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Kurzlehrbuch
Neuroanatomie
Norbert Ulfig
137 Abbildungen
50 Tabellen
Vorwort
Mit d1esem Kurzlehrbuch wurde der Versuch unter- handelt werden. So sind z. B. die Darstellungen zu
nommen. das komplexe Teilgebiet der Neuroanato- den peripheren Nerven gut geeignet. um sie im ge-
mie verständlich und umfangreich darzustellen. samten Präparierkurs einzusetzen.
Auch wenn ein Kurzlehrbuch natürlich an enge Ich hoffe, dass dieses Kurzlehrbuch dazu beitragen
Vorgaben zum Umfang gebunden ist. wurde durch- kann. das Lernen der Neuroanatomie mit mehr Ver-
weg kaum auf Details verzichtet. da bei der Prü- ständnis und Freude zu kombinieren. Für konstruk-
fungsvorbereitung gerade auf dem Gebiet der Neu- tive Hinweise und Kritiken bin ich jederzeit sehr
roanatomie ihre Einordnung in den Gesamtzusam- dankbar.
menhang häufig schwer fallt.
Ferner stand im Vordergrund. neuroanatomische Danksagung:
Strukturen mit Funktion und klinischer Bedeutung Bei allen. die an der Fertigstellung dieses Buches
darzustellen. Es erleichtert nicht nur das Lernen. beteiligt waren. möchte 1ch m1ch ganz herzlich be-
sondern es motiviert den Studierenden, wenn danken. insbesondere be1:
schon be1m ersten Lernen der Bezug zum klini- Günther Ritschel (Institut fur Anatomie. Universität
schen Alltag verdeutlicht wird. Rostock); Erstellung der Grafiken
Als bewährte Elemente der Kurzlehrbuch-Reihe er- Karin Baum (B'n M Medical Graphics LTD ): Erstel-
leichtern Lerncoachs. Lerntipps und Check-ups ge- lung der Verschaltungsschemata und Beschriftung
rade in diesem komplizierten Gebiet den Einstieg der Grafiken
für den Anfänger. Zahlreiche Tabellen und Ver- Sabine Cleven. Daniel Paschke. Marko Schulze und
schaltungsschemata sowie die zusammenfassende jana Weiß-Milller (Institut für Anatomie. Universi-
Darstellung der funktionellen Systeme komprimie- tät Rostock); Mitwirkung bei der Manuskripterstel-
ren den vom Gegenstandskatalog geforderten ln- lung
halt für em übersichtliches Lernen und Wiederho- Dorothea Thilo (Georg Th1eme Verlag); Ermögli-
len vor Semesterprüfungen und der I. ÄP. chung des Buches in der vorhegenden Form durch
Der Umfang des Buches erscheint für em Teilgebiet weit reichende Unterstützung und Anregungen im
der Anatomie auf den ersten Blick vielleicht etwas Rahmen der fachredaktionellen Manuskriprüberar-
hoch. Es ist jedoch zu beachten. dass neben den beitung.
zentralnervösen Strukturen auch die Sinnesorgane
und das periphere Nervensystem umfassend be- Norbert Ulfig Rostock. im Januar 2008
VI
Abkürzungen:
A. - Arteria
Aa. - Arteriae
Ggl. - Ganglion
Lig. - Ligamentum
M. • Musculus
Mm. - Musculi
N. - Nervus
n. - nervi
Ncl. - Nucleus
Ncll. - Nuclei
Nn. • Nervi
R.
Rr.
--Ramus
Rami
V. -Vena
Vv. • Venae
VII
Inhalt
1 Grundlagen zum 3 Peripheres Nervensystem 33
Nervensystem 3 3.1 Der Überblick 33
1.1 Der Überblick und die Funktion des
3.2 Die Spinalnerven und i hre Äste 33
Nervensystems 3 3.2.1 Die Entstehung des Spinalnervs 33
1.2 Die Gliederung und 3.2.2 Die Äste des Spinalnervs 33
Grundbegriffe 3 3.2.3 Die Dermatome und
1.2.1 Die strukturelle Gliederung 3 Hautnervenareale 35
1.2.2 Die funktionelle Gliederung 5 3.2.4 Die Plexusbildung 35
1.2.3 Die Richtung der Erregungsleitung und
3.3 Der Plexus cervicalis 37
die Rezeptoren 6 3.3.1 Die motorischen Äste
1.3 Die Bauelem ente des (Ansa cervicalis) 38
Nervensystems 7 3.3.2 Die sensiblen Äste 38
1.3.1 Das Neuron (die Nervenzelle) 7 3.3.3 Der Nervus phrenicus 39
1.3.2 Die Synapsen 9 3.4 Der Plexus brachialis 39
1.3.3 Die Gliazellen 11 3.4.1 Die Bildung der Trunci und Äste der
1.3.4 Die Nervenfasern 14 Pars supraclavicularis 39
1.3.5 Der periphere Nerv 16 3.4.2 Die Bildung der Fasciculi und Äste der
1.3.6 Die Ganglien im PNS 17 Pars infraclavicularis 41
3.5 Der Plexus lumbosacralis 48
2 Entwicklung des 3.5.1 Der Plexus lumbalis 49
Nervensystems 21 3.5.2 Der Plexus sacralis 52
2.1 Der Überblick 21 3.6 Die Hirnnerven 57
2.2 Die Neurulation und die 3.6.1 Die Funktion, Faserqualitäten und
Neuralleiste 21 Ganglien der Hirnnerven 57
2.2.1 Die Neurulation - Entstehung des 3.6.2 Der Verlauf der Hirnnerven 111 -XII 59
Neuralrohrs 21 3.6.3 Der Nervus oculomotorius (111) 59
2.2.2 Die Neuralleiste 22 3.6.4 Der Nervus trochlearis (IV) 61
3.6.5 Der Nervus trigeminus (V) 62
2.3 Die Entwicklung des Rückenmarks
3.6.6 Der Nervus abducens {VI) 64
und der Spinalnervenwurzeln 23
3.6.7 Der Nervus facialis {VII) 66
2.4 Die Entwicklu ng des Gehirns 24 3.6.8 Der Nervus vestibulocochlearis (VIII) 69
2.4.1 Die Ausbildung der Form 25 3.6.9 Der Nervus glossopharyngeus (IX) 69
2.4.2 Die Entwicklung des Rautenhirns 26 3.6.10 Der Nervus vagus (X) 69
2.4.3 Die Entwicklung des Mittelhirns 27 3.6.11 Der Nervus accessorius (XI) 72
2.4.4 Die Entwicklung des Zwischenhirns und 3.6.12 Der Nervus hypoglossus (XII) 72
der Hypophyse 27
2.4.5 Die Entwicklung des Endhirns 27
4 Rückenmark
(Medulla spinalis) 75
4.1 Der Überblick 75
4.2 Die Gestalt und die Gliederung 75
4.2.1 Die Lage. Form und Oberfläche 75
4.2.2 Die Rückenmarkssegmente 75
VIII Inhalt
11.3.3 We1tere visuelle Untersysteme 212 12.2.3 Der optische Apparat 244
11.3.4 Die optischen Reflexe 213 12.2.4 Die Netzhaut (Retina) 247
12.2.5 Die Hilfseinrichtungen des Auges 249
11 .4 Das auditarische System 214
12.2.6 Die Orb1ta (Augenhöhle)
11.4.1 Der Überblick 214
mit Leitungsbahnen 252
11.4.2 Die Hörbahn 214
11.4.3 Die Kollateralen der Hörbahn 216 12.3 Das Geruchs· und das
Geschmacksorgan 253
11 .5 Das vestibuläre System 217
217 12.3.1 Das Geruchsorgan 253
11.5.1 Der Überblick
12.3.2 Das Geschmacksorgan 254
11.5.2 Die Vestibulariskerne und ihre
Verbindungen 217 12.4 Die Rezeptoren in der Haut und
im Bewegungsapparat 254
11.6 Das olfaktorische und das
12.4.1 Die Hautrezeptoren 2S4
gustatorische System 218
218 12.4.2 Die Rezeptoren des Bewegungs-
11.6.1 Der Überblick
apparats 255
11.6.2 Das olfaktorische System 218
11.6.3 Das guslatorisehe System 220
11.7 Das vegetative Nervensystem 221 13 Anhang 259
11.7. 1 Der Überblick und die Funktion 221 13.1 Schnittbilder 259
11.7.2 Der Sympathikus 223 13.1 .1 Frontalschnitte 259
11.7 .3 Der Parasympathi kus 226 13.1.2 Horizontalschnitte 262
11.7.4 Das enterische Nervensystem 13.1.3 Sagittalschnitte 263
(Darmwandnervensystem) 226 264
13.2 Verschaltungen
11.8 Das limbisehe System 227 13.2.1 Verschaltungen im motorischen
11.8.1 Der Überblick 227 System 264
11.8.2 Die Strukturen des limbisehen 13.2.2 Verschaltungen im somatasensiblen
Systems und ihre Verbindungen 227 System 266
11.8.3 D1e Funktionen des limbisehen 13.2.3 Verschaltungen im visuellen System 267
Systems 228 13.2.4 Verschaltungen 1m auditarischen
und vestibulären System 269
13.2.5 Verschaltungen im guslatorisehen
12 Sinnesorgane 231
und olfaktorischen System 270
12.1 Das Ohr mit Hör- und 13.2.6 Verschaltungen im limbisehen
Gleichgewichtsorgan 231 System 271
12.1. 1 Der Überblick 231 13.2.7 Verschaltungen im vegetativen
12.1.2 Das äußere Ohr (Auris externa) 231 und neuroendokrinen System 271
12.1.3 Das Mittelohr (Auris medial 233
13.3 Literaturverzeichnis 273
12.1.4 Das Innenohr (Auris Interna) 238
13.4 Quellenverzeichnis 274
12.2 Das Sehorgan und seine
Hilfseinrichtungen 243 Sachverzeichnis 275
12.2.1 Der Überblick 243
12.2.2 Der prinzipielle Aufbau des
Bulbus oculi 243
Klinischer Fall
111 1 1 Telencephalon
2 Cerebellum
3 Medulla oblongata
4 Pans
5 Mesencephalon
6 Diencephalon
6- - - - - '
5
4 - - - - - - - - -_J
Hirnstamm (Truncus encephali): Medulla oblon- einwirkungen) vor. An der Stelle der Gewalteinwir·
gata. Pons und Mesencephal on (s. S. 93 ) kung tritt ein Stoßherd (Rindenprellungsherd,
Rautenhirn (Rhombencephalon): Medulla oblon- .Coup") auf. Charakteristisch ist zusätzlich ein stärker
gata, Pons und Cerebellum ausgeprägter Herd am gegenüberliegenden Hirnab-
Vorderhirn (Prosencephalon): Telencephalon schnitt (.Contre-Coup"). Er entsteht infolge der Bewe·
und Diencephalon. gung des puddingähnlichen Gehirns bei abrupter
Das Prosencephalon liegt größtenteils in der vorde- Änderung der intrakraniellen Druckverhältnisse (Sog·
ren und mittleren Schädelgrube (Fossa cranii ante- wirkung auf der Contre-Coup-Seite).
rior und media ). das Kleinhirn und der Hirnstamm ln den Windungskuppen beider Herde entstehen
( größtenteils) in der hinteren Schädelgrube (Fossa kleine Blutungen (aus Gefäßrissen) und Nekrosen.
cranii posterior). Später kommt es durch Proliferation der Astrozyten
lnfolge seiner entwicklungsbedingten Krümmun- (s. S. 12) zu einer Glianarbe.
gen sind am Gehirn die herkömmlichen Richtungs- Leitsymptom der Contusio cerebri ist die längere (bis
bezeichnungen nicht immer eindeutig. Daher wer- zu Wochen dauernde) Bewusstseinsstörung mit ver-
den zur Lagebeschreibung von Hirnstrukturen zögerter Rückbildung (und ausgedehnter amnestischer
teilweise spezielle Angaben verwendet ( z. B. ..ros- Lücke). Während der Aufhellung des Bewusstseins
tral" • .. schnabelwärts"). kann es zu Durchgangssyndromen (Störungen des An·
triebs, der Wahrnehmung und des Denkens) kommen.
Auch epileptische Anfälle können nach einer durchge·
Commotio und Contusio cerebri: Bei der Commotio machten Contusio cerebri auftreten.
cerebri (Gehirnerschütterung) liegen keine grob fass·
baren Läsionen vor (eventuell axonale Schädigungen).
Es tritt eine über Minuten andauernde Bewusst- Die graue Substanz des ZNS (Substantia grisea)
seinsstörung (mit Erinnerungslücke = Amnesie) auf. Die graue Substanz besteht u. a. aus Ansammlun -
Weiterhin können Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmer- gen von Nervenzellkörpern. Im Gehirn kommt die
zen auftreten. Substantia grisea z. T. an der Oberfläche in Form
Bei der Contusio cerebri liegt eine deutlich fassbare der Rinde (Cortex cerebri = Endhirnrinde, Cortex
Schädigung der Hirnsubstanz (bei stumpfen Gewalt- cerebelli - Kleinhirnrinde) vor. Im Inneren des Ge-
1 Grundlagen zum Nervensystem Die Gliederung und Grundbegriffe 5
hirns findet sich graue Substanz in Form von unter- 1.2.2 Die funktionelle Gliederung
schiedlich großen Kerngebieten { Nudei).
An Rückenmarksquerschnitten erkennt man die 1.2.2.1 Das animalische(= somatische) Nerven-
Substantia grisea als Schmetterlings- bzw. H-förmi - system
ge Struktur in der Mitte. Das animalische Nervensystem umfasst alle Teile
ln der grauen Substanz erfolgen meist syna ptische des ZNS und PNS, die der Verbindung (Interaktion)
Umschaltungen. liegen spezifische Umschaltstellen zwischen Organismus und Umwelt dienen. Es ist
(z. B. inn erha lb der Hörbahn oder anderen funktio- insbesondere charakteri siert durch bewusste Wahr-
nel len Systemen, s. S. 199) in ganz spezifischen nehmungen und w illkürliche Bewegungen. Oie Af-
Kerngebieten, spricht man auch von Relaiskernen. ferenzen des animalischen Nervensystems kommen
von Rezeptorzellen { besonders der Sinnesorgane).
Die weiße Substanz des ZNS (Substantia alba)
Seine Efferenzen ziehen zu den Skelettmuskeln.
Die weiße Substanz besteht u.a. aus einer An -
samm lung von Nervenfasern. die häufig in Bündeln
1.2.2.2 Das vegetative (= autonome) Nerven-
(als Tractus, Fasciculus oder Fibrae) verlaufen. Die
system
Benennung der Faserbahnen erfolgt häufig durch
Das vegetative Nervensystem regul iert unbewusst
Zusammensetzen ihres Beginn s mit ihrem Ziel: Die
und unwillkürlich z. B. Kreislauf. Blutdruck. At-
Fasern des Tractus corticospinalis z. B. ziehen von
mung. Verdauung. Es ist somit verantwortlich für
der Endhirnrinde {Cortex cerebri) zum Rückenmark
die Aufrechterhaltung des inneren Milieus (Ho-
(Medulla spinalis).
möostase) und beeinflusst eigenständig die Organ-
Im Rückenmark findet sich die weiße Substanz
funktionen entsprechend den jeweiligen Erforder-
oberflächlich um die graue Substanz. Im Gehirn
nissen. Seine Information erhält das vegetative
liegt sie unter der Rinde und umgibt die im Inne-
Nervensystem über Afferenzen z. B. aus den inne-
ren gelegenen Kerne.
ren Organen. seine Elferenzen ziehen z. B. zu glat-
ten Muskelzellen (des Verdauungstraktes oder der
1.2.1.2 Das periphere Nervensystem (PNS)
Gefaße) und zu Drüsenzellen.
Zum PNS zählen alle Teile des Nervensystems au-
Man unterscheidet beim vegetativen Nervensystem
ßerhalb des ZNS. Das PNS besteht aus Nerven
Sympathikus und Parasympathikus. die meist ent-
(s. S. 16) und Ganglien (s. S. 17), die jeweils neuro-
gegengesetzt wirken:
nale Anteile {s. S. 7) und Gliazellen (s. S. 11 ) umfas-
Der Sympathikus ist aktiv in Stresssituationen
sen.
wie z. B. bei Bedrohung ( ..Flucht. Kampr· ): Das
- Bei den Nerven {weiße Substanz des PNS) unter-
Herz sch lägt schneller und kräftiger. die Atem-
scheidet man solche, die mit dem Rückenmark
frequenz und der Blutdruck steigen.
in Verbindung stehen {31 Spinalnervenpaare.
Der Parasympathikus dient eher der Erholung
s. S. 33) von den 12 Hirnnervenpaaren. Streng
des Körpers { ..Entspannung"): Das Herz schlägt
genommen zählen allerdings die ersten beiden
langsamer. die Atemfrequenz nimmt ab. die Ver-
Hirnnervenpaare nicht zum peripheren Nerven-
dauung ist aktiviert.
system (s. S. 57).
Weiterhin zä hlt man zum vegetativen Nerven-
- Ein Ganglion (graue Substanz des PNS) ist eine
system das enterische Nervensystem, das u. a. die
Ansammlung von Nervenzellkörpern mit ent-
autonome Steuerung der Darmwandbewegungen
sprechenden typischen Gliazellen außerhalb des
übernimmt und durch Sympathikus und Parasym-
ZN$.
pathikus beeinflusst werden kann.
Das PNS kann als Rezeptions- und Ausführungsor-
gan des ZNS aufgefasst werden.
6 1 Grundlagen zum Nervensystem Die Gliederung und Grundbegriffe
1.2.3 Die Richtung der Erregungsleitung und ren Kerngebieten oder aus dem Kortex) und schick-
111 die Rezeptoren en Efferenzen zu bestimmten Arealen (Kerne. Rinde
oder Rückenmark).
1.2.3.1 Die efferent en und afferenten Fasern
ln einem (peripheren ) Nerven sind meist efferente 1.2.3.2 Die Rezeptoren
und afferente Nervenfasern enthalten: An einem Rezeptor werden physikalische oder che-
Die efferenten (wegführenden ) Fasern leiten Er- mische Reize aufgenommen und in elektrische
regungen vom ZNS (Rückenmark bzw. Hirn- Erregung übersetzt. Nach Art des Reizes unter-
stamm) zum Zielorgan in der Peri pherie (z. B. scheidet man Mechano-. Thermo- und Chemo-
Muskel). rezeptoren. Bei den Mechanorezeptoren kann wei -
Die afferenten (hinführenden) Fasern leiten Er- terhin unterschieden werden zwischen in der Haut
regungen aus der Peripheri e (z. B. Haut) zum liegenden Exterozeptoren. die vorrangig Obernä-
ZNS. Bei diesen Afferenzen hatte sich im deut- chensensibilität vermitteln und Propriozeptoren für
schen Sprachgebrauch lange Zeit eingebürgert. Informationen aus dem Bewegungsapparat (Stel-
sensorische Fasern ( für die Vermittlung speziel- lung von Rumpf und Extremitäten; Tiefensensibili-
ler Sinnesreize im Kopfbereich ) von sensiblen tät).
Fasern (für die Leitung von Informationen aller Für die Aufnahme von Reizen sind Axonenden und
übrigen Sinnesempfindungen) zu unterscheiden. Sinneszellen verantwortlich. Ein Beispiel für Erstere
Auch wenn diese Unterscheidung zunehmend sind freie Nervenendigungen (ohne Schwann-Zel-
unterlassen und für alle Sinnesqualitäten der len. s. S. 14) für die Nozizeption (Aufnahme von
Begriff ••Sensorik" gleichbedeutend mit .. Sensibi- Schmerzreizen ).
lität" verwendet wird. kann diese begriffiiche Bei den Sinneszellen werden unterschieden:
Differenzierung auch hilfreich sein (z. B. bei der Primäre Sinneszellen besitzen einen Fortsatz.
Innervation der Zunge: sensorisch .... Weiterlei- der das ZNS erreicht.
tung von Geschmacksinformationen; sensibel ..... Sekundäre Sinneszellen. an die Nervenfasern
Weiterleitung der übrigen Empfindungen). Die herantreten. die Informationen über eine Syn-
Zusammenfassung ist hingegen hilfreich. wenn apse aufnehmen und in Richtung ZNS leiten.
unter einer Sammelbezeichnung beide Qualitä- Diese Nervenfaser gehört zu einem primär affe-
ten gemeint sind (z. B. kortikale sensorische Se- renten Neuron. dessen Perikaryon z. B. in einem
kundär- und Assoziationsfelder. s. S. 151 ). Spinal- oder Hirnnervenganglion liegt.
Die Begriffe efferent und afferent werden auch für <I>
Verscha ltungen innerhalb des ZNS genutzt: Ein ef- ~•.. Check-up
ferentes Neuron leitet einem anderen Neuron ein Wiederholen Sie die Anordnung von grauE!r
Signal zu. Ein afferentes Neuron erhält ein Signal und weißer Substanz im ZNS und überfe-
von einem anderen Neuron. Dabei beziehen sich gen Sie, welche Unterschiede es dabei zwi-
die Begriffe jeweils auf eine immer mit anzugeben- schen Gehirn und Rückenmark gibt.
de Struktur: Ein Neuron im ZNS empfängt Informa- Rekapitulieren Sie, wie Reize aufgenommen
tionen von einem anderen Neuron. dessen Faser in werden können.
diesem Zusammenhang die Afferenz bildet. Gleich-
zeitig schickt es Informationen über sein eigenes
Axon. das in diesem Fall die efferente Faser bildet.
zu einer weiteren Nervenzelle. So erhalten z. B. die
motorischen Neurene des Rü ckenmarks Afferenzen
aus der Endhirnrinde. Diese Fasern sind bezogen
auf die Neurene in der Endhirnrinde jedoch effe-
rent.
Neurone eines Kerngebiets im ZNS erhalten meist
verschiedene Afferenzen (von Neuronen aus ande-
1 Grund lagen zum Nervensystem Die Bauelemente des Nervensystems 7
1.3 Die Bauelemente des Felder. Mitochondrien und Lysosomen. Die vielen
Nervensystems Stapel (Schollen ) des rauen ER sind Ausdruck einer
intensiven Proteinsynthese und werden als Nissi-
~ Lerncoach
...... Substanz bezeichnet. Mit zunehmendem Alter
Achten Sie beim lesen dieses Abschnitts stets kommt es in vielen Nervenzellen zur Anhäufung
darauf. ob es sich um Informationen handelt, von Telolysosomen ( Iysosomaie Restkörper). die als
die für das gesamte Nervensystem zutreffen lipofuszingranula beschrieben werden.
oder ob sie nur fllr das zentrale oder periphe- Die Fortsätze
re Nervensystem gelten. Machen Sie sich da- Die der ReiZ.Jufnahme dienenden Forts.uze (meist
bei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede mehrere) sind die Dendriten: sie leiten dte Signale
zwischen ZNS und PNS klar. weiter zum Perikaryon. ln der Periphene verzwei-
gen sie sich baumartig zu immer dunneren Ästen.
1.3.1 Das Neuron (die Nervenzelle) Die Dendriten einiger Nervenzellen (z. B. der Pyra-
midenzellen) besitzen feine domenförmtge Fort-
1.3.1.1 Der Aufbau des Neurons sätze (Spines). an denen sich Synapsen finden
Das Neuron ist die strukturelle und funktionelle (s. u.).
Einheit des Nervensystems. jedes Neuron besteht Der Fortsatz. der die Erregung zu einer anderen
aus einem Zellkörper (l'erikaryon) und Fortsätzen Zelle Ieiter. ist das Axon (im deutschen Sprachraum
(Abb. 1.2). die durch das Zytoskelett stabilisiert wer- auch als Neurit bezeichnet). Das Axon beginnt am
den. Das Zytoskelett der Nervenzelle besteht aus Ursprungskegel (Axonhügel, frei von Nissi-Sub-
Mikrotubuli. Intermediärfilamenten (hier: Neurofi- sta nz). dem sich das Initialsegment (Anfangsseg-
lamenten) und Aktinfilamenten. Neben der mecha- ment. noch ohne Myelinscheide) anschließt. Dte
nischen Stabilisierung der Forts:itle dienen sie Plasmamembran des Initialsegments ist besonders
auch dem Transport von Organellen und Proteinen reich an Na'-Kanälen; sie ist deshalb leicht erreg-
innerhalb der Fortsätze. bar. sodass hier auch leicht Aktionspotenziale ent-
Das Perikoryon stehen. Ein Aktionspotenzial ist eme kurze Ände-
Das l'enkaryon (auch Soma oder Zellleib/-körper) rung des Membranpotenzials (elektrische
ist das Stoffwechselzentrum der Nervenzelle. Hier Potenzialdifferenz zwischen Zellinnerem und Ex-
liegt der meist große Zellkern mit emem deutli- trazellularraum. s. Lehrbücher der Phystologie). Ver-
chen Nukleolus. Das Zytoplasma enthalt Zusam- einfacht kann man neuronale Aktionspotenztale als
menlagerungen von rauem endoplasmatischen Re- Signale bezeichnen. in denen Informationen .ver-
tikulum (ER). ZdhlreJChe freu~ Rtbosomen. Golgt- schlüsselt" sind.
1 Nissi·Substanz
5 2 Ursprungskegel
3Myelin
4Axon
5 Verzweogungen 110n Oendroten
2
4 3
-- •.,..
Typ
Morphologische Einteilung
Charakteristikum und Lokalisation
Multipolare Nervenzellen Sehr häufiger NeiVenzelltyp mit zahlreichen Dendriten und einem Axon
Beispiele:
- Motoneurone om Ruckenmarle (Vorderhom)
- sympathische Neurone in Grenzstrangganglien
Unr~OfTTiffl:
- Pyramidenzellen IR der Endhomnndt
- l'uttciRJ~Zellen in der Kleonhomrindt
- Sternzellen on der Kl~nhomnndt
- Molraizelien 1m Bulbus ollactorous
Bipolare Nervenzellen seltenerer Zelltyp mit einem Axon und ~nem Dendnten, doe von den gegenüberiie·
genden Enden des spmdelförmigen Perikaryons abgehen
Beispiele:
- bestimmte retinale Neurone in der Retma
- Ganglienzellen Im Innenohr
Pseudounlpolare Nervenzellen Zelltyp mit einem vom Perikaryon abgehenden Stammfortsatz. der sich T-förmig
aufteilt on.
- emen zentralen Fortsatz (.eigentliches· Axon mot efferenter Leitung zum ZNS)
und
- eonen peripheren Forts.Jtz (aufgrund seoner afferenten Leotung aus der Penpherie
manchmal als .dendntisches Axon" bezeichnet, obwohl es - anders als ein
gewöhnlicher Dendnt - Aktionspotenziale generiert)
8eisp.ef·
sensoble Neurone
in Spinalgangloen
in sensiblen H mneJVenganglien
Funlrtlont'l/e Elnttllun~g:__ _
Projektlonsneurone (Golgo·Typ·l·Zellen) große Penkarya
lange Axone leoten Erregungen in weot endernte Areale
Beispiel:
Pyramidenzellen Endhirnrinde
Interneurane (GolgHyp-2-Zellen) kleine Perlkarya
kurze Axone zu Neuronen in der unmittelbaren Umgebung
I Be.splel
Sternzellen Kleinhornronde
1 Grundlagen zum Nervensyst em Die Bauelemente des Nervensystems 9
enrh:llt eine große Anzahl acetylchohnhaltlgcr Synapsen en passant: im Verlauf e1nes Axons. an
111 Vcs1kel.
Neuroglandulare Synapsen: zwischen Neuronen
einer Varikositilt; Vorkommen: v. a. bei vegetati-
ven Axonen.
und exokrinen oder endokrinen Drüsenzellen.
1.3.2.4 Die Einteilung nach der Funktion
1.3.2.3 Die Einteilung nach der Lokalisation des Nach der Funktion der Synapsen. die vom Trans-
Endknopfes (Bouton) mitter und vom Rezeptortyp abhängt. unterschei -
Oie interneuronalen Synapsen lassen sich je nach det man:
Lokalisation des Endknopfes (Bouton) am postsyn- exzi taro rische (erregende ) Synapsen (- Auslö-
aptischen Neuron weiter unterscheiden in: sung eines Aktionspotenzials an dE'r postsynap-
- axodendritische Synapsen (am häufigsten): zwi- tischen Nervenzelle wird begunstigt) und
schen Axonende und Dendritenschaft oder Den- inhibitorische ( hemmende) Synapsen (--> Auslö-
dritenspme (Dornsynapsen) sung eines Aktionspotenzials an der posrsynap-
axosomatlsche Synapsen: zwischen Axonende tischen Nervenzelle wird erschwert~
und Perikaryon Einige Transmitter wirken m Abhäng1gke1t vom Re-
axoaxonale Synapsen: zwischen Axonende und zeptor erregend oder hemmend (s. u.).
Initialsegment oder präterminalem Abschnitt ei- Exzitatorische (erregende) Synapsen (häufig axo-
nes anderen Axons. dendritisch) sind elektronenmikroskopisch in der
Seltenere Synapsenformen I Regel asymmetrisch (Gray·I·Synapsen ): d. h. unter
Neben der Interaktion des Axons mit anderen Neu- der rezeptortragenden postsynaptischen Membran
ronabschnitten. können auch Dendriten und Zell- befindet sich vermehrt elektronendi chtes Ma terial
leib untereinander in synaptischer Verbindung ste- (posrsynaptische Dichte mit Proteinen. die ei ne Dif-
hen: fusion von Rezeptormolekülen aus der postsynapti-
- somatadendritische Synapsen schen Membran verhindern und bei Aktivierung
- dendrosomatische Synapsen chemische Signale geneneren). Das präsynaptische
- somatosomatische Synapsen Neuron enthält runde Vesikel.
- dendrodendriusche Synapsen: häufig rez1prok Inhibitorische (hemmende) Synapsen sind symme-
(zwe1 synaptische Abschnitte an einer Synapse. trisch (Gray-tl-Synapsen). d. h. die gegenüberliegen-
mit Signalübertragung in beide Richtungen. was den prä- und postsynaptischen Verdichtungen sind
eine absolute Ausnahme darstellt. da die Über- etwa gleich breit. Präsynapusch finden sich zahlrei-
tragung sonst immer nur unidirektional erfolgt). che ovale Vesikel.
Ebenfalls seltener kommen folgende Spezialformen Die präsynaptischen Verdichtungen und die angela-
von synaptischE'n Kontakten vor: gerten Vesikel sind die aktiven Zonen (. Orte der
synaptlsche Glomeruli: aus Axonen und Oendn - Exozytose). Hier finden SICh zahlreiche Proteine in
ten: mit zahlreichen Synapsen. um einen zentral der Vesikelmembran und m der präsynaptischen
hegenden Oendnten oder eine zemral hegende Membran (z. 8. Synaptotagmm. Synraxin. SNAP 25).
Axontermmale: durch Astrozyten abgegrenzt: die an der Exozytose beteiligt sind. ln der präsyn-
Vorkommen: z. B. in der Kleinhirnrinde. 1m Bul- aptischen Membran hegen zudem Ca 2 • -Kanäle. de-
bus olfactorius und im Thalamus ren Öffnung durch em emtreffendes Aktionspo-
komplexe Synapsen: bei Dornsynapsen. Bouton tenzial zur Erhöhung der mitrazellulären Ca 2 ' -
umfasst gesamten Dorn mit zahlreichen Synap- Konzentration fuhrt ( • Vorbedingung für die Exozy-
sen tose).
Band-Synapsen (• Ribbon-Synapsen): setzen
fortlau fend Neurotransmitter frei und erst durch
das Sistieren wird ein Signal generiert: Vorkom-
men: z. 8. Photorezeptoren (Retina )
serielle Synapsen: axodendritische Synapse +
axoaxonale Synapse (nebeneinander)
1 Grundlagen zum Nervensystem Oie Bauelemente des Nervensystems 11
Die Funktion
Oie Astrozyren übernehmen vielfaltige Aufgaben,
die im Folgenden aufgefUhn sind:
Stützfunktion (onsre//e eines bindegewebigen
Stromas)
Regulation der K"-Konzentratton in der Extrazel-
lularflüssigkeit
Bedeckung von Synapsen durch Astrozytenfon-
sätze: Aufnahme und Metabolisierung von
b Transmietern (z. B. Glutamat)
- Bildung von GrenzschiChten zu nicht-neurona-
Abb. 1.4 Fibrillärer (a) und protoplasmatlscher (b) Astrozyt len Geweben mittels verbreitener Füßchen der
Astrozytenfortsätze:
• Membrana limi tans gliae perivascu laris (Giia-
- fibrilläre (fibrillenreiche) Astrozyten (Abb. 1.4a) • grenzmembran um Kapillaren)
Faserastrozyten mir langen dünnen Fonsätzen • Membrana limitans ghae superficialis (Giia-
(vornehmlich in der weißen Substanz) grenzmembran an der OberOäche des ZNS)
- proloplasmatische Astrozyten (Abb. 1.4b) mit Umhüllung von Bündeln markloser Axone
kurzen. dicken. stärker verzweigten Fons.'ltzen (s. S. 16)
( hauprslichlich in der grauen Substanz). - Sekretion von neurotrophen Faktoren
Unteremander stehen Astrozyten über Gap JUnctt- - Bildung von Glianarben durch Proliferation der
ons (Nexus) miteinander in Verbindung. Asrrozyren nach Verletzungen oder Erkrankun-
gen (wie Entzündungen. z. B. Poliomyelitis).
ben. Die Oligodendrozyten bilden die Markschei- werden die Mikrogliazellen dem mononukl eären ( •
den (s. S. 15) im ZNS und sind somit in der weißen monozytären) Phagozyten-System (MPS) zugeord-
Substanz besonders zahlreich anzutreffen. Ihre net: Sie gehen im Knochenmark aus denselben Vor-
Funktion mnerhalb der grauen Substanz. wo sich läuferzellen wie die Blutmonozyten hervor, können
auch Oligodendrozyten finden. ist bisher mcht ge- phagozycieren ( Makrophagen des ZN$) und dienen
klärt. zudem als Ancigen-priisenrierende Zellen. Somit sind
sie an der unspezifischen und spezifischen Abwehr
1.3.3.4 Die Mikrogliazellen im ZNS beteiligt (Teil des Abwehrsystem). Nach Aktivierung
Die Mikrogliazellen ( nach ihrem Erstbeschreiber sind die Mikrogliazellen zudem amöboid beweg-
auch Hortega-Zellen genannt) sind die kleinsten lich. proliferieren und sezernieren zytotoxische
Gliazellen (Abb. 1.6). Sie kommen sowohl in der Substanzen (wie z. B. Zytokine). Bei vielen ZNS-Er-
grauen als auch in der weißen Substanz vor und krankungen sind die Mikroglia zellen vermehrt und
liegen hiiufig in der N:ihe von Geläßen (perivosku- phagozytieren (z. B. die Myelinabbauprodukre bei
läre Mikroglia). Die Mikroglia wird durch unter- der Multiplen Sklerose).
schiedliche Schädigungen/Erkrankungen des ZN$
aktiviert (s. u.). weshalb man ruhende und akti- 1.3.3.5 Die Ependymzellen im ZNS
vierte Mikrogliazellen mit unterschiedlicher Form Das Ependym kleidet die Hirnventrikel und den
venemander unterscheiden kann: Zentralkanal des Rückenmarks aus. Es besteht aus
Ruhende Mikrogliazellen besitzen dünne und 1so- b1s hochprismatischen epithelahnliehen Zellen,
lange Fons:ltze. die stark vetzweigt sind (ramifl- die einen einschichtigen Zellverband bilden
zierte Mlkroglla). (Abb. 1.7). Die Ependymzellen sind uber Nexus und
Aktivierte Mlkroglla hat kurze und dickere Desmosomen miteinander verbunden und besitzen
(plumpe) Fortsätze. meist Kinozilien.
Durch ihre Herkunft unterscheiden sich die Mikro- Besondere Formen von Ependymzellen sind die Ta·
gliazellen von allen anderen Glia- und Nervenzell- nyzyten und das Epithel des Plexus choroideus. Ta-
rypen: S1e entstehen nicht aus dem NeuroepitheL nyzyten kommen im Ependym des 111. und IV. Ven-
sondern wandern während der Fetalentwicklung 111 trikels vor. Sie besitzen oft nur eine Kinozilie und
das ZNS em. Aufgrund ihrer Herkunft und Funktion sind charakterisien durch emen langen basalen
14 1 Grundlagen zum Nervensystem Die Bauelemente des Nervensystems
ptomen wie z. B. Sensibilitätsstörungen. motorischen (Axone sam t Myehn) zerfallen. d1e Schwann-Zellen
111 Defiziten, Kleinhirnsymptomen (s. S. 119). Blasen· und
Sexual itätsfunktionsstörungen sowie Sehst örungen
werden dabei zwar geschädigt. sterben aber nicht
ab. Die Axon- und Myelinreste werden durch ein-
(durch Schädigungen des N. opticus. s. S. 211 oder des gewanderte Makrophagen abgeräumt
Hirnstamms). in den multiplen Herden wuchern Astro- Im Rahmen der anschließenden Regeneration proli-
zyten und bilden eine Fasergliose (daher der Name ferieren die vual gebliebenen Schwano-Zellen und
.Multiple Sklerose"). Meist verlauft die Erkrankung lagern sich röhrenförmig zusammen. Vom proxi-
schubförmig mit vollständiger Erholung oder bleiben- malen Axonstumpf sprossen Fortsätze aus. von de-
der Restsymptomatik, wobei in den verschiedenen nen einer in die röhrenförmige Struktur einwächst
Schüben oft unterschiedliche Herdlokalisationen und während die Ubrigen Axonaussprossungen degene-
somit unterschiedliche Symptome auftreten. rieren.
ln etnem peripheren Nerven kommen meist mark- der andere leitet afferente Informationen aus der
haltlge und marklose Nervenfasern vor. Funktionell
sind die meisten Nerven gemischt. d. h. sie enthal -
Penphene (s. S. 8).
Auffällig sind die großen rundlichen Perikarya der
111
ten sowohl afferente als auch efferente Fasern. Es Ganglienzellen mit großem hellen Kern und dem
gibt aber auch rein motorische oder sensible bzw. deutlichen Nucleolus. Die Perikarya enthalten fein
sensorische Nerven. verteilte Nissi-Substanz sowie eventuell lipofuszin
und sind von Mantelzellen umgeben.
Es lassen sich zwei Typen von Perikarya unter-
Ein peripherer Nerv besteht aus Bündeln verschie- scheiden:
dener Nervenfasern und bindegewebigen Die großen. hellen Zellkörper {A-Zellen) haben
Hüllstrukturen. Von diesen spielt das Perineurium myelinisierte FortSätze und dienen der Propria-
eine besonders wichtige Rolle. da es das Milieu der und Mechanorezeption.
Nervenfasern gegenüber dem der Umgebung ab- Die kleinen. dunkleren Zellkörper (B-Zellen) ha-
grenzt. ben wenig myelinisierte oder marklose Fortsätze
und dienen der Schmerzwahrnehmung.
<Z>
...• .. Check-up
111 v' Machen Sie sich klar, was ein Mesaxon ist
(während der Myelinentwicklung und beim
marklosen Nerv).
v' Rekapitulieren Sie, was unter den Begriffen
"Ranvier-Schnürring", "Internodium" und
"Schmidt-lantermann-Einkerbungen" zu
verstehen ist.
v' Überlegen Sie noch einmal, welche Unter-
schiede zwischen myelinisierten und mark-
losen Nervenfasern bestehen.
v' Verdeutlichen Sie sich nochmals die Unter-
schiede zwischen sensiblen und vegetativen
Ganglien.
Klinischer Fall
Blickdiagnose
• Wie lange hast du schon die hellbraunen Flecken
auf dem Rücken und den Armen?" fragte ihn der Kin-
derarzt. den er mit seiner Mutter aufsuchte.•Schon
immer•. hatte er geantwortet. Heute kann sich Mar-
tin nur noch an Fetzen des Gesprächs erinnern. aber
der Arzt hatte sich damals nach ähnlichen Hautverän-
derungen bei anderen Familienmitgliedern erkundigt
und noch viele andere Fragen gestellt. zum Beispiel
ob mit seinen Augen alles in Ordnung wäre. ob ein
Cafe-au-Lalt-Fiedcen sind ein charakteristisches Symptom bei Tumor des Sehnervs bekannt wäre oder und ob er
Neurofibromatose. Dinge bei sich festgestellt hätte, die ihn stören. Mar-
tin weiß noch: Damals erzählte er dem Arzt, dass er
Das Nentensystem und die Haut haben ln der Em- sich manchmal fühlte. als hätte er zwei linke Hände,
bryogenese eine ganz wichtige Gemeinsamkeit: Bel- weil ihm Geschicklichkeitsübungen Probleme bereite-
de entwickeln sich aus dem äußeren Keimblatt, dem ten, und dass er im Gegensatz zu seinen Mitschülern
Ektoderm. Die so genannten neurokutanen Erkran- immer noch nicht Fahrrad ohne Stützen fahren
kungen spiegeln dieses Muster der Embryogenese könnte. Der junge erinnert sich auch daran, wie seine
wider. Bel der Neuroflbromatose, der häufigsten Mutter in der Sprechstunde darüber klagte. dass er in
neurokutanen Erkrankung. treten unter anderem der Schule so schlecht wäre.
gutartige Tumoren auf, die vom Bindegewebe der
Hautnerven entspringen: die Neuroflbrorne. Zahlreiche Untersuchungen
Nach dem Besuch beim Kinderarzt musste Martin
Grausame Schulkameraden viele Untersuchungen über sich ergehen lassen. Der
.Schepp-Maul. Schepp-Maul!" hört Martin die schrille Pädiater erklärte ihm damals die Neurofibromatose:
Stimme seines Klassenkameraden Hans-Peter hinter eine erbliche Krankheit, die gutartige Geschwülste in
sich rufen. Der Fünftklässler hält sich die Ohren zu. den Nerven und in der Haut macht. Er ließ ein MRT-
Seine Schulkameraden lachen ihn des Ofteren aus - Bild vom Kopf und Röntgenbilder von Martins Kno-
wegen seines Gesichtes. Der 9-Jährige hat einen Tu- chen machen. weil er Veränderungen ausschließen
mor in der Wange, der seine rechte Gesichtshälfte wollte. Anschließend sollte der 10-Jährige zum Au-
nach unten zieht. Was hinter dem Tumor steckt. will genarzt. Dieser wollte wissen, ob sich im Sehnerv ein
Martin niemandem in der Schule erzählen. Er denkt, Tumor befindet. Zum Glück fiel die Untersuchung un-
dass es kaum jemand verstehen würde. AuSerdern auffällig aus. Auch der neurologische Befund war nor-
fürchtet er. noch mehr ausgelacht zu werden, wenn mal. Schließlich suchte Martin den Hautarzt auf. Die-
die Mit schüler um seine Krankheit wissen. ser fand in seiner Haut mehrere Knöt chen und
bestätigte die Diagnose des Pädiaters.
eate-au-Lalt-Fiecken
Seit einem Jahr weiß der 9-Jährige, womit er sein Le- Chirurgische Therapie: gut
ben lang kämpfen muss. Der große Tumor. der Martins rechte Gesichtshälfte
Die Diagnose heißt Morbus Recklinghausen, anders entstellt, wird schließlich operiert. Das plastische Er-
Neurofibromatose genannt. Alles fing damit an, dass gebnis ist klasse: Das Gesicht des jungen ist wieder
seine Mutter auf Hautverfärbungen aufmerksam ge- symmetrisch. ln der histopathologischen Untersu-
worden war. die er auf dem Rücken. am Hals und an chung finden die Spezialisten ein plexiformes Neurofi-
den Armen hat. Sie sehen aus wie große Sommer- brom. Es ist ein typischer Befund bei Morbus Reck-
sprossen und stören ihn nicht weiter. Nur beim linghausen.
2 Entwicklung des Nervensystems Die Neuru lation und die Neuralleiste 21
2 Entwicklung des Nervensystems Wenn Sie sich die Lagebeziehung des Ekto-
derms innerhalb der dreiblättrigen Keim-
2.1 Der Überblick scheibe vergegenwärtigen wollen, schlagen
Sie ln einem Embryologiebuch die Vorgänge 111
Das kompliziert aufgebaute ZNS entwickelt sich während der dritten Entwicklungswoche
aus einer morphologisch relativ einfach geformten nach.
Anlage. dem Neuralrohr. Der vordere Anteil des
Neuralrohrs wächst sehr schnell, wodurch es zur 2 .2.1 Die Neu rulation - Entstehung des
Formentwicklung des Gehirns ( mit Bläschen und Neuralro hrs
Abkmckungen) kommt. Im Inneren des Rücken- Das Ektoderm. das im Entwicklungsstadium der
marks und Gehirns sind (in Schninpräparaten) dreiblättrigen Keimscheibe neben Ento- und Meso-
Schich ten/Zonen nachweisbar, die verschiedene derm vorliegt, ist kein e inheitliches Keimblatt
entwicklungsgeschichtliche Prozesse widerspiegeln. (Abb. 2.1 ). Es gliedert sich zunächst vielmehr in:
Dazu gehören: - Neuroektoderm ( mittlerer Abschnitt -+ ZNS)
Proliferation (Vermehrung von Nerven- und und
Gliavorlauferzellen) - epitheliales Ektoderm (-+ Epidermis der Haut ).
Migration (Wanderung von Vorläuferzellen zu
ihren Zielgebieten)
I Klini\Cher Bezug
Auswachsen von Axonen in ihre Zielgebiete Phakomatosen: Unter diesem Begriff werden konge-
- Synapsenblldung. nitale Erkrankungen zusammengefasst, deren gemein-
Im Zuge der Entwicklung entstehen aus dem Hohl- sames Merkmal Anomalien des Nervensystems und
raum des Neuralrohrs im Bereich der Hirnbläschen der Haut (neurokutane Syndrome. s. auch S. 20) sind.
die Ventrikel I- IV, im Rückenmark der Canalis cen- Vorwiegend werden sie autosomal dominant vererbt
tralis. und gehen meist mit Tumoren oder tumorartigen
Fehlbildungen des Nervensystems und der Haut ein-
<I>
her. Zu den Phakomatosen gehoren u. a.:
~A~ Sehen SIP dll! kompliziertPn Entwlcldungs- - Tuberose Sklerose: Die~e Erkrankung i~t dureil die
vorgänge des Nervensystems nicht als ~Ballastw Symptomtrias Epilepsie. geistige Behinderung und
an, sondern nutzen Sie die ln diesem Kapitel Adenoma sebaceum gekennzeichnet. Im Gehirn
beschriebenen wesentlichen Grundlagen der sind die tumorartigen Gliawucherungen (verkal-
Neuroembryologie als Lernhllfe. Sie ermöglichen kend) meist subependymal in der Wand der Seiten-
es Ihnen, funktionelle und topographische Zu- ventrikel zu finden. Neben anderen Hauterscheinun-
sammenhange der Neuroanatomie besser zu ver- gen sind gutartige Gefäßtumoren (Angiofibrome) in
stehen. der Haut v. a. als multiple kleine Papeln im Bereich
der Nasolabialfalten (Adenoma sebaceum) sicht bar.
2.2 Die Neurulation und die Neuroflbromatose (Morbus Reckllnghausen): Die
Neuralleiste Haut zeigt Pigmentanomalien (hellbraune Cafe-au-
;
...... Lerncoach
lait-Fiecken). Vom Bindegewebe der Hautnerven
gehen multiple knotige. gutartige Tumoren aus
Machen Sie sich beim lesen dieses Kapitels (kutane Neurofibrome). Bei einer anderen Form
zunächst klar, dass sich das Nervensystem der Erkrankung treten meist bilaterale Akustikus-
aus dem äußeren der drei embryonalen neurinome (s. S. 113) und Meningeome (von der
Keimblätter (Ektoderm) entwickelt. Aus ihm Arachnoidea ausgehende gutartige Tumoren) auf.
entstehen das Neuralrohr und die Neurallels-
ten. Beachten Sie die Sonderstellung der Neu-
rallelste, aus der sich sehr unterschiedliche
Gewebe bilden.
22 2 Entwicklung des Nervensystems Die Neurulation und die Neuralleiste
I Neuralleiste
2 Chorda dorsalis
3 Neuralfalten
4 Neuralrinne
5 Neuralrohr
6 Oberflachenektoderm
7 Spmalgangl1on
1 (-7)
2
d
- Schwann-Zellen
1 Oe<kplaue
Mantelzellen
r2 Mantelzone
Nebennierenmarkszellen
Melanozyten der Haut
C-Zellen der Schalddrüse
9
3 Ventrokularzoroe
4 Zentralkanal
5 Marginalzone
6 Bodenplane
11
8
Mesenchymzellen des Kopfes (Kopfmesekto- 7 Grundplane
8 Sulcus limltan$
derm~ 9 Flügelplatte
«> 7
..• ... Check-up
tl' Rekapitulieren Sie, was die Neuralleiste ist
und welche Strukturen sich aus ihr ent- 6
wickeln. Abb. 2.2 Anlage des Rückenmarks im QuerschOllt
Aus dem kaudalen Abschnart des Neuralrohrs ent- Spinale Muskelatrophie (SMA): Diese neuromuskulä-
steht das Rückenmark. Im Neuroepithel (. Neuro- re Erkrarokung führt zum Untergang von Moloneuro-
epithelschicht. Prollferatlons- oder Ventrtkul.uzoroe) nen im Vorderhom. Bei der autosomal rezessiv
entstehero durch Proliferation immer mehr Neuro- vererbten Form liegt der genetische Defekt im . survi-
blasten. Nicht mehr tealungstahage Proneurone val motor neuroro (SMN) gene" auf Chromosom 5.
wandern aus der Proliferauonszone radaal aus. Nach Alter bei Krankheitsbeginn und Schweregrad
Die Migration (Wanderung) erfolgt entlang von werden verschiedene Typen unterschieden. Bei frOher
spezialisierten Gliazellen. den Radlalgllazellen. die Manifestation der atropischen Paresen (Lähmungen)
schon vor den Proneuronen entstehen. Sie besitzen wirken die betroffenen Kinder durch den herabgesetz-
lange radiale Fortsätze. Die ausgewanderten Pro- ten Muskeltorous insgesamt schlaff (.Hoppy infants").
neurone bilden um das Neuroepathel die Mantelzo- Eiroe wirksame Therapie ist nicht bekannt, die Prog-
roe. aus der die graue Substanz des Ruckenmarks nose ist infaust.
hervorgeht. Um die Mantelzone herum liegt die
Marglnalzoroe (Randschleier). die durch das Ein- Die Flügelplatte wird zum sensiblen Hinterhorn
wachsen von Axonen emstehr und der Vorläufer (somatoafferent). vor dem als Teil des Seitenhorns
der weißen Substanz des Rückenmarks ast (Abb. 2.2 viszeraafferente Neurene liegen (Fiügelplatte • so-
und T•b. 2.1). mato-viszero-sensible Zone). Die afferenten Axone,
Die Mantelzone nimmt durch ständig einwachsen- die über die Hinterwurzel das Rückenmark errei-
de Proneurone und durch Differenzierung der Neu- chen. wachsen aus den Perikarya der unipolaren
24 2 Entwicklung des Nervensystems Die Entwicklu ng d es Gehirns
2.4.1 Die Ausbildung der Form primaren Bläschen die sekundären Hirnbläschen
hervor. Der Hohlraum des Neuralrohrs w ird im Zu-
2.4.1. 1 Die Hirnbläschen ge der Bläschenbildungen zu den vier Ventrikeln.
Schon in der 4. Woche sind im rostralen Abschnitt Tabelle 2.2 und Abbildung 2.3 fassen diese Ent-
des Neuralrohrs drei hintereinander gelegene bla- w icklungsprozesse mit den wichtigsten Hirnstruk-
senrörmige Auftreibungen zu erkennen: die primä- turen. die aus den einzelnen Bläschen hervorgehen,
ren Hirnbläschen. Ab der 5. Woche gehen aus den zusammen.
1 Riechplakode
19 2 Anlage der Seitenventrikel
3 Anlage des 111. Ventrikels
18 2 4 Linsenplakode
5 Thalamus
17 6 Vierhügelplatte
7 Ohrbläschen
3
8 Anlage des IV. Ventrikels
16
9 Anlage des Zentralkanals
4 10 Rückenmark
15 11 Myelencephalon
12 Metencephalon
5
13 späterer Aqueductus mesencephali
14 14 Mesencephalon
6
15 Augenbecher
13 16 Diencephalon
17 Telencephalon
18 Foramen interventriculare
7 19 Lamina terminalis
12 8
10 --------------1 ---------------- 9
Abb. 2.3 Hirnbläschen
links: 6. Entwicklungswoche: rechts: 8. Entwicklungswoche
1 Deckplatte
2 allgcmetn 111szeroefferent
111 8
3 speziell viszeroefferent
4 allgernetn sannatoefferent
5 allgerne1n viszeraafferent
6 spezu~ll v1szeroafferent
7 7 allgeme.1n somataafferent
8 spcz1ell somataafferent
j
9 Sulcus limitans
6
2
5
3
9
4
Abb. 2.4 Kernsäulen im Bereich des Rautenhirns
I I
a 2
'
I
b c
ecessus infundlbularis
8 athke-Tasche
eurohypophyse
Pars tuberal•s
Pars d1stalis
Pars 1ntermed1a
d
Abb. 2.5 Entwicklung der Hypophyse
a 6. Woche; b 8. Woche; c 11. Woche; d 18. Woche
ren Insel. Im Rahmen der Hemisphärenexpansion Sulcus calcarinus mit Area striata (-+ Sehen}
erfolgt zudem eine Rotation um eme Achse. d1e et- und Sulcus panetOOCCipltalis
wa transversal durch die Insel verlauft. D1e Insel Gyri rransvers1 am Gyrus temporalis superior
w1rd dann durch auswachsende Teile (Opercula) {unter dem Sulcus lateralls: - Hören}.
des Frontal-, Parietal- und Temporallappens über- Zum Ende der Schwangerschaft entstehen Sekun-
deckt (Operkularlsation). sodass aus der Fossa late- där- und Tertiarfurchen. d1e individuelle Unter-
ralis der Sulcus lateralis (Sylvii ) entsteht. Anschlie- schiede zeigen.
ßend bilden sich weitere Primärfurchen und Gyri Im Inneren des Endhirns entstehen subkortikale
aus. Die Gyrifizierung beginnt dort. wo sich die pri- Kerne {z. B. Nucleus caudatus. Putamen. Amygda la}
mären Areale (für Motorik. Sensibilität, Sehen. Hö- aus dem Ganglienhügel. eine prominente Verdi-
ren) befinden. also u. a.: ckung der telenzephalen Proliferationszone (in der
Sulcus centralis mit Gyrus precentrahs (- Mo- Wand der Seitenventnkel, grenzt an das Zwischen-
torik) und GyJU~ po~tcenrralis ( • Sens1b1htat) hirn}.
2 Entwicklung des Nervensystems Die Entwickl ung des Gehirns 29
Andenken aus dem Urlaub ken Auge nach links eingeschränkt. Um einen Prozess
im Hirnstamm mit Schädigung der dort liegenden
Hirnnervenkerne auszuschließen. lässt der Mediziner
ein zerebrales MRT der Patientin anfertigen. Nach de-
ren kann er beruhigt sein: Er findet keine Zeichen für
eine Durchblutungsstörung oder andere Pathologien
im Hirnstamm. Inzwischen konnte der Arzt herausfin-
den, dass Helena U. ein paar Wochen zuvor im
Schwarzwald wandern war. Kurz nach ihrer Rückkehr
aus dem Urlaub sei ein Ausschlag auf ihrem rechten
Oberschenkel aufgetreten .•Die Hautverfärbung war
schnell wieder verschwunden. Ich habe mir keine Ge-
danken darüber gemacht". erzählt die junge Frau.
Beim Ze<kenstich ist u.a. die Übertragung von Borrelien Antikörper im Liquor
möglich. die als Krankheitserreger zu den hier geschilderten
Symptomen führen können. Dr. Funke hat jetzt einen starken Verdacht auf Neuro-
borreliose. eine durch Zecken übertragbare Infektion .
