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Hossein Towfigh

Robert Hierner

Martin Langer

Reinhard Friedel

(Hrsg.)

Handchirurgie

Band 1
Band 2
Hossein Towfigh
Robert Hierner
Martin Langer
Reinhard Friedel
(Hrsg.)

Handchirurgie
Mit einem Geleitwort von H. Millesi

Mit über 3600 Abbildungen

1 23
Prof. Dr. med. Hossein Towfigh PD Dr. med. Martin Langer
Abteilung für Handchirurgie, Mikrochirurgie Klinik- und Poliklinik für Unfall-, Hand- und
und Plastische Wiederherstellungschirurgie Wiederherstellungschirurgie
St.-Barbara-Klinik Hamm Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Am Heessener Wald 1 Waldeyerstraße 1
59073 Hamm 48149 Münster

Prof. Dr. med. Robert Hierner Dr. med. Reinhard Friedel


Plastische, Rekonstruktive, Ästhetische und Klinik für Unfall-, Hand- und
Handchirurgie Wiederherstellungschirurgie
Zentrum für Interdisziplinäre Rekonstruktive Universitätsklinikum Jena
Chirurgie Erlanger Allee 101
Referenzzentrum für periphere Nerven und 07747 Jena
Plexus brachialis
Universitätsklinikum Essen
der Universität Duisburg-Essen
Hufelandstraße 55
45147 Essen

ISBN 978-3-642-11757-2 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York

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Planung: Peter Bergmann, Heidelberg


Projektmanagement: Christiane Beisel, Heidelberg
Lektorat: Dr. Christiane Grosser, Viernheim
Zeichnungen: Reinhold Henkel, Heidelberg
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Titelbild: Coverabbildung links: © Argomedical, Coverabbildung rechts: ©[M] Mathias Ernert, Heidelberg
Satz und digitale Bearbeitung der Abbildungen: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg

SPIN 12740888
Gedruckt auf säurefreiem Papier
V

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Argomedical

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asclepios Medizintechnik

ETHICON Products

Mölnlycke Health Care

Orthofix

Otto Bock ®

RESORBA
REPAIR AND REGENERATE

Stryker

SYNTHES

Carl Zeiss Meditec

Dr. Philipp Zollmann, Jena


Praxisklinik Postcarré
VII

Widmung
Die Zusammenstellung dieses Buches hat etwa zwei Jahre Zeit in Anspruch genommen. Während dieser Zeit
haben wir oft für Menschen, die uns sehr nahe stehen, zu wenig Zeit gehabt. Trotzdem haben sie uns immer un-
terstützt und uns in unserer Arbeit bestärkt. Dieses Werk ist ihnen in Liebe und Dankbarkeit gewidmet:

Hossein Towfigh:
Meiner lieben Frau, Dr. phil. Nicola Towfigh.

Robert Hierner:
Meiner Frau, Dr. med. Elisa Lorena Hierner, der Liebe meines Lebens.

Martin Langer:
für die Lieben meines Lebens: Christiane, Carolin und Magnus

Reinhard Friedel:
Meinen Eltern, Ruth Friedel und in Gedenken an meinen Vater Fritz Franz Friedel (gest. 13.03.1963)
IX

Geleitwort
Die Handchirurgie hat seit dem Ende der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhun-
derts im deutschen Sprachraum eine enorme Entwicklung erfahren. Dies ersieht man
aus den wissenschaftlichen Veranstaltungen, die Handchirurgie betreffen. Am ersten
Symposium der von Dieter Buck-Gramcko ins Leben gerufenen Deutschsprachigen
Arbeitsgemeinschaft für Handchirurgie, das 1959 in Hamburg stattgefunden hat, ver-
sammelte sich ein kleines Häuflein einschlägig interessierter Chirurgen. Jetzt gleichen
die Treffen der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für
Handchirurgie großen Kongressen mit hunderten Teilnehmern. Auch unser Wissen in
Zusammenhang mit handchirurgischen Problemen hat sich vervielfacht und ist für den
Einzelnen kaum mehr überschaubar.
Man muss es daher den Herausgebern des vorliegenden Werkes als großes Verdienst anrechnen, die schwie-
rige Aufgabe übernommen zu haben, das einschlägige Wissen zusammenzufassen und in deutscher Sprache zu
veröffentlichen. Ich habe diesen Entschluss sehr begrüßt und mich geehrt gefühlt, als die Herausgeber mich auf-
forderten, ein Geleitwort zu verfassen.
Natürlich habe ich mich gefragt, warum die Wahl zur Verfassung des Geleitwortes gerade auf mich gefallen
ist. Der Grund liegt vielleicht darin, dass ich einer der letzten noch aktiv tätigen Chirurgen bin, der die ganze
»Sturm und Drang« Periode der Handchirurgie mitgemacht hat. Ein Motiv mag auch sein, dass ich ein Autor
und ein Mitherausgeber des ersten umfassenden Werkes über Handchirurgie in deutscher Sprache war, nachdem
schon vorher bedeutende Bücher zu dem Thema erschienen waren.Vielleicht wollte man mit meiner Wahl an die
Tradition der Gründerzeit anknüpfen.
In Gesprächen mit der »jüngeren Generation« gewinnt man den Eindruck – dieser Eindruck wird auch durch
das erste Kapitel des vorliegenden Werkes unterstrichen – dass schon immer Interesse an handchirurgischen Pro-
blemen vorhanden und die Entwicklung sowie der schließliche Durchbruch ein geradliniger Prozess war. Dem ist
nicht so! Die spezielle Handchirurgie entwickelte sich aufgrund der Misserfolge, die die Anwendung allgemein-
chirurgischer Erfahrungen an der Hand mit sich brachte und im Widerspuch zu Vertretern solcher Prinzipien. Ich
erinnere an den Grundsatz: »Ubi pus ibi evacua«. Dieses an sich richtige Prinzip funktioniert an der Palmarseite
der Hand nicht, weil es dort bei eitrigen Prozessen zur Bildung von Nekrosen kommt, die nicht oder nur sehr lang-
sam eingeschmolzen werden, so dass die Inzision zur Evakuierung des Eiters nicht genügt, sondern die Nekrosen
entfernt werden müssen. Die Ruhigstellung eines verletzen oder operierten Gliedes war eine allgemein anerkannte
Erfahrung. Ihre kritiklose Anwendung zur Ruhigstellung der Hand am sogennanten »Handbrett« unter Streckung
der Metacarpophalangeal- und Interphalangealgelenke führte jedoch zu katastrophalen Versteifungen. Das an
sich logische Prinzip, möglichst den direkten Zugang zu wählen, hat nach Freilegung der Beugesehnen über eine
Längsinzision zu schweren Narbenkontrakturen geführt. Das Überlassen eines Hautdefektes der Sekundärheilung
nach Entwicklung von »schönen« Granulationen mag bei einer Wunde am Rücken akzeptabel sein, verursacht
allerdings, wie wir alle wissen, an den Extremitäten oder im Gesicht schwere Verstümmelungen durch Narbenkon-
trakturen. In diesem Zusammenhang haben die Erkenntnisse der Plastischen Chirurgie hinsichtlich Vermeidung
von Narbenkontrakturen und in Bezug auf Defektdeckung die Bestrebungen der Handchirurgie unterstützt.
Die erfolgreiche Anwendung der neuen Erkenntnisse hat manchen Kollegen seine Laufbahn an Kliniken oder
großen Krankenhäusern gekostet und sie gezwungen, in die freie Praxis auszuweichen, um ihre Erkenntnisse
ungehindert anwenden zu können.
In der Allgemeinchirurgie wurde der Sensibilität kaum Bedeutung beigemessen. Die Verpflanzung von Zehen
als Daumen- oder Fingerersatz nach dem Nikoladoniprinzip hat, wie Patrik Clarkson zeigen konnte, keine Dau-
erergebnisse gebracht, weil die verpflanzten Zehen wegen der fehlenden Sensibilität früher oder später wieder
amputiert werden mussten.
Die ungenügende Sensibilitätsrückkehr an der Hand nach Nervenverletzungen war eines der am meisten
diskutierten Probleme in der ersten Phase der Handchirurgie. Moberg war der Meinung, dass bei Erwachsenen
eine brauchbare Sensibilität niemals zurückkehrt. Die Folge war die Entwicklung der sensiblen neuro-vaskulären
Insellappen, um Fingerkuppen mit einer brauchbaren Sensibilität zu versehen, was allerdings den Nachteil hatte,
dass der Patient die afferenten Impulse nach wie vor am Spenderfinger lokalisierte.
X Geleitwort

Hier haben die Entwicklung der microvaskulären Chiurgie und die Fortschritte der peripheren Nervenchir-
urgie entscheidende Impulse für die Handchirugie gebracht. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Sensation am
Kongress der europäischen Sektion der ICSPRS 1969 in Brighton im Rahmen einer Sitzung über Daumenrekon-
struktion, als John Cobbet über die erste freie, microvaskuläre Verpflanzung der Großzehe als Daumenersatz be-
richtete und ich mehrere Patienten vorstellen konnte, bei denen der Daumen durch Verpflanzung der Großzehe
nach dem Nikoladoniprinzip ersetzt wurde, bei denen aber durch gleichzeitige Nerventransplantation nach der
neuen Technik die Zwei-Punkte-Diskriminierung zurückkehrte.
Der Aufstieg der Handchirurgie beruht zweifellos auf einem Zusammentreffen aller dieser Faktoren und auf
der Erkenntnis, dass alle gesetzten Maßnahmen Bezug auf die besonderen Verhältnisse an der Hand nehmen
müssen, eine Erkenntnis, die in erster Linie auf Sterling Bunnel zurückgeht und, trotz mehrfacher Hinweise z.B.
durch Marc Iselin in Europa nur allmählich weitere Verbreitung fand. Symptomatisch dafür ist die Tatsache,
dass in dem umfassenden Werk von Erich Lexer über die Wiederherstellungschirurgie wohl über rekonstruktive
Eingriffe an Sehnen, Gelenken, Knochen usw. gesprochen wird, das Wort Handchirurgie aber praktisch nicht
vorkommt.
Die Herausgeber des vorliegenden Werkes haben sich bemüht, alle Aspekte, die in Beziehung zur Hand
stehen, zu erfassen. Die beiden Bände enthalten 66 Kapitel. 53 Beiträge stammen aus deutschen Kliniken, 7 aus
Österreich und 6 aus der Schweiz, so dass der ganze deutsche Sprachraum vertreten ist. 96 kompetente Autoren
sind an der Abfassung der Kapitel beteiligt. Wie es der Entwicklung entspricht, stammen etwa je die Hälfte der
Beiträge aus handchirurgischen Institutionen an Unfallkliniken bzw. aus solchen an plastisch-chirurgischen Ein-
richtungen.
Die beiden Bände sind mit etwa 1800 Seiten geplant und werden eine große Zahl an Abbildungen enhalten.
Ich bin überzeugt, dass das vorliegende Werk alle Voraussetzungen erfüllt, einer Generation von Handchirur-
gen als Rückhalt zu dienen und wünsche ihm weite Verbreitung.

Prof. Hanno Millesi


Wien, im Sommer 2011
XI

Vorwort
Fast 40 Jahre nach dem Erscheinen des legendären handchirurgischen Werkes von Wilhelm und Wachsmuth in
der Reihe der Kirschner’schen Operationslehre, fast 30 Jahre nach Erscheinen des Lehrbuches von Nigst, Buck-
Gramcko und Millesi und ein Jahrzehnt nach Erscheinen der handchirurgischen Bände der Tscherne’schen Un-
fallchirurgie, ist es uns zusammen mit dem Springer-Verlag gelungen, eine aktuelle ausführliche Monografie zur
Handchirurgie unter Mitwirkung zahlreicher renommierter Autoren zu erarbeiten.
Die Handchirurgie hat in den letzten Jahrzehnten eine rasante Entwicklung genommen. Die Zusatzbezeich-
nung »Handchirurgie« kann heute nach der Facharztanerkennung in einem der chirurgischen Fachgebiete in
einer 2–3-jährigen Ausbildung erlangt werden. Die wesentlichen Ausbildungsabschnitte sollten heute in dafür
qualifizierten handchirurgischen Zentren und Netzwerken erfolgen, um den angehenden Handchirurgen sowohl
auf die Behandlung einfacher und komplexer Erkrankungen und Verletzungen der Hand als auch auf den Einsatz
mikrochirurgischer Techniken vorzubereiten. Die steigende Anzahl von Arzthaftungsfällen nach handchirurgi-
schen Behandlungen weist auf das dringende Erfordernis und die Notwendigkeit einer soliden und umfassenden
handchirurgischen Ausbildung hin. Aus diesem Grund wird von immer mehr handchirurgisch erfahrenen Kol-
legen die Einführung eines eigenständigen Facharztes für Handchirurgie gefordert, welcher den Umfang und die
Bedeutung des handchirurgischen Fachgebietes angemessen repräsentieren würde.
Die Tatsache, dass in der Hand viele funktionell wichtige Strukturen eng beieinander liegen, fordert eine ge-
naue Kenntnis der Anatomie und Biomechanik. Sie erklärt auch, warum oft kleine Schädigungen große Auswir-
kungen auf die globale Handfunktion haben und warum häufig komplexe operative Eingriffe erforderlich sind.
Zum besseren Verständnis erhält der Leser unter der Überschrift »Chirurgisch relevante Anatomie und Physiolo-
gie« zu Beginn eines jeden Kapitels die notwendige Basisinformation in komprimierter Form.
Handchirurgie ist ein integratives Fach. Diagnostik und Therapie multistruktureller Gewebe im Bereich der
Hand und der oberen Extremität stellen eine interdisziplinäre Aufgabe dar und bedürfen eines Therapieteams.
Mitglieder des Therapieteams sind – neben dem Handchirurgen, dem Patienten und seinen Angehörigen – Pfle-
gepersonal, der geschulte Handtherapeut, medizinisch-technisches Personal (Diätassistent, Orthopädiemeister
etc.), ärztliches Personal anderer Disziplinen (Anästhesie, Radiologie, Neurologie, Innere Medizin etc.) sowie die
Sozialdienste und Krankenkassen. Damit die Behandlung zum Erfolg führt, muss der Handchirurg bereit und
ausreichend qualifiziert sein, die Leitung dieses vielschichtigen Teams zu übernehmen und die unterschiedlichen
Blickwinkel der einzelnen Mitglieder auf den richtigen Behandlungspfad zu fokussieren. Bei guter Koordination
und Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche wird auch das Behandlungsergebnis besser ausfallen.
Um in einem multidisziplinären Team erfolgreich arbeiten zu können, benötigt man eine »gemeinsame Spra-
che«, d. h. eine gemeinsame Klassifikation der vorliegenden Pathologie (»Worüber sprechen wir?«), ein gemein-
sames Diagnose- und Dokumentationsschema (»Worauf müssen wir achten?«) und gemeinsame therapeutische
Pfade für verschiedenen Situationen (»Wie sollen wir vorgehen?«). Diesen Anforderungen haben wir mit dem
einheitlichen Aufbau aller Kapitel – und der Darstellung von Epidemiologie, Ätiologie, Diagnostik und Klassifi-
kation – Rechnung getragen.
Um aus den zahlreichen möglichen Therapieverfahren die für den individuellen Patienten optimale Be-
handlung auszuwählen, bedarf es der Kenntnis handchirurgischer Grundlagen, einer exakten Beschreibung der
vorliegenden Pathologie der Erkrankung (Pathologie-bedingte Faktoren) und der Kenntnis Patienten-bedingter
und Therapie-bedingter Kriterien. Hierbei gibt es nur noch ein Dogma: Viele Wege führen nach Rom. Die stetige
Evaluation der Ergebnisse im Sinne eines Leistungsvergleichs und das akademische Streben nach Verbesserung
sind die Antriebskraft für Neuerungen. Der differenzierte Einsatz konservativer und/oder operativer Therapie-
möglichkeiten führt bei dem individuellen Patienten zum optimalen Ergebnis. Deshalb haben wir in jedem Kapi-
tel ein besonderes Augenmerk auf die Indikationsstellung und Differenzialtherapie gelegt.
Für die Therapie im Bereich der oberen Extremität und der Hand verwenden wir ein integratives Therapie-
konzept, welches die Erstversorgung bei Trauma, die operative Rekonstruktion, adjuvante Maßnahmen und funk-
tionsverbessernde Sekundäreingriffe umfasst. Die Qualität der Erstversorgung hat entscheidenden Einfluss auf
den Verlauf von Behandlung und Heilungsprozess und das funktionelle und ästhetische Endergebnis. Immer gilt
der Grundsatz »Life before Limb«. Die Möglichkeit sekundärer Eingriffe entbindet nicht von der Notwendigkeit,
bei der Primäroperation die bestmögliche Versorgung durchzuführen, sollte aber immer bei komplexerer Patho-
XII Vorwort

logie vor Beginn der Therapie eingeplant werden. Adjuvante Maßnahmen – und hier vor allem die Handtherapie
– stellen einen integralen Bestandteil der Behandlung im Bereich der Hand dar. Nur durch eine rechtzeitig einset-
zende und konsequent durchgeführte Begleitbehandlung durch geschulte Handtherapeuten kann ein optimales
Therapieergebnis erreicht werden. Handtherapeutische Maßnahmen gehören zum Gesamtbehandlungsplan.
Es war uns ein besonderes Anliegen, die Handtherapie erstmals in einem deutschsprachigen handchirurgi-
schen Lehrbuch breiter darzustellen. Das Zusammenspiel von konservativen und operativen Therapiemöglich-
keiten und die entsprechende Nachbehandlung sind in allen Kapiteln einheitlich dargestellt.
Ein Novum stellt die Beschreibung von spezifischen Unterschieden in Diagnostik und Therapie während
des Wachstums dar. Diesem Thema ist in jedem Kapitel am Ende des allgemeinen Teils ein eigener Abschnitt
gewidmet.
Die Darstellung der wichtigsten Operationstechniken ist in jedem Kapitel standardisiert im zweiten Abschnitt
unter »Spezielle Techniken« dargestellt. Auf »Fehler, Gefahren und Komplikationen« wird jeweils im dritten Ab-
schnitt eines Kapitels hingewiesen.
Gerade im Zeitalter des Internets, in dem aktuelles Wissen umfangreich und breit gefächert, aber häufig we-
nig strukturiert für jedermann zugänglich ist, kann ein gut strukturiertes Lehrbuch die Grundlagen vermitteln
und als solides Fundament dienen. Das Buch ist als Lehrbuch für den Anfänger und Nachschlagewerk für den
Erfahrenen konzipiert. Zum tieferen Eintauchen in die jeweilige Thematik wird am Ende eines jeden Kapitels auf
eine Vielzahl weiterführender Literaturquellen verwiesen.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text bei Personenbezeichnungen überwiegend nur die männ-
liche Form verwendet, sie schließt aber selbstverständlich beide Geschlechter ein.
Oft geht wertvolles Wissen durch einen Generationswechsel verloren. Durch die Auswahl der Autoren ist es
uns gelungen, den Wissenstransfer zwischen den Generationen optimal zu gestalten. Die Herausgeber sind be-
sonders dankbar, dass in diesem Buchprojekt eine Reihe herausragender Persönlichkeiten mitgewirkt und so den
nachfolgenden Generationen ihr großes Wissen und ihren reichen Erfahrungsschatz weitergegeben haben.
Es ist uns eine große Ehre, dass Herr Prof. Hanno Millesi, Pionier der Handchirurgie, das Geleitwort für un-
ser Buch verfasst hat.
Wir hoffen, mit diesem Buch einen Beitrag zur Qualitätsverbesserung in der Handchirurgie zu leisten sowie
wissenschaftliche und fachlich-sachliche Diskussionen anregen zu können.

Hamm, Essen, Münster, Jena, im Sommer 2011


Hossein Towfigh, Robert Hierner, Martin Langer, Reinhard Friedel
XIII

Danksagung
Die Herausgeber danken allen, die sich um das Entstehen dieses Buches verdient gemacht haben.
▬ Ein herzliches Dankeschön geht an Herrn Peter Bergmann und Frau Christiane Beisel, sowie an die übrigen
Mitarbeiter des Springer-Verlages, die zur Entstehung dieses Werkes beigetragen haben.
▬ Ein entscheidendes Element des Buches sind die neuen Zeichnungen, die von Herrn Reinhard Henkel ange-
fertigt wurden. Er hat die komplexe Materie mit großem Einfühlungsvermögen bearbeitet und den Abbildun-
gen mit seiner besonderen Fähigkeit zur Konzentration auf das Wesentliche einen besonderen fachlichen und
künstlerischen Ausdruck gegeben.
▬ Für den großen Einsatz und die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei dem Lektorat der Manuskripte möchten
wir uns ganz besonders bei Frau Dr. Christiane Grosser bedanken.
▬ Für die gelungene und übersichtliche Gestaltung des Buches sowie die digitale Bearbeitung möchten wir uns
bei Herrn Tobias Schaedla sehr herzlich bedanken.
▬ Den Autoren möchten wir für die professionelle Zusammenarbeit und die ausgezeichneten Beiträge danken,
die den hohen Standard der Handchirurgie im deutschen Sprachraum widerspiegeln.
▬ Wir danken Herrn Prof. Hanno Millesi, einem der großen Pioniere der Handchirurgie, sehr herzlich für sein
inhaltsreiches Geleitwort und seine freundliche Empfehlung des Werkes.
▬ Nicht zuletzt sei den Kollegen gedankt, die durch Rat und konstruktive Kritik zum Gelingen beigetragen und
unser Werk wohlwollend begleitet haben.

Hamm, Essen, Münster, Jena, im Sommer 2011


Hossein Towfigh, Robert Hierner, Martin Langer, Reinhard Friedel
XV

Inhaltsverzeichnis Band 1
13 Technik der Arthroskopie im Bereich
I Geschichte der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Gerhard Böhringer

1 Geschichte der Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 14 Therapie der »steifen Hand« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267


Martin Langer, Andreas Gohritz, Horst Haferkamp Peter Hahn, Frank Unglaub

II Propädeutik IV Handrehabilitation

2 Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik . . .13 15 Grundlagen der Handrehabilitation


Peter Laier, Jutta Haubold, Eric Weiss und Schienenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Christine Reff-Richter
3 Anästhesie und perioperative Schmerztherapie
in der Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27 16 Die handchirurgische Rehabilitation im
Klaus Görlinger, Daniel Dirkmann berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren –
Berufsgenossenschaftliche stationäre
4 Prinzipien der Wundbehandlung im Weiterbehandlung (BGSW) und komplexe
Handbereich (»Die kleine Handverletzung«) . . . . . .53 stationäre Rehabilitation (KSR) . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Janos Hankiss Detlef Schreier, Franz Jostkleigrewe

III Prinzipien und Techniken V Therapie chronischer Schmerzen

5 Prinzipien der Sehnenbehandlung: 17 Technik der Denervierung zur


Strecksehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 Schmerzausschaltung im Bereich der
Hossein Towfigh oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Albrecht Wilhelm
6 Prinzipien der Sehnenbehandlung:
Beugesehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 18 Therapie chronischer Schmerzen und
Martin Langer, Carsten Surke, Britta Wieskötter des komplexen regionalen Schmerzsyndroms
(CRPS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
7 Prinzipien der Behandlung von Reiner Winkel, Adriana Blonder
Gefäßverletzungen und -defekten . . . . . . . . . . . . . 139
Reinhold Stober 19 Therapie des komplexen regionalen
Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus
8 Prinzipien der Behandlung von handtherapeutischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
Nervenverletzungen und -defekten . . . . . . . . . . . . 155 Rainer Zumhasch, Michael Wagner
Robert Hierner, Alfred Berger
20 Die operative Behandlung der therapie-
9 Prinzipien der Behandlung von resistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I) durch
Knochenverletzungen und -defekten . . . . . . . . . . 179 transaxilläre Dekompression des Nerven-
Hossein Towfigh, Lars Gerres, Robert Hierner Gefäß-Stranges und obere extrapleurale
thorakale Sympathikusresektion . . . . . . . . . . . . . . 437
10 Prinzipien der Behandlung von Albrecht Wilhelm
Gelenkverletzungen und -defekten . . . . . . . . . . . . 201
Hossein Towfigh, Robert Hierner
(Mit einem Beitrag von Erwin Waldemar Kollig)

11 Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich . . 219


Stephan F. Schindele, Beat R. Simmen

12 Endoprothetik des Handgelenks . . . . . . . . . . . . . . . 233


Sebastian Kluge, Daniel Herren
XVI Inhaltsverzeichnis

31 Distale Radiusfraktur (Verletzung der


VI Angeborene Fehlbildungen distalen radioulnaren Funktionseinheit) . . . . . . . 769
Michael Strassmair, Klaus Wilhelm, Reinhard Friedel
und genetisch bedingte und Torsten Dönicke
Erkrankungen im Handbereich (Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg und
Barbara Schmidt)

21 Angeborene Fehlbildungen der Hand . . . . . . . . . . 469 32 Korrektur der in Fehlstellung verheilten


Hildegunde Piza-Katzer, Andrea Wenger, distalen Radiusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819
(Mit einem Beitrag von Dunja Estermann) Andreas Pachucki, Barbara Freudenschuss
(Mit einem Beitrag von Robert Eberl und
22 Epidermolysis bullosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Annelie Weinberg)
Martin Langer, Carsten Surke, Eva Lötters
33 Distales Radioulnargelenk (DRUG)
und triangulärer fibrokartilaginärer
Komplex (TFCC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
VII Frakturen, Luxationen Markus Gabl, Rohit Arora

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 861
23 Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im
Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen) . . . . 539 ERRATUM.......................................E1
Hossein Towfigh

24 Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre


Korrektur knöcherner Fehlstellungen) . . . . . . . . . 581
Hossein Towfigh
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg)

25 Frakturen im Mittelhandbereich
inklusive sekundärer Korrektur knöcherner
Fehlstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
Hossein Towfigh
(Mit einem Beitrag von Barbara Schmidt und
Annelie Weinberg)

26 Frakturen und Luxationen im


Handwurzelbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
Hossein Towfigh
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg)

27 Skaphoidfraktur und Skaphoid-


pseudarthrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
Torsten Dönicke, Reinhard Friedel
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg und
Barbara Schmidt)

28 Perilunäre Luxationen und


Luxationsfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
Martin Lutz, Rohit Arora, Markus Gabl

29 Kapsel-Band-Läsionen im
Handgelenkbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709
Hossein Towfigh

30 Idiopatische Mondbeinnekrose . . . . . . . . . . . . . . . . 749


Markus Gabl, Rohit Arora
XVII

Inhaltsverzeichnis Band 2

VIII Haut und Weichteile XI Verbrennung

34 Morbus Dupuytren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 889 46 Thermische, elektrische und chemische


Peter Brenner Verletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1279
Walter Künzi, Merlin Guggenheim
35 Deckung vom Weichteil- und kombinierten (Mit einem Beitrag von Lars-Peter Kamolz)
Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich . . 919
Robert Hierner, Zunli Shen

36 Hochdruckeinspritzverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 985 XII Vaskuläre Störungen


Berthold Bickert

37 Paravasate im Bereich der oberen 47 Angeborene Gefäßanomalien im Bereich


Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995 der oberen Extremität und Hand . . . . . . . . . . . . . 1325
Horst Koch, Armin Gerger, Benjamin Gehl Stephan Spendel, Maria Wiedner, Erwin Scharnagl

48 Kompartmentsyndrome im Bereich
der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1343
IX Rekonstruktive Handchirurgie Karlheinz Kalb
Knochen-Weichteildefekte 49 Durchblutungsstörungen im Bereich
der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1361
38 Rekonstruktion von palmaren und Reinhold Stober, Franz-Eduard Brock
dorsalen Endglieddefekten (inklusive Nagel
50 Lymphödem der oberen Extremität . . . . . . . . . . . 1385
und Nagelbett) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013
Rüdiger G.H. Baumeister
Robert Hierner, Hossein Towfigh

39 Die komplexe Handverletzung und


Mikroamputationsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . 1057
Reinhard Friedel XIII Arthrose und Arthritis
40 Sekundäre Wiederherstellung der 51 Rhizarthrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1401
Greiffunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1101 Raymund E. Horch, Frank Unglaub
Robert Hierner, Konrad Wolf
52 Veränderungen an der Hand bei
41 Makroamputationsverletzungen im Erkrankungen aus dem rheumatischen
Bereich der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . 1135 Formenkreis (Die »rheumatische« Hand) . . . . . . 1413
Milomir Ninkovic, Frank Herter, Tristan I. Gerstung, Stefan Rehart, Martina Henniger (Mit einem Beitrag
Robert Hierner von Cornelia Wortmann und Hartmut Michels)

42 Prothetik im Bereich der oberen Extremität . . . 1187


Lothar Milde, Arno Schmidt
XIV Neurologische Störungen
43 Schuss- und Explosionsverletzungen . . . . . . . . . 1209
Erwin Waldemar Kollig
53 Posttraumatische Läsionen des
44 Bissverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1229 Plexus brachialis beim Erwachsenen . . . . . . . . . . 1445
Michael Steen Alfred Berger, Robert Hierner

54 Geburtstraumatische Läsionen des


Plexus brachialis beim Neugeborenen . . . . . . . . 1489
X Infektion Alfred Berger, Robert Hierner

55 Läsionen peripherer Nerven im Handbereich


45 Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245 (ohne Plexus brachialis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1511
Hossein Towfigh, Lars Gerres Hisham Fansa, Gregor M. Landwehrs
XVIII Inhaltsverzeichnis

56 Nervenkompressionssyndrome im Bereich
der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1537 XIX Ästhetik
Margot Wüstner-Hofmann, Hans Assmus
(Mit Beiträgen von Gregor Antoniadis,
Albrecht Wilhelm, Christian Bischoff, Henrich Kele, 65 Ästhetische Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1811
Martin Bendszus, Mirko Pham) Rafael Jakubietz, Michael Jakubietz, Rainer Meffert,
Jörg Grünert
57 Motorische Ersatzoperationen im Bereich
der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1621
Jürgen Rudigier
XX Entwicklungsbiologische Aspekte
58 Freie funktionelle Muskeltransplantation
im Bereich der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . 1651
Robert Hierner, Alfred Berger 66 Entwicklungsbiologische Grundlagen
handchirurgisch relevanter Erkrankungen . . . . 1821
59 Handchirurgie bei Rückenmarkverletzungen Peter Hyckel
(Tetraplegie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1673
Andreas Gohritz, István Turcsányi, Jan Fridén Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1827

60 Handchirurgie bei zerebraler Schädigung ERRATUM.......................................E3


und Dysfunktion des oberen Motoneurons . . . 1695
Andreas Gohritz, Jan Fridén, Peter M. Vogt

XV Onkologie

61 Tumore im Bereich der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . 1723


Jörn Redeker, Peter M. Vogt

XVI Begutachtung

62 Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1755
Jürgen Probst

XVII Hand und psychische


Erkrankungen

63 Hand und psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . 1785


Martin Langer, Eva Lötters, Britta Wieskötter,
Carsten Surke

XVIII Quo Vadis (Die Zukunft)

64 Hand und Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1797


Jörg Grünert, Nicole Grünert-Plüss
XIX

Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen


2PDd 2-Punkt-Diskrimination, dynamisch (Weber-Test) ESWT Extrakorporale Stoßwellentherapie
2PDs/s2PD 2-Punkt-Diskrimination, statisch (Moberg-Test) FCR M. flexor carpi radialis
A./Aa. Arteria (-ae) FCU M. flexor carpi ulnaris
AAOS American Academy of Orthopedic Surgeons FDM M. flexor digiti minimi
AC-Gelenk Akromioklavikulargelenk FDP M. flexor digitorum profundus
ADL Aktivitäten des täglichen Lebens, »activities of daily FDS M. flexor digitorum superficialis
living« FES Funktionelle elektrische Muskelstimulation
ADM M. abductor digiti minimi FKHA Fingerkuppen-Hohlhand-Abstand
ADP/ADD M. adductor pollicis FPB M. flexor pollicis brevis
AER Apical Ectodermal Ridge FPL M. flexor pollicis longus
AO Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese GH-Gelenk Glenohumeralgelenk
APB M. abductor pollicis brevis GUV Gesetzliche Unfallversicherung
APL M. abductor pollicis longus H Os hamatum
BGSW Berufsgenossenschaftliche stationäre Weiter- HG-Gelenk Handgelenk
behandlung HISS Hand Injury Severity Score
BR M. brachioradialis HREA Handrückenebenenabstand
BUK Bundesverband der Unfallkassen HVBG Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen-
BZ Blutzucker schaften
C Os capitatum i. v. Intravenös
CC Complication or Comorbitity ICF International Classification of Functioning, Disability
CIND Carpal Instability Non Dissociative and Health
CMC-Gelenk Karpometakarpalgelenk IFSSH International Federation of Societies for Surgery of
CPM Continuous Passive Motion the Hand
CREST-Syndrom Spezielle Verlaufsform der progressiven systemischen IMBA Profilvergleichsverfahren zur Integration von
Sklerose mit Calcinosis cutis, Raynaud-Phänomen, Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt
Ösophagealer Dysfunktion, Sklerodaktylie und Telean- IOD M. interosseus dorsalis 1-4
giektasien im Gesicht IOP M. interosseus palmaris 1-3
CRPS Komplexes regionales Schmerzsyndrom IP-Gelenk Interphalangealgelenk
CTS s. KTS ISS Injury Severity Score
D I/D 1 Digitus primus, Pollex ITN Intubationsnarkose
D II/D 2 Digitus secundus, Index, KSR Komplexe stationäre Rehabilitation
D III/D 3 Digitus medius, tertius KTS Karpaltunnelsyndrom
D IV/D 4 Digitus anularis, quartus KUKS Kubitales Ulnariskompressionssyndrom
D V/D 5 Digitus minimus, quintus KUTS Kubitaltunnelsyndroms
d. p. Dorsopalmar L Os lunatum
DASH-Scores Disability of Arm, Shoulder, Hand Lig./Ligg. Ligamentum (-a)
DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung LRL Lig. radiolunatum longus
DIP-Gelenk Distales Interphalangealgelenk LRL Lig. radiolunatum longus
DISI Dorsal Intercalated Segment Instability LT Lunotriquetral
DRG Diagnostic Releated Groups LTD Lunotriquetrale Dissoziation
DRU Lig. radioulnaris dorsalis (»dorsal radioulnar Lum M. lumbricalis 1-4
ligament«) M./Mm. Musculus (-i)
DRUG Distales Radioulnargelenk MC-Gelenk Midkarpalgelenk
EAP Erweiterte ambulante Physiotherapie MCP Metakarpophalangealgelenk
EB-Gelenk Ellbogengelenk MCR Mediokarpalradialer Zugang
ECRB M. extensor carpi radialis brevis MCU Mediokarpalulnarer Zugang
ECRL M. extensor carpi radialis longus MdE Minderung der Erwerbsfähigkeit
ECU M. extensor carpi ulnaris MEP Motorisch evozierte Potenziale
ED(C) M. extensor digitorum (communis) MESS Mangled Extremity Severity Score nach Johansen et al.
EDM M. extensor digiti minimi MHK Mittelhandknochen
EFL Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit MP-Gelenk Metakarpophalangealgelenk
nach Isernhagen MTP-Gelenk Metatarsophalangealgelenk
EI Extensor indicis N./Nn. Nervus (-i)
EI(P) M. extensor indicis (proprius) N1 Radialer N. digitalis proprius des Daumens
EMG Elektromyogramm N10 Ulnarer N. digitalis proprius des kleinen Fingers
EMS Elektrische Muskelstimulation N2 Unarer N. digitalis proprius des Daumens
EPB M. extensor pollicis brevis N3 Radialer N. digitalis proprius des Zeigefingers
EPL M. extensor pollicis longus N4 Ulnarer N. digitalis proprius des Zeigefingers
XX Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen

N5 Radialer N. digitalis proprius des Mittelfingers VKU Verkehrsunfall


N6 Ulnarer N. digitalis proprius des Mittelfingers WHO World Health Organization
N7 Radialer N. digitalis proprius des Ringfingers ZFR Zwischenfingerraum
N8 Ulnarer N. digitalis proprius des Ringfingers
N9 Radialer N. digitalis proprius des kleinen Fingers
NLG Nervenleitgeschwindigkeit
NSAID Nichtsteroidale Antiphlogistika
OATS Osteochondral Autologous Transplantation
ODM M. opponens digiti minimi
OP M. opponens pollicis
OPS Operations- und Prozedurenschlüssel
ORIF Open Reduction Internal Fixation
P Os pisiforme
P1 Grundglied eines jeden Fingers
P2 Mittelglied eines Fingers
P3 Endglied eines jeden Fingers
pAVK Periphere arterielle Verschlusskrankheit
PB M. palmaris brevis
PCA Patient Controlled Analgesia,
PIP-Gelenk Proximales Interphalangealgelenk
PISI Palmar Intercalated Segment Instabilitiy
PL M. palmaris longus
PNF Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation
PQU M. pronator quadratus
PRKS Proximales Radialiskompressionssyndrom
PRUG Proximales Radioulnargelenk
PSA Pathologische Spontanaktivität
PSU Processus styloideus ulnae
PT M. Pronator teres
PUKS Proximales Ulnariskompressionssyndrom
R Radius
RC-Gelenk Radiokarpalgelenk
RLT Lig. radiolunotriquetrum,
ROM Range of Motion
RR Blutdruck (nach Riva Rocci)
RSC Lig. radioscaphocapitatum
RSL Lig. radioscapholunatum (Ligament de Testut)
RSTL Relaxed Skin Tension Lines
SC-Arthrodese Skaphokapitale Arthrodese
SEP Somatosensorisch evozierte Potenziale
SHFM Spalthandsyndrom, Split Hand Foot Malformation
SL-Band Lig. scapholunare interosseum
SLAC-Wrist Scapholunate Advanced Collapse
SL-Band-Ruptur Ruptur des Lig. scapholunare interosseum
SLD Skapholunäre Dissoziation
SLI Lig. scapolunatum interossea
SLP Stress Loading Program
SNAC-Wrist Scaphoid Nonunion Advanced Collapse
SORL Spiral Oblique Retinacular Ligament
SRL Short Radiolunat Ligament
STI-Test Shape Texture Identification Test
STT-Gelenk Skaphotrapeziotrapezoidealgelenk
TA Tangentialaufnahme der dorsalen Radiuskontur
TATA Totale anterioren Tenoarthrolyse
TFCC Triangulärer fibrokartilaginärer Komplex
TOS Thoracic-Outlet-Syndrom
V./Vv. Vena (-ae)
VATER-Assozi- Fehlbildungssyndrom (Vertebral Defects, Anal Atresia,
ation Tracheoesophageal Fistula,Esophageal Atresia, Radial
Defects and Renal Defects)
VIP Vertikale infraklavikuläre Plexusblockade
VISI Volar Intercalated Segment Instability
XXI

Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Gregor Antoniadis Prof. em. Dr. med. Alfred Berger
Bezirkskrankenhaus Günzburg Medizinische Hochschule Hannover
Neurochirurgische Klinik Klinik für Plastische, Hand und
der Universität Ulm Wiederherstellungschirurgie
Ludwig-Heilmeyer-Straße 2 Hohlbeinstraße 1
D-89312 Günzburg D-30916 Isernhagen
E-Mail: gregor.antoniadis@uni-ulm.de E-Mail: berger-alfred@t-online.de

PD Dr. med. Rohit Arora Dr. med. Berthold Bickert


Univ.-Klinik für Unfallchirurgie Innsbruck BG Unfallklinik Ludwigshafen
Handchirurgie Klinik für Hand-, Plastische und
Anichstraße 35 Rekonstruktive Chirurgie
A-6020 Innsbruck Ludwig-Guttmann-Straße 13
E-Mail: rohit.arora@uki.at D-67071 Ludwigshafen
E-Mail: bickert@bgu-ludwigshafen.de

Dr. med. Hans Assmus Prof. Dr. med. Christian Bischoff


Privatpraxis für periphere Neurologische Gemeinschaftspraxis
Nervenchirurgie Burgstraße 7
Ringstraße 3 D-80331 München
D-69221 Dossenheim E-Mail: info@neuro-burgstrasse.de
E-Mail: hans.assmus@dr.assmus.de

Prof. em. Dr. med. Rüdiger G.H. Dr. med. Adriana Blonder
Baumeister Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Ludwig-Maximilians-Universität Abteilung für Handchirurgie und
Campus-Grosshadern Wiederherstellende Plastische Chirurgie
Chirurgische Klinik und Poliklinik Friedberger Landstraße 430
Plastische-, Hand-, Mikrochirurgie D-60389 Frankfurt
Marchioninistraße 15 E-Mail: adriana.blonder@bgu-frankfurt.de
D-81377 München
E-Mail: sekr.plast@med.uni-muenchen.de

Prof. Dr. med. Martin Bendszus Dr. med. Gerhard Böhringer


Universitätsklinikum Heidelberg Esculap Klinik
Abteilung für Neuroradiologie Klinik für Unfallchirurgie
Im Neuenheimer Feld 400 Nordanlage 19
D-69210 Heidelberg D-35390 Giessen
E-Mail: martin.bendszus@med.uni- E-Mail: g.boehringer@esculapklinik.de
heidelberg.de
XXII Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Peter Brenner Dunja Estermann


Sylter Klinik für Plastische, Rekonstruktive Ergotherapie-Lans
und Ästhetische Chirurgie Oberes Feld 219/Top 3
Dr. Nicolas-Straße 3 A-6072 Lans
D-25980 Westerland/Sylt E-Mail: info@ergotherapie-lans.at
E-Mail: ProfPBrenner@aol.com

Dr. med. Franz-Eduard Brock Prof. Dr. med. Hisham Fansa


Universität Duisburg-Essen Städtische Kliniken Bielefeld
Universitätsklinikum Essen Klinik für Plastische, Wiederherstellungs-
Klinik für Angiologie und Ästhetische Chirurgie
Hufelandstraße 55 Handchirurgie
D-45147 Essen Teutoburger Straße 50
E-Mail: franz.brock@uk-essen.de D-33604 Bielefeld
E-Mail: hisham.fansa@klinikumbielefeld.de

Dr. med Daniel Dirkmann Dr. med. Barbara Freudenschuss


Universität Duisburg-Essen KH Amstetten
Universitätsklinikum Essen Unfallchirurgie
Klinik für Anästhesiologie und Krankenhausstraße 21
Intensivmedizin A-3300 Amstetten
Hufelandstraße 55 E-Mail: unfall@kh-amstetten.at
D-45147 Essen
E-Mail: daniel.dirkmann@uk-essen.de

Dr. med. Torsten Dönicke Dr. med. Reinhard Friedel


Universitätsklinikum Jena Universitätsklinikum Jena
Funktionsbereich Hand-, Plastische und Funktionsbereich Hand-, Plastische und
Mikrochirurgie Mikrochirurgie
Erlanger Allee 101 Erlanger Allee 101
D-07740 Jena D-07740 Jena
E-Mail: torsten.doenicke@med.uni-jena.de E-Mail: reinhard.friedel@med.uni-jena.de

Priv. Doz. Dr. med. Robert Eberl Prof. Dr. Jan Friden
Universitätsklinik Graz Sahlgrenska Universitetsjukhuset
Universitätsklinik für Kinder- und Department für Handchirurgie
Jugendchirurgie Bruna Straket 9,
Auenbruggerplatz 34 SE-413 45 Göteborg
A-8036 Graz E-Mail: jan.friden@orthop.gu.se
E-Mail: robert.eberl@meduni-graz.at
XXIII
Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Markus Gabl Dr. med. Andreas Gohritz


Universitätsklinik für Unfallchirurgie Medizinische Hochschule Hannover
Innsbruck Klinik für Plastische, Hand- und
Handchirurgie Wiederherstellungschirurgie
Anichstraße 35 Carl-Neuberg-Straße 1
A-6020 Innsbruck D-30625 Hannover
E-Mail: markus.gabl@uki.at E-Mail: andreas_gohritz@yahoo.com

Dr. med. Benjamin Gehl Dr. med. Klaus Görlinger


Universität Duisburg-Essen Universitätsklinikum Essen
Universitätsklinikum Essen Universität Duisburg-Essen
Plastische, Rekonstruktive, Ästhetische Klinik für Anästhesiologie und
und Handchirurgie, Zentrum für Intensivmedizin
Interdisziplinäre Rekonstruktive Chirurgie Hufelandstraße 55
Hufelandstraße 55 D-45147 Essen
D-45147 Essen E-Mail: klaus@goerlinger.net
E-Mail: benjamin.gehl@gmail.com

PD Dr. med. Armin Gerger Prof. Dr. med. Jörg Grünert


Medizinische Universität Graz Kantonsspital St. Gallen
Universitätsklinik für Innere Medizin Klinik für Hand-, Plastische und
Klinische Abteilung für Onkologie Wiederherstellungschirurgie
Auenbrugger Platz 29 CH-9007 St. Gallen
A-8036 Graz Rorschacherstrasse 95
E-Mail: armin.gerger@medunigraz.at E-Mail: joerg.gruenert@kssg.ch

Dr. med. Lars Gerres Nicole Grünert-Plüss


Klinikum Osnabrück Kantonsspital St. Gallen
Klinik für Orthopädie- Unfall und Ergotherapie, Handtherapie
Handchirurgie CH-9007 St. Gallen
Am Finkenhügel 1 Rorschacherstrasse 95
D-49076 Osnabrück E-Mail: nicole.gruenert@kssg.ch
E-Mail: lars.gerres@klinikum-os.de

Dr. med. Tristan I. Gerstung PD Dr. med. Merlin Guggenheim


Städtisches Klinikum München Universitätsspital Zürich
Klinikum Bogenhausen Klinik für Wiederherstellungschirurgie
Klinik für Plastische, Rekonstruktive, Rämistrasse 100
Hand- und Verbrennungschirurgie CH-8091 Zürich
Englschalkinger Straße 77 E-Mail: merlin.guggenheim@usz.ch
D-81925 München
E-Mail: tristan.gerstung@kh-
bogenhausen.de
XXIV Autorenverzeichnis

Dr. med. Horst Haferkamp PD. Dr. med. Daniel Herren


Weinbergstr. 7 Schulthess Klinik
D-34117 Kassel Chefarzt Handchirurgie
Abteilung für obere Extremitäten und
Handchirurgie
Lengghalde 2
CH-8008 Zürich
E-Mail: daniel.herren@kws.ch

Prof. Dr. med. Peter Hahn Dr. med. Frank Herter


Vulpiusklinik Städtisches Klinikum München
Handchirurgie Klinikum Bogenhausen
Vulpiusstrasse 29 Klinik für Plastische, Rekonstruktive,
D-74096 Bad Rappenau Hand- und Verbrennungschirurgie
E-Mail: hahn@vulpiusklinik.de Englschalkinger Straße 77
D-81925 München
E-Mail: frank.herter@kh-bogenhausen.de

Dr. med. Janos Hankiss Prof. Dr. med. Robert Hierner


Klinikum Lippe-Lemgo Universität Duisburg-Essen
Abteilung für Plastische und Universitätsklinikum Essen
Handchirurgie Plastische, Rekonstruktive, Ästhetische
Rintelner Straße 85 und Handchirurgie, Zentrum für
D-32657 Lemgo Interdisziplinäre Rekonstruktive Chirurgie
E-Mail: janos.hankiss@klinikum-lippe.de Hufelandstraße 55
D-45147 Essen
E-Mail: robert.hierner@uk-essen.de

Dr. med. Jutta Haubold Prof. Dr. med. Raymund E. Horch


Städtisches Klinikum Karlsruhe Universitätsklinikum Erlangen
Chirurgische Klinik Plastische und Handchirurgische Klinik
Moltkestraße 90 Krankenhausstraße 12
D-76133 Karlsruhe D-91054 Erlangen
E-Mail: jutta.haubold@klinikum- E-Mail: Raymund.Horch@uk-erlangen.de
karlsruhe.de

Dr. med. Martina Henninger Prof. Dr. med. Peter Hyckel


Markus-Krankenhaus Universitätsklinikum Jena
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
Wilhelm-Epstein-Straße 2 und Gesichtschirurgie / Plastische
D-60431 Frankfurt am Main Chirurgie
E-Mail: Stefan.Rehart@fdk.info Postfach
D-07740 Jena
E-Mail: Peter.Hyckel@med.uni-jena.de
XXV
Autorenverzeichnis

Dr. med. Michael Jakubietz Dr. med. Henrich Kele


Universitätsklinikum Würzburg Universitätsklinikum Gießen
Klinik für Unfallchirurgie, Plastische und Neurologische Klinik
Handchirurgie Rudolph-Buchheim-Straße 8
Oberdürrbacherstraße 6 D-35385 Gießen
D-97080 Würzburg E-Mail: www.neurologie-neuer-wall.de
E-Mail: Jakubietz_M@klinik.uni-
Wuerzbug.de

Dr. med. Raphael Jakubietz Dr. med. Sebastian Kluge


Universitätsklinikum Würzburg Schulthess Klinik
Klinik für Unfallchirurgie, Plastische und Abteilung für obere Extremitäten und
Handchirurgie Handchirurgie
Oberdürrbacherstraße 6 Lengghalde 2
D-97080 Würzburg CH-8008 Zürich
E-Mail: Jakubietz_R@klinik.uni- E-Mail: sebastian.kluge@kws.ch
Wuerzbug.de

Dr. med. Franz Jostkleigrewe Prof. Dr. med. Horst Koch


BG-Unfallklinik Duisburg-Buchholz Medizinische Universität Graz
Klinik für Handchirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie
Plastische Chirurgie, Zentrum für Klinische Abteilung für Plastische und
Schwerbrandverletzte Rekonstruktive Chirurgie
Großenbaumer Allee 240 Auenbrugger Platz 29
D-47249 Duisburg A-8036 Graz
E-Mail: handchirurgie@bgu-duisburg.de E-Mail: horst.koch@medunigraz.at

Dr. med. Karlheinz Kalb PD Dr. med. Erwin Kollig


Rhön-Klinikum AG Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Klinik für Handchirurgie Leitender Arzt der Unfallchirurgie
D-97616 Bad Neustadt / Saale und Orthopädie, Wiederherstellungs-
Salzburger Leite 1 Hand- und Plastische Chirurgie,
E-Mail: k.kalb@handchirurgie.de Verbrennungsmedizin
Rübenacherstraße 170
D-56064 Koblenz
E-Mail: ErwinKollig@bundeswehr.org

Dr. med. Lars Peter Kamolz, M.Sc. Dr. med. Walter Künzi
Facharzt-Ordinationsgemeinschaft Universitätsspital Zürich
Bahngasse 7 Klinik für Wiederherstellungschirurgie
A-2700 Wr. Neustadt Rämistrasse 100
E-Mail: kamolz@plastchirurg.info CH-8091 Zürich
E-Mail: walter.kuenzi@usz.ch
XXVI Autorenverzeichnis

PD Dr. med. Martin Langer Prof. Dr. med. Rainer Meffert


Handchirurgie und Mikrochirurgie Universitätsklinikum Würzburg
Klinik und Poliklinik für Unfall-. Hand- Klinik für Unfallchirurgie, Plastische und
und Wiederherstellungschirurgie Handchirurgie
Universitätsklinikum Münster Oberdürrbacherstraße 6
Waldeyerstraße 1 D-97080 Würzburg
D-48149 Münster E-Mail: Meffert_R@klinik.uni-
E-Mail: martin.langer@uni-muenster.de Wuerzburg.de

Dr. med. Peter Laier Dr. med. Hartmut Michels


Städtisches Klinikum Karlsruhe ehem. CA Dt. Zentrum für Kinder- und
Chirurgische Klinik Jugendrheumatologie, Garmisch-
Moltkestraße 90 Partenkirchen
D-76133 Karlsruhe Am Königreich 1a
E-Mail: peter.laier@klinikum-karlsruhe.de D-82467 Garmisch-Partenkirchen
E-Mail: michels.garmisch-
partenkirchen@t-online.de

Dr. med. Gregor M. Landwehrs Lothar Milde


Städtische Kliniken Bielefeld Auf dem Klimpe 2
Klinik für Plastische, Wiederherstellungs- D-37136 Mackenrode
und Ästhetische Chirurgie
Handchirurgie
Teutoburger Straße 50
D-33604 Bielefeld
E-Mail: gregor.landwehrs@
klinikumbielefeld.de

Dr. med. Eva Lötters Prof. Dr. med. Milomir Nincovic


Universitätsklinikum Münster Klinikum Bogenhausen
Klinik und Poliklinik für Unfall-. Hand- Städtisches Klinikum München
und Wiederherstellungschirurgie Klinik für Plastische, Rekonstruktive,
Waldeyerstraße 1 Hand- und Verbrennungschirurgie
D-48149 Münster Englschalkinger Straße 77
E-Mail: eva.jatzkowski@uni-muenster.de D-81925 München
E-Mail: milomir.ninkovic@kh-
bogenhausen.de

Prof. Dr. med. Martin Lutz Dr. med. Andreas Pachucki


Universitätsklinik für Unfallchirurgie KH Amstetten
Innsbruck Unfallchirurgie
Handchirurgie Krankenhausstraße 21
Anichstrasse 35 A-3300 Amstetten
A-6020 Innsbruck E-Mail: unfall@kh-amstetten.at
E-Mail: martin.lutz@uki.at
XXVII
Autorenverzeichnis

Dr. med. Mirko Pham Prof. Dr. med. Stefan Rehart


Universitätsklinikum Heidelberg Markus-Krankenhaus
Abteilung für Neuroradiologie Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie
Im Neuenheimer Feld 400 Wilhelm-Epstein-Straße 2
D-69210 Heidelberg D-60431 Frankfurt am Main
E-Mail: mirko-pham@med.uni- E-Mail: Stefan.Rehart@fdk.info
heidelberg.de

Prof. em. Dr. med. Hildegunde Piza Prof. Dr. med. Jürgen Rudigier
Universität Innsbruck Ortenau Klinikum, Offenburg-
Klinik für Plastische und Gengenbach
Wiederherstellungschirurgie Klinik für Unfall- und Handchirurgie
Kalmanstraße 41 Ebertplatz 12
A-1130 Wien D-77654 Offenburg
E-Mail: hildegunde.piza@i-med.ac.at E-Mail: traumatologie@og.ortenau-
klinikum.de

Prof. em. Dr. med. Jürgen Probst Prof. Dr. med. Erwin Scharnagel
Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Universitätsklinik für Chirurgie
Murnau Medizinische Universität Graz
Alter Mühlhabinger Weg 3 Klinische Abteilung für Plastische und
D-82418 Murnau am Staffelsee Rekonstruktive Chirurgie
E-Mail: Prof.Juergen.Probst.Murnau@ Auenbrugger Platz 29
t-online.de A-8036 Graz
E-Mail: erwin.scharnagel@medunigraz.at

Dr. med. Jörn Redeker PD Dr. med. Stephan F. Schindele


Katholisches Klinikum Duisburg Schulthess Klinik
St. Barbara Hospital Abteilung für obere Extremität und
Akademisches Lehrkrankenhaus der Handchirurgie
Universität Düsseldorf Lengghalde 2
Klinik für Plastische Chirurgie und CH-8008 Zürich
Handchirurgie E-Mail: stephan.schindele@kws.ch
Barbarastraße 67
D-47167 Duisburg
E-Mail: j.redeker@kkd.de

Christine Reff-Richter Arno Schmidt


Praxis für Ergotherapie und Otto Bock HealthCare GmbH
Handrehabilitation Max-Näder-Straße 15
Forstenrieder Alle 59 D-37115 Duderstadt
D-81476 München E-Mail: arno.schmidt@ottobock.de
E-Mail: CRR@arcor.de
XXVIII Autorenverzeichnis

Prof. Dr. med. Barabara Schmidt PD. Dr. med. Michael Steen
Universitätsklinik Graz Berufsgenossenschaftliche Kliniken
Universitätsklinik für Kinder- und Bergmannstrost
Jugendchirurgie Klinik für Plastische und Handchirurgie,
Auenbruggerplatz 34 Brandverletztenzentrum
A-8036 Graz Merseburger Straße 165,
E-Mail: barabara.schmidt@meduni-graz.at D-06112 Halle (Saale)
E-Mail: plastische-chirurgie@
bergmannstrost.com

Dr. med. Detlef Schreier Prof. Dr. med. Reinhold Stober


BG-Unfallklinik Duisburg-Buchholz Hirslanden Medical Center
Klinik für Handchirurgie, Zentrum für Handchirurgie
Plastische Chirurgie, Zentrum für Rain 34
Schwerbrandverletzte CH-5001 Aarau
Großenbaumer Allee 240 E-Mail: reinhold.stober@hirslanden.ch
D-47249 Duisburg
E-Mail: handchirurgie@bgu-duisburg.de

Prof. Dr. med. Zunli Shen Dr. med. Michael Strassmair


Jiao Tong Universität Shanghai Klinikum Starnberg
Shanghai First Peoples Hospital Zentrum für Handchirurgie
Klinik für Plastische, Hand- und Oßwaldstrasse 1
Ästhetische Chirurgie D-82319 Starnberg
Wu Jin Straße 85 E-Mail: handchirurgie@web.de
CN-Shanghai 200080
E-Mail: zunli_shen@yahoo.com.cn

Dr. med. Beat R. Simmen Dr. med. Carsten Surke


Schulthess Klinik Universitätsklinikum Münster
Abteilung für obere Extremität und Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-
Handchirurgie und Wiederherstellungschirurgie
Lengghalde 2 Waldeyerstraße 1
CH-8008 Zürich D-48149 Münster
E-Mail: beat.simmen@kws.ch E-Mail: carsten.surke@uni-muenster.de

Prof. Dr. med. Stephan Spendel Prof. Dr. med. Hossein Towfigh
Medizinische Universität Graz St. Barbara-Klinik Hamm
Universitätsklinik für Chirurgie Department für Handchirurgie,
Klinische Abteilung für Plastische und Mikrochirurgie und Plastische
Rekonstruktive Chirurgie Wiederherstellungschirurgie
Auenbrugger Platz 29 Am Heessener Wald 1
A-8036 Graz D-59073 Hamm
E-Mail: stephan.spendel@medunigraz.at E-Mail: prof.towfigh@towfigh.de
XXIX
Autorenverzeichnis

Dr. Istvan Turcsanyi Dr. med. Eric Weiss


Orthopaedic Department Städtisches Klinikum Karlsruhe
Jósa András County Teaching Hospital Chirurgische Klinik
Szent István 68 Moltkestraße 90
H-4400 Nyíregyháza D-76133 Karlsruhe
E-Mail: turcsanyii@chello.hu E-Mail: eric.weiss@klinikum-karlsruhe.de

PD Dr. med. Frank Unglaub Dr. med. Andrea Wenger


Vulpiusklinik Georgenberg 139
Handchirurgie A-5431 Kuchl
Vulpiusstraße 29 E-Mail: Andrea.Wenger@pmu.ac.at
D-74096 Bad Rappenau
E-Mail: unglaub@vulpiusklinik.de

Prof. Dr. med. Peter M. Vogt Dr. med. univ. Maria Wiedner
Klinik für Plastische, Hand- und Universitätsklinik für Chirurgie
Wiederherstellungschirurgie Medizinische Universität Graz
Medizinische Hochschule Hannover Klinische Abteilung für Plastische und
Carl-Neuberg-Straße 1 Rekonstruktive Chirurgie
D-30625 Hannover Auenbrugger Platz 29
E-Mail: info-phw@mh-hannover.de A-8036 Graz
E-Mail: maria.wiedner@medunigraz.at

Michael Wagner Dr. med. Britta Wieskötter


Akademie für Handrehabilitation Universitätsklinikum Münster
Süntelstraße 70 Klinik und Poliklinik für Unfall-. Hand-
D-31848 Bad Münder und Wiederherstellungschirurgie
E-Mail: Handreha@t-online.de Waldeyerstraße 1
D-48149 Münster
E-Mail: brittta.wieskötter@uni-
muenster.de

PD Dr. med. Annelie Weinberg Prof. em. Dr. med. Albrecht Wilhelm
Universitätsklinik Graz Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie,
Universitätsklinik für Kinder- und Handchirurgie
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XXX Autorenverzeichnis

Prof. em. Dr. med. Klaus Wilhelm Rainer Zumhasch


Ludwig-Maximilians-Universität Akademie für Handrehabilitation
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Dr. med. Reiner Winkel


Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Chefarzt
Abteilung für Handchirurgie und
Wiederherstellende Plastische Chirurgie
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Priv.-Doz. Dr. med. Konrad Wolf


Unfallchirurgische Klinik
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Dr. med. Cornelia Wortmann


Internistische Rheumatologie
Agaplesion Frankfurter Diakoniekliniken
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60431 Frankfurt
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Prof. Dr. med. Margot Wüstner-Hofmann


Klinik Rosengasse GmbH
Abteilung für Plastische Chirurgie, Hand-
und Mikrochirurgie
Belegärztin an der Donauklinik Neu-Ulm
Rosengasse 19
D-89073 Ulm
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I

I Geschichte

1 Geschichte der Handchirurgie – 3


Martin Langer, Andreas Gohritz, Horst Haferkamp
1

Geschichte der Handchirurgie


Martin Langer, Andreas Gohritz, Horst Haferkamp

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


4 Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie

Die Handchirurgie als Spezialfach hat sich erst in der zweiten um 1504
1 Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgebildet, konnte sich aber trotz Goetz von Berlichingen (1480–1562) verliert bei der Belagerung
der enormen Spezialisierung mit tausenden verschiedener Ope- von Landshut seine rechte Hand. Seine eiserne Hand ist die erste
rationen und riesigen Patientenzahlen (allein 30–40% der Ar- passive Prothese und für die damalige Zeit ein unglaubliches fein-
beitsunfälle betreffen die Hand) bis heute in Deutschland nicht mechanisches Kunstwerk mit 3 mechanischen Gelenken der Finger
als eigenständige und unabhängige Disziplin durchsetzen. Das und zwei für den Daumen. Die Finger müssen mit der gesunden
spezielle Interesse an der differenzierten Anatomie der Hand Hand um das Schwert gelegt werden. Nach Lösen der Arretierung
war jedoch immer schon hoch und die hervorragenden Ergeb- springen die Finger wieder in Streckstellung.
nisse nach durchdachten und exakt ausgeführten handchirur-
gischen Eingriffen haben Chirurgen auch in den vergangenen 1543
Jahrhunderten immer wieder fasziniert. Viele Techniken, die wir Andreas Vesalius (1514–1564) veröffentlicht seinen Atlas der Ana-
heute selbstverständlich benutzen, sind das Resultat von lange tomie und wird der Vater der modernen Anatomie.
zurückliegenden (nicht nur des 20. Jahrhunderts) Entdeckun-
gen, Forschungen, Erfindungen und genialen Ideen. Der Versuch um 1550
eine einigermaßen vollständige Geschichte der Handchirurgie zu Ambroise Paré (1509–1590), der Vater der Chirurgie in Frank-
schreiben, würde den Umfang eines Lehrbuchkapitels bei Weitem reich, sammelte seine Erfahrungen meist als Kriegschirurg. Auf
sprengen. Die Geschichte der Handchirurgie in komprimierter den Schlachtfeldern konnte er aus der Not heraus zwei Behand-
Form darzustellen und dabei die wichtigsten Personen, Daten lungsarten direkt miteinander vergleichen – das Ausbrennen
und Meilensteine zu nennen, ist nur stichpunktartig möglich. der Amputationswunden mit siedendem Öl, die vorgeschriebene
Diese Übersicht bietet auf engstem Raum interessante Einbli- Technik, und nachdem das Öl ausgegangen war, die Ligatur der
cke über die Forschungsschwerpunkte zu den jeweiligen Zeiten, Arterien. Die mit Abstand besseren Ergebnisse führten dazu,
überraschend junge Techniken und sehr alte Verfahren, die sich dass Paré niemals wieder heißes Öl verwendete und er die Tech-
seit Jahrzehnten bewährt haben. Trotzdem zeigt diese Zusam- nik der Arterienligatur empfahl. Er beschrieb auch Handinfek-
menstellung große Lücken und viele wichtige Personen sind nicht tionen, künstliche Hände und Schienen für die Streckung zur
genannt. Bei den Abbildungen haben wir uns beschränken müs- Weiterbehandlung nach Narbendurchtrennung bei kontrakten
sen und einige weniger bekannte Portraits ausgewählt. Aktuelle Fingern.
Geschehnisse haben wir noch nicht aufgenommen und sind nur
bis 1993 mit der »Geschichte« vorgedrungen. Trotz intensiver 1596
Suche konnten wir etliche Vornamen, Jahreszahlen und Fakten Felix Würtz (1514–1575), »Practica der Wundarznei«, in der er
nicht herausfinden, für Hinweise und Korrekturen aus der Leser- u. a. angibt, dass Finger, die steif und unbrauchbar werden in eine
schaft sind wir äußerst dankbar. bestmögliche und am wenigsten störende Stellung gebracht werden
sollen.
400 v. Chr.
Hippokrates von Kos (460–354 v. Chr.) beschreibt in seinem Cor- 1614
pus Hippokraticum Anweisungen zur Reposition von Luxationen Felix Platter (1536–1614) aus Basel beschreibt bereits 200 Jahre vor
und Frakturen der Hand. Dupuytren die Retraktion der Palmaraponeurose.

210 v. Chr. 1628


Marcus Sergius verliert im 2. punischen Krieg die rechte Hand und William Harvey (1578–1657) veröffentlicht sein Buch über den
ein Bein und ließ sich daraufhin eine eiserne Armprothese anferti- Blutkreislauf und untersucht diesen u. a. anhand der Venen des
gen, mit der er weiterkämpfte. Unter seinen Heldentaten wird die Unterarmes.
Verteidigung von Placentia und Cremona sowie die Eroberung von
12 gallischen Lagern erwähnt. 1653
Michael Lyser (1626–1659) aus Dänemark benennt erstmals die
180 n. Chr. einzelnen Karpalknochen.
Claudius Galenos von Pergamon (131–201 n. Chr.) berichtet in
seinem Canon über Infektionen der Hand und prägt den Satz »Ubi 1710
pus, ibi evacua«, benutzt Ausdrücke: carpus, metacarpus, phalanx, Jean-Louis Petit (1674–1750), Amputationen auf verschiedener
apophysis, epiphysis, unterscheidet zwischen Flexor digitorum su- Höhe, Schrauben-Tourniquet, vermutet erstmals eine distale Radi-
blimis und profundus. usfraktur, Tourniquet zur Kompression von Arterien, ewdiokarpale
Luxationen, Hand- und Handgelenksanomalien.
um 1000 Pierre Dionis (1643–1718), Fingerdeviation und eitrige Beugeseh-
Rhazès (Abu Bekr Mohammed Ibn Zakkariya el Razi) (850–925) nenscheideninfektion.
und Avicenna (Abu Ali Husain Ibn Abdullah Ibn Sina) (980–1037)
beschreiben Schienen zur Behandlung von Mittelhandfrakturen 1718
und adaptieren Sehnen indirekt durch die Naht des umgebenden Lorenz Heister (1683–1758) beschreibt seine Nahttechnik für Seh-
Gewebes. nen.

um 1480 1741
Leonardo da Vinci (1452–1519) fertigt die ersten genauen Zeich- Pietro Berettini da Cortona (1596–1669), Tabulae anatomicae mit
nungen der Muskeln, Knochen, Blutgefäße, Sehnen der Hand und Nervenverbindung zwischen N. medianus und N. ulnaris in der
u. a. auch erstmals der A2- und A4-Ringbänder an. Hand (Berettini-Verbindung).
Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie
5 1
1742 1841
Josias Weitbrecht (1702–1747) »Syndesmologica«, eine fast voll- Alfred Poland (1820–1872), Fehlbildungen der Hand mit fehlen-
ständige Darstellung aller Bänder des Menschen, erscheint. dem M. pectoralis.

1760 1850
Pieter Camper (1722–1789), Chiasma der Beugesehnen an den Gustav Biedermann Günther (1801–1866), »Das Handgelenk«.
Fingern.
1851
1763 Sauveur Henri Victor Bouvier (1799–1877 ), Zeichen der Kontrak-
Roland Martin (1726–1788), Martin-Gruber-Verbindung zwischen tur der intrinsischen Muskulatur bei Ulnaris-Lähmung.
N. ulnaris und N. medianus am Unterarm.
1853
1778 Sir James Paget (1814–1899), 1. Fall eines Karpaltunnelsyndroms,
Claude Pouteau (1725–1775) beschreibt (posthume Veröffentli- Sehnenheilung, Nervennaht.
chung) die distale Radiusfraktur.
1854
1802 John Struthers (1823–1899), Processus supracondylaris humeri.
William Heberden (1710–1801) beschreibt die Arthrose des Finge- Charles Pierre Denonvilliers (1808–1872), lokale Hautlappenplasti-
rendgelenks und prägt den Ausdruck »Angina pectoris«. ken im Sinne der Z–Plastik.

1810 1855
Simon Zeller (1746–1816) verwendet erstmals einen dreieckigen Guillaume Benjamin Amand Duchenne (1806–1875), Muskeldys-
dorsalen Lappen zur Neubildung der Fingerzwischenfalte bei der trophien, »Physiology of motion«, eine der wichtigsten Publikatio-
Syndaktylietrennung. nen der Medizingeschichte.

1813 1856
Carol Friedrich Ludovic Gantzer, Gantzer‘scher Muskel, akzessori- Julius von Szymanowski (1829–1868), Z-Plastik.
scher Kopf des M. flexor pollicis longus.
1861
1814 Jean Casimir Felix Guyon (1831–1920), Loge de Guyon, später Be-
Abraham Colles (1773–1843), distale Radiusextensionsfraktur. gründer der Urologie in Frankreich
Giovanni Batista Monteggia (1762–1815), Fraktur der proximalen Carl von Langer (1819–1887), Spaltlinien der Haut.
Ulna mit Radiuskopfluxation.
1862
1821 Maurice Raynaud (1834–1881), Raynaud-Syndrom der Finger.
Sir Astley Paston Cooper (1768–1841), Kontraktur der Palmara-
poneurose. 1865
Joseph Lister (1827–1912), Tuberculum Listeri.
1832
Baron Guillaume Dupuytren (1777–1835), Kontraktur der Palma- 1867
raponeurose. Joseph Lister (1827–1912), Asepsis.

1833 1868
Sir Charles Bell (1774–1842), »The hand, its mechanism and vital Friedrich Gustav Jacob Henle (1809–1885) beschreibt in seinem
endowments as evincing design«, einer der Klassiker der Medizin »Handbuch der systematischen Anatomie« sympathische Nerven-
überhaupt. fasern zum N. ulnaris (Henle‘scher Nerv) und die Anheftungen des
Georg Friederich Louis Stromeyer (1804–1876), Beginn der Seh- TFCC an der Ulna.
nenchirurgie, Tenotomie.
Jean Gaspard Blaise Goyrand (1803–1866), anatomische Arbeiten 1869
über die Dupuytren-Kontraktur und später (1837) Beschreibung Jacques Louis Reverdin (1842–1908), Reverdin-Plastik.
der Flexionsfraktur des distalen Radius. Johann Friederich Horner (1831–1886), eine besondere Form der
Ptosis.
1834
Ernst Heinrich Weber (1795–1878), Zwei-Punkte-Diskrimination. 1870
Wenzel Leopold Gruber (1814–1890), veröffentlicht zahlreiche
1835 anatomische Variationen an der Hand und u. a. auch die Media-
Filippo Pacini (1812–1883), Tastkörperchen. nus-Ulnaris-Verbindung am Unterarm (Martin-Gruber-Verbin-
dung).
1835
Margarethe Karoline Eichler, Berliner Instrumentenmacherin und 1872
Bandagistin, entwickelt eine künstliche Hand, bei der eine aktive Silas Weir Mitchell (1829–1914), »Injuries of nerves and their con-
Beugung und eine passive Streckung möglich sind. sequences«, prägt den Begriff Kausalgie.
6 Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie

1873 1885
1 Johann Friedrich August von Esmarch (1823–1908), künstliche Augusta Klumpke (1859–1927), Plexusparese.
Blutleere.
Wilhelm Heinrich Erb (1840–1921), Plexuslähmung. 1886
Carl Thiersch (1822–1895), dünne Hauttransplantate.
1874
Carl Thiersch ( 1822–1895), Spalthauttransplantation. 1888
Carl Hueter (1838–1882), Infektionen der Hand, Hueter-Linie. Max Oberst (1849–1925), Oberst-Anästhesie am Finger.

1875 1889
John Reissberg Wolfe (1824–1904), Vollhauttransplantation. M. Bilhaut, Keilresektion beim Doppeldaumen.

1876 1891
Francesco Parona (1842–1908), tiefer Unterarmraum (Parona- Otto Sprengel (1852–1915), Sprengel-Deformität.
Raum). Carl Nicoladoni (1847–1902; ⊡ Abb. 1.3), Daumenrekonstruktion,
transplantierte erstmals Zehen zur Hand und entwickelte wichtige
1878 Transpositionen von Sehnen.
John Cleland (1835–1925), Hautbänder der Finger.
1892
1879 Francois Legueu und E. Juvara, vertikale Septen in der Hohlhand.
Otto Wilhelm Madelung (1846–1926; ⊡ Abb. 1.1), Fehlbildung des
distalen Radius mit spontaner Subluxation der Hand (Madelung- 1893
Deformität). Archibald Edward Garrod (1819–1907), Knöchelpolster über den
PIP.
1881
Richard von Volkmann (1830–1889) Ischämische Kontraktur. 1893
Fedor Krause (1857–1937), Technik der Vollhauttransplantation
1882 (Wolfe-Krause-Lappen).
Edward Halloran Bennett (1837–1907; ⊡ Abb. 1.2), Basisfraktur des
Metakarpale 1. 1895
Friedrich Daniel von Recklinghausen (1833–1910), Neurofibro- Wilhelm Konrad Röntgen (1845–1923) veröffentlicht seine Arbeit
matose. über die X–Strahlen.

1895
Fritz de Quervain (1868–1940), Tendovaginitis stenosans, später
die Luxationsfraktur des Handgelenks.

1896
A. Cannieu, Medianus-Ulnaris-Verbindung in der Hohlhand.

1897
Paul Poirier (1853–1907), Poirier‘sche Raum im Carpus.

1900
Carl Nicoladoni (1847–1902), Daumenplastik.
⊡ Abb. 1.1 Otto Wilhelm Madelung. (Aus Münchner Medizinische Wochen- Louis Xavier Edouard Léopold Ollier (1830–1900), Dyschondropla-
schrift 1926) sie-Enchondromatose, bereits 1872 Hauttransplantationen.

⊡ Abb. 1.2 Edward Halloran Bennett. (Aus Mostofi 2005) ⊡ Abb. 1.3 Carl Nicoladoni. (Aus Mostofi 2005)
Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie
7 1
1901 William Darrach (1876–1948), subperiostale Resektion der distalen
Henri Francois Secrétan (1856–1916), chronisches festes Hand- Ulna.
rückenödem. Konrad Biesalski (1868–1930) und Leo Mayer, »Die physiologische
Sehnenverpflanzung«.
1902
Paul Sudeck (1866–1945), »Über die akute (trophoneurotische) 1913
Knochenatrophie«. Pierre Marie (1853–1940) und Charles Foix beschreiben die Kom-
pression des N. medianus im Karpaltunnel; Das Karpaltunnelsyn-
1903 drom.
Charles Edward Beevor (1854–1908), Test der intrinsischen Paralyse.
1915
1904 Jules Froment (1878–1946), Papierzeichen bei der Ulnarisparese.
Harvey Williams Cushing (1869–1939), pneumatische Blutleere. Paul Hoffmann (1884–1962) und Jules Tinel (1879–1952), Hoff-
mann-Tinel-Zeichen.
1905
Ètienne Destot (1864–1918), beschreibt Fälle mit einer skapholu- 1916
nären Dissoziation. Ferdinand Sauerbruch (1875–1951), »Die willkürlich bewegliche
Hand«.
1906
Eugène Apert (1868–1940), Acrocephalosyndaktylie. 1917
Ludwig Kirchmayr, Sehnennahttechnik.
1907 Hermann Krukenberg (1863–1935), Unterarmspaltung nach Hand-
Fritz de Quervain (1868–1940) beschreibt die Luxationsfraktur des amputation zum Greifen.
Carpus.
1918
1908 Georg Clemens Perthes (1869–1927), Radialis-Ersatzplastik.
Fritz Frohse (1871–1916) und Max Fränkel, Frohse‘sche Arkade, Arthur Steindler (1878–1959), Bizeps-Ersatzplastik.
»Die Muskeln des menschlichen Armes«.
August Karl Gustav Bier (1861–1949) führt die intravenöse Regio- 1920
nalanästhesie ein. Erich Lexer (1867–1937), Wiederherstellungschirurgie.
Ricardo Finochietto (1888–1962), Volkmann-Kontraktur der
1909 Hand.
Martin Kirschner (1879–1942), Kirschner-Drähte.
1921
1910 Sterling Bunnell (1882–1957; ⊡ Abb. 1.5) prägt den Ausdruck
Robert Kienböck (1871–1953), Lunatumnekrose. »atraumatische Technik«.
G. Preiser, Skaphoidnekrose. Sir Robert Jones (1858–1933), Sehnentranspositionen.
Silvio Rolando (Chirurg aus Genua; ⊡ Abb. 1.4), Y-förmige Basis- E. Huber, Opponensplastik mit Abductor digiti minimi.
fraktur des Metakarpale 1.
1921
1911 Georg Clemens Perthes (1869–1927), plastischer Daumenersatz,
Georg Hirschel (1887–1963) beschreibt die subaxiale Plexusanäs- Sehnentranspositionen bei der Radialisparese.
thesie.
1922
1912 Harold Jalland Stiles (1863–1946), Sehnentransposition der ober-
Allen Buckner Kanavel (1874–1938), »Infections of the hand«, Kar- flächliche Beuger zu den Streckern bei der Ulnarisparese.
dinalzeichen bei der Infektion der Beugesehnenscheide.

⊡ Abb. 1.4 Silvio Rolando. (Aus Mostofi 2005) ⊡ Abb. 1.5 Sterling Bunnell. (Aus Mostofi 2005)
8 Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie

1924 1941
1 Herbert Galloway, spaltet erstmals den Karpaltunnel zur Neurolyse H. Milch, Ulnaverkürzungsosteotomie.
des N. medianus.
1944
1927 Sterling Bunnell (1882–1957), Surgery of the hand, Begründer der
Josef Kirner, Endglieddeformität des Kleinfingers. modernen Handchirurgie, eine der wichtigsten Personen für die
Handchirurgie überhaupt.
1928
Olof Hultén, Minusvariante der Ulna bei M. Kienböck. 1945
Karl Krömer, »Die verletzte Hand«.
1929
H. Camitz, Opponensplastik mit Palmaris-longus-Sehne. 1946
Lorenz Böhler (1885–1973), »Die Technik der Knochenbruchbe- S.B. Fowler, Tenodeseoperation bei der Ulnarisparese.
handlung« (1. Aufl.). Gründung der »American Society for Surgery of the Hand«
E.V. Allen, Rheumatologe, Allen-Test zur Überprüfung der Hohl- (ASSH).
handbögen.
1949
1930 Johan Matthijs Frederik Landsmeer (1919–1999), Ligamenta reti-
Harry Finkelstein (1865–1939), Test bei Tendovaginitis stenosans nacularia der Finger.
de Quervain. Walter Harvey Gervis (1901–1981), Trapeziektomie bei Rhizarth-
rose.
1931 S.B. Fowler, Strecksehnenplastik, Lumbrikalis-Ersatz.
Leo Testut (1849–1925 ), Testut’sches Ligament.
1950
1933 Otto Hilgenfeld (1900–1983), operativer Daumenersatz.
James R. Learmonth (1895–1967), führt die ersten Karpaltunnel-
syndrom-Operationen durch (⊡ Abb. 1.6) 1951
George S. Phalen (1911–1998), Flexionstest beim Karpaltunnel-
1934 syndrom.
O. von Rosen, Hypothenar-Hammer-Syndrom. Gründung des »Scandinavian Club for Surgery of the Hand« (Erik
Riccardo Galeazzi (1866–1952), distale Radiusschaftfraktur mit Moberg, 1905–1993).
Ulnakopfluxation. Peter Gordon Lawrence Essex-Lopresti (1916–1951; ⊡ Abb. 1.7),
DRUG-Luxation mit Radiuskopffraktur.
1936 J.J. Gartland und C.W. Werley, Bewertungsschema für distale Ra-
L. Sauvé und M. Kapandji, »Die Arthrodese des distalen Radioul- diusfraktur.
nargelenkes«. Sydney Sunderland (1910–1993), Klassifikation der Nervenverlet-
Hermann Matti, Skaphoidpseudarthrosenoperation. zungen.
T.D. Cronin, Cross-finger-Lappen.
1938 Claude Verdan (1909–2006), spezialisierte Sehnenchirurgie.
Marc Iselin (1898–1987), »Chirurgie de la Main«.
1952
1939 Gründung des »Hand Club« in England
Arthur Steindler (1878–1959), Sehnentranspositionen an der Hand. Paul Wilson Brand (1914–2003), »Reconstruction of the hand in
leprosy«, später »Biomechanics of the hand«.
1941 Leslie Gordon Kiloh (1917–1997) und Samuel Nevin (1905–1979),
J. Grayson, palmare Hautbänder des Fingers. Interossea-anterior-Syndrom.

⊡ Abb. 1.6 James R. Learmonth. (Aus Luchetti u. Amadio 2007) ⊡ Abb. 1.7 Peter Gordon Lawrence Essex-Lopresti. (Aus Mostofi 2005)
Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie
9 1
1953 1962
James William Littler (1915–2008), sensible Insellappenplastik für Bertil Stener beschreibt die Band-Dislokation beim »Skidaumen«.
den Daumen.
1963
1954 Dieter Buck-Gramcko (*1927), erste unabhängige handchirurgische
James William Littler (1915–2008), Release bei Kontraktur der in- Abteilung in Deutschland (Hamburg).
trinsischen Muskulatur. Raoul Tubiana (*1915) gründet die Groupe d’Etude de la Main
Otto Russe (1913–1983), Skaphoidpseudarthrosenoperation. (GEM).
Julian Bruner (1900–1997), Zick-Zack-Schnitt am Finger.
1955
Jörg Böhler (1917–2005), deutsche Übersetzung von Bunnell‘s 1964
»Chirurgie der Hand« H.D. Wassel, Klassifikation der Doppeldaumen.

1956 1965
Robert Merle d‘Aubigné (1900–1989; ⊡ Abb. 1.8), Radialisersatz- Die »Deutschsprachige Arbeitsgemeinschaft für Handchirurgie« wird
plastik. gegründet. Gründungsmitglieder: Jörg Böhler, Dieter Buck-Gramcko,
Robert Guy Pulvertaft (1907–1986), Durchflechtungsnaht bei Seh- Walter Christ, Jürgen Geldmacher, Heinz Georg, Klaus Hellmann,
nen. Heinz Hoffmann, Hanno Millesi, Henry Nigst, Wolfgang Pieper, Wil-
Mark Iselin (1898–1987), beginnt mit handchirurgischen Kursen in helm Schink, Claude Verdan, Albrecht Wilhelm, Gottlieb Zrubecki.
Paris-Nanterre und bildet im Laufe der Zeit über 1200 Chirurgen
aus aller Welt in Handchirurgie aus. 1966
Eric M. Moberg (1905–1993), »Akut handkirurgi«, Pionier der Groupe Suisse d’Etude de la Main (GEM) wird gegründet.
Handchirurgie in Europa, 1. Präsident der IFSSH 1968, Ninhydrin- Albrecht Wilhelm (*1929), Denervation des Handgelenks.
Test, Moberg-Lappen 1970, Operationen bei Tetraplegikern. O. Graner, Operationstechnik bei M. Kienböck.
Gründung der »International Federation of Societies for Surgery of
1957 the Hand« (IFSSH).
Geoffrey Osborne, Faszie über dem N. ulnaris zwischen beiden
Ursprüngen des FCU am Ellenbogen. 1967
P. Delcoulx, Klassifikatoion des M. Kienböck. Walter Blauth (*1924), Klassifikation der Daumenhypoplasie.
Gründung der »Japanischen Gesellschaft für Handchirurgie«. Kauko Vainio (1913–1989), Grundgelenksarthroplastik.
Harold Kleinert (*1921), Nachbehandlung der Beugesehnennaht.
1958
Jörg Böhler beginnt mit den »Wiener Handkursen«. 1968
Eduardo Alfredo Zancolli (*1924), »Structural and dynamic basis
1959 of hand surgery«, »Atlas of surgical anatomy of the hand« (1991).
»Handchirurgischer Literaturzirkel« wird in Deutschland haupt- Alfred Bertil Swanson (*1923), Swanson-Prothesen und Klassifika-
sächlich von Dieter Buck-Gramcko ins Leben gerufen. tion der Handfehlbildungen.
Mark Iselin (1898–1987) prägt den Ausdruck »aufgeschobene
Dringlichkeit« (»urgence differeé«). 1969
Ivan B. Matev (*1925), Strecksehnenplastik bei Mittelzügelinsuffi-
1960 zienz, später Kallusdistraktion des Daumens,
Wilhelm Schink (1916–2004), »Handchirurgischer Ratgeber«. Jürgen Geldmacher, Ernst Scharizer und Dieter Buck-Gramcko
geben die Zeitschrift »Handchirurgie« heraus, ab 1983: »Handchir-
1961 urgie, Mikrochirurgie, Plastische Chirurgie«.
Widukind Lenz (1919–1995) deckt die Wirkung von Thalidomid
(Contergan) auf die Entwicklung von Fehlbildungen auf. 1970
Hugh Graham Stack (1915–1992), »The palmar fascia«; entwickelte
»Stack’sche Schiene«.

1971
Emil Beck (*1931), gefäßgestielte Pisiformetransplantation beim
M. Kienböck.

1972
Werner Wachsmuth (1900–1990) und Albrecht Wilhelm, »Die
Operationen an der Hand«.
Ronald Lee Linscheid (*1929) macht die skapholunäre Dissoziation
bekannt.

1973
Richard G. Eaton (*1929) und James William Littler (1915–2008),
⊡ Abb. 1.8 Robert Merle d‘Aubigné. (Aus Mostofi 2005) Bandplastik für die Instabilität des Sattelgelenks.
10 Kapitel 1 · Geschichte der Handchirurgie

Isidor Kessler (1926–2007), Weiterentwicklung der Kirchmayr- 1990


1 Lange-Sehnennaht, Begründer der Handchirurgie in Israel. »Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie« (DGH) wird gegrün-
J.W. Snow, Strecksehnenplastik. det.
Die »Federation of European Societies for Surgery of the Hand«
1976 (FESSH) wird gegründet.
Julio Taleisnik (*1934), »Ligaments of the wrist«. Toshihiko Ogino (*1946), Klassifikation der Spalthände.
Dieter Buck-Gramcko (*1927), Bewertungsschema für Beugesehnen. Y. Maruyama, dorsaler Metakarpallappen.

