit ein
eines Proteinkomplexes aus verschiedenen Typen von besseres Signal/Rausch-Verhältnis erreicht werden
Untereinheiten oder die eines Protein-Nucleinsäure-­ kann, was die Zuverlässigkeit der computergestützten
Komplexes. Da die analytische Ultrazentrifuge für die Datenanalyse bei komplexen Proben erhöht. Zusätzlich
einzelnen Komponenten exakte Konzentrationsbestim- können mehrere Wellenlängen mit höherer Wellenlän-
mungen erlaubt, lassen sich quantitative Aussagen über gengenauigkeit verwendet werden. Dies ermöglicht eine
Stöchiometrie und Bindungskonstanten solcher Asso- differenzierte Betrachtung einzelner, spektroskopisch
ziationen gewinnen. unterscheidbarer Spezies innerhalb eines analytischen
Ultrazentrifugationsexperiments.
Da nach dem Gesetz von Lambert-Beer die lokale
19.8.1 Instrumentelle Grundlagen Lichtabsorption der Probe ihrer lokalen Konzentration
proportional ist, liefert die Messung von A(r) auch die
Die Beobachtung der Probe während der analytischen für viele Fragestellungen wichtige Konzentrationsvertei-
Ultrazentrifugation erfolgt bei laufender Zentrifuge in lung c(r) der Makromoleküle in der Probenzelle. Ähnli-
einem mit optischen Elementen ausgerüsteten Rotor- ches gilt für die ermittelten Brechungsindexunterschiede
raum (. Abb. 19.21); die Zentrifuge muss also UV/VIS-­ beim Interferometrie-Detektor, die mithilfe einer

transparente Probenzellen mit Fenstern aus Quarz oder CCD-Kamera und anschließender Prozessierung als
Saphir sowie ein optisches System besitzen, das darin sog. Fringes aufgezeichnet werden. Diese lassen sich wie
Messungen erlaubt. Die einzigen zurzeit kommerziell er- die Absorption linear in Bezug zur Proteinkonzentra-
hältlichen analytischen Ultrazentrifugen basieren auf tion setzen, wobei bei einer optischen Weglänge von
präparativen Ultrazentrifugen der Firma Beckman 1,2 cm für alle Proteine näherungsweise ein Wert von ca.
Coulter. Sie sind mit einem „analytischen“ Zusatz auf- 3,3 Fringes pro mg  ml–1 Proteinlösung angenommen
gerüstet, der es erlaubt, bei einer vorgewählten Wellen- werden kann. Diese Linearität zwischen Messsignal und
länge die lokale Absorption der Probenlösung zu mes- Proteinkonzentration ist grundsätzlich auch bei Detek-
sen. Dessen Funktionsweise entspricht weitgehend der tion der Fluoreszenz gegeben, jedoch ist zu beachten,
eines Zweistrahlphotometers: Probe und reines Lö- dass Assoziationsprozesse die Fluoreszenzeigenschaften
sungsmittel (Referenz) befinden sich in jeweils einem des Chromophors beeinflussen können und somit eine
Sektor der Zentrifugationszelle. Die Sektoren werden (externe) Überprüfung der Quantenausbeute der jewei-
durch das optische System knapp oberhalb der Empfän- ligen Spezies erforderlich ist.
gerebene eines Photomultipliers abgebildet; die Bilder Das Konzentrationsprofil (. Abb.  19.22) ist so-

werden radial mit einem Spalt abgetastet (. Abb. 19.21). wohl von apparativen Parametern (Laufzeit der Zent-

Die vom Photomultiplier gemessenen lokalen Intensi- rifuge, Winkelgeschwindigkeit des Rotors, Temperatur,
tätswerte werden verarbeitet, und man erhält die Pro- Abstand von der Drehachse) als auch von den phy-
benabsorption als Funktion des Abstands vom Rotor- sikalischen Eigenschaften der Makromoleküle (mo-
mittelpunkt A(r). Der überstrichene Radiusbereich lare Masse, Form, Dichte) und des Lösungsmittels
umfasst in der Probenzelle nur einige Millimeter, das (Dichte, Viskosität) abhängig und erlaubt somit die Be-
Probenvolumen beträgt 50–450 μl. Die Detektionsmög- stimmung der Moleküleigenschaften. Bei allen Arten
lichkeiten sind dabei nicht auf Absorptionsmessungen von Ultrazentrifugationsexperimenten ist die molare
464 P. Uetz et al.

..      Abb. 19.21 Schematischer A
Aufbau einer analytischen
Ultrazentrifuge am Beispiel der
Rotorkammer der Optima AUC
(A) und der Absorptionsoptik
der ProteomeLab (B), beide von 6
1
Beckman Coulter. Bei der
Optima AUC befindet sich das
Beugungsgitter außerhalb des 7
Vakuumbereiches 2

8
3

4 9

5
10

1. Pulssensor 6. Rotorkammertür
2. Rayleigh-lnterferenz-Optik 7. Antriebsspindel
3. Rayleigh-lnterferenz-Doppelspalt 8. Türgriff
4. Overspeed-Sensor 9. Temperatursensor
5. Scanner der UV/Vis-Optik 10. UV/Vis-Optik

Beugungsgitter

Detektor für
einfallende Intensität

Rotor

Doppelsektorzelle

abbildendes System zur


radialen Bildabtastung

19
Detektor

Xenon-Blitzlampe

Masse  – beziehungsweise die aufgrund des Auftriebs experimenten wird die Winkelgeschwindigkeit des Ro-
um den Faktor (1− v ⋅ ρ ) korrigierte „effektive mo- tors so groß gewählt, dass alle Makromoleküle letzt-
lare Masse“ – die bestimmende Größe für die Konzen- endlich so weit wie möglich zum Boden der Probenzelle
trationsprofile. In den Sedimentationsgeschwindigkeits sedimentieren. Hierbei sind kinetische Kenngrößen der
Protein-Protein-Wechselwirkungen
465 19
..      Abb. 19.22  Sedimentationsprofil von 2,5 μM A 0,40
SSB-Tetramer alleine (A) und in Gegenwart von
22,5 μM χ (B). (Nach Naue und Curth 2012)
0,30

A280 nm
0,20

0,10

0,00
6,1 6,3 6,5 6,7 6,9
Radius (in cm)

B 1,20

1,00

0,80
schnelle
A 280 nm

Grenzschicht
0,60

0,40

langsame
0,20
Grenzschicht

0,00
6,1 6,3 6,5 6,7 6,9
Radius (in cm)

Makromoleküle (Sedimentationskoeffizient, Diffusi- Moleküle, wobei schwerere Moleküle schneller und


ons- oder Reibungskoeffizient) wichtige Parameter. In leichtere langsamer wandern. Die Grenzschicht zwi-
den Sedimentationsgleichgewichtsexperimenten, die bei schen makromolekülhaltiger und -freier Phase, die sich
geringeren Winkelgeschwindigkeiten durchgeführt wer- vor Beginn der Zentrifugation am Meniskus befunden
den, halten Sedimentation und Diffusion einander die hat, wandert in der Lösung Richtung Boden der Pro-
Waage, sodass sich die Makromoleküle auf definierte benzelle, da vom Meniskus keine Moleküle nachgelie-
Weise zwischen Boden und Meniskus des Probenvolu- fert werden können (. Abb. 19.22). Aus der Geschwin-

mens verteilen. Dabei geht in das Konzentrationsprofil digkeit, mit der sich diese Grenzschicht bewegt, erhält
nur noch ein einziger Strukturparameter ein, nämlich man als charakteristische Moleküleigenschaft den Sedi-
die effektive molare Masse. Auf beide Grundtypen von mentationskoeffizienten. Gleichzeitig kommt es insbe-
Experimenten soll im Folgenden genauer eingegangen sondere an dieser Grenzschicht zu Diffusionsprozessen
werden. und damit zu einer fortschreitenden Verbreiterung der
Grenzschicht. Eine quantitative Beschreibung des ge-
samten Sedimentationsvorgangs erfolgt durch die
19.8.2 Sedimentationsgeschwindigkeits­ Lamm‘sche Differenzialgleichung. Sie ergibt sich als
experimente Kombination des Diffusionsprozesses und des Sedimen-
tationsprozesses:
19.8.2.1 Physikalische Grundlagen
Bei Sedimentationsgeschwindigkeitsexperimenten geht dc 1 d   dc 
= r  D − sw2 rc   (19.7)
man in der Regel von einer homogen mit der zu unter- dt r dr   dr 
suchenden Lösung gefüllten Zentrifugationszelle aus.
Während der Zentrifugation kommt es unter dem gleich-
zeitigen Einfluss von Zentrifugal-, Auftriebs-, und Rei- Dabei sind D und s der Diffusions- bzw. Sedimentati-
bungskraft zu einer gleichmäßigen Wanderung aller onskoeffizient, r der Abstand vom Rotormittelpunkt, ω
466 P. Uetz et al.

die Winkelgeschwindigkeit des Rotors und c die Kon- bei verwendeten Größen für s und D können anschlie-
zentration des Makromoleküls. Besonders der Sedimen- ßend zur weiteren Charakterisierung der detektierten
tationskoeffizient des Partikels ist über den Wande- Spezies eingesetzt werden, u.  a. auch zur Berechnung
rungsfortschritt der Grenzschicht auch manuell einfach der molaren Masse nach Gl. 19.8.
zu ermitteln. Physikalisch lässt sich der Sedimentations- Dieses Verfahren kann dazu verwendet werden, die
koeffizient s auf die molare Masse des Moleküls und Quartärstruktur sowohl von homo- als auch von hete-
den Reibungskoeffizienten zurückführen, der über die rooligomeren Proteinen zu ermitteln. Zur Analyse von
Einstein-Gleichung seinerseits mit dem Diffusionskoef- heterooligomeren Komplexen gilt: Misst man in einem
fizienten des Makromoleküls korreliert werden kann. In Gemisch zweier Moleküle einen größeren Sedimenta-
der Summe ergibt sich die Svedberg-Gleichung tionskoeffizienten als für jedes der isolierten Moleküle
allein, so kann dies bereits als physikalischer Beweis
M (1 − v ρ ) M (1 − v ρ ) ⋅ D für die Wechselwirkung der Moleküle miteinander an-
s= = (19.8) gesehen werden. In einem System von interagierenden
NA f RT
Makromolekülen muss man nun im Prinzip für jede vor-
handene Spezies eine separate Lamm‘sche Differenzial-
wobei M die molare Masse des Moleküls, f der Rei- gleichung aufstellen und diese dann durch die Massen-
bungskoeffizient und D der Diffusionskoeffizient des wirkungsgleichungen miteinander verknüpfen. Dabei
Moleküls ist. R ist die allgemeine Gaskonstante, NA die sind Dk und sk der Diffusions- bzw. Sedimentationsko-
Avogadro-Konstante und T die absolute Temperatur. v effizient und ck der Signalbeitrag der Spezies k. Die Sig-
ist das partielle spezifische Volumen (in erster Näherung nalbeiträge können über die Extinktionskoeffizienten in
die reziproke Dichte) des Moleküls und ρ ist die Dichte Konzentrationen umgewandelt werden.
der Lösung. v und ρ müssen vor Beginn des Experi-
mentes bekannt sein. v lässt sich relativ genau aus der n
dc n
1 d   dck
dc 
Aminosäuresequenz eines Proteins errechnen. Auch =∑ k =∑  r Dk − sk ω 2 rck   (19.11)
dt k =1 dt k =1 r dr   dr 
die Lösungsmitteldichte kann aus den Bestandteilen
des Puffers berechnet werden. Für diese Berechnungen
sind die Programme SEDNTRP (7 http://www.­jphilo.­   19.8.2.2  Experimentelle Durchführung
mailway.­com/) und UltraScan (7 https://ultrascan.auc-

Sedimentationsgeschwindigkeitsexperimente sind geeig-
solutions.com/) geeignet. net, um monomere Proteine ab ca. 2 kDa zu charakteri-
Der Sedimentationskoeffizient s wird allgemein in sieren und die s- und D-Koeffizienten sowie die effektive
der Einheit Svedberg (S, mit 1 S = 10−13 sec) angegeben. molare Masse zu ermitteln. Bei kleineren Proteinen
Um Sedimentationskoeffizienten vergleichen zu können, reicht die maximale Rotationsgeschwindigkeit von
müssen die Einflüsse des Lösungsmittels und der Tem- 60.000 UpM i. A. nicht mehr aus, um ausreichend Sedi-
peratur standardisiert werden. Als Standard ist reines mentation zu erhalten. Weiterhin ergeben sich über den
Wasser als Lösungsmittel bei 20 °C definiert. Dabei ste- ermittelten Reibungskoeffizienten (s. Gl.  19.8) auch
hen die Indices 20 °C, w bzw. T, LM für reines Wasser Aussagen über die Molekülform. Die Möglichkeit, ver-
bei 20 °C bzw. die bei der Temperatur T verwendete Lö- schieden große Proteine nebeneinander nachzuweisen,
sung, η für die jeweilige Viskosität und ρ die jeweilige erlaubt dabei auch die Analyse von Proteinmischungen
Dichte der Lösung. und die Charakterisierung der einzelnen Komponenten
der Mischung.
ηT , LM 1 − v ⋅ ρ 20° C, w Zur Analyse der Selbstassoziation von Proteinen ist
s20° C, w = sT , LM ⋅ ⋅ (19.10)
η20° C, w 1 − v ⋅ ρT , LM theoretisch ein einziges Sedimentationsgeschwindig-
keitsexperiment ausreichend, um die Dissoziationskons-
tante eines Monomer-Dimer-Gleichgewichtes zu ermit-
19 Die komplexe Beziehung zwischen den zeitabhängigen teln, da bei bekannten molaren Massen der Monomere
Konzentrationsprofilen und den zugrunde liegenden und der Dimere die anderen Parameter durch computer-
Molekülparametern s und D lässt sich mit modernen gestützte Datenanalyse erhalten werden können. Jedoch
Computerprogrammen sehr gut auflösen. Hierzu liefern werden zumeist verschiedene Konzentrationen dersel-
Programme wie UltraScan und SEDFIT die Möglich- ben Proteinlösung verwendet, um die Sedimentations-
keit, sowohl die Eigenschaften von Makromolekülen als koeffizienten der monomeren und der dimeren Form zu
auch deren Assoziationsverhalten zu quantifizieren. Es bestimmen und eine Titrationskurve des Monomer-Di-
werden dazu durch numerische Algorithmen Lösungen mer-Gleichgewichts zu erzeugen. Dadurch kann eine
der Lamm‘schen Differenzialgleichung gesucht. Die da- höhere Genauigkeit erreicht werden, und es werden
Protein-Protein-Wechselwirkungen
467 19
zusätzlich Informationen über den Monomer- und den nige Vorbedingungen berücksichtigt werden. So sollte
Dimerzustand erhalten. Bei langsamen Assoziations- der Unterschied der Sedimentationskoeffizienten von
gleichgewichten kann auch die Kinetik der Gleichge- Einzelmolekülen und Komplex möglichst groß sein.
wichtseinstellung die Konzentrationsprofile bei der Werden beide Molekülsorten vom Detektionssystem
Sedimentation beeinflussen. Computerprogramme wie gleichermaßen detektiert, so sollten die Einzelmoleküle
SEDFIT und SEDANAL erlauben die Analyse solcher daher ähnliche Größe aufweisen. Sedimentiert aber der
Systeme und ermitteln die entsprechenden Konstanten Ligand wesentlich langsamer als das Protein, an das er
durch computergestützte Datenanalyse. bindet, so muss gewährleistet sein, dass der Ligand se-
Experimente zur Wechselwirkung zweier Makromole- lektiv detektiert werden kann, da die Massenzunahme
küle sind in der Planung komplexer. Für eine einfache des Proteins zu gering ausfällt, um eine Veränderung
Assoziation von n Molekülen A an ein schneller sedi- seiner Sedimentationseigenschaften beobachten zu kön-
mentierendes Molekül B ergibt sich dabei Folgendes: Ist nen. Hier bieten sich Farbstoffmarkierungen an. Auch
ein genügender Überschuss an freiem Molekül A vor- hier kann der Einsatz eines Fluoreszenzdetektors große
handen und stellt sich das Gleichgewicht zwischen A Vorteile bringen. So ist es möglich, auch kleine Ligan-
und B schnell genug (schneller als in etwa 20 min) ein, so den mit Fluoresceinderivaten zu koppeln und damit die
erhält man nur zwei Grenzschichten. Die langsamer Bindung an Proteine spezifisch zu detektieren. Ähnli-
wandernde Grenzschicht stellt dabei die freien Moleküle ches gilt für Wechselwirkungen zwischen Makromole-
A und die schneller wandernde Grenzschicht freies B külen, die durch die selektive Markierung der kleineren
und sämtliche Komplexe mit B dar (Reaktionsgrenz- Komponente in ihrem Assoziationsverhalten analysiert
schicht). Da die Probenzelle zu Beginn des Experiments werden können. Dabei können auch höher oligomere
homogen gefüllt war, entspricht das Sedimentationsex- Komplexe aus vielen Untereinheiten durch sukzessive
periment einer Gleichgewichtsdialyse, bei der A die frei Assemblierung der Komplexe anhand einer kleinen,
diffusible Komponente ist. Für die Analyse der Wechsel- spezifisch markierten Komponente studiert werden.
wirkungsparameter (Bindungskonstante und Stöchio-
metrie) ist es jetzt noch notwendig, die Konzentrationen
19.8.2.3  Beispiel: Wechselwirkung zwischen
von freiem und an B gebundenem A zu bestimmen. Her-
vorragend geeignet für diese Auswertung ist das Pro-
dem Einzelstrang-DNA bindenden
gramm SEDFIT. Dieses Programm liefert eine Konzen- Protein aus E. coli und der
trationsverteilung der Sedimentationskoeffizienten c(s), χ-Untereinheit der DNA-Polymerase
wobei es die Verbreiterung der Grenzschicht durch die III
Diffusion der Teilchen berücksichtigt. Bakterielle Einzelstrang-DNA bindende Proteine
Soll die Affinität einer Wechselwirkung bestimmt (SSBs) verhindern bei der DNA-Replikation nicht nur
werden, so müssen die eingesetzten Konzentrationen den Abbau von DNA und die Ausbildung von Sekun-
im Größenordnungsbereich der Dissoziationsgleich- därstrukturen durch Bindung an die einzelsträngige
gewichtskonstanten liegen. Dies schränkt den Anwen- DNA am Folgestrang, sondern sind auch an Protein-
dungsbereich der Absorptions- und der Interferenzoptik Protein-­ Wechselwirkungen beteiligt. Einer der Wech-
zwar für starke Interaktionen ein, ergibt aber gleichzei- selwirkungspartner ist die χ-Untereinheit des bakte-
tig die Möglichkeit, sehr schwache makromolekulare riellen Hauptreplikationsenzyms DNA-Polymerase
Interaktionen noch zu detektieren. Durch die Verwen- III. Bei dem SSB-Protein aus E.  coli handelt es sich
dung eines Fluoreszenzdetektors ergibt sich dann ein um ein Tetramer (M  =  75,4  kg mol–1, sexp  =  3,9  S),
erweitertes Konzentrationsspektrum. Das Detektions- die χ-Untereinheit liegt hingegen als Monomer vor
limit ist dabei in den niedrigen nanomolaren Bereich (M = 16,6 kg mol–1, sexp = 1,7 S). Während man in dem
verschoben, was eine bessere Charakterisierung starker Sedimentationsprofil von SSB alleine eine Grenzschicht
Wechselwirkungen ermöglicht. Gleichzeitig wird auch erkennen kann (. Abb.  19.22A), zeigen sich in einer

die Proteinmenge, die zur Durchführung der Zentrifu- Mischung beider Proteine zwei getrennte Grenzschich-
gationsexperimente erforderlich ist, deutlich reduziert. ten (. Abb.  19.22B). Dies deutet daraufhin, dass die

Ein Nachteil dieser Detektionsform ist jedoch, dass die Kinetik der Reaktion im Vergleich zur Sedimentation
Makromoleküle mit einem Chromophor versehen wer- schnell ist (s. o.). c(s)-Analysen von Sedimentationspro-
den müssen, der bei 488 nm anregbar ist. Dazu existie- filen, bei denen eine konstante SSB-Konzentration mit χ
ren verschiedene Fluoresceinderivate und die fluoreszie- titriert wurde, zeigen, dass sich der s-Wert und die Peak-
renden Proteine GFP und YFP. Für die Durchführung fläche der schneller sedimentierenden Reaktionsgrenz-
eines Sedimentationsgeschwindigkeitsexperiments zur schicht mit steigender χ-Konzentration signifikant erhö-
Bestimmung von Interaktionsparametern sollten ei- hen (. Abb. 19.23A). Dies ist ein eindeutiger Nachweis

468 P. Uetz et al.

..      Abb. 19.23  Titration von SSB mit χ. A c(s)-Vertei- A


lungen, wie sie aus den Sedimentationsprofilen von
2,5 μM SSB alleine (rote Kurve) und in Gegenwart 1:9
2
verschiedener χ-Konzentrationen mithilfe des Pro-
gramms SEDFIT erhalten wurden. Das jeweilige
1:7
Verhältnis von SSB zu χ ist angegeben. B Aus den

c (s) in AU/S
c(s)-Verteilungen wurde die jeweilige Konzentration von 1:4
freies χ SSB
gebundenem χ berechnet und die Ligandenbindungs-
dichte als Funktion der eingesetzten Konzentrationen 1
aufgetragen (Dreiecke). Die durchgezogene Linie stellt
eine Bindungsisotherme für n unabhängige, identische
Bindungsplätze von χ auf einem SSB-Tetramer dar, die
mit den folgenden Parametern erhalten wurde: n = 4,2
und KD = 3,5 μM. (Nach Naue und Curth 2012)
0
0 1 2 3 4 5 6 7
sexp in S

B 4

[χ gebunden]/[SSBgesamt] 3

0
0 2 4 6 8 10 12
[χ gesamt]/[SSBgesamt]

der Interaktion. Die Fläche der Peaks in den c(s)-Ver- mindest die Bestimmung der Stöchiometrie hochaffiner
teilungen ist der ­jeweiligen Absorption, und damit auch Wechselwirkungen kann auch mithilfe der traditionellen
der Konzentration, proportional. Die Absorption der UV/VIS- und Interferenzdetektion erfolgen.
schneller wandernden Grenzschicht ist gegeben durch
Aschnell = AtotalSSB + Agebundenχ und die der langsamer wan-
dernden Grenzschicht durch Alangsam = Afreiχ. Bei Kenntnis
der eingesetzten Absorption und der Extinktionskoeffi- 19.8.3 Sedimentationsgleichgewichtsexpe-
zienten lassen sich daraus die Konzentrationen an freiem rimente
und gebundenem χ leicht errechnen. . Abb.  19.23B  

zeigt in einer Titrationskurve die bei verschiedenen Mi- 19.8.3.1 Physikalische Grundlagen
schungsverhältnissen ermittelten gebundenen Konzent- Der Einfluss der Molekülform bei Sedimentationsge-
rationen von χ als Funktion der eingesetzten Konzent- schwindigkeitsexperimenten birgt sowohl Vor- als auch
rationen. Diese Daten können durch eine theoretische Nachteile, da die Anzahl der zu ermittelnden Parameter
19 Bindungsisotherme beschrieben werden, bei der vier größer wird. Sedimentationsgleichgewichtsexperimente
χ-Moleküle mit einer Affinität von jeweils 3,5  μM an umgehen die formbezogenen Parameter s, D und f auf
ein SSB-Tetramer binden (. Abb. 19.23B). Da bekannt
  elegante Art und Weise und ermitteln direkt die effektive
ist, dass die Wechselwirkung über ein hochkonserviertes molare Masse einer Spezies. Sie stellen einen einfachen
Bindungsmotiv am C-Terminus von SSB stattfindet, er- und genauen Ansatz zur Ermittlung der nativen mola-
hält man die zu erwartende Stöchiometrie. ren Masse dar. Die einfachste Anwendung dieses Ver-
In Sedimentationsgeschwindigkeitsexperimenten fahrens ist die Bestimmung der molaren Masse einheit-
mit Absorptions- oder Interferenzdetektion können Af- licher Partikel  – von monomeren Proteinen bis zu
finitäten im mikro- bis millimolaren Bereich bestimmt supramolekularen, durch nichtkovalente Wechselwir-
werden. Stärker affine Interaktionen, z.  B. auch kungen zusammengehaltenen Aggregaten (etwa Viren).
Antikörper-­ Antigen-Wechselwirkungen, können mit- Daneben können sie auch zur Analyse von komplexen
hilfe der Fluoreszenzdetektion analysiert werden. Zu- Aggregationen, etwa Assoziationsgleichgewichten, ver-
Protein-Protein-Wechselwirkungen
469 19
wendet werden. Die Untersuchung geschieht dabei ohne Aus gleichgewichtsthermodynamischen Betrachtungen
Störung der Gleichgewichte, denn mit dem Sedimenta- ergibt sich eine analytische Funktion für den Konzent-
tionsgleichgewicht muss auch das Assoziationsgleichge- rationsgradienten im Gleichgewichtszustand:
wicht eingestellt sein. Dabei liegt bei jedem Radius eine
andere Molekülkonzentration vor (. Abb. 19.24), und
  (
M (1− v ρ ) ⋅ w2 r 2 − r02 )
die detektierte Konzentrationskurve liefert auf einfache c ( r ) = c ( r0 ) ⋅ e 2 RT (19.12)

Weise einen lokalen Mittelwert der molaren Masse.
Sedimentationsgleichgewichtsexperimente unter-
Dabei sind r und r0 eine beliebige bzw. eine feste Entfer-
scheiden sich nur durch eine geringere Drehzahl
nung vom Rotormittelpunkt, M die molare Masse des
von den Sedimentationsgeschwindigkeitsexperimenten
Makromoleküls bzw. Komplexes und ω die Winkelge-
(7 Abschn. 19.8.2). Während man bei hohen Drehzah-
schwindigkeit des Rotors. v ist das partielle spezifische

len die Rückdiffusion vom Boden der Zentrifugations-


Volumen des Makromoleküls und ρ die Lösungsmittel-
zelle minimiert, um die Grenzfläche der Sedimentation
dichte. Wie schon in 7 Abschn.  19.8.2 beschrieben,
nicht zu beeinflussen, benutzt man diese hier bewusst  

müssen diese beiden Parameter vor Beginn des Experi-


zur Einstellung eines Sedimentationsgleichgewichtes.
ments ermittelt bzw. berechnet werden.
Dabei erfolgt die Auswertung der Experimente erst,
Im Falle von heterogenen Mischungen und Asso-
wenn die Nettowanderung der Teilchen beendet ist, sich
ziationsgleichgewichten lässt sich die Konzentrations-
somit ein unveränderliches Gleichgewicht aus deren
verteilung für eine Mischung von n Molekülspezies als
Sedimentation und Diffusion eingestellt hat. Dies ge-
Summe der Einzelbeiträge der Signalbeiträge ci darstel-
schieht je nach Probe und Drehzahl nach 24 Stunden bis
mehreren Tagen. Unter diesen Bedingungen (dc/dt = 0) len, deren Spezies im Fall eines Assoziationsgleichge-
entfällt der sonst zur Beschreibung notwendige Rei- wichts über das Massenwirkungsgesetz verknüpft wer-
bungskoeffizient, der sowohl in den Sedimentations- als den können:
auch den Diffusionskoeffizienten eingeht, und durch die
damit verbundene Vereinfachung erhält man die Mög- n (
M i (1− vi ρ ) ⋅ w2 r 2 − r02 )
lichkeit, die molare Masse unmittelbar zu bestimmen. c ( r ) = ∑ci ( r0 ) ⋅ e 2 RT (19.13)
i =1

Bei komplexeren Systemen (bestehend aus mehreren


Proteinen oder komplexeren Assemblierungsmustern)
wird die exakte quantitative Beschreibung jedoch schnell
schwierig. Zwar lassen sich die analytischen Lösungen
zum Konzentrationsprofil analog zu Gl jederzeit ermit-
teln, die Konzentrationsprofile enthalten jedoch ab einer
gewissen Komplexität nicht mehr ausreichend Informa-
tionen, um die verschiedenen Spezies mit ihren Konzen-
trationsprofilen voneinander trennen zu können. Da-
durch nimmt die Unsicherheit der Interpretation bei
komplexen Systemen stark zu, und es werden häufig
mehrere Messungen bei unterschiedlichen Gesamtkon-
zentrationen und Rotorgeschwindigkeiten durchge-
führt, um die verschiedenen Spezies besser analysieren
zu können.
Radius (in cm) 19.8.3.2  Experimentelle Durchführung
..      Abb. 19.24  Untersuchung des Assoziationsverhaltens eines Pep- In vielen Fällen ist die Fragestellung darauf konzent-
tids (Leucin-Zipper) durch Analyse des Sedimentationsgleichge- riert, den Oligomerisierungsgrad eines Proteins zu be-
wichtsprofils A(r). Rot: Experimentelle A(r)-Daten bei λ  =  275  nm stimmen. Dies lässt sich durch Sedimentationsgleich-
(Kreuze) und mit einem Monomer/Dimer-Modell der Selbstassozia- gewichtsexperimente vorzüglich bewerkstelligen. Im
tion angepasste Kurve (durchgezogene Linie); blau errechnete Bei-
Grunde enthält ein Konzentrationsprofil im richtigen
träge von Monomer (___) und Dimer (. . . .); Rotordrehzahl
40.000 UpM. (Nach Muhle-Goll et al. 1994) Konzentrationsbereich ausreichend Informationen,
470 P. Uetz et al.

um eine Assoziationskonstante für ein Monomer-Di- Fields S, Song O (1989) A novel genetic system to detect protein-­
mer-Gleichgewicht zu ermitteln. Dazu müssen die mola- protein interactions. Nature 340:245–246
Förster T (1948) Zwischenmolekulare Energiewanderung und Fluo-
ren Massen von Monomer und Dimer als gegeben ange- reszenz. Ann Phys 437:55–75
nommen werden. Im Normalfall wird man jedoch eine Golemis EA (Hrsg) (2006) Protein-protein interactions: a molecular
Konzentrationsreihe analysieren und dabei – so weit wie cloning manual. Cold Spring Harbor Laboratory Press, Cold
möglich – Konzentrationen verwenden, die sowohl den Spring Harbor
monomeren Zustand als auch den dimeren Zustand ab- Gordon JG, Swalen JD (1977) The effect of thin organic films on the
surface plasma resonance on gold. Opt Commun 22:374–376
bilden. Zur Analyse kann Gl. 19.13 verwendet werden. Griffin BA, Adams SR, Jones J, Tsien RY (2000) Fluorescent labe-
Auch höher oligomere Systeme (Trimere, Tetramere, ling of recombinant proteins in living cells with FlAsH.  Met-
usw.) sind durch diese Methodik beschreibbar. hods Enzymol 327:565–578
Auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Pro- Hartmann S, Weidlich D, Klostermeier D (2016) Single-molecule
teinen können durch Sedimentationsgleichgewichts- confocal FRET microscopy to dissect conformational changes
in the catalytic cycle of DNA topoisomerases. Methods Enzy-
experimente analysiert werden. Die experimentellen mol 581:317–351
Daten erlauben meist nur dann eindeutige Lösungen, Johnson CN, Gorbet GE, Ramsower H, Urquidi J, Brancaleon L,
wenn höchstens drei bis vier Konzentrationsprofile ci(r) Demeler B (2018) Multi-wavelength analytical ultracentrifuga-
bestimmt werden müssen. Das assoziierende System tion of human serum albumin complexed with porphyrin. Eur
muss also relativ einfach sein. Wenn sich die beiden Biophys J 47:789–797
Klostermeier D, Rudolph MG (2017) Biophysical Chemistry. CRC
Interaktionspartner spektroskopisch ausreichend unter- Press, Taylor & Francis Group, Boca Raton
scheiden, kann eine gleichzeitige Analyse bei mehreren Kretschmann E (1971) Die Bestimmung optischer Konstanten von
Wellenlängen oder eine Kombination von Absorptions- Metallen durch Anregung von Oberflächenplasmaschwingun-
messung und Interferometrie dazu beitragen, spezies- gen. Z Phys:313–324
spezifische Konzentrationsprofile zu erhalten (multi-wa- Kroe RR, Laue TM (2009) NUTS and BOLTS: applications of
fluorescence-­detected sedimentation. Anal Biochem 390:1–13
velength detection). Eine Analyse komplexerer Systeme Krupka SS, Wiltschi B, Reuning U, Hölscher K, Hara M, Sinner EK
wird oft auch ermöglicht, wenn eines der Makromole- (2006) In vivo detection of membrane protein expression using
küle mit einem Farbstoff markiert wird (der Farbstoff surface plasmon enhanced fluorescence spectroscopy (SPFS).
darf natürlich das Assoziationsverhalten der Moleküle Biosens Bioelectron 22(2):260–267
nicht stören). Wird nämlich die Absorptionsmessung Lakowicz JR (1999) Principles of fluorescence spectroscopy. Plenum
Publishing Corporation, New York
im Absorptionsbereich des Farbstoffs durchgeführt, so Liu CC, Schultz PG (2010) Adding new chemistries to the genetic
bleiben alle diejenigen Komplexe unsichtbar, die keine code. Annu Rev Biochem 79:413–444
Moleküle der markierten Spezies enthalten. Man ver- Lua RC et al (2014) Prediction and redesign of protein-protein inter-
zichtet also auf einen Teil des Informationsgehalts der actions. Prog Biophys Mol Biol 116:194e202
Daten, um den anderen sicher nutzen zu können. Ähn- Luck K, Sheynkman GM, Zhang I, Vidal M (2017) Proteome-scale
human interactomics. Trends Biochem Sci 42(5):342–354
liches gilt auch für die Verwendung eines Fluoreszenz- MacDonald PN (Hrsg) (2001) Two-hybrid systems: methods and
detektionssystems, wobei vorzugsweise die kleinere protocols. Humana Press, Totowa
Spezies durch ein Fluoresceinderivat markiert wird. Die Maier SA (2007) Plasmonics: fundamentals and applications. Sprin-
Zugabe von Bindungspartnern führt nun zur Assozia- ger Verlag, New York
tion zu schwereren Komplexen, und eine Titration zur Mehta V, Trinkle-Mulcahy L (2016) Recent advances in large-scale
protein interactome mapping. F1000Research 5:782
vollständigen Sättigung des Proteinkomplexes kann ver- Muhle-Goll et  al (1994) The dimerization stability of the HLH-LZ
wendet werden, um die Stöchiometrie und die Assozia- transcription protein family is modulated by the leucine zippers: a
tionskonstante zu ermitteln. CD and NMR study of TFEB and c-Myc. Biochemistry
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Naue, Curth (2012) Investigation of Protein -Protein Interactions of
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473 20

Bio- und biomimetische


Sensoren
Frieder W. Scheller, Aysu Yarman und Reinhard Renneberg

Inhaltsverzeichnis

20.1 Das Konzept von Bio- und biomimetischen Sensoren – 474

20.2 Aufbau und Funktion von Biosensoren – 475

20.3 Enzymelektroden – 476


20.3.1  ekoppelte Enzymreaktionen in Sensoren – 477
G
20.3.2 Biosensoren für Diabetes – 478

20.4 Zellsensoren – 480


20.4.1  ikrobielle Sensoren/biochemischer Sauerstoffbedarf
M
von Abwasser – 480

20.5 Immunsensoren – 480

20.6 Biomimetische Sensoren – 482


20.6.1  olekular geprägte Polymere – 482
M
20.6.2 Aptamere – 483

20.7 Mikrofluidische Systeme – 484

20.8  usblick: Von der Glucoseelektrode zum


A
„Einzel-Molekül-Transistor“ – 484

Literatur und Weiterführende Literatur – 485

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_20
474 F. W. Scheller et al.

55 Bio(mimetische) Sensoren basieren auf der räumlichen sche Erkennungselemente ahmen die Funktionen von
Integration von Erkennungselement und Transduktor. biochemischen „Bindern“ oder auch von Biokatalysato-
Damit wird die Miniaturisierung des Messfühlers und ren nach. Diese künstlichen Systeme werden in Synthe-
eine reagenzfreie Messung ermöglicht. semaschinen aus monomeren Bausteinen erzeugt. Dabei
55 Enzymsensoren zur Bestimmung der Blutglucose sind werden Aminosäuren oder Nucleotide zur Erzeugung
das erfolgreichste Beispiel der Biosensorik. Sie erlau- von Aptameren (lat. aptus, passfähig) oder polymerisier-
ben dem Diabetiker die Messung des Blutzuckerwertes bare Monomere zur Bildung von molekularen Imprints
aus einem Blutstropfen in weniger als einer Minute. (molekular geprägte Polymere, MIPs) verwendet.
55 Zellsensoren werden zur Abwasserkontrolle eingesetzt. Einem Trend in der Biotechnologie folgend, werden
Die Kopplung von tierischen Zellen mit Elektrodenar- zunehmend immobilisierte, d. h. trägerfixierte Biomak-
rays ermöglicht die Testung von Pharmaka ohne Tier- romoleküle auch in der Analytik eingesetzt. Die Ent-
versuche. wicklung führte von den traditionellen Analysatoren zu
55 Aptamere und molekular geprägte Polymere (MIPs) integrierten Konfigurationen:
ersetzen Antikörper als Erkennungselement. Sie wer- 55 Teststreifen
den in der Retorte synthetisiert und ermöglichen die 55 Biosensoren und biomimetische Sensoren
Messung bei hohen Temperaturen, extremen pH-Wer- 55 Biochips
ten und in organischen Medien. 55 Mikro-Analysesystemen (μTAS)
55 Die Sequenzierung einzelner DNA-Stränge („1000-Dol-
lar-Genom“) beruht auf dem Biosensorprinzip. Die Biosensorik basiert auf der direkten räumlichen
Kombination von immobilisierten biochemischen Er-
kennungselementen mit physikochemischen Signal-
20.1  Das Konzept von Bio- und wandlern zur Quantifizierung von Analyten in komple-
biomimetischen Sensoren xen Medien.
Anfang der 1960er-Jahre brachten Leland Clark,
Biomoleküle (Enzyme, Antikörper sowie Nucleinsäuren) Gary Rechnitz und George Guilbault die zur Subst-
werden schon seit mehreren Jahrzehnten als Reagenzien ratumsetzung erforderlichen Enzyme direkt auf Mess-
in der Analytik eingesetzt. Bei der Analyse findet eine fühler auf. Clark und Lyons verwendeten 1962 als
Reaktion zwischen dem biochemischen Reagens (dem Messfühler eine Sauerstoffelektrode. Zum Schutz vor
Erkennungselement) und der zu bestimmenden Subs- Störsubstanzen war die Elektrode mit einer sauerstoff-
tanz (dem Analyten) statt. Der Reaktionsverlauf wird permeablen Membran bedeckt und die Enzymlösung
mit verschiedenen Techniken angezeigt (. Tab. 20.1).   mit einer halbdurchlässigen Folie eingeschlossen. Diese
Neben den biochemischen Erkennungselementen auf direkte Integration von Enzym und Messfühler erlaubt
molekularer Ebene werden auch Membranrezeptoren, die Wiederverwendung der Enzyme. Clark bezeichnete
Organellen sowie ganze Zellen verwendet. Biomimeti- diese Anordnung als Enzymelektrode und meldete 1962

..      Tab. 20.1  Biochemische Analytik mit Analysatoren, Teststreifen, Bio(mimetischen)-Sensoren und Biochips

Erkennungselement Analyten Signalwandler („Transducer“)


(„Rezeptor“)

Biologische Substrate, Inhibitoren amperometrische und potenziometrische


Erkennungselemente prosthetische Gruppen Elektroden
Enzyme Nährstoffe, Toxine ionensensitive Feldeffekttransistoren (FETs)
Apoenzyme Kohlenhydrate molekulare Transistoren
Organellen, Zellen Hormone, Effektoren Kapazitoren
Lectine Komplementäre NS Photometer
20 Rezeptoren
Nucleinsäuren
hoch- und niedermolekulare Substanzen: Ionen,
Pharmaka, Umweltgifte, Eiweiße, Viren, Zellen
Interferometer
Fluorimeter
Biomimetische Ionen Oberflächen-Plasmon-Resonanz (SPR)
Erkennungselemente Thermistor
Aptamere Wärme-Transfer-Chip
und Viskosimeter
molekular geprägte Polymere piezoelektrische Kristalle (QCM)
(MIPs) Kantilever
Ionophore Nanolever
magnetische Toroide
Bio- und biomimetische Sensoren
475 20
das erste Patent zu diesem Prinzip an. Karl Cammann Das Biosensorschema (. Abb. 20.1) zeigt deutlich den

verwendete dafür 1977 als Erster den Begriff Biosensor. essentiell Aspekt der Biosensordefinition: die räumliche
Enzymelektroden sind folglich eine Untergruppe der Integration von biologischer Erkennung und Signal-
Biosensoren. wandlung.
In der Folgezeit wurden neben Enzymen auch in- Diese Integration erlaubt die Regenerierung des Bio-
takte Zellen (Zellsensoren, mikrobielle Sensoren), Anti- sensors für die folgende Messung. Mit ein und derselben
körper (Immunsensoren) und Nucleinsäuren in Sensoren Enzymmembran kann man schnell, mit hoher Präzision
integriert und mit neuen Transduktoren erfolgreich ein- und preiswert 10.000 bis 20.000 Messungen ausführen
gesetzt (. Tab. 20.1). Die Biosensorik entwickelte sich
  In Analogie zur Affinitätschromatographie
ab Mitte der 1970er-Jahre als ein eigenständiger Zweig (7 Abschn. 6.3.3.2), die auf der spezifischen Bindungs-

der Biotechnologie an der Nahtstelle zur Analytischen fähigkeit biologischer Moleküle beruht, wurden sog. Af-
Chemie. finitätssensoren entwickelt. Dabei werden Antikörper
(7 Abschn.  6.1), Nucleinsäuren, zuckerbindende Pro-

teine (Lectine) oder Hormonrezeptoren in immobilisier-


20.2  Aufbau und Funktion von Biosensoren ter Form für die molekulare Erkennung von Antigenen,
komplementären Nucleinsäuren, Glykoproteinen, oder
Nach der Definition der International Union of Pure Hormonen benutzt (. Tab. 20.1).  

and Applied Chemistry (IUPAC) sind Biosensoren Die bei der Komplexbildung eintretende physikoche-
durch die direkte räumliche Kopplung einer immobili- mische Veränderung, z.  B. der Schichtdicke, des Bre-
sierten biologischen Erkennungssubstanz („Rezeptor“), chungsindexes, der Lichtabsorption, der Masse oder der
z. B. Enzyme, Antikörper, Nucleinsäuren, mit einem Si- Ladungsverteilung, kann mit optoelektronischen Senso-
gnalwandler (Transduktor oder Transducer) charakteri- ren, amperometrischen und potenziometrischen Elekt-
siert (. Abb. 20.1).
  roden, Piezosensoren oder Feldeffekttransistoren direkt
Die Integration von biochemischem Erkennungsele- angezeigt werden (. Tab. 20.1). In Analogie zu den Bin-

ment und Transduktor vereinfacht das analytische dungsassays mit Antikörpern oder Nucleinsäuren wer-
Werkzeug. Damit wird außerdem die kontinuierliche den häufig Markerenzyme oder Fluoreszenzfarbstoffe
Messung eines Analyten prinzipiell möglich. Dazu müs- zur Signalerzeugung eingesetzt.
sen alle Reagenzien in den Sensor integriert werden. Biosensoren, die auf der molekularen Erkennung
In den Biosensoren laufen nacheinander folgende von Substraten durch Biokatalysatoren und der chemi-
Prozesse ab (. Abb. 20.2):
  schen Umsetzung basieren, erhielten die Bezeichnung
1. „Erkennung“ der zu messenden Substanz durch die katalytischer Sensor. Hier erfolgt die Regenerierung des
biologische Erkennungssubstanz Ausgangszustandes durch die Umsetzung des Analyten.
2. Umwandlung der physikochemischen Veränderung, Die kontinuierliche Messung ist dabei prinzipiell mög-
die bei der Wechselwirkung mit dem Analyten ent- lich, da die Geschwindigkeit der Enzymreaktion (mit
steht, in ein elektrisches Signal einer kurzen Zeitverzögerung) der Analytkonzentration
3. elektronische Signalverstärkung folgt. Neben Substraten können auch Cosubstrate wie
NAD(P)H oder Aktivatoren, aber vor allem Inhibitoren

..      Abb. 20.1 Entwicklungsstu- Dialysator Rezeptor Transduktor Elektronik


fen auf dem Weg vom Analysa-
R R R R
tor über den Biosensor zum Bioanalysator R R R R
Biochip R R R R

Integration
R
Biosensor R
R

Miniaturisierung
R
Bio-FET R
R

Parallelisierung

Array
Biochip
R R R R R
476 F. W. Scheller et al.

immobilisierte
Glucose-Oxidase
β-D-Glucose (GOD)

O2

H2O2 2 e–
β-D-Glucono-
lacton

H2O

Poren
semi-
permeable Elektrode
(+600 mV
Membran
vs. Ag/AgCl)

..      Abb. 20.2  Schema eines wiederverwendbaren Enzymsensors für nicht herausgewaschen werden. Das entstehende Produkt H2O2
Glucose. Klinische Sensoren, die Tausende Messungen mit demsel- (Wasserstoffperoxid) ist ein elektrodenaktiver Stoff, d. h., seine Kon-
ben Enzym machen können, bestehen aus einer Elektrode, die mit zentration kann mithilfe der Elektrode ermittelt werden. Die Kon-
einer dünnen Enzymmembran aus immobilisierter Glucose-­Oxidase zentration der Glucose ist der H2O2-Konzentration und diese der
(GOD) bespannt ist. GOD wird in ein Gel aus Polyurethanen ein- Stromstärke proportional. Für eine Glucosebestimmung wird der
geschlossen (in der Abbildung rechts). Aus einem Gemisch in der Biosensor in die zu prüfende Lösung getaucht. Anhand des gebilde-
Probe (links) diffundieren nur niedermolekulare Substanzen und ten Wasserstoffperoxids lässt sich die enthaltende Glucosemenge
Sauerstoff durch die Poren der Dialysemembran (Bildmitte) in das schnell bestimmen. Nach der Messung wird die Enzymmembran mit
Gel. Hochmolekulare Analyten, Proteasen oder Mikroben können Lösungen gespült, die keine durch GOD umsetzbaren Substanzen
in die Membran nicht eindringen. Die GOD setzt nur die β-d-­ enthalten. Dadurch wäscht man die vorher eindiffundierten Subs-
Glucose unter Sauerstoffverbrauch und Bildung von Gluconolacton tanzen und die Produkte der GOD-Reaktion aus
und H2O2 um. Die immobilisierte GOD kann aus der Membran

(z.  B. von Acetylcholin-Esterasen durch Phosphoorga- sen der Verbrauch von Wasserstoffperoxid mit ampero-
nika) mit Enzymsensoren bestimmt werden. metrischen Elektroden angezeigt (. Abb.  20.2). Die

Bereits ein Jahrzehnt nach der Erfindung der En- Änderung des pH-Wertes bei der Substratumsetzung
zymelektrode wurden auch intakte lebende Zellen zur durch Hydrolasen wird mit potenziometrischen Elektro-
Erkennung und Umsetzung des Analyten in einem der den erfasst.
Enzymelektrode analogen Sensor verwendet. Mikrobi- Bei verschiedenen Oxidasen kann der Sauerstoff
elle Sensoren, die lebende Bakterien- oder Hefezellen durch niedermolekulare künstliche Redoxüberträger  –
verwenden, setzt man heute vor allem im Abwassermo- die Mediatoren – ersetzt werden (. Abb. 20.3). Damit

nitoring ein. erfolgt die Messung unabhängig von der Gegenwart von
Sauerstoff, und es werden Störeinflüsse (durch an der
Elektrode oxidierbare Probenbestandteile) vermindert
20 20.3  Enzymelektroden (2. Generation). Die Integration des Mediators in den
Sensor, z. B. in einer Kohlepaste oder als Redoxpolymer
In Enzymsensoren der 1. Generation vermitteln nieder- auf der Elektrodenoberfläche, führt zur reagenzfreien
molekulare, diffusible Reaktionspartner das chemische Messung und stellt den Übergang zur 3. Generation dar.
Signal von der Enzymschicht zur Elektrode. Für Oxida- Bei der 3. Generation erzeugt der mediatorfreie
sen werden der Verbrauch von Sauerstoff und die Bil- Elektronentransfer zwischen dem Enzym, das den
dung von Wasserstoffperoxid, bei Dehydrogenasen der Analyten umsetzt, und der Redoxelektrode ein direk-
Umsatz des Cosubstrates NAD(P)H und bei Peroxida- tes Signal. Bei der Mehrzahl der Substrat umsetzenden
Bio- und biomimetische Sensoren
477 20

Pyruvat + H2O2
„natürliche“
Reaktion
2 e–
Lactat + O2

Lactat-Oxidase

Ferricyanid +
Lactat + 2 K
(Fe3+)

Mediator-
Reaktion
Ferrocyanid
Pyruvat + 2
(Fe2+)

Regeneration

Arbeitselektrode 1 e–

Stromfluss

..      Abb. 20.3  Enzymelektrode der 2. Generation zur Lactatmes- im Vollblut vorliegen kann. Deshalb wird für Einmal-Lactatsensoren
sung. Zur Bestimmung der Lactatwerte von Sportlern eingesetzte ein künstlicher Elektronenakzeptor verwendet, der in einer Über-
Lactatsensoren verwenden anstelle von Glucose-Oxidase Lactat-­ schusskonzentration vorgelegt wird. Die Lactat-Oxidase oxidiert das
Oxidase. Die Lactat-Oxidase setzt mithilfe ihrer redoxaktiven Zent- Lactat zu Pyruvat und überträgt die frei werdenden Elektronen aus
ren (FMN+/FMNH2) unter Sauerstoffverbrauch das Lactat zu Pyr- der Oxidationsreaktion auf das Ferricyanid (Fe3+), das dabei zu Fer-
uvat um. Sauerstoff ist der natürliche Elektronenakzeptor der rocyanid (Fe2+) reduziert wird. Durch Abgabe eines Elektrons an die
Lactat-Oxidase, der die Elektronen aus der Oxidation des Lactats Arbeitselektrode des Sensorchips erfolgt die Regeneration des Ferro-
übernimmt und dadurch zu Wasserstoffperoxid reduziert wird. Da cyanids zu Ferricyanid, das nun für eine weitere Reaktion zur Verfü-
Sauerstoff jedoch nur in geringer Konzentration löslich ist, würde er gung steht. Infolge der Elektronenübertragung wird ein Stromfluss
die Reaktion begrenzen, weil Lactat in viel höherer Konzentration verursacht, der proportional zur Lactatkonzentration ist

Oxidoreduktasen befinden sich die redoxaktiven Grup- 20.3.1 Gekoppelte Enzymreaktionen


pen im Innern des Moleküls (z.  B.  FAD bei den Oxi- in Sensoren
dasen für Glucose). Deshalb ist die direkte Kommuni-
kation mit der Redoxelektrode nicht möglich. Dagegen Die Verknüpfung unterschiedlicher Enzymreaktionen
besitzen „extrinsische“ Redoxenzyme, z. B. die Dehyd- erweitert das Analytspektrum und führt zur internen
rogenasen für Cellobiose, Glycolat, Fructose und Me- chemischen Signalverarbeitung im Sensor (. Abb. 20.4).  

thylamin, für den heterogenen Elektronentransfer zu-


gängliche Gruppen. Bei Zugabe des Substrates treten 20.3.1.1 Sequenz und Konkurrenz 
hier katalytische Ströme auf. Auch für Cytochrom c, Die Cosubstrate und Produkte vieler enzymatischer Re-
Laccase und Peroxidase wurde der direkte Elektronen- aktionen sind mit den vorhandenen Transduktoren
transfer realisiert. Um die Redoxäquivalente auch bei nicht nachweisbar, da sie oft nicht elektrochemisch aktiv
elektrodeninaktiven Oxidoreduktasen auf die Elektro- sind. Dadurch ist die Zahl der mit Monoenzymsensoren
den zu übertragen, wurden Redoxüberträger (Media- bestimmbaren Substanzen eingeschränkt. Zur Bildung
toren, z. B. Ferrocen) verwendet. Sie werden entweder elektrochemisch aktiver Verbindungen müssen zusätzli-
an das Enzymprotein oder über bewegliche Abstands- che Enzyme nacheinander (sequenziell) an die Umset-
halter (Spacer) an redoxaktive Polymere („molekulare zung des Analyten gekoppelt werden. Enzymsequenz-
Drähte“) kovalent gebunden. Auch metallische Nano- elektroden sind für Cholesterolester, Fettsäuren, Amide
partikel und Kohlenstoffnanoröhren vermitteln einen sowie Mehrfachzucker bekannt.
effektiven Elektronentransfer zwischen Redoxenzymen Mit Mehrenzymsensoren (multienzyme sensors) kann
und Elektroden. bei vollständigem Umsatz in der Enzymmembran und
478 F. W. Scheller et al.

..      Abb. 20.4 Gekoppelte
Enzymreaktionen in
Biosensoren J1 E1 S1 J2 E2 S2

C*1
E1 S1 E1 S1 E1 C1
J1 + J2 J1 – J2 J1 × J2 P1 S1 S1
E2 S2 E2 S2 E2 C2

Addition Subtraktion Multiplikation

übereinstimmenden Diffusionsgeschwindigkeiten die 20.3.1.3 Enzymatische Analytzyklen 


Summe von mehreren Substraten bestimmt werden. Die untere Nachweisgrenze konventioneller Enzymelek-
Auf diese Weise wurde das für die Diagnostik bedeut- troden liegt bei etwa 1 μmol l–1. Da die Probe oft ver-
same Verhältnis der Metaboliten Lactat und Pyruvat dünnt wird, reicht für Hormone, Pharmaka und einige
mit einer Bienzymelektrode quantifizierbar. Dabei er- Metabolite die Empfindlichkeit nicht aus. Die Empfind-
gibt sich das Signal aus der Addition der zwei Substrat-­ lichkeit kann jedoch um ein Vielfaches gesteigert wer-
Konzentrationen (. Abb. 20.4).
  den, wenn der Analyt zwischen zwei Enzymen zyklisch,
Die Konkurrenz zweier Enzyme um ein und dasselbe das heißt viele Male, umgesetzt wird (. Abb. 20.4). Auf

Substrat in Gegenwart des Cofaktors wird in Enzymsen- diese Weise kann die durch die Diffusion gesetzte Emp-
soren für Adenosintriphosphat (ATP) und Nicotinamid- findlichkeitsschranke überwunden werden. An einer der
adenindinucleotid (NAD) genutzt. Dabei wird Gluco- beiden Reaktionen des Zyklus muss eine elektrodenak-
se-Oxidase mit Hexokinase oder Glucose-­Dehydrogenase tive Substanz, z. B. Sauerstoff, beteiligt sein. Durch die
koimmobilisiert. Liegt nur Glucose in der Messlösung enzymatische Verstärkung erfolgt eine viel größere Kon-
vor, so wird sie allein durch Glucose-­Oxidase umgesetzt. zentrationsänderung als im Fall der einfachen Umset-
Bei Zusatz von ATP bzw. NAD wird nunmehr ein Teil zung des Analyten. So wurde eine Verstärkung des Sig-
der Glucose durch die konkurrierenden Enzyme ver- nals um den Faktor 10.000 erreicht. Das erschloss bei
braucht. Das Signal einer solchen Konkurrenzelektrode der Messung von Catecholaminen den subnanomolaren
entspricht der Differenz der Signale einer Enzymelekt- Konzentrationsbereich.
rode für Glucose und eines Sensors für den Cofaktor.

20.3.1.2 Antiinterferenzprinzip  20.3.2 Biosensoren für Diabetes


Mit steigender Anzahl von Enzymen in einem Enzym-
sensor erniedrigt sich die Selektivität, weil die Substrate Eine der wichtigsten medizinischen Indikationen ist die
jedes Enzyms Signale hervorrufen können. Weiterhin Überwachung der Zuckerkrankheit, Diabetes. Diabetes
stören auch Probenbestandteile, die am Transduktor mellitus („honigsüßer Durchfluss“) ist eine Stoffwech-
selbst umgesetzt werden. Um solche interferierenden selerkrankung und durch einen permanent erhöhten
Substanzen auszuschalten, wurden enzymatische Anti- Blutzuckerspiegel gekennzeichnet. Enthält das Blut zu
interferenzschichten in den Sensor integriert. So kann viel Glucose, so können die Nieren sie nicht mehr her-
bei der Glucosemessung im Urin die Verfälschung des ausfiltern, und die Glucose wird vermehrt über den Urin
Messsignals durch Ascorbinsäure ausgeschaltet werden, abgegeben. Ursache des Diabetes ist ein Mangel oder
indem Ascorbat-Oxidase (oder Laccase) in die Enzym- eine gestörte Wirkung des Hormons Insulin, das in der
schicht eingebracht wird. Beide Enzyme verhindern Bauchspeicheldrüse (Pankreas) gebildet wird. Insulin
20 durch die Umsetzung zur elektrodeninaktiven Dehydro- senkt den Blutzuckerspiegel, indem es die Glucose in die
ascorbinsäure die Signalerzeugung durch eine anodi- Zellen schleust. Der normale Blutzuckerspiegel liegt
sche Oxidation der Ascorbinsäure. zwischen 60 und 110 mg dl–1 (3,33-6,11 mM) und steigt
Das Aufbringen einer Schicht, die Glucose-Oxidase auch nach dem Essen nicht über 140 mg dl–1 an. Bei Zu-
und Katalase oder Laccase enthält, kann das Eindrin- ckerkranken beträgt der Wert jedoch schon im nüchter-
gen von Sauerstoff an die Elektrode verhindern. Da- nen Zustand mehr als 126 mg dl–1 und erreicht nach dem
durch wird die kathodische Reduktion von Sauerstoff Essen Werte von 200 mg dl–1 und darüber.
eliminiert und das „Messfenster“ in kathodische Rich- Bei Typ-1-Diabetes fehlt Insulin aufgrund einer Zer-
tung erweitert. störung der Insulin produzierenden Zellen (β-Zellen) in
Bio- und biomimetische Sensoren
479 20
der Bauchspeicheldrüse. Über 95 % der Fälle sind aller- lesung werden sowohl lösliche Mediatoren, aber vor
dings an Typ-2-Diabetes erkrankt, auch Altersdiabetes allem Redoxpolymere verwendet, die Elektronen zur
genannt. Bei dieser Diabetesform kommt es zu einem Elektrode übertragen.
Verlust der Insulinwirkung. Der Körper ist nicht mehr Besonders vorteilhaft ist die coulometrische Mes-
in der Lage, diesen Verlust durch Mehrproduktion von sung, die keine Kalibration erfordert, weil sie die La-
Insulin auszugleichen. dung „zählt“. Das kleinste Gerät wiegt nur 4,2 g. Dieses
In den vergangenen Jahren ist es zu einem dramati- und verschiedene andere Geräte werden zur Anzeige
schen Anstieg der Neuerkrankungen von Diabetes mel- und Übertragung der Messergebnisse an iPhones oder
litus gekommen. 2014 waren etwa 350 Mio. Menschen iPads angedockt.
an Diabetes erkrankt, und die weltweiten Kosten belie- Die kontinuierliche Blutzuckermessung bei akuten
fen sich auf etwa 550 Mrd. Dollar. Nach Aussagen der Krankheitszuständen wurde durch den Einsatz von
International Diabetes Federation werden für 2035 an- Glucoseelektroden realisiert, die für die Blutzuckerbe-
nähernd 600 Mio. Diabetes-Patienten erwartet. stimmung in verdünnten Blutproben entwickelt wurden.
Bereits in den 1960er-Jahren wurden Teststreifen für Dazu wurde das Blut vor dem Kontakt mit dem Sensor
Glucose im Urin zur Selbstkontrolle von Diabetikern in einem Fließsystem mit Rollenpumpen verdünnt. Par-
entwickelt. Der Erfolg des einfachen Nachweises von allel wurden auch Messsysteme auf der Basis der Mik-
Glucose im Urin führte zu ähnlichen Teststreifen für rodialyse entwickelt, bei denen eine Dialysekapillare in
weitere Analyten. Da bei der visuellen Auswertung indi- die Gewebsflüssigkeit injiziert wurde.
viduelle Schwankungen auftraten, wurden zusätzlich Heute sind bereits subkutan implantierte Sensoren
Auswertegeräte (Reader) entwickelt und die Teststreifen für die kontinuierliche Glucose-Messung kommerziell
für die Untersuchung von Blut, Plasma und Serum an- verfügbar. Sie haben eine Einsatzdauer von einigen Wo-
gepasst. Dadurch konnte der Diabetiker „seinen“ Blut- chen und erfordern eine regelmäßige Kalibration.
glucosewert selbst ermitteln. Zur Herstellung der Mehr- Beide  – elektrochemische und optische Enzymsenso-
schicht-Teststreifen wurden Technologien aus der ren – erlauben die minimalinvasive Glucosemessung auf
Farbfotografie angewandt. Die Verwendung der Mikro- der Augenoberfläche. Das wurde auch mit einer Kon-
prozessortechnologie trug bedeutend zur Vereinfachung taktlinse demonstriert, die mit einem Boronsäurederivat
der Bedienung und Überwachung der Auswertegeräte beschichtet ist. Hier basiert die Messung auf der Reak-
bei. tion von Glucose mit Boronsäure, die ein biomimeti-
Der Weltmarkt für Enzymsensoren zur Bestimmung sches Erkennungselement darstellt. Weiterhin wird seit
von Glucose im Blut im Jahre 2018 übersteigt mit etwa Jahrzehnten an der Entwicklung nichtinvasiver, rein
17  Mrd. US-Dollar pro Jahr um ein Mehrfaches die physikalischer Sensoren zur Blutzuckermessung ge-
Umsätze der gesamten molekularen Diagnostik. Der forscht. Sie haben den großen Vorteil für den Nutzer,
Markt ist weitgehend unter den Firmen Beijing Yicheng, dass keine Lanzette und Sensorstreifen benötigt werden.
Roche, Lifescan, Bayer und Abbot aufgeteilt. Eine Viel- Sie basieren auf Techniken wie Infrarot-Spektroskopie,
zahl von Geräten zur Selbstkontrolle befindet sich auf Ultraschall oder Raman-Spektroskopie. Bisher können
dem Markt, die zwischen 50 μl und 0,3 μl Blut zur Mes- diese Systeme noch nicht mit den invasiven Sensoren
sung erfordern. Meist wird die Blutprobe durch Kapil- konkurrieren, wenngleich sie die attraktivste Lösung für
larkräfte vom Finger in die Messkammer transportiert, die Bestimmung der Blutglucose darstellen würden.
und das Ergebnis liegt nach 5–30 s vor. Zur selektiven Als „Langzeit-Parameter“, der den durchschnittli-
Umsetzung der Glucose werden neben dem Enzym chen Wert der Glucosekonzentration im Blut für einen
Glucose-­Oxidase verschiedene Glucose-­Dehydrogenasen Zeitraum von 6–8 Wochen widerspiegelt, wurde der An-
eingesetzt. Da die Glucose-Dehydrogenasen künstliche teil von glykiertem Hämoglobin (HbA1c) eingeführt: Das
Redoxüberträger, aber nicht Sauerstoff als Cosubstrat N-terminale Valin der β-Ketten von Hb reagiert irrever-
akzeptieren, entfällt die Begrenzung durch die niedrige sibel mit Glucose zu Fructosylvalin, das über die Le-
Sauerstoffkonzentration, und der Elektronentransfer bensdauer der Erythrozythen gespeichert wird. Wäh-
zur Elektrode ist schneller. Die zu Beginn verwendete rend beim Gesunden der Anteil von HbA1c unter 6  %
Pyrroloquinolin-GDH setzt allerdings außer Glucose liegt, steigt er bei Diabetikern proportional mit der Glu-
auch Maltose und Mannose um, was zur Verfälschung cose-Konzentration bis über 10  % an. Die Konzentra-
des Messwertes in Einzelfällen mit Todesfolge führte. tion von Fructosylvalin kann nach proteolytischer Spal-
Dieses Problem wurde durch Verwendung von FAD-­ tung des HbA1c enzymatisch bestimmt werden. In der
Glucose-­Dehydrogenase eliminiert, die eine hohe Spezi- Routine wird der Anteil von glykiertem Hb mit Immu-
fität für Glucose besitzt. Bei der elektrochemischen Aus- nassays bestimmt.
480 F. W. Scheller et al.

20.4  Zellsensoren Der BSB5-Wert ist für die Vergleichbarkeit von Ab-
wässern wichtig; danach richten sich auch die Abwasser-
Zehn Jahre nach der ersten Enzymelektrode konstruier- gebühren. Der Wert sagt aber nichts aus über die Belas-
ten Isao Karube und Shuichi Suzuki die erste Zellelek­ tung mit nicht abbaubaren Verbindungen. Der Nachteil
trode (1977). Neben Bakterien wurden auch Hefen und der BSB-Bestimmung liegt in der lang dauernden Test-
später Säugerzellen (z.  B.  Krebszellen und Neuronen) zeit. Fünf Tage Messdauer gestatten keine sinnvolle
erprobt. Anstelle einzelner Enzyme, wie beim Glucose- Nutzung des Tests zum Monitoring und zur Steuerung
und Lactatsensor, verwendet man den komplexen Stoff- der Abwasseranlagen. Mikrobielle Biosensoren messen
wechsel intakter Zellen. Der Messwert erfasst den Ein- dagegen den BSB von Abwässern in nur fünf Minuten.
fluss der Bestandteile der Messprobe auf die Zellatmung Sensoren mit immobilisierten Mikroben – meist He-
und erlaubt damit Rückschlüsse auf sog. Gruppenpara- fen wie Trichosporon cutaneum und Arxula adeninivor-
meter: ans – können direkt die organische Belastung im Abwas-
55 den Nährstoffgehalt von Fermentationsmedien, ser messen. Die halophile Hefe Arxula eignete sich
55 die Belastung von Abwasser mit abbaubaren Subs- besonders für Abwassersensoren: In küstennahen tropi-
tanzen, schen Ländern und auch im subtropischen Hongkong
55 die mutagene Wirkung von Chemikalien, mit Süßwassermangel werden nämlich Toiletten aus
55 die kanzerostatische Wirkung von Pharmaka bei Mangel an Süsswasser mit Meerwasser gespült. Abwas-
Verwendung von Krebszellen. ser hat hier also einen hohen Salzgehalt, der viele Mik-
roben inaktiviert – nicht jedoch die halophile Arxula.
Zellsensoren erlauben damit die Quantifizierung von bio- Die lebenden Hefezellen werden dazu in einem poly-
logischen Wirkungen, was mit chemischen Methoden meren Gel immobilisiert (wie beim Glucosesensor) und
nicht möglich ist. Weiterhin erfolgt die Charakterisie- auf eine Sauerstoffelektrode montiert. Der Sensor misst
rung des physiologischen Zustandes von Zellen auf nun die Respirationsrate (Sauerstoffverbrauch) von den
Zellchips, die neben der Zellatmung auch die Ansäue- „ausgehungerten“ Zellen. Gibt man eine saubere Ab-
rung mittels pH-FETs , den Verbrauch von Nährstoffen, wasserprobe dazu (die keine verwertbaren Substanzen
z. B. Glucose und Aminosäuren, die Bildung von Lactat enthält), nehmen die Hefen auch keinen zusätzlichen
und die Vitalität mit der Impedanz von Interdigitalelek- Sauerstoff auf. Sie sind sozusagen im Stand-by-Modus.
troden anzeigen. Sobald jedoch eine Probe mit Kohlenhydraten, Amino-
säuren oder Fettsäuren zugegeben wird, werden die Zel-
len aktiv, nehmen diese auf und „veratmen“ sie. Die
20.4.1 Mikrobielle Sensoren/ Sauerstoff-Verbrauchsrate steigt proportional zur „Fut-
biochemischer Sauerstoffbedarf termenge“. Kalibriert werden die mikrobiellen Sensoren
mit einem Standard aus Glucose und der Aminosäure
von Abwasser
l-Glutamat.
Mikrobielle Sensoren erlauben das Monitoring von
Wenn in Seen, Flüsse und das Meer Abwässer eingeleitet
Abwasseranlagen. Sie zeigen an, wie hoch belastet das
werden, verringert sich die Konzentration des gelösten
einkommende Wasser ist, und regeln die Luftpumpen
Sauerstoffs im Wasser dramatisch. Aerobe Bakterien
für das Belebtschlammbecken. So kann erheblich Ener-
und Pilze brauchen Sauerstoff für den Abbau der ein-
gie gespart werden. Ein Biosensor am Ausfluss der Klär-
geleiteten organischen Substanzen. Kläranlagen, Biofa-
anlage zeigt an, ob und wie gut das Wasser tatsächlich
briken zur Erzeugung sauberen Wassers, benötigen des-
gereinigt wurde.
halb zusätzlichen Eintrag von Sauerstoff. Also pumpt
man (wie im Aquarium) Luftsauerstoff in das Wasser.
Mit dem 1896 in England erstmals verwendeten Ver-
fahren Biochemischer Sauerstoffbedarf (BSB, engl. bio- 20.5  Immunsensoren
chemical oxygen demand, BOD) lässt sich die organische
20 Belastung von Wasser bestimmen. Der BSB5-Wert dient
der Abschätzung des biologisch leicht abbaubaren An-
Unterschiedliche Typen von Immunassays, vor allem
mit Enzymlabel oder kolloidalem Gold, sind für Lateral-­
teils der gesamten organischen Wasserinhaltsstoffe. Er Flow-­Immunteststreifen adaptiert worden. Die Tests
ergibt sich aus dem Sauerstoffbedarf heterotropher Mi- können nach kompetitiver, sequenzieller bzw. nach der
kroorganismen. Die beim Abbau durch die Mikroben Sandwichtechnik durchgeführt werden und gestatten so-
bei 20 °C dem Wasser entzogene Sauerstoffmenge wird wohl die Bestimmung von Makromolekülen als auch
auf eine bestimmte Anzahl von Tagen bezogen, im Fall von Haptenen. Bekanntestes Beispiel ist der Schwanger-
des BSB5 auf fünf Tage. Man verdünnt dazu Wasser- schaftstest.
proben, sättigt sie mit Luftsauerstoff und fügt sog. Seeds Neben Immunteststreifen und ELISAs wurden auch
hinzu (eine Impf-Mischkultur von Abwassermikroben). Biosensoren auf Antikörperbasis entwickelt. Immun-
Bio- und biomimetische Sensoren
481 20
..      Abb. 20.5  Immunsensor, der markierter
den Effekt evaneszenter Wellen Detektor-
nutzt, um Marker anzuregen, die antikörper
an Detektorantikörper gebunden
sind (Details siehe Text)

optische Laserlicht hinein


Faser
Fluoreszenz heraus

bakterielle Fänger-
Spore antikörper

Hülle der Faseroptik

sensoren detektieren die Erkennung und Bindung von nur auf jeweils eine Substanz untersucht. Heute sind
Antigenen an Antikörpern. Wie bei allen Biosensoren vollautomatische faseroptische Biosensoren verfügbar,
sind die Erkennungselemente (Antikörper oder Anti- die simultan acht verschiedene Substanzen untersuchen
gene/Haptene) auf der Oberfläche von Transduktoren und zusammen mit einem Luftkeimsammler auf dem
immobilisiert (. Abb. 20.5)
  Rücken getragen werden können. Eine andere Version
Man unterscheidet dabei indirekte Immunsenso- dieses Systems wird als 5 kg schwere Zuladung an einem
ren, die Marker (Enzyme, Fluorophore) zur Anzeige sehr kleinen, unbemannten Flugzeug befestigt und kann
der Wechselwirkung benutzen, von direkten Immun- im Flug Bakterien identifizieren.
sensoren, die die Wechselwirkung von Antikörper und Häufig benutzen indirekte Immunsensoren folgendes
Antigen direkt messbar machen. Sie erfassen die Mas- Format: Die Fänger-Antikörper werden mittels Avidin
seänderungen mit Oberflächenplasmon-Resonanz und Biotin an eine Glasoberfläche gebunden. Dies kann
(SPR, 7 Abschn.  19.6), Kantilevern, Nanolevern und
  entweder eine Faseroptik sein oder ein einfacher Objekt-
Piezokristallen (QCM) oder den Wärmetransfer bei der träger aus Glas. Man leitet einen Laserstrahl durch das
Antigen-­Antikörper-Reaktion. Mit der Einführung des Glas auf die Oberfläche mit den Antikörpern. Ist das
Biacore auf Basis der SPR durch die Firma Pharmacia Glas mit einer Flüssigkeit bedeckt, gelten zwei verschie-
haben markierungsfreie (label-free) Assays an Bedeu- dene Brechungsindices. Trifft der Lichtstrahl die Ober-
tung gewonnen. Das gilt für optische Methoden wie die fläche in einem kleineren als dem kritischen Winkel,
reflektometrische Interferenz-Spektroskopie, aber auch kommt es zu einer Totalreflexion (TIR, total internal
für piezoelektrische Schwingquarze. Mit dem im Jahre reflection) des Lichtstrahls (. Abb.  20.6). Die Totalre-

2012 entwickelten Wärme-Transfer-Chip kann das volle flexion erzeugt eine evaneszente Welle auf der Glasober-
Spektrum der biochemischen Interaktionen auch mit fläche. Diese dringt etwa 100 nm in die flüssige Lösung
nicht-markierten Reaktionspartnern quantifiziert wer- ein – das ist exakt der aktive Wirkbereich von Antikör-
den. Neben Antigen-Antikörper-Systemen können auch pern.
Punktmutationen bei DNA nachgewiesen werden und Zwei verschiedene Antikörper werden zur Detektion
Bindungsreaktionen an MIPs verfolgt werden. Bei den eingesetzt. Nachdem der Fängerantikörper (auch
Nanolevers werden kurze DNA-Oligonucleotide auf Coating-­Antikörper genannt, weil er die Oberfläche be-
der Goldoberfläche durch hochfrequente elektrische deckt) das Antigen gebunden hat, bindet ein zweiter
Felder zu Schwingungen angeregt. Am Terminus des Antikörper (mit einem Fluoreszenzmarker) an das be-
Nucleotids befindet sich ein Bindungspartner für den reits gebundene Antigen und bildet so ein Sandwich. Es
Analyten. Bei Bindung der komplementären Substanz ist die gleiche Situation wie beim ELISA, wo aber En-
wird die Schwingung beeinflusst, worüber Größe und zyme als Marker verwendet werden. Solch ein Sand-
Konzentration des Analyten ermittelt werden können wichkonstrukt hat etwa eine Höhe von etwa 30–50 nm.
(switchSENSE). Der Fluoreszenzmarker befindet sich somit genau im
Mittlerweile sind die Geräte zur Erkennung von An- Bereich der Energie der evaneszenten Welle. Die Welle
tigen-Antikörper-Bindungen hochentwickelt und im regt den Fluoreszenzmarker an, der daraufhin Licht
Laufe ihrer Weiterentwicklung zudem noch sehr viel emittiert. Dies zeigt an, dass das Antigen gebunden ist
leichter bedienbar und zuverlässiger geworden. So wog und „erkannt“ wurde. Nicht gebundene Detektoranti-
beispielsweise der erste faseroptische Biosensor (fiber körper werden nicht angeregt, weil sie außerhalb der
optic biosensor) über 70 kg, die Flüssigkeiten wurden Reichweite der Welle liegen. Anschließend wird das Flu-
von Hand aufgebracht und die Proben pro Durchgang oreszenzsignal gefiltert und verstärkt.
482 F. W. Scheller et al.

..      Abb. 20.6  Prinzip eines


faseroptischen Biosensors zur Detektorantikörper
mit Fluorophor nicht
Detektion von bakteriellen
angeregt
Sporen. Auch für diesen
Sensortyp erfolgt die Anregung
der markierten Detektorantikör-
per über die evaneszente Welle.
Gleichzeitig wird das emittierte
Fluoreszenzlicht über die gleiche
Faseroptik wieder herausgeleitet Bindung angeregt
des Antigens

Fänger-
antikörper
evaneszente
Biotin Welle
Avidin

Totalreflexion

Glas

Diese Immunsensoren sind ausreichend sensitiv im 55 In Analogie zur Wechselwirkung von Nucleinsäuren
ppb-Bereich (engl. parts per billion, Milliardstel Teile). mit Proteinen und niedermolekularen Substanzen
Das entspricht etwa der Menge eines Esslöffels Koch- wurden Bindermoleküle auf der Basis von Oligonuc-
salz in einem Schwimmbecken olympischer Normgröße. leotiden mithilfe der „Evolution im Reagenzglas“
Mittlerweile wurden Array-Immunsensoren entwi- entwickelt. Für diese Moleküle wurde der Begriff
ckelt, um viele unterschiedliche Stoffe gleichzeitig über- Aptamer eingeführt, was „passfähiges“ Teilchen be-
wachen zu können. Diese Systeme bestehen aus einer deutet.
Vielzahl unterschiedlicher Antikörper in klar abgegrenz-
ten Feldern auf einem flachen Trägermaterial. Die Iden-
tität des Probenmoleküls kann (ähnlich den DNA- 20.6.1 Molekular geprägte Polymere
Chips) anhand der Lage des fluoreszierenden Feldes
ermittelt werden. Die Intensität des Signals gibt Auf- Molekular geprägte Polymere werden durch die Polyme-
schluss über die Menge des Zielmoleküls in der Gesamt- risation von polymerisierbaren Monomeren in Gegen-
probe. wart des Analyten (Templat) hergestellt. Vor der Poly-
Neuartige, auf Antikörpern basierende Biosensoren merisation treten die funktionellen Gruppen der
sind höchst sensitiv und haben sich zur Erkennung und Monomere und des Vernetzers mit den komplementären
Überwachung von Pestiziden in der Landwirtschaft, To- Funktionalitäten des Templats in Wechselwirkung, und
xinen und Pathogenen in Nahrungsmitteln, Krankheits- diese Anordnung wird durch das Polymerisieren fixiert.
markern in klinischen Flüssigkeiten und biologischen Danach erfolgt die Entfernung des Templats aus dem
Kampfstoffen in Luft und Wasser bewährt. Polymergerüst, wobei Kavitäten im Polymer zurückblei-
ben, die in der Form und der Anordnung der funktionel-
len Gruppen komplementär zum Templat sind. Deshalb
wird der Analyt bevorzugt gebunden. MIPs sind durch
20.6  Biomimetische Sensoren Entfernung des Templats regenerierbar und erlauben die
mehrfache Verwendung. Während Antikörper aus 20
Obwohl Antikörper und Enzyme sich durch exzellente Aminosäuren aufgebaut sind, werden MIPs durch die
Sensitivität und Spezifität auszeichnen, ist ihr Einsatz Polymerisation von 1–5 Monomeren erzeugt. Das ist
20 durch die begrenzte Stabilität und die Kosten für die eine erhebliche Vereinfachung gegenüber natürlichen
Herstellung eingeschränkt. Deshalb gibt es seit mehr als Biopolymeren.
50 Jahren verschiedene Ansätze, synthetische Materia- Durch thermische oder Photopolymerisation von
lien mit einem „molekularen Gedächtnis“ zu entwickeln. Methacrylsäure-, Vinylimidazol- und Vinylpyridinderi-
Dafür wurden zwei verschiedene Konzepte verfolgt: vaten werden sog. molekular geprägte „Bulk-Polymere“
55 Zum Ersatz von Antikörpern wurden voll syntheti- hergestellt. Für die Verwendung in der Chromatogra-
sche „molekular geprägte (imprinted) Polymere phie oder biomimetischen Sensoren werden die Poly-
(MIPs)“, die paratop-ähnliche Bindungstaschen für merkörper in kleine Partikel zerkleinert, um die Bin-
den Analyten besitzen, erzeugt. dungsstellen für Entfernung des Templats und für seine
Bio- und biomimetische Sensoren
483 20
..      Abb. 20.7 Schematische Vernetzer
Darstellung der Herstellung von
molekular geprägten Polymeren funktionelle
(MIPs) Monomere

kovalente oder
nichtkovalente
Wechselwirkungen
Templat
Polymerisation

Entfernen des
molekular Templats
geprägtes
Polymer (MIP)
Rückbildung

Rückbindung zugänglich zu machen. Dagegen wird für leotide freigesetzt. Diese affinen Spezies werden dann
die direkte Integration mit dem Transducer das Oberflä- mit PCR (7 Kap. 33) vervielfältigt und für neue Selek-

chenimprinting eingesetzt. Dabei werden die Monomere tionszyklen eingesetzt. Aptamere mit zu Antikörpern
Pyrrol, Phenylendiamin, Thiophen, Phenol und Amino- vergleichbaren Affinitäten können innerhalb von 6–10
phenylboronsäure sowie deren Derivate direkt auf der Selektionsrunden mit steigender Stringenz für die Ana-
Elektrodenoberfläche durch anodische Oxidation poly- lytbindung generiert werden. Der gesamte SELEX-Pro-
merisiert. Dafür ist kein Vernetzer erforderlich, und die zess kann in Synthesemaschinen durchgeführt werden,
Elektrosynthese kann auf allen leitfähigen Sensoren wie wodurch Aptamere reproduzierbar und mit großer Rein-
Elektroden und Chips für QCM oder SPR durchgeführt heit hergestellt werden können. Bei der Herstellung kön-
werden. Das Oberflächenimprinting ist sowohl für die nen relativ einfach verschiedene Tags oder Fluoreszenz-
Präparation von MIPs für niedermolekulare Substan- marker eingeführt werden. Aptamere können im
zen als auch für Proteine, Nukleinsäuren und intakte Vergleich zu Antikörpern effektiv regeneriert werden,
Zellen geeignet (. Abb. 20.7).
  wobei Affinität und Spezifität erhalten bleiben. Auf der
MIPs werden bereits kommerziell in der Chromato- anderen Seite können die Immobilisierung oder Verän-
graphie und in der Messtechnik für niedermolekulare derungen des Milieus bei der Analytbindung gegenüber
Substanzen wie Antibiotika, Umweltgifte, Pharmaka der Selektion zu Strukturänderungen des Aptamers füh-
eingesetzt und haben das Potenzial für die Bestimmung ren, wodurch die Wechselwirkung mit dem Analyten be-
von Proteinbiomarkern, Mikroorganismen und Viren einflusst werden kann. In der Literatur sind Aptamere
sowie zur Zelltypisierung. für ungefähr 300 verschiedene Substanzen, z. B. Metall-
ionen, Pharmaka, Aminosäuren, Cofaktoren, Vitamine,
Antibiotika und Nucleinsäuren beschrieben worden.
20.6.2 Aptamere Aptamere können sogar die Sekundärstruktur von Pro-
teinen und die Chiralität von Molekülen unterscheiden.
Aptamere sind einsträngige DNA- oder RNA-­Moleküle, Biomimetische Sensoren mit Aptameren oder MIPs
die einen variablen Teil von 30–60 Nucleotiden für die benutzen die gleichen Assayformate wie Immunsenso-
Bindung des Analyten und Primersequenzen auf beiden ren oder DNA-Chips und die gleichen Transducer zur
Seiten für die Amplifikation mit der Polymeraseketten- Signalauslese.
reaktion besitzen. Sie werden aus „Bibliotheken“, die Im Vergleich zu Biosensoren besitzen biomimetische
1013–1015 unterschiedliche Oligonucleotide enthalten, Sensoren folgende Vorteile:
nach dem SELEX-Verfahren (systematic evolution of li- 55 MIPs können sowohl bei erhöhten Temperaturen als
gands by exponential enrichment ) gewonnen. Diese Bib- auch in organischen Lösungsmitteln eingesetzt wer-
liotheken enthalten erheblich mehr Species als unser Im- den.
munsystem. Zur Auslese (Selektion) der analytbindenden 55 Weil die Bindung des Analyten an Aptamere häufig
Spezies aus der Vielzahl von Oligonucleotiden wird die reversibel verläuft, können Konzentrationsänderun-
gesamte Bibliothek mit dem trägerfixerten Analyten gen online erfasst werden.
(Target) in Wechselwirkung gesetzt. Nichtbindende Spe- 55 MIP- und Aptamersensoren sind wiederverwendbar,
zies werden dabei abgetrennt und danach unter stringen- da der gebundene Analyt zur Regenerierung des Sen-
ten Bedingungen die am Target gebundenen Oligonuc- sors entfernt werden kann.
484 F. W. Scheller et al.

20.7  Mikrofluidische Systeme 55 Miniaturisierung


55 Entwicklung von Arrays
Mikrofluidische analytische Systeme stellen eine neue
Generation von automatisierten Geräten dar, die den Die biochemische Erkennung des Analyten war und ist
Hochdurchsatz von Proben und den Einsatz außerhalb der Kern des Messvorgangs, und die räumliche Integra-
des Analytiklabors erlauben (7 Abschn. 47.2.1).

tion mit der Signalerzeugung führte zu den Biosensoren
Der Erfolg der Siliciumtechnologie bei der Produk- und Biochips. Auch die Entwicklung der Auslesemetho-
tion von Chips und integrierten Schaltkreisen für Com- den (Transduktoren) hat die Biosensorik nachhaltig be-
puter hat zu der Zielsetzung geführt, Probenaufberei- einflusst.
tung, (bio)chemische Analytumsetzung, Trennung, Die aus der Sauerstoffelektrode von L. Clark entwi-
Detektion und Flüssigkeitstransport auf einem Chip ckelte Glucoseelektrode und pH-anzeigende Sensoren
auszuführen. Durch Einbeziehen von Reinigungsschrit- haben die Biosensorik initiiert. Nach dem elektrochemi-
ten und chemischen Modifizierungsreaktionen kann die schen Start mit Enzymelektroden wurde in Analogie zur
Differenzierung sehr ähnlicher Spezies erreicht werden, traditionellen Photometrie versucht, die biochemische
wie es für die Proteomanalyse erforderlich ist. Erkennungsreaktion optisch auszulesen. Durchbrüche
Systeme, die alle fluidischen Komponenten der Ana- wurden aber erst mit der Verfügbarkeit stabiler Fluores-
lyse auf dem Chip integrieren, werden als Micro Total zenzfarbstoffe erzielt, und zwar bei Immunsensoren und
Analysis Systems (μTAS) bezeichnet. Die Kanäle besit- DNA-Chips. So dominiert bei den DNA-­Sensoren und
zen typischerweise einen Querschnitt von 20 × 100 μm. vor allem bei den Nucleinsäurearrays der Einsatz von
Transport und Durchmischung erfolgen meist durch fluorophormarkierten Bindungspartnern.
­elektroosmotischen Fluss. Als Trennungsmodul dienen Die Entwicklung von Nucleinsäurearrays auf festen
die Kapillarelektrophorese oder die Elektrochromato- (Chip-)Trägern erfolgte ab 1990 unter entscheidender
graphie. Die Integration von Probeninjektion, Trennung Beteiligung von Mark Schena und Stephen Fodor.
und Anzeige erlaubt eine hohe Probenfrequenz und pa- Durch die US-Firma Affymetrix wurde diese DNA-­
rallele Probenabarbeitung So besitzen Microfluidic-­ Chip-­Technologie entscheidend vorangebracht, und es
Systeme zur Kapillarelektrophorese Trennzeiten von werden Chips mit bis zu 1,2 Mio. unterschiedlichen
1–30 s und erlauben die simultane Untersuchung von Spots angeboten. Diese DNA-Arrays (7 Kap. 40) ver-

96-Well-Mikrotiterplatten. Da das Volumen nur 1–50 nl wenden Fluoreszenzreader für die Signalauslesung. Par-
cm–1 Kanallänge beträgt, verringert sich der Verbrauch allel zu den Fortschritten bei diesen optischen Biochips
der Targetsubstanzen bei einer Fließgeschwindigkeit ging die Realisierung hoch paralleler Biosensoren mit
von 1 mm min–1 auf 1,5 ml d–1, womit völlig neue An- optischen Faserbündeln oder Arrays von amperometri-
wendungen erschlossen werden. schen Mikroelektroden oder FETs erfolgreich weiter.
In den Mikrokanälen werden auch Enzyme und An- Biosensoren haben sich auf Feldern durchsetzen
tikörper als Reagenzien zur Analytumsetzung einge- können, in denen die Integration von molekularer Er-
setzt, wobei die Reaktionsprodukte anschließend in der kennung und Signalwandlern zu Vorteilen gegenüber
gleichen Kapillare getrennt und detektiert werden. Mit anderen Analysekonfigurationen geführt hat. Das gilt
enzymatischen Reaktionen wurden dabei Nachweis- bisher für die dezentrale Blutglucosemessung. Hier führt
grenzen bis zu 10−18–10−22 mol erzielt. Immunassays er- das reagenzlose Messregime zu einer einfachen und
reichen eine vergleichbare Empfindlichkeit und erfor- exakten Analysedurchführung. Weiterhin erlaubt die
dern nur 1 ng eines 100-kD-Proteins. Miniaturisierung des Sensors eine Verringerung des er-
Weiterhin werden integrierte analytische Systeme für forderlichen Probevolumens, was bei der Blutglucose-
die Kombination von Restriktionsabbau und Mapping messung eine weitgehend schmerzfreie Probenentnahme
von DNA, die Amplifizierung durch Polymeraseketten- ermöglicht.
reaktion (PCR) und DNA-Sequenzierung (7 Kap.  34)

Das einzigartige Potenzial von Biosensoren liegt bei
auf einem Chip eingesetzt. der Online-Konzentrationsmessung, z. B. in vivo mit im-
plantierten Sensoren. Damit wird die Zeitauflösung der
20 Konzentration von Stoffwechselprodukten, etwa von
20.8  Ausblick: Von der Glucoseelektrode Glucose, möglich. Allerdings sind mehrere Probleme für
zum „Einzel-Molekül-Transistor“ einen Langzeiteinsatz noch nicht gelöst. Darüber hinaus
können die Bildung und das „Abklingen“ von kurzlebi-
Die Entwicklung der Biosensorik ist durch folgende gen Botenstoffen, wie Superoxid oder NO, direkt ver-
Tendenzen charakterisiert: folgt werden.
55 Diversifizierung der biologischen Erkennungsele- Die Verkleinerung der Querschnitte von optischen
mente und Signalwandler Fasern, ionensensitiven Feldeffekttransistoren oder
55 Erhöhung der Integration Elektroden unter 10 μm wurde durch die Fortschritte
Bio- und biomimetische Sensoren
485 20
der Mikrosystemtechnik möglich. Damit können aufgehoben. Bei diesen Mikroanordnungen liegen die
Online-­Messungen an einzelnen Zellen oder sogar in Dimensionen der Komponenten unter denen für die
einzelnen Zellen mit Mikro-Biosensoren durchgeführt entsprechenden Funktionselemente konventioneller
werden. Mit Antikörpern modifizierte molekulare Tran- Biosensoren. Das in der Biosensordefinition gegebene
sistoren erlauben die Messung von Zeptomolen bis hin Kriterium der direkten räumlichen Kopplung von Er-
zu einzelnen Antigenmolekülen. kennungselement und Signalwandler trifft damit für
Die aktuellen Entwicklungen zur Sequenzierung ein- beide Konfigurationen zu.
zelner DNA-Moleküle (Next Generation Sequencing,
7 Kap.  34) im Rahmen von 1000-Dollar-Genom-­
Literatur und Weiterführende Literatur

Projekten benutzen Prinzipien der Biosensorik: Das Er-


kennungselement  – eine Nanopore bzw. einzelne Aggidis AG, Newman JD, Aggidis GA (2015) Investigating pipeline
DNA-Polymerasemoleküle – ist auf der Oberfläche des and state of the art blood glucose biosensors to formulate next
Transduktors direkt fixiert. Die Auslese jedes einzelnen steps. Biosens Bioelectron 74:243–262
Nucleotides erfolgt über den elektrischen Widerstand Gauglitz G (2010) Direct optical detection in bioanalysis: an update.
Anal Bioanal Chem 398:2363–2372
bzw. mittels Zero-mode Waveguide.
Heller A, Feldman B (2008) Electrochemical glucose sensors and their
Die Biosensordefinition ist durch die rasante Ent- application in diabetes management. Chem Rev 108:2482–2505
wicklung nicht mehr eindeutig: Durch das Proteinengi- Kudłak B, Wieczerzak M (2020) Aptamer based tools for environ-
neering und die Entwicklung biomimetischer Erken- mental and therapeutic monitoring: a review of developments,
nungssubstanzen erfolgte eine Erweiterung gegenüber applications, future perspectives. Crit Rev Env Sci Tec 50:816-867
Macchia E, Manoli M, Holzer B, Di Franco C, Ghittorelli M, Torri-
dem Einsatz traditioneller Erkennungssysteme. Die Er-
celli F, Alberga D, Mangiatordi GF, Palazzo G, Scamarcio G,
zeugung von optimalen Bindern auf Aminosäure- und Torsi L (2018) Single-molecule detection with a millimetre-­sized
Nucleinsäurebasis (Aptamere) wird durch Kombination transistor. Nat Commun 9:3223
von Synthese großer kombinatorischer Peptid- oder Renneberg R (2020) Bioanalytik für Einsteiger, 2. Aufl. Spektrum
RNA-Bibliotheken und Selektion nach Bindungsstärke Akademischer Verlag, Heidelberg
zum Analyten realisiert. Weiterhin werden auch vollsyn- Renneberg R, Lisdat F (Hrsg) (2008) Biosensing for the 21st century,
advances in biochemical engineering/biotechnology 109. Sprin-
thetische Polymerstrukturen mit Bindungsarealen für ger-Verlag, Berlin/Heidelberg
den Analyten (Imprints) durch Polymerisation funktio- Scheller FW, Yarman A, Bachmann T, Hirsch T, Kubick S, Renne-
neller Monomere in Gegenwart des Zielmoleküls (Print- berg R, Schumacher S, Wollenberger U, Teller C, Bier FF (2014)
moleküls) erzeugt. Damit wird die Abgrenzung zu den Future of biosensors: a personal view in adv. Biochem. Eng.
Chemosensoren durch Verwendung vollsynthetischer Biotechnol 140:1–28. Springer
Willner I, Katz E (2005) Bioelectronics. WILEY-VCH, Weinheim
Rezeptoren wenig sinnvoll. Wollenberger U, Renneberg R, Bier FF, Scheller FW (2003) Analyti-
Durch die rasanten Fortschritte der Siliciumtech- sche Biochemie – Eine praktische Einführung in das Messen mit
nologie sind die Grenzen zwischen Sensorkonfigura- Biomolekülen. WILEY-VCH, Weinheim
tion und kompletten Mikroanalysatoren weitgehend
487 II

3D-Strukturaufklärung
Inhaltsverzeichnis

Kapitel 21 Magnetische Resonanzspektroskopie


von Biomolekülen – 489
Markus Zweckstetter, Tad A. Holak und Martin Schwalbe

Kapitel 22 EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen – 527


Olav Schiemann und Gregor Hagelueken

Kapitel 23 Elektronenmikroskopie – 553


Philipp Erdmann, Sven Klumpe und Juergen M. Plitzko

Kapitel 24 Rasterkraftmikroskopie – 601


Nico Strohmeyer und Daniel J. Müller

Kapitel 25 Röntgenstrukturanalyse – 611


Dagmar Klostermeier und Markus G. Rudolph
489 21

Magnetische
Resonanzspektroskopie von
Biomolekülen
Markus Zweckstetter, Tad A. Holak und Martin Schwalbe

Inhaltsverzeichnis

21.1 NMR-Spektroskopie von Biomolekülen – 490


21.1.1 T heorie der NMR-Spektroskopie – 490
21.1.2 Eindimensionale NMR-Spektroskopie – 495
21.1.3 Zweidimensionale NMR-­Spektroskopie – 500
21.1.4 Dreidimensionale ­NMR-­Spektroskopie – 506
21.1.5 Signalzuordnung – 511
21.1.6 Bestimmung der Proteinstruktur – 516
21.1.7 Proteinstrukturen und mehr – ein Ausblick – 521

Literatur und Weiterführende Literatur – 526

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_21
490 M. Zweckstetter et al.

55 Die kernmagnetische Resonanzspektroskopie (Nuclear bis hin zur Faltung bzw. Fehlfaltung von Proteinen.
Magnetic Resonance, NMR) basiert auf dem Phäno- Ferner wird die NMR-Spektroskopie auch bei festen,
men des Kernmagnetismus und misst die Wechselwir- nicht gelösten Stoffen wie membranständigen Proteinen
kung von Kernspins mit starken Magnetfeldern. und Proteinaggregaten angewendet. Dieser Zweig der
55 Verschiedene Kernspins absorbieren abhängig von ih- NMR-Spektroskopie wird als Festkörper-NMR (engl.
rer chemischen Umgebung Radiowellen unterschiedli- solid-state NMR) bezeichnet. Die NMR-Spektroskopie
cher Frequenzen. stellt daher eine äußerst vielseitige Technik in der Bio-
55 Die NMR-Spektroskopie findet Anwendung in vielen chemie und Biophysik dar.
Bereichen der Bioanalytik, von der organischen Che- Die Limitierungen der NMR-Spektroskopie erge-
mie, der Metabolomanalyse, der Materialforschung bis ben sich aus der relativ niedrigen Empfindlichkeit der
zur strukturellen Biochemie. Technik sowie dem hohen Grad an Komplexität und
55 Neue methodische und instrumentelle Entwicklungen Informationsgehalt der NMR-Spektren. Weiterent-
ermöglichen die NMR-basierte Untersuchung aktuel- wicklungen in der Elektronik und immer stärkere Ma-
ler Fragen in Forschung und Industrie. gnetfelder verbessern jedoch die Empfindlichkeit und
Auflösung stetig. Neue NMR-Experimente erweitern
den Anwendungsbereich (z.  B. zu größeren Proteinen)
21.1  NMR-Spektroskopie von Biomolekülen oder erlauben die Bestimmung zusätzlicher struktu-
reller oder dynamischer Parameter, z.  B. die Messung
Das Phänomen der kernmagnetischen Resonanz (NMR, residualer dipolarer Kopplungen, die direkte Beobach-
Nuclear Magnetic Resonance) wurde 1945 entdeckt: In tung von Wasserstoffbrücken oder den Nachweis von
einem homogenen Magnetfeld spalten die Energieni- internen Bewegungen (von Pikosekunden über Milli-
veaus des Kernspins in mehrere Zustände auf. Zwischen sekunden bis hin zu Stunden). Zudem ermöglicht die
ihnen kann ein Übergang induziert werden, wenn man rekombinante Proteinexpression eine relativ einfache
Radiowellen mit einer Frequenz einstrahlt, die dem Herstellung der erforderlichen Probenmengen und die
Energieunterschied der Zustände entspricht. Dabei un- Markierung mit den nur selten vorkommenden Iso-
terscheidet sich die NMR-Spektroskopie jedoch in zwei topen 13C und 15N. Dies ermöglicht die Vereinfachung
wesentlichen Punkten von anderen spektroskopischen der Spektren sowie die Bestimmung weiterer Parameter,
Methoden: Zum einen wird die Aufspaltung der Ener- welche Aussagen über die Struktur und Dynamik von
gieniveaus erst durch das Magnetfeld induziert, zum an- Proteinen zulassen. Durch diese Entwicklungen können
deren findet die Wechselwirkung der Kernspins mit der heute Proteine mit einer Masse von bis ~50  kDa oder
magnetischen und nicht mit der elektrischen Kompo- mehr NMR-­ spektroskopisch untersucht werden. Ge-
nente der elektromagnetischen Strahlung statt. eignete Methoden erlauben weiterhin die Analyse von
Die Bedeutung der kernmagnetischen Resonanz MDa-­Proteinkomplexen (7 Abschn. 21.1.7).

ist seit dem Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahr- Der wichtigste Atomkern für die NMR-­
hunderts enorm gestiegen, nachdem die gepulste Spektroskopie ist das Proton, da es der sensitivste Kern
Fourier-­Transform-­ NMR- und die mehrdimensionale ist und in Biomakromolekülen in großer Zahl vorhan-
NMR-Spektroskopie eingeführt wurden. den ist. Daneben gibt es aber noch andere magnetisch
Die Hauptanwendung der NMR-Spektroskopie aktive Kerne (. Tab.  21.1), von denen 13C, 15N, 19F

ist die strukturelle Analytik in der organischen Che- und 31P für die NMR-Spektroskopie von Biomolekülen
mie und der Biochemie: Die NMR-Spektroskopie ist wichtig sind.
die einzige Methode, mit der die Strukturen von Bio-
makromolekülen (wie Proteine oder Nucleinsäuren) im
löslichen und nichtgefrorenen Zustand auf atomarem 21.1.1 Theorie der NMR-Spektroskopie
Niveau aufgeklärt werden können. Besonders für die
strukturelle Charakterisierung von dynamischen ma- Der Kernspin eines Atoms ist eine quantenmechanische
kromolekularen Komplexen, von phasen-separierten Eigenschaft und kann daher im Rahmen einer klassi-
Zuständen sowie von intrinsisch ungeordneten Protei- schen Theorie nicht erklärt oder adäquat beschrieben
nen (IDPs, engl. intrinsically disordered proteins) ist die werden. Der für eine quantenmechanische Betrachtung
21 NMR-­Spektroskopie unerlässlich (7 Abschn.  21.1.7).
  nötige Formalismus würde den Rahmen dieses Kapitels
Zusätzlich zur Strukturaufklärung können mit der sprengen. Dennoch können wir viele Aspekte durch eine
NMR-Spektroskopie auch zahlreiche zeitabhängige klassische Betrachtungsweise veranschaulichen, insbe-
Phänomene untersucht werden: von molekularen Er- sondere wenn wir quantenmechanische Eigenschaften
kennungsprozessen, Reaktionskinetiken über die intra- wie z. B. die Kopplung zwischen Kernspins durch ein-
molekulare Dynamik von Proteinen und Nucleinsäuren fache Regeln ad hoc in die klassische Beschreibung ein-
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
491 21

..      Tab. 21.1  Kernspin, natürliche Häufigkeit, gyromagnetisches Verhältnis γ sowie relative und absolute Sensitivität einiger, für die
NMR-Spektrosokopie an biologischen Makromolekülen wichtiger Atomkerne. (Nach Friebolin 1988)

Kernisotop Spin natürliche Häufigkeit (in gyromagnetisches Verhältnis γa (in 107 rad Sensitivität Sensitivität
I %) T−1 s−1) rel.b abs.c

1H ½ 99,98 26,7519 1,00 1,00


2H 1 0,015 4,1066 9,65 · 10−3 1,45 · 10−6
12C 0 98,9 – – –
13C ½ 1,108 6,7283 1,59 · 10−2 1,76 · 10−4
14N 1 99,63 1,9338 1,01 · 10−3 1,01 · 10−3
15N ½ 0,365 −2,712 1,04 · 10−3 3,85 · 10−6
16O 0 99,96 – – –
17O 5/
2
0,037 −3,6279 2,91 · 10−2 1,08 · 10−5
19F ½ 100 25,181 0,83 0,83
31P ½ 100 10,841 6,63 · 10−2 6,63 · 10−2

aγ-Werteaus Harris 1983


bDetektionseffizienz bei konstantem Magnetfeld und gleicher Anzahl an Atomkernen
cProdukt aus relativer Sensitivität und natürlicher Häufigkeit

führen. Nach einer kurzen Einführung in die fundamen- und klassischer Eigenrotation rechtfertigt dennoch die
talen Eigenschaften des Kernspins wird daher im Bezeichnung Spin: In der quantenmechanischen Formu-
Folgenden die Betrachtung einer makroskopischen Ma- lierung zeigen Spins (von Protonen, Elektronen etc.) und
gnetisierung, vergleichbar einem kleinen Stabmagneten, klassische Drehimpulse ein ähnliches mathematisches
im Vordergrund stehen. Verhalten. Alle gehorchen den Drehimpulskommutator-­
Relationen, aus denen sich viele wichtige Eigenschaften
21.1.1.1  Kernspin und Energiequantelung ableiten lassen. Entsprechend seines quantenmechani-
Das Phänomen der kernmagnetischen Resonanz beruht schen Ursprungs ist der Spin gequantelt:
auf der Wechselwirkung des magnetischen Moments μ 
eines Atomkerns mit einem äußeren magnetischen Feld. J = I ( I + 1) (21.1)
Die Ursache für dieses magnetische Moment ist der quan-
tenmechanische Spin des Atomkerns, der sich als Summe 
der Spins der Protonen und Neutronen (jeweils Spin ½), Dabei ist J der Kernspin, I die Kernspinquantenzahl
aus denen die Atomkerne aufgebaut sind, ergibt. Paare (die Werte von I = 0, ½, 1, 1½, … annehmen kann) und
von Protonen bzw. Neutronen tendieren im Atomkern ℏ = h/2π das Planck‘sche Wirkungsquantum. Der Spin

dazu, ihre Spins entgegengerichtet zu orientieren, sodass und das magnetische Moment ∝ sind zueinander direkt
sich die Beiträge der meisten Protonen und Neutronen proportional:
aufheben. Im Kohlenstoffisotop 12C addieren sich z.  B.   
zwölf Spin-½-Beiträge wegen der geraden Anzahl an Pro- µ = γ J ⇒ µ = γ  I ( I + 1) (21.2)

tonen bzw. Neutronen zu einem Gesamtkernspin von
null. Der Wasserstoffkern besteht nur aus einem Proton Die Proportionalitätskonstante γ, die für jede Kernsorte
und hat daher Spin ½. Der Name „Spin“ (engl. spin, sich eine charakteristische Konstante ist, wird als gyromag-
drehen) suggeriert, dass es sich beim Spin um einen Eigen- netisches Verhältnis bezeichnet. Von γ hängt die Emp-
drehimpuls handeln könnte. Dies wird verstärkt durch findlichkeit in der NMR ab: Ein großes gyromagneti-
den Zusammenhang von Spin und magnetischem Mo- sches Verhältnis bedeutet eine hohe Empfindlichkeit des
ment, da die Rotation eines geladenen Teilchens ebenfalls entsprechenden Isotops (. Tab. 21.1). 

zu einem magnetischen Moment führt. Jedoch hat der Per Konvention ist in einem äußeren Magnetfeld die
quantenmechanische Spin nichts mit der räumlichen Ei- Komponente in Feldrichtung Jz (das Magnetfeld ver-
genrotation zu tun und ist eine intrinsische Eigenschaft laufe in z-Richtung) ein ganz- oder halbzahliges Vielfa-
des Teilchens. Folgende Gemeinsamkeit zwischen Spin ches des Planck‘schen Wirkungsquantums:
492 M. Zweckstetter et al.

J z = m ⇒ µz = mγ  (21.3) 800 MHz (5027 Mrad s–1). Sie liegt also im Bereich von


Radiowellen.
wobei die magnetische Quantenzahl m ganzzahlige
21.1.1.2  Besetzungszahlen und
Werte von −I bis +I annehmen kann. Das äußere Feld
führt zu einer Aufspaltung der Energieniveaus des be- Gleichgewichtsmagnetisierung
trachteten Kerns. Betrachtet man Wasserstoffkerne mit Eine Probe, die in der NMR-Spektroskopie untersucht
einem Spin ½, dann resultieren zwei mögliche Zustände wird, enthält Moleküle in einem Konzentrationsbereich
gemäß einer Einstellung des Kernspins parallel (↑, von Mikromol bis Mol pro Liter (für Proteine ca. 0,01–
m  =  +½) bzw. antiparallel (↓, m  =  −½) zum äußeren 10 mM). Die Kernspins dieser Moleküle orientieren sich
Hauptfeld (. Abb. 21.1). Die Energie E dieser Niveaus

unabhängig voneinander parallel oder antiparallel zum
ergibt sich aus der klassischen Formel für einen magne- externen Magnetfeld. Für Kerne mit dem Spin ½ ist das
tischen Dipol in einem homogenen Magnetfeld der Besetzungsverhältnis der Momente (das heißt der An-
Stärke B0: zahl der Kerne N↓, die sich antiparallel zum Hauptfeld
ausrichten, zu der Anzahl derer mit paralleler Orientie-
E = − µz B0 = −mγ B0 (21.4) rung N↑) durch die Boltzmann-Verteilung gegeben:

N↓  ∆E   γ B0 
Das magnetische Moment jedes Atomkerns rotiert in = exp  −  = exp  (21.6)
N↑ 
einer Präzessionsbewegung um die Richtung des Feldes  kT   kT 
B0, deren Frequenz als Larmor-Frequenz ω0 bzw. ν0 be-
zeichnet wird. Sie entspricht der Resonanzfrequenz des Dabei ist k die Boltzmann-Konstante und T die absolute
Kerns und damit der Übergangsfrequenz zwischen den Temperatur. Da der Energieunterschied der beiden Ni-
Energieniveaus: veaus unterhalb der Größenordnung der thermischen
Bewegung (kT) liegt, sind beide Niveaus nahezu gleich
γ B0 = ∆E = hv = ω0 ⇒ ω0 = γ B0 mit ω0 = 2πv0 (21.5) besetzt. Für Protonen ergibt sich z. B. bei einer Tempe-
ratur von 300  K und einem Magnetfeld von 18,8  T
Die Larmor-Frequenz ist abhängig vom gyromagneti- (800  MHz), dass der Überschuss im energieärmeren
schen Verhältnis γ sowie von der Stärke des Feldes Niveau nur 1,3 von 10.000 Teilchen beträgt (das heißt
(. Abb.  21.2). Bei einer Magnetfeldstärke von 18,8 T
  N↓ = 0,99987 · N↑). Dies ist der Hauptgrund, warum die
(etwa 400.000–500.000-mal stärker als das Erdmagnet- NMR-Spektroskopie verglichen mit anderen spektros-
feld) beträgt z.  B. die Larmor-Frequenz für Protonen kopischen Methoden (z.  B. optischen Methoden) eine
geringere Empfindlichkeit hat.
Selbst dieser winzige Unterschied genügt zur Bil-
z dung einer makroskopischen Gesamtmagnetisierung
M0, die sich aus der Aufsummierung der magnetischen
Momente der einzelnen Kernspins ergibt. Die makros-
kopische Gesamtmagnetisierung M0 für Spin-½-Teil-
chen ist näherungsweise gegeben durch:

m = +1 / 2 γ 2  2 B0 I ( I + 1) γ 2  2 B0 1
M0 = N =N mit I = (21.7)
1
54°44' 3kT 4kT 2
J
z = /2

|J | = 3/
4 ⋅
Daraus ergibt sich, dass die Größe der Gleichgewichts-
magnetisierung abhängig von der Feldstärke B0, der An-
J 1
z = – /2 zahl der Spins N sowie der Temperatur T der Probe ist.
Durch entsprechende Änderung dieser Größen kann
m = – 1/ 2 man demnach eine Verstärkung des beobachtbaren Sig-
nals erreicht werden (dies ist einer der Gründe, weshalb
Magnete mit immer größeren Feldstärken entwickelt
21 werden). Die zeitliche Entwicklung dieser makroskopi-
schen Magnetisierung wird im Spektrometer gemessen.
..      Abb. 21.1  Richtungsquantelung des Kerndrehimpulses J im ho-
mogenen Magnetfeld für Kerne mit I = ½. Das Magnetfeld ist entlang Auch in der klassischen Theorie der NMR-Spektrosko-
 3  pie betrachtet man normalerweise die makroskopische
der z-Achse ausgerichtet. Da Jz  =  ½  ℏ und J =  , nimmt J
2 Magnetisierung, da ihr Verhalten anschaulicher ist als
einen Winkel von 54° 44′ (= arccos (Jz/|J|) mit der z-Achse ein das von einzelnen Spins.
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
493 21
..      Abb. 21.2  Der Energieunter- E
schied ΔE der beiden Energie-
niveaus eines Kernspins I = ½ ist b (m = – 1/2) antiparallel
direkt proportional zum
Magnetfeld B0

0 ∆E 1 ∆E 2 ∆E = g B0

a (m = + 1/2) parallel

B1 B2 B0

Im Gleichgewicht existiert nur eine Magnetisierung


z, B0
M0 entlang der Achse des Hauptfeldes (definitionsge-
mäß die z-Richtung, das heißt Mz = M0). Die als trans-
versal bezeichneten x- und y-Komponenten der magne- M0
tischen Momente weisen keine Vorzugsrichtung auf und
addieren sich somit zu null (Mx = My = 0) (. Abb. 21.3).
  m = +1/ 2

21.1.1.3  Die Bloch-Gleichungen


In der mathematischen Formulierung wird die zeitliche y
Änderung der makroskopischen Magnetisierung durch
die Bloch-Gleichung beschrieben:
x

dM     ω   
dt
( )
= γ M × Beff , Beff =  B0 + 0  + B1 = B1
γ 
(21.8) m = –1/ 2
 
0
..      Abb.  21.3  Darstellung der makroskopischen z-Magnetisierung
Die zeitliche Änderung des Magnetisierungsvektors er- im thermodynamischen Gleichgewicht. Die z-Komponenten der ma-
gibt sich aus der Wechselwirkung der Magnetisierung M gnetischen Momente der einzelnen Spins summieren sich zum mak-
mit dem effektiv anliegenden Magnetfeld Beff. Um die roskopischen Magnetisierungsvektor M0 (fettgedruckter Pfeil) auf.
mathematische Behandlung der NMR-Spektroskopie Da N↓ < N↑ ist, zeigt der Vektor zur +z-Achse. Die x- und y-­
Komponenten sind gleichmäßig auf der Oberfläche des Doppelprä-
zu vereinfachen, wird ein rotierendes Koordinatensys-
zessionskegels verteilt und ergeben keine makroskopische Magneti-
tem eingeführt, das mit der Larmor-Frequenz der Kerne sierung
(ω0 = γB0) um die z-Achse rotiert. In diesem Koordina-
tensystem erscheinen alle mit der Larmor-Frequenz ro- sich dieser Ball dagegen auf einer kompliziert zu be-
tierenden Kernspins unbewegt. Dieses Konzept sollte schreibenden Kurve bewegen.
uns sehr vertraut sein, da wir alle in einem rotierenden Im rotierenden Koordinatensystem fällt für Kerne
Koordinatensystem leben – der Erde. Ein Mensch, der mit der Larmor-Frequenz ω0 der Beitrag des statischen
auf dem Erdäquator „steht“, bewegt sich für einen Be- Magnetfeldes B0 zu Beff weg. Das bedeutet, solange nur
obachter im Weltall mit einer Geschwindigkeit von rund das Hauptfeld B0 anliegt, wird Beff gleich null und der
1700 km h−1. Nehmen wir an, dass dieser Mensch auf Magnetisierungsvektor wird zeitunabhängig. Wenn
der Erde einen Ball „senkrecht“ nach oben wirft und man nun ein weiteres Feld B1 senkrecht zum Hauptfeld
dann nach unten fallen sieht. Für ihn oder sie bewegt B0 anlegt, dann ist Beff = B1. Der Magnetisierungsvektor
sich der Ball auf einer einfachen geraden, senkrechten präzediert nun um die Achse des B1-Feldes, sofern die
Bahn, jedoch für unseren Beobachter im Weltall würde Frequenz des angelegten Feldes der Larmor-Frequenz
494 M. Zweckstetter et al.

z, B0 z, B0

Mz

m = +1/2
y

x
y
My
–My
x

m = – 1/2

..      Abb. 21.4  Wirkung eines 90°-Pulses auf z-Magnetisierung: Der


aus der x-Richtung kommende Puls (fettgedruckter, wellenförmiger
Pfeil) dreht die Gleichgewichts-(z-)Magnetisierung (rot) entgegen
dem Uhrzeigersinn um 90° um die x-Achse und erzeugt (–y)-Magne- ..      Abb.  21.5  Veranschaulichung von transversaler Magnetisie-
tisierung (-My) rung: Die identische Anzahl von Kernspins (rote Pfeile) in beiden
Energieniveaus zeigt an, dass sie gleichbesetzt sind. Einige Kernspins
präzedieren gebündelt in Phase um die Feldrichtung B0. Ihre magne-
der Kerne entspricht (ωrf = ω0, sog. resonanter Fall). Das tischen Momente summieren sich zur makroskopischen My-Magne-
tisierung (fettgedruckt) auf
B1-Feld bewirkt eine Rotation des Magnetisierungsvek-
tor Mz aus der Gleichgewichtsposition in die transver-
sale Ebene (Kreuzprodukt). Das B1-Feld ist physikalisch
nichts anderes als ein kurzer Radiowellenpuls, der auf dM x , y M x,y
die Probe eingestrahlt wird. Dieser Anregungspuls oder = γ ( M × B )x , y − (21.9)
dt T2
90°-Puls wandelt z-Magnetisierung vollständig in y-Ma-
gnetisierung um, wenn das B1-Feld entlang der x-Achse
von geeigneter Stärke und Dauer ist (. Abb. 21.4).
dM z M − Mz

Die Entstehung der y-Magnetisierung nach einem = γ ( M × B )z + o (21.10)


90°-Puls kann man im Bild der einzelnen Kernspins fol- dt T1
gendermaßen verstehen: Die beiden Energieniveaus sind
gleich besetzt (da Mz = 0 ist). Außerdem sind die Magne- Die Gleichungen zeigen, dass durch Relaxation die trans-
tisierungsdipole der einzelnen Kernspins nicht mehr sta- versalen Komponenten (Mx, My) ihrem Gleichgewichts-
tistisch gleichmäßig um die z-Achse verteilt, sondern ein wert von null entgegen gehen, wohingegen die longitu-
kleiner Teil von ihnen präzediert gebündelt in Phase um dinale Magnetisierung Mz dem Gleichgewichtswert M0
die z-Achse. Dieser Zustand der Phasenkohärenz führt entgegen strebt. Die T1-­Relaxationszeitkonstanten für
zur makroskopischen y-Magnetisierung (. Abb. 21.5).   Protonen liegen für die hochauflösende NMR-Spektros-
kopie etwa im Bereich von einer bis mehreren Sekunden.
21.1.1.4  Relaxation Für kleine Moleküle ist T2 ähnlich T1, jedoch für große
Die obige Form der Bloch-Gleichung ist nicht vollstän- Moleküle wie Proteine ist T2 viel kleiner als T1. Dar-
dig, da sie eine unendlich lange andauernde Präzession aus ergibt sich die bekannte Größenbeschränkung der
des Magnetisierungsvektors einer einmalig angeregten NMR-­Spektroskopie, da die verstärkte T2-Relaxation in
Probe vorhersagt. Tatsächlich entspricht die transver- Proteinen mit hohem Molekulargewicht die Auflösung
sale Magnetisierung nach dem 90°-Puls jedoch einem sowie die Empfindlichkeit der Spektren beeinträchtigt
Nichtgleichgewichtszustand, aus dem das System nach (7 Abschn. 21.1.2). Während des 90°-Pulses, und mög-

kurzer Zeit wieder ins thermodynamische Gleichge- licherweise weiterer Radiofrequenzpulse, vernachlässigt
wicht zurückgelangt. Bloch führte daher in die Glei- man oftmals Relaxationseffekte, da die Relaxationszei-
chung phänomenologisch zwei verschiedene Relaxati- ten lang im Vergleich zu den üblicherweise angewandten
Pulsdauern (10–50 μs) sind.
21 onszeitkonstanten (T1, T2) ein. Unter der Annahme,
dass die betreffenden Relaxationsprozesse nach einem Die Ursachen der Relaxation sind verschiedene zeit-
Geschwindigkeitsgesetz 1. Ordnung ablaufen, lauten die abhängige Wechselwirkungen (wie z.  B. die dipolare
Bloch-Gleichungen dann: Kopplung) zwischen den Spins und ihrer Umgebung
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
495 21
(T1) bzw. den Spins untereinander (T2). Daher wird T1 well-Gleichungen erzeugt das rotierende magnetische
historisch auch als Spin-Gitter- und T2 als Spin-Spin-­ Moment ein wechselndes magnetisches Feld, das einen
Relaxationszeitkonstante bezeichnet. Die Relaxations- Strom in einer Spule induziert. Eine empfindliche Emp-
zeitkonstanten hängen von verschiedenen Faktoren wie fängerspule im NMR-Spektrometer misst diesen klei-
der Larmor-Frequenz, d. h. der Magnetfeldstärke, und nen, oszillierenden Strom. Durch T2-Relaxation nimmt
der molekularen Beweglichkeit des Moleküls in Lösung der induzierte Strom über die Zeit ab, weshalb die ge-
ab. Letztere wird durch die sog. Rotationskorrelations- sammelten Daten als FID (Free Induction Decay, freier
zeit τc des Moleküls charakterisiert. Auf die Messung Induktionszerfall) bezeichnet werden. Weil der Strom
der Relaxationszeiten wird später bei der Betrachtung zeitabhängig detektiert wird (und nicht frequenzabhän-
der Dynamik von Proteinen (7 Abschn. 21.1.7) genauer
  gig), ist das emittierte Signal eine Überlagerung aller
eingegangen. Frequenzen, die während des Pulses angeregt wurden.
Die mathematische Operation der Fourier-Transforma-
21.1.1.5  Gepulste ­Fourier-­ tion übersetzt die Zeitdaten in die Frequenzdomäne
Transformationsspektroskopie oder das Spektrum.
In Analogie zu anderen spektroskopischen Metho-
Moderne NMR-Spektrometer verwenden die Me-
den könnte man sich das Resonanzphänomen auch an-
thode der gepulsten Fourier-Transformation-NMR-
ders vorstellen. Im resonanten Fall absorbieren Kerne
(FT-­ NMR-)Spektroskopie. Diese Methode ersetzte
Radiowellen, wenn die Frequenz der Radiopulse mit
ältere Verfahren (z.  B. die Continuous-wave-NMR-­
den Larmor-Frequenzen der Atomkerne übereinstimmt.
Spektroskopie), da die FT-NMR-Spektroskopie die
Nach dem Puls emittieren alle angeregten Kerne gleich-
Sensitivität und spektrale Auflösung deutlich verbessert
zeitig die absorbierte Radiostrahlung, die anschließend
und zudem die Entwicklung mehrdimensionaler NMR-­
detektiert wird. Daher vergleicht man die gepulste
Methoden ermöglichte (7 Abschn. 21.1.3 und 21.1.4).

Fourier-­Transformationsmethode oft mit dem Stimmen


Bei der gepulsten FT-NMR-Spektroskopie werden alle
einer Glocke. Im Prinzip könnte man die individuellen
Kerne gleichzeitig durch einen Radiofrequenzpuls an-
Töne, die den Klang einer Glocke ausmachen, nach Art
geregt. Der Radiowellensender arbeitet auf einer festen
des Continuous-Wave-Experimentes bestimmen. Die
Frequenz ν0 und würde daher nur Kerne mit dieser Lar-
Glocke wird schrittweise über einen Lautsprecher mit
mor-Frequenz (resonanter Fall!) anregen. Jedoch ist die
allen Schallfrequenzen von den tiefsten Tönen bis hin
Frequenzbandbreite (und damit die Energie der Strah-
zum Ultraschall angeregt, und das Verhalten der Glocke
lung) umgekehrt proportional zur Pulsdauer. Wird die
wird mit einem Mikrophon gemessen. Diese Prozedur
Radiostrahlung also nur sehr kurz in Form eines Pul-
ist äußerst umständlich, und jeder Glockengießer kennt
ses (mit einer Dauer von einigen Mikrosekunden) ein-
einen schnelleren Weg: Man nimmt einfach einen Ham-
gestrahlt, wird die Frequenz dieses Pulses „unscharf “,
mer und schlägt zu! Der Klang der Glocke enthält alle
d. h. er enthält in einem breiten Anregungsband um ν0
Töne auf einmal, und jeder Mensch kann den Klang mit
viele Frequenzen und regt somit die Resonanzen aller
ihrem oder seinem Ohr (ein genial aufgebautes biologi-
Kernspins in einer Probe auf einmal an.
sches Werkzeug zur Fourier-Transformation) analysie-
Streng genommen hängt der Drehwinkel, durch den
ren. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass auf
der Puls die Gesamtmagnetisierung rotiert, vom Ab-
modernen NMR-Spektrometern jedoch keine frequenz-
stand (engl. offset) der Larmor-Frequenzen von der
abhängige Messung erfolgt.
Senderfrequenz ab. Für nichtresonante Kerne (mit gro-
ßem Abstand zur Senderfrequenz) ist das effektiv anlie-
gende Magnetfeld Beff nicht kolinear mit dem B1-­Feld
wie im resonanten Fall. Folglich nimmt der Drehwinkel
für nichtresonante Kerne mit zunehmenden Abstand 21.1.2 Eindimensionale NMR-
zur Senderfrequenz ab. Die Projektion der transversalen Spektroskopie
Magnetisierung auf die y-Achse hängt aber vom Sinus
des Drehwinkels ab. So ist z.  B. selbst für einen Dreh- 21.1.2.1  Das 1D-Experiment
winkel von 80° für nichtresonante Kerne die Projektion Mit diesen theoretischen Grundlagen sind wir nun in der
98,5 % des für den on-resonanten Fall erwarteten Wer- Lage, die einfachste Form der NMR-Spektroskopie zu
tes, ein weiterhin guter Wert für die NMR-­Spektroskopie. verstehen: das eindimensionale (1D-)NMR-­Experiment
Nach dem Anregungspuls präzedieren die verschie- (. Abb. 21.6). Jedes 1D-NMR-Experiment besteht aus

denen Kerne mit ihren unterschiedlichen Larmor-­ den zwei Abschnitten Präparation und Detektion. Wäh-
Frequenzen um die z-Achse. Entsprechend den Max- rend der Präparation wird das Spinsystem in einen defi-
496 M. Zweckstetter et al.

90° x zz Chemische Verschiebung 


t1
In einem Molekül erzeugen die den Kern umgebenden
FID Elektronen ihrerseits ein schwaches Magnetfeld und
schirmen den Kern geringfügig vom Hauptfeld ab. Diese
Abschirmung hängt von der spezifischen chemischen
Präparation Detektion Umgebung (d. h. der Struktur des Moleküls) ab und be-
einflusst die Larmor-Frequenzen der Atomkerne. Dieser
..      Abb. 21.6  Schematische Darstellung der Pulssequenz eines ein- Effekt wird als chemische Verschiebung bezeichnet und
dimensionalen (1D-)NMR-Experiments. Ein 1D-Experiment be- ist einer der grundlegenden Parameter der NMR-Spekt-
steht aus den beiden Abschnitten Präparation und Detektion. Im
einfachsten Fall ist die Präparation ein einzelner 90°-Puls, hier dar-
roskopie, da durch ihn die verschiedenen Positionen der
gestellt durch einen schwarzen Balken. Direkt anschließend wird einzelnen Signale in einem NMR-­Spektrum bestimmt
während der Detektion die Antwort des Spinsystems (FID) auf die- werden. Der Wert der chemischen Verschiebung δ eines
sen Puls registriert Signals in ppm (parts per million) ist wie folgt definiert:

nierten Zustand gebracht. Die „Antwort“ hierauf wird ωSignal − ωReferenz


während der Detektionszeit registriert. δ= ⋅ 106 ppm (21.11)
ωReferenz
Die Präparation des Spinsystems besteht im ein-
fachsten Fall aus einem kurzen (≈10 μs) Anregungspuls,
der aufgrund seiner hohen Radiofrequenzleistung die Die Frequenzen werden in ppm statt in Hertz angege-
longitudinale Magnetisierung um 90° dreht und somit ben, da erstere Einheit unabhängig von der Magnetfeld-
transversale Magnetisierung erzeugt (vgl. . Abb. 21.4).

stärke ist. Die übliche Standardfrequenz ωReferenz, auf die
Der anschließende FID wird während der Detektions- die chemische Verschiebung bezogen wird, ist das Signal
zeit registriert und abgespeichert. Das Experiment kann der Methylgruppen von Tetramethylsilan (TMS), dessen
nach einer Wartezeit (dem Recovery Delay), in der die chemische Verschiebung als 0  ppm definiert wird. Für
Magnetisierung durch T1-Relaxation wieder zu ihrem wässrige Lösungen von Proteinen und Nucleinsäuren ist
Gleichgewichtswert zurückkehrt, beliebig oft wiederholt das Methylsignal von 2,2-Dimethyl-2-silapentan-5-­
werden. Die einzelnen Daten werden anschließend auf- sulfonsäure (DSS) oder Trimethylsilyl-­propansulfonsäure
addiert, um das Signal-Rausch-Verhältnis der Messung (TSP) der bevorzugte Standard.
zu erhöhen. Durch Multiplikation der FID-Daten mit Nach allgemeiner Konvention wird die chemische
einer Fensterfunktion kann entweder die Empfindlich- Verschiebung auf der Abszisse eines NMR-Spektrums
keit oder die Auflösung des Spektrums betont werden. von rechts nach links aufgetragen. Man trifft häufig
Außerdem werden dadurch Artefakte bei der nachfol- noch auf Ausdrücke wie z. B. „ein Signal erscheint bei
genden Fourier-Transformation, die aus dem FID (Zeit- hohem Feld“ (bei niedrigen ppm-Werten) oder „Tief-
domäne) das Spektrum (Frequenzdomäne) erzeugt, ver- feldverschiebung“ (Verschiebung eines Signals zu hö-
mieden. heren ppm-Werten). Diese „historischen“ Ausdrücke
stammen noch aus Zeiten, als NMR-Spektren bei kon-
21.1.2.2  Spektrale Parameter stanter Senderfrequenz durch Variation des Magnet-
Wir werden nachfolgend die verschiedenen spektralen feldes aufgenommen wurden (Continuous-Wave-Me-
Parameter (chemische Verschiebung, skalare Kopplung thode).
und Linienbreite) anhand des einfachen 1D-NMR-­ Die Position eines Signals im Spektrum liefert we-
Spektrums von Ethanol erläutern (. Abb. 21.7). Es be-

sentliche Informationen über Herkunft des jeweiligen
steht aus drei Signalen (oder Peaks), die von den Me- Signals. Viele chemische und funktionelle Gruppen wei-
thylprotonen (CH3), den Methylenprotonen (CH2) und sen unterschiedliche chemische Verschiebungen auf
dem Hydroxylproton (OH) stammen. Da die Protonen (. Abb.  21.8),
  z.  B. unterscheidet sich die chemische
der CH3-Gruppe sowie die der CH2-Gruppe untereinan- Verschiebung der Hydroxylgruppe in Ethanol von der
der jeweils äquivalent sind, zeigen sie nur je ein Signal. der Methylgruppe (. Abb.  21.7). In Proteinen kann

man so die Signale von HN-, Hα-, Aromaten- und Ali-


Diese beiden Peaks erscheinen als sog. Multipletts, da
ihre Signale durch skalare Kopplung in mehrere Linien phatenprotonen alleine an ihrer chemischen Verschie-
21 aufgespalten sind. Das Integral über das jeweilige Mul- bung unterscheiden. Zusätzlich enthält die chemische
tiplett ergibt die Anzahl der Protonen, die dieses Signal Verschiebung einiger Resonanzen in Proteinen Informa-
verursachen. Man erhält für Ethanol ein Verhältnis der tionen über die Sekundärstruktur des Proteins, die in
Integrale von 3:2:1, entsprechend der Anzahl der zum den frühen Stadien der Strukturaufklärung wertvoll
jeweiligen Signal beitragenden Protonen. sind (7 Abschn. 21.1.6).  
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
497 21

Ethanol

H H

H C C O H
CH3
H H

CH2

OH

11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
ppm

..      Abb.  21.7 Eindimensionales 1H-NMR-Spektrum von Ethanol. Hydroxylproton tauscht schnell mit den Hydroxylprotonen anderer
Das Signal der CH2-Gruppe ist in vier Linien mit einem Intensitäts- Ethanolmoleküle aus. Sein Signal bei 2,6 ppm ist daher deutlich brei-
verhältnis 1:3:3:1 aufgespalten (Quartett), das der CH3-Gruppe in ter als das der anderen Protonen. Außerdem wird es aus demselben
drei Linien mit Intensitäten 3:6:3 (Triplett). Man erhält ein Verhält- Grund nicht durch Kopplung mit der CH2-Gruppe aufgespalten und
nis der Intensitäten (= Integrale der Signale) von CH2- und CH3-Sig- trägt auch nicht zur weiteren Aufspaltung des Signals der CH2-Pro-
nalen von 2:3 entsprechend der Anzahl an Wasserstoffatomen. Das tonen bei

Phenol-OH HO
Alkohol-OH C OH
Thioalkohol-SH C SH
Amin-NH2 C NH2
Carbonsäure-OH HO C
O H H
Aldehyd H C
O
Heteroaromat H
N N

Aren H

Alken HC

CH2

Alkohol H C O

O CH2

O CH3

Alkin C CH
X–CH3 N CH3

S CH3

–CH2– C CH2
O CH2

C CH3
O
H3C C

X C CH3
H H
Cyclopropyl

M–CH3 (M = Li, Al, Si, Ge...)

(ppm) 10 5 0

..      Abb. 21.8  A Typische Werte der 1H-chemischen Verschiebung für verschiedene chemische Gruppen. (Nach Bruker 1993). B Typische
Werte der chemischen Verschiebung für die Protonensignale der einzelnen Aminosäuren in Proteinen. (Nach Wishart et al. 1991)
498 M. Zweckstetter et al.

ppm
B
6 5 4 3 2 1 0

Ala A

Cys C

Asp D

Glu E

Phe F

Gly G

His H

Ile I

Lys K

Leu L

Met M

Asn N

Pro P

Gln Q

Arg R

Ser S

Thr T

21 Val V

Trp W

Tyr Y

..      Abb. 21.8 (Fortsetzung)
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
499 21
zz Skalare Kopplung  wA
Die Signale der CH2- und der CH3-Gruppe im 1D-­
Spektrum von Ethanol (. Abb.  21.7) sind zu Multi-

pletts aufgespalten. Diese Signalaufspaltung kommt


durch die skalare Kopplung (oder auch indirekte Kopp-
lung) zwischen den Protonen zustande, die durch die
Elektronen der Atombindungen zwischen den Kernen
JAX
vermittelt wird. Neben dem Kern-Overhauser-Effekt
(NOE) ist die skalare Kopplung der wichtigste Mecha-
nismus in der mehrdimensionalen NMR-Spektroskopie
(7 Abschn. 21.1.3), mit dem Magnetisierung zwischen

den Kernen übertragen wird.


Die Aufspaltung der Linien erfolgt aufgrund der unter-
schiedlichen Ausrichtung eines Spins ½ zum externen mag- JAX JAX
netischen Feld. Jedes der beiden Protonen der CH2-Gruppe
kann sich parallel oder antiparallel zum äußeren Magnet-
feld einstellen, was zwei verschiedenen magnetischen Quan-
tenzahlen m entspricht. Die Protonen der CH3-Gruppe, die
mit den Protonen der CH2-Gruppe skalar gekoppelt sind,
„spüren“ vier verschiedene Einstellmöglichkeiten der bei-
den Spins (↑↑, ↑↓, ↓↑ und ↓↓). Die Einstellungen ↑↑ und ↓↓ ..      Abb. 21.9  Entstehung eines Tripletts durch Aufspaltung des Reso-
führen zu leichten Verstärkungen bzw. Abschwächungen nanzsignals des A-Kernes in einem AX2-Spinsystem (ein Kern A kop-
des äußeren Magnetfeldes, wodurch sich die Resonanzfre- pelt mit zwei identischen Kernen X). Jeder der beiden X-Kerne kann
quenz der CH3-Gruppe verschiebt. Es ergeben sich zwei sich parallel oder antiparallel zum äußeren Magnetfeld einstellen. Da-
mit sind insgesamt vier Einstellungen möglich. Eine parallele Einstel-
Linien, die symmetrisch links und rechts von der eigentli-
lung führt zu einer Verstärkung, eine antiparallele Einstellung zu einer
chen Resonanzfrequenz der CH3-Protonen liegen. Die Ein- Abschwächung des äußeren Magnetfelds. Daher ist die Linie der
stellungen ↑↓ und ↓↑ sind äquivalent, außerdem kompen- ↑↑-Einstellung hochfeldverschoben und die der ↓↓-Einstellung tief-
sieren sich Verstärkung und Abschwächung des Hauptfeldes feldverschoben. Die Einstellungen ↑↓ und ↓↑ sind nicht unterscheid-
hierin, sodass eine nichtverschobene Linie mit doppelter bar und erscheinen bei der ursprünglichen Resonanzfrequenz. Die
einzelnen Linien des Tripletts haben die Intensitäten 1:2:1
Höhe resultiert. Das Aufspaltungsmuster dieser Gruppe
wird als Triplett bezeichnet.
0-7

Wenn zwei Kerne mit den Spinquantenzahlen I und S H 130 H


0-6

miteinander koppeln, dann ist die Resonanz von I in C 4-6 2-12 H O


2S+1 Linien aufgespalten und das Signal von S in 35 143 H

2I+1 Linien. Wenn der Kopplungspartner von S meh- C 7 N 11 C


15
rere identische I-Kerne sind, dann spaltet die S-Reso- N 55 C C 4-7 N
5,5
nanz in 2nI+1 Linien auf, wobei n die Anzahl der iden- H 93
H O C 2-6 H
tischen Kopplungspartner ist (und entsprechend
H H
umgekehrt).
..      Abb. 21.10  Typische Werte verschiedener Kopplungskonstan-
ten (in Hz) im Proteinrückgrat. Es sind nur Kopplungskonstanten
Die Intensität dieser Linien bestimmt sich aus der An- berücksichtigt, die größer als etwa 4 Hz sind. Die C–C- C–H, N–H
zahl an individuellen Spinkombinationen, die einem be- oder C–N- Kopplungskonstanten sind schwarz markiert. Gestri-
stimmten Wert des Gesamtspins entsprechen, und folgt chelte Linien verbinden die zugehörigen Atome für indirekte
daher einer Binomialverteilung, die im Pascal’schen C–N- (schwarz), C–H- oder H–H-Kopplungen (rot). (Nach Bys-
trov 1976)
Dreieck veranschaulicht werden kann. In Ethanol kop-
peln zwei CH2-Protonen (zwei I-Kerne) mit drei CH3-­
Protonen (drei S-Kerne). Daher ist das Signal der Me- Die Distanz der Linien (in Hz) in einem Multiplett
1 entspricht der Kopplungskonstante J. Sie ist von der ver-
thylgruppe in 2 ⋅ 2 ⋅ + 1 = 3 Linien (Triplett) und das der wendeten Magnetfeldstärke unabhängig. In der Regel
2
1 sind nur Kopplungen über eine Bindung (1J), zwei Bin-
Methylengruppe in 2 ⋅ 3 ⋅ + 1 = 4 Linien (Quartett) auf-
2 dungen (2J, geminale Kopplung) und drei Bindungen
gespalten. Die Linien des Tripletts haben eine Intensität (3J, vicinale Kopplung) zu beobachten (. Abb. 21.10).  

von 1:2:1, die des Quartetts von 1:3:3:1 (. Abb. 21.9).


  Ein wichtiger Aspekt von vicinalen Kopplungskonstan-
500 M. Zweckstetter et al.

ten ist, dass ihre Stärke vom Torsionswinkel zwischen 21.1.3 Zweidimensionale NMR-­
den beiden Protonen abhängt. Diese Abhängigkeit wird Spektroskopie
durch die semiempirische Karplus-Beziehung beschrie-
ben (. Abb. 21.11):

21.1.3.1  Aufbau eines 2D-Spektrums
Die Interpretation eines 1D-Spektrums wird für kom-
J (φ ) = A cos 2 (φ − 60 ) − B cos (φ − 60 ) + C (21.12)
plexere Moleküle aufgrund der Überlagerung verschie-
dener Signale zunehmend schwierig (. Abb. 21.12). Die  

wobei A, B und C empirisch bestimmte Konstanten Überlagerungen können jedoch durch die Einführung
darstellen, die für jeden Typ von Torsionswinkel (z. B. weiterer spektraler Dimensionen aufgelöst werden. Dies
ϕ-, Ψ- und χ-Winkel in Proteinen) verschieden sind. In soll am Beispiel eines 2D-Experiments verdeutlicht wer-
der Proteinstrukturbestimmung nutzt man die in der den (. Abb. 21.13). Zu den von der 1D-Aufnahme be-

3J(HN-Hα)-Kopplungskonstante enthaltende Informa-
kannten Bausteinen Präparation und Datenakquisition
tion über die Molekülgeometrie, um den Torsionswin- kommen zwei neue Bausteine hinzu: eine indirekte Evo-
kel ϕ des Proteinrückgrats (HN-N-Cα-Hα) einzugren- lutionszeit t1 sowie eine Mischsequenz (die aus Pulsen
zen. und Wartezeiten bestehen kann).
Nach der Präparation präzedieren die Spins frei
zz Linienbreite  während einer festen Zeit t1. In dieser Zeit wird die
Die Linienbreiten von NMR-Signalen liefern direkte Magnetisierung mit der chemischen Verschiebung des
Informationen über die Lebensdauer der zugehörigen ersten Kernes „markiert“. Durch die Mischsequenz
Resonanzen. Je länger die Lebensdauer einer Reso- wird anschließend der Zustand der Magnetisierung am
nanz ist, desto schmäler ist die Linienbreite des Signals Ende von t1 abgefragt und zudem Magnetisierung vom
(und umgekehrt für kurze Lebensdauern). Die Lebens- ersten Kern auf einen anderen übertragen. Die Misch-
dauer einer Resonanz wird maßgeblich durch T2-Re- sequenzen nutzen im Wesentlichen zwei verschiedene
laxation und chemische Austauschprozesse bestimmt. Mechanismen zum Transfer der Magnetisierung: die
Wie schon weiter oben erwähnt, führen die kurzen skalare Kopplung oder die dipolare Wechselwirkung
T2-­
Relaxationzeitkonstanten von großen Molekülen (7 Abschn.  21.1.3). Die Mischsequenz kann entwe-

(Proteine >50  kDa) zu Linienverbreiterungen und da- der nur aus einem einzigen Puls bestehen, wie im Fall
mit zu Signalen/Peaks von geringer Intensität. Zudem des COSY-­Experiments, oder aus mehreren Pulsen und
verringert chemischer Austausch bei De- und Reproto- Wartezeiten für komplexere Experimente. Die Datenak-
nierungen die Lebensdauer einer Protonenresonanz. So quisition (t2-­Zeit, auch direkte Evolutionszeit genannt),
tauscht das Hydroxylproton von Ethanol (. Abb. 21.7)  
in der die Magnetisierung mit der chemischen Verschie-
z. B. mit anderen Protonen des Lösungsmittels (in die- bung des zweiten Kerns „markiert“ wird, schließt das
sem Fall andere Ethanolmoleküle) aus und besitzt daher Experiment ab.
eine breitere Linie.

A 10 B
9
Hi 3J H N-H a-
3J H N-H a-Kopplung (in Hz)

8
Kopplung
7 b -Falt- a -Helix R Ha
6 blatt
Torsions-
5 winkel f
4
CO i
CO i –1
3
2 Aufsicht auf die C a -N-Achse
eines Proteins

–180 –120 –60 0 60 120 180


Torsionswinkel f (in Grad)

21 Karplus-Beziehung: J(f) = 8,0 cos2 (f – 60) – 1,3 cos (f – 60) + 0,6

..      Abb.  21.11  Zusammenhang zwischen der 3J(HN-Hα) Kopp- 3J(HN-Hα)-Kopplungskonstanten, wie man sie in den regulären Se-
lungskonstante und dem ϕ-Winkel (Karplus-Beziehung). A In dieser kundärstrukturen α-Helix und β-Faltblatt misst. B Der Index i in der
Darstellung ist der Torsionswinkel zwischen COi und COi-1 gegen die rechts abgebildeten Newman-Projektion der Peptidbindung entlang
Kopplungskonstante 3J(HN-Hα) aufgetragen. An der Kurve kann der Cα-N-Achse bezeichnet jeweils die Stellung der Aminosäuren zu-
man erkennen, dass für eine gegebene Kopplungskonstante mindes- einander in der Sequenz. (Koeffizienten der Karplus-­Beziehung aus
tens zwei Winkel existieren. Pfeile markieren typische Werte für Vögeli et al. 2007)
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
501 21

11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 –1 ppm

..      Abb.  21.12  1D-1H-NMR-Spektrum eines 14  kDa β-Faltblatt-­ 7,5 und 6,5 ppm liegen die Aromatenprotonen, gefolgt von den Sig-
Proteins mit Immunglobulin-Faltung bei 30°C. Die charakteristische nalen der Hα-Protonen zwischen 5,5 und 3,5 ppm. Rechts davon (<
chemische Verschiebung für jeden Protonentyp erleichtert ihre Er- 3,5 ppm) liegen die Signale der aliphatischen Seitenketten sowie die
kennung in den verschieden spektralen Bereichen. Ganz links bei sehr intensiven Signale der Methylgruppen (zwischen 2 und
etwa 11 ppm erscheinen die Resonanzen der Tryptophanindolproto- −0,5 ppm). Das Protein wurde in 9:1 H2O/D2O, pH 7,0 gelöst. Das
nen. Die Signale von 10–6 ppm stammen von den Amidprotonen des Wassersignal wurde im Experiment unterdrückt und zusätzlich bei
Proteinrückgrats und den Seitenketten von Asn und Gln. Zwischen der Prozessierung minimiert

90°y
t1
90°y
t2 c). Durch eine weitere Fourier-­ Transformation entlang
der t1-Richtung entsteht das endgültige 2D-Spektrum
FID
(. Abb. 21.14d, links). Es wird üblicherweise als Höhen-

liniendiagramm dargestellt (. Abb.  21.14d, rechts). Die


Projektionen dieses 2D-­Spektrums auf die beiden Fre-


quenzachsen ergeben das übliche 1D-Spektrum.
Präparation Evolution Mischzeit Detektion Das Aussehen eines solchen 2D-Spektrums hängt
davon ab, welche Frequenzen während t1 und t2 aufge-
..      Abb.  21.13  Schematische Darstellung eines zweidimensionalen nommen wurden. In einem heteronuclearen 2D-­
NMR-Experiments am Beispiel der COSY-Pulssequenz. Zur Präpa-
Spektrum werden zwei verschiedene Kernsorten in den
ration und Detektion kommen die beiden Phasen Evolution und
Mischzeit hinzu. Während der Mischzeit werden die Korrelationen beiden Frequenzrichtungen detektiert, wohingegen im
zwischen miteinander wechselwirkenden Spins hergestellt, im Falle homonuclearen Fall dieselbe Kernsorte in den beiden
des COSY-Experiments durch einen einzigen 90°-Puls. Während der Frequenzrichtungen gemessen wird. Daher ist das ho-
Evolution und der Detektion entwickelt sich das System entlang der monucleare 2D-Spektrum symmetrisch mit einer Dia-
Zeiten t1 bzw. t2
gonale quer durch das Spektrum(. Abb.  21.15). Alle

weiteren Signale symmetrisch zu dieser Diagonalen wer-


Nach Fourier-Transformation in der t2-Richtung er- den Kreuzsignale genannt.
hält man somit ein gewöhnliches eindimensionales Spek- Die Diagonale entsteht durch Anteile der Magneti-
trum, das eine Momentaufnahme bei gegebener Zeit t1 sierung, die sich nach der Mischzeit auf demselben
darstellt. Nimmt man nun verschiedene Einzelexperi- Spin wie zuvor befinden (gleiche Frequenz ω1, ω2 in bei-
mente auf, wobei jeweils nur die indirekte Zeit t1 um einen den Dimensionen), d.  h. durch Anteile, die während
festen Betrag Δt1 erhöht wird (. Abb.  21.14a), so kann
  beider Evolutionszeiten auf demselben Kern waren.
die zeitliche Entwicklung des Spinsystems während dieser Daher entspricht die Diagonale ebenfalls einem ge-
indirekten Zeit durch die Abfolge der Momentaufnahmen wöhnlichen 1D-Spektrum. Im Gegensatz dazu ver-
analog zu einem Film dargestellt werden (. Abb. 21.14b,   knüpfen Kreuzsignale die Signale von zwei Kernen, die
502 M. Zweckstetter et al.

..      Abb. 21.14  Entstehung eines


2D-NMR-Spektrums durch zweidimen-
A
sionale Fourier-Transformation aus den
Messdaten. A Zwischen den aufeinander
folgenden 1D-Experimenten eines
2D-­Experiments wird jeweils die t1-Zeit
inkrementiert. Dadurch wird die
indirekte Zeitdomäne schrittweise
abgetastet. (Nach Cavanagh et al. 1996)
B Nach Fourier-Transformation in t2
entsteht eine Serie eindimensionaler
Spektren, die in t1 moduliert sind. C
Schnitt durch die Daten aus B parallel
zu t1 durch die jeweiligen Maxima der
Signale. Dies ist einfach ein FID in der
indirekten Zeitdimension. D Nach
Fourier-­Transformation auch der
indirekten Dimension (t1) entsteht eine
zweidimensionale Absorptionslinie,
links in dreidimensionaler Darstellung,
rechts in Aufsicht in der gebräuchliche- B
ren Darstellung als Konturplot mit
Höhenliniendiagramm. (B–D nach
Derome 1989)

21
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
503 21
21.1.3.2  Das COSY-Spektrum
Im COSY-Experiment (Correlation Spectroscopy, Kor-
relationsspektroskopie) erfolgt der Magnetisierungs-
transfer durch skalare Kopplung. Nur für Protonen,
die im Protein durch zwei (2J) oder drei Bindungen
w1
(3J) miteinander verknüpft sind, entstehen Kreuzsig-
nale (. Abb. 21.16). Protonen, die über 4J und höhere

X A wA Kopplungen verknüpft sind, führen zu keinem Kreuz-


signal, da die Kopplungskonstanten für aliphatische
Verbindungen nahezu null sind. Von besonderer Be-
deutung für die Strukturaufklärung sind die 3J(HN-
Hα)-Kopplungskonstanten, aufgrund der über die
Karplus-­Beziehung beschriebenen Abhängigkeit der
Kopplungskonstante vom Torsionswinkel ϕ des Prote-
inrückgrats (s. . Abb. 21.11).

B X wB
21.1.3.3  Das TOCSY-Spektrum
Im TOCSY-Experiment (Total Correlation Spectro-
scopy, vollständige Korrelationsspektroskopie) wird die
wB wA w2 Magnetisierung durch einen mehrstufigen Transfer über
skalare J-Kopplung auf das gesamte Spinsystem einer
..      Abb.  21.15  Schematische Darstellung eines homonuclearen Aminosäure verteilt, d. h. das TOCSY-Experiment kor-
2D-NMR-Spektrums für zwei miteinander wechselwirkende Spins A
und B. A bzw. B kennzeichnen die Diagonalsignale beider Spins, die
reliert alle Protonen eines Spinsystems, also einer Ami-
in beiden Dimensionen jeweils bei derselben Frequenz erscheinen, X nosäure, miteinander. Daher erhält man im Spektrum
kennzeichnet die Kreuzsignale zwischen den Spins, die bei verschie- für jede Aminosäure ein charakteristisches Signalmus-
denen Frequenzen in jeder Dimension erscheinen. Die Kreuzsignale ter, das dem Spinsystem dieser Aminosäure entspricht.
stammen vom Magnetisierungstransfer zwischen den beiden Spins A Anhand dieser Signalmuster lassen sich die Aminosäu-
und B während der Mischzeit des Experimentes. Die Diagonalsig-
nale stammen von Anteilen der Magnetisierung, die sich nach der
ren identifizieren. Sie bestehen aus mehreren parallel
Mischzeit auf demselben Spin wie zuvor befindet. Die Projektionen verlaufenden vertikalen Signalreihen, die die intraresi-
des Spektrums auf die beiden Achsen sowie die Diagonale entspre- dualen Wechselwirkungen der Protonenpaare Hα(i)-
chen dem gewöhnlichen 1D-1H-Spektrum HN(i), Hβ(i)-HN(i), Hγ(i)-HN(i), Hδ(i)-HN(i) usw. wieder-
geben (. Abb.  21.16). Es können jedoch nicht alle

Magnetisierung während der Mischsequenz ausge- Aminosäuren durch ihr Signalmuster eindeutig identifi-
tauscht haben (Kern A mit der Frequenz ωA und Kern ziert werden, da z. B. alle Aminosäuren mit einer CH2-
B mit der Frequenz ωB), d. h. sie zeigen eine Wechsel- Gruppe als Seitenkettenspinsystem, wie Ser, Cys, Asp,
wirkung dieser beiden Kerne miteinander an. Damit Asn, His, Trp, Phe und Tyr, ähnliche Muster aufweisen.
enthalten die Kreuzsignale die eigentlich wichtige In-
formation eines 2D-Spektrums. 21.1.3.4  Das NOESY-Spektrum
Für die NMR-Spektroskopie an Proteinen bis zu ei- Für die Strukturbestimmung entscheidend ist das
nem Molekulargewicht von etwa 10 kDa haben sich im ­NOESY-Experiment (Nuclear Overhauser and Exchange
Prinzip drei 2D-Experimente als wesentlich herauskris- Spectroscopy, Spektroskopie mit Nuclear-Overhauser-­
tallisiert: 2D-COSY, 2D-TOCSY und 2D-NOESY (so- Effekt und Austausch), da es Abstandsinformationen
wie das dem NOESY vergleichbare 2D-ROESY-Experi- zwischen einzelnen Kernspins liefert. Die Korrelationen
ment). Das COSY- und das TOCSY-­ Experiment werden durch dipolare Wechselwirkungen zwischen den
erlauben die Zuordnung der individuellen Protonenre- Kernspins, den Nuclear-Overhauser-Effekt, hervorgeru-
sonanzen zu den jeweiligen Aminosäuren im Protein, fen. Der NOE wirkt durch den Raum, und seine Stärke
wohingegen das NOESY-Experiment die notwendigen ist in erster Näherung proportional zu 1/r6, wobei r der
Informationen (d. h. die Abstände zwischen den Proto- Abstand zwischen den beteiligten Kernen ist. Da die
nen) zur Berechnung der dreidimensionalen Struktur Korrelation zweier Protonen von ihrem räumlichen Ab-
liefert. stand abhängig ist, beobachtet man einen Magnetisie-
504 M. Zweckstetter et al.

nimmt mit der Größe des Proteins überproportional zu


g und führt zu Signalüberlagerungen (vor allem in den Be-
b reichen der Spektren für aliphatische Protonen), die eine
eindeutige Zuordnung außerordentlich erschweren.
a Weiterhin verkürzen sich die ­transversalen Relaxations-
zeitkonstanten (T2) durch die langsame Bewegung des
Moleküls, sodass es zu einer Verbreiterung der Signale
kommt. Dies verstärkt die Signalüberlagerungen zusätz-
lich. Zudem beeinflussen die verkürzten T2-Relaxations-
zeiten den auf skalarer Spinkopplung basierenden Trans-
g g
fer von transversaler Magnetisierung, welcher z.  B. im
b COSY- und TOCSY-­Experiment verwendet wird. Die
transversale Magnetisierung dephasiert durch T2-Rela-
g xation während des Magnetisierungstransfers – d. h. das
zu messende Signal klingt bereits im Verlauf der Puls-
b
sequenz ab und mindert dadurch die Empfindlichkeit
a
des Experiments.
Bei größeren Proteinen (>15  kDa) eignen sich auf-
grund der oben genannten Gründe die 2D-TOCSY- und
COSY-Spektren nicht mehr zur Identifikation der Spin-
systeme. Auch die auf NOE-Kontakten basierende se-
quenzspezifische Zuordnung (7 Abschn.  21.1.5) ist in

größeren Proteinen wegen der Überlappung der Signale


schwierig. Der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme
..      Abb. 21.16  Typisches Signalmuster der Aminosäure Valin in ei- liegt in der die Anwendung heteronuclearer NMR-­
nem 2D-TOCSY-Spektrum (schwarze Kreise, oberes Schema) und Experimente sowie der mehrdimensionalen (3D- bis
einem 2D-COSY-Spektrum (rote Kreise, unteres Schema). Die un-
7D-) NMR-Spektroskopie.
terhalb der Diagonalen liegenden intraresidualen Signale des
TOCSY-­Spektrums sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht
eingezeichnet. Bei Überlagerung der beiden Spektren ist deutlich zu 21.1.3.6  Heteronucleare NMR-Experimente
erkennen, dass die Signale des 2D-COSY-Spektrums auch im Neben Wasserstoff enthält ein Protein noch andere ma-
2D-TOCSY-Spektrum vorhanden sind. Die Peaks im COSY-Spek- gnetisch aktive Kerne (die sog. Heterokerne), von denen
trum stammen ausschließlich von Protonen, die drei Bindungen von-
insbesondere die magnetisch aktiven Isotope des Koh-
einander entfernt sind. Links ist die Strukturformel eines Valinrestes
mit der in der NMR-Spektroskopie üblichen Benennung der Proto- lenstoffs (13C) und Stickstoffs (15N) für die Strukturauf-
nen gezeigt klärung mittels NMR-Spektroskopie wichtig sind. Da
13C und 15N jedoch nur in geringen natürlichen Häufig-

rungsübertrag zwischen zwei Kernen in der Regel nur keiten auftreten und zudem ein kleineres gyromagneti-
dann, wenn diese weniger als etwa 5 Å voneinander ent- sches Verhältnis haben (. Tab.  21.1), ist ihre relative

fernt sind. Daher sieht man im NOESY-Spektrum Empfindlichkeit bezogen auf Wasserstoff niedrig. Des-
(. Abb. 21.17) zwischen allen Protonen ein Signal, de-

halb werden im Wesentlichen zwei Strategien angewen-
ren Abstand klein genug ist. Das heißt, es sind auch Pro- det, um die Empfindlichkeit heteronuclearer Experi-
tonen miteinander korreliert, die in der Proteinsequenz mente zu steigern:
weit voneinander entfernt sind, deren Abstand aber auf- 55 Die rekombinante Expression von Proteinen in Bak-
grund der Tertiärstruktur kleiner als 5 Å ist. terien ermöglicht die Anreicherung mit magnetisch
aktiven Isotopen. Dazu werden bei der Proteinex-
21.1.3.5  Homonucleare 2D-NMR-Experimente pression die Bakterien in einem Minimalmedium
von Proteinen: Grenzen der kultiviert, welches als einzige verfügbare Stickstoff-
Anwendung quelle 15NH4Cl enthält. Bei der Markierung mit
Bei NMR-spektroskopischen Untersuchungen größerer Kohlenstoff wird 13C-Glucose als ausschließliche
21 Proteine (>10  kDa) treten vielfach Probleme auf, die Kohlenstoffquelle verwendet. Auf diese Weise kön-
eine detaillierte Analyse der Struktur erheblich erschwe- nen einfach markierte Proben (15N oder 13C) bzw.
ren. Die Anzahl der Signale in den 2D-1H-­Spektren auch doppelt 15N/13C-markierte Proben hergestellt
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
505 21
..      Abb. 21.17  A Typisches 2D-NOESY-Spek- A
trum eines 115 Aminosäuren langen Proteins.
Das sehr starke Wassersignal in der Mitte des
Spektrums wurde während der Fourier-Trans-
formation entfernt. Die verschiedenen spektra-
len Regionen dieses Spektrums sind in B
schematisch als rote Rechtecke dargestellt. Die
in den betreffenden Regionen beobachtbaren
NOE-Signale sind jeweils innerhalb der
Rechtecke angegeben. Die Wasserlinie ist als
hellblaues Rechteck dargestellt

a a a a

werden. Verwendet man als Lösungsmittel für die Detektion der Heterokerne ist verglichen mit Proto-
Kulturmedien D2O statt H2O, können zudem deute- nen ungünstig. Deshalb verwendet man vorzugs-
rierte Proteine produziert werden, in welchen ein weise Experimente, die die große Magnetisierung
Großteil der Seitenkettenprotonen durch Deuterium eines Protons praktisch verlustfrei auf einen daran
ersetzt worden sind. gebundenen Heterokern übertragen (und umge-
55 Das Signal-Rausch-Verhältnis eines NMR-­ kehrt), wodurch ein optimales Signal-­ Rausch-­
Experiments hängt von den gyromagnetischen Ver- Verhältnis erreicht werden kann. Derartige Experi-
hältnissen des angeregten und des detektierten Ker- mente werden als inverse heteronucleare Experimente
nes ab. Das heißt, die direkte Anregung und bezeichnet.
506 M. Zweckstetter et al.

21.1.3.7  HSQC – heteronucleare sionalen NMR-Experimenten. So kann ein dreidimen-


Einquantenkohärenz sionales NMR-Spektrum aus einem zweidimensionalen
Das HSQC-Experiment (Heteronuclear Single Quantum Experiment (. Abb.  21.13) konstruiert werden, indem

Coherence, heteronucleare Einquantenkohärenz) ist das nach der ersten Mischperiode statt der Akquisition
wichtigste Experiment, das den Übertrag von Magneti- eine weitere indirekte Evolutionszeit, gefolgt von einer
sierung auf einen Heterokern und wieder zurück ermög- zweiten Mischperiode, eingefügt wird (. Abb.  21.20).

licht (. Abb.  21.18). Das HSQC verknüpft die Fre- Im vierdimensionalen Experiment folgen eine dritte

quenz (ω1) eines Heterokerns (13C oder 15N) mit der des indirekte Zeit und eine weitere Mischsequenz. Die ver-
direkt gebundenen Protons (ω2). Zum Beispiel stellt je- schiedenen indirekten Zeiten werden einzeln inkremen-
der Peak in einem zweidimensionalem 1H/15N-HSQC tiert. Am Ende eines mehrdimensionalen NMR-Ex-
ein Proton mit einem gebundenen Stickstoffkern dar, periments steht die direkte Datenakquisition. Es gibt
d. h. das Spektrum beinhaltet die Resonanzen der HN-­ 3D-­Experimente, die aus einer Verknüpfung von zwei
N-­ Paare des Proteinrückgrats. Zusätzlich finden sich 2D-Experimenten bestehen, und die Tripelresonanz-
Kreuzsignale von den aromatischen, stickstoffgebunde- experimente, bei denen die chemischen Verschiebungen
1 13 15
nen Protonen der Seitenketten von Trp und His bzw. dreier verschiedener Kerne ( H, C, N) gemessen wer-
von den Amidgruppen der Seitenketten von Asn und den. Wir beginnen unsere Diskussion mit den aus zwei
Gln (. Abb.  21.19). Im letzteren Falle entstehen zwei 2D-Experimenten bestehenden Pulssequenzen, da sie

Peaks mit der gleichen Stickstofffrequenz, da zwei konzeptionell etwas einfacher sind.
Amidprotonen an denselben Stickstoffkern der Seiten-
kette gebunden sind. Unter günstigen Bedingungen sind 21.1.4.1  NOESY-HSQC- und TOCSY-HSQC-­
zusätzlich die stickstoffgebundenen Protonen von Arg Experiment
und Lys sichtbar. Der Vorteil der zusätzlichen Stick-
Wie bereits erwähnt, begrenzt die Überlappung von Sig-
stoffdimension im HSQC-Experiment ist die Auflösung
nalen die Anwendung von zweidimensionalen Spektren,
der Amidprotonenresonanzen, welche in den 1D- und
z. B. NOESY oder TOCSY, für große Proteine. Die Ein-
homonuclearen 2D-Spektren von großen Proteinen
führung einer dritten Dimension führt zu einer Auflö-
häufig überlappen. Verglichen mit einem homonuclea-
sung der Überlagerung, weil sich die Signale in einem
ren Spektrum hat das HSQC natürlich keine Diagonale,
Quader anstatt auf einer Fläche verteilen. In der Regel
da während der t1- und der t2-Zeit verschiedene Kerne
fungiert eine heteronucleare Koordinate wie 15N oder
gemessen werden. Analoge Experimente lassen sich für 13
13C und 1H durchführen (1H/13C-HSQC). C als dritte (senkrechte) Dimension dieses Quaders, da
der durch diese Kerne ermöglichte, größere Frequenz-
bereich zu einer besseren Signalauflösung als die Ver-
wendung einer weiteren Protondimension führt.
21.1.4 Dreidimensionale ­NMR-­
Wir können ein derartiges 3D-Spektrum konstruieren,
Spektroskopie indem wir die Pulssequenzen für ein 2D-NOESY und ein
2D-HSQC kombinieren: An das NOESY-­ Experiment
Die Modularität von NMR-Pulssequenzen ermöglicht wird ein HSQC-Experiment angehängt und erst danach
durch die Einführung weiterer Evolutionsperioden und erfolgt die Akquisition. Das entstandene Experiment wird
Mischsequenzen die Erweiterung hin zu mehrdimen- als (15N- oder 13C-)NOESY-HSQC bezeichnet. In ana-
loger Weise kann man aus dem 2D-TOCSY-­Experiment
ein 3D-TOCSY-HSQC entwickeln, indem man das
t t t t 2D-TOCSY- mit dem 2D-HSQC-Experiment verbindet.
t Das 15N-NOESY-HSQC und das 15N-TOCSY-­
HSQC sind für Proteine mittlerer Größe (etwa 10–
t t
15 kDa) die Basis für die sequenzspezifische Zuordnung
der NMR-Signale. Die entsprechenden 13C-­Varianten
..      Abb.  21.18  Pulssequenz des HSQC-Experimentes. Schmale,
der Spektren sind äußerst nützlich für die Zuordnung
schwarze Balken kennzeichnen 90°-Pulse, breite schwarze Rechtecke
180°-Pulse. Die obere Linie gibt die Radiofrequenzpulse auf der der Seitenketten und für die Identifikation von NOE-Sig-
nalen zwischen den Seitenkettenprotonen.
21
1H-Frequenz, die untere die Pulse auf der 15N-Frequenz an
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
507 21

..      Abb.  21.19  HSQC-Spektrum von Severin DS111M bei 32°C der Aminosäuresequenz an). Die Stickstofffrequenz ist auf der
und pH 7,0 mit vollständiger Zuordnung (der Aminosäuretyp ist als x-Achse, die Protonenfrequenz auf der y-Achse eingezeichnet
Einbuchstabencode wiedergegeben; die Nummer gibt die Position in
508 M. Zweckstetter et al.

t1 tm t2 t3
MLEV
FID

Präparation Evolution Mischzeit Evolution Mischzeit Detektion

..      Abb.  21.20 Schematische Darstellung eines 3D-NMR-­ besteht aus zwei Pulsen mit einer Wartezeit (τm) dazwischen, die
Experiments am Beispiel des 3D-NOESY-TOCSY-Experiments. Im Mischperiode des TOCSY-Transferschritts aus einer komplexen Ab-
Vergleich mit dem 2D-Experiment kommen eine weitere Evolutions- folge von kurzen Pulsen, die als MLEV-Mischsequenz bezeichnet
und Mischzeit hinzu. Die Mischperiode des NOESY-Transferschritts wird (nach Malcolm Levitt, der sie entwickelt hat)

21.1.4.2  HCCH-TOCSY- und HCCH-COSY-­ Aminosäurerestes zufällig mit dem eines anderen Restes
Experiment übereinstimmen. Diese sog. „Entartung“ tritt besonders
α
Das HCCH-TOCSY- und HCCH-COSY-Experiment für C -Kerne auf. Das Finden der richtigen Verknüp-
sind Alternativen zum N-TOCSY-HSQC-Experiment, fungen zwischen den Aminosäuren bei derartigen Fre-
15

dessen Empfindlichkeit bei größeren Proteinen stark quenzentartungen ist eines der Hauptprobleme bei der
abnimmt. Im HCCH-TOCSY- und HCCH-COSY-­ sequenziellen Zuordnung mit Tripelresonanzspektren
Experiment wird die Magnetisierung ausschließlich (7 Abschn. 21.1.5). Da Tripelresonanzexperimente drei

durch skalare J-Kopplung zwischen den Atomen über- verschiedene Kerne miteinander korrelieren, benötigt
13 15
tragen. Zuerst findet ein Transfer der Magnetisierung, man für diese Experimente doppelt markierte C/ N-
2 13 15
z. B. des H -Protons auf den C -Kern, statt. Von dort oder dreifach markierte H/ C/ N-Proteine.
α α

wird die Magnetisierung auf den nächsten Kohlenstoff- Ein weiterer Vorteil der Tripelresonanzexperimente
kern der Seitenkette übertragen (im Falle des HCCH- ist ihre hohe Empfindlichkeit, welche auf einem effizien-
TOCSY noch auf weiter entfernte Kohlenstoffatome ten Magnetisierungstransfer basiert: Die Magnetisie-
1 2
der Seitenkette). Da der Wert der 1JCC-Kopplung etwa rung wird durch starke J- bzw. J-Kopplungen (d.  h.
35  Hz beträgt, kann der Mischprozess in wesentlich direkt über die kovalenten Atombindungen) zwischen
kürzerer Zeit als im homonuclearen Fall ablaufen. Die den Kernen übertragen (. Abb.  21.10)  – die für den

Zeitdauer für den Magnetisierungstransfer berech- Transfer notwendigen Zeiten sind daher relativ kurz, so-
net sich als 1/(2J). Nach Transfer der Magnetisierung dass Relaxationsverluste geringer ausfallen als z. B. im
von jedem Kohlenstoffatom auf das direkt gebundene TOCSY-Experiment. Mit zunehmenden Molekularge-
Proton erfolgt schließlich die Datenaufnahme. Damit wicht der Proteine sinkt jedoch auch die Empfindlich-
gleicht das Aussehen eines HCCH-­TOCSY-­Spektrums keit von Tripelresonanzexperimenten, da vor allem die
α α N
generell einem 13C-TOCSY-HSQC-Spektrum (analoges H -Protonen die Relaxation der C und H Kerne durch
gilt für das HCCH-COSY) (. Abb. 21.21). Ähnlich wie dipolare Wechselwirkungen verstärken. Ein Ersetzen

im 2D-TOCSY bzw. 2D-COSY Spektrum ermöglichen der aliphatischen Protonen mittels Proteindeuterierung
charakteristische Signalmuster im HCCH-TOCSY und vermindert diese Form der Relaxation und ermöglicht
HCCH-COSY-­Spektrum die Identifikation des Amino- es, Proteine von 50  kDa und darüber hinaus mittels
säuretyps. NMR-Spektroskopie zu analysieren (7 Abschn. 21.1.7). 

21.1.4.3  Tripelresonanzexperimente Nomenklatur der Tripelresonanzspektren    Es gibt eine


Die Zuordnung des Proteinrückgrates über 3D-NOESY-­ Vielzahl von Tripelresonanzexperimenten, wovon die
HSQC- und 3D-TOCSY-HSQC-Spektren ist bei größe- wichtigsten Vertreter in . Abb.  21.22 gezeigt werden.

ren Proteinen (>15  kDa) durch die Überlappung von Die Nomenklatur zur Benennung der Tripelresonanzex-
Signalen im NOESY-HSQC und das Fehlen von Signa- perimente klingt zwar kryptisch, ist aber äußerst anschau-
len im 3D-TOCSY-HSQC erschwert (7 Abschn. 21.1.5).

lich. Der Name des Experimentes gibt an, welche Kerne
Für die sequenzielle Zuordnung der Resonanzen dieser detektiert werden, den Magnetisierungstransferpfad und
Proteine hat sich daher aufgrund ihrer einfachen Er- das Aussehen des Spektrums. Man listet daher der Reihe
scheinung die Verwendung von Tripelresonanzexperi- nach alle Kerne auf, über die Magnetisierung im Verlauf
21 menten etabliert. Für jede Aminosäure gibt es nur we- des Experiments übertragen wird. Im HNCO-Experi-
nige Signale – oft sogar nur ein Signal. Das Problem der ment z. B. werden drei Kerne (1H, 13C, 15N) mit folgen-
Überlappung von Signalen tritt daher in den Tripelreso- dem Magnetisierungsfluss detektiert: HN(i) → N(i) → Cʹ(i –1)
nanzspektren wesentlich seltener auf. Allerdings kann (. Abb. 21.22). Klammern im Namen des Experiments

für bestimmte Kerne die chemische Verschiebung eines geben Kerne an, die nur als „Zwischenstationen“ dienen
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
509 21

a b1 g b2 d2 d1
d1

a b1 g b2 d2 d1
d2

a b1 b2 d2 d1
g

a b1 g b2 d2 b

a b1 g b2 d2 d1
a

d
..      Abb. 21.21  Ausschnitte aus verschiedenen Ebenen eines HCCH-­ Zuordnung der Signale zu den einzelnen Protonen ist neben dem je-
TOCSY-­Experimentes mit allen Korrelationssignalen der Amino- weiligen Signal angegeben, die Zuordnung zu den entsprechenden
säure L185 von reduziertem DsbA aus Escherichia coli. Die 13C-che- Kohlenstoffatomen neben dem Ausschnitt der jeweiligen Ebene. In
mische Verschiebung der Signale ist neben den jeweiligen Ebenen ihrer Gesamtheit ergeben die Signale das aus dem 2D-TOCSY-Spek-
angegeben, die 1H-Verschiebung entlang der untersten Ebene. Die trum bekannte Signalmuster eines Leucins

und deren Frequenzen nicht detektiert werden. Das trum ist die Korrelation mit der Carbonylgruppe der vor-
HN(CA)CO detektiert dieselben Kerne wie das HNCO, hergehenden Aminosäure (Rest i – 1) sichtbar, wohingegen
jedoch unterscheidet sich der Magnetisierungstransfer: das HN(CA)CO vorwiegend die Korrelation zur intrare-
HN(i) → N(i) → Cα(i) → Cʹ(i) (. Abb. 21.22). Das Cα-Atom
  sidualen Carbonylgruppe (Rest i) anzeigt.
überträgt nur Magnetisierung vom Stickstoff auf den
Carbonylkohlenstoff, aber seine chemische Verschiebung Das HNCA-Experiment    Das HNCA-Experiment stellt
wird nicht registriert. In beiden Experimenten kehrt die eines der einfachsten und nützlichsten Beispiele für ein
Magnetisierung wieder auf dem gleichen Weg zum Amid- Tripelresonanzexperiment dar. Der Magnetisierungs-
proton zur Datenakquisition zurück (Out-and-back- transferpfad ist gegeben durch: HN(i) → N(i) (t1) → Cα(i)/(i -1)
Transfer). Das Aussehen beider Spektren ist ähnlich: Für (t2); wobei t1 und t2 die indirekten Dimensionen angeben,
jede Aminosäure zeigt ein Peak die Korrelation eines in denen die chemische Verschiebung der Heterokerne de-
Amidprotons und Stickstoffkernes mit einem stickstoff- tektiert wird . Abb. 21.22). Das HNCA nützt einen Out-

gebundenen Carbonylkohlenstoff an. Im HNCO-Spek- and-back-­Transfer, um die chemische Verschiebung des


510 M. Zweckstetter et al.

HNCA R R R R HN(CO)CA
H C H H C H H C H H C H
1
HNi - 15Ni - 13C N C C N C C N C C N C C
i
1
HNi - 15Ni - 13C i–1 H H O H H O H H O H H O 1
HNi - 15Ni - 13C i–1

Rest i -1 Rest i Rest i -1 Rest i

CBCANH R R R R CBCA(CO)NH
H C H H C H H C H H C H
1
HNi - 15Ni - 13C i / 13C i N C C N C C N C C N C C
1
HNi - 15Ni - 13C i–1 / 13C i–1 H H O H H O H H O H H O 1
HNi - 15Ni - 13C i–1 / 13C i–1

Rest i -1 Rest i Rest i -1 Rest i

HNCO R R R R HN(CA)CO
H C H H C H H C H H C H

N C C N C C N C C N C C 1
HNi - 15Ni - 13COi
1
HNi - 15Ni - 13COi–1 H H O H H O H H O H H O 1
HNi - 15Ni - 13COi–1
Rest i -1 Rest i Rest i -1 Rest i

HBHA(CBCA)NH R R R R HBHA(CBCACO)NH
H C H H C H H C H H C H
1
HNi - 15Ni - 1H i / 1H i N C C N C C N C C N C C
1
HNi - 15Ni - 1H i–1 / 1H i–1 H H O H H O H H O H H O 1
HNi - 15Ni - 1H i–1 / 1H i–1

Rest i -1 Rest i Rest i -1 Rest i

H(CA)NH R R R R HCA(CO)N
H C H H C H H C H H C H
1
HNi - 15Ni - 1H N C C N C C N C C N C C
i
1
HNi - 15Ni - 1H i–1 H H O H H O H H O H H O 1
H i - 13C i - 15Ni+1
Rest i -1 Rest i Rest i -1 Rest i

HCACO R R H C H H C H HCCH-TOCSY
H C H H C H H C H H C H

N C C N C C N C C N C C
1
H i - 13C i - 13COi H H O H H O H H O H H O 1
H i - 13C i ... 13C i - 1H i

Rest i -1 Rest i Rest i -1 Rest i

..      Abb.  21.22  Übersicht der wichtigsten Tripelresonanzexperi- die beobachteten Korrelationen angegeben. i bzw. i − 1 bezeichnen
mente. Die Kerne, deren Frequenzen während des Experiments de- dabei die Position eines Aminosäurerestes innerhalb der Proteinse-
tektiert werden, sind rot unterlegt. Die Kerne, die nur als Überträger quenz. Obwohl es kein Tripelresonanzexperiment ist, wird auch das
der Magnetisierung dienen, sind hellrot unterlegt. Die roten Pfeile HCCH-TOCSY-Experiment in dieser Abbildung gezeigt, da es in
kennzeichnen den Weg und die Richtung des Magnetisierungstrans- der Regel in Verbindung mit den anderen gezeigten Spektren zur Zu-
fers. Unter dem Namen jedes Experiments sind zusammenfassend ordnung verwendet wird

Amidprotons in t3 zu messen. In allen Fällen findet der Signale im HNCA-Spektrum: eine intra- und eine inter-
Magnetisierungstransfer durch die starke J-Kopplung residuale Korrelation. Es sei darauf hingewiesen, dass
zwischen den Kernen statt (1JHN  =  −92−95  Hz, auch für das oben erwähnte HN(CA)CO-Experiment
1J  = −11 Hz). Da die 2J -Kopplung, die den Stickstoff eine Korrelation mit der vorhergehenden Aminosäure
NC NC
mit dem Cα-Kern der vorhergehenden Aminosäure ver- auftritt. Prinzipiell ermöglichen die intra- und interresi-
knüpft, nur geringfügig kleiner (–7  Hz) ist als die dualen Korrelationen im HNCA eine sequenzspezifische
1J -Kopplung (–11 Hz, . Abb. 21.10), erfolgt der Mag-
  Zuordnung des Proteinrückgrats. In der Praxis benötigt
NC

21 netisierungstransfer vom Stickstoff aus sowohl zum Cα-­ man jedoch weitere Tripleresonanzexperimente, wie z. B.
Atom der eigenen als auch zu dem der vorhergehenden das HNCO und das HN(CO)CA, um das Kreuzsignal
Aminosäure. Daher entstehen für jede Aminosäure zwei zur vorhergehenden Aminosäure eindeutig identifizieren
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
511 21
zu können und mögliche Entartungen der Resonanzfre- sichtbaren Kreuzsignale bestimmen durch ihr charak-
quenzen aufzulösen (7 Abschn. 21.1.5, Sequenzielle Zu-
  teristisches Signalmuster, um welchen Aminosäure-
ordnung mit ­Tripelresonanzspektren). typ es sich handelt, während die sequenziellen, nur im
2D-NOESY auftretenden Kreuzsignale über die Ver-
knüpfung zu der vorausgehenden Aminosäure Auskunft
21.1.5 Signalzuordnung geben.
Diese Kette der sequenziellen Verknüpfungen wird
21.1.5.1  Sequenzielle Zuordnung allerdings durch Prolinreste unterbrochen, da diese kein
homonuclearer 2D-Spektren Amidproton besitzen und somit in der Amidprotonen-
Ein wichtiges Ziel bei der Auswertung von NMR-­ region des Spektrums kein Signal erzeugen. Jedoch er-
Spektren ist es, alle in einem Spektrum vorhandenen In- zeugen Prolinreste, die gewöhnlich die häufigere trans-­
formationen über Protonenabstände und Bindungswin- Konformation
α
annehmen (. Abb.  21.24), sequenzielle
δ - bzw. HN

kel der Strukturrechnung zugänglich zu machen. H (i −1)


-H (i) (i −1)
-Hδ(i)-Kreuzsignale bei den che-
α
Voraussetzung hierfür ist, dass jedes der in einem Spek- mischen Verschiebungen der H - bzw. Amidprotonen
trum beobachteten Signale den jeweils entsprechenden des vorhergehenden Restes und können somit für die
Protonen im Protein zugeordnet werden kann. Dies er- sequenzielle Zuordnung verwendet werden. Ein weiteres
fordert wegen der großen Anzahl der Signale eine ein- Problem ist, dass bei größeren Proteinen die große An-
fache und allgemein anwendbare Methode, die auf der zahl an Signalen häufig zu Signalüberlagerungen führt,
Basis der verfügbaren Spektren TOCSY, NOESY und sodass an manchen Stellen eine eindeutige Fortsetzung
COSY die Auswertung der Spektren ermöglicht. Diese der sequenziellen Verknüpfungen nicht möglich ist.
Methode, die maßgeblich von Kurt Wüthrich (Nobel- Der erste Schritt der sequenzspezifischen Zuordnung
preis für Chemie 2002) entwickelt wurde, wird als se- besteht in der Identifikation einzelner Aminosäuren, die
quenzspezifische Zuordnung (sequence specific assi- als Ausgangspunkt für die sequenzielle Verknüpfung die-
gnment) bezeichnet. nen. Hierbei konzentriert sich die Suche anfangs auf die
Diese Methode verwendet die im NOESY-Spek- Aminosäuren Glycin, Alanin, Valin und Isoleucin, da sich
trum enthaltene Abstandsinformation und ermöglicht deren Signalmuster deutlich von anderen Aminosäuren
die Zuordnung der NMR-Signale zu den entsprechen- unterscheidet. Glycin z. B. besitzt nur zwei Hα-Protonen,
α
den Aminosäuren aufgrund ihrer Wechselwirkungen sodass die Erkennung dieser zwei H -Signale bei der che-
mit den benachbarten Aminosäuren. Die Amino- mischen Verschiebung des Amidprotons sowie das Auf-
α1-­Hα2-­Kreuzsignale einen
säure i  +1 in der Sequenz kann dabei über die direkte treten der entsprechenden H
Nachbarschaft zur Aminosäure i mittels spezifischer eindeutigen Hinweis auf Glycin geben (. Abb.  21.25).  

Signalmuster identifiziert werden (i bezeichnet je- Die charakteristische Doppelsignalreihe der Methyl-
weils die Stellung einer Aminosäure in der Sequenz). gruppen bei 0–1,5 ppm identifiziert Valin, Leucin und
So ist z. B. wegen der Molekülgeometrie der Abstand Isoleucin (. Abb.  21.25). Grundsätzlich werden zur

des HN-­Protons des Aminosäurerestes i + 1 zu den Identifikation der Spinsysteme nicht nur die Signale in
Hα-, Hβ- und Hγ-Protonen der Aminosäure i nahezu der Amidprotonenregion des Spektrums untersucht,
immer kleiner als 5  Å (. Abb.  21.23). Entsprechend sondern auch Kreuzsignale im aliphatischen Bereich des

sind bei der chemischen Verschiebung des Amidpro- Spektrums, die verschiedene diagnostische Kreuzsignale
tons der Aminosäure i +1 (horizontale Frequenzachse) enthalten (besonders für Prolinreste) und daher zur Iden-
Kreuzsignale bei den chemischen Verschiebungen (ver- tifikation der Spinsystemidentifikation beitragen.
tikale Frequenzachse) der entsprechenden Protonen Der nächste Schritt besteht in der Bestimmung der
der Aminosäure i zu erkennen. Diese interresidualen spezifischen sequenziellen Kontakte im 2D-NOESY-­
Signale zwischen benachbarten Aminosäuren werden Spektrum, um die Reste zu bestimmen, die sich in der
auch als sequenzielle Signale bezeichnet. Sequenz direkt vor den bereits identifizierten Amino-
Die Methode der sequenzspezifischen Zuordnung säuren befinden. Anschließend wird iterativ für jeden
von Signalen setzt voraus, dass zwischen interresidua- neu identifizierten Rest wiederum die vorhergehende
len und intraresidualen Signalen auf der Amidproton- Aminosäure bestimmt. Die anfangs identifizierten Di-
enfrequenz einer Aminosäure unterschieden werden peptide werden somit zu Oligopeptidketten erweitert.
kann. Ein einfacher Vergleich des 2D-NOESY-Spek- Die Information über die verschiedenen Aminosäurety-
trums mit dem überlagerten 2D-TOCSY-Spektrum der pen innerhalb der Fragmente erlaubt es, diese Bruchstü-
gleichen Probe ermöglicht genau diese Unterscheidung cke in die Proteinsequenz einzupassen, d. h. jedes Spin-
(. Abb.  21.23). Die intraresidualen, im 2D-TOCSY

system der zugehörigen Aminosäure zuzuordnen.
512 M. Zweckstetter et al.

Dipeptidbruchstück 0

g 2
b H
CH 3 CH 3 H
g1 g2

CH β 4
O a
H
CH α NH C
6
HN C CH a
H Ni +1
O R 8
H Ni
– Rest i – Rest i +1 – 10 ppm
(z.B. Valin) 10 8 6 4 2 0 ppm

..      Abb.  21.23  Signalmuster zweier benachbarter Aminosäuren in gebildeten Dipeptid gekennzeichnet. Der Vollständigkeit wegen sind
einer Überlagerung eines TOCSY-Spektrums (rote Kreise) und eines die intraresidualen Signale der Aminosäure i +1 und die sequenziel-
NOESY-Spektrums (schwarze Kreise). Deutlich zu erkennen sind len Signale der Aminosäure i −1 auf der HN-Frequenz der Amino-
die interresidualen, sequenziellen NOESY-Signale (gefüllte schwarze säure i gestrichelt eingezeichnet. Die unterhalb der Diagonalen sym-
Kreise) auf der nachfolgenden Aminosäure (i +1), die die Basis der metrisch auftretenden Signalreihen sind aus Gründen der
sequenzspezifischen Zuordnung sind. Die hierfür verantwortlichen Übersichtlichkeit nicht eingezeichnet
koppelnden Protonen sind durch entsprechende Pfeile am links ab-

..      Abb. 21.24 Konformation
der cis/trans-Isomere der
Peptidbindung zwischen einer R
R
Aminosäure X und einem
Prolinrest. Die Cα-­Atome beider
Reste sowie die dazwischen
liegende Atombindung, die den
Torsionswinkel ω definieren, sind
hervorgehoben

trans cis

21.1.5.2  Auswertung heteronuclearer nes 15N-editierten 3D-TOCSY-Spektrums. Die Experi-


3D-NOESY/TOCSY-Spektren mente selektieren nur Korrelationen zu Protonen, die an
15
Die Methode der sequenzspezifischen Zuordnung, wie einen N-Kern gebundenen sind. Daher enthält jedes
15 15
sie für die homonuclearen 2D-NOESY- und TOCSY-­ 3D- N-NOESY-HSQC und 3D- N-TOCSY-­HSQC
Spektren dargestellt wurde, ist auf die entsprechenden nur Frequenzen zwischen 12–5 ppm in der Akquisitions-
heteronuclearen 3D-Spektren 15N-NOESY-HSQC und richtung; die gesamte Seitenkettenregion jenseits des
15N-TOCSY-HSQC übertragbar. Jede 15N-Ebene dieser Wassersignals auf der Hochfeldseite dieser Spektren
Spektren enthält die NOESY- bzw. TOCSY-Signale ei- fehlt.
nes Amidprotons, gebunden an sein Stickstoffatom. Die
Überlagerung der entsprechenden 3D-TOCSY- und 21.1.5.3  Selektive Aminosäuremarkierung
15
3D-NOESY-HSQC-Spektren ermöglicht somit die Un- Die N-Markierung ausgewählter Aminosäuren ist eine
terscheidung zwischen intraresidualen und interresidua- Alternative bei der Bestimmung des Aminosäuretyps.
21 len Korrelationen. Die 15N-Ebene (eines 3D-15N-­ Dazu werden rekombinante Escherichia coli-Bakterien
NOESY-HSQC) stellt daher eine Art Teilspektrum des in einem Minimalmedium angezogen, das alle zwanzig
entsprechenden 2D-Spektrums (2D-NOESY) dar. Ein natürlich vorkommenden Aminosäuren enthält. In ei-
Unterschied zu den 2D-Spektren besteht jedoch im Fre- nem derartigen Medium ist die zelluläre De-novo-­
quenzbereich eines 15N-editierten 3D-NOESY oder ei- Synthese von Aminosäuren weitgehend unterdrückt.
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
513 21
0 g1
Valin H
1 g2
H
g 1 CH3 CH3 g 2 0,97 / 0,94 ppm b 2
H
3
CHb 2,13 ppm 4
a
H 5
CHa 4,18 ppm
6

HN C 8,44 ppm 7
8
O
HN 9
10 ppm
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 ppm

0
Glycin
1
3,97 ppm 2
a2 H H a1
a1 3
4,10 ppm H
a2 4
C H
5

HN C 8,39 ppm 6
7
O
8
HN 9
10 ppm
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 ppm

..      Abb. 21.25  Schematische Darstellung der charakteristischen Si- nosäureprotonen mit der Benennung und der typischen chemischen
gnalmuster von Glycin und Valin. Beide Aminosäuren dienen als Verschiebung eingezeichnet. Die unterhalb der Diagonalen symmet-
Startpunkte für die sequenzspezifische Zuordnung, da sie aufgrund risch, angeordneten Signalreihen sind aus Gründen der Übersicht-
ihrer unverwechselbaren Signalmuster im TOCSY-Spektrum leicht lichkeit nicht gezeigt
zu erkennen sind. Auf der linken Seite sind die entsprechenden Ami-

Die Bakterien nehmen vielmehr die Aminosäuren direkt kierte Aminosäuren sind verhältnismäßig günstig). Der
aus dem Medium auf. Die Zugabe einer kommerziell er- Nachteil ist, dass man zur Bestimmung aller Reste eines
hältlichen 1-15N-l-Aminosäure in hohen Konzentratio- Proteins eine Reihe von Proteinproben herstellen muss,
nen zum Medium ermöglicht die selektive Markierung was den Arbeitsaufwand gegenüber einer einzigen uni-
dieses Aminosäuretyps. Alle anderen Aminosäuren wer- form markierten Probe erhöht und auch die Kosten-
den dem Medium als „normale“ 14N-Aminosäuren zu- frage wieder relativieren kann.
gesetzt. Insbesondere werden Aminosäuren, die meta-
bolisch aus dem zu markierenden Aminosäuretyp 21.1.5.4  Sequenzielle Zuordnung mit
entstehen können (sog. Kreuzmarkierung oder engl. Tripelresonanzspektren
scrambling), dem Medium in nicht markierter Form im Aus der großen Zahl verfügbarer Tripelresonanzexperi-
Überschuss zugesetzt. In einem HSQC-Spektrum, das mente sollen in diesem Abschnitt einige behandelt wer-
von einem selektiv markierten Protein aufgenommen den, die besonders häufig bei der sequenziellen Zuord-
wird, sind ausschließlich die Signale des markierten nung eingesetzt werden. Das Erscheinungsbild von
Aminosäuretyps sichtbar. Durch Markierung verschie- Tripelresonanzspektren und die Strategie zur Zuord-
dener Aminosäuretypen kann man somit nahezu alle nung der Signale werden dabei am Beispiel des
NMR-Signale zuordnen und weiterhin die Zuordnun- 3D-HNCA-Spektrums erläutert.
gen aus den TOCSY- und NOESY-Spektren bestätigen. Ein 3D-HNCA-Spektrum hat die drei Frequenz-
Der Vorteil der selektiven Aminosäuremarkierung achsen 1HN, 15N und 13Cα und verbindet das Amid-
liegt darin, dass die Herstellungskosten der Proteine je proton einer Aminosäure über das N-Atom mit dem
nach markierter Aminosäure deutlich geringer sind als Cα-Atom der „eigenen“ und meist auch mit dem Cα-
die einer doppelt markierten Probe (in der Regel benö- Atom der in der Sequenz vorangehenden Aminosäure
tigt man eine geringere Proteinmenge, und 15N-mar- 7 Abschn.  21.1.4). Auf der Frequenz jedes Amidpro-

514 M. Zweckstetter et al.

tons finden sich somit in der 13Cα-Dimension in der Regel den intraresidualen Pfad aus. Das HN(CO)CA-Spekt-
zwei Kreuzsignale, eines des intraresidualen Cα-Atoms rum gleicht dem des HNCA, enthält aber ausschließlich
und eines des Cα-­Atoms der vorhergehenden Amino- sequenzielle Kreuzsignale und löst daher die Zweideu-
säure (. Abb.  21.26). Mithilfe dieser Kreuzsignale
  tigkeit der Signalzuordnung im HNCA auf. Entartun-
kann man unter optimalen Bedingungen durch die kom- gen der chemischen Verschiebung erschweren die se-
plette Aminosäuresequenz wandern, d. h. die sequenzi- quenzielle Verknüpfung der Spinsysteme, da dann
ellen Verknüpfungen aller Aminosäuren eines Proteins mehrere Möglichkeiten zur Zuordnung der vorangehen-
etablieren (. Abb. 21.27). Die 1HN/15N-Projektion des
  den Reste bestehen. Wie weiter unten beschrieben, kön-
HNCA-Spektrums sieht aus wie ein 1HN/15N-HSQC- nen zusätzliche Tripelresonanzspektren, die die Amid-
Spektrum: Jedes Signal steht für eine Aminosäure. gruppe mit anderen Kohlenstoffkernen korrelieren,
Für diese Form der sequenziellen Zuordnung ist eine diese Entartungen auflösen.
Unterscheidung zwischen dem intraresidualen und dem Die Kombination aus HNCO- und HN(CA)CO-­
sequenziellen Kreuzsignal nötig. Meist ist der intraresi- Experiment stellt eine unabhängige Alternative zur Über-
duale Peak intensiver als der interresiduale Peak auf- prüfung der im HNCA gefundenen Konnektivitäten dar.
grund des etwas effektiveren Magnetisierungstransfer In beiden Experimenten erfolgt die Korrelation des
über die 1JNC-Kopplung. Diese Tendenz ist aber fehlbar, Amidprotons mit dem intraresidualen Carbonylkohlen-
da verschiedene Prozesse wie Relaxation die Peakinten- stoffatom (HN(CA)CO) bzw. dem des vorangehenden
sität beeinflussen. Im Gegensatz dazu ermöglichen ge- Restes (HNCO). Das heißt, die sequenzielle Zuordnung
zielte Experimente wie das HN(CO)CA den Magnetisie- erfolgt über die C’- (Carbonyl) anstelle der Cα-
rungstransfer über die Carbonylgruppe und schließen Konnektivitäten. Die Überlagerung beider Spektren er-
gibt ein analoges Muster wie im HNCA-­Spektrum. Das
HNCO-Experiment, das das sensitivste Tripelresonanz-
experiment darstellt, ist zudem sehr nützlich, um zufällige
Signalentartungen in der HSQC-­Projektion aufzulösen:
In Proteinen ist jedes Amidproton nur an eine Carbonyl-
gruppe kovalent gebunden. Daher beobachtet man im
HNCO-Spektrum normalerweise nur ein Kreuzsignal
Cai –2
pro Amidprotonenfrequenz. Findet man jedoch auf der
Frequenz eines Amidprotons zwei Kreuzsignale, dann be-
deutet das, dass die Signale von zwei Aminosäuren in der
Cai –3 Cai –2
1HN/15N-HSQC-Projektion zufällig entartet sind.

Zwei weitere Paare von Experimenten ermöglichen


eine unabhängige Zuordnungsstrategie. Die CBCANH-
Cai 13
Ca
Ca i
und CBCA(CO)NH-Experimente erzeugen intra- und
interresiduale Korrelationen zwischen der Amidgruppe
NHi –2
Cai –1 und den Cα- und Cβ-Kernen und die nahe verwandten
Cai –2 Experimente HBHA(CBCA)NH und HBHA(CBCACO)
NH zu den Hα- und Hβ-Resonanzen. Die Cα- und Cβ-­
NHi –1
chemischen Verschiebungen, die man aus den ersten bei-
den Experimenten erhält, helfen bei der Eingrenzung
Cai –3 des Aminosäuretyps. So ermöglichen die eindeutigen
Cai –1

Cai –1
Werte der Cα- und Cβ-chemischen Verschiebungen von
NHi
Ala, Gly, Ile, Pro, Ser, Thr und Val deren vorläufige
Identifizierung (. Abb. 21.28).

Proline besitzen kein Amidproton und erzeugen da-


her keine Kreuzsignale in Amidproton-detektierten Ex-
..      Abb.  21.26  Schematische Darstellung der sequenzspezifischen
Zuordnung mithilfe eines 3D-HNCA-Spektrums: Die 1H–15N-­ perimenten. Um dieses Problem zu lösen, wurden Tri-
Projektion des 3D-Spektrums weist für jede Aminosäure ein Signal pleresonanzexperimente, wie z. B. das HCACO, das die
21 auf (hellblaue Peaks), während im 3D-Spektrum zwei Peaks bei der
chemischen Verschiebung eines Amidprotons existieren: Eines vom
Hα-, Cα- und C’-Frequenzen einer Aminosäure mitein-
ander korreliert, entwickelt: Das HCACO detektiert
Cα-Atom derselben Aminosäure (rot) und eines vom Cα-Atom der
nicht die Magnetisierung des Amidprotons, sondern der
vorhergehenden Aminosäure (orange). Wenn man von den hellroten
Signalen ausgeht, kann man sich über die roten Signale schrittweise Hα-Protonen, und ermöglicht somit eine Verknüpfung
durch die Aminosäuresequenz hangeln über Prolinreste hinweg.
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
515 21
..      Abb. 21.27 Streifenförmige F18 L19 S20 E21 L22 T23 Q24 Q25 L26 A27 Q28 A29 T30 G31 K32
Ausschnitte eines HNCA-
(schwarz) und ­CBCA(CO)NH-­
Spektrums (rot) von huMIF. Je-
der Streifen entspricht einer 25,0
Aminosäure von F18 bis K32 bei
der jeweiligen chemischen
Verschiebung von 1H (x-Achse)
und 15N (z-Achse, nicht gezeigt).
Die Konnektivitäten, die sich 30,0
durch das Übereinanderlegen
beider Spektren ergeben, sind
klar zu erkennen und durch
horizontale, schwarze Linien
35,0
verdeutlicht. Die chemischen
Verschiebungen der Cα- und
Cβ-Signale (y-Achse) geben
zusätzlich Hinweise auf die Art

w1(13C) (in ppm)


der jeweiligen Aminosäure 40,0

45,0

50,0

55,0

60,0

65,0
7,94 8,42 8,03 8,26 8,38 7,54 7,91 8,62 8,51 8,35 7,65 8,08 8,10 7,78 7,72
w2(1H) (in ppm)

Die Zuordnung der Seitenketten erfordert die Mes-


Zuerst etabliert man sequenzielle Konnektivitäten
sung weiterer Tripleresonanzspektren. Besonders geeig-
zwischen den Spinsystemen durch mindestens zwei
net sind hierfür das 3D-HCCH-TOCSY- und das
verschiedene Kerne (Cα, Cβ oder C’). Diese Strategie
3D-HCCH-COSY-Experiment (. Abb.  21.22). Ausge-

minimiert Komplikationen bei der Zuordnung auf-


hend von den bekannten Cα-Frequenzen (aus dem
grund der Entartung der chemischen Verschiebun-
HNCA) oder Hα (z.  B. aus dem 15N-TOCSY-HSQC
gen. Anschließend grenzt man den Aminosäuretyp
oder dem HCACO) können über die in diesen Spektren
anhand der chemischen Verschiebungen, die man
beobachteten Signalsysteme die Seitenkettenprotonen
aus den CBCA(CO)NH- oder CBCANH-Spektren
und -kohlenstofffrequenzen zugeordnet werden.
erhält, ein. Letztlich bestimmt man die Zuordnung
für die Seitenketten mithilfe der HCCH-TOCSY- und
13C-NOESY-HSQC-­Experimente (7 Abschn.  21.1.4).
Zusammenfassung: Die allgemeine Strategie zur  

sequenziellen Zuordnung eines Proteins mittels Alle Informationen zusammengenommen ermöglichen


Tripelresonanzspektren beinhaltet die Aufnahme es, die identifizierten Spinsysteme innerhalb der Prote-
verschiedener, unabhängiger NMR-Experimente. insequenz zu platzieren.
516 M. Zweckstetter et al.

Struktur- b-Faltblatt a-Helix 310-Helix


element
Rest-
1234567 1234567 1234567
nummer
3J 9999999 4444444 4444444
Ha-NH

dNN(i,i +1)
daN(i,i +1)

dNN(i,i +2)

daN(i,i +2)

daN(i,i +3)

dab(i,i +3)

daN(i,i +4)

..      Abb. 21.29  Charakteristische NOE-Signale und typische 3J(HN-­


Hα)-Kopplungskonstanten für drei reguläre Sekundärstrukturele-
mente. Die Abbildung zeigt schematisch die typischen Intensitäten
für die HN(i)-HN(i + 1), Hα(i)-HN(i + 1), HN(i)-HN(i + 2), Hα(i)-HN(i + 2), Hα(i)-
HN(i + 3), Hα(i)-Hβ(i + 3) und Hα(i)-HN(i + 4) Kreuzsignale. Die Höhen der
Rechtecke geben die Intensitäten der beobachteten Kreuzsignale
wieder

zeichnet sich ein β-Faltblatt durch ein spezifisches Mus-


ter von Hα(i)-Hα(j)- und HN(i)-HN(j)-NOE-Signalen zwi-
..      Abb. 21.28  Typische Bereiche der chemischen Kohlenstoff- (Cα, schen den beiden parallelen bzw. antiparallelen Strän-
Cβ, usw.) Verschiebungen der 20 proteinogenen Aminosäuren. (Nach gen des Faltblatts (i und j bezeichnen dabei Aminosäuren
Cavanagh et al. 1996) in unterschiedlichen Strängen eines Faltblatts) aus. Die
ausgestreckte Struktur des Proteinrückgrats zeigt sich
zudem an starken Hα(i)-HN(i +1)-NOEs und 3J(HN-Hα)-
21.1.6 Bestimmung der Proteinstruktur Kopplungskonstanten von mehr als 8  Hz für mehrere
aufeinanderfolgende Reste.
21.1.6.1  Bestimmung der Sekundärstruktur
Wir werden die Domäne DS111M von Severin nut-
Reguläre Sekundärstrukturelemente wie α-Helices und zen, um die Identifikation von Sekundärstrukturen zu
β-Faltblätter sind Bereiche des Proteinrückgrats mit de- erläutern. Diese zweite Domäne von Severin spielt eine
finierten Konformationen, die sich durch bestimmte in- zentrale Rolle beim Auf- und Abbau von Aktin, einem
teratomare Abstände und Torsionswinkel auszeichnen. Bestandteil des Cytoskeletts. Severin DS111M besteht
Anhand diagnostischer NOE-Signalmuster und 3J(HN- aus 114 Aminosäuren und umfasst drei α-Helices, die an
Hα)-Kopplungskonstanten lassen sich daher die wich- den Hα(i)-HN(i+3)-Verknüpfungen erkennbar sind
tigsten Sekundärstrukturelemente unterscheiden (. Abb.  21.30). Starke sequenzielle Hα(i)-HN(i +1)-Kon-

(. Abb.  21.29). Charakteristisch für eine α-Helix sind



takte und das Fehlen sequenzieller HN(i)-HN(i +1)-Kon-
starke NOE-Signale zwischen den Amidprotonen HN(i)- takte weisen auf das Vorliegen von fünf β-Faltblättern
21 HN(i +1) und HN(i)-HN(i+2) sowie die sehr charakteristischen hin. 3J(HN-Hα)-Kopplungskonstanten >8 Hz bestätigen
Hα(i)-HN(i+3)-Kontakte (. Abb.  21.29). 3J(HN-Hα)-

zusätzlich das Vorliegen von β-Faltblattstrukturen in
Kopplungskonstanten kleiner als ~5  Hz bestätigen zu- diesen Bereichen. Insbesondere starke Hα(i)-Hα(j)-
sätzlich die Existenz einer α-Helix. Im Gegensatz dazu Kontakte zwischen zwei Strängen ermöglichen die Iden-
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
517 21
..      Abb. 21.30  Übersicht der
sequenziellen 1H-1H-NOE-Signale
sowie NOE-Signale kurzer
Reichweite von DS111M. Die 3J (Ha-HN) in Hz
Höhen der Balken geben die Stärke
3HN ¤ 2 HN
der NOE-Signale wieder. Die
3J(HN-Hα)-Kopplungskonstanten
d HN(i )-HN(i +1)
sind unterhalb der Aminosäurese- d Ha(i )-HN(i +1)
quenz angegeben. Gefüllte und
d Hb(i )-HN(i +1)
leere Kreise zeigen langsam und
mittelschnell austauschende d Ha(i )-Hb(i +3)
Amidprotonen an. Oberhalb der
Aminosäuresequenz ist die
Sekundärstruktur des entsprechen-
den Sequenzbereichs schematisch
dargestellt (Pfeile = β-Faltblatt,
Schraubenlinien = α-Helix) 3J (Ha-HN) in Hz
3HN ¤ 2 HN
d HN(i )-HN(i +1)
d Ha(i )-HN(i +1)
d Hb(i )-HN(i +1)
d Ha(i )-Hb(i +3)

3J (Ha-HN) in Hz
3HN ¤ 2 HN
d HN(i )-HN(i +1)
d Ha(i )-HN(i +1)
d Hb(i )-HN(i +1)
d Ha(i )-Hb(i +3)

tifikation zusammengehöriger Stränge im β-Faltblatt wohingegen Amidprotonen an der Oberfläche des Pro-
(. Abb. 21.31). Diese kurzen Abstände (2,2 Å) sind re-
  teins eine höhere Austauschgeschwindigkeit aufweisen.
lativ einfach in einem 2D-NOESY- oder einem Experimentell bestimmt man die Austauschge-
13C-NOESY-­HSQC-Spektrum zu erkennen. Da die che- schwindigkeit, indem man eine Proteinprobe gefrier-
mische Verschiebung der Hα-Resonanzen nahe bei der getrocknet und anschließend in 100  % D2O löst. Im
des Wassers liegt, ist es ratsam, diese NOESY-Spektren Laufe der Zeit verschwinden dann diejenigen Signale,
an einer in D2O gelösten Proben aufzunehmen, um Stö- die von einem schnell austauschenden Amidproton
rungen durch das Wassersignal zu verringern. herrühren. Dagegen bleiben die Signale langsam aus-
Neben diesen direkten Informationen über Orien- tauschender Amidprotonen längere Zeit im Spektrum
tierungsparameter, Abstände und Winkel im Protein- sichtbar (zum Teil bis zu einigen Monaten). Diese
rückgrat liefert der Wasserstoff/Deuterium- (H/D-) Amidprotonen befinden sich nahezu ausschließlich in
Austausch der Amidprotonen indirekte Strukturinfor- Regionen des Proteins mit regulärer Sekundärstruktur
mationen. So verlangsamen Wasserstoffbrücken, die (. Abb. 21.30).

Sekundärstrukturen stabilisieren, den H/D-Austausch, Die chemische Verschiebung der Proteinreste liefert
und folglich weisen langsam austauschende Amidproto- weitere Hinweise für das Vorliegen von Sekundärstruk-
nen auf das Vorhandensein von Sekundärstrukturen hin turen. So ändert sich die chemische Verschiebung einer
(. Abb. 21.30). Zudem erhält man hierdurch Hinweise
  Aminosäure gegenüber dem unstrukturierten Zustand
über die mögliche Position der Aminosäuren in der Pro- (der sog. Random Coil Shift), wenn sich diese Amino-
teinstruktur. Amidprotonen im Zentrum des Proteins säure in einem Sekundärstrukturelement befindet. Die-
besitzen aufgrund der geringeren Zugänglichkeit des Lö- ser Unterschied wird als sekundäre chemische Verschie-
sungsmittels eine langsamere Austauschgeschwindigkeit, bung bezeichnet und spiegelt die Gleichförmigkeit der
518 M. Zweckstetter et al.

H H O H H O H H O H
N23
O
C N A24 C C N V26 C C N E28 C C
b-Strang 2
C C N K25 C C N A27 C C N V29 C [antiparallel]
C N
H O H H O H H O H H O
C K22 H

N H O H H O H H O H H O
H O
C C H C S19 N C C H17 N C C L15 N C C P13 N
O D21 N
C
b-Strang 1
C N C C I18 N C C L16 N C C R14 N C [antiparallel]
H G20
H H O H H O H H O H H

H H O H H O H H O H H
C N C41 C C N L43 C C N D45 C C N
G47
b-Strang 3
N D40 C C N F42 C C N L44 C C N A46 C C [antiparallel]
O
H O H H O H H O H H O H C

H N
O H H O H H O H H O H
C G55 N C C F53 N C C Y51 N C C T49 N C L48
H
b-Strang 4
C C N54 N C C Q52 N C C E50 N C C [antiparallel]
H O H H O H H O H H O

O H H O H H O H H O H H
C E88 N C C F86 N C C E84 N C C K82 N C
b-Strang 5
C C C87 N C C V85 N C C V83 N C C P81 N [parallel]
H O H H O H H O H H O

..      Abb.  21.31  Das komplette Netzwerk aus NOE-Kreuzsignalen zwischen diesen auftreten. Einfache Pfeile zeigen sequenzielle Hα(i)-
innerhalb des fünfsträngigen β-Faltblatts von Severin DS111M. Die HN(i +1)-Kreuzsignale an, wohingegen starke und schwache Doppel-
vier β-Stränge β1, β2, β3 und β4 verlaufen antiparallel zueinander, pfeile sowie gestrichelte Pfeile HN(i)-HN(j), Hα(i)-Hα(j) und Hα(i)-HN(j)-
während die β-Stränge β4 und β5 parallel zueinander verlaufen. In Kreuzsignale zwischen den Strängen markieren. Weiterhin sind die
Form von Pfeilen sind die beobachteten NOE-Kreuzsignale des Pro- vorhandenen Wasserstoffbrücken in Form schwacher gepunkteter
teinrückgrats eingezeichnet, die innerhalb der fünf β-Stränge und Linien dargestellt

chemischen Umgebung in einem regulären Sekundär- Resonanzzuordnung bestimmten Protonen zugeordnet


strukturelement wieder. Beispiele hierfür sind die Ver- werden können. Besonders wichtig sind hierbei die
schiebung von Cα- und C’-Kohlenstoffkernen zu tiefem nichtsequenziellen NOE-Kontakte, welche die dreidi-
Feld (d. h. höheren ppm-Werten) in α-Helices bzw. nach mensionale Struktur definieren. Medium-Range-NOEs
hohem Feld (d.  h. kleineren ppm-Werten) in β- (weniger als vier Reste trennen die NOE-verursachen-
Faltblättern (und umgekehrt für Hα-Protonen und Cβ- den Aminosäuren) geben vorwiegend Auskunft über die
Kohlenstoffkernen). Die Methode zur Identifikation lokale Konformation des Proteinrückgrats und dienen
von Sekundärstrukturen anhand der sekundären chemi- der Bestimmung von Sekundärstrukturelementen.
schen Verschiebung wird als chemischer Verschiebungs- Long-Range-NOEs (fünf oder mehr Reste trennen die
index (Chemical Shift Index, CSI) bezeichnet. NOE-verursachenden Aminosäuren) definieren die rela-
Daher ist es mithilfe der bisher beschriebenen Me- tive Orientierung der Sekundärstrukturelemente zuein-
thoden bereits in einem sehr frühen Stadium der Struk- ander und sind daher essenzielle Parameter zur Bestim-
turbestimmung möglich, die Sekundärstrukturelemente mung der Tertiärstruktur.
des Proteins ausfindig zu machen. Die relative räumliche Da die NOE-Signalintensität I vom Abstand r zwi-
Lage dieser Elemente zueinander sowie die globale Fal- schen zwei Kernen i und j entsprechend:
tung des Proteins sind jedoch noch nicht bekannt.
(
I NOEij ∝ ) 1
rij6
(21.13)
21.1.6.2  Randbedingungen für die
Strukturrechnung
Abstände zwischen Protonen können aus 2D-NOESY-, abhängt, kann man den internuclearen Abstand durch
3D-15N-NOESY-HSQC- und 3D-13C-NOESY-HSQC- Integration des NOE-Signals erhalten. Alternativ ist es
Spektren (7 Abschn. 21.1.4) ermittelt werden. Für sta- möglich, die Intensität qualitativ abzuschätzen. In bei-
21  

bil gefaltete Proteine mittlerer Größe (ca. 120 Amino- den Fällen müssen jedoch die Signalintensitäten zuvor
säuren) erhält man oft mehr als 1000 NOE-Kontakte, anhand eines NOE-Signals für einen bekannten Ab-
die anhand der oben beschriebenen sequenzspezifischen stand (z. B. bekannte Abstände in Sekundärstrukturele-
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
519 21
menten) kalibriert werden. Abhängig von den Signalin- net. Im Gegensatz zu NOEs und skalaren Kopplungen,
tensitäten werden die NOEs nun in Abstandsgruppen die Abstandsinformationen über die lokale Geomet-
eingeteilt, denen feste Abstandsgrenzen zugeteilt werden rie liefern, stellen Orientierungsparameter wie RDCs
(. Tab. 21.2).
  Randbedingungen über weite Abstände für das gesamte
Zusätzlich zu den Abstandswerten verwendet die Molekül zur Verfügung. Mithilfe von RDCs lässt sich
Strukturrechnung 3J(HN-Hα)-Kopplungskonstanten, z. B. die relative Orientierung von Sekundärstrukturele-
die man aus COSY- oder HNCA-J-Spektren (eine menten oder individuellen Proteindomänen zueinander
Variante des HNCA-Spektrums) erhält. Wie in bestimmen. Zusätzlich liefern RDCs dynamische Infor-
7 Abschn. 21.1.2 beschrieben, grenzen die 3J(HN-Hα)-
  mationen über langsame interne Bewegungen eines Bin-
Kopplungskonstanten die ϕ-Winkel des Proteinrück- dungsvektors.
grats über die Karplus-Beziehung ein (. Abb. 21.11).   Alle RDCs beziehen sich auf den gleichen Bezugs-
Residuale dipolare Kopplungen (RDC, Residual Di- rahmen (der sog. anisotrope Orientierungstensor σ), der
polar Couplings) gehören zu einer Klasse von NMR-­ fest mit dem Molekül „verbunden“ ist. Somit hängen
Parametern, die die chemische Verschiebungsanisotropie RDCs von der Orientierung des internuclearen Vektors
sowie kreuzkorrelierte Relaxation beinhalten. In isotro- relativ zum molekularen Bezugsrahmen ab. Diese Orien-
per Lösung mittelt die Rotationsdiffusion anisotrope tierung wird durch die beiden Winkel (θ, ϕ) ­definiert
Interaktionen wie die Dipol-Dipol-­ Wechselwirkung (. Abb.  21.32), wobei θ der Winkel zwischen der

zwischen zwei Kernspins zu null aus. Die anisotropen z-Achse des Hauptachsenrahmens und dem internuclea-
Interaktionen führen dann nicht mehr zur Aufspaltung ren Vektor ist und ϕ der entsprechende Azimutwinkel.
von NMR-Linien, sondern wirken (nur) als Relaxati- Der Hauptachsenrahmen wird als der molekulare Rah-
onsmechanismus. Ist jedoch die Molekülrotation aniso- men definiert, in dem der Orientierungstensor σ diago-
trop, und bestimmte Orientierungen werden bevorzugt nal ist (d. h. mit den Eigenwerten |σz| > |σy| > |σx|). Die
oder vermieden (d. h. es liegt eine molekulare Ausrich- dipolare Kopplung DA,B zwischen zwei Kernen A und B
tung vor), so ist auch die Mittelung der Dipol-­Dipol- ist damit gegeben durch:
Wechselwirkungen nicht vollständig. Man erhält im
Vergleich zum statischen Wert reduzierte Werte für die
dipolare Interaktion, und die entsprechenden Kopplun- D A, B = 0, 75 Dmax
A, B

(
 3 cos 2θ − 1 σ z ) 

gen werden als residuale dipolare Kopplungen bezeich-  +sin 2θ cos 2φ σ x − σ y
 ( ) 
 (21.14)

..      Tab. 21.2  Zusammenhang zwischen der Intensität eines


Orientierungstensor s
NOE-Signals und dem Abstand der beitragenden Protonen.
In der Strukturrechnung wirken NOE-Entfernungen wie sz

elastische Federn zwischen den Atomen. Überschreitet ein


Atomabstand in der Strukturrechnung die Obergrenze, so q(i) Protein
wird diese „NOE-Verletzung“ mit einem Energiebeitrag,
1
abhängig vom Maß der Überschreitung, bestraft. Dieser H

Energiebeitrag forciert eine Annäherung der entsprechenden 15


N
Protonen im nächsten Schritt der Strukturrechnung. Da die q(j)
15
NOE-Intensität im NMR-Spektrum durch verschiedene N
1
H
Effekte unabhängig vom Atomabstand verringert sein kann,
werden häufig keine Untergrenzen verwendet, sondern es
sx
wirkt nur die „normale“ Abstoßung zwischen den Atomen
gemäß ihrer Van-der-Waals-Radien.

NOE-Intensität Abstand (Å) Obergrenze (Å)


sy

stark 2,4 2,7


..      Abb. 21.32  Die Orientierung einer N–H-Bindung i relativ zum
mittel 3,0 3,3 Orientierungstensor σ bestimmt Größe und Vorzeichen der residua-
len dipolaren Kopplung zwischen 1Hi und 15Ni. Der Orientierungs-
schwach 4,4 5,0
tensor kann als fest mit dem Protein/Molekül verbunden gedacht
sehr schwach 5,2 6,0 werden, hängt in Größe und Orientierung jedoch von dem orientie-
renden Medium (wie z. B. Bicellen oder Pf1-­Bakteriophagen) ab
520 M. Zweckstetter et al.