• Hatten Sie in letzter Zeit Schmerzen?", vervoll-
Es gibt zwölf Hirnnerven. Manche von ihnen wer- ständigt er die Anamnese. Darauf antwortet Helena
den von Lähmungen häufiger betroffen als andere. U., dass sie vor zwei Wochen ziehende Schmerzen im
Der siebte Hirnnerv, Nervus facialis, wird durch sei- Gesäß hatte, die in das linke Bein ausstrahlten und
nen anatomischen Verlauf bei vielen Erkrankungen sie vor allem nachts geplagt hatten. Oie Beschwerden
in Mitleidenschaft gezogen. Schädelbasisbrüche, seien nach drei Tagen wieder verschwunden gewe-
Mittelohr- und Innenohrerkrankungen sowie lokale sen.•Auch diese Schmerzen passen zur Neuroborre-
Entzündungen - etwa im Rahmen einer Neurobar- liose", denkt der Mediziner. Dann legt er der Frau ei-
rellose - können zu seiner Schädigung führen. nen intravenösen Zugang, nimmt Blut ab und führt
eine Liquorpunktion durch. Anschließend beginnt er
Gelähmte Gesichtshälfte die i. v.-Therapie mit einem gegen Borrelien wirksa-
Klack, klack. klick, klack - die Absätze von Frau U. er- men Antibiotikum.
zeugen ein hallendes Geräusch in dem leeren Gang, Als er am nächsten Tag den Liquorbefund in der
wo die junge Bankkauffrau auf ihr Vorstellungs- Hand hält, freut sich Or. Funke, dass er sofort mit
gespräch wartet. Als sie einen letzten Blick in den der antibiotischen Therapie angefangen hatte: Neben
Spiegel wirft. um den Lippenstift zu kontrollieren. ist einer Zellzahlvermehrung als unspezifisches Ent-
sie verblüfft: Ihr linker Mundwinkel hängt herunter! zündungszeichen zeigt der Befund nachgewiesene
Probeweise lächelt die 24-Jährige ihrem Ebenbild zu lgM·Antikörper gegen Borrelien, die im Liquor ge-
und lässt einen lauten Schrei los: .Aaaaahhhh. mein genüber denen im Serum überproportional erhöht
Mundwinkel bewegt sich nicht!" Auch das linke Auge sind (intrathekale Synthese). jetzt ist der Verdacht
kann sie nicht so gut wie das rechte schließen. Trotz bestätigt: Die Patientin leidet an einer Neuroborre-
ihrer Ratlosigkeit bewahrt die junge Frau einen Hose mit Beteiligung der Hirnnerven N. Facialis und
kühlen Kopf und versucht, während des Vorstellungs- N. abducens.•Sie wurden beim Wandern vermutlich
gesprächs nicht an ihr Gesicht zu denken. Anschlie- von einer Zecke gestochen, die mit dem Bakterium
ßend steigt sie sofort in ein Taxi und fährt ins Kran- Borrelia burgdorferi infiliert war", erklärt der Arzt
kenhaus. der Bankkauffrau.
Nach vierzehn Tagen antibiotischer Therapie kann
Mehrere Hirnnerven geschädigt sich Helena U. gleich zweimal freuen: Die Nervenläh-
ln der Notaufnahme stellt der Neurologe Dr. Funke mungen sind deutlich besser geworden. Außerdem
bei der Untersuchung eine Schädigung mehrerer hat es mit der Arbeitsstelle in Berlin geklappt - trotz
Hirnnerven fest: Neben den von der Patientin bereits des herabhängenden Mundwinkels beim Vorstel-
bemerkten Ausfällen ist auch der Blick mit dem lin- lungsgespräch.
3 Peripheres Nervensystem Die Spinalnerven und ih re Äste 33
•
...... Lerncoach
Differenzieren Sie beim Lesen des folgenden
Abschnitts sorgfältig zwischen Radix (Wur-
zugehörigen Wirbelkörpers austreten:
8 Zervikalnervenpaare
12 Thorakalnervenpaare
5 Lumbalnervenpaare
zel) und Ramus (Ast) anterior bzw. posterior. 5 Sakralnervenpaare
Achten Sie dabei darauf, dass diese beiden 1-3 Kokzygealnervenpaare.
ähnlichen Begriffspaare sehr unterschiedliche
Strukturen beschreiben. 3.2.2 Die Äste des Spinalnervs
Jeder einzelne Spinalnerv (auch Spinalnerven-
stamm genannt) verzweigt sich nach kurzem ge-
meinsamem Verlauf der Fasern in folgende Äste
(Abb. 3.1 ):
16
~~------------------------- 2
~~-------------------- 3
4
6
----- 7
- ---- 8
9
lf' IJ-- - 10
15
___ __,{ 12
14 ~ 13
1 Sulcus medlanus posterior 7 Ganglion spinale 13 Verbindung zum Truncus
2 Columna posterlor 9 N. spinalis mit: sympathicus
3 Columna lateralis 8 Ramus communicans albus 14 Flssura mcdlana anterior
4 Columna anterior 10 Ramus posterior 15 Fila radlcularia der Radixanterior
5 Fasciculus lateralis II Ramus anterior 16 Fila radtcularia der Radix posterior
6 Fasciculus anterior 12 Ramus communicans griseus
Abb. 3.1 Oreldlmensionale Darstellun!j etnes thor~lcalen Ruckenmarkssegments mit Bildung des Spinalnervsaus Vorder· und
Hinterwurul SOW1e Aufteilung in seine Aste (R. mentngeus nicht dargestellt)
Die Farben der fasern deuten die unterschtedhchen Qu.Jitlaten an: rot • somatoefferent. griln • viszeraefferent (sympathisch).
blau • somatoafferent, braun • viszeroafferent.
Ramus anterlor (besonders dick): lediglich d te • N. occipitalis major (aus C2): durchbohrt die
12 thorakalen Rami anteriores bilden jeweils ei- Mm. semispinalis capitis und trapezius und
nen eigenständigen Nerv: Diese II Nn. intercos- innerviert sensibel den Hinterkopf bis zum
tales und der ihnen entsprechende N. subcosta- Scheitel
li~ innervieren segmental über Haut und • N. ocdpltalls tertlus (aus CJ): versorgt sensi-
Muskeläste die ventrolaterale Rum pfwand. Die bel das Hautareal. das sich nahe der Median-
llbngen Rami anteriores bilden Nervenplexus linie an das vom N. occipitalis major inner-
(s. u.). vierte anschließt und anastomosiert mit
Ramus posterior: Er teilt sich in Jewetls emen Letzterem
Ramus medtahs und Ramus laterails auf und • Nn. dunium superiores (lumbal) und medii
versorg1 segmental die autochthonen Rucken- (sakral ).
muskeln sowie die Rücken- und Nackenhaut Im Ramus meningeus (R. recurrens): Dieser relativ
oberen Zervikal- und Lumbesakralbereich haben dünne Ast zieht durch das Foramen interverteb-
die Rr. posteriores eigene Namen: rale zurllck in den Wtrbelkanal. wo er die Rü-
• N. subocclpltalis {aus Cl, rein motorisch ): liegt ckenmarkshäute versorgt.
im Trigonum suboccipitale und innerviert die Rami communlcantes albus (nur auf den Höhen
kurzen Nackenmuskeln (Mm. rectus capitis C8-L2 ) und grlseus: Sie werden von sympathi-
posterior major und minor. Mm. obliquus ca- schen Fasern gebildet, die zwischen Spinalnerv
pitis superior und inferior) sowie dte Mm. und sympathischem Grenzstrang verlaufen. Die
Iongisstmus capitis und semispmails capitls präganglionaren {• ersten) Neurene des Sympa-
3 Peripheres Nervensystem Die Spinalnerven und ihre Äste 35
1- - - - - -_/ 4
3
11~1.------ 10
2- - -
wl~----- 1 1
11 - - - -
12- - - - - . : : -J:;. ------ 13
13-----:::~~~ ~~:-..~"'1~-- 17
s- - -
C7 C7
C8 C8 - - - - 28
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F>---- - - - 34
\ L. - - - - - 39
L-f.kR'\1""'=---- 36
44 ----~
40
a b
aus dem N. iliohypogostricus: Plexus werd en nur aus Rami anteriores gebildet!
29 R. lateralis
30 R. medialis
<I>
aus dem N. ilioinguinalis: ~•... Check-up
31 Nn. Serotales anteriores tl' Führen Sie sich noch einmal den Unter-
aus dem N. genitofemaralis: schied zwischen den Rami anteriores und
32 R. femoralis posteriores vor Augen.
33 R. genitalis
Überlegen Sie, wodurch sich die Derma-
ous dem N. obturotorius: tome von Versorgungsgebieten peripherer
34 R. cutaneus Nerven unterscheiden.
aus dem N. femoralis: Rekapitulieren Sie, welche Spinalnerven
35 Rr. cutanei anteriores (d. h. Spinalnerven welcher Segmente)
36 N. saphenus
präganglionäre sympathische Fasern führen.
aus dem N. cutoneus femaris posterior: Wiederholen Sie, welche Fasern im Ramus
37 Nn. clunium inferiores
38 Endäste des N. cutaneus femoris posterior communicans albus verlaufen.
Wie heißt der Ramus posterior des ersten
aus dem N. tibia/is: Spinalnervs und was innerviert er?
39 N. cutaneus surae medialis
40 Nn. plantares medialis und lateralis
aus den Nn. tibia/is und fibularis communis: 3.3 Der Plexus cervicalis
41 N. suralis
aus dem N. fibularis communis: ; ...
~ Lerncoach
42 N. cutaneus surae lateralis
Die Äste des Plexus cervlcalis können Sie sich
aus dem N. fibularis profundus: gut merken. wenn Sie die motorischen zur in-
43 Nn. digitales dorsales pedis
frahyoidalen Muskulatur, die sensiblen zur
aus dem N. fibularis superfioalts: Haut des Halses (mit angrenzenden Arealen)
44 Nn. cutanei dorsales intermedius und medialis und den für die Atmung wichtigen gemisch·
Abb. 3.2 Hautinnervation ten N. phrenicus getrennt lernen.
a Dermatome (segmentales oder radikuläres lnnervations·
muster)
b Versorgungsgebiete peripherer Nerven Vor Bildung des Plexus cervicalis geben die Ram i
anteriores der Spinalnerven C1-C4 zunächst moto-
rische Äste zu den tiefen Ha lsmuskeln ab (M. rec-
tus capitis anterior und iateralis. M. longus capitis
und colli, Mm. scaieni anterior. medius und poste-
rior). Längere Äste ziehen noch zum M. sternoclei-
domastoideus und zum M. trapezius, die zusätzlich
noch eine Innervation aus dem N. accessorius
(s. S. 72) erhalten.
Anschließend bilden die Rami anteriores aus Cl-
(4 den Plexus cervicalis. Aus ihm gehen hervor:
38 3 Peripheres Nervensystem Der Plexus cervicalis
J
auf dem M. sternocleidomas101deus auf.väns.
8 M. sternocleidomastoideus Hinter dem Angulus mandibulae teilt er sich in
Ramus anterior ( • Kieferwinkel und Vorderseite
9 N. transversus colli mit:
10 Rr. Inferiores der Ohrmuschel) und Ramus posterior (-+ Hinter-
11 Rr. Superiores fläche der Ohrmuschel und Haut hinter dem Ohr).
N. transversus colll: Der Nerv verläuft horizontal
Abb. l.l Sensible Aste des Plexus cerv,calls an Ihrem Aus·
trittspunkt (Erb-Punkt) (bedeckt vom Platysma) über den M. srernoclei-
domastoideus nach ventral zur Halshaut Hier
verzweigt er sich m Rr. supenores und mferio-
rein motorische Aste (über die Ansa cerv1cahs) res. Ein R. supenor verbmdet siCh mit dem mo-
rem sensible Nerven (Austritt am Punctum ner- torischen R. colh nerv1 fac1ahs (-> Innervation
vosum) des Plarysmas) zur sog. Ansa cervlcalis superfi·
N. phremcus (gemischt). cialis.
Nn. supradavlculares: Die Äste strahlen facher-
3.3.1 Die m otori schen Äste (Ansa cervicalis) förmig (unter dem Plarysma) in die Schlüssel-
Die Ansa cervicalis (profunda) ist eine Nerven- bein- und Schultergegend abwärts. Sie versorgen
schlinge aus Ct -C3. die die infrahyoidalen Muskeln die Haut über der ClavJcula. über der Pars clavi-
innerviert. cularis des M. pectoralis major und über dem
Sie setzt sich aus zwei Wurzeln zusammen: Die Schultergelenk. Es werden unterschieden; Nn.
motorischen Fasern aus Cl bilden die Radix supe· supraclaviculares med1ales. inrermedii und late-
rior. Sie zieht zunächst über eine kurze Strecke mit rales.
3 Peripheres Nervensystem Der Plexus brachialis 39
3.3.3 Der Nervu s phrenicus Der Plexus brachialis wird hauptsächlich von den
Der gemischte N. phrenicus innerviert das Zwerch- Rami anteriores aus es- es und Th 1 gebildet: klei-
fell motorisch und hat zudem sensible Äste zum nere Zuflüsse kommen über Verbindungsäste aus
Perikard ( mit R. pericardiacus). zur Pleura und zum e4 und Th2. in seinem Verlauf bilden sich zunächst
Peritoneum im Oberbauch ( mit Rr. phrenicoabdo- drei Trunci (Primärstränge). die sich jeweils in zwei
minales). Anteile auftei len. Diese Anteile ( Divisiones) lagern
Er enthält größtenteils Fasern aus e4 sowie Ne- sich zu drei Fasciculi (Sekundärstränge) zusammen
benäste aus 0 und es. Auf dem M. scalenus ame- (Abb. 3.4).
rior verläuft er (begleitet von der A. cervicalis as-
cendens ) abwärts und gelangt dann zwischen A. 3.4.1 Die Bildung der Trunci u nd Äste d er
und V. subclavia durch die obere Thoraxapertur zu - Pars supraclavicularis
nächst in das obere Mediastinum). Hier zieht er Nach kurzem Verlauf formieren sich die Rr. anterio-
vor dem Lungenhilum abwärts in das mittlere Me- res zu 3 Trunci:
diastinum (zwischen Pleura mediastinalis und Peri- - Truncus superior: aus eS und e6 (und kleinere
kard) zum Zwerchfell. Begleitet wird er dabei von Zuflüsse aus e4)
der A. pericardiacophrenica. - Truncus medius: aus e7
- Truncus inferior: aus C8 und Th1 (und kleinere
Zuflüsse aus Th2).
Läsion des N. phrenicus: Bei einseitiger Schädigung Die Trunci ziehen oberhalb der A. subclavia durch
des N. phrenicus kommt es zum Zwerchfellhochstand. die Skalenuslücke (zwischen den Mm. scalenus an-
den man im Röntgenbild erkennen kann. Da das terior und medius ) und teilen sich jeweils in einen
Zwerchfell der Hauptatemmuskel ist. droht bei beid· vorderen und hinteren Ast (Divisiones anteriores
seitigern Ausfall bzw. zentraler Schädigung der Neu- und posteriores ).
rone im Bereich der Rückenmarkssegmente C3-C5 Die Äste. die den Plexus direkt aus den Rami ante-
die Gefahr lebensbedrohlicher Störungen der Atmung. riores oder den Trunci oberhalb der Clavicula ver-
lassen. bi lden die Pars supraclavicularis (Tab. 3.2).
Unterhalb der elavicula (Pars infraclavicularis) ge-
<D
hen die Äste in der Regel aus den Faszikeln hervor.
..• ... eheck-up
Wiederholen Sie, welche Nerven am Punc- <D
tum nervosum austreten. ~·~ lassen Sie sich nicht durch die z. T. vonein-
Rekapitulieren Sie den Verlauf und das Ver- ander abweichenden Zuordnungen der Nerven
sorgungsgebiet des N. phrenicus. zur Pars supra- oder lnfraclavicularis verwirren.
Entscheidend sind Ihr Verlauf und das jeweilige
Versorgungsgeblet, wodurch ein Rückschluss von
3.4 Der Plexus brachialis bestimmten Ausfallserscheinungen auf den je-
;
..... Lerncoach
weils geschädigten Nerv und den Läsionsort
möglich Ist.
Die Nerven des Plexus brachialis (Armge-
flecht) versorgen motorisch und sensibel die
obere Extremität lnkl. Schultergürtel. Er zeigt
im Vergleich zu anderen Plexus eine recht Läsion des N. thoracicus longus (.Rucksackläh-
komplizierte Verflechtung zu Trunci und Fas- mung*): Typischerweise kommt es zur Scapula alata.
ciculi. Versuchen Sie den Überblick darüber d. h. zu einem Abheben des medialen Scapularandes
zu behalten. aus welchem Faszikel jeweils die vom Thorax. Die Scapula alata wird beim Stemmen
langen gemischten Nerven zum Arm hervor- der ausgestreckten Arme gegen eine Wand besonders
gehen. gut sichtbar.
40 3 Peripheres Nervensyst em Der Plexus brachialis
1 N. radialis
1 2 N. cutaneus brachii posterior
3 N. cutaneus brachii lateralis inferior
4 R. profundus mit:
5 N. interosseus posterior
6 R. superficialis mit:
7 R. communicans ulnaris
8 Nn. digitales dorsales
M. triceps brachii:
16 Caput mediale
17 Caput laterale
18 Caput longum
Abb. 3.5 N. radialis und seine Äste am rechten Arm (Ansicht von dorsal)
3 Peripheres Nervensystem Der Plexus brachialis 43
Aste des N. r •+
Äst~ mit Höh~ ihru Abgangs Innervierte Strukturen
om Oberarm:
- Rr. musculanes ~ M. triceps brachii
.... M. anconeus
- N. cutaneus brachll posterior .... Hautareal am dorsomedialen Oberarm
- N. cutaneus brachil lateralis inferoor ~ Haut des laterodorsalen Oberarms
- N cutaneus antebrachii posterio< ~ Hautareal über dem Ellenbo<J~n bts zum dorsalen Unterarm
durch Ausfall der Extensoren am Unterarm gar reflex dieses Muskels (s. S. 87) ist nicht auslösbar
nicht mehr möglich (Fallhand). ln der neurologi· bzw. abgeschwächt. Die Sensibilität ist in allen vom
sehen Untersuchung unterbleibt die Flexion im EI· N. radialis innervierten Hautbereichen gestört.
Jenbogengelenk beim Schlag auf das distale Radius·
ende am leicht gebeugten und proniertem Arm 3.4.2.2 Der Nervus medianus
(Abschwächung/Ausfall des Brachioradialis- oder
Radiusperiostreflexes durch Lähmung der aufs EI· Der Verlauf des N. medionus und seiner Äste
Jenbogengelenk flektierend wirkenden radialen Der Nerv entsteht auf der A. axi llaris durch Vereini-
Muskelgruppe). Zusätzlich kommt es je nach gung seiner medialen Wurzel aus dem Fasciculus
Läsionshöhe zu Sensibilitätsstörungen in den vom medialis mit seiner lateralen Wurzel aus dem Fas-
N. radialis innervierten Hautarealen. ciculus lateralis (Medianusgabel). Dann verläuft er
Kommt es zur Verletzung im Bereich der Axillo kann im Sulcus bicipiralis medialts (vor dem Septum in·
auch das Ellenbogengelenk durch den M. triceps termusculare mediale) zusammen mir der A. bra-
brachii nicht mehr gestreckt werden und der Eigen· chialis und N. cutaneus antebrachit medialis zur EI-
1 fasciculus medialis
2 fasdculus later alls
1
2 3 N. muscuiO<utaneus mit:
3 4 N. cutaneus antebrachii lateralis
14
5 5 N. medianus mit:
9 6 N. interosseus antebrachii anterior
7 Nn. digitales palmares communes
8 Nn. dig1tales palmares proprii
13 12 M. pronator teres
13 M. brachialis
14 M. coracobrachialis
10 ~
12
4
11
6
Abb. 3.6 N. medianus. N. musculocutaMUs und N. cutan~s antebrachii mediahs m11 1hren Asten •m rechten Arm (Ansicht
von~tr.,)
3 Peripheres Nerve nsyste m Der Plexus brachialis 45
Abb. 3.7 Flasd>enlek hen bei MedianuslaSIOn (a) im Vergleich zur Normalsotu.-.tion (b)
46 3 Peripheres Nervensystem Der Plexus brachialis
lUr Hand:
- R. palmans n. mediani • Haut des Daumenballens (Thenar) und der lateralen Hohlhand
- Rr. musculares - oberflachlieh gelegene Thenanmuskeln:
- M . .Jbcluctor pollicis brevis
M. opponens poilleis
- Caput superfkiale des M . flexor polhm br~s
- Mm. lumbflcales I und ll110n den mtttleren kurzen Handmuskeln
- Nn. dogttales palmares communes 1-111 m•t - palmare Haut der 3 '/, radialen Finger
Nn. dtgttales palmares proprii - Dors.llsette der Endphalangen dieser Finger
- R. communluns cum n ulnaris Verbmdungsast zum Ramus superfidalis des N. ulnans
3.4.2.3 Der Nervus ulnaris Das Versorgungsgebiet des N. ulnaris und seiner Äste
1 Fasciculus medialis
2 Fasciculus posterior
1
3 N. axillaris mit:
16 2 4 N. cutaneus brachii lateralis Superior
3
5 N. ulnaris mit:
4 6 Rami musculares
7 R. dorsalis nervi ulnaris
8 R. palmaris nervi ulnaris
15 9 R. profundus
5
10 R. superficialis mit:
11 N. digitalis palmaris communis und
12 Nn. digitales palmares proprii
15 M. teres minor
16 M. deltoideus
14
13
~--------------- 9
r----------------- 10
l~--------------- 11
~------------- 12
Abb. 3. 8 N. ulnaris und N. aJCillaris (s. S. 41) mit ihren Ästen am rechten Arm (Ansicht von ventral)
-
... . .. ..··
'o
...• ··.:....
.~
Aste dn N. uNrts
Ast lnMrvlerte Strukturen
zum Unterarm:
- Rr. musculares - M. rlexor carpl ulnaris
• M. rlexor digitorum prorundus (ulnarer Teil)
zur Hand:
- R. dors.llos n. ulnans - Haut der ulnaren Handrückenhalhe
- Anastomose mot dem R. superfkialos des N. radiahs
- Nn. dogotales dorsales • dorsale Haut der 11; ulnaren Finger (bos aur doe Endglteder. die von p.1lmaren
Ästen mitversorgt werden)
- R. palmarls n. ulnans - Haut des Kleinfingerballens
- R. Superficialls
- N digotahs p.1lmans communos - palmare Haut der 1\; ulnaren Finger und deren Endphalangen aur der Dorsalseote
- Nn. digitales p.1imares proprii
- R. profundus - Hypothenarmuskeln.
M. abductor dogou mommi
- M. nexor digotl minimi
- M. opponens dlgitl minimi
• Von den mittleren kurzen Handmuskeln:
Mm. interosseo p.1lmares und dorsales
- Mm. lumbricales 111 und IV
- am Thenar doe toeren Muskeln:
- M. adductor polhcis (mit Caput transversum und Caput obhquum)
- Caput prorundum des M. flexor poilleis brevis
flexor pollicis longus wird nicht durch den N. ulnaris, Rekapitulieren Sie Insbesondere Verlauf,
sondern durch den N. medianus innerviert). Bei länger Äste und Versorgungsgebiet folgender Ner·
bestehender Ulnarisschädigung kann es zu einer Hy- ven des Plexus brachlalls: N. thoraclcus lon-
pothenaratrophie kommen. gus, N. musculocutaneus, N. axillaris, N. ra-
Mögliche Lähmungsursachen sind: Ellenbogenverlet· dialis, N. medianus und N. ulnaris. Die
zungen, chronische Druckschädigung im Sulcus n. ul- häufig geprüften Ausfallserscheinungen der
naris (längeres, auch berufsbedingtes Aufstützen des Nerven können Ihnen helfen, sich nochmals
Ellenbogens), Anomalien Im Sulcus n. ulnaris (mit Ihre jeweiligen Funktionen vor Augen zu
Herausspringen des Nervs aus seinem Sulcus beim führen.
Beugen des Ellenbogens). Schnittverletzungen oder
Druckschädigungen an der Handwun;el (langjähriger
3.5 Der Plexus Jumbosacralis
Umgang mit bestimmten Arbeitsinstrumenten. z. B.
Schmiedehammer) oder chronische Schädigung in der ;
...... Lerncoach
Guyon·loge. in Abhängigkeit von der läsionshöhe
Teile der unteren Rumpfwand sowie die un-
kann die Sensibilität ebenfalls gestört oder intakt sein
tere Extremität erhalten Ihre Nervenversor-
(vgl. sensible Äste, Tab. 3.6).
gung aus dem Plexus lumbosacralis (lenden-
kreuzbelngeflecht, Abb. 3.10). Die Untertei-
<I> lung ln Plexus Iumbaiis und Plexus sacralls
...• ... Check· up können Sie zur groben Orientierung nutzen:
V' Wiederholen Sie zur Bildung des Plexus Fasern .höheren" Ursprungs sind vorrangig
brachlalis: an der nervalen Versorgung von Bauchwand
- woher die Fasern der 3 Truncl stammen, sowie ventrolateralem Ober· und Unter-
- aus welchen Anteilen der Truncl welcher schenkel beteiligt, während Fasern aus wei-
Fasclculus entsteht und ter kaudal gelegenen ROckenmarkssegmen -
- welche großen Äste des Plexus brachialis ten eher dorsal gelegene Strukturen des
aus welchem Faseleulos hervorgehen. Beins Inklusive Fuß Innervieren.
3 Peripheres Nervensystem Der Plexus lumbosacralis 49
25
1
N. subcostalis
Plexus sacralis:
=l
Nn. glutei Superior und Inferior
24 3 N. pudendus
17 4 N. ischiadicus
23 5 N. cutaneus femoris posterior
22
6 Ug. inguinale
16
21 7 Foramen obturatum
15
20 18 Plexus lumbalis:
14 8 N obturatorius
13 9 N femoralis
2 11 N. cutaneus femoris lateralis
12
15 N. geMofemoralis m11:
11 12 R. genitalis
10 6 I0 R. femoralis
16 N.llioinguinalis mit:
3 17 N. 11iohypogastricus m1t:
I 3 R. cutaneus lateralis
14 R cutaneus anterior
18 Truncus lumbosacralis
I9 Plcxuscoccygeus
20 M. iliacus
21 M. transversus abdom1n1s
22 M. obliquus internus abdominis
23 M. obliquus externus abdom~nis
l 24 M. psoas major
[3su
Abb. 3. 10 Plexus lumbosacralis und seine Äste
Der N. genitofemoralls durchbricht den M. psoas Der R. anterior versorgt mocorisch folgende Ad-
maJor. läurt auf ihm abwarts und teilt sich in R. ge- duktoren des Hüftgelenks: M. pecuneus ( Dop-
Malis und R. femoralis : pelinnervation mit N. femoralis). M. adductor
Der R. genitalis verläuft durch den Leistenkanal brevis. M. adductor longus und M. gracilis. Sein
zum M. cremaster und zur Haut des Skrotums sensibler Endast (R. cutaneus) durchbricht die
bzw. zur Haut der großen Schamlippen. Fascia lata und innerviert ein handtellergroßes
Der rein sensible R. femoralis tritt (zusammen Areal distal an der Innenseite des Oberschen-
mot den Vasa femoralia durch die Lacuna vaso- kels.
rum und gelangt am Hiatus saphenus an doe Der R. posterior des N. obturatonus mnerviert
Oberfläche. um die Haut unterhalb des Leisten- mororisch den M. adductor magnus (Doppehn-
bandes zu versorgen. nervation mit Tibialisanteil des N. ischiadicus).
Außerdem gibt er einen sensiblen Ast zur Hin-
3.5.1.2 Die Nervi cutaneus femoris lateralis, ob- terwand der Kniegelenkskapsel ab (R. artlcularls
turatorius und femoralis genus).
Der rein sensible N. cutaneus femoris Iaterans ver-
läuft schräg über den M. ohacus (unter der Fascoa
iliaca) in die Umgebung der Spina iliaca anterior Der N. obturatorius innerviert motorisch die
superior (Abb. 3.11). Medial der Spina iliaca antenor Adduktoren des Hüftgelenks: M. adductor magnus,
geht der Nerv aus einem etwa horizontalen Verlauf M. adductor longus. M. adductor brevis. M. gracilis
im Becken in einen vertikalen Verlauf über. Hier. und M. pectineus. Letzterer erhält eine Doppelin-
d. h. im lateralen Teil der Lacuna musculorum. nervation durch die Nn. obturatorius und femora-
kann er von Fasern des Leostenbandes umfasst sein. lis. Das durch den N. obturatorius sensibel
Am Oberschenkel verlauft er zunächst unter der versorgte handtellergroße Hautarealliegt an der
Fascia lata. die er nach kurzem Verlauf durchbricht. distalen Oberschenkelinnenseite.
um sei ne laterale Haut zu versorgen.
r 1 M. iliacus
2 M. pectineus
3 M. sartorius
4 M. vastus intennedius
5 M. vastus lateralis
6 Membrana vastoadductoria
7 M. rectus femoris
8 M. vastus medialis
11
9 M. tibialis anterior
10 M. extensor digitorum longus
11 M. extensor hallucis longus
21 N. femoralis mit
22 Rr. cutanei antenores
19 N. saphenus mit:
20 R. infrapatellaris
15 Rami cutanei cruris mediales
18-- - - -
17--- - - - - l
16-- - - - -
~--- 9
1\tt-- - - - 10
Hl-t - -- - 11
Abb. 3.11 N. femoralls, N. cutaneus femoris lateralis und N. fibularis communis (s. S. 54) mit ihren Asten am rechten Bein
(Ansicht von ventral)
52 3 Peripheres Nervensystem Der Plexus lumbosacralis
Danach teilt er sich ( in der Fossa iliopecrinea) fa- henden Nervenstämme Ziehen durch d1e Foramina
cherförmig in supra- und infrapiriforme (ober- und unterhalb des
Rr. musculares für die Mm. quadriceps femoris M. piriformis) auf die Dorsalseite. Hinzu kommen
(M. recrus femoris. Mm. vasrus medialis. latera- kleine Rr. musculares zu Muskeln in der Nahe des
lis und mtermedius). M. sarrorius und M. pecti- Plexus: M. p1riformis. M. obturatonus tnternus.
neu s. der eine Doppelinnervation (s. a. N. obtu- Mm. gemelli superior und inferior sowie M. qua-
ratorius) erhält. drarus femoris.
Rr. cutanel anterlores durchbrechen die Fascia
lata und versorgen die Haut auf der Vorderseite 3.5.2.1 Der Nervus ischiadicus und seine
des Oberschenkels bis zum Knie. Endäste
N. saphenus: Der rein sensible N. saphenus zieht Dieser dickste Nerv des Körpers verlässt da s kleine
zunächst zusammen mir der A. und V. femoralis Becken durch das Foramen infrapirifomte und wird
in den AdduktorenkanaL Er verlässt diesen Ka - ( bei Streckstellung des Hüftgelenks) vom unteren
nal aber wieder. indem er seine vordere Begren- Teil des M. gluteus maximus bedeckt (Abb. 3.12). Er
zung (Septum intermusculare vasroadductori- zieht über die Mm. gemellus Superior. obturarorius
um) zusammen mit der A. genus descendens in internus. gemellus inferior und quadratus femoris
der Mine durchbricht Bedeckt vom M. sarrorius nach unten zur Rückseite des Oberschenkels. Hier
zieht der N. saphenus zur medialen Seite des liegt der N. ischiadicus (von dorsal gesehen) auf
Kniegelenks. durchbricht die Faszie. gibt den R. dem M. adducror magnus und wird proximal vom
infrapatellaris ( bogenförmig au f die Vorderfläche Caput longum des M. bi ceps femoris überkreuzt
der Knieregion) und auf der medialen Unter- Distal dieser Kreuzung liegt der N. ischiadicus zwi -
schenkelseire die Rr. cutanei crurls mediales ab. schen den Mm. biceps femoris und semitendi-
Letztere übernehmen die senstble Versorgung nosus.
des medialen Unterschenkels inklusive des ln-
nenknöchels. '*'!;)31
Der N. ischiadicus liegt dorsal der Mm. gemelli, ob-
turatorius internus, quadratus femoris und adduc-
Neben dem M. pectineus (Doppelinnervation mit tor magnus, jedoch ventral vom Caput longum des
N. obturatorius, s.o.) innerviert der N. femoralis M. biceps remoris.
motorisch auch die ventral gelegenen Mm.
iliopsoas. quadriceps femoris und sartorius. Über Der N. ischiad1cus besteht aus zwei Anteilen bzw.
seine sensiblen Äste (Rr. cutanei anteriores und Nerven (N. fibularis commums und N. ttb1ahs). die
N. saphenus) werden d1e Vorderseite des Ober- in der Glutealreg10n und am Oberschenkel durch
schenkels. die Knieregion und die mediale Unter- eine Bindegewebshülle zum N. ischiadicus zusa m-
schenkelseile versorgt. mengefasst werden. Meist am Obergang vom min-
Ieren zum distalen Drirrel des Oberschenkels teilen
sich die zwe1 Anteile des N. 1schiadicus zum N. ii-
3.5.2 Der Plexus sacralis
bularis communis und N. tibialis. Die Höhe der Tei-
Der Plexus sacralis (Kreuzbeingeflecht) entsteh t
lungsstelle variiert erheblich. ln Fällen einer hohen
durch das Zusammentreten der Rr. anteriores nervi
Teilung trin der N. fibularis commums durch den
spinalis aus den Segmenten LS-SJ m1t Zuflüssen
M. piriformis und der N. t1b1alts durch das Foramen
aus L4 (uber den Truncus lumbosacrahs) und S4.
infrapiriforme.
Der Truncus lumbosacralls ist ein kräftiger Stamm
aus L4 und LS. der die beiden Plexus lumbalis und
sacralis zum Plexus lumbosacralis verbindet.
Der Plexus sacralis liegt 1m kleinen Becken auf der Das Caput longum des M. biceps femoris wird vom
Tibialisante1l, das Caput brevevom Fibularisanteil
Ventralseite des M. pinformis. bedeckt von Ästen
des N. ischiadicus innerviert.
der A. iliaca interna. Die aus dem Plexus hervorge-
3 Peripheres Nervensystem Der Plexus lumbosacralis 53
liegt und N. plantans lateralis. der zw ischen M. Oe- der Flexoren der Streckertonus. Dadurch kommt es
xor digirorum brevis und M. quadratus plantae
neben den o.g. Symptomen auch zur Hackenfußstel-
schräg nach d1stal-lareral verläuft und sich in einen lung, und der Zehenstand Ist beeinträchtigt.
R. superficia lis und einen R. profundus aufspaltet
Lerzerer zieht bogenförmig unter den M. nexor dl-
gitorum longus (in Begleitung des Arcus plantaris Der Nervus fibuloris (peroneus) communis
profundus ) und dann unter das Caput obliquum ln der Kniekehle verl~uft der N. fibularis communis
des M. adductor hallucis. am medialen Rand der Bizeps-femoris-Sehne schräg
ln seinem proximalen Verlauf gibt der N. tibialis nach lateral-unten, uberkreuzt das Caput laterale
neben Muskelästen auch sensible Äste ab. deren des M. gastrocnemius, zieht um das Collum fibulae
Verlauf nachfolgend beschrieben ist: und in die Fibularisloge (Peroneusloge) ein. Von sei-
Der N. cutaneus surae medlalis geht in der Knie- nen meist zwe1 Hautasten in der Kniekehle z1eht
kehle aus dem N. tib1alis ab, ver1äuft in Beglei- der N. cutaneus surae lateralis in Richtung Mallea-
tung der V. saphena parva zwischen den beiden lus lateralis. Der R. communicans fibularis. der hau-
Köpfen des M. gasrrocnemms nach unten und fig auch aus dem N. cutaneus surJe lateralis kommt,
durchbohrt die Fascia cruris in der Mine der zieht (auf dem Caput laterale des M. gastrocnemius)
Wade. Er verbindet sich mit dem R. communi- nach unten und verbindet sich m1t dem N. cutaneus
cans fibulans zum N. suralis. der hinter den la- surae medialis (aus dem N. ribialis). zum N. suralis
teralen Knöchel zieht und in seinem weiteren (Tab. 3.8). ln der Ursprungsportion des M. fibularis
Verlauf die in Tab. 3.8 aufgeführten Äste bildet longus teil! sich der N. fibularis communis in seine
Der N. interoueus cruris zweigr meist vom zwei Endäste, N. fibularis superficialis und N. fibu-
Muskelast zum M. popl iteus ab und verläuft auf laris profundus (s. Abb. 3.11. S. 51):
der Ruckflache der Membrana inrerossea cruris, - Der N. flbu larls superflclalls zieht innerhalb der
dann zwischen den Blättern der Membran nach Fibularisloge distalwärts und gibt hier Muskel -
distal zur MalleoiengabeL äste ab. Im distalen Drittel des Unterschenkels
D1e Rr. calcanel mediales sind kleine mediale durchbricht er die Fascia cruris und teilt sich in
Äste zur Ferse. zwei Hautäste zum Fußrücken.
Der N. flbularis profundus durchbricht kurz nach
Klinischer Bezug seiner Abzweigung vom N. fibularis communis
Läsion des N. tlblalis: Kommt es (meist nach Fraktu- das Septum intermusculare anterius. So gelangt
ren Im Knöchelbereich) zu einer Kompression des N. er in die Extensorenloge, in der er ( mit der A.
libialis (oder seiner Äste: Nn. plantares) hinter dem tibialis anrerior) abwärts zum Fußrücken ver-
Mallealus medialis unter dem Retlnaculum nexorum, läuft. Am Fußrücken zieht sein sens1bler Endast
spricht man vom (hinteren) Tarsaltunnelsyndrom. Es mir der A. dorsalis pedis 111 Richtung des 1. Ze-
können schmerzhafte Missempfindungen oder ein henzwischenraumes, um dort die emander zu-
Taubheitsgefühl an der Fußsohle (besonders beim Ge- gekehrten Seiten der Großzehe und der 2. Zehe
zu versorgen.
hen), eine Druckschmerzhaftigkeit des N. tibialis hin-
ter dem Innenknöchel sowie Paresen mit Atrophie der
kleinen Muskeln an der Fußsohle und verminderte
Schweißsekretion der darüber gelegenen Haut auftre·· Uislonen des N. flbularls: Besonders gefahrdet ist der
ten. Nerv im proximalen Bereich. wo der N. fibularis com-
Die Therapie besteht in einer operativen Freilegung munis direkt unter der Haut verläuft. So können Ver-
des Nervs mit einer Spaltung des Retinaculum Oexo- letzungen nicht nur bei Fibulaköpfchenfrakturen oder
rum, sofern die wiederholte Infiltration von Lokal- Luxationen des Kniegelenks auftreten. sondern auch
anästhetika nicht zum Erfolg führt. z. B. durch einen falsch angelegten Gipsverband oder
Ist der N. tibialis weiter proximal geschadigt (im Be- durch die ungeschickte Lagerung eines Bewusstlosen
reich der Kniekehle), überwiegt infolge des Ausfalls (Druckschädigung). Bei einer hier gelegenen Läsion
des N. flbularis communis kommt es zum Vollbild
3 Peripheres Nervensystem Der Plexus lumbosacralis 55
1 N. gluteus superior
2 N. gluteus inferior
3 N. cutaneus femoris posterior
4 N. ischiadicus mit Aufteilung in:
--1-- - --1 SN. fibularis communis (s. Abb. 3.11)
- ---4 6 N. tibialis mit:
+-- - -2 7 N. plantans medialis
~~- ~-~r------3
8 N. plantaris lateralis
9 R. superficialis
10 R. profundus
Aufzweigungen der Hautäste:
11 Nn. digitales plantares communes
12 Nn. digitales plantares proprii
.\.------- - - 7
- - -- - -8
r - - - - -- - 9
n-------------10
""-------------1'1
-------12
Abb. 3.12 N. ischiadicus. Nn. glutei und N. cutaneus femoris posterior am rechten Beln (Ansicht von dorsal)
der sog. •Fibularis- oder Peroneuslähmung·, bei der Bei isolierter Läsion des N. fibularls profundus inner-
neben dem Auftreten von Sensibilitätstörungen so- halb der Streckerloge (nicht dehnbarer osteofibröser
wohl die vom N. fibularis profundus innervierten Ex- Kanal), die z. B. durch ein raumforderndes Hämatom
tensoren als auch die durch den N. fibularis nach Unterschenkelfraktur auftreten kann, ist die Pro-
superficialis versorgten Muskeln der Fibularisgruppe nationsfähigkeit erhalten. Der Steppergang wird be-
als wichtige Pronatoren ausfallen. Um die Fußhe- gleitet von der charakteristischen Sensibilitätsstörung
berschwäche zu kompensieren, muss der Patient bei im ersten Zehenzwischenraum (= sensibles lnnervati-
jedem Schritt das gesamte Bein stark anheben, damit onsgebiet des N. fibularis profundus).
die Fußspitze nicht am Boden schleift (.Stepper- Liegt dagegen eine isolierte Schädigung des N. fibula-
gang"). Aufgrund der fehlenden Pronation durch die ris superficiaUs vor, kommt zu Sensibilitätstörungen
Fibularisgruppe ist eine Hebung des lateralen Fußran- in den durch diesen Nerv versorgten Arealen in Ver-
des nicht möglich und der Fuß steht in Supinations- bindung mit einer Pronationsschwäche (ohne Stepper-
stellung. gang).
56 3 Peripheres Nervensystem Der Plexus lumbosacralis
3.5.2.2 Die Nervi g lutei su pe rior und inferior beim Gehen das Becken zur Seite des (gesunden)
sowie der N. cutaneus femoris posterior Spielbeins. wenn eine Lähmung auf der Standbein-
Der N. gluteus superior verlässt das Becken durch seite vorliegt.
das Foromen supropiriforme und gelangt zwischen Fällt bei einer Läsion des N. gluteus inferior der
Mm. gluteus medius und minimus. Ein Nervenast M. gluteus maximus aus, tritt eine erhebliche
zieht zum M. tensor fasciae latae. Diese drei Mus- Streckschwäche der Hüfte auf, was sich z. B. in der
keln werden vom N. gluteus superior innerviert (s. Unfähigkeit äußert, eine Treppenstufe zu erstei-
Abb. 3.12, S. 55). gen.
Der N. gluteus inferior tritt durch das Foromen in-
frapiriforme aus dem Becl'<en; er fachert sich dann Der (rein sensible) N. cutaneus femoris posterior
auf und strahlt in den M. gluteus maximus ein. verlässt das Becken ebenfalls durch das Foromen
den er innerviert (s. Abb. 3.12, s. 55). infropiriforme (s. Abb. 3.12, S. 55) und zieht nach
unten an den Unterrand des M. gluteus maximus.
Er gibt hier ab:
Läsion der Nn. glutei: Mögliche Ursachen für eine • Nn. clunium inferiores (zum unteren Bereich
Schädigung der Glutealnerven sind sind z. B. direkte des Gesäßes )
Traumen oder fehlerhafte Injektionen (Spritzenläh· • Nn. perineales (zur Dammregion).
mungen). Der restliche Teil des Nervs versorgt die Haut auf
Die Symptomatik von Verletzungen des oberen oder der Rückseite des Oberschenkels.
unteren Glutealnervs unterscheidet sich entsprechend
der unterschiedlichen Hauptfunktion der jeweils inner· 3.5.2.3 Die Nervi pudendus und coccygeus
vierten Muskeln: Der N. pudendus verlässt das Becken durch das Fo-
Durch die Haltefunktion der Hüftabduktoren (ins- romen infrapiriforme, zieht um die Spina ischiadica
besondere Mm. glutei medius und minimus) wird und das lig. sacrospinale. um durch das Foramen
das Becken sowohl beim Gehen als auch beim ischiadicum minus wieder zurück in das Becken zu
Stand auf einem Bein waagerecht gehalten. Sind gelangen. Hier verläuft der Nerv (zusammen mit
die Muskeln durch Schädigung des N. gluteus su- der A. pudendal in der lateralen Wand der Fossa
perior gelähmt. so sinkt das Becken beim Stand ischioanalis auf dem M. Obturator internus bedeckt
auf dem .kranken Bein" zur gesunden Seite ab von einer Faszienduplikatur des Muskels (• Alcock-
(Trendelenburg-Zelchen). Dementsprechend sinkt Kanal ). Der Nerv zweigt sich auf in:
3 Peripheres Nervensystem Oie Hirnnerven 57
Nn. anales ( rectales) inferiores: zum M. sphinc- 3.6.1 Die Funktion, Faserqualit äten und
ter ani externus und zur Haut der Perinealre- Ganglien der Hirnnerven
gion Die einzelnen Hirnnerven führen unterschiedlich
Nn. perineales: zu Haut und Muskeln des Dam - viele Faserqualitäten. die ihre jeweiligen Funktio-
mes (M. transversus perinei, M. bulbospongio- nen bedingen (Tab. 3.10). Die 7 Faserqualitäten. die
sus. M. ischiocavernosus). sowie zur Haut der im Bezug auf die Hirnnerven unterschieden wer-
Dorsalseite des Seroturn (Nn. scrotales posterio- den. entsprechen der funktionellen Einteilung in
res) bzw. der Labien ( Nn. labiales posteriores) Kerngruppen (s. S. 108). Das lnnervationsgebiet der
N. dorsalis penis (Endast): zur Haut des Penis Hirnnerven liegt vorwiegend im Kopf-Hals- Bereich
(bzw. Clitoris) und zum M. tra nsversus perinei und dehnt sich nur beim N. vagus (X) auf Organe
profundus. i m Brust- und Bauchbereich aus.
Der N. coccygeus tritt als letzter Spinalnerv zwi- Eine Ausnahme hinsichtlich Anordnung und Auf-
schen Os coccygis und Os sacrum aus. Er bildet mit bau, die nicht peripheren Nerven (s. S. 16) entspre-
Ästen aus dem 4. und 5. Sakralnerv ein kleines Ge- chen. bilden die Hirnnerven I (N. olfactorius) und II
flecht. den Plexus coccygeus. Aus diesem Plexus (N. opticus). Entwicklungsgeschichtl ich sind sie
geht der N. anococcygeus hervor. der die Haut zwi- Ausstülpungen des Prosencephalon und werden
schen Steißbein und Anus versorgt. von Gliazellen des ZNS und Meningen umgeben.
<I> Somit sind sie in Tab. 3.10 sowie im weiteren Kapi-
...• ... Check-up tel nur der Vollständigkeit halber mit aufgeführt
v Wiederholen Sie, was der Truncus lumbosa- während ihre Bedeutung und ihr Verlauf innerhalb
cralis ist. des jeweiligen funktionellen Systems beschrieben
v Rekapitulieren Sie die Doppelinnervatlonen ist (s. S. 218 und 210).
am Oberschenkel (M. adductor magnus. M. Die Lage der jeweils zugehörigen Neurone unter-
pectineus). scheidet sich zwischen efferenten und afferenten
v Führen Sie sich nochmals die häufig geprüf- Fasern: Während die Perikaryen der Efferenzen die
ten typischen Ausfallserscheinungen vor Ursprungskerne innerhalb des Hirnstamms bilden
Augen, die bei Läsion folgender Nerven auf- (s. S. 109). liegen die Zellkörper der Afferenzen
treten: N. gluteus superlor, N. tibialis, N. fi. überwiegend in sensiblen/sensorischen Hirnnerven-
bularis. ganglien (z. B. Ggl. trigeminale) außerhalb des
Hirnstamms. d. h. sie zäh len zum PNS. Damit ent-
sprechen letztere den Spinalganglien (pseudouni-
3.6 Die Hirnnerven polare Neurone. s. S. 17). Die zentralen Fortsätze
;
...... Lerncoach
der in den sensiblen/sensorischen Hirnnervengan-
glien gelegenen Neurone projizieren zu Endkernen
Oie Hirnnerven werden nach der Reihenfolge im Hirnstamm (s. S. 111 ).
ihres Austritts aus dem Gehirn von rostral Zu unterscheiden von diesen sensiblen Hirnnerven-
(• vorne-oben) nach kaudal mit römischen ganglien, in denen keine Umschaltung stattfindet,
Ziffern durchnummeriert. ln diesem Kapitel sind die Kopfganglien, in denen parasympathische
lernen Sie den peripheren Verlauf der Hirn- (• allgemein viszeroefferente) Fasern der Hirnner-
nerven kennen. Die Austrittsstellen aus dem ven 111. VII und IX von präganglionären auf (multi-
Gehirn können Sie aufS. 112 nachlesen; über polare) postganglionäre Neurone umgeschaltet
ihre Kerngebiete Im Hirnstamm erhalten Sie werden (s. a. S. 17). Daneben ziehen jedoch durch
die notwendigen Informationen ab S. 108. jedes dieser Ganglien auch sympathische und sen-
sible/sensorische Fasern hindurch, weshalb man je-
weils drei Wurzeln ( Radices ) unterscheiden kann
(Tab. 3.11 ).
58 3 Peripheres Nervensystem Die Hirnnerven
Ganglion mit Morpho· lnnervationsgebiet ' Radix parasympathica Radix sympat hlca Radix sensoria
logie und Lage
allgemein: - Drüsen im Kopf- pröganglionäre parasym· postganglionäre sympa· Afferenzen. deren pseu-
Zusammenlagerung mul- bereich pathische Fasern der thische Fasern aus den dounipolare Neurone in
tipolarer postganglionä· Hirnnerven 111. VII und IX perlarteriellen Plexus. die den sensiblen Hirnner·
rer parasympathischer sich nach Umschaltung venganglien liegen
Neurone im Halsgrenzstrang bil·
den
Ggl. ciliare .... Mm. ciliaris und R. ad ganglion ciliare aus Fasern .. aus dem Plexus fasern • • aus dem Aug-
- ca. 2mm sphincter pupillae dem R. inferior des N. caroticus intemus zu apfel (Bulbus oculi) zum
- hinten lateral am N. oculomotorius (111) Gefäßen der Aderhaut N. nasociliaris (aus V1)
opticus (im fettgewe·
be der Orbita)
Ggl. pterygopalatinum - GI. lacrimalis. Gll. N. petrosus major' •• N. petrosus profun· Rr. ganglionaresdes N.
- 4-Smm nasales und aus dem lntermediusan- dus • ' • aus dem Plexus maxillaris (V 2)
- seitlich des Foramen palatinae teil des N. facialis (VII) caroticus internus
Sphenopalatinum in
der Fossa pterygopala-
tina
Ggl. submandibulare - Gll. submandibularis fasern der Chorda tym· Fasern aus dem Ge- Rr. ganglionares des N.
- variabel und Sublingualis pani aus dem lnterme- fäßplexus um die A. fa- mandibularis (V3 )
- am N. Iinguaiis. meist diusanteil des N. facialis cialis
oberhalb der GI. sub- (VII)
mandibularis
Ggl. oticum ~ GI. parotidea N. petrosus minor aus Fasern aus dem Ge- Rr. ganglionares des N.
- platt dem N. tympanicus des fäßplexus der A. menin· mandibularis (V3)
- dicht unter dem Fora- N. glossopharyngeus (IX) gea media
men ovale. medial
des N. mandibularis
• bezieht sich auf d1e postganglionären parasympathischen Fasern, dcten Pefik.arya Im jewetligen Kopfganglion liegen
• • liehen lusammen mit den postgangliooären parasympathischen fasern als Nn. dliares breves aus dem Ggl. ciliare heraus
• • • bflden zusammen denN. canalls prerygoidet im gltkhnamigen Kanal an der Wurzel des Flügelfortsatzes
17 Foramen stylomaslotdcum
20 Hirnstamm
Abb. 3.13 Parasympathische hsern mit Umschaltung ln den Kopfganglien und lnnervationsgebiet
20
2 2
24 - - ,.~,----------- 3
7 - - - - -- ....._ -----4
19
18 s
6
7
8
- - - - - 21
9
10
9 - - - - - - - - 11
12 12
13 13
1s - - - --\'.-\\:------., - - - - - 14
14 -------~~\~~ 1 ------------ 15
17
16 16
......__ _ _ _ _ 17
~---------- 22
- - ---23
1 Bulbus ollactorius 10 N. trigemlnus (V) mit 11 N. abducens (VI) 20 Glandula lacrimalis
2 N. opticus (II) Ganglion, Wurzeln und 12 N. faclalis (VII) mit 2 1 A. meningea media
6 Nn. temporales profundi Ästen : N. Intermedios 22 Confluens sinuum
7 N. oculomotorius (111) 3 N. ophthalmicus (V 1) 13 N. vest1bulocochlearis (VIII) 23 Sinus sagittalis
9 N. trochlearis (IV) 4 N. max•llans (V2) 14 N. vagus (X) supenor
S Ganglion trigeminale 15 N. glossopharyngeus (IX) 24 A. carotis Interna
8 N mand•bulalis (V3 ) 16 N. hypoglossus (XII)
18 Radix sensona 17 N. accessonus (XI)
I 9 Rad1x mototia
sphincter pupillae) und die Unmöglichkeit der Akko- parasellarer Ausdehnung oder Sinusitis sphenoidalis).
modation (Lähmung des M. ciliaris) zusammen. Darüber hinaus sind auch Schädigungen innerhalb des
Da die parasympathischen Fasern innerhalb des Nervs Hirnstamms möglich (während des intrazerebralen Fa-
zunächst außen, weiter peripher eher innen verlaufen. servertaufs oder nukleär. d. h. im Bereich des mesenz-
können bei Nervenkompression je nCKh Lokalisation ephalen Kemgebiets).
auch Teilschädigungen auftreten.
Entsprechend seines intrakraniellen Verlaufs gibt es
vielfältige Ursachen der Okulomotoriusparese, wie 3.6.4 Der Nervus troc h learis (IV)
z. B. Schädigungen innerhalb des Subarachnoidal- Der N. trochlearis ist vom Kaliber her der
raums (bei basaler Meningitis oder Aneurysma der A. schwächste Hirnnerv und verläuft nach seinem
communiuns posterior) oder weiter distal (z. 8. bei dorsalen Austritt in der Cistema ambiens um die
Sinus-Cavemosus-Thrombose, Hypophysentumor mit Hirnschenkel herum ( zwischen den Ai!. cerebri po-
62 3 Peripheres Nervensystem Die Hirnnerven
sterior und cerebelli superior). ln der Nähe des Pro- 3.6.5.2 Der Nervus maxillaris (V 2 )
cessus posrerior tritt er in die Dura des Sinus ca- Nach Verlassen des Ganglion trigeminale zieht der
vernosus ein und zieht in dessen Seitenwand nach N. maxillaris (Abb. 3.15) unten in der Seitenwand
vorne (s. Abb. 3.14. S. 61 ). des Sinus cavernosus zum Foramen rotundum und
Er tritt durch die Fissura orbitalis superior in die gelangt durch dieses Loch in die Fossa pterygopala-
Augenhöhle ein und verläuft hier über den Anulus tina (Fiügelgaumengrube). Während seines Verlaufs
tendineus communis hinweg zum M. obliquus Su- gibt er die in Tab. 3.13 aufgeführten Äste ab.
perior. den er innerviert.
3.6.5.3 Der Nervu s mandibularis (V3 )
3.6.5 Der Nervu s t rigeminus (V) Der N. mandibularis (Abb. 3.16, S. 66) nimmt die ge-
ln der Nähe der Spitze der Felsenbeinpyramide samte Radix mororia auf und zieht durch das Fora-
durchbricht der N. trigeminusdie Dura marer. men ovale in die Fossa infratempora/is ( medial des
Die Radix sensoria ( • Portio major. Gesamtheit al ler M. pterygoideus lateralis). Seine Äste sind Tab. 3.14
sensiblen Trigem inusfasern) geht hier in das halb- zu entnehmen.
mond förmige Ganglion trlgeminale (Gasseri) über,
das über der A. caroris interna liegt. Zwischen der
Arterie und dem Ganglion liegt eine Lamelle aus Mit verschiedenen Unterästen des N. trigem inus
Knochen oder Bindegewebe. Dieses sensible Hirn- verlaufen streckenweise postganglionäre parasym -
nervenganglion l iegt in einer Ausstülpung des Sub- pathische Fasern . Diese stammen aus Ganglien, in
arachnoida lraums in einer Durarasche der mittle- denen die Fasern anderer Hirnnerven (III, VII und
ren Schädelgrube. An der konvexen Seite des IX) umgeschaltet werden, und lagern sich den Tri-
Ganglions ziehen die drei Hauptäste heraus geminusästen lediglich an (rein topographische Be-
(s. Abb. 3.14, S. 61): N. ophthalmicus (V,), N. maxil- ziehung). Der N. trigeminus selbst rührt neben
laris (V2 ) und N. mandibularis (V3 ). einigen motorischen Fasern (V3 , vorwiegend zu r
Oie Radix motoria (• Portio minor, Gesamtheit al- Kaumuskulatur) viele sensible Fasern für das Ge-
ler motorischen Trigeminusfasern) gelangt an die sicht. Sie verteilen sich auf die drei Trigeminus-
Un terseite des Ganglions und schließt sich dem N. Hauptäste. deren Versorgungsgebiete die Abbil-
mandibularis an. dung 3.17 zusammenfasst.
! Tabelle 3.12
14 1 1 A. ophthalmica
13 - - 2
2 N. canalo$ ptl'l)'9oideo
12 3
3 Ganghon gemculi nefVI facialis
Abb. 3.15 N. maxJIIarls mot Asten und angelagertem Ganglion pterygopalatonum, das funktionell dem N. fKoalos zuzuordnen
ost (s. S. 66)
64 3 Peripheres Nervensystem Die Hirnnerven
·o;.w. Äs,. ~...",...,""'" G.ongllon pt~I.JtWx.m und <ntlwll'e<l noben ••ns.bkfl trlgomon•l«1 r~ •us d<n Rr. g•ngllon.Jm auch po<tg•n
glionäre p.lr.lsympath•sche Fasern. deren pr~ganglionären Antetf Fasern des N. faciahs bzw. seines lntermedtus Anteils l>tklen.
4
Beim Versagen einer medikamentösen Therapie kann Foramen supraorbitale: fü r N. supraorbitalis (aus
eine Thermokoagulation der betroffenen Trigeminus- VI)
astfasern im Ganglion trigeminale durchgerührt wer· Foramen infraorbitale: für N. infraorbitalis (aus V2)
den. das über das Foramen ovale gut erreicht werden Foramen mentale: für N. mentalis (des N. alveola-
kann . ln Folge des Eingriffs tritt eine Sensibilitätsstö- ris inferior aus V3 ).
rung auf, was allerdings von den schmerzgeplagten
Patienten gern in Kauf genommen wird.