1976 1991
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II

II Propädeutik

2 Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik – 13


Peter Laier, Jutta Haubold, Eric Weiss

3 Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie – 27


Klaus Görlinger, Daniel Dirkmann

4 Prinzipien der Wundbehandlung im Handbereich


(»Die kleine Handverletzung«) – 53
Janos Hankiss
2

Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik


Peter Laier, Jutta Haubold, Eric Weiss

2.1 Allgemeines – 14
2.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 14
2.1.2 Epidemiologie – 17
2.1.3 Ätiologie – 18
2.1.4 Diagnostik (»Basisuntersuchung Hand«) – 18
2.1.5 Klassifikation – 21
2.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 21
2.1.7 Therapie – 21
2.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 22
2.2 Spezielle Techniken – 23
2.2.1 Frische Handverletzung – 23
2.2.2 Vaskuläre Untersuchung – 25
2.2.3 Lymphatische Untersuchung – 25
2.2.4 Neurologische Untersuchung – 25
2.2.5 Untersuchung der Strecksehnen – 25
2.2.6 Untersuchung der Beugesehnen – 25
2.2.7 Untersuchung der Fingergelenke – 25
2.2.8 Untersuchung des Karpus – 25
2.2.9 Untersuchung bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises – 25
2.2.10 Untersuchung bei Infektionen – 25
2.2.11 Untersuchung bei Verbrennung – 25
2.2.12 Untersuchung bei Hochdruckinjektionsverletzungen – 25
2.2.13 Untersuchung bei Paravasaten – 25
2.2.14 Untersuchung bei Tumoren – 25
2.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 25
Weiterführende Literatur – 25

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


14 Kapitel 2 · Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik

2.1 Allgemeines werden, nämlich »greifende Aktionen« und »nicht greifende Akti-
onen«.
2.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Zu den »nicht greifenden« Aktionen zählt beispielsweise das
und Physiologie Schieben oder Heben von Gegenständen.
2 »Greifende Aktionen« können weiter unterteilt werden in
Bei jedem primären oder sekundären rekonstruktivem Eingriff an elementare, transiente und Präzisionsgreifformen. Die einfachste
der Hand müssen stets sämtliche funktionellen, ästhetischen und Ausprägung der »elementaren Greifformen« stellt der Hakengriff
sozialen Aspekte gemeinsam betrachtet werden. Nur so lässt sich dar, der ggf. schon mit einem einzigen gebeugten Finger ausführ-
ein für den betroffenen Patienten optimales Ergebnis erzielen. bar ist (⊡ Abb. 2.2a). Der Daumen ist für diese Funktion nicht
notwendig. Da ein Greifpartner fehlt, können Gegenstände weder
Oberflächenanatomie und Topografie der Hand in der Hand gehalten noch bewegt werden. Der laterale Spitzgriff
Bereits bei der Betrachtung des Oberflächenreliefs lassen sich für ist eine weitere elementare Greifform. Durch das Zusammenspiel
die Untersuchung der Hand wichtige Informationen bekommen von zwei Fingern bzw. dem Daumen und einem Finger können im
(⊡ Abb. 2.1). Unterschied zum Hakengriff Gegenstände in der Hand gehalten
und sogar bewegt werden. Ist im Fingerbereich nur eine Adduktion
Funktionelle Bedeutung der Hand möglich, so spricht man vom sog. Zigarettengriff (⊡ Abb. 2.2b).
Funktionell gesehen hat die Hand zwei Hauptaufgaben, und zwar Der Schlüsselgriff (⊡ Abb. 2.2c) wiederum setzt die Fähigkeit zur
ihre Nutzung als Werkzeug für unsere Auseinandersetzung mit Adduktion des Daumens an den Zeigefinger voraus. All diese
der direkten Umwelt (z. B. Greifen etc.) sowie ihre Verwendung elementaren Greifformen werden bei angeborenen Fehlbildun-
als Wahrnehmungsorgan für zu ertastende Informationen (taktile gen der Hand, posttraumatischen Funktionseinschränkungen und
Gnosis). Läsionen des Plexus brachialis vermehrt gesehen. Durch die Op-
position des Daumens gegenüber der Hohlhand und/oder den
Mechanisches Werkzeug Fingern verbessert sich die Kraftentwicklung, außerdem kommt
Bei der Nutzung der Hand als mechanisches Werkzeug können in es zu einer deutlichen Erweiterung der Bewegungsmöglichkeiten.
Anlehnung an Napier und Landsmeer zwei Formen unterschieden Die einfachste elementare Greifform mit Oppositionsbewegung

⊡ Abb. 2.1 Lagebeziehungen zwischen den


Hautfurchen der Hohlhand, dem Skelett, den
Sehnenscheiden und den beiden Hohlhandbö-
gen: Die Hautfalten in der Hohlhand erlauben
die Orientierung über die Aufteilung und den
Verlauf der in der Tiefe liegenden Nerven, Ge-
fäße und Sehnen. Bei tiefgehenden Wunden
und Fremdkörperverletzungen geben sie Hin-
weis über eine mögliche Mitverletzung dieser
Gebilde und erleichtern die Planung der geeig-
neten Schnittführung zur Freilegung eines be-
stimmten Operationsgebietes. (Aus Wachsmuth
u. Wilhelm 1972)
2.1 · Allgemeines
15 2
des Daumens stellt der Grob- oder Kraftgriff dar, bei dem der zu Bei den Präzisionsgreifformen wird das Objekt mit nur sehr
fassende Gegenstand mit allen Fingern fest umschlossen und in die geringer Kraftanstrengung zwischen den Fingerkuppen gehalten.
Hohlhand gepresst wird (⊡ Abb. 2.2e). Neben der Oppositionsfä- Hauptziel ist es dabei, den Gegenstand mit größtmöglicher Ge-
higkeit des Daumens ist für diese Greifform auch ein Mindestmaß nauigkeit bewegen zu können. Je besser daher die Sensibilität im
an Sensibilität oder eine ständige visuelle Kontrolle notwendig. Fingerkuppenbereich ist, desto feiner und exakter können Bewe-
Durch die Vergrößerung der Bewegungsmöglichkeiten können für gungen durchgeführt bzw. gesteuert werden. Unter den Präzisions-
die taktile Gnosis speziell ausgebildete palmare Fingerkuppenan- greifformen können zwei Hauptarten unterschieden werden, der
teile in eine optimierte Stellung zueinander gebracht werden. Dies palmare Spitzgriff (⊡ Abb. 2.2d) und der Fingerkuppen-Spitzgriff
ist Voraussetzung für die höheren Greifformen. (⊡ Abb. 2.2g). Beim palmaren Spitzgriff werden die distalen palma-
Der Feingriff (sphärischer oder Zylindergriff; ⊡ Abb. 2.2f) stellt ren Pulpaanteile des Daumens den palmaren Pulpaanteilen des
eine Übergangsform zwischen Grob- oder Kraftgriff und Präzi- Zeigefingers (Zwei-Finger-Spitzgriff) und ggf. des Mittelfingers
sionsgreifformen dar. In Abhängigkeit von der Größe und Form (Drei-Finger-Spitzgriff) gegenübergestellt. In der Seitenansicht
des gefassten Gegenstandes bzw. der Größe und Lokalisation der bilden Daumen und Zeigefinger dabei eine Hufeisenform. Der
Kontaktfläche im Handbereich zeigt der sphärische oder Zylinder- palmare Spitzgriff ist der meist angewandte Feingriff der gesunden
griff entweder vornehmlich Merkmale des Grobgriffes oder der Hand. Beim Fingerkuppen-Spitzgriff werden nach Beugung des
Präzisionsgreifformen. Je kleiner das Objekt, desto weiter distal IP-Gelenks des Daumens und der DIP-Gelenke der Finger die
wird es sowohl mit dem Daumen als auch mit den Fingern gefasst. Fingerkuppen einander gegenübergestellt. In der Seitenansicht bil-
Je weiter distal der Gegenstand gehalten wird und je mehr dazu die den Daumen und Zeigefinger damit einen Kreis. Diese Greifform
radialen Finger (Zeige- und Mittelfinger) benützt werden, desto verbindet maximale Präzision mit geringster Bewegungsamplitude.
präziser lässt er sich manipulieren. Der Fingerkuppen-Spitzgriff wird z. B. zum Aufheben sehr feiner
Objekte, wie einer Nadel, benutzt. Ist das Objekt sicher zwischen
beiden Fingern erfasst, wird der Fingerkuppen-Spitzgriff zur weite-
ren Manipulation meist in den palmaren Spitzgriff übergeführt.
Störungen im Daumen- und/oder Fingerbereich führen zu ei-
ner Reduktion höherer und einem Überwiegen einfacherer Greif-
formen ( Kap. 38):
Eine intakte Fingerfunktion vorausgesetzt, können bei Am-
putationen distal oder im Bereich des IP-Gelenks des Daumens
alle Greifformen mit Ausnahme des Fingerkuppen-Spitzgriffes zu-
friedenstellend ausgeführt werden. Bei Amputationen distal des
MP-Gelenks des Daumens kann verständlicherweise nicht mehr
a
präzise gegriffen werden, jedoch ermöglicht eine intakte Thenar-
muskulatur einen rudimentären Kraftgriff.
b Eine intakte Daumenfunktion vorausgesetzt, können bei Am-
putationsverletzungen distal der DIP-Gelenke vor allem am Zeige-
und Mittelfinger alle Greifformen mit Ausnahme des Fingerkup-
pen-Spitzgriffes durchgeführt werden. Liegt die Amputationslinie
distal der Insertion der oberflächlichen Beugesehne (FDS), kommt
c d es jedoch zu einer deutlichen Einschränkung der palmaren Zwei-
Finger-(Daumen/Zeigefinger-) oder Drei-Finger-(Daumen/Zeige-
finger/Mittelfinger-)Spitzgriff-Funktion. Bei einer Amputation pro-
ximal der Insertion der oberflächlichen Beugesehne, aber distal des
MP-Gelenks kann mit dem betroffenen Finger kein Präzisionsgriff
mehr ausgeführt werden. Wird der Zeigefinger proximal des PIP-
Gelenks amputiert, so übernimmt der Mittelfinger seine Aufgaben
bei Präzisionsgreifformen. Bei erhaltener MP-Gelenk-Funktion
kann ein Zeigefingerstumpf jedoch noch für den Grobgriff benützt
werden. Bei Amputationen proximal der PIP-Gelenke kann der
e
verbleibende Stumpf nur noch von den Binnenmuskeln der Hand
und der langen Strecksehne bewegt und bis 45° einigermaßen kräf-
f
tig gebeugt werden. In der Folge von Amputationen proximal des
PIP-Gelenks an Ring- und/oder Kleinfinger kommt es zu einem
deutlichen Kraftverlust der Hand trotz erhaltener Zirkumduktion
der beiden ulnaren Reststrahlen. Liegt die Amputationshöhe proxi-
mal des Metakarpalköpfchens, so lassen sich mit dem betroffenen
Finger auch einfache Greifformen nicht mehr durchführen. Neben
der Längenverringerung an sich spielt auch der Verlust der Ge-
g
lenkfunktion im Fingerbereich eine wichtige Rolle. Steife MP-und
PIP-Gelenke und fehlende Sensibilität im Fingerbereich führen
⊡ Abb. 2.2 Greifformen der Hand. a Hakengriff, b Zigarettengriff, c Schlüs- nicht nur zu einem (vollständigen) Funktionsverlust des betroffe-
selgriff, d palmarer Spitzgriff, e Grob- oder Kraftgriff, f Feingriff (sphärischer nen Fingers, sondern auch zu einer signifikanten Beeinträchtigung
oder Zylindergriff ), g Fingerkuppen-Spitzgriff. (Aus Berger u. Hierner 2009) der Funktion der Hand als Ganzheit, was bei allen primären und
16 Kapitel 2 · Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik

⊡ Tab. 2.1 Grundmuster der Handfunktion und mögliche Beeinträchtigung durch Amputationsverletzungen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Handaktion In Greifform involvierte Mögliche Greifformen abhängig von Amputationszone


Finger
2
I II II IV V Daumenbereich Fingerbereich Handbereich

>P1 >MP <MP Thenar >DIP >FDS <FDS <MP

I/II III IV I/II III IV V VIa

MdE (%)

Amputation 20 20 25 25 <10 <10 <10 10 30-55 60


b
Erfolgreiche Replantation 10 10 10 15 <10 <10 <10 <10 20-40 40

»Nichtgreifende« Aktionen (Schie- + + + + + + + + + + + + + + +


ben oder Heben von Gegenstän-
den ohne aktive Greifbewegung

»Greifende« Aktionen

Elementare Greifformen

Reine Fingerfunktion

Hackengriff - (+) (+) (+) (+) + + + + + + (+) - - -

Lateraler Spitzgriff

Zigarettengriff - (+) (+) (+) (+) + + + + + + + - - -

Kombinierte Daumen- und


Fingerposition

Keine Daumenopposition

Schlüsselgriff + + - - -

Daumenopposition

Grob- oder Kraftgriff + (+) (+) (+) (+)

Transiente Greifformen

Feingriff + (+) (+) (+) (+)

Präzisionsgreifformen

Palmarer Spitzgriff + + + - - + - - - + - - - - -

Dreifingerspitzgriff + + - - - + - - - + + - - - -

Fingerkuppen-Spitzgriff + + + - - (+) - - - - - - - - -

a
Klassifikation der Amputationshöhe nach dem Replanation Committee of the International Society of Reconstructive Microsurgery
b
Angaben aufgrund der klinischen Erfahrung bei Begutachtung von Replanationsverletzungen im Handbereich

sekundären Rekonstruktionen, vor allem des Zeigefingers, zu be- werbsfähigkeit für Zone-V- und -VI-Amputationen beträgt 50%.
achten ist. Neben der Längenverringerung an sich spielen auch der Verlust
Liegt die Amputationshöhe proximal des Metakarpalköpf- der Gelenkfunktion im Fingerbereich und die Verminderung der
chens, so lassen sich mit dem betroffenen Finger auch einfa- Sensibilität eine wichtige Rolle. Steife MP- und PIP-Gelenke und
che Greifformen nicht mehr durchführen. Bei den Mehrfinger- fehlende Sensibilität führen nicht nur zu einem völligen Funk-
amputationsverletzungen unterscheidet man Verletzungen mit tionsverlust des betroffenen Fingers, sondern auch zu einer sig-
Daumenbeteiligung und Verletzungen mit erhaltener Daumen- nifikanten Beeinträchtigung der Hand als Ganzes, was bei allen
funktion. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist abhängig von primären und sekundären Rekonstruktionen, vor allem im Zeige-
Art und Anzahl der betroffenen Finger. Bei transmetakarpalen fingerbereich, zu beachten ist (⊡ Tab. 2.1).
Amputationsverletzungen unterscheidet man Verletzungen mit
intakter Daumenfunktion und Verletzungen mit beeinträchtigter Taktile Gnosis
Daumenfunktion. Bei Amputationen im Bereich der Zone V kann Durch Betasten oder Begreifen von Gegenständen können wichtige
bei mobilem Handgelenk noch eine rudimentäre Greifbewegung nichtvisuelle Informationen über die Umwelt erfasst werden, was
durchgeführt werden, wenn eine Oppositionsmöglichkeit (z. B. besonders bei blinden Menschen deutlich wird.
palmare Schiene) besteht. Bei Amputationen der Zone VI ist Die ulnare Seite der Fingerkuppe von Zeige- und Mittelfinger
keine greifende Funktion mehr möglich. Die Minderung der Er- und die radiale Seite des Ring- und Kleinfingers sind für die taktile
2.1 · Allgemeines
17 2
Ästhetische Bedeutung der Hand
> Das Bild der Hand ist unter vielerlei Gesichtspunkten ein
wichtiger Teil des Gesamteindruckes einer Person.
Für ein harmonisches Erscheinungsbild der Hand stellen ihre ge-
samte Größe, die Proportionen der einzelnen Elemente zueinander
und ein normales Bewegungsmuster die wichtigsten Merkmale dar.
Eine insgesamt hypoplastische Hand fällt weniger auf, wenn die
Proportionen der einzelnen Elemente übereinstimmen. Bei nor-
malem Bewegungsmuster und Einsatz der Hand fällt auch der Ver-
lust eines kompletten Strahles auf den ersten Blick nicht auf, was
Grundlage einer großzügigeren Indikationsstellung zur plastischen
Handverschmälerung bei der Frau ist. Ist die Handfunktion gestört,
wird jede Veränderung in diesem Bereich wegen der unphysiologi-
schen Bewegungsabläufe schon bei oberflächlicher Betrachtung
auffällig. Sobald die Hand aber die Aufmerksamkeit auf sich zieht,
wird im Rahmen genauerer Betrachtung eine Hypoplasie oder ein
fehlender Fingerstrahl sofort bemerkt.
Neben dem Gesicht kann vor allem an der Hand das Alter ei-
nes Menschen gut abgeschätzt werden ( Kap. 63)

Soziale Bedeutung der Hand


> In vielen Kulturen spiegelt die Hand die soziale Stellung
wider.
Besonders die Rückseite der Hand ist im Alltag ständig Blicken des
Umfeldes ausgesetzt, in den meisten Kulturen werden Handrücken
und dorsale Seite der Finger als soziale Seite der Hand betrachtet.
Der Handkuss ist Ausdruck dieser Wertung. Neben dem Halsbe-
reich bietet die Hand eine ausgezeichnete Ausstellungsfläche zur
⊡ Abb. 2.3 Dominante und nichtdominante Flächen der Daumen- und Fin- Demonstration von Wohlstand. Lange Fingernägel oder Bemalung
gerpulpae. (Aus Berger u. Hierner 2009) haben zweifellos eine gewisse Signalwirkung. Ringe und Schmuck
werden so getragen, dass die wertvollen Anteile auf der Rückseite
der Hand zu liegen kommen. Neben dem Gesicht »verrät« die
Hand das Alter, eine Tatsache die bei der Verjüngungstherapie
Wahrnehmung von untergeordneter Bedeutung. Die jeweils kon- eine immer größere Rolle spielt (»Das Gesicht ohne Falten, auf der
tralaterale Seite der Fingerkuppe wird dagegen wegen ihrer gnos- Hand Buckel und Spalten«).
tischen Bedeutung als dominant bezeichnet. Die Sensibilität im Die Hand kann aber auch für eine Kennzeichnung benutzt
Bereich der ulnaren Daumenkuppe und der radialen Zeigefinger- werden. So wurden und werden noch immer Menschen in arabi-
kuppe ist für den Spitz- und Schlüsselgriff unerlässlich. Nach ihrer schen und asiatischen Ländern als Verbrecher durch Amputation
funktionellen Wertigkeit lassen sich die Fingerkuppenareale hier- von Fingern oder der ganzen Hand »gebrandmarkt«. Die Signal-
archisch einteilen in die ulnare Hemipulpa D I, die radiale Hemi- rolle der Hand spiegelt sich in den weiter gefassten Indikationen
pulpa D II, die radiale Hemipulpa D III, die ulnare Hemipulpa D V zur primären (Replantation) und sekundären Fingerrekonstruk-
und die radiale Hemipulpa D IV. Qualität und Quantität dieser tion vor allem in den asiatischen Ländern wider.
nichtvisuellen Informationen sind abhängig von der Möglichkeit Schließlich spielt die Bewegung der Hand eine wichtige Rolle
der Aufnahme von Informationen mit der Hand, insbesondere im als eine über die Möglichkeiten der Sprache hinausgehende (non-
Bereich der Fingerkuppen, ihrer Weiterleitung durch das periphere verbale) Ausdrucksform des Menschen. Obwohl verschiedene
Nervensystem und ihrer Verarbeitung im zentralen Nervensystem Individuen und Kulturen diese Art der Kommunikation unter-
(⊡ Abb. 2.3). Selbstverständlich sind darüber hinaus alle übrigen schiedlich nutzen, gibt es typische Bewegungen, die in verschie-
Anteile des sensomotorischen Systems in kleinerem und größerem denen Kulturen die gleiche Bedeutung haben (z. B. gestreckter
Umfang mitbeteiligt. Zeigefinger, geballte Faust etc.). Die Erhaltung der Fähigkeit zu
Umfang und Art der möglichen Bewegungen und Stellungen ungestörter nonverbaler Kommunikation sollte im Hinblick auf
der Hand sind die maßgeblichen Vorbedingungen, um die für die Gesamtpersönlichkeit des betroffenen Patienten ein nicht zu
die taktile Gnosis speziell ausgebildeten palmaren Pulpaanteile in unterschätzendes Kriterium bei der Auswahl bestimmter Verfah-
optimale Stellung zueinander bringen zu können, insbesondere ren sein.
als Voraussetzung für die Präzisionsgreifformen. Ein nicht sensib-
ler Handanteil kann nur unter visueller Kontrolle für elementare
Greifformen eingesetzt werden. Im schlechtesten Fall wird er vom 2.1.2 Epidemiologie
Betroffenen überhaupt nicht benützt, was die Funktion der intak-
ten Handanteile zusätzlich negativ beeinflusst. Dieses Phänomen Störungen der Greiffunktion sind häufig und haben große volks-
ist vor allem bei fehlender Rekonstruktion der Sensibilität nach wirtschaftliche Bedeutung. Sie sind z. B. neben den grippalen In-
Replantation des Zeigefingers bekannt. fekten eine der häufigsten Ursachen für eine Arbeitsunfähigkeit.
18 Kapitel 2 · Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik

2.1.3 Ätiologie
Leitsymptome in der Anamnese von Verletzungen oder
Störungen der Greiffunktion können angeboren oder erworben Erkrankungen der Hand
sein. Sie können auftreten bei erhaltener Fingerlänge (neuro- ▬ Schmerzen in Ruhe oder unter Belastung (Angaben mithilfe
2 gen, arthrogen, ossär), nach Längenverlust (Hypoplasie, Am- einer Schmerzanalogskala von 0 bis 10; ⊡ Abb. 2.4)
putationsverletzungen) oder im Rahmen sog. komplexer Funk- ▬ Einschränkungen von
tionsstörungen mit Längenverlust und zusätzlicher Funktions- – Beweglichkeit
beeinträchtigung. Störungen bei erhaltener Fingerlänge können – Kraft
kutan, tendogen, nerval (ZNS/PNS), arthrogen, ossär alleine oder – Sensibilität
in Kombination bedingt sein. Als Sonderformen sind die spas-
tischen Lähmungen und die Einschränkung der Greiffunktion
im Rahmen eines »komplexen regionalen Schmerzsyndroms« Inspektion
(früher Reflexdystrophie, Algodystrophie, Morbus Sudeck) zu Die Inspektion ist Beginn der klinischen Untersuchung und oft der
nennen. Schlüssel in der Diagnostik wie aus dem Begriff »Blickdiagnose«
deutlich wird. Das Augenmerk sollte auf Folgendes gerichtet werden:

2.1.4 Diagnostik (»Basisuntersuchung Hand«)


Relevante Befunde bei der Inspektion von Verletzungen
Die vielfältigen Funktionen der Hand sind nur dadurch möglich, und Erkrankungen der Hand
dass sie eine Vielzahl anatomischer Strukturen und funktioneller ▬ Veränderung von Form und Stellung (kongenitale Defekte
Einheiten auf engem Raum vereint. Deshalb können auch kleine wie Polydaktylie, Syndaktylie, Kamptodaktylie, Marfan-Syn-
Störungen oder Verletzungen zu schwerwiegenden Ausfällen füh- drom, Riesenwuchs)
ren. Der Untersuchungsgang an der Hand ist wie bei jeder klini- ▬ Veränderungen der Haut (Narben, Kontrakturen, Beschwie-
schen Untersuchung systematisch. Allgemein muss unterschieden lung; ⊡ Abb. 2.7)
werden zwischen akuten Verletzungen oder Verletzungsfolgen und ▬ Farbveränderungen der Haut (Blässe, z. B. bei M. Raynaud
chronischen Veränderungen. Neben der hier besprochenen »Ba- oder arteriellem Verschluss; Zyanose z. B. bei Kälteschaden
sisuntersuchung Hand« existieren zahlreiche spezielle Untersu- oder Vitien; Rötung z. B. bei Entzündung, Verbrühung, Leber-
chungsgänge im Bereich der Hand ( Abschn. 2.2.1). erkrankungen; Marmorierung z. B. bei Diabetes oder Nie-
renerkrankungen)
> Krankheitssymptome können vom Ellenbogen, der Schulter
▬ Nagelveränderungen (subunguales Hämatom bei Fraktur/
und der Halswirbelsäule aus in die Hand fortgeleitet werden.
Gerinnungsstörung, Uhrglasnägel, Mykosen)
Deshalb ist eine sorgfältige Untersuchung der benachbarten
▬ Erworbene Veränderungen (Tumoren, Kontrakturen wie
klinischen Gebiete notwendig.
M. Dupuytren/Volkmann, neurologisch: Fallhand/Krallenhand)
▬ Achsenabweichungen (Frakturen, Luxationen, Sehnenverlet-
Anamnese zungen)
▬ Muskelatrophie (Thenaratrophie bei CTS, Hypothenar-/Inter-
> Bei jeder akuten Handverletzung müssen sofort alle Ringe
osseusatrophie bei Ulnarisparese)
entfernt werden. Die Frage nach dem Tetanusschutz ist obli-
▬ Schwellung (Lymphödem, Wasser- oder Elektrolytstörungen, In-
gat und muss dokumentiert werden.
fektion, Tendovaginitis, Reflexdystrophie, Hämatom bei Trauma)
Bei allen Verletzungen müssen Unfallzeit, -ort und -hergang (Ver- ▬ Sekretion (klar, trübe, blutig)
letzung durch Schnitt, Stich, Schuss, Quetschung, Chemikalien,
Strom, Spezialitäten wie Hochdruckinjektion oder Flusssäureein-
wirkung) exakt erfragt und dokumentiert, am besten auch foto- Palpation
grafisch festgehalten werden. Wichtig ist auch die Eruierung der Hier setzt der Untersucher seine Hand als Instrument der Un-
vergangenen Zeit seit der Verletzung, um dringliche Maßnahmen tersuchung ein. Sie gibt ihm Informationen über Temperatur,
rechtzeitig einleiten zu können. Bei nicht traumatisch bedingten Feuchtigkeit und Turgor der Haut. Knochenvorsprünge und be-
Beschwerden an der Hand beginnt die Anamnese mit der Frage stimmte Phänomene wie Krepitationen können ertastet werden.
nach Art und Dauer der Beschwerden sowie vorbestehenden Er- Die Schmerzauslösung durch Druck zeigt die Lokalisation der pa-
krankungen (z. B. Diabetes, chronische Polyarthritis, pAVK) oder thologischen Veränderung an (Os lunatum, SL-Band, Panaritium).
Einschränkungen (Folgen früherer Verletzungen). Weitere wich- Informationen über die Durchblutung können gewonnen werden
tige Informationen sind Händigkeit (Rechts-/Linkshänder), Beruf, durch das Tasten der Pulse von A. radialis und ulnaris oder die Über-
private Aktivität (Hobbies, Sport) (⊡ Abb. 2.4). prüfung der Rekapillarisierung. (Nach Druck auf den Fingernagel im

SCHMERZ-SKALA

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

kein Schmerz maximal vorstellbarer Schmerz


⊡ Abb. 2.4 Visuelle Schmerzskala
2.1 · Allgemeines
19 2
Bereich des Nagelbettes tritt unterschiedlich schnell eine Rekapillari- Der gleiche Test kann auch zur Überprüfung der Durchblutung
sierung auf: <1 s = normal, <3 s = verlängert, >3 s = pathologisch) eines Fingers durchgeführt werden, sog. »digitaler Allen-Test«.
Die Sensibilität wird durch die »statische 2-Punkt-Diskrimi-
Funktionsprüfungen nation« (s2PD) erfasst. Dabei wird das Unterscheidungsvermögen
Die Basis aller Funktionsprüfungen ist die Feststellung der akti-
ven und passiven Beweglichkeit nach der Neutral-Null-Methode
(ROM; »range of motion«) ( Kap. 61).
Weitere gebräuchliche Messgrößen sind der Abstand des Na-
gelrandes in Verlängerung des Handrückens und der Fingerkup-
pen-Hohlhand-Abstand.
Eine einfache und zuverlässige Methode, die Beweglichkeit im
Bereich des 1. Strahls zu untersuchen, stellt der Kapandji-Index dar
(⊡ Abb. 2.5).
Die Kraft im Seitenvergleich für den Grobgriff wird mit dem
Jamar-Dynamometer, diejenige für den Fingerkuppen-Spitzgriff
mit dem Pinch-Gauge-Dynamometer (⊡ Abb. 2.6) geprüft.
Der Basistest zur Überprüfung der freien Durchgängigkeit
von A. radialis und A. ulnaris und des Hohlhandbogens ist der
Allen-Test. Nach mehrmaligem Öffnen und Schließen der Hand
wird diese geschlossen gehalten, damit das Blut aus der Hohl-
hand gepresst wird. A. radialis und A. ulnaris werden nun gegen
den darunter liegenden Knochen gedrückt. Noch während der ⊡ Abb. 2.6 Prüfung der Kraft für den Grobgriff mit dem Jamar-Dynomometer
Gefäßkompression öffnet der Patient seine Hand. Dabei soll die (links) und für den Fingerkuppen-Spitzgriff mit dem Pinch-Gauge-Dynamome-
Handfläche blass aussehen. Bei Freigabe der A. radialis muss auch ter (rechts)
der Kleinfinger, bei Freigabe der A. ulnaris der Daumen ausrei-
chend durchblutet sein. Normalerweise nimmt die Hand sofort ein
rosiges Aussehen an. Bleibt die Hand blass oder wird nur langsam
rosig, sind die freigegebene Arterie bzw. die radio-ulnaren Gefäß-
verbindungen (oberflächlicher und tiefer Hohlhandbogen) nicht
ausreichend durchblutet (⊡ Abb. 2.7).

a b

c d

⊡ Abb. 2.7 Allen-Test zur Prüfung der Durchblutung der Hand. a Der Patient
öffnet und schließt die Hand mehrmals kräftig. b Bei geschlossener Faust
werden Aa. radialis et ulnaris durch den Untersucher komprimiert. c Beim
Öffnen der Faust wird eine der Arterien freigegeben, dabei sollte sich die
gesamte Hand sofort röten (positiver Allen-Test). d Tritt keine oder nur eine
⊡ Abb. 2.5 Kapandji-Index zur Messung der Beweglichkeit des Daumen- verzögerte Rötung ein, so ist die freigegebene Arterie alleine nicht in der
strahles. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Lage, die Hand zuverlässig zu durchbluten (negativer Allen-Test)
20 Kapitel 2 · Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik

⊡ Abb. 2.8 Messung der statischen Zwei-Punkte-


Diskriminationsfähigkeit (s2PD). (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)

von zwei Druckpunkten in Abhängigkeit vom Abstand gemessen. ▬ MC-Frakturen, CMC-Luxationen,


So können alle 10 palmaren Fingernerven (N1–N10) selektiv ge- ▬ auch intraoperative Kontrolle mit ISO-3D-CT-Bildwandler
testet werden. Die s2PD beträgt im Fingerkuppenbereich norma- (Qualitätskontrolle von Osteosynthesen am distalen Radius
lerweise 2–4 mm (⊡ Abb. 2.8). Bei einer s2PD >10 mm im Finger- oder am Karpus).
kuppenbereich besteht keine diskriminative Sensibilität, es können
jedoch noch Schmerzreize wie Wärme und Kälte perzipiert werden Magnetresonanztomografie
(»protektive Sensibilität« oder »Schutzsensibilität«). Mit der MRT lassen sich Weichteile und Knochenperfusion am
Für die unterschiedlichen Strukturen der Hand (Gefäße, Ner- besten darstellen.
ven, Sehnen, Bänder, Gelenke, Knochen) bestehen zahlreiche spe- Technische Standards sind dabei eine Feldstärke von 1,5 Tesla,
zifische Tests und Untersuchungsgänge. Diese werden in den je- 80–100 mm »field of view«, Schichtdicken von 1,5 mm für 2D,
weiligen spezifischen Kapiteln beschrieben ( Abschn. 2.2.1). <1mm für 3D sowie Oberflächenspulen.
Indikationen sind:
Apparative Untersuchungen ▬ Beurteilung des TFCC,
Nach Anamnese und klinischer Untersuchung kann eine Ver- ▬ SL-Band-Ruptur (als Arthro-MR),
dachtsdiagnose gestellt werden, die durch apparative Untersuchun- ▬ Ringbandrupturen (z. B. bei Sportkletterern),
gen verifiziert werden muss. Diese Untersuchungen dienen auch ▬ Knochennekrosen (mit i. v. Gadoliniumgabe),
der Dokumentation, nicht zuletzt aus forensischen Gründen. ▬ Tumore.

Radiologische Untersuchungen Weitere Untersuchungen


Röntgenaufnahmen Zur diagnostischen Abklärung peripherer Nervenläsionen können
Standardröntgenaufnahmen betreffen das Handgelenk in 2 Ebenen elektrophysiologische Untersuchungen erforderlich sein (EMG,
(dorsopalmarer [d. p.] Strahlengang und lateral) oder Finger in NLG).
2 Ebenen (d. p. und lateral) sowie die Hand in 2 Ebenen (d. p. und Laborchemische Untersuchungen (Leukozyten, CRP, Rheu-
schräg = »Zitherspielerstellung«). Zusätzliche Einstellungen sind mafaktoren, ASL-Titer) können weitere Hinweise auf Ätiologie
die »Stecher-Aufnahme« (bildet das Kahnbein a. p. ab), die Hand- und Ausmaß einer Erkrankung geben.
gelenkaufnahmen bds. bei kräftigem Faustschluss (zur Darstellung Die Arthroskopie ist in der Hand des geübten Untersuchers eine
einer SL-Band-Läsion oder eines dynamischen Ulnavorschubes). einfache und effektive Untersuchungsmethode mit der Möglichkeit,
arthroskopische Operationen anschließen zu können ( Kap. 13).
Computertomografie Indikationen sind u. a.:
Hiermit lassen sich knöcherne Feinstrukturen am besten darstellen. ▬ Läsionen der intrinsischen Bänder,
Technische Standards sind dabei eine Schichtdicke <1 mm, ▬ Läsionen des TFCC,
60 mm »field of view«, Mehrzeilen-Spiral-CT, Aquirierung der ▬ Knorpelläsionen,
Daten senkrecht zur vermuteten Pathologie oder Rekonstruktion ▬ Knorpelstaging,
(hochauflösend). ▬ Empyeme,
Indikationen sind:
▬ distale intraartikuläre Radiusfraktur, Zusätzlich können Sonografie, Röntgen-Kinematografie oder Szin-
▬ Verletzungen oder Arthrose des DRUG, tigrafie hilfreich sein.
▬ Skaphoidfraktur, Skaphoidpseudarthrose, Die folgende Übersicht stellt ein standardisiertes Diagnostik-
▬ Frakturen der Karpalia, schema zur Untersuchung der Hand dar:
2.1 · Allgemeines
21 2
sen). Die Information des Patienten über eine konservative Thera-
Standardisierter Ablauf der Untersuchung der Hand pie muss in Art und Umfang der Einholung des Einverständnisses
▬ Anamnese zu einem operativen Eingriff entsprechen, dasselbe gilt auch für die
– Händigkeit entsprechende Dokumentation.
– Beruf (Handarbeiter vs. Kopfarbeiter)
– Nikotin Operative Therapie
– Medikamentenanamnese Präoperatives Gespräch
– Akute Verletzung oder chronische Beschwerden Das präoperative Gespräch des Operateurs mit dem Patienten dient
▬ Klinische Untersuchung der Aufklärung über den geplanten Eingriff und etwaiger Folgen.
– Inspektion, Palpation Es hat bei Wahleingriffen mindestens 24 h zuvor zu erfolgen und
– Perfusion sollte umfassend über die Art und Durchführung der Operation,
– Sensibilität mögliche Alternativen und Komplikationen informieren. Es sollte
– Aktive/passive Gelenkbeweglichkeit (ROM) inkl. Sehnen- prinzipiell schriftlich fixiert und von beiden unterschrieben wer-
diagnostik den. Zu empfehlen sind Formblätter, die bei Bedarf handschriftlich
– Kraft ergänzt werden können. Bei dringlichen Eingriffen sind die Anfor-
– Spezielle manuelle Untersuchungstechniken derungen aus juristischer Sicht niedriger, beim Notfalleingriff oder
▬ Apparative Untersuchungen nicht kommunikationsfähigen Patienten kann es entfallen.
– Zunächst konventionelles Röntgen
– Bei unklarem Knochenbefund → CT Lagerung
– Bei unklarem Knochen- und Weichteilbefund → MR Die örtlichen und hygienischen Voraussetzungen entsprechen den
– Arthro-CT, Arthro-MR, Szintigrafie, Arthrografie, Angiografie üblichen Standards bei operativen Eingriffen. Der Patient wird
– Sonografie im Liegen behandelt, der betreffende Arm auf einem Armtisch
– Neurophysiologische Untersuchungen ausgelagert.
– Labor
– Handgelenkarthroskopie Anästhesie
Zur Schmerzausschaltung in der Handchirurgie bieten sich neben
der Allgemeinanästhesie verschiedene Verfahren der peripheren
Regionalanästhesie und die Lokalanästhesie an. Allerdings gewähr-
2.1.5 Klassifikation leisten nicht alle Verfahren die Möglichkeit der Applikation einer
pneumatischen Blutleere. Die Indikation muss individuell für den
Die Klassifikation der vorliegenden Pathologie bzw. Schädigung Patienten und den Eingriff gestellt werden ( Kap. 3).
wird detailliert in den jeweiligen Kapiteln beschrieben.
Nach den Empfehlungen des Centre of Disease Control kön- Blutsperre und Blutleere
nen Wunden prinzipiell in 4 Klassen eingeteilt werden (⊡ Tab. 2.2). Alle Eingriffe sollten in »Oberarm-Blutsperre« (300 mm HG bei
Erwachsenen, 150–250 mm bei Kindern) durchgeführt werden.
Die Dauer sollte 2 h nicht überschreiten. Bei aseptischen Eingriffen
2.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie  Kap. 4 kann auch eine Blutleere mit vorherigem Auswickeln des Armes
durch eine Esmarch-Binde verwendet werden (»Blutleere«).
Die Indikationsstellung und differenzialtherapeutischen Überle-
! Cave
gungen werden detailliert in den jeweiligen Kapiteln beschrieben.
Bei Infektionen ist eine Blutleere im Hinblick auf eine Keim-
verschleppung kontraindiziert.
2.1.7 Therapie Kleine Eingriffe an den Fingern distal der Grundphalanx kön-
nen in Fingerblutsperre- bzw. -blutleere vorgenommen werden
Konservative (nichtoperative) Therapie (⊡ Abb. 2.9).
Viele Erkrankungen an der Hand können nichtoperativ behandelt
werden. Das Spektrum reicht vom Absehen jedweder Maßnahmen, Instrumentarium
über wochenlange Ruhigstellungen (distale Strecksehnenverletzun- Die handchirurgischen Instrumente sollten den Dimensionen der
gen) bis zu lebenslangen Anwendungen (das Tragen von Orthe- Strukturen an der Hand angepasst sein.

⊡ Tab. 2.2 Wundklassen nach der Klassifikation des Centre of Disease Control (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Wundklasse Beschreibung Beispiel

1 Saubere aseptische Wunde Aseptische Operationswunde (Osteosynthese)

2 Sauber-kontaminierte Wunde Frische Wunde, die durch Desinfektion sicher in Wundklasse 1 überführt werden kann
(Schnittverletzung)

3 Kontaminierte Wunde Riss-Quetsch-Wunde

4 Schmutzig-infizierte Wunde Traumatische Wunde mit avitalem Gewebe, manifest infizierte Wunde
22 Kapitel 2 · Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik

70°–80°

b
30°–40°

a
⊡ Abb. 2.10 Intrinsic-plus-Stellung zur Immobilisation der Hand (Anmer-
⊡ Abb. 2.9 Anlage einer atraumatischen Fingerblutleere mithilfe eines OP- kung: Die Schiene muss palmar liegen!). (Aus Berger u. Hierner 2009)
Handschuhes. a Zurechtschneiden der »Fingerling-Blutleere«, b Überstülpen
und Auswickeln des Fingers durch Rollen des Fingerlings von distal nach
proximal (»Blutleere«). (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Bei isolierter Notwendigkeit der Fingerruhigstellung kommen
spezielle Fingerschienen (z. B. Stack-Schienen) zum Einsatz. Aus-
nahmen bilden Schienen bei speziellen Indikationen wie z. B. die
Optische Hilfsmittel Kleinert-Schiene nach Beugesehnenverletzung, in der das Handge-
Für Eingriffe an der Hand ist eine Lupenbrille mit mindestens lenk in leichter Flexion ruhiggestellt wird. Auch für die Ruhigstellung
2-facher Vergrößerung, bei mikrochirurgischen Operationen ein gilt, dass möglichst nur die Handanteile immobilisiert werden, die
Operationsmikroskop erforderlich. betroffen sind. Dies sollte nicht länger als unbedingt notwendig bei-
behalten werden, um spätere Bewegungseinschränkungen möglichst
Postoperative Schmerztherapie zu vermeiden. Gibt ein Patient Schmerzen an, ist sofort die Schiene
Starke postoperative Schmerzen können die Stressantwort des Kör- zu kontrollieren und zu korrigieren. Eine Ruhigstellung der gesamten
pers verstärken, eine schmerzbedingte Aktivierung des sympa- oberen Extremität ist nur in Außnahmesituationen indiziert. Hierfür
thischen Nervensystems kann zu einer Belastung des Herz-Kreis- wird ein Desault-Verband oder ein Dreieckstuch so kurz wie möglich
lauf-Systems führen. Die Mobilisation bzw. physiotherapeutische eingesetzt, um nicht weiteren Immobilisationsschaden im Bereich
Beübung ist bei unzureichend behandelten Schmerzen erschwert. der proximal gelegenen großen Gelenke, vor allem im Schulterbe-
Eine suffiziente Schmerztherapie ist daher in der postoperativen reich herbeizuführen. Schlingen sind heutzutage obsolet.
Phase von zentraler Bedeutung ( Kap. 3).
Handtherapeutische Nachbehandlung
Verbandstechniken und Ruhigstellung Die Operation an der Hand stellt bei vielen Verletzungen und
Der postoperative Verband ist Teil der Operation und muss vom Erkrankungen nur den ersten, wenn auch zunächst entscheiden-
Operateur angelegt werden. Er soll einerseits das OP-Gebiet steril den Schritt in der Behandlung dar. Für den Behandlungserfolg
abdecken, hat aber, abhängig vom Eingriff, noch weitere Funktionen. mit Funktionserhalt der Hand ist eine Nachbehandlung durch
Der Verband besteht aus Pflaster oder Fettgaze, ausgezogenen Kom- Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten mit Erfahrung in der
pressen, auch interdigital, um Mazerationen zu vermeiden. Dann Handchirurgie notwendig ( Kap. 15). Hilfsmittel können beglei-
erfolgt die elastokompressive Wicklung mit einer elastischen Binde, tend verwendet werden. In Frage kommen Schienen zur Lagerung
ggf. erfolgt zuvor noch eine Polsterung mit synthetischer Watte. oder Quengelbehandlung, Greifhilfen, Spezialanfertigungen von
Durch die elastokompressive Wicklung wird eine leichte Kompres- Gegenständen des täglichen Gebrauchs und vieles mehr.
sion erzeugt, die Hämatom- und Ödembildung verhindern soll. Der
Verband darf aber nicht schnüren und keine Stauung der Finger
verursachen. Die Fingerspitzen sollten sichtbar sein, um Durchblu- 2.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
tung und Sensibilität überprüfen zu können. Die von der Operation
nicht betroffenen Finger sollten vom Verband ausgespart bleiben. Die Untersuchung der Hand des Kindes kann sich aus verschiede-
Die operierte Hand wird postoperativ erhöht gelagert bzw. der Pati- nen Gründen oft sehr schwierig gestalten:
ent bei ambulanten Eingriffen darauf hingewiesen, den betroffenen 1. (Kleine) Kinder sind noch nicht in der Lage, wie der Erwach-
Arm bewusst hochzuhalten. Außerdem muss er darauf aufmerksam sene, auf klare Anweisung, gezielte Aktionen oder Bewegun-
gemacht werden, die nicht betroffenen Finger aktiv zu bewegen, um gen durchzuführen.
den venösen Rückfluss und den Lymphabfluss zu fördern. 2. Aufgrund von Schmerzen und Angst ist das rationale Kom-
Wird eine Ruhigstellung benötigt, erfolgt dies normalerweise in munikationsverhalten der Kinder deutlich geringer als das des
Unterarmgips-/Cast-Schiene in Intrinsic-plus-Stellung. Das Hand- Erwachsenen.
gelenk soll ca. 30° dorsal extendiert sein, die Fingergrundgelenke 3. Die begleitenden Eltern müssen ebenfalls in die Untersuchung
70°–90° flektiert und die PIP- und DIP-Gelenke gestreckt. Dies ist mit einbezogen werden. Die Angst von Elternteilen überträgt
die Position, in der die Seitenbänder der Fingergelenke maximal sich sehr schnell auf das Kind. Gut kooperative Eltern können
gedehnt sind. Dadurch lässt sich eine Verkürzung der Seitenbänder ein wichtiger Schlüssel für eine aussagekräftige Diagnostik
mit nachfolgender Gelenkkontraktur vermeiden. Der Daumen wird sein. Sie können ihre Kinder am ehesten dazu bewegen, ver-
in Abduktion und leichter Opposition ruhiggestellt ⊡ Abb. 2.10). schiedene Aktionen auszuüben.
2.2 · Spezielle Techniken
23 2
4. Bei nicht ausreichender Diagnostik ist im Zweifelsfalle die In- 2.2 Spezielle Techniken
dikation zur operativen Exploration großzügiger zu stellen als
beim Erwachsenen. 2.2.1 Frische Handverletzung

Besonderheiten bei der Therapie und Nachbehandlung bei Kin- Für die Dokumentation der frischen Handverletzung hat sich der
dern werden ausführlich in  Kap. 19 dargestellt. »Ergänzungsbericht bei Handverletzungen« auch bei nicht berufs-
genossenschaftlichen Heilverfahren bewährt (⊡ Abb. 2.11).

Ergänzungsbericht bei Handverletzungen


Unfallversicherungsträger

Name, Vorname des/der Verletzten Geburtsdatum


Anlage zum D-(H-)Arzt-Bericht Nr.:

Unfallbetrieb (Bezeichnung bzw. Name und Anschrift des Arbeitgebers, des Kindergartens, der Schule oder Hochschule, des/der Pflegebedürftigen)

Wohnung des/der Verletzten, Straße, Postleitzahl, Ort Unfalltag Untersuchungstag

Dieser Berichtist bei nachfolgend genannten Verletzungen zu erstellen: Überweisung an:


• Teilweise oder vollständige Amputationen
Replantationszentrum, -dienst
• Offene Brüche oder Brüche mit Gelenkbeteiligung
• Eröffnung von Fingergelenken klinische Einrichtung für Handchirurgie
• Brüche mehrerer Finger
erforderlich
• Stark verschobene Brüche oder Verrenkungen von Mittelhandknochen,
Benettsche Fraktur in jeder Form und Schwere, stark verschobene Lang- veranlasst
fingergrundgliedbrüche oder solche mit Grundgelenksbeteiligung
nicht erforderlich
• Kahnbeinbrüche, auch Verdacht auf solche, perilunäre Luxationen und
andere Verrenkungen im Handgelenksbereich
• Schwere Quetschungen, Infektionen oder drohende Infektionen welche(s)?
• Frische oder alte Gewebsdefekte
• Brandverletzungen an der Hand mit drohender oder eingetretener Funk-
tionsstörung
• Verletzungen von Sehnen oder Nerven
Verletzter ist
• Beschwerden unklarer Ursache
• Drohende oder eingetretene Ernährungsstörungen Rechtshänder Linkshänder

Vorzustände und Vorschäden an der verletzten Hand oder am selben Arm (Narben, chronische Hautveränderungen, Muskelatrophie,
Durchblutungsstörungen, Bewegungsstörungen, Gliedverluste, Sensibilitätsstörungen, alte Verletzungen):

Befund Aussehen, Form, Stellung, Haltung. Hautwärme, Durchblutung, Bluterguss, Fingernagelbeschaffenheit, Beschwielung, Ver-
arbeitung. Schwellung, Rötung. Form, Art und Tiefe der Wunden (Schnitt-, Riss-, Säge-, Fräs-, Schleif-, Schürf-, Quetsch-,
Biss-, Brand-, chemische Wunde). Wundalter, Wundinfektionen. Funktionsstörungen von Beugung, Streckung, Daumen-
spreizung, -opposition, Spitzgriff D 1 + 2. Seitenbänder des Daumens. Sensibilität, Greifstörungen – Händedruck, Faust-
schluss, Henkelgriff, Spreizung. BKS.

Bitte wenden!
a D(H)13e Ergänzungsbericht bei Handverletzungen Stand März 1995

⊡ Abb. 2.11 Ergänzungsbericht bei Handverletzungen. a Vorderseite


24 Kapitel 2 · Basisuntersuchung der Hand und Propädeutik

⊡ Abb. 2.11 Ergänzungsbericht bei Handverletzungen. b Rückseite


Weiterführende Literatur
25 2
2.2.2 Vaskuläre Untersuchung  Abschn. 7.1.4 Niesel HC, Van Aken H (2003) Lokalanästhesie, Regionalanästhesie, Regionale
Schmerztherapie. Thieme, Stuttgart
2.2.3 Lymphatische Untersuchung  Abschn. 49.1.4 Peterson Kendall F, Kendall McCreary E (1988) Muskeln, Funktionen und
Tests, 2. Aufl. Gustav Fischer, Stuttgart
Schmit-Neuerburg KP, Towfigh H, Letsch R (Hrsg) (2001) Tscherne Unfallchir-
2.2.4 Neurologische Untersuchung  Abschn. 8.1.4
urgie, Band VIII/2: Hand. Springer, Berlin
Schmitt R, Lanz U (2008) Bildgebende Diagnostik der Hand, 2. Aufl. Thieme,
2.2.5 Untersuchung der Strecksehnen Stuttgart
 Abschn. 5.1.4 Tubiana R, Mackin E, Thomine JM (1998). Examination of the Hand and Wrist.
Barnes & Noble, New York
2.2.6 Untersuchung der Beugesehnen Wachsmuth W, Wilhelm A (Hrsg) (1972) Allgemeine und spezielle chirurgi-
 Abschn. 6.1.4 sche Operationslehre, 10. Band, Teil 3: Operationen an der Hand. Sprin-
ger, Berlin
2.2.7 Untersuchung der Fingergelenke
 Abschn. 22.1.4

2.2.8 Untersuchung des Karpus  Abschn. 25.1.4

2.2.9 Untersuchung bei Erkrankungen des


rheumatischen Formenkreises  Abschn. 51.1.4

2.2.10 Untersuchung bei Infektionen


 Abschn. 44.1.4

2.2.11 Untersuchung bei Verbrennung


 Abschn. 45.1.4

2.2.12 Untersuchung bei Hochdruckinjektions-


verletzungen  Abschn. 35.1.4

2.2.13 Untersuchung bei Paravasaten


 Abschn. 36.1.4

2.2.14 Untersuchung bei Tumoren  Abschn. 60.1.4

2.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

> Eine schlechte Anamnese und Untersuchung verhindert die


optimale Therapie.

Weiterführende Literatur

Berger A, Hierner R (Hrsg) (2009) Plastische Chirurgie, Band IV: Extremitäten.


Springer, Heidelberg
Debrunner H U (1987) Orthopädisches Diagnostikum. Thieme, Stuttgart
Frisch H (1989) Programmierte Untersuchung des Bewegungsapparates –
Chirodiagnostik, 3. Aufl. Springer, Berlin
Heuk FHW, Bast BRG (1994) Radiologische Skizzen und Tabellen. Peripheres
Skelett. Thieme, Stuttgart
Hoppenfeld S (1982) Klinische Untersuchung der Wirbelsäule und der Extre-
mitäten. Gustav Fischer, Stuttgart
Kretz, FJ,Teufel F (2006) Anästhesie und Intensivmedizin. Springer, Heidel-
berg
List M (2004) Physiotherapeutische Behandlungen in der Traumatologie.
Springer, Berlin
Lister G (1993) The hand: Diagnosis and indications, 3rd ed. Churchill Livings-
tone, Edinburgh
Meier G, Büttner J (2006) Atlas der peripheren Regionalanästhesie. Thieme,
Stuttgart
Nickel U, Brambrink A (2005) Allgemein- und Regionalanästhesie in der
Traumachirurgie. Springer, Heidelberg
3

Anästhesie und perioperative Schmerztherapie


in der Handchirurgie
Klaus Görlinger, Daniel Dirkmann

3.1 Allgemeines – 28
3.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 28
3.1.2 Epidemiologie – 30
3.1.3 Ätiologie – 30
3.1.4 Diagnostik – 30
3.1.5 Anästhesie – 30
3.1.6 Schmerztherapie – 33
3.2 Spezielle Techniken – 40
3.2.1 Spezielle Anästhesieverfahren – 40
3.2.2 Spezielle Schmerztherapieverfahren – 49
3.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 51
Weiterführende Literatur – 52

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


28 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

3.1 Allgemeines anatomische Normvariante können auch Anteile aus C4 und/oder


Th2 enthalten sein. In seinem Verlauf durch die »Skalenuslücke«,
3.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie welche vom M. scalenus anterior, dem M. scalenus medius und der
und Physiologie 1. Rippe gebildet wird, bilden sich seine drei Primärstränge (Trun-
cus superior [C5/C6], Truncus medius [C7] und Truncus inferior
Der Plexus brachialis wird durch die Rami anteriores der Spinal- [C8/Th1]) aus. Diese bilden nach der Unterquerung der Klavikula
3 nervenwurzeln C5 bis Th1 gebildet (⊡ Abb. 3.1, ⊡ Abb. 3.2). Als und ihrer Anlagerung an die Arteria subclavia die Fasciculi late-

Segmentale Zuordnung Hautnerven


der Hautareale

C3
Nn. supraclaviculares
C4
C5
N. cutaneus brachii lateralis superior
Th2
Th3 Rami cutanei anteriores
pectorales
Th4
Th5 N. cutaneus brachii
medialis
C6 N. cutaneus brachii
lateralis inferior
Th1 N. cutaneus antebrachii
a Ansicht von vorn medialis

N. cutaneus antebrachii
lateralis
C7
Ramus palmaris des
C8 N. ulnaris
Ramus palmaris des N. medianus
Ramus superficialis des N. radialis
Nn. digitales palmares communes
und proprii des N. medianus
Nn. digitales palmares
communes und proprii des
N. ulnaris
Nn. supraclaviculares
Hautnerven C4 Segmentale Zuordnung
der Hautareale
C5
N. cutaneus brachii
lateralis superior des C6
N. axillaris Th2
N. cutaneus brachii lateralis
inferior des N. radialis Th3
N. cutaneus brachii posterior
des N. radialis C7
N. intercostobrachialis und
N. cutaneus brachii medialis
C8
N. cutaneus antebrachii b Ansicht von hinten
posterior des N. radialis Th1
N. cutaneus antebrachii
lateralis des N. musculocutaneus
N. cutaneus antebrachii
medialis
Ramus superficialis des
N. radialis
Ramus dorsalis des
N. ulnaris
Nn. digitales palmares Nn. digitales palmares
proprii des N. medianus proprii des N. ulnaris

⊡ Abb. 3.1 Dermatome und Innervation auf der ventralen und dorsalen Oberfläche der oberen Extremität. (Aus Tillmann 2009)
3.1 · Allgemeines
29 3
ralis, dorsalis und medialis. Im Bereich der Arteria axillaris liegen in den Sulcus bicipitalis medialis ein. Anteile aus Th1 bilden im We-
diese drei Faszikel medial, lateral und dorsal der Arterie und teilen sentlichen den Nervus cutaneus brachii medialis und den Nervus
sich hier in ihre Äste auf. Der Fasciculus posterior gibt dabei den cutaneus antebrachii medialis, denen sich Zweige der Nn. Intercos-
N. axillaris und den N. radialis ab. Der N. axillaris zieht dann durch tales I–III als N. intercostobrachialis anschließen. In seinem Verlauf
die laterale Achsellücke zum M. deltoideus und zum M. teres minor. wird der Plexus brachialis von einer septierten Faszienscheide, einer
Der N. radialis gelangt in den Sulcus bicipitalis medialis und zieht Ausstülpung der tiefen Halsfaszie, umgeben. Diese zieht mit der
nach dorsolateral in den Sulcus nervi radialis. Der Fasciculus latera- A. subclavia als Gefäß-Nerven-Scheide in die Axilla. Die Septierung
lis entlässt den N. musculocutaneus und bildet gemeinsam mit dem der Faszienhülle wird von einigen Autoren für einen unvollständi-
Fasciculus medialis die Medianusgabel, aus der der N. medianus gen Blockadeerfolg mitverantwortlich gemacht ( Kap. 51).
hervorgeht und weiter oberflächlich der A. axillaris verläuft. In sei-
nem Verlauf tritt der N. medianus gemeinsam mit der A. brachialis Auf die Pharmakologie wird in  Abschn. 3.1.5 eingegangen.

⊡ Abb. 3.2 Plexus brachialis. a Anatomie. b Der Plexus bildet sich aus den ventralen Ästen von C5-Th1. Aus dem Truncus superior und medius entsteht der
Fasciculus lateralis, aus dem Truncus inferior der Fasciculus medialis. Der Fasciculus posterior enthält Anteile aus allen 3 Trunci. Die interskalenäre Technik im
Bereich der Mm. Scaleni führt zu einer Blockade der Trunci, die vertikale infraklavikuläre Blockade (VIB) im Bereich der Medioklavikularlinie zu einer Blockade
der Fasciculi und die axilläre Technik im Bereich der Axilla zu einer Blockade der Einzelnerven. (Aus Rossaint et al. 2008)
30 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

3.1.2 Epidemiologie  Kap. 2 die Durchdringung von Lipidmembranen und die Proteinbindung
verantwortlich. Anhand der Zwischenkette erfolgt die Einteilung in
3.1.3 Ätiologie  Kap. 2 Amid- und Estertyp. Die Aminogruppe macht die Lokalanästhe-
tika zu schwachen Basen, da sie durch Protonisierung in ein positiv
3.1.4 Diagnostik  Kap. 2 geladenes Molekül umgewandelt werden können.
Der pKa-Wert der Lokalanästhetika liegt nahe dem physiologi-
3 3.1.5 Anästhesie schen pH-Wert, sodass sich in vivo ein dynamisches Gleichgewicht
zwischen der basischen (ungeladenen = LA) und der kationischen
Zur Induktion und Aufrechterhaltung einer Allgemeinanästhesie (positiv geladenen = LAH+) Form einstellt. Dies ist entscheidend
in der Handchirurgie steht die gesamte Bandbreite der Inhala- für die klinische Wirksamkeit der Lokalanästhetika.
tions- und Injektionsanästhetika zur Verfügung. Darüber hinaus Lokalanästhetika vom Estertyp, wie z. B. das Procain (Novo-
kommen die üblichen Opiate und Muskelrelaxanzien zum Einsatz. cain), sind relativ instabil, kurzwirksam und untoxisch. Sie werden
Die Erläuterung aller zur Verfügung stehenden Substanzen würde im Plasma schnell durch die Pseudocholinesterase hydrolytisch
an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Wir erlauben uns daher gespalten. Die dabei entstehende p-Aminobenzoesäure ruft bei ei-
diesbezüglich auf die weiterführende Literatur zu verweisen. nigen Patienten allergische Reaktionen hervor. Eine Sonderstellung
innerhalb der Lokalanästhetika vom Estertyp nimmt aufgrund sei-
Anästhetika ner langen Wirkungsdauer aber auch hohen Toxizität das Tetracain
Anhand ihrer chemischen Struktur werden die heute klinisch ein- (Pantocain) ein.
gesetzten Substanzen in Lokalanästhetika vom Amidtyp und Ester- Die heute klinisch gebräuchlichsten Lokalanästhetika gehören
typ unterteilt. Diese beiden Gruppen unterscheiden sich wesentlich dem Amidtyp an. Dazu gehören das Lidocain (Xylocain), das
in ihrer Stabilität, ihrem Metabolismus, ihrer Toxizität und in Prilocain (Xylonest), das Ethidocain (Dur-Anest), das Mepivacain
der Häufigkeit der Auslösung allergischer Reaktionen (⊡ Abb. 3.3, (Meaverin, Scandicain), das Ropivacain (Naropin) und das Bupi-
⊡ Tab. 3.2). vacain (Carbostesin). Diese Lokalanästhetika sind viel stabiler und
Beide Gruppen besitzen ein dreiteiliges Grundgerüst beste- werden nicht plasmatisch gespalten, sondern müssen hepatisch
hend aus einem lipophilen aromatischen Rest, einer Zwischen- metabolisiert werden. Daher kann der Abbau des Lidocains auch
kette und einer hydrophilen Aminogruppe. Der aromatische Rest als Leberfunktionstest bei einer Leberzirrhose oder nach einer
zeichnet wesentlich für die lipophilen Eigenschaften und damit für Lebertransplantation genutzt werden. Eine Verlängerung der ali-
phatischen Seitenkette an der Aminogruppe beeinflusst wesentlich
die physikochemischen und biologischen Eigenschaften des Lo-
aromatischer Rest Zwischenkette Aminogruppe kalanästhetikums im Sinne einer höheren Lipophilie und Protein-
(lipophil) (Ester oder Amid) (hydrophil)
bindung sowie einer Zunahme der lokalanästhetischen Potenz, der
Wirkungsdauer und der Toxizität.
O C2H5 Das Molekulargewicht beeinflusst die Diffusionsgeschwin-
Procain +
H2N C O CH2 CH2 N digkeit des Lokalanästhetikums und zwar ist die Diffusionsge-
(Estertyp) C2H5
H schwindigkeit umgekeht proportional zur Wurzel aus dem Mo-
lekulargewicht. Da aber alle gebräuchlichen Lokalanästhetika ein
Molekulargewicht (der Base) zwischen 220 (Prilocain) und 288
CH3
(Bupivacain) besitzen, ergibt sich daraus bezüglich der Diffusions-
O + C2H5 geschwindigkeit nur ein maximaler Faktor von 1,15 zugunsten des
Lidocain
NH C CH2 N Prilocains.
(Amidtyp)
C2H5
H Um eine ausreichende Wasserlöslichkeit zu erreichen, liegen
CH3 die Lokalanästhetika in den handelsüblichen Injektionslösungen
als Salze der Salzsäure vor. Daher sind diese Injektionslösungen mit
⊡ Abb. 3.3 Chemische Struktur von Lokalanästhetika einem pH-Wert zwischen 4 und 6 leicht sauer. Nach der Injektion

⊡ Tab. 3.1 Physiokochemische Eigenschaften der Lokalanästhetika

Lokalanästhetikum Potenz (in vitro) Molekulargewicht (Base) pKa (25 oC) Verteilungskoeffizient Proteinbindung (%)

Procain 1 236 8,9 0,02 6

Tetracain 16 264 8,5 4,1 76

RS-(±)-Mepivacain 3-4 246 7,6 0,8 78

RS-(±)-Prilocain 3-4 220 7,9 0,9 55

Lidocain 4 234 7,9 2,9 64

S-(-)-Ropivacain 12-16 274 8,1 9,0 90-95

RS-(±)-Bupivacain 16 288 8,1 27,5 96

RS-(±)-Etidocain 16 276 7,7 141 94


3.1 · Allgemeines
31 3
wird die Lokalanästhetikalösung durch das extrazelluläre Bikar- thetikum den Natriumeinstrom und damit die Weiterleitung des
bonatsystem auf den physiologischen pH-Wert von 7,4 gepuffert. Aktionspotenzials.
Dadurch stellt sich je nach pKa-Wert des Lokalanästhetikums ein Dünne Nervenfasern werden dabei schneller blockiert als di-
neues Gleichgewicht zwischen der nichtionisierten Base (LA) und cke Nervenfasern. Dadurch kommt es zu einer Differenzierung in
der kationischen Form (LAH+) ein. Je niedriger der pKa-Wert des der zeitlichen Reihenfolge und in der Ausprägung der Blockade.
Lokalanästhetikums ist, desto höher ist der Anteil der nichtioni- Zunächst kommt es in der Regel zu einer peripheren Vasodi-
sierten Base. So liegt bei einem pH-Wert von 7,4 das Prilocain latation und zu einem Anstieg der Hauttemperatur (autonome
als Lokalanästhetikum mit einem niedrigen pKa-Wert (7,9) zu prä- und postganglionäre B- und C-Fasern-), gefolgt von einem
etwa 35% als Base vor, während der Basenanteil beim Procain mit Verschwinden der Temperatur- und Schmerzempfindung (Aδ-
seinem hohen pKa-Wert (8,9) nur etwa 2% beträgt. Da aber nur und C-Fasern). Danach erfolgt der Fortfall der propriozeptiven
die nichtionisierte Base durch Lipidmembranen zum Wirkungsort Sensibilität (Aγ-Fasern), der Mechanosensibilität auf Berührung
der Lokalanästhetika diffundieren kann, ist der Basenanteil von und Druck der Haut (Aβ-Fasern) und zuletzt der Motorik (Aα-
entscheidender Bedeutung für die Geschwindigkeit des Wirkungs- Fasern) ( Kap. 8). Je nach Art und Konzentration des eingesetzten
eintrittes (s. unten). Lokalanästhetikums kann entweder eine vollständige Nervenblo-
Bei einem erniedrigten Gewebe-pH – etwa durch eine Ent- ckade erreicht werden, wie sie häufig für intraoperative Zwecke
zündung oder durch wiederholte Injektionen großer Mengen an erwünscht ist, oder aber eine möglichst selektive Ausschaltung
Lokalanästhetika – muss mit einem reduzierten Basenanteil und der Schmerz- und Temperaturempfindung bei erhaltener Berüh-
damit auch mit einer verminderten Wirkung des Lokalanästheti- rungsempfindung und Motorik. Letzteres wird auch als Differen-
kums gerechnet werden. zialblockade bezeichnet und wird insbesondere im Rahmen der
Da die Lokalanästhetika an ihrem eigentlichen Wirkort, der in- postoperativen Analgesie angestrebt.
trazellulären Seite des Natriumkanals, nur in polarer Form (LAH+) Neben der Nervenfaserdicke ist allerdings auch die Dicke der
binden können, muss außerdem beachtet werden, dass diese Lokal- Nervenwurzel bzw. des peripheren Nervs von Bedeutung. Dies er-
anästhetika bei einer allgemeinen Azidose im Rahmen einer Lo- klärt die hohen Lokalanästhetikakonzentrationen, die zur peridu-
kalanästhetikaintoxikation stärker gebunden werden. Darum muss ralen Blockade der »Problemnervenwurzeln« L5 und S1 benötigt
bei Anzeichen einer Lokalanästhetikaintoxikation unbedingt eine werden.
Azidose – ggf. durch Intubation und Hyperventilation sowie durch
Pufferung mit Natriumbikarbonat – vermieden werden. Indikationen
Da das Lokalanästhetikum auf dem Weg von der Injektions- Im klinischen Alltag werden die Lokalanästhetika vom Amidtyp
stelle bis zu seinem Wirkort mehrere Lipidstrukturen wie Nerven- (Prilocain, Xylocain, Mepivacain, Ropivacain, Bupivacain) bevor-
hüllen und Zellmembranen zu überwinden hat, ist die Lipohilie zugt, da die Lokalanästhetika vom Estertyp (Novocain) ein höheres
des Lokalanästhetikums ein entscheidendes Kriterium für die lo- Risiko für das Auftreten von allergischen Reaktionen haben.
kalanästhetische Potenz, aber auch für die Toxizität – insbesondere Die Auswahl der Lokalanästhetika richtet sich ansonsten nach
die Kardiotoxizität. dem Resorptions- und Abbauverhalten und davon abhängig nach
Als Maß für die Lipophilie wird der Verteilungskoeffizient der Wirkdauer und der möglichen Maximaldosis (⊡ Tab. 3.2).
zwischen einer organischen und einer wässrigen Phase angegeben.
Als organische Phase wird dabei n-Octanol, als wässrige Phase ein Procain
Phosphatpuffer mit einem pH-Wert von 7,4 bei 25 °C eingesetzt. Je Procain (Novocain) wurde 1905 in die klinische Praxis eingeführt
höher der Verteilungskoeffizient ist, desto höher ist auch die Lipo- und ist damit das älteste Lokalanästhetikum vom Estertyp. Heute
philie des Lokalanästhetikums. hat es nur noch eine geringe klinische Bedeutung als Lokalanästhe-
Um seine Wirkung am Natriumkanal zu entfalten, muss das tikum im Rahmen der Neuraltherapie (1–2%).
Lokalanästhetikum zur Bindung an Proteine fähig sein. Je ausge-
prägter diese Proteinbindung ist, desto höher ist die lokalanästhe- Tetracain
tische Potenz und die Wirkungsdauer, aber auch die Toxizität des Tetracain (Pantocain) ist ebenfalls ein Ester und wird aufgrund sei-
Lokalanästhetikums. Neben der Lipophilie ist damit die Protein- ner schnellen Resorption als Schleimhautanästhetikum eingesetzt.
bindung die wesentliche Determinante für die Potenz und Toxizität Aufgrund seiner relativ hohen Toxizität ist es allerdings weitestge-
des Lokalanästhetikums. hend für diese Indikation durch das Lidocain verdrängt worden.
Lokalanästhetika mit hoher Proteinbindung werden dement-
sprechend auch stark an Plasmaproteine – insbesondere an α1- Lidocain
Glykoprotein und Albumin – gebunden. Bei einer erniedrigten Lidocain (Xylocain) wurde 1947 in die klinische Praxis eingeführt
Konzentration dieser Plasmaproteine muss daher bedacht werden, und ist wie alle folgenden Substanzen ein Lokalanästhetikum vom
dass die Toxizität des Lokalanästhetikums durch den dann erhöh- Amidtyp. Lidocain zeichnet sich durch ein gutes Penetrations-
ten Anteil an ungebundenem Lokalanästhetikum gesteigert ist. vermögen aus und ist deshalb sowohl zur Oberflächenanästhe-
sie (2–10%), als auch zur Infiltrations- und Leitungsanästhesie
Wirkungsmechanismus der Lokalanästhetika (0,5–2%) geeignet. Zur Spinalanästhesie wird in der Regel eine
Lokalanästhetika blockieren die axonale Weiterleitung eines elek- 5%ige hyperbare Lidocainlösung eingesetzt. Außerdem ist eine
trischen Impulses in den Nervenfasern. Ihr molekularer Wir- Kombination aus der Lidocainbase und der Prilocainbase in einer
kungsort ist dabei die intrazelluläre Seite der Natriumkanäle. Um Creme oder als Pflaster (Emla) zur Lokalanästhesie der Haut, z. B.
diesen Wirkungsort zu erreichen, muss das Lokalanästhetikum vor Venenpunktionen bei Kindern, geeignet. Lidocain besitzt wie
zunächst in seiner ungeladenen Form (LA) durch die Myelin- Prilocain und Mepivacain nur eine relativ kurze Wirkungsdauer
scheiden und die axoplasmatische Membran diffundieren, um von etwa 2 h. Im Gegensatz zum Mepivacain zeigt das Lidocain
dann in seiner geladenen Form (LAH+) an der intrazellulären jedoch bezüglich seiner Plasmaspiegel auch nach wiederholten
Seite des Natriumkanals zu binden. Dort blockiert das Lokalanäs- Repetitionsgaben keine Tendenz zur Kumulation.
32 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

⊡ Tab. 3.2 Lokalanästhetika

Medikament Wirkdauer (Eintritt) in h Analgetische Potenz/(Tox- Höchstdosis mit/ohne Konzentrationen Infiltration/


izität) Vasokonstriktor in mg Plexusblockade in%

Ester

3 Procain 0,5–1 (langsam) 1 (1) 500/750 1/1

Tetracain 2–4 (langsam) 4–6 (10) 100 (peripher), 20 (spinal) 0,1–0,2/0,1–0,2

Amide

Prilocain 1–2 (relativ rasch) 2 (2,5) 400/600 (0,5)–1/1–1,5

Lidocain 1–2 (rasch) 2 (2) 200/500 (0,5)–1/1–1,5

Mepivacain 1,5–2 (relativ rasch) 2 (2) 300/500 (0,5)–1/1–1,5

Bupivacain 2–5 (–12) (langsam) 8 (8) 150 0,25–0,5/0,5

Ropivacain Wirkprofil ähnlich Bupi- Geringere Kardio- und Neu- 300 (?) 0,2–0,5/0,75–1
vacain rotoxizität als Bupivacain

Prilocain 0,2%igen Lösung wird dabei normalerweise eine gute sensible, bei
Prilocain (Xylonest) ist das Lokalanästhetikum mit der derzeit nur minimaler motorischer Blockade erreicht.
geringsten Toxizität. Allerdings muss ab einer Dosierung von über
600 mg/70 kg mit einer klinisch bedeutsamen Methämoglobinbil- Bupivacain
dung gerechnet werden. Deshalb ist das Prilocain kontraindiziert Bupivacain (Carbostesin) ist ein stark und lang wirksames Lokal-
bei Kindern unter 6 Monaten und nicht geeignet für den repeti- anästhetikum mit allerdings auch deutlich erhöhter Toxizität. Je
tiven Gebrauch, z. B. im Rahmen einer postoperativen Schmerz- nach gewählter Konzentration lässt sich die Qualität der Blockade
therapie mittels kontinuierlicher Regionalanästhesieverfahren. Au- im Sinne einer Differenzialblockade beeinflussen. Insbesondere
ßerdem ist Vorsicht geboten bei Patienten mit einer Anämie (z. B. bei der Periduralanästhesie kommt es bei der Verwendung einer
bei chronischen Nierenerkrankungen) und bei Patienten mit einer 0,125%igen Lösung vorwiegend zu einer Sympathikusblockade,
Methämoglobinämie (z. B. aufgrund eines Glucose-6-Phoshat-De- bei einer 0,25%igen Lösung zu einer vorwiegend sensiblen und
hydrogenase-Mangels). Zur intravenösen Regionalanästhesie wird bei einer 0,5-0,75%igen Lösung auch zu einer ausgeprägten mo-
eine 0,5–1%ige Lösung und zur Infiltrations- und Leitungsanästhe- torischen Blockade. Aufgrund seiner langen Wirkungsdauer von
sie eine 1–2%ige Lösung eingesetzt. 4–8 h ist das Bupivacain das im Rahmen einer postoperativen
Schmerztherapie mittels kontinuierlicher Regionalanästhesiever-
Mepivacain fahren am häufigsten eingesetzte Lokalanästhetikum. Zur Spi-
Mepivacain (Meaverin oder Scandicain) liegt bezüglich seiner To- nalanästhesie wird 0,5%iges Bupivacain sowohl als hyperbare, als
xizität zwischen dem Lidocain und dem Prilocain. Außerdem wird auch als isobare Lösung eingesetzt. Bei der kontinuierlichen Spi-
es etwas langsamer resorbiert und metabolisiert. Eine Methämo- nalanästhesie mittels Spinalkatheter sollte nur isobares Bupivacain
globinbildung wird durch das Mepivacain nicht induziert. Zur In- appliziert werden, um neurologische Komplikationen im Sinne
filtrations- und Leitungsanästhesie wird in der Regel eine 1–2%ige eines Cauda-Equina-Syndromes zu vermeiden. Zur intravenösen
und zur Spinalanästhesie eine 4%ige hyperbare Lösung eingesetzt. Regionalanästhesie darf das Bupivacain – wie auch das Ropivacain
Da beim Mepivacain eine systemische Kumulation bei wiederhol- und Etidocain – aufgrund seiner langen Wirkungsdauer und ho-
ten Injektionen in kurzen Zeitintervallen nachweisbar ist, scheint hen Kardiotoxizität nicht eingesetzt werden.
sein Einsatz zur postoperativen Schmerztherapie mittels kontinu-
ierlicher Regionalanästhesieverfahren nicht sinnvoll zu sein. Etidocain
Etidocain (Dur-Anest) ist ebenfalls ein lang wirksames Lokalan-
Ropivacain ästhetikum. Es weist im Gegensatz zum Ropivacain aber eine
Ropivacain (Naropin) ist ein neueres lang wirksames Lokalanäs- besonders ausgeprägte motorische Blockade auf. Daher wird es
thetikum, das als reines S-(-)-Enantiomer vorliegt. Es zeichnet sich insbesondere dann – alleine oder in Kombination mit einem
im Vergleich zu Bupivacain durch eine geringere Toxizität bei anderen langwirksamen Lokalanästhetikum – eingesetzt, wenn
vergleichbarer Wirkungsdauer aus. Die Differenzierung zwischen intraoperativ eine vollständige motorische Blockade erwünscht ist.
sensibler und motorischer Blockade soll je nach verwendeter Kon- Verwendung findet dabei eine 1%ige Lösung. Im Rahmen einer in-
zentration noch ausgeprägter sein als beim Bupivacain. Ist bei travenösen Regionalanästhesie darf das Etidocain nicht eingesetzt
einer Periduralanästhesie intraoperativ eine motorische Blockade werden (s. auch  Abschn. »Bupivacain«).
erwünscht, so muss eine 0,75–1%ige Lösung appliziert werden.
Aufgrund seiner ausgeprägteren Differenzialblockade und seiner Therapie und Differenzialtherapie
geringeren Toxizität könnte das Ropivacain aber insbesondere im Zur Schmerzausschaltung in der Handchirurgie bieten sich neben
Rahmen der Schmerztherapie mittels kontinuierlicher Regional- der Allgemeinanästhesie sowohl verschiedene Verfahren der peri-
anästhesieverfahren von Vorteil sein. Unter Verwendung einer pheren Regionalanästhesie als auch die Lokalanästhesie an. Eine
3.1 · Allgemeines
33 3
Analgosedierung bietet die Möglichkeit, eine unvollständige/un- Besonderheiten im Wachstumsalter
zureichende Regional- oder Lokalanästhesie zu supplementieren. Die alleinige Regionalanästhesie spielt bei Kindern meist eine eher
Nicht alle genannten Verfahren ermöglichen jedoch die Applika- nachgeordnete Rolle. Prinzipiell stellen die Blockaden des Plexus
tion einer pneumatischen Blutleere, sodass die Auswahl des Anäs- brachialis über einen axillären oder infraklavikulären Zugang je-
thesieverfahrens individuell für den Patienten und den jeweiligen doch sichere Verfahren und eine Alternative zur Allgemeinanäs-
Eingriff getroffen werden muss. thesie dar, die vor allem bei nicht nüchternen Notfallpatienten und
In der Regel ist die Allgemeinanästhesie bei allen größeren Ein- in Sonderfällen wie bei ehemaligen Frühgeborenen Anwendung
griffen, bei denen zusätzlich an einer anderen Körperregion ope- finden können und darüber hinaus eine optimale postoperative
riert wird, z. B. Spongiosaentnahme vom Beckenkamm, Hauttrans- Schmerztherapie gewährleisten.
plantation sowie bei großen Eingriffen mit längeren OP-Zeiten
! Cave
(z. B. Replantationen), zu bevorzugen. Auch ist die Allgemeinan-
Die Durchführung einer Operation unter alleiniger Regio-
ästhesie bei sehr ängstlichen oder unkooperativen Patienten sowie
nalanästhesie sollte jedoch erst ab einem Alter von etwa
bei kleinen Kindern vorzuziehen. Im Rahmen kürzerer (ambulan-
10 Jahren routinemäßig erwogen werden und bleibt dem
ter) Eingriffe bietet sich bei Patienten ohne Kontraindikation die
Erfahrenen vorbehalten.
Allgemeinanästhesie unter Verwendung der Larynxmaske an.
Unter den Verfahren zur Regionalanästhesie gewährleisten nur In den meisten Fällen gilt der Grundsatz »Kinder wollen keine
die Plexusblockaden die Toleranz der Blutleeremanschette für län- Spritzen!«. Daher werden im Gegensatz zum Erwachsenen Regio-
gere Operationen. Allerdings kann es bei der axillären Blockade nalanästhesieverfahren bei Kindern in der Regel in Allgemeinanäs-
aufgrund einer inkompletten Blockade des N. radialis und des thesie oder zumindest Analgosedierung durchgeführt.
N. musculocutaneus zu Tourniquetschmerzen kommen. In diesen
! Cave
Fällen ist eine zusätzliche Lokalanästhesie oberhalb des Tourni-
Unter diesen Umständen gilt es zu beachten, dass die
quets oder eine Sedierung notwendig. Blockaden der peripheren
üblichen Warnsignale wie Schmerzen bei punktions-
Nerven eignen sich für Eingriffe, die keine oder eine nur sehr
bedingter Nervenläsion, intraneuraler Injektion oder
kurze Blutsperre benötigen sowie zur Vervollständigung einer in-
Frühzeichen der intravasalen Lokalanästhetika-Injektion
kompletten Plexusanästhesie.
fehlen.
Gegebenenfalls können auch Kombinationen aus Allgemein- und
Regionalanästhesie angewandt werden. Dies bietet sich insbesondere Zur optimalen Anlage einer axillären Plexusanästhesie wird inzwi-
dann an, wenn zu erwarten ist, dass der Patient von einer postopera- schen vielfach die Verwendung der ultraschallgesteuerten Punk-
tiven kontinuierlichen Regionalanästhesie profitieren wird. tion unter Verzicht auf einen Nervenstimulator empfohlen. In
Die intravenöse Regionalanästhesie erlaubt OP-Zeiten bis zu diesem Fall reicht bei Kindern unter 6 Jahren in der Regel eine Ein-
60 min. Die Verwendung einer pneumatischen Blutleere ist hierbei zelinjektion aus. Bei älteren Kindern sollten wie beim Erwachsenen
obligat. Zu bedenken ist, dass die Blutleere nicht vor Ablauf von die Nerven gezielt einzelnen blockiert werden. In beiden Fällen
20 min und nicht deutlich vor dem OP-Ende geöffnet werden kommt eine Menge von 0,75 ml/kg KG eines Lokalanästhetikums
darf, da die Anästhesie nach Reperfusion des Armes innerhalb von zur Anwendung. Als Lokalanästhetika bieten sich 1%-ige Prilocain
5–10 min abklingt. oder Lidocain Lösungen oder eine Mischung im Verhältnis 1:1 an.
Die Oberst‘sche Leitungsanästhesie ermöglicht bei Eingriffen Für die postoperative Analgesie werden Levobupivacin 0,25%ig
distal des proximalen Grundgliedes die Anlage einer Fingerblut- oder Ropivacain 0,2-0,35%ig empfohlen.
leere und OP-Zeit bis 30 min.
Die Infiltrationsanästhesie bleibt oberflächlichen kleinen Ein-
griffen vorbehalten. 3.1.6 Schmerztherapie
Unabhängig davon, ob periphere Regionalanästhesien von ei-
nem Nichtanästhesisten oder einem Anästhesisten durchgeführt Eine effektive Schmerztherapie sollte bei akuten Verletzungen be-
werden, ist es unabdingbar, dass die Technik beherrscht wird sowie reits vor der Operation beginnen. Dazu sind periphere Analgetika
auftretende Komplikationen erkannt und adäquate Therapiemaß- ohne thrombozytenaggregationshemmenden Effekt wie Metamizol
nahmen eingeleitet werden. Der Anwender wird an dem anästhesi- oder Paracetamol und/oder niedrig bis mittelpotente Opioide wie
ologischen Standard gemessen werden, der in der Anästhesie zum Tilidin oder Piritramid geeignet. Ansonsten beginnt die Schmerz-
Zeitpunkt der Behandlung galt. therapie spätestens mit der Durchführung der Anästhesie als All-
Gerade bei der Anästhesie des Plexus brachialis und der intra- gemein- oder Regionalanästhesie. Am Ende der Anästhesie ist
venösen Regionalanästhesie muss aufgrund der Intoxikationsgefahr darauf zu achten, dass keine Lücke in der analgetischen Versorgung
bei hoher Gesamtdosis des Lokalanästhetikums eine angemessene zwischen der Beendigung der Anästhesie und dem Beginn der
intra- und postoperative Überwachung des Patienten gewährleistet postoperativen Schmerztherapie entsteht. Am effektivsten ist dies
sein, d. h., vor jeder Regionalanästhesie mit Verwendung einer natürlich mit einem kontinuierlichen Regionalanästhesieverfahren
größeren Menge an Lokalanästhetikum muss ein Venenzugang am wie der Plexusanästhesie sicherzustellen.
kontralateralen Arm angelegt werden und der Patient mit EKG- Zur Analgesie nach einer Allgemeinanästhesie werden Akut-
Monitor, Sauerstoffsättigungs- sowie Blutdruckmessung überwacht schmerzmittel nach dem 1989 publizierten WHO-Stufenschema
werden. Das Equipment zur Notfallbehandlung (Notfallmedika- eingesetzt (⊡ Abb. 3.4). Das WHO-Stufenschema wurde zwar pri-
mente, die Möglichkeit zur Sauerstoffzufuhr und Beatmung sowie mär zur Therapie von Tumorschmerzen entwickelt, kann in mo-
ein Intubationsbesteck) muss jederzeit verfügbar sein. difizierter Form aber auch als Basis für die perioperative Schmerz-
therapie genutzt werden. Als Stufe IV werden neuerdings invasive
! Cave schmerztherapeutische Techniken aufgeführt, die postoperativ als
Bei Infektionen ist eine Regionalanästhesie im Hinblick auf Weiterführung der intraoperativ begonnenen Regionalanästhesie
eine Keimverschleppung kontraindiziert. natürlich fortgeführt werden können.
34 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

Thrombozytenfunktion und andererseits auch die Effektivität einer


ASS-Therapie bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder nach
Invasive
Schlaganfall, Herzinfarkt oder koronarer Stentimplantation. Omep-
Schmerz-
Starke therapeutische razol kann darüber hinaus die Effektivität einer Clopidogreltherapie
Opiod- Techniken (Plavix oder Iscover) im Rahmen einer dualen antithrombozytären
Analgetika Therapie nach Stentimplantation reduzieren und damit das Auftre-
3 Schwache
Opiod-
+ STUFE I ten einer Stentthrombose begünstigen. Dies muss insbesondere bei
kardialen Risikopatienten entsprechend berücksichtigt werden.
Analgetika
ggf. als PCA-Technik
Alternativ können Metamizol (bis zu 4-mal 1 g; z. B. Nogal-
+ STUFE I
Nichtopioid- gin) oder Paracetamol (initale Dosis bis zu 40 mg/kg; dann bis zu
Analgetika 4-mal tgl. 10–15 mg/kg (500–1000 mg für einen Erwachsenen);
Adäquate Behandlung
Tageshöchstdosis: 60 mg/kg; z. B. Benuron) verabreicht werden.
opioidbedingter Nebenwirkungen
Allerdings sind diese Nichtopioidanalgetika wegen ihrer fehlenden
antiphlogistischen Wirkung bei Weichteil- und Knochenschmer-
Koanalgetika und Adjuvantien zen schlechter wirksam. Sie besitzen allerdings beide eine gute
antipyretische Begleitwirkung und das Metamizol darüber hinaus
Physiotherapie und Psychosomatische Therapie noch einen guten spasmolytischen Effekt, der insbesondere bei
viszeralen nozizeptiven Schmerzen zum Tragen kommt. Zeit-
gleich eingenommen, kann allerdings auch das Metamizol den
STUFE I STUFE II STUFE III STUFE IV antithrombozytären Effekt von ASS hemmen. Paracetamol steht
auch als Kombinationspräparat mit Kodein (250/5; 500/10; 500/30;
mäßige starke stärkste invasive
1000/60 mg; z. B. Talvosilen) oder Tramadol (325/37,5 mg; z. B.
Schmerzen Schmerzen Schmerzen Schmerzen Zaldiar) zur Verfügung. Die Kombination von Paracetamol plus
⊡ Abb. 3.4 Modifiziertes WHO-Stufenschema Kodein hat sich zur postoperativen Analgesie bei Kindern ab 1 Jahr
bewährt, bei denen Paracetamol alleine voraussichtlich nicht aus-
reichend wirksam ist, während die Kombination von Paracetamol
und Tramadol erst für Kinder ab 12 Jahren zugelassen ist.
Prinzipiell sollte zwar mit der niedrigsten WHO-Stufe begon-
nen werden, bei zu erwartenden starken Schmerzen muss allerdings Schwache Opioidanalgetika (WHO-Stufe II)
bereits primär auf einer höheren Stufe eingestiegen werden. Da sich Zu den schwachen Opioidanalgetika gehören das Kodein, Trama-
das WHO-Stufenschema nur an der Schmerzstärke orientiert, ist dol und Tilidin/Naloxon. Das Kodein wird normalerweise nur bei
eine zusätzliche Beurteilung der Schmerzqualität (z. B. brennender, Kindern und dann in der Regel in Kombination mit Paracetamol
elektrisierender oder einschießender Schmerz) für die Bestimmung eingesetzt (s. oben). Tramadol und Tilidin besitzen im Vergleich zu
der Schmerzätiologie und die Auswahl der geeigneten Koanalgetika oralem Morphin eine analgetische Potenz von etwa 0,1. Nichtretar-
von besonderer Bedeutung. Dazu gehören insbesondere analgetisch dierte Präparate (z. B. in Form von Tropfen) haben eine Wirkungs-
wirksame Antidepressiva und Antikonvulsiva sowie Clonidin, Bi- dauer von 4–6 h und müssen daher bis zu 6-mal täglich gegeben
phosphonate und Kortison. Dabei muss berücksichtigt werden, dass werden. Aufgrund der schnelleren Anflutung wirken sie bei akuten
viele Koanalgetika ihre analgetische Wirkung erst nach 2–4 Wochen Schmerzen schneller, haben daher aber auch einen deutlich stärke-
voll entfalten und zur Reduktion ihrer Nebenwirkungen langsam ren abhängigkeitsinduzierenden Effekt. Die nichtretardierte Form
aufdosiert werden müssen. Dies lässt ihren Einsatz nur bei länger zu sollte daher nur zur anfänglichen Dosistitration und als »Top-up«
erwartenden Schmerzen oder bei speziellen Schmerzformen (z. B. bei Schmerzspitzen verwendet werden. Für eine über mehrere Tage
neuropathischen Schmerzen) sinnvoll erscheinen. notwendige gleichmäßige Analgesie sollten besser Retardpräparate
mit einer Wirkdauer von 8–12 h eingesetzt werden (2- bis 3-mal
Schmerztherapeutika 50(–200) mg; z. B. Valoron N retard oder Tramal long). Bei Tra-
Nichtopioidanalgetika (WHO-Stufe I) madol kommt es häufiger zu Übelkeit. Der dem Tilidin zugesetzte
Als Basisanalgetika können Nichtopioidanalgetika der WHO- Opiatantagonist Naloxon (4 g pro 50 mg Tilidin) wird i. Allg. bei
Stufe I eingesetzt werden. Die Auswahl des Analgetikums richtet seiner ersten Passage durch die Leber fast vollständig abgebaut und
sich dabei nach den medikamentenspezifischen Begleitwirkungen eliminiert (First-Pass-Effekt), während das Tilidin zu seinem wirk-
und potenziellen Nebenwirkungen. samen Metaboliten Nortilidin metabolisiert wird. Dadurch bleibt
Bei Weichteil- und Knochenschmerzen – insbesondere mit ent- der Effekt des Naloxons im Wesentlichen auf den Darm beschränkt
zündlicher Komponente – haben sich nichtsteroidale Antiphlogistika und vermindert damit die opiatinduzierte Obstipation ohne den
(NSAID) wie z. B. Ibuprofen (3-mal 600 mg), Diclophenac (3-mal analgetischen Effekt wesentlich zu reduzieren. Bei Patienten mit
50 oder 2-mal 75 mg; z. B. Voltaren resinat), Naproxen (1- bis 2-mal einer Leberinsuffizienz darf Tilidin/Naloxon aus diesen Gründen
(250–)500 mg; z. B. Proxen), Etoricoxib (1-mal 60–90 mg; z. B. Ar- allerdings nicht eingesetzt werden. Tramadol und Tilidin besitzen
coxia) oder Celecoxib (1- bis 2-mal 100(–200) mg; z. B. Celebrex) einen Ceiling-Effekt, d. h. eine Steigerung der Tagesdosis über
bewährt. Allerdings ist die Einnahme von NSAID aufgrund ihres 600 mg ist nicht mit einer Verbesserung der Analgesie verbunden,
Effektes auf die Prostaglandinsynthese mit einem erhöhten Mage- während die Nebenwirkungen jedoch weiter zunehmen können.
nulkusrisiko verbunden. Eine längerfristige Einnahme macht daher Bei zu erwartenden sehr starken Schmerzen ist es also sinnvoll, die
in der Regel eine Ulkusprophylaxe mit einem H2-Rezeptor-Antago- schwachen Opioidanalgetika der WHO-Stufe II zu überspringen
nisten wie Ranitidin (2-mal 150 mg; z. B. Sostril oder Zantic) oder und die Schmerztherapie direkt mit hochpotenten Opioiden der
einem Protonenpumpenhemmer wie Pantoprazol (1-mal 40 mg; WHO-Stufe III in Kombination mit einem Nichtopioidanalgeti-
z. B. Pantozol) notwendig. Darüber hinaus beeinflussen NSAID die kum (der WHO-Stufe I) zu beginnen.
3.1 · Allgemeines
35 3
! Cave vorwiegend hepatisch metabolisiert und eliminiert wird, ist es bei
Opioide der WHO-Stufe II sollten auf keinen Fall mit Opioiden Niereninsuffizienz dem Morphin vorzuziehen. Außerdem besitzt
der WHO-Stufe III kombiniert werden, da sie als Partialanta- es weniger psychomimetische Nebenwirkungen und ist aus diesem
gonisten bzw. durch den Naloxonzusatz sogar die analgeti- Grund gerade auch bei älteren Patienten zu bevorzugen.
sche Wirkung der hochpotenten Opioide reduzieren können. Im Rahmen der chronischen Schmerztherapie werden außer-
dem auch noch das Levomethadon (z. B. L-Polamidon) oral, das
Starke Opioidanalgetika (WHO-Stufe III) Buprenorphin (z. B. als Temgesic oder als Transtec-Pflaster) su-
Bei zu erwartenden sehr starken postoperativen Schmerzen, einer blingual, transdermal und im Rahmen der ganglionären lokalen
sehr hohen initialen Schmerzstärke (gemessen über eine visuelle Opioidapplikation (GLOA) und das Fentanyl transdermal (z. B.
Analogskala, VAS >7) oder nicht ausreichender Schmerzreduktion als Durogesic-Pflaster) eingesetzt. Fentanyl und Sufentanil können
unter Analgetika der WHO-Stufe II (VAS >3), sollten starke Opio- prinzipiell auch peridural oder intrathekal appliziert werden.
idanalgetika der WHO-Stufe III eingesetzt werden.
! Cave
Referenzsubstanz ist dabei das Morphin mit einem Äquiva-
Bei Buprenorphin sind ein Ceiling-Effekt und die fehlende
lenzfaktor von 1 bei oraler und 3 bei intravenöser Applikation.
Antagonisierbarkeit mit Naloxon zu beachten!
Außerdem kann das Morphin auch peridural (Äquivalenzfaktor
10–20) oder intrathekal (Äquivalenzfaktor 100) verabreicht wer-
den. Eine transdermale Applikation ist aufgrund des hydrophilen Adjuvanzien zur Prophylaxe und Therapie
Charakters des Morphins nicht möglich, wohl aber eine Anwen- opiatbedingter Nebenwirkungen
dung als Morphingel (0,1%) bei lokalen Wunden. Mit Morphin Bei opioidbedingter Übelkeit kann nach einem Stufenschema Met-
gibt es die längsten Erfahrungen im Rahmen der akuten und chro- clopramid (MCP: 10 mg = 40 Tr.) oder Haloperidol (Haldol: 0,2–
nischen Schmerztherapie und es ist außerdem auch sehr preiswert. 0,5 mg = 2–5 Tr.) oder Dimenhydrinat (Vomex: 1 Amp. à 62 mg als
Es steht in retradierter (z. B. MST) und nichtretardierter Form Kurzinfusion i.v.) oder Odansetron (z. B. Zofran: 1 Amp. á 4 mg als
(z. B. MSI zur parenteralen und Sevredol zur oralen Applikation) Kurzinfusion i.v.) gegeben werden.
zur Verfügung. Die intravenöse Gabe kann entweder »on demand« Werden starke Opioide für mehrere Tage eingesetzt, so ist
als Kurzinfusion (5–10 mg Morphin in 100 ml NaCl-Lösung) oder frühzeitig mit einer Obstipationsprophylaxe zu beginnen. Primär
als intravenöse PCA-Pumpe erfolgen (z. B. mit einem 1,5 mg Bolus sollten dazu osmotisch wirksame Substanzen wie Magrogol (z. B.
und einer Sperrzeit von 10 min). Bei Patienten mit einer vorbeste- Movicol: 1- bis 3-mal 1Btl.) oder Lactulose (z. B. Bifiteral: 2- bis
henden Dauertherapie mit Morphin oder einem anderen starken 3-mal 15 ml) eingesetzt werden.
Opioid muss die Programmierung der PCA-Pumpe selbstverständ- Bei Juckreiz kann ein Antihistaminikum (H1-Rezeptorantago-
lich angepasst oder die Dauertherapie mit dem Retardpräparat nist) wie Dimetinden (z. B. Fenistil: 1 Amp. à 4 mg langsam i.v.)
entsprechend perioperativ fortgeführt werden! Prinzipiell ist auch versucht werden. Bei peridualer oder intrathekaler Opioidgabe
eine subkutane Applikation von Morphin möglich. Von Nachteil kann niedrig dosiertes intravenöses Naloxon (Narcanti: 0,1 mg
ist die unter Morphin häufig auftretende Übelkeit und der Juck- = ¼ Amp.) den Juckreiz beseitigen, ohne die rückenmarksnahe
reiz. Alternativ bietet sich daher zur intravenösen Applikation das Analgesie aufzuheben. Bei Juckreiz unter Morphin ist ein Opioid-
Piritramid (z. B. Dipidolor) an, das einen Äquivalenzfaktor von 2 wechsel empfehlenswert!
besitzt (im Vergleich zu Morphin i.v. besitzt Piritramid i.v. aller- Bei einem Harnverhalt sind anticholinerge Medikamente wie
dings nur eine relative Stärke von 0,7). Piritramid darf aufgrund trizyklische Antidepressiva zu reduzieren oder abzusetzen und
seines niedrigen pH <4 allerdings auf keinen Fall peridual oder Cholinergika wie Charbachol (z. B. Doryl: 2 mg oral oder 0,25 mg
intrathekal verabreicht werden, da es darunter zum Ausfällen von s.c.) zu applizieren.
Proteinen im Liquor cerebrospinalis kommen kann. Als Verdün- Eine opiatbedingte Sedierung und Atemdepression kann –
nungslösung darf nur NaCl 0,9% oder Glukose 5% zur Herstellung außer bei Buprenorphin – mit Naloxon (Narcanti) antagonisiert
einer Kurzinfusion oder PCA-Pumpen-Lösung eingesetzt werden. werden. Dabei sollte das Naloxon nach Wirkung titriert werden,
Übelkeit und Juckreiz treten unter Piritramid deutlich seltener auf, um die Auslösung stärkster Schmerzen zu vermeiden. Die Atmung
was allerdings mit höheren Medikamentenkosten im Vergleich und Sauerstoffversorgung ist bis zum Einsetzen einer suffizien-
zum Morphin bezahlt werden muss. ten Spontanatmung per Kommandoatmung, assistierter Beatmung
Grundsätzlich sollte die Opiatmedikation so schnell wie mög- oder Intubation und kontrollierter Beatmung zu sichern. Man
lich auf eine orale Applikationsform unter Verwendung von Re- unterscheidet eine frühe Atemdepression durch systemische Re-
tardpräparaten (bei zu erwartender Anwendung über mehrere sorption innerhalb von 60 min nach der Opiatgabe von einer spä-
Tage) umgestellt werden. Alternativ zum Morphin kommen bei ten Atemdepression durch rostralen Morphintransport im Liquor
oraler Gabe auch noch das Oxycodon (z. B. Oxygesic oder Targin 8–24 h nach periduraler oder intrathekaler Morphingabe.
= Oxycodon plus Naloxon im Verhältnis 2:1) und das Hydromor-
! Cave
phon (z. B. Palladon als retardierte (2-mal tgl.) und nichtretar-
Wegen der Unkalkulierbarkeit der Interferenz zwischen frü-
dierte Form oder Jurnista als retrardierte orale Form (1-mal tgl.) in
her und später Atemdepression sollte eine Kombination von
Frage. Der Äquivalenzfaktor beträgt bei oraler Gabe für Oxycodon
systemischer (intravenöser, subkutaner oder oraler) Opioid-
2 und für Hydromorphon 7,5. Hydromorphon liegt auch als intra-
gabe und rückenmarksnaher Morphinapplikation unterlassen
venös applizierbare Form vor (z. B. Palladon injekt; 1–1,5 mg als
werden.
Kurzinfusion oder in Form einer intravenösen PCA-Pumpe mit
initial einem 0,2 mg Bolus und einer Sperrzeit von 10 min). Bei
Patienten mit einer vorbestehenden Dauertherapie mit Hydromor- Koanalgetika
phon muss die Programmierung der PCA-Pumpe selbstverständ- Je nach Art und Ursache der Schmerzen kann eine Vielzahl von
lich angepasst oder die Dauertherapie mit dem Retardpräparat Koanalgetika eingesetzt werden. Sinn und Unsinn des schmerz-
entsprechend perioperativ fortgeführt werden! Da Hydromorphon therapeutischen Einsatzes dieser Medikamente ergibt sich aus der
36 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

eingehenden Analyse des Schmerzcharakters und der Schmerzätio- rung im Umgang mit diesen Medikamenten voraus. Demzufolge
logie. Außerdem sind die jeweiligen substanzspezifischen Kontra- sollte die Indikationsstellung und Dosierung in Zusammenarbeit
indikationen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit ande- mit einem erfahrenen Schmerztherapeuten erfolgen. Ein Überblick
ren Medikamenten zu beachten. Viele dieser Medikamente – ins- über die potenziellen Indikationen von Koanalgetika ist in der
besondere Antidepressiva, Antikonvulsiva und Muskelrelaxanzien folgenden Tabelle dargestellt (⊡ Tab. 3.3). Für zusätzliche Informati-
– müssen jeweils langsam aufdosiert bzw. ausgeschlichen werden. onen muss hier aus Platzgründen auf die weiterführende Literatur
3 Der Umgang mit vielen Koanalgetika setzt daher eine große Erfah- verwiesen werden.

⊡ Tab. 3.3 Koanalgetika

Medikamente Indikationen

Trizyklische Antidepressiva: Neuropathische Schmerzen: Brennschmerzen, Dysästhesien


Amitriptylin(z. B. Saroten), Doxepin (z. B. Aponal) Beruhigend, schlaffördernd, angsthemmend
Imipramin(z. B. Tofranil), Clomipramin (z. B. Anafranil) Antriebssteigernd

Tetrazyklische Antidepressiva: Neuropathische Schmerzen: Brennschmerzen, Dysästhesien; generalisierte Angst-


Mirtazapin (z. B. Remergil) störungen, Schlafstörungen

Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Generalisierte Angststörungen, soziale Angststörungen, Panikattacken, diabeti-


(SSNRI): sche Polyneuropathie, neuropathische Schmerzen, Belastungsinkontinenz der
Duloxetin (z. B. Cymbalta), Venlafaxin (z. B. Trevilor) Frau

Antikonvulsiva, Kalziumkanalblocker: Neuropatische Schmerzen: z. B. Phantomschmerzen, diabetische Polyneuropathie,


Gabapentin (z. B. Neurontin), Post-Zoster-Neuralgie
Pregabalin (z. B. Lyrica)

Antikonvulsiva; Natriumkanalblocker: Neuropathische Schmerzen: z. B. Trigeminusneuralgie


Carbamazepin (z. B. Tegretal) Benzodiazepin- und Alkoholentzug, Borderline-Persönlichkeitsstörungen

Antikonvulsiva; kombinierte Natrium- und Kalziumkanalblocker: Neuropathische Schmerzen: z. B. nach Schlaganfall, bei HIV-assoziierter
Lamotrigin (z. B. Lamictal) Polyneuropathie, bei Migräneaura mit neurologischen Ausfällen
Stimmungsstabilisierend (bei Depression und Manie)

Antiarrhythmika (Natriumkanalblocker): Neuropathische Schmerzen (nur indiziert, wenn Analgetika, Antikonvulsiva und
Mexiletin (z. B. Mexitil) Antidepressiva zur Behandlung des neuropathischen Schmerzes nicht ausreichen)

Lokalanästhetika: Neuropathische Schmerzen


z. B. Lidocain, Prolocain, Bupivacain

Sympatholytika: Neuropathische Schmerzen, insbesondere bei Mitbeteiligung des sympathischen


Clonidin (z. B. Catapresan) Nervensystems; Reduktion der Opiatdosis; Entzugsbehandlung; posttraumatische
Belastungsstörungen (PTBS); Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom
(ADS/ADHS)

Ketamin (z. B. Ketanest) Neuropathische Schmerzen; antagonistische Wirkung am NMDA-Rezeptor


(Schmerzgedächtnis); Reduktion der Opiatdosis

Spasmolytika (zentral): Baclofen (z. B. Lioresal) über intrathekale Neuropathische Schmerzen; Schmerzen bei zentralnervöser Spastik (z. B. bei multi-
Pumpen ple Sklerose, hypoxischer Hirnschädigung und Rückenmarksverletzungen)

Muskelrelaxanzien: Schmerzreflektorische Muskelverspannung und spastische Syndrome, Zervikal-


Flupirtin (z. B. Katadolon), Tolperison (Mydocalm), Tizanidin und Lumbalsyndrom, Dysmenorrhöe, Schmerzen nach traumatologischen/ortho-
(Sirdalud), Tetrazepam (z. B. Musaril) pädischen Eingriffen

Parasympatholytika/Spasmolytika (Viszeral): Butylscopolamin Kolikartige, viszerale Schmerzen


(z. B. Buscopan)

Selektive Serotoninrezeptoragonisten (Triptane): Migräne und Clusterkopfschmerz


Sumatriptan (z. B. Imigran), Naratriptan (z. B. Formigran),
Zolmitriptan (AscoTop)

Biphosphonate: Alendronsäure (z. B. Fosamax) Knochenschmerzen bei Osteoporose und osteoklastischen Knochenmetastasen

Calcitonin (intravenös) Neuropathische Schmerzen beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS),


Phantomschmerz; außerdem auch noch bei Knochenmetastasen und Osteoporose

Capsaicin (lokal) Neuropathische Schmerzen (Inaktivierung von Vanilloidrezeptoren)

Kortikosteroide: Nervenkompressionsschmerz, Entzündung, Rheuma, Leberkapselschmerz


Dexamethason, Triamcinolon
3.1 · Allgemeines
37 3
Indikationen Therapie und Differenzialtherapie
Starke postoperative Schmerzen können die Stressantwort des Kör- Die postoperative Schmerztherapie kann z. B. nach dem in
pers verstärken und über eine schmerzbedingte Aktivierung des ⊡ Tab. 3.5 dargestellten Schema erfolgen.
sympathischen Nervensystems zu einer Belastung des Herz-Kreis- Viele Analgetika können unmittelbar perioperativ parenteral
lauf-Systems führen. Die Mobilisation bzw. physiotherapeutische (z. B. intravenös) appliziert werden (z. B. Paracetamol, Metamizol,
Beübung ist bei unzureichend behandelten Schmerzen erschwert. Morphin oder Piritramid). Dies kann bei starken Opioiden als
Eine suffiziente Schmerztherapie ist daher in der postoperativen On-demand- oder als PCA-Technik erfolgen. Allerdings sollte die
Phase von zentraler Bedeutung. Kontinuierliche Regionalanästhe- Darreichungsform möglichst bald auf eine orale Gabe umgestellt
sieverfahren müssen, abhängig vom Eingriff, schon bei der Präme- werden, da insbesondere parenteral verabreichte Opioide durch
dikation in Erwägung gezogen und mit dem Patienten besprochen ihre schnelle Anflutung einen deutlich höheren abhängigkeitsin-
werden. Vor allem bei Operationen, bei denen die Patienten post- duzierenden Charakter haben und retardierte orale Opioide eine
operativ frühzeitig mobilisiert werden müssen, hat sich ein Plexus- gleichmäßigere Analgesie ermöglichen. Die verschiedenen Darrei-
katheter für 3–7 Tage bewährt. Nach Single-Shot-Regionalanästhe- chungsformen der Analgetika sind in ⊡ Tab. 3.6 aufgeführt.
sien sollte zum Zeitpunkt des Nachlassens des Lokalanästhetikums ⊡ Tab. 3.7 gibt einen Überblick über die Analgetikazulassung
bereits eine ausreichende Plasmakonzentration systemischer An- und -dosierung im Kindesalter.
algetika vorhanden sein. Bei einer zusätzlichen neuropathischen Schmerzkomponente
Zur Auswahl der geeigneten Analgetika und Koanalgetika ist muss frühzeitig an den Einsatz von Koanalgetika aus dem Bereich
neben einer Berücksichtigung der Schmerzintensität insbesondere der Antidepressiva und Antikonvulsiva sowie an regionalanästhesi-
auch die Beurteilung der Schmerzqualität (z. B. brennender, elek- ologische Techniken und Sympathikusblockaden gedacht werden.
trisierender oder einschießender Schmerz) für die Bestimmung Bei Dauerschmerzen kann dazu z. B. das Antidepressivum Amitri-
der Schmerzätiologie von besonderer Bedeutung (⊡ Tab. 3.4). Zu ptylin (z. B. Saroten) schrittweise aufdosiert werden. Dazu beginnt
den Koanalgetika gehören insbesondere analgetisch wirksame man mit 1-mal 25 mg abends und steigert die Dosis um 25 mg
Antidepressiva, Antikonvulsiva und Antiarrhythmika, sowie Clo- alle 3–7 Tage bis zu einer maximalen Dosis von 150 mg abends.
nidin, Biphosphonate und Kortison. Dabei muss berücksichtigt Vor der Therapie mit Antidepressiva müssen insbesondere bra-
werden, dass viele Koanalgetika ihre analgetische Wirkung erst dykarde Herzrhythmusstörungen und Blockbilder sowie erhöhte
nach 2–4 Wochen voll entfalten und zur Reduktion ihrer Neben- Leberwerte ausgeschlossen werden. Alternativ oder zusätzlich dazu
wirkungen langsam aufdosiert werden müssen. Dies lässt ihren können vor allem bei brennenden oder elektrisierend einschie-
Einsatz nur bei länger zu erwartenden Schmerzen oder bei spezi- ßenden Schmerzen auch noch Antikonvulsiva eingesetzt werden,
ellen Schmerzformen (z. B. neuropathischen Schmerzen) sinnvoll z. B. Pregabalin (Lyrica). Auch dieses Medikament muss schritt-
erscheinen. weise aufdosiert werden, um überschießende Nebenwirkungen zu
Bei nozizeptiven Schmerzen kommen neben der Fortführung vermeiden: Therapie mit 50–75 mg abends beginnen und dann
der Regionalanästhesie im Wesentlichen die Analgetika des WHO- nach jeweils 3–7 Tagen um 50–75 mg alternierend morgens und
Stufenschemas (1–3) zum Einsatz. abends steigern, bis eine Zieldosis von 2-mal 150 mg (bis maximal
Bei neuropathischen Schmerzen sollten – neben einer Therapie 300 mg) täglich erreicht ist.
der Ursache (z. B. Korrektur eines zu engen Gipses) – frühzeitig
auch regionalanästhesiologische Techniken und Koanalgetika einge- ! Cave
setzt werden. Mit neuropathischen Schmerzen ist insbesondere nach Die analgetische Wirkung von Amitriptylin und Pregabalin
Nervenläsionen, Amputationen und im Rahmen eines komplexen tritt erst innerhalb von 2–4 Wochen auf, da dazu ein ausrei-
regionalen Schmerzsyndromes (CRPS) zu rechnen. Dabei kommt chender Plasmaspiegel und Veränderungen im Stoffwechsel
es häufig zu einer Mitbeteiligung des vegetativen Nervensystems bei der Neurone induziert werden müssen. Daher ist es beson-
der Schmerzentstehung. Dementsprechend spielt die Blockade des ders wichtig, den Patienten darüber aufzuklären, dass in den
Sympathikus bei den hier durchgeführten Regionalanästhesien eine ersten Wochen die neurologischen Nebenwirkungen (wie
wesentliche Rolle. Dazu werden insbesondere Plexusanästhesien, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Sehstörun-
intravenöse Regionalanästhesien mit Zusatz von Guanethidin oder gen und Gangunsicherheit) überwiegen können, während
Ganglion-stellatum-Blockaden eingesetzt ( Abschn. 3.2). die analgetische Wirkung erst später einsetzt.