Die Größe der RDCs skaliert mit dem Grad der Orien- tur, nicht aber von der räumlichen Struktur abhängen.
tierung. Experimentell wird eine schwache Ausrichtung Daher stellt das Kraftfeld ein angemessenes Modell für
der Proteine erzeugt, um RDCs in der Größe von eini- das reale Molekül dar. Da verschiedene Möglichkei-
gen Hertz zu bestimmen. Ist die Ausrichtung nur ten existieren, Kraftfeldparameter aus experimentellen
schwach (was einer Ausrichtung von 1 aus 1000 Mole- Referenzdaten zu extrahieren, existieren verschiedene
külen entspricht), so sind die Spektren vergleichbar mit Kraftfelder, von denen jedes für einen bestimmten
denen in isotroper Lösung, d. h. die Anzahl an Linien Anwendungsbereich optimiert ist. Obwohl die Struk-
nimmt nicht unverhältnismäßig zu, und die NMR-­ turrechnung ein Kraftfeld benötigt, sollten die experi-
Signale bleiben scharf. Verschieden Methoden existie- mentellen NMR-Daten unabhängig von der Wahl des
ren, um eine schwache Orientierung von Proteinen zu Kraftfeldes das Ergebnis bestimmen.
erreichen. Ursprünglich wurden Teilchen untersucht, Im Vergleich zu molekulardynamischen Simulatio-
die sich im Magnetfeld spontan ausrichteten (durch an- nen (die nur auf dem Kraftfeld und der Simulationsme-
isotrope Tensoren der magnetischen Suszeptibilität). In- thode beruhen) verwendet die NMR-Strukturrechnung
zwischen verwendet man Systeme, die auch stark ver- vereinfachte Kraftfelder. So wird das Lösungsmittel in
dünnt im Magnetfeld solch flüssigkristallines Verhalten der Regel nur in Form einer konstanten Dielektrizitäts-
zeigen: konstante berücksichtigt. Die wichtigsten Freiheits-
55 Bicellen (flache Micellen, bestehend aus zwei ver- grade, die die 3D-Struktur eines Proteins bestimmen,
schiedenen Lipiden mit unterschiedlicher Acylket- sind Rotationen um die N–Cα-­Bindung (Torsionswinkel
tenlänge) ϕ) und die Cα–C’-Bindung (Torsionswinkel Ψ). Um ver-
55 stäbchenförmige Viruspartikel (z.  B.  Tabakmosaik- lässliche Strukturen zu erhalten, sollten die NMR-Da-
virus oder Bakteriophage Pf1) ten diese Winkel genau definieren und nicht das Kraft-
55 Polyethylenglykol/Alkohol-Mischungen feld. Besonders für Schleifen an der Proteinoberfläche,
55 Purpurmembranen von halophilen Bakterien die N- und C-Termini sowie die Aminosäureseitenketten
ist dies aufgrund ihrer erhöhten Beweglichkeit oft nicht
Des Weiteren erreicht man eine partielle Ausrichtung möglich. Flexible Regionen von Biomolekülen werden
von Proteinen oder Nucleinsäuren durch mechanisch daher am besten durch ein Ensemble von Konformatio-
gestreckte oder komprimierte Polyacrylamidgele. Zur nen beschrieben, da eine einzelne, definierte Konforma-
Bestimmung der RDCs nutzt man hauptsächlich hete- tion eine unzureichende Abbildung der mikroskopi-
ronucleare Experimente, wie sie auch zur Messung von schen Realität dieser Bereiche ist. Die praktische
skalaren Kopplungen verwendet werden. Erfahrung zeigt, dass die Anzahl der Abstandsrandbe-
dingungen (NOEs) wichtiger ist als die Genauigkeit, mit
21.1.6.3  Berechnung der Tertiärstruktur der die Abstände bestimmt werden. Daher ist die in
Die computergestützte Strukturrechnung dient der . Tab.  21.2 eingeführte Abstandseinteilung ausrei-

Umsetzung der aus den NMR-Spektren gewonnenen chend präzise für die Strukturrechnung.
geometrischen Daten (Abstände und Winkel) in eine Zur Berechnung der Struktur eines Proteins in Lö-
dreidimensionale Struktur. Die NMR-Daten liefern je- sung haben sich zwei Verfahren etabliert:
doch nur eine begrenzte Anzahl an Abstands- und 55 Die Distanzgeometrie-Methode (Distance Geometry,
Winkelinformationen zwischen bestimmten Atompaa- DG) erstellt Matrizen aus den NMR-Daten und dem
ren (vorzugsweise den Wasserstoffatomen), die allein Kraftfeld, die Abstandsrandbedingungen für alle
nicht ausreichen, alle Atompositionen festzulegen. Atompaare enthalten. Mit einem mathematischen
Dies ist auch nicht notwendig, da die Bindungsgeome- Optimierungsverfahren werden kartesische Koordi-
trie vieler chemischer Gruppen aus Röntgenstreuexpe- naten für alle Atome berechnet, sodass alle Ab-
rimenten sehr gut bekannt ist. Diese Moleküldaten standsbedingungen möglichst gut erfüllt werden. Da
sind im sog. Kraftfeld beinhaltet, das auch weitere all- die Lösung dieses Problems nicht eindeutig ist, kann
gemeine atomare Parameter, wie den Van-der-Waals- eine Mehrzahl von unabhängigen Ergebnisstruktu-
Radius und die elektrostatische (Partial-)Ladung mit ren berechnet werden, die den NMR-Daten gerecht
einschließt. werden. Der kovalenten Geometrie wird in der DG
Während die NMR-Daten direkt am zu untersu- jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Daher
21 chenden Molekül gemessen werden und daher inner- müssen die DG-­Strukturen noch verfeinert werden.
halb der Fehlergrenzen als „wahr“ angenommen werden 55 Simulated Annealing (SA, simuliertes Tempern) ist
können, sind die Kraftfeldparameter aus Messungen eine Methode der Molekulardynamik (MD). Die Be-
an Referenzmolekülen abgeleitet. Man nimmt an, dass wegungsgleichung von Newton besagt, dass eine
die Kraftfeldparameter nur von der chemischen Struk- Kraft, die auf ein Atom einwirkt, dieses beschleunigt
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
521 21
oder abbremst. Durch numerische Lösung dieser hier bis auf wenige nicht genau definierte Bereiche (α-
Gleichung simuliert die MD die physikalische Bewe- Helix 2 am C-Terminus und N-Terminus) nahezu de-
gung des Atoms. Die NMR-Daten gehen als Rand- ckungsgleich. Zur deutlicheren Präsentation der β-
bedingungen ein und sorgen dafür, dass das simu- Stränge und der α-Helices ist in . Abb.  21.33b das

lierte Protein nur Konformationen einnimmt, die mit Bändermodell von DS111M dargestellt, das die gleiche
den experimentell gemessenen Daten übereinstim- Orientierung hat wie die zwanzig überlagerten Struktu-
men. Ausgehend von einer Startstruktur erlaubt eine ren in . Abb.  21.33a. Die Berechnung dieser Struktu-

Simulationsperiode bei hoher Temperatur, dass das ren erfolgte auf der Grundlage von 1011 Abstandsrand-
Protein eine Struktur findet, die mit den NMR-Da- bedingungen und 55 ϕ-Torsionswinkeln. Dieses Beispiel
ten und dem Kraftfeld kompatibel ist. Da in dieser zeigt deutlich die Notwendigkeit einer großen Anzahl an
Phase sowohl Kraftfeld als auch experimentelle Randbedingungen, um zu gut definierten NMR-basier-
Randbedingungen eher schwach im Vergleich zur ten Strukturen zu gelangen.
thermischen Energie sind, kann das simulierte Mole-
kül große Konformationsänderungen durchlaufen.
Das anschließende Simulated Annealing (SA)-Pro- 21.1.7  roteinstrukturen und mehr – ein
P
tokoll erniedrigt graduell die Simulationstemperatur Ausblick
und verstärkt die Wirkung des Kraftfeldes und der
experimentellen NMR-Randbedingungen. Die Oftmals ist die Bestimmung einer Proteinstruktur nur
Fluktuationen der Struktur werden dadurch sukzes- der Beginn der strukturbiologischen und biochemischen
sive eingeschränkt, bis am Ende eine 3D-Struktur Charakterisierung eines Proteins. Erst mit dem Wissen
mit minimaler Energie erreicht ist. Da das Ergebnis über die dreidimensionale Struktur können funktionale
der SA-Rechnung von der Startstruktur abhängen Fragestellungen wie die Dynamik des Proteins, Wechsel-
kann, ist es notwendig, viele Rechnungen ausgehend wirkungen mit anderen Molekülen (z. B. Proteine, DNA
von verschiedenen Startstrukturen durchzuführen. oder Liganden), Katalysemechanismen, Hydration oder
der Faltungsweg des Proteins sinnvoll angegangen wer-
NMR-Strukturrechnungen erzeugen keine einzelne den. Eine ausführliche Behandlung dieser Techniken
Struktur, sondern vielmehr eine Strukturfamilie, die ei- würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Daher ge-
nen mehr oder weniger eng begrenzten Konformations- ben die folgenden Abschnitte nur einen kurzen Ausblick
raum absteckt. Die mittlere Abweichung (Root Mean-­ auf die möglichen Experimente und Anwendungen. Im
Square Deviation, RMSD) gibt die Variabilität innerhalb Literaturverzeichnis am Ende des Kapitels gibt eine
dieser Strukturfamilie wieder, wobei kleine Abweichun- Auswahl der wichtigsten Lehrbücher und Übersichtsar-
gen einen engen Konformationsraum anzeigen. Im All- tikel, in denen die einzelnen Themen genauer und um-
gemeinen bestimmt man den RMSD-Wert für jede fassender behandelt werden.
Struktur aus dieser Familie bezogen auf eine Mittel-
struktur, die davor berechnet werden muss. Es ist auch 21.1.7.1  Beschleunigung der NMR-
üblich, paarweise einen Vergleich zweier Strukturen ei- Spektroskopie
ner Familie durchzuführen und anschließend den Mit- Aufgrund der geringen Sensitivität ist die NMR-­
telwert aus all diesen Abweichungen zu bilden. Der Spektroskopie eine vergleichsweise langsame und zeitin-
RSMD variiert für einzelne Regionen der Proteinstruk- tensive Methode. Obwohl ein einzelnes 1D-Experiment
tur, da Bereiche ohne definierte Sekundärstruktur häu- nur wenige Sekunden bis Minuten dauert, steigt die
fig große Abweichungen aufweisen, die auf eine geringe Messzeit für komplexere Spektren erheblich mit zuneh-
Anzahl an NMR-Randbedingungen zurückzuführen mender Dimensionalität des Experiments an. Zweidi-
sind. Gleichermaßen haben flexible Regionen aufgrund mensionale Experimente dauern typischerweise mehrere
erhöhter interner Beweglichkeit höhere RSMD-Werte. Minuten bis Stunden, und 3D-­Experimente können ei-
Relaxationsmessungen (7 Abschn. 21.1.7) können Auf- nige Tagen bis zur Fertigstellung benötigen. Daher ist

schluss darüber geben, ob die Variabilität innerhalb der die Aufnahme höherdimensionaler Spektren (4D oder
Strukturfamilie durch unzureichende NMR-­ 5D), in denen jede indirekte Zeitdimension unabhängig
Randbedingungen verursacht wird oder aufgrund von inkrementiert wird (7 Abschn. 21.1.3), unpraktisch.

erhöhter lokaler Beweglichkeit. Im Wesentlichen bestimmen zwei Faktoren


Das Ergebnis einer Strukturbestimmung ist für das die Länge eines Experiments: der Recovery Delay
Protein Severin DS111M in . Abb. 21.33 gezeigt. Die (7 Abschn.  21.1.2) und die Anzahl an Inkrementen
   

individuellen Konformere des NMR-Ensembles sind in der indirekten Dimension(en) (7 Abschn.  21.1.3).

522 M. Zweckstetter et al.

..      Abb. 21.33  A Stereodarstellung der zwanzig finalen Strukturen von Severin DS111M mit der niedrigsten Energie. Nur die Schweratome
des Proteinrückgrats (N, Cα, C’ und O) sind gezeigt. B Darstellung der Struktur von DS111M im Bändermodell

Während des Recovery Delay (ca. 1–5  s) kehrt die lösung zu reduzieren (oder um die Auflösung bei gleich-
Magnetisierung auf ihren Gleichgewichtswert durch bleibender Messzeit zu erhöhen). In konventionellen
T1-Relaxation zurück. Daher bestimmt diese Wartezeit, Experimenten wird die indirekte Zeitdomäne in Inter-
wie schnell einzelne Experimente (z. B. mit verschiede- valle mit konstantem Abstand Δtn inkrementiert. Im
nen t1-­Inkrementen) wiederholt werden können. Die Gegensatz dazu werden bei der sog. Non-Uniform-­
­SOFAST- und BEST-artigen NMR-Experimente sind Sampling-Methode weniger Inkremente mit zufälligem
spezifisch so entwickelt worden, dass sie selektiv nur Abstand verwendet (ca. 30 % verglichen mit konventio-
einen Teil der Spins (normalerweise die Amidprotonen) nellen Sampling-Methoden). Mathematische Verfahren
anregen. Die nicht angeregten Protonen verstärken die (Maximumentropie oder Compressed Sensing), die sich
T1-Relaxation der angeregten Spins durch Dipol-Dipol-­ von der Fourier-Transformation unterscheiden, konver-
Wechselwirkungen. Folglich kann die Relaxationswarte- tieren diese geringer und zufällig inkrementierten, indi-
zeit auf wenige hundert Mikrosekunden reduziert und rekten Zeitdomänendaten in ein konventionelles Spekt-
somit die Wiederholungsrate fünf- bis zehnmal gestei- rum.
gert werden. Der zweite Ansatz beruht auf der gleichzeitigen In-
21 Die Anzahl der Inkremente in der indirekten Dimen- krementierung von wenigstens zwei indirekten Zeitdo-
sion bestimmt die erreichbare Auflösung in dieser Di- mänen, um eine zweidimensionale Projektion des n-di-
mension. Deshalb benötigen hochaufgelöste Spektren mensionalen Spektrums zu erzeugen. Stellen Sie sich
mehr Messzeit. Zwei verschiedene Ansätze existieren, einen dreidimensionalen Würfel des HNCA-­Spektrums
um die Anzahl der Inkremente bei gleichbleibender Auf- vor mit 1H, 15N und 13C auf den x-, y- und z-Achsen.
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
523 21
Aufgrund der Ko-Inkrementierung der 13C- und 15N-Di- namische Verhalten: die Rotationskorrelationszeit sowie
mension schneidet die resultierende Projektion die die Amplitude und die Zeitskala für lokale Bewegungen.
13C-15N-Ebene bei einem bestimmten Winkel relativ zur Die Korrelationszeit τc beschreibt die statistische Be-
z-Achse. Daher sind in der Projektion die Signale auf wegung des Gesamtmoleküls in Form einer Rotations-
der y-Achse die Kombination der 13C- und 15N-Fre- diffusion, die für Proteine in der Größenordnung von
quenzen, wohingegen die Frequenzen auf der unbeein- Nanosekunden liegt. 15N-­Relaxationsmessungen sind
flussten x-Achse den Amidprotonen entsprechen. Ob- besonders geeignet für die Identifikation und Charakte-
wohl es uns unmöglich ist, sich ein vierdimensionales risierung von angeregten Proteinzuständen, die nur eine
Objekt vorzustellen, so ist es doch mathematisch sehr Besetzung von wenigen Prozent haben, aber wichtig für
einfach, die beschriebene Methode auf ein 4D-Experi- die Proteinfunktion und Proteinfehlfaltung sind.
ment (und höher) zu übertragen. Geeignete Projektions-
rekonstruktionsmethoden ermöglichen es, ein n-dimen- 21.1.7.3  Thermodynamik und Kinetik von
sionales Spektrum anhand einer begrenzten Anzahl von Protein-Ligand-Komplexen
Projektionen zu erzeugen. Bei der Automated Projection Die NMR-Spektroskopie ermöglicht es, viele verschie-
Spectroscopy (APSY) wird alternativ die chemische Ver- dene Aspekte der Wechselwirkung von Proteinen mit
schiebung für jeden Peak direkt aus den Projektionen kleinen Liganden, Nucleinsäuren, Polypeptiden oder
berechnet, ohne das Spektrum zu rekonstruieren. Somit anderen Proteinen zu studieren. Zudem können im Ge-
ist es mit Projektionsspektroskopie möglich, ein gensatz zur Röntgenstrukturanalyse und der Kryoelekt-
6D-Spektrum in drei bis vier Tagen aufzunehmen. ronenmikroskopie mit der NMR-Spektroskopie neben
den strukturellen Informationen auch die dynamischen,
21.1.7.2  Proteindynamik kinetischen und thermodynamischen Eigenschaften von
Proteine sind keine starren, statischen Objekte, sondern Protein-Ligand-Komplexen untersucht werden.
existieren vielmehr als Ensembles von Konformationen. Außerdem können die an der Bindung eines Ligan-
Interne Bewegungen, die zu Übergängen zwischen ver- den beteiligten Aminosäuren eines Proteins bestimmt
schieden Strukturzuständen führen, werden kollektiv als werden, ohne dass genaue strukturelle Informationen
Proteindynamik bezeichnet und finden innerhalb eines vom Liganden vorhanden sein müssen. Hierzu wird eine
weiten Bereichs auf der Zeitskala statt (Nanosekunden 15N- oder 13C-markierte Proteinprobe mit dem nicht
bis Sekunden). Die Proteindynamik spielt eine entschei- markierten Liganden titriert und dabei mehrere HSQC-­
dende Rolle in der Proteinfunktion, insbesondere bei Spektren aufgenommen. In diesen Spektren können die-
der Wechselwirkung mit Bindungspartnern, in der En- jenigen Signale verfolgt werden, deren chemische Ver-
zymkatalyse und in der allosterischen Regulation. Viele schiebung und Linienbreite sich aufgrund der Bindung
NMR-spektroskopische Parameter hängen sowohl von des Liganden verändert haben. Vom nicht markierten
der Bewegung des Moleküls als Ganzes (Translations- Liganden sind dabei keine Signale im HSQC-Spektrum
oder Rotationsbewegungen) als auch von internen Be- zu sehen. Auch ohne Isotopenmarkierung sind diverse
wegungen (Übergänge zwischen verschiedenen Konfor- Experimente möglich. Unter geeigneten Bedingungen
mationen und Rotationen von Bindungen) ab. Sie (schwache Bindung zwischen kleinem Ligand und gro-
erlauben somit Einblick in eine Vielzahl dynamischer ßem Rezeptor) kann z. B. indirekt die gebundene Kon-
Prozesse, die von schnellen Fluktuationen (die Pikose- formation des Liganden bestimmt werden (mittels
kunden andauern) bis zu langsameren Konformations- Transfer-NOE), obwohl der Rezeptor für NMR-Spekt-
änderungen (die Mikrosekunden und mehr andauern) roskopie zu groß ist. Bei der Methode des Saturation
reichen. Transfer (Übertrag von Magnetisierungssättigung) kann
Die Messung von Relaxationsparametern ist für ver- die Bindung zwischen einem Liganden und einem Re-
schieden Kerne möglich. Während 15N-­Relaxationsdaten zeptor an Änderungen der NMR-Signale des relativ
von Amidgruppen Informationen über die Flexibili- hoch konzentrierten Liganden erkannt werden, wäh-
tät des Rückgrats für jede Aminosäure liefern, bestim- rend der Rezeptor um Größenordnungen verdünnter
men Relaxationsmessungen von Seitenkettengruppen vorliegt und im NMR-Spektrum praktisch nicht sicht-
(besonders die Methylgruppen von Valin, Isoleucin bar ist. Diese Technik wird insbesondere in der Pharma-
und Leucin) deren Mobilität. 15N-Relaxationsmessun- industrie zur Suche von Liganden (Screening) für be-
gen haben den Vorteil, dass sie an preisgünstigen 15N-­ stimmte Zielrezeptoren (Targets) verwendet.
markierten Proteinen aufgenommen werden können.
Zudem analysiert man 15N-Relaxationsdaten anhand ei- 21.1.7.4  Proteinfaltung und -fehlfaltung
nes einfachen Modells, da vorwiegend das direkt gebun- NMR-spektroskopische Techniken gewähren Einsicht
dene Proton die Relaxation des 15N-Spins verursacht. In auf atomaren Niveau in den Faltungszustand von Pro-
diesem Modell charakterisieren drei Parameter das dy- teinen. In Kombination mit Temperaturen unter 0°C
524 M. Zweckstetter et al.

(bis zu –15°C) oder Hochdruck (bis zu 2  kbar) ist es nen Tripelresonanzexperimenten ein (7 Abschn. 21.1.4).

möglich, die 3D-Struktur von partiell gefalteten Gleich- Da die 15N- (und 13C’-)Dimension die höchste Auflö-
gewichtsintermediaten zu bestimmen und den kineti- sung für IDPs bieten, erfolgt die sequenzspezifische Zu-
schen Faltungsweg von Proteinen zu studieren. Durch ordnung oftmals anhand von 3D-­ Experimenten, die
Kombination von H/D-Austauschmethoden mit ande- zwei Stickstoffkerne miteinander korrelieren (z. B. HNN
ren NMR-Methoden kann man die Bildung von Was- oder (H)CANNH). Alternative Experimente beruhen
serstoffbrücken innerhalb einer stabilen Sekundärstruk- auf der Kohlenstoffdetektion, in denen die C’-Kerne mit
tur während des Faltungsprozesses verfolgen. Da der den direkt gebundenen Stickstoffkernen korreliert wer-
H/D-Austausch und die Proteinfaltung kompetitive Re- den. Für IDPs/IDRs ist mit diesen NCO-Experimenten
aktionen sind, kann man die Geschwindigkeit der Aus- eine höhere Auflösung erreichbar als mit 1H-15N-
bildung von Sekundärstrukturen anhand der Aus- HSQCs, und es ist außerdem möglich, Prolinreste zu de-
tauschrate von individuellen Protonen bestimmen. tektieren. Aufgrund des kleineren gyromagnetischen
Zudem ist es möglich, mit einer sog. Quenched-Flow-­ Verhältnisses ist die Signalintensität von kohlenstoffde-
Apparatur den H/D-Austausch nur in bestimmten Zeit- tektierten Experimenten jedoch deutlich geringer als die
räumen des Faltungsprozesses zuzulassen. Aus diesen in Experimenten mit Protondetektion. Der ungeordnete
Experimenten erhält man ein zeitaufgelöstes Bild der Zustand verleiht IDPs/IDRs günstige Relaxationseigen-
Ausbildung von Sekundär- und Tertiärstrukturen. Wei- schaften. Daher sind IDPs auch für hochdimensionale
terhin geben 15N-Relaxationsdispersions- und Echtzeit-­ 5D-7D-­Experimente zugänglich, die eine optimale Auf-
NMR-Methoden einzigartige Einblicke in die Faltungs- lösung bereitstellen. Weiterhin ermöglichen die langen,
und Fehlfaltungsprozesse von Proteinen. transversalen Relaxationszeiten von IDPs/IDRs auch
die Charakterisierung von Proteinen weit über 30 kDa.
21.1.7.5  Intrinsisch ungeordnete Proteine Selbst ohne Deuterierung war es möglich, die zwei mi-
Intrinsisch ungeordnete (oder auch natürlich unstruktu- krotubuliassoziierten Proteine tau und MAP 2c, die
rierte) Proteine (IDPs) bzw. intrinsisch ungeordnete Re- beide größer als 45 kDa sind, sequenziell zuzuordnen.
gionen (IDRs) besitzen keine stabil gefaltete Sekundär- IDPs/IDRs existieren als Ensembles von rasch mit-
und Tertiärstruktur, aber erfüllen wichtige biologische einander konvertierenden Strukturen und liefern daher
Funktionen als Teil von Signaltransduktionskaskaden, nur wenige NOE-Abstandseinschränkungen (meist nur
in Ribosomen oder in tumorassoziierten Prozessen. Der für kurze Abstände). Die sekundärchemischen Verschie-
Grad an Unordnung reicht von vollständig entfalteten bungen (7 Abschn. 21.1.6), die man aus der sequenziel-

Proteinen bis zu größtenteils gefalteten Proteinen, wel- len Zuordnung erhält, ermöglichen es, kurzlebige Se-
che IDRs von ca. 30 oder mehr Resten besitzen. IDPs/ kundärstrukturelemente zu identifizieren. Häufig
IDRs besitzen eine markante Aminosäurezusammen- werden diese Elemente durch die Bindung von Protein-
setzung, in der Proline sowie polare und geladene Ami- interaktionspartnern stabilisiert. Abstandseinschrän-
nosäuren (Ser, Gly, Glu, Arg) gehäuft vorkommen. kungen von größerer Reichweite zur Charakterisierung
Gleichzeitig sind sie arm an hydrophoben und aromati- des Strukturensembles sind über RDCs und PREs (Pa-
schen Aminosäuren, die normalerweise den hydropho- ramagnetic Relaxation Enhancements) zugänglich. Um
ben Kern globulärer Proteine ausmachen. Aufgrund ih- PREs zu messen, wird eine paramagnetische Spinmar-
rer dynamischen Natur ist nur die NMR-­Spektroskopie kierung (z. B. ein Nitroxid) in das IDP/IDR eingeführt.
in der Lage, sequenzspezifische, strukturelle/dynamische Die Spinmarkierung verstärkt die Relaxation benach-
Informationen über IDPs/IDRs mit atomarer Auflö- barter Reste (ca. 25 Å) und führt zu Linienverbreiterun-
sung zu liefern. gen und damit zu einer Intensitätsabnahme. Eine Nor-
Die geringe Sequenzkomplexität und das Fehlen sta- malisierung der reduzierten Intensität durch die
biler Strukturen führen zu ähnlichen chemischen Um- Intensität des jeweiligen Restes in Abwesenheit der Spin-
gebungen für jeden Rest. Daher weisen IDPs eine markierung ermöglicht die Berechnung des Abstands
schmale Verteilung der chemischen Verschiebung (be- (der eine Mittelung über das Ensemble darstellt) zwi-
sonders der Amidprotonen) auf, die zu starken Signal- schen dem Kern und der Spinmarkierung. Fortgeschrit-
überlagerungen führt. Degenerierte chemische Verschie- tene Computerprogramme können diese strukturellen
bungen für Cα und Cβ (für jeden Aminosäuretyp liegen Informationen zusammen mit Daten aus der Kleinwin-
21 die chemischen Verschiebungen nahe den Random-Coil-­ kelröntgenstreuung nutzen, um die Ensemblestrukturen
Werten) schränken die Anwendung der oben besproche- zu berechnen.
Magnetische Resonanzspektroskopie von Biomolekülen
525 21
21.1.7.6  Struktur und Dynamik von studieren. Wie der Name schon andeutet, werden Pro-
hochmolekularen Systemen teine nicht in Lösung analysiert, sondern als feste Pulver
und Membranproteinen oder Mikrokristalle. Rotation der Proteine in speziellen
Ende des letzten Jahrhunderts entwickelten Kurt Wü- Rotoren im „magischen Winkel“ bei mehreren tausend
thrich und Kollegen eine als TROSY (Transverse Rela- Hertz führt zu einer Linienverschärfung der Resonan-
xation Optimized Spectroscopy) bezeichnete Technik, zen. Theoretisch gibt es keine Grenze für die Protein-
um die Anwendung heteronuclearer Experimente auf größe, aber die Komplexität der Spektren für große Pro-
Proteine oder Proteinkomplexe von mehreren hundert teine schränkt deren Auswertung ein. Festkörper-­NMR
Kilodalton auszuweiten. Die TROSY-Technik kompen- beruht vorwiegend auf der Detektion von 13C- und
15N-Spins, aber Anstrengungen werden unternommen,
siert zwei Relaxationsmechanismen: die dipolare Wech-
selwirkung und die chemische Verschiebungsanisotro- um bei sehr hohen Drehgeschwindigkeiten (110  kHz
pie. Insbesondere große Proteine profitieren von den und mehr) auch Protonen direkt zu messen. Aufgrund
resultierenden scharfen Linienbreiten, indem die Signal- der geringen Sensitivität der bezüglichen Kerne sind
überlagerung reduziert und die Sensitivität der Experi- Festkörperexperimente oftmals auf zwei Dimensionen
mente gesteigert wird. Aufgrund der Modularität kann begrenzt. Die Entwicklung von dynamischen Kernpola-
die TROSY-Technik mit 3D- und Tripelresonanzexperi- risationstechniken (Dynamic Nuclear Polarization,
menten (z. B. NOESY-HSQC oder HNCA) kombiniert DNP) zur Erhöhung der ­Sensitivität verspricht die Ein-
werden, um eine konventionelle sequenzielle Zuordnung führung von höherdimensionalen Festkörperexperimen-
zu ermöglichen. Mit dieser Vorgehensweise wurde die ten zu ermöglichen.
Struktur des 81 kDa großen Proteins Malatsynthase G
bestimmt. Darüber hinaus lassen sich mit TROSY-­ 21.1.7.7  In-Cell-NMR-Spektroskopie
Techniken die Strukturen α-helikaler Membranproteine Zur strukturellen Charakterisierung werden Proteine in
bestimmen, die mithilfe von Detergensmicellen, Bicellen der Regel stark aufgereinigt. In der Zelle hingegen be-
oder Nanodisks in Lösung gebracht wurden. Somit ist finden sich diese Proteine in der Umgebung zellulärer
es möglich, detaillierte Einblicke in die Interaktion von Bestandteile, Membranen und tausend anderer Proteine
Pharmaka mit Membranrezeptoren zu gewinnen. in hohen Konzentrationen (200–300  g l–1). Es besteht
Große Proteinkomplexe erzeugen eine Vielzahl an daher ein großes Interesse, die Struktur und Dynamik
Signalen und besitzen daher eine hohe Wahrscheinlich- von Proteinen und RNA im zellulären Kontext zu ana-
keit für degenerierte chemische Verschiebungen. Um die lysieren. Um diesem Bedarf nachzukommen, wurden
spektrale Überlagerung zu minimieren, beschränkt man intakte Zellen NMR-spektroskopisch untersucht, die
daher TROSY-Experimente auf die Analyse von isoto- sog. In-Cell-NMR. Zunächst entwickelte man In-Cell-­
penmarkierten Untereinheiten in ansonsten unmarkier- NMR-Methoden an Bakterienzellen und bestimmte die
ten Komplexen oder auf Komplexe aus symmetrischen Struktur von kleinen Proteinen. In letzter Zeit verschob
Untereinheiten. Lewis Kay und Kollegen versuchten sich der Fokus mehr zu Säugerzellen hin. Die einfachste
diese Probleme, die durch die Vielzahl an Signalen in Vorgehensweise für In-Cell-NMR ist die Kultivierung
großen Systemen hervorgerufen werden, zu umgehen, von Zellen in Medien, die mit isotopenmarkierten Ami-
indem sie die Methyl-TROSY-Methode entwickelten. nosäuren versetzt sind, und die anschließende Überex-
Diese Herangehensweise kombiniert die Vorteile der pression des Zielproteins. Jedoch erzeugen Metabolite
scharfen Linien aus dem TROSY mit der begrenzten häufig starke Hintergrundsignale und reduzieren dem-
Anzahl an Signalen, die durch eine selektive Aminosäu- entsprechend den Kontrast in den aufgenommenen
remarkierung entsteht (7 Abschn.  21.1.5). Infolgedes-
  Spektren. Um reine Spektren zu erhalten, adaptierte
sen ermöglichten TROSY-basierte Relaxationsexperi- man Proteintransfektionssysteme, die isotopenmar-
mente an protonierten Methylgruppen (Ile, Leu, Val, kierte Proteine (die man über die heterologe bakterielle
Ala, Met oder Thr) in einem ansonsten perdeuteriertem Expression erhält) in unmarkierte Zellen einschleusen.
Protein die funktionelle Analyse des Öffnungsmechanis- Akzeptale Transfektionseffizienzen erreicht man durch
mus des Proteasoms. Für sehr große Proteine (>200 kDa) Elektroporation oder Lipofektion.
wird der Magnetisierungstransfer durch skalare Kopp- Gegenwärtig beschränken sich In-Cell-NMR-­
lung (wie er auch im TROSY-HSQC verwendet wird) Messungen auf wenige Stunden, da das Zellmedium
ineffektiv. Für diese Proteine erzielen die CRIPT- und übersäuert und zu Zellstress führt. Diese Zeitspanne
CRINEPT-Techniken einen effizienten Magnetisie- reicht zur Aufnahme von 2D-HSQC-Spektren aus, die
rungstransfer durch Kreuzrelaxation. Informationen über intrazelluläre Protein-Protein-­
Festkörper-NMR stellt eine Alternative zu Lösungs-­ Interaktionen, posttranslationale Modifikationen oder
NMR-­Methoden dar, um hochmolekulare Systeme zu die Proteindynamik liefern können. Um einige der mit
526 M. Zweckstetter et al.

Säugerzellen assoziierten Probleme zu umgehen, kann Harris RK (1983) Nuclear magnetic resonance spectroscopy. A phy-
es manchmal vorteilhafter sein, mit Zelllysaten oder cy- sico-chemical view. Pitman, London
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Friebolin H (1988) Ein- und Zweidimensionale NMR-Spektrosko- Wüthrich K (1986) NMR of proteins and nucleic acids. Wiley,
pie. VCH-Verlagsgesellschaft, Weinheim New York
Goldman M (1988) Quantum description of high-resolution NMR
in liquids. Oxford University Press. ISBN 978-0-19-855652-7

21
527 22

EPR-Spektroskopie
an biologischen Systemen
Olav Schiemann und Gregor Hagelueken

Inhaltsverzeichnis

22.1 Grundlagen der EPR-Spektroskopie – 529


22.1.1 E lektronenspin und Resonanzbedingung – 530
22.1.2 cw-EPR-Spektroskopie – 531
22.1.3 g-Wert – 532
22.1.4 Elektronenspin-Kernspin-Kopplung (Hyperfeinkopplung) – 532

22.2 g- und Hyperfeinanisotropie – 533


22.2.1 g
 -Anisotropie – 534
22.2.2 Hyperfeinanisotropie – 535

22.3 Elektronenspin-Elektronenspin-Kopplung – 536

22.4 Gepulste EPR-Experimente – 538


22.4.1  rundlagen gepulster EPR – 539
G
22.4.2 Relaxation – 540
22.4.3 Spinechos – 540
22.4.4 ESEEM – 541
22.4.5 HYSCORE – 542
22.4.6 ENDOR – 543
22.4.7 Gepulste dipolare EPR-Spektroskopie – 545
22.4.8 Vergleich zwischen PELDOR und FRET – 548

22.5 Weitere Anwendungsbeispiele für EPR – 548


22.5.1  uantifizierung von Spinzentren/Bindungskonstanten – 549
Q
22.5.2 Lokale pH-Werte – 549
22.5.3 Mobilität – 549

22.6  enerelle Bemerkungen zur Aussagekraft


G
von EPR-Spektren – 550

22.7 Vergleich EPR/NMR – 551

Literatur und Weiterführende Literatur – 552

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_22
528 O. Schiemann und G. Hagelueken

55 Die Elektronen-Paramagnetische-Resonanz-Spektro- finden (7 Abschn.  22.4.7). EPR-spektroskopische Me-


skopie (EPR oder ESR) liefert Informationen über die thoden erlauben dann z. B., die Anordnung von Unter-
Struktur, Dynamik und lokale Umgebung von Bioma- einheiten oder die Bindung zwischen Biomolekülen zu
kromolekülen. untersuchen.
55 Die Methode braucht ungepaarte Elektronen im Bio- Wie das NMR-Experiment ist auch das EPR-­
makromolekül, also entweder paramagnetische Me- Experiment ein magnetisches Resonanzexperiment,
tallionen, Cluster oder organische Radikale. Ist dies d.  h. die zuvor entarteten Energieniveaus der Elektro-
nicht der Fall, können ungepaarte Elektronen ortsspe- nenspins werden in einem von außen angelegten Mag-
zifisch durch Spinmarkierung mit z. B. Nitroxiden ein- netfeld aufgespalten und Übergänge zwischen diesen
geführt werden. Niveaus mithilfe elektromagnetischer Strahlung in-
55 EPR-Spektroskopie kann in Pufferlösung, in Membra- duziert. In der EPR werden hierfür Mikrowellen be-
nen oder ganzen Zellen und bei Raumtemperatur in nutzt. Das erste Continuous-Wave- (cw) EPR-Experi-
flüssiger Lösung oder in gefrorener Lösung angewen- ment wurde 1944 von dem russischen Physiker J.  K.
det werden und unterliegt keiner Größenrestriktion. Zavoisky durchgeführt, das erste gepulste EPR-Expe-
55 Hyperfeinspektroskopische Methoden wie ESEEM riment 1961 von W.  B. Mims. Die hohen technischen
und ENDOR erlauben detaillierte Strukturaussagen in Anforderungen für gepulste EPR-Experimente führten
der lokalen Umgebung des Spinzentrums. dazu, dass Puls-­EPR-­Spektrometer erst seit Ende der
55 Gepulste dipolare EPR-Methoden wie PELDOR er- 1980er-Jahre kommerziell erhältlich sind. Seitdem und
möglichen Strukturaussagen auf der Nanometerskala in Verbindung mit der gleichzeitig erfolgten Entwick-
und können verwendet werden, um globale Struktur- lung von Hochfrequenz/Hochfeld-EPR-Spektrometern,
änderungen oder die Anordnung von Domänen in gro- computergestützten EPR-Simulationsprogrammen und
ßen makromolekularen Komplexen zu untersuchen. von quantenchemischen Methoden zur Übersetzung
der EPR-Parameter in Strukturdaten findet die EPR-­
Die Elektronen-Paramagnetische-Resonanz-­(EPR-) Spektroskopie eine immer stärkere Anwendung.
Spektroskopie, die auch Elektronenspinresonanz
(ESR) genannt wird, ist eine spektroskopische Me-
thode (7 Kap. 8), mit der Informationen über die Art,

Labeling
Struktur, Dynamik und lokale Umgebung paramagne- Ortsspezifisches Spinlabeling von Biomakromolekülen
tischer Zentren erhalten werden können. Solche Zent- erfolgt üblicherweise dadurch, dass im Biomakromole-
ren zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein oder meh- küle an der Stelle, an der das Label eingeführt werden
rere ungepaarte Elektronen besitzen. In biologischen soll, eine spezielle funktionelle Gruppe eingebaut wird,
Makromolekülen sind dies (. Abb. 22.1): Metallionen

die dann selektiv mit dem Label reagiert (siehe auch
(z.  B.  Cu(II), Fe(III), Mn(II), Mo(V)), Metallcluster 7 Abschn. 7.2.1) . Für Proteine erreicht man dies häu-

(z. B. Eisen-Schwefel-Cluster oder Mangancluster) oder fig dadurch, dass durch ortsgerichtete Mutagenese
organische Radikale. Organische Radikale werden u. a. Cysteine an die Stellen in der Peptidsequenz eingebaut
als Zwischenprodukte in Elektrontransferreaktionen werden, an der die Label eingeführt werden sollen, und
in Proteinen (z.  B.  Semichinonradikale, Thiylradikale eventuell vorhandene Cysteine an den nicht erwünsch-
oder Tyrosinradikale) oder strahlungsinduziert in DNA ten Stellen herausmutiert werden. Die SH-Gruppe des
(z. B. Zucker oder Basenradikale) gebildet. Häufig sind Cysteins kann dann mit einer komplementären funkti-
diese Zentren katalytisch aktiv, oder sie sind in biolo- onellen Gruppe am Spinlabel zur Reaktion gebracht
gisch relevante Reaktionen involviert, sodass struktu- werden. Beispiele hierfür sind die Methanthiosulfonat-
relle und dynamische Informationen über diese Stellen (. Abb.  22.2A) und die Maleimid-Gruppe

wichtig für das Verständnis der Funktion dieser Bio- (. Abb.  22.2B). Sollten die Herausnahme oder die

moleküle sind. Diamagnetische Systeme, also Moleküle, Einführung von Cysteinen zu Strukturänderungen
in denen alle Elektronen gepaart sind, können für die bzw. Funktionsverlust führen, können auch unnatürli-
EPR-Spektroskopie zugänglich gemacht werden, in- che Aminosäuren mit speziellen funktionellen Grup-
dem gezielt sog. Spinlabel kovalent an das Biomolekül pen verwendet werden, die dann eine selektive Biokon-
gebunden werden. Üblicherweise werden hierfür ent- jugation mit entsprechend funktionalisierten Labeln
sprechend funktionalisierte Nitroxide verwendet. Für erlauben (. Abb. 22.2C). Im Falle von Oligonucleoti-

EPR-­ Messungen an spinmarkierten Biomolekülen in den werden derivatisierte Phosphoramidite während


Zellen müssen die Label gegen die reduktiven Bedin-
22 gungen in der Zelle genügend stabil sein, deswegen wer-
der automatisierten Oligonucleotidsynthese an fester
Phase an den gewünschten Stellen eingeführt und diese
den hierfür auch Gd(III)-Komplexe oder Tritylradikale dann zur Reaktion mit entsprechend funktionalisier-
eingesetzt, wobei die letzteren auch Verwendung für ten Spinlabeln gebracht (. Abb. 22.2D). Dies funktio-

Nanometer-­ Abstandsmessungen bei Raumtemperatur


EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
529 22
..      Abb. 22.1  Beispiele für A B C
paramagnetische Zentren in HN
biologischen Systemen. A S Fe Base
O
Cu(II) in Plastocyaninen, B O
Fe4S4-Cluster in Ferredoxinen, R N R Fe S
C 3’-Zuckerradikal in
Cu S Fe S
γ-bestrahlter DNA, D N
Thymylradikal in γ-bestrahlter R O
S S Fe
DNA, E Tyrosylradikal im R
Photosystem II, F Thiylradikal N
H H 3C
in Ribonucleotidreduktasen, G
(1-Oxyl-2,2,5,5-­
tetramethylpyrrolin-­3-methyl) D E F
methanthiosulfonat (MTSSL; O O O
Nitroxid-Spinlabel für C
HN C
Proteine), H ein Azido-funktio- NH HN
CH N
nalisiertes Nitroxid zum H CH N
H
Spinlabeling von Oligonucleoti- H 2C
den, I ein Maleimid-­ N O CH 2
funktionalisiertes Tritylradikal
R S
für In-Zell- und Raumtempera-
turmessungen, J ein
Gd(III)-Komplex mit PYM- O
TA-Liganden für In-Zell-Mes-
sungen. Die geschwungenen
Linien und Rs stehen für die G H
O
Fortführung der Aminosäure-
ketten, Oligonucleotide oder N
Cofaktoren N O

N3
O
CH3
S
S
O
I J
O
HO O
O O
S S N

S S O
N Gd
S S
S S O
O
N
HO O
N O O
S S
O S S O
O
O

22.1  Grundlagen der EPR-Spektroskopie


niert für RNAs bis zu einer Länge von ungefähr 50
Nucleotiden. Längere RNAs sind durch Ligation von An dieser Stelle soll kurz auf die physikalischen Grund-
kürzeren gelabelten Fragmenten zugänglich. In jedem lagen der EPR-Parameter eingegangen werden. Für eine
Fall ist nach der Modifikation des Biomakromoleküls tiefergehende Betrachtung ist eine quantenmechanische
zu prüfen, ob die Struktur und/oder Funktion erhalten Beschreibung unvermeidlich, für diese wird jedoch auf
geblieben ist. die weiterführende Literatur am Ende des Kapitels ver-
wiesen.
530 O. Schiemann und G. Hagelueken

A O
O
O
N H
O + S N
NH O
S
S O S S

Cystein NH
B HO O
O
S S HO S
O
S S S
H S S S O
S S O
S S
O
+ S
S O
N
NH S
HO O S
N S S O
S S S NH
O S S S O
O
O Cystein
HO S
O

O
C O
N
N O
+ O N

O HN
NH
H 2N
O
O

para-Acetylphenylalanin
O
D N

NH
O N
N O
N O N
N
NH
O
+ O
N N O

N O
O O
HN O P O-
O-
O R
O P O-
O-
5-Ethyluridin

..      Abb. 22.2  Beispiele für Labelingreaktionen. A Spinlabeling von C Über die Verwendung des Amber-Stop-Codons können unnatür-
Cysteinen mit MTSSL.  Die Methanthiosulfonatgruppe wird abge- liche Aminosäuren in Proteine eingebaut werden, hier das para-Ace-
spalten und das Nitroxid wird über eine Disulfidbrücke an das Cys- tylphenylalanin. In dem dargestellten Fall kann daran der Spinlabel
tein gebunden. B Im Falle der Maleimidgruppe findet eine Micha- über eine Kondensationsreaktion angeknüpft werden. D Auch für
el-Addition der Thiolgruppe an die Doppelbindung statt. Die DNA und RNA gibt es eine große Vielfalt von Labelingreaktionen,
Radikalgruppe, hier ein Trityl, ist dann über eine Thioethergruppe hier dargestellt ist die Biokonjugation über eine Cu-katalysierte
an das Biomakromolekül gebunden, welche im Gegensatz zur Di- „Click“-Reaktion, bei der das Nitroxid über eine Triazolgruppe an
sulfidgruppe auch unter In-Zell-Bedingungen nicht gespalten wird. das Oligonucleotid geknüpft wird

22.1.1 Elektronenspin und gendrehimpuls, den sog. Elektronenspin S besitzt, wobei


22 Resonanzbedingung die Länge des Vektors S durch

Seit dem Stern-Gerlach-Versuch ist bekannt, dass ein


S =  s ( s + 1) (22.1)
ungepaartes Elektron einen quantenmechanischen Ei-
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
531 22
gegeben ist. Dabei sind s = ½ die Spinquantenzahl und  1 1
ħ das Planck‘sche Wirkungsquantum h dividiert durch E  ms = +  = + g e µB B0 (22.8)
 2 2
2π. Wie bei jedem geladenem Teilchen mit einem Eigen-
drehimpuls, so ist auch mit dem Elektronenspin ein ma-
gnetisches Moment μe verknüpft.
 1 1
E  ms = −  = − g e µB B0 (22.9)
e  2 2
µe = −g e S (22.2)
2me
Die Energiedifferenz ΔE zwischen den beiden Energie-
niveaus ist also proportional zur Größe von B0 (. Abb.  

Hier stehen e für die Elementarladung, me für die Ruhe- 22.3).


masse des Elektrons und ge = 2,0023 für den g-­Faktor
des freien Elektrons. Für die Größe des magnetischen ∆E = g e µB B0 (22.10)
Moments gilt:

e Betrachtet man eine makroskopische Probe mit N Spins,


µe = g e s ( s + 1) = g e µB s ( s + 1) (22.3) so befinden sich im energetisch tiefer liegenden Spinzu-
2me
stand ms = –½ mehr Spins als im Zustand ms = +½. Das
Verhältnis der Besetzungszahlen N(ms = +½)/N (ms =
mit
–½) wird durch die Boltzmann-Verteilung beschrieben:
e
2me
(
= µB Bohr ‘sches Magneton . ) (22.4) N 1
 ms =+  −
∆E

ge µB B0
 2
=e kT =e kT
(22.11)
N 1
In einem äußeren Magnetfeld B0 gibt es nur zwei mögli-  ms =− 
 2

che Einstellungen des Spins: parallel oder antiparallel
zum äußeren Feld. Die Komponenten des Elektronen- Daraus errechnet sich für T = 300 K, B0 = 340 mT und
spins in Richtung des Magnetfeldes B0 (üblicherweise k = 1,3806 · 10–23 JK–1 (Boltzmann-Konstante) ein Ver-
als z-Richtung definiert) lauten: hältnis der Besetzungszahlen von 0,999. Bei Raumtem-
peratur ist der energetisch tiefer gelegene Zustand ms =
sz = ms  (22.5)
–½ also etwas stärker populiert. Durch elektromagneti-
sche Strahlung können Spins aus dem Niveau ms = –½
Die magnetische Quantenzahl ms nimmt für s = ½ Werte in das Niveau ms = +½ angeregt werden, wenn die Ener-
von +½ und –½ an. Aufgrund der Heisenberg’schen Un- gie der Strahlung gleich ΔE ist. Dies ist die Resonanz-
schärferelation sind die sx und sy-Komponenten nicht bedingung.
bestimmt (unscharf). Aus der Orientierung des Elektro-
nenspins entlang der z-Achse folgt auch eine Orientie- hν = ∆E = g e µB B0 (22.12)
rung der korrespondierenden magnetischen Momente.
Für die z-Komponente des magnetischen Momentes μe,z Wie in der NMR-Spektroskopie (7 Kap. 21) tritt hier-  

gilt: bei die magnetische Feldkomponente der elektromagne-


tischen Strahlung mit dem magnetischen Moment des
µe, z = −g e µB ms (22.6)
Elektronenspins in Wechselwirkung.

Das negative Vorzeichen für μe,z ergibt sich aus dem ne-
gativen magnetischen Moment. Für die Energie E eines 22.1.2 cw-EPR-Spektroskopie
Elektronenspins, der entlang der z-Achse des äußeren
Magnetfeldes orientiert ist, folgt damit: In cw-EPR-Spektrometern werden kontinuierlich Mi-
krowellen einer konstanten Frequenz in die Probe ein-
E = − µe, z B0 = g e µB ms B0 (22.7) gestrahlt und das äußere Magnetfeld verändert, bis die
Resonanzbedingung durchfahren ist. Am gebräuch-
Während die beiden Spinorientierungen ms = –½ und ms lichsten sind cw-EPR-Spektrometer, die bei einer
= +½ ohne Magnetfeld energetisch entartet sind, wer- ­Mikrowellenfrequenz von ungefähr 9,5 GHz (X-Band)
den sie nach Anlegen eines äußeren Magnetfelds energe- arbeiten, sodass für ein Radikal mit g ≈ 2 Resonanz-
tisch aufgespalten (Zeeman-Aufspaltung). Für die Ener- absorption bei einem Magnetfeld von ungefähr 340 mT
gie E der beiden Einstellungen gilt: auftritt. Da das Verhältnis der Besetzungszahlen nahe
532 O. Schiemann und G. Hagelueken

eins ist, ist das Absorptionssignal jedoch relativ intensi- 22.1.3 g-Wert
tätsschwach. In cw-EPR-Spektrometern wird die Emp-
findlichkeit durch Lock-In-Detektion erhöht, wofür das Für ein freies Elektron würde man immer nur eine Linie
angelegte Magnetfeld B0 durch ein kleines zusätzliches bei g = ge = 2,0023 beobachten. Befindet sich das unge-
Magnetfeld moduliert wird. Diese Modulation führt paarte Elektron aber in einem Molekül, so treten auf-
dazu, dass man die Absorptionslinie in Form ihrer ers- grund elektrostatischer und magnetischer Wechselwir-
ten Ableitung erhält (. Abb.  22.3). Zusätzlich ist die

kungen (Spinbahnkopplung) Abweichungen von ge auf,
Empfindlichkeit dadurch zu verbessern, dass bei tiefen die charakteristisch für den elektronischen Zustand, die
Temperaturen und stärkeren Magnetfeldern gemessen Bindungssituation und die Geometrie des jeweiligen
wird (Verbesserung des Besetzungszahlverhältnisses). Moleküls sind. Für organische Radikale sind diese Ab-
Um die Position der Linie unabhängig vom Magnetfeld weichungen normalerweise klein, da deren magnetisches
und der Mikrowellenfrequenz anzugeben, wird die Lage Bahnmoment gegen null strebt. Nitroxide besitzen z. B.
der Absorptionslinie als g-Wert angegeben (vergleich- einen g-Wert von ungefähr 2,006. Für Übergangsmetall-
bar mit der chemischen Verschiebung der NMR-Spek- ionen können allerdings deutlich größere Abweichungen
troskopie). beobachtet werden. Fe+ in MgO weist beispielsweise ei-
nen g-Wert von 4,1304 auf. Die g-Werte sind also zur
hν ν [GHz ] Charakterisierung ­ unterschiedlicher Radikalarten zu
g= = 7,144775 ⋅10−4 × (22.13)
µB B0 B0 [G ] benutzen. Eine quantitative Berechnung bzw. eine Über-
setzung der g-Werte in Strukturparameter (z.  B. mit
Dichte-Funktional-­ Theorie- (DFT-)Methoden) ist je-
A doch immer noch kompliziert und Gegenstand aktueller
ms = +½
Forschung.

22.1.4 Elektronenspin-Kernspin-Kopplung
ΔE = hν
E (Hyperfeinkopplung)
Zusätzlich zu der Spinbahnkopplung kann das magneti-
ms = –½ sche Moment des Elektronenspins an die magnetischen
Momente von Kernspins koppeln (. Abb. 22.4), deren

0 B0 Kernspin I größer als null ist (z. B. 1H, 2H, 14N, 15N, 31P,
13C, 17O). Die Kopplung von Elektron und Kern führt

B zu einer Aufspaltung der Absorptionslinie in M = 2 · n ·


I + 1 Linien (Multipizitätsregel). Hierbei ist n die An-
A zahl magnetisch äquivalenter Kerne und I deren Kern-
spinquantenzahl.
Die Größe der Aufspaltung, die als Hyperfeinkop-
plungskonstante Aiso bezeichnet wird, hängt linear vom
B0
magnetischen Moment μI des koppelnden Kerns sowie
von der Spindichte bzw. der Aufenthaltswahrscheinlich-
C keit ∣Ψr=0∣2 des ungepaarten Elektrons am Kernort ab
dA
(Fermi-Kontakt-Wechselwirkung).
g
dB0
2
Aiso ∝ µI ψ r = 0 (22.14)

B0 Da nur s-Orbitale eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit


am Kernort haben, in den meisten Radikalen sich das
..      Abb. 22.3  A Zeeman-Aufspaltung für ein Elektronenspin im ungepaarte Elektron aber in einem p-, π- oder d-Orbital
Magnetfeld B0. B Die Absorptionslinie, die erhalten wird, wenn die
Resonanzbedingung erfüllt ist, und C die durch die Feldmodulation
aufhält, stellt sich die Frage, warum solche Radikale
erhaltene erste Ableitung der Absorptionslinie trotzdem Hyperfeinkopplungen aufweisen. Die Ursache
22
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
533 22
Zeeman- Hyperfein-
am Stickstoff- und Sauerstoffatom lokalisierten
Aufspaltung kopplung
π-Orbital auf. Durch Spinpolarisation wird auch an bei-
E
m
s
= m
I
=
den Kernorten Spindichte erzeugt, da jedoch das natür-


lich am häufigsten vorkommende 16O-Isotop einen
–½
Kernspin von I = 0 aufweist, tritt durch diesen Kern
keine Linienaufspaltung auf. Das natürlich am häufigs-
ten vorkommende Isotop 14N hat hingegen einen Kern-
spin von I = 1, wodurch die Absorptionslinie in ein Tri-
–½
–½
plett mit einer Hyperfeinkopplungskonstanten von Aiso,

hier 1,4 mT = 39,2 MHz, aufgespalten ist. Die zusätzlich
zu beobachtenden kleinen Linien auf der Tief- und
Hochfeldseite jeder 14N-Linie werden durch eine
B0 13C-Hyperfeinkopplung von einem der beiden direkt ge-

..      Abb. 22.4  Aufspaltungsschema für ein ungepaartes Elektron (s


bundenen Kohlenstoffatome (I = ½) hervorgerufen.
= ½, rot) gekoppelt an ein Proton (I = ½, schwarz). Die Hyperfein- Diese Hyperfeinkopplung von 0,5 mT spaltet jede der
kopplung soll größer sein als die Kern-Zeeman-Wechselwirkung. Die drei Linien in ein Dublett auf. Die Intensität dieses Trip-
Kern-Zeeman-Wechselwirkung ist die Wechselwirkung zwischen letts von Dubletts ist jedoch aufgrund der geringen na-
dem magnetischen Moment des Kerns und B0 (7 Kap. 21). Die ge-  
türlichen Häufigkeit von 13C (1,1 %) intensitätsschwach,
strichelten Linien zeigen die nach den EPR-Auswahlregeln (Δms =
±1 und ΔmI = 0) erlaubten EPR-Übergänge
sodass das EPR-Spektrum vom 14N-Triplett dominiert
ist. Eigentlich müsste jede der drei 14N-Linien in ein Tri-
plett aufgespalten sein, da zwei Kohlenstoffatome direkt
an das Stickstoffatom gebunden sind. Die Wahrschein-
lichkeit für ein Molekül mit zwei direkt gebundenen
13C-Kernen ist jedoch so klein, dass dieses Triplett von

Tripletts nicht zu beobachten ist. Wenn auch die Frage


nach der Spindichteverteilung für ein Nitroxid akade-
misch erscheinen mag, bekommt sie für Cofaktoren in
Elektronentransferproteinen eine ganz entscheidende
Bedeutung. Für das Verständnis der Funktion solcher
Proteine ist es z. B. wichtig, ob das transportierte Elekt-
ron auf einem Metallion oder dem Liganden dieses Ions
..      Abb. 22.5 Spinpolarisationsmechanismus: Das ungepaarte lokalisiert ist bzw. welcher Teil eines Cofaktors als Elek-
Elektron im p-Orbital hat seine größte Aufenthaltswahrscheinlich- tronakzeptor/-donor fungiert (. Abb. 22.6B).

keit in relativ großer Entfernung vom Kern. Ein Elektron im s-Orbi-


tal hat gemäß der Hund’schen Regel einen zu diesem Elektron paral-
lelen Spin, wenn es ebenfalls weiter vom Kern entfernt ist. Das zweite
Elektron, nahe am Kernort des s-Orbitals, muss sich dann wegen des 22.2  g- und Hyperfeinanisotropie
Pauli-Verbots antiparallel zum ersten einstellen. Auf diese Weise
wird Spindichte am Kernort induziert In den vorangegangenen Abschnitten haben sich die Be-
trachtungen auf Radikale in flüssiger Lösung bezogen,
hierfür ist, dass durch Spinpolarisation Spindichte in d. h. die Radikale rotieren gegenüber der Frequenz der
energetisch tiefer gelegenen und doppelt besetzten s-Or- Mikrowellenstrahlung so schnell, dass sie isotrop er-
bitalen induziert wird (. Abb. 22.5).
  scheinen. Man spricht auch von isotropen Spektren.
Wird von einem Radikal ein EPR-Spektrum mit auf- Wird die Probe eingefroren bzw. ein Pulver oder Ein-
gelöster Hyperfeinstruktur erhalten, können aus den kristall vermessen, so hat jedes Molekül eine festgelegte
Hyperfeinkopplungskonstanten die Spindichtevertei- Orientierung zu B0, und die EPR-Spektren zeichnen sich
lung ermittelt und damit Aussagen zu Art und Struktur durch winkelabhängige (anisotrope) Beiträge aus. Sol-
des Radikals getroffen werden. Als Beispiel sei an dieser che Beiträge gibt es für g, die Hyperfeinkopplung und
Stelle das cw-EPR-Spektrum eines Nitroxides bespro- die Kopplung zwischen ungepaarten Elektronen. Das
chen (. Abb. 22.6A). Wie in allen Alkylnitroxiden hält
  Auftreten dieser anisotropen Beiträge in einem
sich hier das ungepaarte Elektron zu über 95 % in einem EPR-Spektrum erschwert zwar dessen Auswertung, bie-
534 O. Schiemann und G. Hagelueken

A Aiso(14N)
= 1,4 mT

Aiso(13C) giso
= 0,5 mT = 2,006

333 336 339


B0 (mT)

III
B (H 3N)5CoI I I
4+
(H 3N)5Co
4+
O O O O
II III
Cr (OH 2)4
g = 2,003
Cr (OH 2)4
schnell
N N
intramolekularer
N ET N

II langsam
(H 3N)5Co
O O
4+ 1 mT
III
Cr (OH 2)4

..      Abb. 22.6  A cw-X-Band EPR-Spektrum von TPA (2,2,5,5-­Tetra dann erst auf das Co(III) übergeht. Das Pyrazinradikal konnte
methylpyrrolin-­1-oxyl-3-acetylen) in flüssiger Lösung. B Modell für EPR-­spektroskopisch anhand der Hyperfeinsignatur und des g-Wer-
eine Elektronentransferkette in einem Protein. Die Reduktion von tes nachgewiesen werden. Häufig werden die cw-EPR-Spektren ohne
Co(III) zu Co(II) erfolgt durch einen intramolekularen Elektronen- x-Achse abgebildet und nur ein Maßstab angegeben. (Nach Spiecker
transfer, wobei das Elektron vom Cr(II) zuerst auf das Pyrazin und et al. 1977)

tet aber gleichzeitig die Möglichkeit, detaillierte Infor- grund seiner Kugelsymmetrie äquivalent sind, dann ist
mationen über Art und Struktur (Winkel und Abstände) gx = gy = gz und g somit auch im Festkörper isotrop. Für
des paramagnetischen Zentrums zu erhalten. Aus die- EPR-Spektren bedeutet dies, dass man ohne Hyperfein-
sem Grund sowie zur Erhöhung der Empfindlichkeit wechselwirkungen im kugelsymmetrischen Fall eine Li-
und um die Lebensdauer von kurzlebigen Radikalen zu nie mit einem g-Wert bei giso beobachtet. Eine Anisotro-
verlängern, werden die meisten EPR-Experimente an pie in g tritt dann auf, wenn sich das ungepaarte Elektron
biologischen Systemen in gefrorener Lösung bei tiefen in einem Molekülorbital befindet, das nicht kugelförmig
Temperaturen (bis zu 3 K) durchgeführt. ist. Im axialsymmetrischen Fall (zwei gleiche Raumrich-
tungen) wird ein Spektrum wie in . Abb.  22.7A mit

zwei prinzipiellen g-Werten (g⊥ und g||) erhalten. Im or-


22.2.1 g-Anisotropie thorhombischen Fall (x ≠ y ≠ z) sind alle drei prinzipiel-
len g-Werte unterschiedlich, und man erhält ein Spekt-
Hält sich das ungepaarte Elektron in einem s-Orbital rum wie in . Abb.  22.7B. In flüssiger Lösung werden

auf, für das die drei Raumrichtungen x, y und z auf- die anisotropen Anteile von g ausgemittelt, sodass gilt:

22
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
535 22

..      Abb. 22.7  Beispiele für cw-EPR-Spektren mit g-Anisotropie. A küle bei, die weder mit g|| noch mit g⊥ parallel zu B0 orientiert sind. B
Beispiel für ein axiales EPR-Spektrum in Absorption und darunter Beispiel für ein orthorhombisches EPR-Spektrum. Der NiFe-Clus-
in erster Ableitung. High-Spin-Eisen(III)porphyrine (Häm) geben ter in der Nickel-Eisen-Hydrogenase aus Desulfovibrio vulgaris Mi-
solch ein Spektrum. Die Absorption bei g|| resultiert von solchen yasaki F. gibt z. B. solch ein Spektrum. Die Zuordnung von x, y und
Molekülen, die mit g|| parallel zu B0 orientiert sind, während bei g⊥ z zu den entsprechenden g-Werten g11, g22, g33 ist nur über die Ein-
solche Moleküle absorbieren, die mit g⊥ parallel zu B0 orientiert sind. kristallmessungen möglich. (Nach Foerster et al. 2005)
Zu der Absorption zwischen diesen beiden Punkten tragen die Mole-

55 Überlagerte Spektren von verschiedenen Radikalen


giso =
1
( 2 g⊥ + g ) ( axialer Fall ) (22.15) lassen sich anhand der unterschiedlichen g-Werte der
3
Radikale separieren.
55 Die Sensitivität der Spektrometer nimmt mit zuneh-
mendem Magnetfeld/zunehmender Frequenz zu
giso =
1
3
(
gx + g y + gz ) ( orthorhombischer Fall ) (22.16) (größere Besetzungszahldifferenz), d.  h. es werden
immer kleinere Probenmengen benötigt.
55 Misst man dieselbe Probe bei unterschiedlichen
In vielen Fällen, insbesondere bei organischen Radika- Mikrowellenfrequenzen, können die magnetfeld-
len, sind die g-Werte bei einer Mikrowellenfrequenz von unabhängigen Hyperfeinkopplungen von der mag-
9,5 GHz (X-Band) aufgrund der relativ kleinen g-An- netfeldabhängigen g-Anisotropie getrennt werden
isotropie auch im Festkörper nicht separiert. Es ist aber (Multifrequenzansatz).
möglich, die g-Anisotropie aufzulösen, indem man zu
höheren Frequenzen/Feldern geht (. Abb. 22.8). Hier-

bei wird ausgenutzt, dass die g-Anisotropie (gemessen 22.2.2 Hyperfeinanisotropie


in mT) mit dem Magnetfeld zunimmt (die g-Werte blei-
ben aber gleich). Im Unterschied dazu ist die Hyperfein- Die in einem anisotropen Spektrum beobachtete Hy-
kopplung magnetfeldunabhängig. Gebräuchlich und perfeinkopplung Ai eines Kerns setzt sich additiv aus
auch kommerziell erhältlich sind cw-Hochfrequenz-­ der isotropen Hyperfeinkopplungskonstanten Aiso und
EPR-Spektrometer, die bei 36  GHz (Q-Band)/1,3 T, einem anisotropen Anteil Ai,dip zusammen. Der tiefge-
95 GHz (W-Band)/3,4 T oder 263 GHz/9,5T arbeiten. stellte Index i steht hierbei für eine der drei Raumrich-
Spektrometer mit noch höheren Frequenzen (360 GHz, tungen x, y oder z und bedeutet, dass die Hyperfein-
640  GHz und im THz-Bereich) werden auch verwen- kopplung je nach Raumrichtung unterschiedlich sein
det, sind aber technisch sehr anspruchsvoll und noch kann.
nicht kommerziell erhältlich. Der technische Aufwand
lohnt sich jedoch nicht nur aufgrund der Auflösung der Ai = Aiso + Ai ,dip (22.17)
g-Anisotropie, sondern auch aus folgenden Gründen:
536 O. Schiemann und G. Hagelueken

..      Abb. 22.8 Magnetfeldabhän- gx
gige Aufspaltung von gx, gy und E 180 GHz gy ms = +½
gz in einem Molekül mit gz
orthorhombischer Symmetrie.
Darunter als Beispiel die
cw-EPR-Spektren eines
Semichinonradikals im X- (9,5 9,5 GHz
GHz/0,34T) und G-Band (180
GHz/6,4 T). Die 1H-Hyperfein-
kopplungen sind nicht aufgelöst

gz
gy ms = –½
gx
0 B0
gx
gx
gy gy
gz

O
gz

gz
gy

gx
O

Der anisotrope Anteil der Hyperfeinkopplung ergibt


sich aus der dipolaren Kopplung zwischen den magneti- Aiso =
1
( 2 A⊥ + A ) (22.19)
3
schen Momenten des Elektrons und des Kerns. Sie ist
raumvermittelt und sowohl vom Abstand r zwischen
Elektron und Kern als auch vom Winkel zwischen dem
22.3  Elektronenspin-Elektronenspin-
Abstandsvektor r und dem äußeren Magnetfeld B0 ab-
hängig (. Abb. 22.9).

Kopplung
Je nach der Symmetrie des paramagnetischen Zent-
rums unterscheidet man auch für die Hyperfeinkop- Befinden sich in einem Biomolekül zwei ungepaarte
plung drei Fälle: kugelsymmetrisch mit Ax = Ay = Az, Elektronen A und B in einem festen Abstand r zu- ein-
axial mit A⊥ und A|| und orthorhombisch mit Ax ≠ Ay ≠ ander, dann kann eine Kopplung νAB zwischen diesen
Az (. Abb. 22.10). In flüssiger Lösung mitteln sich die

beiden Elektronen auftreten. Die in einem anisotropen
dipolaren Hyperfeinkopplungsanteile heraus, sodass Spektrum beobachtbare Elektron-Elektron-Kopplung
gilt: setzt sich, wie die Hyperfeinkopplung, additiv aus einem
isotropen und einem anisotropen Anteil zusammen.

Aiso =
1
(
Ax + Ay + Az ) (22.18)
3 ν AB = J + D (22.20)

22
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
537 22
A B
θ = 90°
B0 1

Amplitude
θ B
r θ = 0°

0
A –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4
νdd (D )

..      Abb. 22.9  Winkelabhängigkeit der dipolaren Kopplung. A Bild den Maxima bei θ = 90° gleich νdip und der Abstand zwischen den
zur Veranschaulichung des Abstandsvektors r und des Winkels θ. A beiden Wendepunkten bei θ = 0° gleich 2νdip, im Falle eines PDS Ex-
und B können ein Elektron und ein Kern oder zwei Elektronen sein. perimentes ist der Abstand 2νdip bzw. 4νdip. Dargestellt ist der ge-
B Pake-Spektrum für die dipolare Kopplung zwischen zwei Elektro- pulste Fall
nen. In einem cw-EPR-Spektrum ist der Abstand zwischen den bei-

..      Abb. 22.10 Hyperfeinaniso- Ax
tropie am Beispiel des cw-EPR-­ = 0,4 mT Ay
Spektrums (T = 60 K) von TPA = 0,3 mT TPA
(2,2,5,5-Tetramethylpyrrolin-1- N O
oxyl-3-­acetylen) bei 180 GHz/6,4
T (G-Band). Die Ax- und
Ay-Hyperfeinkopplungen sind
nicht aufgelöst

gy gz
= 2,007 = 2,003

gx
= 2,009

Az
= 3,1 mT

6,40 6,41 6,42 6,43


B0 (T)

Der isotrope Anteil J ist die Austauschwechselwirkung, beiden Elektronenspins parallel (ferromagnetisch) oder
die nur größer als null ist, wenn die Wellenfunktionen antiparallel (antiferromagnetisch) zueinander einstel-
der beiden Elektronen überlappen (r < 10 Å) oder wenn len. Der anisotrope Anteil D der Kopplung beruht auf
die beiden Elektronen über eine konjugierte Brücke der durch den Raum vermittelten magnetischen Wech-
miteinander verknüpft sind. Sie ist in flüssiger Lösung selwirkung zwischen den magnetischen Dipolen der
beobachtbar und lässt Aussagen darüber zu, ob sich die beiden Elektronen und ist orientierungsabhängig, also
538 O. Schiemann und G. Hagelueken

nur beobachtbar, wenn die Biomoleküle eine feste Ori- Gl. 22.22 daraus der Abstand zwischen den beiden un-
entierung zu B0 haben (gefrorene Lösung/Pulver, Ein- gepaarten Elektronen zu berechnen. Aus cw-EPR-
kristall oder wenn D >> τrot (7 Abschn. 22.5.3). In flüs-
  Spektren sind so i. A. Abstände von bis zu 15 Å zu be-
siger Lösung ist dieser anisotrope Anteil ausgemittelt stimmen. Bei größeren Abständen ist die dipolare
(D = 0). Kopplung durch die inhomogene Linienbreite ver-
deckt. In solchen Fällen kann die dipolare
(
D = ν dip ⋅ 1 − 3 cos 2 θ ) (22.21) Elektronenspin-Elektronenspin-­ Kopplung durch ge-
pulste EPR-Methoden ermittelt werden.
Die Bestimmung solcher langreichweitiger Abstände
mit ist beispielsweise von Interesse, um die Anordnung von
paramagnetischen Metallzentren in biologischen Mak-
µB2 g A g B µ0 1 romolekülen zu bestimmen (. Abb. 22.11). Es können
ν dip = ⋅ 3 (22.22)  

4π h rAB aber auch gezielt zwei Untereinheiten eines Proteins mit



jeweils einem Nitroxid markiert und über die dipolare
Hier ist θ der Winkel zwischen dem Abstandsvektor rAB Kopplung der Abstand zwischen den beiden Spinlabeln
und dem äußeren Magnetfeld B0 (. Abb.  22.9A). gA  
gemessen werden (7 Abschn. 22.4.6).

und gB sind die g-Werte der beiden Elektronen, μ0 ist die


Permeabilität im Vakuum und μB ist das Bohr’sche Ma-
gneton. Der erste Term in der Gleichung von νDip ist also 22.4  Gepulste EPR-Experimente
eine Konstante.
In EPR-Spektren tritt die dipolare Kopplung in Mit cw-EPR-Methoden ist es üblicherweise möglich,
Form eines sog. Pake-Spektrums auf, wenn die Kopp- große Kopplungen zu bestimmen. Gepulste EPR-­
lung größer als die Linienbreite ist. Ein solches Spekt- Methoden erlauben es hingegen, kleine Kopplungen zu
rum ist in . Abb. 22.9B gezeigt. In cw-EPR-Spektren
  entfernteren Kernen oder ungepaarten Elektronen auf-
ist die parallele Komponente des Pake-Spektrums auf- zulösen. Weitere Vorteile gepulster Experimente liegen
grund ihrer geringen Intensität häufig unterdrückt, und darin, dass bestimmte Kopplungen je nach Pulssequenz
es werden nur die beiden Maxima für θ = 90° beobach- selektiert werden können, dass mehrdimensionale Expe-
tet. Kann die dipolare Kopplungskonstante νDip aus ei- rimente durchführbar sind und dass die Empfindlichkeit
nem Spektrum ermittelt werden, dann ist nach höher ist. Insbesondere mit Experimenten wie ESEEM

A B

CuA

Mn

H2O

3,34 3,36 3,38


B0 (T)

..      Abb. 22.11  Beispiel für ein Protein mit dipolarer Elektronenspin-­ benbedingungen nun so ein, dass das CuA-­Zentrum in den s = ½-Zu-
Elektronenspin-­Kopplung. A Anordnung des binuclearen CuA-­Zentrums stand übergeht, so beobachtet man ein cw-­EPR-­Spektrum in dem jede
und des Mn(II)-Ions in der Cytochrom-c-Oxidase aus Paracoccus deni- Manganlinie in ein Dublett aufgespalten ist. Aus der Größe der Aufspal-
trificans. B cw-EPR-Spektren des Mn(II)-Zentrums im W-Band (94 tung (2,2 mT) konnte die dipolare Kopplungskonstante zu 3,36 mT be-
GHz/3,3 T). Das Mn(II)-Ion (s = 5/2 und I = 5/2) führt im W-Band zu stimmt und damit der CuA-Mn Abstand zu 9,4 Å berechnet werden. Das
einem cw-EPR-Spektrum mit sechs Linien (2 * 1 * 5/2 + 1 = 6). Das paramagnetische CuA-­Zentrum war wie das diamagnetische nicht zu de-
CuA-Zentrum ist durch Wahl geeigneter Bedingungen im diamagneti- tektieren (Nach Käß et al. 2000)
22 schen s = 0-Zustand, sodass es kein EPR-Signal gibt. Stellt man die Pro-
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
539 22
(Electron Spin Echo Envelope Modulation) und Puls-EN-
DOR (Electron Nuclear Double Resonance) sind in ei- Pulse
nem Radius von bis zu 10 Å um das ungepaarte Elekt- Um Mikrowellenpulse zu erzeugen, wird die Mikro-
ron Aussagen über die Struktur der Umgebung zu wellenstrahlung schnell eingeschaltet und nach einem
treffen. Mit PELDOR (Pulsed Electron-Electron Double bestimmten Zeitraum wieder ausgeschaltet. Eine so ge-
Resonance) sind sogar Abstände von bis zu 160 Å zwi- schaltete Mikrowelle ist ein Mikrowellen-­Rechteckpuls.
schen zwei Elektronenspins messbar. Solche Pulse haben in der EPR-Spektroskopie typi-
scherweise Pulslängen im Bereich von Nanosekunden
(NMR: Mikrosekunden). Diese sehr kurzen Pulslän-
22.4.1 Grundlagen gepulster EPR gen führen dazu, dass die Pulse nicht eine bestimmte
Mikrowellenfrequenz (wie die Mikrowellen im cw-Ex-
Die Grundlagen der gepulsten EPR-Spektroskopie sind periment), sondern eine gewisse Frequenzbreite besit-
vergleichbar mit denen der gepulsten NMR-­ zen (Heisenberg‘sche Unschärferelation). Daraus
Spektroskopie. Für die EPR müssen diese Betrachtun- folgt, dass bei konstantem Magnetfeld das komplette
gen jedoch auf Elektronenspins übertragen werden. EPR-Spektrum angeregt werden kann, wenn es schma-
In 7 Abschn.  22.1 wurde gezeigt, dass für einen
  ler ist als die Anregungsbandbreite des Pulses. Hierbei
Elektronenspin dessen Länge |S| sowie die Sz-Kompo- ist die Anregungsbandbreite des Pulses proportional
nente festgelegt, die x- und y-Komponenten jedoch un- zum Inversen seiner Länge. Umgekehrt wird, wenn das
bestimmt sind. Da |S| größer ist als Sz, ist der Winkel Spektrum breiter ist, nur ein Teil des Spektrums ange-
zwischen B0,z und dem Spin ungleich null. Der Spin liegt regt, man spricht dann von Orientierungsselektion.
also nicht genau parallel zu B0,z (auch wenn man es so Die im Folgenden häufiger auftretenden 90°- bzw.
sagt) und damit auch nicht dessen magnetisches Mo- 180°-Pulse bezeichnen Pulse, die den Elektronenspin
ment. Die Kraft des Magnetfeldes versucht jedoch, die um 90° bzw. 180° drehen. Die Drehwinkel werden über
magnetischen Momente parallel zu B0,z einzustellen, was die Pulslänge und Pulsamplitude eingestellt. Ein 180°-
dazu führt, dass die Elektronenspins und die dazu anti- Puls hat demnach entweder die doppelte Länge oder
parallelen magnetischen Momente auf Kegeln um die Amplitude verglichen mit einem 90°-Puls. Strahlt man
Magnetfeldachse B0,z präzedieren (. Abb.  22.12). Die
  einen 90°-Puls entlang der +x-Richtung in eine Probe
magnetfeldabhängige Frequenz dieser Präzessionsbewe- ein, dann tritt dieser Puls mit der Larmor-Frequenz
gung nennt man Larmor-Frequenz. Da nach der Boltz- der Spins in Wechselwirkung und dreht M von der
mann-Verteilung mehr magnetische Momente parallel +z-Achse auf die –y-Achse (. Abb. 22.13).

zu B0,z orientiert sind, erfährt die Probe eine makrosko- Wie in der NMR-Spektroskopie werden auch in
pische Magnetisierung M parallel zu B0. der EPR-Spektroskopie zunehmend andere Pulsfor-
men als Rechteckpulse eingesetzt. Solche Pulse ermög-
lichen es z. B. Spektren komplett anzuregen, die breiter
sind als die Anregungsbandbreite eines Rechteckpul-
A B ses.
B0,z B0,z

In 7 Abschn. 22.1 wurde ausgeführt, dass Spins nur die


beiden Einstellungen parallel oder antiparallel zum Feld


sz = + ħ /2
|S | = ħ · 3/4 einnehmen können. Es stellt sich also die Frage, wie die
einzelnen Spins eingestellt sein müssen, um eine Magneti-
sz = – ħ /2
sierung in y-Richtung hervorzurufen. Veranschaulichen
kann man sich dies folgendermaßen: Der 90°-Puls indu-
ziert eine Gleichverteilung der Spins auf beide Energieni-
veaus, wodurch sich die einzelnen magnetischen Momente
..      Abb. 22.12  A Bild zur Veranschaulichung der Spinorientierung entlang der z-Achse zu null addieren. Gleichzeitig sind die
zu B0. B Veranschaulichung der Magnetisierung M (roter Pfeil). Die Spins auf den Präzessionskegeln nicht mehr gleichver-
schwarzen Pfeile symbolisieren in diesem Bild die magnetischen Mo-
teilt, sondern bilden Spinpakete in Richtung der -y-Achse.
mente μe,z der Elektronenspins. Die Elektronenspins selber sind anti-
parallel zu μe,z orientiert Da die Spins in diesen Paketen die gleiche Orientierung
540 O. Schiemann und G. Hagelueken

A z und Geschwindigkeit haben, bezeichnet man dieses Phä-


nomen als Phasenkohärenz. Quantenmechanisch ist die
Kohärenz in der x,y-Ebene eine Superposition zwischen
den beiden Spinzuständen ms = ± ½. Die Spinpakete blei-
x ben aber nicht statisch auf der y-Achse, sondern präzedie-
ren mit um die z-Achse, wodurch ein Strom bzw. ein Sig-
nal in einem Detektor erzeugt wird. Es wird also nicht wie
–y
im cw-Experiment die Absorption der eingestrahlten Mi-
hν krowellenfrequenz detektiert.
B z

22.4.2 Relaxation
x Da die einzelnen Spins leicht unterschiedliche magneti-
sche Umgebungen haben, besitzen sie auch leicht unter-
schiedliche Larmor-Frequenzen bzw. Winkelgeschwin-
–y digkeiten. Daraus folgt, dass die Phasenkohärenz mit
der Zeit verloren geht, d.  h. die Spinpakete lösen sich
C z nach einer gewissen Zeit auf (Dephasierung). Behalten
sie aber ihre Geschwindigkeit und Richtung bei, können
sie durch einen 180°-Puls wieder zu einem Echo refokus-
siert werden. Wenn sie jedoch ihre Geschwindigkeit oder
x Richtung ändern, dann lassen sie sich nicht mehr refo-
1 kussieren, dieser Vorgang ist die Spin-Spin- oder T2-Re-
laxation (für Elektronenspins im Bereich von Nanose-
2 –y kunden) und führt zu einer Gleichverteilung innerhalb
3
der Kegel. Gleichzeitig kehren die Spins auch aus der
D z Gleichverteilung zwischen den beiden Energieniveaus
wieder in die Verteilung nach Boltzmann zurück. Diese
Relaxation wird als Spin-­Gitter- oder T1-Relaxation be-
zeichnet und erfolgt für Elektronenspins im Bereich von
x Mikro- bis Millisekunden.
1
2
–y 22.4.3 Spinechos
3

E z Da in der EPR-Spektroskopie die Dephasierung sehr


schnell ist, kann aus technischen Gründen für die meis-
ten Proben nach dem 90°-Puls kein freier Induktions-
zerfall (FID) beobachtet werden. In der EPR behilft
x man sich dadurch, dass stattdessen ein Spinecho de-
tektiert wird. Im Folgenden ist eine einfache 2-Puls-­
Sequenz beschrieben, die ein solches Spinecho erzeugt
–y (. Abb. 22.14).

Wird nach dem 90°-Puls eine gewisse Zeit τ gewartet,


dann haben sich die Spinpakete aufgrund ihrer ungleichen
..      Abb. 22.13  A Magnetisierung M entlang B0. x, y und z sind die Rotationsgeschwindigkeiten unterschiedlich weit von der
drei Raumrichtungen und B0 ist entlang z orientiert. Die Mikrowel- y-Achse entfernt (. Abb.  22.13B, C). Strahlt man nun

lenpulse werden entlang der x-Achse eingestrahlt. B M nach dem


einen 180°-Puls ein, dann werden die Spins unter Beibe-
90°-Puls. C Dephasierung während der Zeit τ. D Refokusierung der
Spins durch den 180°-Puls, der ebenfalls entlang der x-Achse einge- haltung der Rotationsgeschwindigkeit und Drehrichtung
um 180°, also von der –y-Richtung in die +y-Richtung,
22 strahlt wird. E Echo nach der Zeit τ nach dem 180°-Puls
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
541 22
180°   . Abb. 22.15 schrittweise vergrößert und die Echoamp-
90° HE litude des stimulierten Echos in Abhängigkeit von T
τ τ aufgezeichnet. Da die Amplitude des stimulierten Echos
Zeiv mit der längeren T1-Relaxation abnimmt, ist ein längeres
Zeitfenster zum Beobachten der Oszillation gegeben,
..      Abb. 22.14  2-Puls-Sequenz zur Erzeugung eines Hahn-Echos und die Linien sind schmaler.
(HE) Als Beispiel für ein 3-Puls-ESEEM soll ein Experi-
ment am Elektrontransferprotein bo3 Ubichinol-­Oxidase
aus Escherichia coli besprochen werden. Weil das Ubi-
90° 90° 90° SE chinon im Verlauf des Elektrontransfers als Ubisemichi-
τ T τ
nonradikal vorliegt, wurde die Bindung des Chinons
Zeit EPR-spektroskopisch untersucht. In . Abb.  22.16 ist

das entsprechende 3-Puls-ESEEM sowohl im Zeitraum


..      Abb. 22.15  3-Puls-Sequenz zur Erzeugung eines stimulierten
als auch nach der Fourier-Transformation abgebildet.
Echos (SE)
Im Fourier-transformierten Spektrum sieht man vier Li-
nien bei 0,95 MHz, 2,32 MHz, 3,27 MHz und 5,2 MHz,
gedreht. Da sie ihre Rotationsgeschwindigkeit und Dreh- die aufgrund des Frequenzbereichs, in dem sie auftreten,
richtung beibehalten, laufen die Spins nach dem 180°- einem 14N-Kern in der Nähe des Ubisemichinonradikals
Puls wieder zusammen und bilden nach der Zeit τ eine zugeordnet wurden. Die Linien der 1H-Kerne treten um
Magnetisierung bzw. ein Spinecho auf der +y-Achse 14 MHz herum auf.
(. Abb.  22.13D, E). Dieses Echo wird zu Ehren seines

Das Auftreten von vier 14N-Linien lässt sich wie folgt
Entdeckers Erwin Hahn als Hahn-Echo bezeichnet. erklären: Da 14N einen Kernspin von I = 1 besitzt, wer-
Ein anderes Spinecho kann mit einer 3-Puls-Sequenz den die beiden Elektronenspinzustände m = ± ½ durch
s
erzeugt werden (. Abb.  22.15). Mit einem 90°-Puls die 14N-Hyperfeinkopplung in jeweils drei Niveaus auf-

wird die Magnetisierung in die x,y-Ebene gedreht, dann gespalten (. Abb.  22.17). Ist die Kern-­
  Zeeman-­
eine kurze Zeit τ gewartet und wieder einen 90°-Puls ein- Wechselwirkung genauso groß wie die Hyperfeinkop-
gestrahlt. Durch den zweiten 90°-Puls wird die x,y-­ plung, dann heben sich die beiden Wechselwirkungen in
Magnetisierung entlang der z-Richtung gespeichert. Mit einem der zwei m -Niveaus auf. Die Energieseparation in
S
einem dritten 90°-Puls nach einem Zeitintervall T wird diesem m -Niveau ist dann durch die für Kerne mit I > ½
S
die Magnetisierung als sog. stimuliertes Echo detektiert. auftretende Quadrupolwechselwirkung bestimmt, die
durch die Quadrupolkopplungskonstante Q und den
Asymmetrie-Parameter η beschrieben wird. Beide Para-
22.4.4 ESEEM meter sind sehr sensitiv bezüglich der Ladungsverteilung
in einem Molekül bzw. der Molekülstruktur. Die drei
Vergrößert man schrittweise das Zeitintervall τ in der Kernspinübergänge ν0, ν+ und ν– in dem durch die Quad-
2-Puls-Sequenz in . Abb.22.14, kann man eine Oszilla- rupolwechselwirkung bestimmten mS-Niveau sind im

tion der Echoamplitude beobachten, die als Electron-­ 3-Puls-ESEEM besonders intensiv. Der Doppelquanten-
Spin-­Echo-Envelope-Modulation (ESEEM) bezeichnet übergang νdq aus dem anderen mS-Niveau ist hingegen
wird. Die Ursache für diese Modulation sind Übergänge intensitätsschwach und breit. Die beiden Einquanten-
zwischen den Kernspinniveaus. Fourier-transformiert übergänge νsq1 und νsq2 werden nicht detektiert. Anders
man diese Oszillationen, erhält man die entsprechenden als im cw-EPR-­ Spektrum werden im 3-Puls-ESEEM
Frequenzen der Oszillation. Aus diesen Frequenzen also die verbotenen Kernspinübergänge detektiert.
können die Kopplungen von Kernen in der Umgebung Aus den Frequenzen, die zu den vier Linien gehö-
bestimmt werden. Nachteilig bei dieser Pulssequenz ist, ren, konnten die isotrope 14N-Hyperfeinkopplung, die
dass die Linienbreite aufgrund der schnellen T2-­ 14N-Quadrupolkopplungskonstante und der Asym-
Relaxation sehr groß ist, sodass sich Linien überlagern. metrieparameter der Quadrupolkopplung berechnet
Zusätzlich treten höhere harmonische Frequenzen so- werden. Aus diesen Daten sowie aus dem zweidimensi-
wie Summen- und Differenzfrequenzen auf, die eine In- onalen Spektrum in . Abb. 22.19 und Isotopenmarkie-

terpretation der Spektren erschweren. rungen wurde gefolgert, dass das Ubichinon nur mit der
Keine höheren harmonischen Frequenzen oder Sum- C1-Carbonylgruppe über eine starke Wasserstoffbrü-
men- und Differenzfrequenzen erhält man, wenn man ckenbindung an ein Stickstoffatom im Aminosäurerück-
statt des 2-Puls-ESEEMs das auf dem stimulierten Echo grat gebunden ist. Dieser Befund einer asymmetrischen
basierende 3-Puls-ESEEM benutzt. In diesem Experi- Bindung des Ubichinons könnte helfen, den gerichteten
ment wird das Zeitintervall T in der 3-Puls-Sequenz in Elektrontransfer in diesem Protein zu verstehen.
542 O. Schiemann und G. Hagelueken

..      Abb. 22.16 3-Puls-ESEEM- |O| –


A B
Spektrum und Strukturformel ν0
H3CO
des Ubisemichinonradikals in
der QH-Bindungstasche der ν–
1
Ubichinol-­Oxidase. A Spektrum H3CO H
im Zeitraum und B Spektrum im

Echoamplitude
|O| 8

Amplitude
Frequenzraum (Nach Grimaldi
et al. 2001) ν+

νdp

0 4 6 8 10 0 2 4 6 8
T ( µs) Frequenz (MHz)

..      Abb. 22.17 Aufspaltungs- m I = –1
E
schema für ein gekoppeltes ν0
Spinsystem mit s = ½ und I = 1
ms = +½ mI = 0
für den Fall, dass sich die ν– ν+
Hyperfeinwechselwirkung und
die Kern-Zeeman-Wechselwir- m I = +1
kung gegenseitig aufheben

A/2
m I = –1 ν sq1
ν dq

ms = –½ mI = 0

m I = +1 ν sq2

Elektron-Zeeman- Kern-Zeeman- Hyperfein- Kern-Quadrupol-


Wechselwirkung Wechselwirkung Wechselwirkung Wechselwirkung

22.4.5 HYSCORE 180°


90° 90° 90°
Das Hyperfine-Sublevel-Correlation-Experiment (HY- τ t1 t2 τ
SCORE, . Abb.  22.18 und  22.19) ist ein zweidi-

mensionales Kreuzkorrellationsexperiment, bei dem Zeit


Kernspinübergänge in einem ms-Niveau mit den Kern-
..      Abb. 22.18 HYSCORE-Puls-Sequenz
spinübergängen im zweiten ms-Niveau korreliert werden.
Das Experiment wird so durchgeführt, dass zwi-
schen den beiden letzten 90°-Pulsen einer stimulierten hören. Dabei muss die Voraussetzung erfüllt sein, dass
Echosequenz ein 180° Mischpuls eingeführt wird. Dann die Übergänge zum selben Kern gehören. Dieses Experi-
werden sowohl das Zeitintervall t1 als auch das Zeitin- ment wurde im Fall der Ubichinol-Oxidase benutzt, um
tervall t2 variiert (. Abb.  22.18). Nach einer Fourier-­

zu entscheiden, ob die vier Linien im 3-Puls-ESEEM
Transformation erhält man ein zweidimensionales Spek- tatsächlich nur von einem Stickstoffkern herrühren. In
trum im Frequenzraum, in dem Kreuzkorrelationen . Abb.  22.19 ist das entsprechende HYSCORE-Spek-

zwischen solchen Linien auftreten, die zu Kernspinüber- trum gezeigt. Man sieht deutlich die Kreuzkorrelationen
gängen in dem einen ms-Niveau gehören, und Linien, die zwischen den vier Linien, sodass diese eindeutig einem
zu Kernspinübergängen in dem anderen ms-Niveau ge- einzigen Stickstoffkern zuzuordnen sind.
22
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
543 22

A A
180° 90° 180°
T τ τ
MW
Zeitt

180°

RF
Zeit

B
90° 90° 90°
τ T τ
MW
B Zeit

180°

RF
Zeit

..      Abb. 22.20 ENDOR-Pulssequenzen: A Davies- und B Mims-­


ENDOR.  RF steht für Radiofrequenz und MW für Mikrowellen-
frequenz

dem zweiten 90°-Puls eingestrahlt wird. Diese Puls-


sequenz besitzt eine höhere Sensitivität für kleine
­Hyperfeinkopplungen, allerdings treten sog. Blindspots
auf, die vom gewählt τ abhängen. Beide Pulssequenzen
sind in Bezug auf die Zeitachse statisch, d. h. kein Zeit-
..      Abb. 22.19  A Theoretisches HYSCORE-Spektrum. B HYSCO- intervall wird während des Experimentes verändert,
RE-Spektrum des Ubisemichinonradikals in der QH-Bindungstasche
und für beide Experimente werden die Kernspinüber-
der bo3 Ubichinol Oxidase aus E. coli. Zur besseren Übersicht ist nur
einer der vier Quadranten gezeigt. Erwähnenswert ist, dass das HY- gänge beobachtet. Mit beiden ENDOR-Sequenzen er-
SCORE in gefrorener Lösung ohne Magic Angle Spinning (MAS) auf- hält man im Prinzip EPR-detektierte NMR-Spektren
genommen wurde (Nach Grimaldi et al. 2001) (man beobachtet aber keine Kern-Kern-Kopplungen).
In . Abb.  22.21 ist ein 19F-Mims-ENDOR-Spektrum

an einem RNA-Duplex gezeigt.


22.4.6 ENDOR In diesem Beispiel werden die Mikrowellenpulse auf
den Elektrospin, also das Nitroxid, eingestrahlt und der
Das Electron-Nuclear-Double-Resonance- (ENDOR-) Radiowellenpuls auf den 19F-Kern. Man erhält dann ein
Experiment kann sowohl als cw- oder Puls-Experiment Pake-Spektrum für die dipolare Kopplung zwischen
durchgeführt werden. Hier sollen nur zwei gepulste Va- dem Elektrospin des Nitroxids und dem Kernspin des
19F-Kerns. Führt man den 19F-Kern in eine katalytisch
rianten besprochen werden (. Abb. 22.20).

Im Davies-ENDOR-Experiment (. Abb. 22.20A) wird aktive Stelle eines Ribozymes oder Proteins ein, können

die Magnetisierung mit einem 180°-Puls invertiert und nach mit dieser Methode detaillierte Informationen über
einer Mischzeit T mit einer 90°-τ-180°-τ-­Echo-­Sequenz wie- Strukturänderungen im Verlauf der Katalyse erhalten
der detektiert. Während der Zeit T wird ein 180°-Radiofre- werden.
quenzpuls eingestrahlt (180°-Puls für die Kernspins) und ENDOR-Experimente sind u.  a. aus drei Gründen
die Echoamplitude in Abhängigkeit von der Radiofrequenz interessant:
gemessen. Werden durch die Radiowellen Kernübergänge 55 Die Auflösung ist sehr gut, weshalb auch kleine Hy-
induziert, dann treten im ENDOR-Spektrum Linien bei perfeinkopplungen und Hyperfeinanisotropien auf-
den entsprechenden Radiowellenfrequenzen auf. zulösen sind.
Ein anderes gepulstes ENDOR-Experiment (Mims-­ 55 Die Linienanzahl ist gegenüber cw-EPR-Spektren
ENDOR, . Abb.  22.20B) basiert auf der stimulier-
  reduziert. Koppeln in einem cw-EPR-Experiment N
ten Echosequenz, wobei der Radiofrequenzpuls nach Sätze magnetisch äquivalenter 1H-Kerne miteinan-
544 O. Schiemann und G. Hagelueken

..      Abb. 22.21  19F-W-Band-Mims-ENDOR an RNA. A Links: wo auf dem Spinlabelspektrum die Mikrowellenpulse eingebracht
Struktur des verwendeten Spinlabels. Rechts: Position des 19Fluor- werden. Summiert man alle Teilspektren auf (sum), erhält man ein
19F-Mims-­
atoms am Zucker. B Position des Fluors und des Spinlabels in der ENDOR-Spektrum, das weniger orientierungsunabhän-
RNA und darunter ein geometrisches Modell für die spinmarkierten gig ist. Das blaue Spektrum ist eine Simulation mit entsprechendem
und 19F-markierte RNAs. C Die 19F-Mims-ENDOR-Spektren für Abstand für ein Spinlabelkonformer, die roten Spektren sind Simula-
beide RNAs. Da die Anregungsbandbreiten der Mikrowellenpulse tionen, die die Konformerverteilung des Spinlabels miteinbeziehen.
die spektrale Breite der Spinlabel unterschreiten, werden orientie- (Mayer et al. 2020)
rungsabhänge 19F-Mims-ENDOR-Spektren erhalten, je nachdem,
22
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
545 22
der, dann nimmt die Anzahl der Linien mit N2 zu, im lung von dafür geeigneten Spinlabeln (z.  B.  MTSSL)
ENDOR-Experimenten hingegen nur mit 2N. wichtige Beiträge zu einer breiten Anwendbarkeit von
55 Im Unterschied zu den ESEEM-Experimenten, für PDS geleistet. Für PDS-Messungen werden weder Kris-
die die Echomodulation bei hohen Mikrowellenfre- talle benötigt, noch gibt es Größeneinschränkungen.
quenzen/Magnetfeldern gegen null strebt, erhält Außerdem können die Untersuchungen in Lösung, in
man bei hohen Mikrowellenfrequenzen/Magnetfel- Membranen oder sogar in Zellen durchgeführt werden.
dern ENDOR-Spektren, in denen die Kerne entspre- Besonders die PELDOR oder auch DEER genannte
chend ihren Kern-Larmor-Frequenzen immer stär- Pulssequenz (. Abb. 22.22C, D) ist zu einem Standard-

ker voneinander separiert sind. werkzeug in der Strukturbiologie geworden.


. Abb. 22.22A–E zeigt den prinzipiellen Ablauf ei-

nes PELDOR-Experiments. Das Biomakromolekül ent-


hält entweder intrinsisch zwei Spinzentren, oder sie wer-
22.4.7  epulste dipolare EPR-
G den durch ortsspezifisches Labeling mit Spinlabeln
Spektroskopie eingeführt (. Abb. 22.22A). Im Fall von zwei Nitroxi-

den erhält man im Q-Band das EPR-Spektrum in


Durch Verwendung geeigneter Pulssequenzen kann . Abb.  22.22B. Die PELDOR-Pulssequenz wird mit

auch eine schwache dipolare Kopplung zwischen Spin- zwei Mikrowellenquellen durchgeführt, eine für die De-
zentren gezielt herausgefiltert und bestimmt werden. tektionssequenz (rote Farbe) und eine für den Pump-
Solche Experimente werden als PDS (Pulsed Dipolar Puls (blaue Farbe). Ein Teil der Spinzentren in der Probe
Spectroscopy) bezeichnet. Mit den verschiedenen Puls- (rote Fläche in . Abb. 22.22B) wird mit der Detektions-

sequenzen im PDS-Werkzeugkasten (. Tab. 22.1) ist es


  sequenz angeregt und ihr Status in Form eines Spine-
heutzutage möglich, Abstandsverteilungen bis zu 160 Å chos ausgelesen (. Abb.  22.22C, rechts). Ein weiterer

zwischen Spinzentren verschiedenster Art zu messen. Teil der Spins (blaue Fläche in . Abb. 22.22B) wird der-

Solche Abstandsverteilungen sind von großem Inter- weil mit der Pumpfrequenz angeregt, wobei der Zeit-
esse für die Untersuchung von biomakromolekularen punkt 𝜏, zu dem der Pump-Puls in der Pulssequenz auf-
Strukturen und ihrer komplexen Dynamik. Allerdings tritt, variiert wird. Sind die Pump- und Detektionsspins
enthalten nur wenige Makromoleküle ein oder mehrere dipolar gekoppelt, so ändert sich die Intensität des
Spinzentren. Deshalb haben die Entwicklung der orts- Echos mit der zeitlichen Position 𝜏 des Pumppulses, so-
gerichteten Spinmarkierung (s. oben) sowie die Entwick- dass beim Auftragen der Echointensität gegen die Zeit 𝜏
ein oszillierendes Signal erhalten wird. Fourier-transfor-
miert man diese Oszillation, erhält man das sog. Pake-­
..      Tab. 22.1 PDS-Puls-Sequenzen Spektrum (. Abb.  22.9B). Die Maxima im Pake-­

Spektrum entsprechen θ = 90° und die Flanken θ = 0°.


Puls-Sequenz Gut geeignet für Abstände
zwischen Mithilfe von mathematischen Methoden wie der
Tikhonov-Regularisierung können diese PELDOR-­
PELDOR/DEER Nitroxid–Nitroxid Zeitspuren auch direkt in Abstandsverteilungen über-
(pulsed electron double Nitroxid–Metall (z. B. Cu2+ führt werden. Normalerweise wird hierfür das Pro-
resonance/double electron- oder Gd3+)
gramm DeerAnalysis verwendet. In diesem Programm
electron resonance) Nitroxid–Trityl
wird angenommen, dass alle Winkel θ zwischen dem
RIDME (relaxation induced Spinzentren mit signifikant Abstandsvektor und dem angelegten Magnetfeld B0,z
dipolar modulation unterschiedlichen T1-
angeregt, also das Pake-Spektrum erhalten wurden, was
enhancement) Relaxationszeiten, z. B.
Nitroxid–Metall häufig erfüllt ist.
Trityl–Metall (z. B. Fe3+) Nun müssen diese Abstandsverteilungen noch in
Strukturen übersetzt werden. Im Falle von Spinlabeln
DQC Spinzentren mit schmalem
(double quantum coherence) EPR Spektrum, z. B. ist hierbei zu berücksichtigen, dass das Spinzentrum
Trityl–Trityl in Nitroxiden auf der NO-Gruppe liegt und mit PEL-
DOR daher der NO–NO-Abstand gemessen wird.
SIFTER Spinzentren mit schmalem
(single-frequency technique EPR Spektrum, z. B. Daraus folgt, dass für die Generierung der Struktur
for refocusing dipolar Trityl–Trityl des Biomoleküls die konformationelle Flexibilität des
couplings) Linkers zwischen der NO-Gruppe und dem Anknüp-
fungspunkt am Biomolekül berücksichtigt werden muss
546 O. Schiemann und G. Hagelueken

A B C E

F G I

..      Abb. 22.22  Das PELDOR-Experiment und die Umsetzung von spüren diese die Änderung des Magnetfelds, was zu einer Änderung
Abständen in Strukturen. A Eine PELDOR-Probe, die ein zweifach der Intensität des Spinechos am Ende der Pulssequenz führt. E Die
spinmarkiertes (Sternchen) Makromolekül (graue Kugeln) enthält. Intensität des Signals ändert sich abhängig von der Position τ des
Die Spinmarker sind durch einen Distanzvektor r getrennt. B Ein Pump-Pulses. Die Frequenz des oszillierenden Signals hängt direkt
EPR-Spektrum (schwarze Linie) der Probe in A. Die blauen und ro- vom Abstand der Spinzentren ab. F Skizze zur Verdeutlichung der
ten Bereiche des Spektrums entsprechen Spinmarkern mit unter- Flexibilität des Spinmarkers (rot) auf einem Makromolekül (grün).
schiedlicher Ausrichtung ihrer Nitroxidgruppe zum Vektor des stati- Bei einer Länge des Spinmarkers von 7 Å (z. B. MTSSL) ergibt sich
schen Magnetfelds B (vgl. a). C Die PELDOR-Pulssequenz. Die rot theoretisch eine sehr große Unsicherheit bei der Vorhersage des In-
markierten Pulse sind in Resonanz mit Spins, die zum roten Teil des ter-Spin-Abstandes. G, H Die in F gezeigte Unsicherheit kann durch
Spektrums in B gehören. Der Zustand dieser Spins wird ständig an- Simulation des Spinmarkers auf der makromolekularen Oberfläche
hand der integrierten Intensität des Echos am Ende der P ­ ulssequenz deutlich gesenkt werden. Je nach Position des Spinmarkers ergibt
ausgelesen. D Während des Ablaufs der Beobachter-­Pulssequenz sich ein unterschiedlich großes, für den Spinmarker erreichbares Vo-
wird zu bestimmten Zeiten τ ein Puls eingestrahlt, der mit den Pump- lumen. I Durch Bestimmung aller möglichen Abstände zwischen den
Spins der Probe in Resonanz ist (blauer Bereich in B). Dieser Puls in G und H gezeigten Konformationen des Spinmarkers lässt sich
dreht den Magnetisierungsvektor der entsprechenden Spins um eine Abstandsverteilung berechnen, welche mit dem experimentellen
180°. Befinden sich die Pump-Spins nahe genug an den Proben-Spins, Ergebnis verglichen werden kann

(. Abb.  22.22F). Hierfür werden sog. In-Silico-Spin-­


  Häm-gebundenen Fe3+-Ion gemessen werden. Hierfür
Labeling-Algorithmen verwendet, die das Konformere- ist PELDOR nicht das geeignete Experiment, da das
nensemble des Spinlabels an den markierten Positionen Fe3+-Spektrum so breit ist, dass nur ein kleiner Teil der
vorhersagen (. Abb. 22.22G, H).
  Eisenspins detektiert werden kann (. Abb.  22.23D).

Eine häufige Anwendung von PDS ist die Validie- Dies führt dazu, dass die Signalintensität sehr gering
rung von Strukturmodellen, welche mit Methoden wie und nur ein kleiner Teil der θ-Winkel angeregt wird. In
Kryo-EM, NMR oder Kristallographie erstellt wurden, solchen Fällen bietet sich das RIDME-Experiment (Re-
oder die Verfolgung von Strukturänderungen, ausgelöst laxation Induced Dipolar Modulation Enhancement) an
z.  B. durch Ligandbindung. . Abb.  22.23A zeigt die
  (. Abb.  22.23E). Hier wird auf dem schmalen Nitro-

Kristallstrukturen des Häm-Eisen-Proteins Cytochrom xidspektrum detektiert, und die natürliche Relaxation
P450cam in seiner geöffneten und geschlossenen Kon- des Metallions als eine Art intrinsischer Pump-Puls mit
formation. Letztere wird durch Bindung des Substrats, unendlicher Bandweite genutzt, um die Fe3+-Spins im
Campher, induziert. In diesem Fall wurde PELDOR Zeitintervall T zu invertieren. Auf diese Weise konnte
verwendet, um die ligandeninduzierte Konformations- das Ergebnis in . Abb. 22.23F, G erhalten werden.

änderung in Lösung zu verifizieren und dadurch auszu- In letzter Zeit wird PDS auch im Sinne einer „integ-
schließen, dass es sich um ein Kristallpackungsartefakt rativen Strukturbiologie“ verwendet. Man versteht da-
22 handelt (. Abb. 22.23B, C). Am gleichen Protein sollte
  runter die Lösung eines strukturbiologischen Problems
auch der Abstand zwischen einem Spinlabel und dem durch die Kombination von verschiedenen biophysika-
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
547 22
A 190 B C
190

Nitroxid-Nitroxid-PELDOR
G

Häufigkeit
58

Signal
42

Häm 2CPP
0 1 2 3 4 2 3 4 5 6 7 8
3L61
Campher Zeit (µs) r (nm)

G
D F
PELDOR RIDME
Fe3+ N-O

16-ns- 1,0 Nitroxid-Fe3+-PELDOR vs RIDME


MW-Puls

0,9

Häufigkeit
PELDOR
Signal

2600 2800 3000 3200 3400 3600 3800


Magnetfeld (G)
0,8
E
/2 PE /2 /2 RVE RIDME

0,7
VE 0,0 0,5 1,0
τ1 τ1 t T τ2 – t τ2 Zeit (µs) 2 3 4
r (nm)

..      Abb. 22.23  Verschiedene Anwendungen von PDS am Beispiel A). Deutlich ist das viel breitere Fe3+-Spektrum im Vergleich zum
von Cytochrom P450cam. A Die Kristallstrukturen der geöffneten Nitroxid-Spektrum zu sehen. Zur Verdeutlichung ist die ungefähre
(rot) und geschlossenen (weiß) Form von Cytochrom P450cam. Häm Bandbreite eines 16-ns-­ Pump-Pulses eingezeichnet. E Die RID-
ist als grünes Stäbchenmodell und Campher als grünes Kugelmodell ME-Pulssequenz. F Vergleich einer PELDOR- und RIDME-Mes-
dargestellt. Spinmarkierte Stellen und die entsprechenden Abstände sung an einer Probe von Cytochrom P450cam mit einem Spinmarker
sind als Punkte bzw. als gestrichelte Linien eingezeichnet. B PEL- an Position 58. G Die aus F berechneten Abstandsverteilungen (Dee-
DOR-Zeitkurven für die geschlossene (grau) und geöffnete Form rAnalysis). Das Standard-­PELDOR-­Experiment liefert in diesem
(rot) mit Spinmarkern an Positionen 48 und 190 des Makromoleküls speziellen Fall eine leicht verfälschte Abstandsverteilung (s. Text).
(vergleiche a). C Experimentelle Abstandsverteilungen (durchgezo- Die grüne Kurve ist die vorhergesagte Abstandverteilung. Trotz des
gene Linien) und In-Silico-Vorhersagen (farbige Flächen). Der Farb- Unterschieds zwischen PELDOR und RIDME liegen beide Ergeb-
code entspricht A und B. D X-band-EPR-Spektrum des in a gezeig- nisse innerhalb dieser Vorhersage
ten Proteins mit einem MTSSL-Spinmarker an Position 58 (rot in

lischen Methoden. Idealerweise werden dabei die an PDS-Abstandsdaten hat. Ein weiteres Beispiel ist
Nachteile der einen Methode durch die Vorteile einer die Lokalisierung von Metallionen in Makromolekü-
anderen ausgeglichen. Zum Beispiel: Die Kristallstruk- len. Gibt es z. B. die Struktur eines Proteins, welche das
tur eines Membrantransporters liefert eine hochaufge- Metallion aber nicht enthält, können mit PDS gemes-
löste Struktur, aber kaum Information über dessen sene Abstände zwischen Spinlabeln und dem Metall-
Strukturänderungen während des Transportvorgangs zentrum verwendet werden, um das Metallzentrum in
(7 Kap.  25). PDS-Abstandsdaten mit und ohne das
  der Struktur zu lokalisieren. Dazu wird das Prinzip des
Substrat des Transporters können tiefe Einblicke in die Global Positioning Systems (GPS) verwendet
Dynamik des Transporters geben, sind aber selbst ohne (. Abb. 22.24).

die hochaufgelöste Struktur schwer zu interpretieren. Wichtige Entwicklungen, welche die Zukunft von
Ein weiteres wichtiges Beispiel ist die Rekonstruktion PDS beeinflussen werden, sind die Entwicklung von
von makromolekularen Komplexen: Gibt es keine Spinlabeln, die eine Routineanwendung bei Raum-
Struktur eines großen Komplexes, dafür aber Teilstruk- temperatur erlauben, und Techniken zur Messung von
turen, welche z. B. mittels Kristallographie oder NMR Abständen in lebenden Zellen. Beide Aspekte sind
gelöst wurden, kann man die Geometrie des Komple- Gegenstand der aktuellen Forschung in vielen EPR-­
xes rekonstruieren, wenn man eine ausreichende Menge Forschungsgruppen.
548 O. Schiemann und G. Hagelueken

A B

..      Abb. 22.24  Trilateration von Spinzentren durch PDS. A Das rimentell bestimmt wurden, sind durch Kreissegmente in der ent-
Prinzip der Trilateration in 2D. Der Ort eines Metallions (rot) ist zu sprechenden Farbe dargestellt. Zu beachten ist, dass im 3D-Raum
bestimmen. Die Spinlabel 1–3 sind an das Makromolekül gebunden jeder Abstand einer Kugel entspricht. Der Schnittpunkt all dieser
(schwarze Form). Die Entfernungen r1–3 werden mittels PDS ge- Kugeln ist das Ergebnis der Trilateration. Mittels dieses molekularen
messen. Jeder Abstand entspricht einem Kreis um die entsprechende GPS wurde die Cu2+-Bindungsstelle eindeutig gefunden. Der Unter-
Spinmarkierung. Der Schnittpunkt aller Kreise ist der Ort des Me- schied von 3 Å zur kristallographisch bestimmten Position des Cu2+-
tallions. B Als Beispiel dient die Lokalisation des Cu2+-Ions in Azu- Ions ist auf die Unsicherheit bei der Vorhersage der Spinlabelkonfor-
rin (weißes Schlaufenmodell). Sechs verschiedene Spinlabelpositio- mationen und auf eine Delokalisierung der Spindichte vom
nen, die zur Trilateration des Cu2+-Ions in Azurin mittels PSD Metallion in Richtung der koordinierenden Aminosäuren zurückzu-
verwendet wurden, sind als farbige Kugeln mit Zahlen von 1–6 ein- führen. (Nach Abdullin et al. 2015)
gezeichnet. Die entsprechenden Nitroxid-Cu2+-Distanzen, die expe-

22.4.8  ergleich zwischen PELDOR


V 55 Die Berechnung des Abstandes aus dem Pake-­
und FRET Spektrum ist parameterfrei. Für die Auswertung der
FRET-Messungen müssen Annahmen über den Ori-
Eine andere spektroskopische Methode, mit der Ab- entierungsparameter κ gemacht werden.
stände im Nanometerbereich gemessen werden kön- 5 5 Die verwendeten Label sind für FRET und PEL-
nen, ist FRET (Förster-Resonanz-Energietransfer; DOR unterschiedlich. Häufig werden für FRET
7 Abschn.  8.5.5 und  19.7). Ein Vergleich zwischen

große Chromophore verwendet, die über flexible
FRET und PELDOR zeigt, dass beide Methoden kom- Gruppen an die Biomoleküle gebunden sind. In der
plementär sind. EPR sind die verwendeten Label kleiner und können
55 FRET liefert Abstände von Biomolekülen in flüssi- im Falle von DNA/RNA über starre und sehr kurze
ger Lösung und kann auf Einzelmolekülebene Gruppen dicht am Biomolekül angebaut werden, so-
durchgeführt werden. PELDOR wird hingegen in dass die gemessenen Abstände leichter mit der Struk-
gefrorener Lösung und bei Konzentrationen im mik- tur des Biomoleküls zu korrelieren sind. Andererseits
romolaren Bereich durchgeführt. PELDOR-­ kann die Einführung einer starren Gruppe eher zu
Messungen bei Raumtemperatur sind durchgeführt einer Veränderung der Struktur des Biomoleküls
worden, aber dann wird das Biomakromolekül an- führen. Man sollte jedoch in beiden Fällen prüfen,
derweitig immobilisiert, z.  B. durch Bindung an ob die Label Strukturänderungen hervorrufen.
Oberflächen.
55 FRET kann Abstandsänderungen zeitaufgelöst be-
obachten. PELDOR beobachtet eingefrorene Ab-
standsverteilungen. 22.5  Weitere Anwendungsbeispiele für EPR
55 Im PELDOR-Experiment ist der Mechanismus der
Kopplung eindeutig. Selbst wenn J nicht vernachläs- In den vorangegangenen Abschnitten wurden verschie-
sigt werden kann, ist die Größe von J aus dem Spek- dene Beispiele für die Bestimmung von Strukturelemen-
22 trum zu bestimmen. Im FRET-Experiment ist der ten mittels EPR-Methoden vorgestellt. In diesem Ab-
Mechanismus der Fluoreszenzlöschung nicht immer schnitt sollen drei Beispiele für die Bestimmung von
eindeutig, häufig werden Referenzen benötigt. Mobilitäten, pH-Werten und Bindungskonstanten ge-
schildert werden.
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
549 22
..      Abb. 22.25 Mn(II)-Bin- A 3'
C–G B 1,2
dung im minimalen C–G
Hammerhead-­Ribozym. A C–G
1,0
Sekundärstruktur des U – A III
Ribozyms. Der Pfeil weist U–A
0,8
G–C 1 M NaCl

R (a.u.)
auf die Spaltungsstelle im
C–G
Phosphodiesterrückgrat hin. 0,6
A–U [Mn2+
gebunden]
j ni [Mn2+
frei ]
B Aus der EPR-­Titration A14 dC17 R= =
erhaltene Bindungsisotherme. A13 G U C A U C G C3' 0,4 [Ribozym] i =1 Kd,i + [Mn2+frei ]
U G12
Die offenen Kreise sind die A G G C C11.1 C A G U A G C G5' 0,2
experimentellen Daten und A C3
die durchgezogene Linie der G C C G G10.1 U4 I 0,0
A9 G5
Fit unter Benutzung der II G8 A6
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8
Formel in dem Graph. Mn2+
U7 frei (mM)
(Kisseleva et al. 2005)

22.5.1  uantifizierung von Spinzentren/


Q nem Modell n äquivalenter und unabhängiger Bin-
Bindungskonstanten dungsstellen ergab sich schließlich, dass das minimale
Hammerhead-Ribozym eine hochaffine Mn(II)-Bin-
Die Signalintensität hängt u.  a. von der Anzahl der dungsstelle mit einer Dissoziationskonstanten von 4 μM
Elektronenspins in einer Probe ab. Da aber auch viele besitzt. Dies gilt für den Fall, dass in der Pufferlösung
andere Faktoren die Signalintensität beeinflussen, wird 1 M NaCl gelöst ist.
die Spinanzahl nicht direkt aus der Signalintensität be-
stimmt. Vielmehr wird so vorgegangen, dass man die
Signalintensität der Probe mit unbekannter Spinanzahl 22.5.2 Lokale pH-Werte
misst und diese mit der Signalintensität einer Probe be-
kannter Spinanzahl vergleicht. Hierfür müssen Probe Nitroxide, die in oder an ihrem Ringsystem eine Ami-
und Referenzprobe unter möglichst identischen Bedin- nogruppe enthalten (. Abb.  22.26A), werden häufig

gungen gemessen werden. Das Problem ist, für beide als pH-Sonden verwendet. Das Prinzip dieser Son-
Proben dieselben Mess- und Probenbedingungen ein- den basiert auf der Protonierung der Aminogruppe
zustellen. Daher liegt der Fehler normalerweise bei in saurer Lösung, wodurch eine positive Ladung im
ungefähr 15  %. Solche Quantifizierungen kann man Nitroxid entsteht. Diese positive Ladung bewirkt eine
benutzen, um bei bekannter Biomolekülkonzentration Verschiebung der Spindichte vom Stickstoff- auf das
die Anzahl der paramagnetischen Zentren in dem Bio- Sauerstoffatom und damit eine Verkleinerung der 14N-­
molekül zu bestimmen. Wenn sich die EPR-Spektren Hyperfeinkopplung. In Abhängigkeit vom pH-Wert
von gebundenem und freiem paramagnetischem Zen- ist das cw-EPR-Spektrum also eine Überlagerung der
trum unterscheiden, können zusätzlich die Anzahl der Spektren des protonierten und unprotonierten Nitro-
Bindungsstellen und deren Dissoziationskonstanten xids. Aus dem Intensitätsverhältnis der beiden Spektren
ermittelt werden. Als Beispiel hierfür wird im Folgen- erhält man das Konzentrationsverhältnis beider Formen
den die Bindung von Mn(II) an eine katalytisch aktive und damit den pH-Wert. Bindet man also solch ein Ni-
RNA, das minimale Hammerhead-Ribozym, bespro- troxid an ein Biomolekül, kann der pH-Wert in dessen
chen (. Abb. 22.25).

lokaler Umgebung gemessen werden.
Titriert man kleine Mengen von Mn(II) in eine Puf-
ferlösung, in der sich das Hammerhead-Ribozym befin-
det, so erhält man für diese Probe ein deutlich kleineres 22.5.3 Mobilität
cw-EPR-Signal, als wenn man die gleiche Menge an
Mn(II) in eine Pufferlösung ohne Ribozym titriert. Der Insbesondere Nitroxid-Spinlabel werden häufig benutzt,
Grund hierfür ist, dass an das Ribozym gebundenes um Informationen über die Mobilität von Biomolekülen
Mn(II) so breite EPR-Linien erzeugt, dass bei Raum- zu erhalten. Dabei wird ausgenutzt, dass sich das Nitro-
temperatur kein EPR-Spektrum zu beobachten ist. So xidspektrum in Abhängigkeit von der Rotationsfreiheit
kann bei bekannter Ribozym- und Mn(II)-Konzentra- des Nitroxids ändert. Ist es völlig frei in seiner Rotati-
tion die Konzentration an gebundenem Mn(II) aus der onsbewegung, erhält man im X-Band ein isotropes
Signalintensität berechnet werden. Trägt man das Ver- Drei-Linien-Spektrum wie in . Abb.  22.27 (oben) ge-

hältnis von gebundenem Mn(II) zu Ribozym gegen die zeigt. Ist die Rotation völlig eingefroren, beobachtet
Menge an freiem Mn(II) auf, erhält man die Bindungs- man ein anisotropes Spektrum wie in . Abb.  22.27  

isotherme. Aus dem Fit der Bindungsisotherme mit ei- (unten). Je nach Grad der Einschränkung der Rotati-
550 O. Schiemann und G. Hagelueken

A B

..      Abb. 22.26  A Struktur des protonierten/unprotonierten Nitro- schied in den 14N-Hyperfeinkopplungen. Der pKs-Wert des Nitro-
xids. B cw-L-Band (1,3 GHz/40 mT) EPR-Spektrum des Nitroxids xids ist 4,6, sodass bei diesem pH-Wert beide Formen im Verhältnis
bei drei verschiedenen pH-Werten. Man sieht deutlich den Unter- 1:1 vorliegen. (Nach Sotgiu et al. 1998)

onsfreiheit ändert sich das Nitroxidspektrum graduell


von isotrop nach anisotrop.
Ein Maß für die Rotationsfreiheit ist die Rotations-
korrelationszeit τrot, die leicht aus der EPR-Linienform
zu berechnen ist.

 h 
τ rot ( in ns ) = 6, 5 ⋅10−10 ⋅ ∆B ⋅  0 − 1 (22.23)
 h 
 1 

Hier ist h0 ist die Intensität der zentralen Linie, h1 die


Intensität der Tieffeldlinie und ΔB die Breite der zentra-
len Linie in Tesla.
Ist ein Nitroxid kovalent an ein Biomolekül gebun-
den, dann ist die Rotationsfreiheit des Nitroxids durch
die Rotationsfreiheit des Biomoleküls limitiert. Die ge-
messene Rotationskorrelationszeit des Nitroxids ist also
ein Maß für die Beweglichkeit des Biomoleküls. Es ist
jedoch schwierig, von dem gemessenen τrot–Wert den
Wert für τrot des Biomoleküls zu separieren. Einfacher ist
es hingegen, relative Unterschiede zu bestimmen. So
kann man z.  B. die Bindung von Liganden an RNA
EPR-spektroskopisch verfolgen (. Abb. 22.28).

22.6  Generelle Bemerkungen zur


Aussagekraft von EPR-Spektren
Meistens gestaltet es sich schwierig, aus einem einzigen
EPR-Spektrum eine eindeutige Aussage oder Struktur
abzuleiten. Um eindeutigere Lösungen zu erhalten,
..      Abb. 22.27  Gezeigt ist der Einfluss der Rotationskorrelationszeit kann man wie folgt vorgehen:
auf das cw-X-Band EPR-Spektrum des Nitroxids Tempol. Bei freier
22 Rotation sind die drei Hyperfeinlinien des Nitroxids durch Aiso = 1,7 mT
55 Variieren der Probenbedingungen (z. B. Temperatur,
aufgespalten. Ist die Rotation völlig eingefroren, dann ist das Nitroxid- Lösungsmittel)
spektrum durch die anisotrope Az-­Hyperfeinkopplungskonstante von 55 biochemische Veränderung des Biomoleküls
3,7 mT dominiert. Da die Rotation mit abnehmender Temperatur im- (z.  B.  Proteinmutanten, Labelpositionen, Isotopen-
mer mehr gehindert wird, nimmt die Hyperfeinkopplung immer mehr markierungen)
zu, d. h., die Breite des Spektrums nimmt graduell von 2 · Aiso auf 2 · Az
zu. Gleichzeitig ändern sich die Linienintensitäten.
EPR-Spektroskopie an biologischen Systemen
551 22

A B

DMF
Formamid
Borat-Puffer

330,5 336,0 340,5


B0 (mT)

..      Abb. 22.28  Bindung des TAT-Proteins an eine mit einem Nitro- breiterung des Spektrums und die Abnahme der Intensität der Tief-
xid markierte HIV-TAR-RNA. A Reaktion zur Markierung von feldlinie im Fall des TAR-TAT-Komplexes. Durch die Analyse von
RNA mit einem Nitroxid und die Sekundärstruktur der TAR-RNA mehreren Spektren, in denen das Nitroxid an unterschiedliche Posi-
mit dem Nitroxid an dem rot markierten Uridin. B Die cw-X-Band tionen an die RNA gebunden wurde, konnten Aussagen über den
EPR-­Spektren der an U23 spinmarkierten TAR-RNA alleine (blau) Einfluss der RNA-Dynamik auf die Bindung des Proteins getroffen
und mit gebundenem TAT-Protein (rot). Man sieht deutlich die Ver- werden. (Nach Edwards et al. 2002)

55 Aufnahme von cw-EPR-Spektren bei verschiedenen pie (millimolar), da aufgrund des größeren magneti-
Mikrowellenfrequenzen und -leistungen, um g-Werte sche Moment des Elektrons (μe/μH = –1838) die Be-
und Radikale zu separieren. Dies erlaubt auch, Hy- setzungszahldifferenz größer ist (1 – 1 · 10–3 versus
perfeinkopplungen von anisotropen g-Beiträgen zu 1 – 1 · 10–6 für 3,4 T und T = 300 K).
trennen 55 Aus dem größeren magnetischen Moment folgt auch,
55 Kombinieren von mehreren Puls-EPR/ENDOR-­ dass die Relaxationsprozesse schneller sind, sodass
Methoden, um einzelne spektrale Beiträge zu selek- die Zeitskala für gepulste EPR-Experimente im Na-
tieren und zuzuordnen nosekunden- statt im Millisekunden- bis Sekunden-
55 Simulation der EPR-Spektren, um die EPR-­ bereich liegt. Dieses und die Verwendung von Mik-
Parameter zu erhalten bzw. um die experimentell er- rowellen haben wiederum zur Folge, dass die
haltenen Parameter zu überprüfen technischen Anforderungen höher sind.
55 Übersetzung der EPR-Parameter in Strukturdaten 55 Die schnellere Relaxation führt zu breiteren EPR-
mithilfe quantenchemischer Methoden (z. B. DFT) als NMR-Linien (MHz versus Hz).
55 Kombination mit anderen spektroskopischen Me- 55 Die Elektron-Kernspin-Kopplungen sind in der
thoden EPR wegen des größeren magnetischen Moments
des Elektrons größer als die Kernspin-Kernspin-­
Kopplungen in der NMR (MHz versus Hz). Aus
22.7  Vergleich EPR/NMR diesem Grund sind EPR-spektroskopisch größere
Abstände zwischen Elektron und Kern (bis zu 10 Å)
Abschließend sollen die beiden komplementären, mag- oder Elektron und Elektron (bis zu 160 Å) zu bestim-
netischen Resonanzmethoden EPR und NMR mitein- men als in der NMR.
ander verglichen werden. 55 Der theoretische Aufwand zur Simulation von EPR-­
55 Die NMR-Spektroskopie untersucht den Spin Spektren ist deutlich größer als für hochaufgelöste
von magnetischen Kernen in überwiegend diama- Flüssigkeits-NMR-Spektren. Auch die Übersetzung
gnetischen Proben und kann, da Protonen, Stick- von EPR-Parametern in Strukturdaten mithilfe
stoff- oder Kohlenstoffkerne überall im Biomolekül quantenchemischer Rechenmethoden (DFT) ist im-
auftreten, die Gesamtstruktur des Biomoleküls auf- mer noch kompliziert, und häufig werden nur Trends
klären. Die EPR-Spektroskopie detektiert hingegen erhalten. Der Grund hierfür liegt darin, dass organi-
den Spin von ungepaarten Elektronen (paramagne- sche Moleküle mit ungepaarten Elektronen oder
tische Proben) und beobachtet nur die lokale Um- paramagnetische Übergangsmetalle berechnet wer-
gebung dieses Zentrums. den müssen, was immer noch eine Herausforderung
55 Dieser lokale Blick der EPR führt aber auch dazu, für quantenchemische Methoden ist.
dass es keine Größenrestriktion für das Biomolekül 55 Sowohl NMR als auch EPR können in flüssiger Puf-
gibt, während NMR zurzeit auf Biomoleküle mit ei- ferlösung oder in gefrorener Lösung/Pulvern durch-
ner Masse von bis zu ungefähr 60 kDa beschränkt ist. geführt werden, es sind also keine Einkristalle nötig,
55 Die Empfindlichkeit der EPR-Spektroskopie ist und beide Spektroskopien liefern Daten zur Dyna-
größer (nanomolar) als die der NMR-Spektrosko- mik des Biomoleküls.
552 O. Schiemann und G. Hagelueken

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22
553 23

Elektronenmikroskopie
Philipp Erdmann, Sven Klumpe und Juergen M. Plitzko

Inhaltsverzeichnis

23.1 Historischer Überblick – 556

23.2 Transmissionselektronenmikroskopie – 557


23.2.1 I nstrumentation – 557
23.2.2 Elektronenerzeugung – 557
23.2.3 Elektronenlinsen – 558
23.2.4 Elektronenaufzeichnung – 560
23.2.5 Objektträger und Probenhalter – 560

23.3 Präparationsverfahren – 561


23.3.1  egativkontrastierung – 562
N
23.3.2 Native Proben in Eis – 564
23.3.3 Kryo-FIB-Lamellen – 566

23.4 Abbildung im Elektronenmikroskop – 569


23.4.1  uflösung des Transmissionselektronenmikroskops – 569
A
23.4.2 Wechselwirkungen des Elektronenstrahls mit dem Objekt – 570
23.4.3 Phasenkontrast in der Elektronenmikroskopie – 572
23.4.4 Elektronenmikroskopie mit Phasenplatten – 573
23.4.5 Kryo-Elektronenmikroskopie – 575
23.4.6 Aufnahme von Bildern – Elektronendetektoren – 576

23.5 Bildverarbeitung für die 3D-Elektronenmikroskopie – 577


23.5.1  ie Fourier-Transformation – 577
D
23.5.2 Eigenschaften und Nutzen der Fourier-Transformation
in der Bildverarbeitung – 579
23.5.3 Die Kontrastübertragungsfunktion – 579
23.5.4 Erhöhung des Signal-Rausch-­Verhältnisses – 582

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über
folgenden Link zugegriffen werden kann (https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_23). Die Videos lassen
sich durch Anklicken des DOI Links in der Legende einer entsprechenden Abbildung abspielen, oder indem
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J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_23
23.6 Einzelpartikelanalyse – 583
23.6.1  D-Alignierung und Klassifizierung – 584
2
23.6.2 Dreidimensionale Rekonstruktion – 587
23.6.3 Modellbildung – 591

23.7 Tomographie – 593


23.7.1  ufnahmeschemata – 594
A
23.7.2 Rekonstruktion – 595
23.7.3 Template Matching und Subtomogramm-Averaging – 597

23.8 Perspektiven – 599

Literatur und Weiterführende Literatur – 600


Elektronenmikroskopie
555 23
55 Die Transmissonselektronenmikroskopie (TEM) ba- Einführung von Ultramikrotomen zur Herstellung dün-
siert auf der Durchstrahlung und Wechselwirkung von ner Zell- und Gewebeschnitte war ein großer Schritt
hochenergetischen Elektronen mit sehr dünnen Präpa- nach vorn und ermöglichte im Laufe der Zeit die Etab-
raten, die sich im Hochvakuum befinden. lierung der Prinzipien der Zellarchitektur (Ultrastruk-
55 Strahlempfindliche biologische Präparate müssen für tur), insbesondere der zellulären Kompartimentierung,
die TEM strukturschonend präpariert werden. und gab der Zellbiologie, wie wir sie heute kennen, ihre
55 Die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) verwen- Gestalt.
det vitrifizierte Proben, die man bei kryogenen Tempe- Diese konventionellen Präparationstechniken sind
raturen (< -160 °C) abbildet. bis heute in unterschiedlicher Weise in Gebrauch, je-
55 Die Kryo-EM-Einzelpartikelanalyse ermöglicht die doch führen sie alle zu einer Veränderung des Präpara-
dreidimensionale Strukturaufklärung isolierter nicht- tes, was die erreichbare Auflösung begrenzt und die
periodischer Objekte mit nahezu atomarer Auflösung. Bildinterpretation erschwert. Deshalb experimentierte
55 Die Kryo-Elektronentomographie erlaubt die dreidi- man bereits in den 1960er-Jahren mit der Möglichkeit,
mensionale Analyse biologischer Strukturen im unge- den hydratisierten Zustand der Proben im Elektronen-
störten zellulären Kontext. mikroskop vollständig zu erhalten. Anstatt das Wasser
zu ersetzen oder das gesamte System zu dehydrieren,
Mit mikroskopischen Techniken können heute Bilder sollte die Einbettung der biologischen Substanz in ihrer
von kleinen Organismen, Zellverbänden, einzelnen Zel- natürlichen wässrigen Umgebung durch schnelles Ein-
len, Zellorganellen, Membranen, makromolekularen frieren erfolgen. Ein großes Problem war jedoch die Bil-
Komplexen, von isolierten Makromolekülen und Ato- dung von kristallinem Eis während des Gefrierprozes-
men gewonnen werden. Aber die Möglichkeit, buchstäb- ses, dessen Volumenvergrößerung zur Zerstörung
lich in die entferntesten Winkel der lebenden Materie zu biologischer Strukturen führen kann. In den 1980er-Jah-
blicken, vom ganzen Organismus bis hin zu den atoma- ren gelang die Vitrifizierung, d. h. das schockartige Ein-
ren Bausteinen, ist mit einem einzigen Instrument nicht frieren (plunge freezing) bei tiefen Temperaturen und die
zu realisieren. Aus diesem Grund verwendet man ver- Überführung von Wasser in einen glasartigen (amor-
schiedene Mikroskope mit unterschiedlichem Auflö- phen oder vitrifizierten) Zustand. Damit war es erstmals
sungsvermögen, um so die verschiedenen Zeit- und Län- möglich, biologische Proben in ihrem nativen Zustand
genskalen abzudecken und zelluläre Strukturen in ihrer und ohne Artefakte abzubilden. Die Untersuchung die-
Gesamtheit zu visualisieren und zu analysieren. Das ser Proben im Elektronenmikroskop muss ebenfalls bei
Spektrum der bildgebenden Verfahren und Methoden tiefen Temperaturen durchgeführt werden, was diesem
des 21. Jahrhunderts ist dabei äußerst vielfältig. Trotz Verfahren seinen Namen gab: Kryo-EM.
ihrer im Vergleich zur Lichtmikroskopie relativ kurzen Die Vermeidung von Artefakten war eindeutig eine
Geschichte ist die Elektronenmikroskopie in der Biolo- der Voraussetzungen, um höher aufgelöste Bilder von
gie ein etabliertes Verfahren, und seit der „Auflösungs- biologischen Strukturen zu erhalten. Aber einzelne
revolution“ (resolution revolution) im letzten Jahrzehnt zweidimensionale (2D-) Bilder sind unzureichend für
ist die Methode der Kryo-Elektronenmikroskopie eine vollständige strukturelle Charakterisierung in allen
(Kryo-EM) besonders in der Strukturforschung sehr drei Dimensionen (3D). Elektronenmikroskopische
populär. Aufnahmen sind aufgrund ihrer großen Tiefenschärfe
In den 1930er-Jahren wurde das Transmissionselekt- im Wesentlichen zweidimensionale Projektionen des ge-
ronenmikroskop (TEM) erfunden und war bereits kurz samten dreidimensionalen Objekts im Elektronenstrahl.
darauf kommerziell erhältlich. Obwohl die Aussicht be- Der traditionelle Ansatz, um aus einer elektronenmikro-
stand, wesentlich höhere Auflösungen als mit Lichtmik- skopischen Aufnahme aussagekräftige Informationen
roskopen zu erreichen, blieben zunächst viele Biologen zu erhalten, bestand darin, die dritte Dimension des Ob-
skeptisch, was die Nützlichkeit von Elektronenmikros- jekts zu verkleinern (z.  B. mit einem Ultramikrotom)
kopen betrifft. Das Hauptproblem war und ist die Strah- und so fast zweidimensionale Objekte abzubilden. Eine
lungsempfindlichkeit von biologischem Material, das weitere Möglichkeit war es, Ansichten eines unterschied-
bei längerer Bestrahlung mit Elektronen buchstäblich zu lich orientierten Objektes zu kombinieren oder ein ein-
Asche verbrennt. Es dauerte Jahrzehnte, um Maßnah- zelnes Objekt aus verschiedenen Blickrichtungen zu be-
men zum Schutz biologischer Proben vor den schädli- trachten. Die 3D-Untersuchung von identischen Kopien
chen Auswirkungen der „feindlichen“ Umgebung (Va- eines aufgereinigten Moleküls, die sich in unterschiedli-
kuum und Elektronenbeschuss) im Inneren des TEM zu chen Orientierungen befinden, bezeichnet man als Ein-
entwickeln. Die schonende Dehydrierung und Substitu- zelpartikelanalyse (single particle analysis); die Rotation
tion von Wasser durch Polymere sowie die Metallbe- der Probe im Elektronenstrahl und die Beobachtung aus
schichtung und Einbettung in kontrastreiche Metall- verschiedenen Winkeln hingegen als Tomographie. Ne-
salze wurden zu wichtigen Schutzmaßnahmen. Die ben der Röntgenstrukturanalyse und der NMR-Spekt-
556 P. Erdmann et al.

roskopie ist die Einzelpartikelanalyse mit dem Elektro- In der Arbeitsgruppe von Max Knoll (1897–1969) an
nenmikroskop heutzutage die dritte Methode zur der Technischen Universität Berlin konstruierten Ernst
Bestimmung der räumlichen Strukturen von Makromo- Ruska (1906–1988) und Bodo von Borries (1905–1956)
lekülen mit atomarer Auflösung. Dies gilt insbesondere 1931 das erste Transmissionselektronenmikroskop
für makromolekulare Komplexe, die für die NMR-Spek- (TEM) und erzielten schon kurze Zeit später Bilder, die
troskopie zu groß und für die Röntgenstrukturanalyse deutlich über der Auflösung von Lichtmikroskopen la-
zu flexibel sind oder keine brauchbaren Kristalle bilden. gen. Obwohl dieser erste Prototyp alles andere als per-
Die Gemeinsamkeit aller drei Verfahren der Struk- fekt oder vielseitig war, wurde er als „Übermikroskop“
turbiologie ist die Notwendigkeit, die relevanten Mole- (ÜM) (d.  h. über der Auflösung des Lichtmikroskops)
küle zu isolieren und zu reinigen. Dieser reduktionisti- bezeichnet. Die ersten Bilder stammten von einer Alu-
sche Ansatz hat seine Grenzen: Informationen über die miniumfolie und einer Baumwollfaser, die sehr schnell
Wechselwirkungen zwischen den vielen molekularen im Elektronenmikroskop „verbrannte“. Damit erfüllte
Spezies in ihrer funktionalen Umgebung – den intakten sich die Prophezeiung des Physikers und Nobelpreisträ-
Zellen  – gehen verloren. Doch genau dieses Netzwerk gers Dennis Gabor (1900–1979), dass „alles unter dem
von Interaktionen ist die Grundlage aller zellulären Strahl zu Asche verbrennen wird (everything under the
Funktionen. Für die Visualisierung von Zelllandschaf- beam would burn to a cinder)“. Ernst Ruskas jüngerer
ten bei molekularer Auflösung verwendet man deshalb Bruder, der Mediziner Helmut Ruska (1908–1973)
die Kryo-Elektronentomographie (Kryo-ET), die sich in glaubte trotzdem an das Potenzial der Elektronenmik-
den letzten Jahren zu einer leistungsfähigen Methode roskopie, „submikroskopische“ biologische Stoffe sicht-
entwickelt hat. Sie ermöglicht bisher unerreichte Einbli- bar zu machen. Ladislaus Marton (1901–1980), ein un-
cke in die molekulare Organisation von Mikroorganis- garischer Physiker in Brüssel, war der Erste, dem es
men, eukaryotischen Zellen und neuerdings auch Gewe- dann schließlich gelang, biologische Objekte struktur-
ben und hat der biologischen Strukturforschung in situ schonend abzubilden. Um die Probe vor Strahlungs-
ganz neue Perspektiven eröffnet. Die Kryo-Elektronen- schäden zu schützen, erforschte er mehrere Methoden;
tomographie verbindet die molekulare mit der cytologi- die Verwendung extrem dünner Objekte, die „Kühlung“
schen Strukturforschung, die bislang als getrennte Do- des Schnittes durch das Aufbringen auf eine Metallfolie,
mänen der biologischen Elektronenmikroskopie galten. um die Strahlungswärme effektiv abzuführen, und die
Imprägnierung des Objektes mit einer Substanz, die es
weniger zerstörbar macht. Doch es dauerte mehrere
23.1  Historischer Überblick Jahrzehnte, bis geeignete Präparationsverfahren entwi-
ckelt wurden.
1897 entdeckte J. J. Thomson (1856–1940) das „Korpus- Die ersten Elektronenmikroskope waren Selbstbau-
kel“ Elektron und erhielt dafür 1906 den Nobelpreis. ten und Prototypen, und erst Ende der 1930er-Jahre
Louis de Broglie (1892–1987) postulierte 1924 in seiner begann die kommerzielle Produktion von praktikablen
berühmten Arbeit „Recherches sur la théorie des Instrumenten. 1937 gründeten Siemens & Halske für
Quanta“, dass einem Teilchen der Masse m, das sich mit die Entwicklung und die Produktion das Laboratorium
einer Geschwindigkeit v bewegt, eine Wellenlänge λ zu- für Elektronenmikroskopie (LfE) unter der Leitung von
geordnet ist. Seine These löste zunächst viele Kontrover- Bodo von Borries und Ernst Ruska. Nur kurze Zeit
sen aus, doch letztendlich setzte sie sich durch und 1929 später (1940) wurde das Laboratorium für Übermik-
erhielt er den Nobelpreis. Die US-Amerikaner C. Davis- roskopie (LfÜ) eingerichtet, für angewandte Elektro-
son (1881–1958) und L.  Germer (1896–1971) entdeck- nenmikroskopie unter der Leitung von Helmut Ruska.
ten 1927 die Elektronenbeugung an einer Metallober- Insbesondere für die Anwendung in der Virologie und
fläche und G. P. Thomson (1892–1975), dem Sohn von Zellbiologie gilt Helmut Ruska nach wie vor als Weg-
J.  J. Thomson, gelang es, die Elektronenbeugung bei bereiter.
Durchstrahlung einer dünnen Metallfolie zu zeigen. Da- Zu den weiteren technischen Fortschritten in der
visson und Thomson wurden 1937 mit dem Nobelpreis Elektronenmikroskopie gehören die Entwicklung von
ausgezeichnet. Paul Dirac (1902–1984) postulierte (zu- Energiefiltern in den 1960er-Jahren, die Realisierung der
sätzlich zu seiner relativistischen Wellengleichung) die ersten Feldemissionsquellen in den 1970er-Jahren, die
Interferenz von Einzelteilchen; zusammen mit Erwin Einführung der ersten Digitalkameras Ende der 1980er-­
Schrödinger (1887–1961) erhielt er 1933 den Nobelpreis. Jahre und die praktische Umsetzung zur Korrektur der
Hans Busch (1884–1973) zeigte 1926, dass sich ein Elek- sphärischen und chromatischen Aberration in den frü-
tronenstrahl durch elektrostatische oder magnetische hen 1990er-Jahren. Ernst Ruska erhielt erst 1986 den
Felder scharf fokussieren lässt, und zusammen mit der Nobelpreis für Physik, ein halbes Jahrhundert nach der
23 Entdeckung von Louis de Broglie schuf dies die Grund- geleisteten Pionierarbeit und nachdem viele seiner Weg-
lage für ein Mikroskop mit Elektronenstrahlen. gefährten bereits verstorben waren.
Elektronenmikroskopie
557 23
Bereits in den 1960er-Jahren propagierte Humberto menstöße mit den Luftmolekülen verlieren sie nach und
Fernández-Morán (1924–1999) die Verwendung von ge- nach ihre Bewegungsenergie, und folglich ist ihre Reich-
frorenen, hydratisierten Proben und führte das Konzept weite, in Abhängigkeit von ihrer Beschleunigungsener-
der Kryo-Elektronenmikroskopie ein. Er entwickelte gie, begrenzt. Im Vakuum dagegen können sie sich un-
u. a. das erste Kryo-Ultramikrotom und ist der Erfinder gehindert bewegen. Um ein ausreichend hohes Vakuum
des Diamantmessers. Ende der 1960er-Jahre experimen- zu gewährleisten sind demzufolge alle Mikroskope, die
tierten drei Gruppen unabhängig voneinander auch an Elektronen verwenden, mit einem Vakuumsystem aus-
der Möglichkeit, biologische Objekte dreidimensional gestattet. Allerdings erfordert das Arbeiten im Vakuum
im Elektronenmikroskop abzubilden: Aaron Klug geeignete präparative Maßnahmen für das biologische
(1926–2018) und David DeRosier (*1939) am MRC- Objekt (Fixierung, Entwässerung, Einbettung in Kunst-
LMB in Cambridge, Roger Hart (1928–1974) am Law- harze oder schockartiges Einfrieren), damit es im Va-
rence Livermore National Laboratorium in den USA kuum erhalten bleibt (7 Abschn. 23.2).

und Walter Hoppe (1917–1986) am Max-Plack-­Institut


für Leder- und Eiweißforschung in München. DeRosier
und Klug untersuchten die helikalen Schwänze von 23.2.2 Elektronenerzeugung
T4-Bakteriophagen und konnten aus einer einzigen
elektronenmikroskopischen Aufnahme eine vollständige Die Erzeugung von Elektronen kann auf verschiedene
3D-Rekonstruktion präsentieren. Hart und Hoppe Arten erfolgen, über thermische Emission oder Felde-
wählten ein komplizierteres und umständlicheres Erfas- mission. Die einfachste Elektronenquelle ist eine Glüh-
sungsverfahren: Die manuelle Drehung des Objekts kathode: eine beheizte Kathode, die auch als Filament
senkrecht zum einfallenden Elektronenstrahl und die bezeichnet wird. Indem wir irgendein Material auf eine
Aufnahme einzelner Projektionen aus verschiedenen ausreichend hohe Temperatur erhitzen, geben wir den
Blickwinkeln, die Geburtsstunde der Elektronentomo- Elektronen genügend Energie, um aus der Materialober-
graphie. 1982 erhielt Aaron Klug den Nobelpreis für fläche auszutreten. Die natürliche Barriere, die die Elek-
seine Entwicklungen bezüglich der kristallographischen tronen davon abhält, aus dem Material vorzeitig zu ent-
Elektronenmikroskopie und ihre Anwendung auf kom- weichen, ist die Austrittsarbeit. Um einen möglichst
plexe DNA und Proteinstrukturen. Die ersten Pionier- niedrigen Heizstrom zu gewährleisten, kommen Mate-
arbeiten zur dreidimensionalen Elektronenmikroskopie rialen mit einer niedrigen Austrittsarbeit wie Wolfram-
wurden jedoch an getrockneten und kontrastierten Pro- drähte oder einkristallines Lanthanhexaborid (LaB6)
ben durchgeführt. Erst 1981 führten Jacques Dubochet zum Einsatz. Da Material bei sehr hohen Temperaturen
(*1942) und Alasdair McDowall die Vitrifizierung durch durch Verdampfung oder Oxidation verloren geht, ist
schockartiges Einfrieren (plunge freezing) in flüssigem die Haltbarkeit thermischer Elektronenquellen be-
Ethan als generische Methode für die Herstellung von grenzt. Deshalb verwendet man heutzutage hauptsäch-
biologischen Proben ein. Es dauerte aber bis 2017, bis lich LaB6-Kathoden, da diese ca. 10-mal länger halten
die Methode der Kryo-Elektronenmikroskopie ebenfalls als Wolframdrähte und auch sonst bessere Eigenschaf-
mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. ten haben (7 Abschn.  23.3.2). Um die Elektronen zu

beschleunigen und um sie zu fokussieren wird eine Ano-


denspannung angelegt und in unmittelbarer Nähe des
23.2  Transmissionselektronenmikroskopie Filaments eine zylinderförmige Steuerelektrode verwen-
det, der Wehnelt-Zylinder oder die Wehnelt-Blende.
23.2.1 Instrumentation Dieser hat eine negative Vorspannung und fokussiert die
aus der Kathode austretenden Elektronen (cross-over).
Das Transmissionselektronenmikroskop, kurz TEM, Der Wehnelt-Zylinder ist damit eine sehr einfache elekt-
verwendet Elektronen zur Durchstrahlung und Abbil- rostatische Linse und ist die erste Linse in einem
dung sehr dünner Präparate. Elektronen sind, im Ge- ­Transmissionselektronenmikroskop. Neben der thermi-
gensatz zu den Photonen des Lichts, geladene und mas- schen Emission ist die Feldemission in der modernen
sebehaftete Teilchen. Dies bedeutet zum einen, dass Elektronenmikroskopie mittlerweile weit verbreitet. Fel-
Glaslinsen wie in der Lichtmikroskopie nicht verwendet demissionsquellen bezeichnet man auch als Elektronen-
werden können, und des Weiteren, dass ihre Wechselwir- kanone oder Field Emission Gun, kurz FEG. Sie gibt es
kung mit Materie anderen chemische und physikalische in zwei Varianten: Die Schottky-FEG oder die kalte
Gesetzmäßigkeiten folgt und folglich andere Auswir- FEG (cold-FEG). In einer FEG ermöglicht ein großes
kungen hat. Elektronen können sich nicht sehr weit in elektrisches Feld zwischen der Quelle und einer ersten
Materie bewegen. Selbst in Luft würden sie nach weni- Anode das Herausziehen von Elektronen, das Tunneln.
gen Millimetern quasi steckenbleiben. Durch Zusam- Die anschließende Beschleunigung der Elektronen ge-
558 P. Erdmann et al.

lingt durch eine weitere Anode. Die Kombination der „breite“ Strahlen, und man erzielt damit nicht nur eine
Felder beider Anoden ermöglicht, wie auch bei der ther- bessere räumliche Auflösung, sondern verbessert auch
mischen Emissionsquelle, eine Bündelung des Elektro- die Qualität der Aufnahmen.
nenstrahls in einem Punkt, dem cross-over. Diese An-
ordnung arbeitet auch hier wie eine leicht verfeinerte
elektrostatische Linse. 23.2.3 Elektronenlinsen
Feldemissionsquellen sind ultrascharfe Spitzen, da
die Intensität der elektrischen Felder an solchen Spitzen Um die Flugbahn der Elektronen zu beeinflussen, d. h.
(tips) erheblich verstärkt wird. Als Spitzenmaterial ver- um sie abzulenken oder auszurichten, zu bündeln und zu
wendet man einkristallines Wolfram, das zu einem Spit- fokussieren, kommen elektromagnetische Linsen zum
zenradius von etwa 100 nm geformt ist. Die „kalte“ Fel- Einsatz. Wie bereits bei der Elektronenerzeugung er-
demission geht bei Raumtemperatur vonstatten. Im wähnt, gibt es auch elektrostatische Linsen, jedoch sind
Gegensatz dazu wird die Schottky-FEG zusätzlich ge- diese „statisch“, ihre Bestandteile – meist mehrere Elek-
heizt, um die Emission der Elektronen zu erleichtern. troden  – sind direkt an die Hochspannung gekoppelt
Strenggenommen tunneln die Elektronen dann nicht und sind damit weniger flexibel und weniger praktikabel
mehr ausschließlich aus der Spitze. Das Beheizen der als elektromagnetische Linsen. Da sie nur im begrenzten
Spitze hat jedoch einen Vorteil gegenüber der kalten Umfang zum Einsatz kommen, werden wir diese hier
Emission: Sie verhindert eine etwaige „Verschmutzung“ nicht näher beschreiben. Elektromagnetische Linsen
(Kontamination) der Spitzenoberfläche. Ein Umstand, sind ringförmige Linsen, welche aus vielen Wicklungen
der ein regelmäßiges „Staubwischen“ oder „Flashen“ eines Kupferdrahts bestehen, der Spule, die mit einer
bei kalten Spitzen erfordert, selbst im Ultrahochva- Kapsel aus Weicheisen umschlossen ist (Weicheisen, um
kuum, da sonst der Emissionsstrom nachlassen würde. eine permanente Magnetisierung zu vermeiden). Im In-
Dieses Flashen kann entweder durch kurzzeitiges Auf- neren dieses Aufbaus verläuft eine zylindrische Bohrung
heizen oder durch Umkehrung des Potenzials zur Spitze (der Kern oder bore). In dieser Bohrung befindet sich
erfolgen. FEGs sind den rein thermischen Emittern zusätzlich ein ringförmiger Spalt, der das Magnetfeld
überlegen. Sie zeichnen sich durch eine sehr kleine Son- auf die Spulenachse konzentriert. Schickt man nun ei-
dengröße aus, sie besitzen eine größere Helligkeit nen Strom durch die Spule, so entsteht ein rotationssym-
(brightness) und erzeugen kohärentere Elektronenstrah- metrisches Magnetfeld in diesem Spalt. Je nach Strom-
len. In Analogie zu Alltagsgegenständen wäre die ther- stärke lässt sich dieses Magnetfeld verändern und so
mische Elektronenquelle eine herkömmliche Glühbirne auch in einem gewissen Bereich die Brennweite , im Ge-
(mit einem Glühfaden) und die FEG ein Laser. Wäh- gensatz zur Glaslinse, die durch Form und Schliff eine
rend die Glühbirne weißes Licht, d. h. ein ganzes Spekt- konstante Brennweite besitzt. Durch Änderung des Lin-
rum von „Farben“ erzeugt, erzeugt der Laser eine Farbe senstroms (man spricht auch von der Stärke der Linsen)
oder Wellenlänge. In der Elektronenmikroskopie be- kann man so die Beleuchtungsintensität, die Vergröße-
schreibt die zeitliche Kohärenz, wie präzise die Quelle rung oder die Fokussierung im Elektronenmikroskop
Elektronen mit der gleichen Wellenlänge produziert. Die verändern.
Schlüsselgröße dafür ist die Energieverteilung (energy Generell gilt: Wenn die Linsenstärke so erhöht wird,
spread). Die Energieverteilung ist selbst bei der thermi- dass sich das Bild oberhalb der Bildebene formt (d. h.
schen Emission sehr klein (3 eV), für eine Schottky-­FEG bevor die Strahlen die Bildebene erreichen), dann spre-
im Bereich von 1 eV und am kleinsten bei der kalten-Fel- chen wir von einer Überfokussierung der Linse (overfo-
demission (0,3  eV). Generell bedeutet eine „breitere“ cus). Dahingegen erzeugt eine schwach angeregte Linse
Energieverteilung eine vergrößerte chromatische Aber- das Bild unterhalb (d.  h. nach) der Bildebene und wir
ration und damit einen Verlust der Bildauflösung. Die sprechen von einer Unterfokussierung (underfocus). Un-
räumliche Kohärenz bezieht sich auf die Größe und terfokussierte Abbildungsbedingungen werden vor al-
Form der Quelle und ob alle Elektronen denselben Aus- lem in der biologischen Elektronenmikroskopie häufig
gangspunkt haben. Aus einem breiten Emitter, wie bei- eingesetzt und i.  A. als Defokus mit einem negativen
spielsweise einem ein Mikrometer breiten und ca. zwei Vorzeichen gekennzeichnet.
Millimeter langen LaB6-Kristall, lässt sich nur schwer Wie ein herkömmliches Lichtmikroskop ist das Elek-
ein „dünner“ Elektronenstrahl erzeugen. Mit einer tronenmikroskop aus drei großen Linsensystemen auf-
punktförmigen Quelle wie einer FEG hingegen ist es gebaut: den Kondensorlinsen, dem Objektiv und den
möglich, einen sehr feinen, gebündelten Elektronen- Projektionslinsen (. Abb.  23.1). Die Kondensorlinsen

strahl zu produzieren. Solche „dünnen“ gebündelten (meist zwei oder auch drei Linsen in Folge) zusammen
Elektronenstrahlen sind räumlich kohärenter als mit der Elektronenquelle beschreiben das Beleuchtungs-
23
Elektronenmikroskopie
559 23
..      Abb. 23.1  Aufbau und Anordnung der
Linsen im Transmissionselektronenmikroskop
(TEM). Vor dem Objekt befindet sich eine
wechselbare Kondensorblende, die den
beleuchtenden Strahl begrenzt, und nach dem
Objekt eine Objektivblende, die stark gebeugte
Strahlen ausblendet und dadurch den Streukont-
rast hervorruft. In der Bildebene kann das Bild
auf einem beweglichen Fluoreszenzschirm
betrachtet werden. Darunter ist entweder direkt
eine empfindliche Kamera zur unmittelbaren
Digitalisierung des Bildes angebracht oder ein
Energiefilter zur Trennung der elastisch bzw.
inelastisch gestreuten Elektronen zwischenge-
schaltet

system. Es hat die Aufgabe, die Elektronen von der Quelle mikroskop, die den Elektronentransfer, die Kontrastent-
zur Probe zu transportieren, wobei entweder ein breiter stehung und die erreichbare Auflösung beeinflusst und
oder ein fokussierter Elektronenstrahl entsteht. Die Ob- bestimmt (7 Abschn. 23.4.1).

jektivlinse und das Probenhalter/Goniometer-­ System Neben den Linsen gibt es auch noch Ablenkspulen
bilden das Herzstück des TEMs, in dem alle Strahl-Pro- (deflection coils), die es ermöglichen, den Strahl seitlich
ben-Wechselwirkungen stattfinden. Anschließend daran aus der Achse abzulenken oder ihn in einem bestimmten
kommen die Projektivlinsen (das Abbildungssystem), Winkel in Bezug auf die optische Achse zu kippen
welche das von der Objektivlinse erzeugte Bild vergrö- (. Abb. 23.1). Sowohl das Verschieben (shift) als auch

ßert und dieses entweder herkömmlich auf einen Fluo- das Kippen (tilt) erfolgen durch Anlegen eines elektro-
reszenzschirm oder auf einen geeigneten Elektronende- magnetischen Feldes und sind vor allem für die Justie-
tektor fokussiert und abbildet. Die Eigenschaften dieser rung des Elektronenstrahls entlang der Säule ein wichti-
elektromagnetischen Linsen bestimmen fast ausschließ- ges Element. Es gibt im Wesentlichen drei Ablenksysteme
lich die Qualität des aufgenommenen Bildes. Ausschlag- in einem Elektronenmikroskop; die gun deflection coils,
gebend für die Bildqualität sind insbesondere die aus beam deflection coils und die image deflection coils. Um
der Lichtmikroskopie bekannten Linsenfehler des Ob- den Strahl komplett auszublenden (blank), d. h. ihn aus
jektivsystems, z. B. Öffnungsfehler (sphärische Aberra- der Achse abzulenken, beispielsweise um zu verhindern,
tion), Wellenbereichsfehler (chromatische Aberration), dass er auf die Probe trifft (7 Abschn. 23.4.5), genügt

Astigmatismus sowie kissen- bzw. tonnenförmige Ver- das Anlegen eines elektrostatischen Feldes, was inner-
zerrungen (Verzeichnungsfehler). Das Objektivsystem halb von Mikrosekunden passiert.
ist damit eine wesentliche Komponente im Elektronen-
560 P. Erdmann et al.

23.2.4 Elektronenaufzeichnung des electron countings steigert die Signalausbeute der


aufgenommenen Bilder erheblich. Der „nette“ Neben-
Ursprünglich erfolgte die Aufzeichnung von elektronen- effekt der hohen Auslesegeschwindigkeit ist ihre Resis-
mikroskopischen Bildern auf konventionellem fotogra- tenz bezüglich direkter Strahlungsschäden. Alle direkt
fischem Film. In den 1990er-Jahren kamen die ersten detektierenden Kameras besitzen bessere Leistungs-
digitalen Kameras zum Einsatz. Diese CCD-Kameras merkmale als CCDs oder Film, und der Zugewinn an
(Charged Coupled Device) sind aus einem Szintillator Empfindlichkeit und Geschwindigkeit ermöglichte es
(entweder ein Einkristall oder eine polykristalline Be- uns heute, buchstäblich mehr Details zu sehen und zu-
schichtung) aufgebaut, der die Elektronen „abbremst“ dem nachteilige Proben- oder Bildbewegungen zu korri-
und durch Kathodolumineszenz Photonen erzeugt. Da gieren.
CCDs bei direkter Einwirkung von hochenergetischen
Elektronen (>120  keV) leicht zerstört werden, ist eine
direkte Aufnahme des Signals nicht möglich. Der Szin- 23.2.5 Objektträger und Probenhalter
tillator ist an Glasfaser- oder Linsenoptiken gekoppelt,
der das optische Lichtsignal an den eigentlichen CCD- Als Objektträger dienen runde Netzchen (Grids) aus
Chip überträgt. CCDs besitzen eine ausgezeichnete Li- Kupfer und Gold (seltener aus Wolfram oder Nickel),
nearität, d.  h. die Intensitätsverteilung des aufgenom- die einen Durchmesser von ≈ 3 mm haben und in ver-
menen Bildes ist direkt proportional zur Anzahl der auf schiedenen Maschenweiten und Geometrien erhältlich
die Kamera auftreffenden Elektronen. Allerdings sind sind (. Abb. 23.2). Die Maschengröße (mesh-size) oder

die laterale Auflösung und Empfindlichkeit deutlich die Anzahl der Quadrate über das Netzchen ist defi-
schlechter als bei fotografischen Platten. Die Hauptur- niert als die Anzahl der Quadrate in einem Zoll (z.  B.
sache dafür liegt an der mehrfachen Lichtstreuung der ein 200-Mesh-Grid hat 20 Quadrate in jeder Richtung).
erzeugten Photonen in der verwendeten Optik und an Für die molekulare EM sind Maschengrößen zwischen
der Rückstreuung der Elektronen in der Szintillator- 30 μm und 100 μm geeignet. Die Netzchen sind mit ei-
schicht. So erzeugt ein punktförmiges Eingangssignal nem dünnen Film bedeckt, auf den die Makromoleküle
ein Ausgangssignal, das auf mehrere Pixel des CCD-Pi- oder Zellen aufgebracht werden können. Üblicherweise
xels verteilt beziehungsweise verbreitert ist. Zusätzlich sind sie mit einem Kohlefilm von 5–10 nm Dicke belegt,
dämpft jedes Element in diesem Aufbau das Eingangs- aber je nach Anwendung und Probe kommen auch an-
signal (7 Abschn.  23.4.6). Die endgültige Signalaus-

dere Filme, wie beispielsweise Monolagen aus Graphen/
beute ist damit schlecht, und die verwendete Chiparchi- Graphenoxid, Gold oder auch Siliciumdioxid-­ Filme
tektur erlaubte nur ein sequenzielles Auslesen. Eine zum Einsatz. Extrem dünne Filme (z. B. Graphen) oder
Belichtungszeit ergab also nur ein „integriertes“ Bild, Filme mit Löchern sind besonders für die Kryo-Elek-
und für hochauflösende Zwecke war (zumindest da- tronenmikroskopie geeignet, um so selbsttragende
mals) konventioneller Film der „Detektor“ der Wahl.
Während des letzten Jahrzehnts erfolgte die Ablö-
A
sung dieser indirekten Detektoren (wie beispielsweise
Film und CCDs) durch hochempfindliche und schnell
auslesende direkt detektierende Detektoren für die
hochauflösende Elektronenmikroskopie. Direktdetekto-
ren bestehen aus einem einzigen Chip aus schnellen B
CMOS-Transistoren, in dem die Detektionsschicht di-
rekt integriert ist (eine schwach dotierte Siliciumschicht,
die auf einem hochdotierten Siliciumsubstrat aufge-
bracht ist). Übrigens handelt es sich um die gleiche
Technologie wie bei den heutigen Smartphonekameras,
die anstelle von Elektronen Licht detektieren. Die Dicke
der Detektionsschicht bestimmt die Empfindlichkeit, ..      Abb. 23.2  Die Spitzen der Objekthalter enthalten Vorrichtun-
und da jeder aktive Pixel gleichzeitig für sich allein aus- gen, die die meist drei Millimeter großen Objektträgernetzchen auf-
liest, wird die Auslesegeschwindigkeit allein durch das nehmen können. A Trägernetzchen, wie sie üblicherweise für das
verwendete Chipdesign bestimmt. Heutige Sensoren TEM benutzt werden (Durchmesser 3  mm). Sie sind mit einem ca.
bieten Auslesegeschwindigkeiten im Bereich von einigen 10 nm dicken Kohlefilm beschichtet, auf dem die molekularen Ob-
jekte adsorbiert werden. B Kohlefilmgerüste mit Löchern, die für die
Hundert bis über Tausend Bilder pro Sekunde, und alle Kryo-Elektronenmikroskopie verwendet werden. Der die Objekte
verfügbaren Kameras erlauben die Zählung jedes ein- enthaltende Eisfilm überspannt die Löcher. Dadurch wird weniger
23 fallenden Elektrons (electron counting). Die Fähigkeit Material durchstrahlt und der Kontrast abgebildeter Objekte in ge-
ringerem Maße geschwächt. Der Maßstabsbalken entspricht 20 μm
Elektronenmikroskopie
561 23
Eisschichten zu erhalten (7 Abschn.  23.3.2) und zu
  setten, die mehrere dieser cartridges aufnehmen können.
verhindern, dass der Trägerfilm einen zusätzlichen Hin- Vor allem bei Instrumenten mit 200 kV und 300 kV Be-
tergrundkontrast erzeugt. Man unterscheidet zwischen schleunigungsspannung sind diese Automaten für den
unregelmäßig löchrigen Filmen (Lacey) und Filmen Probentransfer (autoloader) vorhanden. Mikroskope,
mit regelmäßig angeordneten kreisförmigen Löchern die mit niedriger Spannung oder nur bei Raumtempera-
(Quantifoil oder C-Flat), die besonders für die automa- tur arbeiten, verfügen immer noch über die klassische
tische Datenaufzeichnung in der Kryo-EM eingesetzt manuelle Version: Eine seitlich angebrachte Luft-
werden. schleuse, in der ein ca. 20–30 cm langer Probenhalter in
Die Filmoberflächen sind oft hydrophob, was eine das Mikroskop eingeführt wird. Da man sie seitlich ein-
effiziente Ausbreitung von wässrigen Lösungen verhin- führt, bezeichnet man sie auch als side-entry holders. Die
dert. Um die Filme benetzbar (hydrophil) zu machen, Spitzen dieser Probenhalter enthalten Vorrichtungen,
wird üblicherweise eine Behandlung mit Niedrigenergie-­ die die drei Millimeter großen Objektträgernetzchen
Plasmen durchgeführt. Dies geschieht in einer partiell aufnehmen können. Präparate im gefrorenen Zustand
evakuierten Kammer mit zwei Elektroden durch Anle- (Kryo-Elektronenmikroskopie, 7 Abschn.  23.4.5) sind

gen einer Spannung. Das ionisierte Restgas bringt La- kontinuierlich mit flüssigem Stickstoff zu kühlen, um
dungen auf den Film, der dann vorübergehend einen die Rekristallisation des bei niedrigen Temperaturen
hydrophilen Charakter annimmt. Außerdem reagieren amorphen Eises zu verhindern. Während die automati-
die Ionen mit organischen Verunreinigungen, zerstören sierten Ausführungen die Kühlung während des Trans-
sie und reinigen so die Objektträgeroberfläche (plasma fers und auch im Mikroskop ebenfalls automatisch ge-
cleaning). Sowohl aus Luft (Glimmentladung) als auch währleisten, hat der manuelle Halter einen kleinen
aus Argon-Sauerstoff-Gemischen (seltener Wasserstoff) Dewar am Halterende, der mit flüssigem Stickstoff ge-
können Plasmen erzeugt werden. Darüber kann man füllt ist und denn man auch manuell nachfüllen muss.
andere Moleküle (z.  B.  Amylamin) während des Vor- Der Luftschleusenbereich liegt im „Herzen“ des
gangs einbringen, um beispielsweise bei der Präparation Elektronenmikroskops, der Objektivlinse, und führt den
von Einzelpartikeln die Oberfläche und die Orientie- Halter meist direkt durch das Goniometer, welches so-
rungsverteilung der adsorbierenden Partikel zu verän- wohl für die laterale Verschiebung der Probe als auch für
dern. das Drehen beziehungsweise Kippen der Probe im Elek-
Heutige Elektronenmikroskope sind weitestgehend tronenstrahl verantwortlich ist (7 Abschn.  23.7). Es

automatisiert, und der Benutzer sitzt nicht mehr vor handelt sich dabei um eine hochsensible Mechanik, da
dem eigentlichen Instrument, sondern vor einem Com- die Positionierung der gewünschten Probenposition im
puterbildschirm. Die gesamte Instrumentierung ist au- Nanometerbereich erfolgen sollte. Man kann sich leicht
ßerdem in Bezug auf mechanische, thermische und opti- vorstellen, dass das manuelle Einsetzen eines Probenhal-
sche Stabilität sowie die Bedienung optimiert, sodass der ters eine heikle Angelegenheit ist und, je nach den Fä-
Anwender nur ein Minimum an Einstellungen und An- higkeiten des Benutzers, nicht gerade dazu beiträgt, das
passungen vornehmen muss. Die meisten Funktionen Vakuum oder die Genauigkeit des Goniometers auf-
und Kalibrierverfahren, wie beispielsweise die Einstel- rechtzuerhalten. Die vollständige Automatisierung die-
lung des Fokuswertes oder des Astigmatismus sowie die ser Prozedur (für Mensch und Maschine) war daher ein
Kalibrierung der Vergrößerung, werden durch Soft- logischer Schritt.
wareroutinen unterstützt oder sind gänzlich automati-
siert. Aktuelle Mikroskope unterscheiden sich auch in
der Art und Weise, wie die Proben eingebracht werden, 23.3  Präparationsverfahren
d. h. im Transfer der Probe vom normalen Luftdruck in
das Hochvakuum über entsprechende Luftschleusen. Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Ge-
Der manuelle Transfer einer einzelnen Probe mithilfe winnung von Strukturinformationen durch die Elektro-
eines einfachen Probenhalters wurde insbesondere in nenmikroskopie ist die Fähigkeit, die Struktur der Probe
der Kryo-Elektronenmikroskopie durch robotisierte optimal zu erhalten. Strukturveränderungen während
Systeme ersetzt, die bis zu einem Dutzend Proben gleich- der Probenpräparation sowie Strukturänderungen
zeitig aufnehmen können. Der Probentransport in das durch die Wechselwirkung des Elektronenstrahls mit
Mikroskop erfolgt dann nicht mehr direkt über die Luft, der Probe sind zu vermeiden oder zumindest auf ein Mi-
sondern in flüssigem Stickstoff oder unter Vakuum. Für nimum zu reduzieren. Daher muss die biologische Pro-
die sichere, automatisierte und mechanische Handha- benpräparation speziell an die lebensfeindliche Umge-
bung der sehr dünnen und empfindlichen Objektträger bung im Elektronenmikroskop und an die physikalischen
dienen dann spezielle Kartuschen (cartridges) und Kas- Gegebenheiten der elektronenmikroskopischen Bildent-
562 P. Erdmann et al.

stehung abgestimmt werden. Die Präparate müssen va- ckere“ Proben nicht ohne Weiteres eingefroren werden.
kuumtauglich sein, müssen ausreichend dünn sein und Die Herstellung von Kryo-Mikrotomschnitten an hoch-
sollten einen ausreichenden Kontrast aufweisen. Kon- druckgefrorenen Proben war zunächst die einzige Me-
ventionelle physikalische Probenpräparationstechniken thode, um ausreichend dünne Proben von größeren Zel-
lassen sich nicht ohne Weiteres auf biologische Proben len, Geweben oder Organismen zu erhalten. Dabei
anwenden, da diese Wasser enthalten und in einer wäss- handelt es sich um eine handwerklich sehr anspruchs-
rigen Umgebung vorliegen und dessen Entzug zu massi- volle ­Methode, und auch hier gibt es gravierende Arte-
ven Strukturveränderungen führt. fakte, wie z.  B. eine Verformung (Kompression) des
Die am häufigsten verwendete Konservierungsme- Schnittes. Außerdem können einzelne Zellen nicht ge-
thode in der biologischen Elektronenmikroskopie ist zielt präpariert werden, sondern nur solche, die zufällig
die Negativkontrastierung. Bei dieser Methode reichert in der Schnittschicht liegen.
sich das Schwermetall an und ersetzt das Wasser um die Eine alternative Schnitt- beziehungsweise Dün-
Moleküle der Probe. Da Schwermetallsalze von Natur nungstechnik entstand zu Beginn des 21. Jahrhunderts:
aus stark mit dem Elektronenstrahl wechselwirken, ver- das Schneiden mithilfe eines fokussierten Ionenstrahl-
bessert sich der Bildkontrast (die Probe erscheint hell instruments (focused ion beam, FIB). Solche Instru-
auf dunklem Untergrund). Dieses Verfahren ermög- mente sind in den Materialwissenschaften allgegenwär-
licht gerade in der Einzelpartikelanalyse eine schnelle tig und aufgrund ihrer unübertroffenen ortsspezifischen
Beurteilung der Qualität und Homogenität des vor- Präparationsmöglichkeiten ein Standard für die physi-
liegenden Proteinpräparats. Allerdings bildet man das kalische TEM-Probenpräparation. Die Verwendung ei-
Kontrastmittel ab, nicht das Molekül selbst. Dadurch nes fokussierten Ionenstrahls, typischerweise schwere
ist die erreichbare Auflösung auf ≈2 nm begrenzt, und Galliumionen, zur Präparation von elektronentranspa-
es kommt zu Artefakten, insbesondere einer Abflachung renten Bereichen aus gefrorenen Proben ohne Beein-
der Probe. trächtigung ihrer Integrität schien zunächst schwierig,
Neben der Kontrastierung mit Schwermetallsalzen wenn nicht unmöglich. Glücklicherweise hat sich her-
gehört die Einbettung von ganzen Zellen oder Gewebe- ausgestellt, dass das Dünnen (milling) mit dem FIB
teilen in Harze (Epon) oder in bei Kälte polymerisierende keine unüberwindbaren Artefakte verursacht, und seit-
Materialien (Lowicryl) zu den bekanntesten Verfahren. her haben weitere technische Entwicklungen stattgefun-
Bei der Einbettung in Harze wird die Probe (z. B. ganze den, um das Verfahren und den Durchsatz zu verbessern
Zellen oder Gewebeteile) typischerweise zunächst che- (7 Abschn.  23.3.3). Das gebräuchlichste Verfahren ist

misch fixiert und mit Schweratomen angefärbt, dann in heutzutage die Lamellen-Präparationstechnik für direkt
organischen Lösungsmitteln dehydriert und schließlich auf einem Objektträger eingefrorene Zellen (on-the-grid
in ein geeignetes Harz oder einen Kunststoff eingebet- preparation). Inzwischen gibt es aber auch Ansätze, um
tet. Anschließend können aus den so eingebetteten Pro- Lamellen aus hochdruckgefrorenen Proben buchstäb-
ben mit einem Ultramikrotom Dünnschnitte (≤100 nm) lich herauszuheben (lift-out preparation).
hergestellt werden. Allerdings führt diese Art der Be- Die Kryo-Präparationstechniken (. Abb.  23.3) er-

handlung zu strukturellen Umlagerungen und Aggre- halten die native Struktur von isolierten Makromolekü-
gationsartefakten. Außerdem kommt es zu signifikanten len als auch deren Organisation im zellulären Kontext
Massenverlusten und einer Schrumpfung des Präparats und haben uns in jüngster Zeit neue Perspektiven so-
während der Bestrahlung im Elektronenmikroskop. wohl in der molekularen Strukturbiologie als auch in
Ungeachtet dessen verdanken wir dieser Präparations- der cytologischen Forschung eröffnet. Deshalb stehen
technik die umfangreichsten Erkenntnisse über die Zell- sie im Fokus dieses Abschnitts über Präparationsverfah-
architektur. ren. Unter den Standardverfahren ist die Negativkont-
Sowohl die Negativkontrastierung als auch die Ein- rastierung mit einbezogen (7 Abschn.  23.3.1), da sie

bettung in Kunstharze finden auch heute noch ihre An- (auch heute noch) die aufschlussreichste und einfachste
wendung. Sie wurden jedoch in der molekularen Elekt- Methode ist, um die Qualität einer aufgereinigten Prote-
ronenmikroskopie durch die Fixierung bei tiefen inprobe zu beurteilen. Andere, eher konventionelle Kon-
Temperaturen (Kryopräparation), also das Schockge- trastierungs-, Markierungs- und Präparationsverfahren
frieren und das Einbetten in amorphes (vitrifiziertes) sind hier nicht weiter ausgeführt.
Eis, weitestgehend abgelöst (7 Abschn. 23.3.2). Jedoch

ist die Untersuchung solcher Präparate auf sehr dünne


vitrifizierte Proben wie aufgereinigte Proteinkomplexe, 23.3.1 Negativkontrastierung
Viren, isolierte Organellen oder kleine prokaryotische
Zellen beschränkt. Dickere Proben wie eukaryotische Die Negativkontrastierung ermöglicht eine relativ ein-
23 Zellen, Gewebe und Organismen sind nicht ohne weitere fache und schnelle Beobachtung von Makromolekülen
Präparationsschritte zugänglich. Auch können „di- und makromolekularen Komplexen durch die Verwen-
Elektronenmikroskopie
563 23

..      Abb. 23.3  Präparation von vitrifizierten Proben für die Kryo-­ Projektion des isolierten 20S-Proteasoms, (IV) einen xy-Schnitt eines
Elektronenmikroskopie und Elektronentomographie. (I) Kryo-­ tomographisch rekonstruierten Escherichia-coli-Bakteriums. Die
Rasterelektronenmikroskopie: Mikrograph einer FIB-Lamelle und Probenaufbereitung mit dem Ionenstrahl (V) ist frei von den Kom-
eines (II) ultramikrotomischen Dünnschnittes. (III) zeigt die 2D-­ pressionsartefakten der Ultramikrotomie (VI)

dung eines kontrastverstärkenden Schwermetallsalzes. wird. Diese Substrate können sowohl kommerziell er-
Obwohl sie in der Auflösung auf ein Maximum von worben als auch selbst hergestellt werden.
≈20 Å begrenzt ist, eignet sie sich für eine Vielzahl von Die Kohlefolie ist zunächst hydrophob und muss
biologischen Fragestellungen und ist das schnellste vor dem Auftragen von in Wasser gelöstem oder sus-
Mittel zur Beurteilung von Proben für die Kryo-Elek- pendiertem Material hydrophil gemacht werden. Ioni-
tronenmikroskopie (Kryo-EM). Gerade in der Einzel- sierte Gasmoleküle – erzeugt in evakuierten Kammern
partikelanalyse (7 Abschn.  23.6) liefert sie eine Fülle
  durch eine Glimmentladung (plasma cleaner oder glow
von Informationen über die Probe, wie z.  B. das Vor- discharger)  – machen den Kohlenstofffilm vorüberge-
handensein von Verunreinigungen oder Aggregaten, die hend benetzbar. Als Nebeneffekt zerstört das Plasma
Größe, Form und den oligomeren Zustand des Zielpro- Verunreinigungen und reinigt so die Oberfläche des Trä-
teins oder -komplexes, die Neigung eines Komplexes zur gernetzchens. Anschließend bringt man einen kleinen
Dissoziation sowie eine mögliche Variabilität bezüglich Tropfen der Probe in wässriger Lösung (ca. 2–5 μl) auf
seiner Konformation. die Kohlefolie auf und lässt diesen 15–60 Sekunden ad-
Der Prozess der Negativkontrastierung beginnt mit sorbieren. Überschüssige Flüssigkeit entfernt man mit
der Vorbereitung eines Trägersubstrats, auf dem die einem Filterpapier (Blotting). Unter Umständen ist ein
Probenpartikel aufgebracht werden. Das am häufigsten Waschen der Probe vor der Kontrastierung erforder-
verwendete Trägermaterial ist eine durchgehende lich, insbesondere, wenn die Pufferlösung einen hohen
Schicht einer amorphem Kohlefolie, die manchmal von Salz- oder Phosphatanteil aufweist. Das noch feuchte
einer dünnen Schicht aus Polyvinyl- (z.  B.  Formvar) Präparat wird dann mit ultrareinem Wasser oder mit
oder Nitrocellulose- (z. B. Collodion) Polymer getragen einem flüchtigen Puffer geringer Ionenstärke (≤10 mM)
564 P. Erdmann et al.

gewaschen und erst dann mit einem Schwermetallsalz schung aus beiden verwendet. Diese haben eine viel
kontrastiert. Übliche Kontrastierungsmittel sind wäss- höhere Wärmeleitfähigkeit als flüssiger Stickstoff, wo-
rige Lösungen von Uranylacetat, Phosphorwolframat, durch eine wesentlich schnellere Wärmeübertragung ge-
Ammoniummolybdat und Aurothioglucose. Die Ver- währleistet ist. Darüber hinaus wird der Leidenfrost-Ef-
bindungen unterscheiden sich in Hinblick auf ihren fekt erheblich reduziert, der ansonsten zur Bildung einer
Kontrast, die Strahlempfindlichkeit, den einstellbaren „warmen“ und isolierenden Gasschicht um die Probe
pH-Bereich und ihre Ioneneigenschaften. Dadurch ge- herum führen würde, was sich wiederum nachteilig auf
lingt es mitunter, die Vorzugsorientierung der Moleküle die Gefrierraten auswirkt. Dieser Effekt ist auch zu be-
auf dem Objektträgernetzchen zu beeinflussen und un- obachten, wenn flüssiger Stickstoff direkt in Kontakt
terschiedliche Projektionen zu erhalten. Das Salz hüllt mit Gegenständen bei Raumtemperatur trifft: er beginnt
die Proteinmoleküle ein und füllt Vertiefungen und Lö- so lange zu kochen (aufsteigender gasförmiger Stick-
cher auf. Das Präparat wird luftgetrocknet und ist so für stoff) bis auch der Gegenstand selbst die Temperatur
längere Zeit (Wochen bis Monate) stabil. Die Schwer- von flüssigem Stickstoff erreicht hat. Reines Ethan oder
metallhülle ist strahlenresistenter als das Protein und Propan verfestigt sich, wenn man es über einen längeren
konserviert die räumliche Struktur des Moleküls auch Zeitraum bei der Temperatur von flüssigem Stickstoff
bei Trocknung und bei moderater Bestrahlung im Va- belässt, während eine Mischung aus beiden flüssig bleibt,
kuum des EM. was die Anwendung praktikabler macht.
Die erforderliche Kontrastmittelmenge und des-
sen Eindringtiefe, um optimale Ergebnisse zu erzie- zz Plunge freezing
len, ist auch hier abhängig von der Probe. Ist diese zu Zum „Einschießen“ (plunge freezing) wird das Objekt-
klein, können die Moleküle durch den Elektronen- trägernetzchen mit einer Pinzette gehalten und vertikal
strahl beschädigt werden, ist sie jedoch zu dick, können in den Plunger montiert. Ein Tropfen von einigen Mik-
Strukturmerkmale verloren gehen. Neben der Kont- rolitern (2–3  μl) der Probenlösung, entweder isolierte
rastmittelmenge beeinflussen die Benetzbarkeit des Trä- Proteinkomplexe oder ganze Zellen in ihrer Pufferlö-
germaterials, die Regelmäßigkeit des Films, die Adsorp- sung, wird auf die Oberfläche des Netzchens aufgetra-
tions- und Blottingzeit und die Zeit für die Trocknung gen. Da nur dünne Objekte im Bereich von wenigen
das Ergebnis. So ist eine gleichmäßige Kontrastierung Hundert Nanometern für die Untersuchung mit dem
über den gesamten Trägerfilm fast nie zu erreichen. Für Elektronenmikroskop geeignet sind, ist es erforderlich,
ganze Zellen und größere Objekte eignet sich diese Art das Probenvolumen zu reduzieren. Dies wird durch ein
der Kontrastierung in der Regel nicht. Filterpapier erreicht, das vorsichtig auf einer oder bei-
den Seiten des Trägernetzes platziert wird, um über-
schüssige Flüssigkeit zu entfernen. Auch hier wird dieser
23.3.2 Native Proben in Eis Vorgang als Blotting bezeichnet. Um eine mechanisch
bedingte Störung z.  B. von Zellstrukturen zu verhin-
Gilt es, die innere Struktur eines Moleküls, eines makro- dern, kann man das Filterpapier auch von der Rückseite
molekularen Verbandes oder von intakten Zellen darzu- des Trägernetzchens aufbringen (. Abb. 23.4). Die Di-

stellen, muss das Objekt selbst und nicht im Wesentli- cke des Eises hängt von der Blottingdauer und der Zeit-
chen die Verteilung eines Kontrastmittels abgebildet spanne ab, die der verbleibende wässrige Film vor dem
werden. Man verzichtet deshalb auf jegliche chemische Einfrieren noch weiter verdunsten kann. Halbautomati-
Fixierung und Kontrastierung und mikroskopiert das sche Plunger mit Inkubationskammern haben inzwi-
native Objekt in wässriger Lösung, die durch Schockge- schen die reproduzierbare Herstellung von qualitativ
frieren physikalisch „fixiert“ wird. Das entstehende Eis hochwertigen vitrifizierten Proben erheblich erleichtert.
ist vitrifiziert oder amorph, ähnlich einer erkalteten Für ein optimales Ergebnis müssen jedoch Parameter
Glasschmelze. Das Schockgefrieren muss sehr schnell wie Temperatur und Feuchtigkeit, die das Ausmaß der
durchgeführt werden, daher ist eine spezielle „Ein- Verdunstung beeinflussen, immer noch empirisch be-
schuss“-Apparatur notwendig. Diese guillotineähnli- stimmt werden. Deshalb ist insbesondere für die Einzel-
chen Geräte (plunger) erlauben das Einfrieren der Probe partikelanalyse die Präparation von vitrifizierten Proben
in Millisekunden auf eine Temperatur von flüssigem mit geeigneter Eisdicke und optimaler Partikelvertei-
Stickstoff (≈ –180 °C). Um eine direkte Phasenumwand- lung (sowohl lateral als auch in ihren Orientierungen)
lung von flüssig in einen amorphen (verglasten) Feststoff auch heute noch eine Herausforderung.
zu gewährleisten, werden Kryogene mit sehr hohen Ab- Für die Präparation aufgereinigter Proteinkomplexe
kühlraten (≈ 105 °C s−1) eingesetzt. Typischerweise wer- verwendet man zumeist Objekträgernetzchen aus Kup-
den als Kryogen flüssiges Ethan, Propan oder eine Mi- fer mit einer löchrigen Kohlenstofffolie (7 Abschn. 23.2).

23
Elektronenmikroskopie
565 23
A B C

..      Abb. 23.4  Das sog. plunge freezing unterteilt sich in drei Schritte. eine dünne Eisschicht zurückzulassen B. C Das Grid wird schließlich
A Zunächst wird die Zellsuspension oder das zu untersuchende bio- in einem flüssigen Kryogen gefroren und kann für die weitere Pro-
logische Makromolekül in wässriger Lösung auf das Grid aufgetra- benaufbereitung verwendet werden
gen. Anschließend wird die überschüssige Flüssigkeit entfernt, um

In diesen Löchern erhält man dünne freitragende Eis- Vitrifizieren


schichten, die idealerweise nicht viel dicker sind als die Glas (vitrum) bildet beim Erstarren der flüssigen
Probenpartikel selbst. Löchrige Filme werden eingesetzt, Schmelze keine Kristalle, sondern bleibt in einem
um den geringen Kontrast zwischen den Proteinmolekü- amorphen Zustand. Wassermoleküle hingegen ord-
len (spezifische Dichte ≈1,4 g cm–3) und dem umgeben- nen sich während des Gefrierprozesses in einem Kris-
den Eis (≈1 g cm–3) während der Abbildung nicht noch tallgitter an, das abhängig von Temperatur und Druck
weiter zu schwächen. Sowohl das vitrifizierte Eis als auch unterschiedliche Strukturen und Dichten annehmen
die Kohlenstoffschicht besitzen aber bei tiefen Tempera- kann. Derzeit sind 15 verschiedene Eiskristallformen
turen eine schlechte elektrische L
­ eitfähigkeit. Es wird all- bekannt. Durch sehr schnelles Einfrieren auf mindes-
gemein angenommen, dass diese schlechte Leitfähigkeit tens –150 °C bei Normaldruck geht Wasser in einen
die Ursache für strahlinduzierte Probenbewegungen festen, aber ungeordneten, vitrifizierten Zustand über,
(beam induced motion) ist, die die Bildqualität beein- der bis etwa –135 °C stabil ist. Amorphes Eis hat eine
trächtigen. Deshalb benutzt man für die hochaufgelöste Dichte von 0,94  g cm−3 (low density amorphous ice)
Einzelpartikelanalyse neuerdings Trägernetze aus Gold und ist flüssigem Wasser physikalisch ähnlicher als
mit perforierten Goldfilmen oder auch kontinuierliche alle anderen bekannten Eisformen. Strenggenommen
Folien aus Graphenfilmen, um die Leitfähigkeit zu er- ist amorphes Eis kein Festkörper, sondern eine extrem
höhen und sie damit mechanisch stabiler zu machen. stabile Flüssigkeit (superstrong liquid).
Es ist anzumerken, dass die Vitrifizierung von reinem
Wasser nur bis zu einer Dicke von ≈1 μm gelingt. Das
liegt vor allem an der geringen Wärmeleitfähigkeit des
Wassers. Jedoch wirken einige intrazelluläre Proteine zz Hochdruckgefrieren
und andere Makromoleküle als Kryoprotektoren (cryo- Einzelne eukaryotische Zellen, Bakterien, Archaeen
protectants) und können so die Einfriertiefe auf bis zu und Viren können ebenso wie Molekülkomplexe vitri-
≈10 μm erhöhen. Aufgereinigte Proteinkomplexe lassen fiziert und in vielen Fällen auch unmittelbar abgebildet
sich ebenfalls durch die Zugabe von Lösungen stabilisie- werden. Vielzellige Objekte und Zellsuspensionen lassen
ren, die wie ein Frost- zw. Gefrierschutzmittel wirken sich durch einfaches Einschießen (plungen) nicht ausrei-
(z. B. Glucose oder ähnliche Verbindungen wie Treha- chend schnell einfrieren. Der Wärmetransfer im Inneren
lose und Tannin). Ein Beispiel aus der Natur: Einige Or- größerer Probenvolumina mit mehr als 10 μm Ausdeh-
ganismen können eine vollständige Dehydrierung oder nung ist zu langsam, um Wasser an der Kristallbildung
längere Gefrierperioden ohne Schaden überstehen, weil zu hindern. Hier kann man sich aber die Tatsache zu-
sie Substanzen wie Trehalose oder Glycerin synthetisie- nutze machen, dass Wasser unter Druck deutlich ver-
ren (ein Phänomen, das als Kryptobiose bekannt ist). zögert kristallisiert und eine geringere Abkühlrate aus-
566 P. Erdmann et al.

reicht, die Probe bis zu einer Tiefe von ca. 200–300 μm 23.3.3 Kryo-FIB-Lamellen
zu vitrifizieren. Dafür gibt es spezielle Hochdruckge-
frieranlagen, die mit flüssigem Stickstoff und einem Eine fundamental andere Art der Dünnung gefrorener
Druck von 200  MPa (≈2000  atm) arbeiten. Entweder biologischer Proben stellt die Ionenätzung (Focused Ion
setzt man die Probe in einer Kammer unter diesen ho- Beam Micromachining, FIB) dar. Seit den 1990er-Jahren
hen Druck und kühlt ab, sobald der Druck aufgebaut verwendet man die FIB-Technologie, insbesondere in
ist, oder man setzt den flüssigen Stickstoff selbst unter der Halbleiterindustrie zur Fehleranalyse und zur Modi-
Druck und „schießt“ ihn dann auf die Probe. In beiden fikation von elektrischen Schaltkreisen. Im Bereich der
Fällen sind der Druckaufbau und die Kühlung synchro- Materialwissenschaften ist sie längst zum Standard für
nisiert. Wenn möglich, versetzt man die Zellsuspension die TEM-Probenpräparation geworden, und seit einiger
mit einem polymeren „Frostschutzmittel“ (z. B.  Dext- Zeit ist sie ein fester Bestandteil der Probenvorbereitung
ran), das osmotisch weitgehend inert ist und die Kris- für die Kryo-Elektronentomographie.
tallisationsneigung des die Zellen umgebenden Wassers Ein FIB-Instrument ist vom Aufbau her einem Ras-
zusätzlich mindert. Es hat allerdings den Nachteil, Poly- terelektronenmikroskop (Scanning Electron Microscop,
saccharide auf Zelloberflächen zu maskieren. SEM) sehr ähnlich, mit dem Unterschied, dass anstelle
Als Probenhalter für das Hochdruckgefrieren dienen von Elektronen Ionen verwendet werden. Beide Tech-
entweder dünne Metallröhrchen (tubes) oder zweiteilige nologien werden in der Regel in einem Gerät kombi-
kleine Metallgefäße (planchettes), die die Probe um- niert (FIB-SEM), um sowohl die Bildgebung als auch
schließen. Die Metallröhrchen haben den Vorteil einer die Probenbearbeitung gleichzeitig zu ermöglichen. In
sehr guten Gefrierqualität, da sie wesentlich kleiner und diesen Zweistrahl-Geräten ist die Ionensäule gegen-
dünner sind als Planchetten. Sie haben jedoch den Nach- über einer vertikalen Elektronensäule gekippt (typi-
teil, dass die Metallwände erst weggetrimmt werden scherweise um 52°), um die Probenbearbeitung und die
müssen und dass die Größe der Kryoschnitte durch den Elektronenabbildung desselben Bereichs zu ermöglichen
Innendurchmesser des Röhrchens begrenzt ist. Das (. Abb. 23.5). Der Materialabtrag mit einem FIB-Sys-

Trimmen wird typischerweise mit einem speziellen Dia- tem erfolgt durch Beschleunigung und Fokussierung
mantmesser durchgeführt, um eine rechteckige Fläche eines Strahls ionisierter Galliumatome (Ga+-Ionen) auf
(blockface) zu erzeugen. Das anschließende Schneiden die Probenoberfläche. Dabei lässt sich der Ionenstrahl
der Schnitte erfolgt ebenfalls mit einem Diamantmesser, von wenigen Mikrometern bis zu einigen wenigen Nano-
wobei hier der Winkel der Klinge relativ zur Probe meist metern im Durchmesser gezielt fokussieren. Die auftref-
kleiner ist (25°– 45°). Im Gegensatz zum Schneiden bei fenden Ionen können die Atome der Oberflächenschicht
Raumtemperatur, bei dem die Schnitte auf Wasser durch Stöße von ihrer Position entfernen, was man als
schwimmen, müssen Kryoschnitte manuell auf ein Ob- Sputtern bezeichnet. Das Rastern des Ionenstrahls über
jektträgernetzchen transferiert werden. Traditionell er- die Probenoberfläche (analog zum Elektronenstrahl im
folgt dies mit einer Wimper oder einem Haar von kurz- SEM) ermöglicht es, Material schichtweise nacheinander
haarigen Hunderassen (z.  B.  Dalmatiner); mittlerweile abzutragen; man spricht vom Ionenfräsen (ion milling).
kommen aber auch Nylonfasern zum Einsatz. Da elekt- Zusätzlich kann man in einem FIB-System verschie-
rostatische Aufladungen, Luftbewegungen oder eine fal- dene Materialien auf der Probenoberfläche abscheiden
sche Handhabung den Schnitt leicht beschädigen oder (Platin, Kohlenstoff und Wolfram). Über ein Gasinjek-
zu seinem vollständigen Verlust führen können, handelt tionssystem (GIS) wird ein gasförmiger Ausgangsstoff
es sich um ein äußerst aufwendiges Verfahren, das viel (precursor) in die Mikroskopkammer eingeleitet und mit
Geduld und großes Geschick erfordert. Außerdem sind dem Ionen- oder Elektronenstrahl auf der Probenober-
Kryoschnitte in der Regel nicht flach und weisen fläche abgeschieden. Durch Wechselwirkung mit dem
Schneidartefakte auf, z. B. Oberflächenspalten (crevas- Ionen- oder Elektronenstrahl wird das Gas zersetzt und
ses) und Verformungen. Die Verformung des Schnitts ist die nichtflüchtigen Zersetzungsprodukte verbleiben auf
dabei die gravierendste Einschränkung: Entlang der der Probenoberfläche, während die flüchtigen Produkte
Schnittrichtung kommt es zu einer Stauchung (Kom- durch das Vakuumsystem abgesaugt werden.
pression) des Eises und damit auch des Objektes, die ins- Während des Ionenfräsens befindet sich die vitrifi-
besondere bei dickeren Schnitten (>100 nm) bis zu 30 % zierte Probe immer im Hochvakuum und stets bei Tem-
betragen kann. Trotzdem liefern Kryoschnitte Einsich- peraturen unterhalb der Rekristallisationstemperatur
ten in die Zellstruktur, die sonst durch Entwässerung von Wasser (> –150 °C). Zur Identifizierung geeigneter
und chemische Einbettung verloren gehen. Zellen oder Zellbereiche nutzt man die Abbildung von

23
Elektronenmikroskopie
567 23
A B

..      Abb. 23.5  Aufbau eines FIB/SEM. A Die Ionensäule ist in einem nischem Platin, um eine schützende Schicht auf die biologische Probe
Winkel (52°) zur Elektronensäule angebracht. Der Ionenstrahl wird aufzubringen. B Der eintreffende Ionenstrahl führt zum Abtragen des
zur Abtragung von Probenmaterial verwendet (milling), während der Materials. Dabei entstehen verschiedenste Ionen. Zum einen werden
Prozess mit dem Elektronenstrahl beobachtet wird (imaging). Das Galliumionen reflektiert. Außerdem entstehen sekundäre Ionen, da
Gasinjektionssystem (GIS) dient der gezielten Einspeisung von orga- Atome ionisiert und aus dem Material abgetragen werden

Sekundärelektronen direkt mit dem integrierten SEM man für hochdruckgefrorene Proben verwenden, d.  h.
oder indirekt mit Aufnahmen aus korrelativen Metho- für größere Zellen, kleine, mehrzellige Organismen oder
den wie der Fluoreszenzlichtmikroskopie. Für das Be- Gewebe, er ist jedoch technisch sehr anspruchsvoll und
arbeiten von Zellen auf einen Objektträgernetzchen gibt extrem zeitaufwendig und gehört noch nicht zu den
es unterschiedliche Vorgehensweisen. So kann man par- Standardverfahren der Kryopräparation.
allel Probenmaterial abtragen, Keile erzeugen oder auch Die FIB-Präparation von vitrifizierten Proben ver-
freistehende Lamellen herstellen. Obwohl es möglich ist, meidet die mit der Kryo-Ultramikrotomie verbundenen
größere Bereiche parallel zur Probenoberfläche abzu- mechanischen Schnittartefakte, und so gedünnte La-
tragen, ist die Abtragrate mit Gallium sehr klein, was mellen sind weitgehend artefaktfrei und vor allem nicht
zu unverhältnismäßig langen Präparationszeiten führt. deformiert (. Abb. 23.7). Jedoch ist auch diese Präpa-

Trifft der Ionenstrahl in einem Winkel, d.  h. schräg, rationsmethode nicht ganz frei von Artefakten. Dabei
auf die gefrorene Probe, erzeugt man Keile, die nur an handelt es sich um geringfügige Strukturveränderungen
ihren Spitzen dünn genug sind, um sie später im TEM an der Proben- beziehungsweise Lamellenoberfläche,
zu untersuchen. Die Präparation von Keilen ist ein Ver- die direkte Folge der Ioneneinschläge ist (Strahlenscha-
fahren, das sich besonders für kleinere Bakterien eignet. den). Außerdem ist die Oberfläche der präparierten La-
Die dritte und universellste Methode ist die Herstellung mella nicht perfekt planar, und entlang der Ionenstrahl-
von Lamellen. Lamellen werden durch Abtragen von richtung kann es zu streifenförmigen Unebenheiten
Material oberhalb und unterhalb des gewünschten Pro- kommen. Dies liegt in der Natur der Probe selbst be-
benbereichs hergestellt, wodurch eine selbsttragende, gründet: Unterschiedliche Bereiche der biologischen
dünne und elektronentransparente Lamelle entsteht Probe sind unterschiedlich zusammengesetzt (unter-
(. Abb.  23.6). Da sich diese Lamellen direkt in einer
  schiedliche Dichten) und haben dadurch leicht unter-
vitrifizierten Probe und auf dem Objektträgernetzchen schiedliche Abtragraten. Diesen Effekt bezeichnet man
befinden, spricht man auch von on-the-­grid-lamella als curtaining. Sowohl die Strukturveränderung an der
preparation. Diese Namensgebung dient auch zur Un- Oberfläche als auch das curtaining lassen sich durch An-
terscheidung von der Präparation einer freistehenden passung der Präparationsparametern auf ein Minimum
Lamelle, die nach erfolgter Präparation aus dem Pro- reduzieren, sodass sie weiterführende Untersuchungen
benmaterial mit einem Mikromanipulator herausgeho- nicht beinträchtigen.
ben und auf einen separaten Objektträger aufgebracht Die Präparation einer Lamelle direkt auf einem Ob-
wird (lift-out-lamella preparation). Diesen lift-out kann jekträgernetzchen ist momentan die bevorzugte Präpa-
568 P. Erdmann et al.

A B C

..      Abb. 23.6  Geometrie einer FIB-Lamelle, präpariert direkt auf B Dieselbe Region nach FIB-milling einer Lamelle, die auf beiden
dem Grid. A Kryo-REM-Mikrograph einer plunge gefrorenen Zelle, Seiten durch das Eis gehalten wird. C Cartoon-Darstellung der re-
eingebettet in eine dünne Eisschicht auf einem Kohlenstofffilm. sultierenden Lamelle

A C D

..      Abb. 23.7  Ultradünnschnitte verschiedener Präparationen von ten ist die Lipiddoppelschicht der äußeren Membran klar sichtbar.
Mycobacterium smegmatis. A Konventionelle Fixierung, Entwässe- Der ursprünglich runde Querschnitt der Zelle wird beim Kryoschnei-
rung und Einbettung in Epoxidharz (Epon); B Hochdruckgefrieren, den in Schnittrichtung komprimiert. Die Größe der Maßstabsbalken
Gefriersubstitution und Einbettung in Lowicryl; C Hochdruckgefrie- entspricht 100  nm (A–C) und 50  nm (D). (Teilabb. A und B mit
ren und Ultradünnschnitt im Kryomikrotom ohne chemische Be- freundlicher Genehmigung von Christopher Bleck, Basel)
handlung; D wie C, bei höherer Vergrößerung. Nur in den Kryoschnit-

rationsmethode für die Elektronentomographie. Wäh- Wechselwirkung mit dem Ionen- oder Elektronenstrahl.
rend des Fräsvorgangs verringert man die Stärke des Die Dimension der Lamelle ist dabei durch die Größe
Ionenstrahls stufenweise, um eine Beschädigung der der Zelle und den Winkel zwischen der Probe und dem
Zielregion zu verhindern. Um Erosion durch den Ionen- eintreffenden Ionenstrahl gegeben. Werden sehr kleine
strahl und curtaining zu verhindern, wird davor eine Organismen (<5 μm), wie z. B. die Bäckerhefe Saccharo-
schützende Schicht organometallisches Platin durch ein myces cerevisae oder gewisse Algenarten, z. B. Chlamy-
Gasinjektionssystem (GIS) auf der Probe abgeschieden. domonas rheinhardtii, untersucht, versucht man meist,
Die Abscheidung von Platin basiert ausschließlich auf einen durch gefrorenen Puffer zusammengehaltenen
23 dem thermischen Gradienten zwischen dem Gas und Zellhaufen zu ätzen, um die Größe der Lamelle zu er-
der kalten Oberfläche der Probe und nicht auf der höhen und damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die
Elektronenmikroskopie
569 23
biologischen Prozesse von Interesse in der Zielregion sprechenden Quantenausbeute (Detection Quantum Ef-
vorzufinden. Untersucht man sehr rare Prozesse, wie ficiency, DQE, 7 Abschn. 23.4.6).

z. B. Autophagie oder Aggregate innerhalb einer Zelle,


so kann man die kryogene Fluoreszenzmikroskopie ein-
setzen. Dabei werden Fluoreszenzmarker in das Modell- 23.4.1 Auflösung des Transmissionselekt-
system eingebracht und dreidimensionale Fluoreszenz- ronenmikroskops
daten von der gefrorenen Probe aufgenommen. Die
Fluoreszenzdaten ermöglichen dann eine gezielte Aus- Um das Auflösungsvermögen zu verstehen, betrach-
wahl der Regionen für die anschließende Lamellenprä- ten wir zunächst das beschleunigte Elektron. In
paration. Ist die Auflösung der Fluoreszenzdaten und ­Abhängigkeit der Beschleunigungsspannung U nimmt
die Genauigkeit der Korrelation mit den Bildern aus seine kinetische Energie E linear zu (E = U · e). Bereits
dem FIB-SEM für den Zielprozess ausreichend, so hat bei einem Wert von 100 kV hätte es dann eine Geschwin-
man gute Chancen, dass die zu untersuchende Struktur digkeit erreicht, die mehr als 60  % der Lichtgeschwin-
sich innerhalb der präpartierten Lamelle befindet. digkeit c (1,6 · 108  m  s–1) entsprechen würde. Dies be-
deutet, dass sich die Elektronen (im Teilchenmodell) im
Vakuum des Elektronenmikroskops in einem Abstand
23.4  Abbildung im Elektronenmikroskop von 1,6 mm voneinander bewegen und somit nie mehr
als ein Elektron gleichzeitig in der Probe sein dürfte.
Um die Entstehung eines elektronenmikroskopischen Es ist daher fast unvermeidlich, das Elektron als Welle
Bildes zu verstehen ist ein grundlegendes Verständnis zu betrachten und für höhere Beschleunigungsenergien
der physikalischen Eigenschaften des Elektrons erfor- (>100 kV) die Elektronengeschwindigkeit unter Einbe-
derlich. Es ist nicht notwendig, in die Tiefen der Physik zug der relativistischen Korrektur zu errechnen:
oder der Elektronenoptik einzutauchen, es genügt, sich
daran zu erinnern, dass das Elektron sowohl einen Teil- h h h
chen- als auch einen Wellencharakter hat, genauso wie λ= = = (23.1)
p m·v  eU 
das Licht – mit dem Unterschied, dass das Elektron ein 2m0 eU 1 + 
 2m0 c
2
geladenes Teilchen mit einer Masse ist, während die 
Photonen des Lichts keine Ladung und auch keine
Masse haben. Betrachtet man das Elektron als Teilchen, darin sind h das Planck‘sche Wirkungsquantum, p der
so lassen sich Phänomene wie die Wechselwirkung mit (relativistische) Impuls, m0 die Ruhemasse des Elekt-
den Probenatomen und die damit verbundene Streuung rons. Die Tatsache, dass man einem Teilchen der Masse
beschreiben. Das Wellenmodell ist besser geeignet, Beu- m, das sich mit einer Geschwindigkeit v bewegt, eine
gung und Interferenz und die damit verbundene Bild- Wellenlänge λ zuordnen kann, postulierte Louis de
entstehung und den Phasenkontrast zu erläutern. Broglie bereits 1924 in seiner Doktorarbeit, und einige
Sowohl die Art der Präparation als auch die für die
Jahre später gelang der experimentelle Nachweis durch
Mikroskopie verwendete Instrumentierung beeinflussen
Elektronenbeugungsexperimente. Für Elektronen mit
das Bild des zu untersuchenden biologischen Objekts.
einer Beschleunigungsspannung von 300 kV ergibt sich
Zur Instrumentation zählen im Wesentlichen die Elekt- damit aus Gl.  23.1 eine Wellenlänge von 1,97  pm
ronenquelle, die optischen Bauteile des Elektronenmik- (0,019 Å ≈ 0,002 nm).
roskops und das Aufzeichnungsmedium. Die Eigen-
Die Auflösung einer beliebigen Linse (Glas, elektro-
schaften dieser drei Komponenten im Zusammenspiel
magnetisch, elektrostatisch, etc.) wird üblicherweise an-
mit der Probe bestimmen die Übertragung und die Mo-
hand des Rayleigh-Kriteriums definiert. Dabei handelt
dulation des Signals und damit letztlich die Qualität der
es sich nicht um eine physikalische Grundregel, sondern
Aufnahme und deren Informationsgehalt (und damit
eher um eine praktische Definition. Mit diesem Krite-
die Auflösung). Um diese Übertragung physikalisch zu
rium erhalten wir eine Vorstellung, die Bilder von zwei
beschreiben verwendet man in der Signalverarbeitung
„selbstleuchtenden“ Punkten voneinander zu unter-
die Übertragungs- beziehungsweise Transferfunktionen. scheiden („selbstleuchtend“, da dieser Fall auch auftritt,
Die Eigenschaften der Elektronenquelle und der Objek- wenn man zwei Sterne mit einem Teleskop beobachtet).
tivlinse sind in der Kontrasttransferfunktion (Contrast Hier betrachtet man die Beugung der von den Objekt-
Transfer Function, CTF, 7 Abschn. 23.5.3) zusammen- elementen ausgehenden Wellen an den Blenden der Ab-

gefasst, die des Detektors in der Modulationstransfer-


bildungsvorrichtung (Linse). Ein heller Punkt wird nicht
funktion (Modulation Transfer Function, MTF,
durch eine Linse als Punkt abgebildet, sondern durch
7 Abschn.  23.4.6), meist in Kombination mit der ent-
die Beugung des Lichtes am Linsenrand als Airy‘sches

570 P. Erdmann et al.

Scheibchen (Airy disc), d. h. eine helle Scheibe, die von zum Einsatz. Sie besitzen meist einen Monochromator,
abwechselnd dunklen und hellen Ringen schnell abneh- einen Korrektor für die sphärische Aberration (Cs-Kor-
mender Intensität umgeben ist. Zwei Punkte sind dann rektor) oder eine Kombination aus einem Korrektor so-
gerade noch getrennt wahrnehmbar, wenn das Zentrum wohl für den sphärischen als auch für den chromati-
der Beugungsfigur des einen auf dem ersten dunklen schen Fehler der Objektivlinse (Cc-Cs-Korrektor). An
Ring des anderen liegt. Die theoretische Auflösung der entsprechend „dünnen“ anorganischen Proben lassen
Linse ist dann durch den Radius rth des Beugungsscheib- sich damit Auflösungen im Pikometerbereich erzielen
chens gegeben. (50  pm). Eine „dünne“ Probe in der Materialwissen-
schaft ist typischerweise nur wenige Atomlagen „dick“.
λ Für biologische Proben (die per se etwas „dicker“ sind)
rth = 1, 22 (23.2)
β ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Auflösungs-
grenze je erreicht wird. Denn hier ist die erreichbare
Auflösung nicht durch das Mikroskop selbst begrenzt,
Aus Gl. 23.2 sehen wir, dass wir eine höhere Auflösung sondern vielmehr durch die Bedingungen für die Abbil-
erhalten können, wenn wir die Wellenlänge λ verkleinern dung vitrifizierter biologischer Proben und ihre beson-
oder den halben Öffnungswinkel 𝛽 vergrößern. Der Öff- deren Eigenschaften (7 Abschn. 23.4.5). Man muss so-

nungswinkel gibt den Bereich der vom Objekt gebeugten wohl passende Abbildungsbedingungen wählen als sich
Strahlen an, die die Linse noch erfassen kann. Während auch mit der Optimierung des Bildkontrastes auseinan-
eine kleinere Wellenlänge möglich wäre (höhere Be- dersetzen, wie z.  B. geeignete Defokuseinstellungen,
schleunigungsspannungen), führt die Vergrößerung des Größe der Objektivapertur und der verwendeten Elekt-
Öffnungswinkels nur zu einer Vergrößerung der Linsen- ronendosis. Die erreichbare Bildauflösung ist dann letzt-
fehler. Die Gleichung gilt aber nur für perfekte Linsen, lich eine Kombination aus vielen Parametern und unter-
ohne Abbildungsfehler. Der alles dominierende Abbil- scheidet sich in der Regel von der tatsächlichen
dungsfehler der Linse ist dabei der Öffnungsfehler Auflösung der dreidimensional rekonstruierten Struktu-
(sphärische Aberration Cs): Je weiter das Elektron von ren (7 Abschn. 23.6.2).

der optischen Achse entfernt ist, desto stärker wird es


zur Achse gebeugt, sodass aus einem punktförmigen
Objekt eine Scheibe endlicher Größe entsteht (mit dem 23.4.2 Wechselwirkungen des
Radius rsph). Infolgedessen ergibt sich als praktische Auf-
lösung eines Elektronenmikroskops rmin aus der Summe Elektronenstrahls mit dem Objekt
beider Scheibchen.
Trift ein Elektron auf die Probe, gibt es grundsätzlich
zwei Arten der Wechselwirkung: die Interaktion mit der
λ
rmin ≈ rth + rsph = 1, 22 + Cs β 3 (23.3) positiven Ladung der Atomkerne (elastische Streuung)
β und die mit den Elektronen der Atomhülle (inelastische
Streuung). Während elastisch gestreute Elektronen
Die hier vorgestellte praktische Auflösung enthält viele keine Energie verlieren und nur ihre Flugbahn ändern,
Annahmen, berücksichtig keine weiteren Linsenfehler gibt es bei der inelastischen Streuung einen messbaren
und ist folglich nur eine Näherung. Gleichwohl wird die Energieverlust. Die elastisch gestreuten Elektronen sind
Auflösung oft als eine sehr genaue Zahl angegeben. maßgeblich verantwortlich für den Streukontrast, wäh-
Heutige Transmissionselektronenmikroskope mit rend die inelastisch gestreuten Elektronen der Bildent-
200 kV und 300 kV Beschleunigungsspannung und einer stehung eher abträglich sind. Jedoch erzeugen inela-
Feldemissionselektronenquelle (FEG) liefern typischer- stisch gestreute Elektronen eine ganze Reihe von
weise Bilder mit einer Auflösung von 1–2 Å. Betrachtet weiteren Signalen, die man in der analytischen Elektro-
man nur die Wellenlänge des Elektrons bei diesen Be- nenmikroskopie zur chemischen Analyse verwenden
schleunigungsenergien, wäre eine Auflösung sogar im kann. Zu diesen Signalen gehören die Energieverlust-
Pikometerbereich möglich. Allerdings ist der Einfluss elektronen, die charakteristischen Röntgenstrahlen, die
der Objektiveigenschaften von entscheidender Bedeu- Sekundärelektronen (SE) und gelegentlich auch das
tung für die Auflösungsleistung. Der Öffnungswinkel in sichtbare Licht (Kathodolumineszenz). Elektronen, die
der Elektronenmikroskopie ist sehr klein. Für konventi- durch elastische Streuung sehr große Ablenkwinkel er-
onelle TEMs beträgt 𝛽 ca. 0,01 rad, für korrigierte Mik- litten haben, können auch als rückgestreute Elektronen
roskope liegt er bei ca. 0,05  rad (im Vergleich zu ca. (RE) die Probenoberfläche verlassen. Der größte Anteil
1,2 rad in der Lichtmikroskopie). Vor allem in den Ma- der elastischen Streuung ist jedoch nach vorne gerichtet
terialwissenschaften kommen korrigierte Mikroskope (forward scattering).
23
Elektronenmikroskopie
571 23

..      Abb. 23.8  Strahlwechselwirkung: Wechselwirkung des Elektronenstrahls mit einem Atom

zz Elastische Streuung jektivblende, auch Kontrastblende genannt, lassen sich


Die elektrostatische Interaktion eines Strahlelektrons die in größere Winkel elastisch gestreuten Elektronen
mit dem Kern eines Objektatoms führt zu einer Ablen- ausblenden. Diese ausgeblendeten Elektronen erzeugen
kung der Elektronenbahn. Die Ablenkung ist umso grö- dann die dunklen Bereiche des Bildes und führen so zum
ßer, je stärker die Coulomb-Kraft wirkt, d. h. je näher entsprechenden Streukontrast (. Abb. 23.8). Je kleiner

das Strahlelektron dem positiv geladenen Kern kommt, die Öffnung der Blende (Öffnungswinkel), umso höher
je höher die Ladung des Kerns ist (Ordnungszahl Z) und ist zwar der Kontrast, jedoch verringert sich auch die
je langsamer das Strahlelektron ist. Im Teilchenbild be- Auflösung des Bildes (7 Abschn. 23.4.1).

deutet die elastische Kollision, dass die Summe der kine- Unter Streuung im Teilchenbild versteht man die
tischen Energien des stoßenden und des angestoßenen Ablenkung durch den Zusammenstoß, während man
Teilchens als solche erhalten bleibt (wie bei einer Bil- sich im Wellenbild unter Streuung die Entstehung einer
lardkugel). Das Teilchen Elektron erfährt dabei keinen Sekundärwelle oder Streuwelle aus dem Streuzentrum
nennenswerten Energieverlust, nur eine Flugbahnände- vorstellt, die durch die einfallende Welle angeregt wird.
rung, d. h. es wird elastisch gestreut. Bei schweren Ele- Wenn zwischen der Primär- und der Sekundärwelle eine
menten dominiert die elastische Streuung (Z > 20), wäh- zeitlich konstante Phasenbeziehung besteht, spricht
rend bei leichten Elementen die inelastische Streuung man von kohärenter Streuung (7 Abschn.  23.4.3). Ist

überwiegt. Dieser Sachverhalt wird insbesondere bei dies nicht der Fall, spricht man von inkohärenter Streu-
Präparaten ausgenutzt, die mit Schwermetallen kontras- ung. Elastisch gestreute Elektronen sind in der Regel
tiert wurden (7 Abschn.  23.3.1). Der Streuwinkelbe-
  kohärent, während inelastisch gestreute Elektronen in-
reich der elastischen Streuung liegt dabei typischerweise kohärent sind, d.  h. nach der Wechselwirkung mit der
zwischen 1–10° (0,01–0,1  rad). In erster Näherung be- Probe besitzen sie keine Phasenbeziehung mehr.
trachten wir nur die einfache elastische Streuung, da die
Präparate meist sehr dünn sind. Aber es kann auch zu zz Inelastische Streuung
mehrfachen Streuereignissen kommen, die verständli- Wenn ein hochenergetisches Elektron eine dünne Probe
cherweise mit der Dicke der Probe zunehmen. Generell durchquert, kann es entweder „unbeschädigt“ heraus-
gilt: Je größer die Anzahl der Streuereignisse ist, desto kommen, oder aber es verliert durch eine Reihe von
schwieriger ist es, vorherzusagen, was mit dem Elektron unterschiedlichen Prozessen ein Teil seiner Energie.
in der Probe passiert, und desto schwieriger ist es dann, Alle Streuereignisse, welche Energie in der Probe de-
die Bilder zu interpretieren. Ein Maß dafür ist die mitt- ponieren, werden als inelastisch bezeichnet. Dies hat
lere freie Weglänge, die die durchschnittliche Entfernung gerade in der Kryo-Elektronenmikroskopie mit sehr
angibt, die ein Elektron zwischen verschiedenen Streue- strahlungsempfindlichen Proben weitreichende Konse-
reignissen zurücklegt. Um mehrfache Streuereignisse zu quenzen (7 Abschn.  23.4.5). Wechselwirken beschleu-

vermeiden, müssen elektronenmikroskopische Präpa- nigte Elektronen direkt mit der Elektronenhülle eines
rate deshalb sehr dünn sein, um sie abbilden zu können. Atoms, können Elektronen angeregt oder, in Anlehnung
Außerdem ist die Massedichte zu berücksichtigen, da an das Bohr‘sche Schalenmodell, ganz aus ihren Scha-
Bereiche mit höherer Dichte stärker streuen als Bereiche len herausgeschlagen werden. Die übertragene Energie
mit geringerer Dichte. Durch die Verwendung einer Ob- ist dabei größer als die Bindungsenergie des jeweiligen
572 P. Erdmann et al.