3.6.6 Der Nervus abducens (VI)
Bei der Trigeminusneuralgie oder anderen Reiuustän·
Dieser Nerv hat den längsten intrakraniellen Ver-
den (z. B. Sinusitis) im lnnervationsgebiet der drei
lau f. Er kommt von kaudal (Austrittsstelle s. S. 112),
Hauptäste besteht eine Druckschmerzhaftigkeit an
zieht durch die Cistema pontis nach vorn. durch-
den Trigeminus-Druckpunkten (NAP = Nervenaus-
bricht am Clivus die Dura und zieht über die Spitze
trittspunkte im Gesichtsschädel):
der Felsenbeinpyramide in den Sinus cavernosus
3 Peripheres Nervensystem Die Hirnnerven 65
AstadftN. - . lln(V1)
Äste mit Höhe ihres Abgangs Verlauf ( •) und Innervation (-+)
kurz noch Durchtnlt drs forotMn ovok:
- R. menongeus (• N. sptnosus) • zieht mit der A. menongea ~ia durch das ForotMO spinosum on die mottlere Schädel-
grube zuruck
-+ Dura mater im Versorgungsgeboet der A. meningea medoa (s. S.l72)
-+ Schleimhaut von Keilbeinhöhle und Cetlulae mastoodeae
111
in der Fossa ln{roremporolls:
vorderer (vorwiegend motorischer) Stamm:
- N. pterygoldt>us mcdialis -+ M. pterygoideus medialis
.... M. tensor vell palatinl
- M. tensor tympani
- N. pterygoideus lateralls ~ M. pterygoldeus lateralls
- Nn. temporales profundo - M. temporaUs
- N. massetericus • tritt durch doe /ncosuro mondobuloe
- M. masseter
- N. buccalls (sensobel) • verläuft zwischen den belden Kopien des M. pterygoideus lateralos
• Verzweigung im M. bucconator (• mimischer Muskel, der nicht durch den N buccal15,
SCOldem durch den N facialos onnennert wird!)
-+ Haut und Schle.mhaut der Wange sowie angrenzendes Zahnßeosch
- l - - - V3
Facia lis. wodurch das äußere Fazialisknie entsteht.
Auf d ieser Höhe liegt das sensorische Ganglion ge-
niculi mit pseudounipolaren Nervenzell en. Nach
dem Fazia lisknie verlaufen die Nervenfasern in ih-
rem Kanal in der hinteren Wa nd der Paukenhöhle
im Bogen nach unten. Nach Abgabe von drei Ästen
innerhalb des Cana lis Facialis (Tab. 3.151 verlässt ihn
der Großteil der motorischen Fazialisfasern am Fo-
ramen stylomastoideum (Abb. 3. 18).
Abb. 3.17 Versorgungsgebiete der drei Hauptliste des N. Das Ganglion geniculi n. facialis enthält Perikarya
trigeminus
Zu beachten ist. dass der Kieferwinkel nicht durch den N. tri· der in der Chorda tympani verlaufenden Ge-
geminus. sondern von Ästen des Plexus cervicalis sensibel in- schmacksfasem.
nerviert wird (s. Abb. 3.3, S. 38).
3 Peripheres Nervensystem Die Hirnnerven 67
IT~belle 3.15
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38 - -- - -- - - - - - - - - - - - - J
Vitamine für die Nerven Beschwerden von Tag zu Tag schlimmer werden.
sucht sie das nahe gelegene Medozmosche Versor·
gungszentrum auf und schildert dort ohre Symptome.
Der junge Arzt, der Frau M . untersucht, stellt bei der
Patientin einen breitbeinigen. unsicheren Gang
{Gangataxie), eine diffuse Schw.Jche aller vier Extre-
mität en sowie Hypästhesoen im Bereoch der Füße, der
Hände und der Unterschenkelvorderseiten fest. Die
ReOexe sind insgesamt sehr schwach.•Wir werden
einige Untersuchungen machen müssen· teilt der
Arzt seiner Patientin mit und fährt fort: .Sol;mge Sie
Blut abgenommen bekommen. würde ich gerne noch
meine neurologische Kollegin um Rat fragen.· Doe
Neurologin Frau Dr. Paulsen empfiehlt, zusätzlich ein
MRT·Bild des Rückenmarks anfertigen zu lassen und
bestellt Frau M. zur Besprechung der Befunde wieder
Doe om MRT sochtbaren, scharf begrenzten Lösionen im Hon· ein.
ler\lr~ngber~oth (- •) sind ein typoscher Befund beo funokula·
rer Myelose
Diagnose: Vitaminmangel
Das Rückenmark dient zum einen dem Zustande· . Ihnen fehlt ein Vitamin - das Vitamin B12, das für
kommen von Reßexen. Zum anderen hat es die Ihre Nervenfasern wichtig ist". erklärt Frau Dr. Paul·
Funktion, das Gehirn mit dem peripheren Nerven· sen der Patientin. als die Untersuchungsergebnisse
syst em zu verbinden . Es gliedert sich in die graue vorliegen.•Der Vitamm·Bu·Wert beträgt weniger als
und die w eiße Substanz. ln der grauen Substanz die Hälfte der unteren Normbereichsgrenze· fährt die
befinden sich Nervenzellen mit ihren Verzwelgun· erfahrene Neurologon fort, die unter diesem Verdacht
gen. Die w eiße ~ubstanz des Rückenmarks enthalt schon die Aufnahmen des Ruckenmarks empfohlen
markhaltige Nervenfaserbahnen. hatte. Die MRT·Bilder erklaren die Symptome der Pa·
Da Vitamin B,2 für den Stoffwechsel der Mark· tientin: Im Bereich der Honterstrange des Rücken·
scheiden wichtig ist, kann es bei einem Vitamin· marks auf Höhe der Brust· und Halswirbelsäule sind
B12·Mangel zu degenerativen Prozessen in der wei· als Zeichen von Hinterstrang·lasionen deutliche Hy·
ßen Substanz des Rückenmarks kommen . Man perintensitäten zu sehen.
spricht dann von funikulärer Myelose (oder funl·
kulärer Spl nalerkrankung). Die Ursache liegt im Magen
Damit sind die Untersuchungen für Dorothea M. je-
Schwere Beine doch noch nicht abgeschlossen. Da im Serum auch
Mit Rucksack und Regenjacke gewappnet marschiert Antikörper gegen den lntrinsic Factor nachgewiesen
Dorothea M. fruh morgens zum verabredeten Treff· werden konnten, rat doe Arztin w einer Magenspie-
punkt - voller Vorfreude auf die bevorstehende Berg· gelung. Doe dabeo entnommene Biopsie der Magen·
wanderung in den Appenzeller Alpen. Zwar ost ohre schleimhaut bestatigt Frau Dr Paulsens Verdacht auf
letzte Wanderung schon eine Weile her, aber warum eine chronisch atrophosche Gastritis (Magenschleim·
sich ihre Beine so schwer und müde anfühlen, kann hautentzündung). Der lntrinsic Factor ist ein in der
sich doe 63-j.Jhnge nicht erklären: Sie kann ihre Füße Magenschleimhaut produziertes Glykoprotein. Er bil-
kaum vom Boden abheben. Niedergeschlagen gibt det normalerweise t>lnen Komplex mit dem Vitamin
sie nach rwei Stunden auf, geht alleine in das B, 2 (Cobalamin) und ermöglicht dadurch dessen Auf-
nachstg~:>legene Dorf zurück und fährt mit dem Bus nahme über die Schletmhaut des terminalen Ileums
nach Hause in die Blutbahn. Dieser beo Dorothea M. gestörte Auf-
nahmeweg kann durch intramu~kuläre Gaben von
Diagnoseweisend: Cyanocobalamin umgangen und daher therapeutisch
Neurologische Untersuchung eingesetzt werden. So hofft doe rustige Dame. bald
Etwa zweo Wochen nach der misslungenen Wande· wieder wandern gehen zu konnen. ohne dass ihre
rung ver<;purt Dorothea M. brennende Missempfin- Beine frühzeitig ermud~n.
dungen in den Füßen und in den Handen. Als ihre
4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Gestalt und die Gliederung 75
1 Hirnstamm
1 2 Rüd<enmarlc:
2 3 Pars cef'Vlcahs
4 Pars thoracica
5 Pars Iumbaiis
3 9 6 Pars sacralos
11 •
12 7 Pars coccygea
8 filum terminale
9 Conus medullaris
10 lntumescentia lumbosacralis
13
11 lntumescentia cervicalis
12 N. subcostalis
13 rilum terminale
14 Cauda eqUina
15 l V
- 4 14 16 Durasack
17 N. sacralis 3
18 N sacralis 5
19 N. coccygeus
20 Ossacrum
15
-5
10 • 16
6
7
9
"'------ - - 18
8
' - - - - -- 19
a b
Abb. 4.1 Ruckenmark
a lsoliert~s ROckenmark in der Ansicht von dorsal
b Kaudal~ Ruckenmark mit Conus medullaris und Cauda equina Im eröffneten Wirbelkanal von dorsal nach teilweiser Entfer-
nung der Dura mater und Arachnoidea
Somiren induzien. jedoch sind die Segmente als Die zugehörigen Spinalnerven. die durch den Zu-
solche von außen nur durch die zugehörigen Ner- sammenschluss von Vorder- und Hinterwurzel ent-
venwurzeln erkennbar. stehen. treten - mu Ausnahme des ersten zervika-
Man unrerscheidet: len Spinalnervenpaars immer unter dem
- 8 Zervikalsegmente gleichnamigen Wirbel aus dem Spinalkanal aus.
- 12 Thorak.-.lsegmente Die Ausnahme im zervikalen Bere1ch hegt darin be-
5 Lumbalsegmente gründet. dass es 8 zervikale Ruckenmarksseg-
- 5 Sakralsegmente mente. jedoch nur 7 Halswirbel gibt.
- 1- 3 Kokzygealsegmente. Die segmentale Gliederung des ROckenmarks ist
Da das ROckenmark im Vergleich zum Wachstum sowohl für die sensible als auch für die motorische
der Wirbelsäule zurückbleibt, reicht es beim ausge- Innervation der Körperperipherie von Bedeutung:
wachsenen Menschen nur bis zur Höhe des ersten Die sensiblen Fasern eines Rückenmarkssegmen-
oder zweiren lendenwirbelkörpers. Daher liegt ein tes innervieren jeweils ein streifenförmiges Der-
Rückenmarkssegment weiter kranial als der gleich- matom. Auch wenn - bedingt durch die Plexus-
namige Wirbel (Abb. 4.2). bildung (s. S. 35) - d1e Fasern zur Versorgung
4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Gestalt und die Gliederung 77
~c
pheren Nerven ziehen. t reten jeweils alle zum
Cl l
gleichen Rückenmarkssegment gehörigen sensi-
blen Fasern über die gleiche Hinterwurzel 1
(s. S. 35) in das entsprechende Segment ein. 11
L ,~, I
Die Motoneurone (s. S. 78). die einen einzelnen
Muskel innervieren. sind innerhalb der Columna C8 J
anterior des Rückenmarks (s. S. 78) in einem Th 1
säulenförmigen Kerngebiet zusammen angeord- Th 1
net. Bei großen Muskeln (und/oder kleinen mo-
torischen Einheiten) erstreckt sich die Kernsäu le
über mehrere Segmente (plurisegmentale Mus-
keln, Abb. 4.3). Ein Muskel. dessen Motoneurone
im Wesentlichen auf Höhe eines Segmentes lie- 2
gen. bezeichnet man als Kennmuskel dieses Seg-
10
ments. In den medial gelegenen Kernsäulen fin-
den sich die Motoneurone für Muskeln des
Körperstamms. in den lateralen die für mehr
d istale Extremitätenmuskeln. Die Fasern der
""- Thl2
Motoneurone verlassen das Rückenmark über H-"<~ Ll I
die Vorderwurzel und vereinigen sich im Fora-
3
men intervenebrale mit den sensiblen Hinter-
LT.<:->.J-- L5 _j
wurzelfasern des gleichen Segments zum ge- "<-- - s 1 ---,
mischten Spinalnerv (s.S. 33). 4
'111'~-- s5 --'
5
6
Kompressionssyndrome bei Bandscheibenschäden:
Kommt es durch degenerative Prozesse des Anulus fi-
brosus einer Bandscheibe zu einer Vorwölbung (Protru-
sion) oder Vorfall (Prolaps) des Nucleus pulposus, kann
es je nach Lokalisation dieser Diskushernie zu verschie-
denen Kompressionssyndromen kommen. Ein medialer
Bandscheibenvorfall führt je nach Höhenlokalisation
zur Rückenmarkskompression oder zur Schädigung der
Cauda equina (Kaudasyndrom, s. S. 88). Eine laterale
Diskushernie führt zu Wurzelkompressionssyndromen.
Zwar liegt bei Letzteren eine Läsion des peripheren
Nervensystems vor: bei isolierten Wurzelverletzungen 8 Zervikalsegmente (Cl - CS)
2 12 Thorakalsegmente (Th 1 - Th 12)
kommt es jedoch aufgrund des in diesem Bereich noch
3 5 Lumbalsegmente (L 1- LS)
segmental angeordneten Faserverlaufs zu neurologi- 4 5 Sakralsegmente (S 1- 55)
schen Ausfallserscheinungen, die sich einem Rücken- 5 Cl
6 Cauda equina
markssegment zuordnen lassen (segmentales oder 7 Os coccygis
radikuläres Schädigungsmuster). ln der neurologischen 8Os sacrum {51 - 5 V)
9 LWS(LI - LV)
Untersuchung macht man sich dies zunutze, um die
10 BWS (Th 1- Th XII)
Symptomatik gegenüber einer weiter peripher gelege- HWS {C 1- C VII)
nen Schädigung (Piexusläsion oder Schädigung eines
bzw. mehrerer peripheren Nerven) abzugrenzen. Ne- Abb. 4.2 Lage der Rückenmarkssegmente im Spinalkanal
78 4 Rückenmark (Med ulla spinalis) Die Gestalt und die Gliederung
5 I Kernsäulen im
Vorderhorn
2 4 2 Vorderwurzeln
3 Plexus
4 penphere Nerven
lS plurisegmental
innervoerte Muskeln
ben lokalen und Dehnungsschmerzen kann es zur schnitt Vorder-. Hinter- und Seitenhorn ( Cornu ante·
Schmerzprojektion in das sensible Versorgungsgebiet rius, Cornu post erlus und Cornu lateralis). die sich -
(Dermatom) der betroffenen Wurzel sowie Hypästhe· mit Ausnahme des lediglich thorakolumbal ( C8-L2:
sien in diesem Bereich kommen. Motorisch lassen sich und sakral (S2-S4 ) ausgeprägten Seitenhorns- übe1
bei schweren Schäden Paresen der von der betroffenen das gesamte Rückenmark erstrecken und daher auch
Wurzel (mit ) versorgten Muskulatur sowie ggf. als Säulen (Columnae) bezeichnet werden. Vor und
Abschwächung der jeweiligen Muskeleigenreflexe hinter dem Zentralkanal liegt jeweils ein schmale•
(s. S. 86) des zugehörigen Segments nachweisen. Streifen grauer Substanz (Commissura grisea ante·
Diese sind durch die meist plurisegmentale Versor- rlor und Commissura grlsea posterlor).
gung eines Muskels weniger ausgeprägt als bei Verlet-
zungen eines peripheren Nervs. können jedoch bei Die Nervenzellen
Kennmuskeln in jedem Fall einen Hinweis geben (z. B. Es werden drei Klassen von Nervenzellen in det
Kraftminderung bei Dorsalextension der Großzehe grauen Substanz des ROckenmarks unterschieden:
durch Parese des M. extensor hallucis longus als Kenn- Wurzelzellen. Binnen- oder Scha ltzellen und
muskel von l5). Strangzellen (Abb. 4.S).
- Die Wurzelzellen liegen je nach ihrer Funktion
in den Vorder- oder Seltenhörnern der grauen
4 .2 .3 Der Rück enmarksquerschnitt Substanz und schicken thre Axone uber die Vor-
D1e Gliederung des Rückenmarks 111 graue und wet- derwurzel zum Sptnalnerven. Dazu gehören:
ße Substanz lasst sich im Querschnittsbild erken - • a -Motoneurone (große Vorderhomzellen ) mit
nen. Im Zentrum eines Rückenmarksquerschnitts Axonen zur quergestreiften Skelettmuskulatur.
erkennt man das kleine Lumen des Canalis centra- die durch dtese Innervation kontrahiert wird
lis. der von Ependym ausgekleidet ist • '(-Mot oneurone (kleine Vorderhomzellen ),
deren Axone intrafusale Muskelfasern von
Muskelspindeln erreichen und darüber deren
4.2.3.1 Die graue Substanz
Empfindlichkeit auf Dehnungsreize erhöht.
Die Anordnung • Nervenzellen des Sympathikus in den Seiten-
Die graue Substanz liegt in der Tiefe und hat die hörnern der Ruckenmarksegmente C8-L2. de-
Form emes Schmetterlings. vergleichbar dem Groß- ren Axone zu vegeratlven Ganglien des Sym-
buchstaben H (Abb. 4.4). Man unterscheidet am Quer- pathikus gelangen.
4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Gestalt und die Glied erung 79
,------ 1 längsfurchen:
17 1 Septum medianum posterius
r------ 2 2 Sulcus intermedius posterior
~---- 3
10 Fissura mediana anterior
~--- 4
11 Sulcus anterolateralis
15 Sulcus posterolateralis
Graue Substanz:
5
5
6
7
Cornu posterius
Cornu lateralis
Cornu anterius
11
8 Commissurae griseae anterior und posterior
13
6 Weiße Substanz:
12 Funiculus anterior
13 Funiculus lateralis
14 14 Funiculus anterolateralis
16 Funiculus posterior
17 Commissurae albae anterior und posterior
--- 9 Spinalnervenwurzeln:
12 --------,1--1
4 Radix posterior
11 - - - - _ / 10 9 Radix anterior
3 Canalis centralis
<I>
12 8 ~A~ Beachten Sie in Tab. 4. 1 besonders die fett
9 gedruckten Begriffe. Die übrigen Details sind der
11 - - - - '........
10 - - Vollständigkelt halber mit aufgeführt, jedoch in
der Regel für Ihre Prilfungen nicht so bedeutsam.
1 Lamina I I 0 Canalis centralis
2 Lamina II
Die Columna posrerior enthält die Laminae I bis VI.
3 Lamina 111 I 1 Motoneurone
4 Lamina IV 12 Nd. intermedlolateralls die Columna intermedia die Wminae VII und X
5 Lamina V 13 Substantia gelatlnosa und die Columna anterior die Laminae VII I und IX
6 Lamina VII 14 Zona marginalis
7 Lamina VIII 15 Nd. proprius (u nd Teile der Lamina VII).
8 Lamina IX 16 Nd. thoracicus posterior Die Laminae der Hintersäule bestehen aus Nerven-
9 LaminaX
zellen mir klemen bis mittelgroßen Perikarya (vor
Abb. 4.6 Gliederung der grauen Subslanz im Rückenmarle allem lntemeurone). Zudem kommen einige große
Perikarya von Strangzellen ( u. a. Tractus spinotha-
lamicus) vor.
7 I ........ . , t!!!!!!~
$!!1!!!!:1!'II 1!!'!!!!!!!!!•!!..~--
· ... ••
Schicht Charakteristika und Funktfon
Lamina I (Zona marglnalis, schmale Schichten mit kleinen {lnterneurone) und großen Perikarya (Strangzellen, deren Axone die
Substantia sponglosa) Tractus splnothalamicus oder splnoretlcularis bilden)
zusätzliches Vorkommen von synaptlschen Glomeruli in Lamina II
Lamina II Funktion' Schmerzverarbeitung und ·Weiterleitung
(Subrtantla gelatlnosa)
lam1na 111 und IV auf allen Ebenen cles Rücl<enmart<s m1t propr;ozeptrvt'n A!ferenzen {IMe Nucleus dorsahs, s. u.)
(Nucleus proprfus) Funktion: Druck- und Berührungssens1bilttat (und z. T. auch Schmerz)
Lamina V mechano- und noz1zeptive Afferenzen aus Haut. Muskulatur und Eingeweiden
Funktion: Bcruhrung, Schmerz
Lamina VI nur Im Halsbereich signifikant ausgebildet
propnozept1ve und nozo:ept1ve Allerenlen
Lam1na VII größter Te1l der Columna intermedoa (• Zona intenned1a). mot drei Kerngebieten
- Nucleus thoracicus porterfor (Nuc:leus dorsalls. SttlloncJ-C~rke). mit propriozeptNen Afferenzen,
Ursprung des Tractus sponocerebellans posterior: im Halsm.uk hegt eon entsprechender Nucfeus
cervocahs centrahs
- Nucleus lntermediolateralis, auf der Höhe C8-l2, praganghonare Neurone des Sympathikus
- Nudel parasympathicl sacrales, auf der Höhe S2- S4. präganglionäre Neurone des Para-
sympathikus
Außerdem ln lamona VII: z. T. Ursprungsneurone des Tractus sponothalamicus
lamona VIII merst Interneurane fur motonsc~ Zellen (s. Lamina IX) und Strangzellen fur Tractus sponorhalamocus
lalllJna IX somatomotonsc~ Wurzelzellen chol•nerge o- und ß·Motoneurone
- mediale Kemgruppe: für d1e Innervation der aJOalen Muskulatur
- laterale Kerngruppe: besonders ausgepragt im Bereich der lntumescentoae; fur doe Innervation der
ExtremltJtenmuskulatur (weiter lateral liegende Unterkerne für weiter d1stale Muskeln)
- zentrale Kemgruppe: Im Halsmark. Nd. n. phrenlcl, Nd. n. accessorli
- Onuf-Kern' Motoneurone des N. pudendus
Lamona X um Zentralkanal gelegen. kl~ne Neurone
Afferenzen aus Muskulatur und Eongewetde. Elferenzen zu laO'IInae V, V1 und VII
4 Rückenmark (Medulla splnalis) Oie Verschaltungen und Bahnen im Rückenmark 81
ln den l..lminae 1-111 enden Fasern. die nach T-IOr- sind uber die Commissura alba anterlor (vor der
miger Aufteilung im Tractus posterolateralis (lis- Commissu ra grisea anterior gelegen) miteinander
sauer-Randzone) über einige Segmente auf- und verbunden. Entsprechend liegt hinter der Commis-
abwärts verlaufen. Hierbei handelt es sich um sura grisea posterior die Commlssura alba posterlor.
dünne Fasern (mit Signalen aus Nozi- und Thermo-
rezeptoren). die über das laterale Bündel der Hin- 4.2.3.3 Die unterschiedliche Verteilung von
terwurzel in das Rückenmark eintreten. grauer und weißer Substanz
An Neuronen in tieferen Schichten der grauen Rü- Das Querschnirtsbild sieht in den verschiedenen
ckenmarkssubstanz enden dicke Fasern (für die Abschnitten des Rückenmarks unterschiedlich aus.
übrigen Qualitäten). die über das mediale Bündel Die weiße Substanz nimmt von kaudal nach kranial
der Hinterwurzel ziehen. Ein anderer Teil dieser Fa- an Masse zu:
sern steigt ohne Umschaltung über den Hinter- - Zerv1kalmark: dicke Vorderhörner. sehr reichlich
srrang zum Hirnstamm auf. weiße Substanz
Die Neurone des Hinterhorns erhalten nicht nur Af- - Thorakalmark: schlanke Vorderhörner. reichlich
ferenzen aus der Hinterwurzel, sondern auch aus weiße Substanz
supraspinalen Zentren. So werden bereits im Hin- - Lumbalmark: dicke Vorderhörner. deutliche Sei-
terhom nozizeptive Informationen durch deszen- tenhömer, reichlich weiße Substanz
dierende Bahnen gehemmt. wodurch eme Kontrolle - Sakralmark: große Vorderhömer, wemg weiße
der Weiterleitung von Schmerzimpulsen erreicht Substanz.
wird: Fasern aus supraspinalen Zentren (z. B. For- <P
mario reticularis) erregen Interneurane des Hinter- AW.. Check-up
horns. Die inhibitorischen Interneurane hemmen II' Führen Sie sich noch einmal die unter-
dann Strangzellen des Tracrus spinothalamJCus. Die schiedliche Höhenlokalisation der Racken-
Transmarter der lntemeurone sind Glycm. GABA markssegmente Im Vergleich zu den Wir-
und Endorphin. beln vor Augen. Wiederholen Sie ln diesem
Zusammenhang, auf welcher Höhe der Co-
4 .2.3.2 Oie weiße Substanz nus medullarls und die lntumescentla lum·
Die we1ße Substanz liegt im Rückenmark ober- bosacralis liegen.
nachlieh und umgibt die graue Substanz mantei- II' Rekapitulieren Sie, welche verschiedenen
IOrmlg. Hier verlaufen Axone der Strangzellen. die Nervenzelltypen Innerhalb der grauen
sowohl die langen Ruckenmarksbahnen des Ver- Substanz liegen.
bindungsapparats (s. S. 82) als auch intersegmen-
tale Faserverbmdungen. des Eigenapparats bilden. 4.3 Die Verschaltungen und Bahnen
Die we1ße Rückenmarkssubstanz wird gegliedert m: im Rückenmark
Hmterstrang (Fumculus posterior)
- Seltenstrang (Funiculus lateralis)
;
A .. Lerncoach
- Vorderstrang (Funiculus anterior). Die Verschaltungen der Neurene auf ROcken-
Die Hinterstränge liegen zwischen den beiden Hin- marksebene und die BOndelung Ihrer Axone
terhörnern und gliedern sich im oberen Thorakal- zu größtenteils ln Längsrichtung verlaufen·
mark sowie im Halsmark in Fasciculus cunearus den Bahnen sind komplex.
(Burdach) und FasCICulus gracilis (Golf). Hinter- Lassen Sie sich davon an dieser Stelle nicht
srrang und Seitenstrang sind durch den schmalen, verwirren, sondern eignen Sie sich zunlichst
streifenfOrmigen Tractus posterolateralis (lissauer) die Terminologie der hier besprochenen
getrennt. der sich zwischen Hinterhornspitze und Strukturen an. Ihre Einbindung in verschie-
Rückenmarksoberfläche befindet. Seiten- und Vor- dene funktionelle Systeme. in denen sie mit
dersrrang sind nicht so deutlich voneinander abge- Strukturen des Gehirns und peripheren Antei-
grenzt und werden deshalb auch als Vorderseiten- len zusammenwirken, können Sie Im Kapitel
strang zusammengefasst Die beiden Vorderstränge 11 (S. 199) nachlesen.
82 4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Verschaltungen und Bahnen im Rückenmark
20 - - - - - - - - - - r------------- -- 1 Eigt>nappdrdt
19 - - - ..v---r---:""--- / - - - - - 2 1 Fasciculus proprius
-...........- -- - ) 2 Fasciculus interfascicularis
---4 3 Fasciculus septomarginalis
>.t-- - 5 4 Tractus posterolateralis
18 5 Fasciculus sulcomarginalis
\-----6
Absteigende Bahnen des Verbindungsapparats:
6 Tractus corticospinalis lateralis
7 Tractus rubrospinalis
8 Tractus reticulospinalis
9 Tractus vestibulospinalis
10 Tractus tectospinalis
15 --~...,.",.. 11 Tractus corticospinalis anterior
9
14
13 _ _ _ _ _ _.r--...__,L.;;I 'L-~~ - - - - - 10 12 Canalis centralis
12 11 Aufsteigende Bahnen des Verbindungsapparats:
13 Tractus spinocerebellaris anterior
14 Tractus spinoolivaris
15 Tractus spinomesencephalicus
16 Tractus spinothalamicus anterior
17 Tractus spinothalamicus lateralis und
Tractus spinoreticularis
18 Tractus spinocerebellaris posterior
19 Fasciculus gracilis
20 Fasciculus cuneatus
Abb. 4 .7 Anordnung der Bahnen im Rückenmarksquers~hnitt
Oie langen Bahnen des Verbindungsapparats sind in Blau (aufsteigende Bahnen) und Rot (absteigende Bahnen) dargestellt. Die
grünen Areale kennzeichnen die Lage von Fasern des Eigenapparats (s. S. 86).
Die Umschaltung vom ersten (Perikaryon im Spinal- Die in den spinozerebellären Bahnen zusammenge-
ganglion) auf das zweite Neuron (multi polare lagerten Nervenfasern sind Axone des 2. Neurons
Strangzelle) erfolgt im Hinterhorn auf der Eintritts- innerhalb der jeweiligen neuronalen Kette.
seite der Nervenwurzel (v. a. in den Laminae 1bis 111). Der Tractus spinocerebellaris posterior (Flechsig)
Besonders in Lamina I Iinden sich Neurone für die und weiter kranial auch die Fibrae cuneocerebella-
Schmerzweiterleitung. Die Axone der Strangzellen res (s. u.) leiten fein diskriminierende Informatio-
kreuzen in der Commissura alba anterior zur Gegen- nen aus kleinen rezeptiven Feldern (E Area le der
seite und steigen im Seitenstrang auf zum Thalamus. Körperperipherie. von denen jeweils ein sensibles
Der Tractus spinothalamicus wird häufig noch in Neuron erregt wird ).
einen (größeren) Tractus spinothalamicus lateralis Die aus der Hinterwurzel eingetretenen Axone zie-
für die Schmerz- und Temperaturleitung und einen hen ipsilateral im Hinterstrang einige Segmente
(kleineren) Tractus spinothalamicus anterior für auf- oder abwärts. Sie enden an den Strangzellen
die grobe Mechanosensibilität (und auch Schmerz) (als zweites Neuron) des Nucleus thoraclcus poste-
unterteilt. rior ( Nucleus dorsalis, Stilling-Ciarke), der sich von
Mit dem Tractus spinothalamicus anterior und von den Rückenmarkssegmenten Th I bis l2 erstreckt.
diesem nicht abgrenzbar verlaufen auch die Fasern Die von diesem Kern abgehenden Axone bi lden
der Tractus spinoreticularis und spinotectalis. den Tractus spinocerebellaris posterior. der ipsilore-
Die Strangzellen des Tractus spinoretlcularls haben rol im Vorderseitenstrang nach oben zieht. um
eine ähnliche Loka lisation wie die des Tractus spi- über den Pedunculus cerebellaris inferior das
nothalamicus. Ihre Axone verlaufen zunächst mit Kleinhirn zu erreichen.
dem Tractus spinothalamicus: dabei verlaufen eini- Afferenzen aus der oberen Körperhälfte ziehen
ge auch ungekreuzt. Im Hirnstamm verlassen die (über den Fasciculus cuneatus ) zusätzlich zum Nu-
Axone auf unterschiedlichen Höhen den Tractus deus cuneatus accessorius ( Monakow. entspricht
spinotha lamicus. um an Kerngebieten der Formatio dem Nucleus thoracicus posterior). Hier erfolgt die
reticularis zu enden. Von diesen Kernen ziehen Fa- Umschaltung auf das zweite Neuron. Die Axone
sern u. a. zu den intralaminären Tha lamuskernen ziehen ebenfalls ipsiloterol (als Fibrae arcuatae ex-
( unspezifische Schmerzverarbeitung). temae posteriores • Flbrae cuneocerebellares) über
Vergleichbar dem Tractus spinoreticularis lässt sich den Pedunculus cerebellaris inferior in das Spina-
noch ein Tractus spinomesencephallcus beschrei- cerebellum.
ben, der u.a. zum Teeturn mesencephali zieht und Der Tractus splnocerebellarls anterior (Gower) lei-
daher manchmal auch als Tractus spinotectalis be- tet Informationen aus größeren rezeptiven Feldern
zeichnet wird. Er verläuft zunächst zusammen mit (Sehnenspindeln, Haut) der unteren Körperhälfte.
dem Tractus spinoreticularis und Tractus spi notha- Die Axone des ersten Neurons aus der unteren Kör-
lamicus und ist auch rur die Schmerzweiterleitung perhälfte ziehen im ipsilateralen Fasciculus gracilis
von Bedeutung ( Projekti on auch zu den Kernen der zu Strangzellen im Jumbosakralen Rückenmark
inneren Augenmuskeln im Mesencephalon - Pu- (Laminae V bis VIII). Die meisten Axone der Strang-
pillenverengung bei Schmerzen). zellen kreuzen zur Gegenseite und bilden den Trac-
tus spinocerebellaris anterior, der in der Randzone
Die Troctus spinocerebellores (mit Fibroe cuneocere-
des Vorderseitenstrangs aufsteigt. Die gekreuzten
bel/ores)
Axone ziehen im Mittelhirn erneut zur Gegenseite
Ober das spinozerebelläre System erhält das Klein-
( Decussatio pedunculorum cerebellarium superio-
hirn (Spinocerebellum) Informationen über die Po-
rum ) und sind damit wieder ipsilocerol. Der Tractus
sition des Rumpfes und der Extremitäten und über
spinocerebellaris anterior zieht über den Peduncu-
den Tonus der Muskulatur. Die Informationen
lus cerebellaris superior ins Spinocerebellum.
stammen aus Propriozeptoren (Spannung und Deh-
Ebenso wie beim Tractus spinocerebellaris poste-
nung in Muskeln, Sehnen, Periost und Gelenkkap-
rior (s. Fibrae cuneocerebellares) gibt es auch für
seln) und Exterozeptoren der Haut (Druck, Vibrati-
den Tractus spinocerebellaris antericr ein Äquiva-
on. Berührung).
lent für die obere Körperhälfte. Die Strangzellen
4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Verschaltungen und Bahnen im Rückenmark 85
(zweites Neuron ) liegen im Nucleus cervicalis cen- Die nicht-gekreuzten Fasern formieren sich zum
tralis. Seine Axone bilden den Tractus spinocerebel- (dünnen) Tractus corticospinalis anterior, der ne-
laris superior, der ipsilaceral (über den oberen und ben der Fissura mediana anterior nach unten zieht.
unteren Kleinhirnstiel ) ins Spinecerebellum zieht. Die Fasern dieses Tractus kreuzen auf Höhe ihres
Kleine aufsteigende Bahnen lassen sich noch dem Zielsegments (über die Commissura alba anterior)
spinozerebellären System zuordnen: Der Tractus zur Gegenseite, d. h. in das kontralaterale Vorder-
spinoolivaris zieht kontralateral zu den Nuclei horn.
olivares accessorii. Von dort ziehen Axone mit dem
Tractus spinovestibularis. Über den Tractus spino-
vestibularis werden Impulse zu den Nuclei vesti bu- Alle Fasern des Tractus corticospinalis kreuzen, je-
lares und von dort zum Kleinhirn geleitet. doch auf unterschiedlicher Höhe: Die im Tractus
corticospinalis /atero/is verlaufenden Axone ent-
stammen dem kontralateralen Kortex, da die Kreuz-
Die spinozerebellären Bahnen kreuzen entweder ung bereits in der Decussatio pyramidum
gar nicht oder zwei Mal. stattgefunden hat, während die im Tractus cortico-
spinalis anterior zusammengelagerten Fasern erst
auf Rückenmarksebene kreuzen und somit aus ipsi-
/ateralen Kortexgebieten kommen.
Propriozeptive Störungen bei Kleinhirnläsionen tre-
ten aufgrund dieses Verlaufs der spinozerebellären Fa-
Die extrapyramidalen Bahnen
sern stets ipsilateral auf.
Die Funktionen des extrapyramidal-motorischen
Systems (s. S. 200) sind
4.3.2.2 Die absteigenden Bahnen unwillkürliche Steuerung/Koordination von Be-
Die langen absteigenden Bahnen ziehen im Vorder- wegungen
seltenstrang; dazu gehören somatornotorische und Regulation der Stützmotorik (aufrechte Körper-
vegetativ~ Bahnen. Bei c.!en somatornotorischen haltung)
Bahnen lassen sich die Pyramidenbahn und die ex- Regulation von unbewusstenfunwillkürlichen
trapyramidalen Bahnen unterscheiden. Während Mitbewegungen
die Pyramidenbahn ohne Umschaltung verläuft, mechanischer Ablauf erlernter Bewegungsmus-
sind die extrapyramidalen Bahnen meist polysyn- ter
aptisch. geordneter Ablauf von Willkürbewegungen (z. 8.
durch An- oder Entspannung von Muskelgrup-
Die Tractus carticaspina/es pen), d. h. das extrapyramidal-motorische Sys-
Die Tractus corticospinales bilden den größten Teil tem ist die Grundlage des pyramidal-motori-
der Pyramidenbahn und sind - mit Ausnahme der schen.
durch die Hirnnerven innervierten Muskulatur - Die extrapyramidalen Bahnen beginnen in subkor-
für die willkürliche Motorik verantwortlich tikalen Zentren. ziehen im Vorderseitenstrang des
(s. S. 199). Rückenmarks abwärts und enden über Interneu-
Die Axone aus verschiedenen (v. a. motorischen) rene oder direkt an a -Motoneuronen (und z. T.
Kortexgebieten sind die Fibrae corticospinales, von auch an '(-Motoneuronen).
denen die meisten (75- 90 %) am unteren Ende der Es werden folgende Bahnen unterschieden s. auch
Medulla oblongata in der Decussatio pyramidum s. 204:
zur Gegenseite kreuzen. - Tractus reticulospinalis: aus der Formatio reticu-
Diese gekreuzten Fasern bilden den Tractus cortlco- laris des Pons (pontine Fasern) und der Medulla
spinalis lateralis, der in der hinteren Hälrte des Sei- oblongata {medulläre Fasern)
tenstrangs nach unten verläuft. - Tractus vestibulospinales lateralis und medialis:
aus den Nuclei vestibulares, s. s. 217
86 4 Rückenmark (Medulla spinalis) Oie Verscha ltungen und Bahnen im Rückenmark
Tracrus tectospina lis: aus dem Colliculus supe- direkt an a -Motoneurone übermittelt (Glutamat
rior. s. S. 102 als Transmitter). Letztere erregen über motorische
Tractus rubrospinalis: aus dem Nucleus ruber. Endplatten. die Synapsen zwischen Nerv und Mus-
s. S. 101. kel mit Acetylcholin als Transmitter. denselben
Tractus olivospina lis: aus dem unteren Oliven- Muskel (-+ Kontraktion: Dehnungsreflex). Durch
komplex. s. S. 96. die Kontraktion erschlaffen die Muskelspindeln
und der Reflex ist beendet.
4.3.3 Der Eigenapparat und die spinale n Über Kollateralen der afferenten Fasern beim Deh-
Reflexe nungsreflex werden Inhibitorische Interneurane ak-
Im Eigenapparat sind Neurone innerhalb des Rü- tiviert. die Motoneurone von antagonistischen
ckenmarks synaptisch verbunden. Muskeln hemmen (-+ Anragonistenerschlaffung;
Die intersegmentalen Faserbahnen des Eigenap- reziproke antagonistische Hemmung).
parats l iegen vorwiegend als schmaler Streifen Die Eigenreflexe dienen der Kontrolle der Muskel-
(Grundbündel. Fasciculi proprii) direkt der grauen länge; dadurch kann die Länge von Muskeln kon-
Substanz an: Fasekuli proprii anterior. lateralis und stant gehalten werden (Haltetonus).
posterior (Abb. 4.7. s. S. 83}.
Die Fremdreflexe
Dazu kommen noch Faserbahnen. die in der wei-
Bei Fremdreflexen sind zwischen den afferenten
ßen Substanz zwischen den Bahnen des Verbin-
und efferenten Neuronen stets ein oder mehrere
dungsapparats liegen:
Interneurane und Strangzellen geschaltet.
- Fasciculus septomarginalis: ovales Bündel. am
Der polysynaptische motorische Reflex läuft über
Septum medianum posterius
mehrere Rückenmarkssegmente; Reiz und Antwort
Fasciculus lnterfascicularis. Schultze-Komma:
liegen - im Gegensatz zum Eigenreflex - nicht im
zwischen Fascilculus gracilis und cuneatus
gleichen Organ. Die Rezeptoren können in der
Fa.sciculus sulcomarginalis: schma les Faserbün-
Muskulatur. in Gelenken oder in der Haut liegen.
del direkt an der Fissura mediana anterior.
So führt ein Schmerzreiz distal am Bein zur Kon-
Die Eigenleistungen des Rückenmarks sind die spi-
traktion der Flexoren (-+ Zurückziehen des Beines;
nalen Reflexe. die unabhängig von supraspinalen
Flexorreflex). Gleichzeitig kann es am kontralatera-
Zentren ablaufen können (unwillkürlich, unbe-
len Bein zu einer Streckung kommen (-> Übernah-
wusst). Der Eigenapparat steht aber auch unter
me der Körperlast; gekreuzter Extensorenretlex).
dem Einfluss supraspinaler Zentren. durch die z. B.
eine Hemmung der Reflexe möglich ist. Bei den
spinalen Reflexen werden unterschieden:
Pathologische Reflexe: Neben den in Tabelle 4.3 auf-
- somatische Reflexe: Eigenreflex und Fremdreflex
- viszerale Reflexe (Eingeweidereflexe) geführten physiologischen Fremdreflexen, sind auch
wichtige pathologische Reflexe Fremdreflexe. Ein Bei-
- gemischte Reflexe.
Bei einigen Reflexen sind intersegmentale Faserver- spiel hierfür ist der Babinski-Reflex, der auf eine
Schädigung der Pyramidenbahn hindeutet (daher
bindungen, die durch Strangzellen gebildet werden.
spricht man auch von sog. Pyramidenbahnzeichen, zu
beteiligt.
denen noch einige andere pathologische Fremdreflexe
zählen): Beim Bestreichen der lateralen Fußsohle
4.3.3.1 Oie somatischen Reflexe
kommt es zur Dorsalextension der Großzehe (und
Der Muskeleigenreflex meist Spreizen der übrigen Zehen). Diese Reaktion
Der Eigenreflex basiert auf dem einfachsten Reflex- tritt physiologischer Weise nur bei Kindern vor dem
bogen, bei dem afferente (sensible) und efferente zweiten Lebensjahr auf. solange die Pyramidenbahn
(motorische) Neurone über eine Synapse verbun- noch nicht vollständig myelinisiert ist; bei älteren Kin-
den sind (monosynaptischer Reflex). Die afferenten dern oder Erwachsenen ist dieser Renex als patholo-
Signale kommen aus Muskelspindeln (= Dehnungs- gisch anzusehen.
rezeptoren. s.S. 255) und werden im Rückenmark
4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Verschaltungen und Bahnen im Rückenmark 87
Achillessehnenreflex
Komplettes Querschnittssyndrom: Das akute Sta- ausgelöst durch passive Fieletion und Supination
dium ist gekennzeichnet durch den sog. spinalen des Fußes)
Schock. Darunter versteht man eine komplette - Die Sensibilitätsstörungen bleiben unverändert
schlaffe Lähmung, Ausfall der Eigen- und Fremdre- wie im akuten Stadium.
flexe, vollständige Lähmung der Blase und des Halbseltensyndrom des Rückenmarks (Brown·
Darms und Sensibilitätsausfall (alle Qualitäten). ln Sequard): Auf der Läsionsseite unterhalb der
späteren Stadien äußert sich das Querschnittssyn- Schädigungshöhe treten auf: spastische Parese,
drom anders: Bedingt durch den Ausfall supraspi- gesteigerte Eigenreflexe, Aufhebung der feindiskri-
werden letztere durch spinale Afferenzen stärker Auf der Gegenseite liegt eine Störung der
4.3.3.2 Die viszeralen Reflexe Kaudasyndrom: Ist die Cauda equina geschädigt (z. B.
Durch viszerale (oder besser: viszeroviszerale) Re- durch einen medialen Bandscheibenvorfall), tritt zu·
flexe können verschiedene Reaktionen hervorgeru- sätzlich zu o.g. Symptomen eine beidseitige Lähmung
fen werden: Beispielsweise können von Eingewei- der Beine (Paraparese). Die radikulären Sensibi-
derezeptoren Signale zum Rückenmark gehen. die litätsstörungen erstrecken sich ebenfalls bis zur unte-
dort auf präganglionäre Neurone weitergeleitet ren Extremität.
werden und dann nach Umschaltung auf posrgan-
glionäre Neurone (im PNS) z. B. in der Haut eine 4.3.3.3 Die gemischten Reflexe
Ger.tßreaktion auslösen (-. Rötung eines Hautge- Diese Reflexe basieren darauf. dass auf Rücken-
biets. viszerakutaner Reflex). Auch kann eine visze- marksebene
rale Afferenz Druck oder Spannung zum ROcken- Kollateralen von Viszeroafferenzen zu Somatoef-
mark melden, was dann eine reflektorische ferenzen oder
Anspannung (Spasmus) der glatten Muskulatur Kollateralen von Somatoafferenzen zu Viszeroef-
auslöst (..... kolikartige Schmerzen z. B. bei Gallen- ferenzen ziehen.
steinen). Bestimmte viszerale Reflexe werden über Beim vlszeromotorlschen Reflex gelangen Schmerz-
sympathische und parasympathische Zentren (spi- signale aus inneren Organen zu a-Motoneuronen.
noviszerale Reflexzentren) gesteuert: Letztere rufen eine Kontraktion der ipsilateralen
Centrum clllosplnale: Sympathikus an der Gren- Bauchwandmuskeln hervor (Abwehrspannung).
ze zwischen Hals- und Brustmark - Pupillener- Beim kutiviszeralen Reflex gelangen Signale aus
weiterung und Öffnu ng der Lidspalte (s. S. 222) der Haut (z. B. aus Temperaturrezeptoren bei thera-
Centrum veslcosplnale: Sympathikus im Lum- peutischer Wärmeapplikation) an Viszeroefferen-
balmark (Ll - L2 ) ..... tonischer Verschluss des zen (für Viszeramotorik _. reflektorische Entspan-
Hamblasensphinkters; Parasympathikus im Sa- nung von Eingeweidemuskulatur).
kralmark (S2-S4) -. Förderung der Harnblasen-
entleerung 4.3.4 Der übertragene Schmerz
Centrum anosplnale: Lage wie Centrum vesico- Grundlage des sog. übertragenen Schmerzes ist.
spmale. Sympathikus ..... Verschluss des Anus dass Viszeroafferenzen und Schmerzafferenzen aus
(tonischer Verschluss des Sphinkters). Parasym- der Haut auf dieselben Strangzellen des Rücken-
pathikus .... Kontraktion der Muskulatur im dis- marks (-> Tractus spinothalamicus) treffen. Da die
talen Kolon und Rektum sowie Erschlaffung des supraspinalen Strukturen ..gelernt" haben. dass
Sphinkters Schmerzen meist von der Körperoberfläche kom-
Centrum genltosplnale: Lage wie Centrum vesi- men. kommt es bei Signalen aus den Viszera-
cospinaie. Parasympathikus _. Erektion. Sympa- afferenzen zu Schmerzen oder gesteigerter
thikus ..... Ejakulation. Berührungsempfindlichkeit in definierten segment-
Diese Zentren unterliegen der Steuerung durch bezogenen Hautarealen (Head-Zonen). Beispiels-
obergeordnete Zentren (z. B. pontines Mlktionszen- weise treten bei Angma pectoris oder Herzinfarkt
trum. s. S. 104). Schmerzen an der Innenseite des Oberarms und in
einem gürtelförm1gen Areal links am Thorax auf.
I KhnischN Bt."zug
Konussydrom: Bei isolierter Schädigung des Conus
medullarls (entspricht den Rückenmarkssegmenten
S3- S5). z. B. durch einen Tumor oder massiven Band·
scheibenvorfall in Höhe der Wirbel L 1/L II, kommt es
zu Mlktlons-. Defäkations- und Sexualfunktionsstörun·
gen. Zusätzlich sind Sensibilitätsstörungen im periana·
len Bereich und an den Oberschenkelinnenseiten
charakteristisch (.Reithosenanästhesie").
4 Rückenmark (Medulla spinalis) Die Verschaltungen und Bahnen im Rückenmark l9
....
_
v
Check-up
Rekapitulieren Sie, welche Funktionen die
lnterneurone des Rückenmarks haben und
über welche Transmitter sie wirken.
v Machen Sie sich klar, welche Bahnen im
Vorderseitenstrang verlaufen.
v Wiederholen Sie zu den wichtigsten im
Rückenmark verlaufenden Bahnen, ob bzw.
auf welcher Höhe sie kreuzen.
v Überlegen Sie in diesem Zusammenhang,
wie sich ein Halbseitensyndrom des
Rückenmarks äußert und wie dies zustande
kommt.
v Machen Sie sich klar, welche Bahn ihren Ur-
sprung im Nucleus thoracicus posterior des
Hinterhorns (Nucleus dorsalis, Stilling-Ciar-
ke) hat.
.'
'
•
'
I Klinischer Fall
5 Hirnstamm (Truncus encephali) kerne sind kompliziert und werden. genau wie d1e
sich über den gesamten Hirnstamm erstreckende
5.1 Der Überblick Formatio reticularis. systematisch besprochen
(s. S. 108 und S. 102). Das Tectum ist nur im Mit-
Zum Hirnstamm gehören das verlängerte Mark telhirn vorhanden (i n Form der Vierhügelplane ....
(Medulla oblongata). die Brücke (Pons) und das Schaltstellen im visuellen und auditarischen Sys-
Miltelhirn (Mesencephalon). Somit grenzt der tem). Im Bereich der Medulla oblongata und des
Hirnstamm kaudal an das Rückenmark (S. 75) und Pons können die Vela medullaria als eine Art Relikt
kran1al an das Zwischenhirn (Diencephalon. S. 129). der drillen Schicht angesehen werden.
Der Hirnstamm gliedert sich grundsätzlich in drei
1/Jngs orientierte Schichten. die jedoch nur im Me- <»
sencephalon voll ausgebildet sind (Abb. 5.1): ~A., Die jeweils charakteristischen Strukturen,
- Basis (anterior) die dem Inneren Aufbau der einzelnen Abschnitte
- Tegmentum (Haube, miniere Schicht) und damit Ihrer durchgängigen Gliederung ln
- Teeturn (posterior). längs orientierte Schichten zugrunde liegen,
Die Basis enthält vor allem absteigende motorische können Sie am besten ln Querschnitten sehen
Fasern. Im Tegmentum findet sich eine Mischung (Medulla oblongata: Abb. 5.4, S. 96, Pons: Abb. 5.5,
aus we1ßer und grauer Substanz. ln der weißen S. 98 und Mesencephalon: Abb. 5.6, S. 1 00). Ver·
Substanz verlaufen zum einen kürzere Faserbündel, gleichen Sie die Form der Querschnittsbilder un·
die innerhalb des Hirnstamms Verbindungen her- terelnander und versuchen Sie. die verschiedenen
stellen. zum anderen auch lange auf- und abstei- Kerne und Bahnen Innerhalb der Abschnitte zu
gende Bahnen. d1e durch den Hirnstamm hindurch benennen.
Ziehen. Die graue Substanz besteht u. a. aus den
Kernen der Hirnnerven 111- XII, der Formatio reticu- Der Hirnstamm ist dorsal über drei Stiele mit dem
laris. Pons-Kernen. Nucleus ruber und Substantia Kleinhirn verbunden (Pedunculi cerebellares aus
nigra. Anordnung und Funktion der Hirnnerven- Faserbündeln zum und vom Kleinhirn. s. S.124).
1 Teerum mesencephali
2 Mesencephalon
3 Aqueductus mesencephalo
4 Velum medullare superius
2 5 Kleinhirn
10 6 VE.>Ium medullare lnferius
7 Medulla oblongata
8 IV. Ventrikel
3 9 Pons
10 111. Ventrikel (im D1encephalon)
4
9
5
6
8
7
Abb. 5.2 Ansicht des Hirnstamms mit angrenzenden Strukturen von vom
5.2 Die Medulla oblongata kennbare Grenze in das ROckenmark über (daher
..verlängertes· Mark).
;
...... Lerncoach
Vorne liegt in der Mittellinie die Flssura mediana
anterior (vom Rückenmark bis zum Unterrand der
Konzentrieren Sie sich beim lesen des folgen- Brücke). Kran ial endet die Fissur mit einer kl einen
den Abschnitts besonders auf die Lage und Ervvei teru ng (Foramen caecum).
Verbindungen folgender charakteristischer Beidseits der Fissur findet s1ch ein Längswulst aus
Strukturen der Medulla oblongata: Kreuzung Fasern der Pyramidenbahn (S. 200). die Pyramis
der absteigenden Pyramidenbahn, Hinter· (Pyramide). Am unteren Ende der Medulla oblonga-
strangkerne als Umschaltstation für aufs tel· ta befinden sich klemere schräg orientierte Bündel
gende Bahnen aus dem Rückenmark und un- kreuzender Fasern zw1schen den Pyramiden: Decus-
terer Olivenkomplex. satio pyramidum (Pyram1denkreuzung. Abb. 5.2).
Hier kreuzen Fasern des Tractus corticospinalis zur
5.2.1 Die lage und Oberfläche der Medulla Gegenseite (S. 85).
o blongata Seitlich wölben sich im oberen Teil hinter den Pyra-
Die Medulla Oblongara (verlängertes Mark. manch- miden die Oliven vor. Zwoschen Pyramide und Oli-
mal auch als Bulbus bezeichnet) ist birnenförmig ve liegt der Sulcus anterolateralis (oder Sulcus
und ca. 3 cm lang. Sie reich t definitionsgemäß vom preolivaris ).
Unterrand der Brücke bis oberhalb des AustrittS Hier treten die Wurzelr.lden des N. hypoglossus
des ersten Spinalnerven und geht hier ohne er- aus. Hinter der Olive verlassen die Wurzelfasern
des N. glossopharyngeus. N. vagus und N. accesso-
5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Medulla oblongata 95
Oiencephalon:
1 Vcntroculus tertius
2 2 Glandula pinealis
3 Pulvinar
4 Corpus geniculatum
mediale (CGM)
5 Corpus geniculatum
laterale (CGL)
4
Mesencephalon:
6 Colliculus superior
3 7 Brachium coUoculi
superooris
5 8 Colliculus inferior
8 9 Brachium colliculo
9 inferioris
'1 10 Pedunculus cere-
10 12 I bellaris Superior
1 N. trochlearis (IV)
13 21
Pons:
22 12 Velum medullare
14 superius Rautengrube:
---
23 13 Pedunculus cere- 21 Eminentia medialis
18 bellaros medius 22 Colloculus facialis
24 25 23 Striae medullares
26 Medulla oblongata: ventriculi quarti
15 17 14 Pedunculus cerebellaris 24 Area vestibularis
inferior 25 Trigonum nervi
16 hypoglossi
15 Area postrema
20
-- 19
16 Obex
17 Tuberculum gracile
18 Tuberculumcuneatum
26 Trigonum nervi
vago
19 Sulcus medianus
posterior
20 Sulcus intermedius
t___!>OSter_io_r_ __
Abb. 5.3 Ansicht des Hirnstamms mit angrcnlenden Strukturen von hinten
rius (seme Radix cranialis) im Sulcus retroolivarls tung mechanorezepttver und propriozeptiver Infor-
das Gehtrn. malton enthalten (s. S. 206).
Dorsal erkennt man als Fortsetzung der hinteren Ore betden Tubercula sind am Unterrand der Rau-
Rinne des ROckenmarks den Sulcus medianus pos- tengrube schräg nach oben-lateral ausgerichtet.
terlor. der etwa am Übergang zur oberen Hälfte der Sei tlich vom Tuberculum cuneatum findet sich das
Medulla oblongata an einer schmalen quer verlau- Oache Tuberculum trigeminale als Vorwölbung des
fenden Marklamelle (Obex) endet (Abb. 5.3). Beid- spinalen Trigeminuskerns (s. S. 111 ).
seirs des Sulcus medianus postenor hegen die bei- Vom oberen Teil der Medulla oblongata steigt der
den Hmterstränge aus dem Rückenmark: medial untere Kleinhirnstiel (Pedunculus cerebellaris mfe-
der fasdculus gracills (Goii-Strang, Fasern aus der nor. s. S. 124) nach dorsal zum Klemhirn auf. Der
unteren Körperhälfte) und lateral der Fasdculus cu- obere mittlere Teil der Dorsalseite der Medulla bil-
neatus (Bu rdach-Strang, Fasern aus der oberen Kör- det einen Teil der Rautengrube (s. S. 176).
perhälfte); zwischen beiden liegt der nache Sulcus
intermedius posterior. Die beiden Faszikel, die zur
Hinterstrangbahn gehören, enden jeweils mit einer
I'MI'dß'
Die Oberfläche der Medulla oblongata wird ventral
Anschwellung: Tuberculum gracile und Tuberculum durch die Pyramiden und Oliven geprägt. dorsal
cuneatum, dte den Nudeus gracllls und Nudeus cu- durch die Tubercula gracile und cuneatum.
neatus als wichtige Umschaltstattonen ffir die Lei-
96 5 Hirnstamm (Truncus encephall) Die Medulla oblongata
1 IV. Ventrikel
. - - - -- - 2 Weifl• Sul 1 n
> Tractus solitarlus
Pedunculus cerebcllarls inferior
fasciculus longotudtnahs mediahs
N . vagus
--4 Tractus sponothalamocus
Lemniscus medialis
N. hypoglossus
111 5 J Pyramidenbahn
Graue Substanz:
10 Nd. olivaris accessorius medialis
11 Nd. raphes obscurus
12 formatio retiCularis
13 Nd. olivans principahs
14 Nd. olivans accessonus postenor
15 Nd. ambiguus
13 16 Nd. n. hypoglossl
12 - --'\.. 17 Nd. posterior n. vagI
18 Nd. spinaUs n. trigemini
11 - - - - 19 Ncl. tractus solitarll
---8
20 Nd. cuneatus
10 - - 21 Nd. vestibularis tnlerior___ ___,
Abb. 5.4 Querschnin durch die Medulla oblongata mit Darstellung der Keme (links) und Fasersysteme (rechts)
Der Hauptkern hat die Fonn emes Beutels mit ge- 5.3 Der Pons
falteter Wand, der nach medial geöffnet ist Die
Öffnung wird als Hilum bezeichnet: hier liegt auch G
..... Lerncoach
der Nucleus olivaris accessorius med ialis. Der pos- Auffällige Strukturen Im Pons sind vor allem
teri ore Nebenkern liegt dorsal vom Hauptkern. die Brückenkerne mit Ihren Afferenzen und
Die wesentlichen Afferenzen des Olivenkomplexes Efferenzen, das innere Fazialisknie und das
stammen aus dem Corpus trapezoideum. Beachten Sie beim Ler-
Nucleus ruber (Pars parvocellularis. s. S. 101 ) des nen der Brückenkerne die Verbindungen zum
Mittelhirns über den Tractus tegmentalis cen- Cerebellum über den mittleren KleinhirnstieL
tralis (zentrale Haubenbahn) und
- Rückenmark über den Tractus splnoolivaris. 5.3. 1 Die Lage und Oberfläche des Pons
Weitere Afferenzen kommen aus der Hirnrinde Der Pons (die Brücke) liegt zwischen Medulla ob-
(Tractus cortlcoolivaris, verl~uft mit dem Tractus longata und Mesencephalon und ist ca. 2,5 cm lang.
corticospinalis) sowie auch aus dem Coll iculus Su- Auf der vorderen Seite wölben sich quer verlaufen-
perior. aus der Formatio reticularis. aus dem zen- de Faserbündel vor. die seitlich zum mittleren
tralen Hohlengrau und aus dem Kleinhirn. Klemh1rnstiel konvergieren (s. Abb. 5.2. S. 94 ). Au-
Die (exZitatonschen) Efferenzen des Olivenkomple- ßerdem wird rechts und links ein Längswulst (•
xes b1lden den Tractus olivocerebellaris. Sie kreu- Vorwölbung du rch d1e Pyramidenbahn) sichtbar.
zen zur Gegenseite. ziehen durch den Pedunculus Zwischen diesen beiden Wülsten liegt eine längs
cerebellaris inferior und enden nach Abgabe von verlau fende Furche. der Sulcus basilaris (rür die A.