⊡ Tab. 3.4 Charakteristika der verschiedenen Schmerztypen

Schmerztyp Schmerzcharakter Lokalisation Besonderheit

Nozizeptiv, somatisch Dumpf, drückend, pochend, Gut lokalisierbar Dauerschmerz, oft mit belastungs-
(Knochen, Muskeln, Gelenke) bohrend abhängigem Durchbruchschmerz

Nozizeptiv, viszeral Dumpf, krampfartig, oft Schlecht lokalisierbar Vegetative Begleitsymptome


(Schleimhaut, innere Organe) kolikartig

Ischämisch, somatisch oder Hell, pochend Extremität, auch viszeral Belastungsabhängig, abhängig von
viszeral möglich der Nahrungsaufnahme

Neuropathisch Einschießend, elektrisierend, Im Versorgungsgebiet der Meist begleitet von neurologischen


(Schädigung oder Irritation von brennend, heiß betroffenen Nerven Störungen, wie Hyp-, Par-, Dys- oder
Nerven) Anästhesie, Allodynie
38 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

⊡ Tab. 3.5 Stufenschema zur postoperativen Schmerztherapie (nozizeptiver Schmerz)

Präparat Dosierung Prophylaxe/ Therapie der UAW

Stufe 1 Diclofenac 75 mg 2-mal tgl. Bei Gabe von Diclofenac oder Ibuprofen:
Omeprazol 40 mg, 1-mal tgl.
oder (alternativ: Ranitidin)
3
Ibuprofen 600 mg bis 3-mal tgl.

oder

Novalgin 1000 mg bis 4-mal tgl.

Wenn nicht ausreichend, Stufe 1 plus:

Stufe 2 Tilidin/Naloxon (Valoron) anfangs 3-mal 50/4 mg; insgesamt bis zu 3-mal Bei Übelkeit 10 mg MCP oder 2–5 mg
200/16 mg Haloperidol p.o.;
bei Obstipation Movicol 1–3 Beutel oder
oder Lactulose 1–3-mal 15 ml pro Tag

Tramadol (Tramal) bis 3-mal 200 mg

Wenn nicht ausreichend, Stufe 1 plus:

Stufe 3 Oxycodon, retardiert (Oxygesic) 20 mg 2-mal tgl., Steigerung bis auf 2-mal 40 mg Bei Übelkeit 10 mg MCP oder 2-5 mg
Haloperidol p.o.
Wenn nicht ausreichend zusätzlich: bei Obstipation Movicol 1–3 Beutel oder
Laktulose 1- bis 3-mal 15 ml pro Tag
Morphin, unretradiert (Sevredol) 10 mg p.o. bei Schmerzspitzen bis zu 6-mal tgl.

Wenn nicht ausreichend:

Schmerzkonsil

⊡ Tab. 3.6 Darreichungsformen der postoperativen Schmerztherapie

NSAID Oral (alleine) Effektiv für geringfügigen und moderaten Schmerz, Beginn präoperativ, relativ kontraindiziert bei Patienten mit
Nierenerkrankung und mit Risiko auf oder mit aktueller Koagulopathie, kann Fieber unterdrücken

Oral (in Verbindung Potenzierender Effekt aufgrund Opioideinsparung, Beginn präoperativ, Kontraindikation s. oben
mit Opioid)

Parenteral Effektiv für moderaten und starken Schmerz, teuer, nützlich, wenn Opioide kontraindiziert, besonders zur
Vermeidung von respiratorischer Depression und Sedierung, verstärkt Opioidwirkung

Opioid Oral Effektiv wie parenterale Gabe in geeigneter Dosierung, Gebrauch sobald orale Medikation toleriert wird

Intramuskulär Ehemals Darreichungsform der Wahl für parenterale Medikation, jedoch schmerzhaft und Resorption unzuverläs-
sig, daher Vermeidung dieser Darreichungsform, wenn möglich

Subkutan Ehemals Darreichungsform, wenn eine geringe Volumenmenge einer kontinuierlichen Infusion benötigt wird
und intravenöser Zugang schwer zu erhalten ist, Injektion schmerzhaft und Resorption unzuverlässig

Intravenös Parenterale Darreichungsform der Wahl nach Operation, geeignet für Bolus und kontinuierliche Applikation,
benötigt Monitoring, signifikantes Risiko für Atemdepression

PCA (systemisch) Intravenös und subkutan empfehlenswert, gute und langanhaltende Analgesie, bei Patienten sehr beliebt,
Infusionspumpen erforderlich, Beachtung des Risikos bei Opioidanwendung

Epidural/Intrathekal Gute Analgesie, signifikantes Risiko für Atemdepression, manchmal mit verzögertem Beginn, benötigt intensives
Monitoring

Lokal- Epidural/Intrathekal Begrenzte Indikation, effektive regionale Analgesie, Opioideinsparung, Risiko für Hypotension, Muskelschwäche,
anäs- Gefühlsstörung, benötigt intensives Monitoring
thetika
Periphere Nerven- Limitierte Indikation, effektive regionale Analgesie, Opioideinsparung
blockade
3.1 · Allgemeines
39 3

⊡ Tab. 3.7 Analgetikazulassung und -dosierung im Kindesalter

Medikament Zugelassen ab (Alter) Zugelassen ab (Gewicht) Dosierung

WHO-Stufe 1: Nichtopioidanalgetika

Paracetamol Säuglinge ab 3 kg 15 mg/kg (max. 60 mg/kg/Tag)

Metamizol ab 3. Lebensmonat ab 5 kg 10–20 mg/kg (max. 75 mg/kg/Tag)

Ibuprofen ab 6. Lebensmonat ab 5 kg 10 mg/kg (max. 40 mg/kg/Tag)

Diclofenac ab 14. Lebensjahr ab 35 kg 1 mg/kg (max. 3 mg/kg/Tag)

WHO-Stufe 2: Schwache Opioidanalgetika

Tramadol ab 1 Jahr ab 10 kg 0,5–1,5 mg/kg (max. 6 mg/kg/Tag)

Tilidin/Naloxon ab 2 Jahren ab 15 kg

WHO-Stufe 3: Starke Opioidanalgetika

Morphin ab Neugeborenenalter – 0,03–0,1 mg/kg

Piritramid ab 1 Jahr ab 10 kg 0,05–0,2 mg/kg

⊡ Tab. 3.8 Typische Nebenwirkungen und Kontraindikationen der einzelnen Medikamentenklassen

Medikamentenklasse Beispiele Typische Nebenwirkungen der Medikamentenklasse

NSAR Ibuprofen Gastritis, GI-Blutung, Nierenfunktionsstörung, arterielle Hypertonie

Metamizol Novalgin arterielle Hypotonie, Nierenfunktionsstörung, Anaphylaxie, Agranulozytose

Opioide Tilidin, Morphin Obstipation, Übelkeit, Sedierung, Atemdepression, Bradykardie, Bronchospasmus, Pruritus, Krampf-
anfälle, Miosis, Blasenentleerungsstörung

Trizyklische Antide- Amitriptylin Mundtrockenheit, Sedierung, Herzrhythmusstörungen, Glaukomanfall, Miktionsstörungen, Verwirrt-


pressiva heit, Hypotonie, Obstipation, Gewichtszunahme
Kontraindikationen: Glaukom, höhergradiger AV-Block (EKG vor Therapiebeginn!)

Antikonvulsiva Pregabalin Gewichtszunahme, Knöchelödeme, Benommenheit; seltener Ataxie, Verwirrung, Tremor, Dysarthrie,
Doppelbilder, Obstipation, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, erektile Dysfunktion, Libidosenkung

Für präparatespezifische Nebenwirkungen s. Fachinformation des jeweiligen Präparates!

Die neurologischen Nebenwirkungen treten im Wesentlichen wäh- Diagnostische Nervenblockaden dienen zur Abklärung der
rend der Auf- und Abdosierungsphase der Antidepressiva und Schmerzätiologie und Lokalisation. Darüber hinaus liegt ihre Be-
Antikonvulsiva auf, während sie bei konstantem Plasmaspiegel der deutung insbesondere bei schon länger bestehenden Schmerzen in
Medikamente häufig wieder verschwinden oder zumindest deut- der Differenzierung zwischen peripherer Schmerzauslösung und
lich reduziert werden. bereits chronifizierten zentralnervösen Umschaltungen.
Grundsätzlich sind bei der Auswahl der Analgetika und Koan- Überprüfungskriterien für die korrekte technische Durchfüh-
algetika die spezifischen Nebenwirkungen und Kontraindikationen rung der Nervenblockade sind:
der Substanzklassen und einzelnen Präparate zu berücksichtigen ▬ Vasodilatation (sichtbare Venenerweiterung und Erhöhung
(⊡ Tab. 3.8). der Pulswellenamplitude bei der Pulsoxymetrie),
Die für die perioperative Schmerztherapie bei handchirurgi- ▬ Anstieg der Hauttemperatur (seitenvergleichende Messung der
schen Eingriffen relevanten regionalanästhesiologischen Techni- Hauttemperatur vor und nach der Blockade; ΔT≥5 °C),
ken werden im  Abschn. 3.2 im Einzelnen beschrieben. ▬ verminderte Reaktion auf thermische und sensible Reize (Kälte-
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen peripheren und reiz, Nadelstiche, Spitz-stumpf-Diskriminierung, Berührung),
rückenmarksnahen Nervenblockaden sowie der Blockade sympa- ▬ Beeinflussung der Motorik und der Tiefensensibilität,
thischer Ganglien (z. B. Ganglion stellatum). Diese Blockadetech- ▬ ggf. noch spezielle Effekte, wie z. B. Horner-Syndrom bei der
niken können wiederum zu diagnostischen und therapeutischen Stellatum-Blockade
Zwecken eingesetzt werden. Demzufolge spricht man dann von
diagnostischen, prognostischen, prophylaktischen und therapeuti- Zur Überprüfung der Effektivität einer diagnostischen Blockade
schen Nervenblockaden. muss die Schmerzintensität vor der Blockade und nach der Blo-
40 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

ckade sowohl in Ruhe als auch unter passiver und aktiver Belas-
tung quantifiziert werden. Dies kann z. B. mittels einer visuel-
len Analogskala (VAS) erfolgen. Außerdem muss der Effekt bei
wiederholten Blockaden reproduzierbar sein und nicht genauso
durch Injektionen von Kochsalzlösung ausgelöst werden. Bei ei-
nem reproduzierbaren positiven Effekt der Nervenblockade ist
3 dann eine Blockadeserie mit einem Lokalanästhetikum oder ggf.
auch die Blockade mit einem Neurolytikum als Therapieversuch
gerechtfertigt.
! Cave
Nervenblockaden haben gerade im Rahmen der Therapie
chronischer Schmerzen einen ausgeprägten Placeboeffekt!
Prognostische Nervenblockaden – als spezielle Form der diagnos-
tischen Nervenblockaden – sind grundsätzlich vor der Durchfüh-
rung invasiver Maßnahmen, wie chemischer oder chirurgischer
Neurolysen, durchzuführen. Zeigt die prognostische Nervenblo-
ckade keine effektive Schmerzlinderung, so ist die Durchführung ⊡ Abb. 3.5 Infiltrationsanästhesie für die kleine Wundversorgung
eines invasiven Verfahrens, wie einer chemischen oder chirurgi-
schen Neurolyse, nicht indiziert!
Prophylaktische Nervenblockaden erfolgen nicht zur The- Nerven-Bündels. Diese Anästhesieform ist besonders für Eingriffe
rapie bereits bestehender chronischer Schmerzen, sondern sind im Endgliedbereich und im palmaren Fingerbereich geeignet und
im Sinne einer »preemptiven Analgesie« zur Vermeidung einer hier der Leitungsanästhesie nach Oberst überlegen.
Chronifizierung von Schmerzen zu verstehen. Dazu zählt z. B. die
kontinuierliche perioperative Blockade des Plexus brachialis bei Leitungsanästhesie nach Oberst
Amputationen im Bereich der oberen Extremität zur Vermeidung Bei der Oberst-Leitungsanästhesie handelt es sich um eine Blo-
eines Phantomschmerzes. Ob das Konzept der »preemptiven An- ckade der jeweils paarweise einen Finger versorgenden Nervi di-
algesie« jedoch tatsächlich in der Lage ist, die Ausbildung eines gitalis palmaris und dorsalis. Die Oberst‘sche Leitungsanästhesie
Phantomschmerzes zu beeinflussen oder gar zu verhindern, bleibt bietet den Vorteil geringer Komplikationsraten, einer einfachen
umstritten. Von Bedeutung scheint dabei zu sein, ob der Patient Technik und einer geringen Versagerquote. Wenn die Blockade am
bereits präoperativ Schmerzen verspürte. Handrücken in Höhe der Fingergrundgelenke gesetzt wird, besteht
Therapeutische Nervenblockaden können einen temporären die Möglichkeit zur Anlage eines Fingertourniquets. (Anmerkung:
oder permanenten Charakter haben. Bei temporären Nervenblo- Diese Blockadetechnik ist analog auch an den Zehen anwendbar.)
ckaden kommen im Wesentlichen Lokalanästhetika, Opioide und
Kortikiode zum Einsatz. Permanente Nervenblockaden werden Indikationen
durch die Injektion von Neurolytika, durch eine Kryokoagulation Die Oberst‘sche Leitungsanästhesie kann prinzipiell bei Wundver-
des Nervs oder durch eine chirurgische Neurolyse erreicht. Bei der sorgungen und Operationen im Bereich distal des Fingergrund-
chemischen Neurolyse peripherer gemischter Nerven muss aller- gliedes angewendet werden.
dings in 1–10% der Fälle mit einer Alkoholneuritis mit Hyperäs-
thesie, Dysästhesie und Brennschmerz durch eine partielle Neuro- Kontraindikationen
lyse und Regeneration gerechnet werden. Außerdem sind Ausfälle Die Leitungsanästhesie nach Oberst darf nur zur Anwendung
im Bereich der Sensibilität und Motorik zu erwarten. Daher sollte kommen, wenn Durchblutungsstörungen und Infektionen im zu
die Indikation zur Neurolyse peripherer gemischter Nerven sehr anästhesierenden Gebiet ausgeschlossen sind.
streng gestellt werden!
Durchführung
Die Punktion erfolgt normalerweise jeweils auf der ulnaren und
3.2 Spezielle Techniken radialen Seite des Fingers in Höhe der Mitte der Basisphalangen.
Von dort aus werden jeweils 0,5-1,0 ml Lokalanästhetikum dorsal
3.2.1 Spezielle Anästhesieverfahren und palmar des Knochens nach vorheriger Aspiration injiziert.
Die Injektion kann prinzipiell auch von der Palmarseite her er-
Infiltrationsanästhesie folgen. Soll zur Operation ein Fingertourniquet angelegt werden,
Die einfache Infiltrationsanästhesie eignet sich nur zum Verschluss so empfiehlt sich die Blockade in Höhe des Fingergrundgelenks
oberflächlicher Wunden oder für kleine Eingriffe wie die ober- (⊡ Abb. 3.6).
flächliche Wundversorgung (⊡ Abb. 3.5) oder zur Hauttransplantat-
entnahme. Eine exakte Präparation tieferer Strukturen ist nicht Medikamente und Dosierungen
möglich. In der Regel kommen bei der Oberst-Leitungsanästhesie mittellang
wirksame Lokalanästhetika, wie Lidocain, Mepivacain oder Prilo-
Leitungsanästhesie nach Iselin cain in 1%iger Konzentration zur Anwendung.
Bei der Leitungsanästhesie nach Iselin wird das Lokalanästhetikum
in die Beugesehnenscheide gespritzt. Durch Beugen und Strecken ! Cave
des Fingers kommt es dann zu einer Verteilung entlang der Beuge- Das Lokalanästhetikum darf keinen Vasokonstriktor enthal-
sehenscheide und somit zu einer Umspülung des palmaren Gefäß- ten, da es sich um Endstrombahngebiete handelt!
3.2 · Spezielle Techniken
41 3

⊡ Abb. 3.7 Betäubung der distalen Mittelhand und der Finger durch Infiltra-
tion der Interdigitalräume. (Aus Wachsmuth u. Wilhelm 1972)

⊡ Abb. 3.6 Technik der Leitungsanästhesie nach Oberst. (Aus Nerlich u.


Berger 2003)

Spezielle Risiken und Komplikationen


Bei der Verwendung zu hoher Volumina (>4 ml pro Finger) oder
von Vasokonstriktoren besteht die Gefahr der ischämischen Schä-
digung des Fingers. Dies gilt insbesondere bei schon vorbestehen-
den Durchblutungsstörungen durch eine traumatische Schwellung
oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit.

Mittelhandanästhesie
Um die Grundgliedbasen bzw. Mittelhandköpfchen zu betäuben,
kann entsprechend der Oberst-Leitungsanästhesie von dorsal seit-
lich der Mittelhandknochen ein Lokalanästhetikum, nach nega-
tivem Aspirationstest, an die Interdigitalnerven gespritzt werden
(⊡ Abb. 3.6, ⊡ Abb. 3.7).

Medianusblock
Die Punktionsstelle liegt zwischen der Sehne des M. palmaris
longus und der Sehne des M. flexor carpi radialis, etwas 2 Quer-
finger proximal der Handgelenkbeugefalte. Bei der Punktion spürt
man den Durchtritt durch die Unterarmfaszie. Falls der Patient
Parästhesien angibt, wird die Kanüle minimal zurückgezogen. Es
werden 3–5 ml Lokalanästhetikum injiziert. Zur Betäubung des
Ramus palmaris des N. medianus genügt eine subkutane Infiltra-
tion (⊡ Abb. 3.8 und ⊡ Abb. 3.11).

Ulnarisblock
Die Blockade kann entweder im Sulcusbereich des Ellenbogens
oder in Höhe des Handgelenks durchgeführt werden. Der N. ulna-
ris ist im Sulcusbereich zwar leichter zu lokalisieren, da der Nerv ⊡ Abb. 3.8 Blockade der palmaren Leitungsbahnen in Höhe der Hand-
dort aber auch nicht ausweichen kann, kann es auch schnell zur wurzel. (Aus Wachsmuth u. Wilhelm 1972)
42 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

⊡ Abb. 3.9 Leitungsblockade des N. ulnaris im Ellbogenbereich. (Aus Wachs-


muth u. Wilhelm 1972)

Traumatisierung des Nervs durch die Injektionsnadel oder durch ⊡ Abb. 3.10 Blockade der dorsoradialen Leitungsbahnen in Höhe der Hand-
den Druck des Lokalanästhetikums kommen. Zur Blockade des wurzel. (Aus Wachsmuth u. Wilhelm 1972)
N. ulnaris im Bereich des Sulcus punktiert man 1–2 cm proximal
des im Sulcus N. ulnaris getasteten Nervs bei gebeugtem Ellen-
bogen. Die Kanüle zeigt in Richtung Humeruslängsachse, der N. Intravenöse Regionalanästhesie (Bier-Block)
ulnaris liegt hier sehr oberflächlich (ca. 0,5 cm tief). Kribbelpar- Bei der intravenösen Regionalanästhesie nach Bier (IVR) wird das
ästhesien im Bereich des kleinen Fingers zeigen die korrekte Lage Lokalanästhetikum nach Auswickeln des Armes und Anlegen einer
der Kanüle an, die Kanüle wird dann minimal zurückgezogen. Blutsperre über eine möglichst distal gelegene Vene am Hand-
Nach negativem Aspirationstest werden 2–3 ml Lokalanästhetikum rücken oder Unterarm des zu anästhesierenden Armes injiziert
injiziert. Für die Blockade am Handgelenk erfolgt die Punktion und diffundiert von hier aus an die Nerven. Die IVR vereint die
unmittelbar radial (Punktionsrichtung nach dorsal) oder ulnar Vorteile einer relativ einfachen technischen Durchführung mit
(Punktionsrichtung nach radial) der gut tastbaren FCU-Sehne, einer kurzen Anschlagzeit, einer geringen Versagerquote und einer
etwa 2–3 Querfinger proximal der Handgelenkbeugefalte. Bei Aus- niedrigen Komplikationsrate.
lösen von Kribbelparästhesien wird die Kanüle minimal zurückge-
zogen. Nach dem Aspirationstest erfolgt die Injektion von 2–3 ml Indikationen
Lokalanästhetikum. Der zur Streckseite ziehende Ramus dorsalis Aufgrund der technischen Rahmenbedingungen ergeben sich die
des N. ulnaris bedarf manchmal einer separaten subkutanen Injek- folgenden Indikationen:
tion dorsal des Ellenkopfes (⊡ Abb. 3.9, ⊡ Abb. 3.11b). ▬ Operationen am Unterarm und der Hand, die
▬ in Blutleere/Blutsperre durchgeführt werden und bei denen
Distaler (sensibler) Radialisblock ▬ eine Öffnung der Blutleere erst nach oder kurz vor Ende der
Die Blockade der sensiblen oberflächlichen Äste wird am Hand- Operation notwendig ist,
gelenk durch eine quere subkutane Injektion von 2–3 ml Lokal- ▬ mit einer Operationsdauer von maximal 1 h.
anästhetikum durchgeführt. Die Punktion erfolgt 1 cm proximal
der Handgelenks, etwa 1 cm dorsal der Pulsation der A. radialis Anmerkung: Theoretisch sind auch Operationen an der unteren
(⊡ Abb. 3.10 und ⊡ Abb. 3.11). Extremität unter IVR durchführbar. Die Durchführbarkeit ist auf-
Werden alle drei die Hand sensibel versorgenden Nerven in grund des dort benötigten hohen Manschettendruckes und der
Höhe des Handgelenks blockiert, spricht man von einem Hand- sich daraus ergebenden schlechten Tourniquettoleranz jedoch nur
block (⊡ Abb. 3.11). eingeschränkt möglich.
3.2 · Spezielle Techniken
43 3

⊡ Abb. 3.12 Technik der intravenösen Leitungsanästhesie nach Bier. (Aus


Wachsmuth u. Wilhelm 1972)

Des Weiteren findet die intravenöse Regionalanästhesie im


Rahmen der Schmerztherapie, z. T. als intravenöse Sympathikus-
blockade Anwendung.

Durchführung
Zur Durchführung einer intravenösen Regionalanästhesie wird in
der Regel eine pneumatische Doppelkammermanschette einge-
setzt. Um einen unbemerkten Druckabfall in den Manschetten zu
vermeiden, sollte der Manschettendruck automatisch auf ein vor-
gewähltes Druckniveau nachreguliert werden. Andererseits muss
auch eine manuelle Möglichkeit zur Regulation des Manschetten-
drucks bestehen, um beim Ausfall der Automatik einen ausrei-
c chenden Manschettendruck sicherstellen zu können.
Die intravenöse Regionalanästhesie wird in den folgenden
⊡ Abb. 3.11 Handblock. a Blockade des N. medianus im Handgelenkbereich, Schritten durchgeführt (⊡ Abb. 3.12 und ⊡ Abb. 3.13):
b Blockade des N. ulnaris im Handgelenkbereich, c Blockade des R. superfici- ▬ Legen einer dünnlumigen Venenverweilkanüle (0,8–1,0 mm)
alis N. radialis im Handgelenkbereich. (Aus Nerlich u. Berger 2003) möglichst weit distal (Hand- oder Fußrücken);
44 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

▬ Anlegen einer Doppelkammermanschette am Oberarm (bzw. Medikamente und Dosierungen


Oberschenkel); Zur intravenösen Regionalanästhesie dürfen nur Lokalanästhetika
▬ Auswickeln der Extremität mit einer Esmarch-Binde (Aus- mit geringer systemischer Toxizität eingesetzt werden. Daher bie-
nahme: Bei Frakturen – z. B. einer Radiusfraktur – ist ein Aus- tet sich das Prilocain besonders an. Langwirksame, hochtoxische
wickeln in der Regel schmerzbedingt nicht möglich; in diesen Lokalanästhetika wie Bupivacain, Ropivacain oder Etidocain sind
Fällen sollte die betroffene Extremität mehrere Minuten hoch- streng kontraindiziert (auch  Abschn. 3.1.5).
3 gelagert werden, um die Blutfüllung der Venen zu reduzieren); Bei Operationen am Arm werden normalerweise 40–50 ml
▬ Stauung der proximalen Manschette mit 300 mm Hg bzw. (0,5 ml/kg) Prilocain 0,5% langsam injiziert. Bei Operationen im
mindestens dem zweifachen des systolischen Blutdrucks am Bereich der Hand lässt sich durch Erhöhung der Prilocainkonzentra-
Oberarm (bzw. mit 450–600 mm Hg am Oberschenkel); tion auf 1,5–2% (4–5 mg/kg) in Verbindung mit einem dritten Tour-
▬ bei Operationen an der Hand (bzw. am Fuß) können ein zu- niquet die Analgesiequalität verbessern, die Anschlagzeit verkürzen
sätzliches, drittes Tourniquet (z. B. Stauschlauch) kurz ober- und die Analgesiezeit nach Öffnen des Tourniquet verlängern.
halb der Hand (bzw. Fuß) angebracht und ein Herabhängen- Durch Zusatz eines niedrig dosierten Muskelrelaxans lässt sich
lassen der Extremität zu einer verbesserten Ausbreitung des eine isolierte Muskelrelaxation der zu anästhesierenden Extremität
Lokalanästhetikums im Operationsgebiet beitragen; erreichen. Dazu wird die ED95 für 8–10 kg appliziert (⊡ Tab. 3.9).
▬ langsame Injektion des Lokalanästhetikums über die Venen- Der Zusatz von Opioiden (100 mg Pethidin oder 5 mg Mor-
verweilkanüle unter ständiger Kontrolle des Manschetten- phin oder 0,05 mg Fentanyl oder 25 μg Sufentanil) kann die An-
druckes und verbalem Kontakt zum Patienten (präkonvulsive algesiequalität und Tourniquettoleranz verbessern.
Warnzeichen);
▬ bei Erreichen einer Analgesie im Operationsgebiet (in der
Regel nach etwa 5–10 min) kann ein eventuell zusätzlich ange-
⊡ Tab. 3.9 Muskelrelaxanzien als Zusatz zur intravenösen Regional-
brachtes drittes Tourniquet entfernt werden,
anästhesie
▬ bei Erreichen einer Analgesie im Bereich der distalen Man-
schette (nach 10–15 min) wird diese Manschette gestaut und Muskelrelaxans Dosierung (ED95 für 8–10 kg)
nach weiteren 5 min der Druck aus der oberen distalen Man-
schette abgelassen; Atracurium 2,0 mg
▬ die Venenverweilkanüle an der zu operierenden Extremität Cisatracurium 0,5 mg
wird nach Überprüfung der Analgesiequalität im Operations-
gebiet entfernt; Mivacurium 0,6 mg
▬ Durchführung der Operation in Blutleere; Pancuronium 0,5 mg
▬ Öffnen der Blutleere frühesten nach 30 min (wegen der
Gefahr der Lokalanästhetikaintoxikation) und frühestens Rocuronium 2,5 mg
10–15 min vor Operationsende (wegen des schnellen Nachlas-
Vecuronium 0,5 mg
sens der Anästhesie).

a b

⊡ Abb. 3.13 Vermuteter Wirkmechanismus der intravenösen Regionalanästhesie. a Das injiziierte Lokalanästhetikum fließt in einer Vene bis zum Ellenbogen. Hier
gelangt es über die benachbarten Arterien durch das dicke Perineurium in den Kern der Nervenfasern. Von hier aus diffundiert das Lokalanästhetikum in die Man-
telfasern: Die frühe Blockade der Kernfasern führt zu einer raschen Anästhesie der distalen Extremität, die späte Blockade der Mantelfasern zu einer verzögerten
Anästhesie der proximalen Extremität. b Querschnitt des distalen Oberarmes: Der N. medianus und der N. ulnaris werden von zahlreichen großen (mit Lokalanäs-
thetikum gefüllten) Nerven begleitet. Der N. radialis hingegen ist nur von wenigen (mit Lokalanästhetikum gefüllten) Gefäßen umgeben. (Aus Rossaint et al. 2008)
3.2 · Spezielle Techniken
45 3
Der Zusatz von Vasokonstriktoren ist wegen der Gefahr der Generelle Durchführung und Lokalisation von Nerven
ischämischen Schädigung der Extremität kontraindiziert. Zur Kontrolle der korrekten Lage der Kanülenspitze können meh-
Zur Schmerztherapie bei CRPS können außerdem die Gabe von rere Techniken genutzt werden:
Clonidin (150 μg bzw. 2 μg/kg) oder Guanethidin (2,5–5–10 mg) im ▬ gezieltes mechanisches Auslösen von Parästhesien mit der
Rahmen einer intravenösen Regionalanästhesie erwogen werden. Punktionskanüle,
▬ Auslösen von Kälteparästhesien durch die Injektion kalter
Spezielle Risiken, Komplikationen und Limitationen Kochsalzlösung,
Hauptrisiko der IVR ist die Lokalanästhetikaintoxikation durch ▬ elektrische Stimulation mit einem Nervenstimulator,
unzureichenden Tourniquetdruck oder akzidentelles vorzeitiges ▬ ultraschallgesteuerte Punktion.
Öffnen des Tourniquets während der ersten 20–30 Minuten nach
der Lokalanästhetikainjektion (s. oben). Das gezielte Auslösen von Parästhesien und somit die ehemalig
Bei vorbestehenden Durchblutungsstörungen der Extremität klassische Grundbedingung für periphere Leitungsanästhesien »no
ist das Anlegen einer Blutleere und damit auch die intravenöse paresthesia – no anesthesia« gilt heute allerdings als obsolet. Viel-
Regionalanästhesie kontraindiziert. Außerdem wird das Verfahren mehr gilt die Identifikation der zu blockierenden nervalen Struktu-
häufig durch die Dauer der Tourniquettoleranz limitiert. Daher ren mit einem Nervenstimulator als Standard.
sollte die geplante Operationsdauer nicht über 1 h liegen. Die zur Stimulation des Nervs benötigte Stromstärke steht in
direktem Zusammenhang zum Abstand der Nadelspitze zum Nerv
Blockaden des Plexus brachialis und weist eine inverse Korrelation zum Erfolg der Blockade auf.
Blockaden des Plexus brachialis sind in dessen Verlauf sowohl über Außerdem kommt es beim Durchdringen perineuraler Bindege-
supraklavikuläre und infraklavikuläre als auch über einen axillären webshüllen – wie z. B. der Gefäßnervenscheide des axillären Plexus
oder weiter distalen Zugang möglich. Dabei wurden u. a. die fol- – zu einem plötzlichen Abfall der benötigten Reizstromstärke, da
genden Techniken beschrieben: diese Bindegewebshüllen eine zusätzliche elektrische Isolation der
▬ interskalenäre Plexusanästhesie nach Winnie, Nerven bewirken. Eine benötigte Reizstromstärke unter 0,7 mA
▬ perivaskuläre Plexusanästhesie nach Winnie und Collins, spricht in der Regel für eine zur Blockade ausreichende Annähe-
▬ supraklavikuläre Plexusanästhesie nach Kulenkampff, rung der Kanülenspitze an den Nerven. Es sollte jedoch versucht
▬ vertikale infraklavikuläre Plexusanästhesie nach Kilka, Geiger werden, die Stimulationskanüle so zu positionieren, dass auch
und Mehrkens, noch mit einer Reizstromstärke von 0,3–0,5 mA deutliche Muskel-
▬ infraklavikuläre Plexusanästhesie nach Raj (Modifikation von kontraktionen auszulösen sind.
Sims), Die einzelnen Nervenfasertypen unterscheiden sich außerdem
▬ axilläre Plexusanästhesie nach De Jong (s. unten), bezüglich der erforderlichen Impulsdauer, die zum Auslösen einer
▬ kontinuierliche axilläre Plexusanästhesie nach Selander (s. un- Depolarisation benötigt wird. So werden die dick myelinisierten
ten), Aα-Fasern (Motorik) bereits bei einer Impulsdauer von 50–100 μs
▬ »mid humeral approach« nach Dupré. stimuliert, während die dünn myelinisierten Aδ-Fasern (Schmerz)
eine Impulsdauer von mindestens 150μs und die nicht myelinisier-
Zwischen den genannten Blockadetechniken bestehen zahlreiche ten C-Fasern (Schmerz) eine von 400 μs benötigen. Daher kann
Übergangsformen und Modifikationen. Für den Bereich der Hand- ein gemischter peripherer Nerv bei einer Impulsdauer von 100 μs
chirurgie erscheint hinsichtlich des Risikoprofils und des zu anäs- durch das Auslösen von Muskelkontraktionen lokalisiert werden,
thesierenden Areals insbesondere die axilläre Plexusanästhesie ge- ohne dass es zur Auslösung von Schmerzen kommt. Muss ein rein
eignet. Hierbei stehen sowohl die Single-Shot-Technik als auch kon- sensibler Nerv lokalisiert werden, ist eine längere Impulsdauer von
tinuierliche Verfahren, mittels Kathetertechnik zur Verfügung. Die 500–1000 μs erforderlich.
Durchführung der Plexusanästhesie kann unter dem Einsatz eines Zur Durchführung einer peripheren Nervenstimulation wird der
Nervenstimulators oder ultraschallgesteuert stattfinden. Bei entspre- negative Pol des Nervenstimulators mit der Punktionskanüle und der
chender Erfahrung scheint die ultraschallgesteuerte Plexusanästhesie positive Pol mit einer in der Nähe der Punktionsstelle angebrachten
mit einer höheren Trefferquote, kürzeren Anschlagzeit und einem Klebeelektrode verbunden. Bei der Stimulation ist sicherzustellen,
geringeren Bedarf an Lokalanästhetikum verbunden zu sein. dass die Batteriespannung ausreichend und der Stromkreis geschlos-
sen ist. Dies wird in der Regel durch Leuchtdioden am Nervenstimu-
Kontraindikationen lator angezeigt. Zur peripheren Nervenstimulation müssen spezielle
Bezüglich der Blockade des Plexus brachialis bestehen folgende Kanülen eingesetzt werden, die abgesehen von der Spitze mit einem
generelle Kontraindikationen: isolierenden Überzug versehen sind. Dabei ist zu beachten, dass je
▬ Ablehnung durch den Patienten, kleiner der Emissionsort ist, desto höher die Stromdichte und desto
▬ Allergien gegen die zu verwendenden Lokalanästhetika (sehr geringer wiederum die benötigte Stromstärke zur Auslösung einer
selten für LA vom Amidtyp!), Muskelkontraktion ist (⊡ Abb. 3.14; ⊡ Tab. 3.10).
▬ lokale Infektionen im Bereich der Punktionsstelle,
▬ ipsilateraler Shuntarm, Punktionskanülen
▬ Infektionen im Bereich des zu blockierenden Armes oder der Zur Durchführung peripherer Regionalanästhesien wie der axillä-
Hand, ren Plexusblockade stehen spezielle Punktionskanülen mit einem
▬ generalisierte Infektionen (Sepsis), kurzen Schliff im Winkel von 15–30° und einer umgebenden Iso-
▬ Voroperationen im Bereich der Punktionsstelle bzw. der Axilla lationshülle zur Verfügung, deren Verwendung das Risiko einer di-
(relativ), rekten Nervenläsion reduzieren kann. Außerdem ermöglichen diese
▬ Gerinnungsstörungen (relativ), »stumpfen« Kanülen ein besseres Ertasten anatomischer Strukturen.
▬ unklare neurologische Veränderungen (ggf. gute Dokumenta- So wird beim Durchstechen der Gefäßnervenscheide bei der axillä-
tion). ren Plexusanästhesie häufig ein deutlicher »Klick« verspürt.
46 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

a c
3

⊡ Abb. 3.14 Plexus brachialis. Muskuläre Reak- b d


tionen während peripherer Nervenstimulation.
a N. radialis; b N. medianus; c N. ulnaris;
d N. musculocutaneus. (Aus Rossaint et al. 2008)

⊡ Tab. 3.10 Kennmuskeln der motorischen Nerven der oberen Extremität. (Aus Rossaint et al. 2008)

Nerv Kennmuskulatur Motorik

N axillaris M. deltoideus Abduktion im Schultergelenk

N. musculocutaneus M. biceps brachii, M. brachialis Beugung im Ellbogengelenk (in Supinationsstellung)


M. coracobrachialis

N. radialis Extensoren Streckung Handgelenk


M. triceps brachii Streckung Ellbogengelenk (z. B. Finger-Nase Versuch)

N. ulnaris Mm. Interossei Spreizen der Finger


M. flexor dig. Communis Beugung Dig. III und IV
M. flexor carpi ulnaris Ulnarflexion

N Medianus (Radix lateralis) Flexoren/Pronatoren Pronation des Unterarms


N. medianus (Radix medialis) M. opponens pollicis Abspreizen des Daumens
Beugung Dig. II und III

In der Regel sind diese Kanülen mit einem Kabel zur Elek- Axilläre Blockade des Plexus brachialis
trostimulation und einem Zuspritzschlauch zur Aspiration und Zahlreiche Modifikationen der axillären Plexusblockade (⊡ Abb. 3.15)
Medikamenteninjektion versehen. Dies ermöglicht die »Technik sind seit ihrem Erstbeschreiber Hirschel veröffentlicht und diskutiert
der immobilen Nadel« und vermeidet den Wechsel zwischen Ka- worden. Es haben sich 3 Arten der axillären Blockade etabliert:
bel- und Schlauchanschluss, bei dem es ansonsten zu einer Dis- ▬ die perivaskuläre Single-Injection-Technik,
lokation der Kanülenspitze kommen kann. Die Durchführung ▬ die Multiinjektionstechnik,
des Aspirationstests und der Medikamenteninjektion durch eine ▬ die transarterielle Technik.
Hilfsperson erleichtert die Immobilisierung der Punktionskanüle
und ermöglicht außerdem die gleichzeitige Kompression der Ge- Im Vergleich zu den supra- und infraklavikulären Blockaden
fäßnervenscheide distal von der Punktionsstelle bei der axillären tritt bei der axillären Blockade häufiger eine inkomplette Blo-
Plexusanästhesie. Die Kanülen zur Single-Shot-Technik haben eine ckade auf. In der axillären Region haben sich aus den Faszikeln
Dicke von 24–20 G bzw. 0,55–0,9 mm und eine Länge zwischen schon periphere Nerven gebildet, die nicht mehr so kompakt
25 und 180 mm. Die verwendete Stimulationskanüle sollte in Ab- zusammen liegen wie in der supra- und infraklavikulären Region.
hängigkeit von der geplanten Blockadetechnik so kurz wie möglich Insbesondere werden der N. musculocutaneus und der N. radi-
sein, um Komplikationen bei der Punktion zu vermeiden. Zur alis nicht immer erreicht. Dadurch können Tourniquetschmer-
axillären und interskalenären Plexusanästhesie sind Kanülen mit zen an der Blutsperremanschette auftreten. Die Anschlagzeit,
einer Stichlänge von 25 mm in der Regel ausreichend. Bei der abhängig von der Technik, ist länger als bei klavikulanahen
Verwendung zu langer Kanülen steigt z. B. bei der interskalenären Blockaden. Der große Vorteil ist ein deutlich geringeres Risiko
Plexusanästhesie das Risiko einer hohen Periduralanästhesie, einer für schwerwiegende Komplikationen, insbesondere besteht keine
totalen Spinalanästhesie sowie das Risiko eines Pneumothorax an. Gefahr der Pleuraverletzung (Pneumothorax).Die kontinuierliche
Neuerdings stehen auch atraumatische Stimulationskanülen nach axilläre Blockade eignet sich zur postoperativen Schmerzthera-
Sprotte für die periphere Leitungsanästhesie zur Verfügung. pie, physiotherapeutische Behandlungen (z. B. nach Tenolysen,
Zur kontinuierlichen Plexusanästhesie stehen des Weiteren Sti- Mobilisierung eingesteifter Gelenke), Prophylaxe und Therapie
mulationskanülen zur Verfügung, die das Einführen eines Kathe- chronischer Schmerzzustände (CRPS) und Sympatikolyse (nach
ters ermöglichen. Replantationen).
3.2 · Spezielle Techniken
47 3
Durchführung
▬ Beim axillären Zugang zum Plexus brachialis wird der Arm
des Patienten um etwa 90o abduziert, außenrotiert und im
Ellenbogengelenk ebenfalls um etwa 90° gebeugt gelagert.
Dadurch kommt die Hand mit der Handfläche nach oben in
Höhe des Kopfes zu liegen.
▬ Anschließend wird die Achselhöhle ausrasiert, desinfiziert und
steril abgedeckt.
▬ Als anatomische Landmarke wird die Arteria axillaris mög-
lichst proximal palpiert. Bei schlecht zu palpierender Pulsation
– z. B. bei sehr adipösen Patienten – kann die Lokalisation der
Arterie mittels Ultraschall erfolgen.
▬ Direkt oberhalb der Arterie wird eine intrakutane Lokalanäs-
thesie gesetzt. (Anmerkung: Durch einen zusätzlichen, kleinen
subkutanen Wall senkrecht zur Arterie nach dorsal können
gleichzeitig mit 3–5 ml Lokalanästhetikum der N. intercosto-
brachialis und der N. cutaneus brachii medialis blockiert wer- ⊡ Abb. 3.15 Technik der axillären Plexusblockade
den.)
▬ Die Punktion erfolgt nach einer Stichinzision der Haut in
leicht proximaler Richtung mit dem Zielpunkt direkt oberhalb
der Arterie. Bei Perforation der Gefäßnervenscheide ist ein
charakteristischer »Klick« zu spüren. Nun lassen sich bereits
mit geringen Stromstärken (unter 0,7 mA) Muskelkontraktio-
nen im Bereich der Hand und der Finger auslösen.
▬ Nach entsprechender Positionierung der Stimulationskanüle
erfolgt die Injektion des Lokalanästhetikums. Hierbei muss eine
intravasale Fehllage vor Beginn der Injektion sowie nach jeweils
5 ml durch einen Aspirationstest ausgeschlossen werden.
▬ Durch Kompression der Gefäßnervenscheide distal der Punk-
tionsstelle lässt sich die Ausbreitung des Lokalanästhetikums
nach proximal und damit die Blockade des N. musculocu-
taneus und des N. radialis positiv beeinflussen. Dabei sollte
a
die Kompression bereits während der Positionierung der
Stimulationskanüle erfolgen, um eine Dislokation durch eine
nachträgliche Kompression zu vermeiden.
▬ Bei Verwendung der Kathetertechnik zur kontinuierlichen
Plexusanästhesie erfolgt die Punktion in weiten Teilen analog,
jedoch in einem flacheren Winkel von etwa 30–40°.
▬ Die Gefäßnervenscheide wird nach einem Aspirationstest
über die innen liegende Stahlkanüle mit Lokalanästhetikum
aufgefüllt. Danach wird die äußere Teflonkanüle unter ständi-
gem Drehen über die fixierte Stahlkanüle in die Gefäßnerven-
scheide vorgeschoben. (Das ständige Drehen in eine Richtung
lässt ein Abknicken der Teflonkanüle beim Vorschieben in
die Gefäßnerven sofort an einem Zurückfedern in die Gegen-
richtung erkennen. Dann sollte die Teflonkanüle nicht weiter
vorgeschoben werden, weil ansonsten das Einführen des Ka-
theters unmöglich gemacht wird.)
▬ Nach dem Vorschieben der Teflonkanüle wird die Stahlkanüle b
entfernt und der Katheter 3–5 cm über die Spitze der Teflon-
kanüle hinaus in die Gefäßnervenscheide eingeführt. ⊡ Abb. 3.16 Technik der vertikalen infraklavikulären Plexusblockade (VIP).
▬ Anschließend wird die Teflonkanüle über den liegenden Ka- Orientierungspunkte: Identifizierung der Mitte der Fossa jugularis und des
theter entfernt und der Katheter mit dem Konnektor verbun- ventralen Akromionfortsatzes. Exakte Halbierung der Strecke mittels Maß-
den. Nach einem erneuten Aspirationstest über den Katheter band. a Anzeichnen der Orientierungspunkte, b Punktion mit Nervenstimu-
wird noch ein 0,2 μm Bakterienfilter angeschraubt, der Kathe- lator. (Aus Rossaint et al. 2008)
ter mit einer Naht fixiert und steril abgedeckt.

Das geschilderte Vorgehen bietet die Vorteile, dass das Lokalanäs- Blockaden in Bereich der Faszikel (supra- und infraklavikulär)
thetikum zunächst an der Position mit dem besten Stimulationser- Die vertikale infraklavikuläre Plexusblockade (VIP) ist in der An-
gebnis in die Gefäßnervenscheide injiziert wird und das Vorschie- ästhesieausbreitung auf Hand und Unterarm der axillären Blockade
ben der Teflonkanüle und des Plexuskatheters in die aufgefüllte überlegen, außerdem ist keine Abduktion und Außenrotation zur
Gefäßnervenscheide in der Regel einfacher gelingt. Punktion notwendig (⊡ Abb. 3.16 und ⊡ Abb. 3.17). Allerdings be-
48 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

C4

IV
C5
Fasciculus supraclavicularis cranialis
Fasciculus supraclavicularis medius
V
3 Fasciculus supraclavicularis caudalis C6

VI
C7
Fasciculus infraclavicularis radialis
Fasciculus infraclavicularis dorsalis VII
C8
Fasciculus infraclavicularis ulnaris
Th1
I

N. medianus

N. ulnaris

⊡ Abb. 3.17 Vertikale infraklavikuläre Plexus-


anästhesie (VIP) nach Kilka, Geiger und Mehrkens

⊡ Abb. 3.18 Interskalenäre Blockade (Technik nach Meier). Die Punktions-


stelle liegt am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus oberhalb der
Stelle, an der die V. jugularis externa sehr häufig die hintere Skalenuslücke
kreuzt. (Aus Rossaint et al. 2008)

steht das Risiko der Pleuraverletzung mit nachfolgendem Pneumo-


thorax. Diese Technik ist bei kontralateralen Lungenerkrankungen, ⊡ Abb. 3.19 Stichrichtung bei der interskalenären Plexusanästhesie nach
Thoraxdeformitäten und fehlverheilten Klavikulafrakturen kontra- Winnie. 1. korrekte Stichrichtung 30-45º nach kaudal und 10-20º nach dorsal
indiziert. Es empfiehlt sich eine restriktive Indikationsstellung bei geneigt (Knochenkontakt), 2. und 3. Komplikationen bei Stichrichtung senk-
Patienten mit bekanntem Asthma bronchiale sowie ausgeprägtem recht zur Wirbelsäule. 2. Punktion der A. vertebralis (Blutaspiration). 3. Punk-
Lungenemphysem und asthenischem Habitus. tion des Spinalkanals (Liquoraspiration). (Aus Rosenow et al. 2005)
3.2 · Spezielle Techniken
49 3
Die supraklavikuläre Plexusanästhesie (nach Winnie) ist besser Die Sicherheit der PCA-Therapie beruht auf einem adäquaten
für Eingriffe an der Schulter und am Oberarm als für handchirur- Verständnis der Technik durch den Patienten. Dies impliziert eine
gische Eingriffe geeignet, da die unteren Anteile des Plexus cervi- gewissenhafte Aufklärung des Patienten über die PCA-Therapie an
cobrachialis mit dem N. ulnaris und dem N. intercostobrachialis sich, die Modalitäten der Pumpe und die Möglichkeit von Neben-
häufig nicht mit blockiert werden. Außerdem besteht die Gefahr wirkungen sowie die adäquate Reaktion darauf. Sollen Patienten
einer hohen Spinal- oder Periduralanästhesie, einer Lokalanästhe- postoperativ eine PCA-Therapie erhalten, so ist die präoperative
tikainjektion in die A. vertebralis mit Auslösung eines Krampfan- Aufklärung darüber sinnvoll.
falles sowie einer vorübergehenden Phrenikus- oder Rekurrenspa- Um den sicheren Einsatz der PCA-Therapie zu gewährleisten,
rese (⊡ Abb. 3.18 und ⊡ Abb. 3.19). sind die folgenden Punkte unbedingt zu beachten:
Ein Horner-Syndrom durch Blockade des Ganglion stellatum ▬ Patienten mit mangelnder geistiger Auffassungsgabe sowie
tritt in etwa 50% der Patienten auf, ist aber nicht problematisch. Kleinkinder unter 4 Jahren und demente Patienten sollten
Allerdings muss der Patient und die nachbehandelnde Station über keine PCA-Therapie erhalten.
die Ursache (und Unbedenklichkeit) der darunter auftretenden ▬ Angehörige oder Pflegepersonal dürfen keinesfalls den Bo-
Pupillendifferenz (Miosis auf der blockierten Seite) aufgeklärt wer- lusknopf betätigen, es gibt hinreichend Literatur zu Kompli-
den. Kontraindikationen sind eine kontralaterale Phrenikusparese kationen durch unauthorisierte Bedienung (»family/nurse
und Rekurrensparese, schwere Beeinträchtigungen der Lungen- controlled analgesia«)!
funktion auf der kontralateralen Seite. ▬ Atemdepression als gefürchtete Komplikation tritt mit einer
Häufigkeit von 0,1–0,8% im Rahmen der PCA-Therapie auf.
Als Risikofaktoren für das Auftreten einer Atemdepression bei
3.2.2 Spezielle Schmerztherapieverfahren i.v.-PCA sind beschrieben:
– Basisinfusion (möglichst vermeiden!),
Orale Schmerzmedikation – Bolusdosis >2 mg Morphin,
Die orale Schmerzmedikation erfolgt nach den in  Abschn. 3.1.6 – hohes Alter (Bolusreduktion erforderlich!),
dargestellten Prinzipien. – ausgeprägte obstruktive Schlafapnoe (PCA mit Intensiv-
überwachung/Sitzwache!),
Schmerzpumpe (patientenkontrollierte Analgesie, PCA) – Einsatz von trizyklischen Antidepressiva oder Antikonvul-
Die patientenkontrollierte Analgesie (»patient controlled analge- siva als Koanalgetika,
sia«, PCA) hat sich seit ihrer ersten Beschreibung durch Forrest – Hypovolämie.
im Jahr 1970 zu einem Routineverfahren in der postoperativen ▬ Eine ausgeprägte Sedierung bei PCA-Patienten ist ein besserer
Schmerztherapie entwickelt. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten klinischer Indikator einer drohenden Atemdepression als die
moderner PCA-Pumpen mit intravenöser, subkutaner, epiduraler Atemfrequenz.
und peripher-regionaler Applikation von Opioiden und/oder Lo- ▬ Bei Patienten mit chronischem Schmerz und einer vorbeste-
kalanästhetika führen zu einem verbreiteten Einsatz der Methode. hender Opioidmedikation sollte diese perioperativ fortgeführt
Wesentliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren der werden oder es muss bei der PCA-Therapie auf eine ausrei-
Schmerztherapie sind die hohe Qualität der Analgesie bei gleich- chende »Basismedikation« zur Vermeidung von Entzugs-
zeitiger Autonomie der Patienten und schneller Interventionsmög- symptomen geachtet werden. Bei vorbestehender Opiatme-
lichkeit bei Schmerzspitzen. dikation mit hochpotenten Opioiden sollte ein ausreichend
Die wichtigsten programmierbaren Variablen einer PCA-Pumpe potentes Opiat zur PCA-Therapie verwendet werden (z. B.
sind: Hydromorphon).
▬ die Konzentration des eingesetzten Medikaments (z. B. mg/ml
oder μg/ml), Schmerzkathether
▬ die Größe des Medikamentenreservoirs (50–1000 ml), Als schmerztherapeutische Verfahren zur kontinuierlichen Regi-
▬ die Basaldosis (in ml/h oder mg(μg)/h) – falls erwünscht, onalanästhesie kommen bei handchirurgischen Patienten im We-
▬ die Bolusdosis (in ml oder mg), sentlichen die Blockaden des Plexus brachialis in Frage ( Ab-
▬ das Sperrintervall zwischen Ende einer Bolusdosisapplikation schn. 3.2.1).
und Möglichkeit einer nächsten Anforderung (in Minuten),
▬ die Dosisbegrenzung innerhalb einer bestimmten Zeitspanne Peridurale Katheter
(z. B. mg(ml)/1h oder 4h), Eine zervikale Periduralanästhesie ist nur in wenigen Fällen indi-
▬ die »Doc«-Bolus-Dosis (in ml oder mg) zur Applikation einer ziert und birgt das Risiko einer beidseitigen Blockade des Nervus
initialen »loading dose« oder zur schnellen Supplementierung phrenicus und damit verbundenen Atemstörungen. Daher dürfen
bei unzureichender Analgesie. in dieser Höhe nur niedrig konzentrierte Lokalanästhetika (z. B.
Bupivacain 0,1–0,25%) eingesetzt und die Patienten müssen eng-
Zusätzlich besteht bei den meisten Geräten die Möglichkeit, häufig maschig überwacht werden. Prinzipiell besteht außerdem natürlich
benötigte »Standardprogramme« (z. B. IV-PCA, PDA-PCA etc.) auch das Risiko einer zervikalen Rückenmarksschädigung mit da-
mit festen Einstellungen zu speichern und somit die Programmie- raus resultierendem hohem Querschnitt. Die Indikationsstellung
rung zu vereinfachen und zu verkürzen. und Durchführung einer zervikalen Periduralanästhesie sollte da-
her ausschließlich dem erfahrenen und geübten Schmerztherapeu-
! Cave ten/Anästhesisten vorbehalten bleiben!
Fest programmierte Einstellungen für bestimmte »Routine-
PCA-Indikationen« senken das Risiko durch Fehlprogrammie- Schmerztherapie bei chronischen Schmerzen  Kap. 18
rungen. Allerdings sind gerade bei chronischen Schmerzpati- Neben den Blockaden des Plexus brachialis und der zervikalen
enten häufig individuelle Programmierungen erforderlich. Periduralanästhesie kommen auch noch Blockaden des sympathi-
50 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

schen Nervensystems für die Therapie chronischer Schmerzen in sympatholytische Wirkung der Blockade vermittelt. Die Effektivität
Betracht. Auch bei ersteren kommt es zu einer Blockade der sym- der intravenösen Regionalanästhesie mit Guanethidin zur Therapie
pathischen Afferenzen und Efferenzen der blockierten Extremität. des komplexen regionalen Schmerzsyndroms wird allerdings in der
Das sympathische Nervensystem ist bei einer Vielzahl chronischer Literatur sehr kontrovers diskutiert.
Schmerzsyndrome involviert. Dazu zählen:
▬ das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) bzw. die Ganglion-stellatum-Blockade
3 sympathische Reflexdystrophie (SRD) / Morbus Sudeck, Die Ganglion-stellatum-Blockade ist bei den folgenden Schmerz-
▬ der sympathisch unterhaltene Schmerz (SMP), syndromen der oberen Extremität indiziert:
▬ Phantomschmerzen und ▬ dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) bzw. der
▬ andere neuropathische Schmerzen. sympathischen Reflexdystrophie (SRD) / Morbus Sudeck,
▬ dem sympathisch unterhaltenen Schmerz (SMP),
Zu den charakteristischen Symptomen einer Beteiligung des sym- ▬ Phantomschmerzen,
pathischen Nervensystems an der Schmerzentstehung und -verar- ▬ neuropathische Schmerzen und
beitung gehören: ▬ ischämisch bedingten Schmerzen.
▬ Brennschmerz,
▬ Sponatanschmerz, Für die Ganglion-stellatum-Blockade gelten wegen der direkten
▬ oberflächliche Lokalisation, Nachbarschaft zum Plexus cervicobrachialis die gleichen Kontrain-
▬ nächtliche Verstärkung, dikationen wie für die interskalenäre Plexusblockade nach Winnie.
▬ begleitende Allodynie oder Hyperästhesie, Außerdem sind höhergradige AV-Blockierungen und bradykarde
▬ Temperaturregulationsstörungen und Herzrhythmusstörungen als Kontraindikationen anzusehen, da die
▬ trophische Störungen (z. B. vermindertes Wachstum der Haut- Nervi accelerantes, über die die sympathische Innervation des Her-
anhangsgebilde). zens erfolgt, häufig komplett mitblockiert werden. Damit ist die
Ganglion-stellatum-Blockade unter den folgenden Bedingungen
Zur Erfolgskontrolle einer Sympathikusblockade können die fol- kontraindiziert:
genden Methoden angewandt werden: ▬ Rekurrensparese der kontralateralen Seite,
▬ Horner-Syndrom (bei Stellatumblockaden), ▬ Phrenikusparese der kontralateralen Seite,
▬ seitenvergleichende Messung der Hauttemperatur vor und ▬ Vorerkrankungen der kontralateralen Lunge,
nach der Blockade (die Temperaturdifferenz sollte mindestens ▬ grenzwertig kompensierte respiratorische Insuffizienz,
5 °C betragen), ▬ höhergradige AV-Blockierungen und bradykarde Herzrhyth-
▬ Erhöhung der Pulswellenamplitude (Pulsoxymeter) und musstörungen sowie
▬ Messung des psychogalvanischen Reflexes (Hemmung der ▬ als beidseitige Blockade!
Schweißsekretion).
Die Blockade des Ganglion stellatum erfolgt von ventral über den
Neben der Blockade des Plexus brachialis und der zervikalen paratrachealen Zugang. Die Punktion wird dabei in Rückenlage bei
Periduralanästhesie kommen im Bereich der oberen Extremität leicht erhöhtem Oberkörper und überstrecktem Hals in Höhe des
zur Sympathikusblockade die intravenöse Regionalanästhesie mit 6. HWK zwischen dem Krikoid und dem Innenrand des Musculus
Guanethidin und die Ganglion-stellatum-Blockade in Frage. Die sternocleidomastoideus durchgeführt. Dazu wird mit zwei Fingern
Ganglion-cervicale-superius-Blockade ist nur bei Schmerzen im die Arteria carotis nach lateral verdrängt und der Querfortsatz des
Gesichts- bzw. Kopfbereich indiziert und aufgrund der Lokali- 6. HWK mit dem Tuberculum caroticum ertastet (⊡ Abb. 3.20). Die
sation des Ganglions direkt unter der Schädelbasis in Höhe von Punktion erfolgt je nach Konstitution des Patienten mit einer 22- bis
HWK 2 nur als transorale ganglionäre lokale Opioidapplikation 25-G-Kanüle mit 25–40 mm Länge und angeschlossenem kurzem
(GLOA) durchzuführen. Verlängerungsschlauch (immobile Nadel nach Winnie) zwischen
den beiden tastenden Fingern. Dabei sind Nadeln mit einem 30- bis
Intravenöse Regionalanästhesie mit Guanethidin 45°-Schliff zu bevorzugen, da sie ein besseres Ertasten der anatomi-
Die allgemeine Technik der intravenösen Regionalanästhesie nach schen Strukturen ermöglichen und mit einer geringeren Inzidenz
Bier wurde bereits im  Abschn. 3.2.1 dargestellt. Die intravenöse intravasaler Injektionen verbunden sind. Bei Verwendung längerer
Regionalanästhesie mit Guanethidin ist bei Patienten mit kom- Kanülen besteht prinzipiell auch das Risiko einer hohen Peridural-
plexem regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) oder sympathisch oder Spinalanästhesie! Die Stichrichtung erfolgt senkrecht nach
unterhaltenem Schmerz (SMP) indiziert. dorsal auf die Wirbelsäule zu. Nach Knochenkontakt wird die Ka-
Als Sympatholytikum wird dabei Guanethidin in einer Dosie- nüle 2–5 mm zurückgezogen, damit die Kanülenspitze den Bauch
rung von 0,05–0,3 mg pro kg Körpergewicht (entsprechend einer des prävertebralen Musculus longus colli wieder verlässt.
Gesamtdosis von 2,5–20 mg pro Sitzung) eingesetzt. Die dadurch
! Cave
induzierte Entleerung der Noradrenalinspeicher in der betroffenen
Nach einem Aspirationstest in zwei Ebenen ist die Injektion
Extremität bewirkt zunächst eine Verstärkung des Brennschmerzes
einer Testdosis von 0,5 ml Lokalanästhesikum obligat, um
(diagnostisch wichtig!). Je nach Ausmaß des Brennschmerzes wer-
eine intraarterielle Injektion in die Arteria vertebralis oder
den nach der Guanethidinaplikation noch 30–40 ml physiologische
carotis auszuschließen (ggf. flüchtige neurologische Ausfälle
Kochsalzlösung zur besseren Verteilung oder eine entsprechende
und Krampfanfälle!).
Menge Prilocain 0,25–0,5% zur Linderung des Brennschmerzes
und zur Erleichterung einer anschließenden physiotherapeutischen Nach einer Wartezeit von 30–60 s erfolgt dann die langsame Injek-
Behandlung nachinjiziert. Über die Hemmung der Wiederauf- tion von 10 ml Lokalanästhetikum (z. B. Bupivacain 0,25%) über
nahme des Noradrenalins für mehrere Tage wird im Rahmen einer einen Zeitraum von 1–2 min. Bei einer erfolgreichen Blockade
Blockadeserie (3–10 Blockaden im Abstand von 2–7 Tagen) die kommt es innerhalb von 5–15 min zu einem Horner-Syndrom
3.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
51 3
3.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

Die systemisch-toxische Wirkung der Lokalanästhetika bei akzi-


denteller intravasaler Injektion oder Überdosierung gehört zu den
schwerwiegendsten Komplikationen peripherer Leitungsanästhe-
sien. Um eine intravasale Injektion zu vermeiden, wird das Lo-
kalanästhetikum – insbesondere bei Injektion größerer Mengen –
nach einem Aspirationstest fraktioniert in 5-ml-Schritten injiziert.
Dazwischen wird erneut ein Aspirationstest durchgeführt und der
Patient bezüglich des Auftretens von toxischen Nebenwirkungen
beobachtet bzw. befragt.
Die Lokalanästhetikaintoxikation kann in 3 zentralnervöse
Stadien eingeteilt werden. Zunächst kommt es bei erhöhten Lokal-
anästhetikaspiegeln im Blut zu sog. präkonvulsiven Warnzeichen
im Sinne eines Taubheitsgefühls von Lippen und Zunge, zu einem
metallischen Geschmack, zu Schwindel, Ohrensausen und Dop-
pelbildern (zu beobachten bei ca. 1,5% der Patienten mit Plexus-
⊡ Abb. 3.20 Technik der Stellatumblockade. Querschnitt durch den Hals anästhesie). Bei weiter steigenden Blutspiegeln kommt es durch
in Höhe von Th1: 1 A. carotis communis; 2 V. jugularis interna; 3 N. vagus; die Dämpfung zentralnervöser inhibitorischer Zentren zum ini-
4 Ggl. stellatum; 5 M. scalenus anterior; 6 M. scalenus medius; 7 A. vertebralis; tialen Erregungsstadium mit Unruhe, Nystagmus, Muskelzittern,
8 A. subclavia; 9 M. longus colli. (Aus Rosenow et al. 2005) verwaschener Sprache bis hin zum generalisierten Krampfanfall.
Im letzten Stadium der zentralnervösen Lokalanästhetikatoxizität
kommt es schließlich zur generalisierten Dämpfung der Hirn-
(Trias: Miosis, Enophthalmus und Ptosis) und durch die Vaso- funktion mit Koma und zentraler Atemlähmung. Diese Symptome
dilatation zu einer Rötung des ipsilateralen Auges, zu einer »ver- treten (außer bei intravasaler Injektion) nicht unmittelbar nach
stopften« Nase und zu einer Steigerung der Hauttemperatur am dem Einspritzen, sondern verzögert zum Zeitpunkt des durch Re-
ipsilateralen Arm. Zur besseren Orientierung bei der Punktion sorption bedingten maximalen Blutspiegels (ca. 20–30 min nach
und Kontrolle der Verteilung des Lokalanästhetikums kann die der Injektion) auf. Das 2. und 3. Stadium der Lokalanästhetikain-
Blockade auch unter Ultraschallkontrolle erfolgen. toxikation wird allerdings nur bei Überschreitung der maximalen
Zu den eher harmlosen Begleitreaktionen der Stellatumblo- Höchstdosis oder bei akzidenteller intravasaler Injektion oder
ckade zählen neben dem Horner-Syndrom: vorzeitiger Öffnung der Blutleere bei intavenöser Regionalanäs-
▬ ein Kloßgefühl im Hals, thesie erreicht.
▬ eine partielle Blockade des Plexus cervicobrachialis, Bei Patienten ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankun-
▬ eine Blockade des ipsilateralen Nervus recurrens (Heiserkeit) gen wird die kardiovaskuläre Lokalanästhetikatoxizität erst beim
und 2- bis 4-fachen der krampfauslösenden Dosis erreicht. In der Regel
▬ eine partielle Blockade des ipsilateralen Nervus phrenicus liegt hier eine akzidentelle intravasale Injektion zugrunde (z. B.
(Zwerchfellhochstand im Röntgenbild). Verwechslung des Plexuskatheters mit einem zentralvenösen Ka-
theter).
Ernstzunehmende, teils lebensbedrohliche Komplikationen einer
! Cave
Stellatumblockade können sein:
Gute Kennzeichnung der Katheter ist extrem wichtig!
▬ eine zervikale Peridural- oder Spinalanästhesie (0,2‰),
▬ Krampfanfälle durch Lokalanästhetikainjektion in die Arteria In diesem Zusammenhang ist außerdem von besonderer Bedeu-
vertebralis (1,1‰), tung, dass auch bei Nachinjektionen auf der Station grundsätzlich
▬ Hämatom durch Verletzung der Arteria vertebralis oder caro- ein Aspirationstest und eine fraktionierte Injektion erfolgen muss,
tis, da es auch zu sekundären Katheterperforationen oder -dislokatio-
▬ Pneumothorax (0,2‰), nen nach intravasal kommen kann. Im Rahmen der kardiovaskulä-
▬ Mediastinitis nach Ösophagusverletzung (bitterer Geschmack ren Lokalanästhetikatoxizität kommt es nicht nur zu Störungen des
bei der Injektion). kardialen Reizleitungssystems mit Verlängerung des PR-Intervalls,
Verbreiterung des QRS-Komplexes, AV-Blockierungen bis hin zur
! Cave
Asystolie, sondern darüber hinaus auch noch zu einer myokardia-
Um eine zervikale Periduralanästhesie oder eine hohe Spi-
len Depression und zur peripheren Vasodialtation. Dies vermindert
nalanästhesie ausschließen zu können, müssen die Patienten
deutlich die Effektivität einer kardiopulmonalen Reanimation.
nach Durchführung einer Stellatumblockade mindestens
30 min überwacht werden! ! Cave
Lieber sorgfältig und kontrolliert injizieren als erfolglos reani-
Die Wirkungsdauer der Blockade liegt bei 3–10 h. Der analgetische
mieren!
Effekt kann – insbesondere nach mehrfachen Blockaden – deutlich
länger anhalten. Bei therapeutischen Blockaden ist daher eine
Blockadeserie von 8–10 Stellatumblockaden in 1- bis 2-tägigen Ab- Behandlung der Lokalanästhetikaintoxikation
ständen sinnvoll. Tritt allerdings nach 2–3 erfolgreichen Blockaden ▬ Grundlage der Therapie einer Lokalanästhetikaintoxikation ist
keine vorübergehende Besserung der Beschwerden auf, so ist eine es diese möglichst frühzeitig anhand ihrer Frühsymptome zu
Weiterführung der Blockadeserie in der Regel nicht erfolgsverspre- erkennen und die weitere Zufuhr von Lokalanästhetika sofort
chend. zu unterbrechen.
52 Kapitel 3 · Anästhesie und perioperative Schmerztherapie in der Handchirurgie

▬ Die Verwendung von Lidocain zur Therapie eventuell im Weiterführende Literatur


Verlauf auftretender Herzrhythmusstörungen sollte vermieden
werden. Birnbaum J, Albrecht R (2008) Ultraschallgestützte Regionalanästhesie. Sprin-
▬ Soweit nicht bereits prophylaktisch im Rahmen der Durch- ger, Heidelberg
führung der Regionalanästhesie erfolgt, sollte zur Prophylaxe Jöhr M (2009) Kinderanästhesie 7. Aufl. Urban & Fischer, Elsevier, München
Kefalianakis F (2004) Sonographie in der Anästhesie. Ultraschallgesteuerete
einer Hypoxie die Sauerstoffgabe mit hohem Flow über eine
Prozesse in der Anästhesiologie. Thieme, Stuttgart
3 Sauerstoffmaske erfolgen. Gegebenenfalls kann auch die en-
Meier G, Büttner J (2006) Atlas der peripheren Regionalanästhesie. Anatomie
dotracheale Intubation und kontrollierte Beatmung notwendig – Anästhesie – Schmerztherapie. Thieme, Stuttgart
werden. In diesem Fall kann eine kontrollierte, mäßige Hyper- Nerlich M, Berger A (Hrsg) (2003) Tscherne Unfallchirurgie, Band V: Weichteil-
ventilation erfolgen. verletzungen und -infektionen. Springer, Heidelberg
▬ Zur Erhöhung der Krampfschwelle bzw. Durchbrechung ei- Nickel U, Brambrink A (2005) Allgemein- und Regionalanästhesie in der Trau-
nes Krampfanfalles können Benzodiazepine (z. B. Diazepam machirurgie. Springer, Heidelberg
0,1–0,2 mg/kg KG i.v. oder auch Midazolam 0,05–0,1 mg/ Niesel HC, Van Aken H (2003) Lokalanästhesie, Regionalanästhesie, Regionale
kg KG i.v.), Barbiturate (z. B. Thiopental 1–3 mg/kg KG i.v.) Schmerztherapie. Thieme, Stuttgart
oder Propofol verabreicht werden. Rosenow D, Tronnier V, Göbel H (Hrsg) (2005) Neurogener Schmerz. Manage-
ment von Diagnostik und Therapie. Springer, Heidelberg
▬ Ein durch Lokalanästhetika hervorgerufener Herz-Kreislauf-
Rossaint R, Werner C, Zwißler B (Hrsg) (2008) Die Anästhesiologie, 2. Aufl.
Stillstand wird nach den aktuellen Richtlinien zur erweiterten
Springer, Heidelberg
kardiopulmonalen Reanimation (ACLS) therapiert. Saint-Maurice C, Schulte Steinberg O (1992) Regionalanästhesie bei Kindern.
▬ Zusätzlich sollte die Applikation eines initialen Bolus einer Gustav Fischer, Stuttgart
20%igen Lipidemulsion (1,5 ml/kg KG über 1 min) und die an- Scherer R, Görlinger K, Haisjackl M et al. (2000) Anästhesiologie – ein hand-
schließende kontinuierliche Infusion von 15 ml/kg KG/h erfol- lungsorientiertes Lehrbuch. Thieme, Stuttgart
gen. Der initiale Bolus kann im Verlauf bei erfolgloser Reanima- Scott BD (1996) Techniken der Regionalanästhesie. 2. Aufl. Chapman & Hall,
tion zweimalig wiederholt werden (Maximaldosis 8 ml/kg KG). Weinheim
Tilmann B (2004) Atlas der Anatomie des Menschen. Mit Muskeltrainer. Sprin-
Für die Regionalanästhesie gilt dies für alle oben aufgeführten ger, Berlin
Tillmann B (2009) Atlas der Anatomie des Menschen. Springer, Heidelberg
Kontraindikationen, insbesondere vorbestehende Herzrhythmus-
Wachsmuth W, Wilhelm A (Hrsg) (1972) Allgemeine und spezielle chirurgi-
störungen. Die Manschette zur Blutleere muss sicher sitzen und
sche Operationslehre, 10. Band, Teil 3: Operationen an der Hand. Sprin-
darf frühestens nach 30 min geöffnet werden. Bei einer vorzeitigen ger, Berlin
Öffnung würde eine systemische Intoxikation mit Lokalanästhetika
auftreten mit zentralnervösen und kardiovaskulären Symptomen
bis hin zum Herzstillstand. Bupivacain ist kontraindiziert zur intra-
venösen Regionalanästhesie!
Bei der Plexusanästhesie müssen die allgemeinen Kontraindi-
kationen wie Gerinnungsstörungen sowie eine Infektion im Punk-
tionsbereich beachtet werden. Spezielle Kontraindikationen für die
axilläre Blockade sind Voroperationen im Punktionsgebiet. Für
klavikulanahe Blockaden ist beim Asthmatiker oder beim Vorlie-
gen eines Lungenemphysems Vorsicht geboten. Eine Punktions-
richtung nach medial ist strikt zu vermeiden. Die Überwachung
der Patienten nach allen regionalen Anästhesieverfahren mit EKG-
Monitor und Messung der Sauerstoffsättigung ist unabdingbar.
Bei der Oberst-Leitungsanästhesie muss absolut darauf geachtet
werden, kein Lokalanästhetikum mit Adrenalinzusatz zu verwenden.
Dies würde durch Vasokonstriktion unweigerlich zum Fingerverlust
führen. Ebenfalls sollte die Injektionsmenge 1,5 ml pro Quadrant
nicht überschreiten, um eine Gefäßkompression zu vermeiden.
Zu den potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen einer
Stallatumblockade gehören generalisierte Krampfanfälle durch eine
Lokalanästhetikainjektion in die Arteria vertebralis oder carotis
sowie die akzidentelle zervikale Peridural- oder Spinalanästhesie.
Die Injektion des Lokalanästhetikums erfolgt daher obligato-
risch erst nach einem Aspirationstest in zwei Ebenen und Injektion
einer Testdosis von 0,5 ml Lokalanästhesikum, um eine intraarteri-
elle Injektion der Wirkdosis in die Arteria vertebralis oder carotis
auszuschließen (ggf. flüchtige neurologische Ausfälle und Krampf-
anfälle nach der Testdosis!).
Um eine zervikale Periduralanästhesie oder eine hohe Spinal-
anästhesie ausschließen zu können, müssen die Patienten nach
Durchführung einer Stellatumblockade mindestens 30 min über-
wacht werden!
> Die Lokalanästhesie ist bei Infektionen kontraindiziert.
4

Prinzipien der Wundbehandlung im Handbereich


(»Die kleine Handverletzung«)
Janos Hankiss

4.1 Allgemeines – 54
4.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 54
4.1.2 Epidemiologie – 55
4.1.3 Ätiologie – 55
4.1.4 Diagnostik – 55
4.1.5 Klassifikation – 55
4.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 56
4.1.7 Therapie – 56
4.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 56
4.2 Spezielle Techniken – 56
4.2.1 Aktiv geführte Sekundärheilung (und Epithelisierung) – 56
4.2.2 Primäre Wundversorgung – 57
4.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 58
4.3.1 Diagnose – 58
4.3.2 Chirurgische Therapie – 61
4.3.3 Medikamentöse Therapie – 61
Weiterführende Literatur – 61

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


54 Kapitel 4 · Prinzipien der Wundbehandlung im Handbereich (»Die kleine Handverletzung«)

4.1 Allgemeines die Migration von Entzündungszellen durch die Fibrinopeptide


A und B, welche bei der Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin
4.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und entstehen. Schließlich wird das Fibrin durch die Wirkung des
Physiologie Faktors XIII stabilisiert. Auf diese Weise wird das Koagulum me-
chanisch widerstandsfähig.
Physiologie der Wundheilung Im Anschluss an die Vasokonstriktion zu Beginn erfolgt etwa
Wunden sind meistens traumatisch entstandene Kontinuitätsun- 10 min nach der Verletzung eine Vasodilatation, die ca. 1 h andau-
terbrechungen und Substanzdefekte der Haut sowie des darunter ert. Die Haut wird überwärmt und gerötet. Die Gefäßpermeabilität
liegenden Gewebes, welche in primär nicht vorgeschädigter Haut nimmt zu, Blutplasma tritt in das Interstitium aus, wobei ein lo-
4 entstehen. Ist die Hautkontinuität nicht betroffen, handelt es sich kales Ödem entsteht. Dabei spielen Prostaglandine des zerstörten
um eine geschlossene Verletzung. Die Heilung erfolgt im Normal- Gewebes und Histamin aus Mastzellen sowie Serotonin und andere
fall in 2–3 Wochen. vasoaktive Amine aus den Blutplättchen eine wichtige Rolle.
Ulzera sind hingegen tiefe Defekte bis in die Dermis oder
Subkutis in vorgeschädigter Haut. Die Heilung ist verzögert und Resorptive Phase (Entzündungsphase)
abhängig von der Ursache des Entstehens wie z. B. arterielle und Leukozyten infiltrieren angelockt durch chemotaktische Signale
venöse Durchblutungsstörung, diabetische Neuropathie, Mangel- die Wunde. Diese sog. Leukodiapedese wird durch Adhäsionsmo-
ernährung, hormonelle und medikamentöse Einwirkungen (Korti- leküle möglich.
kosteroide, Immunsuppressiva). Wenige Stunden nach der Verletzung strömen neutrophile Gra-
Es können vier Phasen im Verlauf der Wundheilung unter- nulozyten in die Wunde. Nach 2 Tagen erreicht die Einwanderung
schieden werden (⊡ Abb. 4.1). den Höhepunkt. Wenn keine Entzündung vorhanden ist, kommt es
1. exsudative Phase (Hämostase), zur schnellen Minderung der Granulozytenzahl. Etwas zeitverzö-
2. resorptive Phase (Entzündungsphase), gert erfolgt die Einwanderung der Monozyten und Lymphozyten.
3. proliferative Phase und Eine wichtige Rolle in der Infektabwehr spielen die aus Monozyten
4. reparative Phase (Remodellierungsphase). differenzierten Makrophagen. Es werden Enzyme zur Lyse des
abgestorbenen Gewebes freigesetzt (z. B. Kollagenasen, Elastasen).
Exsudative Phase (Hämostase) Makrophagen produzieren Zytokine und Wachstumsfaktoren, wie
Als Folge der Verletzung kommt eine Blutung zustande, welche die TNF-α, PDGF, »vascular endothelial growth factor« (VEGF), »fib-
Wunde füllt. Das geronnene Blut verschließt den Defekt proviso- roblast growth factor« (FGF) etc. Diese Faktoren unterstützen die
risch. Nach der Verletzung kommt es zu einer vorübergehenden Proliferation von Fibroblasten und Endothelzellen bzw. regulieren
Vasokonstriktion der beschädigten Blut- und Lymphgefäße. An der die Ausbildung des Granulationsgewebes. Außerdem haben Mak-
Stelle der Intimaläsion kommt es zur Thrombozytenaggregation. rophagen in der Phagozytose (Inkorporation und Auflösung von
Durch Freisetzung von Plättchenfaktoren wird die Gerinnungs- Mikroorganismen und Fremdkörpern) eine führende Rolle.
kaskade ausgelöst. Dabei entstehen langkettige Fibrinpolymere aus
wasserlöslichen Fibrinogenpeptiden. Das Fibrinnetzwerk nimmt Proliferative Phase
die Blutzellen (Thrombozyten, Erythrozyten, Granulozyten, Mo- Vier bis fünf Tage nach der Verletzung erfolgt die Auffüllung des
nozyten, Makrophagen) auf. Das so entstandene Blutgerinnsel füllt Wundspaltes mit neu gebildetem Bindegewebe. Die Proliferati-
den ganzen Wundspalt aus und bildet eine dreidimensionale Struk- onsphase dauert etwa 2 Wochen an. Wenn keine Wundinfektion
tur zur Haftung, Migration, und Proliferation von Zellen zur Vor- vorliegt, nimmt die Zahl der Entzündungszellen rasch ab. Wichtige
bereitung des Reparationsprozesses. Die Matrix des Blutgerinnsels Komponente dieses Prozesses sind die Fibroblasteneinwanderung,
besteht aus Fibrin, Glykoproteinen, Fibronektin, Vitronektin und die Angiogenese und die Epithelisierung. Histiozyten differenzie-
Thrombospondin. Die Oberfläche trocknet dann aus, es entsteht ren sich zu Fibroblasten. Neue Kapillargefäße werden durch An-
ein Wundschorf, der die Wunde abdichtet. gioblasten gebildet, was die Grundlage des Granulationsgewebes
Die Blutplättchen setzen zahlreiche Wundheilungsmediato- darstellt. Fibroblasten bilden Kollagen und Mukopolysaccharide,
ren frei. Dazu gehören: »platelet-derived growth factor« (PDGF), wodurch die Reißfestigkeit des Granulationsgewebes zunimmt.
»insulin like growth factor« (IGF-1), »epidermal growth fac- Ein gut vaskularisiertes Granulationsgewebe ist wichtig für die
tor« (EGF) »transforming growth factor beta 1« (TGF-β1). Durch ungestörte Wundheilung und bietet Schutz vor Infektionen. Mak-
diese Zytokine werden Makrophagen, Fibroblasten, und angioge- rophagen koordinieren durch Freisetzung zahlreicher Wachstums-
netische Zellen in die Wunde transportiert. Des Weiteren erfolgt faktoren den Ablauf der Fibroplasie und Angiogenese.

⊡ Abb. 4.1 Phasen der Wundheilung. (Aus Berger


u. Hierner 2002)
4.1 · Allgemeines
55 4
Wundkontraktion ranzuwachsen. Während der weiteren Ausbildung der neuen Haut
Die Wundkontraktion ist ein komplexer Prozess, der gleichzeitig werden die nekrotischen Krusten, wenn sie mechanisch nicht ent-
mit der Remodellierungsphase einige Tage nach der Verletzung fernt werden, spontan abgeschoben. An der Beugeseite der Hand
beginnt. Es erfolgt die Umwandlung der Fibroblasten in Myofibro- und an den Fußsohlen können größere Substanzverluste durch
blasten, welche durch ihren Aktingehalt kontraktile Eigenschaften sekundäre Heilung geschlossen werden. Dort ist das Potenzial der
haben. Diese Zellen strecken Pseudopoden aus und bilden ein Granulation und Reepithelisierung sehr hoch und erfolgt als eine
Netzwerk. Durch Kontraktion der Myofibrillen kommt es zur Kon- narbenarme Wiederherstellung. Dieser Prozess wird als spontan
traktion der Wunde und damit zur Verschmälerung des Wund- geführte oder dirigierte Vernarbung bezeichnet.
spaltes. Dieser Prozess wird durch Mediatoren, wie »transforming
growth factor β« (TGF-β) und »platelet derived growth factor«
(PDGF) vermittelt. Die Effizienz der Wundkontraktion ist von 4.1.2 Epidemiologie  Kap. 2
mehreren Faktoren wie dem Allgemeinzustand, der Ernährung,
dem Vorliegen einer Infektion sowie Art der Wunde abhängig. Störungen der Greiffunktion sind häufig und haben große volks-
Nach Verschluss der Wunde werden die Wachstumsfaktorrezepto- wirtschaftliche Bedeutung. Sie sind z. B. neben den grippalen In-
ren der Fibroblasten inaktiviert, ein Teil der Fibroblasten stirbt ab fekten eine der häufigsten Ursachen für eine Arbeitsunfähigkeit.
bzw. kehrt in den Ruhestand zurück.

Reparative Phase (Remodellierung) 4.1.3 Ätiologie  Kap. 2


Diese Phase beinhaltet die Ausreifung der Kollagenfasern, und
damit die Umwandlung vom Granulationsgewebe zur Narbe. Die 4.1.4 Diagnostik  Kap. 2
Remodellierung beginnt gleichzeitig mit der Granulationsphase
und dauert bis zu 2 Jahre. Es erfolgt ein langsamer Umbau des 4.1.5 Klassifikation
Bindegewebes. Die Narbe erlangt ihre endgültigen Eigenschaften
wie Form, Qualität, Stärke. Dabei laufen Kollagensynthese und Die Vielfalt der Verletzungen erschwert die Klassifikation der
-abbau gleichzeitig. Das in den ersten Wochen hergestellte Typ-3- Handverletzungen. In der Praxis werden einfache und komplexe
Kollagen wird sukzessive durch das stabile Typ-1-Kollagen ersetzt. Verletzungen unterschieden, wobei nach der Untersuchung die
Die Auflösung der Kollagenfasern erfolgt durch spezifische Ma- vermutlich verletzten Strukturen bezeichnet werden müssen. Ein-
trixmetalloproteinasen (MMP), die von Makrophagen, Granulo- fache Hautläsionen ohne Substanzdefekt der Hand ohne Beteili-
zyten, Epidermiszellen, Endothelzellen und Fibroblasten in den gung wichtiger Strukturen (Knochen, Sehnen, Nerven, Hauptge-
Extrazellulärraum freigesetzt werden. fäße) können als »kleine Verletzung« bezeichnet werden.
Die permanente Produktion von stabilem Kollagen und die Für die genaue Beurteilung des Verletzungsausmaßes in den
Bündelung der Fasern durch Bildung mehrfacher Verbindungen optisch nicht sichtbaren Regionen ist die genaue Kenntnis des
erhöhen die Reißfestigkeit der Wunde. Narbengewebe wird jedoch Verletzungsmechanismus erforderlich. Dabei ist auf die genaue
nie so fest wie die gesunde Haut und das Subkutangewebe. Auch zeitliche und örtliche Angabe zur Verletzung zu achten. Für die
unter optimalen Bedingungen ausgeheilte Wunden verfügen ledig- Planung der Therapie und die Einschätzung der zu erwartenden
lich über 80% der Reißfestigkeit des gesunden Gewebes. Während Ausdehnung der Operation ist die präoperative Einschätzung des
die Dichte der Kollagenfasern zunimmt, wird das Netzwerk der Schadens von großer Wichtigkeit.
Fasern durch Parallelbündel ersetzt. Zusätzlich erfolgt eine Reduk-
> Eine ausführliche Untersuchung der Funktion der Hand ist
tion der Zellzahl und Abnahme der Blutgefäße, wodurch die Narbe
auch bei scheinbar einfachen Verletzungen Pflicht.
nach der rötlich-bläulichen Phase blass wird. Melanozyten besitzen
keine Regenerationsfähigkeit, weshalb sich das Narbengewebe nicht Der praktizierende Handchirurg erlebt häufig eine Überraschung,
bräunt und auch nach Sonneneinwirkung auf die Haut hell bleibt. wie viele und ausgedehnte Läsionen hinter einer kleinen Hautwunde
versteckt sein können (»Eisbergeffekt«). Darüber hinaus muss die
Reepithelisierung Entscheidung über eine stationäre Behandlung bei der Erstunter-
Wenige Stunden nach der Verletzung erfolgt die Genese neuer suchung fallen, und die Aufklärung des Patienten über eine eventu-
Hautzellen von den Wundrändern und Hautanhangsorganen, z. B. elle Hautplastik/Transplantation oder den Einsatz von Gefäß- und
Haarfollikeln. Epidermale Keratinozyten bedecken die Wundober- Nerventransplantaten erfolgen. Eine glatte Schnittverletzung ohne
fläche. Die Migration der Epithelzellen ist durch die Lockerung der Funktionsausfälle stellt zwar eine optimale Situation dar, es müssen
interzellulären Verbindungen (Desmosomen) möglich. Die Bewe- allerdings die genauen Umstände der Verletzung wegen einer po-
gung der Keratinozyten wird durch den verlorenen Kontakt zur tenziellen Infektionsgefahr geklärt werden (verschmutztes Messer,
Nachbarzelle und durch lokale Freisetzung von Wachstumsfaktoren, Arbeiten in der Küche und in anderen gefährdeten Berufen etc.).
z. B. »keratinocyte growth factor« (KGF), »transforming growth Industrie- und Landwirtschaftsmaschinen können komplexe
factor« alpha und beta (TGF-α, TGF-β) eingeleitet. Die Migration und für die erste Betrachtung schwer zu beurteilende Verletzungen
wird schließlich durch den Kontakt der einwandernden Epithel- produzieren. Hier ist die Gefahr der Kontamination besonders
zellen untereinander gestoppt. Gleichzeitig zur Reepithelisierung groß. Außerdem handelt es sich meistens um mehrere Trauma-
erfolgt die Wiederherstellung der Basalmembran zwischen Dermis typen gleichzeitig. Wenn z. B. die Hand von einer heißen Presse
und Epidermis. Die weitere Proliferation und Differenzierung der oder von Walzen erfasst wird, läge in diesem Fall gleichzeitig eine
Keratinozyten führt zur Bildung einer verhornenden Epidermis. direkte Riss-Quetsch-Wunde, eine breitflächige Kontusion und
Die Epithelisierung verläuft am schnellsten, wenn der Wund- Überdehnung ggf. mit Ablederung sowie zusätzlich eine Brandver-
grund sauber und nicht stark zerstört ist. Nekrose und große Krus- letzung vor.
ten bilden zwar einen starken Widerstand, die Epithelzellen sind Bestimmte Verletzungen wie Explosionstraumata, Schussver-
jedoch in der Lage zwischen Nekrose und Granulationsgewebe vo- letzungen oder perforierende Stichverletzungen (Abwehr) bedür-
56 Kapitel 4 · Prinzipien der Wundbehandlung im Handbereich (»Die kleine Handverletzung«)

fen nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus forensischer desinfektion ist für den Transport nicht erforderlich und kann
Sicht einer besonderen Aufmerksamkeit. Hierbei muss auf die durch Einsatz von irritierenden, gewebetoxischen Mitteln schäd-
genaue Dokumentation der Angaben des Patienten und der Be- lich sein. Die Blutstillung erfolgt durch einen fachgerecht angeleg-
gleitpersonen sowie auf die Bedeutung der Fotodokumentation ten Druckverband. Das Abschnüren des Armes oder die Anlage
geachtet werden. einer Blutdruckmanschette ist nicht erlaubt. Auf keinen Fall dürfen
Tier- und Menschenbisse sind stark kontaminiert. Zusätzlich blutende Gefäße mit einer Klemme am Unfallort erfasst werden,
liegt meistens ein sehr schwerer, ausgedehnter, des Öfteren multi- da schwere Nebenschäden (z. B. an benachbarten Nerven, Sehnen)
zentrischer Weichteilschaden vor. entstehen können.

4 Primäre Wundversorgung
4.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Die Prinzipien der Wundbehandlung wurden nach den Experi-
menten von Friedrich 1898 festgelegt. Diese Grundregeln haben
Die Wundbehandlung kann je nach Kontamination und Alter der bis heute im Wesentlichen ihre Gültigkeit. Sie betonen die früh-
Wunde in vier Formen gestaltet werden: zeitige und korrekte chirurgische Versorgung der Wunde unter
Berücksichtigung des Infektionsrisikos. Die Hand ist zwar durch
Primäre Wundnaht die grundsätzlich gute Durchblutung mit einer besonders gu-
Wenn immer möglich ist die primäre Wundnaht anzustreben. Vor- ten Heilungstendenz begabt, die Prinzipien der Wundbehandlung
aussetzungen für die primäre Wundnaht sind: unterscheiden sich trotzdem nicht von anderen Regionen des
1. Die Wunde darf nicht älter als 6, max. 8 h sein. Körpers.
2. Die Wunde darf nicht verschmutzt oder potenziell kontami-
niert sein (Bissverletzungen).
3. Die Wundränder dürfen nicht zerstört oder unterminiert sein. 4.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter

Verzögerte Primärnaht Für die Therapie von Verletzungen und Defekten im Kindesalter
Bei verschmutzten und vermutlich oder offensichtlich kontami- gelten die gleichen Prinzipien wie beim Erwachsenen. Folgende
nierten Wunden ist eine offene Wundbehandlung erforderlich. Die Besonderheiten sind zu beachten:
Wundnaht erfolgt vor der Granulationsbildung, 2–7 Tage nach der ▬ Wundversorgungen bei Kindern sollten in adäquater Anäs-
Verletzung, wobei die Wundränder nicht angefrischt werden müs- thesie durchgeführt werden. Eine Lokalanästhesie mit zusätz-
sen. Studien haben gezeigt, dass die Reißfestigkeit der Wunde nach licher brachialer Fesselung der Kinder ist zwar möglich, aber
verzögerter Primärnaht nach 20 Tagen signifikant höher ist, als bei nicht mehr zeitgemäß. Aus kinderpsychologischer Sicht sollte
Primärnähten. Nach 60 Tagen ist die Widerstandsfähigkeit doppelt die Indikation zur Versorgung in Kurznarkose großzügig ge-
so hoch als nach Primärnaht. Als Ursache werden ein besserer Se- stellt werden.
kretabfluss und die stimulierte Angiogenese (Granulationsphase) ▬ Die postoperative Immobilisierung beim Kind ist aufgrund
vermutet. der schnelleren Heilung oft kürzer als beim Erwachsenen. Auf
der anderen Seite müssen vor allem bei kleinen Kindern auch
Sekundärnaht Gelenke und Extremitätenanteile mit immobilisiert werden,
Die Sekundärnaht wird frühestens am 8. Tag nach der Verletzung damit sich das Kind die Schiene nicht selbst entfernt (Ober-
durchgeführt. Dazu ist die Mobilisierung der Wundränder erfor- armgipsschiene beim Kleinkind vs. Unterarmgipsschiene beim
derlich, wodurch eine erneute Traumatisierung des Gewebes ent- Erwachsenen bei Operationen an der Hand).
steht. Durch die Unterbrechung der Granulationsbarriere steigt das
Infektrisiko. Aus diesem Grund ist manchmal, besonders bei star-
ker Wundretraktion, eine Hauttransplantation oder im Bereich der 4.2 Spezielle Techniken
Hohlhand und an der Beugeseite der Fingern eine aktiv geführte
Sekundärheilung günstiger ( Abschn. 4.1.6). 4.2.1 Aktiv geführte Sekundärheilung
(und Epithelisierung)
Aktiv geführte Sekundärheilung (und Epithelisierung)
Die physiologische Granulation und Epithelisierung ist besonders an Voraussetzungen sind ein ausführliches Débridement und keine
der Beugeseite der Hand und an den Fingerkuppen sehr intensiv. Be- freiliegenden Knochenstrukturen. Die Folie wird wasserdicht ap-
obachtungen und Untersuchungen haben bewiesen, dass an der Fin- pliziert. Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass es in
gerkuppe unter Einsatz einer einfachen Operationsfolie (»semiok- den nächsten Tagen zu einer starken Geruchsentwicklung kommen
klusiver Verband«) eine beinahe normale Struktur der Fingerkuppe wird. Der Folienwechsel erfolgt alle 3 Tage. Dabei darf die Wund-
wiederhergestellt werden kann. Voraussetzungen sind ein ausführli- fläche nicht berührt bzw. abgewischt werden. Nach dem Entstehen
ches Débridement und keine freiliegenden Knochenstrukturen. einer sichtbar stabilen Epithelschicht etwa am 10.–14. Tag wer-
den Salbenverbände eingesetzt. Nach den Untersuchungen von
Mennen dauert die volle Regeneration im Durchschnitt 20 Tage.
4.1.7 Therapie Einige Autoren setzen am Ende der Behandlung Silbernitratätzung
oder Kortisonverbände zur Hemmung der »Überwucherung« ein.
Wundbehandlung im Akutfall Nach den Angaben von Mennen und nach unserer Erfahrung ist
Notfallversorgung allerdings feststellbar, dass die Granulations- und Epithelisierungs-
Zur Erstversorgung einer Handverletzung ist es wichtig anzumer- regulierung ohne medikamentöse Einwirkung unter mechanischer
ken, dass die Wunde ohne Berührung oder besondere Reinigung Schonung und in der physiologischen Feuchtkammer einwandfrei
mit trockenen, sterilen Kompressen zu verbinden ist. Die Wund- funktioniert (⊡ Abb. 4.2).
4.2 · Spezielle Techniken
57 4
Anästhesie. Falls eine lokale Anästhesieform gewählt wurde, wird
das Lokalanästhetikum am besten vor der Abdeckung verabreicht.
Damit kann Zeit eingespart werden. Der Zusatz von Adrenalin zur
Blutstillung im Bereich der Hand, insbesondere bei Verletzungen,
wo die Durchblutung gemindert werden kann, wird nicht empfoh-
len. Zur genauen Technik der Infiltrations- und Leitungsanästhesie
verweisen wir auf  Kap. 2.

Abdeckung. Die Hand wird auf einem Handoperationstisch ge-


lagert und mit sterilen Tüchern abgedeckt. Die Verwendung von
Einwegtüchern ist empfehlenswert und schnell. Es muss allerdings
beachtet werden, dass die selbstklebenden Flächen manchmal sehr
stark haften und besonders bei dünner Haut und bei bestimmten
a
Erkrankungen (M. Cushing) oder im Fall von Kortikosteroidthe-
rapie bei der Entfernung der Abdeckung die Haut breitflächig
beschädigt werden kann. In solchen Fällen ist der Einsatz eines
einfachen Schlitztuches zu empfehlen.