Schalenelektrons. Dabei können charakteristische Rönt- nur die elastisch gestreuten Elektronen zur Abbildung zu
genstrahlung entstehen, Auger-Elektronen, Sekundär- verwenden und so den Kontrast zu erhöhen. Energiefilter
elektronen und auch sichtbares Licht. Die kinetische sind ein zusätzliches optisches Element, was entweder di-
Energie des Strahlelektrons verringert sich während rekt innerhalb der Mikroskopsäule integriert ist (in-co-
der Interaktion um einen Betrag ΔE, d. h. inelastische lumn energy filter) oder an ihrem Ende (post-­column
gestreute Elektronen sind langsamer, und demenspre- energy filter). Das Funktionsprinzip ist aber in beiden
chend haben sie eine größere Wellenlänge als das unge- Fällen sehr ähnlich: Mithilfe eines magnetischen Prismas
streute Strahlelektron. werden Elektronen unterschiedlicher Energie separiert.
Lichtwellen unterschiedlicher Wellenlänge besitzen Das Prisma ist um 90° gebogen und erzeugt ein Magnet-
verschiedene Farben, und Elektronen unterschiedlicher feld, welches senkrecht zum einfallenden Strahl wirkt.
Wellenlängen werden auch als nicht „gleichfarbig“, also Elektronen unterschiedlicher Energie werden so auf un-
als nicht isochromatisch bezeichnet. Sie sind damit, terschiedliche Flugbahnen abgelenkt (Lorentz-Kraft):
wenn auch nur leicht, defokussiert und führen zu einer schnellere Elektronen in größeren Winkeln, langsamere
Unschärfe im Bild, analog zu der chromatischen Aber- Elektronen in kleineren Winkeln. Durch die Geometrie
ration der Objektivlinse. Der Farbfehler der elektroma- des Prismas entspricht diese Ablenkung einem kreisbo-
gnetischen Objektivlinse hat jedoch einen wichtigen genförmigen Verlauf. Hinter dem Prisma entsteht so ein
Unterschied zur Lichtmikroskopie; Für Licht werden Spektrum der Verteilung der Elektronenintensität (I) auf
schnellere Strahlen (z.  B.  Blau) stärker gebrochen als den entsprechenden Energieverlust (ΔE). Dieser Vorgang
langsamere (z. B. Rot), und für Elektronen ist dies genau der Dispersion ist dem von weißem Licht durch ein Glas-
umgekehrt, so auch für inelastisch gestreute Elektronen. prisma sehr ähnlich. Die Ebene hinter dem magnetischen
Die Ablenkung der inelastisch gestreuten Elektro- Prisma bezeichnet man als energiedispersive Ebene, die
nen ist sehr viel geringer als bei der elastischen Wech- auch gleichzeitig eine Bildebene darstellt, da sich das
selwirkung. Die Streuwinkel liegen typischerweise bei Prisma wie eine magnetische Linse verhält. Mithilfe einer
<1° (≈ 10−4 rad), d. h., diese Streuung ist nach vorne ge- einstellbaren Schlitzblende (energy selective slit) lassen
richtet und lässt sich nicht durch eine einfache Blende sich Elektronen mit einer bestimmten Energie gezielt aus-
auffangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron in- wählen oder auch herausfiltern, um ein Bild zu erzeugen.
elastisch gestreut wird, ist bei niedrigen Beschleunigungs- Die Bildgebung mithilfe eines Energiefilters bezeichnet
spannungen (100  kV) sehr viel größer als bei höheren man i. A. als energy filtered TEM (EFTEM). Da sich die-
(300 kV) und hängt entscheidend von der Ordnungszahl ser Schlitz in der energiedispersiven Ebene befindet, ist
und der Dicke der Probe ab (Massendichte). Die inelasti- die Schlitzgröße nicht in Mikrometer, sondern in Elekt-
sche Streuung ist dreimal so häufig wie die gewünschte ronenvolt angegeben. So kann man Energieverluste aus-
elastische Streuung, insbesondere bei Proben, die haupt- wählen, die spezifisch für bestimmte Elemente sind, um
sächlich aus leichten Elementen bestehen (≈20/Z) und sog. Elementkarten (elemental maps) zu erhalten, die die
mehr als 100 Nanometer dick sind. Dazu kommen mit Elementverteilung in einem einzigen 2D-Bild visualisie-
zunehmender Probendicke auch hier mehrfach Streue- ren. Allerdings liegt die für eine Elementkarte verwen-
reignisse. Inelastisch gestreute Elektronen reduzieren den dete Dosis um Größenordnungen höher als das, was für
Kontrast im aufgenommenen Bild, erhöhen das Bildrau- die Untersuchung biologischer Strukturen erlaubt wäre.
schen und sind inkohärent, d. h., sie liefern keinen Bei- In der Kryo-Elektronenmikroskopie wird typischerweise
trag zum Phasenkontrast (7 Abschn. 23.4.3). Es ist aber
  diese Schlitzblende um die Elektronen zentriert, die keine
möglich, durch Energiefilter die inelastisch gestreuten Energie verloren haben, man bezeichnet dieses Verfahren
Elektronen von den elastisch gebeugten zu trennen und als zero-loss mode.
damit die Kontrastverhältnisse zu verbessern. Energiefil-
ter sind im Prinzip Spektrometer mit der zusätzlichen
Fähigkeit, die Probe bei einem bestimmten Energiever- 23.4.3 Phasenkontrast in der
lust abzubilden. Anfang der 1990er-Jahre wurden sie Elektronenmikroskopie
­eingeführt, um entweder mithilfe der Elektronenenergie-
verlustspektroskopie (Electron Energy Loss Spectro- Dünne biologische Präparate, die überwiegend aus Ato-
scopy, EELS) oder der elektronspektroskopischen Abbil- men mit niedriger Ordnungszahl bestehen (H, C, N, O),
dung (Electron Spectroscopic Imaging, ESI) die chemische verhalten sich als schwache Phasenobjekte (weak phase
Zusammensetzung einer Probe im TEM zu analysieren. approximation). Dies gilt in erster Näherung auch für
Diese Formen der analytischen Elektronenmikroskopie Molekülkomplexe, die mit Schwermetallsalzen negativ
sind eine feste Domäne der Materialwissenschaft und kontrastiert wurden, obwohl hier auch ein nennenswer-
kommen in der Biologie nur selten zum Einsatz. Diese ter realer Streukontrast auftritt. Der gebeugte Elektro-
23 Energiefilter bieten jedoch die Möglichkeit, die meisten nenstrahl wird durch das innere Potenzial des Objekts
der unelastisch gestreuten Elektronen „herauszufiltern“, (das dem Brechungsvermögen lichtoptischer Präparate
Elektronenmikroskopie
573 23
entspricht) verzögert. Er weist dann bei seinem Austritt 23.4.4 Elektronenmikroskopie mit
aus dem Objekt eine kleine Phasenverschiebung Δϕ, Phasenplatten
aber keine merkbare Amplitudenänderung gegenüber
dem nicht gebeugten Nullstrahl auf. Phasenunterschiede Um bei einer gegebenen Dosis ein Maximum an Infor-
können Auge, Kamera und Filmmaterial nicht wahr- mation zu extrahieren, ist es notwendig, diese Phasen-
nehmen, das Objekt wäre somit eigentlich unsichtbar. komponente zu verstärken. Traditionell wird dies durch
Betrachtet man die Differenz zwischen dem Nullstrahl Defokussierung der Objektivlinse erreicht und allgemein
und dem schwach phasenverschobenen Strahl, so resul- als vom Defokus abhängiger Phasenkontrast (Defocus
tiert eine Welle mit gleicher Wellenlänge, kleinerer Amp- Phase Contrast, DPC) bezeichnet (7 Abschn.  23.4.3).

litude und einem Gangunterschied von ≈ π/2 oder λ/4 Zwar bietet die Defokussierung eine gute Informations-
gegenüber der einfallenden Welle. Gelingt es, den Null- übertragung bei mittleren bis hohen Raumfrequenzen,
strahl so um π/2 zu verschieben, dass die Amplituden jedoch ist sie bei niedrigen Raumfrequenzen deutlich
phasengleich aufeinander fallen, dann interferieren die geringer. Die so erzeugten Aufnahmen zeigen ein hoch-
Wellen mit einer wahrnehmbaren Amplitudenmodula- passfilterähnliches Aussehen (7 Abschn.  23.5.1) und

tion, die Phasenkontrast genannt wird. Im lichtopti- einen insgesamt niedrigen Kontrast. Eine direkte Inter-
schen Phasenkontrastmikroskop löst man das Problem, pretation der Aufnahmen ist dadurch erschwert, und
indem man den Strahl nach Objektdurchgang durch es ist daher notwendig, verschiedene Bildbearbeitungs-
eine Glasscheibe (Phasenplatte) führt, die für den Null- techniken (7 Abschn. 23.5) anzuwenden.

strahl dicker gearbeitet ist als für den Gang des gebeug- Eine weitere Möglichkeit, den Phasenkontrast zu ver-
ten Strahls und dadurch die relative Phasenschiebung bessern, ist die Verwendung von Phasenplatten wie in der
bewirkt. Außerdem wird die Intensität des Nullstrahls Lichtmikroskopie. Phasenplatten sind optische Elemente,
gedämpft, damit die Interferenz zu einer deutlichen Am- die Phasenkontrast ohne Defokussierung und über einen
plitudenmodulation führt. Im EM sind die Verhältnisse weiten Bereich von Ortsfrequenzen erzeugen. Bereits in
komplizierter. Es soll hier genügen festzuhalten, dass die den Anfängen der Transmissionselektronenmikroskopie
sphärische Aberration der Objektivlinse und die Fokus- gab es theoretische wie praktische Überlegungen zur An-
lage (7 Abschn. 23.2) eine Phasenverschiebung der ge-

wendbarkeit von Phasenplatten. Das Grundprinzip be-
beugten Welle verursachen, die nach Interferenz mit steht darin, ein elektrisches Potenzial an den Referenz-
dem Nullstrahl den Phasenkontrast entstehen lässt. strahl (oder an den gestreuten) anzulegen, um die
Durch Fokussierung kann also der Phasenkontrast be- erforderliche Phasenverschiebung von π/2 zu erzeugen.
einflusst werden, und zwar im günstigen Fall derart, Diese wird durch ein elektrostatisches Potenzial in der
dass die Phasenschiebung der gebeugten Wellen über Mitte der hinteren Brennebene für die ungestreuten Elek-
einen weiten Beugungswinkelbereich etwa π/2 beträgt. tronen (Boersch’sche Phasenplatte) oder durch einen
Diese optimale Einstellung liegt im schwachen Unter- dünnen Kohlenstofffilm mit einem kleinen zentralen
fokusbereich und wird nach dem Elektronenmikroskop- Loch erreicht, wobei der Referenzstrahl unverändert
iker Otto Scherzer (1909–1982) als Scherzer-Fokus be- bleibt (Zernike-Phasenplatte, ZPP). Sowohl die elektro-
zeichnet (7 Abschn. 23.5.3). Jedoch ist dieser optimale

statische als auch die Phasenplatte nach Zernike hatten
Fokus sehr klein, sodass er in der Kryo-EM keine An- aber eine Reihe praktischer Probleme, die einen routine-
wendung findet. mäßigen Einsatz fast unmöglich machten. Beispielsweise
Die Phasenschiebung ist allerdings nicht über den hatte der dünne Film der Zernike-Phasenplatte eine nur
gesamten Beugungswinkel-(Auflösungs-)Bereich kons- sehr kurze Lebensdauer im Elektronenmikroskop, und
tant bei π/2. Die Folge ist eine Kontrastübertragungs- die exakte Zentrierung der kleinen Öffnung im Strahlen-
funktion, die je nach Fokusbedingung für bestimmte gang war eine aufwendige Angelegenheit. Darüber hin-
Beugungswinkel, d.  h. für die Abbildung von Objekt- aus gab es auch Bildartefakte, die durch Aufladungser-
strukturen mit bestimmter Größe, unterschiedliche scheinungen und durch Beugungseffekte an der scharfen
Kontrastverhältnisse bewirkt (vgl. 7 Abschn.  23.5.3).

Lochkante (fringing) hervorgerufen wurden.
Der Phasenkontrast kann stark oder schwach sein, Im Jahr 2014 wurde ein neuer Typ von Phasenplatte
gänzlich zu null werden und sogar sein Vorzeichen wech- eingeführt  – die Volta-Phasenplatte (VPP), die im De-
seln. Dann liegt ein Übergang von negativem zu positi- sign der ZPP sehr ähnlich ist, aber ohne zentrales Loch.
vem Phasenkontrast vor. Elektronenmikroskopische Bei der VPP wird die Phasenverschiebung durch die
Aufnahmen aus dem TEM enthalten also abhängig von Wechselwirkung des Elektronenstrahls mit dem durch-
der Fokussierung mehr oder weniger gut übertragene gehenden Kohlenstofffilm erzeugt (beam induced phase
Objektinformationen. Die korrekte Interpretation der shift). Die mittlerweile akzeptierte Arbeitshypothese ist,
Bilder setzt deshalb immer eine Analyse der Kontrast- dass der Strahl physikalisch-chemische Veränderungen
übertragungsfunktion anhand des Fourier-­ Spektrums an der Oberfläche des Films verursacht, die zu einer lo-
der Aufnahmen voraus (7 Abschn. 23.5.3).

kalen Änderung der Arbeitsfunktion und damit zu einer
574 P. Erdmann et al.

lokalen Oberflächenpotenzialdifferenz führen. Diese wendet werden kann. Die Volta-Phasenplatte besteht
Oberflächenveränderungen sind nur vorübergehend, aus einem dünnen (ca. 12 nm) kontinuierlichen Kohlen-
und nach einigen Tagen verschwindet dieses Potenzial stofffilm, der in der hinteren Brennebene des Mikros-
und der Kohlenstofffilm ist wieder in seinem ursprüng- kops (d. h. der Position der Objektivapertur) positioniert
lichen Zustand, sodass diese Position immer wieder ver- ist (. Abb. 23.9). Ein fein gebündelter Elektronenstrahl

A B C

..      Abb. 23.9  Phasenplatten sind optische Elemente, die einen zusätz- strukturelle Merkmale bis ins Unkenntliche. Daher werden die Bilder
lichen Phasenshift zwischen ungestreuter und gestreuter Welle produ- meist mit einem leichten Defokus aufgenommen, um Phasenkontrast
zieren. Sie ermöglichen die Bildgebung im Fokus mit kontinuierlicher zu generieren. C Anwendung der Volta-Phasenplatte. Deutlich verbes-
Kontrasttransferfunktion über das gesamte Raumfrequenzspektrum. serter Kontrast besonders der niedrigen Raumfrequenzen. Das Resul-
23 A Schema des Strahlengangs mit Phasenplatte. Die Phasenplatte be- tat ist ein direkt und intuitiv interpretierbares Tomogramm. Untere
findet sich in der hinteren Brennebene. B Die Bildentstehung einer Bildreihe zeigt ein Beispiel für die Einzelpartikelaufnahme. A keine
nicht kontrastrierten biologischen Probe verlässt sich auf den Phasen- Phasenplatte mit Defokus, B Phasenplatte ohne Defokus und C Pha-
kontrast. Wenn ein Bild im Fokus aufgenommen wird, verschwinden senplatte mit Defokus
Elektronenmikroskopie
575 23
wird auf den Film der Phasenplatte fokussiert, der zur sis für eine einzelne Aufnahme typischerweise unter
Entwicklung eines Volta-Potenzials führt. Um Verunrei- 20 e−/Å2 gesenkt um eine möglichst hohe Auflösung zu
nigungen auf der Folienoberfläche und damit verbun- erzielen. Für die Tomographie liegt sie meist höher
dene Aufladungserscheinungen zu vermeiden wird der (100  e−/Å2), da die tolerierbare Strahlendosis auf alle
Film kontinuierlich geheizt (250  °C). Jedoch hat diese Projektionen und Justiervorgänge verteilt werden muss.
Phasenplatte auch praktische Einschränkungen. Der Generell gilt: Bis zu einer Dosis von 50 ­e−/Å2 kommt es
Kohlenstofffilm im Strahlengang führt zur Streuung von zu den ersten Strahlenschäden. Der Verfall der struktu-
Elektronen, was zu einem Signalverlust führt (ca. 18 % rellen Ordnung tritt bei Werten bis 500  e−/Å2 ein, und
bei 200 kV und 15 % bei 300 kV). Zudem ist die Phasen- darüber kommt es zum Massenverlust.
verschiebung über lange Zeiträume nicht konstant, d. h. Die Dosisrate (e−/Å2/sec oder e−/pixel/sec), also die
sie entwickelt sich nach und nach und erschwert dann Dosis pro Zeit, muss ebenfalls berücksichtigt werden
die anschließende Bildanalyse. und hängt von der Art des Detektors ab, der für die Auf-
Die lochfreie Volta-Phasenplatte (VPP) erhöht nahme verwendet wird. Bei der Abbildung auf Film
den Kontrast in der Kryo-EM erheblich und ermög- oder bei Verwendung einer CCD-Kamera wird typi-
licht eine exakte Strukturbestimmung, insbesondere scherweise eine hohe Dosisrate (hohe Strahlintensität)
bei sehr kleinen Molekülen (<100  kDa). Die Kont- verwendet, um die Belichtungszeiten kurz zu halten (1 s
rastverstärkung ist besonders wichtig für die Kryo-­ oder weniger), um das Ausmaß der Probendrift während
Elektronentomographie (7 Abschn.  23.7), da hier die
  der Belichtung zu minimierten. Anders verhält es sich
Möglichkeiten der Mittelung von Molekülstrukturen/ bei den elektronenzählenden, direkt detektierenden Ka-
Komplexen in Tomogrammen (d.  h. Subtomogramm-­ meras. Um sicherzustellen, dass die Elektronen korrekt
Averaging, 7 Abschn. 23.6.3) aufgrund der geringeren
  gezählt werden, darf die Dosisleistung an der Kamera
Dosis, der geringeren Anzahl von Partikelkopien und nicht höher sein als 1–10 e−/pixel/sec (basierend auf der
des begrenzten Kippbereichs stärker eingeschränkt sind aktuellen Kameratechnologie), da höhere Dosisraten
als bei der Einzelpartikelanalyse. die Qualität der Elektronenzählung negativ beeinflussen
und so den Bildkontrast verringern.
Da die Höhe der Schädigung proportional zur ver-
23.4.5 Kryo-Elektronenmikroskopie wendeten Dosis ist und die Belastung der Probe mit dem
Quadrat der Vergrößerung zunimmt, ist es offensicht-
Kryomethoden sind eine der wichtigsten technischen lich, dass dies die fundamentale Beschränkung für die
Entwicklungen in der elektronenmikroskopischen hochauflösende Elektronenmikroskopie von biologi-
Strukturforschung. Sie ermöglichen es, Moleküle und schen Materialien ist. Die Problematik dabei ist, dass für
Zellbestandteile in ihrer nativen Form zu untersuchen. eine hohe Auflösung ein hoher Kontrast erforderlich ist.
Chemisch nicht fixierte und nicht kontrastierte biologi- Ein hoher Kontrast kann aber nur mit einer hohen Do-
sche Präparate sind jedoch sehr strahlungsempfindlich sis erzielt werden, was dann die Zerstörung des Objekts
und werden durch den Elektronenbeschuss schnell zer- zur Folge hat. Allerdings gibt es Möglichkeiten, dieses
stört. Inelastische Streuereignisse übertragen Energie in Dilemma zumindest teilweise zu umgehen.
die Probe (Ionisierung), und die daraus folgenden che- Die Ionisationsprozesse selbst sind zwar nicht tem-
mischen Reaktionen schädigen die Probe. Dabei kann es peraturabhängig, wohl aber die daraus resultierenden
sich um die radiochemische Zersetzung von Wasser (Ra- Strahlenschäden, z.  B.  Blasenbildung, Massenverlust,
diolyse), aber auch um die Bildung von Radikalen han- Diffusion freier Radikale (. Abb. 23.10). Die niedrige

deln, die sofort weiter reagieren, chemische Bindungen Temperatur, bei der die Proben während der Mikrosko-
aufbrechen und so zum Masse- und letztlich Struktur- pie mit flüssigem Stickstoff gehalten werden (–180 °C),
verlust des biologischen Materials führen. Die auftre- wirkt sich reaktionshemmend aus und verleiht dem Ob-
tenden Schäden hängen von der Anzahl der mit der jekt eine „Strahlungsresistenz“, die etwa neunmal höher
Probe wechselwirkenden Elektronen ab. Aus diesem ist als bei Raumtemperatur. Eine weitere Maßnahme ist
Grund ist die Stromdichte pro Flächeneinheit j (A cm–2) die geeignete Wahl der Beschleunigungsspannung. Die
ein geeignetes Maß für die Elektronendosis (oder e−/Å2, Ionisierungswahrscheinlichkeit nimmt in erster Nähe-
e− = Elektronen). Dies entspricht jedoch nicht der Defi- rung mit zunehmender Beschleunigungsspannung ab,
nition in der Radiochemie, in der die Dosis in Gray defi- d. h. der Einfluss von inelastisch und mehrfach gestreu-
niert ist, also der adsorbierten Energie pro Gewichtsein- ten Elektronen wird kleiner, aber leider nimmt auch der
heit (Gy = J kg–1). Nach der letztgenannten Definition Bildkontrast ab. Den besten Kompromiss bieten daher
würden 50 e−/Å2 einer Dosis von ca. 108 Gy entsprechen, Mikroskope bei einer Beschleunigungsspannung von
also einer immensen Dosis, die sich beispielsweise in der 300 kV.
Nähe einer Kernreaktion entfaltet! In der Kryo-EM ver- Die letzten Maßnahmen zur Vorbeugung vorzeitiger
wendet man Elektronendosen im Bereich von 10–100 e−/ Strahlenschäden sind die Anwendung von Niedrig-­
Å2. In der Einzelpartikelanalyse wird die Elektronendo- Dosis-­Verfahren (low-dose methods) und die vollstän-
576 P. Erdmann et al.

A B

..      Abb. 23.10  Kryo-Elektronenmikroskopie vitrifizierter Zellen des schwächt. Außerdem sind Blasen (hell) sowohl in der Zelle als auch
Archaeons Pyrodictium abyssi bei niedriger A und kumulierter hoher außerhalb im Bereich des Eises sichtbar, die wahrscheinlich durch Ab-
Strahlendosis B. Die Zellen liegen zwischen den kontrastreicheren Ste- spaltung von Wasserstoff aus Wasser und organischen Materialien
gen dickerer Kohlefolie. Eine der Zellen enthält einen Proteinkristall, entstanden sind. Die kumulierte Dosis darf bei vitrifizierten Proben
der zusammen mit seinem Powerspektrum vergrößert dargestellt ist. deshalb einen Grenzwert nicht überschreiten, um sichtbaren Strahlen-
In der stark bestrahlten Aufnahme B erscheinen der Kontrast der schaden des Objekts zu vermeiden. (Aufnahme mit freundlicher Ge-
Kristallebenen und die Reflexe im Powerspektrum deutlich ge- nehmigung von Stephan Nickell, Martinsried)

dige Automatisierung der Datenerfassung. Dieses Ver- sprechend seiner Ortsfrequenz abschwächt (moduliert).
fahren stellt sicher, dass die erlaubte Gesamtdosis nur Mit anderen Worten, sie beschreibt, wie viel Kontrast
für die Bildaufzeichnung verwendet wird und dass alle bei jeder Auflösung vom Objekt auf das Bild übertragen
Mikroskopeinstellungen an anderen Objektpositionen wird. Auch hier wäre ein Detektor mit einer MTF = 1
vorgenommen werden. Die automatisierte Bildaufzeich- über den gesamten Frequenzbereich ein perfekter De-
nung für die Kryo-Elektronenmikroskopie basiert auf tektor. Der Wert der MTF nimmt aber durch Streuung
einer Reihe von repetitiven Arbeitsschritten, bei denen innerhalb des Detektors mit zunehmender Ortsfrequenz
man bestimmte Bereiche des Trägernetzchens in ver- ab. Da Detektoren unterschiedliche physikalische Pixel-
schiedenen Vergrößerungsstufen abbildet, um schluss- größen haben, gibt man meist die Ortsfrequenz in Ein-
endlich ein Bild hoher Qualität, d. h. mit hohem Kont- heiten ihrer Nyquist-Frequenz an, welche durch den
rast und mit ausreichender Auflösung, zu erhalten. Zur Kehrwert des doppelten Pixelabstands g­ egeben ist – 1/
automatischen Anpassung der Mikroskopparameter (2 ∙ Pixelabstand). Der Pixelabstand legt die maximale
(z.  B.  Vergrößerung, Defokus, Strahl und Probenposi- Ortsfrequenz in einem Bild fest, die vom Detektor auf-
tion, Kippwinkel, Astigmatismus, etc.) kommen hoch- genommen werden kann, da die kürzeste Wellenlänge
entwickelte Programme und Algorithmen zum Einsatz, mindestens zweimal abgetastet werden muss.
die auf die Handhabung und Analyse von „verrausch- Direkte Elektronendetektoren haben zwei wichtige
ten“ Datensätzen spezialisiert sind (7 Abschn. 23.5.4).
  Vorteile gegenüber Film und herkömmlichen CCDs. Zum
einen wird das ankommende Elektron in dem jeweiligen
Pixel des Detektors aufgenommen und ist nicht über meh-
rere benachbarte Pixel verteilt, d. h. die Ortsauflösung ist
23.4.6  ufnahme von Bildern –
A hoch und kleine Strukturdetails können wesentlich besser
Elektronendetektoren abgebildet werden. Zum anderen ist der Detektor sehr
schnell und erlaubt das Auslesen von Bildern in Millise-
Auch die Kamera prägt dem aufgenommenen Bild ihre kunden. Bei der Aufnahme von Filmen (mehrere Bilder)
Eigenschaften auf, die i.  A. durch die Detektorquan- anstelle eines einzigen (endgültigen) Bildes zeigte sich, dass
teneffizienz (DQE) und die Modulationsübertragungs- sich die Objekte bewegen. Diese Bewegungen (strahlenin-
funktion (MTF) beschrieben sind. Die DQE zeigt, wie duziert und Probendrift) „verwackeln“ die mit herkömm-
sehr das Rauschen oder die Mechanismen der Signal- lichen Kameras aufgenommenen Bilder und zerstören da-
umwandlung im Detektor das ursprüngliche Signal im mit hochauflösende Informationen. Diese Verschiebungen
Bild reduziert. Dabei wird das Signal-Rausch-Verhältnis können nun aber korrigiert werden, indem man die Einzel-
(Signal-to-Noise Ratio, SNR) am Ausgang im Vergleich bilder (frames) eines Films ausrichtet (aligniert) und zu ei-
zu dem am Eingang gemessen. Ein Detektor mit einer nem gut aufgelösten und „unverwackelten“ Bild zusam-
DQE  =  1 wäre also ein perfekter Detektor, der dem menfügt. Damit hat man die Möglichkeit, nicht nur die
23 aufgenommenen Bild kein Rauschen hinzufügt. Die Dosis, sondern auch das gesamte Signal-Rausch-Verhält-
MTF gibt an, wie sich das Signal von Strukturen ent- nis der endgültigen Aufnahme zu optimieren.
Elektronenmikroskopie
577 23
23.5  Bildverarbeitung für die
3D-Elektronenmikroskopie
Das Ziel von sowohl Einzelpartikel-Kryo-Elektronen-
mikroskopie als auch Kryo-Elektronentomographie ist
es, ein dreidimensionales Abbild der untersuchten Probe
zu erhalten. Hierfür sind unterschiedliche, aber nah ver-
wandte Bildverarbeitungsschritte notwendig. In beiden
Fällen aber muss aus den zweidimensionalen Projektio-
nen die dreidimensionale Information wiedergewonnen
werden. Dies hat zur Folge, dass möglichst viele unter-
schiedliche Ansichten der zu untersuchenden Probe be-
nötigt werden. Dies kann entweder durch wiederholte
Mittelung der möglichst zufällig verteilten Projektionen
repetitiver Strukturen, etwa einzelner Partikel im Eis
(Einzelpartikel), oder durch Belichten der Probe unter
verschiedenen Winkeln (Tomographie) erreicht werden. ..      Abb. 23.11  Funktionsweise der Objektivlinse. Durch die Objek-
Die einzelnen Schritte von individuellen Projektionen zu tivlinse werden die gebeugten Strahlen in der Art abgelenkt, dass
homogen-klassifizierten dreidimensionalen Strukturen gleiche Frequenzen in der hinteren Fokusebene im gleichen Abstand
seien im Folgenden erläutert. vom Nullstrahl abgebildet werden

quenz 1/d) gestreut wurden, in dem selben Punkt abge-


23.5.1 Die Fourier-Transformation
bildet werden. Diese Ebene bezeichnet man als hintere
Fokusebene. Das in ihr abgebildete Beugungsbild ent-
Eine zentrale Rolle in der Bildverarbeitung von sowohl
hält Informationen zu den relativen Abständen der Ob-
Einzelpartikel-, als auch Tomographiedaten spielt die
jekte (z. B. Atome) in der Probe. Dies geschieht in der
Fourier-Transformation. Hierbei besteht auch ein direk-
Art, dass große Abstände im Originalbild im Bre-
ter Zusammenhang mit der Funktionsweise der Objek-
chungsbild nah und kleine Abstände im Originalbild
tivlinse und der hinteren Fokusebene (7 Abschn. 23.2).
weiter entfernt vom Nullstrahl abgebildet werden. Das

Es ist deshalb sinnvoll, ihre Aufgabe im Detail zu be-


bedeutet, dass die Ortsfrequenz vom Mittelpunkt des
trachten. Untersuchen wir daher noch einmal die Inter-
Beugungsbildes nach außen zunimmt. Bei hochgeord-
aktion eines Elektrons mit einem schwachen Phasenob-
neten Objekten, wie etwa Kristallen, ergeben sich dabei
jekt. Zum einen erzeugt das Objektpotenzial eine
ganz analog zur Röntgenkristallanalyse sehr regelmä-
Verzögerung der ebenen Wellenfront und daher eine
ßige Muster. Diese können durch anheben der Bild-
Phasenverschiebung, zum anderen erfolgt Brechung an
ebene in die hintere Fokusebene auf einem Detektor
den Objekten in der Probenebene sowie konstruktive
abgebildet und ebenfalls zur Strukturbestimmung ver-
und destruktive Interferenz. Der Beugungswinkel ist da-
wendet werden.
bei proportional zu Wellenlänge und dem Reziproken
Bei der Transmissionselektronenmikroskopie liegt
des Abstandes der Objekte, an denen die Elektronen-
die Bildebene (der Detektor) jedoch unterhalb der hinte-
welle sich bricht (Gl.  23.4). Man spricht auch von der
ren Fokusebene. Die Strahlen passieren diese also, und
räumlichen Frequenz 1/d.
die dort noch getrennten räumlichen Frequenzen wer-
den durch Interferenz so wieder kombiniert, dass in der
λ
Θ= (23.4) Bildebene ein vergrößertes Abbild der Probe entsteht.
d Diese Zerlegung eines Signals in einzelne Frequenzen
und die Kombination verschiedener Teilkomponenten
Die Aufgabe der Objektivlinse ist es nun, die gebeugten zu einem neuen Signal sind ein ganz zentraler Bestand-
Strahlen wieder in ein und denselben Punkt in der Bild- teil moderner Signalverarbeitung. Ganz analog zu einer
ebene zu vereinen (. Abb. 23.11). Aus einfachen geo-
  Objektivblende, die – in der hinteren Fokusebene plat-
metrischen Überlegungen ergibt sich dabei nach ziert  – hochfrequente Signalkomponenten (Rauschen)
Durchgang der Strahlen durch die Objektivlinse eine ausfiltern kann, lässt sich das Signal-Rausch-Verhältnis
spezielle Ebene, in der alle Strahlen, die unter dem glei- in einem TEM-Bild etwa durch Filtern der räumlichen
chen Brechungswinkel (und daher gleicher Ortsfre- Frequenzkomponenten rechnerisch verbessern. Die ma-
578 P. Erdmann et al.

thematische Beschreibung und der zugrunde liegende Aufgrund der Überlegungen Fouriers kann jedes Si-
Formalismus der Zerlegung eines Realraumbildes in gnal g als Summe (unendlich vieler) reiner Sinusfunk-
seine räumlichen Frequenzen gehen dabei auf Joseph tionen mit unterschiedlichen Frequenzen angesehen
Fourier (1768–1830) zurück und werden daher als werden. Komponenten mit niedriger Ortsfrequenz (νi)
Fourier-­Transformation (FT) bezeichnet. Die Umkeh- charakterisieren grobe und solche mit hoher Ortsfre-
rung dieser Operation, d. h. Erzeugen eines Bildes aus quenz feine Strukturdetails. Zusätzlich muss bestimmt
den Frequenzkomponenten, heißt inverse Fourier-­ werden, wo der Ursprung der einzelnen Sinusfunktio-
Transformation (FT–1). Während es nicht nötig ist, hier nen liegt, d. h. wie weit die einzelnen Sinusfunktionen
auf alle mathematischen Details dieser Prozesse einzu- relativ zueinander verschoben werden müssen. Diese
gehen, sei dennoch auf ein paar wichtige Eigenschaften Abweichung wird durch die Phasenverschiebung (–π≤
und Anwendungen hingewiesen. Δφi ≤π) ausgedrückt, die manchmal kurz auch als
Die Fourier-Transformation zerlegt ein Signal in Phase bezeichnet wird. Nicht alle beteiligten Frequenz-
seine Frequenzkomponenten. Während das z. B. bei ei- komponenten sind natürlich mit gleicher Intensität ver-
nem Tonsignal, also Druckschwankungen über Zeit, treten und werden daher gewichtet (ki), um die charak-
leicht vorstellbar ist, benötigt die Zerlegung eines zwei- teristische Dichteschwankung zu erhalten. Da diese
dimensionalen EM-Bildes etwas mehr Vorstellungsver- Faktoren die Dichteverteilung (die Grauwerte) der
mögen. Das Grundkonzept ist jedoch dasselbe und Struktur eines Objektes beschreiben, werden sie Struk-
kann z. B. durch die Signalvariation entlang einer Bild- turfaktoren genannt. Das Bildsignal kann also als
zeile veranschaulicht werden (. Abb. 23.12).
  Summe von Sinusfunktionen mit (kontinuierlich) grö-

..      Abb. 23.12 Beispiel für die Fourier-Zerlegung (Fourier-­ ist eine Möglichkeit, die Fourier-Transformierte des Bildes darzu-
Transformation) eines eindimensionalen Objekts (blau). Die Über- stellen (unten). Die Transformierte hat grundsätzlich die gleiche
lagerung der drei Sinusfunktionen (rot gestrichelt) gibt annähernd Größe wie das Originalbild, enthält aber symmetrisch zum Zentrum
die ursprüngliche Struktur wieder (rote Linie). Das Objekt könnte (dem Ursprung der Transformierten) einander äquivalente Fou-
beliebig genau mit (unendlich) vielen Sinusfunktionen beschrieben rier-Daten, die nach dem sog. Friedel‘schen Gesetz miteinander in
werden. Die Grundfunktionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Beziehung stehen (nach Georges Friedel, 1865–1933). Dieser Zu-
Ortsfrequenz, der Amplitude (violett) und der Phasenlage (grün) im sammenhang ist funktionell eindeutig, und so genügt es, nur eine

23 Koordinatenursprung. Die Auftragung der Amplituden und Phasen-


verschiebungen aller Sinusfunktionen als Funktion der Ortsfrequenz
Hälfte der Fourier-Transformierten anzugeben
Elektronenmikroskopie
579 23
ßer werdender Frequenz νi und den dazugehörigen indi- ter können so jeweils bestimmte Teile der Katze hervor-
viduellen Amplituden ki und Phasenverschiebungen gehoben werden. Der Tiefpassfilter erlaubt, die groben
Δφi beschrieben werden: Umrisse gut zu erkennen. Der Hochpassfilter hingegen
akzentuiert feine Strukturen, etwa die Schnurrbart-
g ( x ) = ∑ ki ·sin ( 2π·ν i ·x + ∆φi ) (23.5) haare. In Kombination von Hoch- und Tiefpassfilter,
dem Bandpassfilter also, lassen sich sowohl Umrisse als
auch einige feine Details besonders gut erkennen. Neben
Die kleinste Frequenz νmin mit der Wellenlänge λmax = N der Frequenzfilterung werden FFT und ihrer Umkeh-
Pixel hat eine Periode genau in Bildgröße (bei einer Zahl rung häufig zum Ändern von Bild- bzw. Pixelgrößen
von N Pixeln). Zur größten Frequenz gehört die kleinste (binning) verwendet. Soll z. B. die Pixelgröße um einen
mögliche Wellenlänge mit λmin  =  2 Pixel, die sog. Ny- Faktor 2 vergrößert werden  – um etwa das Signal-­
quist-Frequenz. Diese stellt auch das theoretische Auf- Rausch-­Verhältnis zu verbessern –, kann, anstatt jeweils
lösungslimit für eine gegebenen Pixelgröße dar. Die Ob- den Durchschnitt zweier Pixel im realen Raum zu be-
jektfunktion g ist dann als Summe über alle gegebenen rechnen, ein Zuschnitt der Fourier-Transformierten
Sinusfunktionen darstellbar (Gl. 23.5). Natürlich ist die durchgeführt werden (Fourier cropping). Nach Rück-
obige Betrachtung nicht nur gültig für eine eindimen- transformation erhält man so ein Bild mit der Hälfte an
sionale Funktion (die Bildzeile), sondern auch für ein Pixeln, also doppelter Pixelgröße. Dieses Verfahren ver-
gesamtes elektronenmikroskopisches Bild. Dann jedoch meidet eine Verfremdung des Bildes (aliasing) aufgrund
wird eine zweidimensionale Fourier-­Transformation be- von Interpolationsfehlern und ist daher generell gegen-
nötigt. Diese besteht dann aus einem Real- und einem über der Realraumberechnung zu bevorzugen.
Imaginärteil, die separat behandelt werden können. Da
digitale Bilder (anders als kontinuierliche mathematische
Funktionen) immer aus diskreten Werten (den Pixeln)
23.5.3 Die Kontrastübertragungsfunktion
bestehen, kann hier ein sehr effizienter mathematischer
Algorithmus zur Berechnung der Fourier-Transforma-
Mit der Fourier-Transformation können also die Fre-
tion verwendet werden. Diesen bezeichnet man mit FFT
quenzen (und Phasenverschiebungen) einer elektronen-
(Fast Fourier Transform), seine Umkehrung dann als
mikroskopischen Aufnahme berechnet und visualisiert
FFT–1.
werden. Die FFT eines Bildes liefert aber immer sowohl
einen realen als auch einen komplexen Teil. Eine gleich-
zeitige Darstellung beider Komponenten ist wenig
23.5.2  igenschaften und Nutzen der
E zweckdienlich. Um die Verteilung der Strukturfaktoren
Fourier-Transformation in der als Funktion der Raumfrequenz darzustellen wird daher
Bildverarbeitung ein Powerspektrum berechnet, welches das Produkt der
FFT mit ihrer komplex konjugierten Form FFT* dar-
Es liegt auf der Hand, dass die Grobstruktur eines Ob- stellt. Beide Begriffe werden häufig (fälschlicherweise)
jekts mit relativ großen Strukturfaktoren verknüpft ist als Synonyme voneinander verwendet. Phaseninforma-
und dass die Feinstruktur daher meist kleinere Amplitu- tionen gehen bei der Berechnung des Powerspektrums
den der entsprechenden Sinusfunktionen benötigt. Soll verloren, jedoch erlaubt es eine direkte Interpretation
ein Bild mit hoher Strukturauflösung analysiert werden, der Qualität der elektronenmikroskopischen Aufnah-
müssen somit teilweise sehr kleinen Amplituden be- men, etwa inwieweit hohe Frequenzen (und damit Auf-
stimmt und vom überlagerten hochfrequenten Rauschen lösung) vorhanden sind.
getrennt werden. Die Fourier-­ Transformierte eröffnet Betrachtet man das Powerspektrum einer Elektro-
einen sehr effizienten Weg, um solche Operationen nenmikroskopaufnahme, so fällt jedoch sofort ein gro-
durchzuführen. Sollen zum Beispiel bestimmte Signal- ßer Unterschied zu unserem vorherigen Beispiel auf:
teile unterdrückt werden, kann dies nach FFT-Berech- Anders als im Falle des Katzenbildes zeigen TEM-­
nung durch Maskierung im Fourier-­Raum und anschlie- Aufnahmen i. A. periodische Signalvariationen in Form
ßende Rücktransformation erreicht werden. Dies sei im von sog. Thon‘schen Ringen (. Abb. 23.14). Die dunk-

Folgenden anhand des Bildes einer Katze veranschau- len Bereiche bedeuten Übertragungslücken, in denen die
licht (. Abb. 23.13).
  Amplituden der entsprechenden Ortsfrequenzen bis auf
Wird der Zentralbereich des FFT maskiert, so ent- null abfallen und somit ausgeblendet werden.
spricht dies einem Tiefpass-, wird der äußere Bereich Das als zweidimensionales Projektionsbild aufge-
maskiert, dann entspricht die Operation einem Hoch- nommene Signal wird durch die sog. Kontrastübertra-
passfilter. Durch Kombination beider Masken können gungsfunktion (CTF) des Mikroskops moduliert bzw.
leicht Bandpassfilter realisiert werden. Durch beide Fil- gefaltet. Mathematisch entspricht dies einer Multiplika-
580 P. Erdmann et al.

..      Abb. 23.13  Anwendung der Fourier-Transformation in der Bild- transformation resultiert in binning, d.  h. einer geänderten Pixel-
verarbeitung anhand eines Bildes einer Katze. Durch Maskieren des größe. Dies vermeidet Bildartefakte, die durch die Mittelung von
FFT können Tief-, Hoch- und Bandpassfilter realisiert werden. Be- Pixeln im Realraum entstehen könnten
schneiden der Fourier-Transformierten und anschließende Rück-

tion der Fourier-Transformierten der unverfälschten kohärenzen führen zudem zu einem Verfall (Dämpfung)
Probe (FFT(P)) mit der CTF. der Signalintensität mit höher werdender Ortsfrequenz.
Diesem Effekt kann durch Multiplikation mit einer ein-
FFT ( I ) = FFT ( P ) ⋅ CTF (23.6) hüllenden Funktion E(f) Rechnung getragen werden.
Die Parameter der Gesamtfunktion (der Unterfokus)
können dann durch Vergleich des gemessenen mit einem
Die CTF kann in ihrer einfachsten Form als eine Si- theoretisch errechneten Powerspektrum iterativ be-
nusfunktion der Ortsfrequenz (f) beschrieben werden. stimmt werden.
Ihr genauer Verlauf hängt von den Mikroskopeinstel-
lungen, unter denen ein Bild aufgenommen wurde, ab.  1 
CTF ( f ) = E ( f ) ⋅ sin  π ⋅ Cs ⋅ λ 3 ⋅ f 4 − π ⋅ λ ⋅ d ⋅ f 2  (23.7)
Hierzu gehören sowohl statische Parameter wie etwa  2 
die Beschleunigungsspannung (und daher Elektronen-
wellenlänge λ), die sphärische Aberration des Mikros-
Die CTF ist eine Sinusfunktion und bewirkt somit eine
kops (Cs) und der Amplitudenkontrast. Besonders aber
periodische Signalinversion bei bestimmten Ortsfre-
beeinflusst der gewählte Defokus (d) das Erscheinungs-
quenzbereichen und den vollständigen Verlust der Infor-
bild der Kontrastübertragungsfunktion (Gl.  23.7). In-
23
Elektronenmikroskopie
581 23

..      Abb. 23.14  Elektronenmikroskopische Aufnahmen A von nied- Oszillationen der CTF müssen damit immer genauer bestimmt wer-
rigem (links) bis hohem Unterfokus (rechts). Diese zeigen typische den, was bei immer schneller werdender Fluktuation stetig schwieri-
Powerspektren B, wobei die Zahl der sichtbaren Thon‘schen Ringe ger wird
sowie der Kontrast mit zunehmendem Unterfokus zunehmen. Die

mation bei Nulldurchgängen (. Abb. 23.15). Mit höhe-


  ist es nötig, zunächst den genauen Defokus, mit dem ein
rem Unterfokus und daher stärkerem Phasenkontrast Bild aufgenommen wurde, zu bestimmen. Die bloße
führ dies zur Verschiebung der ersten Nullstelle zu im- Kenntnis der Mikroskopeinstellungen reicht hierfür
mer niedrigeren Frequenzen und zu einer schnelleren nicht aus, da schon ein Fehler von ca. 100 nm zu einem
Oszillation des Signals. Dies bedeutet, dass mit stärke- Verlust von 50 % des Signalübertrags bei ≈8 Å führen
rem Unterfokus Bilder zwar zunächst schärfer (bzw. kann. Das bedeutet, dass Fehler dieser Größenordnung
kontrastreicher) erscheinen, das Signal jedoch immer für eine Auflösung kleiner als 10 Å zwar tolerabel sind,
mehr durch Konvolution verfälscht wird. Um einen wirklich hochaufgelöste (atomare) Elektronenmikros-
starken Signalübertrag ohne Nullstellen über einen kopie (d. h. 2–3 Å) aber weit genauere CTF-Bestimmung
größtmöglichen Bereich zu erreichen sollte also ein mög- erfordert. Abbildungsfehler in den Mikrographen kön-
lichst geringer Unterfokus gewählt werden. Eine mögli- nen dies jedoch stark erschweren.
che optimale Einstellung liegt im schwachen Unterfo- Moderne Direktelektronendetektoren (DEDs) er-
kusbereich und wird nach dem Elektronenmikroskopiker möglichen durch ihre hohe Bildfrequenz, die Gesamtauf-
Otto Scherzer (1909– 1982) als Scherzer-Fokus dScherzer nahme eines EM-Bildes in viele Einzelbilder aufzuteilen
bezeichnet. (sog. Dosisfraktionierung). Somit kann die Bewegung
der Einzelaufnahmen relativ zueinander nachträglich
rechnerisch entfernt und so das „Verschmieren“ der
dScherzer = −1, 2 ⋅ ( Cs ⋅ λ )
1/ 2
(23.8)
Informationen verhindert werden (Driftkorrektur). Un-
genügende Sorgfalt bei der Einstellung des Mikroskops
Ein maximaler Signalübertrag kann jedoch nie über den kann zudem zu einer Variation der Defokuswerte in Ab-
gesamten Frequenzbereich (bis zur Nyquist-­Frequenz) hängigkeit von der Richtung innerhalb des Bildes (Azi-
aufrechterhalten werden. Strukturdetails bzw. Ortsfre- muthwinkel) führen. Ohne diesen Astigmatismus sind
quenzen einer Probe werden in der Elektronenmikros- die Defoci in allen Richtungen gleich und Powerspektren
kopie also immer unvollständig, oder mit dem falschen zeigten kreisrunde Thon‘sche Ringe. Bei vorhandenem
Kontrast abgebildet. Um Informationen jenseits des ers- Astigmatismus nehmen diese jedoch die Form von El-
ten Nulldurchgangs wiederherzustellen muss daher eine lipsen an. Die Kontrastübertragungsfunktion wird dann
CTF-Korrektur durchgeführt werden. Zu diesem Zweck durch zwei Defokuswerte (dV, dU) und den Azimuthwin-
582 P. Erdmann et al.

A verschiedene Aufnahmen aufzufüllen. Des Weiteren ist


es wichtig, nicht zu stark in Unterfokus zu arbeiten, weil
dies unter anderem zu einer zu starken Oszillation des
Signals bei hohen Frequenzen führt. Zwar steigt der
Kontrast durch stärkeres Defokussieren (Unterfokus)
an, eine genaue CTF-Korrektur wird dann aber durch
kleine Ungenauigkeiten in der Bestimmung der Kont-
rastübertragungsfunktion besonders bei hohen Fre-
quenzen erschwert und daher die insgesamt zu errei-
chende Auflösung eingeschränkt.

23.5.4  rhöhung des Signal-Rausch-­


E
Verhältnisses
Jede elektronenmikroskopische Aufnahme weist neben
der erwünschten Struktur, dem Signal, auch ein mehr
oder weniger hohes Rauschen (noise) auf. Unter Noise
werden hier alle Beiträge verstanden, die nicht vom ei-
gentlich untersuchten Objekt stammen. Dazu gehören
statistisches Rauschen der Elektronenquelle, überlagerte
Strukturen durch z. B. das umgebende Eis oder Konta-
mination, die Kamera usw. Aber auch die Aufnahme
selbst führt durch zunehmende Beschädigung der Probe
zu einem Informationsverlust.
B
zz Dosisgewichtung
Während der Belichtung einer elektronenmikroskopi-
schen Probe interagieren die Elektronen mit den Ato-
men und Bindungen der Moleküle. Dies führt zu einer
zunehmenden Beschädigung mit ansteigender Gesamt-
elektronendosis. Durch Dosisfraktionierung mit mo-
dernen Kameras lassen sich Belichtungen jedoch in
viele Einzelaufnahmen (frames) unterteilen. Die ersten
Frames einer Aufnahme werden also noch relativ intakt,
..      Abb. 23.15  A Abhängigkeit der CTF von angelegtem Unterfo- spätere stärker beschädigt sein. Dies bedeutet, dass der
kus. Die erste Nullstelle (roter Punkt) wandert zu immer niedrigeren
Beitrag früher Einzelbilder zu hoher Auflösung (hohen
Frequenzen mit zunehmendem Unterfokus. B Korrektur der CTF
durch Phasenumkehr. Die negativen Anteile der CTF werden durch Frequenzen) groß, der Beitrag späterer Bilder eher ­gering
Phaseflipping korrigiert. An Nullstellen erfolgt jedoch auch nach ist. Umgekehrt nimmt das informationslose Signal, d. h.
Korrektur keinerlei Signalübertrag das Rauschen, mit fortschreitender Belichtung zu. Be-
vor man mit der Bearbeitung eines Datensatzes beginnt,
kel vollständig beschrieben. Dies ist auch scheinbar der ist es daher sinnvoll, dass die einzelnen Aufnahmen ex-
Fall für Proben, die nicht perfekt senkrecht durchstrahlt positionsgefiltert werden, um die Auswirkungen des
werden, wie etwa bei der Tomographie, was von der strahleninduzierten Informationsverlustes Rechnung zu
Überlagerung verschiedener CTF-Werte senkrecht zur tragen. Dabei verhält sich der Filter im Wesentlichen wie
Kippachse herrührt. Bei gekippten Aufnahmen wird da- ein dosisabhängige Tiefpassfilter, bei dem jedes Einzel-
her stets der Durchschnittsdefokus verwendet. bild entsprechend der akkumulierten Elektronendosis
Ist die CTF erst einmal hinreichend genau bestimmt, gefiltert wird, bevor sie zu einem Gesamtbild aufsum-
kann sie einfach durch „Umklappen“ der negativen miert werden. Die Dosisgewichtung führt zu einem re-
Phasen (Phasenumkehr) korrigiert werden. Da aber für duzierten Rauschen und einem höheren Kontrast. Al-
eine gegebene Defokussierung bestimmte Frequenzen lerdings dämpft sie die Thon‘schen Ringe, sodass die
immer vollständig unterdrückt werden (Nullstellen), ist Bestimmung der Defokuswerte (7 Abschn. 23.4.3) stets

es in der Elektronenmikroskopie üblich, diese durch mittels der ungefilterten Aufnahmen durchgeführt wer-
23 Verwenden unterschiedlicher Defokuswerte über viele den sollte.
Elektronenmikroskopie
583 23
zz Rauschunterdrückung rer wichtiger, auflösungslimitierender Faktor die Ge-
Wie zuvor erwähnt, können Mikrographen sehr leicht nauigkeit, mit der die einzelnen Moleküle für die Mitte-
im Fourier-Raum gefiltert und so Rauschanteile aus lung aufeinander ausgerichtet werden können. Die
dem Bild eliminiert bzw. der Fokus nur auf bestimmte Präzision der Alignierung ist, abgesehen von der Struk-
Frequenzbereiche gelegt werden. Hinreichend gewählte turtreue des Objekts, eine Funktion des Kontrastes. Die-
Hochpass- und Tiefpassfilter können gegebenenfalls den ser ist jedoch gerade bei Aufnahmen von Kryopräpara-
Kontrast einer Aufnahme erhöhen (Rauschunterdrü- ten, die eine hohe Detailerkennbarkeit zulassen, sehr
ckung, denoising) und so eine Interpretation erleichtern. gering. Darin liegt einer der Gründe, warum Rekonst-
Der modernste Ansatz zur Rauschunterdrückung von ruktionen aus Einzelmolekülen nicht immer einfach bis
Kryo-Elektronendaten ist jedoch der Einsatz von trai- zur atomaren Auflösung gemittelt werden können. Eine
nierten neuronalen Netzen (deep neuronal networks). zweite Einschränkung ergibt sich aus den Strukturvaria-
Hierbei zeigen die Fortschritte im Netzwerktraining für bilitäten der untersuchten Objekte, die erkannt und in
Kryo-TEM-Daten ein sehr großes Potenzial. Es existie- separaten Mittelungen berücksichtigt werden müssen.
ren verschiedene Methoden, wie diesen Funktionsap- Hierbei finden sowohl bei Einzelpartikelanalyse als auch
proximatoren die Unterscheidung zwischen Signal und Tomographie häufig dieselben Konzepte Anwendung.
Rauschen „beigebracht“ werden kann. Mit ihrer Hilfe Es ist dennoch hilfreich, diese beiden derzeit am häufigs-
können sowohl einzelne Kryo-TEM-Projektionen als ten zur Strukturermittlung verwendeten elektronenmik-
auch ganze Tomogramme von Rauschen befreit werden. roskopischen Verfahren zunächst getrennt voneinander
Analog einem alten Gemälde, das von seiner Patina be- zu betrachten.
freit wird, um die darunterliegenden Farben wieder voll
zur Geltung kommen zu lassen, spricht man auch häufig
von Bildrestauration. Dies erhöht den Kontrast sowohl 23.6  Einzelpartikelanalyse
in TEM-Aufnahmen und Volumendaten stark, was ihre
Interpretierbarkeit und Weiterverarbeitung signifikant Liegen Einzelmolekülprojektionen statt einer Kipp-
verbessert. Aufgrund der Unbestimmtheit der Parame- serie vor, so können Molekülpositionen leicht mittels
ter der neuronalen Netze werden die entrauschten Da- eines Korrelationsverfahrens bestimmt werden. Eine
ten aber nicht zur Strukturbildung herangezogen. Voraussetzung für Einzelpartikelanalyse ist jedoch, dass
die Moleküle ohne bevorzugte Orientierung vorliegen
zz Mittelung von Einzelmolekülen und die unterschiedlichen Ansichten gut voneinander
Im Allgemeinen sollten sich Signale, die nicht mit der zu unterscheidbar sind. Das ist bei symmetrischen Mo-
untersuchenden Molekülstruktur korrelieren, von ei- lekülkomplexen häufig der Fall. Um innerhalb eines
nem Bildbereich zum nächsten zufällig unterscheiden. Mikrographen eben die Positionen zu finden, die einer
Werden also viele gleichartige Daten eines Proteinmole- Einzelmolekülprojektion entsprechen (Template Mat-
küls in jeweils gleicher Orientierung addiert, so wird das ching), wird ein Bildausschnitt mit jeweils einem der
Struktursignal verstärkt und das Rauschen zu einem Referenzbilder kreuzkorreliert. Diese können entweder
konstanten und damit struktur- und informationslosen durch Projektion einer zuvor bestimmten Struktur oder
Betrag ausgemittelt. Hierfür ist es erst einmal unerheb- ­händisch durch manuelles Annotieren der Projektions-
lich, ob mit Projektionen (Einzelpartikel) oder Volu- bilder und anschließende Mittelung erhalten werden. Ist
mendaten (Tomographie) gearbeitet wird. Auf diese keinerlei Struktur vorhanden, kann auch mit einer ge-
Weise können selbst solche Struktursignale sichtbar ge- nerischen, zweidimensionalen Gaußfunktion (Gaussian
macht werden, die sich in der einzelnen Aufnahme vom blob) als Referenz gesucht werden. Formal wird beim
Rauschen nicht unterscheiden lassen. Das Signal-­ Korrelationsverfahren jeweils ein Ausschnitt um jeden
Rausch-­Verhältnis steigt mit der Wurzel aus der Anzahl Bildpunkt des Originalbildes zentriert, das Quadrat der
der gemittelten Einzelaufnahmen. Ist das anfängliche Differenz der Grauwerte zur Referenz berechnet und
Signal, etwa in kontrastierten Präparaten, schon relativ die Summe aller Abweichungsquadrate gebildet. Diese
hoch, so genügen meist einige Tausend Moleküle, um liefert nach Normierung den Korrelationskoeffizien-
die erwartete Grenzauflösung in der Mittelung zu errei- ten an einer gegebenen Position. Nun wird die Position
chen. Bei kontrastschwachen, insbesondere bei nativ be- um einen Bildpunkt verschoben, die Rechnung wieder-
lassenen Molekülen der Kryo-­ Elektronenmikroskopie holt und auf gleiche Weise fortgefahren, bis alle Kor-
werden aber häufig in der Größenordnung von 104–105 relationswerte ermittelt sind (die Computerprogramme
oder mehr Einzelbilder verarbeitet, um die Strukturin- nutzen einen schnelleren Algorithmus mit den Fourier-­
formation mit maximaler Auflösung von Rauschen zu Transformierten der Bilder). In Positionen, die eine
befreien. Neben dem Einfluss der Präparation und der maximale Übereinstimmung der Referenzstruktur mit
geeigneten Anzahl gemittelter Projektionen ist ein ande- der Referenz zeigen, treten die höchsten Korrelationsko-
584 P. Erdmann et al.

effizienten der näheren Umgebung auf. So erhält man (30–40 Å) berechnet. Somit ist es sehr unwahrscheinlich,
eine Korrelationsfunktion in der Größe des Originalbil- eine hochaufgelöste Struktur aus reinem Rauschen zu
des mit Maxima (Peaks) dort, wo sich mit hoher Wahr- erhalten. Auch bei der Bestimmung von Molekülpositi-
scheinlichkeit Projektionen der zu untersuchenden Pro- onen finden modernere Verfahren wie maschinelles Ler-
teinstruktur befinden. Ein wichtiger Aspekt ist jedoch, nen (Objekterkennung) und neuronale Netzwerke im-
dass man sich der Problematik der Kreuzkorrelation mit mer mehr Einzug und sind dem traditionellen
zu hochaufgelösten Referenzen bewusst ist. Dies kann Korrelationsverfahren gerade bei schlechtem Signal-
im besten Fall zu einer hohen Anzahl falsch positiver Rausch-­Verhältnis häufig überlegen. Auch umgehen sie
Treffer, im schlimmsten Fall aber zu einer gänzlich auf weitgehend die zuvor genannte Einstein-from-Noise-­
Rauschen beruhenden Struktur führen. So konnte z. B. Problematik. Sind die Molekülpositionen einmal be-
das bekannte Foto von Einstein aus tausend Bildern kannt, können diese aus den Aufnahmen rechnerisch
mit reinem weißem Rauschen erhalten werden, nach- ausgeschnitten und exakt zentriert und aufsummiert
dem es mithilfe einer Kreuzkorrelationsfunktion auf werden.
das Modell ausgerichtet wurde (Einstein from Noise,
. Abb. 23.16).

Aus diesem Grund werden sowohl Referenz als auch 23.6.1 2D-Alignierung und Klassifizierung
EM-Bild häufig durch einen Tiefpassfilter angepasst
und die Kreuzkorrelation bei relativ niedriger Auflösung Zusätzlich zur lateralen Position muss die Drehung des
Moleküls um die Achse senkrecht zur Unterlage ermit-
telt und für die Mittelung korrigiert werden (Alig-
nierung). Hierbei lässt sich die Suche nach der relativen
Drehung ebenfalls in die Bestimmung einer lateralen
Verschiebung überführen, indem der betreffende zent-
rierte Bildausschnitt und die Referenz in Polarkoordina-
ten überführt und miteinander korreliert werden. Die
Verschiebung des Polarkoordinatenbildes gegenüber der
ebenso transformierten Referenz entspricht einer Dre-
hung des Originalbildausschnitts um einen bestimmten
Winkel. Da Verschiebung und Orientierung nacheinan-
der korrigiert werden, wiederholt man die Prozedur ite-
rativ mit den ausgerichteten Molekülen so lange, bis sich
keine Verbesserung der Korrelationskoeffizienten mehr
ergibt. Zur Verbesserung der Ausrichtung setzt man
auch hier wieder die erste Mittelung ein und verfeinert
dann iterativ.
Jedoch ist dieses Verfahren so nicht anwendbar,
wenn die Molekülkomplexe beliebige Orientierungen
einnehmen und eine Vielzahl verschiedener und nicht
einfach voneinander zu trennenden Projektionen zu ver-
arbeiten sind. Hier stellt sich das Problem der Differen-
zierung und Klassifizierung nicht äquivalenter Projekti-
onen eines Objekts und der anschließenden Kombination
verschiedener Projektionen zu einer nunmehr räumli-
chen Dichteverteilung.

zz Korrespondenz – und Hauptkomponentenanalyse


Die einfachste Art, verschiedene Moleküle oder unter-
schiedliche Projektionen eines Objektes zu unterschei-
den, ist, sie mithilfe des Korrelationsverfahrens zu diffe-
renzieren. Die Methode liefert aber keinen Aufschluss
darüber, aufgrund welchen Unterschieds die Korrelati-
..      Abb. 23.16  Beispiel für Model-Bias. Aus tausend Bildern konnte onskoeffizienten differieren. Verschiedene Projektionen,
das ikonische Bild Einsteins aus purem weißem Rauschen erzeugt die mit dem Referenzbild gleich schlecht korrelieren,
23 werden. Um dies zu vermeiden werden Mikrographen meist nur bei können anhand ihres Korrelationskoeffizienten nicht
niedriger Auflösung (30–40 Å) durchsucht
auseinandergehalten werden.
Elektronenmikroskopie
585 23
Mit der Korrespondenzanalyse (correspondence ana- Welchen relativen Anteil die verschiedenen Eigen-
lysis) existiert ein statistisches Verfahren, das genau vektoren an der Gesamtvarianz zwischen den Bildern
diese Differenzierung leistet. Die Korrespondenzanalyse einnehmen, geben die dazugehörigen Eigenwerte an. Sie
beruht auf der grundlegenden Methode der Hauptkom- sind ein Maß für die Signifikanz der durch die Eigen-
ponentenanalyse (Principal Component Analysis, PCA, vektoren repräsentierten Strukturunteranteile in den
oder single value decomposition) und der Berechnung Bildern.
von Eigenvektoren und Eigenwerten einer Datenmatrix. In realen EM-Bildern übersteigt die Anzahl der Bild-
Die Korrespondenzanalyse erwartet eine bestimmte Da- punkte, damit die Zahl der Eigenvektoren sowie der
tennormierung, die für EM-Bilder nicht angebracht ist. unterscheidbaren unabhängigen Strukturen, die Dimen-
Deshalb wird die PCA als Routinemethode in der Ver- sion 3 bei Weitem. Vieldimensionale Koordinatensys-
arbeitung von Einzelmolekülen verwendet. teme sind nicht mehr vorstellbar, aber sie lassen sich ma-
Das Prinzip der Hauptkomponentenanalyse lässt thematisch behandeln. Meistens werden die signifikanten
sich sehr einfach und anschaulich an Zwei-Pixel-Bildern Strukturunterschiede in den Bildern durch wenige (3–
erklären. Trägt man den Grauwert des ersten ­Bildpunktes 20) Eigenvektoren beschrieben. Dazu zählen vor allem
auf der x-Achse eines Koordinatensystems und den Lage- und Orientierungsvariabilitäten, Konformations-
Wert des zweiten Pixels auf der y-Achse auf, so wird je- und Strukturunterschiede, Größenabweichungen und
des Bild als ein Punkt in der Koordinatenebene reprä- natürlich der Erhaltungszustand der Moleküle. Die rest-
sentiert. Unterscheiden sich die Bilder derart, dass ein lichen Eigenvektoren betreffen überwiegend zufällige
Teil ein dunkleres erstes Pixel aufweist, der andere Teil Variationen und Rauschen.
aber ein helleres, und wenn außerdem der mittlere Grau- Die Gruppierung ähnlicher Bilder erfolgt mithilfe
wert der Bilder variiert, so werden sie im Koordinaten- von Klassifizierungsverfahren, die die Punktewolke im
system in zwei unterschiedlichen Punktewolken liegen, vieldimensionalen Raum in einzelne, voneinander ab-
die sich mehr oder weniger gut voneinander abgrenzen grenzbare Bereiche unterteilen. Gewöhnlich folgt man
lassen (. Abb. 23.17).
  einem statistischen Verfahren, das die Summe der Ab-
Das mathematische Verfahren der PCA findet nun standsquadrate zu den Klassenmitteln minimiert. Die
die Richtung der größten Varianz der Punktewolke und entsprechenden Klassenmittelungen in . Abb.  23.17

dreht die vormalige x-Achse genau in diese Orientie- zeigen die erwarteten Strukturunterschiede: dunkle und
rung. Die y-Achse liegt in Richtung der zweitgrößten helle Bilder, die entweder einen helleren oder dunkleren
Varianz. Die neue Orientierung des Koordinatensys- erster Pixel aufweisen. Damit sind die Struktureigen-
tems wird durch Vektoren angegeben (Eigenvektoren). schaften der Bilder wesentlich besser erfasst worden als
Um die Darstellung zu vereinfachen und auf die Unter- durch die nicht selektive Mittelung über alle Daten, die
schiede zwischen den Bildern zu reduzieren, verschiebt keinerlei Substruktur erkennen ließ. In speziellen Fällen
man den Nullpunkt des neuen Koordinatensystems in kann man das Ergebnis der PCA zum Anlass nehmen,
den Schwerpunkt der Punktewolke, indem man vorher die Orientierung der Bilder zu analysieren, gegebenen-
von allen Einzelbildern das gemeinsame Mittelungsbild falls zu korrigieren und damit eine Ursache für die Dif-
subtrahiert. Analysiert werden dann nur noch die Struk- ferenzierung der Bilder zu beseitigen.
turmerkmale der Bilder, die sie voneinander unterschei- So anschaulich das zuvor verwendete Beispiel zweier
den. Die neue Achse, man bezeichnet sie nun als Fakto- Pixel auch ist, es vermittelt noch keinen realistischen
renachse des ersten bzw. signifikantesten Eigenvektors Eindruck von der PCA elektronenmikroskopischer
nach PCA, enthält nun nicht mehr die Information über Aufnahmen, die Hunderte bis einige Tausend Bilder
den Grauwert des ersten Pixels, sondern eine Mischin- und komplizierte Strukturvariabilitäten enthalten.
formation über die Grauwerte des ersten und des zwei- . Abb. 23.17A zeigt das Ergebnis einer PCA von zahl-

ten Bildpunkts. Entsprechendes gilt für die Achse des reichen Einzelpartikelbildern des 20S-Proteasoms.
zweiten Faktors. Da die Faktorenachsen nach wie vor Proteinkomplexe sind idealerweise im Eis zufällig
senkrecht aufeinander stehen, repräsentieren sie vonein- angeordnet und liefern daher beliebig verschiedene Pro-
ander unabhängige Strukturen, die gemeinsam in den jektionen. Zweck der PCA ist hier vornehmlich, ­einander
Grauwerten der Bildpunkte stecken  – und zwar genau jeweils ähnliche Projektionen in denselben Klassen zu
die Strukturen, die zur Varianz der Punktwolke in den vereinen, gegebenenfalls Orientierungskorrekturen vor-
beiden betrachteten Richtungen führen. Da die Eigen- zunehmen und Bilder defekter Moleküle auszusortie-
vektoren ebenso viele Koordinaten aufweisen wie die ren. Die Klassenmittelungen zeigen entsprechend unter-
Bilder Pixel, sind sie und damit die durch sie dargestell- schiedliche Ansichten des Proteinkomplexes und
ten Bildstrukturen ihrerseits selbst als Bilder darstellbar verdeutlichen, wie empfindlich die PCA Orientierungs-
(Eigenbilder). und Positionierungsvariabilitäten erkennt, die nach der
586 P. Erdmann et al.

..      Abb. 23.17  Beispiel für die Funktionsweise der Hauptkompo- Merkmal und dem Grauwerteunterschied zwischen den Bildpunkten
nentenanalyse und das Ergebnis der Klassifizierung eines 20S-­ (helleres erstes oder zweites Pixel). Die selektiven Mittelungen nach
Proteasom-Datensatzes. A Repräsentation der Bilddaten von Klassifizierung der Bilder weisen nun diese Bildeigenschaften auf.
Zwei-Pixel-Bildern vor und nach der Hauptkomponentenanalyse Die Klassifizierung kann auf die Pixelunterschiede reduziert werden,
(PCA) in Koordinatensystemen. Links: Eine Galerie von Bildern, die wenn die individuellen Mittelwerte von den Einzelbildern vor der
im Koordinatensystem nach ihren Bildpunktwerten eingetragen PCA subtrahiert werden. Helligkeitsunterschiede zwischen den Bil-
wurden. Die Mittelung über alle Bilder ist strukturlos. Rechts: Dar- dern sind in der Regel kein strukturgebundenes Merkmal und des-
stellung der Bilderverteilung nach der PCA, die die Koordinatenach- halb vernachlässigbar. B Darstellungen charakteristischer Klassen-
sen nach den Richtungen der größten Varianzen der Punktwolke mittelungen nach Gruppierung und Klassifizierung eines Datensatzes
ausrichtet. Durch Subtraktion des Mittelungsbildes von allen Ein- des 20S-Proteasoms aus T. acidophilum. Neben Fremdklassen sind
zelbildern fällt der Koordinatenursprung in die Mitte der Punkte. besonders verschiedenen Seiten- (1, 2) und Draufssichten (4, 9) des
Die Faktorenachsen geben nun Strukturen an, die sich aus bestimm- gesuchten Komplexes zu erkennen. Insbesondere sind in Klassen 1
ten Grauwerteanteilen der Pixel zusammensetzen, hier dem Grau- und 2 sekundäre Proteinstrukturen sichtbar
werteniveau in beiden Bildpunkten (hell-dunkel) als signifikanteres

Ausrichtung der heterogenen Bilder mittels eines Korre- der Referenzstruktur beschreibt. Zuerst wird hierzu
lationsverfahrens noch verblieben sind. Je genauer die die Wahrscheinlichkeit der Beobachtung jeder mög-
Projektionen hinsichtlich der Drehung der Moleküle in lichen Orientierung der Einzelprojektionen, die durch
der Projektionsebene aufeinander ausgerichtet werden, die Referenz gegeben ist, bestimmt. Hierbei wird stets
umso effizienter kann anschließend eine 3D-Rekonst- das vorherige Wissen über die Wahrscheinlichkeitsver-
ruktion verlaufen (7 Abschn. 23.6.2).
  teilungen ausgenutzt. Anschließend erhält man eine
neue Referenz, indem man den wahrscheinlichkeitsge-
zz Maximum Likelihood wichteten Mittelwert für jede einzelne ausgeschnittene
Als Alternative zur Korrespondenzanalyse können Projektion in jeder Orientierung bestimmt. Dieser Pro-
komplexe Datensätze mithilfe sog. Maximum-Likeli- zess wird mit immer feiner werdenden Abtastungen von
hood- (ML-)Ansätze analysiert werden. Bei ML wird Rotation und Translation durchgeführt, bis das Modell
eine Zielfunktion optimiert, die die Wahrscheinlichkeit konvergiert – die Wahrscheinlichkeit also maximal wird
der Beobachtung der experimentellen Daten aufgrund (. Abb. 23.18).
23  
Elektronenmikroskopie
587 23
aber auch nur in einer Orientierung zur Mittelung der
nächsten Referenz bei. Im Gegensatz dazu bestimmt
man mit Maximum Likelihood die Wahrscheinlich-
keit P, mit der jede einzelne Molekülprojektion in all
ihren möglichen Orientierungen zur nächsten Refe-
renz beiträgt (. Abb.  23.18). Ein wichtiger Punkt des

ML-Ansatzes ist dabei, eine gleichmäßig verteilte und


vollständige Abtastung des Parameterraums zu gewähr-
leisten, um eine Verzerrung der Molekülorientierung zu
vermeiden. Hierfür müssen alle möglichen Winkel und
Verschiebungen mit gleichmäßig verteilten Schritten ab-
getastet werden, die zusätzlich mit fortlaufender Kon-
vergenz des Modells immer feiner und feiner ausfallen.
Aufgrund dieser erschöpfenden Suche sollte dieser auf
Wahrscheinlichkeit basierende Ansatz die optimale Lö-
sung für die gegebene Ausgangsreferenz mit minimalen
Benutzereingaben liefern, dies jedoch auf Kosten eines
wesentlich höheren Rechenaufwandes. Dabei ist es nicht
notwendigerweise der Fall, dass ML stets bessere Ergeb-
nisse liefert als ein Kreuzkorrelationsansatz. So kann
z. B. keine Entscheidung darüber getroffen werden, ob
die derzeitige Lösung nur einem lokalen oder einem glo-
balen Maximum entspricht.
Auch eine Klassifizierung kann mittels Maximum
Likelihood realisiert werden. Hierzu wird lediglich die
Anzahl der Referenzstrukturen erhöht. Dies ist eine re-
lativ einfache Ergänzung des statistischen Modells, da
sie nur einen zusätzlicher Parameter, für den die Wahr-
scheinlichkeiten berechnet werden, benötigt. Für ML
muss somit keine explizite Entscheidung darüber getrof-
fen werden, zu welcher Klasse die einzelnen Teilbilder
gehören. Auch können Orientierung und Klassenzuge-
hörigkeit in einer Berechnung ermittelt werden. Dies er-
höht stark die Benutzerfreundlichkeit, da somit keine
Interpretation der Eigenbilder nötig ist, bevor wieder
klassifiziert und gemittelt werden kann. Auf der ande-
ren Seiter neigen ML-Ansätze dazu, bei stark überre-
..      Abb. 23.18  Schematische Darstellung des Maximum-Likelihood-
(ML-)Ansatzes. Anders als bei CPCA und MaxCC trägt ein mit Rau-
präsentierten Klassen andere, kleinere Klassen zu ver-
schen behaftetes Partikel X bei Maximum Likelihood mit einer gewis- einnahmen, sodass diese verloren gehen.
sen Wahrscheinlichkeit P gewichtet zu allen Referenzen R und somit Sind entweder mittels Kreuzkorrelationsverfahren
allen Orientierungen bei. Die Wahrscheinlichkeit ist dann eine Funk- oder Maximum Likelihood möglichst homogene zwei-
tion des Partikels und seiner Orientierung, die etwa mit den Euler-Win- dimensionale Klassen gefunden, kann aus ihnen ein ers-
keln phi und psi beschrieben werden kann. Anders als MaxCC handelt
es sich hierbei um einen zutiefst nicht deterministischen Ansatz
tes dreidimensionales Modell erzeugt werden.

Hierbei unterscheidet sich der ML-Ansatz grund-


23.6.2 Dreidimensionale Rekonstruktion
sätzlich von dem zuvor beschriebenen Verfahren der
„maximalen Kreuzkorrelation“, mit dem Strukturen
zz Rückprojektion
durch das Auffinden der Rotations- und Translations-
Für die Kryo-Elektronenmikroskopie sollten Proteine
parameter bestimmt werden. Bei Kreuzkorrelations-
im Eis zufällig orientiert sein, sodass pro Aufnahme
verfahren wird stets versucht, die beste Orientierung
verschiedene Projektionen des Moleküls erfasst werden
für jede Einzelprojektion zu finden. Diese trägt dann
können. Mit einer genügend großen Anzahl von Auf-
588 P. Erdmann et al.

nahmen lassen sich so annähernd alle Orientierungen Fourier-Raum gekippt. Betrachtet man ein rundes Par-
erhalten. Häufig jedoch ist dies nicht der Fall und ein tikel mit Durchmesser D, dann haben die Projektionen
signifikanter Teil der Projektzeit muss darauf verwendet eine Ausdehnung (eine „Dicke“) proportional zu 1/D im
werden, die zu untersuchende Probe dahingehend zu op- Fourier-Raum (. Abb. 23.19). Die Fourier-Koeffizien-

timieren, dass die Partikel eine pseudo-zufällige Orien- ten der Projektionen überlappen sich deshalb im Bereich
tierung im Eis einnehmen. Detergenzien, Einzelpartikel- niedriger Ortsfrequenzen (ausgehend vom Zentrum)
aufnahme mit gekippter Probe (realistisch <30°) und die und füllen den Fourier-Raum bis zu einer Raumfre-
Verwendung von unterschiedlichen Supportmaterialien quenz proportional zu 1/d lückenlos mit Daten. Bei hö-
sind probate Mittel um dies zu erreichen. Garantieren heren Raumfrequenzen treten leere Bereiche auf, die nur
können sie es jedoch nicht, und häufig muss die Proben- belegt werden könnten, wenn weitere Projektionen mit
präparation speziell an jeden einzelnen Proteinkomplex kleineren Kippwinkelschritten ΔΨ einbezogen werden.
angepasst werden. Neuerdings finden auch neue Prä- Die Fourier-Koeffizienten der Projektionen werden
parationsverfahren Einzug, die durch Automatisierung beim Auffüllen des Fourier-Raums einfach addiert. Weil
und Geschwindigkeit versuchen, die Adsorption von die Daten unterhalb der Grenzfrequenz 1/d sich aber
Proteinen an die Luft-Wasser-Grenzfläche zu verhin- aufgrund ihrer Ausdehnung überschneiden und damit
dern und somit eine gleichmäßigere Verteilung der Mo- verstärken, resultiert eine Überbetonung der Amplitu-
leküle und deren Integrität zu gewährleisten. den niedrigerer Ortsfrequenzen. Da dies die Rekonst-
Um aus den 2D-Projektionen der TEM-Aufnahme ruktion der Molekülstruktur negativ beeinflussen
eine dreidimensionale Rekonstruktion zu erhalten, müs- würde, begegnet man diesem Problem durch eine raum-
sen diese zunächst auf ein gemeinsames Bezugssystem frequenzabhängige Gewichtung der Fourier-­ Daten.
ausgerichtet werden. Einfach gesagt muss bestimmt wer- Man spricht daher von gefilterter Rückprojektion (filte-
den, zu welcher Projektion eine bestimmte dreidimensi- red backprojection). Eine dreidimensionale Rekonstruk-
onale Ausrichtung des Molekülkomplexes gehört. Diese tion kann dann durch Rücktransformation der Fou-
kann dann mathematisch durch Drehung relativ zu ei- rier-Daten in den Realraum erhalten werden.
ner Referenz beschrieben werden. Klassischerweise ver- Wie zuvor beschrieben, gibt es verschiedene Ansätze,
wendet man hier Euler-Winkel, die jeweils eine Rotation wie die Orientierung eines Partikels in drei Dimensionen
um eine der (sich ändernden) Koordinatenachsen be- beschrieben werden kann. Egal für welche mathemati-
schreiben. Aufgrund der Nichtlinearität geht hier jedoch sche Beschreibung man sich auch entscheidet, sind je-
schnell der instinktive Zusammenhang zwischen den doch zunächst die Winkel, unter denen ein Partikel in
einzelnen Drehungen verloren. Auch sind Euler-­Winkel der Abbildung projiziert wurde, unbekannt. Um sie zu
nicht eindeutig, d. h. ein und dieselbe Ausrichtung kann bestimmen gibt es verschiedene iterative Verfahren. Ein
durch verschiedene Winkelkombinationen erreicht wer- einfacher Ansatz ist es, von einer niedrig aufgelösten
den. Mathematisch besser geeignet ist hier eine Beschrei- Moleküldichte auszugehen, welche z.  B. durch Mitte-
bung der einzelnen Drehungen mit Quaternionen, aber lung aller 2D-Partikel unter zufälligen Winkel erzeugt
auch sie sind wenig anschaulich. werden kann. Die realen Projektionen werden dann mit
Ist einmal die den Projektionen zugrunde liegende den aus dem Molekülmodell errechneten verglichen und
dreidimensionale Orientierung bekannt, so lassen sich nach größter Übereinstimmung zugeordnet. Mit den so
die zweidimensionalen Partikel in ein gemeinsames Vo- erhaltenen Winkeln kann dann durch Rückprojektion
lumen zurückprojizieren und auf diese Weise dreidimen- eine bessere und detailreichere dreidimensionale Mitte-
sional mitteln bzw. rekonstruieren. Häufig wird hierfür lung erhalten werden. Das Verfahren wird so lange wie-
das Verfahren der gefilterten Rückprojektion (filtered derholt, bis die Rekonstruktion konsistent bleibt. Es
back projection) verwendet. Hierbei macht man sich ein existieren verschiedene Varianten des skizzierten Ver-
zentrales Dogma der Tomographie zunutze: das Zent- fahrens, die alle auf iterativer Optimierung der Rekons-
ralschnitttheorem. Dieses besagt, dass die Fourier-­ truktion beruhen.
transformierte Projektion eines 3D-Körpers auf eine Je mehr verschiedene Projektionen vorliegen, desto
zweidimensionale Ebene (des EM-Bildes also) einem dichter füllt sich der Fourier-Raum mit Daten und desto
zentralen Schnitt durch die 3D-Fourier-Transformierte besser wird die 3D-Struktur definiert. Bei zufällig ange-
dieses Körpers in der Richtung, die durch die Projekti- ordneten Objekten, wie es bei Einzelpartikeln im Eis
onswinkel festgelegt ist, entspricht. Die Fourier-­ idealerweise der Fall ist, können die Raumfrequenzen
Koeffizienten der Projektion werden dabei entsprechend annähernd bis zur Nyquist-Frequenz belegt werden.
im Fourier-Raum angeordnet. Liegt zum Beispiel die Liegen nicht genügen verschiedene Ansichten vor, so
Kippachse bei tomographischen Aufnahmen auf der kann sich das negativ auf die Rekonstruktion auswir-
23 y-Achse des Koordinatensystems, dann finden sich die ken. Dies ist häufig der Fall für Partikel, die eine bevor-
Daten einer Projektion mit dem Winkel Ψi in einer zugte Orientierung im Eis einnehmen. Um dies abzu-
Ebene mit dem Winkel Ψi ebenfalls um die y*-Achse im schätzen lassen sich die Orientierungswinkel der Partikel
Elektronenmikroskopie
589 23
A

..      Abb. 23.19  Gefilterte Rückprojektion und das Zentralschnitt- rier-Raum mit einer Ausdehnung 1/D. Unterhalb einer Grenzfre-
theorem sowie eine typische Winkelverteilung dargestellt durch eine quenz 1/d (blau) überlappt und verstärkt sich die Information und
Elevation/Azimuth-Dichtekarte. A Anordnung von Projektionen be- muss für eine realitätsgetreue Darstellung heruntergewichtet und
liebig orientierter Partikel gemäß ihrer Projektionswinkel auf einer daher gefiltert werden. B Typischerweise sollten die Winkel der Ein-
frei gewählten Kugeloberfläche. Werden diese Bilder in das Zentrum zelpartikelprojektionen alle möglichen Orientierungen (mehrfach)
der Kugel zurückprojiziert, so überlagern und mitteln sie sich zu ei- abdecken. Dies kann z. B. mit einer Elevation/Azimuth-­Karte erfol-
ner dreidimensionalen Dichte, die die Rekonstruktion der Molekül- gen, die ähnlich einer Globuskarte zwei Winkel (Längen- und Brei-
struktur ergibt. Die Rekonstruktion ist umso vollständiger und ge- tengrad) in einer Dichtedarstellung (sog. heat map) vereint. Je dich-
nauer, je weniger unbesetzte Positionen auf der Kugeloberfläche ter die Punkte liegen, desto roter, je weniger Winkel in einem Bereich
verbleiben. Die Summation der Daten im Fourier-Raum lässt sich an vorhanden sind, desto blauer fällt die Darstellung aus. Wenn der
einer vereinfachten Darstellung des Zentralschnitttheorems erklä- verfügbare Orientierungsraum schlecht abgetastet ist, kann die Re-
ren. Die Fourier-Transformierten von Projektionen einer Serie von konstruktion darunter leiden und gegebenenfalls verzerrt widergege-
Aufnahmen, die entlang der y-Achse gegeneinander verdreht sind, ben werden. Bei symmetrischen Partikeln kann dies bisweilen durch
finden sich im Fourier-Raum in Ebenen, die um die y*-Achse unter Anwenden der vorhandenen Symmetrieoperationen (z. B. D7 für das
den gleichen Winkeln Ψi verkippt sind, wieder. Den Projektionen ei- 20S-Proteasom) kompensiert werden
nes Objekts mit Durchmesser D entsprechen Schnittebenen im Fou-

auf einer Dichtekarte ähnlich einer Landkarte mit Län- sind sie jedoch nach der zuvor besprochenen Klassifizie-
gen und Breitengraden darstellen (. Abb.  23.19). Iso-
  rung im seltensten Fall einheitlich genug, um eine hoch-
lierte „Inseln“ weisen dann auf bevorzugte Orientierun- aufgelöste dreidimensionale Rekonstruktion zu gewähr-
gen der Molekülkomplexe hin. leisten. In vielen Fällen folgt daher nach einer initialen
Rekonstruktion häufig eine dreidimensionale Klassifi-
zz Verfeinerung und Unterklassifizierung zierung, um die Variabilität innerhalb eines Datensatzes
Obwohl mittels der Verfahren von PCA oder ML viel weiter zu verringern. Gründe hierfür können vielfältig
Heterogenität aus Datensätzen entfernt werden kann, sein: Konformationsunterschiede aufgrund des Aktivi-
590 P. Erdmann et al.

tätszustandes, das Vorhandensein bestimmter regulato-


rischer Untereinheiten oder der Erhaltungszustand der
Proteinkomplexe im Eis können die Qualität der Re-
konstruktion beeinflussen. Im Grunde können, ähnlich
der zweidimensionalen Klassifizierung, Hauptkompo-
nentenanalyse und Maximum-­Likelihood-­Verfahren
auch für die Klassifizierung von dreidimensionalen Da-
ten herangezogen werden. Der Rechenaufwand ist nur
ungleich höher. Dennoch ist es oft sinnvoll, einige Itera-
tionen von 3D-Klassifizierung und anschließender ver-
feinerter Alignierung zu durchlaufen, um schlussendlich
zu einer hochaufgelösten Moleküldichte zu kommen.
Ein typischer Arbeitsverlauf ist in . Abb. 23.20 für das

20S-Proteasom aus T. acidophilum zu sehen.

zz Auflösung
Ein signifikanter Faktor in der Rekonstruktion einer
dreidimensionalen Moleküldichte ist die erreichte Auf-
lösung. Nun unterscheidet sich der Begriff der Auflö-
sung hier stark von dem der zuvor verwendeten Be-
schreibung etwa in der Lichtmikroskopie. In der
Vergangenheit war die Röntgenstrukturanalyse das Mit-
tel der Wahl zur Bestimmung der von Molekülstruktu-
ren. Es macht daher Sinn, sich zunächst die hier verwen-
dete Definition von Auflösung zu vergegenwärtigen: In
der Röntgenkristallographie kann die Auflösung durch
die Größenskala definiert werden, bei der noch Beu-
gungsmaxima oder sog. Reflexe beobachtet werden kön-
nen. In der Praxis wird die Auflösungsgrenze danach
gewählt, wie gut diese äußeren Reflexe integriert und
vom Rauschen unterschieden werden können. In der
Kryo-­Elektronenmikroskopie ist die Definition der Auf-
lösung eine weit schwierigere Angelegenheit. So ist sie
eher ein Maß für die Selbstkonsistenz der Daten und des
Rekonstruktionsprozesses, der zur Erzeugung der drei-
dimensionalen Moleküldichte verwendet wurde. Typi-
scherweise wird dieser Wert durch die Berechnung der
Fourier-Schalen-Korrelationen (Fourier Shell Correla-
tion, FSC) zweier unabhängig voneinander berechneter
Elektronendichten bestimmt. Zu diesem Zweck werden
die Aufnahmen zunächst in zwei gleichgroße, voneinan-
der unabhängige (d. h. nicht überlappende) Datensätze
unterteilt (sog. Gold-Standard-Ansatz), bevor eine Ver-
arbeitung vorgenommen wird. Die Auflösungsgrenze
entspricht dann der Frequenz, bei der die FSC-Kurve
zwischen beiden Modellen unter einen zuvor festgeleg-
ten Schwellenwert fällt (FSC-Cutoff). Die am häufigsten
verwendeten Grenzwerte sind 0,143 und 0,5. Hochauf-
lösende Strukturmerkmale in EM-­Bildern sind anfällig
für Kontrastverluste aufgrund von experimentellen Feh-
lern und Berechnungsartefakten. Dieser Defekt kann
mit einem sogenannten B-Faktor modelliert werden, der ..      Abb. 23.20  Ein repräsentativer Arbeitsverlauf zur Bestimmung
konzeptionell dem der Kristallographie ähnlich ist. einer Einzelpartikelstruktur
23
Elektronenmikroskopie
591 23
Nach Filterung erhält man so „geschärfte“ EM-Karten, tikel-Elektronenmikroskopie – als starren Körper in die
die weit feinere Details preisgeben können als die ur- Dichtekarten zu modellieren (rigid body fit). Anhand
sprünglichen Rekonstruktionen. einer sechsdimensionalen Suche (drei Translations- und
Man sollte nicht vergessen, dass die Auflösung stets drei Rotationsfreiheitsgrade) wird die Überlappung der
hinter der untersuchten biologischen Fragestellung zu- Struktur mit der Dichtekarte über ihre Kreuzkorrelation
rückstecken sollte. So lassen sich viele Probleme schon maximiert und so eine optimale Ausrichtung bestimmt.
mit relativ geringer Auflösung angehen. Mechanistische Häufig ist aber über den untersuchten Proteinkom-
Details und auch eine molekulare Modellbildung plex mehr bekannt als nur die selbst erzeugte Rekonst-
(7 Abschn. 23.5.3) benötigen jedoch einen weit ˙höhe-
  ruktion. Möchte man die Daten aus anderen Experimen-
ren Grad an Genauigkeit. Die erhaltenen Strukturen ten mit in die Analyse des Proteinkomplexes einfließen
sollten daher neben der formalen FSC-Auflösung auch lassen, gibt es die Methode des datengetriebenen Pro-
stets auf das Sichtbarwerden bestimmter Strukturmerk- tein-Dockings. Hierbei kommt es insbesondere darauf
male hin untersucht werden. Sekundäre Proteinstruktu- an, bis zu welchem Detail die einzelnen Untereinheiten
ren wie Helices und beta-Sheets werden so schon ab ca. repräsentiert werden sollen. Ist der Proteinkomplex sehr
8  Å sichtbar, feinere Details und insbesondere Seiten- groß und entsprechend aufwendig zu berechnen, kann
ketten jedoch erst ab ungefähr 3–4 Å. Erreicht die Auf- man die Atome zu einer Kugel mit einem bestimmten
lösung schließlich 2  Å, zeigen sich aromatentypische Durchmesser und bestimmten Eigenschaften zusam-
„Löcher“ in den Elektronendichten von Phenylalanin menfassen. Dabei unterscheiden sich die Methoden an-
und Tyrosin (. Abb. 23.21 und Video 23.21).
  hand des verwendeten Detailgrades. Mit diesen Sphären
Stimmt die errechnete FSC-basierte Auflösung nicht ist es möglich, einzelne Atome, Aminosäuren oder sogar
mit den zu erwartenden Strukturdetails überein, ist ein ganzes Protein zusammenzufassen. Diese Repräsen-
Skepsis angebracht. Zusätzlich variiert die Auflösung tation nennt man coarse graining (. Abb.  23.22). Die

innerhalb derselben dreidimensionalen Rekonstruktion Entscheidung, wie grob es sich darstellen lässt, basiert
häufig. So können statischere Teile größerer Komplexe auf früheren Daten und oft auch auf chemischer Intui-
häufig besser aufgelöst werden als flexiblere Seitenketten tion.
(. Abb.  23.21). Mit Sicherheit ist eine entsprechende
  Nun gilt es, diese Repräsentationen in der Elektro-
Unterteilung der erreichten Auflösung in Abhängigkeit nendichtekarte anzuordnen. Anhand von verfügbaren
von der Position innerhalb des zu untersuchenden Kom- experimentellen Daten werden Einschränkungen (Res-
plexes – man spricht dann auch von lokaler Auflösung – traints) erstellt, welche in die Bewertung der erstell-
realistischer und auch ehrlicher als ein einzelner Zahlen- ten Struktur eingehen und so die Orientierungen der
wert, so eingängig dieser auch sein mag. Proteinkomplexe zueinander definieren. Zu den ver-
wendeten Daten für diesen Prozess gehören u.  a. Me-
thoden wie die Kernresonanzspektroskopie (NMR),
23.6.3 Modellbildung die Cross-Link-Massenspektrometrie, der Förster-­
Resonanzenergie-­Transfer (FRET) und jegliche expe-
Ziel der Einzelpartikelanalyse ist es häufig, aus dem er- rimentelle Methode, die Informationen über Distanzen
stellten 3D-Modell eine strukturbiologische Interpre- oder Interaktionen in makromolekularen Biomolekülen
tation zu erlangen, um so Informationen zu biochemi- gibt. Sind die Restraints erst einmal festgelegt, werden
schen Prozessen oder Funktionsweisen von Komplexen viele Strukturen anhand dieser Daten und der Reprä-
zu erhalten. Hierfür muss zunächst die rekonstruierte sentation der Makromoleküle erstellt, anhand ihrer
Elektronendichte mit strukturbiologischen Informatio- Ähnlichkeit klassifiziert und mit einer Scoring-Funk-
nen in Verbindung gebracht werden. Die Analysemetho- tion in eine Rangliste eingeordnet. Erhält man aus un-
den sind vielfältig und sind maßgeblich von der erreich- abhängigen Läufen dasselbe Ergebnis, dann ist die Me-
baren Auflösung des 3D-Modells sowie von den bereits thode konvergiert und man erhält ein reproduzierbares
verfügbaren Daten des untersuchten Proteinkomplexes Modell der Proteinpositionen innerhalb des Komplexes
abhängig. Für Strukturen mit einer Auflösung schlech- für die gewählte Repräsentation und die verfügbaren ex-
ter als 10  Å können keine Sekundärstrukturelemente perimentellen Daten.
aufgelöst werden. Handelt es sich um einen größeren Ergibt die elektronenmikroskopische Rekonstruk-
Proteinkomplex, kann man trotzdem versuchen, die tion eine Auflösung besser als 10  Å, werden bereits
Positionen der einzelnen Komponenten herauszuarbei- Sekundärproteinstrukturen sichtbar. Anhand von
ten. Die einfachste Methode besteht hier darin, eine hochaufgelösten Strukturen können diese elektronen-
zuvor bestimmte, hochaufgelöste Struktur  – etwa aus mikroskopischen Rekonstruktionen mithilfe des Mo-
der Kristallstrukturanalyse oder vorherigen Einzelpar- lecular Dynamics Flexible Fitting interpretiert werden.
592 P. Erdmann et al.

..      Abb. 23.21  Kryo-EM-Rekonstruktionen zeigen mehr Struktur- Correlation (FSC) zweier unabhängiger Datensätze bestimmt. Neben
details mit steigender Auflösung. A Mit besserer Auflösung geben dem typischen FSC-Verlauf (links), aus dem die globale Auflösung
EM-­Karten zunehmend feinere Strukturen preis. Sind bei 7 Å schon entweder bei FSC = 0,5 oder 0,143 abgelesen werden kann, ist es oft
Helices erkennbar, so zeigen sich zwischen 3–4  Å Dichten, die den auch sinnvoll die lokale Auflösung zu bestimmen. Obwohl sie im ge-
Seitenketten der einzelnen Aminosäuren zugeordnet werden können. zeigten Beispiel der Rekonstruktion des T. acidophilum 20S-­
Für sehr hochaufgelöste Strukturen um 2 Å werden dann auch „Lö- Proteasoms gleichmäßig hoch bleibt (0,6  Å Variation über die ge-
cher“ in den aromatischen Ringen des Phenylalanins und Tyrosins samte Struktur), kann es vorkommen, dass besonders flexible
sichtbar. Aber auch der Pyrrolidinring des Prolins kann ab einer sol- Molekülregionen schlechter aufgelöst werden, als starre. Auch für das
chen Auflösung direkt ausgemacht werden. B Die Auflösung von Ein- 20S-Proteasom sieht man eine auffällig bessere Auflösung im Kern
zelpartikelrekonstruktionen wird i.  A. durch die sog. Fourier Shell des Moleküls (siehe auch Video) (7 https://doi.org/10.1007/000-­1fp)

Die Simulation der Molekulardynamik wird an die für ist die „pseudo-atomare“ Auflösung, jedoch birgt
Dichtekarte gekoppelt, um die Struktur innerhalb einer dieser das Potenzial für Missverständnisse, da in der
Simulation an die experimentellen Daten anzupassen. Kristallstrukturanalyse und der Einzelpartikelanalyse
Die Ausgangsstruktur für die Simulation kann aus einer unterschiedliche Definitionen von Auflösung verwendet
hochaufgelösten Kristallstruktur oder davon abgeleite- werden. Nichtsdestotrotz ist das Wissen aus der Kris-
ten Homologiemodellen erstellt werden. Eventuelle Lü- tallstrukturanalyse bezüglich der Interpretation von
cken innerhalb der Struktur, z. B. flexible Linker, können atomaren Modellen aus Elektronendichtekarten unent-
durch De-novo-Strukturvorhersagen aufgefüllt werden. behrlich für die moderne Elektronenmikroskopie. So er-
Seit der resolution revolution in der Elektronenmikro- lauben häufig Methoden aus der Kristallstrukturana-
skopie (Kapitelanfang) kann man mittels EM bis in Be- lyse eine automatisierte De-novo-­Strukturaufklärung
reiche vordringen, in denen Seitenketten sichtbar wer- aus Daten der Kryo-Elektronenmikroskopie  – voraus-
23 den (. Abb.  23.23). Dabei handelt es sich meist um
  gesetzt, die Auflösung reicht hierfür aus. Nach Erstellen
Auflösungen unter 4 Å. Ein sehr gängiger Begriff hier- eines Ausgangsmodells werden diese Strukturen manu-
Elektronenmikroskopie
593 23
A B C

..      Abb. 23.22  Unterschiedliche Repräsentationen des Ubiquitins (rosa) und ein bis vier Seitenketten (gelb). C Simples coarse graining
von detailreich bis abstrakt. A Atomare Darstellung des Ubiquitins. ohne Berücksichtigung der physikochemischen Eigenschaften des
B MARTINI-Coarse-Graining-Darstellung. Funktionelle Gruppen Proteins. Jeder Residue wird als ein einzelnes Bead repräsentiert
werden nach chemischer Logik zusammengefasst in ein Rückgrat

A B C

..      Abb. 23.23  A Integratives Coarse-Graining-Modell des Protea- der Aminosäuren gut zu erkennen. Neben den aromatischen Ringen
soms. Jeweils 10 Residuen große rigide Subdomänen werden als von Phenylalanin und Tyrosin sind auch aliphatische Gruppen, et-
große Beads dargestellt. Flexiblere Residuen werden als einzelne Be- was des Valins (i-Pr), deutlich in der Elektronendichte sichtbar. Ne-
ads repräsentiert. B Atomares Modell des Proteasoms, erstellt mit- gativ geladene Reste, z. B. der Asparaginsäure (CH2COO–), können
tels MDFF in eine Elektronendichtekarte bei 4  Å Auflösung. C kaum oder gar nicht aufgelöst erscheinen. Dies erklärt sich zum Teil
Kombinierte Darstellung der Elektronendichte und des atomaren durch die Ladungsabstoßung, aber auch durch einen eventuell erlit-
Modells des T. acidophilum 20S-Proteasoms bei 2 Å Auflösung. Ne- tenen Strahlenschaden während der elektronenmikroskopischen
ben dem generellen Verlauf des Proteins sind auch die Seitenketten Aufnahme

ell kuriert und mittels der Dichtekarte verfeinert. Hier- digkeit des berechneten 3D-Modells zu optimieren. Für
für können Informationen wie der Ramachandran-Plot die Einzelpartikelelektronenmikroskopie ergibt sich je-
von Proteinen, die lokale Kreuzkorrelation zur Dichte- doch das Problem, dass für sich überlappende Struktu-
karte sowie Interaktionen innerhalb von biologischen ren oder solche, die bevorzugt im Eis angeordnet sind,
Makromolekülen berücksichtigt werden, um Protein- nie genug unterschiedliche Ansichten gefunden werden
ketten und Aminosäurereste stimmig anzuordnen. Die können, um eine gute dreidimensionale Rekonstruktion
so erstellten Modelle ermöglichen schließlich die Ana- zu gewährleisten. Anstatt viele Kopien des gleichen Ob-
lyse von biologischen Mechanismen auf atomarer jektes aus nur einer Richtung (einem Winkel) zu betrach-
Ebene. Die Genauigkeit, mit der Strukturen durch die ten und darauf zu setzen, dass die Partikel sich zufällig
moderne Kryo-Elektronenmikroskopie bestimmt wer- orientieren, bietet sich ein tomographischer Ansatz als
den können, ist dabei höchst beeindruckend und in der Alternative an. Kippt man die Probe innerhalb des Elek-
Qualität vergleichbar mit Kristallstrukturen. tronenmikroskops und nimmt Projektionen desselben
Objektes aus unterschiedlichen Kippwinkeln α auf, so
kann aus diesen auch eine dreidimensionale Rekonstruk-
23.7  Tomographie tion erhalten werden. Allerdings ergibt sich daraus ein
Problem: Da biologische Proben strahlungsempfindlich
3D-Rekonstruktionen von Einzelmolekülen enthalten sind, muss die Dosis, die in der Einzelpartikelanalyse für
immer einen Mittelungsschritt über viele Projektionen eine einzelne Projektion verwendet wird, auf den verwen-
gleichartiger Partikel, um die Qualität und die Vollstän- deten Winkelbereich – üblicherweise –60° bis +60° – auf-
594 P. Erdmann et al.

geteilt werden. Dadurch ergibt sich zwangsläufig ein Kippwinkel reicht hierbei typischerweise von 0,5° bis
schlechteres Signal-Rausch-­Verhältnis für die einzelnen 5°. Die am häufigsten verwendeten Varianten lassen
Bilder. Man verlässt sich daher auf robuste computerge- sich in zwei Gruppen einteilen: kontinuierliche Kipp-
stützte Methoden zur Alignierung und Rückprojektion schemata, bei denen α in eine Richtung gedreht wird,
der zweidimensionalen Daten um eine sinnvolle dreidi- z.  B. von +60° bis –60°, und bidirektionale Kippsche-
mensionale Rekonstruktion des zu untersuchenden Ob- mata, bei denen die Erfassung der Kippreihen in zwei
jektes zu erhalten. Ähnlich der Einzelpartikelanalyse getrennte Kippzweige unterteilt wird. Hierbei nimmt
können die  – nun aber dreidimensionalen  – Daten ent- man bei 3° Winkelinkrement z. B. zuerst eine kontinu-
rauscht und gefiltert werden. Objekte, die in mehreren ierliche Reihe von –21° bis +60°, dann einen zweiten
Kopien innerhalb des Tomogramms vorhanden sind, Zweig von –24° bis –60° auf (. Abb.  23.24). Für das

können zudem als Teilvolumina extrahiert und ebenfalls kontinuierliche Kippschema ergibt sich das Problem,
gemittelt werden (7 Abschn. 23.6.3). Die beiden Grenz-
  dass die hohen Winkel zuerst belichtet werden und die
bedingungen – maximale Elektronendosis und minima- Elektronen einen wesentlich längeren Weg durch die
ler Bildkontrast – limitieren jedoch die verwendbare An- Probe zurücklegen müssen. Der Signalübertrag und
zahl der Projektionen einer Kippserie und damit die Beitrag zu hohen Frequenzen (einer hohen Auflösung)
erreichbare Auflösung eines Objekts mit einer bestimm- ist daher gering. Bei niedrigeren Winkeln, wenn die
ten Dicke. Letztere sollte deshalb für die Kryo-­ Probe also dünner erscheint, ist sie jedoch schon durch
Elektronentomographie 500 nm nicht überschreiten. Aus die bis dahin verwendete Dosis beschädigt, und auch
diesem Grund war man bei der Untersuchung intakter hier kann kaum hochauflösende Information erhalten
biologischer Strukturen zunächst auf Viren, eine Reihe werden. Dies kann bis zu einem gewissen Grad durch
kleiner Prokaryoten und flache Bereiche eukaryotischer ein bidirektionelles Kippschema umgangen werden.
Zellen beschränkt. Mit der Entwicklung der Kryomikro- Hierbei nimmt man zuerst die niedrigen Winkel (im
tomie und besonders der Ionenätzung (7 Abschn. 23.2.3)
  obigen Beispiel –21° bis +60°) auf, um so den Übertrag
bieten sich aber auch Wege, Teile größerer Objekte wie hochauflö­ sender Informationen zu maximieren. Dies
eukaryotische Zellen in nativer Form zu untersuchen. hat jedoch den Nachteil, dass die Bilder auf beiden Sei-
ten des Startwinkels (im obigen Beispiel –21°) einer un-
terschiedlichen Gesamtdosis ausgesetzt waren. Daraus
23.7.1 Aufnahmeschemata kann sich eine Diskrepanz der Bilddeformationen (z. B.
durch Verformung der Probe) am Umkehrpunkt des
Ein kryotomographischer Datensatz besteht aus einer Kippschemas (–21°) ergeben, welche die Ausrichtung
Reihe von Bildern, die unter verschiedenen Kippwin- der beiden Kippzweige erschwert. Dieser Fehler pflanzt
keln gesammelt werden. Man erreicht dies durch Ro- sich dann im Tomogramm fort und kann die insgesamt
tation der Probe im Mikroskop. Die Kombination aus erreichbare Auflösung bei der Mittelung von Subvolu-
Winkeln, unter denen die Bilder gesammelt, sowie die mina (7 Abschn. 23.6.3) einschränken.

Reihenfolge, in der sie aufgenommen werden, bezeich- Um beide Probleme – Diskontinuitäten und akkumu-
net man als Kippschema. Die Differenz der einzelnen lierte Dosis  – in Einklang zu bringen, muss daher eine

..      Abb. 23.24  Vergleich unterschiedlicher Kippschemata. Der In- Ortsfrequenz) ist der Signalübertrag durch die verwendete Grau-
formationsübertrag verschiedener Kippschemata ist hier im Fourier-­ schattierung dargestellt. Je dunkler, desto mehr Signal wird übertra-
Raum dargestellt. Die einzelnen Fourier-transformierten Kippwin- gen. Ist dies bei der kontinuierlichen Methode nur für die hohen
kelaufnahmen entsprechen hier – gemäß dem Zentralschnitttheorem Kippwinkel der Fall, so werden Informationen sowohl beim bidirek-
(7 Abschn. 23.5.2) – einer Ebene unter dem verwendeten Kippwin- tionalen als auch dem dosissymmetrischen Kippschema optimal bei
23

kel, In allen drei Beispielen ist der missing wedge gut zu erkennen. niedrigen Winkeln aufgenommen
Ausgehend vom Zentrum der einzelnen Darstellungen (niedrige
Elektronenmikroskopie
595 23
Methode gefunden werden, um die niedrigen Kippwin- das Verfolgen der Fenster mit zunehmendem Kippwin-
kel zuerst aufzunehmen, bevor sich ein nennenswerter kel schwieriger, da der Elektronenstrahl im Objekt einen
Strahlenschaden bemerkbar macht. Hierfür wird ausge- immer längeren Weg (dieser skaliert mit dem inversen
hend vom Startwinkel (0°) abwechselnd in beide Rich- Kosinus des Kippwinkels  – 1/cos α) zurücklegen muss,
tungen (±60°) gekippt und jeweils ein Bild aufgenom- bevor er auf den Detektor trifft. Bei α = 60° müssen die
men. Das Kippschema lautet (bei 3° Winkelinkrementen) Elektronen also eine doppelte Strecke durchlaufen. Da
also: α  =  0°, +3°, –3°, +6°, –6°, usw. Aus praktischen durch den längeren Weg jedoch mehr sekundäre Streu-
Gründen werden allerdings häufig kleine Gruppen von prozesse stattfinden, verringert sich der Kontrast und
Kippwinkeln in jeweils einer Richtung ­direkt hinterein- somit auch die Genauigkeit in der Verfolgung der Fens-
ander aufgenommen (α  =  0°, +3°, +6°, –3°, –6°, etc.). ter. Neuerdings gibt es die Idee, makromolekulare Kom-
Dies verringert zum einen die Aufnahmezeit und redu- plexe wie etwa Ribosomen, welche sich in vielen zellulä-
ziert die insgesamt nötigen Bewegungen des Probenhal- ren Proben befinden, analog zu den Goldnanopartikeln
ters. Dieses „dosissymmetrische“ Kippschema (auch Ha- zu nutzen, um die Alignierung der Kippserie zu verfei-
gen-Schema) konzentriert hochauflösende Informationen nern. Hierbei werden virtuelle Projektionen der Partikel
in den unteren Neigungswinkeln, wo die Probe am mit den realen Projektion aus der Kippserie verglichen
dünnsten erscheint, und bietet so eine maximale Infor- und so die Winkel sowie die Verschiebung aufgrund der
mationsübertragung. Es ist daher das derzeit meistge- mechanische Ungenauigkeit verfeinert (. Abb.  23.25;

nutzte Kippschema in der Kryo-Elektronentomographie. siehe auch Video 23.25).


Sind die Einzelaufnahmen einer tomographischen
Aufnahme einmal aligniert, gilt es wie bei der Einzelpar-
23.7.2 Rekonstruktion tikelaufnahme auch eine dreidimensionale Repräsenta-
tion der zweidimensionalen Kippserie zu rekonstruie-
Aufgrund der mechanischen Ungenauigkeit des Objekt- ren. Die Algorithmen, die dazu verwendet werden, sind
halters im Mikroskop sind die einzelnen Projektionen Abwandlungen von weit verbreiteten Methoden in der
einer Kippserie leicht zueinander versetzt. Diese Unge- Computertomographie. Hierfür gibt es verschiedene An-
nauigkeiten im Nanometerbereich müssen durch Alig- sätze, die sich grundsätzlich darin unterscheiden, ob die
nierung der Einzelbilder miteinander in Einklang ge- Rekonstruktion im Real- oder im Fourier-Raum durch-
bracht werden. Zu diesem Zweck werden für Proben, die geführt wird. Für die Rekonstruktion im Fourier-­Raum
etwa aus Zelllysaten oder anderweitig aufgereinigten macht man sich wieder das Zentralschnitttheorem zu-
Komplexen bestehen (in-vitro-Proben), nanometergroße nutze. Eine der beliebtesten Methoden der Rekonstruk-
Goldpartikel, sog. Marker, mit in das Eis der Probe ein- tion von Tomogrammen ist – wie bei der Einzelpartikel-
gebettet. Aufgrund ihrer hohen Elektronendichte erge- analyse auch  – die gewichtete Rückprojektion. Anders
ben diese einen guten Kontrast und lassen sich leicht in- als dort besteht hier jedoch ein wichtiger Unterschied:
nerhalb der Kippserie erkennen. Indem man nun diese Durch die mechanische Limitierung der Probenhalter
Ankerpunkte in jeder Projektion verfolgt, können die in der Kryo-Elektronenmikroskopie können Kippserien
Verschiebung zwischen den einzelnen Projektionen be- lediglich von +70° bis –70° aufgenommen werden (sin-
stimmt und die Kippserie besser aligniert werden, als es gle tilt). Ein erheblicher Teil der Projektionen fehlt also.
aufgrund einer reinen Kreuzkorrelation zwischen den Als Konsequenz daraus fehlt der dreidimensionalen
einzelnen Aufnahmen möglich wäre. Für zelluläre Pro- Fourier-Transformierten der Rekonstruktion ein keil-
ben (Dünnschnitte und Ionenätzung) ist das Hinzufüh- förmiger (engl. wedge) Teil der Daten (. Abb.  23.26).

ren von Goldpartikeln jedoch schwierig bis unmöglich, Dieses Problem nennt man daher den missing wedge und
da die Probe zu jeder Zeit unterhalb der Umkristallisa- es rührt daher, dass gewisse Teile des Frequenzraums
tionstemperatur von Wasser gehalten werden muss (–145 in einer Richtung nicht erfasst werden können. Analog
°C). Außerdem läuft man Gefahr, die ursprüngliche eines Einzelpartikeldatensatzes mit bevorzugter Orien-
Struktur der Zelle oder des Organismus durch die Mar- tierung führt dies zu einer Elongation der Rekonstruk-
ker zu verändern. Nichtsdestotrotz können auch Kipp- tion im Vergleich zum realen Objekt in der Richtung, die
serien ohne Goldnanopartikel aligniert werden. Das sog. nicht vollständig abgetastet werden konnte. So werden
„Patch-Tracking“ macht sich hierbei Muster innerhalb z. B. Membranen zellulärer Tomogramme häufig „ver-
der Probe zunutze. Dazu wird das Bild in mehrere über- schmiert“ und Vesikel  – so sie denn klein genug sind,
lappende Fenster unterteilt und jedes für sich innerhalb um in das rekonstruierte Volumen zu passen – erschei-
der Kippserie mittels Kreuzkorrelation verfolgt. Macht nen in eine Richtung offen, auch wenn sie dies in einer
man dies über die Spanne der gesamten Aufnahme, er- lebenden Zelle natürlich nicht sind. Aus diesem Grund
hält man ähnliche Daten wie für die Goldnanopartikel wurde versucht, den Bereich, der durch die Projektio-
und kann die Verschiebung korrigieren. Allerdings wird nen im Mikroskop abgesucht werden kann, zu erhöhen,
596 P. Erdmann et al.

A B

..      Abb. 23.25  Marker-Tracking und Rekonstruktion eines Tomo- für die Alignierung der Einzelbilder sowie zur dreidimensionalen Re-
gramms. A Einzelne Goldpartikel (rot und blau) werden in jeder ein- konstruktion. C Schnitte durch ein rekonstruiertes Tomogramm mit
zelnen Projektion verfolgt und die Koordinaten gespeichert. B Über dem 20S-Proteasom aus T. acidophilum bei verschiedenen Z-Höhen
die gesamte Kippserie ergibt sich ein bogenförmiger Verlauf für jeden (Video sn.pub/LecOqy) (7 https://doi.org/10.1007/000-1fn)

einzelnen Marker. Diese Informationen dienen dann als Grundlage

A B

..      Abb. 23.26  Das Prinzip der Rückprojektion und Datenvertei- B Bei unvollständiger Kippung (kleiner als ±90° also) verbleibt ein
lung im Fourier-Raum. A Projektionswinkeltreue Anordnung der keilförmiger Raum ohne Fourier-Daten, der als missing wedge be-
Bilder einer Kippserie eines individuellen Objekts mit Rückprojek- zeichnet wird. Der datenfreie Raum (rosa) reduziert sich auf eine
tion in ein gemeinsames 3D-Volumen. Da eine Kippung des Objekts missing pyramid, wenn das Objekt in der Ebene um 90° gedreht, eine
um ±90° nicht möglich ist, bleibt die Rekonstruktion unvollständig. zweite Kippserie aufgenommen und mit der ersten kombiniert wird

indem zusätzlich zur ersten Aufnahmereihe eine zweite, dieser Ansatz heute in der Kryo-­Elektronentomographie
um 90° gedrehte Kippserie aufgenommen und mit der jedoch meist nicht mehr verfolgt.
ersten kombiniert wird (dual tilt). Der informationsfreie Während die gefilterte Rückprojektion aufgrund ih-
Fourier-Raum reduziert sich dabei auf ein pyramiden- rer naturgetreuen Abbildung häufig für hochauflösende
förmiges Volumen (missing pyramid). Aufgrund von Studien verwendet wird, gibt es einige weitere Methoden
zusätzlichen mechanischen Instabilitäten geeigneter der Rekonstruktion, die über die Jahre für die Elektro-
Probenhalter, einem verschärften Dosisproblem  – es nentomographie entwickelt wurden. Diese basieren dar-
23 müssten nun zwei Kippserien anstelle nur einer aufge- auf, dass das Rekonstruktionsproblem als großes linea-
nommen werden –, und Problemen bei der Alignierbar- res Gleichungssystem approximiert und dann iterativ
keit und Kombination von zwei Tomogrammen wird gelöst werden kann. Dazu gehören die simultane algeb-
Elektronenmikroskopie
597 23
raische Rekonstruktionstechnik (SART) und die simul- Struktur identifiziert werden, scheitert das Verfahren
tane iterative Rekonstruktion (SIRT). In der algebrai- der Segmentierung jedoch sehr schnell. Zudem sucht
schen Rekonstruktion wird ein Volumen mit definierter man natürlich nach einer Methode, die unabhängig von
Größe vorgegeben und anhand eines ermittelten Wertes der Person, die die Segmentierung durchführt, immer
über alle Projektionen initialisiert. Anschließend wird die gleichen Ergebnisse liefert.
das konstruierte Volumen aus den Winkeln der Kippse- Wie zuvor für die Einzelpartikelanalyse gesehen,
rie projiziert. Anhand eines gedachten Strahles wird die können auch komplexe dreidimensionale Daten mittels
Projektion als Schnittmenge der jeweiligen Voxel mit Kreuzkorrelation durchsucht und die gefundenen
dem Strahl mit definierter Dicke berechnet und die 3D-Partikel aufeinander aligniert werden. Das mathe-
Bruchteile der Voxel, die dieser Schnittmenge entspre- matische Konzept bleibt gleich, lediglich eine weitere
chen, aufaddiert und dem Wert des Pixels auf den der Raumdimension wird hinzugefügt. Als Referenz wird
Strahl auftrifft zugeordnet. Diese Projektionen werden hierfür ein 3D-Modell aus simulierten Dichtekarten
dann mit den experimentellen Daten der Projektion ver- ausgehend von existierenden atomaren Modellen des zu
glichen und die Voxelwerte so weit angepasst, dass der suchenden Makromoleküls erstellt. Dieses Modell (engl.
integrierte Wert mit dem experimentellen Wert überein- template) wird dann in der Kreuzkorrelation verwendet.
stimmt. Dies führt man für alle Projektionswinkel durch Da stets für jede mögliche Rotation der Referenz eine
um letztlich das Modell des abgebildeten Objektes zu Kreuzkorrelation mit jeder Position innerhalb des To-
erstellen. mogramms berechnet werden muss, ist die erforderliche
Rechenleistung erheblich. Die 3D-Korrelation, das sog.
Template Matching, kann dann als Funktion der beiden
Datensätze unter Berücksichtigung von sechs Freiheits-
23.7.3  emplate Matching und
T graden (den Positionskoordinaten x, y, z und z. B. drei
Subtomogramm-Averaging Euler-Winkeln phi, psi, theta) aufgefasst werden
(. Abb. 23.27; Video 23.27). Anders als im zweidimen-

Tomogramme enthalten mitunter viele verschiedene sionalen Falls ist es hier aber sehr wichtig, störende Fak-
makromolekulare Spezies, die man idealerweise ge- toren wie etwa den missing wedge oder die CTF zu be-
trennt voneinander betrachten und untersuchen möchte. rücksichtigen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.
Dies können bei in-vitro-Proben schon so einfache Un- Analog des zweidimensionalen Falls erhält man als Re-
terschiede wie unterschiedlich gut erhaltene Protein- sultat des Template Matchings eine dreidimensionale
komplexe sein. In zellulären Tomogrammen jedoch sieht Kreuzkorrelationsmatrix (sog. Score Map) welche die
man sich mit dem ganzen Proteom einer Zelle nebst vermuteten Positionen der gesuchten Komplexe als Ma-
Membranen und anderer Strukturen konfrontiert. Auf- xima abbildet. Zusätzlich wird häufig eine zweite Mat-
grund der hohen Dichte in lebenden Zellen (etwa 100– rix, welche die jeweils beste gefundene Orientierung für
400  mg  ml–1 Protein), ist eine optische bzw. manuelle jedes einzelne Voxel abspeichert, erstellt (sog. Orienta-
Zuordnung von Bilddaten zu zusammengehörigen tion Map).
Strukturen nahezu unmöglich. Deswegen grenzt man Ausgehen von den gefundenen Maxima – diese ent-
interessante Details, z.  B.  Membranen, die Filamente sprechen ja einer hohen Korrelation zwischen Referenz
des Cytoskeletts, makromolekulare Komplexe wie Ri- und Tomogramm an einer bestimmten Position  – wer-
bosomen und andere Strukturen, gegeneinander ab. den sog. Subtomogramme, d. h. ein definiertes digitales
Diese Segmentierung erlaubt es dann, die annotierten Volumen um das identifizierte Partikel, aus den rekonst-
Strukturen einer 3D-Oberflächendarstellungen farblich ruierten 3D-Daten extrahiert und dann im Folgenden
hervorzuheben. mit den gefundenen Orientierungen als Startreferenz ge-
Die einfachste Art der Segmentierung ist, einen mittelt und klassifiziert. Zusätzlich zu den auf Kreuz-
Grauwert als Grenze für eine Oberflächendarstellung zu korrelation beruhenden Verfahren zum Template Mat-
definieren und alle unterschwelligen Datenanteile aus- ching werden derzeit weitere Ansätze basierend auf
zublenden. Diese Methode um miteinander verbundene maschinellem Lernen und Computer Vision für die
Bildpunkte (Voxel) als zusammenhängend zu erkennen Identifizierung von Proteinkomplexen in Kryotomo-
stößt mit zunehmender Komplexität des Datensatzes je- grammen untersucht.
doch schnell an seine Grenzen. Für Filamente und Sind erst mal hinreichend saubere Positionen gefun-
Membranstrukturen existieren automatisierte Verfah- den und Subtomogramme extrahiert, werden diese wie
ren, die diese auch in verrauschten Kryotomogrammen im zweidimensionalen Fall auch auf ein gemeinsames
erkennen und annotieren können. Häufig muss diese Koordinatensystem, eine gleichartige Orientierung also,
automatische Segmentierung danach jedoch manuell ausgerichtet. Für die Ausrichtung der Subtomogramme
verbessert werden. Sollen makromolekulare Komplexe werden verschiedene Rotationen und Verschiebungen in
wie etwa Ribosomen im dichten Cytoplasma einer Selle Bezug auf eine Referenz iterativ abgetastet und die
gegeneinander abgegrenzt oder sogar anhand ihrer Kreuzkorrelation mit der Referenz maximiert. Da der
598 P. Erdmann et al.

..      Abb. 23.27  Template Matching und Subtomogramm-Aver- big vielen Strukturen durchsucht werden. Sind erst einmal
aging. Basierend auf einer Kreuzkorrelationsmatrix werden Sub- Positionen sowie Strukturen bekannt, können diese dreidimensio-
volumina, sog. Subtomogramme, aus der Gesamtrekonstruktion nal an ihrer jeweiligen Stelle im ursprünglichen Tomogramm dar-
extrahiert. Nach Alignierung, Klassifizierung und Verfeinern er- gestellt werden. Ein Video, welches die iterative Alignierung, sowie
gibt sich einer Durchschnittsstruktur mit besserem Sig- die finale dreidimensionale Rekonstruktion zeigt, ist hier hinter-
nal-Rausch-Verhältnis. Hierbei kann ein Tomogramm nach belie- legt: 7 Video 23.27 (7 https://doi.org/10.1007/000-1fq)
   

missing wedge in jedem Subtomogramm vorhanden ist, Referenz per se verwendet wird, sondern dass keine ex-
wird die Kreuzkorrelation im Fourier-Raum aber nur terne Referenz benötigt wird. Dies kann dazu beitragen,
für die Komponenten berechnet, die experimentell auch den Reference Bias zu verringern bzw. zu vermeiden.
abgetastet wurden (beschränkte Kreuzkorrelation). Die Um die Heterogenität des untersuchten Datensatzes
Subtomogramme werden schließlich anhand der ermit- zu verringern können die Subtomogramme zudem drei-
telten Rotationen und Translationen ausgerichtet und dimensional klassifiziert werden. Wie bei der Einzelpar-
gemittelt. Die resultierende Struktur geht dann als Refe- tikelanalyse kommen hierbei sowohl Methoden, die auf
renz in die nächste Berechnungsrunde ein, wobei der Kreuzkorrelation als auch auf Maximum-­ Likelihood
Prozess iterativ wiederholt wird, bis Rotationen und beruhen, zum Einsatz.
Translationen konvergieren und sich keine Veränderung Auch wenn das oben beschriebene Verfahren zur
der Struktur mehr ergibt. Um das Risiko einer Überan- Identifizierung von möglichen Proteinpositionen sehr
passung (Overfitting) während der Ausrichtung zu ver- zuverlässig ist, ergeben sich in bestimmten Fällen
ringern, kann ein adaptiver Bandpassfilter auf die Refe- hohe Kreuzkorrelationswerte für andere Strukturen,
renz angewendet werden, der auf der vorangegangenen die nicht unbedingt mit dem gesuchten Makromole-
Iteration ermittelten Auflösung basiert. külkomplex übereinstimmen (Falsch-Positive). Dies
Während die Translationssuche i.  A. im Fourier-­ wird insbesondere durch das inhärent niedrige Signal-
Raum durchgeführt wird, kann die Rotationssuche Rausch-­ Verhältnis im Tomogramm beeinflusst. Zur
entweder im Realraum oder im Fourier-Raum unter Unterscheidung zwischen echten und falschen Maxima
Verwendung von Kugelflächenfunktionen (spherical der Kreuzkorrelationsfunktion stehen verschiedene Me-
harmonics) durchgeführt werden. Letzteres wird als Fast thoden zur Verfügung. Der einfachste Ansatz ist jedoch
Rotation Matching (FRM) bezeichnet, da diese Suche nach wie vor die manuelle Überprüfung der maschinell
wesentlich schneller ist als ihr Realraumpendant und die gefundenen Positionen. Eleganter und auch schnel-
Möglichkeit bietet, Rotationen global abzutasten. Sie ler als die visuelle Kontrolle ist die kreuzkorrelations-
ermöglicht ferner eine referenzfreie Ausrichtung, bei der basierte Mustererkennung mit einer gespiegelten oder
die Subtomogramme zunächst z.  B. auf eine struktur- sogar randomisierten Referenzstruktur (Rauschen).
lose Kugel und nicht auf eine Referenzstruktur ausge- Wichtig ist, dass die Kreuzkorrelationskoeffizienten für
23 richtet werden. Referenzfrei bedeutet nicht, dass keine die falsch-positiven Maxima recht ähnlich sind, egal
Elektronenmikroskopie
599 23
welche der enantiomeren Referenzen zur Suche verwen- Obwohl die Untersuchung von Einzelmolekülen sicher-
det wurde. Für die echte Template-Struktur hingegen lich ein wenig weiter fortgeschritten ist als die Tomo-
ist ein deutlich höherer Korrelationskoeffizient zu er- graphie, können beide Methoden ausgehend von aufge-
warten. Verwendet man randomisierte Referenzen, die reinigtem Material mit ähnlichem Aufwand gleichartig
essenziell nur aus Rauschen bestehen, dann können die hochaufgelöste Strukturen liefern. Das wahre Potenzial
echten Kreuzkorrelationswerte mit dem des Rauschens der Kryo-Elektronentomographie liegt jedoch woan-
verglichen und so die falsch-positiven Positionen aus- ders: Während die Reduzierung der Komplexität in der
geschlossen werden. Um einen externen Template Bias Vergangenheit vielleicht ein notwendiger Schritt war, um
(7 Abschn.  23.5) zu vermeiden kann das tomogra-
  hochauflösende Daten von makromolekularen Komple-
phische Gesamtvolumen auch mittels De-novo-Temp- xen zu erhalten, ermöglichen jüngste Verbesserungen in
late-Matching durchsucht werden. Dabei werden iden- der Datenverarbeitung, der Probenpräparation und der
tische Strukturen innerhalb eines Tomogramms manuell Hardware nun Kryo-­ Elektronentomographiestudien,
ausgewählt, ausgerichtet und gemittelt, um eine erste die Einzelheiten intrazellulärer Prozesse in einem höhe-
Durchschnittsstruktur zu erhalten, die dann als Schab- ren Detailgrad aufzeigen als jemals zuvor. Fortschritt-
lone für das eigentliche Template Matching dient. liche Probenpräparationstechniken wie das Fräsen
mit dem fokussiertem Ionenstrahl (FIB) machen eine
Aufreinigung und Fraktionierung zellulärer Kompo-
23.8  Perspektiven nenten überflüssig. Auf diese Weise können nun ganze
Netzwerke verschiedener molekularer Akteure in ihrer
Wie aus den vorangegangenen Abschnitten ersichtlich, nativen Umgebung in hoher Auflösung detektiert und
teilen sich die Kryo-Einzelpartikelanalyse und Tomo- quantitativ modelliert werden (. Abb.  23.28). Einer

graphie viele instrumentelle sowie rechnerische Ansätze. Volkszählung nicht unähnlich, ist man nun in der Lage,

A D

B C E

..      Abb. 23.28  Visual Proteomics. A Ein Tomogramm aus Chlamy- Fall wurde das Tomogramm nach dem 26S-Proteasom (pink),
domonas reinhardtii zeigt verschiedene zelluläre Strukturen, unter CDC48 (gelb) und Ribosomen (hell- und dunkelblau) abgesucht.
diesen etwa den Golgi-Apparat (Golgi) und das endoplasmatische Zudem wurden die in der Zelle vorhandenen Membranen semi-auto-
Retikulum (ER). Untersucht man einen kleineren Teilausschnitt matisch segmentiert (Grauschattierungen). E Zusätzlich zu den Posi-
(gelber Kasten), so werden weitere Details sichtbar. B, C Bei genau- tionen lassen sich die einzelnen Molekülkomplexe mitteln und ihre
erer Betrachtung zeigen sich stäbchen- (pinke Pfeilköpfe) und schei- Durchschnittsstrukturen darstellen. Auf diese Weise konnte neben
benförmige Strukturen (gelbe Pfeilköpfe). Diese können schon visu- den Strukturen des 26S-Proteasoms (pink) und CDC48 (gelb) so-
ell dem 26S-Proteasom und CDC48, einer AAA-ATPase, zugeordnet wohl frei schwimmende als auch an das ER gebundene Ribosomen
werden. Das manuelle Durchsuchen eines gesamten Tomogramms (hell bzw. dunkelblau) dreidimensional gemittelt werden. Ausgehen
nach diesen Strukturen ist aber viel zu arbeitsintensiv und zu unge- von nur diesen vier Spezies ergibt sich damit ein Bild der Zelle, die –
nau. D Das Volumen aus A kann daher mittels Template Matching anders als oft dargestellt –, dicht gepackt mit Protein und nicht nur
nach verschiedensten Schablonen durchsucht und diese dann an ih- eine membranumhüllte Wasserblase ist. (Abbildung mit freundlicher
rer jeweiligen Position dreidimensional dargestellt werden. In diesem Genehmigung von Dr. Benjamin Engel, Martinsried)
600 P. Erdmann et al.

sowohl die Zahl als auch die Position verschiedenster so stark vereinfachte Krankheitsmodelle ersetzen. Somit
zellulärer Komponenten zu bestimmen und darzustel- sollte es möglich werden, auch seltene Krankheiten visu-
len. Dieser „molekulare Zensus“ sozusagen ist vergleich- ell auf molekularer Ebene zu untersuchen und so einen
bar in seiner Aussagekraft mit der eines aus der Mas- signifikanten Beitrag zu ihrer Behandlung zu leisten.
senspektrometrie gewonnenen Proteoms. Aus diesem
Grund wird die Kombination aus Template Matching
und Subtomogramm-­Averaging zellulärer Komponen- Literatur und Weiterführende Literatur
ten gerne als Visual Proteomics bezeichnet.
Diese „Biopsie auf der Nanoskala“ birgt immenses Frank J (2006a) Electron tomography. Methods for three-­
dimensional visualization of structures in the cell, 2. Aufl. Sprin-
Potenzial sowohl für die Grundlagenforschung als auch ger, Berlin
die medizinische Diagnostik. So können heute bereits Frank J (2006b) Three-dimensional electron microscopy of macro-
hochdruckgefrorene Proben multizellulärer Organismen molecular assemblies: Visualization of biological molecules in
mit denselben Methoden untersucht werden, wo bis vor their native state. Oxford University Press, Oxford
Kurzem nur Proben aus Zellkultur und eukaryotische Hawkes PW, Spence JCH (2019) Handbook of microscopy. Springer
Nature, Switzerland
Zellen kleiner als 10 μm verwendet werden konnten, um Williams DB, Carter CB (2009) Transmission electron microscopy. A
eine vollständige Vitrifizierung zu gewährleisten. Kleine textbook for materials science. Parts 1 to 4, 2. Aufl. Springer,
Proben, die etwa Patienten entnommen wurden, könn- New York
ten bald der Forschung zugänglich gemacht werden und

23
601 24

Rasterkraftmikroskopie
Nico Strohmeyer und Daniel J. Müller

Inhaltsverzeichnis

24.1 Funktionsprinzip des Rasterkraftmikroskops – 602

24.2 Wechselwirkung zwischen Spitze und Objekt – 604

24.3 Präparationsverfahren – 605

24.4 Abbilden biologischer Makromoleküle – 605

24.5 Kraftspektroskopie einzelner Moleküle – 606


24.6 Multifunktionelles Abbilden von Oberflächen – 607

24.7  etektion des funktionellen Zustands und der


D
Wechselwirkung einzelner Proteine – 607

24.8  nalyse der biomechanischen Eigenschaften


A
lebender Zellen – 608

Literatur und Weiterführende Literatur – 610

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_24
602 N. Strohmeyer und D. J. Müller

55 Rasterkraftmikroskopie wird für die Aufnahme von Spitze des Kraftmikroskops übertragen wird
hochaufgelösten (Subnanometer-Bereich) Topogra- (7 Abschn. 24.2), von der Größenordnung der thermi-

phien von Molekülen und Makromolekülen ange- schen Energie (≈ 3,5 kBT) ist. Im Gegensatz hierzu kön-
wandt. nen Photonen einer Wellenlänge von ≈ 300 nm bereits
55 Rasterkraftmikroskopie ist nicht- (minimal-)invasiv Energien von ≈ 3150 kBT übertragen, die ausreichen
und erlaubt die Analyse von biologischen Makromole- würden, um kovalente Bindungen biologischer Mole-
külen in deren natürlichen, wässrigen Umgebungen. küle zu brechen.
55 Mittels Kraftspektroskopie auf Basis der Rasterkraft- In 7 Abschn. 24.4 wird anhand einiger Beispiele er-

mikroskopie ist es, möglich intra- und intermolekulareläutert, dass das AFM nicht nur die Substrukturen bio-
Wechselwirkungen zu detektieren, welche auf biologi- logischer Zellen, sondern auch die einzelner Proteine,
sche Makromoleküle wirken. Nucleinsäuren oder Zucker unter nativen Bedingungen
55 Kraftspektroskopie ermöglicht es, Bindungsstärken abbilden kann. Die Aufnahme schneller Bildsequenzen
zwischen Makromolekülen zu quantifizieren, auch in gestattet es, die molekulare Maschinerie der Zelle bei
lebenden Zellen. der Ausübung ihrer Arbeit direkt zu beobachten. Darü-
ber hinaus ermöglicht die Funktionalisierung der Sonde
1986 wurde das Rasterkraftmikroskop (engl. atomic die Detektion und Charakterisierung verschiedenster
force microscope, AFM), ein einfaches, aber revolutio- biologischer Wechselwirkungen. Hierzu zählen z. B. Ad-
näres Gerät zur Abbildung von Oberflächen, vorgestellt. häsionskräfte zwischen Zellen, Wechselwirkungskräfte
Revolutionär, weil es möglich wurde, einzelne Objekte zwischen einzelnen Rezeptor-­Ligand-­Komplexen oder
mit einer Auflösung bis hin zu wenigen Ångström abzu- chemischen Gruppen, oder auch das Beobachten der
bilden, die Objekte mit der gleichen Präzision zu mani- Faltungs- und Entfaltungsprozesse einzelner Proteine
pulieren und gleichzeitig deren physikalische, chemische (7 Abschn. 24.7). Zusätzlich gewinnt das AFM wach-

und biologische Eigenschaften zu quantifizieren. Das sende Bedeutung als analytisches Werkzeug, um mecha-
Rasterkraftmikroskop gehört zur Familie der Raster- nische (z. B. mechanische Elastizität oder Stabilität) und
sondenmikroskope (scanning probe microscopes, SPM), chemische (z. B. unspezifische und spezifische Wechsel-
welche Oberflächen mit spitzen Sonden abtasten. Dabei wirkungen) Eigenschaften einzelner Polymere, biologi-
ist jedes Mitglied der Familie auf bestimmte Wechsel- scher Makromoleküle oder Zellen zu bestimmen. Aus
wirkungen der Sonde mit dem Objekt spezialisiert. diesen Beispielen wird deutlich, dass das AFM, dank
Dazu zählen optische Signale beim Rasternahfeldmik- seiner Fähigkeit, eine Vielzahl unterschiedlicher biophy-
roskop (scanning near-field microscope, SNOM), Tunnel-­ sikalischer und -chemischer Eigenschaften mit hoher
Ströme beim Rastertunnelmikroskop (scanning tunne- Ortsauflösung zu erfassen, nicht mehr aus der heutigen
ling microscope, STM), Ionenströme (scanning ion bioanalytischen Forschung wegzudenken ist. Und das,
conductance microscope, SICM) oder magnetische obwohl die Potenziale der Rastersondenmikroskopie in
Wechselwirkungen beim Magnetkraftmikroskop (ma- der bioanalytischen Anwendung bei Weitem noch nicht
gnetic force microscope, MFM). Mittlerweile sind über ausgeschöpft sind.
vierzig verschiedene Messanwendungen für die Raster-
sondenmikroskopie anorganischer und organischer Pro-
ben entwickelt worden.
Wie in 7 Abschn.  24.1 näher erläutert, detektiert 24.1  Funktionsprinzip des

das AFM Wechselwirkungskräfte zwischen einer ato- Rasterkraftmikroskops


mar bzw. molekular scharfen Messspitze und einem be-
liebigen Objekt. Eine Stärke des AFM für die Untersu- Das Herzstück des Rasterkraftmikroskops ist eine
chung biologischer Proben stellt die Möglichkeit dar, scharfe Messspitze aus Silicium oder Siliciumnitrid
diese in wässrigen Lösungen mit physiologischem pH- (Si3N4), die während einer Rasterbewegung (engl. scan-
Wert, Ionenkompositionen, Ionenkonzentrationen und ning) Wechselwirkungskräfte für jeden Punkt einer bio-
Temperaturen abzubilden. Das Signal-zu-Rausch-Ver- logischen Oberfläche detektiert (. Abb.  24.1). Diese

hältnis des AFM übertrifft dabei das der bekannten Wechselwirkungskräfte liegen typischerweise in der
Licht- und Elektronenmikroskope. Durch das Verständ- Größenordnung von 0,01–1 nN und setzen sich aus re-
nis der molekularen Wechselwirkungen zwischen Spitze pulsiven und attraktiven Beiträgen unterschiedlicher
und Probe (7 Abschn. 24.2) und eine geeignete Proben- Reichweiten zusammen (. Tab. 24.1). Um Kräfte dieser
   

präparation (7 Abschn.  24.3) lassen sich einzelne bio- Größenordnung zu messen, ist die AFM-Messspitze am

logische Makromoleküle mit Subnanometer-Auflösung Ende einer mikroskopischen Blattfeder (engl. cantilever)
abbilden, ohne dass sie dabei beschädigt oder in ihrer mit niedriger Federkonstante (k ≈ 0,1 Nm−1) befestigt
Funktion beeinträchtigt werden. Dies ist möglich, da die (. Abb.  24.1). Wirkt eine Kraft zwischen Spitze und

Energie, welche beim Abtasten der Oberfläche von der Oberfläche, so lenkt diese die Blattfeder aus. Die Ver-
24
Rasterkraftmikroskopie
603 24
viergeteilter
Photodetektor Laser-Diode

Probe auf Substrat Blattfeder mit


Messspitze

Z
piezoelektrisches
X Element

..      Abb. 24.1  Schematische Darstellung des Rasterkraftmikros- mithilfe eines Laserstrahles und eines Photodetektors gemessen. Die
kops. Die relative Position der Messspitze zur immobilisierten Probe Spannungsdifferenz zwischen den oberen und unteren Segmenten
wird mit einem dreiachsigen piezoelektrischen Element reguliert. des Photodetektors (V = (A+B) − (C+D)) ist dabei ein direktes Maß
Während einer Rasterbewegung wird die Verbiegung der Blattfeder für die Verbiegung der Feder

mode) ist die Spitze in ständigem Kontakt mit der Ob-


..      Tab. 24.1  Kräfte zwischen AFM-Spitze und Objekt jektoberfläche. Dabei wird die Verbiegung der Blattfe-
Kraft Kraftrichtung Reichweite
der während des Abtastens durch Verändern der Hö-
henposition konstant gehalten. Kräfte kleiner als 0,1 nN
Kraft bei Kontakt der abstoßend extrem kurz stellen sicher, dass die Oberflächenstruktur des biologi-
Elektronenhüllen (≤0,1 nm) schen Objekts nicht deformiert wird (7 Abschn. 24.2).

Van-der-Waals-­ anziehend sehr kurz Aus der für eine konstante Kontaktkraft notwendigen
Wechselwirkungen (wenige nm) Regelung der Höhenposition wird die Oberflächen-
elektrostatische anziehend/ kurz (nm bis struktur des Objekts Punkt für Punkt wiedergegeben,
Wechselwirkungen abstoßend μm) und es entsteht die Topographie (. Abb. 24.2A).

Kapillarkräfte (Sonde im anziehend weit (μm bis


Während des Rasterns im Kontaktmodus treten La-
Wasser) mm) teralkräfte auf, welche ein weiches biologisches Objekt
trotz niedriger Kontaktkraft verformen bzw. verschie-
ben können (. Abb. 24.2C). Solche lateralen Wechsel-

biegung der Blattfeder wird durch einen von der Blatt- wirkungen sind in der Regel nicht erwünscht, da da-
feder auf einen ortsempfindlichen Photodetektor reflek- durch die Topographie der Probe verfälscht wird. Um
tierten Laserstrahl (. Abb.  24.1) detektiert. Die
  die Beeinträchtigung des Objekts durch das Abtasten
Verschiebung des Lasers auf dem Photodetektor verhält der Spitze zu reduzieren, wurden alternative Verfahren
sich in erster Näherung linear zur Verbiegung der Blatt- entwickelt, wie z. B. der Oszillation Mode. Im Oszillation
feder. Mittels des Hooke‘schen Gesetzes (F = −k × dx) Mode wird die Blattfeder zu sinusförmigen Schwingun-
kann die Verbiegung der Blattfeder in die wirkende gen nahe ihrer natürlichen Resonanzfrequenz angeregt,
Kraft umgerechnet werden. Die Spitze wird durch pie- wobei die Spitze das biologische Objekt nur am unteren
zoelektrische Elemente in einer rasterförmigen Bewe- Ende jeder Schwingung berührt (. Abb.  24.2B). Da-

gung über das Objekt geführt und für jeden Punkt der durch können Kontaktzeit und laterale Wechselwirkun-
Objektoberfläche die Wechselwirkungskraft bestimmt. gen minimiert werden. Die Topographie wird aus der
Während der Rasterbewegung kann außerdem die Dis- Regelung der Höhenposition erhalten, welche erforder-
tanz zwischen Spitze und Objekt durch piezoelektrische lich ist, um die Amplitude der Schwingung konstant zu
Elemente auf Subnanometer genau reguliert werden. halten. Aus diesem Grund sind dynamische Abbildungs-
Bisher wurden eine Anzahl unterschiedlicher Abbil- verfahren besonders für korrugierte, schwach immobili-
dungsverfahren für die Rasterkraftmikroskopie entwi- sierte biologische Objekte (z.  B.  Zellen oder fibrillare
ckelt. Im Kontaktmodus (engl. constant force contact Strukturen) geeignet.
604 N. Strohmeyer und D. J. Müller

B C D

..      Abb. 24.2  Abbildungsverfahren der Rasterkraftmikroskopie. A seitliche Wechselwirkungen können vermieden werden. Die Feed-
Im Kontaktmodus ist die Spitze in ständigem Kontakt mit der bio- backschlaufe wird in dynamischen Abbildungsverfahren dazu ver-
logischen Probe und folgt daher bei Hindernissen der Oberflächen- wendet, die Amplitude der Oszillation konstant zu halten. C Die
struktur der Probe, was zu Verbiegungen der Blattfeder führt. Des- seitliche Abtastrichtung der AFM-Spitze kann das biologische Ob-
halb wird mithilfe einer Feedbackschlaufe die Kontaktkraft jekt verformen. Dies kann durch die präzise Einstellung der Kon-
(Verbiegung der Feder) durch Verändern der vertikalen Position der taktkraft, der Rastergeschwindigkeit und der Rückkopplungspara-
Probe konstant gehalten. Aus dem Korrektursignal kann dann auf meter verhindert werden. D Zur Elastizitätsbestimmung wird die
die Topographie der Probenoberfläche geschlossen werden. B In dy- Spitze gegen ein weiches Objekt (z. B. Zelle) bewegt. Durch das Ver-
namischen Abbildungsverfahren oszilliert die Blattfeder nahe ihrer hältnis von gefahrener Distanz und der tatsächlichen Federverbie-
natürlichen Resonanzfrequenz mit einer Amplitude von wenigen gung lässt sich die Elastizität der des Objektes berechnen
Nanometern. Somit wird das Objekt nur kurzzeitig berührt, und

A
24.2  Wechselwirkung zwischen
Spitze und Objekt
Das AFM kann, wie auch andere Varianten der Raster-
sondenmikroskopie, Strukturen bis zur atomaren Auf-
lösung abbilden. Dabei hängt die erreichbare Auflösung
entscheidend von der Schärfe der Spitze und den Ober-
flächeneigenschaften des Objektes ab. Durch ihren end-
B
lichen Radius kann die Spitze nicht beliebig scharfen
Kanten der Oberfläche folgen. Wie in . Abb.  24.3A  

dargestellt, kann die Spitze die seitlichen Dimensionen


eines Objektes verbreitern. Im Gegensatz dazu können
strukturelle Periodizitäten selbst mit weniger scharfen
Spitzen korrekt wiedergegeben werden (. Abb. 24.3B).

In all diesen Fällen stellt die abgebildete Topographie


eine nichtlineare Überlagerung des untersuchten Objek- ..      Abb. 24.3  Überlagerungseffekte zwischen Spitze und Probe kön-
tes mit der Spitze dar. Wie stark diese Überlagerung nen die AFM-Topographie verfälschen. A Die Spitze kann ­aufgrund
ihres endlichen Durchmessers sehr scharfen Kanten nicht folgen.
ausgeprägt ist, hängt von der Korrugation (Welligkeit
Daher stellt die erhaltene Topographie (rote Linie) eine Überlage-
der Oberfläche) des Objektes und der Dimension der rung zwischen Spitze und Probenoberfläche dar. B In vielen Fällen
Spitze ab. kann die Periodizität von Strukturen unabhängig vom Spitzendurch-
Häufig sind biologische Objekte wesentlich weicher messer korrekt aufgelöst werden
als die AFM-Spitze und ähneln in ihrer strukturellen
Stabilität eher einem mit Wasser gefüllten Schwamm. und Oberfläche zu verstehen. Nur auf diese Weise kön-
Befinden sich beispielsweise die Kontaktkräfte der Spitze nen vertikale wie auch laterale Abbildungskräfte mini-
oberhalb eines Nanonewtons, so können Proteine bis miert werden. So gehören die Auswahl passender Abbil-
hin zur Denaturierung deformiert werden. Um biologi- dungsverfahren und Blattfedern sowie die Optimierung
sche Objekte mit hoher Auflösung abbilden zu können, geeigneter Abbildungsparameter (z. B. Rastergeschwin-
ist es deshalb von zentraler Bedeutung, die unterschied- digkeit, Rückkopplungsschleifen, Bildgröße) zu den ex-
lichen Wechselwirkungsmechanismen zwischen Spitze perimentellen Voraussetzungen. Die Ionenkonzentra-
24
Rasterkraftmikroskopie
605 24
tion des Puffers spielt eine entscheidende Rolle, denn sie erreicht. Dabei führt die Erhöhung der Ionenkonzentra-
ist so zu wählen, dass eine repulsive (ca. 0,05 nN) und tion zu einer attraktiven Wechselwirkung zwischen bei-
langreichweitige (mehrere Nanometer) Wechselwirkung den Oberflächen, welche in den meisten Fällen bereits
zwischen Spitze und Objekt entsteht. Liegt die Kon- ausreicht, Biomoleküle zu immobilisieren. Hierzu wird
taktkraft nun ein wenig höher, so wirkt nur ein Bruch- die Pufferlösung, welche die biologischen Makromole-
teil lokal auf die Proteinstrukturen und eine mögliche küle enthält, auf die frisch präparierte Glimmeroberflä-
Deformation ist in den meisten Fällen verhindert. Au- che aufgebracht. In der chemischen Kopplung wird die
ßerdem führt die höhere Bruttokraft dazu, dass Spitze Oberfläche des Objektträgers zuerst mit chemischen
und Objekt ein gekoppeltes System bilden, wodurch das Gruppen funktionalisiert, z.  B.  Glas mit Silanen oder
thermische Rauschen der Blattfeder unterdrückt wird Gold mit Thioalkanen, bevor in einem weiteren Schritt
(7 Abschn. 24.4). Durch diese Maßnahme erhöht sich
  die Biomoleküle mit den reaktiven Gruppen der Ober-
das Signal-zu-Rausch-­ Verhältnis der AFM-Topogra- fläche in Kontakt gebracht werden.
phie. Zur Erhaltung ihrer Struktur- und Funktionsbezie-
hung benötigen die meisten biologischen Makromole-
küle eine wässrige Umgebung. Unabhängig von der Tat-
24.3  Präparationsverfahren sache, dass Trocknungsartefakte durch bestimmte
Vakuumsublimationen vermieden werden können, soll-
Da das Rasterkraftmikroskop molekulare Wechselwir- ten biologische Proben, wann immer möglich, in wäss-
kungskräfte detektiert, ist es nicht notwendig, biologi- rigen Lösungen präpariert und abgebildet werden, um
sche Makromoleküle oder Zellen zu beschichten oder zu ihre native funktionelle Struktur und Dynamik beizu-
markieren, um diese abbilden zu können. Der wesentli- behalten.
che und oft einzige Schritt der Probenvorbereitung be-
steht daher lediglich darin, sie auf einem Probenträger
zu immobilisieren. Dies ist eine zwingende Vorausset- 24.4  Abbilden biologischer Makromoleküle
zung für das Abbilden mit hoher Auflösung, da nur in
diesem Fall die genaue Position der Spitze relativ zum Mithilfe des Rasterkraftmikroskopes können Oberflä-
Objekt bekannt ist. Die im Folgenden vorgestellten Prä- chenstrukturen und dynamische Prozesse einer Band-
parationsverfahren stellen also eine Gratwanderung breite verschiedener biologischer Proben unter nativen
dar: Einerseits muss der Notwendigkeit, das Objekt fest Bedingungen beobachtet werden. Dazu gehören ein-
zu verankern, Rechnung getragen werden, andererseits zelne Makromoleküle (z. B. Proteine, DNA, RNA oder
muss die Wechselwirkung zwischen biologischem Ob- Zucker), supramolekulare Komplexe (z. B. Metaphase-­
jekt und Objektträger minimiert werden, um beispiels- Chromosomen oder Vesikel) genauso wie Bakterien oder
weise das Abbilden einer ungestörten, nativen Konfor- Zellverbände und Gewebe höherer Organismen. Gegen-
mation von Proteinen zu gewährleisten. wärtig wird die höchste Auflösung an isolierten Makro-
Verschiedene Probenträger aus der Licht- oder Elek- molekülen erreicht. So zeigen hochauflösende Topogra-
tronenmikroskopie finden auch in der Rasterkraftmik- phien von einzelnen Membranproteinen in der nativen
roskopie Verwendung, wie z. B. Glas, Glimmer (Musko- Umgebung deren natürliche Konformationen und Sub-
vit, Mica), Graphit oder metallisierte (z.  B. strukturen, wie beispielsweise Kanalöffnungen oder ein-
goldbeschichtete) Oberflächen. Jeder dieser Objektträ- zelne Polypeptidschlaufen und -enden. . Abb. 24.4A–C

ger besitzt einzigartige chemische und physikalische zeigt die cytoplasmatische Oberfläche der Purpurmem-
Oberflächeneigenschaften (z.  B.  Oberflächenladung bran des Archaebakteriums Halobacterium salinarium.
oder -rauigkeit), die den optimalen Verwendungszweck Die AFM-Topographie der nativen Purpurmembran
vorbestimmen. So eignet sich Glimmer, der durch eine zeigt die natürliche kristalline Anordnung der Bakte-
aus Schichten bestehende Kristallstruktur charakteri- riorhodopsin-Transmembranproteine. Einzelne Bakte-
siert ist, besonders für die Immobilisierung von Protei- riorhodopsine ordnen sich zu Trimeren an, welche ein
nen oder Nucleinsäuren. Ein weiterer Vorteil von Glim- zweidimensionales, hexagonales Gitter formen. In der
mer ist, dass er atomar flach, chemisch relativ inert und AFM-Topographie wird ersichtlich, dass die Oberflä-
negativ geladen ist. chenstrukturen (Polypeptidenden und -schlaufen) der
Die am häufigsten angewandten Immobilisierungs- einzelnen Bakteriorhodopsine variieren können. Um
strategien basieren entweder auf physikalischen Wech- eine strukturelle Aussage treffen zu können, die re-
selwirkungen zwischen dem biologischen Objekt und präsentativ für alle abgebildeten Bakteriorhodopsine
einer chemisch inerten Oberfläche, oder auf der kova- ist, wird die gemittelte Bakteriorhodopsin-Struktur
lenten Bindung des Objekts an einen reaktiven Proben- sowie deren Standardabweichung berechnet. Außer-
träger. Physikalische Adhäsion wird in den meisten Fäl- dem ist es sinnvoll, die gemittelte AFM-Topographie
len durch das Abschirmen abstoßender elektrostatischer mit Strukturinformationen komplementärer struktur-
Wechselwirkungen zwischen Objekt und Objektträger biologischer Methoden zu vergleichen. Dadurch ist es
606 N. Strohmeyer und D. J. Müller

A B C D

10 nm
E

10 nm
10 nm

..      Abb. 24.4 AFM zur Bestimmung der Proteinanordnung sowie die Positionen der sieben transmembranen α-Helices (A–F). D
und -funktion. A In der AFM-Topographie ist ersichtlich, wie sich Gezeigt ist die extrazelluläre Oberfläche der Kommunikationskanäle
einzelne Bakteriorhodopsin-Moleküle in der nativen Purpurmemb- (Gap Junctions) aus Epithelzellen der Rattenleber. Die hexameren
ran des Halobacterium salinarum zu Trimeren anordnen. Die Tri- Proteine zeigen einen offenen zentralen Kanal. Das Mittel und die
mere wiederum ordnen sich zu einem hexagonalen Gitter an. Die Standardabweichung (SA) lassen Einblicke in die Struktur und Fle-
Membran wurde in physiologischer Pufferlösung bei Raumtempera- xibilität zu. Während das Profil des Mittels den Kanaleingang er-
tur abgebildet. B Das Diffraktionsbild der gezeigten Topographie kennen lässt, ordnet die SA-Karte dem zentralen Kanal eine erhöhte
beugt bis zur 11. Ordnung (eingezeichnete Kreise), welches eine late- strukturelle Flexibilität zu. E In Anwesenheit von 0,5 mM Ca2+ (bei
rale Auflösung von 0,49 nm andeutet. C Die gemittelte Topographie neutralem pH-Wert) schließen die Hexamere ihren zentralen Kanal.
des Bakteriorhodopsin-Trimers (oben) und die dazugehörige Stan- Dieser Vorgang wird im gemittelten Hexamer deutlich, und die dazu-
dardabweichung (unten) ermöglichen die strukturelle Korrelation zu gehörige SA-Karte zeigt, dass der Kanaleingang im geschlossenen
Daten, welche mittels Elektronenkristallographie bestimmt wurden. Zustand seine Flexibilität verloren hat. Alle Topographien wurden in
Überlagert wurden der Umriss der Bakteriorhododopsin-­Moleküle physiologischer Pufferlösung bei Raumtemperatur aufgenommen

möglich, die Oberflächendetails den Sekundärstruktu- maximal 50 nm. Dies liegt zum einen an der Flexibilität
ren zuzuordnen. Dies kann beispielsweise durch eine und Dynamik lebender Zellen, zum anderen aber auch
Überlagerung der gemittelten Oberfläche mit der drei- an der erheblichen Rauigkeit der Zelloberfläche. Zusätz-
dimensionalen Struktur eines Proteins durchgeführt lich tritt bei AFM-Messungen an Zellen die Notwendig-
werden (. Abb.  24.4C). In den letzten Jahren wurden
  keit auf, die beobachteten Strukturen identifizieren zu
ultraschnelle AFM entwickelt, welche mehrere hundert können. Aus diesem Grunde wird AFM oftmals mit mo-
Topographien pro Sekunde aufnehmen können und die dernen lichtmikroskopischen Techniken kombiniert.
Echtzeitbeobachtung dynamischer Prozesse unter na- Diese Kombination ermöglicht es, topographische In-
tiven Bedingungen ermöglichen. Kommunikationska- formationen der Zelloberfläche den zellulären Struktu-
näle, sog. Gap Junctions, von Ratten-Leberzellen sind in ren (z. B. Cytoskelett, Vesikel, oder Viren) zuzuordnen.
. Abb. 24.4D, E gezeigt. Die einzelnen Connexine der

Gap Junctions zeigen eine nahezu perfekte hexagonale


Packung. Bereits in der unprozessierten Topographie
kann der zentrale transmembrane Kanal einzelner He- 24.5  Kraftspektroskopie einzelner
xamere deutlich identifiziert werden. Durch die Zugabe Moleküle
von Calcium als Signalmolekül in die Pufferlösung des
AFM kann nun auf direkte Weise das reversible Schlie- Die Fähigkeit des AFM, Kräfte mit einer Sensitivität
ßen der Kanäle beobachtet werden (. Abb.  24.4D).   von wenigen Pikonewton zu detektieren, lässt sich auch
Die gemittelten Oberflächenstrukturen der Kanäle und dazu nutzen, die Stärke biologischer und chemischer
deren Standardabweichungen geben Einsichten in deren Bindungen und das Verhalten einzelner Moleküle unter
strukturelle Variabilität bzw. Flexibilität. mechanischer Belastung zu charakterisieren. Besonders
Im Gegensatz zur rasterkraftmikroskopischen Abbil- reizvolle Messmöglichkeiten eröffnen sich dadurch, dass
dung einzelner Moleküle bewegt sich die Auflösung der Proteine oder niedermolekulare Liganden an der AFM-­
AFM-Topographien auf Zellen oder Zellverbänden bei Spitze fixiert und somit als spezifische Sonden eingesetzt

24
Rasterkraftmikroskopie
607 24
Punkt der Topographie gegen das Objekt gedrückt und
..      Tab. 24.2  Ungefähre Abrisskräfte chemischer und
biologischer Bindungen
wieder entfernt. Die währenddessen aufgenommene
Kraft-Abstands-Kurve der Messspitze ermöglicht es,
Bindungstyp Abrisskraft1 die Topographie des Objektes zu bestimmen und zusätz-
lich verschiedene physikalischen Eigenschaften ortsge-
kovalente Bindung 1–2 nN nau zu analysieren. Zu diesen Eigenschaften gehören
Wechselwirkung zwischen zwei Zellen 500 pN u.  a. die Deformierung, Elastizität und Steifigkeit des
Objekts. Wenn die Messspitze, wie in 7 Abschn.  24.5

Biotin-Avidin-Bindung 200 pN
erklärt, mit einem spezifischen Liganden funktionali-
Antikörper-Antigen-Bindung < 200 pN siert wurde, können Rezeptor-Ligand-Wechselwirkun-
Protein-(Selektin-)Zucker-Bindung 100 pN gen ortsaufgelöst auf der Probenoberfläche charakteri-
siert werden. Allerdings sollten hierzu die Liganden
allgemeine Protein-Protein- oder 10–50 pN
(oder der Rezeptor) über einen dehnbaren Linker an die
Protein-DNA-Wechselwirkung Spitze gekoppelt werden, damit in Kraft-Abstands-Kur-
Wasserstoffbrücke wenige pN ven nichtspezifische von spezifischen Wechselwirkungen
unterschieden werden können. Mittels dieses Verfahrens
1Bei einer ungefähren Ziehgeschwindigkeit (Kraftladungs- können topographische, mechanische und biochemische
rate) von 500 nm s−1 (5 nN s−1) (z. B. die Wechselwirkungen von chemischen Gruppen,
Liganden, Rezeptoren oder Viren) Eigenschaften von
tierischen oder bakteriellen Zellen hochaufgelöst auf die
werden können. So ist es gelungen, spezifische Bindun- Zelloberfläche projiziert werden.
gen zwischen Proteinen und Liganden, zwischen Pro-
teinen und Nucleinsäuren, zwischen Antikörpern und
Antigenen oder zwischen Zellen ortsaufgelöst zu de-
tektieren und deren molekulare Bindungskräfte direkt 24.7  Detektion des funktionellen Zustands
zu bestimmen (. Tab. 24.2). In diesen kraftspektrosko-
  und der Wechselwirkung einzelner
pischen Experimenten misst man die Federauslenkung, Proteine
während die (z.  B. mit Biotin) funktionalisierte Spitze
von der komplementär (z.  B. mit Avidin) funktionali- Die Kraftspektroskopie wird auch eingesetzt, um die
sierten Oberfläche entfernt wird. Als Folge dieser Ver- mechanischen Eigenschaften einzelner Proteine zu ana-
größerung der Distanz zwischen Spitze und Oberfläche lysieren. Werden immobilisierte, lösliche Proteine oder
entsteht eine kontinuierliche Verbiegung der Blattfeder, Membranproteine mit einer genügend hohen Kraft an
wodurch eine Kraft auf die untersuchte Bindung aus- einem ihrer terminalen Enden gezogen, so entfalten sie
geübt wird. Wenn die Rezeptor-Liganden-­Bindung der (. Abb. 24.6A, B). Während lösliche Proteine meistens

ausgeübten Kraft nicht mehr widerstehen kann, löst in einem einzelnen Schritt entfalten, so entfalten sich
sich die Bindung, worauf eine sprunghafte Änderung Membranproteine schrittweise. Dabei entfaltet ein Se-
der Federauslenkung detektiert wird, welche der Ab- kundärstrukturelement nach dem anderen, bis das
risskraft der Bindung entspricht. Die Abrisskraft hängt ganze Protein aus der Membran entfaltet wurde. In die-
oft von der Ziehgeschwindigkeit ab und beträgt in den sem Fall wird für jedes Sekundärstrukturelement eine
meisten Fällen nur wenige zehn bis hundert Pikonewton Entfaltungskraft gemessen. Diese Kraft quantifiziert die
(. Tab.  24.2). Aus der Geschwindigkeitsabhängigkeit

Stabilität einzelner Sekundärstrukturelemente, welche
der Abrisskraft lassen sich Rückschlüsse auf die Ener- sich aus verschiedenen inter- und intramolekularen
gielandschaft der Bindung schließen, wie an einem Bei- Wechselwirkungen bestimmt. Mittels Kraftspektrosko-
spiel in . Abb. 24.5 erläutert wird.

pie kann sogar aufgelöst werden, ob und wo ein Ligand
oder ein Inhibitor an ein einzelnes ­Membranprotein ge-
bunden hat, insofern er die Stabilität des Membranpro-
24.6  Multifunktionelles Abbilden teins verändert (. Abb.  24.6C). Damit ist es möglich,

von Oberflächen zu untersuchen, wie Mutationen, Temperatur, Pufferlö-


sung oder Sekundärmoleküle die Stabilität sowie die
In den letzten Jahren wurden Rasterkraftmikroskope Faltungskinetik und -wege eines Proteins verändern.
entwickelt, welche das Abbilden eines Objektes mit Solche Einsichten sind von besonderer Wichtigkeit, um
kraftspektroskopischen Untersuchungen verbindet die Fehlfaltung von Proteinen, welche die Basis zahlrei-
(. Abb. 24.5B, C). Dabei wird die Messspitze in jedem
  cher Krankheiten bilden (z. B. Alzheimer), zu charakte-
608 N. Strohmeyer und D. J. Müller

Kraft

Freie Energie
A ‡
Liganden k0

∆G‡ Reaktions-
G koordinate

Rezeptoren In (Geschwindigkeit) ∆x

B C

tris-Ni2+-NTA (+) Spitze


5 nm

2 nm
n
60
Spitze-Probe-Interaktion
20 nm
Abbildungskraft
Zurückziehen
Kraft

Annäherung Zeit
0
Kraft-Zeit-Kurve
Adhäsion

His5
dF

dx Steifigkeit
Kraft

Distanz His5
Adhäsion
Deformation His5
Kraft-Abstands-Kurve

..      Abb. 24.5  Kraftmessungen an einzelnen Molekülen. A Das AFM risieren zu können, wird in jedem Pixel einer Oberfläche die Mess-
kann eingesetzt werden, um Wechselwirkungskräfte zwischen Mole- spitze an die Probe herangefahren (Annäherung), bis die Messspitze
külen zu bestimmen. Dabei wird die Spitze z. B. mit Liganden funktio- mit der Probe wechselwirkt und eine voreingestellte Kraft (Abbil-
nalisiert und mit Rezeptoren, welche an einen Probenträger gebunden dungskraft) erreicht wird. Anschließend wird die Messspitze von der
sind, in Kontakt gebracht. Während beide Oberflächen voneinander Probenoberfläche entfernt (Zurückziehen). Dabei wird die Kraft, die
getrennt werden, misst die Blattfeder die molekularen Bindungskräfte. auf die Messspitze wirkt, in Abhängigkeit der Zeit oder des Abstands
Die Abrisskraft zwischen den Molekülen ist geschwindigkeitsabhän- zwischen Spitze und Probe aufgenommen. Die gezeigte Adhäsions-
gig und nimmt mit steigender Trennungsgeschwindigkeit zu. Die Tren- kraft misst eine typische Rezeptor-Ligand-­Wechselwirkung, welche
nung einzelner Moleküle lässt sich mit einer Zwei-Zustands-Energie- durch flexible Linker an Messspitze und Ligand gebunden sind. C Ge-
landschaft beschreiben. Durch das Trennen beider Moleküle wird die zeigt ist die hochaufgelöste Topographie einer nativen Purpurmemb-
Energiebarriere überschritten, welche den gebundenen (G) vom unge- ran mit einer biotechnologisch veränderten Protonenpumpe, Bakte-
bundenen (U) Zustand trennt. Hierbei entspricht ΔG‡ der Aktivie- riorhodopsin. Ein an das Protein fusionierter His5-Tag wurde mit
rungsenergie, um beide Moleküle voneinander zu trennen, k0 der na- einer Ni2+-NTA-funktionalisierten Messspitze detektiert (links un-
türlichen Übergangsrate und Δx der Breite des Potenzials. Aus der ten), und die Wechselwirkungen auf die hochaufgelöste Trimerstruk-
Geschwindigkeitsabhängigkeit der Abrisskraft können k0 und Δx er- tur (rechts oben) projiziert (rechts Mitte) und zur Bakteriorhodopsins-
mittelt werden. B Um Wechselwirkungskräfte ortsaufgelöst charakte- truktur korreliert (rechts unten)

risieren. Anhand solcher Beispiele hat sich die Kraft- biomechanischer Eigenschaften und Rezeptor-Ligand-­
spektroskopie in der Analyse der Funktion und der Interaktionen von lebenden pro- oder eukaryotischen
mechanischen Stabilität einzelner Proteine etabliert. Zellen (. Abb. 24.7). In der Einzelzell-Kraftspektros-

kopie (engl. single-cell force spectroscopy; SCFS) wird


die Funktionalität von Adhäsionsproteinen in deren
24.8  Analyse der biomechanischen natürlicher Umgebung der lebenden Zelle analysiert.
Eigenschaften lebender Zellen Dazu werden Blattfedern ohne Spitze mit unspezifi-
schen adhäsiven Materialien beschichtet und mit einer
Rasterkraftmikroskopische Untersuchungen sind nicht einzelnen Zelle in Kontakt gebracht, um diese daran
auf artifizielle Systeme (z.  B. isolierte Proteine) limi- anhaften zu lassen. Wird dann die blattfedergebundene
tiert, sondern erlauben auch die Charakterisierung Zelle auf ein Substrat gedrückt, können mechanische

24
Rasterkraftmikroskopie
609 24
A Ig27-Domäne

Kraft (in pN)


300
200
100
0

0 50 100 150 200


Abstand Spitze-Probe (in nm)

B C 250

107 aa
125 aa

259 aa
163 aa

202 aa

225 aa

317 aa
328 aa
23 aa
43 aa
60 aa

91 aa
200

Kraft (in pN)


NH2 150

aaCOOH
Na+ Cytoplasma
100
31

25

16
20

91
7

9a

3a

60 aa 50
2a
aa

aa

23
a
a

0
0 20 40 60 80 100 120
Abstand Spitze-Probe (in nm)
250

107 aa
125 aa

259 aa
163 aa

202 aa

225 aa

317 aa
328 aa
23 aa
43 aa
60 aa

91 aa
125 aa 43 aa 200

Kraft (in pN)


328 aa
225 aa 10 150
7a
a
Periplasma 100

I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII 50

transmembrane α-Helices 0
0 20 40 60 80 100 120
Abstand Spitze-Probe (in nm)

..      Abb. 24.6  Detektion funktioneller Strukturelemente und Ligan- (rote Kreise in B). Um diese Wechselwirkungen innerhalb des Memb-
denbindung eines einzelnen Proteins mittels Kraftspektroskopie. A ranproteins zu lokalisieren, werden die Kraftpeaks mittels eines Mo-
Ein Proteinkonstrukt, welches aus mehreren (hier Immunoglobu- dells angenähert (rote Kurven in C). Dadurch kann der Spitzen-Pro-
lin-­27-) Domänen besteht, kann mit dem Rasterkraftmikroskop ge- ben-Abstand in die Anzahl der entfalteten Aminosäuren (abgekürzt
streckt werden. Dabei entfaltet jede Domäne in einem einzelnen mit aa) gewandelt werden. Von der AFM-Spitze aus gemessen lokali-
Schritt, und die Entfaltungskraft kann gemessen werden. Das charak- siert die Länge der entfalteten Aminosäurekette die Wechselwirkung,
teristische Sägezahnmuster in der Kraft-Abstands-Kurve kommt da- welche durch den Kraftpeak quantifiziert wurde. Während die obere
bei durch die sequenzielle Entfaltung der Domänen zustande. B Ge- Kraft-­Abstands-­Kurve ohne Ligand gemessen wurde, wurde die un-
zeigt ist die Sekundärstruktur des Natrium/Proton-­ Antiporters tere Kurve in Anwesenheit des Liganden (hier ein Na+-Ion) bestimmt.
(NhaA) von Escherichia coli. Mit der AFM-Spitze wird das C-termi- Anhand des neu auftretenden Kraftpeaks (hervorgehoben durch die
nale Ende eines einzelnen Antiporters gegriffen und eine mechanische rote, gestrichelte Ellipse) ist deutlich zu erkennen, dass die Liganden-
Zugkraft aufgebaut. Bei genügend hoher Zugkraft (≈ 200 pN) entfal- bindung eine zusätzliche Wechselwirkung aufbaut. Die Kraft quanti-
ten die Sekundärstrukturelemente des Membranproteins schrittweise. fiziert die Stärke dieser Wechselwirkung, während der Abstand des
C Die einzelnen Peaks der Kraft-Abstands-­Kurven quantifizieren die Kraftpeaks die Wechselwirkung auf der Proteinstruktur lokalisiert
Wechselwirkungen, welche Sekundärstrukturelemente stabilisieren (bei 225 aa, gezählt vom C-terminalen Ende)

Eigenschaften der Zelle abgeleitet werden. Dabei kann Substrat die Blattfeder. Durch die stetig steigende
das Substrat entweder ein anorganisches Material Kraft kann die Gesamtadhäsionskraft bestimmt wer-
(z. B. Metalllegierung von Implantaten), eine mit bio- den kann, welche benötigt wird, um die Zelle vom
logischen Makromolekülen (z. B. adhäsiven Proteinen Substrat zu lösen. Für den Fall, dass mehrere Adhäsi-
oder Liganden) funktionalisierte Oberfläche oder eine onsproteine der Zelle mit dem Substrat interagieren, so
andere Zelle sein. Wird die Zelle, welche an der Blatt- können auch Kräfte ausgelesen werden, welche zwi-
feder haftet, anschließend vom Substrat zurückgezo- schen einzelnen Adhäsionsproteinen und Substrat
gen, so verbiegen adhäsive Kräfte zwischen Zelle und wechselwirken.
610 N. Strohmeyer und D. J. Müller

..      Abb. 24.7  Analyse biomechanischer Eigenschaften biologischer schreibt die maximale Verbiegung die Gesamtadhäsionskraft
Zellen mittels Kraftspektroskopie. Eine einzelne pro- oder eukaryo- zwischen Zelle und Substrat. Nachdem die Gesamtadhäsionskraft
tische Zelle wird an eine Blattfeder ohne Spitze geheftet. Danach überwunden wurde, wird die Zelle schrittweise von dem Substrat ab-
wird die Zelle mit einem Substrat in Kontakt gebracht und anschlie- gelöst, und die Abrisskräfte einzelner Adhäsionsrezeptoren von ih-
ßend wieder vom Substrat getrennt. Die während der Trennung ge- ren Liganden können quantifiziert werden
messenen adhäsiven Kräfte verbiegen die Blattfeder. Dabei be-

Literatur und Weiterführende Literatur imaging modalities in molecular and cell biology. Nat Nanotech-
nol 12:295–307
Gerber C, Lang HP (2006) How the doors of the nanoworld were
Alsteens D, Gaub HE, Newton R, Pfreundschuh M, Gerber C, Mül-
opened. Nat Nanotechnol 1:3–5
ler DJ (2017) Atomic force microscopy-based characterization
Müller DJ, Dufrene Y (2008) Atomic force microscopy as a multi-
and design of biointerfaces. Nat Rev Mater 2:17008
functional molecular toolbox in nanobiotechnology. Nat Nano-
Dufrêne YF, Ando T, Garcia R, Alsteens D, Martinez-Martin D,
technol 3:261–269
Engel A, Gerber C, Müller DJ (2017) Atomic force microscopy

24
611 25

Röntgenstrukturanalyse
Dagmar Klostermeier und Markus G. Rudolph

Inhaltsverzeichnis

25.1 Erzeugung und Detektion von Röntgenlicht – 613

25.2 Apparativer Aufbau – 614

25.3 Streuung und Beugung von Röntgenstrahlen – 615


25.3.1  leine Physik der Streuung – 616
K
25.3.2 Kleine Physik der Diffraktion – 616

25.4 Kleinwinkel-Röntgenstreuung (SAXS) – 618


25.4.1  robenvorbereitung und Messung – 618
P
25.4.2 Analyse von SAXS-Daten – 618
25.4.3 Strukturbestimmungen mit SAXS – 620

25.5 Röntgenkristallographie – 622


25.5.1  akromoleküle und ihre Kristallisation – 622
M
25.5.2 Kristalle und ihre Eigenschaften – 626
25.5.3 Datensammlung und -analyse – 629
25.5.4 Das Phasenproblem und seine Lösung – 631
25.5.5 Modellbau und Strukturverfeinerung – 635
25.5.6 Validierung von Strukturmodellen – 637

25.6 Ausblick – 638

Literatur und Weiterführende Literatur – 638

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_25
612 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

55 Die Röntgenstrukturanalyse verwendet Röntgenlicht die Röntgenlicht verwenden. Dazu gehören neben der
25 zum Studium von Form und Struktur biologischer klassischen Kristallographie die Röntgenkleinwinkel-
Moleküle bei hoher Auflösung. streuung SAXS (Small Angle X-ray Scattering), WAXS
55 Hauptvarianten sind die Röntgenkleinwinkelstreuung (Wide-Angle X-ray Scattering), die Röntgenptychogra-
in Lösung und die Röntgenkristallographie an makro- phie (eine Variante der Röntgenmikroskopie), EXAFS-
molekularen Kristallen. (Extended X-ray Absorption Fine Structure) Spektrosko-
55 Die Kristallzüchtung ist ein empirischer Prozess, der pie und XANES- (X-ray Absorption Near Edge
sauberste Proben verlangt und trotz signifikanter Au- Structure) Spektroskopie. Hier werden lediglich Rönt-
tomatisierung sehr langwierig sein kann. Das Ver- genkristallographie und SAXS besprochen. Kristallo-
ständnis von Eigenschaften und Aufbau von Kristallen graphie liefert Auflösungen im einstelligen Ångstrøm-­
ist wichtig zur Bestimmung von Strukturen. Bereich (1 Å = 0,1 nm = 100 pm = 10−10 m) und ist damit
55 Anwendungsbereiche von SAXS und Röntgenkristal- mit NMR und Kryo-EM vergleichbar. Die Auflösungen
lographie in den Lebenswissenschaften umfassen die bei SAXS liegen im Bereich von mehreren Nanometern
Analyse der Konstitution von Komplexen, das Ver- und entsprechen damit denen der konventionellen Elekt-
ständnis molekularer Wechselwirkungen, die Aufklä- ronenmikroskopie und der Rasterkraftmikroskopie
rung enzymatischer Mechanismen, bis hin zur Ent- (7 Kap. 24; . Abb. 25.1). Dabei ist Auflösung definiert
   

wicklung von Medikamenten. als der minimale Abstand zweier Objekte, bei dem sie
55 Aktuelle Entwicklungen an Synchrotronen sowie der noch als getrennt identifiziert werden können.
freie Elektronenlaser ermöglichen neue Anwendungen Die hohe Auflösung in der Röntgenkristallographie
in der Röntgenstrukturanalyse, etwa schnelle zeitauf- wird erkauft durch die Notwendigkeit von Kristallen
gelöste Messungen und die Verknüpfung von Kristal- (7 Abschn.  25.5.1), die u.  U. sehr schwer zu erhalten

lographie mit anderen biophysikalischen Techniken. sind. Im Kristall kann die Beweglichkeit eines Moleküls
eingeschränkt oder seine Struktur im Vergleich zu der in
Röntgenkristallographie ist die meistverwendete Metho- Lösung leicht verändert sein. Deshalb sollten kristallo-
de in der molekularen Strukturbiologie. Bis Anfang 2021 graphische Ergebnisse immer mit biochemischen Daten
wurden über 170.000 dreidimensionale Modelle von bio- verglichen werden. Methoden, die Proben in Lösung
logischen Makromolekülen in der Protein Data Bank (SAXS, NMR) oder auf Oberflächen (Kryo-EM, Kraft-
(PDB; 7 www.­rcsb.­org) deponiert. Etwa 88  % dieser
  mikroskopie) untersuchen, haben zwar oft eine geringe-
Strukturen sind Kristallstrukturen. Magnetische Kern- re Auflösung als Kristallographie, liefern dafür aber In-
resonanzspektroskopie (NMR, 7 Kap.  21) und Kryo-
  formationen über die Flexibilität von Molekülen.
elektronenmikroskopie (Kryo-EM, 7 Kap.  23) tragen
  Wir beginnen dieses Kapitel mit den Gemeinsam-
7 % bzw. 4 % der Strukturen bei. Mit Röntgenkristallo- keiten der Röntgenmethoden, d.  h. der Erzeugung
graphie können Moleküle beliebiger Größe analysiert und Detektion von Röntgenlicht (7 Abschn.  25.1  

werden. Im Gegensatz dazu ist NMR-Spektroskopie auf und  25.2) sowie seiner Wechselwirkung mit Materie
Moleküle <40 kDa beschränkt, und Kryo-EM erfordert (7 Abschn.  25.3). Im Anschluss werden die Besonder-

heutzutage noch molekulare Massen >50 kDa. Röntgen- heiten von SAXS (7 Abschn. 25.4) und Röntgenkristal-

strukturanalyse im weiteren Sinn umfasst alle Methoden, lographie (7 Abschn. 25.5) separat besprochen.

..      Abb. 25.1 Auflösungsberei- Gewebe Zellen Organellen Moleküle Atome


che strukturbiologischer
Methoden. Die höchstauflösen- 10–3 10–4 10–5 10–6 10–7 10–8 10–9 10–10 m
den sind rot gekennzeichnet Auflösung
Lichtmikroskopie

REM

Cryo-EM

NMR

Kristallographie

SAS

FEL
Röntgenstrukturanalyse
613 25
25.1  Erzeugung und Detektion A E
von Röntgenlicht L

Es gibt zwei generelle Prinzipien, Röntgenlicht herzu-


stellen: durch Herausschlagen von Elektronen aus Kα Kβ
Atomhüllen und durch das Ausnutzen relativistischer
Effekte. Beide werden kurz skizziert.
Im Labor werden Röntgenstrahlen (engl. X-rays) K
nach demselben physikalischen Prinzip hergestellt, wie
es von Wilhelm Konrad Röntgen 1895  in Würzburg
entdeckt wurde: Aus einem glühenden Metalldraht in Kα
B I
einer evakuierten Röhre dampfen Elektronen aus, his-
torisch Kathodenstrahlen genannt, die von Magnet- Röntgen-
feldern auf eine Anode hin beschleunigt werden Kβ
linien
(. Abb.  25.2). Die Anode ist ein dünner Metallfilm,

meist Kupfer, aber auch Silber, Wolfram und Molyb- Brems-


strahlung
dän finden Verwendung. Die beschleunigten Elektro-
nen schlagen andere Elektronen aus der innersten
Schale, der K-Schale, des Anodenmaterials heraus. Sie
λ
hinterlassen ein positiv geladenes „Loch“, das durch
weiter außen in der L-Schale liegende Elektronen „auf-
..      Abb. 25.2  Erzeugung von Röntgenlicht durch Kathodenstrah-
gefüllt“ wird. Die Energie dieses Überganges wird in len. A Energieübergänge zwischen K- und L-Schale. Werden Elek­
Form von Röntgenlicht freigesetzt, dessen Wellenlänge tronen durch Kathodenstrahlen aus der K-Schale herausgeschlagen,
abhängig vom verwendeten Element ist. Die Strahlung so werden sie durch Elektronen aus der L-Schale ersetzt; dies ge-
einer Kupferanode hat eine Wellenlänge von 0,154 nm schieht unter Aussendung der Energiedifferenz als Röntgenlicht. Die
K-Schale umfasst nur ein s-Orbital, die L-Schale dagegen s- und
und heißt Cu-Kα-­Strahlung. Damit die einstrahlenden
p-Orbitale, sodass es zwei Übergänge unterschiedlicher Energie gibt.
Elektronen die Anode nicht zerstören, wird diese kon- B Skizziertes Röntgenspektrum einer Kathodenstrahlröhre. Die bei-
tinuierlich gedreht und/oder gekühlt. Im Handel sind den Übergänge bilden Linien, der breite Hintergrund ist die Brems-
solche Geräte als Drehanoden und Kathodenstrahl- strahlung durch inelastische Stöße der Elektronen. Nur die Kα-
röhren. Bis in die 1990er-Jahre waren Drehanoden Strahlung wird für die Messung herausgefiltert
Standard, und die meisten Röntgenstrukturen wurden
vor Ort in dedizierten Laboratorien bestimmt. (SAXS
war damals eine junge Disziplin und unter Biolog(inn) emittiert, das neben Röntgenstrahlung auch UV- und
en noch wenig bekannt.) sichtbares Licht enthält. Die Lichtintensität kann noch-
Mit dem Aufkommen von Synchrotronen, z. B. DESY mals um den Faktor 103–104 erhöht werden, indem die
in Hamburg, BESSY in Berlin, SLS in der Schweiz oder Teilchen senkrecht zur Vorwärtsrichtung sinusförmig ab-
ESRF in Grenoble, kann man heutzutage recht unkom- gelenkt werden. Dazu dienen Wiggler und Undulatoren,
pliziert Messzeit mit Röntgenstrahlung beantragen. Syn- spezielle Multipolmagnete, die in linearen Sektionen des
chrotrone sind große Teilchenbeschleuniger, die eigens Polygons eingebaut sind und die Elektronen abwechselnd
dazu gebaut werden, um mit relativistischen Effekten nach oben und unten ablenken. Synchrotrone können
Licht zu erzeugen (. Abb.  25.3). Ein evakuiertes, dün-
  Durchmesser von mehreren Hundert Metern haben und
nes, zu einem Polygon gebogenes Rohr von vielen Metern einige Milliarden Euro kosten. Sie erzeugen Licht für vie-
Länge, der Speicherring, wird mit Bündeln geladener le wissenschaftliche Disziplinen gleichzeitig, darunter
Teilchen (meist Elektronen, selten Positronen) aus einem auch Materialforschung und Festkörperphysik.
Linearbeschleuniger beschickt. Durch starke supraleiten- Unabhängig von der Art ihrer Erzeugung wird die
de Magnete, die bending magnets, werden die Teilchen im Röntgenstrahlung vor der Messung durch Gitter und to-
Speicherring auf eine „Kreisbahn“ gezwungen, was einer talreflektierende Spiegel monochromatisiert. Schlitze
ständigen zentripetalen Beschleunigung nahe der Licht- und Kollimatoren blenden divergente Strahlung aus und
geschwindigkeit entspricht. Die Elektrodynamik sagt vo- bündeln das Licht in einen idealerweise kreisförmigen
raus, dass diese Beschleunigung zu Abgabe von Energie Strahl mit einem Durchmesser von 1–100 μm. Synchro-
in Form von Licht führt, die Teilchen also immer lang- tronstrahlung ist um den Faktor 109 intensiver als die von
samer werden. Der Energieverlust wird mittels Radiofre- Laborgeräten erzeugte Röntgenstrahlung und kann da-
quenz emittierenden Spulen im Speicherring ausgegli- her mit sehr kleinen Proben wie mikrometergroßen Kris-
chen, die den Teilchen bei jedem Umlauf kinetische tallen und verdünnten Lösungen (SAXS) arbeiten. Die
Energie zuführen. Das Licht wird als breites Spektrum Wellenlänge ist im Bereich von ca. 50–400 pm (0,5–4,0 Å)
614 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

25

..      Abb. 25.3  Aufbau von Synchrotronen zur relativistischen Erzeu- der Bündel. Wiggler und Undulatoren werden in linearen Abschnit-
gung von Röntgenlicht. Das evakuierte Rohr, in dem sich die Elekt- ten des Polygons platziert. Hier werden die Elektronen senkrecht zur
ronenbündel (blaue Punkte) bewegen, und die Radiofrequenzspulen Bewegungsrichtung auf einer Sinuskurve beschleunigt, was die In-
sind nicht gezeigt. Das externe Magnetfeld zwingt die Elektronen tensität des Lichtes abermals erhöht (roter Kegel). Auf diese Weise
auf eine Kreisbahn. Die Abstrahlung von Licht (durch Kegel skiz- finden Dutzende Messstationen an einem Speicherring Platz
ziert) ist tangential zum Orbit und gepulst mit der Umlauffrequenz

frei wählbar, was die Messung der anomalen Dispersion von Pixeldetektoren werden kontinuierlich ausgelesen,
(MAD, 7 Abschn. 25.5.4.3) ermöglicht.
  was extrem schnelle Datensammlung erlaubt.
Die ersten „Detektoren“ für Röntgenlicht waren
fluoreszierende Mineralien im Labor von Röntgen, die
beim Auftreffen von Röntgenlicht hell aufleuchteten. 25.2  Apparativer Aufbau
Der erste quantitative Detektor war fotografischer
Film, wie er auch lange in der Kryo-EM verwendet Die Messanordnung besteht aus der Strahlungsquelle,
wurde. Sein Vorteil ist ein recht großer dynamischer Be- einem Probenhalter, einem Primärstrahlfänger oder
reich, d.  h. man kann sehr schwache und sehr starke Beam Stop sowie einem Detektor zur Messung des abge-
Signale gleichzeitig aufnehmen. Zudem können Filme lenkten Lichtes (. Abb. 25.4). Trifft monochromatisches

sehr feinkörnig hergestellt werden, was in der Diffrak- Röntgenlicht auf eine Probe, wird diese zu >99 % einfach
tion zur Trennung nahe beieinanderliegender Reflexe durchstrahlt, ohne dass das Licht mit ihr eine Wechsel-
wichtig ist. Der Hauptnachteil ist die lange Entwick- wirkung einginge. Der beam stop gleich hinter der Probe
lungszeit (ca. 1  h pro Bild), weshalb ab Mitte der dient dem Schutz des Detektors vor diesem Primärstrahl.
1990er-Jahre Flächenzähler auf Phosphoreszenzbasis Die Probe selbst besteht bei SAXS aus einer Lösung des
populär wurden (image plates). Diese haben zwar grö- Makromoleküls mit einer Konzentration von einigen mg
ßere Pixel als Film, brauchen aber nur etwa eine Minute ml−1 bei Raumtemperatur und bei Kristallographie aus
zum Auslesen des Bildes. Verglichen mit der Belich- einem auf 100 K gekühlten Kristall. Der Winkel, den die
tungszeit von wenigen Sekunden mit Synchrotron- abgelenkte Strahlung mit dem Primärstrahl bildet, wird
strahlung ist das auch noch recht lange, weshalb sie mit 2θ bezeichnet. Sollen Signale für kleine 2θ-Werte ge-
bald durch CCDs (Charge-­Coupled Devices) ersetzt messen werden, muss der Abstand zwischen Probe und
wurden, deren Bilder innerhalb einer Sekunde ausles- Detektor groß sein, sonst verdeckt das Licht des Primär-
bar sind. Oft sind mehrere solcher Kameras zu großen strahls das Signal. Insbesondere bei SAXS kommt es sehr
Mosaiken zusammengefasst. Der dynamische Bereich darauf an, akkurate Daten bei sehr kleinen Streuwinkeln
von CCDs ist nicht sehr groß, sodass man oft mehrere zu messen. Der Detektorabstand beträgt daher oft meh-
Messungen mit unterschiedlich langer Belichtungszeit rere Meter, was wiederum ein neues Problem verursacht:
machen muss. Diese Probleme umgehen die mittlerwei- Röntgenlicht wird durch Luft gestreut und z.  T. absor-
le an Synchrotronen routinemäßig verwendeten Pixel- biert. Zur Minimierung von Streuung und Absorption
detektoren. In diesen Detektoren ist jeder Pixel ein ei- wird deshalb für SAXS zwischen Probe und Detektor
gener Detektor, der so empfindlich ist, dass er einzelne eine evakuierte Röhre oder wenigstens eine weniger
Röntgenphotonen zählt. Während ein CCD-­Pixel meist streuende Heliumatmosphäre eingebaut. Der Detektor
weniger als 70.000 Photonen zählen kann, sind es bei selbst dient der winkelabhängigen Registrierung der
Pixeldetektoren mehr als 700.000. Zudem sind die Pixel Intensität des an der Probe gestreuten bzw. gebeugten
nur etwa ein Viertel so groß wie bei CCDs. Die Bilder Röntgenstrahls.
Röntgenstrukturanalyse
615 25
A

WAXS-
Detektor

trahl
Streus
2θ s
Primärstrahl
Abstand 1–30 m

Lösung
Beam Stop
Vakuum

Detektor

B
Beam Stop
hl
Stra
N2
eu gter
geb

Abstand 0,1–1 m

Kristall in φ
Schleife
Luft
Magnet auf
Goniometer
χ
Reflexe auf
Detektor

..      Abb. 25.4  Schematischer Aufbau von Streu- und Diffraktions- einnehmen (durch die roten Formen angedeutet). Die Strecke zwi-
experimenten. Fokussierte Röntgenstrahlen werden über Kollimato- schen Primärstrahl und Streustrahl auf dem Detektor ist der Streu-
ren oder Spiegelsysteme von divergenter Strahlung getrennt und vektor s (rot). Für größere Winkel 2θ (WAXS, wide-angle X-ray scat-
treffen dann auf die Probe. Ein Großteil der Strahlung durchtritt die tering) wird ein zusätzlicher Detektor nahe an der Probe eingebaut.
Probe ohne Wechselwirkung und wird durch den Beam Stop abge- B Bei der Diffraktion wird ein Kristall in einer Schleife verglast und
fangen. Die wenige von der Probe abgelenkte Strahlung wird detek- auf etwa 100 K gekühlt. Im Unterschied zu SAXS zeigt das Diffrak-
tiert. Der Beugungswinkel 2θ ist ein Maß für die Auflösung. A Bei tionsbild der kristallinen Probe einzelne Reflexe. Um einen vollstän-
SAXS ist der Detektor mehrere Meter von der Probe entfernt und digen Datensatz zu erhalten, muss der Kristall daher während der
sitzt in einer evakuierten Röhre (grauer Zylinder). Das Streubild ist Messung auf einem Goniometer gedreht werden. Der dunkle Ring
für einen bestimmten Winkel 2θ isotrop, d. h. gleich in alle Richtun- im Diffraktionsbild entspricht dem mittleren Abstand von 360  pm
gen, weil die Moleküle in der Lösung alle möglichen Orientierungen der ungeordneten (isotrop verteilten) O-Atome in Wasser

25.3  Streuung und Beugung Röntgenstrahlen wechselwirken mit Elektronen, wes-


von Röntgenstrahlen halb Streuung bzw. Beugung von Röntgenlicht Informa-
tionen über die Verteilung von Elektronen in einer durch-
Jedes Objekt streut Licht. Eine Probe mit ungeordneten strahlten Probe liefert. Trifft ein Röntgenstrahl auf ein
Molekülen streut Licht in alle Richtungen gleicherma- Molekül, so wechselwirkt ein kleiner Teil mit der Elek­
ßen (isotrop). Bei geordneten Objekten wird das Licht tronenhülle der Atome, wodurch diese angeregt werden.
nur in bestimmte Richtungen gestreut, und dieser Effekt Bei der Rückkehr der angeregten Elektronen in den
wird Beugung oder Diffraktion genannt. Man spricht Grundzustand wird Röntgenstrahlung in alle Richtun-
daher bei Lösungen von Streuung, bei Kristallen von gen abgegeben und kann mit dem Röntgenlicht, das von
Beugung oder Diffraktion. anderen Atomen emittiert wird, interferieren. Das Licht
616 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

kann entweder elastisch oder inelastisch gestreut/gebeugt terferieren Röntgenstrahlen, die von verschiedenen Mo-
25 werden. Mit Ausnahme der anomalen Dispersion lekülen gestreut wurden. Der Strukturfaktor beschreibt
(7 Abschn.  25.5.4.3) betrachten wir hier nur elastische
  diese intermolekularen Anteile des resultierenden Streu-
Prozesse, bei denen keine Energie vom eingestrahlten lichtes. In nicht-idealen Lösungen setzt sich daher die
Licht auf die Probe übertragen wird. Die Wellenlänge gemessene Intensitätsverteilung aus dem Formfaktor
des gestreuten/gebeugten Lichtes ändert sich daher nicht, und dem Strukturfaktor zusammen:
nur seine Richtung. Die Richtungsänderung ist ein Maß
für die Auflösung der Daten. Je größer der Winkel 2θ I (s) = P (s) ⋅ S (s) (25.2)

zwischen Primärstrahl und abgelenktem Licht, desto hö- Mathematisch gesehen ist der molekulare Formfaktor
her ist die Auflösung. P(s) die Fourier-Transformation der Elektronendichte
des Moleküls. In der Kristallographie spielen atomare
Formfaktoren eine wichtige Rolle. Außerdem wird der
25.3.1 Kleine Physik der Streuung Strukturfaktor noch wichtiger als bei SAXS, weil im
Kristall alle Atome regelmäßig angeordnet sind und ge-
SAXS basiert auf der elastischen Streuung mono- beugte Röntgenstrahlen daher auf besondere Weise in-
chromatischer Röntgenstrahlen im Wellenlängenbereich terferieren (. Abb. 25.5).
λ = 0,1–0,2 nm durch Moleküle in Lösung. Da die Mo-

leküle dort frei beweglich sind, nehmen sie alle mögli-


chen Orientierungen in Bezug zum Röntgenstrahl ein 25.3.2 Kleine Physik der Diffraktion
und streuen Röntgenlicht in alle Richtungen. Die Streu-
ung durch ungeordnete Moleküle in eine bestimmte Kristalle sind regelmäßige, sich periodisch wiederholen-
Richtung ist sehr klein. Das Streuprofil auf dem Detek- de Anordnungen von Atomen oder Molekülen in drei
tor ist isotrop, d.  h. es hat radiale Symmetrie um den Dimensionen (7 Abschn. 25.5.2). Die von den Elektro-

Primärstrahl (. Abb. 25.4A). SAXS wird bei sehr klei-



nen der Moleküle in Kristallen gestreute Röntgenstrah-
nen Winkeln von 0,1–10° detektiert. Das Streumuster lung interferiert viel stärker, als dies bei ungeordneten
erlaubt Rückschlüsse auf mittlere Partikelgröße Molekülen in verdünnter Lösung der Fall ist, d. h. der
und -masse, Form der Moleküle und deren Verhältnis Strukturfaktor ist groß. In den meisten Richtungen
von Oberfläche zu Volumen. Für SAXS-Daten wird ty- führt negative Interferenz zur Reduktion oder gar Aus-
pischerweise nicht der Streuwinkel 2θ, sondern der Be- löschung der Lichtintensität (. Abb. 25.5). Nur in be-

trag des Streuvektors s angegeben. Dabei gilt: stimmten Richtungen ist die Interferenz (sehr stark)
4π konstruktiv: ein gebeugter Lichtstrahl entsteht, der mit
s= ⋅ sin θ (25.1) dem Primärstrahl einen Winkel 2θ bildet und leicht
λ als sog. Reflex detektiert werden kann (. Abb.  25.4

Der Betrag s des Streuvektors s gibt unabhängig von der und 25.20). Die Richtung des Reflexes wird durch das
verwendeten Wellenlänge Informationen über die Ei- Bragg’sche Gesetz von 1912 beschrieben:
genschaften des untersuchten Makromoleküls. n ⋅ λ = 2 ⋅ d ⋅ sin θ
Unter thermodynamisch idealen Bedingungen, d. h. (25.3)
in stark verdünnter Lösung ohne intermolekulare Wech- . Abb.  25.6 zeigt eine geometrische Darstellung des

selwirkungen, ist die Intensität des gestreuten Lichtes als Bragg’schen Gesetzes.
Funktion des Streuvektors, I(s), die Summe der Streu­ Das Bragg’sche Gesetz beschreibt die Beugung von
signale aller individuellen Moleküle. Diese Intensitätsver- Röntgenstrahlen der Wellenlänge λ als Reflexion an ei-
teilung ist nur von der Molekülform, dem molekularen ner gedachten Schar paralleler Ebenen mit dem Ab-
Formfaktor P(s), abhängig. Der Grund hierfür ist, dass stand d (. Abb. 25.7). Nur wenn Wellenlänge λ, Winkel

Röntgenstrahlen, die an verschiedenen Stellen desselben θ und Abstand d dem Bragg’schen Gesetz folgen, sind
Moleküls gestreut werden, miteinander interferieren und alle reflektierten Lichtwellen in Phase, und es kommt zu
das letztendlich ausgesandte und gemessene Licht nur positiver Interferenz. In allen anderen Fällen erfolgt ne-
Informationen über die Dimensionen des Moleküls gative Interferenz unter kompletter Auslöschung des
(seine Form) enthält. In diesem Fall ist die gemessene Lichtes. Das wird verständlich, wenn man die sehr gro-
Gesamtintensität proportional zu der Intensität eines ße Zahl von Ebenen in einem Kristall betrachtet: bei
einzelnen Moleküls, dessen Form über alle in der ­Lösung Nichterfüllung des Bragg’schen Gesetzes wird eine da-
möglichen Orientierungen gemittelt wurde. von immer das Licht genau um 180° phasenverschoben
Sobald aber Wechselwirkungen zwischen Molekülen zu einer anderen Welle reflektieren, und diese löschen
auftreten, und das passiert bei typischen Konzentratio- sich dann (paarweise) aus. Umgekehrt wird deutlich,
nen immer, kommt ein weiterer Faktor ins Spiel, der weshalb Kristalle so nützlich zur Röntgenstrukturana-
Strukturfaktor S(s). In konzentrierteren Lösungen in- lyse sind. Die Energie des gebeugten/reflektierten Lich-
Röntgenstrukturanalyse
617 25

..      Abb. 25.5  Streuung einer Lichtwelle an einer Reihe äquidistan- Anordnungen (Kristallen) bleiben nur noch wenige Richtungen üb-
ter Atome. Die Intensitätsverteilung des Lichtes ist symmetrisch zur rig, in die überhaupt Licht durchgelassen wird. Abbildung erstellt
Horizontalen (dem Primärstrahl), hat aber je nach Beugungswinkel mit WaveWorkshop (7 https://www.­jsingler.­de/waveworkshop; Jo-

sehr verschiedene Intensitäten. Bei dreidimensional regelmäßigen hannes Singler)

½·S = d·sinθ

θ θ y
n=0

n=1 x
½· S
d
..      Abb. 25.7  Gedachte Ebenen in Kristallen zur Veranschauli-
Gitterebene chung des Bragg’schen Gesetzes. Ein quaderförmiger Kristall mit
n=2 den Kanten x, y und z wird von einem Satz paralleler Ebenen ge-
schnitten, wobei die Kanten auf die Länge eins normiert sind. Die
S Zahl der Schnittpunkte der Ebenen mit den Achsen sind die sog.
Miller-­Indizes h, k und l, die auch reziproke Schnittpunktskoordina-
..      Abb. 25.6  Das Bragg’sche Gesetz beschreibt den Zusammen- ten heißen. Werden die Achsen jeweils bei der Hälfte ihrer Länge
hang zwischen dem Abstand d gedachter paralleler Ebenen im Kris- geschnitten, ist die Ebenenschar durch (h,k,l) = (2,2,2) definiert. Im
tallgitter und dem Reflexionswinkel θ, unter dem es zur konstrukti- abgebildeten Beispiel ist (h,k,l)  =  (3,–1,2). Die beiden Ebenen, die
ven Interferenz kommt. Der Primärstrahl kommt von links und wird durch die grauen Geraden gespannt werden, sind um genau eine Ein-
unter dem Winkel 2θ an den horizontal gezeichneten Gitterebenen heit in x-Richtung verschoben und damit identisch. Der negative
„reflektiert“. Der Wegunterschied S des mittleren Strahls muss ge- Wert für k kommt daher, dass die Ebenen die y-Achse in negativer
rade so groß sein, dass die reflektierte Welle in Phase mit der oberen Richtung schneiden (sichtbar aus der gedachten Verlängerung der
ist. Dafür gilt die trigonometrische Beziehung ½ · S = d · sin θ. Für linken grauen Ebene)
Phasengleichheit vor und nach der Reflexion gilt ½ · S = λ, was ei-
nem Wegunterschied vor und nach Beugung von 2 λ ergibt. Für die
nächste Gitterebene (n = 2) ist der Wegunterschied für konstruktive der größte Beugungswinkel θmax dem kleinsten beob-
Interferenz doppelt so groß: 2 · S = 4 · λ achtbaren Ebenenabstand dmin, der auch als Auflösung
der gesamten Kristallstruktur bezeichnet wird:
tes verschwindet ja nicht (Energieerhaltung), sondern
λ
wird in denjenigen Richtungen konzentriert, die das d min = (25.4)
Bragg’sche Gesetz vorgibt. Der Kristall wirkt als enor- 2 ⋅ sin θ max

mer Signalverstärker. Jede Ebenenschar erzeugt ihren θmax kann nicht >90° sein (sin 90° = 1), sodass dmin = λ/2.
eigenen Reflex. Dies entspricht dem Abbe’schen Gesetz der Mikrosko-
Durch Messung von θ ist es möglich, den Abstand d pie, wonach die höchstmögliche Auflösung der halben
zwischen den parallelen Ebenen zu bestimmen. Reale Wellenlänge entspricht (7 Kap. 23).  

Kristalle haben fehlerhafte Ordnung und beugen Rönt- Nach diesem kurzen Abriss der Physik von Streuung
genstrahlen nur bis zu einem bestimmten maximalen und Diffraktion wollen wir uns nun den eher prakti-
Winkel θmax. Nach dem Bragg’schen Gesetz entspricht schen Aspekten der Röntgenstrukturanalyse zuwenden.
618 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

25.4  Kleinwinkel-Röntgenstreuung (SAXS) Information über das untersuchte Molekül enthalten.


25 Für die Berechnung der molekularen Masse MM ist es
Makromoleküle in Lösung sind meist sehr flexibel und sinnvoll, eine Referenzmessung mit einem Massenstan-
nehmen eine Vielzahl von verschiedenen Konformatio- dard durchzuführen. Die prinzipielle Messanordnung
nen ein, die alle miteinander im Gleichgewicht vorliegen. ist in . Abb. 25.4A skizziert. Die etwa 15 μl Probe wer-

Wechselwirkungen mit Bindungspartnern oder Änderun- den in einer Quarzkapillare etwa 1 s dem Röntgenlicht
gen der Lösungsmittelbedingungen verschieben diese ausgesetzt.
Gleichgewichte. SAXS untersucht die Gesamtheit aller
Konformationen und erlaubt die Bestimmung zeitlich
und räumlich gemittelter Information über alle in Lösung 25.4.2 Analyse von SAXS-Daten
befindlichen Konformationen. Dazu gehören die Form
des Moleküls, der Gyrationsradius Rg, das Hydratations- Da die Intensität des gestreuten Lichtes in Abhängigkeit
volumen Vh, der maximale Durchmesser Dmax und die des Streuvektors s (radial) exponentiell über etwa drei
molekulare Masse MM. Zehnerpotenzen abfällt, werden SAXS-Daten meist lo­
Obwohl die Auflösung von SAXS aufgrund der isotro- garithmisch aufgetragen (. Abb. 25.8). Die so erhaltene

pen Streuung und der damit nur kleinen messbaren θ-Werte Streukurve weist einige Charakteristika auf. Bei kleinen
limitiert ist, erlaubt diese Lösungsmethode das Testen von s-Werten von 0–4 nm−1, entsprechend sehr kleiner Win-
Hypothesen, die anhand von Kristallstrukturen formuliert kel und einem Auflösungsbereich von ∞–1,5  nm, fällt
wurden. So wurde in einer Kristallstruktur die Wechselwir- die Kurve steil ab. Der Verlauf der Kurve in diesem Be-
kung des DNA-Reparaturenzyms Mre11  in Gegenwart reich ist charakteristisch für ein bestimmtes Molekül, da
von DNA mit einem weiteren Mre11-Molekül als Kristall- er überwiegend von dessen dreidimensionaler Form ab-
kontakt interpretiert. SAXS-Experimente zeigten jedoch, hängt. Aus den Daten in diesem Bereich werden Größe,
dass dieser Kontakt auch in Lösung stabil und die Dimer-­ Form und Volumen des Moleküls ermittelt. Im anschlie-
Wechselwirkungsfläche essenziell für die DNA-Bindung ßenden Bereich mittlerer Auflösung (1,5–0,5  nm) sind
ist. SAXS ist ein Bindeglied zwischen hochauflösenden die Unterschiede im Kurvenverlauf nicht so deutlich
Methoden wie Röntgenkristallographie und NMR-­ ausgeprägt, und im hohen Auflösungsbereich <0,5  nm
Spektroskopie einerseits und den größenlimitierten Metho- verlaufen alle Kurven nahezu gleich. So können mittels
den Kryo-EM und Tomographie andererseits. SAXS zwar noch bedingt Aussagen zur Sekundärstruk-

25.4.1 Probenvorbereitung und Messung Auflösung (nm); R = 2 /s


2 1 0,5 0,3
R
Wie bei allen Techniken ist die Qualität der Probe aus-
schlaggebend für die Güte der SAXS-Ergebnisse. Vor­
experimente legen die optimale Probenkonzentration (meist
0,1–5 mg ml−1) und die besten Pufferbedingungen fest, bei atomare
Größe, Volumen, Auflösung
denen keine Aggregate oder entfaltete Proteine vorliegen.
log I (s)

Form
Diese würden durch SAXS als eigene Spezies erkannt und
erschwerten die Auswertung. Präzipitate werden vor der
Sekundärstruktur,
Messung durch Zentrifugation entfernt. Ferner sollten Faltung, Oligomere
zwischen den Makromolekülen keine konzentrationsab-
hängigen Wechselwirkungen existieren, d. h. die Lösung
soll ideal im thermodynamischen Sinne sein. Experimente
bei mehreren Proteinkonzentrationen helfen, Konzentra-
tionseffekte zu vermeiden oder, falls biologisch interes- 0 5 10 15 20
sant, bei der Auswertung zu berücksichtigen. s (nm–1)
Um den Streueffekt des Lösungsmittels von dem
..      Abb. 25.8  Schematische Darstellung von SAXS-Daten. Die In-
des Makromoleküls zu trennen, wird eine separate tensität ist logarithmisch als Funktion des Streuvektorbetrags s auf-
Messung nur mit Puffer durchgeführt, und diese Daten getragen. Die unterbrochene rote Linie gibt den Bereich von s wieder,
werden subtrahiert. Dabei sollte der Puffer von vorne- in dem Messungen ungenau oder gar nicht möglich sind. Parallel zu s
herein so gewählt werden, dass er im Vergleich zum ist oberhalb des Graphen die Auflösung R mit R = 2π/s aufgetragen.
Die Abbildungen geben einen Anhalt über die Details der möglichen
Makromolekül nur wenig Licht streut. Eine geringe
strukturellen Aussagen im jeweiligen Auflösungsbereich an und wur-
­Ionenstärke und wenig organische Additive sind von den unter Zuhilfenahme zweier Strukturen des Exportrezeptors
Vorteil. Nach der Korrektur bleiben Streudaten, die nur CRM1 erstellt (Kryo-EM-Struktur EMDB EMD–1099 bei 2,2  nm
Auflösung und Kristallstruktur PDB-ID 3gjx bei 0,25 nm Auflösung)
Röntgenstrukturanalyse
619 25
tur, nicht aber zu atomaren Details gemacht werden. Vergrößert oder verkleinert sich Rg eines Makromole-
Eine akkurate Messung des Signals im niedrigen Auflö- küls unter verschiedenen Bedingungen, kann man von
sungsbereich ist für das Modellieren von Strukturen Konformationsänderungen ausgehen, z.  B. ein Öffnen
wichtig (7 Abschn. 25.4.3).
  bzw. Schließen des Moleküls oder eine Änderung des
Für kleine s-Werte findet das Guinier’sche Gesetz oligomeren Zustands.
Anwendung, das näherungsweise die Intensität in Bezug Die Paar-Distanz-Verteilungsfunktion (P(r);
zum Gyrations- oder Trägheitsradius Rg des Moleküls . Abb.  25.9B) ist eine weitere Art der grafischen Dar-

setzt: stellung von SAXS-Daten. Im Gegensatz zur Guinier-­


Näherung, die nur die kleinsten s-Werte nutzt, verwendet
 Rg 2 ⋅ s 2 
I ( s ) ≈ I 0 ⋅ exp  −  P(r) alle Daten aus einem SAXS-Experiment. P(r) wird
  (25.5)
 3  durch numerische Fourier-Inversion aus den Intensitäts-
daten berechnet und beschreibt die relative Häufigkeit P
Gl. 25.5 beschreibt gut den linken Teil der Streukurve in von Abständen r aller möglicher Paare von Elektronen
. Abb. 25.8 für Werte von s · Rg < 1,3 und ideales Ver-

(und damit von Atomen) innerhalb eines Objektes. Da-
halten der untersuchten Probe. Nach Logarithmieren mit ist die P(r)-Funktion das SAXS-Äquivalent der Pat-
von Gl. 25.5 liegt ein linearer Zusammenhang zwischen terson-Funktion, auf die wir im 7 Abschn. 25.5.4 beim

ln I(s) und s2 vor: Phasenproblem der Kristallographie eingehen.


Rg 2 Für globuläre Proteine beispielsweise ähnelt der
ln I ( s ) ≈ ln I 0 − ⋅ s2 (25.6) Graph der P(r)-Funktion einer Gauß-Verteilung: Es gibt
3 wenige sehr kleine und wenige sehr große Abstände, dafür
Die Auftragung der logarithmierten Intensität ln  I(s) viele mittlere. Die P(r)-Funktionen von Proteinen mit
gegen das Quadrat des zugehörigen Streuvektors s2 mehreren Domänen tendieren zu einer leichten Verschie-
heißt Guinier-Plot (. Abb.  25.9A). Der Ordinatenab-
  bung des Maximums der P(r)-Funktion zu kleineren
schnitt ist der Logarithmus der Streuintensität I0 bei r-Werten. Sie weisen oft mehrere Maxima oder Plateaus
s = 0, also entlang des Primärstrahls (die aber wegen des auf: Die Häufung kleinerer Abstände gehört zu Atomen
beam stop nicht gemessen, sondern nur extrapoliert wer- innerhalb einer Domäne, größere Abstände zu Atomen
den kann). I0 ist proportional zur Gesamtzahl der Elek- zwischen verschiedenen Domänen (. Abb. 25.9B). Schon

tronen im Molekül. Über Kalibrierung mit Molekülen die räumliche Änderung einer geringen Zahl an Resten
bekannter Masse und bei genauer Kenntnis der Proben- (Aminosäuren, Nucleotide) reicht für eine signifikante
konzentration kann damit die molekulare Masse MM Änderung der P(r)-Funktion aus, weil sich durch solche
bestimmt werden. Aus der Steigung der Geraden wird Konformationsänderungen viele Abstände gleichzeitig
der Gyrationsradius Rg berechnet. Rg ist ein Maß für die ändern. Das nutzt man in Experimenten der Proteinfal-
Masseverteilung eines Makromoleküls in ­Relation zu tung oder zur Detektion entfalteter Proteine aus. Der
seinem Schwerpunkt. Rg entspricht mathematisch der Graph für entfaltetes Protein zeigt relativ zum gefalteten
Quadratwurzel der mittleren quadratischen Entfernung Zustand eine Verschiebung des Maximums zu kleinerem
der einzelnen Atome zum Schwerpunkt des Moleküls. r, fällt zu größerem r hin flacher ab und ist insgesamt brei-

A Guinier-Plot B Paar-Distanz C Kratky-Plot


ideal globulär gefaltet
aggregiert entfaltet teilweise entfaltet
Multidomänen entfaltet

lnI0

Rg2
lnI (s)

P (r)

s2 I

m=−
3 Dmax

s2 r s

..      Abb. 25.9  Darstellungsformen der SAXS-Daten und deren In- Probe. B Paar-Distanz-Verteilungsfunktion. Elongierte Moleküle
terpretation. A Guinier-Plot. Sofern der Bereich s · Rg < 1,3 linear wie Multidomänen- oder entfaltete Proteine haben breitere Vertei-
ist, ergeben sich Rg aus der Steigung und I0 aus dem Ordinatenab- lungen als globuläre. C Der Kratky-Plot unterscheidet zwischen na-
schnitt. Die grüne Linie zeigt den Verlauf bei Aggregaten in der tivem und entfaltetem Protein. (Nach Putnam et al. 2007)
620 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

ter. Die größere Zahl kleinerer Abstände entsteht durch 2


I0 NA ⋅ M M  ρ 
25 intermolekulare Kontakte zwischen entfalteten Molekü- = ⋅ 1 − 0  (25.8)
c µ  ρ Probe 
2
len. Entfaltete Proteine nehmen viele Konformationen
ein, was die breitere Abstandsverteilung erklärt. Da ent-
berechnet. Hier wird allerdings die genaue Probenkon-
faltete Proteine ein größeres Volumen einnehmen als ge-
zentration c benötigt. Für Proteine ist der Parameter μ
faltete, kommen auch größere Abstände als im gefalteten
typischerweise 1,87. ρ0 und ρProbe sind die (tabellierten)
Zustand vor. Die P(r)-Funktion erlaubt neben Aussagen
Elektronendichten des Lösungsmittels bzw. der Probe.
zur Häufigkeit bestimmter Abstände innerhalb eines Mo-
leküls auch die Bestimmung der maximalen Ausdehnung.
Der größte für r ermittelte Wert ist Dmax. Er entspricht
dem maximalen Abstand zweier Elektronen im Molekül. 25.4.3 Strukturbestimmungen mit SAXS
Sowohl die Maxima der Abstandshäufigkeiten als auch
Dmax sind sensitiv für jede Änderung der Molekülform, Bisher haben wir uns nur mit der Extraktion molekula-
etwa aufgrund von Ligandenbindung oder auch nur we- rer Parameter aus SAXS-Daten beschäftigt. Die Streu-
gen geänderter Pufferbedingungen. kurven enthalten aber auch Strukturinformation, die
Eine dritte Variante zur Analyse von SAXS-Daten ist durch Kurvenangleich im Bereich niedriger Auflösung
der Kratky-Plot (. Abb.  25.9C), der das Produkt aus

(∞–1,5 nm, entspricht s < 4 nm−1) rekonstruiert werden
dem Quadrat des Streuvektorbetrags und der Intensität, kann. Dazu werden Molekülmodelle unterschiedlicher
s2  ·  I(s), gegen den Streuvektorbetrag s aufträgt. Der Form erzeugt, deren Streukurven berechnet und diese
Kratky-Plot visualisiert die Kompaktheit eines Moleküls, mit den SAXS-Daten verglichen. Das Verfahren wird so
was bei der Interpretation des Faltungszustandes von lange durch Modifizieren des Molekülmodells iteriert,
Proteinen hilfreich ist. Kratky-Plots für globuläre, gefal- bis berechnete und gemessene Streukurve bestmöglich
tete Proteine folgen einer Glockenkurve, die sich bei ho- übereinstimmen. Im günstigsten Fall kennt man aus an-
hen s-Werten der Nulllinie nähert. Entfaltete Moleküle deren Methoden die Strukturen von allen Teilen des mit
zeigen dagegen einen offenen Kurvenverlauf, der für SAXS untersuchten Moleküls, etwa alle einzelnen Do-
hohe s-Werte nicht gegen null geht. Eine Mischung von mänen eines Proteins oder die Komponenten eines
nativen und denaturierten Proteinen zeigt intermediäre Komplexes. Diese stellt man in verschiedenen Orientie-
Kurvenverläufe. Durch den Kratky-Plot liefert SAXS rungen als starre Körper (rigid bodies) zusammen und
ähnliche Informationen über die Faltung von Proteinen vergleicht berechnete und gemessene Streukurven. Für
wie fern-UV-CD-Spektroskopie (7 Abschn. 26.4).