Kollateralen zu den Kleinhirnkernen als Kletterfa- basilaris ). Seit/ich tri tt der N. trigeminus aus (late-
sern in der Kleinhirnrinde (s. S. 122). Damit sind ra l der Längswülste, an der Grenze von Brücke und
die Oliven an der Koordination und der Feinabstim- mittlerem Kleinhimstiel). 01e Dorsalfläche des Pons
mung (Prazision) von Bewegungen beteiligt. Eine w1rd erst nach Abtragung des Kleinhirns sichtbar
weitere Efferenz des Olivenkomplexes sind die ex- (s. Abb. s.3. S. 95). Sie bildet die obere Häl fte der
trapyramldal-motorischen Fibrae olivospinales Rautengrube (S. 176).
(• Tractus olivospinalis. s. S. 205).
5.3.2 Oie Gliederung und der innere Aufbau
des Pons
Der untere Olivenkomplex erhält Informationen Von den längs orientierten Schichten (s. S. 93) sind
aus versch1edenen Zentren, die im Rahmen der im Pons prominent ausgebildet:
Motorik von Bedeutung sind. Durch die Verbin- - Pars basilaris pontls (Brückenfuß. anterior) und
dung zum Cerebellum (über den unteren Kleinhirn- - Tegmentum pontls ( Brtickenhaube~
stiel) kann er die Koordination und Im Querschnittsbild durch die Brücke kann man
Feinabstimmung von Bewegungen beeinflussen. die za hl reichen hier liegenden Strukturen erkennen
(Abb. s.s).
<I> Ferner liegt dorsal das Velum medullare superius
_.W.._ Check-up (• Te1 l des Dachs des IV. Ventrikels. s. S. 176).
II' Rekapitulieren Sie, welche Strukturen die
Oberfläche der Medulla oblongata prägen. 5.3.2.1 Oie Pars basilaris pontis
II' Wiederholen Sie zum unteren Olivenkom- ln der Pars basilaris der Brücke hegen
plex - weiße Substanz in Form der Fibrae ponris longi-
- die Herkunft seiner verschiedenen Affe- tudinales und Fibrae pon tis transversae sowie
renzen - graue Substanz in Form der zahlreichen Nuclei
- das Ziel seiner Efferenzen pomis (eingelagert zwischen den Fasern).
- welche dieser Faserbündel Sie benennen
können.
98 5 Hirnstamm (Truncus encephali) Der Pons
1 IV. Ventrokel
W• •• Sub,tan
Genu n. facialis
2 Tractus sp.nalis n. trigeminl
fasCICulus loogitudinalis medialis
- -1-10 Tractus tegmentalis cemralis
.._,....., ~~~-,
....-:-3
-l -11
Lemniscus medialis
Corpus trapezoideum
I 4 Fibrae pontis transversae (ribrae ponto·
I 5 cerebellares)
Fibrae pontis longitudinales (Fibrae cortico·
I
pontinae, corticospinales et corticonucleares)
Griue Substilnz:
10 Nd. n abducentis
11 Nd. n. facialis
12 Ncll. pontis
13 Nd. corporis trapezoidel
8 14 Ncl. olivaris superior
15 Formatio reticularis
16 Ncl. prlnclpalis n. trigem.ni
9 17 Nd. raphes magnus
18 Nd. vestobularis lateralis
19 Nd vesttbularis medialos
20 Nd. vestobularis superior
Abb. 5.5 Querschnitt durch den Pons mit Darstellung der Kerne (links) und Fasersysteme (rechts)
Die Fibrae pontls longitudinales sind die Fortset- 5.3.2 .2 D as Tegmentum pontis
zung der Faserbahnen. die in den Crura cerebri ln der Brückenhaube liegen:
(s. S. 99) verlaufen. also die Pyramidenbahn und die Kerne (zum Teil nur Kernanteile) der Hirn-
die koni kopontinen Fase rn. Die Pyramidenbahn nerven V, VI, VII. VIII
zerfallt beim Eintritt in den Pons in zahlreiche Fas- der Nucleus (oder Locus) caeruleus und weitere
zikel. die zwischen den Brückenkernen vertaufen Anteile der Formatio reticulans
und sich am Unterrand der Brucke wieder zusam- das Corpus trapezoideum (mit Nuclei corporis
menlagern. D1e kortikopontinen Fasern enden an trapezoideil
den Neuronen der Brückenkerne (Nudel pontls ). die Bahnen. die auch im Tegmen rum mesence-
Deren Axone verlaufen als Flbrae pontis transver- phali anzutreffen sind (s. S. 100).
~e quer zur Gegenseite und bilden dort den mitt- Der Nucleus c..eruleus bestehe aus noradrenergen
leren Kleinhirnsuel ( Pedunculus cerebellaris medi- Neuronen, d1e Neuromelanin (P1gment) enthalten.
us). llber den s1e die Kleinhirnnnde erreichen. Dadurch erschemt er blau-schwarz. Dreidimensio-
nal 1st der zur Formauo reticulans (s. S. 102) gehö-
rige Kern langgestreckt und dOnn. im Querschnitt
Die Nudel pontis sind eine wichtige Umschaltstati· punktförmig und liegt gleich unter dem Boden der
on für Bahnen aus dem zerebralen Kortex (Fibrae Rautengrube. Er projiziert u. a. zu nahezu allen ze-
fronto-, parieto- und temporopontinae). Oie Axone rebralen Kortexarealen und wirkt so an der Steige-
der Ponskerne kreuzen im Bereich der Brücke zur rung des Aufmerksamkeitsniveaus m1t (s. ARAS,
kontralateralen Se1te (Fibrae pontis transversae) s. 104).
und gelangen Im Pedunculus cerebellaris medius in
das Kleinhirn. Da diese kortiko-pontino·zerebelläre
Bahn wichtig fur die Feinabstimmung geplanter
Bewegungsablaufe ist, ist sie be1m Menschen be-
sonders mächtig ausgebildet.
5 Hirnstamm (Truncus encephali) Das Mesencephalon 99
Abb. 5.6 Querschnitt durch das Mittelhirn auf Höhe der Collicull Superiores mit Darstellung der Kerne (links) und Faser-
systeme (rechts)
Fibrae frontopontinae (ganz medial. vom fronta- Mikroskopisch untertei lt man dieses große motori-
len Kortex zu den Pons-Kernen) sche Kerngebier in zwei Anteile. die sich hinsicht-
Fibrae corticonucleares (Bestandteil der Pyrami- lich ihrer Neurotransm itter, ihrer Verscha ltungen
denbahn. vom motorischen Korrex zu Hirnner- und ihrer Funktionen unterscheiden:
venkernen) - Pars compacta mit dicht gepackten melaninhal-
Fibrae corticospinales (Bestandteil der Pyrami- tigen. dopaminergen Nervenzellen und
denbahn. vom motorischen Korrex zu Moraneu- - Pars reticularis ohne melaninhaltige Zellen. zwi-
ronen im Rückenmark) schen Pars compacta und Crura cerebri gelegen.
Fibrae parietopontinae und temporopontinae Die Afferenzen und Efferenzen der Substantia nigra
(ganz lateral. von der parietalen und temporalen werden beim extrapyramidal-motorischen System
Endhirnrinde zu den Pons-Kernen ). abgehandelt (s. S. 200).
gehen die melaninhaltigen Neurone und damit die Antagonisten) beteiligt. Ferner ist er rür die Körper-
dopaminerge nigrostrlatale Bahn zugrunde. Schon haltung und den Muskeltonus von Bedeutung.
makroskopisch erkennt man dann eine Abblassung Der Tractus rubrospinalls. der seinen Ursprung in
der Substantia nigra (auf Querschnitten des Mesence- der Pars magnocellularis nimmt. wird zusammen
phalon). Die charakteristischen Symptome und deren mit dem Tractus corricorubralis auch als ein paral-
Entstehung sind im Rahmen der Basalganglienschlei· leler Weg zum Tractus corricospinalis aufgefasst.
fen beschrieben (s. S. 203). Der Tractus rubrospinalis ist wie die zugehörige
Pars magnocellularis beim Menschen nur sehr
Medial der Substanria nigra liegt d1e Aru ttgmen· schwach (wenn überhaupt) ausgebildet.
talis ventralis. eine kleine Ansammlung dopammer- Die Formatlo reticularis erstreckt sich durch den
ger Neurone. die mit dem Ncl. accumbens des End- gesamten Hirnstamm (s. S. 102).
hirns in Verbindung stehen (s. S. 158). Der Nucleus nervi oculomotoril und der Nucleus
Zwischen rechter und linker Substantia nigra (und nervi trochlearls liegen ventral des Aquädukts (und
damit fast zwischen den Crura cerebri) findet sich des zentralen Höhlengraus).
der Ncl. lnterpeduncularls. der dem limbisehen Sy- Der Aqueductus mesencephall (oder Aqueductus
stem zugerechnet wird (s. S. 227 ). cerebri) verläuft als Kanal zwischen Teerum und
Dorsal davon verläuft die Kreuzung der oberen Tegmentum durch das Mesencephalon. Er verbin-
Kleinhirnstiele (Decussatlo ptdunculorum cerebel· det den dritten mit dem vierten Ventrikel.
larlum superlorum). Oie Substantla grisea centralis (zentrales Höhlen·
grau, auch periaquäduktales Grau) liegt unmittel-
Der Nucleus ruber (roter Kern) liegt als großer bar um den Aqueductus mesencephali (s. S. 174)
rundlicher Kern inmitten des Tegmentum. herum an der Grenze zum und mit ihrem dorsalen
Seine rötliche Farbe, die nur an frischen Schnitten Teil im Tectum. Sie wird häufig auch als Teil der
zu sehen ist. beruht auf dem hohen Eisengehalt Formatio reticularis aufgefasst. Das zentrale Höh-
seiner Perikarya. Der Nucleus ruber gehört zum lengrau hat reziproke Verbindungen mit kortikalen
motorischen System und lässt sich mikroskopisch und subkortikalen Arealen des limbisehen Systems.
untergliedern in Es beeinOussr absteigende Fasern (z. B. aus Rap he-
Pars parvocellularls (kleme Neurone) und kernen. s. S. 103) zum Rückenmark, die über Akti-
- Pars magnocellularis (große Neurone). d1e be1m vierung von inhibierenden Interneuronen eme
Menschen nur wemgausgebildet ISt. Hemmung von Schmerzimpulsen bedingen können.
Seine Faserverbmdungen smd: Tractus cerebelloru-
brahs (s. S. 124). Tractus corttcorubrahs. Tractus
regrnenralis cenrralis (zum Nucleus olivans inferior.
s. S. 105), Tracrus rubrospinahs (s. S. 205) und Trac- Oplold·Analgetika: Die analgetische Wirkung von
tus rubrorericularis. Opioiden zur Behandlung starker Schmerzen beruht
Die Afferenzen des Nucleus ruber (vorw1egend zur u. a. auf der Aktivierung von Opioidrezeptoren in der
Pars parvocellularis) stammen also hauptsächlich Substantia grisea centralis.
aus dem Cerebellum und aus der Endh1rnrinde.
Der kleinzellige Anteil des Nucleus ruber proJiziert
über den Tractus tegmentalls centralls (zentrale 5.4.2.3 Das Teeturn rnesencephali
Haubenbahn) zur unteren Olive. Damit gehört Das Teeturn (Lamina tecti, Lamina quadrigemina •
diese Projektion zur kortiko-rubro·olivo-zerebellä- Vierhügelplatte) besteht aus den Colliculi Superio-
ren Neuronenkette. Der Regelkreis wird durch die res er inferiores.
zerebello-rubrale Projektion geschlossen. Der Nu- Die Collicull superlores bestehen aus sieben Zell-
deus ruber ist wesentlich an der glatten und pr~zi schichten. Zu den einzelnen Schichten ziehen be-
sen Ausführung von Willkürbewegungen (Koordi- stimmte Afferenzen und die einzelnen Schichten
nation des Zusammenspiels von Synergisten und sind der Ursprung definierter Efferenzen.
102 5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Formatio reti cularis
Afferen zen erhält der Coll iculus superior aus dem <I>
Sehnerv. aus der Sehrinde. vom frontalen Augen- .,.W... Check-up
feld (s. S. 200 ). vom Rückenmark (Tractus spinotec- tl' Wiederholen Sie, aus welchen drei längs
talis, propriozeptive Signale) und vom Collicu lus orientierten Schichten das Mittelhirn be-
inferior. steht.
Die Efferenzen des Colliculus superior sind der Rekapitulieren Sie für jede dieser drei
Tractus tectobulbaris (s. S. 106. zu motorischen Ker- Schichten die jeweils charakteristischen
nen des Hirnstamms) und der Tracrus tectospinalis Strukturen.
(zu Motoneuronen im Rückenmark). Aufsteigende
Efferenzen ziehen zum Pulvinar und zum Corpus
geniculatum laterale.
5.5 Die Formatio reticu laris
Funktionell handelt es sich beim Colliculus supe-
rior um ein optisches Reflexzentrum. Es ist daran
;
...... Lerncoach
beteiligt, dass bewegte Objekte entdeckt und ver- Bereits am Namen wird ersichtlich, dass es
folgt werden können. Ferner können bei plötzlich sich bei dieser Struktur um ein netzartiges
auftretenden visuellen Reizen (z. B. ein Lichtbl itz) System von Neuronen handelt. Man unter-
die Augen geschlossen ( Lidsch lussrenex ) und der scheidet hier nicht nur einzelne Kerngebiete
Kopf abgewandt werden. Durch die Afferenzen aus nach ihrer Lage, sondern auch nach Transmit-
dem Colliculus inferior können Augen und Kopf in tern und Funktionen. Lassen Sie sich nicht
Richtung eines Geräusches gerichtet werden. Insge- durch diese verschiedenen Einteilungen ver-
samt können also durch den Colliculus superiorauf wirren, sondern führen Sie sich beim Lesen
einen optischen, akustischen und wahrscheinlich des folgenden Abschnitts insbesondere vor
auch taktilen Reiz hin renektorische Augen-. Kopf- Augen, für welche lebenswichtigen Funktio-
und Rumpfbewegungen ausgelöst werden. nen die Formatio reticularls als Koordinati-
Die Colliculi inferiores bestehen aus einem großen onszentrum dient.
Nucleus cenrralis und zwei kl eineren Kernen (Nuc-
lei pericentralis und externus). Der Nucleus centra-
5.5.1 Die Lage u nd Gliederung der Formatio
lis ist eine Umschaltstation in der Hörbahn, hier
reticularis
endet der lemniscus lateralis. Der Kern zeigt eine
Die Formatio reticularis, ein phylogenetisch altes
tonotope Ordnung. Seine Efferenzen ziehen im Bra-
System, erstreckt sich durch den gesamten Hirn-
chium colliculi inferioris zum Corpus geniculatum
stamm (i m Tegmentum) und reicht darüber hinaus
mediale. von wo aus die auditarischen Impulse zur
nach oben bis ins Zwischenhirn und nach unten
Hörrinde weitergeleitet werden.
bis ins Rückenmark. Sie besteht aus Kernen unter-
Die kleinen Kerne. die Afferen zen aus der Hörrinde
schiedlicher Form und Größe. Auch die Packungs-
und aus dem kontralatera len Collicu lus inferior er-
dichte und Größe der Nervenzellen in den Kernen
halten. gehören zum System der absteigenden Fa-
variiert. Zytoa rchitektonisch sind die Kerne häufig
sern innerhalb der Hörbahn; sie sind an einer In-
schwer abgrenzbar. Die Kerne der Formatio reticu-
nervation des Corti-Organs (s. S. 240) beteiligt.
laris lassen sich unter drei Aspekten einteilen:
- Einteilung in drei längszonen:
I'Mid3' • mediane Zone: die Raphekerne
Die Colliculi Superiores sind für das visuelle, die Col-
• mediale Zone: Kerne mit großen Nervenzellen
liculi inferiores für das ouditorische System von Be-
(magnozellulär). Ursprungsgebiet für lange
deutung.
auf- und absteigende Bahnen
• laterale Zone: Kerne mit kleinen Nervenzellen
( parvozellulär).
5 Hirnstamm (Truncus encephall) Die Formatio reticularis 103
volumens sowie Vasokonstriktion. Neurone im Oe- 5.5.3.4 Das Schluckzentrum und der
pressorzentrum führen über den N. vagus zur Ver- W ürg reflex
m inderung des Herzzeitvolumens und der Herz- Für den Schluckakt müssen Muskeln (Mundboden.
frequenz sowie über eine Hemmung der Zunge, Pharynx. Larynx. Ösophagus) in bestimmter
sympathischen Gefaßinnervation zur Gefaßerwei - Rei henfolge kontrahiert werden. Die Koord ination
terung (--+ Blutdrucksenkung). verschiedener Nerven erfolgt durch das Schluck-
Afferenzen erhält das Kreislaufzentrum über den zentrum im Bereich der Medulla oblongata. Hier
N. vagus und N. glossopharyngeus (aus Ba resenso- findet sich auch ein Area l für den Würgreflex.
ren z. B. der Aorta und der A. carotis). aus dem Hy-
pothalamus (vegetatives Zentrum ) und aus der 5.5.3.5 Das Speichelsekret io nszentrum
Endhirnrinde ( psychische Erregungen, körperliche Durch Schmecken oder Riechen (oder auch psycho-
Aktivität). gen vom Endhirn) ka nn Speichelnuss reflektorisch
ausgelöst werden. Oie zugehörigen Efferenzen der
5.5.3.3 Das Brechzentrum (pontinen) Formatio reticularis erreichen den Nu-
Als Brechzentrum gilt die Area postrema am unte- cleus sa livatorius superior und inferior (s. S. 110).
ren Ende der Rautengrube (unmittelbar unter der
Oberfläche). Die Area postrema ist reich vaskulari - 5.5.3.6 Das Kauen, lecken und Saugen
siert; eine Blut-Hirn-Schranke ist hier nicht ausge- Im Mittelhirnbereich findet sich in der Formatio re-
bildet (zirkunwentrikuläres Organ. s. S. 178 ). Das ticularis ein übergeordnetes Zentru m. das Prozesse
Brechzentru m löst den Ablauf des erforderlichen w ie Kauen, Lecken und Saugen koordiniert
motorischen Programms aus. Es kann gereizt wer-
den durch Signale aus Mundhöhle. Rachen. Magen- 5.5. 3.7 Das po ntine Mikti onszentrum
sch leimhaut, Geschmacks-. Geruchs- und Vestibu- Dieses Miktionszentrum empfangt Signale aus
larsystem. durch Druckschwankungen im vierten Dehnu ngsrezeptoren der Blase: es aktiviert dann
Vent rikel und durch im Blut zirkulierende Substan- den sakralen Parasympatikus. der an der Harnblase
zen. d ie Kontrakt ion des M. detrusor vesicae hervorruft.
1'&1143'
Eine besondere Rolle bei der Auslösung von Erbre- Im Pons liegt ein übergeordnetes Miktionszen-
chen spielen Chemorezeptoren von Neuronen in trum.
der Area postrema.
5.5.3. 8 Das au fst eigend e reti ku läre aktivierend e
System (ARAS)
Medikamentöse Hemmung des Brechreizes: Die Die Stimulation von bestimmten Anteilen der For-
durch chemische oder andere o.g. Reize hervorgeru- marie rericu laris führt zu einer allgemeinen Akti-
fene neuronale Erregung kann durch die Blockade ver- vierung der Hirnrinde (Weckreaktion). die eine Vor-
schiedener Neurotransmitterrezeptoren, die in der bedingung für Aufmerksamkeit und effektive
Area postrema an der Auslösung von Erbrechen betei- Wahrnehmung ist Dementsprechend ist die Aktivi-
ligt sind, herabgesetzt werden. Auf diesem Mechanis- tät des ARAS im Schlaf stark reduziert.
mus beruht der Effekt zentral wirksamer Antiemetika Oie Efferenzen des ARAS können den zerebra len
wie z. B. Metoclopramid (Handelsname: Paspertin; Kortex direkt akt ivieren oder werden vorher in un-
Antagonist zent raler D2- • Dopaminrezeptoren) und spezifischen Thalamuskernen (s. S. 130) umgeschal-
Ondansetron (Ant agonist von 5-HT3-Rezeptoren, an tet. die dann zum Kortex projizieren. Die Kernge-
denen Serotonin = 5-Hydroxytryptamin angreift). biete der Formatio reticulari s, die zum ARAS
Letzteres hilft sogar bei Zytostatika mit stark emeti· gehören. werden neurochemisch anhand ihres spe-
sehen Nebenwirkungen. zifischen Transmitters charakterisiert: z. B. noradre-
nerg - Nucleus caeruleus, serotoni nerg - Raphe-
5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Bahnen im Hirnstamm 1 OS
kerne. cholinerg - Nucleus tegmental is peduncu lo- Im Hirnstamm lassen sich zwei Arten von Faser-
pontinus (im Mittelhirn ). bahnen nachweisen:
Die Kerne des ARAS erhalten verschiedene sensible Faserbahnen. die Verbindungen innerhalb des
Afferenzen aus dem Hinterhorn des Rückenmarks Hirnstamms herstellen, und
und aus Hirnnervenkernen. ferner Impulse aus lange Bahnen. die entweder Strukturen des
dem zerebra len Kortex. Hirnsramms mi t anderen Anteilen des ZN$ ver-
Sie sind am Wach-Sch laf-Rhythmus beteiligt und binden oder durch den Hirnsramm hindurch
für die Aufrechterhaltung eines Wachheirszustands
von Bedeutung.
ziehen: auf- und absteigende Bahnen.
111
5.6.1 Die Faserbahnen i nnerh alb d es
5.5.3.9 Das mot orische Zentrum (absteigendes Hirnst amms
retikuläres Syst em )
Aus der Formatio reticularis entspringen zwei Bah- 5.6.1.1 Der Fasciculus longitudinalis medialis
nen mir getrenntem Ursprung: Der Tracrus ponto- (mediales Längsfaserb ündel)
reticulospinalis (Tractus retlculospinalis medlalis) Diese Bahn dient der Koordination von Augen- und
entspringt aus der Formatio reticularis des Pans, Halsmuskulatur unter Einbeziehung von Afferen-
der Tractus bul boreticulospinalis (Tractus reticulo- zen aus den Vestibulariskernen. Es handelt sich da-
spinalis lateralis) aus der Formatio reticularis der bei um eine Ansamm lung verschiedener auf- und
Medulla oblongata. Die beiden Tractus wirken so- absteigender Faserbündel, die auf unterschiedli-
wohl erregend als auch hemmend auf cx- und -y- chen Höhen in den Fasciculus einstrahlen oder aus
Motoneurone von Rumpf- und Halsmuskularur. Sie ihm austreten. Die wesentlichen Verbindungen des
gehören zu den extrapyramidalen Bahnen Fasciculus longltudinalis medlalis sind:
(s. S. 204 ). Verbindungen zwischen den Augenmuskelker-
nen und dem zervikalen Rückenmark: Damit
<I> wird z. B. die reflektorische Stabilisierung der
....• ... Check-up Blickrichtung bei einer Kopfdrehung ermöglicht.
v Wiederholen Sie die vielfältigen Funktio- Verbindungen zwischen den Vestibularis- und
nen, an denen die Formatlo reticularis be- Augenmuskelkernen sowie dem zervikalen Rü -
teiligt ist. ckenmark: Damit wird ein Zusammenspiel des
v Rekapitulieren Sie insbesondere, welcher Gleichgewichtsapparates mit den Nerven für Au-
Transmitter in den Raphekernen vor- gen- und Kopfbewegungen vermittelt.
kommt. Verbindungen zw ischen anderen motorischen
Hirnnervenkernen untereinander und mit der
Formatio reticularis: Damit werden reflekrori-
5.6 Die Bahnen im Hirnstamm sche Abläufe wie Schlucken oder Würgen mög-
;...... Lerncoach
lich (s. auch Formario rericularis S. 102).
Vor allem die langen, den Hirnstamm durch- 5.6.1 .2 Der Tractus tegmentalis centra li s
ziehenden Bahnen lassen sich besser im Zu- (zentra le Haubenbahn)
sammenhang mit ihrer jeweiligen funktionel- Diese Bahn besteht vorwiegend aus verschiedenen
len Bedeutung verstehen (s. Kapitel11 , Faserbündeln. Hierzu gehön insbesondere der Trac-
S. 199). Verschaffen Sie sich dazu hier ledig- tus rubroolivaris, der die Pars parvocellularis des
lich einen groben Überblick und konzentrie- Nucleus ruber mit dem ipsilateralen Nucleus oliva-
ren Sie sich vor allem auf die innerhalb des ris inferior verbindet. Hinzu kommen Fasern aus
Hirnstamms verlaufenden Bahnen. dem Thalamus und den Basalganglien. die eben-
falls den unteren Olivenkern erreichen. Damit ge-
hören diese (absteigenden ) Bahnen zum extrapyra-
midal-motorischen System.
106 5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Bahnen im Hirnstamm
Nach Umschai[Ung im unteren Olivenkern gelangen teln bei extrem unangenehmem Geruch den Wür-
die Signale ins Kleinhirn. gerenex. Zu r Verbindung limbischer Strukturen
Auch Fasern der Geschmacksbahn (aus dem Nu- s. s. 227).
cleus rractus solitarii) ziehen im Tracrus tegmenta- Der Fasciculus verläuft in Ventrikelnähe (z. T. im
lis cenrralis durch den Hirnstamm (aufsteigend ) zentralen Höhlengrau).
zum Thalamus.
5.6.1.4 Tractus tectobulbaris
5.6.1.3 Der Fasciculus longitudinalis dorsalis Diese Bahn gehört zum okulomotorischen System.
(dorsales Längsbündel; Schütz) Die Fasern stammen aus den Colliculi superiores
Der Fasciculus longitudinalis dorsalis (oder poste- und kreuzen im Mesencephalon zur Gegensei<e
rior) mir auf- und absteigenden Fasern verläuft ( Decussatio tegmenta lis posterior. dorsale Hauben-
zwischen Hypothalamus und Medulla oblongata kreuzung nach Meynert). Sie ziehen zu Augenmus-
(z. T. auch Halsmark). Er verbindet reziprok vegeta- kelkernen (sowie zu den Nuclei pontis und zur For-
tive Zentren des Hypothalamus mir solchen im matio reticularis).
Hirnstamm (z. B. Formatio reticularis. Nuclei saliva-
torii, Nuclei tracrus solitarii). Zudem treten olfakto- 5.6.1.5 Der Lemniscus lateralis
rische Fasern ein, die absteigend verlaufen. So sind Der l.emniscus lateralis ist ein Teil der Hörbahn
sie über die Projektion zu funktionellen Zentren (s. S. 214 ). Er beginnt in den Nuclei cochleares.
der Formario reticularis z. B. an der Speichel - kreuzt zur Gegenseite und endet am Colliculus in-
sekretion bei guten Gerüchen beteiligt oder vermir- ferior.
5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Bahnen im Hirnstamm 10 7
5.6.2 Die langen abst eigenden Bahn en 5.6.3.2 Der Tractus spinothalamicus und der
Diese Bahnen gehören zum motorischen System. Tractus trig em inothalamicus
Sie beginnen im Isokortex und verlau fen in der an- Der Tractus spinothalamicus besteht aus Axonen
terioren Zone des Hirnstamms abwärts {Crura cere- des zweiten Neurons. die bereits auf Rückenmarks-
bri des Mittelhirns _, Pars basilaris ponris _, Pyra- ebene zur Gegenseite gekreuzt si nd {s. S. 83 f).
mis der Medulla oblongata). Diese Bahn leitet besonders Schmerz- und Tempe-
Folgende Bahnsysteme werden unterschieden:
- Tractus corticopontinus {zu Brückenkernen.
s. s. 98 )
ratursignale zum Thalamus. wo die Umschaltung
auf das dritte Neuron stattfindet. Der Tractus spi-
nothalamicus legt sich im Mesencephalon der me-
111
Fibrae corticonucleares {Teil der Pyramidenbahn dialen Schleife an. Die Zusammenlageru ng von
zu Hirnnervenkernen. s. S. 200) Tractus spinothalamicus mit weiteren Bahnen zur
Fibrae corticospinales (Teil der Pyramidenbahn Verarbeitung von Schmerz, Temperatur und groben
zum Rückenmark. s. S. 85 und 200). Tast- und Druckempfindungen (wie Tractus spi no-
reticularis und Tractus spinotectalis) bezeichnet
5.6.3 Die langen aufsteigenden Bahnen man als Lemniscus spinalis.
Die langen aufsteigenden Bahnen gehören zu sen- Die Schmerz- und Temperaturleitung aus dem
sorischen Systemen. Zu i hnen gehören: Kopfbereich erfolgt über den Nucleus spinal is nervi
- Lemniscus medialis (mediale Schleifenbahn) trigemini. Hier erfolgt die Umschaltung auf das
- Lemniscus trigeminalis zweite Neuron. Die Axone ziehen dann zur Gegen-
- Tractus spinotha lamicus. seite und steigen als Tractus trigeminothalamicus
zusa mmen mit dem Tractus spi nothalamicus zum
5.6.3. 1 Der Lemniscus medialis und der Lemnis- Thalamus auf.
cus trigeminalis
Die Ursprungsneurene des Lemniscus medialis lie- 5.6.3.3 Weitere Bahnen im Hirnstamm
gen in den Nuclei cuneatus und gracilis. Hier wird Im Hirnstamm sind weitere Bahnen anzutreffen.
die bis dahin ungekreuzte Hinterst rangbahn die meist nur durch einen Teil des Hirnstamms ver-
(s. S. 206) auf das zweite Neuron umgescha ltet. Die laufen. z. B.
glutamatergen Axone des Lemniscus medialis kreu- - Tractus spinocerebellaris anterior und posterior
zen in der Decussatio lemnisci medialis (auf Höhe (S. S. 209)
der Olive) als Fibrae arcuatae internae zur Gegen- - Tractus tectospinalis'
seite. Ansch ließend steigen die Fasern zum Tha la- - Tractus rubrospinalis'
mus (VPL. s. S.132) auf. wo die Umschaltung auf - Tractus vestibulospinales•
das dritte Neuron erfolgt. Diese Bahn dient der Me- - Tractus reticulospinalis'
chanorezeption (Druck. Berührung, Vibration) aus - Tractus olivospinalis'
dem Rumpf und den Extremitäten. - Afferenzen und Efferenzen der Substanria nigra
Im lemniscus trigeminalis verlaufen die Axone aus - Tractus spin oolivaris {s. S. 97)
dem Hauptkern und aus dem spinalen Kern des N. {' • Bahnen des extrapyramidal- motorischen Sys-
trigeminus. die hier in der Mehrzahl zur Gegensei- tems. s. S. 204).
te kreuzen und sich von medial an den Lemniscus
medialis anlegen. Ansch ließend ziehen sie zum <I>
Machen Sie sich nochmals die funktionelle rente Zone. Zwischen den Spalten liegt der Sulcus
Bedeutung des Fasciculus longitudinalis limitans. Am Sulcus limitans liegen wie im Rücken-
dorsalis klar. mark die vegetativen Kerne. Somit liegen von me-
Halten Sie sich noch einmal vor Augen, zu dial nach lateral vier Areale : somatoefferem. visze-
welchen beiden verschiedenen Systemen roefferent; (Sulcus lamitans); viszeroafferem.
Lemnlscus medialis und lemniscus Iaterans somataafferent
gehören: Welche Herkunft und welches Ziel Zwischen den (allgemein) somatischen und visze-
haben jeweils die in ihnen verlaufenden Fa - ralen Kernen (bzw. Kernsäulen) schiebt sich im
sern? Hirnstamm jeweils ein Areal für die branchialmo-
torischen Neurone. deren Fasern zu den aus
Schlundbogenmaterial hervorgegangenen Muskeln
5. 7 Die Hirnnervenkerne und Aus- ziehen. und für die spezielle Viszerasensorik (Ge-
trittsstellen der Hirnnerven schmack).
;..... Lerncoach
Ganz lateral kommt noch das Kerngebiet der spe-
ziellen Somatosensensonk (für dae Sinnesorgane
Die Anordnung der Hirnnervenkerne des des lnnenohrs) dazu. Damat ergibt sich im Hirn-
Hirnstamms in mehreren {längsorienlierten) stamm auf beiden Seiten von medial nach lateral
Reihen erscheint zunächst komplex und ver- folgende Anordnung der insgesamt sieben Kern-
wirrend. Machen Sie sich deshalb zunächst gruppen:
die prinzipielle Anordnung aufgrund ihrer Allgemein somataefferente ( • allgemein soma-
embryologischen Herkunft (Grundplatte, tomotorische) Gruppe (am weitesten medial =
Flügelplatte. Schlundbogen) klar. paramedian): Die Fasern dieser Kerne innervie-
ren quergestreifte Skelettmuskularur. die aus
Im Hirnstamm liegen die Kerne der Hirnnerven 111- Somiten und prachordalem Mesoderm ab-
XII (von oben nach unten. Abb. 5.8). Die Kerngebaete stammt.
der Hirnnerven können - bis auf den Nucleus me- Speziell viszeraefferente ( • spezaell viszeromo-
sencephalacus nervi rrigemini. der eane Sonderstel- torische = branchaalmotorische) Gruppe: Die Fa -
lung einnimmt - in folgende Gruppen eangeteilt sern dieser Kerne innervieren quergeStreifte
werden: Muskeln. die von den Schlundbögen abstam-
Ursprungskerne (Ncll. originis): Hier liegen die men.
Zellkörper efferenter (motorischer) Fasern Allgemein viszeraefferente ( • allgemein visze-
Endkerne ( Ncll. terminationis): Hier enden affe- romotorische} Gruppe: Die Fasern dieser Kerne
rente Fasern von Neuronen. deren Perikarya in (präganglionäre Neurone) stellen den kranialen
sensiblen Ganglien liegen. Anteil des Parasympathikus dar. Sie gehören zu
Wie im Rückenmark findet sich auch im Harn- den Hirnnerven 111, VII. IX und X und innervie-
stamm eane Gliederung in motonsche Grundplatte ren glatte Muskulatur der Eingeweide und Drü-
(efferente Neurone) und sensible Flügelplane (affe- sen.
rente Neurone). Die efferenten Gruppen werden durch den Sulcus
Während der Entwicklung kommt es zu Umlage- limitans von den afferemen getrennt.
rungsprozessen. in deren Verlauf dae ehemals dor- Allgemein viszeraafferente ( • allgemein visze-
salen Anteile nach ventral und lateral verlagert rosensible) Gruppe: Diese Kerne vermitteln
werden. Man kann sich diese Anordnung so vor- (meist unbewusst} Sensibilität aus den Einge-
stellen. als w~rc das embryonale Neuralrohr von weiden und Blutget:lßen. Nach Eintritt in den
dorsal bis zum Zentralkanal aufgeschnitten und an- Hirnstamm treten die Fasern als Tractus solitari-
schließend wie ein Buch aufgeklappt worden us abwärts und enden an unteren Teilen der
(s. S. 26). Nudei tractus solitarn (kaudaler Solitariuskern-
Die annere Spalre rechts und links ist die efferenre komplex).
Zone. dae äußere Spalte rechts und links dae affe-
5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Hirnnervenkerne und Austrittsste lle n der Hirnnerven 109
18 Afferente Kerne:
Nd. mesencephalicus n.
l
rigem~no
2 Ncl. pnncipalos n. tngemoni
IV 3 Ncll. vestibulares
4 Ncll. cochleares
5 Nd. tractus solitarll
6 Nd. spinalos n. trigemono
v- - - - Efferente Kerne:
7 Nd. spinalis n. accessono
8 Nd. dorsalos n. vago
9 Nd. n. hypoglossi
10 Nd. ambiguus
V1 11 Nd. salovatorius onlerior
12 Nd. salovatonussuperior
13 Nd. n. lacialis
Vl - 14 Nd. n. abducentis
VIII- VI 15 Nd. motorius n. trigemini
VIII 16 Nd. n. trochlearis
IX -
17 Nd. accessorius
IX n.oculomotorii
18 Nd. n. oculomotorii
X - x
Hirnnerven:
IV N. trochlearis (IV)
V N. trigeminus (V)
VI N. abducens (VI)
VII N. lacialis (VII)
V 1 N. vesitibulocochlearis (VIII)
) N. glossopharyngeus (IX)
~ N. vagus (X)
119 Genu n. lacialos
Abb. 5.8 tage der Hirnnervenkerne om transparent dargestellten Hirnstamm (Ansicht von dorsal nach Entfernung des Kleon·
hirns)
Speziell viszeraafferente (• speztell vtszerosen- enden Fasern. die Signale aus dem Hör- und
sorische) Gruppe: An Neuronen dieser Kern- Gleichgewichtsorgan vermitteln.
gruppe enden Geschmacksfasern. dte m ver- «>
schiedenen Htrnnerven den Htrnstamm ~A., Nutzen Sie die funktionelle Einteilung in sie-
erretchen. Ote Fasern sammeln sich im Tracrus ben Kemgruppen, um sich die verseihledenen fa-
solitarius und enden an oberen Teilen der Nudel serqualitäten der Hirnnerven klarzumachen. Ver·
tractus solitarli. Diese Kernareale werden auch gleichen Sie die Tabellen S.l und 5.2 mit der
als Nucleus gustatorius bezeichnet. Er ist der Tabelle 3.10 (s. S. 58), die zeigt. wie unterschied·
spezielle viszerale Endkern und enthalt das 2. lieh die Anzahl verschiedener Faserqualltäten ln
Neu ron der Geschmacksbahn. jedem einzelnen Hirnnerv Ist.
Allgemein somataafferente (• allgemein soma-
tosensible) Gruppe: Oie an dtesen Kernen en- 5.7.1 Oie Ursprungske rne
denden Fasern vermiueln Druck-. Berührungs-, Die ~one von Neuronen der Urspungskerne bilden
Schmerz- und Temperatursignale sowie Infor- die efferenten Fasern verschiedener aus dem Hirn-
mationen aus Muskeln, Sehnen und Gelenken stamm austretenden Hirnnerven (Tab. 5.1).
der Kopfregion.
Speziell somataafferente (• speziell somarosen-
sorische} Gruppe (am weitesten lateral): Hier
11 0 5 Hirnstamm (Truncus encephall) Die Hirnnervenkerne und Austrittsstellen der Hirnnerven
- Nd. nervi abducentis (im Tegmentum pontis): so- - Die Ncll. tractus solitarll erhalten sowohl allge-
matomotorischer Kern. meine Viszeroafferenzen (aus Eingeweiden und
- Ncl. ambiguus: branchialmotorischer Kern des N. Gefäßen über die Hirnnerven X und IX) als auch
vagus (z. T. über Fasern aus dem XI. Hirnnerv). spezielle Viszeroafferenzen (Geschmacksfasern
Somit enthalten u. a. sowohl der obere als auch über die Hirnnerven VII. IX und X).
der untere Kehlkopfnerv (Nervi laryngei superior - Die Ncll. principalis und spinalis nervi trigemini
und inferior, s. S. 71) Fasern aus diesem Kern . sind somataafferente Kerne.
- Parasympathische Kerne sind die Nuclei accesso-
rius nervi oculomotorii. salivatorius superiorund Zur Anordnung der sensiblen Neurone tm Trigemi-
Inferior sowie dorsalis nervi vagi. nus-Kernkamplex (Tab. 5.2) muss zunächst unter-
schieden werden. dass der Nucleus principalis für
Mechanorezeption, der Nucleus spinalis für Nozi -.
Thermo- und Mechanorezeprion verantwOrtlich ist.
Bulbär- und 1'5eudobulbärparalyse: Eine Degenerati - Innerhalb des langgesrreckten Nucleus spinalis
on der kaudal gelegenen motorischen Hirnnerven- lässt sich weiterhin eine somatotope Ordnung er-
kerne im Bereich der Medulla oblongata bezeichnet kennen: ln seinem kranialen Teil ist das Hautareal
man als Bulbärparalyse. um Mund und Nase. tm mittleren Teil die Augen-
Charakteristische Symptome sind: Sprachstörungen und Wangenregion und im unteren Teil die Stirn-.
(verlangsamte, verwaschene, näselnde Sprache). Schläfen- und Kinnregion repräsentiert. Damit si nd
Schluck- und Kaustörungen, Aspiration von Speichel diese zwiebelschalenförmigen Areale gänzlich an-
und Speisen, Lähmung und Atrophie der Zunge mit ders angeordnet als das periphere lnnervarionsmu-
Faszikulationen (wurmförmige Bewegung der Muskeln ster durch die drei Hauptäste des N. rrigeminus
durch spontane Entladung einzelner motorischer Ein- (V 1-V3).
heiten). Bis auf diese Faszikulationen kommt es zu
ähnlichen Symptomen bei der sog. Pseudobulbärpara- 5.7.3 Die Sonde rst ellung des Nucleus m esen-
lyse. die durch beiderseitige Schädigung der kortiko- cep halicus n ervi trig emini
bulbaren Bahnen (supranukleär) bedingt ist. Zu unterscheiden von den beiden tn Tab. 5.2 aufge-
Mögliche Ursachen einer Bulbärparalyse sind u. a. führten Trigeminuskernen ist der Nucleus mesen-
amyotrophe Lateralsklerose (s. auch S. 199) und Polio- cephalicus nervi trigemini. Er ist kein Endkern. son-
myelitis. Eine Pseudobulbärparalyse kann durch Arte- dern enthält pseudounipolare Zellkörper von
riosklerose der Hirngel äSe mit dadurch bedingter Trigemtnusfasern, die propriozeprive Stgnale leiten
Sauerstoff-Minderversorgung (Ischämie). multiple und am ipsilateralen motorischen Trigeminuskern
Sklerose und Lues bedingt sem. enden (vgl. Masseterrenex. S. 210}. ln sei ner Struk-
tur ist er mit dem Ganglion trigeminale (Gasser-
Ganglion) vergleichbar. in dem die Perikarya der
5.7.2 Die En d kerne übngen sensiblen Tngemmusfasern hegen.
An den Neuronen der Endkerne enden afferente
Fa sern verschiedener Hirnnerven (Tab. 5.2). Die zu-
gehörigen Perikarya liegen entweder in den (Spi-
nalganglien vergletchbaren) sensiblen Hirnnerven- Der propriozeptive Nucleus mesencephalicus ist
ganglien oder tm Ganglion sptrale cochleae bzw. kein Endkem. sondern enthält pseudounipolare
vesribulare ( N. vesribulocochlearis). Nach Umschal- Nervenzellen und entspricht damit einem sensiblen
tung in den Endkernen senden die dort gelegenen Ganglion des PNS (keine Umschaltungl)
Neurone ihre Fasern zu weiteren .Stationen" des
ZNS (Thalamus. Stationen der Hörbahn oder des
vestibularen Systems (s. S. 214 und S. 217).
112 5 Hirnstamm (Truncus encephali) Die Hirnnervenkerne und Austrittsstellen der Hirnnerven
Tabelle 5.3
Austrtttsstelt.n der HlrniM!IWfl aus dl!lll Hirnstamm . Abb. 5.2 und Abb. 5.3, 5. 94)
Hirnnerv Höhe Austrittsstelle
111 N. oculomotorius Fossa interpeduncuiaris (- Verlauf in der Cisterna interpeduncularis. s. S. 173)
Mesencephalon
IV N. trochlearis unterhalb der Colliculi inferiores (einziger Hirnnerv, der dorsal austritt)
V N. trigeminus seitlich am Pons
VI N. abducens am Unterrand der Brücke (oberhalb der Pyramiden)
Pons
VII N. facialis im Kleinhimbrückenwinkel
VIII N. vestibulocochlearis im Kleinhirnbrückenwinkel
IX N. glossopharyngeus im Sulcus retroolivaris (mit zahlreichen Wurzelfäden über X)
X N. vagus im Sulcus retroolivaris (mit zahlreichen Wurzelfäden, zwischen IX und XI)
XI N. accessorius Medulla im Sulcus retroolivaris (Wurzelbündel: Radices craniales unter X)
oblongata und oberes Rückenmark. zwischen Vorder· und HintelWurzel der Spinalnerven
Cl bis C4, manchmal auch bis C6 (Wurzelbündel: Radix spinalis)
XII N. hypoglossus im Sulcus preolivaris (zwischen Olive und Pyramide. mit zahlreichen Wurzel·
Iäden)
<I>
• I
Klinischer Fall
Gift für das Kleinhirn ger zu berühren. Am Schluss trifft Frau V. trotl gro-
ßer Anstrengung nicht die Nasenspitze. sondern ihr
rechtes Auge. .lntentionstremor" und .Dysmetrie"
schreibt die Ärztin in den Aufnahmebogen. Die Koor-
dination der Beinbewegungen ist bei der Patientin
ebenfall s gestört: Angelika V. schafft es nicht, mit
der rechten Ferse geradeaus entlang des linken
Schienbeins zu streifen. Oie Ferse rutscht immer wie-
der nach links und rechts ab. Oie Ärztin schaut sich
auch die Augenbewegungen der Patientin an: Als sie
feststellt, dass die Blickfolge immer wieder unterbro-
chen wird. um gleich wieder nachgestellt zu werden,
dokument iert sie diesen Befund als .sakkadierte
Übermäßiger Alkoholgenuss kann u. a. zu Störungen des Blickfolge•. Der erfahrenen Neurologin ist das Syn-
Kleinhirns führen. drom. das Frau V. zeigt, vertraut: Oie Kombinat ion
aus breitbeinigem Gang, lntentionstremor, Oysmetrie
Das Kleinhirn ist verantwortlich für die Gleichge- und sakkadierter Blickfolge passt gut zu einer
wichtserhaltung, die Kontrolle des Muskeltonus Störung des Kleinhirns. Um zu sehen, was dahinter-
und die Koordination von Bewegungen. Fallen steckt, lässt sie eine zerebrale Computertomographie
Kleinhirnfunktionen aus, sind Bewegungsabläufe ihrer Patientin anfertigen.
schwer gestört. Patienten klagen über Gleichge·
wlchtsstörungen, ihre Bewegungen schießen über Kleineres Kleinhirn
das Ziel hinaus oder werden von einem grob- Als Angelika V. wenige Tage später wieder die Praxi s
schlägigen Zittern, dem so genannten Intentions· aufsucht, sind ihre Symptome unverändert. Oie Neu·
tremor, begleitet. Unter Umständen können be· rologin betrachtet die CT -Aufnahmen der Patientin
troffene Menschen Gegenstände nicht mehr auf dem Bildschirm. Die Diagnose ist nicht schwierig:
greifen und feine Bewegungen nicht ausführen. Das Kleinhirn der Patientin ist unproportional klein;
es handelt sich um eine Kleinhirnatrophie - ein
Koordinationsstörungen Phänomen. das toxisch durch Schwermetalle, Medika·
.Frau Doktor, ich bin so unsicher beim Gehen. Bald mente oder Alkohol auftreten kann, im Rahmen von
kann ich nicht mehr alleine einkaufen - so wackelig Krebserkrankungen beziehungsweise nach zytostati·
bin ich auf den Beinen·, beklagt sich Angelika V. Oie scher Behandlung oder auch genetisch bedingt vor·
58-jährige Hausfrau kommt zum ersten Mal in die kommt.
Praxis von Frau Dr. Straub. Um sich ein genaues Bild
von der Patientin zu machen. führt die Ärztin eine Grund: Alkoholabusus
ausführliche neurologische Untersuchung durch. Im Inzwischen hat sich die Ärztin auch mit den Blutpara-
Stehversuch stellt sie fest, dass Frau V. beim Stehen metern von Frau V. vertraut gemacht. Insbesondere
mal nach vorne, mal nach hinten schwankt. Ihr Gang fielen ihr die erhöhten Leberwerte (v. a. -y·GT) und
ist breitbeinig. Der Ärztin kommt es sogar vor, als vergrößerte Erythrozyten (erhöhtes mittleres korpus-
würde die Patientin torkeln . Um ihre Koordination zu kuläres Erythrozytenvolumen = MCV) auf. Aufgrund
überprüfen, bittet sie die 58-jährige, nach einem der laborwerte und der typischen Kleinhirn-Sym-
Wasserglas zu greifen. Als die Patientin der Aufforde· ptome hat die Ärztin den Verdacht , dass die Patientin
rung nachkommt. macht ihr Arm zickzackartige Be· chronisch Alkohol konsumiert. Als sie Angelika V. da-
wegungen, die umso ausgeprägter werden, je mehr rauf anspricht, ist diese befangen. • Wissen Sie, ich
sich die Hand dem Glas nähert. Dieselben Armbewe- war deswegen schon oft in Behandlung. Doch es hat
gungen präsentiert die Patientin, als die Ärztin sie nichts genützt. Von dem Teufelszeug komme ich ein·
auffordert. bei geschlossenen Augen und weit ausho- lach nicht los•. gesteht die Patientin.
lender Bewegung die Nasenspille mit dem Zeigefin-
6 Kleinhirn (Cerebellum) Die Lage, Gliederung und Funktion 117
1
------- 2
~-- 21
3 2
4 22
5
20 1ft..."_ . . - - - - 6
~~~'lJj c-- 7
8
9
a b
Abb. 6 .1 Ansicht des Kleinhirns von vorne (a) und hinten-oben (b) mit farblicher Differenzierung seiner drei Anteile
Die Obernäche des Kleinhirns zeigt eine auffällige Die Fissura secunda findet sich zwischen Lobulus
Furchung. Zwischen zahlreichen annähernd parallel biventer/ Pyramis und Tonsilla/ Uvula.
verlaufenden Furchen (Fissurae cerebelll ) liegen Mit diesen ( beidseitigen} Läppchen der Hemisphä-
schmale Windungen (Folia cerebelll ). Einige Fur- ren sowie der paarigen Tonsilla hängt i n der Regel
chen sind tiefer und entstehen ontogenetisch zu ei- jeweils ein Abschnitt des Wurms zusammen
nem früheren Zeitpunkt. Diese Furchen unterteilen (Abb. 6.1 b}, Z. 8.:
das Kleinhirn in Lappen: Tonsilla - Uvula
Die Flssura prima teilt das Kleinhirn in Lobus cere- Lobulus gracilis und Lobulus biven ter- Pyramis
belli anterlor und Lobus cerebelli posterlor. Die tie- Lcbulus semilunaris inferior - Tuber
fe Fissur auf der h interen-oberen Fläche des Klein- Lobu lus semilunaris superior - Folium
hirns zieht über den Vermis und die Hemisphären Lobu lus quadrangularis posterior - Decl ive (zu-
hinweg. sammen auch als Lobulus simplex bezeichnet)
Die Flssura posterolateralis grenzt den Lobus floc- Lobulus quadrangularis anterior- Culmen.
culonodularis vom Lobus cerebell i posterior ab. Bis auf den Lobulus quadrangularis anterior gehö-
Anhand weiterer Fissuren werden in der traditio- ren alle Lobu li, die zugehörigen Wurmanteile und
nellen Nomenklatur verschiedene Abschnitte unter- die paarige Tonsilla zum Lobus cerebelli posterior.
schieden, die größtent eils als Läppchen bezeichnet Der Lobu lus quadrangularis amerior bildet zusam-
werden: men mit der Ala lobuli und den Wurmanteilen Lo-
Die Fissura horizontaUs liegt zwischen Lobulus se- bulus cenrra lis. Lingula cerebelli sowie Culmen den
milunaris Superior und Lobulus semilunaris infe- Lobus cerebelli anterior.
rior.
6 Kleinhirn (Cerebellum) Die Lage, Gliederung und Funktion 11 9
a b c
Abb. 6.2 Rebound-Phänomen bei Kleinhirnläsion im Vergleich zum Gesunden: a und b normale Reaktion; a und c Reaktion
bei l..'lsion
Rinde: 1 1Sternzelle
2 Parallelfasern
2 3 Korb-Zelle
4 Purkinje-Zelle
5 Körner-Zellen
6 Glomerulus cerebellaris
-Stratum moleculare
7 Golgi·Zelle
8 Kletterfaser
9 Moosfaser
-Stratum purkmjense 4
s
- Stratum granulosum
6
7
8
Mark
9
.. ..
Abb. 6.3 Verschaltungen in der Kleinhirnrinde
neuronale Charakteristika
Struktur
Zellen
Purkinje- - inhibitorisch (GABAerg)
Zellen - Perikarya:
- groß. rundlich oder bimenlörmig
- im Str. purkinjense in einer Reihe mit definierten Abständen zueinander
- Dendritenbäume:
- meist 2 ( 1-4) Dendriten
- stark ve!'lWeigt
- spalierbaumartig angeordnet (Lage in einer Ebene, die quer zur Längsachse der Kleinhirnwindungen steht)
- in der Molekularschicht (ganze Höhe)
- Axone:
- einzige Efferenzen der Kleinhirnrinde
- ziehen zu den Kleinhirnkernen
- Kollateralen zu Korb- und Golgi-Zellen
Sternzellen - Inhibitorische Interneurane '
- Molekularschicht. obere Hälfte
1--------_ Ax ......:o_n..:e..:bilden Synapsen mit Dendritenbäumen der Purkinje-Zellen im Str. purkinjense
Korbzellen - Inhibitorische Interneurane
- Perikarya: Molekularschicht (untere Hälfte)
- Axone: umfassen im Str. purkinjense korbartig die Somata der Purldnje-Zellen und enden an deren
Axoninitialsegmenten
Golgi- - Inhibitorische Interneurane
Zellen - Perikarya:
- größer als die der Körnerzellen
- im Stratum granulosum
- Dendriten:
- ziehen durch das Str. purkinjense
- vel'lWeigen sich dreidimensional im Str. moleculare
- Axone bilden in den Glomeruli Cerebellares (s. u.) synaptische Kontakte an Dendriten der Körnerzellen
Körner- - einzige exzitatorische Zellen der Kleinhirnrinde
zellen - Perikarya:
- sehr klein und rund
- dicht gepackt im Stratum granulosum
- Axone bilden Parallellasern in der Molekularschicht (s. u.)
Bergmann- - Sondertyp der Astroglia
Gliazellen - Perikarya im Str. purkinjense
- radiäre Fortsätze bilden mit Endfüßen Gliagrenzmembranen um Gefäße und unter der Pia mater
(Membrana limitans gliae vascularis und superlicialis)
afferente Fasern
Parallel- - Axone der Körnerzellen (also aus der Kleinhirnrinde selbst)
fasern - verzweigen sich T-lörmig
- verlaufen parallel zur Längsachse der Kleinhirnwindungen und damit senkrecht zur Ebene der
Dendritenbäume der Purkinje-Zellen
- bilden eine große Anzahl von Synapsen an
- Dendriten vieler Purkinje-Zellen
- Korb- und Sternzellen
- Dendriten der Golgi-Zellen
Kletter- - Axone aus dem Nudeus olivans inferior
Iasern - ziehen durch Str. granulosum und Str. purkinjense hindurch
- steigen an Dendritenbäumen der Purkinje-Zellen auf und bilden mit ihnen synaptische Kontakte im Str. moleculare
- exzitatorische Wirkung
Moos- - Axone aus verschiedenen Gebieten des ZNS:
lasern - Pons (Tractus pontocerebellaris)
- Nuclei vestibulares (Tractus vestibulocerebellaris)
- Formatio reticularis (Tractus reticulocerebellaris)
- Teeturn (Tractus tectocerebellaris)
- Nudeus cuneatus accessorius (Fibrae cuneocerebellares, s. S. 84)
- Rückenmark (Tractus spinocerebellaris anterior und posterior)
- enden im Str. granulosum und bilden dort synaptische Kontakte mit
- Dendriten benachbarter Kömerzellen
- Axonen und Dendriten der Golgi-Zellen.