Blutleere, Blutsperre. Die Anlage einer Blutleere oder Blutsperre


ist in der Handchirurgie ein Routineverfahren. Die Beurteilung
der Wunde ist unter kontinuierlicher Blutung nicht möglich. Bei
Verletzungen erfolgt die Auswicklung der Extremität bis zur Man-
schette mit einer Gummibinde. Der Manschettendruck beträgt
250–300 mmHg. Als Grundregel kann gemerkt werden, dass der
Manschettendruck mindestens 70 mmHg (9,3 kPa) über dem sys-
tolischen Druck liegen soll. Die Dauer der Blutleere/Blutsperre
beträgt höchstens 120 min. Am Finger ist die Blutleere oder Blut-
sperre mittels eines am Grundglied angelegten breiten und weichen
Gummizügels zu gestalten. Da hier kein Instrument zur Justierung
der Kompression zur Verfügung steht, ist Fingerspitzengefühl und
b Erfahrung erforderlich, um einen Druckschaden und eine blei-
bende Parästhesie zu vermeiden. Im Prinzip reichen am Finger
⊡ Abb. 4.2 Defektverletzung der Fingerkuppe, Behandlung mittels semiok- niedrigere Druckwerte als am Oberarm, etwa 200–250 mmHg.
klusiver Folie nach Mennen. a Die dünne gräuliche Schicht enthält die sich Wenn die Wundverhältnisse es zulassen, ist am Finger eine Blut-
schnell vermehrenden Keratinozyten; b komplette Ausheilung der Daumen- sperre mittels eines abgeschnittenen, an der Spitze perforierten
kuppe nach dirigierter Narbenbildung und Epithelisierung. Die Papillarleis- Gummihandschuhfingers einfach herstellbar ( Kap. 2). Die Fin-
ten werden nicht perfekt wiederhergestellt gerblutleere muss am Ende der Operation, vor der Wundnaht
entfernt werden! Ansonsten läuft man Gefahr, dass der Gummi-
ring unter dem Verband versteckt vergessen wird. Die Dauer der
Durchblutungsunterbrechung wird immer, in der Regel von der
4.2.2 Primäre Wundversorgung Anästhesie, im ambulanten Bereich vom OP-Pflegepersonal doku-
mentiert.
Zur Vorbereitung der primären Wundversorgung sind folgende Die operativen Schritte der primären Wundversorgung können
Schritte notwendig: wie folgt untergliedert werden:

Reinigung. Reinigung der Wundumgebung ggf. mit Bürste und Wundreinigung (Débridement). Die Spülung der Wunde er-
Seife. folgt mittels steriler Ringer-Lösung. Antiseptische Lösungen brin-
gen keine Vorteile und können die Wundheilung negativ beein-
Rasur. Rasur mittels Einmalrasierer unter Verwendung von Flüs- flussen.
sigkeit (nie trocken), am besten mittels für offene Wunden zuge-
lassenen Desinfektionsmitteln. Auch bei sehr behaarten Patienten Wundexzision. Die richtige Wundexzision ist an der Hand von
ist eine komplette Rasur der Extremität nicht erforderlich, wegen sehr großer Bedeutung. Die Radikalität und die Entfernung aller
der Mikroverletzungen sogar untersagt. Empfohlen wird die Rasur nicht vitalen Gewebeanteile steht immer im Vordergrund, wobei
in einer Breite von etwa 3 cm, damit keine Haare in die Wunde eine zu großzügige, blockartige Ausschneidung im Bereich der
gelangen können. Hand als unnötig radikal anzusehen ist. Die Hautexzision ist am
besten mit einem kleinen (15er) Skalpell durchzuführen. Beschä-
Hautdesinfektion. Bei offenen Wunden sind alkoholische Haut- digte tiefere Strukturen wie z. B. Subkutangewebe und Muskeln
desinfektionsmittel zu vermeiden. Es muss auf jeden Fall darauf ge- lassen sich mit der Schere besser bearbeiten. Vor der tiefen Exzi-
achtet werden, dass kein Desinfektionsmittel in die Wunde gelangt. sion werden die in der anatomischen Region relevanten Strukturen
Das Abwaschen erfolgt von der Umgebung der Wunde nach außen aufgesucht, um einen iatrogenen Schaden zu vermeiden. Falls die
hin. Zur Dauer des Abwaschvorganges muss die Einwirkungszeit Wunde in der Tiefe nicht gut zu beurteilen ist, muss der Schnitt
des verwendeten Desinfektionsmittels beachtet werden. erweitert werden. Die Richtung der Wunde ist bei einer Verlet-
58 Kapitel 4 · Prinzipien der Wundbehandlung im Handbereich (»Die kleine Handverletzung«)

⊡ Abb. 4.3 Hilfsschnitte zur Erweiterung


bestehender Wunden und Änderung der Ver-
laufsrichtung. a Beugeseite: Die ungünstige
Verlaufsrichtung einer Verletzungswunde
lässt sich durch eine Z-Plastik umlagern. Bei
notwendigen Erweiterungen von Verletzungs-
4 wunden müssen die angesetzten Schnitte in
den erlaubten Richtungen liegen, längs an
der Seitenmitte, quer in den Beugefalten und
schräg zwischen den Beugefalten (aus Wachs-
muth u. Wilhelm 1972). b Streckseite: Zwecks
Ausschluss oder Versorgung subkutaner Ver-
letzungen müssen bei längsgestellten Wun-
den über dem Handrücken Fingerstreckseiten
S-förmig, bei quergestellten Wunden in Zick-
zackform angelegt werden, um Adhäsionen
zwischen Haut und Strecksehnen und eine
hypertrophe Narbenbildung zu vermeiden.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) a b

zung vorgegeben. Grundsätzlich sollten nicht unbedingt benötigte die flüssigen Gewebekleber (Dermabond, Epiglu, Histoacryl etc.) zu
Schnitterweiterungen vermieden werden. Wenn durch die Lage der erwähnen. Der Wirkstoff ist Cyanoacrylat, ähnlich wie bei den Se-
entstehende Narben mit Funktionsbeeinträchtigungen zu rechnen kundenklebern. Es ist wichtig anzumerken, dass diese Materialien
ist, sollte jedoch der Verlauf der Wunde z. B. durch eine Z-Plastik vor der Polymerisation ätzend wirken. Das Polymer ist nicht resor-
korrigiert werden. Einige Möglichkeiten der Erweiterung sind in bierbar und darf nicht in die Wunde geraten, da sonst eine starke
⊡ Abb. 4.3 dargestellt. Zu den häufigsten Schnittführungen siehe Fremdkörperreaktion entsteht. Aus diesen Gründen ist der Einsatz
⊡ Abb. 4.4. Durch die Wundexzision wird die verschmutzte und im handchirurgischen Bereich eingeschränkt. Subkutannähte wer-
kontaminierte Wunde in eine saubere, keimarme Wunde umge- den bei Verletzungen ggf. in proximalen Bereichen (Unterarm,
wandelt. Oberarm) zur besseren Adaptation der subkutanen Faszie und sub-
dermal zur Adaptation und Entlastung der Hautnaht eingesetzt.
Blutstillung. Bei der Wundrevision wird festgestellt, ob größere
und für die Durchblutung wichtige Gefäße, welche mikrochirur-
gisch wiederhergestellt werden können, verletzt sind. Ansonsten 4.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
erfolgt die Blutstillung nach der Wundexzision mittels bipolarer
Koagulationspinzette. Bei der Koagulation müssen die Hautränder Der Begriff »kleine Handverletzung« darf nur nach einer aus-
weitgehend geschont werden, ansonsten droht eine Wundrandnek- führlichen Untersuchung und korrekt durchgeführten operativen
rose und Wunddehiszenz. Ligaturen sind möglichst zu vermeiden, Versorgung nach Ausschluss von Begleitverletzungen verwendet
damit keine Fremdkörper hinterlassen werden. werden. Die Gefahr der Falschbeurteilung und des Übersehens von
Läsionen anderer Strukturen sind im Bereich der Hand groß. Die
Drainage. Kleine Wunden, bei denen z. B. nur eine Hautadapta- Fehlerquellen können wie folgt zusammengefasst werden:
tion erfolgt ist, müssen nicht drainiert werden. Falls die Wunde
und die Gewebszerstörung größer sind oder bei der Operation eine
starke diffuse Blutung vorlag, empfiehlt sich eine aus der Wunde 4.3.1 Diagnose
ausgeleitete Halbrohr- oder Kapillardrainage (⊡ Abb. 4.5). Redon-
Drainage oder andere geschlossene Systeme kommen bei komple- Nichterkennen tieferer Verletzungen aufgrund unzureichender
xen, schweren Verletzungen proximal des Handgelenks zum Ein- Untersuchung.
satz. Auf die genaue Platzierung der Drainage muss zur Schonung Nervenläsionen werden bei Handverletzungen häufig über-
wichtiger Strukturen (Gefäße, Nerven) geachtet werden. sehen. Die orientierende Untersuchung ist zur genauen Beurtei-
lung nicht ausreichend. Es muss berücksichtigt werden, dass die
Wundnaht. Im Bereich der Finger und der Hand erfolgt grund- Angaben der aufgeregten Patienten ungenau sind. Ein 2-Punk-
sätzlich eine einfache Hautnaht mittels Einzelknopfnähten. Naht- te-Diskriminierungstest kann einfach und schnell durchgeführt
material ist ein monofiler, nicht resorbierbarer Faden, von der werden. Bei verdächtigen anatomischen Lokalisationen der Ver-
Stärke 4/0, oder 5/0 (⊡ Abb. 4.6). Bei Kindern ist ein schnell re- letzung wird bei der Wundexploration der entsprechende Nerv
sorbierbares, geflochtenes Material günstig, damit auf den Faden- dargestellt.
zug verzichtet werden kann (z. B. Vicryl rapid). Alternativ können Gefäßverletzungen sind im Fall einer spontanen Blutstillung
bei kleineren Verletzungen insbesondere an den Fingern und bei durch Thrombusbildung schwer zu erkennen. Bei Verdacht einer
Kindern Klammerpflaster (»SteriStrip«, »Leukostrip«, »Porofix«, Gefäßverletzung ist die operative Freilegung – ähnlich wie bei den
»Omnistrip« etc.) angewendet werden. Darüber hinaus sind noch Nerven – erforderlich, und falls eine geschlossene Verletzung am
4.2 · Spezielle Techniken
59 4

a d

⊡ Abb. 4.4 Elektive Hautinzisionen im Bereich der Hand. a Beugeseite: Die Schnitte folgen den anatomischen Hautlinien. Die Überquerung der Hohl-
hand- und Gelenkfalten soll möglichst im kleinen Winkel und nicht in 90° erfolgen. Rechts: L-förmige Schnittführung in der Handgelenkbeugefalte. Fort-
führung des Schnittes bogenförmig nach distal in oder neben der Linea vitalis. Die Inzisionen dürfen die Linea vitalis nicht kreuzen bzw., wenn es unver-
meidbar ist, in möglichst kleinem Winkel. Interphalangealgelenke können durch einen L-förmigen Schnitt dargestellt werden. Der klassische Zugang zu
den Beugesehnen ist die Bruner-Inzision, zickzackförmig an den Fingern geführt, wobei die Spitzen des Schnittes seitlich über den Gelenkfalten liegen.
Dieser Zugang ist sicher, ohne Gefahr der Rand- und Spitzennekrose, allerdings ist die Narbenbildung manchmal ungünstig und führt zu Kontrakturen
(s. Finger D2 und D3). Deshalb empfiehlt sich bei guter Hautdurchblutung die korrigierte Bruner-Inzision, wo die Schnittführung genau in den Inter-
phalangealfalten mit Querverbindungen erfolgt (s. D4). Links: L- Förmige Schnittführung zur Freilegung der Interphalangealgelenke. Der Schnitt in der
distalen Hohlhandfalte eignet sich z. B. zur Exploration der Sehnenscheide und des A1-Ringbandes in der Hohlhand. b Streckseite: Hauptregel ist, dass
die Gelenke nie in der Längsachse, in der sog. Medianlinie durchquert werden dürfen. Die Ausweichung erfolgt meist bogenförmig oder leicht gewinkelt
zickzackförmig. An der Streckseite der Hand können die Grundgelenke durch einen quergeführten Schnitt oder wellenförmig um die MHK-Köpfe geführt
exploriert werden. Zur Freilegung der Mittelhandknochen ist ein einfacher intermetakarpal geführter Längsschnitt geeignet. c–e Seitenfläche: An den
Fingern sind die längsgeführten Schnitte in der Mediolaterallinie sehr schonend, die Narben werden dünn und unauffällig. Wichtig ist die genaue Platzie-
rung der Schnitte genau in der Trennlinie der beuge- und streckseitigen Haut, bei gebeugtem Finger in der Verbindung der Interphalangeallinienspitzen.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
60 Kapitel 4 · Prinzipien der Wundbehandlung im Handbereich (»Die kleine Handverletzung«)

Gefäß (Kontusion, Gefäßwandläsion) vorliegt, muss nach Öffnung forderung stellen partielle Sehnenverletzungen dar, bei denen die
der Blutsperre eine Funktionsüberprüfung erfolgen ( Kap. 7). Funktion der Sehne nicht gestört ist. Alleine die Eröffnung der
Sehnenverletzungen sind häufige Begleiter von Stichverlet- Sehnenscheide bedeutet ein erhöhtes Infektionsrisiko und bedarf
zungen. Bei ausführlicher Untersuchung ist die Diagnose einer einer Exploration und ausgiebigen Spülung.
kompletten Sehnendurchtrennung eindeutig. Genaue anatomische Auch oberflächliche Sehnenverletzungen müssen mit einer
Kenntnisse bezüglich der Sehnenfunktionen (z. B. tiefe und ober- Naht versorgt werden, die freie Gleitfähigkeit muss jedoch, manch-
flächliche Beugesehnen, Ansatz der Strecksehnen an den Fingern) mal durch Fenestrierung der Sehnenscheide, gesichert werden
sind zur richtigen Beurteilung unerlässlich. Eine größere Heraus- ( Kap. 5).
Eröffnete Gelenke sind bei der Untersuchung, in Abwesenheit
4 von Instabilität oder Luxierbarkeit des Gelenks nicht erkennbar
(⊡ Abb. 4.7). Es gibt typische exponierte Stellen, wo die Mitbetei-
ligung der Gelenke wahrscheinlich ist, z. B. an der Streckseite der
Hand über den Grund-, Mittel- und Endgelenken, insbesondere
wenn Strecksehnen verletzt sind. Die Gefahr hierbei liegt in der
postoperativen Infektion (Arthritis purulenta) ( Kap. 43).
Bei Verletzungen mit potenzieller Frakturgefahr ist eine Rönt-
genaufnahme zu veranlassen. Im Fall einer typischen Anamne-
se wie Sturz, Verkehrsunfall und anderen Verletzungen unter
hoher Energieeinwirkung ist eine Röntgenuntersuchung Pflicht
( Kap. 9).

⊡ Abb. 4.5 Kapillardrainage (»Easy-Flow-Drainage«). Durch Längsschlitzung ⊡ Abb. 4.7 Röntgenaufnahme bei akuter Schnittverletzung und klinisch
der Drainage kann der Kapillareffekt und somit die Drainageleistung deut- offensichtlicher Strecksehnenverletzung über dem Endgelenk dorsal. Drin-
lich erhöht werden gender Verdacht einer Gelenkbeteiligung

a b c

⊡ Abb. 4.6 Multiple Weichteilverletzungen durch


Kreissäge. a Klinischer Aspekt bei Klinikaufnahme:
Daumen, b klinischer Aspekt bei Klinikaufnahme:
Ring- und Kleinfinger, c postoperativer Aspekt
Daumen, d postoperativer Aspekt Ring- und
Kleinfinger: Trotz der schwerwiegenden Erschei-
nung der Verletzung musste lediglich eine Weich-
teiladaptation und Wiederherstellung des Nagel-
bettes an den Ring- und Kleinfingern erfolgen:
d e
Ansicht von dorsal, e Ansicht von palmar
Weiterführende Literatur
61 4
4.3.2 Chirurgische Therapie Lokale Medikamententräger werden bei der Erstversorgung einer
Wunde selten eingesetzt. Zur genauen Verwendung der lokalen
Die häufigsten Fehler sind: Medikamententräger und zu Einzelheiten der antibiotischen Be-
▬ Nicht ausreichende Wundreinigung und Wundrandexzision. handlung s.  Kap. 43.
▬ Mangelhafte Überprüfung der Wunde wegen
– nicht geeigneter Ausstattung, d. h. grober, nicht handchirur-
gischer Instrumente, Weiterführende Literatur
– ungünstiger OP-Bedingungen,
– Lokalanästhesie statt Regionalanästhesie, Berger A, Hierner R (Hrsg) (2002) Plastische Chirurgie, Band I: Grundlagen,
– Operation ohne Lupenbrille. Techniken, Prinzipien. Springer, Heidelberg
▬ Fehlerhafte Operationstechnik: Brug E, Grünert J, Langer M (1994) Verletzungen der Hand in: Brug E, Rieger
H, Strobel M (Hrsg) Ambulante Chirurgie. Deutscher Ärzte Verlag, Köln,
– unnötig großzügige Wundausschneidung,
S 75–98
– grobe Handhabung des Gewebes,
Dautel G (1977) Kleine digitale Substantzverluste. In: Merle M, Dautel G, Re-
– keine Schnitterweiterung im Fall von Identifikationsschwie- hart S (Hrsg) Chrirugie der Hand. Band1: Der Notfall. Thieme, Stuttgart,
rigkeiten wichtiger Strukturen, S 73–131
– falsch geführte Schnitterweiterung (Gefahren: Hautnekrose Fogdestam I (1981) A biomechanical study of healing rat skin incisions after
und/oder funktionseinschränkende Narbe), delayed closure. Surg Gynecol Obstet 153: 191–199
– falsches Nahtmaterial (zu dicke oder geflochtene Fäden, Fox JW 4th, Golden GT, Rodeheaver G, Edgerton MT, Edlich RF (1977) Nono-
grobe und zur Hautnaht nicht geeignete Nadel), perative management of fingertip pulp amputation by occlusive dres-
– handchirurgisch inkorrekte Nahttechnik wie: vom Wund- sings. Am J Surg 133(2): 255–256
rand weit gelegte Nähte, unnötige Rückstichnähte. Häufiger Friedrich PL (1898) Die aseptische Versorgung frischer Wunden unter Mitt-
heilung von Thier – Versuchen über die Auskeimungszeit von Infections-
Fehler ist die aus Vorsicht oberflächlich geführte Hautnaht,
erregern in frischen Wunden. Langenbecks Arch Chir 57: 288–310
welche die tiefe dermale Schicht nicht erfasst, sodass eine
Kwan P, Hori K, Ding J, Tredget EE (2009) Scar and contracture: Biological
unpräzise Adaptation mit der Gefahr der Wunddehiszenz principles. Hand Clin 25(4): 511–528
und breiter Narbenbildung entsteht. Lippert H (2006) Wundatlas. Kompendium der komplexen Wundbehandlung.
Thieme, Stuttgart
Mennen U, Wiese A (1993) Fingertip injuries management with semi-occlu-
4.3.3 Medikamentöse Therapie sive dressing. J Hand Surg Br 18(4): 416–422
Piatek S, Tautenhahn J (2006) Prinzipien der Operativen Wundbehandlung.
Häufiger Fehler ist die unnötige Antibiotikumgabe bei einfachen In: Lippert H (Hrsg) Wundatlas. Kompendium der komplexen Wundbe-
Handverletzungen. Bei kleinen nicht verschmutzten Wunden ohne handlung. Thieme, Stuttgart, S 50–54
Renner A, Santha E (1992) [Versorgung von Handverletzungen in Bildern]
Infektrisiko und bei sonst gesunden Patienten ist eine Antibioti-
Literatura Medica (ungarisch)
kumprophylaxe nicht erforderlich! Eine klare Indikation für die
Schmit-Neuerburg KP, Towfigh H, Letsch R (Hrsg) (2001) Tscherne Unfall-
Prophylaxe kann für die folgenden Fälle gegeben werden: chirurgie, Band VIII/2: Hand. Springer, Berlin
▬ verschmutzte offene Verletzungen der Hand, Schwemmle K, Linder R (1995) Prinzipien der primären und sekundären
▬ Tier- oder humane Bissverletzungen, Wundversorgung. Chirurg 66: 182–187
▬ Schussverletzungen mit erheblicher Gewebedestruktion (bei Tomasek JJ, Gabbiani G, Hinz B (2002) Myofibroblasts and mechano-regula-
Verletzungen mittels Kleinwaffen [Luftgewehr] konnte kein tion of connective Tissue Remodelling. Nat Rev Mol Cell Biol 3: 349–363
Vorteil der Prophylaxe nachgewiesen werden), Wild T, Auböck J (2007) Manual der Wundheilung. Chirurgisch-dermatologi-
▬ offene Frakturen, scher Leitfaden der modernen Wundbehandlung. Springer, Wien
▬ Eingriffe über 2 h OP-Zeit.

Patientenbedingte prädisponierende Infektionsrisiken mit statisti-


scher Signifikanz:
▬ ASA >3,
▬ Alter über 70 Jahre,
▬ Dialysepatienten,
▬ Diabetes mellitus,
▬ Immunsuppression,
▬ reduzierter Allgemeinzustand,
▬ Übergewicht,
▬ Mangelernährung,
▬ MRSA-Träger,
▬ Fieber/Schüttelfrost innerhalb einer Woche vor OP,
▬ Drogenabusus,
▬ Infektionen anderer Lokalisation,
▬ arterielle Mangeldurchblutung,
▬ periphere Ödeme,
▬ Lymphangitis,
▬ Neuropathie.
III

III Prinzipien und Techniken

5 Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen – 65


Hossein Towfigh

6 Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen – 101


Martin Langer, Carsten Surke, Britta Wieskötter

7 Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten – 139


Reinhold Stober

8 Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten – 155


Robert Hierner, Alfred Berger

9 Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten – 179


Hossein Towfigh, Lars Gerres, Robert Hierner

10 Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten – 201


Hossein Towfigh, Robert Hierner (Mit einem Beitrag von Erwin Waldemar Kollig)

11 Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich – 219


Stephan F. Schindele, Beat R. Simmen

12 Endoprothetik des Handgelenks – 233


Sebastian Kluge, Daniel Herren

13 Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand – 249


Gerhard Böhringer

14 Therapie der »steifen Hand« – 267


Peter Hahn, Frank Unglaub
5

Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen


Hossein Towfigh

5.1 Allgemeines – 66
5.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 66
5.1.2 Epidemiologie – 67
5.1.3 Ätiologie – 67
5.1.4 Diagnostik – 68
5.1.5 Indikation und Differenzialtherapie – 72
5.1.6 Therapie – 81
5.1.7 Besonderheiten im Wachstumsalter – 85
5.2 Spezielle Techniken – 85
5.2.1 Primäre Strecksehnennaht Zone 1 – 85
5.2.2 Reinsertion der Strecksehne Zone 1 – 86
5.2.3 Veraltete bzw. sekundäre Strecksehnennaht Zone 1 – 87
5.2.4 Primäre Strecksehnennaht Zone 2 – 88
5.2.5 Veraltete bzw. sekundäre Strecksehnennaht Zone 2 – 88
5.2.6 Primäre Strecksehnennaht Zone 3 – 88
5.2.7 Reinsertion der Strecksehne Zone 3 – 88
5.2.8 Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittelgelenk (Knopflochdeformität) – 89
5.2.9 Primäre Strecksehnennaht Zone 4 – 91
5.2.10 Primäre Strecksehnennaht Zone 5 im Fingerbereich – 91
5.2.11 Primäre Strecksehnennaht Zone 5 im Daumenbereich – 92
5.2.12 Rekonstruktion von veralteten Verletzungen über den Grundgelenken Zone 5 – 92
5.2.13 Primäre Strecksehnennaht Zone 6 – 93
5.2.14 Rekonstruktion von Defektzuständen der Strecksehne Zone 6 – 93
5.2.15 Extensor-indicis-proprius-Transfer für EPL – 93
5.2.16 Sehnentransfer am Handrücken – 95
5.2.17 Sehnentransplantation am Handrücken – 95
5.2.18 Primäre Strecksehnennaht Zone 7 – 95
5.2.19 Primäre Strecksehnennaht Zone 8 – 96
5.2.20 Technik der Spaltung des 1. Strecksehenfaches bei Tenovaginitis stenosans de Quervain – 96
5.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 97
Weiterführende Literatur – 98

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


66 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

5.1 Allgemeines

Für die Versorgung der Sehnen ist die Kenntnis der Anatomie
und der Physiologie unerlässlich. Als unabdingbare Vorausset-
zung bei allen Hand- und atraumatischen Operationen garantiert
diese einerseits eine schonende Versorgung und andererseits das
dafür notwendige Verständnis und Einfühlungsvermögen. Die
Physiologie der unterschiedlichen Gleitamplituden der Sehnen,
aber auch der Verlauf und das vorhandene Gleit- bzw. Schienen-
gewebe sowie die unterschiedliche Dicke der Sehnen und deren
differenzierte Anatomie sind charakteristisch für die Streck- und
5 Beugesehnen.
Die Strecksehnen können sich in bestimmten Zonen im Seh-
nenscheidenkanal durch Druck und Veränderung, traumatisch wie
degenerativ, schmerzhaft in der Gleitamplitude verkürzen.
Bei der Strecksehne ist aufgrund des bestehenden Connexus ⊡ Abb. 5.1 Blutversorgung der Sehne über die Vincula
intertendineus über dem Handrücken und an den Fingern eine Re-
traktion der Sehne nach proximal nur wenige Millimeter möglich.
Verletzungen der Sehnen sind relativ häufig. Lang andauernde dem Periost verlaufenden Seitenästen anastomosieren. Im Sehnen-
Arbeitsunfähigkeit, die auf eine derartige Verletzung folgt, kann scheidentunnel, wo die Vincula tendinei für die Ernährung der
für den Patienten, abgesehen von körperlicher und psychischer Sehnen verantwortlich sind, ist die Sehnenheilung entscheidend
Belastung, auch eine sozioökonomische Katastrophe bedeuten. Die davon abhängig, ob diese Gefäßverbindungen erhalten sind oder
Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach einer Sehnenverletzung ist z. B. ob bei unterbrochener Blutversorgung der nekrotische Sehnen-
mit einer Unterschenkelfraktur zu vergleichen. stumpf durch die reparativen Heilungsvorgänge aus dem Parate-
Die Erstversorgung ist von großer Bedeutung, da sie oft über non revaskularisiert werden muss.
den endgültigen Verlauf entscheidet. Während die tiefen Beu- Die Revaskularisation erfolgt dann durch die bindegewebigen,
gesehnen durch die oberflächlichen in Höhe der Grundphalanx kapillären Strukturen, die in die Sehnenscheide einwachsen und
hindurchtreten, weisen die Strecksehnen einen glatten und unge- dadurch jene Verbindung verursachen, die je nach Ausdehnung
hinderten Verlauf vom Ursprung bis zum Ansatz auf. der Adhäsion zur Blockierung der Sehne führt und ihre Gleitfähig-
Die unterschiedlichen Standpunkte bekannter Chirurgen ha- keit dauerhaft vermindert.
ben darüber hinaus in der Vergangenheit oft die Handlungsweise Dieser Revaskularisierungsmodus erklärt die unbefriedigenden
der wenig erfahrenen oder unerfahrenen Handchirurgen in ihrem Resultate der sekundären Beugesehnenplastik.
Fachgebiet erschwert, da eine Meinungsbildung durch geeignete Aus heutiger Sicht kann das Verfahren der sekundären Beu-
Literatur kaum möglich war. gesehnenplastik, das jahrzehntelang als Methode der Wahl galt,
Inzwischen konnten durch experimentelle Untersuchungen ex- aufgrund neuer Erkenntnisse über die Pathophysiologie der Seh-
akte und begründete Antworten auf die offenen Fragen gefunden nenheilung und durch die Entwicklung besserer Techniken nicht
werden, sodass derzeit bezüglich der Behandlung von Sehnenver- mehr befriedigen. Eine gewebsschonende, atraumatische Operati-
letzungen klare Standpunkte vertreten werden. onstechnik, die zur Vermeidung der Sehnennekrose und als Anreiz
Die Methode der Wahl für die Sehnenversorgung besteht heute für eine narbige Bindegewebswucherung von Bunnell (1921, 1922)
unbestritten in der primären sofortigen oder postprimären Wie- und Pulvertaft (1948) gefordert wurde, reicht für eine störungsfreie
derherstellung innerhalb von 14 Tagen. Sehnenheilung nicht aus.
Kleinert (1973) gibt eine funktionelle Nachbehandlung und
Frühmobilisation zur Entlastung der genähten Sehne durch eine
5.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und direkt postoperativ angelegte dynamische Schiene an. Diese Me-
Physiologie thode beruht auf dem antagonistischen Innervationsprinzip von
Beugung und Streckung des Unterarmes, wobei es bei Innervation
Anatomie und Gefäßversorgung des Antagonisten reflektorisch zur Erschlaffung des Agonisten
Es ist bereits durch experimentelle Untersuchungen bewiesen, dass kommt. Die Sehne selbst wird nicht durch den Zug beansprucht.
jede Sehne ein bestimmtes Gefäßsystem besitzt und eine messbare Die Methode der Kleinert-Sehnennaht und Technik der dyna-
metabolische Tätigkeit hat (Leistikow 1975; Towfigh 1983). mischen Übungen können an bestimmten Zonen (z. B. am Hand-
Potenza (1962) stellte durch genaue anatomische Studien fest, rücken) auch für die Strecksehnen angewandt werden.
dass die lockeren, mit Gefäßen durchsetzten Sehnengleitgewebe, Um die Sehnen findet sich ein stark vaskularisiertes Gleitge-
das Paratenon und das Mesotenon, für die Blutversorgung der webe (Paratenon). Das Paratenon dient der Gefäßversorgung und
Sehnen verantwortlich sind. Im Sehnenscheidentunnel wird die Auflösung der Reibungskräfte. Anatomisch ist die Sehnenscheide
Blutversorgung in erster Linie durch das Mesotendineum bzw. die aus 2 Lamellen aufgebaut, dem Epitenon, das direkt auf der Sehne
Vincula tendinum gewährleistet (⊡ Abb. 5.1). aufliegt, und dem Paratenon, das den fibrösen Kanal auskleidet.
Das Mesotenon schließt sich dem Epitenon an, welches die An Stellen, wo aus funktionellen Gründen eine Richtungsänderung
Sehnenoberfläche innerhalb der Sehnenscheide bedeckt. Die be- der Sehne notwendig wird, ermöglicht die Sehnenscheide das Glei-
sondere Anatomie der Blutversorgung, die durch die Sehnen- ten der Sehne durch den osteofibrösen Kanal.
durchtrennung unterbrochen wird, ist das Kernproblem der re- Um das Gleiten der Sehne in der Sehnenscheide möglichst
konstruktiven Sehnenchirurgie. Das Vinculum selbst erhält seine reibungslos zu gestalten, verläuft die Sehne in einem dünnen Film
Blutversorgung aus den palmaren Gefäßen, die mit kleineren, über von Synovialflüssigkeit.
5.1 · Allgemeines
67 5
> Die Sehne ist ein lebendes Gewebe mit metabolischer Tätig- führen. Diesen Strukturunterschieden muss bei der Strecksehnen-
keit und messbarer reparativer Aktivität. rekonstruktion und Nachbehandlung Rechnung getragen werden.
Für die Strecksehnennaht sind abhängig vom Durchmesser der
Die Wichtigkeit der vaskulären Versorgung ist seit Langem be- Verletzung der Sehne und dem Lokalbefund verschiedene Naht-
kannt und durch zahlreiche Untersuchungen belegt. Daher ist das techniken möglich.
bestmögliche atraumatische Vorgehen und Schonen der Vincula Während im Bereich der flachen Zonen (Zone 1–3) die U-Nähte
bei operativen Eingriffen unbedingt erforderlich (Lundborg 1977; ausreichend sind, werden bei Sehnen mit ovalem Durchschnitt im
Towfigh 1983). Bereich der Zone 4–5 die U-Naht oder auch die Kirschmeier-Naht
Die Kenntnis dieser anatomischen Besonderheit ist wesentlich, und in den Zonen 7–8 bei Sehnen mit rundem Querschnitt die
da die Versorgung zumindest in bestimmten Zonen entscheidend modifizierte Kirschmeier-Naht nach Zechner angewandt.
sein kann. Bei der Strecksehne ist aufgrund der bestehenden Con-
nexus intertendinei über dem Handrücken und an den Fingern eine
Retraktion der Sehne nach proximal nur wenige Millimeter möglich. 5.1.2 Epidemiologie

Sehnenheilung Aus Unfallverhütungsberichten der Bundesregierung und aus jähr-


Nach Untersuchungen von Leistikow (1975) und Bergljung (1968) lichen Statistiken der gesetzlichen Unfallversicherungsträger geht
kommt es bei der herkömmlichen Naht zu einer sekundären Seh- hervor, dass es sich bei fast der Hälfte aller Arbeitsunfälle um
nenheilung mit Verwachsungen zum Gleitlager, die in gewissem Handverletzungen handelt. Etwa 10% der Handverletzungen, die
Sinne obligater Bestandteil der Sehnennaht und daher praktisch in einer großen chirurgischen Klinik und Poliklinik versorgt wer-
unvermeidbar sind. den, sind so schwer, dass die Patienten stationär aufgenommen
Neuere Untersuchungen zeigen, dass eine verwachsungsfreie werden müssen. Insbesondere bei den sekundären Rekonstruk-
Sehnenheilung möglich ist. Die klinischen Ergebnisse untermau- tionsmaßnahmen ist eine stationäre Behandlung in vielen Fällen
ern die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen. unerlässlich, die Therapie langwierig und die Dauer der Arbeits-
Aufgrund der experimentellen Untersuchungen konnte nach- unfähigkeit beträchtlich. Durch den Umgang mit modernen Tech-
gewiesen werden, dass eine verwachsungsarme Sehnenheilung nur nologien, Werkzeugen und Maschinen ist trotz Schutzmaßnahmen
unter Beachtung einer größtmöglichen Gewebeschonung und An- insbesondere die Hand unfallgefährdet.
wendung einer Nahttechnik, welche die Blutzirkulation in den Seh-
> Die Hände bilden in den letzten Jahren mit über 40% den
nenstümpfen möglichst nicht beeinträchtigt, zu realisieren ist.
Hauptanteil an verletzten Körperteilen.
Anatomische Besonderheiten der Strecksehnen Strecksehnenverletzungen an der Hand kommen relativ häufig vor.
Im Bereich der Finger und des Daumens ist der Strecksehnenver- Der Grund liegt vor allem in der anatomisch-topografischen Lage
lauf insgesamt einheitlich. Im Bereich des Unterarms, des Hand- der Strecksehnenapparate. Zum einen werden sie von einem sehr
gelenks und des Handrückens dagegen können Besonderheiten dünnen Weichteilmantel, nämlich der Haut und dem Subkutange-
auftreten. So können mehrere Finger einen gemeinsamen Sehnen- webe, geschützt, zum anderen liegen sie unmittelbar auf einer har-
verlauf erhalten oder viele Strecksehnen mehrfach angelegt sein. ten Unterlage der Mittelhandknochen und Phalangen. Außerdem
Die Finger können neben ihrer eigenen Strecksehne zusätzliche besteht durch die hauptsächlich quer gefaserte oberflächliche Fas-
Strecksehnenteile von der Nachbarsehne erhalten. Aufgrund der zie der Strecksehnen bei Verletzungseinwirkung keine Möglichkeit
Connexus intertendinei ist eine Retraktion der Strecksehne nach des Ausweichens mehr.
proximal nur wenige Millimeter möglich. Einen besonderen Problemkreis bilden Handverletzungen, bei
Während der Verlauf der Beugesehne aus dem Bereich der An- denen auch Nerven und Sehnen betroffen sind. Insbesondere
sätze makroskopisch relativ gleich bleibend ist, ändern die Streck- verursachen hier die Sehnenverletzungen einen größeren funkti-
sehnen ihren Verlauf und ihre Form von proximal nach distal onellen Ausfall. Die Behandlungen führen nur unter Beachtung
sehr stark. Im Bereich des Unterarmes zeigen sie einen annähernd aller handchirurgischen Prinzipien und nur in der Hand eines
gleichen Querschnitt wie die Beugesehnen, sind rund und gut erfahrenen Handchirurgen zu guten Ergebnissen. Daraus leitet sich
durchblutet. Im Mittelhandbereich werden sie schlank und quer die Forderung ab – nicht zuletzt auch aus volkswirtschaftlichem
oval. In Höhe der Fingergrundgelenke sind sie über der Connexus Interesse –, dass die Rekonstruktion einer durchtrennten Beuge-
intertendinei aneinander gekoppelt, werden flach wie eine Apo- und Strecksehne ausschließlich einem erfahrenen Handchirurgen
neurose der Muskulatur. Im Fingergrundgliedbereich strahlen die überlassen werden sollte.
Strecksehnen der intrinsischen Muskulatur fächerförmig in den
Tractus intermedius ein, der dann dorsal an der Basis des Mittel-
gliedes ansetzt. Die Strecksehnen ziehen dann als Tractus lateralis 5.1.3 Ätiologie
gemeinsam mit Faserzügen der Muskuli interossei und lumbricalis
radial und ulnar weiter nach distal, um schließlich an der dorsalen Die Gründe für die relativ häufigen Verletzungen der Strecksehnen
Seite der Endgliedbasis zu inserieren. sind vielfältig; sie kommen vor allem durch Schnitt-, Riss- und
Die Sehnendurchblutung nimmt demnach von proximal nach Stichverletzungen zustande. Bei schweren Kreissägen- und Fräs-
distal entsprechend des Querschnittes kontinuierlich ab. maschinenverletzungen ist die Beteiligung der Strecksehnen und
Durch die anatomische Gegebenheit ändert sich ebenso auch gar der darunter liegenden knöchernen und Gelenkanteile nicht
die Gleitamplitude der Strecksehne. Während im Bereich des Un- selten. Die geschlossenen Rupturen, die vor allem durch stumpfe
terarmes eine Gleitamplitude von 40 mm gegeben ist, verringert Gewalteinwirkungen und indirekte Traumen zustande kommen,
sich diese bis zu ihrem Ansatz am Endglied auf 1 mm. bieten in der Regel keine diagnostischen Schwierigkeiten. Bei
Daher kann schon eine minimale Verkürzung oder Verlänge- den subkutanen Sehnenrupturen muss besonders die traumatische
rung der Strecksehne im distalen Verlauf zu Funktionsstörungen Ruptur von einer pathologischen gedeckten Strecksehnendurch-
68 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

trennung, nämlich einer spontanen Ruptur, unterschieden werden. rückens, aber auch der Tabatière und der Grundgelenke, palpato-
Die traumatischen Rupturen der Extensoren sind wesentlich häu- risch getastet und so bei der Innervation die aktive Spannung der
figer als die der Flexoren. Die am häufigsten auftretenden Exten- Sehne überprüft werden.
sorenrupturen finden sich im Bereich der Endphalanx und über Funktionell wichtige Sehnen führen bei Verletzung zu charak-
dem Mittelgelenk, aber auch Rupturen der Seitenzügel in Höhe teristischen Veränderungen der Ruhestellung in den betreffenden
des Grundgelenks und dadurch bedingte Luxationen der Extenso- Hand- und Fingergelenken. Für die Beurteilung der Funktion
ren sind bekannt. Außerdem sind Rupturen des Extensor pollicis der Streckaponeurose am Finger muss die Beweglichkeit des Fin-
longus in Höhe des Tuberculum Lister und Abrisse am Muskel- gers im Mittelgelenk bei gestrecktem und gebeugtem Grundgelenk
Sehnen-Übergang bekannt. Die Behandlungstaktik bei verschie- überprüft werden. So wird eine Behinderung der Beugung in den
denen Lokalisationen beinhaltet eine besondere Schwierigkeit und Mittelgelenken bei gestreckten Grundgelenken eher für eine Hand-
unterschiedliche Indikationen. binnenmuskelkontraktur sprechen.
5 Rupturen der Extensor-pollicis-longus-Sehnen (EPL) sind eine
sehr häufige Komplikation nach einer distalen Radiusfraktur. Es
Die Untersuchung der Strecksehnen ist einfach und kann mit
einigen spezifischen Tests exakt durchgeführt werden.
werden traumatische und nicht traumatische Ursachen der häufi- Die Prüfung umfasst:
gen Sehnenläsionen angenommen. Hinsichtlich der Pathogenese ▬ Inspektion,
werden eine mechanische und eine vaskuläre Chirurgie diskutiert, ▬ Palpation und
wobei es durch mechanische Arrosion oder durch Störung der ▬ Funktionsprüfung (jeweils im Vergleich mit der Gegenseite).
Durchblutung zur Ruptur der Sehne kommt.
Folgende Ursachen können als gedeckte Ruptur der Sehnen Bei Synergisten ist die Diagnose schwieriger, so z. B. bei der Funk-
festgehalten werden: tionsprüfung des Extensor carpi radialis longus oder des Extensor
1. Traumatische Ruptur und Durchtrennung. indicis, wo eine Restfunktion immer noch vom Synergisten auf-
2. Subkutane Ruptur nach indirektem Trauma wie z. B. EPL- rechterhalten werden kann. Eine Abgrenzung ist dann durch den
Ruptur nach distaler Radiusfraktur und die Ruptur infolge Vergleich der Kraft mit der Gegenseite durchzuführen.
mechanischen Scheuerns der Sehne am Osteosynthesematerial Im Bereich des distalen Unterarmes haben die Strecksehnen
(wie Platten und Schrauben). eine große Gleitamplitude (55 mm) und eine starke Muskelspan-
3. Subkutane Ruptur als Folge chronischer Mikrotraumata bei nung. Bei Durchtrennungen dort kommt es zu einer starken Re-
speziellen Berufen und Sportarten, wie Trommlerlähmung. traktion des proximalen Sehnenstumpfes, es ist also für die Ope-
4. Subkutane Ruptur bei Grundkrankheiten wie rheumatische ration eine großzügige Inzision vonnöten, über die der Patient auf-
Erkrankungen oder Tumoren. Bei den distalen Radiusfrakturen geklärt werden muss. Diese Sehnendurchtrennungen im Bereich
wird häufiger die Ruptur der EPL-Sehne nach nicht dislozierter des distalen Anteiles der Streckersehnen sind primär optimal zu
als nach dislozierter Radiusfraktur beobachtet. Diese Rupturen versorgen, sekundär sind meist nur Brückentransplantate möglich.
werden mit einem Hämatom in der Sehnenscheide, welches Deshalb ist eine exakte Untersuchung dort besonders wichtig.
durch eine Drucksteigerung die Blutzufuhr zur Sehne behin- Im Bereich des Handgelenks finden sich unter dem Retinacu-
dert und somit infolge von Ernährungsstörungen und Nekrose lum extensorum 6 Streckersehnenfächer (⊡ Abb. 5.2), die in ihnen
zur Ruptur führt, erklärt. Eine Blutung bei frischer distaler verlaufenden Sehnen müssen einzeln geprüft werden.
Radiusfraktur, ein Hämatom in der Strecksehnenscheide der
Extensor-pollicis-longus-Sehne sowie ein Abriss des Mesote- 1. Streckersehnenfach
nons bei noch gesund aussehnender Sehne wird festgestellt. Abduktor pollicis longus (APL)
Bei der mechanischen Theorie als Ursache der EPL-Ruptur- Ansatz an der Basis dorsal Mittelhandknochen I.
Radiusfraktur wird eine durchscheuernde Sehne am distalen
Rand des Retinaculum extensorum, an der dorsalen distalen Extensor pollicis brevis (EPB)
Radiuskante oder an der Austrittstelle aus dem Sehnenfach, Ansatz an der Basis dorsal Daumengrundglied.
wo die Sehne in einem Winkel von etwa 40° weiter zum Die beiden Sehnen bilden die palmare Begrenzung der sog.
Daumen zieht, diskutiert. Weiterhin werden in neuester Zeit Tabatière.
durch nicht fachgerecht eingebrachte winkelstabile palmare
Plattenosteosynthesen auch Strecksehnenverletzungen in allen Test. Daumen in der Hohlhandebene abspreizen (⊡ Abb. 5.3).
Strecksehnenfächern am distalen Radius und am Handgelenk
beobachtet, die allesamt als eher iatrogene und intraoperative 2. Streckersehnenfach
Komplikation bei Einbringen der längeren Schrauben gewertet Extensor carpi radialis longus (ECRL)
werden müssen. Auch eine zu nah an die palmare oder dorsale Ansatz an der Basis Mittelhandknochen 2.
Radiuslippe angebrachte Platte kann die Sehnen durchscheu-
ern, verletzen und schließlich eine Ruptur herbeiführen. Extensor carpi radialis brevis (ECRB)
Ansatz an der Basis Mittelhandknochen 3.

5.1.4 Diagnostik Test. Die geschlossene Faust locker auf der Unterlage auflegen und
den Patienten auffordern, im Handgelenk zu strecken (⊡ Abb. 5.4).
Die Anamnese, Art und Lokalisation der Wunde oder der angege-
benen Beschwerden sowie das Funktionsverhalten der Hand und 3. Streckersehnenfach
der Finger können bereits Aufschlüsse über die Art der Verletzung Extensor pollicis longus (EPL)
geben. Die Diagnose sollte präoperativ aufgrund von Inspektion, Ansatz an der Basis des Daumenendgliedes.
Palpation und Funktionsbefund gestellt werden. Der Sehnenverlauf Es handelt sich dabei um ein sehr langes Sehnenfach mit relativ
kann vor allem im Bereich des distalen Unterarmes und des Hand- schlechter Durchblutung, daher treten Spätrupturen, z. B. nach
5.1 · Allgemeines
69 5
M. interosseus dorsalis 1 M. extensor carpi radialis longus
M. extensor Sehne des M. extensor indicis
pollicis longus
M. extensor
pollicis brevis

Connexus
intertendinei

Retinaculum
extensorum ⊡ Abb. 5.3 Muskeltestung M. abductor pollicis longus: Der Muskel spreizt
1 4 5 6
2 3

M. extensor
carpi ulnaris
M. extensor
digiti minimi
a
M. abductor M. extensor digitorum
pollicis longus M. extensor pollicis longus
M. extensor M. extensor carpi radialis brevis
pollicis brevis
M. extensor carpi radialis longus

M. abductor
pollicis longus
M. extensor
pollicis brevis

⊡ Abb. 5.4 Muskeltestung Mm. Extensores carpi radialis longus et brevis:


Mit geschlossener Faust im Handgelenk strecken

Radius
Ulna Radiusfraktur, auf. Deshalb soll nach Möglichkeit routinemäßig
1 bei Radiusfrakturen die EPL-Funktion geprüft werden (Schaden-
2 6
4
ersatzprozesse).
3 5

Test. Flache Hand auf der Unterlage auflegen und den Patienten
auffordern, den Daumen nach dorsal über die Hohlhandebenen
b abzuheben. (⊡ Abb. 5.5)

4. Streckersehnenfach
M. extensor M. extensor Extensor digitorum communis (EDC)
carpi radialis longus carpi ulnaris Grundgelenkstreckfunktion.
M. extensor M. extensor digitorum M. extensor
carpi radialis brevis et M. extensor indicis digiti minimi
M. extensor pollicis longus
Extensor indicis (EI): Zusatzstrecker des Zeigefingers
Test. EDC: Bei mittlerer Beugung der Grund- und Mittelgelenke
⊡ Abb. 5.2 Topografie und Verlauf der Strecksehnen. a Ansicht von dorsal, Aufforderung, die Grundgelenke zu überstrecken (⊡ Abb. 5.6)
b Querschnitt: Die Strecksehnen ziehen mit kurzen Sehnenscheiden in 6 Fä- EI: Isolierte Zeigefingerstreckung bei gebeugten Fingern
chern unter dem Retinaculum extensorum hindurch (⊡ Abb. 5.7).
70 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

⊡ Abb. 5.5 Muskeltestung Mm. Extensores pollicis longus et brevis: Daumen


bei flach aufgelegter Hand über die Hohlhandebene abheben

⊡ Abb. 5.8 Muskeltestung M. Extensor digitorum minimi: Isolierte Streckung


des V. Fingers bei gebeugten übrigen Fingern

⊡ Abb. 5.6 Muskeltestung M. Extensor digitorum communis: Überstreckung 6. Streckersehnenfach


der Grundgelenke im Fingerbereich Extensor carpi ulnaris (ECU)
Ansatz an der Basis Mittelhandknochen V.

Test. Bei Aufliegen der Hand Ulnaduktion und Abheben von der
Unterlage (Extension) (⊡ Abb. 5.9).

Handrücken
Test. Klinisch wichtig ist festzustellen, ob die Durchtrennung pro-
ximal oder distal der Connexus intertendinei stattgefunden hat.
Proximal der Connexus führt die Durchtrennung nur zu einem
Teilausfall, da eine Kompensation erfolgen kann. Die Durchtren-
nung der Strecksehne distal der Connexus führt zu vollem Ausfall
der Streckung.
Ein sicherer spezifischer Test ist in dieser Region nicht be-
kannt.

Grundgelenke
Die Durchtrennung des M. Extensor digitorum communis (EDC)
führt nur am 3. und 4. Finger zum Streckausfall. Bei einem totalen
Ausfall aller Strecker müsste auch noch der Extensor indicis und
der Extensor digiti minimi durchtrennt sein. Da es sich im Grund-
gelenkbereich bereits um breite Sehnenplatten handelt, besteht die
Gefahr, dass anfänglich bei einer Teildurchtrennung noch eine
Kompensation erfolgt, die jedoch später zu einem Streckdefizit
führen kann. Bei Verdacht Klärung durch subtile chirurgische
Wundrevision.
⊡ Abb. 5.7 Muskeltestung M. Extensor indicis proprius: Isolierte Zeigefinger-
streckung bei gebeugten übrigen Fingern Grundgliedbereich
Im Bereich der Grundglieder bilden die Strecksehnen ein Halbrohr
um das Gelenk, sodass meist nur eine Teildurchtrennung dieses
5. Streckersehnenfach Halbrohres vorliegt und die Diagnostik schwierig ist.
Extensor digiti minimi (EDM) Ein spezieller Test ist nicht bekannt. Die anfängliche Sympto-
Ansatz Streckeraponeurose im Grundgelenk V. matik kann gering ausgeprägt sein. Da in diesem Bereich der Gleit-
weg jedoch mit ungefähr 15 mm schon relativ kurz ist, müssen
Test. Finger zur Faust, isolierte Streckung des Kleinfingers. Die auch Teildurchtrennungen operativ versorgt werden, da sonst doch
Sehnen Extensor indicis und Extensor digiti minimi können auch in erhebliche sekundär eintretende Streckausfälle resultieren können.
der Weise geprüft werden, dass bei gebeugtem Mittel- und Ringfin- Ähnliches Verhalten wie bei den Fingergrundgelenken ist am Dau-
ger die Zeigefinger und Kleinfinger gestreckt werden (⊡ Abb. 5.8). mengrundglied angebracht.
5.1 · Allgemeines
71 5
Mittelgelenke
In diesem Bereich ist die Funktionsprüfung schwierig und proble-
matisch. Bei Kenntnis der Anatomie ist evident, dass bei Teildurch-
trennungen durch die noch erhaltenen Seitenzügel anfänglich die
Streckung noch nahezu vollständig erhalten sein kann. Bei völliger
Durchtrennung des Tractus intermedius kommt es zunächst zu
einer Streckerschwäche und nach Abgleiten des Seitenzügels nach
lateral zu einer Knopflochdeformität.

Tischkantentest. Die Mittelhand wird bis zum Mittelgelenk


an der Tischkante gehalten. Bei Streckung im Grundgelenk und
Grundglied kann der Finger bei unverletzter Sehne voll im Mittel-
gelenk gestreckt werden.
> Auch eine geringe Streckerschwäche im Mittelgelenkbereich
muss den Verdacht auf eine Teilruptur lenken, die sekundär
zur vollständigen Knopflochdeformität führen kann. Diese ist
sekundär schwieriger operativ zu behandeln.

Endgelenkbereich
Strecksehnenrupturen im Bereich des Endgelenks sind klinisch
meist eindeutig zu diagnostizieren. Bei der Aufforderung, das End-
⊡ Abb. 5.9 Muskeltestung Mm. Extensores carpi ulnaris: Bei Aufliegen der gelenk zu strecken, verbleibt ein Streckdefizit von 10–50°, das einer
Hand Ulnaduktion und Abheben von der Unterlage (Extension) konservativen Behandlung zugeführt werden soll.

a b c

⊡ Abb. 5.10 Strecksehnenaponeurose im Fingerbereich. a Ansicht des Strecksehnenapparates von dorsal, b Zusammensetzung des Strecksehenapparates
(hell »extrinsic system«, dunkel »intrinsic system«), Ansicht von dorsal, c Zusammensetzung des Strecksehenapparates (hell »extrinsic system«, dunkel »intrinsic
system«), Ansicht von lateral. (Aus Weinberg et al. 2006)
72 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

Geschlossene Verletzungen der Strecksehne über dem Endge- xus intertendinei mit in den Bereich des Handrückenabschnitts
lenk sind die häufigsten Sehnenverletzungen in dieser Lokalisa- einbezogen wurde.
tion (Mallet-Finger). Sie weisen häufig eine knöcherne Beteiligung Die Bereiche über dem Gelenk mit ungeraden Zahlen bilden
auf. Bei kompletter Ruptur und Mitverletzung der Landsmeer- immer ernstere und problematische Anteile, während dazwischen
Ligamente, die feine seitliche Faserzügel an der Streckaponeurose liegende Zonen mit geraden Zahlen prognostisch günstiger sind.
bilden, steht das Endglied des Fingers in voller Beugung (Ham- Während im eigentlichen Fingerbereich die Strecksehnen gleich-
merfinger), wobei eine aktive Streckung nicht mehr möglich ist mäßig und uniform verlaufen, findet sich am Handrücken eine
(⊡ Abb. 5.10). Bleiben die Landsmeer-Ligamente erhalten, so ist große Variationsform. Gemeinsame Sehnenverläufe mehrerer Fin-
das Streckdefizit deutlich geringer. Bei allen Strecksehnenverlet- ger, mehrfach angelegte Strecksehnen und unterschiedliche Ver-
zungen in dieser Zone sollte immer eine Röntgenaufnahme in bindungen der Strecksehnen miteinander sind keine Seltenheit.
2 Ebenen, evtl. in Vergrößerungstechnik, durchgeführt werden. In Höhe des Handgelenks verlaufen die Strecksehnen mit Seh-
5 Damit kann eine mögliche knöcherne Verletzung aufgedeckt wer-
den, deren Lokalisation für die eingeschlagene Therapie entschei-
nenscheide umgeben in Sehnenfächern unter dem Retinaculum
extensorum (⊡ Abb. 5.2, ⊡ Abb. 5.11).
dend sein kann. Die Aufgabe der geordneten Zugführung durch Strecksehnen
Die Verletzung wird häufig bei Sportlern nach Aufprall ei- vom Unterarm zum Handrücken wird vom Retinakulum exten-
nes Balles oder Anstoßen an einen harten Gegenstand oder eine sorum übernommen. Das Retinakulum stellt einen verstärkten
Wand festgestellt. Der gegenteilige Mechanismus, bei dem das Anteil der Unterarmfaszie dar und geht kontinuierlich in die Fascia
Endglied zum Zeitpunkt der Verletzung nach dorsal ausweicht, dorsalis manus über. Es entstehen so 6 Osteofibrosekanäle, die
kann zu einer Meißelfraktur am Endglied führen (Busch-Fraktur). den Strecksehnenverlauf sichern und einen »Bogensehneneffekt«
Die Strecksehnenruptur bzw. der offene Riss am Endglied wird in wie auch eine abnormale radiale oder ulnare Sehnenverlagerung
der Literatur auch als Hammerfinger, Mallet-Finger oder Baseball- verhindern.
Finger bezeichnet. Klinische Bedeutung können insbesondere das 1. und das
Bevorzugt sind die 3 ulnaren Finger betroffen, während der 3. Strecksehnenfach bekommen. Eine entzündliche Schwellung
Daumen nur selten betroffen ist. des Sehnengleitgewebes mit nachfolgender bindegewebiger Ver-
dickung und Einengung des 1. Sehnenfaches führt zur Krankheit
Zoneneinteilung der Strecksehnen der Tendovaginitis stenosans de Quervain. Rupturen der Sehne
Die Strecksehnen zeigen im gesamten Verlauf einen sehr diffe- des Muskulus extensor pollicis longus (im 3. Strecksehnenfach) auf
renzierten Aufbau mit charakteristischen Funktionsmerkmalen. Höhe des umlenkenden Listertuberkels kommen bei Polyarthritis
Ihr Ausfall nach einer Strecksehnenverletzung führt dann zu ent- und distalen Radiusfrakturen vor.
sprechenden typischen Funktionsausfällen. Es ist deshalb sowohl Der sehnenscheidenfreie Mittelhandabschnitt der Strecksehne
aus funktionellen wie auch therapeutischen Gründen zweckmä- sind die variablen Connexus intertendinei. Diese führen funkti-
ßig, ähnlich wie bei den Beugesehnen auch die Strecksehnen in onell die Stabilisierung der Finger bei der Streckung. Neben den
verschiedene Zonen einzuteilen. Es existieren zwei verschiedene extrinsischen Strecksehnen, nämlich Extensor digitorum, Extensor
Zoneneinteilungen. An dieser Stelle wurde einfachheitshalber die indicis und Extensor digiti minimi, die einen direkten Einfluss auf
Zoneneinteilung nach Verdan (1966) ausgewählt. Er unterscheidet den Tractus intermedius und die dorsale Aponeurose haben, funk-
von distal nach proximal 8 Zonen, wobei der Bereich der Conne- tionieren die intrinsischen Sehnen, nämlich Muskuli lumbricalis
und Musk. Interossei, sowie die retinakulären Bänder als Zusatz-
einrichtung.

5.1.5 Indikation und Differenzialtherapie

Strecksehnenverletzungen und -defekte


Die Indikation zur Strecksehnennaht besteht, wenn eine funkti-
onell wichtige Sehne verletzt ist. Dabei müssen das Ausmaß der
Verletzung, das Alter des Patienten und das Ausmaß der Funkti-
onseinbuße berücksichtigt werden. Daher ist bei einer Verletzung
der Strecksehne am Handgelenk eines älteren Patienten, die nur
eine geringe Krafteinbuße am Handgelenk bedeutet, nicht unbe-
dingt ein operativer Eingriff angezeigt. Andererseits ist bei Teilrup-
tur einer funktionell wichtigen Sehne, die u. U. die Gefahr einer
späteren Ruptur in sich birgt oder gar Funktionsminderungen ver-
ursacht, unbedingt eine operative Wiederherstellung einzuleiten.
Eine primäre Naht ist nur dann indiziert, wenn nach Strecksehnen-
versorgung ein spannungsloser Wundverschluss möglich ist. Bei
bestehenden Begleitverletzungen können, falls kein Substanzdefekt
besteht, nach Versorgung der Begleitverletzungen (an Knochen,
Gefäßen oder Nerven) immer auch die Strecksehnen versorgt wer-
⊡ Abb. 5.11 Die topografischen den. Die Lokalisation einer Strecksehnenverletzung ist weniger für
Zoneneinteilungen der Extensoren die Indikation zur Operation als vielmehr für die Wahl des Ope-
nach Verdan (1966). (Aus Schmit- rationsverfahrens und die Frage der Immobilisation von großer
Neuerburg 2001) Bedeutung. Bei stark kontaminierten offenen Verletzungen ist eine
5.1 · Allgemeines
73 5
spätprimäre Versorgung angezeigt, wobei die Wunde primär adap- plastische Operationen primär gedeckt werden muss, kann auch
tierend versorgt und die Wundheilung abgewartet werden kann. die Strecksehne primär versorgt werden.
Bei geschlossenen Strecksehnenverletzungen kann die Indika- Die vorhandenen Frakturen müssen vor der Strecksehnennaht
tion zur erforderlichen Operation entsprechend geplant und unter stabilisiert werden, sodass auch gleichzeitig nach Stabilisierung der
optimalen Verhältnissen – sowohl in Bezug auf den Patienten als Frakturen die Versorgung der Strecksehnen erfolgen kann. Je sta-
auch auf den Operateur – vereinbart werden. biler die Osteosynthese durchgeführt wird, umso leichter kann mit
Die Gleitamplituden der Strecksehnen sind je nach Zonen stark der krankengymnastischen Übungsbehandlung begonnen werden.
unterschiedlich. Die Gleitamplitude und das Gleitvermögen der Bei größeren Knochendefekten empfiehlt sich zunächst, die über-
Strecksehne nehmen von proximal nach distal ab. Im Handrücken- brückende Knochentransplantation mit einer stabilen Osteosyn-
und Handgelenkbereich können dadurch die Sehnendefekte von these durchzuführen und sofort oder kurz danach die Strecksehne
maximal 6–10 mm durchaus noch durch eine End-zu-End-Naht durch eine direkte Naht oder ein Transplantat wiederherzustellen,
versorgt werden, während im Bereich des Endgelenks schon bei zumal die Sehnengleitgewebe bei so schweren Verletzungen be-
einem sehr geringen Substanzverlust mit einer Beeinträchtigung reits zerstört sind. Während für die Beugesehne bei der primären
der Flexion gerechnet werden muss. Versorgung eine allgemeine Sehnennaht als Technik angegeben
Grundsätzlich werden alle offenen Verletzungen primär ver- werden kann, wird bei der Strecksehne aufgrund der anatomischen
sorgt. Wenn jedoch eine optimale Versorgung aufgrund besonderer Struktur und unterschiedlicher funktioneller Zusammensetzung
personeller und äußerer Umstände nicht sofort durchgeführt wer- der Intrinsic- und Extrinsic-Systeme je nach Zone eine bestimmte
den kann, empfiehlt es sich, den Patienten nach Wundreinigung therapeutische Vorgehensweise notwendig (⊡ Abb. 5.11, ⊡ Abb. 5.12,
und adaptierenden Hautnähten in eine entsprechende, mit hand- ⊡ Abb. 5.13).
chirurgischen Verletzungen vertraute Abteilung zu verlegen. Eine Bei gedeckter oder geschlossener Ruptur der Strecksehnen be-
Primärnaht wird dann nicht mehr möglich sein, wenn es durch ein steht kein Grund für ein sofortiges operatives Eingreifen. Geschlos-
massives Trauma zu einem Substanzverlust oder schwerem Weich- sene Rupturen, die vor allem von Unfällen herrühren oder auch
teildécollement gekommen ist und daher eine primäre Wundhei- auf der Basis arthrotischer Veränderungen der Gelenke entstehen,
lung zweifelhaft erscheint oder u. U. ein Hautdefekt erwartet wird. müssen operativ versorgt werden. Nicht selten wird nach einer
Falls der Weichteilverlust durch Verschiebelappenplastiken oder distalen Radiusfraktur, die konservativ oder auch operativ behan-

⊡ Abb. 5.12 Einteilung von Sehnenrupturen


der Zone 1. a Typ 1: Sehnenruptur distal der
Einstrahlung des Landsmeer-Bandes Streckde-
fizit 30°, b Typ 2: Sehnenruptur proximal der
Einstrahlung des Landsmeer-Bandes Streckdefi-
zit >45°, zunehmende Schwanenhalsdeformität,
c Typ 3: kleiner knöcherner Abriss, d Typ 4: gro-
ßer knöcherner Abriss mit Luxation des Endge-
a b c d lenks nach palmar. (Aus Weinberg et al. 2006)

I II

⊡ Abb. 5.13 Einteilung der Strecksehnenver-


letzungen am Endgelenk nach Suckert (1987).
III IV (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
74 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

delt worden ist, sekundär eine Strecksehnenruptur des Daumens nenenden ein Sehnenregenerat. Da dieses jedoch zu lang ist, ist
festgestellt. Dies kann einmal durch Reibung der Sehne an scharfen eine ausreichend aktive Streckung im Endgelenk nicht möglich.
Knochenkanten geschehen, zum anderen kann die Reibung der Zur Therapie werden verschiedene sekundäre Rekonstruktions-
Sehne am Osteosynthesematerial zur Ruptur führen. möglichkeiten angeboten.
Bei geschlossenen, aber auch bei offenen Läsionen hängt der Bei fehlender Rekonstruktion der Strecksehne in diesem Be-
Zeitpunkt der chirurgischen Therapie vom Ausmaß der Verletzung reich kommt es in der Folge nicht selten zur Ausbildung einer
und Begleitverletzung ab. Falls keine primäre Versorgung erfolgt, Schwanenhalsdeformität (⊡ Abb. 5.14), weil es zu einer Dysbalance
kann es im Laufe der Zeit zu einer Degeneration und Schrumpfung der Kraftübertragung der intrinsischen und extrinsischen Mus-
der verletzten Bänder und der Sehnen sowie zu einem zunehmenden kelsysteme kommt. Sie stellt sich dar als funktionelle oder fixierte
Verlust der Gleitamplitude infolge der Muskelinaktivität kommen, Hyperextension des proximalen und Flexionsstellung des distalen
sodass eine spätere Versorgung immer mit Funktionseinbußen und Interphalangealgelenks.
5 eventuellen intraoperativen Problemen verbunden ist. Aus diesem
Grunde ist bei feststehender Diagnose eine Therapie notwendig. Je
Wenn es zu einer solchen Schwanenhalsdeformität gekommen
ist, muss nach operativer Strecksehnenrekonstruktion am Endge-
früher die konservative oder die operative Therapie angesetzt wird, lenk ggf. über einen separaten palmaren Zugang das PIP-Gelenk
desto größer wird die Chance auf ein gutes Ergebnis sein. gesondert angegangen werden. Hierbei wird die palmare Platte
gerafft oder eine Tenodesenoperation durchgeführt, um das PIP-
Verletzungen über dem Endglied – Zone 1 Gelenk in eine leichte Palmarflexion von 15° zu bringen.
Für die Strecksehenverletzungen im Endgliedbereich bestehen
mehrere Klassifikationen (⊡ Abb. 5.12, ⊡ Abb. 5.13). Verletzungen über dem Mittelglied – Zone 2
Die Versorgung von Typ 1 und 2 erfolgt mit der Stack-Schiene. Die Verletzungen über dem Mittelglied entsprechen im Wesentli-
Die Versorgung von Typ 3 und 4 erfolgt ausschließlich operativ. chen denen am Endgelenk. Bei Durchtrennung eines Seitenzügels
Bei schweren offenen Traumen im Bereich des Endgliedes bleibt die Streckfähigkeit des Endgliedes z. T. erhalten. Die Ver-
kann es auch zu Strecksehnenverlusten kommen, die nicht sel- sorgung erfolgt durch Einzelknopfnähte. Defektüberbrückungen
ten eine knöcherne Verletzung als Begleitschaden aufweisen. Hier durch Transplantate bringen aufgrund der Zerstörung der Seh-
kann ein kleines Sehnentransplantat die defekte Zone der Sehne nengleitlager, z. B. bei Hobel- oder Kreissägenverletzungen nicht
überbrücken. Allerdings muss aufgrund der Zerstörung des Seh- immer den gewünschten Erfolg. Ein Versuch der Wiederherstel-
nengleitlagers und (relativ) mangelhafter Durchblutung in dieser lung bei fehlender Arthrose ist jedoch angezeigt und gerechtfertigt.
Region mit weniger guten Ergebnissen gerechnet werden. Aus die- Endgelenkarthrodese ist bei langstreckigem Verlust der Streck-
sem Grund empfiehlt es sich, diesen Eingriff als Sekundäreingriff sehne angezeigt (⊡ Abb. 5.15).
nach glatter Wundheilung anzuschließen.
Bei größeren Defekten und Substanzverlust im Endgliedbe- Verletzungen über dem Mittelgelenk – Zone 3
reich empfiehlt es sich jedoch, eine Arthrodese des Endgelenks Finger
durchzuführen, wobei je nach Beruf und Geschlecht die beste Die Streckaponeurose ist über dem Mittelgelenk sehr kompliziert
funktionelle und kosmetische Stellung des Endgliedes zwischen 0 und setzt sich aus dem Endstück des Tractus intermedius, aus
und 20° ausgewählt werden sollte. den beiden Seitenzügeln der Mm. interossei und des Lumbricalis
sowie aus den Fasern, die ein fein verzweigtes Netz zwischen die-
Hammerfinger (»Mallet-«, »Baseball-« und »Drop-finger«) sen Elementen spannen (⊡ Abb. 5.10), zusammen. Die Landsmeer-
Sind Strecksehnenläsionen am Endgelenk nicht oder insuffizient Ligamente setzen vor allem am vorderen Rand der Seitenzügel an,
behandelt worden, bildet sich zwischen den rupturierten Seh- sodass bei Unterbrechung der Verbindung mit dem Mittelzügel das

⊡ Abb. 5.14 Ausbildung einer sekundären Schwanenhalsdeformität bei in-


suffizienter Strecksehnenfunktion im Endgliedbereich. a Ausgangsbefund mit
insuffizienter Strecksehnenfunktion. b Durch eine Dysbalance der Kraftüber-
tragung der intrinsischen und extrinsischen Muskelsysteme kommt es zu einer
funktionellen oder fixierten Hyperextension des proximalen und Flexionsstel-
lung des distalen Interphalangealgelenks. (Aus Berger u. Hierner 2009) ⊡ Abb. 5.15 Offene Verletzung der Strecksehnen Zone II und III
5.1 · Allgemeines
75 5
Ligament, das das Mittelglied nach vorne heranzieht, fehlt. Daher Zerreißung der Verbindungsfasern zu den Seitenzügeln, die dann
kommt es zu einer Beugestellung im Mittelgelenk. Das ist vor allem seitlich bis unterhalb der Mittelgelenke abgleiten und auf diese
der Fall, wenn der Pars triangularis, der das Landsmeer-Ligament Weise beim Versuch der Streckung im Mittelgelenk zur Beugung
mit dem Tractus intermedius verbindet, verletzt ist. Bei Durchtren- im Mittelgelenk und zur Überstreckung im Endgelenk führen. Mit
nung der gesamten Breite der Sehne mit der Gelenkkapsel bleibt zunehmendem Alter der Verletzung kommt es zu einer Kontraktur
der Finger in Beugestellung und kann nicht voll gestreckt werden. im Bereich der Seitenbänder und der palmaren Gelenkkapsel-
Viel häufiger ist jedoch die partielle Durchtrennung, bei der ledig- abschnitte sowie einer Fixierung und Schrumpfung des Tractus
lich ein Seitenzügel durchtrennt ist. Diese Verletzung wird leicht lateralis, sodass eine operative Versorgung erschwert ist. Etwa 20%
übersehen, da die Funktion durch die anderen Elemente erhalten aller Strecksehnenverletzungen betreffen die Region des Mittelge-
bleibt, bzw. vorübergehend kompensiert werden kann. Der mitt- lenks, wobei der 2. und 3. Strahl häufiger als der 4. und 5. Finger
lere Anteil bzw. der Tractus intermedius, bei dem es sich um die betroffen sind. Die absolute Voraussetzung für ein optimales ope-
am meisten exponierte Stellung handelt, wird auch am häufigsten ratives Resultat ist jedoch eine weitgehende freie passive Beweg-
verletzt. Bei isolierter Verletzung des Tractus intermedius kann die lichkeit des Mittelgelenks.
Pars triangularis zusammen mit dem Seitenzügel vorübergehend
> Da die Gelenkkapsel und der Tractus intermedius eine funk-
die Streckfähigkeit des Fingers im Mittelgelenk erhalten.
tionelle Einheit bilden, ist die Läsion des Tractus intermedius
Bei der Tischkantenüberprüfung, wie beschrieben, kann dann
immer mit einer Gelenkeröffnung verbunden.
bei gestrecktem Grundgelenk und Beugung im Mittelgelenk der
Finger nicht voll gestreckt werden, da der Tractus intermedius fehlt Der knöcherne Ausriss des Tractus intermedius an der Ansatzstelle
und die Seitenzügel durch Streckung im Grundgelenk und Beu- wird häufig bei Sportverletzungen nach einem plötzlichen Schlag
gung im Mittelgelenk nicht mehr die aktive Streckung des Fingers gegen das Mittelglied bei gestrecktem Finger beobachtet. Hobel-
übernehmen können. und Kreissägenverletzungen hinterlassen Sehnendefekte.
Nach einem Bagatelltrauma kann dann die Pars triangularis Die häufigsten Verletzungen im Bereich des Mittelgelenks wer-
in Längsrichtung durchreißen. Die Seitenzügel gleiten dann zur den von schweren Distorsionen, Verrenkungen, aber auch Quet-
Beugeseite, sodass die Knopflochdeformität zustande kommt, die schungen verursacht. Zur Verhütung der Gelenkinfektionen ausge-
durch die beiden Teile des Landsmeer-Ligamentes verstärkt wird hend von den Wunden ist eine gute Weichteildeckung, ggf. durch
(⊡ Abb. 5.16). lokale Verschiebelappen, notwendig.
Nach Ruptur des medialen Zügels retrahieren die Extensoren- Die Behandlung der Strecksehne in dieser Zone ist sehr vielfäl-
sehnen in Richtung Grundphalanx. Unter der dominanten Wir- tig und die Ergebnisse sind nicht immer befriedigend.
kung der Beugesehne flektiert das PIP-Gelenk und das sehnenfreie Größere Defekte erfordern aufwendige Sehnenersatzplastiken
Dreieck vergrößert sich. Die zunehmende Retraktion führt zum und sollen überwiegend der sekundären Versorgung vorbehalten
Palmarabgleiten der lateralen Zügel, wodurch diese eine beugende bleiben. Bei glatten Wunden kann jedoch eine primäre Defektüber-
Wirkung auf das PIP-Gelenk entwickeln. Das Gelenk kommt zwi- brückung durch ein schmales Transplantat vorgenommen werden.
schen dem von den lateralen Zügeln gebildeten »Knopfloch« zum Die operative Behandlung der geschlossenen Verletzungen bie-
Vorschein. Das Endgelenk wird nun in einer Hyperextensionsstel- tet gegenüber der konservativen den Vorteil einer exakten Wieder-
lung durch die schrägen retinakulären Ligamente fixiert. Vor der herstellung der Sehne sowie der Begleitverletzungen. Die operative
Operation ist zu prüfen, ob die Retraktion der schrägen retinaku- Versorgung dieser Verletzungen entspricht dem Vorgehen bei offe-
lären Ligamente fixiert ist. Das PIP-Gelenk wird in Streckstellung nen Verletzungen.
gehalten und das Endgelenk passiv gebeugt. Ist diese Beugung ein- Für die Wiederherstellung der Funktionen ist bei allen Verlet-
geschränkt und behindert, wird dieser Test als positiv bezeichnet, zungen der Streckaponeurose im Bereich des Mittelgelenks eine
es liegt eine Kontraktur der schrägen retinakulären Ligamente vor. möglichst individuelle Nachbehandlung von entscheidender Be-
Diese müssen dann zusätzlich durchtrennt werden. Alle sekun- deutung. Abgesehen von fortlaufenden Kontrolluntersuchungen,
dären Operationen können nur bei passiver freier Gelenkfunktion möglichst wöchentlich, sind auch mit Beginn der Bewegungsübun-
erfolgen. gen wiederholte wöchentliche Kontrollen dringend zu empfehlen.
Bei kompletter Aponeurosendurchtrennung hängt der Finger Nicht selten wird eine vorübergehende Streckquengelung nach
im Mittelgelenk schlaff herab und kann nicht mehr aktiv gestreckt Entfernung der ruhigstellenden Verbände und temporären Arthro-
werden. desen notwendig sein. Als Komplikationen können Infektionen bei
Die Deformität kommt durch eine Beugestellung im PIP-Ge- traumatischer Operation und Bohrdrahtinfektionen auftreten.
lenk bei gleichzeitiger Überstreckung des Endgelenks zustande. Bei langstreckiger Defektbildung über dem Mittelgelenk und
Die Veränderung entsteht als Folge einer kompletten Durchtren- bestehender Arthrose ist die Indikation zur Schrauben- oder Plat-
nung des Tractus intermedius begleitet bzw. gefolgt von einer tenarthrodese zu überprüfen ( Kap. 10).

Daumen
Im Bereich des Daumens führt bei einem Sehnendefekt, der mehr
als 10 mm beträgt, der Versuch einer End-zu-End-Naht zu einer
großen Behinderung der Daumenbeugung. Deshalb ist eine De-
fektüberbrückung durch ein Transplantat oder durch eine Um-
lagerung angezeigt. Diese Maßnahme kann auch bei primärer
Defektentstehung vorgenommen werden. Das Sehnentransplantat
zur Defektüberbrückung im Bereich des Extensor pollicis longus
ist eine physiologische Lösung, da sie die Funktion des zurück-
⊡ Abb. 5.16 Knopflochdeformität nach Verletzung des Tractus intermedius gezogenen Muskels wiederherstellt und die Extensionskraft des
über dem Mittelgelenk. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Zeigefingers unangetastet belässt. Die Ausführung der Operation
76 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

ist jedoch schwierig und zeitaufwendig. Die proximale Verbindung Offene Verletzungen, sowohl über dem Strecksehnenhäubchen
des Transplantates mit dem proximalen Stumpf der Daumen- als auch proximal davon, sollten, wann immer möglich, primär
strecksehne erfolgt in Durchflechtungsnaht nach Pulvertaft, wobei versorgt werden. Bissverletzungen (Faustschlag ins Gesicht) führen
die distale Nahtstelle ebenso durch die Durchflechtungsnaht nach oft zu Sehnenverletzungen in dieser Zone.
Pulvertaft angeheftet wird. Dabei muss die Länge und die Gleit- Bei Bestehen von defekten Weichteilen kann die Haut durch
amplitude der Sehne mitberücksichtigt werden. Viel günstiger und einen lokalen Verschiebelappen gedeckt werden.
mit sehr guten Ergebnissen wird dagegen der Sehnentransfer, vor
allem der Indicis-Sehnentransfer, zur Wiederherstellung der Funk- Daumen
tion des M. extensor pollicis longus angewandt. Diese Methode Die Strecksehnenaponeurose des Daumens im proximalen Ab-
ist einfach und schnell durchführbar. Es ist außerdem leichter, die schnitt ähnelt den Verhältnissen am Grundglied der Finger.
korrekte Länge der Sehne zu finden, wenn die Durchflechtungs- Der sehnige Anteil des M. extensor pollicis longus bildet den
5 naht über dem ersten Mittelhandknochen zu liegen kommt. Auch zentralen Zügel der Aponeurose. Ein vollständiger Streckausfall am
Daumenendgelenk liegt erst dann vor, wenn die Sehne im mittle-
die Sehne des E. digiti mini eignet sich für den Transfer.
ren und distalen Drittel des Grundgliedes komplett rupturiert oder
Verletzungen über dem Mittelgelenk – Zone 4 durchtrennt ist.
Finger Eine komplette oder partielle Durchtrennung der Aponeurose
Komplette Durchtrennungen sind hier relativ selten, wie auch im sollte in jedem Fall chirurgisch wiederhergestellt werden, wobei
Bereich der Zone 2. Nach multiplen Verletzungen und Frakturen aufgrund der Breite und Dicke des Sehnenabschnittes alle ge-
in diesem Bereich kann es zu Verwachsungen und Blockierungen bräuchlichen und bisher besprochenen Nahtmethoden (4/0) geeig-
der einzelnen Strecksehnen kommen. Isolierte Verletzungen des net erscheinen. Zusätzlich werden einzelne U-Nähte mit 4/0 atrau-
Tractus intermedius bzw. des zentralen Anteiles führen zu keinen matischem monofilen Faden zur Adaptation der Sehnenstümpfe
erkennbaren funktionellen Ausfällen, da die noch vorhandenen angelegt. Eine 4-wöchige Ruhigstellung auf einem Steigbügelgips,
und funktionstüchtigen Seitenzügel die Funktion kompensieren der lediglich den Daumen in Streckstellung fixiert, entlastet die
können. Nur bei Durchtrennung des zentralen und eines seitlichen Sehnennaht.
Anteiles der Streckaponeurose werden Kraftminderung und Streck-
hemmungen im Mittelgelenk sichtbar. Bei schweren Quetschverlet- Bemerkung
zungen kann eine geschlossene Verletzung der Streckaponeurose Obwohl bei der Zoneneinteilung nach Verdan das Grundglied des
im Grundglied vorkommen. Daumens als Zone 2 angegeben wird, ist – aufgrund der bestehen-
den sehnigen Einstrahlung der Muskulatur in Höhe des Grund-
> Eine Versorgung der Strecksehne bei inkompletter Durch-
gliedes und Ähnlichkeit der Strecksehnenhaube des Daumens am
trennung ist angezeigt.
Grundgelenk zu den Grundgelenkstrecksehnenhauben der Finger
Bei umschriebener Verletzung und Defektbildung im zentralen – hier die Zone 2 des Daumens zusammen mit der Zone 4 der
Anteil bzw. im Bereich des Tractus intermedius, wird trotz erhalte- Finger behandelt.
ner Funktion eine Adaptation der Sehnenränder mit 4/0 atraumati- Die geschlossenen oder gedeckten Verletzungen in diesem
schem monofilem Faden zur Optimierung des Ergebnisses durch- Bereich werden vor allem bei starker Quetschung und geschlos-
geführt. Auch die isolierte Verletzung eines der beiden Seitenzügel senen Frakturen festgestellt. Auch hier wird, wie bei den offenen
wird in gleicher Form durch 4/0 atraumatischen monofilen Faden Verletzungen der Streckaponeurose, bei Feststehen der Diagnose
versorgt. eine chirurgische Intervention unumgänglich sein, wenn man eine
Bei Durchtrennung des zentralen Abschnittes, nämlich des optimale Funktion des betreffenden Fingers erreichen will. Nach
Tractus intermedius und einer der beiden Seitenzügel, wird eine chirurgischer Versorgung ist eine 4-wöchige Ruhigstellung des Fin-
feine atraumatische Einzelknopfnaht zur exakten Adaptation der gers in einer physiologischen (»intrinsic-plus«) Stellung notwendig,
Aponeurosen erforderlich. Zur Vermeidung schwerer Verwach- wobei die Grundgelenke in 60° Beugestellung und Streckstellung
sungen muss bei der Versorgung der Streckaponeurose auf das der Mittel- und Endgelenke auf einer palmar angelegten Unterarm-
Sehnengleitlager größten Wert gelegt werden. Hand-Gipsschiene ruhiggestellt werden. Für den Daumen wird ein
Bei Versorgung von Frakturen im Bereich der Phalanx muss Steigbügelgips, der das Daumengrund- und Endgelenk in Streck-
unbedingt das Osteosynthesematerial unterhalb des peritendinö- stellung hält, notwendig.
sen Gleitgewebes zu liegen kommen, damit die Sehne frei ohne In der postoperativen Phase ist eine fortlaufende wöchentliche
Reibung auf dem Osteosynthesematerial gleiten kann. Dies ist Kontrolle notwendig, wobei die äußere Fixation nach 4 Wochen
eine wesentliche Voraussetzung zur atraumatischen Operation im entfernt werden kann. Die Bewegungsübungen werden ab der
Bereich der Phalanx, sowohl was die Knochenbruchbehandlung als 5. postoperativen Woche angesetzt.
auch die Versorgung der Strecksehnen anbelangt.
Bei gleichzeitig bestehenden Frakturen und Strecksehnenver- Verletzungen über dem Mittelgelenk – Zone 5
letzungen muss immer die Möglichkeit einer stabilen Osteosyn-
> Die Zone 5 des Daumens, nämlich das Grundgelenk, ent-
these oder einer Adaptationsosteosynthese durch Kirschner-Drähte
spricht der Zone 5 der Finger, nämlich den Grundgelenken,
abgewogen werden, da nach Versorgung der Strecksehne eine vo-
und wird entsprechend hier abgehandelt.
rübergehende Ruhigstellung zur Sehnenheilung benötigt wird und
damit der günstige Effekt einer Plattenosteosynthese hier nicht Bei kompletter Durchtrennung der Extensoren in Höhe der Grund-
entsprechend genutzt werden kann. Die Osteosynthesematerialien gelenke wird ein vollständiger Funktionsausfall der Streckfähigkeit
müssen möglichst durch Periostschlauch oder peritendinöses Ge- im Grundgelenk festgestellt, wobei die Streckung in Mittel- und
webe gedeckt sein, damit einerseits die Verwachsungsmöglichkeit Endgelenken durch die intakte Handbinnenmuskulatur erhalten
so gering wie möglich gehalten wird und andererseits die Sehne bleibt. Nur bei voller Streckung und Spreizung kann die vollstän-
vor dem Osteosynthesematerial geschützt ist. dige Funktion der einzelnen Finger im Vergleich zu den gesunden
5.1 · Allgemeines
77 5
Nachbarfingern festgestellt werden. Bei zusätzlicher Verletzung der vergrößern sich jedoch die meist dorsoradial gelegenen Längsrisse,
seitlichen Aponeurose, bzw. des intertendinösen Gewebes, kommt sodass es zur Luxation der Strecksehne vorwiegend nach ulnar
es zum Abweichen der Strecksehne in Richtung der unverletzten kommt. Ist eine gedeckte Luxation der Strecksehne an mehreren
Seite, da der Zug des intertendinösen Gewebes auf die Strecksehne Fingern feststellbar, so spricht dies eher gegen eine traumatisch
von der gesunden Seite her überwiegt. Dadurch gleitet die Streck- bedingte Verletzung. Infolge einer angeborenen Hypoplasie der
sehne nicht mehr über die Mitte des Mittelhandknochenköpfchens, seitlichen Strecksehnenhäubchen kann es zu einer Luxation oder
sondern gleitet in die Tiefe zwischen den beiden Mittelhandköpf- Subluxationsstellung der Strecksehnen kommen, die gegenüber
chen ab. Da die Strecksehne dann nicht die gewohnte, längere den traumatisch bedingten Sehnenluxationen abgegrenzt werden
Strecke über dem Mittelhandköpfchen durchläuft, entsteht somit müssen.
eine relative Verlängerung der Strecksehne und dadurch resultiert Bei veralteten Verletzungen der Strecksehne, vor allem über
ein Streckdefizit des verletzten Fingers. dem Metakarpalköpfchen, bildet sich unversorgt dann ein über-
Ähnliche Verletzungen der Strecksehnenhaube über den schießender Sehnenkallus mit der klinisch sichtbaren Prominenz
Grundgelenken können sich sowohl bei den geschlossenen wie der Weichteile direkt über dem Grundgelenk. Die Veränderungen
auch bei den offenen Verletzungen einstellen. verursachen eine schmerzhafte endgradige Bewegungseinschrän-
Am Zeige- und Kleinfinger wird nach Ruptur oder Durch- kung im Bereich des Grundgelenks. Auch diese Verletzungen soll-
trennung des M. extensor digitorum communis kein vollständiger ten nach Abtragen des Sehnenkallus durch U-Nähte mit 4/0 mo-
Funktionsausfall der Streckung festgestellt werden, da in diesem nofilem Faden und ggf. mit einer entlastenden Lengemann-Naht
Bereich zusätzlich die Sehnen des M. extensor indicis proprius und adaptierenden Sehnennähten versorgt werden. Die Dauer der
am Zeigefinger und des M. extensor digiti minimi am Kleinfinger Ruhigstellung beträgt ebenso 4 Wochen.
die Streckung an beiden genannten Fingern kompensieren. Nur Die operative Korrektur der gedeckten Sehnenverletzungen in
wenn auch diese Sehnen durchtrennt bzw. rupturiert sind, wird Zone 5 entspricht der bei den offenen Verletzungen angewandten.
am Zeige- und Kleinfinger ein entsprechender Funktionsausfall im
Sinne eines kompletten Streckverlustes im Grundgelenk festgestellt Verletzungen über dem Handrücken – Zone 6
werden können. Die Dauer der Ruhigstellung beträgt 4 Wochen in Nach einer Durchtrennung im Bereich der Strecksehnen des
Intrinsic-plus-Stellung. Handrückens kommt es zu einem partiellen Streckverlust der
Grundgelenke der Finger, da der distale Stumpf der verletzten
> Eine konservative Behandlung der rupturierten Streckseh-
Sehne durch die queren bzw. schräg verlaufenden Verbindungen
nenhaube bringt nicht die gewünschte funktionelle Wie-
zu den benachbart liegenden Strecksehnen Connexus intertendinei
derherstellung. Falls keine Kontraindikation besteht, sollte
ein weiteres Herabsinken des verletzten Fingers verhindert. Aus
immer eine chirurgische Intervention erfolgen. Die nicht ver-
diesem Grund ist auch ein weiteres Zurückgleiten der Sehne nicht
sorgte Strecksehnenhaube führt zu einer Subluxation oder
möglich. Nur bei der Verletzung der Strecksehnen des Daumens
Luxation der Sehne.
und des Kleinfingers im Bereich des Handrückens kann aufgrund
Bei Strecksehnenverletzung direkt über dem Grundgelenk muss der sehr beweglichen Sehnen der proximale Stumpf weit zurück-
immer mit einer Öffnung des Grundgelenks gerechnet werden, gleiten, sodass das Auffinden des proximalen Stumpfes gewisse
weshalb eine besonders sorgfältige Wundversorgung und Suche Schwierigkeiten macht.
nach Fremdkörpern erforderlich ist.
Wird bei der Versorgung einer offenen Verletzung der Streck- Isolierte Muskelverletzungen
sehne auch die Verletzung der Aponeurose festgestellt, muss diese Die isolierten Verletzungen der dorsalen Handgelenkmuskeln wie
zur Vermeidung einer Strecksehnenluxation mitversorgt werden. Extensor carpi radialis und Extensor carpi ulnaris führen zu kei-
Dabei wird bei frischen oder einige Tage (7 Tage) alten Verletzun- nem funktionellen Ausfall. Der Ausfall dieser Sehnen führt jedoch
gen die Streckaponeurose durch einige atraumatische U-Nähte zu einem nachprüfbaren Kraftverlust der Handgelenkstreckung,
mitversorgt. Bei kurzstreckiger Verletzung der Strecksehne am weshalb bei Verletzung dieser Sehnen stets eine Wiederherstel-
Grundgelenk kann diese auch lediglich durch U-Nähte mit mono- lung angezeigt ist. Aufgrund bestehender geringer Gleitamplitude
filem Faden versorgt werden, wobei die Form und die Dauer der können die Strecksehnen nach Durchtrennung vor allem des pro-
Ruhigstellung unbeeinflusst bleibt. Sind bei offenen Verletzungen ximalen Anteils durch Druck auf die zugehörigen Muskelbäuche
die Sehnenenden zerfetzt und ungerade, werden diese nach exakter dargestellt werden. Die Versorgung erfolgt durch U-Nähte.
Säuberung sparsam begradigt und danach die Sehnennaht durch-
geführt. Daumen
Nach offener oder geschlossener Verletzung des seitlichen An- Bei frischen Verletzungen der Daumenstrecker müssen sowohl die
teils der Streckaponeurose des Lig. metacarpalia transversa müssen Sehne des Extensor pollicis brevis als auch die Sehnen des Extensor
diese ebenso versorgt werden. Derartige Läsionen führen zwar pollicis longus versorgt werden, damit eine ausreichende und gute
nicht sofort zu einer Funktionseinbuße, die Defekte werden jedoch Funktion des Daumens wieder möglich wird. Für das Auffinden
im Laufe des weiteren Gebrauchs so vergrößert, dass es zu Luxatio- des proximalen Sehnenstumpfes des Extensor pollicis longus, der
nen der Sehnen, vorzugsweise nach ulnar, kommt. sich infolge der großen Gleitamplitude (58 mm) immer weit zu-
Bei Verletzung der Connexus intertendinei müssen diese rückzieht, muss nicht selten ein zusätzlicher Schnitt proximal des
ebenso durch U-Nähte wiederhergestellt werden. Retinaculum extensorum angelegt werden. Danach kann der pro-
Die Verletzungen der Strecksehne über dem Grundgelenk, vor ximale Strecksehnenstumpf mit einer Sehnenfasszange ulnar und
allem die gedeckten Rupturen der seitlichen Anteile der Streckapo- proximal am Radiusrand gefasst werden. Zuweilen kann das Auf-
neurose bzw. der Retinacula, können durch Gewalteinwirkungen finden des proximalen Stumpfes der Daumenstrecker sehr schwie-
auf die Mittelhandköpfchen hervorgerufen werden (Faustschlag). rig sein, sodass das der Sehne zugehörige dritte Sehnenfach gespal-
Dabei können zunächst die entstandenen Teilrisse ohne funktio- ten oder sogar die Sehne unter den Fingerextensoren am distalen
nelle Einbußen die Diagnose erschweren. Bei weiterem Gebrauch Unterarm gesucht werden muss. Wegen der Verwachsungsgefahr
78 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

wird nun der proximale Sehnenstumpf des Daumens nicht durch entsprechender Bewegungsamplitude ausgewählt werden muss.
das 3. Strecksehnenscheidenfach geführt, sondern subkutan nach Hier kommt für den Daumen die Indicis-proprius-Umlagerung in
distal bis zur Nahtstelle im Mittelhandbereich geleitet. Frage. Für die Finger sind Sehnenumlagerungen einer gesunden
Durch eine senkrecht eingestochene Nadel kann dann ein Strecksehne in Durchflechtungstechnik günstiger als mehrfache
erneutes Zurückgleiten der Sehne verhindert werden. Die Versor- Transplantate. Auch die Sehne des Extensor digiti minimi eignet
gung frischer Daumenstrecksehnen über dem Handrücken erfolgt sich für eine Umlagerung.
nach exakter Adaptation der Sehnenenden durch 4/0 atraumati-
schen monofilen Faden, der in U-Technik-Naht die Sehnenenden
vereinigt. Therapie der Defekte in Zone 6
Bei sehr zarten und flachen Sehnen kann ausnahmsweise die 1. Koppelung des distalen Stumpfes an die Nachbarsehne
ausziehbare Schnürsenkelnaht nach Bunnell zur Anwendung kom- 2. Transposition eines Teils der intakten Nachbarsehne
5 men. Dabei werden nach Zickzackstichelung am proximalen Seh- 3. Interponat Palmaris-longus-Sehne als Transplantat
nenstumpf die beiden Drahtenden etwa 1,5–2 cm distal der Seh- 4. Transfer Extensor-indicis-proprius- oder Extensor-digiti-
nendurchtrennungsstelle am distalen Stumpf herausgeleitet und minimi-Sehne
über der Haut mit einer Bleikugel befestigt.
Bei der Verletzung beider Extensoren des Daumens werden
diese getrennt versorgt. Die Ruhigstellung erfolgt in einem Steigbü- Bei der Ruhigstellung des Daumens nach Versorgung der Streck-
gelgips in »Auto-Stopp-Stellung« für 4 Wochen. Danach kann mit sehne soll eine extreme Streckstellung des Daumens im Grund-
vorsichtigen aktiven krankengymnastischen Bewegungsübungen gelenk vermieden werden, da es sonst zu einem erheblichen,
begonnen werden. schmerzhaften Immobilisierungsschaden in diesem Gelenk kom-
men kann. Bei zu schneller Freigabe der ruhigstellenden äußeren
Finger Fixation kann es zu einer erneuten Ruptur der Sehne kommen.
Die Versorgung der Fingerstrecksehnenverletzungen am Handrü- Eine unkorrekte Verspannung führt zur Funktionseinschränkung.
cken erfolgt bei günstigen Voraussetzungen und Weichteilverhält- Eine Rekonstruktion der Extensor-pollicis-longus-Sehne mit ei-
nissen ebenso durch U-Nähte 4/0 atraumatisch. Das Aufsuchen nem Sehnentransplantat zeigt auch gute Ergebnisse.
des proximalen Endes kann evtl. einen zusätzlichen transversalen
Schnitt auf der Dorsalseite des Handgelenks erfordern. Beim Mas- Verletzungen im Handgelenkbereich – Zone 7
sieren der Muskelkörper in der distalen Richtung kann schließlich Bei Verletzung der Strecksehnen in diesem Bereich (unter der Reti-
das proximale Ende in der Wunde erscheinen. Durch eine senk- naculum extensorum) gleiten die proximalen Stümpfe, da sie nicht
recht eingestochene atraumatische Nadel wird dann ein erneutes mehr miteinander durch die Connexus intertendinei verknüpft
Zurückschlüpfen der Sehnenstümpfe verhindert. Die Sehnennaht- sind, in die Sehnenfächer weit nach proximal zurück.
stelle wird stets durch eine Deckung mit dem Paratenon vor Ver- Nach Verletzung der Strecksehnen kann klinisch ein deutlicher
wachsungen geschützt. Streckausfall der betreffenden Finger, vor allem in den Grundge-
Postoperativ wird eine Ruhigstellung mit einer palmaren Un- lenken, festgestellt werden. Die Verletzungen der dorsalen Hand-
terarmgipsschiene in Funktionsstellung in Intrinsic-plus-Stellung gelenkstrecker, wie Extensor carpi radialis longus und brevis sowie
im Handgelenk und Beugestellung in Grund- und Streckstellung in Extensor carpi ulnaris, können bei der klinischen Überprüfung
Mittelgelenken der Finger für die Dauer von 4 Wochen vorgenom- leicht übersehen werden.
men. Danach kann mit krankengymnastischen Bewegungsübun- Die Versorgung der Strecksehnen in dieser Zone ist aufgrund
gen begonnen werden. der bestehenden engen osteofibrösen Kanäle (⊡ Abb. 5.2) sehr
Für die Behandlung von frischen Defektverletzungen der schwierig und die Ergebnisse nach Wiederherstellungsoperationen
Strecksehnen stehen Sehnentransplantate und Sehnenumlage- sind nur bei sorgfältiger Vereinigung der Sehnenstümpfe günstig.
rungen zur Verfügung ( Abschn. 5.2.14,  Abschn. 5.2.15,  Ab- Nach der operativen Versorgung ist bei bestehender Blockierung
schn. 5.2.16,  Abschn. 5.2.17). proximal oder distal des Retinaculum extensorum eine sekundäre
Eine dynamische Nachbehandlung, ähnlich wie bei Beugeseh- Tenolyse angezeigt. Dabei ist dann die partielle Resektion des
nen, wird für die Fingersehnen empfohlen. Lig. carpi transversum zu überprüfen. Die Rekonstruktion des
Auch bei geschlossenen Verletzungen der Strecksehnen, so- Retinaculums ist zur Vermeidung eines Bogensehneneffekts bei
wohl des Daumens (z. B. nach distaler Radiusfraktur) als auch der Handgelenkstreckung sehr wichtig.
Finger in Höhe des Handrückens, ist für die Wiederherstellung der Die sekundäre Versorgung nach Durchtrennung in dieser Zone
Funktion eine chirurgische Intervention unumgänglich. bereitet große Schwierigkeiten, da sich die Sehnenstümpfe auch
Da die Voraussetzung für eine End-zu-End-Naht nur in Aus- nach maximaler Dorsalflexion der Handwurzeln nicht mehr aus-
nahmefällen gegeben ist, wird oft bei einer älteren geschlossenen reichend adaptieren lassen.
Verletzung oder einer sekundären Wiederherstellung mit Subs- In einer solchen Situation ist ein größerer wiederherstellender
tanzverlust von mehr als 10 mm und Verletzung mehrerer Streck- Eingriff in Form einer Transplantation der Sehnen unumgänglich.
sehnen eine Umlagerung der Nachbarsehne oder ein Transplantat Die häufigste geschlossene Sehnenruptur im Bereich der osteo-
notwendig sein. Aufgrund der Veränderungen im Bereich der fibrösen Kanäle stellt die Ruptur der langen Daumenstrecksehne
Sehnenstümpfe ist fast immer eine Stumpfanfrischung notwendig. dar. Die Rupturstelle liegt in typischer Weise am distalen Ende
Damit wird der zu überbrückende Defekt vergrößert. des 3. Strecksehnenscheidenfaches, wo die Sehne in einem relativ
Ein Sehnenbrückentransplantat kann nur dann eingesetzt wer- scharfen Winkel plötzlich in eine radiale Richtung umgeleitet wird.
den, wenn der Motor der Sehne noch über eine genügende Bewe- Die meist traumatisch bedingten Rupturen kommen, vor allem
gungsamplitude verfügt. Liegen die Verletzungen länger als 6 Wo- nach typischen Radiusfrakturen und schweren Handwurzelverren-
chen zurück, verfügt der Motor der Sehne nicht über eine ausrei- kungen, nach Wochen und Monaten vor. Als Ursache der Spätrup-
chende Gleitamplitude, sodass ein neuer Motor (Muskelsehne) mit turen werden die degenerativen Veränderungen der Sehne nach
5.1 · Allgemeines
79 5
Quetschung im osteofibrösen Kanal bzw. am distalen Rand des Re-
tinaculum extensorum angesehen. Auch die Zerstörung des knö-
chernen Bodens des 3. Strecksehnenscheidenfaches infolge einer
typischen Radiusfraktur oder sogar eine an einer Fragmentspitze
aufgespießte Sehne mit partieller Sehnendurchtrennung werden als
posttraumatische Sehnenruptur bezeichnet. Als Folge eines chro-
nischen Traumas können auch subkutane Rupturen des Extensor
pollicis longus auftreten. Auch ist eine postoperative Sehnenruptur
durch Osteosynthese bekannt (Schrauben, Platte).
Betroffen sind vor allem Berufe mit einer besonderen Bean-
spruchung der Extensor-pollicis-longus-Sehne. Aus diesem Grunde
ist die Verletzung auch als sog. »Trommlerlähmung« bekannt.
Die geschlossenen Rupturen der Fingerstrecker kommen über-
wiegend als pathologische Sehnenrupturen bei rheumatischer und
bei Tumordestruktion vor.
Die Versorgung der Extensor pollicis longus in Zone 7 wird
durch die exakte Adaptation der Sehnenstümpfe mit 4/0 atraumati- ⊡ Abb. 5.17 Nahtmethode zur Vereinigung des Transplantates mit dem
schem monofilen Faden vorgenommen. Für die Fingerstrecker wird distalen Sehnenstumpf bei unterschiedlichen Sehnenquerschnitten (»Sand-
ebenso mit 4/0 atraumatischem monofilen Faden adaptiert genäht. wich-Methode«). (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Bei längeren Defektverletzungen sind mehrere Brückentrans-
plantate anzuwenden; dabei muss die Nahtstelle der Sehnen jeweils
ausreichend proximal und distal des Retinaculums zu liegen kom-
men. Bei vereinzelter Durchtrennung der Fingerstrecker können zugehörigen Strecksehnenscheidenfach durchgeführt werden, um
die Stümpfe auch an den benachbarten Fingersehnen angeschlos- Blockierungen zu vermeiden. Für den distalen Einschluss des
sen werden. Der Anschluss muss möglichst außerhalb des Streck- Transplantates eignet sich vor allem wegen des Ausgleiches der
sehnenscheidenfaches zu liegen kommen. Querschnitte die Sandwich-Methode (⊡ Abb. 5.17); dabei reichen
Die Ruhigstellung erfolgt nach chirurgischer Versorgung in ei- 2–3 U-Nähte aus, um das Transplantat mit dem aufgespaltenen
ner beugeseitig angelegten Unterarmgipsschiene für die Dauer von distalen Sehnenstumpf belastungsstabil zu verbinden.
3 Wochen, wobei das Handgelenk in Nullstellung und die Grund- Falls der Motor der Sehne nicht mehr ausreicht, wird ein Seh-
gelenke der Finger in Beugestellung gehalten werden müssen. Eine nentransfer zur Wiederherstellung der Strecksehne vorgenommen.
dynamische Nachbehandlung, ähnlich wie bei Beugesehnen, wird Hierfür eignet sich die Sehne des M. extensor carpi radialis longius
empfohlen (außer für Daumen). mit 33 mm Gleitamplitude als relativ guter Muskel-Sehnen-Transfer.
Die chirurgische Versorgung der geschlossenen Rupturen der In dieser Zone finden sich auch durch die Verletzung oder Zer-
Strecksehnen Zone 7 entspricht denen der offenen Verletzungen. störung der Muskulatur häufig Verwachsungen.
Geschlossene Verletzungen in Zone 8 werden überwiegend
Verletzungen über dem distalen Unterarm – Zone 8 durch schwere Quetschverletzungen verursacht. Daher sind, neben
In diesem Bereich werden die Strecksehnenverletzungen vor allem der Wiederherstellung der Strecksehne, auch Rekonstruktionen der
durch Schnitt-, Quetsch-, Weichteil- und Traktionsverletzungen Weichteile notwendig.
und schwere ausgedehnte Sägeverletzungen verursacht. Aufgrund Einen Sonderfall stellt auch hier eine Ausrissverletzung von
der bestehenden Junctura tendineum in Höhe des Handrückens Strecksehnen im muskulären Anteil am Unterarm bei starken
kommt es nach Durchtrennung der Strecksehne am distalen Un- Rotationstraumen dar, die sich klinisch durch ausgeprägte Häma-
terarm nicht zu einem völligen Ausfall der Streckfunktion. Der tombildungen am Unterarm und entlang der rupturierten Muskel-
isolierte Ausfall der Strecksehnen kann bisweilen durch eine Wi- sehne bemerkbar macht. Hier kommt bei langstreckigem Verlust
derstandsprüfung an der verminderten Kraft der Hand festgestellt als Therapiemöglichkeit der Transfer der Indicis-Sehne in Frage,
werden. Bei Durchtrennung des Extensor pollicis longus hängt vor allem, da häufig die Strecksehne des Daumens betroffen ist.
der Daumenstrahl unter die Ebene der Mittelhand herab, wobei Die postoperative Ruhigstellung bei allen Strecksehnenverlet-
gleichzeitig eine leichte Beugung im Grund- und Endgelenk fest- zungen in der Zone 8 erfolgt in einer gut gepolsterten, beugesei-
zustellen ist. tigen Unterarmgipsschiene für insgesamt 4 Wochen. Das Handge-
Liegt ein wesentlicher Defekt bei einer Fingerstrecksehne vor, lenk wird in leichter Dorsalflexion und die Grundgelenke werden
so heftet man den distalen Sehnenstumpf an der benachbarten in- in 40°-Beugestellung gehalten. Anschließend kann mit aktiven
takten Sehne des M. extensor digitorum an. Dabei wird auf die von krankengymnastischen Übungen begonnen werden. Ein dynami-
radial nach ulnar leicht abnehmende Streckstellung in den Grund- scher Schienenverband (⊡ Abb. 5.23) kann anstelle von Ruhigstel-
gelenken der Finger geachtet. Der proximale Sehnenstumpf kann lung in dieser Zone empfohlen werden.
ebenso als Kraftverstärker auf die Sehne transferiert werden.
Eine Transplantation bei Mehrfachverletzung der Sehne ist nur Zeitpunkt der Operation
dann indiziert, wenn der proximale Stumpf der verletzten Streck- Grundsätzlich gilt:
sehne noch genügend widerstands- und belastungsfähiges Sehnen- ▬ primäre Sehnennaht, wenn innerhalb von 24 h die Sehnenver-
gewebe enthält. Andernfalls ist ein Sehnentransfer vorzuziehen. sorgung erfolgt,
Für die proximale Sehnennaht eignet sich je nach Beschaffenheit ▬ spätprimäre Sehnennaht, wenn innerhalb von 2–14 Tagen die
der Sehne für die Daumen die Einflechtnaht nach Pulvertaft oder Sehnenversorgung erfolgt,
für die Finger die Zechner-Naht, da die Sehnen einen größeren ▬ sekundäre Sehnennaht, wenn die Sehnenversorgung nach dem
Umfang zeigen. Die distale Verbindung sollte nicht zu nahe dem 14. Tag erfolgt.
80 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

Tenolyse der Strecksehnen Hier ist der therapeutische Ansatz eine Fesselung der Sehne,
Bei der Tenolyse der Strecksehne, die vor allem nach schweren wobei eine gestielte Lappenplastik aus dem Retinaculum extenso-
Quetschungen, Infektionen und Verbrennungen durchgeführt wird, rum so umgeklappt wird, dass die Sehne des Extensor carpi ulnaris
können die abgetrennten und blockierenden Sehnenabschnitte wieder geführt wird.
übersichtlich freigelegt und durch Beseitigung aller Verwachsun- Stärkere Handgelenktraumen, vor allem Drehbewegungen,
gen kann die Sehnengleitfähigkeit wiederhergestellt werden. können zu Verletzungen und Rissbildungen am Discus articularis
führen und die federnde Subluxation der Elle erzeugen. Betroffen
> Nach erfolgten Strecksehnennähten sollte die Tenolyse nicht
sind hier aber auch Bänderschwächen bei Jugendlichen, vorwie-
vor Ablauf von 4–6 Monaten erfolgen.
gend bei Mädchen. Differenzialdiagnostisch muss bei den Seh-
Falls nach isolierten Frakturen oder Quetschungen eine Tenolyse nenluxationen vor allem an schmerzhafte Reizerscheinungen im
erforderlich ist, wird man sich dann eher zu dieser Maßnahme ent- Gebiet der Sehne des Extensor oder Flexor carpi ulnaris gedacht
5 schließen müssen, wenn im Laufe der Nachbehandlung keine Fort- werden.
schritte im Sinne einer Funktionsbesserung zu verzeichnen sind.
Die Voraussetzung für das Gelingen einer Tenolyse der Streck- Sehnenscheidenveränderungen
sehne ist ähnlich wie bei der Beugesehne; die Tenolyse bietet dann In der Sehnenscheide kann es posttraumatisch, aber vor allem
gute Erfolgschancen, wenn eine ausreichende Gefäßversorgung durch Reizung und Degeneration oder auch nach chronischer
und Trophik der Hand und Finger vorhanden ist. Die gute Beweg- Belastung, zu einer Hypertrophie und vermehrter Flüssigkeitsan-
lichkeit der Gelenke, narbenfreie Gewebe, freie Beweglichkeit der sammlung im Kanal kommen. Der Sehnenscheidenkanal, der die
Antagonisten, gleichmäßige Kontinuität der Strecksehne und gute Sehnen allgemein umhüllt, hat die Aufgabe der Sehnenführung
Hautdeckung sind einige Voraussetzungen und Grundbedingun- und Ernährung, wobei die Sehnenscheiden zum Teil in einem Os-
gen für Tenolysemaßnahmen. teofibrosekanal die Sehnen um die Knochen und Gelenke herum
Die Schnittführung bei der Tenolyse soll so gewählt werden, führen. Oft durch chronischen Druck oder Überlastung, aber auch
dass Wundheilungsstörungen durch Frühmobilisation in jedem gelegentlich durch ein Trauma, kann es zu einer Sehnenscheiden-
Fall vermieden werden. Die hierfür geeigneten Inzisionen im Be- reizung und Hypertrophie kommen, wobei sich vermehrt Sekreti-
reich des Unterarmes und Handrückens werden in Form von leicht onen in diesem Bereich ansammeln. Die Bewegung der Sehne in
bogenförmig längsverlaufenden Schnittführungen vorgenommen. diesem Kanal ist dann schmerzhaft und die Funktion zuweilen ge-
Im Bereich der Finger wird möglichst eine dorsolaterale Inzision stört. Die Behandlung besteht in einer Spaltung der Sehnenscheide,
angelegt. Bei Verwachsungen im Bereich des Unterarmes ist eine dort wo eine Funktionsstörung verursacht wird.
ausgiebige Fensterung der oberflächlichen Faszie und eine daran
angeschlossene Tenolyse der genähten Strecksehnen erforderlich Tendovaginitis stenosans de Quervain
( Kap. 14). Als Tendovaginitis stenosans de Quervain wird die Sehnenschei-
denfacheinengung des 1. Strecksehnenfaches bezeichnet, wobei in
Spontanrupturen der Strecksehnen diesem Strecksehnenfach normalerweise die Sehnen der Extensor
Die traumatischen spontanen Strecksehnenrupturen werden vor pollicis brevis und der Abduktor pollicis longus verlaufen. Da diese
allem im Zusammenhang mit Frakturen beobachtet. Die trauma- Sehnen auch zum Teil gegenläufige Bewegungen ausüben, kommt
tischen Spontanrupturen der Strecksehnen, die auf einer nicht- es hier zu einer vermehrten Reizung. Klinisch werden hier deutli-
traumatischen Grundlage erfolgen, dürften jedoch häufiger vor- che Schmerzen bei der Hyperflexion (Finkelstein-Test) festgestellt
kommen, als die vorhandenen Publikationen vermuten lassen. (⊡ Abb. 5.18). Außerdem wird eine deutliche Druckschmerzhaftig-
Nigst (1967) berichtet über Rupturen der Strecksehnen des 3. und keit über dem 1. Strecksehnenfach bei der Beugung und Streckung
4. Fingers 4 Wochen nach einem Sturz auf die Hand bei Arthrose am Daumen von dem Patienten angegeben. Gelegentlich wirkt
des Handgelenks mit Kahnbeinpseudarthrose.