De-novo- oder Ab-initio-­ Strukturbestimmungen er-
Zum Schluss soll noch das Porod’sche Gesetz er- zeugt man die Startmodelle durch geometrische Objek-
wähnt werden. Es erlaubt für globuläre Proteine in hoch te. Während ursprünglich die Startmodelle aus groben
monodispersen Lösungen die Bestimmung des Hydrata- Kugeln unterschiedlicher Radii bestanden, werden heu-
tions-, Ausschluss- oder Porod-Volumens Vh eines Mak- te für die Strukturbestimmung Modelle aus Platzhaltern
romoleküls: verschiedener Größe, sog. dummy residues, verwendet.
Die dummy residues umfassen in der Regel mehrere
I0 Aminosäurereste oder Nucleotide, können bei recht
Vh = 2π2 ⋅ ∞ 2 (25.7)
⋅ I ( s ) ⋅ ds hoch aufgelösten SAXS-­Daten (≈0,5 nm) aber auch aus
∫0s einzelnen Resten bestehen. Verschieben der Dummy Re-
Das Integral im Nenner in Gl. 25.7 ist die Fläche des sidues erlaubt kleine Veränderungen des Modells wäh-
Kratky-Plots und heißt Porod-Invariante. Da die Inte- rend des iterativen Kurvenangleichs. Ziel ist, ein Ensem-
gration über alle Daten erfolgt, ist die Porod-Invari- ble aus Dummy Residues zu finden, dessen Form mit
ante proportional zur Gesamtstreuintensität I0. Die der gemessenen Streukurve kompatibel ist. Das Ver-
Berechnung von Vh ist damit unabhängig von der schieben selbst wird rechnerisch durch die Methode der
Konzentration des Makromoleküls. Für globuläre simulierten Abkühlung (simulated annealing) erreicht,
Moleküle ergibt sich aus der Formel für das Kugel- ein heuristisches Verfahren, das auch bei der Verfeine-
volumen Vh = (4 π · Rh)/3 der Hydratationsradius Rh, rung von Kristallstrukturen Anwendung findet. Ein
der zum Gyrationsradius Rg mit Rh ≈ 1,3 · Rg in Be- Startmodell wird in silico auf Temperaturen von vielen
ziehung steht. Hundert bis einige Tausend Kelvin erhitzt, was den
Das Ausschlussvolumen Vh in nm3 kann grob in eine Dummy Residues genügend kinetische Energie zur Ver-
molekulare Masse MM in kDa durch die Daumenregel schiebung verleiht. Langsames Abkühlen (= Reduktion
MM ≈ 0,6 · Vh umgerechnet werden. Diese Masse enthält der kinetischen Energie) und Vergleich mit den gemesse-
den Beitrag des gebundenen Wassers. Allerdings ist die nen Streudaten liefert ein besseres Modell. Das Heizen
Bestimmung von Vh für nicht-globuläre Makromoleküle und Annealing wird mehrere Male wiederholt, um zu
ungenau; in diesen Fällen wird die molekulare Masse verhindern, dass sich das Modell in einem lokalen Ener-
aus der Gesamtstreuintensität I0 nach gieminimum verfängt.
Röntgenstrukturanalyse
621 25
Eine Weiterentwicklung des Dummy-Modells ist das Überlappungen oder anderen geometrischen Fehlern ist.
Perlschnurmodell, bei dem die Dummy Residues, wie es Hierbei kann man den ehemals rigid bodies zusätzliche
sich für ein Makromolekül gehört, auf einer Kette lie- Freiheitsgrade geben, etwa indem man kleinere Kon-
gen und nicht beliebig ihre Plätze tauschen können formationsänderungen an Scharnierbereichen zwischen
(. Abb. 25.10). Das entspricht einer starken Einschrän-
  Domänen zulässt.
kung der Freiheitsgrade im Simulated Annealing, was Die Hauptanwendung von SAXS besteht heute vor
zu schnellerer Konvergenz der Rechnung und realis- allem darin, aus Streukurven generierte Volumina von
tischeren Modellen führt. Da das Perlschnurmodell multimeren Komplexen oder von Proteinen mit mehre-
Makro­moleküle auf Aminosäure- bzw. Nucleotidebe- ren zueinander flexiblen Domänen mit den Strukturen
ne simuliert, sind für seine Anwendung hochaufgelöste einzelner Domänen zu füllen. Dieser elegante Ansatz
SAXS-Daten nötig. kombiniert die hochaufgelösten, aber für sich oft nicht
Gleich, welches Modell angewandt wird, das Resultat sehr aussagekräftigen einzelnen Strukturen von Protein­
einer Ab-initio-Rechnung ist eine Moleküloberfläche, die fragmenten oder Domänen aus anderen Methoden mit
ein definiertes Volumen einschließt. Ein Problem dabei dem niedrig aufgelösten, aber biologisch relevanten,
ist, dass sowohl das Bild wie das Spiegelbild der Mole- Gesamtbild von Komplexen oder Multidomänenpro-
küloberfläche die SAXS-Daten gleichermaßen erklären, teinen aus SAXS.  Noch fehlende Fragmente, Domä-
aber wegen der Chiralität biologischer Makromoleküle nen und flexible Bereiche wie Oberflächenschleifen von
nur eines davon richtig ist. Dieses Problem kann mithilfe Proteinen können modelliert und der Komplex bzw.
bereits bekannter Strukturen gelöst werden. Existieren das Multidomänenprotein damit vervollständigt wer-
Strukturen von Domänen oder (bei Komplexen) von den.
Untereinheiten aus anderen Methoden wie Kristallogra-
phie, NMR oder Kryo-EM, können diese mittels rigid
body modelling nur in das korrekte Volumen sinnvoll ein-
gepasst werden (. Abb.  25.11). Dazu werden die ver-

wendeten Strukturen erst einmal als starre Körper defi-


nierter Form und Größe durch Rotation und Translation
bestmöglich in das SAXS-Volumen gepackt. Sind zusätz-
liche biochemische Daten bekannt, werden diese wäh-
rend der Rechnung berücksichtigt. Kenntnisse über
Protein-Protein- oder Protein-DNA-Wechselwirkungen
oder Abstandseinschränkungen aus EPR (7 Kap.  22)

oder FRET (7 Abschn.  8.5.5 und  19.7) sind hier sehr


nützlich. Dieser Hybrid-Ansatz, der Informationen aus


ganz verschiedenen biophysikalischen Methoden in einer
Rechnung vereint, wird aus gutem Grund immer popu-
lärer. Die am besten passende Orientierung aller Struk-
turen wird dann noch durch molekulardynamische
(Molecular Dynamics, MD) Rechnungen energiemini- ..      Abb. 25.11  De-novo-Strukturbestimmung mit SAXS und Ein-
miert, sodass das endgültige Modell frei von sterischen passen bekannter Strukturmodelle

..      Abb. 25.10 Ab-initio-Struk-
turbestimmung; schematische
Darstellung der Ergebnisse
verschiedener Methoden. Von
links nach rechts: Sphärenmo-
dell, Platzhalter- oder Dum-
my-Modell und Perlschnurmo-
dell. Die Abbildungen wurden
aus denselben Strukturen wie in
. Abb. 25.8 oder aus Messun-

gen von CRM1 mit einem


schnellen Modus des Programms
DAMMIF errechnet
622 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

SAXS mittelt über alle Konformationen in der Röntgenstrahlen wechselwirken mit Elektronen im Kris-
25 durchstrahlten Probe (etliche Billionen Moleküle). tall und liefern Elektronendichtekarten, die dann mit
Neuere MD-Methoden versuchen, aus den SAXS-Da- einem atomaren Modell interpretiert werden. Das Re-
ten Gruppen von Molekülen gleicher Konformation, sultat ist ein Strukturmodell mit den Positionen der ein-
die Ensembles, zu isolieren. In der Ensemble Optimiza- zelnen Atome. Der Informationsgehalt solcher Struk-
tion Method (EOM) wird ein Modell aus bekannten turmodelle ist enorm und reicht von der Quartär- und
Strukturen oder aus bekannten Teilen eines Moleküls Tertiärstruktur bis zur detaillierten Wechselwirkung von
erstellt, dessen Lücken dann modelliert werden. Viele Makromolekülen auf molekularer oder gar atomarer
mögliche Konformationen können generiert, gewichtet Ebene. Wenn mehrere Strukturen von Substraten, Inter-
und ihre berechneten Streukurven mit den SAXS-Daten mediaten und Produkten im Komplex mit Enzymen vor-
verglichen werden. So kann z. B. für intrinsisch unge- liegen, kann der katalytische Mechanismus interpretiert
faltete Proteine eine Anzahl möglicher, besonders häu- werden. Ebenso können durch Vergleich mehrerer
fig vorliegender Konformationen ermittelt werden. Die Strukturen Konformationsänderungen erkannt und da-
Minimal-Ensemble-Search- (MES-)Methode startet mit mit Rückschlüsse auf Mechanismen gezogen werden.
einer großen Anzahl verschiedener berechneter Kon- Prinzipiell sind Moleküle jeder Art und Größe für die
formationen eines Makromoleküls und bestimmt in Röntgenkristallographie geeignet  – vorausgesetzt, ihre
einem ersten Schritt dasjenige, das die Streudaten am Kristallisation gelingt. Die grundlegenden Arbeiten zur
besten beschreibt. Durch gewichtete Linearkombinati- Beugung von Röntgenstrahlen an Salzkristallen durch
on dieses Modells mit einem zweiten Modell wird die Max von Laue und Vater und Sohn Bragg 1912 lieferten
Beschreibung der Streudaten wiederholt und verbes- die ersten Kristallstrukturen, d. h. ein Bild von der regel-
sert. Durch sukzessive Erweiterung des Ensembles wird mäßigen Anordnung von Ionen in Kristallen. Biologisch
die kleinstmögliche Zahl an Konformationen bestimmt, interessantere Strukturen sind solche von Makromolekü-
die die Streudaten am besten beschreiben. len. Die ersten Proteinkristalle wurden schon ein Jahr vor
Eine Erweiterung von SAXS in Richtung höherer der Entdeckung der Röntgenstrahlen beschrieben, näm-
Auflösung ist die Weitwinkel-Röntgenstreuung (WAXS), lich 1894 die des Lichtsammelproteins Phycoerythrin aus
welche den Auflösungsbereich von 0,4–0,2 nm erschließt Rotalgen. Die schiere Größe von Makromolekülen er-
(. Abb. 25.4A). Damit können Änderungen des Oligo-
  schwert im Allgemeinen ihre Kristallisation und erforder-
merisierungsgrades oder der Konformation eines Makro­ te neue Methoden sowohl zur Kristallisation wie auch
moleküls z. B. aufgrund von Ligandenbindung ermittelt zur Strukturbestimmung. Max Perutz und John Ken-
werden. Informationen zu Sekundärstrukturen sind drew haben diese Methoden anhand von Hämoglobin
ebenfalls zugänglich, aber noch nicht so detailliert, wie bzw. Myoglobin Ende der 1950er-Jahre entwickelt. Seit-
das bei der Kristallographie der Fall ist, der wir uns als dem wurden die Röntgenstrukturen von ca. 65.000 ver-
Nächstes zuwenden. schiedenen Makromolekülen aufgeklärt, u. a. von Mem-
branproteinen, großen Protein-Nucleinsäure-Komplexen
wie dem Ribosom und hochsymmetrischen Oligomeren,
25.5  Röntgenkristallographie etwa intakten Viren mit Hunderten von Untereinheiten.
Röntgenstrukturanalyse erfordert mehrere Arbeits-
Kristallographische Methoden liefern die dreidimensio- schritte (. Abb.  25.12): Kristallisation, Charakterisie-

nalen Strukturen von (Makro)molekülen bis zu atomarer rung der Kristalle, Aufnahme von Röntgenbeugungs-
Auflösung (<120  pm). Unter den kristallographischen daten, Bestimmung der Phasen, Interpretation der
Methoden firmieren neben der Röntgenkristallographie Elektronendichte, sowie Verfeinerung und Analyse des
auch die Elektronen- und Neutronenkristallographie. Strukturmodells. Für Anwender von Strukturmodellen
ist die Qualität einer Kristallstruktur entscheidend. Kri-
terien dazu finden sich am Ende des 7 Abschn. 25.5.5.

Die Elektronenkristallographie nutzt Elektronenstrah-


len zur Detektion molekularer Details. Da Elektronen
von Materie stark absorbiert werden, benötigt diese 25.5.1  akromoleküle und ihre
M
Technik sehr kleine, mikrometergroße Kristalle, wie sie
oft von Membranproteinen erhalten werden. Die Neu-
Kristallisation
tronenkristallographie dagegen erfordert sehr große
Wie in 7 Abschn.  25.3.2 angedeutet, funktioniert ein

Kristalle, weil aktuelle Neutronenquellen nur einen
Kristall als Signalverstärker für die an den einzelnen Mo-
vergleichsweise geringen Fluss erzeugen. Mit Neu­
lekülen gestreute Strahlung. Erst durch eine regelmäßige
tronen werden die Kernpositionen der kristallinen
Abfolge der Moleküle im Kristall wird die gestreute Strah-
Probe abgetastet. In den resultierenden „Kerndichte-­
lung in einzelne Richtungen so gebündelt, dass sie akkurat
Karten“ sind sogar Wasserstoffatome gut sichtbar.
messbar wird. Große, möglichst gut geordnete Kristalle
Röntgenstrukturanalyse
623 25
I
Ligand oder
Imax stabilisierender Puffer
thermophiles

Protein
Homolog

Referenz
½Imax

T
TM1 TM2 TM3

Kristalle ..      Abb. 25.13 Der thermal shift assay misst die lösungsmittelab-


hängige Stabilität eines Proteins durch thermische Entfaltung in
Gegenwart eines Fluorophors, der nur an das entfaltete Protein bin-
Diffraktionsdaten det und dabei seine Quantenausbeute erhöht. Zwar lassen sich mit
dieser Methode keine thermodynamischen Aussagen machen, die
halbmaximale Fluoreszenzänderung dient jedoch als gutes Maß für
die Stabilität des Proteins unter verschiedenen Bedingungen. Bei hö-
heren Temperaturen sinkt die Fluoreszenzintensität durch Protein-
aggregation und Kollisionslöschung des Fluorophors wieder (ange-
deutet in der schwarzen Kurve)

nen, Additive) zu testen, ist die Bestimmung thermischer


Übergänge, z. B. mittels thermal shift assays (. Abb. 25.13).

Je höher der „Schmelzpunkt“ eines Proteins, desto höher


die Wahrscheinlichkeit, dass es kristallisiert. Aus diesem
Grund werden auch gerne Homologe aus thermophilen
Mikroorganismen kristallisiert, wenn Kristallisationsex-
perimente mit Proteinen aus mesophilen Organismen
fehlschlagen. Zugabe von Liganden (Substrate, Produkte,
Inhibitoren, Cofaktoren) stabilisiert Enzyme und erhöht
Elektronendichte die Wahrscheinlichkeit der Kristallbildung.
Die Kristallisation biologischer Makromoleküle ist
mehr Kunst als Wissenschaft. Alle Techniken beruhen
auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Die Bedingun-
Strukturmodell

gen, unter denen ein Molekül kristallisiert, sind nicht vor-


hersagbar, da sie nicht von Eigenschaften wie molekularer
Masse, Sequenz oder isoelektrischem Punkt abhängen.
Stattdessen wird viel in molekularbiologische und bioche-
mische Techniken investiert, um verschiedenste Proben
..      Abb. 25.12  Vorgehensweise in der Röntgenkristallographie. Bis für die Kristallisation zu erhalten. Darunter fallen Ober-
auf die nach wie vor zeitraubende Reinigung der Proben wurden alle flächenvariationen in Proteinen durch Mutagenese und
Schritte in den letzten 20 Jahren durch Automatisierung beschleu- chemische Modifizierungen, Konstrukte unterschiedli-
nigt. Das SDS-Gel oben zeigt links ein z. T. abgebautes Protein, in
cher Länge bei Proteinen und Nucleinsäuren, limitierte
der Mitte dasselbe Protein nach 1  h Behandlung mit Elastase und
ganz rechts einen aufgelösten Kristall (Bild darunter). Limitierte Proteolyse von Proteinen (N- und C-Termini sind oft fle-
Proteolyse war nötig, um diese Kristalle zu erhalten xibel) und Homologe aus anderen Organismen.
Kristallisation erfordert den Übergang von Molekü-
(sog. Einkristalle) erfordern sauberste Präparationen. Die len aus einer übersättigten Lösung in eine feste Phase.
Reinheit und Homogenität der Probe wird in der Regel Das ist im Idealfall ein Kristall, meist aber ein amorpher
durch HPLC 7 Kap.  11, SDS- und IEF-Polyacryla-

Niederschlag. Übersättigung einer Lösung erreicht man
mid-Gelelektrophorese (7 Abschn.  12.3.9) sowie durch

in der Regel durch Hinzufügen eines sog. Fällungsmittels,
Größenausschlusschromatographie (7 Abschn.  11.4),  
das ab einer bestimmten Konzentration die Moleküle aus
dynamische Lichtstreuung und Massenspektroskopie der Lösung verdrängt (. Abb. 25.14).

(7 Kap. 16) überprüft. Hohe Stabilität des Makromole-



Als Fällungsmittel kommen vor allem gut lösliche
küls ist ebenfalls von Vorteil für die Kristallisation. Eine Salze wie die Sulfate, Citrate, Halogenide und Phospha-
nützliche Methode, die Stabilität von Proteinen in Abhän- te von Ammonium, Natrium, Magnesium und Kalium
gigkeit von verschiedenen Puffern (pH, Salzkonzentratio- zum Einsatz, wobei Ammoniumsulfat das mit Abstand
624 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

trationsgefälle zwischen Tropfen und Reservoir in diesem


25 annähernd geschlossenen System nun durch Diffusion
Präzipitation ausgeglichen wird (. Abb. 25.15B). Im Verlauf des Aus-

gleichs kann die Löslichkeitsgrenze der Moleküle im


[Fällungsmittel]

Tropfen überschritten werden, hoffentlich unter Bildung


Nucleation von Kristallen. Mehrere solcher Tropfen, je nach Format
meist 24 oder 96, liegen zusammen auf einer Kristallisa-
metastabil
tionsplatte mit unterschiedlichen Fällungsmitteln. Bei
der Sitting-Drop-­Methode befindet sich der Tropfen auf
klare Lösung einem kleinen Podest, das aus dem Reservoir herausragt
(. Abb. 25.15C). Das hat den Vorteil, dass die Kristalli-

sationsplatte leicht als Ganzes mit transparenter Klebe-


folie abgedichtet werden kann. Sowohl das Ansetzen der
[Makromolekül]
Tropfen als auch deren automatische Photographie ist
..      Abb. 25.14  Phasendiagramm zur Kristallisation durch Übersät- leichter im Sitting-Drop- als im Hanging-Drop-Format.
tigung. Der erste Schritt zum Kristall ist die Nucleation oder Keim- Weitere, weniger oft verwendete Methoden zur Kristalli-
bildung. Die Keime wachsen dann im metastabilen Bereich zu makro­ sation von Proteinen sind die Mikrodialyse, die Kristalli-
skopisch sichtbaren Kristallen heran. Im Bereich der Präzipitation
sation in Gelen und die free interface diffusion. Diese sind
liegt Übersättigung, in der klaren Lösung Untersättigung vor
in den am Ende dieses Kapitels genannten Lehrbüchern
beschrieben (Weiterführende Literatur).
erfolgreichste anorganische Fällungsmittel ist. Viel ver- Mittlerweile sind so viele Kristallisationsexperimente
wendete organische Fällungsmittel sind Polyethylengly- durchgeführt worden, dass die statistisch erfolgreichsten
kole im Massenbereich 400–20.000 Da und niedermole- Bedingungen zu sog. sparse matrix screens zusammen-
kulare Alkohole wie Methylpentandiol, Ethanol und gestellt wurden. Einige dieser Screens sind speziell für
Isopropanol. Kombinationen dieser Fällungsmittel mit Membranproteine oder Protein/Nucleinsäure-­Komplexe
verschiedenen Puffern werden ebenso getestet wie der konzipiert. Bei neu zu kristallisierenden Proben dienen
Einfluss kleiner Konzentrationen anderer Salze und or- sie zum Auffinden vielversprechender Startbedingungen,
ganischer Moleküle (Additive wie CaCl2, Glucose, nie- die vielleicht sehr kleine verwachsene Kristalle, hauch-
dermolekulare Amine, etc.) oder Detergenzien (bei dünne Nadeln oder Plättchen oder mikrokristalline Prä-
Membranproteinen). zipitate liefern. Die meisten Kristallisationsexperimente
Die Fällungsmittelkonzentration kann schlagartig schlagen aber fehl, d. h. die Tropfen bleiben klar, zeigen
(Batch-Methode) oder langsam und kontinuierlich ölige Phasentrennung oder enthalten nichtkristalline
durch Diffusion erhöht werden (. Abb. 25.15). Bei der

Präzipitate („Schlamm“). Selten wachsen innerhalb we-
Batch-Methode werden Fällungsmittel und Probenlö- niger Tage Einkristalle, die sich sofort zur Strukturanaly-
sung so gemischt, dass es sofort zur Übersättigung des se eignen. Meist dauert es Wochen oder Monate, bis die-
Makromoleküls kommt. Solche Tropfen werden unter Öl ses Ziel ausgehend von den Startbedingungen erreicht
platziert, damit sie nicht austrocknen und darin Kristalle wird. Dazu gehören das systematische Variieren von pH-
wachsen (können). Die populärste Kristallisationsme- Wert, Fällungsmittelkonzentrationen und Temperatur
thode ist allerdings die Dampfdiffusion, die in den bei- sowie die Zugabe von Additiven, Liganden und/oder De-
den Formaten hanging drop und sitting drop verwendet tergenzien in sog. grid screens (. Abb. 25.16). Der pH-

wird. Dabei ist mit „Dampf“ sowohl Diffusion von Was- Wert wird in der Regel zwischen pH  4 und pH  10  in
ser aus der Lösung des Makromoleküls als auch Diffu- Schritten von 0,1–0,5 Einheiten durchgestimmt. Die
sion von volatilen Stoffen in die Lösung des Makromo- meisten Proteine kristallisieren bei pH 6,5. Die Tempera-
leküls gemeint. Für die Dampfdiffusion braucht man tur b­ eeinflusst die Kinetik der Kristallisation, sodass
Konzentrationsgradienten. Ein kleines Volumen (0,02– Kristallisationsansätze oft sowohl bei 20°C als auch bei
1 μl) einer konzentrierten Proteinlösung (5–40 mg · ml−1) 4°C gemacht werden. Sollten diese Taktiken nicht zum
wird mit dem Fällungsmittel gemischt. Bei einem 1:1-Ver- Erfolg führen, besteht eine weitere Möglichkeit in der
hältnis beider Lösungen halbieren sich dadurch sämtli- Verwendung von Impfkristallen (seeding). Hierbei wer-
che Konzentrationen, aber auch Verhältnisse von 0,3:1 den Mikrokristalle in einen neuen Tropfen aus Proben-
bis 3:1 werden oft verwendet. Ein so präparierter Tropfen lösung und Fällungsmittel überführt. Die neue Bedin-
wird im Hanging-Drop-Ansatz unter einem Deckglas gung kann dieselbe oder eine andere Zusammensetzung
platziert und das Glas über 0,05–1 ml Reservoir, d. h. rei- haben als die, aus der die Impfkristalle kommen
nem Fällungsmittel, aufgehängt. Vaseline oder Silikonöl (cross-seeding). Die Impfkristalle müssen nicht unbe-
dichten den Ansatz nach außen ab, sodass das Konzen­ dingt aus dem zu kristallisierenden Molekül bestehen:
Röntgenstrukturanalyse
625 25
A Batch-Methode A

Öl

B Hanging-Drop-Methode

Fällungsmittel

Dampfdiffusion

C Sitting-Drop-Methode

..      Abb. 25.16  Ausschnitt aus einem grid screen zur Verbesserung


der Kristallgröße und -morphologie. A Die winzigen Kristalle sind
vor braunem Präzipitat kaum zu erkennen. Sie wachsen aus 25  %
PEG 4000 und 0,2 M (NH4)2SO4. B Reduktion auf 10 % PEG 4000
und Erhöhung auf 0,3  M (NH4)2SO4 liefert größere Kristalle (ca.
0,1 mm Länge). C Kristalle hoher Diffraktionsqualität von bis 1 cm
Länge werden durch weitere Verringerung auf 7  % PEG 4000 und
Änderung des Salzes auf 0,2  M Li2SO4 erhalten. Der Puffer ist in
allen Fällen 0,1 M NaOAc pH 4,7
Reservoir

Manchmal bieten auch Mineralien (Zeolithe) oder gar


Dampfdiffusion
ein verlorenes Härchen geordnete Oberflächen, auf de-
nen Kristalle wachsen können.
..      Abb. 25.15  A Batch-Methode unter Öl. Die verschiedenen Farbtöne Zusammen genommen kommt man so auf viele
sollen unterschiedliche Mischungsverhältnisse von Probe und Fällungs-
mittel andeuten. B, C Dampfdiffusion. Im Hanging-­Drop-­Format B hän-
Hundert bis einige Tausend zu testende Bedingungen,
gen an der Unterseite eines Deckglases ein oder mehrere Tropfen (0,5–6 μl) die praktischerweise mit einem Pipettierroboter in weni-
aus Mischungen von Protein und Fällungsmittel. Am Boden der zylinder- gen Tagen durchgespielt werden. Moderne Kristallisati-
förmigen Vertiefung befindet sich entweder nur Fällungsmittel oder eine onssysteme bestehen aus mehreren Robotern: Einer
andere Flüssigkeit hoher Osmolarität, auch Reservoir genannt. Durch stellt aus Stammlösungen die unterschiedlichen Reser-
Dampfdiffusion findet ein Konzentrationsausgleich zwischen Tropfen
und Reservoir statt. Der Tropfen verkleinert sich, wenn Wasser aus dem
voirlösungen her, ein weiterer kann sitting drops von
Tropfen diffundiert, und er vergrößert sich, wenn im Fällungsmittel/Re- etwa 100–400 nl aus bis zu vier verschiedenen Bestand-
servoir eine flüchtige Verbindung ist, die in den Tropfen hinein diffun- teilen in 96er- oder 384er-Platten mischen. Noch kleine-
diert. In beiden Fällen kann die Löslichkeitsgrenze für das Makromolekül re Tropfen von 2,5 nl werden von akustisch arbeitenden
überschritten werden, was zur Kristallbildung führen kann. C Sit- Systemen in 1728er-Platten gefertigt. Die Platten selbst
ting-Drop-Format. Der Tropfen wird in einer Vertiefung auf einem Podest
gemischt, das aus dem Fällungsmittel/Reservoir herausragt, und der An-
werden in „Hotels“ abgelegt und dort in regelmäßigen
satz wird mittels Klebefolie verschlossen. Auch hier erfolgen Konzentra- Abständen von einem Roboterarm einer Kamera vor-
tionsausgleich und Übersättigung durch Dampfdiffusion gelegt. So werden Wachstumskinetiken von Kristallen
626 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

über viele Stunden und Tage aufgenommen, was den Konzentration von 10  mg  ml−1 verbraucht insgesamt
25 besten Zeitpunkt für die Kristallernte festzulegen hilft. 5–10 mg Material. Nanoliter-Kristallisationsroboter er-
Kristalle werden auch heute meistens händisch geerntet, fordern 10–100-fach weniger. Handelt es sich bei einem
indem man sie unter dem Mikroskop manipuliert. Soll Protein um eine Variante mit bekannter Wildtypstruktur
die Messung bei Raumtemperatur erfolgen (sehr selten oder ist die Struktur eines Sequenzhomologen schon be-
heutzutage), müssen die Kristalle in Glas- oder Plastik- kannt, dann reichen die Daten eines einzigen Kristalls
kapillaren transferiert und darin vor Austrocknen ge- zur Strukturbestimmung. In diesen Fällen kann das Pha-
schützt werden. Die meisten Messungen finden aber senproblem (7 Abschn.  25.5.4) mithilfe der bekannten

unter Kryotemperaturen bei ca. 100 K statt, weil dann Strukturen gelöst werden. Sollte über das Protein aber
die Kristalle weniger Schaden durch die Röntgenstrah- nichts bekannt sein, bedarf es mehrerer Proteinpräpara-
lung nehmen. In diesem Fall bringt man die Kristalle in tionen und vieler Kristalle, weil die Phasierung aufwen-
eine Nylonschleife von 0,05–1  mm Durchmesser. Falls diger ist. Für eine solche De-novo-­Strukturaufklärung
erforderlich, fügt man dem Kristall ein Kryoschutzmit- werden etwa 1–50 mg Protein benötigt.
tel wie Glycerin oder Ethylenglykol zu (je nach Bedin- Da Kristalle zwingend nötig für die Röntgenstruk-
gung 5–25 %) oder überzieht ihn mit Paraffinöl. Danach turanalyse sind und in Kristallen das Molekül in be-
wird die Schleife in flüssigen Stickstoff getaucht, was stimmten Konformationen „eingefroren“ wird, besteht
zur stabilen Einbettung des Kristalls in ein Glas führt. immer die Gefahr, dass eine Kristallstruktur nicht die
Neuere Systeme zur Kristallernte nutzen akustische Struktur des Moleküls in Lösung widerspiegelt. Die
Wellen, um Kristalle aus ihren Tropfen in die Schleifen Vielzahl möglicher Konformationen in Lösung wird
zu befördern. Ein anderer Ansatz bringt den gesamten durch Kristallkontakte drastisch verkleinert und durch
Tropfen mit all seinen Kristallen auf Kryotemperaturen Kühlung der Kristalle zur Datensammlung noch weiter
und schneidet dann für die Messung einzelne Kristalle erniedrigt. Ausnahmen sind Seitenketten von Amino-
mit Lasern heraus. Dieses Feld entwickelt sich zurzeit säuren und Schleifen an der Oberfläche, die auch im
sehr schnell. Kristall oft noch flexibel sind. In Fällen, wo von Protei-
Gelegentlich erhält man optisch ansprechende Kris- nen sowohl NMR- als auch Kristallstrukturen bekannt
talle mit scharfen Kanten und glatten Flächen, die aber sind, halten sich die strukturellen Unterschiede aller-
Röntgenstrahlen nur schwach beugen. Diese fehlende dings in engen Grenzen. Manche Enzyme behalten ihre
Ordnung der Moleküle kann manchmal durch Techni- katalytische Aktivität im Kristall bei, und Substrate,
ken erhöht werden, die am Kristall selbst ansetzen: Zu- Substratanaloga oder auch Inhibitoren können oft in
satz von weiteren Salzen oder organischen Stoffen zum das aktive Zentrum kristalliner Enzyme diffundieren
Tropfen kann kleine Konformationsänderungen der (Soaking). Trotz dieser Hinweise, dass die biochemi-
Moleküle im Kristall bewirken, was manchmal zu regel- schen und strukturellen Eigenschaften von Proteinen
mäßigerer Ordnung führt. Auch die kontrollierte Verrin- durch Kristallisation nicht grundlegend verändert wer-
gerung des Wasseranteils von Kristallen kann hilfreich den, sollten Kristallstrukturen immer mit Ergebnissen
sein. Kristalle mit kleinem Solvensanteil streuen statis- anderer biophysikalischer Methoden abgeglichen und
tisch gesehen besser, weil sie dichter gepackt sind. Eine auf Strukturen basierende Hypothesen zu Wechselwir-
einfache Technik ist das Platzieren des Kristalls über ei- kungen und Mechanismen biochemisch getestet wer-
nem Reservoir hoher Osmolarität (wiederum eine Vari- den. Im Folgenden besprechen wir die Eigenschaften
ante der Dampfdiffusion). Das Free-Mounting-­System und die Analyse von makromolekularen Kristallen.
entzieht einem Kristall kontrolliert Wasser, indem er
von Luft definierter niedriger Feuchte umspült wird.
Durch Röntgenbeugung bei Raumtemperatur wird im- 25.5.2 Kristalle und ihre Eigenschaften
mer wieder ein Diffraktionsbild aufgenommen und da-
mit diejenige Luftfeuchte festgestellt, die zur besten Makroskopisch kann man einen Kristall nicht von ei-
Ordnung des Kristalls führt. Ein recht harscher Versuch nem amorphen Objekt unterscheiden, denn obwohl vie-
zur Verbesserung der Kristallordnung ist das Temperie- le Kristalle klare Kanten und Winkel haben, können sie
ren (annealing). Zeigt ein Kristall bei Kryotemperaturen jede beliebige Form annehmen. Umgekehrt kann ein
keine Diffraktion, kann man ihn, bevor man ihn weg- Stück Glas so zurecht gesägt werden, dass es wie ein
wirft, kurz auf Raumtemperatur bringen und sofort Kristall aussieht, aber an seiner inneren Unordnung än-
wieder verglasen. Das führt manchmal zu einer spekta- dert das nichts. Aussagen zur inneren Ordnung kann
kulären Verbesserung der Ordnung, meist aber zum Tod man nur durch ein Diffraktionsexperiment machen.
des Kristalls. Hierzu sind makromolekulare Kristalle mit Dimensio-
Ein erster Test mit etwa 500–1000 verschiedenen nen von 0,1–0,3 mm gut geeignet, weil sie leicht manipu-
Kristallisationsbedingungen zu je 1 μl Lösung mit einer lierbar sind. Bevor wir uns der Diffraktion von Rönt-
Röntgenstrukturanalyse
627 25
genstrahlung zuwenden, soll kurz die innere Symmetrie boedrisch (R) genannt werden. Zum Beispiel haben in-
von Kristallen skizziert werden. Ihr Verständnis erleich- nenzentrierte Gitter im Vergleich zu primitiven Gittern
tert die Datensammlung und ist unabdingbar für die einen extra Gitterpunkt, der im Zentrum der Einheits-
Strukturbestimmung. zelle liegt (. Abb. 25.18). Jeder zusätzliche Gitterpunkt

Teilt man einen Kristall, so erhält man zwei kleinere erhöht die Kristallsymmetrie im Vergleich zum primiti-
Kristalle mit ansonsten gleichen Eigenschaften. Man ven Gitter.
kann dieses Gedankenexperiment so lange weiterfüh- Die sechs Zellkonstanten können alle verschieden
ren, bis man zum kleinsten denkbaren Kristall kommt, sein oder Regelmäßigkeiten aufweisen, die in sieben ver-
der sog. Einheitszelle. Sie ist das kleinste Parallelepiped, schiedenen Kristallformen zusammengefasst werden.
das durch wiederholte Translation entlang seiner Kan- Ohne jede Beziehung zwischen den Zellkonstanten liegt
ten den makroskopisch sichtbaren Kristall aufbaut ein triklines Gitter vor, also die am wenigsten symmetri-
(. Abb.  25.17). Ein Parallelepiped ist ein Körper, der
  sche Form. Sind dagegen alle Achsen gleich lang, und
von sechs Parallelogrammen begrenzt wird. Je zwei ge- betragen alle Winkel 90°, liegt ein kubisches Kristallsys-
genüberliegende Parallelogramme sind identisch (kon- tem höchster Symmetrie vor. Die Regelmäßigkeiten der
gruent). anderen Kristallsysteme liegen zwischen diesen Extre-
Die Größen der drei Kanten und drei Winkel des Pa- men. Die Kombinationen der sieben Kristallsysteme mit
rallelepipeds werden auch als Zellkonstanten bezeich- den Gittertypen führt auf insgesamt 14 sog. Bravais-­
net. Diese wichtigen Parameter erlauben bereits im Vor- Gitter (. Abb. 25.18).

feld der Strukturbestimmung eine Abschätzung über Damit ist unsere Symmetriebetrachtung aber noch
den molekularen Inhalt des Kristalls. Die drei Kanten nicht abgeschlossen. Mit Ausnahme der triklinen Kris-
der Einheitszelle heißen auch Kristallachsen oder a-, b-, tallform weisen alle Einheitszellen eine zusätzliche innere
und c-Achse. Ihre Länge liegt bei anorganischen Salzen Symmetrie auf: Teile der Einheitszelle (Atome oder Mo-
im Bereich <2 nm und bei Makromolekülen meist zwi- leküle) werden durch sog. S ­ ymmetrieoperationen in iden-
schen 3 nm und 50 nm (der aktuelle Rekord liegt bei ca. tische Teile überführt. Zu den Symmetrieoperationen
500  nm). Die a- und b-Achsen schließen den Winkel γ gehören Rotationen, Translationen und, bei achiralen
ein. Entsprechend wird β von der a- und c-Achse, und α Molekülen, Spiegelungen und Inversionen. Die letzten
von der b- und c-Achse eingeschlossen. Die Ecken der beiden Operationen kommen für biologische Makromo-
Einheitszelle sind sog. Gitterpunkte und entsprechen leküle nicht infrage, da diese aus chiralen Bausteinen
Orten identischer Umgebungen im Kristall, da sie genau (Aminosäuren, Nucleotide, Kohlenhydrate) zusammen-
eine Einheitszelllänge voneinander entfernt sind. Die gesetzt und damit selber chiral sind. Eine Spiegelung
Gesamtheit aller Gitterpunkte bildet das Kristallgitter. oder Inversion würde das Molekül ja in sein Enantiome-
Besteht das Kristallgitter nur aus den Ecken der Ein- res überführen, das gar nicht kristallisiert wurde. Die
heitszellen, so wie in . Abb. 25.17 gezeigt, wird es pri-
  Kombination von Bravais-Gittern und Symmetrieopera-
mitiv (P) genannt. Primitive Gitter haben einen Git- toren ergibt die Raumgruppen. Es gibt genau 230 Raum-
terpunkt pro Einheitszelle. Daneben gibt es noch gruppen, d. h. Möglichkeiten, Objekte so im Raum anzu-
Gittertypen mit z.  T. zusätzlichen Gitterpunkten, die ordnen, dass sich die Anordnung nahtlos und unendlich
flächenzentriert (C und F), innenzentriert (I) und rhom- wiederholt. Für chirale Moleküle ohne Spiegelungen und
Inversionen sind immerhin noch 65 Raumgruppen mög-
lich. Keine Kristallstruktur kann ohne Kenntnis der rich-
Einheitszelle tigen Raumgruppe korrekt bestimmt werden.
b γ Symmetrieoperatoren sind mathematische Vorschrif-
a
α ten, die identische Teile innerhalb einer Einheitszelle in-
c einander überführen. Eine Rotation um die b-Achse mit
β anschließender Verschiebung entlang der b-Achse um
a
eine halbe Zellachsenlänge sieht z. B. in Matrixschreib-
weise so aus:
 −1 0 0   x   0   − x 
      
 0 1 0   y  + 1 / 2  =  y + 1 / 2  (25.9)
 0 0 −1  z   0   − z 
Gitterpunkte       
..      Abb. 25.17  Kristallgitter. Links oben ist eine Einheitszelle her- Damit ist ein Atom am Punkt (x,y,z) äquivalent zu ei-
vorgehoben. Die Achsen und Winkel sind eingezeichnet, ebenso die nem anderen Atom am Punkt (–x,y+½,–z), was der
Gitterpunkte in den Ecken. Translation der Einheitszelle entlang al- Kurzschreibweise des Symmetrieoperators in Gl.  25.9
ler drei Achsen erzeugt das Kristallgitter. In diesem Gitter gehört
entspricht. Dieser Symmetrieoperator unterteilt die Ein-
jeder Gitterpunkt zu acht Einheitszellen
628 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

..      Abb. 25.18  Die sieben primitiv


25 Kristallsysteme und 14
Bravais-Gitter. Die Systeme
heißen in steigender Symmetrie triklin P
triklin, monoklin, orthorhom- a≠b≠c
bisch, trigonal, tetragonal, α≠β≠γ
hexagonal und kubisch. Die 14 flächenzentriert
Bravais-Gittertypen entstehen
durch erlaubte Kombinationen
der Kristallsysteme mit
primitiven (P), flächenzentrierten monoklin P, C
(C und F), innenzentrierten (I) a ≠b≠c
und rhomboedrischen Gittern α = β = 90° γ
(R). So entstehen z. B. vier
verschiedene Bravais-Gitter im innenzentriert
orthorhombischen Kristallsys-
tem (P, C, F und I). Die
Ungleichheitszeichen für die tetragonal P, I
Zellkonstanten links können, a=b≠c
müssen aber nicht befolgt α = β = γ = 90°
werden. Ein trikliner Kristall
kann durchaus kubische
Zellkonstanten haben (ein
Beispiel ist PDB-ID 1am4)
orthorhombisch P, C, F, I
a≠b≠c
α = β = γ = 90°

kubisch P, F, I
a=b=c
α = β = γ = 90°

trigonal hexagonal R
a=b=c
α = β = γ ≠ 90°

trigonal hexagonal P
a=b≠c
α = β = 90°; γ = 120°

heitszelle daher in zwei identische Anteile, die asymmet- Makromolekülen. Das ungeordnete Kristallwasser in
rische Einheiten heißen. Raumgruppen unterscheiden diesen Lösungsmittelkanälen kann 30–90 % des gesam-
sich durch die Zahl der Symmetrieoperatoren: Trikline ten Kristallvolumens ausmachen und besteht aus den
Zellen haben nur den trivialen Symmetrieoperator diffusiblen Bestandteilen des Reservoirs (Wasser, Ionen,
(x,y,z), d. h. die Einheitszelle ist identisch mit der asym- kleine Moleküle). Die lockere Packung der Makromole-
metrischen Einheit. Bei primitiv monoklinen Raum- küle ist ein Grund, weshalb diese Kristalle so empfind-
gruppen sind es zwei Operatoren (s.  o.), und bei kubi- lich gegen Stoß und Austrocknung sind. Zum anderen
schen Raumgruppen sind es bis zu 96. Dies bedeutet, ist die biologisch aktive Einheit des gezeigten Proteins
dass man in der Kristallographie nur den Inhalt einer AmyC ein Tetramer, aber nur ein Monomer ist in der
einzigen asymmetrischen Einheit bestimmen muss, der asymmetrischen Einheit dieses Kristalls. Dass ein Di-
Rest der Einheitszelle und damit der ganze Kristall er- mer, Trimer, Tetramer oder Hexamer durch Symmetrie-
klärt sich dann durch die Raumgruppe (. Abb. 25.19).   operatoren aufgebaut wird, kommt durchaus häufig vor.
Die in . Abb. 25.19 gezeigte Einheitszelle liefert ei-
  Umgekehrt kann die asymmetrische Einheit auch meh-
nige weitere Einblicke in die Eigenschaften makromole- rere Kopien eines Makromoleküls enthalten, die unter-
kularer Kristalle. Zum einen ist viel Platz zwischen den einander in symmetrischer Beziehung stehen. In diesem
Röntgenstrukturanalyse
629 25
Einheitszelle biologische Einheit
Bis zur fertig verfeinerten Kristallstruktur ist die Raum-
gruppe nur eine Hypothese. Manchmal lässt sich ein
und dieselbe Struktur in mehreren Raumgruppen ver-
feinern, und man kann erst am Ende die korrekte Ent-
scheidung treffen (z. B. PDB-ID 5ldz).

hier: Monomer ist asymmetrische Einheit Mit dem Volumen der Einheitszelle und der wahrschein-
lichen Raumgruppe kann man eine Packungsanalyse er-
..      Abb. 25.19  Kristallographische Einheitszelle am Beispiel der
Kristallpackung des Proteins AmyC aus Thermotoga maritima stellen. Sie dient dazu herauszufinden, wie viele Mole-
(PDB-­ID 2b5d). Die Raumgruppe ist I4122 und hat damit 16 Sym- küle möglicherweise in der asymmetrischen Einheit
metrieoperatoren. Das Proteinmolekül in der asymmetrischen Ein- sind. Das Volumen eines Parallelepipeds ist
heit ist rot dargestellt. Alle weiteren 15 Moleküle der Einheitszelle
entstehen durch die von den Symmetrieoperatoren definierten Rota- VZelle =
tionen und Translationen. Die vier gefärbten Moleküle sind die bio-
logische Einheit: AmyC ist ein Tetramer, das in diesem Kristall von abc · 1 + 2 cos α · cos β · cos γ − cos 2 α − cos 2 β − cos 2 γ

zwei zweizähligen Achsen, die senkrecht zueinander stehen, aufge- (25.10)
baut wird
Wenn alle Winkel 90° sind, reduziert sich Gl. 25.10 zu
VZelle = a · b · c. Die Raumgruppe legt die Zahl der Sym-
Fall spricht man von lokaler oder nichtkristallographi- metrieoperatoren (#symops) fest, womit der sog. Matthews-­
scher Symmetrie (Non-Crystallographic Symmetry, Koeffizient VM berechnet werden kann:
NCS). Grundsätzlich besteht kein Zusammenhang zwi-
schen der Raumgruppe, der Zahl der Moleküle in der VZelle
asymmetrischen Einheit, der lokalen Symmetrie (falls VM = (25.11)
#symops ⋅ M M
vorhanden) innerhalb der asymmetrischen Einheit und
der biologischen Einheit. VM beschreibt eine reziproke Dichte, es ist der Kehrwert
der Masse (in Dalton) pro Volumenelement (in Å3). Die-
ser Wert liegt meistens zwischen 2,2–4  Å3  Da–1. Wenn
25.5.3 Datensammlung und -analyse ein Molekül mit seiner molekularen Masse MM nicht in
die asymmetrische Einheit passt, wurde entweder eine
Zur Datensammlung wird ein Kristall in einen fokus- Raumgruppe mit zu hoher Symmetrie gewählt, oder bei
sierten Röntgenstrahl gebracht (. Abb. 25.4B) und ein
  einem Homo-Oligomer liegt nur ein Teil davon in der
Diffraktionsbild aufgenommen (. Abb. 25.20).   asymmetrischen Einheit. Erhält man hohe VM-Werte,
Schon aus dem ersten Diffraktionsbild sind mehrere dividiert man sie durch 2,2 Å3 Da–1 (im dichtest gepack-
Eigenschaften des Kristalls ersichtlich, darunter der ma- ten Fall) oder 4 Å3 Da–1 (bei angenommen lockerer Pa-
ximale Streuwinkel θ (7 Abschn.  25.3.2). Außerdem
  ckung) und erhält die größt- und kleinstmögliche Zahl
sieht man, ob es sich um einen Einkristall handelt oder der Moleküle in der asymmetrischen Einheit. Da dies
ob ein Bündel vorliegt, wie gut der Kristall geordnet ist eine ganze Zahl sein muss, erhält man schlussendlich
und ob es störende Streuung, z. B. durch andere Partikel den wahrscheinlichsten Wert für VM. Weiterhin kann der
wie Eiskristalle, gibt. Hochgeordnete Einkristalle lie- Anteil an Lösungsmittel aus VM über folgende Faustfor-
fern scharfe und einzelnstehende Reflexe, deren Intensi- mel berechnet werden:
tät zu größeren θ-Winkeln (nach außen) hoch bleibt.
1, 23
­Ungeordnete Kristalle liefern verwaschene, über viele 
Losungsmittelanteil = 1− (25.12)
Detektorpixel verteilte Reflexe, deren Intensität zu grö- VM
ßeren θ-Winkeln schnell abnimmt. Kristallbündel er-
kennt man an gespaltenen Reflexen mit zwei oder meh- Für einen vollständigen Datensatz müssen möglichst
reren Maxima. Hat der Kryoschutz versagt, entstehen viele Kristallebenen im Beugungswinkel zum Primär-
viele beliebig orientierte Eiskristalle, und man erhält zu- strahl orientiert werden. Dazu wird der Kristall im
sätzlich das Pulverdiffraktogramm von Wasser. Solche Röntgenstrahl gedreht, und es werden Beugungsbilder
Eisringe erschweren die Datenauswertung. unter verschiedenen Winkeln aufgenommen. Je nach In-
Durch Indizierung werden allen Reflexen auf dem tensität des Primärstrahls und Detektorart wird der
Bild die (h,k,l)-Werte der Ebenen zugeordnet, die diesen Kristall unterschiedlich schnell gedreht und verschieden
Reflex erzeugen. Daraus ergeben sich die Zellkonstanten lang belichtet. Bei Kathodenstrahlen und Phosphores-
und eine wahrscheinliche Raumgruppe. zenzdetektor wird oft mit 0,02–0,5° min−1 um 0,2–0,5°
630 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

25

..      Abb. 25.20  Röntgenbeugungsaufnahme eines PILATUS-II-Pixel- Jeder beobachtete Reflex entspricht dem an einer bestimmten Ebenen-
detektors. Der Detektor ist ein Mosaik aus 30 Modulen. Jeder Pixel schar (. Abb.  25.7) reflektierten Röntgenstrahl (7 Abschn.  25.3.2).
   

eines jeden Moduls zählt einzelne Röntgenphotonen. Der Kristall Die vergrößerte Ansicht rechts zeigt drei Reihen von Reflexen, die äqui-
wurde während der Aufnahme um 0,25° gedreht und 0,2 s mit ca. 1010 distant sind und sich damit um einen Miller-Index unterscheiden. Die
Photonen s–1 belichtet. Der äußere Rand der Aufnahme entspricht ei- ebenfalls äquidistanten Reflexe innerhalb einer Reihe unterscheiden
ner Auflösung von 150 pm. Die beiden unterschiedlich dunklen Ringe sich um einen (anderen) Index. Die Reflexe haben unterschiedliche In-
durch Streuung ungeordneten Wassers sind bei 360 pm und 220 pm. tensitäten (integrierte Volumina) und enthalten die strukturelle Infor-
Bei Eiskristallen in der Probe wären diese Ringe scharf und schmal. mation über das Molekül im Kristall

pro Aufnahme gedreht, was Belichtungszeiten von 1–25


n n
min pro Bild entspricht. Synchrotronstrahlung und Pi- ⋅ ∑ hkl ∑ j =1 I hkl , j − ( I hkl )
Rmeas = n −1
xeldetektoren verkürzen die Belichtungszeit auf Bruch- n (25.13)
teile von Sekunden. Der Umfang der Gesamtdrehung ∑ hkl ∑ j =1I hkl , j
eines Kristalls richtet sich nach der Raumgruppe sowie
der relativen Orientierung der Kristallachsen zum Pri-
märstrahl und der Drehachse, um die der Kristall be- Ein Reflex (hkl) der Intensität Ihkl wird j Mal gemessen,
wegt wird. Je symmetrischer die Raumgruppe, desto we- maximal aber n Mal (Gl. 25.13). Alle j Reflexe sollten glei-
niger muss der Kristall für einen vollständigen Datensatz che Intensität haben, da sie symmetrieverwandt sind. Aus
insgesamt gedreht werden. Für Raumgruppen niedriger ihnen errechnet sich der Mittelwert ⟨Ihkl⟩, der von jeder
Symmetrie sind das 180°, bei kubischen Raumgruppen einzelnen Intensität Ihkl, j abgezogen wird. Summation und
können 45° ausreichen. Im Labor dauert die Daten- Normierung ergeben Rmeas, wenn die Multiplizität n als
sammlung 5–30 h, am Synchrotron manchmal unter ei- Vorfaktor (der Wurzelterm) berücksichtigt wird.
ner Minute. Meist werden die Daten über 60–360° ge-
sammelt. Dabei werden Reflexe gleicher vorhergesagter
Intensität, sog. symmetrieverwandte Reflexe, mehrfach Bei niedrigen und mittleren Auflösungen sollte Rmeas
gemessen, was der statistischen Absicherung des Daten- 3–5  % betragen. Mit zunehmend höherer Auflösung
satzes dient. Die mittlere Häufigkeit, mit der symmetrie- nimmt Rmeas zu, da die Intensität der Reflexe rasch klei-
verwandte Reflexe gemessen wurden, heißt Multiplizität ner wird und sich damit das S ­ ignal-zu-Rausch-­Verhältnis
n (früher: Redundanz). Sie dient der Qualitätsbeschrei- Ihkl/σ(Ihkl) verschlechtert. Besonders für Reflexe bei nied-
bung der Streudaten (Gl. 25.13). riger Auflösung, die ja die stärksten und deshalb am
Nach abgeschlossener Datensammlung werden die akkuratesten gemessenen Intensitäten sind, sollte Rmeas
Intensitäten aller aufgenommen Reflexe durch Integra- 10 % nicht übersteigen. Höhere Werte sind ein Hinweis
tion bestimmt (sog. Datenprozessierung). Die Qualität darauf, dass die Raumgruppe falsch sein könnte. Für
der integrierten Röntgenbeugungsdaten wird durch hohe Auflösungen ist Rmeas recht unbedeutend. In Publi-
R-Faktoren (von engl. residual) beschrieben. Eine Vari- kationen wird oft noch der verwandte Rsym angegeben.
ante der R-Faktoren ist Rmeas: Dieser beinhaltet nicht den Vorfaktor in Gl. 25.13 und
Röntgenstrukturanalyse
631 25
ist deswegen stark abhängig von der Multiplizität n. fahren benötigt diese drei Parameter zur Erzeugung des
­Wegen der fehlenden Vergleichbarkeit zwischen verschie- Bildes aus den Messdaten.
denen Datensätzen sollte er daher nicht mehr verwendet Bei der Diffraktion von Röntgenlicht ist das Bild
werden. die Elektronendichte ρ(x,y,z). Es ist die dreidimensio-
Ein zweiter wichtiger Parameter zur Beurteilung nale Verteilung der Elektronen aller Atome in der
der Datenqualität ist der Korrelationskoeffizient der Einheitszelle. Sie wird durch Fourier-Transformation
Halb-­Datensätze CC1/2. Zu seiner Berechnung werden (7 Abschn.  25.4.2) aus den Amplituden |Fhkl| und

die nicht gemittelten Intensitätsdaten per Zufall in Phasen ϕhkl berechnet:


Hälften geteilt und der Korrelationskoeffizient nach
1 −2 πi ( hx + ky + lz )
Pearson berechnet, also die Kovarianz der beiden ρ ( x,y,z ) = ∑ Fhkl ·eiϕhkl ·e (25.14)
Wertemengen, dividiert durch das Produkt der beiden VZelle
Standardabweichungen σ. CC1/2 liegt zwischen null
Die bekannte Wellenlänge des Primärstrahls wird durch
und eins, wobei der Wert eines akkuraten Datensatzes
die elastische Beugung am Kristallgitter nicht verändert,
oft >0,9 ist. Informativer ist aber eine Berechnung von
beeinflusst aber das Volumen der Einheitszelle VZelle.
CC1/2 in Auflösungsschalen (also Intervallen von θ),
Das Resultat der Datensammlung ist eine Liste von
die jeweils etwa die gleiche Zahl an gemessenen Inten-
­Intensitäten Ihkl und ihren Standardabweichungen σhkl.
sitäten enthalten. Das erlaubt es, die Auflösung des
Die Intensität Ihkl ist proportional zu F2hkl, dem Quadrat
Datensatzes anhand von CC1/2 > 0,3 festzulegen. Diese
der Strukturfaktoramplitude |Fhkl|, oder kurz: der Amp-
Methode ist aktuell favorisiert und statistisch besser
begründet als die Daten bei z. B. Ihkl/σ(Ihkl) > 3 einfach litude. |Fhkl| ist also direkt aus dem Datensatz zugäng-
lich, nicht aber die Phase ϕhkl. In bildgebenden Ver-
abzuschneiden. Ein CC1/2 von 0,3 entspricht je nach
fahren wie der Mikroskopie werden die Phasen der
Datensatz und Raumgruppe einem Ihkl/σ(Ihkl) zwischen
gestreuten Lichtwellen durch eine Linse „mitgemessen“
0,5 und 2.
und zusammen mit den Lichtintensitäten über eine Fou-
rier-Transformation automatisch in das Bild übersetzt.
Dies ist bei der Röntgenkristallographie nicht möglich,
25.5.4  as Phasenproblem und seine
D
weil es keine phasensensitiven Detektoren für Röntgen-
Lösung strahlen gibt. Das ist das Phasenproblem.
Es gibt im Wesentlichen drei Verfahren, das Phasen-
Die an einem Kristall gebeugten Röntgenstrahlen ent- problem zu lösen und die Phasen zu bestimmen: (1) Ra-
halten die komplette Information über die dreidimensi- ten, (2) Berechnung ungefährer Phasen aus den Atom-
onale Anordnung der Elektronen und damit auch der positionen einer kleinen Substruktur aus schweren
Atome im Kristall. Diese Information ist in den drei be- Atomen, und (3) Berechnung von Phasen anhand der
schreibenden Größen der gebeugten elektromagneti- Struktur eines schon bekannten Moleküls. Das Raten
schen Wellen enthalten: Wellenlänge λ, Amplitude |Fhkl| von Phasen, oder die direkte Methode, ist bei Molekülen
und Phase ϕhkl (. Abb.  25.21). Jedes bildgebende Ver- mit maximal etwa 1000 Atomen möglich und daher die

Standardmethode in der Kleinmolekülkristallographie.


I Bei größeren Molekülen wird das Problem zu komplex
Wellenlänge λ für die Anwendung direkter Methoden. Hier kommen
die zweite und dritte Methode zum Einsatz. Bevor wir
diese kurz vorstellen, müssen wir die Patterson-­Funktion
Amplitude F2
einführen. Sie liegt allen Varianten zur Lösung des Pha-
Amplitude F1 senproblems zugrunde.

25.5.4.1 Die Patterson-Funktion


t Wenn wir alle Phasen in Gl. 25.14 auf null setzen und
anstelle der Amplituden |Fhkl| deren Quadrate verwen-
den, also im Wesentlichen die Intensitäten Ihkl, erhalten
wir die Patterson-Funktion:

∑ Fhkl ·e (
1 2 −2 πi hx + ky + lz )
P ( x,y,z ) = (25.15)
VZelle
..      Abb. 25.21  Schematische Darstellung zweier gebeugter Rönt- Mathematisch betrachtet ist die Patterson-Funktion die
genwellen gleicher Wellenlänge, aber unterschiedlicher Phasen und Faltung der Elektronendichte mit sich selbst. Diese
Amplituden
632 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

Funktion ist nützlich, denn sie enthält Information über Auch beim isomorphen Ersatz, der sehr schwere Ele-
25 die Abstände zwischen Atomen des untersuchten Mo- mente verwendet, ist die Patterson-Funktion von zent-
leküls. Die Patterson-Funktion ist überall null, außer raler Bedeutung.
an Stellen, die interatomaren Abständen entsprechen
(. Abb. 25.22).

25.5.4.2  hasierung durch isomorphen
P
Die Patterson-Funktion eines Moleküls mit n Ato- Ersatz
men hat n2 Abstandsvektoren, von denen n sog. Selbst- Die Entwicklung des isomorphen Ersatzes war der his-
vektoren von Atom n auf Atom n zeigen und daher die torische Durchbruch bei der Lösung des Phasenprob-
Länge null haben. Diese Vektoren liegen am Ursprung lems in der makromolekularen Kristallographie. Hier
des Koordinatensystems. Der Wert der Patterson-­ nutzt man aus, dass sich Strukturen aus wenigen Ato-
Funktion am Ursprung ist deshalb enorm: Es ist die men direkt aus der Patterson-Funktion ablesen lassen.
Summe der Quadrate der Elektronenzahl aller Atom- Wenn es gelingt, ein paar wenige Atome mit hoher Elek-
paare im Molekül. Für H2O mit seinen nur zehn Elekt- tronenzahl in einem makromolekularen Kristall regel-
ronen beträgt der Wert 12 + 12 + 82 = 66. Könnte man mäßig zu platzieren, dann wird die Patterson-Funktion
den exakten Wert am Ursprung der Patterson-­Funktion sehr starke Signale enthalten, die den Abständen und
messen, hätte man einen Anhalt über die Gesamtzahl relativen Orientierungen dieser Schweratome entspre-
der Elektronen in der Einheitszelle (vgl. I0 bei SAXS chen. Daraus können die Koordinaten (Positionen) der
7 Abschn. 25.4.2).
  Schweratome bestimmt werden. Aus dieser sog. Sub-
Während die n Ursprungsvektoren keinerlei struktu- struktur (. Abb. 25.24) werden dann Phasen berechnet,

relle Information enthalten, sind die n2–n Vektoren ab- die als ungefähre Phasen für die Diffraktionsdaten die-
seits des Ursprungs interessanter. Es sind die Abstands- nen, womit das Phasenproblem gelöst wird.
vektoren von Atompaaren, deren Größe dem Produkt Zur Modifizierung mit Schweratomen werden die
der Zahl der Elektronen der beiden Atome entspricht. Je makromolekularen Kristalle in Lösungen von Schwer-
grösser die Ordnungszahlen der Atome im Paar, desto atomverbindungen transferiert, die ein Atom oder Ion
stärker ihr Signal in der Patterson-Funktion. Die Rich- mit hoher Masse enthalten (Soaking). Die Schweratom-
tungen der Vektoren geben die relativen Positionen der verbindungen diffundieren durch die Lösungsmittelka-
Atome im Molekül an. Da jedem Vektor zwischen Ato- näle (. Abb. 25.19) in den Kristall. Je nach den chemi-

men A→B ein anderer, gleich großer Vektor B→A in schen Eigenschaften der Schweratomverbindungen
entgegengesetzter Richtung entspricht, ist die Patter- binden sie kovalent oder nichtkovalent an hydrophile
son-Funktion zentrosymmetrisch. Für Moleküle mit oder hydrophobe Bereiche des Makromoleküls. Zum
wenigen Atomen kann man aus ihr aber die Struktur des Beispiel reagieren Hg2+-Ionen mit der Sulfhydrylgruppe
Moleküls erkennen, und in der Kleinmolekülkristallo- des Cysteins, und [PtCl4]2− koordiniert mit der Imida-
graphie findet sie häufig Anwendung (. Abb.  25.22).  zol-Seitenkette des Histidins. Ionen werden von ihren
Patterson-Funktionen von größeren Molekülen werden elektrostatischen Partnern angezogen (Kationen von
aber schnell unübersichtlich. Glutamat und Aspartat, Anionen von Histidin, Lysin
und Arginin). Hydrophobe Verbindungen wie I– und
OsO4 binden an hydrophobe Stellen. Ziel ist, einige weni-
ge Schweratome regelmäßig im Kristall zu platzieren,
H H ohne dass sich dessen Zelldimensionen ändern. Die
O
Struktur des Makromoleküls selbst darf sich auch nicht
O H
zu stark ändern. Kurz, der derivatisierte Kristall muss
isomorph zum nichtmodifizierten (nativen) Kristall sein.
1 H H
66
Beliebte Schweratome in der Kristallographie sind U,
Hg, Ir, Au, Pt, Os, und I. Sie kommen als simple (I–,
8
Hg2+) oder komplexe (UO22+, [PtCl4]2–, [AuCl4]–) Ionen
oder auch neutral (OsO4) zum Einsatz. Während I–
harmlos ist, werden die anderen Stoffe wegen ihrer Gif-
..      Abb. 25.22  Patterson-Funktion von Wasser. Das H2O-Molekül tigkeit immer seltener verwendet.
liegt in der Papierebene. Jedes der drei Atome im Wasser wird nach-
einander an den Ursprung verschoben und zwei Vektoren zu den ver-
bleibenden Atomen gezeichnet. Anstelle von Pfeilen, die vom Ur- Aufgrund ihrer größeren Elektronenzahl streuen die
sprung ausgehen, sind hier die Endpunkte der Vektoren als Kreise
gezeichnet, deren Durchmesser dem Produkt der Zahl der Elektro-
Schweratomverbindungen Röntgenstrahlen viel stärker
nen der Atompaare entspricht. Diese Variante heißt native Patter- als die leichteren Atome von Proteinen und Nucleinsäu-
son-Funktion ren. Bereits ein einziges gebundenes Quecksilberatom
Röntgenstrukturanalyse
633 25
pro Proteinmolekül verändert signifikant messbar die (7 Abschn. 25.4.3): Beide Spiegelbilder der Substruk-

relativen Intensitäten auf dem Beugungsbild des deriva- tur erklären die Differenz-Patterson-Funktion, aber
tisierten Kristalls im Vergleich zum nativen Kristall. Die nur eine davon ergibt Elektronendichtekarten korrek-
Reflexe eines isomorphen Derivatkristalls liegen also ter Chiralität. Bei Verwendung von nur einem Schwer-
auf identischen Positionen, verglichen zu denen des na- atomderivat ist außerdem der Fehler in den berechneten
tiven Kristalls, die Intensitäten Ihkl,nativ und Ihkl,Derivat un- Phasen noch recht groß, was zu verzerrten Elektro-
terscheiden sich aber. nendichtekarten führt. SIR-Karten ergeben daher ein
Nichtisomorphie ist ein relativ häufig auftretender, falsches oder zumindest ein unvollständiges Bild von
aber unerwünschter Effekt. Sie zeigt sich meist in einer der Verteilung aller Atome in der Einheitszelle. Im
Veränderung der Zellkonstanten oder einer ganz anderen schlimmsten Fall sind SIR-Elektronendichten gar
Kristallsymmetrie. Das Soaking führt außerdem frustrie- nicht interpretierbar, d. h., es sind keine kontinuierli-
rend oft zum Verlust der Kristallordnung. Grund dafür chen parallelen Dichtestränge für β-Faltblätter oder
ist meist, dass sich die Struktur des Moleküls bei Bindung der charakteristische rechtsgängige Verlauf von α-
des Schweratoms so stark ändert, dass der Kristall sich Helices oder B-DNA sichtbar. In solchen Fällen kann
ausdehnt, manchmal sogar „platzt“. Statt viele verschie- das Chiralitätsproblem auf diesem Wege nicht gelöst
dene Schweratomverbindungen mittels Soaking und Dif- werden.
fraktion zu testen, ist ein zeitsparender Ansatz die native Dann sind weitere Daten von anderen Derivatkris-
Gelelektrophorese (7 Abschn.  12.3.11). Hierzu werden
  tallen erforderlich, die eine zweite (andere) Substruktur
Proteine mit verschiedenen Schweratomverbindungen liefern. Die Kombination der Phaseninformation der
versetzt, und ihr Laufverhalten relativ zum nichtmodifi- verschiedenen Derivatkristalle wird entsprechend MIR
zierten Protein wird analysiert. Derivatisierung äußert (Multiple Isomorphous Replacement) genannt. Mit je-
sich in veränderter Wanderungsgeschwindigkeit. Nur dem zusätzlichen, unabhängigen Derivat wird nicht nur
solche Schweratomverbindungen werden dann für das der Fehler in der Phasenabschätzung geringer, sondern
Soaking von Kristallen eingesetzt. Die Strategie kann, auch das Chiralitätsproblem gelöst. Das Resultat ist
muss aber nicht zum Ziel führen, da Bindungsstellen in eine eindeutig interpretierbare Elektronendichtekarte
Lösung im Kristall blockiert sein können. (. Abb. 25.23).

Durch die Intensitätsunterschiede der Reflexe zwi-


schen dem nativen und einem isomorphen Derivatkris-
tall können die Positionen der Schweratome in der 25.5.4.3  hasierung durch anomale
P
Einheitszelle berechnet werden. Hierzu wird eine Patter- Dispersion
son-Funktion mit anderen Koeffizienten verwendet. Anomale Dispersion ist seit Mitte der 1990er-Jahre die
Statt |Fhkl|2 wird die Patterson-Funktion mit den Quad- wichtigste Methode zur De-novo-Strukturbestimmung.
raten der Differenzen zwischen den Amplituden der Sie beruht auf der anomalen Streuung von Röntgen-
nativen und derivatisierten Kristalle berechnet, also strahlen, einer nichtelastischen Streuung. Die beiden
(|Fderiv|–|Fnat|)2. Aus dieser Differenz-Patterson-Funktion Reflexe (h,k,l) und (−h,−k,−l) beschreiben dieselbe Ebe-
erhält man Vektoren, die den Abständen und relativen nenschar (. Abb. 25.7), allerdings wird sie in einem Fall

Positionen zwischen Schweratomen entsprechen. Die unter dem Winkel θ vom Primärstrahl getroffen, im an-
vielen Vektoren zwischen den leichteren Atomen des deren Fall unter –θ. Die Reflexe (h,k,l) und (−h,−k,−l)
Makromoleküls bleiben unsichtbar, und die Patterson-­ werden als Friedel-Paar bezeichnet; ihre assoziierten
Funktion enthält nur wenige Signale. Durch die Sym- Intensitäten I(h,k,l) und I(−h,−k,−l) sollten identisch
metrieoperatoren der Raumgruppe stehen diese Vekto- sein (Friedel’sches Gesetz). Das stimmt zwar für die
ren in Beziehung zueinander. Aus diesen Beziehungen meisten leichten Atome und die meisten Wellenlängen
lassen sich die tatsächlichen Anfangs- und Endpunkte der Röntgenstrahlung, doch kann die Anwesenheit
der Vektoren in der Einheitszelle ableiten: Die Substruk- schwerer Atome im Kristall dazu führen, dass sich die
tur aus Schweratomen im Kristall wurde bestimmt. Intensitäten von Friedel-Paaren unterscheiden. Dieses
Die aus der Substruktur erhaltene Phaseninforma- Phänomen wird als anomale Dispersion bezeichnet. Es
tion erlaubt eine grobe Abschätzung der Phasen zur entsteht durch vorübergehende Absorption eines Rönt-
Berechnung der Elektronendichte; dieses Verfahren genphotons durch ein schweres Element mit anschlie-
wird als SIR (Single Isomorphous Replacement) be- ßender Emission unter Verschiebung der Phase. Dazu
zeichnet. Man kann mit diesen SIR-Phasen und den muss das Röntgenabsorptionsmaximum des Elementes
gemessenen Strukturfaktoramplituden eine dreidimen- (z. B. seine K- oder L-Kante; . Abb. 25.2) in der Nähe

sionale Elektronendichtekarte für das gesamte Makro- der Wellenlänge des Primärstrahls liegen. Wie groß die
molekül berechnen. Allerdings besteht dasselbe Chi- resultierenden Intensitätsunterschiede des Friedel-­Paars
ralitätsproblem wie bei SAXS-Strukturbestimmungen sind, hängt vom Element und der verwendeten Wellen-
634 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

A
25

..      Abb. 25.24  Positionen der Selenatome in der Struktur des Enzyms


UDP-Zucker-Diphosphorylase. Die Methionine des rekombinanten
Proteins enthalten Selen anstelle des Schwefels. Die Selen-Substruktur
(rote Kugeln) wurde zur Phasenberechnung mittels SAD verwendet

B
chia-coli-Kulturen zugesetzt, wodurch bei der Protein-
biosynthese das Selenomethionin anstelle von Methi-
onin in das rekombinant überproduzierte Protein
eingebaut wird (. Abb. 25.24). So erübrigt sich die oft

langwierige Suche nach Schweratomderivaten. Zur Ma-


ximierung des anomalen Signals sollte die Wellenlänge
des Röntgenlichtes auf das Röntgenabsorptionsmaxi-
mum des verwendeten Schweratoms abgestimmt wer-
den. Hier kommt ein wesentlicher Vorteil von Syn-
chrotronstrahlung zum Tragen: die Möglichkeit, die
Wellenlänge zu variieren (7 Abschn. 25.1).

Aus den gemessenen Intensitätsunterschieden (1–3 %)


der Friedel-Paare lässt sich Phaseninformation mittels der
Patterson-Funktion auf ähnliche Weise ableiten wie bei
SIR/MIR. Anstelle der Differenzen zwischen den Struk-
turfaktoramplituden von nativen und derivatisierten
..      Abb. 25.23  Ausschnitt aus den Elektronendichten des Enzyms Kristallen werden nun die Differenzen der Amplituden
tRNA-Guanin-Transglykosylase. A Dichte berechnet mit experimen- der Friedel-Paare, die sog. anomalen Differenzen, einge-
tellen Schweratom-Phasen aus MIR bei einer Auflösung von 0,3 nm. B
Derselbe Ausschnitt mit den Modellphasen des verfeinerten, endgülti-
setzt. Die Substruktur wird aus der erhaltenen anomalen
gen Strukturmodells bei einer Auflösung von 185 pm. Die Interpreta- Differenz-Patterson-Funktion berechnet (. Abb. 25.24).  

tion der Dichten durch ein atomares Modell ist eingezeichnet Hat man nur einen Datensatz, heißt die Methode SAD
(Single-Wavelength Anomalous Diffraction). Bei einem
MAD-Experiment (Multiple Wavelength Anomalous Dis-
länge ab. Die Schwefelatome in Proteinen (Cystein und persion) werden Datensätze bei verschiedenen Wellenlän-
Methionin) und die Phosphoratome in Nucleinsäuren gen gesammelt, typischerweise drei. Die Wellenlänge di-
verursachen bereits einen sehr kleinen anomalen Effekt. rekt am Absorptionsmaximum liefert einen Datensatz
Wesentlich stärkere anomale Signale werden durch Me- mit dem stärksten anomalen Signal. Bei einer Wellenlänge
tallionen verursacht, die entweder natürlich als Cofak- ca. 0,1  pm neben dem Absorptionsmaximum wird ein
toren vorhanden sind (Fe3+, Ni2+, Zn2+, Cu2+, etc.) oder zweiter Datensatz mit signifikant verschiedenen Intensi-
zur SIR/MIR-Phasenbestimmung künstlich gebunden täten erhalten. Diese beiden Datensätze entsprechen zwei
wurden. Der Effekt ist aber nicht auf Metalle be- Derivaten bei MIR. Ein dritter Datensatz, der ca. 10 pm
schränkt: Br–, I– und sogar Xenon zeigen anomale Ef- neben dem Absorptionsmaximum aufgezeichnet wird,
fekte. Das mit Abstand am häufigsten verwendete ano- dient als „nativer“ Datensatz. Aus Gründen der Isomor-
mal streuende Element in Proteinkristallen ist Selen. phie sollten alle Datensätze von einem einzigen Kristall
Das Element wird in Form von Selenomethionin dem stammen, weshalb Strahlenschäden unbedingt minimiert
Kulturmedium von methioninauxotrophen Escheri- werden müssen.
Röntgenstrukturanalyse
635 25
Die Stärke des anomalen Signals entscheidet über
Erfolg und Misserfolg bei der Phasierung. Bei der selen- 1. Rotation
basierten Phasierung ist das Verhältnis von Anzahl der
Methionine zu molekularer Masse des Proteins in der
asymmetrischen Einheit wichtig. Sollte ein Protein kein
2. Translation
oder nur wenige Methionine enthalten, kann deren Zahl
durch Mutagenese erhöht werden. Schwache anomale
Signale aus SAD oder MAD können mit (schlechten)
Phasen aus anderen Quellen wie SIR/MIR kombiniert
werden, solche Hybridansätze werden SIRAS bzw. MI-
RAS genannt und führen oft zum Erfolg. Der aktuelle
..      Abb. 25.25  Prinzip des molekularen Ersatzes. Die unbekannte
Trend bei der De-novo-Phasierung ist Schwefel-­SAD, Struktur ist hellrot, das zu ihr ähnliche Suchmodell hellblau. Im ers-
bei dem das geringe anomale Signal des Schwefels in ten Schritt wird das Suchmodell so gedreht, dass es dieselbe Orientie-
Proteinen an Synchrotronen bei hoher Wellenlänge rung wie die unbekannte Struktur hat (blau). Das so orientierte Mo-
(200–250  pm) mit Multiplizitäten von n  >  20 akkurat dell wird im zweiten Schritt an die Position der unbekannten Struktur
gemessen wird. Der Vorteil ist, dass man kein Derivat verschoben. Dann werden die Phasen des positionierten Suchmo-
dells mit den gemessenen Fobs zu einer Elektronendichte vereint, die
benötigt und daher keine Probleme mit Nichtisomor- nun zusätzliche Information enthält (Zähnchen, andere Augen)
phie hat.

25.5.4.4  hasierung durch molekularen


P wird der eine Vektorensatz gegen den anderen in kleinen
Winkelschritten um alle drei Achsen gedreht wird (sog.
Ersatz
Rotationsfunktion). Bei Übereinstimmung beider Pat-
Oft steht bereits eine ähnliche Struktur für wenigstens terson-Funktionen hat die Rotationsfunktion ein Maxi-
einen Teil des Inhaltes der asymmetrischen Einheit zur mum, und der zugehörige Drehwinkel ist eine mögliche
Verfügung. Das kann die Struktur einer Variante, eines Lösung für das Rotationsproblem.
Homologen aus einem anderen Organismus oder einer Das so rotierte Suchmodell wird im zweiten Schritt
einzelnen Komponente aus einem Multikomponenten-­ in kleinen Schritten durch die Einheitszelle transla-
Komplex sein. In diesen sehr häufigen Fällen der Struk- tiert. Nach jedem Schritt wird eine Patterson-Funkti-
turbestimmung nimmt man die Phasen des bekannten on mit großem Radius (für intermolekulare Abstände)
Moleküls und berechnet zusammen mit den gemessenen ­berechnet und mit der Patterson-Funktion aus den ex-
Amplituden des unbekannten Moleküls eine erste Elek- perimentellen Amplituden korreliert (sog. Translati-
tronendichtekarte. Dieser sog. molekulare Ersatz (MR, onsfunktion). Mögliche Lösungen zeigen sich wieder
Molecular Replacement) ist die am meisten verwendete in Maxima der Translationsfunktion.
Methode zur Bestimmung neuer Strukturen. Er findet Aus dem positionierten Suchmodell werden Phasen
Verwendung, wenn die beiden Sequenzen wenigstens ϕ berechnet. Zusammen mit den F wird daraus eine
calc obs
25  % identisch sind (. Abb.  25.25). Wie bei den Sub- Elektronendichtekarte

nach Gl.  25.14 erstellt. Diese
strukturen werden die Phasen aus den Koordinaten der Karte zeigt zusätzliche Informationen an, die spezifisch
bekannten Struktur, quasi rückwärts, durch inverse für die neue Struktur sind, aber nicht im Suchmodell
Fourier-Transformation berechnet. Damit das klappt, vorhanden waren (. Abb.  25.26). Der nächste Schritt

muss das bekannte Modell aber zuerst so gedreht und ist die Korrektur und Verfeinerung des Suchmodells zur
verschoben werden, dass es mit der unbekannten Struk- gesuchten Struktur.
tur überlagert. Normalerweise unterscheiden sich so-
wohl die Raumgruppen als auch die Orientierung des
Moleküls in der bekannten und der neuen, unbekannten
Kristallstruktur. Die bekannte Struktur, auch Suchmo- 25.5.5 Modellbau und
dell genannt, wird in der Einheitszelle der unbekannten Strukturverfeinerung
Struktur in zwei Schritten platziert. Einer Rotation folgt
eine Translation (. Abb. 25.25), wobei in beiden Fällen Die Interpretation der Elektronendichtekarte kann zwar

die native Patterson-Funktion (. Abb. 25.22) zum Ein- automatisch erfolgen, wird aber in der Regel noch ma-

satz kommt. nuell vorgenommen. Die Elektronendichtekarte wird


Für die Rotation werden zwei Patterson-Funktionen auf einem Grafikbildschirm dargestellt und interaktiv
berechnet, eine mit den Amplituden Fobs aus den gemes- mit Fragmenten von Polypeptiden und/oder Nuclein-
senen Beugungsintensitäten, die zweite mit den Ampli- säuren gefüllt. Je kleiner der Phasenfehler und je besser
tuden Fcalc aus den Atomkoordinaten des Suchmodells. die Auflösung, desto eindeutiger ist die Elektronendich-
Die zwei Sätze von Patterson-Vektoren werden durch tekarte. Bei niedriger Auflösung von etwa 0,5 nm lassen
eine Produktfunktion miteinander korreliert. Hierbei sich gerade noch die Form des Proteinmoleküls sowie
636 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

dungen, geordnetes Wasser, Ionen, Puffermoleküle und


25 A Konformationen von langen Seitenketten (z.  B.  Lysin,
Arginin). Erst bei atomarer Auflösung (<120 pm) wer-
den Atome als einzelne Kugeln in der Elektronendichte
sichtbar. Die meisten Kristallstrukturen beruhen auf
Daten mit einer Auflösung zwischen 0,2–0,3 nm, wobei
die Zahl der hoch aufgelösten Strukturen mit Daten von
150–200 pm ständig zunimmt.
Das erste Modell aus der Interpretation der Elektro-
nendichte enthält meist noch viele Fehler, die durch die
anschließende sog. kristallographische Verfeinerung ver-
ringert werden. Die Verfeinerung versucht, die Differenz
zwischen den experimentell beobachteten Amplituden
Fobs und den vom augenblicklichen Modell berechneten
Fcalc zu minimieren. Dies geschieht iterativ durch leichtes
Variieren der Atomkoordinaten und Temperaturfakto-
ren (s. u.), Berechnung neuer Fcalc vom veränderten Mo-
dell und Vergleich mit den gemessenen Fobs. Die Strate-
gien sind dieselben wie bei SAXS (7 Abschn.  25.4.3):  

Rigid-Body-Anpassung, Simulated Annealing, Molekül-


B dynamik und Energieminimierung. Während der Verfei-
nerung werden verschiedene Energieterme berechnet, die
die Abweichungen von der idealen Geometrie bzgl. Bin-
dungslängen und -winkel, die abstoßenden Kräfte zwi-
schen chemisch nicht gebundenen Atomen sowie die Dif-
ferenz zwischen Fobs und Fcalc beschreiben. Ziel ist die
Minimierung der Energieterme unter Erhalt einer physi-
kalisch plausiblen Geometrie des Modells. Je höher die
Auflösung, desto mehr Daten Fobs stehen der Verfeine-
rung zur Verfügung, und desto akkurater wird das ver-
feinerte Modell.
Am Ende der ersten Verfeinerungsrunde werden zwei
neue Elektronendichtekarten berechnet (. Abb. 25.26).  

Für die sog. 2Fo−Fc-Karte nimmt man 2  ·  Fobs−Fcalc als


Koeffizienten für die Fourier-­Transformation (Gl. 25.14).
Diese Karte repräsentiert das gesamte Strukturmodell
inklusive seiner noch fehlenden Teile. Im Gegensatz dazu
..      Abb. 25.26  Modellbau in Elektronendichte. 2Fo–Fc-Dichte ist betont eine Karte, die mit Fobs−Fcalc-Differenzen berech-
blau und auf einer Höhe von 1 rmsd (root mean square deviation)
net wurde, die fehlenden Teile des Strukturmodells, da
konturiert. Fo–Fc-Dichte ist rot für positiv (+3 rmsd) und grün für
negativ (–3 rmsd). A Die Seitenkette dieses Tryptophans wurde sie an diesen Stellen stark positive Werte hat. Auch nega-
falsch herum gebaut (PDB-ID 1qw9). Ein Wassermolekül (rote Ku- tive Dichte ist in dieser sog. Fo−Fc-Karte möglich: Es
gel) wurde auch falsch eingesetzt, es sitzt viel zu dicht am Protein sind Stellen, an denen Atome im Modell sind, die dort
(rote Strichlinien). B Korrigierte und verfeinerte Struktur. Die Fo–Fc- nicht hingehören. Das Modell wird mithilfe der beiden
Dichte ist verschwunden. Das korrekte Tryptophan unterhält nun
Karten manuell korrigiert und einer weiteren Verfeine-
eine Wasserstoffbrücke mit dem Protein, und es gibt keine sterischen
Konflikte mehr rungsrunde unterzogen. Der Zyklus kann viele Male
durchlaufen werden, bis ein zufriedenstellendes Modell
erhalten wird.
der Verlauf von α-Helices als wurstförmige Dichtesträn- Die Übereinstimmung zwischen Fobs und Fcalc ist ein
ge erkennen. Bei mittlerer Auflösung (0,3  nm) kann Maß für die globale Korrektheit eines Modells und wird
meist der Verlauf der Polypeptid- bzw. Nucleinsäureket- durch den kristallographischen R-Faktor Rcryst ausge-
te klar verfolgt werden. Ebenso erlaubt diese Auflösung drückt:
eine Zuordnung der Seitenketten an Hand bekannter ∑ Fobs ( h,k ,l ) − Fcalc (h,k ,l )
Sequenzdaten. Bei höherer Auflösung (0,2 nm) werden Rcryst = (25.16)
immer mehr Details sichtbar, darunter cis-Peptidbin- ∑ Fobs ( h,k ,l )
Röntgenstrukturanalyse
637 25
Bei einer exakten Übereinstimmung von berechneten von wo sie spätestens mit der Veröffentlichung der
und gemessenen Streudaten wäre Rcryst  =  0. Für ein Struktur für alle zugänglich werden (7 www.­pdb.­org).

­erstes, noch nicht verfeinertes Modell liegt der Wert oft


zwischen 0,45 und 0,5, aber selbst für gut bestimmte und
verfeinerte Strukturen liegt Rcryst noch immer zwischen 25.5.6 Validierung von Strukturmodellen
0,15 und 0,20. Diese Abweichung beruht nicht nur auf
experimentellen Fehlern in den Beugungsdaten, sondern Am Ende einer Verfeinerung steht ein Strukturmodell,
vor allem auf nicht perfekter kristalliner Ordnung und also ein physikalisch plausibles Ensemble von Atomen,
kleinen strukturellen Unterschieden zwischen den ein- das bestmöglich die gemessenen Beugungsdaten be-
zelnen Molekülen im Kristall, über die der Röntgen- schreibt. Für Nutzer solcher Modelle sind Parameter
strahl mittelt. Das bedeutet, dass das verfeinerte Modell zur Qualitätseinschätzung wichtig. Grob kann zwischen
einen physikalisch plausiblen Mittelwert zwischen den globalen und lokalen Parametern unterschieden wer-
minimal verschiedenen Konformationen und Orientie- den, wobei die globalen oft weniger wichtig zur Beant-
rungen der Moleküle im Kristall darstellt. wortung biologischer Fragen sind als die lokalen. Zum
Die Flexibilität von Teilen der Moleküle im Kristall Beispiel ist hohe Auflösung nicht wichtig, wenn es ledig-
kann sogar so weit gehen, dass durch die inhärente Mit- lich auf den Verlauf einer Polypeptidkette ankommt, die
telung bei der Röntgenbeugung die Elektronendichte so Details von Seitenketten aber uninteressant sind. Weite-
niedrig ist, dass diese Teile nicht modelliert werden kön- re globale Parameter sind Rcryst, der mittlere B-Wert, so-
nen. Das kann für einzelne Seitenketten genauso auftre- wie die Abweichung der Bindungslängen und -winkel
ten wie für Schleifenregionen, die Sekundärstrukturele- von den Erwartungswerten. Je kleiner diese Werte, desto
mente (α-Helices bzw. β-Stränge) miteinander verbinden. besser sollte das Strukturmodell sein. Das stimmt aber
Manchmal sind ganze Domänen im Kristall ungeordnet. nicht immer. Für Bindungslängen und -winkel sollten
Ein Versuch, die relative „Beweglichkeit“ von Atomen die Abweichungen <1,8  pm bzw. <2,0° sein. Da Bin-
im Kristall zu beschreiben, sind die Temperaturfaktoren dungslängen und -winkel aber Teil der Energiefunktio-
oder B-Werte. Sie werden parallel zu den Koordinaten nen in Verfeinerungsprogrammen sind, haben die Ab-
der Atome während der Verfeinerung variiert und opti- weichungen nur beschränkt Aussagekraft für die
miert. B-Werte beschreiben die Ortsunsicherheit eines Qualität einer Struktur. Auch Rcryst kann durch bestimm-
Atoms in Einheiten von Å2. Je höher die B-Werte, desto te Verfeinerungstaktiken artifiziell klein werden und da-
schlechter sind die Orte der Atome durch die Elektro- mit eine bessere Struktur als tatsächlich vortäuschen.
nendichte definiert. Die verfeinerten B-Werte sind daher Daher kommt seit 1997 eine Kreuzvalidierungsmethode
ein grobes Maß für die Flexibilität der Strukturelemente zum Einsatz: Ein kleiner Teil der Beugungsdaten, nor-
im Kristall. Wenn die Beweglichkeit nicht durch Kristall- malerweise 5–10 %, wird von der Strukturverfeinerung
kontakte eingeschränkt wird, reflektieren sie auch die ausgeschlossen, und diese unabhängigen Reflexe dienen
Beweglichkeit in Lösung. B-Werte von 20–40 Å2 stehen nur der Berechnung des freien R-Faktors Rfree, der an-
für eine relativ rigide Struktur. sonsten aber genau wie Rcryst definiert ist. Bei einem sehr
guten Strukturmodell kann Rfree der Auflösung in Nano-
metern entsprechen (bei 0,2 nm also ca. 20 %). Seine Ab-
Da die Elektronendichte das zeitliche und räumliche
weichung von Rcryst sollte nicht mehr als 10–20 % relati-
Mittel vieler Moleküle repräsentiert, drücken B-Werte
ven Anteil betragen.
sowohl die statische als auch die dynamische Ortsunsi-
Selbst Strukturmodelle, die diesen globalen Parame-
cherheit der Atome aus. Für isotrope Bewegungen wer-
tern genügen, können im Detail grundfalsch sein
den beide Aspekte durch die Beziehung
(. Abb.  25.26). Manchmal ist der wichtigste Aspekt

Biso = 8π u x
2 2 einer Struktur z. B. der Bindungsmodus eines Liganden,
Substrates, Cofaktors oder Metallions. Globale Para-
beschrieben. Dabei ist ux die Ortsunsicherheit u des meter liefern keine Anhaltspunkte, ob diese im Modell
Gravitationszentrums eines Atoms in jede Richtung enthaltenen kleinen Moleküle tatsächlich auch im Kris-
x. Die Formel erklärt auch die Einheit Å2 für die tall vorliegen. Da globale Parameter den Mittelwert al-
B-Werte. ler Atome im Modell repräsentieren, sind sie nahezu
­inert gegenüber ein paar falschen Atomen. Hier hilft nur
der Blick in die Elektronendichte, den wichtigsten und
Nach Abschluss der Verfeinerung werden die Atom-
am besten zugänglichen lokalen Parameter. Seit 2008
koordinaten und die experimentellen Daten in Form
müssen Daten zur Berechnung von Elektronendichten
von Strukturfaktoren (gemessene Amplituden und letz-
in der PDB deponiert werden. Sie können mithilfe frei
te Phasen) in der Protein Data Bank (PDB) deponiert,
verfügbarer Programme wie Coot, Pymol oder Chimera
638 D. Klostermeier und M. G. Rudolph

geladen und analysiert werden. Verschwindet beim Er- „springen“, das wäre physikalisch nicht plausibel. Eine
25 höhen des Konturlevels die Elektronendichte eines graduelle Änderung der B-Werte über ein Molekül hin-
wichtigen Teils der Struktur sehr schnell, muss man von weg ist dann plausibel, wenn der Teil mit höheren
dessen Unordnung oder gar Abwesenheit ausgehen und B-Werten weniger Wechselwirkungen eingeht und damit
diesen Teil der Struktur anzweifeln. flexibler ist. Strukturen, die nicht plausible Elektronen-
dichten oder B-Wert-Verteilungen aufweisen, sollten mit
Vorsicht genossen werden.
Das Konturlevel einer Elektronendichtekarte entschei-
det, in welcher „Höhe“ sie abgeschnitten und darge-
stellt wird. Es kann frei gewählt werden, üblicherweise
25.6  Ausblick
0,5–2 rmsd für 2Fo–Fc-Karten und ±3 rmsd für Fo–Fc-
Karten. Dabei ist die mittlere Abweichung rmsd ein
Maß für die Abweichung eines Wertes der Elektronen-
Die hauptsächlichen Entwicklungsrichtungen in der
dichte von ihrem Mittelwert. Bei hohem Konturlevel
Röntgenstrukturanalyse sind technische Verbesserungen
werden nur die Atome mit höchster Elektronendichte
und die Verknüpfung bisher alleinstehendender biophy-
visualisiert. Ist das Konturlevel zu niedrig, wird das
sikalischer Methoden. Dies erlaubt zeitaufgelöste Mes-
Rauschen in der Karte deutlich.
sungen mit inhärent statischen Methoden wie SAXS und
Röntgenkristallographie. Die Einzelphotonendetektoren
sind mittlerweile so schnell, dass kontinuierlich zeitauf-
Manchmal werden Teile (Schleifen, Seitenketten) mit gelöste Messungen im Millisekunden-Bereich durchge-
falscher Geometrie gebaut. Solche sterisch anspruchs- führt werden können. Zudem werden in den nächsten
vollen Konformationen hoher Energie erkennt man bei zehn Jahren viele Synchrotrone so verbessert, dass ihre
Proteinen im Ramachandran-Diagramm, das energe- maximale Lichtintensität 1000–10.000-fach erhöht wird.
tisch erlaubte und verbotene Kombinationen der Haupt- Dies lässt neue Experimente mit kleineren Kristallen und
ketten Torsionswinkel darstellt. Sind die Atome geord- stark verdünnten Lösungen zu. Eine weitere technische
net, kann man ihre korrekten Positionen aus den Entwicklung ist der freie Elektronenlaser (XFEL), des-
Differenzdichtekarten erkennen (. Abb.  25.26). Wer-
  sen Lichtintensität nochmals 105–108-­fach über denen
den Konformationen hoher Energie durch Elektronen- der stärksten Synchrotrone liegt. XFELs und die neuen
dichte unterstützt, können sie biologisch sehr relevant Synchrotrone erzeugen Pulse von Röntgenlicht in Ab-
sein. Bei ungeordneten Bereichen dagegen ist die Elekt- ständen von Pikosekunden, was die diskontinuierliche
ronendichte fast null. Atome in solchen Bereichen wer- Messung extrem schneller Kinetiken erlaubt. Dazu wer-
den oft nicht ins Modell aufgenommen und können zu den Methoden wie Lichtstreuung oder Laserspektrosko-
Verwirrung bei der Modellanalyse führen. pie mit der Röntgenquelle verknüpft. Optische Laser
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Strukturqualität können schnelle Reaktionen initiieren. Z.  B. kann die
ist die Zuordnung von Ionen. Ionen werden oft nicht mit Bindung ... gebrochen, und Strukturänderungen bei der
der aus der allgemeinen Chemie erwarteten Koordinati- Reassoziation können verfolgt werden. Auch laserindu-
onssphäre modelliert. Das Problem hier ist, dass Elekt- zierte cis/trans-­Isomerisierungen in z. B. Retinal werden
ronendichte z.  B. zwischen H2O, Na+ und Mg2+ nicht detailliert verfolgbar. Viele langsamere enzymkatalysier-
unterscheidet, da sie alle je zehn Elektronen und ver- te Reaktionen können mittels Soaking der Enzymkristal-
gleichbare Volumina haben. Dasselbe gilt für Ca2+ und le mit Substraten gestartet werden. Die Strukturen von
K+ (je 18 Elektronen). Hier hilft Kenntnis der Bindungs- Reaktionsintermediaten können nun bei Raumtempera-
geometrien und -längen von Metallkomplexen. So soll- tur sehr schnell bestimmt werden. All dies war bis vor
ten z.  B.  Mg2+-Ionen immer oktaedrisch koordiniert wenigen Jahren noch nicht denkbar.
sein.
Wenn keine Elektronendichtekarten vorliegen, kön-
nen die B-Werte einen Eindruck von der lokalen Quali-
tät der Struktur geben. B-Werte enthalten relative Infor- Literatur und Weiterführende Literatur
mationen: Atome in räumlicher Nähe sollten ähnliche
B-Werte haben, weil die Ortsunsicherheit der Atome ge- Bernado P et al (2007) Structural characterization of flexible prote-
koppelt ist. Die Kopplung ist stark bei kovalent ver- ins using small-angle X-ray scattering. JACS 129:5656–5664
Blow DM (2002) Outline of crystallography for biologists. Oxford
knüpften Atomen, weniger stark bei nichtkovalenten University Press, New York. (Sehr verständlich geschrieben. Für
Wechselwirkungen. Ein Ligand, Substrat, etc. sollte da- alle, die sich noch nicht an Rupp (s. u.) trauen)
her ähnliche B-Werte haben wie die Atome des Makro- Ducruix A, Giege R (1992) Crystallization of nucleic acids and pro-
moleküls, die daran binden. Innerhalb eines Liganden teins. A practical approach, 2. Aufl. IRL Press, Oxford. (Der
dürfen die B-Werte von Atom zu Atom nicht wild Klassiker zur Kristallisation von Makromolekülen)
Röntgenstrukturanalyse
639 25
Klostermeier D, Rudolph MG (2017) Biophysical Chemistry. CRC Ramboand RP, Tainer JA (2010) Bridging the solution divide: com-
Press, Taylor & Francis Group. (Aktuelles Werk zu biophysikali- prehensive structural analyses of dynamic RNA, DNA, and pro-
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Spektrum, Wiesbaden. (Deutschsprachiges Buch zur Kristallo- users of macromolecular models, 2. Aufl. Academic Press,
graphie) New York. (Schöne Einführung in den reziproken Raum)
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molecular structures, conformations and assemblies in solution. ging and nuclease processing in double-strand-break repair. Cell
Q Rev Biophys 40:191–285 135:97–109
641 III

Spezielle Stoffgruppen
Inhaltsverzeichnis

Kapitel 26 Analytik synthetischer Peptide – 643


Annette Beck-Sickinger und Jan Stichel

Kapitel 27 Kohlenhydratanalytik – 659


Andreas Zappe und Kevin Pagel

Kapitel 28 Lipidanalytik – 689


Hartmut Kühn

Kapitel 29 Analytik posttranslationaler Modifikationen:


Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation
von Proteinen – 723
Gereon Poschmann, Nina Overbeck, Katrin Brenig
und Kai Stühler
643 26

Analytik synthetischer Peptide


Annette G. Beck-Sickinger und Jan Stichel

Inhaltsverzeichnis

26.1 Prinzip der Peptidsynthese – 644

26.2 Untersuchung der Reinheit synthetischer Peptide – 649

26.3 Charakterisierung und Identität synthetischer Peptide – 650

26.4 Charakterisierung der Struktur synthetischer Peptide – 653

26.5 Analytik von Peptidbibliotheken – 655


Literatur und Weiterführende Literatur – 657

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_26
644 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

55 Synthetisch hergestellte Peptide spielen in der bioche-sationsreaktionen  –  sowohl die N-­ terminale Amino-
mischen Forschung eine entscheidende Rolle und wer- gruppe des ersten Reaktionspartners, dessen Carboxy-
den dabei vor allem in der Proteinforschung und in der gruppe in Reaktion treten soll, als auch die C-terminale
26 pharmazeutischen Wirkstoffentwicklung eingesetzt.
Nach abgeschlossener Synthese müssen in jedem Fall
Carboxygruppe des anderen Reaktionspartners, dessen
Aminokomponente reagieren soll, durch reversibel
die Identität und die Reinheit der synthetisierten Pep-spaltbare Schutzgruppen blockiert werden (. Abb. 6.2).  

tide bestimmt werden. Um unerwünschte Nebenreaktionen völlig zu vermei-


55 Die Reinheit wird in den meisten Fällen über Umkehr- den, müssen darüber hinaus die reaktiven Seitenketten
phasen-HPLC charakterisiert. der sog. trifunktionellen Aminosäuren (Lys, Arg, His,
55 Die Identität wird über massenspektrometrische Ver- Glu, Asp, Ser, Thr, Tyr, Cys) in reversibler Form ge-
fahren bestimmt. Hier wird auch deutlich, an welchen schützt werden (. Abb.  26.3). Andererseits muss für

Stellen während der Synthese Probleme auftraten. eine effiziente Amidbildung die reaktionsträge freie
55 Die Sekundärstruktur kann mittels CD-Spektroskopie Carboxygruppe der Carboxykomponente in ein reakti-
evaluiert werden. onsfähiges aktiviertes Derivat umgewandelt werden.
Bei der von R.  Bruce Merrifield 1963 eingeführten
Synthetische Peptide haben nicht nur in der Erforschung Methode der Festphasenpeptidsynthese wird das Peptid
von bioaktiven Peptiden, wie z. B. von Hormonen und an einem polymeren Träger sequenziell vom C- zum
Neurotransmittern, und in der Wirkstoffentwicklung N-Terminus aufgebaut. Im ersten Schritt wird die C-­
eine immense Bedeutung, sondern auch in der Protein- terminale Aminosäure des zu synthetisierenden Pepti-
forschung. Synthetisch dargestellte Segmente von Protei- des mit ihrer Carboxygruppe über eine Ankergruppie-
nen dienen als Referenzen bei der Identifizierung einer rung mit dem polymeren Träger (Harz) verbunden
Primärsequenz, werden zur Epitopcharakterisierung (. Abb.  26.2 und  26.3). Unter einem Anker versteht

von viralen und bakteriellen Oberflächenproteinen ein- man ein Segment, das nach beendeter Synthese die Ab-
gesetzt („synthetische Impfstoffe“), dienen zur Anti-­ spaltung des Peptides von der festen Phase unter spezi-
Protein-­Antikörpergewinnung, die dann gegen ganz be- fischen Bedingungen ermöglicht. Die in der Sequenz
stimmte Proteinbereiche gerichtet sind, und werden zur folgende, N-terminal geschützte Aminosäure wird am
Konformationsanalyse von Segmenten eingesetzt. Durch Carboxyterminus mittels Kupplungsreagenzien akti-
die rapide Entwicklung der Fluoreszenzmethoden wer- viert (z. B. als Ester) und dann an das freie Aminoende
den Peptide, die selektiv einen Fluoreszenzfarbstoff tra- der Peptidkette gekuppelt. Nach der Abspaltung der
gen, häufig für Interaktionsstudien eingesetzt. Für diese Aminoschutzgruppe folgt die Kupplung der nächsten
vielfältigen Anwendungen ist die Festphasenstrategie die N-terminal geschützten Aminosäure. Dieser Zyklus von
wirkungsvollste Synthesemethode, insbesondere wenn Kupplung und Abspaltung wird so lange wiederholt, bis
nur geringe Mengen (weniger als 10 mg) und durch- das Peptid die gewünschte Länge erreicht hat. Nachdem
schnittliche Reinheit (95–98 %) benötigt werden. sämtliche Kupplungen durchgeführt wurden, wird das
Peptid vom Harz abgespalten, d. h. die kovalente Bin-
dung zwischen C-terminaler Aminosäure und der An-
26.1  Prinzip der Peptidsynthese kergruppierung des polymeren Trägers wird getrennt,
wobei je nach Anker das Peptid als Säure oder als Amid
Bei der chemischen Synthese von Peptiden und Protei- entsteht. Die Seitenkettenschutzgruppen werden hierbei
nen werden Aminosäuren durch die Bildung von Säure- meistens mit abgespalten.
amiden durch Kondensationsreaktion schrittweise mit- Bei der Wahl der Schutzgruppen ist es entschei-
einander verknüpft (. Abb. 26.1). Da jede Aminosäure dend, dass im Laufe der Synthese die N-terminale

sowohl eine NH2 – als auch eine COOH-­Gruppe besitzt, Schutzgruppe ständig wieder entfernt werden muss,
müssen – für einen eindeutigen Ablauf dieser Konden- ohne dass es zur vorzeitigen Abspaltung der Seiten-

..      Abb. 26.1  Prinzip der Peptidsynthese. Die N-Terminus


Peptidbindung, die die Aminosäuren verknüpft, Kondensation
wird durch eine Kondensationsreaktion erzielt
Peptidbindung C-Terminus

R 5 H O R3 H O R1
H H
H C OH N C C N C C
N C H C N C C N COOH
H H
4 2
H O R H O R H

a-Aminosäure Peptid
Analytik synthetischer Peptide
645 26
..      Abb. 26.2  Schematische Darstellung von
O O
Peptiden nach der Festphasensynthese. Die
Peptide sind C-terminal am Anker kovalent CH2 O C N CHR C OH HO A Polymer
gebunden. Die N-terminal geschützten Peptide
H H
(z. B. mit Fmoc-­Schutzgruppe) werden unter Polymer mit Anker
Aktivierung gekuppelt. Die N-­terminale Fmoc-Aminosäure
Schutzgruppe wird durch ein geeignetes Reagens 1. Aktivierung
abgespalten. Dieser Zyklus wird wiederholt, bis 2. Kupplung
das gewünschte Peptid dargestellt wird. Im letzten
Schritt werden die Schutzgruppen der Seitenket-
ten abgespalten und das Peptid vom Polymer O O
gelöst CH2 O C N CHR C O A Polymer

H H
3. Abspaltung der
N-terminalen Schutzgruppe

O O O
CH2 O C N CHR C OH H N CHR C O A Polymer

H H H

Fmoc-Aminosäure 4. Aktivierung
5. Kupplung

Wiederholung
der Schritte 3–5 bis zur
gewünschten Peptidlänge

Trifluoressigsäure

t-Bu Boc
O O
CH2 O C N Peptid C O A Polymer

H H

Piperidin Trifluoressigsäure

6. Abspaltung der Schutzgruppen


und des Polymers

Peptid

kettenschutzgruppen kommt. Es ist also eine abge- beruht auf der Acidität des H-Atoms am C9-Atom des
stufte Stabilität von Seitenketten- und terminalen Fluorensystems, also auf der relativen Stabilität des da-
­Schutzgruppen erforderlich. Dabei müssen aber alle bei entstehenden Anions. Zum Seitenkettenschutz wer-
am Ende der Synthese noch vorhandenen Schutzgrup- den hingegen säurelabile Gruppen eingesetzt. Analoges
pen immer noch so labil sein, dass sie wieder abgespal- gilt für den Anker.
ten werden können, ohne dass das Peptid dadurch ge- Nach der Abspaltung der Fmoc-Schutzgruppe am
schädigt wird. Dieses Problem wird heute meistens mit N-Terminus der Peptidkette muss das Carboxykohlen-
der Fmoc- oder mit der Boc-Strategie gelöst. stoffatom der zu kuppelnden Aminosäure durch elektro-
. Abb.  26.2 zeigt das Grundprinzip der Peptidsyn-
  nenziehende Gruppen aktiviert werden, um den nucleo-
these nach der Fmoc-­Strategie. philen Angriff der elektronenreichen Aminogruppe zu
Die Fmoc-Strategie schützt die α-Aminogruppe mit ermöglichen (. Abb. 26.4B). Dazu wurden in der Ver-

dem basisch leicht abspaltbaren Fluorenylmethoxycar- gangenheit hauptsächlich N,N‘-Diisopropylcarbodiimid


bonylrest (Fmoc). Die Fmoc-Schutzgruppe ist über eine (DIC) und 1-Hydroxybenzotriazol (HOBt) verwendet.
Urethanbindung mit der α-Aminogruppe verknüpft, die Da HOBt in die Klasse explosiver Stoffe eingeordnet
durch Piperidin unter β-Eliminierung gespalten wird wurde und daher Transportbeschränkungen unterliegt,
(. Abb.  26.4A). Die Basenlabilität der Fmoc-Gruppe
  wurde HOBt zunehmend durch andere Aktivierungs-
646 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

..      Abb. 26.3 Strukturformeln
und Abkürzungen der wichtigs-
ten Reagenzien in der Peptidsyn-
these: N-terminale Schutzgrup- H

26 pen, Seitenkettenschutzgruppen O R
für trifunktionelle Aminosäuren,
Anker und Kupplungsreagenzien O

6-Fluorenylmethoxycarbonyl, Fmoc Trityl, Trt


(N-terminale Schutzgruppe) (Asn, Gln, His)

CH3
CH3
CH3 CH 3 H3C O
R CH3
H3 C O H 3C R O
CH3 O CH 3 S
R
O CH3

t-Butyloxycarbonyl, Boc t-Butyl, t Bu Pentamethylchromansulfonyl, Pmc


(Lys, N-terminale Schutzgruppe) (Asp, Tyr, Ser, Thr, Glu) (Arg)

HO
O

Alkoxybenzylalkoholanker am Polymer
zur Synthese von Peptiden mittels Fmoc-Strategie

H3C CH3
OH OH
N N
N
C H 3C O
CN N
N
O N

H3C CH3

N, N‘-Diisopropylcarbodiimid, DIC Ethylcyanoglyoxylat-2-oxim, Oxyma 1-Hydroxybenzotriazol, HOBt

reagenzien, wie beispielsweise Ethylcyanoglyoxylat-­2- Die Entfernung der Seitenkettenschutzgruppen sowie


oxim (Oxyma) und dessen Derivate, ersetzt. die Abspaltung vom Harz nach der Synthese erfolgt in
Zur Bildung einer Peptidbindung wird z.  B. die zu einem Schritt durch konzentrierte Trifluoressigsäure un-
kuppelnde Aminosäure im 5-fachen Überschuss zuge- ter Zusatz von 5–20 % Scavenger. Hierbei handelt es sich
geben und mit den Aktivierungsreagenzien DIC/Oxyma um Kationen- und Radikalfänger, die unerwünschte Ne-
aktiviert. Danach wird mit DMF gewaschen und dieselbe benreaktionen unterdrücken: elektronenreiche Aromaten
Aminosäure im fünffachen Überschuss erneut zugege- (Thioanisol, Kresol) und Thiole zum Abfangen der Ab-
ben und mit den Aktivierungsreagenzien DIC/Oxyma spaltprodukte (Ethandithiol). Da Thiole jedoch sehr ge-
aktiviert (. Abb.  26.3). Der Mechanismus der Akti-
  ruchsintensiv und toxisch sind, werden zunehmend Silane
vierung mit DIC verläuft über ein O-­Acylisoharnstoff-­ wie Triisopropylsilan (TIS) für diese Zwecke eingesetzt.
Zwischenprodukt, das auf unterschiedliche Weise unter Die Einführung von Fluoreszenzfarbstoffen erfolgt
Knüpfung der Peptidbindung mit der Aminogruppe am einfachsten, solange das Peptid noch am polymeren
einer Aminosäure weiter reagieren kann. Die Kupplung Träger gebunden ist. Durch Schutzgruppen, die unter an-
erfolgt unter Zugabe von Oxyma (. Abb. 26.4B). Aus
  deren Bedingungen abgespalten werden, kann z. B. selek-
dem anfänglich gebildeten O-Acylisoharnstoff entsteht tiv die Aminoseitengruppe eines Lysinrestes deblockiert
hierdurch ein O-Acyloxim, welches eine geringere Ten- werden, sofern dies bei der Synthese entsprechend einge-
denz zur Enolisierung am chiralen Cα-Atom hat. Die setzt wurde. N-terminale Modifizierung erfolgt nach der
Wahrscheinlichkeit für eine Racemisierung wird somit Abspaltung der letzten Fmoc-­Schutzgruppe. Die Farb-
deutlich verringert. stoffe können entweder bereits als Aktivester eingesetzt
Um den Anteil an Fehlsequenzen zu senken und die und gekuppelt werden oder aber in situ aktiviert werden.
Ausbeute zu erhöhen, kann, wie oben beschrieben, eine Die konsequente Weiterentwicklung der Festphasen-
Position zweimal gekuppelt werden, ohne dazwischen synthese war ab 1985 die multiple Peptidsynthese: die
die N-terminale Schutzgruppe abzuspalten. gleichzeitige Synthese vieler Peptidsequenzen unter-
Analytik synthetischer Peptide
647 26
..      Abb. 26.4 Wichtige
A HN Carbanion
Reaktionsmechanismen in der +
Peptidsynthese. A Abspaltung H
der N-terminalen Schutzgruppe O

O
Fmoc mittels Piperidin. B
NH H2N+ NH
Aktivierung der Carboxylgruppe –
O R O R
mittels DIC und Oxyma und
Kupplung mit der Aminogruppe
(Kondensationsreaktion zur
Knüpfung der Peptidbindung)
H2N+
+
HO H
CH2 + NH N + NH2R
O R – CO2

R = Peptid

B OH
N
H3C CH3 CH3
+ H3C O
H3C CN
OH N N CH3
H Oxyma O
R' + C N
O N O CH3 H3C CH3
R' – N C N
H3C CH3 O H3C CH3
O-Acylisoharnstoff

O R' H OH
N N
+ H2N-R
H3C O O R' N H3C O
R +
CN CN
O O O
O-Acyloxim R = Peptid

Pipettierarm Pipettierarm

Stickstoff

Vakuum

BASE

DIC
Computer
OXYMA
Abfall

DMF
Gefäße für Absaugblock mit
Aminosäurelösungen Reaktionsgefäßen

..      Abb. 26.5  Multipler Peptidsyntheseapparat zur parallelen Darstellung einer Vielzahl von Peptiden

schiedlicher Länge und beliebiger Aminosäurezusam- auf eine spezielle Halterung, den sog. Absaugblock, ge-
mensetzung. Die immer gleichen Abspaltungs-, Kup- steckt. Durch Anlegen eines leichten Stickstoffüber-
plungs- und Waschschritte lassen sich automatisieren drucks an den Block wird ein Abfließen der Reaktions-
(. Abb. 26.5).
  lösungen während der Reaktion verhindert. Durch
Die Synthese kann z. B. in nach unten offenen Poly- Anlegen eines leichten Vakuums können die Reaktions-
propylengefäßen (Einwegspritzen) durchgeführt wer- gefäße nach der Reaktion bzw. während des Waschens
den, die mit Frittenböden versehen sind. Diese werden entleert werden. Die Zugabe der Reagenzien und des
648 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

Lösungsmittels erfolgt über einen computergesteuerten, DMF gequollenen Harze gesaugt wird. Der Anteil der
einnadeligen Pipettierarm. Die Sequenzen und Synthe- oxidierten Peptide kann abhängig von der Position des
sebedingungen werden im Steuerungscomputer erfasst. Methionins im Peptid bis zu 50  % betragen. Je näher
26 Dieser berechnet dann die Menge und Konzentration
der benötigten Substanzen, welche in die dafür vorgese-
sich das Methionin am C-Terminus befindet, desto häu-
figer ist es dem Luftsauerstoff ausgesetzt und wird des-
henen Gefäße abgefüllt werden. Jeder Durchlauf des halb zu einem höheren Prozentsatz oxidiert. Zur Redu-
folgenden Zyklus verlängert die Peptidkette um eine zierung von oxidierten Methioninseitenketten hat sich
Aminosäure. Der Synthesizer führt den Zyklus bis zur die Behandlung mit Reduktionsmitteln wie EDT (Et-
gewünschten Kettenlänge immer wieder durch: handithiol) und Bromtrimethylsilan als sehr wirkungs-
1. Abspaltung der Fmoc-Schutzgruppe am Aminoende voll herausgestellt.
der Peptidkette Bei der Synthese von Peptiden ergibt sich so-
2. Waschen der Harze mit DMF mit eine ganze Reihe von kritischen Schritten, die
3. Kupplung der nächsten Aminosäure nach Aktivie- bei der Analytik besonders beachtet werden müssen
rung (. Tab. 26.1). Als nichtpeptidische Verunreinigungen

4. Waschen der Harze mit DMF können insbesondere Reste der Scavenger bzw. der
5. eventuell Doppelkupplung der Aminosäure Scavenger-­Schutzgruppenaddukte auftreten. Die häu-
6. Waschen der Harze mit DMF figsten peptidischen Verunreinigungen sind i. A. Fehl-
sequenzen, die von unvollständigen Kupplungen an
Die Abspaltung der Peptide vom Harz und das Entfer- einzelnen Positionen oder unvollständiger Abspaltung
nen der Seitenkettenschutzgruppen erfolgt mit Trifluor- der N-­terminalen Schutzgruppen stammen. Des Wei-
essigsäure unter Zusatz von Scavenger. So entstehen teren kann eine Racemisierung während der Kupplung
z. B. aus den Boc- und t-Butyl-Schutzgruppen durch ei- zu Diastereomeren führen. Häufig beobachtete Ne-
nen SN1-Mechanismus t-Butyl-Kationen (bzw. t-Butyl-­ benreaktionen sind die Modifizierung (Alkylierung)
trifluoracetat), die ohne den Zusatz von Scavenger das von Aminosäuren, die unvollständige Abspaltung der
Tyrosin in 3’-Position des Phenylrings alkylieren kön- Seitenkettenschutzgruppen und die Oxidation von
nen. Auch andere Aminosäuren, wie etwa Trp und Met, Methionin.
können hierdurch alkyliert werden. Ein häufig auftre- Kein Problem stellt i. A. die Produktmenge dar, die
tendes weiteres Problem bei der Synthese ist die Oxida- für die Analytik eingesetzt werden kann, da Synthesen
tion des Methionins, die durch die Verwendung eines im Milligramm- bis Grammmaßstab durchgeführt wer-
multiplen Saugblockes verschärft wird, da mit dieser den, was für eine umfassende Analytik (HPLC, UV,
Methode immer wieder Luftsauerstoff durch die in Aminosäureanalyse und ESI-MS) völlig ausreichend ist.

..      Tab. 26.1  Zusammenstellung der häufigsten Nebenprodukte oder Nebenreaktionen bei der Synthese von Peptiden und ihre
Identifizierung

Nebenprodukt/Nebenreaktion Identifizierung Charakterisierung

Scavenger (Thioanisol, Thiokresol) HPLC UV (Photodiodenarray)


Salz Aminosäurenanalyse NMR
Fehlsequenzen HPLC, CZE MS: [M−MAminosäure]
Racemisierung und Diastereomerenbildung HPLC, CZE GC-Aminosäurenanalyse
HPLC an chiraler Phase
unvollständige Abspaltung von Seitenschutzgruppen, z. B. Arg (Pmc) HPLC UV (Photodiodenarray)
MS: [M+266]
Alkylierung mit t-Butanol oder unvollständige Abspaltung der t-Butyl- HPLC, MS MS: [M+57]
Seitenkettenschutzgruppe
Oxidation von Met HPLC MS: [M+16]
Desamidierung von Gln, Asn HPLC MS: [M−17]
Polymere HPLC MS: [2M]
Addition von Piperidin in Asp-Xaa-Sequenzen, häufig zusammen mit HPLC MS: [M+67], [M−18]
Wassereliminierung
Sulfonierung durch Arg(Pmc) oder Arg(Mtr) HPLC, CZE MS: [M+81]
Analytik synthetischer Peptide
649 26
26.2  Untersuchung der Reinheit sensäure/Acetonitril (3:2)/10  % Ameisensäure/Wasser
synthetischer Peptide (3:2) kann hierfür empfohlen werden. Eine weitere Mög-
lichkeit ist die Verwendung von Säulen, die CN-gebun-
Die erste Frage nach der Abspaltung des Peptides vom dene oder C4-Phasen enthalten.
polymeren Träger gilt der Reinheit. Als Standardme- Als Detektor wird üblicherweise ein UV-Detektor mit
thode wird hierfür HPLC an reversen Phasen, häufig fester Wellenlänge oder ein Photodiodenarray-­Detektor
RP-8 oder RP-21, angewendet. Als mobile Phasen wer- verwendet. Elutionsmittel, die ausschließlich Wasser,
den häufig Acetonitril/Wasser/Trifluoressigsäure- und Acetonitril und Trifluoressigsäure enthalten, erlauben die
seltener Acetonitril/Wasser/Ameisensäure-Systeme ver- Detektion bei 214–220 nm, in der Nähe des Absorptions-
wendet. Solche Systeme mit apolaren stationären Phasen maximums der Peptidbindung. Ein Photodiodenarray-­
und polaren mobilen Phasen nennt man auch Umkehr- Detektor gibt außer der Reinheit auch erste Hinweise auf
phasensysteme. Um schärfere Peaks und kürzere Reten- die Identität der Produkte (7 Abschn. 26.3). Wenn man

tionszeiten zu erhalten, wird mit Gradientenelution ge- im Elutionsmittel Ameisensäure verwendet, kann die De-
arbeitet. Dabei wird die Zusammensetzung der mobilen tektion der Peptide nur bei 280  nm erfolgen. Bei dieser
Phase während der Messung geändert. Die Zusammen- Wellenlänge werden die aromatischen Aminosäuren der
setzung des Elutionsmittels hängt stark vom erwarteten Peptide detektiert. Peptide, die keine aromatischen Ami-
Produkt ab: Viele synthetische Peptide lassen sich mit nosäuren enthalten, können nicht detektiert werden.
einem Gradienten 10  % Acetonitril/90  % Wasser auf Eine weitere Methode für die Analytik synthe-
60 % Acetonitril/40 % Wasser innerhalb von 30 min auf- tischer Peptide ist die Kapillarzonenelektrophorese
trennen. Beiden Elutionsmitteln wird Trifluoressigsäure (7 Abschn.  13.4.1). Die Trennung erfolgt hierbei auf-

(0,08–0,11 %, pH 2) zugesetzt, um die Peptide vollstän- grund der unterschiedlichen Ladung im elektrischen
dig zu protonieren. Trifluoressigsäure eignet sich beson- Feld. Variiert werden zur Optimierung der Elektropho-
ders gut, da sie eine geringe Absorption bei 214 nm auf- resebedingungen überwiegend der pH-Wert der Puffer
weist und Peptidbindungen nicht hydrolysiert. Als und die Ionenstärke. Da Peptide jedoch häufig hohe iso-
Nachteil müssen die schlechte Handhabbarkeit – Triflu- elektrische Punkte aufweisen, gelingt die Optimierung
oressigsäure ist sehr flüchtig – und die Toxizität angese- mit hohen pH-Werten nur schlecht. Bessere Ergebnisse
hen werden. Bei Peptiden mit mehr als dreißig Amino- werden durch den Zusatz von sog. Kationen-Surfactants
säuren oder sehr hydrophoben Sequenzen wird mit 25 % (engl. surfactant, oberflächenaktivierter Stoff) wie He-
Acetonitril/75  % Wasser begonnen. Bei der Dauer des xadecyltrimethylammoniumchlorid erhalten. Die Tren-
Gradienten gilt die Faustregel: ­Maximale Änderung der nung basiert auf der unterschiedlichen Verteilung der
Zusammensetzung der Elutionsmittel von zwei Prozent pro Verbindungen zwischen der wässrigen und der ionischen
Minute. Sehr hydrophobe Peptide, z. B. Transmembran- micellaren Pseudophase und wird micellare elektroki-
segmente, haben die Eigenschaft, zu aggregieren und sich netische Kapillarzonenelektrophorese (MECC) genannt
unspezifisch an alle Oberflächen anzulagern. Eine Tren- (7 Abschn.  13.4.2). Substanzen, die sich nur wenig in

nung mit den oben beschriebenen Systemen gelingt häu- Größe, Form, Hydrophobizität oder Ladung unterschei-
fig nicht. Bessere Erfolge können durch die Verwendung den, können so getrennt werden. Dies ist in . Abb. 26.6

eines hohen Anteils von Ameisensäure erzielt werden. am Beispiel von vier sehr ähnlichen Peptiden gezeigt, die
Ein Gradient von 40  % Ameisensäure/Acetonitril sich lediglich dadurch unterscheiden, dass eine Position
(3:2)/60  % Ameisensäure/Wasser (3:2) auf 90  % Amei- eines 17-mers entweder Leu, Ala, Gly oder Ile ist.

..      Abb. 26.6  Vergleich der A 1 B C


Trennung eines Gemisches aus vier
ähnlichen Peptiden mittels A HPLC, 2, 3, 4
4
B Kapillarzonenelektrophorese und
C micellarer elektrokinetischer
Kapillarzonenelektrophorese: 2 4 3
YPSKLRHYINLITRQRY (1), 2
YPSKLRHYINAITRQRY (2), 1 1
YPSKLRHYINGITRQRY (3) 3
und YPSKLRHYINIITRQRY (4)

10 20 4 8 12 4 8 12 16
Zeit (in min) Zeit (in min) Zeit (in min)
650 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

Eine Methode, die allerdings nur in speziellen Fällen matographie ein Photodiodenarraydetektor verwendet,
zur Reinheitskontrolle eingesetzt werden kann, ist die der kontinuierlich zu jedem Peak das zugehörige UV-­
Dünnschichtchromatographie. Spektrum aufzeichnet, so können nichtpeptidische
26 Während in den meisten Fällen keine Routinetren-
nung angewendet werden kann, sind bestimmte Reakti-
Verunreinigungen (Scavenger, Schutzgruppen) sofort
aufgrund ihres Spektrums identifiziert werden. Es fehlt
onen besonders gut mit Dünnschichtchromatographie die typische hohe Absorption bei 210–220 nm, dafür
zu kontrollieren. Hierzu gehören unter anderem die Mo- sind Absorptionsmaxima im Aromatenbereich domi-
difizierung von Aminogruppen (freie Aminogruppen nierend (. Abb.  26.7A). Modifizierungen wie Seiten-

werden mit Ninhydrin-Sprühreagens detektiert), die Bil- kettenalkylierungen von Tyr und Trp können ebenfalls
dung von Disulfidbrücken (freie SH-Gruppen werden im UV-Bereich durch die Verschiebung der Aromaten-
mit Ellman-Reagens nachgewiesen) oder die Phospho- maxima erkannt werden. Des Weiteren können noch
rylierung von Thr, Ser oder Tyr. verbliebene Schutzgruppen, z. B. 4-Methoxy-2,3,6-tri-
Durch die Aminosäureanalyse (7 Kap.  14) erhält
  methylbenzolsulfonyl (Mtr, . Abb.  26.7B), im

man Hinweise auf den Salzgehalt der Peptide. Hierfür UV-Spektrum, das direkt während der Chromatogra-
werden sie nach der Synthese wieder hydrolysiert. Da phie aufgezeichnet wurde, vom freien Peptid unter-
bei der Hydrolyse Asn zu Asp und Gln zu Glu werden, schieden werden. Die N-terminale Fmoc-­Schutzgruppe
können diese Aminosäuren nur summarisch betrachtet hat drei typische Maxima bei 266 nm, 289  nm und
werden. Der Gehalt einer Probe wird durch das Verhält- 300 nm mit den entsprechenden Absorptionskoeffizien-
nis von gefundener Menge aus der Analyse und theore-
tischer Menge nach der Einwaage berechnet. Ein Salz- A
gehalt von 20–40 Gew.-% bei Rohprodukten ist nicht
4
ungewöhnlich und hängt stark von der Anzahl der ge- Peptid (mit Tyrosin)
ladenen Aminosäuren und vom Gegenion ab. Trifluor- Thiokresol
Thioanisol
acetate haben einen höheren Salzgehalt als Hydrochlo- 3
ride oder Acetate, da das Trifluoracetatanion selbst
schwerer ist. Eine Umwandlung der nach der Abspal-
Extinktion

tung oder präparativen Reinigung vorliegenden Triflu- 2


oracetate in die Hydrochloride kann durch Lyophilisa-
tion (Gefriertrocknung) aus 0,1  N HCl erfolgen.
1
Nachteil dieser Salzform ist allerdings die hohe Hygro-
skopie der Hydrochloride. Sollen die Peptide in Tierver-
suchen eingesetzt werden, so ist die Verwendung der 0
Acetate besonders günstig. Diese erhält man durch
mehrfaches Lyophilisieren aus Essigsäure. Ein einfacher 220 240 260 280 300
Nachweis, dass kein Trifluoracetat mehr vorliegt, erfolgt Wellenlänge (in nm)
durch 19F- oder 13C-NMR-Spektroskopie, da die CF3- B
Gruppe typische Signale aufweist. 3
Tyrosin enthaltendes Peptid
Des Weiteren kann mit der Aminosäureanalyse das identisches Peptid mit Fmoc-Schutzgruppe
Verhältnis der einzelnen Aminosäuren zueinander be- identisches Peptid mit Mtr-Schutzgruppe

urteilt werden, sowie welche Aminosäuren eines Pepti-


2
des einwandfrei und welche schlecht gekuppelt haben.
Extinktion

Als Standard-Bezugsaminosäure wird häufig Alanin


verwendet, da dieses weder bei der Hydrolyse noch bei
der Derivatisierung modifiziert wird und in vielen Pepti- 1
den vorkommt.

0
26.3  Charakterisierung und Identität
synthetischer Peptide 220 240 260 280 300
Wellenlänge (in nm)
Erhält man im Chromatogramm oder Elektrophero-
..      Abb. 26.7  UV-Spektren, die direkt von der HPLC durch Photo-
gramm mehrere Produkte, so stellt sich stets die Frage:
diodenarraydetektion erhalten wurden. A Spektren von tyrosinhalti-
Welches ist die gewünschte Sequenz und welches sind gem Peptid, Thioanisol und Thiokresol. B Spektren von tyrosinhal-
die Nebenprodukte? Wird als Detektor bei der Chro- tigem, ungeschütztem Peptid sowie mit Fmoc- und Mtr-­Schutzgruppe
Analytik synthetischer Peptide
651 26
ten ε266 = 17.500, ε289 = 5800 und ε300 = 7800 und kann senspektrometrie (7 Kap. 16). Geeignete Spektrometer

daran leicht erkannt werden. Außerdem ermöglicht die zeichnen sich insbesondere durch sanfte Ionisierungs-
Detektion bei zwei oder mehr Wellenlängen die Zuord- methoden aus, wie die Elektrosprayionisierung (ESI)
nung von modifizierten Peptiden mit unterschiedlicher oder die MALDI-Technik, und sind in der Lage, Peptide
Absorption. So gelingt z. B. die Identifizierung des Pro- unfragmentiert zu messen. Bei der Elektrosprayionisie-
dukts, das bei unvollständiger Derivatisierung den Flu- rung werden Serien von geladenen Ionen vom Typ
oreszenzfarbstoff bereits trägt (. Abb.  26.8), mittels
  [M+nH]n+ generiert, die anschließend mit dem Massen-
HPLC und Paralleldetektion bei 220 und 552 nm. Eine spektrometer nachgewiesen werden. Größere Peptide
anschließende Optimierung der Chromatographiebe- sind im positiven Messmodus durch Protonierung von
dingungen zur präparativen Reinigung wird so stark N-Terminus, Lys- und Arg-Seitenketten zweifach, drei-
vereinfacht. fach oder vierfach positiv geladen. . Abb.  26.9 zeigt

Die heutzutage wichtigste Methode zur Charakteri- das Massenspektrum eines reinen 16-mer-Peptids mit
sierung von synthetischen Peptiden ist jedoch die Mas- den Peaks [M+H]+ (1774,5 amu), [M+2H]2+ (887,5
amu) und [M+3H]3+ (592,5 amu, . Abb. 26.9A) sowie

ein Spektrum desselben Peptids mit zwei typischen pep-


A tidischen Verunreinigungen (. Abb. 26.9B). Durch Be-

rechnung der Differenzen der [M+H]+-Peaks oder der


doppelten Differenzen der [M+2H]2+-Peaks erkennt
man, dass es sich bei den Nebenprodukten um Moleküle
Detektion 220 nm
mit den Massen M – 156 und M + 266 handelt, die mit
einer Arg-Fehlsequenz (unvollständige Kupplung) und
Cy3-NPY
einem Arg mit Seitenschutzgruppe (unvollständige Ab-
spaltung) korreliert werden können.
Etwas schwieriger ist die Analyse von hydrophoben
Peptiden im ESI-Spektrometer, die keine oder nur wenige
polare, protonierbare Aminosäuren enthalten. Durch
Glu- und Asp-Reste können die Peptide eine negative
Nettoladung erhalten. Dadurch werden die Peptide in
10 20 30 diesem Fall fragmentiert, das heißt die Peptidbindung
Zeit (in min) wird an mehreren Stellen gebrochen. Dies führt dazu,
dass M2+ und M3+ im Spektrum häufig nicht dominie-
B rend vorhanden sind und somit nicht unbedingt auf die
Qualität der Peptide geschlossen werden kann. Um die
stark fragmentierten Massenspektren hydrophober, un-
Detektion 552 nm geladener Peptide zu interpretieren, kann wie folgt vor-
gegangen werden:
Cy3-NPY 1. M2+ und M3+ suchen
2. Fehlsequenzen durch Subtraktion einzelner Amino-
säuren von M2+ und M3+ suchen
3. Identifikation von N- und C-­terminalen Fragmenten
4. Fehlsequenzen der Fragmente durch Subtraktion
einzelner Aminosäuren suchen
5. Interpretation der Auswertung

Das in . Abb.  26.10 gezeigte Massenspektrum ist da-


10 20 30 her durchaus mit einem einheitlichen Produkt vereinbar,


Zeit (in min) wenngleich auch der [M+2H]2+-Peak bei 1297 amu nicht
der dominante Peak ist. Die Identifizierung der Frag-
mente und die Sequenz des Peptides sind ebenfalls in
..      Abb. 26.8  HPLC-Chromatogramm eines Gemisches. Das Neuro- . Abb.  26.10 dargestellt. Weitere Möglichkeiten zur

peptidhormon NPY (36-Mer) wurde in Lösung mit dem Fluoreszenz-


Untersuchung von sauren Peptiden liefert die Messung
farbstoff Cy3 umgesetzt. A Die Detektion bei 220 nm zeigt alle pep-
tidischen Komponenten. B Mittels der Detektion bei 552  nm im Negativmodus (Detektion der Anionen). Allerdings
(Absorptionsmaximum des Cyaninfarbstoffs) kann der zweite Peak ist diese Technik wesentlich unempfindlicher und
mit einer Retentionszeit von 16,2 min als Produkt identifiziert werden schwieriger zu optimieren, insbesondere für Peptide.
652 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

..      Abb. 26.9 Elektrospray-­ A
Massenspektren eines ­gereinigten 887,5
100
16-Mer-Peptidamids (Masse 1773,5
amu) A und des Rohprodukts B, das

relative Intensität (in %)


26 als Verunreinigungen ein Produkt
DKDNVAPRSKISQGY-NH2
mit einer Masse von 1617,5 amu
(M – 156 amu) und ein Peptid mit
einer Masse von 2040,5 amu 50
(M + 266 amu) aufweist. Dies kann
als eine Arg-Fehlsequenz und ein
modifiziertes Arg (mit Pmc-Schutz- 1774,5
gruppe) interpretiert werden 592,5

0
500 1000 1500 m /z 2000

B
887,5
100
relative Intensität (in %)

Nebenprodukt:
Arg mit Pmc-Schutzgruppe

50 gewünschte
1021,0 Sequenz

Fehlsequenz: 1774,5
810,0
Arg fehlt
592,5
540,0 681,0 1618,5 2041,0
0
500 1000 1500 m /z 2000

Somit liefert die Massenspektrometrie durch die auf- hörige Massenspektrum (. Abb.  26.11B) zeigt, dass

tretenden Peaks wertvolle Informationen über den Er- das Hauptprodukt die korrekte Sequenz repräsentiert,
folg der Synthese. wogegen die Verunreinigung eine Fehlsequenz der
Masse M – 199 amu darstellt und damit dem 27-Mer-­
Peptid entspricht, das die ungewöhnliche Aminosäure
Ist nur ein Produkt der korrekten Masse einer chroma-
12-Aminododecansäure nicht enthält.
tographisch einheitlichen Probe vorhanden, so war die
Ein Problem, das mittels Massenspektrometrie nicht
Synthese erfolgreich. Sind weitere Peaks erkennbar, die
gelöst werden kann, ist dagegen die Diastereomerenbil-
sich vom gewünschten Produkt um die Masse einzelner
dung der Peptide, die durch Racemisierung einzelner
Aminosäuren oder Schutzgruppen unterscheiden,
Aminosäuren während der Kupplung auftreten kann.
kann davon ausgegangen werden, dass Fehlsequenzen
Des Weiteren können Ile- und Leu- sowie Gln- und Lys-­
vorliegen oder Schutzgruppen nicht vollständig abge-
Fehlsequenzen nicht einfach unterschieden werden, da
spalten wurden.
sie dieselbe Massendifferenz von −113 bzw. −128 amu
aufweisen. Beide Probleme können durch Aminosäure-
Somit kann beurteilt werden, welche Regionen der Pep- analyse gelöst werden, mit der die Zusammensetzung
tidkette richtig vorliegen. Hinweise auf Fehlsequenzen des Peptids bestimmt werden kann. Aus der Mischung
zeigen die synthetisch problematischen Stellen in der ist dies jedoch recht schwierig, und Fehlsequenzen unter
Peptidkette, die in einer weiteren Synthese kontrolliert 10 % sind aufgrund der Fehlergrenze der Aminosäure-
werden können. Auch Nebenprodukte, wie Peptide mit analyse nicht genau zu bestimmen. Werden die unter-
oxidiertem Methionin, können leicht identifiziert wer- schiedlichen Peptide jedoch getrennt und dann ana-
den. Die Kombination von HPLC und Massenspektro- lysiert, so kann mit Sicherheit entschieden werden, ob
skopie liefert somit i. A. eine recht verlässliche Aussage eine Ile- oder Leu-Fehlsequenz vorliegt. Eine weitere
über die Qualität eines Peptids. In . Abb.  26.11A ist   Möglichkeit stellt die FT-ICR-Massenspektrometrie
das Chromatogramm des Rohprodukts eines syntheti- dar. Durch ihre hohe Auflösung und große Genauig-
schen 28-Mers, das neben dem Hauptprodukt eine Ver- keit können damit Massengenauigkeiten bei Peptiden
unreinigung von 18 % enthält, abgebildet. Das dazuge- erreicht werden, die die Unterscheidung von Lys und
Analytik synthetischer Peptide
653 26
758,5
50
1610
1496
1254
[M+2H]2+ 1141
1070
1297,0 999
559 886 329
38 787
E A L Q D V T L I I LE I A A I V S L G L S F Y
1141,0
1808
797,5 586
1708
relative Intensität (in %)

1070,0 1524
885,5
1097
1012,0 757 984
[M+3H]3+
998,5
25 865,0
1254,0
329,0 586,0 1308,0
385,0 559,0 984,0 1316,0
635,5 690,0 797,5
1267,0
298,0 1196,5

12
1496,0 1729,0
1523,5 1622,0 1807,5
1609,5 1707,5

0
400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800
m /z

..      Abb. 26.10  Elektrospray-Massenspektrum eines hydrophoben [M+3H]3+-Peak bei 865 amu auf. Des Weiteren deutet die Auswer-
Transmembransegments (24-Mer) ohne basische Aminosäuren. Das tung der Fragmentierung darauf hin, dass das Hauptprodukt der
Spektrum weist einen [M+2H]2+-Peak bei 1297 amu und einen gewünschten Sequenz entspricht

Gln zulassen. Eine Möglichkeit zur Charakterisierung von Modifizierungen und Nebenreaktionen weisen im
der Enantiomerenreinheit der Peptide ist die gaschro- Edman-Abbau meist einen Leerzyklus auf, da die ver-
matographische Aminosäureanalyse bzw. die HPLC-­ änderte Aminosäure nicht im Standardchromatogramm
Aminosäureanalyse an chiraler Phase. Bei der gaschro- innerhalb der üblichen Laufzeiten eluiert wird. Bei Modi-
matographischen Methode werden nach der Hydrolyse fizierungen des Peptidrückgrats oder bei β-Aminosäuren
die Aminosäuren N- und C-terminal modifiziert (z.  B. bricht der Edman-Abbau an dieser Position ab. Bei der
als Trifluoracetylaminosäure-n-propylester), an Chira- MS/MS-Spektrometrie wird die gezielte Fragmentierung
sil-Val-Kapillaren getrennt und im Stickstoffdetektor durch Stöße provoziert. Wie oben beschrieben, lassen
analysiert. Die Quantifizierung erfolgt durch einen in- sich anschließend aus der Analyse der Fragmente Rück-
ternen d-Aminosäurestandard sowie einen zweiten Lauf schlüsse auf die Position der Modifizierung ziehen.
ohne Standard. Der Vergleich beider Chromatogramme
erlaubt sowohl eine Quantifizierung als auch eine Aus-
sage über die Racemisierung der einzelnen Amino- 26.4  Charakterisierung der Struktur
säuren. Diese Methode spielt eine wichtige Rolle bei synthetischer Peptide
der Kontrolle der Enantiomerenreinheit synthetischer
Peptide sowie bei der Identifizierung von peptidischen Eine der schnellsten Methoden zur Konformationsana-
Naturstoffen (z.  B.  Antibiotika aus Pilzen), die neben lyse von Peptiden ist die Circulardichroismusspektros-
l-konfigurierten Aminosäuren auch d-Aminosäuren kopie (CD-Spektroskopie).
enthalten können. Rechtshändige α-helikale Peptide liefern CD-­
Stellt sich nun die Frage, an welcher Position eine Spektren mit einem negativen Cotton-Effekt (CD-­
Modifizierung, Nebenreaktion oder Fehlkupplung auf- Banden werden als Cotton-Effekt bezeichnet) bei λ  =
getreten ist, so kann dies entweder durch N-terminale 222  nm (n→π*-Übergang), einer positiven CD-Bande
Sequenzierung (Edman-Abbau) oder durch MS/MS-­ bei 192  nm und einer negativen bei 207  nm. Die bei-
Spektrometrie beantwortet werden. Eine Fehlkupplung den kurzwelligen CD-Banden gehören zum Carbonyl-
zeigt sich im Edman-Abbau dadurch, dass anstelle der π→π*-Übergang, der in zwei Komponenten aufge-
erwarteten Aminosäure die nächste auftritt. Positionen spalten ist. Peptide, die bei 215–220 nm ein Minimum
654 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

..      Abb. 26.11  Die Kombina- A


tion von HPLC A und
Elektrospray-Massenspektro-
metrie B erlaubt die Identifizie-
26 rung und Charakterisierung gewünschtes Produkt
von Hauptprodukt (3552 amu,
82 %) und Fehlsequenz (3354
amu, 18 %)

Fehlsequenz

30 Zeit (in min)

[M+4H]4+
B
887,5
100

[M+3H]3+
relative Intensität (in %)

1185,0

50
711,5
839,5 [M+2H]2+
1119,0 1777,0

1678,0
0
500 1000 1500 m /z 2000

60 000 Konformation eines Peptids liefert charakteristische


CD-­Spektren (. Abb.  26.12). Die Auswertung des

CD-Spektrums eines Proteins erfolgt durch Vergleich


molare Elliptizität Θ (in deg cm2 dM–1)

α-Helix
β-Faltblatt mit Standards bekannter Konformationen. So gelingt
ungeordnete Struktur z. B. bei Cyclopeptiden der Nachweis, welche Cyclisie-
rungsposition besser geeignet ist, um eine bestimmte
Sekundärstruktur zu stabilisieren. In . Abb.  26.13  

sind die Spektren zweier Dodecapeptide gezeigt, die


über die Seitenkette cyclisiert wurden. Die durchgezo-
gene Linie zeigt das CD-Spektrum eines Peptids mit
d-­konfigurierter Aminosäure an einer Brückenseite, die
gepunktete Linie zeigt das gleiche Peptid mit l-konfi-
gurierter Brücke. Deutlich wird, dass das zweite Peptid
nach Cyclisierung besser die in diesem Fall gewünschte
– 30 000 α-helikale Konformation stabilisieren kann.
180 250
Wellenlänge (in nm)

..      Abb. 26.12  Cirulardichroismusspektren von Peptiden (15-Mere)


Die CD-Spektroskopie eignet sich besonders zum Ver-
mit typischer α-helikaler Konformation, β-Faltblattstruktur und un- gleich homologer Peptide, zur Optimierung von
geordneter Konformation, gemessen in einer Mischung aus Phos- NMR-Messbedingungen (Identifizierung des geeigne-
phatpuffer (10 mM, pH 7) und Trifluorethanol (2:1). dM: Dezimol ten Lösungsmittels), zur Bestimmung der Stabilität
von Konformationen (pH-Titration, Messungen bei
(n→π*-Übergang) und bei 195  nm ein Maximum verschiedenen Temperaturen, Lösungsmitteltitratio-
(π→π*-Übergang) besitzen, haben dagegen eine antipa- nen) und zur Beurteilung von starren Strukturen.
rallele β-Faltblattkonformation. Auch die ungeordnete
Analytik synthetischer Peptide
655 26
40 000 nigt, gemischt und erneut verteilt wird (. Abb. 26.14).

Letztere Methode führt dazu, dass auf jedem Harzkorn


Acetyl-RHYINKITRERY-NH2 (Bead) bei 100%iger Kupplungsausbeute lediglich eine
(in deg cm2 dM–1)

Sorte von Peptiden erhalten wird. Die Identifizierung


Acetyl-RHYINkITRERY-NH2 der aktiven Sequenzen erfolgt im Bioassay. Werden Bib-
liotheken eingesetzt, die durch die Kupplung von Pep-
tidmischungen erhalten wurden, oder abgespaltete Pep-
tide aus der zweiten Darstellungsmethode, so erfolgt die
Identifizierung durch einen Prozess von synthetischen
Teilbibliotheken (. Abb. 26.14), die jeweils weniger va-
molare Elliptizität

riable Positionen enthalten. Untersucht man dagegen


polymergebundene Bibliotheken im Assay, so kann ge-
gebenenfalls direkt das Harzkorn, das eine aktive Se-
quenz trägt, identifiziert und analysiert werden. Die
Charakterisierung ist sehr aufwendig und dabei ist eine
Reihe von Besonderheiten zu beachten.
Zur Charakterisierung der Peptidbibliotheken eignet
– 20 000 sich besonders der Edman-Abbau (7 Kap.  15). Die

190 250 hohe Empfindlichkeit der Methode ermöglicht die Se-


Wellenlänge (in nm) quenzierung des Peptids auf einem einzigen Harzkorn
..      Abb. 26.13  Circulardichroismusspektren von zwei cyclischen und führt somit zur Identifizierung einer aktiven Se-
Peptiden. Das Peptid mit l-konfigurierter Aminosäure (K) weist ei- quenz, sofern auf dem polymeren Träger getestet wurde.
nen deutlich höheren Gehalt an α-helikaler Struktur auf als dasje- Des Weiteren hat sich die sog. Poolsequenzierung etab-
nige mit der d-konfigurierten Aminosäure (k). dM: Dezimol
liert (. Abb. 26.15). Hierbei wird die gesamte Mischung

dem Edman-Abbau unterworfen. Definierte Positionen


Exaktere, aber auch sehr viel aufwendigere Struktur- können von variablen Positionen durch die in der Se-
analysen erfolgen mit NMR-Spektroskopie (2D-, quenzierung auftretenden Aminosäuren unterschieden
3D-Methoden) oder durch Röntgenstrukturanalyse. werden: 50 pmol einer Tetrapeptidbibliothek mit der Se-
Hierbei kann nicht nur die Summe aller Strukturele- quenz LXTX (X = A, G, L, I) bestehen somit aus 16
mente beurteilt werden, sondern im günstigsten Fall Peptiden und zeigen im ersten Zyklus des Edman-­
auch die exakte Raumanordnung des Peptids analysiert Abbaus ausschließlich L, im zweiten die Aminosäuren
bzw. flexible von starren Molekülsegmenten unterschie- A, G, L und I im Verhältnis 1:1:1:1, im dritten Zyklus
den werden. ausschließlich T und im vierten – sofern erfassbar – wie-
der die Aminosäuren A, G, L und I im Verhältnis 1:1:1:1.
26.5  Analytik von Peptidbibliotheken Somit kann zumindest bei relativ kleinen Bibliotheken
die Qualität einer Bibliothek abgeschätzt werden. Die
Bei der Suche nach neuen Wirkstoffen zur Entwicklung zweite Möglichkeit besteht in der Analyse der Biblio-
von Arzneimitteln und Pflanzenschutzmitteln wird oft thek durch massenspektrometrische Methoden. Kennt
die Synthese von Peptidmischungen, sog. Bibliotheken, man den Aufbau einer Bibliothek, so lässt sich die Zu-
eingesetzt. Bei Peptidbibliotheken handelt es sich um sammensetzung der Peptide und somit die Verteilung
Mischungen von nm Peptiden, wobei n die Anzahl der an der zu erwartenden Massen berechnen (. Abb. 26.15A).

einer Position variierten Aminosäuren und m die An- Ein Vergleich von berechneter Massenverteilung im
zahl der variierten Positionen darstellt. Eine Hexapep- Massenspektrum und tatsächlich gefundener liefert wie-
tidbibliothek, die an jeder Position alle 20 natürlich vor- derum Aufschluss über die Qualität der Bibliothek. Par-
kommenden Aminosäuren enthalten kann, besteht tielle Modifizierungen, die alle Peptide der Bibliothek
somit aus 206 = 64.000.000 verschiedenen Einzelpepti- betreffen, lassen neben der Verteilung mit den erwarte-
den, eine Hexapeptidbibliothek mit drei variablen Posi- ten Massen ein zweites Muster identischer Verteilung,
tionen, die als „X“ in der Sequenz angegeben werden, aber um die Masse der Nebenprodukte verschoben, auf-
und welche zehn verschiedene Aminosäuren enthalten treten. Somit lassen sich auch Nebenreaktionen bei der
können, somit aus 103 = 1000 Einzelpeptiden. Solche Erstellung von Peptidbibliotheken identifizieren und
Bibliotheken werden entweder durch die Kupplung von charakterisieren. Die Nachweise, dass jede Aminosäure
Peptidmischungen erhalten oder durch die sog- Divi- auch tatsächlich in der Bibliothek vorhanden ist, dass
de-couple-recombine-Methode, bei welcher der polymere alle Peptide gleich verteilt sind, sowie die Identifizierung
Träger in m verschiedene Reaktionsgefäße aufgeteilt von fehlenden Sequenzen sind allerdings im Moment
wird, mit den Aminosäuren getrennt gekuppelt, verei- mit keiner Methode möglich.
656 A. G. Beck-Sickinger und J. Stichel

26

..      Abb. 26.14  Vorgehensweise zur Identifizierung einer biologisch stellt werden. Hierfür müssen 400 Teilbibliotheken (sublibraries) mit
aktiven Substanz aus einer eingesetzten Mischung durch verschie- jeweils zwei definierten Sequenzen und vier variablen Positionen (X)
dene Ansätze am Beispiel des CTL-Epitops von Ovalbumin 258–276 synthetisiert werden. Die variablen Positionen können entweder se-
(CTL, Cytotoxic T-cell Lymphocyte). Die Ankerpositionen sind be- quenziell D oder durch Kombination E identifiziert werden. In bei-
reits bekannt A. Eine Peptidbibliothek (Mischung von Peptiden mit den Fällen benötigt man 80 weitere Peptidmischungen. (Nach Jung
X = alle 20 Aminosäuren) kann entweder nach der Proportionierungs-­ und Beck-Sickinger 1992)
Mischungsmethode B oder mit freien Peptidteilbibliotheken C er-
Analytik synthetischer Peptide
657 26
8x
1040
100

5x
5x 4 x 1054 4x
1026 1052 1068
75

relative Intensität (in %)


4x
1066
4x
1082
50
2x
1084
1x 1x
1x 1038 3x 1070
1x 1058 1x
25 1012 2x
1086 2x
1044 1072
1100

0
1000 1025 1050 1075 1100
m /z

Pos. A R N D E Q G H I L K M F P S T Y V
Ala Arg Asn Asp Glu Gln Gly His Ile Leu Lys Met Phe Pro Ser Thr Tyr Val

1 0,3 3,8 6,5 24,2 3,1 0,5 0,0 3,9 20,0 2860,2 4,5 2,3 6,8 1,8 10,4 280,5 4,8 5,4
2 0,0 0,0 4007,9 411,1 4,3 6,6 0,0 0,1 0,0 231,3 0,0 2,4 3,3 0,7 3,2 210,1 20,7 4,5
3 0,1 3,3 382,5 47,3 3,3 6,4 0,0 32,5 4,8 14,6 5,8 3,5 9,1 3,1 1,6 120,0 6709,4 5,2
4 0,3 1327,0 141,7 19,4 7,0 8,6 0,0 5,0 5,4 0,1 8,3 6,2 47,1 0,0 2,2 117,6 308,7 5,7
5 0,0 564,5 63,6 7,8 17,9 8,9 0,0 5,4 13,3 0,4 0,0 4,4 6749,1 0,1 5,5 81,0 30,9 6,2
6 0,7 152,9 37,0 18,5 1474,5 15,3 5,1 8,5 1019,1 2,6 12,8 4,9 132,3 0,0 532,3 1074,4 13,1 7,7
7 0,0 48,7 1571,3 151,5 463,6 1695,5 2,0 3,1 22,5 5,1 1546,5 20,2 20,8 0,3 13,8 10,1 6,8 12,7
8 0,0 47,1 92,5 11,2 31,8 64,1 0,6 5,4 456,2 416,8 45,2 695,3 9,1 1,7 2,7 55,6 4,1 973,0
9 0,0 13,1 12,3 2,8 6,3 6,6 0,0 0,8 0,0 0,2 0,0 17,8 36,2 0,7 0,9 46,4 2,3 19,6
10 0,1 22,9 10,1 0,0 5,5 6,0 0,0 0,8 3,4 3,2 1,5 0,0 0,0 0,1 1,0 39,2 0,2 4,9

..      Abb. 26.15  Charakterisierung einer Peptidbibliothek durch X2 = N, Q, K; X3 = L, M, I, V) enthält 48 Peptide, deren Massenver-
ESI-­Massenspektrometrie und Poolsequenzierung. Die synthetisch teilung durch ESI-Massenspektrometrie überprüft werden kann.
dargestellte Octapeptidbibliothek LNYRFX1X2X3 (X1 = T, I, E, S; (Nach Stevanovic et al. 1993)

Literatur und Weiterführende Literatur Jung G, Beck-Sickinger AG (1992) Multiple peptide synthesis met-
hods and their applications. New synthetic methods. Angew
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Beck-Sickinger AG, Weber P (1999) Kombinatorische Methoden in
Koglin N, Lang M, Rennert R, Beck-Sickinger AG (2003) Facile and
Chemie und Biologie. Spektrum Akademischer Verlag Heidel-
selective nanoscale labeling of peptides in solution using photo-
berg, Berlin
labile protecting groups. J Med Chem 46:4369–4372
Bettio A, Beck-Sickinger AG (2002) Biophysical methods to study
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demischer. Verlag Heidelberg, Berlin, Oxford
Humana Press, Totowa, NJ
Jones C, Mulloy B, Thomas AH (1994) Microscopy, optical spectro-
White PD, Chan WC (2004) Fmoc Solid Phase Peptide Synthesis: A
scopy and macroscopic techniques, Methods in molecular bio-
practical approach. Oxford University Press, Oxford
logy 22. Humana Press, Totowa, NJ
659 27

Kohlenhydratanalytik
Andreas Zappe und Kevin Pagel

Inhaltsverzeichnis

27.1 Theoretische Grundlagen – 660


27.1.1  ldosen und Ketosen – 660
A
27.1.2 Cyclisierung – 661
27.1.3 Anomerer Effekt – 662
27.1.4 Die glykosidische Bindung – 663
27.1.5 Oligosaccharide und Glykane – 666

27.2 Analytische Ansätze – 670


27.2.1  ethoden zur Trennung und Analyse von Glykanen – 673
M
27.2.2 Massenspektrometrie – 679

27.3 Schlussbetrachtung – 687

Literatur und Weiterführende Literatur – 688

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_27
660 A. Zappe und K. Pagel

55 Kohlenhydrate – oder einfach Zucker – sind wichtige ben in ungebundener Form großen Einfluss auf die Blut-
Makromoleküle, die eine Reihe von biologischen gerinnung als Antikoagulanzien. Zucker tragen ebenfalls
Funktionen erfüllen. Sie werden nach ihrer Kettenlänge maßgeblich zur Gesunderhaltung der Darmflora bei.
in Monosaccharide, Disaccharide, Oligosaccharide Die bei dem Abbau von Milchzucker entstehende Milch-
und Polysaccharide unterteilt. säure führt zu einer Absenkung des pH-Wertes im Darm,
55 Zuckermoleküle werden entsprechend ihrer Struktur, und das so entstehende saure Darmmilieu erschwert die
27 Anordnung und spezifischen Eigenschaften zusätzlich Vermehrung von Krankheitskeimen und Pilzen. Unver-
als N-Glykane, O-Glykane, Glykosaminoglykane, oder daute Milchzucker wiederum dienen den Bakterien des
Glykosphingolipide klassifiziert. Jeder Zucker ist ein- Dickdarms zusätzlich als Nahrungsquelle und tragen da-
deutig durch seine Komposition (z.  B.  Glucose oder mit zur Entstehung und Erhaltung des Mikrobioms bei.
Galactose) sowie die Konnektivität (z.  B. 1→3 oder Diese Darmflora übernimmt mannigfaltige Funktionen,
1→4) und Konfiguration (α oder β) der glykosidischen und krankheitsbedingte Änderungen ihrer Struktur kön-
Bindungen charakterisiert. nen mitunter drastische Konsequenzen haben. Selbst de-
55 Die hohe Komplexität und Diversität von Kohlenhydra- pressive Gemütszustände lassen sich auf Störungen der
ten erschweren deren Charakterisierung und erfordern Mikrobiota zurückführen.
eine Vielzahl verschiedener analytischer Techniken, wie Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Funktionen
beispielsweise chromatographische Trennverfahren, La- von Kohlenhydraten ist es essenziell, nicht nur ihre Zu-
belingreaktionen und Massenspektrometrie. sammensetzung, sondern auch ihre genaue Struktur
55 Die Flüssigchromatographie-gekoppelte Massenspekt- und ihre darin bedingten Eigenschaften zu verstehen.
rometrie (LC-MS) wird inzwischen routinemäßig für Ein dabei häufig auftretendes Problem ist das Vorhan-
die Analyse von Kohlenhydraten eingesetzt. Verschie- densein von strukturell komplexen Isomeren, die sich
dene Ionisationsmethoden und Aktivierungstechniken nur schwer voneinander unterscheiden lassen. In diesem
erlauben die Fragmentierung von Zuckermolekülen im Buchkapitel werden wir deshalb zuerst die chemischen
Massenspektrometer, wodurch ihre Struktur, Sequenz Grundlagen von Kohlenhydraten beschreiben. Darauf
und die Lage von Glykosylierungsstellen durch Ionen- aufbauend erörtern wir Methoden zur Probenvorberei-
mobilitätsmassenspektrometrie ermittelt werden kann. tung, analytischen und präparativen Trennung sowie
55 Die Anwendungsbereiche der Glykananalytik erstre- Charakterisierung mit massenspektrometriebasierten
cken sich über eine Vielzahl von Forschungsgebieten Methoden. Es ist unser Anliegen, dem Leser ein detail-
wie Glykobiologie, Glykomanalytik, Immunologie und liertes Grundwissen zur Verfügung zu stellen und die
die Qualitätskontrolle rekombinanter Glykoproteine. aktuell in Wissenschaft und Industrie genutzten Arbeits-
abläufe näher zu beleuchten.
Kohlenhydrate – oder einfacher Zucker – sind allgegen-
wärtig. Etwa 80 % der Biomasse auf der Erde sind Koh-
lenhydrate, sei es in Form von kurzen Mono- oder Di-
sacchariden wie Haushaltszucker und Lactose oder als 27.1  Theoretische Grundlagen
lange, regelmäßige Polysaccharide wie Cellulose und
Stärke. Neben ihrer enormen Bedeutung als Energieliefe- 27.1.1 Aldosen und Ketosen
ranten und als strukturelle Polymere spielen Zucker auch
eine entscheidende Rolle bei einer Reihe von physiologi- Monosaccharide sind die kleinsten Bausteine von Zu-
schen Prozessen. Hier sind es meist komplexe, verzweigte ckern, aus denen größere Kohlenhydrate (Oligosaccha-
Strukturen  – sog. Oligosaccharide oder Glykane –, die ride und Polysaccharide) aufgebaut werden. Aufgrund
wesentliche Funktionen übernehmen. Häufig sind sie ihrer unterschiedlichen chemischen Funktionalitäten
dabei an andere Biomoleküle wie Proteine oder Lipide unterteilt man Monosaccharide in Aldosen (Polyhydro-
gebunden, deren Funktion sie maßgeblich beeinflussen. xyaldehyde) und Ketosen (Polyhydroxyketone). Beide
N- und O-Glykane sind verschieden lange, unterschied- bestehen aus einer linearen Kette von Kohlenstoffato-
lich verzweigte Oligosaccharide, die auf der Oberfläche men und besitzen die Summenformel CnH2nOn (n≥3).
von Proteinen zu finden sind. Zwischen verschiedenen Aldosen tragen am endständigen C-Atom der Kette eine
Spezies (Menschen, Tiere, Hefen, Insekten, Viren, Bak- Aldehydgruppe, wohingegen Ketosen eine Ketogruppe
terien) treten oft nur geringe Unterschiede in der Ami- am zweiten Kohlenstoffatom der Kohlenstoffkette auf-
nosäuresequenz der Glykoproteine auf, wohingegen die weisen (. Abb. 27.1). Je nach Anzahl der vorhandenen

Glykosylierung sehr heterogen und divers sein kann. C-Atome werden Aldosen in Triosen (3), Tetrosen (4),
Auch in der Extrazellulärmatrix finden sich Zucker, Pentosen (5), Hexosen (6) und Heptosen (7) unterteilt.
meist in Form von langkettigen Polysacchariden, die als Eine ähnliche Nomenklatur gilt für Ketosen: Tetrulosen
Glykosaminoglykane bezeichnet werden. Sie sorgen in (4), Pentulosen (5), Hexulosen (6) und Heptulosen (7).
proteingebundener Form als Proteoglykane für die Sta- Das einfachste Monosaccharid ist die aus drei Koh-
bilität und Integrität der extrazellulären Matrix und ha- lenstoffatomen aufgebaute Triose Glycerinaldehyd. Gly-
Kohlenhydratanalytik
661 27
..      Abb. 27.1  Strukturen der Aldosen und Ketosen. Der O H
Name des Monosaccharids wird durch die Anzahl Aldehydgruppe C
vorhandener C-Atome bestimmt; eine Unterscheidung Aldosen H * OH
zwischen Aldosen und Ketosen erfolgt anhand der Endung CH2OH
(Aldosen: -ose, Ketosen: -ulose)
CH2OH
Ketogruppe
O
Ketosen
CH2OH

Carbonyl-Typ Anzahl Kohlenstoffatome

3 4 5 6 7

Aldehyd Triose Tetrose Pentose Hexose Heptose


Keton Tetrulose Pentulose Hexulose Heptulose

..      Abb. 27.2  Glycerinaldehyd und Galactose in der H H O O H O H


Fischer-­Projektion. Die d- und l-Formen sind Enantio- C C
Fischer-Projektion
mere und verhalten sich wie Bild und Spiegelbild HO H H OH H OH
HO H CH2OH CH2OH
Glycerinaldehyd

O H O H
C C
ein stereogenes * H
Zentrum H * OH HO
CH2OH CH2OH

D-Glycerinaldehyd L-Glycerinaldehyd

O H O H
C C
H * OH HO *H
mehrere stereogene HO * H H *OH
Zentren HO * H H *OH
H * OH HO *H
CH2OH CH2OH

D-Galactose L-Galactose

Enantiomere

cerinaldehyd enthält ein chirales C-Atom und kann in fernten chiralen C-Atom. Steht diese OH-Gruppe links,
Form von zwei unterschiedlichen Enantiomeren vorlie- spricht man von der l-Form, steht sie rechts, von der d-
gen. Enantiomere sind Stereoisomere, die sich wie Bild Form.
und Spiegelbild verhalten und deshalb räumlich nicht Was im Falle des d- und l-Glycerinaldehyds einfach
zur Deckung gebracht werden können. Im Falle von Zu- ist, kann bei größeren Monosacchariden wie Galactose
ckern unterscheiden sie sich meist nur in der relativen durchaus komplizierter werden. Wichtig ist dabei zu be-
Anordnung einer OH-Gruppe. Zur vereinfachten Dar- achten, dass die Unterscheidung zwischen d- und l-
stellung der Stereochemie von Zuckern hat sich die Form ausschließlich durch das am weitesten von der
schon in den 1890er-Jahren von Emil Fischer (Nobel- Aldehyd- bzw. der Ketogruppe entfernten chiralen
preis 1902) eingeführte Fischer-Projektion etabliert. Die C-Atom bestimmt wird (. Abb.  27.2). Die Stereoche-

Fischer-Projektion basiert auf einer senkrechten An- mie aller anderen asymmetrischen C-Atome ist durch
ordnung der längsten Kohlenstoffkette, wobei das den Namen des Monosaccharids definiert.
höchstoxidierte C-Atom (d.  h. die Aldehydfunktion in
Aldosen und die Ketogruppe in Ketosen) oben steht.
Die an chiralen C-Atomen befindlichen Atome der 27.1.2 Cyclisierung
Kette weisen hinter die Zeichenebene; die links und
rechts angeordneten Seitenketten zeigen imaginär nach Die Aldehyd- oder Ketogruppen von Monosacchariden
vorne. Die Unterscheidung von Enantiomeren erfolgt sind dazu in der Lage, intramolekular mit einer OH-­
anhand der Ausrichtung der OH-Funktion an dem am Gruppe zu reagieren. Bei dieser Kondensationsreaktion
weitesten von der Aldehyd- bzw. Ketofunktionalität ent- werden cyclische Halbacetale (bei Aldosen) und cycli-
662 A. Zappe und K. Pagel

sche Halbketale (bei Ketosen) gebildet (. Abb.  27.3).   lichkeit ist die Haworth-Projektion, bei der der Zucker
Auf diese Weise entstehen Fünfring- oder Sechsring-­ als ebener Ring mit hinten liegendem Ringsauerstoff
Heterocyclen mit jeweils einem Sauerstoffatom im Ring. abgebildet wird (. Abb. 27.4). Substituenten, die in der

Abgeleitet von den organischen Verbindungen Furan Fischer-Projektion links stehen, zeigen in der Haworth-­
und Pyran werden sie als Furanosen und Pyranosen be- Projektion nach oben, rechts stehende Substituenten
zeichnet. nach unten. Glykosidische OH-Gruppen zeigen in den
27 Das C-Atom der Aldehyd- bzw. Ketogruppe wird in- meisten Zuckern wie Glucose oder Galactose in der
folge der Ringbildung chiral, wodurch zwei Stereoiso- α-Form nach unten und in der β-Form nach oben. Tat-
mere entstehen. Die OH-Gruppe kann dabei entweder sächlich orientiert sich die α/β-Nomenklatur allerdings
axial oder äquatorial zur Ringebene orientiert sein. Je an der relativen Orientierung der glykosidischen OH-
nach Ausrichtung wird zwischen der α-Form und der Gruppe zu der OH Funktion an dem am weitesten von
β-Form unterschieden. Häufig werden diese Isomere der Aldehyd- bzw. Ketofunktionalität entfernten chira-
auch als Anomere und das betreffende C-Atom als ano- len C-Atom: stehen die OH-Gruppen in der Fischer Pro-
meres Zentrum bezeichnet. Die nach der Cyclisierung jektion auf der gleichen Seite, liegt eine α-Konfiguration
entstehende Halbacetalstruktur von Monosacchariden vor; stehen die OH-Gruppen auf gegenüberliegenden
ist jedoch nicht statisch. In wässriger Lösung steht sie Seiten, liegt dementsprechend die β-Form vor.
mit der offenkettigen Form im Gleichgewicht, die je-
doch meist nur zu einem geringen Anteil vorhanden ist
(<1 %). Da die Aldehyd- und Keto-Form am anomeren 27.1.3 Anomerer Effekt
C-Atom nicht chiral sind, geht bei der Ringöffnung die
Konfiguration am anomeren Zentrum verloren. Die cyclische Halbacetalform von Monosacchariden
Die cyclisierte Fischer-Projektion kann, wie für steht mit der offenkettigen Form im Gleichgewicht.
Sechsringe üblich, auch in der Sesselkonformation ab- Reine α-d-Glucose äquilibriert deshalb in wässriger Lö-
gebildet werden. Der Ringsauerstoff befindet sich dabei sung relativ schnell zu einer Mischung beider Anomere
in der Regel oben rechts. Eine weitere Darstellungsmög- (. Abb. 27.5). Dieser Effekt wurde erstmals anhand der

Änderung des für Enantiomere charakteristischen


Drehwinkels von linear polarisiertem Licht verfolgt und
O H
1C Cycli- wird deshalb oft als Mutarotation bezeichnet.
* OH
H OH sierung 6
Intuitiv würde man nach erfolgter Mutarotation ei-
*
HO H
HO * * *O nen deutlichen Überschuss des β-Anomers erwarten, da
H * OH HO * OH
*
* OH
1 die axiale Anordnung der OH-Gruppe in der α-Form
H OH
CH2OH thermodynamisch ungünstig ist. Überraschenderweise
6
erhält man jedoch für d-Glucose im Gleichgewicht 38 %
..      Abb. 27.3  Cyclisierung von d-Glucose. Cyclisierte Halbacetale α- und 62 % β-Enantiomer. Dieser ungewöhnlich hohe
werden häufig in der Sesselkonformation dargestellt Anteil der α-Form lässt sich durch den anomeren Effekt

..      Abb. 27.4  Darstellung von d-Glucose neues


und d-Fructose in der Haworth-Projektion, O H Chiralitätszentrum
Cyclisierung zur Pyranose bzw. Furanose C1 HO 6 HO anomeres C-Atom
6
H OH OH H O H
HO H
H OH
= OH O OH 1
HO 1 HO OH
H OH
OH OH
6 CH2OH
α-D-Glucopyranose
D-Glucose Pyranose

1 CH2OH
6 1 6
O OH CH OH O
HOH2C 2 HOH2C OH
HO H
H OH
= HO O HO
CH2OH
H OH 1
OH OH
6 CH2OH
D-Fructofuranose
D-Fructose Furanose
Kohlenhydratanalytik
663 27
α-D-Glucose: [α ]D = +112°
α(°)
100
HO 80
62 % β
OH H 60
OH 40 38 % α
O
HO 20
OH 0
10 20 30 40 50 Zeit (min)
D-Glucose β-D-Glucose: [α]D = +19°
HO HO
O H O OH
Haworth-
OH OH
Projektion Anomere
HO OH HO H
OH OH
α-D-Glucose β-D-Glucose

OH OH äquatorial
O axial O
Sessel- HO HO
Konformation OH
HO HO
OH OH
OH

..      Abb. 27.5  Nach Abschluss der Mutarotation hat sich ein Gleich- Das Gemisch aus α- und β-d-Glucose hat nach ca. 50 min bei einem
gewicht von 38  % α-d-Glucose und 62  % β-d-Glucose eingestellt. Drehwinkel von 52° sein Gleichgewicht erreicht

..      Abb. 27.6  Vereinfachte Darstellung äquatorial axial


der Orbitale am anomeren Zentrum in
äquatorialer und axialer Ebene. In O O
Dipolmomente parallel Dipolmomente senkrecht
axialer Stellung überlappen das n- und
OH elektrostatisch ungünstig elektrostatisch günstig
σ*-Orbital, was zu einer elektrostatisch
günstigen Ausrichtung der Dipole führt OH

O
keine Orbital- O Überlappung des n-
überlappung und *-Orbitals

erklären. Bis heute ist der anomere Effekt nicht vollstän- geometrisch nicht möglich, was das α-Anomer entspre-
dig verstanden, zwei mögliche Erklärungen werden je- chend energetisch begünstigt.
doch häufig genutzt. Die Erste basiert auf der relativen
Ausrichtung der Dipolmomente des Ringsauerstoffs
und der OH-Funktion am anomeren Zentrum. In axia- 27.1.4 Die glykosidische Bindung
ler Position (α-Anomer) sind die Dipolmomente senk-
recht zueinander orientiert, was elektrostatisch günstig Aldosen und Ketosen bilden bei der Reaktion mit Alko-
ist. Bei einer äquatorialen Anordnung der OH-Funk- holen Acetale; bei der Kondensation mit einem Alkohol
tion (β-Anomer) sind die Dipolmomente jedoch parallel entsteht zunächst ein Halbacetal, bei der Reaktion mit
in dieselbe Richtung ausgerichtet, was elektrostatisch zwei Alkoholen ein Vollacetal. Monosaccharide liegen
ungünstig ist. Die zweite Erklärung für den anomeren in Lösung zum überwiegenden Teil als energetisch güns-
Effekt basiert auf der Quantenmechanik und ist heute tiges, cyclisches Halbacetal vor. Eine Kondensation die-
weitgehend akzeptiert. Dabei geht man davon aus, dass ser Fünf- oder Sechsringform mit einem weiteren Alko-
es in der α-Form zu negativer Hyperkonjugation zwi- hol führt zur Bildung eines Vollacetals. Die dabei
schen dem freien Elektronenpaar des Ringsauerstoff- entstehende Bindung ist die Grundlage für die Bildung
atoms (n-Orbital) und dem antibindenden σ*-Orbital von größeren Oligo- und Polysacchariden und wird als
der anomeren C–O-Bindung kommt (. Abb.  27.6).   glykosidische Bindung bezeichnet. Im Gegensatz zu den
Diese stabilisierende Wechselwirkung ist in der β-Form cyclischen Halbacetalen, die in Lösung mit der offenket-
664 A. Zappe und K. Pagel

OH OH OH
HO O H+ HO O HO O
+ R-OH +
HO OH – H2O HO OR HO
OH OH OH
Alkohol, OR
Phenol β-D-Glucosid α-D-Glucosid
D-Glucopyranose
27 oder
Zucker
β-D-Glucopyranosid α-D-Glucopyranosid

..      Abb. 27.7  Umsetzung von Glucopyranose mit einem Alkohol durch eine Kondensationsreaktion gebildet. Sie ist hydrolytisch
zum Glykosid (α- und β-Form). Die mit geringem Energieaufwand spaltbar, das Reaktionsgleichgewicht liegt auf der Seite der Spalt-
unter Wasserabspaltung entstehende glykosidische Bindung wird produkte. Die Bindung ist kinetisch jedoch recht stabil

..      Abb. 27.8  Exemplarische Darstellung der Cellobiose Maltose


Glykoside: Cellobiose, Maltose, Lactose und β-Glc-1→4-Glc α-Glc-1→4-Glc
Saccharose
HO HO HO HO
O H O OH O H H O OH
OH O OH OH OH
O H
OH H H OH
OH OH OH OH

Grundbaustein der Cellulose Malzzucker

Lactose Saccharose
β-Gal-1→4-Glc α-Glc-1→2- -Fru

HO HO HO
HO O H O OH O H HO O
OH O OH OH HO
H H O
OH OH
OH OH OH OH

1,5–8 % Zuckeranteil der Milch Haushaltszucker

tigen Form im Gleichgewicht stehen, kommt es in Voll- ren zu den bekanntesten Glykosiden und bestimmen
acetalen nicht zur Ringöffnung. Die Stereochemie der unseren Alltag (. Abb.  27.8). Wie auch im Falle des

glykosidischen Bindung ist somit konserviert und spielt Methylglykosids ist hier die Stereochemie der glykosidi-
eine entscheidende Rolle für die Eigenschaften und schen Bindung von großer Bedeutung und bestimmt
Funktionen größerer Kohlenhydrate. maßgeblich die Eigenschaften des Disaccharids (vgl.
Natürliche oder auch künstliche Verbindungen, die Cellobiose und Maltose). Da Monosaccharide in der
durch Kondensationsreaktionen zwischen der Halb- Regel mehrere, chemisch nahezu identische OH-­
acetalgruppe eines cyclischen Zuckers und einer Hy- Gruppen aufweisen, ist außerdem auch die Regiochemie
droxy-, Amino- oder Sulfhydrylgruppe eines anderen der glykosidischen Verknüpfung von entscheidender Be-
Moleküls entstehen, werden als Glykoside bezeichnet deutung.
(. Abb.  27.7). Im einfachsten Fall erfolgt eine Ver-
  Häufig unterscheidet man außerdem zwischen redu-
knüpfung mit einem Alkohol wie z.  B.  Methanol. Das zierenden und nichtreduzierenden Glykosiden. Diese
dabei entstehende Produkt ist ein Methylglykosid. Wer- Unterscheidung ist historisch gewachsen und basiert
den keine weiteren Vorkehrungen getroffen (wie z. B. be- auf einem Nachweis von Zuckern durch die Fehling-­
stimmte Schutzgruppen), entstehen als Produkte beide Probe. Grundlage hierfür ist eine Redoxreaktion, in der
möglichen Anomere, deren relativer Gehalt durch den die Aldehydfunktion eines Zuckers zur Carbonsäure
anomeren Effekt bestimmt wird. oxidiert wird, während Cu2+-Ionen zu Cu2O reduziert
Erfolgt die Verknüpfung zwischen der Halbacetal- werden, wodurch ein charakteristischer ziegelroter Nie-
gruppe eines cyclischen Zuckers und einer Hydroxyg- derschlag entsteht. Ein positives Ergebnis ergibt sich in
ruppe eines weiteren Monosaccharids, so ist das entste- der Fehling-Probe also nur, wenn mindestens eine der
hende Produkt ein Disaccharid. Gängige Disaccharide Aldehydgruppen im Glykosid als Halbacetal vorliegt
wie Maltose, Lactose, Saccharose oder Cellobiose gehö- und mit der offenkettigen Aldehydform im Gleichge-
Kohlenhydratanalytik
665 27
wicht steht. Methylglykoside eines Monosaccharids sind Bindung zwischen dem anomeren Zentrum und der
Vollacetale und deshalb nicht reduzierend. Die meisten OH-Gruppe an Position 4 vor. In einer 1→6-glykosodi-
Disaccharide hingegen sind an einem der Bausteine schen Bindung sind es das anomere Zentrum und die
Halbacetale und deshalb reduzierend. In Saccharose OH-Gruppe an Position sechs. Zusätzlich wird bei der
wiederum liegt die Aldehydgruppe der Glucose als Ace- Bindungsknüpfung das anomere Kohlenstoffatom vom
tal und die Ketogruppe der Fructose als Ketal vor Halbacetal in ein Vollacetal überführt. Auf diese Weise
(. Abb. 27.9). Keine der beiden Gruppen steht mit der
  entsteht ein neues, permanentes Stereozentrum, an dem
offenkettigen Form im Gleichgewicht, weshalb Saccha- eine α- oder β-Konfiguration vorliegen kann. Weil es
rose nichtreduzierend ist. sich dabei um einen Unterschied an einem einzigen von
Aufgrund der unterschiedlichen Arten der mögli- vielen möglichen Stereozentren handelt, sind Anomere
chen Verknüpfungen weisen größere Glykoside und Oli- keine Enantiomere, sondern Diastereomere.
gosaccharide i. A. eine extrem hohe Diversität auf. Zur Zusammengefasst lassen sich glykosidische Bindun-
einfachen Charakterisierung einzelner glykosidischer gen anhand der drei Parameter eindeutig beschreiben.
Bindungen werden häufig drei Parameter genutzt: Dies spiegelt sich auch in den gebräuchlichen Schreib-
55 Komposition, weisen wider. Cellobiose besteht z.  B. aus zwei Disac-
55 Konnektivität und charidbausteinen, die über eine 1→4-glykosidische Bin-
55 Konfiguration. dung mit einer β-Konfiguration verknüpft sind.
Vereinfacht lässt sich das Disaccharid somit als β-Glc-
Die Komposition definiert die Art der verwendeten Mo- 1→4-­Glc beschreiben. Komposition, Konnektivität und
nosaccharidbausteine, wie z.  B.  Glucose (Glc), Galac- Konfiguration sind so eindeutig wiedergegeben. Die
tose (Gal) oder N-Acetylglucosamin (GlcNAc). Die Verwendung solcher Kurzformen ist in der Literatur je-
Konnektivität beschreibt die Regiochemie der glykosidi- doch leider nicht stringent. Für Cellobiose findet sich
schen Bindung, d. h. die Positionen der miteinander ver- z. B. auch häufig Glc-β1,4-Glc oder auch Glc(b1,4)Glc.
knüpfen Gruppen. Zwei Glucosemoleküle können z. B. Aus dem Zusammenspiel der Komposition, Konnek-
durch eine 1→4- oder eine 1→6-glykosidische Bindung tivität und Konfiguration ergibt sich eine enorme An-
verknüpft sein. Im Falle einer 1→4-Knüpfung liegt eine zahl von möglichen Isomeren (. Abb. 27.10). Dies wird

..      Abb. 27.9  Ringbildung von nichtreduzierend reduzierend


Saccharose nach Bildung des Vollace-
tals und des Ketals, Ringbildung von OH OH
Cellobiose unter Halbacetalbindung an 6
O 6
O Acetal
HO HO OH
exocyclischer OH-Gruppe Acetal
1
O
6
O Halbacetal
HO HO
OH OH 1
HO OH
O OH 1
HO Ketal
6 O Cellobiose
HO β-Glc-1-4-Glc
1
OH Saccharose
OH α-Glc-1-2- -Fru

..      Abb. 27.10  Parameter zur Charakterisierung A Komposition B Konnektivität C Konfiguration


von Kohlenhydraten. A Die Komposition
Art des Mono- Regiochemie der Stereochemie der
bestimmt die Art des Kohlenhydrats durch die
saccharidbausteins glycosidischen Bindung glycosidischen Bindung
Art der miteinander verbundenen Monosaccha-
ride (z. B. Glucose oder Galactose). B Die OH HO OH HO OH HO OH HO OH
Konnektivität legt die Regiochemie der HO O O O O O
HO OH HO O OH HO O OH
glykosidischen Bindung fest (beispielsweise 1→4 OH OH
OH OH OH
oder 1→6). C Die Konfiguration beschreibt die
Stereochemie der glykosidischen Bindung (entwe- β-D-Glucose (Glc) β-Gal-1→3-Gal β-Gal-1→3-Gal
der α oder β)
oder oder oder
HO OH HO OH
HO OH O O
O HO O OH HO HO OH
HO OH OH O O
HO
OH HO OH O OH
OH OH

β-D-Galactose (Gal) β-Gal-1→4-Gal α-Gal-1→3-Gal


666 A. Zappe und K. Pagel

besonders deutlich, wenn man die Anzahl der theore- (Varki et al. 2015). Hier werden die einzelnen Monosac-
tisch denkbaren Kombinationen von Bausteinen in Zu- charidbausteine als Symbole dargestellt, während die
ckern und Peptiden miteinander vergleicht. Im Falle von Regiochemie der glykosidischen Bindung (Konnektivi-
Di- und Trimeren ist der strukturelle Raum noch recht tät) durch den gezeichneten Winkel und die Stereoche-
eingeschränkt, für höhere Oligomere zeigt sich jedoch mie (Konfiguration) durch die Art der Verbindungslinie
die extreme chemische Diversität von Oligosacchariden. verdeutlicht werden (. Abb. 27.11).
27

Schon für ein einfaches Tetrasaccharid aus vier unter-


schiedlichen Bausteinen ergeben sich hier fast 35.000
mögliche Strukturen (. Tab.  27.1). Im Vergleich dazu
  27.1.5 Oligosaccharide und Glykane
ist der chemische Raum eines Tetrapeptids mit 24 Mög-
lichkeiten vergleichsweise klein. Oligosaccharide und Glykane kommen in unterschied-
Aufgrund ihrer enormen strukturellen Komplexität lichsten Formen vor und erfüllen eine Vielzahl von le-
lassen sich Oligosaccharide nicht ohne Weiteres als line- benswichtigen Funktionen. Beispielsweise unterstützen
are Sequenz von Bausteinen, z. B. durch Buchstaben wie sie den Faltungsvorgang von Proteinen im endoplasma-
in Peptiden oder DNA, beschreiben. Zur vereinfachten tischen Retikulum (ER) und sind bei Kommunikations-
Darstellung hat sich stattdessen eine Symbolnomenkla- prozessen zwischen Zellen von entscheidender Bedeu-
tur (Symbol Nomenclature for Glycans, SNFG) etabliert tung. Oligosaccharide und Glykane unterscheiden sich

..      Tab. 27.1  Anzahl der theoretisch möglichen Peptid- und Oligosaccharidstrukturen gleicher Kettenlänge. Homooligomere
bestehen aus identischen, Heterooligomere aus unterschiedlichen Bausteinen

n-Mer Zusammensetzung (homo/hetero) Peptide (homo/hetero) Oligosaccharide (homo/hetero)

Dimer AA AB 1 2 11 20
Trimer AAA ABC 1 6 120 720
Tetramer AAAA ABCD 1 24 1424 34.560
Pentamer AAAAA ABCDE 1 120 17.872 2.144.640

..      Abb. 27.11 Symbolnomenklatur Symbolische Darstellung gängiger Monosaccharide


für Glykane. (Nach Varki et al. 2015)
Galactose (Gal) Xylose (Xyl)

N-Acetylgalactosamin (GalNAc) N-Acetylneuraminsäure (Neu5Ac)

Galactosamin (GalN) N-Glycolylneuraminsäure (Neu5Gc)

Glucose (Glc) 2-Keto-3-deoxynononsäure (Kdn)

N-Acetylglucosamin (GlcNAc) Fucose (Fuc)

Glucosamin (GlcN) Glucuronsäure (GlcA)

Mannose (Man) Iduronsäure (IdoA)

N-Acetylmannosamin (ManNAc) Galacturonsäure (GalA)

Mannosamin (ManN) Mannuronsäure (ManA)

Konnektivität 6 Konfiguration β α
4 unbekannt
3
2
Kohlenhydratanalytik
667 27

Hyaluronsäure
O-Glykane

Ser n
Ser/Thr

GPI-befestigte Glykosaminoglykane
Glykoproteine Ser
N-Glykane
Ser
andere
O-Man O-Glykane
Glykosphingolipide
Ser/Thr
Asn
Ser/Thr
Asn
Asn Ser/Thr Ser/Thr

Cytoplasma
Peptidkette

O-GlcNAc Ser/Thr

Man Gal GlcNAc GalNAc GlcN IdoA


Glykosphingolipid
Fuc Sialinsäure Xyl Inositol Sulfat GlcA

..      Abb. 27.12  Schematische Darstellung von Kohlenhydraten an sind über ein Ceramid in ihr verankert. Ihr glykosidisch g­ ebundener
der Cytoplasmamembran. N- und O-Glykane sowie Glykosaminog- Kohlenhydratanteil wird auf der Außenseite der Membran präsen-
lykane (außer Hyaluronsäure) sind an transmembrane Proteine ge- tiert. Zusätzlich existieren Glykoproteine, die über einen Glykosyl-
bunden. Glykosphingolipide sind Bestandteile der Membran und phosphatidylinositol-Anker in der Membran verankert sind

hinsichtlich ihres Aufbaus, ihrer Struktur und ihrem tein (Cys), wobei X jede Aminosäure außer Prolin sein
Vorkommen und werden demnach in verschiedene Ar- kann. Prolin kann aufgrund der stark eingeschränkten
ten eingeteilt (. Abb. 27.12). Die in der Abbildung ge-
  Drehbarkeit um die Peptidbindung nicht nahe an N-­
zeigten Zuckerstrukturen werden in diesem Abschnitt Glykosylierungsstellen auftreten. Es ergeben sich hohe
näher erläutert. Diversitäten bezüglich der Strukturzusammensetzung,
der Verknüpfung zwischen einzelnen Monosacchari-
27.1.5.1  N-Glykane den und deren Konfiguration. Einige dieser möglichen
Die bisher wahrscheinlich am besten erforschte Art Strukturvarianten sind:
von Zuckern sind N-Glykane. Alle N-Glykane be- 55 bi-, tri- oder tetraantennäre Strukturen (in Ausnah-
sitzen eine gemeinsame Kernstruktur, die aus zwei N-­ men auch mono- und pentaantennär)
Acetylglucosamin- (GlcNAc) und drei Mannose-Bau- 55 Auftreten 2,4-verzweigter oder 2,6-verzweigter trian-
steinen (Man) besteht. Darauf aufbauend unterscheidet tennärer Grundstrukturen
man drei Typen von N-Glykanen (. Abb.  27.13). Der 55 N-Acetylneuraminsäuren sind entweder 2,3- oder

Oligomannose-Typ ist ausschließlich aus Mannose- 2,6-verknüpft


resten aufgebaut; der komplexe Typ besteht aus über 55 vollständige oder unvollständige Sialylierung
GlcNAc-initiierte Antennen, die mit Galactoseeinhei- 55 Auftreten von 1–3-N-Acetyllactosamin- (LacNAc-)
ten (Gal) verlängert und mit N-Acetylneuraminsäuren Repeats (repetitiv oder auf verschiedenen Antennen)
terminiert werden; der hybride Typ ist eine Kombina-
tion aus den beiden anderen Glykantypen. Bei der N-­ All diese Varianten können sowohl mit als auch ohne
Acetylneuraminsäure handelt es sich um das N-De- „proximale Fucose“ und „bisecting GlcNAc“ auftreten.
rivat der Sialinsäure. Die N-Glykosylierung erfolgt an Die proximale Fucose ist stets an Position 6 des Asn-­
Asn mit der Konsensussequenz Asn-X-Ser/Thr/Cys- verknüpften GlcNAc gebunden; das bisecting GlcNAc
668 A. Zappe und K. Pagel

..      Abb. 27.13  Die drei Typen von N-Glykanen. Alle Typen von N-Glykanen
Typen bestehen aus dem Pentasaccharid GlcNAc2Man3.
Der Oligomannose-Typ besteht nur aus Mannosen, der
Oligomannose
komplexe Typ besteht aus symmetrisch zueinander
aufgebauten Antennen, die mit GlcNAc begonnen, mit
Gal fortgesetzt und mit N-Acetylneuraminsäuren
terminiert werden. Eine Fucosylierung des unteren Asn
27 GlcNac der Kernstruktur ist üblich. Der hybride Typ ist
eine Kombination aus dem Oligomannose- und
komplexem Typ

Komplex

N-Acetylneuraminsäure
Asn
Galactose

Mannose

N-Acetylglucosamin
Hybrid
Fucose

Asn 6
β α
4
unbekannt
3
2

ist stets an Position 4 der β-verknüpften Kernmannose recycelt und zurück in das Golgi-Netzwerk transpor-
geknüpft. tiert.
Die Biosynthese eukaryotischer N-Glykane beginnt
auf der cytoplasmatischen Seite der ER-Membran. 27.1.5.2  O-Glykane
Sie wird mit dem Transfer von Nucleotidphosphat-­ Im Gegensatz zu dem vergleichsweise überschaubaren
aktivierten Monosacchariden an das Vorläufermolekül Aufbau von N-Glykanen handelt es sich bei O-Glykanen
Dolicholphosphat initiiert, welches als Empfänger für um eine bei Weitem nicht so gut verstandene Art der Gly-
weitere Monosaccharide fungiert. Weitere aktivierte kosylierung. Ein O-Glykan entsteht durch eine O-glyko-
Monosaccharide knüpfen an das entstehende Glykange- sidische Bindung an den Seitenketten von Ser oder Thr,
rüst an, und sobald die sich gebildete Struktur aus zwei wobei hier keine Konsensussequenz zur Vorhersage bzw.
GlcNAc- und fünf Man-Molekülen besteht, wird das Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer O-Glykosy-
gesamte Konstrukt in das ER-Lumen transferiert. Dort lierung bekannt ist. Empirisch ermittelte Häufigkeiten
werden sukzessive weitere sechs Man- und drei Glc-Mo- der Aminosäuren nahe der O-­Glykosylierungsstelle
leküle an das N-Glykan addiert. Die dafür notwendigen können jedoch Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit
Additionsreaktionen werden von Glykosyl-­Transferasen des Auftretens einer O-­Glykosylierung geben. Ähnlich
katalysiert. Der Transfer des Glykan-Vorläufermoleküls wie bei der Glykobiosynthese von N-Glykanen wird
an das Motiv Asn-X-Ser/Thr/Cys eines an einem Ribo- die O-Glykosylierung durch die direkte Addition eines
som translatierten Proteins wird von der Oligosaccha- Nucleotidphosphat-­aktivierten Monosaccharids an das
ryl-Transferase katalysiert. Die finalen Modifizierun- Protein realisiert. Im Gegensatz zur N-Glykosylierung
gen der N-Glykane (Glykan-­Trimming, Fucosylierung, wird dafür jedoch kein Vorläufermolekül benötigt. Diese
Sialylierung) finden in den Golgi-Zisternen durch die Additionsreaktionen werden von Polypeptid-N-Glyko-
dort membranständigen Glykosidasen und Glyko- syl-Transferasen katalysiert, beginnen im ER und erstre-
syl-Transferasen statt. Nach vollständigem Durchlaufen cken sich bis in die Golgi-Kompartimente. Jedes Mono-
aller Golgi-Zisternen gelangen die fertig prozessierten saccharid verfügt über eine eigene spezifische Familie
Glykoproteine mittels vesikulären Transports zu ihrem von Glykosyltransferasen.
Bestimmungsort oder werden im Rahmen der Quali- Bei O-Glykanen existieren keine klaren Gesetzmä-
tätskontrolle durch den Mannose-6-phosphat-Rezeptor ßigkeiten hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Struk-
Kohlenhydratanalytik
669 27
..      Abb. 27.14  Vier wichtige Kern-
strukturen von O-Glykanen, Alle Ser/Thr
Typen sind über GalNAc an Ser/ erweiterte
Thr-Gruppen des Proteins gebunden. Kernstruktur 1
Bei Typ 1 existiert nur eine mit Gal
initiierte Antenne, Typ 2 verfügt über
zwei mit Gal und GlcNAc begonnene SO4
Antennen, Typ 3 weist eine mit
GlcNAc begonnene Antenne auf, Typ 4
besitzt zwei Antennen, die jeweils mit
GlcNAc beginnen. Die Antennen erweiterte
Kernstruktur 2 Ser/Thr
werden mit LacNAc-Strukturen
verlängert und durch N-­
Acetylneuraminsäure terminiert.
Fucosylierungen an GlcNAc und Gal
sowie Bindungen von GalNAc an Gal
können auftreten
Ser/Thr
erweiterte N-Acetylgalactosamin
Kernstruktur 3
N-Acetylglucosamin

Galactose

Fucose

N-Acetylneuraminsäure
erweiterte
Ser/Thr 6
Kernstruktur 4
β α
4
unbekannt
3
2

tur. Bisher konnten vier Kernstrukturen charakterisiert fünf verschiedenen Typen von Glykosaminoglykanen
werden, die in . Abb.  27.14 dargestellt sind. Die Ty-
  unterschieden: Hyaluronsäure, Chondroitinsulfat, Der-
pen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer aus zwei bzw. matansulfat, Heparin und Keratansulfat. Die jeweils
drei Monosacchariden bestehenden Kernstruktur, die spezifische Zusammensetzung der unterschiedlichen
O-glykosidisch an Ser/Thr des Polypeptids gebunden Glykosaminoglykane ist in . Abb.  27.15 dargestellt.

ist. Je nach Typ des O-Glykans ermöglichen sich da- Die Biosynthese von Glykosaminoglykanen wird von
durch unterschiedliche Wege, die Antennen fortzu- spezifischen Enzymen im ER bzw. im Golgi-Apparat
führen. Wie bei N-Glykanen werden antennäre Aus- katalysiert, wodurch eine gewisse Kontrolle der Glyko-
läufer auch bei O-Glykanen durch das Anfügen von saminoglykan-Synthese möglich wird.
N-­Acetylneuraminsäure terminiert. Glykosaminoglykane können kovalent an ein Pro-
tein gebunden sein, welche demzufolge als Proteogly-
27.1.5.3  Glykosaminoglykane kane bezeichnet werden (z. B. Perlecan, Aggrecan, De-
Obgleich die strukturelle Diversität von N- und O-Gly- corin, Biglycan, Glypican, Syndecan, . Abb.  27.16).

kanen bereits sehr hoch ist, übersteigt die Heterogeni- Die Knüpfung der Glykosaminoglykane an die Proteine
tät von Glykosaminoglykanen diese noch bei Weitem. erfolgt über eine Tetrasaccharid-Bindungsregion, wel-
Diese auch als Mucopolysaccharide bezeichneten Mo- che am Anfang der Glykosaminoglykan-Kette syntheti-
leküle zeichnen sich durch einen stark sauren pH-Wert siert ist (Ser–O–Xyl−Gal−Gal−GlcA-). Hierbei bindet
aus und bestehen aus einer großen Anzahl sich wieder- die Xylose des Tetrasaccharids im ER an die Hydroxyg-
holender Disacchariden-Einheiten. Die einzelnen Disac- ruppe von Serin des Proteins. Weitere Monosaccharid-
charide bestehen zumeist aus einer 1→3-­glykosidisch an bausteine werden im Golgi-Apparat übertragen. Die
GlcNAc gebundenen Glucuronsäure oder Iduronsäure Proteoglykane bilden ein Gerüst vieler faserbildender
und sind 1→4-glykosidisch miteinander verknüpft. Es Ausläufe aus Polypeptiden und stellen kovalente Bin-
können posttranslationale Modifikationen wie Sulfa- dungsmöglichkeiten für Glykosaminoglykane bereit.
tierungen oder Verersterungen auftreten, wodurch die Aufgrund der stark verzweigten, faserähnlichen Struk-
Komplexität der Moleküle zunimmt. Abhängig von tur besitzen Proteoglykane eine hohe Elastizität und
der Zusammensetzung der Disaccharide wird zwischen können aufgrund ihrer hydrophilen Eigenschaften viel
670 A. Zappe und K. Pagel

β4 β3 β4 β3 β4 β3 β4 β3 β4 β3 Zell-Zell-Kommunikation und die Ausprägung der


Hyaluronsäure (HA) Blutgruppenepitope.
Eine besondere, deutlich komplexere Art von Glyko-
6S 6S 6S 6S 6S 6S lipiden tritt in sog. Phosphatidylinositol-verlinkten Pro-
β3 β4 β3 β4 β3 β4 β3 β4 β3 β4
teinen auf. Diese Proteine sind auf ihrer Oberfläche meist
Keratansulfat (KS) stark glykosyliert und über einen Glykosylphosphatidy-
27 4S linositol- (GPI-)Anker fest in der Zellmembran veran-
6S 4S 4S 6S 6S kert. Die Verknüpfung zwischen dem Phospholipid und
β4 α3 β4 α3 β4 α3 β4 α3 β4 α3
2S 2S dem Glykoprotein wird hierbei durch Phosphoethanol-
Dermatansulfat (DS) amin und eine Oligosaccharidkette bewerkstelligt. Wie
4S
Glykosphingolipide sind GPI-­verlinkte Proteine eben-
4S 6S 4S 6S 6S falls an Zell-Zell-Interaktionen sowie Erkennungs- und
β4 β3 β4 β3 β4 β3 β4 β3 β4 β3 Bindungsprozessen beteiligt. Die verlinkten Proteine er-
2S
Chondroitinsulfat (CS) langen eine höhere Beweglichkeit, wodurch sie Einfluss
auf Transportprozesse und die Identifizierung von Anti-
6S 6S genen auf der ­Plasmamembran haben.
α4 β4 α4 α4
α4 β4 α4 β4 α4 α4
3S 3S 2S
Heparin/Heparansulfat (HS)
27.2  Analytische Ansätze
..      Abb. 27.15  Glykosaminoglykane bestehen aus sich linear wie-
derholenden Disacchariden. Hyaluronsäure setzt sich aus β-1→4-­
glykosidisch miteinander verknüpften Glucuronyl-β-1→3-N- Die Analytik von N-Glykanen ist im Vergleich zur Un-
acetylglucosamin-Disaccharideinheiten zusammen. Heparin besteht tersuchung von O-Glykanen oder Glykosaminoglyka-
aus d-Glucuronsäure, die β-1→4-­glykosidisch, oder l-Iduronsäure, nen deutlich weiter fortgeschritten. Daher werden wir in
die α-1→4-glykosidisch mit einem Glucosamin verknüpft ist. Die den folgenden Abschnitten detaillierter auf die Trenn-
weiteren Bindungen zwischen den Disacchariden sind α-1→4-
glykosidisch. Chondroitinsulfat besteht aus β-1→4-glykosidisch ver-
und analytischen Methoden von N-Glykanen eingehen.
knüpften Glucuronyl-β-1→3-N-­ acetylgalactosaminen, wobei die Die an dieser Stelle von uns vorgestellten Methoden sol-
d-Glucuronsäure teilweise als l-Iduronsäure vorliegt. Sobald 10  % len eine Idee über generelle analytische Techniken geben
als Iduronat vorliegen, wird die Bezeichnung Dermatansulfat ge- und lassen sich zum Teil auch auf andere Arten von
wählt. Keratansulfat besteht aus β-1→3 verknüpften Galactosyl-β- Glykanen anwenden. Grundsätzlich existieren vier ver-
1→4-N-acetylglucosamin-Resten
schiedene Ebenen, auf denen eine Glykananalytik erfol-
gen kann:
Wasser aufnehmen. Sie sind für ihren Einsatz als Anti- 55 ausgehend vom intakten Glykoprotein (Ebene 1)
koagulanzien bekannt und Modifizierungen ihres stark 55 ausgehend von Glykopeptiden (Ebene 2)
heterogenen Sulfatierungsmusters können diagnostische 55 Analyse von freigesetzten N-Glykanen (Ebene 3)
Marker für Krankheiten darstellen. 55 Analyse von Monosacchariden (Ebene 4)
27.1.5.4  Glykosphingolipde und GPI-verlinkte
Proteine Ein intaktes Glykoprotein (Ebene 1) kann über eine
Bisher handelte es sich bei allen vorgestellten Glykanen Trypsinolyse in eine Mischung aus Glykopeptiden
um Moleküle, die meist gebunden an Proteinen vorlie- (Ebene 2) überführt werden. Zu Beginn einer Glykana-
gen. Im Gegensatz dazu sind Glykosphingolipide freie nalytik ist dieser Schritt meistens zu empfehlen, weil die
Moleküle, die aus einem hydrophoben Ceramidanteil Proteinstruktur durch proteolytische Spaltung aufge-
und einem hydrophilen Kohlenhydratanteil bestehen. brochen wird und die Zugänglichkeit der Glykosylie-
Die Grundstruktur eines Glykosphingolipids ist ein an rungsstellen für Enzyme verbessert wird. Sofern N-Gly-
Ceramid gebundenes Monosaccharid (Glc oder Gal). kane einzeln analysiert werden sollen (Ebene 3), ist ihre
Die Verbindung beider Strukturen wird demzufolge als Abspaltung von den Glykopeptiden erforderlich. Dies
Glucosylceramid (GlcCer), bzw. Galactosylceramid kann enzymatisch mittels PNGase-F erfolgen. Eine wei-
(GalCer) bezeichnet. Modifizierungen dieser Grund- tere Abspaltung einzelner Monosaccharide (Ebene 4)
struktur sind durch Anhängen weiterer Monosaccha- von den freigesetzten N-Glykanen kann durch chemi-
ride oder durch heterogene Kohlenstoffwasserketten sche Freisetzungsmethoden (z.  B. saure oder basische
(variable Länge, Doppelbindungen, Hydroxylierungen) Hydrolyse) erfolgen.
im Ceramidanteil möglich. Glykosphingolipide sind ein Je nachdem, auf welcher Ebene gearbeitet wird, bie-
wichtiger Bestandteil der Zellmembran und der Glyko- ten sich unterschiedliche Methoden zur Analyse der
kalyx. Zu ihren Funktionen zählen vornehmlich die Glykosylierung an. Entsprechend lassen sich aus den
Kohlenhydratanalytik
671 27
..      Abb. 27.16 Glykosaminoglykane
binden an große Proteine der extrazellu- Aggrecan
N

lären Matrix. Die Kombination aus


Protein und Glykan wird als Proteogly- Perlecan
kan bezeichnet. Einige Beispiele von
Proteoglykanen der extrazellulären N
Matrix sind Aggrecan, Perlecan,
Decorin, Biglycan, Glypican und Synde-
can

Decorin
N
Proteoglykane
der extra- Biglycan
zellulären Matrix N

Syndecan
Glypican N
N
Mannose
Heparansulfat
Chondroitinsulfat/
Zelloberflächen- EtN Dermatansulfat
P
Proteoglykane Proteinkern
Inositol
P

Ergebnissen je nach angewendeter Methodik unter-


schiedliche, oft komplementäre Strukturinformationen
ermitteln. Dabei konzentriert man sich oft auf zwei we-
sentliche Strukturinformationen: Makroheterogenität COOH
H2N
55 die Position der Glykane auf dem Protein und
55 die Struktur der einzelnen Glykanketten, auch Gly-
koform genannt.

Generell ist zu beachten, dass nicht jede potenziell oder

glykosylierbare Aminosäure auch tatsächlich glyko- Mikroheterogenität


oder oder
syliert ist. Das Auslassen von Glykosylierungsstellen
wird allgemein als Makroheterogenität bezeichnet ..      Abb. 27.17  Schematische Darstellung der Mikroheterogenität
(. Abb.  27.17) und kann durch für Glykosyl-Transfe-
  und der Makroheterogenität. Das Konzept der Mikroheterogenität
rasen unzugängliche Glykosylierungsstellen aufgrund besagt, dass unterschiedliche Glykoformen von Glykanen existieren,
der Proteinstruktur erklärt werden. Unterschiede in der deren Vorkommen und relative Häufigkeit stark variieren können.
Makroheterogenität bedeutet, dass nicht jede potenziell glykosylier-
Anzahl, Lokalisation oder Sequenz der Glykoformen
bare Position eines Proteins tatsächlich glykosyliert sein muss
werden als Mikroheterogenität bezeichnet. Erst durch
die Mikroheterogenität erlangt ein Glykoprotein seine
hohe Variabilität und Diversität. Ergänzend kommt die scheidend und strategisch wichtig zu überlegen, auf wel-
speziesspezifische Glykosylierung hinzu: Unterschied- cher Arbeitsebene eine Glykananalytik erfolgen soll
liche Spezies verfügen über jeweils andere Glykosylie- (. Abb. 27.18). Eine Analyse des intakten Glykoprote-

rungsmaschinerien und unterschiedliche Enzyme, was ins (Ebene 1) bietet zwar umfangreiche Informationen
sich in variablen Glykosylierungsprofilen widerspiegelt sowohl über die Proteinstruktur als auch über die Zu-
(z. B. CHO-Zellen, BHK-Zellen, Hefen, Insekten). ckerstruktur, jedoch stellt sie bis heute die größte analy-
Um Informationen über die Makro- und Mikrohete- tische Herausforderung dar. Etablierte Techniken aus
rogenität eines Glykoproteins zu erlangen, ist es ent- dem Bereich der Proteinanalytik sind hier nur bedingt
672 A. Zappe und K. Pagel

analysierte Komponenten Methoden Information

intaktes Glykoprotein • Flüssigchromatographie • Glykanstrukturen


• Massenspektrometrie • Glykan-Heterogenität

Proteolyse
enzymatische oder hydrolytische
• Gelelektrophorese, SDS-PAGE • Glykoformen
• Isoelektrische Fokussierung • Sialylierung
27 • Bindungsassays

Glykopeptide • Flüssigchromatographie • Glykanstrukturen


hydrolytische Spaltung

• Massenspektrometrie • Glykan-Heterogenität
enzymatische/

• Bindungsassays • Glykoformen
hydrolytische

• Sialylierung
Spaltung

Spaltung

• Glykosylierungsstellen

freigesetzte N-Glykane • Flüssigchromatographie • Glykanstrukturen


• Massenspektrometrie • Glykan-Heterogenität
hydrolytische

• Bindungsassays • Glykoformen
Freisetzung

• HPAEC-PAD • Sialylierung
• Glykansequenz
• Glykanverknüpfung

freigesetzte Monosaccharide • Flüssigchromatographie • Art und Menge der


• HPAEC-PAD Monosaccharide

..      Abb. 27.18  Glykoproteine können sowohl intakt oder in Form schließend mit verschiedenen Methoden analysiert werden. Das
von Glykopeptiden zur Glykananalytik eingesetzt werden. Ihre Hauptaugenmerk der angewendeten Methoden liegt hierbei zumeist
N-Glykane können enzymatisch oder chemisch freigesetzt und sepa- auf der Entschlüsselung der Glykanstruktur, der Detektion vorkom-
rat analysiert werden. Alternativ können freigesetzte N-Glykane mender Glykoformen sowie auf der Sequenzierung
durch saure Hydrolyse in einzelne Monosaccharide zerlegt und an-

erfolgreich und jeweils abhängig vom Glykosylierungs- ist möglich (Ebene 4). Aus einer Monosaccharidanalyse
grad des untersuchten Proteins. lassen sich jedoch ausschließlich Informationen über
Zur Reduzierung der Komplexität kann das Glyko- Häufigkeiten auftretender Monosaccharide in der Aus-
protein, wie oben beschrieben, vorher durch Proteasen gangsprobe ermitteln.
in einzelne Glykopeptide gespalten werden (Ebene 2). Zu den gängigsten Methoden der Glykananalytik
Dies erleichtert einerseits die Glykananalytik, jedoch gehören die Hochleistungs-Flüssigchromatographie
kann die Spaltung die Positionsbestimmung der N-Gly- (HPLC, 7 Kap.  11), die Massenspektrometrie (MS,

kosylierungsstelle erschweren, weil zusätzlich die Se- 7 Kap. 16; auch gekoppelt mit HPLC), Gelelektrophorese

quenzierung des Peptidanteils erforderlich ist. Zusätz- (7 Abschn.  12.3), Kapillarelektrophorese, isoelektrische

lich kommt hinzu, dass Glykopeptide einen amphiphilen Fokussierung und die Hochleistungs-Anionenaustausch-
Charakter besitzen, da der Peptidanteil meistens unpo- chromatographie mit gepulster amperometrischer De-
lar und die Glykane sehr polar sind. Dies erschwert die tektion (HPEAC-PAD). Eine erfolgreich durchgeführte
Trennung mit herkömmlichen Trenntechniken. Glykananalytik gibt Aufschluss über die Komposition der
Um dies zu umgehen, können die N-Glykane kom- Glykanstrukturen, ihre Glykanheterogenität (Konnekti-
plett vom Protein oder Peptid abgespalten werden vität, Konfiguration), auftretende Glykoformen sowie die
(Ebene 3). Diese Freisetzung bietet die umfangreichsten Lokalisierung von glykosylierten Stellen am Protein. Zur
Möglichkeiten zur Glykananalytik, jedoch verliert man vollständigen Analyse der Glykosylierung werden häufig
durch diesen Schritt sämtliche Informationen über den mehrdimensionale Ansätze aus verschiedenen Trenntech-
Ort der Glykosylierung innerhalb der Peptid- bzw. Pro- niken mit nachfolgenden massenspektrometrischen Mes-
teinkette. Eine weitergehende Spaltung der N-Glykane sungen angewendet. Ein Teil der hier erwähnten Techni-
in ihre Monosaccharide mittels chemischer Methoden ken wird im nächsten Abschnitt detaillierter beschrieben.
Kohlenhydratanalytik
673 27
27.2.1 Methoden zur Trennung Glykane jedoch nur schwach im UV-Bereich zwischen
und Analyse von Glykanen 190–210 nm absorbieren, werden die Moleküle oft mit
UV- oder fluoreszenzaktiven Stoffen derivatisiert
27.2.1.1 Probenvorbereitung (. Abb. 27.20). Die Derivatisierung erfolgt selektiv und

ausschließlich am reduzierenden Ende, wodurch neben


Eine gängige Methode, die zu Beginn der Glykananaly-
einer sensitiveren Detektion auch eine Quantifizierung
tik durchgeführt wird, beinhaltet die Abspaltung von
der Glykane in der Flüssigchromatographie ermöglicht
N-Glykanen von dem zu untersuchenden Protein. Die
wird.
Freisetzung von N-Glykanen kann sowohl enzymatisch
Zu diesem Zweck existieren eine Vielzahl von ver-
mittels PNGase F oder chemisch durch saure, bzw. basi-
schiedenen Markierungsreagenzien, die sich in ihrer
sche Hydrolyse erfolgen. Es ist dabei anzumerken, dass
chemischen Struktur unterscheiden und unterschiedli-
nach der Abspaltung von N-Glykanen in den meisten
chen Einfluss auf die Trennung der Glykane in der Flüs-
Fällen keine sequenzspezifischen Informationen über
sigchromatographie haben. 2-Aminobenzamid (2-AB)
die Lokalisation der N-Glykane auf dem Protein mehr
gehört zu den am meisten genutzten Markierungsrea-
zugänglich sind. Wahlweise kann vor der Abspaltung
genzien aufgrund der effizienten Markierungsreaktion
der N-Glykane mittels PNGase F eine Trypsinolyse des
und wird für nahezu alle Arten der Chromatographie
Proteins durchgeführt werden, um die Zugänglichkeit
verwendet. 2-Aminobenzoesäure (Anthranilsäure,
der PNGase zu den Glykanen an den Peptiden zu erhö-
2-AA) verhält sich analog zu 2-AB, trägt jedoch eine
hen (. Abb.  27.19). Wie im vorherigen Abschnitt be-
negative Ladung und wird deswegen vermehrt in der

reits erläutert, muss die Strategie bzw. die Wahl der Ar-
Kapillarelektrophorese eingesetzt. Zusätzlich fin-
beitsebene je nach Fragestellung gut überlegt sein, um
det es Anwendung in der Matrix-assistierten Laser-­
die bestmöglichen Voraussetzungen für darauffolgenden
Desorption-­Ionisations-Massenspektrometrie (MAL-
Trennmethoden zu erreichen.
DI-MS, 7 Abschn. 16.1.1), da mit diesem Label sowohl

Chromatographische Techniken ohne Kopplung zu


neutrale als auch sialylierte Glykanspezies detektiert
einem Massenspektrometer basieren zum größten Teil
werden können.
auf optischen Detektionsarten, wie z. B. UV- oder Flu-
Nach der Markierung der zu untersuchenden Zucker
oreszenzdetektion (7 Kap.  9). Da die abgespaltenen
werden diese in der HPLC zur Analyse ihrer Zusam-

..      Abb. 27.19 Enzymatische
Freisetzung von N-Glykanen mittels
PNGase F nach erfolgreicher
Trypsinolyse des Glykoproteins. Durch
N N D
die Trypsinolyse wird die Zugänglich-
keit des Enzyms zu den Glykosylie-
rungsstellen erhöht Trypsin PNGase F
N N D

HO
Farbstoff
H 2N OH HO O OH
Schiff‘sche HO O
2-AA
Base OH N Reduktion OH H
+ HO HO N
HO HO
OH NHAc NHAc

Glykan
(cyclisch/acyclisch HO OH O markiertes Glykan
im Gleichgewicht) HO
NHAc

..      Abb. 27.20  Das reduzierende Ende des Glykans und der Farbstoff bilden eine Schiff ’sche Base, die Reduktion führt zu einem stabil
markierten Glykan. Der Vorgang ist mit dem Farbstoff 2-AA (Anthranilsäure) dargestellt
674 A. Zappe und K. Pagel

mensetzung eingesetzt. Die Trennung der eingesetzten negativ geladener positiv geladener
Zucker basiert hierbei auf Interaktionen mit stationären Analyt (Anion) Analyt (Kation)
Phasen, die sich je nach Art der verwendeten Chromato- von positiver von negativer
Oberfläche Oberfläche
graphie unterscheiden. An dieser Stelle möchten wir die angezogen angezogen
grundlegenden Eigenschaften einiger stationärer Phasen + + + –
– –
zusammenfassen und auf ihre Anwendung in der Gly- + Anionen- + – Kationen- –
27 kananalytik eingehen. austausch an austausch an
Partikeln der statio- Partikeln der statio-

27.2.1.2  Stationäre Phasen + nären Phase +


– nären Phase –
+ + – –
+ + – –
Der Fokus dieses Kapitels liegt auf den für Kohlenhyd-
rate üblicherweise eingesetzten chromatographischen ..      Abb. 27.21  Schematische Darstellung von Anionen- und Katio-
Trenntechniken. Für eine generelle Einführung in chro- nenaustauschern. Negativ geladene Analyten binden an die Anio-
matographische Trennmethoden ist auf 7 Kap. 11 ver-
  nenaustauschmatrix und positiv geladene Analyten binden an den
wiesen. Kationenaustauscher. Die Analyten können entweder durch Erhö-
hung der Ionenstärke im Eluenten oder über entsprechende Ände-
rung des pH-Werts (abhängig vom isoelektrischen Punkt des Analy-
Ionenaustauschchromatographie  In der Ionenaus- ten) wieder von der stationären Phase gelöst werden
tauschchromatographie werden Analyten abhängig von
ihrer Ladung getrennt. An der Matrix der stationären
Phase befinden sich funktionelle Gruppen, die dem Ana- hydrophile
hydrophiler
lyten entgegengesetzte Ladungen tragen. Diese Chroma- stationäre
Phase Analyt bindet an
tographie wird daher in die Anionenaustauschchromato- stationärer Phase
graphie und die Kationenaustauschchromatographie OH
eingeteilt. Neutrale Moleküle und Ionen mit identischer OH
Ladung der stationären Phase werden unmittelbar als OH
Waschfraktion in der mobilen Phase eluiert. Entgegenge- OH
setzt geladene Moleküle konkurrieren untereinander um hydrophober
OH
die Bindungsplätze der stationären Phase und erfahren Analyt bindet
eine Retention, deren Stärke abhängig von der Eigenla- OH nicht und wird
dung des A ­ nalytions ist. OH ausgewaschen
Anionenaustauscher sind Ionenaustauscher, bei de- OH
nen die stationäre Phase kovalent mit einer kationischen
Gruppe modifiziert wurde. Gängige Anionenaustau- ..      Abb. 27.22  Schematische Darstellung einer hydrophilen statio-
scher sind Aminoethyl-, Diethylaminoethyl- (DEAE-), nären Phase. Die Retention basiert zum überwiegenden Teil auf Ad-
sorption an der stationären Phase. Hydrophile Analyten erfahren
quarternäre Aminoethyl- (QAE-) und quarternäre Am-
eine Retention, während hydrophobe Analyten ausgespült werden
moniumgruppen. Diese funktionellen Gruppen sind zu-
meist gekoppelt an Cellulose, Agarose, Dextran oder
Polystyrol. sprüngliche Art der Flüssigchromatographie. Diese Art
Im Gegensatz zu den Anionenaustauschern wurde der Chromatographie ist gekennzeichnet durch die Ver-
die stationäre Phase eines Kationenaustauschers mit ei- wendung von polaren, stationären Phasen und unpolaren
ner anionischen Gruppe modifiziert. Dadurch sind Kat- mobilen Phasen (. Abb.  27.22). Als stationäre Phasen

ionenaustauscher dazu in der Lage, Kationen auszutau- finden zumeist unmodifizierte Silicagele oder auch Alumi-
schen, wohingegen anionisch geladene Moleküle nicht niumoxidpartikel Anwendung. Bei dieser Zusammenset-
an die stationäre Phase binden und eluieren. Typische zung ist der Trennmechanismus hauptsächlich durch Ad-
Beispiele für Kationenaustauscher sind Carboxymethyl- sorptionseffekte des Analyten an die stationäre Phase
gruppen oder Methylsulfonsäuren, gekoppelt an Cellu- charakterisiert. Neben unmodifizierten, stationären Pha-
lose, Agarose oder Polystyrol. sen können auch Silicagele mit Cyano-, Amino-, Diol- oder
Die Ionenaustauschchromatographie ist ein wichti- Nitrogruppen verwendet werden. Gängige organische Lö-
ges Hilfsmittel zur Analyse von ionischen Molekülen, sungsmittel können als mobile Phase verwendet werden.
beispielsweise von Aminosäuren, Peptiden, Proteinen Aliphatische Kohlenwasserstoffe (z.  B.  Hexan, Heptan)
und auch Kohlenhydraten (. Abb. 27.21). Vor allem in
  zeigen die schwächste Elutionskraft, wohingegen polare
der N-Glykananalytik können Anionenaustauscher zur Lösungsmittel (z.  B.  Aceton) eine höhere Elutionskraft
Ermittlung des Sialylierungsgrades eingesetzt werden. aufweisen. Die stationären Phasen können Wasserstoff-
brückenbindungen und weitere intermolekulare Wechsel-
Normalphasenchromatographie (NP)  Unter der Normal- wirkungen mit dem Analyten eingehen. Die Retention des
phasenchromatographie versteht man die historische, ur- Analyten beruht deshalb hauptsächlich auf Adsorptions-
Kohlenhydratanalytik
675 27
effekten an der stationären Phase. Polare Analyten erfah- Poröse Kohlenstoff-Chromatographie (PGC)  Eine beson-
ren somit eine stärkere Retention als unpolare. dere stationäre Phase, die bei der Trennung von Glykanen
eine wichtige Rolle spielt, ist poröser graphitierter Koh-
Umkehrphasenchromatographie (Reversed Phase)  Bei lenstoff. Der poröse Kohlenstoff bildet eine graphitierte
der Umkehrphasenchromatographie werden statio- Oberfläche aus, die eine hohe chemische Stabilität sowohl
näre Phasen mit unpolaren Oberflächen verwendet im basischen und sauren Milieu als auch gegenüber ho-
(. Abb.  27.23). Gängige Materialien der Umkehrchro-
  hen Ionenstärken und Temperaturen aufweist. Die Reten-
matographie sind beispielsweise hydrophobe Polymere tion basiert auch hier auf unpolaren Wechselwirkungen,
oder Silicagele, die mit Alkylketten modifiziert wurden. zeigt aber dennoch auch Interaktionen mit polaren Ana-
Die zur Trennung beitragenden Kräfte in der Umkehrpha- lyten. Es existieren mehrere Effekte, mit denen versucht
senchromatographie sind hydrophobe Wechselwirkun- wird, das R­ etentionsverhalten an dieser stationären Phase
gen, die ein Verteilungsgleichgewicht des Analyten zwi- zu erklären.
schen mobiler und stationärer Phase erzeugen. Als mobile 55 Polare Retention: Lösungen mit steigender Polarität
Phasen werden organische Lösungsmittel (z. B. Acetonit- zeigen im Vergleich zu allen anderen Chromatogra-
ril) in wässriger Lösung eingesetzt. Hydrophobe Analyten phiearten die höchste Affinität zur Graphitoberflä-
befinden sich im Verteilungsgleichgewicht eher an der sta- che. Diese Eigenschaft prädestiniert die PGC-Chro-
tionären Phase und werden zurückgehalten. Umgekehrt matographie für die Separation polarer Analyten wie
gilt: Hydrophile Komponenten befinden sich eher in der Kohlenhydrate und Moleküle mit geladenen Grup-
mobilen Phase und erfahren weniger Retention. pen.
Die verwendeten Eluenten in der Umkehrphasen- 55 Retention von unpolaren Molekülen: Die PGC-­
chromatographie sind organische Phasen (z. B. Metha- Oberfläche zeigt eine starke Retention gegenüber un-
nol, Acetonitril) mit einem geringen Anteil Wasser polaren Molekülen. Eine Erhöhung der Hydropho-
(<20 %). Da Zucker einen sehr hydrophilen Charakter bizität eines Moleküls erhöht dessen Retention stark.
besitzen, erfahren sie auf Umkehrphasen nur eine ge- 55 Einzigartiger und komplexer Retentionsmechanis-
ringe Retention. Durch die Modifizierung mit UV- oder mus: Die Stärke einer Interaktion hängt sowohl von
fluoreszenzaktiven Labeln, die in der Regel einen hydro- der Kontaktfläche zwischen der stationären Phase
phoben Charakter besitzen, kann die Retention von Zu- und dem Analyten als auch von den funktionellen
ckern erhöht werden. Dadurch wird die Analyse von Gruppen des Analyten am Interaktionspunkt zur
Zuckern mittels Umkehrphasenchromatographie er- graphitierten Oberfläche ab.
möglicht. Den größten Anwendungsbereich haben Um-
kehrphasen jedoch bei der Trennung von Glykopepti- Aufgrund dieser unterschiedlichen Eigenschaften kann
den, da diese auch ohne zusätzliche Modifizierung eine es problematisch sein, eine PGC-Chromatographie in
ausreichende Retention erfahren. kurzer Zeit zu etablieren. Außerdem müssen die Neben-
bedingungen, bzw. auch die Wahl der mobilen Phase,
hier in besonderer Weise von der Natur des zu untersu-
chenden Analyten abhängig gemacht werden.

hydrophobe Hydrophile Interaktionschromatographie (HILIC)  Ähnlich


stationäre wie bei der Umkehrphasenchromatographie beruht der
Phase
Trennmechanismus der HILIC ebenfalls auf Verteilungs-
hydrophober effekten des Analyten zwischen mobiler und stationärer
Analyt wird Phase. Die Polaritäten der eingesetzten mobilen Phasen
zurück gehalten
und der Eluenten sind im Vergleich zur Umkehrphasen-
chromatographie jedoch vertauscht. Das in der mobilen
hydrophiler
Analyt wird nicht
Phase enthaltene Wasser bildet eine hydrophile Schicht an
zurück gehalten der stationären Phase aus, in der sich bevorzugt polare
Analyten aufhalten und an das Säulenmaterial binden,
wohingegen unpolare Analyten weniger Retention erfah-
ren und zuerst eluiert werden.
Die mobilen Phasen bestehen aus einem zunächst
..      Abb. 27.23  Schematische Darstellung einer hydrophoben statio- hohen Anteil organischer Lösungsmittel, wobei sich die
nären Phase. Hydrophobe Proteine halten sich im Verteilungsgleich-
gewicht eher an der stationären Phase auf und werden durch Erhö-
Zusammensetzung des Eluenten über die Verwendung
hung des organischen Anteils eluiert. Hydrophile Proteine erfahren eines Gradienten zumeist gegen Ende der Chromatogra-
kaum Retention und befinden sich eher in der mobilen Phase phie zugunsten einer wässrigen, polaren Lösung ver-
676 A. Zappe und K. Pagel

schiebt. Die HILIC zählt zu den am weitesten verbreite- Dextranstandards mit 2-AB zu markieren und einen
ten Methoden zur Trennung von Kohlenhydraten und Fluoreszenzdetektor für die Detektion zu verwenden.
hat sich als Standardmethode in der Glykananalytik Mit hochauflösenden massenspektrometrischen Mes-
etabliert. Aus diesem Grund existieren in der HI- sungen und Exo-Glykosidase-Behandlungen konnten
LIC-Chromatographie ganze Datenbanken mit die Glucoseeinheiten für jede bisher bekannte Glykans-
2-AB-gelabelten Glykanen, die eine Identifizierung und truktur ermittelt, tabellarisch erfasst und in Datenban-
27 Zuweisung von unbekannten Proben basierend auf ih- ken eingetragen werden.
ren detektierten Retentionszeiten erlauben Auf diese Weise kann die Zuordnung von Glykanen
im Chromatogramm ohne die Zuhilfenahme eines Mas-
27.2.1.3  Dextranleiter und GU-Werte senspektrometers oder anderer Methoden erfolgen. Es
Freigesetzte N-Glykane erfahren aufgrund ihrer hetero- ist allerdings anzumerken, dass diese auf Glucoseeinhei-
genen Strukturen und variablen Sialylierungsgraden ten basierende Zuordnung in der Regel nur ein erster
unterschiedliche Retentionen in chromatographischen Hinweis auf die mögliche Glykanstruktur ist. Diese zu-
Trennmethoden. Diese Retention ist jedoch nicht aus- nächst angestellte Vermutung wird üblicherweise nach-
schließlich von den Eigenschaften der N-Glykane ab- träglich oder unmittelbar, wenn HPLC und Massen-
hängig, sondern kann sich auch abhängig vom einge- spektrometer miteinander gekoppelt sind, über die
setzten Trennsystem, unterschiedlichen Lösungsmitteln Detektion des Masse-zu-Ladungs-Verhältnisses (m/z)
sowie unterschiedlich angewendeten Methoden unter- bestätigt. Mithilfe von automatisierten Abläufen und
scheiden. Datenbanken mit GU-Werten bekannter Strukturen
Zur Vergleichbarkeit von Ergebnissen von auf unter- können viele Glykane zweifelsfrei identifiziert werden
schiedlichen Systemen oder mit anderen Methoden (. Abb. 27.25).

durchgeführten Glykananalysen ist es erforderlich, eine


systemunabhängige Art der Kalibration durchzuführen. 27.2.1.4  Andere Trenntechniken
Als Kalibrator für Glykane wird Dextran verwendet. Es Exo-Glykosidasen  Eine weitere Methode zur Struktur-
handelt sich dabei um teilweise hydrolisiertes Glucose- aufklärung von Glykanen ist die Behandlung mit
polymer, das Oligomere von einer Glucoseinheit (1 GU) Exo-Glykosidasen. Es handelt sich dabei um Enzyme, die
bis zu 30 Glucoseeinheiten (30 GU) enthält. Die maxi- jeweils endständige (d.  h. terminale) Monosaccharide
male Länge der Glucosekette kann je nach Hersteller vom Glykangerüst abspalten. Für jedes Monosaccharid
variieren. existieren hierbei mehrere spezifische Exo-Glykosidasen.
Der Dextranstandard wird in der HPLC getrennt Im Gegensatz zu Exo-Glykosidasen, die ausschließlich an
und die verschieden langen Oligomere werden detektiert terminalen Enden der Antennen spalten, können Endo-­
(. Abb. 27.24). Auf diese Weise können die Retentions-
  Glykosidasen auch glykosidische Bindungen spalten, die
zeiten entsprechenden Glucoseeinheiten zugeordnet innerhalb der Glykanstruktur liegen. Sie sind deshalb
werden und auch auf andere Systeme übertragen wer- dazu in der Lage, kleinere Oligosaccharide vom bestehen-
den. Zu beachten ist die Art der Detektion. Es ist üblich, den Glykangerüst abzuspalten.