Diese Synapsenfelder (lichtmikroskopisch frei von Zellkernen) werden als Glomeruli Cerebellares bezeochnet.
- exzitatorische Wirkung
6 Kleinhirn (Cerebellum) Der Aufbau 123
1 Nucleus dentatus
9 2 Nucleus fastigii
8 3 Nuclei globosi
2 4 Nucleus embolilormis
S Vermis
7
6 Fissurae cerebelli
3 7 Cortex cerebelli
8 Folia cerebelli
6
4 9 Hilum nuclei dentati
Abb. 6.4 Schrägschnitt (aus der Horizontalebene gedreht) durch das Cerebellum mit Kleinhirnkernen.
<I>
~A~ An der Höhenlokalisation der mit dem
Kleinhirn verbundenen Hirnstammstrukturen
können Sie sich ableiten , durch welchen Klein-
hirnstief die jeweilige Faserverbindung zieht. Die
einzige Ausnahme von dieser Faustregel ist der
Tractus spinocerebellaris anterior, der über den
oberen Kleinhirnstiel zieht, obwohl er von kaudal
1 kortikonukleäre Fasern
2 Pedunculus cerebellaris inferior aus dem Rückenmark kommt.
3 Medulla oblongata Machen Sie sich zu den in Tab. 6.2 aufgeführten
4 Pedunculus cerebellaris medius
5 Pons Afferenzen klar, dass sie die Kleinhirnrinde errei·
6 Pedunculus cerebellaris superior chen
7 Mesencephalon - als Kletterfasern (aus der unteren Olive über
Abb. 6.5 Kleinhirnstiele mit Ihren Verbindungen lUm Hirn· den Tractus olivocerebellaris) oder
stamm (vgl. Tab. 6.2) - als Moosfasern (über die anderen in
Tab. 6.2 genannten Faserbündel).
II(Pedunculus
mittlerer
cerebellaris medius)
Fibrae pontocerebellares
(Tractus pontocerebellaris)
keine
<I>
- Der Hauptteil der zerebellaren Efferenzen ver· ...• ... Check-up
läuft im Pedunculus cerebellaris Superior und o/ Besonders bellebte Prüfungsthemen sind
kreuzt im Mittelhirn zur Gegenseite. die Kleinhirnrinde und die Klelnhlmstiele.
- Der Pedunculus cerebellaris medius führt nur Rekapitulieren Sie hierzu insbesondere
zerebelläre Afferenzen aus dem Pons. - wo die zerebellären Afferenzen (Moos·
- Der Pedunculus cerebellaris inferior enthält ver· und Kletterfasern) jeweils enden
schiedene afferente und efferente Bahnen als - welche Interneurane und Fasern auf die
Verbindung zu den Vestibulariskemen und kau- Purkinje-Zellen wirken
dal des Pons gelegenen Strukturen (z. B. Tract us
splnocerebellaris posterior, Tractus olivocerebel-
- welche Bahnen Ober welchen Kleinhirn·
stlel das Cerebellum erreichen bzw. ver·
111
laris). lassen.
- Nur der ebenfalls von kaudal aus dem Rücken- o/ Machen Sie sich klar, über welche extraze-
mark kommende Tractus spinocerebellaris ante- rebellären Kerne die Efferenzen des Klein·
rior zieht nicht über den unt eren, sondern den hirns zum Rückenmark gelangen.
oberen KleinhirnstieL Oberlegen Sie, warum der Tractus spinoce·
rebellans anterlor (nicht aber posterlor}
W1e aus dem Namen der j ewe11igen Bahnen in durch den Pons verläuft.
Tab. 6.2 ersichtlich. verlaufen die Efferenzen des
Kleinhi rns u. a. Ober die Formatio reticuiaris. den
Nucleus ruber und den Nucleus vestibularis iatera-
lis zum Rückenmark.
•
I
Klinischer Fall
Zu kleine Schuhe
.Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Veranderun-
gen in Ihrem Alltag bemerkt?". ergänzt Dr. Fritsche
seine Anamnese. Lukas K. denkt scharf nach. Obwohl
PS ihm belanglos t>rscheont. berichtet er, dass ihm
Typo~hes E<Kheinungsbold ei~ Patoenten mit Akromegalie. seine Baskenmutze aus orgendwelchen Grunden nicht
mehr richtig passt. Auch seine Schuhe erscheinen
Die Hypophyse Ist ein zweiteiliges Organ. Sie glie- ihm • irgendwie kleiner". Er musste sich kürzlich ein
dert 5kh in die Neurohypophyse, eine Ausstülpung neues Paar kaufen, weil die alt en Schuhe druckten.
des Zwischenhirns, und die Adenohypophyse, eine .Ich glaube. dass wir noch ein paar Untersuchungen
endokrine Drüse. Die Adenohypophyse produziert benötigen". sagt der Arzt zu seinem Patienten. Er
cbi Wachstums- oder SO!Ntotrope Hormon (5TH), nimmt Blut für eine eingehende endokrinologosche
cbi Prolaktin, Gonadotroplne und das adrenolcortl· Diagnostik ab und schickt Herrn K. zum Radoologen.
kotrope Hormon (ACTH). Gutartige Tumoren der um ein MRT des Kopfes anfertigen zu lassen.
Adenohypophyse (Hypophysenadenome) können Seine Vermutung Ist, dass hinter den Symptomen
zu einem Überschuss eines oder mehrerer dieser von Herrn K. ein Hypophysenadenom st eckt : Ein gut ·
Hormone Im Körper führen. artiger Tumor om Hypophysenvorderlappen, der das
Wachstumshormon (STH) om Überschuss produziert.
Schwäche und Schmerzen in den Händen Es bewirkt beo Erwachsenen u. a. das Wachstum von
.Oh je. das gibt's doch mchtl", flucht der Backer- Knochen, Knorpel und Sondegewebe om Bereoch der
meoster Lukas K. Gerade eben fiel ohm das Blech mot Akren (Akromegaloe). Oie beidseitigen BeschwerdEm
dem Spritzgebäck aus der Hand - und das ost nicht in den Händen ließen sich durch eine Bindegewebs-
lUm erst en MaL Schon seit mehreren Monaten hat vermehrung im Karpaltunnel mit Kompression des
der 50-Jährige Schwierigkeiten. schwere Gegenstände Nervus medianus gut erklären.
zu halten. Auch quälen ohn seot einigen Wochen
nächtliche Schmerzen on beiden Handgelenken. Lukas Überraschung für den Patienten:
K. vermutet. dass doese Schmerzen und doe Operation am Kopf
Greifschwache moleinander zusammenhängen. Als Dr. Fritsche bei Wiedervorstellung des Patoenten
dessen MRT-Aufnahmen begutachtet. bestatogen sie
Nervus medianus eingeklemmt seine Diagnose: Im Bereich der Sella turcica des Keil·
Als der Bäckermeister wegen seiner Probleme den beinkörpers sieht man eine runde, gut abgegrenzte
Hausarzt aufsucht. diagnostizoert dieser bei dem Pa- Raumforderung der Hypophyse. Auch die Erhöhung
tienten eon beidseitiges Karpaltunnelsyndrom. .Im des STH-Werts und zugehöriger peripherer Marker
Handgelenk verlauft ein Nerv, der Nervus medoanus. sprechen für die Akromegalie. Nachdem Or. Frot~he
Wird er durch Veränderungen im Sondegewebe oder seinem verdutzten Patienten erklärt hat, was doe Un-
durch Knochenveranderungen eongeengt. treten hau- tersuchungen ergeben haben, überweist er ohn on die
log Muskelschwäche und Schmerzen in den Handen Neurochirurgie. Dort wird die Entscheidung getroffen,
auf•, erklart der Arzt seinem Patienten. Durch eine das gut operable Hypophysenadenom zu entfernen.
7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Überblick und die Oberfläche 129
l
....-- 6 7 Adheslo interthalamica 17 Commissura anlcrlor
8 Aqueductus mesencephall 18 Fornlx
9 Sulcus hypothalamicus
0 Corpus mammillare
19 Septum pelludicum J
"--7
13 -~~ ' ~t\Ni•'
"'"'"""' '--- 8
12 - -.:.:.:>;A.
ifW~~ g
"'·~~- 10
Abb. 7.I D~s Dienc~lon (blau hetvorge~n) mot seonen lopog~phlschen Bezlehungen in der AnskhliiOI'I medo~l an
einem Mediansagittalschnott
13 0 7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Thalamus und der Metathalamus
7.2 Der Thalamus und der Zudem finden s ich auch innerhalb der Lamina me-
Metathalamus dullaris medialis Kerne (Nudellntralaminares).
Zum Thalamus dorsalis gehören die allermeisten
;...... Lerncoach Thalamuskerne. lediglich der Nucleus rencularis,
Oie Signale aus allen Sinnessystemen, außer die Zona incerta und der Nucleus subthalamicus
dem olfaktorischen, werden im Thalamus/ werden als Thalamus ventralis zusammengefasst
Metathalamus umgeschaltet und können hier (s. S. 133).
auch modifiziert werden, bevor sie zur End- 01e oberhalb des Nucleus subthalamicus gelegene
hirnrinde weitergeleitet werden (Thalamus = Zona incena enthält zahlreiChe doparninerge Neu-
Tor zum Bewusstsein). Motorische Kerne des rone und wird häufig als (obere) der Formatio reti-
Thalamus erregen den motorischen Kortex. cularis aufgefasst. Häufig wird der Nucleus subtha-
Andere Thalamuskerne gehören zum limbi- lamicus als eigenständiger Abschnitt des
sehen System oder zum aufsteigenden Weck- Zwischenhirns beschrieben. was seine funktionelle
system. Bedeutung im Rahmen der Verschaltung der Basal-
Machen Sie sich in diesem Kapitel erst einmal ganglien unterstreicht (s. S. 159).
mit der Einteilung und Zugehörigkelt der ver-
schiedenen thalamisehen Kernkomplexe zu 7 .2. 1.2 Die fu nktionelle Gliederung
unterschiedlichen funktionellen Systemen Als spezifische Thalamuskeme. auch Palliothalamus
vertraut. Dies erleichtert Ihnen im Kapitel11 genannt, bezeichnet man solche Kerne. die mit ei-
(S. 199) die Einordnung einzelner Thalamus- nem bestimmten Bezirk der Hirnri nde (reziprok)
kerne als Schaltstation Innerhalb des jeweili- verbunden sind (z. B. Nuclei anteriores - limbischer
gen funktionellen Systems, in das sie einge- Gyrus cinguli; Nucleus ventrahs lateralis - motori -
bunden sind. sche Präzentralregion; Nucleus ventralis posterior
- sensible Postzentralregion: Corpus geniculatum
7.2.1 Die Einteilung und die Verbindungen latera le - Sehrinde).
der Thalamuskerne Unspezifische Thalamuskeme, auch Truncothala-
mus genannt. aktivieren über polysynaptische Ver-
7 .2.1.1 Die morphologische Gliederung bindungen nicht scharf begrenzte Areale der End-
Der Thalamus. der den größten Teil des Zwischen- hirnrinde (a lso keine genaue Zuordnung zu einem
hirns einnimmt, hat eine bohnen- bis eiförmige spezifischen Kortexareal). Afferenzen erhalten diese
Gestalt. Er besteht aus zahlreichen Kernen (Abb. 7•.2) Kerne aus anderen Teilen des Zwischenhirns und
mit unterschiedlichen Funktionen. Zw1schen den aus dem Hirnstamm. insbesondere aus der Forma-
Kernen verlaufen intrathalamisehe Marklamellen tio reticularis. Funktionell gehören sie zum ARAS
(Abb. 7.3, S. 5. 133). (s. 5.104). Zu den unspezilischen gehören insbeson-
Die Marklamellen verlaufen hauptsächlich para llel dere die intra Iaminären Kerne. z. B. Nucleus centro-
zueinander von anterior nach posterior. Oie Lamina medianus und auch die Nuclei mediani. Der Begriff
medullaris lateralis erstreckt sich an der lateralnä- .unspezifisch" 1St etwas irrefuhrend, da d1e Funkti-
che des Thalamus. Die Lamina medullaris medialis on dieser Kerne doch eine spezifische ist (z. B.
verläuft innerhalb des Thalamus und teilt sich vor- Weckfunktion ).
ne y-förmig auf ( besonders auf Horizonta lschnitten
erkennbar). Dadurch wird der Thalamus m drei Ter- 7 .2.1.3 Die Nervenzelltypen im Thalamus
ritorien (Kemgruppen) gegheden: Außer im Nucleus reticularis (s. Tab. 7.1. S. 133) smd
- vordere Kerne (i n der Aufgabelung der Lamina im Thalamus zwei Neuronentypen anzutreffen:
medullaris medial is): Nudel anterlores - Projektionsneurone: exzitatorisch (Glutamat als
Kerne med1al der Lamina: Nudel mediales und Transmitter)
median I lnremeurone: mhibitorisch (GABA als Transmit-
Kerne lateral der Lamma: Nudel ventrales, dor- ter).
sales und posteriores.
7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Thalam us und der Me tathalamus 131
19
13 18 11~-t--4
15 12 15
12 10 11-- 16
16
7a
9 -l--4 11 7b
--+--s 1--5
8 6 17
i:::===~~~_:j--6
a b
Nudeus reticularis 8 Nudeus subthalamKus 15 Lamina medullaris extema
Nuclt~ Vl ld Nudei ontralam rl 16 Capsula intema
2 Nucleus ventrahs anterior 9 Nudeuscentrahs medialis
3 Nucleus anterior ventrolateralls 17 Zona incerta
10 Nudeuscentralls lateralis
4 Nucleus posterior ventrolateralis 11 Nucleus centromedianus Nuclei po\trriores:
Nucleus ventralis posteromedoahs (VPM) 18 Nucleus dorsalis lateralis
> Nucleus ventralos posterior onlerior 12 Nucleus mediodorsalis 19 Nucleus laterahs posterior
Nucleus ventrahs posterolateralos (VPl)
a Pars anterior
b Pars posterior
Nuclei anteriores
13 Nucleusanterodorsalos
14 Nucleus anteroventralis
_j
- -
Abb. 7.2 Kerne des Thalamus
Frontalschnitte durch das vordere (~)und durch das mottlr<~ Thalamusdrittel (b)
7.2.1.4 Die Verbindungen der thalamisehen Systeme eingebunden: Empfindungen aus dem
Kern komplexe Gesichtsbereich werden im Nd. ventralis postero-
Als Umschaltstatlon sind die verschiedenen Kern- medialis (= VPM). solche aus den ubrigen Körper-
komplexe in Abhängigkeit von ihrer jewe1hgen regionen im Nd. ventralis posterolateralis (= VPL)
Funktion afferent und efferent mit unterschi edli- umgeschaltet. Der Nd. ventralis posterior inferior
chen Hirnregionen verbunden (Tab. 7.1 und Abb. 7.3). ist Umschaltstation lür nozizeptive Fasern.
- Die Neurone des Nucleus reticularis hemmen die
Klinischer Bezug thalam1sche lnformationsverarbeitung.
Lasion des Nd. mediodorsalis: Word doeser Hauptkern
der medialen Gruppe geschädigt (bei einem relativ 7.2.2 Der Me tathalamus: Corpus ge niculatum
seltenen Infarkt innerhalb des Thalamus). kommt es laterale und Corpus geniculatum mediale
insbesondere zu Persönlichkeitsverilnderungen (z. B. Das Corpus geniculatum laterale (CGL. lateraler
Gleichgültigkeit. Störungen des sozialen Verhaltens. Kniehöcker) und das Corpus geniculatum mediale
Aggressivität. Zwangsvorstellungen). Diese Symptome (CGM. medialer Kniehöcke r) we rden zum Meta tha-
ähneln denen bei Schädigung des präfrontalen Kortex lamus 7usammengefassr.
(Frontalhirnsyndrom. z. B. bei M. Pick, s. S. 153), was Das Corpus genlculatum laterale liegt erwas abseits
durch die Verbindung des Nd. mediodorsalis mit dem von den ubrigen Thalamuskernen lateral an der ba-
prä frontalen Kortex verständlich ist. salen Oberfläche (grenzt also an den Suba rachnoi-
dalraum ). Es weisr eme Einbuchtung an seiner
OberOllehe auf.
i$jj;131 Histologisch bestehr das Corpus gen1culatum late-
- Während die Nudei ventrales anterior und latera-
les für die Motorik von Bedeutung sind, sind die rale aus sechs (kappenartig überemander gelager-
übrigen Kerne der ventralen Gruppe in sensible ten) Zellschichten. die von basal aus durchnumme-
132 7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Thalamus und der Metathalamus
J
- olfaktorische Kortexareale der (präfrontaler Kortex) intellektu.-lle Leistungen
magnocellularis mediatis und (v. a. piriformer Kortex.
I Pars parvoc.-llularis lat.-ralis) s. S. 22_0.:....)_
Ndl. mediani (Mittellinienkeme): - Hypothalamus - Corpus amygdaloideum -+ Wachheitszustand.
- Nd. parataenialis - Formatio reticularis (beson· - Hippocampus Gedächtnis
- Nd. reuniens ders Locus caeruleus und - Nudeus accumbens
Raphe-Kerne. Substantia - Gyrus cinguli
grisea centralis)
- Gyrus cinguli
Ncll. ventrales funktionell heterogene Gruppe
- Nd. ventralis anterior Substantia nigra pramotorischer und supple· - Verarbeitung von motori·
(Pars reticularis) mentär motorischer Kortex sehen Impulsen aus den
- Ncll. ventrales laterales Basalganglien (Pallidum)
- Nd. anterior ventrolateralis Globus pallidus prämotorischer und primär und assoziierten
- Nd. postenor ventrolateralis Kleinhirnkerne motorischer Kortex Kernen (Substantia nigra)
sowie aus dem Kleinhirn
(s. s. 201 ff)
- Ncll. ventrobasales -+ Umschaltung somatasen-
• Ncll. ventrales posteriores sibler Impulse aus der
- Nd. ventratis posterolatera· Hirnstamm und Rückenmari<: sensible Rindenfelder im Körperperipherie bevor sie
lis (VPL) über Gyrus postcentraUs - unter Beibehaltung der
- lemniscus medialis somatotopen Ordnung - zu
- lemniscus spinalis sensiblen Rindenfeldern
- Nd. ventralis posteromedia· Hirnstamm (Nd. principalis und weitergeleit et werden
lis (VPM) Nd. spinalis nervi trigemini)
über Lemniscus trigeminalis
- Nd. ventralis postenor Tractus spinothalamicus anteriore Inselrinde -+ Beteiligung an der Schmerz-
inferior weiterleitung
Ncll. dorsales
- Ncll. pulvinares anterior. - Nuclei pretectales kortikale Assozlalionsgebie· -+ Beteiligung innerhalb des
inferior. lateralis und medialis - Colliculus superior te im Parietal·, Okzipital· visuell-motorischen Systems
(Pulvinarkeme: das und Temporallappen (z. 8. bei Augenbewegungen
Pulvinar nimmt etwa das hin· und zielgerichteten Arm·
tere Drittl'l d.-s Thalamus l!in) bewegungen)
- Ncl. dorsalis lateralis
- Nd. lateralis posterior
Ncll. posteriores (anterior Tractus spinothalamicus Inselrinde -+ Beteiligung an der Schmerz·
von den Pulvinari<ernen. weiterleitung
wenig differenliert)
- Nd. posterior
- Nd. limitans
r.;-::;1, intralamina~ - efferente und afferente Verbindungen mit funktionell un- -+Teil des ARAS (Wachheits·
I :.:·~nteriore Gruppe: terschiedlichen Arealen fast des gesamten Kortex (mit Aus· lUStand. Erzeugung von
- Nd. c.-ntralis lateralis nahme auditarischer Areale) Aufmeri<samkeit: s. S. 104)
- Nd. centralis medialis - lUdern ausgeprägte Elferenzen zum Striatum -Teil des motorischen
- Ncl. paracentralis - Afferenzen kommen noch aus verschiedenen Gebieten des Systems (s. S. 204).
- posteriore Gruppe: ZN$ (z. 8. Kleinhirnkeme. Rückenmark. Formatio reticularis
- Nd. centromedianus sowie cholinerge. serotoninerge und noradrenerge Hirn·
- Nd. parafascicularis stammkeme)
- Afferenzen für den Nucleus centromedianus stammen vor
allem aus dem Globus pallidus.
7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Thalamus und der Metathalamus 133
limbischer Kortex
13 ------------------ (Gyrus cinguli)
12 --------------~
präfrontaler
Kortex
motorische
Kortexareale
~tosensorischer
~.C:.:::::::::.____ Kortex (Gyrus
visueller
Assoziationskortex postcentralis)
(visuell·motonsch) .~~----------------~---- 8
~------------------------ 9
Colliculus inferior
riert werden. Die zwei basalen Schichten sind 7.3 Der Hypothalamus und die
großzellig (magnozellulär) und die vier darüber lie- Hypophyse
genden kleinzellig (parvozellulär). Zwischen den <D
Zellschichten liegen FaseriJmellen. die von den •
.... Lerncoach
Fasern des Tracrus opricus gebildet werden. Die Der Hypothalamus dient der Aufrechterhai·
Netzhaut beider Augen projizieren JeWeils spezi- tung lebenswichtiger Körperfunktionen und
fisch in definierte Schichten (retinotope Abbildung. der Arterhaltung (Integrationszentrum vege·
s. s. 211 ). tativer Funktionen). Seine Aufgaben erfüllt er
Außer den Afferenzen aus dem Tractus opricus er- dabei insbesondere durch eine enge Zusam·
hält das Corpus geniculatum laterale PrOJektionen menarbeit mit dem endokrinen System. wo-
aus der primären Sehrinde und aus der Formatio bei die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) einen
reticularis. D1e Efferenzen z1ehen hauptsächlich zur besonderen Stellenwert einnimmt. Konzen-
Sehrinde; ein1ge verlaufen auch zum Colliculus Su- trieren Sie sich Innerhalb dieses Kapitels auf
perior. die Kerne. deren Funktion näher beschrieben
Im Corpus geniculatum laterale erfolgt nicht nur Ist, und auf die unterschiedlichen Prinzipien.
eine Umscha ltung sondern eine Verarbeitung der über die der Hypothalamus mit der Hypo-
retinalen Afferenzen (z. B. durch lnterneurone). Da- physe in Verbindung steht.
bei übt die Projektion aus der Fonnatio reticularis
eine Filterfunktion aus. 7 .3.1 Die Kernge biete des Hypothalamus
Das Corpus geniculatum mediale erhält seine Aire- Üblicherweise wird der llypothalamus in antero-
renzen aus dem Colliculus inferior (über das Bra- posteriorer Richtung in drei Kemgruppen(Regionen
chium collicuh infenoris). Im Corpus geniculatum unterteilt. die mit ihren wichtigsten Kernen in
mediale erfolgt die Umschaltung au f das letzte T~b. 1.2 und Abb. 7.4 dargestellt sind.
Neuron der Hörbahn. das zur Hörrinde im Tempo- Be• den drei Reg1onen handelt es SICh um drei
rallappen (Cyri transversi) projiziert. dünne frontale Scheiben durch den Hypothalamus.
Auf diesen drei Scheiben lassen s1ch die hypothala-
misehen Kerne bzw. Areale weiter gl iedern in peri-
Während das Corpus geniculatum loterote eine ventrikuläre. mediale und laterale Kerne.
wicht1ge Schaltstelle innerhalb des visuellen Sys·
tems darstellt. Ist das Corpus geniculatum mediale
die d1enzephale Schaltstation der Horl>ohn (CGM
und CCL = spezifische Relaiskerne).
Wldlllgit 1CMM und AruiR des ll)p IICh :1 -
<D Region Kerne
..• .. Check-up chlasmati.che Region Nd. sup<iiOptkus
tl' Wiederholen Sie die wichtigsten Kemgrup· (über dem Chiasma optkum): Nd. paraventnculal'ls
vordere (rostrale) Kerngruppe Ncll. preoptici
pen des Thalamus mit Ihren Projektionen Nd. suprachiasmaiiCus
zur Endhirnrinde und der damit verbunde- Area hypothalamoca antenor
nen funktionellen Bedeutung. Beachten Sie luberale Region (uber Ncl. arcuatus • Ncl.
dem Tuber cinerum): 1nfunchbularis
dabei an einzelnen Kernen insbesondere m•ltlefe (•ntermedlare) Nd. venuomed•~hs.
VPL. VPM, Nd. centromedianus. Nd. medio- Kerngruppe Nd. dorsomed1ahs
Ncll. tuberales laterales
dorsaiis und die anterioren Thalamuskeme. Nd. tuberomamm•llaris
tl' Rekapitulieren Sie. welche Kerngruppe fast Area hypothalamka laterahs
zum gesamten Kortex projiziert. mammill:ire Region Ncll. mammillares med•ahs
(•m Bereoch des Corpus e1 later~hs
tl' Machen Sie sich nochmals klar. zu welchen mammdlare)· Nd. tuberomammdlans
funktionellen Systemen die beiden Anteile hintere (posteriore) Area hypothalamlca posterlor
Kerngruppe
des Metathalamus (CGM und CGL) gehören.
7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Hypothalam us und die Hypophyse 135
chiasmatische Region:
1 Nucleus paraventricularis
10 Nucleus supraopticus
2 Fornix
tuberale Region:
3 Area hypothalamica lateralis
4 Nucleus dorsomedialis
5 Nucleus ventromedialis
7 Nucleus tuberis lateralis
8 Nucleus infundibularis
m 'lrnil~re P g on:
6 Nucleus tuberomammillaris
14 Area hypothalamica posterior
9 Tractus opticus
11 Globus pallidus
12 Capsula interna
13 Fasciculus mammillaris princeps
15 Corpus mammillare
Im Hypothalamus werden neben Kernen auch Are- 7.3.2.3 Tractus m am m ill otegm ental is
ale (Areae hypothalami) beschrieben. Die Areae Der Tractus mammillotegmenralis (Gudden) ent-
sind im histologischen Schnitt nicht so scha rf ab- springt gemeinsam mir dem Tractus mammillotha-
grenzbar wie d ie Kerne und die Packungsdichte ih- lamicus aus dem Corpus mammillare. Dann zieht
rer Neurone ist nur gering. er zum Tegmentum des Mittelhirns (und zur For-
matio reticu laris ).
7 .3.2 Die Afferenzen und Efferenzen des
Hypothalamus 7 .3.2.4 Stria terminali s
Die Stria terminalis zieht vom Corpus amygdaloi-
7 .3.2.1 Fascicul us longitud inalis d orsalis deum (s. S. 159) im Bogen über dem Thalamus (be-
(Schütz) gleitet von den Vasa thalamostriata su perior) zum
Über den Fasciculus longitudinalis dorsalis (oder Hypothalamus.
posterior) erhä lt der Hypothalamus als vegetatives
Zentrum Afferenzen aus dem Hirnstamm. Ebenfalls 7.3.2.5 Fo rnix
laufen über dieses Fasersystem hypothalamisehe Der Fornix, ein makroskopisch gut sichtbares Faser-
Efferenzen zu vegetativen Zentren im Hirnstamm bündel. bringt Fasern aus der Hippokampusforma-
und zum Seitenhorn des Rückenmarks. Darüber tion hauptsächlich zum Corpus mammillare. Er ver-
kann der Hypothalamus diese weiter kaudal gele- läuft bogenförmig unter dem Corpus callosum und
genen Strukturen beeinflussen. erreicht in Form der Columna fornicis das Corpus
mammillare. Weiteres zum Fornix s. $. 166.
7.3.2.2 Tractus m am millothalam icus
Der Tractus mammillothalamicus (Vicq d' Azyr- 7 .3.2.6 Fasciculus medialis t elencephal i
Bündel) verbindet (als präparierbares Faserbündel) (m edia les Vorderhirnbündel)
das Corpus mammillare des Hypothalamus mit den Das mediale Vorderhirnbündel. eine polysynapti-
Nuclei anteriores des Thalamus. Er ist Teil des Pa- sche Faserbahn. verläuft zwischen Stirnhirn ( medi-
pez-Kreises (s. S. 227). al und orbita l). olfaktorischen kortikalen Arealen.
Septumkernen. Hypothalamus und Kernen des
Hirnstamms (besonders Formatio reticularis). Diese
136 1 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Hypothalamus und die Hypophyse
Hirngebiete werden durch den Fasciculus reziprok Nucleus arcuatus. Hier hemmt es die NPY-produ-
verbunden. zierenden Neurone und aktiviert die a-MSH-produ-
zierenden Neurone. Seide Neuronentypen projizie-
7.3.3 Die Funktionen des Hypothalamus ren zum Nucleus paraventricularis und zur Area
hypothalamica lateralis.
7.3.3.1 Temperaturregulation Das bedeutet. dass Leptin letztlich über a-MSH-Ef-
Im vorderen Hypothalamus (besonders in den Nuc- fekte bei gleichzeitiger Hemmung der NPY-Effekte
lei preoptici ) liegen thermosensitive Neurone (zen- zu einer Gewichtsabnahme führt.
trale Temperaturfühler). Die meisten von diesen Eine Rolle bei der Nahrungsaufnahme spielen auch
sind warm-sensitiv. d. h. sie steigern ihre Feuerrate zwei weitere Kerne des Hypothalamus: Nucleus
bei Erwärmung. Die wenigen kalt-sensitiven Neu- ventromedialis und Nucleus dorsomedialis.
rone werden bei Abkühlung unter den Sollwert ak-
tiviert. Durch endogene (z. B. Prostaglandin E) und 7.3.3.3 Regulation von Schlaf und zirkadianer
exogene (z. B. bakterielle) Substanzen ( Pyrogene) Rhythmik
wird die Empfindlichkeit der warm-sensitiven Neu- An der Regulation der zirkadianeo Rhythmik ein-
rone reduziert und der Sollwert der kalt-sensitiven schließlich des Schlaf-Wach-Rhythmus ist der Nu-
Neurone erhöht. Dabei entsteht Fieber infolge ver- deus suprachiasmaticus ganz wesentlich beteiligt.
mehrter Wärmebildung durch Kältezittern (Schüt- Seine Neurone besitzen Melatoninrezeproren. über
telfrost) und Minimierung von Wärmeverlusten die sie (durch Melatonin. dem Hormon der Epi-
durch periphere Vasokonstriktion. physe. s. S. 140) gehemmt werden. Der Kern erhält
Afferenzen aus der Retina (über den Tractus retino-
hypothalamicus).
Die Neurone des Nucleus suprachiasmaticus zeigen
Fiebersenkung durch Acetylsalicylsäure: Die fieber- rhythmische Veränderungen in ihrer Aktivität (en-
senkende (antipyretische) Wirkung von Acetylsalicyl- dogener periodischer Rhythmus). Die endogene zir-
säure (Aspirin) erklärt sich dadurch, dass Acetylsalicyl- kadiane Periodik (innere Uhr) beträgt 24 bis 25
säure die Prostaglandinsynthese hemmt. Stunden (bei völliger Isolierung von der Umwelt).
Ober die Afferenzen aus der Retina (d. h. letztend-
lich durch Licht) wird diese Rhythmik auf die ge-
7.3.3.2 Regulation der Nahrungsaufnahme naue 24-Stunden-Periodik synchronisiert.
Für die zentrale Regulation der Nahrungsaufnahme Der Nucleus suprachiasmaticus projiziert zum NU-
spielen peptiderge Neurone. eine wesentliche Rolle. deus paraventrlcularls. der Efferenzen zum Nucleus
die z. B. im Nucleus arcuatus liegen. Diese Neurone intermediolateralis des oberen thorakalen Rücken-
enthalten appetitanregende (z. B. Neuropeptid Y. marks hat. Die Axone dieses Kerns werden im Gan-
NPY) oder appetithemmende (z. B. a -MSH) Peptide glion cervicale superius umgeschaltet. Die postgan-
und besitzen z. B. Leptinrezeptoren. glionären Fasern erreichen schließlich die Epiphyse.
NPY hemmt im Nucleus paraventricularis die TRH- die während der Nacht Melatonin ausschüttet. Me-
Produktion (- weniger TSH ..... weniger Schilddrü- latonin gelangt auf dem Blutweg zum Nucleus su-
senhormon im Blut ..... Reduktion des Grundumsat- prachiasmaticus und hemmt ihn (Rückkopplung).
zes) und aktiviert in der Area hypothalamica late- in der Area hypothalamica lateralis (des anterioren
ralis Neurone. die (über Verbindungen zum Hypothalamus) liegen Neurone. die eine deutliche
Telencephalon und Hirnstamm) das Hungergefühl Aktivitätssteigerung während des Schlafs zeigen
und Nahrungsaufnahme fördern. und auch vom Nucleus suprachiasmaricus inner-
ln entgegengesetzter Wirkung (Steigerung des viert werden. Diese Neurone hemmen aktivitäts-
Grundumsatzes und Hemmung der Nahrungsauf- steigernde Kerne wie Locus caeruleus. Nuclei ra-
nahme) wirkt a -MSH. phes oder Nucleus ruberomammillaris (s. u.).
leptin. ein Zytokin aus Adipozyten. gelangt über ln der Area hypothalamica lateralis gibt es auch
das Blut (und über die Bluthirnschranke) in den Neurone. die im Wachzustand stark aktiv sind. Sie
7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Hypothalamus und die Hypophyse 137
wirken exzitatorisch auf den Locus coeruleus und 7.3.3.5 Regulation des Wasserhaushalts und
den Nucleus ruberomammillaris. des Blutdrucks
Der Nutleus tuberomammillaris ISt ean ausgedehn-
tes Kerngebiet aus großen Neuronen. die u. a. His- <D
tamin und GABA enthalten. Er prOJIZiert u. a. zum ~·~ Zum besseren Verständnis rekapitulieren
telenzephalen Kortex und bewarkt eane Aufmerk- Sie an dieser Stelle das Renin-Anglotensln-Aido-
samkeitssteigerung (.arousal" ). steron-System (RAAS), das in diesem Zusammen-
hang auch von Bedeutung ist Eine Hypovol:lmle
li$ii;j$1 aktiviert das RAAS. Dabei entsteht Angiotensln II,
das sowohl eine Gefäßverengung bewirkt als
Der Nudeus tuberomammillaris ist der einzige
auch die Aldosteron-Sekretion ln der Nebennie-
Kern im ZNS, dessen Transmitter Histamin ist.
renrinde stimuliert (-> erniedrigte Wasseraus-
letzteres bewirkt im Kortex eine Aufmerksamkeits·
scheidung über die Nieren). Beides führt zur Er-
Steigerung.
höhung des Blutdrucks (s. Lehrbücher der Physio-
logie).
1 Corpus mammillare
2 Nucleus paraventricularis
17 3 Nucleus supraopticus
4 Tractus hypothalamohypophysialis
16 5 Arterie
15 6Vene
7 Hypophysenhinterlappen (Neurohypophyse)
14 8 Hypophysenvorderlappen (Adenohypophyse)
2 9 Zellen der Adenohypophyse
13 10 2. Kapillargebiet
3 11 Portalgefäße
12 - - - - - , _ - 12 1. Kapillargebiet
13 Arterien
11 -------=:o:l 14 Chiasma opticum
15 Tractus tuberoinfundibularis
16 lnfundibulum
10 17 Nucleus infundibularis
l.~~~::..__- 5
~-
....._~,
..u- - -6
8- - " --=--- - - 7
gelangen über axonalen Transport zum Hypophy- • ADH, Vasopressin ..... Blutdruckerhöhung, s.o.)
senhimerlappen. wo sie in die Blutbahn frei- bilden.
gesetzt werden und zu ihren jeweiligen Wirk- Die Axone dieser Nervenzellen ziehen als Tractus
orten in der Peripherie gelangen. hypothalamohypophysealis über das lnfundibulum
Die kleinzelligen Kerngebiete des Hypothalamus in den Hinterlappen der Hypophyse und enden
(u.a. Nucleus infundibularis. s.u.) produzieren dort in der Umgebung ausgedehnter Kapillargebie-
sog. Steuerhormone. Diese gelangen nach Frei- te mir fenesrriertem Endothel. Oxytocin und ADH,
setzung im Bereich des Hypophysenstiels über die an das Trägerprotein Neurophysin gebunden
den Blutweg zu endokrinen Zellen des Hypophy· sind, gelangen so mittels axonalem Transport in
senvorderlappens (• Adenohypophyse). Hier be- den Hypophysenhinterlappen und werden hier in
wirken sie eine vermehrte oder verminderte das Blut abgegeben.
Freisetzung der Hypophysenvorderlappenhor- Afferenzen zu den neurosekretorischen Nuclei su-
mone. die wiederum verschiedene Effekte in der praopricus und paravenrricularis stammen u. a. aus
Peripherie haben. den Nuclei preoprici und der Area hypothalamica
lateralis, deren Neurone osmosensitiv sind. Ober
7.3.4. 1 Nucleus supraopticus und Nucleus para- diese Afferenzen und über eigene Messeinrichtun-
ventricu laris gen erhalten die magnozellulären Neurone Infor-
Der Nucleus supraopticus liegt oberha lb des Chias- mation über den Flüssigkeits- und Elektrolythaus-
ma opticum und des Tractus opticus. Der Nucleus halt des Körpers (--> Regulation der ADH-
paraventricularis ist eine Nervenzellplatte. die Ausschüttung. s.o. ).
parallel zur Ventrikeloberfläche ausgerichtet ist. in Der Nucleus paraventricularis ist zudem in die
beiden Kernen liegen magnozelluläre Neurone, die Steuerung der zirkadianeo Rhythmik (s. S. 136) ein-
Oxytocin (- Uteruskontraktion unter der Geburt gebunden.
und Milchsekretion) oder antidiuretisches Hormon
7 Zwischenhirn (Diencephalon) Der Hypothalamus und die Hypophyse 139
Obergang von Stria medullaris zur Habenula findet 7.4.4 Die Area pretectalis und Commissura
sich das Trigonum habenulae. in dem die Nudel posterior
habenulares medialis und lateralis liegen. Die Area pretectalis (Nuclei pretectales) gehört ent-
Die Nuclei habenulares erhalten ihre Afferenzen wicklungsgeschichtlich zum Epithalamus. funktio-
aus der Stria medullaris. Die Efferenzen ziehen nell zum visuellen System (s. S. 213).
über die Commissura habenularum zur Gegenseite ln der Commissura posterior (oder Commissura
und über den Tractus habenulointerpeduncularis epithalamica, oberhalb der Öffnung des Aqueduc-
zum Nucleus interpeduncularis im Mirrelhirn. Von rus mesencephali zum 111. Ventrikel) kreuzen Fa-
diesem Kern ziehen Fasern zu vegetativen Hirn- sern der Area pretectalis (und anderer Mittelhirn-
stammzentren (besonders Formatio reticularis: z. B. kerne).
Speichelsekretionszentrum). So nimmt man an.
<E>
dass die Nuclei habenulares u. a. an der Speichel -
....• ... Check-up
sekretion bei wohlriechenden Speisen (Riechinfor-
tl' Machen Sie sich noch einmal die Lage und
mation aus Nuclei septales) beteiligt sind.
die funktionelle Bedeutung der Epiphyse
(s. a. S. 136) klar.
:
• •
• • t t I
•
Klinischer Fall
10 Gyrus postcentraUs
11 Gyrus precentralis
11 12 Gyrus frontalis inferior
13 Gyrus frontalos medius
10
14 Gyrus frontalos superior
lobus frontalis
Lobus parietalis
- Lobus ocdpitalis
1 Lobus temporalis
9
8 7
8.2 Die Oberfläche lis inferior besteht aus den Gyri supramarginalis
und angularis. Der Gyrus supramarginalis liegt bo-
;
...... Lerncoach
genförmig um den hinteren Furchenteil des Su lcus
lateralis. Ähnlich ist der Gyros angularis als bogen-
Im Folgenden werden die Strukturen des förmige Windung um das Hinterende des Su lcus
Endhirns beschrieben, die makroskopisch temporalis superiorangeordnet
sichtbar sind, wenn man ein Gehirn als Gan· Im Lobus temporaUs liegt der Gyros temporalis su-
zes und im Medianschnitt betrachtet. Neh· perior parallel zum Sulcus lateralis. darunter die
men Sie sich beim lesen möglichst ein Modell Gyri temporales medius und inferior (vonei nander
oder die zugehörigen Abbildungen zu Hilfe getrennt durch den Sulcus temporalis superior und
und prägen Sie sich beim lernen insbesonde- inferior). An der oberen Fläche des Gyrus tempora-
re die hervorgehobenen Begriffe ein; diese lis superior. die im Sulcus lateralis liegt, finden sich
benötigen Sie für die Zuordnung wichtiger die Gyrl temporales transversi (2-4 Heschi-Quer-
Funktionen. Oie Nennung der übrigen de- windungen. Hörwahrnehmung, s. S. 154). Okzipital-
skriptiven Begriffe sollihnen helfen, sich am wärts liegt hinter den Heschi-Windungen das Pla-
Hirnpräparat besser zurechtzufinden. num tempora le.
Die Insel (Insu la, lobus insularls, Abb. 8.2b) liegt in
8 .2 .1 Die Ansicht vo n late ral der Tiefe des Sulcus lateralis, bedeckt von den
Frontal-. Parietal- und Temporallappen sind durch Opercula frontale. parietale und temporale. Sie be-
deutliche Furchen voneinander getrennt: steht aus dem hinten-unten gelegenen Gyrus lon-
Der Sulcus centralis trennt den Lobus parietalis gus insulae und den vorne-oben gelegenen Gyri
vom Lobus frontalis ( Abb. 8.1 und 8.2a). breves insulae (voneinander durch den Su lcus cen-
Der tiefe Sulcus lateralls grenzt den Lobus tem- tralis insulae getrennt). Die Insel als Ganzes wird
poralis gegen den darüber liegenden Lobus fron- vom Sulcus circularis insulae fast vollständig be-
talis und Lobus parietalis ab (Abb. 8.2a). grenzt Nur am Urnen insulae geht die Insel in die
Der Lobus occipitalis ist nicht durch einen Sulcus basa le Hirnfläche über.
scharf abgegrenzt Seine Abgrenzung erfolgt durch Im lobus occipitalis bildet der Polus occipitalis den
eine schräge Hilfslinie, die vom Sulcus parietoocci- hintersten Teil des Gehirns.
pitalis (s. u.. mediale Fläche) absteigt Oben geht die Facies lateralis der Hemisphären an
Im lobus frontalis. der mit dem Polus frontal is den der relativ scharfen Mantelkante (Margo superior)
vordersten Teil des Gehirns bildet. liegt vor dem in die mediale Hemisphärenfläche über.
Sulcus centralis der Gyros precentralis (motorisches
Rindenfeld). Vor dem Gyrus precentralis liegen drei 8 .2 .2 Die Ans icht von m e dial
nach vorne verlaufende Windungen: Gyri frontales Nach Abtrennung des Hirnstamms und nach Tren-
superior, medius und inferior (voneinander durch nung der Hemisphären durch einen Medianschnitt
den Sulcus frontalis superiorund inferior getrennt). ist die mediale Hemisphärenfläche erkennbar
Der Gyrus frontaUs inferior kann in drei Teile unter- (Abb. 8.3). Man erkennt den bogenförmigen durch-
gliedert werden (von vorne nach hinten ): Pars orbi- trennten Balken (Corpus callosum), an dem vorne
talis. Pars triangularis und Pars opercularis. Die drei das Genu, hinten das Splenium und dazwischen
Teile begrenzen den Su lcus lateralis von oben und der Truncus corporis callosi zu unterscheiden sind.
sind durch seine zwei V-f<irmig angeordneten Aus- Das Rostrum des Balkens ist das vordere, nach un-
läufer voneinander getrennt ten spitz in die Lamina terminalis auslaufende En-
Im lobus parietalis liegt zwischen Sulcus centralis de. Die Lamina terminalis bildet die vordere dünn-
und Su lcus postcentralis der somatasensorische Gy- wandige Begrenzung des 111. Ventrikels (s. S. 175).
rus postcentralis (parallel zum Gyrus precentralis). Unmittelbar hinter der Lamina terminalis liegt auf
Dahinter finden sich die Lobuli parietales superior Höhe des Sulcus hypothalamicus die Commissura
und inferior (voneinander durch den Sulcus intra- anterior. Im hinteren Bereich liegt unter dem Bal-
parietalis getrennt, s. Abb. 8.1 ). Der Lobulus parieta- ken der Fornix (s. S. 135). Vorne findet sich zwi-
8 Endhirn (Telencephalon) Die Oberfläche 147
. - - - - ----------- 1
_"--------- - 2
2 0 - -- ~~~--~~r7" 14
1 9 - -- ....,. .._;:~~---3
18---{,
~~~~ ~~~-- 4
17- --1/-
16- -'' --~
sehen Balken und Fornix das dünne S4!ptum pellu- Gyrus dentatus (als Teil des Hippocampus. s. S. 165)
cidum (aus Gliazellen~ eine zweiblättrige Trenn- fort.
wand zw1schen den Seitenventrikeln. Oie zvve1 Medial und lateral vom Indusium griseum verlau-
Blatter (l...lmsnae septi pelluddi) begrenzen esne fen zwei Ungsstreifen. Striae longitudinales medi-
schhtzform1ge Höhle. das Cavum septi pelluc1d1 alis und lateralis. die Faserbahnen des Hippecam-
(beim Medianschnitt eröffnet). pus enthalten. Sie sind z. T. bedeckt vom Gyrus
Ober dem Balken liegt eine dünne Schicht grauer cinguli.
Substanz (wenig differenziert). das Indusium gri- Insgesamt bilden Gyrus paratern1inalis. Indusium
seum. das vorne unter dem Rostrum corporis callo- griscum ( mit den Striae longitudinales). Gyrus fas-
si in den Gyrus paraterminalis (vor der l...lmina ter- ciolaris, Gyrus dentarus und der Limbus Giacomini
minalis) übergeht. Hinten geht das Indusium (vorderer Ausläufer des Gyrus denrarus über dem
griseum uber dem Splenium corporis callosi sn den Uncus. s. u. ) den inneren Ring des limbisehen Kor-
Gyrus fasciolans über. Letzterer setzt s1ch sn den rex {lobus limbicus).
1 148 8 Endhirn (Telencephalon) Die Oberfläche
22- -- - --.....
2 8 - -- - - ,
2 7 - - - - --.....
.-------- - - -- 3
26 ------i<.~ .
2 5 - - - - - f - i ;.....~~~
9 -------~'-'-..:~1~
24 ---~r~~,;,:~~
21 ------~~~~
23==~~
20 - - - - -12
~------7
19------~
........__ _ _ _ _ 8
17----------------/ - ------13
16--------------------' ------·-14
1 Indusium griseum 11 Gyrus Iinguaiis 23 Lamina terminalis
2 Lobulus paracentralis 12 Gyrus fasciolaris 24 Commissura anterior
3 Precuneus 13 Gyrus occipitotemporalis medialis
4 Cuneus 14 Gyrus occipitotemporalis lateralis Corpus callosum:
15 Gyrus parahippocampalis 25 Genu
5 Sulcus parietooccipitalis 16 Gyrus dentatus 26 Rostrum
6 Sulcus calcarinus 17 Uncus 27 Truncus
7 Sulcus collateralis 18 Limbus giacomini 28 Splenium
8 Sulcus occipitotemporalis 19 Gyrus ambiens c::J Lobus frontalis
9 Sulcus corporis callosi 20 Gyrus semilunaris
10 Sulcuscinguli 21 Gyrus paraterminalis r::::::l Lobus parietalis
22 Gyrus cinguli - Lobus occipitalis
- Lobus temporalis
- Lobus limbicus
Abb. 8.3 Medianansicht der rechten Hemisphäre
Um den inneren Ring liegt der äußere Ring des lo- pocampalis und dem darunter gelegenen Gyrus oc-
bus limbicus: cipitotemporalis media lis liegt der Sulcus collatera-
Der Gyrus cinguli verläuft über und parallel zum lis, der sich vorne am Uncus in den Sulcus rhinalis
Balken; er wird vorne und oben durch den Sulcus fortsetzt.
cinguli und zum Balken durch den Sulcus corporis Über dem Gyrus cinguli erkennt man vorne als
callosi abgegrenzt. Unter dem Rostrum corporis Windung des Stirnlappens den Gyrus frontalis me-
callosi geht der Gyrus cinguli in die Area subcallosa dialis. Dahinter findet sich der Lobulus paracentra-
(vor dem Gyrus paraterminalis) über. Hinten (am lis. der eine hakenförmige Verbindung zwischen
Splenium corporis callosi) verjüngt sich der Gyrus Gyrus pre- und postcentralis bildet. Der lobulus
cinguli, biegt nach vorne um und vereinigt sich mit paracenrralis ist hinten durch eine vom Sulcus cin-
dem Gyrus Iingualis zum Gyrus parahlppocampalls. guli aufsteigenden Furche vom Precuneus abge-
Das vordere hakenförmige Ende des Gyrus parahip- grenzt. Letzterer wird nach hinten durch den Sul-
pocampalis ist der Uncus. Vor dem Uncus liegen cus parietooccipitalis begtenzt, der den Parietal·
noch zwei kleine Windungen (Gyrus semilunaris vom Okzipitallappen trennt. Hinter dem Sulcus pa-
und Gyrus ambiens). Zwischen dem Gyrus parahip- rietooccipitalis liegt der dreieckige Cuneus, der
8 Endhirn (Telencephalon) Oie Oberfläche 149
10 9 12 Sulcus temporalisinferior
13 Sulcus parahippocampalis
14 Sulcus rhinalis
15 Sulcus olfactorius
16 Corpus mammillare
17 Chiasma opticum
c::J Lobus frontalis
- Lobus occipitalis
t::::l Lobus temporalis
c:::J Lobus limbicus
nach unten durch den Sulcus calcarlnus vom Gyrus Seiten des Trigonum gehen die Strlae olfactorlae
Iingualis abgegrenzt ist Ganz basal erkennt man medlalls und lateralls hervor und setzen sich in die
den Gyrus occipitotemporalis lateralis. der am Sul- gleichnamigen Gyri olfactorii fort. Zwischen den
cus occipitotemporalis an den Gyrus occipitotem- Striae olfactoriae und dem Trigonum olfactorium
poralis medialis grenzt liegt die Substantla perforata anterlor, ein von Ge-
fäßen durchlöchertes Feld. Die übrigen Gyri und
8.2.3 Die Ansicht von unten Sulci, die an der Facies inferior zu erkennen sind.
Der Interhemisphärenspalt (Fissura longitudinalis wurden berei ts bei der Ansicht von med ial behan-
cerebri), das Chiasma opticum, die Basalfläche des delt.
Hypothalamus (u. a. mit Corpora mammillaria) so-
wie das durchtrennte Mittelhirn sind sichtbar <I>
(Abb. 8.4). Am Frontallappen (vorne mit Polus fron- ..• ... Check-up
talis) liegen die Gyrl orbitales (dazwischen die Sulci v Machen Sie sich noch einmal die Lage der
orbitales). Am medialen Rand befindet sich der Gy- einzelnen Endhirnlappen klar.
rus rectus, der durch den Sulcus olfactorius von v Ordnen Sie folgende Gyri dem jeweils zu-
den Gyri orbitales abgegrenzt ist Im Sulcus olfac- gehörigen telenzephalen Lappen zu: Gyrus
torius liegen der Tractus olfactorlus und davor der precentralls, Gyrus postcentralls, Gyrus su-
flache Bulbus olfactorlus. Hinten verbreitert sich pramarglnalls, Gyrus clngull, Gyrus parahlp·
der Tractus olfactorius zum dreieckigen Pedunculus pocampalls und Gyrus rectus.
olfactorius mit dem Trigonum olfactorium. Aus den
150 8 Endhirn {Telencephalon) Der Isokortex
....
I
•
I
j • •
•
•
oI I 4
' •
•' 4 •
8.3.1.2 Die Schichtung
111 ~· ·
4··· • ·
• ·
• "• '•
.•;' Die Schichtung ( Laminanon ) des Kortex lässt sich
,,.
. ... .....
..... .
..4 .. ........
.. . ...
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mit Nissi-Präparaten (Zytoarchitektonik) und in
'· .. ...
~
IV • • •' ·'•:
~ • · •• ' Markscheidenpräparaten (Myeloarchitektonik) ana-
~ '
•' . ....
lysieren.
••
'• .I I • Beim Isokorrex werden von der Oberflache in Rich-
\ ~~
:61 ~·/1~6 tung Marklager sechs Schichten unterschieden. die
V
...•',.,..........
...'.,.....
.... O••
~·~ durch die charakteristische Verteilung unterschied-
. .... ..
heher Nervenzellen und 1hrer Axone gekennzeich-
\
net sind (Abb. 8.5). Neben den in Tabelle 8.1 aufge-
' fühnen Neuronen si nd in allen Schichten Nicht-
S ~hlcht Charakteristika
Lamina I - nur wenige Neovenzellen (Nicht-Pyramidenzellen)
(Lamina molecularis, Molekularschicht) - Axone dieser Nicht-Pyramidenzellenverlaufen in der unteren Hälfte der Schicht
tangential und bilden mit Fortsätzen anderer kortikaler Neurone Synapsen
(s. Pyramidenzellen)
Lamina II - Kleine. sehr dicht gepackte Pyramidenzellen
(Lamina granularis externa, äußere - Axone der Pyramidenzellen bilden Assoziationsfasern (s. S. 161)
Körnerschicht)
Lamina 111 - Pyramidenzellen. die von außen nach innen größer werden. in lockerer Anordung
(Lamina pyramidalis externa, - Axone formieren sich hauptsächlich zu Kommissurenfasern
äußere Pyramidenschicht) -Im oberen Teil dieser Schicht kann ein horizontal orientierter Faserplexus vorhan-
den sein {rl_ur in Sekundärfeldern aus.9ebildet).
Lamina IV - dicht gepackte kleine Pyramidenzellen, deren Axone sich in der eigenen oder in
(Lamina granularis interna, tieferen Schichten verzweigen (zusammen mit dem ähnlichen Aspekt in Lamina II
innere Körnerschicht) entsteht der namensgebende Eindruck einer Kömeransammlung)
- Bündel horizontal verlaufender Fasern von hier endenden Afferenzen aus dem
Thalamus
Lamina V - z. T. sehr große Pyramidenzellen in lockerer Packungsdichte. deren Axone die
(Lamina pyramidalis Interna. Fibrae corticostriatales, pontinae, nucleares und spinales bilden
innere Pyramidenschicht) - horizontal verlaufende Axone oder Axonkollateralen aus den Laminae II , 111 und V
bilden in der Mitte der Lamina V den inneren Baillarger·Streifen
Lamina VI - morphologisch unterschiedliche Zellen: meist kleinere modifizierte Pyramiden·
(Lamina multiformis. multiforme Schicht) zellen (oft mit spindeiförmigen Soma), die ihre Axone zu den Thalamuskernen
schicken
- meist unscharfe Grenze zum darunter gelegenen Marklager
zeigen Abweichungen (s. z. B. primär motorischer lumnen durch die Aktivität hemmende Interneu-
Kortex, S. 152). rane begrenzt. Letztere hemmen Pyramidenzellen
benachbarter Kolumnen (laterale Hemmung).
Beispielsweise erhal ten vertikale Kolumnen im pri -
mär somatasensorischen Kortex (s. S. 154) jeweils
- Lamina IV: Hier enden die meisten spezi fischen
weitergel eitete Impulse aus Rezeptoren eines um·
t halamokortikale Projektionen.
schriebeneo kleinen Hautbezirks.
- Lamina V und VI: Ihre Efferenzen ziehen zu sub·
kortikalen Gebieten (z. B. aus VI zum Thalamus).
8.3.2 Die funktionellen Kortexareale
- Lamina II und 111: Sie bi lden Assoziations· und
Kommissurenrasern.
8.3.2.1 Die Primär· . Sekund är- und
Assoziati onsfelder
Unter funktionellen Gesichtspunkten lässt sich der
8.3. 1 .3 Die verti kale Kolumnen - das Modul-
Isokortex in Primär·, Sekundär- und Assoziations-
Konzept
felder gliedern. Insgesamt lassen sich in der End -
Bei den vertikalen Kolumnen (Säulen) handelt es
hirnrinde mehr als 50 verschiedene Rindenfelder
sich um kleine Funktionseinhei ten des lsokorrex,
(Areae) unterscheiden, die nach ihrem Erstbe-
die senkrecht zur Oberfläche der Hirnrinde ausge-
schreiber Brodmann nummeriert werden.
richtet sind und all e sechs Schichten umfassen. Die
vertikalen Kolumnen weisen einen Durchmesser Die Primärfelder
von 30-300 J.Lm aur. enthalten ca. 2500 Neurone jeder Lappen enthält ei n primäres Rindenfeld :
{daru nter ca. 100 Pyramidenzellen) und sind als visuell im Okzipitallappen
elekt rophysiologische, d. h. funktionelle Module auditarisch i m Temporallappen
aufzufassen. Ihre Neurone sind i n rad iärer Richt ung somatasensorisch im Pa rietallappen
mi teinander verknüpft. Am Rand werden die Ko- somatornotorisch im Frontallappen.
152 8 Endhirn (Telencephalon) Der Isokortex
Q)
Fehlen der Lamina IV (d. h. keine thalamisehen soziales und ethisches Verhalten mit Affektkon-
Affereruen) __. agranulärer Kortex (vgl. granulä- trolle
rer Kortex, S. 155). Motivation und Initiative
Betz·Riesenzellen in Lamina V: Hierbei handelt Verstand und Vernunft
es sich um besonders große Pyramidenzellen - Ausdauer und Konzentration
(entsprechend der enormen Länge ihrer Axone). - kognitive Leistungen (z. B. planerisches Denken).