Habituelle Sehnenluxationen
Der habituellen Luxation der Extensor-carpi-ulnaris-Sehne können
Luxationen des distalen Radioulnargelenks oder Radiusfrakturen mit
Sprengung des Radioulnargelenks vorausgehen bzw. diese begleiten.
Dabei ist der Discus articularis beschädigt bzw. gerissen und/oder
am Processus styloideus ulnae abgebrochen. Dieses ist eine typische
Sportverletzung bei extremer Dorsalextension und gleichzeitiger
Pronation im Handgelenk, wobei die anlagebedingte Minusvariante
der Ulna bei eingeschränkter Dorsalbeweglichkeit des Handgelenks
bei der Entstehung dieser Verletzung eine Rolle spielt.
Bei der klinischen Untersuchung wird ein Schnappphänomen
an der Ulnaseite des Handgelenks festgestellt. Dies lässt sich dann
beliebig oft provozieren, wenn der Patient das Handgelenk in Ex-
tension und Supination bewegt. Die Ursache ist die Luxation der
Sehne des Extensor carpi ulnaris aus dem Sulkus zwischen Capitu-
lum ulnae und dem Processus styloideus auf das Capitulum ulnae,
wobei hier die Patienten oft stechende Schmerzen angeben. Bei der
Operation wird ein offenes Sehnenfach des Extensor carpi ulnaris
(6. Sehnenfach) festgestellt. Die Sehne gleitet durch Extension und
Supination vom Sulkus auf das Capitulum ulnae über. ⊡ Abb. 5.18 Finkelstein-Test
5.1 · Allgemeines
81 5
auch das 2. Strecksehnenfach, in welchem der Extensor carpi ra- Verhärtung breitet sich zum Teil auf das Trapezoideum und das
diales longus und Extensor carpi radiales brevis verlaufen, ebenso Capitatum aus. In leichter Beugestellung kann die Veränderung
verdickt. Hin und wieder können mehrere Abduktorsehnen des auch deutlich sichtbar gemacht werden.
Daumens oder auch mehrere Sehnenscheidenfächer in diesem Röntgenologisch wird die Veränderung in etwa 30–40° Supi-
Bereich festgestellt werden. nation und 30° ulnarer Deviation in einem seitlichen Strahlengang
dargestellt. Diese osteokartilaginäre Veränderung kommt gehäuft
Gelenksteifen bei Frauen im Bereich der rechten Hand (2:1) zwischen dem 30.
Vor allem im Rahmen komplexer Verletzungen und bei inadäqua- und 50. Lebensjahr vor.
ter Nachbehandlung kann es zu Gelenkeinsteifungen im Handge- Sie verursacht ziehende Schmerzen im Bereich des Handrü-
lenk- und Fingerbereich kommen. Eine grundlegende Vorausset- ckens entlang der Extensor carpi radialis longus oder brevis sowie
zung für eine funktionelle Bewegung ist die freie passive Gelenkbe- bei Beugung des Handgelenks. Gelegentlich wird ein dorsales Gan-
weglichkeit ( Kap. 14). glion in diesem Bereich tastbar.
Als Therapie wird die totale Entfernung des Ganglions und die
Carpe bossu Entfernung der osteokartilaginären Exostose vorgenommen, wobei
Als Carpe bossu werden Veränderungen im Bereich der Basis des durch einen direkten Längsschnitt über dem Handrücken zwischen
2. oder 3. Mittelhandknochens bezeichnet, die am ehesten eine der Basis des 2. und 3. Mittelhandknochens die Sehne dargestellt
osteokartilaginäre Veränderung im Bereich der karpometarkar- und bis zur Ansatzstelle verfolgt wird. Durch eine subperiostale
palen Knochen darstellen. Nicht selten ist diese Veränderung mit Darstellung, ohne den Sehnenansatz zu tangieren, wird die Exos-
einem Ganglion im Bereich des Handgelenkrückens zu finden. Die tose dargestellt und mit dem Meißel am Karpus und am metakar-
Veränderungen sind sowohl sichtbar als auch palpabel und bilden palen Knochen abgetragen. Das eventuell vorhandene Ganglion
ein hartes Gebilde in diesem Bereich. Es ist gleichzeitig auch die wird ebenso vollständig exzidiert. Wir empfehlen im Bereich der
Ansatzstelle des Extensor carpi radialis longus oder Extensor carpi Exostose eine leichte Muldung der Knochen durch Herausnahme
radialis brevis an der Basis des 2. oder 3. Mittelhandknochens. Die der Exostose zu schaffen, um eine Reaktion der Knochen auf die
Sehne zu vermeiden. Schließlich wird eine Kapselnaht über der
entfernten Exostose mit einem 4/0 monofilen Faden angelegt. Eine
Ganglion Ruhigstellung ist für die Zeit der Wundheilung zu empfehlen, ein
Resektionsebene Rezidiv ist möglich und muss entsprechend mit dem Patienten
zuvor besprochen werden (⊡ Abb. 5.19).

5.1.6 Therapie

Für eine exakte Behandlung der Strecksehnen ist die Kenntnis der
funktionellen Anatomie der Strecksehnen von entscheidender Be-
deutung. Während dorsale Beweglichkeit bzw. Extension der Hand
im Handgelenk durch die Streckbewegungen ausschließlich der Ex-
tensoren der Unterarmregion erfolgt, wird die Streckung der Finger
ECRB
Os capitatum durch eine zusammenspielende Aktion der langen Strecksehnen der
Finger (extrinsisches System) und der kurzen Handbinnenmuskula-
tur (intrinsisches System) durchgeführt. Dabei wird das Extrinsic-
System der langen Fingerstrecker und das Intrinsic-Systems der
Handbinnenmuskulatur bei Streckung der Finger angesprochen.
Auf besondere Variationen der Strecksehnen und deren Verlauf
in gemeinsamen oder getrennten osteofibrösen Kanälen muss an
dieser Stelle hingewiesen werden.
Die Gleitfähigkeit der Strecksehnen wird durch lockeres, mehr-
gesunde Knorpelanteile
schichtig angeordnetes Verschiebegewebe, das Paratenon, gewähr-
leistet, durch das auch die Beziehung zwischen den benachbarten
Sehnen hergestellt wird. Darüber hinaus gibt es über der Handwur-
zel osteofibröse Kanäle, die an der Unterseite des Retinaculum ex-
tensorum verlaufen. Die Sehnen, die das Handgelenk in Richtung
Finger passieren, verlaufen in solchen osteofibrösen Kanälen bzw.
die Strecksehnen besitzen allein oder gruppenweise einen eigenen
Sehnenscheidenkanal. Es muss beachtet werden, dass die Streckung
und Beugung im Bereich der Grund-, Mittel- und Endgelenke der
Finger aus dem Zusammenspiel zweier Komponenten, nämlich
der Extrensic- und Intrensic-Systeme, zustande kommen, sodass
die Störung eines der beiden Systeme eine Funktionsstörung der
Exophytenabtragung Extensoren verursacht.
Die beiden Systeme wirken abhängig voneinander und syner-
⊡ Abb. 5.19 Carpe bossu an der Basis des 2./3. Mittelhandknochens, Capita- gistisch streckend auf das Grund- und Mittel- sowie Endgelenk ein.
tum und Trapezoideum Der Ausfall der EDC bewirkt die Beugung im Grundgelenk.
82 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

Es ist nicht die Aufgabe dieses Kapitels auf die genaue Anato- Nach 8-wöchiger Behandlung bleibt nicht selten nach Entfer-
mie und funktionelle Bedeutung der einzelnen Strukturen einzuge- nung der Schiene ein Streckdefizit von 5–10° zurück. In diesem
hen, sondern vielmehr die Reparationsmöglichkeiten der Streckap- Fall muss die Schiene für weitere 4 Wochen in der Nacht getragen
parate unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktion aufzuzeigen. werden.
Für das Verständnis der Therapie ist jedoch eine genaue Kennt- Falls notwendig, kann eine aktive Krankengymnastik ange-
nis der Anatomie, der funktionellen Anatomie und der Topografie schlossen werden.
notwendig. Die Gleitamplitude am Unterarm beträgt 40 mm, im Der Nachteil der Methode besteht in einer inkompletten
Bereich der Fingerglieder nur noch 1 mm. Strecksehnenadaptation bei vollständiger Strecksehnenruptur und
Aufgrund der verschiedenen Lokalisationen, Sehnendicke und Hautmazerationen unter der Plastikschiene bei unzureichender
unterschiedlicher Spannung ist die Dauer der Ruhigstellung nach Hautpflege.
operativer Versorgung der Strecksehnen in verschiedenen Zonen Weitere konservative Maßnahmen zur Behandlung der gedeck-
5 unterschiedlich. Da für die Sehnenheilung unter Umständen eine
lange Ruhigstellung nach Sehnennaht notwendig ist, müssen die
ten Strecksehnenrupturen am Endgelenk, die vielleicht eine bessere
Annäherung der beiden Sehnenenden ermöglichen, werden in
Fingergelenke in einer Stellung ruhiggestellt werden, die einer der Literatur beschrieben. So wird eine Fixierung des Fingers mit
Spannung der Kollateralbänder entspricht. Andernfalls kann es Überstreckung im DIP und Beugung im PIP und MP für 5 Wo-
durch zu lange Ruhigstellung zu einer Schrumpfung der Kapsel chen empfohlen.
und der Kollateralbänder kommen, wodurch die Funktion der Aufgrund der unphysiologischen Stellung der Finger und da-
Finger stark beeinträchtigt wird. Deshalb ist jede unphysiologische durch bedingter Schrumpfung der Kapsel und Kollateralbänder
Stellung der Finger, die zur Schrumpfung der Kollateralbänder und und Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Nachbarfinger, vor
der Kapsel führen kann, abzulehnen und vor allem nach einer ope- allem bei älteren Patienten, ist diese Methode nicht geeignet. Eine
rativen Versorgung der Strecksehne unbedingt zu vermeiden. Dermatodese bringt häufig kein gutes Ergebnis.
> Die Dauer der erforderlichen Ruhigstellung in den Zonen 8,
Knöcherner Strecksehnenausriss. Auch bei einem knöchernen
7 und 6 beträgt 3 Wochen. Die Dauer der Immobilisation
Strecksehnenausriss am Endglied kann eine konservative Behand-
nimmt nach distal zu:
lung mit Ruhigstellung auf einer Stack-Schiene eingeleitet werden.
▬ über dem Grundgelenk 4 Wochen,
Dabei muss das knöcherne Fragment so gut reponiert sein, dass
▬ über dem Mittelgelenk 5 Wochen,
es für 8 Wochen in einer Stack-Schiene ohne erneute Reposition
▬ über dem Endgelenk 8 Wochen.
ruhiggestellt werden kann. Eine Röntgenkontrolle bei liegender
Eine Mobilisierung der Sehne durch Antagonisten, hier
Stack-Schiene kann die gute Stellung des knöchernen Fragmentes
die »Beuger«, ist vor allem in den Zonen 5–8 im Sinne der
dokumentieren.
passiven Streckung (= umgekehrte Kleinert-Technik) vor-
teilhaft. Zone 2
Die konservative Behandlung der Strecksehnenverletzung in
Konservative Therapie Zone 2 erfolgt analog zur Versorgung in Zone 1, wobei die Ruhig-
Zone 1 stellung auf einer Stack-Schiene für 8 Wochen erfolgen muss.
Die Behandlung einer gedeckt rupturierten Strecksehnenverlet-
zung am Endgelenk ist primär immer eine konservative, zumal Zone 3
insgesamt nur 2–3% unbefriedigende Ergebnisse am Schluss der Die Behandlung der geschlossenen Strecksehnenverletzung über
konservativen Behandlung zu erwarten sind. Bei der konservati- dem Mittelgelenk kann sowohl konservativ als auch operativ erfol-
ven Behandlung wird lediglich das Endglied in Nullstellung oder gen, wobei der Erfolg der konservativen Behandlung aufgrund des
auch leichter Überstreckung für längere Zeit ruhiggestellt. Als komplizierten Aufbaues der Streckaponeurose fraglich ist.
ruhigstellende Verbände kommen Gips und Metallschienen sowie
Kunststoffschienen in Frage. Die einfache Methode besteht in der
Behandlung mit einer Kunststoffschiene nach Stack (1969), die das
Endglied in einer leichten Überstreckstellung hält. Dabei kann die
Schiene in Höhe des Mittelgliedes durch einen Klettverschluss am
Finger festgehalten werden (⊡ Abb. 5.20). Die Ruhigstellung erfolgt
uneingeschränkt für 8 Wochen. Eine unkontrollierte Entfernung
der Schiene ist strikt verboten. Danach wird die Schiene für weitere
4 Wochen nur nachts getragen.
Bei bestehender Perforation im Bereich der Kunststoffschiene
kann nach Waschungen die Feuchtigkeit im Bereich der Schienen
mit dem Fön vorsichtig beseitigt werden.

⊡ Abb. 5.20 Konservative Behandlung der gedeckten Strecksehnenruptur ⊡ Abb. 5.21 Mittelgelenkschiene für die konservative Behandlung der
Zone 1 und 2 (Stack-Schiene). (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Strecksehnenverletzung in Zone 3
5.1 · Allgemeines
83 5
Für die Ruhigstellung wird der verletzte Finger auf eine Un- ▬ schonender anatomischer Präparation der Sehnenstümpfe und
terarmgipsschiene mit einer eingesetzten palmaren Fingerschiene Sehnenscheiden unter Erhaltung der Blutversorgung,
ruhiggestellt, wobei das Grundgelenk in etwa 40°-Beugestellung ▬ Vermeidung von scharfem Anfassen der Sehnenoberfläche mit
gehalten wird. Mittel- und Endgelenk werden in voller Streckstel- Instrumenten (»No-Touch-Prinzip«),
lung ruhiggestellt. Die Zeit der Immobilisation bleibt unverändert ▬ Sehnennaht ohne Spannung und Überwerfung,
5 Wochen. Nach 3 Wochen können spezielle Schienenanordnun- ▬ Verschluss der Sehnenscheide und des Retinaculum extensorum,
gen im Sinne einer Streckquengelung, die lediglich das Mittelge- ▬ Anlegen eines dynamischen Schienenverbandes, je nach Mög-
lenk in Überstreckstellung halten, notwendig sein. Der Nachteil lichkeit,
der Methode besteht in einer Immobilisierung auch benachbarter ▬ Sicherstellung der Nachsorge.
Gelenke.
Die Ruhigstellung in dieser Zone kann auch in einer Mittel- Anforderungen an die operative Versorgung
gelenkschiene erfolgen, wobei Grund- und Endgelenk für die Be- Operationen an Strecksehnen müssen auch nach strengen hand-
weglichkeit frei bleiben (⊡ Abb. 5.21) Die Schiene muss mindestens chirurgischen Grundsätzen erfolgen. Wie bei den Beugesehnen hat
6 Wochen getragen werden. Je nach Verletzungsgrad ist der Er- auch bei den Strecksehnen die Durchführung des Eingriffs unter
folg dieser konservativen Behandlung nicht sicher. Eine eventuelle optimalen räumlichen, personellen und instrumentellen Voraus-
Operation muss bei der Aufklärung mit dem Patienten vor Beginn setzungen, unter Verwendung von Lupenbrille in Blutleere oder
der konservativen Behandlung besprochen werden. Blutsperre und bipolaren Koagulationen zu erfolgen. Auch hier
muss eine präoperative Vorbereitung und Planung erfolgen.
Operative Therapie Die Versorgung einer offensichtlichen Strecksehnenverletzung
Grundlegende Prinzipien der operativen Versorgung in halbaseptischen Ambulanzräumen ist keinesfalls gerechtfertigt.
Bei der Wiederherstellung aller Sehnenverletzungen, aber auch bei Die Gefahr der Retraktion und des Zurückschlüpfens des pro-
offenen Wunden mit Verdacht auf eine Sehnenverletzung, muss ximalen Sehnenstumpfes ist bei der Strecksehne vor allem im Be-
die Versorgung im aseptischen Operationssaal auf einem Armtisch reich der Finger und des Handrückens weniger gegeben, da diese
erfolgen. sich durch den Connexus intertendineus oder den jeweiligen Sei-
Eine zuverlässige und ruhige Assistenz, gute Lichtverhältnisse, tenzügel nur wenige Millimeter nach proximal verschieben. Eine
adäquates Instrumentarium, eine Vergrößerungsmöglichkeit durch Ausnahme hiervon bildet die lange Strecksehne des Daumens, die
Lupe oder Mikroskop und je nach Erfordernis eine Blutleere oder sich mehrere Zentimeter zurückziehen kann.
Blutsperre sind für die Versorgung der Sehne unerlässlich. Hand-
chirurgische Standards müssen eingehalten werden. Nahtmaterial
Steht einmal die Diagnose einer Sehnenverletzung fest, so muss Das gewählte Nahtmaterial sollte eine entsprechende Reißfestigkeit
die Versorgung in einer entsprechenden Leitungsblockade, in Ple- besitzen, damit weder das Nahtmaterial aus der Sehne herausreißt,
xusanästhesie oder in Vollnarkose erfolgen. noch sich die Reißfestigkeit des Fadens in kurzer Zeit verändert
und es zu einem Riss des Nahtmateriales kommt.
> Von einer Oberst-Leitungsanästhesie oder gar Lokalanästhe-
Im Allgemeinen werden reißfeste resorbierbare monofile Fä-
sie muss dringend abgeraten werden.
den Stärke 4/0 für die Strecksehnennaht angewandt. Es können in
Bei der Operation sollte die Wunde sorgfältig gereinigt und gesäu- bestimmten Zonen auch reißfeste nichtresorbierbare polyfile Fäden
bert und je nach Verletzung ein Wundabstrich zur Feststellung der mit glatter Oberfläche als Kernnaht angewandt werden, wobei zur
Keimart und -anzahl entnommen werden. Falls die ursprüngliche Adaptation 5/0 monofile resorbierbare Fäden eingesetzt werden.
Riss- oder Schnittverletzung zur besseren Darstellung und Wieder-
herstellung erweitert werden muss, sollten nur geeignete Schnitte Nahttechniken
ausgewählt werden, die keine Durchblutungsstörungen der Haut- Anforderungen an Nahttechniken
lappen oder eine Kontrakturbildung verursachen. Bei der saube- Der Nachteil der bisherigen Nahttechniken besteht in einem avas-
ren, scharf durchtrennten, frischen Wunde mit Stecksehnenverlet- kulären Nekroseanteil und einer entzündlichen Reizerscheinung
zung ist es normalerweise nicht nötig, die Sehnenenden zu kürzen. des Sehnengewebes durch das Nahtmaterial und Verklebung bei
Ein Anfassen der Sehnen mit der chirurgischen Pinzette führt zu Ruhigstellung trotz temporärer Bewegungsübungen sowie in einer
starker Traumatisierung und Veränderung der Sehnenoberfläche Störung des Heilungsverlaufes infolge unphysiologischer Vereini-
und zu sekundären Verklebungen. gung des Sehnengewebes. Die experimentellen Untersuchungen
Nach Sehnenversorgung und Entfernung der Blutleere wird die von Furlow (1976), Greulich et al. (1977) und Towfigh (1989)
durch die Hyperämisierung hervorgerufene Blutung zunächst durch zeigen, dass das Regenerationsvermögen von Endotenon und Epi-
Kompression gestillt. Nach ca. 5 min kann mit dem bipolaren Mik- tenon nur bei intakter Gefäßversorgung der Sehnenstümpfe unter
rokoagulator die Blutstillung durch feine Koagulation erfolgen. biologisch und mechanisch günstigen Voraussetzungen erfolgen
Da bei jeder Operation eine ausreichende Säuberung und kann. Aufgrund der experimentellen Untersuchungen sind an die
Reinigung vorgenommen wird, ist nur bei starker Verschmutzung chirurgische Sehnennaht folgende Anforderungen zu stellen:
und Fremdkörpereinsprengungen eine kurzfristige perioperative 1. sorgfältige Schonung der anatomischen Blutversorgung, vor
Antibiotikagabe angezeigt. allem durch Schonung der Vincula tendineum im Sehnen-
Falls eine Schnitterweiterung zur besseren Darstellung der Seh- scheidentunnel und durch atraumatische, gewebsschonende
nen notwendig wird, sollten zuvor die Durchblutungsverhältnisse Operationstechnik;
der entstandenen Hautlappen überprüft werden. Es muss auch 2. Vermeidung der avaskulären Sehnennekrosen, die infolge von
darauf geachtet werden, die verletzten Connexus intertendinei Sehnenquetschungen und Strangulation durch Nahtmaterial
wiederherzustellen. und Nahttechniken entstehen und auch bei erhaltener Blut-
Die wesentlichen Prinzipien zur Versorgung der Sehnen be- versorgung eine sekundäre Sehnenheilung mit proliferativen
stehen in: Verklebungen am Gleitlager zur Folge haben;
84 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

3. frühfunktionelle Zugbeanspruchung der Sehnennaht, die in gewissem Sinne obligater Bestandteil der Sehnennaht und daher
keine Dehiszenz verursacht, aber eine Wiederherstellung der praktisch nicht immer vermeidbar ( Kap. 6).
Sehnenstruktur begünstigt.
Operative Zugangswege
Nahtmethoden Vor jeder Operation muss die Schnittführung überlegt und der je-
Verschiedene Nahtmethoden sind entwickelt und verfeinert wor- weiligen Situation entsprechend angepasst werden. Auf der Dorsal-
den, um den hohen Anforderungen einer gewebeschonenden seite der Hand und des Handgelenks besitzt die Haut transversale
atraumatischen Operationstechnik gerecht zu werden. Grundsätz- Faltenbildungen. Daher müssen die Schnittführungen in den Falten
lich werden drei Nahttechniken angewandt. Andere Nahttech- oder parallel dazu angelegt werden, um die störende Narbenbil-
niken, die als Hilfsmittel benützt werden, können zusätzlich zu dung zu vermeiden. Die Schnittführung und somit die Hautnarbe
diesen generellen Nahttechniken eingesetzt werden. Als generelle darf später nicht die Gleitfähigkeit der Sehne beeinträchtigen.
5 Strecksehnennahttechniken werden angewandt (⊡ Abb. 5.22): Um glatte und bessere Narbenverhältnisse vor allem beim Faust-
1. U-Nähte, schluss zu erreichen, werden im Bereich des Handrückens und auf
2. Kernnaht nach Zechner und der Streckseite der Finger S-, Z- und stufen- oder wellenförmige
3. Durchflechtungsnaht nach Pulvertaft. Schnittführungen angelegt. Sowohl die Schnittführung als auch
die Erweiterungsschnitte sollen so angelegt werden, dass in der
Die Hilfsnähte, die zur Unterstützung vor allem der U-Nähte ein- gleichen Sitzung auch die Begleitverletzungen mitversorgt werden
gesetzt werden können, sind: können ( Kap. 4). Quer angelegte Inzisionen, vor allem im Bereich
1. Lengemann-Draht-Naht (selten), des Handrückens, führen infolge der Anspannung der Hautdecke
2. Ausziehdrahtnaht und beim Faustschluss zu einer Zugbeanspruchung, durch die es zur
3. Mitek-Anker. Narbenkontraktur und Keloidbildung kommen kann.
Bei einer Inzision am Hand- und Fingerrücken müssen die
Die primäre Sehnennaht ist heute Methode der Wahl bei der sensiblen Äste der Nn. radialis und ulnaris auch im Fingerbereich
Versorgung der Sehnen. Bei bestehender Kontraindikation ist der mitberücksichtigt und geschont werden.
primäre Wundverschluss, die spätprimäre Sehnennaht oder die Für den Sehnentransfer vom Handrücken haben sich vor al-
verspätete Sehnentransplantation die Behandlung der Wahl. Eine lem kurze Längsschnitte proximal der Grundgelenke durchgesetzt.
kontrollierte Bewegung in einer dynamischen Schiene unterstützt Bogenförmige Schnitte dorsoradial oder dorsoulnar haben sich für
wesentlich den Heilungsprozess der Sehne. Die elektromyografi- einen begrenzten Eingriff im Bereich der Sehnenhaube am Grund-
schen Untersuchungen haben gezeigt, dass die genähte Strecksehne und Mittelgelenk gut bewährt. Im Bereich der Zone 1 können
im dynamischen Zugverband nicht unter Spannung steht bzw. winkel- oder bayonettförmige Inzisionen eine gute Übersicht der
während der aktiven Beugung eine Entspannung erfährt. Während Sehnen ermöglichen.
der Streckung bringt das Gummiband den Finger in Streckung,
sobald die Beuger erschlaffen. Eine frühe Bewegung zusammen Operative Techniken
mit einer genauen atraumatischen Technik soll die Bildung fester Aufgrund der Vielfalt der Techniken in den einzelnen Zonen wird
Adhäsionen zwischen der Sehne und dem umgebenden Gewebe die operative Versorgung der Strecksehne in den einzelnen Zonen
begrenzen. Diese Methode wird für die primäre Sehnenwiederher- im speziellen Teil ausführlich behandelt.
stellung an der Hand, aber auch bei verzögerter Primärversorgung
bis zum 14. Tag nach Durchtrennung der Sehnen, allgemein ange- Weiterbehandlung
wendet. Die Ruhigstellungszeit ist je nach Zone unterschiedlich und wird
Tierexperimentelle Arbeiten (Leistikow 1975) zeigen, dass bei der jeweiligen Versorgung der Zonen mit angegeben (siehe
auch bei intakter Blutversorgung eine mehr oder weniger ausge- unten). Für die konservative Behandlung der Zone 1–3 werden
prägte avaskuläre Nekrose der Sehnenstümpfe infolge von Stran- jeweils 6–8 Wochen Schienenruhigstellung und darüber hinaus
gulation durch das Nahtmaterial verursacht wird. Dadurch wird nächtliche Schienenruhigstellung eingesetzt (s. »Konservative Be-
die sekundäre Sehnenheilung mit Verwachsungen zum Gleitlager handlung«).

a b c

⊡ Abb. 5.22 Häufigste Nahttechniken für die Versorgung der Strecksehne. a U-Nähte, b Kernnaht modifiziert nach Zechner, c Durchflechtungsnaht nach Pul-
vertaft. (Aus Nerlich u. Berger 2003)
5.2 · Spezielle Techniken
85 5
Die Ruhigstellung nach Naht der Strecksehnen in Zone 4–8 5.1.7 Besonderheiten im Wachstumsalter
erfolgt auf einer Schiene in Intrinsic-plus-Stellung ( Kap. 14).
Für die dynamische Bewegungsübung der Strecksehne wird Im Allgemeinen wird auch im Wachstumsalter ähnlich wie bei
ähnlich wie bei der Beugesehne auch ein Gummizügel eingesetzt. den Erwachsenen vorgegangen, wobei auf die knöchernen Streck-
Der Gummizügel wird am Schienenverband des Unterarmes so sehnenverletzungen im Ansatz der Sehnen bei offener Epiphyse
fixiert, dass der verletzte Finger in Streckstellung gehalten wird geachtet werden muss. Hier ist bei Frakturen der Epiphyse oder
(⊡ Abb. 5.23). Durch Innervation der Antagonisten, nämlich der einer Epiphysiolyse eine operative Intervention und Fixation mit
Beugesehnen, und Beugung des verletzten Fingers wird die ge- Kirschner-Draht erforderlich, um eine Wachstumsstörung zu ver-
nähte Strecksehne bewegt. Durch Gleiten der Sehne wird die Naht meiden. Im Allgemeinen wird in solchen Fällen wie bei Frakturen
jedoch nicht unter Zug gebracht, da eine Kontraktion der Streck- im Kindesalter vorgegangen.
muskulatur vom Unterarm nicht erfolgt. Dadurch ist die Verwach- Bei isolierten Sehnennähten ohne knöcherne Verletzung wer-
sungstendenz stark herabgesetzt. Der Patient beginnt mit aktiven den die einzelnen Zonen wie bei Erwachsenen behandelt. Hierbei
Übungen durch Beugung des Fingers gegen den Widerstand des muss auf dünneres Nahtmaterial 5/0 oder 6/0 zurückgegriffen
Gummizügels bereits ab dem ersten postoperativen Tag. Diese werden. Die Zeit der Ruhigstellung wird in jeder Zone beibehalten.
Übungen können mehrmals am Tag unter Anleitung erfolgen. Auf einen dynamischen Verband wird verzichtet.
Der passive Teil des Übungsprogrammes wird vom Therapeuten
durchgeführt. Unter Entlastung aller anderen Gelenke werden die
einzelnen Fingergelenke passiv sowohl in volle Flexion als auch in 5.2 Spezielle Techniken
volle Extension gebracht. Dieselbe Technik und Vorgehensweise
kann auch bei Strecksehnen in bestimmten Zonen angewandt 5.2.1 Primäre Strecksehnennaht Zone 1
werden.
Bei offenen Verletzungen einer Strecksehne am Endglied erfolgt
die sofortige operative Versorgung entsprechend dem Vorgehen bei
einer offenen Gelenkverletzung.

Durchtrennung der Strecksehne. Nach Säuberung des Ge-


lenks wird zunächst mit einem dünnen Kirschner-Draht mit ei-
nem Durchmesser von 1 mm eine Arthrodese des Endgelenks
durchgeführt. Die Arthrodese kann sowohl von der Fingerkuppe
aus als auch seitlich angebracht werden. Der seitlich eingeführte
Kirschner-Draht hat den Vorteil der geringeren Infektionsrate. Der
Kirschner-Draht wird jeweils unter dem Hautniveau gekürzt. Die
temporäre Arthrodese erfolgt in leichter Überstreckung des End-
gliedes, um die Naht der Strecksehne spannungsfrei durchführen
zu können. Die Sehnennaht selbst wird durch 3 U-Nähte mit mo-
nofilem synthetischen Faden Metric 1 (4/0) mit glatter Oberfläche
⊡ Abb. 5.23 Dynamische Nachbehandlung in einer Unterarmschiene. Be- durchgeführt. Die temporäre Kirschner-Draht-Arthrodese kann
troffene Finger werden durch eine Gummibandextension um das Grundglied nach 6 Wochen entfernt werden. Nach Abheilung der Drahtstelle
in 30° Flexion geblockt. Durch passive Extension und Zug des Gummibandes sollte dann eine selbsttätige aktive krankengymnastische Übungs-
wird die Sehnennaht entlastet (inverse Kleinert-Technik) behandlung angeschlossen werden (⊡ Abb. 5.24).

⊡ Abb. 5.24 a–d Versorgung einer Strecksehnenverletzung Zone 1 Typ 2. Sehnenruptur proximal der Einstrahlung des Landsmeer-Bandes Streckdefizit >45°,
zunehmende Schwanenhalsdeformität. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
86 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

5.2.2 Reinsertion der Strecksehne Zone 1 Bei größeren knöchernen Strecksehnenausrissen kann das
Fragment durch einen Kirschner-Draht fixiert und gleichzeitig
Die Durchtrennung der Streckaponeurose kann auch unmittelbar die temporäre Arthrodese des Endgelenks durchgeführt werden.
am knöchernen Ansatz erfolgen, oder mit einem kleinen knöcher- Nach retrogradem Einführen des Drahtes wird das Fragment in
nen Fragment ausgerissen sein. Bei Abkippung oder bei einem reponierter Stellung gehalten und dann der Draht orthograd nach
größeren, nicht adaptierbaren knöchernen Fragment muss eine
operative Fixation des knöchernen Strecksehnenausrisses erfolgen,
wenn dies mehr als ein Drittel des Endgelenks bildet.
Hier kann gelegentlich auch die ausziehende Naht nach Bunnell
oder die Naht nach Lengemann angewandt werden. Die beiden zu-
vor genannten Nahttechniken können durch Mitek-Anker ersetzt
5 werden. Der Mitek-Anker wird an der Ansatzstelle der Sehne tief
im streckseitigen Endgliedknochen angebracht. Mit den armierten
Fäden wird die Sehne angenäht, wobei der kleine Knöchel adap-
tiert werden sollte. Dabei kann ebenso eine temporäre Arthrodese
des Endgelenks zur Entlastung der Naht angeschlossen werden. a
Ein Tangieren des Kirschner-Drahtes mit der Ausziehdrahtnaht
oder Lengemann-Naht muss vermieden werden. Die temporäre
Arthrodese und die Drahtnaht können nach 6 Wochen entfernt
werden. Der Mitek-Anker bleibt selbstverständlich im Knochen
verankert (⊡ Abb. 5.25).

a b

c
⊡ Abb. 5.26 Knöcherner Strecksehnenausriss Zone 1 mit mittelgroßem
Fragment. a Präoperativer Aspekt, b Einbringen eines an beiden Enden an-
⊡ Abb. 5.25 Refixation des knöchernen Strecksehnenausrisses Zone 1 mit- gespitzten Kirschner-Drahtes durch die Frakturfläche der Endphalanxbasis,
tels Lengemann-Ausziehnaht. a Ansicht von lateral, b Ansicht von lateral. c c nach Reposition des Fragments Zurückbohren des Kirschner-Drahtes, d
Zur Sicherung der Naht kann eine temporäre DIP-Arthrodese mittels axialem fixiertes knöchernes Fragment und temporärer Arthrodese mit gleichem
Kirschner-Draht erfolgen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Kirschner-Draht. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
5.2 · Spezielle Techniken
87 5

a b d e f

⊡ Abb. 5.27 Versorgung einer Strecksehnenverletzung Zone 1 Typ 4: großer knöcherner Abriss (mit Luxation des Endgelenks nach palmar) – mithilfe einer
Schraubenosteosynthese. a Röntgenbefund präoperativ (d. p. Strahlengang), b Röntgenbefund präoperativ (lateraler Strahlengang), c intraoperativer Aspekt
nach Darstellung der Gelenkfraktur, d intraoperativer Aspekt nach Fixierung des Knochenfragments mithilfe einer Minifragmentschraube und Vorbohren mit-
hilfe eines Kirschner-Drahtes (1,2 mm), e postoperative Röntgenkontrolle (d. p. Strahlengang), f postoperative Röntgenkontrolle (lateraler Strahlengang)

proximal eingeführt, sodass zuerst die Fixation des Fragmentes


und danach die Arthrodese mit demselben Draht erfolgen kann.
Die Ruhigstellung auf einer Fingerschiene erfolgt für die Zeit der
Wundheilung; der Draht wird nach 6 Wochen entfernt. Auch ist
eine isolierte Fixation des knöchernen Strecksehnenausrisses an
dem Hauptfragment des Endgliedes möglich, wobei dann zusätz-
lich eine temporäre Kirschner-Draht-Arthrodese des Endgelenks
durchgeführt werden soll, um die Dislokation durch unbeherrsch-
tes Bewegen am Endgelenk zu vermeiden (⊡ Abb. 5.26).
Eine weitere Möglichkeit der Refixierung bei großen knöcher-
nen Fragmenten besteht in der Schraubenosteosynthese. Oberstes
Ziel neben der Reinserierung der Strecksehne ist die anatomisch
exakte Wiederherstellung der Gelenkfläche an der Endgliedbasis
⊡ Abb. 5.28 Raffnaht nach Georg (1959) und Pulvertaft (1948)
(⊡ Abb. 5.27).

5.2.3 Veraltete bzw. sekundäre Strecksehnennaht


Zone 1

Bei unbefriedigendem Ergebnis einer konservativen Behandlung


kann sekundär eine operative Raffung der bereits während der
konservativen Phase gebildeten Narbe im Bereich der Streckapo-
neurose mit resorbierbarem Faden Stärke 4/0 in U- oder Z-Nähten
durchgeführt werden, wobei hier eine temporäre Arthrodese des
Endgelenks mit einem Kirschner-Draht von 1 mm Durchmesser
durchgeführt werden muss. Die Dauer der Ruhigstellung ent-
spricht derjenigen bei offenen und frischen Strecksehnenverlet-
zungen am Endgelenk. Der Kirschner-Draht wird nach 6 Wochen
entfernt (⊡ Abb. 5.28).
Selten kommen bei langstreckiger Diastase oder Vernarbung
Rekonstruktionsverfahren zur Anwendung, die zur Wiederherstel-
lung ein dünnes Sehnentransplantat aus der Sehne des M. palmaris
longus verwenden. Ein dünnes Sehnentransplantat wird durch
einen Bohrkanal, der quer an der Endgelenkbasis angebracht ist, ⊡ Abb. 5.29 Strecksehnenplastik Zone 1 und 2 nach Nichols (1966)
88 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

durchgezogen und kreuzförmig an den jeweiligen Schenkeln der


Seitenzügel durchflochten und an diese angenäht (⊡ Abb. 5.29) Im-
mer sollten diese Verfahren jedoch mit einer temporären Kirsch-
ner-Draht-Arthrodese für mindestens 6 Wochen kombiniert wer-
den. Als letzte Option steht die Operation einer funktionsgerech-
ten Endgelenkarthrodese mit retrograd angebrachter Zugschraube
zur Verfügung.

5.2.4 Primäre Strecksehnennaht Zone 2

a
5 Bei totaler Ruptur oder Durchtrennung ist die U-Naht der Sehne
und temporäre Arthrodese des Endgelenks für 6 Wochen angezeigt
(wie am Endgelenk).
Bei fehlender Versorgung der Sehne auch in dieser Zone kann
es zu einer sekundären Schwanenhalsdeformität kommen.

5.2.5 Veraltete bzw. sekundäre Strecksehnennaht


Zone 2

Die sekundäre Versorgung in dieser Zone entspricht der primären


Versorgung bzw. der sekundären Versorgung in Zone 1.

5.2.6 Primäre Strecksehnennaht Zone 3 b

Für die Versorgung der Strecksehne in diesem Bereich ist ein dor-
solateraler Längsschnitt ausreichend, da die Retraktion der Sehne
in diesem Bereich sehr gering ist ( Kap. 4).
Bei Eröffnung des Gelenks muss das Gelenk ausreichend mecha-
nisch durch Spülungen gereinigt werden. Durch Mobilisierung des
Tractus intermedius lassen sich die kleineren Defekte im Bereich der
Mittelgelenkhaube gut ausgleichen. Dabei wird der Tractus interme-
dius von den Seitenzügeln in einer Länge von etwa 15 mm abgelöst
und die Strecksehne nach distal verlagert. Nach erfolgter Reinsertion
kann dann der Tractus intermedius mit dem Seitenzügel wieder
vernäht werden. Die Naht erfolgt mit 4- bis 5/0 atraumatischem mo-
nofilem Faden mit glatter Oberfläche, wobei hier durch Einzelknopf-
U-Nähte eine gute Fixation erreicht wird (⊡ Abb. 5.30a–c).
Eine zusätzliche Kirschner-Draht-Osteosynthese, die schräg c
bei vollständig gestrecktem Mittelgelenk angebracht wird, sorgt für
eine temporäre Arthrodese des Gelenks, die insgesamt 5 Wochen
belassen werden soll. Der Kirschner-Draht wird schräg durch das
Gelenk angebracht und das Ende des Drahtes subkutan versenkt,
sodass die Gefahr einer Infektion so gering wie möglich gehalten
wird (⊡ Abb. 5.30d). Die Rekonstruktion kann zusätzlich bei knö- d
chernem Ausriss mit einer Ausziehnaht nach Lengemann verstärkt
werden (⊡ Abb. 5.30e)
Nach Wiederherstellung des Tractus intermedius kann auch
eine Ruhigstellung auf einem entsprechenden Fingerschienenver-
band (bei bestehender Compliance) anstatt eines transartikulären
Kirschner-Drahtes erfolgen. Hierbei wird das Grundgelenk leicht
gebeugt, das Mittel- und Endgelenk gestreckt gehalten. Der Schie-
e
nenverband muss ebenfalls für 5 Wochen eingehalten werden.

⊡ Abb. 5.30 Primäre Versorgung der verletzten Tractus intermedius durch


5.2.7 Reinsertion der Strecksehne Zone 3
U-Nähte und temporäre Arthrodese. a Operativer Zugang, b intraoperativer
Befund vor Naht, c intraoperativer Befund nach Naht, d Schema: Sehnen-
Die Durchtrennung des Tractus intermedius kann auch unmittel- naht durch U-Nähte am Mittelgelenk und Transfixation mit Kirschner-Draht,
bar am knöchernen Ansatz an der Mittelgliedbasis erfolgen, sodass e Schema: Zusätzliche Verstärkung der U-Naht mithilfe einer Lengemann-
eine primäre Sehnennaht nicht möglich ist. Für diese Situation ha- Ausziehnaht. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
5.2 · Spezielle Techniken
89 5

a b

c d

⊡ Abb. 5.31 Reinsertion des Tractus intermedius durch angebrachte transossäre Naht an der Basis des Mittelgliedes. a Intraoperativer Aspekt nach Darstel-
lung des Tractus intermedius, b Vorbohren des Knochenkanals im Bereich der Mittelgliedbasis, c Durchzug des Fadens mithilfe einer UCL-Nadel, d intraopera-
tiver Aspekt nach Rekonstruktion des Mittelzügels

ben sich die transossäre Naht (⊡ Abb. 5.31), die Ausziehnaht nach
Lengemann und die Implantation eines Knochenankers bewährt
(⊡ Abb. 5.32).
Größere knöcherne Ausrisse können mit Kleinfragmentmi-
nischrauben nach offener Reposition stabilisiert werden. Je nach
Stabilität der Osteosynthese muss dann über die Dauer der Ruhig-
stellung entschieden werden (⊡ Abb. 5.33).
Die Dauer der Ruhigstellung bzw. der temporären Arthrodese
beträgt 5 Wochen. Beim Fehlen des distalen Sehnenanteils bzw.
Narbensaumes wird, falls eine Reinsertion nicht möglich ist, die
Behandlung wie bei der Defektbildung vorgenommen.
Es werden mehrere Operationsverfahren für die Versorgung
der Knopflochdeformität bzw. veralteter Verletzungen des Tractus
intermedius angegeben.

5.2.8 Strecksehnenplastik nach Defektbildung am


Mittelgelenk (Knopflochdeformität)

Nach einer älteren Verletzung der Strecksehne ist eine End-zu-


End-Naht nur selten möglich. Wegen des Ausmaßes der dege-
a b nerativen Veränderungen der Sehnenstümpfe muss zudem eine
ausgiebige Stumpfanfrischung vorgenommen werden, weshalb
⊡ Abb. 5.32 Reinsertion des Tractus intermedius durch Mitek-Anker und nun ein längerer Defekt im Bereich der zu versorgenden Streck-
temporäre Arthrodese mit Kirschner-Draht. a Klinischer Aspekt präoperativ, sehne entsteht. Für den Finger kommt ein Sehnentransfer in
b radiologischer Aspekt postoperativ Frage.
90 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

⊡ Abb. 5.33 Schraubenostheosynthese des knö-


chernen Strecksehnenausrisses des Tractus inter-
5 medius. a Röntgenbefund präoperativ (d. p. Strah-
lengang), b Röntgenbefund präoperativ (lateraler
Strahlengang), c Röntgenbefund postoperativ
(d. p. Strahlengang), d Röntgenbefund postpera-
a b c d
tiv (lateraler Strahlengang); 1,3-mm-Schrauben

Dabei wird ein Sehnentransfer von den umliegenden Sehnen zur


Wiederherstellung der Streckaponeurose verwendet. Hier sind
mehrere Methoden geläufig.

Strecksehnenplastik nach Defektbildung am a


Mittelgelenk nach Matev
Die Operation nach Matev (1964) wird durch einen abgetrennten
Seitenzügel an dem verletzten Finger durchgeführt (⊡ Abb. 5.34).
Dabei wird der proximale Teil von der Unterseite her durch einen
Schlitz im Tractus intermedius dorsomedial über das Mittelgelenk
hinweggeführt und in Streckstellung durch Einzelknopfnähte an
der Aponeurose und an der Basis der Mittelphalanx fixiert. Gleich- b
zeitig erfolgt zur Verbesserung der Beugefähigkeit im Endgelenk
eine Verlängerungsplastik des stehengebliebenen Seitenzügels, der ⊡ Abb. 5.34 Technik der Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mit-
etwas weiter distal durchtrennt und mit dem etwas länger gelasse- telgelenk nach Matev. a Planung der Rekonstruktion, b Rekonstruktion am
nen distalen Stumpf des durchtrennten Seitenzügels vernäht wird. Ende der Operation. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Eine temporäre Kirschner-Draht-Arthrodese stellt das Mittelge-
lenk für 5 Wochen ruhig.

Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel-


gelenk nach Hellmann
Die Operation nach Hellmann (1964) wird durch Isolierung der
Seitenzügel und Längsspaltung derselben durchgeführt. Dabei wer-
den die medialen Anteile der Seitenzügel zur Wiederherstellung
a
der Mittelgelenkstreckfunktion dorsomedial durch Einzelknopf-
nähte miteinander verbunden. Damit wird eine relativ gute Stre-
ckung des Mittelgelenks erreicht (⊡ Abb. 5.35). Wir empfehlen hier
eine temporäre Kirschner-Draht-Arthrodese für 5 Wochen.

Technik
▬ Leicht dorso-medialer oder dorso-ulnarer bogenförmiger
streckseitiger Zugang oder Schnitterweiterung nach distal und b
proximal.
▬ Präparieren des Mittelzügels und der beiden Seitenzügel. ⊡ Abb. 5.35 Technik der Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel-
▬ Längsspalten beider Seitenzügel. Die jeweils mittig gelegenen gelenk nach Hellmann. a Planung der Rekonstruktion, b Rekonstruktion am
Anteile der abgespaltenen Seitenzügel werden zur Rekonstruk- Ende der Operation. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
tion des Mittelzügels verwandt und mit 4/0 vernäht.

Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel-


gelenk nach Littler Nach Umschlingung des gegenüberliegenden Seitenzügels wird
Die Methode, die durch Littler (1964) bekannt wurde, besteht ebenso der Sehnenstreifen durch einen quer angelegten Bohrkanal im Be-
in einem Ablösen eines Seitenzügels distal, der dann diagonal dorsal reich der Mittelgliedbasis geführt und dann mit dem distalen Ende
der Streckaponeurose über das Mittelgelenk geführt wird. des Tractus intermedius vernäht (⊡ Abb. 5.36).
5.2 · Spezielle Techniken
91 5

⊡ Abb. 5.36 Technik der Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel-


gelenk nach Littler. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

b
Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel-
gelenk nach Snow
Die Umkippplastiken, die von Snow (1973) und Wilhelm (1983)
angegeben wurden (⊡ Abb. 5.37), bestehen in einer Ablösung
des dorsomedialen Abschnittes der Streckaponeurose distal des
Grundgliedes gestielt in etwa 4 mm Breite. Nach Ablösung der
Streckaponeurose wird diese nach distal umgeschlagen und nach
c
vorsichtiger Präparation zwischen dem Tractus intermedius und
der der Mittelphalanx aufliegenden Verschiebeschicht nach distal
geführt und unmittelbar vor der Mittelphalanxbasis durch eine
⊡ Abb. 5.37 Technik der Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mit-
quere Inzision herausgeleitet und genäht.
telgelenk nach Snow. a Planung der Rekonstruktion, b und c Rekonstruktion
Zusätzliche Einzelknopfnähte mit 4/0 atraumatischem mo-
am Ende der Operation. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
nofilem Faden befestigen die Umkippplastik im Bereich der Seh-
nennarbe und der Mittelphalanxbasis. Hier wird eine zusätzli-
che temporäre Kirschner-Draht-Arthrodese des Mittelgelenks für
5 Wochen empfohlen.
Es werden weiterhin viele Variationen des Sehnentransfers zur
Wiederherstellung des Tractus intermedius angegeben, die jedoch
keine große Resonanz gefunden haben.

Technik
▬ Leicht bogenförmiges Umschneiden des Mittelgelenks streck-
seitig. ⊡ Abb. 5.38 Technik der Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel-
gelenk nach Fowler. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
▬ Präparation eines Sehnenstreifens aus dem Tractus interme-
dius in Höhe des Grundgelenks, distal gestielt.
▬ Umschlagen des gehobenen Sehnenstreifens um 180°. Kräftige
Nähte an der Umschlagfalte mit 4/0 PDS. 5.2.9 Primäre Strecksehnennaht Zone 4
▬ Nähte mit dem verbliebenen Sehnenstumpf des Mittelzügels
oder ggf. transossäre Refixation. Bei umschriebener Verletzung und Defektbildung im zentralen
▬ Der Hebedefekt wird mit 4/0 verschlossen. Anteil, bzw. im Bereich des Tractus intermedius, wird trotz erhalte-
ner Funktion eine Adaptation der Sehnenränder mit 4/0 atraumati-
Strecksehnenplastik nach Defektbildung am Mittel- schem monofilem Faden zur Optimierung des Ergebnisses durch-
gelenk nach Fowler geführt. Auch die isolierte Verletzung eines der beiden Seitenzügel
Zur Wiederherstellung größerer Defekte im Bereich des Tractus wird in gleicher Form durch 4/0 atraumatischen monofilen Faden
intermedius werden Sehnentransplantate eingesetzt. Die klassi- durchgeführt. Zur Verstärkung der Naht kann eine Lengemann-
sche Sehnenplastik wurde von Fowler (1959) beschrieben; sie Ausziehnaht eingesetzt werden (⊡ Abb. 5.39).
wird heute wegen wenig überzeugender Ergebnisse nicht mehr
angewandt. Eine zweite von Fowler angegebene Methode stellt
eine ganz wesentliche Korrektur der ersten Operationsmethode 5.2.10 Primäre Strecksehnennaht Zone 5
dar. Hier wird das Transplantat ausschließlich zur Korrektur des im Fingerbereich
verletzten Tractus intermedius verwendet, die Seitenzügel bleiben
unangetastet. Zur Befestigung des Transplantates wird ein querer Die Versorgung der Strecksehne über dem Grundgelenk erfolgt
Bohrkanal im dorsomedialen Bereich der Mittelphalanxbasis an- durch die entlastende U-Naht. Diese Maßnahme ist leicht möglich,
gelegt, und nach Durchzug des Transplantates führt man den Seh- da die Sehne in diesem Bereich relativ dick ist. Das Gelenk ist meist
nenstreifen gekreuzt über das Mittelgelenk nach proximal. Nach mit eröffnet und muss dann immer mit revidiert werden. Erst danach
Durchkreuzen der schrägen Fasern der seitlichen Aponeurosen- erfolgt die Naht der Kapsel und der Sehne. Die exakte Adaptation
abschnitte wird dann das Transplantat mit 4/0 monofilem Faden der Sehnenenden erfolgt durch mehrere U-Nähte mit 4/0 atrauma-
an der Streckaponeurose angenäht, temporäre Kirschner-Draht- tischem monofilem Faden; bei den adaptierenden Nähten muss auch
Arthrodese (⊡ Abb. 5.38). auf die gute Gleitfähigkeit der Sehne geachtet werden (⊡ Abb. 5.40).
92 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

5.2.11 Primäre Strecksehnennaht Zone 5 im


Daumenbereich

Die Verletzungen beider Strecksehnen im Bereich des Daumen-


grundgelenks lassen sich durch mehrere U-Nähte wie oben beschrie-
ben gut versorgen. Zusätzlich muss auch hier die exakte Stumpfad-
aptation durch feinen 4/0 atraumatischen monofilen Faden erfolgen.
Nach chirurgischer Versorgung der Sehnen und der seitlichen
Anteile der Streckaponeurosen, sowohl bei der offenen als auch bei
der geschlossenen und bei der sekundären Versorgung der Verlet-
zungen, muss immer eine Ruhigstellung des verletzten Fingers für
5 4 Wochen erfolgen, wobei der Finger in einer palmar angelegten
Gipsschiene am Unterarm ruhiggestellt wird. Dabei werden das
Handgelenk in einer leichten Dorsalflexion, die Grundgelenke in
einer 60°-Beugestellung und die Mittel- und Endgelenke in einer
Streckstellung ruhiggestellt. Nach Versorgung der Verletzungen im
Bereich des 3. bis 5. Fingers müssen dann alle drei Finger ruhigge-
stellt werden.
Nach Versorgung der Strecksehnen oder der Strecksehnenhau-
ben im Bereich des Daumengrundgelenks ist eine Ruhigstellung
in einer Steigbügelschiene für insgesamt 4 Wochen erforderlich.
Anschließend kann vorsichtig mit krankengymnastischen Bewe-
gungsübungen begonnen werden.
Werden im Bereich der Grundgelenke Lengemann-Auszieh-
drahtnähte verwendet, so muss beim Anlegen der Drahtnähte darauf
a geachtet werden, dass der Draht nicht durch die Gelenkkapsel oder
gar ins Gelenk auf den Gelenkknorpel des Mittelgliedköpfchens ein-
dringt bzw. hier zu liegen kommt, da er dann hier eine höchst uner-
wünschte Synovitis und Gelenkknorpelverletzungen hervorruft.

5.2.12 Rekonstruktion von veralteten Verletzungen


b über den Grundgelenken Zone 5

Bei Defektbildungen im Bereich der seitlichen Anteile der Strecka-


⊡ Abb. 5.39 Technik der primären Sehnennaht Zone 4. a Ansicht von dorsal, poneurose nach frischen oder veralteten Verletzungen können die
b Ansicht von lateral Rekonstruktionen zur Vermeidung einer Sehnenluxation erfolgen.

⊡ Abb. 5.40 Operative Versorgung der Strecksehne und Strecksehnenhaube bei frischer Verletzung. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001
5.2 · Spezielle Techniken
93 5
Dabei ermöglicht eine einfache Doppelung oder Raffung des in- wird durch Einzelknopfnähte die Fixierung der umgeschlagenen
tertendinösen Gewebes (⊡ Abb. 5.41) eine Wiederherstellung der Streckaponeurose vorgenommen (⊡ Abb. 5.41b).
Sehnenbalance. Ein weiteres Operationsverfahren wird von Michon angegeben.
Weitere operative Möglichkeiten zur Beseitigung der Balance- Hier werden Teile der Strecksehne distal gestielt zur verletzten
störung der Strecksehnen bestehen in einem Einrollen der Sehne Seite der Streckaponeurose umgeklappt und dort mit dem lateralen
mit einem Teil der Streckaponeurose zur gesunden Seite; hier Rand des Sehnenhäubchens oder Lig. transversum intercarpeum
bzw. der Kapsel vernäht (⊡ Abb. 5.41c).
Bei der Operation nach Wheeldon wird die Junctura tendinea
durchtrennt, zur verletzten Seite geklappt und an der Kapsel fixiert
(⊡ Abb. 5.41d, e).

5.2.13 Primäre Strecksehnennaht Zone 6

In diesem Bereich nehmen die Strecksehnen des Daumens auf-


grund ihrer starken muskulären Kontraktionen (Motoren) eine
besondere Stellung ein.
Die Sehnenverletzungen in der Zone 6 (Handrücken) können
allgemein nach Begradigung der Sehnenstümpfe durch Einzelnähte
in U-Technik oder mithilfe der Schnürsenkelnaht nach Bunnell mit
4/0 atraumatischem monofilem Faden adaptiert werden. Falls not-
a b c wendig kann diese Naht mithilfe einer Lengemann-Ausziehnaht
verstärkt werden (⊡ Abb. 5.42).

5.2.14 Rekonstruktion von Defektzuständen der


Strecksehne Zone 6

Defekte können durch Koppelung des distalen Sehnenstumpfes an


die Nachbarsehne versorgt werden (⊡ Abb. 5.43a, b). Auch Sehnen-
transplantate kommen hier infrage (⊡ Abb. 5.43c, d).
Die Dauer der Ruhigstellung (4 Wochen) bleibt unverändert.
Falls bei bestehender Defektbildung ein Sehnentransplantat als
Brückentransplantat oder die Umlagerung der IP-Sehne eingesetzt
wird, muss immer eine Spaltung und Teilresektion des Streck-
sehnenscheidenfaches durchgeführt werden, um eine Blockierung
durch die geführte Naht zu verhindern.

d 5.2.15 Extensor-indicis-proprius-Transfer für EPL

Es wird ein längs verlaufender Schnitt über dem 1. Mittelhandkno-


chen angelegt und von hier aus der distale Stumpf des M. extensor
pollicis longus über dem ersten Mittelhandknochen unter exakter
Darstellung und Schonung der Äste des R. superficialis nervus
radialis dargestellt.

⊡ Abb. 5.41 Möglichkeiten der Strecksehnenwiederherstellung in Zone 5,


Strecksehnenplastik bei Luxation der Sehne Zone 5. (Aus Schmit-Neuerburg ⊡ Abb. 5.42 Möglichkeiten der Sehnenwiederherstellung im Bereich der
et al. 2001) Zone 6
94 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

a b

⊡ Abb. 5.43 Möglichkeit der Sehnenwiederher-


stellung bei Defekten in Zone 6. a Sehnentranspo-
sition: Ausgangsbefund, b Sehnentransposition:
Befund nach Operation, c Sehnentransplantate:
Ausgangsbefund, d Sehnentransplantat: Befund
nach Operation. (Aus Schmit-Neuerburg et al.
2001 [a, d] und Berger u. Hierner 2009 [c, d]) c d

Von einem ca. 1 cm langen, längs verlaufenden Schnitt in Höhe herausgeführt. Das proximale Ende des Extensor indicis wird
des Grundgelenks des Zeigefingers ulnarseitig wird die Sehne des durch einen Tunnel unter den Ästen des R. superficialis nervus
M. extensor indicis proprius dargestellt. Diese bedient sich stets radialis und der Strecksehne des Zeigefingers in Richtung des
ulnar von der Sehne des M. extensor digitorum des 2. Fingers. Die distalen Stumpfes des Extensor pollicis longus hindurchgezogen.
Extensor-indicis-Sehne wird isoliert und schräg quer durchtrennt. Nun erfolgt die Naht mit dem Stumpf des Extensor pollicis longus
Der distale Stumpf der Sehne wird dann mit 1–2 Nähten an dem in Durchflechtungsnahttechnik nach Pulvertaft. Dabei kann, je
benachbarten Extensor digitorum des 2. Fingers durch U-Nähte nach Dicke und Beschaffenheit der Sehnenenden, eine Sandwich-
fixiert. Auf diese Weise wird die Zugachse der Zeigefingerstreck- oder Seit-zu-Seit-Naht durchgeführt werden. Vor der endgültigen
sehne wiederhergestellt. Nun wird am Handgelenk eine quere Befestigung der Sehnenenden aneinander ist die Wahl der rich-
Inzision mehr radialseitig angelegt und von hier aus die Sehne tigen Spannung von großer Bedeutung. Beim Anlegen der Naht
des Indicis proprius identifiziert, isoliert und über dem Hand- müssen Handgelenk und Daumen in voller Streckstellung stehen.
gelenk sorgfältig herausgezogen. Die Sehne des Extensor indicis Erst dann kann die Durchflechtungsnaht an der Kreuzungsstelle
wird über dem Handgelenk distal des Retinaculum extensorum durch einzelne atraumtische monofile Fäden (Stärke 4/0) vernäht
5.2 · Spezielle Techniken
95 5
des Retinaculum extensorum durchgeführt werden, wenn nach
Resektion oder zumindest Teilresektion des Retinaculums keine
Blockade der Nahtstelle im osteofibrösen Kanal zu erwarten ist.
Dabei muss eine Bewegungsamplitude des Zeige- und Kleinfingers
von 3 cm und im Bereich des 3. und 4. Fingers von 4 cm berück-
sichtigt werden.
Geeigneter erscheint es jedoch, die Naht im Unterarmbereich
vorzunehmen. Bei der Sehnentransplantation sollte die proximale
Naht am Muskel-Sehnen-Übergang angelegt und eine Fensterung
der Unterarmfaszie durchgeführt werden.
Die Nachbehandlung von Sehnenverpflanzungen im Bereich
der Fingerstrecker erfordert ebenfalls eine 4-wöchige Ruhigstel-
lung, wobei das Handgelenk in Nullstellung, die Fingergelenke im
Grundgelenk in Beugestellung und die Mittel- und Endgelenke in
Streckstellung gehalten werden müssen.

5.2.17 Sehnentransplantation am Handrücken

Isolierte Sehnentransplantate im Bereich der Fingerstreckseh-


nen sollten nur vorgenommen werden, wenn keine Indicis-Sehne
zur Verfügung steht und die Abspaltung einer Sehnenhälfte des
Nachbarfingers aus anatomischen Gegebenheiten nicht in Frage
kommt.
Die erforderliche Längenbestimmung des Transplantates er-
folgt bei Nullstellung aller Fingergelenke und des Handgelenks.
Zur exakten Überprüfung der Spannungsverhältnisse wird dann
die Zugspannung der benachbarten Strecksehne der Finger geprüft
und mit der verletzten Fingersehne verglichen.
Für die Wiederherstellung der Funktion der Sehne des M. ab-
⊡ Abb. 5.44 Extensor-indicis-propius-Plastik. Bei Ruptur der Sehne des Ext. ductor pollicis longus wird eine ausziehbare Drahtnaht, in die auch
pollicis longus wird die Sehne des M. ext. indicis proprius dargestellt, in ein kurzes Transplantat miteinbezogen ist, empfohlen. Nach erfolg-
Höhe der Streckerhaube durchtrennt, nach proximal bis zur Höhe des Retina- ter chirurgischer Wiederherstellung ist eine 4-wöchige Ruhigstel-
culum extensorum durchgezogen und nach Verlagerung in das 3. Streckseh- lung des Daumens in einem Steigbügelgips erforderlich.
nenfach mit den Resten der Sehne des M. ext. pollicis longus nach Pulvertaft
vernäht. Die Strecksehnenhaube des Zeigefingers muss anatomisch rekonst-
ruiert werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) 5.2.18 Primäre Strecksehnennaht Zone 7

Um ein Sehnengleiten in den osteofibrösen Kanälen problemlos


und befestigt werden. Die Ruhigstellung erfolgt dann in einem zu gestalten, muss prophylaktisch die Längsspaltung und Resek-
Steigbügelgips in voller Streckung des Daumens in »Auto-Stopp- tion der ligamentären Überdachung des Sehnenscheidenfaches 1
Haltung« für 4 Wochen. Nach Abnahme des Gipsverbandes kann und 2 durchgeführt werden. Dadurch wird vor allem einer Beu-
mit aktiven krankengymnastischen Bewegungsübungen begonnen gebehinderung des verletzten Fingers bei einer proximal gelegten
werden (⊡ Abb. 5.44). Nahtstelle und einer Streckbehinderung des Fingers bei distal des
Retinaculums gelegten Nähten vorgebeugt. Eine komplette Re-
sektion des Retinaculum extensorum, vor allem des 4. Streckseh-
5.2.16 Sehnentransfer am Handrücken nenscheidenfaches, führt beim Streckversuch der Finger zu einem
zeltartigen Abheben des Weichteilmantels (Bogensehneneffekt).
Bei Defektverletzungen im Bereich des M. extensor digitorum am In diesen Fällen ist dann eine sekundäre Rekonstruktion der li-
Handrücken sollte man den distalen Stumpf an eine benachbarte gamentären Überdachung des Retinaculum extensorum dringend
Sehne durch einzelne U-Nähte mit atraumatischem monofilem indiziert. Hierfür kann die entnommene Sehne des M. palmaris
Faden oder besser in der Seit-zu-Seit Technik mit fortlaufen- longus verwendet werden.
der Naht ( Kap. 57) anheften (⊡ Abb. 5.45a,b). Die Spaltung einer Zur Versorgung der durchtrennten Sehnen in Zone 7 wird
breit angelegten Strecksehne mit Transposition des distalen Anteils nach entsprechender Schnittführung das Retinaculum extensorum
(⊡ Abb. 5.43a,b) sowie die Möglichkeit einer Wiederherstellung der lappenförmig oder schräg durchtrennt. Die durchtrennte Sehne
Funktion durch Sehnenverpflanzung soll überprüft werden. wird nach Kirschmayer-Technik modifiziert nach Zechner mit
Als neue Motoren eignen sich besonders der M. extensor indi- 4/0 geflochtenem, nicht resorbierbarem Faden versorgt. Anschlie-
cis proprius (⊡ Abb. 5.45c) und der M. extensor digitorum minimi ßend wird das Retinaculum extensorum, das lappenförmig oder
(⊡ Abb. 5.45b). schräg durchtrennt war, mit 4/0 monofilem Faden wiederherge-
Die Sehne des M. extensor digiti minimi eignet sich im beson- stellt (⊡ Abb. 5.46).
deren Maße für die Wiederherstellung der Ringfingerstreckung. Die Ruhigstellung erfolgt nach chirurgischer Versorgung in ei-
Bei der Sehnentransplantation darf die proximale Nahtstelle distal ner beugeseitig angelegten Unterarmgipsschiene für die Dauer von
96 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

⊡ Abb. 5.45 Möglichkeiten der Strecksehnentrans-


position bei Defektzuständen im Handrückenbe-
reich. a Seit-zu-Seit-Transfer, b Transposition des
M. extensor indicis proprius zur Rekonstruktion der
Strecksehnen im Bereich des 3. Strahls, c Transposi-
tion des M. extensor digitoum minimi zur Rekonst-
ruktion der Streckung im Bereich des 2.–4. Strahls.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) b c

3 Wochen, wobei das Handgelenk in Nullstellung und die Grund- postoperative Ruhigstellung bei allen Strecksehnenverletzungen in
gelenke der Finger in Beugestellung gehalten werden müssen. Eine der Zone 8 erfolgt in einer gut gepolsterten, beugeseitigen Unter-
dynamische Nachbehandlung, ähnlich wie bei Beugesehnen, wird armgipsschiene für insgesamt 4 Wochen. Das Handgelenk wird
empfohlen (außer beim Daumen). in leichter Dorsalflexion und die Grundgelenke werden in 40°-
Beugestellung gehalten. Anschließend kann mit aktiven kranken-
gymnastischen Übungen begonnen werden.
5.2.19 Primäre Strecksehnennaht Zone 8 Ein dynamischer Schienenverband (⊡ Abb. 5.23) kann anstelle
von Ruhigstellung in dieser Zone empfohlen werden.
Da der proximale Stumpf der Sehnen sich sehr leicht proximal-
wärts wendet, müssen die Wunden durch Verlängerungsschnitte
erweitert werden. Falls keine Defekt- oder Substanzverluste vor- 5.2.20 Technik der Spaltung des 1. Strecksehenfaches
liegen, wird die Sehne mit 4/0 atraumatischem monofilem Faden bei Tenovaginitis stenosans de Quervain
in U-Naht-Technik versorgt. Aufgrund der Breite und des Um-
fangs der Sehne ist hier eine entlastende Naht nicht unbedingt Die Therapie der bestehenden Tendovaginitis stenosans de Quer-
erforderlich. Um Verwachsungstendenzen vorzubeugen, muss die vain besteht in einem über dem radiodorsalen Handgelenk geführ-
Unterarmfaszie dann in genügender Breite reseziert werden. Die ten, etwa 3 cm längs verlaufenden Schnitt, bei dem zuerst auf die
5.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
97 5

a c

⊡ Abb. 5.46 Eröffnung und Darstellung der


Sehnen in Zone 8 und Wiederherstellung des Re-
tinaculum extrensorum. a Z-förmige Eröffnung
des Retinaculum extensorum, b Rekonstruktion
der verletzten Strecksehnen, c Rekonstruktion
des Retinaculum extensorum mit nicht resor-
bierbarem Nahtmaterial. (Aus Lutz et al. 2009
b
[a,b] und Arora et al. 2008 [c])

exakte Darstellung und Schonung der Ramus superficialis nervus dann nach Eröffnung der Blutleere und Blutstillung mit Hautnaht
radialis geachtet werden muss. Danach erst wird das Sehnenschei- beendet werden. Bei korrekter Indikation und Durchführung der
denfach dargestellt und eröffnet und je nach Notwendigkeit in die- Operation ist Beschwerdefreiheit, bis auf Wundschmerz direkt
sem Bereich eine Tenosynovialektomie durchgeführt. Es muss auf nach der Operation, gegeben (⊡ Abb. 5.47).
exakte und vollständige Spaltung des Sehnenscheidenfaches und
die Anomalien in diesem Bereich geachtet werden.
5.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
> Im Bereich des 1. Strecksehnenfaches kann jede Sehne
in einem eigenen osteotendinösen Kanal verlaufen. Die
Als häufigste Fehler bei der Versorgung von Strecksehnenver-
»Septen« müssen komplett durchtrennt werden. Zur
letzungen und -defekten sind die inadäquate Operationstechnik
Kontrolle können die Sehnen mit einem Sehnenhaken
(keine adäquate Anästhesie, keine Lupenbrille, fehlendes feines In-
hervorluxiert werden.
strumentarium) und Ruhigstellung sowie die ungenügende Nach-
Je nach Erfordernis wird auch das 2. Strecksehnenfach ebenso behandlung zu nennen.
eröffnet. Die Operation, die unter handchirurgischen Prinzipien Auf spezifische Fehler, Gefahren und Komplikationen wird in
mithilfe der Blutleere und Lupenbrille durchgeführt wird, kann den jeweiligen Abschnitten ausführlich eingegangen.
98 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

5 a c

b d

⊡ Abb. 5.47 Technik der Spaltung des 1. Strecksehenfaches bei Tenovaginitis stenosans de Quervain. a Hautschnitt: längsverlaufender Schnitt über dem
radiodorsalen Handgelenk, b Darstellung des R. superficialis N. radialis und des 1. Strecksehnenefaches, c Spaltung des osteofibrösen Köchers und eventuelle
Resektion eines Faszienstreifens zur Verminderung der Rezidivgefahr, d Kontrolle der vollständigen Eröffnung – auch von zusätzlichen Septen im Bereich des
1. Strecksehnenfaches – mithilfe eines Sehnenhakens. Die Sehnen werden einzeln aus dem 1. Strecksehenfach hervorluxiert und auf vollständige Gleitfähig-
keit geprüft. (Aus Wetterkamp et al. 1998)

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100 Kapitel 5 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Strecksehnen

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6

Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen


Martin Langer, Carsten Surke, Britta Wieskötter

6.1 Allgemeines – 102


6.1.1 Klinisch relevante Anatomie und Physiologie – 102
6.1.2 Epidemiologie – 113
6.1.3 Ätiologie – 113
6.1.4 Diagnostik – 113
6.1.5 Klassifikation – 117
6.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 118
6.1.7 Therapie – 118
6.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 121
6.2 Spezielle Techniken – 121
6.2.1 Technik der primären Sehnennaht – 121
6.2.2 Sekundäre Wiederherstellung der Beugesehnen – 133
6.2.3 Ringbandverletzungen und Ringbandrekonstruktionen – 135
6.2.4 Technik der A1-Ringband-Spaltung im Fingerbereich – 136
6.2.5 Technik der A1-Ringband-Spaltung im Daumenbereich – 136
6.2.6 Technik der Tendolyse – 136
6.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 136
6.3.1 Fehler bei der primären Naht – 136
6.3.2 Fehler bei der sekundären Rekonstruktion der Beugesehnen – 137
Weiterführende Literatur – 137

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


102 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

6.1 Allgemeines Komplikationen (Ruptur der Sehnennaht oder Verwachsun-


gen), die nicht selten sind, sondern mit einer Häufigkeit von etwa
Die Wiederherstellung der vollen Funktion nach einer Durchtren- 10–20% auftraten, konnten in dieser Studie die Arbeitsunfähigkeit
nung einer Beugesehne an der Hand gehört immer noch zu den bis auf 430 Tage und die volkswirtschaftlichen Kosten bis auf
schwierigsten Aufgaben in der Handchirurgie. Betrachtet man 673.000 SEK (73.000 Euro) ansteigen lassen. Rentenzahlungen bei
die Chirurgie des erfahrenen Operateurs als »Aneinanderreihung bleibenden Schäden nicht eingerechnet.
von Tricks«, so bedarf es bei der Beugesehnenchirurgie beson-
ders vieler Details und Tricks, die bei Diagnostik, Operation und
Nachbehandlung beachtet und angewendet werden müssen, um 6.1.1 Klinisch relevante Anatomie und Physiologie
ein wenigstens gutes Ergebnis erzielen zu können. Gerade deshalb
klaffen auch noch heute die Ergebnisse der Beugesehnenchirurgie Biologie der Beugesehnen
von Handchirurgen und weniger spezialisierten Chirurgen so weit Die Hauptfunktion der Sehnen ist die Übertragung von Zugkräften
auseinander. in einer bestimmten Richtung. Es ist eine passive Funktion und
Bei der Diagnostik muss die Verletzung oder Funktionsstörung dementsprechend ist der Metabolismus der Sehnen nur sehr gering
6 frühzeitig erkannt und genau lokalisiert werden, um den optimalen ausgeprägt. Sekundäre Funktionen der Sehnen sind die Verminde-
Operationszeitpunkt und den besten Zugangsweg festlegen zu kön- rung der notwendigen Muskelfaserlänge zwischen Ursprung und
nen. In der Operation ist ein absolut gewebeschonendes Vorgehen Ansatz, die verbesserte Lage des Muskelbauches abseits der Gelen-
notwendig. Selbstverständlich müssen die mitbeteiligten anderen ke und die Verringerung der Anheftungsregion am Knochen. Seh-
Strukturen (Knochen, Nerven, Gefäße, Haut, Bänder) mit ebensol- nen können darüber hinaus durch fibröse Bänder oder Retinacula
cher Exaktheit versorgt werden. Das gesamte umliegende Gewebe besser in ihrem Verlauf der Zugrichtung modifiziert werden als die
muss in die Überlegungen bei der Operationsplanung einbezogen Muskulatur. Durch die elastischen Faseranteile der langen Sehnen
und der Einfluss der Naht auf die Sehnenheilung muss abgeschätzt haben sie darüber hinaus auch eine protektive Funktion gegenüber
werden. Welcher Zugangsweg ist der beste? Wie weit muss die Haut plötzlichen und unerwarteten Spannungsspitzen.
eröffnet werden? Wie und wie weit darf die Sehnenscheide eröffnet Von allen Weichteilgewebearten weisen Sehnen die größte
werden? Wie bringt man die Sehnenenden aneinander, ohne die Zugfestigkeit auf. Mit 50–100 N/mm² haben Sehnen etwa ein
Sehne zu quetschen, wenn ein Sehnenstumpf weit zurückgezogen Drittel der Zugfestigkeit von Baustahl (235 N/mm²) und sind etwa
ist? Welches Nahtmaterial und welche Nahttechnik benutzt man in 3-mal fester als Polyethylen (24 N/mm²). Diese Zugfestigkeit wird
welcher Zone? Wie weit darf man, wie weit soll man in die Sehne vor allem durch den parallelen Verlauf der Fasern und durch den
einstechen? Benutzt man eine Doppelstrang- oder Mehrstrang- hohen Kollagengehalt erreicht.
technik? Soll man beide Beugesehnen rekonstruieren? Ist es evtl. 65 bis 75% des Trockengewichtes der Sehne und etwa 90%
besser bereits Vorbereitungen für eine Beugesehnentransplantation des Gesamtproteins einer Sehne bestehen aus Kollagen. Etwa 2%
zu treffen? Welche feinadaptierende Technik nimmt man? Wie des Trockengewichtes besteht aus Elastin, dessen Funktion in der
und wo rekonstruiert man die Sehnenscheide und die Ringbänder? Wiederherstellung der Wellenkonfiguration der Kollagenfasern
In welcher Position stellt man die Finger in der vorläufigen Gips- nach einer Dehnung zu liegen scheint. Die Grundsubstanz, die die
schiene ruhig? Wann beginnt man am günstigsten mit der passiven Kollagenfaserbündel umgibt besteht aus Proteoglykanen, Gluko-
oder evtl. sogar aktiven Übungsbehandlung und in welchem Bewe- saminoglykanen, Strukturglykoproteinen und einer weiteren An-
gungsspielraum darf oder soll man üben? zahl von verschiedenen Molekülen, die zusammen eine hydrophile
Dies sind nur wenige Fragen, die sich bei jeder Operation stel- Gelmasse bilden, deren Konsistenz von den Verhältnissen von
len und die je nach Art der Verletzungen und Begleitverletzungen, Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat abhängig ist. Die Kollagen-
je nach Alter und Persönlichkeit des Patienten aber auch je nach moleküle sind lange und stabile Einheiten, die aus einer Triple-
Erfahrung des Operateurs individuell anders beantwortet werden Helix aus drei Polypeptidketten, den α-Ketten, besteht. Von den 13
müssen. bekannten Kollagentypen finden sich an der menschlichen Sehne
Verletzungen der Sehnen haben aufgrund der Häufigkeit, der die Typen I, II, III, IV und V. 97–98% der Sehne bestehen aus
langen Heilungsdauer und des bis heute immer noch unsicheren Kollagen I, das sich in den Kollagenfasern, dem Endotenonium,
funktionellen Endergebnisses mit lebenslangen Behinderungen eine dem Epitenonium und dem Paratenonium sowie der muskuloten-
enorme volkswirtschaftliche Bedeutung. Für den betroffenen Men- dinösen Verbindungsstelle befindet. Typ-II-Kollagen findet sich
schen kann eine scheinbare »Bagatellverletzung« katastrophale Aus- zu 0,2–0,8% in der Sehne und zwar in der knorpeligen Zone des
wirkungen auf das gesamte Leben haben. Eine kleine Schnittverlet- osteotendinösen Sehnenansatzes. Mit 1–1,5% ist das Kollagen III
zung am Finger mit Durchtrennung einer oder beider Beugesehnen bereits das zweithäufigste Kollagen in der Sehne und dies findet
durch eine Scherbe eines Bierglases kann einen jungen gesunden sich in den Hüllschichten des Endotenoniums, des Paratenoni-
Menschen monatelang arbeitsunfähig oder dauerhaft für seinen Be- ums, den Gefäßwänden und dem muskulotendinösen Überganges.
ruf (Feinmechaniker, Schreibkraft, Klavierspieler) invalide machen. Typ-IV- und Typ-V-Kollagen findet sich nur zu maximal 0,2%
Bei einer »einfachen Beugesehnenverletzung« am Finger in den Basalmembranen und den Wänden der Gefäße. Trotz der
(Zone 2) war der betroffene Patient 1998 in Schweden durch- enormen Zugfestigkeit sind die Sehnen aufgrund ihrer geringen
schnittlich 73 Tage arbeitsunfähig, die rein medizinischen Kosten Biegefestigkeit gut verformbar.
beliefen sich auf 48.500 SEK (5.300 Euro), Kosten aus anderen Die Zellen, die in einer Sehne gefunden werden können, sind
Bereichen lagen bei durchschnittlich 93.000 SEK (10.000 Euro), so- zu 90–95% Tenozyten oder Tenoblasten, die übrigen 5–10% der
dass volkswirtschaftlich durchschnittlich etwa 15.000–16.000 Euro Zellen sind Chondrozyten an den Insertionszonen oder beson-
zu veranschlagen waren. Das funktionelle Ergebnis nach dieser deren Druckstellen der Sehne, Synovialzellen der Sehnenscheide
Behandlung war keineswegs eine vollständige Wiederherstellung, auf der Sehnenoberfläche sowie Gefäßzellen (Endothelzellen und
sondern lag dabei durchschnittlich im Bereich von nur 80–90% des glatte Gefäßwandmuskulaturzellen der Arteriolen im Endoteno-
normalen Bewegungsausmaßes. nium und Epitenonium). Andere Zelltypen wie Makrophagen und
6.1 · Allgemeines
103 6
Kollagenfaserbündel Epitenonium (tendinöses Blatt)
Peritenonium externum Flexor digitorum profundus
Tenozyt (Flügelzelle)
Peritenonium internum
Flexor digitorum superficialis
Endotenonium

Vinculum longum

Membrana synovialis
(parietales Blatt)

Vagina fibrosa

Recessus synovialis

Arcus digitopalmaris

Arteria digitalis palmaris proximalis

⊡ Abb. 6.1 Schematische Darstellung des Aufbaus der Beugesehnen am Finger. Primärbündel mit Flügelzellen und Kollagenfaserbündel, Sekundärbündel
und Tertiärbündel

andere Entzündungszellen kommen nur bei pathologischen Pro-


zessen vor.
Die Sehnenzellen (Tenozyten) sind Fibrozyten und liegen in
langen Reihen hintereinander parallel zur Längsachse der Sehne
(⊡ Abb. 6.1). Sie sind von allen Seiten von eng anliegenden Kolla-
genfasern umgeben. Zwischen den längs verlaufenden Kollagenfa-
sern ziehen flügelartige Fortsätze der Sehnenzellen, die daher auch
ihre Bezeichnung »Flügelzellen« erhalten haben.
Eine Gruppe aus einer Reihe von Tenozyten mit den dazuge-
hörigen Kollagenfaserbündeln wird als Primärbündel bezeichnet.
Zwischen den einzelnen Primärbündeln findet sich lockeres Bin-
degewebe, das Endotenonium. Eine Gruppe von mehreren Primär-
bündeln, die von einem gemeinsamen Endotenonium umgeben
sind, wird dann Sekundärbündel und eine mehrere zusammen-
gefasste Sekundärbündel dann Tertiärbündel genannt. Die Sehne
besteht aus mehreren Tertiärbündeln (⊡ Abb. 6.1).

Blutversorgung und Ernährung der Beugesehnen ⊡ Abb. 6.2 Druckbereiche der Beugesehnen an den Ringbändern
Die Kenntnis von der Blutversorgung der Beugesehnen ist von
großer Bedeutung für die Sehnennahttechnik und die Sehnen-
heilung. Die Beugesehnen sind stärker durchblutet als allgemein erkennen lässt. Hier besitzen die Beugesehnen nur sehr spärliche
angenommen. Dies fällt bei frischen Schnittverletzungen oder oder an manchen Stellen gar keine Gefäße (⊡ Abb. 6.2). Die Ernäh-
beim Öffnen der Blutleere ganz besonders auf. Da Kollagen einen rung der Sehnen muss an den Stellen mit hoher Druckbelastung
besonders guten blutstillenden Effekt hat, steht eine Blutung recht – ähnlich wie beim Knorpel – durch Diffusion aus der Synovia
schnell. Die Beugesehnen weisen Blutgefäße vor allem an den erfolgen. Die Blutgefäße, die die Beugesehnen der Hand direkt
nicht druckbelasteten Seiten auf, d. h. vor allem auf der dem Kno- versorgen, kommen proximal aus dem karpalen Gefäßnetz und
chen zugewandten Seite. Auf der zur Haut weisenden Seite werden verlaufen zusammen mit der Synovialis. Im Fingerbereich verlau-
die Beugesehnen durch die Ringbänder zurückgehalten. An diesen fen die Beugesehnen in sehr engen osteofibrösen Kanälen, die zu
Stellen treten z. T. enorme Druckkräfte und auf, was sich auch an eng sind, dass noch eine zirkuläre Synovialgewebsumhüllung um
der mikroskopischen Struktur der Sehnen in diesen Bereichen die Beugesehnen genügend Raum hätte. Hier verlaufen die Blut-
104 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Vincula longa
Mesotenonium Vincula breves

Arcus
digitopalmaris
distalis

A. ulnaris

Arcus intercarpalis Arcus palmaris Arcus palmaris


palmaris profundus superficialis

⊡ Abb. 6.3 Durchblutung der Beugesehnen an der Hand in den Zonen 1 bis 4

gefäße in einem aufs Äußerste reduzierten Mesotendineum, den


Vincula longa. Diese sind nur einen Bruchteil eines Millimeters
stark und etwa 1,5 cm lang. Zum Ansatz hin finden sich zusätzlich
die dreieckförmigen Vincula breves. Am Knochenansatz selbst
können einzelne Gefäße die letzten 5–8 mm der Sehne versorgen
(⊡ Abb. 6.3).
Die Sehnen sind aber nicht über die ganze Länge gleichmäßig
mit Blut versorgt. Es gibt an den Fingern und am Daumen Bereiche
von mehreren Zentimetern, an denen die Durchblutung schlechter
ist. Dies vor allem in den Bereichen, an denen die Sehnen durch
besonders enge osteofibröse Kanäle verlaufen, z. B. unterhalb des
A2-Ringbandes. Die Hauptdurchblutung erfolgt aus den Aa. digita-
les palmares propriae, die über den Arcus digitopalmaris proxima-
lis und distalis die Blutgefäße zu den Vincula abgeben.
Weiter proximal, also unterhalb des Karpalkanals, werden die
Beugesehnen nicht mehr durch Vincula, sondern direkt durch gut
durchblutete Synovialgewebsauflagerungen versorgt, die wiederum
aus dem karpalen Netz gespeist werden.
Auch die Ringbänder und Sehnenscheiden sind gut durch-
blutet. An den proximalen und distalen Rändern der Ringbänder
befinden sich kleine Aussackungen der Sehnenscheide (»cul de
sac«), die besonders reichlich durchblutet sind und hier die Syno-
viaproduktion unterstützen.
Peter Amadio konnte 1985 die Wichtigkeit der Durchblutung
über die Vincula nachweisen. 56% der Patienten mit Sehnen-
rupturen und Vinculaverletzungen in der Zone 2 erreichten eine
Gesamtbeweglichkeit des Fingers über 180°. Unter den Patienten
ohne Vinculaverletzung erreichten dies sogar 91%.
Die beiden Beugesehnen der Fingers haben durch das Chi-
asma der oberflächlichen Beugesehne eine stark wechselnde
Durchblutung, was sich an den Querschnitten gut widerspiegelt
(⊡ Abb. 6.4). Bei der Freilegung der Sehnen und bei der Sehnen-
nahttechnik sollte auf die Durchblutung in der jeweiligen Zone
geachtet werden und die einstrahlenden Gefäße nicht unnötig ⊡ Abb. 6.4 Querschnitte der beiden Beugesehnen auf verschiedenen Höhen
beschädigt werden. des Fingers
6.1 · Allgemeines
105 6
Wirkung der Nahttechniken auf die Durchblutung der Sehne
Die unterschiedlichen Sehnennahttechniken haben auf die Durch-
blutung und die Heilung der Sehnen sehr unterschiedliche Aus-
wirkungen. Wie mikroskopische Untersuchungen immer wieder
zeigen, sind die Sehnen äußerst empfindliche Strukturen, die be-
reits auf kleinste Druckstellen, wie etwa ein Pinzettengriff, mit
kleinen Nekrosen reagieren. Die Kernnähte üben im Bereich der
Verankerung Druck auf die Sehnen aus. Hier bestehen erhebliche
Unterschiede zwischen den Nahttechniken, je nachdem ob nur ein
Teilabschnitt, ein Segment oder der gesamte Sehnenquerschnitt
von der Durchblutung beeinträchtigt wird.