..      Abb. 27.24  Detektion einer mit 60


n=1 n=2
einem Fluorophor markierten Dextran-
n=3 O CH2
leiter zur Kalibrierung der HPLC-Chro- O
50
matographie mit Glucoseeinheiten (GU). OH
Die leiterartig detektierten Signale stehen HO
Fluoreszenzintensität

jeweils für eine ganzzahlige Glucoseein- 40 n=4 OH


n
heit. Zur Kalibrierung werden die
Glucoseeinheiten als Funktion der 30 n=5
Retentionszeit berechnet
n=6
20 n=7
n=8
n=9
10

0 20 40 60 80 100 120 140


Retentionszeit (Minuten)
Kohlenhydratanalytik
677 27
..      Abb. 27.25  Nach erfolgreicher
Kalibration mit der Dextranleiter kann
jedem detektierten Signal ein bestimm-
ter GU-Wert zugewiesen werden. Die
Zuordnung erfolgt anhand der
Übereinstimmungen mit Datenbankwer-
ten. Jede in Datenbanken erfasste
Glykanstruktur verfügt über einen dort
hinterlegten, spezifischen GU-Wert

10 15 20 25 30 35 40 45
Retentionszeit (Minuten)

4 5 6 7 8 9 10
Glucoseeinheiten (GU)

Das zu untersuchende Glykan wird zunächst mittels spaltung von Monosacchariden durch eine weitere
HPLC oder Massenspektrometrie detektiert und eine Exo-Glykosidase wiederholt werden bis zur vollständi-
Vermutung über die zugrunde liegende Struktur wird an- gen Ermittlung der gesuchten Glykankomposition.
gestellt. Im nächsten Schritt wird dieses Glykan mit ver- In . Abb. 27.26 sind exemplarisch Spaltstellen typi-

schiedenen Exo-Glykosidasen behandelt, wodurch end- scher Exo-Glykosidasen an einem N-Glykan dargestellt.
ständige Monosaccharide abgespalten werden. Die für Häufig verwendete Exo-Glykosidasen sind:
die Abspaltung genutzten Exo-Glykosidasen sind so spe- 55 α1-2-Fucosidase
zifisch, dass nicht nur die Art des Monosaccharids 55 α1-2,3-Mannosidase
(z. B. Man oder Gal), sondern auch die Konfiguration (α 55 α1-2,3,4,6-Fucosidase
oder β) und die Konnektivität (1,3 oder 1,4) berücksich- 55 α1-2,3,6-Mannosidase
tigt wird. Die Abspaltung von Monosacchariden bewirkt 55 α1-2,4,6-Fucosidase O
eine spezifische Änderung der Retentionszeit, dadurch 55 α1-3,4-Fucosidase
ergeben sich ein anderer GU-Wert und eine geringere 55 α1-3,4,6-Galactosidase
Masse. Anhand des charakteristischen Unterschieds des 55 α1-3,6-Galactosidase
GU-Wertes und der Masse kann eine Aussage getroffen 55 α1-6-Mannosidase
werden, welches Monosaccharid von der Exo-Glykosi- 55 α2-3-Neuraminidase S
dase abgespalten wurde. Beispielsweise kann zwischen 55 α2-3,6,8-Neuraminidase
Gal und Glc, bzw. GlcNAc und GalNAc unterschieden 55 α2-3,6,8,9-Neuraminidase A
werden. Bei passenden pH-Optima und ähnlichen Puf- 55 α-N-Acetylgalactosaminidase
ferzusammensetzungen können mehrere Exo-Glykosida- 55 β1-3-Galactosidase
sen miteinander kombiniert werden. Die Effektivität und 55 β1-3,4-Galactosidase
Eignung solcher Ansätze müssen jedoch individuell vom 55 β1-4-Galactosidase S
Experimentator bewertet werden. Neben den hohen Kos- 55 β-N-Acetylglucosaminidase S
ten der Enzyme muss hier vor allem die sinkende Emp- 55 β-N-Acetylhexosaminidase
findlichkeit berücksichtigt werden. Der mit der notwen-
digen Entsalzung einhergehende Verlust des Glykans Neben der eben gezeigten enzymatischen Methode, die
nach enzymatischer Abspaltung erschwert oftmals die aus entsprechender Probenvorbereitung und Massende-
Detektion schwach konzentrierter Glykanlösungen. tektion bestand, werden wir im nächsten Abschnitt kurz
Die sequenzielle Behandlung einer Glykanstruktur auf zwei weitere Trenntechniken eingehen, die nicht auf
mit Exo-Glykosidasen beinhaltet zunächst die Messung chromatographischer oder massenspektrometrischer
der unverdauten Struktur. Nach erfolgreicher Detektion Detektion zuvor getrennter Analyten basieren.
der Ausgangsstruktur werden enzymatische Reaktionen
mit ausgewählten Exo-Glykosidasen durchgeführt. Zweidimensionale (2D-)Gelelektrophorese  In der 2D-Ge-
Nach Messung der verdauten Glykanstruktur im Mas- lelektrophorese werden Glykoproteine entsprechend ihrer
senspektrometer kann der Vorgang der sukzessiven Ab- Ladung und ihrer Masse getrennt. Die erste Phase dieser
678 A. Zappe und K. Pagel

..      Abb. 27.26  Die Spaltstellen einiger Glykosidasen spalten Zucker


typischer Exo-Glykosidasen sind
exemplarisch an einem N-Glykan Neuraminidase α-Fucosidase
dargestellt. Die sukzessive Abspaltung
von Monosacchariden wird häufig durch
die Aufnahme von Massenspektren
jeweils vor und nach der enzymatischen Asn
27 Abspaltung kontrolliert. Über den
Unterschied der detektierten Masse lässt
N-Glykanase
sich nachvollziehen, ob die Abspaltung
erfolgreich war. Auf diese Weise erfolgt β-N-Acetylhexosaminidase
die Sequenzierung der Struktur β-Galactosidase

Neura-
minidase

N-Acetylhexosaminidase

Galactosidase
N-Acetylhexosaminidase

Fucosidase
Galactosidase
N-Acetylhexosaminidase

10 15 20 25 30 35 40 45
Retentionszeit (Minuten)

4 5 6 7 8 9 10
Glucoseeinheiten

Methode beinhaltet die isoelektrische Fokussierung des entsprechend ihrer Masse getrennt. Nach Anfärbung des
Analyten in einem immobilisierten pH-Gradienten auf ei- Gels mit Coomassie-­Blau oder Silber werden Spots sicht-
nem schmalen Gelstreifen. Nach Anlegen eines elektrischen bar und erlauben eine weitergehende Analyse. Je nach Sia-
Feldes setzen sich die auf dem Gelstreifen aufgetragenen lylierungsgrad verändert sich der IEP des Glykoproteins,
Glykoproteine entsprechend der Anzahl ihrer positiven sodass horizontal nebeneinander verlaufende Spots auf
oder negativen Ladungsträger in Bewegung. Anionische gleicher Höhe sichtbar werden (Perlenkettenstruktur). Die
Analyten wandern demzufolge in Richtung der positiv ge- Anzahl vorhandener N-Acetylneuraminsäuren, aber auch
ladenen Anode, wohingegen sich kationische Analyten in andere posttranslationale Modifikationen wie Phosphory-
die entgegengesetzte Richtung zur negativ geladenen Ka- lierungen, Sulfatierungen oder Acetylierungen, können so
thode bewegen. Die Nettoladung der Analyten ändert sich mittels 2D-Gelelektrophorese nachgewiesen werden. Nä-
hierbei durch ihre Bewegung im immobilisierten pH-Gra- here Informationen sind in 7 Kap. 12 nachzulesen.

dienten, bis sie den Nullpunkt erreicht. Der an diesem


Punkt vorliegende pH-Wert ist der isoelektrische Punkt Kapillarelektrophorese  Im Gegensatz zur Gelelektrop-
(IEP) des Analyten. Der Gelstreifen mit den ladungssepa- horese basiert die Kapillarelektrophorese nicht aus-
rierten Analyten wird auf ein Gel transferiert, in dem die schließlich auf der Ladung und Masse der eingesetzten
2D-Gelelektrophorese ­stattfindet. Die Proteine diffundie- Analyten, sondern ist auch abhängig von ihrer effektiven
ren aus dem Gelstreifen in das Trenngel hinein und werden Größe und der Lösungsumgebung. Die Trennung der
Kohlenhydratanalytik
679 27
Analyten erfolgt hierbei in einer Kapillare. Durch das An- Ionisation, . Abb. 27.27) sind die Mittel der Wahl bei

legen eines elektrischen Feldes bildet sich ein elektroos- der Analyse von Glykanen und Glykokonjugaten. Beide
motischer Fluss zwischen der Kapillarinnenwand und der Ionisierungsarten generieren weitgehend intakte, d.  h.
Elektrolytlösung. Durch das flache Strömungsprofil des nicht fragmentierte Analytionen. Nach erfolgter Freiset-
elektroosmotischen Flusses kommt es im Vergleich zu zung der Glykane vom Protein und eventueller Derivati-
chromatographischen Methoden zu einer geringeren Ver- sierung des reduzierenden Endes mit einem Label sind
breiterung der Banden, wodurch eine höhere Peakauflö- prinzipiell drei Vorgehensweisen möglich:
sung erreicht wird. 1. Fraktionierung mittels Chromatographie mit gekop-
Für die Analyse von Kohlenhydraten müssen einige pelter Analyse mittels Massenspektrometrie (online)
Optimierungsschritte hinsichtlich ihrer Ladung und De- 2. Fraktionierung mittels Chromatographie, dann sepa-
tektion durchgeführt werden, da Zucker von Natur aus rate Analyse mittels Massenspektrometrie (offline)
keine oder nur wenige Ladungen tragen. Eine Möglich- 3. direkte Analyse mittels Massenspektrometrie ohne
keit der Optimierung besteht darin, den pH-­Wert zu er- vorherige Fraktionierung (direkte Infusion)
höhen, sodass die Kohlenhydrate als schwach dissoziierte
Anionen vorliegen und indirekt detektiert werden kön- Variante 1 bietet einen großen Informationsgehalt mit
nen. Zur Erhöhung der Signalstärke können die Kohlen- einem überschaubaren Arbeitsaufwand. Der Fokus die-
hydrate, analog wie bei dem Nachweis in der HPLC, mit ser Kopplung liegt hier auf der chromatographischen
Derivatisierungsmitteln wie beispielsweise Aminoben- Trennung, während die Massenspektrometrie ergänzend
zoesäureethylester (ABEE) markiert werden. Eine detail- wirkt. Dies ist dadurch bedingt, dass die massenspektro-
liertere Übersicht dieser Methode gibt 7 Kap. 13.
  metrische Detektion auf die Peakbreite der vorherigen
chromatographischen Trennung (wenige Sekunden) re-
duziert ist. Durch die Trennung beider Methoden in Va-
27.2.2 Massenspektrometrie riante 2 steigt der Arbeitsaufwand, jedoch erhält man
auch mehr Möglichkeiten zur massenspektrometrischen
Die heutzutage wichtigste Methode zur Untersuchung Charakterisierung der Glykane. In Vorgehensweise 3
von Kohlenhydraten ist die Massenspektrometrie (MS), wird auf eine chromatographische Trennung der Gly-
7 Kap.  16. Im Vergleich zu vorher genannten Trenn-
  kane verzichtet. Dieses Vorgehen ist empfehlenswert für
techniken ist die MS schneller – Minuten versus Sekun- verhältnismäßig reine Proben, die einen geringen Pro-
den  – und um mehrere Größenordnungen empfindli- beneinsatz fordern. Für die Analyse von komplexen Ge-
cher. Informationen über die in der Probe enthaltenen mischen ist Vorgehensweise 3 jedoch ungeeignet. Die
Zuckerstrukturen können bis in den Pikomol-Bereich vorhergehende Chromatographie ermöglicht es, nicht
gewonnen werden. Mittels neuer massenspektrometri- nur Isomere voneinander zu trennen, sondern führt
scher Methoden, wie der Ionenmobilitätsspektrometrie auch zu einer geringeren Unterdrückung von schwachen
(IMS), können zudem Konnektivitäts- und Konfigurati- Signalen. Nach einer Fraktionierung liegt im idealen
onsisomere identifiziert werden. Im nachfolgenden Ab- Fall nur ein Molekül vor, welches dann sensitiv mittels
schnitt möchten wir einen Überblick über etablierte wie Massenspektrometrie detektiert werden kann.
auch neue massenspektrometrische Methoden geben. Zur Interpretation der Massenspektren ist es erfor-
Zu den etablierten Methoden zählen u. a. die Detektion derlich, die Massen wichtiger Bausteine zu kennen und
freigesetzter, markierter N-Glykane, ihre Fragmentana- Massenunterschiede zwischen verschiedenen Signalen
lyse sowie die Analyse von Kohlenhydratstrukturen mit- den entsprechenden Monosacchariden zuordnen zu
tels Permethylierung. Anschließend werden wir einen können. . Abb.  27.28 gibt einen Überblick über die

kurzen Einblick in die Analyse von Glykopeptiden ge- Massen wichtiger Monosaccharidbausteine und deren
ben. Symbole.
Die am häufigsten natürlich vorkommenden Mo-
27.2.2.1  Analyse von freigesetzten nosaccharide sind Diastereomere und besitzen dem-
N-Glykanen zufolge dieselbe Molekülmasse. Ein einfaches Mas-
Die Ionisationstechniken waren in den Anfängen der senspektrum von intakten Zuckern verrät somit nur
Massenspektrometrie auf die Ionisierung von flüchtigen die Menge an Hexosen oder Pentosen, liefert jedoch
und thermisch stabilen Substanzen begrenzt. In den keine Informationen über die Art der Hexosen, z. B.
letzten 30 Jahren wurden sanftere Ionisationstechniken darüber, ob dieser Zucker aus Glucosen oder Galac-
entwickelt, die es heute erlauben, auch große Biomole- tosen aufgebaut ist. Zur Klärung kann man, neben
küle wie Proteine oder Glykane zu ionisieren und in die den bereits in 7 Abschn.  27.2 genannten Trennme-

Gasphase zu überführen. ESI (Elektrospray-Ionisation) thoden und GU-­ Werten, Fragmentierungsexperi-


und MALDI (Matrix-unterstützte Laser-Desorption/ mente durchführen (. Abb. 27.29).

680 A. Zappe und K. Pagel

H3-N3
100 1136
H3-N2 H = Hexose
933 N = N-Acetylhexose

27 H5-N2
1257

H3-N6
H3-N4 1746
1339
Intensität

H5-N4
1663
H3-N5
1542

H3-N7
H4-N2 1949
H5-N5
1095 1867

H4-N7
H3-N8
2111
2152

0
800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800 1900 2000 2100 2200 2300
m/z

..      Abb. 27.27  Exemplarisches MALDI-Massenspektrum einer tektierten Verhältnis von Masse zu Ladung (m/z), bzw. dem Masse-
Mischung von N-Glykanen. Die markierten Peaks können Glykans- unterschied zwischen detektierten Signalen, sowie auf theoretischem
trukturen zugeordnet werden. Die Zuordnung basiert auf dem de- Wissen über den Aufbau von N-Glykanen

27.2.2.2  Fragmentierung von Glykanen Eine der gängigsten Methoden ist die kollisionsindu-
Die Fragmentierung von Glykanen in Tandem-MS- zierte Dissoziation (Collision Induced Dissociation,
(oder auch MS/MS-)Experimenten wird durchgeführt, CID). Hierbei werden Molekülionen in einer Kollisions-
um Informationen über ihre chemische Struktur zu er- zelle in einem elektrischen Feld beschleunigt. Die Kolli-
langen. Es entsteht ein spezifisches Fragmentmuster, das sionszelle ist mit neutralen Gasatomen oder -molekülen,
abhängig von der Energie der Fragmentierung, der La- beispielsweise Argon, Stickstoff oder Helium, gefüllt.
dung des Ions sowie auch vom Typ der Adduktionen ist. Eine Vielzahl von Stößen der geladenen Molekülionen
Die Nomenklatur der Glykanfragmente ist angelehnt an mit den neutralen Gasteilchen führt zum langsamen
die gängige Peptidnomenklatur und geht auf die Defini- Aufheizen und zur anschließenden Fragmentierung des
tion von Domon und Costello (1988) zurück Ions. Die erzeugten kleineren Fragmentionen lassen auf
(. Abb. 27.30). Verbleibt die Ladung auf dem Teil des
  bestimmte Struktureigenschaften des Vorläufermole-
Zuckers mit dem reduzierenden Ende, werden diese küls schließen und erlauben oft eine eindeutige Identifi-
Fragmente mit X, Y und Z bezeichnet. Fragmente mit zierung.
der Ladung am nichtreduzierenden Ende werden mit A, Der Informationsgehalt von Fragmentspektren
B oder C gekennzeichnet. Ein Index gibt die gebrochene hängt dabei stark von der elektrischen Polarität der ge-
glykosidische Bindung, ausgehend vom Terminus oder messenen Ionen ab. Während MS/MS-Experimente im
nichtreduzierenden Ende des Fragments, an. Die Buch- positiven Ionenmodus vorzugsweise zur Spaltung der
staben A sowie X bezeichnen Spaltungen innerhalb des glykosidischen Bindung zwischen zwei Monosacchari-
Rings. Bei verzweigten Zuckern werden die abgespalte- den führen (. Abb. 27.31), ergibt die Aktivierung von

nen Ketten mit griechischen Buchstaben markiert, wo- Zuckern im negativen Ionenmodus zusätzlich noch cha-
bei die längste Kette mit α bezeichnet wird. rakteristische Ringspaltungen (. Abb.  27.32). MS/

Glykane können im Massenspektrometer auf ver- MS-Spektren im positiven Modus beinhalten somit oft
schiedene Weise fragmentiert bzw. gespalten werden. eine geringere Anzahl an Fragmenten und lassen auf die
Kohlenhydratanalytik
681 27

Masse
Monoisotopisch Durchschnitt Monosaccharide Symbol
Hexosen 162,0528 162,1424 Glucose

Galactose

Mannose

N-Acetylhexosamine 203,0794 203,1950 N-Acetylglucosamin

N-Acetylgalactosamin

Hexuronsäuren 194,0426 194,1390 Glucoronsäure

Idoronsäure

Deoxyhexosen 146,0579 146,1430 Fucose

Pentosen 132,0423 132,1161 Xylose

Sialinsäuren 291,0954 291,2579 N-Acetylneuraminsäure

307,0903 307,2573 N-Glycolylneuraminsäure

Sulfat 79,9568 80,0642 S

..      Abb. 27.28  Zusammenfassung der charakteristischen Massen von Monosacchariden unter Angabe ihrer charakteristischen Symbole

2–
2– m/z- Fragmen-
Intensität

Intensität

Intensität
1– 2–
Ionisierung 1– Selektion tierung
2–
3– 2– 1–
1–
1–
1–
1–

m/z m/z m/z

..      Abb. 27.29  Darstellung eines Glykan-Workflows, in dem eine keine Informationen über die Lokalisation des Hexosamins vorliegt.
Mischung verschiedener Glykane zunächst ionisiert und schließlich Im dritten Schritt wird ein Fragmentierungsexperiment zur Bestim-
massenspektrometrisch bestimmt wird. Im zweiten Schritt wird ein mung der Position des Hexosamins durchgeführt
Signal selektiert, zu dem eine klare Komposition bekannt ist, aber

Komposition und eingeschränkt auch auf die Konnekti- der Umlagerung von Fucose – auch zu einer fehlerhaf-
vität schließen. Im Gegensatz dazu sind MS/MS-­ ten Strukturzuordnung kommen.
Spektren im negativen Modus oft deutlich komplexer
und aufwendiger auszuwerten. Der erhöhte Informati- 27.2.2.3  Permethylierung
onsgehalt der Ringbrüche erlaubt aber eindeutigere Zucker mit basischen Eigenschaften können im positi-
Aussagen zu Konnektivität und Konfiguration der Gly- ven Modus leicht über die Adduktbildung mit Protonen
kane. ionisiert werden, wohingegen Zucker mit sauren Grup-
Bei der Bildung von Fragmenten kann es zu Umlage- pen leichter im negativen Modus ionisiert werden kön-
rungen (rearrangements) kommen. Die meisten Umlage- nen. Insgesamt ist die Ionisierbarkeit von Zuckern je-
rungen folgen einem spezifischen Mechanismus. Diese doch recht gering, sodass die Signalintensitäten im
Umlagerungen können zur Strukturaufklärung des Massenspektrum oft sehr niedrig sind. Ein etablierter
fragmentierten Zuckers beitragen. Sofern die Reaktion Ansatz zur Stabilisierung und Verbesserung der Ioni-
und der zugrunde liegende Mechanismus jedoch noch sierbarkeit von Zuckern ist die Permethylierung. Das
nicht vollständig aufgeklärt sind, kann es – wie im Fall Prinzip dieser Methode ist die Einführung einer Me-
682 A. Zappe und K. Pagel

..      Abb. 27.30  Nomenklatur zur Beschreibung 1,5X 1,5X


Y2 1 Y1 0
der Fragmente von Kohlenhydraten (nach Y0 Z0
CH2OH Z2 CH2OH Z1
Domon und Costello 1988) CH2OH
O O O
OH O O R
OH O OH
HO
OH B1 B2
27 0,2A
C1
2,4A
OH
C2
2,5A
OH
B3 C3
1 2 3

..      Abb. 27.31  Beispiel einer A


Y1
kollisionsinduzierten Dissoziation im 364,0
100 B4
positiven Modus. Gezeigt sind das relative Intensität (%) 1036,3
Massenspektrum A sowie die Positio- Y2
nen der Spaltstellen der glykosidischen 567,2 B3/Y3b
671,2
Bindungen B. Im positiven Modus 50 B3/Y3a ManB4/Y4a
347,1 B4/Y3a 833,2 874,2 Man
werden fast ausschließlich Spaltstellen Man
C3/Y4a B3
der glykosidischen Bindungen Man 509,1 O,3A
3
689,2
Man C3 3,5A4 Y3b [M+Na]+
Man 1377,5
599,2 Y4a
detektiert. Es lassen sich nur wenige 226,0
Man
338,0
712,4 907,2
1054,3
Man 745,2 1215,4
Informationen über die Regiochemie 0
des Kohlenhydrats ableiten. Dennoch 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400
bietet der positive Messmodus eine m/z
gute Übersicht über die Struktur
B CH2OH
O Y4a
OH OH
O
HO CH2
B1a
O Y3a
OH O,3A
O 3
CH2OH HO CH2 CH2OH CH2OH
B2a Y2 Y1
O O O O OH
O O
OH OH OH OH OH 2-AB
Y3b
HO CH2OH HO B4
B3
O O C3
NHAc NHAc
3,5A
4
OH OH
HO
B2b

thylgruppe an jede freie Hydroxygruppe des Glykans. der Antennen, die Ringgrößen sowie Komposition und
­Praktisch wird dies durch die Zugabe von Methyliodid Konnektivität der Struktur geben.
und Natriumhydroxid erreicht. Die Permethylierung
von Zuckern führt zu einer homogeneren Verteilung von 27.2.2.4  Glykopeptide
Ladungen auf der Zuckerstruktur und stabilisiert labile Die Analyse von Glykopeptiden ist ein sehr diverses und
funktionelle Gruppen wie z. B. Säuregruppen. umfangreiches Feld der Glykananalytik. Vor allem die
Zusätzlich lassen sich aus der sequenziellen Fragmen- komparative Glykopeptidanalyse (z. B. zwischen Glyko-
tierung (MSn) von permethylierten Zuckern Rückschlüsse peptiden verschiedener Spezies oder zwischen Patien-
auf die Verknüpfung und Position einzelner Bausteine im tenproben) hat sich in der Proteomik als Methode etab-
Glykangerüst ziehen (. Abb.  27.33). Bei der Fragmen-
  liert, um Unterschiede der Glykosylierung verschiedenen
tierung entstehen methylierte Glykanfragmente, die freie Krankheitsmustern zuzuordnen. Diese Analysen kön-
Hydroxygruppen an den Positionen aufweisen, die zuvor nen sehr nützlich im Hinblick auf die Diagnose und Be-
an glykosidischen Bindungen beteiligt waren. Aus dem handlung, aber auch hinsichtlich eines besseren Ver-
spezifischen m/z-Verhältnis der Fragmente erster, zweiter ständnisses der Krankheitsentwicklung und Pathologie
und dritter Generation lassen sich so detaillierte Infor- sein. Aus analytischer Sicht ist die Detektion von Glyko-
mationen über die Verzweigung einzelner Bausteine er- peptiden interessant, da zusätzlich zur Glykanstruktur
langen. Dies kann wiederum Aufschluss über die Anzahl nun auch die Position im Protein durch die Sequenzie-
Kohlenhydratanalytik
683 27
C1
C2 0,2A4
0,3A3
2,4A
5
1072,5
100
2,4A42,4A5
relative Intensität (%)

D‘
[D‘-18]– 323,1 O,3A 2,4A
3 [D-18]– 4
50 869,4
C1 C2a O,2A
575,3 4
179,1 503,2 D
629,3 647,3 911,4 B4
305,1 1012,4 [M+NO3]–
251,1 929,4
125,1 1296,5
0
100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400
m/z
1353,8
100
[M-HNO3]–
relative Intensität (%)

2AB
D‘
[D‘-18]– 323,2
50 [M+NO3]–
C1 O,3A
179,1 3 [D-18]– 2,4A 1417,7
C2a 4
503,2 869,4
629,3 D B4
125,1 575,3 1012,5
647,3
0
100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400
m/z

..      Abb. 27.32  Beispiel einer kollisionsinduzierten Dissoziation im öffnet dem Experimentator mehr Informationen zur Regiochemie,
negativen Modus. In diesem Modus werden zusätzlich Spaltungen wobei die Auswertung und Interpretation des Massenspektrums er-
innerhalb der Ringstruktur des Kohlenhydrats detektiert. Dies er- schwert werden

rung des Peptidanteils möglich wird. Zu Beginn der tide voneinander unterschieden werden (. Abb. 27.34).  

Analyse muss das zu untersuchende Glykoprotein zu- Für die Interpretation der Massenspektren ist hierbei zu
nächst in Glykopeptide gespalten werden. Dafür übli- beachten, dass sich die theoretische Masse des aktuell
cherweise verwendete Enzyme sind Trypsin und Chymo- untersuchten Glykopeptids aus der Masse des unglyko-
trypsin sowie auch beide in Kombination mit Glu-C sylierten Peptids zuzüglich der Masse des angeknüpften
oder Proteinase K. Auf diese Weise werden die Glyko- Glykans zusammensetzt.
proteine durch Trypsinolyse erzeugt, mit dem Ziel, mög- Sowohl zur Sequenzierung des Proteins als auch
lichst kleine Glykopeptide zu erhalten, die dennoch eine zur Strukturanalyse des Zuckers ist die Fragmentie-
Sequenzierung des Proteins erlauben. rung des Glykopeptids notwendig. Die Fragmentie-
Nach der enzymatischen Spaltung des Proteins ist es rung mittels CID bietet die einfachste Möglichkeit
erforderlich, die glykosylierten Peptide von den nicht zur Analyse des Glykananteils, die gleichzeitig jedoch
glykosylierten Peptiden zu trennen. Dies kann je nach geringe Fragmentierung des Peptidanteils stellt einen
Intensität und Art der Glykosylierung mittels Affinitäts- großen Nachteil dar. Alternativ wird deshalb oft eine
chromatographie erfolgen. Eine andere Möglichkeit ist Fragmentierung mittels Elektronentransferdissozia-
die Kopplung der Chromatographie (vorzugsweise HI- tion (ETD) durchgeführt. Diese Methode führt zu
LIC, Reversed Phase oder PGC) mit einem Massen- einer statistischen Verteilung der Fragmente, wodurch
spektrometer, sodass sowohl die Glykopeptide als auch die Fragmente des Peptidanteils zunehmen. Dies er-
nicht glykosylierte Peptide erfasst werden. Durch die laubt eine bessere Sequenzierung des Peptids bei aus-
Analyse des Massenspektrums und der Fragmentspekt- reichender Fragmentierungseffizienz des Glykanteils
ren können Glykopeptide und nicht glykosylierte Pep- (Hu et al. 2015).
684 A. Zappe und K. Pagel

CH2OMe CH2OMe CH2OMe CH3


MeO O O O O O
O MeO
OMe OMe OMe
MeO MeO
O O
OMe NMe OMe
Ac B2
27 H 2C CH2OMe CH2
O
O O
O O OMe OMe
MeO OMe
MeO
CH2OMe OMe CH2OMe NMe
NMe
O
MeO O O O O Ac
Ac
O Y1
OMe CH2OMe OMe
MeO
OMe NMe
Ac CH3
O
+Na+
MeO
CH2OMe CH2OMe +Na+ MeO
MeO O O O
OMe
O OMe
OMe
Y1-Ion CH2
OMe NMe m/z 474 O
Ac OMe
B2-Ion OMe
m/z 486 HO
NMe
Ac

..      Abb. 27.33  Fragmentierung von permethylierten Glykanen über die Spaltung ihrer glykosidischen Bindungen. Die nach der Spaltung
frei vorliegenden Hydroxygruppen zeigen die ehemalige Bindung an und ergeben Informationen über die Verzweigung des Kohlenhydrats

27.2.2.5  Ionenmobilitätsmassenspektrome- Puffergas kann jedoch in einen universell vergleichbaren


trie Wert, den sog. rotationsgemittelten Stoßquerschnitt
In den letzten Jahren hat sich mit der Ionenmobilitäts- (Collision Cross-Section, CCS) umgewandelt werden.
spektrometrie (IMS) eine weitere vielversprechende Me- Die CCS stellt eine spezifische molekulare Eigenschaft
thode zur schnellen und umfangreichen Strukturaufklä- des entsprechenden Ions dar, kann in Datenbanken ge-
rung von komplexen Zuckern herauskristallisiert speichert und als zusätzlicher Identifikationsparameter
(. Abb. 27.35). Sie basiert auf der Trennung von Ionen

genutzt werden. Auch eine Nutzung von CCS-Werten
in einer mit Gas gefüllten Zelle, durch die die ionisierten zur Analyse von Fragmenten größerer Moleküle ist
Probenmoleküle mithilfe eines elektrischen Feldes gelei- möglich.
tet werden. Auf ihrem Weg durch die Driftzelle kollidie- Die IMS ist in der Lage, kleine bis mittelgroße Oligo-
ren die Ionen mit dem Puffergas und werden dabei un- saccharide anhand ihrer CCS voneinander zu unter-
terschiedlich stark zurückgehalten. Die resultierende scheiden und so die Anwesenheit von Isomeren in kom-
mittlere Geschwindigkeit, die sog. Driftzeit, ist u. a. von plexen Mischungen aufzudecken (. Abb.  27.36). Die 

der Größe und Form der Ionen abhängig, sodass in vie- Qualität der Trennung von Isomeren wird dabei erheb-
len Fällen Isomere unterschieden werden können. Da lich von der elektrischen Polarität des Ions (positiv oder
die Trennung sehr schnell ist und meist nur einige Milli- negativ) sowie von der Bildung von Adduktionen beein-
sekunden dauert, lässt sich die IMS sehr gut mit Flug- flusst. Kompositionsisomere zeigen meist unabhängig
zeit-MS kombinieren (IM-MS), wodurch multidimensi- von ihrer Polarität die kleinsten Mobilitätsunterschiede,
onale Daten erhalten werden. wohingegen Konnektivitäts- und Konfigurationsiso-
Analog zu Retentionszeiten aus der Chromatogra- mere häufig leichter als deprotonierte Ionen unterschie-
phie ist die Driftzeit eines Ions abhängig von einer Viel- den werden können. Da die tatsächliche Struktur der
zahl von instrumentellen Parametern, was einen direk- Ionen und damit die Trennbarkeit von einer Vielzahl
ten Vergleich zwischen verschiedenen Experimenten Parameter abhängt, sind solche Trends jedoch nicht im-
erschwert. Die Driftzeit eines Ions in einem definierten mer gültig. Deshalb hat es sich als sinnvoll erwiesen,
Kohlenhydratanalytik
685 27
b4 b5 b6 b7 b8 b9 b10 b11 b12 b13
L A G K P T H V N V S V V M A E V D G T C Y
y9 y8 y7 y6 y5 y4
[M+4H]4 1179,2420
366,1365
138,0535

-H2O
204,0847

274,0898

Pep
168,0639

Pep
Pep

Pep
657,2311

Pep
292,1002

Pep
Pep
Pep Pep
528,1884

1547,1968

1620,2260
1283,6066

1701,2510
1458,1719

1883,8169
915,4484

1356,6353
1385,1452

1802,7926
690,2414

2029,3674
m/z
500 1000 1500 2000 2500

y2 y8 b9

915,4484
918,5113
342,1092

y5 y6 914,3534
b5 b8
b4
714,2715
615,2051

804,4676

b7
467,2937
370,2418

705,3995

b13
b10
435,2323

648,3425

b12
776,4732

y9 b11 y10
512,1943

549,2741

677,4041

b6

1017,5799

1302,7455
y7

1203,6798
1061,3868
989,5844

1104,6096

1160,4547
568,3425

873,4887
843,3163

300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200
m/z

..      Abb. 27.34  Exemplarisches MALDI-Fragmentspektrum zur mentspektrum zeigt alle Bruchstücke des Peptids inklusive der an
Veranschaulichung des ionisierbaren Kohlenhydratanteils im Ver- das Peptid gebundenen Fragmente des N-Glykans. Die im oberen
gleich zu dem nur sehr geringen Anteil an ionisierbaren Peptidfrag- Ausschnitt detektierten Signale stammen fast ausschließlich von gly-
menten. Das Peptid mit der Sequenz LAGKPTHVNVSVVMAEV- kosylierten Peptidfragmenten. Unglykosylierte Peptidfragmente sind
DGTCY trägt ein biantennäres, komplexes N-Glykan mit einer lediglich im unten gezeigten, vergrößerten Ausschnitt des Massen-
Fucose und zwei terminalen N-Acetylneuraminsäuren. Das Frag- spektrums sichtbar. (Nach Bondt et al. 2016)

Ionenmobilitätszelle

Driftzeit

..      Abb. 27.35  Prinzip der Ionenmobilitätsmassenspektrometrie Puffergas. Große Analytionen kollidieren dabei häufiger mit dem
(Ion-Mobility-MS). Analytionen durchlaufen mithilfe eines elektri- Puffergas als kleine und benötigen deshalb eine längere Driftzeit, um
schen Felds eine gasgefüllte Zelle und kollidieren mit dem neutralen die Zelle zu durchlaufen
686 A. Zappe und K. Pagel

..      Abb. 27.36  Die Ionenmobilitätsmas- HO OH R


O
senspektrometrie erlaubt die Trennung von O OH
HO
isomeren Trisacchariden hinsichtlich ihrer OH O OH
O
Konfiguration (α oder β) und Konnektivität HO O
OH HO O NH2
(z. B. 1→3 oder 1→4). Die hohe Empfind- OH

lichkeit der Methode erlaubt es außerdem, [M-H]– = 588


geringe Anteile von isomeren Verunreini-
27 gungen verlässlich nachzuweisen 1 1,0
50 % 50 %

β-Glc-1→3- -Gal-R 0,5 249 ± 1 Å2 0,5


α β
0 0,0
1 70 %
1,0
30 %
β-Gal-1→3- -Gal-R 0,5
250 ± 2 Å2 0,5

0 0,0
1 90 %
1,0

realtive Intensität

realtive Intensität
α-Gal-1→3- -Gal-R 233 ± 1 Å2
0,5 0,5
10 %
0 0,0
1 99 %
1,0
1%
237 ± 1 Å2
β-Glc-1→4- -Gal-R 0,5 0,5 x10

0 0,0
1 1,0 99,9 %
236 ± 1 Å2 0,1 %
β-Gal-1→4- -Gal-R 0,5 0,5 × 1000

0 0,0
1 100 %
1,0
220 ± 2 Å2
α-Gal-1→4- -Gal-R 0,5 0,5
0%
× 1000
0 0,0
4 5 6 7 4,5 5,0 5,5 6,0 6,5 7,0 7,5
Driftzeit (ms) Driftzeit (ms)

unterschiedliche Polaritäten und Addukte zu testen, um stimmte Strukturelemente charakterisiert werden sol-
die Trennung zu optimieren. len. Diese „Features“ sind meist an den Extremitäten
Neben der direkten Strukturaufklärung hat die IMS größerer Glykokonjugate zu finden, dienen dort als
auch einen praktischen Nutzen für die semiquantitative Sensoren bzw. Epitope und bestimmen so z.  B. die
Analyse von komplexen Zuckern. Während klassische Blutgruppenzugehörigkeit. Die beiden wichtigsten
Trenntechniken isomere Verunreinigungen oft nur bis zu Vertreter sind die Fucosylierung und die Sialylierung.
einer Untergrenze von 5 % verlässlich nachweisen kön- Typische Fucosylierungsmuster bestehen aus isome-
nen, kann diese Nachweisgrenze mit IMS auf 0,1 % ver- ren Tri- und Tetrasacchariden, welche denselben Di-
ringert werden. Dies ist besonders bei der Analyse von saccharidkern teilen und sich nur in der Art der Ver-
synthetischen Oligosacchariden von Bedeutung, da hier knüpfung der Fucoseeinheiten unterscheiden. Diese
oft kleinere Mengen isomerer Nebenprodukte entstehen. Strukturen lassen sich von größeren Glykanen direkt
Die Trennbarkeit von Isomeren mittels IMS nimmt im Massenspektrometer als Fragmente abspalten und
generell mit zunehmender Molekülgröße ab, und klei- können anschließend mittels IMS getrennt und zuge-
nere Tri- Tetra-, und Pentasaccharide sind oft am besten ordnet werden. Auf diese Weise ist es z.  B. möglich,
unterscheidbar (. Abb.  27.37). Viele N-Glykane sind
  die typischen fucosylierten Epitope LeY, LeX und
jedoch deutlich größer und komplexer und müssen des- Blutgruppe H, Typ 2, schnell und einfach nachzuwei-
halb vorher mittels Tandem-Massenspektrometrie, bei- sen (. Abb. 27.38). Ein ähnliches Prinzip kann auch

spielsweise durch CID, in kleinere Fragmente zerlegt zur Analyse des Sialylierungsmusters verwendet wer-
werden. Durch eine Fragmentanalyse ist es möglich, den. Dabei muss das Glykan nicht zwingend vom
größere Zuckerstrukturen mithilfe passender Standards Glykopeptid abgespalten werden, da die diagnosti-
zu sequenzieren. schen Fragmente auch direkt von größeren Glyko-
Noch leistungsfähiger ist die IMS, wenn nicht die konjugaten durch Fragmentierung generiert werden
gesamte Struktur des Glykans, sondern nur be- können.
Kohlenhydratanalytik
687 27
A Gal B
588 [M-H]– = 588 236 ± 1 Å2
1,0 Glc 1,0
5 GlcNAc
L L C5H10NH2 β
b β β 624 6
0,5 4 Bindung 0,5
3 2
β α
β
5
0,0 0,0
588 624
1,0 1,0
6 220 ± 2 Å2
relative Intensität

relative Intensität
a β β
L α
0,5 0,5

6
0,0 0,0
588 Fragment von 7
1,0 1,0
7 [M-H]– = 588 221 ± 1 Å2
L
a β β
β α
β 588
0,5 0,5
426 953
-
-
0,0 0,0
200 400 600 800 1000 4 5 6 7
m/z Driftzeit (ms)

..      Abb. 27.37  Detektion von isomeren Trisacchariden mit unter- durch eine Fragmentanalyse an der angedeuteten glykosidischen
schiedlicher Konfiguration (5  =  β, 6  =  α) am nichtreduzierenden Bindung zu identifizieren. Dieser Arbeitsablauf kann sowohl für die
Ende. Gezeigt sind Massenspektren A und Ionenmobilitätsspektren Analyse von Konfigurationsisomeren als auch zur Charakterisierung
B der isomeren Trisaccharide. Diese beiden Trisaccharide können als von Konnektivitätsisomeren angewendet werden und erlaubt eine
Standard verwendet werden, um die Konfiguration des Moleküls 7 Sequenzierung des Glykans

27.3  Schlussbetrachtung datenbanken, die eine routinemäßige Onlineanalytik


der Glykane von komplexen Glykoproteinen ermögli-
Die Glykananalytik hat sich in den letzten Jahren chen. Oftmals ist es erst die Kombination mehrerer
sprunghaft weiterentwickelt. Das Untersuchen von Gly- komplementärer Techniken und Methoden, die eine
kanen steht nicht zuletzt auch im Fokus von Pharma- komplette Analyse des untersuchten Kohlenhydrats
firmen, die permanent an neuen Methoden zur Analyse möglich macht.
der zumeist rekombinant hergestellten Glykoproteine Im Laufe der Zeit werden stets neue Methoden ent-
interessiert sind. Die vollständige strukturelle Charak- wickelt, die teilweise überholte oder vormals zu aufwen-
terisierung von komplexen Kohlenhydraten stellt jedoch dige Techniken ersetzen oder verbessern. So hat sich die
nach wie vor eine große Herausforderung dar, und eine IMS als vielversprechende Ergänzung zur Strukturauf-
„Gold-Standard“-Methode existiert bislang noch nicht. klärung von Zuckern und Glykokonjugaten erwiesen,
Ein ganzes Arsenal an verschiedenen analytischen Tech- besonders wenn sie in Kombination mit klassischer
niken, die teils am intakten Glykoprotein, teils an den Massenspektrometrie (IM-MS) genutzt wird. Schon
proteolytischen Glykopeptidfragmenten oder freige- jetzt können neben allgemeinen Aussagen zur Zusam-
setzten Glykanen zum Einsatz kommen, wird heutzu- mensetzung eines Moleküls auch Informationen zu cha-
tage genutzt. Ein multidimensionales Analyseverfahren rakteristischen Motiven wie der Sialylierung und Fuco-
muss angestrebt werden, das nicht nur benutzerfreund- sylierung erlangt werden. Darüber hinaus kann IM-MS
lich, sondern auch vergleichsweise schnell und kosten- relativ einfach mit orthogonalen Methoden wie der
günstig ist. Zukunftsweisend ist die Verbindung der HPLC gekoppelt werden. Bereits vorhandene LC-MS
chromatographischen Trenntechniken mit der Massen- Methoden können so ohne wesentliche Einschränkun-
spektrometrie und der gleichzeitige Aufbau von Glyko- gen um die IMS-Dimension ergänzt werden.
688 A. Zappe und K. Pagel

A MS/MS 698
P
Literatur und Weiterführende Literatur
P - Vorläufer 552
F - Fragment 406 P oder F Bondt A, Nicolardi S, Jansen BC, Stavenhagen K, Blank D, Kam-
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100 200 300 400 500 600 700 800 900 m/z MALDI-FTICR-MS analysis of N- and O-glycopeptides. Sci
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LeX, Blutgruppe H2. Die Fragmentanalyse verschiedener fucosylier-
ter Glykanepitope erlaubt die Erstellung von charakteristischen Fin-
gerabdrücken für jedes Strukturmotiv und so die Erkennung des
Fucosylierungsmusters eines Glykans
689 28

Lipidanalytik
Hartmut Kühn

Inhaltsverzeichnis

28.1 Aufbau und Einteilung von Lipiden – 690

28.2 Extraktion von Lipiden aus biologischem Material – 692


28.2.1 F lüssigphasenextraktion – 692
28.2.2 Festphasenextraktion – 693

28.3 Methoden der Lipidanalytik – 694


28.3.1  hromatographische Methoden – 694
C
28.3.2 Massenspektrometrie – 698
28.3.3 Immunassays – 699
28.3.4 Weitere Methoden in der Lipidanalytik – 700
28.3.5 Online-Kopplung verschiedener Analysesysteme – 702

28.4 Analytik ausgewählter Lipidklassen – 704


28.4.1  esamtlipidextrakte – 704
G
28.4.2 Fettsäuren – 704
28.4.3 Unpolare Neutrallipide – 705
28.4.4 Polare Esterlipide – 707
28.4.5 Lipidhormone und intrazelluläre Signaltransduktoren – 710

28.5 Lipidvitamine – 716

28.6 Lipidomanalytik – 719

28.7 Ausblick – 720

Literatur und Weiterführende Literatur – 721

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über
folgenden Link zugegriffen werden kann (https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_28). Die Videos lassen
sich durch Anklicken des DOI Links in der Legende einer entsprechenden Abbildung abspielen, oder indem
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J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_28
690 H. Kühn

55 Neben Kohlenhydraten, Proteinen und Nucleinsäuren (z.  B.  Steroidhormone, Eicosanoide, Jasmonsäure),
bilden Lipide die vierte große Naturstoffklasse, die als intrazelluläre Botenstoffe (z. B. Diacylglyceride,
strukturell extrem heterogen ist. Lipide lassen sich in Ceramide) oder als Bestandteil von Elektronentrans-
drei große Klassen einteilen: portsystemen (z.  B. das Ubichinol/Ubichinon-­
–– Fettsäurederivate System).
–– Isoprenoide 4. Lipidvitamine: Lipidvitamine spielen beim Sehvor-
–– Polyketide gang (Vitamin A), bei der Synthese von menschli-
55 In lebenden Systemen fungieren Lipide vor allem als chen Gerinnungsfaktoren (Vitamin K) und bei der
28 Energiespeicher (Triglyceride), Strukturbildner (Phos- Regulation der extrazellulären Calciumhomöostase
pholipide, Cholesterol) und intra- (Diacylglyceride) (Vitamin D) eine besondere Rolle. Vitamin E und
bzw. extrazelluläre Signalmoleküle (Steroidhormone, andere lipophile Antioxidanzien (z.  B.  Carotino-
Eicosanoide). ide) wirken als Radikalfänger und schützen Bio-
55 Lipide lassen sich aus organischen Proben (Gewebe, membranen und Lipoproteine vor oxidativer Zer-
Körperflüssigkeiten) mit nicht mit Wasser misch- störung.
baren Lösungsmitteln (z.  B.  Methanol-Chloroform-­ 5. Abwehrfunktion: Eine Reihe von niederen Organis-
Mischungen) extrahieren men bilden komplexe Lipidderivate, die antibakteri-
55 Bei den klassischen Verfahren der Lipidanalytik wer- ell wirken. Sie werden häufig über den Polyketidweg
den komplexe Lipide durch alkalische bzw. saure Hyd- synthetisiert und hemmen in Prokaryoten eine Reihe
rolyse in ihre Grundbausteine (Fettsäuren, Sterole, grundlegender Prozesse wie Replikation, Transkrip-
Sphingosinbasen, Zucker) zerlegt, welche anschließend tion bzw. Translation. Klassische Vertreter dieser Li-
mit verschieden chromatographischen Verfahren ana- pide sind z. B. die Antibiotika Tetracyclin und Ery-
lysiert werden können. thromycin.
55 Durch Kopplung von HPLC mit UV-Spektroskopie,
IR-Spektroskopie, Massenspektrometrie bzw. NMR
können auch nicht verseifte Lipide analysiert werden, 28.1  Aufbau und Einteilung von Lipiden
wobei zur zellulären Lipidomanalytik vor allem die
Tandemmassenspektroskopie (LC-MS/MS-Kopplung) Lipide können wahlweise nach strukturellen oder
eingesetzt wird. funktionellen Kriterien klassifiziert werden. Alle
strukturbasierten Klassifizierungssysteme nutzen die
Lipide sind neben den Proteinen, den Nucleinsäuren Tatsache, dass viele Lipide aus kleineren Bausteinen
und den Kohlenhydraten die vierte große Naturstoff- (Strukturblöcken) zusammengesetzt sind, die der ent-
klasse. Als gemeinsames, definierendes Merkmal aller sprechenden Lipidklasse ihren Namen geben. Auf
Lipide können ihre Unlöslichkeit in Wasser (Hydropho- Empfehlung des Internationalen Komitees für Klassi-
bizität) und ihre gute Löslichkeit in organischen Lö- fizierungs- und Nomenklaturfragen von Lipiden wurde
sungsmitteln angesehen werden. Die biologischen ein umfassendes Klassifizierungssystem eingeführt,
Funktionen der Lipide sind ebenso vielfältig wie ihre das die biologisch relevanten Lipide in acht Klassen
chemische Struktur, können aber im Wesentlichen in unterteilt:
fünf große Gruppen zusammengefasst werden: 1. Fettsäuren (FA)
1. Energiespeicher und Wärmeisolatoren: Bei vielen 2. Glycerolipide (GL)
Organismen sind Fette und Öle die wichtigsten 3. Glycerophospholipide (GP)
Langzeitenergiespeicher. Als ideale Speicherlipide 4. Sphingolipide (SP)
und gute Wärmeisolatoren erweisen sich in tierischen 5. Sterole (ST)
Organismen die Triacylglyceride, die im weißen bzw. 6. Prenole (PR)
im braunen Fettgewebe abgelagert werden und bei 7. Saccharolipide (SL)
Bedarf, z.  B. während des Winterschlafs oder bei 8. Polyketide (PK)
Hungerzuständen, mobilisiert werden können.
2. Strukturbildner und Schutzfunktion: Aufgrund ihrer Diese Klassifizierung ist zwar umfassend, hat aber den
Wasserunlöslichkeit und ihres amphipathischen Nachteil, dass viele spezifische Lipidmoleküle meh-
Charakters sind bestimmte Lipidklassen in der Lage, reren Lipidklassen zugeordnet werden können. So
im wässrigen Milieu komplexe Strukturen (Micellen) sind z.  B.  Glycerophospholipide eine Teilmenge der
zu bilden. Die Fähigkeit der Phospholipide zur Bil- ­Glycerolipide. In . Abb. 28.1 wird eine abweichende Li-

dung von Lipiddoppelschichten ist die Grundlage pidklassifizierung vorgeschlagen, wobei von drei Haupt-
für die Struktur von Biomembranen. lipidklassen (Fettsäurederivate, Isoprenderivate, Polyke-
3. Lipide als Signaltransduktoren: Lipide wirken in tie- tide) ausgegangen wird. Diese Hauptklassen können in
rischen und pflanzlichen Organismen als Hormone verschiedene Subklassen unterteilt werden.
Lipidanalytik
691 28
..      Abb. 28.1 Klassifizierung Tetracyclin Erythromycin A Cortisol α-Carotin
biologisch bedeutsamer Lipide. Aflatoxin Epothilon A Cholesterol Dolichol

Nach dem hier dargestellten aromatische nichtaromatische


Steroide Terpene
Klassifizierungskonzept können Polyketide Polyketide
Lipide in drei Hauptklassen
(Fettsäurederivate, Isoprenderi- Polyketid- Isopren-
vate, Polyketidderivate) eingeteilt derivate derivate
werden. Jede dieser Hauptklas-
sen umfasst mehrere Subklassen, Lipide
die ihrerseits weiter untergliedert
werden können. Wichtige
Vertreter der einzelnen Lipid-
klassen sind in kursiver Schrift Fettsäure-
angegeben derivate

freie Fett- Glycero- Sphingo- Saccharo-


Wachse
säuren lipide lipide lipide
Stearinsäure Lipid A Bienenwachs
Leukotrien B4 Lipid X Walrat

neutrale Glykogly- Phospho- Glykosphin-


Glycerolipide cerolipide lipide golipide
Diacylglycerole Galactosyl- Phosphatidylcholin Cerebroside
Triacylglycerole diglycerid Sphingomyelin Ganglioside

Fettsäurederivate  sind die mengenmäßig am häufigsten ähnelt dem Mechanismus der Fettsäurebiosynthese,
vorkommende Lipidklasse im menschlichen Organismus. wobei bei der Kopplungsreaktion keine vollständige Re-
Sie enthalten Fettsäuren, die als kurz-, mittel- bzw. lang- duktion der Carbonylgruppen stattfindet. Im weiteren
kettige Monocarbonsäuren mit Alkoholen oder Aminen Verlauf der Polyketidsynthese kann jeder Acylbaustein
reagieren, wodurch Esterlipide bzw. Aminolipide entste- chemisch modifiziert werden, sodass die namensgebende
hen. Reagieren langkettige Fettalkohole mit anderen Al- Polyketidstruktur nicht mehr erkennbar ist. Zu den Mo-
koholen, werden Etherlipide gebildet. Die Eigenschaften difizierungsreaktionen zählen Reduktionen, Cyclisierun-
der Fettsäurederivate werden wesentlich durch die Struk- gen, Methylierungen, Oxygenierungen u. a. Ein einfaches
tur der Fettsäurereste bestimmt. In . Tab. 28.3 sind ei-
  Polyketid ist die 6-Methylsalicylsäure, die anhand ihrer
nige biologisch relevante Fettsäuren zusammengefasst. chemischen Struktur nicht mehr als Polyketid erkannt
Zu den Fettsäurederivaten werden auch unveresterte und werden kann. Zu den komplexeren Polyketiden gehören
modifizierte Fettsäuren(z. B. Eicosanoide) gezählt. einige Pflanzenfarbstoffe (z. B. Quercetin), das Mycoto-
xin Zearalenon, das Makrolidantibiotikum Erythromy-
Isoprenoide  werden ähnlich wie Fettsäuren in biologi- cin, das Antimycotikum Amphotericin B und das Im-
schen Systemen aus Acetyl-CoA-Einheiten synthetisiert. munsuppressivum Rapamycin.
Bei der Fettsäuresynthese fungiert Malonyl-CoA als Zwi- Biologische Membranen und Lipoproteine sind Li-
schenprodukt, während bei der Isoprenoidbiosynthese pid-Protein-Komplexe, deren Funktion und Eigenschaf-
zunächst aktiviertes Isopren in Form von Isopentenyldi- ten von der Art der Lipide, die sie enthalten, stark beein-
phosphat bzw. Dimethylallyldiphosphat hergestellt wird. flusst werden. So beeinträchtigt z.  B. ein erhöhter
Durch Zusammenlagerung mehrerer aktivierter Isopren- Cholesterolgehalt oder ein verringerter Anteil an mehr-
einheiten und anschließende Cyclisierung entstehen line- fach ungesättigten Fettsäuren die Fluidität von Bio-
are (z.  B.  Terpene) bzw. cyclische (z.  B.  Sterole) Isopre- membranen. Betrifft dies die Plasmamembran von Zel-
noide. len des strömenden Blutes, werden diese Zellen anfälliger
gegenüber osmotischen Veränderungen und gegen
Polyketide  bilden eine große Gruppe von Lipiden, die Scherkräfte (shear stress). Daraus resultiert eine verrin-
bezüglich ihrer chemischen Strukturen und pharmakolo- gerte Lebensdauer. Eine veränderte Lipidzusammenset-
gischen Eigenschaften sehr heterogen ist. Gemeinsam ist zung von Membranen kann sowohl Signaltransdukti-
allen Polyketiden, dass ihre Biosynthese über den Polyke- onsprozesse als auch die Aktivität membranständiger
tidweg verläuft. Dabei werden durch die Zusammenlage- Enzymsysteme beeinträchtigen. Deshalb kommt der
rung kurzkettiger, Coenzym-A-aktivierter Acylgruppen quantitativen Analytik des Lipidkompartiments von
(Acetyl-CoA, Propionyl-CoA, Malonyl-CoA) langket- Biomembranen große Bedeutung zu. Lipidhormone
tige Kohlenwasserstoffketten synthetisiert, die viele Ke- (z.  B.  Steroide) und intrazelluläre zweite Botenstoffe
togruppen tragen. Die schrittweise Kettenverlängerung (z.  B.  Diacylglycerine) spielen eine große Rolle bei der
692 H. Kühn

Signalübertragung. Bei einer Reihe endokrinologischer 28.2  Extraktion von Lipiden aus
Erkrankungen (z. B. Adrenogenitales Syndrom) ist eine biologischem Material
vermehrte bzw. verminderte Synthese von Lipidhormo-
nen die Ursache für die komplexe Symptomatik. Für die Neben der traditionellen Flüssigphasenextraktion von
Diagnostik solcher Erkrankungen benötigt man exakt Lipiden mit organischen Lösungsmitteln hat in letzter
quantifizierbare Analysemethoden, die in der Routine- Zeit die Festphasenextraktion an hydrophoben Träger-
diagnostik im klinisch-chemischen Labor eingesetzt materialien mehr und mehr an Bedeutung gewonnen.
werden können. Um eine Lipidextraktion exakt quantifizieren zu kön-
28 Prinzipiell erfolgt die Analytik von Lipiden aus bio- nen, muss dem biologischen Material ein externer Stan-
logischen Materialien in drei Schritten: dard zugesetzt werden. Dieser Standard sollte struktu-
55 Präparation und Reinigung der Lipide aus biologi- rell große Ähnlichkeit mit den zu quantifizierenden
schem Material. Dieser Schritt umfasst neben der Lipiden aufweisen, muss aber andererseits analytisch
Lipidextraktion meist noch verschiedene chromato- von den endogenen Lipiden eindeutig unterschieden
graphische Verfahren. werden können. Für die Fettsäureanalytik können z. B.
55 Lipidfragmentierung und Analyse der Fragmentie- unphysiologische Fettsäuren eingesetzt werden. Bei der
rungsprodukte. Die Lipidfragmentierung kann Eicosanoidanalytik (7 Abschn. 28.4.5) hat sich die Ver-

durch enzymatische oder nichtenzymatische Reak- wendung von Prostaglandin B2 als Standard durchge-
tionen erfolgen. Durch alkalische Hydrolyse werden setzt, das natürlicherweise nicht gebildet wird. Sollen die
unselektiv alle Esterbindungen gespalten, durch Lipide nach der Extraktion mittels Massenspektromet-
saure Hydrolyse vor allem die Säureamidbindungen rie analysiert werden, können deuterierte Derivate und/
der Sphingolipide und die Enoletherbindungen der oder 18O-markierte Verbindungen als externe Standards
Plasmalogene. Bestimmte Enzyme (z. B. Triacylgly- verwendet werden.
cerid-Lipasen, Cholesterol-­ Esterasen) spalten nur
bestimmte Lipidklassen. Phospholipasen unter-
schiedlicher Spezifität spalten Phospholipide an spe- 28.2.1 Flüssigphasenextraktion
zifischen Stellen des Moleküls (. Abb.  28.2). Ein

weit verbreitetes Fragmentierungsverfahren ist die Will man die Gesamtlipide aus Zellen und Geweben ex-
Umesterung (z.  B.  Transmethylierung), bei der aus trahieren, empfiehlt es sich, das Gewebe vorher mecha-
den schwerflüchtigen Esterlipiden die für die Gas- nisch aufzuschließen. Läuft der Gewebeaufschluss in
chromatographie geeigneten Fettsäuremethylester wässrigem Milieu ab, können lipidspaltende Enzyme
entstehen. aktiviert werden. Dieses Problem kann durch Zusatz
55 Analytik des präparierten, nicht fragmentierten Li- polarer Lösungsmittel bzw. durch Arbeiten im Eisbad
pids mittels Elementaranalyse, UV- und IR-Spektro- minimiert werden. Als Extraktionsmittel werden Gemi-
skopie, Massenspektrometrie bzw. NMR-Spektros- sche organischer Lösungsmittel, die sich nicht mit Was-
kopie. Hier hat sich in den letzten Jahren vor allem ser mischen (Hexan, Diethylether, Chloroform, Dichlor-
die Elektrosprayionisations-­Massenspektrometrie methan, Ethylacetat), verwendet. Durch geeignete
(ESI-MS) durchgesetzt, die als einfache ESI-MS Kombination polarer und unpolarer organischer Lö-
oder als Tandem-ESI-MS durchgeführt werden sungsmittel können bestimmte Lipidklassen mehr oder
kann. Diese Analysemethode bildet die Grundlage weniger selektiv extrahiert werden.
für die Lipidomanalytik, die in 7 Abschn. 28.6 ge-
  Neben der Aktivierung lipidspaltender Enzyme ist
nauer beschrieben wird. die Lipidperoxidation das zweite große Problem bei der

..      Abb. 28.2  Phospholipasen unterschiedlicher Phospholipase A 1


Spezifität spalten bestimmte Bindungen im Phospho-
O
lipidmolekül. Durch Verwendung dieser Enzyme kann
1
die Position einzelner Fettsäuren innerhalb eines CH2 O C
Phospholipidmoleküls bestimmt werden
O
2 CH O C
3 Phospholipase A 2
CH2
O
+
Phospholipase C O P O CH2 CH2 N(CH3)3
O
Phospholipase D
Lipidanalytik
693 28
Lipidextraktion. Viele Lipide enthalten ungesättigte ßere Mengen an biologischem Material extrahiert
Fettsäuren und sind daher empfindlich gegenüber radi- werden müssen und eine quantitative Extraktion nicht
kalischen Oxidationsreaktionen. Deshalb sollten Lipid- unbedingt erforderlich ist. Bei einer typischen Bligh-
extraktionen möglichst bei tiefen Temperaturen (Eisbad Dyer-­ Extraktion wird 1  ml Gewebehomogenat mit
oder Kühlraum) und unter Inertgasatmosphäre (Argon) 2,5 ml Methanol und 1,25 ml Chloroform für zwei Mi-
durchgeführt werden. Im Idealfall sollten alle Lösungs- nuten auf einem Vibrationsschüttler (Vortex) geschüt-
mittel vorher mit Argon gespült werden. telt. Der einphasige Extrakt wird für fünfzehn Minu-
Die am häufigsten angewandte Methode zur Lipidex- ten im Eisbad inkubiert, und danach werden 1,25 ml
traktion ist die Folch-Extraktion. Dabei wird biologisches Chloroform und 1,25  ml Wasser zugegeben. Nach
Gewebe mit einer Mischung aus Chloroform/Methanol nochmaligem Schütteln kommt es zur Phasentren-
(2:1 Volumenanteile) homogenisiert, wobei für 1 g Gewebe nung, wobei sich die präzipitierten Proteine zwischen
ca. 20 ml Folch-Gemisch verwendet werden. Präzipitierte der oberen (wässrigen) und der unteren (organischen)
Proteine und Nucleinsäuren werden abfiltriert und gege- Phase ansammeln. In den meisten Fällen ist die Pha-
benenfalls reextrahiert. Falls das zu extrahierende Gewebe sentrennung jedoch nicht komplett. Deshalb müssen
keinen überdurchschnittlich hohen Wassergehalt aufweist, die Extraktionsansätze für zehn Minuten bei etwa
ist der Extrakt zunächst homogen und enthält auch noch 5000 g zentrifugiert werden. Danach kann die untere
andere Naturstoffe (z. B. kurzkettige Nucleinsäuren). An- Phase mit einer Spritze abgezogen werden und steht
schließend wird der Extrakt mit Wasser oder einer Salzlö- als Ausgangsmaterial für die Lipidanalytik zur Verfü-
sung (z. B. 1 M NaCl) in einem Scheidetrichter gewaschen, gung.
bis eine Phasentrennung eintritt. Die organische Phase, die
bei der Folch-Extraktion die Unterphase bildet und die ex-
trahierten Lipide enthält, wird gesammelt und kann zur 28.2.2 Festphasenextraktion
weiteren Analytik verwendet werden. Mit dieser Methode
werden Neutrallipide, Phospholipide, die meisten Sphin- Für die Extraktion von Lipiden aus größeren Volumina
golipide und auch Lysophosphatide nahezu quantitativ biologischer Flüssigkeiten (Serum, Harn, Liquor cere-
extrahiert. Komplexe Glykolipide mit einem hohen Koh- brospinalis usw.) kann die Festphasenextraktion ange-
lenhydratanteil gehen nur teilweise in die organische Phase wandt werden (. Abb.  28.3). Sie ist ein Konzentrie-

über. Sie können jedoch mittels Festphasenextraktion (s. rungs- und. Vorreinigungsverfahren, das darauf beruht,
7 Abschn. 28.2.2) aus der wässrigen Phase der Folch-Ex-
  dass Lipide und andere Naturstoffe unter bestimmten
traktion quantitativ rückgewonnen werden. Bedingungen an Sorbenzien (meist modifiziertes bzw.
Alternativ zur Folch-Extraktion können Lipide nicht modifiziertes Kieselgel) binden. Üblicherweise
mit der Bligh-Dyer-Methode präpariert werden. Diese werden die Sorbenzien in kleine Säulen, sog. Kartu-
Methode wendet man besonders dann an, wenn grö- schen, gefüllt und die biologische Flüssigkeit durch die

..      Abb. 28.3  Prinzip der


Festphasenextraktion von
Lipiden aus biologischem
Material. Aufgrund ihrer hohen
Affinität zu einer Umkehrpha-
senmatrix (z. B. C18-modifizier-
tes Kieselgel) können Lipide
aus biologischen Flüssigkeiten
extrahiert werden. Während die
hydrophilen Bestandteile
biologischer Flüssigkeiten keine
Wechselwirkung mit der Matrix
eingehen und damit nicht
adsorbiert werden, kommt es zu
einer Retention der hydropho-
ben Lipide. Dadurch können
Lipide aus großen Volumina
konzentriert werden. Zusätzlich
können verschiedene Lipidkom-
ponenten entsprechend ihrer
Polarität voneinander getrennt
werden
694 H. Kühn

..      Tab. 28.1  Lösungsmittelgemische zur sequenziellen Elution der Lipide

Lipidklasse Lösungsmittelgemisch Volumenanteile

saure Phospholipide Hexan/Propanol/Ethanol/0,1 M Ammoniumacetat/Wasser/Ameisensäure 420:350:100:50:0,5


neutrale Phospholipide Methanol 1
freie Fettsäuren Diethylether/Eisessig 100:2

28 Neutrallipide ChIoroform/Isopropanol 2:1

Kartusche gesaugt. Dabei werden die Lipide an die Kar-


tuschenmatrix gebunden und können anschließend mit sollte bei tiefen Temperaturen (−80  °C) unter Aus-
kleinen Volumina organischer Lösungsmittel eluiert schluss von Licht und Sauerstoff (Argonatmosphäre)
werden. Für die Festphasenextraktion steht eine große erfolgen. Zusatz von Antioxidanzien (0,01 % 3,5-Di-t-
Anzahl chemisch modifizierter Kieselgele zur Verfü- butyl-4-­hydroxytoluol, BHT, bezogen auf die Lipid-
gung, wobei für die Extraktion von Lipiden vor allem menge) erhöht die Oxidationsstabilität von Lipidprä-
C8-, C18-, Phenyl-, NH2- bzw. Aminopropylkartuschen parationen. Als Lösungsmittel zur Lipidlagerung sind
verwendet werden. Methanol/Chloroform-Gemische (z.  B. 1:9 für Phos-
Neben der Extraktion von Lipiden werden Festpha- pholipide), Hexan (für Neutrallipide) bzw. reines Me-
senextraktionssysteme auch zur Grobfraktionierung thanol, nicht aber Diethylether geeignet.
von Lipiden eingesetzt. Aus einem Lipidextrakt des
menschlichen Blutplasmas können z.  B. mit einer
Aminopropyl-­Bond-Elute-Kartusche die in . Tab. 28.1   28.3  Methoden der Lipidanalytik
genannten Lipidklassen durch sequenzielle Elution mit
4 ml des jeweiligen Lösungsmittelgemischs eluiert wer- 28.3.1 Chromatographische Methoden
den. Es muss hier jedoch ausdrücklich darauf hingewie-
sen werden, dass sich Extraktionskartuschen verschie- Die dominierende Methode in der Lipidanalytik ist
dener Hersteller teilweise deutlich hinsichtlich ihrer die Chromatographie, hier vor allem die Flüssigkeits-
Extraktionseigenschaften unterscheiden. Deshalb sollte chromatographie und die Gaschromatographie. Die
man sich vor einem Experiment zunächst davon über- Einführung der hochauflösenden Dünnschichtchroma-
zeugen, ob ein der Literatur entnommenes Extraktions- tographie (HPTLC), die Entwicklung der hochauflö-
protokoll unter den gegebenen experimentellen Bedin- senden Flüssigkeitschromatographie (HPLC) und die
gungen reproduziert werden kann. Kapillargaschromatographie haben zu einer deutlichen
Bei der Flüssigphasenextraktion von Lipiden fallen Effektivierung der Lipidanalytik beigetragen. Durch
große Volumina verdünnter Extrakte an. Zur Konzent- chemische Modifizierung der klassischen flüssigkeits-
rierung kann das Lösungsmittel mithilfe eines Rotati- chromatographischen Matrix (Kieselgel) und durch die
onsverdampfers abdestilliert werden. Schaumbildung Synthese neuer stationärer Phasen wurde eine Vielzahl
während des Verdampfungsvorgangs kann durch Zu- verschiedenartiger Sorbenzien entwickelt, deren unter-
gabe geringer Mengen Ethanol eingeschränkt werden. schiedliche chromatographische Eigenschaften zur Lö-
Falls größere Mengen an Eisessig oder Wasser im Lipid- sung immer komplizierterer Trennprobleme ausgenutzt
extrakt vorhanden sind, können diese Nichtlipide aus wurden. Mit speziell entwickelten, optisch aktiven stati-
dem Extrakt durch azeotrope Destillation mit Toluol onären Phasen ist man heute in der Lage, sogar enantio-
oder 2-Propanol beseitigt werden. mere Lipide voneinander zu trennen, ohne diese vorher
in Diastereomere umzuwandeln.
Lipide sollten nicht in trockener Form, sondern als
28.3.1.1 Flüssigkeitschromatographie
konzentrierte Lösungen in Glasgefäßen mit Teflonver-
schluss gelagert werden. Die Verwendung von lösungs-
Zur Trennung von neutralen Lipiden wird vor allem die
mittelresistenten Polypropylengefäßen ist ebenfalls
Adsorptionschromatographie an einer Kieselgelmatrix
möglich. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden,
angewandt. Geladene Lipide werden in der Regel mittels
dass während der Lagerung bestimmte Substanzen
Ionenpaarchromatographie analysiert. Dabei bilden die
(Weichmacher) aus den Gefäßen in den Lipidextrakt
Lipidionen Komplexe mit gegensätzlich geladenen Io-
übergehen können und damit die Präparation verun-
nen, die in der mobilen Phase enthalten sein müssen.
reinigen. Eine Langzeitlagerung von Lipidextrakten
Diese Ionenkomplexe treten dann in Wechselwirkung
Lipidanalytik
695 28
mit der stationären Phase des chromatographischen kehrphasenchromatographie werden in der Lipidana-
Systems. Da der Ladungszustand der Lipide und damit lytik vor allem als HPLC-Verfahren (Reversed-­Phase-
die Ionenpaarbildung vom pH-Wert der mobilen Phase oder RP-HPLC bzw. Normalphasen- oder NP-HPLC)
abhängen, kann das chromatographische Verhalten der eingesetzt und können für spezielle Trennprobleme auch
geladenen Lipide durch gezielte Veränderung des pH-­ miteinander kombiniert werden.
Werts der mobilen Phase modifiziert werden. Will man
die flüssigkeitschromatographische Trennung eines Li- Veränderung der mobilen Phase  Für die Analytik der
pidgemischs optimieren, kann man das prinzipiell auf meisten Lipidklassen eignen sich kommerziell erhält-
zwei verschiedenen Wegen erreichen: liche Normalphasen- bzw. Umkehrphasensäulen. Eine
55 durch Modifizierung der stationären Phase Optimierung flüssigkeitschromatographischer Methoden
55 durch Modifizierung der mobilen Phase erfolgt deshalb im Labor vorwiegend über die Modifizie-
rung der mobilen Phase. Entsprechend der Zusammenset-
zung des Laufmittelsystems kann man zwischen isokra-
tischen Trennungen (Entwickeln des Chromatogramms
In der Regel sollte eine chromatographische Ana- mit einem Laufmittel definierter Zusammensetzung) und
lysestrategie biologisch relevanter Lipide mit der Gradiententrennungen (zeitliche Veränderung der Zu-
RP-HPLC beginnen. Dieses Verfahren ist weniger sammensetzung des Laufmittelsystems) unterscheiden.
störanfällig und normalerweise einfacher zu handha- Bei komplizierten säulenchromatographischen Trennun-
ben. Bei der NP-HPLC ungereinigter Lipidextrakte gen (z. B. Trennung verschiedener Lipidklassen, die einen
hat der Analytiker häufig mit technischen Problemen großen Polaritätsbereich abdecken) werden binäre, ter-
(z.  B.  Säulenverstopfung, schwankende Basislinie, näre bzw. quaternäre Gradientensysteme eingesetzt.
Löslichkeitsprobleme) zu kämpfen. Deshalb sollte die
NP-HPLC sollte vor allem zur Analytik vorgereinigter 28.3.1.2 Dünnschichtchromatographie
Lipidpräparationen angewandt werden. Zur Dünnschichtchromatographie (TLC, Thin Layer
Chromatography) von Lipiden werden heute überwie-
gend vorgefertigte Kieselgelplatten eingesetzt. Dabei be-
Veränderung der stationären Phase  In frühen Stadien der findet sich das Kieselgel als stationäre Phase in Form
Entwicklung der Flüssigkeitschromatographie wurden als einer dünnen Schicht (0,2 mm) auf einer Aluminiumfo-
stationäre Phasen vor allem Kieselgel oder Aluminium- lie, einer Glas- oder Kunststoffplatte. Die zu analysie-
oxid verwendet. Später ging man zunehmend dazu über, renden Lipide werden möglichst in einem leicht flüchti-
Kieselgel gezielt chemisch zu modifizieren bzw. syntheti- gen Lösungsmittel (Hexan, Chloroform) gelöst. Wasser
sche Polymere als Sorbenzien einzusetzen. Damit wurde sollte aus den Lipidlösungen durch azeotrope Destilla-
eine umfangreiche Palette stationärer Phasen entwickelt, tion entfernt werden, da es die Analytik erschwert. Die
die sich in ihren Trenneigenschaften erheblich voneinander Lipidpräparationen können dann mit einer Mikroliter-
unterscheiden. Derzeit stellen modifizierte Kieselgele den spritze oder besser mit einer Auftragskapillare als dünne
Hauptanteil der stationären Phasen in der Lipidanalytik. Bande auf einen vorher markierten Bereich der Kiesel-
Nicht modifiziertes Kieselgel ist eine polare chroma- gelplatte aufgetragen werden. Um die ­Probenapplikation
tographische Matrix mit einem variablen Wassergehalt. zu erleichtern, können auch kommerziell erhältliche
Um die Trenneigenschaften des Kieselgels zu verbessern, Auftragegeräte eingesetzt werden. Zwischen den einzel-
sollte das Wasser durch Erhitzen des Gels auf 150  °C nen Auftragsbanden sollte ein Abstand von 0,5−1  cm
entfernt werden. Diese Dehydratisierung hat besondere eingehalten werden, damit die Proben nicht ineinander
Bedeutung bei der dünnschichtchromatographischen laufen. Nachdem das Lösungsmittel der Auftragslösung
Trennung von Lipiden mit wasserfreien Laufmittelsyste- vollständig verdampft ist, kann die Platte in eine mit
men. Die Chromatographie an nicht modifiziertem Kie- Laufmittel gefüllte Kammer gestellt werden. Dabei ist
selgel wird als Normalphasenchromatographie (NP-LC) darauf zu achten, dass genug Laufmittel in der Kammer
bezeichnet und kann damit von der Umkehrphasen- vorhanden ist, sodass der untere Rand der Kieselgel-
chromatographie (Reversed-Phase-, RP-LC) abgegrenzt platte vollständig in das Lösungsmittel eintaucht. Auf
werden. der anderen Seite darf das Laufmittel anfangs nicht mit
Bei der Umkehrphasenchromatographie sind an die der Auftragszone in Kontakt kommen, da sonst aufge-
freien OH-Gruppen des Kieselgels funktionelle Grup- tragene Substanzen aus dem Kieselgel ins Laufmittel
pen, z. B. aromatische Ringe oder lange Kohlenwasser- eluiert werden könnten. Meist werden Dünnschicht-
stoffketten gekoppelt. Dadurch kehrt sich die Polarität chromatogramme unter sättigenden Bedingungen ent-
der stationären Phase um (unpolare chromatographische wickelt. Dabei ist die Atmosphäre in der Entwicklungs-
Matrix). Sowohl die Normalphasen- als auch die Um- kammer mit dem Dampf des Laufmittels gesättigt. Eine
696 H. Kühn

homogene Sättigung der Kammeratmosphäre kann da- Mit der Dünnschichtchromatographie kann der Rf-­
durch erleichtert werden, dass man mit Lösungsmittel Wert der Analytkomponenten ermittelt werden. Dieser
getränktes Filterpapier in die Kammer stellt. Für be- wurde als Quotient der Wanderungsstrecke der einzel-
stimmte Trennprobleme kommen aber auch nicht sätti- nen Analytkomponenten und der Wanderungsstrecke
gende Bedingungen infrage. des Laufmittels definiert und ist damit immer kleiner/
Nachdem die Dünnschichtplatte in die Kammer ge- gleich eins. Er entspricht dem Retentionsvolumen bzw.
stellt wurde, beginnt das Laufmittel infolge der Kapil- der Retentionszeit in der Säulenchromatographie. Es sei
larkräfte in der Kieselgelschicht nach oben zu wandern. an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Rf-Wert
28 Dabei werden die einzelnen Komponenten des zu tren- keine absolute Stoffkonstante ist. Rf-Werte hängen von
nenden Lipidgemisches entsprechend ihrer Affinität zur den chromatographischen Bedingungen ab und können
stationären Phase unterschiedlich stark vom Fließmittel für eine Substanz sehr unterschiedlich sein. Deshalb ist
mitgenommen. So werden bei der Trennung von Neut- der Rf-Wert einer Substanz mit dem eines Standards nur
rallipidgemischen auf polaren Kieselgelplatten die stär- dann vergleichbar, wenn beide Werte unter absolut iden-
ker polaren Monoacylglycerine stärker reteniert als die tischen chromatographischen Bedingungen, d.  h. auf
unpolaren Triacylglycerine. derselben TLC-Platte, bestimmt worden sind.
Neben der klassischen Einfachentwicklung von
Dünnschichtchromatogrammen haben sich im Lauf der
In der Regel sollte die Chromatographie abgebrochen Zeit spezielle Entwicklungstechniken etabliert, mit de-
werden, wenn die Lösungsmittelfront bis auf 1–2  cm nen die Trennergebnisse optimiert werden können.
an den oberen Rand der TLC-Platte heran gelaufen ist.
Bei langsam laufenden Lösungsmittelgemischen, die
Mehrfachentwicklung  Bei der konventionellen Mehr-
häufig Wasser enthalten, sollte die Chromatographie
früher abgebrochen werden, da sich bei zu langen
fachentwicklung wird ein Chromatogramm zuerst mit ei-
Laufzeiten eine starke Bandenverbreiterung negativ
nem Fließmittelsystem hoher Elutionskraft entwickelt.
bemerkbar macht.
Danach wird das Lösungsmittel verdampft und eine er-
neute Chromatographie mit einem Fließmittelsystem ge-
ringerer Elutionskraft in der gleichen Richtung durchge-
Zur Visualisierung und Quantifizierung von Dünn- führt. Diese Prozedur kann mehrmals wiederholt werden.
schichtchromatogrammen gibt es mehrere Methoden, Der Vorteil der Mehrfachentwicklung besteht darin, dass
wobei sich für die Lipidanalytik die Fluoreszenzdensi- die Substanzzonen bei jedem Chromatographieschritt
tometrie am besten eignet. Das entwickelte Chromato- konzentriert werden und durch die Gradientenelution
gramm wird mit einer Lösung eines Fluoreszenzindika- eine bessere Auflösung bestimmter Substanzen erreicht
tors, z. B. 1 mM 6-p-Toluidino-2-naphthalinsulfonsäure wird.
(gelöst in 50 mM TrisHCl), imprägniert. Nach Bestrah- Bei der automatisierten Form der Mehrfachentwick-
lung mit UV-Licht emittiert der Indikator sichtbares lung (AMD, Automated Multiple Development) wird das
Licht, wenn er in einer hydrophoben Umgebung, z.  B. Chromatogramm in 20–30 Segmente aufgeteilt, wobei
einer Lipidbande, lokalisiert ist. Da die Fluoreszenz jedes Segment 2–4 mm länger sein sollte als das vorher-
jedoch relativ schnell verblasst, sollte man das Fluoro- gehende. Nach dem Auftragen wird das Chromato-
gramm möglichst schnell fotografieren. Durch Auflicht- gramm mit einem Fließmittelsystem hoher Elutions-
densitometrie kann dann das Foto quantitativ ausge- stärke entwickelt, bis die Lösungsmittelfront die obere
wertet werden. Alternativ können Lipidbanden auch Grenze des ersten Segments erreicht hat. Danach wird
mit 4-(N,N-Dihexadecyl)amino-7-­nitrobenz-­2-oxa-1,3- die Platte getrocknet und im zweiten Chromatographie-
diazol (NBD-Dihexadecylamin) sichtbar gemacht wer- schritt mit einem Fließmittelsystem entwickelt, dessen
den. Dieser lipidlösliche Fluoreszenzfarbstoff wird dem Elutionskraft etwas unter der des ersten Fließmittelsys-
Laufmittel in einer Konzentration von 0,02–0,05 % zu- tems liegt. Hat die Fließmittelfront die obere Grenze des
gesetzt und verteilt sich während der Chromatographie zweiten Segments erreicht, wird der zweite Schritt abge-
gleichmäßig über das gesamte Chromatogramm. Die brochen, die Platte erneut getrocknet und die Chroma-
resultierenden Fluorochromatogramme können dann tographie mit einem dritten Fließmittelsystem fortge-
direkt durch Auflichtdensitometrie quantifiziert werden. setzt, dessen Elutionsstärke unter der des zweiten
Bei vielen kommerziell erhältlichen TLC-Platten werden Fließmittelsystems liegt. Die Vorteile der AMD liegen
Fluoreszenzindikatoren vom Hersteller bereits in die vor allem in der äußerst geringen Bandenbreite der ein-
stationäre Phase eingearbeitet. Weitere Färbemethoden zelnen Fraktionen (0,2–2 mm) und der damit verbunde-
sind die reversible Iodfärbung, die vor allem ungesättigte nen hohen Substanzkonzentrierung pro Bande. Außer-
Lipide anfärbt, oder die Verkohlung mit Schwefelsäure. dem ist das Auflösungsvermögen gegenüber der
Lipidanalytik
697 28
einstufigen Entwicklung deutlich erhöht. Durch kom- erst). Bei Umkehrphasentrennungen an unpolaren C8-
plette Automatisierung konnte der hohe Arbeitsauf- oder C18-Phasen werden häufig Lösungsmittelgemische
wand bei der Mehrfachentwicklung deutlich reduziert aus Methanol, Acetonitril und Wasser verwendet. Hier
werden. werden die Substanzen entsprechend ihrer zunehmen-
den Hydrophobizität eluiert (hydrophile Lipide zuerst).
Zweidimensionale Dünnschichtchromatographie  Bei der Bei der Ionenpaarchromatographie, die in der Lipidana-
zweidimensionalen Dünnschichtchromatographie kann lytik besonders zur Trennung geladener Phospholipide
im ersten Chromatographieschritt eine Grobtrennung eingesetzt wird, müssen den Laufmittelsystemen Gegen-
einzelner Lipidklassen (z. B. Trennung von Phospholipi- ionen (z. B. Triethylamin, Cholinchlorid oder Pufferio-
den und Neutrallipiden) erfolgen. Nach Verdampfung des nen) zugesetzt werden.
Lösungsmittels wird die Platte um 90° gedreht und in der Ein besonderes Problem in der Lipidanalytik ist die
zweiten Dimension mit einem anderen Fließmittel entwi- Detektion der getrennten Lipidfraktionen. Üblicher-
ckelt, das für die Aufspaltung einer bestimmten Lipid- weise sind HPLC-Anlagen mit UV-Detektoren ausge-
klasse (z. B. Subklassifizierung der Phospholipide) geeig- rüstet, die aber in der Lipidanalytik nur bedingt einsetz-
net ist. Der Nachteil der zweidimensionalen Entwicklung bar sind. Lediglich Lipide, die aromatische Systeme oder
besteht darin, dass für einen Lipidextrakt eine ganze konjugierte Doppelbindungen enthalten, sind aufgrund
Chromatographieplatte benötigt wird. Somit können ver- ihrer charakteristischen Chromophoren mit UV-Detek-
schiedene Proben nicht mehr direkt auf einer Platte mit- toren gut nachweisbar. Lipide mit ungesättigten Fett-
einander verglichen werden. säuren können aufgrund der Restabsorption der Dop-
pelbindungen bei 205 nm mit normalen UV-­Detektoren
28.3.1.3 Säulenchromatographie identifiziert werden. Bei manchen Lipidklassen, die
Im Gegensatz zur Dünnschichtchromatographie ist in keine charakteristischen Chromophore enthalten, ist
der Säulenchromatographie die stationäre Phase in eine es möglich, durch Vor- oder Nachsäulenderivatisierung
Säule gepackt und wird von der mobilen Phase kontinu- chromophore oder fluorophore Gruppen in die zu ana-
ierlich durchströmt. Offene, selbst gepackte Säulen wer- lysierenden Moleküle einzuführen.
den kaum noch verwendet, seit es vorgefertigte Als Alternative zur UV-Detektion können in der Li-
HPLC-Säulen für die Lipidanalytik zu kaufen gibt. Für pidanalytik Refraktionsindexdetektoren verwendet wer-
die HPLC-Analytik von Lipiden benötigt man neben den. Der Einsatz von Evaporate Light Scattering Detec-
einer geeigneten Säule, die die stationäre Phase enthält, tors (ELSD) hat sich für die Lipidanalytik jedoch nicht
eine bzw. mehrere Pumpen, die den Lösungsmittelfluss durchgesetzt. Bei diesen Detektoren wird das Laufmittel
gewährleisten, einen Gradientenmischer und einen ge- in der Messzelle schnell verdampft. Die nicht flüchtigen
eigneten Detektor. Lipide schlagen sich als kleine Tröpfchen in der Mess-
Als stationäre Phasen werden in der Lipidanalytik kammer nieder, die das einfallende Laserlicht streuen.
vor allem nicht modifizierte und modifizierte Kieselgele Da die Menge des niedergeschlagenen Lipids proportio-
verwendet, die folgende funktionelle Gruppen tragen: nal der Lichtstreuung ist, können die Chromatogramme
Cyanopropyl, Aminopropyl, Diol, Silberionen (Nor- quantifiziert werden.
malphasentrennungen); C18, C8, Phenyl (für Umkehr- Auch Flammenionisationsdetektoren (FID) wur-
phasentrennungen); DEAE, TEAE (für Ionenaus- den für die HPLC entwickelt. Wie bei den ELSD-­
tauschtrennung); Cyclodextrin bzw. Pirkle-­Phasen (für Detektoren muss auch hier das Lösungsmittel vor der
Enantiomerentrennungen). Eine methodische Neuent- Ionisierung von den eluierten Lipiden abgetrennt wer-
wicklung stellt die HPLC mit Narrow-Bore-Säulen dar. den. Für Arbeiten mit radioaktiven Lipiden stehen
Aufgrund des feinkörnigen Füllmaterials (<3  μm) und Online-­
­ Radioaktivitätsdetektoren zur Verfügung, die
des geringen Säulendurchmessers (1 mm) können minia- wahlweise mit Feststoffszintillatoren oder mit Zumisch-
turisierte Säulen verwendet werden, ohne dass die zellen für Flüssigszintillatoren ausgerüstet sind. Fest-
Trennleistung darunter leidet. Dadurch verringert sich stoffszintillationszellen sind bequemer in ihrer Anwen-
die benötigte Lösungsmittelmenge beträchtlich (Fluss- dung, in der Regel aber weniger empfindlich.
raten von 20–200 μl min−1). Ungesättigte Lipide bilden leicht Peroxide. Für be-
In der Normalphasenchromatographie (polares Kie- stimmte Fragestellungen ist es von großem Interesse,
selgel als stationäre Phase) werden vor allem unpolare solche Peroxylipide zu quantifizieren. Zu diesem Zweck
Laufmittelsysteme (z.  B.  Hexan/Isopropanol- oder kann der Eluent einer HPLC-Säule mit einer Lösung
Chloroform/Methanol-Mischungen) als mobile Phasen von Isoluminol und Mikroperoxidase gemischt und die
verwendet. Dabei werden die Substanzen in der Reihen- dabei auftretende Chemilumineszenz in einem Lumino-
folge steigender Polarität eluiert (unpolare Lipide zu- meter online gemessen werden (. Abb. 28.4).

698 H. Kühn

+ e–

LOOH + Mikroperoxidase LO + OH– (1)


LO + Isoluminol (QH) LOH + Semichinonradikal (Q– ) (2)

Q + O2 Q + O2– (3)
Q– + O2– Isoluminolendoperoxid Licht (4)

..      Abb. 28.4  Prinzip der Chemilumineszenzdetektion von Hydro- ten Reaktionen ab. Das dabei entstehende Licht kann als Maß für

28 peroxylipiden. Nach dem Zumischen von Isoluminol und Mikroper-


oxidase zum Säuleneluat laufen in der Messzelle die hier aufgeführ-
die Peroxidkonzentration quantifiziert werden. LOOH Hydropero-
xylipid, LO• Alkoxyradikal, O2–• Superoxidradikal

28.3.1.4 Gaschromatographie Säulen mit geringen Filmdicken eignen sich besonders


Im Unterschied zur Flüssigkeitschromatographie ist die für die Analytik von hoch siedenden Verbindungen, wie
mobile Phase bei der Gaschromatographie ein Trägergas. Fettsäuren und Triacylglycerinen. Für die Lipidanalyik
Mit der Gaschromatographie können nur Lipide ana- werden als Trennphasen vor allem Polysiloxanderivate
lysiert werden, die sich bei Temperaturen bis zu 350 °C geringer Polarität eingesetzt, die eine hohe Thermosta-
ohne Zersetzung verdampfen lassen. Das trifft auf deri- bilität aufweisen. Da es sich bei den meisten Lipiden um
vatisierte Fettsäuren zu, auf Sterolderivate, derivatisierte hoch siedende Verbindungen handelt, ist die Thermo-
Mono- und Diacylglycerine sowie auf kurzkettige Tri- stabilität der Trennphasen von entscheidender Bedeu-
acylglycerine. Die Carboxygruppe von freien Fettsäuren tung. Liegen zur Polarität der zu analysierenden Lipide
muss vor der Analyse jedoch methyliert werden. Freie kaum Informationen vor oder decken die Analyten ei-
OH-Gruppen werden häufig silyliert, z. B. durch Umset- nen großen Polaritätsbereich ab, sollte bei der Entwick-
zung mit Bis(trimethylsilyl)-trifluoracetamid (BSTFA) lung eines Analyseprotokolls initial eine schwach polare
oder einem anderen Silylierungsmittel. Ketone und „Universalsäule“ (z.  B. 5  % Phenylsiloxan) verwendet
Aldehyde werden durch Reaktion mit Methoxyamin- werden. Die meisten Firmen, die Kapillarsäulen anbie-
hydrochlorid (2-Amino-1-(2,5-­dimethoxyphenyl)pro- ten, liefern auf Nachfrage umfangreiche Applikations-
pan-1-ol-Hydrochlorid) in Pyridin zu den entsprechen- hinweise, aus denen hervorgeht, welche Säulen für be-
den Methoximen umgewandelt. Da die Wechselwirkung stimmte Trennprobleme am besten geeignet sind.
der zu analysierenden Substanzen mit der stationären Die Lipidtrennung auf unpolaren Gaschromatogra-
Phase temperaturabhängig ist, kann durch Verände- phiesäulen erfolgt vorwiegend nach der Anzahl der in
rung der Säulentemperatur das Retentionsverhalten der den Lipiden enthaltenen Kohlenstoffatome, während
Analytkomponenten variiert werden. Deshalb wird in sich bei polaren und mäßig polaren Säulen andere
der Gaschromatographie die Säulentemperatur meist Strukturparameter (z. B. Anzahl, Position und Geomet-
in Form eines ansteigenden linearen bzw. nichtlinearen rie von Doppelbindungen) stärker bemerkbar machen.
Gradienten verändert. Dieser Temperaturgradient spielt Da die Retentionszeiten in der Gaschromatographie
in der Gaschromatographie eine ähnliche Rolle wie die nicht immer konstant sind, wurde zur Charakterisie-
Fließmittelzusammensetzung in der Flüssigkeitschro- rung unbekannter Lipidkomponenten der sog. C-Wert
matographie. eingeführt. Dazu sollte das chromatographische System
Für die gaschromatographische Lipidanalytik kön- vor jeder Analysenserie mit einer Referenzmischung aus
nen sowohl gepackte Säulen als auch Kapillarsäulen gesättigten Kohlenwasserstoffen „geeicht“ werden
verwendet werden. Gepackte Säulen sind im Durch- (. Abb.  28.5). Hexan wird mit einem C-Wert von 6,

schnitt 1–2  m lang, haben einen inneren Durchmesser Dodecan mit einem C-Wert von 12 eluiert. Für den Met-
von 2–4 mm und sind mit einer inerten Matrix gefüllt, hylester der Linolsäure (9-cis,12-cis-­Octadecadiensäure)
die mit einer Trennphase gleichmäßig beschichtet ist. wurde von uns ein C-Wert von 21,1 bestimmt.
Für die Trennung von Lipiden werden als Trennphasen
hauptsächlich unpolare, thermostabile Siliconelasto-
mere wie OV-1, OV-101, SP2100 oder SE-30  in einer 28.3.2 Massenspektrometrie
Konzentration von 1–3 % eingesetzt. Das gleichmäßige
Packen funktionstüchtiger Säulen erfordert große Er- Ähnlich wie bei der Gaschromatographie müssen im
fahrung und gelingt selten beim ersten Versuch. ersten Schritt der massenspektrometrischen Analyse die
Kapillarsäulen sind wegen ihres besseren Trennver- zu untersuchenden Lipide in die Gasphase überführt
mögens den gepackten Säulen meist überlegen. Sie ha- werden. Das geschieht in den meisten Fällen durch Er-
ben eine Länge von 15–30 m, einen inneren Durchmes- höhung der Temperatur und durch Absenkung des
ser von 0,15–0,5  mm und sind auf der Innenseite mit Drucks (Hochvakuum). Schwer verdampfbare Lipide
einem dünnen Trennphasenfilm (0,1–5 μm) beschichtet. (geladene Phospholipide) können durch Beschuss mit
Lipidanalytik
699 28
..      Abb. 28.5  „Eichung“ eines gaschromatogra-
phischen Systems mit einem Gemisch langkettiger
Kohlenwasserstoffe. Zur Bestimmung der C-Werte
verschiedener Analyten wurde ein Gemisch
langkettiger Kohlenwasserstoffe (C20–C34) auf einer
HP-1-­Kapillarsäule (12 m × 0,2 mm, Filmdicke
0,33 μm) aufgetrennt. Temperaturprogramm: 2 min
bei 180 °C, dann mit 5 °C min−1 auf 280 °C und
15 min isothermer Nachlauf. Die Zahlen über den
Peaks geben die Anzahl der Kohlenstoffatome der
gesättigten Kohlenwasserstoffe an

energiereichen Teilchen (Fast Atom Bombardement, Im Gegensatz zur Elektronenstoßionisierung und


FAB) oder mit einem Laserstrahl (laser desorption) von zur chemischen Ionisierung, die beide nur im V ­ akuum
einer Matrix abgelöst werden (MALDI). ablaufen, erfolgt die Elektrosprayionisierung bei
Sollen ungeladene Lipide massenspektrometrisch ­Normaldruck (7 Abschn.  16.2) und eignet sich da-

untersucht werden, müssen sie nach dem Verdampfen mit für die Online-Kopplung von Massenspektroskopie
ionisiert werden. Die bevorzugten Ionisierungsarten in mit flüssigkeitschromatographischen Analysemetho-
der Lipidanalytik sind derzeit die Elektronenstoßioni- den (7 Abschn. 28.3.5). Die Elektrosprayionisierungs-­

sierung (Electron Impact Ionization, EI), die chemische Massenspektrometrie (ESI-MS) stellt heute die wichtigste
Ionisierung (Chemical Ionization, CI), die Elektrospray- methodische Grundlage für die Charakterisierung zellulä-
(ESI-) oder die Thermosprayionisierung (TSI). Bei der rer Lipidome dar (7 Abschn. 28.6).

ESI werden die zu analysierenden Lipidmoleküle im


Hochvakuum der Ionenquelle des Massenspektrome-
ters mit Elektronen hoher Energie (ca. 70 eV) beschos- 28.3.3 Immunassays
sen, wobei die Lipide in charakteristischer Weise frag-
mentiert werden. Bei der chemischen Ionisierung (CI), Für die Quantifizierung von Lipidhormonen (z. B. Ste-
einer weichen Ionisierungsart, kommt es kaum zur Mo- roiden, Eicosanoiden) in biologischen Flüssigkeiten ste-
lekülfragmentierung. Es werden hauptsächlich geladene hen Immunassays zur Verfügung, die in der Regel eine
Molekülionen gebildet. Eine Sonderform der chemi- hohe Empfindlichkeit und eine hohe Spezifität besitzen.
schen Ionisierung, die in der Lipidanalytik u. a. bei den Die hohe Spezifität ist auf die Verwendung monoklona-
Eicosanoiden angewandt wird, ist die electron capture ler Antikörper zurückzuführen, die große Empfindlich-
mass spectrometry. Bei der Wechselwirkung hochenerge- keit beruht auf der hohen Sensitivität des Detektions-
tischer Elektronen mit einem Reaktionsgas in der Ioni- systems. Hinsichtlich ihrer Detektionssysteme können
sationskammer werden die Elektronen so weit abge- Immunassays in Radioimmunassays, Enzymimmunas-
bremst (thermische Elektronen), dass sie von stark says, Fluoreszenzimmunassays und Chemilumineszen-
elektrophilen Gruppen des Analyten eingefangen wer- zimmunassays eingeteilt werden. Mehrere Firmen bie-
den können, ohne dass dabei das Molekül fragmentiert ten komplette Testkits für verschiedene Lipidhormone
wird. Dabei entstehen aus ungeladenen Analytmolekü- an, die alle zur Bestimmung nötigen Reagenzien (ein-
len negativ geladene Analytionen. In Naturstoffen kom- schließlich der Quantifizierungsstandards) enthalten.
men solche stark elektrophilen Gruppen kaum vor, sie Kritisch muss hier allerdings angemerkt werden, dass
können aber durch Derivatisierung in die Analytmole- die Spezifität der verwendeten Antikörper oftmals nicht
küle eingeführt werden. Zum  Beispiel entstehen durch hinreichend charakterisiert ist und Kreuzreaktivitäten
die Reaktion freier Carboxygruppen mit Pentafluorben- mit unverwandten Substanzen nie völlig ausgeschlossen
zoylchlorid entsprechende Pentafluorbenzoylester, die werden können. So liegen z.  B. die Messergebnisse bei
thermische Elektronen leicht einfangen können. Da eine der Quantifizierung bestimmter Eicosanoide mittels
Analytfragmentierung bei dieser Ionisierungsart keine kommerzieller Immunassays deutlich höher als bei der
Rolle spielt, eignet sie sich bestens zur Bestimmung des Quantifizierung mithilfe physiko-chemischer Analyse-
Molekulargewichts der Analytmoleküle. methoden (HPLC, LC-MS).
700 H. Kühn

28.3.4  eitere Methoden in der


W teme umgewandelt werden. Diese konjugierten Diensys-
Lipidanalytik teme haben ein charakteristisches UV-Spektrum mit
einem Absorptionsmaximum zwischen 230–235 nm und
Lipide bestehen im Wesentlichen aus Kohlenstoff, Was- einen relativ hohen molaren Absorptionskoeffizienten
serstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Phosphor. Andere (25.000  M−1cm−1). Neben konjugierten Dienen entste-
Elemente spielen kaum eine Rolle. Deshalb kann sich hen bei der Oxidation höher ungesättigter Fettsäuren
die quantitative Elementaranalyse in der Regel auf diese (z.  B.  Octadecatriensäure, Eicosatetraensäure, Eicosa-
Elemente beschränken. Aus den Daten der Elementar- pentaensäure, Docosahexaensäure) auch konjugierte
28 analyse lassen sich wichtige Schlussfolgerungen hin- Triene, konjugierte Tetraene und konjugierte Ketodiene,
sichtlich der Struktur gereinigter Lipidfraktionen zie- die ebenfalls durch charakteristische UV-Chromophore
hen. Wesentliche Voraussetzung für die Elementaranalyse ausgezeichnet sind (. Tab. 28.2).

ist eine hohe Reinheit der zu analysierenden Lipidfrak- Die 1H-, 13C- und 31P-NMR-Spektroskopie spielen
tion, was durch wiederholte HPLC-Präparation an ver- bei der Strukturaufklärung von Lipiden eine zuneh-
schiedenen stationären Phasen erreicht werden kann. mende Rolle. Mit ihnen können detaillierte Informatio-
Besondere Bedeutung für die Quantifizierung von Phos- nen zur Position und Geometrie von C=C-­
pholipiden hat die Phosphatbestimmung in Lipidex- Doppelbindungen in den Fettsäuren sowie zur Art und
trakten (7 Abschn. 28.4).

zur Position funktioneller Gruppen erhalten werden
Gelegentlich wird zur Strukturidentifizierung gerei- (. Abb. 28.6). Die wachsende Rolle der NMR-Spektro-

nigter Lipidfraktionen die Infrarotspektroskopie (IR) skopie bei der Lipidanalytik ist zum einen auf die Ent-
eingesetzt. Obwohl der Informationsgehalt der Spektren wicklung immer leistungsfähigerer Kernresonanzspekt-
begrenzt ist, liefern sie Hinweise auf das Vorhandensein rometer, zum anderen auf die Perfektionierung der
bestimmter funktioneller Gruppen (z. B. freie OH- bzw. chromatographischen Methoden zur Lipidreinigung
Ketogruppen). Konventionelle IR-­Spektrometer besit- zurückzuführen. Mit 600-MHz-Geräten sind informa-
zen eine für die Bioanalytik zu geringe Empfindlichkeit. tive Lipidspektren mit Substanzmengen zwischen 10–
Mit dem Einsatz der Fourier-Transform-IR-Spektros- 50  μg möglich. Um gute NMR-Spektren zu erhalten,
kopie (FT-IR) können jedoch auswertbare Spektren be- sollten die zu untersuchenden Lipide eine Reinheit von
reits im Mikrogrammbereich erhalten werden. Eine über neunzig Prozent aufweisen. Diese Reinheit sollte in
klassische Methode zur Bestimmung des Anteils an mehreren chromatographischen Systemen (z.  B.  RP-
trans-Fettsäuren in Lipidextrakten ist die Quantifizie- HPLC, NP-­HPLC und GC) dokumentiert sein. Beson-
rung der IR-Bande zwischen 900–1000 cm−1. ders problematisch für die NMR-Analytik ist die Tatsa-
Die UV/Vis-Spektroskopie spielt in der allgemeinen che, dass es bei den Lipiden viele isomere Verbindungen
Lipidanalytik eine eher untergeordnete Rolle, hat aber (Positionsisomere, geometrische Isomere usw.) gibt, die
große Bedeutung für die Analyse von Lipidperoxidati- chromatographisch teilweise nur schwer voneinander zu
onsprodukten. Die biologisch wichtigen, mehrfach un- trennen sind, in der NMR jedoch unterschiedliche Sig-
gesättigten Fettsäuren enthalten ein oder mehrere nale liefern. Eine hohe Isomerenreinheit ist deshalb eine
1,4-cis,cis-Doppelbindungssysteme, die bei der Lipidpe- wesentliche Voraussetzung für gut interpretierbare
roxidation in cis,trans- oder trans,trans-konjugierte Sys- NMR-Spektren. Erreicht wird diese durch die Kombi-

..      Tab. 28.2  UV-Chromophore oxidierter Fettsäuren

Chromophor λmax (in nm) ε (in M−1 cm−1) Spektrum

konjugiertes Dien 231 nm (F,E) 24.000


(–C=–C=C–) (Kurve 1) 1 2
z. B. 15-HETE 235 nm (Z,E)
(Kurve 2)
Intensität

250 300 λ in nm
Lipidanalytik
701 28

..      Tab. 28.2 (Fortsetzung)

Chromophor λmax (in nm) ε (in M−1 cm−1) Spektrum

konjugiertes Trien 268 nm 32.000


(–C=C–C=C–C=C–)
z. B. LT B4

Intensität
250 300 λ in nm

konjugiertes Tetraen 301 nm 50.000


(–C=C–C=C–C=C–
C=C–)
z. B. LX B4

Intensität

250 300 350 λ in nm

konjugiertes Ketodien 270 nm 24.000


(–C–C=C–C=C–)

O
Intensität

z. B. 13-KODE

250 300 λ in nm

HETE: Hydroxyeicosatetraensäure, LT: Leukotrien, LX: Lipoxin, KODE: 13-Keto-cis,trans-Δ9,11Octadecadiensäure

..      Abb. 28.6  Ausschnitt aus OH


dem 1H-NMR Spektrum der OH
H3C 15 12
5S,14R,15S-­Trihydroxy-­6E, 8Z, 8,9 COOH
14 10 7 6
13 5
I0E, I2E-eicosatetraensäure 11
(Lipoxin B4). Die Geometrie der OH 9 8
Doppelbindungen (cis, trans)
wurde aus den Kopplungskons-
tanten der olefinischen Protonen
OH5,14

bestimmt 11 13 6
12 5 14
7 10
OH15

15

6,5 5,5 4,5 3,5


chemische Verschiebung in ppm
702 H. Kühn

mAbs
800 A

b c
d

28 0

220

240

260

280

300
nm 0 3 6 9 12 15 18 21 min
800 800
B C

600 600
Absorption

Absorption

400 400

200 200

0 0
0 5 10 15 20 200 220 240 260 280
Retentionszeit in Minuten Wellenlänge in nm

..      Abb. 28.7  Dreidimensionales Chromatogramm einer Mischung gramm (Schnitt des dreidimensionalen Chromatogramms parallel
von Hydroxylinolsäureisomeren, aufgenommen mit einem Dioden- zur X-Achse bei der Wellenlänge von 235  nm); C UV-­Spektrum
arraydetektor. Eine Mischung von Hydroxylinolsäureisomeren der Hauptkomponente (Schnitt des dreidimensionalen Chro-
wurde mittels NP-HPLC mit dem Laufmittel Hexan/Isopropanol/ matogramms parallel zur y-Achse bei 7,3  min). (a) 13-Hydroxy-­
Eisessig (100:2:0,1 Volumenanteile) an einer Nucleosil-50-Säule cis,trans-Δ9,11-octadecadiensäure, (b) 13-Hydroxy-trans,trans-Δ9,11-­
(250 mm × 5 mm, 7 μm Partikelgröße) isokratisch getrennt. A Drei- octadecadiensäure, (c) 9-Hydroxy-trans,cis-Δ10,12-octadecadiensäure,
dimensionales Chromatogramm; B zweidimensionales Chromato- (d) 9-Hydroxy-­trans,trans-Δ10,12-octadecadiensäure

nation verschiedener chromatographischer Reinigungs- Kopplung von HPLC und UV/Vis-Spektroskopie  Durch
verfahren einschließlich einer Enantiomerentrennung. die Entwicklung des Diodenarray-­ Durchflussdetektors
wurde es möglich, zu jedem Zeitpunkt eines Chromato-
gramms das komplette UV/Vis-Spektrum der Substan-
28.3.5 Online-Kopplung verschiedener zen aufzuzeichnen, die sich zu einem bestimmten Zeit-
Analysesysteme punkt in der Messzelle des Detektors befinden, ohne
dabei die Chromatographie zu unterbrechen. Die mit
Große Fortschritte in der Analysetechnik wurden durch dem Diodenarraydetektor erhaltenen Daten können als
die Online-Kopplung verschiedener analytischer Ver- dreidimensionales Chromatogramm ausgedruckt wer-
fahren erreicht. Eine wesentliche Voraussetzung für den (. Abb.  28.7), bei dem die Retentionszeit auf der

diese Entwicklung war der starke Aufschwung der Da- x-Achse, die Lichtabsorption auf der y-Achse und die
tenverarbeitung und Computertechnik, ohne die die Wellenlänge auf der z-Achse aufgetragen werden. In der
Datenvielfalt, die bei solchen Online-Kopplungen an- Lipidanalytik wird der Diodenarraydetektor besonders
fällt, nicht handhabbar wäre. beim Nachweis oxidierter Lipidspezies genutzt, da diese
Lipidanalytik
703 28
Substanzen meist konjugierte Doppelbindungssysteme die meisten Lipide niedermolekulare Verbindungen mit
(Diene, Triene, Tetraene) enthalten und daher charakte- geringen Molekulargewichten sind, kann man sie mit
ristische UV-­Spektren liefern. massensensitiven Gaschromatographiedetektoren unter-
suchen. Diese massensensitiven Detektoren sind einfache
Kopplung von HPLC und Massenspektrometrie Quadrupolmassenspektrometer, die mit Elektronenstoß-
(LC-MS)  Mit der Einführung der Elektrosprayionisie- ionisierung arbeiten und nur einen begrenzten Massenbe-
rung hielt die LC/MS-Kopplung auch in die Lipidanaly- reich (bis ca.  1000  Da) abdecken. Trotz dieses einge-
tik Einzug. Prinzipiell können mit dieser Methode alle schränkten Massenbereichs eignen sich massensensitive
geladenen und ungeladenen Lipide analysiert werden, vo- Detektoren zur Strukturaufklärung vieler einfacher Li-
rausgesetzt, sie lassen sich mit dem Elektrosprayverfahren pide (. Abb. 28.8).

ionisieren. Um die Ionenquelle des Massenspektrometers


zu schonen, sollte bei den üblichen HPLC-Flussraten von Tandemmassenspektrometrie (MS/MS)  Bei der Tandem-
1 ml min−1 der Lösungsmittelstrom nach der Säule auf- massenspektrometrie werden zwei Massenspektrometer
gespalten werden, wobei nur ein Zehntel (ca. 100 μl min−1) miteinander gekoppelt, wobei das erste Gerät zur Selektion
in die Ionisierungskammer geleitet wird. Alternativ zum bestimmter Molekülionen dient, die dann im zweiten Mas-
Eluentsplitting können Narrow-­Bore-­Säulen zur HPLC senspektrometer fragmentiert werden. Aus dem Fragmen-
verwendet werden, die mit wesentlich geringeren Flussra- tierungsmuster können Informationen zur Struktur der
ten betrieben werden können und sich für die meisten Analytmoleküle gewonnen werden. Die MS/MS-Kopplung
Trennungen der Lipidanalytik eignen. kann problemlos für die Analytik geladener bzw. leicht io-
nisierbarer Lipide (z. B. Phospholipide) eingesetzt werden.
Kopplung von Gaschromatographie und Massenspektro- Für die Analytik von Neutrallipiden (z. B. Triacylglycerine,
metrie (GC-MS)  Da bei der Kapillargaschromatographie Cholesterolester) müssen hingegen erst geeignete Ionisie-
sehr geringe Flussraten des Trägergases verwendet wer- rungsbedingungen gefunden werden. So bilden beispiels-
den, ist es möglich, den Eluenten einer Kapillarsäule über weise Triacylglycerine mit Lithiumionen anionische Kom-
eine Schnittstelle direkt in die Ionenquelle eines Massen- plexe, die problemlos mittels ESI-MS analysiert werden
spektrometers einzuleiten, ohne dabei das dort herr- können. Eine besondere Bedeutung hat die MS/MS-Tech-
schende Hochvakuum zu zerstören. Damit können alle nik für die Analytik komplexer Lipidgemische (zelluläre
Lipide, die mittels Gaschromatographie analysierbar Lipidome), wie sie bei einer Folch-­Extraktion aus tierischen
sind, auch massenspektrometrisch untersucht werden. Da oder pflanzlichen Geweben anfallen.

O
..      Abb. 28.8 Massenspektrum
des Trilinoleins. Vorschläge zur H2 C O C C

Struktur der detektierten Ionen


gehen aus dem Fragmentierungs-
O
muster hervor. Das Molekülion
C O C H 337 382
besitzt ein m/z-Verhältnis von
879, liegt aber auch in protonier- 260
ter Form (m/z 880) vor. Der
Basispeak im informativen
100 H2 C O C C
Bereich des Spektrums ist auf 55
O
das RO+-Ion zurückzuführen.
599
Erfahrungsgemäß gehen bei der 260 600
EI-lonisierung ungesättigter 600
Triacylglycerine drei Wasser- 67
stoffatome des RO+-Ions
verloren (theoretisches m/z 263,
relative Intensität

beobachtetes m/z 260) 81


337

382
95

366 879

0
50 250 450 650 850
m /z
704 H. Kühn

28.4  Analytik ausgewählter Lipidklassen Gradienten jedoch nur einen flachen Polaritätsanstieg
aufweisen. Beispielsweise werden zu Normalphasen-
28.4.1 Gesamtlipidextrakte trennungen ternäre bzw. quaternäre ­ Gradienten von
Hexan, Isopropanol und Wasser bzw. Isooctan, Isopro-
Ein Lipidextrakt aus biologischem Material enthält panol, Tetrahydrofuran und Wasser eingesetzt. Da nicht
viele Lipidklassen, die sich hinsichtlich ihrer Polarität alle Lipide durch UV-Detektoren nachweisbar sind,
deutlich voneinander unterscheiden. So sind Retinol- sollten vor allem Massendetektoren für solche Analy-
bzw. Cholesterolester sehr unpolare Verbindungen, die sen eingesetzt werden (7 Abschn.  28.3.2). Durch die

28 in der Umkehrphasenchromatographie intensive Wech- Elektrosprayionisierung-­Tandemmassenspektrometrie


selwirkungen mit der stationären Phase eingehen. Lyso- wurde es möglich, auch komplexere Lipidmischungen
phosphatide und komplexe Glykolipide (Ganglioside) direkt massenspektrometrisch zu untersuchen (Lipido-
hingegen sind relativ hydrophil und zeigen nur schwa- manalytik, 7 Abschn. 28.6).

che Wechselwirkungen mit stationären Umkehrphasen.


Deshalb ist es eine eher komplizierte Aufgabe, chromato-
graphische Systeme zu entwickeln, mit denen Rohlipid- 28.4.2 Fettsäuren
extrakte in einem Lauf in möglichst viele Komponenten
aufgetrennt werden können. Dafür sind komplizierte Fettsäuren sind wesentliche Strukturbestandteile vie-
Gradientensysteme nötig, die insgesamt einen großen ler Lipide (. Tab. 28.3), und deshalb nimmt die Fett-

Polaritätsbereich abdecken, in kritischen Bereichen des säureanalytik eine Schlüsselstellung im Analyseschema

..      Tab. 28.3  Biologisch relevante Fettsäuren

Zahl der C-Atome Trivialname systematische Bezeichnung Smp.1 (in °C)

gesättigte Fettsäuren
4 Buttersäure n-Butansäure −8
6 Capronsäure n-Hexansäure −2
8 Caprylsäure n-Octansäure 16
10 Caprinsäure n-Decansäure 31
12 Laurinsäure n-Dodecansäure 44
14 Myristinsäure n-Tetradecansäure 54
16 Palmitinsäure n-Hexadecansäure 63
18 Stearinsäure n-Octadecansäure 70
20 Arachinsäure n-Eicosansäure 76
22 Behensäure n-Docosansäure 80
24 Lignocerinsäure n-Tetracosansäure 84
einfach ungesättigte Fettsäuren2
16 Palmitoleinsäure Δ9-Hexadecensäure 1

18 Ölsäure Δ9-Octadecensäure (cis) 13

18 Vaccensäure Δ11-Octadecensäure (trans) 40

24 Nervonsäure Δ15-Tetracosensäure (cis) 42

mehrfach ungesättigte Fettsäuren2


18 Linolsäure Δ9,12 Octadecadiensäure −6
18 Linolensäure Δ9,12,15Octadecatriensäure −14
20 Arachidonsäure Δ5,8,11,14Eicosatetraensäure −50

1Smp = Schmelzpunkt
2Die Positionen der Doppelbindungen werden an einem Δ durch hochgestellte Indices angegeben
Lipidanalytik
705 28
komplexer Lipide ein. Die in höheren Organismen 28.4.3 Unpolare Neutrallipide
vorkommenden Fettsäuren sind zum größten Teil un-
verzweigt und geradzahlig. Ungesättigte Fettsäuren Mono-, Di-, Triacylglycerine und Wachse  In Lipidextrak-
(Monoen- bzw. Polyenfettsäuren) enthalten eine bis ten aus tierischen Geweben stellen die Triacylglycerine
sechs cis-Doppelbindungen. Die Kapillargaschroma- und deren Hydrolyseprodukte, die Mono- und Diacylgly-
tographie an mittelpolaren Trennphasen hat sich als cerine, einen wesentlichen Anteil der unpolaren Esterli-
Methode der Wahl für die Fettsäureanalytik heraus- pide dar (. Abb.  28.9). Sie können mithilfe der Dünn-

kristallisiert. Aufgrund ihrer Carboxygruppe können schichtchromatographie auf Kieselgelplatten leicht


freie Fettsäuren nur schwer gaschromatographiert wer- voneinander getrennt werden (7 Abschn.  28.3.1). Als

den. Erst nach Derivatisierung zu den entsprechenden Fließmittelsysteme werden Gemische aus Hexan/Diethy-
Methylestern ist eine Analyse möglich. Da Fettsäuren lether/Eisessig (70:30:1 Volumenanteile) oder Benzol/Eis-
in biologischem Material vor allem als Fettsäureester essig-Mischungen (88:12 Volumenanteile) eingesetzt. Zur
vorkommen, müssen diese erst alkalisch hydrolysiert Trennung von 1- und 2-Monoacylglycerinen können bor-
und die dabei entstehenden freien Fettsäuren anschlie- säureimprägnierte Kieselgelplatten verwendet werden.
ßend methyliert werden. Alternativ können Fettsäu- Da Borsäure mit vicinalen OH-Gruppen wechselwirkt,
remethylester auch durch Umesterung der Esterlipide werden 1-­Monoacylglycerine stärker reteniert als die ent-
(z.  B.  Transmethylierung) gebildet werden. Aus den sprechenden 2-Monoacylisomere.
Sphingolipiden entstehen durch saure Methanolyse Zur gaschromatographischen Trennung von Tria-
ebenfalls Fettsäuremethylester. cylglycerinen können Kapillarsäulen mit unpolaren
Neben der Gaschromatographie können Fettsäuren oder mittelpolaren Trennphasen verwendet werden
auch als Methylester oder als freie Säuren mittels HPLC (7 Abschn.  28.3.1). An unpolaren Trennphasen wer-

untersucht werden. Da die natürlich vorkommenden den die Triacylglycerine vor allem hinsichtlich der Ket-
freien Fettsäuren keine charakteristischen Chromo- tenlänge ihrer Fettsäuren getrennt. Auf mittelpolaren
phore enthalten, müssen entweder Massendetektoren Säulen beeinflussen zusätzliche Strukturmerkmale
(7 Abschn. 28.3.1) verwendet werden, oder man deriva-

(z. B. Anzahl und Geometrie der vorhandenen Doppel-
tisiert die Fettsäuren an ihrer Carboxygruppe mit Chro- bindungen) das Retentionsverhalten wesentlich stärker.
mophoren bzw. Fluorophoren. Ungesättigte Fettsäuren Wegen des hohen Siedepunkts und der intensiven Wech-
absorbieren im nahen UV-Bereich und sind deshalb bei selwirkung von Triacylglycerinen mit den Trennphasen
205  nm detektierbar. Aufgrund des geringen molaren müssen bei der Analytik Temperaturen von 300–350 °C
Absorptionskoeffizienten ist die Empfindlichkeit dieser verwendet werden. Der Verschleiß der Säulen ist daher
Nachweismethode jedoch nicht sehr hoch und die sehr hoch. Um eine Elution der Trennphasen bei hohen
Quantifizierung relativ ungenau. Temperaturen zu verhindern, kommen Säulen mit ko-

Triacylglycerin 2-Monoacylglycerin
O Fettsäure 1 H2C OH
H2C O C O Fettsäure 1
Glycerin

O Fettsäure 2 HC O C
Glycerin

HC O C
O Fettsäure 3 H2C OH
H2C O C

1,3-Diacylglycerin
O Fettsäure 1

H2C O C
Glycerin

HC OH
O Fettsäure 2

H2C O C

..      Abb. 28.9  Chemische Strukturen von Mono-, Di- und Triacylglycerinen. Mono-, Di- und Triacylglycerin bestehen aus Glycerin als drei-
wertigem Alkohol und Fettsäuren
706 H. Kühn

valent gebundenen Trennphasen zum Einsatz. Triglyce- anschließend in einer Peroxidasereaktion mit einem Redo-
ride, die mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Linolsäure, xindikator umgesetzt, der dabei seine Farbe ändert. Die
Linolensäure) enthalten, sind bei solch hohen Analyse- Farbänderung kann photometrisch quantifiziert werden.
temperaturen häufig nicht stabil und können deshalb Da die Cholesterol-Oxidase nur mit freiem, nicht aber mit
nicht exakt quantifiziert werden. Diacylglycerine analy- verestertem Cholesterol reagiert, müssen zur Bestimmung
siert man unter ähnlichen Bedingungen wie die Triacyl- des Gesamtcholesterols die Cholesterylester hydrolysiert
glycerine. Eine Silylierung der freien OH-Gruppe (z. B. werden. Dazu wird ein Hilfsenzym, die Cholesterol-Este-
mit BSTFA) ist jedoch zu empfehlen. Monoacylglyce- rase, zugesetzt. Aus der Differenz zwischen Gesamtcholes-
28 rine sollten in jedem Fall silyliert werden. terol und freiem Cholesterol kann die Konzentration der
Für die HPLC-Analytik von Mono-, Di- und Triacyl- Cholesterylester ermittelt werden.
glycerinen eignen sich Normalphasensäulen. Die Detek- Neben der Cholesterol-Oxidase-Methode gibt es
tion der eluierten Lipide ist besonders bei Acylglycerinen eine Reihe chromatographischer Nachweismethoden für
mit ausschließlich gesättigten Fettsäuren ein Problem, da Cholesterol und Cholesterylester. So können in einem
diese kein UV-Licht absorbieren. Deshalb müssen Mas- HPLC-Lauf freies Cholesterol und die Hauptcholeste-
sendetektoren (7 Abschn.  28.3.2) eingesetzt werden.
  rylesterfraktionen aus menschlichem LDL voneinander
Sind ungesättigte Fettsäuren vorhanden, kann bei 205 nm getrennt werden (. Abb. 28.11).

detektiert werden. Bei Mono- und Diacylglycerinen kön-


nen durch Derivatisierung der freien OH-­Gruppen chro- 210 nm C
mophore oder fluorophore Reste eingeführt werden.
Wachse werden meist durch Kombination mehre-
rer Chromatographiearten analysiert. Als häufig an- A
B
gewandte Methode zur Analytik von Wachsen hat sich
die Ethanolyse mit anschließender Acetylierung der D
Absorption

entstehenden Alkohole durchgesetzt. Die dabei entste-


henden Derivate (Fettsäureethylester, acetylierte Alko- 235 nm
hole) können gaschromatographisch analysiert werden E
(7 Abschn. 28.3.1).
  E

Cholesterol und Cholesterylester  Cholesterol und Choles-


terylester (. Abb. 28.10) sind von großer Bedeutung bei

der Pathogenese der Atherosklerose. Freies Cholesterol 220 260


kommt als Strukturelement in allen Biomembranen, aber
auch in den Lipoproteinen vor. Cholesterylester lassen sich 0 5 10
in größeren Mengen nur in Lipoproteinen nachweisen. Retentionszeit in Minuten
Aufgrund ihrer pathophysiologischen Bedeutung ist eine
..      Abb. 28.11  HPLC-Analyse von Cholesterol und Cholesteryles-
Vielzahl von Analysemethoden zum Nachweis und zur tern. Ein Lipidextrakt aus menschlichem LDL wurde auf einer Nuc-
Quantifizierung von Cholesterol und Cholesterylestern leosil-50-Säule (250  mm  ×  5  mm, 7  μm Partikelgröße) mit einem
entwickelt worden. Zur Quantifizierung des Serumcholes- Laufmittel von Acetonitril/Isopropanol (75:25 Volumenanteile) bei
terols stehen Testkits zur Verfügung, mit denen sowohl das einer Säulentemperatur von 45  °C analysiert. Lösungsmittelfluss
1 ml min−1. (A) freies Cholesterol, (B) Cholesterylarachidonat, (C)
freie als auch das veresterte Cholesterol bestimmt werden
Cholesteryllinoleat, (D) Cholesteryloleat, (E) Cholesterylester, die
können. Dabei wird freies Cholesterol durch die Choleste- eine oxidierte Linolsäure tragen. Eingefügt ist das UV-Spektrum des
rol-Oxidase oxidiert, wobei H2O2 entsteht. Das H2O2 wird Peaks (E)

..      Abb. 28.10 Chemische
Struktur von Cholesterol und
Cholesterylestern. Bei den
Cholesterol
Cholesterylestern, die vor allem
in den Lipoproteinen, besonders
in den Lipoproteinen geringer
Dichte (LDL) und denen hoher C D C D
Dichte (HDL), vorkommen, ist Cholesteryllinoleat
die freie OH-Gruppe des A B A B
A-Rings durch eine meist HO O
ungesättigte Fettsäure (Ölsäure,
Linolsäure) verestert O
Lipidanalytik
707 28
28.4.4 Polare Esterlipide essig auf Kieselgelplatten gut voneinander getrennt
werden (. Tab.  28.4). Da Phosphatidylserine und

28.4.4.1 Phospholipide Phosphatidylinositole sehr ähnliche Polaritäten besit-


Phospholipide werden wegen ihres unterschiedlichen Auf- zen, werden diese Lipidklassen in der eindimensionalen
baus in verschiedene Klassen eingeteilt (. Abb. 28.12).

Dünnschichtchromatographie nicht voneinander ge-
Für die analytische Trennung der verschiedenen Phos- trennt. Eine Trennung dieses kritischen Paars ist jedoch
pholipidklassen gibt es mehrere dünnschichtchromato- mit der zweidimensionalen Dünnschichtchromatogra-
graphische Systeme (7 Abschn. 28.3.1). So können die

phie möglich. Durch Anwendung der hochauflösenden
Hauptphospholipidklassen tierischer Zellen mit Fließ- Dünnschichtchromatographie (HPTLC) konnte die
mittelsystemen aus Chloroform/Methanol/Wasser/Eis- Phospholipidtrennung deutlich verbessert werden.

O Fettsäure 1 (meist gesättigt)

H2C O C
O Fettsäure 2 (meist ungesättigt)

H2C O C
O
H2C O P O polare Kopfgruppe

O

polare Kopfgruppe Phospholipidklasse

Wasserstoff H Phosphatidsäure
+
Ethanolamin CH2 CH2 NH3 Phosphatidylethanolamine
+
Cholin CH2 CH2 N(CH3)3 Phosphatidylcholine
+
Serin CH2 CH2 NH3 Phosphatidylserine

COO

OH OH

H
H H
Inositol Phosphatidylinositole
H HO
H OH

OH H

Phosphatidyl- CH2 Cardiolipine


glycerin
CHOH O
CH2 O P O CH2
O–
C O CH
O
C O CH2
O

..      Abb. 28.12  Chemische Struktur verschiedener Glycerophospho- tidsäure) zusätzliche Fettsäuren enthält. Diese Phospholipide kom-
lipidklassen. Glycerophospholipide bestehen aus Glycerin als drei- men vor allem in der Mitochondrieninnenmembran vor und spielen
wertigem Alkohol, der mit einer meist gesättigten Fettsäure am C1- aufgrund ihrer Struktur eine wichtige Rolle bei der Entstehung des
Atom verestert ist. Am C2 des Glycerins befindet sich häufig eine Protonengradienten im Rahmen der Zellatmung (Protonenfalle).
ungesättigte Fettsäure, während am C3 eine polare Kopfgruppe über Eine weitere Phospholipidklasse, die für die Struktur von Biomemb-
eine Phosphodiesterbindung gebunden ist. Nach der chemischen ranen bedeutsam ist, sind die Sphingomyeline. Sie enthalten statt ei-
Natur der polaren Kopfgruppe werden die Glycerophospholipide nes Glycerinrestes eine Sphingoidbase und werden bei den Sphingo-
klassifiziert. Eine Sonderstellung unter den Glycerophospholipiden lipiden näher besprochen
nehmen die Cardiolipine ein, da ihre Kopfgruppe (Glycerophospha-
708 H. Kühn

Für die Trennung verschiedener Phospholipidklas- . Abb.  28.13 ist ein Beispielchromatogramm einer

sen wurde eine Reihe von HPLC-Systemen entwickelt. Phospholipidanalyse mittels LC-MS/MS dargestellt.
Die Kopplung (LC-MS/MS) von HPLC mit der Tan- Die Summe aller Phospholipide in einer biologischen
demmassenspektrometrie (7 Abschn. 28.3.1.2) gewinnt
  Probe kann durch Phosphatbestimmung im Lipidex-
aufgrund ihrer hohen Empfindlichkeit und wegen der trakt (7 Abschn. 28.2) quantifiziert werden. Dazu wird

Datenvielfalt, die bei einer einzelnen Analyse anfällt, zu- der Lipidextrakt im Vakuum getrocknet. Den Rück-
nehmend an Bedeutung für die Analyse der Phospholi- stand verascht man mit einer Mischung aus 10 N Schwe-
pidzusammensetzung biologischer Materialien. In felsäure und 60  %iger Perchlorsäure für 30  min bei
28 200 °C. Die Veraschungsprodukte werden in 150 μl Was-
ser aufgenommen und mit 800  μl einer Malachitgrün-­
..      Tab. 28.4  Dünnschichtchromatographische Trennung von
Ammoniummolybdatlösung für 10  min bei Raumtem-
Phospholipidklassen. Ein Lipidextrakt aus Rattenlebermito- peratur inkubiert. Der dabei entstehende grüne
chondrien wurde auf eine Kieselgelplatte aufgetragen und mit Farbkomplex kann bei 660 nm im Photometer quantifi-
dem Laufmittelsystem Chloroform/Methanol/Wasser/Eisessig ziert werden. Bei dieser Bestimmungsmethode muss un-
(65:25:4:1 Volumenanteile) chromatographiert bedingt darauf geachtet werden, dass alle Reagenzien
und Reaktionsgefäße phosphatfrei sind. Daher sollte
Phospholipidklassen Rf-Wert
phosphatfreies Wasser verwendet und alle Glasgeräte
Lysophosphatide 0,09 mit konzentrierter Schwefelsäure vorbehandelt werden.
Phosphatidylserine, Phosphatidylinositole 0,20
Glykosphingolipide  Neben den Glycerophosphatiden
Sphingomyeline 0,30 bilden die Glykosphingolipide (. Abb. 28.14) eine zweite

Phosphatidylcholine 0,45 große Klasse polarer Lipide. Neutrale und einfach gela-
dene Glykolipide können durch normale Folch-Extrak-
Phosphatidylethanolamine 0,70
tion (7 Abschn. 28.2.1) präpariert werden. Ganglioside

Cardiolipine 0,81 mit hohem Kohlenhydratanteil bleiben jedoch teilweise in


Neutrallipide 0,92 der wässrigen Phase und können daraus mittels Festpha-
senextraktion an C18-Kartuschen (7 Abschn.  28.2.2)

2,0 · 104
+m/z 782 Æ 184, 16:0/20:4-PC

+m/z 758 Æ 184, 16:0/18:2-PC

1,5 · 104
−m/z 885 Æ 283, 18:0/20:4-PI
Intensität (in cps)

−m/z 667 Æ 303, 16:0/20:4-PA


−m/z 857 Æ 303, 16:0/20:4-PI

1,0 · 104

0,5 · 104

0
0 10 20 30 40 50
Retentionszeit (in min)

..      Abb. 28.13  LC-MS/MS-Analyse einer Mischung von Phospho- kratischen Nachlauf bei 100 % B). Lösungsmittel A: Methanol: Ace-
lipidstandards. Die Lipidmischung wurde auf einer Luna RP- tonitril:Wasser = 60:20:20, vol./vol., 1  mM Ammoniumacetat; Lö-
HPLC-­Säule (150 × 2 mm, 3 μm Partikelgröße, Phenomenex, CA) in sungsmittel B: 100 % Methanol, 1 mM Ammoniumacetat; Flussrate
die einzelnen Phospholipidklassen aufgetrennt. Dabei wurde ein li- 0,2  ml  min−1. Als Detektionssystem wurde ein AB Sciex 4000
nearer Gradient der Lösungsmittelsysteme A und B verwendet (von Q-Trap-System verwendet. Die Daten wurden freundlicherweise von
50 % B auf 100 % B in 10 min, gefolgt von einem 30-minütigen iso- Dr. V.D. O’Donnell, Universität Cardiff, zur Verfügung gestellt
Lipidanalytik
709 28
..      Abb. 28.14  Chemische Struktur OH Sphingoidbase
verschiedener Sphingolipide. Die Kopfgruppe O CH2
Sphingoidbase (Sphingosin, Sphinganin,
Hydroxysphinganin) bildet das Rückgrat N H
Fettsäure
dieser Lipidklasse. Daran ist über eine O C
Säureamidbindung eine meist gesättigte
Fettsäure gebunden. Auch Sphingolipide
werden entsprechend ihrer polaren polare Kopfgruppe Phospholipidklasse
Kopfgruppe in verschiedene Untergrup-
pen eingeteilt Wasserstoff H Ceramid

O
+
Phosphocholin P O CH2 CH2 N(CH3)3 Sphingomyelin

O

CH2OH
O
H
H
Glucose Glucosylcerebrosid
OH H
HO OH

H OH

Di- oder Glu Gal Lactosylceramid


Trisaccharid

NAcNeu

komplexes Gangliosid
Oligosaccharid
Glu Gal NAcGal Gal

und/oder durch Anionenaustauschchromatographie iso- Intakte Glykosphingolipide werden mittels Dünn-


liert werden. Zur kompletten Strukturanalyse von Gly- schichtchromatographie (7 Abschn. 28.3.1) auf Kiesel-

kosphingolipiden müssen mehrere Methoden kombiniert gelplatten analysiert. Imprägnierung des Kieselgels mit
werden, um die Zusammensetzung, die Sequenz und die Borsäure vor der dünnschichtchromatographischen
Anomerkonfiguration der Oligosaccharidkomponente zu Analyse kann die Trennung verschiedener Glykolipid-
bestimmen. Zusätzlich müssen die Struktur der Fettsäure klassen verbessern.
und der Sphingoidbase analysiert werden. Zur Fragmen- Neben der Dünnschichtchromatographie sind auch
tierung können gereinigte Glykolipide mit methanolischer verschiedene HPLC-Verfahren zur Trennung von Gly-
HCl behandelt werden. Die dabei entstehenden Metha- kosphingolipiden beschrieben worden. Dabei werden
nolyseprodukte der Kohlenhydrate, der Fettsäuremethy- vor allem Normalphasensäulen verwendet. Weiterhin
lester und die langkettige Sphingoidbase, werden dann wird die Anionenaustauschchromatographie zur Tren-
durch chromatographische Methoden weiter analysiert. nung von Gangliosiden angewandt.
Die Massenspektrometrie (7 Abschn. 28.3.2) nicht frag-

mentierter Glykolipide kann zur Sequenzbestimmung des Ether- und Enoletherlipide  Einige tierische Gewebe
Kohlenhydratanteils und zur Identifizierung der Cera- (z. B. Herzmuskel) sind reich an Etherlipiden, deren bio-
midkomponente eingesetzt werden. Zur Abspaltung des logische Bedeutung jedoch noch nicht völlig geklärt ist.
Kohlenhydratanteils von der Lipidkomponente können Bei diesen Lipiden sind einzelne Acylketten nicht über
Glykolipide mit Ceramid-­Glucanasen behandelt werden. Ester-, sondern über Etherbindungen an Glycerin ge-
Verschiedene Exoglykosidasen können zur schrittweisen koppelt (. Abb. 28.15). Bei den Plasmalogenen ist eine

enzymatischen Abspaltung von Monosacchariden aus Kohlenwasserstoffkette über eine Enoletherbindung am


den Oligosaccharidketten eingesetzt werden (Sequenzie- C1-Atom des Glycerins gebunden, während am C2 eine
rung des Kohlenhydratanteils). normale Esterbindung vorliegt. Die Enoletherbindung
710 H. Kühn

Etherlipide Enoletherlipide (Plasmalogene)


Fettalkohol Fettalkohol

H2C O CH2 H2C O C C


O Fettsäure O Fettsäure
Glycerin

Glycerin
HC O C HC O C
O O
H2C O P O Kopfgruppe H2C O P O Kopfgruppe
28 O– O–

..      Abb. 28.15  Chemische Struktur von Etherlipiden und Plasmal- alkohol zwischen seinem ersten und zweiten Kohlenstoffatom eine
ogenen. Bei den Etherlipiden ist das Glycerin meist am C1 über eine Doppelbindung. Die Enoletherbindung verleiht der Lipidklasse be-
Etherbindung mit einem Fettalkohol verbunden. Die anderen Struk- stimmte Eigenschaften (z.  B.  Labilität gegenüber Säurehydrolyse),
turelemente entsprechen denen der Glycerophospholipide. Bei den die analytisch ausgenutzt werden
Enoletherlipiden enthält der am C1 des Glycerins gebundene Fett-

der Plasmalogene kann im Unterschied zur Esterbindung Eicosanoide  Eicosanoide sind Lipidhormone
durch saure Hydrolyse leicht gespalten werden. Dabei (. Abb.  28.17), die sich von der Arachidonsäure

entsteht ein langkettiger Aldehyd, der nach Derivati- (Δ-5,8,11,14-­ Eicosatetraensäure) ableiten und verschie-
sierung mittels Gaschromatographie analysiert werden dene physiologische Funktionen haben (z. B. Regulation
kann (7 Abschn. 28.3.1). Zur Quantifizierung der Plas-
  der Nierenfunktion, Blutplättchenaggregation, Uterus-
malogene kann auch der Phosphatgehalt der 1-Lysophos- kontraktion). Weiterhin sind sie an pathophysiologischen
phatide nach saurer Hydrolyse der Enoletherbindung Prozessen (z.  B.  Allergie, Entzündung, Thrombose) be-
bestimmt werden. Voraussetzung für eine qualitativ hoch- teiligt. Sie werden durch die Enzyme der Arachidonsäu-
wertige Plasmalogenanalytik ist eine saubere Trennung der rekaskade (. Abb.  28.18) gebildet und können in vier

verschiedenen Phospholipidklassen mittels ein- bzw. zwei- große Gruppen eingeteilt werden:
dimensionaler Dünnschichtchromatographie oder HPLC 55 Prostanoide (Prostaglandin D2, E2, F2α, Prostacyclin)
(7 Abschn.  28.3.1). Da sich Plasmalogene hinsichtlich

und Thromboxane (TX A2; TX B2). Diese Produkte
ihres Molekulargewichts und ihres Fragmentierungs- werden über den Cyclooxygenaseweg (COX) synthe-
musters von den Esterphospholipiden unterscheiden, tisiert.
können sie auch ohne vorherige Trenn- und Derivatisie- 55 Peptidoleukotriene (Leukotriene C4, D4 und E4).
rungsprozedur direkt mit der Elektrosprayionisierungs-­ Diese Produkte werden über den Lipoxygenaseweg
(LOX) synthetisiert.
Massenspektrometrie (7 Abschn.  28.3.2) analysiert

55 Hydroxy- und Hydroperoxyfettsäuren (z. B. Leuko-


­werden.
trien B4, 12- und 15-Hydro(pero)xyeicosatetraen-
säure). Auch diese Produkte werden über den Lipo-
xygenaseweg (LOX) synthetisiert.
28.4.5  ipidhormone und intrazelluläre
L
55 Epoxyfettsäuren und deren Hydrolyseprodukte (Di-
Signaltransduktoren ole). Diese Produkte werden über den Cytochrom-­P-­
450-Weg der Arachidonsäurekaskade synthetisiert.
Steroidhormone  Für die Quantifizierung von Steroid-
hormonen (. Abb. 28.16) im Blut werden heute von ver-

Prostaglandine werden über den Cyclooxygena-
schiedenen Firmen Immunassays angeboten, die als Kits seweg der Arachidonsäurekaskade synthetisiert
verfügbar sind und detaillierte Anweisungen zur Hand- (. Abb.  28.18), dessen Schüsselenzyme die COX1

habung enthalten. Die Verwendung monoklonaler Anti- bzw. COX2 sind. Die COX1 wird in vielen somatischen
körper sichert dabei eine hohe Spezifität der Testsysteme. Zellen exprimiert und ist für die Biosynthese der „phy-
Um radioaktive Abfälle zu vermeiden, werden zuneh- siologischen Prostaglandine“ zuständig. Die COX2 ist
mend Enzymimmunassays, Fluoreszenzimmunassays vor allem in aktivierten Entzündungszellen (Granu-
bzw. Chemilumineszenzimmunassays entwickelt. Zum lozyten, Lymphozyten, Makrophagen) nachweisbar
überwiegenden Teil können diese Testkits zur Analytik und katalysiert die Biosynthese proinflammatorischer
verschiedener Körperflüssigkeiten, vor allem aber von Prostaglandine. Beide Enzyme haben eine ähnliche
Blutplasma, eingesetzt werden. Eine Vorbehandlung der Raumstruktur (. Abb. 28.19 und 28.20, die beiden zu-

biologischen Proben ist in der Regel nicht notwendig. gehörigen Videos), unterscheiden sich aber hinsichtlich
Lipidanalytik
711 28
..      Abb. 28.16  Chemische Struktur CH2OH CH2OH
ausgewählter Steroidhormone. Im
C O C O
menschlichen Organismus werden die OHC
OH
Steroidhormone in verschiedenen Organen HO HO
(z. B. Nebennierenrinde, Gonaden,
Plazenta) aus Cholesterol synthetisiert und
dann ins Blut abgegeben. Ihre Biosynthese
erfolgt über eine Reihe von stabilen O O
Zwischenstufen, die auch hormonell aktiv
sind Cortisol Aldosteron

CH3
C O OH OH

O O HO
Progesteron Testosteron Östradiol

ihrer Sensitivität gegenüber verschiedenen Hemmstof- der biologisch wirksamen Eicosanoide solch komplexe
fen. Selektive Hemmstoffe der COX2 (Coxibe) gehören Analysemethoden vor gravierende Probleme stellt. Je
als verschreibungspflichtige Medikamente zu den am mehr Substanzen simultan quantifiziert werden sollen,
meisten verkauften Arzneimitteln weltweit. Aufgrund desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte
ihrer geometrischen Eigenschaften können Coxibe kritische Metabolitpaare nicht oder nur unzureichend
zwar an das aktive Zentrum der COX2, nicht aber an voneinander getrennt werden können. Weiterhin sind
die COX1 binden. z. B. Enantiomere, die aufgrund ihrer unterschiedlichen
Für die Quantifizierung der verschiedenen Prostag- biologischen Aktivität in der Eicosanoidanalytik eine
landine wurden noch vor einigen Jahren GC-basierte große Rolle spielen, weder durch konventionelle HPLC-­
Analysesysteme verwendet, wobei die Analyten derivati- Techniken noch durch massenspektrometrische Analy-
siert werden mussten. Heute stehen unterschiedliche tik voneinander zu unterscheiden.
LC-MS/MS-Systeme zur Verfügung, die keine Derivati- Neben der HPLC ist die Kapillargaschromatogra-
sierung mehr erfordern. In Gegensatz zu den Prosta- phie eine wichtige Analysemethode in der Eicosanoid-
glandinen besitzen die meisten Hydroxyfettsäuren und forschung, die meist in Kombination mit der Massen-
Leukotriene konjugierte Doppelbindungssysteme, die spektrometrie angewandt wird. Prostaglandine und
leicht bei 235 nm (konjugierte Diene), bei 270 nm (kon- Hydroxyfettsäuren können nach entsprechender Deri-
jugierte Triene) bzw. bei 300 nm (konjugierte Tetraene) vatisierung (Veresterung, Silylierung) gaschromatogra-
detektiert werden können. Mit den heute verfügbaren phiert werden, während die Peptidoleukotriene sich da-
Diodenarraydetektoren können die Chromatogramme für nicht eignen. Durch Kopplung der GC mit der MS
simultan bei diesen Wellenlängen verfolgt werden, wo- können neben dem Retentionsverhalten z­usätzliche
durch ein Maximum an analytischen Informationen ge- massenspektroskopische Strukturparameter der Eicosa-
währleistet wird. Peptidoleukotriene werden vor allem noide bestimmt werden.
auf RP-HPLC-Säulen analysiert, bei anderen Eicosa- Für ausgewählte Eicosanoide (z.  B.  PGE2, TxB2,
noiden sind kombinierte RP-HPLC- und NP-HPLC-­ LTC4) sind Immunassays kommerziell erhältlich, die
Techniken üblich. von verschiedenen Firmen als Kits angeboten werden.
Zur Analytik des Eicosanoms als Teilmenge des Aufgrund der geringen Konzentration vieler Eicosa-
zellulären Lipidoms wurden verschiedene LC-MS/ noide in biologischen Materialien (z.  B.  Urin, Blut-
MS-­ basierte Analysemethoden entwickelt, mit denen plasma, Gelenkflüssigkeit usw.) und um störende Ef-
in einem chromatographischen Lauf mehr als hun- fekte anderer Bestandteile der Körperflüssigkeiten
dert unterschiedliche Eicosanoide quantifiziert werden auszuschalten, sollte vor dem eigentlichen Immunas-
können (. Abb.  28.21). Dabei muss allerdings kri-
  say eine Vorreinigung der Eicosanoide durchgeführt
tisch angemerkt werden, dass die strukturelle Vielfalt werden. Bei der direkten Verwendung (ohne Vorreini-
712 H. Kühn

Prostaglandine
HO O
O
8
COOH 9 COOH 5 COOH
15 11 15
12
O 13
OOH O OH HO OH
Prostaglandin G2 Prostaglandin D2 Prostaglandin E2

HO O COOH
28 9
8
COOH
8
C O–
5
14 O
11
12 15
12
CH3
O
13
HO OH OH
O
Prostaglandin F2 Thromboxan A2

HO OH
Prostacyclin I2

Leukotriene
COOH OH
OH COOH
O NH2
COOH S NHCO
COOH
CH3 CONHCH2COOH
HO
Leukotrien A4 Leukotrien B4 Leukotrien C4

OH OH
COOH COOH

S NH2 S NH2

H CONHCH2COOH
COOH

Leukotrien D4 Leukotrien E4

Hydroxyfettsäuren

COOH

OH
15-Hydroxyeikosatetraensäure (15-HETE)

COOH

OH
12-Hydroxyeikosatetraensäure (12-HETE)

..      Abb. 28.17  Chemische Struktur ausgewählter Eicosanoide. Ei- delt wird. Bei den Leukotrienen wird das primäre Oxygenierungs-
cosanoide sind Oxygenierungsprodukte der Arachidonsäure produkt (LT A4) entweder enzymatisch hydrolysiert (LT-B4-Bildung)
(. Abb. 28.18) oder anderer mehrfach ungesättigter Fettsäuren. In
  oder an Glutathion gekoppelt (LT-C4-Bildung). Durch sequenzielle
der Prostaglandinsynthese ist das cyclische Endoperoxid (PG G2) Abspaltung von Aminosäuren des Glutathions entstehen LT D4 und
das initial gebildete Oxygenierungsprodukt, das nachfolgend zu an- LT E4, die ebenfalls biologisch aktiv sind
deren Prostaglandinen, Thromboxan bzw. Prostacyclin, umgewan-
Lipidanalytik
713 28
..      Abb. 28.18  Synthese von 12-HETE 15-HETE
Eicosanoiden über die Arachi-
donsäurekaskade. Die Struktu-
ren der aufgeführten Verbindun- 12-Lipoxygenase
COOH 15-Lipoxygenase
gen sind in . Abb. 28.17 gezeigt.

12-HPETE 15-HPETE
Aus Gründen der Übersichtlich-
Arachidonsäure
keit wurde auf die Darstellung
des Cytochrom-P450-Weges Cyclooxygenase 5-Lipoxygenase
verzichtet. HPETE: Hydropero-
xyeicosatetraensäure
Prostaglandin G2 5-HPETE

Thromboxan A2 Prostacyclin Leukotrien A4 Leukotrien B4

Prostaglandin H 2 Leukotrien C4

Prostaglandin E 2 Prostaglandin F 2 Prostaglandin D 2 Leukotrien D4

Leukotrien E4

..      Abb. 28.19  Kristallstrukturen von COX1 und COX2. Beide


..      Abb. 28.20  Kristallstrukturen von COX1 und COX2. Beide COX-­
COX-­Isoformen sind Hämoproteine und tragen einen hoch konser-
Isoformen sind Hämoproteine und tragen einen hoch konservierten
vierten Tyrosinrest, der für den Katalysemechanismus essenziell ist.
Tyrosinrest, der für den Katalysemechanismus essenziell ist. Kristall-
Kristallstruktur des COX1-Arachidonsäure-Komplexes (PDB-Id:
struktur des COX2-Rofecoxib-Komplexes (PDB-Id: 5KIR). Die Subs-
1DIY; 7 www.­rcsb.­org). Das Substrat der COX-Reaktion wird am

tratbindungstasche der COX2 ist durch den spezifischen COX2
aktiven Zentrum des Enzyms gebunden, sodass das Kohlenstoffatom
Hemmstoff Rofecoxib blockiert, sodass keine Substratfettsäure mehr
C13 der Substratfettsäure in räumlicher Nähe zu Tyr385 lokalisiert
binden kann. Die beiden Abbildungen und die dazu gehörenden Vi-
ist. (siehe Video 28.19) (7 https://doi.org/10.1007/000-1fs)

deos wurden von Dr. Kumar R. Kakularam, Institut für Biochemie,
Universitätsmedizin Berlin  – Charité  – auf der Basis der PDB-Ein-
gung) von biologischen Extrakten zur Eicosanoid- träge erstellt (siehe Video 28.20) (7 https://doi.org/10.1007/000-1fr)

quantifizierung mittels Immunassays sollte beachtet


werden, dass eine Kreuzreaktivität der verwendeten sollten solche Analysendaten zumindest stichproben-
Antikörper mit anderen Komponenten der Extrakte artig mit einer geeigneten physiko-chemischen Me-
nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Deshalb thode (z. B. LC-MS/MS) bestätigt werden.
714 H. Kühn

10,11-EpDPE

relative Flächeneinheiten

10,17-DiHDHE
28

10,11-DiHDPA
14,15-DHET

8,9-EpETE

9,10-EpOME
17,18-DiHETE

9,10-DiHOME

11,12-EET
16-HDOHE
12-HETE
8-HEPE
LXA4

5 10 15
Retentionszeit (in min)

..      Abb. 28.21  LC-MS-Analyse von Eicosanoiden. Eine Mischung DHET, 5,6-DiHETE, 16,17-DiHDPA, 11,12-DHET, 13,14-DiH-
von Standardverbindungen verschiedener Eicosanoide wurde mittels DPA, 13,14-­ DiHDPA, 19-HEPE, 20-HEPE, 10,11-DiHDPA,
LC-MS/MS bei 40  °C auf einer Zorbax-C-18-Eclipse-plus-Säule 8,9-DHET, 18-HEPE, 7,8-DiHDPA, 5,6-DHET, 19-HETE, 20-HE-
(2,1 × 150 mm, 3,5 μm Partikelgröße) mit einem binären Lösungs- TE-d6, 20-HETE, 15-HEPE, 9-HEPE, 8-HEPE, 12-HEPE,
mittelgradienten (Lösungsmittel A: Acetonitril; Lösungsmittel B: 21-HDOHE, 5-HEPE, 22-HDOHE, 15-HETE-d8, 15-HETE,
10  mM Ammoniumacetat) analysiert. Gradient: 0–1  min: 95  % B; 16-HDOHE, 17-HDOHE, 13-HDOHE, 17,18-­EpETE, 14-HDOHE,
1–2 min: von 95 % B auf 70 % B; 2–18,7 min: von 70 % B auf 33 % 10-HDOHE, 11-HETE, 8-HDOHE, 11-HDOHE, 7-HDOHE,
B; 18,7–25  min: von 33  % B auf 10  % B; Flussrate 0,4  min  min−1. 8-HETE, 9-HETE, 12-HETE, 5,6-EpETE, 5-HETE, 11,12-­EpETE,
Gerätekonfiguration: Agilent 1200SL HPLC-System gekoppelt mit 14,15-EpETE, 8,9-EpETE, 4-HDOHE, 12,13-EpOME-D4,
einem Agilent 6460 Triplequad-Massenspektrometer (Elektrospray- 12,13-­EpOME, 9,10-EpOME, 19,20-EpDPE, 14,15-EET-d8, 14,15-
ionisierung). Folgende Eicosanoide wurden zur Analyse aufgetragen EET, 5,6-EET, 16,17-EpDPE, 10,11-EpDPE, 13,14-EpDPE, 7,8-Ep-
(in der Reihenfolge ihrer Elution): LXA4, Resolvin D1, LTB5, DPE, 11,12-EET, 8,9-EET. Die Daten wurden freundlicherweise von
17,18-DiHETE, 10,17-DiHDHE, 14, 15-DiHETE, LTB4-D4, LTB4, Dr. M. Rothe (LIPIDOMIX GmbH, Berliner Allee 261–262, 13088
12,13-DiHOME-D4, 11,12-DiHETE, 12,13-DiHOME, 8,9-Di- Berlin) zur Verfügung gestellt
HETE, 9,10-DiHOME, 14,15-DHET-D11, 19,20-DiHDPA, 14,15-

Endocannabinoide  Endocannabinoide sind endogen syn- Gehirn zurückzuführen ist, fungieren Endocannabinoide
thetisierte Liganden der Cannabinoidrezeptoren CB1 und auch als pleiotrope periphere Hormone und beeinflussen
CB2, an die auch Tetrahydrocannabinol (THC) als exter- u.  a. den Stoffwechsel von Zielzellen, die Nahrungsauf-
ner Ligand bindet. THC kommt in großen Mengen in nahme und das Vergessen negativer Erlebnisse. Die beiden
Pflanzen der Gattung Hanf (Cannabis) vor und wird durch bekanntesten Endocannabinoide sind Anandamid (Arachi-
hitzeinduzierte Decaboxylierung aus Vorläufermolekülen donylethanolamid AEA) und 2-Arachidonylglycerin (2-
freigesetzt. Es induziert Glücksgefühle, Analgesie und wird AG). Daneben gibt es strukturverwandte endogene Lipide
für die berauschende Wirkung des Marihuanakonsums (z.  B.  Oleoylethanolamid OEA, Palmitoylethanolamid
verantwortlich gemacht. Endogene Liganden der Canna- PEA, Vaccinoylethanolamid VEA u. a.), die ebenfalls bio-
binoidrezeptoren werden in Anlehnung an die Endorphine logische Effekte hervorrufen. Diese Lipide werden als en-
als Endocannabinoide bezeichnet. Ähnlich wie Endor- docannabinoidähnliche Substanzen bezeichnet. Aufgrund
phine unterdrücken sie aufgrund ihrer analgetischen Wir- der interessanten biologischen Wirkungen wurden LC-MS/
kung das exzessive Schmerzgefühl und stellen damit u. a. MS-basierte Analysesysteme entwickelt, mit denen die
sicher, dass auch bei schweren Verletzungen der Fluchtre- Konzentrationen dieser Substanzen im Blutplasma, in an-
flex möglich bleibt. Neben der analgetischen Wirkung, die deren Körperflüssigkeiten und im Gewebe quantifiziert
vor allem auf die Hemmung der Schmerztransmission zum werden können (. Abb. 28.22).  
Lipidanalytik
715 28
A O
B O C O
OH OH OH
N N N
H H H
OEA
AEA PEA

OH HO
O O OH
OH
D O E O

2-AG 1-AG

F 2-AG

OEA
relative Intensität

PEA VEA
1-AG

AEA
m/z 326,3→62,2
m/z 379,2→287,3
m/z 300,2→62,2
m/z 348,3→287,3

5 7 9
Retentionszeit (min)

..      Abb. 28.22  Chemische Struktur und LC-MS/MS-Analyse von schließend erfolgte ein isokratischer Nachlauf bis 10  min bei 5  %
Endocannabinoiden im Blutplasma von Mäusen. A Arachidonylet- Fließmittel A.  Danach wurde die Säule für den nächsten analyti-
hanolamid (AEA), B Palmitoylethanolamid (PEA), C Oleoylethano- schen Lauf auf 80 % Fließmittel A rückequilibriert. Als Fließmittel
lamid (OEA), D 2-Arachidonylglycerin (2-AG), E 1-Arachidonylgly- A (niedrige Elutionskraft) wurde Wasser mit 0,0025 % Ameisensäure
cerin (1-AG). F LC-MS/MS-basierte Endocannabinoidanalytik: Das verwendet. Als Laufmittel B (hohe Elutionskraft) fungierte Aceto-
Blut von Mäusen wurde unter Verwendung von EDTA als Gerin- nitril mit 0,0025 % Ameisensäure. Der zeitliche Verlauf der im Dia-
nungshemmer durch Herzpunktion gewonnen. Die Blutzellen wur- gramm angegebenen Massenübergänge (m/z Q1→m/z Q2) wurde
den abzentrifugiert und die Plasmalipide wurden mit Ethylacetat verfolgt. Die Unterscheidung von 1-AG und 2-AG einerseits und
extrahiert. Die organische (obere) Phase wurde abgetrennt, das Lö- von VEA und OEA andererseits ist durch einfache massenspektro-
sungsmittel verdampft und die Lipide wurden in Acetonitril gelöst. metrische Detektion nicht möglich, da die Molekulargewichte der
Die chromatographische Trennung der Endocannabinoide erfolgte beiden Substanzpaare und die Hauptfragmentionen identisch sind.
mit einer Acquity UPLC-BEH-C18-Säule (100 × 2,1 mm, Partikel- Eine exakte Quantifizierung konnte nur durch die Kopplung der
größe 1,7 μm; Waters, Eschborn, Germany) mit folgendem Gradien- Tandemmassenspektroskopie (MS/MS) mit der hier beschriebenen
tensystem: 0–0,5  min isokratische Elution mit 80  % Fließmittel A; LC-Methode erreicht werden. Das Massenchromatogramm (F)
dann innerhalb von 0,1 min (von 0,5–0,6 min) in einem linearen Gra- wurde freundlicherweise von Dr. R.  Gurke (Institut für Klinische
dienten auf 40 % Fließmittel A; anschließend in 7,4 min (von 0,6– Pharmakologie, Universitätsklinikum der Goethe-Universität
8,0 min) in einem linearen Gradienten auf 36,5 % Fließmittel A. Ab- Frankfurt am Main) zur Verfügung gestellt

Diacylglycerine  Diacylglycerine (DAG) sind wichtige dem Phosphatidylinositol-­Stoffwechsel verknüpft. Nach


intrazelluläre Lipidmediatoren, die die Proteinkinase C Bindung eines Hormons an den entsprechenden Zell-
aktivieren und damit an der Regulation verschiedener membranrezeptor kommt es zur Aktivierung einer mem-
Enzyme des Zwischenstoffwechsels beteiligt sind. Die brangebundenen Phospholipase C (. Abb.  28.2), die

intrazelluläre Synthese der Diacylglycerine ist eng mit die Phosphatidylinositole der Zellmembran hydrolytisch
716 H. Kühn

spaltet und damit Diacylglycerine und Inositolphosphate ziert wurde. Im Gegensatz zu den Ceramiden wirkt Sphin-
freisetzt. Während 1,4,5-Inositoltrisphosphat (1,4,5- gosin-1-phosphat (S1P) antiapoptotisch und stellt damit
IP3) als Calciumionophor eine Depletion intrazellulärer einen physiologischen Gegenspieler der Ceramide dar.
Calciumdepots einleitet und damit die cytosolische Cal- Weitere Untersuchungen zeigten, dass S1P auch an der
ciumkonzentration erhöht, aktiviert 1,2-Diacylglycerin Regulation anderer zellphysiologischer Prozesse beteiligt
die Proteinkinase C.  Analytisch lassen sich Diacylgly- ist. Es fungiert als intrazelluläres Signalmolekül (zweiter
cerine mit der Kieselgel-­ Dünnschichtchromatographie Botenstoff), kann aber auch nach extrazellulär abgegeben
(7 Abschn.  28.3.1) bzw. mit der Normalphasen-HPLC
  werden und als Hormon über die Bindung an S1P-Rezep-
28 unter Verwendung von Laufmittelgemischen aus Hexan/ toren (S1P1-S1P5) auf Zielzellen wirken. Dabei kommt es
Isopropanol (100:2 Volumenanteile) analysieren. Da sie zur Freisetzung intrazellulärer Botenstoffe (cAMP, IP3,
intrazellulär aber nur in sehr geringen Konzentrationen Ca2+), zur Modifizierung der Genexpression und zu Ver-
gebildet werden und in der Regel kein Licht absorbieren, änderungen des Cytoskeletts, was u. a. den intrazellulären
ist ihre D
­ etektion problematisch. Als Ausweg bieten sich Vesikeltransport beeinflusst. Im Blutplasma kommt S1P
die Radiodünnschichtchromatographie bzw. die Radio-­ in Konzentrationen von bis zu 1 μM vor, ist intrazellulär
HPLC an. Dabei werden die zu untersuchenden Zellen jedoch nur im nanomolaren Konzentrationsbereich nach-
mit radioaktiv markierten Fettsäuren vormarkiert. Sti- weisbar. Besonders bedeutsam ist S1P für die Neubildung
muliert man die Zellen mit Rezeptoragonisten, welche die von Blutgefäßen in soliden Tumoren, sodass S1P-­
Phospholipase C aktivieren, kommt es zu einer erhöhten Antagonisten bzw. Synthesehemmer potenzielle Antitu-
Diacylglycerinfreisetzung, die mit der Radiodünnschicht- mormedikamente darstellen. Als analytische Methode
chromatographie bzw. der Radio-­ HPLC quantifiziert zur Quantifizierung des zellulären Spiegels an Sphingo-
werden kann. Zur Bestätigung der Analyseergebnisse sinderivaten hat sich die RP-HPLC bewährt. Da die
sollten die Diacylglycerinfraktionen nach entsprechender Sphingoidbasen keine charakteristische Lichtabsorption
Derivatisierung noch mittels Gaschromatographie/Mas- aufweisen, müssen sie vor der Analytik mit o-Phthalalde-
senspektrometrie untersucht werden. hyden derivatisiert werden. Dadurch wird eine stark fluo-
rophore Gruppe in das Molekül eingeführt, sodass die
Sphingosinderivate  Sphingosine sind langkettige Ami- Derivate in der HPLC detektierbar sind. Heute werden
noalkohole (. Abb.  28.23), die lange Zeit lediglich als
  diese Quantifizierungsmethoden jedoch zunehmend
Bestandteile der Spingolipide (7 Abschn. 28.1) und da-
  durch LC-MS/MS-Verfahren abgelöst, die keine chemi-
mit als Strukturelemente von Biomembranen betrachtet sche Derivatisierung mehr erfordern.
wurden. So ist seit Längerem bekannt, dass Ceramide
wichtige Bestandteile der Epidermis sind und damit zur
chemischen Penetrationsbarriere der Haut beitragen. Seit 28.5  Lipidvitamine
einigen Jahren weiß man jedoch, dass Sphingosinderivate
auch als Signalmoleküle wirken können. Sie spielen eine Die wichtigsten im menschlichen Organismus vorkom-
wichtige Rolle bei der Regulation von Zellwachstum, Zell- menden Lipidvitamine (Vitamine A, D, E und K) sind
differenzierung und Apoptose. Ceramide waren die ersten Isoprenoidderivate. Bis auf wenige Ausnahmen
Sphingolipide, deren Funktion bei der Apoptose identifi- (z.  B.  Vitamin D3) ist der menschliche Organismus
nicht in der Lage, die Substanzen durch De-novo-Syn-
OH Sphinganin these zu synthetisieren und ist damit auf die Zufuhr
HO CH2 mit der Nahrung angewiesen. In einigen Fällen (z. B.
Vitamin A) werden jedoch Vitaminvorstufen (Provita-
NH2 mine) mit der Nahrung aufgenommen, aus denen dann
im Organismus die bioaktiven Vitamine synthetisiert
OH
Sphingosin werden. Andere Vitamine (z. B. Vitamin K) werden in
HO CH2
ausreichenden Mengen durch die natürliche Bakteri-
NH2 enflora des Darmes synthetisiert. Für die Diagnostik
von Hypovitaminosen, die besonders in Entwicklungs-
OH 4-Hydroxysphinganin ländern und bei einseitiger Ernährung auftreten kön-
HO CH2 nen, sind empfindliche Analysesysteme zur Bestim-
mung der Konzentration von Lipidvitaminen im
NH2 OH Blutplasma nötig.
..      Abb. 28.23  Chemische Struktur biologisch relevanter Sphingo-
Wegen der hohen Verdampfungstemperaturen der
idbasen. Sphingoidbasen sind langkettige Aminoalkohole. In tieri- meisten Lipidvitamine und wegen ihrer chemischen In-
schen Geweben kommen hauptsächlich die drei aufgeführten Sphin- stabilität eignet sich die Gaschromatographie nicht für
goidbasen mit einer Kettenlänge von 18 Kohlenstoffatomen vor die Quantifizierung der Lipidvitamine. Es wurden für
Lipidanalytik
717 28
Spaltungs-
stelle H3C ..      Tab. 28.5  UV-Absorptionseigenschaften von Carotinde-
CH3 CH3 CH3
rivaten und von α-Tocopherol

CH3 CH3 H3C CH3 Carotinoid λmax (in nm) Molarer


CH3 Absorptionskoeffizient
CH3
β-Carotin (in Mol l−1 cm−1)

H3C Retinol 325 53.000

HOH2C Retinylstearat 325 53.000


CH3 CH3 H3C CH3
Lutein 454 144.000
Retinol
Cryptoxantin 454 131.000
..      Abb. 28.24  Chemische Struktur von β-Carotin und Retinol (Vita- Lycopin 474 185.000
min A). Durch Spaltung der gekennzeichneten Doppelbindung wird
aus β-Carotin (Provitamin A) das Retinol (Vitamin A) synthetisiert α-Carotin 447 146.000

β-Carotin 450 149 000


alle Lipidvitamine und deren Synthesevorstufen
γ-Carotin 454 137.000
HPLC-Methoden entwickelt, die relativ simpel hand-
habbar sind und mit einfachen Gerätekonfigurationen α-Tocopherol 293 4070
(isokratische oder binäre Gradientenelution, UV- bzw.
Fluoreszenzdetektion) durchgeführt werden können.
ßend wird das dadurch entstandene Cholecalciferol durch
Vitamin A und Carotine  Vitamin A (Retinol) wird entwe- 25-Hydroxylierung in der Leber und 1-Hydroxylierung in
der als bioaktives Vitamin oder als Provitamin (z.  B. β- der Niere in das bioaktive 1,25-Dihydroxycholecalciferol
Carotin) mit der Nahrung aufgenommen (. Abb. 28.24).   umgewandelt. Wenn die abschließende Hydroxylierung in
Als Methode der Wahl für den Nachweis und die Quanti- der Niere am C24 erfolgt, entsteht hingegen das bioinak-
fizierung von Retinol hat sich die NP-HPLC durchge- tive 24,25-­Dihydroxycholecalciferol. Die Hauptwirkung
setzt. Die Eigenfluoreszenz (Anregung bei 330 nm, Emis- des Vitamin D3 besteht darin, einem Abfall des Calcium-
sion bei 479 nm) des Retinols kann dabei zur Detektion spiegels im Blutplasma entgegenzuwirken.
genutzt werden. Da Fluoreszenzmessungen sehr empfind- Die verschiedenen Vitamin-D-Derivate können mit-
lich sind, können selbst Retinolkonzentrationen nachge- hilfe der RP-HPLC oder der NP-HPLC quantifiziert
wiesen werden, die deutlich unter den Normalwerten des werden. Aufgrund des Doppelbindungssystems des
menschlichen Blutplasmas liegen. Steht kein Fluoreszenz- 1,25-Dihydroxycholecalciferols können die Chromato-
detektor zur Verfügung, kann auch die UV-Absorption gramme durch UV-Detektion bei 254  nm verfolgt
bei 325 nm aufgezeichnet werden. ­werden.
Carotinoide, die Provitamine des Retinols, sind we-
sentlich hydrophobere Moleküle als das Retinol selbst Vitamin E  Tocopherole (. Abb. 28.26) bestehen aus ei-

(. Abb.  28.24). Besser als die Normalphasen-HPLC


  nem Chromanring und einer isoprenoiden Seitenkette.
eignen sich deshalb RP-HPLC-Systeme. Da die spektra- Die verschiedenen Tocopherole (z.  B. α-Tocopherol, γ-
len Eigenschaften und die molaren Absorptionskoeffizi- Tocopherol) unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl
enten bei den verschiedenen Carotinoiden sehr unter- und der Stellung der Methylgruppen am Chromanring.
schiedlich sind (. Tab.  28.5), empfiehlt sich eine
  Als endogene Antioxidanzien schützen Tocopherole Bio-
simultane Mehrwellenlängendetektion bei der Analyse. moleküle vor Oxidation, da sie z. B. mit Peroxidradikalen
reagieren, wobei sie in Tocochinone umgewandelt wer-
Vitamin D  Die D-Vitamine (Calciferole) sind eigentlich den. Dadurch werden radikalische Kettenreaktionen, wie
keine Vitamine, da sie im menschlichen Organismus voll- z. B. die nichtenzymatische Lipidperoxidation, unterbro-
ständig synthetisiert werden können. Beim Menschen chen. In tierischen Organismen kommen Tocopherole vor
fungieren sie u.  a. als Hormone bei der Regulation der allem in Biomembranen und Lipoproteinen vor und sor-
extrazellulären Calciumhomöostase. Die Biosynthese des gen dort dafür, dass es nicht zu einer übermäßigen Oxida-
aktiven Vitamin D3 (1,25-Dihydroxycholecalciferol) be- tion der mehrfach ungesättigten Fettsäuren kommt. Wie
ginnt in der Leber durch eine Dehydrierung von Choleste- alle Antioxidanzien können auch Tocopherole unter be-
rol zu 7-Dehydrocholesterol (. Abb. 28.25). Dieses wird
  stimmten Bedingungen prooxidativ wirken.
nachfolgend in die Haut transportiert, wo es unter Betei- Mittels RP-HPLC können Tocopherole ohne jegliche
ligung von UV-Licht zu einer oxidativen Spaltung des Ste- Derivatisierung quantifiziert werden. Da Tocopherole ei-
rangerüstes kommt (Spaltung des B-Rings). Anschlie- nen aromatischen Ring enthalten, kann das Chromato-
718 H. Kühn

Haut
C D Leber C D (UV-Licht) C D Leber C D

A B A B
HO HO
OH
Cholesterin 7-Dehydrocholesterin A A
HO HO
28 Cholecalciferol 25-Hydroxycholecalciferol

Niere

C D C D

HO
OH OH

A A
HO OH HO

1,25-Dihydroxycholecalciferol 24,25-Dihydroxycholecalciferol

..      Abb. 28.25  Biosynthese von 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Vitamin D3). An der Biosynthese des aktiven Vitamin D3 aus Cholesterol
sind drei Organe (Leber, Haut, Niere) beteiligt

CH3 O
HO CH3
A B CH3 A B
CH3
H3C O
CH3 CH3 CH3 CH3
CH3 O CH3 CH3 CH3 CH3
Chromanring Methyl-
α-Tocopherol
naphthochinonring Phytylseitenkette

..      Abb. 28.26  Struktur des α-Tocopherols. Der B-Ring des α- Vitamin K1


Tocopherols kann hydrolytisch gespalten werden, wobei das α-
Tocopherolhydrochinon entsteht. Dieses kann durch Elektronenab- ..      Abb. 28.27  Chemische Struktur des Vitamin K1. Das Vitamin
gabe zum Tocochinon reduziert werden, wobei intermediär ein K2 trägt statt einer Phytylseitenkette einen Difarnesylrest aus sechs
Hydrosemichinon-Radikal entsteht. Die abgegebenen Elektronen Isopreneinheiten
können von freien Radikalen in der Umgebung aufgenommen wer-
den, wodurch Radikalkettenreaktionen unterbrochen werden
für die Funktionalität von Gerinnungsfaktoren und Cal-
gramm prinzipiell bei 290 nm verfolgt werden. Da jedoch cifizierungsproteinen bedeutsam ist, kommt es bei chroni-
der molare Absorptionskoeffizient bei 290  nm eher ge- schen K-Hypovitaminosen gehäuft zu schwer stillbaren
ring ist (s. . Tab. 28.5), besitzt die UV-Detektion keine
  Blutungen und/oder zu Mineralisierungsstörungen der
ausreichende Empfindlichkeit. Deutlich empfindlicher Knochen.
und weniger störanfällig ist dagegen die Fluoreszenzde- Da die verschiedenen K-Vitamine unterschiedlich
tektion (Anregung bei 292 nm, Emission bei 325 nm). lange Seitenketten tragen und damit einen relativ großen
Polaritätsbereich abdecken, gelingt keine vollständige
Vitamin K  Die K-Vitamine (Phyllochinone) leiten sich Trennung in isokratischen HPLC-Trennsystemen, so-
vom natürlicherweise nicht vorkommenden Menadion ab dass Gradientenelutionen durchgeführt werden müssen.
und besitzen damit Chinonstruktur (. Abb.  28.27). Sie   Zur Detektion kann die Messung der Eigenfluoreszenz
sind Cofaktoren bei der posttranslationalen Proteincar- (Anregung bei 320 nm, Emission bei 430 nm) der Analy-
boxylierung. Da diese posttranslationale Modifizierung ten aufgezeichnet werden.
Lipidanalytik
719 28
28.6  Lipidomanalytik einzelner Lipidklassen umfassend und mit hinreichen-
der Genauigkeit zu analysieren. Die Kopplung mit einer
Das Lipidom einer Zelle umfasst die Gesamtheit aller chromatographischen Analysetechnik erhöht die Quali-
in dieser Zelle vorkommenden Lipide. Obwohl sich alle tät der Lipidomanalytik deutlich.
biologisch relevanten Lipide aus wenigen, relativ einfach In . Abb. 28.28 ist die experimentelle Strategie für

gebauten Grundbausteinen (z. B. Fettsäuren, Glycerol, die Lipidomanalyse eines zellulären Gesamtlipidextrak-


Isopren etc.) zusammensetzen, enthalten menschli- tes zusammengefasst. Aufgrund der hohen Sensitivität
che Zellen Tausende verschiedene Lipidderivate. Diese der ESI-MS reichen 106 Zellen bzw. 10  mg Gewebe
strukturelle Vielfalt ist das Resultat diverser Biosyn- (Feuchtgewicht) aus, um das Lipidom zu charakterisie-
thesemechanismen und basiert hauptsächlich auf einer ren. Initial wird aus dem biologischen Material durch
kombinatorischen Veränderung der polaren Kopfgrup- Flüssigphasenextraktion (7 Abschn.  28.2.1) ein Ge-  

pen und der unpolaren Seitenketten (Fettsäurederivate), samtlipidextrakt hergestellt. Dazu homogenisiert man
des Cyclisierungsgrades (Polyketide, Isoprenoide) sowie das Gewebe in organischen Lösungsmitteln und gibt ge-
auf einer Modifizierung funktioneller Gruppen. Als eignete externe Standards zu, was für die vergleichende
Konsequenz aus der schnellen Entwicklung der Ge- Quantifizierung der Lipidome verschiedener Zelltypen
nom-, Transkriptom- bzw. Proteomforschung hat man von besonderer Bedeutung ist. Danach können die Ge-
in den letzten Jahren zunehmend versucht, die Lipidome samtextrakte direkt zur massenspektrometrischen Ana-
verschiedener Zellen und Gewebe mithilfe von High-­ lyse eingesetzt werden. Anionische Lipide (z. B. Cardio-
Throughput-­Methoden mehr oder weniger umfassend lipine, Phosphatidylglycerine, Phosphatidylinositole,
zu charakterisieren. Um dieses analytische Problem Phosphatidylserine, Phosphatidsäuren, Sulfatide) kön-
zu lösen, musste eine Basismethode gefunden werden, nen als geladene Moleküle direkt analysiert werden.
mit der die unterschiedlichen Lipidspezies voneinan- Ähnliches gilt auch für die Acylcarnitine.
der getrennt und separat quantifiziert werden können. Die massenspektrometrische Analytik von Lipid-
In frühen Phasen der Lipidomforschung hat man ver- klassen, die weniger ausgeprägte Ladungseigenschaften
sucht, diese Aufgabe durch Kombination verschiedener besitzen (z.  B.  Phosphatidylcholine, Phosphatidyletha-
chromatographischer Techniken (HPLC) zu lösen. Bald nolamine, Sphingomyeline, Ceramide, Galactocerebro-
schon stellte sich jedoch heraus, dass dieses methodi- side etc.), ist komplizierter, da der Ionisierungsprozess
sche Vorgehen sehr arbeitsintensiv war und nicht die des Elektrosprayverfahrens weniger effektiv ist. Deshalb
nötige Sensitivität besaß, um vor allem jene Lipide ana- empfiehlt es sich, dem Lipidextrakt für die Analyse die-
lysieren zu können, die nur in geringen Mengen in bio- ser Lipidklassen LiOH zuzusetzen (ca.  50  nmol  mg–1
logischen Extrakten vorkommen. Die Entwicklung der zellulären Proteins). Dadurch werden Gegenionen für
Elektrosprayionisations-­ Massenspektrometrie und de- Phosphatidylcholine und Sphingomyeline zur Ver-
ren Anwendung in der Lipidanalytik stellten einen Wen- fügung gestellt, sodass die Ionenpaare im positiven
depunkt der zellulärer Lipidomanalytik dar. Mithilfe Ionisierungsmodus besser analysiert werden können.
dieser Technik ist es heute möglich, komplexe Lipid- Gleichzeitig werden die primär ungeladenen Phosphati-
extrakte auch ohne chromatographische Vorreinigung dylethanolamine in geladene Lipidspezies umgewandelt,

..      Abb. 28.28  Experimentelle Strategie Zellen,


für die massenspektrometrische Analyse Gewebe
der Lipidome aus ungereinigten Totallipid-
extrakten biologischer Proben. Die interne
Gesamtlipide biologischer Systeme (Zellen, Standards
Gewebe, Körperflüssigkeiten etc.) werden kationische anionische
durch Flüssigphasenextraktion präpariert Kationen- Gesamtlipid- Anionen-
Lipide Lipide
und anschließend mittels ESI-MS ESI-MS extrakt ESI-MS
(z.B. Acylkarnitine) (z.B. Phosphatidsäure)
analysiert. In einem zweiten Schritt wird
den Extrakten LiOH zugesetzt. Die LiOH
dadurch schwach alkalisierten Extrakte
werden danach erneut einer massenspektro- basischer
metrischen Analyse unterzogen Lipidextrakt
Multiple-Kationen- Multiple-Anionen-
ESI-MS ESI-MS

kationische anionische
Lithiumaddukte Lithiumaddukte
(z.B. PC, SM, TAG) (z.B. PE, FFA, CA)
720 H. Kühn

..      Abb. 28.29 Elektrosprayionisierungsmassenspekt- A Anionen-ESI-MS vom Lipidextrakt eines Maus-Myokards


ren eines Gesamtlipidextraktes von murinen Cardio- 665,6 (14:0-14:0 PtdGro)
myocyten. Die Lipide wurden aus dem Homogenat 100

relative Intensität in %

interner Standard
18:0-20:4 PtdIns
von Mäuseherzen nach der Methode von Bligh/Dyer 80 885,7
extrahiert. Die Identität der verschiedenen Lipidspe- 16:0-18:1 PtdGro
747,6
zies wurde durch ESI-Tandemmassenspektrometrie 60
bestätigt. A Anionen-ESI-MS des Lipidextraktes in 40

662,6
Abwesenheit von LiOH; B Anionen-ESI-MS des (2-fach geladenes) 18:0-18:2 PtdGro 18:0-22:6 PtdSer
Cardiolipin 773,6 834,7 18:1-22:4 PtdIns
Lipidextraktes in Anwesenheit von LiOH; C 20 792,7
PtdIns 911,7
Kationen-ESI-MS des Lipidextraktes in Anwesenheit
28 von LiOH
0
650 700 750 800 850 900 950
m/z

B Anionen-ESI-MS mit LiOH vom Lipidextrakt eines Maus-Myokards


662,6 (15:0-15:0 PtdEtn)
100

interner Standard
relative Intensität in %
80 18:0-22:6 PtdEtn
792,7
60 16:0-22:6 PtdEtn
762,6
16:0-22:6 PlsEtn
40 746,6 PtdEtn
766,7
PtdGro PlsEtn
20 665,6 774,7 PtdSer PtdIns
834,7 885,7
0
650 700 750 800 850 900 950
m/z

C Kationen-ESI-MS mit LiOH vom Lipidextrakt eines Maus-Myokards


680,6 (14:1-14:1 PtdCho) 812,7 (16:0-22:6 PtdCho)
100
relative Intensität in %

interner Standard

840,7 (18:1-22:4 PtdCho)


80

837,7 (OHN24:0 SM)


60 16:0-18:1
PtdCho 16:0-20:4 T17:1
40 766,6 PtdCho TAG
788,6 849,7 TAG
N16:0 SM N18:0 SM
20 709,6 737,6

0
650 700 750 800 850 900 950
m/z

die im negativen Ionisierungsmodus analysiert werden Als Nachteile gelten die schlechte und teilweise nur
können. Schwierig gestaltet sich die massenspektromet- schwer kontrollierbare Ionisierbarkeit einiger neutraler
rische Analytik stark apolarer Neutrallipide (Triacylgly- Lipidklassen und der hohe gerätetechnische Aufwand.
cerine, bzw. Cholesterylester). Glücklicherweise bilden Die Lipidomanalytik sollte ausschließlich mit ver-
auch die ungeladenen Triacylglycerine positiv geladene dünnten Lipidlösungen durchgeführt werden. Bei der
Lithiumkomplexe, die mittels ESI-MS analysiert wer- Verwendung konzentrierter Lösungen kommt es zu
den können (. Abb. 28.29). Die Vorteile der ESI-MS-­
  starken Lipid-Lipid-Wechselwirkungen (nichtkova-
basierten Lipidomanalytik können wie folgt zusammen- lente Polymerbildung), die den Ionisierungsprozess er-
gefasst werden: heblich beeinflussen. Dadurch werden die aktuellen
1. simultane quantitative Analyse von Lipidklassen, Konzentrationen der Hauptlipide zum Teil deutlich
Subklassen und individueller Lipidspezies ohne vor- unterbestimmt.
herige chromatographische Trennung bzw. Derivati-
sierung
2. geringer Zeitaufwand 28.7  Ausblick
3. große Sensitivität und gutes Signal-zu-­Hintergrund-
Verhältnis Mit der Weiterentwicklung der allgemeinen Analyse-
4. lineare Abhängigkeit der Signalintensität von der technik ist in den nächsten Jahren zu erwarten, dass
Menge individueller Lipide über mehr als vier Grö- auch in der Lipidanalytik verbesserte Methoden einge-
ßenordnungen setzt werden können. Dabei ist jedoch kaum mit grund-
5. gute Reproduzierbarkeit legenden methodischen Neuentwicklungen zu rechnen.
Lipidanalytik
721 28
Der Hauptanteil am methodischen Fortschritt wird den zuzuordnen. Ähnlich wie die Forschungen zur funk-
in nächster Zeit einerseits darin bestehen, dass bereits tionellen Genomic stehen die entsprechenden Untersu-
verfügbare Analysemethoden perfektioniert und verein- chungen zur funktionellen Charakterisierung zellulärer
facht werden. So sind derzeit die relativ hohen Kosten Lipidome noch am Anfang. Ein wesentliches Hilfsmittel
von Tandemmassenspektrometern das Haupthindernis bei der Charakterisierung zellspezifischer Lipidome ist die
für einen häufigeren Einsatz dieser für die Lipidanalytik in situ-Massenspektrometrie. Mit dieser Methode, deren
äußerst nützlichen Methode der Strukturidentifizierung. Entwicklung heute noch in den Kinderschuhen steckt, ist
Ähnliches gilt für die NMR-Spektroskopie. Neben dem es möglich, umfangreiche Metabolomprofile aus verschie-
hohen Preis der verfügbaren NMR-Geräte limitiert der- denen Zellen mikroskopischer Schnitte zu bestimmen. Bei
zeit noch der relativ hohe Substanzbedarf die verbrei- diesem Verfahren werden Metabolitmoleküle mithilfe ei-
tete Anwendung dieser Analysemethode. In Zukunft nes Laserstrahls aus verschiedenen Zellen eines Gewebs-
kann jedoch damit gerechnet werden, dass der Subs- schnittes herausgelöst (Laserdesorption) und danach
tanzbedarf für eine NMR-Analyse auf Mengen im un- massenspektrometrisch quantifiziert. Das Hauptproblem
teren Mikrogrammbereich reduziert werden kann. dieser Miniaturmethode ist nach wie vor die schwer kont-
In den kommenden Jahren ist eine weitere Miniaturi- rollierbare Effizienz der Laserdesorption und die schwie-
sierung der Analysemethoden zu erwarten. Mit dem rige Standardisierung.
Fortschreiten der biochemischen Forschung werden zu- Das zelluläre Lipidom ist eine Teilmenge des zellulä-
nehmend neue biologische Wirkungen von Lipidmedia- ren Metaboloms. Kinetische Veränderungen des Lipi-
toren (sekundäre Botenstoffe, Lipidhormone) gefunden. doms und deren zeitliche Korrelation mit zellphysiologi-
Da diese Mediatoren in sehr geringen Konzentrationen schen Prozessen tragen dazu bei, die biologische
in biologischem Material vorkommen, muss die Emp- Bedeutung verschiedener Lipide besser zu charakterisie-
findlichkeit der vorhandenen Analysemethoden weiter ren. Aus solchen zeitanhängigen Veränderungen können
erhöht werden. Die Narrow-Bore-­HPLC-Technik, die in-vivo-Flussraten ausgewählter Lipidmetabolite be-
mit miniaturisierten Säulen arbeitet und nur geringe Lö- stimmt werden (lipid fluxomics), was zu einem besseren
sungsmittelmengen erfordert, wird heute schon weit ver- Verständnis des gesamten Lipidstoffwechsels beiträgt.
breitet angewendet. Leider können konventionelle
HPLC-Systeme nicht ohne Weiteres auf die Narrow-Bo-
re-Technik umgestellt werden, sodass die Verwendung
dieser Analysetechnologie die Anschaffung neuer Gerä-
Literatur und Weiterführende Literatur
tekonfigurationen erfordert. Mit der Miniaturisierung Akoh CC, Min DB (2008) Food lipids. CRC Press, Boca Raton
der analytischen Geräte geht eine weitere Erhöhung ih- Bielawski J et al (2010) Sphingolipid analysis by high performance
rer Empfindlichkeit einher. Solche Empfindlichkeitsstei- liquid chromatography-tandem mass spectrometry (HPLC-MS/
gerungen sind nötig, um z. B. Einzelzelllipidome (single MS). Adv Exp Med Biol 688:46–59
cell lipidoms) verlässlich quantifizieren zu können. Bligh EG, Dyer WJ (1959) A rapid method of total lipid extraction
and purification. Can J Biochem Physiol 37:911–917
Die Online-Kopplungen verschiedener analytischer Bollinger JG et  al (2010) Improved sensitivity mass spectrometric
Verfahren werden in den nächsten Jahren deutlich ver- detection of eicosanoids by charge reversal derivatization. Anal
bessert werden. Kopplungen von Massenspektrometrie Chem 82:6790–6796
und UV-Spektroskopie mit verschiedenen chromatogra- Chen Y et al (2010) Imaging MALDI mass spectrometry of sphingo-
phischen Verfahren werden in der Lipidanalytik schon lipids using an oscillating capillary nebulizer matrix application
system. Methods Mol Biol 656:131–416
heute weit verbreitet eingesetzt. Auch Dreifachkopplun- Christie WW, Han X (2010) Lipid analysis  – isolation, separation,
gen von Chromatographie, UV-Spektroskopie und Mas- identification and lipidomic analysis. Oily Press, Bridgwater
senspektrometrie werden bereits angewandt. Methodi- Deems R et al (2007) Detection and quantitation of eicosanoids via
sche Ansätze zur Online-Kopplung verschiedener high performance liquid chromatography-electrospray
chromatographischer Verfahren mit der Infrarot- bzw. ionization-­mass spectrometry. Meth Enzymol 432:59–82
Fahy E et al (2005) Comprehensive classification system for lipids. J
der NMR-Spektroskopie sind ebenfalls bereits vorhan- Lip Res 46:839–861
den, bedürfen aber noch der Optimierung, bevor sie weit Fahy E et al (2009) Update of the LIPID MAPS comprehensive clas-
verbreitet eingesetzt werden können. sification system for lipids. J Lip Res 50:S9–S14
Die Verbesserung der strukturellen Lipidomcharakte- Garrett TA et al (2007) Analysis of ubiquinones, dolichols, and doli-
risierung stellt eine wesentliche Voraussetzung für die chol diphosphate-oligosaccharides by liquid chromatography-­
electrospray ionization-mass spectrometry. Meth Enzymol
funktionelle Lipidomanalytik dar, mit der es möglich wer- 432:117–143
den sollte, Strukturveränderungen im Lipidmuster von Gunstone FD, Harwood JL, Dijkstra AJ (2007) The lipid handbook.
Zellen und Geweben unterschiedlichen Funktionszustän- CRC Press, Boca Raton
722 H. Kühn

Gurke RTD, Schreiber Y, Schäfer SMG, Fleck SC, Geisslinger G, Massodi M et al (2010) Comprehensive lipidomics analysis of bio-
Ferreirós N (2019) Determination of endocannabinoids and en- active lipids in complex regulatory networks. Anal Chem
docannabinoid-like substances in human K3EDTA plasma  – 82:8176–8185
LC-MS/MS method validation and pre-analytical characteris- McDonald JG et al (2007) Extraction and analysis of sterols in biologi-
tics. Talanta 204:386–394 cal matrices by high performance liquid chromatography electro-
Han X, Yang K, Cheng H, Fikes KN, Gross RW (2005) Shut gun li- spray ionization mass spectrometry. Meth Enzymol 432:145–170
pidomics of phosphatidylethanolamine containing lipids in bio- Mukheree KD, Weber N (Hrsg) (1993) Handbook of chromatogra-
logical samples after one-step in situ derivatization. J Lip Res phy, analysis of lipids. CRC Press, Boca Raton
46:1548–1560 Murphy RC et al (2008) Imaging of lipid species by MALDI mass
Kasumov T et  al (2010) Quantification of ceramide species in spectrometry. J Lipid Res 50:S317–S322
28 biological samples by liquid chromatography electrospray Sullards MC et al (2007) Structure-specific, quantitative methods for
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Lacomba R et al (2009) Determination of sialic acid and gangliosi- mol 432:83–115
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Biomed Anal 51:346–357 Discov 4:594–610
723 29

Analytik posttranslationaler
Modifikationen:
Phosphorylierung und
oxidative Cysteinmodifikation
von Proteinen
Gereon Poschmann, Nina Overbeck, Katrin Brenig und Kai Stühler

Inhaltsverzeichnis

29.1  unktionelle Bedeutung der Phosphorylierung und oxidativer


F
Cysteinmodifikation bei Proteinen – 725
29.1.1  hosphorylierung – 725
P
29.1.2 Oxidative Cysteinmodifikation – 726

29.2  trategien zur Analyse der posttranslationalen Phosphorylie-


S
rung und oxidativer Cysteinmodifikation von Proteinen und
Peptiden – 728

29.3  robenvorbereitung, Trennung und Anreicherung


P
phosphorylierter und oxidativ cysteinmodifizierter Proteine
und Peptide – 728
29.3.1 T rennung und Anreicherung phosphorylierter Proteine
und Peptide – 729
29.3.2 Probenvorbereitung, Trennung und Anreicherung oxidativer
Cysteinmodifikationen von Proteinen und Peptiden – 731

29.4  etektion der Phosphorylierung und oxidativer


D
Cysteinmodifikationen von Proteinen und Peptiden – 734
29.4.1  etektion mittels enzymatischer, radioaktiver, immunchemischer
D
und fluoreszenzbasierender Methoden – 734
29.4.2 Detektion phosphorylierter und cysteinoxidierter Proteine mittels
Massenspektrometrie – 737

29.5 L okalisation und Identifizierung posttranslational


modifizierter Aminosäuren – 738
29.5.1 L okalisation phosphorylierter Aminosäuren mittels
Edman-Sequenzierung – 738

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_29
29.5.2 L okalisation phosphorylierter und cysteinoxidierter Aminosäuren
mittels massenspektrometrischer Fragmentionenanalyse – 739

29.6  uantitative Analyse posttranslationaler


Q
Modifikationen – 743

29.7  ukunft der Analytik posttranslationaler


Z
Modifikationen – 743

Literatur und Weiterführende Literatur – 744


Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
725 29
55 Posttranslationale Modifikationen von Proteinen be- den Proteinmengen kontrolliert, die von den Raten der
stimmen maßgeblich die Funktion von Proteinen. Da- Expression, Biosynthese und Degradation abhängen,
her ist eine genaue analytische Charakterisierung von sondern sie werden zusätzlich durch spezifische post-
Proteinmodifikationen insbesondere im Zusammen- translationale Modifikationen (PTMs) moduliert.
hang mit Signalprozessen, Enzymaktivitäten sowie in PTMs erhöhen die Zahl der durch die 22 proteinogenen
der Diagnostik und Analytik von Biotherapeutika Aminosäuren möglichen molekularen Strukturen. So-
hoch relevant. mit stellen sie eine zusätzliche Steuerungsebene für die
55 Die Phosphorylierung zählt zu den am häufigsten be- Interaktion, Lokalisierung und Stabilität von Proteinen
schriebenen Modifikationen und spielt beispielsweise dar. Phosphorylierungen, Ubiquitinylierungen, Acety-
bei der Regulation von Enzymaktivitäten und in der lierungen, Methylierungen, Glykosylierungen sowie oxi-
Signaltransduktion eine wichtige Rolle. Aufgrund der dative Cysteinmodifikationen zählen zu den am häufigs-
negativen Ladung der Phosphorylgruppe können ten untersuchten PTMs.
phosphorylierte Peptide z.  B. durch eine Affinitäts-
chromatographie mit Titandioxid vor der Analyse an-
Viele Proteine werden im Laufe ihrer Lebensdauer
gereichert werden.
ko- oder posttranslational modifiziert. Zum einen
55 Die Analyse von oxidativen Cysteinmodifikationen ist
können sie in spezialisierten Organellen wie dem En-
einerseits durch die hohe Zahl möglicher unterschied-
doplasmatischen Retikulum oder im Golgi-Apparat
licher Modifikationen und andererseits durch ihre teil-
durch z. B. Anhängen von Zuckerresten oder Lipiden
weise instabile Natur komplex. Neben dem direkten
langfristig verändert werden. Zum anderen werden
Nachweis der Modifikation werden daher oft indirekte
Proteine kurzfristig zur Signalvermittlung oder in
Methoden in Kombination mit chemischen Sonden be-
metabolischen Prozessen chemisch modifiziert (Phos-
nutzt.
phorylierung, Acetylierung, Cysteinoxidation etc.).
55 Eine der wichtigsten und flexibelsten Methoden zur
Das Einfügen solcher posttranslationaler Modifika-
Charakterisierung von posttranslationalen Proteinmo-
tionen erhöht die Komplexität des Proteoms deutlich,
difikationen ist die Massenspektrometrie. Der Nach-
und so kann es durchaus vorkommen, dass von einer
weis von Modifikationen erfolgt dabei in der Regel
einzigen proteincodierenden Gensequenz – neben dem
nach Anreicherung über affinitätsbasierte und/oder
prätranslationalen Spleißen der mRNA – durch nach-
chemische Methoden.
trägliche Modifikationen des Primärproteins bis zu
55 Modifikationen von Proteinen können einander bedin-
mehrere Hundert Proteinspezies (Proteoformen) ent-
gen und komplexe Muster bilden. Die detailliere Ana-
stehen. Der Begriff des Proteins lässt sich hier auf den
lyse des funktionellen Zusammenspiels von Mustern
der Proteoformen erweitern, der unterschiedlich modi-
posttranslationaler Modifikationen und Proteofor-
fizierte Varianten desselben Proteins bezeichnet.
men  – unterschiedlich modifizierter Varianten eines
Proteins – ist analytisch komplex und eine Herausfor-
derung für zukünftige Arbeiten.

29.1  Funktionelle Bedeutung der


Biologische Prozesse wie Wachstum, Entwicklung, Dif-
ferenzierung, Vermehrung und Apoptose von Zellen Phosphorylierung und oxidativer
werden hauptsächlich durch Proteine und ihre Interak- Cysteinmodifikation bei Proteinen
tionen miteinander oder mit Metaboliten, Lipiden, Zu-
ckern und Nucleinsäuren vermittelt. Unter anderem er- 29.1.1 Phosphorylierung
möglichen Proteine durch die inter- und intrazelluläre
Signalweiterleitung die Kommunikation zwischen Zel- Die reversible Phosphorylierung von Aminosäureresten
len, die für das koordinierte Verhalten der verschiedenen (Interkonvertierung) der Proteine spielt eine wichtige
Zellen eines Organismus erforderlich ist. Ankommende Rolle bei der Regulation von intrazellulären Signalkas-
Signale werden von spezifischen Rezeptorproteinen z. B. kaden. Proteine werden durch spezifische Kinasen phos-
auf der Oberfläche einer Zelle registriert und an unter- phoryliert und durch spezifische Phosphatasen dephos-
schiedliche Proteine weitergegeben, die ihrerseits das Si- phoryliert. In Abhängigkeit von der Art des Proteins
gnal an nachstehende Proteine weiterleiten. Auf diese und des modifizierten Aminosäurerests kann eine Phos-
Weise werden spezifische Signalproteine in Abhängig- phorylierung oder eine Dephosphorylierung zur Akti-
keit von der Art des ankommenden Signals sukzessive in vierung oder zur Inaktivierung eines Proteins führen.
die Signalweiterleitung einbezogen, und es bilden sich Die Phosphorylierung von Proteinen ist aus mehreren
Signalkaskaden, die das Verhalten der Zelle steuern. Die Gründen besonders geeignet für die Koordination von
Funktionen und Aktivitäten der einzelnen Proteine wer- zellulären Antworten auf ein spezifisches Signal. Zum
den dabei nicht allein durch die zur Verfügung stehen- einen erfolgt sie innerhalb weniger Sekunden und ist re-
726 G. Poschmann et al.

versibel, sodass eine koordinierte Umsetzung des Sig- senziell ist. N- und S-Phosphate stellen reaktive Zwi-
nals in eine biochemische Antwort möglich ist. Zum schenstufen bei verschiedenen Reaktionen dar. So spielt
anderen kann ein Protein das ankommende Signal an Argininphosphat eine wichtige Rolle bei der Energiege-
mehrere nachstehende Proteine weitergeben, sodass die winnung von Crustaceen. Ein energiereiches Histidin-
Aktivierung einer einzelnen Kinase in der Phosphorylie- phosphat ist an der Reaktion der HPr-­Kinase/Phospha-
rung von vielen Proteinen resultieren kann. Dadurch tase im bakteriellen Phosphotransferasesystem beteiligt,
werden eine effektive Amplifikation des Signals und eine und ein Cysteinphosphat wurde als Zwischenstufe bei
schnelle Antwort gewährleistet. der Tyrosin-­ Phosphatase-­
Reaktion detektiert. Acyl-
In den letzten Jahren wurde der Mechanismus der phosphathaltige Proteine dagegen sind in die sensori-
Phosphorylierung aufgeklärt, und eine große Anzahl an sche Transduktion bei der bakteriellen Chemotaxis in-
Proteinkinasen und ihre zellulären Substratproteine volviert.
29 wurden identifiziert. Proteinkinasen bilden einen festen
Komplex mit ihren Substratproteinen und katalysieren
den Transfer einer Phosphatgruppe von einem Phos- 29.1.2 Oxidative Cysteinmodifikation
phatgruppendonor auf einen spezifischen Aminosäure-
rest des Substratproteins. Als Phosphatgruppendonor Die reversible, aber auch irreversible Oxidation von Cys-
dient meist ATP oder ein anderes Nucleosidtriphosphat, teinen spielt eine wichtige Rolle innerhalb einer Zelle.
dessen γ-Phosphat gerichtet übertragen werden kann. Die reversible Oxidation von Cysteinen ist vergleichbar
Die Substratspezifität von Kinasen wird durch Regi- mit der Phosphorylierung und wichtig für die Weiterlei-
onen in der Aminosäuresequenz des Substratproteins tung von Signalen. Cysteine können durch reaktive Sau-
bestimmt, die als „Andockstellen“ bezeichnet werden. erstoff-, Stickstoff- und Schwefelspezies (ROS, RNS
Diese „Andockstellen“ sind spezifisch sowie modular und RSS) oxidiert werden. Hierbei können im Gegen-
aufgebaut und beeinflussen stark die Effizienz der Phos- satz zur Phosphorylierung viele unterschiedliche Modi-
phorylierung. Die Auswirkung der Phosphorylierung fikationen wie z. B. Sulfen-, Sulfin-, Sulfonsäuren oder
dagegen hängt hauptsächlich von der Umgebung der eine Modifikation mit Glutathion entstehen. Die Re-
Phosphorylierungsstelle ab, da die Übertragung einer duktion kann bei reversiblen Oxidationen z.  B. über
Phosphatgruppe zwei zusätzliche negative Ladungen in Thioredoxine oder Glutaredoxine erfolgen.
das Substratprotein einführt und damit die Ausbildung Oxidative Cysteinmodifikationen haben eine zent-
von neuen Wasserstoff- und Salzbrücken erlaubt. Folg- rale Stellung bei der Kontrolle des Zellwachstums, Proli-
lich führt die Phosphorylierung eines Proteins zur Än- ferations- und Differenzierungsprozessen sowie der
derung der elektrostatischen Interaktionen, der Bin- Zellmigration und der Apoptose, darüber hinaus spielen
dungseigenschaften, der Konformation und der sie bei der Ätiologie und Progression von Krankheiten
katalytischen Aktivität und beeinflusst somit die biolo- eine Rolle. Die hochvariablen posttranslationalen Re-
gische Funktion der Proteine. Bisher wurden vier ver- doxmodifikationen ermöglichen der Zelle, diverse Sig-
schiedene Arten von Phosphoaminosäuren beschrieben, nale, die durch reaktive ROS, RNS und RSS vermittelt
die sich in ihrer Stabilität und Funktion unterscheiden: werden, aufzunehmen und in eine biologische Antwort
55 O-Phosphate (Phosphorylierung an Hydroxylresten zu übersetzen.
von Serin, Threonin, Tyrosin) Auch die Aminosäuren Histidin, Methionin, Trypto-
55 N-Phosphate (Phosphorylierung an Aminogruppen phan, Tyrosin und Selenocystein können oxidativ modi-
von Arginin, Lysin und Histidin) fiziert werden, aufgrund ihrer chemischen Eigenschaf-
55 S-Phosphate (Phosphorylierung an Thiolgruppen ten sind Cysteine jedoch das prominenteste Ziel. Das in
von Cystein) der Thiolform (Sulfhydryl/–SH) vorliegende Schwefel-
55 Acylphosphate (Bildung von Phosphoanhydriden atom der Cysteine ist eines der stärksten Nucleophile bei
mit Asparaginsäure und Glutaminsäure) Proteinen und  – anders als bei der relativ unreaktiven
Thioetherform des Methionin-Schwefelatoms  – ioni-
Serin ist in biologischen Systemen die am häufigsten sierbar (Thiolatanion/–S−). Dieser Wechsel zwischen
phosphorylierte Aminosäure, und die reversible O-­ protonierter und deprotonierter Form ist entscheidend
Phosphorylierung von Serin-, Threonin- und Tyrosinres- für die Reaktivität des Cysteins und hängt von Faktoren
ten stellt in Eukaryoten einen der wichtigsten Mechanis- wie der Säurekonstante (pKa-Wert) der Thiolgruppe,
men zur Regulation von zellulären Funktionen dar. Die dem vorliegenden pH-Wert sowie der Zugänglichkeit
Serin- und Threoninphosphorylierung dient vor allem des Cysteins innerhalb des Proteins ab. Maßgeblich von
der Regulation von Enzymaktivitäten, wogegen die Ty- ihrer Mikroumgebung beeinflusst, variiert der pKa-Wert
rosinphosphorylierung für die zelluläre Antwort auf die einer proteinogenen Thiolgruppe zwischen 2,5 und 12.
Stimulation mit Hormonen und Wachstumsfaktoren es- Der Zusammenhang zwischen dem pKa-Wert und dem
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
727 29
pH-Wert innerhalb der Mikroumgebung in der Zelle säure weiter reagiert. Die Reaktion mit Schwefelwasser-
verdeutlicht, warum nicht alle Cysteine die gleiche inhä- stoff (H2S) führt zu einem Persulfid und mit Nitrosoniu-
rente Reaktivität besitzen: Während ein Thiol mit einem mion (NO+) zu einem Nitrosothiol. Auch Reaktionen
pKa-Wert von 8,4 bei einem physiologischen pH-­Wert mit dem Amid des Peptidrückgrades sind möglich und
(7,4) nur zu 10 % als Thiolatanion vorliegt, sind es bei führen zu der Entstehung eines cyclischen Sulfenamids.
einem Thiol mit einem pKa -Wert von 6,4 bereits 90 %. Reaktionen mit benachbarten, freien und disulfidgebun-
Damit ist ein Thiol mit geringerem pKa -Wert reaktiver denen Thiolen führen zu der Ausbildung von Disulfi-
und wahrscheinlich auch zugänglicher für reaktive Spe- den, hierzu zählt beispielsweise die Bildung der intermo-
zies. lekularen Disulfidbrücke mit dem niedermolekularen
Da das Schwefelatom des Cysteins die Möglichkeit Glutathion.
besitzt, in verschiedenen Oxidationszuständen vorzulie- Die Vielzahl der größtenteils reversiblen oxidativen
gen (–II bis +VI), können eine Vielzahl reversibler sowie Cysteinmodifikationen zeigt, wie hochspezifisch und va-
irreversibler PTMs an den Cysteinen entstehen riabel eine Modifikation an einer einzelnen Aminosäure
(. Abb.  29.1). Reagiert das Thiol beispielsweise mit
  sein kann. Durch den besonderen Ionisierungszustand
Wasserstoffperoxid (H2O2), entsteht eine Sulfensäure, der Cysteine, die damit einhergehende Nucleophilie und
die schnell zu einer Sulfinsäure und schließlich Sulfon- Zugänglichkeit für redoxgetriebene Prozesse werden die

A Phosphorylierungen

S S P
Serin Serin

Y Kinase
Y P
Tyrosin Phosphatase Tyrosin

T T P
Threonin Threonin

B oxidative Cysteinmodifikationen

ROS/RNS
SNO SSG
Nitrosothiol S-Glutathion

GSSG

RNS GSH

SSH RSS S(H) ROS SOH ROS SO2H ROS SO3H


Persulfid Thiol/Thiolat Sulfensäure Sulfinsäure Sulfonsäure

ROS+RSH RSH RNH2

SSR SNR
Disulfid Sulfenamid

..      Abb. 29.1  Die posttranslationale Modifikation von Proteinen aktionen zwischen Thiol/Thiolat und RSS führen zu der Bildung von
durch Enzyme. A Serin-, Threonin- oder Tyrosinreste in Proteinen Persulfiden und solche mit RNS zu Nitrosothiolen. Reagiert die Sul-
können von Kinasen phosphoryliert und entsprechende phosphor- fensäure mit dem Amid des Peptidrückgrades, entsteht ein cyclisches
ylierte Varianten von Phosphatasen dephosphoryliert werden. B Sulfenamid. Die Reaktion mit einem benachbarten, freien oder di-
Oxidative Cysteinmodifikationen können durch die Reaktion mit re- sulfidgebundenen Cystein hingegen führt zu der Bildung eines Di-
aktiven Sauerstoff-, Stickstoff- und Schwefelspezies (ROS, RNS, sulfids. Die S-Glutathionylierung als eine spezielle Form des Disul-
RSS) entstehen. Durch ROS wird das Thiol/Thiolat zu einer Sulfen- fids kann aus der Reaktion mit dem niedermolekularen Glutathion
säure oxidiert. Die hochreaktive Sulfensäure kann unter erhöhten (GSH) entstehen. Die verschiedenen Oxidationsformen des Cysteins
ROS-Mengen zu einer Sulfin- oder Sulfonsäure oxidiert werden. Re- können teilweise ineinander umgewandelt werden
728 G. Poschmann et al.