Der präfrontale Kortex ist afferent und efferent mit
zahlreichen Endhirnarealen verbunden. Er erhält
zudem Afferenzen aus den medialen Thalamusker-
Läsionen im Bereich des primär motorischen Kortex
nen und aus der Fortnatio reticularis.
haben kontralaterale motorische Ausfälle (zentrale
Lähmung) zur Folge. Dabei sind die Muskelgruppen
betroffen, die im geschädigten Bereich des Gyrus pre-
centralis liegen: Ist die laterale Hemisphärenseite be- Morbus Pick: Diese Erkrankung (besonders bei
troffen, kommt es zu Lähmungen im Bereich der Männern zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr) wird
oberen Körperhälfte. Läsionen auf der Medialseite auch als Frontallappendegeneration betrachtet. Be·
sonders im Bereich des präfrontalen Kortex sind
führen zu Muskelausfällen der unteren Extremität
schmale Gyri und breite Sulci erkennbar. Es kommt
(s. a. S. 188).
insbesondere zu Persönlichkeitsveränderungen wie
triebhafter Enthemmung, Witzelsucht, Verlust von
Der prämotorische und supplementär motorische Antrieb und Initiative sowie Fresssucht. Später stellen
Kortex sich Gedächtnisstörungen und ein Sprachverlust ein.
Der prämotorische Kortex liegt auf der lateralen Der Verlauf der Erkrankung ist therapeutisch nicht zu
Hemisphärenoberfläche vor der Area 4. Etwa ab beeinHussen (Tod nach ca. 8 Jahren).
der Mantelkante liegt der supplementär motorische
Kortex vor der Area 4 auf der medialen Hemisphä- Das Broca-Zentrum (motorisches Sprachzentrum)
renoberfläche. Sowohl im prämotorischen als auch Das motorische Sprachzentrum liegt in der Pars
im supplementär motorischen Kortex findet man opercularis und in der Pars triangularis des Gyrus
eine Somatotopie. Beide sind reziprok mit der Area frontalis inferior der dominanten Hemisphäre.
4 verbunden. Als dominant bezeichnet man die Hemisphäre, in
Der prämotorische Kortex ist bei der Ausführung der die sensorische und motorische Verarbeitung
komplexer Bewegungsabläufe (Aufeinanderfolge der Sprache erfolgt. Bei Rechtshändern ist es die
von Muskelkontraktionen und deren Abstufung) linke, bei Linkshändern auch die linke oder (selte-
beteiligt. z. B. beim Schreiben. Die Funktion des ner) die rechte Hemisphäre. ln der dominanten
supplementär motorischen Kortex ist die Planung Hemisphäre liegen zudem ari thmethische und ana-
und Initiierung eines komplexen Bewegungsmus- lytische Fähigkeiten, während in der nicht domi-
ters (vorbereitende Funktion). nanten Hemisphäre emotionsbetontes und phanta-
Der prämotorische Kortex schickt zudem Efferen- sievolles Denken möglich ist.
zen zu extrapyramidalen Zentren (z. B. Fortnatio re-
ticularis. Nucleus ruber) und gibt Fasern in die Py-
ramidenbahn ab (besonders für die proximale Broca-Aphasle: Bei einer kortikalen Läsion im Bereich
Extremitätenmuskulatur). des motorischen Sprachzentrums kommt es zu einer
Der präfrontale Kortex besonderen Form der Aphasie (zentrale Sprachstörung
Der präfrontale Kortex (auch frontaler Assoziati- bei erhaltener Funktion der Mund· und Zungenmus-
onskortex) liegt vor der prämotorischen Rinde und keln). Leitsymptome der Broca·Aphasie sind nichtHüs·
reicht nach vorne bis an den FrontalpoL Er ist für sige Sprache (Telegrammstil, hauptsächlich Substanti·
die höheren Funktionen des menschlichen Gehirns ve) und Agrammatismus (grammatikalische Fehler).
von besonderer Bedeutung: Das Sprachverständnis bleibt meist intakt.
154 8 End hirn (Telencephalon) Der Isokortex
1 Klinischer Bezug
Kortikal bedingte Senslbilitlitsstörungen treten bei
Schädigungen des Gyrus postcentralis auf. Auch hier
rührt die somatatopische Organisation je nach Lokali-
sation und Ausdehnung der Läsion zu kontralateralen
Abb. 8.7 Somatasensorischer Homunkulus
Sensibilitätsausfällen in unterschiedlichen Hautarea-
len.
ta llappen). Die sich stark verjüngende Cauda be- den übrigen Kortexarealen in sbesondere den Nu-
sch reibt als hinterer und unterer Teil des Kerns ei- deus caudatus. Weitere Afferenzen stammen aus
nen nach dorsal konvexen Bogen und liegt schließ- den intralaminären Thalamuskernen. aus der Sub-
lich im Dach des Unterhorns vom Seitenventrikel stantia nigra. aus den Raphekernen der Formatio
( im Temporallappen ). Aufgrund dieses bogenförmi- reticularis und aus dem Corpus amygdaloideum.
gen Verlaufs ist der Nucleus caudatus in Frontal- Oie Hauprefferenz des Striatum verläuft zum äuße-
schnitten durch seine Cauda zweimal angeschnit- ren und inneren Segment des Globus pallidus. Wei-
ten ( unten: Cauda. oben: Corpus. s. Abb. 13.5. tere Efferenzen ziehen zur Substantia nigra.
S. 261 ). Beim enzymhistochemischen Nachweis von Acetyl-
Das Putamen hat die Form einer dicken ova len cholinesterase Jassen sich im Striatum zwei Kom-
Scheibe und liegt zwischen Globus pallidus und partimente unterscheiden. Fleckenartige Areale mit
Claustrum ( im Marklager der lnselrinde). niedriger Enzymaktivität, die Striosomen, sind in
Die Capsula externa trennt das Puramen vom late- eine Matrix mit hoher Enzymaktivität eingelagert.
ral gelegenen Claustrum. Medial wird das Puramen Matrix und Striosomen haben unterschiedliche Af-
durch die dünne Lamina medullaris lateralis (oder ferenzen und Efferenzen. Zu den Striosomen proji-
Lamina medullaris externa) vom Globus pallidus zieren limbisehe telenzephale Areale. zu r Matrix
getrennt. im Wesentlichen die übrigen Afferenzen (s.o.).
Entwicklungsgeschichtlich sind Nucleus caudatus Striosomen schicken ihre Axone zur Substantia ni-
und Puramen eine einheitliche Struktur. Sie werden gra; die übrigen Efferenzen (s.o.) gehen von der
durch die eingewachsenen Faserbündel der Capsula Matrix aus.
interna (s. S. 162) voneinander getrennt, sind aber
noch durch Nervenzellbrücken streifenförmig (da- 8.4.1.2 Der Globus pallidus
her Striatum) miteinander verbunden. Der Globus pallidus (Pallidum, blasser Kern) er-
Der vordere- untere Teil des Caput nuclei caudati scheint makroskopisch deutlich heller als das an-
ist über einen unscharf begrenzten Kernkomplex. grenzende Putamen. Er ist dienzephaler Herkunft
dem Nucleus accumbens, mit dem vorderen Tei l und wird während der Entwicklung durch ein-
des Puramen verbunden. Der Nucleus accumbens wachsende Fasern der Capsula in terna nach lateral
gehört zum ventralen Striatum (oder Paleostria- an das Puramen gedrängt Durch die dünne Lamina
rum); die übrigen Teile von Nucleus caudatus und medullaris medialis (oder Lamina medullaris inter-
Puramen bilden das dorsale Striatum (oder Neo- na) wird er in ein inneres und äußeres Segment
striatum, hier weiterhin nur Striatum genannt). geteil t (Globus pallidus medialis und lateralis).
Der Nucleus accumbens gliedert sich zyroarchitek- Diese beiden Tei le haben unterschiedliche Faserver-
tonisch in ein Kernsrück und eine Schale. Er gehört, bindungen.
wie der Nucleus basalis. das diagonale Band und Oie Hauptafferenz des Globus pallidus stammt aus
die Septumkerne (s. S. 161 ). zu den Kernkomplexen dem Striatum (s. o.). Zum Globus pallidus medialis
des basalen Vorderhirns. projiziert zudem die Substantia nigra ( Pars com-
Der Nucleus accumbens verfügt prinzipiell über pacta, s. S. 100) und der Nucleus subthalamicus
die gleichen Verbindungen wie das dorsale Stria- (s. u.). Oie Hauptmasse der Efferenzen (aus dem
tum. Er ist jedoch mit dem limbisehen System be- Globus pallidus medialis) ziehen über die Ansa len-
sonders eng verbunden und hat zudem insbeson- ticu laris oder den Fasciculus lenticularis zu motori-
dere Verbindungen zum präfrontalen Kortex und schen Thalamuskernen. Der Globus pallidus larera-
zu r Area regmentalis venrralis (= kleine dopamin - lis schickt Axone zum Globus pallidus medialis,
erge Zellgruppe im Mittelhirn). zum Nucleus subthalamicus und zur Substantia ni-
Diese Projektionen werden auch zum Suchtverhal - gra (Pars reticularis).
ten in Beziehung gebracht. Oie Basalganglien Striatum und Globus pallidus bil-
Das Striatum erhält Afferenzen aus allen kortikalen den zusammen mir dem motorischen Thalamus ei-
Regionen. Dabei erreichen die Axone aus dem mo- nen polysynaptischen Schaltkreis, die Hauptschleife
torischen Kortex bevorzugt das Putamen. die aus der komplexen Basalganglien-Verschaltungen. Sie
8 Endhirn (Telencephalon) Die subkortikalen Kerne 159
beginnt und endet kortikal : Cortex cerebri • Stria- einer verminderten Hemmung motorischer Thalamus·
rum -+ Globus pallidus • Thalamus -+ Cortex ce- kerne (durch das mediale Pallidum und die Pars reti·
rebri. cularis der Substantia nigra). Daraus resultiert eine
Außerdem werden aufgrund ihrer engen Verbin- vermehrte Aktivlenung motorischer Rindenfelder
dungen mir dem Globus palhdus im weiteren Sinne (durch die motorischen Thalamuskeme). Diese Akti·
auch die Subsranria nigra und der Nucleus subtha- vienung kann dann das Auftreten hemiballistischer Be-
Jamicus zu den Basalganghen gezahlt. W1e aus den wegungen auf der kontralateralen Seite heiVonrufen.
o.g. Verbindungen ersichtlich ISt. bilden sie Neben-
schleifen. die den Informationsnuss m der Haupt-
8.4.2 Die weiteren subkortikalen Kerne
schleife modulieren können. Oie ausfuhrliehe Be-
des Endhirns
schreibung, die filr neurologische Ausfiille z. B. be1
Im telenzephalen Marklager liegen weitere subkor-
Morbus Parkinson von Bedeurung sind. finden Sie
tikale Kerne. die aufgrund ihrer funktionellen Be-
im Kapitel .Funktionelle Systeme· (s. S. 199).
deutung separat beschrieben werden:
- das Corpus amygdaloideum.
8.4. 1 .3 Der Nucleus subthalamicus
das Claustrum und
Der Nucleus subthalamicus (Corpus Luysi) liegt
- der Nucleus basalls ( Meynert).
medial vom unteren Ende der Capsula interna un-
ter dem Thalamus. Er liegt im Obergangsgebiet
8.4.2. 1 Das Corpus amygdaloideum
zwischen Diencephalon und Mesencephalon. Daher
Das Corpus amygdaloideum (Mandelkernkomplex.
grenzen Substantia nigra und Nucleus ruber von
Amygda la) findet sich im vorderen Teil des Tempo-
unten und medial an den Nucleus subthalamicus.
rallappens. Es liegt vor dem Hippocampus. Mit sei-
Der Kern weist eine bikonvexe Gestalt auf und be-
ner hinteren Fläche grenzt es von vorne an das Un-
steht im Wesentlichen aus großen glutamatergen
terhorn des Seitenventrikels. Mikroskopisch lässt
Neuronen.
sich das Corpus amygdaloideum zyroarchitekto-
Afferenzen und Efferenzen des Nucleus subthalaml-
nisch und funktionell in verschiedene Nuclei unter-
cus sind ähnlich denen des Striatum. Der Nucleus
teilen. Im Wesentlichen wird eine oberflächliche
subthalamicus erhält Afferenzen aus motorischen
(kortikomediale ) und tiefe (basolaterale) Kerngrup-
Kortexarealen (sowie aus dem Globus palhdum la-
pe unterschieden (Abb. 8.10).
teralis und projiziert zum Globus palhdus mediahs
Oie verschiedenen Kerne des Corpus amygdalo-
und zur Subsrantia nigra (Pars rencularis).
ideum sind untereinander komplex verschaltet.
Im Gegensatz zur inhib1torischen W1rkung des
wodurch eine inrraamygdaläre Informationsverar-
Srriarums, ist die ProJektion des Nucleus subthala-
beitung ermöglicht wird. 01e oberOächhchen ( kor-
micus exz1tatorisch und stellt dam1t em Gegenge-
tikomedialen ) Kerne haben haupts.Jchllch rez1proke
wicht zu den strialen Axonen dar.
Verbindungen mit den olfaktorischen kon1kalen
Arealen. Oie tiefen (basolateralen) Kerne erhalten
Afferenzen aus sensorischen Assoziationsarealen
Hemiballismus: Bel dieser Bewegungsstörung treten (auditorisch. visuell. gustatorisch. somatosenso-
blitzartige schleudernde Bewegungen auf. d1e proxi· risch/ -sensibel ). Sie projizieren in diese Kortex-
mal betont sind. Arme und Beine können mit Wucht areale zurück und zum mediodorsalen Thalamus-
gegen ein Hindernis geworfen werden. Verletzungen kern. Ober Letzteren erreichen Signale aus dem
sind deshalb nicht selten. Die häufigste Ursache ist Corpus amygdaloideum den präfrontalen Kortex.
eine Läsion des kontralateralen Nucleus subthalamicus Diese Projektion könnte für höhere kognitive Leis-
durch Ischämie. Durch den Wegfall der exzltatorl· tungen (z. B. Lernen) und für Motivationen von Be-
sehen Projektion des Nucleus subthalamlcus in das deutung sein.
mediale Pallidum und die Pars reticularis der Substan· Der Mandelkernkomplex projiziert auch zum Stria-
tia nigra überwiegt in diesen Kerngebieten die inhibi· tum: eine Projektion. die für die Ausführung emo-
torisehe Projektion aus dem Striatum. Dies führt zu tionsbedingter Bewegungen (z. B. Schreckreaktion
160 8 Endhirn {Telencephalon) Die subkortikalen Kerne
1 3 4 5 1 Claustrum
2 Putamen
3 Nucleus basalis (Meynert)
4 Globus paflidus lateralis
5 Globus patlidus medialis
6 Tractus opticus
13 Area entorhinalis
14 Substantia innominata
15 Commissura anterior
Abb. 8.10 Kerne des Corpus amygdaloideum im Frontalschnitt mit angrenzenden Basalganglien
beim Anblick ei ner Spinne ) ei ne Rolle spielt. Ausge- 8.4.2.3 Der Nucleus basal is (Meynert)
prägte. z. T. reziproke Verbindungen bestehen zum und die Substantia inno minata
Hypothalamus. Die Fasern verlaufen dabei über die Unterhalb des Globus pallidus und des Puramen
Ansa peduncularis und über die Stria termina lis. und oberhalb des Corpus amygdaloideum liegt in
Durch die Stria medullaris (über d ie Nuclei ha- Nachbarschaft zur Commissura anterior das un-
benulares) hat das Corpus amygdaloideum Verbin - scharf begrenzte Areal der Substantia i nnominata
dungen mit vegetativen Hirnstammzentren. (Abb. 8.10). Ihre meist cholinergen Neurone sind
Über die Verbindungen mit dem Hypothalamus locker angeordnet. Innerhalb der Substantia inno-
und dem Hirnstamm kann das Corpus amygdalo- minata bilden dicht gepackte choli nerge Neurone
ideum emotionale vegetative Reaktionen hervorru- den gut abgrenzbaren Nucleus basa lis (Meynert).
fen. wie Blutdruckanstieg, Aufmerksamkeit u. ä. Die cholinergen Neurone projizieren zum gesamten
Beim Menschen steht wohl noch eine Funktion. die Cortex cerebri und zum Corpus amygda loideum.
für den Mandelkernkomplex spezifisch ist, im Vor- Die cholinerge Innervation der Endhirnrinde (ex-
dergrund. Der Mandelkernkomplex scheint für die trathalam lsche Afferenzen) ist wesentlich fur die
Interpretation von Gesichtsausdrücken von großer se lektive Aufmerksamkeit und für das Lernen ver-
Bedeutung zu sein. So wird z. B. das Erkennen von antwortlich. Sie fördert die Speicherung von Infor-
Furcht im Gesichtsausdruck ermöglicht. mationen und Erinnerungsprozesse.
1 Nucleus caudatus
2 Globus pallidus medialis
3 Globus pallidus lateralis
4 Put<Jmen
5 Claustrum
6 Thalamus
(
Crus posterius
Genu
Crus anterius
Abb. 8. 12 Horizontalschnitt durch die Capsula onterna mot Projektion der somatopisch angeordneten Pyramidenbahnfasern
CA4 '' -
' -- -
8
Cornu ammonis
(CA 1,CA2, CA3, CA4)mit:
' 9
12 Stratum oriens
13 Stratum pyramidale
14 Stratum radiatum- lacunosum -
moleculare
Sie liegt in der Tiefe des Tempora llappens, wird vom Stratum radiatum-lacunosum-moleculare
weitgehend vom Gyrus parahippocampalis überla- spricht.
gert und erstreckt sich entlang des Cornu inferius Die Dendriten der Pyramidenzellen weisen einen
des Seitenventrikels. dichten Besatz mit Dornen auf (Abb. 8.14), an denen
Afferenzen Synapsen bilden. Die verschiedenen Af-
8.6.1 Das Cornu ammonis ferenzen endigen an spezifischen Abschnitten des
Das vordere Ende des Cornu ammonis erscheint als Dendritenbaumes. z. B.
ratzenförmige Struktur {Pes hlppoc.ampi) mir kral- im Stratum oriens: Fasern aus den Nuclei septa-
lenförmigen Ausstülpungen (Digitationes hippo- les (s. S. 161 )
campi). im Stratum radiatum : Assoziationsfasern aus
Histologisch ist das Cornu ammonis ein Zellband, CAJ (Schaffer-Kollateralen )
das C-förmig angeordnet 1st (Abb. 8.1 3). Es lässt sich im Stratum lacunosum-moleculare: Kommissu-
in vier Sektoren einteilen: CA1, CA2. CA3, CA4. Das renfasern aus dem kontralateralen Hippecampus
Zellband lässt sich, wie auch die beiden anderen (im Stratum lacunosum) und Fasern aus der
Bestandteile des Hippocampus, in folgende Schich - Area entorhinalis (an den distalen Dendritenab-
ten gliedern: schnitten im Substratum moleculare).
Stratum orlens (mit den basa len Dendriten der Im Cornu ammonis finden sich auch inhibitorische
Pyramidenzellen. mit Korbzellen, s. u.). lnterneurone, z. B. Korbzellen, die im Stratum pyra-
Stratum pyramidale (mit den Zellkörpern der midale hemmende Synapsen an Pyramidenzellen
Pyramidenzellen ), bilden.
Stratum radiatum und Bevor die Axone der Pyramidenzellen der CA3-Re-
Stratum lacunosum mit Substratum moleculare gion den Hippecampus verlassen. geben sie Kolla-
(zusammen auch als Stratum lacunosum-mole- teralen ab. Diese sog. Schaffer-Kollateralen enden
culare bezeichnet). Hier liegen - wie auch im an den Dendriten der Pyramidenzellen der CA I-Re-
Stratum radiatum - die apikalen Dendriten der gion (Assoziationsfasern ).
Pyramidenzellen, weshalb man auch insgesamt
8 Endhirn (Telencephalon) Der Hippocampus 165
Abb. 8.1 S Or~idomeosionale Darstellung des Hoppocampus mit fomix und Balken
renzen, also die Axone der Pyramidenzellen. Die einen schwächeren präkommissuralen Anteil zur
Faserbündel des Alveus gehen in die Fimbria hip- Area sepralis und zum vorderen Hypothalamus
pocampi (• Fimbria fornicis ) über (s. u.). Sie ist der einen stärkeren postkommlssuralen Anteil zum
Beginn des Fornix und liegt oben-medial auf dem Corpus mammillare.
Hippocampus.
Die Fimbria löst sich auf Höhe des Splenium corpo-
ris callosi vom Hippecampus und geht so in das
Die Mehrzahl der im Fornix verlaufenden Fasern
Crus fomlcls über. das einen nach dorsal gerichteten
stammt aus dem Hippecampus (hippokampale
Bogen bildet. Am dünnen seitlichen Rand des For-
Efferenzen). jedoch führt der Fomix auch einige
nix (Taenia fomicis) ist der Plexus choro1deus des
Afferenzen {z. B. aus der Septumregion) zum
Seltenventrikels befestigt. Zwischen den Crura for-
Hippocampus.
niCJS findet SICh an der Balkenunterfläche d1e Oache
Commlssura fornlcls. Die beiden Crura konvergieren
zur Mitleilinie und vereinigen sich unter dem Trun- <I>
cus corporis callosi zum Corpus fomlcls. Im Bereich ..• ... Check-up
des Foramen interven triculare trennen sich rechter v Machen Sie sich nochmals die Funktionen
und linker Fornix wieder. Sie lösen sich vom Balken des Hippocampus klar.
ab und ziehen als Columnae fomlcls {größtenteils Wiederholen Sie. was der Tractus perforans
von der grauen Substanz des Hypothalamus be- ist.
deckt) im Bogen nach unten an die Commissura an- Rekapitulieren Sie die Abschnitte des For-
terior. H1er teilen sich die Fornixfasern in nlx.
''
•
• ''
•
Klinischer Fall
Aus heiterem Himmel im Hinterkopf und Nacken verspürt, ist so heftig, dass
sie keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Sie
muss sich sofort setzen. Schweißperlen stehen auf ih-
rer Stirn, ihre Hände sind ganz nass vor Schweiß und
ihr Herz rast wie verrückt. Mehr noch: Der Schmerz
im Hinterkopf wird schlimmer. Peter bekommt Angst
um seine Freundin: Er ruft sofort den Notarzt.
Verdacht: Blutung
Sctlädel-a bei Subarachnoidalblutung: Oie Blutansammlung ln der Klinik fordert der Oberarzt Dr. Frank sofort
in der präpontinen Zysteme stellt sl<h hyperdens dar. eine zerebrale Computertomographie an. Er zieht
diese Untersuchung der Magnetresonanztomographie
Je nach Lokalisation von Blutungen aus Gefäßen, vor, weil sie schnell geht und frisches Blut im CT gut
die in Beziehung zu den Hlmhluten stehen, können sichtbar ist. Als er die fertigen Bilder betrachtet. sieht
drei Krankheitsbilder unterschieden werden: der erfahrene Arzt gleich, was er befürchtet hat: Be·
1. Das Eplduralhämatom Ist eine Blutung zwischen sonders deutlich sieht man das sich hyperdens dar-
Dura mater und Schädelknochen. stellende Blut in der präpontinen Zisterne: ein typi-
2. Beim Subduralhämatom blutet es zwischen der scher Cl-Befund bei einer Subarachnoidalblutung. Als
Dura mater und der Arachnoldea. Akutmaßnahme verordnet Dr. Frank strikte Bettruhe,
3. Subarachnoldalblutungen betreffen den Raum eine regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks und den
zwischen dem Inneren (Pia mater) und dem Kalziumantagonisten Nimodipin. Gemeinsam mit ei-
äußeren (Arachnoldea mater) Blatt der welchen nem Neuroradiologen sucht der Neurologe mittels
Hirnhaut. Während Subduralhämatome in einer Katheterangiographie die Blutungsquelle und werden
akuten und chronischen Form auftreten können bald fündig: Schuld war ein sackförmiges Aneurysma
und nicht Immer notfallmäßig behandelt werden in der Arteria communicans anterior des Circulus ar-
müssen, stellen Eplduralhämatome und Sub· teriosus Willisi, eine Gefäßausstülpung, die durch ei-
arachnoldalblutungen absolute Notfallindikatio- nen invasiven Eingriff aus der Zirkulat ion ausgeschal-
nen dar. tet werden muss.
12 1 Duramater
2 Schädelknochen
11 2 3 Ouraneurothel
3 4 Arachnoidea mater
4 5 Subarachnoidalraum
6 Pia mater
5 7 Arachnoidaltrabekel
6 8 Blutgefiiße
9 Cortex cerebri
10 Gliagrenzregion
7 11 Sinus durae matris
12 Atachnoidalzotten
8
10
Abb. 9.1 Oarst~llung der Menongen am fronta1sd\nitt durch das Sc~eldach
170 9 Hüllen des ZNS und Liquorsystem Die Meningen
11
19 Sinus sigmoodeus
8 Tentonum cerebelli
10 lncisura tentorii
20 Falx cerebri
_j
Abb. 9.2 Auskieldung der Schädelhöhle durch die harte Hirnhaut (Dura mater) in der Ansicht von lateral nach Entfernung des
rechten Schädeldachs. Zu den einzelnen hier mit dargestellten Sinus durae matris s. S. 193.
9.2.2.1 Die Dura mater cranialis rior befestigt. Im Bere1ch der hinteren Schädel-
Innerhalb des Schädels ist die Dura mater auf dem grube verbreitert sich d1e Falx cerebri und läuft
Periost der Schädelknochen fest verwachsen. An ei- OügelfOrmig in das Tentorium cerebelli aus. Die
nigen Stellen spaltet sie sich in zwe1 Blätter (Lami- Falx cerebri enthalt in ihrem oberen Rand den
na Interna und Lamina externa). Dadurch entstehen Sinus sagittalis superior. in ihrem freien unteren
an definierten Stellen längliche Hohlräume. die SI- Rand den Sinus sag1ttalis Inferior.
nus durae matris. die von Endothel ausgekleidet Tentorium cerebelll (Kieinhirnzelt): Es spannt
sind. ln den Sinus wird venöses Blut aus Gehirn sich zwischen Kleinhirn und Okzipitallappen
und Hirnhäuten gesammelt und zur V. jugularis in- aus und ist an der l'rotubcrantia occipitalis in-
rerna geleitN (s S. 193~ Zudem bildet die l.dmina rema. an den Rändern des Sulcus sinus transver-
interna der Dura mater an einigen Stellen Septen si, an der Oberkante der Felsenbeinpyramide so-
(Platten). die weit in den Schädelinnenraum vor- wie (vorne-Seitlich) an den l'rocessus clinoidei
springen und ihn unterteilen. Dadurch werden Be- befestigt. Vorne findet s1ch im Tentorium cere-
wegungen der weichen Hirnmasse gedämpft. Im belli eine we1te Öffnung. d1e lncisura tentorii. il'l
emzelnen smd d1es folgende Strukturen: der das Mesencephalon hegt. Die lncisura tento-
Falx cerebri (Großhirnsichel): Dies 1st eme si- rii liegt som1t auf gle1cher Höhe wie der Nucleus
chelformlge Duraplatte in der Med1anebene ruber.
(Abb. 9.2). Sie liegt in der Fissura longnudmalis
cerebri zwischen den beiden Endhirnhemisphä-
ren und dringt bis zum Balken vor. Vorne ist die Obere Einklemmung: Bei einem intrakraniellen
Falx cerebri an der Crista galli und an der Crista Druckanstieg (z. B. durch ein Himödem) kann es zu
frontalis. hinten an der Protuberanria occipiralis einer Verlagerung und Einklemmung von Teilen des
intema fixiert. Oben ist sie im gesamten Verlauf Temporallappens im Tentorlumschlitz kommen, was
an den R.'indern des Sulcus sinus sagmahs supe- zu einer Kompression des Mottelhims führt (obere Ein-
9 Hüllen des ZNS und Liquorsystem Die Meningen 171
klemmung: bei anhaltendem Druck kann es zusätzlich dea hebt sich an der Stelle der Blutung von der Dura
zur unteren Einklemmung, d. h. Verlagerung der ab. Das akute subdurale Hämatom entwickelt sich in-
Kleinhirntonsillen in das Foramen magnum und damit nerhalb von Stunden nach einem Trauma. Klinisch ist
Kompression der Medulla oblongata kommen). Die eine Unterscheidung gegenüber einem Epiduralhäma·
Folge sind von rostral nach kaudal fortschreitende tom oft nicht möglich. Auch bei schnellem operati-
Schädigungen von Strukturen im Hirnstamm. Dies ist vem Eingriff ist die Prognose nicht sehr günstig.
aufgrund der Lage von Kreislauf- und Atemzentrum Das chronische subdurale Hämatom macht sich erst
im Hirnstamm lebensbedrohlich. sechs Wochen (oder später) nach einem häufig Ieich·
ten Trauma bemerkbar. Symptome sind Kopfschmer-
Falx cerebelli ( Kieinhirnsichel): Dieses kurze Du- zen, psychische Veränderungen, Bewusstseinsstörun·
rablan hinten zwischen den beiden Kleinhirnhe- gen oder auch Krampfanfälle. Oie Prognose ist
misphären ist an der Crista occipital is interna besser.
befestigt.
Diaphragma sella e: Das horizontale Duraseptum
spannt sich über der Fossa hypophysialis zwi- 9 .2.3 Die Leptameni nx {Arachnoidea mater
schen den beiden vorderen und den beiden hin- und Pia mater)
teren Processus clinoidei aus. ln der Mitte des Die Leptomeninx besteht aus Meningealzell -Lamel-
Diaphragma sellae findet sich ein Loch für den len und wenig Kollagenfasern. Zwischen ihrem in -
Durehrritt des Hypophysensriels. neren (Pia mater} und äußeren Blatt (Arachnoidea
Cavum trlgeminale (Meckel; für das Canglientri- mater) findet sich ein spaltförmiger Raum, der
geminale. s. S. 62). Subarachnoidalraum. Er wird von Arachnoidaltra-
bekeln durchzogen und ist mit Liquor cerebrospi-
9.2.2.2 Die Dura mater spinalis nalis gefüllt (äußerer Liquorraum, s. u.).
Die das Rückenmark umgebende Dura mater inner- Die Arachnoidea mater liegt mit mehreren Lamel-
halb des Wirbelkanals ist nicht mit der knöchernen len dicht gepackter Meningealzellen (• Neurothel
Wand verwachsen. Dadurch entsteht hier ein Epi- mit Tight junctions} der Dura mater dicht an; sie
duralraum (Spatium epldurale}. der mit Fettgewebe zieht also über die Furchen der Hirnoberfläche hin-
und einem dichten Venenplexus (s. S. 193} ausge- weg. Die Pia mater hingegen liegt dem Hirn- und
füllt ist. Rückenmarksgewebe an und folgt allen Furchen
und Windungen.
in Nachbarschaft der Sinus durae matris. besonders
entlang des Sinus sagirtalis superior. bildet die
Ein Epiduralraum ist physiologischer Weise nur
Arachnoidea matergefäßfreie Ausstülpungen (pilz-
kaudal des Foramen magnum vorhanden während
förmig mit langem Stiel), die Granulationes arach-
innerhalb des Schädels die Dura mit dem Periost
noldeae (Pacchioni-Granulationen). Diese dringen
verwachsen ist.
bis i n das Lumen der Sinus und in deren seitl iche
Ausbuchtungen (Lacu nae laterales} vor: sie können
z. T. bis in den Schädelknochen an die Diplovenen
Epiduralhämatom: Zu einer Ablösung der Dura von reichen (Abb. 9.1. s. 5.169}.
der Schädelkalotte kommt es nur infolge arterieller Hier hinterlassen sie am Knochen kleine Impressio-
Blutungen aus der A. meningea media (s. S. 172) mit nen, Foveolae granulares. Der bindegewebige Kern
Ausbildung eines Epiduralhämatoms. Je schneller ope- der Granulationen ist von Kanälchen/ Hohlräumen
riert und das blutende Gefäß unterbunden wird, durchzogen. die mit dem Subarachnoidalraum in
desto besser die Prognose. Verbindung stehen. Über die Granulationen wird der
Subduralhämatom: Zum subduralen Hämatom Liquor in das venöse Blut abgeleitet, was u. a. durch
kommt es durch eine Ruptur von Brückenvenen das hier abgeflachte Neurothel ermöglicht wird.
(s. S. 191 ). Es liegt dann eine venöse Blutung zwi- Eine Besonderheit der Pia mater spinalis ist das Llg.
schen Dura und Arachnoidea vor, d. h. die Arachnoi- denticulatum. Hierbei handelt es sich um eine
172 9 Hüllen des ZNS und Liquorsystem Das Liquorsystem
frontal gestellte Plaue. die sich beidseits zwischen Die Arachnoidea besitzt keine Kapillarnetze. die
Rückenmark und Dura mater ausspannt. wobei sie der Pia mater werden von oberOächlichen Hirnar-
die Arachnoidea durchbrichL Damit dient sie als terien gespeist.
Aufhängevorrichtung fur das Rückenmark.
9.2.4.2 Die Innervation
Die sensible Innervation der Hirnhelure erfolgt
Meningitis: Auf dem Blutweg (hamatogen) oder im durch Rr. meningei der drei Trigemmusäste (V 1-
Rahmen einer Entzündung des Felsenbeins (otogen. V3) sowie des N. glossopharyngeus (IX) und N. va-
bei akuter oder chronischer Otitis media) können Er- gus ( X~ Die Rückenmarkshäute werden von den Rr.
reger eine leptomeningitis hervorrufen, die meist meningei der Spinalnerven (s. S. 34) versorgt.
auch auf das angrenzende Hirngewebe übergreift
(Meningoencephalitis). leitsymptome sind Kopf-
9.3 Das Liquorsystem
schmerzen. Fieber und schmerzhafte Nackensteifig-
keit. Ferner können Lichtscheu, Übelkeit und i;
...... Lerncoach
Erbrechen auftreten. Die in der neurologischen Unter-
Im Vergleich mit dem umgebenden Sub-
suchung häufig positiven Dehnungsphänomene (z. B.
arachnoidalraum, der das gesamte ZNS um -
bei Anheben des gestreckten Beines oder passiver
gibt, Ist die Lage des Ventrikelsystems Inner-
Neigung des Kopfes nach vorne) sind durch Schmerz-
halb des Gehirns schwerer vorstellbar. Nut-
verstärkung bis hin zur reflektorischen Gegenreaktion
zen Sie die häufig geprüften topographischen
gekennzeichnet. ln schweren Fällen ist eine Überstre-
Beziehungen zur Wiederholung der Hirn-
ckung von Kopf, Rumpf und Extremitäten (Opistotho-
strukturen und achten Sie Im folgenden Ab-
nus) zu beobachten. Die diagnostische Abkiärung
schnitt besonders auf die Begrenzungen der
erfolgt über den Liquorbefund (s. S. 176).
Ventrikel.
9.2.4 Oie Blutversorgung und die Innervation 9.3.1 Der äußere liquorraum
der Meningen Der äußere Liquorraum wird durch den Subarach-
noidalraum (Spatium subarachnoldeum. s. auch
9.2.4.1 Die Blutversorgung S. 169) gebildet. An Stellen. an denen sich d1e Hlrn-
Die arterielle Versorgung der Dura mater craniahs bzw. Rückenmarksoberfläche von der Arachnoidea
erfolgt im Wesentlichen Ober folgende Gefäße: samt Dura mater mit der ihr anliegenden mneren
- R. menlngeus ~nterlor (aus der A. ethmo1dahs Schädeloberfläche entfernt. entstehen als Erweite-
antenor der A. ophthalmica • Dura an der rungen des Subarachnoidalraums die Subarachno-
Ruckflache des Os frontale und mediale Bere1che idafzisternen (Osternae subarachnolde~. Abb. 9.l).
am Boden der vorderen Sch~delgrube <P
A.. meningea media (aus der A. max1llans - tie- ~·~ Die genaue Kenntnis der Subarachnoidal -
fer Endast der A. Carotis externa). die durch das zisternen und ihre topographischen Beziehungen
Foramen spinosum in das Schädelinnere tritt ist v. a. in der Neurochirurgie relevant. Achten Sie
und sich in R. frontalis. R. orbi talis. R. parietalis. beim lernen insbesondere auf die fett gedruck-
R. petrosus und R. accessorius aufzweigt -+ ten Zisternen.
größter Teil der Dura oberhalb des Tentorium
cerebelli Die größte Zisterne ist die Clsterna cerebellomedul-
A. menlngea posterlor aus der A. pharyngea as- farls (Ausdehnung: transversal 3 cm. sagittal
cendens (Ast der A. carotis externa). die durch .. 2 cm). Sie wird begrenzt durch Kleinhirnwurm
das Foramen jugulare 7ieht -+ Dura der hinteren und -tonsillen. Medulla oblongata und Squama os-
Schädelgrube sis occipitalis.
Die Dura mater spinalis wird durch Rückenmarks- Die Osterna basafis erstreckt sich an der Hirnbasis
arterien (S. 190) versorgt. von der Crista galli bis zum Foramen magnum. Sie
9 Hüllen des ZNS und Liquorsystem Das Liquorsystem 173
1 Granulationes arachnoideae
2 Plexus choroideus ventriculi tertii
3 Sinus sagittalis superior
4 Sinus rectus
5 Connuens sinuum
2 6 Adhesio interthalamica
7 Foramen interventriculare
8 Plexus choroideus ventriculi quarti
9 Apertura mediana
10 Canalis centralis
20 Spatium subarachnoideum mit
~1--- 6 Cisternae subarachnoideae:
~.0---- 7
11 Cisterna cerebellomedullaris
13 Cisterna pontomedullaris
~--- 8 15 Cisterna ambiens
16 Cisterna interpeduncularis
17 Cisterna chiasmatica
18 Cisterna laminas terminalis
19 Cisterna pericallosa
12 Ventriculus quartus
14 Aqueductus mesencephali
21 Ventriculus tertius
Abb. 9.3 Der äußere Liquorraum mit seinen Erweiterungen und Verbindungen zum inneren Liquorraum am Medianschnitt
Die Pleile deuten den Liquorfluss an.
besteht aus verschiedenen Kammern. zwischen de- steriores und die V. basalis. An der hinteren Basal-
nen z. T. septenartige Arachnoidaltrabekel liegen. zisterne. die vom Dorsum sellae bis zum Foramen
Sie enthält die Wurzeln von Hirnnerven, das Chias- magnum reicht. wird noch eine weitere Teilzisterne
ma opticum und große Arterienstämme (z. B. A. ba- beschrieben, die Cistema pontocerebellaris im Be-
sila ri s. Circulus arteriosus Willisi). Es lassen sich reich des Kleinhirnbrückenwinkels (unter dem
zwei größere Anteile der Cisterna basalis unter- Flocculus). Sie enthält die Aa. cerebelli inferiores
scheiden. die als vordere und hintere Basalzisterne anteriores und labyrinthi. die Nn. faciales und ve-
bezeichnet werden. Die vordere Basalzisterne stibulocochleares und den N. trigeminus. ln die Ci-
grenzt an Corpora mammillaria. lnfundibulum, sterna pontocerebellaris mündet beidseits die
Chiasma opricum. Tractus und Bulbi olfactorii. Eine Aperrura lateralis venrriculi IV.
gesondert bezeichnete Teilzisterne der vorderen Weitere Zisternen des Gehirns sind die Cisterna
Basalzisterne ist die Clsterna chiasmatica (um das pericallosa. Cisterna laminae terminalis und die
Chiasma opticum). Nach hinten geht die vordere Cisterna fossae lateralis (über der Fissura lateralis
Basalzisterne in die Cisterna interpeduncularis (im Sylvii). Letztere enthält Äste der A. cerebri media
Bereich der Fossa interpeduncularis) über. die eine (z. B. Aa. insulares). An der Lamina tecti liegt die
Teilzisterne der hinteren Basalzisterne ist und die Cisterna quadrigeminalis, die die Glandula pinealis,
Nn. oculomotorii. die Aufzweigung der A. basilaris die Ursprünge der Nn. trochleares und die V.
sowie die Anfangsstrecken der Aa. superiores cere- magna cerebri enthä It.
belli und der Aa. cerebri posteriores aufnimmt. Die Kauda l des Rückenmarks findet sich zwischen dem
Cisrema interpeduncularis kommuniziert mit der auf Höhe des ersten und zweiten Lumbalwirbels
Cisterna ambiens ( s Teilzisterne/Erweiterung der liegenden Conus medullaris und dem bis erwa zum
hinteren Basalzisterne), die seitlich an den mesen- zweiten Sakralwirbel reichenden Durasack die
zephalen Crura cerebri liegt. Sie enthält die Nn. Cisterna lumbalis.
trochleares, Aa. cerebri posteriores. Vv. cerebri po-
174 9 Hüllen des ZNS und Liquorsystem Das Liquorsystem
1 Ventroculus lateralos:
2 1 Comu frontale
2 Pars centralls
3 Cornu occop1tale
6 4 Cornu temporale
7 5 Ventriculus tertous mt
19 6 Recessus supraponea os
5 7 Recessus ponealos
8 Recessus infundibuli
18 9 Recessus supraopto<us
17
3 10 Aqueductus mesencephah
16 10
11
11 Ventriculus quartus mit:
9 12 Recessus lateralos
8 13 Apertura medoana
15 Apertura latefalos
111 4
12
13
14 Canalis centralos
16 Lamina terminaUs
17 Commissura anterior
14
15 18 Foramen interventriculare
19 Adhesio interthalamlca
Abb. 9.4 Dreidimensionale Darstellung des inneren Liquorraums (1.- IV. Ventrikel)
~itenventrikei·Abschnil1 Endhirnlappen
Comu frontale (Vord~rhom) Lobus Frontalls (Frontai·/Stornlappen)
Pars centralis (Mittelteil) Lobus panetahs (Parietai·JScheitellappen)
Cornu occipotale (Honteohom) Lobus occipltalis (Okzlpltai ·/Hinterhauptsla0'Cn)
Cornu temporale ..:;
lU:_n:.::.
te:.:.r..c
ho:.:.rn'-')_ _ _ _.:.
Lo:..:b..:
u:_
s .t:..:e-- .:..ralts (Tem_E:~~~~~~L_ _ _ _ _ _ _ _ _ __j
m.:.po
9.3.2.1 Die Seitenventrikel (Ventriculi laterales) mus ( mit Lamina affixa) gebildet. Medial liegt der
jeder Seitenventrikel besitzt vier Abschnitte. die m Fornix und der Plexus choroideus.
den vier Lappen des Endhirns (Telencephalon) he- Der hintere Abschnitt des Mirteltetls ist erweitert
gen (Tab. 9. 1). (Atrium ). Aus ihm gehen nach hinten das Hinter-
horn und das nach unten, vorne und etwas lateral
Comu frontale
ausgerichtete Unterhorn hervor.
l n Frontalschnuten erscheint das Vorderhorn als
dreieckige Struktur. die oben vom Balken (Rostrum Comu temporale
und Truncus corporis callosi). medial vom Septum Die laterale Wand des Unterhorns wird wie die des
pellucidum und lateral vom Caput nuclei caudati Hinterhorns vom Tapetum und Fasern der Seh-
begrenzt wird. in der dreidimensionalen Darstel- strahl ung gebildet. Der Boden wird von der Emi-
lung lässt sich erkennen. dass das Vorderhorn vorne nentia collateralis (Vorwölbung, bedingt durch den
durch Genu und Rostrum corporis callosi (s. S. 161 ) Sulcus collateralis) gebildet. Im Dach liegen der
abgeschlossen wird. Nach hinten reicht es bis an die sublentikuläre Teil der Capsula interna. die Stria
Frontalebene. m der steh das Foramen interventricu- t erminalis und lateral die Cauda nuclei caudati.
lare (-+ Übergang zum dntten Ventrikel) befindet. ln der medialen Wand finden steh der Fornix und
die Fimbra hippocampi. An betden Strukturen ist
Comu occipitole
der Plexus choroideus angeheftet (s. auch Taenia
Das Hinterhorn ist in Größe und Form sehr varia -
fornicis. S. 166). Ferner wölbt sich 111 der medialen
bel. Rechtes und linkes Hinterhorn sind zudem
Wand der Hippocampus mit dem Alveus vor. An
häufig asymmetrisch. Es ist auf allen Seiten von
der vorderen Spitze des Unterhorns findet sich das
weißer Substanz umgeben. Dabei wird die weiße
Corpus amygdaloideum.
Substanz im Dach und in der Seitenwand größten-
teils vom Tdpetum und von Fasern der Radiatio op-
9.3.2.2 Der dritte Ventrikel (Ventriculus tertius)
tica gebildet.
Der dritte Ventrikel ist ein unpaarer enger. hoher
ln der medialen Wand fallt ein länglicher Wulst.
Raum. Seine Seirenwände werden von den Mediai-
calcar avls (Vogelwulst ). auf. der durch das liefe
Oächen des Zwischenhirns (Hypothalamus. Thala-
Einsehnetden des Sulcus calcarinus hervorgerufen
mus und Epithalamus) gebildet.
wird. Am Boden des Hinterhorns findet sich das
Die vordere Begrenzung btldet die Lamina termina-
Trigonum collaterale. das durch den vorgewölbten
lis und die Commissura antenor. die hintere die
Sulcus collaterahs verursacht wird.
Commissura posterior. dte Commtssura habenula-
Pars centrolis rum und das Corpus pineale. Im Dach liegt die Tela
Der Mltteltell reicht bis an die Frontalebene, in der choroidea ventriculi tertii, im Boden der Hypophy-
das Splenium des Balkens beginnt. Er wird durch senstieL
den sich vorwölbenden Thalamus eingeengt. Wie Der dritte Ventrikel besitzt vier kleine Ausbuchtun-
beim Vorderhorn bildet der Balken (Truncus corpo- gen/Nischen ( Recessus):
ris callosi ) das Dach und der Nucleus caudatus dte Recessus infundibuli: im Anfangsteil des Hypo-
laterale Begrenzung. Der Boden w ird vom Thala- physenstiels
I 176 9 Hüllen des ZNS und Liquorsystem Das Liquorsystem
Grund kann z. B. eine Fehlbildung des Gehirns sein; Die I Klinischer Bezug
Neugeborenen fallen meist durch prall hervortretende
C.rboanhydrasehemmer bei Himdruck: Durch Hem-
Fontanellen und einen vergrößerten Kopfumfang auf,
mung der Carboanhydrase bei Hirndruck (z. B. nach
da die Schädelknochen noch dem Druck nachgeben
einem Schädel-Hirn-Trauma) kann die Liquorproduk-
und auseinanderweichen können. Sind die Schädel-
tion gedrosselt und somit der intrakranielle Druck ge-
nähte bei Ausbildung des Hydrocephalus bereits ver-
senkt werden.
schlossen (wie z. B. nach Subarachnoidalblutungen.
Schädelhirntraumata oder Meningitiden, die durch Ver-
klebungen von Teilen des Subarachnoidalraums zum Im Seitenwinkel findet sach der Plexus choroadeus
sog. Hydrocephalus malresorptivus führen), stehen nur in der Pars cenrrahs und am Unterhorn (Cornu
symptomatisch meist Hirndruckzeichen im Vorder- inferius). Im Vorder- und Hanterhorn gibt es keinen
grund; Kopfschmerzen, Erbrechen und Störungen der Plexus choroideus. Im dritten Ventrikel liegt der
Vigilanz (Aufmerksamkeit, Reaktlonsbereitschaft). Im Plexus am Dach, im vierten am Velum medullare
a lässt sich eine symmetrische Erweiterung der inne- inferius und in den Apenurae laterales.
ren Liquorräume nachweisen. Die Therapie besteht i.A. G>
wortlich.
9.4.3 Die zirkumventriku lären Organe Zugänglichkeil der Area postrema: Da in der Area
Bei den zirkumventrikulären Organen handelt es postrema keine Blut-Hirn-Schranke ausgebildet ist,
können hier liegende Neurone, die an der Auslösung
sich um kleine Areale, in denen die Blut- Hirn-
des Brechreizes beteiligt sind, von verschiedenen Sub-
Schranke fehlt. ln diesen auch als neurohämale Zo-
stanzen über den Blutweg gut erreicht werden. Dies
nen bezeichneten Arealen können Substanzen aus
dem Blut durch fenestrierte Kapillaren (mit weitem gilt sowohl für Substanzen, die den Brechreiz im
perivaskulären Raum) in den Interzellularraum des Sinne einer Schutzfunktion gegenüber Toxinen u. ä.
vermitteln, als auch für pharmakologische Wirkstoffe
ZNS übertreten. Im Bereich der zi rkumventrikulä-
ren Organe findet sich ein spezielles Ependym mit (s. S. 104).
Vorsicht Sauerstoffmangel zu vergehen ... Als er kurz vor 15 Uhr vom Sessel auf-
steht , um den Fernseher anzumachen, wird es Chris·
toph T. plötzlich ganz komisch: Seine rechte Hand
will ihm auf einmal nicht gehorchen: Er kann die
Fernbedienung nicht greifen. Gleich danach spürt er,
wie seine rechte Gesichtshälfte taub wird, und fällt
kurz darauf zu Boden.
10 Blutgefäße des ZNS uber die A. cerebri posterior einen Teil des End-
hirns (Lobus occipitalis und basale Abschnitte
10.1 Der Überblick des Lobus temporalis ).
Eine ausreichende Durchblutung ist rGr das ZNS 10.2.1. 1 Die Arte ria vertebra lis
besonders wichtig. weil es auf einen OrMangel Die A. vertebralis entspringt als erster Ast aus der
ausgesprochen empfindlich reag1ert und zugrunde konvexen Seite der A. subclavia und gliedert sich in
gegangene Nervenzellen nicht mehr ersetzt werden vier Abschnitte (Tab. 10.1):
können. Pars prevertebralis: Gef:!ßabschnitt vom Abgang
Die zuführenden Blutgef.iße des Gehirns sind die aus der A. subclavia bis zum Eintritt in die Hals-
paarige A. carotis inrerna (Karotlsstromgeblet) und wirbelsäule
die beiden Aa. vertebrales. die sich zur A. basilaris Pars transversaria (• Pars cervicalis): Abschnitt
vereinigen (vertebrobaslläres Stromgebiet). Die bei- während der Verlaufsstrecke durch die Foramina
den Stromgebiete sind über ein Anastomosensystem transversaria der Halswirbel
an der Hirnbasis (Circulus arteriosus cerebri) ver- Pars atlantica: kurvenreicher Abschnitt am Atlas
bunden. Pars intracranialis: intrakranieller Abschnitt bis
Die Venen des Gehirns verlaufen unabhängig von zur Vereinigung der rechten und linken A. verte-
den Artenen, was innerhalb des Gef:!ßsystems eine bralis zur A. basilaris.
Besonderheit darstellt. Eine weitere Besonderheit
ist der Abfluss aus dem oberflächlichen sowie tie-
13
fen Venensystem des Gehirns in die Sinus durae
matrls, die ihrerseits hauptsächlich in die Vena ju- 12
gularis interna drainieren. 11
;I
...... Lerncoach
Machen Sie sich ausgehend von den Strom-
gebieten zunächst mit den wichtigsten Arte· 4
7
rlen vertraut. Indem Sie Insbesondere die 5
fettgedruckten Gefäßabschnitte und Äste be· 6
achten. FOhren Sie sich anschließend Ihre
umschriebenen Versorgungsgebiete Im Zu-
sammenhang mit den typischen, bel einem
Gefäßverschluss auftretenden Symptomen
vor Augen , um sich diese klinisch und 1 A. basllaris mit: 9 A. cerebri posterior
prüfungsrelevanten Inhalte besser merken zu
r 2 Aa.pontis
3 A. labyrinthii •
10 A. cerebri media
11 A. communicans
k6nnen. 4 A. inferior anterior posterior
cerebeUi 12 A cerebri anterior
5 A. superior cerebell1 13 A. communicans
antenor
1 0 .2 . 1 Das vertebrobasiläre Stromgebiet 6 A. vertebralis mit:
l
Die Arterien des vertebrobasilären Stromgebiets 7 A. splnalis anterior ' 15% direkt aus der
8 A. Inferior posterior A. basilaris, sonst aus der
versorgen
cerebelli A. Inferior anterior cerebelli
über Aa. spinales und kürzere Äste (u.a. Aa. ce-
Abb. 10.1 Arterien an der Hirnbasls: Ursprungsgefäße der
rebelli und Aa. ponlis) einen Großteil des Rü- hlm~rsorg~nd~n Art~rien und Circulus arteriosus cerebri
ckenmarks. Hirnstamm und Klemhirn sowie (s. S. 186)
182 10 Blutgefäße des ZNS Die Arterien
, KlinischN B~zug Der stark gewundene Verlauf der Pars atlantica ver-
Subdavlan-Steal-Syndrom: Diesem Syndrom liegt hindert. dass dieArteriebet Bewegungen in den be-
eine hochgradige Stenose bzw. ein Verschluss der A. nachbarten Kopfgelenken angespannt oder gezem
subclavla proxomal des Abgangs der A. vertebralis zu- wird.
grunde. Bei Bewegungen des Arms (auf der Stenose-
bzw. Verschlussseitel kommt es vorübergehend zur 10.2.1.2 Oie Arteria b asilaris
St römungsumkehr in der ipsilateralen A. vertebralis: Die beiden. manchmal untersch1edhch dicken Ail.
Blut fließt von der A. vertebralis der Gegenseite über vertebrales vereinigen sich am Unterrand der Brü-
den Stamm der A. basilaris in die A. vertebralis der cke meist spitzwinkelig zur A. basilaris (Tab. 10.2).
stenoslerten Seite rückläufig zum Arm. Dadurch wird Das ca. 3 cm lange Gefäß verläuft in der Cistema
die Perfusion im vertebrobasilären Stromgebiet herab- pontis im Sulcus basilaris der Brücke aufwärts und
gesetzt. Typische Symptome sind: Schwindel, Ohrge- teilt sich an deren Oberrand in die beiden Aa. cere-
räusche. Gleichgewichts- und Sehstörungen. Eine bri posteriores (s. u.).
beidseiltge Blutdruckmessung ergibt einen deutlich
niedrigeren Druck auf der betroffenen Seite.
10 Blutgefäße des ZNS Die Arterien 183
Tabelle 10.2
Tabelle 10.3
Pars postcommunicalis • von der Mündung der A. communicans posterior bis zur Aufzweigung in die beiden
(P2-Segment) Okzipitalarterien
~ Mittel· und Zwischenhirn sowie untere Anteile des Schläfenlappens •
1 0.2.2. 1 Die Arteria carotis interna 1 0.2.2.2 Die Arteria cerebri anterior
Die A. carotis interna versorgt nicht nur den größ- Dieser vordere schwächere Endast. die A. cerebri
ten Teil des Gehirns. sondern (über die A. ophthal- anterior zieht nach medial vorne. wo an der Fissura
mica) auch die Orbita, die Schleimhäute der Sieb- longitudinalis cerebri die Arterien beider Seiten zu-
beinzellen, der Stirnhöhle und z. T. der Nasenhöhle. nächst dicht nebeneinander liegen und durch die
Ihr Ursprungsgefäß ist die A. carotis communis, die A. communicans anterior (s. S. 186) miteinander
rechts aus dem Truncus brachiocephalicus und verbunden sind. Durch den Abgang letzterer wird
links aus dem Aortenbogen hervorgeht, in der Ge- die A. cerebri amerior in zwei Gefäßabschnitte ge-
faßnervenstraße des Halses aufwärts zieht und sich gliedert (Tab. 1 0.5) .
Tabelle 10.4
Tabelle 10.5
111
- A. perlcallosa • im Sulcus cinguli vertaufend
-+ mediale Fläche des Frontallappens, Gyrus cinguli
- A. callosomarginalls • Fortsetzung des Arterienstamms
• zieht entlang des Sulcus corporis callosi bis zum Splenium des Corpus callosum
- Corpus callosum, Gyrus cinguli und Medialfläche des Parietallappens
Tabelle 10.6
10 .2.4 Die Versorgungsgebiete der drei Die großen Äste der drei Zerebralarterien (Aa. cere-
großen Hirnarterien bri) liegen an der Hirnoberfläche. Von ihnen drin-
Für die Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff und gen kleine Arterien senkrecht in die Hirnsubstanz
Glukose sind die drei großen Hirnarterien von her- ein:
ausragender Bedeutung. Aa. cortica les breves ziehen in die graue Sub-
stanz der Rinde
Aa. subcorticales versorgen weiße Substanz di -
Zerebrale IS<hiimie: Störungen der Hirndurchblutung rekt unter der Rinde
führen fast immer zu neurologischen Ausfallerschei· Aa. medullares longae dringen in tiefer gelegene
nungen. die nach Schweregrad und Dauer klassifiziert we1ße Substanz vor.
werden können. Geht die Durchblutungsstörung mit
anhaltenden zentral-neurologischen Ausfällen einher,
spricht man von einem Schiagantall (• Apoplex oder Alle drei Aa. cerebri sind funktionelle Endarterien,
zerebraler Insult). Dies ist ein rein deskriptiver Begriff d. h. ein Verschluss führt zu schweren Ausfällen.
und sagt nichts über die Ursache der Störung aus.