Makroskopische Anatomie der Beugesehnen


Gesunde Sehnen haben eine brillant weiße Farbe und haben eine
fibroelastische Konsistenz. Die weiße Farbe kommt durch den rela-
tiven geringen Zellanteil und den großen Anteil der extrazellulären
Matrix zustande. Sehnen bestehen fast ausschließlich aus Faser-
bündeln, die fast alle parallel zur Längsachse der Sehne ausgerich-
tet sind und zum größten Teil aus Kollagen bestehen. Aus diesem
Aufbau resultieren die große Zugfestigkeit, die gute Flexibilität und
die relative Festigkeit gegenüber Dehnungen.
Die Kollagenfaserbündel sind auf längere Strecken gesehen
aber nicht konsequent parallel, sondern doppelt spiralförmig ge-
geneinander gedreht.
An der Hand und am Unterarm sind die vier Sehnen des
M. flexor digitorum superficialis (FDS), vier Sehnen des M. flexor
digitorum profundus (FDP), eine lange Daumenbeugesehne, die
Sehnen des M. flexor carpi radialis , des M. flexor carpi ulnaris und
bei 80% der europäischen Bevölkerung die Sehne des M. palmaris ⊡ Abb. 6.5 Darstellung der oberflächlichen Beugemuskulatur von der
»Unterseite« zur Darstellung der Zwischensehne, die die oberflächliche
longus, also 12 Sehnen zu den Beugesehnen zu rechnen.
Zeigefingerbeugemuskulatur als zweibäuchigen Muskel (mit getrennter In-
nervation) klassifiziert. Auch die meist nur schwach ausgebildete Muskulatur
M. flexor digitorum superficialis
und Sehne des oberflächlichen Kleinfingerbeugers entspringt von der Zwi-
Nach Frohse und Fränkel (1908) ist der M. flexor digitorum su- schensehne, wird aber aus dem gleichen Nervenast motorisch versorgt, wie
perficialis (FDS) »der komplizierteste Muskel des Armes, vielleicht die oberflächliche Ringfingerbeugemuskulatur (Frohse). Die Kenntnis dieser
sogar des gesamten Körpers« (⊡ Abb. 6.5). Zwischensehne kann die Zuordnung der Muskel- und Sehnenstümpfe bei
Der Name des Muskels wird von seiner oberflächlichen Lage Unterarmverletzungen erheblich vereinfachen
des Muskelbauches am Unterarm abgeleitet. Die Sehne des Mus-
kels liegt dagegen am Fingergrundglied und im Mittelgelenkbe-
reich unterhalb der tiefen Beugesehne.
Die Muskeln und Sehnen des FDS erscheinen besser voneinan-
der getrennt und lassen sich daher auch besser unabhängig vonei-
nander bewegen als die Sehnen des FDP. Die Schicht des M. flexor
digitorum superficialis muss am Unterarm bis etwa zum Handge-
lenk weiter in eine oberflächliche und eine tiefe Schicht unterteilt
werden. Zur oberflächlichen Schicht gehören die Muskeln und
Sehnen des Mittel- und Ringfingers, zur tiefen Schicht die Sehnen
und Muskeln des Zeige- und Kleinfingers. Insgesamt stellt der FDS
einen komplexen digastrischen Muskel mit einer Zwischensehne
dar, wobei der FDS zum Mittelfinger komplett unabhängig von den
anderen Muskeln getrennt ist.
Radial liegt nicht der Ursprungsbereich der oberflächlichen
Beugesehne des Zeigefingers, sondern des Mittelfingers. Proximal
ulnar liegt nicht der Ursprung der oberflächlichen Beugesehne des
Kleinfingers, sondern die des Ringfingers (⊡ Abb. 6.6).
Erst am distalen Rand des Karpalkanals sind die Sehnen nicht
mehr übereinander, sondern nebeneinander gelagert. Die Lage-
beziehungen der Sehnen auf Handgelenkhöhe sind bei den nicht
seltenen Schnittverletzungen in diesem Bereich sehr verwirrend.
Als Merkhilfe zur Identifikation der oberflächlichen Beugeseh- ⊡ Abb. 6.6 Merkhilfe zum Verlauf der oberflächlichen Beugesehnen auf
nen kann die Fingerstellung wie in ⊡ Abb. 6.6 dienen. Etwa auf Höhe des Handgelenks. Die oberflächlichen Beugesehnen des Mittelfingers
Höhe der Mitte des Grundgliedes teilen sich die oberflächlichen und des Ringfingers liegen palmar der oberflächlichen Beugesehnen des
Beugesehnen (Bifurcatio tendinis) und erst knapp proximal des Zeigefingers und des Kleinfingers
106 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Zoneneinteilung für die FDS-Sehne nach Greulich

FDP-Ansatz
Mm. lumbricales

A4-Ringband (eröffnet)

FDS  Zone I
(Chiasma und Ansatz)
6 Chiasma tendinum
CAMPER

A2-Ringband (eröffnet)
FPL
FDS  Zone II
(FDS  Sehne geteilt) FDP-Sehne

Hiatus tendineus FDP-II

FDP III-V
FDS  Zone III
(FDS-Sehne ungeteilt)

Gantzer-Muskel

⊡ Abb. 6.7 Darstellung der oberflächlichen Beugesehne, des Chiasma und


der Zoneneinteilung der oberflächlichen Beugesehne nach Greulich ⊡ Abb. 6.8 M. flexor digitorum profundus

PIP-Gelenks (zwischen dem Gelenkspalt des Mittelgelenks und am Unterarm parallel nebeneinander. In der Hohlhand dienen die
dem distalen Rand des A2-Ringbandes) findet die teilweise Durch- Sehnen des FDP den Musculi lumbricales als Ursprung. Die Seh-
kreuzung der Sehnenfasern (Chiasma tendinum Camperi) statt. nen des FDP und hier insbesondere die Sehnen zum Mittelfinger,
Die beiden Endsehnenfaserzüge setzen etwa in der Mitte des Mit- Ringfinger und Kleinfinger sind bereits knapp proximal des Hand-
telgliedes an (⊡ Abb. 6.7). gelenks durch Sehnenzügel und distal des Handgelenks durch die
Im Sehnenscheidenbereich der Finger bilden die oberflächliche von je zwei benachbarten Sehnen entspringenden Musculi lumbri-
und die tiefe Beugesehne einen gemeinsamen querovalen Sehnen- cales eng miteinander verbunden und können daher nur schlecht
körper. Durch die Aufspaltung der oberflächlichen Beugesehne isoliert bewegt werden. Der M. FDP des Zeigefingers ist dagegen
und spiralige beidseitige Umfassung der tiefen Beugesehne ändert besser von den anderen FDP-Muskeln und Sehnen getrennt und
sich je nach Lokalisation der Querschnitt der FDP-Sehne. verfügt über eine gewisse Unabhängigkeit. Nach Fahrer (1971)
Durch die oberflächliche Lage haben die Sehnen des FDS eine kann man diesen Muskel auch als isolierten M. flexor profundus
größere Wirkung auf das Grundgelenk als die tiefe Beugesehne. indicis bezeichnen.
Durch elektromyographische Untersuchungen konnte gezeigt wer- Ursprungsgebiete des Flexor pollicis longus und des Flexor
den, dass der FDP hauptsächlich die wenig belasteten Beugebewe- digitorum profundus sind Radius, Membrana interossea und Ulna.
gungen der Finger leistet, während der FDS bei größeren Kraftan- Der M. flexor pollicis longus weist zusätzliche Ursprünge von der
strengungen »zugeschaltet« wird. Ulna im Bereich der Tuberositas ulnae und am Epicondylus ulnaris
humeri auf. Das Ursprungsgebiet von Flexor pollicis longus und
M. flexor digitorum profundus flexor digitorum profundus II sind von dem gemeinsamen Ur-
Der M. flexor digitorum profundus (FDP) hat einen knöcher- sprungsgebiet von Flexor digitorum profundus III–V getrennt.
nen Ursprung von den proximalen zwei Dritteln der Ulna, einen Der Ansatz der Sehnen liegt in der proximalen Hälfte beugesei-
oberflächlichen Ursprung von der Aponeurose des M. flexor carpi tig an der Endphalanx.
ulnaris und einen ligamentösen tiefen Ursprung von der Memb- Insgesamt ist der FDP etwa 50% stärker als der FDS, wobei die
rana interossea (⊡ Abb. 6.8). Die Sehnen-Muskel-Einheiten liegen relativen Spannungsverhältnisse (»relative Tension«) der gesam-
6.1 · Allgemeines
107 6
ten Unterarm- und Handmuskulatur nach Brand (1981) folgende
Werte ergeben: für den Zeigefinger FDS=2,0%, FDP=2,7%; Mittel-
finger FDS=3,4%, FDP=3,4%; Ringfinger FDS=2,0%, FDP=3,0%;
Kleinfinger FDS=0,9%, FDP=2,8%. Daraus folgt, dass die ober-
flächliche und die tiefe Beugesehne des Mittelfingers etwa gleich
»stark« sind und im Vergleich zu den anderen Fingern auch die
kräftigsten Beuger darstellen, der Zeigefinger aber beim Faust-
schluss schwächer ist als der Ringfinger.

M. flexor pollicis longus


Der lange Daumenbeuger entspringt von der Facies anterior des
Radius zwischen dem distalen Rand des M. pronator teres und
dem proximalen Rand des M. pronator quadratus, von der palma-
ren Seite der Membrana interossea und in der Mehrzahl der Fälle
von tiefen Anteilen des M. flexor digitorum superficialis und vom
Epicondylus medialis humeri (Gantzer‘scher Muskel). Wie die
Sehnen des M. flexor digitorum profundus setzt die Sehne des
M. flexor pollicis longus an der Palmarseite des Daumenendgliedes ⊡ Abb. 6.9 Gleichzeitige Mitbewegung des tiefen Zeigefingerbeugers bei
an (⊡ Abb. 6.8). Der Muskel wird durch den N. interosseus ante- der Flexion des Daumenendgelenks beim Linburg-Comstock-Syndrom
rior aus dem N. medianus innerviert. Der N. interosseus anterior
versorgt neben dem Flexor pollicis longus auch den tiefen Beuger
des Zeigefingers. Bei einem Kompressionssyndrom (Kiloh-Nevin-
Syndrom) oder sonstigen Läsion des N. interosseus anterior kann ris ist der stärkste Handgelenkbeuger und entspricht im weitesten
daher das Daumenendgelenk und das Zeigefingerendgelenk nicht Sinne der Achillessehne des Fußes. Die Sehne des M. flexor carpi
optimal gebeugt werden. Kommt es dagegen bei einer Beugung im ulnaris ist daher auch die Sehne mit dem größten Durchmesser auf
Daumenendgelenk auch immer zu einer Beugung des Zeigefinge- Handgelenkhöhe.
rendgelenks und umgekehrt, so ist von einer sehnigen Verbindung Bei der Radialis-Ersatzplastik kann der FCU nach dorsal trans-
zwischen der FPL und FDP-II-Sehne auszugehen, dem Linburg- poniert werden und durch Sehnenkopplung den Extensor digito-
Comstock-Syndrom (⊡ Abb. 6.9) rum communis und Extensor pollicis longus motorisieren.

M. flexor carpi radialis M. palmaris longus


Der M. flexor carpi radialis entspringt von der Spitze des Epicon- Der M. palmaris longus ist der variabelste Muskel des mensch-
dylus medialis humeri und zieht schräg nach radial distal. Die lichen Körpers, was sowohl das Vorhandensein und Fehlen, die
lange Flexor-carpi-radialis-Sehne entwickelt sich bereits in der Größe, den Ursprung und die Lage betrifft. Dies kann aber auch
Mitte des Unterarmes zunächst flächig und zieht zunehmend vom daran liegen, dass er über die ganze Länge ein sehr oberfläch-
Querschnitt her kreisförmiger werdend vornehmlich zur Basis licher Muskel ist und daher Untersuchungen leicht zugänglich.
des zweiten Mittelhandknochens. Von seinem Ursprung bis zum Auch wenn er fehlt, ist die Palmaraponeurose – bis auf selte-
Ansatz ist er fast nur von Haut und Faszien bedeckt und somit ein ne Fehlbildungen – immer vorhanden. Sein Wert liegt in der
echter oberflächlicher Muskel. Nur der distale Anteil der Sehne Handchirurgie einerseits in der Möglichkeit der Transposition
zieht in die Tiefe, besitzt eine eigene bis zu 6 cm lange Sehnen- für motorische Ersatzplastiken (Camitz-Transposition, Radialis-
scheide und zieht durch eine kleine Grube am Os trapezium durch Ersatzplastiken), vor allem aber als idealer Spender für freie Seh-
den Rand des Karpalkanals zur Basis des Metakarpale II, kann nentransplantationen.
aber auch Ansätze an der Basis des Metakarpale III und IV, am
Retinaculum flexorum, am Os scaphoideum und am Os trapezium Biomechanik der Beugesehnen
haben. Die Innervation erfolgt bereits weit proximal an der Grenze Die Gleitamplituden der Beugesehnen an der Hand sind stets
zwischen dem proximalen und mittleren Drittel des Unterarmes größer als die der Strecksehnen. Dies ist einerseits darauf zurück-
aus dem N. medianus. zuführen, dass die Kraft vornehmlich beim Greifen und weniger
Ein Anteil der Sehne des M. flexor carpi radialis kann bei beim Strecken gebraucht wird.
Fehlen oder anderer Nutzung der Palmaris-longus-Sehne als freies Die Gleitamplituden der Beugesehnen zwischen maximaler
Sehnentransplantat genutzt werden. Der Ansatz der Sehne wird bei Streckung und maximaler Beugung addieren sich nach proximal
verschiedenen handchirurgischen Eingriffen als Suspensionsplas- für jedes einzelne Gelenk. Proximal des Endgelenks beträgt die
tik genutzt (Resektionsarthroplastik bei der Rhizarthrose, Brunelli- durchschnittliche Gleitamplitude der tiefen Beugesehne für die
Plastik bei der scapholunären Dissoziation). Finger etwa 5 mm, der langen Daumenbeugesehne etwa 10 mm.
Die oberflächliche Beugesehne benötigt für eine isolierte maxi-
M. flexor carpi ulnaris male Beugung des Mittelgelenks zwischen 9 mm (Kleinfinger) und
Der M. flexor carpi ulnaris zieht von seinen Ursprüngen, dem 12 mm (Ringfinger) Gleitamplitude. Die Gleitamplitude der tiefen
Olekranon, sowie der proximalen Ulna als Caput ulnae und dem Beugesehnen unterhalb der A2-Ringbänder, also für eine maxi-
Epicondylus medialis humeri als Caput humerale als am weitesten male Beugung der End- und Mittelgelenke, liegt zwischen 12 mm
ulnar gelegener Muskel der oberflächlichen Beuger zu seinem An- (Kleinfinger) und 17 mm (Ringfinger). Unterhalb des Retinaculum
satz, dem Os pisiforme, und über diesen Knochen zum Lig. pisoha- flexorum muss sich die tiefe Beugesehne für eine maximale Beu-
matum und Lig. pisometacarpeum. Das Os pisiforme muss dabei gung von Endgelenk, Mittelgelenk und Grundgelenk um 18 mm
als reines Sesambein angesehen werden. Der M. flexor carpi ulna- (Kleinfinger) bis 23 mm (Mittelfinger) nach proximal bewegen.
108 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Die oberflächliche Beugesehne hat beim Faustschluss eine Gleit-


amplitude von 15 mm (Kleinfinger) bis 22 mm (Mittelfinger). Die
maximale Gleitamplitude des Daumens unterhalb des Retinaculum
flexorum beträgt etwa 19 mm.
Nicht nur die Gleitamplituden, sondern auch die Kraft und
die Faserlängen der Muskeln sind sehr unterschiedlich. Die kräf-
tigste Sehne am Unterarm und der Hand ist die Flexor-carpi-
ulnaris-Sehne, die am Os pisiforme ansetzt und am Unterschenkel
der Achillessehne, die am Kalkaneus inseriert, entspricht. Von a
allen Muskeln im Bereich des Handgelenks kann der FCU die
höchste Spannung aufbauen, hat aber mit 4,2 cm die kürzesten
Muskelfasern. Seine Gegenspieler, die Mm. extensor carpi radialis
et brevis sind entsprechend ebenfalls sehr kräftig, haben aber als
zweigelenkige Muskeln (Ellenbogen, Handgelenk) eine erheblich
6 längere Muskelfaserlänge, so der ECRL mit 9,3 cm und der ECRB
mit 6,1 cm. Alle Beugesehnen der Finger und des Daumens sind
mehrgelenkige Muskeln und haben daher mit 5,9–7,3 cm eine
recht große Muskelfaserlänge. Vom Muskelquerschnitt sind der
oberflächliche und tiefe Beuger des Zeigefingers etwa 3-mal so
stark wie der M. extensor digitorum communis II und der Exten-
sor indicis.
Die Kräfte, die am Finger auf die Sehnen bei verschiedenen
Tätigkeiten einwirken sind ebenfalls von höchstem Interesse.
Schuind konnte 1992 folgende Werte der Krafteinwirkungen
auf eine Beugesehne oder eine Naht bei verschiedenen Tätigkeiten
ermitteln:
Passive Mobilisierung des Handgelenks 5,9 N
Passive Mobilisierung der Finger 8,9 N
Unbegrenzte aktive Mobilisierung des Handgelenks 13,9 N
Unbegrenzte aktive Mobilisierung der Finger 34,4 N
Faustschluss 62,9 N
Druckausübung mit der Fingerspitze 117,5 N

Diese Werte gelten für »gesunde« unverletzte Sehnen. Bei genähten


Sehnen kommen Gleitwiderstände durch Ödeme der Finger, der
Sehnenscheiden, der Sehnen selbst, durch das Nahtmaterial, die b
Knotentechnik (auf der Sehnenoberfläche?) und die Nahttechnik
hinzu. ⊡ Abb. 6.10 Ringbänder im Fingerbereich. a Am gestreckten Finger. b Die
Ringbänder nähern sich beim gebeugten Finger fast vollständig aneinander
Aufbau und Funktion der Sehnenscheiden
und Ringbänder
Die Beugesehnen werden im Bereich der Finger, der Hohlhand und das C3-Ringband. Manchmal finden sich zwischen A1-und A2-
des Handgelenks durch besondere Bindegewebszüge geführt und Ringband leicht schräg verlaufende Fasern, die als C0-Ringband
vor einer Abhebung bei der Beugung von den Knochen und Ge- bezeichnet werden und besonders am Kleinfinger können an der
lenken zurückgehalten. An den Fingern sind es die Ringbänder, die Ulnarseite distal des A5-Ringbandes auch noch schräge Fasern (C4)
die Sehnen in osteofibrösen Kanälen führen, im Mittelhandbereich beobachtet werden, die aber klinisch nicht mehr relevant sind.
die Verbindungen zwischen den tiefen Septen (nach Legueu und Für eine gute Umsetzung der von der Muskulatur erzeugten
Juvara) mit der Palmaraponeurose (»palmar aponeurosis pulley«, Kräfte müssen die Hebelarme über den Gelenken möglichst groß
PAP) und im Handgelenkbereich ist es das Retinaculum flexorum. sein. Der Hebelarm, als senkrechter Abstand zwischen der Gelenk-
An den Fingern (⊡ Abb. 6.10) findet man 5 halbringförmige achse und der Wirkungslinie der Beugesehne, wird durch knöcher-
(anular) transversal verlaufende Bänder und meist 3 (bis 5) schräg ne Verdickung der Gelenkregion und vor allem durch die palmare
oder kreuzförmige (kruziforme) Bänder. Entsprechend werden sie Platte über jedem Gelenk deutlich vergrößert (⊡ Abb. 6.11). Nur
mit A1–A5 und C1–C3 (C0–C4) gekennzeichnet. Die am stärks- so wird die Zugkraft nach proximal in eine Drehbewegung nach
ten auffallenden Bänder sind die – bereits von Leonardo da Vinci palmar umgelenkt. Nach einem Verlust der palmaren Platte resul-
gezeichneten – Bänder, die vom Grundglied und vom Mittelglied tiert eher eine Gelenkkompression als eine Beugung. Dabei spielen
breit um die Beugesehnen verlaufen, die kräftigen A2- und A4- am Finger zusätzlich die A2- und A4-Ringbänder eine wichtige
Ringbänder. Auf Höhe der Grundgelenke, Mittelgelenke und End- Rolle, wenn der Finger aus der Streckung heraus gebeugt werden
gelenke ziehen schmalere Bänder über die Beugesehnen. Sie gehen muss, während die A1-, A3-, A5- und C-Ringbänder eine zuneh-
nicht vom Knochen aus, sondern von den palmaren Platten. Es mend größere Bedeutung bei der Beugung erlangen, je mehr der
sind die A1-, A3- und A5-Bänder. Im Bereich zwischen A2- und Finger gebeugt wird. Daher sind diese Ringbänder in der Regel
A3-Ringband findet sich das C1-Ringband, zwischen A3- und A4- auch deutlich schwächer ausgebildet. Jedoch ist für jedes einzelne
Ringband das C2-Ringband und zwischen A4- und A5-Ringband Ringband ein Effekt bei der Fingerbeugung messbar.
6.1 · Allgemeines
109 6

⊡ Abb. 6.11 Wirkungsmechanismen der A2-


und A4-Ringbänder am gestreckten Finger im
Zusammenspiel mit den palmaren Platten

⊡ Abb. 6.12 Unterschiedliche Stabilitäten der


einzelnen Ringbänder am Finger

Aus den unterschiedlichen stellungsabhängigen Funktionen durch die Ringbänder verstärkt wird. Phylogenetisch haben sich
der Ringbänder resultieren auch die verschiedenen Stabilitäten der die Sehnenscheiden aus palmaren Bursa-ähnlichen Strukturen
einzelnen Ringbänder (⊡ Abb. 6.12). Die Ringbänder, die bereits in entwickelt, die sich stark in die Länge über der Sehne und seitlich
Streckstellung des Fingers und bei leichter Beugung beansprucht um die Sehnen herum ausgebreitet haben, bis sie sich dorsal der
werden (A2 und A4), besitzen auch die größte Ausreißkraft. Sehnen an vielen Stellen wieder berührten (Mesotendineum) und
Aus den Stabilitäten der Ringbänder darf aber nicht einfach teilweise an den Kontaktstellen wieder aufgelöst haben. Ledig-
auf ihre Wertigkeit geschlossen werden. Die Änderung der Biome- lich die Blutgefäße zu den Sehnen blieben als Vincula erhalten
chanik und der Kraft bei der Fingerbeugung wird bei der häufig (⊡ Abb. 6.13).
vorgenommenen Spaltung des A1-Ringbandes funktionell von den Die Sehnenscheiden der einzelnen Finger sind voneinander
meisten Menschen nicht bemerkt, da das A2-Ringband und das isoliert. Vom Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger reichen die
Palmaraponeurosensystem die verloren gegangene Funktion des Sehnenscheiden von der Mitte der Endglieder bis etwa 1 cm proxi-
A1-Ringbandes weitgehend kompensieren. Dies ändert sich aller- mal der A1-Ringbänder und bilden an den Enden des Sehnenschei-
dings dann, wenn auch benachbarte Ringbänder mit zerstört sind. densackes jeweils kleine Verdickungen, die als »cul de sac« (Poiri-
Eine langstreckige Insuffizienz der Ringbänder führt zu einem er) bezeichnet werden. Kleinere Verdickungen der Sehnenscheiden
funktionell stark behindernden Bogensehneneffekt. finden sich auch an den proximalen und distalen Rändern der
Die eigentliche Sehnenscheide ist eine relativ dünne Memb- Ringbänder. Diese Bereiche sind auch sehr stark durchblutet und
ran, die die Sehnenscheidenflüssigkeit, die Synovia, umgibt und wahrscheinlich Produktionsorte für die Synovia.
110 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Die Sehnenscheide des Kleinfingers reicht dagegen in der Regel Raszetta durch den Karpalkanal hindurch. Nicht selten findet
weit über das A1-Ringband nach proximal hinaus, ist etwa 13–14 sich unterhalb des Retinaculum flexorum noch eine eigenständige
cm lang und bildet unterhalb des Retinaculum flexorum eine große Sehnenscheide für die Beugesehnen des Zeigefingers. Über diese
synoviale Höhle, die Kontakt zu den meisten anderen Beugesehnen Sehnenscheide können der ulnare und der radiale Sehnenschei-
hat. Dieser ulnare Sehnenscheidensack reicht dann bis etwa 3cm densack miteinander kommunizieren. Bei Säuglingen soll eine
proximal der Raszetta. solche Verbindung kaum vorkommen, während im höheren Alter
Auch die Daumenbeugesehnenscheide ist länger als die der diese Verbindung in 50% der Fälle vorkommen kann. Klinische
benachbarten Finger und reicht bis etwa 2–3 cm proximal der Relevanz hat diese Verbindung nur bei Infektionen der Beuge-
sehnenscheide, wenn sich die Infektion vom Daumen auf den
Kleinfinger ausbreiten kann. Diese V-Infektionen sind aber sehr
selten geworden.

Zoneneinteilung der Beugesehnenverletzungen


Sterling Bunnell beschrieb 1922 den Abschnitt am Finger, in dem
6 die beiden Beugesehnen durch einen engen osteofibrösen Kanal
ziehen – also zwischen A1- und A4-Ringband, als Zone, in der
kein Chirurg gute Ergebnisse mit einer Beugesehnennaht erzie-
len kann – als »Niemandsland«. Claude Verdan und Henry Nigst
schließlich teilten den gesamten Bereich der Beugesehnen in meh-
rere Zonen ein. Die Zone 1 umfasst den distalen Abschnitt der
tiefen Beugesehne vom Ansatz am Endglied bis etwa zur Mitte des
A4-Ringbandes. Dort setzt die oberflächliche Beugesehne an und
ab der Mitte des A4-Ringbandes bis zum proximalen Rand des
A1-Ringbandes befinden sich zwei Beugesehnen im osteofibrösen
Kanal (⊡ Abb. 6.14). Dieser Bereich wird als Zone 2 bezeichnet.
Der Bereich zwischen A1-Ringband und dem distalen Rand des
Retinaculum flexorum ist die Zone 3. Der Bereich unterhalb des
Karpaldaches die Zone 4 und der Abschnitt proximal des Karpal-
daches die Zone 5. Am Daumen (⊡ Abb. 6.15) wird der Ansatzbe-
reich der langen Daumenbeugesehne bis zum proximalen Rand
des Ringbandes über dem Endgelenk als Zone Th1, der Abschnitt
unterhalb des Y- oder schrägen Ringbandes und dem A1-Ringband
als Zone Th2 und die Strecke unterhalb der Thenarmuskulatur als
Zone Th3 bezeichnet.
Für spezielle Studien kann die Einteilung noch verfeinert wer-
den, da die Zonen in sich Abschnitte mit unterschiedlichen Ergeb-
nissen aufweisen können. Beispielsweise liegt die engste Stelle des
osteofibrösen Kanals unterhalb des A2-Ringbandes, hier sollen die
Ergebnisse der primären Naht am schlechtesten sein. Die Zone 1
unterteilte Moiemen in die Zonen 1a bis 1c, die Zone 2 Tang in die
Zonen 2a bis 2d. Auch die Zone 3 kann in Zone 3a (unterhalb des
⊡ Abb. 6.13 Entstehung der Vincula aus einem breiten, dann schmalen und Palmarapeurorosenkanals) und Zone 3b (Ursprung der Lumbrica-
durchlöcherten Mesotendineum lismuskeln) unterschieden werden (⊡ Abb. 6.14; Langer 2003).

⊡ Abb. 6.14 Zoneneinteilung mit den Untereinteilungen nach Tang (Zone 2) und nach Moienem (Zone 1)
6.1 · Allgemeines
111 6
Sehnenheilung Entzündungsphase (0–7 Tage)
Grundkenntnisse der Physiologie der Sehnenheilung sind essenzi- Nach der Verletzung blutet es zunächst in den Defektbereich
ell für die stadiengerechte Behandlung und Betreuung nach Beuge- ein. Es bildet sich ein Wundhämatom und Blutplättchen binden
sehnenverletzungen. sich an das freiliegende Kollagen, schütten Phospholipide aus,
Trotz des relativ »einfachen« Aufbaus der Sehne ist es heute um den Verschlussmechanismus zu stimulieren und verschließen
bekannt, dass es nach einer Sehnenverletzung zu einem komple- schließlich die verletzten Gefäße. Aus den Thrombozyten werden
xen Heilungsprozess kommt. Eine Sehnenverletzung löst eine Kas- zahlreiche Zytokine wie PDGF und TGF-β freigesetzt. Innerhalb
kade von zellulären und molekularen Vorgängen aus, die durch einer Stunde kann ein Fibringerinnsel und Fibronektin im Ruptur-
die Freisetzung von Mediatoren aus dem Wundhämatom initiiert bereich gefunden werden. Die Verbindung der Fibringerinnsel mit
werden. Die zellulären Vorgänge sind typische Vorgänge, die bei den Kollagenfibrillen führt zur Bildung einer schwach klebrigen
einer Gewebeverletzung auftreten und umfassen die Zellprolife- Masse, die eine erste Abdichtung der Verletzungsregion bewirkt.
ration, die Zellmigration, die Synthese einer neuen Matrix und Innerhalb weniger Stunden wandern dann polymorphkernige Leu-
die Organisation der Matrix in ein spezialisiertes Gewebe. Die kozyten, Makrophagen und Monozyten in die Verletzungsregion
zellulären und molekularen Regulationen von Adhäsionen werden ein. Diese Einwanderung der Entzündungszellen geschieht inner-
durch die gleichen Grundmechanismen wie für die Sehnenheilung halb der ersten 24 h und hält einige Tage lang an. Die Einwande-
gesteuert. rung wird eingeleitet durch chemotaktische Substanzen, die im
Die Stadieneinteilung der Sehnenheilung ist bis heute nicht Rupturbereich freigesetzt werden. Hier sind Histamine, die z. B.
einheitlich definiert. In den verschiedenen Lehrbüchern und Zeit- aus den Blutplättchen freigesetzt werden, Fibronectin und Brady-
schriftenbeiträgen finden sich bisweilen stark unterschiedliche An- kinin zu nennen.
gaben. Auch die Anzahl der Stadien – drei oder vier – ist nicht Makrophagen und andere Leukozyten beginnen mit der Pha-
einheitlich. Die hier dargestellte Version ist eine stark vereinfachte gozytose des zerstörten Gewebsmaterials. Das nekrotische Gewebe
Zusammenstellung aus der Literatur. ist etwa am 5.–7. Tag nach der Verletzung abgeräumt.
Die Sehnenheilung verläuft in drei verschiedenen Stadien:
1. Entzündungsphase (Initialphase, inflammatorische Phase, ex- Reparationsphase (7–21 Tage)
sudative Phase) (1. Woche), In der Proliferationsphase kommt es zunächst zu einer Akkumula-
2. Proliferationsphase (2. Woche) und fibroplastische Phase tion von Fibroblasten, Myofibroblasten und Endotheliumzellen in
(3. Woche), der Verletzungszone. Die Migration und Proliferation dieser Zellen
3. Umbauphase (Reifungsphase, Remodeling-Phase) (4. Woche wird durch die Wachstumsfaktoren aus den Thrombozyten und
bis 1 Jahr). Makrophagen stimuliert. Neue Kapillaren entstehen und verbin-
den sich mit den existierenden Kapillaren. Die Fibroblasten und
Myofibroblasten zeigen eine hohe Syntheserate für Komponenten
der extrazellulären Matrix (Kollagene und Nichtkollagenproteine).
Dieses Gewebe wird als Granulationsgewebe bezeichnet. Der ur-
sprüngliche Fibrinblock wird durch andere Strukturen ersetzt. Die
Fibroblasten produzieren in dieser Phase Glykosaminoglykane der
extrazellulären Matrix, vor allem Hyaluronsäure und Kollagen III.
Die Kollagenfasern werden zunächst ungerichtet ausgebildet und
orientieren sich dann entlang der Zugachse. Kollagen III wird etwa
ab dem 12.–14. Tag durch das Kollagen I ersetzt. Der erhöhte Ge-
halt an DNS lässt auf aktive Zellteilungen (auch der Epitenozyten)
schließen.
Der »tumor growth factor« zeigt jetzt seinen höchsten Anstieg.
Im Rupturbereich zeigen sich dann auch Kollagenfaserbrücken
zwischen den Sehnenenden als fibrinöse Stränge. Etwa 2 Wochen
nach der Sehnennaht nimmt die Stabilität der Sehnennaht ab, steigt
dann aber wieder durch die zunehmende Kollagenproduktion. Die
Sehnenstärke ist aber immer noch in erster Linie abhängig von der
Nahttechnik und dem Nahtmaterial.
Das neu gebildete Sehnengewebe ist bereits nach wenigen Mo-
naten nicht mehr unter dem Mikroskop von dem ursprünglichen
Sehnengewebe zu unterscheiden, aber das neu gebildete Sehnenge-
webe besitzt auch nach 3 Jahren immer noch nicht den charakteris-
tischen Perlmutterglanz der normalen Sehne.

Umbauphase (nach dem 42. Tag)


Die Kollagenfasern sind noch weich und gleichartig im Ruptur-
spalt gelagert und zeigen erst nach und nach ein Remodeling und
eine Orientierung zur Längsachse der Sehne. Der DNS-Gehalt in
der Sehne ist unvermindert erhöht. Die Zellteilungsrate vermindert
sich langsam und die Sehne bekommt eine zunehmende Stabilität.
Die Umbauvorgänge sind häufig erst nach mehr als 1 Jahr abge-
⊡ Abb. 6.15 Feinere Zoneneinteilung am Daumen schlossen.
112 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Bei der Sehnenheilung unterscheidet man eine extrinsische hindern. Daher sollte bei der Behandlung darauf geachtet werden,
und eine intrinsische Form. Bei der extrinsischen Form erfolgt die dass das extrinsische System gehemmt und das intrinische System
Sehnenheilung durch die Fibroblasten der Synovialis und des um- der Sehnenheilung gestärkt wird. Der wirksamste Mechanismus
gebenden Gewebes. Demgegenüber stehen die Fibroblasten aus der der Unterdrückung der extrinsischen Heilung ist die frühzeitige
Sehne selbst und aus dem Epitenonium, also der Sehnenoberfläche. Bewegung und Beübung der Sehne. Bereits wenige Millimeter
Die Fibroblasten aus der Umgebung der Sehne scheinen aktiver Bewegung der Sehne reichen aus, um entstehende narbige Verbin-
und schneller zu sein und dazu auch noch mehr Kollagen zu bilden dungen mit der Umgebung zu zerreißen und daher Gefäßeinspros-
als die Fibroblasten aus dem intrinsischen System. Eine Heilung sungen aus der Umgebung in die Sehne zu verhindern.
aus oder mit der Umgebung lässt dann die unerwünschten Adhäsi- ⊡ Abb. 6.16 zeigt die Sehnenheilung und das Verhalten der Seh-
onen und Vernarbungen entstehen, die die Sehne an der Bewegung nenzellen innerhalb der ersten 12 Tage.

6 Längsschnitt durch eine


unverletzte Sehne als
Ausgangsbefund

24 Stunden nach der


Durchtrennung und Kernnaht in
der Technik nach Zechner zeigen
sich im Druckbereich der Naht
sowie an der Sehnen-
Durchtrennungsstelle die
Anukleären Bereiche und einige
Karyolysen

Nach 48 Stunden hat sich der


anukleäre Bereich um die
Rupturstelle weiter ausgeweitet.
Einige Tenozyten scheinen sich von
der Rupturregion zu entfernen.

Nach 72 Stunden hat sich die


maximale Breite der anukleären
Zone ausgebildet. Das Epitenonium
weist eine vergrößerte Zelldichte
auf.

Nach 120 Stunden geben die


Verankerungsbereiche der
Sehnennaht nach und die Naht
verschiebt sich zur Rupturregion
hin.

Nach 12 Tagen hat sich das


Epitenonium ernorm verdickt, die
Rupturregion ist mit neuen Zellen
aufgefüllt aber in den zuvor
⊡ Abb. 6.16 Schematische Darstellung der
anukleären Bereichen werden jetzt
Sehnenheilung innerhalb der ersten 12 Tage
vermehrt Tenozyten gefunden.
bei kompletter Durchtrennung und Naht.
6.1 · Allgemeines
113 6
6.1.2 Epidemiologie Entscheidend ist zunächst eine genaue Beobachtung der Hand
in Ruhe und unter Bewegung.
Beugesehnenverletzungen treten bei etwa 1% aller Verletzungen Achtet der Patient selbst nicht auf die Stellung der Hand oder
an der Hand auf. In Anbetracht der riesigen Zahl der Handverlet- ist der Patient bereits in Narkose, so besteht an den Beugesehnen
zungen ist dieses »1%« aber eine nicht zu unterschätzende Menge, und Strecksehnen der Finger ein »Ruhetonus«, der normalerweise
besonders in Hinblick auf die volkswirtschaftliche Bedeutung mit zu einer »harmonischen Linie der Fingerkuppen« (Langer) führt.
langen Ausfallszeiten bei der Arbeit, langen Nachbehandlungszei- In jeder Position des Handgelenks ist der Zeigefinger am meisten
ten bei spezialisierten Handtherapeuten und dem nicht vorherseh- gestreckt und der Kleinfinger am meisten gebeugt. Mittel- und
baren funktionellen Endergebnis. Ringfingerkuppen liegen auf einer harmonischen Linie dazwischen
Die Mehrzahl der Verletzungen betrifft junge Männer mit ei- (⊡ Abb. 6.17).
ner solitären Verletzung an einem Finger, gefolgt von komplexen Ist diese harmonische Linie gestört (⊡ Abb. 6.18), so liegt bei
Handverletzungen zahlreicher Beugesehnen im Handbereich. einer stärkeren Beugung des betroffenen Fingers möglicherweise
eine Strecksehnenverletzung vor, bei einer geringeren Beugung
des Fingers dagegen eher eine Beugesehnenverletzung. Gerade bei
6.1.3 Ätiologie abgelenkten kleinen Kindern kann diese Beobachtung wertvolle

Verletzungen der Beugesehnen werden am häufigsten durch schar-


fe Gegenstände hervorgerufen. In der täglichen Praxis werden sich
meist häusliche oder Freizeitunfälle mit Glas- oder Messerschnitt-
verletzungen finden. Bei den Arbeitsunfällen sind Blechkanten,
Teppichmesser, aber auch verschiedene Sägen und Fräsen als häufi-
ge Ursache zu nennen. Der Daumen und der Kleinfinger scheinen
überproportional häufig betroffen zu sein.
Bei den seltenen geschlossenen Sehnenverletzungen sind bei
jüngeren Patienten Sportunfälle (Rugby-Finger oder Jersey-Finger
– fast immer der Ringfinger, Reitunfälle) durch große Kraftein-
wirkungen die am häufigsten genannte Ursache. In den letzten
Jahren hat aber auch die iatrogene Ursache durch eine häufig in-
korrekte zu weit distale Lage einer palmaren distalen Radiusplatte
zunehmend an Bedeutung gewonnen. In diesen Fällen findet man
nicht selten eine geschlossene Ruptur meist der Flexor-pollicis-
longus- oder Flexor-digitorum-profundus-Sehne des Zeigefingers
auf Höhe des Radiokarpalgelenks (bzw. der sog. »watershed line«).
Diese Sehnen haben sich am Titan- oder Stahlmaterial der Platte
oder der Schrauben bis zur Ruptur hin aufgefasert und zerrieben.

6.1.4 Diagnostik
a
Das Schicksal von Patienten mit Handverletzungen und vor al-
lem solcher mit Sehnenverletzungen hängt entscheidend von der
frühzeitigen Diagnose und der darauf folgenden Behandlung des
Erstuntersuchenden ab. Eine verschleppte oder verpasste Diagnose
kann bei Beugesehnenverletzungen eine langwierige und aufwen-
dige Behandlung nach sich ziehen und eine komplette Wiederher-
stellung unmöglich machen.
Die Diagnostik bei frischen oder veralteten Verletzungen der
Beugesehnen kann unter Umständen sehr schwierig sein. Eine
genaue Kenntnis der speziellen Anatomie der Beugesehnen ermög-
licht ein gezieltes gewebeschonendes Vorgehen ohne unnötig lange
Hautschnitte und damit einen schnelleren Beginn der Übungsbe-
handlungen.

Diagnostisches Vorgehen bei Beugesehnen-


verletzungen
Der Untersuchungsvorgang sollte immer zuerst mit einer ausführ- b
lichen Anamnese über Zeitpunkt der Verletzung, Verletzungsart,
Stellung der Finger bei der Verletzung und bisherige Behandlung ⊡ Abb. 6.17 In jeder Position des Handgelenks sind die Fingerkuppen bei
beginnen. Alter, Beruf, Hobbys und Allgemeinerkrankungen soll- intakten Beugesehnen und Strecksehnen auf einer »harmonischen Linie«. Bei
ten auch bekannt sein. Die Bewegungsausmaße der Finger müssen einer Störung der Beugesehnen oder auch der Strecksehnen eines Fingers ist
dokumentiert werden und eine Überprüfung der Funktion beider diese »harmonische Linie« unterbrochen. a Handgelenkextension, b Hand-
Gefäßnervenbündel am Finger ist immer sinnvoll. gelenkflexion
114 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

6 ⊡ Abb. 6.18 Schnittverletzung am Ringfinger mit Durchtrennung beider


Beugesehnen. Die vermehrte Beugung des Mittelfingers kommt durch die
Verbindung der tiefen Beugesehnen des Mittelfingers und des Ringfingers
über den gemeinsamen M.-lumbricalis-Ursprung zustande ⊡ Abb. 6.20 Winfield-Zeichen beim Faustschluss

⊡ Abb. 6.21 Aktiver Test der tiefen Beugesehne (FDP)

kompressionstest). Hier zeigen sich dann Abweichungen von der


harmonischen Linie noch stärker. Danach kann mit den aktiven
Funktionsprüfungen begonnen werden.

Verletzungen der tiefen Beugesehne


Bei einer Durchtrennung der tiefen Beugesehne eines Finger – egal
auf welcher Höhe oder welcher Zone – ist eine aktive Beugung des
Endgelenks nicht mehr möglich. Beim Faustschluss bleibt das End-
gelenk gestreckt (Winfield-Zeichen; ⊡ Abb. 6.20).
b Der aktive Test beginnt mit einer Lagerung des gestreckten
Fingers mit der Fingerrückenseite auf einem Tisch. Das Mittelglied
⊡ Abb. 6.19 Unterarmkompressionstest. Durch Druck auf das distale Drittel wird auf dem Tisch fixiert und der Patient aufgefordert, das Endge-
des Unterarmes auf der Beugeseite werden die Beugesehnen der Finger und lenk zu beugen (⊡ Abb. 6.21).
auch des Daumens angespannt, a ohne Druck, b mit Druck Ist diese Bewegung nur unzureichend möglich, sollte die Kraft
zur Endgelenkbeugung im Vergleich zu den benachbarten Fingern
überprüft werden (⊡ Abb. 6.22). Durch leichten Druck auf die Fin-
gerkuppe kann die Kraft des tiefen Beugers abgeschätzt werden.
Hinweise auf eine solche Verletzung liefern, da durch den Schmerz Beim narkotisierten Patienten oder bei Kindern wird das
oder die ungewohnte Situation keine adäquate aktive Mitarbeit zu Handgelenk maximal nach dorsal gebeugt, das Mittelglied mit der
erwarten ist. einen Hand fixiert und mit der anderen Hand ein Unterarmkom-
Als Steigerung dieser passiven Untersuchung kann zur Er- pressionstest vorgenommen. Unter intakten Verhältnissen kommt
höhung des Tonus der Unterarmbeugemuskulatur eine sanfte es wenigstens zu einer geringen Beugung des Endgelenks. Dieser
Unterarmkompression ausgeübt werden (⊡ Abb. 6.19) (Unterarm- Test ist an allen Fingern gleich gut möglich.
6.1 · Allgemeines
115 6

⊡ Abb. 6.22 Überprüfung der Kraft der tiefen Beugesehne. Differenzialdi- ⊡ Abb. 6.24 Bei einer isolierten Durchtrennung der oberflächlichen Beu-
agnostisch kann bei einer proximalen Ulnarisparese die Kraft bei der End- gesehne kann bei fixierten tiefen Beugesehnen der Nachbarfinger die FDP-
gelenkbeugung des Ring- und Kleinfingers, bei einer Interosseus-anterior- Sehne den Mittelfinger maximal in diese Position beugen
Parese die Kraft des Zeigefingers vermindert sein

⊡ Abb. 6.23 Apley-Test zur Überprüfung der oberflächlichen Beugesehne ⊡ Abb. 6.25 Das Endgelenk ist leicht gebeugt, aber die »harmonische Linie«
des Ringfingers. Hier komplett intakte FDS-Sehne der Fingerkuppen ist bei einer isolierten FDS-Sehnen-Durchtrennung gestört

Überprüfung der oberflächlichen Beugesehne Bei Verletzungen mit isolierter Durchtrennung der oberflächli-
Die Austestung der oberflächlichen Beugesehnen ist erheblich chen Beugesehne ist das Endgelenk meist noch etwas gebeugt, das
schwieriger, da ein Finger auch ohne oberflächliche Beugesehne Mittelgelenk im Vergleich zu den Nachbarfingern aber schwächer
durch die tiefe Beugesehne fast normal gebeugt werden kann. Zur gebeugt (⊡ Abb. 6.25).
Testung muss daher die tiefe Beugesehne »ausgeschaltet« werden. Am Kleinfinger und Zeigefinger haben wir dagegen Probleme
Dies geht an den Fingern DIII bis DV sehr gut, weil die tiefen Beu- mit dieser Untersuchung. Am Kleinfinger ist die oberflächliche
gesehnen dieser Finger am Unterarm eine gemeinsame Sehnenplat- Beugesehne oft sehr dünn ausgebildet oder in der Hohlhand in
te ausbilden. Wird eine der tiefen Beugesehnen in Streckstellung unterschiedlicher Weise mit der oberflächlichen Beugesehne des
fixiert, so sind auch die beiden anderen tiefen Beugesehnen fixiert. Ringfingers verwachsen, sodass von Natur aus keine volle Beugung
Soll daher die oberflächliche Beugesehne des Ringfingers getestet des Mittelgelenks bei in Streckstellung fixiertem Ringfinger mög-
werden, so braucht nur der Mittelfinger und Kleinfinger in voller lich ist. Hier sollte die Gegenseite mit getestet werden.
Streckung am Endglied fixiert werden. Durch die gemeinsame Seh- Am Zeigefinger ist die tiefe Beugesehne isoliert von denen
nenplatte kann am Ringfinger kein effektiver Zug auf die tiefe Beu- des Mittel- und Ringfingers. Daher kann die tiefe Beugesehne
gesehne aufgebaut werden und eine Beugung des Mittelgelenks ist des Zeigefingers noch relativ gut wirken, wenn Mittel- und Ring-
die reine Wirkung der oberflächlichen Beugesehne. Dies ist auch finger in Streckstellung fixiert werden und eine Beugung durch
am Mittelfinger gut möglich (Apley-Test; ⊡ Abb. 6.23). Zieht nur die oberflächliche Beugesehne vortäuschen. Hier bietet sich der
die tiefe Beugesehne, so ist die Flexion unvollständig (⊡ Abb. 6.24). Schaukeltest (Langer 2003, ⊡ Abb. 6.26) an. Dabei wird die Kuppe
116 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

6
⊡ Abb. 6.27 Bei der maximalen Beugung des Daumens bleibt das Endgelenk
gestreckt

⊡ Abb. 6.26 Schaukeltest am Zeigefinger. Bei einer intakten oberflächlichen


Beugesehne des Zeigefingers kann mit Daumen und Zeigefinger schnell zwi-
schen einer O-Form und einer Tropfenform gewechselt werden

des Zeigefingers an die Kuppe des Daumens gepresst. Es entsteht


dann eine ovale Ringform zwischen Daumen und Zeigefinger.
Durch Anspannung der oberflächlichen Beugesehne kann aus dem
Oval eine Tropfenform entstehen, wie sie häufig beim festen Griff
eines Schreibstiftes mit nach palmar durchgedrücktem Endgelenk ⊡ Abb. 6.28 Auch bei der Extension des Handgelenks und der passiven Ret-
entsteht. Kann der Patient schnell zwischen den ovalen und trop- ropulsion des Daumens bleibt das Endgelenk gestreckt
fenförmigen Stellungen wechseln, muss die oberflächliche Beuge-
sehne intakt sein.

Überprüfung der langen Daumenbeugesehne (FPL)


Die Untersuchung der langen Daumenbeugesehne entspricht im
Wesentlichen der Untersuchung der tiefen Beugesehnen der Finger
(⊡ Abb. 6.27, ⊡ Abb. 6.28). An die Sehnenverbindung zwischen FPL
und FDP II sollte ebenso gedacht werden, wie an die isolierte Pare-
se des N. interosseus anterior (Kiloh-Nevin-Syndrom).

Diagnostik bei Verletzungen mehrerer Beugesehnen


Der häufigste Fall ist die Durchtrennung beider Beugesehnen an
einem Finger (⊡ Abb. 6.29). Der Finger ist bei Ruhelage der Hand
in Supinationsstellung weder im Mittel- noch im Endgelenk ge-
beugt.
Liegt die Verletzung in der Zone 3 (⊡ Abb. 6.30) mit einer zu-
sätzlichen Durchtrennung der Mm. lumbricales oder weiter proxi-
mal davon, so ist auch die Grundgelenkbeugung herabgesetzt.
Eine Durchtrennung fast aller Beugesehnen auf Höhe des
distalen Unterarmes (⊡ Abb. 6.31) führt zu einem so großen Span-
nungsverlust in den Beugesehnen, dass der Ausdruck »Spaghetti- ⊡ Abb. 6.29 Durchtrennung beider Beugesehnen in der Zone 2b über einen
Wrist« durchaus passend erscheint. 8 mm langen Hautschnitt
6.1 · Allgemeines
117 6
Viele Verletzungen und Erkrankungen der Beugesehnen an der
Hand lassen sich durch eine sorgfältige klinische Untersuchung
eines Handchirurgen diagnostizieren. Daher sollte die Indikation
für eine apparative Spezialuntersuchung auch möglichst nur von
einem Handchirurgen gestellt werden und nicht als Screening-
Untersuchung bei »unklaren Beschwerden« eingesetzt werden.

Differenzialdiagnostik von Beugesehnenverletzungen


Bei den Funktionsstörungen der Beugesehnen muss zunächst un-
terschieden werden,
1. ob es sich um einen kompletten Funktionsausfall der Beuge-
sehne handelt,
2. ob ein voller Bewegungsumfang, aber ein Kraftverlust besteht,
3. ob ein voller Bewegungsumfang, eine gestörte Bewegungsdy-
namik vorliegt,
4. ob der Finger ein Streckdefizit oder
⊡ Abb. 6.30 Tonusverlust der Mm. lumbricales und verminderte Grundge- 5. ein Beugedefizit hat.
lenkbeugung bei einer Durchtrennung beider Beugesehnen des Mittel- und
Ringfingers sowie der oberflächlichen Beugesehne des Zeigefingers Ein kompletter Funktionsausfall (1) der Beugesehne kann durch
eine Störung der Muskulatur (Quetschung, Durchtrennung, Mus-
kelnekrose), der Sehne selbst (Durchtrennung, Avulsion, Mus-
kelausriss, Vernarbungen), oder durch nervale Störungen (Nerven-
verletzung, Kompressionssyndrom, Tumore etc.) bedingt sein.
Wenn ein voller Bewegungsumfang mit einem Kraftverlust
(2) vorliegt, sollte an neurologische, myogene und tendinöse Stö-
rungen gedacht werden, aber auch das Führungssystem der Ring-
bänder kann betroffen sein. Auch Schmerzen an allen beteiligten
Strukturen können über den Bewegungsschmerz die Kraft ver-
mindern und eine Verkürzung des Knochens nach Frakturen oder
Eingriffen am Handgelenk (»proximal row carpectomy«) zieht eine
Schwächung der Muskulatur nach sich.
Ein gestörter Bewegungsablauf (3) kann durch Gleitbehinde-
rungen an der Beugesehne selbst (Tendovaginitis stenosans, Ver-
narbungen, Sehnentumore), an den Strecksehnen, an den Gelenken
(freie Gelenkkörper, Gelenkverletzungen) oder an Fehlstellungen
und Vorsprüngen an den Knochen oder Implantaten bedingt sein.
Besonders interessant sind die Störungen der intrinsischen Musku-
latur, zu denen auch die Schwanenhalsdeformität, Adhäsionen der
⊡ Abb. 6.31 »Spaghetti-Wrist« Lumbrikalismuskeln und die sog. »saddle deformity« nach Wat-
son durch posttraumatische Interosseus-lumbrikalis-Adhäsionen
gerechnet werden müssen. Bei der letztgenannten Störung kommt
es nach starken Vernarbungen zwischen dem dorsal des Lig. meta-
Apparative Diagnostik von Beugsehnenverletzungen carpeum transversum profundum gelegenen Interosseus mit dem
Die klinische Untersuchung ist in den meisten Fällen vollkommen palmar des Bandes gelegenen M. lumbricalis bei der Grundgelenk-
ausreichend. Bei geschlossenen oder veralteten Beugesehnenverlet- beugung zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen.
zungen kann es aber durchaus hilfreich sein, mit Röntgenaufnah- Streckdefizite (4) können nach Verletzungen der Beugeseh-
men, Ultraschall oder evtl. auch mit der Magnetresonanztomogra- nen, der Beugemuskulatur (Volkmann), der intrinsischen Musku-
fie zusätzliche Informationen für die Operation zu bekommen. latur (Ulnarisschaden), durch Strecksehneninsuffizienzen, durch
Bei den Avulsionsverletzungen können knöcherne Ansatzfrag- Dupuytren‘sche Kontrakturen, Hautkontrakturen, Fehlstellungen
mente bis zum A2-Ringband zurückgezogen werden, die dann auf der Knochen, der Gelenke oder bei Fehlbildungen entstehen.
einer seitlichen Röntgenaufnahme zu erkennen sind. Beugedefizite (5) können durch Muskelschwächen, Verkle-
Eine Röntgenaufnahme des betroffenen Fingers im dorsopalma- bungen der Beugesehnen innerhalb der Sehnenscheide oder durch
ren und exakt seitlichen Strahlengang ist sehr wichtig, da nicht nur partielle Paresen der innervierenden Nervenfasern auftreten.
eine Endgliedfraktur aufgedeckt werden muss, sondern auch die Po-
sition des bis über das A2-Ringband hinaus dislozierte Fragment am
Sehnenansatz in der seitlichen Aufnahme erkannt werden kann. 6.1.5 Klassifikation
Mit dem Ultraschall kann eine Reruptur einer genähten Beuge-
sehne nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Auch bei Ring- Beugesehnenverletzungen werden zunächst nach der Zone ihrer
bandinsuffizienzen, Synovialitiden, Infektionen und mechanischen Verletzung eingeteilt. Dabei sollte die Zone nach der Lage der
Hindernisse kann der Ultraschall schnell und kostengünstig gute Rupturstelle beim gestreckten oder leicht gebeugten Finger fest-
Hilfestellungen geben. Das MRT bleibt sicherlich besonderen Fra- gelegt werden. Eine Verletzung der Beugesehne beim Faustschluss
gestellungen vorenthalten. auf Höhe der Grundgliedbeugefurche ist eine Verletzung in der
118 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Zone 2c, die Naht liegt beim gestreckten Finger aber auf Höhe des bezeichnet. Nach dem 14. Tag handelt es sich um eine sekundäre
A3-Ringbandes, also in der Zone 2b. Beugesehnennaht, wobei Nähte in der 3.–5. Woche als frühse-
Bei der Beschreibung der Verletzung sollte auch vermerkt kundäre Nähte und nach der 5. Woche als spätsekundäre Nähte
werden, ob es sich um eine Quer- oder Schrägdurchtrennung der bezeichnet werden. Bei Erwachsenen kann nach der 6. Woche in
Sehne handelt. Schnittverletzungen sind meist glatt, Säge- oder der Regel kein befriedigendes Ergebnis mehr erwartet werden.
Fräsverletzungen dagegen ausgefranst oder mit Defekten. Die Dis- Bei Kindern (s. unten) hat man dagegen teilweise auch noch nach
tanz der Defektstrecke sollte abgeschätzt werden. 12 Wochen gute Chancen auf ein gutes Ergebnis.
Neben den scharfkantigen Durchtrennungen durch Glas oder Beim Erwachsenen liegen die Probleme nach der 6. Woche
ein Messer finden sich auch Teildurchtrennungen, die man nach (modifiziert nach Geldmacher (1991) in:
der prozentualen Durchtrennung des Sehnenquerschnittes und ▬ Verwachsungen der Sehnenstümpfe,
dem Winkel bzw. der verletzten Strecke dokumentieren sollte. ▬ kolbigen Auftreibungen der proximalen Sehnenstümpfe,
Geschlossene Beugesehnenrupturen im Fingerbereich sind ▬ myostatischen Kontrakturen,
sehr selten, im Handgelenkbereich durch karpale Arthrosen (z. B. ▬ Inaktivitätskontrakturen der zugehörigen Muskeln,
Pseudarthrose des Hamulus ossis hamati) und in letzter Zeit durch ▬ dermatogenen Kontrakturen,
6 palmare Plattenosteosynthesen bei der distalen Radiusfraktur mit ▬ Teileinsteifungen der Gelenke,
deutlicher Überschreitung der »watershed line« deutlich häufiger ▬ und vernarbten Sehnenscheiden.
geworden.
Der Ansatz der tiefen Beugesehne kann mit oder ohne ein Patientenaufklärung
knöchernes Fragment vom Endglied abreißen, eine Avulsion der Die gesamte Beugesehnenchirurgie erfordert ein hohes Maß an
oberflächlichen Beugesehne vom Mittelglied ist extrem selten. aktiver Mitarbeit des Patienten. Daher muss die Aufklärung des
Die Avulsionsfrakturen werden nach Stamos und Leddy, in Er- Patienten bei den Beugesehnenverletzungen besonders intensiv
weiterung nach Al Qattan klassifiziert, wir verwenden eine eigene erfolgen. Der Patient sollte frühzeitig auf die Schwierigkeiten
Klassifikation. bei der Wiederherstellung von Beugesehnenverletzungen, deren
lange Behandlungsdauer, die Gefahren der Verwachsungen und
verbleibende Streck- und Beugedefizite hingewiesen werden. Er
6.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie braucht bereits vor der Operation genaue Anweisungen über Be-
wegungen, die er nicht aktiv durchführen darf (Faustschluss) und
Jede Beugesehnenverletzung bringt einen nicht unerheblichen Bewegungen, die er anschließend machen muss. Eine Anleitung
Kraft- und Funktionsverlust. Die Indikation zur Beugesehnennaht über die aktive Belastung an den anderen nicht betroffenen Fin-
ist daher bei jeder frischen Beugesehnenverletzung gegeben. gern muss der Patient erhalten. Er muss auch den genauen Bewe-
Bei den veralteten Sehnenverletzungen ist die Indikation zur gungsspielraum der einzelnen Finger und die Funktionsweise der
Operation wesentlich schwieriger zu stellen und vor allem die dynamischen Schiene kennen, um Funktionsstörungen frühzeitig
Differenzialtherapie wesentlich breiter gefächert. Bei den Entschei- zu erkennen und mitteilen zu können. Die Patientenaufklärung
dungen über die Indikation und das weitere Vorgehen sind viele umfasst aber auch die allgemeinen Risiken von Infektionen und
Faktoren wie Alter des Patienten, Alter der Verletzung, Bewe- Sehnenrupturen, die meist in der 2.–6. Woche auftreten können
gungsausmaß, Begleitverletzungen etc. so enorm wichtig, dass die und Möglichkeiten der Rekonstruktion, falls die Operation nicht
Abschätzung des zu erwartenden Ergebnisses sehr viel Erfahrung zum gewünschten Erfolg (Tenolysen, Arthrolysen, Arthrodesen,
verlangt. Diese Eingriffe sollten nur von erfahrenen Handchirur- Sehnenplastiken) führt.
gen durchgeführt werden.
Kontraindikationen für eine primäre Naht sind fehlende räum-
liche, instrumentelle und persönliche Voraussetzungen, Infektio- 6.1.7 Therapie
nen, ausgedehnte Quetschungen oder Weichteilverletzungen, die
nicht primär mit einem Lappen gedeckt werden können, instabile Konservative Therapie
(instabil versorgte) Frakturen und Gelenkschädigungen, die eine Eine konservative Therapie bei Beugesehnenverletzungen kann
sofortige Übungsbehandlung nicht zulassen. allenfalls nur bei geschlossenen Beugesehnenverletzungen vor-
kommen. Jede offene Beugesehnenverletzung muss operativ in
Zeitpunkt der Operation ausreichender Narkose und Blutleere revidiert und zumindest
Am leichtesten und besten gelingt eine schonende Präparation gesäubert werden, da immer die Gefahr einer Beugesehnenschei-
und gute Sehnennaht sowie eine gute Naht auch der begleitenden deninfektion besteht. Die Funktionsausfälle sind aber bis auf
verletzten Nerven, Gefäße und der Osteosynthese, wenn es sich um wenige Ausnahmen so groß, dass eine konservative Therapie nur
eine ganz frische Verletzung handelt. In vielen Fällen ist die notfall- ganz selten indiziert ist.
mäßige Versorgung auch nachts gerechtfertigt. Am nächsten Tag Die häufigste oder fast regelmäßige Indikation für eine Haut-
und in den darauf folgenden Tagen sind die Sehnenstümpfe häufig naht mit einem bewussten Verzicht auf eine Beugesehnennaht ist
bereits ödematös aufgequollen und das umliegende Gewebe einge- eine isolierte Verletzung der Palmaris-longus-Sehne am Unterarm.
blutet, sodass Gefäße und Nerven nicht mehr so einfach präpariert Seltener kann bei einer Durchtrennung der tiefen Beugesehne
werden können. in der Zone 1 bei älteren, multimorbiden Patienten bei intakter
Die Basler Handchirurgische Arbeitstagung um Henry Nigst oberflächlicher Beugesehne akzeptiert werden, wenn die Sehne
stellte 1976 eine Definition der Operationszeitpunkte und der Art nicht genäht wird, allerdings sollte das Endgelenk in einer leichten
der Versorgung auf, die von der IFSSH 1980 übernommen wurde. Beugestellung durch eine Tenodese stabilisiert werden.
Als primäre Naht wird der Zeitraum innerhalb der ersten 8 h Bei Teildurchtrennungen kann es manchmal besser sein, die
angesehen. Danach und noch bis zum 14. Tag wird eine Beuge- Sehne nur zu debridieren, als die Durchblutung der Sehne durch
sehnennaht als spätprimäre Naht oder verzögerte primäre Naht eine Naht zu stören. (s. unten).
6.1 · Allgemeines
119 6
Operative Therapie die Einzelheiten der Verletzung (Zone der Verletzung, Begleitver-
In den allermeisten Fällen von Beugesehnenverletzungen besteht die letzungen an Nerven und Ringbändern etc.) kennen. Ein erfahre-
Indikation zur Operation. Frische Verletzungen werden möglichst ner Therapeut wird dann nicht selten verschiedene Techniken aus
primär versorgt. Der operative Aufwand bei den Präparationen ist unterschiedlichen Protokollen kombinieren. Verfügt ein Therapeut
relativ niedrig, ebenso die Komplikationsrate und die Ergebnisse sind über weniger Erfahrungen mit der Behandlung von Beugesehnen-
besser als bei den sekundären Rekonstruktionen. Das Spektrum der nähten, ist es günstiger, wenn ein festes Protokoll befolgt wird. Der
sekundären Rekonstruktionsarten ist sehr groß und die Schwierigkeit Handtherapeut muss immer darauf achten, dass Verbände nicht zu
besteht meistens darin, das richtige Verfahren für den Patienten aus- eng angelegt sind und zu einem lymphatischen oder venösen Stau
zuwählen. Trotzdem sind diese sekundären Operationen meist nur mit entsprechenden Schwellungen führen, da diese dann Bewe-
Rettungsoperationen, um die funktionelle Behinderung zu minimie- gungseinschränkungen nach sich ziehen.
ren. Die Sehnenheilungszeit ist verantwortlich für die lange Behand- Grundsätzlich unterscheidet man zwischen passiven und akti-
lungsdauer, die bei Weitem mit der Operation nicht abgeschlossen ist. ven Übungsprotokollen.
Es folgt eine längere Phase der Weiterbehandlung, die für den Erfolg Das älteste passive Nachbehandlungsprotokoll die »controlled
der Sehnennaht mindestens so wichtig ist, wie die Operation selbst. active motion« stammt ursprünglich von Harold Kleinert (1967),
wurde allerdings mehrfach modifiziert, da die Endgelenkbeugung
Weiterbehandlung in der Originalmethode unzureichend war. Direkt nach der Ope-
Nach der Sehnennaht bestehen viele Risiken, die das Ergebnis ration wird eine dorsale Gipsschiene angelegt, die vom Unterarm
ungünstig beeinflussen können. Die verletzten Sehnen verkleben bis zu den Fingerspitzen reicht und das Handgelenk in etwa 35°
mit Umgebung, wenn die Sehnen nicht mobilisiert werden. Erfolgt flektiert, die Grundgelenke in etwa 55° flektiert und die Mittel- und
die Mobilisierung mit zu großer Kraft, reißen die Sehnen aus den Endgelenke in 0°-Position hält (⊡ Abb. 6.32). Am Nagel werden
Nähten wieder heraus und die Operation muss unter schwierigeren Befestigungen für die passive Flexion angebracht. Die Behandlung
Bedingungen erneut ausgeführt werden. Ziel der Nahtbandlung ist beginnt am 1.–3. Tag. Die Zugspannung durch die Gummibänder
eine möglichst vollständige Mobilisation der genähten Beugeseh- oder Stahlfedern an den Fingernägeln muss so eingestellt werden,
nen unter kontrollierten Spannungsverhältnissen, die der Stabilität dass vollständige Streckungen der Mittel- und Endgelenke noch
der Sehnennaht zu jeder Zeit entspricht. Die Mitarbeit des Patien- möglich sind und eine gute Beugung des Fingers erreicht wird. Die
ten ist enorm wichtig und kann nur dann richtig funktionieren, Zugrichtung sollte dabei dem natürlichen Verlauf des Fingers folgen
wenn der Patient die Nachbehandlung und die Probleme bei der (Zielpunkt etwa das Kahnbein auf Höhe der Handgelenkbeugefur-
Sehnenheilung verstanden hat. Direkt nach der Sehnennaht wird che). Um eine vollständige Beugung zu erreichen, ist eine kleine
fast immer eine Gipsschiene angelegt, die ein Überstrecken des Umlenkrolle auf Höhe der distalen Hohlhandquerfurche (Slattery-
Handgelenks und der Finger und damit eine zu große Spannung McGrouther) notwendig. Da die tiefen Beugesehnen einen gemein-
auf die Beugesehnen verhindert. Diese »Gipsschiene in Kleinert-
Position« verbleibt in der Regel für 3 Wochen. In den meisten Fäl-
len wird immer noch eine passive Mobilisierung der Beugesehnen
vorgenommen. Dies geschieht über eine passive Flexion der Finger
durch Gummizügel oder Stahlfedern, die an den Fingernägeln und
an der Beugeseite des Unterarmes befestigt sind. Da die Streck-
sehnen meist unverletzt sind, können die Finger aktiv gestreckt
werden, anschließend erfolgt wieder die Beugung der Finger durch
die Gummizügel oder die Stahlfedern. Die Spannung für die Fle-
xion darf dabei nicht zu groß sein, da sonst die Streckmuskulatur
zu stark beansprucht wird und eine reziproke nicht gewünschte
Mitinnervationen der Beugemuskulatur entsteht.
Die Stabilitäten der Sehnennähte ändern sich nach der Naht
von Tag zu Tag. Eine gerade fertig gestellte Sehnennaht hält durch-
a
schnittlich eine Spannung von etwa 30 N (etwa 3 kg) aus. Durch
die Störung der Sehnendurchblutung durch das Nahtmaterials
sinkt die Stabilität in den ersten Tagen deutlich ab und erreicht
nach etwa 5 Tagen einen Tiefpunkt von etwa 15 N. Durch die dann
einsetzenden Heilungsvorgänge steigt die Stabilität wieder, sodass
nach etwa 6 Wochen wieder 30 N erreicht werden. Eine 80–90%ige
Stabilität der Sehne ist nach etwa 12 Wochen erreicht, sodass hier
eine Vollbelastung erfolgen darf.
Bei Kindern unter 5 Jahren und Patienten mit einer deutlichen
kognitiven Einschränkung kann noch eine komplette Immobilisa-
tion der Hand ohne aktive oder passive Übungsbehandlung not-
wendig werden. In diesen Fällen sollte die Hand auch in Kleinert-
Position über 3–4 Wochen ruhiggestellt werden und anschließend
sollten gezielte handtherapeutische Übungen durchgeführt werden. b

Handtherapie nach Beugesehnenverletzungen ⊡ Abb. 6.32a,b a Typischer Kleinert-Gips mit Gummizügelung in der Phase
Die gewählte Handtherapie muss ähnlich wie die Operation indi- der aktiven Streckung, b moderne Kleinert-Schiene (vorgefertigt, schnell an-
viduell auf den Patienten abgestimmt werden. Der Therapeut sollte legbar, mit einstellbaren Spannungen und Gelenken) (OPED-VACOhand-flex)
120 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

samen Muskelbauch besitzen, sollten die beiden benachbarten Fin- ⊡ Tab. 6.1 Bewertungsschema für Beugesehnennähte nach Buck-
ger in das Übungsprogramm mit einbezogen werden. Der Patient Gramcko et al. (1976)
wird instruiert, den Finger bis zur Schiene aktiv zu strecken und
den Finger anschließend locker zu lassen, damit das Gummiband Punkte
den Finger wieder beugt. Eine passive Flexion des Grundgelenks Messung an den Fingern
kann bei der Übungsbehandlung die vollständige Streckung des
Mittel- und Endgelenks erleichtern. Der Patient darf aber auch mit FKHA/Gesamtbeugung 0–2,5cm/>200° 6
der anderen Hand die Spannung in den Gummizügeln lockern, um 2,5–4cm/>180° 4
eine leichte Streckung des Fingers zu ermöglichen. Die Übungen
sollten tagsüber etwa 5-mal pro Stunde ausgeführt werden. Die Po- 4–6cm />150° 2
sitionen sollten jeweils etwa 5 s gehalten werden. Zur Verbesserung >6cm/<150° 0
der Flexion kann der Patient mit seiner anderen Hand die Finger
Streckdefizit 0–30° 3
passiv in Richtung Faustschluss beugen, um eine möglichst große
Bewegung in den Gelenken zu erreichen. Nach 2 Wochen werden 31–50° 2
6 die Fäden entfernt. Sollten die Finger noch deutlich geschwollen
51–70° 1
sein, dürfen milde elastische Kompressionsverbände angelegt wer-
den, mit denen die Übungen noch weiter möglich sind. Wenn sich >70° 0
jetzt an den PIP- oder DIP-Gelenken Streckdefizite eingestellt ha- Bewegungsausmaß >160° 6
ben, sollte die Zügelung nachts aufgehoben werden und die Finger
nachts in Streckstellung an der Schiene fixiert werden. >140° 4
Nach der 3. Woche wird die Schiene abgenommen und das >120° 2
Handgelenk aufgerichtet. Die Gummizügel verbleiben, werden jetzt
aber an einer Handgelenkbandage oder einem Uhrenarmband be- <120° 0
festigt. Das Übungsprogramm wird bis zum Ende der 5. oder Beugung im Endgelenk 50–70° 6
6. Woche fortgesetzt. In dieser Zeit können erste aktive Haltever-
30–49° 4
suche (»place and hold«) vorgenommen werden. Dabei wird eine
passiv eingestellte Beugestellung vom Patienten aktiv gehalten. Ein- 10–29° 2
getretene Kontrakturen müssen auch jetzt schon behandelt werden.
<10° 0
Die Zügelung wird nach 6 Wochen komplett entfernt und der
Patient zu aktiven und passiven belastungsfreien Übungen der Messung am Daumen
Handgelenke und der Finger aufgefordert. Dabei sollte auch darauf Streckdefizit 0–10° 3
geachtet werden, dass die tiefe und die oberflächliche Beugesehne
isoliert beübt werden, um eine Verklebung dieser Sehnen mitein- 11–20° 2
ander zu verhindern. Nach der 8. Woche sind leichte Belastungen 21–30° 1
und Tätigkeiten erlaubt, aber noch keine Bewegungen, die einen
>30° 0
kräftigen Faustschluss erfordern. In dieser Phase kommen Thera-
pieknete und dynamische Schienen gegen Streckdefizite zum Ein- Bewegungsausmaß >40° 6
satz. Übungen im warmen Wasserbad können sehr angenehm sein
30–39° 4
und Narben lockern. Nach der 12. Woche kann eine zunehmende
Vollbelastung angestrebt werden. 20–29° 2
Das zweite wichtige Weiterbehandlungsprogramm stammt von <20° 0
Duran und Houser aus dem Jahre 1975 (»controlled passive mo-
tion«), die hier in der Modifikation von Cannon aus dem Jahre Bewertung: sehr gut: 14–15 Punkte, gut: 11–13 Punkte, befriedigend: 7–10
1986 dargestellt wird: Punkte, schlecht: 0–6 Punkte
Nach der Operation wird eine Gipsschiene in Kleinert-Position
angelegt und am 1. postoperativen Tag eine Zügelung angelegt. Die
Zügelung wird aber nachts und während der Übungen entfernt. here Stabilität der Naht für aktive Bewegungen der Finger zuzulas-
Die Übungen bestehen aus passiven Bewegungen der Finger mit sen. Die verschiedenen Protokolle sind teilweise sehr unterschied-
der anderen Hand. Die Endgelenke werden passiv vollkommen lich. Generell muss aber gesagt werden, dass die Spannungen auf
gestreckt und gebeugt, während die Grund- und Mittelgelenke zur die Sehnennaht bei der aktiven Beugung des Fingers häufig recht
Entspannung der Sehnennaht gebeugt sind. Bei voller Beugung des nahe an die Belastungsgrenze der Naht heranreichen können und
Grundgelenks wird auch das PIP-Gelenk passiv voll gebeugt und dass daher eine aktive Nachbehandlung nicht bei jedem Patienten
gestreckt. Das Grundgelenk wird, soweit es die Schiene zulässt, und noch nicht allgemein empfohlen werden kann.
bei gebeugten PIP- und DIP-Gelenken beübt. Diese Übungen
werden bis in die 4. Woche hinein täglich 8- bis 10-mal pro Stunde Untersuchung der Endergebnisse
ausgeführt. Nachts werden die Finger mit gestreckten PIP- und Die Ergebnisse nach verschiedenen Beugesehnennähten und Wei-
DIP-Gelenken an der Schiene angewickelt. Nach 5 Wochen wird terbehandlungsprotokollen müssen verglichen werden können.
die Schiene entfernt und die Übungen auf das Handgelenk und die Dazu sind einheitliche Bewertungskriterien und standardisierte
Grundgelenke in Streckstellung ausgeweitet. Messmethoden notwendig:
Eine frühzeitige aktive Nachbehandlung von Beugesehnen- Das am weitesten verbreitete Bewertungsschema stammt von
verletzungen wird in einigen Zentren ausgeführt. Die verwendete Buck-Gramcko et al. (1976) und zieht zur Bestimmung der Gesamt-
Nahttechnik ist hier immer eine Mehrstrangtechnik, um eine hö- funktion den Fingerkuppen-Hohlhand-Abstand, die Gesamtbeuge-
6.2 · Spezielle Techniken
121 6

⊡ Tab. 6.2 Linear-Measurement-System (LMS)

Punkte

Flexionsdefizit <1 cm 6

1–1,9 cm 5

2–2,9 cm 3

3–3,9 cm 3

4–4,9 cm 2

5–5,9 cm 1

≥6 cm 0

Streckdefizit <1 cm 4

1–1,9 cm 3

2–2,9 cm 2

3–3,9 cm 1 ⊡ Abb. 6.33 Verkürzter Mittelfinger nach unversorgter Beugesehnenverlet-


zung als Kind mit gleichzeitiger Durchtrennung der radialen Fingerarterie im
≥4 cm 0
digitalen Allen-Test
Bewertung: sehr gut: 9–10 Punkte, gut: 6–8 Punkte, befriedigend: 4–5 Punkte,
schlecht: 0–3 Punkte

ten können. Nach der Operation ist die übliche Nachbehandlung mit
⊡ Tab. 6.3 ASSH-TAM-System der kontrollierten Mobilisation unter Entlastung im Kleinert-Gips
bei Kindern unter 5 Jahren nicht möglich. Daher müssen die Kinder
Sehr gut normale TAM
für eine Phase von 3 Wochen im Oberarmgips immobilisiert werden.
Gut > 75% TAM der gesunden Gegenseite Der Oberarmgips ist notwendig, da der Unterarmgips bei kleinen
Kindern nicht stabil genug angebracht werden kann und meist schon
Befriedigend > 50% TAM der gesunden Gegenseite
nach wenigen Stunden verrutscht. Je nach Alter des Kindes kann
Schlecht < 50% TAM der gesunden Gegenseite aber mit passiven Übungsbehandlungen bei maximaler Flexion des
Beugung (MP + PIP + DIP) – Streckdefizit (MP + PIP + DIP) = Totale aktive
Handgelenks den Verklebungen entgegengewirkt werden.
Mobilität (TAM) Bleibt eine Beugesehne bei einem Kleinkind unversorgt, bleibt
auch das Knochenwachstum am betroffenen Finger zurück und der
Finger wird im weiteren Wachstum deutlich kürzer (⊡ Abb. 6.33).
⊡ Tab. 6.4 Strickland-System

PIP + DIP Beugung PIP + DIP Beugung – 6.2 Spezielle Techniken


TAM Streckdefizit

sehr gut 75–100% >132° 6.2.1 Technik der primären Sehnennaht

gut 50–74% 88–131°


Die primäre Sehnennaht erbringt von allen Rekonstruktionstech-
befriedigend 25–49% 44–87° niken der Beugesehnen die besten Ergebnisse, wenn bestimmte
schlecht <25 % <44° Voraussetzungen bei der Operation und bei der Nachbehandlung
erfüllt werden.
Die Naht einer verletzten Beugesehne ist bis heute eine beson-
dere Herausforderung an jeden Handchirurgen. Die Nahttechnik
fähigkeit der Fingergelenke, das Streckdefizit sowie das Bewegungs- spielt dabei eine besondere Rolle, jedoch existieren heute zahlrei-
ausmaß (Beugefähigkeit minus Streckdefizit) heran (⊡ Tab. 6.1). che grundsätzlich verschiedene Nahttechniken, mit denen ähnliche
Daneben finden sich noch andere Bewertungsschemata, die aber Resultate erzielt werden können. Die wichtigsten Dinge, die bei der
nicht so häufig eingesetzt werden (⊡ Tab. 6.2; ⊡ Tab. 6.3; ⊡ Tab. 6.4). primären Beugesehnennaht beachtet werden müssen sind:
1. Nach wie vor muss besonders bei der Sehnennaht eine »atrau-
matische« Operationstechnik angewendet werden. Die Sehne
6.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter darf auch mit der Pinzette nicht gequetscht, am besten kaum
berührt werden.
Beugesehnenverletzungen im Wachstumsalter weisen einige Be- 2. Die Hautschnittführung sollte so gelegt werden, dass die
sonderheiten auf: Sehnennaht möglichst narbenfrei abgedeckt und eine frühe
Prinzipiell ist die Sehnenheilung bei Kindern schneller und die Übungsbehandlung möglich wird. Die Bruner‘sche Schnitt-
Ergebnisse sind fast grundsätzlich besser als beim Erwachsenen. führung hat sich sehr bewährt, jedoch ist auch der mediolate-
Schwierigkeiten bestehen bei kleinen Kindern zunächst in der Di- rale Schnitt durchaus angebracht.
agnostik, da die Kinder sich nicht wie Erwachsene äußern, ihre Be- 3. Die Sehnenscheide sollte so gut wie möglich geschont oder
schwerden ausdrücken und bei den aktiven Tests adäquat mitarbei- rekonstruiert werden.
122 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

4. Die Verankerungen in der Sehne sollten mindestens 10 mm


von der Rupturstelle entfernt sein (Nicoladoni-Regel), da sonst
die Nähte ausreißen.
5. Das Nahtmaterial und vor allem der Knoten sollten möglichst
innerhalb der Sehne liegen, damit die Gleiteigenschaften der
Sehne nicht beeinträchtigt werden.
6. Die Sehne sollte vorsichtig und gründlich gereinigt, aber nicht
übermäßig gekürzt werden, da sonst der Finger bereits primär
ein Streckdefizit aufweist, das auch durch intensive Übungen
nicht behoben werden kann.
7. Die Reißfestigkeit der Naht bis zur Sehnenheilung muss so
stabil sein, dass eine frühe Übungsbehandlung durchgeführt
werden kann (mindestens bis zur 6. Woche).
8. Das Nahtmaterial soll leicht zu handhaben sein und einen si- ⊡ Abb. 6.34 Ringbandrekonstruktion durch quere Halbierung und gegen-
6 cheren Knoten erlauben. läufiger Eröffnung mit anschließender diagonaler Rekonstruktion
9. Die Sehnenenden müssen glatt adaptiert werden können mit
minimaler Lückenbildung.
10. Die Sehnendurchblutung darf durch die Naht nicht beein-
trächtigt werden.
11. Die Stabilität der Sehne in der Narbe darf durch Fremdmateri-
al nicht herabgesetzt werden.
12. Die genähte Sehne muss störungsfrei gleiten können, d. h. kei-
ne Aufwerfung oder Knotenbildung und keine Störung durch
den Knoten oder das Nahtmaterial

Zugangsweg
Als Zugangsweg zu den Beugesehnen am Finger und an der Hohl-
hand hat sich seit Jahrzehnten der Zickzackschnitt nach Julian Bru-
ner (1967) bewährt. Zuvor war es üblich, die Beugesehnen durch
einen langstreckigen seitlichen Zugang (mittseitlicher Hautschnitt) ⊡ Abb. 6.35 Schräge Durchtrennung des Ringbandes und leicht versetzte
zu eröffnen. In einigen Fällen ist die Bruner‘sche Schnittführung Erweiterungsplastik
allerdings zu weitgreifend, sodass eine Halbierung der Schnittlänge
(Hemi-Bruner-Inzision) Vorteile bietet. Im Einzelfall müssen be-
stehende Wunden natürlich in die Planung der Hauteröffnung mit werden, so ist eine Erweiterungsplastik für die Ringbänder unaus-
einbezogen werden. Grundsätzlich ist der Zugangsweg allerdings weichlich. Wegen der enormen Bedeutung sollte zumindest ein
von untergeordneter Bedeutung, wenn folgende Dinge sicherge- etwa 6 mm breiter Streifen des A2-Ringbandes immer bestehen
stellt sind: bleiben. Die Ringbanderweiterungsplastik kann auf verschiedene
1. Die spätere Narbenbildung darf sich nicht ungünstig auf die Art und Weise erfolgen. Am günstigsten erscheinen eine alternie-
Fingerbewegung auswirken; dies ist regelmäßig der Fall, wenn rende türflügelartige Eröffnung und eine Rekonstruktion über eine
die Beugefurchen senkrecht durchschnitten werden. Naht der benachbarten Ringbandabschnitte (⊡ Abb. 6.34).
2. Gefährdete Bereiche mit mikrochirurgischen Nähten, Fraktu- Ein geschontes Ringband ist aber grundsätzlich stabiler als
ren oder Bereiche ohne Sehnenscheide müssen mit gut durch- ein rekonstruiertes Ringband. Die schräge Rekonstruktion eines
bluteter Haut abgedeckt sein. Schlecht durchblutete Hautare- Ringbandes bringt noch zusätzlich den Vorteil, dass eine wulstige
ale, insbesondere spitzwinkelig zugeschnittene Hautlappen, Naht eine Sehne nicht im Winkel von 90° auf ein Ringband aufläuft
können bei einer oberflächlichen Wundinfektion wichtige und hier hängen bleibt. Knotige Verdickungen der Sehnen gleiten
Strukturen nicht ausreichend schützen. besser unter schräg rekonstruierten Ringbändern. (⊡ Abb. 6.35)

Störende Narben finden sich später auch häufig im Bereich der Nahtmaterial
Interdigitalfalten. Die Bruner’sche Schnittführung, Z-Plastiken und Das Nahtmaterial, das heute für die Beugesehnennaht eingesetzt
andere Schnittführungen sollten diesen Bereich möglichst immer wird, ist sehr unterschiedlich und reicht von monofilen langsam
meiden. resorbierbaren Fäden der Stärke 5/0 bis 3/0 bis zu geflochtenen
nicht resorbierbaren Fäden. Auch der verwendete Nadeltyp ist
Eröffnung und Verschluss der Sehnenscheide und der unterschiedlich. Da der Abstand der Kernnahtverankerung von
Ringbänder der Rupturstelle mindestens 10 mm betragen sollte, sind Nadeln
Nach dem Hautschnitt wird man meist eine weitgehend intakte mit einem kleinen Durchmesser eher ungünstig. Gerade Nadeln
Beugesehnenscheide vorfinden. Diese Sehnenscheide mit den ver- wurden früher hauptsächlich für die Sehnennahttechnik nach Bun-
stärkenden Ringbändern sollte für eine gute Funktion der Beuge- nell gebraucht. Da gerade diese Nahttechnik mit den mehrfachen
sehnen ohne Verklebungen und ohne Bogensehneneffekten mög- Querstichen durch die Sehne die Durchblutungssituation der Seh-
lichst geschont werden. Um die Beugesehnen zu nähen, wird aber ne stört, werden gerade Nadeln zunehmend seltener eingesetzt.
auch Platz gebraucht. Zumindest partiell müssen die Sehnenschei- Bewährt haben sich 3/8-Nadeln mit einer punktförmigen oder nur
den und vor allem die Ringbänder dann inzidiert werden. Muss kurz angeschliffenen Spitze. Scharfe Nadeln können Sehnenfasern
die Beugesehnennaht unterhalb eines engen Ringbandes angelegt zerschneiden und die Sehne zusätzlich schädigen.
6.2 · Spezielle Techniken
123 6

⊡ Abb. 6.36 Unterschiede in der Stabilität bei


nicht unterschlungenen (»grasping«) und unter-
schlungenen (»locking«) Sehnennahtschlaufen
»grasping« »locking« unter Spannung

Geflochtene Fäden haben den Vorteil des sicheren Knotensit- gefordert, dass die Sehnennaht nur in den palmaren Bereich der
zes, sind aber an der Oberfläche rauer und können beim Durchzug Sehne gelegt werden darf. Man sollte in diesem Zusammenhang
durch die Sehne Sehnenfasern mit sich reißen. aber beachten, dass bei der Übungsbehandlung der Finger stark ge-
Daher wurden geflochtene Fäden mit einer zusätzlichen glatten beugt wird, der palmare genähte Abschnitt der Sehne also wie bei
Umhüllung entwickelt, die die Vorteile beider Fadenarten mitein- einer gekrümmten Ziehharmonika fast komprimiert wird, wäh-
ander vereinigen sollen. rend der dorsale – nicht genähte Abschnitt – eher distrahiert wird.
Da die genähte Sehne erst 6 Wochen nach der Naht so stabil ist, Da der dorsale Bereich »blutreich« ist und normalerweise besser
dass das Nahtmaterial nicht mehr gebraucht wird, sind kurzfris- und schneller heilt, ist eine dorsale Instabilität der Sehnennaht
tig resorbierbare Fäden kontraindiziert. Bei nicht resorbierbaren für die Heilung eher störend. Eine dorsolaterale Stabilisierung der
Fäden bleibt das Fadenmaterial zeitlebens als Fremdkörper in der Naht kann auf verschiedene Arten erreicht werden.
Sehne. Größere Knoten eines nicht resorbierbaren Fadens inner- Die Durchblutung der Beugesehnen im Hohlhand-, Karpal-
halb der Sehne können eine bleibende Aufwerfung oder Instabilität und Unterarmbereich erfolgt nicht über Vincula, sondern über sy-
in der Sehne hervorrufen. noviale Anlagerungen, die sich über weite Strecken mit den Sehnen
Abhängig von der Nahttechnik und der Dicke der Sehne wer- bewegen. Eine streng palmare Lage der Naht ist nicht erforderlich.
den Fäden der Stärke 5/0 bis 3/0 für die Kernnaht und 5/0 bis 7/0 Hier muss individuell die beste Lage der Sehnennaht intraoperativ
für die feinadaptierende Ringnaht eingesetzt. bestimmt werden.
In unserer Klinik haben sich langsam resorbierbare monofile Die Sehnennaht besteht aus einer Kernnaht, die die Hauptlast der
para-Dioxanon-Fäden der Stärke 4/0 und 5/0 für die Kernnähte bei Sehnennaht trägt und mit stabilerem Nahtmaterial ausgeführt wird,
den Beugesehnen der Finger und 6/0-para-Dioxanon-Fäden für und einer feinadaptierenden Ringnaht, die mit sehr feinen Fäden
die Ringnaht durchgesetzt. die Rupturstelle verschließt. Die Ringnaht trägt zwar auch zusätzlich
noch zur Stabilität bei, Hauptaufgabe ist aber, die Sehnenenden glatt
Nahttechnik aufeinander zu bringen (und damit »unsatisfied fibers« nach Bunnell
Die Naht einer Beugesehne ist eine sehr anspruchsvolle chirurgi- zu vermeiden) und ein Aufschieben der Sehnenenden an den Ring-
sche Leistung. Die Sehne besteht aus parallel angeordneten Kol- bändern und damit eine Lückenbildung zu verhindern.
lagenfasern und einfache Nähte reißen sehr leicht aus. Techniken,
die eine Naht stabiler machen, führen fast regelmäßig zu knoten- Kernnahttechniken
förmigen Verdickungen, die ein Gleiten der Sehnen unterhalb der Wie Carl Nicoladoni bereits 1880 forderte, sollte die Verankerung
Ringbänder unmöglich machen. Die Naht muss daher ganz speziell der Kernnaht, bzw. der Querstich durch die Sehne mindestens
in der Sehne verankert werden, um eine Stabilität für eine frühe 10 mm von der Rupturstelle entfernt sein. Diese Feststellung von
Übungsbehandlung zu erreichen, und ohne knotenförmige Verdi- Nicoladoni hat bis heute ihre volle Gültigkeit, da bei einer 6 mm
ckungen glatt bleiben. Und dann darf die Durchblutung der Sehne starken Sehne die letzten 6 mm vor der Rupturstelle nach wenigen
kaum beeinträchtigt werden. Die Sehne muss auch überaus scho- Tagen so stark »aufweichen«, dass hier jede Naht unter geringer
nend behandelt werden, darf niemals gequetscht werden. Auch der Belastung ausreißt (s. oben).
oder die Knoten der Sehnennaht bilden auf der Sehnenoberfläche Von Nicoladoni stammen aus dem Jahre 1880 auch die ersten
ein Gleithindernis. Also ist es besser den Fadenknoten innerhalb brauchbaren Sehnennahttechniken, die mit einer geringen Varia-
der Sehne zu versenken. Verschiedene Studien haben auch gezeigt, tion einer Schlaufe beim Querstich des Kernnahtfadens 1917 durch
dass auch das längs gerichtete Nahtmaterial besser innerhalb der Ludwig Kirchmayr zur »Urmutter« der wichtigsten Sehnennaht-
Sehne verlaufen sollte, als auf der Sehnenoberfläche. technik wurde. Verändert von Max Lange, aufgegriffen und leicht
Die Nahttechnik muss sich streng genommen auch immer den modifiziert von Isidor Kessler und verfeinert von Zechner ist diese
lokalen Durchblutungs- und Belastungssituationen der jeweiligen Nahttechnik bis heute die am weitesten verbreitete Nahttechnik für
Sehnenabschnitte anpassen. Im Fingerbereich werden die Sehnen Beugesehnen und häufig auch Strecksehnen.
von dorsal über die Vincula breves und longa mit Blut versorgt Für eine stabile Schlaufenverankerung in der Sehne, ist es
und bei der Beugung des Fingers wird ein Druck gegen die palmar notwendig etwa 2 mm des Sehnenquerschnittes mit der Naht zu
abstützenden Ringbänder aufgebaut. Die Durchblutung der Sehne fassen. Auch wie die Schlaufe ausgeführt wird, ist nicht unwichtig.
ist daher im palmaren Bereich des Sehnenquerschnittes deutlich Pennington wies zuerst darauf hin, dass es offene und schließende
geringer. Die Ernährung der Sehne erfolgt im palmaren Druckbe- Schlaufen gibt (»grasping and locking sutures«). Die unterschlun-
reich der Sehne durch Diffusion aus der Synovia. Um die Sehnen- genen Nähte sind um etwa 5 N stabiler als die nicht unterschlunge-
durchblutung durch die Naht wenig zu stören, wurde daher früher nen Schlaufen (⊡ Abb. 6.36, ⊡ Abb. 6.37).
124 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

a b

⊡ Abb. 6.37 Locking«- und »Grasping«-


Nahttechniken im Querschnitt und
6 Längsschnitt c d

a e

b f

c g

⊡ Abb. 6.38 Die wichtigsten Nahttechniken. a Kirchmayr (1917),


b Max Lange (1929), c Kessler (1969), d Tsuge (1977), e Savage (1985),
d f Zechner (1985), g Tang 2005

Die am häufigsten verwendeten Kernnahttechniken sind in ist sehr wichtig, da die weitgreifende Kernnaht die Lücke zwischen
⊡ Abb. 6.38 dargestellt. den Rupturenden nicht ausreichend genug – insbesondere bei
Mobilisation der Sehne – verschließen kann. Für diese Naht ist die
Ringnahttechniken Intaktheit des äußerst dünnen Epitenoniums sehr wichtig, da die
Eine feinadaptierende Naht direkt am Rupturrand wurde bereits parallel angeordneten Kollagenfasern der Sehne eine enggefasste
1887 von Witzel empfohlen, allerdings wurde diese Naht noch lange Naht nicht halten können. Daher müssen bei der Präparation der
Zeit als Einzelknopfnaht ausgeführt. Heute nicht mehr wegzuden- Sehne die Rupturränder besonders schonend behandelt werden.
ken, aber erst ab 1973 findet man in der Literatur Empfehlungen Die feinadaptierenden Ringnähte werden mit monofilem Fa-
für fortlaufende Ringnähte, die dann aufgrund unterschiedlicher den der Stärke 5/0 bis 7/0 angegeben, teilweise nicht resorbierbar,
Stabilitäten mehrfach modifiziert wurden. Diese zusätzliche Naht teilweise langsam resorbierbar. Wenn es geht, sollten auch die
6.2 · Spezielle Techniken
125 6

⊡ Abb. 6.40 Naht der oberflächlichen Beugesehne in der FDS-Zone 3 nach


Greulich unterhalb der FDP-Sehne mit einer Kreuzstich- oder Silfverskiöld-
Nahttechnik

d
⊡ Abb. 6.39 Die wichtigsten Ringnahttechniken. a Kleinert, b Halsted-Wade,
c Silfverskiöld, d Strickland

Knoten der Ringnaht versenkt werden, um beim Gleiten an den


Ringbändern keinen erhöhten Widerstand zu bieten.
Die wichtigestn Ringnahttechniken finden sich in ⊡ Abb. 6.39

Technik der primären Naht der oberflächlichen ⊡ Abb. 6.41 Naht der oberflächlichen Beugesehne in der Zone 2 nach Greu-
Beugesehne im Chiasmabereich lich oberhalb der tiefen Beugesehne
Bei der Naht der oberflächlichen Beugesehne im Chiasmabereich
kann die übliche Kernnahttechnik nicht angewendet werden, da
es sich in diesem Bereich um sehr platte Sehnen handelt. Bewährt ben, da es sonst zu einer Schwanenhalsdeformität kommen kann
haben sich hier kleine U-Nähte, Kreuzstich-Nähte und andere (⊡ Abb. 6.40, ⊡ Abb. 6.41).
Techniken, wobei in den meisten Fällen der Rupturabstand der
Nahtverankerung von 10 mm wie bei den Kernnähten nicht einge- Praktisches Vorgehen bei der primären
halten werden kann und nicht braucht. Beugesehnennaht
Die Sehnennaht darf in dieser Zone 2 aber nicht wulstig sein Der Patient sollte mindestens in i.v.-Regional- oder Plexusanäs-
und das Gleiten der tiefen Beugesehne behindern. thesie und in Oberarmblutleere unter Lupenbrillenvergrößerung
Da die tiefe Beugesehne den Finger weitgehend allein kom- operiert werden. Durch begleitende Verletzungen oder stark zu-
plett beugen kann, ist in manchen Fällen die Frage berechtigt, ob rückgezogene Sehnenstümpfe kann eine Eröffnung am Unter-
die oberflächliche Beugesehne überhaupt in der Zone 2 genäht arm (Venentransplantat, Sehnentransplantat, Nerventransplantat,
werden muss. Diese Fälle sind komplexe Grundgliedfrakturen, Hauttransplantat) jederzeit notwendig werden. Eine Operation in
Replantationen und andere komplexe Handverletzungen. Das Oberst-Anästhesie und Fingerblutleere ist strikt abzulehnen.
Sehnenmaterial der resezierten oberflächlichen Beugesehne kann Die Wunde sollte schmal exzidiert werden und der Haut-
dann für Ringbandrekonstruktionen, zur Abdeckung der Fraktur, schnitt nach Bruner nach proximal und distal weitergeführt wer-
für Bandplastiken und anderen rekonstruktiven Eingriffen ge- den (⊡ Abb. 6.42).
nutzt werden. Die Indikation zur Resektion der oberflächlichen Alle Gefäße, Nerven, Bänder und benachbarten Sehnen, die
Beugesehne sollte aber sehr gewissenhaft gestellt werden. Bei der verletzt sein könnten, müssen so weit freigelegt werden, dass sie
Resektion der oberflächlichen Beugesehne sollten die distalen sicher beurteilt und versorgt werden können. Verschmutzungen
15 mm des Ansatzes in situ als spontane narbige Tenodese verblei- in der Tiefe müssen ebenfalls exzidiert werden. Die Sehnenscheide
126 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

a b

c d

e f

g h

⊡ Abb. 6.42a–h Primäre Beugesehnennaht am Kleinfinger. a Präoperativer Zustand, b Bruner‘sche Schnittführung als Zugangsweg, c Eröffnung der
Beugesehnenscheide, d Hervorziehen der Sehnenstümpfe und Fixierung mit Kanülen, e Naht der oberflächlichen Beugesehne im Chiasmabereich,
f Kernnaht, g Ringnaht, h Verschluss der Sehnenscheide
6.2 · Spezielle Techniken
127 6

i j

k l

⊡ Abb. 6.42i–l Primäre Beugesehnennaht am Kleinfinger. i Hautnaht und Drainage, j Gipsverband in Kleinert-Stellung, k Streckung nach 8 Wochen, l Faust-
schluss nach 8 Wochen

wird noch so lange intakt gelassen, bis beurteilt werden kann, wo erscheint, kann der Unterarm von proximal nach distal »ausgemol-
der proximale und der distale Sehnenstumpf liegen und auf welcher ken« werden. Es sollte unbedingt vermieden werden mit Klemmen
Höhe die Beugesehnennaht zu liegen kommt. Wenn der Finger bei oder Pinzetten im Sehnenscheidenkanal zu stochern und den Seh-
der Verletzung stark gebeugt war, liegt die spätere Beugesehnen- nenstumpf brutal zu quetschen.
naht weiter distal als die Durchtrennungsstelle der Sehnenscheide. Der Stumpf der tiefen Beugesehne befindet sich meist auf Höhe
Wenn der Finger bei der Verletzung ganz gestreckt war, liegt die des A1-Ringbandes. Der Finger kann bis zu diesem Bereich eröff-
Naht der Beugesehne etwa auf gleicher Höhe wie die Schnittstelle net werden. Falls sich die oberflächliche und tiefe Beugesehne oder
in der Sehnenscheide. Meist liegt der distale Sehnenstumpf einige die langen Daumenbeugesehne immer noch nicht zeigen, sollte
Millimeter weiter distal und der proximale Sehnenstumpf durch nicht weiter gesucht werden, sondern gleich am distalen Unterarm
den Muskelzug erheblich weiter proximal in der Sehnenscheide eröffnet werden. Der herausgezogene Sehnenstumpf sollte nicht
zurückgezogen. Die Sehnen sind insbesondere dann sehr weit direkt auf die Haut gelegt werden, sondern auf eine feuchte Kom-
zurückgezogen, wenn der Muskel bei der Durchtrennung stark an- presse. Der Sehnenstumpf wird gereinigt und Reste der Vincula,
gespannt war. Die tiefen Beugesehnen werden durch die Mm. lum- die weit von der Sehne abstehen, werden reseziert. Diese Reste
bricales am weiten Zurückschnellen gehindert. Daher findet sich bieten sonst ungünstige Ausgangsstellen für Verwachsungen.
die tiefe Beugesehne bei einer Durchtrennung am Finger meist nur Die Sehnenenden müssen schonend unter den Ringbändern
2–3 cm weiter proximal. Die oberflächliche Beugesehne und die hindurch gezogen werden. Hier werden auch keine Klemmen be-
lange Daumenbeugesehne sind dagegen »nur« an den Vincula be- nutzt, um die Sehne direkt zu greifen und zu quetschen. Bei weiten
festigt und können hier abreißen und unter Umständen bis in den Strecken kann der Sehnenstumpf mit einer Kirchmayr-Naht fixiert
Unterarm zurückgezogen sein (⊡ Abb. 6.43). werden und die Sehne indirekt am Faden mit einer Sehnendurch-
Wenn die Sehnen weit zurückgezogen sind, sind die Vincula in zugsklemme nach Carroll gefasst werden.
der Regel mit abgerissen. Das Endergebnis kann dann bereits als Am Finger kann die Sehne mit Fäden oder verschiedenen wei-
schlechter prognostiziert werden. chen Kathetern unter den Ringbändern hindurch gezogen werden.
Um an den proximalen Sehnenstumpf zu gelangen gibt es ver- An dieser Stelle sollte das Handgelenk in Beugestellung bei-
schiedene Techniken. Zunächst sollte der Finger um etwa 2–3 cm spielsweise durch Unterlegen mit Tüchern fixiert werden, um von
weiter nach proximal eröffnet werden. Ist der proximale Stumpf Anfang an die Spannung von den Beugesehnennähten zu nehmen.
immer noch nicht zu sehen, können das Handgelenk und die Fin- Allenfalls kann das Sehnengewebe, das noch reseziert werden
gergrundgelenke maximal gebeugt werden und die benachbarten muss, mit Klemmen und Pinzetten gehalten und erst während oder
Finger gestreckt werden. Falls dann der Stumpf immer noch nicht am Ende der Sehnennaht abgeschnitten werden.
128 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

Die Sehnenscheide wird jetzt unter optimaler Schonung der der Sehnenscheide komplett aufgeschnitten werden, da die beiden
Ringbänder möglichst auf kurzer Strecke so eröffnet, dass eine Sehnenenden mobil sind und nach Bedarf in die manchmal nur
Rekonstruktion möglich werden kann. Der gesamte Bereich der 1 cm weite Öffnung der Sehnenscheide alternierend eingezogen
Sehnennaht, der über 2 cm in Anspruch nimmt, braucht nicht an werden können.
Ein teilweiser Erhalt oder eine gute Rekonstruktion der Ring-
bänder ist in den meisten Fällen möglich, aber eine Sehnennaht
unterhalb des sehr engen A4-Ringbandes erfordert fast immer
eine Erweiterungsplastik. Es ist immer sehr günstig, wenn vom
A2-Ringband wenigstens ein 5 oder 6 mm breiter Streifen erhalten
werden kann.
Dann folgt das Debridement der Sehnestümpfe. Gerade bei
Säge-, Fräs- oder Quetschverletzungen können die verschmutzten
Stümpfe in die Sehnenscheide gezogen worden sein. Die Sehnen-
scheiden sollten also gespült werden. Sämtliches verschmutztes
6 Sehnengewebe muss exzidiert werden. Dies muss aber sehr sorg-
sam durchgeführt werden, da ein zu großer Längenverlust der
Sehne eine primäre Naht unmöglich werden lässt oder schon
primär zu einem Streckdefizit führt, das durch die nachfolgenden
Übungen nur unzureichend ausgeglichen werden kann. Das De-
bridement muss also kompromisslos sauber, aber so sparsam wie
möglich erfolgen. Wenige Millimeter Verkürzung wirken sich nicht
a
wesentlich ungünstig auf die Funktion aus, mehr als 10 mm Ver-
kürzung können aus einem Finger einen »Haken« machen.
Der Umgang mit der Sehne ist jetzt besonders »atraumatisch«,
die Sehne wird nur sehr vorsichtig mit Pinzetten berührt. Damit sich
die Sehne nicht zurückziehen kann, wird sie mit dünnen Kanülen
fixiert, die durch die benachbarten Ringbänder gestochen werden.
Beim Anlegen der Kernnaht sollte auf die optimale Spannung
der Sehne geachtet werden. Ist die Spannung zu groß, wird die
Naht sehr wulstig und das Gleiten der Sehne unter den Ringbän-
dern wird erschwert, ist die Spannung zu gering, kann sich leicht
eine Lücke zwischen den Sehnenstümpfen bei der Übungsbehand-
lung bilden, was zu vermehrten Adhäsionen führen kann. Daher
sollte bei der Kernnaht nach den ersten Stichen immer noch eine
Korrektur der Nahtspannung möglich sein.
Um die Sehnennaht nicht zu wulstig werden zu lassen, ist es in
einigen Fällen erlaubt, an der Nahtstelle aus beiden Sehnenstümp-
b
fen zentral Sehnengewebe zu entfernen. Der Rupturbereich wird
dadurch etwas schmaler und kann besser unter den Ringbändern
gleiten.
Mit der Ringnaht wird die Sehne von der Oberfläche her noch
geglättet und die Sehnenstümpfe aneinandergelagert, sodass bei den
Übungsbehandlungen keine Lücke entstehen kann. Anschließend
sollte die Sehnenscheide möglichst wieder verschlossen werden und
Ringbandplastiken ausgeführt werden. Die Naht von benachbarten
Gefäß- oder Nervenverletzungen, falls diese vorgelegen haben, ist
selbstverständlich. Eine Redon-Drainage hat sich bewährt, sollte
aber nicht direkt neben einer Nervenkoaptation oder mikrochi-
rurgischen Arteriennaht zu liegen kommen. Der Hautverschluss
muss so erfolgen, dass kritische Areale (z. B. ohne Sehnenscheide,
Nervennähte, Gefäßnähte etc.) sicher und mit guter Haut bedeckt
werden. Die Beugefurchen dürfen keine senkrecht durchlaufende
Naht aufweisen, ggf. muss hier eine Z-Plastik angelegt werden.
Das Handgelenk, das sich immer noch in Beugestellung befin-
c
det, wird mit in den Verband einbezogen und der Verband bis zum
proximalen Drittel des Unterarmes erweitert. Bei der anschließen-
⊡ Abb. 6.43 Naht der Sehnen des M. flexor pollicis longus. a Präparation
den Gipsanlage ist es wichtig, dass alle Finger im Endgelenk und
der langen Daumenbeugesehne zunächst am Daumen selbst, wenn der
proximale Stumpf nicht gefunden wird, wird am Handgelenk eröffnet. Die
im Mittelgelenk vollkommen gestreckt sind. Um die Spannung
FPL-Sehne war sogar hier noch umgeschlagen. b Durchzug des proximalen von der Sehnennaht zu nehmen, müssen dann die Grundgelenke
Stumpfes durch den Karpalkanal innerhalb der Sehnenscheide der FPL- (was günstig ist) und das Handgelenk (was bei älteren Patienten
Sehne mithilfe der Sehnendurchzugszange nach Carroll. c Durchgezogener zu Karpaltunnelsyndrom-typischen Beschwerden führen kann) ge-
Sehnenstumpf im Nahtbereich beugt werden. Insgesamt ist die optimale Stellung des Gipses eine
6.2 · Spezielle Techniken
129 6
»Intrinsic-plus«-Stellung mit gebeugtem Handgelenk. Als grobe
Orientierung müssen der Unterarmschaft und die Finger senkrecht
zueinander stehen. Das Handgelenk ist meist etwa 35° und die
Grundgelenke sind etwa 55° gebeugt.