H O
N

S S S
Cystein SH
strukturelle Disulfide katalytische Nucleophile

SH an S M
S
aus
S S SH SH
29 molekulare Schalter Metallionenbindung
Redoxkatalyse

..      Abb. 29.2  Funktionelle Rolle von redoxsensitiven Cysteinen. Schalter, ermöglichen Redoxkatalyse und Metallionenbindung oder
Redoxsensitive Cysteine können vielfältige Funktionen in der Zelle fungieren als katalytische Nucleophile
erfüllen, sie dienen als strukturgebende Elemente und molekulare

diversen Funktionen an Proteinen verschiedener Klas- Analytik von Phosphoserinen, -threoninen und -tyrosi-
sen ermöglicht. Cysteine sind Strukturgeber, sie fungie- nen entwickelt wurden. Im Gegensatz dazu stellt der
ren als sog. molekulare Schalter, ermöglichen Redoxka- Nachweis von oxidativen Cysteinmodifikationen auf-
talysen, die Bindung von Metallionen oder dienen als grund ihrer geringeren Stabilität eine besondere Heraus-
katalytische Nucleophile (. Abb. 29.2).
  forderung für die Proteinanalytik dar. Im Folgenden soll
die Analyse dieser Modifikationen beschrieben werden.
Methodisch richtet sich die Analyse von PTMs nach
29.2  Strategien zur Analyse der der Art und Beschaffenheit der Proben und der Modifi-
posttranslationalen Phosphorylierung kationen und gliedert sich konzeptionell in folgende
Schritte:
und oxidativer Cysteinmodifikation
55 Modifizierte Proteine und Peptide werden aufge-
von Proteinen und Peptiden trennt und/oder angereichert (7 Abschn. 29.3).

55 Detektion posttranslationaler Modifikationen in


Die Analyse posttranslational modifizierter Proteine Proteinen oder Peptiden (7 Abschn. 29.4).

stellt nach wie vor große Herausforderungen an Proben- 55 Die modifizierten Aminosäuren werden lokalisiert
handhabung und Messtechnik. Vorrangiges Ziel ist der (7 Abschn. 29.5).

Nachweis der PTM direkt aus der biologischen Probe. 55 Die Stöchiometrie der PTMs wird bestimmt
Aus diesem Grund finden auch die in der Proteomanaly- (7 Abschn. 29.6).

tik angewandten Methoden zur Identifizierung eines


Proteins Anwendung in der Analytik von PTMs. Aller- Im vorliegenden Kapitel werden verschiedenen Strate-
dings gestaltet sich die umfassende Charakterisierung gien zur Detektion, Analyse und Lokalisation der Prote-
eines modifizierten Proteins aus mehreren Gründen un- inphosphorylierung und oxidativ cysteinmodifizierter
gleich komplizierter. Proteine werden oft nur sehr gering Proteine im Rahmen der Proteomanalytik im Detail
(substöchiometrisch) modifiziert, sodass eine hohe Sen- vorgestellt.
sitivität der Detektionsmethode oder eine vorrange-
hende Anreicherung des modifizierten Proteins notwen-
dig sind. Die Bestimmung der Modifikationsstelle in
einem Protein kann zusätzlich durch die Komplexität
29.3  Probenvorbereitung, Trennung
und die unterschiedlichen physiko-chemischen Eigen-
schaften der Proteine (wie Löslichkeit, Hydrophobizität, und Anreicherung phosphorylierter
Molekulargewicht etc.) erschwert werden. Des Weiteren und oxidativ cysteinmodifizierter
muss sowohl die chemische Stabilität der modifizierten Proteine und Peptide
Aminosäuren bei der Analytik beachtet werden als auch
die mögliche Erzeugung von koanalytischen Proteinmo- Die Analyse modifizierter Proteine erfolgt heutzutage in
difikationen. erster Linie durch den direkten oder indirekten Nach-
Neben der biologischen Relevanz von O-Phosphaten weis an biologischem Probenmaterial und weniger durch
stellen sie die stabilste Phosphatspezies dar, für die in die in  vitro generierte Modifikation an rekombinanten
den vergangenen Jahrzehnten robuste Methoden für die Proteinen, wie z. B. in einem Kinase-Assay.
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
729 29
Grundsätzlich lassen sich hier zwei Arten von Ana- In vitro
lysestrategien unterscheiden. Bei sog. Top-down-­ Im Gegensatz dazu werden Abläufe, die im Reagenz-
Ansätzen (7 Abschn. 42.5) erfolgt die Analyse (und ggf.
  glas oder ganz allgemein außerhalb lebender Orga-
Trennung) auf Ebene der Proteine. Vorteile dieses An- nismen stattfinden, mit dem Begriff in vitro belegt.
satzes sind, dass komplexe Muster von Modifikationen
erhalten bleiben und eine Quantifizierung von Proteo-
formen eindeutiger ist. Dem gegenüber ist eine Tren-
nung von Proteoformen u. a. aufgrund der vielen mög- 29.3.1 Trennung und Anreicherung
lichen Varianten bisher oft nicht universell durchführbar phosphorylierter Proteine
und die nachfolgende Identifizierung vor allem von und Peptide
komplexen Mustern von PTMs nicht trivial.
Alternativ werden häufig Bottom-up-Ansätze Für die Aufreinigung von phosphorylierten Proteinen
(7 Kap.  42), insbesondere in Verbindung mit der und Peptiden kommen sowohl die Immunpräzipitation

Massenspektrometrie, eingesetzt. Hierbei werden (IP) als auch affinitätschromatographische Methoden


Proteingemische zunächst mit einer Endoprotease mit Metallchelaten und Metalloxiden sowie die Katio-
(7 Abschn.  10.5.1.1) wie z.  B.  Trypsin verdaut. Eine nenaustausch- (Strong Cation Exchange, SCX-)Chro-

Analyse erfolgt dann auf Ebene entstandener Peptide. matographie zum Einsatz. Darüber hinaus wurden im
Während die entstandenen Peptide in der Regel gut für Rahmen der modifikationsspezifischen Analytik hoch-
eine weitere Trennung, Anreicherung und Analyse ge- spezifische Anreicherungsmethoden für modifizierte
eignet sind, kann durch diesen Ansatz die Information, Peptide wie die zweidimensionale Abbildung von Phos-
in welchen Proteoformen welche Modifikationen vor- phopeptiden (2DPP-Mapping) und die β-Eliminierung
handen sind, verloren gehen. mit anschließender Michael-Addition entwickelt. Des
Generell hängt die Detektion einer PTM stark von Weiteren bedient man sich klassischer chromatographi-
ihrer Stöchiometrie ab. Eine reversible in-vivo-PTM fin- scher Separationstechniken wie der nano-RP- (Reversed
det in der Zelle meist nur substöchiometrisch statt, so- Phase-)HPLC und der Kapillarelektrophorese (CE), um
dass häufig nur ein geringer Prozentsatz eines Proteins eine effiziente Auftrennung komplexer Peptidmischun-
in modifizierter Form vorliegt. Liegt dieser substöchio- gen zu erreichen.
metrisch modifizierte Anteil unterhalb der Sensitivitäts- Die Immunpräzipitation reichert phosphorylierte
grenze der Nachweismethode, ist eine Anreicherung Proteine oder Peptide mithilfe von modifikationsspezi-
durch Fraktionierung oder Aufreinigung erforderlich. fischen Antikörpern an. Dazu wird der spezifische Anti-
Dies ermöglicht dann eine detaillierte Charakterisie- körper meist an eine feste Matrix gekoppelt. Nach der
rung unabhängig von unmodifizierten Proteinen und Bildung des Komplexes aus modifiziertem Protein/Pep-
störenden Chemikalien. tid und Antikörper und dessen Präzipitation wird das
Für die spezifische Isolierung und Aufreinigung von gründliche Auswaschen von unmodifizierten Proteinen/
modifizierten Proteinen bzw. Peptiden existiert eine Peptiden ermöglicht. Immunpräzipitierte modifizierte
Vielzahl von verschiedenen Methoden, die entweder die Proteine/Peptide werden anschließend durch eine geeig-
unterschiedlichen Mobilitäts-, Affinitäts- oder Bin- nete LC oder durch eine 1D- oder 2D-PAGE vom Anti-
dungseigenschaften, aber auch die Reaktivität der betei- körper und von möglicherweise kopräzipitierten, aber
ligen Aminosäuren des modifizierten Proteins bzw. Pep- nicht modifizierten Interaktionspartnern getrennt, um
tids ausnutzen oder dem modifizierten Analyten eine die Komplexität der Probe bei der folgenden Detektion
markierende Gruppe zur erleichterten Reinigung oder und Analyse der PTMs gering zu halten. Der Erfolg ei-
Detektion anfügen. Da sich die Aufreinigungsstrategien ner Aufreinigung von posttranslational modifizierten
für phosphorylierte und oxidativ cysteinmodifizierte Proteinen durch IP hängt stark von der Qualität der ver-
Proteine z. T. konzeptionell unterscheiden, sollen diese wendeten Antikörper und der Stärke der Protein-­
im Nachfolgenden separat voneinander besprochen Antikörper-­Affinität ab. Die IP ist unter Verwendung
werden. modifikationsspezifischer Antikörper für die Anreiche-
rung der verschiedenen Spezies der O-, N-, S-und Acyl-
In vivo phosphate anwendbar.
Lat. im Lebenden; bezeichnet Prozesse, die im leben- Dagegen eignet sich die immobilisierte Metallchelat-­
den Organismus ablaufen. Affinitätschromatographie (IMAC) zur Anreicherung
phosphorylierter Proteine/Peptide, unabhängig von der
730 G. Poschmann et al.

Art der phosphorylierten Aminosäure. Hierbei wird die Das 2DPP-Mapping (7 Abschn.  42.4.6) ist eine

Wechselwirkung zwischen negativ geladenen Phosphat- zweidimensionale Methode zur Isolierung von Phos-
gruppen und positiv geladenen, immobilisierten Metall- phopeptiden. Hierbei werden Phosphopeptide unab-
ionen in Form von chelatisierten Fe(III)- oder hängig von der Art der phosphorylierten Aminosäure
Ga(III)-Ionen ausgenutzt. Bei dieser Methode stört vor auf einer Dünnschichtchromatographieplatte in der ers-
allem die unspezifische Bindung von sauren Proteinen ten Dimension nach ihrer elektrophoretischen Mobilität
an die immobilisierten Metallionen, die durch eine Me- und in der zweiten Dimension nach ihrer Hydrophobizi-
thylveresterung der Carboxylgruppen der Proteine bzw. tät getrennt. Nach der Visualisierung der aufgetrennten
Peptide verringert werden kann. Neben der IMAC fin- Peptide mittels radioaktiver oder fluoreszenzbasieren-
det für die gezielte Analyse von Phosphopeptiden die der Methoden stellt jeder Spot ein phosphoryliertes
Chromatographie mit Metalloxiden, wie Titan- oder
29 Zirconiumoxid, Verwendung. Diese beruht ebenfalls
Peptid dar, ähnlich den Perlenkettenmustern, die bei der
2D-PAGE entstehen.
auf einer affinitätschromatographischen Anreicherung, In einzelnen Bereichen wird auch die β-Eliminierung
wobei TiO2 einen bidentalen Oberflächenkomplex mit mit anschließender Michael-Addition als Methode
den Phosphatgruppen eingeht. In der Phosphopeptid- zur Phosphopeptidanreicherung verwendet. Durch
analytik werden sowohl mit TiO2 überzogene Magnet- die Kombination von β-Eliminierung und Michael-­
partikel als auch chromatographische Nanopartikel mit Addition wird die Position der Modifikation durch
enorm großer Oberfläche verwendet. kovalente Bindung einer Linker-Gruppe für die Posi-
Eine weitere Strategie ist die Kationenaustauschchro- tionsbestimmung fixiert. Durch die Einführung einer
matographie (Strong Cation Exchange, SCX) Affinitätsmarkergruppe wie z. B. dem Biotin-Tag wird
(7 Abschn.  11.4.7) für die selektive Anreicherung von
  zusätzlich die Möglichkeit einer Anreicherung des
Phosphopeptiden. Die SCX-Chromatographie basiert Peptids durch Affinitätschromatographie realisiert
auf der kompetitiven Wechselwirkung der positiv gela- (. Abb.  29.3). Im ersten Schritt, der β-Eliminierung,

denen Analyten (Peptide) mit der negativ geladenen sta- erfolgt die basenkatalysierte Entfernung der Phosphat-
tionären Phase im sauren pH-Bereich. Die Verdrängung gruppe vom phosphorylierten Aminosäurerest, was zu
und Elution des Peptids erfolgt durch eine steigende einer Abspaltung von Phosphorsäure (H3PO4) führt.
Salzkonzentration des Eluenten. Je höher die positive Im zweiten Schritt, der Michael-Addition, wird der
Ladung des Peptids ist, desto stärker bindet es. Daher Aminosäurerest mit thiolhaltigen Substanzen deriva-
eluieren Phosphopeptide aufgrund der zusätzlichen ne- tisiert (HS–X). Diese Substanzen können neben Bio-
gativen Ladung der stark sauren Phosphatgruppe be- tin auch eine Kombination aus Affinitäts- und Isoto-
reits bei niedrigen Salzkonzentrationen vom Ionenaus- penmarkergruppen, wie beispielsweise ICAT (Isotope
tauscher und können somit selektiv angereichert werden. Coded Affinity Tag) (7 Abschn.  42.7.1.3), für eine

Eine SCX-Chromatographie kann ebenfalls für die Auf- anschließende relative quantitative Analyse enthalten.
reinigung phosphorylierter Proteine eingesetzt werden. Die Michael-Addition kann mit Monothiolen, die nur
Die hydrophile Interaktionschromatographie (Hy- eine freie Thiolgruppe besitzen, oder mit bifunktionel-
drophilic Interaction Liquid Chromatography, HILIC) len Thiolen erfolgen. Die durch die Addition hervorge-
(7 Abschn. 11.4.6) ist eine weitere chromatographieba-
  rufene Signalverschiebung eines Peptids kann nach der
sierte Methode, die Anwendung in der Anreicherung Derivatisierung mittels MS einfach detektiert und als
von Phosphopeptiden findet. Hier wird ein polares Trä- Hinweis für die Existenz einer Phosphorylierungsstelle
germaterial verwendet, an welches die Peptide binden interpretiert werden. Unabhängig von der markieren-
und mit steigender Polarität eluiert werden. den Gruppe ist diese Methode jedoch ausschließlich
Alle vorangehend beschriebenen Methoden zur spezi- für an Serin oder Threonin phosphorylierte Peptide ge-
fischen Anreicherung oder Aufreinigung von modifizier- eignet, da nur diese eine β-Eliminierung erlauben. Vor-
ten Proteinen bzw. Peptiden erfordern mehrere Prozessie- sicht ist allerdings bei Glykoproteinen geboten, da an
rungs- und Entsalzungsschritte. Eine Kombination dieser Serin oder Threonin O-glykosidisch gebundene Zucker
Methoden mit der vorübergehenden Immobilisierung der bei der β-Elimination ebenfalls abgespalten werden und
Analyten auf einem geeigneten Trägermaterial ist deshalb das Reaktionsprodukt nicht von einem ursprünglich
sinnvoll, da so mehrfache Reaktions- und Waschschritte phosphorylierten unterscheidbar ist. Darüber hinaus
mit maximaler Effizienz, aber mit minimalem Probenver- kommt es aufgrund der sehr basischen Bedingungen
lust ausgeführt werden können. Als Trägermaterialien bei der β-Eliminierung zur teilweisen Racemisierung
bieten sich vor allem Feststoffphasen und Partikel mit der Peptide, was eine nachfolgende chromatographi-
porösen Oberflächen an, die mit drei, acht oder 18 Koh- sche Auftrennung eines komplexen Peptidgemisches,
lenstoffeinheiten (C3, C8, C18) langen hydrophoben Al- wie in der Proteomananalyse üblich, fast unmöglich
kylresten (Reversed Phase, RP) funktionalisiert wurden. macht.
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
731 29
A Phospho-Threonin Phospho-Serin
O O

HO P OH HO P OH
H C CH3 CH2
O – H3PO4 O – H3PO4
N C C N C C
H C CH3 Base CH2 Base
H O H O
N C C N C C

H H O H H O

B X X = z.B.:
O H 3C C
S H2
HO P OH
CH2 CH H 3C C C
O H 2 H2
– H3PO4 + HS–X
N C C N C C
CH2 Base
H O H O
N C C

H H O

C H 2C C SH
O H2
S
HO P OH
CH2 + HS C C SH CH
O – H3PO4 H2 H 2
N C C N C C
CH2 Base
H O H O
N C C

H H O

H2C C SH H2C C S Y Y = z. B.:


H2 H2 Biotin
S +Y S isotopenmarkierter Label

CH CH

N C C N C C

H O H O

..      Abb. 29.3 Basenkatalysierte β-Eliminierung und Michael-­ einfachen Thiolverbindungen wie Ethanthiol oder Propanthiol nach
Addition bei Phosphoserin und -threonin. A Durch die Behandlung dem Mechanismus der Michael-Addition. C Zusätzlich können diese
mit einer starken Base kann die Phosphatgruppe von Phosphoserin- thiolhaltigen Substanzen Affinitätsmarkergruppen wie Biotin, sta-
und Phosphothreoninresten abgespalten werden. B Der entstehende bile Isotopenmarkergruppen oder eine Kombination aus beiden ent-
Dehydroalanin bzw. Dehydro-l-amino-2-butansäurerest reagiert mit halten (z. B. ICAT)

29.3.2 Probenvorbereitung, Trennung (. Abb. 29.4; vgl. 7 Abschn. 29.1.2). Insbesondere für


   

und Anreicherung oxidativer die Analyse von in-vivo-Material müssen daher einige


Punkte beachtet werden. Durch die hohe Zahl von mög-
Cysteinmodifikationen von
lichen unterschiedlichen oxidativ modifizierten Cystein-
Proteinen und Peptiden varianten gibt es für die Anreicherung und nachfolgende
Analyse kein Standardverfahren. Es wurde allerdings
Aufgrund der chemischen Eigenschaften oxidativer Cys- eine Reihe von Methoden entwickelt, die eine Anreiche-
teinmodifikationen ergeben sich für deren Trennung und rung z. B. von reversibel oxidierten Cysteinen oder spe-
Anreicherung andere Herangehensweisen, die insbeson- zifische Modifikationen wie z.  B. von Sulfensäuren er-
dere auf der Redoxsensitivität der Cysteine und der möglichen. Im Folgenden werden daher in diesem
Vielzahl ihrer oxidativ modifizierten Varianten beruhen
732 G. Poschmann et al.

A Indirekte Markierung

SH S S S
Blockierung Reduzierung Blockierung

SOx SOx SH S Anreicherung


Oxidation
Detektion

S Signal-
B Direkte Markierung
intensität
SH SH S
Markierung
29 SOx Sonde S

C Thiol-Blockierungsreagenzien
O O

I + HI
NH 2 NH 2
Iodacetamid

O O
N N
O O + H+

N-Ethylmaleimid

..      Abb. 29.4  Nachweisstrategien für oxidative Cysteinmodifikatio- det. Bei beiden Strategien kann optional eine Anreicherung der mo-
nen. A Bei der indirekten Markierung werden freie Thiolgruppen zu- difizierten Proteine oder Peptide erfolgen. Im Anschluss erfolgt eine
nächst durch ein Thiol-Blockierungsreagenz geschützt. Folgend wer- Detektion, wobei die Signalintensität proportional zum Grad der
den oxidierte Cysteine reduziert und durch ein zweites Oxidation der Probe ist. C Beispielreaktionen häufig verwendeter
Thiol-­Blockierungsreagenz markiert. B Bei der direkten Markierung Thiol-Blockierungsreagenzien
wird eine modifikationsspezifische Sonde zur Markierung verwen-

Abschnitt die Grundprinzipien sowie einige Beispiele 3. der Markierung der vormals oxidierten Thiole mit
der Analyse von oxidativen Cysteinmodifikationen er- verschiedenen thiolreaktiven Reagenzien. In der Re-
läutert. gel werden diese mit Reportergruppen versehen, die
Wie auch bei der Analyse von Phosphorylierungen einen Fluoreszenznachweis, eine Anreicherung und/
kommen oxidative Cysteinmodifikationen oft substö- oder Quantifizierung über gelbasierte-Methoden
chiometrisch vor. Daher ist eine Anreicherung vor der und/oder eine LC-MS/MS-Analyse erlauben.
Analyse entweder auf Proteinebene oder nach Endopro-
teaseverdau auf Peptidebene oft sinnvoll. Die Strategien
für den Nachweis und die Anreicherung lassen sich in Blockierung freier Thiole  Disulfidbindungen können eine
indirekte und direkte Markierungsmethoden unter- Reihe von Thiol-­Disulfid-­Austauschreaktionen eingehen,
scheiden. vor allem, wenn angreifende und abgehende Thiolgruppe
günstig zueinander orientiert sind. Es ist daher wichtig,
29.3.2.1 Indirekte Markierungsmethoden diese Austauschreaktionen weitestgehend zu vermeiden
Sie basieren in der Regel auf drei aufeinanderfolgenden und außerdem Cysteine vor artifizieller Oxidation, z.  B.
experimentellen Schritten (. Abb. 29.4):
  durch Luftsauerstoff, zu schützen. Gerade bei der Lyse
1. der Blockierung freier Thiole, beispielsweise mit Re- von Zellen, bei der Kompartimente aufgebrochen werden
agenzien wie N-Ethylmaleimid (NEM) oder Iodace- und Proteine nicht mehr in ihrer natürlichen pH- und Re-
tamid, doxmikroumgebung vorliegen, ist dies wichtig. Da die Re-
2. der selektiven Reduktion von Nitrosylierungen, Sul- aktivität von Cysteinthiolen mit verringertem pH-Wert in
fenylierungen oder Glutathionylierungen oder der der Umgebung abnimmt, ist es ratsam, dass eine Aufar-
globalen Reduktion reversibel oxidierter Thiole, und beitung möglichst bei niedrigem pH-­Wert durchgeführt
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
733 29
wird. In vielen Protokollen erfolgt als ein initialer Schritt

geringe Menge H2O2


die Fällung der Proteine mittels Trichloressigsäure. Wei-

hohe Menge H2O2


terhin werden oft Thiol-­Blockierungsschritte eingebracht,

Gleichgewicht
insbesondere vor der Zugabe von denaturierenden Rea-
genzien. Hierfür werden thiolreaktive Reagenzien wie

maximal
minimal
z. B. Iodacetamid (IAM), Maleimide (z. B. NEM), Ben-
zyl-Halide und Brommethyl-Ketone (BK) eingesetzt, die
stabile ­Thioether mit den Thiolen bilden.

Selektive Reduktion  Nach Blockierung freier Thiole er-


folgt im zweiten Schritt die Reduktion der oxidierten Cys-
teine. Dies kann unselektiv z.  B. durch den Einsatz von
thiolhaltigen Reduktionsmitteln wie z.  B. Dithiothreitol
(DTT) oder nicht thiolhaltigen Reduktionsmitteln wie
Tris(2-­carboxyethyl)phosphin (TCEP) erfolgen. DTT
..      Abb. 29.5  Nachweis von reversiblen Cysteinoxidationen mittels
dient als Reduktionsmittel bei pH-Bereichen >7 und
PEG-Switch-Assay. Bei diesem Versuchsansatz werden freie Thiol-
schützt die Thiolgruppen vor einer weiteren Oxidation, gruppen von Proteincysteinen blockiert. Nach Reduktion oxidierter
wohingegen TCEP in einem weiten pH-Bereich (pH Cysteine erfolgt eine Markierung z. B. mit PEGyliertem Maleimid,
1,5 – 8,5) reaktiv ist. Neben einer globalen Reduktion von was zu einer signifikanten Massenerhöhung des Proteins führt. An-
reversibel oxidierten Cysteinen kann durch die Wahl des schließend werden die Proteine mittels PAGE aufgetrennt und in der
nachfolgenden Western-Blot-Analyse zeigen Proteinvarianten mit
Reduktionsmittels gezielt der Fokus auf einen bestimm-
reversibel oxidierten Cysteinen eine Massenerhöhung z. B. um 5 kDa
ten Modifikationstyp gelegt werden. So wird Ascorbat für pro mit PEG-Maleimid modifiziertem Cystein. Das untersuchte Pro-
die Reduktion von Nitrosothiolen verwendet sowie eine tein enthält insgesamt fünf Cysteine. Für jedes dieser Cysteine zeigt
enzymatische Deglutathionylierung durch Glutaredoxine sich in der „Maximal“-Kontrolle eine Massenerhöhung um 5 kDa.
für die Reduktion glutathionylierter Proteine. Des Weite- (Mit freundlicher Genehmigung von Nina Prescher)
ren wurde der Einsatz von Natriumarsenit zur Reduktion
von Sulfensäuren an Cysteinen beschrieben. Da hier die Mit der Zeit wurde eine Vielzahl von Strategien er-
Aufarbeitung unter denaturierenden Bedingungen er- arbeitet, um eine Quantifizierung möglicher Redoxmo-
folgt, welche eine stabilisierende Mikroumgebung beein- difikationen zu ermöglichen (vgl. 7 Abschn. 29.6). Ne-  

trächtigen kann, und Sulfensäuren recht reaktiv und ben der zuvor beschriebenen Strategie, Reporter,
kurzlebig sein können, werden für die Detektion von Sul- Isotopen- oder Fluoreszenzmakierungen nach der Re-
fensäuren meist direkte Markierungsmethoden verwen- duktion reversibler oxidativer Cysteinmodifikationen
det. einzuführen (Schritt 3), können bereits bei der Blockie-
rung freier Thiole (Schritt 1) analoge Reagenzien einge-
Markierung  Nach erfolgter Reduktion können Peptide setzt werden, die eine alternative Isotopen- oder Fluo-
oder Proteine direkt über die neu entstandenen Cys- reszenzmarkierung aufweisen. Durch einen direkten
teinthiole, z. B. nach oxidativer Kopplung an Thiopro- Vergleich der Signale aus beiden Markierungsvarianten
pyl-Sepharose, angereichert werden. Häufig erfolgt eine kann dann direkt auf den prozentuellen Anteil einer
Anreicherung auch über biotinhaltige Sonden. Hierfür Modifikation im Vergleich zur nichtmodifizierten Vari-
werden z. B. thiolreaktive Reagenzien wie Biotin-Malei- ante geschlossen werden. Bei der Analyse oxidativer
mid oder biotinyliertes Iodacetamid eingesetzt. Je nach Modifikationen muss allerdings berücksichtigt werden,
gewünschter Nachweismethode besteht die Möglichkeit, dass nicht alle Modifikationsvarianten, wie z. B. Sulfin-
die Sonden zu modifizieren. Diese können beispiels- und Sulfonsäuren, durch die im Regelfall eingesetzten
weise mit stabilen schweren Isotopen markiert werden Reduktionsmittel reduzierbar sind und sich so der Mar-
(z.  B.  ICAT  – isotopencodierte Affinitätsmarkierung), kierung für einen direkten prozentualen Vergleich ent-
um einen spezifischen massenspektrometrischen Nach- ziehen.
weis zu erleichtern. Des Weiteren können sie Polyethy-
lenglycol (PEG) beinhalten, welches zu einer in einem
Proteingel detektierbaren Massenvergrößerung füh- 29.3.2.2 Direkte Markierungsmethoden
ren kann (. Abb.  29.5). Eine weitere Möglichkeit ist

Direkte Markierungsmethoden setzen voraus, dass es
die Einbringung einer Fluoreszenzmarkierung (s. auch die Möglichkeit gibt, Cysteinmodifikationen spezifisch
7 Abschn. 29.4.1).

anzureichern und nachzuweisen. In der Regel wird dies
734 G. Poschmann et al.

durch chemische Sonden ermöglicht, die beispielsweise auch eine Alkingruppe, die eine flexible weitere Funktio-
spezifisch mit Sulfensäuren reagieren. Auch hier gibt es nalisierung mithilfe von Click-Chemie ermöglicht.
mehrere Aspekte zu beachten. Zum einen sollte die
Sonde möglichst spezifisch mit der entsprechenden Mo-
difikation reagieren. Zum anderen ist insbesondere bei 29.4  Detektion der Phosphorylierung und
labilen Modifikationen wie der Sulfensäure eine schnelle oxidativer Cysteinmodifikationen von
Reaktionskinetik und kontrollierte Kopplung wün-
Proteinen und Peptiden
schenswert.
Sulfensäuren sind hier von besonderem Interesse, da Obwohl mit der Massenspektrometrie eine Methode zur
die Modifikation als Zwischenstadium für eine weitere Verfügung steht, die es erlaubt, PTMs in einem Arbeits-
Reaktion/Oxidation gilt, und sie wurde auch selber als
29 reversibler Schalter beschrieben, der die Funktion von
gang zu detektieren und deren Position zu lokalisieren,
gibt es Fragestellungen, die zunächst darauf abzielen,
Proteinen direkt beeinflussen kann. Für die spezifische lediglich das Vorhandensein einer PTM abzuklären.
Markierung und Anreicherung von Sulfensäuren wer- Diese informativen Ansätze sollen hier vorgestellt wer-
den in der Regel 5,5-Dimethylcyclohexan-1,3-dion (Di- den.
medon) und Dimedonderivate eingesetzt (. Abb. 29.6).

Eine Markierung kann direkt in der lebenden Zelle oder


bei der Zelllyse erfolgen. Für den direkten Nachweis di-
medonderivatisierter Sulfensäuren stehen spezifische
29.4.1  etektion mittels enzymatischer,
D
Antikörper oder direkt fluorophorgekoppelte Dimedon- radioaktiver, immunchemischer und
derivate wie DCP-FL2 zur Verfügung. Alternativ wer- fluoreszenzbasierender Methoden
den Dimedonderivate eingesetzt, die direkt eine Funk-
tion zur Anreicherung beinhalten. Hier wurde Die spezifische Detektion von modifizierten Proteinen
beispielsweise DCP-Bio1 entwickelt, welches eine Anrei- kann mithilfe von Enzymbehandlung sowie unter Ein-
cherung über eine Biotinylierung ermöglicht. Des Weite- satz radioaktiver, immunchemischer oder fluoreszenz-
ren wurden mit DYn-2 (Alkinderivat) und DAz-2 (Azid- basierender Methoden erfolgen.
derivat) Sonden entwickelt, die kleiner sind und daher Bei der Detektion im 2D-Gel können mehrfach phos-
ggf. eher mit Sulfensäuren reagieren, die aus sterischen phorylierte Proteine als charakteristische Perlenketten-
Gründen für größere Derivate wie DCP-Bio1 nicht zu- muster von Spots auftreten, da jede Phosphorylierung
gänglich sind. Über Click-Chemie können nach Kopp- eines Proteins eine Erniedrigung seines isoelektrischen
lung mit Zielproteinen/Peptiden weitere Funktionen wie Punkts und eine Erhöhung seines Molekulargewichts
eine Fluoreszenzmarkierung oder eine Kopplung mit bewirkt und damit zu einem veränderten Wanderungs-
Biotin hinzugefügt werden. Über Biotin kann entweder verhalten der Proteine bei der PAGE führt. Vergleich-
ein Nachweis bzw. eine Quantifizierung oder eine An- bares gilt auch für Cysteinoxidationen, z.  B. bei der
reicherung erfolgen. Des Weiteren können hier auch Oxidation zu Sulfin- und Sulfonsäuren. Durch ihre oft
mehrfunktionale Sonden wie Az-UV-Biotin angefügt instabile Natur ist die Analyse von Sulfensäuren mit
werden. Diese Sonde enthält neben Biotin zur Anreiche- gelbasierten Verfahren ohne vorhergehende Derivatisie-
rung auch eine photolabile Einheit, über die das aufge- rung schwierig.
reinigte Protein/Peptid durch UV-Bestrahlung von der Perlenkettenmuster gelten als mögliche Indikatoren
zur Aufreinigung benutzten Matrix abgetrennt werden für posttranslational modifizierte Proteine, können je-
kann. Außerdem kann die Sonde eine Isotopenmarkie- doch auch durch Einführung von Ladungsunterschie-
rung für die MS-basierte Quantifizierung beinhalten. den bei der Probenpräparation, etwa durch Deamidie-
Wenn zwei Zustände miteinander verglichen werden sol- rung von Asparagin oder Glutamin, entstehen. Um den
len, besteht so die Möglichkeit, einen Zustand mit einer Grund für die Auftrennung eines Proteins in mehrere
leichten Variante und einen weiteren mit einer schweren Spots zu überprüfen, kann die Probe vor der 2D-PAGE
Variante von Az-­UV-­Biotin zu markieren. Die Aufreini- z.  B. mit Phosphatasen behandelt werden, da die voll-
gung der Proben kann dann gemeinsam und durch den ständige Dephosphorylierung eines Proteins die Ände-
Massenunterschied der Sonden ein direkter quantitati- rung seines isoelektrischen Punktes und seines Moleku-
ver Vergleich erfolgen. Um wesentlich höhere Reakti- largewichts durch die PTM rückgängig macht und somit
onsgeschwindigkeiten mit Sulfensäuren zu ermöglichen, keine Auftrennung in mehrere Spots mit Perlenketten-
wurde 1-(Pent-­4-­yn-1-yl)1H-benzo[c][1,2]thiazin-4(3H)- muster erfolgt. Eine parallele 2D-PAGE von unbehan-
on-2,2-dioxid (BTD) entwickelt. Diese Sonde zeigt nicht delter und mit Phosphatase behandelter Probe ermög-
nur eine überlegene Reaktionskinetik, sondern besitzt licht so eine differenzielle Auswertung der entstehenden
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
735 29
A isotopencodierte Affinitätsmarkierung (ICAT)
O

HN
NH

X X
X X
H H
N O O N
S O *I
X X
O X X O

Biotinrest isotopenmarkierter Linker (x = Deuterium/Wasserstoff) thiolreaktive


Gruppe

B Reaktion zwischen Dimedon und einer Sulfensäure


R
S

O * O O O
+ Cysteinthiol

Dimedon

C Dimedonderivate
Dimedonderivat mit Biotingruppe Dimedonderivat mit Fluorophor
HO O
O
O

O * O NH O
HN
O
O N N
H H N
N
S N
DCP-Bio1 O DCP-FL2 O O
OH

Dimedonderivate mit Alkin oder Azidgruppe

* O * O
O O

N3

DYn-2 DAz-2

über Click-Chemie anfügbare Sonden


O
* O
O
XC XC
S N3
O XC O
N XC XC XC O

NH
HN
O
O
BTD H
O O N
N O S
H

isotopenmarkiertes Az-UV-Biotin (xC = 13C/12C) O

..      Abb. 29.6  Sonden zur Markierung von oxidativen Cysteinmodi- und wird daher häufig als Sonde bei der direkten Markierung ver-
fikationen. A Isotopencodierte Affinitätsmarkierung (ICAT) kann wendet. C Mittels einer Vielzahl von Dimedonderivaten können zu-
bei der indirekten Markierungsstrategie verwendet werden. B Dime- dem verschiedene funktionelle Gruppen für eine anschließende An-
don (5,5-Dimethylcyclohexan-1,3-dion) reagiert mit Sulfensäuren reicherung oder Detektion angebracht werden
736 G. Poschmann et al.

Gelbilder bezüglich der Anwesenheit von phosphor- radioaktive Markierungen von Cysteinoxidationen
ylierten Proteinen. nicht als analytische Verfahren an.
Die Detektion von Disulfidbrücken kann auch durch Alternativ kann die modifikationsbedingte Auftren-
die Kombination zweier SDS-PAGE-Trennungen er- nung eines Proteins in mehrere Spots durch Western-­
reicht werden, wenn in der ersten Dimension und zwei- Blot-­Analyse (7 Abschn.  6.3.3.1) mittels modifikati-

ten Dimension eine Auftrennung der unreduzierten bzw. onsspezifischer Antikörper nachgewiesen werden. Bei
der reduzierten Probe durchgeführt wird. Proteine, die der Western-Blot-Analyse werden die Proteine nach ih-
Disulfidbrücken aufweisen, befinden sich im Gel dann rer Auftrennung im Polyacrylamidgel auf eine Memb-
von der Winkelhalbierenden entfernt, auf der sich Pro- ran aus Polyvinylidenfluorid (PVDF) oder Nitrocellu-
teine befinden, die durch die Reduktion nicht in ihrem lose transferiert und die Membran nach Blockierung
Laufverhalten beeinflusst sind. unspezifischer Bindungsstellen mit dem modifikations-
29 Radioaktive Detektionsmethoden setzen voraus, pezifischen Erstantikörper inkubiert. Die anschließende
dass die PTM des Proteins unter Verwendung von ra- Visualisierung mit einem gegen den Erstantikörper ge-
dioaktiven Markergruppen erfolgte (7 Abschn.  3.3).
  richteten Zweitantikörper erfolgt entweder durch eine
Sie beschränken sich deshalb auf Proben aus in-vivo-­ Farbreaktion, Chemilumineszenz oder Fluoreszenz. Die
Markierungsstudien oder aus in-vitro-Modifikationen immunchemische Detektion von PTMs setzt keine ge-
von rekombinanten oder synthetischen Proteinen, wo- sonderte Behandlung der Proben voraus, hängt jedoch
bei in Phosphorylierungsstudien als Markergruppen- wie die IP stark von der Spezifität und Bindungsaffinität
donoren vor allem 32P-ATP oder 33P-ATP eingesetzt der verwendeten Antikörper ab. Eine zunehmende Zahl
werden. Nach Trennung der radioaktiv markierten Pro- von modifikations- und sequenzspezifischen Antikör-
teine durch LC oder PAGE werden die modifizierten pern zur Analyse von phosphorylierten Proteinen ist
Proteine mittels Szintillations-, Cerenkov-Zählung oder kommerziell erhältlich und kann zur Detektion der mo-
Autoradiographie detektiert (. Abb. 29.7). Die Auto-
  difizierten Proteine eingesetzt werden. Insbesondere
radiographie dient der Detektion aller phosphorylier- Phosphotyrosin-Antikörper sind ausreichend spezifisch,
ten Proteine, sie liefert aber keine Informationen über um eine einzelne phosphorylierte Tyrosinseitenkette un-
die Art der modifizierten Aminosäure, sodass nicht abhängig von den benachbarten Aminosäuren zu erken-
zwischen O-, N-, S- und Acylphosphaten unterschieden nen, und ermöglichen somit die globale Detektion von
werden kann. Phosphotyrosin enthaltenden Proteinen. Für oxidative
Durch die sehr kurzen Halbwertszeiten im Minuten- Cysteinmodifikationen sind bisher nur wenig sequenz-
bereich von radioaktiven Sauerstoffisotopen bieten sich und modifikationsspezifische Antikörper, wie beispiels-

97

66

55

36

31

21

kDa

4 5 6 7 4 5 6 7
pI pI
A B

..      Abb. 29.7  Autoradiogramm und Western-Blot-Analyse nach den. Für eine nachfolgende genauere Spezifizierung bietet sich die
2D-PAGE. A Autoradiogramm eines 2D-Gels humaner Plättchen- Detektion mittels spezifischer Antikörper an. B Zu dem in A darge-
proteine im pH-Bereich 4–7 nach metabolischer Markierung mit stellten Autoradiogramm korrespondierende Western-Blot-­Analyse
32P. Anhand des Autoradiogramms kann keine Aussage über die Art unter Verwendung eines Anti-Phosphotyrosin-Antikörpers
der Phosphorylierung (N-, O,-, S- oder Acylphosphat) gemacht wer-
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
737 29
A B
1 2 34 5 6 7

Kontrolle 1 23 45 6 7
Kontrolle

Hochfett

Hochfett pI 5,7 6 6,3

C
pI 5,7 6 6,3 4000 Kontrolle 5
6
2000
12 3 4 7

Signalintensität
0
4000 Hochfett 5
2000 4 6
1 2 3 7
0
4000 DJ-1-defizient
2000
0
5,5 6 6,5 7
pI

..      Abb. 29.8  Modifikationen wie etwa Sulfin-/Sulfonsäuren oder xen Proteinlysates. B Western-Blot-Analyse der Proteoformen nach
Phosphorylierungen, die mit einer Ladungsänderung assoziiert sind, isoelektrischen Fokussierung in einer Gelmatrix. C Eine Alternative
können den isoelektrischen Punkt eines Proteins verschieben. Im hierzu ist die isoelektrische Fokussierung mittels Kapillarelektro-
dargestellten Beispiel wird bei Mäusen durch eine fettreiche Diät phorese nach antikörperbasierter Detektion. (Modifiziert nach
(„Hochfett“, high fat diet) eine Cysteinoxidation des Proteins DJ-1 Poschmann et al. 2014)
induziert (Proteoform 4). A 2D-Western-Blot-Analyse eines komple-

weise gegen glutathionylierte Proteine, verfügbar. Für Für Cysteinmodifikationen kann eine fluoreszenzba-
den immunologischen Nachweis besteht darüber hinaus sierte Detektion durch Einsatz entsprechend markierter
jedoch die Möglichkeit, Antikörper gegen modifikati- chemischer Sonden entweder direkt durch Reaktion mit
onsspezifische Sonden einzusetzen, wie etwa für den einem modifizierten Cystein oder mittels der indirekten
Nachweis von dimedonderivatisierten Sulfensäuren. Markierungsstrategie nach (spezifischer) Reduktion
Eine weitere Methode zur Detektion cysteinmodifi- und Reaktion mit dem entstandenen Cysteinthiol erfol-
zerter Proteine stellt die isoelektrische Fokussierung gen (. Abb. 29.4, vgl. 7 Abschn. 29.3.1).
   

mittels Kapillarelektrophorese unter Verwendung eines


zielproteinspezifischen Antikörpers dar. Aufgrund der
Antigen-Antikörper-Bindung kommt es bei der isoelek- 29.4.2  etektion phosphorylierter und
D
trischen Fokussierung zu modifikationsabhängiger Auf- cysteinoxidierter Proteine mittels
trennung des Proteoformen. Die Verwendung des Anti- Massenspektrometrie
körpers ermöglicht zudem einen sensitiven Nachweis
der Proteoformen (. Abb. 29.8)
  Die radioaktive, immunchemische oder fluoreszenzba-
Fluoreszenzbasierende Detektionsmethoden wurden sierte Detektion eines posttranslational modifizierten
bisher u. a. für phosphorylierte Proteine entwickelt. Sie Proteins liefert nur Hinweise auf das Vorhandensein
nutzen die nichtkovalente Bindung von kleinen organi- von PTMs, wogegen massenspektrometrische Detekti-
schen Fluorophoren an phosphorylierte Aminosäure- onsmethoden mittels MALDI- (7 Abschn. 16.1.1) oder  

reste und ermöglichen so die direkte und sequenzunab- ESI-MS (7 Abschn. 16.1.2) gleichzeitig Auskunft über

hängige Detektion von Phosphoproteinen in die Anzahl von PTMs in einem Protein geben können.
Polyacrylamidgelen. Die Detektion ist ohne gesonderte Die PTM eines Proteins führt zu einer charakteristi-
Vorbehandlung der Proben möglich. Ihre Sensitivität schen Erhöhung seines Molekulargewichts: Eine Phos-
hängt von der Bindung der Fluorophore an die phos- phorylierung erhöht das Molekulargewicht um 80 Da.
phorylierten Aminosäuren und der Stöchiometrie der Der direkte Nachweis von oxidativen Cysteinmodifika-
Phosphorylierung ab. tionen über eine Massenzunahme ist theoretisch zwar
738 G. Poschmann et al.

..      Abb. 29.9  Direkter Nachweis von GLIAAIC*AGPTALLAHEIGFGSK


Cysteinoxidationen mittels MAL-
DI-TOF. Die Behandlung eines Carbamidomethylierung
Proteins mit Wasserstoffperoxid führt

Signalintensität*104
3
zur Entstehung von Sulfin- und
Sulfonsäure als oxidative Modifikation Sulfonsäure
am Peptid GLIAAICAGPTALL- 2 Sulfinsäure
AHEIGFGSK. (Modifiziert nach
Poschmann et al. 2014)
1 + H2O2

+ H2O

29 2240 2250 2260 2270 2280 2290


m/z

möglich, wird jedoch aufgrund der speziellen Reaktivi- (PTH-)Derivat umgewandelt und anhand ihrer Reten-
tät der einzelnen Spezies erschwert. Beispielsweise wer- tionszeit auf einer RP-HPLC-Säule identifiziert. Die
den Nitrosylierungen (+29 Da) bei niedrigem pH-­Wert Edman-Sequenzierung stellt die einfachste Methode
abgespalten, oder Sulfensäuren (+16 Da) reagieren auf- zur Lokalisation einer modifizierten Aminosäure dar,
grund ihrer instabilen Natur schnell weiter und werden doch der Erfolg hängt stark von der Homogenität der
daher selten nachgewiesen. Der Nachweis von höheren Peptidprobe, der Stöchiometrie der PTM und der Sta-
Oxidationsformen wie Sulfin- (+32  Da) und Sulfon- bilität der modifizierten Aminosäure bei der Derivatisie-
säuren (+48  Da) ist aber möglich. Somit kann die in- rung ab. Inhomogene Proben führen zur gleichzeitigen
vivo- oder in-vitro-Modifikation eines Proteins durch Detektion mehrerer Peptidsequenzen und behindern
exakte Bestimmung seiner Masse mithilfe der MS de- die eindeutige Lokalisation einer modifizierten Amino-
tektiert und durch Vergleich der gemessenen Masse mit säure in einem der Peptide. Aus diesem Grund profitiert
der theoretischen Masse des unmodifizierten Proteins die Edman-Sequenzierung insbesondere von der sorg-
identifiziert werden. Hierbei müssen modifikationsspe- fältigen Anreicherung und Isolierung der modifizier-
zifische Limitierungen bedacht werden. Liegen in einem ten Peptide mithilfe der oben dargestellten Methoden
Protein mehrere PTMs gleicher oder verschiedener Art (7 Abschn.  29.3). Erschwerend kommt die Kombina-

vor, so kann dies aus der Differenz zwischen gemessener tion der geringen Stöchiometrie von in vivo-­PTMs mit
und theoretischer Masse des Proteins abgelesen werden der abnehmenden repetitiven Ausbeute der Sequenzie-
(. Abb. 29.9).
  rung hinzu, die zum Absinken der Konzentration des
PTH-Derivats einer modifizierten Aminosäure unter die
Detektionsgrenze führen kann. Zusätzliche Probleme
29.5  Lokalisation und Identifizierung bereiten die unterschiedlichen chemischen Stabilitäten
posttranslational modifizierter modifizierter Aminosäuren und ihrer Derivate, die eine
Aminosäuren spezifische Anpassung der Sequenziertechnik an die Art
der PTM notwendig machen.
Der direkte Weg zur Lokalisation einer modifizierten So sind Phosphotyrosine aufgrund ihrer Hydrophobi-
Aminosäure in einem Peptid war früher die vollständige zität nur mittels Festphasensequenzierung zu analysieren,
Sequenzierung des Peptids mithilfe der Edman-­ und ihre PTH-Derivate zeigen eine schlechte Absorption
Sequenzierung. Heutzutage wird hierzu immer mehr die und eine unscharfe Retention. Phosphoserine und -threo-
massenspektrometrische Fragmentionenanalyse einge- nine erliegen während der Edman-­Sequenzierung einer
setzt, da diese die Analyse komplexer Proben bei gleich- säurekatalysierten Dehydratisierung zu Dehydroalanin
zeitig geringer Probenmengen erlaubt. und Dehydro-α-amino-2-butansäure, können aber in-
direkt über die Dithiothreitoladdukte der entstehenden
PTH-Derivate nachgewiesen werden. Eine weitere Mög-
29.5.1 Lokalisation phosphorylierter lichkeit besteht darin, Phosphoserine und -threonine
Aminosäuren mittels Edman- durch β-Eliminierung und Addition von Mercaptoethan
Sequenzierung in ihre stabilen Derivate 5-Ethylcystein und β-Methyl-S-
ethylcystein umzuwandeln, die bei der Edman-Sequen-
Bei der klassischen Edman-Sequenzierung (7 Abschn. zierung anhand ihrer Retentionszeiten identifiziert wer-

15.1) werden aminoterminale Aminosäuren sequenziell den können.


mit Phenylisothiocyanat (PITC) modifiziert, vom Pep- Edman-Sequenzierung wurde auch erfolgreich für
tid abgespalten, in ein stabiles Phenylthiohydantoin- die Analyse von oxidativen Cysteinmodifikationen wie
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
739 29
z.  B.  Disulfidbrücken eingesetzt. Für den generellen Phosphorylierte Peptide zeigen aufgrund der zusätz-
Nachweis von Cysteinmodifikationen ist die Methode lichen negativen Ladung der Phosphatgruppe und der
ansonsten aber nur bedingt geeignet. Um Cysteine über- Messanordnung (Positiv-Modus) des Massenspektro-
haupt nachweisen zu können, werden Proteine in der meters in Gegenwart von unmodifizierten Peptiden eine
Regel vor der Analyse mit Reagenzien wie 4-­Vinylpyridin geringe Ladungszahl, die zu einer Suppression oder so-
oder Iodessigsäure derivatisiert. Die Vielzahl möglicher gar zum Verlust der Signale führen kann. Je nach den
Modifikationen sowie die mangelnde Stabilität selbst angewendeten Bedingungen (z. B. Ionisierungsmethode
von derivatisiertem Cystein machen die Analyse hier oder Kollisionsenergien) kann es zu charakteristischen
schwierig. Abspaltungen von H3PO4 und HPO3 kommen. So führt
der Verlust von H3PO4 bei einfach geladenen Ionen zu
einer Signalverschiebung von −98 Da, bei zweifach ge-
29.5.2  okalisation phosphorylierter und
L ladenen Ionen von −49 Da, usw. Besonders Phosphose-
cysteinoxidierter Aminosäuren rine und -threonine zeigen sehr intensive Signale für die
mittels massenspektrometrischer Abspaltung von H3PO4, was der Bildung von Dehydro-
Fragmentionenanalyse alanin aus Phosphoserin und von Dehydro-α-amino-­2-
butansäure aus Phosphothreonin entspricht. Die Ab-
Die massenspektrometrische Lokalisation phosphor- spaltung von HPO3 dagegen wird bei Phosphoserin
ylierter und cysteinoxidierter Aminosäuren unterschei- und -threonin weniger häufig beobachtet und führt zu ei-
det sich überwiegend in der Probenvorbereitung (vgl. ner Signalverschiebung von −80 Da bei einfach gelade-
7 Abschn.  29.3). Im Anschluss findet dann üblicher-

nen Ionen, von −40  Da bei zweifach geladenen Ionen
weise die MS-Analyse nach proteolytischer Spaltung der usw. Phosphotyrosine stellen aufgrund des konjugierten
Proteine statt (Bottom-up). Durch die Wahl der Endo- Systems ihres Benzolrings stabile Phosphate dar und
protease kann Einfluss auf die durchschnittliche Länge zeigen nur selten eine Abspaltung von HPO3, nicht aber
und Art der entstehenden Peptide genommen werden, von H3PO4. Diese Massendifferenzen können jedoch zu
wobei die Endoprotease Trypsin, wie bei der Protein- ihrer Identifizierung genutzt werden können.
massenspektrometrie üblich, Verwendung findet und Da im ESI-Massenspektrometer ein sanfter ESI-­
auch bei der Analytik von PTMs besonders häufig ein- Ionisierungsprozess vorliegt, führen erst eine Erhöhung
gesetzt wird. Trypsin spaltet Peptidbindungen auf der der anliegenden Spannungen oder eine induzierte Kolli-
carboxyterminalen Seite von Lysinen und Argininen sion mit Stoßgasmolekülen zum Verlust von H3PO4 und
und generiert aufgrund der durchschnittlichen Vertei- HPO3, was mit einer kompletten Fragmentierung der
lung von Lysinen und Argininen in Proteinen überwie- Peptide einhergeht. Unter diesen sanften Bedingungen
gend Peptide mit einer Länge zwischen fünf und zwan- kann die Lokalisation phosphorylierter Aminosäuren in
zig Aminosäuren, die am Carboxyterminus einen positiv Zusammenhang mit einer Fragmentionenanalyse durch-
geladenen Rest tragen. Die Charakterisierung der modi- geführt werden.
fizierten Peptide erfolgt zumeist mittels MALDI- oder Mithilfe der massenspektrometrischen Fragmentio-
ESI-MS. Diese Techniken geben aufgrund der beobach- nenanalyse wird das spezifische Fragmentierungsmus-
teten Massenverschiebungen Hinweise auf die Anzahl ter eines Peptids aufgezeichnet (7 Abschn.  16.4). Da

an PTMs in einem Peptid und erlauben eine anschlie- Phosphorylierungen und Cysteinoxidation aufgrund
ßende Fragmentierung des modifizierten Peptids. Damit der zusätzlichen Massen das Fragmentierungsmuster
können eine Identifizierung und Lokalisation der modi- von Peptiden verändern (mass shift), kann anhand des
fizierten Aminosäure ohne weitere Behandlung der aufgezeichneten Fragmentionenspektrums, auch MS/
Probe erfolgen. Besonders die erheblichen technischen MS-Spektrum genannt, auf die Position einer PTM
Verbesserungen der Massenspektrometer, die Automati- geschlossen werden. Dabei kommen heutzutage unter-
sierbarkeit der massenspektrometrischen Analysen und schiedliche Fragmentierungstechniken zum Einsatz.
die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der MS mit Neben den für die Peptidsequenzierung etablierten
den oben beschriebenen Methoden zur Trennung und Verfahren der kollisionsinduzierten Dissoziation (CID,
Anreicherung modifizierter Proteine und Peptide haben Collison-­Induced Dissociation) und Higher-Energy Col-
die Analytik von PTMs revolutioniert. Die Detektion lisional Dissociation (HCD) stehen alternative Techni-
und Analyse eines modifizierten Peptids mithilfe der MS ken, wie die der elektroneninduzierten Fragmentierung
basiert auf zwei Prinzipien: auf der Detektion der Mo- (ETD, Electron Transfer Dissociation) oder Hybridme-
lekulargewichtserhöhung, die für eine PTM charakteris- thoden, wie Electron-Transfer/Higher-Energy Collision
tisch ist (7 Abschn. 29.4.2), und auf der Aufzeichnung

Dissociation (EThcD), für die PTM-Analytik zur Ver-
des Fragmentierungsmusters des Peptids, welches die fügung. Alle Massenspektrometer, die für die Frag-
genaue Lokalisation der PTM-Stelle ermöglicht. mentionenanalyse geeignet sind (TOF-, Ionenfallen-,
740 G. Poschmann et al.

Q1 Q2 Q3 Detektor
Produktionen-Analyse

m/z = konstant Fragmentierung m /z-Scanning m /z

Vorläuferionen-Analyse

29 m /z-Scanning Fragmentierung m /z = konstant m /z

Neutralverlust-Analyse

D=98 D=98

m /z-Scanning Fragmentierung m /z-Scanning m/z

..      Abb. 29.10  Fragmentionen-Analyse. Bei der Produktionen-­ nem definierten m/z-Verhältnis (z. B. −79 für PO3−) detektiert wer-
Analyse wird der Q1 so eingestellt, dass nur Vorläuferionen mit ei- den. Hierdurch kann dann auf das entsprechende Vorläuferion zu-
nem bestimmten m/z-Verhältnis transferiert werden. Diese werden rückgeschlossen werden. Die Neutralverlust-­Analyse läuft inklusive
anschließend im Q2 durch Fragmentierung in Produktionen zerlegt, der Fragmentierung analog zur Vorläuferionen-Analyse ab. Der Q3
welche wiederum im Q3 ausgescannt werden. Bei der Vorläuferio- ist jedoch so eingestellt, dass nur noch Massen, die eine bestimmte,
nen-Analyse werden zunächst die Vorläuferionen des gesamten Mas- dem Neutralverlust entsprechende Differenz (z. B. 98 Da für H3PO4)
senbereichs nacheinander in den Q2 transferiert und fragmentiert. zwischen Vorläufer- und Produktion aufweisen, detektiert werden
Der Q3 ist dann so eingestellt, dass nur noch Produktionen mit ei-

Orbitalionenfallen-, Triple-Quadrupolgeräte oder Kom- rung des Peptids genutzt werden kann. Phosphorylierte
binationen – Hybride – aus diesen), können auch für die Aminosäuren können aufgrund der Verschiebung der
Lokalisation der PTM eingesetzt werden. Fragmentionensignale um +80 Da bzw. +42 Da direkt
Aufgrund der Weiterentwicklung der Massenspekt- aus dem MS/MS-Spektrum identifiziert werden. Zusätz-
rometrie hinsichtlich der Auflösung, Geschwindigkeit, lich zeigen sich bei Phosphopeptiden in den Fragmen-
Fragmentierungstechniken und Sensitivität kommen tionenspektren ab dem phosphorylierten Rest die oben
heute nur noch selten die insbesondere für Triple-­ erwähnten charakteristischen Abspaltungen von H3PO4
Quadrupolgeräte entwickelten experimentellen Techni- und HPO3.
ken, wie etwa Produktionen-, Neutralverlust-, Vorläufe- Bei der Vorläuferionen-Analyse (precursor ion scan;
rionen- und PTM-spezifische Immoniumionen-­Analyse, . Abb.  29.10) werden die Peptidionen des gesamten

zur Anwendung und sollen aber der Vollständigkeit hal- Massenbereiches nacheinander in den Q2 transferiert
ber hier behandelt werden. und dort durch ClD fragmentiert. Q3 ist auf die Selek-
Die Produktionen-Analyse (product ion scan), eine tion eines bestimmten, ausgewählten m/z-Wertes einge-
Tandem-MS-Technik (. Abb.  29.10) wurde häufig in
  stellt, sodass ausschließlich ein Fragmention, welches
Zusammenhang mit Triple-Quadrupolgeräten einge- für die jeweilige Modifikation (z. B. m/z = 79 für PO3−)
setzt. Hierbei wird das elektrische Feld des ersten Quad- spezifisch ist, zum Detektor gelangt. Dieses in Q3 selek-
rupols (Q1) so eingestellt, dass ausschließlich Ionen ei- tierte Fragment kann einem Vorläuferion zugeordnet
ner bestimmten Masse in den zweiten Quadrupol (Q2) werden und liefert daher spezifische Informationen zum
gelangen können. Die übrigen Peptidionen werden ab- Modifikationszustand dieses Ions.
gelenkt und erreichen Q2 nicht. In Q2 erfolgt eine Frag- Die Neutralverlust-Analyse (neutral loss scan;
mentierung durch niederenergetische Stöße mit einem . Abb.  29.10) ist eine effektive Methode zur Identi-

Kollisionsgas wie Stickstoff, Helium oder Argon (CID, fizierung von modifizierten Peptiden. Sie nutzt den
Collison-Induced Dissociation). Dabei bricht bevorzugt Verlust einer neutralen Gruppe aus einem modifizier-
die Peptidbindung, und es entstehen b- und y-Fragmen- ten Peptid nach Niedrigenergiestößen aus. Wie in der
tionen, die nachfolgend im dritten Quadrupol (Q3) ana- Vorläuferionen-­ Analyse werden die Peptidionen mit
lysiert werden. Mittels Produktionenanalyse entsteht unterschiedlichen m/z-Verhältnissen nacheinander
für jedes Peptid ein charakteristisches Fragmentionen- zur Fragmentierung in den Q2 transferiert. Q3 arbei-
spektrum, das entweder manuell oder mithilfe von Pro- tet synchron mit Q1 im Scanbetrieb und filtert da-
teindatenbank-Suchen interpretiert und zur Sequenzie- bei eine bestimmte Spezies Fragmentionen mit einem
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
741 29
m/z-­Verhältnis, welches dem des Peptidions abzüg- Im MALDI-TOF-Massenspektrometer findet der
lich der Masse des nachzuweisenden Neutralverlustes Verlust von H3PO4 und HPO3 in der feldfreien Driftstre-
(z. B. H3PO4) entspricht. cke (also post-source) als Ergebnis von metastabilen
Mittels Vorläuferionen-Analyse und Neutralverlust-­ und/oder kollisionsinduzierten Zerfällen statt. Im Line-
Analyse wird zunächst nur das Peptidion bestimmt, das armodus können die entstehenden Fragmente folglich
eine Phosphatgruppe trägt. Um anschließend die Se- nicht von der Masse des Vorläuferions unterschieden
quenz des Peptids und damit die phosphorylierte Ami- werden. Im Reflektormodus werden die Fragmente als
nosäure zu bestimmen, wird im Massenspektrometer breite, nicht isotopenaufgelöste Signale detektiert. Das
nach der Detektion eines Vorläuferion- bzw. heißt, die Anwesenheit von Signalen im Reflektorspekt-
Neutralverlustanalyse-­spezifischen Fragmentions auto- rum, die durch metastabile Zerfälle entstehen – (MH−
matisch ein MS/MS-Spektrum des Peptids mittels Pro- H3PO4)+ und (MH−HPO3)+ –, deutet auf ein phosphor-
duktionen-Analyse aufgenommen (precursor ion scan – yliertes Peptid hin. Beide Fragmentionen (MH−H3PO4)+
neutral loss scan  – triggered product ion scan). und (MH−HPO3)+ werden im Reflektorspektrum nicht
Phosphotyrosine können nicht mittels Vorläuferionen-­ wie erwartet genau bei m/z −98 Da bzw. m/z −80 Da de-
Analyse und Neutralverlust-Analyse charakterisiert tektiert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Re-
werden, da sie unter den entsprechenden Bedingungen flektor des Massenspektrometers nur exakt für Ionen
stabil sind und keine charakteristischen Fragmentionen mit voller Beschleunigungsenergie kalibriert ist. Die bei-
bzw. Neutralverluste zeigen. Phosphotyrosine lassen den Fragmentionen besitzen eine geringere kinetische
sich jedoch mit der PTM-spezifischen Immoniumionen-­ Energie als die entsprechenden Vorläuferionen und wer-
Analyse indirekt nachweisen. Diese Methode basiert den daher bei etwas geringeren m/z-­Werten detektiert.
auf einer Vorläuferionen-Analyse, bei der in Q3 nach Für den Erhalt zusätzlicher Sequenzinformationen
den spezifischen Immonium- und Markerionen von eines modifizierten Peptids stehen heutzutage bei der
Phosphotyrosin und Acetyllysin gesucht wird. Das Im- Verwendung von Ionenfallen- und Oribitalionenfallen-
moniumion von Phosphotyrosin besitzt ein m/z-­ massenspektrometern oder Hybridgeräten neben CID
Verhältnis von 216,04. Das Immoniumion von Acetylly- und HCD noch weitere Fragmentierungstechniken zur
sin weist ein m/z-Verhältnis von 143,12 auf und erzeugt Verfügung.
durch den Verlust von NH3 ein zusätzliches Markerion Eine alternative Fragmentierungstechnik, die häufig
mit m/z 126,10. Alle drei Ionen können alternativ auch in der PTM-Analytik angewandt wird, ist die Elektron-
mit anderen hochauflösenden Massespektrometern wie transferdissoziation (ETD), bei der die Aminosäuresei-
z. B. Quadrupol-TOF-Hybridmassenspektrometern de- tenketten und Modifikationen weitgehend intakt blei-
tektiert werden (phosphotyrosine specific immonium ion ben. Hierbei beruht der Fragmentierungsmechanismus
scan). Die größte Limitierung der PTM-spezifischen Im- auf der Übertragung von Elektronen durch ein Radi-
moniumionen-Analyse liegt in der Auflösung und Ge- kalanion mit geringer Elektronenaffinität (Transferrea-
nauigkeit des verwendeten Massenspektrometers, da genz) auf das mehrfach positiv geladene Peptid. In der
Peptide im Massenbereich der Immoniumionen allge- Peptidanalytik kommt häufig als Transferreagenz Fluo-
mein eine Vielzahl von internen Fragmenten mit sehr ranthen zum Einsatz. Das positive Peptidion und das ra-
kleinen Massendifferenzen erzeugen. Um die Sequenz dikale Anion des Fluoranthens werden in der Regel zeit-
des detektierten Vorläuferpeptids und die Position der lich nacheinander in die Ionenfalle eingebracht und dort
Phosphat- oder Acetylgruppe zu bestimmen, wird an- gemischt. Bei der Reaktion wird durch die Übertragung
schließend wiederum das spezifische Fragmentionen- eines ungepaarten Elektrons das Peptid instabil, und es
spektrum des Peptids aufgenommen. kommt zu einem Bruch entlang des Peptidrückgrats.
Die Fragmentierung durch CID ist eine die gängigste Eine durch die Elektronenübertragung hervorgerufene
Methode zur Analyse von Peptiden, zeigt aber Limitatio- Protonenneutralisierung führt zu einer Reduktion des
nen bezüglich der Analyse labiler PTMs, wie etwa Phos- Ladungszustands des Peptidions und der Fragmen-
phorylierungen oder Glykosylierungen. So führt z. B. die tionen. Die ETD-Fragmentierung erzeugt leicht zu
CID-Fragmentierung von serin- und threoninphosphor- interpretierende c- und z-Ionenserien einfach geladener
ylierten Peptiden häufig zu Brüchen an der labilen Phos- Fragmentionen, sodass aus dem MS2-­Spektrum auf die
phorylbindung, was zur charakteristischen Abspaltung Aminosäuresequenz des Peptids und Position der PTM
von H3PO4 oder HPO3 (Neutralverlust) führt geschlossen werden kann (. Abb. 29.11).

(. Abb. 29.11). Infolgedessen weisen die resultierenden


  Da bei der ETD-Fragmentierung doppelt proto-
MS/MS-Spektren ein dominantes Signal des Vorläufer- nierte Peptide eine geringe Fragmentierungseffizienz im
peptidions mit Neutralverlust auf und enthalten somit Vergleich zu CID bzw. HCD haben und ETD auch eine
weniger Informationen über die Sequenz des Peptids. längere Reaktionszeit im Vergleich zu CID/HCD/-Akti-
742 G. Poschmann et al.

..      Abb. 29.11  Vergleich von CID- A A y 6 5 4


und ETD-­Fragmentionenspektrum B CID [Q S H S E S P S L Q S K] + HPO3
des Peptids QSHSESPSLQSK aus dem [M+3H-H3PO4-2xH2O]+3
humanen SRRM2-Protein. Das mit
CID generierte Spektrum weist
8
dominante Neutralverlustfragmente [M+3H-H3PO4-H2O]+3
und wenig sequenzinformative
Fragmente auf. Des Weiteren kann die

Intensität (x 104)
phosphorylierte Aminosäure nicht
6
bestimmt werden. Im Gegensatz dazu
führte die ETD-Fragmentierung zu
einer fast vollständigen c- sowie

29 z-­Ionenserie und ermöglicht somit die


genaue Lokalisation des Phosphoserins
4 [M+3H-H2O]+3

im Peptid. (Mit freundlicher Genehmi-


gung von Heike Piechura)
2 y6+2
y6
y5
y4 +2

0
200 400 600 800 1000
m/z

B z 10 9 7 5 4 3 2
ETD Q S H S E pS P S L Q S K
c 2 3 4 5 7 8 9 10 11
c3

[M+3H]+2
8

c2 [M+3H]+1
Intensität (x 103)

6
z+110
c5

z+19
4 z+12 c4 z+14
z+17 c11
z+15 c7 z+18 c9
2 c10
z+13 c8

0
200 400 600 800 1000 1200 1400
m/z

vierungszeiten benötigt, wurde in den letzten Jahren die EThcD eignet sich auch für die Analyse von Dipep-
Hybridmethode EThcD vermehrt eingesetzt. Hier wer- tiden, die durch eine Disulfidbrücke verbunden sind. Bei
den nicht fragmentierte Spezies und Produktionen, die der initialen ETD-Fragmentierung wird hier zunächst
aus der ETD-Fragmentierung resultieren, einer nachfol- präferenziell die Disulfidbrücke gespalten, was im Spek-
genden HCD-Fragmentierung unterzogen. Dies führt trum zu zwei intensiven Signalen für die beiden Einzel-
über die gleichzeitige Erzeugung von c/z- und b/y-­ peptide führt. Bei der anschließenden Fragmentierung
Ionenserien zu einer umfassenden Fragmentierung des mit HCD werden in erster Linie nicht reagierte und la-
Peptidgerüsts. So kann neben einer besseren Sequenz- dungsreduzierte Vorläuferionen inklusive dem Peptid-
abdeckung auch die Genauigkeit der Lokalisierung der rückgrat fragmentiert, was zu einer erhöhten Sequenz-
Modifikation erhöht werden. abdeckung führen kann.
Analytik posttranslationaler Modifikationen: Phosphorylierung und oxidative Cysteinmodifikation …
743 29
29.6  Quantitative Analyse anschließend in Anwesenheit von stabilen Isotopen che-
posttranslationaler Modifikationen misch synthetisiert, sodass ein Peptidanalogon entsteht,
welches sich ausschließlich in seiner Masse von seinem
Die biologische Funktion eines Proteins hängt neben natürlich vorkommenden Gegenstück unterscheidet.
der Art und Position seiner PTMs auch von der Stöchio- Eine definierte Menge des synthetischen Peptids wird als
metrie dieser Modifikationen ab. Die quantitative Ana- interner Standard der Proteinprobe zugesetzt. Anschlie-
lyse der Phosphorylierung einer bestimmten Amino- ßend werden die Proteine proteolytisch gespalten, bevor
säure oder Cysteinoxidation in einem Protein mittels im dritten Schritt der Quantifizierung eine MS-Analyse
MS stellt deshalb einen wichtigen Teil der modifikati- der Probe erfolgt. Eine absolute Quantifizierung des
onsspezifischen Proteomanalytik dar. Die Quantifizie- in vivo modifizierten Peptids ist durch den Vergleich der
rung einer PTM kann relativ zwischen mehreren Zu- jeweiligen Signalintensitäten der Peptidionen in den
ständen einer Zelle oder eines Gewebes oder absolut MS-Spektren des in vivo modifizierten und des syntheti-
anhand von internen Standards erfolgen (7 Kap.  42,  
sierten Standardpeptids möglich (. Abb. 29.12).

7 Abschn. 16.8).

Bei der relativen Quantifizierung steht methodisch


29.7  Zukunft der Analytik
zum einen der Einsatz von stabilen Isotopen oder Mar-
kergruppen für eine differenzielle Analyse entweder posttranslationaler Modifikationen
durch metabolische oder chemische Markierung (meta-
bolic/chemical labeling) zur Verfügung. Zum anderen Die durch PTMs ermöglichte Vergrößerung der Struk-
haben sich in den letzten Jahren sog. markierungsfreie turvielfalt von Proteinen stellt eine zusätzliche Ebene
Ansätze als erfolgreich herausgestellt. Bei der Quantifi- dar, den Informationsgehalt biologischer Systeme und
zierung mittels Markierung erfolgt im ersten Schritt die die damit verbundene Diversität der Funktion zu erhö-
Markierung der zu vergleichenden Proteinproben mit hen. Bis dato wurden nur eine geringe Anzahl von PTMs
stabilen Isotopen, die sich in ihrer molekularen Masse systematisch analysiert und in Datenbanken abgelegt.
um wenige Dalton unterscheiden, oder durch genau de- Aus diesem Grund kommt der Proteomanalyse
finierte Markergruppen. (7 Kap. 42) mit der Möglichkeit, eine Vielzahl von Pro-

Bei der metabolischen Markierung bietet sich der teinen und deren PTM parallel zu analysieren, eine
Zusatz von markierten Aminosäuren zum Nährmedium wichtige Rolle zu. Ein Proteom wurde ursprünglich als
der Zellen an (Stable Isotope Labeling by Amino Acids in das Proteinkomplement eines Genoms definiert und ist
Cell Culture, SILAC). Es wurden auch Ansätze verfolgt, aufgrund seiner Abhängigkeit von externen und inter-
bei denen die chemische Markierung der phosphorylier- nen Einflüssen äußerst komplex und dynamisch. Neben
ten Aminosäure durchgeführt wurde. Hier wurden der Identifizierung und Quantifizierung der einzelnen
durch die Kombination von β-Eliminierung und Micha- Proteine eines Proteoms ist die Charakterisierung von
el-Addition mit markierten Thiolverbindungen die ent- PTMs die Hauptaufgabe der Proteomanalytik. Die
sprechenden phosphorylierten Aminosäuren markiert PTMs sind nicht nur der Grund für die Detektion zahl-
(7 Abschn.  29.3). Dieser Ansatz ist somit nur für die

reicher Proteinisoformen in der Proteomanalyse, son-
Analyse von an Serin oder Threonin phosphorylierten dern sie verbinden auch die reine Auflistung der in einer
Proteinen geeignet. Dabei wird häufig eine Derivatisie- Zelle oder einem Gewebe exprimierten Proteine mit
rung mittels Thiolverbindungen, welche eine Kombina- funktionellen Daten. Nur durch die modifikationsspezi-
tion aus Affinitätsmarkergruppe (z. B. Biotin) und einem fische Proteomanalytik können die funktionellen De-
mit stabilen Isotopen markierten Linker darstellt (z. B. tails der Regulation innerhalb eines Proteoms vollstän-
Isotope-Coded Affinity Tag, ICAT), eingesetzt. Dies er- dig beschrieben werden, weil hierbei die Information
möglicht sowohl die spezifische Anreicherung der phos- über die Gegenwart eines Proteins in einem Proteom mit
phorylierten Proteine als auch die MS-basierte relative seiner möglichen biologischen Rolle verknüpft werden
Quantifizierung. kann. Für die spezifische Anreicherung und Analyse ei-
Eine absolute Quantifizierung (AQUA) von modifi- ner PTM steht eine Vielzahl von Methoden zur Verfü-
zierten Peptiden ist durch Zugabe von internen Stan- gung, jedoch müssen die Techniken sorgfältig ausge-
dardpeptiden, die mit stabilen Isotopen markiert wur- wählt und an die jeweilige Probe angepasst werden.
den, möglich. Dabei erfolgen zunächst die Identifizierung Aufgrund ihrer jeweiligen Beschränkungen führen viele
des phosphorylierten oder an Cystein modifizierten Pep- der hier aufgezeigten Methoden erst in Kombination
tids und die Lokalisation der modifizierten Aminosäure miteinander zur erfolgreichen Charakterisierung einer
mittels MS.  Das identifizierte modifizierte Peptid wird PTM und machen die multidimensionale und parallele
744 G. Poschmann et al.

1. Identifizierung des modifizierten Peptids 2. Synthese des isotopenmarkierten Peptids

ATSL*PSLDTPGELR
modifiziertes Protein P*
*isotopenmarkierte Aminosäure

P
3. Absolute Quantifizierung des modifizierten Peptids
proteolytische Spaltung

29
Proteinmischung + +
isotopenmarkiertes Peptid
P
modifiziertes Peptid
P*
P proteolytische Spaltung
MS/MS-Analyse

y10
100 Peptidmischung +
[y12-98]2+ isotopenmarkiertes Peptid
+

y5
P
50 y7
b4-98
y6 P*
[y6-H2O]2+
[y10]2+
b8 y8
y9 y11 MS-Analyse
b3-98 b11 b12
0
400 600 800 1000 1200 1400 m/z

Identifizierung des
modifizierten Peptids P* P
Vergleich der Signal- 100 100
intensitäten & 50 50
ATSLPSLDTPGELR Quantifizierung 0 0
m/z m/z

..      Abb. 29.12  Absolute Quantifizierung von modifizierten Protei- siert. Man erhält ein Peptid, das chemisch identisch zu seinem natür-
nen/Peptiden mittels AQUA.  Die Strategie zur absoluten Quantifi- lich vorkommenden, modifizierten Gegenstück ist. Im letzten Schritt
zierung von modifizierten Proteinen/Peptiden umfasst drei Schritte. wird das synthetische Peptid als interner Standard in einer definier-
Im ersten Schritt erfolgt die Lokalisation der modifizierten Amino- ten Menge zur Probe gemischt. Sowohl das native als auch das syn-
säure mittels MS nach proteolytischem Proteinverdau oder in-vitro-­ thetische Peptid werden mittels MS analysiert. Die Intensitäten aus-
Modifikation von Peptiden. Nachfolgend wird das entsprechende gesuchter Peptidionen werden berechnet und miteinander verglichen,
modifizierte Peptid in Anwesenheit von stabilen Isotopen syntheti- wodurch die absolute Quantifizierung der Peptide ermöglicht wird

Aufreinigung von Proteinproben mittels LC, PAGE und nov AR, Jensen ON, Jewett MC, Kelleher NL, Kiessling LL,
CE sowie die Optimierung der massenspektrometri- Krogan NJ, Larsen MR, Loo JA, Ogorzalek Loo RR, Lundberg
E, MacCoss MJ, Mallick P, Mootha VK, Mrksich M, Muir TW,
schen Messmethoden auf die PTM erforderlich. Insbe- Patrie SM, Pesavento JJ, Pitteri SJ, Rodriguez H, Saghatelian A,
sondere wird hier die Analytik intakter Proteine (Top- Sandoval W, Schlüter H, Sechi S, Slavoff SA, Smith LM, Snyder
down-­Ansatz) eine zunehmende Bedeutung einnehmen. MP, Thomas PM, Uhlén M, Van Eyk JE, Vidal M, Walt DR,
Es ist deshalb zu erwarten, dass die Zahl der qualitati- White FM, Williams ER, Wohlschlager T, Wysocki VH, Yates
ven und quantitativen Analysemethoden für PTMs und NA, Young NL, Zhang B (2018) How many human proteoforms
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das Ausmaß ihrer modifikationsspezifischen Optimie- Alcock LJ, Perkins MV, Chalker JM (2018) Chemical methods for
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747 IV

Nucleinsäureanalytik
Inhaltsverzeichnis

Kapitel 30 Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren – 749


Marion Jurk

Kapitel 31 Aufarbeitung und chemische Analytik von


Nucleinsäuren – 769
Tobias Pöhlmann und Marion Jurk

Kapitel 32 RNA-Strukturaufklärung durch chemische


Modifikation – 811
W.-Matthias Leeder und H. Ulrich Göringer

Kapitel 33 Polymerasekettenreaktion – 831


Sandra Niendorf und C.-Thomas Bock

Kapitel 34 DNA-Sequenzierung – 863


Andrea Thürmer und Kilian Rutzen

Kapitel 35 Analyse der epigenetischen Modifikationen – 885


Reinhard Dammann

Kapitel 36 Protein-Nucleinsäure-Wechselwirkungen – 901


Rolf Wagner und Benedikt M. Beckmann
749 30

Isolierung und Reinigung


von Nucleinsäuren
Marion Jurk

Inhaltsverzeichnis

30.1  einigung und Konzentrationsbestimmung


R
von Nucleinsäuren – 750
30.1.1  henolextraktion – 750
P
30.1.2 Chromatographieverfahren – 751
30.1.3 Ethanolpräzipitation der Nucleinsäuren – 753
30.1.4 Konzentrationsbestimmung von Nucleinsäuren – 754

30.2 Isolierung genomischer DNA – 755

30.3 Isolierung niedermolekularer DNA – 756


30.3.1 I solierung von Plasmid-DNA aus Bakterien – 756
30.3.2 Isolierung niedermolekularer DNA eukaryotischer Zellen – 760

30.4 Isolierung viraler DNA – 761


30.4.1 I solierung von Phagen-DNA – 761
30.4.2 Isolierung von DNA aus eukaryotischen Viren – 762

30.5 Isolierung einzelsträngiger DNA – 762


30.5.1 I solierung von M13-DNA – 762
30.5.2 Trennung von einzel- und doppelsträngiger DNA – 763

30.6 Isolierung von RNA – 763


30.6.1 I solierung zellulärer RNA – 764
30.6.2 Isolierung von poly(A)+-RNA – 766
30.6.3 Isolierung niedermolekularer RNA – 767

30.7 I solierung von Nucleinsäuren unter Verwendung


von magnetischen Partikeln – 767

30.8 Lab-on-a-chip – 767

Literatur und Weiterführende Literatur – 768

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_30
750 M. Jurk

55 Die Isolierungsmethode der Nucleinsäure muss dem 30.1  Reinigung und


Organismus, der Art der zu isolierenden Nucleinsäure
Konzentrationsbestimmung
und der daran anschließenden Verwendung angepasst
werden.
von Nucleinsäuren
55 Für alle Nucleinsäuren gibt es allgemein anwendbare
Reinigungs- und Konzentrationsmethoden, die je nach 30.1.1 Phenolextraktion
Nucleinsäuretyp nur entsprechend abgeändert werden.
55 Für den Erfolg der nachfolgenden Nucleinsäureanalytik Proteinhaltige Verunreinigungen von Nucleinsäureprä-
ist die Qualität und Reinheit der zu isolierenden parationen können durch Ausschütteln der Nucleinsäu-
Nucleinsäuren von entscheidender Bedeutung. relösung mit gepuffertem Phenol beseitigt werden. Diese
Art der Aufreinigung wird allerdings immer häufiger
obsolet, durch die hohe Qualität der Nucleinsäuren, die
Grundvoraussetzung nahezu aller experimentellen An- mithilfe von kommerziell erhältlichen Kits isoliert wur-
30 sätze der modernen Nucleinsäureanalytik sind einwand- den. Nichtsdestotrotz stellt die Phenolextraktion eine
freie Nucleinsäurepräparationen. Viele experimentelle grundlegende Art der Aufreinigung dar und sollte daher
Methoden sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt, kurz erläutert werden. Phenol denaturiert die Proteine,
sind die Ausgangsverbindungen nicht in einwandfreiem, die dann in der sog. Interphase zwischen der wässrigen
d.  h. sauberem und kontaminationsfreiem Zustand. Nucleinsäurelösung und der Phenolphase ausfallen. Es
Kontaminationen in Nucleinsäurepräparationen kön- ist auch möglich, dass sich in der Phenolphase bereits
nen Nucleasen, Nucleinsäuren anderer Art, Makromo- ein Teil der denaturierten Proteine löst. Für die Reini-
leküle oder Salze sein. Man sollte daher großen Wert gung von DNA wird dabei Phenol verwendet, das mit
auf eine sorgfältige Isolierung und Reinigung der zu be- Tris-HCl oder TE (Tris-HCl/EDTA) pH 7,5 oder pH 8,0
arbeitenden Nucleinsäuren legen. Ebenso groß wie die gesättigt wurde. DNA löst sich relativ gut in Phenol,
Vielfalt der Nucleinsäuren sind auch deren Isolierungs- wenn dieses nicht mit TE gesättigt wurde. Oxidations-
methoden aus den verschiedenen Organismen. Hoch- produkte des Phenols können DNA-­Schäden induzie-
molekulare, genomische DNA muss aus naheliegenden ren, das verwendete Phenol sollte daher vor der Verwen-
Gründen anders isoliert und behandelt werden als dung redestilliert sein. Speziell für die Molekularbiologie
kleine, einzelsträngige RNA-Moleküle oder zirkuläre geeignetes Phenol ist kommerziell erhältlich.
Plasmide. Ebenso spielt der Ausgangsorganismus eine Neben der Extraktion mit gepuffertem Phenol wird
große Rolle. Bakterienwände müssen anders aufge- sehr häufig die Extraktion mit Phenol/Chloroform/Iso-
schlossen werden als die Zellwände von Hefen oder die amylalkohol verwendet. Es handelt sich um eine Mi-
Zellmembranen von Säugerzellen. Abhängig von der schung, die zu gleichen Teilen aus gepuffertem Phenol
nachfolgenden Anwendung kann unter Umständen auf und Chloroform/Isoamylalkohol (im Verhältnis 24:1)
eine langwierige Aufreinigung verzichtet werden oder es besteht. Chloroform besitzt ebenfalls eine denaturie-
kann erforderlich sein, hochreine, intakte DNA zu iso- rende Wirkung auf Proteine und stabilisiert zusätzlich
lieren. Auch die Next-Generation-­Nucleinsäureanalytik die instabile Phasengrenze zwischen der wässrigen
ist vornehmlich abhängig von der Qualität des Aus- DNA-Lösung und der Phenolphase. Manche Proteine,
gangsmaterials. Hier sind je nach Art des instrumentel- wie z.  B.  RNase, lassen sich mit reinem Phenol nicht
len Ansatzes spezielle Aufreinigungsprotokolle erforder- vollständig inaktivieren. Reines Phenol löst zudem be-
lich. Ein äußerst wichtiger Aspekt ist die Aufarbeitung sonders gut RNA-Moleküle, die lange adeninreiche Be-
von Nucleinsäuren im sog. High-Throughput-­Format, reiche enthalten. Durch die Verwendung der Phenol/
z. B. für diagnostische Zwecke oder im Bereich der Ge- Chloroform-Mischung wird der Anteil der wässrigen
nomsequenzierung. Hier muss eine große Anzahl von Phase, der sich in der phenolischen Phase löst, reduziert,
Nucleinsäuren gleichzeitig aufgereinigt werden. Hierzu was die Ausbeute an Nucleinsäuren erhöht. Der Zusatz
müssen die Protokolle den Möglichkeiten der Automa- von geringen Mengen Isoamylalkohol verhindert ein
tion entsprechend angepasst werden. Diesen Anforde- Schäumen während des Mischvorganges.
rungen können nur zahlreiche verschiedene Protokolle Nach dem gründlichen Mischen von wässriger und
gerecht werden. In diesem Kapitel werden die Isolie- organischer Phase wird die Phasentrennung durch Zen-
rungsmethoden nach der Art der zu isolierenden Nucle- trifugation beschleunigt (. Abb. 30.1). In der Regel ist

insäure unterteilt. Obwohl die Aufreinigung der Nucle- dabei die wässrige Phase oben. Die denaturierten Pro-
insäuren überwiegend mit kommerziell erhältlichen Kits teine befinden sich zum größten Teil in der Interphase.
erfolgt, basieren diese häufig auf allgemein anwendba- Enthält die Nucleinsäurelösung sehr viel Salz (>0,5 M)
ren Techniken, die in diesem Kapitel aufgezeigt werden oder Saccharose (>10 %), so tritt eine P ­ haseninversion
sollen. zwischen wässriger und organischer Phase ein.
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
751 30

wässrige Phase wässrige Phase (DNA)


Mischen Zentrifugation
Interphase
(denaturierte Proteine)
organische Phase organische Phase

..      Abb. 30.1  Phenolextraktion wässriger DNA-Lösungen. Die tigtes Phenol oder eine Mischung aus Phenol, Chloroform und Iso-
proteinhaltigen Verunreinigungen werden durch Extraktion mit ge- amylalkohol sein. Die denaturierten Proteine befinden sich nach der
puffertem Phenol entfernt. Bei den üblichen Salzkonzentrationen Phasentrennung hauptsächlich in der sog. Interphase. Ein geringer
befindet sich die wässrige Phase oben, die organische Phase unten. Teil wird auch im Phenol gelöst. Letzter Schritt der Reinigung ist
Die organische Phase kann dabei reines, mit Tris-HCl/EDTA gesät- immer die Extraktion mit Chloroform/Isoamylalkohol

Der Phenolisierungsschritt sollte, um eine vollstän- len Kits zur Isolierung von Nucleinsäuren verwendet.
dige Deproteinierung zu erzielen, wiederholt werden, bis Säulenmaterial, Pufferzusammensetzung und Protokoll
keine Interphase mehr beobachtet werden kann. In der unterscheiden sich dann je nach Hersteller und Art der
wässrigen Phase gelöstes Phenol beseitigt man durch er- Nucleinsäure.
neute Extraktion mit Chloroform/Isoamylalkohol. Weitere verwendete Festphasenmaterialien sind Hy-
Handelt es sich bei der zu reinigenden Nucleinsäure droxylapaptit zur Aufreinigung von einzelsträngiger
um RNA, so verwendet man meist „saures“ Phenol, das DNA oder spezifische Liganden, die an eine Matrix ge-
nur in Wasser äquilibriert wurde. In diesem sauren Phe- bunden wurden, um gezielt bestimmte Nucleinsäurety-
nol lösen sich eventuell auftretende Kontaminationen pen zu isolieren (z.  B. oligo(dT)-Matrix zur Aufreini-
von DNA besser, sodass ein zusätzlicher Reinigungsef- gung von mRNA).
fekt auftritt. Die DNA oder RNA kann nun durch Eine große Bedeutung kommt auch der Anionenaus-
Ethanolzugabe, wie im Anschluss ausführlich beschrie- tauschchromatographie zu, die für die Reinigung von
ben (7 Abschn. 30.1.3), gefällt werden.
  Plasmid-DNA eingesetzt wird. Hier wird die negativ ge-
ladene DNA an das positiv geladene Säulenmaterial ge-
bunden und anschließend mit Puffern hoher Salzkon-
30.1.2 Chromatographieverfahren zentration eluiert.
Bei allen verwendeten Methoden ist es wichtig, zu
Für die Reinigung von Nucleinsäurelösungen stehen wissen, welche Bestandteile der Puffer nachfolgende An-
mehrere Chromatographieverfahren zur Verfügung, die wendungen inhibieren können, um gegebenenfalls wei-
je nach Art des Ausgangsorganismus, der isolierenden tere Reinigungsschritte durchführen zu können. Chao-
Nucleinsäure und späteren Anwendung zum Einsatz trope Salze oder EDTA z.  B. inhibieren Polymerasen,
kommen (. Tab. 30.1). Die häufigste Methode ist dabei
  die häufig in nachfolgenden Applikationen (Polymera-
die Festphasenextraktion (Solid Phase Extraction, SPE), sekettenreaktion, 7 Kap.  33, DNA-Sequenzierung

bei der die gelöste Nucleinsäure an einer festen Phase 7 Kap. 34) eingesetzt werden. Hier könnte als weiterer

(z. B. Säule oder Partikel) über verschiedene Arten der Reinigungsmethode eine Gelfiltrationschromatographie
Wechselwirkung (ionisch, unpolar/polar) gebunden und erfolgen.
durch Wechsel der Pufferbedingungen eluiert wird. Eine
sehr häufig verwendete Methode ist die Adsorption der 30.1.2.1 Gelfiltration
Nucleinsäuren an Silicamatrizes. Die zu reinigende Nu- Für diese Art Reinigung von DNA- oder RNA-­
cleinsäure wird in Gegenwart chaotropher Salze und Lösungen werden Materialien verwendet, die durch
Ethanol (oder ähnlicher Alkohole) an eine Silicamatrix den Molekularsiebeffekt (Ausschlusschromatogra-
gebunden. Unter diesen Bedingungen erfolgt eine Ad- phie 7 Abschn.  11.4.1) die Abtrennung von be-

sorption der Nucleinsäure an die Matrix, während an- stimmten Verunreinigungen ermöglichen (hauptsäch-
dere Verunreinigungen (Proteine, Salze) unter diesen lich Sephadex G50 oder Sephacel S300 sowie Bio-Gel
Bedingungen nicht gebunden werden. Die Elution er- P-2). Das Reinigungsprinzip beruht darauf, dass die
folgt mit Puffern geringer Ionenstärke (z.  B.  Tris/ED- großen Moleküle im Ausschlussvolumen des Säulen-
TA-Puffer). Diese Methode wird in vielen kommerziel- materials eluieren, während die abzutrennenden nie-
752 M. Jurk

..      Tab. 30.1  Häufig angewandte Chromatographie-Verfahren zur Reinigung von Nucleinsäuren

Prinzip/Material Verwendung

Anionenaustauschchromatographie Plasmid-DNA, RNA 7 Abschn. 30.3.1


(z. B. DEAE)
Adsorptionschromatographie (Silicamatrix) genomische DNA, Plasmid-DNA, RNA 7   Abschn. 30.2
7   Abschn. 30.4
7   Abschn. 30.6.1
7   Abschn. 30.7
7   Abschn. 30.8
Adsorptionschromatographie einzelsträngige DNA, RNA 7 Abschn. 30.5.2

(Hydroxylapatit)
30 spezifische Affinitätschromatographie z.B. oligod(T)- mRNA 7 Abschn. 30.6.2

Matrix 7 Abschn. 30.7

Größenausschlusschromatographie/Gelfiltration Umpufferung, Reinigung von DNA/RNA- 7 Abschn. 30.1.2


Fragmenten

A B

..      Abb. 30.2  Gelfiltration zur Reinigung von DNA-Lösungen. A DNA-Moleküle vom Säulenmaterial kaum zurückgehalten werden
Gelfiltrationssäulen lassen sich sehr einfach aus Pasteurpipetten her- und zuerst von der Säule eluieren. Ein mögliches Säulenprofil ist an-
stellen und werden mit äquilibriertem Säulenmaterial gefüllt. Je nach gegeben. Die Fraktionen, die die DNA enthalten, können durch
Größe der zu reinigenden DNA werden Sephadex-G50-, Sepha- OD-Bestimmung, Ethidiumbromidfärbung oder, bei radioaktiv
dex-­G25- oder Sephacel-Materialien verwendet. Das Prinzip ist für markierter DNA, durch Messung der Strahlung identifiziert werden.
alle kommerziell erhältlichen Gelfiltrations-Säulen gültig. B Durch Die beiden Maxima liegen dabei umso dichter beieinander, je kleiner
den Molekularsiebeffekt werden kleinere Moleküle, verunreinigende die zu reinigenden DNA-Moleküle sind
Nucleotide oder Salze zurückgehalten, während die großen

dermolekularen Nucleotide, Verunreinigungen oder werden. Die Gelfiltration wird auch zum Entsalzen oder
Oligonucleotide in den Poren des Gelfiltrationsmate- Umpuffern von Nucleinsäurelösungen verwendet
rials zurückgehalten werden und daher später eluie- Gelfiltrationssäulen sind in vielen kommerziell er-
ren (. Abb. 30.2).
  hältlichen Kits enthalten. Hier sind Auftrags- und Elu-
Die zu reinigende Lösung wird auf die Säule aufge- tionsvolumen vom Hersteller vorgegeben. Die sog. spin
tragen und anschließend mit Puffer eluiert, wobei das columns benutzen dabei im Gegensatz zu den konventio-
Eluat fraktioniert gesammelt wird. Die Fraktionen kön- nellen Säulen nicht die Schwerkraft, sondern die Puffer
nen dann auf die Anwesenheit der Nucleinsäure getestet werden durch die Säule zentrifugiert.
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
753 30
30.1.3 Ethanolpräzipitation der Das Nucleinsäurepellet wird kurz getrocknet und in ei-
Nucleinsäuren nem entsprechenden Puffer gelöst.
In vielen Fällen kann die Fällung der Nucleinsäure-
Die gebräuchlichste Methode zur Konzentrierung und lösung auch durch Zugabe von 0,5–1 Volumenanteil
weiteren Reinigung von Nucleinsäuren ist die Präzipita- Isopropanol erfolgen. Dies ist besonders dann von Vor-
tion mit Ethanol. In Gegenwart monovalenter Kationen teil, wenn das Volumen des Fällungsansatzes minimal
bildet die DNA bzw. RNA in Ethanol einen unlöslichen bleiben soll. Natriumchlorid wird bei der Verwendung
Niederschlag, der durch Zentrifugation isoliert wird. von Isopropanol leichter mit gefällt, ebenso ist Isopro-
Monovalente Kationen werden bevorzugt durch Zu- panol schwerer flüchtig als Ethanol, sodass die Fällun-
gabe von Natriumacetat oder Ammoniumacetat bereit- gen sorgfältig mit 70%igem Ethanol gewaschen werden
gestellt. Routinemäßig verwendet man für die Fällung müssen.
der Nucleinsäuren Natriumacetat. Ammoniumacetat
wird verwendet, um die Kopräzipitation von freien Nu- Präzipitation geringer Mengen mithilfe von Carriern (Trä-
cleotiden zu reduzieren. Einige Enzyme, z. B. die T4-Po- ger-RNA oder anderen Trägermaterialien)  Geringe DNA/
lynucleotidkinase, werden jedoch durch Ammoniumio- RNA-Konzentrationen (<10  μg ml−1) lassen sich sehr
nen inhibiert. Zur Fällung von RNA (>300 nt) verwendet schlecht präzipitieren. Die Verwendung von sog. Carrier-
man bei bestimmten Anwendungen Lithiumchlorid material schafft hier Abhilfe. Die Carrier werden durch
(7 Abschn.  30.6.3). Dieses Salz ist in Ethanol löslich

Ethanol ebenfalls präzipitiert und fällen so die geringen
und wird deshalb nicht mit den Nucleinsäuren gefällt. Mengen der Nucleinsäuren mit aus. Häufig verwendete
Chloridionen wirken aber bei vielen Reaktionen inhibie- Carrier sind tRNA, Glykogen oder lineares Polyacryl-
rend, sodass diese Fällung nur bei bestimmten Reaktio- amid.
nen angewendet werden kann.
In der Praxis wird die Nucleinsäurelösung durch Zu- Der verwendete Carrier darf nicht mit den nachfolgen-
gabe einer Vorratslösung auf eine bestimmte Salzkon- den Experimenten interferieren. So wird tRNA eben-
zentration eingestellt und anschließend mit Ethanol ver- falls von Polynucleotidkinase phosphoryliert und sollte
setzt. Die Menge des zugesetzten Ethanols richtet sich hier nicht als Carrier verwendet werden. Glykogen
dabei nach dem Ausgangsvolumen der DNA-­Lösung kann unter Umständen mit DNA-Protein-Komplexen
und beträgt in der Regel das 2,5- bis 3-Fache dieses Vo- interagieren.
lumens. Der Fällungsansatz wird je nach Menge und Art
der Nucleinsäure bei −80 °C bis Raumtemperatur inku-
biert und anschließend abzentrifugiert (. Abb.  30.3). 
Lineares Polyacrylamid (LPA), kann leicht durch Poly-
Das mitgefällte Salz kann durch anschließendes Wa- merisation von Acrylamid (ohne Bisacrylamidzugabe)
schen des Nucleinsäurepellets mit 70%igem Ethanol und anschließende Präzipitation mit Ethanol hergestellt
größtenteils entfernt werden. Im Gegensatz zur gefällten werden und stellt einen sehr guten, völlig inerten Carrier
DNA lösen sich die meisten Salze in 70%igem Ethanol. dar.

A B

abs. Ethanol

Nucleinsäure- genomische DNA in


pellet wässriger Phase

..      Abb. 30.3  Ethanolpräzipitation von Nucleinsäuren. A Zur wäss- ßes sichtbar. B Besonders hochmolekulare genomische DNA lässt
rigen Nucleinsäurelösung wird das 2,5- bis 3-fache Volumen absolu- sich durch vorsichtiges Überschichten der wässrigen Lösung mit
ten Ethanols (oder das 0,5- bis 1-fache Volumen Isopropanol) zuge- Ethanol an der Phasengrenze ausfällen. Die genomische DNA wird
geben und die Nucleinsäuren durch Zentrifugation präzipitiert. Das dabei als dünner Faden sichtbar und kann auf ein steriles Stäbchen
farblose Nucleinsäurepellet ist meist am Boden des Eppendorfgefä- aufgerollt werden
754 M. Jurk

30.1.4 Konzentrationsbestimmung ..      Tab. 30.2  Photometrische Konzentrationsbestimmung


von Nucleinsäuren der Nucleinsäurelösungen. Die photometrisch bestimmte
Oligonucleotidkonzentration kann über die Annäherungs-
Die Konzentrationsbestimmung von RNA oder DNA werte einzelsträngiger DNA oder aber – bei bekannter
Sequenz – aus der Summe der molaren Absorptionskoeffizi-
basiert auf dem Absorptionsmaximum der Nucleinsäu- enten der Basen des Oligonucleotids berechnet werden.
ren bei 260 nm (. Abb. 30.4). Für die Absorption sind

(Nach Barbas et al. 2007; molare Extinktionskoeffizienten
dabei die aromatischen Ringe der Basen verantwortlich. nach Sambrook und Russell 2001)
Die Absorption bei 260  nm wird ­ photometrisch in
Quarzküvetten gemessen, da diese das UV-Licht nicht 1 OD260 50 μg ml−1 doppelsträngiger DNA
absorbieren. Die Konzentrationsbestimmung erfolgt entspricht
über das Lambert-Beer‘sche Gesetz. Die Quarzküvetten 40 μg ml−1 einzelsträngiger RNA
für die meisten Photometer besitzen 1 cm Schichtdicke.
33 μg ml−1 einzelsträngiger DNA
Eine Lösung, die 50 μg ml−1 doppelsträngige DNA ent-
30 hält, besitzt unter diesen Bedingungen einen Absorpti- Molare Absorptionskoeffizienten der einzelnen Nucleotide (bei
pH 7,0)
onswert von 1 (sog. Optische Dichte, OD).
ε (in mM−1
cm−1)
Lambert-Beer‘sches Gesetz
(dATP) 15,3
I
Eλ = log10 0 = ε λ ⋅ c ⋅ d (dCTP) 7,4
I1
(dGTP) 11,9
I0: - Intensität des einfallenden Lichtes (W · m−2)
I1: - Intensität des transmittierten Lichtes (W · m−2) (dTTP) 9,3
Eλ: - Absorption bei der Wellenlänge λ Σ [ε(dNTP)Oligonucleotid] entspricht ≈ 1 μmol ml−1
ελ: - molarer Extinktionskoeffizient bei der Wellen-
länge λ (mol · l−1 · cm−1)
c: - Konzentration (mol · l−1) insäurelösungen verwendet man UV-durchlässige
d: - Weglänge des Lichts (cm) 96-Loch-Platten, die in entsprechenden ausgestatteten
ELISA-Messinstrumenten vermessen werden können.
In der Regel bestimmt das Messinstrument die Schicht-
Dieser OD-Wert dient zur Bestimmung der Konzentra- dicke automatisch.
tion der unbekannten DNA-Lösung. Nicht basenge- Zur Bestimmung der Konzentration sehr kurzer,
paarte Nucleinsäuren besitzen eine höhere Absorption, einzelsträngiger Oligonucleotide bekannter Sequenz
ein Effekt, der als Hyperchromie bezeichnet wird benutzt man häufig einen anderen Wert. Hier berech-
(. Abb. 30.4). Es gelten daher für RNA sowie einzels-
  net man aus den bekannten molaren Absorptions-
trängige DNA andere Werte (. Tab.  30.2). Für die   koeffizienten der einzelnen Basen die Summe der Ab-
gleichzeitige Konzentrationsbestimmung vieler Nucle- sorptionskoeffizienten des betreffenden Oligonucleotids
(. Tab. 30.2). Dieser Absorptionswert entspricht dann

einzelsträngig einer Konzentration des Oligonucleotids von 1  μmol


ml−1. Für sehr genaue Berechnungen des Absorptions-
koeffizienten von Oligonucleotiden verwendet man
eine Berechnungsmethode, die sog. Nearest-Neighbor-­
Methode, die auch die Basenabfolge mitberücksichtigt.
Absorption

Das Absorptionsmaximum für Proteine liegt, basie-


rend auf der Absorption der aromatischen Aminosäu-
doppelsträngig rereste, bei 280  nm. Durch Bestimmung des Verhält-
nisses der Absorption sowohl bei 260 nm als auch bei
280  nm lässt sich die Reinheit einer Nucleinsäurelö-
sung abschätzen. Eine reine DNA-Lösung besitzt ei-
220 260 300 nen OD260/OD280-Wert von 1,8, eine reine RNA-Lö-
Wellenlänge in nm sung von 2,0. Ist die Nucleinsäurelösung mit Proteinen
(oder Phenol) kontaminiert, so ist der Wert signifikant
..      Abb. 30.4  Absorptionskurven doppel- und einzelsträngiger
kleiner. Eine 50%ige Protein/DNA-Lösung besitzt ein
DNA.  Das Absorptionsmaximum der Nucleinsäuren liegt bei
260 nm. Gezeigt ist der Hyperchromieeffekt, d. h. die Zunahme der Verhältnis OD260/OD280 von ca. 1,5.
Extinktion beim Übergang von doppel- zu einzelsträngiger DNA
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
755 30
Eine sehr sensitive Quantifizierungsmethode ist die Fär- mehr oder weniger für alle kommerziell erhältlichen
bung der DNA mit dem Farbstoff Hoechst  33258, ei- Kits die Basis bilden.
nem Bisbenzimid-Fluoreszenzfarbstoff (Anregung bei
350  nm, Extinktion bei 450  nm), der besonders in die Aufschluss der Zellwände und Abbau der Proteine  Essen-
A/T-reichen Regionen der DNA interkaliert. Der Farb- zieller Schritt bei der Isolierung ist der proteolytische Ab-
stoff bindet praktisch kaum an RNA, sodass hier eine bau der Zellproteine durch Protease K. Einfache Phenol-
DNA-Quantifizierung von RNA-kontaminierten Pro- extraktion der DNA zur Abtrennung sämtlicher Proteine
ben möglich ist. Da der A/T-Gehalt die Messung beein- würde in diesem Fall nicht ausreichen. Zudem ist die ge-
flusst, sollte der Standard zur Quantifizierung einen nomische DNA sehr komplex mit Histonen oder histon-
analogen A/T-Gehalt aufweisen, für genomische DNA ähnlichen Proteinen verpackt, deren Struktur durch Phe-
wird häufig Kalbsthymus-DNA als Standard verwendet nolisierung nicht vollständig aufgebrochen werden kann.
(A/T ca. 58 %). Die optimale Inkubationstemperatur liegt zwischen 55 °C
und 65 °C. Das Enzym benötigt für seine optimale Aktivi-
tät 0,5 % SDS, sodass in vielen Fällen die Inkubation im
30.2  Isolierung genomischer DNA Protease-K-haltigen Puffer bereits ausreicht, um die Zel-
len aufzuschließen. Einige Protokolle setzen dem Lysis­
Genomische DNA lässt sich aus den verschiedensten puffer vor der Protease-­K-Inkubation RNase zu und ent-
Quellen gewinnen. Der Isolierung genomischer DNA fernen die kontaminierende RNA. In den meisten Fällen
aus Gewebe, Zellkulturen, Pflanzen, Hefen und Bakte- müssen jedoch die Zellen vor der Proteasebehandlung
rien liegt eine einheitliche Reinigungsstrategie zu- mechanisch aufgeschlossen werden. Die verwendeten
grunde, die lediglich je nach Spezies variiert wird Homogenisatoren zerstören dabei die Zellen durch hoch-
(. Tab.  30.3). Bei genomischer DNA handelt es sich
  frequent rotierende, scharfe Rotorblätter. In den sog.
um hochmolekulare DNA, die durch Scherkräfte in Schwingmühlen werden die Zellen durch sehr schnelle Be-
kleinere Bruchstücke zerlegt werden kann. In der Praxis wegung zusammen mit kleinen Glas- oder Stahlkügel-
werden solche Präparationen nur sehr vorsichtig ge- chen aufgeschlossen. Soll DNA aus Gewebe gewonnen
mischt und pipettiert. Man vermeidet auch das Pipet- werden, so wird das Gewebe zunächst in flüssigem Stick-
tieren durch Kanülen oder Pipettenspitzen mit geringen stoff schockgefroren und anschließend pulverisiert, um
Durchmessern. Die Fällung mit Ethanol kann die Mo- eine homogene Mischung in dem Lysispuffer zu gewähr-
lekülgröße ebenfalls negativ beeinflussen, sodass geno- leisten.
mische DNA, wenn sie größer als 150 kb sein soll, häu- Die Lyse von Bakterien erfordert in einigen Fällen
fig nicht präzipitiert wird, sondern durch Dialyse die vorherige Inkubation mit dem bakterielle Zellwände
gereinigt oder durch Extraktion mit 2-Butanol ankon- abbauenden Lysozym, obgleich einige Protokolle auch
zentriert wird. auf diesen Schritt verzichten. Hefezellwände werden am
Für die Next-Generation-Sequencing-Platform besten mit Zymolyase oder Lyticase, Enzymen, die spe-
(7 Kap.  34) wird die genomische DNA je nach Her-
  zifisch die Hefezellwände zerstören, abgebaut und die
steller mit unterschiedlichen Kits aufgereinigt, die häu- lysierten Hefen anschließend mit Protease K behandelt.
fig die zugrunde gelegte Methodik im Detail aus nahe- Für die Isolierung genomischer DNA aus formalin-
liegenden Gründen nicht offenbaren. Daher seien hier fixierten, in Paraffin eingebetteten Gewebeproben
grundlegende Prinzipien der Aufreinigung gezeigt, die (Formalin-­Fixed Paraffin-Embedded Tissue, FFPE) muss

..      Tab. 30.3  Enzyme und Aufschlussreagenzien, die zur Isolierung genomischer DNA eingesetzt werden

Ausgangsorganismus Aufschluss durch Anschließende Behandlung

eukaryotische Zeltkulturen Natriumdodecylsulfat (SDS) Protease K


Gewebe Natriumdodecylsulfat/Protease K Protease K
Pflanzen SDS oder N-Laurylsarcosin Protease K
Hefe (Saccharomyces cerevisiae, Zymolyase oder Lyticase Protease K
Schizosaccharomyces pombe)
Bakterien (Escherlchla coli) Lysozym Protease K
756 M. Jurk

zunächst das Paraffin entfernt werden. Hierzu werden nomische DNA durch Zugabe von CTAB ebenfalls aus-
die FFPE-Schnitte mit Xylen behandelt, welches das fällen. Der Lösung kann Polyvinylpyrrolidon zu gesetzt
Paraffin löst. Anschließend wird das Xylen (Dimethyl- werden zur Komplexierung der in Pflanzen ebenfalls
benzen) mithilfe von Ethanol entfernt. In der Regel ist häufig vorkommenden polyphenolischen Substanzen.
die genomische DNA, die aus solchen FFPE-Schnitten
erhalten wird, nicht so hochmolekular wie aus frischem, Zusätzliche Reinigungsschritte  Genomische DNA kann
nicht eingebetteten Gewebe. mittels Festphasenextraktion (Solid Phase Extraction,
SPE) weiter aufgereinigt werden. Die negative geladene,
Reinigung und Präzipitation der DNA  Die Protease K genomische DNA wird in Gegenwart chaotroper Salze an
kann durch Phenolextraktion inaktiviert und entfernt silicabasiertes Säulenmaterial mit positiver Oberfläche ge-
werden. Die Präzipitation der genomischen DNA durch bunden, während Proteine und andere Verunreinigungen
Zugabe von Ethanol lässt sich gut beobachten: Die DNA unter diesen Bedingungen nicht an die Säule binden. Die
fällt an der Phasengrenze zwischen Wasser und Ethanol genomische DNA wird mittels hypoosmotischen Puffern
30 aus und kann in vielen Fällen als ein Faden auf ein steriles (z.  B.  Wasser oder Tris-HCl/EDTA) von der Matrix
Stäbchen aufgerollt werden (. Abb.  30.3). Genomische
  eluiert. Die Säulen haben den Vorteil, dass keine organi-
DNA sollte nur äußerst vorsichtig getrocknet werden, da schen Extraktionsschritte zur Reinigung notwendig sind.
sie sich sonst nur sehr schlecht löst. Um genomische DNA Allerdings unterliegt die DNA durch die Reinigung über
vollständig zu lösen, lässt man den Ansatz am besten das Säulenmaterial Scherkräften, die eine Isolierung sehr
mehrere Stunden bei 4 °C stehen. Die durch Ethanolprä- hochmolekularer DNA verhindern. Die käuflichen Isola-
zipitation gewonnene genomische DNA ist für viele An- tionsmethoden eignen sich jedoch für die meisten Anwen-
wendungszwecke hinreichend sauber. Alternativ zur Phe- dungen.
nolextraktion können die verunreinigenden Proteine auch
durch Salzfällung eliminiert werden. Phenolextraktion
und anschließende Fällung der DNA resultieren in einer 30.3  Isolierung niedermolekularer DNA
durchschnittlichen Molekülgröße von ca. 100–150 kb.
Eine weitere Isolierungsmethode ist relativ schnell, 30.3.1 I solierung von Plasmid-DNA
liefert aber nur genomische DNA mit einer durch- aus Bakterien
schnittlichen Größe bis zu 80 kb, was zur Analyse durch
Southern-Blot und zur PCR auf genomischer DNA al- Plasmide, d.  h. extrachromosomale, häufig zirkuläre
lerdings ausreichend ist. Hier werden die Zellen durch DNA, kommen in Mikroorganismen oft natürlich vor.
Zugabe von Guanidiniumhydrochlorid aufgeschlossen Plasmide können eine Größe zwischen 2 und mehr als
und die Proteine vollständig denaturiert. Die DNA 200  kb besitzen und die verschiedensten genetischen
kann dann durch Ethanolfällung isoliert werden. Funktionen erfüllen. Im Laboralltag versteht man je-
Eventuell vorhandene Polysaccharide können durch doch unter Plasmiden ausschließlich die aus verschiede-
die Behandlung mit CTAB (Hexadecyltrimethylammo- nen genetischen Elementen (Replikationsursprung, Re-
niumbromid, . Abb. 30.5) entfernt werden. Dieser Rei-

sistenzgen, Polylinker, . Abb. 30.6) zusammengesetzten

nigungsschritt empfiehlt sich besonders bei der Isolie- Plasmidvektoren, die für viele Anwendungen (z. B. Klo-
rung genomischer DNA aus Bakterien und Pflanzen, da nierung, Fragmentisolierung, In-vitro-­Transkription,
diese einen besonders hohen Polysaccharidgehalt besit- Proteinexpression) essenziell sind. Im Folgenden wird
zen. CTAB komplexiert die Polysaccharide und entfernt daher nur die Isolierung dieser Standardplasmide be-
zusätzlich die restlichen Proteine. Durch Zusatz von sprochen. Plasmide können in Bakterien durch Antibio-
Chloroform/Isoamylalkohol fallen die ­ komplexierten tikaselektion vermehrt werden. Die Plasmide tragen ein
CTAB/Polysaccharidkomplexe in der Interphase aus. Antibiotikaresistenzgen (z.  B. das bla-Gen für die
Wichtig bei der Behandlung mit CTAB ist die NaCl-Kon- β-Lactamase zum Wachstum in ampicillinhaltigem Me-
zentration. Liegt diese unter 0,5 M, so lässt sich die ge- dium), das die Bakterien befähigt, in Selektionsmedium
zu wachsen. Die Plasmide enthalten neben dem Resis-
CH3 tenzgen einen bakteriellen Replikationsursprung, der
+ eine autonome Replikation des Plasmids in der Bakte-
H3C 3Br –
rienzelle ermöglicht. Die Art des Replikationsursprungs
CH3
ist dabei entscheidend für die Kopienzahl, in der das
hydrophob hydrophil Plasmid in einer Bakterienzelle vorliegt (. Tab. 30.4).

In der Praxis teilt man die Plasmide in sog. Low-


..      Abb. 30.5  CTAB (Cetyltrimethylammoniumbromid bzw. Hexa-
decyltrimethylammoniumbromid). Das quartäre Ammoniumsalz Copy-­Plasmide (Kopienzahl <20) und High-Copy-­
CTAB kann als kationisches Detergens wirken Plasmide (Kopienzahl >20) ein. Die Kopienzahl des
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
757 30
Plasmids entscheidet wiederum über die Menge der Anzucht der Bakterienkulturen  Für die Isolierung von
isolierten Plasmide aus einer bestimmten Menge Bak- Plasmid-DNA werden in der Praxis Derivate des Escheri-
terienkultur. Die meisten Plasmidvektoren besitzen chia-coli-Stammes K12 verwendet. Bei dem Stamm han-
Replikationsursprünge, die durch Mutationen des delt es sich um einen sog. Sicherheitsstamm, dem die für
pMB1-­ Replikationsursprungs entstanden sind. Das die Pathogenität verantwortlichen Gene (Adhäsionsfak-
pMB1-Plasmid gehört zu den ColE1-verwandten toren, Invasionsfaktoren, Toxine und Oberflächenstruk-
Multicopy-­Plasmiden, die von Mitgliedern der Familie turen) fehlen. Nicht alle Escherichia-coli-K12-Stämme
der Enterobacteraceae stammen. eignen sich gleich gut für die Isolierung von Plas-
Die Isolierung der Plasmid-DNA lässt sich in An- mid-DNA. Gute Wirtsstämme sind z. B. DH1, DH5α so-
zucht und Lyse der Bakterien sowie Reinigung der ge- wie XL1Blue. Die Stämme HB101 sowie die JM100-Serie
wonnenen DNA unterteilen. sind für bestimmte Plasmidpräparationen nicht geeignet,
da sie einen hohen Gehalt an Kohlenhydraten und Endo-
nucleasen besitzen, die durch die Lyse freigesetzt werden
und inhibierend auf nachfolgende Reaktionen wirken
Polylinker bzw. die DNA beschädigen können. Ein sehr häufig ver-
T7 (MCS) T3 wendeter Stamm ist XL1Blue, der zwar langsamer wächst,
aber den Vorteil besitzt, rekombinationsdefizient (recA−)
zu sein, sodass unerwünschte Rekombinationen inner-
halb der DNA, die unter gewissen Bedingungen in re-
cA+-Stämmen auftreten können, nicht vorkommen. Diese
Basis-E.-coli-Stämme können dann noch hinsichtlich be-
stimmter Eigenschaften optimiert werden und sind u. a.
Ampr als transformationskompetente Bakterienpräparate kom-
ds-ori
merziell erhältlich.
Die Anzucht der Bakterien erfolgt in Flüssigkultur.
ss-ori
Die Medien sind dabei meist LB (Luria-Bertani, enthält
Hefeextrakt, BactoTrypton und NaCI). Die Medien
..      Abb. 30.6  Schema eines typischen Plasmidvektors zur Klonie-
müssen vor dem Gebrauch autoklaviert werden. Das
rung und Amplifikation von DNA-Fragmenten. Das gewünschte
Fragment wird in die künstliche Polylinkerregion (MCS, Multiple Wachstum der Bakterien muss in Gegenwart des ent-
Cloning Site) kloniert. T3 und T7 sind Promotoren, die von den sprechenden Antibiotikums erfolgen. Qualität und
RNA-­Polymerasen der T3- bzw. T7-Phagen spezifisch erkannt wer- Menge des zugesetzten Antibiotikums spielen für die
den und die zur Synthese von RNA-Transkripten des klonierten Ausbeute an Plasmid-DNA ebenfalls eine wichtige
Fragments benutzt werden können. Ampr ist ein Selektionsgen, das
Rolle. Ampicillin ist temperatursensitiv und sollte nur
den Bakterien, die den Vektor enthalten, erlaubt, auf ampillicinhal-
tigem Medium zu wachsen. Der Replikationsursprung (ori, von ori- abgekühltem Medium zugesetzt werden.
gin) ist ein spezifischer Bereich, der für die selbstständige Replika- Nach guter mikrobiologischer Praxis erfolgt die An-
tion des Vektors notwendig ist. In der Regel ermöglicht das origin zucht der Bakterienkultur ausgehend von einer einzel-
(wie Col E1) die Replikation des Plasmids in der Doppelstrangform nen Bakterienkolonie, welche zunächst in einer kleine-
(ds-ori). Ein zweiter Replikationsursprung (z. . von einzelsträngigen
ren Menge Medium angezogen und anschließend auf
Phagen wie f1) kann die Replikation des Plasmids auch als Einzel-
strang ermöglichen (ss-ori) die gewünschte Menge Medium verdünnt wird. Im La-

..      Tab. 30.4  Replikationsursprünge (origins) häufig verwendeter Vektoren und deren Kopienzahl in Bakterien

Plasmid Replikationsursprung Resistenzgen Kopienzahl

pBR 322 und Derivate pMB1 Ampr, Tetr 15–20


pUC pMB1 Ampr 500–700
pBluescript pMB1 Ampr 300–500
pGEM pMB1 Ampr 300–400
pVL 1393/1392 ColE1 Ampr > 15
pACYC p15A Chloramphenicolr, Tetr 10–12
pLG338 pSC101 Kanr, Tetr ca. 5
758 M. Jurk

boralltag unterscheidet man je nach Menge der angezo-


genen Bakterien „Mini-“ (2–10 ml), „Midi-“ (25–100 ml) Wichtig ist, dass die RNase A keine kontaminieren-
und „Maxi-“ (>100 ml) Präparationen. den DNasen enthält. Dies gewährleistet man am
Die Ausbeute der Low-Copy-Plasmide kann durch besten durch Inkubation der RNase bei 95  °C:
Zugabe von Chloramphenicol zur Bakterienkultur ge- RNase ist ein sehr stabiles Enzym und renaturiert
steigert werden (s. unten). Die meisten der heute verwen- nach dieser Hitzebehandlung wieder zu einem akti-
deten Plasmide haben jedoch in der Regel eine ausrei- ven Enzym. Im Gegensatz dazu werden alle DNasen
chend hohe Kopienzahl sodass die Verwendung von inaktiviert.
Chloramphenicol nur noch in Ausnahmefällen notwen-
dig ist.
Die Bakteriensuspension wird anschließend durch Zu-
gabe einer Mischung aus SDS und NaOH vollständig
Bei Plasmiden, die einen Col-E1-Replikationsursprung lysiert. SDS löst als Detergens die Phospholipide und
30 besitzen, ist die selektive Amplifikation des Plasmids Proteinkomponenten der Zellwände. Natronlauge dena-
turiert chromosomale und Plasmid-DNA sowie Pro-
gegenüber dem bakteriellen Chromosom möglich.
Dazu muss während der logarithmischen Wachstums- teine. Die Dauer der Inkubation unter alkalischen Be-
phase der Bakterienkultur dem Medium ein Translati- dingungen ist für die Qualität der Plasmid-DNA wichtig:
onsinhibitor (z. B. Chloramphenicol) zugesetzt werden. Sie muss so gewählt werden, dass möglichst viel Plas-
Dadurch wird die Nachlieferung des Rop- (Repressor mid-DNA freigesetzt wird, ohne auch chromosomale
of Primer-) Proteins inhibiert, das mitverantwortlich DNA freizusetzen. Eine zu lange Inkubationszeit dena-
ist für die Kontrolle der Kopienzahl des Plasmids. Dies turiert die Plasmid-DNA irreversibel, ineffiziente Lyse
führt zu einer erhöhten Replikationsrate (relaxed repli- der Bakterien senkt die Ausbeute an Plasmid-DNA
cation) und dadurch zur Erhöhung der Kopienzahl. drastisch. Vollständig denaturierte Plasmid-DNA lässt
sich im Agarosegel leicht erkennen: Sie läuft schneller
als die superhelikale DNA und lässt sich schlechter mit
Ethidiumbromid anfärben.
Lyse der Bakterien  Für die Lyse der Bakterien zur Ge-
Das Lysat wird mit saurem Kaliumacetatpuffer neu-
winnung niedermolekularer DNA stehen mehrere Me-
tralisiert. Kaliumdodecylsulfat ist wesentlich schlechter
thoden zur Verfügung, die je nach Art und Verwendung
in Wasser löslich als Natriumdodecylsulfat und fällt
des Plasmids angewendet werden (. Tab. 30.5). Die ge-
unter den herrschenden hohen Salzkonzentrationen aus.

bräuchlichste Methode ist dabei die alkalische Lyse


Denaturierte Proteine, hochmolekulare RNA, denatu-
(. Abb.  30.7). Die Bakterienkulturen werden zentrifu-
rierte chromosomale DNA und bakterieller Zelldebris

giert und in EDTA-­haltigem Puffer resuspendiert. EDTA


bilden in Anwesenheit von Kaliumdodecylsulfat unlös-
komplexiert zweiwertige Kationen (Mg2+, Ca2+), die für
liche Komplexe und werden zusammen mit dem Salz
die Stabilität der Bakterienzellwände wichtig sind, und
präzipitiert. Die kleineren Plasmidmoleküle bleiben in
destabilisiert somit die bakterielle Zellwand. Je nach Pro-
Lösung und können durch die Neutralisation der Lö-
tokoll kann dem Resuspensionspuffer bereits RNase A
sung wieder renaturieren. Die unlöslichen Komponen-
zugesetzt werden, die einen Großteil der bakteriellen
ten werden abzentrifugiert, und die DNA kann weiter-
RNA degradiert.
bearbeitet werden. Für viele Anwendungen reicht die
Reinheit der DNA bereits aus, und die DNA wird ledig-
..      Tab. 30.5  Mögliche Aufschlussmethoden für Bakterien
lich mit Ethanol oder Isopropanol gefällt und anschlie-
ßend gewaschen.
Art des Lyse durch Kommentar Diese einfache und schnelle Methode eignet sich
Aufschlusses zur gleichzeitigen Präparation sehr vieler verschiede-
ner Plasmide und wird deshalb zum Austesten von
alkalische SDS/NaOH einfach und schnell, am
Klonierungen verwendet (Schnellaufschlüsse). Hierzu
Lyse besten geeignet für große
Plasmide und Low-Copy- werden viele verschiedene Bakterienkolonien jeweils
Plasmide in einigen Millilitern Medium angezogen und die Plas-
mid-DNA mithilfe von Restriktionsspaltungen auf
Kochlyse Lysozym/100 °C Endonuclease A wird
nicht vollständig die richtige Insertion des Fragments in den Vektor
inaktiviert analysiert.
Käufliche Plasmidpräparationskits verwenden eben-
SDS-Lyse Lysozym/SDS wird häufig für größere
Plasmide (>15 kb) falls diese alkalische Lyse. Die DNA wird vor dem Fäl-
verwendet len wie nachfolgend beschrieben über Anionenaustau-
schersäulen gereinigt.
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
759 30

E.coli

(1)

Lyse
Denaturierung
chromosomaler DNA
Renaturierung von
Plasmid-DNA

(2)
Plasmid-DNA

Präzipitation
(3) denaturierter Proteine
und chromosomaler DNA

Präzipitat enthält
denaturierte chromosomale DNA
und Proteine

..      Abb. 30.7  Prinzip der alkalischen Lyse von Bakterien zur Isolie- Kaliumsalz des Dodecylsulfats. Die niedermolekulare Plasmid-DNA
rung der Plasmid-DNA. (1) Im ersten Schritt werden die Bakterien bleibt in Lösung und kann renaturieren. (3) Die unlöslichen Kom-
mithilfe von SDS lysiert und die DNA durch Natriumhydroxid de- plexe werden abgetrennt und die Plasmid-DNA kann isoliert wer-
naturiert. (2) Zugabe von Kaliumacetat neutralisiert die Lösung. De- den. (Nach Micklos und Freyer 1990)
naturierte Proteine und chromosomale DNA präzipitieren mit dem

Lysozym Zur Isolierung sehr großer Plasmide eignet sich die


Lyse durch SDS (ohne NaOH, da sehr große Plasmide
Häufig vorkommende Hydrolase, die u. a. in der Trä-
schwerer renaturieren) und anschließende partielle Fäl-
nenflüssigkeit und im Speichel gefunden wird. Lyso-
lung der chromosomalen DNA und des bakteriellen
zym zerstört die Bakterienwände durch Hydrolyse
Debris zur Zugabe von Natriumchlorid. Nach dem Zen-
der glykosidischen Bindungen der Muraminsäuregly-
trifugationsschritt kann aus dem Überstand die Plas-
koside (Mureine).
mid-DNA isoliert werden.

Reinigung der DNA über Anionenaustauschersäulen  Hier


Neben der alkalischen Lyse können Bakterien auch werden in der Regel käufliche Anionenaustauschersäulen
durch die sog. Kochlyse aufgeschlossen werden verwendet, deren positive Ladung durch protonierte Di-
(. Tab. 30.5). Die bakteriellen Zellwände werden durch

ethylammoniumethylgruppen (DEAE) gestellt wird. Die
Zugabe von Lysozym zerstört und die lysierten Bakte- negativ geladene DNA wird bei relativ niedriger Salzkon-
rien für kurze Zeit aufgekocht. Der bakterielle Debris zentration (750  mM) an das Säulenmaterial gebunden.
wird abzentrifugiert und die Plasmid-DNA kann an- Degradierte RNA und Proteine binden unter den gewähl-
schließend präzipitiert werden. Die Präparationsme- ten Bedingungen nicht. Das Säulenmaterial wird mit Puf-
thode inaktiviert Endonuclease A (endA+), die von eini- fer einer höheren Salzkonzentration (1 M) gewaschen, um
gen Bakterienstämmen (z. B. HB 101) exprimiert wird, Spuren von Proteinen (RNase A) oder RNA zu eliminie-
nicht vollständig, sodass die DNA vor der Präzipitation ren. Unter diesen Bedingungen eluiert die DNA noch
phenolisiert werden sollte. nicht von der Säule. Die Elution der DNA erfolgt bei
760 M. Jurk

werden. Durch Transformation in Escherichia coli ist es


..      Tab. 30.6  Ungefähre Ausbeuten nach der Reinigung über
Anionenaustauschersäulen. Die Ausbeute an High-Co-
möglich, auf einfache und schnelle Weise genügend sau-
py-Plasmiden beträgt ca. 2–5 μg ml−1, bei Low-Copy-Plasmi- bere DNA zu erhalten.
den 0,1−1 μg ml−1
Zellfreie DNA (Cell free DNA)  Zunehmende analytische
Vektor Art des Bakterienkultur Ausbeute Bedeutung bekommt die zirkulierende, zellfreie DNA
Plasmids (in ml) (in μg)
(Circulating Cell Free DNA, ccfDNA oder cfDNA), die
pUC, high copy 25 50–100 sich im (humanen) Blut nachweisen lässt. Man spricht in
pGEM diesem Zusammenhang auch von „flüssigen Biopsien“
(Liquid Biopsies), da diese DNA für diagnostische Zwecke
pUC, high copy 100 300–500
pGEM verwendet werden kann.
pBR322 low copy 100 50–100
30 pBR322 low copy 500 100–500
Liquid Biopsy
Im Gegensatz zu den medizinisch aufwendigen, invasi-
ven Gewebebiopsien, die aus den meist sehr schwer zu-
gänglichen (Tumor-) Gewebe genommen werden, ent-
noch höheren Salzkonzentrationen (1,25 M). Die genauen
nimmt man bei einer Liquid Biopsy einige Milliliter
Pufferbedingungen sind dabei von der Art des verwende-
Blut zur Analyse. Die hierin enthaltene zellfreie DNA
ten Säulenmaterials abhängig und sollten nach den Her-
der zirkulierenden Tumorzellen (ctDNA) kann dann
stellerangaben angesetzt werden.
extrahiert, mittels neuer Sequenzierungsmethoden un-
Verschiedene Reinigungsprotokolle wurden entwor-
tersucht werden und Aufschluss über das Genom von
fen, die die Endotoxine vor der Reinigung über Anionen-
Tumorzellen geben. Es können auch Liquid Biopsies
austauschersäulen entfernen. Die an der Bakterienmem-
von anderen Körperflüssigkeiten, z. B. Ascites, Pleura-
bran haftenden Lipopolysaccharide werden zunächst
oder Cerebrospinalflüssigkeit, genommen werden.
mit Detergenzien (n-Octyl-β-d-thioglucopyranosid,
OSPG) von bindenden Proteinen befreit und anschlie-
ßend über Säulen, die das kationische Antibiotikum
Polymyxin B enthalten, gereinigt. Diese Substanz bindet Die cfDNA entsteht nach heutigen Erkenntnissen
sehr effizient Lipopolysaccharide. . Tab. 30.6 gibt einen

hauptsächlich durch die Freisetzung DNA apoptoti-
Überblick über die zu erwartenden Ausbeuten nach der scher und nekrotischer Zellen. Die Größe der cfDNA
Reinigung der DNA über Anionenaustauschersäulen. entspricht ungefähr der DNA in einem Nucleosomkom-
plex plus Linker (ca. 170–200 bp). Die Menge an cfDNA
ist in Krebspatienten meist signifikant erhöht. Die
Bei der beschriebenen Isolierung können bestimmte cfDNA von Tumorzellen (ctDNA) kann zur Identifika-
Lipopolysaccharide, die in fast allen gramnegativen tion von Mutationen und Festlegung möglicher Be-
Bakterien vorhanden sind, mit aufgereinigt werden. handlungsstrategien sowie zur Überwachung des Thera-
Diese sog. Endotoxine sind vor allem für Transfektion piefortschrittes verwendet werden.
der DNA in sensitive Zelllinien sehr störend. Sie füh- Die Menge an cfDNA im Blut kann stark variieren,
ren zu einer stark verminderten Transfektionseffizienz jedoch sind meist nur geringe Mengen aus einer Blut-
und unerwünschten Reaktionen, wie z.  B.  Stimulie- probe zu gewinnen. cfDNA wird meist aus Blutplasma
rung der Proteinsynthese, Aktivierung einer unspezifi- gewonnen und sollte keine Zellen enthalten. Hierzu wer-
schen Immunantwort oder der Komplementkaskade. den die Proben mit hoher Zentrifugalbeschleunigung
abzentrifugiert, um alle verunreinigenden Zellen und
Zellreste zu pelletieren. Antikoagulanzien sowie die Zeit
zwischen Blutentnahme und Aufarbeitung der Blutpro-
30.3.2 I solierung niedermolekularer DNA ben spielen hier eine große Rolle, da die cfDNA mit ge-
eukaryotischer Zellen nomischer DNA von lysierten Blutzellen verunreinigt
oder die cfDNA durch im Plasma vorhandene DNasen
Hefeplasmide  Die Isolierung hochreiner Hefeplasmide degradiert werden kann. Es können auch besondere
ist sehr schwierig. In der Praxis wählt man den Weg über Blutprobenröhrchen verwendet werden, die die Blutzel-
die Isolierung von Gesamt-DNA. Da Hefeplasmide so- len stabilisieren und deren Lyse und somit die Freiset-
wohl Hefereplikationselemente als auch einen bakteriel- zung der genomischen DNA inhibieren.
len Replikationsursprung besitzen, lässt sich saubere Da die cfDNA als Protein-DNA-Komplex vorliegt,
Hefeplasmid-­DNA am besten durch Retransformation in wird dieser vor der eigentlichen Aufreinigung mit Pro-
Escherchia coli gewinnen. Die verunreinigende genomi- teinase K degradiert. Die so isolierten Nucleinsäuren
sche Hefe-DNA kann in den Bakterien nicht vermehrt werden dann auf einer Silicamembran gebunden, gewa-
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
761 30
schen und anschließend eluiert. Die Pufferzusammen- ca. 8 · 108. Dieser Wert ist abhängig vom Escherichia-co-
setzungen, Waschschritte und Elutionsbedingungen li-Stamm und sollte, wenn genauere Bestimmungen er-
sind dabei individuell von den Kitherstellern auf die ver- forderlich sind, individuell bestimmt werden. Magnesiu-
wendeten Säulenmaterialien abgestimmt. mionen stabilisieren Phagenpartikel, sodass auch dem
Flüssigkulturmedium zur Vermehrung der Phagen Mag-
Hirt-Extraktion  Eine immer noch verwendete Methode nesium-Ionen zugesetzt werden (NZCYM-Medium).
zur Isolierung kleinerer, extrachromosomaler DNA-Mo-
leküle wie transfizierter Plasmid-DNA oder viraler DNA
Für eine optimale Vermehrung der Phagen in Flüssig-
aus höheren Zellen ist die sog. Hirt-Extraktion, die erst-
kultur ist das Anfangsverhältnis von Bakterien und
mals von B.  Hirt 1967 zur Isolierung von Polyomavi-
Phagenpartikeln von entscheidender Bedeutung.
rus-DNA aus infizierten Mauszellen angewendet wurde.
Überwiegt anfangs die Zahl der Phagen, so werden die
Die Zellen werden mit 0,5 % SDS aufgeschlossen und auf
Bakterien gleich zu Beginn fast vollständig lysiert und
einen NaCI-Gehalt von 1 M durch Zugabe einer konzen-
können nur wenige neue Phagenpartikel synthetisieren.
trierten NaCl-Lösung eingestellt. Die Mischung wird
Die Ausbeute an Phagenpartikeln ist demzufolge sehr
über Nacht zur selektiven Ausfällung der genomischen
gering. Wird die Bakterienkultur mit zu wenigen Pha-
DNA bei 0  °C inkubiert und anschließend abzentrifu-
gen infiziert, so vermehren sich die Bakterien wesent-
giert. Der Überstand enthält die niedermolekulare DNA
lich schneller und die Kultur wird dicht, bevor eine er-
und kann durch Inkubation mit Protease K sowie an-
neute Phageninfektion erfolgen konnte. Auch in diesem
schließende Phenolextraktion oder Säulenchromatogra-
Fall ist die Ausbeute an Phagenpartikeln äußerst ge-
phie gereinigt werden.
ring. Das optimale Verhältnis zwischen Phagen und
Bakterien kann für jeden Escherichia-­coli-­Stamm und
Phagen variieren und muss experimentell bestimmt
30.4  Isolierung viraler DNA
werden. Ein optimales Infektionsverhältnis erkennt
man an der Zeitdauer bis zur Volllyse der Bakterien-
30.4.1 Isolierung von Phagen-DNA kultur (mehr als 8 h). Die vollständige Lyse der Bakte-
rienkultur zeigt sich darin, dass die Bakterienkultur
Bakteriophage-λ-Vektoren werden hauptsächlich für plötzlich klar wird, der Debris der lysierten Bakterien
das sog. Phage Display und immer seltener zur Klonie- schwimmt in Fetzen im Medium.
rung genomischer DNA-Bibliotheken verwendet. In
keinem anderen Vektorsystem lassen sich so effizient
große (ca. 10–20 kb) Fragmente klonieren und vermeh- Zur Vermehrung der Phagen auf Agarplatten sollte zu-
ren. Ein großer Vorteil der Phagenbibliotheken ist, dass nächst der Titer der Phagenlösung bekannt sein. An-
eine sehr große Anzahl individueller Klone gleichzeitig schließend werden mehrere Platten mit der entsprechen-
durchgemustert werden kann. Nach Identifizierung und den Anzahl Phagen präpariert. Diese Methode ist im
Isolierung des gesuchten Phagen muss zur Analyse des Vergleich zur Flüssigkultur arbeits- und zeitintensiver
eingebauten Fragments die Phagen-DNA isoliert wer- und wird daher zur Isolierung einzelner Phagenpartikel
den. Hierzu werden zunächst eine ausreichende Menge seltener angewendet. Die Kultur der Phagen auf Agar-
Phagenpartikel isoliert und diese dann unter entspre- platten ermöglicht jedoch eine bessere Vermehrung
chenden Bedingungen lysiert. schlecht replizierender Phagen, die in Flüssigkultur nor-
malerweise nicht in ausreichender Menge vertreten sind,
Vermehrung von Phagen  Die Vermehrung von Phagen in und wird daher hauptsächlich zur Amplifikation von
einer Escherichia-coli-­Kultur kann in Flüssigkultur oder Genbanken verwendet.
auf Agarplatten erfolgen. Die Wahl des Wirtsstammes
hängt dabei vom verwendeten Phagen ab. Die Bakterien Isolierung der Phagenpartikel  Die auf Agarplatten gezo-
lässt man in Gegenwart von Maltose logarithmisch wach- genen Phagen werden abgeschwemmt und analog zu den
sen. Maltose induziert das bakterielle Maltoseoperon, Flüssigkulturen behandelt. Um bakterielle DNA und
welches auch das Gen für den Bakteriophage-λ-Rezeptor RNA zu beseitigen, setzt man der lysierten Flüssigkultur
(lamB) kontrolliert. Die Bakterien werden geerntet und zunächst RNase und DNase zu. Die Phagen-DNA kann
in einem magnesiumhaltigen Puffer (λ-Diluent, SM-­ auf dieser Stufe nicht angegriffen werden, da sie noch in
Medium) auf eine bestimmte Zelldichte eingestellt. Die den intakten Phagen verpackt ist. Die Phagen werden mit
Bestimmung der Zellzahl einer Bakteriensuspension er- Polyethylenglykol-­haltigen Puffern gefällt und abzentri-
folgt dabei photometrisch: Die Absorption der Bakterien fugiert. Die Reinheit der pelletierten Phagen reicht für
wird gegen den Leerwert des reinen Mediums bei 600 nm viele Versuchsanwendungen bereits aus. Für höhere Rein-
gemessen. 1 OD entspricht dabei einer Bakterienzahl von heit können die Phagen durch Zentrifugation bei hohen
762 M. Jurk

stand vor als im Viruspartikel selbst (gebundene Pro-


O(CH2CH2O)x H
teine, kovalente Modifikationen, zirkuläre DNA bzw.
x = 9–10 nichtkovalent geschlossene DNA).
Für die Isolierung von viraler DNA (und auch RNA)
..      Abb. 30.8  Das nichtionische Detergens Triton X-100 aus zellfreien Flüssigkeiten (z.  B.  Blutplasma) werden
die Viren zunächst lysiert, die verunreinigenden Proteine
Drehzahlen (100.000 g) pelletiert werden. Die Phagen bil- durch Protease abgebaut und anschließend die Nuclein-
den ein bräunliches bis farbloses Pellet, welches in TE-Puf- säuren an Silicamatrizes gebunden und so gereinigt. Die
fer resuspendiert wird. Phagenpartikel sind sehr sensitiv virale DNA (und RNA, 7 Abschn.  30.6.1) kann mit

für komplexierende Reagenzien, die die Mg2+-Konzentra- dieser Methode nur aus zellfreien Flüssigkeiten isoliert
tion vermindern. Die Resuspension in EDTA-haltigem werden, da die Isolationsmethode keine Trennung zwi-
Puffer destabilisiert die Phagenhülle und erleichtert die schen zellulärer und viraler DNA erlaubt. Unter Ver-
nachfolgende Lyse der Phagen. wendung von spin columns lassen sich so relativ schnell
30 und effizient Blutproben mittels anschließender (RT-)
Isolierung der DNA  Die isolierten und gereinigten Pha- PCR auf Präsenz von DNA- (oder auch RNA-)Viren,
genpartikel werden durch Aufschluss mit Protease K ly- wie z. B. HBV, HCV oder HIV, überprüfen.
siert und die Proteinhülle abgebaut. Die Phagen können Sehr saubere, native virale DNA erhält man über die
alternativ auch durch Triton X-100 (. Abb. 30.8), Gua-
  Isolierung der Viruspartikel selbst. In vielen Fällen werden
nidiniumhydrochlorid und erhöhte Temperatur aufge- die Viren von den infizierten Zellen freigesetzt und somit in
schlossen werden. Die DNA kann dann durch Phenolex- das Medium abgegeben. Die Viren können aus dem Zell-
traktion (7 Abschn.  30.1.1) und anschließende
  überstand durch Ultrazentrifugation (ca. 1.000.000 g) pel-
Präzipitation oder durch Anionenaustauschchromatogra- letiert werden und anschließend über Dichtegradienten-
phie (7 Abschn.  30.3.2) gewonnen werden. Da es sich
  zentrifugation gereinigt werden. Das Material für die
bei Phagen-­ DNA um relativ hochmolekulare, lineare Dichtegradienten ist in den meisten Fällen CsCI oder Sac-
DNA (45–50 kb) handelt, sollte diese nur vorsichtig pipet- charose. Die virale Hülle kann dann spezifisch lysiert wer-
tiert und gelöst werden. Für die meisten Anwendungen, den, in vielen Fällen geschieht dies durch Inkubation mit
auch das Phage Display, wird die Phagen-DNA über Protease K und anschließende Phenolextraktion. Hier
kommerziell erhältliche Kits aufgereinigt, die enthaltenen muss jedoch beachtet werden, dass eventuell mit der DNA
Fragmente mittels PCR amplifiziert und isoliert. verknüpfte Proteine, wie z.  B. das terminale Protein im
Falle von adenoviraler DNA oder die chromatinähnlichen
Strukturen der Polyoma- oder SV40-Nucleinsäuren, durch
die Protease-K-­Behandlung zerstört werden. Teilweise ist
30.4.2 I solierung von DNA aus
eine milde Lyse der Virushülle durch Alkali ausreichend,
eukaryotischen Viren um die DNA nativ aus den Viren zu isolieren.
DNA aus Exosomen wird analog reiner viraler DNA
Die Vielfalt der Viren, die eukaryotische Zellen infizie- über die Isolierung der Exosomen selbst gewonnen. Die
ren, erfordert auch individuell angepasste Strategien zur Exosomen werden meist über Ultrazentrifugation oder
Isolierung ihrer Nucleinsäuren. Dabei lassen sich zwei Gelfitration isoliert. Die DNA (und RNA) kann dann
allgemeine Reinigungsstrategien zusammenfassen. mit den gängigen Aufschluss- und Aufreinigungsmetho-
In infizierten Zellen liegt die virale DNA in der Regel den weiter aufgearbeitet werden.
extrachromosomal vor (z.  B.  Adenoviren, Polyomavi-
ren, SV40, Papillomaviren, Baculoviren). Die virale
DNA kann mithilfe der bereits oben erwähnten Hirt-­
Extraktion (7 Abschn. 30.3.2) direkt aus den infizierten

30.5  Isolierung einzelsträngiger DNA
Zellen gewonnen werden. Diese Methode liefert große
Mengen viraler DNA. Die Reinheit dieser DNA ist für 30.5.1 Isolierung von M13-DNA
die meisten Analysen ausreichend. Einige Viren besitzen
sehr große Genome, sodass große Scherkräfte zu Brü- Filamentöse Phagen wie M13, f1 oder fd enthalten ein-
chen in den DNA-Strängen führen würden, was bei der zelsträngige, geschlossene zirkuläre DNA (ca. 6,5  kb).
Handhabung vermieden werden sollte. Hier können die Klonierung fremder DNA in das Phagengenom ermög-
gleichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden wie bei licht somit die Isolierung großer Mengen einzelsträngi-
der Isolierung genomischer oder anderer hochmoleku- ger DNA der gewünschten Sequenz. Der Phage M13
larer DNA (7 Abschn.  30.1). Man erhält durch die
  infiziert ausschließlich Escherichia coli (z.  B.  JM109,
Hirt-Extraktion keine hochreine Virus-DNA, und die JM107), indem er durch die Sex-Pili eindringt, die vom
DNA liegt eventuell in einem anderen Modifikationszu- bakteriellen F-Episom codiert werden. Innerhalb des
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
763 30
Bakteriums liegt eine doppelsträngige Version des Pha-
gengenoms, die sog. replikative Form (RF) vor. Diese ren können zunächst mit sec-Butanol ankonzentriert
wird ähnlich der λ-DNA zunächst über θ -Strukturen, werden und über Gelfiltration entsalzt werden.
später über den Rolling-Circle-Mechanismus repliziert.
Infektion der Bakterien sowie Vermehrung der Phagen
verlaufen sehr ähnlich der bereits oben beschriebenen 30.6  Isolierung von RNA
Infektion durch λ-Phagen. Die Infektion mit M13 hat
aber keine Lyse der Bakterien, sondern nur ein verlang- Das Arbeiten mit RNA verlangt noch größere Rein-
samtes Wachstum zur Folge. Aus dem Überstand einer heit als der Umgang mit DNA. Im Gegensatz zu DNa-
infizierten Bakterienkultur lässt sich die einzelsträngige sen sind RNasen äußerst stabil, benötigen keinerlei
DNA durch Isolierung der Viruspartikel, aus dem Bak- Cofaktoren für ihre Aktivität und können durch Au-
terienpellet die doppelsträngige, replikative Form der toklavieren nicht vollständig inaktiviert werden. Zur
M13-DNA gewinnen. Analog zur Isolierung von λ- Isolierung von RNA sollten daher nur hochreine Puf-
DNA werden die Viruspartikel durch Polyethylenglykol fer verwendet werden. Vorhandene RNasen können
gefällt. Die DNA kann dann durch anschließende Phe- durch Behandlung der Lösungen mit Diethylpyrocar-
nolextraktion isoliert werden. Alternativ kann sowohl bonat (DEPC, . Abb.  30.9) inaktiviert werden.

die replikative als auch die einzelsträngige Form der DEPC inaktiviert RNasen durch kovalente Modifika-
M13-DNA über Anionenaustauschchromatographie tionen vor allem des Histidinrestes im aktiven Zent-
gereinigt werden. Für die Isolierung von M13-DNA rum. Lediglich Lösungen, die freie Aminogruppen
sind kommerzielle Kits, auch im Hochdurchsatzformat, enthalten (wie z. B. Tris), sollten nicht mit DEPC be-
erhältlich, die auf einer selektiven Bindung der M13- handelt werden. DEPC ist aufgrund seiner modifizie-
DNA an speziell präparierte Silicagelmembranen basie- renden Wirkung sehr gesundheitsschädlich. Über-
ren. Doppelsträngige DNA und Proteine werden im schüssiges DEPC muss aus den angesetzten Lösungen
Gegensatz zu einzelsträngiger DNA bei hohem Salzge- durch Autoklavieren entfernt werden, da es sonst zu
halt von der Membran gewaschen. Modifikationen der RNA kommt (Carbethoxylierung
der Adenine und  – seltener  – der Guanine). DEPC
zersetzt sich zu Kohlendioxid und Ethanol. Man sollte
30.5.2  rennung von einzel- und
T bei dem Umgang mit RNA stets Handschuhe tragen
doppelsträngiger DNA und wenn möglich nur sterile Plastikwaren verwen-
den. Glasgefäße werden am besten durch Backen bei
Für bestimmte Anwendungen, wie z.  B. die Isolierung 300 °C von etwaigen RNase-Kontaminationen befreit.
und nachkommende Sequenzierung komplexer Nuclein- In vielen Experimenten, die mit RNA durchgeführt
säuregemische (z. B. aus Umweltproben) kann die Tren- werden, können RNase-Inhibitoren zugesetzt werden
nung von einzel- und doppelsträngiger DNA erforder- (. Tab.  30.7), die allerdings nur geringe Mengen

lich sein. Die Trennung von einzel- und doppelsträngiger RNase inhibieren. Neben den aufgeführten Substan-
DNA lässt sich durch eine Hydroxylapatitsäule durch- zen bieten viele Firmen inzwischen auch optimierte
führen. Hydroxylapatit, eine kristalline Form des Calci- RNase-Inhibitoren an, die auf der Basis von inhibie-
umphosphats Ca5(PO4)3(OH), wird bevorzugt von dop- renden Proteinen oder Antikörpern entwickelt wurden
pelsträngiger DNA gebunden. Einzelsträngige DNA- oder und bestimmte RNasen spezifisch hemmen.
RNA-Moleküle besitzen eine sehr geringe Affinität zu
diesem Säulenmaterial. Die Bindung doppelsträngiger
DNA und Abtrennung einzelsträngiger DNA erfolgt O O
optimal in phosphathaltigem Puffer bei erhöhter Tem- H3C CH2 O C O C O CH2 CH3 DEPC
peratur (60 °C). Die einzelsträngige DNA befindet sich
unter diesen Bedingungen in den Durchlauffraktionen R R
der Säule, während die doppelsträngige DNA durch Er- DEPC
höhung des Phosphatgehaltes vom Hydroxylapatitma- N NH N N C OCH2 CH3
terial eluiert werden kann. O

(C2H5OCO)2O + H2O 2 CO2 + 2 C2H5OH


Ein kritischer Faktor bei dieser Reinigungsmethode ist
der sehr hohe Phosphatgehalt der gereinigten Nuclein- ..      Abb. 30.9  Strukturformel und Wirkungsmechanismus von DEPC
säurelösungen, der eine Präzipitation der Nucleinsäu- (Diethylpyrocarbonat). DEPC inaktiviert RNasen durch kovalente
ren verhindern würde. Die fraktionierten Nucleinsäu- Modifikation der Aminogruppen und der Histidine. DEPC zerfällt
beim Erhitzen und Autoklavieren in Ethanol und Kohlendioxid
764 M. Jurk

..      Tab. 30.7  Häufig verwendete RNase-Inhibitoren


30.6.1 Isolierung zellulärer RNA

RNase-Inhibitor Im Gegensatz zu DNA, die sich im Kern befindet, ist der


größte Teil der RNA im Cytoplasma lokalisiert. Die klas-
RNasin – Protein aus humaner Plazenta sische Einteilung der RNA in ribosomale RNA, Trans-
– bildet nichtkovalente, äquimolare fer-RNA und Messenger-RNA wird durch neuere For-
Komplexe mit RNasen
– inhibitiert RNasen A, B und C
schungsergebnisse und die Entdeckung einer Vielzahl
– nicht unter denaturierenden verschiedener weiterer RNA-Spezies relativiert. Man un-
Bedingungen einsetzbar terscheidet daher besser zwischen codierender (mRNA
Diethylpyrocarbonat – Behandlung der Puffer
und deren nucleären Vorläufer) und nichtcodierender
– kovalente Modifikationen RNA (non-coding RNA, ncRNA). Unter den ncRNAs
– muss inaktiviert werden stellen die ribosomale RNA und die Transfer-­RNA den
Hauptanteil. Viele verschiedene RNA-Typen wurden in
30 Vanadyl-Ribonucleosid-­
Komplexe
– Übergangszustandsanaloga, die
an RNasen binden und dadurch den letzten Jahren entdeckt, wobei die Funktion einiger
deren Aktivität inhibieren RNA-Klassen noch längst nicht vollständig aufgeklärt ist.
– nicht für zellfreie Diese RNA-Klassen unterscheiden sich in Lokalisierung,
Translationssysteme Länge, Funktion und Eigenschaften, sind aber in der Zelle
SDS, – denaturierende Wirkung nur zu einem geringen Prozentsatz vertreten (. Tab. 30.8).

Natriumdesoxycholat Für viele Anwendungen, RT-PCR (7 Abschn. 33.3.2)


β-Mercaptoethanol – reduzierende Wirkung oder RNAseq (7 Kap.  34), ist die Isolierung von

Gesamt-­RNA ausreichend. Durch die Anwendung ver-


Guanidinium(iso) – in Verbindung mit dem
thiocyanat Zellaufschluss
schiedener Kontrollen können auch Artefakte, die durch
– denaturiert RNasen reversibel geringfügige Verunreinigungen mit genomischer DNA
auftreten, ausgeschlossen werden. So werden z. B. RT-­
Formaldehyd – in denaturierenden Agarosegelen
– kovalente Modifikationen
PCR-­ Kontrollen ohne die vorherige Behandlung der
RNA mit dem Enzym Reverse Transkriptase durchge-

..      Tab. 30.8  Häufige RNA-Spezies einer Zelle und deren Anteil an der Gesamt-RNA-Masse. (Adaptiert nach Palazzo und Lee
2015)

Anteil an der Gesamt-RNA Durchschnittliche


(in % der RNA Masse) Länge
(in kb)

rRNA ribosomale RNA Cytoplasma 80–90 6,9


tRNA Transfer-RNA Cytoplasma 10–15 < 0,1
mRNA Messenger-RNA Cytoplasma 3–7 1,7
pre-­ nucleäre Vorläufer-mRNA Kern 0,06–0,2 10–17
mRNA
snRNA kleine nucleäre RNA (small nuclear RNA) Kern 0,02–0,3 0,1–0,2
snoRNA kleine nucleoläre RNA (small nucleolar RNA) Kern 0,04–0,2 0,2
(Nucleolus)
miRNA microRNA Cytoplasma 0,003–0,002 0,2
SRP-­ Signalerkennungspartikel-RNA (signal Cytoplasma 0,01–0,2 0,3
RNA recognition particle RNA, 7SL-RNA)
lncRNA lange, nichtcodierende RNA (long non-coding Kern 0,0003–0,2 >0,2
RNA, z. B. Xist)
circRNA Zirkuläre RNA (circular RNA) Cytoplasma 0,002–0,03 ~ 0,5
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
765 30
führt. Hier muss die PCR negativ sein, da lediglich den, da diese eine Degradation der RNA verhindern.
mRNA, jedoch keine DNA enthalten sein sollte. Ist die Die RNA wird anschließend durch Phenol/Chloroform-­
PCR positiv, so muss von einer Verunreinigung der Extraktion gereinigt, hier ist zu beachten, dass die ge-
RNA mit genomischer DNA ausgegangen werden. Eine sättigte Phenollösung einen niedrigen pH-Wert besitzt
weitere Kontrolle ist die Verwendung von Primern, die (7 Abschn.  30.1.1). Viele kommerzielle Kits und Lö-

über Exon/Intron-Grenzen hinausgehen. Nur bei ge- sungen verwenden ein Reagenz, welches Guanidinium-
spleißter mRNA, nicht aber bei genomischer DNA thiocyanat, Phenol und Chloroform in einem festgeleg-
kann dann die RT-PCR die richtige Fragmentgröße lie- ten Verhältnis enthält. Die Bedingungen der Phenol/
fern. Untersucht man mRNA-Spezies, die nur in sehr Chloroform Extraktion werden so gewählt, dass bereits
geringer Menge vorhanden sind, so kann eine Anreiche- ein Großteil der DNA in der organischen Phase gelöst
rung der mRNA sinnvoll sein (7 Abschn. 30.6.2).
  bleibt.
Die Isolierung von RNA kann über verschiedene Die RNA kann anschließend gefällt werden oder
Ansätze erfolgen. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Zel- mittels Festphasenextraktion über modifizierte (hydrati-
len oder das Gewebe sofort nach Entnahme schockge- sierte) Silicamatrizes (seltener auch über Anionenaus-
froren oder in speziell auf die RNA-Quelle abgestimm- tauschchromatographie) meist unter Verwendung kom-
ten Aufbewahrungs-Puffern gelagert werden, um das merziell erhältlicher Kits weiter gereinigt werden.
RNA-­ Expressionsprofil durch Nucleaseaktivität nicht Qualität und Menge sind für die meisten Anwendungen
zu verändern. Hier wird die RNA zusammen mit den ausreichend. Das Prinzip der Reinigung ist ähnlich der
Proteinen durch hohe Konzentrationen an Ammonium- DNA-Aufreinigung, allerdings wird die RNA unter ver-
sulfat (oder anderen Sulfaten, die die RNase Aktivität änderten Pufferbedingungen an die Säule gebunden und
hemmen) und bestimmten pH Bedingungen präzipitiert auch eluiert. Diese Reinigungsmethode liefert RNA mit
und so vor dem Abbau der RNasen geschützt. einer Länge von mehr als 200 Nucleotiden (unter be-
stimmten Bedingungen werden aber, abhängig vom ver-
Kultivierte Zellen  Die Plasmamembranen der Zellen wer- wendeten Säulenmaterial und den Pufferbedingungen,
den mit einem nichtionischen Detergens (Nonidet P-40) auch noch kleinere RNAs mit isoliert). Eventuell vor-
aufgeschlossen, wobei die Zellkerne intakt bleiben. Die handene, kontaminierende genomische DNA wird
Kerne werden durch Zentrifugation abgetrennt, und die durch einen anschließenden DNase-Abbau, der meist
Cytoplasmafraktion kann durch Protease-K-Inkubation direkt auf der Säule erfolgt, entfernt.
und Phenolextraktion oder Zusatz von Guanidinium(iso)
thiocyanat-Puffer gereinigt werden. Waren die Zellen mit Virale und exosomale RNA  Während virale RNA aus in-
Plasmiden transfiziert, so kann die cytoplasmatische fizierten Zellen zusammen mit der zellulären RNA auf-
RNA mit der episomal vorliegenden Plasmid-DNA ver- gereinigt wird, lässt sich virale RNA aus zellfreien Kör-
unreinigt sein. DNA-Kontaminationen lassen sich durch perflüssigkeiten analog zur viralen DNA aufreinigen
Inkubation mit einer RNase-freien DNase entfernen. (7 Abschn. 30.4.2). Die Isolierung der viralen RNA er-

folgt in Gegenwart von Carrier-RNA (7 Abschn. 30.1.3),


Gewebe und kultivierte Zellen  Die Zellen oder das Ge- um die Ausbeute und Qualität der (meist in geringen
webe werden analog der DNA-­Isolation (7 Abschn. 30.2)
  Mengen vorhandenen) viralen RNA zu erhöhen. Exoso-
zunächst homogenisiert. Zur Isolierung von pflanzlicher male RNA kann aus aufgereinigten Exosomen isoliert
RNA verwendet man ebenfalls CTAB/PVPP-haltige werden. Hierzu werden analoge Puffer und Bedingungen
(Hexadecyltrimethylammoniumbromid / Polyvinylpoly- verwendet wie für die Aufreinigung zellulärer RNA.
pyrrolidon) Puffer zur Abtrennung der Polysaccharide
und Polyphenole. Zirkuläre RNA  Eine Sonderstellung nehmen die sog. zir-
Die Zellen oder das Gewebe werden durch Resus- kulären RNA-­Moleküle (circRNA) ein, die zur Gruppe
pension in Guanidinium(iso)thiocyanat-Puffer vollstän- der nichtcodierenden RNA (. Tab.  30.8) gehören und

dig denaturiert. Hohe Mengen an β-Mercaptoethanol über deren Funktion noch wenig bekannt ist. Deren
und N-Laurylsarcosin (. Abb.  30.10) können bei der
  Länge kann stark variieren, zwischen 0,1 kb und mehre-
Resuspension und im Aufschlusspuffer zugesetzt wer- ren Kilobasen. Für die Isolierung dieser zirkulären RNA
nutzt man die Eigenschaft der circRNA aus, kein freies
3ʹ- (oder 5ʹ-) Ende zu besitzen. Alle linearen RNA-­
O
Moleküle der Gesamt-RNA werden mittels einer Exori-
C bonuclease (RNase R) degradiert. Es ist möglich, dass
H3C N COO– Na+
RNA-­Moleküle, die aufgrund von doppelsträngigen Be-
CH3
reichen oder starken Sekundärstrukturen resistent gegen
hydrophob hydrophil die RNAse-R-Behandlung sind, somit die zirkuläre RNA
..      Abb. 30.10  N-Laurylsarcosin Präparation noch verunreinigen. Diese verbleibenden li-
766 M. Jurk

nearen RNA-Moleküle werden polyadenyliert (über das der oligo(dT)-Säule zu erhalten. Die Bindung erfolgt
freie 3’-OH-Ende) und weiter mittels Oligo(dT)-Säulen bei relativ hohen Salzkonzentrationen (500  mM NaCl
(. Abb.  30.11)
  oder magnetischen Partikeln oder LiCl). Die Elution der mRNA erfolgt in Wasser.
(. Abb. 30.12) abgereichert.
  Dieser Vorgang destabilisiert die dT:rA-Hybride. Eine
optimale Reinigung der mRNA erreicht man durch
eine Wiederholung dieser Affinitätschromatographie
30.6.2 Isolierung von poly(A)+-RNA (. Abb. 30.11).

Für die RNASeq-Techniken wird zunächst Gesamt-­


Fast alle eukaryotischen mRNA-Spezies besitzen eine RNA isoliert. Je nach Protokoll kann dann eine Anrei-
lange adeninreiche Region an ihrem 3‘-Ende. Dieser cherung der poly(A)+ RNA und/oder eine selektive Ab-
poly(A)-Schwanz wird zur Isolierung der mRNA aus reicherung der ribosomalen RNA über Bindung an
cytoplasmatischer RNA verwendet. Säulenmaterial, das sequenz-spezifische einzelsträngige Oligodeoxyribonuc-
mit kurzer, einzelsträngiger, thyminhaltiger DNA (oli- leotide und anschließenden Abbau der rRNA:DNA-­
30 go(dT)) gekoppelt wurde, bindet spezifisch die poly(A) Hybride mittels RNase H erfolgen.
enthaltende mRNA aufgrund der komplementären Se-
quenzen. Oligo(dT)-Säulen lassen sich durch Kopplung
RNase H ist eine RNase, die sowohl in Prokaryoten
von Oligonucleotiden (dT12–18) an aktiviertes Säulenma-
und Eukaryoten vorkommt. RNA:DNA-Hybride wer-
terial selbst herstellen oder aber käuflich erwerben. Die
den durch Hydrolyse der RNA abgebaut. In den Zellen
Gesamt-RNA muss vor dem Auftragen auf die Säule
wird diese Funktion bei DNA-Replikation und Repa-
denaturiert werden und wird in der Regel mehrmals
ratur benötigt.
auf die Säulen aufgetragen, um eine optimale Beladung

..      Abb. 30.11  Isolierung von po- Gesamt RNA


ly(A)+-RNA über einer oligo(dT)-Säule.
Gesamt-RNA (cytoplasmatische RNA)
wird auf die Säule aufgetragen.
RMA-Moleküle, die einen po-
ly(A)-Schwanz besitzen, werden durch
die Basenpaarung der Adenine mit den
oligo(dT)-Resten an die Säule gebunden,
während alle andere RNA-Moleküle im poly(A)+-RNA
bindet
Durchlauf der Säule zu finden sind. Die Elution der poly(A)+-RNA
andere RNA wird
Elution erfolgt unter Bedingungen, die
nicht gebunden
die dT:rA-Hybride destabilisieren T TTT
AAAA

Durchlauf: AA A A

tRNA + rRNA poly(A)+-RNA

lysierte
Zellen

+ Magnetic Magnet- Elution


Beads feld waschen der
Nuclein-
säuren

..      Abb. 30.12  Prinzip der Isolierung von Nucleinsäuren über mag- gen herausgewaschen werden können. Nach den Waschschritten
netische Partikel. Die zu isolierenden Nucleinsäuren werden spezi- kann die Nucleinsäure durch Elution von den Magnetic Beads ab-
fisch aus dem entsprechenden Zell- oder Bakterienlysat an die mag- gelöst werden. Alle Schritte können automatisiert erfolgen. Das Iso-
netischen Partikel gebunden. Durch Anlegen eines magnetischen lationsprotokoll sowie die Beschichtung der Magnetic Beads richten
Feldes werden die Partikel dann fixiert, während die Verunreinigun- sich nach der zu isolierenden Nucleinsäure
Isolierung und Reinigung von Nucleinsäuren
767 30
30.6.3 Isolierung niedermolekularer RNA und hat gegenüber den konventionellen Aufbereitungs-
techniken neben der einfachen Automatisierbarkeit wei-
Niedermolekulare RNA wird zunächst zusammen mit tere Vorteile: Das aufzureinigende Material ist wenig
der Gesamt-RNA isoliert. Die Aufreinigung über eine mechanischen Scherkräften unterworfen, da sämtliche
Silicamatrix erfolgt dann unter Bedingungen, die eine Zentrifugationsschritte und die Verwendung toxischer
Bindung von kleinen Fragmenten (in der Regel kleiner organischer Reagenzien, wie z. B. Phenol, entfallen.
als 200 Nucleotide) zusammen mit der Gesamt-RNA er- Grundprinzip der Separation (. Abb. 30.12) ist die

lauben, oder die Bedingungen werden so gewählt, dass spezifische Bindung der aufzureinigenden Nucleinsäu-
eine selektive Anreicherung der niedermolekularen ren (oder aber auch anderer biologischer Materialien)
RNA Moleküle erfolgt. an speziell beschichtete magnetischen Teilchen. Legt
Es ist auch möglich, die höhermolekulare RNA mit man nun ein externes Magnetfeld an, so werden die Ma-
mehr als ca. 300 Nucleotiden selektiv zu fällen. Hierzu gnetic Beads und die an ihnen gebundenen Nucleinsäu-
verwendet man hochmolekulares Polyethylenglykol ren im Magnetfeld festgehalten, während die Verunrei-
(PEG) oder hoch konzentrierte LiCl-Lösung (2,5  M nigungen nicht festgehalten und so ausgewaschen
Endkonzentration). Die niedermolekulare RNA kann werden können.
dann nach Fällung und anschließender Zentrifugation Für die Isolierung von DNA verwendet man z. B. si-
aus dem Überstand isoliert und durch Ethanol Präzipi- licaumhüllte Magnetic Beads, da DNA in Gegenwart
tation an konzentriert werden. chaotroper Reagenzien an Glasoberflächen bindet. Ein
Eine photometrische Konzentrationsbestimmung weiteres Protokoll basiert auf der sog. SPRI-Methode
der niedermolekularen RNA-Lösung ist möglich (für Solid-Phase Reversible Immobilization). Hier wer-
(7 Abschn.  30.1.4), jedoch handelt es sich bei der so

den mit Carboxylgruppen modifizierte Magnetic Beads
isolierten RNA um ein Gemisch verschiedener nieder- verwendet, an die die DNA reversibel in Gegenwart ho-
molekularer RNA-Spezies. Die spezifische (quanti- her Salzkonzentrationen und Polyethylenglykol bindet.
tative) Analyse bestimmter niedermolekularer RNA, Diese Methode wird auch bei der Aufreinigung von
wie z.  B. bestimmter miRNA, erfolgt mittels indirek- NGS-DNA-Bibliotheken angewandt (7 Kap.  34).  

ter Methoden, z.  B. sequenzspezifischer qRT-PCR Ebenso können die negativ geladenen Nucleinsäuren
(7 Abschn. 33.3.2) oder mittels RNAseq (7 Kap. 34).
   
sich an positiv geladene Magnetic Beads anlagern. Die
Bindung kann durch Änderung der Ladungs- und Salz-
konzentrationen wieder gelöst werden. Streptavidinum-
30.7  Isolierung von Nucleinsäuren unter hüllte Beads werden zur Isolierung auch geringster
Verwendung von magnetischen Mengen mRNA verwendet. Die mRNA wird über den
poly(A)-Schwanz spezifisch mit einem biotinylierten oli-
Partikeln go(dT)-Rest an die Beads gebunden. Das Reinigungs-
prinzip lässt sich durch die Wahl der Substanz, die auf
Die Anforderungen an die Protokolle zur Isolation von
die Magnetic Beads aufgebracht wird, auch auf zahlrei-
Nucleinsäuren steigen mit der Analyse einer sehr gro-
che andere Isolationsmethoden wie z. B. die Isolierung
ßen Anzahl von Ansätzen (im 96- oder 384-Loch-For-
DNA-bindender Proteine anwenden.
mat), wie z. B. dem sog. Expression Profiling, der Gen-
typisierung oder der Identifizierung von sog. SNPs
(Single Nucleotide Polymorphisms, 7 Abschn.  38.2.3).

Hierzu müssen High-Throughput-Nucleinsäure-­ 30.8  Lab-on-a-chip


Isolationstechniken entwickelt werden, um einen hohen
Durchsatz an DNA- oder RNA-Präparationen zu ge- Im Rahmen der patientennahen Labordiagnostik [Point
währleisten. In der Regel gelingt dies nur durch Auto- of Care (POC) Diagnostics] wird es immer wichtiger,
matisierung. Bestimmte Arbeitsschritte der bisherigen Methoden der Nucleinsäureaufarbeitung und -analyse
Aufreinigungsprotokolle, wie z.  B.  Zentrifugations- auf ein miniaturisiertes System zu bringen. Hier sollen
schritte, sind schwierig bis nahezu unmöglich auf auto- schnell und einfach wichtige Diagnosen erhalten wer-
matisierbare Systeme umzusetzen. Dementsprechend den (z. B. Art der Mikroorganismen bei einer Infektion
mussten neue Isolationsprotokolle entwickelt werden. des Patienten). Dieses Lab-on-a-Chip (LoC) gehört zu
Besonders geeignet ist die Verwendung von sog. Magne- den mikroelektromechanischen Systemen (MEMS, Mi-
tic Beads. Die Bezeichnung „magnetisch“ ist eigentlich croelectromechanical Systems) und basiert auf einem
nicht ganz korrekt, da es sich in der Regel bei den Par- einzigen Chip von wenigen Quadratmillimetern bis
tikeln um sog. „paramagnetische“ Teilchen handelt, die Quadratzentimetern Größe und benutzt Volumen von
erst durch ein extern angelegtes Magnetfeld magnetisiert weniger als einem Pikoliter. Die Idee ist es, alle benö-
werden. Die Separationstechnik ist universell einsetzbar tigten Verfahren von der Isolierung der Nucleinsäuren
768 M. Jurk

(z.  B. aus Blut oder Gewebe) bis hin zur Analyse auf RNA. Nucleic Acids Res 32(1):e13. https://doi.org/10.1093/nar/
dem Chip durchzuführen. Die Systeme werden auch als gnh015
Chang Y, Tolani B, Nie X, Zhi X, Hu M, Biao H (2017) Review of
Micro Total Analysis Systems (μTAS) bezeichnet. Hier the clinical applications and technological advances of circula-
muss, analog zu den Methoden für die automatisierten ting tumor DNA in cancer monitoring. Ther Clin Risk Manag
Systeme, auf viele gängige Methoden, wie z.  B.  Zent- 13:1363–1374. https://doi.org/10.2147/TCRM.S141991
rifugation oder Phenol/Chloroform-Extraktion, aus Fadrosh DW, Andrews-Pfannkoch C, Williamson SJ (2011) Separa-
naheliegenden Gründen verzichtet werden. Wichtig tion of single-stranded DNA, doublestranded DNA and RNA
fron an environmental viral community using hydroyapatite
ist es auch, eine Ankonzentrierung der DNA für die chromatography. J Vis Exp 55:3146. https://doi.org/10.3791/3146
nachfolgenden Analyseschritte zu erreichen. Die SPE-­ Glasel JA, Deutscher ME (1995) Introduction to biophysical met-
Methoden können jedoch teilweise auf die Chipsysteme hods for protein and nucleic acid research. Academic Press,
übertragen werden. Hier eignen sich besonders die sili- New York
cabasierten Methoden, da die DNA an die feste Phase Heitzer E, Ulz EP, Geigl JP (2015) Circulating tumor DNA as a li-
quid biopsy for cancer. Clin Chem 61:112–123. https://doi.
in Gegenwart chaotroper Reagenzien oder Salze bindet
30 und so von den Verunreinigungen abgetrennt werden
org/10.1373/clinchem.2014.222679
Krieg EA (Hrsg) (1996) A laboratory guide to RNA: isolation, ana-
kann (7 Abschn.  30.2). Auch die in 7 Abschn.  30.7
    lysis and synthesis. Wiley Liss, New York
erwähnte SPRI-Methode kann auf den Chips zum Ein- Kües U, Stahl U (1989) Replication of plasmids in gram-negative
satz kommen, hier werden Oberflächen verwendet, die bacteria. Microbiol Rev 53:491–516
Levison P, Badger S, Dennis J, Hathi P, Davies M, Bruce I, Schimkat
mit Carboxylgruppen bedeckt sind. Es werden aber D (1995) Recent developments of magnetic beads for use in nuc-
auch andere Materialien (z. B. Polymethylmethacrylat, leic acid purification. J Chromatogr A 816:107–111
PMMA) verwendet, besonders bei komplexen Struktu- Micklos DA, Freyer GA (1990) DNA science. A first course in recom-
ren auf dem Chip, um die aktive Oberfläche zu vergrö- binant DNA technology. Cold Spring Harbor Laboratory Press/
ßern. Carolina Biological Supply Company, Cold Spring Harbor
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769 31

Aufarbeitung und chemische


Analytik von Nucleinsäuren
Tobias Pöhlmann und Marion Jurk

Inhaltsverzeichnis

31.1  erfahren zur Analytik von Nucleinsäuren aus


V
biologischen Proben – 773
31.1.1 E lektrophorese – 773
31.1.2 Färbe- und Markierungsmethoden – 788
31.1.3 Blottingverfahren – 790
31.1.4 Restriktionsanalyse – 795

31.2 Chemische Analytik von Nucleinsäuren – 803


31.2.1  erstellung von Oligonucleotiden – 803
H
31.2.2 Untersuchung der Reinheit von Oligonucleotiden – 805
31.2.3 Gel-Elektrophorese – 805
31.2.4 Charakterisierung von Oligonucleotiden – 808
31.2.5 Aufreinigung von Nucleinsäuren – 811

Literatur und Weiterführende Literatur – 813

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_31
770 T. Pöhlmann und M. Jurk

55 Nucleinsäuren sind wichtige natürliche Moleküle und RT-PCR (qPCR) quantifiziert oder die Sequenz von
werden in der Forschung als Werkzeug, in der Forensik Genomabschnitten bestimmt werden kann. Damit wur-
als Identifikationswerkzeug, in der Diagnostik zur den enorme Erkenntnisse über die Entstehung von Er-
Identifikation von Krankheiten, und in der Therapie krankungen erlangt und es konnten mögliche Behand-
in Form von Oligonucleotiden angewandt. lungsansätze entwickelt werden. Darüber hinaus werden
55 Nucleinsäuren können aus biologischem Material Nucleinsäuren, vor Allem kürzere Oligonucleotide dazu
isoliert oder chemisch hergestellt werden. verwendet, die Expression von Genen aktiv zu beein-
55 Nucleinsäuren können mittels Enzymen verändert, flussen – sei es als chemisch hergestellte Antisense DNA
neu kombiniert und in vitro repliziert werden. oder siRNA, mit der die Expression von Genen vermin-
55 Nucleinsäuren kommen in Form von DNA oder dert werden kann, oder shRNA, deren DNA-­Sequenz
RNA, einzel- oder doppelsträngig vor, synthetische in Vektoren eingebracht, die Expression spezifischer
Oligonucleotide können starke chemische Modifikationen Genabschnitte nahezu vollständig verhindert. Auch
aufweisen. mRNAs werden mittlerweile für therapeutische Zwecke
55 Nucleinsäuren  – und insbesondere Oligonucleotide meist halbsynthestisch hergestellt und werden genauso
können anhand ihrer Größe und ihrer Sequenz mit wie auch die CRISPR/Cas Genscheren (7 Kap.  41)  

31 unterschiedlichsten Methoden analysiert werden. und in Zellen eingebracht werden, um dort ihre spezifi-
55 Aufgrund ihrer Ladung können Nucleisäuren sche Wirkung zu entfalten. Doch Oligonucleotide müs-
elektrophoretisch in Gelen oder Kapillaren aufgetrennt sen nicht immer ausschließlich über ihre Sequenz eine
und zur Analyse angefärbt werden. Funktion ausüben – bei Aptameren beispielsweise wird
55 Oligonucleotide können mit verschiedenen Chromato­ eine Wechselwirkung mit anderen Molekülen (insb. Pro-
graphischen Methoden (HPLC) analysiert werden; teinen) über die Raumstruktur erreicht.
mittels Massenspektrometrie Erfolg die Untersuchung Durch diese neuen Möglichkeiten der Verwendung
der Molekülmasse. von Nucleinsäuren in der Molekularbiologie haben sich
55 Oligonucleotide für therapeutische Anwendungen auch die methodischen Verfahren weiterentwickelt. Ne-
können in einem Synthesezyklus unter Verwendung ben der Isolation von Nucleinsäuren aus biologischen
von Schutzgruppen chemisch hergestellt werden; die Proben und der nachfolgenden Analytik, spielt immer
Aufreinigung und Abtrennung von Nebenprodukten mehr die chemische Herstellung von DNAs und RNAs
erfolgt mittels chromatographischer Methoden oder ihren chemisch modifizierten Verwandten für mole-
(HPLC). Dieser Prozess ist skalierbar und kann derzeit kularbiologische oder pharmazeutische Anwendungen
im Kilogramm Maßstab angewandt werden. eine Rolle (. Tab.  31.1). Gerade für pharmazeutische

Anwendungen wurden die Nachweis- und Analytikver-


Nucleinsäuren haben sich in den letzten Jahren/Jahr- fahren in den letzten Jahren stark verbessert.
zehnten zu einem universellen Werkzeug in der For- In diesem Kapitel werden unter dem Begriff von
schung entwickelt  – beispielsweise in der Genomana- Nucleinsäuren zunächst grundlegende Verfahren zur
lytik, wo spezifische DNA-Abschnitte mittels PCR Analytik von Nucleinsäuren, isoliert aus biologischen
nachgewiesen, die Menge spezifischer mRNA mittels Proben (insbesondere aus Bakterien oder eukaryonti-

..      Tab. 31.1  Ursprung der Nucleinsäure/Oligonucleotid

Art der DNA/RNA DNA/RNA DNA/RNA RNA DNA/RNA,


Nucleinsäure Modifikationen

Verwendung Untersuchung des Untersuchung des Untersuchung des Produktion Produktion


Vorhandenseins von Vorhandenseins von Vorhandenseins von
Genen/Abschnitten, der Genen/Abschnitten, Genen/Abschnitten, der
Sequenz, Expression; der Sequenz, Sequenz, Expression;
Produktion Expression Produktion
Klassische μg bis g μg pg-μg mg-kg mg-kg
Mengen
Ursprung Kultur/Fermentation Forschung (in Biologische und In vitro- Chemische
(Bakterien, Pilze) vitro-Experimente) medizinische Proben Transktiption Synthese
(insb. Gewebe/Biopsie)

Überblick über Ursprung und Verwendung von Nucleinsäuren


Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
771 31
schen Proben) zusammengefasst, die oft in molekular- leinsäuren im elektrischen Feld erfolgt wie bei den Pro-
biologischen Laboren Anwendung finden. Im weiteren teinen innerhalb eines festen Trägermaterials. Auch bei
Verlauf des Kapitels wird dann auf Analyseverfahren der Elektrophorese der Nucleinsäuren sind Agarose und
eingegangen, die vor Allem bei der chemischen Synthese Polyacrylamid die Materialien der Wahl.
von Nucleinsäuren angewandt werden und klassischer- Im Gegensatz zu Proteinen sind alle Nucleinsäuren
weise oft in chemischen Laboren Anwendung finden. innerhalb eines sehr großen pH-Bereichs stets negativ
Abschließend wird auf Analyseverfahren eingegangen, geladen. Ladungsträger sind dabei die negativ gelade-
bei denen Methoden kombiniert werden, um insbeson- nen Phosphatgruppen des Zucker-Phosphat-Rückgrats
dere bei extrem wenig Probenvolumina die Aussagekraft der Nucleinsäuren. Die Wanderung von Nucleinsäuren
der Analysen zu erhöhen. in Richtung Anode ist deshalb relativ pH-unabhängig.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu den Proteinen
ist, dass Nucleinsäuren eine gleichbleibende Ladungs-
31.1  Verfahren zur Analytik von dichte besitzen, das heißt das Verhältnis von Moleku-
Nucleinsäuren aus biologischen largewicht zu Ladung ist stets konstant. Die Erzeugung
einheitlicher Ladungsoberflächen mithilfe von SDS, das
Proben
zur Bestimmung des Molekulargewichts von Proteinen
Die Analytik von Nucleinsäuren aus biologischen Pro- benötigt wird, ist im Falle von Nucleinsäuren unnötig.
ben erfuhr in den letzten Jahrzehnten einen enormen Die elektrophoretische Mobilität, das heißt die Wan-
Wandel. Mit der Entdeckung von DNA und RNA dergeschwindigkeit im elektrischen Feld, wurde bereits
und dem fortschreitenden Wissen über deren Funk- in 7 Kap.  12 eingeführt und erläutert. Sie ist für alle

tion wurden auch Methoden zu deren Untersuchung Nucleinsäuren in freier Lösung – unabhängig von ihrem
stets weiterentwickelt. Während die Wissenschaftler Molekulargewicht  – gleich groß. Unterschiede in der
anfangs Nucleinsäuren mittels Elektrophorese und an- Mobilität misst man erst in der festen Gelmatrix. Diese
schließender Färbung nur sichtbar machen und die Wir- Unterschiede in der Wandergeschwindigkeit von Nucle-
kung von Restiktionsenzymen und damit verbundenen insäuren werden ausschließlich durch verschiedene Mo-
unterschiedliche Bandenmuster erkennen konnten, ist lekülgrößen hervorgerufen.
es heutzutage möglich, mit einer einzigen Probe die ge- Die Wanderung der Nucleinsäuren im elektrischen
samte DNA-Sequenz des Genoms und die Expression Feld kann vor allem durch zwei Theorien (. Abb. 31.1)

einer Vielzahl von Genen zu analysieren. Und trotzdem beschrieben werden. Das tatsächliche Verhalten der Nu-
finden die Methoden aus dem 20. Jahrhundert immer cleinsäuren kann als „Mischung“ dieser Theorien ange-
noch Anwendung und sollen deshalb in diesem Kapitel sehen werden.
nicht ungenannt bleiben – tragen sie doch zum Grund- Der Ogston-Siebeffekt beruht auf der Annahme,
verständnis bei Studenten bei. Da auf die molekular- dass Nucleinsäuren in Lösung eine globuläre Form an-
biologischen Methoden wie PCR, Sequenzierung, Mi- nehmen, deren Größe sich durch den Radius der Kugel
croarray, etc. in anderen Kapiteln näher eingegangen beschreiben lässt, die von der Nucleinsäure theoretisch
wird, liegt der Fokus in diesem Kapitel auf physikali- eingenommen wird. Je größer der globuläre Umfang
schen bzw. chemischen und enzymatischen Verfahren der Nucleinsäuren, desto öfter treten Kollisionen mit
der Analytik. der Gelmatrix auf und die Wanderung der Moleküle im
elektrischen Feld wird gebremst. Sehr kleine Fragmente
werden durch die Poren der Gelmatrix kaum gebremst
31.1.1 Elektrophorese und ihre Trennung ist demzufolge sehr schlecht. Sehr
große Moleküle, deren globuläre Form größer als die
Die Elektrophorese ist die wichtigste Methode zur Ana- durchschnittliche Porengröße des Gels ist, sollten dieser
lyse von Nucleinsäuren. Ihre Vorteile liegen auf der Theorie zufolge kaum durch das Gel wandern können.
Hand: Sie ist schnell durchzuführen, benötigt nur ge- Hier setzt die zweite Theorie an, die so genannte Repta-
ringste Mengen an Material und die Nucleinsäuren las- tionstheorie: Nucleinsäuremoleküle können im elektri-
sen sich in den Gelen schnell und kostengünstig nach- schen Feld ihre globuläre Form aufgeben und sich ent-
weisen. Im Vergleich zu anderen Methoden sind der lang des elektrischen Feldes ausrichten. Die Wanderung
Bereich und die Genauigkeit der Größentrennung der erfolgt sozusagen „mit einem Ende“ der Nucleinsäure
Nucleinsäuremoleküle wesentlich größer. voran durch die Poren der Matrix (end-to-­end migra-
Theoretische Prinzipien und apparative Durch- tion). Dies erinnert an eine wurm- oder schlangenartige
führung besitzen zwar einige Parallelen, aber auch Bewegung des linearen Moleküls und wird deshalb im
entscheidende Unterschiede zur elektrophoretischen Englischen als reptation bezeichnet. Die Größenselek-
Auftrennung von Proteinen. Die Auftrennung der Nuc- tion erfolgt hier aufgrund der Tatsache, dass längere
772 T. Pöhlmann und M. Jurk

A B

Pore der
Gelmatrix

..      Abb. 31.1  Theorien zur Wanderung von Nucleinsäuremolekü- geldurchmesser der Nucleinsäuren kleiner als die durchschnittliche
31 len in einer Gelmatrix. Die Ogston-Theorie A geht von einer globu-
lären Struktur der Nucleinsäuren aus, deren Radius von der Länge
Porengröße ist. Im Reptationsmodell B richten sich die Nucleinsäu-
ren entlang des elektrischen Feldes aus und winden sich „schlangen-
des Moleküls und der Wärmebewegung bestimmt wird. Die Mole- artig“ durch die Gelmatrix. (Nach: Martin, R. Gel electrophoresis:
küle können durch die Poren der Gelmatrix wandern, wenn der Ku- nucleic acids. Bios Scientific Publishers Limited, Oxford 1996.)

DNA-Moleküle für diese Bewegung länger brauchen 5


Puffer: 0,5 x TBE 0,5 mg ml–1
als kürzere. Diese beiden Theorien erklären die meisten Ethidiumbromid
der bei der Elektrophorese von DNA-­Molekülen durch- Elektrophorese: 1 V cm–1; 16 h
schnittlicher Größe (bis ca. 10  kb) beobachteten Phä-
nomene wie den Zusammenhang zwischen Mobilität
und Größe der Fragmente. Das Verhalten sehr großer
Log10 Nucleotidpaare

DNA-Moleküle im elektrischen Feld wird jedoch da- 4


durch nur unzureichend beschrieben und erfordert neue
Modelle (7 Abschn. 31.1.1.3).

31.1.1.1  Gelelektrophorese von DNA


Agarosegele 3
Die Wahl des Trägermaterials wird hauptsächlich von 0,5 %
Art und Größe der zu analysierenden Nucleinsäure be- 0,7 %
stimmt. Agarose ist das wichtigste Trägermaterial für 0,9 %
die Elektrophorese von Nucleinsäuren. Es handelt sich 1,2 %
dabei um ein Polymer, das aus verschieden verknüpften 1,4 %
Galactoseeinheiten besteht. 2
Die Wandergeschwindigkeit der DNA-Moleküle 0 1 2 3 4 5 6
wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Die effektive Wanderungsstrecke (in cm)

Größe der Nucleinsäuremoleküle hängt nicht nur von


ihrer absoluten Masse, sondern auch von ihrer Form ab: ..      Abb. 31.2  Abhängigkeit der Wanderstrecke von der Länge der
superhelikal (Form I), offen (Form II), doppelsträngig-­ aufgetrennten Fragmente bei verschiedenen Agarosekonzentratio-
linear (Form III) oder einzelsträngig. nen. Diese halblogarithmischen Kurven werden mithilfe von Mar-
kerfragmenten erstellt. Die Größe eines Fragments lässt sich dann
anhand seiner Position relativ genau bestimmen. (Nach: Maniatis et
Auftrennung linearer, doppelsträngiger DNA-Frag-
al. 1989)
mente  Die Gelelektrophorese linearer DNA-Frag-
mente (Form-­III-­DNA) kann zur relativ genauen und
reproduzierbaren Größenbestimmung genutzt werden. das theoretische Modell durch die Einführung unter-
Dabei besteht über einen weiten Größenbereich der schiedlicher Parameter den experimentell gefundenen
DNA eine (empirisch beobachtete) lineare Abhängigkeit Daten anzupassen.
zwischen dem Logarithmus (log10) der Länge des Frag- Die Wandergeschwindigkeit linearer DNA-­
ments (in bp) und der relativen Wanderdistanz (in cm, Fragmente hängt zusätzlich von der Agarosekonzentra-
bezogen auf die gesamte Wanderstrecke) im Agarosegel tion, der angelegten Spannung, der Art des Laufpuffers
(. Abb.  31.2). Verschiedene Gleichungen versuchen
  sowie der Anwesenheit interkalierender Farbstoffe ab.
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
773 31
Elektrophoresen bei sehr hohen Feldstärken verwendet
..      Tab. 31.2  Größentrennung von DNA-Fragmenten bei
verschiedenen Agarosekonzentrationen. (Nach: Sambrook man Tris-Borat als Laufpuffer. Lineare DNA-Fragmente
und Russell 2001) laufen in TBE-Puffer ungefähr zehn Prozent schneller als
in TAE-Puffer. Die Auftrennungskapazität beider Puffer-
Agarosekonzentration optimaler Auftrennungsbereich systeme ist vergleichbar. Lediglich superhelikale DNA
(in % w/v) linearer, doppelsträngiger lässt sich in TBE-­Puffer etwas besser auftrennen.
DNA-Fragmente (in kb)
Die Konzentration der Ionen im Laufpuffer ist eben-
0,3 5–60 falls von Bedeutung. Sind zu wenige Ionen im Lauf-
puffer vorhanden, so ist die elektrische Leitfähigkeit
0,6 1–20
minimal und die Wandergeschwindigkeit der DNA zu
0,7 0,8–10 gering. Ist die Ionenkonzentration zu hoch, wird der
0,9 0,5–7 Laufpuffer durch die sehr hohe Leitfähigkeit zu stark
erhitzt, die DNA möglicherweise denaturiert und die
1,2 0,4–6
Agarose geschmolzen.
1,5 0,23 Auch die Präsenz interkalierender Farbstoffe zur
2,0 0,1–2 Färbung der DNA hat einen Einfluss auf die Laufge-
schwindigkeit im Gel. Das Prinzip der Interkalation
wird in 7 Abschn.  31.1.2 eingehend behandelt. Bei

Zugabe von Ethidiumbromid verringert sich die Lauf-


geschwindigkeit linearer Fragmente um etwa fünfzehn
In Agarosegelen lassen sich, abhängig von der Kon- Prozent.
zentration der Agarose, DNA-Fragmente über einen
sehr weiten Größenbereich auftrennen (. Tab.  31.2).
  Auftrennung zirkulärer DNA-Fragmente  Die Wanderge-
Sehr kleine DNA-Fragmente (≤100 bp) besitzen in den schwindigkeiten zirkulärer DNA der Form I (superheli-
üblicherweise verwendeten 1–1,5  %igen Agarosegelen kal) und der Form II (offen) hängen in erster Linie von
eine konstante Geschwindigkeit, da die Porengröße des der Beschaffenheit des Agarosegels ab. In der Regel wan-
Gels größer ist als die Fragmente, sodass die Wanderung dert die superhelikale Form der DNA schneller im Gel als
dieser Fragmente entsprechend der Ogston-­ Theorie die lineare. Relaxierte DNA-­Moleküle (Form II) wandern
durch das Trägermaterial nicht mehr behindert wird. im Agarosegel wesentlich langsamer als superhelikale
Durch Erhöhung der Agarosekonzentration können oder lineare DNA (. Abb. 31.3). Die Wandergeschwin-

kleinere DNA-Fragmente aufgetrennt werden. Kleine digkeit der drei Formen wird durch die Laufbedingungen,
DNA-Fragmente und Oligonucleotide trennt man am Agarosekonzentration, angelegte Spannung und Wahl
besten in 2–3 %igen Agarosegelen auf. des Laufpuffers beeinflusst. Die Identifizierung der ver-
Die Wandergeschwindigkeit von DNA-Fragmenten schiedenen DNA-­Konformationen im Gel kann mithilfe
in Agarosegelen ist in der Regel proportional zur an- von Ethidiumbromid erfolgen.
gelegten Spannung. Allerdings wandern große DNA-­
Fragmente mit steigender Spannung zunehmend lang-
samer im Gel, sodass sich hohe Spannungen für die
Auftrennung großer Fragmente nicht eignen. Eine gute
Auftrennung ergibt sich für DNA-Fragmente (≥2  kb), offen
wenn die angelegte Spannung 5 V cm−1 nicht überschrei- (Form II) linear
tet. Maßgebend ist dabei nicht die Gellänge, sondern der (Form III)
superhelikal
Elektrodenabstand in der Elektrophoresekammer. (Form I)
Für die Auftrennung von DNA-Molekülen verwendet
denaturiert
man Tris-Acetat- (TAE-) oder Tris-Borat- (TBE-)Lauf- (Knäuel)
puffer. Der Tris-Acetat-Laufpuffer hat den Vorteil, dass
die Fragmente aus Agarosegelen, die diesen Laufpuffer
enthalten, leichter und effektiver entfernt werden können.
Die DNA-Banden laufen schärfer. Ein wesentlicher Nach-
..      Abb. 31.3  Wanderverhalten von superhelikaler, offener, linearer
teil des Puffers ist seine geringe Pufferkapazität. Tris-Ace-
und denaturierter DNA im Agarosegel. Das Laufverhalten der su-
tat-Laufpuffer zersetzt sich bei der Elektrophorese schnel- perhelikalen DNA kann durch die Ethidiumbromidkonzentration
ler als Tris-Borat. Für längere Elektrophoresen oder beeinflusst werden
774 T. Pöhlmann und M. Jurk

Praktische Durchführung sen das Laufverhalten im Agarosegel. Man wählt deshalb


Agarosegele können als Vertikal- oder Horizontalgele für die Elektrophorese denaturierende Bedingungen, da-
gegossen werden. Im Laboralltag haben sich die leich- mit die elektrische Mobilität der einzelsträngigen DNA
ter handhabbaren Flachgele durchgesetzt und werden nur von ihrem Molekulargewicht abhängt.
fast ausschließlich verwendet. Man unterscheidet nach Alkalische Agarosegele werden dabei zur Analyse
der Größe des Gels Mini-, Midi- und Maxi-Gele. Mi- der Syntheseeffizienz des ersten und zweiten Strangs
ni-Gele besitzen nur eine geringe Auftrennungsstrecke einer cDNA und zum Testen der nicking-Aktivität in be-
(ca. 6–8  cm) und eigenen sich nicht zur genauen Grö- stimmten Enzympräparationen verwendet. Das denatu-
ßenbestimmung von DNA-Fragmenten. Sie dienen rierende Agens ist dabei NaOH. Die Agarose muss vor-
unter anderem zur schnellen Charakterisierung der Art her in Wasser gelöst werden, da Zugabe von NaOH zu
und Menge von DNA und zur Überprüfung bestimm- heißer Agarose die Polysaccharide hydrolysiert. Ebenso
ter Restriktionsspaltungen. Midi- und Maxi-Gele (ca. wird für diese Art der Elektrophorese kein Ethidium-
20 cm bzw. 30–40 cm) werden für die genaue Fragment- bromid zugesetzt, da Ethidiumbromid bei hohen pH-­
charakterisierung und zur präparativen Auftrennung Werten nicht an die DNA bindet.
von DNA-Fragmenten eingesetzt. Hier sind Auftren-
31 nungsstrecke und Ladekapazität wesentlich größer. Low-melting-Agarose und sieving-Agarose  Derivatisiert
Die DNA wird auf das Agarosegel mithilfe von so man die Agarose, indem man beispielsweise Hydroxy-
genannten Auftragspuffern aufgetragen. Diese dienen in ethylgruppen in die Polysaccharidkette einführt, so erhält
erster Linie dazu, die Dichte der DNA-Lösung zu er- man Agarose mit veränderten Eigenschaften. Diese
höhen (mithilfe von Glycerin, Ficoll oder Saccharose), low-melting-Agarose wird ebenfalls durch Erhitzen gelöst
sodass die Lösung beim Auftragen in die Taschen des und geliert beim Abkühlen. Ihr Schmelzpunkt liegt je-
Geles absinkt und nicht in den Laufpuffer diffundiert. doch niedriger. Diese Eigenschaften werden hauptsäch-
Die Auftragspuffer enthalten zusätzlich Farbstoffe, die lich zur Isolierung von DNA-Fragmenten aus diesen Ge-
während der Elektrophorese mit der DNA in Rich- len genützt. Die DNA läuft in Gelen, die aus niedrig
tung Anode wandern und so einen Anhaltspunkt für schmelzender Agarose bestehen, etwas schneller, Trenn-
die Wanderung der DNA bieten. Die gebräuchlichsten und Ladekapazität sind geringer.
Farbstoffe sind Bromphenolblau und Xylencyanol. Sieving-Agarose besitzt ähnliche Eigenschaften wie
Bromphenolblau wandert dabei im Agarosegel je nach low-melting-Agarose. Sie eignet sich besonders zur Auf-
Bedingungen ungefähr wie ein DNA-Fragment mit trennung kleinerer DNA-Fragmente und besitzt einen
300 bp. ähnlichen Trennbereich wie Polyacrylamidgele.
Ein wichtiges Hilfsmittel zur Charakterisierung der Gele beider Agarosearten sind in Konzentrationen
Fragmentgrößen sind die Längenstandards (Marker), unterhalb von zwei Prozent nicht sehr stabil, die emp-
die Fragmente mit genau definierten Größen enthal- fohlenen Agarosekonzentrationen liegen daher bei zwei
ten und zusammen mit der zu untersuchenden Probe bis vier Prozent.
auf dem Agarosegel aufgetrennt werden. Anhand die-
ser Längenstandards erfolgt dann die Größenbestim- Polyacrylamidgele
mung der DNA-Fragmente. Für eine zuverlässige und Die Eigenschaften des Polyacrylamids sowie die Defi-
genaue Größenbestimmung ist es unerlässlich, dass nition von Konzentration und Vernetzungsgrad wur-
vergleichbare Mengen von Marker und DNA im glei- den bereits in 7 Kap.  12 behandelt. Die Elektropho-

chen Puffer gelöst und aufgetragen werden. Die DNA-­ rese von DNA in Polyacrylamidgelen (meist abgekürzt
Längenstandards erhält man durch gezielte Restrik- als PAGE) wird je nach Anwendungsgebiet nativ oder
tionsspaltung bestimmter Plasmid- oder Phagen-DNA denaturierend durchgeführt. Polyacrylamidgele (Poly-
(z.  B. pBR322 und λ-DNA) mit verschiedenen Rest- acrylamid- und Agarosegele werden umgangssprach-
riktionsenzymen (z.  B. EcoRI, HindIII oder Eco130I). lich auch slab-Gele genannt) werden als Horizontalgele
Die bekanntesten DNA-Marker sind die 1-kb-Leiter zwischen zwei Glasplatten gegossen und elektrophoreti-
und der λ/EcoRIHindIII-Standard (. Abb. 31.4). Auch
  siert. Diese Gele besitzen gegenüber Agarosegelen Vor-
für kleinere DNA-Fragmente werden Größenstandards und Nachteile (. Tab. 31.3).

angeboten. Ein gebräuchlicher Marker ist die 100-bp-­


Leiter, deren DNA-Fragmente sich jeweils um 100  bp Nicht denaturierende Gele zur Analyse von DNA-Prote-
unterscheiden. Die Wahl des Markers hängt von der zu in-Komplexen  Native, nicht denaturiende Gele werden
erwartenden Größe der DNAFragmente ab. für den so genannten EMSA (electrophoretic mobility
shift assay) benützt. Hier können DNA-Protein-Kom-
Denaturierende Agarosegele  Einzelsträngige DNA bil- plexe als intakte Einheit von der freien DNA abgetrennt
det sehr leicht intramolekulare Sekundärstrukturen und werden. Durch den Käfigeffekt des Polyacrylamids blei-
intermolekulare Aggregate aus. Diese Faktoren beeinflus- ben die DNA-Protein-Komplexe während der Elektro-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
775 31

EcoRI/HindIII (l)
100-bp-Leiter

Eco130I (l)

1-kb-Leiter
50 kb

24756
21226*
23583
19329*

10 kb 10000
8000
7743 5148
6000 4973
6223 5000 4268
4000 3530*
4254*
3472 3000
2027
2690 1904
2000
1584
1882 1375
1600
1489
1000 947
1 kb 1000 831
900
800 925
700 564
600
500 500
400
421
300

200

125

100 100
80
74

10

100-bp-Leiter l Eco130I 1-kb-Leiter l EcoRI/HindIII

..      Abb. 31.4  Verschiedene, im Laboralltag sehr häufig verwendete DNA-Längenstandards. Die λ-DNA-Marker können durch Spaltung der
λ-DNA mit den entsprechenden Restriktionsenzymen hergestellt werden (7 Abschn. 31.1.4, Fotografie von Dr. Marion Jurk.)

phorese erhalten. Dieser Versuchsansatz wird ausführli- bei der Elektrophorese beobachten. Kleinere DNA-Frag-
cher in 7 Kap. 36 beschrieben.
  mente (350–700 bp), die bestimmte Sequenzen enthalten,
zeigen unter bestimmten Elektrophoresebedingungen
Nicht denaturierende PAGE von doppelsträngiger eine – im Vergleich zu ihrer eigentlichen Größe (Anzahl
DNA  Native Polyacrylamidgele besitzen im Vergleich zu der Basenpaare)  – reduzierte Mobilität im elektrischen
Agarosegelen ein höheres Auftrennungsvermögen Feld. Dieser der Krümmung oder dem Knicken der DNA
(. Tab. 31.4) und eine höhere Ladekapazität ohne Auf-
  zugeschriebene Effekt wird auf eine veränderte Konfor-
lösungsverluste. Hiervon macht man bei der Reinigung mation der Fragmente zurückgeführt. Das abnorme
doppelsträngiger DNA Gebrauch. Große Mengen klei- Laufverhalten ist umso ausgeprägter, je höher man die
ner DNA-Fragmente (<1000 bp) können so isoliert wer- Acrylamidkonzentration wählt, je mehr Magnesium-Io-
den. Die Gele werden analog zu Agarosegelen in Tris-Bo- nen man dem Elektrophorese-­Puffer zusetzt oder je weiter
rat-Puffer präpariert und können nach der die Temperatur verringert wird. Eine Erhöhung der Tem-
Gelelektrophorese mit Ethidiumbromid gefärbt werden. peratur oder der Na+-Konzentration hat die entgegenge-
setzte Wirkung.
Abnormales Laufverhalten von DNA-Fragmenten in nativen
Polyacrylamidgelen (Krümmung, curvature)  Durch das Native PAGE von einzelsträngiger DNA (SSCP)  Diese Gele
bessere Auflösungsvermögen der Polyacrylamidgele kann werden hauptsächlich zur Analyse von Veränderungen in
man abnormes Verhalten bestimmter DNA-Fragmente der genomischen DNA bei bestimmten Krankheiten ein-
776 T. Pöhlmann und M. Jurk

..      Tab. 31.3  Vergleich von Agarose- und Polyacrylamidgelen

Agarosegele Polyacrylamidgele

Vorteile

− apparativer Aufwand geringer, leicht handhabbar, schneller − bessere Auftrennung für einen bestimmten
− größerer Auftrennungsbereich DNA-Bereich (<1000 bp)
− DNA leichter zu isolieren − es können größere Mengen ohne Auflösungsverluste
− DNA leichter zu färben aufgetragen werden
− Kapillar- und Vakuumblotting möglich − DNA nach Isolierung aus dem Gel sehr sauber
Nachteile

− Banden breiter und unschärfer − schwieriger zu gießen, höherer apparativer Aufwand


− Auftrennung im Bereich kleinerer DNA-Fragmente schlechter − kein Kapillar- oder Vakuumblotting möglich
− isolierte DNA-Fragmente enthalten eventuell inhibierende Verunreinigungen − geringer Trennungsbereich

31
..      Tab. 31.4  Auftrennungsbereich von nativen Polyacrylamidgelen. Das Verhältnis von Acrylamid zu N,N′ -Methylenbisacrylamid
beträgt hier 29:1

Acrylamidkonzentration (in %) Auftrennungsbereich (in bp) Wanderung von Bromphenolblau in nativen Gelen (in bp)

3,5 100–2000 100


5,0 100–500 65
8,0 60–400 45
12,0 50–200 20
15,0 25–150 15
20,0 5–100 12

gesetzt. Hier müssen Methoden angewendet werden, die nauen Größe, nicht aber nach ihrer Sequenz auftrennen
es erlauben, mit praktikablem Aufwand viele verschie- würde. Mithilfe dieser SSCP-­Methode lassen sich Punkt-
dene Proben von verschiedenen Patienten gleichzeitig auf mutationen in bestimmten Genabschnitten vieler ver-
Mutationen innerhalb bestimmter Gene zu testen. Die schiedener DNA-Proben gleichzeitig detektieren, die
Bestimmung der Sequenz der einzelnen infrage kommen- dann durch Sequenzbestimmung genauer analysiert wer-
den Gene wäre viel zu teuer und zeitaufwendig. Bei der den können. Die ersten SSCP-Analysen wurden mit Rest-
häufig angewendeten SSCP-­Analyse (SSCP steht für sing- riktionsfragmenten genomischer DNA und anschließen-
le-strand conformational polymorphism) liegt die Beobach- der Southern-Blot-­ Analyse (7 Abschn.  31.1.3.2)

tung zugrunde, dass einzelsträngige DNA-Moleküle un- untersucht. In den neueren Ansätzen werden die zu unter-
terschiedlicher Sequenz unterschiedliche Konformationen suchenden Genabschnitte durch PCR-Amplifikation iso-
einnehmen können. Die zu analysierenden doppelsträngi- liert und können gleichzeitig radioaktiv markiert werden,
gen DNA-­Fragmente werden mithilfe von Formaldehyd sodass keine weiteren Detektionsverfahren notwendig
denaturiert und anschließend auf das native Polyacryla- sind. Die Analyse beruht darauf, dass DNA-Moleküle,
midgel aufgetragen. Die isolierten einzelsträngigen Mole- die Punktmutationen enthalten, meistens andere Konfor-
küle bilden individuelle Konformationen aus, die in den mationen einnehmen als das unveränderte Molekül. Ein
meisten Fällen auch ein unterschiedliches Laufverhalten negatives Ergebnis der SSCP-Analyse ist demzufolge kein
zeigen (. Abb.  31.5). Enthält der betreffende Genab-
  Beweis, dass innerhalb dieses Genabschnitts keine Muta-
schnitt eines anderen Individuums Punktmutationen, so tionen auftreten.
werden die einzelsträngigen Moleküle wiederum eine an- Auf einem ähnlichen Prinzip beruht auch das so
dere Konformation annehmen und sich im Laufverhalten genannte DSCP-Verfahren (double-strand confor-
unterscheiden. Entscheidend für die SSCP-­Analysen ist mational polymorphism), auch Heteroduplexanalyse
dabei das native Polyacrylamidgel, da ein denaturierendes (HA) genannt. Hier werden Fragmente, die eventuelle
Gel die einzelsträngigen Moleküle lediglich nach ihrer ge- Punktmutationen enthalten, gemeinsam denaturiert
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
777 31
..      Abb. 31.5 Schematische homozygot A heterozygot A homozygot B
Darstellung der SSCP-Analyse.
DNA-­Fragmente werden
mithilfe von Formamid und
Hitze denaturiert. Die
resultierenden einzelsträngigen
Moleküle nehmen abhängig
von ihrer Basenzusammenset- Denaturierung
zung eine bestimmte Konfor-
mation ein. Diese einzelsträn-
gigen Nucleinsäuremoleküle
werden auf einem nativen Poly-
acrylamidgel aufgetrennt und
zeigen aufgrund ihrer
unterschiedlichen Konforma-
tion unterschiedliches
Laufverhalten. Durch das
charakteristische Muster
können homozygote und
heterozygote Individuen, bei
denen bestimmte Gene
Punktmutationen enthalten, Elektrophorese
identifiziert werden. (Nach:
Martin 1996)

und anschließend renaturiert. Bei der Hybridisierung Trennung von DNA-Molekülen, die sich in ihrer Länge
vollständig komplementärer Strange entstehen die um nur ein Nucleotid unterscheiden, ist hier möglich. Da-
Ausgangsfragmente; hybridisieren zwei komplemen- her werden diese Gele bei Sequenzierungen, zur Analyse
täre Stränge, die sich in einer Base unterscheiden, so von S1-Nuclease-­Reaktionsprodukten sowie RNase-Pro-
ändert sich die Konformation des Fragments und so- tektionsexperimenten verwendet. Sehr wichtig ist die ba-
mit auch sein Laufverhalten im Gel. SSCP und HA sengenaue Auftrennung von Restriktionsfragmenten auch
werden auch zur Subtypencharakterisierung von für die Methode des so genannten DNA-fingerprinting.
RNA-Viren nach vorangegangener RT-PCR einge-
setzt. DNA-fingerprinting
Dieses Verfahren dient zur Analyse genomischer DNA
Denaturierende PAGE von einzelsträngiger DNA oder eines Individuums hinsichtlich seiner Abstammung
RNA  Denaturierende Polyacrylamidgele besitzen zahlrei- oder zur Identifizierung eines bestimmten Individuums.
che Anwendungsgebiete, da eine sehr genaue Auftrennung ­Eingesetzt wird diese Technik in der Gerichtsmedizin,
einzelsträngiger DNA- und RNA-Moleküle möglich ist seltener auch für Vaterschaftsnachweise. Jedes Indi-
(. Tab. 31.5). Als Denaturierungsmittel verwendet man
  viuum besitzt ein charakteristisches Spektrum bestimm-
hauptsächlich Harnstoff, seltener Formaldehyd. Alkali ter, meist repetitiver Sequenzen, so genannter Minisa-
kann bei Polyacrylamidgelen nicht verwendet werden, da telliten, die von Vater und Mutter in nahezu gleichen
es mit der Polyacrylamidmatrix wechselwirkt und diese Anteilen weitervererbt wurden. Die Aufteilung und das
zerstört. Die Gele werden in Gegenwart von Harnstoff Spaltungsmuster dieser Sequenzen sind für jedes Indi-
(7 M) polymerisiert, als Laufpuffer wird Tris-­Borat-­Puffer viduum einzigartig. In der Praxis wird die genomische
verwendet. Die Auftragspuffer enthalten meist Formamid DNA mit einem Restriktionsenzym gespalten und die
zur Denaturierung der Proben (7 Abschn. 31.1.1.2). In
  erhaltenen Fragmente werden auf denaturierenden Po-
diesen Gelen wandert einzelsträngige DNA oder RNA lyacrylamidgelen genau aufgetrennt. Das Gel wird dann
unabhängig von ihrer Sequenzzusammensetzung. Die mittels Southern-Blotting (7 Abschn. 31.1.3.2) auf eine

778 T. Pöhlmann und M. Jurk

lich gehalten wird, da es sonst zu Beschädigungen der


..      Tab. 31.5  Auftrennung von Oligonucleotiden in
denaturierenden Polyacrylamidgelen. Das Verhältnis von
DNA oder zu Quervernetzungen mit der Gelmatrix
Acrylamid zu N,N′-Methylenbisacrylamid beträgt dabei 19:1 kommt. Bei der Aufreinigung von Oligonucleotiden über
Polyacrylamidgele muss sichergestellt werden, dass die zu
Acrylamidkonzentration (in %) Auftrennungsbereich (in nt)* reinigenden Oligonucleotide keine Modifikationen ent-
halten, die mit der Gelmatix Wechselwirken.
20–30 2–8
Eine Variation der Heteroduplexanalyse ist die
15–20 8–25 conformation-­sensitive gel electrophoresis (CSGE). Hier
13,5–15 25–35 werden Polyacrylamidgele mit milden denaturierenden
Bedingungen verwendet, um DNA-Fragmente mit Fehl-
10–13,5 35–45
paarungen von DNA-Fragmenten mit korrekter Basen-
8–10 45–70 paaarung aufgrund ihres unterschiedlichen Laufverhal-
6–8 70–300 tens zu unterscheiden.