Während in 15- 20 % eine Hirnblutung zugrunde liegt, <I>
ist in der Mehrzahl der Fälle eine Minderdurchblutung ~·~ Achten Sie beim lesen des folgenden Ab-
(Ischämie) bei hochgradiger Einengung (Stenose) schnitts darauf. welche funktionellen Zentren
oder Verschluss eines hirnversorgenden intra- oder (s. S. 151) im Versorgungsgebiet der jeweiligen
extrakraniellen Gefäßes verantwortlich. Häufig liegt zerebralen Arterien liegen. Dies ermöglicht es lh·
eine arteriosklerotische Gefäßwandveränderung vor, nen, von charakteristischen Ausfallsmustern
jedoch kann auch ein Blutgerinnsel, das sich z. B. bei Rückschlüsse auf das betroffene Gefäß zu ziehen.
bestehenden Herzrhythmusstörungen gebildet hat, in
den Blutkretslauf gelangen und ein Hirngefäß verle-
10.2.4. 1 Die arterielle Versorgung
gen (Embolie). Je nach betroffener Hirnarterie treten
der Hirnrinde
unterschiedliche typische Ausfallsmuster auf (vgl. Ge-
fäßsyndrome der großen Hirnarterien, S. 188). Wird Das Versorgungsgebiet der A. cerebri onterior
ein kleinerer Ast verlegt, ist das Ausmaß der Schädi- Es erstreckt sich an der medialen Hemisphären -
gungen entsprechend geringer. Bel komplettem Ver- fläche über Fronta l- und Parietallappen (bis etwas
schluss einer Arterie oder länger andauernder rostral des Sulcus parietOOCCipitalis) und reicht et-
Minderperfusion kommt es zum irreversiblen Unter- wa 2- 3 cm über die Mantelkante hmaus:
gang von Hirngewebe (Infarkt). Als •Vorläufer" Das Versorgungsgebiet auf der medialen Fläche be-
können auch vorübergehende neuroJoglS<he Störun- inhaltet daher den medialen und angrenzenden ba -
gen auftreten, die unbedingt eine Abklärung nach salen Teil des Fronrallappens. das am Obergang
sich ziehen sollten: Bei einer transitorisch ischämi- zum Parietallappen liegende kortikale Blasenzen -
schen Attacke (TIA) bilden sich die Symptome nach trum sowie den medialen Parietallappen bis zum
maximal 24 Stunden vollständig zurück, halten jedoch Su lcus parietooccipitalis. Weiterhin werden von der
oft auch nur Sekunden bis wenige Minuten an. Typi· A. cerebri anterior größtenteils der Gyrus cinguli,
S<he Störungen sind z. B. Amaurosis fugax. d. h. eine der Balken und das Septum pellucidum versorgt.
vorübergehende ipsilaterale Erblindung als Ausdruck Der Streifen lateral der Mantelkante. umfasst Teile
verminderter Perfusion in der A. centraUs retinae aus des Gyrus frontalis superior. der Gyri pre- und
der A. ophthalmica (Karotisstromgebiet). Aphasie posrcentralis und der oberen Parietalwindungen.
oder sensornotorische Störungen unterschiedlicher (Abb. 10.5).
Ausdehnung ln Abhängigkeit vom betroffenen Gefäß Im Versorgungsgebiet dieser Arterie liegen also die
(s. u.). pnmären motorischen und sensiblen Rindenfelder
fllr das kontralaterale Bein (vgl. Abb. 8.6. S. 152 und
Abb. 8.7, S. 155~
1 88 10 Blutgefäße des ZNS Die Arterien
b
Abb. 10.5 Versorgungsgebi ete der drei großen Hirnarterien in der Ansicht von lateral (a) und von medial (b): hellgrün =
A. cerebri anterior; rosa • A. cerebri media; blau • A. cerebri posterior: dunkelgrün • A. cerebri anterior + A. cerebri posterior
Verleuung der langen durch den Hirnstamm hindurch- Oie Rr. spinales entspringen aus Ästen folgender
ziehenden Bahnen oberhalb ihrer Kreuzung dagegen großer Arterien:
kontrolotero/ (auf der Gegenseite) in Erscheinung tre- - A. subclavia (A. vertebrahs. A. cervicalis ascen-
ten. dens. A. intercostalis suprema)
Schwerste neurologische Ausfälle mit oft fluktuieren- - Aorta (Aa. intercostales posteriores. Aa. lumba-
der Symptomatik können bei einer Basllarlsthrom- les) und
bose auftreten, die auch vom Ausmaß des - A. iliaca Interna (A. iliolumbalis. Aa. sacrales la-
geschädigten Areals abhängt, klassischerweise jedoch terales).
meist durch Schwindel, Bewusstseinstrübung. Hirnner-
venstörung und Tetra- oder bei Restdurchgängigkelt
des Gefäßes auch Hemiparese gekennzeichnet ist A.-spinalis-anterlor-Syndrom: Oieses Syndrom tritt
(s. a. klinischer Fall. S. 92). aufgrund der proximal ausgeprägteren Anastomosen
v. a. bei distalem Verschluss der A. spinalis anterior
auf und ist durch Folgen der Ischämie in den versorg-
10 .2.6 Die a rterielle Versorg ung des Rücken-
ten Arealen gekennzeichnet: Durch Vorderhornschädi·
marks
gung kommt es zur schlaffen Lähmung auf Höhe der
Bei den ROckenmarksarterien sind lange vertikale
betroffenen Segmente. Oie Minderdurchblutung der
und kurze horizonrale Gefaße zu unterscheiden.
Pyramidenbahn führt zur spastischen Paraparese
Oie langen vertikalen Arterien entspringen weit
(s. S. 199) kaudal des Gefäßverschlusses. Oie Läsion
oben aus der A. vertebralis. bzw. der A. inferior
des Tractus spinothalamicus bedingt eine beidseitige
posterior cerebelli als einem ihrer Äste (s. Tab. 10.1.
dissoziierte Empfindungsstörung (Ausfall der Schmerz·
s. 182): und Temperaturempfindung bei erhaltener Be-
- A. spinaUs anterlor (unpaar) zur Versorgung der
rührungsempfindung aufgrund intakter Hinterstrang·
Vorderhörner und des Vorderseitenstrangs
bahn).
- Aa. spinales posteriores (paarig) zur Versorgung
des Hinterhorns samt Hintersträngen der jewei-
G>
ligen Seite.
Die horizontalen Gefäße sind die Rr. spinales, die
~•.. Ch eck-up
.,t Wiederholen Sie den genauen Verlauf der
durch die Foramina intervertebraiia in den Wirbel-
A. vertebralls.
kanal eintreten und sich in A. radicularis anterior
.,t Überlegen Sie, welches Gefäß durch den SI·
(anastomosiert mit der A. spinalis anterior) und A.
nus cavernosus fließt.
radicularis posterior (anasromosiert mit Aa. s pina-
.,t Machen Sie sich nochmals die Versorgungs·
les posteriores) aufteilen. Dadurch entsteht um das
gebiete der Aa. cerebrl •nterlor, medla und
Ruckenmark em gurteiförmiger Gel1!ßkranz (Vasa
posterior klar. Rekapit ulieren Sie dabei,
corona). von dem aus kleine Äste in das ROcken-
welche wichtigen funktionellen Zentren im
mark emdringen.
jeweiligen Versorgungsgebiet liegen.
Der SkiZZierte Gefäßverlauf der horizontalen Arte-
neo 1st nicht auf allen 31 Segmenten vorhanden.
Nach Ruckbildung von Arterienasten ble1ben me1st
10.3 Die Venen und die Sinus durae
8 vordere und 12 hintere Aa. radiculares ubng (auf
matris
individuell unterschiedlichen Segmenthohen).
Ein besonders dicker vorderer Ast, der von einer A.
intercostalis posterior ausgehend meist im Bereich
~
...... Le rncoa ch
der Brustwirbel Th IX und Th XII links in den Wir- Machen Sie sich das Prinzip des venösen Ab·
belkanal eindringt, wird als A. radicularls magna flusses des Gehirns klar und konzentrieren
(Adamkiewicz-Arterie) beschrieben. Über dem Rü- Sie sich auf die nur hier vorhandene Besan·
ckenmark verzweigt sich die Arterie und anasto- derheit: die Sinus durae matrls. Sie werden
mosiert m1t der A. spinalis anterior. häufig abgefragt.
10 Blutgefäße des ZNS Die Venen und die Sinus durae ma tri s 191
~,... ~~~:----:= ~
9 3
4
4
7
16
1s - - - - - _ J
a b
Sinus durae matris: Vv. profundae cerebri:
2 Sinus sagittalis superior 11 V. interna cerebri
7 Sinus transversus 12 V. magna cerebri
10 Sinus sagittalis inferior ~-
13 Sinus rectus
14 Sinus occipitalis
15 V. basalis
16 V. anterior cerebri 11111
Abb. 10.7 Oberflächliche Venen des Gehirns (Vv. superficiales cerebri) in der Ansicht von lateral (a) und von medial mit eini-
gen wichtigen tiefen Hirnvenen (b)
Die dünnwandigen Himvenen, die keine Klappen 1 0.3.1 Die Venae Superficiales cerebri
besitzen, münden in die Sinus durae matris. Aus
diesen wird das venöse Blut zur V. jugularis interna 10.3.1.1 Der Verlauf und die Mündung
geleitet. oberflächlicher Hirnvenen
Aufgrund ihrer Lage und ihrer Drainagegebiete un- Die oberfläch lichen Venen nehmen über kurze Vv.
terscheidet man: corticales Blut aus der Hirnrinde sowie über länge-
Vv. superflclales cerebri: Sie nehmen hauptsäch- re Vv. medullares Blut aus der weißen Substanz
lich Blut aus der Hemisphärenoberfläche (Cortex auf. Hinsichtlich ihres Verlaufes und ihrer Einmün-
cerebri und subkortikale weiße Substanz) auf, dung in die Sinus durae matris zeigen sie erhebli-
das direkt in die Sinus durae macris abfließt che Variationen. Sie verlaufen im Subarachnoidal-
Vv. profundae cerebri: Die Drainage tiefer gele- raum, orientieren sich aber weder an Arterien noch
gener Regionen des End- und Zwischenhirns er- an definierte Furchen oder Windungen.
folgt über diese größtenteils verdeckt liegenden Die Arachnoidea durchbrechen diese Venen erst
Hirnvenen zunächst in die V. magna cerebri , be- kurz vor ihrer Mündung in die Sinus durae matris
vor diese es in die Sinus durae matris weiterlei- und verlassen somit den Subarachnoidalraum. Ihre
tet. Adventitia verschmilzt mit dem straffen Bindege-
Anastomosen zwischen Vv. Superficiales und pro- webe der Dura mater. Diese kurzen subduralen Ve-
fundae cerebri sind im tiefen Marklager nachweis- nenabschnitte bezeichnet man als Brückenvenen,
bar. die leicht verl etzt werden und durch Einblutung ei-
Der venöse Abfluss aus dem Kleinhirn und Hirn- nen physiologisch intrakraniell nicht vorhandenen
stamm erfolgt entweder direkt in die Sinus oder Subduralraum erzeugen können (s. $. 171 ).
über die V. magna cerebri. Man unterscheidet folgende oberflächlichen Hirn-
venen:
192 10 Blutgefäße des ZNS Die Venen und die Sinus durae matris
Vv. superiores cerebri mit bogenförmigem Ver- sowie basalen und medtalen Hemisphärenanteilen
lauf tm oberen Abschnitt der medialen und late- geleitet
ralen Hemisphärenfläche und Mündung in den Die V. basalls (Rosenthal ) entsteh t im Bereich der
Sinus sagittalis superior. Zu dieser Gruppe fasst Substantia perforata anterior durch die Vereinigung
man die Vv. prefromalcs. frontales. parietales der V. anterior cerebri mit der V. media profunda
und occcipitales zusammen (Abb. 10.7). cerebri. Sie verläuft zunächst mit dem Tractus opri-
V. media superficlalls cerebri: Sie beginnt über cus. dann um die Pedunculi cerebri nach hinten
dem Gyrus angularis. verläuft durch den Sulcus (Cisterna ambiens). wo sie sich mit dem gletchna-
lateralis. erhält kleinere Zuflüsse aus der Umge- migen Gefäß der Gegensette vereinigt (s.o.).
bung und mündet meist in den Sinus sphenopa- Oie Vv. anteriores cerebri sind durch dte V. com-
rietalis (seltener in den Sinus cavernosus. Sinus municans anterior miteinander verbunden. so-
petrosus superioroder die V. basalis). dass insgesamt ein geschlossenes venöses Ring-
Vv. inferiores cerebri (im Wesentlichen VV. system entsteht.
temporales inferiores) ziehen im unteren Be- Die V. media profunda cerebri verläuft in der
reich der lateralen Hemisphärenfläche schräg Tiefe des Sulcus lateralis (bedeckt von der A. ce-
abwärts in den Sinus transversus. rebri media).
111 10.3. 1.2 Anastomosen zwischen den
Die V. Interna cerebri zteht vom Foramen mterven-
triculare auf dem Dach des 111. Ventrikels (zwischen
oberflächlichen Venen Fornix und Thalamus) nach hinten in Richtung
Diese Anastomosen. die Ober die oberfl ächlichen Vierhügelplatte und vereinigt sich mit der V. ba-
Hirnvenen ei ne Verbindung zwischen verschiede- salis sowie den beiden entsprechenden Gefllßen
nen Abflussgefäßen darstellen. sind: der Gegenseite zur V. magna cerebri. Auf ihrem
- V. anastomotica superior (Trolard-Vene): ZWI- Weg nimmt sie aus ihrer Umgebung zahlretche Ve-
schen Vv. parietales und V. media superficialts nen auf, die Blut aus inneren Hirnstrukturen füh-
cerebri. d. h. Verbindung zwischen Sinus sagttta- ren.
lis superior und Sinus sphenoparietalis (bzw.
seltener Sinus cavernosus oder Sinus petrosus 1 0.3.3 Die Venen des Kleinhirns und des
superior) Hirnstamms
V. anastomotica Inferior (Labbe-Vene): zwi- Die Venae cerebelll mUnden - mit Ausnahme der
schen V. media superficialis cerebri und einer V. superior vermis und V. precenrralis cerebelli
stlirkeren V. temporalis inferior (schräg abstei- (aus der vorderen und oberen Kleinhimoberfl:iche).
gend); d. h. Trolard-Vene + Labbe-Vene • Verbm- deren Blut über dte V. magna cerebri abfließt. di-
dung zwischen Sinus saginalis superior und Si- rekt in die Sinus durae marris:
nus transversus. - V. inferior vermis - Sinus rectus
Vv. superiores und inferiores cerebelli medialis
10.3.2 Die Venae profundae cereb ri und lareralis (aus dem überwiegenden Teil der
Vergleichbar dem Circulus arteriosus cerebri findet Kleinhirnhemisphären) ..... Sinus transversus)
sich an der Hirnbasis ein (vom arteriellen Circulus - V. petrosa (aus den vorderen Teilen der Hemi-
bedeckter) basaler Venennng (.Circulus venosus sphären) -+ Sinus petrosus Superior.
cerebri"). der durch dte Vv. basales beider Setten Die Venae trund encephali bilden insbesondere trn
gebildet wird. Aus threr Veremigungsstelle dorsal kaudalen Hirnstammberetch ein kräftiges longttu-
des Mittelhirns. an der auch die Vv. internae cere- dinales sowie ein transversales System. dte sich
bri münden. geht die V. magna cerebri (Galeni) nach kaudal in die Rückenmarksvenen fortsetzen.
hervor. Sie ist nur 1 cm lang. liegt hinter der Epi- Nach kranial anastomosieren sie mir den basalen
physe und mündet in den Anfangsteil des Sinus Hirnvenen. So drainieren die unterschiedlichen
recrus. Ober dieses System. das weitere kleine Ve- Hirnstarnrn-Anteile abhängig von ihrer Lage eher
nen aufnimmt. wird Blut aus tieferen Hirnstruktu- über die V. basahs. Ober angrenzende Kletnhtrnve-
ren von End-, Zwischen- und z. T. auch Minelhtrn nen (V. perrosa) oder direkt in den nahegelegenen
10 Blutgefäße des ZNS Die Venen und die Sinus durae matris 193
Sinus marginalis. Eine weatere Möghchkeat ast der Wände werden von der relativ starren Dura mater
Abfluss nach kaudal in die Rückenmarksvenen. gebildet: Sofern sie - wie dae meisten Sinus durae
matris - dem Schädelknochen in breiten Furchen
1 0.3.4 Die Venen des Rückenmarks angelagert sind, liegen sie zwischen periostalem
Wie bei den Anerien gibt es auch bei der venösen und meningealem Blatt der Dura. andernfalls {z. B.
Draanage des Rückenmarks ein venikales und ein Sinus sagattalis inferior und Sinus rectus) ward ahr
honzontales System. die zusammen das piale gesamtes Lumen vom meningealen Durablatt um-
Venengeflecht (Vv. perimedullares) bilden. Das ver- geben. Innen sind die Sinus durae marris von En-
tikale System besteht aus (nur) zwei Gefaßen: dothel ausgekleidet. besitzen jedoch keine Klappen.
V. splnalis anterlor (entlang der Fissura medi- sodass innerhalb des Systems prinzipiell der Blut-
ana anterior) und fluss in beide Richtungen möglich ist Der Haupr-
V. spinalis posterlor (stärker ausgebaldeL ent- abfluss des Systems erfolgt über den Sinus sigmo-
lang dem Sulcus medianus posterior). ideus an die V. jugularas interna. jedoch bestehen
Beide Venen sind über horizontale verlaufende nicht nur Verbindungen der Sinus untereinander
dünne Venenkränze miteinander verbunden. und zu den Hirnvenen. sondern auch zu exrrakra -
Das Blut aus den Vv. spinales anrerior und posre- niellen Venen und Venengeflechren. die von klini-
rior flaeßt über Vv. radiculares (Wurzelvenen) in scher Bedeutung sind {s. u. ).
den Plexus venosus vertebralis intemus (anterior
und posterior). der am Epiduralraum (innen am
knöchernen Wirbelkanal) liegt Die zusammen mit Am Confluens sinuum, der an der Protuberantia
den Spinalnerven verlaufenden Vv. intervertebrales occipltalis Interna liegt, vereinigen sich die unpaa·
führen das Blut aus dem Plexus venosus vertebralis ren Sinus sagittalis superior, Sinus rectus und Sinus
internus ab in die occipitalis mit dem paarigen Sinus transversus.
- V. vertebralis und V. cervacalis profunda {zur V.
subclavia)
- Vv. intercosrales (zur V. azygos und V. hemiazy- 1 0.3.5.2 Die Verbindungen zu extrakranlellen
gos ) Venen
Vv. lumbales (zur V. lumbalis ascendens) Die Verbmdungen der Sinus durae marris zu extra-
- V. sacralis lareralis und mediana {zur V. iliaca kramellen Venen. in denen das Blut in beiden Rich-
intema bzw. V. iliaca communis sinistra). tungen flaeßen kann, ermöglichen z. B. den Aus-
Kranaal steh t der Plexus venosus vertebralis anter- gleich bei schwankendem antrakraniellen Druck. in
nus mit dem Sinus marginalis (s. u. ) und mit dem diesem Zusam menhang sind folgende Verbindun-
Plexus basilaris in Verbindung. gen relevant:
Die Plexus venosi vertebrales extemus anterior Vv. emissariae zaehen durch kleinere Offnungen
(auf der Vorderfläche der Warbelkörper) und poste- der Schädelknochen und verbinden verschie-
rlor (hanter den Wirbelbögen. bedeckt von der au- dene Sinus durae marris mat den äußeren Kopf-
tochthonen Rückenmuskulatur) haben ähnliche Ab- venen sowie mit Vv. diploicae (s. u.). Beispiele
flüsse wie das innere Venengeflecht und si nd:
anastomosieren mir ihm. Eine Anastomose ist die • Vv. emissariae parietales: zwischen Sinus sa-
V. basivertebralis, die jeweals in einem Wirbelkör- gartalis superior und Vv. temporales Superfi-
per verlauft ciales
• Vv. emissariae condylares: zwischen Sinus
1 0.3.5 Die Sinus durae matris sigmoideus mit Plexus venosus vertebralis ex-
ternus
10.3.5.1 Der Aufbau und die Funktion • Vv. emissariae mastoideae: zwischen Sinus
Die Sinus durae marris {s. Tab. 10.7 und Abb. 10.8) sigmoideus und Vv. auriculares posteriores
smd veoose Blutleiter. dae das Blut aus den ober- oder Vv. occipitales
flachliehen und uefen Hirnvenen draimeren. Ihre
194 10 Blutgefäße des ZNS Die Venen und die Sinus durae matris
19 , . - - -- - - - 1 --
s sphenoparietalis
18 2 2 S1nus sagittalts superior
3 Sinus sagittalis inferior
- 3 7 Sinus 1ntercavernosus
17
16 I9 Sinus cavernosus
10 Sinus petrosus inferior
11 Sinus petrosus Superior
12 Sinus sigmoideus
-- 4 16 Sinus occipitalis
- s 17 Conßuens sinuum
15 18 Sinustransversus
19 Sinus rectus
4 V. ophthalmica superior
I 5 V. angularis
6 V. ophthalmka 1nferior
8 Plexus pterygoideos
14
13 V. jugularis intema
13 14 Vv. emissariae rnastoideae
15 V. occipitalis
- --
Ab~. 10.8 Venoser Abfluss aus dem Schädelinnenraum: Sinus durae matris mit Verbindungen zu extrakraniellen Venen in der
AnsiCht von posterolateral
V
•
<D
111 V
turen topographische Beziehungen zu ihm
haben.
Wiederholen Sie, welche Funktion die Vv.
emissariae erfüllen.
I I ••
I
Klinischer Fall
11 Funktionelle Systeme
Motorische Ausfallserscheinungen: je nach Ort der
in einem funktionellen System werden verschie-
Läsion innerhalb des somatornotorischen Systems
dene kortikale und nukleäre Hirngebiete und ihre
kann es zu sehr unterschiedlichen klinischen Syndro-
Verknüpfungen mit Blick auf ihre gemeinsame Auf-
men kommen. Sind Strukturen der modulierenden
gabe zusammengefasst. Zu den meisten funktionel-
Rückkopplungsschleifen geschädigt. führt dies nicht zu
len Systemen gehören auch Anteile des peripheren
Lähmungen der Muskulatur, sondern zu Störungen des
Nervensystems.
Bewegungsablaufs (s. Parkinson-Syndrom, s. S. 203
und Kleinhirnerkrankungen, s. S. 119). Schädigungen
11.1 Das somatornotorische System des 1. oder 2. motorischen Neurons dagegen haben
partielle Lähmungen (Paresen) oder einen kompletten
i;
...... Lerncoach Ausfall der Muskulatur (Piegle) zur Folge.
Die einzelnen Strukturen innerhalb des soma- Dabei ist eine Läsion des 1. motorischen Neurons im
tomotorischen Systems kennen Sie größten- Gehirn oder Rückenmark (mit Ausnahme der akuten
teils bereits aus anderen Kapiteln. Konzen- Phase. s. S. 87) durch eine spastische Parese mit To-
trieren Sie sich beim lesen dieses Abschnitts nuserhöhung. gesteigerten Muskeleigenreflexen, posi-
daher darauf, wie sie untereinander verschal- tiven Pyramidenbahnzeichen und abgeschwächten
tet sind, um beim Ausführen einer Bewegung Fremdreflexen bei herabgesetzter Muskelkraft ge-
mitwirken zu können. kennzeichnet (zentrale Parese durch Wegfall des hem-
menden Einflusses auf -y-Motoneurone). Ist das 2.
11 .1 .1 Der Überblick motorische Neuron geschädigt, tritt eine schlaffe
Planung und lnitiierung von Bewegungen erfolgen Lähmung auf, bei der begleitend zur herabgesetzten
im Wesentlichen im prämotorischen und supple- Muskelkraft auch der Tonus und die Muskeleigenrefle-
mentär motorischen Kortex (s. S. 153 ). Diese erhal- xe abgeschwächt sind. Auch setzt schnell eine Atro·
ten Rückkopplungen aus motorischen Thalamusker- phie der betroffenen Muskeln ein. Da bis auf das
nen (s. S. 131 ) und über diese indirekt v. a. aus den Perikaryon im Vorderhorn des Rückenmarks der
Basalganglien und dem Kleinhirn. Darüber können längste Anteil des betroffenen Neurons (Axon) zum
initiierte Bewegungen abgestimmt und moduliert PNS zählt, spricht man auch von einer peripheren
werden. Vom prämotorischen Kortex wird das ab- Lähmung. Durch gezieltere neurologische Untersu-
gestimmte Bewegungsprogramm an den primär chung lassen sich dann Rückschlüsse auf den wahr-
motorischen Kortex weitergeleitet. Hier liegen die scheinlichen Ort der neuronalen Läsion (Vorderwurzel.
Setz-Riesenzellen. die den Ursprung der Pyrami- peripherer Nerv) oder eine muskuläre Ursache ziehen.
denbahn bilden. Als Pyramidenbahn wird die di- Sind sowohl das 1. als auch das 2. motorische Neuron
rekte und schnelle (monosynaptische) Verbindung betroffen (wie z. B. bei der Amyotrophen Lateralskle-
vom primär motorischen K01tex (1. motorisches rose ~ ALS). kommt es zur Kombination von Muskel-
Neuron) zu den Motoneuronen im Hirnstamm bzw. atrophie (durch Untergang von Motoneuronen) und
Rückenmark ( 2. motorisches Neuron) bezeichnet, Spastizität mit Pyramidenbahnzeichen (durch Seiten-
die im Wesentlichen der Willkürmotorik dient. Sie strangbefall). Diese degenerative Erkrankung verläuft
besteht aus: unaufhaltsam progredient.
Fibrae corticonudeares. die an den motorischen
Hirnnervenkernen im Hirnstamm enden, und Der unwillkürlichen Steuerung und Koordination
Flbrae cortlcospinales, die sich als Tractus corti- der Somatamotorik dient das so genannte extrapy-
cospinalis fortsetzen und direkt oder meist über ramidal-motorische System. das jedoch funktionell
Interneurane auf a -Motoneurone im Vorderhorn mit dem pyramida l-motorischen System eng ver-
des Rückenmarks projizieren. knüpft ist: Kollateralen der Pyramidenbahn ziehen
Letztere innervieren die Skelettmuskulatur in der - genau w ie die Fasern aus dem prämotorischen
Peripherie mit dem Erfolg der Muskelkontraktion. und supplementär motorischen Kortex - sowohl zu
200 11 Funktionelle Systeme Das somatornotorische System
subkortikalen Kerngebieten als auch Ober den Pons Im Pons (Pars basilaris) ist die Pyramidenbahn in
zum Kleinhirn. So enrstehen polysynaptische Ver- Faserbündel aufgespalten (als Te1l der Fibrae pontis
bindungen im Sinne von Rückkopplungsschle1fen: longitudinales, s. S. 98). Auf der ventralen Seite der
- Die Verschaltungen der Basalganglien sind für Medulla oblongata vereimgen sich die Faserbündel
die Ausfuhrung komplexer erlernter Bewegung zu einem Strang (-+ Pyram1s).
(z. B. Schreiben) von großer Bedeutung. Während ihres Verlaufs durch den Hirnstamm ver-
FOr den geordneten Ablauf einer Bewegung sind lassen die Fibrae corticonucleares auf unterschied-
zudem Kleinhirnschleifen von Bedeutung. in die lichen Höhen die Pyramidenbahn. um an motori-
neben dem Cerebellum z. B. die Ponskerne, der schen Hirnnervenkernen zu enden. Am Ende der
untere Olivenkomplex und (als Zwischenstation) Medulla oblongata liegen somit nur noch Fibrae
der Nucleus ruber eingebunden sind. Die .Sta- corticospinales vor.
tionen· dieser Rückkopplungsschleifen stehen Die Mehrzahl dieser Fasern (ca. 70-90 %) kreuzen
mit weiteren Hirnstammstrukturen in Verbin- hier in der Decussatio pyramidum, um kontralate-
dung. die ebenfalls Einfluss auf die Motorik neh- ral als Tractus cortlcosplnalls Iaterans im Funiculus
men. lateralis des ROckenmarks abzuste1gen. Die nicht
Efferenzen aus vielen der beteiligten Kerngebiete gekreuzten Fasern verlaufen als Tractus cortlcospl·
(Kieinhimkerne, Ncl. ruber, Colliculi superiores. nalis anterior ipsilareral im FunleuJus anterior ab-
1 Telencephalon
1 Cortex cerebri:
Gyrus precentralis
2 Capsula interna
2 Hirnstamm
3 Mesencephalon:
Crus cerebri
4 Pons: Pars basilaris pontis
5 Medulla oblongata:
anteriores Areal
ROckenmark
10 6 Vorderseitenstrang
3 Bahnen
11
7 Tractus corticospinalis
lateralis
9 8 Tractus corticospinalis
anterior
9 Decussatio pyramidum
10 Fibrae corticospinales
11 Fibrae corticonucleares
4
s -----....
7 --------.,.
Es kann als eine Art .Servo-System'" für die Pyrami- pallidus medialis und die Nuclei ventrales amerio-
dalmotorik aufgefasst werden. indem es . glatte·· Be- res und laterales des Thalamus.
wegungen mit ermöglicht. Das Striatum erhält Afferenzen aus allen Kortex-
arealen {Transmitter: Glutama t ~ exzitatorisch),
11. 1.3.1 Die Basalgangli enschleifen über die Fibrae nigrostriatales aus der Pars compac-
Bei den Basalganglienschleifen (Abb. 11.2) handelt es ta der Substantia nigra {Transmitter: Dopamin ..... je
sich um polysynaptische Schleifen, die mit dem nach Rezeptor unterschiedliche Wirkung, s. u.) und
Kortex in Verbindung stehen. aus dem Ncl. centromedianus des Thalamus {Trans-
Oie Hauptschleife {auch als direkter Weg der Basal- mitter: Glutamat).
ganglienverschaltung bezeichnet) enthält das Stria- Es projiziert hemmend {Transmitter: GABA) zum
tum (Nucleus caudatus und Putamen). den Globus Globus pallidus medialis. Von dort zieht {genau wie
202 11 Funktionelle Systeme Das somatamotorische System
anterior und lateralis, sondern auch den Nucleus die untere Olive wieder dort ankommt. Die
centromedianus. Funktion dieser Neuronenkette ist die präzise
Letzterer projiziert auch zu limbisehen Kortexarea- Ausführung von Bewegungen (-+ Zielmotorik,
len und frontalen Assoziationsarealen. Zudem zie- Sprechmuskulatur).
hen auch Projektionen aus dem Corpus amygdalo- Einen ähnlichen Weg nehmen auch Efferenzen
ideum zum Striatum (-> Beteiligung der der Ncll. globosi und emboliformis. mit dem Un-
Basalganglien an emotionalen Prozessen). terschied, dass sie die Pars magnocellularis des
Ferner lässt sich eine thalamisehe Nebenschleife Ncl. ruber erreichen. Hier beginnt der Tractus
nachweisen: rubrospinalis (s. S. 205). Spinozerebelläre Affe-
Die intralaminären Kerne des Thalamus, die inhibi- renzen erreichen wiederum Rindenareale des
torische Afferenzen aus dem Globus pallidus medi- nach ihnen benannten Spinocerebellum, die auf
alis erhalten. erregen das Striatum. Letzres inhi- die Ncll. globosi und emboliformis projizieren.
biert vermehrt den Globus pallidus medialis. Über diese Verbindungen kann das Kleinhirn re-
gulierend auf den Muskeltonus einwirken.
11.1.3.2 Die Kleinhirnschleifen Neben Afferenzen aus den Vestibulariskernen er-
Das Kleinhirn kann keine Bewegungen initiieren. hal ten zum Vestibulacerebellum zählende Rin-
Es ist unbewusst u. a. für Kontrolle von Muskelro- denregionen von Vermis und lobus anterior
nus, Cleichgewichcserhaltung. Korrekturen und Glät- auch Signale aus der Formatio reticularis. Rück-
tung von Bewegungsabläufen verantwortlich (s. Ka- läufige Fasern verlassen das Kleinhirn größten-
pitel 6, S. 117). teils über den Nd. fastigll. Die Tractus vestibula-
Diese Leistungen werden durch die so genannten und reticulospinalis spielen für die Gleichge-
Kleinhirnschleifen erreicht. Dazu steht das Klein- wichcsregulienmg und die Stützmotorik eine Rol-
hirn sowohl mit dem Kortex (afferent über die le. Zudem kann das Vestibu lacerebellum über
Panskerne und efferent über den motorischen Tha- seine Projektion zu den Vestibulariskernen. die
lamus) als auch mit verschiedenen subkortikalen wiederum mit den Augenmuskelkernen in Ver-
Zentren, die im Rahmen der Motorik eine Rolle bindung stehen. die Blickmotorik beeinflussen.
spielen. in Verbindung. Eine direkte Verbindung So sind also verschiedene Hirnstammstrukturen in
besteht z. B. zum Ncl. ruber (s. S. 101 ) und der un- die Kleinhirnschleifen eingebunden, über die Infor-
teren Olive (Complexus olivaris inferior. s. S. 96), mationen des Kleinhirns weitergegeben werden.
die beide auch kortikale Afferenzen erhalten. Eben- Die Motoneurone im Rückenmark werden dabei
falls besteht eine Rückkoppelung zwischen Klein- von den subkortikalen Zentren über die extrapyra-
hirn und Formatio reticularis (s. S. 102) sowie Vesti- midalen Bahnen (s. u.) weitergeleitet. Über die sen-
bulariskernen (s. S. 217 ). Die Ausbi ldung von siblen Bahnen des Rückenmarks ist dann wieder-
Rückkopplungsschleifen lässt sich vereinfacht ent- um eine Rückmeldung an das Kleinhirn und - über
sprechend der funktionellen Kleinhirnanteile den Thalamus - an den somatasensorischen Kortex
(s. S.119) mit Afferenzen der drei Rindenareale. möglich. Durch das enge funktionelle Zusammen -
Projektion in die verschiedenen Kleinhirnkerne und wirken von motorischem und somatasensiblem
deren efferenten Verbindungen beschreiben: System erklärt sich der Begriff ..Sensomotorik".
Das Pontocerebellum erhält via Brückenkernen
Afferenzen aus nahezu allen Kortexarealen. Über 11.1.3.3 Die ext rapyramidalen Bahnen
den Nd. dentatus mit Efferenzen zu motori - Die extrapyramidalen Bahnen entspringen von sub-
schen Thalamuskernen, die wiederum zu moto- kortika len motorischen Zentren. die u. a. Verbin-
rischen Kortexarealen projizieren. ist es an der dungen mit unterschiedlichen Arealen des zerebra-
Planung und Ausfiihnmg von Bewegungen betei- len Kortex und dem Kleinhirn haben.
ligt. Zudem besteht von ähnlichen Rindenarea- Sie verlaufen im Vorderseitenstrang des Rücken-
len ausgehend eine Schleife, die das Kleinhirn marks und enden direkt oder unter Vermittlung
ebenfalls über den Ncl. dentatus verlässt und von Interneuronen überwiegend an "f-Motoneuro-
über den Ncl. ruber (Pars parvocellularis) sowie nen, deren Axone intrafusale Muskelfasern von
J
11 Funktionelle Systeme Das somatasensible System 205 I
Muskelspindeln erreichen (seltener ziehen sie auch 11 .2 Das somatasensible System
zu a -Motoneuronen ).
2 IlD
~---------------------3
~--------------- 4
Propriozeptoren (Spannung
r;====l und Dehnung von Muskeln,
Sehnen, Gelenken)
Exterozeptoren:
,..--_J~- Mechanorezeptoren
~---I - Nozizeptoren
-Thermorezeptoren
5
r 1. Neuron
10
-....__________________ 6 7
muskulatur
L___ _ _ _ _ _ _ _ - - - - - - 8
mechanische Nozizeptoren (Ansprechen auf len der Lamina V. Dieser Weg wird auch als
z. 8. Kneifen, Quetschen, Stich) (phylogenetisch älterer) paläospinothalamischer
thermische Nozizeptoren (Ansprechen auf z. B. Teil des Tractus spinothalamicus lateralis be-
Hitze) schrieben. Die Axone der Strangzellen kreuzen
polymodale Nozizeptoren (Ansprechen auf ver- zu einem großen Teil die Seite und enden im
schiedene Reize. z. 8. auch chem ische Schmerz- Wesentlichen in i ntra Iaminären Thalamuskernen
reize). (s. S. 132). Von dort erfolgen Projektionen in un-
Nach dem Ort des Schmerzreizes kann man zwi- terschiedliche Kortexareale (s. u.).
schen folgenden Schmerzformen unterscheiden: Eng verknüpft mit dem pa läospinothalamischen
somatischer Schmerz: obernachlieh aus der Weg sind Schmerzbahnen, die nicht direkt via Tha-
Haut oder tief aus z. B. Knochen und Gelenken lamus im Kortex terminieren, sondern an subkorti-
und kalen Strukturen enden. Diese Bahnen sind im We-
viszeraler Schmerz: aus Eingeweiden (z. B. bei sentlichen:
Koli ken oder Entziindungen). Die Weiterleitung Tractus spinomesencephalicus: endet an der
erfolgt immer iiber unmyelinisierte Fasern. ist Substantia grisea centra lis (s. S. 101 ). Die Sub-
jedoch sonst derjenigen somatischer Schmerzen stantia grisea centra lis enthäl t die Ursprungs-
vergleichbar (s. auch Head-Zonen) und wird da- neurane des absteigenden schmerzhemmenden
Zugehörigkeit zum Tractus spinocerebellaris ante- spricht Bei der weit eren Verschal tung der
rior oder posterior: mechanosensiblen Signale ist zwischen fein und
Tractus spinocerebellarls anterior. Die meisten gering diskriminierender Mechanosensibilität zu
Axone der in den laminae V- VIII (lumbosakral ) unterscheiden:
gelegenen Zellkörper kreuzen zur Gegensei te Bei der fein diskriminierenden Mechanosensibi·
und kreuzen im Mittel hirn zurück. Einige ver- lität ziehen die zentralen Fortsätze der 1. Neu-
laufen auch ipsilateral. Das Kleinhirn erreicht rene zum Nucleus principalis nervi trigemini im
der Tractus spinocerebellaris anterior über den Pons, wo die Umschaltung auf die 2. Neurene
Peduncul us cerebellaris superior (s. $. 124). erfolgt. Anschließend kreuzt die Mehrzahl der
Tractus spinocerebellaris posterior. Die Axone Axone die Seite und lagert sich als lemniscus
von Strangzellen im Ncl. thoracicus posterior trlgemlnalis medial dem Lemniscus medialis an.
ziehen ipsilateral und erreichen das Kleinhirn Die Axone gelangen zum Nucleus ventralis po-
über den Pedunculus cerebellaris inferior steromedialis (VPM) des Thalamus (Umschal-
(s. S. 124). tung auf das 3. Neuron). Von dort ziehen Fasern
Einige Afferenzen aus der oberen Körperhälfte zie- zum somatasensorischen Kortex ( im Gyrus post-
hen auch zunächst mit dem Fasciculus cuneatus. centralis. in Nachbarschaft zum Sulcus Jateral is).
um den Ncl. cuneatus accessorius zu erreichen. Die Bei der grob diskriminierenden Mechanosensibi-
Fasern der dort liegenden Perlkaryen (2. Neuron) lität gelangen die zentralen Fortsätze der 1. Neu-
erreichen als Fibrae cuneocerebellares über den Pe- rone zum Nucleus spinalis nervi trigemini, der
dunculus cerebellaris inferior das Kleinhirn. die 2. Neurone enthält. Deren Axone (Tractus
trigeminothalamicus Iaterans) kreuzen zur Ge-
11 .2.4 Das Trigeminussystem genseite und lagern sich dem Tractus spinotha-
lamicus anterior an. Weitere Verschaltungen
<I> entsprechen denen der fein diskriminierenden
~4~ Die trigeminalen Bahnen, die somato- Mechanosensibilität.
senslble Informationen aus dem Kopfbereich lei-
ten , entsprechen ln vielen Punkten den sensiblen 11.2.4.2 Nozizeption
Bahnen aus dem übrigen Körper. So ist der lem- Die Leitung von Schmerzsignalen erfolgt im Prinzip
niscus trigemin.'lis mit dem lemniscus medialis wie die der grob diskriminierenden Mechanosensi-
vergleichbar. Beide vermitteln mechanorezeptlve bilität. Die Perikarya der 2. Neurene liegen im Nu-
Informationen. Wenn Sie sich diese Parallelen deus spinalis nervi trigemini.
klarmachen, können Sie sich die Besonderheiten
des trigeminalen Systems besser einprägen. Wie- 11.2.4.3 Propriozepti on
derhol en Sie ggf. vor Lektüre dieses Abschnitts Bei der trigeminalen Propriozeption gibt es eine
die Trigeminuskerne (s. S. 111) und den Nervus Besonderheit: Die pseudounipolaren Perikarya der
trigeminus mit seinen Hauptästen (s. S. 62). 1. Neurone liegen nicht im Ganglion trigeminale.
sondern sind ins Mittelhirn .. verlagert": in den Nu-
Die Signalweiterleitung aus Exterozeptoren (Me- deus mesencephalicus nervi trigemini.
chane-, Thermo- und Nozizeptoren) des Kopfes Die peripheren Fortsätze aus der Kaumuskulatur
( Haut, Schleimhäute und Zähne) und aus Proprio- (und auch aus dem Kiefergelenk) gelangen mit der
zeptoren des Kopfes (besonders aus Kaumuskeln. Radix motoria in den Pons und ziehen dann als
Kiefergelenk und Zähnen) erfolgt über die Radix Tractus mesencephalicus nervi trigemini zum Nu-
sensoria ( Portio major) des N. trigeminus. efeus mesencephalicus ( keine Umschaltung! ). Die
zentralen Fortsätze der pseudounipolaren Nerven-
11.2.4.1 Mechanore.z eption zellen des Nucleus mesencephalicus gelangen zu
Die Perikarya der Primärafferenzen liegen im Gan- den Motoneu ronen des Nucleus motorius nervi tri-
glion trigeminale, das aus pseudounipolaren Ner- gemini.
venzellen besteht und einem Spinalganglion ent-
21 0 11 Funktionelle Systeme Das visuelle System
Einseitige Schädigung des N. optlcus ..... Erblin- Das M-System. das für die Erkennung von Bewe-
dung des betroffenen Auges (Amaurose). gungen verantwortlich ist. nimmt einen parietal-
Mittlere Schädigung des Chiasma opticum (z. B. frontalen Weg (VS ) und endet im frontalen Augen-
durch einen raumfordernden Tumor der topogra- feld (Area 8). das konjugierte Augenbewegungen
phisch eng benachbarten Hypophyse) ..... Schädi- für das Verfolgen von bewegten Objekten steuert.
gung der im Chiasma optlcum kreuzenden fasern, Die VS-Projektion ist dabei eine sensorische Rück-
die aus den nasalen Retinah~lften belder Augen kopplung für das frontale Augenfeld.
stammen. Da auf der nasalen Retinahälfte jedes
Auges die jeweils temporale Gesichtsfeldhälfte ab-
gebildet Ist, werden letztere nicht mehr wahrge- l..lsion in VS: Statt kontinuierlicher Bewegungen wird
nommen (d. h. vom rechten Auge die rechte und eine unterbrochene Abfolge von Einzelbewegungen
vom linken Auge die linke Gesichtsfeldhälfte --> wahrgenommen (Bewegungsagnosie).
unterschiedliche Gesichtsfeldhälften): heteronyme
bitemporale Hemianopsie • .Scheuklappenphäno-
Das P-System, das für die Wahrnehmung von Far-
men·.
ben und Form (insbesondere komplexer Struktu-
Einseitige Schädigung des Tractus opticus -+ Aus-
ren) zuständig ist. nimmt einen temporalen Weg
fall der Fasern aus der temporalen Retinahälfte
(V4 ) in den unteren temporalen Kortex (Area 20.
des ipsilateralen Auges und der fasern aus der na-
21 ).
salen Retinahälfte des kontralateralen Auges. Das
bedeutet einen Ausfall derselben Gesichtsfeldhälfte
(rechte oder linke Hälfte) belder Augen: homo-
nyme Hemianopsie. Läsion in V4: Hierbei kommt es zu Fehlfunktionen
der Farb- und Formwahrnehmung (z. B. ist das Erken-
nen von Gesichtern gestört).
Eine strikte Punkt-zu-Punkt-Verbindung existiert
auch im M- und P-System (s. Retina. S. 247). Diese
beiden Systeme sind für unterschiedliche Funktio-
11.3.3 Weitere visuelle Untersysteme
nen im Rahmen des Sehprozesses zuständig: Infor-
Neben dem rerino-genikulo-kortikalen System gibt
mationen zur Bewegungserkennung verlaufen über
es weitere visuelle Systeme, dte ihre Funktionen
das M-System. während Farb- und Formerkennung
unbewusst erfüllen:
den Weg über das P-System nutzen. Dabei bilden
- retlno-prätektales System: stehe opusehe Re·
rerinale M-Zellen synapttsche Kontakte in großzel-
Oexe
ligen (magnozellulären) Schichten des CGl wäh-
- retlno-tektales System: Retina - Nervus und
rend rerinale P-Zellen in kleinzellige (parvozelluiJ-
Tractus opticus -+ Colhculus supenor (s. S. 101 )
re) Schichten proJizieren. Nach Umschaltung in
ftir die unbewusste (renexartige) Steuerung von
verschiedenen Unterschichten der Lamina IVc im
Augen- und Kopfbewegungen zur Ftxierung be-
primär visuellen Kortex (VI ) wird die Information
wegter Objekte
aus dem P-System zu Pyramidenzellen in Lamina II
retlno-hypothalamlsches System: Synchronisie-
und 111 weitergeleitet. Diese Pyramidenzellen sind
rung der zirkadianeo Rhythmik (s. Nucleus su-
entweder zu rundlichen Flecken angeordnet
prachiasmaticus des Hypothalamus. S. 136. und
(.. Biobs" .... Farberkennung) oder liegen als .lnter-
Epiphyse. S. 140)
blobs" (..... Formerkennung) dazwischen.
akzessorisches optisches System: Retina -+ Ner-
Die darauffolgende Informationsverarbeitung findet
vus und Tractus opticus ..... Tegmentum mesen-
im sekundären visuellen Kortex (V2 ) sowie in wei-
cephali (Nuclei terminales tractus optici) _,
teren nachgeschalteten kortikalen Arealen V3 (ter-
Nuclei vestibulares für die Steuerung des optokl-
tiärer visueller Kortex). V4 und VS statt V4 und VS
netlschen Nystagmus: Beispielsweise folgt das
liegen außerhalb des Okzipitallappens und sind ge-
Auge beim Blick aus dem Zugfenster während
trennte Zentren fOr das P- und M-System.
der Fahrt einem Gegenstand mit relativ langsa-
11 Funktionelle Systeme Das visuelle System 21 3
des Nucleus nervi ocu lomotorii) - Kern des M. 11 .4 Das auditarische System
recrus medialis ( • Konvergenz) sowie Nuclei ac-
~
cessorii nervi oculomororii ( nach Umschaltung im
Ggl. ciliare _. Nahakkomodarion und Pupillenver- ...... Lerncoach
engung/Miosis). Oie Weiterleitung akustischer Signale bis
zum Kortex ist aufgrund der unterschledll·
chen Anzahl und Anordnung der betelllgten
Absolute Pupillenstarre: Diese Form gestorter Pupil· Neurone samt ihrer Faserkreuzungen recht
lomot orik ist meist durch eine Schädigung des N. komplex. lassen Sie sich dadurch nicht ver-
oculomotorius bedingt (z. B. 1m Bere1ch der Fissura or- wirren, sondern achten Sie besonders auf die·
bitalis superior). jenigen Stationen der Hörbahn, ln denen im-
Kennzeichen sind: mer eine Umschaltung stattfindet.
- Ausfall der direkten Lichtreaktion auf der Seite der
Schädigung 11.4.1 Der Überblick
keine konsensuelle Lichtreaktion auf der Seite der Akustische Signale aus dem Corti-Organ werden
Schädigung bei lichteinfall in das kontralaterale über ei ne Kette von Neuronen (Hörbahn) zur Hör-
(gesunde) Auge rinde in den Gyri tempora les transversi (s. S. 154)
1 Gyrus temporalis
transversus (Heschl)
2 Radiatio acustica
3 Corpus geniculatum
mediale (CGM)
4 Brachium colliculi
inferioris
5 Colliculus inferior
2 6 lemniscus lateralis
7 Corpus trapezoideum
8 Striae acusticae dorsales
9 Cochlea
3 10 Nd. cochlearis posterior
14 11 N. cochlearis
4 12 Nd. cochlearis anterior
13 13 Ncll. olivares superiores
5 14 Ncll.lemnisci lateralis
6
12
7
11
8
10
9
Abb. 1 1.6 Stationen der Hörbahn (Ansicht auf den Hirnstamm von dorsal nach Entfernung des Kleinhirns)
Im indirekten Teil der Hörbahn erfolgen darüber über dem Mastoid lassen sich die Hirnstammpoten-
hinaus weitere Umschaltungen z. T. im oberen ziale nachweisen. die mit kurzer Latenz nach einem
Olivenkomplex (ipsi- und kontralateral ) und in den akustischen Reiz auftreten. Dabei wird eine typische
Nuclei lemnisci lateralis. Kurve mit Wellen ableitbar, die in den Stationen der
Während im direkten Teil insgesamt nur eine Kreu- Hörbahn (Nucleus cochlearis, oberer Olivenkomplex.
zung vorhanden ist. kreuzen Fasern des indirekten lemniscus lateralis und Colliculus inferior) entstehen.
Teils z. T. im Corpus trapezoideum und wieder zu- Oie Bestimmung der Hirnstammpotenziale wird z. B.
rück in der Decussario lemniscorum lateralium. durchgeführt:
Alle Axone vom Colliculus inferior (der Vierhügel - bei Neugeborenen und Kindern zur Bestimmung
platte) zum Corpus geniculatum mediale (medialer der Hörschwelle
Kern der Kniehöcker des Metathalamus) bi lden das bei Hirnstammläsionen
Brachium colllculi inferioris. Vom Corpus genicula- im Rahmen einer Begutachtung (bei Verdacht auf
tum mediale geht die Radiatio acustica aus. die Simulation).
durch die Pars sublenticularis der Capsula interna
(s. 5.162) zur primären Hörrinde zieht. Durch die Kreuzung des etwas größeren Teils der
Fasern innerhalb der Hörbahn und dem ipsilatera-
len Verlauf der restlichen Fasern ist die Vorausset-
Akustisch evozierte (Hirnstamm-)Potenzlale (AEP): zung für das Richtungshören ( räumliche Lokalisa-
Wie beim Elektroenzephalogramm (EEG) werden die tion der Schallquelle). Dabei spielt der obere
auditorisch evozierten Potenziale an der Schädelo· Olivenkomplex. der als erste Station der Hörbahn
berfläche mittels Elektroden registriert. Signale von beiden Ohren erhält. eine wichtige Rol-
Mittels Oberflächenelektroden auf dem Scheitel und le. Kommt ein Schall von links. erreicht er das linke
216 11 Funktionelle Systeme Das auditarische System
1111
• Axone des 5. Neurons ..... Corpus geniculatum mediale
(-+ Umschaltung auf das 6. Neuron)
• Axone des 6. Neurons -+ Hörrinde
nach Kreuzung (Corpus t rapezoideum) -+ Verlauf durch oberen entweder:
Olivenkomplex (im Lemniscus lateralis) ohne Umschaltung -+ • Axone des 3. Neurons ..... Colliculus inferior (-+ Umschaltung
Nett. lemnisci lateralis (Schleifenkernkomplex, dort Umschal- auf 4. Neuron)
tung auf das 3. Neuron). • Axone des 4. Neurons -+ Corpus geniculatum mediale
( -+ Umschaltung auf 5. Neuron)
• Axone des 5. Neurons -+ Hörrinde
oder:
• erneute Kreuzung der Axone des 3. Neurons in der Decussa·
tio lemniscorum l ateralium ... Nudei lemniscl lateralis
(wieder ipsilateral; -+ Umschaltung auf 4. Neuron)
• Axone des 4. Neurons -+ im Lemniscus lateralis zum
Colliculus inferior (Umschaltung auf 5. Neuron)
• Axone des S. Neurons-+ Corpus geniculatum mediale
(Umschaltung auf 6. Neuron)
• Axone des 6. Neurons -+ Hörrinde
• Oberer Olivenkomplex • Nudel ohvares super1ores oder Nudtl corporis trapezokl~
Ohr früher als das rechte (Laufzeitdifferenz) und sondern auf bestimmte Merkmale eines Schall-
der Schalldruck ist im linken Ohr höher als im musters. z. B. Ampli tudenänderung ( Lautstärkenän-
rechten (Pegeldifferenz). derung). Frequenzzunahme oder Frequenzabnah-
Die frequenzspezifische Aktivität der Ganglienzel- me.
len im Ganglion cochleare wird auf die nachfolgen-
den Stationen der aufsteigenden Hörbahn übertra- 11 .4.3 Die Kollat eralen der Hörbahn
gen: Von den Kochleariskernen bis zur Hörrinde Von der Hörbahn gehen auf unterschiedlichen Hö-
lässt sich eine Tonotopie nachweisen. Beispiele für hen Kollateralen ab:
diese tonotope Ordnung sind: zur Formatio reticularis -> Akrivierung des ARAS
Nuclei cochleares: hohe Frequenzen mehr dorsal ( s. S. 104) -> Weckreaktionj Korrexaktivierung
Colliculus inferior: hohe Frequenzen mehr me- zu Augenmuskelkernen (über den Fasciculus
dial longitudinalis medialis) und Colliculus superior
auditarischer Kortex: hohe Frequenzen mehr (aus Colliculus inferior. s. S. 102) -> reflektori-
hinten-medial. sche Augen-. Kopf- und Rumpfbewegungen (Zu-
Viele Neurone in den Stationen der Hörbahn rea- oder Abwendung) auf einen akustischen Reiz
gieren nicht nur auf charakteristische Frequenzen. hin
11 Funktionelle Systeme Das vestibu läre System 217
zu motorischen Abschnitten der Nuclei nervi tri- Perikarya sind im Ganglion vestibulare lokalisiert,
gemini und nervi Facialis -+ Kontraktion des M. das sich am Boden des inneren Gehörganges befin-
tensor tympani und des M. stapedius (Schutzre- det
nex. s. s. 236). Die zentralen Fortsätze der 1. Neurone bilden den
N. vestibu laris des VII I. Hirnnervs (N. vestibulo-
<I>
cochlearis). in den Nuclei vestibulares erfolgt die
AW... Check-up
Umschaltung der afferenten Fasern au f das 2. Neu-
v Wiederholen Sie die obligaten Umschalt-
ron:
stellen der Hörbahn.
Ncl. vestibularis superior ( Bechterew): Signale
v Machen Sie sich nochmals klar, wie das
aus den Bogengängen
Richtungshören erfolgt.
Ncl. vestibularis medialis (Schwalbe): ebenfalls
Signale aus den Bogengängen
Nd. vestibularls Inferior (Roller): Signale aus
11.5 Das vestibuläre System
Sacculus und Utricu lus
•
A... Lerncoach
Wenn Sie sich an dieser Stelle informieren
wollen, wie eine Lageveränderung oder
Ncl. vestibularis lateralis (Deiters): erhä lt vor-
nehmlich Afferenzen aus dem Kleinhirn.
~
..... Lerncoach
11.5.2.3 Die funktionell e Bedeutung
der vestibulären Verschaltungen Durch den Vergleich von olfaktorischem und
Die Verschaltungen der Vestibulariskerne dienen gustatorischem System können Sie sich noch·
der Kontrolle der Augenmuskeln: Die Augäpfel mals den Unterschied zwischen primären und
werden bei verschiedenen Kopfhaltungen immer sekundären Sinneszellen klarmachen (s. auch
so ausgerichtet, dass ein aufrechtes Bild auf der Kapitel 1, S. 6).
Retina entsteht
- der Koordination der Haltung von Kopf, Körper 11 .6.1 Der Überblick
und Extremitäten __, Gleichgewichtserhaltung, Das olfaktorische und das gustatorische System
aufrechter Gang vermitteln über chemische Sinnesorgane ( Riech-
der Bewegungskoordination: Das Kleinhirn be- schleimhaut und Geschmacksknospen s. S. 253 und
nötigt die vestibulä ren Informationen für die 254) aufgenommene Signale. die bei der Nahrungs-
motorische Koordination (s. auch S. 119 und aufnahme nicht nur über den Genuss entscheiden.
S. 204). sondern auch eine Warnfunktion übernehmen kön-
nen. So werden verdorbene Speisen oft bereits am
Geruch erkannt und die Genießbarkeit kann zu-
sätzlich schnell und zuverlässlich durch das Ge-
Zentral bedingte vestibuläre Störungen: Schwindel schmacksorgan überprüft werden. Zudem können
und Gleichgewichtsstörungen können auch Ursachen beide Sinnessysteme emotionale Verhaltensweisen
im ZNS haben. Die häufigste Ursache ist eine Durch- hervorrufen.
blutungsstörung im Himstammbereich. jedoch Die Riechbahn beginnt mit primären Sinneszellen
können dieses Symptome auch z. B. bei Multipler in einer umschriebenen Region der Nasenschleim-
Sklerose auftreten (meist mit retrokochleärer haut (Regio olfacroria) und führt über den I. Hirn-
Hörstörung). Es treten dann Veränderungen des opto- nerv (N. olfactorius), Tractus und Bulbus olfactorius
kinetischen Nystagmus auf. ln der Kernspintomogra- zu verschiedenen telenzephalen Kortex- und Kern-
phie sind demyelinisierte Bereiche im Hirnstamm gebieten und wird als einziges sensorisches System
nachweisbar und die Ableitung akustisch evozierter nicht im Thalamus umgeschaltet.