Technik der distale Refixation der tiefen Beugesehne


in der Zone 1
Die distale Refixation der tiefen Beugesehne am Endgliedknochen
muss besonders besprochen werden, da hier bei offenen Verlet-
zungen oder bei den Avulsionsverletzungen (s. unten) kein ausrei-
chendes Gewebe für eine normale Sehnennaht vorhanden ist.
Während man früher den Endgliedknochen anbohrte, um
die Sehne im Knochen transungual mit einem Lengemann-Draht
zu befestigen, ist man heute eher der Ansicht, dass die Sehne auf
dem Knochen statt im Knochen anheilen müsse und hier die
Narbe auch eine größere Stabilität erhält. Das Verfahren mit den
Mini-Knochenankern ist sicherlich schnell, aber auch nicht kos-
a
tengünstig. Mit drei Kanülen und einem monofilen 3/0-Faden
kann die Refixation der tiefen Beugesehne ebenfalls schnell und
effektiv durchgeführt werden, ohne dass das Nagelbett durchsto-
ßen wird oder dass Nahtmaterial eine offene Verbindung durch
die Haut oder den Nagel zu der Sehne schafft. Dazu wird zunächst
eine Kanüle der Stärke 22 G oder 0,7 mm Durchmesser transversal
mit bohrenden Bewegungen durch das Endglied streng unterhalb
der Nagelanlage und oberhalb der Gefäßnervenbündel etwa in
Schaftmitte durch den Knochen gedreht. Der Eintrittspunkt und
der Austrittspunkt der Nadel werden mit einem Skalpell über eine
Strecke von 3 mm inzidiert. Von palmar kommend wird eine zweite
Kanüle von der Sehnenansatzregion immer nah am Knochen blei-
bend durch die erweiterte Eintrittsöffnung der 1. Kanüle geführt
und eine 3. Kanüle wird durch die erweiterte Austrittsöffnung der
1. Kanüle nahe am Knochen in die Sehnenansatzregion gestochen.
Das nadelfreie Ende des 3/0-Fadens kann jetzt in die Öffnung der
3. Kanüle geführt werden und nach Auszug der 3. Kanüle in die
Öffnung der 1. Kanüle gesteckt werden. Jetzt wird auch die erste
Kanüle durch den Knochen zurückgezogen und der verbleibende
Faden in die Öffnung der 2. Kanüle gesteckt. Jetzt liegt eine stabile b
transossäre 3/0-Naht in der Ansatzregion und kann mit dem Seh-
nenstumpf verbunden werden. Ein Teil der Sehne sollte direkt am
Knochen verknotet werden, um hier einen guten Kontakt zwischen
Sehne und Knochen herzustellen. Mit den Fadenenden kann die
Sehne noch durch mehrere seitliche blockierende Knoten gefasst
und distal verankert werden (⊡ Abb. 6.44).

Technik der Versorgung von Avulsionsfrakturen


Der Ansatz der tiefen Beugesehne kann mit oder ohne ein knö-
chernes Fragment vom Endglied abreißen. Ein Abriss der tiefen
Beugesehne vom Ansatz des Endgliedknochens durch große Zug-
kräfte wird Avulsionsverletzung genannt. Es sind seltene geschlos-
sene Verletzungen, die noch am häufigsten beim Sport auftreten
und daher auch die Bezeichnung Rugby-Finger oder Jersey-Finger
(weil der Finger am Jersey des Gegners hängen bleibt) erhalten ha-
ben. Noch seltener sind Avulsionsverletzungen der oberflächlichen
Beugesehne oder pathologische Avulsionsfrakturen, z. B. bei einem
Enchondrom des Endgliedes.
Der Ringfinger ist mit Abstand (75–80%) am häufigsten be-
troffen. c
Die Verletzungen sind sehr unterschiedlich, da die FDP-Sehne
allein vom Knochen abscheren kann, dazu aber auch noch in un- ⊡ Abb. 6.44 Nahttechnik der distalen Refixation mit der doppelten tran-
terschiedlicher Art und Weise knöchern ausreißen kann. Stamos sossären Fadenmethode. a Nadelführung bei der transossären distalen
und Leddy (2000) haben eine Klassifikation vorgeschlagen, die von Refixation mit drei 24-G-Kanülen, b Durchzug der monofilen resorbierbaren
Al-Qattan (2001) noch erweitert wurde. Aus eigenen Fällen er- 3/0-Fäden durch die Kanülen, c Schema der Fadenführung
130 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

1a 2a 3a 4a 5a
(ohne Dislokation der Sehne)

⊡ Abb. 6.45 Eigene Klassifikation der Avulsi- 1b 2b 3b 4b 5b


onsverletzungen der tiefen Beugesehne (mit Dislokation der Sehne)

scheint auch die erweiterte Klassifikation nicht ausreichend genug Schmerz verspürt haben und darauf das Endglied nicht mehr beu-
und ist auch nicht systematisch aufgebaut (⊡ Abb. 6.45). gen konnten. Am häufigsten finden sich komplett gestreckte oder
Die Schädigung des Endgliedknochens wird zunächst in die leicht überstreckte Endgelenke und Hämatome im Endgelenkbereich
Formen Typ 1 (kein knöcherner Ausriss), Typ 2 (knöcherner Aus- oder palmarseitig am Finger (⊡ Abb. 6.46). Eine aktive Beugung des
riss ohne Gelenkbeteiligung oder Schaftquerfraktur), Typ 3 (knö- Endgelenks ist nicht mehr möglich. In einigen Fällen kann das dislo-
cherner Ausriss mit Gelenkbeteiligung), Typ 4 (knöcherner Ausriss zierte palmare Fragment gut getastet werden (⊡ Abb. 6.47).
mit Schaftquerfraktur) und Typ 5 (Endgliedmehrfragment- oder Bei der Diagnostik ist ein seitliches Röntgenbild sehr wich-
Trümmerfraktur) eingeteilt. Diese Einteilung zielt auf die verschie- tig, da hier die Endgliedfraktur und die Position des dislozier-
denen Osteosynthesearten ab, die benötigt werden. Dann erfolgt ten Sehnenansatzes bestimmt werden können (⊡ Abb. 6.48). Ein
eine Zusatzbezeichnung »a« (ohne wesentliche Dislokation der disloziertes Knochenfragment findet sich häufig im Bereich des
Sehne) und Zusatz »b« (mit deutlicher Dislokation der Sehne). Ein A2-Ringbandes (⊡ Abb. 6.49), da hier die größte Engstelle im Ring-
weites Zurückziehen der Sehne mit oder ohne knöchernen Ansatz bandsystem vorliegt. Die Fragmente können aber auch ein Gelenk
bedingt immer ein Zerreißen der Vincula und bedingt dadurch blockieren und eine andere Verletzung vortäuschen.
eine schlechtere Prognose. Die Prognose ist auch entscheidend von Die Behandlung sollte so zügig wie möglich erfolgen, da die
der frühzeitigen Diagnose und Therapie abhängig. Ergebnisse bei verspäteten Operationen in der Regel deutlich
Im typischen Fall berichten die meist jüngeren Patienten (Durch- schlechter sind. Reine sehnige Ablösungen müssen mit transossä-
schnittsalter 22 Jahre, 80% Männer), dass sie bei einer sportlichen ren Nähten wieder an der Ansatzregion fixiert werden. Dazu eig-
Tätigkeit mit dem Ringfinger hängengeblieben sind, einen reißenden nen sich bei den Typen 1 und evtl. auch noch 2 transversal durch
6.2 · Spezielle Techniken
131 6

⊡ Abb. 6.46 Typisches klinisches Bild einer (selteneren) Avulsionsverletzung ⊡ Abb. 6.49 Der dislozierte Sehnenansatz bleibt meist auf Höhe des A2-
des Kleinfingers Ringbandes hängen

Trümmerbrüchen (Typ 5) kann durchaus auch eine externe Fixati-


on notwendig werden.

Technik bei Teildurchtrennungen


Eine Sehne kann zu 1% oder zu 99% »teildurchtrennt« sein. Die
Schnittrichtung kann dabei senkrecht zur Sehne, in einem schrä-
gen oder in einem spitzen Winkel über wenige Millimeter oder
mehrere Zentimeter verlaufen. Auch Defektverletzungen, bei de-
nen etwa die Hälfte der Sehne über eine Strecke von 1 cm fehlt,
sind als Teildurchtrennungen zu bezeichnen.
Ist bei der Exploration der Wunde eine Verletzung der Beuge-
sehnenscheide zu sehen, so muss der Finger gestreckt und gebeugt
werden und die Sehnenverletzung gesucht werden.
Es ist sehr günstig, dass die Indikation zur aktiven Nachbe-
handlung bei Teildurchtrennungen sehr großzügig gestellt werden
kann. Wahrscheinlich halten die Beugesehnen eine aktive Nach-
behandlung auch noch aus, wenn sie zu 95% durchtrennt sind.
Allerdings muss berücksichtigt werden, dass jede Naht die Sehne
⊡ Abb. 6.47 Tastbares Fragment am Endglied beim Typ 3a
empfindlich stört und zusätzlich schädigt. Wenn es zu vermeiden
ist, sollte also keine Naht eingebracht werden und sofort aktiv
nachbehandelt werden. Hier können dann aber neue Probleme
auftreten: Eine schräge oder sehr tiefe Teildurchtrennung kann
dazu führen, dass ein Anteil des Sehnengewebes an den Ringbän-
dern hängen bleibt oder umschlägt, die Sehne wulstig vernarbt und
dann zur Gleitbehinderung wird.
Bei kleinen oberflächlichen Einschnitten brauchen die Schnitt-
kanten nur etwas debridiert und geglättet zu werden. Bei tieferen
Einschnitten kann eine Ringnaht vollkommen ausreichend sein. Ist
die Sehne zu mehr als 80% durchtrennt, so kann eine sekundäre Seh-
nenruptur auftreten, wenn die Durchblutung des Sehnenrestes ge-
⊡ Abb. 6.48 Seitliches Röntgenbild mit Endgliedfraktur und disloziertem stört ist. Da dies intraoperativ nicht abgeschätzt werden kann, sollte
Sehnenansatz bei mehr als 80%iger Durchtrennung die Sehne wie bei einer kom-
pletten Durchtennung mit Kernnaht und Ringnaht genäht werden.

den Knochen geführte monofile langsam resorbierbare Fäden der Technik bei Spontanrupturen
Stärke 3/0. Ab dem Stadium 2 kann auch eine transunguale Fixati- Spontanrupturen der Beugesehnen sind selten und können sehr
on notwendig werden. Wenn die Gelenkfläche der Endgliedbasis unterschiedliche Ursachen haben. Die Bezeichnung »spontane
gebrochen ist, muss diese durch Drähte, Cerclagen oder Schrauben Beugesehnenruptur« wird auf die geschlossenen Sehnenrupturen
rekonstruiert werden. Bei einer zusätzlichen Schaftfraktur (Typ 4) angewendet, die unter physiologischen Muskelanspannungen auf-
müssen Kirschner-Drähte eingesetzt werden (⊡ Abb. 6.50). Bei den treten, unter denen eine »normale« Sehne nicht reißen würde.
132 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

a f l

6
b

g m

h n

i o

j p

⊡ Abb. 6.50 Versorgung einer Avulsionsfraktur


k q
(Typ 4b)
6.2 · Spezielle Techniken
133 6
Es geht der Ruptur somit ein pathologischer Prozess voran. pollicis longus nicht mehr funktionstüchtig ist, z. B. nach Mus-
Diese pathologischen Prozesse betreffen Erkrankungen, die die kelverletzungen, Nervenausrissen, Tumorresektionen o. Ä.. Auf
Reißfestigkeit der Sehnen aus innerer Ursache herabsetzen, oder die Sehne des oberflächlichen Beugers des Ringfingers kann am
Veränderungen, die die Sehnen mechanisch schädigen. ehesten verzichtet werden, da sich an der Fingerstreckung und am
Bei einer geschlossenen Ruptur sollte daher nach folgenden Faustschluss kaum etwas ändert und der Patient den Verlust gut
Ursachen gesucht werden: kompensieren kann. Der Daumen erhält durch die Transposition
▬ Frühere mechanische Schädigung einer Beugesehne, der FDS-Sehne nicht nur eine neue Sehne, die meist bis zum End-
▬ rheumatoide Synovialitis, gelenk reicht, sondern auch eine neue motorische Einheit, die bei
▬ intratendinöse Tumore, vielen Bewegungen, insbesondere Oppositionsbewegungen, per se
▬ Infektionserkrankungen (Tuberkulose, Gicht, Gonorrhoe, eit- zusammen mit der FPL-Muskulatur parallel innerviert wird. Das
rige Sehnenscheideninfektionen, Syphilis), Umlernen dieser Bewegung fällt somit relativ leicht.
▬ Hyperurikämie, Grundsätzlich könnte aber jede oberflächliche Beugesehne
▬ mechanische Auffaserungen durch arthrotische Osteophyten transponiert werden. Die Länge der oberflächlichen Beugesehnen
nach karpalen Luxationen, Instabilitäten (SLAC und SNAC- ist von Finger zu Finger sehr unterschiedlich. Ein Ersatz der tiefen
Wrist), M. Kienböck, STT-Arthrosen, Arthrosen des distalen Beugesehne des Mittelfingers durch die oberflächliche Beugesehne
Radioulnargelenks, des Ringfingers ist aus der begrenzten Länge der Sehne nicht mög-
▬ Hamuluspseudarthrosen, lich. Möglich wäre aber ein Ersatz der tiefen Beugesehne des Klein-
▬ mechanische Auffaserungen durch Osteosynthesematerial fingers beispielsweise durch die oberflächliche Beugesehne des
(palmare distale Radiusplatte, Schrauben oder Kirschner- Ringfingers. Wir bevorzugen in diesen Fällen aber eher eine zwei-
Drähte). zeitige Beugesehnentransplantation, um den zugehörigen Muskel
oder den benachbarten tiefen Beuger über ein Sehnentransplantat
In den meisten Fällen wird es nicht möglich sein, die spontan anzusteuern.
gerissene Sehne primär zu nähen, da die beiden Sehnenenden Die Entnahme der oberflächlichen Beugesehne gelingt meist
pferdeschweifartig aufgefasert sind und sich über lange Strecken über einen kurzen Winkelschnitt über dem PIP-Gelenk. Falls mög-
nicht für eine Beugesehnennaht eignen. Die Distanz zwischen den lich sollte der distale Ansatz der FDS-Sehne über eine Strecke von
möglichen Verankerungsnähten ist zu groß. Hier muss individuell 1,5 cm stehen gelassen werden, da es dadurch zu einer Verminde-
entschieden werden, ob und welche sekundäre Rekonstruktion bei rung des Risikos einer Schwanenhalsdeformität kommen soll. Das
dem Patienten in Frage kommen könnte. Chiasma muss dann meistens noch längs gespalten werden, um die
Sehne nach proximal herausziehen zu können. Die Vincula werden
dabei abgerissen.
6.2.2 Sekundäre Wiederherstellung der
Beugesehnen Brückentransplantate
Wenn bei einer Beugesehnenverletzung ein Defekt von 1 cm oder
Die Anzahl der verschiedenen Techniken der sekundären Rekon- mehr resultiert, ist die Versuchung sehr groß, diese Sehne einzei-
struktion von Beugesehnen ist hoch, die Auswahl des am besten tig über ein Brückentransplantat zu rekonstruieren. Mir ist kein
geeigneten Verfahrens verlangt aber sehr viel Erfahrung ( Über- Handchirurg bekannt, der mit dieser Technik regelmäßig gute
sicht). Ergebnisse erzielt hat. Es kommt auch aus den wenigen eigenen
Erfahrungen mit dieser Technik schnell zu langstreckigen Verkle-
bungen und Kontrakturen des Fingers und ein weiterer Eingriff
Möglichkeiten der sekundären Wiederherstellung der mit einer zweizeitigen Beugesehnentransplantation wird verzögert
Beugesehnenfunktion und durch vermehrte Narbenbildungen erschwert.
▬ Sehnenumlagerungen (motorische Ersatzplastiken)
▬ Brückentransplantate (Bunnell 1944) Technik der einzeitigen Beugesehnentransplantation
▬ Transposition einer oberflächlichen Beugesehnen (Witt 1953) Die Ergebnisse der einzeitigen Beugesehnentransplantation, also
▬ Bildung eines sekundären Superficialis-Fingers (Pulvertaft- einer Transplantation einer Spendersehne in den Defekt in ei-
Osborne 1958) nem einzigen Operationsschritt, sind zumindest für den Bereich
▬ Sekundäre freie Transplantation (Bunnell 1922) der Sehnenscheiden der Finger so schlecht, dass man sie nicht
▬ Zweizeitiges gestieltes Verfahren nach Elena Paneva-Holevich empfehlen kann. Zu groß war der Anteil der Verklebungen, die
(1965) auftraten, wenn gleichzeitig Gelenke mobilisiert, Narben be-
▬ Zweizeitiges langes Sehnentransplantat nach Hunter (1966) seitigt, Nerven und Ringbänder rekonstruiert werden mussten.
▬ Zweizeitiges kurzes Sehnentransplantat nach Geldmacher Daher sind diese primären Sehnentransplantate heute nur noch
(1972) indiziert, wenn Defektverletzungen von Sehnen außerhalb des
▬ Tenodesen Sehnenscheidenbereiches durch keine anderen Maßnahmen re-
▬ Arthrodesen konstruiert werden können. Dies ist z. B. der Fall, wenn es zu
▬ Sehnenverlängerungen sekundären Beugesehnenrupturen auf Höhe des Karpalkanals
oder weiter proximal an dem Osteosynthesematerial einer Ra-
diusfraktur gekommen ist. Der Bewegungsumfang der Sehnen
Sehnenumlagerungen ist auf dieser Höhe bei den passiven Übungen so groß, dass Ver-
Am häufigsten kommt bei den Sehnenumlagerungen die Transpo- wachsungen kaum auftreten.
sition der oberflächlichen Beugesehne des Ringfingers zum Dau- Der Defekt in den Sehnen kann durch ein freies Sehnentrans-
men als Ersatz für die FPL-Sehne vor. Dieses Verfahren eignet sich plantat überbrückt werden, indem meist die Palmaris-longus-Sehne
dann besonders gut, wenn die muskuläre Einheit des M. flexor proximal und distal in die Sehnenstümpfe eingeflochten wird. Hier
134 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

hat sich die Pulvertaft-Durchflechtungsnaht sehr bewährt, da die


Spannung gut eingestellt werden kann und diese Nahttechnik so
stabil ist, dass sehr frühzeitig mit aktiven Bewegungsübungen be-
gonnen werden kann.

Technik der zweizeitigen Beugesehnentransplantation


mit kurzem Transplantat (nach Geldmacher)
Bei einer isolierten primär nicht rekonstruierbaren Beugesehnen-
verletzung im Fingerbereich kann als Ersatz der Sehne ein Trans-
plantat eingesetzt werden, das vom Endglied bis in die Hohlhand
reicht. Ziel ist es Sehnennähte im Bereich der osteofibrösen Kanäle
der Finger zu vermeiden. Die distale Fixation der Sehne am End-
glied muss fest sein, aber muss nicht gleiten können. Die proxi-
male Verankerung wird daher proximal des A1-Ringbandes in der
6 Zone 3 (kurzes Transplantat) oder Zone 5 (langes Transplantat)
angelegt. a
Die Vorteile der kurzen Transplantate sind folgende: Einer-
seits bestehen mehr Möglichkeiten zur Transplantatgewinnung mit
Längen von etwa 12 cm beim Erwachsenen gegenüber den langen
Transplantaten mit etwa 20 cm Länge. Andererseits kann die Funk-
tion des M. lumbricalis in der Hohlhand erhalten werden, da das
Transplantat erst distal des Ursprungs dieses kleinen Handmuskels
angesetzt wird.
Die zweizeitige Technik der Beugesehnentransplantation be-
ruht auf den Entwicklungen vor allem von Robert Carroll, der
1959 den flexiblen Silikonstatthalter einführte, James Hunter, der
ab 1960 die Technik kontinuierlich weiterentwickelte, und Jürgen
Geldmacher, der ab 1965 das kurze Transplantat einführte. b
Im ersten Akt der Operation werden sämtliche störende Fakto-
ren am Finger beseitigt: Narben werden reseziert, Gelenke mobili-
siert, Nerven rekonstruiert, Ringbänder ersetzt. In der gleichen Sit-
zung wird aber auch ein Silikonstatthalter etwa von der Dicke des
geplanten Sehnentransplantates unterhalb der Ringbänder einge-
setzt und distal mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial fixiert. Das
proximale Ende des Statthalters, das auch abgerundet ist, bleibt frei
in der Zone 3 – also bei voller Streckung des Fingers noch proximal
des A1-Ringbandes – in der Hohlhand liegen. Nach der Operation
wird der Finger sofort passiv mobilisiert. Eine gute oder komplett
freie passive Beweglichkeit des Fingers ist unbedingte Vorausset-
zung für die eigentliche Sehnentransplantation, den zweiten Akt c
der Operation. Durch den eingesetzten Silikonstab wird innerhalb
von etwa 10 Wochen ein Sehnenscheidenpseudoregenrat erzeugt,
⊡ Abb. 6.51 Beugesehnentransplantationen an zwei Fingern mit langen
das glattwandig wie eine Bursa ist und mit etwas Synovia gefüllt ist. Transplantaten nach Hunter. a 1. Akt mit Implantationen der Silikonstatt-
Die glatten Wände verhindern ein frühzeitiges Verwachsen und die halter und Ringbandrekonstruktionen, b 2. Akt mit langen Palmaris-longus-
Flüssigkeit kann und muss das Sehnentransplantat ernähren. Transplantaten, die zunächst proximal an den Statthalter fixiert werden,
Nach den 10 Wochen, in denen, wie schon beschrieben, eine c Auszug der Statthalter nach distal und gleichzeitiger Einzug der Sehnen-
sehr gute passive Beweglichkeit des Fingers erreicht wurde, braucht transplantate
nur noch das Transplantat gehoben, distal über dem Endglied und
proximal über der Hohlhand eröffnet werden, das Transplantat
eingezogen und an beiden Enden unter der richtigen Spannung
fixiert werden. Es müssen somit keine neuen Wunden im Finger- Transplantat die Sehnendefekte überbrücken. Auch hier reicht das
bereich erzeugt werden. Die Nachbehandlung erfolgt nach dem Palmaris-longus-Sehnentransplantat meist von der Länge gerade
Schema der normalen Beugesehnennaht. aus. Ausweichmöglichkeiten bestehen bei Fehlen des M. palmaris
longus in den langen Zehenstreckern, die vom Durchmesser her
Technik der zweizeitigen Beugesehnentransplanta- meist dünner sind (⊡ Abb. 6.51).
tion mit langem Transplantat
Wenn in der Hohlhand bereits ebenfalls Vernarbungen vorliegen, Mögliche Sehnentransplantate
oder auch der M. lumbricalis bereits zerstört ist, kann ein langes Die Transplantate für Sehnenrekonstruktionen sollten keinen be-
Transplantat gewählt werden. Die Verwachsungsgefahr bei einer deutenden Funktionsverlust nach der Entnahme hinterlassen, eine
Naht in der Zone 5, also proximal des Karpalkanals, ist noch ge- gute Länge haben und eine glatte Oberfläche besitzen. Als häufigs-
ringer als in der Hohlhand. Der Silikonstatthalter muss dann bis in tes Transplantat wird die Palmaris longus-Sehne verwendet, die
den Parona-Raum reichen und beim zweiten Akt muss ein langes aber nicht regelhaft vorhanden ist (⊡ Tab. 6.5).
6.2 · Spezielle Techniken
135 6

⊡ Tab. 6.5 Die wichtigsten Spendersehnen für Sehnentransplantationen

Transplantat Vorhanden in % Länge Durchmesser

M. palmaris longus 80-87% 13 cm (8-19 cm) 3 mm (2–6 mm)

M. plantaris longus 93,2% 31 cm (10-40 cm) 2 mm (1–4 mm)

M. extensor digit. longus der 2. Zehe 100% 31 cm (22-39 cm) 2,5 mm (2–4 mm)

M. extensor indicis 99% 10 cm (8-18 cm) 3 mm (2–6 mm)

6.2.3 Ringbandverletzungen und


Ringbandrekonstruktionen

Ringbänder haben eine wesentlich größere mechanische Bedeu-


tung, als ihnen häufig zugedacht wird. Die Führung der Sehnen
wird durch die A2- und A4-Ringbänder nahe am Knochen er-
reicht, nur über den Gelenken bewirken die palmaren Platten
einen vergrößerten Abstand, um die Richtung der Sehnen und
damit die Zugrichtung effektiv abzulenken. Aber auch hier bewir-
ken die A1-, A3- und A5-Ringbänder eine enge Führung in den
Sehnen in der gewünschten Bahn. Sind die Ringbänder zerstört
oder insuffizient, können die Beugesehnen den vorgesehenen
Verlauf ändern und heben sich beugeseitig beim Anspannen der
Sehnen ab (Bogensehneneffekt oder »bowstringing«) und ver-
größern somit den Hebelarm bei der Wirkung auf die Gelenke
(⊡ Abb. 6.52). ⊡ Abb. 6.52 Bogensehneneffekt am Ringfinger durch Insuffizienzen des
Das Gleichgewicht zwischen Strecksehnen und Beugeseh- A1-, A2- und A3-Ringbandes. Die Beugesehne liegt direkt unterhalb der ver-
nen ist somit gestört und der normale Tonus der Beugesehnen dickten Hornhaut
reicht aus, um den Finger permanent in Beugestellung zu halten.
Durch die Beugestellung des Fingers und den Bogensehnenef-
fekt ist der proximale Sehnenabschnitt zurückgezogen und die Technik der sekundären Ringbandrekonstruktion
Muskelfasern damit bereits in einer entspannten (verkürzten) Auf die Notwendigkeit einer Ringbandrekonstruktion haben be-
Stellung. Wird der Finger jetzt aktiv gebeugt, nimmt der Bogen- reits Sterling Bunnell (1922) und Erich Lexer (1930) hingewiesen.
sehneneffekt meist noch zu und der Muskel hat seine maximale Sterling Bunnell verwendete freie Sehnentransplantate, die er am
Verkürzung (Kontraktion) erreicht, ohne dass die Fingerkuppe Grundglied um die Beugesehne und den Grundgliedknochen mit
die Faustschlussstellung erreicht hat. Dies ist der Grund für den einer einfachen Umschlingung fixierte, am Mittelglied dagegen
erheblichen Kraftverlust und den unvollständigen Faustschluss. das Sehnentransplantat um die Beugesehne, die Mittelphalanx und
Mit der Zeit verkürzen sich die Kapselstrukturen der Gelenke über die Strecksehnenaponeurose hinweg schlang (⊡ Abb. 6.53).
und der Raum unterhalb der abgehobenen Beugesehnen wird mit Weilby-Kleinert (1968, 1978) nutze die seitlichen Reste der
Narbengewebe ausgefüllt, sodass die Fingerstellung auch passiv Ringbänder, um hier die Sehnentransplantate hindurchzuziehen.
fixiert wird. Karev (1984) zog Sehnentransplantate bei der Beugesehnen-
Die Rekonstruktion der Ringbänder ist somit von immenser transplantation durch quer verlaufende Inzisionen durch die palma-
Bedeutung. ren Platten.
Widstrom (1989) bildete einen quere Tunnel durch die palmare
Technik der primären Ringbandrekonstruktion Platten, um hier Sehnentransplantate hindurchzuziehen. Abb.
Frische Verletzungen der Ringbänder sollten primär rekonstruiert Lister (1979) verwendete 10 mm breite Streifen des Retinacu-
werden. Dazu kann versucht werden das vorhandene Ringbandma- lum extensorum, die er wie Bunnell um den Knochen herumzog,
terial so zu verwenden, wie es bei gezielten Eröffnungen eingesetzt um hier die bereits vorhandene Sehnenscheide zu nutzen.
wird (⊡ Abb. 6.34, ⊡ Abb. 6.35). Eine Rekonstruktion der A2- und Marcus Gabl (2000) nutzte das Retinaculum des 2. Strecksehnen-
A4-Ringbänder ist zumindest über eine Strecke von etrwa 5–6 mm faches für die Rekonstruktion, das er wie bei der Weilby-Kleinert-
anzustreben. Falls das Material der verbliebenen Ringbänder nicht Technik an den seitlichen Resten des A2-Ringbandes befestigte.
ausreicht, muss auf Techniken der sekundären Ringbandrekonst- Eine eineinhalbfache Umschlingung verwendeten Michon und
ruktion ausgewichen werden. Merle (1977)
Bei älteren Verletzungen ist das eigentliche Ringbandmaterial Eine dreifache Umschlingung für das A2-Ringband empfahl
meist geschrumpft und nicht mehr zu gebrauchen. Das entstan- Okutsu (1989).
dene Narbengewebe ist meist sehr dick und reizt zur Nutzung für Die Stabilität, die gebraucht wird, um ein Ringband zu ersetzen
eine Rekonstruktion, hält aber meist den Belastungen nicht stand ist z. T. enorm groß. Am leichtesten und sichersten ist die Stabilität
und führt zu keinen guten Ergebnissen. Auch hier sollte eine Me- unserer Meinung nach mit der Technik nach Bunnell-Okutsu zu
thode der sekundären Rekonstruktion gewählt werden. erreichen.
136 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

a b

c d

e f

g h

⊡ Abb. 6.53 Ringbandplastiken. a A2 und A4-Ringband nach Bunnell mit freiem Sehnentransplantat, b Weilby-Kleinert-Technik, c Karev-Technik für Sehnen-
transplantate, d Widstrom-Technik, e Lister-Technik, f Gabl-Technik, g Michon-Merle-Technik, h Okutsu-Technik

6.2.4 Technik der A1-Ringband-Spaltung im Bei ausgeprägter Synovialitis kann eine Synovialektomie indiziert
Fingerbereich sein. Nach subtiler Blutstillung erfolgt der Wundschluss mit Ein-
zelknopfnähten. Ein immobilisierender Verband sollte vermieden
Der Eingriff erfolgt in Lokalanästhesie und mit Lupenbrille. Die werden, der Patient sollte so früh wie möglich frei bewegen. Ein
Anlage einer Blutsperre ist indiziert, durch die Lokalanästhesie, Hämatom in diesem Bereich ist sehr unangenehm, führt zu lang
kann sie aber nicht sehr lange von den meisten Patienten toleriert anhaltenden schmerzhaften Verhärtungen des Subkutangewebes.
werden. Nach Palpation der Beugesehne und der oft vorhande- Eine gute Blutstillung, ggf. Drainage und ein lokaler Druckver-
nen Verdickung erfolgt am günstigsten eine Inzision im Verlauf band sind immer günstig.
der distalen Hohlhandquerfurche für den Kleinfinger, Ringfinger
und Mittelfinger. Für den Zeigefinger im Verlauf der proximalen
Hohlhandquerfurche. Die Präparation erfolgt nach distal, das 6.2.5 Technik der A1-Ringband-Spaltung im
sensible Fettpolster, in dem sich reichlich große Vater-Pacini-La- Daumenbereich  Kap. 21
mellenkörper befinden, kann so am besten geschont werden. Bei-
de Gefäß-Nerven-Bündel sollten dargestellt und sicher geschont 6.2.6 Technik der Tendolyse  Kap. 14
werden. Das A1-Ringband wird unter Sicht gespalten. Da die
A1-Ringbänder des Zeigefingers und des Kleinfingers auch Um- 6.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
lenkfunktionen (Hypomochlion) besitzen, die erhalten werden
können, ist es günstig, wenn das A1-Ringband des Zeigefingers Ziel der Beugesehnenchirurgie ist die Wiederherstellung der Greif-
auf der Radialseite, das A1-Ringband des Kleinfingers dagegen funktion. Dies ist nur dann erfolgreich, wenn alle Gelenke frei und
auf der Ulnarseite gespalten wird. Zur Verringerung des Rezidiv- leicht beweglich sind und die Sehne störungsfrei gleiten kann.
risikos kann ein Streifen aus dem A1-Ringband entfernt werden.
Bei der Spaltung ist darauf zu achten, dass das Ringband komplett
»bis auf die letzte Faser« gespalten wird, was nach distal hin we- 6.3.1 Fehler bei der primären Naht
gen akzessorischer Ringbandstrukturen nicht immer ganz leicht
zu beurteilen ist. Das A2-Ringband, das etwa 8 mm proximal Die häufigsten Fehler bei der primären Naht sind:
der Grundgliedbeugefurche beginnt, muss unbedingt geschont ▬ Der Zugangsweg wurde falsch gewählt, die Beugefurchen wur-
werden. Zur Kontrolle auf vollständige Spaltung können die bei- den senkrecht oder nicht schräg genug durchschnitten und es
den Beugesehnen mit einem Sehnenhaken hervorluxiert werden. bildet sich eine Narbenkontraktur aus.
Ebenso sollte die Kontrolle der freien passiven und aktiven Fin- ▬ Die Ringbänder wurden nicht geschont und es entsteht ein
gerbeweglichkeit intraoperativ »unter Sicht« kontrolliert werden. Bogensehneneffekt.
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73–83
können die Haut perforieren und zu einer Infektion der ge- Langer M, Meffert RH, Grünert J, Fischer G, Brug E (2003) Makroskopische
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138 Kapitel 6 · Prinzipien der Sehnenbehandlung: Beugesehnen

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7

Prinzipien der Behandlung von


Gefäßverletzungen und -defekten
Reinhold Stober

7.1 Allgemeines – 140


7.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 140
7.1.2 Epidemiologie – 140
7.1.3 Ätiologie – 140
7.1.4 Diagnostik – 140
7.1.5 Klassifikation – 143
7.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 143
7.1.7 Therapie – 144
7.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 146
7.2 Spezielle Techniken – 147
7.2.1 Technik der Mikrogefäßanastomose – 147
7.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 154
Weiterführende Literatur – 154

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


140 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

7.1 Allgemeines 7.1.3 Ätiologie

Gefäßschäden an der Hand sind häufige Begleitverletzungen bei > An der Hand ist jede penetrierende Verletzung verdächtig auf
allen tief reichenden penetrierenden Gewalteinwirkungen. Die eine Mitverletzung von Blutgefäßen und Nerven. Damit sind
Einführung der mikrochirurgischen Technik in die Handchirurgie Gefäßschäden häufig, aber nicht alle verlangen eine Gefäß-
hat die Versorgungstaktik solcher Verletzungen grundsätzlich ge- naht, weil die Blutversorgung an der Hand an keiner Stelle
ändert: Mit der Wiederherstellung der Durchblutung können nicht von nur einem Gefäß abhängig ist.
nur Replantationen erfolgreich durchgeführt werden, sondern
diese Technik hat auch die Rekonstruktionsmöglichkeiten nach Penetrierende Gefäßverletzungen (»Schädigung von außen nach
Traumen erheblich erweitert sowie das Repertoire der sekundär re- innen«) entstehen meist durch Schuss- oder Stichverletzungen.
konstruktiven Chirurgie bereichert. Grundlage dieser Entwicklung Während Stichverletzungen fast immer zu einer glatten Durchtren-
ist die mikrochirurgische Gefäßnaht. nung der Gefäßwand führen, ist das Ausmaß der Schussverletzung
von mehreren Faktoren abhängig: Art der verwendeten Waffe, Pro-
jektilgeschwindigkeit, Masse und Form des Projektils, Mantelfes-
7.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie tigkeit des Projektils (Walterbusch 2002). Bei den penetrierenden
und Physiologie Gefäßläsionen unterscheidet man zwischen dem tangentialen Ein-
riss des Gefäßes, der Lazeration (⊡ Abb. 7.4a), und der kompletten
7 Für die allgemeine Darstellung der Behandlung von Gefäßverlet- Durchtrennung, der Transsektion (⊡ Abb. 7.4b).
zungen ist die Mikroanatomie der Gefäße von Bedeutung. Nicht penetriedende oder stumpfe Gefäßverletzungen (»Schä-
Der dreischichtige Gefäßwandaufbau aus Adventitia – Me- digung von innen nach außen«) entstehen durch stumpfe Kom-
dia – Intima (⊡ Abb. 7.1) ist an der Arterie (⊡ Abb. 7.2a) besser zu pression oder Zugschädigung, häufig im Zusammenhang mit
erkennen als an der Vene (⊡ Abb. 7.2b). Die aus glatten schrauben- Frakturen und Dislokationen. Die einzelnen Wandschichten wer-
förmig angeordneten Muskelfasern bestehende Media (blau) wird den unterschiedlich geschädigt. Während die Kontinuität der deh-
von je einer elastischen Membran eingegrenzt (orange) (Membrana nungsfähigen Adventitia selten unterbrochen wird (Gefäßruptur
elastica externa und interna). Diese sorgt dafür, dass eine durch- oder Lazeration), kommt es meist nur zu Einrissen der Intima-
trennte Arterie nach Aufdehnung (= Überwindung des Muskelto- media-Schicht mit konsekutiver Ausbildung einer sich dem Blut-
nus) offen stehen bleibt, während die Vene wieder kollabiert, weil strom entgegenstellenden Stufe. Die lokale Verletzung lässt in
bei dieser die Elastica nur sehr spärlich ausgebildet und die Mus- Kombination mit einer Strömungsverlangsamung eine intravasale
kelschicht viel dünner ist. Die Endothelzellen (blau), welche die Thromose entstehen, die sich in der Regel bis zum nächst höheren,
innerste Schicht der Tunica interna bilden, sind glatt und weisen einen ausreichend Blutfluss gewährleistenden Seitenast aufbaut
die korpuskulären Bestandteile des Blutes ab. (⊡ Abb. 7.5). Die Verletzung ist äußerlich nicht so offensichtlich,
Verletzungen der Intima erzeugen eine Thrombozytenan- wie bei einer Blutung. Gerade diese oftmals nicht in unmittelbarer
haftung, weswegen eine Hemmung der Blutplättchenadhäsion Umgebung des eigentlichen Traumas lokalisierten und noch dazu
bis zur Heilung der Endothelläsion bzw. der Gefäßnaht indiziert von außen nicht ohne Weiteres erkennbaren Verletzungen führen
ist (2–3 Monate). Diese Endothelzellen wachsen auch über die zu Misserfolg von Gefäßrekonstruktionen, indem sie durch Ge-
in das Lumen reichenden Mikrofäden, wie schon in den ersten rinnselbildung den primär in Gang gekommenen Blutstrom wieder
Arbeiten über die Mikrochirurgie gezeigt wurde (Biemer 1980; stoppen.
⊡ Abb. 7.3).

7.1.4 Diagnostik
7.1.2 Epidemiologie
Die Untersuchung der Durchblutung (Perfusion) der Hand er-
Gefäßschäden an der Hand sind häufige Begleitverletzungen bei folgt durch Anamnese (Unfallhergang), Inspektion (Hautläsion
allen tief reichenden penetrierenden Gewalteinwirkungen. im Bereich von Gefäßen, spritzende Blutung, Farbunterschiede
(Zyanose vs. weiße Finger), Pulspalpation (Aa. brachialis, radialis
et ulnaris), Funktionsprüfungen, wenn erforderlich zusätzliche ap-
parative Untersuchungen und schließlich durch die intraoperative
Adventitia Untersuchung.
Elastika externa Aus der Anamnese und der Kenntnis der Anatomie können
bei den meisten Verletzungen bereits wichtige Hinweise auf eine
Media mögliche Gefäßläsion gewonnen werden.
Die Bewertung der akralen Durchblutung erfolgt mit der Über-
Elastika interna prüfung der Rekapillarisierungszeit bei Raumtemperatur (Cave:
Intima Einfluss von Temperatur, Sympathikus, Alter, Medikamenten etc.).
Durch Druck auf den Fingernagel kann im Bereich des Nagelbet-
tes unterschiedlich schnell eine Rekapillarisierung eintreten (<1 s:
Erythrozyten normal; >1< 3 s: verlängert, >3 s: pathologisch). Nur in der Not-
fallsituation kann es notwendig werden, mit einer dünnen Kanüle
in die Fingerbeere zu stechen, um eine Blutung zu provozieren
(hellrote schnell auftretende Blutung: normal, langsam einsetzende
⊡ Abb. 7.1 Histologisches Präparat: Nierenarterie der Ratte mit einer Reaktiv- hellrote Blutung: verlängert, dunkelrote oder ausbleibende Blu-
Blaufärbung (Textilfarbstoff) tung: pathologisch).
7.1 · Allgemeines
141 7
Arterien

Intima Intima

Nerv

Membrana elastica
interna gewellt Tunica media einer V. comitans mit Vasa
Membran mit Poren vasorum, arterielles und venöses Capillarnetz

Vaslymphaticum profundum Vas vasis und autonomer Nerv


eines Begleitstranges

Tunica media

Sratum fibroelasticum
longitudinale

Stratum fibrosum
circulare (Scheide)
Conjunctiva vasorum mit Gefäßen und
Verspannungszügen zur Nachbarschaft

Venen

Tunica intima

Membrana elastica interna,


vorwiegend Längsfasern

Innere Schichten der Tunica media und


Vasa vasorum-Capillarnetz
Tunica media Mittlere Schicht

Verteilnetz der Vasa vasorum


(Außenschicht der Tunica media)

Vasa vasora eines Begleitstranges

Conjunctiva venarum, mehrschichtig,


mit Capillarnetz ⊡ Abb. 7.2 Schematische Darstellung des
Wandaufbaus der Arterien und Venen im
Fettorgane
Bereich der oberen Extremität a Tiefe sub-
fasziale Gefäße (arteriovenöses Gefäßbün-
del), b oberflächliche epifasziale Vene. (Aus
b Lanz u. Wachsmuth 1972)
142 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

Mithilfe des Allen-Test kann festgestellt werden, ob die Aa. ra- fäßstatus mithilfe der Farbdopplersonografie (⊡ Abb. 7.6) stellt die
dialis und ulnaris die Hand alleine ausreichend versorgen können. Mindestanforderung dar. Indem diese Technik zum universellen
Die andere Arterie sollte in gleicher Weise untersucht werden, Rüstzeug des handchirurgisch Tätigen geworden ist, hat sich aber
ebenso die kontralaterale Hand zum Vergleich ( Kap. 2). Der Al- auch der Fokus des anatomischen Interesses auf kleine und kleinste
len-Test kann auch im Fingerbereich durchgeführt werden. Gefäße konzentriert, welche vor dieser Ära weitgehend unbeach-
Aufgrund von Anamnese und klinischer Untersuchung kann tet geblieben waren. So ist nicht nur der ganze Körper neu nach
eine Arbeitsdiagnose aufgestellt werden, welche gezielt mit appa- anatomischen Möglichkeiten von Lappenbildungen durchforscht
rativen Untersuchungen untermauert werden muss. Ihre weitere worden – was insbesondere auch die gestielte Lappentechnik enorm
Bedeutung liegt im dokumentarischen Wert (medikolegaler As- befruchtet hat – auch die Gefäßanatomie von Hand und Arm ist
pekt). weit detaillierter untersucht und analysiert worden. So wurden
Bei vaskulären Beschwerden und unsicherem Allen-Test emp- viele neue Gefäßversorgungsmuster entdeckt, die zahlreiche neue
fiehlt sich eine erweiterte Gefäßdiagnostik. Die Erstellung des Ge- Lappenbildungen erlaubten. Für diese Verfahren erschwerend ist

⊡ Abb. 7.3 Von Endothelzellen überwachsener Faden einer Gefäßnaht. (Aus ⊡ Abb. 7.6 Abbildung und Lokalisation der Abzweigung des Perforatorgefä-
Biemer u. Duspiva 1980) ßes für einen Interosseuslappen (MC 3/4) mit Ultraschall

a b

⊡ Abb. 7.4 Arten der penetrierende Gefäßverletzungen (»Schädigung von außen nach innen«). ⊡ Abb. 7.5 Nicht penetrierende Gefäßverlet-
a Lazeration (Einriss des Gefäßes): Bei der Lazeration resultiert oft eine anhaltende Blutung, ggf. zung (»Schädigung von innen nach außen«).
mit Entwicklung eines großen Weichteilhämatoms und/oder aneurysma spurium. b Transsektion (Aus Nerlich u. Berger 2003)
(komplette Durchtrennung des Gefäßes): Bei der kompletten Durchtrennung kommt es aufgrund
der Eigenelastizität und reflektorischer Mechanismen häufig zu einer Retraktion der Gefäßstümpfe
in die Muskulatur und zum sistieren der Blutung. Im Vordergrund steht die Minderdurchblutung
der distal der Läsion gelegenen Extremitätenstrecke). (Aus Nerlich u. Berger 2003)
7.1 · Allgemeines
143 7
die Tatsache, dass individuelle Varianten bei kleiner werdenden den, abgetrennte Körperteile müssen von einer bestimmten Größe
Gefäßen immer häufiger werden, weswegen oft genau geprüft wer- an obligat mit Rekonstruktion von Zu- und Abfluss wieder an die
den muss, ob ein Verfahren bei diesem individuellen Patienten Blutzirkulation angeschlossen werden.
angewendet werden kann. Mit der Sonografie ist die Darstellung Damit hat die Mikrochirurgie mit der Möglichkeit, eine in-
der entscheidenden Gefäße oft möglich, sodass diese Überprüfung suffiziente Blutversorgung durch Mikrogefäßanastomosen zu ver-
schon präoperativ erfolgen kann. bessern und das Überleben des verletzten Handabschnittes zu
Für spezielle Fragestellungen kann eine MRI-Angiografie oder sichern.
schließlich eine digitale Subtraktionsangiografie durchgeführt wer-
> Es ist akut zu entscheiden, welche Handteile durch Re-
den. Zur Beurteilung von Wandunregelmäßigkeiten bleibt die DSA
konstruktion der Blutversorgung zu erhalten möglich,
der derzeitige »Goldstandard«.
notwendig und sinnvoll sind, um dann die Gefäßverbin-
Die intraoperative Untersuchung von Gefäßverletzungen er-
dungen so schnell wie möglich wiederherzustellen.
folgt zunächst mit angelegter Blutsperre. Da je nach Art der Ver-
letzung die Möglichkeit besteht, dass Gefäßschäden weiter nach
proximal reichen könnten, muss anschließend die Strombahn auch
funktionell geprüft werden, wofür die Blutsperre vorübergehend
geöffnet wird.
Auch bei der Beurteilung der Gefäßstümpfe ist zwischen schar-
fer und stumpfer Gewalteinwirkung zu unterscheiden, bei Verlet- äußere periphere
Blutung Ischämie
zungen an der Hand kommt noch als Besonderheit relativ häufig
eine Verletzung durch Überdehnung des Gefäßes (Ausrissverlet-
zung) hinzu.
1. Bei einer scharfen (Schnitt-)Verletzung sind auch die Blut-
gefäße scharf durchtrennt. Dies erzeugt kaum weiter nach
proximal oder distal reichende Schäden. Deswegen ist bei die- +++ (+)
sem Verletzungstyp keine weiterreichende Untersuchung der
Gefäße notwendig.
2. Bei stumpfen Verletzungen oder Zerreißungen muss nach
Schäden am Gefäß mitunter weit über die eigentliche Durch-
trennungsstelle hinaus (oft bis zur nächsten Gefäßverzwei-
gung) gesucht werden. Das erfordert eine genaue Inspektion
der weiteren Umgebung, unter Umständen sogar eine Funkti-
onsüberprüfung mit Öffnung der Blutsperre und Beobachten
++ +++
der Blutausstromqualität.

Kontusionierte Gefäßwandabschnitte sind erkennbar an Wandver-


färbungen, vor allem durch Einblutungen. Isolierte Intimaeinrisse
können der äußerlichen Inspektion verborgen bleiben, besonders a
wenn diese entfernt von der Durchtrennungsstelle durch Über-
dehnung entstehen. Bei entsprechenden Unfallmechanismen (Ab-
reißen des Gliedmaßenanteils, Herausdrehen, Amputation durch äußere periphere
Erfassen von Kleidungsstücken – Handschuh, Ärmel – durch eine Blutung Ischämie
Maschine) muss man also zusätzlich zur Inspektion im Wundge-
biet nach Öffnen der Blutsperre den Blutausstrom beobachten,
der bei solchen Verletzungen nach anfänglich zufriedenstellendem
Pulsieren gelegentlich schnell versiegt.

7.1.5 Klassifikation
(+)
Gefäßverletzungen können in penetrierende und nicht penetrie-
rende Verletzungen eingeteilt werden. Bei beiden Arten können
nach Vollmar (1996) unterschiedliche Schweregrade (⊡ Abb. 7.7)
+++
unterschieden werden. oder +

7.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie

Indikation zur Arterienrekonstruktion


Die Indikation, verletzte Gefäße an der Hand mit mikrochirurgi- b
scher Technik zu reparieren, ergibt sich aus der Durchblutungssitu-
ation: Bei Mangelversorgung in der Peripherie muss zur regulären ⊡ Abb. 7.7 Schweregrade der Gefäßverletzungen. a penetrierende, scharfe
Heilung eine ausreichende Durchblutung wiederhergestellt wer- Gefäßverletzung, b nicht penetrierende, stumpfen Gefäßverletzung
144 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

Bei Doppelgefäßversorgung (Finger, Unterarm) verbessert die Operative Therapie


Wiederherstellung einer durchtrennten Arterie die Heilung der Die Therapie der Gefäßverletzung ist die Domäne der operativen
peripher davon gelegenen Verletzungen, sie ist aber nicht zwingend Versorgung. Hierzu hat sich folgendes Vorgehen bewährt:
erforderlich. Es kann z. B. auf die Naht der ohnehin in der Regel Die erste Untersuchung der Wunde erfolgt in Blutleere. Das
sehr schmächtig angelegten radialen Zeigefinger- und der ulnaren verletzte Gefäß wird zuerst dargestellt (⊡ Abb. 7.8,  Kap. 4), um
Kleinfingerarterie verzichtet werden. Details genau erkennen zu können und um den Situs im Verlet-
Am Unterarm sollten im Verletzungsfall von nur einer der zungsgebiet genau zu präparieren. Wenn alles dargestellt und »zu-
beiden Hauptarterien die Gefäßrekonstruktion angestrebt wer- geordnet« ist, werden die Gefäßenden zur Anastomose vorbereitet,
den, auch wenn in den meisten Fällen die A. radialis oder die indem die Adventitia auf das Durchtrennungsniveau gekürzt wird
A. ulnaris allein für die Blutversorgung der Hand genügen würde (meist »hängt« die Adventitia etwas über), das Lumen wird etwas
(Voraussetzung ist ein geschlossener Hohlhandbogen, was mit aufgedehnt (am besten mit einem leeren Mikronadelhalter oder
dem Allen-Test, besser mit einer Ultraschalluntersuchung nach- besonders vorsichtig mit der feinen anatomischen Pinzette, womit
gewiesen werden sollte). Untersuchungen haben gezeigt, dass aber die Verletzungsgefahr der Intima höher ist), das Lumen wird
der Ausfall einer der Unterarmarterien eine reduzierte Blut- angespült (Heparin/Ringer 1000 E auf 100 ml). Dann wird syste-
versorgung der entsprechenden Handhälfte mit Kälteintole- misch 5000 E Heparin gegeben (durch den Anästhesisten) und die
ranz und Heilungsproblemen bei Verletzungen zur Folge haben Blutsperremanschette geöffnet.
kann. Die zur Anastomosierung ausgewählten arteriellen Gefäße
7 müssen pulsierend spritzen. Wenn sie sich zusammenziehen, kann
Indikation zur Venenrekonstruktion der Muskeltonus durch Ausstreichen oder erneutes Aufdehnen
Deutlich seltener besteht die Indikation für die Wiederherstellung überwunden werden, dann muss weiter ein pulsierender Blut-
von Venen: Nur bei komplett abgetrenntem Handteil ist die Rekon- strom austreten. Bei langsam versiegendem Blutstrom ist es nicht
struktion eines venösen Rückstroms obligat. Als Ausnahme kann sinnvoll, dieses Gefäß zu anastomosieren. Dann ist die Gefäßüber-
die Replantation kleiner Fingerteile mit nur einer Arteriennaht prüfung nach zentral erforderlich, bis man die Ursache der Fluss-
gelten (etwa ab distalem Endglieddrittel), was insbesondere beim störung gefunden hat.
Kind durchaus ohne eine Venennaht – durch die medulläre Kno- Selten liegt dem Versiegen nur ein reines Gerinnsel zugrunde,
chendrainage – funktionieren kann. welches ausgestrichen oder mit einem feinen Fogarty-Katheter her-
Bei einer erhaltenen Hautbrücke am Finger besteht fast im- ausgestreift werden kann. Meist hat die Gerinnselbildung an dieser
mer ein ausreichender Blutrückfluss, lediglich bei Makroampu- Stelle aber einen Grund, der beseitigt werden muss. Von außen
taten sind schmale und oft noch gequetschte Hautbrücken mit kann die Ursache an einer Gefäßwandverfärbung, Ausdünnung
den darin erhaltenen kleinen Venen nicht genügend für eine oder sogar einem Teileinriss erkennbar sein. Bei solchen Befunden
ausreichende Blutrückführung. Bei Makroreplantationen und ist zu entscheiden, ob eine zusätzliche »Reparatur« möglich ist
-revaskularisationen ist immer eine venöse Rekonstruktion erfor- oder ob die ganze Gefäßstrecke bis über den Zusatzschaden nach
derlich. proximal hinaus entfernt und mit einem Veneninterponat ersetzt
Niemals ausreichend für einen suffizienten venösen Rückstrom werden muss.
sind erhaltene Sehnen, Nerven oder Knochen (z. B. bei Ringavul- Bei durch Zerreißung oder Quetschung durchtrennten Gefä-
sionsverletzungen). ßen sind die Schichten der Gefäßenden aufgespalten, Adventitia,
Zu Beginn der Replantationschirurgie forderte man die Re- Media und Intima sind auf verschiedenen Niveaus zerrissen, meist
konstruktion von mindestens 2 Venen pro wiederhergestellter Ar- überragt die Adventitia das Gefäßlumen und die inneren Schichten
terie in der falschen Vorstellung, man müsse genügend Rückfluss- rollen sich ein. Dermaßen geschädigte Gefäßenden müssen soweit
kapazität zur Verfügung stellen. Viel wichtiger für die ohnehin reseziert werden, bis die Schichten undissoziert auf einer Ebene
häufiger thrombosegefährdete Venenanastomose ist die Konse- liegen.
quenz aus folgender Überlegung: Je mehr Blut durch eine Vene Dieses notwendige Resezieren bis in gesunde Gefäßabschnitte
strömt, desto schneller fließt es und desto höher ist die Durch- hat Subtanzdefekte zur Folge, die nur sehr begrenzt durch Mobi-
gängigkeitsquote! Man kann zeigen, dass nach Wiederherstellung lisieren der Gefäße und leichte Anspannung überbrückt werden
der arteriellen Versorgung eines abgetrennten Fingers und Ligatur können.
der kleineren Venen, die man nicht zur Wiederherstellung ausge- Als Regel kann gelten, dass eine Fadenschlinge mit einfach
wählt hat, aus der verbliebenen Vene ein pulsierender Rückstrom geschlungenem Knoten in der Lage sein sollte, die Adaptation der
zustande kommt, mit fast arteriellem Druck. Deswegen gibt es Gefäßenden zu gewährleisten. Wenn die Gewebespannung den
viel seltener venöse Probleme bei einer Fingerreplantation, wenn Knoten wieder löst und die Gefäßenden wieder zurückweichen, ist
nur eine Vene pro Finger wiederhergestellt wird; vorteilhaft ist es die Spannung zu groß, und es sollte ein Interponat eingeschaltet
wegen der besseren Weichteilpolsterung außerdem, eine palmare werden. Die großzügige Indikationsstellung zum Gefäßinterponat
Vene auszuwählen! sichert hier den Erfolg der Gefäßrekonstruktion.

Allgemeines zur Nachbehandlung von


7.1.7 Therapie Gefäßanastomosen
Lokale Maßnahmen
Konservative (nichtoperative) Therapie Weichteildeckung
Eine konservative Therapie von Gefäßverletzungen durch externen Eine Gefäßanastomose muss mit gut durchblutetem Gewebe span-
Druck ist nur in der Notfallsituation und bei fehlender Beein- nungsfrei bedeckt werden. Wenn hierfür keine Haut zur Verfügung
trächtigung der Durchblutung des distal der Läsion gelegenen steht, ist auch Spalthaut-gedeckte Muskulatur oder Fettgewebe
Extremitätenabschnittes gerechtfertigt (z. B. arterielle Blutung im geeignet. Gegebenenfalls muss Haut aus der Nachbarschaft mo-
Fingerbereich). bilisiert und über die Anastomose geschwenkt werden. An der
7.1 · Allgemeines
145 7
⊡ Abb. 7.8 Schnittführung zur Freilegung der Blutgefäße im Bereich der obe-
ren Extremität (außer Hand). a Thorakales, supraklavikuläres und infraklavikulä-
res Segment der A. subclavia, b Armgefäße. (Aus Nerlich u. Berger 2003)

b
146 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

Spenderregion ist dann eine Defektdeckung mit Spalthaut oder ausreichend vermindern und den venösen Rückfluss wieder unge-
eine Sekundärheilung möglich, beides muss direkt über einer Ge- hindert ermöglichen, wenn diese Maßnahme schnell genug erfolgt.
fäßnaht unbedingt vermieden werden. Wenn dadurch nicht die Anastomose freigelegt wurde, kann in die
Auch um die Spannung zu reduzieren, kann in der Umge- jetzt klaffende Wundfläche Spalthaut oder vorübergehend bis zur
bung die Einfügung von Spalthaut günstig sein. Immer sollte man Abschwellung auch Kunsthaut eingefügt werden.
berücksichtigen, dass ein Lappen nach der freien Übertragung
anschwellen und sich beim zu dichten Hautverschluss selbst stran- Adjuvante Therapie
gulieren kann. Die temporäre Einfügung von Kunsthaut (bis zum Ob eine medikamentöse Schutztherapie wirklich erforderlich ist,
Abschwellen, also etwa 6–8 Tage) beugt dieser Komplikation vor. wird in der Literatur uneinheitlich beurteilt.
Auch eine solche Entlastung sollte aber nicht gerade genau über Eine Senkung des Fließwiderstandes durch Hydroxyaethyl-
der Gefäßanastomose platziert werden! stärke-Präparate ist weniger problematisch als der Einsatz von
Polydextranen (Reomakrodex), wodurch gefährliche Anaphylaxien
Drainage ausgelöst wurden.
Wundsekret und Blut muss aus einem Anastomosengebiet post- Die Läsion der Intima an der Gefäßanastomose kann ein
operativ abfließen können, entweder durch Easy-Flow-Drainagen Startpunkt für Thrombozytenanheftungen darstellen, was durch
(in den Verband) oder mit einem geschlossenen System als Redon- Minderung der Adhäsionsfähigkeit der Blutplättchen mit Azethyl-
drainage, wobei die Platzierung des Schlauches die unmittelbare salizylsäurepräparaten vermieden werden kann.
7 Anastomosennähe vermeiden soll. Man kann sich vorstellen, dass Die Senkung der Gerinnungsbereitschaft des Blutes ist mit
das Ansaugen der Anastomose durch den Redon-Unterdruck ge- einer geringen Dosis von Heparin zur allgemeinen Thrombose-
fährlich ist, auch wenn das konkret wohl eher selten die Ursache prophylaxe postoperativ sowieso indiziert, sodass bei Patienten
von Komplikationen ist. mit Mikrogefäßanastomosen eine Dosis von 10.000 E mit Perfusor
appliziert werden kann.
Verband und Lagerung Unerlässlich erscheint eine suffiziente Schmerztherapie, da eine
Der Verband soll locker und saugfähig sein. Günstig ist, eine Be- reflektorische Gefäßkontraktion damit verringert wird. Ebenso
obachtungsmöglichkeit (Fenster im Verband, aber Fensterödem- muss der Blutdruck postoperativ sorgfältig überwacht und Nieder-
bildung muss vermieden werden) vorzusehen, um die postopera- druckphasen vermieden werden. Selbstverständlich ist ebenso eine
tive Überwachung zu erleichtern. Eine Ruhigstellung der Hand/ Kälteexposition zu vermeiden – also alles, was eine Gefäßkontrak-
Extremität verringert die Komplikationsrate, ist aber nicht immer tion verursachen könnte.
möglich. Auf eine Lagerung über Herzniveau bei Rekonstruktion Dazu gehört auch die strikte Vermeidung von Nikotinzufuhr,
von Arterien und Venen (Replantationen) sollte geachtet werden. welches der wichtigste Beitrag ist, den der Patient selbst zum Erfolg
Wegen der höheren Komplikationsrate ist es wichtiger, das »Nie- einer Mikrogefäßanastomose leisten kann.
derdrucksystem« (also die Venenanastomose) durch die Lagerung
zu unterstützen, d. h. hoch zu lagern (auf Handkeil oder im Hand- Verbandwechsel
sack). Nur bei ausschließlich arterieller Rekonstruktion kann flach Hinsichtlich des ersten Verbandwechsels wird jeder Handchirurg
gelagert werden, allerdings nicht herabhängend, um Ödembildung sein eigenes Management entwickeln. Während einerseits der täg-
zu vermeiden. liche Verbandwechsel zum Vermeiden von blutverkrusteten harten
Bandagen empfohlen wird, ist andererseits auch die Ruhe im
Überwachung OP-Gebiet bis zur Stabilisierung der Zirkulation ein Argument,
In den ersten 24 Stunden postoperativ ist die klinische Überwa- den Verband bei intaktem klinischem Befund, und wenn eine
chung besonders wichtig, weil sich vor allem technische Fehler in repräsentative Beobachtung der fraglichen Handteile durch den
dieser Zeit bemerkbar machen und mit schneller Revision meist Verband möglich ist, für 5–7 Tage nicht anzurühren. Zudem ist
gut zu erkennen und zu beheben sind. täglicher Verbandswechsel für den Patienten belastend und mit
Bewährt hat sich deswegen, den Patienten am Folgetag der Schmerzen verbunden, die Wunde wird täglich irritiert, weswegen
Operation morgens nüchtern zu lassen, bis der Operateur die Si- ich die postoperative Ungestörtheit bei eindeutig funktionierender
tuation kontrolliert und eine intakte Zirkulation konstatiert hat, Perfusion bevorzuge. Am 1.–3. postoperativen Tag kann der erste
damit man im Falle eines Problems ohne Verzögerung die für die Wechsel meist völlig schmerzfrei vorgenommen werden. Es genügt
Revision nötige Narkose einleiten kann. auch, dann erst die Drainagen zu entfernen.
Bei der postoperativen Kontrolle hat sich der klinische Blick, Wie in der makroskopischen Gefäßchirurgie kann man wäh-
die Ermittlung der Rekapillarisierungszeit und eventuell die Beob- rend der Zeit bis zur vollständigen Endothelüberkleidung der
achtung von Blutungen nach einer kleinen Probe-Stichverletzung Anastomosen – also etwa 2–3 Monate – den Schutz vor Thrombo-
mit einer Kanüle am besten bewährt. Keine technische Überwa- zytenaggregation beibehalten (z. B. Aspirin cardio 100 mg 1-mal
chung kann den klinischen Blick des Erfahrenen ersetzen. 1 Tabl.).
Eine auffällige Blässe wegen postoperativer Blutarmut täuscht
dabei gelegentlich eine Drosselung der Blutzufuhr vor, bei in der
Tat völlig intakter Durchblutung (feststellbar mit einem Kanülen- 7.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
stich). Dagegen weist eine vermehrte Schwellung und ein Dunkler-
werden der Hautfarbe immer auf venöse Probleme hin. Im letzen Für die (Diagnostik und) Therapie von Gefäßverletzungen und
Fall ist die Entfernung des Verbandes, welcher mechanisch den -defekten im Kindesalter gelten im wesentlichen die gleichen Prin-
Blutrückstrom behindern kann, die erste Maßnahme, zusammen zipien wie beim Erwachsenen. Folgende Besonderheiten sind aber
mit betonter Hochlagerung. Wenn sich Hautfarbe und Füllungs- zu beachten:
zustand dann nicht bessern, sollte man mit der Revision nicht Die Elastizität der jungendlichen Gefäße ist deutlich größer als
zögern. Schon das Wegnehmen der Hautnähte kann die Spannung im Alter, weswegen eher eine Adaptation einer kleineren Defekt-
7.2 · Spezielle Techniken
147 7
strecke unter Ausnutzung der Gefäßdehnbarkeit möglich ist. Es
bleibt aber bei der Regel, dass ein einfacher Knoten der ersten Naht
in der Lage sein sollte, die Adapatation zu halten.
Ebenso ist die Ischämietoleranz bei kindlichen Geweben höher,
weswegen ein venöses Abflussproblem nach Replantation oder
nach freiem Lappentransfer schon nach 2–3 Tagen erfolgreich kon-
servativ behandelt werden kann (mit Heparinisierung und Dru-
ckentlastung durch mehrfaches Einstechen in das Replantat – was
ja schmerzfrei möglich ist – oder mit Ansetzen von Blutegeln)
( Kap. 39).
Beim Kind ist auch bei Anastomosen von Gefäßen mit grö-
ßerem Durchmesser auf eine fortlaufende Naht gänzlich zu ver-
zichten: Die Verwendung von Einzelknopfnähten ermöglicht eine
ungestörte Zunahme des Durchmessers mit dem Wachstum, was
bei der fortlaufenden Naht nicht gewährleistet wäre.

7.2 Spezielle Techniken

7.2.1 Technik der Mikrogefäßanastomose


a b
Keine Beschreibung der Gefäßnahttechnik kann die Übung im Labor
ersetzen. Vor der Versorgung einer komplexen Handverletzung muss ⊡ Abb. 7.9 Bedeutung der adäquaten mikrochirurgischen Instrumente.
der angehende Handchirurg heute die Mikronahttechnik, die Ad- a Nadelhalter mit gedrehtem Schloss, b Nadelhalter mit Kanten, an denen
aptationstechniken bei unterschiedlichen Kalibern, die Technik der sich der Faden verfangen kann
End-zu-End- und der End-zu-Seit-Anastomose sowie schließlich die
Techniken der Gefäßinterpositionen sicher beherrschen, es ist nicht
mehr statthaft, dies am Patienten zu üben, wie das in der Anfangs-
phase der Replantationschirurgie sicher oft der Fall gewesen war. Besonders wichtig erscheinen folgende Konstruktionsmerkmale:
▬ gerundete Branchenkanten an den Pinzetten (vermeidet Fa-
Allgemeine Voraussetzungen denbruch bei festerem Zugriff),
Für jeden mikrochirurgischen Eingriff sind eine bequeme Sitzpo- ▬ »gedrehte« Schlösser an Schere und Nadelhalter (⊡ Abb. 7.9)
sition (aufrechter Rücken), eine exakte Fokussierung (individuelle (vermeidet »Verfangen« der Fadenschlinge beim Knoten),
Einstellung des Operationsmikroskopes), eine gute Übersicht im ▬ an die Handgröße des Operateurs angepasste Instrumenten-
Operationssitus und eine ruhige kontrollierte Führung der mikro- größe.
chirurgischen Instrumente auf einer festen Unterlage sowie ein gutes
mikrochirurgisches Instrumentarium unabdingbare Voraussetzung. Dabei benötigt man als Grundinstrumentarium nur:
Unerlässlich für eine gute Arbeitsausführung ist ein bequemes ▬ 1 Nadelhalter gebogen,
Sitzen mit aufgestützten Händen, eine bequeme Kopfhaltung am ▬ 2 Scheren gebogen (klein und groß),
korrekt eingestellten Mikroskop (entspanntes Sehen) und eine gut ▬ 2 anatomische Pinzetten unterschiedlich breit und
eingespielte Assistenz, deren Gesichtsfeld am Mikroskop günsti- ▬ 2 chirurgische Pinzetten unterschiedlich breit.
gerweise größer eingestellt wird als das des Operateurs, denn dieser
muss die Gefäßnaht genau kontrollieren, der Assistent dagegen End–zu–End-Anastomose
braucht mehr Übersicht, um z. B. den Faden wieder anreichen zu End-zu-End-Anastomose bei annähernd gleichem
können. Gefäßkaliber
Vor der eigentlichen Anastomosenherstellung erleichtert gute Sind zwei Gefäßenden annähernd gleichen Kalibers End-zu-End
Vorarbeit die Gefäßnaht: übersichtliche Exposition, Lagerung der zu vereinigen, darf der Abstand nicht zu groß sein, um Spannung
Hand mit bequemem Einblick ins OP-Gebiet, korrekte Vorberei- auf die Gefäßnaht zu vermeiden. Die Grundregel wurde schon
tung der Gefäßenden. erwähnt: ein Faden mit einfach geschlungenem Knoten muss ge-
Ein gutes mikrochirurgisches Instrumentarium ist eine un- nügen, um die Gefäße adaptiert zu halten, sonst ist die Spannung
erlässliche Voraussetzung für die heute mit hoher Zuverlässigkeit zu groß und erfordert eine weitere Mobilisation oder ein Inter-
herstellbare Mikroanastomose. Hierzu sind Instrumente sehr guter ponat. Durch geänderte Gelenkstellung sollte die Spannung nicht
Qualität und mit unterschiedlichen Konstruktionsmerkmalen auf reduziert werden, da dann während des Heilens diese Finger- oder
dem Markt. Die Zeiten, als zu Anfang der Mikrogefäßchirurgie auf Handgelenkstellungen eingehalten werden müsste, was für eine
Uhrmacherinstrumente zurückgegriffen wurde, sind längst vorbei. funktionsgerechte Nachbehandlung unzuträglich wäre.
In wenigen Bereichen ist die Vertrautheit mit den Instrumen- Die Gefäßenden werden nach einer Verletzung gerade und
ten so entscheidend wie hier. Dem regelmäßig mikrochirurgisch rechtwinklig zur Längsachse geschnitten, der meist eingerollte Teil
tätigen Operateur muss daher geraten werden, sein eigenes Inst- wird verworfen (selten ist bei scharfer Verletzung dafür mehr als
rumentarium zusammenzustellen und immer zu benutzen. Damit 1 mm, manchmal ist sogar gar keine Resektion nötig). Die Wand-
ist die Griffstärke der Pinzetten, die Sicherheit der Nadelführung, schichten sollten nicht getrennt werden. Das Mitfassen der Adven-
das atraumatische aber zugleich sichere Fassen von Gewebe am titia in die Naht macht die Naht stabiler. Natürlich darf diese nicht
ehesten gewährleistet. ins Lumen überhängen. Wenn man nur die Media und die Intima
148 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

mit der Naht fasst, ist wegen der Mediabrüchigkeit die Anastomo- Nach dem Wenden der halb fertig gestellten Anastomose um
senherstellung besonders bei älteren Patienten erschwert. 180° wird mit dem Nadelhalter kontrolliert, ob nirgends die Hin-
Um die Naht der Hinterwand einwandfrei zu ermöglichen, terwand mit gefasst ist, und anschließend werden die Nähte für
ist es günstig, die Gefäßenden so weit frei zu präparieren, dass sie die Hinterwand angelegt. Die Klipps werden entfernt und meist ist
leicht um 180° gedreht werden können. Möglich, aber technisch dann trotz »Blutleere« zu beobachten, wie durch die Gefäßwand
schwieriger, ist die Hinterwandnaht auch, wenn das Gefäß nur 90° durchscheinend etwas Blut die Gefäße füllt und durch die Anasto-
oder wegen eines unmittelbar benachbarten Abganges, welcher mose läuft. Das bedeutet keine Gerinnselbildungsgefahr, da durch
nicht geopfert werden soll, gar nicht gedreht werden kann. die Spülung lokal genügend Heparin vorhanden ist und das Blut in
Die Gefäßlumina werden mit dem Mikronadelhalter etwas einer blutleeren Extremität nicht gerinnt. Zur Prüfung der Druch-
aufgedehnt und in die offen stehenden Gefäße wird Liquemin- gängigkeit der Anastomose erfolgt der Austreichtest. Dabei wird
Lösung eingespült. Hierzu eignet sich eine 2-ml-Spritze und eine das Versorgte Gefäß nach der Anastomose mit einer Mikropinzette
Plastikkanüle Größe Gauge 23 (blau) (entspricht 0,6 mm Außen- abgeklemmt und mit einer zweiten Mikropinzette nach peripher
durchmesser, Charrière 1,8). ausgestrichen. Nach Öffnen der ersten Mikropinzette muss sich
das Gefäß wieder füllen.
Die eigentliche Nahttechnik (⊡ Abb. 7.10)
Die Gefäßenden werden im Abstand von 10–15 mm mit je einer Technisches Vorgehen bei begrenzter Mobilität der
Mikrogefäßklemme verschlossen, die auch zur Stabilisierung der Gefäßenden (⊡ Abb. 7.11)
7 Lage – insbesondere nach Drehung – dienen. Am vom Operateur Wenn die Gefäßenden (oder eines) nicht drehbar sind, beginnt die
aus gesehen entfernteren Rand und gegenüber wird je eine Naht Naht in der Mitte der Hinterwand. Die Nadel wird »backhand«
gesetzt, von der ein Fadenende zur weiteren Manipulation länger eingespannt und von unten durch die Hinterwand ins Lumen des
belassen wird (ca. 1–2 cm). Der andere Faden und alle folgenden Gefäßes geführt, wo sie gegriffen und herausgezogen wird. Ge-
werden 1–2 mm lang abgeschnitten, sodass sich der Knoten nicht genüber wird die Nadel im Lumen angesetzt und zur Hinterwand
lösen kann, aber die Enden die nächste Naht nicht stören. Nach wieder herausgestochen, wo sie wieder gegriffen wird. Neben dem
Setzen der ersten beiden Fäden kann man abschätzen, ob dazwi- Gefäß wird geknotet, der Knoten gleitet dann beim Zuziehen unter
schen 2, 3 oder mehr Nähte erforderlich sind. Die Anastomose soll das Gefäß, wo die Fadenenden abgeschnitten werden. Die nächsten
primär dicht sein – Blutung und sekundäre Abdichtung bedeuten Nähte werden abwechselnd neben die erste Naht gesetzt und ober-
für das Lumen an der Anastomose immer eine Gefahr der Gerinn- halb bzw. unterhalb des Gefäßes geknotet. Wenn auf diese Weise
selbildung. Je erfahrener der Operateur ist, desto weniger Nähte die Hinterwand fertiggestellt ist, erfolgt die Naht der Vorderwand
braucht er für dieses Ziel. wie oben beschrieben.

⊡ Abb. 7.10 Technik der End-zu-End-Gefäßanastomose. a Resektion geschädigter Gefäßabschnitte bis ins Gesunde (evtl. bis erster Gefäßabgang im makro-
skopisch gesunden Gewebe) und Mobilisation der Gefäßstümpfe durch Ligatur von Gefäßabgängen, b partielle Adventitekomie, c Platzierung der Mikroge-
fäßklemmchen (Merke: ausreichend Platz für Manipulation und Drehung um 180°), d externe Dilatation der Gefäßstümpfe durch Zug an der Adventitia oder
interne Dilatation der Gefäßstümpfe durch vorsichtiges Aufdehnen mit einem stumpfen Mikroinstrument
7.2 · Spezielle Techniken
149 7

e f

k n

⊡ Abb. 7.10 Fortsetzung. Technik der End-zu-End-Gefäßanastomose. e »fischmaulartige« Erweiterung des kleinen Gefäßes bei Vorliegen einer Gefäßkalibe-
rinkongruenz bis zu 1:2, f Spülung des Gefäßlumens mit verdünnter Heparinlösung, g Annäherung der Gefäßstümpfe, h Technik bei Gefäßeinstich (durch
Gegenzug an der Adventitia wird beim Einstich ein Widerhalt geschaffen und die Vorderwand von der Hinterwand entfernt), i Technik bei Gefäßeinstich (die
Mikropinzette wird intraluminal vorsichtig eingeführt und dient als Widerlager und Schutz der Gefäßhinterwand; die Nadel wird mit der Mikropinzette gehal-
ten und nach Umsetzen des Nadelhalters entsprechend ihrer Krümmung aus der Gefäßwand gezogen, wobei die Pinzette als Widerlager dient), j mikrochirur-
gische Knotentechnik, k Schema: Nahtfolge bei der »180°-Technik«, l Schema: Nahtfolge bei der »120°-Technik«, m Nahtfolge bei der »Hinterwandtechnik«, n
Technik der vorgelegten Nähte für die letzten beiden Nähte der Anastomose. (Aus Berger u. Hierner 2002)
150 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

a
7 ⊡ Abb. 7.11 Nahttechnik bei nicht mobilen Gefäßenden. a Der erste Stich in
der Mitte der Hinterwand. Beim Knüpfen gleitet der Knoten hinter das Gefäß.
b Mit transluminärer Kontrolle werden die nächsten Stiche abwechselnd ge-
setzt und geknüpft, bis die Hinterwand fertig genäht ist

End-zu-End-Anastomose bei unterschiedlichem


Gefäßkaliber b

Müssen End-zu-End-Anastomosen zwischen zwei Gefäßen un-


terschiedlichen Kalibers hergestellt werden, gilt es, turbulente
Strömungen, also kurzstreckige größere Lumendifferenzen, zu
vermeiden.
Im mikrochirurgischen Bereich sind Techniken der »makros-
kopischen« Gefäßchirurgie nicht geeignet: Schräges Anschneiden
des kleineren Gefäßes oder zipfelartiges Ineinandergreifen sind
hier nicht anzuwenden.
Bei geringeren Durchmesserunterschieden genügt es, das grö-
ßere Gefäß nicht und das kleinere kräftiger aufzudehnen. Nach Her-
stellen der Anastomose ergibt sich dadurch ein konischer Übergang.
Das kleinere Gefäß kann bei größeren Durchmesserdifferenzen
mit zwei gegenüberliegenden Schnitten und anschließendem Auf-
c
dehnen etwas mehr erweitert werden, womit die Öffnung noch etwas
besser dem größeren Gefäß angepasst werden kann. (⊡ Abb. 7.12)
Schließlich ist die Invaginationstechnik eine weitere Möglich-
keit, ein kleines Gefäß mit einem größeren zu verbinden. Hierzu
wird 2–3 mm vom Rand entfernt in das größere Gefäß eingesto-
chen, die Nadel aus dem Lumen hervorgezogen, das kleiner Gefäß
wird am Öffnungsrand gefasst und nun wird von der Innenseite
d
in das größere zurückgestochen, dicht neben dem ersten Einstich.
So werden gegenüberliegend 2 oder 3 Nähte vorgelegt. Beim An- ⊡ Abb. 7.12 Bewährte Methoden der Anpassungstechnik bei unterschiedli-
ziehen schlüpft das kleinere Gefäß in das größere und es sind nur chen Lumina bei End-zu-End-Anastomose bei unterschiedlichem Gefäßkaliber.
noch wenige Nähte zum endgültigen Abdichten erforderlich. Diese a Erweiterung durch zwei Einschnitte, b Invaginationstechnik, c Entnahme
Technik ist aber nur bei der Strömungsrichtung vom kleineren in eines Wanddreiecks, d Interposition eines invertierten Veneninterponats
das größere Gefäß möglich (Blutstrom »treppab«).
Eine andere Anpassungstechnik bei markanteren Durchmes-
serunterschieden ist die Entnahme eines keilförmigen Stückes aus
der Wand des größeren Gefäßes und Vernähen des Defektes, End-zu-Seit-Anastomose (⊡ Abb. 7.13)
wodurch eine konische Lumenreduktion entsteht. Natürlich ist Die Schaffung einer Abzweigung oder das Einpflanzen seitlich in
hierbei besonders auf sauberste Stichtechnik zu achten, das Lumen ein größeres Gefäß birgt mehrere Probleme:
muss glatt und völlig frei von ins Lumen ragenden Intimalefzen
rekonstruiert werden. 1. Seitliche Gefäßeröffnung
Schließlich kann dieses Problem auch elegant durch Zwischen- Insbesondere bei dickwandigen (größeren) Arterien und beim älte-
schaltung einer Vene gelöst werden, welche im Durchmesser der ren Patienten mit Kalkablagerungen in den Gefäßen ist die Herstel-
kleineren Arterie entspricht und auf der Seite der größeren Arteri- lung einer glatt begrenzten seitlichen Öffnung in die Gefäßwand
enanastomose mehr aufgedehnt wird. mit Messer, Schere und Pinzette schwierig.
7.2 · Spezielle Techniken
151 7

a b

c d e

⊡ Abb. 7.13 Technik der mikrovaskulären End-zu-Seit-Gefäßnaht. a Plazierung der Gefäßklemmen und Präparation des Gefäßabschnittes für eine End-zu-
Seit- (terminolaterale) Gefäßnaht, b Technik der Arteriotomie (Cave: Für einen funktionell ungestörten Blutfluss im distalen Segment der Spenderarterie darf
die Arteriotomie nicht mehr als ein Drittel des Gefäßkalibers ausmachen), c Technik der End-zu-Seit-Anastomose (Setzen der 1. Naht an der vom Operateur
entfernten Ecke), d Technik der End-zu-Seit-Anastomose (Naht der Hinterwand), e Technik der End-zu-Seit-Anastomose (Naht der Vorderwand, die letzen bei-
den Stiche können vorgelegt werden). (Aus Nerlich u. Berger 2003)

Sehr gut funktionieren kleine Gefäßstanzen, die über eine Stich- im Kaliber richtig gewählte Vene, welche eigentlich immer ausrei-
inzision mit dem Schneidekopf wie ein Knopf ins Knopfloch in das chend von der Beugeseite des Unterarms entnommen werden kann.
Gefäß eingeführt werden und bei Betätigung ein kreisrundes, sehr Auch zum Ausgleich unterschiedlicher Durchmesser ist ein Ve-
sauber begrenztes Loch erzeugen, welches durch Nachstanzen an ei- neninterponat geeignet, nimmt doch bei der Vene der Durchmes-
nem Ende in ein beliebig langes ovales Loch erweitert werden kann. ser in Strömungsrichtung zu, sodass zum Angleichen ein kleineres
Wenn man die seitliche Gefäßwandöffnung mit Schere und Gefäß über ein Veneninterponat gut an ein größeres angepasst
Pinzette herstellen muss, splittet die Wand der Arterie gern auf, die werden kann (s. oben).
Enden der Öffnung sind nicht leicht schön rund herzustellen. Wichtig ist, dass auch kleinste Venen Klappen haben können,
sodass die Durchgängigkeit in der geplanten Strömungsrichtung
2. Nahttechnik immer geprüft werden muss. Durch die Aufweitung unter der arte-
Auch bei ausgedehnter Mobilisierung des größeren Gefäßes gelingt riellen Druckwirkung werden die Venenklappen meist insuffizient.
selten die Wendung der Hinterwand nach vorn, so dass für die Dennoch sollte auch bei Verwendung von Aufzweigungen das
Naht in der Regel die Technik angewendet werden muss, die oben Veneninterponat in Flussrichtung des venösen Stromes eingenäht
für die nicht mobilen Gefäßenden beschrieben wurde. werden, um frühe Thrombosen durch Wirbelbildung an den Klap-
pen zu vermeiden.
3. Wahl des Abzweigwinkels Für ein Interponat sollten Venen benutzt werden, welche ein
Da sich der Druck im Gefäßsystem im Bereich der Gefäßdurch- etwas kleineres Kaliber als die zu ersetzende Arterie aufweisen,
messer, um die es bei der Hand und am Arm geht, gleichmäßig da die Vene sich unter dem arteriellen Druck immer ausdehnt
verteilt (man kann den Blutdruck an Oberarm, Handgelenk, sogar (⊡ Abb. 7.14).
Fingergefäßen korrekt messen), darf man, wie in einem statischen Auf die richtige Länge muss ebenfalls geachtet werden: Ganz
System, die Abzweigwinkel völlig frei wählen, es wird sich der spannungsfrei darf nicht rekonstruiert werden, sonst entsteht
Druck immer gleichmäßig verteilen. Nur bei den großen Gefäßen nach Freigabe des Blutstroms durch Längsdehnung des Interpo-
spielt der Winkel für die Strömung eine Rolle. Technisch am ein- nates unter dem arteriellem Druck ein »Kinking« (= Abknicken
fachsten ist die rechtwinklige Abzweigung. durch Überlänge) mit entsprechender Strömungsbehinderung
(⊡ Abb. 7.15). Als Regel kann gelten: Das Veneninterponat ist un-
Veneninterponat (⊡ Abb. 7.14, ⊡ Abb. 7.15) gedehnt so lang wie der Defekt minus 10%.
Das Veneninterponat dient in erster Linie zur Überbrückung von
Substanzdefekten. Nur selten steht hierfür aus nicht mehr verwend- Veneninterponat bei arteriosklerotischen Gefäßen
baren abgetrennten Teilen (z. B. nicht replantierbare Finger) eine Bei der Wiederherstellung kleiner Gefäße beim alten Patienten
genügend unbeschädigte gleichgroße Arterie zur Verfügung. Das kann die Mediasklerose so ausgeprägt sein, dass der Stich von
Arterientransplantat ist im Mikrobereich auch nicht besser als eine außen nach innen zur Wanddissektion, Aufsplitterung und Zer-
152 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

x-10%

7
⊡ Abb. 7.14 Technik der mikrovaskulären
Gefäßinterposition. a Mikrochirurgische b
Präparation des proximalen und distalen
Gefäßstumpfes und einbringen des in-
vertierten Veneninterponates in den De-
fektbereich: Die zu interponierende Vene
sollte etwas kürzer sein als der arterielle
c
Gefäßdefekt, da durch Füllung der Vene
eine Dehnung und eine Verlängerung auf-
tritt. b Z. n. Fertigstellung der proximalen
und distalen Gefäßnaht in End-zu-End-
Technik, c Z. n. Freigabe des Blutstroms
(man beachte die Zunahme von Gefäßka-
liber und Interponatlänge!)