*nt: Nucleotide 31.1.1.2  Gelelektrophorese von RNA


31 Ähnlich wie einzelsträngige DNA bildet auch einzels-
trängige RNA durch intra- und intermolekulare Basen-
Membran übertragen und mit Sonden hybridisiert, die paarung Sekundärstrukturen und Aggregate aus. Diese
spezifisch diese Minisatelliten-DNA erkennen. Eine wei- verschiedenen Konformationen besitzen unterschied-
tere Methode des fingerprinting basiert auf einer PCR liches Laufverhalten im Gel. Eine exakte, reproduzier-
mit willkürlich gewählten Primern. Hier werden kurze bare Analyse von RNA ist nur in denaturierenden Gelen
Fragmente mittels PCR synthetisiert, die dann durch möglich, da hier die verschiedenen Wasserstoffbrücken-­
Einbau radioaktiv markierter Nucleotide während der Bindungen aufgehoben werden. Alle RNA-Moleküle
PCR detektiert werden können. Zwei Individuen mit laufen wie DNA abhängig von ihrem Molekulargewicht.
unterschiedlichen genomischen Sequenzen werden bei Die Elektrophorese von RNA hat die Zentrifuga-
dieser PCR-Methode ein unterschiedliches Spektrum tionsmethoden zur Größenuntersuchung von RNA-­
der über willkürlich ausgewählte Primer synthetisier- Molekülen verdrängt. Die Trennnungskapazität ist
ten PCR-Fragmente aufweisen. Auch dieses Verfahren analog, Gelelektrophoresen sind jedoch wesentlich ein-
ist auf die basengenaue Auftrennung der DNA-Mole- facher durchzuführen.
küle durch denaturierende Polyacrylamidgele angewie- Für die Auftrennung komplexer RNA-Gemische,
sen. Die Methode des DNA-­fingerprinting unterscheidet die zum Beispiel anschließend geblottet werden sollen
sich in Methodik und Aussagemöglichkeit sehr vom (Northern-Blotting, 7 Abschn.  31.1.3.2), verwendet

RNA-fingerprinting. man in der Regel Agarosegele (1–1,5 % Agarose). Klei-


nere RNA-Moleküle werden – analog zu einzelsträngi-
Weitere Anwendungsgebiete gen Oligonucleotiden – am besten auf denaturierenden
Denaturierende Polyacrylamidgele werden auch bei der Polyacrylamidgelen aufgetrennt. (Für eine „schnelle,
Aufreinigung synthetischer Oligonucleotide oder ein- ungenaue“ Analyse kann man die RNA auch auf nicht
zelsträngiger RNA verwendet. Dabei können n Basen denaturierenden TBE-Agarosegelen auftrennen.)
enthaltende Oligonucleotide (n-mere) von (n–1)-meren Als Denaturierungsmittel werden häufig Dimethyl-
abgetrennt werden, und man erhält eine einheitliche sulfoxid/Glyoxal oder Formaldehyd verwendet. Für die
Population von Nucleinsäuren. PAGE wird hauptsächlich Harnstoff verwendet.
Alternativ zur Ethidiumbromidfärbung können große
Mengen der Oligonucleotide in Polyacrylamidgelen Da RNA wesentlich empfindlicher gegenüber Nucle-
durch Fluoreszenzauslöschung detektiert werden. Hierzu asen und Hydrolyse durch Säuren oder Basen ist,
wird das Gel auf einer Dünnschichtchromatographie-­ müssen die experimentellen Bedingungen gegenüber
Platte mit langwelligem UV-Licht bestrahlt. Die der DNA-Elektrophorese abgeändert werden. Die
Dünnschichtchromatographie-­Platte fluoresziert bei An- gleichen Vorsichtsmaßnahmen, die bei der Isolierung
regung durch die UV-­Strahlung. An Stellen, an denen von RNA getroffen werden, sollten auch bei der
sich Oligonucleotide befinden, erreicht das UV-Licht die Elektrophorese von RNA angewendet werden. So
Platte nicht, sodass die Oligonucleotide als dunkle Bande empfiehlt es sich, die Gelelektrophoresekammer
zu erkennen sind. Sollen die Oligonucleotide anschlie- gründlich zu säubern und nur RNase-freies Wasser
ßend aus dem Gel isoliert werden, so ist darauf zu ach- zu verwenden.
ten, dass die Bestrahlung mit UV-Licht so kurz wie mög-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
779 31
Formaldehydgele  Die denaturierende Wirkung von wird dabei in 1 M Glyoxal in Gegenwart von Natrium-
Formaldehyd beruht darauf, dass die Aldehydgruppe mit phosphat und Dimethylsulfoxid (DMSO) auf etwa 50 °C
den Aminogruppen von Adenin, Guanin und Cytosin erhitzt. Natriumphosphat dient als Pufferkomponente,
Schiffsche Basen bildet. Die Aminogruppen dieser Basen und DMSO bricht die inter- und intramolekularen Was-
stehen dann nicht mehr zur Ausbildung von serstoffbrücken auf, sodass das Glyoxal an den Guanin-
Wasserstoffbrücken-­ Bindungen zur Verfügung, sodass resten angreifen kann. Glyoxal wird leicht zu Glyoxal-
die Ausbildung von Sekundärstrukturen und Aggregaten säure oxidiert, die die RNA hydrolysieren kann, sodass
verhindert wird. Das Agarosegel enthält 1,1 % Formalde- dieses Oxidationsprodukt vor der Verwendung des Glyo-
hyd. Für längere Elektrophoresen (über Nacht) muss xals entfernt werden muss. Dies erreicht man durch Reini-
mehr Formaldehyd eingesetzt werden. Formaldehyd ist gung mit Ionenaustauscherharzen. Die ionische Glyoxal-
toxisch, es empfiehlt sich daher, die Gele in einem Abzug säure lässt sich so vom nicht ionischen Glyoxal leicht
zu verwenden. abtrennen. Der Laufpuffer ist in der Regel 10 mM Natri-
umphosphat bei neutralem pH. Manchmal wird der noch
Schiffsche Base flüssigen Agarose festes Natriumiodacetat als RNase-In-
Entsteht bei der Reaktion von primären Aminen mit hibitor zugesetzt.
Aldehyden unter Wasserabspaltung. Es entsteht eine Da Glyoxal auch mit dem interkalierenden Ethidi-
so genannte Imin-Bindung. umbromid reagiert, wird die RNA-Gelelektrophorese in
Abwesenheit von Ethidiumbromid durchgeführt.
Um die Ausbildung eines pH-Gradienten zu ver-
meiden, sollte der Puffer während der Elektrophorese
Da Formaldehyd auch mit den Aminogruppen von Tris entweder ausgetauscht werden, oder man verwendet
(Tris(hydroxymethyl)-aminomethan) reagiert, muss für eine Umwälzpumpe, die den Puffer zwischen Anode
Formaldehydgele ein anderer Laufpuffer verwendet und Kathode zirkulieren lässt. Steigt der pH-Wert des
werden. Als Laufpuffer wird ein Gemisch aus 3-­Morph Puffers auf Werte über 8,0, so dissoziert Glyoxal von
olino-­1-propansulfonsäure (MOPS) und Natriumacetat der RNA.
verwendet. Die RNA wird vor dem Auftrag in Gegen-
wart von MOPS (als Puffer), Formaldehyd und Form-
amid denaturiert. Das Formamid zerstört die Basen- RNA-Längenstandards  Cytoplasmatische RNA eukaryo-
paarung der RNA und ermöglicht so eine Reaktion der tischer Zellen besteht zu ungefähr 95 % aus ribosomaler
Basen mit Formaldehyd. RNA, die sich aus 28S-, 18S- und 5S-RNA zusammen-
setzt. Bei guten RNA-Präparationen laufen die 28S- und
18S-RNA-­Moleküle in zwei scharfen, definierten Banden
Formamid kann mit Ionen wie Ammoniumformiat
(. Abb. 31.6), die bereits als interne Marker dienen kön-

verunreinigt sein. Diese können die RNA hydrolysie-


nen. Die genaue Größe der ribosomalen Banden hängt
ren. In der Praxis wird Formamid kurz vor der Ver-
vom Ursprung der RNA ab. Für die menschliche rRNA
wendung mit einem Ionenaustauscherharz behandelt,
wurden Werte von 5,1 kb für die 28S- und 1,9 kb für die
sodass die schädlichen ionischen Komponenten abge-
18S-rRNA ermittelt. Neben diesen internen Standards
trennt werden. Da MOPS eine hohe Pufferkapazität
gibt es RNA-Marker käuflich zu erwerben. Man kann
besitzt, ist es nicht nötig, den Puffer während der Elek-
RNA-Längenmarker auch durch in-vitro-Transkription
trophorese zu wechseln oder umzupumpen, wie es bei
bekannter DNA-Fragmente herstellen. Käufliche RNA-­
den weiter unten behandelten Glyoxalgelen der Fall ist.
Längenstandards enthalten analog zu den DNA-­
Will man das Gel anschließend blotten, so muss der
Längenstandards RNA-Moleküle definierter Größe.
Formaldehyd entfernt werden, da sonst die Amino-
gruppen der Basen nicht für die Hybridisierung mit der 31.1.1.3  Pulsfeldgelelektrophorese (PFGE)
Sonde zur Verfügung stehen.
Prinzip  Hochmolekulare Nucleinsäuren können durch
konventionelle Gelelektrophorese nicht mehr aufgetrennt
werden. Sie besitzen alle die gleiche, so genannte limitie-
Glyoxalgele  Glyoxalgele erzeugen im Vergleich zu Form- rende Mobilität (limiting mobility). Dieser Effekt kann
aldehydgelen etwas schärfere RNA-Banden, was beson- durch die Reptationstheorie nicht erklärt werden, und
ders für das anschließende Blotting günstig ist. Glyoxal verschiedene Theorien versuchen dieses Verhalten zu ana-
bindet bei neutralem pH-Wert kovalent an Guaninreste lysieren. In einem Modell geht man davon aus, dass sich
und verhindert so eine Basenpaarung der RNA. Im Ge- die DNA-Moleküle bei hohen Feldstärken, wie sie zur
gensatz zu den Formaldehydgelen wird dem Agarosegel Auftrennung hochmolekularer DNA verwendet werden
oder Laufpuffer kein Glyoxal zugesetzt. Die Denaturie- müssen, als „starre Stäbe“ verhalten und so kein Auftren-
rung der RNA findet vor dem Auftrag statt. Die RNA nungseffekt aufgrund der Größe erfolgt. Ein weiteres Mo-
780 T. Pöhlmann und M. Jurk

– +

28 S

18 S
+ –

..      Abb. 31.7  Prinzip der Feldinversionsgelelektrophorese (FIGE).


Es werden abwechselnd zwei um 180° verschiedene elektrische Felder
angelegt. Die Wanderrichtung zur Anode kann durch einen längeren
oder stärkeren Puls in dieser Richtung festgelegt werden
..      Abb. 31.6  Laufverhalten von cytoplasmatischer RNA. Bei einer
31 guten RNA-Präparation sind die 28S- und 18S-Banden der riboso-
malen RNA deutlich zu erkennen und dürften kaum degradiert sein.
ruht also letztendlich auf der unterschiedlichen Zeit, die
diese Moleküle brauchen, um sich entlang der angeleg-
Diese Banden können als interne Größenmarker dienen. (Fotografie ten elektrischen Felder auszurichten.
von Dr. Marion Jurk.)
Unter dem Begriff Pulsfeldgelelektrophorese werden
heute verschiedene Techniken zusammengefasst, die
dell beruht auf der Annahme, dass die Bewegung hoch- sich vor allem in Richtung und Sequenz der einzelnen
molekularer DNA der Bewegung der Nucleinsäuren in Pulse unterscheiden:
freier Lösung ähnelt und so für alle Molekülgrößen un- Bei der Feldinversionsgelelektrophorese (FIGE) wer-
gefähr gleich ist. Auch die bevorzugte Ausbildung von so den zwei elektrische Felder angelegt, die sich in ihrer
genannten loop-Strukturen, die eine erhöhte Mobilität im Orientierung um 180° unterscheiden. Die Wanderung
Gel ermöglichen, könnte das Auftreten der limiting mobi- der Nucleinsäuren in eine einheitliche Richtung (zur
lity erklären. Anode) wird nur durch eine höhere Stärke des elektri-
Bei der Pulsfeldgelelektrophorese (PFGE) wird nicht schen Feldes in der Vorwärtsrichtung oder durch einen
ein konstantes elektrisches Feld angelegt, sondern die längeren Puls dieses Feldes gewährleistet (. Abb. 31.7).

Richtung der elektrischen Felder wechselt („pulsiert“) Die FIGE ist apparativ am einfachsten durchzuführen,
in verschiedenen Richtungen. Diese Methode bedient hat aber den Nachteil einer sehr langen Laufzeit, da
sich bei der Auftrennung hochmolekularer DNA eines die Moleküle einen Großteil der Zeit rückwärts laufen.
weiteren Effekts: DNA-Moleküle liegen in freier Lö- Ein weiteres Problem der FIGE ist der teilweise auftre-
sung, also ohne elektrisches Feld, in einer relaxierten, tende Effekt der Inversion der Banden, das heißt größere
globulären Form vor. Durch Anlegen eines elektrischen DNA-Moleküle können schneller wandern als kleinere.
Feldes werden die Moleküle entlang des Feldes ausge- Dieser Effekt kann ebenfalls mithilfe der oben angespro-
richtet und in die Richtung der Anode gezogen (Reptati- chenen Theorie erklärt werden: Größere Moleküle, die
onstheorie, s. oben). Wird das elektrische Feld entfernt, in der Lage sind, lange Loops auszubilden, können bei
so geht das Molekül wieder in den relaxierten Zustand Feldinversion nicht so einfach an den Agarosefasem fest-
über. Legt man nun erneut ein elektrisches Feld an, das gehalten, während kleinere Moleküle, die nicht so große
eine andere Richtung hat, so wird sich das Molekül ent- Loops ausbilden können, leichter von den Agarosefasem
lang dieses Feldes ausrichten. Wechselt die Richtung des eingefangen werden. Dieser Effekt erschwert teilweise die
elektrischen Feldes anschließend wieder, so muss das Größenbestimmung der DNA, lässt sich aber durch die
Molekül zunächst relaxieren und sich anschließend in Wahl geeigneter Pulssequenzen (ansteigende Pulslängen,
Richtung des neuen Feldes ausrichten. Relaxation und ramping) vermeiden. Im Gegensatz zu anderen Pulsfeld-
erneute Orientierung sind dabei abhängig von der Mo- methoden bietet die FIGE die Möglichkeit, DNA-Mole-
lekülgröße. Größere Moleküle benötigen proportional küle über einen sehr weiten Größenbereich aufzutrennen
mehr Zeit zur Relaxation und Reorientierung als klei- oder aber eine sehr hohe Auflösung eines relativ begrenz-
nere. Die Zeit, die ihnen zur Wanderung im Feld zur ten Größenbereichs zu erzielen.
Verfügung steht, ist dementsprechend geringer als die Bei der so genannten CHEF-Methode (contour-­
für kleinere Moleküle, die sich schneller reorientieren clamped homogenous electric field) sind die Elektroden
und somit eine weitere Strecke in Richtung des elekt- hexagonal um das Gel angeordnet. Das elektrische Feld
rischen Feldes zurücklegen können. Die Bewegungs- wird durch ein Kontrollgerät zwischen einander gegen-
richtung der DNA-Moleküle ergibt sich dabei aus der überliegenden Elektroden angelegt (. Abb.  31.8). Die

Summe der Feldvektoren der angelegten elektrischen Richtungen der elektrischen Feldvektoren sind jeweils
Felder. Die Auftrennung hochmolekularer DNA be- um +60° bzw −60° gegenüber der Richtung der vertika-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
781 31
+ 60° – 60°
+ + + + + + + +
– + + –
– + + –
– + + –
– + + –

+ + + +
+ + + +
+ + + +
+ + + +
+ + + + + + + +
+ 60°

effektive
Wanderungsrichtung

– 60°

..      Abb. 31.8  Prinzip der contour-clamped-homogenous-electric-field-­Elektrophorese (CHEF). Hier werden Pulse in verschiedenen Richtungen
angelegt. Die Wanderung der DNA ergibt sich aus der Summe aller angelegten Feldvektoren und ist, wie hier gezeigt, ein Zickzack-Kurs

len Achse des Gels verschoben. Es resultiert also eine Art aufgrund des erhöhten Stromflusses zu erwarten ist,
Zickzack-Kurs der Nucleinsäuren. Die Winkel der elek- verwendet man häufig eine 1:1-Verdünnung des Stan-
trischen Feldvektoren sowie Zeitdauer und Stärke der dard-1 × TBE-­Puffers (0,5 × TBE). In vielen Fällen wird
Felder lassen sich variieren. Mithilfe der CHEF-Technik dem TBE-­Puffer Glycin zugesetzt, da Glycin die Mobi-
können Moleküle bis zu 2000 kb aufgetrennt werden. lität der DNA erhöht, ohne den Stromfluss wesentlich
Eine verbesserte Version der CHEF-Methode steckt zu steigern. Um Temperatur- und pH-Wert-Differenzen
hinter der so genannten PACE (programmable auto- innerhalb des Gels zu verhindern, muss der Puffer wäh-
nomously controlled electrode). Die 24 Elektroden, die rend der Elektrophorese umgepumpt werden. PFGE
analog zu denen der CHEF-Geräte angeordnet sind, wird bei konstanten Temperaturen zwischen 10 °C und
können praktisch jede gewünschte Pulssequenz ausfüh- 30 °C durchgeführt. Die Auftrennung sehr großer Chro-
ren. Mit PACE-Geräten lassen sich auch FIGE- oder mosomen wird durch erhöhte Temperaturen verbessert.
CHEF-­ Elektrophoresen durchführen. Verbesserungen Die Elektrophorese erfolgt in der Regel ohne Zusatz
in den Pulssequenzen führen zu optimaler Auflösung von Ethidiumbromid. Bei Auftrennung von Molekülen
und verbesserten Laufeigenschaften des Gels. kleiner 100 kb führt die Anwesenheit von Ethidiumbro-
mid zu einer Erhöhung der Auflösung, da der Farbstoff
Praktische Durchführung die Reorientierung der Moleküle beeinflussen kann.
Für die Auftrennung hochmolekularer DNA ist die Inte-
grität der Nucleinsäuren eine entscheidende Vorausset-
Länge und Art der Pulssequenzen für die verschieden
zung. Um eine partielle Zerstörung der DNA zu vermei-
Typen der PFGE sind sehr variabel und müssen indivi-
den, wird das Material vor dem Aufschluss (der Lyse der
duell optimiert werden. Maximale und minimale
Zellen mittels Detergens und Protease K) oder der enzy-
Trennbereiche sowie die ungefähre Wandergeschwin-
matischen Behandlung (Restriktionsspaltung) in Agaro-
digkeit bestimmter Molekülgrößen lassen sich durch
seblöckchen eingeschmolzen. Die Isolierung der hoch-
empirisch aufgestellte Gleichungen berechnen, die hier
molekularen genomischen DNA erfolgt in der Agarose
aber nicht aufgeführt werden sollen. Pulsdauern kön-
durch Inkubation des Agarosestückchens in den ent-
nen von 5 s bis 1000 s variieren, die Feldstärke beträgt
sprechenden Puffern. Somit ist gewährleistet, dass die
normalerweise zwischen 2 und 10  V  cm−1. Die Lauf-
DNA keinen externen Beschädigungen ausgesetzt wird.
zeiten liegen zwischen zehn Stunden und mehreren
Die Agaroseblöckchen werden in die ­Auftragstaschen
Tagen.
des Gels eingebracht. Für die PFGE werden konventio-
nelle Agarosegele (meist 1 %ig) gegossen.
Für ein homogenes Laufverhalten ist eine gleich- Als Längenmarker werden hochmolekulare Nucle-
mäßige Temperatur des Elektrophoreseansatzes ent- insäuren verwendet, zum Beispiel die genomische DNA
scheidend. Da PFGE mit höheren Spannungen durch- der Bakteriophagen T7 (40  kb), T2 (166  kb) oder G
geführt wird und ein entsprechender Temperaturanstieg (756  kb). Durch Ligation von Bakteriophage-λ-DNA
782 T. Pöhlmann und M. Jurk

erhält man verschiedene aufligierte Konkatamere, deren


Größe jeweils Vielfache des λ-Genoms beträgt und die
somit einen idealen Größenmarker für die Auftrennung
hochmolekularer DNA darstellen (. Abb. 31.9). Auch

die intakten Hefechromosomen, deren Größe bereits


gut charakterisiert ist und die sich relativ einfach aus
Hefezellen präparieren lassen, werden als Größenmar-
ker verwendet.

Anwendungen  Eine weit verbreitete Anwendung der


PFGE ist die Identifizierung beziehungsweise die Zuord-
nung bestimmter Gene zu bestimmten Chromosomen.
Die PFGE dient zur Kartierung von Cosmiden, den so
genannten BACs (bacterial artificial chromosomes) und
YACs (yeast artificial chromosomes). Trotz des stark opti-
31 mieren Auflösungsvermögens hochmolekularer DNA
durch PFGE (bis zu 5 Mb) lassen sich nicht einmal die
kleinsten menschlichen Chromosomen (>50 Mb) auftren-
nen. Die erstmals durch PFGE möglich gewordene Kar-
tierung großer Bereiche des Genoms durch Restriktions-
enzyme liefert aber wertvolle Hinweise auf die ..      Abb. 31.9  Verwendete Längenmarker für PFGE-Gele. Die
Genomstruktur. Hierzu werden Restriktionsenzyme ver- λ-DNA-­Leiter lässt sich durch Ligation der λ-Phagen-DNA herstel-
wendet, die nur sehr selten innerhalb des Genoms spalten len. (Mit freundlicher Genehmigung von Bio-Rad, München.)
(rare cutters, z.  B. NotI, NruI, MluI, SfiI. Xhol, SalI,
SmaI; 7 Abschn.  31.1.4). Die PFGE-Gele werden ge-
  In der Praxis wird das Nucleinsäuregemisch zu-
blottet und anschließend mit bestimmten Sonden hybridi- nächst durch eine „normale“ Gelelektrophorese auf-
siert. getrennt, zum Beispiel nach Größe (erste Dimension).
Diese so genannten physikalischen Karten des Die Gelspur, die die aufgetrennten Nucleinsäuren ent-
menschlichen Genoms sind unbedingt notwendig zur hält, wird ausgeschnitten und in ein zweites Gel einge-
Identifizierung der Gene, die für bestimmte Erbkrank- bracht, in dem die Nucleinsäuren dann unter anderen
heiten verantwortlich sind. Die Gene beziehungs- experimentellen Bedingungen erneut aufgetrennt wer-
weise die Gendefekte, die an Cystischer Fibrose oder den (zweite Dimension; . Abb.  31.10). In der Regel

Duchenne-­ Muskeldystrophie beteiligt sind, konnten wird dabei das elektrische Feld der zweiten Dimension
mithilfe dieser Restriktionskartierungen gefunden senkrecht zu dem der ersten Dimension angelegt. Durch
werden. Ebenso lassen sich Chromosomendeletionen unterschiedliche Elektrophoresebedingungen in der
und -translokationen sowie deren Bruchstellen identi- ersten und zweiten Dimension gelingt es, Nucleinsäu-
fizieren, die bei der Aufklärung genetisch bedingter De- ren aufgrund ihres unterschiedlichen Laufverhaltens in
fekte oder der Entstehung bestimmter Krebsarten eben- beiden Dimensionen zu separieren. Zweidimensionale
falls eine Rolle spielen. Gelelektrophorese wird zur Auftrennung und Analyse
von RNA- und DNA-Molekülen gleichermaßen ange-
Zweidimensionale Gelelektrophorese wendet.
Die zweidimensionale Gelelektrophorese von Nucle-
insäuren wird hauptsächlich dann angewendet, wenn Zweidimensionale Gelelektrophorese von RNA  Bei
die durch eindimensionale Gelelektrophorese gewon- der Elektrophorese von RNA können sich Harn-
nenen Informationen für eine gewünschte Aussage stoffkonzentration, Polyacrylamidkonzentration
nicht ausreichen oder nicht eindeutig sind. Das hohe und pH-­ Wert beider Dimensionen unterscheiden
Auflösungsvermögen von zweidimensionalen Gelen (. Tab.  31.6). Durch Elektrophorese in Gegenwart

wird durch zweimalige Elektrophorese der Nuclein- beziehungsweise Abwesenheit von Harnstoff (Harn-
säuren unter völlig unterschiedlichen Bedingungen stoff-Shift) werden die RNA-Moleküle zunächst
erzielt. Damit lassen sich komplexe Nucleinsäuregemi- nach ihrer Größe und anschließend nach ihrer Kon-
sche auftrennen, deren Komponenten sich durch ein- formation aufgetrennt.
dimensionale Gelelektrophorese allein nur ungenügend Eine Veränderung der Polyacrylamidkonzentration
unterscheiden lassen. bewirkt, dass RNA-Moleküle nach ihrer unterschied-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
783 31
1.Dimension 2.Dimension

..      Abb. 31.10  Prinzip und praktische Durchführung der zweidi- zweites Gel eingebracht. Die Elektrophorese in der zweiten Dimen-
mensionalen Gelelektrophorese. Die zu analysierende Gelspur wird sion erfolgt in der Regel senkrecht zur Elektrophorese in der ersten
nach der Elektrophorese in der ersten Dimension isoliert und in ein Dimension

lichen Wechselwirkung mit der Gelmatrix aufgetrennt Replikationsursprung


werden. Moleküle mit unterschiedlicher Konformation Bereich innerhalb eines Genoms, an dem die DNA-Ver-
können bei einer bestimmten Polyacrylamidkonzen- dopplung zu Beginn der Zellteilung (S-Phase) startet.
tration ein identisches Laufverhalten zeigen, werden Bestimmte Initiationsproteine binden an diesen Bereich
jedoch durch die veränderte Porengröße in der Ge- und schmelzen die doppelsträngige DNA auf, sodass
lelektrophorese der zweiten Dimension aufgetrennt. die Replikation der DNA beginnen kann. Je nach Art
Die dritte Methode beinhaltet sowohl einen Wechsel des Organismus enthält das Genom einen oder mehrere
in der Harnstoffkonzentration, dem pH-Wert als auch Replikationsursprünge (origins of replication, ori). Die
in der Polyacrylamidkonzentration. Die Nettoladung Replikationsursprünge sind sehr spezifisch, das heißt
von RNA-Molekülen wird bei niedrigem pH-Wert prokaryotische Replikationsursprünge werden in euka-
beeinflusst, das heißt nicht alle Nucleinsäurebasen ryotischen Zellen nicht repliziert und umgekehrt.
liegen negativ geladen vor. Bestimmte Basen werden
durch Säuren leicht protoniert, sodass die Ladung des
RNA-Moleküls primär von der Basenzusammenset- Eine wichtige Anwendung ist die Kartierung von Repli-
zung abhängt, weniger von der Lange des Moleküls. kationsursprüngen im Genom höherer Organismen. Hier
In der zweiten Dimension erfolgt die Gelelektropho- erfolgt die Auftrennung der DNA-Fragmente aufgrund
rese unter Bedingungen, bei denen die RNA-Moleküle ihrer unterschiedlichen Konformationen. Die Replika-
hauptsächlich nach ihrer Länge getrennt werden. tion beginnt mit dem Aufschmelzen der DNA.  Dabei
entstehen so genannte Replikationsblasen, die sich in
Zweidimensionale Gelelektrophorese von DNA  Die zwei- ihrer Konformation deutlich von nicht replizierender,
dimensionale Gelelektrophorese von DNA-­ Molekülen doppelsträngiger DNA unterscheiden. Die genomische
wird häufig zur Analyse und Kartierung genomischer DNA wird mit einem bestimmten Restriktionsenzym ge-
Sequenzen angewendet. Die genomische DNA kann da- spalten und in der ersten Dimension lediglich hinsichtlich
bei mit zwei verschiedenen Restriktionsenzymen gespal- ihrer Größe aufgetrennt (geringere Agarosekonzentra-
ten werden, und die Fragmente können isoliert aufge- tion, niedrige Spannung). Die Elektrophoresebedingun-
trennt werden. Zuerst wird die DNA mit einem gen der zweiten Dimension (höhere Agarosekonzentra-
Restriktionsenzym gespalten und anschließend elektrop- tion, höhere Spannung, verschiedene Temperaturen oder
horetisiert. Die so aufgetrennte DNA wird im Gelstrei- Ethidiumbromidkonzentrationen) unterscheiden sich
fen einer zweiten Restriktionsspaltung unterworfen und dahingehend, dass nun die Fragmente bevorzugt auf-
in der zweiten Dimension aufgetrennt. Dabei laufen alle grund ihrer Konformation aufgetrennt werden. Dadurch
Fragmente, die von dem zweiten Restriktionsenzym entsteht ein komplexes Wandermuster der Replikations-
nicht gespalten werden, auf der Diagonalen des Gels. blasen (. Abb. 31.11). Durch Hybridisierung mit spezi-

Fragmente, die interne Schnittstellen des zweiten Rest- fischen Sonden wird nur der zu untersuchende Bereich,
riktionsenzyms besitzen, werden gespalten. Ihr Laufver- der den Replikationsursprung enthält, sichtbar gemacht.
halten ändert sich, und sie können außerhalb der Diago- Diese Methode wird zunehmend durch die Anwendung
nalen detektiert werden. von Microarrays verdrängt.
784 T. Pöhlmann und M. Jurk

..      Tab. 31.6  Experimentelle Bedingungen für die zweidimensionale Gelelektrophorese von RNA-Molekülen

1. Dimension 2. Dimension
% PAA pH Harnstoff % PAA pH Harnstoff

Harnstoff-Shift X % neutral 5–8 M X % neutral 0 M


X % neutral 0 M X % neutral 5–8 M
Konzentrations-Shift X % neutral 0 M 2X % neutral 0 M
X % neutral 4 M 2X % neutral 4 M
pH/Harnstoff/Konzentration X % sauer 6 M 2X % neutral 0 M

X ist eine bestimmte PAA-Konzentration


Der pH-Bereich der neutralen Elektrophorese reicht von pH 4,5 bis pH 8,5. Die saure Elektrophorese erfolgt bei pH-­Werten unter 4,5.
In der Regel werden neutrale Gele bei einem pH-Wert von 8,3, saure Gele bei einem pH-Wert von 3,3 durchgeführt. Typische Polyacry-
lamidkonzentrationen liegen bei 10–15 % (PAA = Polyacrylamid)
31

Ein weiteres Beispiel für die zweidimensionale Gele- ihrer „wahren“ Größe laufen, sollten dabei in beiden
lektrophorese von DNA ist die Identifizierung und Zu- Dimensionen die gleiche Mobilität zeigen und auf der
ordnung verschiedener, unterscheidbarer Topoisomere Diagonalen laufen. Fragmente, die unter einer der bei-
superhelikaler DNA.  Die Gelelektrophorese wird in der den Gelelektrophoresebedingungen ein verändertes
ersten Dimension ohne interkalierenden Farbstoff durch- Laufverhalten zeigen, weichen von der Diagonalen ab.
geführt. Die verschiedenen Topoisomerformen der DNA
laufen dabei als diskrete Banden, wobei sich Topoisomere Temperaturgradientengele  Als entfernte Variante der
mit verschiedenen Verflechtungszahlen (linking numbers) zweidimensionalen Gelelektrophorese kann man die
unterscheiden lassen. Ununterscheidbar sind Topoisomere Temperaturgradienten-­Gelelektrophorese (TGGE, tem-
mit positiver oder negativer Superhelicität. Die Gelelek- perature gradient gel electrophoresis) bezeichnen. Hier
trophorese in der zweiten Dimension wird in Gegenwart werden die Parameter analog zur zweidimensionalen Ge-
einer interkalierenden Verbindung (Ethidiumbromid) lelektrophorese in zwei zueinander senkrecht stehenden
durchgeführt. Topoisomere mit einer geringen negativen Richtungen verändert. Allerdings erfolgt die Elektropho-
Superhelicität werden durch die Einlagerung von Ethi- rese nur in einer Richtung, die andere Dimension stellt ein
diumbromid in Konformationen mit positiver Verwin- Temperaturgradient dar, der an dem Gel angelegt wird
dungszahl überführt. Diese Konformationen laufen in der (. Abb. 31.13). Die zu analysierende DNA wird über die

zweiten Dimension aufgrund ihres geringeren Umfangs gesamte Breite des Gels aufgetragen und in derselben
schneller. Topoisomere mit einer ursprünglich stark ne- Richtung  – allerdings bei steigender Temperatur  – elek-
gativen Verwindungszahl werden zunächst partiell auf- trophoretisiert. Bei steigender Temperatur findet eine zu-
gewunden und laufen in der zweiten Dimension deutlich nehmende Denaturierung der DNA statt. Das Schmelzen
langsamer als in der ersten Dimension (. Abb. 31.12).

der DNA ist ein kooperativer Prozess und mit einer dras-
tischen Reduktion der elektrophoretischen Mobilität ver-
Topoisomere bunden. Der Vorgang ist stark von der Sequenz der unter-
Formen von DNA-Molekülen mit gleicher Länge und suchten Fragmente abhängig, da Regionen, die viele
Sequenz, die sich lediglich in der Anzahl der Verflech- A/T-­Basenpaare enthalten, leichter aufschmelzen. Tem-
tungen (linking number) unterscheiden. peraturgradienten werden zum Beispiel bei Mutations-
analysen oder zur Bestimmung der Genauigkeit der bei
der PCR verwendeten Polymerasen eingesetzt, da durch
Auch die bereits in 7 Abschn. 31.1.1.1 erwähnte Krüm-
  Punktmutationen ebenfalls charakteristische Änderun-
mung der DNA lässt sich durch zweidimensionale Ge- gen in der Schmelzkurve auftreten.
lelektrophorese erkennen. Die beiden Dimensionen Ein ähnliches Prinzip unterliegt der DGGE (denaturing
können sich hier in Temperatur oder Polyacrylamid- gradient gel electrophoresis). Hier wird ein chemischer Gra-
konzentration unterscheiden. Fragmente, die aufgrund dient (ansteigende Konzentration von denaturierenden Re-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
785 31
1.Dimension

2.Dimension

5 kb

nicht replizierte
DNA
3 kb

Replikationsgabeln Replikationsblasen Replikationsgabeln Übergang


(einfach) (zweifach) Blasen→ Gabeln

..      Abb. 31.11  Identifizierung und Analyse von eukaryotischen Re- onsenzym geschnitten und zweidimensional aufgetrennt. Der zu
plikationsursprüngen mithilfe der zweidimensionalen Gelelektrop- untersuchende Replikationsursprung wird durch Hybridisierung des
horese. Die genomische DNA wird mit einem bestimmten Restrikti- geblotteten Gels mit einer spezifischen Sonde sichtbar gemacht

offen 31.1.2 Färbe- und Markierungsmethoden


0
1.Dimension (ohne Ethidiumbromid)

+1
Um Nucleinsäuren zu detektieren ist die alleinige Mes-
–1 +2 sung der UV-Absorption bei 260  nm oftmals nicht
–2 ausreichend  – gerade bei extrem sensitiven Methoden
mit minimalen Mengen nachzuweisender DNA oder
–3 RNA.  Daher werden Nucleinsäuren zur Analyse oft
–4
angefärbt. Neben der Verwendung einfacher Farbstoffe
haben sich vor Allem Fluoreszenzfarbstoffe durch die
–5
hohe Sensitivität der Signale und die Möglichkeit des
–6
–7 Multiplexings (Anfärbung mehrerer Sequenzen mit un-
–8
–9 terschiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen und gleichzeitige
Analyse) durchgesetzt. Auf einige traditionelle Färbe-
methoden wird im Folgenden eingegangen.
2.Dimension (mit Ethidiumbromid) Silberfärbung: Eine im Laboralltag aufgrund des ho-
hen zeitlichen und technischen Aufwandes weniger häufig
..      Abb. 31.12  Identifizierung verschiedener Topoisomere superhe- angewendete Methode zum Nachweis von Nucleinsäuren
likaler DNA durch zweidimensionale Gelelektrophorese. Die eindi- ist die Silberfärbung. Der Vorteil dieser Methode ist, wie
mensionale Gelelektrophorese kann einige Topoisomere nicht unter- bei der Silberfärbung von Proteinen, ihre S
­ ensitivität. Ge-
scheiden. Durch Einlagerung von Ethidiumbromid in der zweiten ringste Mengen der Nucleinsäuren (bis zu 0,03 ng/mm2)
Dimension können diese Topoisomere aufgetrennt werden. Topoiso-
mere mit einer großen negativen Verflechtungszahl werden partiell
können so sichtbar gemacht werden. Ein weiterer Vorteil
aufgewunden und laufen langsamer als Topoisomere mit anfangs ist, dass keine mutagenen oder radioaktiven Reagenzien
geringerer negativer Verwindungszahl, da diese durch die Aufnahme zur Detektion eingesetzt werden. Die Methode beruht
von Ethidiumbromid in Konformationen mit positiver superhelika- auf der Veränderung des Redoxpotenzials durch die An-
ler Dichte überführt werden und eine erhöhte Mobilität besitzen wesenheit von Nucleinsäuren (bzw. Proteinen). Dadurch
wird die Reduktion von Silbernitrat zu elementarem Sil-
agenzien in entgegengesetzter Richtung zum elektrischen ber katalysiert. Elementares Silber scheidet sich an den
Feld) erzeugt, in dem die doppelsträngigen Fragmente Nucleinsäuren ab, wenn das Redoxpotenzial in diesem
aufgrund ihres unterschiedlichen Schmelzverhaltens auf- Bereich höher ist als in der umgebenden Lösung. Diese
getrennt werden. Beide Methoden finden Anwendung in Bedingungen können durch die Wahl geeigneter Lösun-
der Heteroduplexanalyse sowie bei der Untersuchung von gen hergestellt werden. Dabei sind vor Allem die Purine
Gemischen von Mikroorganismen in der Umweltanalytik. der Nucleinsäuren für diese Reaktion verantwortlich.
786 T. Pöhlmann und M. Jurk

– qPCR Geräten) und erlaubt so die exakte Mengenbe-­


stimmung von Nucleinsäuren. Die genauen Werte erhält
man durch den Vergleich mit einer Färbung von Nucle-
insäuren bekannter Konzentration. Neu entwickelte Va-
rianten dieser Farbstoffklasse zeigen eine deutlich ver-
besserte Färbung von einzelsträngiger DNA oder RNA
(z. B. SYBR®Green-II, OliGreen). Die Farbstoffe lagern
sich zwar nicht spezifisch an einzelsträngige Nucleinsäu-
+
ren an, jedoch ist die Fluoreszenzquantenausbeute bei
Anlagerung an einzelsträngige RNA wesentlich stärker,
T
sodass eine verstärkte Färbung von einzelsträngigen Nu-
..      Abb. 31.13  Prinzip der Temperaturgradientengele (TGGE). Die cleinsäuren erreicht wird. Andere Fluoreszenzfarbstoffe
DNA wird über die gesamte Gelbreite aufgetragen und ein Tempera- wie TOTO-1 und YOY0-­1 binden mit sehr viel höherer
turgradient von links nach rechts angelegt, während die Richtung des Affinität an die DNA als Ethidiumbromid. Dies kann
elektrischen Feldes senkrecht dazu verläuft für bestimmte Anwendungen aufgrund der erhöhten
31 Sensitivität vorteilhaft sein. Weitere Farbstoffe (z.  B.
Fluoreszenzfarbstoffe: Ethidiumbromid (3.8-Diami- TOTO-3, YOYO-3 oder JOJO-1) lassen sich jedoch
no-5-ethy1-6-phenylphenan-thridiniumbromid) ist ein nicht mehr mittels UV anregen, sondern besitzen ihr
organischer Farbstoff, dessen Struktur in Abbildung Absorptionsmaximum bei höheren Wellenlängen, so-
. Abb.  31.14 gezeigt ist. Aufgrund seiner planaren
  dass die Fluoreszenz-­Anregung durch Laser (LIF, laser
Struktur kann Ethidiumbromid in die DNA interka- induced fluorescence) erforderlich ist.
lieren. Dabei interagieren seine aromatischen Ringe mit Färbung spezifischer Sequenzen: Durch die
den heteroaromatischen Ringen der Basen der Nucle- Kopplung von Fluoreszenzfarbstoffen an konkrete
insäuren (. Abb.  31.14). Einzelsträngige DNA oder
  Oligonucleotid-­Sequenzen ist es außerdem möglich,
RNA interagiert ebenfalls mit Ethidiumbromid, jedoch spezifische DNA- oder RNA-Regionen mittels Sonden
wesentlich schwächer. Der interkalierte Farbstoff kann anzufärben. Diese Methode findet beispielsweise bei der
durch UV-Licht (254–366  nm) angeregt werden und Fluoreszenz in situ Hybridisierung angewandt.
emittiert Licht im orange-roten Bereich (590  nm). Die
Bindung an DNA bewirkt eine Verstärkung der Fluo-
reszenz (erhöhte Quantenausbeute), sodass die Färbung 31.1.3 Blottingverfahren
der Nucleinsäuren auch in Gegenwart des freien Ethi-
diumbromids im Gel gut zu sehen ist. Ethidiumbromid Zur weiteren Untersuchung der durch Gelelektropho-
wird dem Agarosegel und dem Laufpuffer routinemä- rese aufgetrennten Nucleinsäuren transferiert man die
ßig zugesetzt. Dabei erspart man sich die anschließende Nucleinsäuren auf eine feste Membran. Die fixierten
Färbung und kann außerdem die Wanderung der Nu- Nucleinsäuren können dann durch Hybridisierung iden-
cleinsäuren zeitlich verfolgen. Das für die Fluoreszenz tifiziert und weiter analysiert werden. Der Transfer der
verantwortliche Ethidiumkation wandert während der Nucleinsäuren auf diese Membran kann auf verschie-
Elektrophorese zur Kathode. dene Arten erfolgen. Man unterscheidet hauptsächlich
In Agarosegelen lassen sich durch die Färbung mit zwischen Kapillarblotting, Vakuumblotting und Elek-
Ethidiumbromid noch ungefähr 10–20 ng doppelsträn- troblotting. In . Abb. 31.15 ist das jeweilige Prinzip des

gige DNA nachweisen. Die Einlagerung von Ethidi- Verfahrens illustriert.


umbromid reduziert die Mobilität der DNA um etwa Der Kapillarblot kann mit dem geringsten apparati-
fünfzehn Prozent. Aufgrund seiner interkalierenden ven Aufwand durchgeführt werden. Die Nucleinsäuren
Wirkung ist Ethidiumbromid ein starkes Mutagen und werden durch die Kapillarkräfte auf den Filter transfe-
sollte nur mit größter Vorsicht gehandhabt werden. riert, indem der Blot-Puffer durch Auflegen einer dicken
In letzter Zeit wurden viele neue Fluoreszenzfarb- Schicht aus Papiertüchern durch das Gel und die Mem-
stoffe auf der Basis unsymmetrischer Cyanine entwickelt, bran gesaugt wird.
die sensitiver und weniger mutagen als Ethidiumbromid Beim Vakuumblotting werden die Nucleinsäuren
sind. Weit verbreitet ist SYBR®Green. Der Farbstoff durch Anlegen eines Vakuums unterhalb der Membran
wird optimal durch Licht der Wellenlänge 492  nm an- aus dem Gel auf die Membran transferiert. Kapillar- und
geregt, besitzt aber auch sekundäre Absorptionsmaxima Vakuumblotting eignen sich nicht für P ­ olyacrylamidgele,
bei 284 nm und 382 nm. Das Emissionsmaximum liegt da die Nucleinsäuren wegen der geringen Porengröße
bei 519 nm. Dieser Fluoreszenzfarbstoff eignet sich auch der Gele nicht aus dem Gel wandern. Bei Polyacrylamid-
für die Quantifizierung in Fluoreszenzmessgeräten (insb. gelen wird das Elektroblotting eingesetzt. Die Nuclein-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
787 31

..      Abb. 31.14  Strukturformel von Ethidiumbromid. Ethidiumbromid interkaliert bevorzugt in doppelsträngige DNA und wechselwirkt mit
den planaren Heterozyklen der Basen. Später entwickelte Farbstoffe, die die DNA irreversibel färben sind TOTO-I und YOYO-1

säuren wandern dabei durch Anlegen eines elektrischen Nucleinsäuremoleküle nicht kovalent, die genaue Art
Feldes auf die Membran, die auf der Anodenseite an- dieser Bindung ist jedoch nicht aufgeklärt.
gebracht ist. Hier unterscheidet man zwei Versuchsan- Die Vorteile der Nylonmembranen gegenüber der
ordnungen: Beim halbtrockenen Blot werden nur die mit Nitrocellulose sind vielfältig: Am offensichtlichsten ist
der Membran und dem Gel in Kontakt stehenden Filter- dabei ihre hohe Stabilität, sodass die Membranen mehr-
papiere mit Puffer getränkt; Elektroblotting kann aber mals für eine Hybridisierung genutzt werden können.
auch in einem Puffertank durchgeführt werden. Nylonmembranen besitzen zudem eine wesentlich hö-
here Bindungskapazität und durch die kovalente Bin-
31.1.3.1  Wahl der Membranen dung der Nucleinsäuren werden diese auf der Membran
Prinzipiell kann man zum Blotting zwei verschiedene wesentlich fester fixiert. Nitrocellulose wird sehr leicht
Membranarten verwenden: Nitrocellulose und Nylon- brüchig und ist schwieriger zu handhaben.
membranen. Nitrocellulose ist das historisch ältere Ma- Im Folgenden soll nun auf die verschiedenen An-
terial und wird zunehmend von den Nylonmembranen wendungen der Blottingtechnik eingegangen werden.
verdrängt. . Tab. 31.7 gibt eine Übersicht über die ver-

wendeten Membranen und ihre Eigenschaften.


Die Nucleinsäuren gehen mit den chemischen Grup- Nylonmembranen können ein stärkeres Hintergrund-
pen auf der Oberfläche der Nylonmembranen eine ko- signal bewirken, das man aber durch geeignete Blo-
valente Bindung ein. Dadurch werden sie fester an die ckingreagenzien unterdrücken kann. Für das Anlegen
Membran gebunden. Die Filter können mehrmals ver- von Genbibliotheken sowie für die mehrmalige Hybri-
wendet werden. Nylonmembranen können positiv gela- disierung von kostbaren Proben ist die Verwendung
den sein, was eine noch bessere Bindung an die Mem- von Nylonmembranen von entscheidendem Vorteil.
bran bewirkt. An Nitrocellulose dagegen binden die
788 T. Pöhlmann und M. Jurk

Kapillarblot Vakuumblot

Gewicht

Transferlösung
Papiertücher Gel
undurchlässige Schicht
Filterpapier zur Vakuumpumpe
Nylonmembran
Gel durchlässiger Nylonmembran
Träger
Filterpapier

Blot-Puffer Blot-Brett
31
Elektroblot halbtrockener Elektroblot
Elektroden

– + Nylonmembran

Anode
Filterpapier in
Puffer
Anodenpuffer getränkt
durchlässige
Plastikkassette Gel
Gel Filterpapier in
Nylonmembran Kathodenpuffer getränkt
Kathode

poröses Kissen

..      Abb. 31.15  Schematische Darstellung der verschiedenen Blottingtechniken

..      Tab. 31.7  Eigenschaften verschiedener Blottingmembranen

Nitrocellulose Verstärkte Ungeladene Positiv geladene


Nitrocellulose Nitrocellulose Nylonmembranen

Anwendung ssDNA, RNA, ssDNA, RNA, ssDNA, dsDNA,RNA, ssDNA, dsDNA,RNA,


Proteine Proteine Proteine Proteine

Bindungskapazität (μg 80–100 80–100 400–600 400–600


Nucleinsäure cm−2)
Art der Bindung der nichtkovalent nichtkovalent kovalent kovalent
Nucleinsäure
Grenzbereich für den Transfer 500 nt 500 nt 50 ft bp−1 50 ft bp−1
Belastbarkeit schlecht gut gut gut
Möglichkeit zur erneuten schlecht (wird schlecht gut gut
Hybridisierung brüchig) (Signalverlust)

(Nach: Ausubel et al. 1987–2005)


Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
789 31
31.1.3.2  Southern-Blotting für der so genannte 20 × SSC-Puffer verwendet, der Nat-
1975 konnte E. Southern erstmals im Gel aufgetrennte riumchlorid und Natriumcitrat enthält. Die Denaturie-
DNA auf Nitrocellulose immobilisieren. Seither ver- rung der DNA erfolgt in diesem Fall noch vor dem
steht man unter Southern-Blotting generell den Trans- Transfer durch Schwenken des Gels in verdünnter Nat-
fer von DNA aus Gelen auf Membranen. Hier soll nur ronlauge. Das Gel wird anschließend durch Schwenken in
der Transfer aus Agarosegelen ausführlich beschrieben Blotpuffer neutralisiert, da sonst die Membran brüchig
werden, da DNA aus Polyacrylamidgelen nur durch wird und die DNA bei einem pH-Wert >9 nicht mehr an
Elektroblotting transferiert werden kann und die ent- die Nitrocellulose bindet. Vor dem Auflegen auf das Aga-
sprechenden Protokolle von der Art des verwendeten rosegel sollte die Nitrocellulosemembran im Blotpuffer
Transfersystems abhängen. äquilibriert werden.
Den Vorgang des Southern-Blotting kann man in Für den Transfer von DNA auf ungeladene oder
drei wesentliche Schritte unterteilen: positiv geladene Nylonmembranen stehen zwei Mög-
1. Vorbehandlung des Gels; lichkeiten zur Verfügung: Die DNA kann ebenfalls in
2. Transfer; 20 × SSC-­Puffer geblottet werden und muss analog zum
3. Immobilisierung der DNA auf der Membran. Transfer auf Nitrocellulose vorher denaturiert werden.
Die Verwendung von Nylonmembranen erlaubt aber
Diese Schritte werden je nach Art und Menge der zu auch einen alkalischen Blotpuffer, in dem die DNA
transferierenden DNA, der Gelmatrix und der verwen- während des Blottens denaturiert wird. Der Blotpuffer
deten Membran unterschiedlich ausgeführt. besteht aus verdünnter Natronlauge (0,4 M) und enthält
meist Natriumchlorid.
Vorbehandlung des Gels  Die Transfereffizienz der DNA Die Transferdauer hängt von der Art des verwende-
wird stark erhöht, wenn die DNA vor dem Transfer par- ten Blotverfahrens ab: Kapillarblots werden meist über
tiell depuriniert wird. Die Depurinierung erreicht man Nacht transferiert, dagegen ist das Vakuumblotting we-
durch Behandlung des Agarosegels mit verdünnter Salz- sentlich schneller und benötigt ein bis zwei Stunden.
säure. Bei dieser Reaktion werden die Purine der DNA
abgespalten. Bei der anschließenden Denaturierung des Immobilisierung der DNA auf der Membran  Nach dem
Gels oder während des Blottens kommt es zur Spaltung Transfer muss die DNA auf der Membran fixiert werden.
der Phosphodiesterbindungen an den apurinischen Stel- Einzige Ausnahme ist das alkalische Blotting der DNA
len des DNA-­Rückgrats und somit zu einer Fragmentie- auf positiv geladene Nylonmembranen. Hier wird die
rung der DNA.  Besonders große DNA-Fragmente DNA durch den Transfer bereits kovalent an die Memb-
(>10 kb) lassen sich nur durch vorherige Depurinierung ran gebunden. Die kovalente Fixierung der DNA kann
effizient aus dem Gel transferieren. Durch Diffusion der durch Vernetzung der DNA mithilfe von UV-Strahlung
fragmentierten DNA im Gel und während des Blottens erfolgen. Hierbei werden die Thymidinreste der DNA ko-
können jedoch unscharfe Banden entstehen. Werden die valent mit den Aminogruppen der Nylonmembran ver-
DNA-­Fragmente zu klein, ist eine ineffiziente Bindung an knüpft. Dauer und Wellenlänge der Bestrahlung sollten
die Membran möglich. In der Praxis hängt es deshalb von dabei für den jeweiligen Ansatz optimiert werden, da eine
der Art und Menge der DNA ab, ob man diesen Schritt unzureichende Bindung zum Signalverlust bei der Hybri-
durchführt. Beim Transfer genomischer DNA ist dieser disierung führen kann und zu intensive Bestrahlung zu
Schritt jedoch unerlässlich. Um Laufartefakte durch Et- einem zu hohen Verlust an Thymidinen führt, die dann
hidiumbromid zu vermeiden, ist es besser, die Gelelek- nicht mehr für die Hybridisierung zur Verfügung stehen.
trophorese in Abwesenheit von Ethidiumbromid durch- Auf Nitrocellulosemembranen wird die DNA nicht-
zuführen und das Gel erst anschließend zu färben. kovalent durch Backen fixiert. Die Temperatur sollte da-
bei 80 °C nicht übersteigen. Außerdem sollte die Mem-
Transfer  Die weitere Behandlung des Gels hängt nun bran nicht länger als zwei Stunden gebacken werden, da
von der Art der verwendeten Membran sowie des Trans- sonst die Gefahr besteht, dass sich die Nitrocellulose
ferpuffers ab. Die DNA muss denaturiert werden, um für entzündet. Wenn vorhanden, kann man die Membran
die anschließende Hybridisierung einzelsträngig zur Ver- auch in einem Vakuumofen backen. Analog können
fügung zu stehen. Wird die DNA auf Nitrocellulosemem- auch Nylonmembranen fixiert werden.
branen transferiert, muss der Blotpuffer eine hohe Salz-
konzentration aufweisen. Dies erleichtert den Transfer Elektroblotting von Polyacrylamidgelen  Für den Trans-
aus dem Gel und ist für eine effiziente Bindung der DNA fer von DNA aus Polyacrylamidgelen eignet sich nur die
an die Nitrocellulose essenziell. Üblicherweise wird hier- Methode des Elektroblots, da die Nucleinsäuren auf-
790 T. Pöhlmann und M. Jurk

grund der geringen Porengröße nicht aus dem Gel wan-

Kaninchen
Mensch
dern. Als Transfermembranen eignen sich nur Nylon-

Maus
Ratte

Hund

Huhn

Hefe
Kuh
membranen: Die für den Elektroblot auf Nitrocellulose

Affe
erforderliche hohe Salzkonzentration würde die Puffer-
temperatur derart stark erhöhen, dass die Transfereffizi-
kbp
enz der DNA sinkt und der Puffer verstärkt abgebaut
wird. 23,5

Anwendungen 9,4

Das Southern-Blotting wird für sehr viele verschiedene 6,7


Anwendungen eingesetzt.

Genomische Blots  Hier wird die genomische DNA mit 4,4


verschiedenen Restriktionsenzymen gespalten und aufge-
trennt. Nach dem Blotten des Gels kann dann durch Hy-
31 bridisierung mit der entsprechenden Sonde die Präsenz
und das Spaltungsmuster des untersuchten Gens be-
stimmt werden. Aus dieser Southern-Blot-Analyse lässt 2,3
sich in der Regel auch bestimmen, ob es sich um ein sing- 2,0
le-copy-Gen oder um eine Genfamilie handelt. Für diese
Untersuchungen ist eine vollständige Restriktionsspal-
tung wichtig, da bei unvollständiger Spaltung schwächer
hybridisierende Banden, die durch nicht vollständig ge-
spaltene DNA-­Fragmente hervorgerufen werden, irrtüm-
lich für verwandte Gene gehalten werden könnten.

Zoo-Blot  Hier wird mit einem bestimmten Restriktions-


enzym gespaltene genomische DNA von verschiedenen
Spezies aufgetragen (. Abb.  31.16) und transferiert.

Durch anschließende Hybridisierung lässt sich testen, ob ..      Abb. 31.16  Im so genannten Zoo-Blot wird DNA von verschie-
eine bestimmte Sequenz konserviert ist. Die Anwesenheit denen Spezies aufgetragen und mit einer Sonde hybridisiert. Anhand
der Sequenz in vielen verschiedenen Spezies kann ein ers- des Hybridisierungsmusters lässt sich analysieren, in welchen Orga-
ter Anhaltspunkt dafür sein, dass die Sequenz für ein Pro- nismen die betreffende Sequenz konserviert ist. (Fotografie:
Dr. Marion Jurk.)
tein codiert, da Intronsequenzen in der Regel weniger
stark konserviert sind.
31.1.3.3  Northern-Blotting
Phagenkartierungen  Zur genauen Aufklärung der In Anlehnung an den Transfer von DNA auf Memb-
Struktur eines Gens werden Phagen aus einer genomi- ranen, das Southern-Blotting, hat sich für den entspre-
schen Bibliothek isoliert, die Teile der genomischen DNA chenden Transfer von RNA der Name Northern-Blot-
enthalten. Da diese Fragmente sehr groß sind, wird die ting eingebürgert (vergleiche auch den Terminus für
Struktur des Gens zunächst über eine mehr oder weniger den Transfer von Proteinen: Western-Blotting). Die
detaillierte Kartierung der Restriktionsschnittstellen ana- unterschiedlichen Eigenschaften von RNA und DNA
lysiert. schlagen sich auch bei den Blotting-Methoden nieder.
Die Phagen-DNA wird mit unterschiedlichen En- Da die RNA bereits in denaturierenden Gelen aufge-
zymen gespalten und die aufgetrennten Spaltungen ge- trennt wurde, ist eine Denaturierung der RNA unnötig.
blottet. Anschließend hybridisiert man mit der Sonde Allerdings sollten die Denaturierungsmittel (Glyoxal
und erhält ein spezifisches Spaltungsmuster. Besonders oder Formaldehyd) entfernt werden. Dies kann durch
bei Phagenkartierungen empfiehlt sich die Verwendung Schwenken der Gele in stark verdünnter Natronlauge
von Nylonmembranen, da man sie öfter mit vielen ver- oder aber beim Backen der Filter geschehen. Sollen
schiedenen Sonden abgreifen kann, ohne die mühsame besonders große RNA-Moleküle effizient transferiert
und zeitaufwendige Phagenreinigung und Restriktions- werden oder ist das zu blottende Gel besonders dick,
spaltung wiederholen zu müssen. so wird das Gel kurz in stark verdünnter Natronlauge
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
791 31
(0,05 N) geschwenkt, wodurch die RNA partiell hydro- naueren Quantifizierungsmöglichkeiten nicht immer die
lysiert wird und sich leichter blotten lässt. Methode der ersten Wahl ist.
Für das Northern-Blotting verwendet man häufig
noch Nitrocellulose, aber auch Nylonmembranen wer- 31.1.3.4  Dot- und Slot-Blotting
den sehr erfolgreich eingesetzt. RNA-Gele werden vor- Hierbei handelt es sich um eine sehr einfache Anwen-
wiegend in 10 × oder 20 × SSC-Puffer geblottet. Ein al- dung der Filterhybridisierungen. Die zu testende DNA
kalischer Transfer ist ebenfalls möglich, wird aber selten oder RNA wird dabei ohne vorherige Fraktionierung
angewendet. Wegen der leichten Hydrolyse der RNA durch Gelelektrophorese direkt auf die Membranen
muss stark verdünnte Natronlauge eingesetzt werden aufgetragen. Dies geschieht am einfachsten mithilfe
(7,5 mM). von Dot- und Slot-Blotapparaturen. Beide Geräte sind
RNA-Gele blottet man analog zu DNA-Gelen am identisch aufgebaut. Dots und Slots unterscheiden sich
besten mittels Kapillar- oder Vakuumblotting. Der lediglich in ihrer Form (. Abb.  31.17). Die zu unter-

Transfer der RNA ist aber zeitaufwendiger. Kapillar- suchenden DNA-Proben werden auf ein Gitter aufge-
blots werden meist über zwei Tage durchgeführt. Nach tragen und über Vakuum auf die unterhalb des Gitters
dem Transfer wird die RNA analog zur DNA auf den befestigte Membran gesaugt. Hier können sehr viele
Membranen durch Backen oder UV-Bestrahlung fixiert. Proben gleichzeitig getestet und quantifiziert werden.
Slot-oder Dot-Blotting eignet sich zum Beispiel zur
Anwendungen  Die meisten Northern-Blot-Analysen quantitativen Bestimmung einer bestimmten Nuclein-
dienen dazu, die Expression eines bestimmten Gens in säure innerhalb eines Nucleinsäuregemisches oder aber
verschiedenen Zelllinien oder Geweben auf der Ebene der zum Austesten einer Vielzahl von Proben auf die Prä-
Transkription qualitativ oder quantitativ zu bestimmen. senz einer bestimmten Nucleinsäuresequenz. Ist das Hy-
Man verwendet dabei Gesamt-RNA oder die bereits bridisierungsmuster der Probe genau charakterisiert, so
durch Reinigung über oligo(dT)-Affinitätsreingung ange- erweist sich das Slot- oder Dot-Blotting als einfache und
reicherte polyadenylierte mRNA. Ist die zu untersuchende schnelle Analysemethode.
mRNA nur schwach transkribiert, so ist es möglich, dass Vor dem Auftragen werden doppelsträngige DNA-­
man bei Verwendung von Gesamt-RNA kein Signal er- Proben durch Hitze oder Natronlauge denaturiert und
hält. In diesem Fall ist die Reinigung der polyadenylierten die Proben unter Vakuum aufgetragen. Für quantitative
mRNA obligatorisch. Analysen ist der Denaturierungsschritt sehr wichtig,
Um Unterschiede in der Transkription in bestimm- da nur vollständig denaturierte DNA bei der anschlie-
ten Geweben oder Zelllinien feststellen zu können, ßenden Hybridisierung ein Signal ergibt. Bei bestimm-
werden gleiche Mengen Gesamt- oder poly(A)-RNA ten Anwendungen wird der Filter nach dem Blotting
aufgetragen. Die Vergleichbarkeit ist aber noch immer nochmals denaturiert und anschließend renaturiert. Die
problematisch, da die RNA-Proben zum Teil genomi- Fixierung erfolgt analog zum Kapillar- oder Vakuum-
sche DNA oder degradierte RNA enthalten, die nicht blotting. Durch das einfache Auftropfen der Nuclein-
zur Hybridisierung beitragen, aber bei der Konzentra- säurelösungen auf die Membranen lassen sich auch ma-
tionsbestimmung mitgemessen werden. Die Menge ei- nuell Dot-Blots herstellen. Ein limitierender Faktor ist
ner bestimmten RNA kann auch von der Transkription hier jedoch das Probenvolumen. Ist es zu groß, besteht
einer anderen RNA innerhalb einer Zelle abhängen. Zur die Gefahr, dass die Dots verlaufen.
ausführlichen Diskussion dieser Problematik sei auf die
weiterführende Literatur verwiesen. In der Regel wird
der Blot nochmals mit einer Sonde hybridisiert, die 31.1.4 Restriktionsanalyse
ubiquitär in allen Zellen exprimiert wird. Gleich starke
Signale in allen Spuren sind dann ein guter Anhalts- Die Restriktionsanalyse wird zur Charakterisierung,
punkt für ihre Vergleichbarkeit. Für diese Standardi- Identifizierung und Isolierung doppelsträngiger DNA-­
sierungen werden häufig Glucose-6-phosphat-Dehyd- Moleküle eingesetzt und ist somit ein grundlegendes
rogenase-, β-Tubulin- sowie β-Actin-mRNA verwendet Verfahren in der Nucleinsäureanalytik. Die Klonie-
und mit den entsprechenden DNA-Sonden hybridisiert. rung von DNA-Molekülen ist ohne Restriktionsana-
Die Analyse von mRNA kann auch durch RT-PCR lyse undenkbar. Sie dient sowohl der Herstellung der
durchgeführt werden (7 Kap.  30). Bei der so genann-
  zur Klonierung verwendeten DNA-Fragmente als auch
ten real-time-PCR lässt sich die Menge einer speziellen der Identifizierung der entstehenden Klonierungspro-
mRNA bestimmen, je nach Versuchsansatz quantitativ dukte. Auch bei jeder anderen Art der DNA-Manipu-
oder semiquantitativ, sodass der Northern-Blot wegen lation, etwa der Mutagenese oder der Amplifikation
des höheren experimentellen Aufwandes und der unge- durch die Polymerasekettenreaktion (PCR), leistet die
792 T. Pöhlmann und M. Jurk

Probenauftrag

Gummiverschlussplatte

Dots
31

Vakuumverschluss

Slots
Vakuum

..      Abb. 31.17  Schematischer Aufbau einer Slot- und einer Dot-­Blotapparatur

Restriktionsanalyse gute Dienste zur Identifizierung der Vergleich mit parallel aufgetragenen Größenstandards
erwünschten Produkte. Bei der Strukturaufklärung so- kann jedem Fragment seine ungefähre Größe in Basen-
wohl kleiner DNA-Abschnitte als auch ganzer Genome paaren (bp) zugeordnet werden. Je nach Größe der zu
ist das Erstellen einer Restriktionskarte in der Regel ein analysierenden DNA-Moleküle erfolgt die Detektion
erster Schritt auf dem Weg zur vollständigen Sequen- der Restriktionsfragmente: Bei der Restriktionsana-
zierung. Die Restriktionsanalyse genomischer DNA zur lyse relativ kleiner DNA-Moleküle, etwa den meisten
Detektion von Mutationen und Restriktionsfragment-­ Klonierungsprodukten (Plasmid-, Lambda- oder Cos-
Längenpolymorphismen (RFLP) wird bei der Genkar- midklonen mit ca. 3–50 kb), bei deren Restriktion eine
tierung, zur Identifizierung und Isolierung von Krank- überschaubare Anzahl an Fragmenten entsteht, genügt
heitsgenen und zur Personenidentifizierung eingesetzt, das unspezifische Anfärben der DNA-Fragmente im
zum Beispiel bei Vaterschafts- oder Täternachweisen. Agarosegel mit Ethidiumbromid (7 Abschn.  31.1.2).

Soll jedoch ein Abschnitt innerhalb eines komplexen


31.1.4.1  Prinzip der Restriktionsanalyse eukaryotischen Genoms analysiert werden, ist es nötig,
Die Grundlage für dieses Analyseverfahren bildet die den interessanten Abschnitt durch Hybridisierung im
Aktivität von Restriktionsenzymen, die in der Lage Rahmen einer Southern-Blot-Analyse zu detektieren
sind, doppelsträngige DNA-Moleküle an spezifischen (7 Abschn. 31.1.3.2), oder den Bereich erst durch eine

Erkennungsstellen zu binden und zu spalten, dies sind Polymerasekettenreaktion (PCR) in vitro zu amplifizie-
vor allem die Restriktionsenzyme des Typs II. Die ent- ren und dann das Amplifikationsprodukt der Restrik-
stehenden Restriktionsfragmente haben folglich eine tionsanalyse zu unterziehen. Die Restriktionsanalyse ist
durch die Lage der Spaltstellen definierte Länge und also auf jede doppelsträngige DNA beliebiger Größe an-
können durch Gelelektrophorese (7 Abschn.  31.1.1.1)
  wendbar und relativ schnell und einfach durchzuführen.
der Größe nach aufgetrennt werden. Für jedes geschnit- Einen weiteren Aspekt für das breite Anwendungsspek-
tene DNA-Molekül ergibt sich im Gel ein spezifisches trum bildet nicht zuletzt die Vielfalt der Restriktionsen-
Bandenmuster aus Restriktionsfragmenten und durch zyme und der von ihnen erkannten Restriktionsstellen.
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
793 31
31.1.4.2  Historischer Überblick (R/M-)System ist spezifisch für seinen Ursprungsorganis-
Vor der Entdeckung der Restriktionsenzyme schien es mus und stellt so einen Schutzmechanismus, eine Art
nahezu unmöglich, bestimmte Gene oder Abschnitte Immunsystem dar. Die Wirtsspezifität von Bakteriopha-
eines Genoms zu charakterisieren oder zu isolieren. Die gen beruht unter anderem auf diesem Mechanismus, da
aus einer Zelle isolierte DNA stellt eine Masse sehr gro- diese nur Bakterien effizient infizieren können, die das-
ßer, chemisch monotoner Moleküle dar, die prinzipiell selbe Methylierungsmuster aufweisen wie ihr Ursprungs-
nur eine Auftrennung aufgrund ihrer Größe erlauben. bakterium.
Da jedoch eine funktionelle Einheit wie etwa ein Gen
nicht wie ein Protein als einzelnes Molekül in einer Zelle Einteilung der Restriktionsenzyme  Man unterscheidet
vorliegt, sondern nur einen Teil eines vielfach größeren ursprünglich drei Typen von Restriktionsenzymen (I, II
DNA-Moleküls repräsentiert, ist zunächst eine gezielte und III), deren Eigenschaften und Unterschiede in
Zerkleinerung der DNA nötig, um einen bestimmten, . Tab.  31.8 zusammengefasst sind. Die Restriktionsen-

interessanten Teil abzutrennen und zu isolieren. Auch zyme des Typs I weisen Restriktions- und Methylierungs-
wenn DNA-Moleküle durch mechanische Kräfte an aktivitat auf und haben eine definierte Erkennungsstelle.
zufälligen Stellen zerbrochen – geschert – werden kön- Sind beide komplementären Stränge der Erkennungsstelle
nen, ergibt sich daraus nur eine heterogene Mischung methyliert, wird die DNA nicht gespalten. Ist nur ein
aus DNA-Fragmenten, aus der jedoch keine definier- Strang methyliert, wird die Stelle erkannt und der zweite
ten DNA-Fragmente isoliert werden können. Die Ent- Strang methyliert. Ist kein Strang methyliert, wird die
deckung und Isolierung der Restriktionsenzyme in den Stelle ebenfalls erkannt und die DNA unspezifisch etwa
späten Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts durch 1.000 bp von der Erkennungsstelle entfernt gespalten. Die
Arber, Smith und Nathans bot zum ersten Mal die Mög- in der Analytik verwendeten Restriktionsenzyme gehören
lichkeit, DNA-Moleküle auf definierte Art und Weise in der Regel dem Typ II an, zu diesem Typ zählen die
zu manipulieren, nämlich sie in spezifische Fragmente meisten bekannten Restriktionsenzyme. Im Gegensatz zu
zu zerlegen, die der Größe nach aufgetrennt und isoliert Typ-I- und Typ-­III-­Restriktionsenzymen besitzen sie in
werden konnten. Somit wurde eine erste Feincharakte- der Regel nur eine Restriktionsaktivität und spalten die
risierung der DNA möglich und der Grundstein für die DNA meist innerhalb ihrer definierten Erkennungsse-
Isolierung und Amplifikation von DNA-Fragmenten quenz, sodass DNA-Fragmente mit definierter Länge
durch Klonierung war gelegt. Durch die Einführung der und definierten Enden entstehen. Die Typ-III-Restrikti-
Restriktionsenzyme, der Klonierung, der Hybridisie- onsenzyme haben wie die Typ-I-Restriktionsenzyme so-
rung und anderer enzymatischer DNA-Manipulationen wohl Restriktions- als auch Methylierungsaktivität. Sie
ist die DNA von einem zunächst unzugänglichen zum spalten die DNA an einer Stelle, die durch ihren Abstand
mittlerweile am leichtesten zu analysierenden Makro- zur spezifischen Erkennungsstelle definiert ist, sodass man
molekül geworden. Fragmente mit definierten Längen und variablen Enden
erhält. So genannte homing endonucleases (Intron- oder
31.1.4.3  Restriktionsenzyme Inteinendonucleasen) haben lange Erkennungssequenzen
Restriktionsenzyme sind Endonucleasen vor allem bak- (z. B. I-PpoI 15 Basen), in denen sie auch Abweichungen
teriellen Ursprungs, kommen aber auch in Viren und tolerieren und kommen auch in Eukaryoten vor. Nickases
Eukaryoten vor. Sie spalten die Phosphodiesterbindun- sind eine kleine Gruppe von Nucleasen, die doppelsträn-
gen beider Stränge eines DNA-Moleküls hydrolytisch gige Erkennungsstellen haben, aber nur einen Strang spal-
und unterscheiden sich in der Erkennungssequenz, ih- ten.
rer Spaltstelle, ihrem Ursprungsorganismus und ihrer
Struktur. Mittlerweile sind mehrere Tausend Restrik- Nomenklatur der Typ-II-Restriktionsenzyme (REasen)  Die
tionsenzyme mit mehreren Hundert Erkennungssequen- Nomenklatur der Typ-II-Restriktionsenzyme basiert auf
zen bekannt. ihren jeweiligen Herkunftsorganismen. So wurde bei-
spielsweise das Restriktionsenzym EcoRI aus einem Re-
Biologische Funktion  Die biologische Funktion der Res- sistenzfaktor (R) des Escherichia coli Stamms RY 13 iso-
triktionsenzyme besteht darin, in ihren Ursprungsorga- liert. Die „I“ besagt, dass es sich hier um das erste aus
nismus eingedrungene Fremd-DNA, beispielsweise Pha- diesem Stamm isolierte Restriktionsenzym handelt. Ana-
gen-DNA, zu zerkleinern und zu inaktivieren und damit log wurde BamHI als erstes Enzym aus Bacillus amyloli-
das Phagenwachstum einzuschränken (also zu restringie- quefaciens, Stamm H, isoliert. Die wissenschaftliche Ge-
ren). Eigene DNA, beziehungsweise jede in der Zelle syn- meinde hat sich im Jahre 2003 zu einer einheitlichen
thetisierte DNA, wird durch eine Modifikation, meist Nomenklatur entschieden. Hierbei werden die Bezeich-
Methylierung, vor dem Angriff der eigenen Restriktions- nungen Restriktionsenzyme und Restriktionsendonuclea-
enzyme geschützt. Dieses Restriktion-/Modifikations- sen als synonym bezeichnet und die Abkürzung REasen
794 T. Pöhlmann und M. Jurk

..      Tab. 31.8  Einteilung der Restriktionsenzyme (REasen)

Typ I Typ II Typ III

Funktion Endonuclease und Methylase Endonuclease Endonuclease und Methylase


Erkennungsstelle zweiteilig, asymmetrisch 4–8 Basen, meist 5–7 Basen, asymmetrisch
palindromisch
Spaltstelle unspezifisch, oft mehr als 1.000 Basen innerhalb oder nahe der ca. 5–20 Basen vor der
von der Erkennungsstelle entfernt Erkennungsstelle Erkennungsstelle
ATP-Bedarf ja nein ja

eingeführt. Da es sich bei Typ II um die bei Weitem größte ca. alle 44  bp (256  bp), eine 6  bp oder 8  bp lange Res-
Gruppe der Restriktionsenzyme handelt und mittlerweile triktionssequenz entsprechend ca. alle 46  bp (4096  bp)
beziehungsweise 48  bp (65.536  bp) vor. Verschiedene
31 Enzyme beschrieben wurden, die vom klassischen Erken-
nungsmuster abweichen, wurde diese Gruppe in Subgrup- Organismen weisen jedoch unterschiedliche Basenzu-
pen aufgeteilt, die in . Tab. 31.10 aufgeführt sind. Allen
  sammensetzungen ihres Genoms auf. So beträgt etwa
Typ-II-­Restriktionsenzymen gemeinsam ist, dass sie kein der A/T- bzw. G/C-Gehalt selten 50  % und die Dinuc-
ATP benötigen, meist nicht als Komplex mit der entspre- leotidsequenz CpG kommt beispielsweise in Eukaryoten
chenden Methylase vorkommen, spezifische DNA-Se- seltener vor als alle anderen Dinucleotidsequenzen. Folg-
quenzen erkennen und an einer definierten Position in lich wird eine Restriktionsschnittstelle, die diese Sequenz
oder nahe der Erkennungssequenz schneiden. Es entste- enthält, in eukaryotischer DNA seltener vorkommen als
hen 5′-Phosphate und 3′-OH-Enden. statistisch anhand ihrer Länge ermittelt. Restriktions-
enzyme mit einer 8 bp langen Erkennungsstelle werden
Restriktionsstellen  Mittlerweile sind mehr als dreitausend beispielsweise zur Restriktionskartierung ganzer Chro-
Restriktionsenzyme des Typs II mit über zweihundert ver- mosomen eingesetzt. Die dabei entstehenden langen
schiedenen Erkennungssequenzen charakterisiert worden DNA-­Fragmente werden dann durch eine Pulsfeldgele-
und die Anzahl steigt weiter. Umfassende Aufstellungen lektrophorese aufgetrennt (7 Abschn. 31.1.1.3). Bei den

finden sich in entsprechenden, regelmäßig aktualisierten meisten Anwendungen kommen Restriktionsenzyme mit
Datenbanken, den Katalogen der Lieferfirmen oder in Me- sechs Basen langen Erkennungssequenzen zum Einsatz,
thodenbüchern der Molekularbiologie. Die Erkennungsse- da sie Fragmente mit gut auftrennbarer und isolierbarer
quenzen dieser Restriktionsenzyme sind vier bis acht Nuc- Länge ergeben. Soll jedoch eine Partialrestriktion, etwa
leotide lang und meist palindromisch. In . Tab. 31.9 sind
  zur Herstellung einer genomischen Bibliothek, durchge-
exemplarisch einige Restriktionsenzyme und ihre Erken- führt werden, werden Restriktionsenzyme mit einer vier
nungsstellen aufgeführt. Die Erkennungssequenz wird kon- Basen langen Erkennungsstelle verwendet.
ventionsgemäß in 5′–3′-Richtung angegeben. Die Spalt-
stelle liegt in der Regel innerhalb der Erkennungsstelle, Isoschizomere  Als Isoschizomere (. Tab.  31.9) be-

wodurch die entstehenden Restriktionsfragmente definierte zeichnet man Restriktionsenzyme, die die gleiche Erken-
Enden erhalten, was zum Beispiel für ihre Klonierung von nungssequenz haben, aber aus verschiedenen Organis-
Bedeutung ist. Es gibt jedoch auch Restriktionsenzyme, men isoliert werden. Die Spaltstelle der Isoschizomere
etwa Fokl (. Tab. 31.10), deren Schnittstelle einige Basen
  kann entweder identisch (z.  B. BamHI und Bstl) oder
benachbart zur Erkennungsstelle liegt. Wie in . Abb. 31.18   verschieden sein (z. B. Smal und XmaI). Isoschizomere
gezeigt, können bei der Spaltung von DNA mit Restrikti- mit unterschiedlichen Spaltstellen bezeichnet man als
onsenzymen stumpfe Enden (blunt ends) entstehen oder Neoschizomere. Die Enzyme können sich ferner in ihrer
kohäsive Enden (sticky ends), bei denen entweder das 5′- Sensitivität gegenüber Methylierung unterscheiden:
oder das 3′-Ende der entstehenden DNA-­Fragmente über- HpaII und Mspl etwa haben die gleiche Erkennungsse-
hängen kann. In der Regel tragen die DNA-­Fragmente quenz, HpaII spaltet diese jedoch nicht, wenn das zweite
nach ihrer Spaltung mit Restriktionsenzymen an ihrem 3′- Cytosin zu 5-Methylcytosin (5mC) modifiziert ist, wäh-
Ende eine Hydroxy- und an ihrem 5′-Ende eine Phosphat- rend Mspl trotz dieser Methylierung spaltet.
gruppe.
Die Häufigkeit einer Restriktionsstelle hängt vor al- 31.1.4.4  Der Restriktionsansatz und seine
lem von ihrer Länge, aber auch von ihrer Zusammenset- Anwendungen
zung und der Zusammensetzung der zu restringierenden In einem Restriktionsansatz wird die zu analysierende
DNA ab. Geht man von statistischen Zusammensetzun- DNA mit dem gewünschten Restriktionsenzym unter de-
gen aus, kommt eine 4  bp lange Restriktionssequenz finierten Pufferbedingungen und bei definierter Tempera-
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
795 31

..      Tab. 31.9  Spezifizierung einiger Typ-II-Restriktionsenzyme (Typ-II-REasen)

Restriktionsenzym Erkennungs- und Spaltstelle Ursprungsorganismus Isoschizomere

BamHI G/GATCC Bacillus amyloliquefaciens H BstI


BstI G/GATCC Bacillus steamthermophllus 1503-4R BamHI
EcoRI G/AATTC Escherichia coli RY13
FokI GGATGN9/ Flavobacterium okeanokoltes
CCTACN13/
HindII GTPy/PuAC Haemophilus influenzae Rd HincII
HindIII A/AGCTT Haemophilus influenzae Rd
HpaII C/CGG Haemophilus parainfluenzae MspI
MspI C/CGG Moraxella spezies HpaI
NotI GC/GGCCGC Nocardia otitidiscaviarum
SadI GAGCITC Streptomyces achromogenes
Sau3A /GATC Staphyllococcus aureus 3A MboI, NdeII
SmaI CCC/GGG Serratia marcescens Sb XmaI
XmaI C/CCGGG Xanthomonas malvacearum SmaI

Py: Pyrimidin (C oder T); Pu: Purin (A oder G); N: eine beliebige Base

tur für eine bestimmte Zeit inkubiert. Ein Restriktions- malen Bedingungen und die für die DNA-Menge ausrei-
puffer enthält in der Regel einen Tris-Puffer, MgCl2, NaCI chende Enzymmenge.
oder KCl sowie ein Sulfhydrylreagens (Dithiothreitol
DTT, Dithioerythritol DTE oder 2-­Mercaptoethanol). Unvollständige Restriktion oder Partialrestriktion  Für
Ein divalentes Kation (meist Mg2+) ist für die Enzymak- manche Anwendungen, etwa die Restriktionskartierung
tivität notwendig, wie auch der Puffer, der für einen opti- oder bei der Herstellung einer genomischen DNA-Biblio-
malen pH-Wert sorgt, der meist zwischen pH 7,5 und pH thek, ist eine unvollständige Reaktion erwünscht, das
8 liegt. Manche Restriktionsenzyme sind sensitiv gegen- heißt, dass statistisch nicht alle vorhandenen Erkennungs-
über Ionen wie Na+ oder K+, während andere in einem stellen gespalten werden. Dies wird durch eine Unteropti-
breiten Bereich der Ionenstärke aktiv sind. Die Sulfhyd- mierung der Reaktionsbedingungen erreicht, etwa die
rylreagenzien dienen der Stabilisierung der Enzyme. Das Verwendung einer geringeren Enzymmenge, Verkürzung
Temperaturoptimum für einen Restriktionsansatz liegt der Reaktionszeit oder Änderung der Pufferbedingungen,
meist bei 37 °C, kann jedoch je nach Restriktionsenzym zum Beispiel durch Reduktion der MgCl2-Konzentration.
(Ursprungsorganismus) nach oben (z. B. 65 °C für Taql)
oder unten (z. B. 25 °C für Smal) abweichen. Mehrfachrestriktion  Bei einer Mehrfachrestriktion, das
heißt bei der Restriktion einer DNA mit mehreren Rest-
riktionsenzymen, kann die DNA entweder gleichzeitig
Die Menge an Restriktionsenzym wird in Einheiten oder nacheinander mit den gewünschten Enzymen inku-
angegeben: Eine Einheit eines Restriktionsenzyms ist biert werden. Das entscheidende Kriterium hierbei ist die
die Menge, die benötigt wird, um ein Mikrogramm Kompatibilität der Pufferbedingungen. Die Mehrfachres-
Substrat-DNA bei optimalen Reaktionsbedingungen triktion findet unter anderem bei der Erstellung einer Res-
innerhalb einer Stunde zu spalten. Als Substratmole- triktionskarte Anwendung.
kül wird für die Definition in der Regel DNA des Bak-
teriophagen Lambda verwendet. Restriktionskartierung
Bei der Erstellung einer Restriktionskarte werden die Er-
kennungsstellen eines oder mehrerer Restriktionsenzyme
Vollständige Restriktion  Für die meisten Anwendungen innerhalb eines DNA-Moleküls lokalisiert. Die Restrik-
wünscht man eine vollständige Spaltung der DNA. Hierzu tionskarte ist also eine grobe physikalische Karte des zu
wählt man die für das jeweilige Restriktionsenzym opti- analysierenden DNA-Moleküls. Die ideale physikali-
796 T. Pöhlmann und M. Jurk

..      Tab. 31.10  Subtypen von Typ-II-Restriktionsenzymen (REasen)

Subtypa Charakteristik Beispiel Erkennungssequenz

A asymmetrische Erkennungssequenz FokI GGATG (9/13)


AcrI CCGC (–3/–1)
B spaltet zu beiden Seiten der Erkennungssequenz BcgI (10/12) CGANNNNNNTGC
(12/10)
C symmetrische oder asymmetrische Erkennungssequenz; R- und GsuI CTGGAG (16/14)
M-Funktion in einem Polypeptid
HaelV (7/13) GAYNNNNNRTZ (14/9)
BcgI (10/12) CGANNNNNNTGC
(12/10)
E zwei Kopien der Erkennungssequenz, eine wird gespalten, eine ist EcoRII ↓CCWGC
31 allosterischer Effektor
NaeI GCC↓GGC
F zwei Erkennungssequenzen, beide in Koordination gespalten SfiI GGCCNNNN↓NGGCC
SgrAI CR↓CCGGYG
G symmetrische oder asymmetrische Erkennungssequenz; beeinträchtigt BcgI GTGCAG (16/14)
durch AdoMet
Eco57I CTGAAG (16/14)
H symmetrische oder asymmetrische Erkennungssequenz, ähnlich wie BcgI (10/12) CGANNNNNNTGC
Typ-I-Genstruktur (12/10)
AhdI GACNNN↓NNGTC
M Subtyp IIP oder IIA; braucht methylierte Erkennungssequenz DpnI Gm6A↓TC
P symmetrische Erkennungs- und Spaltsequenz EcoRI G↓AATTC
PpuMI RG↓GWCCY
BslI CCNNNNN↓NNGG
S asymmetrische Erkennungs- und Spaltsequenz FokI GGATG (9/13)
MmeI TCCRAC (20/18)
T symmetrische oder asymmetrische Erkennungssequenz; R-Gene sind Bpu101 CCTNAGC (−5/−2)b
Heterodimere
BslI CCNNNNN↓NNGG

aBeachte,
dass nicht alle Subtypen exklusiv sind; z. B. Bsl ist vom Subtyp P und T
bDie Abkürzung bedeutet folgende Doppelstrangspaltung:
5′ CC↓TNAGC
3′ GGANT↓CG

sche Karte ist die vollständige DNA-Sequenz. Folglich schnitts, etwa eines Gens, eines Chromosoms oder eines
ist die Restriktionskartierung oft der erste Schritt eines ganzen Genoms, erstellt werden soll, erfolgt erst die Klo-
Projekts, dessen Ziel die vollständige Sequenzanalyse ist. nierung dieses DNA-Abschnitts. Dann werden die Res-
Hierzu erfolgt die Restriktionsanalyse meist relativ klei- triktionsmuster der Klone miteinander verglichen, um
ner, in Klonierungsvektoren (z. B. Plasmiden, Cosmiden überlappende Klone zu identifizieren. Rückschließend
oder Lambdaphagen) integrierter DNA-­Moleküle. Auch wird eine Restriktionskarte des Ausgangsmoleküls er-
wenn die Restriktionskarte eines größeren DNA-Ab- stellt.
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
797 31
..      Abb. 31.18  Durch Spaltung mit 5'-Überhänge
Restriktionsenzymen entstehende
5' 3' 5' 3' 5' 3'
DNA-Enden. Je nach verwendetem
N NGGA T CCN N Bam HI N NG
Restriktionsenzym können bei der + GA TCCN N
Spaltung eines DNA-Moleküls drei N NCCT AGGN N N NCCT AG GN N
verschiedene Typen von DNA-Enden 3' 5' 3' 5' 3' 5'
entstehen: Kohäsive Enden (sticky
ends) entstehen beispielsweise bei der stumpfe Enden
Spaltung mit BamHI und Sacl, wobei
mit BamHI 5′-überhängende und mit 5' 3' 5' 3' 5' 3'
Sacl 3′-überhängende Enden resultie- N N C C C GG GN N SmaI N NCCC GGG N N
+
ren. Stumpfe Enden (blunt ends) N NGGGCC CN N N NGGG C CCN N
entstehen zum Beispiel mit Smal 3' 5' 3' 5' 3' 5'

3'-Überhänge
5' 3' 5' 3' 5' 3'
N NGA GCT CN N Sac I N NGA GC TCN N
+
N N C T C GA GN N N NC T CGA GN N
3' 5' 3' 5' 3' 5'

sprungsfragment benachbart sind. Diese Methode ist in


Oft ist es nicht nötig, die Fragmente der Einzelspaltun- . Abb. 31.20 für ein 5 kb großes, lineares DNA-Molekül

gen zu isolieren, sondern ein sorgfältiger Vergleich der gezeigt.


Doppelrestriktion mit den beiden entsprechenden Ein- Bei einem komplexeren Restriktionsmuster empfiehlt
zelrestriktionen des Ausgangsfragments ergibt schon sich das in . Abb. 31.21 dargestellte Verfahren. Dabei

die Anordnung der Fragmente. Wichtig ist für dieses wird das zu analysierende Molekül vor der Partialrest-
Verfahren, dass Restriktionsenzyme verwendet wer- riktion an einem Ende markiert, etwa durch Einbau ei-
den, die zumindest einige überlappende Fragmente er-
nes radioaktiv markierten Nucleotids. Die Restriktions-
geben. Daher müssen oft mehrere Enzyme getestet
werden, bis ein passendes Paar gefunden wird.
produkte werden dann elektrophoretisch aufgetrennt
und nur die markierten Fragmente durch Autoradiogra-
phie detektiert. Die Größe jedes detektierten Fragments
Kombination mehrerer Restriktionsenzyme  Bei dieser entspricht dann dem Abstand einer Restriktionsschnitt-
Methode wird die relative Lage von Erkennungsstellen stelle zum markierten Ende.
mehrerer Restriktionsenzyme zueinander ermittelt und
daraus ihre absolute Anordnung auf dem Ausgangsfrag- Restriktionsanalyse genomischer DNA
ment bestimmt. Hierzu wird das zu charakterisierende Bei der Restriktionsanalyse großer eukaryotischer
DNA-Fragment zunächst getrennt mit zwei Restriktions- Genome besteht das Problem, dass zu viele Restrik-
enzymen gespalten und durch Gelelektrophorese aufge- tionsfragmente entstehen. Bei der Gelelektrophorese
trennt. Optimalerweise werden dann die einzelnen Frag- lassen sich diese nicht in einzelne Banden auftrennen.
mente isoliert und wiederum mit dem entsprechend Stattdessen entsteht ein DNA-Schmier, der sich aus
anderen Restriktionsenzym gespalten. Durch Vergleich einem Gemisch von DNA-Fragmenten unterschied-
der Restriktionsmuster im Agarosegel lassen sich nun lichster Größen zusammensetzt. Durch Auswahl be-
überlappende Bereiche der Fragmente ermitteln und rela- stimmter Hybridisierungssonden kann aber innerhalb
tiv zueinander anordnen. Dieses Verfahren ist in eines Schmiers ein im Genom enthaltenes, zur Sonde
. Abb.  31.19 am Beispiel eines 5  kb langen, linearen
  komplementäres DNA-Fragment detektiert werden.
DNA-Fragments gezeigt. Dies erfolgt im Rahmen einer Southern-Blot-Analyse
(7 Abschn.  31.1.3.2). Sie ermöglicht zum Beispiel

Partialrestriktion  Durch diese Methode können die Er- die Restriktionsanalyse eines Gens, dessen Transkript
kennungsstellen eines einzigen Restriktionsenzyms ange- in Form eines aus einer cDNA-Bibliothek isolierten
ordnet werden. Die zu analysierende DNA wird einmal cDNA-Klons vorliegt, der als Sonde verwendet werden
vollständig und einmal unvollständig mit demselben Res- kann. Es gibt Zielsetzungen, für die die Restriktionsana-
triktionsenzym gespalten. Die beiden Ansätze werden lyse genomischer DNA notwendig ist, wie die Detektion
elektrophoretisch aufgetrennt und ihre Restriktionsmus- eines Methylierungsmusters, das durch Klonierung ver-
ter verglichen. Den unvollständig verdauten Fragmenten loren gehen würde. Für andere Anwendungen, etwa
können nun die vollständig verdauten Fragmente zuge- wenn ein Restriktionsmuster vieler Individuen ana-
teilt werden, die in ihnen enthalten und also auf dem Ur- lysiert und verglichen werden soll, ist eine Klonierung
798 T. Pöhlmann und M. Jurk

Größenstandard

Enzym A und B
Enzym B
Enzym A
bp bp bp bp
2500 2500

Elektrophorese
2100
2000 1900

1500
1300 1400
1200
1000 1000 1000
800
600
500 500 500
200

31

B
Größenstandard

Restriktion der Restriktion der


A-Fragmente mit Enzym B B-Fragmente mit Enzym A
A2500

A1300

A1200

B2100

B1400

B1000

B500
bp bp bp bp bp bp bp
2500
Elektrophorese

2000
1900 1900

1500

1000 1000 1000


800 800
500 600 600
500 500
200 200

C 600 1900
A2500
A B A
200
B2100
B A B
800
B1400
B A B
1000
A1200
A B
500
A1300
B A

500 800 600 1900 1000


Restriktionskarte
B A B A B

..      Abb. 31.19  Restriktionskartierung durch Mehrfachrestriktion. Auftrennung der Restriktionsansätze im Agarosegel. Die durch Ver-
Ein 5 kb langes, lineares DNA-Fragment wurde mit den Restriktions- gleich mit dem Standard ermittelten Fragmentgrößen sind angegeben.
enzymen A und B einzeln und in einer Doppelrestriktion gespalten. A Durch Spaltung des 5 kb großen Fragmentes mit Enzym A ergeben
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
799 31
sich also Restriktionsfragmente mit Längen von 2500 bp (Fragment identifizieren und wie in C gezeigt anordnen: Das 1 900  bp große
A2500), 1300 bp (A1300) und 1 200 bp (A1200), für Enzym B und die Fragment der Doppelrestriktion ist in FragmentA2500 und B2100
Doppelrestriktion entsprechend. Die Restriktionsfragmente der Ein- enthalten, A2500 und B2100 überlappen also in diesem Bereich. Zu-
zelrestriktionen wurden nun isoliert und mit dem jeweils anderen En- sätzlich enthält A2500 ein 600-bp-­Fragment, das auch in B1400 ent-
zym gespalten: Die A-Fragmente mit Enzym B und die B-Fragmente halten ist, und B1400 ein 200-bp-­Fragment, um das es mit A1200
mit Enzym A .  B Elektrophoretische Auftrennung dieser Spaltpro- überlappt. Nach Analyse aller Fragmente lässt sich nun die Restrikti-
dukte. Durch Vergleich der Restriktionsmuster der A-Fragmente mit onskarte des 5-kb-DNA-Moleküls für die Restriktionsenzyme A und
denen der B-Fragmente lassen sich nun überlappende Fragmente B ermitteln

zu aufwendig, und auch hier erfolgt die Analyse direkt Austausch, der Insertion oder Deletion einzelner Basen
an der genomischen DNA. Alternativ kann der interes- oder ganzer DNA-Abschnitte beruhen. Durch diese Muta-
sante Bereich durch Polymerase-Kettenreaktion (PCR) tionen kann sich die Länge eines Restriktionsfragments
zunächst in vitro amplifiziert und dann das Amplifikati- verändern, es kann eine Restriktionsschnittstelle wegfallen
onsprodukt der Restriktionsanalyse unterzogen werden. oder hinzukommen. Lässt sich so eine polymorphe Region
Der Nachweis dieser Analyse kann dann wieder in einer anhand der Veränderung eines Restriktionsmusters aus-
einfachen Gelelektrophorese erfolgen. machen, spricht man von einem RFLP. Die Restriktions-
analyse wird hierzu entweder direkt an der genomischen
Detektion methylierter Basen  Da es Isoschizomere gibt, DNA in Kombination mit einer Southern-Blot-Analyse
etwa HpaII und Mspl (s. oben), die unterschiedlich sensi- (7 Abschn.  31.1.3.2) durchgeführt, wobei ein Abschnitt

tiv auf die Methylierung einer in ihrer Erkennungsse- der interessanten Region als Hybridisierungssonde einge-
quenz gelegenen Base reagieren, können damit methy- setzt wird, oder die Region wird durch PCR in vitro ampli-
lierte Basen detektiert werden. Beispielsweise finden sich fiziert und dann der Restriktionsanalyse unterzogen. Da
in den Promotorregionen eukaryotischer Gene gelegent- jedes Individuum über zwei homologe Ausgaben einer je-
lich so genannte CpG-­Inseln, das heißt DNA-Abschnitte, den DNA-Region verfügt, werden im Fall einer Heterozy-
in denen ein nicht methyliertes CpG-Dinucleotid gehäuft gotie wie in . Abb. 31.22 bei der Detektion eines RFLP

auftritt. Ist das Gen hingegen transkriptionell nicht aktiv, zwei unterschiedliche Restriktionsfragmente detektiert,
ist dies häufig an der Methylierung der Cytosine inner- wobei eines auf die Restriktion des väterlichen, das andere
halb dieser CpG-Dinucleotide zu erkennen. Werden nun auf die Restriktion des mütterlichen Allels zurückzuführen
in einer Restriktionsanalyse nicht alle von MspI (tolerant ist. In . Abb. 31.23 ist der Erbgang eines RFLP über drei

gegenüber Methylierung) gespaltenen Erkennungsstellen Generationen gezeigt.


auch von HpaII (spaltet methylierte Erkennungsstelle
nicht) gespalten, deutet dies auf Methylierung und somit Genetischer Fingerabdruck (fingerprinting)  Ein genetischer
auf transkriptionelle Inaktivität des entsprechenden Gens Fingerabdruck beruht auf der Detektion hoch variabler
hin. Die Restriktionsanalyse wird hier direkt an genomi- RFLPs, die ein für jedes Individuum charakteristisches
scher DNA durchgeführt und die Detektion des interes- Restriktionsmuster ergeben. Die Ursache hierfür sind
santen Abschnitts erfolgt durch Hybridisierung im Rah- kurze, meist zwei bis drei Basenpaare lange, hoch repetitive
men einer Southern-Blot-Analyse (7 Abschn. 31.1.3.2).
  Sequenzen, deren Wiederholungszahlen sich stark unter-
Die Problematik der Analyse genomischer DNA-Methy- scheiden (etwa 440). Dies ist etwa bei der Identifizierung
lierung wird in 7 Kap. 36 detailliert erläutert.
  von Individuen hilfreich (beispielsweise bei Vaterschafts-
oder Täternachweisen, vgl. auch 7 Abschn. 31.1.1.1).

Detektion von Mutationen und Restriktionsfragment-Län-


genpolymorphismen (RFLP)  Individuen einer Population
unterscheiden sich in der Zusammensetzung ihres Genoms. Restriktionsfragment-Längenpolymorphismen bei der Gen-
Dabei gibt es hoch konservierte Regionen, die eine ent- kartierung  Bei der genetischen Kartierung wird nicht
scheidende Funktion für den Träger haben und die inner- die DNA-­Sequenz direkt analysiert, sondern die relative
halb einer Population, ja sogar über Artgrenzen hinaus Lage so genannter genetischer Marker zueinander wird
nahezu unverändert vorliegen (beispielsweise Globingene). durch Genkopplungsanalyse ermittelt. Als genetischer
Eine Mutation in einer solchen Region kann eine Krank- Marker kann jede variable erbliche Eigenschaft, die
heit oder den Tod des Trägers zur Folge haben (z. B. Sichel- nachgewiesen werden kann, eingesetzt werden. Dies kön-
zellanämie bei Mutation eines Globingens). Andererseits nen Eigenschaften wie Blutgruppe oder ein bestimmtes
gibt es Regionen, für die in einer Population mehrere Va- Krankheitsbild sein. Aber auch RFLPs dienen als gene-
rianten, so genannte Polymorphismen, vorhanden sind. tische Marker in einer so genannten Genkopplungsana-
Die Unterschiede in der DNA-Sequenz können auf dem lyse. Dies wird in 7 Kap. 37 ausführlicher erläutert.

800 T. Pöhlmann und M. Jurk

Größenstandard
A

vollständig

partiell
bp bp bp
5000 5000
4500

Elektrophorese
4000 3800
3500 3700

3000

2500 2500 2500

2000

1500
31 1300
1200
1300
1200
1000

3800

3700

A A
Restriktionskarte
1300 2500 1200

..      Abb. 31.20  Restriktionskartierung durch Partialrestriktion. Ein mente als unvollständig gespalten identifizieren, wobei das 5-kb-Frag-
5 kb großes DNA-Molekül wurde vollständig und partiell mit Rest- ment das Ausgangsmolekül darstellt. B Das 3800-bp-Fragment kann
riktionsenzym A gespalten. A Gelelektrophoretische Auftrennung der sich nur aus dem 2500-bp- und dem 1300-bp-Fragment zusammen-
Restriktionsfragmente. Durch Vergleich der vollständigen mit der setzen und das 3700-bp-Fragment aus dem 2500-bp- und dem
Partialrestriktion lassen sich die 5000, 3800 und 3700 bp großen Frag- 1200-bp-Fragment. Somit ergibt sich die gezeigte Restriktionskarte

31.2  Chemische Analytik von 5′-0-­


Dimethoxytrityl- (DMT-)Schutzgruppe und ba-
Nucleinsäuren senlabile Schutzgruppen an den Nucleobasen und am
Phosphatrest, erlauben die gezielte Freisetzung reaktiver
31.2.1  Herstellung von Oligonucleotiden Funktionen. Im ersten Schritt wird die DMT-­Gruppe
durch Behandlung mit verdünnter Tri- oder Dichlor-
Synthetische Oligonucleotide und deren Derivate be- essigsäure abgespalten. Die freie 5′-Hydroxygruppe
sitzen große Bedeutung als Werkzeuge in der Moleku- wird anschließend in einer mit Tetrazol katalysierten
larbiologie sowie zur Entwicklung neuartiger Arznei- Kondensationsreaktion mit dem 5′-O-DMT-Nucleosid-
mittel, insbesondere von antisense-Oligonucleotiden, 3′-phosphoramidit zum trivalenten Phosphittriester
siRNAs, Aptameren und CpG-Immunstimulatoren. umgesetzt. Dieser kann nun entweder mit Jod zum
Ihre Synthese erfolgt heute sowohl im Gramm- als Phosphotriester oder mit einem Beschwefelungsrea-
auch Kilogrammmaßstab hauptsächlich nach der so gens, wie beispielsweise Beaucage’s Reagens, zum Thio-
genannten Phosphoramidit-­Methode an der Festphase phosphotriester oxidiert werden. Auf diese Weise sind
(. Abb. 31.24). Die schrittweise Synthese verläuft von

Oligonucleotide nach vollständigem Kettenaufbau und
der 3′ in die 5′-Richtung. Dabei wird der erste Nuc- Abspaltung der Schutzgruppen als Phosphodiester,
leosidbaustein über die 3′-Hydroxygruppe und einen Phosphorothioat oder als Verbindungen mit einem ge-
basenlabilen Bernsteinsäureeser an die Festphase (or- mischten Rückgrat zugänglich. Da durch die Substitu-
ganisches Polymer oder controlled pore glass) gebun- tion eines Sauerstoffatoms durch Schwefel ein asym-
den. Orthogonale Schutzgruppen, wie die säurelabile metrisches Phosphatzentrum entsteht, enthält man bei
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
801 31

Größenstandard
A

Endmarkierung
partiell mit
bp bp
5000 5000
4500

Elektrophorese
4000 4000
3500
3000

2500

2000 1900

1500

1000

500 500

B
500

1900
4000

5000

B B B
Restriktionskarte
500 1400 2100 1000

..      Abb. 31.21  Restriktion durch Partialrestriktion mit Endmarkie- markierten Fragmente A. B Die Größe jedes detektierten Fragments
rung. Ein 5 kb großes DNA-Molekül wird an einem Ende markiert, entspricht dem Abstand einer Restriktionsstelle vom markierten
mit Restriktionsenzym A partiell gespalten und der Restriktionsan- Ende. Die Markierung ist als Punkt dargestellt. Daraus ergibt sich
satz elektrophoretisch aufgetrennt. Detektiert werden nur die end- die gezeigte Restriktionskarte

der Herstellung von Phosphorothioaten ein Gemisch 2′-Hydroxyschutzgruppe verwendet man beispielsweise
aus 2n Diastereomeren, wobei n die Anzahl der Inter- die t-Butyldimethylsilyl-(TBDMS-) Schutzgruppe, die
nucleotidbindungen ist. Im Falle eines 20-mer-Oligo- während der Synthese stabil ist, im allerletzten Schritt
nucleotids mit 19 Phosphoro-­thioatmodifikationen an aber mithilfe von Triethylammoniumfluorid abspaltbar
den Intemucleotidbindungen sind dies beispielsweise ist. Obwohl die Synthesezyklen der Phosphoramidit-­
eine Anzahl von 524 288 Diastereomeren. In der Kupp- Methode mit sehr hohen Ausbeuten von 98–99 % ver-
lungsreaktion nicht umgesetzte 5′-Hydroxykomponente laufen, kann es zur Bildung von Nebenprodukten kom-
wird durch Acylierung vor weiterer Reaktion im Folge- men (. Abb.  31.25), die entweder aus Fehlreaktionen

zyklus geschützt (capping-­Reaktion). Nach mehrfacher während des Kettenaufbaus oder aber aus der finalen
Wiederholung des Reaktionszyklus entsprechend der zu Abspaltungsreaktion der Schutzgruppen resultieren.
synthetisierenden Sequenz wird das Oligonucleotid mit Da die Kupplungsreaktionen nicht zu hundert Prozent
konzentriertem Ammoniak von der festen Phase abge- erfolgen, kommt es neben der Bildung des gewünsch-
spalten und der Schutzgruppen entledigt. Die RNA-Syn- ten Oligonucleotids voller Länge (N) zur Bildung von
these unterscheidet sich von der DNA-Synthese im Prin- Fehlsequenzen (N-1, N-2, N-3, etc.), bei denen eine oder
zip nur dadurch, dass für die 2′-Hydroxylfunktion der mehrere Nucleotideinheiten fehlen. Interessanterweise
RNA eine zusätzliche Schutzgruppe notwendig ist. Als kann es aber auch zur Bildung von um ein Nucleotid
802 T. Pöhlmann und M. Jurk

..      Abb. 31.22  Detektion eines RFLP A


durch Southern-Blot-Analyse. A Homologe
Chromosomenabschnitte eines Individu- mütterliches Allel
ums, die eine polymorphe Region enthal-
ten. Restriktionsschnittstellen sind durch
Pfeile gekennzeichnet. Der durch die Hybri- väterliches Allel
disierungssonde bei der Sout-
hern-Blot-Analyse detektierte Bereich ist detektierter Bereich
markiert. Nach Restriktion, Auftrennung
im Agarosegel und Southern-­Blotting Auftrennung im Agarosegel
entsteht das in Teil B gezeigte Bild. Das Southern-Blot-Analyse
mütterliche Allel weist eine Restriktions-
schnittstelle weniger auf, wodurch hier ein
längeres Restriktionsfragment entsteht, das B
kürzere Fragment entspricht dem väterli-
chen Allel. Das Restriktionsfragment ist

Elektrophorese
also in diesem Individuum polymorph
mütterliches Allel
31
väterliches Allel

..      Abb. 31.23  Erbgang eines


Restriktionsfragment-­ A, B C, D D, D C, D
Längenpolymorphismus.
Gezeigt ist der Erbgang eines
A, C D, C
RFLP über drei Generationen.
In der analysierten Familie
treten vier Allele für die
polymorphe Region auf: Allele A, D C , DC ,C A, C C,D
A, B, C und D. Ihre Vererbung
folgt den Mendelschen
Gesetzen. Die meisten Allel A
Elektrophorese

Individuen sind polymorph für


das analysierte Restriktions- Allel B
fragment (A, B/A, C/A, D/C, Allel C
D), andere tragen auf beiden Allel D
homologen Bereichen das
gleiche Allel (C, C/D, D)

verlängerten Oligomeren (N + 1) kommen. Diese entste- phodiester) enthält. Eine weitere Neben-reaktion bei der
hen durch Doppeladdition während der durch Tetrazol Synthese von purinhaltigen Sequenzen ist die im sauren
katalysierten Kupplungsreaktion infolge geringfügiger Milieu zu beobachtende Depurinierung (. Abb. 31.26).  

Abspaltung der Säure-labilen DMT-­Gruppe entweder Hierbei wird unter Protonierung der Purinbase in der
am Monomer oder an der wachsenden Kette. Diese 7-Position die Hydrolyse der N-glykosidischen Bindung
durch den leicht sauren Charakter des Tetrazols initi- zwischen Nucleobase und Deoxyribose verstanden.
ierte Nebenreaktion ist besonders für die Kondensation Mögliche Nebenreaktionen bei der Entschützung sind
von Deoxyguanosin, dessen 5′-DMT-­Gruppe unter den entweder die unvollständige Entfernung der Schutz-
vier Nucleotiden am labilsten ist, zu beobachten. Im gruppen, wie etwa der Isobutyrylschutzgruppe an der
Falle der Herstellung von Phosphorothioaten beobach- exozyklischen Aminofunktion des Guanins, und die Bil-
tet man bei unvoll-ständiger Beschwefelung die Bildung dung von Acrylnitriladdukten. Letztere können nach ß-­
eines Oligonucleotids, das neben den Phosphorothio- Eliminierung der 2-Cyanoethylphosphat-­Schutzgruppe
at-Bindungen eine Phosphodiesterbindung (Monophos- durch basenkatalysierte Addition des Acrylnitrils an N3
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
803 31
DMTO
DMTO
O B1 O B2
HO
R1 O O
O B1 R1
O
NH O NC P
O O R1 O N

g NH 2. K
run upp
tylie
O lung
tri
1. De
DMTO DMTO
O O B2
B2

O R1 X=O Phosphodiester O R1
X
P X=S Phosphorothioat P
O O
NC O O NC O O
B1 B1

R1 O R1 O
O O

NH NH
O ion O
Abspaltung der x idat
Schutzgruppen; 4. Capping 3. O
Abspaltung von
der Festphase
Festphase
Reinigung
Fehlsequenzen R1: H für DNA
(N–1, N–2, N–3, etc.) R1:O-TBDMS für RNA

..      Abb. 31.24  Schematische Darstellung des Reaktionszyklus der Oligonucleotidsynthese nach der Phosphoramidit-Methode an der Fest-
phase (TBDMS: t-Butyldimethylsilyl, DMT: Dimethoxtrityl)

Cyanoethyl-Addukt
N
O O NH2
O O
H3C H3C H3C
N NH N N
NH NH
N O
Depurinierung
N O N O N O N N NH
OH
O
O O O O nicht abgespaltene
O S– O
S– S– O– S– Isobutyryl-Gruppe
O O O O O O
HO P O P O P P OH
O O P
O O O O
O
5'-Ende Monophosphodiester (NOx) 3'-Ende

N–1 N–2
Fehlsequenzen

..      Abb. 31.25  Mögliche Nebenprodukte der Oligonucleotidsynthese

O Depurinierung
H+
N
NH

N N NH-iBu
B B B OH B
H
O
O O H+/H2O
H O O O O
OCE OCE OCE OCE
O O P O O P O O O O P O O P O O
5' S S 3' 5' S S 3'

..      Abb. 31.26  Depurinierungsreaktion (iBu: isogutyryl)


804 T. Pöhlmann und M. Jurk

..      Abb. 31.27  Bildung von Cyanoethyl-Adduktbildung


Cyanoethyladdukten bei der N
Spaltung der Cyanoethylschutz- O H
gruppen mit konzentriertem O
Ammoniak NH H H CN
N
N O B NH3 (55 °C)
N O B
O O 12–16 h
O O O
5' O 3' O
O P O O
5' O O P O O 3'
O
O–

H3N| H
N
β -Eliminierung

31
der Thyminbase entstehen (. Abb. 31.27). Die Neben-
  theoretischen Grundlagen der Kapil-larelektrophorese
produkte der Oligonucleotidsynthese können aufgrund wurden in 7 Kap.  13 bereits beschrieben. Trennungs-

der Komplexität der Produkte nur teilweise durch die prinzip ist auch hier die Wanderung der (negativ gela-
anschließende Reinigung der Oligonucleotide mittels denen) Nucleinsäuren im elektrischen Feld. Die Auf-
lonenaustausch- oder Umkehrphasenchromatogra- trennung erfolgt in einer Quarzkapillare (Durchmesser
phie abgetrennt werden und sind daher im Endprodukt 50–100  pm, Länge ca. 20–50  cm) und wird durch den
durch geeignete analytische Methoden, wie die im Fol- Siebeffekt der Gelmatrix erzielt. Ein wichtiger Unter-
genden beschriebene LC-MS-­Methode, nachzuweisen. schied zu den oben beschriebenen slab-­Gelen ist, dass
neben quervernetztem (starrem) Gelmaterial auch
fließfähige Materialien eingesetzt werden können. Als
starres Gelmaterial wird hauptsächlich quervernetztes
31.2.2  ntersuchung der Reinheit von
U (cross-linked) Polyacrylamid verwendet. Eine solche
Oligonucleotiden Kapillare kann je nach Anwendung für 30–100 Trenn-
läufe dienen. Ein großer Vorteil einer fließfähigen Gel-
31.2.3  Gel-Elektrophorese matrix ist, dass sie am Ende eines jeden Laufes durch
Druck aus der Kapillare gepresst und somit gegen neues
Obwohl Agarose- oder Polyacrylamid-Gele in der Ana- Material ersetzt werden kann. So lässt sich jeder Lauf
lytik synthetisch hergestellter Oligonucleotide immer unter reproduzierbaren Bedingungen mit frischem Gel
weniger genutzt wurden, fanden sie neuerdings mit dem durchführen. Die Lebensdauer einer Kapillare erhöht
Aufkommen therapeutischer mRNAs, längerer Apta- sich ebenfalls. Fließfähige Polymere sind Hydroxyme-
mere und langen Crispr/Cas Guide-Strängen wieder thylcellulose (HPMC), Hydroxyethylcellulose (HEC),
vermehrt Anwendung. Vor Allem als Methode für die Polyethylenoxid (PEO), Polyvinylpyrrolidon (PVP)
Eingangsanalytik und bei der Untersuchung von De- oder lineares Polyacrylamid. Als Laufpuffer werden
gradierungen in Stabilitätstests kann diese Methode analog zur slab-­ Gelelektrophorese meist TBE-Puffer
ohne große Optimierung eingesetzt werden, während verwendet. Für eine CGE unter denaturierenden Be-
die Etablierung von beispielsweise HPLC-Protokollen dingungen wird dem Laufpuffer Harnstoff zugesetzt.
vergleichsweise aufwändig ist. Außerdem ist der geringe Die Proben (1–2/A) werden durch elektrokinetische In-
Geräteaufwand ein weiterer Vorteil dieser Methode. jektion oder Druckinjektion aufgetragen (7 Kap.  13).  

Details zu dieser Methode wurden bereits im Probeninjektion (besonders bei elektrokinetischer In-
7 Abschn. 31.1.1.1 dargestellt.
  jektion) und Laufverhalten in der Kapillare sind stark
vom Salzgehalt der Probe abhängig, sodass die Proben
31.2.3.1  Kapillarelektrophorese vor dem Auftrag meist entsalzt werden. Die Elektro-
Die Kapillargelelektrophorese (capillary gel electropho- phorese erfolgt bei hohen Spannungen (1–30  kV). Die
resis, CGE) von Nucleinsäuren wird hauptsächlich für Detektion der zu trennenden Nucleinsäuren kann durch
analytische Zwecke verwendet. Vorteile gegenüber kon- UV-Absorption erfolgen. Hierzu muss die UV-undurch-
ventionellen Gel-elektrophorese-Methoden sind Schnel- lässige Polyimidschicht, die zur Stabilität der Kapillare
ligkeit, geringeres Probenvolumen, höhere Sensitivität beiträgt, durch Abflammen an der Detektionsstelle
und sowie eine sehr hohe, basengenaue Auflösung. Die entfernt werden (7 Kap.  13). Die Detektion erfolgt

Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
805 31
mithilfe von fluoreszierenden Farbstoffen (OliGreene, hydrophile und hydrophobe, aber unpolare und polare
SYBR®Green, 7 Abschn. 31.1.2), oder durch die Ver-
  Analyten trennen. Sind die polaren Eigenschaften der
wendung fluoreszenz-markierter Primer während einer Analyten sehr stark ausgeprägt, ist eine Trennung mit-
vorherigen PCR.  Eine wichtige Anwendung der CGE tels einer normalen RP-Methode nicht möglich. Um
ist die Darstellung von Allel-­Profilen in forensischen die Wechselwirkungen und damit auch die Affinität der
Untersuchungen. Während die CGE in der Analytik polaren Substanzen zu RP-Phasen zu erhöhen, verwen-
chemisch-synthetisierter Oligonucleotide immer weni- det man in der Regel so genannte lonenpaarreagenzien.
ger genutzt wird, ist diese Methode in der Forensik die Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie zum einen
die Möglichkeit der schnellen und präzisen Auswertung eine hydrophobe Wechselwirkung mit der RP-Phase
von Multiplex-PCRs und die Eindeutigkeit der Signale und zum anderen eine Ladungswechselwirkung mit den
extrem verbreitet. Analyten eingehen.
Aufgrund des schwach ausgeprägten hydrophoben
31.2.3.2  HPLC Charakters und der polyanionischen Natur von Oligo-
Bei der Charakterisierung synthetisch-produzierter Oli- nucleotiden sind diese einer herkömmlichen reverse-­
gonucleotide ist, im Gegensatz zu der Isolierung aus bio- phase- (RP-)HPLC (Umkehrphasen-HPLC) nur schwer
logischen Proben, die Besonderheit gegeben, dass nicht zugänglich. Daher finden bei der HPLC-Trennung von
nur chemisch nahezu identische Moleküle zur Analytik Oligonucleotiden Ionenpaar- (IP-) Reagenzien An-
vorliegen, sondern deren Sequenz und ­Moleküllänge ist wendung, die zu einer verstärkten Wechselwirkung der
meist auch sehr ähnlich. Ziel dieser Analytik ist, Neben- Analyten mit der stationären Phase der Säule führen
produkte aus der Synthese (Oligonucleotide mit weni- (. Abb. 31.28). Triethylammoniumacetat (TEAA) und

ger Basen, beispielsweise n − 1, n − 2, n − 3; mit mehr Tetrabutylammoniumbromid (TBAB) sind zwei IP-­
Basen, beispielsweise n  +  1; Oligonucleotide mit noch Reagenzien, die bei der Trennung von Oligonucleotiden
verbliebenden Schutzgruppen) klar von dem Hauptpro- mittels IP-RP-HPLC Anwendung finden. Da TBAB je-
dukt abzutrennen. Das gilt auch für chemische Modi- doch nicht flüchtig ist und daher nicht in Kombination
fikationen, beispielsweise Phosphorothioate, bei denen mit der Elektrosprayionisierung der Massenspektrome-
ein Nebenprodukt der herkömmliche Phosphordiester ter eingesetzt werden kann (LC/MS), wird meist TEAA
ist. Daher wurden verschiedene HPLC-­Verfahren ent- verwendet. Auch Mischungen aus Hexafluoroisopropa-
wickelt und optimiert, die eine hohe Auflösung und Ab- nol und Triethylamin finden als Ionenpaar-Reagenz An-
trennung der einzelnen Molekülpopulationen erlauben wendung (7 Abschn. 31.2.4.1). Dabei sind es vor Allem

und teilweise mit anderen Analysetechniken, beispiels- die Ammoniumionen mit Alkylresten die zur Steigerung
weise der Massenspektrometrie kombinierbar sind. der Wechselwirkung zwischen den Analyten und der
Reverse Phase HPLC: Mit der RP-HPLC lassen RP-Phase beitragen. Neben Ladungswechselwirkungen
sich, bedingt durch die Natur von Säule und Eluenten treten auch hydrophobe Wechselwirkungen zwischen

hydrophobe
O Wechselwirkung Silicagel

B C18-Reste O
O
O Si O
O– O
P + O
H N
O X Si O
O
+ O
B H N
O Si O
O – O
O O
P +
H N
O X Si O
O
O
B
O
O Ladungswechselwirkung

N(Et)3 + HOCH(CF3)2 HN(Et)3+ + –OCH(CF3)2

..      Abb. 31.28  Schematische Darstellung des Trennmechanismus Phasen sind poröse Kieselgele, an deren Oberfläche Alkylgruppen
einer Ionenpaar-reversed-phase-HPLC.  Von reversed-phase-­ unterschiedlicher Länge gebunden sind. Die Kettenlänge der Alkyl-
Chromatographie spricht man, wenn die verwendete stationäre reste bestimmt die Hydrophobizität der stationären Phase. Am häu-
Phase unpolarer ist als das Eluentengemisch. Typische stationäre figsten werden C18- oder auch C8-Alkylketten verwendet
806 T. Pöhlmann und M. Jurk

der RP-Phase und den hydrophoben Basen des Oligo- mit einer einzigen Analyse charakterisieren, welche Ne-
nucleotids auf, die zur gesamten Retention des Analyten benprodukte/Produkte in welchen Mengen in der Probe
beitragen. Die Trennleistung einer lonenpaarmethode vorhanden sind.
zur Oligonucleotidtrennung wird maßgeblich von der Bei diesem Verfahren werden die Analyten, die im
Lipophilie des Ammonium-Kations bestimmt. Darüber Trennpuffer gelöst von der HPLC-Säule eluiert werden,
hinaus hat jedoch auch das Gegen-Ion einen Einfluss über eine Kapillare in die Ionenquelle eingebracht. In der
auf die Trennung. So erklärt Gilar die hohe Trennleis- Ionenquelle wird unter Atmosphärendruck durch Anle-
tung des HFIP/TEA-Puffers damit, dass HFIP im Ver- gen eines elektrischen Feldes von mehreren Kilovolt an
gleich zu Essigsäure (TEAA-Puffer) die Löslichkeit von die LC-Kapillare ein fein verteiltes Spray hoch geladener
protonierten TEA-Moleküle im Eluenten herabsetzt Lösungsmitteltröpfchen mit einem Durchmesser von
und somit die Oberflächenkonzentration des Kations wenigen Mikrometern gebildet. Die Analyse von Oligo-
auf der RP-Phase erhöht. Die Auftrennung erfolgt da- nucleotiden, die aufgrund des Phosphatrückgrates sehr
bei meist in Methanol/Wasser-Gradienten statt, wobei leicht negativ geladene MolekülIonen bilden, erfolgt im
die Ionenkonzentrationen (HFIP/TEA) meist konstant Negativionen-Modus, indem an die LC-­Kapillare eine
gehalten werden. positive Spannung angelegt wird. Besonders erfolgreich
31 Ionenaustauschromatographie: Bei der Ionenaus- ist die Ionisierung, wenn die Oligonucleotide aufgrund
tauschchromatographie werden Moleküle anhand ihrer der Verwendung eines geeigneten HPLC-Puffersystems
Nettoladung aufgetrennt. Dabei ist die in der HPLC bereits in deprotonierter Form vorliegen. Dies lässt sich
Säule befindliche stationäre Phase (im Fall der Analytik durch Verwendung von Puffern erreichen, die während
von Oligonucleotiden oft Polymer-­Säulenmaterial) eine des Elektrosprayprozesses einen alkalischen pH-Wert
den zu analysierenden Stoffen entgegengesetzte Ladung, aufweisen. Durch Desolvatationsprozesse werden die
sodass sich bei dem Auftrag der Probe die Moleküle an Ionen aus den Lösungsmitteltröpfchen in die Gasphase
das Säulenmaterial binden. In der mobilen Phase wird überführt, wobei sich je nach Molekulargewicht des
dann die Salzkonzentration stetig gesteigert, was zum Oligonucleotids überwiegend mehrfach geladene Mole-
Ablösen zunächst wenig geladener und mit steigender kül-Ionen bilden. Die Ladungsverteilung wird vor allem
Ionenstärke stärker geladener Moleküle führt. Da jedes durch das Molekulargewicht des Analyten bestimmt,
Nucleosid in einem Oligonucleotid eine Ladung auf- kann aber zusätzlich durch die Art des verwendeten
weist, sind längere Oligonucleotide stärker an das Säu- HPLC-Puffers sowie durch die Geräteparameter beein-
lenmaterial gebunden, als kürzere. flusst werden. Eine Fragmentierung der Analyten wird
Auf diese Weise lassen sich sehr gut beispielsweise 21 aufgrund der geringen thermischen Belastung während
Basen RNA-Moleküle einer siRNA von den n − 1 und der lonisierung beim Elektrosprayverfahren nicht be-
n − 2 Nebenprodukten abtrennen. Für die Analytik von obachtet. Nach Überführung der Analyten in die Gas-
Oligonucleotiden wurden spezifische Säulenmateria- phase erfolgt die Massenanalyse der Ionen in einem
lien und Puffersysteme entwickelt, um eine Basislinien-­ lonenfallen-oder Quadrupol-Massenspektrometer. Die
Auftrennung zu erreichen. HPLC-Kopplung bietet bei der Analyse von Oligonu-
Allerdings lassen sich nicht alle Oligonucleotide mit- cleotiden den Vorteil, dass komplexe Substanzgemische
tels herkömmlicher Ionenaustauschchromatographie auf relativ einfachem Wege untersucht werden können.
auftrennen. Mit fortschreitender Entwicklung therapeu- Des Weiteren bietet die chromatographische Aufreini-
tischer Oligonucleotide wurden mehr und mehr chemi- gung die Möglichkeit einer fast vollständigen Entfer-
sche Modifikationen entwickelt, die beispielsweise die nung von Salzen, die ansonsten den Elektrospraypro-
Serum-Halbwertszeit erhöhen bzw. die Oligonucleotide zess behindern würden. Durch die Kopplung der HPLC
stabiler gegenüber enzymatischem Abbau machen. Ei- mit der ESI-MS erhält man neben dem UV-Chromato-
nige dieser Modifikationen führen zu einer verstärkten gramm eine weitere chromatographische Information.
Bindung an das Ioenaustausch-Säulenmaterial, was eine das so genannte TIC-­Chromatogramm (wobei TIC für
Auftrennung erschwert. total ion current steht), das in der Regel gut mit dem bei
260  nm detektierten UV-Chromatogramm korreliert.
Die massenspektrometrische Detektion erlaubt es nun,
31.2.4 Charakterisierung von zu jedem Zeitpunkt im TIC-Chromatogramm ein Mas-
Oligonucleotiden senspektrum darzustellen (. Abb. 31.29). Die Elektro-

sprayionisation von Oligonucleotiden führt in der Regel


31.2.4.1 LC/MS zu einer Serie von mehrfach geladenen Ionen, die eine
Die LC/MS ist eine Kombination von HPLC und Mas- unterschiedliche Zahl von negativen Ladungen auf dem
senspektrometrie, bei der jedem UV-Signal ein Massen- Oligonucleotidrückgrat tragen. Daher findet man im
spektrum zugeordnet werden kann. Auf diese Weise be- Massenspektrum eines Oligonucleotids immer eine Se-
kommt der Nutzer eine Information über die Reinheit rie von Ionensignalen, die sich jeweils um eine Ladung
und die Identität seiner Proben, das bedeutet, er kann unterscheiden. Daher wird für das zu messende Molekül
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
807 31
TIC (MS) oder UV (HPLC)
Dekonvolution

counts
Intensität
1 Substanz 1

HPLC MS 2 m/z
1
7876,32 Da

counts
Zeit
Quantifizierung
über TIC oder UV Masse
m/z

MS-Spektrum zweier

Intensität
koeluierender 6365,45 Da
Substanzen 2a und 2b 2a
2a 7190,33 Da

Quantifizierung 2b
Zeit Masse
koeluierender
Intensität

Substanzen Dekonvolution
2b EIC der Substanzen Substanzen 2a
2a und 2b und 2b

Zeit

..      Abb. 31.29  Schematische Darstellung der LC-MS-Analyse eines Stoffgemisches aus drei Komponenten, von denen zwei (2a und 2b)
chromatographisch nicht auftrennbar sind

der Masse um jeweils eine Serie unterschiedlicher Werte können selbst solche Substanzen quantifiziert werden,
von m detektiert. Da bei der ESI-MS nicht die Masse die mittels HPLC nicht separiert wer-den konnten, vor-
selbst, sondern das Verhältnis m/z gemessen wird, lassen ausgesetzt, diese weisen verschiedene Massen auf.
sich im Falle mehrfach ionisierter Moleküle auch noch Bei der Etablierung einer LC/MS Methode ist dabei
solche mit relativ hohem Molekulargewicht bestimmen. darauf zu achten, dass die verwendeten Puffersysteme
Die Intensität eines lonensignales hängt dabei mit der großen Einfluss auf die massenspektrometrische Ana-
statistischen Wahrscheinlichkeit zusammen, mit der das lyse haben, im Besonderen auf die Ionisierung haben.
entsprechende Ion beim Elektrosprayprozess gebildet Bei der Analytik von Oligonucleotiden wird im All-
wird. Im Idealfall ergibt sich für die Intensitätsvertei- gemeinen die Ionensprayionisierung und die bei der
lung eine Gaußsche Verteilungskurve. Die tatsächliche IP-­
­ RP-­ HPLC angegebenen TEAA bzw. HFIP/TEA
Form der Intensitätsverteilung und die Lage des Maxi- Puffer verwendet.
mums sind jedoch von der Wahl verschiedener MS-Pa- Obwohl TEAA ein flüchtiges Ionenpaarreagens
rameter abhängig, da diese die Transmission einzelner darstellt, beeinflusst es die Empfindlichkeit der MS-­
Ionen stark beeinflussen können. Die Bildung von Io- Detektion negativ. Die für eine effiziente Trennung
nenserien verhindert die direkte Bestimmung der Mo- notwendige Konzentration an TEAA führt in der Re-
lekulargewichte aus den Massenspektren der Oligonuc- gel zu einem deutlichen Verlust an Sensitivität der MS-­
leotide. Diese erhält man jedoch durch Dekonvolution, Detektion. Die erhöhte MS-Sensitivität des HFIP/
bei der ausgehend von den gemessenen m/z-Werten der TEA-­ Puffers im Vergleich zum TEAA-Puffer führt
einzelnen Ladungszustände das Molekulargewicht be- Apffel et.  al. auf die unterschiedlichen Siedepunkte
rechnet wird. Die im full-scan-Modus einer Ionenfalle von HFIP, Essigsäure und TEA zurück. Da Essigsäure
aufgezeichneten Massenspektren können überdies zur (Sdp. 118 °C) einen höheren Siedepunkt als TEAA (Sdp.
Generierung so genannter extrahierter lonenchromato- 89 °C) aufweist, wird TEA bevorzugt verdampfen, wo-
gramme (extracted ion chromatogramm, EIC) genutzt durch der pH-Wert des HPLC-Eluenten während des
werden. Hierbei wird aus den einzelnen m/z-Werten ei- Elektrosprayprozesses abnimmt. Diese Erniedrigung
ner lonenserie einer Verbindung eine Chromatogramm- des pH-Wertes führt zur Protonierung des negativ gela-
spur berechnet, anhand derer man erkennt, zu welchem denen Oligonucleotids und damit zu einer Herabsetzung
Zeitpunkt eine bestimmte Komponente eluiert. EIC der Sensitivität der MS-Detektion. Im Gegensatz dazu
können somit genutzt werden, um Chromatogramm- wird während der Desolvatation eines HPLC-Eluenten
spuren koeluierender Substanzen mit unterschiedlichen aus HFIP/TEA-Puffer und Analyten das HFIP bevor-
Molekulargewichten zu generieren. Diese können dann zugt verdampfen, was zu einer Erhöhung des pH-Wertes
wie jedes her-kömmliche UV- oder TIC-Chromato- und damit zu einer Deprotonierung der Phosphatgrup-
gramm zur Quantifizierung genutzt werden; das heißt es pen im Oligonucleotidrückgrad führt. Das somit negativ
808 T. Pöhlmann und M. Jurk

geladene Oligonucleotid kann während des ESI-Prozes- vertauscht sein. Problematisch bei der Sequenzie-
ses in die Gasphase überführt und mit hoher Sensitivität rung synthetischer Oligonucleotide ist, dass aufgrund
detektiert werden. Gilar et  al. haben das ursprünglich ihrer kurzen Sequenz herkömmliche Sequenzierungs-
von Apffel et  al. eingeführte HFIP/TEA-­Puffersystem methoden nicht verwendbar sind. Hier ist aber die
zur HPLC-Trennung von Oligonucleotiden weiter opti- MALDI-TOF-MS-Analytik unter vorheriger Anwen-
miert und damit zur breiteren Anwendung in Forschung dung spezifischer Nucleasen vorteilhaft. Beispielsweise
und Entwicklung verholfen. können mit einer Snake Venom Phosphodiesterase
RNA-Oligonucleotide vom 5′Ende her degradiert und
31.2.4.2  MALDI-TOF-MS einzelne Nucleoside abgetrennt werden; Bovine Spleen
Eine weitere Methode zur Untersuchung der Molekül- Phosphodiesterase degradiert RNA-Oligonucleotide
masse ist die Matrix-Assisted-Laser-Disorption and vom 3′Ende her. Im MALDI-TOF-MS entstehen dann
Ionisation Time-of-Flight Massenspektrometrie. Dabei spezifische Signale, die den spezifischen Nucleosiden zu-
werden die zu analysierenden Proben mit Matrix-Salzen geordnet werden können.
verdünnt und auf einer Trägerplatte getrocknet. Im Ge-
rät wird die Energie deines Lasers von der Matrix auf
31 die Moleküle in der Probe übertragen, welche sich als 31.2.5 Aufreinigung von Nucleinsäuren
Gas von der Trägerplatte lösen. Dabei werden je nach
Molekülart Protonen aus der Probe gelöst bzw. ange- Neben der reinen Analytik von Nucleinsäuren gibt es eine
lagert, wodurch eine Ladung entsteht. In dem Flugrohr Reihe von Anwendungen, bei der die Isolation bestimmter
werden diese Moleküle dann in einem elektrischen Feld Sequenzen oder Fragmente erreicht werden soll. Ein Bei-
beschleunigt und die Flugzeit bestimmt. Mit dieser Me- spiel hierfür ist die Aufreinigung bestimmter DNA-Frag-
thode können sehr komplexe Moleküle analysiert wer- mente, die aus einem Vektor herausgeschnitten wurden
den; Für Oligonucleotide ist diese Methode besonders und in einen neuen Vektor gespliced werden sollen; ein
geeignet, weil auch mit geringen Probenmengen eindeu- weiteres Beispiel ist die Abtrennung einer in  vitro tran-
tige Ergebnisse erzielt werden können. skribierten mRNA von der DNA-Matrize und ein drittes
Mittels MALDI-TOF-MS können prinzipiell Mo- Beispiel ist die Abtrennung von Nebenprodukten aus der
leküle über einen großen sehr Massenbereich analysiert Oligonucleotid-Synthese vom Produkt.
werden. Allerdings ist die Analyse von Oligonucleotiden Bei der Aufreinigung von Nucleinsäuren stehen – an-
dadurch begrenzt, dass während der Ionisierung ab etwa ders als bei rein analytischen Verfahren – oft weniger die
40 Basen Molekülbruchtücke entstehen; des Weiteren Auflösung des Verfahrens, als dessen Skalierbarkeit im
geben die verwendeten Matrices spezifische Signale im Vordergrund. Bei der Isolierung von DNA-Fragmenten
unteren Massenbereich, was die Analyse von Di- und zur Neukombination und Klonierung in einen Vektor ist
Trinucleotiden erschwert. dieser Effekt nicht so ausgeprägt – bei der Aufreinigung
Charakteristisch für die Analytik von Oligonuc- von beispielsweise synthetisierten siRNAs oder Anti-
leotiden ist außerdem das Auftreten von so genannten sense Oligonucleotiden für pharmazeutische Anwen-
Salzpeaks. Bei diesen Signalen haben sich den Proben dungen und Phase-3 Studien im kilogramm-­Maßstab
einzelne Salz-Ionen (beispielsweise Natrium- oder Ka- dafür umso mehr.
lium-Ionen) angelagert, weshalb diese um spezifische
Beträge schwerer erscheinen, als das erwartete Produkt. 31.2.5.1  Isolierung von Fragmenten nach
Durch Entsalzung der Probe vor dem Auftragen auf die Gelelektrophorese
Matrix können diese Signale vermindert werden; ins- Oft werden Fragmente für die Klonierung nur in gerin-
besondere bei der Analytik komplexer Proben und der gen Mengen benötigt. Daher können diese gut in einem
Identifizierung von Nebenprodukten der Oligonucleo- Gel aufgereinigt werden. Allerdings müssen diese aus
tidsynthese ist dies von besonderer Bedeutung und er- den Gelstücken wieder isoliert und für den späteren
leichtert die Auswertung der Daten. Einbau in neue Vektoren in wässrige Lösung gebracht
werden. Da es sich hierbei um in vitro Methoden han-
31.2.4.3  Sequenzierung kurzer delt, stehen pharmazeutische Sicherheits-Aspekte bei
Oligonucleotide der Reinheit des Endproduktes bezüglich der Inhalts-
Auch wenn die chemische Festphasensynthese von Oli- stoffe (Endotoxine, Schwermetalle, Acrylamid, usw.)
gonucleotiden ein gut kontrollierter Prozess ist, und die kaum eine Rolle. Daher können einfache Isolations-­Kits
theoretische Molekülmasse gut mit der Molekülmasse genutzt werden, um die Gele (Agarose oder Polyacryl-
des Produktes verglichen werden kann, ist der Nach- amid) zu homogenisieren, die Nucleinsäuren in Lösung
weis der Sequenz gerade für therapeutische Oligonu- zu bringen, über eine Fällung oder über die Bindung an
cleotide von besonderer Bedeutung. Immerhin könnte Säulen – ähnlich wie bei der Isolation von Nucleinsäu-
theoretisch die Reihenfolge der einzelnen Nucleoside ren aus biologischem Material – zu isolieren.
Aufarbeitung und chemische Analytik von Nucleinsäuren
809 31
31.2.5.2  Elektroelution Mit dieser hauptsächlich angewendeten Methode kön-
Eine weitere einfache und effektive Möglichkeit, Nucle- nen standardmäßig Fragmente zwischen 40 bp bis 50 kb
insäuren aus einem Gel wieder zu isolieren, ist die Elek- aus 0,2–2 %igen Agarosegelen isoliert werden. Ab einer
troelution. Bei dieser Methode wird das entsprechende bestimmten Größe (meist größer als ca. 4 kb) muss die
Gelstück in eine Kammer übertragen, an dessen Seiten DNA für längere Zeit und bei erhöhter Temperatur von
Membranen die Durchlässigkeit von Strom gewährleis- den Glaskügelchen gelöst werden. Die Ausbeute der
ten – gleichzeitig aber eine so kleine Porengröße haben, Fragmentisolierung ist auch von der Größe der Frag-
dass die Nucleinsäuren diese nicht passieren können. mente abhängig. Bei der Isolation der Fragmente aus
Wird diese Kammer nun einem elektrischen Feld aus- TBE-Gelen müssen zusätzlich noch Monosaccharide
gesetzt, passiert das gleiche wie bei der Elektrophorese – präsent sein, um die vorhandenen Borationen zu che-
die Nucleinsäuren wandern entsprechend ihrer Ladung latieren. Die Methode kann auch unter modifizierten
aus dem Gel heraus und gehen in die umgebende Lö- Bedingungen (andere Pufferbedingungen und Filtration
sung über. Im Anschluss kann die Lösung aus der Kam- vor Inkubation mit den Glas-beads) aus Polyacrylamid-
mer pipettiert und die Nucleinsäuren weiterverarbeitet gelen erfolgen.
werden. Auch diese Methode findet vor Allem bei klei-
nen benötigten Mengen von Nucleinsäuren Anwendung 31.2.5.4  Reinigung über Gelfiltrations- oder
und ist schlecht auf große Mengen skalierbar. Dafür
reversed-phase-Säulen
ist diese Methode aber preiswert, schnell und effektiv
durchzuführen und wird bei der Herstellung von syn- Das Reinigungsprinzip der Gelfiltrationschromato-
thetischen Oligonucleotiden im kleinen Maßstab oft graphie wurde bereits in 7 Abschn.  30.1.2 ausführ-

verwendet. lich erläutert. Bei der Fragmentisolierung wird dieses


Verfahren hauptsächlich zur Abtrennung radioaktiver
31.2.5.3  Reinigung über Glas-Beads Nucleotide aus Markierungsansätzen oder zur Entsal-
zung bestimmter Reaktionsgemische verwendet. Da die
Viele käufliche Reinigungsmethoden beruhen auf der
Fragmente oft sehr klein sind, ist die Wahl des Gelfiltra-
Eigenschaft der DNA, an vorbehandelte Glaskügel-
tionsmaterials zur Abtrennung der Nucleotide wichtig.
chen, so genannte Glas-beads, zu binden. Die Agarose
Größte Bedeutung hat die Gelfitration bei der Aufrei-
wird dabei durch Behandlung mit chaotropen Reagen-
nigung von PCR-Fragmenten für Sequenzreaktionen
zien wie zum Beispiel Iodacetat oder Natriumperchlorat
zur Abtrennung überschüssiger Fluoreszenzfarbstoffe,
zerstört. Durch eine hohe Konzentration an chaotro-
Primer und Nucleotide, die die Gelelektrophorese sowie
pen Salzen werden die Wasserstoffbrücken-Bindungen
die anschließende Fluoreszenzdetektion stören würden.
innerhalb des Agarosepolymers zerstört und so die
Aufgrund der stetig steigenden Anzahl von Sequenz-
Gelstückchen aufgelöst. Die Adsorption der DNA an
reaktionen werden auch Gelfiltrationsmethoden im
Silica-­Oberflächen oder Glas-beads erfolgt in Gegen-
96-Loch-Format angeboten.
wart hoher Konzentrationen von chaotropen Salzen.
Diese Adsorption der DNA ist stark pH-abhängig, 31.2.5.5  Präparative HPLC
sodass einige kommerziell erhältliche Kits den Puffern
Für sehr saubere und qualitativ hochwertige Nuclein-
pH-Indikatoren zugesetzt haben, um einen optimalen
säuren – und vor Allem für synthetische Oligonucleotide
pH-Wert (unter pH 7,5) für die Bindung zu gewähr-
findet die präparative HPLC Anwendung. Für Labor-
leisten. Die Glaskügelchen werden je nach Art des Kits
mengen werden oft Reverse Phase HPLC Methoden
abzentrifugiert oder über kleine Säulen isoliert. Die ad-
angewandt, um in kurzen HPLC-Läufen mittels Trityl-­
sorbierte DNA wird nach einigen Waschschritten zur
ON-­Synthesen eine Aufreinigung zu erreichen. Hinter-
Entfernung von Agaroserückständen und Salzen an-
grund hierbei ist, dass bei der chemischen Synthese von
schließend durch Puffer mit geringem Salzgehalt und
Oligonucleotiden nach der Kopplung des letzten Amidi-
höherem pH-Wert (am besten eignet sich TE-Puffer)
tes die Trityl-Schutzgruppe an dem Oligonucleotid ver-
von den Glaskügelchen gelöst.
bleibt und dadurch ein großer Shift im Chromatogramm
zwischen Nebenprodukten und Produkt erreicht wird.
chaotrop
Im Anschluss kann entweder direkt auf der HPLC-
Eigenschaft von Ionen, Wasserstoffbrücken-Bindungen Säule oder nach der Elution die Trityl-­Schutzgruppe
zu beeinflussen und eine Struktur zu zerstören. Solche abgespalten und dadurch das Produkt isoliert werden.
Ionen sind negativ geladen, haben große Radien und ge- Für pharmazeutische Anwendungen findet auf-
ringe Ladungsdichte, wie z. B. I−, ClO −4 , SCN−. grund der verwendeten Mengen und der Prozesssicher-
heit diese Methode kaum Anwendung. Hier wird meist
810 T. Pöhlmann und M. Jurk

das Rohprodukt komplett entschützt und mittels Ionen- kleiner als die Oligonucleotidmoleküle sind. Je nach
austauschchromatographie aufgereinigt. Die hier ver- angelegtem Druck im System werden die Ionen und
wendeten Säulen und die benötigten Flussmengen in der Wassermoleküle durch die Membran gedrückt (Filtrat),
HPLC können je nach der Menge aufzureinigenden Ma- während die Oligonucleotide zurück in den Vorratstank
terials extrem groß werden. Auch aus diesem Grund ist gelangen (Permeat).
die Ionenaustauschchromatographie vorteilhaft, da hier Durch die Verwendung sehr großer Membranen
ausschließlich Puffersalze verwendet werden, die preis- bzw. Kartuschensystemen kann dieser Prozess gut ska-
wert zu entsorgen sind – während bei der Reverse-­Phase liert werden und findet auch bei Herstellungsprozessen
Chromatographie große Mengen Lösungsmittel an- im Gramm- und Kilogramm-Maßstab Anwendung.
fallen würden. Prinzipiell funktioniert eine präparative
Ionenaustauschchromatographie genau wie eine analy-
tische Ionenaustauschchromatographie: die geladenen Literatur und Weiterführende Literatur
Nucleinsäuren/Oligonucleotide binden an eine Matrix;
durch die ansteigende Salzkonzentration wird die Bin- Arnaud CH (2016) 50 years of HPLC. Chem Eng News 94:28–33
dung zur Matrix kleiner, sodass weniger geladene (kür- Ausubel FM, Brent R, Kingston RE, Moore DD, Smith JA, Seid-
man JG, Struhl K (1987–2005) Current protocols in molecular
31 zere) Oligonucleotide sich eher von der Matrix lösen, als biology. Wiley, New York
stärker geladene (längere) Oligonucleotide. Auf diese Barciszewska M, Sucha A, Bałabańska S, Chmielewski MK (2016)
Art und Weise kann das Rohprodukt in die verschiede- Gel electrophoresis in a poly-vinylalcohol coated fused silica ca-
nen Oligonucleotid-Populationen aufgetrennt werden pillary for purity assessment of modified and secondary-­
(kürzere Nebenprodukte und Produkte). Allerdings er- structured oligo- and polyribonucleotides. Sci Rep 6:19437
https://doi.org/10.1038/srep19437
folgt die Auftrennung der Populationen aufgrund der
Joyner JC, Keuper KD, Cowan JA (2013) Analysis of RNA cleavage
aufzutrennenden Menge und der verwendeten Säulendi- by MALDI-TOF mass spectrometry. Nucleic Acids Res
mensionen viel weniger gut getrennt als bei analytischen 45:7042–7048. https://doi.org/10.1093/nar/gks811
Verfahren. Lin CY, Huang Z, Jaremko W, Niu L (2014) High-performance li-
quid chromatography purification of chemically modified RNA
31.2.5.6  Entsalzung über Cross-Flow aptamers. Anal Biochem 449:106–108. https://doi.org/10.1016/j.
ab.2013.12.022
Filtration Maniatis T, Fritsch FF, Sambrook J (1989) Molecular cloning: a la-
Nach der Aufreinigung synthetisch-hergestellter Oli- boratory manual. Cold Spring Harbor Laboratory, Cold Spring
gonucleotide mittels Ionenaustauschchromatographie Harbor
Martin R (1996) Gel electrophoresis: nucleic acids. Bios Scientific
sind die Moleküle oft in einer Salzlösung gelöst. Im La-
Publishers Limited, Oxford
bormasßstab können die Salze über Entsalzungssäulen Nwokeoji AO, Kung AW, Kilby PM, Portwood DE, Dickman MJ
(siehe Größenausschlußchromatographie) aus den Lö- (2017) Purification and characterization of dsRNA using ion pair
sungen entfernt werden; im Produktionsmaßstab und reverse phase chromatography and mass spectrometry. J Chroma-
unter GMP ist dieser Prozess nicht praktikabel. Hier togr A 1484:14–25. https://doi.org/10.1016/j.chroma.2016.12.062
Sambrook J, Russell DW (2001) Molecular cloning: a laboratory ma-
findet die CrossFlow-Filtration Anwendung. Bei dieser
nual, 3. Aufl. Cold Spring Harbor Press, Cold Spring Harbor
Methode wird die Oligonucleotid-Lösung mittels Peris- Zhang Q, Lv H, Wang L, Chen M, Li F, Liang C, Yu Y, Jiang F, Lu
taltikpumpen entlang einer Membran gepumpt, deren A, Zhang G (2016) Recent methods for purification and struc-
Porengrößen größer als die zu entfernenden Ionen und ture determination of oligonucleotides. Int J Mol Sci 2016:2134.
https://doi.org/10.3390/ijms17122134
811 32

RNA-Strukturaufklärung durch
chemische Modifikation
W.-Matthias Leeder und H. Ulrich Göringer

Inhaltsverzeichnis

32.1 Grundlagen der RNA-Faltung – 813


32.1.1  NA-Primärstruktur – 813
R
32.1.2 RNA-Sekundär- und Tertiärstruktur – 814

32.2 RNA-Modifikationsreagenzien und ihre Spezifitäten – 817


32.2.1  asenspezifische Modifikationsreagenzien – 818
B
32.2.2 Basenunabhängige Modifikationsreagenzien – 818

32.3 Identifizierung der modifizierten Nucleotidpositionen – 819

32.4 Experimentelle Durchführung – 821


32.4.1  NA-Synthese und notwendige Kontrollen – 821
R
32.4.2 Chemische Modifikation – 821
32.4.3 Einbindung der Modifikationsdaten in 2D-Strukturvorhersagen – 822

32.5 Transkriptomweite Strukturaufklärungen – 824

32.6  rweiterung der Strukturaufklärungsmöglichkeiten durch


E
Mutational Profiling – 825

32.7 In vivo-Modifikationen – 826

Literatur und Weiterführende Literatur – 829

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J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_32
812 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

55 Die chemische Modifikation von Ribonucleinsäuren als „pervasive Transkription“ bezeichneten biologischen
stellt eine Experimentaltechnik dar, mit der die Sekun- Phänomen: Nahezu das gesamte Genom eines Organis-
därstruktur bzw. die Strukturänderung von RNA-­ mus wird transkribiert und damit in RNA-Moleküle
Molekülen nucleotidgenau bestimmt werden kann. übersetzt (Amaral et  al. 2008). Als Ergebnis enthalten
55 Die Spezifitäten der als Struktursonden agierenden sowohl pro- wie eukaryotische Zellen eine Vielzahl un-
modifizierenden Agenzien ermöglichen die Untersu- terschiedlicher „RNA-Spezies“. Hierzu gehören riboso-
chung diverser struktureller Eigenschaften, wie z.  B. male (r)RNAs, transfer- (t)RNAs, messenger- (m)RNAs,
der Zugänglichkeiten der heterocyclischen Basen, der micro- (mi)RNAs (7 Abschn. 41.2.5), kurze und lange

Strukturdynamik der Ribonucleotide bzw. der Lö- non-coding- (nc)RNAs, small interfering- (si)RNAs
sungsmittelzugänglichkeit der Ribosebausteine. (7 Abschn.  41.2), guide- (g)RNAs, Piwi-interacting-

55 Die chemischen Umsetzungen lassen sich in einem (pi)RNAs und viele mehr. Die spezifischen Funktionen
breiten Lösungsmittelkontext, bei unterschiedlichen dieser RNAs werden durch deren Primärsequenzen, in
Temperaturen und auf unterschiedlichen Zeitskalen letzter Konsequenz jedoch durch die zwei- und dreidi-
durchführen. Auch ist es möglich, in vitro und in vivo zu mensionalen Faltungen der Moleküle bestimmt. Dieser
modifizieren. Umstand macht es notwendig, neben der Sequenzierung
55 Die Methode ist quantifizierbar. Das Ausmaß der che- von RNA-Molekülen auch deren Struktur zu bestim-
mischen Modifikation an jedem Ribonucleotid ent- men. Letzteres ist umso bedeutender, da die Faltung ei-
spricht einem Pseudo-Gibbs-Energiewert (Pseudo- nes RNA-Moleküls unter unterschiedlichen physikali-
32 ∆G), der zur Berechnung des thermodynamisch schen und chemischen Randbedingungen, ebenso wie in
stabilsten 2D-Faltungszustands der RNA, der unterschiedlichen biologischen Funktionszuständen, zu
Minimal-Free-­Energy- (MFE-) Struktur, genutzt wer- alternativen räumlichen Anordnungen führt. Im zellulä-
den kann. ren Kontext kann das bedeuten, dass für eine spezifische
55 Die Methode ist skalierbar. Sie kann sowohl auf ein- RNA-Spezies ein dynamisches Ensemble an unter-
zelne RNAs als auch im Hochdurchsatzformat auf schiedlich gefalteten Molekülen existiert, das sich in Ab-
viele RNA-­Spezies angewendet werden. In Kombina- hängigkeit von den Milieubedingungen zugunsten un-
tion mit Next-Generation-Sequencing (NGS) können terschiedlicher struktureller Subpopulation verschiebt.
zellübergreifende Strukturuntersuchungen durchge- Auch besteht die Möglichkeit, dass eine RNA-Spezies
führt und der Faltungszustand des gesamten Tran- alternative Faltungen mit ähnlichen thermodynami-
skriptoms einer Zelle ermittelt werden. schen Stabilitäten einnehmen kann.
55 Das Anwendungsspektrum der Methode ist breit. Es RNA-Sekundärstrukturen lassen sich auf der Basis
reicht von der Grundlagenforschung über die syntheti- phylogenetischer Sequenzdaten bioinformatisch vor-
sche Biologie bis hin zu RNA-basierten Sensortechno- hersagen. Voraussetzung hierfür ist eine große Anzahl
logien. Struktur-Funktions-­Untersuchungen jedweder orthologer RNA-Sequenzen. Sind große Sequenzdaten-
RNA-Spezies in nahezu jedem biologischen und abio- sätze nicht verfügbar, kann die thermodynamisch sta-
logischen Kontext sind möglich. bilste RNA-Struktur (Minimum-Free-Energy-Struktur,
MFE) in silico berechnet werden. Für kleine RNA-­
Ribonucleinsäuren (RNA) sind unverzweigte Phosphat/ Moleküle (≤50 Nucleotide) liefern die den Berechnun-
Ribose-Polymere mit heterocyclischen Basen (Nucleo- gen zugrunde liegenden Algorithmen verlässliche Er-
basen) als Substituenten. Sie gehören neben Proteinen, gebnisse. Allerdings nimmt die Vorhersagegenauigkeit
DNA-Molekülen und Kohlenhydraten zu den zentralen mit zunehmender Nucleotidlänge stark ab. Das heißt,
polymeren Verbindungen in biologischen Systemen. Ein die Faltungen vieler, biologisch relevanter RNAs mit
substanzieller Teil der Masse jeder pro- und eukaryoti- Moleküllängen von mehreren Hundert bis mehreren
schen Zelle geht auf RNA-Moleküle zurück. Gleichzei- Tausend Nucleotiden können ohne experimentelles Da-
tig stehen Ribonucleinsäuren als synthetische Biomate- tenmaterial nicht hinreichend präzise approximiert wer-
rialien im Fokus der Forschung, u.  a. zur Herstellung den. Auch die etablierten biophysikalischen Methoden
nanoskalierter, nucleinsäurebasierter Bauelemente. zur Strukturbestimmung von Biomolekülen wie Rönt-
RNA-Moleküle üben eine Fülle an Funktionen in bio- genkristallographie (7 Kap.  25), NMR-­Spektroskopie

logischen Systemen aus (Sharp 2009; Cech und Steitz (7 Kap.  21) und Röntgenkleinwinkelstreuung (SAXS;

2014). Diese reichen von der Aufgabe, als chemisch-ge- 7 Kap.  25) sind für die Ermittlung von RNA-Faltun-

netische Informationsspeicher zu fungieren, über die gen mit Einschränkungen behaftet. So sind NMR-spek-
Katalyse biochemischer Umsetzungen bis hin zu zellulä- troskopische Messungen auf RNA-­Moleküllängen von
ren Steuerfunktionen z. B. bei der zeitlichen und räum- <100  nt beschränkt. Sie erfordern zudem sehr hohe,
lichen Modulation von genregulatorischen Prozessen d.  h. unphysiologische RNA-­ Konzentrationen. Rönt-
(Mustoe et al. 2018). Letzteres manifestiert sich in einem genkristallographische Messungen liefern atomare Auf-
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
813 32
lösungen, sind jedoch bei flexiblen und unstrukturierten sungsmittelkontext und bei unterschiedlichen Tempera-
RNA-Domänen problematisch, zusätzlich zu dem Fakt, turen durchführen, und es ist möglich, sowohl in  vitro
dass die Messungen im Kristallgitter und nicht im ge- als auch in vivo mit intaktem Zellmaterial zu arbeiten. In
lösten Zustand, im wässrigen Milieu, stattfinden. Letzt- Kombination mit Next-­Generation-­Sequencing- (NGS-)
lich erlauben SAXS-­Messungen zwar die Untersuchung Verfahren (7 Kap.  34) ist es zudem möglich, zellüber-

großer RNAs, sie liefern jedoch nur Aussagen zur glo- greifende Strukturuntersuchungen durchzuführen und
balen Faltungsstruktur ohne feinstrukturelle Auflösung. den Faltungszustand des gesamten Transkriptoms einer
Bei jedem der genannten Verfahren handelt es sich zu- Zelle, z.  B. in unterschiedlichen funktionalen Zustän-
dem um in-vitro-­Messungen an vorab isolierten bzw. in den, zu bestimmen. Das heißt, in einem einzigen Experi-
der überwiegenden Mehrzahl synthetisch hergestellten ment können sprichwörtlich Tausende unterschiedliche
RNA-Spezies. In-vivo-Messungen sind mit keiner der RNA-Spezies gleichzeitig strukturell charakterisiert
Methoden durchführbar, ebenso wie die gleichzeitige werden. Im Folgenden werden der konzeptionelle Hin-
Strukturbestimmung mehrerer RNA-Moleküle bzw. tergrund als auch die experimentelle Vorgehensweise zur
Messungen im Hochdurchsatzformat nicht möglich Ermittlung von RNA-2D-Strukturen durch chemische
sind. Modifikation beschrieben.
Im Folgenden wird ein Experimentalsystem be-
schrieben, das es erlaubt, die 2D-Struktur von RNA-­
Molekülen jedweder Größe mit Nucleotidgenauigkeit zu 32.1  Grundlagen der RNA-Faltung
bestimmen. Die Methode basiert auf der Verwendung
niedermolekularer chemischer Modifikationsreagen- 32.1.1 RNA-Primärstruktur
zien, die als Struktursonden zwischen einzelsträngigen
und doppelsträngigen RNA-­ Strukturdomänen unter- Die monomeren Bausteine von Ribonucleinsäuren wer-
scheiden können (Kubota et al. 2015). . Abb. 32.1 fasst
  den als Ribonucleotide bezeichnet. Hierbei handelt es
die prinzipielle Vorgehensweise zusammen. Die chemi- sich um Verbindungen aus einem Ribosemolekül (d-Ri-
schen Umsetzungen lassen sich in einem breiten Lö- bofuranose), einer Nucleobase und einer Phosphat-

B Doppelstrang→ keine 2'-Acylierung

B B
A B B
O O
O O
O P O– O

O P O– OH
O O

C Einzelstrang → 2'-Acylierung
O O O
B
B O
B N
O B B O
O
O O O O O
OO O
1M7 P
OO O– O

O H
P – O– O– O
O P P –O O– P NO2 N
OO O –
OO O – O

CO2 NO2

..      Abb. 32.1  RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifi- geschränkt (basengepaart), destabilisiert das Oxyanion des benach-
kation. Beispiel der differenziellen Acylierung von Ribose-2’-Hydro- barten Phosphodiesters die Bildung des Nucleophils, und es kommt
xylgruppen. A Schematische Darstellung eines irregulären zu keiner Umsetzung (B). Ist das Nucleotid strukturell flexibel (ein-
RNA-hairpins. Basengepaarte Nucleotide sind in ihrer Dynamik zelsträngig), ist die Bildung des 2’-Oxyanions begünstigt und erlaubt
eingeschränkt. Einzelsträngige Nucleotide zeigen flexible Charakte- die Umsetzung mit dem Elektrophil 1-Methyl-7-nitroisatosäurean-
ristika (verdeutlicht durch alternative Konformationen in Grau und hydrd (1M7). Die Reaktion ist basenkatalysiert und läuft unter Ab-
Schwarz). Voraussetzung für die Acylierungsreaktion ist die Bildung spaltung von CO2 ab (C). (Adaptiert nach McGinnis et al. 2012)
eines nucleophilen 2’-Oxyanions. Ist das Nucleotid konformell ein-
814 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

gruppe. Einzelne Nucleotide sind über 5’-3’-Phospho- stellen für Metallionen dar. Monovalente und divalente
diestergruppen benachbarter Riboseeinheiten kovalent Metallionen, und hier vor allem Kalium- (K+) und
miteinander verknüpft, sodass ein gerichtetes, repetitives Magnesium-­Ionen (Mg2+), kompensieren die negativen
Phosphat/Zucker-Rückgrat entsteht (Saenger 1984). Da Ladungen des Ribose/Phosphat-Rückgrats, was die ab-
die Phosphatreste bei neutralem pH-Wert negativ gela- stoßenden elektrostatischen Kräfte aufhebt und es
den sind, haben RNA-Moleküle polyanionische Eigen- RNA-­ Molekülen erlaubt, kompakte Faltungen anzu-
schaften. Aufseiten der heterocyclischen Basen können nehmen.
zwei N-Atome enthaltende, aromatische Kohlenstoff-
grundgerüste unterschieden werden: Purine (3, 5, 7-Tria-
zaindole) und Pyrimidine (1, 3 Diazine). Zu den Purinen 32.1.2 RNA-Sekundär- und Tertiärstruktur
gehören die Basen A  =  Adenin (6-­Aminopurin) und
G  =  Guanin (2-Amino-6-­oxopurin). Zu den Pyrimidi- RNA-Moleküle haben unterschiedliche Möglichkeiten,
nen zählen U = Uracil (2, 4-Pyrimidindion) und C = Cy- intramolekular zu interagieren, um definierte Bindun-
tosin (4-Amino-1H-­ pyrimidin-2-on). A-, G-, C- und gen aufzubauen. Hierzu gehören insbesondere Wasser-
U-Nucleobasen machen in der Mehrheit der Fälle den stoff- (H-)Brückenbindungen. H-Brücken können mit
Basengehalt eines RNA-­Moleküls aus. Allerdings gibt es Bezug auf die involvierten Nucleotide unterschiedli-
zusätzliche, sog. seltene Basen. Sie sind durch unter- che geometrische Orientierungen einnehmen. Sie wer-
schiedliche oder zusätzliche Substituenten an den Purin- den als Watson/Crick-, Hoogsteen- und Zucker-edge-­
32 und Pyrimidingerüsten charakterisiert. In toto sind >100 Interaktionen bezeichnet (. Abb. 32.2A). Eine direkte

seltene Basen in RNAs bekannt. Hierzu gehören u.  a. Folge des stark auf der Keto- bzw. Aminoseite liegenden
Inosin, Hypoxanthin, Pseudouracil, Dihydrouracil, Tautomergleichgewichts ist die bevorzugte Paarung von
7-Methylguanin. Das heißt, RNA-Moleküle sind zwar Adenin mit Uracil (A/U) sowie von Guanin mit Cyti-
lineare Nucleotid-­Homopolymere, mit Bezug auf die din (G/C) über das Watson/Crick-edge (. Abb. 32.2B).

unterschiedlichen Nucleobasen können sie aber auch als Da A/U- und G/C-Basenpaare isosterisch zueinan-
heteropolymere Verbindungen klassifiziert werden. der sind, kann RNA eine DNA-ähnliche, gleichmäßig
Die Flexibilität des Phosphat/Zucker-Rückgrats strukturierte plektonemische Doppelhelix ausbilden.
wird durch die Ribosemoleküle eingeschränkt. In RNA Die Ribose nimmt dabei aufgrund der Elektronegativi-
nimmt der Furanosering vornehmlich eine C3’-endo-­ tät der 2’-Hydroxylgruppe C3’-endo-Konformation an
Konformation ein. Formal existieren in einer RNA (. Abb. 32.2A). Die energetisch bevorzugte Geometrie

sechs kovalente Bindungen mit freier Drehbarkeit. Fünf der Doppelhelix ist die A-Form. Hierbei handelt sich um
entfallen auf das Rückgrat der RNA und eine auf die eine antiparallele, rechtsgängige Helix mit einer engen/
N-glykosidische Bindung zwischen der C1’-Position der tiefen großen Furche und einer breiten/flachen kleinen
Ribose und der N9- bzw. N1-Position der Purin- bzw. Furche. Eine Helixwindung entspricht 11 Basenpaaren.
Pyrimidinbasen. Im Falle der N-glykosidischen Bindung Die Ganghöhe liegt bei 2,8 nm (. Abb. 32.2B). In wäss-

beschränken sterische Effekte die Ausrichtung auf zwei riger Lösung tragen die Wasserstoffbrückenbindungen
Konformationen. In der syn-Konformation steht die der Basenpaare nur einen kleinen Teil zur Helixstabili-
Nucleobase über der Ribose während in der anti-­ tät bei (ca. 2–3 kcal mol–1 pro H-Brücke). Der weitaus
Konformation die Base von der Ribose abgewandt ist. größere Teil entfällt auf sog. Basen-Stacking. Hierunter
Die vier Nucleobasen sind planare, aromatische Hetero- versteht man die Wechselwirkung der horizontal über-
cyclen. Sie kommen in tautomeren Formen vor. Guanin einander gestapelten Basenpaare, die vornehmlich auf
und Uracil zeigen Keto/Enol-Tautomerie, und Adenin die aromatischen Eigenschaften der Nucleobasen und
und Cytosin liegen als Amino/Imino-Tautomere vor. auf Dipol-Dipol-Wechselwirkungen zurückzuführen
Allerdings ist die Gleichgewichtslage zwischen den bei- sind. Stacking-Energien sind stark vom Basenpaarung-
den Tautomeren stark verschoben: Dominant sind je- kontext, d. h. von den benachbarten Basenpaaren, ab-
weils die Keto- und Aminoformen. Enol- und Iminotau- hängig. Für unterschiedliche Dimerenstapel können
tomere machen weniger als 0,01  % aus. Daraus ergibt die Energiebeiträge zwischen –4 und –15  kcal  mol–1
sich ein konstantes Muster an Wasserstoffbrücken-­ variieren. Doppelhelikale Bereiche werden darüber hi-
Donatoren und Akzeptoren. Protonierungen bzw. De- naus von überhängenden einzelsträngigen Nucleotiden
proponierungen finden in einem Bereich von ±3,5 stabilisiert. Die Stabilisierung dieser sog. dangling ends
pH-Einheiten vom Neutralpunkt statt und betreffen zeigt eine Abhängigkeit sowohl von der Positionierung
hauptsächlich die heterocyclischen Stickstoffatome. (5’- oder 3’-seitig) als auch von der Nucleotididentität
Diese stellen zusammen mit den exocyclischen Keto- der Überhänge.
gruppen, den Hydroxylgruppen der Ribose und den Neben der A-Form-Helix mit Watson/Crick-­
negativ geladenen Phosphatgruppen Koordinierungs- Basenpaaren existieren ungeordnete Einzelstrangberei-
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
815 32
A Hoogsteen- D
edge H
O Watson-/Crick- HN
edge O
N NH O N N
5' 3' N N NH O
P–O O N NH O
1' H HO O –
P–O 4' O P O N N NH O
2' Zucker- – O H H P
O O O
OH edge O
N
O OH N
B N O

große Furche HN N O
O
H P
H O O
O HN
H
NH O
HN N N N
N N N NH
O O
N N N N NH
H E
H
kleine Furche HN N N
N N
HN N

O N O O
C O F H
N
N H M H NH
HN N HN HN
O N H N
O H O N O O N
O NH O
HN N N
N NH N NH
N NH N N
NH N
N N NH H N N NH
N N
H O H

..      Abb. 32.2  Strukturen und Basenpaarungsschemata ausgewähl- und A/G-Basenpaare (rechts). D Basenpaarungsschema einer
ter Ribonucleotide. A Lewis-Darstellung eines G-Ribonucleotids in A-minor-­Interaktion. Ein cis-Watson/Crick-G/C-Basenpaar bildet
C3’-endo-Konformation. Die C-Atome der Ribose sind nach über die kleine Helixfurche vier zusätzliche H-Brücken zu einem
IUPAC-­Nomenklatur nummeriert. Basen/Basen-Interaktionen un- einzelsträngigen, in einen helikalen Kontext eingebetteten A-Nuc-
ter Ausbildung von H-Brückenbindungen finden über das Watson/ leotid. E Basenpaarungsschema einer G-Nucleotid-Tetrade. Alle
Crick-, Hoogsteen- und Zucker-edge statt. B Strukturen der Hetero- H-Brücken sind in reverser Watson/Crick-Hoogsteen Konfigura-
cis-­Watson/Crick-Basenpaare A/U (links) und G/C (rechts). H-Brü- tion. M: zentral gebundenes Metallkation. F cis-Watson/Crick-U/
cken sind als gepunktete Linien dargestellt. C Hetero-G/U- (links) U-Basenpaar

che ebenso wie einzelsträngige, durch Basen-Stacking Orientierung der funktionellen Gruppen eine wichtige
stabilisierte Subdomänen. Letztlich ist die Struktur je- Erweiterung des chemischen und konformellen Raumes
der RNA hierarchisch organisiert. Baukastenartig la- von RNA-Doppelhelices. Auch zeigen katalytisch aktive
gern sich die grundlegenden Strukturelemente wie hair- RNA-Moleküle (Ribozyme) häufig konservierte G/U-­
pin-Domänen, loop-Regionen, Nucleotid-bulges und Basenpaare in direkter Nachbarschaft zum aktiven Zen-
Helix-junctions zusammen und definieren auf diese trum.
Weise die finale 2D-Struktur der RNA (. Abb.  32.3   Die zweidimensionale Faltung eines RNA-Strangs
und . Abb. 32.4A). Neben den bereits angesprochenen
  wie auch der Kollaps der einzelnen Strukturbausteine in
Watson/Crick-Basenpaaren (A/U und G/C) existieren eine kompakte, dreidimensionale Struktur erfordert auf-
ca. drei Dutzend weitere stabile Basenpaare, die auf grund der abstoßenden Coulomb-Kräfte des polyanio-
mindestens zwei H-Brückenbindungen zurückgreifen. nischen Ribose/Phosphat-Rückgrats eine Ladungskom-
Sowohl Homo- (U/U, A/A etc.), als auch zusätzliche pensation durch kationische Gegenionen (Lipfert et al.
Hetero-­Basenpaare (z. B. G/U oder A/G) sind bekannt 2014). Dies zeigt sich in der Abhängigkeit der RNA-Fal-
(. Abb. 32.2C, F). G/U-Basenpaare sind dabei häufig
  tungskinetik von monovalenten und divalenten Katio-
evolutionär konserviert. Ihre Stabilität reicht an die von nen. Die Faltungsrate verringert sich mit zunehmender
Watson/Crick-Basenpaaren heran und bietet durch die Ladung der Gegenionen, und eine Steigerung der Katio-
816 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

A
Pseudoknoten
A G C
G G C
U C G
mismatch U U C G
C G U
GCGAUAU C G U
C
U C G U
UGCAA U C G U
C
A UA
A U
G C
bulged nucleotide GA G C
U
A U
U A
C A UU U A
A G U
A C G
CU A
A
GC C GA A A-Form RNA-Doppelhelix
G A GG A A
U C UGU GC junction G G
internal- G G
G M G
loop U G
A
A G
A A
A U G
G U C G GG
U U UU
A A
U A
GCA große
32 Furche
kleine
Furche
hairpin

G-Quadruplex

..      Abb. 32.3  RNA-Strukturmotive. 2D-Struktur einer hypotheti- und bulged-Nucleotide und nichtkanonische Basenpaare (U/U und
schen RNA mit einigen der zentralen Strukturmotive, die in natür- G/U). M repräsentiert ein stabilisierendes monovalentes Metallka-
lichen RNAs vorkommen: RNA-Helices, einzelsträngige Sequenz- tion (rot). Für vier der Strukturmotive sind zusätzlich die entspre-
bereiche, Pseudoknoten, internal-loop-Elemente, junction-­Regionen, chenden 3D-Faltungen gezeigt
ein aus drei G-Tetraden aufgebauter G-Quadruplex, ­mismatched-

A B

..      Abb. 32.4  Komplexe RNA-Faltungen. A Experimentell verifi- B Kristallstruktur des Gruppe-II-Intron-Ribozyms aus Oceanobacil-
zierte Sekundärstruktur der präeditierten ND7-mRNA aus Trypano- lus iheyensis als Beispiel für den Kollaps von RNA-Sekundärstruktur
soma brucei als Beispiel für eine komplexe RNA-2D-Faltung. zu globulären, hochverdichteten 3D-Anordnungen (Toor et al. 2008)
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
817 32
nenkonzentration resultiert stets in einer Ratenbeschleu- kanonische Baseninteraktionen (z. B. G/A Basenpaare)
nigung. RNA-Moleküle werden im Beisein von mono- zurückführen. Das heißt, trotz der mit nur vier Nucleo-
valenten Kationen (K+, Na+) und von Mg2+-Ionen am tidmonomeren eingeschränkten chemischen Diversität
effizientesten gefaltet (Heilman-Miller et al. 2001). Mo- von RNA-Molekülen ergibt sich über das Repertoire an
lekulardynamik-(MD-)Simulationen legen nahe, dass Faltungsmotiven ein hochkomplexer Strukturraum mit
hierfür jedoch weniger die eigentliche Ladungskompen- einer Vielzahl thermodynamisch stabiler zwei- und drei-
sation verantwortlich ist, als vielmehr eine mit der Frei- dimensionaler Anordnungen (Butcher und Pyle 2011).
setzung von H2O-Molekülen einhergehende Entropiezu-
nahme (Templeton und Elber 2018). In den kollabierten
Strukturen ergeben sich dichte Packungszustände z. B. 32.2  RNA-Modifikationsreagenzien
der helikalen RNA-Elemente (. Abb. 32.4B). Parallele,
  und ihre Spezifitäten
gewinkelte sowie gestapelte Anordnungen kommen vor
und werden über kurze und weit reichende Interaktio- Die Strukturuntersuchung von RNA durch chemische
nen stabilisiert. Hierzu gehört z.  B. das koaxiale Sta- Modifikation basiert auf dem Konzept, RNA-Moleküle
cking von übereinander angeordneten Helices bzw. sog. mit niedermolekularen, chemischen Modifikationsre-
Ribo-Base-Motive bei gewinkelten Helix/Helix-Anord- agenzien umzusetzen. Die verschiedenen Reagenzien
nungen. Die häufigsten Helix/Helix-Wechselwirkungen zeigen dabei für basengepaarte bzw. für nicht basen-
involvieren die kleinen Furchen der miteinander inter- gepaarte Nucleotide unterschiedliche Reaktivitäten
agierenden Helices. Dabei können unterschiedliche und fungieren auf diese Weise als strukturspezifische
Strukturelemente zum Tragen kommen. Sie werden als chemische Sonden (. Abb. 32.1). Das heißt, die Identi-

A-minor, ribose zipper, G-ribo und Along-Groove-Pa- fizierung der modifizierten wie der nicht modifizierten
cking Motif (AGPM) bezeichnet. Im Falle eines A-Mi- Nucleotide, zusätzlich zur Intensität der Modifikations-
nor-Motivs interagiert dabei ein in einen helikalen Kon- reaktion, ermöglicht es, aus den Daten nucleotidgenaue,
text eingebettetes ungepaartes A-Nucleotid über das quantitative positionelle Strukturinformationen zu ex-
Zucker-edge mit einem G/C-­ Basenpaar einer zweiten trahieren. Letztlich spiegelt diese Information die se-
Helix (. Abb.  32.2D). Derartige Tripel-Basenpaarun-
  kundäre Faltung des RNA-Moleküls wider. Unter den
gen sind in RNA-Molekülen nicht auf einzelne, isolierte verwendeten Reagenzien gibt es Moleküle, die das Wat-
Basenpaare beschränkt. Sie finden sich u. a. als Struk- son/Crick-edge einer Nucleobase modifizieren bzw. de-
turelemente in Riboschaltern und tRNA-Molekülen, ren Hoogsteen-edge. Zusätzlich gibt es Reagenzien, die
aber auch als stabilisierende Elemente von im Zellkern Rückschlüsse auf die Zugänglichkeit des Ribose/Phos-
verbleibenden non-coding RNAs. phat-Rückgrats bzw. die Lösungsmittelzugängigkeit
Neben Tripel-Basenpaarungen existieren auch vier- oder Flexibilität eines Nucleotids zulassen. Aus diesem
strängige RNA-Faltungsmotive, sog. G-Quadruplex- Grund werden RNA-Modifikationsexperimente häufig
strukturen (GQs). GQs zeigen in RNA-­ Molekülen vergleichend unter Verwendung mehrerer Strukturson-
eine ausschließlich parallele Ausrichtung der Ribose/ den durchgeführt. Allen Reagenzien ist gemein, dass
Phosphat-Stränge und bestehen aus mindestens zwei es sich um niedermolekulare Verbindungen mit Mol-
übereinander gestapelten G-Nucleotid-Tetraden massen zwischen ca. 100–400 g mol–1 handelt. Die Re-
(. Abb.  32.2E). Die G-Basen sind dabei propellerför-
  aktionsgeschwindigkeiten der Umsetzungen liegen bei
mig angeordnet und über Watson/Crick-Hoogsteen-­ wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Stunden. So die
Basenpaarungen verbunden. Die Komplexierung Modifikationsreagenzien in der Lage sind, die Zellmem-
von Kaliumionen in der zentralen Kavität stabilisiert bran zu penetrieren, ist es möglich, die Experimente so-
GQ-Elemente durch Kompensation der negativen elek- wohl in vivo als auch in vitro durchzuführen. Der Vorteil
trischen Partialladung. G-Quadruplexe sind vermutlich von in-vitro-Messungen liegt dabei in der Möglichkeit,
auf allen Ebenen der Genexpression in regulatorische durch die Wahl der chemisch-­physikalischen Reaktions-
Prozesse involviert (. Abb.  32.3). Neben den bereits
  bedingungen definierte konformelle RNA-Faltungs-
angesprochen Faltungsmotiven existieren noch weitere ensembles zu generieren. Im Gegensatz dazu mitteln
Strukturbausteine. Hierzu gehören z.  B.  Pseudokno- RNA-Modifikationen in lebenden Zellen über alle unter
ten, kink turns oder thermodynamisch besonders stabile diesen Bedingungen vorliegenden Faltungs- und Funk-
hairpin loops mit vier ungepaarten Nucleotidpositionen, tionszustände einer RNA. Dies kann die Interpretation
sog. tetra-loops (z.  B.  UNCG, GNRA, CUUG). Die der Ergebnisse einschränken. Unabhängig davon lassen
stabilen Eigenschaften von tetra-loops lassen sich dabei sich die zum Einsatz kommenden RNA-Modifikations-
auf extensive Stacking-Interaktionen, nichtkanonische reagenzien in zwei Subgruppen unterteilen: basenspezi-
H-Brückenbindungen (z.  B. zwischen N-Atomen der fische und basenunabhängige Modifikationsreagenzien.
Nucleobasen und Ribose-2’-OH-Gruppen) sowie nicht- Beide Gruppen werden im Folgenden beschrieben.
818 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

32.2.1 Basenspezifische ren und führen zur Abspaltung eines Protons an der
Modifikationsreagenzien C4’- und/oder C5’-Position der Ribose, gefolgt von der
Spaltung des RNA-Phosphodiesters an dieser Position.
Zum Repertoire basenspezifischer RNA-­Struktursonden Hydroxylradikal-Modifikationen sind sensitiv für die
gehören die Verbindungen Dimethylsulfat (DMS), Lösungsmittelzugänglichkeit des RNA-­Rückgrats und
Diethylpyrocarbonat (DEPC), 3-Ethoxy-1,1- werden demzufolge auch zur Identifikation tertiärer
dihydroxy-­ 2-butanon (Kethoxal), 1-Cyclohexyl-3-(2-­ Wechselwirkungen herangezogen.
morpholinoethyl)-carbodiimid (CMCT) und Nicoti- Eine strukturell ähnliche Spaltung des Ribose/
noylazid (NAz). DMS hat Einzelstrangspezifität und Phosphat-­ Rückgrats lässt sich über ein als in-line pro-
methyliert die N1-Position in A-Nucleotiden, die N3-Po- bing bezeichnetes Verfahren erreichen. Die Methode ba-
sition in C-Resten sowie die N7-Position in G-Nucleoti- siert auf dem Fakt, dass Ribonucleotide stabile 2’-3’-cy-
den. Damit adressiert DMS sowohl das Watson/Crick- clische Phosphate ausbilden können. Die Reaktion wird
edge der A- und C-Reste als auch das Hoogsteen-­edge durch den nucleophilen Angriff der 2’-Hydroxylgruppe
im Falle der G-Nucleotide. In ähnlicher Weise führt der Ribose auf das Phosphoratom des in direkter Nach-
die Umsetzung von RNA mit DEPC zur Carbethoxy- barschaft positionierten Phosphodiesters initiiert.
lierung zugänglicher, einzelsträngiger A-Nucleotide an Hierzu ist es erforderlich, dass die beiden Reaktanden
der N7-Position. CMCT-­ Modifikationen werden bei in-line zueinander stehen. Letzteres ist nur in einem fle-
32 leicht basischen Reaktionsbedingungen durchgeführt xiblen strukturellen Kontext möglich, sodass dynami-
und führen zur Modifikation nicht basengepaarter U- sche Bereiche des RNA-Rückgrats von sterisch rigiden
und G-Reste. In beiden Fällen wird dabei das Watson/ Ribose/Phosphat-Domänen unterschieden werden kön-
Crick-edge der Nucleotide adressiert (U-N3, G-N1). nen. Die Kinetik der induzierten Spaltung liegt aller-
Umsetzungen mit Kethoxal führen zur Modifikation dings bei vielen Stunden, in speziellen Fällen bei 1–2
ungepaarter G-Reste. Hierbei formiert sich ein zusätz- Tagen. Das heißt, RNA-Faltungsprozesse, die über sig-
liches Ringsystem zwischen dem primären Amin an nifikant kürzere Zeiträume ablaufen, entziehen sich ei-
der C2-Position und dem N1-Stickstoffatom. Da die nem in-line probing. Die Spaltung des Ribose/Phos-
Bildung des Reaktionsprodukts reversibel ist, ist es not- phat-Rückgrats kann jedoch beschleunigt werden.
wendig, das Modifikationsaddukt durch Boratanionen Hierzu wird die Reaktion im Beisein millimolarer Kon-
zu stabilisieren. Nicotinoylazid (NAz) ist ein Modifi- zentrationen (0,5–2 mM) an mehrwertigen Metallkatio-
kationsreagenz, mit dem die Lösungsmittelzugänglich- nen wie z. B. Pb2+ durchgeführt. Blei(II)-Ionen aktivie-
keit von RNA-­ Faltungen getestet werden kann. Die ren die 2’-OH-Gruppen einzelsträngiger Ribosen, was
Methode wird als Light-Activated Structural Examina- über den beschriebenen Mechanismus zur Spaltung des
tion of RNA (LASER) bezeichnet. Umsetzungen mit nucleophil angegriffenen Phosphodiesters führt. Die
NAz werden durch einen Lichtpuls bei 310 nm initiiert Reaktion läuft im Bereich weniger Minuten ab und ist in
und führen zur Ausbildung von Modifikationsadduk- speziellen Fällen auch in der Lage, nichtkanonische
ten an der C8-Position von Purin-Nucleotiden (A, G). Wechselwirkungen in doppelsträngigen Strukturdomä-
. Abb. 32.5 fasst die unterschiedlichen Reagenzien und nen zu detektieren.

ihre Spezifitäten zusammen. Eine weitere Gruppe an RNA-Struktursonden wird


als SHAPE-Reagenzien bezeichnet (. Abb.  32.5B).

SHAPE steht für Selective 2’-Hydroxyl Acylation Ana-


32.2.2 Basenunabhängige lyzed by Primer Extension (Merino et al. 2005). Zu den
Modifikationsreagenzien Reagenzien gehören die Verbindungen 1-Methyl-7-­
nitroisatosäureanhydrid (1M7), Benzoylcyanid (BzCN),
Modifikationsreagenzien, die basenunabhängig mit N-Methylisatosäureanhydrid (NMIA), N-Propanon-
RNA-Molekülen reagieren, zeigen entweder Spezifität isatosäureanhydrid (NPIA), 2-Methylnicotinsäureimi-
für die Riboseeinheiten oder aber für die Phosphodies- dazolid (NAI) und 2-Methyl-­ 3-furansäureimidazolid
tergruppen entlang des RNA-Rückgrats. Hierzu gehört (FAI). SHAPE-Reagenzien acylieren spezifisch die
die Verbindung Ethylnitrosoharnstoff (ENU). ENU al- 2’-OH-Gruppen von strukturell flexiblen Riboseein-
kyliert Phosphatgruppen unter Ausbildung eines insta- heiten, sodass die Sonden in der Lage sind, die lokale
bilen Phosphattriesters, der bei leicht alkalischem pH- Strukturdynamik aller vier Ribonucleotide gleichzeitig
Wert unter Spaltung des Ribose/Phosphat-­ Rückgrats abzufragen (McGinnis et  al. 2012). Interessanterweise
abreagiert. In ähnlicher Weise spalten stabile Hydroxyl- reagieren die unterschiedlichen Reagenzien dabei mit
radikale (·OH) das RNA-Rückgrat. OH-­Radikale las- deutlich unterschiedlichen Reaktionskinetiken. BzCN
sen sich über die Fenton-Reaktion unter Verwendung und 1M7 modifizieren im Subminutenbereich, NPIA
von H2O2, Fe(II)-EDTA und Natriumascorbat generie- und NMIA benötigen zwischen 30 und 50 Minuten
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
819 32
A B SHAPE-Reagenzien
O O O R1 R2 R3

O OH O N 3 1M7 H NO2 CH3


R
N 1M6 NO2 H CH3
NH2 HN O– R
1

N O 2 5NIA NO2 H H
N O O P O R
O Isatosäureanhydrid NPIA H H CH2-(C=O)-CH3
O P O N N Grundgerüst
– O H2N OH O NMIA H H CH3
O
O N N N O O
O
– O
O OH N O N
NH O O P O N N
N
N O O
O P O N NH2 N
O 1 1
O– R R1: H / N3 R
BzCN NAI FAI
O OH
O O O O
O
HO O
SHAPE-Reagenzien CMCT O S O O O
O O
DMS NAz H
DMS DEPC Kethoxal
• OH DEPC +
N
ENU Kethoxal O
O N N O
in-line N N
+
N – N O
N NH2
N O S O

O
NAz ENU CMCT

C DMS* DEPC
*geeignet für in-vivo-
Kethoxal* CMCT Strukturaufklärung
NPIA*
BzCN NAz* • OH 1M7 1M6 5NIA* NMIA NAI* FAI* ENU in-line

0,25 2,5 25 250 2500 25000 0,25 x 106


Reaktionszeit (s)

..      Abb. 32.5  RNA-modifizierende Reagenzien. A Die individuellen gemeinsamen Isatosäureanhydrid-Grundgerüst ab und variieren an
Angriffspunkte der unterschiedlichen Modifikationsreagenzien sind den drei Substituenten R1-R3. C Reaktionszeiten der unterschiedli-
durch rote Symbole für ein A/U- und ein G/C-Watson/Crick-­ chen Reagenzien auf einer logarithmischen Skala. Reagenzien, die sich
Basenpaar dargestellt. B Formeldarstellungen aller RNA modifizie- für in vivo-Strukturuntersuchungen eignen, sind mit einem * gekenn-
renden Reagenzien. Die fünf SHAPE-Reagenzien (Selective 2’-Hydro- zeichnet. SHAPE-Reagenzien sind rot hervorgehoben
xyl Acylation Analyzed by Primer Extension) leiten sich von dem

und NAI und FAI mehrere Stunden (≤5 h). Das heißt, kommen hier hochauflösende, gelelektrophoretische
durch die Wahl des 2’-OH-­Acylierungreagenz‘ lässt sich Verfahren zum Einsatz. In all jenen Fällen, die zur Spal-
die Dynamik von RNA-­Faltungsprozessen auf unter- tung des Ribose/Phosphat-Rückgrats führen, ist es dabei
schiedlichen Zeitskalen messen (. Abb. 32.5C).   prinzipiell möglich, das generierte Ensemble an RNA-­
Fragmenten direkt in denaturierenden Polyacrylamidge-
len zu separieren. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur
32.3  Identifizierung der modifizierten für Fragmentlängen unterhalb von ca. 150 Nucleotiden
Nucleotidpositionen praktikabel bzw. in den Fällen, in denen keine Spaltung
des Ribose/Phosphat-Rückgrats erfolgt oder induziert
Zur Extraktion der in den RNA-Modifikationsdaten wurde, nicht anwendbar. Aus diesem Grund hat sich
enthaltenen Strukturinformation müssen die modifi- in den vergangenen Jahren die Vorgehensweise durch-
zierten Positionen bzw. Spaltstellen des Ribose/Phos- gesetzt, die modifizierten RNA-Proben, ausgehend von
phat-Rückgrats „nucleotidgenau“ identifiziert werden. einem basenkomplementären Oligodeoxynucleotid-­
Aufgrund der polyanionischen Eigenschaften von RNA Primer, in komplementäre (c)DNA-Moleküle revers zu
820 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

transkribieren. Basenmodifizierte Nucleotidpositionen schiedliche Detektionsverfahren wie Autoradiographie,


in der RNA führen dabei zu einer abortiven reversen Phosphor-imaging oder Fluoreszenzdetektion anzuwen-
Transkription exakt ein Nucleotid vor dem Modifi- den, ebenso wie unterschiedliche gelelektrophoretische
kationsaddukt. Über den Vergleich zu einer parallel Systeme zur Trennung der cDNA-Fragmente zum Ein-
durchgeführten Dideoxynucleotid-Sequenzierung der satz kommen. Durch die Möglichkeit, Fragmentlängen
cDNA-Fragmente lässt sich damit eine nucleotidge- von bis zu 800 Nucleotiden analysieren zu können, ha-
naue Zuweisung erzielen. Die 5’–3’-Direktionalität der ben sich hier insbesondere kapillarelektrophoretische
cDNA-Synthese bedingt zudem, dass das zu analysie- (CE-)Verfahren (7 Kap.  13) durchgesetzt. CE-basierte

rende RNA-Molekül ausgehend vom 3’-Ende der RNA Fluoreszenzsignalintensitäten lassen sich auf einfache
revers transkribiert wird. Dies ermöglicht es, unter Ver- Weise zu relativen Reaktivitätswerten für jede Nucleotid-
wendung multipler Primermoleküle schrittweise das position konvertieren und ermöglichen es auf diese
gesamte Molekül mit 3’–5’-Polarität zu analysieren. Weise, RNA-Modifikationsexperimente quantitativ aus-
Das heißt, die Methode unterliegt keiner Längenein- zuwerten. Hierfür existieren sowohl halb- als auch voll-
schränkung. Auf diese Weise wurde die 2D-Struktur des automatische Softwareplattformen bis hin zur Möglich-
mehr als 9100 Nucleotide langen HIV-1 NL4-3-RNA-­ keit, Modifikationsexperimente im Hochdurchsatzformat
Gemoms sowie der 17.900 Nucleotide langen Xist-long durchzuführen. Zusätzlich können die numerischen Re-
noncoding RNA vollständig ermittelt (Watts et al. 2009; aktivitäten als Input für Vorhersagealgorithmen von
Smola et al. 2016). RNA-Sekundärstrukturen herangezogen werden. Spezi-
32 Die prinzipielle Vorgehensweise des Verfahrens ist in ell bei langen RNA-Molekülen hat dies zu einer signifi-
. Abb.  32.6 dargestellt. Radioaktiv oder fluorophor-
  kanten Verbesserung der Berechnung von 2D-Struktur-
markierte Primermoleküle machen es möglich, unter- modellen geführt.

primer
gefalteter, modifizierter RNA-Pool annealing primer extension cDNA-Isolierung

4 2 1
5
6

nach Größe
gelelektrophoretische Trennung
sortierte
Flexibilität: der cDNA-Fragmente
cDNA-Fragmente
hoch (Einzelstrang) M
Intensität
niedrig (Basenpaar) 6
experimentaldaten-
6
Elutionsstrecke

gestützte
2D-Strukturvorhersage 5
5
4
Intensität ~ P(nteinzelsträngig) 4
3
3
2 2
1 1

..      Abb. 32.6 Identifizierung der RNA-Modifikationsaddukte bricht, wird die Position der RNA-Modifikation in der Länge der
durch reverse Transkription. Zielmolekül der chemischen Umset- cDNA fixiert. Hieraus ergibt sich ein Pool an cDNAs, deren 3’-En-
zung ist eine hypothetische Three-Way-Junction-RNA mit sechs ein- den den sechs einzelsträngigen RNA-Bereichen entsprechen. Die
zelsträngigen Bereichen (1–6). Die RNA wurde unter single-hit-­ cDNA-Fragmente werden gelelektrophoretisch separiert und über
Bedingungen (7 Abschn. 32.4.2) chemisch modifiziert (Sechsecke in
  einen Marker einzelnen Nucleotidpositionen zugewiesen. Die indivi-
Rot) und nach Anlagerung eines fluoreszenz- oder radioaktiv mar- duellen Signalintensitäten sind proportional zur Menge an aborti-
kierten Primers (Stern-Symbol) revers transkribiert. Da die vem cDNA-­Fragment und stellen damit ein Maß für die Modifika-
cDNA-Synthese ein Nucleotid vor dem Modifikationsaddukt ab- tionszugänglichkeit der Nucleotide dar. Aus diesen Daten lässt sich
die 2D-Struktur der RNA ermitteln
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
821 32
32.4  Experimentelle Durchführung RNA-Molekülen unabdingbar. Die RNA selbst sollte
in submikromolarer Konzentration vorliegen, um die
32.4.1  NA-Synthese und notwendige
R Formation von Dimeren oder höheren Multimeren zu
Kontrollen umgehen. SHAPE-Reagenzien benötigen zudem leicht
alkalische pH-Bedingungen (pH 7,5–8), da die Acylie-
rungsreaktion basenkatalysiert abläuft. Anschließend
Die Ziel-RNAs eines chemischen Modifikationsexpe-
wird die RNA unter diesen Bedingungen thermisch
riments können für RNA-Längen ≤100 Nucleotiden
äquilibriert, d.  h. „rückgefaltet". Die Faltungskinetik
chemisch synthetisiert werden. RNA-Spezies mit Mo-
großer RNA-Domänen und die Formation von stabi-
leküllängen von mehreren Hundert Nucleotiden wer-
lisierenden 3D-Interaktionen können mehrere Minuten
den enzymatisch, durch run-off-in-vitro-Transkription,
erfordern, sodass Rückfaltungszeiten ≥30 min angezeigt
generiert. Hierzu wird das plasmidcodierte Gen der zu
sind.
untersuchenden RNA-Spezies nach Linearisierung der
Letztlich müssen vor der chemischen Umsetzung
Plasmid-DNA von einer phagenspezifischen RNA-Poly-
noch die Bedingungen für die reverse Transkription (RT)
merase (T7, T3, SP6) transkribiert. Nach der Transkrip-
der RNA optimiert werden. Dieser Arbeitsschritt zielt
tionsreaktion wird das DNA-Template enzymatisch ver-
darauf ab, die Ausbeute an Volllängen-cDNA-­Produkt
daut, gefolgt von einer Flüssig/Flüssig-Extraktion mit
zu optimieren, vorzeitige Abbruchprodukte während
wassergesättigtem Phenol zur Abtrennung des Enzyms.
der cDNA-Synthese zu minimieren und intrinsische,
Nicht inkorporierte Ribonucleosidtriphosphate wer-
auf starken Sekundärstrukturen beruhende Signale zu
den durch Gelausschlusschromatographie entfernt. Der
identifizieren. Optimale Bedingungen liegen vor, wenn
Zeitaufwand hierfür beschränkt sich auf ca. einen Tag,
≥95  % der cDNA-Syntheseprodukte dem Volllängen-
ebenso wie der Materialbedarf gering ist. Die Synthese
signal entsprechen und der Signalhintergrund inklusive
von ca. 20 μg RNA (ca. 200 pmol bei einer RNA-Länge
der intrinsischen Signale nicht mehr als 5 % ausmachen.
von 350 Nucleotiden) ist ausreichend für alle notwen-
Ein solcher Test ist in zwei Tagen durchführbar. Soll-
digen Kontrollen sowie mehrere Modifikationsexperi-
ten Änderungen der RT-­ Reaktionsbedingungen not-
mente. Die Qualitätskontrolle der synthetisierten RNA
wendig sein, empfiehlt sich zunächst eine Änderung der
erfolgt gelelektrophoretisch in denaturierenden Poly-
Temperatur zwischen 40  °C und 55  °C.  Die Variation
acrylamidgelen. Abortive RNA-Syntheseprodukte im
der Konzentration und Identität monovalenter Katio-
niedrigen Prozentbereich stellen in der Regel kein Pro-
nen im Bereich von 0–75 mM kann speziell im Fall von
blem dar, da sie über keine Primerbindestelle verfügen.
G-reichen RNA-Sequenzen notwendig sein. Durch die
RNA-­Degradationsprodukte hingegen sind problema-
Verwendung von Lithium- oder Cäsiumionen kann die
tisch. Sie können zur Akkumulation kurzer Fragmente
Ausbildung intramolekularer G-­Quadruplexstrukturen
bei der cDNA-Synthese führen und müssen demzufolge
verhindert werden, die andernfalls intrinsische Hinder-
entfernt werden. Eine Möglichkeit zur Reinigung der
nisse für die reverse Transkriptase darstellen (Leeder
RNA-­Präparation ist die elektrophoretische Trennung
et al. 2016).
der RNA-Fragmente in denaturierenden Polyacryla-
midgelen, gefolgt vom Ausschneiden des gewünschten
Gelbereichs und der Elution der RNA aus der Gelma-
trix. 32.4.2 Chemische Modifikation
Im nächsten Arbeitsschritt wird die synthetisierte
RNA-Präparation in einen definierten Faltungszustand Essenziell für die chemische Umsetzung zwischen
überführt. Hierzu wird die RNA zunächst bei erhöh- dem modifizierenden Reagenz und der rückgefalteten
ter Temperatur (1,5 min bei 90 °C) in Abwesenheit von Ziel-­RNA ist die Einstellung von Reaktionsbedingun-
mono- und divalenten Kationen thermisch vollständig gen (Stöchiometrie der Reaktanden, Reaktionszeit,
entfaltet. In diesem Zustand wird die RNA schnell ab- Temperatur), die als single-hit-Bedingungen bezeich-
­
gekühlt (4 °C) und mit einem Faltungspuffer zur Rück- net werden. Hierunter versteht man, dass jedes RNA-­
faltung versetzt. Dieser Puffer sollte den physiologi- Molekül in der Probe statistisch maximal nur einmal zu
schen Milieubedingungen mit Bezug auf Ionenstärken, einem Modifikationsaddukt abreagiert. Die Einstellung
pH-Wert, Redox- und Crowding-Bedingungen sowie der von single-hit-Bedingungen ist insbesondere bei all jenen
Anwesenheit von Osmolyten möglichst nahe kommen. Verfahren unabdingbar, die auf induzierten Strangbrü-
Allerdings ist zu beachten, dass keine der Komponenten chen bzw. auf einer abortiven cDNA-­Synthese beruhen.
mit der Chemie der intendierten Umsetzung interferie- Um dies zu erreichen werden als Faustregel Bedingun-
ren darf. Das trifft in besonderer Weise auf die Auswahl gen gewählt, unter denen ≥80 % der in der Probe vorlie-
der Puffersubstanz zu. Magnesiumkationen zwischen genden RNA-Moleküle unmodifiziert aus der Reaktion
5–10 mM sind in der Regel für die korrekte Faltung von hervorgehen. Dies lässt sich in einem simplen RT-Kon-
822 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

trollexperiment abschätzen. Hierbei vergleicht man die wird nach der reversen Transkription unter alkalischen
Menge an Volllängen-cDNA einer modifizierten RNA- Bedingungen hydrolysiert, die cDNA-Fragmente prä-
Probe mit der einer unmodifizierten Probe. Single-hit-Be- zipitiert und (kapillar-)gelelektrophoretisch getrennt.
dingungen liegen vor, wenn das Volllängenprodukt der Die sich ergebenden Trenn- oder Elutionsprofile werden
cDNA-Synthese in der modifizierten RNA gegenüber durch Peakintegration quantifiziert. Ein initiales Modi-
dem Volllängenprodukt in der unmodifizierten RNA um fikationsexperiment einer in  vitro synthetisierten RNA
maximal 20 % reduziert ist. Soll die RNA-Struktur im mit ≤400 Nucleotiden Länge inklusive Datenauswer-
Komplex mit einem Liganden untersucht werden, müs- tung und Berechnung einer präliminären 2D-Struktur
sen weitere Faktoren berücksichtigt werden. RNA-Li- ist in 2–3 Tagen durchführbar. In . Abb. 32.7 sind Ab-

ganden sollten mindestens äquimolar eingesetzt werden, lauf und typische Ergebnisse eines SHAPE-Modifika-
und die Ligandenkonzentrationen sollten mindestens tionsexperiments exemplarisch dargestellt.
dem zehnfachen der Gleichgewichtsdissoziationskons-
tante (Kd) entsprechen. Unter diesen Bedingungen liegen
nach Massenwirkungsgesetz mindestens 90 % der RNA 32.4.3  inbindung der Modifikationsdaten
E
als RNA/Ligand-Komplex vor. in 2D-Strukturvorhersagen
Die chemische Umsetzung der Ziel-RNA muss stets
vergleichend mit einer Kontrollprobe erfolgen, die che- Längere RNA-Sequenzen können theoretisch einen
misch nicht umgesetzt wird. Dies ist dem bereits er- riesigen 2D-Faltungsraum einnehmen. In diesem Fal-
32 wähnten Fakt geschuldet, dass die reverse Transkrip- tungsraum existieren sowohl thermodynamisch stabile
tion einen inhärenten Signalhintergrund produziert, wie auch weniger stabile Faltungszustände, sodass die
zusätzlich zu den intrinsischen, für jede RNA-Spezies Berechnung der freien Gibbs-Energien (∆G) der ein-
spezifischen cDNA-Stopps. Beide Signale müssen von zelnen 2D-Strukturen eine Unterscheidung möglich
den durch die chemische Adduktbildung verursachten macht. Hierzu existieren 2D-Strukturvorhersagealgo-
Signalen subtrahiert werden. Zusätzlich sind mindes- rithmen, die unter Verwendung der ∆G-Werte für Ba-
tens eine, präferenziell zwei Sequenzierungsreaktionen senpaarungen, Basenstapelungen und für einzelsträn-
zur eindeutigen Nucleotidzuweisung notwendig. Die gige Strukturbereiche die thermodynamisch stabilste
Reaktionszeiten sollten so kurz als möglich gewählt Struktur (Minimal Free Energy, MFE) approximieren
werden (. Abb.  32.5C). Mögliche strukturelle Um-
  (Lorenz et al. 2016). Mit steigender RNA-Länge nimmt
faltungen der Ziel-RNA während der Modifikation die Fähigkeit dieser Vorhersagerechnungen, realistische
oder solche, die durch die Modifikation induziert wer- Aussagen zu liefern, jedoch stark ab. Aus diesem Grund
den, müssen minimiert werden. Auch ist zu beachten, wird versucht, die Berechnungen durch Einbeziehung
dass einige Modifikationsreagenzien hydrolysesensitiv von Experimentaldaten, wie z.  B. chemische Modifi-
sind. In solchen Fällen nimmt die Konzentration des kationsdaten, zu verbessern. Die am weitesten fortge-
Modifikationsreagenz‘ über die Reaktionszeit ab, was schrittene Verfahrensweise implementiert dabei SHA-
jedoch nicht notwendiger Weise ein Manko sein muss. PE-Modifikationsdaten. Die durch SHAPE-­Acylierung
Die Adduktbildung kann dadurch selbstlimitierend gemessene Flexibilität eines jeden Ribonucleotids kann
werden und muss demzufolge nicht spezifisch termi- dabei als eine Zustandsvariable angesehen werden, die
niert werden. Dies trifft z. B. auf das SHAPE-Reagenz die Gleichgewichtslage zwischen einem basengepaarten
1-Methyl-7-­ nitroisatosäureanhydrid (1M7) zu. 1M7 und einzelsträngigen Zustand für jedes Nucleotid be-
hydrolysiert in wässriger Lösung mit einer Halbwerts- schreibt. Liegt das Gleichgewicht aufseiten der Basen-
zeit (t0,5) von 14 s und wird in der Regel in niedrig mil- paarung, werden niedrige Flexibilitäten gemessen. Ist
limolaren Konzentrationen (3,5  mM) eingesetzt. Für das Gleichgewicht zum einzelsträngigen Zustand ver-
die Modifikation von 1 pmol Ziel-RNA in einem Re- schoben, wird eine hohe Flexibilität und damit hohe
aktionsvolumen von 10 μl erfolgt die chemische Modi- SHAPE-Reaktivität gemessen. Da die Gleichgewichts-
fikation dabei unter single-­hit-­Bedingungen, obwohl ein konstante (K) mit der freien Gibbs-Energie (∆G) in Be-
50.000-facher molarer Überschuss von Modifikations- ziehung steht (∆G = –RT · ln K), stellt die Umrechnung
reagenz über RNA vorliegt. Die modifizierte RNA wird von SHAPE-Reaktivitäten in sog. Pseudo-∆G-Werte
hierauf durch Gelausschlusschromatographie vom Rest eine elegante Methode zur Implementierung experimen-
des Reaktionsansatzes getrennt und in einen verdünn- teller Daten in die Strukturvorhersage dar. Zur Umrech-
ten Niedrigsalzpuffer überführt. Hieran schließt sich ein nung kommt die heuristische Beziehung zum Einsatz:
kurzer Hitzedenaturierungsschritt an, gefolgt von der Pseudo-∆G (∆GSHAPE) = 1,8 · ln (SHAPE-Reaktivität
Hybridisierung der fluoreszenz- oder radioaktiv mar- + 1) – 0,6 (kcal mol–1)
kierten DNA-Primer knapp unterhalb ihrer Schmelz- Sie erlaubt es, normalisierte SHAPE-Reaktivitäten,
temperatur. Es folgt die reverse Transkription. Die RNA d. h. Zahlenwerte zwischen 0 und 1, sowohl in negative
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
823 32
A 3 2 1 modifiziert
12.000
nicht modifiziert

8000
relative Fluoreszenz

4000

12.000
ddGTP-
Sequenzierungsreaktion
8000

4000

0
2000 3000 4000 5000
Elutionszeit (s)
B
D
SHAPE-Reaktivität (SU)

1,2 3
1 2
3
0,8

0,4

0,0
1
0 50 100 150 200 250 nt
2

C E
2

1
Basenpaarung
SHAPE-Reaktivität (SU)

0,8 nicht favorisiert


Δ GSHAPE
=
Pseudo ∆G (kcal/mol)

1,8 x ln[SHAPE+1]-0,6
(kcal/mol)
3
0,4 0
1

Basenpaarung
favorisiert

0,0 1
GCUUCUUUUGAAUAAAAGGGAGGC SHAPE-Reaktivität (SU)

..      Abb. 32.7  Typische Ergebnisse eines SHAPE-­ >0,4. Blau: SU <0,4. C Exemplarisches Reaktionsprofil des Se-
Modifikationsexperiments. A Elutionsprofile einer kapillarelektrop- quenzabschnitts 2. Die normalisierten SHAPE-Reaktivitäten wer-
horetischen (CE)-Trennung einer 300 Nucleotide langen Ziel- den über die dargestellte Approximation in Pseudo-Gibbs-Energien
RNA.  Dargestellt ist die Fluoreszenzintensität als Funktion der konvertiert und fließen in die 2D-Strukturvorhersage ein. Für SU
Elutionszeit nach Präprozessierung der Daten. Rot: Elutionsprofil <0,4 werden negative, für SU >0,4 positive Werte angenommen. D
der modifizierter RNA. Blau: unmodifizierte RNA. Grün: ddGTP-­ Darstellung der aus den Modifikationsdaten errechneten 2D-Struk-
Sequenzierungsansatz. Drei Sequenzabschnitte sind von 5’ nach 3’ tur. Nucleotide sind als Punkte dargestellt. Rot: SU >0,4. Blau: SU
mit 1–3 markiert. B Normalisiertes SHAPE-Reaktionsprofil nach <0,4. E 3D-Strukturmodell der Ziel-RNA unter Einbeziehung der
Prozessierung der Daten. Rot: Normalisierte SHAPE-Units (SU) SHAPE-­Modifikationsdaten

als auch positive Energiebeiträge zu konvertieren. Die Stabilität der Gesamtstruktur beizutragen, durch einen
beiden in der Gleichung vorkommenden Faktoren sind negativen Pseudo-ΔG-Beitrag erhöht. Durch dieses Vor-
empirisch ermittelt worden. Nach der Berechnung von gehen kann die Genauigkeit der 2D-Strukturvorhersage-
Pseudo-∆G-Werten für jedes Nucleotid werden diese zu- algorithmen auf >90  % erhöht werden, und es hat die
sammen mit den allgemeinen thermodynamischen Para- Strukturaufklärung ganzer viraler RNA-Genome sowie
metern zur RNA-2D-Strukturvorhersage verwendet. von long non-coding (lnc)RNAs ermöglicht (Watts et al.
Dabei wird die Wahrscheinlichkeit für Nucleotide mit 2009; Smola et al. 2016). . Abb. 32.8 fasst die schrittweise

SHAPE-Reaktivitäten >0,4 als Basenpaar vorzuliegen Vorgehensweise zur Implementierung von SHAPE-Mo-
reduziert. Gleichzeitig wird die Wahrscheinlichkeit unre- difikationsdaten in RNA-­ 2D-­Strukturvorhersagen in-
aktiver Nucleotide als Basenpaar vorzuliegen, also einen klusive der Konversion der SHAPE-Reaktivitäten in
netto negativen Energiebeitrag zur thermodynamischen Pseudo-∆G-Werte exemplarisch zusammen.
824 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

A B C

1 2

SHAPE-Reaktivität (SU)
D E F
1 ∆G suboptimal > ∆G korrekt
Basenpaarung
nicht favorisiert
pseudo Freie Energie (kcal/mol)

freie Energie (kcal/mol)

32
0 ∆GSHAPE
1
∆GSHAPE
Basenpaarung
favorisiert

∑ ∆G
SHAPE-Reaktivität (SU) ∆GVorhersage
∆GVorhersage
∆G SHAPE =
∑ ∆G suboptimale korrekte
1,8 x ln[SHAPE+1]–0,6 (kcal/mol)
Struktur Struktur

..      Abb. 32.8  Einbindung von Pseudo-Gibbs-Energien zur Unterstüt- Pseudo-Gibbs-Energien (∆GSHAPE) über die heuristische Beziehung:
zung von 2D-Strukturvorhersagen. A RNA-hairpin in zwei alternativen ∆GSHAPE = 1,8 · ln (SHAPE+1) – 0,6 (kcal mol–1). SHAPE-Units >0,4
2D-Faltungen. B Sketch der internen loop-Region in Struktur 2. Ab- entsprechen positiven und SHAPE-Units <0,4 negativen ∆GSHAPE-­
gerundete Rechtecke (grau) repräsentieren Nucleobasen. Das Ribose/ Werten. E Vergleich der Freien Gibbs-Energien (∆G) der Strukturvor-
Phosphat-Rückgrat ist als schwarze Linie dargestellt. Konformell ein- hersage (grün), der ∆GSHAPE-Werte (rot) und der Strukturvorhersage
geschränkte Nucleotide sind scharf umrandet gezeichnet, strukturell unter Einbeziehung der SHAPE-Daten (∑ΔG, grau) für beide in A
dynamische Positionen unscharf dargestellt. Rote Punkte indizieren dargestellten 2D-Strukturen. Hairpin 2 stellt den thermodynamisch
hochreaktive SHAPE-­Modifikationspositionen; blaue Punkte entspre- stabileren Faltungszustand dar. F Die Einbettung von Pseu-
chen unreaktiven und gelbe bzw. grüne Punkte mäßig bis gering reakti- do-Gibbs-Energien in RNA-­ Strukturvorhersagealgorithmen ermög-
ven Nucleotiden. C SHAPE-Reaktivitätsprofil der internen loop-Re- licht es, über die Minimierung von Widersprüchen zwischen Modifika-
gion. Normalisierte SHAPE-Units (SU) sind als Funktion der tionsexperiment und Strukturvorhersage zwischen suboptimalen und
RNA-Sequenz dargestellt. D Konversion der SHAPE-Reaktivitäten in optimalen RNA-Faltungen zu falsifizieren

32.5  Transkriptomweite lionen spezifische Primer nötig, die mit je bis zu vier
Strukturaufklärungen verschiedenen Fluorophoren synthetisiert werden müss-
ten. Bei einer gelelektrophoretischen Laufzeit von ca.
Auf Gelelektrophorese basierende Methoden sind Li- 2 h würde allein das Auslesen der Daten viele Dekaden
mitierungen unterworfen, welche z. B. die Strukturauf- dauern. Da bei der reversen Transkription keine Ampli-
klärung niedrig abundanter RNAs in lebenden Zellen fikation stattfindet, kann der Materialbedarf für Tran-
erschweren bzw. transkriptomweite Studien unmög- skripte mit geringer Abundanz hoch sein. Diese und wei-
lich machen. Hierzu gehören u.  a. die Notwendigkeit, tere Beschränkungen wurden durch die Anpassung der
spezifische Primer für die 300–500 Nucleotide langen chemischen Modifikationsexperimente auf massiv par-
Sequenzabschnitte zu verwenden, sowie alle Beschrän- allele Next-Generation-­Sequencing- (NGS-)Methoden
kungen, die den geringen Durchsatz der gelelektropho- (7 Kap. 34) aufgehoben. Innerhalb von etwas mehr als

retischen Trennungen betreffen. Für das Transkriptom einem Tag können NGS-­Instrumente bis zu 120 Giga-
von Mensch oder Maus wären z. B. mehr als sechs Mil- basen, Third-Generation-­Sequenzierautomaten sogar bis
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
825 32
zu 3,8 Terabasen und damit ein gesamtes Transkriptom auf einen RNA-Strangbruch zurückzuführen sind. In
sequenzieren. Neben dem hohen Durchsatz, der auf der beiden Fällen ist zur Herstellung der sequencing library
hochparallelen Arbeitsweise der NGS-Verfahren basiert, die Ligation eines DNA-Adapters an die 3’-Enden der
ist die Verwendung von sog. Random-Primer-Molekü- cDNAs notwendig. Da die Ligationseffizienz von der
len ein weiterer Faktor. Aufgrund ihrer promisken Hy- Sequenz und der Struktur der cDNA-Moleküle ab-
bridisierungseigenschaften ermöglichen sie das Auslesen hängt, ist dieses Procedere einem systematischen Fehler
sämtlicher Modifikationen im untersuchten Transkrip- unterworfen. Gelektrophoretische Methoden detektie-
tom. Trotz zahlreicher Unterschiede ähneln sich die Her- ren die cDNA direkt, weshalb sie diesem Fehler nicht
angehensweisen der bis dato entwickelten Methoden auf unterliegen. Dieser kann im Fall von NGS-basierten
Ebene der grundlegenden Arbeitsschritte. Zuerst erfolgt Methoden durch die Nutzung von Adaptermolekülen
die Modifikation der RNA in vivo oder in vitro, gefolgt mit drei degenerierten Basen am 5’-Ende minimiert wer-
von der Isolierung bzw. Reinigung der RNA. Anschlie- den. Eine andere Strategie nutzt eine Zirkularisierungs-
ßend wird die Strukturinformation durch reverse Tran- reaktion und reduziert die Adapterligation damit auf
skription in Form von cDNA-Molekülen gespeichert, ein intramolekulares Problem bei gleichzeitiger Erhö-
was mit dem Einfügen sequenziermethodenspezifischer hung der Effizienz. Längere cDNA-Fragmente lassen
DNA-Sequenzen durch die verwendeten DNA-Primer sich jedoch auch durch diese Vorgehensweise nicht effizi-
einhergeht. Auf Basis der cDNA findet im Anschluss die ent prozessieren. Allen Methoden ist gemein, dass sie
Generierung einer sequencing library statt. Dies umfasst zwischen RNA-Degradation, mangelnder Prozessivität
in der Regel eine limitierte PCR-Reaktion (7 Kap.  33)  der RT und run-off bzw. Stopp durch eine Modifikation
sowie das Einbringen weiterer sequenziermethoden- nicht unterscheiden können. Mit der Einführung bi-
spezifischer, flankierender DNA-Sequenzen. Die PCR-­ funktionaler SHAPE-Reagenzien konnte die Anzahl in-
Reaktion führt darüber hinaus zu einer Amplifikation formationstragender RNAs erhöht werden. Hierzu sind
des Signals, was den initialen Materialbedarf auf hand- die Reagenzien z. B. mit einer Azidseitengruppe funktio-
habbare Mengen reduziert. Der letzte Schritt ist die nalisiert. Dies eröffnet die Möglichkeit, die modifizier-
Auswertung der Sequenzierungsdaten. Dies beinhaltet ten RNAs in einer Click-Chemie-basierten Reaktion zu
unter anderem das Abgleichen der einzelnen sog. reads biotinylieren und fortfolgend affinitätschromatogra-
mit dem Referenztranskriptom. Hierbei handelt es sich phisch anzureichern. Bei längeren RNAs bzw. mit wach-
um cDNA-Sequenzabschnitte von einigen Dutzend bis sender cDNA-Länge erhöht sich zusätzlich das Problem
zu mehreren Hundert Nucleotiden. Die Identifizierung der mangelnden Prozessivität der RT.  Das Resultat ist
überlappender Sequenzen und die Kenntnis des Refe- eine zu kürzeren cDNA-Fragmenten verschobene Län-
renzgenoms ermöglichen die genaue Zuordnung jeder genverteilung, welche für den modifizierten und den un-
read-Sequenz. Die Anzahl an cDNA-Enden an einem modifizierten Ansatz unterschiedlich ist. Dieser sog. sig-
beliebigen Nucleotid wird durch die Anzahl der reads nal decay kann in der Regel mit heuristischen Methoden
quantifiziert, deren Ende an diesem Nucleotid liegt und korrigiert werden. Eine andere Möglichkeit besteht in
den Übergang zu dem an das cDNA-Ende ligierten Ad- der Selektion von cDNA-Fragmenten mit einer be-
apters darstellt. Analog zu den gelelektrophoretischen stimmten Länge, was jedoch mit zusätzlichen Arbeits-
Methoden ist auch hier die Subtraktion der Hinter- schritten und der Notwenigkeit eines weiteren Ligati-
grundsignale aus einem nicht modifizierten Ansatz zur onsschritts einhergeht.
Quantifizierung der Reaktivität gegenüber dem modifi- All diese methodischen Mängel lassen sich in einem
zierenden Agens essenziell. als Mutational Profiling (MaP) bezeichneten Verfahren
umgehen. MaP nutzt Reaktionsbedingungen, bei der die
RT – statt am Ort der Modifikation zu stoppen – eine
32.6  Erweiterung der Mutation einbaut. Hierfür werden Mangan(II)-haltige
Strukturaufklärungsmöglichkeiten Puffer verwendet. Mangan2+-Ionen besitzen gegenüber
durch Mutational Profiling Magnesium2+-Ionen eine erhöhte Nucleophilie. Im akti-
ven Zentrum der RT führt dies dazu, dass chemisch mo-
Trotz der zahlreichen Vorteile von NGS-basierten Me- difizierte Nucleotide als Template für eine promiske
thoden zur Detektion chemischer Modifikationen sind cDNA-Synthese akzeptiert werden und keinen Stopp
diese Verfahren auch mit Nachteilen behaftet, vor allem der reversen Transkription verursachen. Die Speiche-
was die Herstellung der sequencing library betrifft. Das rung der Information in Form einer Mutation bietet
Auslesen der Strukturinformation nach der chemischen eine Reihe an Vorteilen. Zum Beispiel können durch die
Modifikation geschieht in der Form abortiver cDNA-­ Verwendung spezifischer Primer definierte cDNAs ziel-
Fragmente. Hierbei ist es unerheblich, ob die Moleküle gerichtet amplifiziert werden. Darüber hinaus ist es
auf einen Stopp der reversen Transkriptase oder aber möglich, den 3’-Adapter über PCR einzubringen. In
826 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

toto ist das Auslesen über Mutational Profiling wesent- betrachtungen ermöglicht nicht nur eine genauere Mo-
lich weniger anfällig für systematische Fehler bei der dellierung von RNA-Strukturen, sondern auch die Be-
Herstellung der sequencing library und bietet eine einzig- trachtung der Faltungslandschaft inklusive der
artige Möglichkeit zur Anreicherung spezifischer Berechnung der Zustandssumme des RNA-Strukturen-
cDNA-Moleküle. Dies ist insbesondere bei Transkrip- sembles. Bisher war dies nur auf Umwegen möglich.
ten mit niedriger Abundanz von Bedeutung. Zusätzlich Durch den hohen Durchsatz sowie den hohen Grad
spielen Stopps, die durch die unzulängliche Prozessivität an Automatisierung und unter Verwendung mehrerer
der RT oder run-off hervorgerufen wurden, ebenso wie modifizierender Agenzien könnte die Beschreibung fast
degradierte RNA keine Rolle mehr, da diese Effekte zu jeder RNA als thermodynamisches Ensemble und einiger
keinen Mutationen führen. Neben diesen Vorteilen er- Substrukturen als 3D-Objekte möglich werden. Durch
geben sich aber auch neue Möglichkeiten. So ist es mög- read-Längen von bis zu zwei Megabasen mittels Third
lich, gleichzeitig mehrere Modifikationen in einer Ziel- Generation Sequencing wäre die Korrelation von Modi-
RNA zu detektieren, sodass die Notwendigkeit, unter fikationen nur noch durch die Prozessivität der RT be-
single-hit-­Bedingungen zu modifizieren, wegfällt. Eine schränkt. Dies würde sowohl beim Design synthetischer
Anwendung ist die Identifizierung sog. RNA-interaction genetischer Schaltkreise als auch beim Verständnis ihrer
groups durch Mutational Profiling (RING-MaP). Die natürlichen Gegenstücke helfen. . Abb. 32.9 stellt eine  

Methode nutzt die Tatsache, dass Nucleotide, die in Zusammenfassung aller SHAPE- und DMS-­basierten
3D-Interaktionen involviert sind, in ihrer Reaktivität Hochdurchsatzverfahren zur 2D-­ Strukturaufklärung
32 gegenüber dem modifizierenden Agens korrelieren. Ein von RNA-Molekülen dar.
Beispiel hierfür sind sog. kissing loops: zwei miteinander
interagierende hairpin loops. Die den Loop-Regionen in-
newohnende strukturelle Flexibilität führt zu einem dy- 32.7  In vivo-Modifikationen
namischen Gleichgewicht aus bestehenden und gelösten
3D-­ Interaktionen, welche alle beteiligten Nucleotide In Zellen sind RNA-Moleküle einem komplexen Milieu
gleichzeitig betrifft. Somit ist es möglich, 3D-­ aus Proteinen, anderen Nucleinsäuren sowie unzähligen
Interaktionen zu identifizieren und diese als Einschrän- weiteren hoch- und niedermolekularen Verbindungen in
kungen zur Berechnung valider 3D-­Strukturmodelle zu zum Teil hohen Konzentrationen ausgesetzt. Die Inter-
verwenden. In der Regel existieren RNAs nicht nur in aktion einer RNA-Spezies mit diesen Komponenten
einer Struktur, sondern liegen in unterschiedlichen Fal- kann Faltungsunterschiede zwischen der Situation
tungszuständen, als strukturelles Ensemble, vor. Jede in vivo und in vitro bedingen, ebenso wie RNA-­Moleküle
gefaltete Isoform ist gekennzeichnet durch ihr spezifi- in der Zelle gleichzeitig in unterschiedlichen strukturel-
sches Muster an korrelierenden Reaktivitäten gegenüber len Funktionszuständen vorliegen können. Auch be-
dem modifizierenden Agens. Dadurch ist es möglich, steht die Möglichkeit, dass die über einen temperatur-
einzelne Konformationen im Ensemble zu identifizieren. abhängen Entfaltung-Rückfaltungs-Prozess generierten
Die Ermittlung von Abundanz und Struktur einzelner RNA-­Strukturen ganz generell von den intrazellulären,
Subpopulationen ist z. B. bei der Aufklärung von Ligan- kotranskriptionell entstandenen Faltungszuständen ab-
den/Aptamer-­Wechselwirkungen von besonderem Inter- weichen. Zudem unterliegen RNA-Moleküle einem ho-
esse. RNA-­Aptamere sind Ribonucleinsäuren, die Li- hen metabolischen turnover. RNA-Synthese und
ganden hochaffin binden. In der Natur kommen sie als RNA-Abbau finden ständig statt, wobei die Halbwerts-
Substrukturen von Riboschaltern vor. Diese befinden zeiten von unterschiedlichen RNA-Spezies zwischen we-
sich in den nicht translatierten Regionen (UTRs) von nigen Minuten bis hin zu mehreren Stunden variieren
mRNAs und regulieren u. a. die Translationseffizienz in können. Obwohl es keinen prinzipiellen Unterschied
Abhängigkeit von der Konzentration des Liganden. zwischen der chemischen Modifikation in  vivo und
Methoden wie RING-MaP sind in der Lage, vorgefal- in  vitro gibt, so sind dennoch zusätzliche Faktoren so-
tete, bindekompetente Konformationen oder Zwischen- wohl bei der Experimentplanung und Exekution als
stufen bei der Umfaltungsreaktion zu identifizieren, die auch bei der Datenanalyse zu berücksichtigen
sich andernfalls in der Form von Durchschnittswerten (. Abb. 32.10). Hierzu zählt z. B. die Stabilität (Halb-

der Detektion entziehen würden. Die Analyse eines wertszeit) des Modifikationsreagenzes im Wachstums-
thermodynamischen Ensembles durch Einzelmolekül- medium ebenso wie in der Zelle und in besonderem

cDNA-Enden oder Mutationen in Next-Generation-­Sequencing- (NGS-) rung ausliest. Das Mutate-and-Map- (M2-seq-)Verfahren ist die einzige
Bibliotheken. hSHAPE ist die einzige Methode, die über die kapillarelek- Methode, die Basenpaare direkt detektiert. Hierbei wird eine Bibliothek
trophoretische Trennung fluoreszenzmarkierter cDNA-Moleküle die aus mutierten Sequenzen angelegt und der Basenpaarungspartner über
Häufigkeit eines jeden cDNA-Fragments direkt ohne weitere Prozessie- die mutationsbedingte Interferenz lokalisiert
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
827 32
SHAPE-MaP
hSHAPE SHAPES icSHAPE SHAPE-seq Structure-seq DMS-MaPseq RING-MaP M²-seq

G C h
in vitro single lic
mutation library
A
ög n
tm ge
ing hla
ed esc
rb rg
nu vo

in vivo

in vitro

RT-Stopp
(fluoreszenzmarkiert)

RT-Stopp

modifikations-
induzierte
Mutation

RT-Stopp &
Anreicherung

direkte Detektion
(CE oder PAGE)

NGS-library
(konservierte
cDNA-Enden)

NGS-library
(mutational profiling)

A
GTTA T A A
AGTTA A A T A
G A A A
TGTAAGTTA G G A
G G T
TGTAAGTTA G A G T
C G A T
TTGTAAGTTA C T

Reaktionsprofile Reaktionsprofile & Basenpaarungs/


Interaktionskarte Interferenz-Karte

2D-Struktur, geringer 2D-Struktur Einzelmolekülbetrachtung im 3D-Struktur- 2D-Struktur


Durchsatz oder 2D-Strukturen 2D-Strukturensemble modellierung durch Detektion
(transkriptomweit) von Basenpaaren

..      Abb. 32.9  Strukturaufklärungsverfahren, die auf der Anwendung hen. Die Zusammenfassung nennt die Anwendungsbereiche, die Vorge-
von Dimethysulfat (DMS) oder SHAPE-­Modifikationsreagenzien beru- hensweise zur Detektion der Modifikationen sowie deren Speicherung als
828 W.-M. Leeder und H. U. Göringer

in Zellen modifizierte RNA RNA-Isolierung cDNA-Synthese

RT + Mn 2+

modifikations-
induzierte
Mutation

Sequenzierung
RNA-Hydrolyse und NGS-library -Konstruktion durch PCR

32

Mutationshäufigkeiten Reaktivitätsprofil Strukturvorhersage


SHAPE-Reaktivität

+ chem. Mod.
– chem. Mod.
Mutations-
häufigkeit

norm.