Potenziale kann die Diagnose weiter bestätigen. Die Geschmacksfasern ziehen über verschiedene
Hirnnerven (VII. IX und X) zum Nucleus tractus so-
<I> litarius im Hirnstamm.
..• ... Check·up
Rekapitulieren Sie, wodurch sich der Nd. 11.6.2 Da s olfaktorische System
vestibularis lateralis von den anderen Vesti-
bulariskernen unterscheidet. 11.6.2.1 Die Funktionen des olfaktorischen
Systems
Bei vielen Tieren spielt das Geruchssystem eine
wesentliche Rolle bei der Nahrungsaufnahme. beim
Verhalten und bei der Reproduktion. Sie besitzen
folglich große Areale des Endhirns. die für die Ge-
ruchswahrnehmung verantwortlich sind (sog. Ma-
krosmatiker). Beim Mikrosmatiker (Mensch) wer-
den die o.a. Funktionen z.T. von anderen
Sinnesorganen übernommen (Sehen, Hören). Trotz-
dem ist der Geruchssinn auch beim Menschen von
11 Funktionelle Systeme Das olfakt orische und das gust at orische Syst em 219
ln der Stria olfactoria lateralis verlaufen die Axone Der Cortex periamygdaloideus gehört zum Mandel-
zur Area prepiriformis (Teil des Gyrus olfactorius kern komplex (s. S. 159). Hier bekommt das olfakto-
lateralis) und zum Cortex periamygdaloideus rische System direkten Anschluss an das limbisehe
( s. Abb. 11.8). System und - über Verbindungen des Corpus
Die Area prepiriformis (3-schichtiger Rindenauf- amygdaloideum mit dem Hypothalamus - auch an
bau ) wird manchmal auch als primäre Riechrinde das vegetative System.
aufgefasst. D.h. das Riechsystem ist das einzige Sowohl aus der Regio prepiriformis als auch aus
sensorische System, das primär nicht über eine dem Cortex periamygdaloideus ziehen Fasern zu
Umschaltung im Thalamus zum Kortex gelangt. den Nuclei mediales tha lami; von dort verlaufen
dann Projektionen zum orbitafronta len Kortex.
ln der Stria olfactoria medlalis verlaufen die Axone
zu den Nuclei septales (und zu einem beim Men-
....--- 1
schen allerdings kaum ausgebildeten Tuberculum
~-- 2
ol factorium).
~-- 3
Von den Nuclei septales bestehen Verbindungen zu
~-- 5
den Habenulae und zur Hippokampusformation.
."...__ _ _ 9
11.6.3 Das gustatorische Syst em
.' J'--.--- 10
Die Geschmackssinneszellen sind sekundäre Sin-
•""----- 11 neszellen (ohne eigenes Axon). Ihre Rezeptorpo-
~---- 12
tentiale erregen über Synapsen (Transm itter:
1 Bulbus olfactorius 9 Chiasma optlcum Glutamat) Geschmacksfasern (speziell viszerosen-
2 Tractus olfactorius 10 lnfundibulum sorisch), die drei Hirnnerven zugeordnet werden
3 Stria olfactoria medialis 11 Corpus mammillare können (Tab. 11.2).
4 Substantia perforata 12 Mesencephalon
anterior Die zentralen Fortsatze des ersten Neurons errei-
5 Trigonum olfactorium chen die unteren Teile der lang gestreckten Nuclei
6 Stria olfactoria lateralis
7 Cortex periamygdaloideus tractus solitarii im Hirnstamm.
8 Area prepiriformis Hier werden die Fasern auf das zweite Neuron der
Abb. 11.8 Olfaktorische kortikale Areale in der Ansicht von Geschmacksbahn umgeschaltet. Die Axone des
basal zweiten Neurons steigen hauptsächlich ipsilateral
I Tab~llr 11.3
Nervensystem funktionell eng mit dem somati- gllonären Neurone. die i hre Axone zu den Erfolgs-
schen Nervensystem verknüpft. Die zentralen An - organen schicken.
teile 1m Ruckenmark sind Renexzentren. wie z. B. Bei den Viszeroefferenzen lassen sich im klassi-
das Centrum vesJCospinale für die Regulation der schen Sinn zwei uncerschredliche funktionelle Sys-
Hamblasenentleerung. teme unterscheiden:
Eine Besonderheit des peripheren vegetativen Ner- Das sympathische und das parasympathische Sys-
vensystems isr. dass außerhalb des ZNS Schalmei- tem wirken uberw1egend antagonistisch
Jen (in Form von Ganglien) vorkommen. Das be- (s. Tab. t 1.3) und unterscheiden sich in
deutet. dass der efferente Schenkel aus zwei der Lage der Ganglien. d. h. länge der prä- und
aufeinander folgenden Neuronen besteht. Die Peri - postsynaptischen Axone
karya der prägangllonären Neurone liegen im ZNS; dem Transmitter der postganglionären Neurone
ihre Axone ztehen zu den peripheren vegetativen der Funktion.
Ganglien. Dort liegen die Perikarya der postgan-
11 Funktionelle Systeme Das vegetative Nervensystem 223
Der Holsteil des Truncus sympothicus Miosis (= Pupillenverengung durch Lähmung des
Die Zervikalganglien stehen in topographi sch enger M. dilatator pupillae)
Beziehung zur tiefen Schicht der Halsfaszie ( Lami- Ptosis (• herabhängendes Augenlid durch Ausfall
na prevertebralis faSCJae cervicahs). Sie entsenden des M. tarsalis)
postganglionäre Fasern. die häufig (ohne Umschal- Enophthalmus (• Aspekt des eingesunkenen Aug·
tung I ) durch die Kopfganglien (s. S. 57) hmdurch apfels).
ziehen und mit den Blutgeflißen zu ihren Erfolgsor-
ganen ziehen.
Vom Ganglion cervlc~le superius Ziehen Fasern Der Brustteil des Truncus sympothicus
zum Auge. zu Tranen - und Speicheldrllsen. zu Aus den oberen Thorakalganglien (2.-5.) schließen
Kopfgeflißen und z. B. auch zur Epiphyse (s. S. 140). sich postganglionäre Fasern Gefaßen an, um die s1e
Die Fasern begleiten als dunnes Genecht (Plexus Genechte bilden und somit penarteriell zu ihren
caroticus internus aus dem N. caroucus internus) Zielorganen gelangen. Dort bilden sie zusammen
die A. caroris interna und ein Te1l ihrer Äste (z. B. mit Viszeroefferenzen und -afferenzen des N. vagus
A. ophthalmica). Weitere Efferenzen gelangen (s. S. 69ff) organnahe gemischte Plexus:
ebenfalls periarteriell zu den Halsorganen und als Rr. cardiaci thoracici -+ zum Plexus cardiacus
N. cardiacus cervicalis Superior zum Plexus cardia- Rr. pulmonales rhoracici -+ zum Plexus pulmo-
cus des Herzens. nalis am Lungenhilum
Rr. oesophageales thoracici - zum Plexus oeso-
phagealis.
Der Halsteil des Truncus sympathlcus liegt auf oder Aus Ästen der Grenzstrangganglien 5- 9 entsteht
im Bindegewebe der Lamina prevertebralis fasciae der N. splanchnlcus major, der überwiegend prä-
cervicalis. ganglionäre Fasern enthält (daneben auch einige
postganglionäre und afferente Fasern). Er zieht seit-
lich an der Wirbelsäule nach kaudal und tritt rechts
Fasern aus dem Ganglion cervlcothoracicum ziehen
mit der V. azygos und links mit der V. hemiazygos
zu Ästen des Plexus brachialis. zum Plexus pulmo-
im medialen Teil durch das Zwerchfell. Dann ver-
nalis und als N. cardiacus cervicalis inferior zum
läuft er zu prävertebralen Ganglien (z. B. Gangha
Herz. Sie bilden feine Genechte um die A. subclavia
coeliacae. s. u.). wo die Umschaltung von pragan-
(Ansa subclavia) und einen Teil ihrer Äste.
glionären auf posrganglionäre Neurone erfolgt.
Der N. splanchnicus minor entsteht aus Ästen des
10. und 11. Brusrganglions. Seme Faserzusammen-
Stellatumblockade: Durch Blockade oder auch ander- setzung entspricht der des N. splanchmcus major.
weitige Schad1gung des Gangl1on stellatum (z. B. und er z1eht ebenfalls se1thch an der W1rbelsdule
durch einen sog. Pancoast·Tumor an der Lungenspit- nach unten. Zusammen mit dem Truncus sympa-
zel kommt es zu einem Ausfall der sympathischen thicus gelangt er durch das Zwerchfell. um we11er
Versorgung in den genannten lnnervationsgebieten zu den prävertebralen Ganglien zu ziehen.
(Hautgefaße, Schweißdrüsen und Mm. arrectores pilo-
rum am Arm; Herz; Auge). Da auch Viszeroafferenzen
auf dem Weg zum Spinalnerv (ohne Umschaltung!)
Die organnahen Plexus in der Brusthöhle sind ge·
durch die Grenzstrangganglien ziehen, kann auch die
mischte Plexus. So enthält z. B. der Plexus pulmo·
sensible Organversorgung mit beeinträchtigt sein.
nalis neben efferenten Sympathikusfasern (-
Die Augensymptome erklären sich dadurch, dass die
Bronchodilatation und Vasokonstriktlon) auch in
im Ganglion cervicale superius umgeschalteten Fasern
Ästen des N. vagus verlaufende Vlszeroefferenzen
zunächst durch die belden unteren Zervikalganglien
(-> Engstellung der Bronchien) und Viszeroafferen·
hindurchziehen. So kann es bei Schädigung des Gan·
zen aus Dehnungsrezeptoren (s. Hering-
glion stellatum zum Homer-Syndrom kommen. das
Breuer·Reflex, S. 103).
durch folgende Symptomentrias gekennzeichnet ist:
11 Funktionelle Systeme Das vegetative Nervensystem 225
26 1
25 2
24
23 4
5
22 6
21 7
8
10
18 11
17 12
16
13
15
14
Eine wichtige Rolle für die Bildung von Gedächtn is- ..• ... Check-up
inhalten spielen die komplexen Verschaltungen im V' Wiederholen Sie den Erregungsweg Im
Happocampus (s. S.l65~ Papez-Kreis.
Klinischer Fall
Schwindel im Supermarkt .Mir ist irgendwoe schlecht. Alles dreht sich auf eon·
mal", sagt er hilfesuchend. Um nicht zu sturzen. woll
sich der 45-Jährige am Regal festhalten. Dabe1 greoft
er prompt am Regalgestell vorbei. Seine Hand landet
in den wohlgeordneten Konserven, die im nächsten
Moment mit einem lauten Krach auf den Boden fal·
len. Als Martha zur Hilfe herbeigeeilt kommt. sieht
sie, dass Uwe stark schwollt und dass er sich kaum
auf den Beinen halten kann. .Ich habe so ein lautes
Ohrensausen. Das ist ganz komisch", sagt ihr rreund.
Schon im nächsten Moment lässt er sich in doe Arme
von Martha fallen.•Sorry. aber alles dreht soch. Ich
kann nicht alleine stehen.·
M1th1lfe einer Frenzei·Brille, die eine optiSChe Fixation verhtn· Als der Rettungsdienst im Supermarkt eintrifft, geht
dert sow1e d1e Augen vergroßen und beleuchtet. 1st etne es dem Mann immer noch schlecht. Selbst im Sitzen
besst-rt' Beobachtung des Nystagmus mogltch.
fallt Uwe ständig hin. Setn Körper stürzt dabei immer
auf die hnke Seite. Nur om Uegen kann der 45·Jahrige
Im Innenohr liegen zwei wichtige Sinnescwgane den Schwindel ertragen. Zum Ohrensausen gesellt
des Menschen: das Hör· und das Glekhgewichtsor- sich jetzt ein starkes Druckgefühl auf dem linken Ohr.
gan. Für den Hörvorgang ebenfalls von Bedeutung
sind das äußere Ohr und das Mittelohr (Schalllel- Typische Symptomkonstellation
tung und -umwandlung). Die Unterscheidung, ob Im Krankenhaus hat die Assistenzärztin Dr. Evelyn L.
eine Höntörung im Mittelohr, Im Innenohr oder Im große Schwierigkeoten, den Patienten zu untersu-
weiteren Vertauf der H6rbahn Ihre Ursache hat, Ist chen. Der Schwindel des Mannes verstärkt sich bei je-
nicht Immer einfach. Da das Innenohr aus dem der Koplbewegung. Die Arztin st ellt bei dem Patien·
Gehör· und dem Gleichgewichtsorgan besteht, t en einen Drehschwindel, eine Fallneigung 1ur linken
können bei Innenohrerkrankungen nicht nur Seite sowie einen Spontannystagmus fest, der mit
Gehörstörungen, sondern auch Symptome wie seiner kurzen Komponente nach links ausschlägt - zu
Schwindel und Übelkelt auftreten. Wie etwa bei derselben Seite. auf der Uwe W. das Druckgefuhl im
Morbus Menlere: Die Erkrankung Ist durch Hörver· Ohr verspürt. Der 45-jahrige gibt auch an, auf der lon-
luste und anfallsweisen Schwindel gekennzeichnet. ken Seite schlechter zu hören als auf der rechten.
Die Symptome erklän man sich durch einen Hy· lahmungen oder Sensibtlttiltsstörungen be~tehen
drops der Endolymphe Im lnnenohr. Im Intervall nicht. Der Blutdruck ost normal, der Puls mot 54
zwischen den Anfällen kann es zu einer langsam Schlägen pro Minute etwas verlangsamt. Wdhrend
fon schreltenden, meist einseitigen Schwerhörig· frau Dr. l. den Rettungsdoenst·Bericht liest, oberlegt
kelt kommen. sie: .Aus heiterem Himmel aufgetretener stc1rker
Drehschwindel. Ohrensausen. Brechreiz, Schweißaus-
Alles dreht sich bruch. Bei den Symptomen könnte es sich um die
.Lass uns doch noch Zucchom fur die Gemusesoße Erstmanifestation eines Morbus Meniere handeln."
kaufen·, sagt Uwe zu semer Freundin Martha. Am
Gemusestand im Supermarkt wahlen die beiden das Therapieziel: Schwlndelbeklmpfung
schonste Zucchini-Exemplar aus.•Aber bitte mit Bio- Um den Patienten von seinem Schwindel zu befreien.
Siegel!" lacht Martha. Sie macht sich oft darüber verordnet ihm die Arltln sofort nach der Untersu·
lustig, dass Uwe so ein absoluter Öko-Fanatiker ist. chung das Antivertiginosum Dimenhydrinat I. v. Die
Die Zucchini ist ausgesucht. Uwe und Martha mar· weiteren Untersuchungen des Gehörs und des Gleich·
schieren gemeinsam on Rochtung Kasse. Doch gewichts will sie durchführen. wenn der Schwondel
plotthch bleibt Uwe stehen. Seon Gesicht wird blass. des Patienten etwas nachgelassen hat.
12 Sinnesorgane Das Ohr mit Hör- und Gleichgewichtsorgan 231
~
..... Lerncoach
Während das Innenohr die Sinneszellen von Hör-
und Gleichgewichtsorgan beinhaltet, sind äußeres
Sowohl für das Hören als auch für das Erfas- Ohr und Mittelohr nur für den Hörvorgang von Be-
sen von Bewegungen und der Lage des deutung (-> Schallleitung und lmpedanzanpas-
Kopfes im Raum ist die Aufnahme von me- sung. s. S. 23S).
chanischen Reizen und deren Umwandlung in
elektrische Reize erforderlich. Diese Funktio-
nen werden von Strukturen des kompliziert 12.1.2 Das äußere Ohr (Auris externa)
gebauten Ohres erfüllt. Konzentrieren Sie
sich beim lesen dieses Kapitels in erster Linie 12.1.2.1 Die Ohrm uschel (Auricula)
auf das lnnenohr, das die Sinneszellen von Die Ohrmuschel ist eine trichterförmige Hautfalte.
Hör- und Gleichgewichtsorgan enthält. Ihre Form wird durch elastischen Knorpel (= stüt-
Achten Sie bel den anderen beiden Abschnit- zendes Gerüst) aufrechterhalten. Nur das Ohrläpp-
ten des Ohres darauf, auf welche Weise sie chen ist knorpelfrei.
jeweils zur Verbesserung der Hörfunktion Der äußere. gebogene Rand der Ohrmuschel ist die
beitragen. Helix. Vor ihrem hinteren Teil liegt - durch eine
Rinne (Scapha) abgetrennt - die bogenförmige An·
12.1.1 Der Überblick thelix. deren untere Fortsetzung als Antltragus be-
Das Ohr befindet sich lateral am bzw. im Os tem- zeichnet wird. Der Tragus ist ein flächenhafter Vor-
porale des Schädels. Es gliedert sich in folgende sprung. der sich von vorne vor die Öffnung des
Abschnitte: äußeren Gehörgangs legt. Weitere anatomische
Äußeres Ohr (Auris extema): Ohrmuschel und Strukturen sind Abb. 12.1 zu entnehmen.
äußerer Gehörgang tragen zum Richtungshören
232 12 Sinnesorgane Das Ohr mit Hör- und Gleichgewichtsorgan
111
8 Crus anterius
Schleimhaut ausgekleideten Cellulae mastoideae
entstehen durch Pneumatisierung des Processus Abb. 12.4 Kette der Gehörknöchelchen
mastoideus nach der Geburt. Ihre enge topographi-
sche Beziehung zum Sinus sigmoideus ist aufgrund
der Ausbreitungsmöglichkeit von Entzündungen
kl inisch relevant (s. S. 195). - Die Fläche des Trommelfells ist etwa 17-mal
größer als die des ovalen Fensters (Fenestra ves-
12.1.3.2 Die Gehörknöchelchen und ihre tibul i).
Verbindungen Durch die unterschiedlich langen Hebelarme
von Hammer und Amboss wird eine weitere
Die Funktion der Gehörknöchelchen
etwa 1.3-fache Verstärkung erreicht.
Die Gehörknöchelchen { Hammer = Malleus. Am-
boss • lncus und Steigbügel = Stapes. Abb. 12.4} bil- Der Hammer (Mo/leus)
den durch gelenkige Verbindungen eine Kette. Dar- Der Hammer ähnelt einer Keule mit Handgriff (Ma-
über werden die durch Schallwellen verursachten nubrium mallei) und kugelförmigem Hammerkopf
Schwingungen des Trommelfells am ovalen Fenster (Caput mallei), der auf seiner Hinterfläche eine sat-
auf ein wässriges Medium (Perilymphe in der Scala teiförmige Gelenkfläche besitzt. Das Caput l iegt im
vestibuli des l nnenohrs) übertragen. Epirympanon. Zwischen Manubrium und Kopf liegt
hinter der Pars flaccida des Trommelfells das
schmale Collum mallei. Kopf und Hals sind gegen-
Ausgehend vom Trommelfell erfolgt die Schall- über dem Hammergriff um etwa 130• abgewinkelt.
übertragung im Mittelohr über: Hammer (Malleus) Das Manubrium ist in der Stria mallearis des Trom-
.... Amboss (lncus) .... Steigbügel (Stapes) melfells eingewoben.
-+ ovales Fenster (Fenestra vestibuli). Der Amboss (lncus)
Der Amboss setzt sich aus dem abgeflachten Kör-
Zusammen mit dem Trommelfell bewirken die Ge- per (Corpus incudis) und zwei Schenkeln (Crus lon-
hörknöchelchen dabei eine insgesamt 22-fache Ver- gum und Crus breve) zusammen. Am Corpus. das
stärkung der Schall wellen {lmpedanzanpassung). im Epitympanon liegt, findet sich auf der Vorder-
Dafür sind folgende Gegebenheiten verantwortlich: seite die satteiförmige Gelenkfläche für den Harn-
236 12 Sinnesorgane Das Ohr mit Hör- und Gleichgewichtsorgan
mer. Das Crus breve weist horizontal nach hinten. 12.1.3.3 Oie Muskeln des Mittelohrs
Das Crus longum verläuft senkrecht hinter und par- Beide Muskeln des Mittelohrs setzen an den Ge-
allel zum Hammerstiel abwärts. Es besitzt ein klei- hörknöchelchen an, vermindern über verschiedene
nes Endstückchen. den Processus lenticularis, der Mechanismen die Schallwirkung auf die Gehörknö-
rechtwinklig nach medial umbiegt, um mit dem chelchen und werden von unterschiedlichen Ner-
Steigbügel zu artikulieren. ven innerviert.
Gefäße
Mittelohrentzündung (Otitis medla): Bei Entstehung Mit einer Ausnahme (Aa. caroticorympanici aus der
der verschiedenen Formen der Mittelohrentzündung A. Carotis intema) erfolgt die arterielle Versorgung
spielt die Tuba auditiva eine wesentliche Rolle. des Mittelohrs über Arterien aus Ästen der A. caro-
Die Otitis medla acuta. eine akut e Entzündung der tis extema (Aa. tympamca anterior. inferior. supe-
Paukenhöhlenschleimhaut. entsteht meist durch eine nor und posterior).
aufsteigende Infektion vom Nasenrachenraum über D1e Venen der Paukenhöhle münden u. a. in die SI-
die Tube Ins Mittelohr (z. 8. nach einer Erkältung). Es nus sigmoideus und petrosi. d1e V. meningea me-
treten heftige Ohrenschmerzen, Schallleitungs- d ia, den Bulbus jugularis su perior und die Plexus
schwerhörigkeit, Kopfschmerzen und Fieber auf. Nach venosus pharyngeus sowie pterygoideus.
wenigen Tagen kann es zu einer Spontanperforation
des Trommelfells mit Sekretaustritt in den äußeren
Gehörgang kommen. Dadurch bessern sich die Ohren-
238 12 Sinnesorgane Das Ohr mi t Hör- und Gleichgewichtsorgan
1
12.1.4 Das Innenohr (Auris Interna) Canales semicirculares (drei knöcherne Bogen-
gänge). in denen die häutigen Bogengänge ( Duc-
12.1 .4.1 Der prinzipielle Aufbau tus semicirculares) ebenfall s mit Sinneszellen
Das Innenohr ist ein kompliziert gebautes Kana l- des Gleichgewichtsorgans liegen. und
system (Labyrinth. Abb. 12.5) und besteht aus einem Cochlea (Schnecke), die über das runde Fenster
knöchernen Labyrinth ( labyrinthus osseus) und ( Fenestra cochleae) mit der Paukenhöhle in Ver-
einem ähnlich geformten bindung steht und den häutigen Schneckengang
häutigen (oder membranösen) Labyrint h ( laby- ( Ductus cochlearis) mit Sinneszellen des audita-
rinthus membranaceus). rischen Systems enthält (s. u.).
Das häutige Labyrinth ist ei n mi t Endolymphe ge- Das Vestibulum setzt sich in den Meatus acustlcus
flilltes System miteinander kommunizierender lnternus (innerer Gehörgang) fort, an dessen Be-
Röhrchen und Säckchen. in dem an definierten ginn auch die Schneckenbasis liegt. ln ihm verlau-
Stellen die Sinneszellen fü r Hör- und Gleichge- fen der N. vestibulocochlearis (VIII). N. Facialis (VII)
wichtssystem liegen. Es befindet sich innerhalb des sowie die A. und V. labyrinthi bis zum Porus acu-
knöchernen Labyrinths. das geräumiger ist als das sticus internus der hinteren Schädelgrube.
häutige. Dadurch entsteht ein Spaltraum (Peri-
lymphraum), der die Perllymphe enthält. Letztere 12. 1.4.2 Das Hörorgan mit zu gehörigen
umhüllt also das häutige Labyrinth wie ein breiter Anteilen des knöchernen und häutigen
FlüssigkeitsmanteL
Labyrinths
Im Einzelnen besteht das knöcherne Labyri nth aus
folgenden Antei len:
ll$ij;j:Ji
Vestibulum (Vorhof): ln ihm l iegen Sacculus und
Das Hörorgan (Corti-Organ) liegt im membranäsen
Utriculus des häutigen Labyrinths mit Sinneszel-
Ductus cochlearis innerhalb der knöchernen
len des Gleichgewichtsorgans (s.S. 241). Das Ve-
Schnecke (Cochlea).
stibulum steht zum ei nen über das ovale Fenster
( Fenestra vesti buli). in dem die Basis des Steigbü-
gels liegt. mit der Paukenhöhle i n Verbindung. Oie Cochlea (Schnecke) und der Ductus cochleoris
zum anderen münden darin die folgenden weite- Die knöcherne Schnecke ist insgesamt 4-5 mm
ren Hauptstrukturen des knöchernen Labyrinths: hoch. Ihre Spitze (Cupu la cochleae) zeigt nach vor-
-====-====:: : =:.: ; ~~
1 Ductus semicircularis anterior
2 Canalis semicirularis anterior
21 0 - - - - -
2 3 Ductus semimcularis lateralis
4 Canalis semicirularis anterior
5 Ductus semicircularis posterior
6 Canalis semicircularis posterior
7 Ampullae osseae
8 Ampullae membranaceae
3
9 Fenestra vestibuli (darin: Stapes)
4 10 Ductus perilymphaticus
5 11 Fenestra cochleae (-Paukenhöhle)
12 Ductus reuniens
13 Vestibulum
14 Sacculus
15 Utriculus
16 Ductus utriculosaccularis
17 Ductus cochlearis
18 Cochlea
\\ L - - - - - - - - - - 8 19 Ductus endolymphaticus
accus endolymphaticus
L----------------9 ura mater
---
Abb. 12.5 Labyrinth des Innenohrs
12 Sinnesorgane Das Ohr mit Hör- und Gleichgewichtsorgan 239 I
~1}J,\-)
f..;....:*-1-\- 10
~.,.4-4+ 11
~~==~~~~~~:i~~~~~~f~1~+~127 ,.;...,.,.-4#-..J.I-13
' - - - -- - - 14
a b
li""Helicotrem.l 6 N. cochl~aris 11 Tektori.llmembran 16 tnnere Phalangenzelle
2 Scala vestibuli 7 Basilarmembran 12 äußer~ Haarzellen 17 tnnere Haarzelle
3 Ductus cochlearis 8 Cortt..Organ 13 lig. spirale 18 Tunnel
4 Scala tympani 9 Retssner·Membran 14 außere Phalangenzellen
5 Modiolus _ _ _ _1_0_Stria vascul_an_·s_ _ _ _ 15 Lamina spira::l:i.:.s..:
os::s..:
ea: __ _ _ _ _ __ __
Abb. 12.6 Aufbau der Cochlea (a) und des Corti·Organs (I>)
ne-lateral-unren: ihre 8-9 mm breite Basis (Basis Die obere Scala vestibull steht über das Vestibu-
cochleae) ist zum inneren Gehörgang gerichtet. lum m1 t dem ovalen Fenster (fenestra vestibuh)
Der knöcherne Schneckengang (Canalls spiralis co· in Verbmdung.
chleae) windet sich spiralig 2.5-mal um eine knö- d1e untere Scala tympanl (unten) endet am run-
cherne Achse. den Modlolus (kegelformige Schne- den Fenster (s. Druckausgleich. S. 240).
ckenspindel). Die vom Modial us abgehende Wand Kurz vor dem runden Fenster geht von der Scala
zwischen den Windungen bildet das knöcherne rympan i der Ductus perilymphaticus ab. der durch
Septum cochleae. In die Schneckenwindung hinein den Canalicus cochleae verläuft und vor der Fossa
ragt als plattenförmiger Knochenvorsprung die La· Jugularis endet. Hier besteht eine Verbindung des
mina splralls ossea, die ebenfalls vom Mod1olus ab- Ductus endolymphaticus mit dem SubarachnOidal-
geht und s1ch um ihn windet. Vom freien Rand der raum.
lamma sp1ralis ossea zieht die Lamina basilaris (Ba· Zwischen Scala vestibuh und Scala rympani liegt
silarmembran) zur seitlichen Wand des Schnecken- der mit Endolymphe gefüllte Ductus cochlearls, der
kana ls. wo sie über das lig. spirale am Periost ver- an der Schneckenspitze bl ind endet. Im Querschnitt
ankert ist. durch den Schneckengang sieht man seine drei -
eckige Form mit folgenden Begrenzungen:
Dach (Abgrenzung gegenüber der Scala vestibu-
Die Basilarmembran ist zw1schen der Lamina spira· li): Relssner·Membriln (Membrana vestibularis •
lis ossea (innen) und dem lig. spirale (außen) befe- Basalmembran mit emsch1chtigem Epithel auf
stigt. be1den Seiten)
äußere Wand: llg. splrale und seinem speziel-
len. mehrschichtigen ka pillarisierten Epi thel-
Auf diese Weise wird der Schneckenkanal in zwei überzug (Strla vascularls). der die kaliumreiche
.Etagen" ge1e1lt. die mit Perllymphe gefüllt und an Endolymphe sezerniert
der Schneckenspitze über das Schneckenloch (Heli·
cotrema) miteinander verbunden sind (Abb. 12.6a~
240 12 Sinnesorgane Das Oh r mit Hör- und Gleichgewichtsorgan
Boden {Abgrenzung gegenuber der Scala tympa- Ienkung der Basilarmembran wirkt dann zunächst
ni): Lamina spiralis ossea und Basilarmembran ein kochleärer Verstärkermechanlsmus: Durch
mit dem Corti·Organ. Scherbewegungen zwischen Membrana tectona
und den Stereozilien der llußeren Haarzellen öffnen
sich K" -Kanäle in ihrer Membran. Der Kahumem-
Die Stria vascularis ist für d1e hohe K' ·Konzentra· strom aus der Endolymphe fuhrt uber eme Poten-
tion in der Endolymphe verantwortlich, die für die zialänderung letztendlich zu .Kontraktionen·. an
Erregung der Sinneszellen (s. u.) e1ne bedeutende denen Konformationsänderungen emes Protems
Rolle spielt. (Prestin) in der lateralen Zellmembran bete1hgt
sind. Die Längenveränderungen der äußeren Haar-
zellen rufen atoakustlsche Emissionen (Schallab-
Das Corti·Organ (Organum sp1ra/e)
srrahlungen aus dem lnnenohr) hervor. Erst die
Das Corti-Organ (Abb. 12.6b) 1st em System aus Sin-
Kontraktionen der äußeren Haarzellen rufen mikro-
neszellen und Stützzellen ( u.a. Pfeiler- und innere
mechanische Schwingungen der Basilarmembran
sowie äußere Phalangenzellen). DarOber liegt die
hervor. sodass die im Ruhezustand weiter entfern -
zellfreie. gallertige Tektorialmembran (Membrana
ten Kinozilien der inneren Haarzellen an d1e Tekto-
tectoria). die vom Limbus spiralis (auf dem freien
rialmembran stoßen. Der von den inneren Haarzel-
Ende der Lamina spiralis ossea) entspringt.
len daraufhin freigesetzte Neurotransm itter erregt
Zwischen den St ützzellen finden sich drei Tunnel
die peripheren Fortsätze bipolarer Neurone. deren
m it hier als Corti-Lymphe bezeichneter Perilymphe.
Perikarya im Modialus das Ganglion splrale coch-
die durch die Basilarmembran diffundieren kann.
leae bilden. Deren zenrra le Fortsätze ziehen zum
Apikal bilden die StOtzzellen durch interzelluläre
inneren Gehörgang und bilden den N. cochlearis
Verbindungen eine Diffusionsbarriere (in ihrer Ge-
als Teil des N. vestibulocochlearis (s. S. 69). Eine
sam theit als Lamina reticularis bezeichnet) gegen-
größere Schallintensität führt zu häufigeren Ak-
über der Endolymphe im Ductus cochlearis.
tionspotentialen in den Nervenfasern und einer
Bei den Sinneszellen unterscheidet man
Einbeziehung ( Rekrutierung) benachbarter Nerven-
- Innere Haarzellen (in einer Reihe liegend) und
fasern.
- äußere Haarzellen (in 3- 5 Reihen angeordnet).
Die Haarzellen besitzen apikal 50- 100 Stereozilien.
die nach Größe sortiert 111 mehreren Re1hen ange-
i$1Jd31
ordnet und durch sog. T1p hnks unteremander be- Durch Auslenkung von Stereozilien der mntren
festigt smd. D1e Spitzen der Haarzellen ragen durch Haarzellen wird frequenzspezifisch an eng um·
die Lamma reticulans hmdurch. wobe1 d1e langsten sehnebener Stelle der adäquate Reiz für die Signal-
Stereoz1hen der ~u&ren Haarzellen d1e Tektonal- weiterleitung in die Hörbahn erzeugt Die flulkrrn
membran erre1chen. Haarzellen wirken dabei durch aktive längenande-
rung als Signalverstärker.
Die Verarbeitung des Schalls im Innenohr
Die Schwingungen der Steigbügelplatte 1m ovalen
Fenster werden auf die Pen lymphe in der Scala I Klinischer Bezug
vestibuli übertragen. Ein Druckausgleich erfolgt am Innenohrschädigung durch äußere Einwirkungen:
Ende am runden Fenster ( Fenestra cochleae mit Die Haarzellen der Cochlea sind sehr empfindlich und
Membrana tympanica secundaria). Durch die können durch verschiedene Mechanismen geschädigt
Druckstöße auf die Perilymphe entstehen Wellen- werden. Beim akuten akustischen Trauma (Knalltrau-
bewegungen von der Basis zur Spitze der Cochlea. ma) durch ein intensives. sehr kurz dauerndes Schall-
die zu Aus lenkungen der Basilarmembran führen ereignis (z. B. Schuss. Knallkörper) kann es zu einer
(Wanderwellen). Die Amplitudenmaxima entstehen direkten mechanischen Schädigung der Sinneszellen
dabei frequenzabhängig (bei hohen Frequenzen in kommen, die sich jedoch oft in den ersten Tagen
der Basis. bei niedrigen Frequenzen im Spitzenbe- nach dem Ereignis bessert. Irreversibel dagegen sind
reich der Cochlea). An der Stelle der größten Aus- mechanische Läsionen der Sinneszellen, die durch
12 Sinnesorgane Das Ohr mit Hör- und Gleichgewichtsorgan 241
chronische Lärmbelastung entstehen. vom Schallpegel hinteren Fläche der Pars petrosa des Os tempora le
sowie der Expositionsdauer abhängen und zu einer endet.
chronischen Lärmschwerhörigkeit führen. Der distale Teil des Ductus endolymphaticus ist
Auch bestimmte ototoxische Medikamente können zum Saccus endolymphaticus erweitert, der blind
die Haarzellen schädigen, wie z. B. die Aminoglykosid- endet und sich z. T. unter der Dura ausdehnt. Sein
Antibiotika, die besonders bei Einschränkung der Nie- Epithel besitzt hier u. a. Aquaporine. Funktionell ist
renfunktion hohe Konzentrationen in der Endolymphe er wahrscheinlich für die Resorption der Endolym-
erreichen und irreparable Zellschäden verursachen. phe oder Druckausgleich zuständig.
Eine Innenohrschädigung kann durch die Messung
Die vestibulären Sinnesfelder
von transitorisch evozierten otoakustischen Emissio-
Der Aufbau der vestibulären Sinnesfelder ist grund-
nen geprüft werden. Diese erlauben über die selektive
sätzlich ähnlich und z. T. auch vergleichbar mir dem
Funktionsprüfung der äußeren Haarzellen einen
Corti-Organ. Sie bestehen aus Sinnes- und Stützzel-
Rückschluss auf das Hörvermögen.
len. die von einer Gallertmembran bedeckt werden
(vergleichbar mit Tektorialmembran. s.o.).
Jede Sinnes- oder Haarzelle. bei denen man zwei
12.1.4.3 Das Gleichgewichtsorgan mit
Typen unterscheidet, trägt apikal ein langes Kinozi-
zugehörigen Anteilen des knöchernen und
lium und ca. 80 Stereozilien. die nach länge ange-
häutigen Labyrinths
ordnet, durch Tip links verbunden sind (-+ gleich-
zei tige und gleichsinnige Auslenkung) und in die
gallertige Masse hineinragen. Die Stützzellen liegen
Das Gleichgewichtsorgan setzt sich aus verschiede·
zwischen den Sinneszellen und sind apikal durch
nen Sinnesfeldern zusammen, die auf unterschied-
Zellkontakte mit den Sinneszellen verbunden.
liche Reize reagieren.
Die Gallertmembran der Maculae ist etwas anders
beschaffen als die in den Bogengangsampullen:
Die Bogengänge Auf der Crista ampullarls erstreckt sich die gal-
ln den drei knöchernen Bogengängen (canales se- lertige Cupula quer durch die Endolymphe bis
micirculares anterior, posterior und lateralis). die zum Dach der Ampulle. wo sie befestigt ist
jeweils vor ihrer Einmündung in das Vestibulum (Abb. 12.7). Bei Beginn oder Ende einer Drehbe-
eine Erweiterung (Ampulla ossea) aufweisen. liegen wegung des Kopfes wird in dem betroffenen Ge-
die drei membranösen Bogengänge (Ductus semi- hörgang die Endolymphe aufgrund ihrer Träg-
circulares anterior. posterior und semicirculares). heit weniger schnell bewegt als die fixierte
Ihre Erweiterungen (Ampullae membranaceae) tra- Cupula. Dadurch lenkt die Endolymphe die Cu-
gen Sinnesleisren (Crlstae ampullares) für die pula in der Gegenrichtung aus. was zu einer
Wahrnehmung von Drehbeschleunigungen. Kn ickung der Kino- und Stereozilien führt.
An der Oberfläche der gallertigen Deckschicht
Das Vestibulum mit Sacculus. Utriculus und ihren
der Maculae sind Kalkkonkremente eingelagert
Verbindungen
(Stato- oder Otolithen = Statoconia), weshalb sie
Im knöchernen Vestibulum liegen Sacculus und
auch als Stato- oder Otolithenmembran bezeich-
Utriculus mit ihren Makulaorganen (Maculae stati-
net wird (Membrana statoconiorum, Abb. 12.8).
cae). die aufgrund ihrer Ausrichtung senkrechte
• Die Maculae utriculi stehen bei aufrechter
und horizontale Linear- oder Translationsbeschleu-
Kopfhaltung waagerecht und werden somit
nigungen registrieren. Der Sacculus steht über den
durch die Schwerkraft nicht erregt. lineare
Ductus reuniens mit dem Ductus cochlearis in Ver-
Beschleunigungen. wie z. B. beim Autofahren.
bindung. Sacculus und Urriculus sind durch den
führen zu leichten Verschiebungen der Sratoli-
Ductus urriculosaccularis miteinander verbunden.
thenmembran. was Scherbewegungen der Ki-
von dem der Ductus endolymphatlcus abgeht. Letz-
no- und Stereozilien erzeugt.
terer verläuft im Aqueducrus vestibuli. bzw. in des-
sen Fortsetzung (Canaliculus vesribuli). der auf der
242 12 Sinnesorgane Das Ohr mit Hör- und Gleichgewichtsorgan
1 Ampulla membranacea
2 Cupula
2 3 Endolymphe
9
3 4Zilien der Sinneszellen
5 Sinneszellen
4 6 Stützzellen
7 Crista ampullaris
8 Nervenfasern
5 9 Ductus semiciruclaris
'---- ~~:::::::...----- 7
L----------------------- 8
Abb. 12.7 Bogengangsampulle mit Crista ampullaris
I Tabelle 12.2
Die Vorderfläche der Cornea trägt am meisten zur Wie die Hornhaut ist auch die Linse frei von Blut·
Gesamtbrechkraft des Auges bei. gefäßen. Seide Strukturen werden über das Kam-
merwasser ernährt. Im Unterschied zur Hornhaut
wird die Linse nicht se nsibel innerviert.
12.2.3.2 Die linse
Die bikonvexe, transparente Linse ( Lens) ist hinten
stärker gekrümmt als vorne. Sie wird vollständig
12.2.3.3 Die Iris
von einer sehr dicken, kohlenhydratreichen Basal-
Die Iris ist der Linse wie eine Scheibe mit zentraler
membran, der Llnsenkapsel, umhüllt. Das nur an
Öffnung (Pupille) angelagert. Die Pupillenweite
der Vorderfläche vorhandene Linsenepithel liegt
kann durch Muskeln (s. u.) reguliert werden. in der
subkapsulär. Es enthält mitoseaktive Stammzellen.
Nähe der Pupille liegt der ringförmige M. sphincter
aus denen die Linsenfasern hervorgehen. Letzte bil-
pupillae (-+ Pupillenverengung = Miosis mit gleich-
den die Hauptmasse der Linse und sind langge-
zeitiger Erweiterung des Kammerwinkels durch
streckte, dünne, kernlose. aber vitale Zellen, von
Parasympathikusinnervation; Kammerwinkel
denen die neu gebildeten immer außen liegen. Die
s. S. 246). An der Hinterfläche liegt das zweischich-
Linse ist gefaß- und nervenfrei; ihre Ernährung er-
tige Irisepithel (als Teil der Pars caeca retinae.
folgt über das Kammerwasser. Sie ist leicht ver- s. Tab. 12.2). Da die Zellen beider Schichten pigmen-
formbar, sodass ihre Krümmung und damit ihre
tiert sind, ist die Iris lichtundurchlässig. Die Zellen
Brechkraft verändert werden kann. Diese Formver-
der hinteren Schicht sind radiär angeordnet und
änderung erfolgt über Anspannung und Erschlaffen
haben Muskeleigenschaften ( Myoepithel ): Sie bil-
der Zonulafasern. die als Aufhängebänder der Linse den den M. dilatator pupillae (-+ Pupillenerweite-
in der Basalmembran des Ziliarepithels (s. u.) ver-
rung • Mydriasis durch Sympathikusinnervation).
ankert sind.
Anzahl und Anordnung von Melanozyten in der Iris
bestimmen die Augenfarbe (zahlreiche Melanozy-
ten-+ braune Augen).
Katarakt (grauer Star): Von einer Katarakt spricht
man , wenn die Linse so stark getrübt ist, dass die 12.2.3.4 Der Ziliarkörper
Sicht des Patienten beeinträchtigt ist. Neben zahlrei· Der Ziliarkörper reicht von der Basis der Iris bis
chen anderen Ursachen ist der Verlust an Transparenz zur Höhe der Ora serrata (s. u.) und gliedert sich in
der Linse im Alter ein normaler Vorgang, der durch eine Pars plana (liegt dem Glaskörper an) und eine
den sinkenden Wassergehalt und erhöhten Anteil Pars plicata (grenzt an hintere Augenkammer) mit
unlöslicher Linsenproteine zustande kommt. Die da· ca. 70 kleinen Ziliarforuätzen. Er spielt sowohl für
246 12 Sinnesorgane Das Sehorga n u nd seine Hil fseinrichtu ngen
,.__ 2 20 ---.;;.
3 19 ----..1
~- 4
1--- 5 18
".......- - 6 17
16 9
,_..- 7
I
-;.--- 8
I
•
I 15 ~
\ 14 ~
a 13 ·b
12 -------~
medialen Orbitawand entspringt und direkt Achsen bewegt werden. Dabei üben der M. rectus
nach dorsal zieht. zeigt der M. obliquus superior media lis und der M. rectus lateralis jeweils ledig-
einen besonderen Verlauf: Von dorsal kommend lich nur eine Hauptfunktion aus. die übrigen Mus-
zieht er zunächst nach ventra l bis zur Troch lea. keln zusätzlich noch Nebenfunktionen (Tab. 12.5).
einem knorpelig-sehnigen Ring am medialen sodass sie kombin ierte Bewegungen ausführen.
Augenwinkel. wo seine Endsehne spitzwinklig
w ieder nach dorsal umbiegt. Anhand dieses Ver-
laufs durch die als Hypomochlion wirkende Tro- Neben ihrer rotatorisehen Komponente haben die
chlea kann man siCh die Innervation des M. ob- beiden schrägen Augenmuskeln durch ihren Ansatz
liquus superior durch den N. trochlearis (IV) dorsal des Bulbusäquators eine ihrem lagebeding-
merken. Der M. obl iquus inferior dagegen wi rd t en Namen entgegengesetzte Wirkung: Der M. ob-
- wie die meisten geraden Augenmuskeln - liquus superior senkt den Blick, der M. obliquus
durch den N. oculomotorius innerviert. inferior hebt den Blick. Zusätzlich wirken sie beide
<I> abduzierend (-+ Blickbewegung nach lateral). Da-
~·-#'
Wenn Sie sich für jeden der äußeren Au- gegen bewirken sowohl der M. rectus superiorals
genmuskeln klarmachen. aus welcher Richtung auch der M. rectus inferior u. a. eine Adduktion(-+
er jeweils Zug auf seine Ansatzstelle am Bulbus Blickwendung nach medial). Die seitlichen geraden
ausübt, ist es leichter, sich die verschiedenen Augenmuskeln führen keine Kombinationsbewe-
Funktionen zu merken. gungen aus, sondern ziehen den Bulbu s in der Ho-
rizontalen nach medial oder lateral.
Tabelle 12.5
M. rectus lateralis +
M. rectus medialis +
M. rectus superior + + +
M. rectus inferior + + +
M. obliquus Superior + + +
M. obliquus inferior + + +
+ • Hauptfunktion: ,. • Nebenfunktion
• Blick 1\ich oben; • • Bhck nach unten
~!!!!!!!ll!!!..!!
dar
! o.llb mit •d•etandan 5tnlkbnn
Öffnung Lage Verbindung zu durchtret ende Strukturen
------~---------
Canalis opticus an der Wurzel der Ala minor mittlerer Schädelgrube - N. opticus
des Os sphenoidale - A. ophthalmica
Fissura orbitalis superior zwischen Ala minor und Ala mittlerer Schädelgrube - N. oculomotorius (111)
major des Os sphenoidale - N. trochlearis (IV)
- N. abducens (VI)
- N. ophthalmicus (V 1)
- V. ophthalmica superior
Flssura orbltalis inferior zwischen Maxilla und Ala Fossa pterygopalatina - Äste des N. maxillaris (V2): N. zygo-
major maticus' und N. Infraorbitalls'
- A. Infraorbitalls
- V. ophthalmica inferior
Canalis nasolacrimalis zwischen Maxilla und Os Ia- Nasenhöhle (unterhalb der - Ductus nasolacrimalis
crimale unteren Nasenmusehell
"verla;istn dte Orbiti über kleinere wieder und zith~n zum Gesicht
12.2.6 Die Orbita (Augenhöhle) Die durch die Öffnungen der Orbita tretenden Lei-
mit leitungsbahnen tungsbahnen versorgen das Sehorgan sowie z. T.
Die Orbita ist ein knöcherner, pyramidenförmiger weitere Strukturen im Kopfbereich.
Raum, in dem der Bulbus oculi von einer derben. Die einzelnen Nerven sind bereits in Kapitel 3 (ab
bindegewebigen Kapsel (Tenon-Kapsel). den äuße- S. 58) beschrieben. Die Arterien stammen alle aus
ren Augenmuskeln und einem Fettgewebskörper der A. ophthalmica. die als Ast der A. carotis inter-
(Corpus adiposum orbitae) umgeben wird. Weiter- na zusammen mit dem N. opticus in die Orbita
hin finden sich hier die Glandula lacrimalis und tritt und zum medialen Augenwinkelläuft
zahlreiche Leitungsbahnen. Ihr meist erster Ast ist die A. centraUs retlnae, die
Neben der großen vorderen ÖITnung (Aditus orbita- kurz nach Eintritt in die Orbita in den N. opticus
lis) zum Gesicht bestehen weitere Verbindungen zieht und in ihm die Netzhaut erreicht. Gemeinsam
über Löcher und Kanäle in den wandbildenden mit anderen Leitungsbahnen treten sie durch den
Knochen (s. Lehrbücher der makroskopischen Ana- Anulus tendineus, der den meisten Augenmuskeln
tomie). Strukturen, die für das Auge und seine als Ursprung dient.
Hilfseinrichtungen von Bedeutung sind, treten
durch die in Tab. 12.6 aufgeführten ÖITnungen.
12 Sinnesorgane Das Geruchs- und das Geschmacksorga n 253
T~b~ll~ 12.7
~ 111 2
apparats
Die Mechanorezeproren des Bewegungsapparats
dienen der Registrierung von Informationen über
die Stellung und dte Bewegung von Rumpf und Ex-
tremitäten ( Propriozeption). 3
Spezielle Propriozeptoren sind die Muskelspindeln
und dte Golg1-Sehnenorgane. andere Mechanore- 4
zeptoren. w1e z. B. Ruffini- und Vater-Pacmi -Körper- 6 •
chen kommen auch als ExteroLeptoren in der Haut
vor.
13 Anhang
Im Folgenden Iinden Sie eine Zusammenstellung Benennen wichtiger neuroanatomischer Struktu-
von Abbildungen. die Sie während und/oder im An- ren an Hirnschnitten relevant.
schluss an die Lektüre dieses Kurzlehrbuchs nutzen Die Schemata zur Verschaltung einiger neuro·
können: anatomischer Strukturen dienen insbesondere
Die Schnittserien durch das Cehlm ermöglichen der Wiederholung von funktionellen Aspekten
Ihnen eine bessere Vorstellung der Lage einzel- der aufgeführten Strukturen. die Sie anhand
ner Strukturen und machen Sae mat der Darstel- ihrer Projektionen (Afferenzen und Efferenzen)
lung vertraut. die Sie später bei der Interpretati- noch einmal rekapitulieren können.
on von radiologischen Befunden benötigen.
Auch rür Ihre Prüfungen ist das Erkennen und
13.1 Schnittbilder
13.1.1 Frontalschnitte
15 I Septum pellucidum
2 Ventriculus lateralis,
Comu frontale
14 3 Nd. caudatus. Glput
4 Capsula Interna
13 5 Putamen
----- 4 6 Capsula externa
~·--- 5
7 Cla,,strum
8 Capsula extrema
.----- 6 9 Tractus olfactorius
1- - - 7 10 Gyrus temporalis superior
--8 11 Sulcus lateralis
11 12 Gyrus frontalis inferior
13 Corpuscallosum
14 Gyrus cinguli
15 Fissura loogotudinalis cerebri
~~~~~~~~i
18 - -+ 9 Lamina medullaris medialis
10 Globus pallidus medialis
19 - ---'löi ::.~H.
11 Nd. basalis (Meynert)
17 - -t 12 Columna fornicis
r--- - 6 13 Hypothalamus: tuberale Region
16 -~~ ~"___~~\!~~ ~~ ::::tll-- - 7 14 Corpus amygdaloideum
15 -~~,1 ------ 8
......___ _ 9 15 Ventriculus tertius
14 --~:""i
16 Thalamus, Ncll. anteriores
" ' - - 10 17 Gyrus temporalis superior
13 ---~~~~~~
' - - -11 18 Gyrus frontalis inferior
L___.::::::::::: __ _ _ _ 12
19 Capsula Interna
20 Gyrus frontalis medius
21 Gyruscinguli
11
11
- - 12
- - - - 13
Abb. 13.8 Horizontalschnitt durch die Pedunculi cerebri kaudal der Vierhügelplatte
r--
------------ 1 i Ventncuius la:et aits
:u=~r--------- 2 2 Corpus callosum
3 Capsula interna
4 Crus cerebri
18 - - - 5 Nd. caudatus
6 Globus pallidus
r~~~- 4 7 Putamen
8 Commissura anterior
""".;.4'""'--- - 5
9 Nd. basalis (Meynert)
6 10 Hippocampus
11 Pedunculus cerebellaris
medius
7 12 Ncl. dentatus
Thalamus:
8 13 Nd. ventralis postero·
lateralis (VPM)
14 Ncll. pulvinares
13 ' - - - - --9 16 Nd. lateralis posterior
- - - - - 10 15 Area striata
17 Crus fornicis
12 - - - 11 18 Sulcus parietooccipitalis
Abb. 13.9 Sagittalschnitt durch Fornix, Nutleus nuber, Vierhügelplatte und oberen Kleinhirnstiel
264 13 Anhang
1 Fornix
r--------------- 1
2 Corpus callosum
~iJ~=:. , . . . - - - - - - 2 3 Thalamus
4 Ventriculus lateralis
18 -------.... 5 Columna fornicis
6 Ncll. habenulae
7 Chiasma opticum
8 Corpus mammillare
9 N. oculomotorius
10 Substantia nigra
11 Pons
12 Ncll. olivaresinferiores
13 Tractus tegmentalis
centralis
14 Pedunculus cerebellaris
~Sf~=---- 7 Superior
15 Ncl. ruber
~--------------- 8
16 Sulcus calcarinus
~--------------- 9
17 Lamina tecti
13 __________, ~----------- 10
18 Sulcus parietooccipitalis
~------------ 11
12-----------
Abb. 13.10 Sagittalschnitt durch Nucleus caudatus und Thalamus
13.2 Verschaltungen
Cortex cerebri
Area4
1 Kleinhirnrinde
Ncl. ruber J
I Kielter-
fasern
1111
Formatio
reticularis
ll--===:::;::: Ncll. olivares
inferiores •
' •._tL_~
Medulla spinalis
Abb. 13.13 Verschaltungen der Nuclei olivaresinferiores und des Nucleus ruber (s. a. S. 96 und S. 101)
Kleinhirnrinde
T
• Kleinhirnkerne
Moosfasern Cortex cerebri
t 1
1----< Pons
-
[]halamus
Tractus reticulospinalis
Formatio reticularis
Tractus vest ibulosptnalis
Ncll. vestibulares
Colliculus superior
Medulla spinalis
-- Tractus tectospinalts
laterales Bündel
Spinalgangl1on 1. Neuron
•
aus freien Nervenendigungen
Abb. 13.15 Schmerzleitung (s. a. S. 206)
1. Neuron
2. Neuron 3. Neuron
Gangl1on
trigeminale
(ein diskriminierende
Mechanosensibilitöt -
~-..:..:.....:......:..:..:.....:....:._
grob diskriminierende
Nd. principalis
Nd. spinalis
Lemn~scus
trigem,nalis
. __;===::..:....-•
Thalamus (VPM)
,_ ___Jr Mechanosensibilität,
N tr gern xhmerzleitung.
Temperaturleitung
Abb. 13. 16 Trigeminussystem (s. a. S. 209)
13 Anhang 267
Gyrus postcl'ntralis
(somatosensorischer Kortex. Projektoonen vor allem on Lamina 4)
~
l~ddl ! 10 OpliO
t .. ~ C,..-
(1-uasma optocum
N opucus
Retin.l ( 1. - ~. ll:et.ron)
Abb. 13.18 Sehbahn (s. a. S. 210)
268 13 Anhang
Corpus
,,_____________
trapezoideum Nd. lemnisci lateralis
Nd. olivans superior ~====~. Nd. olivaris superior 1--...J
__jj lemniscus
f a:nn~t;;iO;]~ri~o;rl-f[N~c~l~.c~o~c~hl~ea~r~is~p~o~st~e~ri~o~r:=====j___
. Nd. cochlearis ___J
lateralis
Striae acusticae
t_ .t dorsales
I N vcst bu ococ I a •s
Ganglion cochleare
1111
Abb. 13.20 Hörbahn (s. a. S. 214)
Gyrus postcentraUs
t
Vestibulacerebellum Augenmuskelkerne Thalamus
•
I
1 Fasciculus longitud1nal•s med1alis
(Ncl. posteroinferior)
Hypothalamus •
> im Tractus tegmentalis centralis
~ Nd. dorsalis n. vagi • und Lemniscus medialis
Nd. salivatorii •
Nd. tractus solitarii
• • •
N. facialis N. glossopha· N. vagus
(N. intcrmcdius) ryngeus
[ orbitofrontaler Kortex
Habenula [ Hippocampus
t t
I
Nd. septales I
Stria olfactoria med1alis Stria olfactoria lateralis
Commissura antcnor
[Nd"olfactorius anterior
Tractus olfactorius
Bulbus olfactorius
1
Bulbus olfactoriuJ
t
Fila olfactoria
Abb. 13.23 Riechbahn (s. a. S. 219)
13 Anhang 271
f l ractu mammollothalamocu~
Hippocampus Formx ]
(Ammonshorn. Sublculum) ,__ ___;..;;.;.=- Corpus mammlllare
l
An!>a pec! c ' s - -- - - -r Strla mcdu l.lr s
und Stnaterminahs
Ncll. habenulares
•
Striatum Hypothalamus J
+
Hornstamm (v(>(Jctatove Zentren)
Reizeaus
Magen· Darm·Trakt guslatorisehe
(z. B. schadliehe Substanzen) Horndruck I und olfaktorische Reize
~ l ! !
"[ ]"m~
Blut vierter Ventnkcl
•
fehlende
Bluthirnschranke
Area postrema
I •
[ Cortex cerebri I
Hippocampus Corpus
,-- amygdaloideum
Fornix ,·
Thalamus
(Ncll. anteriores)
Tegmentum Hirnstamm I
mesencephali (vegetative Zentren)
J Formatio reticularis)
Melatonin im BluQ • • • • • • • • • • • • • • • • ·:
Lichtreiz
t
IRet l
r
Nd. suprachiasmaticus hypothalami
Epiphyse
13.3 Literaturverzeichnis
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274 13 Anhang Que ll enverzeichnis
13.4 Quellenverzeichnis
Sachverzeichnis