N u c le o tid p o s itio n N u c le o tid p o s itio n

..      Abb. 32.10 SHAPE-MaP-Experimente. In-vivo-SHAPE-­ Molekülen gespeichert. Die DNA-Primer sind mit 5’-seitigen Adap-
Modifikation des gesamten Transkriptoms einer eukaryotischen tersequenzen (grüne Überhänge) zur Sequenzierung (Next
Zelle, wobei die Umsetzung unter multiple-hit-Bedingungen erfolgen Generation Sequencing – NGS) versehen. Nach Hydrolyse der RNAs
kann. Modifikationsaddukte sind als rote Sechsecke gekennzeichnet. werden weitere Primer mit zusätzlichen Adaptersequenzen zur Syn-
Nach der Reaktion wird der Pool an modifizierten RNAs isoliert these der zweiten DNA-Stränge eingesetzt, gefolgt von einer
und unter Verwendung von DNA-Primern im Beisein von Man- PCR-Amplifikation und Sequenzierung. Durch Quantifizierung der
gan(II)-Kationen zu cDNA-Molekülen revers transkribiert (RT). Mutationshäufigkeit für jedes Nucleotid und nach Subtraktion der
Dies führt zum Einbau von nicht komplementären Nucleotiden an Mutationshäufigkeit einer initial nicht modifizierten Probe ergeben
allen Position der RNA-Modifikationsaddukte. Das heißt, die che- sich SHAPE-Reaktivitätsprofile mit nucleotidgenauer Auflösung,
mischen Modifikationen werden als Mutationen in den cDNA-­ die zur Strukturvorhersage genutzt werden können

Maße die Frage, ob das Reagenz in der Lage ist, die Zell- können dennoch unter Anwendung des identischen che-
membran zu penetrieren. Zellwände, Zellmembranen mischen Prinzips analysiert werden (. Abb. 32.5B, C).

und dichte Glykoproteinummantelungen können eine Messsignale an nur gering reaktiven Nucleotiden sollten
effiziente Aufnahme von chemischen Modifikationsrea- dabei >2 Standardabweichungen über dem Signalhin-
genzien verhindern. So ist die Modifikationseffizienz in tergrund liegen. Effizient modifizierte Nucleotide sollten
Zellen meist deutlich geringer als in verdünnten mindestens 10-fach darüber liegen. Zusätzlich muss, um
­Pufferlösungen. Im Falle der SHAPE-Reagenzien ste- Artefakte zu vermeiden, überprüft werden, ob die zu
hen verschiedene Verbindungen mit Halbwertszeiten untersuchenden Zellen die chemische Umsetzung vor
zwischen wenigen Sekunden bis ca. 30 Minuten zur Ver- Ablauf der Reaktion überhaupt überleben.
fügung. Das heißt, Strukturuntersuchungen, die mit Die Abundanz der Ziel-RNA ist ein weiterer kriti-
schnell hydrolysierenden Agenzien nicht möglich sind, scher Faktor. Ribosomale RNAs stellen die Majori-
RNA-Strukturaufklärung durch chemische Modifikation
829 32
tät zellulärer RNAs dar und müssen gegebenenfalls Butcher SE, Pyle AM (2011) The molecular interactions that stabi-
abgereichert werden. Messenger-RNAs können über lize RNA tertiary structure: RNA motifs, patterns, and net-
works. Acc Chem Res 44:1302–1311
Oligo-­dT-­derivatisierte Säulenmaterialien angereichert Cech TR, Steitz JA (2014) The noncoding RNA revolution-trashing
werden, und für niedrig abundante RNAs kann bei Ver- old rules to forge new ones. Cell 157:77–94
wendung von Mutational-Profiling-basierten Methoden Heilman-Miller SL, Pan J, Thirumalai D, Woodson SA (2001) Role
eine Signalverstärkung durch PCR erreicht werden. In of counterion condensation in folding of the Tetrahymena ribo-
diesem Kontext stellen RNAs mit repetitiven Sequen- zyme. II. Counterion-dependence of folding kinetics. J Mol Biol
309:57–68
zen eine besondere Herausforderung dar. Übersteigt Kubota M, Chan D, Spitale RC (2015) RNA structure: merging che-
ein solcher Sequenzabschnitt die Leselänge der Sequen- mistry and genomics for a holistic perspective. BioEssays
zierungsmethode, ist eine genaue Repeat-Zuordnung 37:1129–1138
nicht möglich. Auch muss bei der Analyse von in-vivo-­ Leeder WM, Hummel NF, Göringer HU (2016) Multiple G-quartet
Modifikationsdaten berücksichtigt werden, dass zwi- structures in pre-edited mRNAs suggest evolutionary driving
force for RNA editing in trypanosomes. Sci Rep 6:29810
schen intra- und intermolekularen Wechselwirkungen, Lipfert J, Doniach S, Das R, Herschlag D (2014) Understanding
welche die Reaktivität eines Nucleotids verändern, nicht nucleic acid-ion interactions. Annu Rev Biochem 83:813–841
unterschieden werden kann. Das heißt, die Reaktions- Lorenz R, Hofacker IL, Stadler PF (2016) RNA folding with hard
änderung eines Nucleotids von einem reaktiven Zustand and soft constraints. Algorithms Mol Biol 11:8
hin zu einem nichtreaktiven Zustand kann in gleichem McGinnis JL, Dunkle JA, Cate JH, Weeks KM (2012) The mecha-
nisms of RNA SHAPE chemistry. J Am Chem Soc 134:6617–6624
Maße durch Basenpaarung als auch durch Proteinbin- Merino EJ, Wilkinson KA, Coughlan JL, Weeks KM (2005) RNA
dung oder die Interaktion mit einem anderen Ligan- structure analysis at single nucleotide resolution by selective
den bewirkt werden. Ohne zusätzliche Daten ist eine 2'-hydroxyl acylation and primer extension (SHAPE). J Am
Unterscheidung nicht möglich. Aus diesem Grund soll- Chem Soc 127:4223–4231
ten in-vivo-Experimente nicht als alleinige Grundlage Mustoe AM, Busan S, Rice GM, Hajdin CE, Peterson BK, Ruda
VM, Kubica N, Nutiu R, Baryza JL, Weeks KM (2018) Perva-
für 2D-Strukturaufklärungen fungieren (Smola et  al. sive regulatory functions of mRNA structure revealed by high-­
2016). Für Untersuchungen zur Änderung der Struktur resolution SHAPE-probing. Cell 173:181–195.e18
von RNA-Molekülen in unterschiedlichen funktiona- Saenger W (1984) Principles of nucleic acid structure. Springer-­
len Zuständen sind in-vivo-­Modifikationsexperimente Verlag, New York
jedoch optimal. Zum Beispiel kann der Einfluss von Sharp PA (2009) The centrality of RNA. Cell 136:577–580
Smola MJ, Christy TW, Inoue K, Nicholson CO, Friedersdorf M,
RNA-Bindeproteinen auf die RNA-Struktur durch Keene JD, Lee DM, Calabrese JM, Weeks KM (2016) SHAPE
Überexpression oder knockdown/knockout der Zielpro- reveals transcript-wide interactions, complex structural do-
teine bestimmt werden. Andere Möglichkeiten sind Un- mains, and protein interactions across the Xist lncRNA in living
tersuchungen zur Strukturänderung unter Einfluss von cells. Proc Natl Acad Sci U S A 113:10322–10327
Stressoren wie Hitze, Kälte oder Trockenheit bzw. über Templeton C, Elber R (2018) Why does RNA collapse? The import-
ance of water in a simulation study of Helix-Junction-Helix sys-
die Zeit, wie der Verlauf einer Virusinfektion. tems. J Am Chem Soc 140:16948–169510
Toor N, Keating KS, Taylor SD, Pyle AM (2008) Crystal structure of
a self-spliced group II intron. Science 320:77–82
Literatur und Weiterführende Literatur Watts JM, Dang KK, Gorelick RJ, Leonard CW, Bess JW, Swans-
trom R, Burch CL, Weeks KM (2009) Architecture and secon-
dary structure of an entire HIV-1 RNA genome. Nature
Amaral PP, Dinger ME, Mercer TR, Mattick JS (2008) The eukaryo-
460:711–716
tic genome as an RNA machine. Science 319:1787–1789
831 33

Polymerasekettenreaktion
Sandra Niendorf und C.-Thomas Bock

Inhaltsverzeichnis

33.1 Möglichkeiten der PCR – 833

33.2 Grundlagen – 833


33.2.1  blauf einer PCR-Reaktion – 833
A
33.2.2 Instrumentierung – 835
33.2.3 Komponenten der PCR-Reaktion – 836
33.2.4 Optimierung der PCR-Reaktion – 838

33.3 Spezielle PCR-Techniken – 839


33.3.1  uantitative PCR – 839
Q
33.3.2 Reverse-Transkriptase-PCR – 842
33.3.3 Nested-PCR – 844
33.3.4 Asymmetrische PCR – 845
33.3.5 Touchdown-PCR – 845
33.3.6 Multiplex-PCR – 845
33.3.7 Direct Cycle Sequencing – 846
33.3.8 In vitro-Mutagenese – 846
33.3.9 Digitale PCR (dPCR; Chamber Digital PCR, cdPCR und Droplet
Digital PCR, ddPCR) – 846
33.3.10 Emulsions-PCR (ePCR) – 848
33.3.11 Immunquantitative Echtzeit-PCR (iPCR, iqPCR, irtPCR) – 848
33.3.12 In situ-PCR – 849
33.3.13 Weitere Verfahren – 849

33.4 Kontaminationsproblematik – 850


33.4.1  ermeidung von Kontaminationen – 850
V
33.4.2 Dekontamination – 851

33.5 Anwendungen – 852


33.5.1  achweis von Infektionskrankheiten – 852
N
33.5.2 Nachweis von genetischen Defekten – 853
33.5.3 Humangenomprojekt – 854

Während der Arbeit an diesem PCR-Kapitel haben wir vom Tod des Entdeckers der PCR Kary B. Mullis († 7.
August 2019) erfahren. In seinem Gedenken widmen wir dieses Kapitel seiner bahnbrechenden Arbeit.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_33
33.6 Alternative Verfahren der Amplifikation – 855
33.6.1 I sotherme PCR – 856
33.6.2 Ligase Chain Reaction (LCR) – 860
33.6.3 Branched DNA Amplification (bDNA) – 861

33.7 Ausblick – 861

Literatur und Weiterführende Literatur – 862


Polymerasekettenreaktion
833 33
55 Die PCR ist eine Methode, die es ermöglicht, sowohl heterogenen oder homogenen Nachweisverfahren oder
DNA als auch RNA in kurzer Zeit unbegrenzt zu auch In-situ-PCR zur Amplifikation bestimmter Ziel-
vervielfältigen. Die Methode der PCR hat in alle sequenzen direkt in Geweben oder Zellkulturen. Alter-
Bereiche der Lebenswissenschaft Einzug gehalten nativen zur PCR-basierten Nucleinsäureamplifikations-
und zählt zu den wichtigsten Methoden der technik (NAT) wurden ebenfalls etabliert. Hierbei sind
Molekularbiologie. die nicht PCR-basierte NAT, wie u. a. isotherme Nucleic
55 Eine große Bandbreite verschiedenster PCR-Techniken Acid Sequence Based Amplification (NASBA), Strand
steht den Laboren zur Verfügung, u.  a. quantitative Displacement Amplification (SDA) und Transcription
PCR, Nested-PCR, RT-PCR und die digitale Mediated Amplification (TMA) die bekanntesten. Wäh-
PCR. Die grundlegende Methodik der PCR kann an rend eine PCR meist von DNA als Startnucleinsäuren
die verschiedensten Anforderungen des Anwenders ausgeht und die Amplifikation über Temperaturzyklen
adaptiert und erweitert werden. erreicht wird, gehen SDA, NASBA und TMA-Ampli-
55 Mithilfe der quantitativen PCR können nicht fikationsverfahren von Ribonucleinsäure (RNA) als
nur Nucleinsäuren vermehrt, sondern auch ihre Startnucleinsäuren aus, wobei die Amplifikationszyklen
Konzentration in der Ausgangsprobe bestimmt bei diesen Verfahren bei einer einheitlicher Temperatur
werden. Das Wissen über die Konzentration der (z. B. bei 42 °C) durchgeführt werden.
entsprechenden Nucleinsäure ist beispielsweise für die
Diagnostik und Monitoring eines Therapieverlaufs
von z. B. Infektionserkrankungen von entscheidender 33.1  Möglichkeiten der PCR
Bedeutung.
55 Die Verknüpfung der PCR-Technik mit etablierten Die Methode der PCR ermöglicht es, einen beliebigen
molekularbiologischen Methoden, wie der Histologie Nucleinsäureabschnitt zu vervielfältigen. Der Vergleich
(z. B. In-situ-PCR), dem ELISA oder der Chromatin-­ mit herkömmlichen Analyseverfahren veranschaulicht
Immunpräzipitation eröffnen dem Anwender aufgrund den Wert und die Vorzüge einer PCR-basierten Verviel-
der dann deutlich erhöhten Sensitivität eine Vielzahl fältigung. Die untere Nachweisgrenze der Gelelektrop-
von innovativen Einsatzgebieten. horese liegt bei etwa 5  ng DNA.  Bei einer Fragment-
größe von 500 Basenpaaren (bp) entspricht dies einer
Die Polymerasekettenreaktion (Polymerase Chain Reac- Anzahl von etwa 1010 DNA-Molekülen. Durch die
tion, PCR) ist ein Verfahren zur synthetischen Verviel- Übertragung der DNA aus dem Gel auf andere Träger-
fältigung (Amplifikation) von Nucleinsäuren (Desoxy- materialien, mit einem anschließenden radioaktiven
ribonucleinsäure, DNA) bzw. Nucleinsäureabschnitten oder nichtradioaktiven Nachweis, kann die Nachweis-
mithilfe des Enzyms DNA-­Polymerase, welches in allen grenze auf 108 DNA-Moleküle deutlich verbessert wer-
Lebewesen vorkommt und vor der Zellteilung während den. Die Sensitivität von 108 DNA-­Molekülen ist jedoch
der Replikation die DNA der Zelle verdoppelt. Das Ver- für spezielle diagnostische Fragestellungen bei Weitem
fahren wurde 1983 zum ersten Mal wissenschaftlich nicht ausreichend. Ein Beispiel für sensitivere Nachweis-
durch Kary B. Mullis vollständig beschrieben, wofür er verfahren ist die Diagnostik von Virusinfektionen bzw.
1993 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Viren aus dem Blut von Patienten, bei denen häufig nur
Die Entwicklung der PCR hat zur Revolution von sehr geringe Virustiter von unter 1000 Viren pro Millili-
molekularen Verfahren in den Lebenswissenschaften ter Blut vorhanden sein können. Hier zeigt sich der un-
geführt und ist aus den unterschiedlichsten Bereichen bestrittene Vorteil der PCR-­Technologie, da bei dieser
der Molekularbiologie und Medizin nicht mehr weg- Technik innerhalb von wenigen Stunden in vitro aus ei-
zudenken. Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten nem einzigen DNA-­ Molekül unter optimalen Bedin-
der PCR liegen in der molekularbiologischen Grund- gungen bis zu 1012 identische Moleküle erzeugt werden
lagenforschung, Genetik, Medizin, Genomdiagnostik, können, die dann einem diagnostischen Nachweis oder
Forensik, Lebensmittelanalytik, Pflanzenzucht, Land- anderen analytischen Methoden zur Verfügung stehen
wirtschaft, Umwelt- und Altertumsforschung, um nur (7 Abschn. 33.5).

einige zu nennen.
Die PCR-Reaktion wurde in unterschiedlichste Pro-
zesse integriert, wie z. B. die PCR-Amplifikation mit an- 33.2  Grundlagen
schließender elektrophoretischer Auftrennung der Am-
plifikationsprodukte, Klonierung und Sequenzierung 33.2.1 Ablauf einer PCR-Reaktion
der amplifizierten Sequenzen, allelische PCR zur Auf-
klärung von Mutationen, Analyse der PCR-­Produkte in Für eine PCR-Reaktion werden grundsätzlich vier
Blot-Nachweisverfahren, Kopplung mit quantitativen Komponenten benötigt:
834 S. Niendorf C.-T. Bock

..      Abb. 33.1 Schematische
Darstellung der Polymerisation
von DNA. In Anwesenheit eines dNTP S
Primers mit freiem 3′-OH-Ende 5' Primer 3'
und Einzelnucleotiden (dNTPs) – OH
verlängern DNA-Polymerasen
einzelsträngige DNA (ssDNA) ssDNA
zum Doppelstrang 3' 5'
DNA-Polymerase

5' Primer 3'


– OH

3' 5'

55 die zu vervielfältigende DNA, auch Template Elongation  Während der Verlängerung des neu zu syn-
genannt, thetisierenden DNA-Strangs (Elongation) wird das freie
55 das Enzym DNA-Polymerase, 3′-OH-Ende des Primers durch die DNA-Polymerase
33 55 freie Nucleotide und mit freien Nucleotiden [Nucleosidtriphosphate (NTP),
55 kurze meist synthetische DNA-Fragmente mit einer aus Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C), Thymin (T)
Länge von 18–25 Basen, die sog. Primer. oder Uracil (U)] entsprechend der Sequenz des komple-
mentären DNA-Stranges verlängert. Die gewählte Tem-
Die Primer binden an den zu amplifizierenden Bereich peratur hängt dabei vom Aktivitätsoptimum der DNA-­
eines Templates und besitzen ein freies 3′-OH-­Ende, Polymerase ab, welches zwischen 68 °C und 72 °C liegt.
welches von der DNA-Polymerase verlängert werden Die Elongationszeit sollte so gewählt werden, dass eine
kann (. Abb. 33.1). Die PCR-Reaktion läuft in der Re-
  vollständige Synthese der Zielsequenz erreicht wird, da
gel in drei Schritten ab (. Abb. 33.2 und . 33.3).
    nur vollständig verlängerte DNA-Stränge in den nächs-
ten PCR-Zyklen wieder als Matrize zur Verfügung ste-
Denaturierung  Im ersten Schritt muss der vorliegende und hen. Meist werden Elongationszeiten von einer Minute
zu amplifizierende DNA Doppelstrang in die jeweiligen pro 1000 Basen verwendet.
Einzelstränge getrennt (denaturiert) werden. Da die DNA Durch eine erneute Denaturierung der neu synthe-
zu Beginn in einer noch recht komplexen, hochmoleku- tisierten doppelsträngigen DNA in ihre Einzelstränge
laren Struktur vorliegt, erfolgt die Denaturierung für ca. können neue Primermoleküle binden, und der Prozess
5–10 min, um insbesondere auch G/C-reiche Sequenzen, die wiederholt sich. Werden die Primer so gewählt, dass
z. B. häufig bei Virusgenomen vorliegen, zu denaturieren. einer am Sense-Strang und einer am komplementären
Strang (dem Antisense-Strang) bindet, erfolgt mit jedem
Annealing  Im zweiten Schritt erfolgt das Binden (An- Zyklus von Denaturierung, Annealing und Elongation
nealing) der Primer an die spezifische Sequenz auf der eine Verdopplung des zwischen den Primern befindli-
zu amplifizierenden DNA. Die Temperatur wird hierbei chen DNA-Abschnittes. Die PCR führt somit zu einer
maßgeblich von der Sequenz der Primer bestimmt, sie exponentiellen Amplifikation, da auch die jeweils neu
sollte ca. 5–10 °C unterhalb der Schmelztemperatur der gebildeten Stränge als Matrize zur Verfügung stehen
Primer liegen. Wird die Annealingtemperatur zu hoch (. Abb. 33.4). Wird für die PCR-Reaktion eine tempe-

gewählt, könnten die Primer aufgrund ihrer thermischen raturstabile DNA-Polymerase eingesetzt, wie sie in Or-
Bewegung nicht richtig an die Zielsequenz binden und ganismen vorkommt, die in heißen Quellen leben, so ist
zu einer ineffizienten PCR-Reaktion führen. Bei einer zu es möglich, die Reaktion ohne Unterbrechung ablaufen
niedrigen Annealingtemperatur können die Primer nicht zu lassen.
nur an die Zielsequenz, sondern auch unspezifisch an Für die meisten Anwendungen liegt nach 30–35
nicht komplementäre Sequenzen der DNA binden, wo- Zyklen genügend Produkt zur weiteren Analyse vor.
durch die Spezifität der PCR-Reaktion sinkt. Nur in Ausnahmefällen oder bei einer Nested-PCR
Polymerasekettenreaktion
835 33
dsDNA

Denaturierung (1. Zyklus)

Primer-Annealing

Primer
Primer

Primer-Elongation

Primer-Annealing (A–T)
Primer-Elongation (E–T)

Denaturierung (2. Zyklus)

Primer-Annealing
und -Elongation (AE–T)

..      Abb. 33.3  Temperatur/Zeit-Profil der PCR (zweistufig und drei-


stufig)

Plateau-
N (Moleküle)

Phase

Primer-Annealing (2. Zyklus) exponentielle


Phase

N0

..      Abb. 33.4  Typischer Verlauf einer PCR.  Die Kinetik der PCR
verläuft über eine exponentielle Phase in eine Sättigung (Plateau-
Primer-Elongation (2. Zyklus)
phase). Das Plateau bildet sich unter anderem, weil im Verlauf der
Reaktion zunehmend Inhibitoren entstehen und die PCR-­
Komponenten verbraucht werden

(7 Abschn.  33.3.3) werden 40–50 Zyklen zur Amplifi-


kation benötigt.

33.2.2 Instrumentierung

Erste Thermocycler bestanden aus drei unterschied-


Denaturierung (3. Zyklus)
lich beheizten Wasserbädern, bei denen die PCR-Ge-
fäße anfangs von Hand und mit Stoppuhr, später mit-
..      Abb. 33.2  Schematische Darstellung der PCR.  In einem zykli- hilfe eines Roboterarms von Bad zu Bad umgesetzt
schen Prozess aus Denaturierung, Primer-Annealing und Pri-
mer-Elongation verdoppelt sich die Zahl der DNA-Abschnitte theo-
wurden. Heutzutage gibt es relativ kleine, kompakte
retisch mit jedem Zyklus. Beschrieben sind die ersten beiden Zyklen. Geräte, in denen die PCR-Gefäße in einem Metall-
Die Zahl der Kopien wächst exponentiell mit jeder weiteren Runde block stehen, der zyklisch aufgeheizt und gekühlt
836 S. Niendorf C.-T. Bock

wird. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal der heu-


..      Tab. 33.1  Zusammenfassung des PCR-Mastermixes
tigen Thermocycler ist ihre Heiztechnik, die entweder
auf Basis von Peltier-­ Elementen oder mithilfe von Reagens Endkonzentration
Flüssigkeiten funktioniert. Jüngste Entwicklungen
auf diesem Gebiet zielen einerseits auf einen drasti- Taq-DNA-Polymerase 2–5 units 1×
schen Zeitgewinn durch Miniaturisierung (PCR in ei- 10 × Taq-Puffer (100 mM Tris/HCI pH 1×
ner Glaskapillare mit sehr geringem Volumen, reali- 8,3; 500 mM KCI)
siert als LightCycler®) und andererseits auf eine
10 mM Nucleotidmix (dATP, dCTP, 0,2 mM
Kombination von Amplifikation und Detektion in ei- dGTP, dTTP)
nem Gerät (PCR kombiniert mit gleichzeitiger
MgCI2 0,5–2,5 mM
FRET-Detektion, realisiert als TaqMan). Die Geräte
dieser Bauart erlauben den zeitgleichen Nachweis Sense-Primer 0,1–1 μM
(Real-­Time-­Detektion) eines PCR-Produkts während Antisense-Primer 0,1–1 μM
der Amplifikation (7 Abschn. 33.3.1).

H2O variabel
Template variabel
33.2.3 Komponenten der PCR-Reaktion
33.2.3.1 Enzym 33.2.3.2  Primer
Die wichtigsten Anforderungen an DNA-Polymera- Neben der DNA-Polymerase ist eine der wichtigsten
33 sen für die PCR sind die Fähigkeit, bei 72 °C längere Komponenten in einer PCR-Reaktion das Primerpaar,
DNA-­Abschnitte zu synthetisieren (eine hohe Prozess- bestehend aus einem Sense-Primer und einem Antisense-­
ivität) sowie eine sehr gute Temperaturstabilität bei Primer, der auf dem Gegenstrang der Nucleinsäure bin-
95 °C. Polymerasen, die diese Anforderungen erfüllen, det. Die Primer flankieren den zu amplifizierenden Be-
sind Taq-, Tth-, Pwo- und Pfu-DNA-Polymerase. Die reich des Targets. Eine wesentliche Voraussetzung für
Taq-­DNA-­Polymerase, als die gebräuchlichste Poly- eine optimale PCR ist die richtige Auswahl der Primer,
merase unter den genannten Enzymen, kommt in den das sog. Primerdesign. Damit die Bindung an die Ziel-
meisten Standardprotokollen zum Einsatz. Tth-DNA-­ sequenz möglichst spezifisch ist, sollten einige grundle-
Polymerase besitzt ebenso wie die Taq-DNA-Po- gende Anforderungen an die Primer erfüllt werden.
lymerase eine hohe 5′–3′-Polymerisationsaktivität,
daneben aber auch eine zusätzliche Reverse-Tran- Anforderungen an die Primer
skriptase-Aktivität. Hierauf wird im folgenden Ab- 1. mindestens 17 Nucleotide lang (meist 17–28 nt)
schnitt eingegangen (7 Abschn.  33.3.2). Pwo- und
  2. ausgeglichener G/C- zu A/T-Gehalt
Pfu-DNA-Polymerase schließlich haben neben ihrer 3. Schmelzpunkt zwischen 55 °C und 80 °C
5′–3′-Polymerisationsaktivität auch eine 5′–3′-Exo- 4. möglichst gleicher Schmelzpunkt für beide Primer
nucleaseaktivität. Diese wird auch als Proof-Rea- 5. keine Haarnadelstruktur (besonders am 3′-Ende,
ding-Aktivität bezeichnet, da diese Enzyme in der . Abb. 33.5)

Lage sind, falsch eingebaute Nucleotide zu erkennen 6. keine Dimerbildung: weder mit sich selbst noch mit
und den Fehler anschließend durch erneute Reaktion dem 2. Primer (. Abb. 33.5)

zu beheben. Neben diesen Einzelenzymen werden oft 7. möglichst keine G/C-Nucleotide am 3′-Ende
auch Gemische der Enzyme kommerziell angeboten. (erhöht Mispriming-Gefahr)
Beispielhaft sind die für die Amplifikation nach einem 8. möglichst keine „ungewöhnlichen“ Basenabfolgen
Standardprotokoll (mit Taq-Polymerase) benötigten wie poly(A)- oder lange G/C-­Abschnitte
Reagenzien in . Tab. 33.1 aufgelistet.

Polymerasekettenreaktion
837 33
..      Abb. 33.5 Sekundär- 5' 3'
strukturen von Primern. Primer ohne Sekundärstrukturen
Für die Primerauswahl ist
es wichtig, Sekundär-
strukturen möglichst zu
vermeiden. In die Analyse
müssen auch komplemen-
täre Bereiche zwischen
Sense- und Antisense-Pri- Primer mit Haarnadelstruktur
mer miteinbezogen 5'
werden. 3'

5' 3'
Primer-Dimer

3' 5'

Degenerierte Primer sind ein Gemisch aus Einzelmo-


lekülen, die sich an bestimmten Stellen in ihrer Sequenz Die IUPAC- (International Union of Pure and Applied
unterscheiden. Sie werden immer dann verwendet, wenn Chemistry) Abkürzungen stehen für folgende Basen:
die Sequenz des Targets nicht exakt bekannt ist oder N: - A, C, T oder G
die Targets in ihrer Sequenz voneinander abweichen.
V: - A, C oder G
Soll beispielsweise ein Genomabschnitt aus einer Spe-
zies amplifiziert werden, dessen genaue Sequenz nur aus H: - A, C oder T
verwandten Arten bekannt ist, werden über Vergleich D: - A, G oder T
der Sequenzhomologie möglichst homologe Bereiche B: - C, G oder T
identifiziert und anschließend degenerierte Primer syn- M: - A oder C
thetisiert, die im Idealfall alle Nucleotidvariationen ent-
halten. Dies kann z. B. bei der Amplifikation von unter- R: - A oder G
schiedlichen Virus-Subtypen zur Anwendung kommen. W: - A oder T
Der Nachteil von degenerierten Primern liegt in einer S: - C oder G
verschlechterten Spezifität, was zu einer unspezifischen Y: - C oder T
Amplifikation führen kann.
K: - G oder T
Oligo(dT)-Primer sowie Random-Primer (Hexanucleo-
Die Primersequenz tide) finden vor allem bei der Amplifikation von
55 5′- WTG AGT TAT GGA TTC AAA GTN-3′ RNA-Molekülen Anwendung. Dies wird unter
7 Abschn. 33.3.2 näher beschrieben.

steht für ein Gemisch aus folgenden acht Primern:


55 5′-ATG AGT TAT GGA TTC AAA GTA-3′
55 5′-TTG AGT TAT GGA TTC AAA GTA-3′ Diverse Computerprogramme unterstützen den
55 5′-ATG AGT TAT GGA TTC AAA GTC-3′ Anwender heute bei der Auswahl geeigneter Primerse-
55 5′-TTG AGT TAT GGA TTC AAA GTC-3′ quenzen und geben darüber hinaus auch den jeweiligen
55 5′-ATG AGT TAT GGA TTC AAA GTG-3′ Schmelzpunkt an. Der Schmelzpunkt kann nach unter-
55 5′-TTG AGT TAT GGA TTC AAA GTG-3′ schiedlichen Formeln errechnet werden. Die einfachste
55 5′-ATG AGT TAT GGA TTC AAA GTT-3′ dieser Formeln legt für jedes A oder T einen Beitrag von
55 5′-TTG AGT TAT GGA TTC AAA GTT-3′ 2 °C und für jedes G oder C einen Beitrag von 4 °C zu-
grunde. Für einen Primer von 20 Nucleotiden Länge
838 S. Niendorf C.-T. Bock

(20-mer) mit einem ausgeglichenen Verhältnis von A/T Die Menge des einzusetzenden Templates ist stark
zu G/C errechnet sich somit ein Schmelzpunkt von 60 °C. von der Anzahl der darin enthaltenen Zielsequenz ab-
hängig. So enthält 1  mg genomische DNA des Men-
33.2.3.3  Nucleotide schen 3 · 105 Zielsequenzen, bezogen auf einen einzelnen
Die Konzentration der vier Desoxynucleotid-­Genabschnitt (keine repetitiven Elemente). Die gleiche
Triphosphate (dATP, dCTP, dGTP, dTTP) liegt beim Konzentration eines Plasmids von 3  kb Größe enthält
Einsatz in eine PCR zumeist in einem Bereich von jedoch bereits 3  ·  1011 Moleküle. Daraus ergibt sich,
0,1–0,3  μM.  Alle vier dNTPs sollten in einem äqui- dass 1 μg genomische DNA ebenso viel Moleküle ent-
molaren Verhältnis vorliegen. Eine Ausnahme tritt hält wie 1  pg Plasmid-DNA.  Dies sollte beim Einsatz
nur dann ein, wenn andere Nucleotide zur Amplifika- unterschiedlicher Templates, insbesondere zu präparati-
tion verwendet werden. Diese, z. B. dUTP, werden im ven Zwecken, berücksichtigt werden.
Überschuss (meist 3:1) zugesetzt, da sie von der Neben der Sequenz und der Menge des Targets be-
Taq-DNA-Polymerase schlechter eingebaut werden. stimmt auch die Aufbereitung der zu amplifizierenden
Nucleinsäure maßgeblich den Erfolg der PCR-­Reaktion.
33.2.3.4  Puffer Soll das PCR-Ausgangsmaterial aus biologischem Mate-
Die Pufferbedingungen sind abhängig von der verwen- rial gewonnen werden, müssen zunächst die Nucleinsäu-
deten Polymerase und müssen je nach verwendeter Poly- ren aus Viruspartikeln, Bakterien oder Zellen freigesetzt
merase eingestellt werden. In kommerziell erhältlichen und von störenden Bestandteilen wie Proteinen, Fetten
PCR-Kits sollte bei den zumeist mitgelieferten Puffern oder Inhibitoren (etwa Hämoglobin-­ Abbauprodukte
insbesondere auf die Ionenkonzentration geachtet wer- in Blut) abgetrennt werden (7 Kap.  30). Im Rahmen
33

den, da diese die Spezifität und Prozessivität der Ge- der Probenvorbereitung erfolgt neben der Freisetzung
samtreaktion stark beeinflussen kann. Die für die häufig und Reinigung auch eine Aufkonzentrierung der Nu-
verwendete Taq-DNA-Polymerase gebräuchlichen Puf- cleinsäuren. Verschiedene Methoden werden zur Auf-
fer werden mit und ohne Magnesiumchlorid angeboten. konzentrierung angewandt. So können Nucleinsäuren
Zur Optimierung einer neuen PCR (7 Abschn. 33.2.4) unspezifisch an verschiedene Oberflächen (Glaspartikel

sind Puffer ohne Magnesiumchlorid vorzuziehen, da mit magnetischem Kern, Silicatmembranen, Hydroxyl-
hier der Spielraum durch eine separat zuzusetzende Ma- apatitsäulen) gebunden werden und nach verschiedenen
gnesiumchloridlösung deutlich erhöht wird. Als weitere Waschschritten mithilfe eines geeigneten Puffers eluiert
Zusätze können dem Puffer Rinderserumalbumin und so konzentriert in Lösung gebracht werden. Mit-
(BSA), Tween-20, Gelatine, Glycerin, Formamid und hilfe von sog. Fangsonden (capute beads) können Nu-
DMSO beigemischt werden. Diese können im Einzelfall cleinsäuren sequenzspezifisch gebunden werden. Diese
zur Stabilisierung des Enzyms und zu einem optimierten Fangsonden selbst können mithilfe des Bindungspaars
Primer-Annealing führen. Streptavidin (Adsorption an der Partikeloberfläche) und
Biotin (Modifikation der Fangsonden) an verschiedene
33.2.3.5  Template Partikel gebunden werden, wodurch eine sequenzspezi-
Die wichtigsten Einflussgrößen des Targets im Hinblick fische Aufreinigung und Aufkonzentrierung der zu am-
auf den PCR-Erfolg sind die Sequenzen der Primerbin- plifizierenden Nucleinsäure möglich ist.
dungsstellen, die Länge des zu amplifizierenden Genom-
abschnitts und die Menge bzw. Konzentration der ein-
gesetzten Nucleinsäuremoleküle (DNA oder RNA). 33.2.4 Optimierung der PCR-Reaktion
Um Fehlpaarungen der Primer (Mispriming) zu ver-
meiden, sollten repetitive Sequenzen ausgeschlossen Eine der wesentlichen und langwierigsten Aufgaben bei
und stattdessen sog. Single-Copy-Bereiche zur Primer- der Etablierung einer neuen PCR ist die Optimierung
auswahl herangezogen werden. der Reaktion. Unter analytischen Aspekten ist hier be-
Die maximale Länge einer zu amplifizierenden sonders die Sensitivität und Spezifität hervorzuheben.
DNA wird in erster Linie durch die Prozessivität der Hier seien Applikationen in der Gerichtsmedizin oder
verwendeten Polymerase bestimmt. Es gibt Enzyme der Nachweis von sehr geringen DNA- bzw. RNA-­
und Enzymgemische, die die Amplifikation von bis zu Mengen bei Infektionskrankheiten erwähnt. Bei präpa-
40 kb großen Fragmenten ermöglichen. In solchen Fäl- rativen Anwendungen, wie bei der Herstellung von Son-
len muss jedoch die Elongationszeit extrem verlängert den oder Templates zur Sequenzierung, wird die
werden (bis zu 30 min pro Zyklus). In der Regel werden Ausbeute, also die Menge des gebildeten PCR-Produkts,
kurze Abschnitte von 0,1–1  kb bevorzugt, da diese in Ziel der Optimierung sein. Dieser Abschnitt soll einige
der PCR optimal amplifiziert werden. der wesentlichen Möglichkeiten zur Optimierung der
Polymerasekettenreaktion
839 33
PCR-Reaktion aufzeigen und einige Strategien zur Op- Optimierung des Templates  Für eine erfolgreiche PCR
timierung vermitteln. ist die Qualität des eingesetzten Templates ebenfalls sehr
wichtig. Die Probenvorbereitung sollte sicherstellen, dass
Wahl der Primer  Der oft entscheidende Faktor für die Inhibitoren der PCR effizient abgetrennt werden. Hierzu
Güte der PCR-­Reaktion ist die Auswahl der richtigen zählen besonders Abbauprodukte von Hämoglobin (bei
Primer. Aus diesem Grund ist es ratsam, möglichst meh- der DNA-­Gewinnung aus Blut) und Ethanol, das häufig
rere Primerpaare auszutesten, da grundsätzlich auch mit zur ­Fällung von DNA verwendet wird.
Sekundärstrukturen in der Zielsequenz gerechnet wer-
den muss. Dabei sollten die bereits erwähnten Anforde-
rungen an die Primer möglichst berücksichtigt werden 33.3  Spezielle PCR-Techniken
(7 Abschn. 33.2.3.2). Entsteht kein PCR-Produkt, kann

es hilfreich sein, die Annealingtemperatur sukzessive zu 33.3.1 Quantitative PCR


verringern. Hierbei besteht allerdings der Nachteil, dass
es bei niedrigen Temperaturen eher zu unspezifischen Die quantitative Echtzeit-PCR (Quantitative Real-Time
Amplifikationen der Primer kommen kann. Führt eine PCR, qPCR) ist ein DNA-Amplifikationsverfahren,
PCR-Reaktion zu mehreren unspezifischen Banden kann dass auf der Methodik der herkömmlichen, konventio-
eine Erhöhung der Annealingtemperatur zu einer Steige- nellen PCR beruht und gleichzeitig während der PCR-­
rung der Spezifität der Reaktion führen. Reaktion eine Quantifizierung der amplifizierten DNA
ermöglicht. Somit entfällt die nachträgliche Analyse der
Magnesiumionen  Ein wesentlicher Faktor, der die Pro- PCR-Produkte über eine Gelelektrophorese. Die Quan-
zessivität der DNA-­Polymerase bestimmt, ist die Konzen- tifizierung erfolgt mithilfe einer Fluoreszenzmessung
tration der Magnesiumionen. Sie sollte in ersten Experi- während eines PCR-Zyklus, wobei die Fluoreszenzin-
menten empirisch zwischen 0,5 mM und 5 mM gewählt tensität proportional zum gebildeten PCR-Produkt ist.
werden. Seit die qPCR in viele Forschungs- und Routinela-
boratorien Einzug gehalten hat, können viele Fragen-
Zusätze  Zahlreiche Zusätze im Reaktionsansatz kön- stellungen auf leichte und kostengünstige Weise geklärt
nen helfen, die DNA-Polymerase bzw. die Primer bei der werden. Leider findet sich eine Vielzahl an Publikatio-
Anlagerung an das Template zu stabilisieren. Zu diesen nen in der aktuellen Literatur, bei denen eine ungenü-
zählen insbesondere Glycerin, BSA und PEG.  Die De- gende Menge an Informationen zu den experimentellen
naturierung wird durch Zusätze von DMSO, Formamid, Einzelheiten der durchgeführten Analysen angeführt
Tween-­20, Triton X-100 oder NP40 gefördert. ist. Aus diesem Grund wurden bereit 2009 von einer
Gruppe internationaler Wissenschaftler die MIQE-Gui-
Hot-Start-PCR  Kommt es gehäuft zu unspezifischen Am- delines (Minimum Information for Publication of Quan-
plifikationen, so kann in manchen Fällen eine sog. Hot- titative Real-time PCR Experiments; Weiterführende Li-
Start-PCR Abhilfe schaffen. Hierbei wird die Aktivität teratur) veröffentlicht. Diese Guidelines stellen in neun
der DNA-­Polymerase bei niedrigen Temperaturen unter- Abschnitten mit 85 Einzelpunkten Richtlinien auf, die
drückt, sodass die Aktivität der DNA-Polymerase erst bei das Minimum der für die Veröffentlichung wünschens-
erhöhter Temperatur einsetzt, wodurch eine Polymerisa- werten Informationen aufzeigen. Damit sollen die expe-
tion an unspezifisch hybridisierten Primer bei niedrigen rimentelle Transparenz und die Reproduzierbarkeit von
Temperaturen unterdrückt werden kann. Diese Inaktivie- Experimenten innerhalb und zwischen Laboren gestei-
rung kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: gert werden.
55 Inaktivierung der Bindung eines Antikörpers im
aktiven Zentrum der DNA-Polymerase 33.3.1.1  Detektionsverfahren der
55 Inaktivierung durch Formaldehyd quantitativen PCR
55 Komplexierung der Magnesiumionen durch Farbstoffe  Die einfachste Möglichkeit, das entstehende
Phosphat PCR-­Produkt zu quantifizieren, ist die Verwendung von
Farbstoffen, die sich in die DNA einlagern (interkalieren,
Bei dem ersten Denaturierungsschritt der PCR-­Reaktion 7 Abschn. 31.1.2) und dabei das Absorptionsspektrum

kommt es zu einer Denaturierung des Antikörpers, Hy- ändern, wie z. B. SybrGreenI oder Ethidiumbromid. Die
drolyse des Formaldehyds oder zu einer Freisetzung der Verwendung von DNA-Farbstoffen ist unabhängig von
Magnesiumonen, wodurch die DNA-­Polymerase akti- der Sequenz des zu amplifizierenden Targets, weshalb sie
viert wird. flexibel für verschiedene PCR-Protokolle genutzt werden
840 S. Niendorf C.-T. Bock

können. Diese Unabhängigkeit zur Zielsequenz ist auch Hydrolysesonden  Hydrolysesonden sind an einem Ende
gleichzeitig ein Nachteil, da sie sich auch in unspezifische mit einem Reporter-Fluoreszenzfarbstoff und am ande-
PCR-Produkte einlagern. Mithilfe einer nachgeschalteten ren Ende mit einem Quencher markiert, der das Fluores-
Schmelzkurvenanalyse kann dieser Nachteil ausgeglichen zenzsignal des Farbstoffes unterdrückt. Die Sonde bindet
werden. Hierfür wird nach der PCR-Reaktion die gebil- während des Annealings an das zu amplifizierende Tem-
dete DNA aufgeschmolzen, indem die Temperatur kon- plate und wird durch die 5′–3′-Exonuclease-Aktivität der
tinuierlich erhöht wird. Wird der Schmelzpunkt erreicht, DNA-Polymerase während der Elongation degradiert,
liegt die DNA in Einzelsträngen vor, der Farbstoff wird wodurch Quencher und Fluorophor räumlich voneinan-
freigesetzt und die Änderung der Fluoreszenz gemessen. der getrennt werden und so ein Anstieg der Fluoreszenz
Da der Schmelzpunkt abhängig von der Sequenz des am- detektiert werden kann (. Abb. 33.6).

plifizierten Produktes ist, kann mithilfe des Schmelzpunk-


tes ein unspezifisches Produkt von dem spezifischen Pro- Molecular-Beacon-Sonden  Ähnlich wie die Hydrolyse-
dukt unterscheiden werden, da dessen Sequenz und damit sonden sind Molecular-­Beacon-­Sonden sowohl mit einem
der Schmelzpunkt bekannt sind. Reporter-­Fluoreszenzfarbstoff also auch mit einem Quen-
cher gekoppelt und tragen an ihren beiden Enden zusätz-
Hybridisierungssonde  Hybridisierungssonden nut- lich komplementäre Sequenzen von 5–7 Nucleotiden, wo-
zen den Förster-Resonanz-­ Energietransfer (FRET, durch sich eine Haarnadelstruktur ausbildet, die zu einer
7 Abschn. 19.7) aus, dabei wird ein Donorfluorochrom
  räumlichen Nähe von Quencher und Fluoreszenzfarbstoff
durch eine Lichtquelle angeregt. Befindet sich in ein Ak- führt und wodurch das Fluoreszenzsignal unterdrückt
zeptorfluorochrom in ausreichender räumlicher Nähe, so wird. Bindet die für die Targetsequenz spezifische Schlei-
33 wird die Energie vom Donor auf den Akzeptor übertra- fenregion das Template, kommt es zu einer Auflösung der
gen und kann als emittierte Fluoreszenz gemessen werden. Haarnadelstruktur, und die emittierte Fluoreszenz kann
Hybridisierungssonden bestehen aus einem Paar Sonden, gemessen werden. Als F ­ luoreszenzmarker werden in diesen
welche sequenzspezifisch an das entstehende Amplifi- Systemen oftmals Fluorescein- oder Rhodaminderivate
kat binden können. Jede Sonde ist entweder mit einem eingesetzt, als Quencher Rhodaminderivate, Dabcyl- oder
FRET-­ Donor oder einem FRET-Akzeptor markiert. Cyaninfarbstoffe. Ein besonders guter Quencher ist der
Binden beide Sonden an das Target, kommt der Energie- Black-hole-Quencher, der das emittierte Licht fast vollstän-
übertrag zustande, und die Fluoreszenz kann am Ende dig absorbiert. Die Art der verwendeten Markierungspaare
der Annealingphase gemessen werden (. Abb. 33.6).
  ist den jeweiligen Formaten angepasst (. Abb. 33.6).

..      Abb. 33.6  Schematische Darstel- Hybridisierungssonden


lung von verschiedenen Sondensyste-
men für die quantitative PCR, A
(A = Akzeptor; D= Donor; Q = Quen- D
cher; R = Reporter) D A
A
D

Hydrolysesonden
R
Q R Q
TAQ TAQ

Molecular-Beacon-Sonden

Q R

Q R
Polymerasekettenreaktion
841 33
33.3.1.2  Quantifizierung PCR-Reaktion zusätzlich zu den zu testenden Proben
Die Quantifizierung von Nucleinsäuren mittels PCR ist standardisierte Proben analysiert, die unterschiedliche
zu einem essenziellen Bestandteil diagnostischer Frage- aber bekannte Konzentrationen aufweisen. Mithilfe die-
stellungen geworden. Dies gilt in besonderem Maße für ser Standards kann anschließend eine Standardkurve er-
die Diagnose und die Therapiekontrolle von Infektions- zeugt werden. Nach der Amplifikation der unbekannten
krankheiten. Als zwei Beispiele von großer Bedeutung Probe wird deren Konzentration mit der Hilfe der Stan-
seien das AIDS-auslösende HI-Virus (Human Immuno- dardkurve errechnet (. Abb. 33.7). Damit eine zuverläs-

deficiency Virus) oder das Hepatitis-C-Virus (HCV) ge- sige Quantifizierung möglich ist, werden an die Standards
nannt. Aber auch in der Onkologie ist die quantitative unterschiedliche Anforderungen gestellt. Die Standards
Bestimmung besonderer mRNAs für verschiedene Fra- sollten stets unter den gleichen Bedingungen vermessen
gestellungen essenziell. Um am Anfang der exponentiel- werden wie die unbekannte Probe. Ihre Sequenz sollte
len Phase quantifizieren zu können, wird häufig der sog. der Zielsequenz relativ ähnlich sein, damit die PCR für
Ct-Wert (engl. cycle threshold für Schwellenwert-Zyk- die Standards möglichst genauso effizient ist wie für die
lus) bzw. der Cp-Wert (engl. crossing point) ermittelt. Proben  – das bedeutet, es sollten die gleichen Primer
Das ist der Zyklus, bei dem die Fluoreszenzintensitiät und das gleiche PCR-Protokoll verwendet werden. Des
erstmals signifikant über den Wert der Hintergrundfluo- Weiteren sollte möglichst das gleiche Template verwen-
reszenz ansteigt. det werden. Das bedeutet, dass bei einer quantitativen
Erschwert wird die Quantifizierung dadurch, dass RT-PCR (7 Abschn.  33.3.2) auch möglichst ein RNA-­

es sich bei der PCR nicht um eine lineare, sondern um Standard eingesetzt werden sollte, da sonst der sehr ineffi-
eine exponentielle Amplifikation handelt (. Abb. 33.4).
  ziente Schritt der reversen Transkription nicht gemessen
Kleinste Änderungen in der Effizienz der Gesamtreak- wird und die Quantifizierung zwangsläufig zu niedrige
tion, etwa durch eine leichte Inhibition individueller Werte ergibt. Der Nachteil dieser Quantifizierung mit
Proben, führen zu einer drastischen Änderung der Pro- externer Standardkurve besteht darin, dass die Effizienz
duktmenge. Folgende Gleichung soll dies veranschauli- der PCR-Reaktion der zu analysierenden Probe nicht be-
chen: trachtet wird. Schon eine geringe Inhibition der Probe
führt zu einer scheinbar niedrigeren Konzentration der zu
N = N 0 ⋅ 2n (33.1) quantifizierenden Probe.
Hierbei ist N die Anzahl der amplifizierten Moleküle, N0 Eine weitere Anwendung der absoluten Quantifi-
die Molekülzahl vor Amplifikation und n die Zyklen- zierung ist die digitale PCR, hierbei erfolgt eine direkte
zahl. Unter idealisierten Bedingungen erfolgt eine Ver- Quantifizierung ohne den Einsatz von bekannten Stan-
doppelung der Anzahl der amplifizierten Moleküle von dards. In 7 Abschn.  33.3.9 wird die digitale PCR ge-

Zyklus zu Zyklus. In der Praxis gilt jedoch folgende nauer beschrieben.


Gleichung:
Relative Quantifizierung  Im Gegensatz zur absoluten
n Quantifizierung wird bei der relativen Quantifizierung
N = N 0 ⋅ (1 + E ) (33.2)
die Menge der amplifizierten DNA in der Probe auf eine
E ist die Effizienz der Reaktion und besitzt einen Wert interne, endogene Sequenz des Genoms bezogen. Dabei
zwischen 0 und 1. Dieser Wert hängt sehr stark vom Op- wird nicht die Anzahl der Kopien in der zu analysieren-
timierungsgrad der PCR ab. Experimentell wurden für den Probe bestimmt, sondern es erfolgt die Normali-
eine optimal eingestellte PCR Werte zwischen E  =  0,8 sierung gegen eine möglichst ubiquitär vorkommende,
und E = 0,9 ermittelt.
Erschwert wird die quantitative Messung auch durch
den Umstand, dass die exponentielle Phase gegen Ende
Ct/Cp-Wert

der Amplifikation in ein Plateau läuft, d. h. der Wert E Standardkurve


verändert sich während einer PCR (. Abb.  33.4). Die

maximale Produktmenge, die während der PCR entste-


hen kann, liegt im Bereich von ca. 1013 Molekülen, kann Ct /Cp-Wert
jedoch auch relativ stark nach unten abweichen. der Probe
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Metho-
den zur quantitativen Bestimmung entwickelt und zu-
log GE
nehmend verbessert worden, im Folgenden sollen nur Konzentration
einige näher vorgestellt werden. der Probe

..      Abb. 33.7  Externe Standardkurve. Quantifizierung einer unbe-


Absolute Quantifizierung  Bei der absoluten Quantifi- kannten Probe anhand eine externen Standardkurve (GE = Genom-
zierung mittels externer Standardkurve werden bei der äquivalente)
842 S. Niendorf C.-T. Bock

nicht regulierte Sequenz in der Probe. Bei DNA-Be- dieser Aliquots eine zunehmende Menge RNA-Mimic-­
stimmungen (z. B. HIV-Provirusgenom) kommen oft die Fragment zugegeben. Nach Amplifikation werden
β-Globin-­Gene zur Anwendung. Hierzu wird in einem beide Signale gegen die Ausgangskonzentration des
als Multiplex bezeichneten Verfahren ein zweites Primer- RNA-Mimic-­Fragments aufgetragen und am Schnitt-
paar zur Bestimmung der β-Globin-Gen-DNA eingesetzt punkt beider Kurven (d.  h. bei gleicher Menge des
(7 Abschn.  33.3.6). Da die Menge der β-Globin-Gene
  Endprodukts) die Ausgangsmenge der Probe abgelesen
bekannt und das Signal nach Amplifikation konstant (. Abb. 33.8).

ist, erlaubt das Verhältnis beider Signale Aussagen über


die Menge der zu bestimmenden DNA.  Im Gegensatz
Generell gilt, dass zur Quantifizierung von RNA auch
zur externen Standardkurve ermöglicht dieses Verfahren
immer RNA-Mimic-Fragmente (und keine DNA-Mi-
die Erfassung von inhibitorisch wirksamen Substanzen,
mic-Fragmente) verwendet werden sollten, da durch
sofern diese auf beide PCRs denselben Einfluss haben
den RT-Schritt, wie oben erwähnt, die größten Varian-
und nicht sequenzspezifisch wirken. Mithilfe der sog.
zen in der Gesamtreaktion entstehen. Darüber hinaus
ΔΔCt-Methode kann die Berechnung des Expressions-
sollten die RNA-Mimic-Fragmente bereits zu Beginn
unterschiedes der Proben erfolgen. Dabei wird im ersten
in die Probe gegeben werden, um tatsächlich alle
Schritt der Ct-Wert des Zielgens von dem des Kontroll-
Schritte – Probenvorbereitung, Amplifikation und De-
gens subtrahiert und im zweiten Schritt die Differenz der
tektion – zu kontrollieren.
ΔCt-Werte der behandelten Proben und der unbehandel-
ten Probe bestimmt. Aus diesem ΔΔCt-Wert kann an-
schließend der relative Expressionsunterschied zwischen
33 der behandelten und unbehandelten Probe, bezogen auf
33.3.2 Reverse-Transkriptase-PCR
das Kontrollgen, berechnet werden (Gl. 33.3).
In der Molekularbiologie existieren zahlreiche Metho-
∆Ct = Ct Zielgen − Ct Kontrollgen den zur Analyse von RNA, so z. B. Northern-Blot, In-si-
∆∆Ct = ∆Ctbehandelt − ∆Ctunbehandeltt tu-Hybridisierung, RNase-Protektionsassay und Nucle-
(33.3) ase-S1-Analyse, um nur einige zu nennen. Alle diese
−∆∆Ct
Ratio = 2 Methoden haben jedoch den Nachteil, dass sie sehr zeit-

Die Berechnung nach der ΔΔCt-Methode setzt voraus, aufwendig und oftmals insensitiv sind. Dies gilt in beson-
dass eine Verdoppelung der DNA in jedem PCR-Zyklus derem Maße für die Analyse von schwachen Transkrip-
erfolgt und diese optimale PCR-Effizienz in allen Pro- ten oder für virale RNA, die nur in sehr geringen
ben erreicht wird. Da unter realistischen Bedingungen Ausgangskonzentrationen vorliegen. Die Adaption der
nicht von einer optimalen Effizienz ausgegangen werden PCR-Technologie auf die Amplifikation von RNA hat
kann, kann die ΔΔCt-Methode um die Effizienz der auch hier zu zahlreichen neuen Erkenntnissen und einer
PCR-Reaktion erweitert werden, die zunächst für jede sensitiveren Diagnostik geführt. Mit ihr lässt sich die
PCR-Reaktion mittels einer Standardkurve bestimmt Genexpression in Zellen untersuchen oder, mithilfe einer
werden muss. quantitativen RT-PCR, die Menge einer spezifischen
mRNA oder viralen RNA bestimmen. Darüber hinaus
Kompetitive (RT-)PCR  Bei diesem Verfahren wird dem
lassen sich z. B. durch Oligo(dT)-Priming (s. unten) kom-
Reaktionsansatz ein artifizieller, klonierter Standard in plette cDNA-Banken erstellen, die einen Überblick über
bekannter Ausgangskonzentration zugesetzt. Da dieser die gewebespezifische Expression ermöglichen.
mit denselben Primern wie die Zielsequenz koamplifiziert
33.3.2.1  Enzyme der Reversen Transkription
wird und somit das eigentliche Target „mimt“, wird er
auch als Mimic-­Fragment und die Reaktion als kompeti- Für die Amplifikation ist es notwendig, die RNA zu-
tive (RT-)PCR bezeichnet, da es zu einer Konkurrenz bei- nächst in DNA umzuschreiben, da die Ausgangs-­RNA
der Targets um die Primer kommt. Im Idealfall besitzt das nicht direkt als Matrize von der DNA-Polymerase ge-
amplifizierte Mimic-Fragment die gleiche Größe wie die nutzt werden kann. Hierfür bieten sich mehrere Enzyme
Zielsequenz. Nach der Amplifikation werden beide ent- an, die als Reverse Transkriptasen (RTasen) oder
weder durch eine differenzielle Hybridisierung oder durch RNA-abhängige DNA-Polymerasen bezeichnet werden.
eine unterschiedliche Restriktionsschnittstelle voneinan- Man nennt den dabei gebildeten DNA-Strang auch
der getrennt und analysiert. komplementäre DNA (cDNA) und der Schritt, in dem
Eine Konkurrenz beider Zielsequenzen tritt im- diese cDNA entsteht, wird als Reverse Transkription
mer dann auf, wenn sich die Ausgangsmengen um (RT) bezeichnet. Die Gesamtreaktion aus RT und Am-
mehr als drei bis vier Größenordnungen unterscheiden plifikation wird als RT-PCR beschrieben (. Abb. 33.9).

(. Abb.  33.8). Die zu bestimmende Ausgangsprobe



Dabei können verschiedene Reverse Transkriptasen ein-
wird in etwa vier gleiche Aliquots aufgeteilt und jedem gesetzt werden:
Polymerasekettenreaktion
843 33
..      Abb. 33.8  Kompetitive (RT-) A Probe
PCR. Die zu bestimmende Probe
wird aliquotiert und mit einer
zunehmenden (bekannten)
Menge an Mimic-Fragmenten
versetzt (spiked) A. Nach der
Amplifikation werden gleiche
Teile des Amplikons mit der
jeweils spezifischen Sonde
Probe
hybridisiert und deren Signale
gegen die Ausgangskonzentra- + + + + +
tion der Mimic-Fragmente 102 103 104 105 Mimic-Fragmente
aufgetragen. Am Schnittpunkt
(Point of Equivalence) lässt sich
die Ausgangskonzentration der
Probe ablesen B kompetitive PCR

SignalMimic-Fragmente
log Signal

Signal Probe

1 2 3 4 5 log AnzahlMimic-Fragmente
~7x 103

..      Abb. 33.9  Schematische Darstellung der mRNA


RT-PCR. Da RNA durch die PCR nicht
direkt amplifiziert werden kann, muss sie
zunächst in cDNA umgeschrieben werden.
Enzyme, die diesen Schritt katalysieren, sind reverse Transkription
MMLV-RTase, AMV-RTase und Tth-Polyme-
rase mRNA
cDNA

PCR

cDNA

dsDNA

MMLV-RTase  Das Enzym stammt aus dem Moloney- raturoptimum von 42 °C und eine ähnlich hohe Prozess-
Maus-Leukämie-­Virus, besitzt ein Temperaturoptimum ivität wie MMLV-RTase. Das pH-Optimum beträgt 7,0.
von 37  °C und ist durch seine hohe Prozessivität in der
Lage, cDNA bis zu einer Länge von 10 kb zu synthetisie- Tth-DNA-Polymerase  Dieses hitzestabile Enzym stammt
ren. Das pH-­Optimum liegt bei 8,3. aus dem Bakterium Thermus thermophilus. Im Gegensatz
zu den beiden anderen Enzymen besitzt die Tth-DNA-Po-
AMV-RTase  Isoliert aus dem Avian-Myoblastosis-Virus lymerase zweierlei Aktivitäten: In Gegenwart von Man-
(AMV) von Vögeln, besitzt die AMV-RTase ein Tempe- ganionen zeigt sie nicht nur eine RT-, sondern darüber
844 S. Niendorf C.-T. Bock

hinaus auch eine DNA-Polymerasesaktivität. Da die Tth-­ und noch nicht gut verstandener Prozess ist, unterstüt-
DNA-­Polymerase ebenso wie die Taq-DNA-Polymerase zen die heutigen Computerprogramme diesen Aspekt
aus einem thermophilen Organismus stammt, besitzt sie bei der Primerauswahl nur unvollständig. So kann es
ein Temperaturoptimum von 60–70 °C. Sie ist als einziges vorkommen, dass selbst bei scheinbar optimalem Pri-
Enzym in der Lage, beide Schritte einer RT-­PCR unter merdesign kein PCR-Produkt entsteht, da die Primer
denselben Pufferbedingungen auszuführen. Für den RT- aufgrund von Sekundärstrukturen in der RNA nicht
Schritt ist eine hohe Manganionenkonzentration optimal, binden können. Eine kurze Denaturierung der RNA mit
die aber auf die DNA-Polymerisation eher inhibierend sofortiger Abkühlung vor der RT-PCR kann starke Se-
wirkt. Man wählt daher als Kompromiss eine mittlere kundärstrukturen lösen und so die Bindungsstellen für
Konzentration. Dies geht jedoch auf Kosten der Prozess- den Primer zugänglich machen. Zusätzlich hat sich in
ivität der RT.  Die Tth-DNA-­Polymerase ist aus diesem diesem Zusammenhang oft die Verwendung von Tth-
Grund nur in der Lage, cDNA von ca. 1–2 kb Länge zu DNA-­Polymerase als vorteilhaft erwiesen, da hier die
synthetisieren. RT-Reaktion bei 60 °C stattfindet, wodurch die Auflö-
sung solcher Sekundärstrukturen begünstigt wird.
33.3.2.2  Primer der RT-PCR In manchen Fällen empfiehlt sich die Zugabe eines
RNase-Inhibitors zum Reaktionsansatz, da RNA
Für die RT-PCR können drei unterschiedliche Primer-­
grundsätzlich ein weitaus sensibleres Template als DNA
Typen verwendet werden (. Abb. 33.10).
darstellt.

Sequenzspezifische Primer binden sowohl im RT-­


Schritt als auch in der nachfolgenden Amplifikation
33 spezifisch an dieselbe Stelle der RNA bzw. cDNA.  Sie
finden besonders bei diagnostischen Tests zum viralen
33.3.3 Nested-PCR
RNA-Nachweis Verwendung.
Bei der sog. Nested-PCR, die auch als verschachtelte
Oligo(dT)-Primer sind eine Nucleotidabfolge von
PCR bezeichnet wird, werden zwei Primerpaare zur
12–18  dTs, die spezifisch an den poly(A)-Enden von
Amplifikation verwendet, ein äußeres und ein inneres
eukaryotischen mRNAs binden. Sie stehen nur für den
(. Abb. 33.11). Der Vorteil dieser Methode ist erhöhte
RT-Schritt zur Verfügung. Für die weitere Amplifika-

Spezifität und Sensitivität der Gesamtreaktion, da zu-


tion in der PCR werden zusätzliche, sequenzspezifische
nächst mit dem äußeren Primerpaar ein etwas größeres
Primer benötigt.
Amplikon synthetisiert und in einer zweiten Reaktion
Kurze Random-Primer sind ein Gemisch aus Hexa-
mit dem inneren Primerpaar dieses erste Amplikon wei-
nucleotiden unterschiedlicher Sequenz. Sie binden „zu-
ter amplifiziert wird, wodurch Nebenprodukte der ersten
fällig“ an die RNA und führen zu einem Pool unter-
Amplifikation nicht weiter amplifiziert werden. Ein we-
schiedlich langer cDNAs, die anschließend, ebenso wie
sentlicher Nachteil dieses Verfahrens ist jedoch eine deut-
bei den Oligo(dT)-Primern, mit sequenzspezifischen Pri-
lich erhöhte Kontaminationsgefahr (7 Abschn.  33.4),
mer weiter amplifiziert werden müssen.

bedingt durch ein Umpipettieren des Amplikons aus der


33.3.2.3  Optimierung der RT-PCR ersten PCR als Template in die zweite PCR-Reaktion.
Um dies zu vermeiden, kann die sog. One-Tube-Nested-
Im Vergleich zu einer konventionellen PCR ist bei einer
PCR angewendet werden, bei der alle vier Primer von
RT-PCR immer von einer deutlich reduzierten Gesamt-
Beginn an im Reaktionsansatz vorliegen, sich jedoch in
effizienz auszugehen. So wird auch unter optimalen Be-
ihren Schmelzpunkten unterscheiden. Das äußere Pri-
dingungen nur etwa 10–30 % der vorhandenen RNA in
merpaar besitzt einen höheren Schmelzpunkt als das in-
cDNA umgeschrieben, die dann zur weiteren Amplifi-
nere Primerpaar. Der Reaktionsablauf wird so gewählt,
kation zur Verfügung steht.
dass sich zunächst bei höheren Annealingtemperaturen
Stärker als bei DNA ist bei einzelsträngiger RNA mit
nur die äußeren Primer anlagern. Nach entsprechender
Sekundärstrukturen zu rechnen (7 Abschn. 32.1.2). Da
Zyklenzahl erfolgt eine Absenkung der Annealingtem-

die Bildung von Sekundärstrukturen ein sehr komplexer

..      Abb. 33.10  Verschiedene Pri- sequenzspezifische Primer


ming-Methoden in der RT-PCR

Oligo(dT)-Primer

Random-Primer
Polymerasekettenreaktion
845 33
..      Abb. 33.11 Nested-PCR. Die
Ausgangs-DNA wird in zwei unabhängi-
gen PCRs sukzessive amplifiziert. Dabei Ausgangs-DNA
produziert ein äußeres Primerpaar (Target)
zunächst einen etwas größeren Abschnitt
(1. Amplikon), an den dann ein inneres
Primerpaar bindet. Dieses amplifiziert in
weiteren 20–25 Zyklen einen kleineren, 1. PCR (15–20 Zyklen)
inneren liegenden Abschnitt (2. Ampli- mit äußerem
kon). Die Nested-PCR kann zu einer Primerpaar
deutlich gesteigerten Sensitivität und
Spezifität der PCR führen

1. Amplikon

2. PCR (20–25 Zyklen)


mit innerem
Primerpaar

2. Amplikon

peratur, wodurch nun auch die inneren Primer an das den. In den ersten Zyklen der PCR-Reaktion wird durch
Template binden können. eine hohe Annealingtemperatur eine hohe Spezifität der
Primer erzwungen. Die Annealingtemperatur wird an-
schließend schrittweise gesenkt, wodurch die Primer
33.3.4 Asymmetrische PCR auch unspezifisch binden können, allerdings sind bereits
mehr spezifische Template-Moleküle im PCR-­ Ansatz
Bei der asymmetrischen PCR wird einer der beiden Pri- vorhanden, wodurch diese bevorzugt für die Amplifika-
mer im Überschuss in die PCR-Reaktion gegeben. Unter tion genutzt werden.
diesen Reaktionsbedingungen kommt es zu einer selekti-
ven Amplifikation eines Stranges. Befindet sich der Anti-
sense Primer im Überschuss, so wird vermehrt der Ge- 33.3.6 Multiplex-PCR
genstrang synthetisiert und umgekehrt. Angewandt wird
die Technik u.  a. bei der Sequenzierung von PCR-Pro- Bei der Multiplex-PCR werden mithilfe von mehreren
dukten (7 Abschn. 33.3.7). Soll das PCR-­Produkt nach
  spezifischen Primerpaaren mehrere verschiedene Ampli-
Amplifikation mit einer markierten Sonde hybridisieren kons generiert, d. h., dass alle unterschiedlichen Ampli-
werden, so kann es in solchen Fällen ebenfalls von Vorteil fikationen in einem Reaktionsgefäß stattfinden. Durch
sein, eine asymmetrische PCR einzusetzen. Es wird be- diese Multiplex-Ansätze können verschiedene PCR-Re-
vorzugt der Strang amplifiziert, an dem die Sonde bindet, aktionen gleichzeitig durchgeführt werden, was zu ei-
so kann die Konkurrenzreaktion zwischen der Renaturie- nem deutlichen Anstieg des Durchsatzes bei sinkendem
rung der beiden Amplikonstränge und der Anlagerung Kosten- und Zeitaufwand führt. Klassische Anwen-
der Sonde zugunsten des Stranges verschoben werden, an dungsgebiete für die Multiplex-PCR sind daher auch
den die Bindung der Sonde erfolgt. Im Gegensatz zu einer besonders routinediagnostische Fragestellungen. Bei-
konventionellen PCR handelt es sich bei der asymmetri- spielsweise beruht die Erkrankung Cystische Fibrose
schen PCR nicht mehr um eine exponentielle, sondern (CF) auf bestimmten Mutationen im CFTR-Gen. Aller-
um eine zunehmend lineare Amplifikation. dings sind heutzutage mehr als einhundert unterschied-
liche Mutationen in diesem Gen bekannt, die sich auf
alle 24 Exons verteilen können. Mithilfe der Multiplex-­
33.3.5 Touchdown-PCR PCR können gleichzeitig mehrere Exons amplifiziert
und die Produkte anschließend auf Punktmutationen
Mithilfe einer Touchdown-PCR kann die Bildung von untersucht werden. Ähnliche Anwendungen werden
unspezifischen PCR-Produkten deutlich reduziert wer- auch bei anderen erblichen Erkrankungen (familiäre
846 S. Niendorf C.-T. Bock

Hypercholesterinämie, Duchenne-­Muskeldystrophie, spricht in diesem Fall von einer zyklischen Sequenzie-


Zystennieren u. v. a.) eingesetzt. rung (Cycle Sequencing). Da hierbei pro Reaktionsan-
satz nur ein Primer verwendet wird, kommt es zu keiner
exponentiellen, sondern einer linearen Amplifikation.
Ein weiteres, sehr attraktives Anwendungsgebiet ist die Zumeist wird, ebenso wie bei der konventionellen
gleichzeitige Diagnostik einer Blutprobe auf mehrere vi- Sanger-Sequenzierung, auch hier nach der Kettenab-
rale Infektionen (HBV, HCV, HEV, HlV, Parvovi- bruchmethode mithilfe von Didesoxynucleotiden gear-
rus-B19, Cytomegalivirus), eine Anwendung, die für beitet. Die Sequenzierung findet daher in vier voneinan-
Blutbanken von besonderem Interesse ist. Ähnlich der der getrennten Reaktionsgefäßen statt, die sich jeweils
Amplifikation mit degenerierten Primern ist aufgrund durch die entsprechenden Terminationsmixe (ddATP,
der hohen Komplexität der Gesamtreaktion die Spezifi- ddCTP, ddGTP, ddTTP) unterscheiden.
tät der PCR-Reaktion häufig schlechter, was zu unspezi- Für die Reaktion sind nur sehr geringe DNA Aus-
fischen Amplifikationen führen kann. Bei diesen gangsmengen nötig, ein entscheidender Vorteil der
Multiplex-­Ansätzen ist die Optimierung der PCR–Re- Cycle-Sequencing-Methode gegenüber anderen Sequen-
aktion besonders wichtig. Ein weiteres Beispiel für eine zierungsmethoden. Darüber hinaus kann jede Art von
Multiplexanwendung sind diagnostische Sepsis-Teste, doppel- oder einzelsträngiger DNA als Template ver-
bei denen über Primer, die an die Spacer-Region der wendet werden. Aus diesen Gründen verwendet man
rRNA pathogener Bakterien binden, ein breites Spekt- das zyklische Sequenzieren besonders häufig zur Muta-
rum pathogener Keime nachgewiesen und untereinan- tionsanalyse, da mit relativ geringem Aufwand und ohne
der unterschieden werden können. Dadurch wird eine vorherige Klonierung bestimmte Genomabschnitte
33 schnelle Auswahl der zur Behandlung geeigneten Anti- untersucht werden können. Ein Nachteil der Methode
biotika möglich, die mit herkömmlichen Tests (selektive ist jedoch, dass Polymerisationsfehler der Taq-DNA-­
Bakterienkulturen) erst nach Tagen erfolgen könnte, was Polymerase, die in einem frühen Zyklus der linearen
zu lebensgefährlichen Komplikationen wie septischem Amplifikation stattfinden, als vermeintliche Mutatio-
Schock oder gar multiplem Organausfall führen könnte. nen interpretiert werden und zu Falschaussagen führen
Die Teste erfassen sowohl gramnegative (z. B. Klebsiella können. In solchen Fällen sollte daher auch immer der
pneumoniae) und grampositive pathogene Bakterien Gegenstrang sequenziert werden. Nach der eigentlichen
(z.  B. Staphylococcus aureus) als auch pathogene Pilze Reaktion werden die PCR-Produkte mittels konventio-
(z. B. Candida albicans). Aufgrund der sehr hohen Spezi- neller Sequenzierverfahren analysiert und die Sequenz
fität der Teste erfolgt keine unspezifische Kreuzreaktion ermittelt.
zu über fünfzig nahe verwandten Bakterien.

33.3.8 In vitro-Mutagenese


PCR-Multiplexverfahren finden auch Anwendung
bei Fingerprint-Analysen (7 Abschn.  31.1.1) in der

Bei der PCR handelt es sich um eine zyklische Neusyn-
Forensik oder bei Vaterschaftsnachweisen. Hierbei these und exponentielle Amplifikation von DNA. Diese
werden bis zu 16 PCR-Amplikons parallel gebildet, die Tatsache prädestiniert die PCR als methodisches Werk-
über unterschiedliche Primer-Fluoreszenzmarkierun- zeug für die gezielte Einführung von Mutationen in
gen und Amplikonlängen nach Kapillargelelektropho- DNA-Stränge in vitro. Hierzu sind in der Vergangenheit
rese (7 Kap.  13) als separate Peaks detektiert werden

zahlreiche Techniken etabliert worden, und es wird hier
können. Die individuumspezifische Heterogenität der nur auf die entsprechende Literatur der Molekularbio-
amplifizierten repetitiven Sequenzbereiche zeigt ein per- logie verwiesen. Zu erwähnen ist, dass die Herstellung
sonenspezifisches PCR-Multiplexmuster. Diese Muster der Mimic-Fragmente für die kompetitive PCR
können in Datenbanken binär erfasst und mithilfe von (7 Abschn.  33.3.1.2) mit einer solchen Substitutions-

Suchmaschinen rasch identifiziert werden. mutagenese, dem Austausch von Nucleotidsequenzen,


erfolgt.

33.3.7 Direct Cycle Sequencing

Bei der Sequenzierung von PCR-Produkten muss die zu 33.3.9  igitale PCR (dPCR; Chamber Digital
D
ermittelnde Sequenz nicht unbedingt kloniert in Phagen PCR, cdPCR und Droplet Digital PCR,
(M 13) oder Plasmiden vorliegen, sondern kann auch ddPCR)
direkt analysiert werden. Dabei wird das PCR-Produkt
entweder im Anschluss an die PCR sequenziert Anders als die quantitative Real-time PCR (qPCR;
(7 Kap.  34), oder aber die Sequenzierung findet wäh-
  7 Abschn. 33.3.1) ermöglicht die digitale PCR (dPCR),

rend der eigentlichen Amplifikationsreaktion statt. Man entsprechend der eingesetzten Methodik auch Droplet
Polymerasekettenreaktion
847 33
Digital PCR (ddPCR) oder Chamber Digital PCR Die Amplifikation einer Zielsequenz (z.  B.  DNA-­
(cdPCR) genannt, die absolute Quantifizierung von Nu- Moleküle) wird, wie bei der qPCR beschrieben
cleinsäuren in einer Probe. Die 1999 erstmals publizierte (7 Abschn.  33.3.1), mit einem 96-Well-Platten-Work-

dPCR bietet eine alternative Methode zur herkömmli- flow und markierten Sonden zur Detektion der se-
chen qPCR und ist z.  B. einsetzbar für den Nachweis quenzspezifischen Molekülen durchgeführt. Dabei wird
von seltenen Allelen oder Mutationen. Die dPCR er- das Standard-­ PCR-Reaktionssystem in eine Vielzahl
folgt im Gegensatz zur herkömmlichen PCR durch Auf- von Nanotröpfchen dispergiert. Im Anschluss wird die
trennung einer Probe in viele einzelne, parallele PCR-­ dPCR durchgeführt, und die Anzahl der positiven und
Reaktionen durch Grenzverdünnung und Mikrofluidik, negativen Tröpfchen basierend auf dem Fluoreszenzsig-
die ein Volumen im Femtoliterbereich aufweisen (<40 fl). nal und damit die absolute Anzahl der Zielmoleküle in
Die Aufteilung in Zehntausende, bei neueren Methoden der Probe werden bestimmt.
in bis zu zwei Millionen Einzelreaktionen erfolgt entwe- In der ddPCR wird das Mastermix-Template-­
der in vorgegebenen Trägern, z.  B.  Träger oder Chips Gemisch vor der PCR-Reaktion zunächst in bis zu meh-
(engl. chambers, cdPCR) oder in Wasser/Öl-Tröpfchen rere Millionen Wasser-Öl-Tröpfchen dispergiert, sodass
(engl. droplets, ddPCR). Die PCR-Reaktion erfolgt an- in jedem Tröpfchen eine unabhängige Reaktionen ab-
schließend in jedem einzelnen Reaktionsansatz. Abhän- laufen kann. Bei der ddPCR werden mittels mikrome-
gig vom Vorhandensein eines Templates im einzelnen terdünner Kapillaren mikrofluidische Tropfen erzeugt,
Reaktionsansatz kann es folgend nur zwei mögliche Er- die den Reaktionsansatz und zur Vermeidung von Ver-
gebnisse geben. Zum einen „PCR-Produkt vorhanden“ dunstung Mineralöl enthalten.
(positiv)  =  1, oder zum anderen „PCR-­Produkt nicht Mikrochipbasierte dPCR (cdPCR) basiert auf mi-
vorhanden“ (negativ) = 0; weshalb diese Methode dem- krofluidisch kleinsten Volumina, die durch nanometer-
entsprechend „digitale“ PCR genannt wurde. Aus dem dünne Kapillaren auf einen Chip verteilt und durch eine
Mengenverhältnis der beiden Signale 1 und 0 wird ohne Flüssigkeitsbeschichtung mittels Öl oder mechanisch
Vergleich mit einem Standard oder Standardkurven sta- verschlossen werden. Die Verwendung eines nanoflui-
tistisch auf die ursprünglich in der Probe enthaltenen dischen Chips bietet einen weiteren praktischen und
DNA-Kopien geschlossen (. Abb. 33.12).
  unkomplizierten Ansatz für die parallele Ausführung
Zu den wesentlichen Vorteilen der dPCR gegenüber Tausender von PCR-Reaktionen. Jede Vertiefung einer
herkömmlichen PCR-Methoden gehören z.  B. die Un- Trägermatrix/Chips (Well) wird mit einer Mischung aus
abhängigkeit von einem Standard oder einer Standard- Probe und Mastermix beladen und einzeln analysiert,
kurve zur Quantifizierung und Bestimmung der Kopien- um das Vorhandensein eines Targets zu ermitteln.
zahl in einer Probe, die Unabhängigkeit und Robustheit Um zu berücksichtigen, dass manche Reaktionsan-
gegenüber Inhibitoren innerhalb einzelner Reaktions- sätze (Wells) mehr als ein Molekül der Zielsequenz ent-
ansätze sowie eine signifikant höhere Präzision und Ge- halten könnten und dies im digitalen 0/1-System nicht
nauigkeit der absoluten Quantifizierung im Vergleich erfasst werden kann, wird die Kopienzahl der Nuclein-
zur relativen Quantifizierung von Zielmolekülen. säuren in der Probe nach der statistischen Methode der
Der Einsatz der dPCR eignet sich dementsprechend Poisson-Korrektur berechnet.
besonders zur Identifizierung von Mutationen und Va-
cgesamt = − ln (1 − p ) ∗ Atotal (33.4)
rianten von Zielmolekülen, z.  B. bei der Suche nach
Virusmutanten oder Varianten, Single Nucleotide Po- Dabei wird die Anzahl der im gesamten PCR-Ansatz
lymorphisms (SNPs) oder seltenen Allelen, die bei der vorhandenen Genkopien (cgesamt) aus dem Verhältnis der
Krebsforschung eine Rolle spielen. Inzwischen bieten positiven Ansätze (p) zu allen Ansätzen (Atotal bzw. Ge-
verschiedene Hersteller kommerzielle dPCR-Systeme an. samtanzahl Tröpfchen) berechnet (Gl. 33.4). Das Ergeb-

• absolute digitale
Dispersion PCR Auslesen Quantifizierung
(ja/nein = 1/0)
• Endpunktdetektion

Reaktionsgemisch Auf- und Verteilung in Auslesen der PCR- Ergebnis


Nucleinsäure Tröpfchen (ddPCR) oder Amplifikation
Kammern (cdPCR)

..      Abb. 33.12  Digitale PCR.  Die Amplifikation durch die DNA-­ PCR-Produkt vorhanden: ja/nein. Die digitale PCR ermöglicht eine
Polymerase erfolgt mit vereinzelten DNA-Molekülen in einer großen Quantifizierung ohne eine Standardkurve
Anzahl von Reaktionsansätzen, mit dem digitalen Ergebnis
848 S. Niendorf C.-T. Bock

nis dieser Kalkulation ergibt die durchschnittliche Ko- sion mit z. B. Isopropanol und Detergens aufgebrochen.
pienzahl pro Reaktionsansatz. Über das bekannte Die Lösung wird gemischt (über Vortexen), zentrifugiert
Volumen der Reaktionsansätze und die Verdünnung des und magnetisch über die Beads a­ ufgetrennt. Die resul-
PCR-­Ansatzes wird letztendlich die Konzentration des tierende Lösung ist eine Suspension aus nicht belade-
Targets bestimmt. nen, klonal und nicht klonal beladenen Beads. Die Be-
ads werden anschließend, je nach NGS Plattform, auf
entsprechende Träger transferiert und sequenziert (Illu-
33.3.10 Emulsions-PCR (ePCR) mina, MiSeq etc.). Aufgrund der hohen Dichte der
DNA-Moleküle können die Sequenzierungsdaten meist
Die Emulsions-PCR (ePCR; EmPCR) ist eine Methode problemlos bioinformatisch weiter verarbeitet werden.
zur Amplifikation und Vorbereitung eines Zielgens für
das Next Generation Sequencing (NGS, 7 Kap.  34).
Generell basieren heutige NGS-Techniken auf der 33.3.11 Immunquantitative Echtzeit-PCR

DNA-Amplifikation vor der Sequenzierung, um ad- (iPCR, iqPCR, irtPCR)


äquate Signalstärken und dadurch les- und zuordenbare
Sequenzen zu erhalten. Das Grundprinzip der ePCR Die Technik der Immunquantitativen PCR (derzeit gän-
basiert auf der Verdünnung und Kompartimentierung gige Abkürzungen: iPCR, iqPCR oder irtPCR) wurde
(Vereinzelung) von Zielgenmolekülen in einer Wasser-­ 1992 publiziert. Die iPCR ist eine vielversprechende
in-­Öl-Emulsion. Im Idealfall ist die Verdünnung so ge- Methode für die sehr sensitive Analyse von Proteinen
wählt, dass pro Tropfen nur ein einzelnes Zielgenmole- und anderen Antigenen, die die Spezifität der Antikörper-­
33 kül vorhanden ist und dieser Nanotropfen als Antigen-­ Erkennung, wie bei herkömmlichen ELISA-­
Mikro-PCR-Reaktor fungiert. Das Vorgehen bei einer Systemen (7 Abschn. 6.3.3.3), und die Sensitivität der

ePCR zur Vorbereitung für NGS-Plattformen erfolgt PCR kombiniert (. Abb. 33.13).  

mit der Erstellung einer DNA-Bibliothek, wobei die Methodisch wird ein Immunkonjugat aus einem An-
Zielmoleküle (DNA) zunächst in 300–800-bp-­tikörper und einem DNA-Marker-Fragment zur Detek-
Fragmente fragmentiert werden (Sonifizierung). An- tion von Proteinen eingesetzt. Dazu wird bei der iPCR,
schließend werden spezielle Adapter an die DNA-­ vergleichbar einem indirekten ELISA-Assay, der Nach-
Fragmente ligiert und die DNA-Fragmente über die weisantikörper (z.  B.  Anti-Human-IgG) anstelle eines
Adapter an (magnetische) Beads gekoppelt. Innerhalb Enzyms chemisch mit einem kurzen Fänger- (Short-Cap-
der Emulsionströpfchen wird eine herkömmliche PCR ture-)Oligonucleotid konjugiert. Die Immobilisierung
durchgeführt. In einem ersten Schritt wird die DNA von Antikörpern und Antigenen erfolgt in Mikrotiter-
mittels einer DNA-Polymerase und dNTPs verlängert, platten. Das Short-Capture-Oligonucleotid wird folgend
der entstandene DNA-Doppelstrang anschließend de- durch Zugabe von Ziel-DNA nachgewiesen, die so konzi-
naturiert, sodass der Einzelstrang an eine andere Stelle piert wurde, dass sie an das Short-­Capture-­Oligonucleotid
auf der Oberfläche der Beads binden kann. Nachdem hybridisiert und als Vorlage für eine herkömmliche quan-
die DNA-Stränge amplifiziert wurden, wird die Emul- titative Echtzeit-PCR mit Nachweis durch fluoreszieren-

..      Abb. 33.13  Die immunquantitative PCR-


Echtzeit-PCR. Die iPCR ist eine Kombina- biotinyliertes Amplifikation
tion aus klassischem ELISA und PCR. Das Oligonucleotid
nachzuweisende Antigen wird mithilfe eines
Antikörpers immobilisiert und anschließend
mit einem Immunkonjugat, bestehend aus Streptavidin Quantifikation
einem antigenspezifischen Antikörper und biotinylierter
einem DNA-­Markerfragment, mittels Detektionsantikörper
quantitativer PCR nachgewiesen
Antigen

Mikrotiterplatte
Polymerasekettenreaktion
849 33
der Hybridisierungssonden dient. Die Konzentration der wendung finden. Aus Übersichtsgründen seien hier nur
eingesetzten und durch die qPCR amplifizierten Ziel- einige stichpunktartig erwähnt, für eine vertiefende Ein-
DNA ist abhängig von der Konzentration des spezifi- arbeitung muss auf entsprechende Fachliteratur verwie-
schen Antigens in der Testprobe. sen werden.
Die iPCR erzielt theoretisch eine bis zu 10.000-fach 55 RACE-PCR (Rapid Amplification of cDNA Ends):
höhere Sensitivität als herkömmliche Antigennachweise Methode zur Amplifikation und Klonierung der
(z.  B. durch enzymgebundenen Immunosorbent-Assay, 5′-Enden von cDNAs, die insbesondere bei langen
ELISA). Die Ergebnisse einer iPCR können in abso- mRNAs während der in-vitro-Transkription nicht
luten und relativen Werten durch entsprechende Stan- vollständig synthetisiert wurden. Bei der 3′-RACE-
dards bekannter Zielsequenz ermittelt werden. In der PCR wird die cDNA-Synthese mit Oligo(dT)-Primern
Literatur sind neuerdings einige Varianten der iPCR, und entsprechenden zielgenhomologen Sequenzen
wie z.  B.  Multiplex-iPCR, In-situ-iPCR, competitive durchgeführt (Ankerprimer). Bei der 5′-RACE-PCR
iPCR oder sequenzielle iPCR beschrieben, die jedoch wird zunächst ein transkriptspezifischer Primer für
alle auf dem gleichen Grundprinzip der iPCR basieren. die cDNA Synthese eingesetzt und folgend mittels
Bisherige Einsatzgebiete einer iPCR sind z. B. der Nach- terminaler Transferase ein Poly-A-Schwanz an die
weis von Antikörpern gegen menschliche Krankheits- synthetisierte cDNA angehängt. In beiden Fällen
erreger oder Toxine (z.  B. Staphylococcus-aureus-Ente- folgt eine Nested-PCR.
rotoxin). Eine Limitation der iPCR hängt mit der hohen 55 Inverse PCR: Eine wichtige Methode zur
Empfindlichkeit der PCR zusammen, sie ist dadurch Amplifikation von unbekannten DNA-Sequenzen.
anfällig gegenüber Kontamination und falsch-positiven Hierbei werden an eine bekannte DNA-Sequenz zwei
Signalen, die durch unspezifische Bindung von Reagen- gegenläufige Primer hybridisiert und nach beiden
zien des Proteinnachweises erfolgen können. Seiten durch PCR amplifiziert. Durch Schneiden
mit Restriktionsenzymen und Ligation entstehen
zirkuläre DNA-Sequenzen, die mit den bekannten
33.3.12 In situ-PCR Ausgangsprimern amplifiziert und anschließend
sequenziert werden können.
Jüngst sind auch Protokolle zur PCR-Amplifikation in- 55 Alu-PCR: Alu-Elemente sind kurze repetitive
nerhalb der Zelle (z. B. an histologischen Schnitten) pu- Elemente, die mehr oder weniger gleichmäßig
bliziert worden (In-situ-PCR). Diese Anwendung ver- verteilt im Genom von Primaten vorkommen. Bei
eint die Empfindlichkeit der PCR mit der Histologie in der Amplifikation mit Primern, die innerhalb dieser
Gewebedünnschnitten und Zellen. Die Schwierigkeit Alu-­Repeats binden, entstehen so charakteristische
dieser Verfahren ist, die Gewebestruktur durch geeig- Bandenmuster, dass man sie als den genetischen
nete Fixierung auf den Objektträgern so zu stabilisieren, Fingerabdruck des untersuchten Individuums
dass die Struktur während der PCR-Zyklen erhalten bezeichnen kann.
bleibt. Dies wird durch spezielle Protokolle erreicht, bei 55 DOP-PCR: Degenerated Optimized PCR (s.
denen die Gewebsstrukturen nach Paraffineinbettung auch 7 Abschn.  33.2.3.2) wird bei der Analyse

durch Fixierung in 10  %iger, gepufferter Formalinlö- von Mikroamplifikationen und -deletionen auf
sung erfolgt. Die In-situ-PCR kommt z. B. beim Nach- Chromosomen verwendet (Comparative Genome
weis von viralen Nucleinsäuren und damit dem Nach- Hybridization). Bei dieser Methode wird über
weis des Erregers in Organen, meist in der Pathologie, degenerierte PCR-Primer das gesamte genetische
zum Tragen. Die Detektion des PCR-Produkts erfolgt Material aus einer Zielzelle (z. B. Krebszelle) und einer
entweder direkt über den Einbau von markierten Nuc- Kontrollzelle amplifiziert und dabei unterschiedliche
leotiden bei der PCR oder indirekt durch eine anschlie- Detektionsmarker eingebaut (z.  B.  Rhodamin-/
ßende In-situ-Hybridisierung. Es sind bereits spezielle Digoxigenin- und Fluorescein-/Biotin-markiert).
Thermocycler auf dem Markt, in denen die Objektträ- Nach anschließender Vorhybridisierung der
ger direkt beheizt werden. Chromosomen der Zielzelle mit cot-DNA (zum
Absättigen von repetitiven Sequenzen) wird das
Gemisch auf Digoxigenin- und Biotin-markierten
33.3.13 Weitere Verfahren Amplifikaten mit den Chromosomen der Zielzelle
hybridisiert. Die Detektion erfolgt mit einem
Neben den oben genauer beschriebenen speziellen PCR-­ Fluoreszenzmikroskop durch unterschiedliche Filter
Verfahren gibt es noch zahlreiche weitere Techniken, die für Fluorescein und Rhodamin. Die anschließende
oft zur Beantwortung besonderer Fragestellungen her- Überlagerung beider Fluoreszenzsignale ergibt
angezogen werden oder zu präparativen Zwecken An- ein Fluoreszenzmuster, bei dem an Stellen der
850 S. Niendorf C.-T. Bock

Mikrodeletion oder Mikroamplifikation das


..      Tab. 33.2  Kontaminationsgefahr durch Aerosole
Rhodamin- bzw. Fluoresceinsignal überwiegt.
55 PRINS-PCR: Primed In Situ PCR ist eine Vorstufe Art der Größe Volumen Amplikons/
der In-situ-PCR, bei der lediglich einmal der Primer Verschleppung Volumen
nach In-situ-Hybridisierung an die Ziel-DNA in der
fixierten Zielzelle verlängert wird. Spritzer 100 μl 1012
55 Chromatin-Immunpräzipitation- (ChIP-)PCR: Mit der ≈1 μl 1010
Chromatin-Immunpräzipitation (ChIP) in Verbindung
~100 μm ≈1 nl 107
mit einer qualitativen oder quantitativen PCR
(ChIP-PCR) können Protein-DNA-­ Interaktionen Aerosol ~10 μm ≈1 pl 104
analysiert werden. Ziel ist es zu analysieren, ob ~1 μm ≈1 fl 10
bestimmte Proteine mit spezifischen Genomregionen
assoziiert sind, wie beispielsweise die Bindung eines
bestimmten Transkriptionsfaktors an Promotoren
oder Enhancer bzw. Repressoren. Untersuchungen zierbare Moleküle vorhanden sein können, die potenzi-
zu Histonmodifikationen und epigenetischen ell kontaminierend sind.
Genregulationen sind ein weiteres Anwendungsfeld.
Die ChIP-qPCR ist somit für Studien geeignet, die sich 33.4.1 Vermeidung von Kontaminationen
auf spezifische Gene und potenzielle regulatorische
Regionen unter unterschiedlichen experimentellen Die Vermeidung von Kontaminationen sollte – vor der
33 Bedingungen konzentrieren. Dekontamination – sowohl im diagnostischen Routine-
labor als auch in der Forschung höchste Priorität haben.
Hierzu sind die häufigsten Kontaminationsquellen:
55 Aerosolbildung durch Zentrifugation, Lüftungs-
33.4  Kontaminationsproblematik anlagen, unkontrolliertes Öffnen der Proben- und
PCR-Gefäße
Die hohe analytische Sensitivität der PCR ist aus nahelie- 55 Verschleppungen durch kontaminierte Pipetten,
genden Gründen ein enormer Fortschritt in Wissenschaft Verbrauchsmaterial, Reagenzien, Handschuhe,
und Diagnostik. Allerdings bedeutet die Fähigkeit, aus we- Kleidung, Haare etc.
nigen Molekülen innerhalb kürzester Zeit viele Millionen 55 Spritzer beim Öffnen von Gefäßen oder beim
Moleküle herzustellen, eine immense Gefahr von Pipettieren von Flüssigkeiten
falsch-positiven Ergebnissen, da jedes dieser Moleküle
wiederum ein optimales Template für weitere Amplifikati- Daraus folgernd lassen sich zahlreiche Maßnahmen ab-
onen darstellt. Zudem ist die Gefahr von Kontaminatio- leiten, die dazu beitragen, das Kontaminationsrisiko zu
nen immer dann besonders groß, wenn in Laboren häufig minimieren.
mit den gleichen Primern gearbeitet wird und damit immer
wieder das gleiche Target amplifiziert wird. Da die PCR
verstärkt Einzug in das Routinelabor gehalten hat, soll hier Allgemeine Maßnahmen zur Minimierung des
eine etwas genauere Betrachtung des Problems erfolgen. Kontaminationsrisikos
Grundsätzlich lassen sich drei Arten der Kontamination 55 häufig verwendete Reagenzien und Probenmaterial
mit DNA unterscheiden: aliquotieren
55 Kreuzkontaminationen von Probe zu Probe bei der 55 nur Reagenzien, Pipettenspitzen und Reaktion­
DNA-Isolierung sgefäße verwenden, die frei von DNasen, RNasen
55 Kontamination mit kloniertem Material, das die zu und frei von Nucleinsäuren sind (PCR-­clean)
amplifizierende Zielsequenz trägt 55 manuelle Schritte so weit wie möglich reduzieren;
55 Rückkontaminationen aus bereits amplifizierter Umpipettieren vermeiden
DNA 55 starke Luftbewegungen vermeiden
55 Geräte und Pipetten regelmäßig reinigen/
Von letzterer geht i. A. die größte Gefahr aus. . Tab. 33.2
  dekontaminieren
soll veranschaulichen, mit welchen Kontaminations- 55 Anzahl der PCR-Zyklen auf ein Minimum
mengen durch Aerosole (feinsten Flüssigkeitsverteilun- reduzieren
gen in Luft) zu rechnen ist. Ausgehend von der anzu- 55 falls möglich auf Nested-PCR verzichten, da durch
nehmenden Größe derartiger Aerosole ist das Volumen ein Umpipettieren die Gefahr der Kontamination
solcher Partikel angegeben. Anhand der Tabelle ist er- drastisch steigt (7 Abschn. 33.3.2.3)

sichtlich, dass bereits in einem Pikoliter 10.000 amplifi-


Polymerasekettenreaktion
851 33
33.4.2 Dekontamination
Umgang mit Probenmaterial
55 Öffnen der Reaktionsgefäße mit Wattebausch, Bei der Dekontamination lassen sich zwei voneinander
Tuch oder Ähnlichem zur Vermeidung der unabhängige Maßnahmenarten unterscheiden:
Handschuhkontamination 1. Chemische oder physikalische Maßnahmen zur Rei-
55 bei Feuchtigkeit im Deckel: Gefäße kurz nigung von Geräten oder des Labors: Hierunter fal-
anzentrifugieren len vor allem Substanzen, die DNA direkt zerstören
55 möglichst geschlossen arbeiten, d. h. immer nur ein oder so inaktivieren, dass sie nicht weiter amplifiziert
Gefäß öffnen werden kann. Als Beispiele seien HCl, Natriumhypo-
55 ausschließlich mit Filtermaterialien gestopfte chlorit und Peroxid genannt.
Pipettenspitzen oder sog. Positive-Displacement-­ 2. Maßnahmen, die routinemäßig in den Testablauf in-
Pipetten verwenden tegriert werden und vor oder nach jeder Amplifika-
55 Handschuhe häufig wechseln tion stattfinden. Diese lassen sich weiter in physikali-
55 langsam und kontrolliert pipettieren sche, chemische und enzymatische Verfahren
55 langsam und kontrolliert Gefäße öffnen unterteilen.

Abfallentsorgung Physikalische Maßnahmen  Die Bestrahlung der Amplifi-


55 gebrauchte (kontaminierte) Pipettenspitzen durch kate nach PCR mit UV-­Licht (254 nm) führt zur Bildung
HCl oder Natriumhypochlorit inaktivieren von Pyrimidindimeren (T–T, C–T, C–C) sowohl innerhalb
55 restliches Probenmaterial und Amplifikate als auch zwischen den DNA-Strängen des Amplikons.
inaktivieren PCR-Gefäße vor der Entsorgung Derart inaktivierte DNA steht nicht mehr als Template
verschließen für die Taq-­Polymerase zur Verfügung. Das Verfahren hat
jedoch einige Nachteile. Es besteht ein Zusammenhang
zwischen DNA-Länge und Effizienz der Bestrahlung,
denn je kürzer das Amplikon, desto weniger wirksam ist
Räumliche Trennung der Arbeitsbereiche UV-Licht. Darüber hinaus ist die Dekontaminationsleis-
55 strikte Trennung in drei Bereiche: tung bei G/C-reichen Templates wesentlich schlechter als
–– Bereich 1: Ansetzen der Amplifikation­ bei A/T-reichen Templates.
smischung; hierzu kann eine PCR-Werkbank
verwendet werden Chemische Maßnahmen  Isopsoralene sind Farbstoffe,
–– Bereich 2: Probenvorbereitung die in die DNA interkalieren und bei Bestrahlung mit
–– Bereich 3: Amplifikation und Detektion langwelligem UV-Licht (312–365  nm) zu einer Vernet-
55 unter allen Umständen sollten separate Laborkittel zung beider Stränge führen. Auch hierdurch wird die Po-
in den drei Bereichen getragen werden lymeraseaktivität blockiert.
55 getrennte „Hardware“ (Pipetten, Tips etc.) in jedem 3′-terminale Ribonucleotide im Primer (rNTPs)
Bereich schaffen eine alkalilabile Stelle im späteren Amplikon.
55 „Probenfluss“ in eine Richtung: Bereich 1 → Durch eine anschließende Alkalibehandlung werden die
Bereich 2 → Bereich 3 → Autoklav oder Abfall. Primerbindungsstellen hydrolysiert.

Enzymatische Maßnahmen
55 restriktionsenzymatischer Verdau
Grundsätzlich gilt, dass mit Probenmaterial und ampli- 55 DNase-I-Verdau
fiziertem Material genauso sorgfältig umgegangen wer- 55 Exonuclease-III-Verdau
den sollte wie mit infektiösem oder radioaktivem Mate- 55 UNG-System
rial. Außerdem sollte in jedem PCR-Lauf eine
entsprechende Zahl an Negativkontrollen durch alle Der Verdau mit Uracil-N-Glykosylase (UNG) ist die ef-
Schritte (Probenvorbereitung, Amplifikation, Detek- fizienteste Methode zur Dekontamination von zuvor
tion) mitprozessiert werden, um Kontaminationen früh- amplifizierter DNA. Das Verfahren beruht zunächst auf
zeitig erkennen zu können. dem Einbau von dUTP anstelle von dTTP während der
852 S. Niendorf C.-T. Bock

Amplifikation. Das daraus resultierende PCR-Produkt 55 eine sehr hohe, aber auch klinisch relevante
enthält Uracilreste in beiden Strängen und unterschei- Sensitivität des Tests
det sich somit von jeder zu amplifizierenden Ausgangs-­ 55 eine eindeutige, gesicherte Aussage
DNA. UNG ist ein Enzym, das die glykosidische Bin-
dung zwischen Uracil und dem Zuckerphosphatrückgrat Die Herausforderung für die Spezifität der Gesamtreak-
der DNA spaltet. Durch anschließendes Erhitzen oder tion ist dabei, die Primer so zu wählen, dass einerseits
durch Alkalisierung zerfällt ein solcher DNA-Strang in z.  B. nur HIV amplifiziert werden kann, andererseits
einzelne Bruchstücke und kann somit nicht mehr ampli- aber auch alle Subtypen erkannt werden. Die Sensitivi-
fiziert werden. tät wird dagegen entscheidend durch die Art der Pro-
Das UNG-System ist aus zweierlei Gründen be- benvorbereitung und die Menge des Probenvolumens
bestimmt. Erstere muss eine effiziente Abtrennung von
sonders effektiv, einerseits trägt jedes neu amplifizierte
Molekül Uracilreste, ist also Substrat für die UNG, und Inhibitoren gewährleisten, um eine möglichst ungestörte
andererseits dekontaminiert UNG vor einer erneuten Reaktion zu ermöglichen. Das ist besonders bei schwie-
Amplifikation, also dann, wenn mögliche Kontamina- rigen Probenmaterialien wie Sputum, Stuhl und Urin
tionen am geringsten sind. Viele andere Dekontamina- wichtig. Darüber hinaus entscheidet auch die Menge der
tionsmaßnahmen haben den Nachteil, dass sie entweder eingesetzten Probe über die Sensitivität der Reaktion.
nach der Amplifikation stattfinden und dann quantitativ Bei ultrasensitiven Tests wie in der HIV- und HCV-­
wirksam sein müssten, oder zusätzliche Schritte benöti- Diagnostik ist es oft notwendig, die Viren vor dem Auf-
gen, die wiederum ein zusätzliches Kontaminationsrisiko schluss anzureichern. Meist geschieht dies durch Ultra-
in sich bergen. Da Uracilreste nur in einzel- und dop- zentrifugation. So kann eine Nachweisgrenze von etwa
33 pelsträngiger DNA, nicht aber als Einzelnucleotid oder zwanzig Genomäquivalenten pro Milliliter erreicht wer-
in RNA ein Substrat für die UNG darstellen, kann das den. Bei der Diskussion um die Sensitivität sollte aber
Enzym bereits in den Amplifikationsmix gegeben werden auch immer die klinische Relevanz mit einbezogen wer-
und eignet sich auch für die Verwendung in der RT-PCR. den. Wenn beispielsweise die minimale I­nfektionsdosis
größer als 105 Erreger ist, wie bei der Salmonella-­
Gruppe, dann erübrigen sich auch ultrasensitive Teste.
33.5  Anwendungen Auch die Wahl der Zielsequenz spielt eine entschei-
dende Rolle für die Aussagekraft des Tests. So repliziert
Zahlreiche Anwendungen der PCR sind beispielhaft be- HIV, wie alle Retroviren, sein Genom über eine DNA-­
reits in den 7 Abschn. 33.2 und 33.3 beschrieben wor- Zwischenstufe (Provirus im Wirtsgenom). Nur bei einer

den. Meist bezogen sich diese auf besondere Fragestel- akuten Infektion befindet sich proliferierende RNA im
lungen im Forschungslabor. Im folgenden Abschnitt soll Blut des Wirtsorganismus, während bei latenter Infek-
verstärkt auf Anwendungen im medizinisch-­tion das Virus als Provirus in das Zellgenom integriert
diagnostischen Labor eingegangen werden und die vorliegt. Erst im Zusammenspiel all dieser Faktoren
Möglichkeiten des PCR-Einsatzes in der Genomanalyse kann ein PCR-Test eine verlässliche und klinische rele-
skizziert werden. vante Aussage liefern.
Neben der rein qualitativen Ja/Nein-Antwort des
PCR-Tests ist der quantitative Nachweis von bestimm-
33.5.1 Nachweis von Infektionskrankheiten ten Erregern (HCV, HIV) z. B. im Blut eines Infizierten
auch entsprechend der jeweiligen Leitlinien zur Diag-
Der Nachweis von Krankheitserregern stellt ein ideales nostik unerlässlich. Der quantitative Nachweis eines
Anwendungsgebiet für die PCR dar, da sich viele Bakte- Erregers ermöglicht die Therapiekontrolle (Monitoring)
rien und Viren entweder gar nicht oder nur sehr langsam und ist wichtig für den Erfolg und Einsatz antiviraler
kultivieren lassen und herkömmliche Tests bei Weitem oder antibiotischer therapeutischer Maßnahmen.
nicht die Sensitivität der PCR erreichen. Folgerichtig In diesem Zusammenhang ist auch der Nachweis von
fanden solche Tests auch zuerst Einzug in die molekula- Resistenzmutationen, die sich unter einer antiviralen/
ren Routinelabors der Lebensmittelanalytik sowie der antibiotischen Therapie selektionieren und anreichern
Veterinär- und Humanmedizin. Als Beispiele hierfür können, von klinischer und diagnostischer Relevanz. So
seien die Viren HCV (Hepatitis C-Virus), HIV (Hu- ist die Identifikation einer Therapieresistenz, z.  B. bei
man-Immundefizienz-Virus, AIDS-Erreger), HBV (He- der HIV-Therapie (antiretrovirale Therapie ART; hoch-
patitis-B-Virus) und CMV (Cytomegalie-Virus) sowie aktive antiretrovirale Therapie, HAART) oder antivi-
die Bakterien Chlamydia, Mycobacterium, Neisseria und ralen Behandlungen von hCMV, HCV- oder HBV, für
Salmonella genannt. Beim Nachweis solcher humanpa- die weitere Behandlung mit entsprechend angepassten
thogener Erreger mittels PCR kommt es vor allem auf Therapieoptionen für den Verlauf der Infektion und das
drei wichtige Aspekte an: Überleben des Patienten wichtig. Hierzu wird – hier am
55 eine ausreichende Spezifität der Reaktion zur Beispiel HBV oder HIV  – die virale Polymeraseregion
Vermeidung von falsch negativen Ergebnissen (virale Reverse Transkriptase) mittels qualitativer PCR
Polymerasekettenreaktion
853 33
amplifiziert (meist Nested-PCR), die PCR-Amplikons spielsweise kennt man bei cystischer Fibrose und fami-
anschließend sequenziert und die erhaltenen Sequenzen liärer Hypercholesterinämie mittlerweile über 300 ver-
zur Überprüfung auf Resistenzmutationen mit Sequen- schiedene Mutationen, während Chorea Huntington (s.
zen aus Datenbanken abgeglichen. Alternativ können unten) auf nur eine Mutation zurückzuführen ist. Jeder
zum Nachweis von bekannten Resistenzmutationen im dieser Mutationstypen erfordert daher ein anderes me-
viralen Genom auch eine qPCR mit spezifischen Sonden thodisches Vorgehen.
(wildtyp- oder mutationsspezifische Sonde) oder auch
hochsensitive NGS-Techniken eingesetzt werden (Deep 33.5.2.1  Längenvariante Mutationen
Sequencing, Whole Genome Sequencing, 7 Kap. 34).   Bei diesem Mutationstyp kann ein mutiertes Allel und
Wildtypallel anhand der Länge des jeweiligen PCR-­
Produkts unterschieden werden. Ein bekanntes Beispiel
33.5.2 Nachweis von genetischen Defekten ist der Nachweis von Trinucleotid-Expansionen bei eini-
gen neurogenetischen Erkrankungen. Ursächliche Mu-
Auf dem Gebiet der molekularen Medizin hat die PCR tation der Chorea Huntington (HD, nach Huntington’s
die Voraussetzung dafür geschaffen, viele genetisch be- Disease) ist die Expansion eines Trinucleotid-­Repeats
dingte oder erworbene Erkrankungen bereits präsymp- (CAG) im betroffenen HD-Allel (IT15-Gen). Da schon
tomatisch auf DNA- oder RNA-Ebene zu diagnostizie- das normale Allel einem Längenpolymorphismus unter-
ren. Hierzu sind in der Vergangenheit zahlreiche liegt, können auch hier bis zu 32 Wiederholungen des
Methoden entwickelt und verfeinert worden. Insgesamt Repeats gefunden werden. Die Erfahrung hat gezeigt,
ist dies jedoch noch ein sehr junges und innovatives An- dass erst ab einer Repeat-Länge von mehr als 36 CAGs
wendungsfeld, das raschen Änderungen unterworfen sicher von einem positivem Befund gesprochen werden
ist. Dieser Abschnitt soll daher nur einen groben Über- kann. Das Prinzip des Tests ist in . Abb. 33.14 darge-

blick über die heutigen Methoden und einige Beispiele stellt. Da die Erkrankung einem autosomal dominanten
ihrer Anwendungen geben. Erbgang folgt und homozygote Anlagenträger praktisch
Der Nachweis von bekannten genetischen Defekten nicht vorkommen, findet man auch immer ein zweites,
lässt sich, je nach Art der zugrunde liegenden Muta- nicht mutiertes Allel. Nach Amplifikation beider Allele
tion (ausgenommen sind Translokationen), untertei- werden die PCR-Produkte gelelektrophoretisch ge-
len in Punktmutation oder längenvariante Mutation trennt und die jeweilige Repeat-Länge bestimmt. Grö-
(Insertion, Deletion, Expansion). Wichtig ist auch die ßere Längenvariationen, wie sie beim Fragiles-X-Syn-
Unterscheidung, ob es sich um einfache (single site) Mu- drom vorkommen, können auch direkt nach einem
tationen handelt oder um Erkrankungen, die auf ein Southern-Blot durch Hybridisierung mit spezifischen
komplexes Mutationsmuster zurückzuführen sind. Bei- Sonden detektiert werden.

normales Allel
Primer : HU4
5' 3'
A T G G C G A C C C T GG A A A AG C T G A TG A A

(( ( ( ((
A T G G C G A C C C T GG A A A AG C T G A TG A A N CAG N T C C T C A G C T TC C T CA GCC G CC
... ... ...
T A C C G C T GGG A C C T T T T C G A C T A C T T N G TC N A GG A G T C G A A G G A GT CGG C G G
25 19 29
A GG A G T C G A A G G A GT CGG C G G
5' 3'
Primer : HU3

HD-Allel
Primer : HU4
5' 3'
A T G G C G A C C C T GG A A A AG C T G A TG A A

(( ( ( ((
A T G G C G A C C C T GG A A A AG C T G A TG A A N CAG N T C C T C A G C T TC C T CA GCC G CC
... ... ...
T A C C G C T GGG A C C T T T T C G A C T A C T T N G TC N A GG A G T C G A A G G A GT CGG C G G
25 55 29
A GG A G T C G A A G G A GT CGG C G G
5' 3'
Primer : HU3

..      Abb. 33.14  Schematische Darstellung des Trinucleotid- (CAG-)Expansionsnachweises bei Chorea Huntington. Die Amplifikation erfolgt
mit spezifischen Primern, die den CAG-Repeat flankieren. Die Größe des Repeats im Polyacrylamidgel liefert den diagnostischen Befund
854 S. Niendorf C.-T. Bock

33.5.2.2  Punktmutationen oder in ihrer Markierung voneinander unterscheiden und


Sequenzierung  Die sicherste Methode zur Identifizie- allelspezifisch an das PCR-Produkt binden. Benachbart
rung und Charakterisierung sowohl von bekannten als zu diesen allelspezifischen Oligonucleotiden befindet sich
auch unbekannten Mutationen ist die Sequenzierung des ein obligatorisch hybridisierendes Oligonucleotid. Je nach
PCR-Produkts (7 Abschn.  33.3.7, 7 Kap.  4). Da dies
    Vorhandensein der Mutation verbindet die Ligase in einer
mit einem hohen technischen und zeitlichen Aufwand an die PCR anschließenden Reaktion das eine oder an-
verbunden ist, eignet sich dieses Vorgehen jedoch kaum dere allelspezifische Oligonucleotid mit dem universellen
für ein Screening-­Verfahren. Oligonucleotid. Hierdurch ist eine Gentypisierung mög-
lich (. Abb. 33.16).

Restriktionsfragment-Längenpolymorphismen  Restrik-
tionsfragment-Längenpolymorphismen (RFLPs) können Single-strand conformation-polymorphism (SSCP)  Ein-
immer dann zur Analyse herangezogen werden, wenn zelsträngige DNA (ssDNA) bildet unter renaturieren-
durch die Mutation bestimmte enzymatische Restrikti- den Bedingungen nicht vorhersehbare, intramolekulare
onsschnittstellen entstanden oder verloren gegangen sind. Sekundärstrukturen, die durch die Sequenz festgelegt
Nach Amplifikation wird das PCR-Produkt durch ent- werden. Da in einem mutierten Allel eine andere Sequenz
sprechende Restriktionsenzyme geschnitten und die Frag- vorliegt, wird dieses Allel bei der Renaturierung auch eine
mente über ein Agarosegel elektrophoretisch aufgetrennt. andere Konformation einnehmen. Bei der SSCP-Analyse
Diese Methode eignet sich vorwiegend für den Nachweis wird daher das PCR-Produkt nach Amplifikation denatu-
bekannter Mutationen. riert und sofort auf ein renaturierendes Gel aufgetragen.
Schon bei kleinsten Änderungen in der Konformation des
33 Reverser Dot-Blot (allelspezifische Hybridisierung)  Beim Einzelstrangs weist dieser ein anderes Laufverhalten im
reversen Dot-Blot-Verfahren werden allelspezifische Gel auf, welches durch einen Bandenshift detektiert wer-
Sonden an festen Oberflächen immobilisiert und das den kann (. Abb. 33.17). Mit dieser Methode lassen sich

PCR-Produkt gegen diese hybridisiert. Es darf dabei nur zwar unbekannte Mutationen bzw. Polymorphismen er-
im Falle einer perfekten Übereinstimmung von Sonde kennen, aber nicht charakterisieren. Dazu muss anschlie-
und Amplikon zu einer Hybridisierung kommen, d.  h., ßend sequenziert werden.
das mutierte Allel wird von der Wildtypsonde nicht ge-
bunden und das Wildtypallel wiederum bindet nicht an Denaturierende Gradientengelelektrophorese (DGGE)  Die
die mutantenspezifische Sonde. Die Position der Hybridi- DGGE basiert auf einem sehr ähnlichen Prinzip wie
sierung kann über spezifische, meist fluoreszierende Mar- SSCP.  Dabei wird das doppelsträngige Amplifikat auf
kierungen sichtbar gemacht werden und gibt Aufschluss ein Gel aufgetragen, das einen Gradienten mit zuneh-
über den Genotyp. Das Prinzip ist in . Abb. 33.15 skiz-
  menden Denaturierungseigenschaften aufweist. Je nach
ziert. Um unspezifische Bindungen zu vermeiden, muss Sequenz des untersuchten Allels tritt die Denaturierung
die Stringenz der Hybridisierung exakt eingestellt werden an der mutierten Stelle früher oder später ein. Auch hier
(Salzkonzentration, Zeit, Temperatur). Auch bei diesem zeigt sich das veränderte Laufverhalten durch einen
Verfahren ist die genaue Kenntnis der jeweiligen Muta- Bandenshift.
tion Voraussetzung.

Allelspezifische PCR  Wenn das 3′-Ende eines Primers auf- 33.5.3 Humangenomprojekt
grund eines Mismatch (Punktmutation) nicht an das Tem-
plate binden kann, so ist die Amplifikation inhibiert, da die Im Oktober 2004 wurde in der Zeitschrift Nature die Se-
Taq-­Polymerase nur an einem hybridisierten 3′-OH-Ende quenz des humanen Genoms publiziert, das Ergebnis ei-
verlängern kann. Für die allelspezifische PCR nutzt man ner dreizehnjährigen Arbeit, bei der mehr als 2800 Wis-
diesen Umstand aus und konstruiert zwei unterschiedliche senschaftler beteiligt waren. Eine Analyse der Daten und
Sense- und Antisense-Primer. Die Amplifikation der zu un- der 2,85 Milliarden Basenpaare zeigt die Anwesenheit
tersuchenden DNA findet in zwei getrennten PCR-Gefä- von 20.000 bis 25.000 Genen. Als Gütekriterium gilt, dass
ßen mit jeweils dem anderen Primer statt. So lässt sich sehr 99 % der genhaltigen Sequenzen erfasst sind, die Genau-
elegant der Genotyp (homozygot Wildtyp, heterozygot, igkeit wird mit 99,999 % angegeben. Die Sequenzaufklä-
homozygot Mutante) charakterisieren. Für das Primerde- rung war nur der erste Schritt, im Mittelpunkt steht nun
sign muss auch hier die jeweilige Mutation bekannt sein. die Aufklärung der Funktion und Aktivität der Gene.
Die PCR hat auch die Entwicklung des Human-
genomprojekts sehr stark vorangetrieben. Durch sie
OLA-Technik  Bei der sog. OLA-Technik (Oligonucleo- wurde die Einführung der sog. STSs (Sequence Tag-
tide-Ligation Assay) werden perfekt gepaarte und direkt ged Sites) möglich, die eine immense Hilfestellung
benachbarte Oligonucleotide durch eine Ligase miteinan- bei den Kartierungsarbeiten erbrachte. Solche STSs
der verknüpft. Zur Analyse bekannter Mutationen wer- sind spezifische DNA-Segmente auf den Chromoso-
den Oligonucleotide verwendet, die sich in ihrer Länge men, die durch die Sequenz von zwei korrespondie-
Polymerasekettenreaktion
855 33
..      Abb. 33.15  Reverser Dot-Blot. Der wt mut
Nachweis von bekannten Mutationen
erfolgt über allelspezifische Hybridisie- ssPCR-Produkt
rungssonden (wt = Wildtyp; mut =
Mutante), die an einer Oberfläche
immobilisiert werden. Die Position der Hybridisierung an ( markiert )
Hybridisierung wird über ein Label immobilisierte Sonden
sichtbar gemacht und erlaubt so die
Genotypisierung

Sonden

Oberfläche

(Aufsicht)

Heterozygot
Homozygot

Homozygot

Genotypisierung

wt wt mut
wt mut mut

renden Primer festgelegt werden. Über Datenbanken erste Gen, das über einen solchen Positional Clo-
sind solche Informationen schnell verfügbar und von ning Approach kloniert werden konnte, war 1989 das
Forschern, die mit der Kartierung des menschlichen CFTR-­Gen, das für die cystische Fibrose verantwort-
Genoms oder der Klonierung von Genen beschäf- lich ist.
tigt sind, direkt zu verwenden. Handelt es sich bei
den STSs um Teile von exprimierten Sequenzen, so
spricht man von ESTs (Expressed Sequence Tagged 33.6  Alternative Verfahren der
Sites). Eine besondere „Form“ der STSs sind Short Amplifikation
Tandem Repeat Polymorphisms (STRPs), kurze Dinu-
cleotid-Repeats (meist CA), die von Individuum zu Neben der PCR als Amplifikationsreaktion existieren
Individuum eine variable Länge aufweisen können. noch andere Verfahren zur gezielten Vervielfachung
STRPs erlauben die Bestimmung von Rekombina- von Nucleinsäuren. Wenn solche Techniken auch in ei-
tionsfrequenzen und damit Aussagen über den Ab- nigen Laboren in den vergangenen Jahren ihre Anwen-
stand solcher Marker. Darüber hinaus ermöglichen dung gefunden haben, so kristallisiert sich doch zuneh-
sie es auch, Haplotypen zu charakterisieren und über mend heraus, dass eine breite routinemäßige
ein als Positionsklonierung genanntes Vorgehen (Po- Applikation nur durch die PCR geleistet werden kann.
sitional Cloning Approach) Gene zu isolieren. Das In diesem Abschnitt sollen daher nur einige der wich-
856 S. Niendorf C.-T. Bock

..      Abb. 33.16  OLA-Technik. Nach wt-Oligo mut-Oligo universelles Oligo mit Markierung
einer PCR binden allelspezifische
Oligonucleotide (wt, mut) an das
einzelsträngige Amplikon. Nur im Fall A C
5' 3' 5' 3' 5' 3'
einer perfekten Paarung des 3′-Endes
können diese Oligonucleotide in der
anschließenden Ligasereaktion mit Hybridisierung an
einem universell bindenden Oligonuc- PCR-amplifizierte DNA
leotid, das die Markierung trägt, ligiert
wt mut
werden. Da sich mut-Oligonucleotide
und wt-Oligonucleotide in ihrer Länge
unterscheiden, lassen sich die ligierten
A C
Oligonucleotide elektrophoretisch T G
auftrennen und über ihre Markierung
nachweisen
C A

T G

Ligation und Trennung


des Doppelstrangs

33
A C

Elektrophorese
+
Genotypisierung

wt mut mut
wt wt mut

tigsten, alternativen Amplifikationstechniken kurz be- trängigen DNA, während die Polymerase anhand des
schrieben werden. ersten Stranges einen neuen homologen Strang herstellt.
Es gibt eine Vielzahl von Methoden zur isothermen
Amplifikation von DNA.  Beispielhaft seien hier die
33.6.1 Isotherme PCR Nucleic Acid Sequence Based Amplification (NASBA),
Helicase-Dependent Amplification (HDA), Strand Dis-
Im Gegensatz zur PCR erfolgt bei der isothermen DNA-­ placement Amplification (SDA) und Transcription Me-
Amplifikation die Reaktion bei gleichbleibender Tempe- diated Amplification (TMA) genannt, die alle das gleiche
ratur (isotherm) unter Einsatz einer DNA-Polymerase Grundprinzip der isothermen Amplifikation ohne PCR-­
mit Strang-Verschiebungsaktivität (Strand Displacement Schritte verfolgen.
Activity, z.  B. Φ29-DNA-Polymerase). Bei der isother-
men DNA-Amplifikation kann somit die Reaktion auch Nucleic Acid Sequence Based Amplification (NASBA)  Bei
ohne größeren gerätetechnischen Aufwand durchge- der NASBA handelt es sich um eine isotherme Amplifi-
führt werden. Die isotherme DNA-Amplifikation ba- kation von RNA.  Enzymatische Bestandteile der NAS-
siert auf der Verdrängung eines Strangs der doppels- BA-Reaktion sind eine Reverse Transkriptase (RTase),
Polymerasekettenreaktion
857 33
..      Abb. 33.17  SSCP-Analyse. Nach mut wt
Amplifikation werden die PCR-­
Produkte denaturiert und auf ein
renaturierendes Sequenzgel aufgetra- PCR-Produkte
gen. Aufgrund der unterschiedlichen
Rückfaltung ist die Mobililtät im Gel Punktmutation
der mutierten Allele (mut) gegenüber
dem Wildtyp-­Allel (wt) verändert. In
der Regel entstehen vier Banden, da
Denaturierung
sich die Einzelstränge jedes Allels in
Abhängigkeit ihrer Sequenz anders
rückfalten
Auftragen auf renaturierendes Acrylamidgel

mut wt

RNase H und T7-RNA-Polymerase. Eine weitere Be- Strand Displacement Amplification (SDA)  Auch bei dieser
sonderheit ist der Einbau eines T7-Promotors über einen Methode der Nucleinsäureamplifikation handelt es sich
Primer (Primer A). Dazu wird die spezifische Nucleotid- um eine isotherme Reaktion. Sie beruht auf der Fähigkeit
sequenz des Primers um die Sequenz des T7-Promotors von DNA-Polymerasen, die Neusynthese an einem Einzel-
verlängert. Die Reaktion wird durch Bindung von Primer strangbruch zu beginnen und dabei den alten Strang zu
A an das RNA-Template gestartet. Die Reverse Tran- verdrängen. Zur Amplifikation kommt es durch ein zyk-
skriptase schreibt die RNA-Matrize in cDNA um, und lisches Schneiden des Einzelstrangs und die anschließende
die RNA dieses Hybrides wird durch die zugegebene Strangverdrängung. Da Restriktionsenzyme normaler-
RNAse H verdaut. An den DNA-Strang hybridisiert an- weise den Doppelstrang vollständig zerschneiden, bedient
schließend Primer B, und der ­Gegenstrang wird durch die man sich zur Erzeugung der Einzelstrangbrüche (Nick) des
DNA-abhängige DNA-­Polymeraseaktivität der RTase ge- Einbaus eines Nucleotidanalogons in den Gegenstrang.
bildet. Hierbei wird auch der Promotor neu synthetisiert. Die nach Schneiden auf dem Gegenstrang lediglich ein-
Die T7-Polymerase als dritte Enzymkomponente bindet zelsträngig (und damit inaktiv) verbleibende Sequenz einer
nun an diesen Promotor und synthetisiert pro Strang etwa Restriktionsschnittstelle wird über die Primerverlängerung
hundert neue RNA-Moleküle (abhängig von der Ampli- doppelsträngig synthetisiert. Die Neusynthese erfolgt je-
konlänge), an denen sich die beschriebenen Prozesse nun doch nicht durch Zugabe der vier natürlichen dNTPs (was
erneut vollziehen (. Abb. 33.18). Auf dem gleichen Prin-
  zu vollständig spaltbaren doppelsträngigen Restriktions-
zip basiert eine als 3SR (Self-Sustained Sequence Repli- schnittstellen führen würde), sondern in Anwesenheit von
cation) bezeichnete Reaktion. Sowohl NASBA als auch drei natürlichen dNTPs und einem Thiodesoxynucleotid.
3SR lassen sich mit leichten Modifikationen und voraus- Hierdurch entsteht in der doppelsträngigen Restriktions-
gehender Umschreibung von DNA in RNA auch für die schnittstelle ein Hybrid aus dem normalen und dem (neu-
Amplifikation von DNA einsetzen. synthetisierten) schwefelhaltigen Strang. Dieser kann von
dem verwendeten Restriktionsenzym nicht geschnitten
Transcription Mediated Amplification (TMA)  Es handelt werden, wodurch es zu dem gewünschten Einzelstrang-
sich um eine alternative isotherme Amplifikation von bruch kommt. Das Prinzip ist in . Abb. 33.19 illustriert.

RNA bei 42 °C. Enzymatische Bestandteile der TMA-Re-


aktion sind eine RTase und T7-RNA-­Polymerase. Die Helicase Dependent Amplification (HDA)  Als Alter-
RNase H wird im TMA-Protokoll durch die RNa- native zur Strangverdrängung wird die DNA-­ Helicase
se-H-Teilaktivität der RTase ersetzt. Auch bei dieser Am- eingesetzt, die entstehenden DNA-­Einzelstränge durch
plifikationsmethode wird ein T7-Promotor über einen Einzelstrang-Bindeproteine (SS-DNA Binding Proteins)
Primer (Primer A) in das Amplifikat eingebaut. vor der Reassoziierung geschützt. Im nächsten Schritt
858 S. Niendorf C.-T. Bock

..      Abb. 33.18  NASBA (Nucleic Acid Sequence-Based Amplification). Promotor-­Sequenz. Durch die Reverse Transkriptase wird eine cDNA
Ausgangspunkt der Amplifikation ist eine einzelsträngige RNA, an synthetisiert und die RNA in diesem Hybrid sofort durch RNase H
die Primer A bindet. Dieser Primer besitzt am 5′-Ende eine T7-­ abgebaut. An die nun einzelsträngige DNA bindet Primer B und syn-

3'

lange RNA
5'

3'
T7-Promotor
Primer A
Start-Reaktion Reverse Transkriptase
5'
(z.B. AMV RT)
3'

RNA
5'

DNA 3'
T7-Promotor
Primer A
RNase H
5'

DNA 3'
T7-Promotor
Primer A
Primer-B-Annealing
5'
Primer B
33 5' 3'

DNA 3'
T7-Promotor
Primer A
Reverse Transkriptase
5'

Primer B
DNA 5'

DNA 3'
Primer A 3'
T7-Promotor
5'

Primer B
5'

3'
Primer A
T7-RNA-Polymerase 3'
T7-Promotor
100-(1000-)fache Transkription 5'
kurze RNA-Transkripte
Reverse
Amplikon-RNA Transkriptase

Primer B
3' 5' 3'
5'

3' 5' 3'


Primer A
3' 5'
T7-Promotor
NASBA/ 5'
Primer B TMA-
Zyklus
Primer A
Primer B
5' 3'

Primer B
5' 3'
3' 5'

Reverse
Transkriptase RNase H
Primer B
5' 3'

3' 5'
Polymerasekettenreaktion
859 33

thetisiert den Gegenstrang, wodurch ein funktionsfähiger T7-Promo- zelreaktionen wie beschrieben wiederholen. Die gesamte Reaktion er-
tor entsteht. Diesen erkennt die T7-RNA-Polymerase und synthetisiert folgt bei konstanter Temperatur und in einem einzigen Amplifikations-
etwa hundert RNA-Moleküle (abhängig von Amplikonlänge), die nun puffer
die zyklische Phase der NASBA-Reaktion einleiten, in der sich die Ein-

..      Abb. 33.19  SDA (Strand Displace-


ment Amplification). Es handelt sich um
einen zyklischen Prozess aus Synthese,
Restriktionsverdau und Strangverdrän-
gung. Die Primer enthalten die
Erkennungsstelle für das Restriktions-
enzym. Da die Neusynthese mit einem
Thionucleotid ausgeführt wird, kommt
Primer-Annealing
es zu dem gewünschten Einzelstrang-
bruch (Nick), weil solche schwefelhalti-
gen Stränge resistent gegenüber
Restriktionsenzymen sind. Auch die
SDA verläuft wie die NASBA-Reaktion
unter isothermen Bedingungen. (Nach
Persing et al. 1993)
860 S. Niendorf C.-T. Bock

..      Abb. 33.20 LCR (Ligase Chain


Reaction). In dem zyklischen Prozess aus dsDNA
Denaturierung, Anlagerung von vier
Oligonucleotiden und Ligation verdoppelt Denaturierung und Hybridisierung
sich theoretisch mit jeder weiteren Runde die der zwei Oligonucleotid-Paare
Zahl der miteinander verknüpften Oligonuc- (1. Zyklus)
leotide. Analog zur PCR kommt es auch bei
der LCR zu einer exponentiellen Amplifika-
tion

Ligation

Denaturierung und Hybridisierung


der Oligonucleotide
33 (2. Zyklus)

Ligation

werden zwei Primer wie bei der PCR eingesetzt und die dern es kommt zu einer Amplifikation von je zwei mit-
DNA-Polymerase generiert die beiden Tochterstränge. einander ligierten Oligonucleotiden, die komplementär
Anschließend stehen diese beiden Stränge für die Helicase zu den ursprünglichen Strängen sind (. Abb.  33.20).

zur Verfügung, und die nächste Runde der Amplifikation Nach der initialen Denaturierung hybridisieren zwei di-
startet. Damit handelt es sich bei der HDA um eine PCR rekt benachbarte Oligonucleotide, die anschließend
bei konstanter Temperatur, bei der kein Thermocycler be- durch eine thermostabile Ligase miteinander verknüpft
nötigt wird. Nachteilig bei dieser Methode ist, dass der werden. Diese bilden nun das Target für zwei komple-
Optimierungsaufwand für die Primer und die Reaktions- mentäre Oligonucleotidpaare, die ebenfalls hybridisie-
bedingungen höher ist als bei einer PCR Reaktion. ren und durch die Ligase verknüpft werden. Mit der
LCR lassen sich in etwa 30 Zyklen ähnliche Sensitivitä-
ten wie mit der PCR erreichen. Zur Erhöhung der Am-
33.6.2 Ligase Chain Reaction (LCR) plifikationsspezifität wurden auch LCR-Protokolle ent-
wickelt, bei denen die beiden nach innen stehenden
Bei der Ligasekettenreaktion (Ligase Chain Reaction) 5′-Enden der Oligonucleotide selektiv phosphoryliert
wird nicht die eigentliche Zielsequenz vermehrt, son- sind, um unspezifische Ligation zu vermeiden.
Polymerasekettenreaktion
861 33
Repair Chain Reaction (RCR)  Die Reparaturkettenreak- kassenärztlichen Abrechnung, vor allem auf die Auto-
tion (Repair Chain Reaction) ist der Ligasekettenreaktion matisierung der Probenvorbereitung und Prozessierung
verwandt. Im Gegensatz zur Ligasekettenreaktion binden zurück zu führen. Die volle Etablierung der automati-
bei der Reparaturkettenreaktion die zwei komplementä- schen Probenvorbereitung, Amplifikation und Detek-
ren Oligonucleotidpaare nicht direkt nebeneinander an- tion erlaubt einen Routineeinsatz mit vollautomatisier-
stoßend, sondern um ein oder mehrere Nucleotide vonei- ten PCR-Analysesystemen mit einer Sensitivität im
nander versetzt. Der Zwischenraum (Gap) ist so gestaltet, Bereich von wenigen Kopien von z. B. viraler Nuclein-
dass durch Zugabe von dGTP und dCTP oder dATP und säure (HIV, HBV, HCV). Zukünftige Entwicklungen
dTTP und einer Polymerase in Ergänzung zur Ligase in werden die Etablierung weiterer Multiplexprotokolle
einer doppelstrangspezifischen Reaktion die fehlenden sein, die z.  B. beim Screening von Blutkonserven, bei
Nucleotide im Zwischenraum überbrückt werden kön- modernen Sepsis-Tests oder in der Forensik und bei Va-
nen. Diese kombinierte (limitierte) Elongation und Liga- terschaftstests eine wichtige Rolle spielen.
tion führt zu einer Erhöhung der Amplifikationsspezifität, Ein weiterer Trend ist die Verkürzung der Reaktions-
da die beiden Oligonucleotidpaare ohne vorausgehende zeiten durch schnellere Thermocycler und durch die
Auffüllung des Zwischenraums (Gap-­filling) nicht direkt Verringerung des Reaktionsvolumens, wie es im Light-
miteinander verknüpft werden können. Cycler® bereits realisiert ist.
Man erhofft weiterhin, durch eine zunehmende Mi-
niaturisierung des PCR-Reaktionsgefäßes in Form von
33.6.3 Branched DNA Amplification (bDNA) Chips Amplifikationszeiten im Minutenbereich zu erzie-
len (Lab-on-a-Chip). Im Deutschen wird manchmal der
Im Gegensatz zu den zuvor beschrieben Methoden han- Begriff Westentaschenlabor genutzt, der die Miniaturi-
delt es sich bei der bDNA-Methode nicht um ein Verfah- sierung und den gedachten Einsatz bildlich zeigt. Die
ren, bei dem die Nucleinsäure vervielfacht wird, es han- Royal Society of Chemistry in England hat dementspre-
delt sich um eine Signalamplifikation. Die nachzuweisende chend ein Journal mit dem Titel Lab on a Chip im Jahre
Nucleinsäure wird über spezifische Oligonucleotide (cap- 2001 eingeführt. Zudem bietet die Miniaturisierung
ture probes) an eine feste Oberfläche gebunden. Anschlie- von PCR-Systemen zukünftig die Möglichkeit, diese
ßend hybridisieren weitere Oligonucleotide (sog. exten- Technik auch „im Feld“ einzusetzen, z. B. digital unter
ders) an die Nucleinsäure. An diese Extender binden Nutzung eines zu etablierenden handlichen PCR-Reak-
dann, nunmehr targetunspezifisch, sog. Amplifier-Mole- tionssystems in Verbindung mit einem Smartphone, auf
küle, die antennenartig von dem ursprünglichen Target dem entsprechende Apps die Auswertung der Reaktio-
abstehen. Aufgabe dieser Amplifier ist es, zahlreiche wei- nen erledigen. Dies ist z. B. in schwer zugänglichen Re-
tere Oligonucleotide zu binden, die eine Alkalische Phos- gionen von Ländern mit geringen Ressourcen (Afrika,
phatase als Label tragen. Nach mehrfachem Waschen Asien) von Bedeutung, um bei Ausbrüchen von Infek-
wird das Substrat der Phosphatase zugegeben, und durch tionserkrankungen eine schnelle Diagnose des Erregers
die Chemilumineszenzreaktion lässt sich die Nuclein- zu erhalten. Die erfolgreiche Weiterentwicklung der Mi-
säure nachweisen. Die bDNA-Methode erlaubt den crofluidics-Technologie in der Gendiagnostik, die schon
Nachweis von ca. 105 Targetmolekülen. Ein Nachteil erfolgreich bei der DNA Sequenzierung eingesetzt wird,
auch dieser Methode ist, dass es sich wiederum um eine lässt auf zukünftige Routineanalytik erhoffen.
Signalamplifikation handelt, bei der unspezifisch (falsch) Verbesserungen auf enzymatischer Seite sind von
hybridisierende Sonden mit amplifiziert werden und da- neuen thermostabilen Enzymen zu erwarten, die eine
durch falsch positive Signale erzeugt werden. höhere Prozessivität bei geringerer Fehlerquote haben.
Diese neuen Enzyme sind entscheidend für die Entwick-
lung komplexer Muliplex-PCRs, wie sie im Umfeld von
33.7  Ausblick Blutanalysen und Sepsis-Test zum Teil bereits etabliert
wurden.
Die PCR ist als zentrale bioanalytische Methode aus Hinsichtlich der Anwendungen wird sich die
dem molekularen Forschungslabor nicht mehr wegzu- ­Routinediagnostik mehr und mehr auch auf den hu-
denken. Die PCR hat inzwischen Einzug in die Routine mangenetischen und onkologischen Bereich ausdeh-
diagnostischer Labore aufgrund ihrer Schnelligkeit und nen. In diesem Bereich werden auch Tests zur Analyse
kostengünstigen Durchführung gehalten. So sind ver- der Aktivierung von Onkogenen durch Veränderung
schiedene PCR-Methoden (Nested-PCR, RT-PCR, der Methylierungsmuster über selektive Bildung von
qPCR) inzwischen Standard beim Nachweis von Infek- PCR-­Produkten nach Sulfit-Behandlung (und damit
tionskrankheiten, wie z. B. Virusinfektion (HBV, HCV, Umwandlung von Methyl-dC in CpG-Inseln in dU)
Rotaviren etc.). Der Einzug in die Routine von Diagnos- mit entsprechenden (dU-erkennenden) Primern ent-
tiklaboratorien ist, abgesehen von der jetzt möglichen wickelt.
862 S. Niendorf C.-T. Bock

Ein weiterer Bereich ist die Pharmakogenetik, bei der Lee H, Morse S, Olsvik O (1997) Nucleic acid amplification techno-
komplexe Expressionsmuster von Arzneimittel abbau- logies. Applications to disease diagnosis. BioTechniques Books,
Div. Eaton Publishers, St. Natik
enden Enzymen diagnostiziert werden. Dies ermöglicht Logan J, Edwards K, Saunders N (2009) Real-time PCR: current
eine patientenangepasste Dosierung des Arzneimittels technology and applications. Caister Academic Press Poole, UK
(das z. B. über den Cytochrom-P450-Abbauweg metabo- McPherson MJ, Quirke E, Taylor GR (1996a) PCR, Bd 1. Oxford
lisiert wird). Die Diagnose der Expressionsmuster erfolgt University Press, Oxford/New York
in diesen Fällen durch Analyse von PCR-­Amplifikaten, McPherson MJ, Quirke E, Taylor GR (1996b) PCR, Bd 2. Oxford
University Press, Oxford/New York
die – nach Einbau von T7-­Promotorsequenzen – in mar- Millar BC, Xu J, Moore JE (2007) Molecular diagnostics of medi-
kierte RNA-Transkripte übersetzt werden. Die Analyse cally important bacterial infections. Curr Issues Mol Biol 9:21–
der gebildeten Transkripte erfolgt auf speziellen Se- 40
quenzierchips (z. B. AmpliChip™). Mullis KB (1990) Eine Nachtfahrt und die Polymerasekettenreak-
tion. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg
Newton CR, Graham A (1997) PCR, 2. Aufl. Spektrum Akademi-
scher Verlag, Heidelberg
Literatur und Weiterführende Literatur Persing DH, Smith ZF, Tenover EC, White TJ (1993) Diagnostic mo-
lecular microbiology: principles and applications. American So-
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International Human Genome Sequencing Consortium (2004) Finis- Sedlak RH, Jerome KR (2013) Viral diagnostics in the era of digital
33 hing the euchromatic sequence of the human genome. Nature polymerase chain reaction. Diagn Microbiol Infect Dis 75:1–4
431:931–945 Vogelstein B, Kinzler KW (1999) Digital PCR.  Proc Nat Acad Sci
Kessler C (Hrsg) (2000) Non-radioactive analysis of biomolecules. 96:9236–9241
Springer, Berlin/Heidelberg Zorzi W, El Moualij B, Zorzi, D, Heinen E, Melen L (2001) Detec-
Larrick JW, Siebert ED (1995) Reverse transcriptase PCR. Ellis Hor- tion method by PCR. Belgium patent WO 0131056
wood, London
863 34

DNA-Sequenzierung
Andrea Thürmer und Kilian Rutzen

Inhaltsverzeichnis

34.1 Gelgestützte DNA-­Sequenzierungsverfahren – 866


34.1.1 Sanger-Sequenzierung – 866

34.2 Gelfreie DNA-­Sequenzierungsmethoden – 870


34.2.1  ext-Generation-Sequenzierung – 870
N
34.2.2 Third-Generation-Sequenzierung – 877

Literatur und Weiterführende Literatur – 882

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022


J. Kurreck et al. (Hrsg.), Bioanalytik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61707-6_34
864 A. Thürmer und K. Rutzen

55 Die Weiterentwicklung der Sequenziertechniken ge- quenzierung von fünf Basen in einer Woche, wie er
hört zu den wichtigsten methodischen Neuerungen in selbst rückblickend anlässlich eines Empfangs 1993 im
den Biowissenschaften in den vergangenen Jahrzehn- Sanger Center (Cambridge, England) feststellte.
ten. Im Vergleich zu diesen fünf Basen erreichen Genom-
55 DNA-Sequenzierung umfasst molekularbiologische größen astronomische Dimensionen. Die durchschnitt-
Methoden zur Analyse der Erbinformation von Orga- liche Länge eines kleinen Virengenoms liegt im Bereich
nismen durch Bestimmung der Nucleotidabfolge in von 104 Basenpaaren (bp). Mit zunehmender Komplexi-
DNA-Molekülen. tät der Organismen werden sehr schnell weitere Größen-
55 Die aktuell verwendeten DNA-Sequenzierungstechno- ordnungen überschritten: Escherichia coli erreicht be-
logien können in gelgestützte Verfahren (Sanger-Se- reits 4,7 ⋅ 106 bp, Saccharomyces cerevisiae 1,4 ⋅ 107 bp,
quenzierung) und gelfreie DNA-Sequenzierungs- Drosophila melanogaster 1,8  ⋅  108 bp und der Mensch
verfahren (Next Generation und Third Generation 3,2 ⋅ 1012 bp. Genome von Pflanzen und selbst niederen
Sequenzierung) eingeteilt werden. Organismen können noch größere Längen erreichen:
55 Die heute noch weit verbreitete Sanger-Sequenzierung, Weizen (Triticum aestivum) 1,6  ⋅  1013 bp und Amoeba
auch Didesoxy- bzw. Kettenabbruchverfahren ge- dubia 1,2 · 1014 bp. Die real zu sequenzierende Anzahl
nannt, beruht auf der enzymatisch katalysierten Syn- von Basen erreicht je nach verwendeter Strategie leicht
these von basenspezifisch endenden DNA-Populatio- noch einmal das Dreißigfache der Genomgröße. Bei die-
nen durch den Einbau von fluoreszenzmarkierten ser Betrachtung sind die zunehmend an Bedeutung ge-
Didesoxynucleotiden. Das gewonnene Bandenmuster winnenden Bedürfnisse der diagnostischen DNA-Se-
aus der gelelektrophoretischen Auftrennung dieser quenzierung, die zwar nur kleine Fragmente analysiert,
DNA-Fragmente ermöglicht die Rekonstruktion der diese jedoch in großer Zahl verarbeitet, noch nicht be-
Basensequenz. rücksichtigt.
34 55 Die Methoden im Bereich der Next Generation Se- Gleichzeitig zur Entwicklung des Sanger-Verfahrens
quenzierung ermöglichen einen steigenden Daten- wurden Klonierungsmethoden in M13-Phagen verfüg-
durchsatz bei gleichzeitiger Kostenreduzierung durch bar, die sowohl die biologische Amplifikation von DNA-­
massive Parallelisierung der Sequenzierungsreaktion. Fragmenten in einem Größenbereich von bis zu zwei
Zunächst werden die zu analysierenden DNA-Frag- Kilobasenpaaren als auch die Erzeugung von „leicht“
mente in individuellen Reaktionszentren klonal ampli- zu sequenzierender Einzelstrang-DNA ermöglichten. Es
fiziert. Die anschließende Sequenzierung erfolgt entwe- konnten maximale Leselängen von 200 bp erreicht wer-
der durch Strangsynthese mittels DNA-Polymerase den. In einem Sequenzierungslauf wurde also nur ein
(sequencing by synthesis) oder durch Ligation von mar- Bruchteil der Gesamtsequenz bestimmt. Dieses Miss-
kierten Sequenzen (sequencing by ligation). verhältnis zwang zur Entwicklung von Sequenzierungs-
55 Die Technologien der Third Generation Sequenzierung strategien, die unter vertretbarem Aufwand eine Re-
erlauben die direkte Sequenzierung einzelner nativer konstitution der Gesamtsequenz ermöglichen.
DNA-Moleküle ohne vorhergehende Amplifikation. Ausgestattet mit dem Instrumentarium der Sanger-­
Die Verfahren beruhen auf der Aktivität einer statio- Methode begann man bereits in den 1970er-Jahren mit
nären DNA-Polymerase (SMRT-Sequenzierung) bzw. der Analyse ganzer Genome. Sanger und Mitarbeiter
der Translokation des DNA-Moleküls durch eine Na- veröffentlichten im Jahr 1977 die 5386 bp lange DNA-­
nopore (Nanoporen-Sequenzierung). Es werden dabei Sequenz des Phagen ΦX174. 1982 war die komplette
deutlich längere Reads als bisher erzeugt, welche in Sequenz des menschlichen Mitochondriums mit einer
Echtzeit analysiert werden können. Länge von 16.569 bp bestimmt. 1984 erreichte man mit
55 Nach den großen Fortschritten beim Sequenzieren der Sequenz des Eppstein-Barr-Virus bereits eine Länge
besteht heute eine wichtige Herausforderung darin, die von 172.282 bp. Erst fünfundzwanzig Jahre nach dem
großen Datenmengen auszuwerten und sinnvolle Durchbruch von Sanger, im Jahre 2003, konnte die
Informationen zu extrahieren. erste Sequenz des menschlichen Genoms publiziert
werden. Die Kosten für das Humangenomprojekt
Im Jahre 1975 legte Frederick Sanger mit der Entwick- (HGP) überstiegen hierbei die Milliarden-US-$-Grenze
lung einer enzymatischen Sequenzierungsmethode den bei Weitem.
Grundstein für das mächtigste Werkzeug zur Analyse Eines machte dieses Projekt deutlich: Eine kosten-
der Primärstruktur der DNA.  Zum damaligen Zeit- effektive und schnelle Sequenzierung größerer Genome
punkt waren weder die weitreichenden Implikationen war mit den bestehenden Technologien schwerlich mög-
für das Verständnis von Genen oder ganzen Genomen lich, und viele Fragen, wie z.  B. die Dynamik der Ge-
noch die rasante Entwicklung dieser Methode abzuse- nome, blieben offen, wenn auch die gelieferten Daten
hen. Frederick Sanger freute sich damals über die Se- einen Meilenstein darstellten und die Blüte vieler Ver-
DNA-Sequenzierung
865 34

gelgestützte Verfahren gelfreie Verfahren

Sanger- Next-Generation- Third-Generation-


Sequenzierung Sequenzierung Sequenzierung

Sequenzierung durch Sequenzierung durch Single-Molecule- Nanopore-


Strangsynthese (SBS) Ligation Sequenzierung Sequenzierung
- Pyrosequenzierung Solid-Sequenzierung SMRT MinION MK1
(454 Roche) (Thermo Scientific) (Pacific Biosciences) (Oxford Nanopore)
- lllumina-Sequenzierung
- HaIbleitersequenzierung
(Ion Torrent)

..      Abb. 34.1  Gliederung der Sequenzierungsverfahren

1. Generation- Next-Generation- Third-Generation-


DNA-Sequenzierung Sequenzierung (NGS) Sequenzierung

1975 1980 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020

gelbasierte Kapillar- Microwell-


Systeme sequenzierer Pyrosequenzierer
Short-Read-
Sequenzierer
Single-Molecule-
Sequenzierer

..      Abb. 34.2  Zeitlicher Verlauf der Entwicklung von Sequenzierungstechnologien

fahren, wie z.  B. der Microarrayanalytik (7 Kap.  40),   Expressionskonstrukten und PCR-Produkten. Auch
erst ermöglichten. Es sollte viele Jahre dauern, bis mas- sollte nicht unbeachtet bleiben, dass die neuen Metho-
siv parallele Sequenzierungsmethoden, auch bekannt den ihre eigenen systematischen Fehler einbringen, da in
als Next Generation Sequencing (NGS), verfügbar den meisten Fällen eine enzymatische Amplifikation
wurden (. Abb. 34.1 und 34.2). Erst 2005 brachte Jo-
  notwendig ist, um in den Bereich der Sensitivität der ver-
nathan Rothberg mit seiner Firma 454 Life Sciences mit wendeten Instrumente zu gelangen.
dem GS20 das erste NGS-Instrument auf den Markt. Ein weiterer Meilenstein wurde neben den Hochdurch-
Gestartet mit einem Output von 20 Mbp auf dem Ge- satz-NGS-Verfahren durch die Einführung der Sing-
rät, werden heute bis zu mehreren Terabasenpaaren in le-Molecule-Sequenzierung, auch bekannt als Third-Ge-
einem Experiment erzeugt. Durch den steigenden Se- neration-Sequenzierung, erreicht (. Abb. 34.2).

quenzoutput und die damit einhergehende erhebliche Die Sequenziergeräte der Single-Molecule-­
Kostenreduzierung können genomweite Fragestellun- Sequenzierung haben eine zunehmende methodische
gen beantwortet werden, die bisher nicht möglich waren Reife erreicht und sind für viele Anwendungen nicht
(. Tab. 34.1).
  mehr wegzudenken. Die Verfahren von Pacific Bio-
Die Dynamik der neuen Sequenzierungssysteme er- sciences (Single Molecule Real Time Sequencing,
gibt sich im Wesentlichen aus der nahezu beliebig zu stei- SMRT) und von Oxford Nanopre (Nanopore Sequen-
gernden Sequenzierabdeckung/-tiefe (coverage/depth), cing) ermöglichen die Detektion der DNA-Information
mit der die zu analysierenden Bereiche untersucht wer- von bis zu 2 Mbp (Oxford Nanopore) in einem Sequen-
den. Während man in einem Microarrayexperiment zierread.
durch die Abdeckung der zu analysierenden Bereiche Im Jahre 1996 wurden in der EMBL-Nucleotidse-
limitiert ist, muss man bei einem Sequenzer lediglich die quenzdatenbank mehr als 300 Megabasen (Mbp) Se-
obigen Stellgrößen verändern. quenzinformation neu erfasst. Dies entspricht fast der
Trotz der erheblichen Verbesserung des Durchsatzes Summe, die in den 13 Jahren zuvor seit Gründung der
haben die bisherigen Sequenzierungsverfahren weiter- Einrichtung dort registriert wurde. Im Juni 2005 konn-
hin nicht wegzudenkende Nischenbereiche, z. B. zur Se- ten 95 Gigabasen (Gb) in 54 ⋅ 106 Einträgen publiziert
quenzierung von einzelnen Genen, zur Validierung von werden. Dies entspricht inzwischen der Tagesproduk-
866 A. Thürmer und K. Rutzen

mitierten Leselänge der neuen Verfahren nicht auflösen


..      Tab. 34.1  Applikationsfelder im Bereich Next Genera-
tion Sequencing
lassen.
Gelgestützte DNA-Sequenzierungsverfahren be-
Structural De-novo-­ ruhen im Wesentlichen auf der Erzeugung von ba-
Genomics Sequenzierung senspezifisch endenden DNA-Populationen, die in
einer nachfolgenden, denaturierenden Polyacrylamid-­
Resequenzierung SNPs,
Gelelektrophorese nach ihrer Größe getrennt werden.
Strukturvarianten,
Exom, Tumor-/ Es handelt sich also quasi um eine Endpunktsbestim-
Normalgewebe, mung. Es können bis zu 96 DNA-Templates in einem
Personalisierte Medizin, Sequenzierlauf unabhängig prozessiert und Leselängen
GWAS von bis zu 1000 bp pro Klon erreicht werden. Die Erzeu-
Metagenomics gung dieser Populationen kann auf zwei unterschiedli-
chen Wegen erfolgen: Die Reaktionsprodukte können
Pharmacogenomics
durch die Synthese eines DNA-Stranges (Didesoxyse-
Functional Transkriptom-­ quenzierung, Sanger-Verfahren) oder durch die basen-
Genomics Sequenzierung
spezifische Spaltung (chemische Spaltung, Maxam-Gil-
sRNA miRNA bert-Verfahren) erzeugt werden. Die Gelelektrophorese
Protein-DNA-­ ChIP wird in Kapillaren durchgeführt, die mit linear polyme-
Interaktionen risierten Acrylamidgelen gefüllt sind. Die Methode der
Sanger-Sequenzierung wird auch noch durch entspre-
epigenetische DNA-Methylierung
Modifikationen chende Sequenziergeräte weit verbreitet eingesetzt und
wird im Folgenden näher beleuchtet. Wurden die ersten
34 Sequenzierungsreaktionen allerdings noch mit radioak-
tion eines kleineren NGS Gerätes wie z.  B. dem Mi- tiver Markierung durchgeführt wurden, verwenden heu-
Seq (Illumina, San Diego). Anfang 2020 umfasst das tige Techniken fluoreszierende Marker. Auch das zuneh-
Sequence Read Archive (NCBI, SRA, 7 https://trace.­ mende Verständnis von DNA-­Polymerasen führte zum

ncbi.­nlm.­nih.­gov/Traces/sra/sra.­cgi?) unglaubliche Einsatz anderer und neuer verbesserter Enzyme.


16
3,45 ⋅ 10 Baseneinträge.
Diese Zahlen verdeutlichen sowohl den technologi- 34.1.1 Sanger-Sequenzierung
schen Fortschritt der verwendeten Verfahren als auch
die zunehmende Verbreitung dieser Techniken. So groß Das Didesoxyverfahren (auch Kettenabbruchverfahren,
die Zahlen auch erscheinen, sie repräsentieren Sequen- Terminatorverfahren) basiert auf der enzymatisch kata-
zen aus den verschiedensten Organismen, unterschiedli- lysierten Synthese einer Population von basenspezifisch
chen Versionen und auch Sequenzbruchstücke geringer terminierten DNA-Fragmenten, die nach ihrer Größe
Größe, deren Lokalisierung nicht in allen Fällen be- gelelektrophoretisch getrennt werden können. Aus dem
kannt ist. Der Weg zu einer finalen einzigen und voll- in einem denaturierenden Polyacrylamidgel entstehen-
ständigen Sequenz als Repräsentation eines Genoms ist den Bandenmuster kann die Sequenz rekonstruiert wer-
nicht zu unterschätzen. Es setzt zum einen die Kombina- den.
tion von Long- und Short-Read-Technologien voraus Ausgehend von einer bekannten Startsequenz wird
und zusätzlich einen nicht unerheblichen kurativen Auf- durch Zugabe eines Sequenzierungsprimers (ein kurzes
wand. DNA-Oligonucleotid von etwa 20 bp), eines Nucleotid-
gemischs und einer DNA-Polymerase die Synthese eines
komplementären DNA-Strangs initiiert. Um die Reak-
34.1  Gelgestützte DNA-­ tionsprodukte nachweisen zu können, müssen diese ent-
Sequenzierungsverfahren weder mit radioaktiven Isotopen oder fluoreszierenden
Reportergruppen markiert werden. Die Verwendung
Wie bereits erwähnt, finden gelgestützte Verfahren eines Primers ist einerseits notwendig, um eine definierte
noch weiterhin breite Anwendung bei der DNA-­ Startstelle für die Sequenzierung zu erhalten, und an-
Sequenzierung kleinerer Abschnitte und bei vielfältigen dererseits, um die Bildung des Initiationskomplexes und
Fragestellungen, wie z.  B. dem Screening von Expres- damit den Synthesebeginn der DNA-Polymerase ein-
sionskonstrukten, PCR-Produkten oder Strukturen, die zuleiten. Die Reaktion wird in vier parallelen, aliquo-
sich für den Einsatz auf einem PS-Gerät (Parallele Se- ten Ansätzen gleichzeitig gestartet, die sich lediglich
quenzierung) nicht parallelisieren lassen, eine zu geringe durch die Verwendung eines unterschiedlichen Nuc-
Länge aufweisen oder sich aufgrund der in der Regel li- leotidgemischs unterscheiden. Die mit A, C, G und T
DNA-Sequenzierung
867 34
bezeichneten Reaktionen enthalten eine Mischung aus Länge. Wie oben bereits erwähnt, wird die Reaktion in
den auch natürlicherweise vorkommenden 2’-Desoxy- vier aliquoten Anteilen durchgeführt. Jede dieser Teil-
nucleotiden und jeweils nur einem Typ synthetischer reaktionen enthält nur einen Terminatortyp (ddNTP,
2’,3’-Didesoxynucleotide, den so genannten Terminato- ddCTP, ddGTP oder ddTTP), der jeweils statistisch ei-
ren (. Abb. 34.3).
  nes der natürlich vorkommenden Nucleotide in der syn-
Während der Strangsynthese durch die schritt- thetisierten DNA-Kette ersetzt. Es entstehen also in je-
weise Kondensation von Nucleosidtriphosphaten in dem einzelnen Reaktionsgefäß Produkte, die nur auf
5’–3’-Richtung kann es nun zu zwei unterschiedlichen einen Basentyp, z. B. A, enden.
Reaktionsereignissen kommen: Bei der Kondensation Die Reaktionsprodukte werden elektrophoretisch
der 5’-Triphosphatgruppe eines 2’-Desoxynucleotids entsprechend ihrer Größe in einem denaturierenden Po-
(dNTP) mit dem freien 3’-Hydroxyende des DNA-­ lyacrylamidgel getrennt. Die Gele der markierten Reak-
Strangs entsteht unter Freisetzung von anorganischem tionsprodukte in allen vier Teilreaktionen erzeugen
Diphosphat (Pyrophosphat) ein um eine Base verlänger- übereinandergelegt eine „Leiter“ von Banden, die sich
tes DNA-Molekül, das wiederum eine freie 3’-Hydro- jeweils um eine Base (Stufe) unterscheiden. Aus dieser
xygruppe besitzt. Die Synthese kann also im nächsten Folge von Sprossen der Teilreaktionen A, C, G und T
Schritt fortgesetzt werden (. Abb. 34.4A).   kann von unten (Position 1) nach oben die Basenfolge
Kommt es hingegen zu einer Kondensationsreaktion abgelesen werden (. Abb. 34.5). . Abb. 34.6 zeigt ein
   

zwischen dem freien 3’-Hydroxyende eines DNA-­ Pseudochromatogramm fluoreszierend markierter Re-
Strangs und der 5’-Triphosphatgruppe eines 2’,3’-Di- aktionsprodukte. Bei dieser Darstellung werden die
desoxynucleotids, ist nach Einbau dieses Nucleotids Banden einer Spur durch eine Schnittlinie in Laufrich-
eine Verlängerung des Strangs nicht mehr möglich, da tung des Gels verbunden und die entsprechenden Ban-
keine freie 3’-Hydroxygruppe mehr vorhanden ist. Der denintensitäten ermittelt. Auf diese Weise werden die
Strang ist terminiert (. Abb. 34.4B). Die Charakteris-
  Daten um eine Dimension reduziert, und es entsteht
tik der verwendeten DNA-Polymerase und die Struktur eine als trace data bekannte Darstellung, die den Inten-
der Didesoxynucleotide bestimmen das Mischungsver- sitätsverlauf in Abhängigkeit von der Zeit darstellt.
hältnis, das zur Produktion einer Population von basen- Dieses Reaktionsprinzip ist seit den Entwicklungen
spezifisch terminierten Reaktionsprodukten führt, die Sangers von 1977 bis heute im Wesentlichen unverän-
sich in ihrer Lange jeweils um nur eine Base unterschei- dert geblieben. Die Entdeckung und Modifikation von
den. Bei einem molaren Verhältnis dNTP:ddNTP von DNA-PoIymerasen führte zur Verfeinerung des oben
200:1 bei der von T7-DNA-Polymerase katalysierten beschriebenen Verfahrens, zu Protokollen, bei denen
Reaktion sind Terminationsereignisse relativ selten. Es T7-DNA-Polymerase verwendet wird, und zur Entwick-
entstehen lange Reaktionsprodukte von bis zu 1000 bp lung von zyklischen Verfahren, die Signalamplifikation
und Sequenzierung in einer Reaktion zusammenfassen.
NH2 Die Einführung fluoreszierender Markierungen ist
ungleich schwieriger als die von radioaktiven Markern.
N Die fluoreszierenden Gruppen haben eine beachtliche
5'
Größe und werden in vielen Fällen von den genannten
P P P O CH2 O N O Enzymen aufgrund sterischer Verhältnisse nur geringfü-
4' 1' gig eingebaut. Werden die Nachweisgruppen jedoch ak-
zeptiert, gilt es, den statistischen mehrfachen Einbau zu
3' 2'
verhindern. Aufgrund der anderen Ladungsverhältnisse
H
und der zusätzlichen Masse würden sie unweigerlich zu
NH2 einer Veränderung der gelelektrophoretischen Mobilität
führen und damit eine Sequenzbestimmung ausschlie-
N
ßen. Eine Markierung kann durch Primermarkierung,
5'
O
interne Markierung oder markierte Terminatoren erfol-
P P P O CH2 O N
gen (. Abb. 34.7).

4' 1'
Als Farbstoffe finden Fluorescein, NBD, Tetrame-
3' 2'
thylrhodamin, Texas Red sowie Cyaninfarbstoffe Ver-
OH wendung. Die Farbstoffe lassen sich an die entsprechen-
den Komponenten (Nucleotide, Amidite) ankoppeln
..      Abb. 34.3  Strukturvergleich eines 2’,3’-Didesoxynucleotids und und werden entweder als 2’-Desoxynucleotide oder
eines 2’-Desoxynucleotids. Das hier dargestellte 2’,3’-Didesoxy-­
CTP-­ Nucleotidanalogon unterscheidet sich von seinem natürlich
2’,3’-Didesoxynucleotide von DNA-­ Polymerasen ak-
vorkommenden Analogon 2’-Desoxy-CTP durch die fehlende Hy- zeptiert. Durch die Laseranregung in den Nachweissys-
droxygruppe an der C3’-Position des Zuckers temen werden sie nur geringfügig ausgebleicht und sind
868 A. Thürmer und K. Rutzen

..      Abb. 34.4  Synthese eines A


DNA-Strangs mit Einbau eines
2’-Desoxynucleotids (A) und 3' 3'
eines 2’,3’-Didesoxynucleotids A C T G T A A C T G T A
(B). In letzterem Fall ist eine wei- T G A C T G A C A
tere Polymerisation nicht mehr 5' OH 5' OH
möglich A T
PPP OH PPP OH
Desoxynucleotid PPi

B
3' 3'
A C T G T A A C T G T A
T G A C T G A C A
5' OH 5' H
A T
PPP H PPP OH
Didesoxynucleotid PPi

..      Abb. 34.5  Prinzip des Kettenabbruchverfah- Primer 5' 3'


rens nach Sanger. In einer geprimten, durch eine 5'
Matrize 3'
Polymerase katalysierten DNA-­Synthesereaktion
+ dNTPs + Polymerase
werden basenspezifisch terminierte DNA-­
34 Fragmente unterschiedlicher Länge synthetisiert.
Diese Fragmente erzeugen in der Gelelektropho-
rese ein spezifisches Bandenmuster, das zur
Rekonstruktion der Basenfolge dient + ddATP + ddCTP + ddGTP + ddTTP

GCTCTC A GC G GCT
G C TC G C T C T CA G G C TCT
G C T C TC

A C G T
Elektrophorese

G 3'
Leserichtung

A
C
T
C
T
C
G 5'

nicht zuletzt unter den Kopplungs-, Sequenzierungs- Sequenzierungssysteme entwickelt. Die maßgeblichen
und Elektrophoresebedingungen hinreichend stabil. Entwicklungen wurden von L. Hood in den USA und
Fluoreszenzmarkierte Terminatoren haben sich als von W.  Ansorge in Europa unternommen. Online-­
Standard durchgesetzt und bieten ebenso wie fluores- Detektionssysteme setzten sich im Wesentlichen aus ei-
zenzmarkierte Desoxynucleotide die Möglichkeit, nicht nem vertikalen Elektrophoresesystem, einem anregen-
markierte Primer in DNA-­ Sequenzierungsreaktionen den Laser, einem Detektor und einem aufnehmenden
zu verwenden. In den Reaktionsgemischen ersetzen Computersystem zusammen (. Abb.  34.8). Der Laser  

markierte 2’,3’-Didesoxynucleotide vollständig ihre wird entweder transversal von einer der Längsseiten
nicht markierten Analoga. Die Markierung erfolgt senkrecht zum Detektor oder in einem bestimmten Win-
durch den einfachen Einbau eines markierten Dides- kel von der Front- oder Rückseite in das Sequenzie-
oxynucleotids. rungsgel eingekoppelt. Die im klassischen Verfahren
In den Jahren 1986 und 1987 wurden die auf laser- örtlich aufgelösten Banden sind jetzt als zeitlich aufge-
induzierter Fluoreszenz basierenden Online-DNA-­ löstes Bandenmuster zu erkennen.
DNA-Sequenzierung
869 34

..      Abb. 34.6  Trace data einer Sequenzierungsreaktion. Ein Plasmid wurde mittels Sanger-Reaktion mit einem automatischen DNA-­
Sequenziergerät sequenziert. Anschließend wurden die Daten analysiert

A min und NBD weisen eine ausreichende spektrale Ent-


fernung auf, um eine sichere Unterscheidung der Basen
zu ermöglichen. In der weiteren Entwicklung wurden
fluoreszierend markierte Terminatoren verfügbar, wel-
B che die aufwendige Primermarkierung nahezu überflüs-
sig machen. Die Mobilitätsunterschiede der verwende-
ten Farbstoffe machen eine manuelle Analyse der
Primärdaten unmöglich, werden jedoch durch Software-
C programme automatisch korrigiert.
Die differierenden Absorptionsspektren erfordern
auch die Anregung mit zwei unterschiedlichen Wellen-
längen. Zur Beobachtung eines Gels in seiner gesamten
..      Abb. 34.7  Einführung fluoreszierender Markierungen in DNA-­ Breite wurde ein Scanning-Mechanismus gewählt. Die
Sequenzierungsreaktionen. A markierte Primer, B markierte Des- ursprünglichen Elektrophoresesysteme (7 Kap. 12) ba-

oxynucleotide und C markierte Didesoxynucleotide. In den Fällen A


und B können nach dem Einbau der markierten Gruppe weitere Des-
sierten auf planaren Gelen und wurden z­ wischenzeitlich
oxynucleotide ankondensiert werden durch Kapillarelektrophoresesysteme (7 Kap.  13) er-

setzt, die eine höhere Geschwindigkeit und bessere Auf-


lösung bei geringerer thermischer Last erlauben.
Das erste System von Smith, Hood und Mitarbeitern Automatisierte DNA-Sequenzierungssysteme erlauben
basierte auf der Detektion von Reaktionsprodukten, die einen bedeutend höheren Durchsatz an Sequenzierungs-
mithilfe von in unterschiedlichen Fluoreszenzfarben reaktionen als die klassischen Verfahren (. Abb.  34.9).

markierten Primern im Didesoxyverfahren erzeugt wur- Während auf einem radioaktiven Gel durchschnittlich vier
den. Alle Produkte einer Reaktion wurden in einer Spur bis sechs Reaktionen Platz finden, erreichen Online-Sys-
auf das Gel aufgetragen. Die verwendeten Fluoreszenz- teme inzwischen eine Ladekapazität von 96 Templates und
farbstoffe Fluorescein, Texas Red, Tetramethylrhoda- Leselängen bis zu 1000 bp pro Klon.
870 A. Thürmer und K. Rutzen

– Hinsicht. Eine immer größere Zahl an Basen kann in


immer kürzerer Zeit bei sinkenden Kosten sequenziert
oberer werden, wodurch eine Vielfalt von Genomen zunehmen-
Pufferbehälter
der Komplexität analysiert werden konnte. Der Wissen-
schaft steht daher mit NGS ein mächtiges Hilfsmittel
zur Verfügung, welches die tiefer gehende Untersuchung
der genetischen Information und somit ein besseres Ver-
ständnis der zugrunde liegenden Mechanismen ermög-
licht. Die dritte Generation von Sequenzierungsgeräten,
die Technologien wie Nanoporen verwendet oder in der
Lage ist, bereits auf dem Niveau von Einzelmolekülen
Polyacrylamidgelsäule (single molecule) Sequenzen zu liefern, ist in den ver-
gangenen zehn Jahren weit gereift und mittlerweile für
jeden kommerziell erhältlich. Diese Entwicklungen er-
schließen, wie eingangs schon erwähnt, nicht nur neue
Bereiche in der Biologie, die großen Datenmengen stel-
len auch erheblichen Anforderungen im Bereich von
Bioinformatik (Primärdatenanalyse, Anordnung von
Computer
großen Mengen an kleinen Sequenzstücken) und IT-­
Infrastruktur, da die Auswertung der Primärdaten nur
auf leistungsfähigen Clustern in einem annehmbaren
Detektor Zeitraum von Tagen erfolgen kann. Die Probenvorberei-
+
34 tung vereinfacht sich, da die klassische Klonierung ent-
fällt, die zu einer ungewünschten biologischen Selektion
unterer
Pufferbehälter
führen kann. Dieser Fortschritt wird jedoch auch durch
einen teilweise erheblichen Aufwand bei der Erzeugung
einer Bibliothek erkauft.
Sequenz A C G T G C T A C T G A
A
34.2.1 Next-Generation-Sequenzierung
C
G Mit der Einführung der NGS-Technologien konnten die
T bisher limitierenden Faktoren wie begrenzter Daten-
Zeit durchsatz und hohe Kosten überwunden werden. Vor
allem die Entwicklung von Hochdurchsatzverfahren
..      Abb. 34.8  Prinzip eines Online-DNA-Sequenzierungsgeräts. auf Grundlage von Short-Read-Methoden erhöhte
Eine vertikale Gelelektrophoreseapparatur wird am unteren Ende
durch die massive Parallelisierung der Sequenzierungs-
von einem Detektor beobachtet. Der anregende Laserstrahl wird auf
der Höhe des Detektors in das Gel eingekoppelt (hier nicht zu se- reaktion die Kapazitäten um das Hundert- bis Tausend-
hen). Die vom Detektor gewonnenen Signale werden an einen ana- fache und senkte damit gleichzeitig die Kosten deutlich.
lysierenden Computer übermittelt. Das beim radioaktiven DNA-­ Ein Humangenom kann heutzutage für ≈1000 US-$ se-
Sequenzieren gewonnene ortsaufgelöste Bandenmuster wird hier quenziert werden.
durch ein zeitlich aufgelöstes Bandenmuster an der vom Detektor
Es existiert eine Vielzahl von Short-Read-Sequenzie-
markierten Ziellinie ersetzt. (Nach Smith et al. 1986)
rungsplattformen verschiedener Hersteller mit großen
Variationen in Hinblick auf Datendurchsatz, Kosten,
34.2  Gelfreie DNA-­ Fehlerprofil und Read-Struktur. Die Plattformen der
Sequenzierungsmethoden Firma Illumina bestreiten jedoch den größten Marktan-
teil. Die Skalierung ihrer Plattformen erstreckt sich von
Die gelfreien Verfahren eliminieren die Gelelektropho- Benchtop-Modellen mit geringem Durchsatz bis hin zu
rese als durchsatzlimitierenden und auflösungsbestim- Ultra-Hochdurchsatz-­Instrumenten für die Sequenzie-
menden Faktor in der DNA-Sequenzierung. Seit dem rung gesamter Genome, dem Whole Genome Sequen-
Abschluss des Humangenomprojekts 2003 führten cing (WGS). Die Illumina-Plattform HiSeq X kann bei-
Fortschritte und Entwicklungen im Bereich des sog. spielsweise jährlich ≈1800 Humangenome mit 30facher
Next Generation Sequencing (NGS) zu deutlichen Ver- Coverage sequenzieren. Weitere Anpassungen des Se-
besserungen der Sequenzierungstechnologien in vielerlei quenzierungsprozesses können durch verschiedene Op-
DNA-Sequenzierung
871 34
..      Abb. 34.9 Automatisiertes 1 Füllen der einzel- 5 Anregung der Fragmente in der Zielzone
Kapillar-DNA-Sequenzierungs- nen Kapillaren durch durch Laserlicht; die Emissionen werden
die Polymerpumpe spektral zerlegt und auf einen CCD abgebildet
gerät. (Nach Perkel 2004)

CCD-Chip Kapillaren-
Detektor array
Polymer-
pumpe
Spektrograph

4 Auftrennung der
Sequenzierungs-
fragmente nach
Laserstrahl Größe in den
Kapillaren

2 elektrokinetisches Laden
der Proben zur Erzeugung
einer fokussierten Startzone
Anoden-
Polymer- puffer 3 Einbringen der Kathoden-
reservoir Kapillaren in den puffer
Elektrophoresepuffer
Elektropherogramm
C ATA G C T G T T T C C T G T G T G T G A A A

6 computerisierte Analyse Mikrotiterplatte


zur Gewinnung der Sequenz mit 96 Proben

tionen wie Read-Struktur und -Länge (≤300 bp) sowie Durch die NGS-Technologien werden ebenfalls
Laufzeit vorgenommen werden. Aufgrund dieser Viel- epigenetische Anwendungen (7 Kap.  35) ermög-  

seitigkeit eignen sich die Illumina-Plattformen für die licht. Basierend auf Chromatin-Immunpräzipitation
verschiedensten Anwendungsbereiche. mit anschließender Sequenzierung können Protein-
Das bereits erwähnte WGS ist eines der verbreitets- DNA-­Interaktionen (7 Kap.  36) bestimmt und damit

ten Einsatzgebiete für NGS. Durch den hohen Output Bindungsstellen DNA-assoziierter Proteine wie Tran-
an Sequenzierungsdaten wurde es möglich, umfassende skriptionsfaktoren identifiziert werden. Weitere Me-
genetische Informationen zu generieren, um daraus bio- thoden beinhalten die Untersuchung der Zugänglich-
logische Schlussfolgerungen ableiten zu können. De keit von Chromatin für regulatorische Proteine durch
novo können Genome von Bakterien, Hefen, Pflanzen Transposase-Aktivität sowie die Charakterisierung von
und Tieren vollständig charakterisiert werden. Durch DNA-Methylierungsmustern mithilfe von NGS.
die Sequenzierung einer Vielzahl von Humangenomen Des Weiteren können durch RNA-Sequenzierung
konnten strukturelle genetische Variationen zwischen Transkriptome und damit die Genexpression analysiert
Populationen bestimmt und Mutationen, die im Zusam- werden.
menhang mit Krankheiten wie Krebs stehen, identifi-
ziert werden. 34.2.1.1  Sequenzierung durch
Ein weiterer Forschungsbereich sind das Whole Strangsynthese (sequencing
Exome und Targeting Sequencing, bei dem nur Exons by synthesis)
und andere Regionen von Interesse selektiv mittels Ad- zz Pyrosequencing-454-Technologie (Roche)
aptersystem oder Amplifikation isoliert bzw. angerei- Durch eine Analyse der Nebenprodukte einer Polymeri-
chert werden. Durch die Limitierung der Größe des ge- sationsreaktion lässt sich ebenfalls die Nucleinsäurese-
nomischen Materials können mehr Proben gezielter quenz bestimmen (Pyrosequencing, . Abb. 34.10). Bei  

analysiert werden. Bei metagenomischen Untersuchun- jedem Polymerisationsereignis entsteht ein freies Di-
gen werden sämtliche DNA-Fragmente in einer Um- phosphat. Dieses kann in einer chemischen Reaktion
weltprobe sequenziert, sodass die Zusammensetzung nachgewiesen werden. Das Enzym Sulfurylase kataly-
der mikrobiellen Population analysiert werden kann. siert die Reaktion zu ATP, welches durch Luciferase hy-
Diese Methode findet daher außerdem bei der Erreger- drolysiert wird und Luciferin in Oxyluciferin umsetzt. In
detektion Anwendung, um die Ursache für den Aus- einer Reaktionskammer wird durch einfache Zugabe ei-
bruch einer Infektionskrankheit zu identifizieren. nes einzelnen Nucleotidtyps getestet, ob ein Polymerisa-
872 A. Thürmer und K. Rutzen

DNA gebunden an entsprechenden Zielsequenzen von je 20 bp für die


fester Oberfläche Amplifikation und die Sequenzierung. Eine 4 bp
lange Schlüsselsequenz ermöglicht dem System die
dXTP
spätere Erkennung von Bibliotheksfragmenten und
(X=A, C, G, T) die Kalibrierung für die Basenerkennung. Im Falle
Zugabe von PCR-Produkten entfällt auch dieser Schritt, da
Waschen

entsprechende Adapter bereits während der PCR


ELIDA (7 Kap.  33) eingeführt werden können. Der B-Ad-

ATP- apter trägt eine zusätzliche 5’-Biotin-­Modifikation.


Sulfurylase Diese vermittelt die Aufreinigungsfunktion über
PPi ATP
Streptavidin-beschichtete paramagnetische Beads
Luciferase Licht-
ATP emission (3). Zunächst werden Bibliotheksfragmente ohne
Biotin einfach ausgewaschen. Die Lücken zwischen
Nucleotid- Adapter und Fragment werden durch eine Strand-
Inkorporations- Displacement-­DNA-Polymerase-katalysierte Reak-
zyklen tion aufgefüllt. Während der Aufreinigungsprozedur
wird durch alkalische Denaturierung aus dem ein-
seitig modifizierten Fragment lediglich der unmo-
X5X4X3X2X1
difizierte und komplementäre Strang für die weite-
ren Schritte freigesetzt, während doppelt markierte
..      Abb. 34.10  Prinzip des Pyrosequencing. In einem zyklischen Pro-
zess wird eine immobilisierte DNA-Probe mit einem Reaktionsge- Fragmente unter den gewählten Bedingungen bei der
misch, das nur einen Nucleotidtyp (A, C, G oder T) enthält, inkubiert. Strangtrennung spontan wieder andocken.
34 Ist der richtige Baustein gewählt, erfolgt der Einbau. Das entstehende
Diphosphat wird durch ATP-Sulfurylase zu ATP umgesetzt, welches
2. Um die Detektionsgrenze des Systems, eine entspre-
chende saubere Darstellung von Einzelsequenzen
in einer Luciferase-katalysierten Reaktion Luciferin in Oxyluciferin
wie auch die Entfernung von ungeladenen Beads zu
umwandelt, damit wird in der Reaktion Licht produziert und als Sig-
nal die entsprechende Base repräsentiert. (Nach Ronaghi et al. 1996) erreichen, bedarf es einer „klonalen Amplifikation“
(4). Unter Einhaltung eines entsprechenden Verhält-
nisses der Reaktanden und Verdünnung wird er-
tionsereignis auftritt. Eine erfolgreiche Polymerisation reicht, dass pro Capture Bead im Idealfall nur ein
äußert sich in einer entsprechenden Lichtemission. Einzelstrangmolekül bindet. Die Partikel tragen ei-
Durch sukzessive Zugabe von Nucleotiden, Nachweis- nen entsprechenden komplementären Capture Pri-
reaktion und Entfernen der Reaktionsprodukte kann mer, an den die Fragmente hybridisieren. Die Beads
die Sequenz bestimmt werden. Das Auftreten von Ho- werden in einer Wasser-Öl-Emulsion vereinzelt und
mopolymeren äußert sich in einer entsprechend höheren in einem als Emulsions-PCR (emPCR) bezeichneten
Signalstärke, wobei der Dynamikumfang jedoch be- Prozess amplifiziert (5 7 Abschn.  33.3.10). Mit ei-

grenzt ist und in der Regel nicht mehr als acht identische nem der verwendeten PCR-Primer wird erneut eine
Basen in Folge erkannt werden können. Die Zykluszeit Biotinylierung für den ­folgenden Aufreinigungspro-
liegt bei einigen Minuten pro Base. Es können Leselän- zess eingeführt. Nach Abschluss der PCR-Reaktion
gen von bis zu 800 Basen erreicht werden. wird die Emulsion zerstört und die an die Beads ge-
Roche 454 Life Sciences war der erste Hersteller, bundenen Amplifikate, Nebenprodukte und leere
der 2005 Pyrosequenzierung als automatisierte An- Beads freigesetzt. Nur die Amplifikat tragenden Be-
wendung anbot, die parallele Sequenzierung erlaubte. ads werden an die zugesetzten paramagnetischen
Mit ihr wurde auch der Begriff Next Generation Se- Streptavidin-Beads gebunden und magnetisch abge-
quencing (NGS) geprägt. Der Sequenzierungsprozess schieden. Die unerwünschten Bestandteile können
(. Abb. 34.11) setzt sich aus drei Schritten zusammen:
  somit entfernt werden. Durch die Zerstörung der
1. Erzeugung einer Bibliothek, deren Größenbereich Bindung zwischen Capture Beads und Enrichment
300–800 bp überdeckt. Das Ausgangsmaterial, das Bead und anschließende alkalische Denaturierung
diese Größe übersteigt, wird durch nebulization (Zer- erhält man das an das Bead gebundene, sequenzier-
stäubung, spontane Druckentspannung beim Durch- fähige einzelsträngige DNA-Molekül.
tritt durch eine Düse) geschert, gereinigt, überhän- 3. Für die sich anschließende DNA-­ Sequenzierung
gende Enden werden aufgefüllt und phosphoryliert (. Abb.  34.11B) werden die Templates mit einem

(1  in . Abb.  34.11A). Anschließend werden zwei


  Reaktionsmix aus Sequenzierungsprimer, DNA-­
Adapter, A und B genannt, an das Zielmolekül li- Polymerase und Cofaktoren versetzt und hybridi-
giert (2). Die Adapter sind selbst nicht phosphor- siert. Das Gemisch wird in eine Pikotiter-Platte
yliert und besitzen jeweils eine Länge von 44 bp mit übertragen. Der Zusatz von Enzym-Beads und Pa-
DNA-Sequenzierung
873 34
A
1 Fragmentierung 2 Ligation 3 4 5
(N2, Hochdruck) eine DNA pro Bead klonale Aufreinigung
Amplfikation
+

Ligation

Templatsequenz

bead
Selektion + Polymerase Primer
+ Cofaktor
B A

B
Polymerase
CCD-
Bead

Kamera
T
T T T
PPi
T T
Bead Pikotiterplatte Mikrofluidik-
System
3
2 C
1
G
T
A
GG C T
Bead

T
PPi
Sulfurylase
ATP
Luciferase
+ Luciferin
Oxyluciferin
+ Licht

CCD

..      Abb. 34.11  Arbeitsablauf des 454-Systems. A Probenvorberei- ein Capture Bead; 4 Bead nach klonaler Amplifikation; 5 Bead nach
tung: 1 Fragmentierung des Probenmaterials auf eine Länge von Zerstörung der Emulsion und Aufreinigung. B Bead-gekoppeltes Py-
300–800 bp; 2 Ligation der Adapter A, B; 3 Bindung des Templats an rosequencing. (Verändert nach: Roche Diagnostics Corporation)

cking Beads erleichtert die Optimierung der Bela- sches Pyrosequencing), jedoch in 400.000 Reaktions-
dung, damit möglichst ein Capture Bead in einer Ka- kammern gleichzeitig und einer im Vergleich zum
vität zu liegen kommt und dort auch während des klassischen Verfahren erheblich größeren Leselänge.
gesamten Liquidhandlings verbleibt. Die einzelnen Die Faser jeder Kavität wirft einen Punkt auf einen
Kavitäten der Platte haben einen Durchmesser von folgenden CCD-Sensor. Somit entsteht ein entspre-
44 μm und können einer einzelnen geätzten Glasfa- chendes ortsaufgelöstes Muster.
ser innerhalb des Plattenverbunds zugeordnet wer-
den. Die Dimension der Kavität verhindert, dass Bereits während der Laufzeit des Geräts werden die
mehr als ein Capture Bead dort Platz findet. Die zu- aufgenommen Rohdaten/Bilder analysiert, die Signal-
gesetzten Enzym-Beads enthalten die beiden En- intensitäten bestimmt, Daten auf Pixellevel reduziert
zyme Luciferase und Sulfurylase. Der Prozess folgt und die Werte den entsprechenden Ortspositionen der
dem oben bereits beschriebenen Verfahren (klassi- Pikotiter-Platte zugeordnet. Aus der Serie der Einzel-
874 A. Thürmer und K. Rutzen

bilder wird letztendlich die mit Qualitätswerten (Irr- orophors wird optisch detektiert und identifiziert. Der
tumswahrscheinlichkeiten, Phred) versehene Sequenz Prozess der Bibliothekserzeugung verläuft analog dem
bestimmt und kann als flowgram dargestellt werden. bereits oben beschriebenen. Die Amplifikation der
Die erhaltenen Rohsequenzen müssen anschließend mit Fragmente erfolgt bereits auf dem Reaktionsträger.
einem Assembler zu Contigs vereinigt werden, entweder Aus Vereinfachungsgründen werden einfache Aufrei-
gegen eine bekannte Referenzsequenz oder de novo. Um nigungen zwischen den einzelnen Schritten nicht wei-
während des Prozesses generierte Sequenzierungsfehler ter beschrieben (. Abb. 34.12). Für die Vorbereitung

zu korrigieren und um Sequenzabschnitte nachzuwei- der zu sequenzierenden DNA-Library wird zunächst


sen, die in der Bibliothek unterrepräsentiert sind oder die hochmolekulare Proben-DNA fragmentiert. An-
unzureichende Sequenzierungsergebnisse liefern, muss schließend werden zwei verschiedene Adaptersequen-
eine entsprechende Mehrfachsequenzierung des gleichen zen (P5, P7) an die 5‘- und 3‘-Enden der DNA-Frag-
Abschnitts erreicht werden (coverage). Sie wird für diese mente, welche als Inserts bezeichnet werden, angefügt
Technik mit etwa 15 angegeben, um 99,99 % Genauig- (1 in . Abb. 34.12). Der P5-Adapter besitzt einen zum

keit im Contig zu erhalten. Paired-end-Sequenzen (Ab- eingesetzten Sequenzierungsprimer k ­ omplementären


schnitt Illumina) helfen, die Sequenzen zu orientieren Abschnitt, der P7-Adapter vermittelt eine komple-
und ein Gerüst zu erstellen. Wird in bekanntem Terrain mentäre Sequenz zur Bindung des Fragments an die
sequenziert, spricht man von resequencing, in diesem Fall Durchflusszelle. Die Größenselektion und die Abtren-
folgt die Assembly auf das Mapping. Die Anordnung nung nicht ligierter Adapter erfolgen durch Gelelek-
der Contigs erfolgt entlang einer bekannten Referenzse- trophorese und anschließende Gelelution. Zur weite-
quenz. Entsprechend können auch Sequenzvariationen ren Anreicherung der Sequenzierungs-templates kann
bestimmt werden. Mit der letzten, bis 2016 erhältlichen eine PCR-Reaktion nachgeschaltet werden.
Version, dem GS FLX Titanium, war es möglich, inner- Der nächste, als Clustering bezeichnete Schritt, er-
34 halb von 23 Stunden bis zu 700 Millionen Basenpaare folgt bereits auf dem transparenten Reaktionsträger
in einem Lauf zu generieren. Es konnten damit Sequen- (Durchflusszelle), auf dem die Sequenzierung stattfindet
zierlängen von bis zu 1000 bp erzeugt werden. (2–5).
Es handelt sich um eine Durchflusszelle mit einem,
vier oder acht Kanälen (je nach Geräteausführung),
Phred
deren Oberfläche mit beiden zu den Adaptern (P5, P7)
Die Berechnung von Phred-Qualitätskennzahlen komplementären Primersequenzen beschichtet ist. Eine
geht auf die Sequenzbestimmung bei automatisierten klonale Amplifikation ist auch hier notwendig, da min-
gelgestützten Sequenzierungsverfahren Ende der destens etwa 1200  ∙  106 Cluster pro mm2 vorhanden
1990er-Jahre zurück. Der Wert basiert auf der Irr- sein müssen, um in den Dynamikbereich des Sequen-
tumswahrscheinlichkeit für jede bestimmte Base ei- zierungsgeräts zu kommen. Das Probenmaterial wird
nes Reads und wird über folgende Formel dargestellt: denaturiert und als Einzelstrang-DNA auf die Zelle
gebracht. Nach Hybridisierung mit einem oberflächen-
Q  10 log10 P
gebundenen Oligonucleotid (2) wird der Templatestrang
Q = Phred-Qualitätsscore kopiert (3). Das Produkt wird denaturiert und der neu
P = base-calling, Fehlerwahrscheinlichkeit synthetisierte Strang bleibt an der Kanaloberfläche ge-
Ein Phred-Wert von 40 entspricht also einer Irr- bunden, während das Ausgangsmaterial ausgewaschen
tumswahrscheinlichkeit für eine Base von 1:10.000 wird (4). Bei einem weiteren Schritt kann das Template
(Genauigkeit 99,99  %). Die Codierung erfolgt über aufgrund des freien Endes mit einem in der Nähe befind-
ASCII, wobei zu den entsprechenden Werten jeweils lichen Oligonucleotid der Oberfläche hybridisieren und
33 addiert wird, abweichend verwendet Illumina ei- eine erneute Strangsynthese ermöglichen. Damit ist die
nen Offset von 64. Initialisierung der festphasengebundenen Cluster abge-
schlossen. Eine bridging PCR, die dem obigen Schema
folgt, sorgt auf diese Weise für die Vermehrung der Se-
quenzierungs-template (5). Durch Spaltung einer labilen
zz Illumina-Sequenzierung Gruppe an einem der Durchflusszellen-­Oligonucleotide
Die Short-Read-Sequenzierungsplattformen der kann der Gegenstrang anschließend entfernt werden.
Firma Illumina basieren auf dem Verfahren Sequen- Es bleibt zu bemerken, dass es einer genauen Kon-
cing by Synthesis (SBS) mit zyklisch reversibler Ter- zentrationsbestimmung bedarf, denn eine zu große
mination. Ähnlich wie bei der Sanger-Sequenzierung Menge an Ausgangsmaterial führt zu einer hohen Dichte
wird eine Polymerase benutzt, um fluoreszierend mar- an Clustern, welche die spätere Auswertung erschweren
kierte, an der 3‘-OH-Gruppe reversibel geschützte würde. Die Größenselektion der Fragmente ist ebenfalls
2’-Desoxy-Terminatoren einzubauen. Das Polymeri- essenziell um sicherzustellen, dass die PCR-Produkte
sationsereignis mit dem spezifischen Signal eines Flu- nur innerhalb eines Clusters erzeugt werden, um Kon-
DNA-Sequenzierung
875 34
1 Fragmentierung und 2 Bindung und Kopie 3 Amplifikation
Adapter-Ligation des Templates

DNA-Fragment

Adapter
DNA Adapter gebundene
freie
Enden Enden

dichte Primer-
beschichtung

4 Denaturierung 5 klonale Amplifikation 6 Bestimmung der 7 Detektion der


ersten Base ersten Base

T
C
G
A

A
gebundene Cluster C
Enden T G
Farbe zeigt Identität
T, A, G, C

Laser

..      Abb. 34.12  Ablaufprinzip für ein Illumina-HiSeq-System. 1 Amplifikation; 6 Einbau eines fluoreszierenden reversiblen Termina-
Fragmentierung des Probenmaterials und Ligation der Adapter; 2 tors; 7 Auslesen der Inkorporation anhand eines spektralen Scanne-
Bindung der Templates in einer Flowcell; 3 Initialisierung des Stran- rimages. (Verändert nach Illumina Inc.)
ges; 4 Präparation des Templates durch Denaturierung; 5 klonale

fluenz zu vermeiden, ansonsten wäre die Sequenz nicht gespalten, die blockierende Gruppe entfernt und ein
eindeutig. Die vorbereitete Flusszelle kann anschließend neuer Zyklus beginnt.
in das Sequenzierungsgerät überführt werden. Im ersten Bei Illumina wird zur Identifikation die interne To-
Schritt werden alle DNAs mit polymerisierungsfähigen talreflexionsfluoreszenzmikroskopie mit einem, zwei
Enden blockiert, um unspezifische Primerextension zu oder vier Laser-Kanälen genutzt. In den meisten Platt-
verhindern. Während jedes Zyklus wird ein Mix aus den formen ist jedes Nucleotid mit einem einzelnen, für ei-
vier individuell fluoreszenzmarkierten Desoxynucleoti- nen Basentyp spezifischen Fluorophor versehen, und es
den (dNTP) hinzugefügt, deren 3’-OH-Gruppe durch werden daher vier verschiedene Bilderfassungskanäle
ein Terminatormolekül blockiert ist, wodurch die wei- benötigt. Beim NextSeq wird ein Zwei-Fluophor-­System
tere Strangsynthese verhindert wird. Nach dem Anfü- verwendet, bei dem dCTPs und dTTPs mit einem roten
gen eines einzelnen Nucleotids durch die DNA-Polyme- bzw. grünem Fluorophor, dATPs gemischt mit beiden
rase bei der Elongation werden ungebundene Nucleotide Fluorophoren und dGTPs nicht markiert sind. Das Ein-
durch Waschen entfernt und die Fluoreszenzsignale zur Fluophor-­System beim iSeq funktioniert wie folgt: Zu
Identifikation des angefügten Nucleotids je Cluster op- Beginn des Zyklus sind dATPs und dTTPs markiert und
tisch erfasst (6). Anschließend wird das Fluorophor ab- werden optisch erfasst, dann wird das Fluorophor von
876 A. Thürmer und K. Rutzen

den dATPs entfernt und an die dCTPs gebunden und im Reaktionsmilieu führt. Bei gängigen Sequenzierungs-
eine erneute Abbildung wird erzeugt, die dGTPs verblei- verfahren werden die pH-Änderungen durch Puffersys-
ben immer unmarkiert (. Abb. 34.13).   teme neutralisiert. Hier werden sie zur Detektion einer
Bei der Paired-End-Sequenzierung erfolgt nach Ab- Nucleotidinkorporation herangezogen. Die Reaktionen
schluss der definierten Zyklenzahl die Sequenzierung finden in einem Mikrofluidik-Chip statt, in dem die ein-
des zweiten, reversen Library-Einzelstrangs. Dazu wer- zelnen Kavitäten mit jeweils einem Bead beladen sind.
den die synthetisierten Einzelstränge durch Denaturie- In Folge werden nun die Reaktionsgemische mit jeweils
rung entfernt und die Cluster durch eine limitierte Brü- nur einem Nucleotidtyp zugegeben. Das durch die Poly-
ckenamplifikation regeneriert. Anschließend werden die merisation freigesetzte Proton führt an der Sensorober-
bereits sequenzierten Fragmente selektiv von der Flow- fläche (Boden der Kavität) zu einer Ladungsverschie-
cell-Oberfläche entfernt und die verbleibenden Frag- bung, die im Sensor als Spannungsänderung detektiert
mente hybridisieren mit dem Reverse-Primer. Die fol- werden kann. Es entsteht ein flowgram, aus dem die Se-
gende Sequenzierungsreaktion erfolgt wie beschrieben. quenz erschlossen werden kann.
Durch die Kombination aus Ortsinformationen und Die zurzeit verfügbaren Chips können bis zu 50 Gb
basenspezifischer Intensität kann auf die Sequenz ge- für Targeted-NGS-Anwendungen und bis zu 2  Gb für
schlossen werden (7 in . Abb. 34.12).
  andere Sequenzieranwendungen liefern. Aufgrund des
Illumina hat mittlerweile für jede denkbare Anwendung hohen Parallelisierungsgrades und der geringen Zyklus-
das entsprechende Gerät mit dem notwendigen Durchsatz zeit ergibt sich eine Laufzeit von etwa 2-7 Stunden. Die
auf dem Markt. Die Benchtop-Sequenzierer reichen von Chips bedienen Leselängen von 200 bp und 400 bp, bei
1,2 Gb bis zu 300 Gb Output. Bis auf das MiSeq-Instru- einer Genauigkeit von ca. 99,5  % für die Rohsequenz
ment mit möglicher 2 ∙ 300 bp Readlänge können die Inst- und etwa 99,99 % für die Konsensussequenz. Homopo-
rumente bis zu 2 ∙ 150 bp generieren. Die neueste Genera- lymere einer Base können bis zu einem Repetitionsgrad
34 tion der Hochdurchsatzplattform, der NovaSeq 6000, kann von 7 bestimmt werden.
bis zu 6000 Gb Output mit 2 ∙ 250 bp Readlänge erzeugen
und ist somit in der Lage, bis zu 48 menschliche Genome in 34.2.1.2  Sequenzierung durch Ligation
einem Lauf parallel zu sequenzieren. Anders als kontinuierliche Verlängerung des komple-
mentären DNA-Strangs durch einzelne Nucleotide wer-
zz Halbleiter-Sequenzierung (Ion Torrent) den bei dem Ligationsverfahren 8-Mer-­Oligonucleotide
Auch hier handelt es sich um DNA-Sequenzierung nacheinander mit dem Sequenzierprimer ligiert.
durch Synthese. Das Ausgangsmaterial wird analog der
obigen Prozesse, jedoch angepasst an das System, vor- zz Solid (sequencing by oligonucleotide ligation and
bereitet (Erzeugung der Bibliothek, klonale Amplifika- detection, Life Technologies)
tion). Das verwendete Verfahren setzt jedoch auf eine Die Sequenzierung startet von DNA-Probenmaterial
andere Form der Detektion (. Abb. 34.14). Das Design genomischen Ursprungs oder von Material, das ups-

verlagert einen Großteil des Sequenzierungsgeräts in ei- tream aus RNA mittels ChiP gewonnen wurde. Der Pro-
nen Einweg-Sequenzierungschip auf Siliciumbasis, ein zess (. Abb.  34.15) setzt sich aus folgenden Schritten

sog. Halbleiterchip. Bei jedem DNA-Polymerase-­ zusammen:


katalysierten Einbau eines Nucleotids wird sowohl Di- 1. Die DNA wird durch Ultraschall auf die Zielgröße
phosphat als auch ein Wasserstoffion (Proton) freige- von 60–90 bp fragmentiert. Nach der Reparatur der
setzt, das letztendlich zu einer Änderung des pH-Wertes Enden und Phosphorylierung werden zwei Adapter

A 4-Fluorophor-System B 2-Fluorophor-System C 1-Fluorophor-System

A T C G A T C G A T C G

Bild 1
Bild 1 Bild 1
Bild 2
Bild 3
Bild 2 Bild 2
Bild 4

..      Abb. 34.13  Bilderfassung zur Basenidentifizierung bei den Illumina-­Plattformen HiSeq und MiSeq (A), NextSeq (B) und iSeq (C). (Ver-
ändert nach Illumina Inc.)
DNA-Sequenzierung
877 34
A Ligase und ein Pool von fluoreszierend markierten
dNTP Oligonucleotidsonden (di-base probes) zugegeben.
Jede der Sonden besitzt zwei Basen, die mit einer
dNTP+ + H+ Zielsequenz komplementär sind. Diese können hyb-
ridisieren und ligiert werden und damit die ersten
DpH
DNA- beiden Basen detektieren.
Templat
DQ 6. Nach Messung der Fluoreszenzintensität werden die
Sensorschicht
letzten drei Basen nebst Fluorophor abgespalten.
Wandler Die erste gebundene Sonde besitzt wieder eine freie
DV 5’-Phosphatgruppe. Es können erneut Sonden einge-
setzt werden, die wiederum zwei Basen bestimmen.
Kanal Abfluss Zufluss
In der Regel werden die Zyklen siebenmal durchlau-
Siliciumsubstrat
fen, bevor das gesamte hybridisierte Ligationspro-
dukt entfernt wird. Unter Verwendung anderer un-
zum terschiedlicher langer Sonden (n–1, n–2, n–3, n–4)
Empfänger
wird der Prozess erneut durchlaufen. Dies erlaubt
B
8
die sukzessive Bestimmung eines 35-bp-­Fragments
6 (. Abb. 34.16). Dies bedeutet, dass jede Base zwei-
Basen


4
2 mal in einem Hybridisierungsereignis einer di-base
0
Zeit probe erkannt wird. Diese Redundanz kann den Aus-
schluss falscher Reads verbessern.
..      Abb. 34.14  Ion Torrent. A Einzelne Reaktionskavität eines Se-
quenzierungschips mit einem an ein Einzelbead gebundenen
DNA-Template, dem Sensor und der Elektronik. Bei der dNTP-­
Aus den sich überlappenden Reads lässt sich sukzessiv
Insertion werden Protonen (H+) freigesetzt, die den pH-Wert verän- die Sequenz erschließen, wobei sich die erste Base des
dern (ΔpH), was gemessen wird. B Flowgram. Die Höhe des Peaks ersten Reads aus der bekannten Sequenz des Sequenzie-
repräsentiert die Anzahl der detektierten Basen. Die Basenidentität rungsprimers ergibt. So ergibt sich aus den in der ersten
ergibt sich aus dem entsprechenden Syntheseschritt. (Verändert nach Instanz gemessen Intensitäten im color space erst im
Ion Torrent Systems Inc.)
zweiten Schritt die Sequenzinformation.
Betrachtet man die Probenstruktur und die Sequenz-
(P1, P2) an die jeweiligen Enden ligiert. Die Adapter gewinnung etwas genauer, ergibt sich folgendes Bild. Zum
besitzen jeweils einen Überhang von 2 T und komple- Einsatz kommt eine Bibliothek aus 1024 Octanucleotiden.
mentäre Sequenzen für Amplifikation. P1 dient der Die ersten drei Basen sind degeneriert, die Basen 4 und 5
Bindung an Capture Beads, P2 der Sequenzierung. stellen die Spezifität, die letzten drei Basen sind universal
2. Die anschließende Nicktranslation macht die Frag- und werden nach jedem Zyklus durch einen Schnitt vor
mente doppelsträngig. Die Produkte werden einer Position 6 entfernt. Jeweils 256 Sonden werden in einer
Größenselektion im Gel, Reinigung, Amplifikation Farbe codiert. Die Codierung in einem Set entspricht dem
und einer erneuten Größenselektion mit Reinigung in . Abb.  34.16. gezeigten Muster, daraus ergibt sich

unterworfen. Die erhaltenen Fragmente liegen in ei- auch die nicht eindeutige Codierung einer Base durch ein
nem Größenbereich von 120–150 bp. einfaches Hybridisierungsereignis (z.  B. dunkelgrau für
3. Im nächsten Schritt erfolgt eine klonale Amplifika- AA, CC, GG, TT in . Abb. 34.16), die erst mit der be-

tion durch Emulsions-PCR (emPCR), ähnlich der kannten Startbase ermöglicht wird. Aus dieser Codierung
im 454-Prozess. Ziel ist es, jeweils ein PCR-­Produkt erfolgt jedoch auch, dass die Veränderung einer Base eine
sowie Reaktanden mit einem Bead, das eine P1-kom- zweifache Änderung im color space nach sich zieht.
plementäre Sequenz trägt, in einem Tropfen einzu- Nimmt man zusätzliche biologische Informationen hinzu,
schließen. Nach der Amplifikation wird die Emul- lassen sich Sequenzfehler weiter reduzieren.
sion aufgebrochen und die Fragmente werden durch Mit dem derzeitigen Hochdursatzgerät ist es mög-
Hybridisierung mit P2-komplementäre Sequenzen lich, innerhalb von 24 Stunden bis zu 15 Gb Sequenzier-
tragenden Magnetpartikeln gereinigt. daten mit einer Leselänge von bis zu 75 bp zu erzeugen.
4. Die 3’-Enden der gebundenen DNA-­Fragmente wer-
den durch terminale Transferase modifiziert und mit
einem Linker versehen, der im nächsten Schritt die 34.2.2 Third-Generation-Sequenzierung
Bindung an die Oberfläche des Sequenzierungschips
ermöglicht. Die Sequenzierungsplattformen auf Grundlage von
5. Die Sequenzierung erfolgt in einem zweistufigen Pro- Short-Read-Methoden weisen Unzulänglichkeiten vor
zess. Im ersten Teil werden P1-­Sequenzierungsprimer, allem bei der Auflösung komplexer genetischer Beson-
878 A. Thürmer und K. Rutzen

P1 P2

B Primer 5'
C Primer 5'
Bead Bead

5' Templatsequenz 3' 5' Templatsequenz 3'

Fluoreszenz-
markierung N N N N T N N N N Query- N N N N G N N N N
Primer

dNTP N N N N A N N N N N N N N C N N N N

N N N N C N N N N

5' 3' 5' 3'


Polymerase Ligase

34 ..      Abb. 34.15  Vergleich von DNA-Sequenzierung durch Ligation durch Ligation fluoreszierend markierter Query-Primer mit einem
mit DNA-Sequenzierung durch Synthese. A Bibliothekskonstruktion, Startprimer. Die Farbraumcodierung und die entsprechenden Bestäti-
emPCR-Partikelanreicherung und Beladung des Sequenzierungs- gungsligationen mit Oligonucleotiden unterschiedlicher Längen wur-
chips; B erster Sequenzierungszyklus durch Einbau fluoreszierend den hier nicht berücksichtigt. (Nach Fan et al. 2006)
markierter reversibler Terminatoren; C erster Sequenzierungszyklus

derheiten wie repetitiver Regionen oder struktureller Va- ACGT


riationen auf, die für das Verständnis der evolutionären A
C
Anpassungen der Organismen und der Entstehung von G
Krankheiten von großer Relevanz sind. In den letzten T
Jahren hat sich daher mit der Nanopore-­Sequenzierung
eine neue Generation der Sequenzierungstechnologie ACGG T CG T CG T G T GCG T
etabliert, die einzelne Nucleinsäuremoleküle untersucht
und längere Reads von bis zu mehreren Hundert Kilo-
basen generiert.
A CGG T CG T CG T G T GCG T
Die dritte Generation von Sequenzierungsgeräten,
die Technologien wie Nanoporen verwendet oder in der ..      Abb. 34.16  Decodierung der Sequenz aus den Ligationsereignis-
Lage ist, bereits auf dem Niveau von Einzelmolekülen sen des Solid-Systems. Die dargestellte Matrix erlaubt die eindeutige
(single molecule) Sequenzen zu liefern, ist in den vergan- Bestimmung der finalen Sequenz aus den jeweiligen Hybridisierungs-
ereignissen
genen zehn Jahren weit gereift und mittlerweile für jeden
kommerziell erhältlich.
onsmethoden und prinzipiell anderer Ansätze bringt
34.2.2.1  Einzelmolekül-Sequenzierung nunmehr auch Einzelmoleküle als Sequenzierungsziel in
(Single Molecule Real Time Reichweite.
Sequencing, SMRT, Pacific Das System vom Pacific Biosciences trägt zum ersten
Biosciences) Mal den Begriff DNA Online-Sequencer zu Recht, da
Die bisher etablierten Sequenzierungsverfahren erfor- das Polymerisationsereignis in Echtzeit detektiert und
dern eine Amplifizierung, entweder durch klassische ausgelesen werden kann. Prozedural gibt es auch einen
Klonierung bei den „alten“ Verfahren oder eine klonale Unterschied zu sonstigen Verfahren, die das Template
enzymatische Amplifizierung bei den neueren bis hin zu an einer festen Oberfläche und die Polymerase in Lö-
den MPS-Verfahren. Die Verfügbarkeit neuer Detekti- sung halten, hier wird die Polymerase gebunden. Der
DNA-Sequenzierung
879 34
Sequenzierungsprozess setzt sich auch hier aus mehre- höhere Stabilität für die Reaktionen an sich. Im April
ren Schritten zusammen, wobei der erste offline erfolgt. 2019 wurde die neueste SMRT Cell mit 8 Millionen
Zunächst wird das Ausgangsmaterial fragmentiert ZMWs auf dem Markt gebracht. Dieses erhöhte den
und die Enden repariert. Anschließend wird jeweils ein derzeitigen Durchsatz um Faktor 8 auf bis zu 200 Gb.
Haarnadeladapter an die Enden ligiert, um ein geschlos-
senes zirkuläres Molekül zu erhalten. Die Haarnadel- 34.2.2.2  Nanopore Sequencing (Oxford
struktur enthält eine dem Sequenzierungsprimer kom- Nanopore)
plementäre Sequenz. Die Produkte werden einer Die Entwicklung von Nanoporen als Biosensoren wurde
Größenselektion unterworfen und aufgereinigt. in den 1990er-Jahren von mehreren Forschungsgruppen
Ein Sequenzierungsprimer wird gegen die Haarna- nach der ersten Veröffentlichung 1996 aufgenommen,
delstruktur hybridisiert. Nach Zugabe der Polymerase die die Verwendung von biologischen Nanoporen zur
entsteht ein Initiationskomplex, der auf der Oberfläche Charakterisierung von Polynucleotidmolekülen als neue
der Reaktionskavität binden kann. Durch Zugabe von Möglichkeit zur Sequenzierung aufzeigte. Weitere Un-
Nucleotiden, die an ihrem terminalen Phosphat eine ba- tersuchungen bestätigten, dass der angelegte elektrische
senspezifische Fluoreszenzgruppe tragen, kommt es zur Strom, der durch eine Nanopore fließt, von der Identität
Polymerisation und zur Abspaltung des Phosphats. Die der passierenden und mit ihr interagierenden Nuclein-
Fluoreszenz in Lösung kann nun als Lichtblitz detek- base abhängig ist und die Abfolge der Nucleotide somit
tiert werden (. Abb.  34.17). Da der freie Farbstoff
  aufgelöst werden kann.
schnell aus der Detektionszone diffundiert, kann durch Im April 2014 wurde mit dem MinION-Sequenzierer
erneute Zugabe der nächste Zyklus angestoßen werden. der Firma Oxford Nanopore Technologies als kommer-
Der Einbau eines Nucleotids erfolgt innerhalb von Mil- ziell erhältliche Long-Read-Plattform die Nanopore-­
lisekunden. Die reale Einbaufrequenz im Prozess ist 1–3 Sequenzierung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich
bp sec−1. Mit der aktuellen P6-Chemie kann auf dem gemacht. Die Technologie der Nanopore-­Sequenzierung
Sequel-II-Gerät eine durchschnittliche Leselänge von ermöglicht die direkte Sequenzierung nativer DNA- und
30.000-100.000 Basen, je nach vorheriger Größenselek- RNA-Moleküle ohne die Verwendung von für andere
tion, erzielt werden. Sequenzierungsverfahren sonst üblichen Methoden wie
Das System selbst ist extrem miniaturisiert. Eine Re- PCR-Amplifikation oder che

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