⊡ Abb. 7.16 Veneninterponat als Hilfsmittel für eine End-zu-Seit-Anasto-


mose bei verkalkter Gefäßwand

störung der Anastomose führt. Die Nähte reißen unter diesen Vo-
raussetzungen leicht aus und sind kaum mehr abzudichten. Dann
hilft ein kurzes Veneninterponat, um den Stich in der brüchigen
Arterienwand immer von innen nach außen führen zu können,
was sehr viel sicherer ohne »Stichschaden« zu bewerkstelligen ist.
Die Venen sind auch beim alten Patienten nie »verkalkt«, sodass
mit dieser Technik immer ein Gefäßrand (nämlich die Vene) weich
und gefahrlos von außen nach innen gestochen werden kann.
Das gleiche Prinzip kann zur Anwendung kommen, wenn aus
einer stark sklerotischen Arterie ein Abzweig (End-zu-Seit-Ana-
stomose) hergestellt werden muss (z. B. zum Lappenanschluss).
Schon das Schneiden einer seitlichen Öffnung in eine sklerotische
⊡ Abb. 7.15 Entwicklung einer Abknickung bei zu langem Gefäß (»Kinking«) Gefäßwand ist außerordentlich heikel.
7.2 · Spezielle Techniken
153 7

a b

d
c

⊡ Abb. 7.17 Explosionsverletzung linke


Hand mit Zerstörung der arteriellen Ver-
sorgung aller Finger und Weichteildefekt
in der ersten Kommissur. a Klinischer
Aspekt intraoperativ: Ansicht von dorso-
radial, b klinischer Aspekt intraoperativ:
Ansicht radiopalmar, c und d schemati-
sche Darstellung der Gefäßrekonstruktion
mit y-förmigen Veneninterponaten für
den arteriellen Verteiler für die Finger
3–5 (→A. ulnaris), Radialislappen von
derselben Seite mit Veneninterponat für
die A. radialis, Anschluss von Daumen
und Lappen distal an die rekonstruierte
A. radialis (c OP-Skizze, d postoperatives
Angiogram), e klinischer Aspekt: postope-
ratives Ergebnis 1 Jahr nach Rekonstruk-
tion: Fingerstreckung, f klinischer Aspekt:
postoperatives Ergebnis 1 Jahr nach Re-
e f
konstruktion: Faustschluss

Schaltet man dagegen in eine entsprechend resezierte Strecke nanderreihung von Venenverzweigungen ein solcher »Verteiler«
ein Stück Vene dazwischen, lässt sich in diese völlig problemlos einfacher geschaffen werden. Mit 3 hintereinander geschalteten
eine End-zu-Seit-Anastomose herstellen. (⊡ Abb. 7.16) Y-förmigen Veneninterponaten können alle Interdigitalarterien an
Eine weitere Indikation für Veneninterponate ist die Notwen- ein Versorgungsgefäß angeschlossen werden. Dabei ist der freie
digkeit, multiple Abzweigungen wiederherzustellen, wie es bei Durchfluss in der geplanten Richtung immer zu prüfen, da Klap-
der Rekonstruktion des Hohlhandbogens vorkommen kann. Da pen diesen behindern können. Die Zuverlässigkeit auch mehrerer
die End-zu-Seit-Anastomose schwieriger ist, kann mit der Anei- Veneninterponate demonstriert das Beispiel in ⊡ Abb. 7.17.
154 Kapitel 7 · Prinzipien der Behandlung von Gefäßverletzungen und -defekten

7.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen Weiterführende Literatur

Mögliche Fehler und Gefahren der mikrochirurgischen Gefäßana- Berger A, Hierner R (Hrsg) (2002) Plastische Chirurgie, Band I: Grundlagen,
stomose sind in ⊡ Tab. 7.1 zusammengestellt. Darüber hinaus spielt Techniken, Prinzipien. Springer, Heidelberg
die adäquate Nachbehandlung eine entscheidende Rolle. Die häu- Berger A, C Tizian (1985) Technik der Mikrochirurgie, Lehrbuch und Atlas.
Kohlhammer, Stuttgart
figste Ursache für eine Thrombose einer mikrovaskulären Gefäß-
Biemer E, Duspiva W (1980) Rekonstruktive Mikrochirurgie. Springer, Berlin
naht liegen neben Intimaschäden und unzureichender Nahttechnik
Carell A (1902) La technique opératoire des anastomoses vasculaires et de la
in der Hypovolämie des Patienten, gefolgt von der Hypothermie, transplantation des viscères. Lyon Med 98: 859
einem insuffizienten Verband (zirkulär komprimierend) und einer Jeger E (1913) Die Chirurgie der Blutgefäße und des Herzens. Hirschwald,
insuffizienten Lagerung. Berlin
Lanz T von, Wachsmuth W (1972) Praktische Anatomie, 1. Band, 4. Teil: Bein
und Statik, 2. Aufl. Springer, Berlin Nerlich M, Berger A (Hrsg) (2003)
Tscherne Unfallchirurgie, Band V: Weichteilverletzungen und -infektio-
⊡ Tab. 7.1 Schritte der mikrochirurgischen Gefäßnaht und mögliche
nen. Springer, Heidelberg
Gefahren und Fehler
Rollin KD, Terzis JK (1977). Reconstructive Microsurgery. Little, Brown & Co.,
Schritte der Mögliche Fehler und Gefahren Boston
mikrochirurgischen Vollmar J (1996) Rekonstruktive Chirurgie der Arterien, 4. Aufl. Thieme, Stutt-
7 Gefäßnaht gart
Weber U, Greulich M, Sparmann M (1993) Orthopädische Mikrochirurgie.
1. Debridement und Ungenügendes Debridement Thieme, Stuttgart
Nachresektion der
Gefäßstümpfe

2. Platzierung der Quetschung des Gefäßes durch inadäquate


Mikrogefäßklemmen Anbringung

3. Mobilisierung der Ungenügende Mobilisierung


Gefäßstümpfe Koagulation des Gefäßabganges mit Schä-
digung des Gefäßstumpfes

4. Präparation der Ungenügende Adventiektomie


Gefäßstümpfe Schädigung der Intima durch unkontrollier-
tes inneres Aufdehnen
Kein proximaler adäquater Blutstrom (nied-
riger systematischer Blutdruck, zusätzlicher
proximaler Thrombus, zusätzliche proximale
Gefäßschädigung)

5. Annäherung der Zu große Spannung (Lumeneinengung)


Gefäßstümpfe Zu geringe Spannung (Kinking)
Torsion (Lumeneinengung)

6. Gefäßnaht Inadäquate Nahttechnik (ungleichmäßige


Stichführung mit Taschenbildung, Mitfassen
der Hinterwand, Leck im Nahtbereich)

7. Kontrolle der Durch- Quetschung von Gefäßwand und/oder


gängigkeit Nahtbereich durch inadäquaten Patency-
Test

8. Schutz der Gefäßnaht Fehlende Bedeckung der Anastomose mit


gut durchblutetem Gewebe bzw. zumindest
Spalthaut
Externer Druck auf Gefäßnaht durch zu
straffen Hautschluss im Anastomosenbe-
reich

9. Postoperative Kon- Einschnürender Verband


trolle Hypovolämie → Hypotonie
Kälte
Inadäquate Perfusionskontrolle (inadäquate
Revision)
8

Prinzipien der Behandlung von


Nervenverletzungen und -defekten
Robert Hierner, Alfred Berger

8.1 Allgemeines – 156


8.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 156
8.1.2 Epidemiologie – 160
8.1.3 Ätiologie – 160
8.1.4 Diagnostik – 162
8.1.5 Klassifikation – 163
8.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 164
8.1.7 Therapie – 165
8.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 165
8.2 Spezielle Techniken – 166
8.2.1 Eingriffe bei erhaltener Kontinuität – 166
8.2.2 Eingriffe bei Kontinuitätsunterbrechung – 170
8.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 176
Weiterführende Literatur – 177

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


156 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

8.1 Allgemeines Faszikel, während das Endoneurium die einzelnen Nervenfasern


umscheidet. Die Handhabung des peripheren Nervs darf nur durch
Im Unterschied zur Mikrochirurgie der Gefäße, bei der der Anfassen des Epi- oder Perineuriums erfolgen (⊡ Abb. 8.1).
chirurgische Erfolg sofort nach der Operation mittels Durchgän- In Abhängigkeit von der Anzahl und Anordung der Faszikel in
gigkeitsprüfung der Anastomose beurteilt werden kann, ist der einem peripheren Nerv werden drei Grundtypen unterschieden:
definitive Erfolg in der peripheren Nervenchirurgie nicht unmit- der monofaszikulärer Nerv, der oligofaszikulärer Nerv und der
telbar nach Beendigung entweder einer primären Neuroraphie polfaszikulärer Nerv (⊡ Abb. 8.2). Diese Einteilung ist bedeutsam
oder einer Nerventransplantation kontrollierbar. Gerade deshalb für die Wahl der Koaptationstechnik (trunkulär vs. interfaszikulär)
muss besonders darauf geachtet werden, dass bei der peripheren und der Nahttechnik (epineural vs. epiperineural).
Nervenchirurgie keine wie immer gearteten Kompromisse einge- Nervenstämme zeigen einen kabelartigen Aufbau. Dieser ist
gangen werden. charakterisiert durch plexusartige Verbindungen der einzelnen
Absolute Voraussetzung für den Erfolg der peripheren Neurora- Nervenfaszikel. Hierdurch wird ermöglicht, dass einzelne Fa-
phie, unabhängig davon ob die Rekonstruktion durch eine primäre serbündel ihre Position im Inneren des Nervenstammes ändern
Naht oder durch eine Nerventransplantation erfolgt, ist das Vorlie- können, um trotz unterschiedlicher Herkunft ein gemeinsames
gen spannungsfreier Verhältnisse im Koaptationsbereich. Innervationsgebiet zu erreichen. Größere oder kleinere Faser-
Da intraoperativ eine direkte Nervenstimulation notwendig ist, gruppen wechseln von einem Faszikel in einen anderen hinüber,
um eine Nervenläsion zu diagnostizieren, dürfen während der (In- kehren teilweise auf einer anderen Höhe wieder in ihren vorma-
tubations-) Narkose keine relaxierenden Medikamente eingesetzt ligen Faszikel zurück oder bauen neue Fasergruppen auf, wobei
werden. Für eine für die Intubation notwendige Relaxierung sollte der Sinn dieses ständigen Faserwechsels nicht immer zu erken-
8 nur die niedrigste Dosis gewählt werden. Eine Absprache mit der nen ist. Der dauernde Wechsel des Faszikelmusters im Verlauf
Anästhesie ist unerlässlich. eines Nervs führt dazu, dass ein bestimmtes Querschnittsbild des
Nervs sich höchstens über eine Strecke von 0,6–6 mm verfolgen
lässt (⊡ Abb. 8.3).
8.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Diese innere Plexusbildung ist nicht seitenkongruent und auch
Physiologie nicht für den gleichen Nerv bei verschiedenen Individuen kons-
tant. Eine sozusagen gesetzmäßige innere Topografie der Nerven-
Für die exakte Beschreibung der verschiedenen Operationstech- stämme besteht daher nicht. Trotzdem können auf verschiedenen
niken am peripheren Nerv ist eine einheitliche Benennung der Höhen natürlich topografische Studien von Nerven durchgeführt
verschiedenen anatomischen Strukturen des peripheren Nervs not- werden, die jedoch nur anhaltsweise exakte Funktionszuordnun-
wendig: Der periphere Nerv setzt sich aus nervalen und bindege- gen ermöglichen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den
webigen Anteilen zusammen. Blut- und Lymphgefäße verlaufen im plexusartigen Aufbau und damit den gewundenen Verlauf der
Bindegewebe. Nervenfaserbündel in den Nervenstämmen auf einem anderen Ni-
veau ein Austausch von Faszikeln vorgetäuscht werden kann, ohne
Bindegewebige Anteile dass wirklich Abzweigungen stattgefunden haben. Der plexusartige
Der periphere Nerv ist in eine adventitielle bindegewebige Schicht, Aufbau der Nerven hat wahrscheinlich vielmehr auch den Vorteil
das Paraneurium oder Mesoneurium, eingebettet. Diese zeigt flie- der besseren Kompensation der mechanischen Scher- und Deh-
ßende, ineinander übergreifende Verbindungen in das darunter nungs- sowie Biege- und Kompressionskräfte.
liegende, den peripheren Nerv in seiner Gesamtheit umgebenden Für den klinischen Gebrauch wichtig ist die Unterscheidung
Epineurium. Bei den peripheren Nerven unterscheidet man ein in Zonen mit hoher Austauschrate (z. B. proximaler Oberarm,
äußeres und ein inneres Epineurium, das zwischen die einzel- Ellenbogenbereich) und Zonen mit geringer Austauschrate (z. B.
nen Faszikelgruppen hineinreicht. Das Perineurium umhüllt die distaler Unterarmbereich).

⊡ Abb. 8.1 Querschnittanatomie des peripheren


Nerven. (Aus Berger u. Hierner 2002)
8.1 · Allgemeines
157 8

⊡ Abb. 8.2 Klassifikation des peripheren Nervs


in Abhängigkeit von Anzahl und Anordnung
seiner Faszikel. (Aus Berger u. Hierner 2002)

⊡ Abb. 8.3 Faseraustausch im Verlauf periphe-


rer Nerven (distale Plexusbildung). (Aus Berger
u. Hierner 2002)
158 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

Nervale Anteile Bei den marklosen Fasern erfolgt die Erregungsausbreitung


Die eigentliche Nervenfaser besteht aus dem Axon, einem bis zu kontinuierlich und dadurch deutlich langsamer als in den markhal-
1 m langen Fortsatz einer Nervenzelle, deren Perikaryon z. B. im tigen Nerven. Diese sind durch eine saltatorische, d. h. sprunghafte
Rückenmark oder im Spinalganglion liegt, und einer dieses Axon Erregungsleitung gekennzeichnet. Die morphologische Grundlage
umschließenden Hülle. Bei marklosen Nervenfasern wird das Axon der saltatorischen Erregungsleitung ist der Wechsel von markhal-
vom Zytoplasma der Hüllzellen, bei markhaltigen Nervenfasern von
der Markscheide umgeben. Die Markscheide besteht aus Myelin,
einem Lipoprotein, das von den Hüllzellen gebildet wird. Im Fall
der peripheren Nerven sind es die Schwann-Zellen. In regelmäßigen
Abständen (1–3 mm) wird die Markscheide durch tiefe Einschnü-
rungen, die sog. Ranvier-Knoten unterbrochen, wobei der Abschnitt
zwischen zwei Knoten, das sog. Internodium, der Ausdehnung einer
Hüllzelle entspricht. Das Axon verläuft von seinem Perikaryon bis
zu den Endorganen ohne Kontinuitätsunterbrechung und teilt sich
meist erst im distalen Abschnitt in zahlreiche Kollateralen auf.
Zwischen dem Umfang eines Axons, der Dicke der Mark-
scheide, dem Abstand der Ranvier-Knoten und der Leitgeschwin-
digkeit eines Nervs bestehen gesetzmäßige Beziehungen. Je größer
der Umfang eines Axons ist und umso dicker die ihn umgebende
8 Markscheide, umso länger sind die Internodien. Je länger die Inter-
nodien sind, desto schneller ist die elektrische Leitgeschwindigkeit
der Faser. Wenn z. B. bemarkte Nervenfasern noch wachsen, wie
z. B. bei Extremitätennerven, so vergrößert sich auch die Länge der
Internodien (⊡ Abb. 8.4).
Insgesamt unterscheidet man markhaltige, markarme und
marklose Nervenfasern, die auch als A-, B- und C-Fasern be-
zeichnet werden. Die markhaltigen A-Fasern haben einen Axon-
durchmesser von 3–20 μ und eine Leitgeschwindigkeit von bis zu
120 m/s. Die markarmen B-Fasern zeigen nur noch einen Durch-
messer bis zu 3 μ und eine Leitgeschwindigkeit bis zu 15 m/s und
am langsamsten verläuft die Erregung in den marklosen Fasern mit
nur ca. 2 m/s (⊡ Tab. 8.1).

⊡ Tab. 8.1 Dicke und Funktion der verschiedenen Nervenfasern. (Aus


Berger u. Hierner 2002

Durchmesser Leitungsgeschwindig- Bezeichnung


(μm) keit (ms)

Buchstaben Ziffern

12-20 70–120 Aα Ia, Ib

5–15 30–70 Aβ II

2–10 15–30 Aγ

1–7 12–30 Aδ III

<3 3–15 B

0,3–1,3 0,7–2,3 C IV

A: α-Nervenfasern für extrafusale Muskelfasern (die dickeren für »schnelle«,


die dünneren für »langsame«); β-Fasern, die »langsame« extrafusale Muskel-
fasern innervieren und Kollateralen zu intrafusalen Muskelfasern abgeben;
γ-Fasern, die intrafusale Muskelfasern innervieren; δ-Fasern
B: präganglionäre autonome (markhaltige) Fasern
C: postganglionäre autonome (marklose) Fasern
Ia: Fasern von Primären sensiblen Endigungen an Muskelspindeln
Ib: Fasern von Sehnenspindeln
II: Fasern von sekundären sensiblen Endigungen an Muskelspindeln; Fasern
von sensiblen Nervenendigungen der Haut
III: Fasern, die Schmerz- und Temperaturempfindungen und andere sensible
Qualitäten leiten
IV: Schwer leitende Fasern von Eingeweiden und anderen Körperstellen
(marklos) ⊡ Abb. 8.4 Aufbau der Nervenfasern. (Aus Berger u. Hierner 2002)
8.1 · Allgemeines
159 8
tigen Internodien mit nackten Ranvier-Knoten. Der Strom springt größter Bedeutung. Die Vaskularisation erfolgt über ein inneres
hier intraaxonal von einem Knoten zum nächsten, wobei am Gefäßplexussystem, welches aus einem epineuralen, perineuralen
Knoten durch Permeabilitätsänderung der Axonmembran jedes und endoneuralen Gefäßplexus besteht und von mehreren äuße-
Mal der Stromkreis geschlossen wird. Diese Fortleitung ist damit ren Zuflüssen versorgt wird. Beide Systeme können bis zu einem
wesentlich schneller und verbraucht weniger Energie als die konti- gewissen Grad Funktionsstörungen des anderen kompensieren.
nuierliche Ausbreitung der Erregung. Das charakteristische Bild des epineuralen Gefäßplexus zeigt große
Diese anatomischen Gegebenheiten haben direkten Einfluss longitudinal angeordnete Arteriolen und Venolen, welche zahlrei-
auf die Regeneration bzw. das Wiederauftreten der verschiedenen che segmentale Äste zu den umliegenden Faszikeln abgeben. Über
sensiblen Qualitäten (⊡ Abb. 8.5) diese Äste werden reichhaltig Anastomosen mit dem perineuralen
System ausgebildet. Diese perineuralen Gefäße verlaufen longi-
Vaskularisation tudinal im perneuralen Gewebe. Nach einem mehr oder weniger
Die Kenntnis der Vaskularisation der peripheren Nerven ist für langen geraden Verlauf geben sie charakteristischerweise schräg
jeden Eingriff (vor allem für die mikrochirurgische Neurolyse) von verlaufende Äste ab, welche die perineurale Membran durchzie-
hen und in den endoneuralen Raum eintreten, wo sie mit Ästen
des endoneuralen Plexus anastomosieren. Nach Lundborg bilden
das perineurale und endoneurale Gefäßsystem zusammen eine
Schmerz gut definierte Gefäßeinheit, welche der anatomischen Einheit der
»gruppierten Faszikel« nach Millesi entspricht. Der endoneurale
Warm-Kalt
Gefäßplexus besteht aus Arteriolen, Kapillaren und Venolen, wel-
che charakteristischerweise longitudinal angeordnet sind und von
Vibration 30Hz Zeit zu Zeit in unterschiedlicher Höhe Schleifen bilden. Aufgrund
des großen Gefäßkalibers und der hohen Kapillardichte können
Kontakt dynamisch
Änderungen der Gefäßperfusion ausgezeichnet kompensiert wer-
2 PD dynamisch (Weber Test dynamisch) den (⊡ Abb. 8.6).
Nach Anzahl und Bedeutung der extern makroskopisch sicht-
Vibration 256 Hz baren Gefäße des peripheren Nerves, werden nach Breidenbach
und Terzis (1986) drei verschiedene externe Versorgungstypen
unterschieden (⊡ Abb. 8.7). Typ I beschreibt Nerven ohne domi-
Kontakt statisch nanten externen Gefäßstiel. Die externe Versorgung erfolgt über
2 PD statisch segmentale Äste aus der Umgebung. Beim Typ II versorgt ein do-
(Weber Test statisch) minanter Gefäßstiel einen Großteil des peripheren Nervs. Der rest-
liche Anteil erhält segmentale Zuflüsse aus der Umgebung, kann
aber auch über das innere Gefäßplexussystem ausreichend versorgt
werden (z. B. vaskularisiertes N.-ulnaris-Transplantat). Nerven des
⊡ Abb. 8.5 Hierarchie der Regeneration der verschiedenen sensiblen Qua- Typs III haben multiple dominante äußere Gefäßstiele (z. B. R. su-
litäten perficialis N. radialis).

⊡ Abb. 8.6 Das innere Gefäßplexussystem


der peripheren Nerven. (Aus Berger u. Hier-
ner 2002)
160 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

Konzept der peripheren »neurosensomotorischen 8.1.2 Epidemiologie


Funktionseinheit«
Periphere Nerven und periphere Funktionsorgane (Muskeln, senso- Läsionen peripherer Nerven sind sehr häufig. Während die post-
rische Endorgane) können als eine Funktionseinheit angesehen wer- traumatischen Nervenläsionen einen Altersgipfel bei jüngeren Pa-
den, da proximale (nervale) oder distale Veränderungen zu Beeinflus- tienten zeigen, treten Kompressionssyndrome typischerweise erst
sungen des vor- bzw. nachgeschalteten Segments führen (⊡ Abb. 8.8). ab dem 50. Lebensjahr gehäuft auf.

8.1.3 Ätiologie

Defekte peripherer Nerven können eingeteilt werden in akute und


chronische Schädigungen, wobei diese generalisiert (Polyneuropa-
thie) oder lokalisiert (Mononeuropathie) auftreten können. Als Ur-
sachen für eine lokalisierte akute und/oder chronische Schädigung
kommen in Frage:
▬ mechanische Traumata (Schnittverletzung, Injektionsverlet-
zung, Zug, Druck oder Kombinationen),
▬ Entzündung, Infektion,
▬ Ischämie (z. B. Kompartment-Syndrom),
8 ▬ thermische Schädigung inkl. Elektroschaden,
▬ physikalische Schädigung inkl. Strahlenschäden.
▬ chemische Schädigung inkl. Säure- und Laugenverletzungen,
⊡ Abb. 8.7 Klassifikation der externen Blutversorgung des peripheren Nervs ▬ immunologisch bedingte Nervenschädigung,
nach Breidenbach und Terzis. (Aus Berger u. Hierner 2002) ▬ Sonstiges.

ZNS

peripheres Nervensystem

Rückenmark
peripherer Nerv

Haut

Muskel
⊡ Abb. 8.8 »Neurosensomotorische Funktionseinheit«. (Aus Berger u. Hierner 2009) Rezeptoren
8.1 · Allgemeines
161 8
Periphere Nerven reagieren auf verschiedenartige Noxen recht Eine periphere Nervenverletzung kann alleine oder in Kom-
gleichförmig (⊡ Abb. 8.9, ⊡ Abb. 8.10). Mononeuropathien verschie- bination mit einer ausgedehnten Knochen-Weichteil-Schädigung
dener Ätiologie unterscheiden sich aber in wichtigen Punkten (Typ-C-Defekt) auftreten. Eine weitere Sonderform stellt die peri-
hinsichtlich der Pathophysiologie, der klinischen Symptomatik, des phere Nervenläsion im Rahmen eines Polytraumas dar.
Verlaufs und auch der erforderlichen Therapie.

⊡ Abb. 8.9 Histologische Veränderungen der Degeneration und Regeneration nach Durchtrennung einer markhaltigen Faser des peripheren Nervs. a 1–4 Tage
nach der Durchtrennung: Im Bereich des distalen Stumpfes kommt es zur sog. Waller-Degeneration mit Zerfall der Markscheiden von proximal nach distal.
Die Markscheidenzerfallsprodukte liegen in Form von »Markballen« in den Schwann-Zellen, die sich bereits durch mitotische Teilung vermehren, vor. Im Be-
reich des proximalen Stumpfes kommt es ebenfalls zu einer retrograden Degeneration auf ein Markscheidensegment. Zusätzlich treten auch Zeichen einer
Degeneration (zentrale Chromatolyse) im Perikaryon auf. b 10–21 Tage nach Durchtrennung: Die Waller-Degeneration erreicht das distale Endorgan – die mo-
torische Endplatte. Die Muskelfaser zeigt eine beginnende Denervierungsatrophie. Durch Proliferation von Schwann-Zellen entsteht das sog. Bünger-Band, in
dem sich noch einige Axon- und Myelinabbauprodukte befinden. Makrophagen beteiligen sich am Abbau. Aus dem proximalen Wachstumskolben, der sich
an der Demarkationsstelle des proximalen Stumpfes gebildet hat, sind bereits multiple Axonsprosse (»sprouting«) ausgewachsen. Im Perikaryon hat die zent-
rale Chromatolyse das Maximum erreicht. c Mehrere Monate nach Durchtrennung: fortgeschrittene Regenerationsphase mit unterschiedlich schnell wachsen-
den Axonsprossen, die zum Teil wieder in die Bünger-Bänder vorgewachsen sind, ihr Zielorgan jedoch noch nicht erreicht haben. Die Denervierungsatrophie
des Skelettmuskels hat ihr Maximum erreicht. Im Bereich des Perikaryons zeigt sich eine Rückbildung der chromatolytischen Reaktion. d Reinnervation des
Endorgans: Der am schnellsten wachsende Axonspross erreicht die motorische Endplatte und reinnerviert die dazugehörige Muskelfaser. Die kollateralen
Aussprossungen, die kein Endorgan erreicht haben, bilden sich zurück. Der regenerierte Achsenzylinder ist von neu gebildeten, dünnen Markscheiden umge-
ben, die eine deutlich kürzere Segmentlänge aufweisen. Im Perikaryon ist die Nissl-Substanz wiederhergestellt. Die reinnervierte Muskelfaser hat annähernd
wieder die normale Dicke erreicht. e Untergang des Perikaryons: Bei sehr proximal gelegenen Schädigungen kann es auch zum Untergang des Perikaryons
kommen, eine Regeneration dieser markhaltigen Nervenfaser ist dann nicht mehr möglich. f Neurombildung: Können die aussprossenden Axone ihr Zielge-
biet durch z. B. Narbenbildung oder Verlust der Koaptation nicht erreichen, kommt es im Bereich des proximalen Stumpfes durch aberrierende Nervenfas-
erregeneration, Schwann-Zellen und Fibroblastenwucherung zur Ausbildung eines Neuroms. Das distale Bünger-Band wird nicht neurotisiert, bleibt jedoch
über Jahre erhalten. Atrophische Muskelfasern, die mehr als 2 Jahre denerviert bleiben, verlieren ihre strukturellen Merkmale und degenerieren allmählich. Es
kommt zu einer Endorganinsuffizienz. (Aus Nerlich u. Berger 2003)
162 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

⊡ Tab. 8.2 Sensibilitätstestung nach Seddon. (Aus Berger u. Hierner


2002)

S0 Keinerlei Sensibilität

S1 Tiefe kutane Sensibilität (Schmerzempfindung) in der auto-


nomen Zone

S2 Gewisse oberflächliche kutane Schmerzempfindung und


taktile Sensibilität in der autonomen Zone

S3 Oberflächliche kutane Schmerzempfindung sowie Berüh-


rungsempfindung in der ganzen autonomen Zone; Ver-
schwinden der beim Regenerationsvorgang vorher vorhan-
denen Überempfindlichkeit

S4 Normale Sensibilität

⊡ Abb. 8.10 Biochemische Veränderungen der Degeneration und Regenera- ⊡ Tab. 8.3 Beurteilung der Muskelkraft gemäß Medical Research
8 tion nach Durchtrennung eines peripheren Nervs. (Aus Nerlich u. Berger 2003) Council. (Aus Berger u. Hierner 2002)

M0 Keine Muskelkraft

M1 Sichtbare oder fühlbare Muskelkontraktion ohne Bewegungs-


effekt
8.1.4 Diagnostik
M2 Bewegungsmöglichkeit unter Ausschaltung der Schwerkraft
Für eine möglichst exakte Schadenserfassung dient uns ein stan- des abhängigen Gliedabschnittes
dardisiertes diagnostisches Vorgehen: M3 Bewegungsmöglichkeit gegen die Schwerkraft
Bei der Erstuntersuchung einige Tage bis Wochen nach
Trauma wird erst- und einmalig eine detaillierte Allgemein- M4 Bewegungsmöglichkeit gegen mäßigen Widerstand
anamnese erhoben. Die ausführliche klinische Untersuchung ist
M5 Normale Kraft
die Basis der Diagnostik peripherer Nervenläsionen und wird
durch apparative Untersuchungen ergänzt. Die standardisierte
klinische Untersuchung, welche sich bis zum 6. (spätestens 9.)
posttraumatischen Monat monatlich wiederholt wird, beinhal- lichkeiten sollten neben den somatosensorisch evozierten Poten-
tet die subjektive Bewertung von Schmerzen (⊡ Abb. 8.11) und zialen (SEP) auch motorisch evozierte Potenziale (MEP) abgelei-
Beschwerden (Schmerzskala 0–10), Wetterfühligkeit und Kälte- tet werden.
empfindlichkeit, die Sensibilitätstestung nach der Klassifikation Postoperative Befunde werden nach 6 Wochen, 6, 9, 12 Mona-
von Seddon (⊡ Tab. 8.2) ergänzt durch weitere Tests (Vibrations- ten und dann im halbjährlichen Abstand erhoben. Zusätzlich zu
empfindung 256-Hz-Stimmgabel, von-Frey-Haare bzw. Semmes- der oben beschriebenen klinischen Untersuchung erfolgt die Kon-
Weinstein-Filamente etc.), die Untersuchung der aktiven und trolle der Wundheilung. Jährliche Foto- und fakultative Video-
passiven Gelenkbeweglichkeit von Schulter-, Ellenbogen- und dokumentationen sind wiederum hilfreich. Ab dem 24. postope-
Handgelenk sowie der Hand mithilfe der Neutralnullmethode rativen Monat können fakultativ vor geplanter funktionsverbes-
und die Beurteilung der Muskelkraft jedes einzelnen Muskels der sernder sekundärer Ersatzoperationen (Muskel-Sehnen-Transfer),
oberen Extremität nach der Klassifikation des Medical Research Röntgenaufnahmen, EMG/NLG und eventuell eine Arthro-CT-
Councils (MRC; ⊡ Tab. 8.3). Ein weiterer Test ist der Ninhydrin- Untersuchung durchgeführt werden. Man achtet auf Achsenfehl-
test anhand dessen die Schweißsekretion geprüft wird. Dies kann stellungen, knöcherne Defekte, Bruchheilungsstörungen, arthro-
in ausgewählten Fällen bei Kleinkindern sinnvoll sein. Foto- tischen Veränderungen und Gelenkfehlstellungen (Subluxationen,
und Videodokumentation sind sehr hilfreich und sollten eben- Luxationen). Fakultativ vor geplantem Muskel-Sehnen-Transfer
falls zur Erstuntersuchung und danach vierteljährlich wiederholt erfolgt die Beurteilung der Muskelkraft nach der Klassifikation
werden. Ab dem 3. posttraumatischen Monat können fakultativ des MRC.
zur Unterstützung und Sicherung der Diagnose und der Ein- Hat man sich aufgrund einer guten Spontanregeneration bis
schätzung des Schädigungsausmaßes EMG/NLG, Myelografie/ zum 6. posttraumatischen Monat zur konservativen Therapie der
Myelo-CT und MRT vor eventuell geplanter Exploration des peripheren Nervenläsion entschieden, sollten bis zum 18. post-
Nervs angefertigt werden. Spätestens zum 6. posttraumatischen traumatischen Monat vierteljährlich, danach halbjährlich Kontroll-
Monat sollte die Entscheidung für oder gegen die frühzeitige untersuchungen stattfinden. Diese beinhalten klinische Untersu-
mikrochirurgische Exploration des peripheren Nervs getroffen chung sowie Foto- und eventuell Videodokumentation (6-monati-
werden. ger Abstand). Ab dem 30. posttraumatischen Monat können, falls
Bei der operativen Revision des peripheren Nervs werden funktionelle und/oder ästhetische Beeinträchtigungen aufgetreten
direkte Nervenstimulation, Gewebeentnahmen aus dem Bereich sind, fakultativ vor geplantem Muskel-Sehnen-Transfer Zusatzun-
der proximalen Nervenstümpfe und eine Fotodokumentation tersuchungen wie EMG/NLG, Röntgen und Muskeltestung nach
routinemäßig durchgeführt. Abhängig von den apparativen Mög- der MRC-Klassifikation durchgeführt werden.
8.1 · Allgemeines
163 8

SCHMERZ-SKALA

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

⊡ Abb. 8.11 Numerische Kategorienskala zur


kein Schmerz maximal vorstellbarer Schmerz Erfassung der subjektiven Schmerzintensität des
Patienten. (Aus Berger u. Hierner 2009)

Ätiologie
– Mechanische Traumata (Schnittverletzung, Injektionsverletzung, Zug, Druck oder Kombinationen)
– Entzündung, Infektion
– Ischämie (z.B. Kompartment-Syndrom)
– Thermische Schädigung inkl. Elektroschaden
– Physikalische Schädigung inkl. Strahlenschäden
– Chemische Schädigung inkl. Säure – und Laugenverletzungen
– Immunologische bedingte Nervenschädigung
– Sonstiges
Grad der Schädigung
Klassifikation Morphologie Klinik EMG
Seddon Sunder- Myelin Axon Endo- Peri- Epi- Schematische Darstellung Progredientes Dener-
land neurium neurium neurium Hoffmann- vierungs-
Tinel-Zeichen zeichen
Neurapraxie I +/- – – – – + –

Axonotmesis II + + – – – + +

III + + + – – + +

IV + + + + + – +

Neurotmesis V + + + + + – +

Art des Nervendefekts


– »Scheinbarer« Nervendefekt
– »Echter« Nervendefekt
Lokalisation
– Proximal (→ trunkuläre Rekonstruktion)
– Distal (→ interfaszikuläre Rekonstruktion)
Wundverhältnisse
– »Ersatzstark«
– »Ersatzschwach«
– »Ersatzunfähig«
Sonstiges

⊡ Abb. 8.12 Klinische Klassifikation peripherer Nervenläsionen

8.1.5 Klassifikation Der Grad der Nervenschädigung kann oft erst aufgrund mehr-
maliger klinischer (und elektrophysiologischer) Untersuchungen
Im Hinblick auf das therapeutische Vorgehen hat es sich bewährt, angegeben werden. Es wir international eingeteilt nach Seddon
den Nervenschaden nach Ätiologie ( Abschn. 8.1.3), Grad der (1943) und Sunderland (1951): Darüber hinaus wurde von Dellon
Schädigung, Art des Nervendefektes, Lokalisation und Wundver- (Mackinnon u. Dellon 1988) der Begriff der kombinierten Nerven-
hältnissen zu klassifizieren (⊡ Abb. 8.12): läsion als Grad-VI-Schädigung der Klassifikation von Sunderland
164 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

ergänzt. Eine zusätzliche Subklassifikation wurde für Läsionen bei Behandlungsergebnis kann nur dann erreicht werden, wenn alle
erhaltener Kontinuität von Millesi (1992) beschrieben. Mitglieder des Therapieteams lückenlos zusammenarbeiten. Be-
Bei Läsionen mit Kontinuitätsunterbrechung unterscheidet sonders muss auf die Bedeutung der prä- und postoperativen
man zwischen einem »scheinbaren« (durch die natürliche elasti- Physiotherapie hingewiesen werden. Für ein gutes Ergebnis ist es
sche Retraktion des Nerven) und einem »echten« (durch Verlust immer günstig, wenn der Patient vor der Operation gelernt hat,
von peripheren Nervengewebe bedingt) Nervendefekt. den ausgewählten Muskel bewusst isoliert anzuspannen. Darüber
Die Lokalisation der Nervenläsion hat entscheidenden Einfluss hinaus sollte immer ein spezielles Auftrainieren des zu transponie-
auf das zu erwartende Ergebnis und das Vorgehen bei der mikro- renden Muskels durchgeführt werden.
chirurgischen Rekonstruktion: Bei distalen Läsionen mit bereits
abgrenzbaren Faszikeln erfolgt einer interfaszikuläre Rekonstruk-
tion unter Berücksichtigung der anatomischen Verhältnisse. Zur Das »integrative Therapiekonzept« bei Läsionen
besseren Differenzierung zwischen motorischen und sensiblen Fa- peripherer Nerven
sern kann (intraoperativ) eine Azethylcholinesterasefärbung (Kar- Primäre Wiederherstellung der Nervenfunktion
nowsky) durchgeführt werden: Bei proximal gelegenen Läsionen ist ▬ Konservative Therapie
eine anatomische Rekonstruktion nur in geringem Maße möglich. – Intensive Physiotherapie, begleitende Maßnahmen usw.
Deshalb kann hier eine trunkuläre Rekonstruktion durchgeführt ▬ Operative Therapie
werden. – Neurolyse
Die Beurteilung der Wundverhältnisse im Hinblick auf eine – Primäre End-zu-End-Neuroraphie (Naht, Fibrinkleber)
Nervenrekonstruktion basiert auf anatomischen, physiologischen – Defektüberbrückung
8 und mikrobiologischen Kriterien. Für die anatomische Beurteilung – »nerve tubes« (Röhrchen)
wird das Ausmaß eines zusätzlichen fasziokutanen (Typ-A-Defekt), – Sonderform: »bioartifizielles lebendes Nerventrans-
Weichteil- (Typ-B-Defekt) oder kombinierten Knochen-Weichteil- plantat«
Schadens (Typ-C-Defekt) bestimmt. Wie eigene Studien mithilfe – autologe Nerventransplantation
des Auswertungsschemas nach Millesi gezeigt haben, sind die zu – Sonderform: vaskularisierte Nerventransplantate
erwartenden Ergebnisse nach Nervenrekonstruktion umso besser, – Neurotisation
je geringer eine zusätzliche Weichteil- oder kombinierte Weichteil- – End-zu-End-Technik
Knochen-Schädigung ist. Die physiologische Beurteilung umfasst – End-zu-Seit-Technik
die Vaskularisation der umliegenden Weichteile. Die mikrobiolo-
gische Beurteilung beinhaltet Schwere und Typ einer bakteriellen Sekundäre Nervenersatzoperation
Infektion: Für die Beurteilung der Lagerqualität hat sich die Klas- ▬ Motorisch
sifikation nach Lexer (1924) in »ersatzstark«, »ersatzschwach« und – Muskel-Sehnen-Transposition
»ersatzunfähig« bewährt. – monokular/bipolar
– monoartikulär/polyartikulär
– Freie mikrochirurgische funktionelle Muskeltransplantation
8.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – einzeitig
– mehrzeitig
Für Diagnostik und Therapie von Läsionen im Bereich der Hirn- ▬ Sensibel
nerven und der peripheren Nerven (Plexus brachialis und dessen – Transposition
terminale Endäste) verwenden wir ein sog. »integratives Thera- – Freie mikrochirurgische neurovaskuläre Transplantation
piekonzept«, welches neben der primär anzustrebenden Nerven-
rekonstruktion sekundäre Muskelersatzoperationen und (tertiäre) Adjuvante Maßnahmen
adjuvante Eingriffe umfasst. Die Therapiedauer beträgt unabhängig ▬ Botlinumtoxin
von der gewählten Primärtherapie (konservativ versus operativ) ▬ Tendodese
etwa 3–5 Jahre. Während dieser Zeit ist eine physiotherapeutische ▬ Kapsulodese
Basistherapie – in unterschiedlicher Form und Intensität – fort- ▬ Arthrodese
zuführen. Unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche ▬ Orthetische Hilfsmittel (Schienen, Hülsen, myoelektrische
primäre oder sekundäre Wiederherstellung der Funktion sind sta- Orthesen/Prothesen)
bile knöcherne Verhältnisse, ein »ersatzstarkes« Transplantatlager
und freie passive Gelenkbeweglichkeit. Nur durch eine intensive
interdisziplinäre Zusammenarbeit kann ein optimales Therapieer- Der nervalen Rekonstruktion durch spontane Regeneration oder
gebnis erreicht werden. Mitglieder des Therapieteams sind neben frühzeitige mikrochirurgische Rekonstruktion, wird höchste Pri-
dem Chirurgen (Plastische Chirurgie, Neurochirurgie, Orthopädie, orität gegeben. Bei Ausbleiben der Spontanregeneration oder in-
Unfallchirurgie) – oft in Verbindung mit dem Neuropathologen – adäquater Spontanregeneration können durch Neurolyse, direkte
der Hausarzt (»Drehscheibe«), der Physiotherapeut (Krankengym- spannungsfreie Koaptation (in seltenen Fällen) und Nerventrans-
nastik, Ergotherapie etc.), der Neurologe und in besonderen Fällen plantation in der Regel die besten funktionellen Ergebnisse erzielt
die anästhesiologische Schmerzambulanz (bei Deafferenzierungs- werden. Die wiedergewonnenen motorischen Funktionen werden
schmerzen oder Kausalgien), Sozialdienste/Arbeitsamt/Berufsge- umso besser eingesetzt, je besser die Sensibilität im Handbereich
nossenschaft (berufliche Rehabilitation bzw. Wiedereingliederung) (»taktile Gnosis«) rekonstruiert werden kann. Darüber hinaus
Orthopädietechniker (Hülsen- und Schienenapparate), Psychothe- nimmt auch die Anzahl der für sekundäre motorische Ersatzope-
rapeuten und Patienten-Selbsthilfegruppen. Der stetige Informa- rationen zur Verfügung stehenden Muskeln signifikant zu. Liegt
tionsaustausch (Telefonate, Arztbriefe) innerhalb des Teams ist zum Zeitpunkt der Nervenläsion kein Nervendefekt vor, sollte,
von außerordentlicher Wichtigkeit ( Übersicht). Ein optimales vorausgesetzt der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt es, wenn
8.1 · Allgemeines
165 8
immer möglich, eine spannungsfreie primäre Neuroraphie durch- geringgradige anatomische (Sunderland II und III) Nervenschä-
geführt werden. In allen anderen Fällen erfolgt die Versorgung der digung vor, kommt es nach Ablauf von 3–6 Monaten zu einer
Nervenläsion sekundär nach 3 bis maximal 6 Monaten mithilfe ausreichenden Regeneration. Während dieses Zeitraumes ist eine
einer Nerventransplantation. Da die funktionellen Ergebnisse nach Physiotherapie zur Aufrechterhaltung der passiven Gelenkbeweg-
Nerventransplantation 6 Monate nach Unfall aufgrund einer End- lichkeit konsequent durchzuführen. Kommt es zu keiner adäquaten
organschwäche in den reinnervierten Muskeln deutlich schlechter Regeneration muss ein höhergradiger struktureller Schaden (Sun-
werden, muss die nervale Rekonstruktion Priorität gegenüber se- derland IV oder V) angenommen werden und die Indikation zur
kundären traumatologischen Eingriffen haben. Eine nervale Re- Operation spätestens nach 6 Monaten gestellt werden.
konstruktion mit dem Ziel der Verbesserung der Motorik sollte
abhängig von der Entfernung zwischen Läsionshöhe und Muskel Operative Therapie
nicht später als 12 maximal 18 Monate (schulternahe Muskulatur) Die operative Therapie ist bei Funktionsausfall mit Kontinuitäts-
durchgeführt werden. Soll nur eine Verbesserung der (protekti- unterbrechung indiziert. Bei jeder Kontinuitätsunterbrechung ei-
ven) Sensibilität erreicht werden, kann eine nervale Rekonstruk- nes peripheren Nervs ist zu unterscheiden, ob ein »scheinbarer«
tion auch nach 24–36 Monaten noch durchgeführt werden. Nur (Gewebelastizität, Ödem) oder »echter« Nervendefekt vorliegt. In
ausnahmsweise wird primär eine Nerventransplantation durchge- der klinischen Praxis hat sich der »8×0-Naht-Test« bewährt. Lässt
führt, wenn Nerventransplantationsmaterial aus einem nicht mehr sich die Koaptation beider Nervenstümpfe mit einer epineural ge-
zu rekonstruierenden Körperabschnitt verwendet werden kann stochenen 8×0-Einzelknopfnaht aufrechterhalten, liegt keine über-
(»Gewebebankkonzept«). mäßige Spannung im Koaptationsbereich vor. Die weiteren Einzel-
Bei allen mikrochirurgischen Nervennähten ist eine postope- knopfnähte werden mit 10×0 monofilem Nahtmaterial ergänzt.
rative Ruhigstellung für 10 Tage obligat, weshalb nie gleichzeitig Liegt kein Nervendefekt vor, erfolgt die direkte Neuroraphie.
Sehnen- und/oder Gelenkeingriffe durchgeführt werden dürfen. Im Gegensatz zur Gefäßnaht ist eine »wasserdichte« Naht am Nerv
Übungsstabilität im Bereich der Nervennaht besteht nach 3 Wo- falsch. Deshalb sollte statt Nervennaht der Terminus Neuroraphie
chen, eine Belastungsstabilität nach 6–12 Wochen. oder Nervenkoaptation gebraucht werden. Die Anlage einer mik-
Durch einfache oder multiple Sehnenumsetzplastik(en) kann rochirurgischen Nervenkoaptation lässt sich in mehrere Schritte
eine spezifische Bewegungsform wiederhergestellt oder verstärkt unterteilen (⊡ Tab. 8.5).
(augmentiert) werden. Sehnentranspositionen können monopolar, Nach Bereitung, Approximation und Koaptation der Nerven-
d. h., nur eine Insertion wird verändert, und bipolar, d. h., Ansatz stümpfe erfolgt die Aufrechterhaltung der Koaptation mithilfe von
und Insertion werden abgelöst und neu inseriert, durchgeführt möglichst wenigen mikrochirurgischen Einzelknopfnähten (10×0
werden. Sie können ein (monoartikulär) oder mehrere (polyarti- monofiler Faden) zur Vermeidung einer übermäßigen Fibrose
kuläre) Gelenke bewegen. Sekundäre Ersatzoperationen werden durch Fremdmaterialreiz (Cave: Nahtgranulome). Alternativ ver-
i. Allg. 2–3 Jahre nach erfolgter Nervenrekonstruktion durchge- wenden einige Autoren auch Fibrinkleber alleine oder in Kombina-
führt. In seltenen Fällen kann die Sehnentransposition auch gleich- tion mit Einzelknopfnähten.
zeitig mit der Nervenrekonstruktion erfolgen. Vor allen im Bereich Vor dem Wundverschluss ist eine sorgfältige Blutstillung an-
des N. radialis (Oberarmsegment) hat sich ein derartiges Vorgehen zustreben. Der Wundverschluss erfolgt schichtweise. Die unmit-
bei Patienten älter als 50 Jahre bewährt. Stehen bei ausreichender telbare Schicht oberhalb der Koaptation sollte vom Operateur
Innervation keine Muskel-Sehnen-Gruppen für die Transposition selbst genäht werden. Als Drainage wird ein »easy flow«, abseits
zur Verfügung (direkte Muskelschädigung, Muskeldegeneration der Koaptationsstelle eingebracht. Sonst übliche Redon-Drainagen
bei Denervationszeit > 2 – 3 Jahre) kann eine freie mikrovas- sind aufgrund ihrer Sogwirkung kontraindiziert. Bei allen mikro-
kuläre funktionelle Muskeltransplantation durchgeführt werden. chirurgischen Nervennähten ist eine postoperative Ruhigstellung
Fehlt eine ausreichende Innervation kann mit Hilfe eines mehr- für 10 Tage obligat. Beim Säubern des Wundgebietes sowie bei Ver-
zeitigen Vorgehens ein Nerventransplantat vorgelegt werden um bandswechseln innerhalb der ersten 10 Tage ist darauf zu achten,
dann bei ausreichender Axonzahl im Bereich des distalen Trans- dass keine Scherkräfte im Koaptationsbereich auftreten. Bei Läsi-
plantatstumpfes eine freie mikrovaskuläre Muskeltransplantation onen peripherer Nerven spielt die adäquate Nachbehandlung eine
durchzuführen. entscheidende Rolle. Deshalb sollten Sehnen- und/oder Gelenkein-
Die bisher genannten Rekonstruktionsverfahren können durch griffe nicht gleichzeitig durchgeführt werden. Uneingeschränkte
adjuvante Eingriffe zu jedem Zeitpunkt der Therapie oft funktio- Übungsstabilität im Bereich der Nervennaht besteht nach 3–6 Wo-
nell deutlich verbessert werden. Neben der Möglichkeit der Teno- chen. Ein intensives physiotherapeutisches Therapieprogramm,
dese und Kapsulodese sollte auch die Arthrodese bedacht werden. mit Ergotherapie (Schienen, Sensibilisierung/Desensibilisierung)
Schließlich können auch orthetische Hilfsmittel und Hülsenappa- und Krankengymnastik ist notwendig.
rate eingesetzt werden, um die Funktionalität der gesamten Ext-
remität zu verbessern. Zur Optimierung der Nervenregeneration
und zur Therapie von Ko-Kontraktionen kann die intramuskuläre 8.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
Injektion von Botulinustoxin erfolgreich eingesetzt werden.
Nervenverletzungen und -defekte bei Kindern, werden nach den
gleichen Prinzipien diagnostiziert und therapiert wie die des Er-
8.1.7 Therapie wachsenen ( Kap. 53). Folgende Besonderheiten ergeben sich:
1. Durch die geringeren Distanzen erreicht eine größere Anzahl
Konservative (nichtoperative) Therapie an Axonen die sensiblen und/oder motorischen Zielorgane,
Die konservative Therapie ist primär bei Funktionsausfall ohne sodass hier eine deutlich bessere funktionelle Prognose besteht
Kontinuitätsunterbrechung (z. B. Läsion des N. axillaris nach als beim Erwachsenen.
Schulterluxation, Läsion des N. radialis nach Oberarmschaftfrak- 2. Obwohl prinzipiell nur die gleiche Anzahl an Axonen über die
tur) indiziert. Liegt nur eine funktionelle (Sunderland I) oder Koaptation bzw. das Nerventransplantat wächst, ist das Gehirn
166 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

des Kindes in der Lage durch adaptive Vorgänge – aufgrund die Klassifikation nach Millesi. Diese Klassifikation basiert auf der
der sog. »Plastizität des Gehirns« – mit der geringeren Infor- Beschreibung der anatomischen Veränderungen um und innerhalb
mation besser auszukommen als das Gehirn beim Erwach- eines peripheren Nervs sowie auf den Ergebnissen der direkten
senen ( Kap. 64). Über den Wert der wiederholten Botoxin- intraoperativen Nervenstimulation. Die operativen Schritte sind
jektionen bei der zentralen Bahnung von Bewegungsabläufen genau definiert und werden der individuellen Situation genau an-
liegen einige sehr vielversprechende Studien vor. gepasst (⊡ Tab. 8.4).
3. Bei der postoperativen Nachbehandlung können einige Tech- Als externe Neurolyse bezeichnet man die Präparation des
niken (Biofeedback etc.) vor allem bei Kindern unter 6 Jahren peripheren Nervs aus seinem umliegenden Gewebe, wobei die Prä-
nicht eingesetzt werden, da hierfür die Kooperation fehlt. Vor parationsschicht auf dem Paraneurium verläuft. Zeigt sich keine
allem bei Kindern unter 6 Jahren ist die Kreativität der Physio- Veränderung des Epineuriums sind keine weiteren operativen
therapeuten gefordert, um das Kind in Sinne einer »Spielthe- Schritte notwendig. Liegen jedoch Veränderungen des Nervenum-
rapie« zu den Bewegungen und Greifaktionen zu motivieren, fangs (z. B. sanduhrförmige Einziehung) vor, so sind weitere ope-
die spezifisch trainiert werden sollen ( Kap. 15) rative Maßnahmen indiziert. Alle operativen Schritte, die das Epi-
4. Bei der Planung von sekundären funktionsverbessernden neurium oder tiefer gelegene Strukturen betreffen, werden unter
Ersatzoperationen ist der Einfluss auf das noch zu erfolgende dem Begriff interne Neurolyse zusammengefasst. Zur Auflösung
Wachstum immer mit zu berücksichtigen. Ein zu großes der klassischen »sanduhrförmigen Einziehung« im Bereich einer
Kräfteungleichgewicht führt zu sekundären Fehlstellungen im Kompressionsstelle erfolgt zunächst eine longitudinale Inzision
Extremitätenbereich. Hier ist die dosierte Balancierung der von Paraneurium und Epineurium (epifasziale Epineurotomie).
Kräfte von entscheidender Bedeutung. Können sich alle Faszikel(gruppen) frei ausbreiten, liegt eine Fi-
8 5. Definitive Eingriffe an Knochen- und Gelenken im Sinne von brose Grad A nach Millesi vor. Eine weitere mikrochirurgische
Korrekturosteotomien und/oder Arthrodesen sollten so weit Intervention ist nicht mehr notwendig (⊡ Abb. 8.13).
wie möglich am wachsenden Skelett vermieden werden und, Kommt es zu keiner kompletten Expansion der Faszikel(gruppen)
wenn notwendig, dann so spät wie möglich durchgeführt muss eine Fibrose zwischen den Faszikel(gruppen) angenommen
werden. werden. Als nächster intraoperativer Schritt erfolgt die Epineurek-
tomie, wobei diese nicht komplett zirkumferenziell durchgeführt

8.2 Spezielle Techniken

Die rekonstruktiven Eingriffe am peripheren Nerv können unter-


teilt werden in Eingriffe bei erhaltener Kontinuität – entsprechend
der Sunderland-Läsionen (I, II), III und IV – und Eingriffe bei
Kontinuitätsunterbrechung – entsprechend Sunderland V.

8.2.1 Eingriffe bei erhaltener Kontinuität

Neurolyse
Die Neurolyse ist indiziert bei Läsion ohne Kontinuitätsunterbre-
chung (z. B. Kompressionssyndrom) und bei Läsionen mit Konti-
nuitätsunterbrechung im Rahmen der Stumpfvorbereitung.
Im Falle einer Läsion ohne Kontinuitätsunterbechung ist es
a
wichtig darauf hinzuweisen, dass das tatsächliche Ausmaß der
Schädigung erst während der mikrochirurgischen Exploration
durch differenzierte intraoperative Diagnostik bestimmt werden
kann. Deshalb muss jeder Patient, bei dem eine Neurolyse geplant
ist auch über die Notwendigkeit einer möglichen Nerventransplan-
tation – bei Vorliegen einer höhergradigen Nervenläsion – aufge-
klärt sein (wichtiger medikolegaler Aspekt).
Jede noch so kunstgerecht durchgeführte mikrochirurgische
Neurolyse führt zu einer Beeinträchtigung der externen und inter-
nen Blutversorgung des peripheren Nervs. Der Benefit der Neu-
rolyse, die Dekompression des Nervs für eine Verbesserung der
Vaskularisation (auf lange Sicht) und der Funktion, muss deshalb
der Schädigung des Gewebes durch Operation mit weiterer akuter
Reduktion der Durchblutung überwiegen. Um eine minimale ia-
trogene Schädigung zu bewirken muss jede Neurolyse mit feinen
mikrochirurgischen Instrumenten durchgeführt werden. Für alle b
Operationen an peripheren Nerven ist zumindest eine Lupenbrille
(4- bis 6-fache Vergrößerung), besser das Operationsmikroskop, ⊡ Abb. 8.13 Mikrochirurgische epifasziale Epineurotomie bei einem schwe-
notwendig. ren Karpaltunnelsyndrom. a Klinischer Aspekt vor Neurolyse (sanduhrförmige
Für die Klassifikation der intraoperativen Befunde bei mikro- Einengung im Bereich der Kompression), b klinischer Aspekt nach Neurolyse
chirurgischer Neurolyse eines peripheren Nervs, verwenden wir (frei expandierende Faszikelgruppen)
8.2 · Spezielle Techniken
167 8
werden soll, um eine unnötige Beeinträchtigung der Vaskulari- einem Fibrosegrad B II nach Millesi. In einigen Fällen kann das
sation des Nervs zu vermeiden. Kann eine freie Expansion der Faszikelmuster erhalten sein, jedoch die Faszikel sind fibrotisch
Faszikel(gruppen) erreicht werden, sind weitere mikrochirurgi- verändert, gewellt und/oder induriert. Falls bei intraoperativer
sche Operationsschnitte nicht mehr notwendig. Bei weiter beste- Nervenreizung keine adäquate Reaktion ausgelöst werden kann,
hender Kompression der Faszikel(gruppen) kann eine mikrochi- sollten diese veränderten Abschnitte »bis ins Gesunde« reseziert
rurgische Resektion des Bindegewebes zwischen den Faszikeln und sofort eine interfaszikuläre Nerventransplantation durchge-
notwendig werden. Dieser Schritt wird als interfaszikuläre Epi- führt werden. In anderen Fällen können Abschnitte vorliegen,
neurektomie bezeichnet. Es muss ausdrücklich darauf hingewie- die ihre Faszikelstruktur verloren haben (Neuroma in continuita-
sen werden, dass die interfaszikuläre Epineurektomie zu einer tem). Hier liegt eine Schädigung im Stadium Sunderland III–IV
Beeinträchtigung der Blutversorgung führt und dass im Rahmen vor. Bei Läsionen Sunderland IV ist zu unterscheiden, ob eine
der normalen Wundheilung nach Neurolyse erneut Narbenge- adäquate Antwort auf intraoperative direkte Nervenstimulation
webe zwischen den Faszikel(gruppen) zu liegen kommt. Ziel erzielt werden kann oder nicht. Bei adäquater Reizantwort erfolgt
der interfaszikulären mikrochirurgischen Neurolyse ist nicht die keine weitere operative Maßnahme. Bei inadäquater oder fehlen-
Separation aller Faszikeln voneinander, sondern deren möglichst der Antwort wird die Indikation zur interfaszikulären Nerven-
freie Expansion. Die interfaszikuläre Neurolyse ist indiziert ab transplantation gestellt.

⊡ Tab. 8.4 Klassifikation der intraoperativen Befunde nach Neurolyse bei Läsionen ohne Kontinuitätsunterbrechung nach Millesi.
(Aus Berger u. Hierner 2002)

Einteilung bez. Kontinuität Einteilung bez. Reaktion Aussicht auf spontane Diagnose Therapie
(1–5 nach Sunderland) (A, B, C, N, S) Regeneration

1 Leitfähigkeit verloren, Kontinuität – Sehr gut Elektrische Leitfähigkeit Keine


der Axone erhalten der NF trotz Lähmung
peripher erhalten

1A Leitfähigkeit verloren, Kontinuität Fibrose des epifaszikulären Gut nach D Elektrische Leitfähigkeit Epineuriotomie
der Axone erhalten Epineuriums (A) der NF trotz Lähmung
peripher erhalten

1B Leitfähigkeit verloren, Kontinuität Fibrose des interfaszikulä- Gut nach D Elektrische Leitfähigkeit Partielle Epi-
der Axone erhalten ren Epineuriums (B) der NF trotz Lähmung neuriektomie
peripher erhalten

2 Axonolyse, Endoneurium intakt – Sehr gut Keine elektrische Keine


Leitfähigkeit, spontane
Regeneration

2A Axonolyse, Endoneurium intakt Fibrose des epifaszikulären Gut nach D Keine elektrische Epineuriotomie
Epineuriums (A) Leitfähigkeit, spontane
Regeneration

2B Axonolyse, Endoneurium intakt Fibrose des interfaszikulä- Gut nach D Keine elektrische Partielle Epi-
ren Epineuriums (B) Leitfähigkeit, spontane neuriektomie
Regeneration

3 Axonolyse, Endoneurium zerstört, – Vorhanden Operation Keine


Perineurium intakt

3A Axonolyse, Endoneurium zerstört, Fibrose des epifaszikulären Vorhanden nach D Operation Epineuriotomie
Perineurium intakt Epineuriums (A)

3B Axonolyse, Endoneurium zerstört, Fibrose des interfaszikulä- Vorhanden nach D Operation Partielle Epi-
Perineurium intakt ren Epineuriums (B) neuriektomie

3C Axonolyse, Endoneurium zerstört, Fibrose auch des Endoneu- Keine Operation Reaktion und
Perineurium intakt riums (C) NT

4N Kontinuität nur durch BG aufrecht- Narbe von Neurom durch- Schlecht Operation D durch NL
erhalten wachsen (N) oder
Resektion und
4S Kontinuität nur durch BG aufrecht- Nur Narbe zwischen den Keine Operation NT
erhalten Stümpfen (S)

5 Kontinuität verloren Je nach Schaden der Keine Operation Anfrischung


Stümpfe und NR oder NT

BG Bindegewebe; D Dekompression NF Nervenfaser, NT Nerventransplantation; NR Neuroraphie; NL Neurolyse


168 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

Adjuvante Eingriffe nach Neurolyse Die Ziele der adjuvanten Eingriffe können wie folgt angegeben
Adjuvante Eingriffe nach Neurolyse sind Nerventransposition werden:
(z. B. Ventralverlagerung des N. ulnaris bei schwerer Kompression 1. Reduktion der erneuten Bindegewebsbildung im Rahmen der
im Bereich des Sulcus N. ulnaris) oder Deckung des Neurolysebe- Wundheilung auf ein Minimum,
reiches mithilfe von Lappenplastiken (⊡ Abb. 8.14, ⊡ Abb. 8.15). Die 2. Verbesserung der Durchblutung des umliegenden Gewebes im
intraoperative Applikation von Substanzen, die die postoperative Bereich der Neurolyse,
Bindegewebsbildung hemmen sollen ist beschrieben, hat sich in 3. mechanische Abpolsterung im Bereich der Neurolyse zur Ver-
unseren Händen jedoch nicht bewährt. ringerung von Neurombeschwerden.

⊡ Abb. 8.14 Möglichkeiten der Deckung des Neurolyse-


bereiches mithilfe von Lappenplastiken im Handgelenkbe-
reich. a Hypothenar-Fettlappen, b ulnodorsaler Perforator-
lappen nach Becker/Gilbert, c Synoviallappen nach Wulle,
d M.-pronator-quadratus-Lappen nach Dellon, e M.-Flexor-
pollicis-brevis-Lappen. (Aus Berger u. Hierner 2009) e
8.2 · Spezielle Techniken
169 8

e
a

b f

d h i

⊡ Abb. 8.15 Ulnodorsale Faszenlappenplastik zur Abpolsterung des N. medianus nach interfaszikulärer Neurolyse im Handgelenkbereich, a Anatomie und
Lappenplanung (Schema), b intraoperativer Aspekt: Lappenplanung, c intraoperativer Aspekt: Z. n. mikrochirurgischer interner Neurolyse des N. medianus,
d intraoperativer Aspekt: Lappenhebung, e intraoperativer Aspekt: Lappentransposition, f postoperativer klinischer Aspekt : Ansicht von ulnar, g klinischer
Aspekt 6 Monate postoperativ: Ansicht von ulnar, h klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ: Ansicht von palmar, i klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ:
Thenarfunktion
170 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

8.2.2 Eingriffe bei Kontinuitätsunterbrechung

Nach Millesi können folgende Schritte der Wiederherstellung der


Kontinuität eines peripheren Nervs unterschieden werden:
1. Bereitung der Stümpfe,
2. Approximation der Stümpfe,
3. Koaptation und
4. Aufrechterhaltung der Koaptation.

Bereitung der Stümpfe


In Blutleere wird der durchtrennte Nerv, vom Gesunden kom-
mend, so weit wie nötig und so wenig wie möglich primär darge-
stellt. Nach vollständiger Freipräparation der Nervenstümpfe wird
die Blutleere geöffnet. Nun erfolgt eine sorgfältige Blutstillung
mit der bipolaren (Mikro-) Pinzette. Neben der Inspektion ergibt a
auch die Palpation wichtige Hinweise auf die Ausdehnung der
primären (proximaler Stumpf: Neurom, distaler Stumpf: Gliom)
und sekundären (Fibrose-) Schädigung. Die genaue Beurteilung
der Nervenstümpfe und die weiteren Schritte erfolgen unter dem
8 Operationsmikroskop. Als nächstes erfolgt eine Anfrischung des
proximalen und distalen Stumpfes mit dem Ziel geschädigte Ner-
venanteile möglichst komplett zu entfernen und eine möglichst
glatte Schnittfläche für die weiteren Rekonstruktionsschritte zu
erreichen. Hierfür können entweder ein scharfes Skalpell (Num-
mer 11) oder spezielle Instrumentarien (S&T) verwendet werden.
Durch Anfassen und somit Fixierung des Nervs mit der Mikropin-
zette wird unter Verwendung der glatten, gebogenen Mikroschere
an dem dem Operateur zugewandten Anteil der äußeren Nerven-
hülle das Epineurium nach proximal im proximalen Stumpf und
b
nach distal im Bereich des distalen Stumpfes auf einer Strecke von
etwa 2 mm zurückpräpariert. Dadurch wird das darunter liegende
Perineurium sichtbar. Es muss darauf geachtet werden, dass in der
dem Operateur gegenüberliegenden Zirkumferenz des Nervs das
Epineurium erhalten bleibt. Sofort nach Anfrischung des Nervs,
vor allem aber nach Rückpräparation des Epineuriums, wird es
zu einem Vorquellen des Myelins aus den einzelnen Faszikeln
kommen. Diese vorquellenden Myelinanteile werden mit der Mi-
krorillenschere auf der Höhe der umgebenden Hüllen gekürzt. Bei
oligofaszikulären und polyfaszikulären Nerven kann es darüber
hinaus notwendig werden, durch interfaszikuläre Präparation un-
c
terschiedlich stark geschädigte Faszikel oder Faszikelgruppen auf
unterschiedlicher Höhe zu resezieren. Das Epineurium wird im
⊡ Abb. 8.16 Mikrochirurgische direkte End-zu-End-Neurorhapie. a Bereitung
Gesunden längs gespalten, einzelne Faszikel oder Faszikelgrup- der Stümpfe mit ventraler limitierter Epineurektomie und interfaszikuläres
pen in ihren natürlichen Spalten isoliert und bis zum Stumpf hin Zurückpräparieren bei oligo- und polyfaszikuläten Nerven zur Darstellung
frei präpariert. Anschließend werden diese Faszikelgruppen so gesunder Faszikel(gruppen), b Approximation der Stümpfe und dorsale
weit gekürzt, bis sie im Einzelnen eine gesunde Struktur zeigen epiperineurale Nähte zur Rekonstruktion der dorsalen Leitstruktur, c epipe-
(⊡ Abb. 8.16a). rineurale ventrale Nähte zur Aufrechterhaltung der Koaptation der zentralen
und peripheren ventralen Faszikelgruppen
Approximation der Stümpfe
Nach Abschluss der Stumpfbereitung erfolgt die Approximation,
d. h. das Zusammenführen beider Stümpfe bis sie sich berühren. Koaptation
Die Approximation erfolgt mit zwei Mikropinzetten, welche das Nach erfolgter Approximation können zwei Situationen unterschie-
Epineurium fassen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es den werden:
zu vermeiden ist, die beiden Nervenstümpfe durch adaptierende 1. Die Approximation kann spannungsfrei erfolgen: Beide prä-
Mikroklemmen aneinanderzubringen, da es infolge Quetschung zu parierten Nervenstümpfe liegen spannungsfrei aneinander.
einer irreversiblen Schädigung der Nervenstruktur kommt. Hierbei Zur Aufrechterhaltung der Koaptation erfolgt eine direkte
ist wichtig, dass dies spannungsfrei und ohne Zug möglich ist. Neuroraphie.
Zur Erleichterung der Approximation kann eine Präparation der 2. Eine spannungsfreie Approximation ist nicht möglich: Zwi-
Nervenstümpfe durchgeführt werden. Vor allem im Bereich der schen beiden präparierten Nervenstümpfe besteht eine Lücke.
Digitalnerven kann bis zu 1 cm Länge »gewonnen« werden. Eine Zur Wiederherstellung der Nervenkontinuität ist eine Nerven-
Sonderform der Präparation stellt die Transposition (z. B. N. ulna- transplantation oder eine andere Technik der Kontinuitäts-
ris im Ellenbogenbereich) dar. überbrückung erforderlich.
8.2 · Spezielle Techniken
171 8
Der entscheidende Schritt der Koaptation ist die möglichst genaue dem Ausstechen aus dem distalen Epineurium erfolgt die Adaptation
Gegenüberstellung der korrespondierenden Faszikel(gruppen) im und Fixierung der beiden Stümpfe durch einen 3-fachen Knoten.
proximalen und distalen Stumpf. Bei akuten glatten Schnittverlet- Bei allen mikrochirurgisch geknüpften Knoten ist darauf zu achten,
zungen kann der Verlauf epineuraler Gefäße wichtige Hinweise auf dass sie nicht zu fest oder zu locker geknüpft sind. Zu fest geknüpfte
die richtige Rotation der beiden Nervenstümpfe geben. Idealer- Knoten führen zu einem Gewebeuntergang mit Fibrose und zu einer
weise ergibt der Anschnitt im distalen Stumpf ein Spiegelbild des ungenauen Koaptation durch Herausquetschen von Endoneurium.
Anschnitts im proximalen Stumpf. Bei Defektzuständen und se- Bei zu locker geknüpften Knoten bleibt ein Spalt zwischen beiden
kundären Rekonstruktionen erfolgt die möglichst genaue Wieder- Nervenstümpfen bestehen, in dem sich Bindegewebe ansammelt
herstellung der intraneuralen Topografie im Defektbereich durch und ebenfalls zu einem Regenerationshindernis wird. Nach Voll-
anatomische Kenntnisse der Faszikelanordnung oder genauer durch endung der ersten Naht wird nun im gegenüberliegenden, noch
immunhistochemische Untersuchungen. Eine wertvolle Hilfe stellt verbleibenden Epineuriumanteil eine zweite Naht in derselben Tech-
die intraoperative Erstellung von Querschnittsschemata des proxi- nik gesetzt. Nach Durchführung dieser beiden epineuralen Nähte
malen und distalen Stumpfes dar. Durch Vergleich der Anordnung ist der Nerv nun voll an der dem Operateur gegenüberliegenden
von Faszikel(gruppen) und Blutgefäßen können mit hoher Wahr- Seite adaptiert (⊡ Abb. 8.16b). Die weitere Adaptation der einzel-
scheinlichkeit korrespondierende Faszikel(gruppen) einander zu- nen Faszikel(gruppen) erfolgt sodann durch weitere (epi)perineurale
geordnet werden. Mithilfe der Azethylcholinesterasemethode ist es Nähte. Die Wahl der Nahttechnik, epineural vs. epiperineural vs.
möglich im Rahmen einer Schnellschnittuntersuchung motorische perineural ist abhängig von der Faszikelstruktur des Nervs. Mono-
Faszikel von sensible im Bereich des proximalen Nervenstumpfes faszikuläre Nerven können mit einer epineuralen Technik versorgt
zu unterscheiden. Eine Rekonstruktion des N. medianus im dista- werden. In den meisten Fällen einer Nervennaht bei oligo- und poly-
len Unterarmbereich kann somit genauer durchgeführt werden. faszikulären Nerven findet die epiperineurale Nahttechnik Verwen-
dung. Bei oligofaszikulären Nerven wird meist das äußere Epineu-
Aufrechterhaltung der Koaptation rium mit gefasst, bei polyfaszikulären Nerven wird meist das innere
Für die Aufrechterhaltung der Koaptation können mehrere Tech- Epineurium um die Faszikelgruppen mit gefasst. Die rein perineu-
niken verwendet werden. In der Klinik etabliert ist die mikrochi- rale Nahttechnik kommt vor allem bei kleinen (mono- und bifaszi-
rurgische Naht (monofiler Faden 10×0) und die Fibrinklebung, kulären) Nerven und bei gezielter Neurotisation eines distalen Ner-
experimentell sind kryochirurgische Verfahren, weitere Klebstoffe venstumpfes mit einem speziellen Faszikel (z. B. FCU-Faszikel bei
und der Laser in Erprobung (⊡ Abb. 8.16b,c). Oberlin-Transfer) zum Einsatz. Bei der epiperineuralen Nahttechnik
wird im Bereich des/der Fasziel(gruppe) am proximalen Stumpf die
Wiederherstellung der Nervenkontinuität Nadel ihrer Krümmung entsprechend durch das innere Epineurium
Wiederherstellung der Nervenkontinuität ohne unter das Perineurium eingestochen und sodann im Bereich des
Defektzustände distalen Stumpfes wieder unter dem Perineurium durch das innere
Nach Durchtrennung eines peripheren Nervs kommt es, bedingt Epineurium eingeführt und ausgestochen, ohne das Endoneurium
durch seinen Tonus, sofort zu einem Auseinanderweichen der zu verletzen. Auch hier erfolgt die Fixierung durch einen 3-fachen
Nervenstümpfe (natürliche Retraktion). Es handelt sich um einen Knoten. Sollten nach Vollendung der Naht noch Myelinanteile aus
»scheinbaren Defekt« bedingt durch die intrinsiche Gewebeelas- den Faszikel(gruppen) vorquellen, werden diese zusätzlich mit der
tizität. Bei glatter Durchtrennung des N. medianus entsteht ein Mikroschere zurückgekürzt. Für einen oligofaszikulären Nerv sind
Zwischenraum von 1,5–2 cm. Bestehen klinische Zweifel an der 2, maximal 4 Nähte notwendig. Für einen polyfaszikulären Nerv
Spannungsfreiheit nach Koaptation kann der sog. »8×0-Stich-Test« sollten maximal 4–8 Nähte verwendet werden, da die peripheren
für die großen Nervenstämmen (Nn. medianuns, ulnaris, radialis) Faszikelgruppen zentral gelegene »schienen« (⊡ Abb. 8.16c).
bzw. »10×0-Stich-Test« für die kleineren peripheren Nerven durch-
geführt werden. Kann ein epineural geführter Stich die Koaptation z Fibrinklebung
beider Nervenstümpfe aufrechterhalten besteht keine übermäßige Vor allem im proximalen (stammnahen) Bereich der periphe-
Spannung, eine direkte Neuroraphie ist möglich. Kommt es zu ren Nerven kann die Aufrechterhaltung der Koaptation auch mit
einem Einreißen des Epineuriums, so liegt eine zu hohe Spannung kommerziell erwerbbarem Fibrinkleber (Tissucol/R) anstatt oder
im Nahtbereich vor und es muss eine Nerventransplantation bzw. in Kombination mit der mikrochirurgischen Naht (⊡ Abb. 8.17)
Defektüberbrückung durchgeführt werden. durchgeführt werden. Hierzu wird unter die Koaptation ein Plas-
tikhintergrund gelegt. Nach exakter Koaptation der Nervenstümpfe
Direkte Neuroraphie erfolgt die Gabe von Fibrinkleber auf die Koaptation. Nun wird
End-zu-End das Plastik um die Naht gerollt und mit 2 Mikropinzetten an die
z Mikrochirurgische Naht beiden Nervenstümpfe gedrückt bis der Fibrinkleber abgebunden
Für die Nervennaht verwendet man einen monofilen Faden der hat (⊡ Abb. 8.17h). Anschließend wird das Plastik entfernt und die
Stärke 10×0. Prinzipiell sollten so wenig Einzelknopfnähte wie nötig Koaptationsstelle erneut inspiziert (⊡ Abb. 8.17i).
gemacht werden, um die Koaptation aufrecht zu erhalten (Cave:
Nahtgranulome). Im Gegensatz zur Gefäßnaht ist eine »wasser- End-zu-Seit
dichte« Naht am Nerv falsch. Die End-zu-End-Neuroraphie beginnt Obwohl die End-zu-Seit-Neuroraphie schon im 19. Jahrhundert
mit der Naht im verbleibenden, dem Operateur gegenüberliegenden, beschrieben wurde, wurde sie aufgrund ihrer inkonstanten Er-
erhaltenen Epineurium. Dabei wird zuerst im proximalen Anteil des gebnisse schnell wieder verlassen. Erst durch die Arbeiten von
Epineuriums parallel zur Längsrichtung des Nervs die Nadel, ihrem Virterbo et al. (1992) erfuhr diese Nahttechnik eine Renaissance.
Krümmungsdurchmesser entsprechend, eingestochen, ausgestochen Der Vorteil dieser Nahttechnik ist der geringe oder klinisch völlig
sowie dann im distalen Stumpfbereich erneut ein- und ausgestochen. fehlende Spenderdefekt. Die End-zu-Seit-Koaptation stellt eine Er-
Dabei ist darauf zu achten, dass die vor der Durchtrennung zueinan- gänzung der etablierten Nervenrekonstruktionsverfahren dar. Sie
der gehörenden Epineuriumanteile wieder vereinigt werden. Nach ist sicherlich nicht Methode der ersten Wahl, kann aber bei Fällen
172 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

a b

8 c

⊡ Abb. 8.17 Interfaszikuläre Nerventrans-


plantation im Bereich des N. ulnaris.
a Intraoperativer Befund nach Präparation f
des N. ulnaris, b Bereitung des proximalen d
und distalen Stumpfes mithilfe des Nerven-
instrumentariums nach Meyer (S&T),
c intraoperativer Aspekt nach Resektion des
Neuroms in Kontinuität, d schematische
Darstellung der Hebung des N. suralis als
autologes Nerventransplantat, e Wiederher-
stellung der Kontinuität korrespondierender
Faszikel(gruppen) analog der intraneuralen
Topografie, f Einbringen der invertierten
Transplantate mit einer Länge von 10% mehr
als die Länge des Nervendefektes, g Beginn
der Nerventransplantation im dorsalen Be-
reich (das erste Nerventransplantat dient als
»dorsale Schiene« analog dem Epineurium
bei primärer Nervennaht). h Zur Reduzie- g
rung der Anzahl der Einzelknopfnähte kann
Fibrinkleber zur Aufrechterhaltung der Koap-
tation eingesetzt werden. Hierzu wird unter
die Koaptation ein Plastikhintergrund gelegt.
Nach exakter Koaptation der Nervenstümpfe
erfolgt die Gabe von Fibrinkleber auf die
Koaptation. Nun wird das Plastik um die
Naht gerollt und mit 2 Mikropinzetten an die
beiden Nervenstümpfe gedrückt bis der Fi-
brinkleber abgebunden hat. i Anschließend
wird das Plastik entfernt und die Koaptati-
onsstelle erneut inspiziert h i
8.2 · Spezielle Techniken
173 8
mit Versagen der gängigen Therapien hilfreich sein. Es herrscht Die Indikationen für eine End-zu-Seit-Koaptation, vor allem
derzeit kein Konsens über die Anwendung dieser Technik, aller- sensibler Nerven, sollen nachfolgend kurz erläutert werden.
dings wird die Indikation eher in der sensiblen als in der motori-
schen Versorgung gesehen. 1. Reserveverfahren bei Defekten. Bei Rezidiveingriffen mit
Bei der End-zu-Seit-Koaptation wird je nach Indikation (Ver- Defektstrecken und schlechtem Transplantatlager im Bereich ner-
such der Reinnervation oder Neuromprophylaxe) entweder der valer Endäste z. B. der Digitalnerven kann durch eine End-zu-
distale oder der proximale Stumpf eines verletzten Nervs an einen Seit-Koaptation in der Regel zumindest eine Schutzsensibilität
Spender- bzw. Empfängernerv koaptiert. Bezüglich der Koaptati- wiederhergestellt werden. Das bedeutet, dass mit wenig operativem
onstechnik gibt es Unterschiede insbesondere in Hinblick auf die Aufwand und ohne Hebemorbidität eine Funktionsverbesserung
Präparation des unverletzten Koaptationspartners. Von der Koap- erreicht werden kann.
tation an einen unpräparierten Nerv, über die alleinige epineurale
Fensterung bis hin zur epi- und perineuralen Fensterung sind alle 2. Selektive Nerventransfers. Die selektiven Nerventransfers
Variationen in der Literatur beschrieben. Belässt man das Epineu- werden in der Regel als End-zu-End-Koaptation durchgeführt,
rium unpräpariert, kommt es zwar zum lateralen Aussprossen, in Einzelfällen, vor allem bei sensiblen Nerven, wird aber auch
allerdings ist die Anzahl der Axone deutlich geringer als bei der hier die End-zu-Seit-Koaptation diskutiert, um die Morbidität des
epineuralen bzw. kombiniert epi-/perineuralen Fensterung. Bei Spendernervs zu minimieren. Allerdings fehlen ausreichende klini-
Letzterer besteht die Gefahr der Axonschädigung, wodurch einer- sche Daten für eine endgültige Beurteilung (s. unten)
seits eine verstärkte Axonregeneration eingeleitet wird, andererseits
auch Ausfälle im Bereich des Spendernervs auftreten können. 3. Neuromprophylaxe und -therapie. Die am häufigsten von
Aus oben genannten Gründen wird im klinischen Alltag die einer meist iatrogenen Neurombildung betroffenen Nerven an
epi- und perineurale Fensterung bevorzugt. Nach epi- bzw. peri- der oberen Extremität sind der R. superficialis N. radialis mit sei-
neuraler Fensterung wird der distale Stumpf – der nach den oben nen Endästen sowie der R. palmaris N. mediani. Insbesondere bei
genannten Verfahren vorbereitet wurde – an den Spendernerv Läsion des R. superficialis finden sich gehäuft therapierefraktäre
angesetzt (⊡ Abb. 8.18a). Die Aufrechterhaltung der Koaptation er- Verläufe sowohl hinsichtlich der klassischen operativen Therapien
folgt mit 2–3 epiperneuralen Nähten (⊡ Abb. 8.18b). (Versenken/Kürzen) als auch der konservativen Therapiemöglich-
keiten (Desensibilisierung, Schmerztherapie). Als ergänzende Op-
tion kann hier die End-zu-Seit-Koaptation vorgenommen werden
(s. unten). Der proximale Stumpf wird nach Entfernung des Neu-
roms an einen benachbart liegenden gesunden Spendernerv End-
zu-Seit koaptiert. Die aussprossenden Fasern werden entweder
physiologisch beschnitten oder wachsen als kollaterale Innervation
in das neue Zielgebiet ein.
Es soll noch einmal betont werden, dass die End-zu-Seit-
Koaptation ein enges Indikationsspektrum besitzt und für oben
genannte Situationen als Ultima Ratio zu sehen ist. Die ner-
vale Qualität einer erfolgreichen End-zu-Seit-Koaptation ist in
der Regel nicht vergleichbar mit einer herkömmlichen Ner-
vennaht, dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass die
seitlich aussprossenden Axone ein Mehr an Axonen darstellen,
das sich des gleichen Neuronenpools bedient; somit wird ein
größeres Innervationsgebiet mit der gleichen Anzahl Neuronen
a
abgebildet.

Wiederherstellung der Nervenkontinuität bei


Defektzuständen
Eingriffe bei vorhandenem proximalem und distalem Stumpf
z Nerventransplantation
Die Wiederherstellung der Kontinuität eines Nervendefektes er-
folgt heute üblicherweise mithilfe eines autologen Nerventrans-
plantats. Die Standard-Spenderstellung für autologe Nerventrans-
plantate sind der N. suralis und N. cutaneus antebrachii medialis.
Wird mehr Nerventransplantatmaterial benötigt kann auch der
N. saphenus, N. cutaneous antebrachii medialis und der R. super-
ficialis N. radialis verwendet werden. Der Nachteil der autologen
Transplantate besteht in ihrem Spenderdefekt und der limitierten
Menge.
b Aufgrund der immunologischen Abstoßungsreaktion mit der
Notwendigkeit einer systemischen Immunsuppression sind allo-
⊡ Abb. 8.18 End-zu-Seit-Koaptation. a Anlage eines epineuralen Fensters gene Nerventransplantate vom Erwachsenen nicht in breitem kli-
im Bereich des sensiblen Anteils des N. ulnaris und Koaptation des distalen nischem Gebrauch.
Stumpfes des N. medianus in End-zu-Seit-Technik, b Aufrechterhaltung der Bevor die Nerventransplantation erfolgen kann, müssen die
Koaptation mit 3 10×0-Nähten Nervenstümpfe entsprechend vorbereitet werden dies erfolgt so-
174 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

wohl im proximalen als auch im distalen Stumpfbereich ( Ab- Eine ausreichende Anzahl von Nerventransplantaten zur kom-
schn. 8.2.2). Die entnommenen Transplantate werden auf eine pletten Abdeckung des Nervenquerschnitts wird angehäuft. Im
Länge von 10% länger als der Defekt gekürzt und invertiert in Bereich beider Transplantatenden wird ein Plastikhintergrund un-
den Defektbereich eingebracht. Durch die Invertierung kann tergelegt. Im Bereich der Transplantatenden wird eine dreidimen-
ein Verlust von Axonen während der Regeneration verhindert sionale Anordnung der Nerventransplantate – für die Anschlüsse –
werden. Auf eine ausreichende Anzahl von Nerventransplantaten durchgeführt. Im Transplantatverlauf selbst wird eine hauptsächlich
ist zu achten. Ein sog. »Overgrafting«, d. h. ein Einbringen von zweidimensionale Anordnung, die eine Auffächerung der Nerven-
mehr Transplantaten als die Fläche des Nervenquerschnitt, sollte transplantate zulässt, gewählt. Durch die Auffächerung können die
wenn möglich, durchgeführt werden, da vor allem der N. suralis Nerventransplantate leichter aus der Umgebung re- bzw. neovas-
einen hohen Anteil an Bindegewebe zeigt. Für den Erfolg einer kularisiert werden. Im Bereich der Transplantatenden werden die
Nerventransplantation ist die Qualität des Transplantatlagers von Transplantate mittels Fibrinkleber miteinander verbunden. Nach
ausschlaggebender Bedeutung. Bei schlechtem Transplantatlager dreidimensionaler Anordung der Nerventransplantatenden erfolgt
ist dies durch eines »lagerverbessernden Eingriff« (z. B. Lappen- die Gabe von Fibrinkleber (⊡ Abb. 8.19a). Nun wird das Plastik
plastik) zu beheben oder es müssen längere Nerventransplan- um die Naht gerollt und mit 2 Mikropinzetten an das trunkuläre
tate und/oder ein extraanatomischer Verlauf (z. B. N. radialis Nerventransplantat gedrückt bis der Fibrinkleber abgebunden hat
im Oberarmbereich) gewählt werden. Bei »ersatzstarkem« Lager (⊡ Abb. 8.19b). Anschließend wird das Plastik entfernt. An der
spielt die Länge des Nerventransplantats nur eine untergeordnete Klebestelle liegt ein kegelförmiger Überschuss an abgebundenem
Rolle. Fibrinkleber vor. Das gleiche Vorgehen wird auch am Gegenüber-
Grundsätzlich können zwei unterschiedliche Techniken der liegenden durchgeführt. Vor der Koaptation wird an beiden Trans-
8 Nerventransplantation unterschieden werden; die trunkuläre plantatenden ein frischer Anschnitt mit Exposition von Nerven-
Transplantation und die interfaszikuläre Transplantation. gewebe im gesamten Querschnittsbereich erfolgen (⊡ Abb. 8.19c).
Das zusammengesetzte trunkuläre Nerventransplantat wird nun in
Interfaszikuläre Nerventransplantation. Die interfaszikuläre mikrochirurgischer Technik mittels weniger epineuraler Nähte mit
Nerventransplantation ist die Technik der Wahl, vor allem im 10×0 monofilem Faden in den Defekt eingebracht. Der Fibrinkle-
distalen (stammfernen) Abschnitt peripherer Nerven mit bereits ber an beiden Transplantatenden dient als »Neo-Epineurium« und
festgelegter intraneuraler Topografie (⊡ Abb. 8.17c). Die einge- stellt eine mechanisch belastbare Schicht für die Verankerung der
brachten Nerventransplantate werden zunächst für die Trans- Nähte dar. Abschließend ist darauf zu achten, dass im mittleren
plantation vorbereitet. Hier erfolgt das Rückschieben der äußeren Abschnitt des zusammengesetzten trunkulären Nerventransplan-
Bindegewebsanteile in der gesamten Zirkumferenz mit der gerill- tats die einzelnen Nerventransplantate möglichst breit aufgefächert
ten Mikroschere bei gleichzeitigem entsprechendem Gegenzug sind, um eine möglichst schnelle Revaskularisation zu erreichen
durch Anfassen des Nerventransplantats mit der Mikropinzette (⊡ Abb. 8.19d,e).
im perineuralen Bereich. Auch hier werden eventuell vorquel-
lende Myelinanteile mit der Mikroschere auf die Höhe des Epi- z Conduit
neuriums zurückgekürzt. Das gleiche Vorgehen erfolgt im dista- Nach anfänglichen Misserfolgen konnten kleine Nervendefekte
len Stumpfbereich des Nerventransplantats. Nervenstümpfe und zuverlässig mit Röhrchen überbrückt werden. Neben biologischen
Nerventransplantate sind nun für die Transplantation vorbereitet. Materialien wie Knochen, Gefäße (Arterie, Vene), Faszienschläu-
Mithilfe eines Nerventransplantats werden korrespondierende che, etc. wurden auch zahlreiche nicht biologische Substanzen
Faszikel(gruppen) miteinander verbunden. Durch Einstechen der erprobt.
Nadel unter das Epineurium und anschließendem Ausstechen In der klinischen Praxis konnten sich neben autologen Ve-
im Transplantatbereich, welches wieder unter dem Perineurium nen, Silikonröhrchen und biodegradable, teils auch semipermeable
bei gleichzeitiger Schonung des Myelins erfolgt, wird die erste Röhrchen etablieren. Eine weitere Möglichkeit stellt die Interposi-
Naht durch einen 3-fachen Knoten fixiert. Das gleiche Vorgehen tion eines Basalmembranconduits quergestreifter Muskulatur dar.
erfolgt auch im distalen Nahtbereich. Bei großen Faszikeln und Allerdings zeigte sich, dass eine den Ergebnissen nach autologer
vor allem bei der Fixierung des ersten dorsalen Faszikels, der als Nerventransplantation vergleichbare Regeneration nur bis zu einer
»dorsale Leitschiene« dient, können zwei Nähte für eine exakte Defektlänge von 2–3 cm zu erwarten war. Eine gute Indikation
Koaptation notwendig werden. Die weiteren Transplantate wer- für den Einsatz von autologen Conduits stellt die Rekonstruktion
den in gleicher Technik, wenn möglich mit jeweils einer Naht kleiner Substanzdefekte im Bereich rein sensibler Nerven, wie z. B.
pro Nahtstelle, fixiert. Eventuell noch vorquellende Myelinanteile N. digitalis proprius dar (⊡ Abb. 8.20).
werden durch entsprechend entgegengesetzten Zug mobilisiert Eine weitere Indikation ist die Conduitnaht nach Lundborg.
und durch glatte Durchtrennung auf Höhe des Perineurium Bei Substanzdefekten bis zu 0,5 cm erfolgt die Koaptation inner-
rückgekürzt. halb eines Conduits, welches als Wachstumskammer fungiert.
Bei Nervendefekten über 2–3 cm kommt es aufgrund der feh-
Trunkuläre Nerventransplantation. Die trunkuläre Nerven- lenden Schwann-Zellen und der von ihnen sezernierten Wachs-
transplantation kann bei proximalen (stammnahen) Nervendefek- tumsfaktoren zu einer deutlich schlechteren Nervenregeneration
ten eingesetzt werden, da hier eine eindeutige intraneurale Topo- als nach autologer Nerventransplantation. Durch Einbringen von
grafie noch nicht vorliegt. Die eingebrachten Nerventransplantate kleinen Nervenstücken mit lebenden Schwann-Zellen in ein langes
werden zunächst für die Transplantation vorbereitet. Im Gegensatz Röhrchen konnte tierexperimentell eine zufriedenstellende Rege-
zur interfaszikulären Transplantation müssen sie gering mehr als neration auch über längere Defektstrecken erzielt werden. Mithilfe
10% länger als der Defekt gewählt werden, da im Verlauf der moderner Methoden der Zellkultivierung ist es möglich Schwann-
Herstellung des trunkulären Nerventransplantats im proximalen Zellen-Kulturen anzufertigen, welche auf eine innere Matrix auf-
und distalen Transplantatbereich jeweils ein zusätzlicher Anschnitt gebracht und in ein bioresorbierbares Röhrchen eingebracht als
notwendig sind. lebendes künstlichen Nerventransplantat eingesetzt werden kön-
8.2 · Spezielle Techniken
175 8

a d

b e

⊡ Abb. 8.19 Überbrückung eines stammnahen Nervendefektes im


Bereich des N. radialis mithilfe eines zusammengesetzten trunkulären
Nerventransplantats. a Dreidimensionale Anordnung der Endigungen der
Nerventransplantate auf einem Plastikhintergrund und Applikation des
Fibrinklebers, b Einrollen des Plastikhintergrundes um die Koaptations-
stelle und Andrücken mit 2 Mikropinzetten an die beiden Nervenstümpfe
bis der Fibrinkleber abgebunden hat, c postoperativer Aspekt nach Ent-
fernung des Plastikhintergrundes und frischer Anschnitt im Bereich des
distalen Endes des zusammengesetzten trunkulären Nerventransplantats,
d intraoperativer Befund nach Bereitung der Stümpfe, e intraoperativer
Befund nach Fixierung des zusammengesetzten trunkulären Nerven-
transplantats im Defekt mittels weniger epineuraler mikrochirurgischer
Nähte. Durch die Auffächerung im Mittelteil des Nerventransplantats
wird die Kontaktfläche mit gut vaskularisiertem Gewebe im Transplantat-
lager vergrößert und somit die Revaskularisation der Nerventransplan-
c
tate verbessert

nen. Die erfolgreiche klinische Anwendung steht jedoch noch in Eingriffe bei fehlendem proximalen Stumpf
weiter Zukunft. z Direkte neuronervale (extraanatomische) Neurotisation
Eine extraanatomische Neurotisation ist indiziert bei:
z Nervendistraktion 1. fehlendem proximalen Nervenstumpf wie z. B. Wurzelausriss
Obwohl Einzelbeschreibungen gewollter und nicht gewollter (Ver- bei Läsion des Plexus brachialis,
einigung von Sehnenstümpfen mit den Stümpfen des N. medianus) 2. Situationen, in denen die Regenerationsstrecke kurz gehalten
Distraktionen im Bereich peripherer Nerven existieren, hat sich werden soll, auch wenn dafür an der späteren Muskelaktion
dieses Verfahren derzeit nicht in der klinischen Praxis etablieren ein anderer Neuronenpool und ein anderes Hirnareal für die
können. Periphere Nerven können ohne klinisch sichtbare Funk- Bewegung beteiligt sind und damit ein Umlernen der Bewe-
tionseinbuße bis zu 20% ihrer Länge gedehnt werden. Dies ist gungsmuster für den Patienten verbunden ist.
hauptsächlich der Grund, warum bei Extremitätenverlängerungen
klinisch sichtbare nervale Defekte nicht regelhaft auftreten. Aller- Prinzipiell wird beim selektiven Nerventransfer nicht der Original-
dings führt die Extremitätenverlängerung zu signifikanten subkli- nerv verwendet, sondern ein anderer Axonspender »angezapft«.
nisch verlaufenden elektrophysiologischen Veränderungen. Dies kann über zwei Techniken erfolgen, zum einen als komplette
176 Kapitel 8 · Prinzipien der Behandlung von Nervenverletzungen und -defekten

⊡ Abb. 8.20 Überbrückung eines segmentalen


Nervendefektes <2 cm des N. digitalis proprius
mithilfe eines Venenconduits. Fixierung der
beiden Stümpfe nach proximaler und distaler
Invagination mithilfe je einer mikrochirurgi-
schen Naht. (Aus Berger u. Hierner 2009)

Durchtrennung des Spendernervs und End-zu-End-Koaptation


primär ( Kap. 52) oder über ein Transplantat an den Empfänger-
nerv, zum anderen ist auch das Anzapfen des Spendernervs über
eine End-zu-Seit-Koaptation möglich. End-zu-Seit-Koaptationen
werden derzeit in der Literatur diskutiert und es besteht noch keine
Evidenz darüber, dass sie der End-zu-End-Koaptation mit Verwen-
dung des gesamten Nervenquerschnitts ebenbürtig sind.

Eingriffe bei fehlendem distalem Stumpf


z Direkte neuromuskuläre Neurotisation
Ist der Nerv aus dem motorischen Feld seines Effektormuskels
herausgerissen, fehlt ein distaler Stumpf zur Neurotisation. Durch
direkte neuromuskuläre Pfropfung an verschiedenen Stellen des
Muskels – möglichst ubiquitär über den Muskel verteilt – ist es
möglich eine funktionelle Muskelkontraktion zu erreichen. Ope-
rationstechnisch ist dabei zu beachten, dass eine möglichst große
Aufsplitterung im Sinn einer intraneuralen mikrochirurgischen
Neurolyse des proximalen Nervenstumpfes oder daran fixierter
Transplantate erfolgen muss. Die einzelnen Faszikel werden nach
Längsspaltung der Muskelfasern möglichst atraumatisch in den
Muskel eingebracht und mit einer mikrochirurgischen Naht fixiert
(⊡ Abb. 8.21).

8.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

Neben operationstechnischen Fehlern (⊡ Tab. 8.5) sind eine un-


günstige Wahl des Zeitpunktes der Nervenrekonstruktion sowie
eine mangelhafte postoperative Ruhigstellung die Hauptursachen
⊡ Abb. 8.21 Direkte neuromuskuläre Neurotisation für eine unbefriedigendes Ergebnis nach Nervenwiederherstellung.
Weiterführende Literatur
177 8

⊡ Tab. 8.5 Schritte der mikrochirurgischen Neuroraphie und mögliche Fehlerquellen. (Aus Berger und Hierner 2002)

Arbeitsschritte Fehler und Gefahren

1. Bereitung der Inadäquate Beurteilung der wirklichen Schädigung der Nervenstümpfe


Nervenstümpfe Inadäquate mikrochirurgische Präparation der Nervenstümpfe

2. Approximation der Ungenügende Mobilsierung der Nervenstümpfe bzw. übermäßige Mobilisierung mit iatrogener Devaskularisierung
Stümpfe Approximation in schlechtem Lager (mit bestehendem Muskel-, Sehnen- und/oder Knochenschaden)

3. Koaptation Koaptation unter Spannung


Inadäquate Beachtung der intraneuralen Topografie
Zu wenig Nerventransplantate pro Querschnitt bzw. inadäquate Nerventransplantate

4. Aufrechterhaltung Neuroraphie ohne Operationsmikroskop bzw. kein Einsatz mikrochirurgischer Instrumente


der Koaptation Zu dickes Nahtmaterial, zu feste Naht, zu viele Nähte (Fibrose)
Inadäquate Applikation von Fibrinkleber in den Koaptationsspalt

5. Wundschluss Einschichtiger Wundschluss


Einlage von Saugdrainagen in Koaptationsnähe
Externer Druck auf Koaptation

6. Postoperative Fehlende oder inadäquate Ruhigstellung für 10 Tage


Nachbehandlung Inadäquate postoperative Kontrolle der Regeneration
Inadäquate postoperative physiotherapeutische Begleittherapie

Die primäre Nervenrekonstruktion in traumatisch stark ver- Oberlin C, Beal D, Leechanvengvous S, Salon A (1994) Nerve transfer to the
schmutztem und geschädigtem Gebiet ist durch sekundäre In- bisceps muscle using a part of ulnar nerve for C5-C6 avulasion of the
fektionen und Hämatome hoch gefährdet und wird daher nicht brachial plexus: anatomical studiey and report of four cases. Hand Surg
empfohlen. Dies gilt umso mehr für den Einsatz von Nerventrans- 19A: 232
Seddon HJ (1943) Three types of nerve injuries. Brain 66: 237
plantaten.
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sprouting into an end-to-side nerve graft. Reconstr Mircosurgery 13:
99–106
9

Prinzipien der Behandlung von


Knochenverletzungen und -defekten
Hossein Towfigh, Lars Gerres, Robert Hierner

9.1 Allgemeines – 180


9.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 180
9.1.2 Epidemiologie – 183
9.1.3 Ätiologie – 183
9.1.4 Diagnostik – 183
9.1.5 Klassifikation – 183
9.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 186
9.1.7 Therapie – 187
9.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 190
9.2 Spezielle Techniken – 190
9.2.1 Technik der osteoplastischen Entnahme von spongiösem Knochen oder eines
kortikospongiösen Spans vom vorderen Beckenkamm – 190
9.2.2 Technik der Entnahme des dorsoradialen gestielten vaskularisierten Knochenspans
(A.-innominata-Lappenplastik nach Zaidemberg) – 191
9.2.3 Technik der Entnahme des gestielten vaskularisierten Knochenspans
vom Metakarpale II nach Brunelli – 192
9.2.4 Technik der Entnahme des gestielten vaskularisierten Knochenspans
vom 4./5. Extensor-Kompartment nach Moran – 193
9.2.5 Technik des Os-pisiforme-Transfers nach Beck – 193
9.2.6 Technik der Entnahme des palmaren gestielten vaskularisierten
Knochenspans nach Kuhlmann/Mathoulin – 193
9.2.7 Technik der Entnahme des freien mikrovaskulären Knochenspans
von der Skapula nach Teot – 193
9.2.8 Technik der Entnahme des freien mikrovaskulären Knochenspans
vom lateralen distalen Humerus – 194
9.2.9 Technik der Entnahme des freien mikrovaskulären Knochenspans
vom distalen Radius – 195
9.2.10 Technik der Entnahme des freien mikrovaskulären vorderen
Beckenkammspans nach Taylor – 195
9.2.11 Technik der Entnahme des freien vaskularisierten Knochentransplantats
vom medialen Kondylus nach Masquelet – 197
9.2.12 Technik der Entnahme des vaskularisierten Fibuladiaphysentransplantats
nach Ueba/Taylor – 197
9.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 200
Weiterführende Literatur – 200

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


180 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

9.1 Allgemeines phere muskuloperiostale Gefäßsystem. Beide Systeme sind durch


zahlreiche Anastomosen miteinander verbunden und tragen in
9.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie unterschiedlichem Maße zur Ernährung der Knochenkortikalis bei
und Physiologie (⊡ Abb. 9.1, ⊡ Abb. 9.2).
Nach dem »Konzept der dualen Blutversorgung« von Berggren
Vaskularisation des Knochens et al. (1982) entspricht das intraossäre Gefäßnetz einem System aus
» Where bone is a plant, with its roots in soft tissues, and when its starren Röhren, in dem sich die Flussrichtung des Blutstromes nach
vascular connections are damaged, it often requires, not the tech- dem herrschenden Druckgradienten richtet. Unter physiologischen
nique of a cabinet maker, but the patient care and understanding of Bedingungen werden schematisch die inneren zwei Drittel haupt-
a gardener. « (Girdlestone 1932) sächlich aus den Markraumgefäßen, das äußere Kortikalisdrittel
hauptsächlich aus dem muskuloperiostalen Gefäßsystem versorgt
Vor allem bei den langen Röhrenknochen können hinsichtlich (⊡ Abb. 9.2a). Unter unphysiologischen Bedingungen kann es zu
der internen Blutversorgung zwei Hauptsysteme unterschieden einer Stromumkehr kommen. Sinkt der Blutdruck im Markraum
werden: 1. das zentrale medulläre Gefäßsystem und 2. das peri- unter den Druck im Periost ab (z. B. intramedullärer Kraftträger),
baut sich ein zentripetaler Druckgradient auf, der einen zentri-
petalen Blutfluss bewirkt. Die Kortikalis wird hauptsächlich bis
vollständig aus dem periostalen Gefäßsystem versorgt (»muskulo-
periostale Blutversorgung«: ⊡ Abb. 9.2b) Die fehlende medulläre
Blutversorgung kann durch die periostale Blutversorgung kompen-
siert werden. Fällt der Blutdruck im muskuloperiostalen System
stark ab (z. B. im Rahmen einer Verbrennungsverletzung) kann
die gesamte Kortikalis hauptsächlich bis ausschließlich aus dem
9 medullären Gefäßsystem versorgt werden (»medulläre Blutver-
sorgung«; ⊡ Abb. 9.2c). Tierexperimentelle und klinische Studien
haben gezeigt, dass sowohl die medulläre als auch die periostale
a Blutversorgung alleine in der Lage ist, das vaskularisierte Knochen-
transplantat suffizient zu versorgen.
Mit Blick auf die operative Frakturbehandlung ist es wichtig
anzumerken, dass die verschiedenen Osteosyntheseverfahren un-
terschiedlichen Einfluss auf die Knochendurchblutung des osteo-
synthetisierten Knochens haben. Die Plattenosteosynthese führt
zur größten Devaskularisation bei allerdings größtmöglicher Stabi-
lität. Demgegenüber führt der Fixateur externe nur zu einer gerin-
gen zusätzlichen Beeinträchtigung der Vaskularität des gebroche-
nen Knochens, bietet aber nur die geringste Stabilität (⊡ Abb. 9.3).

Pathophysiologie der Knochenheilung


Weder Knochen noch Weichteile können im Hinblick auf die repa-
rativen Vorgänge bei der Wundheilung für sich alleine betrachtet
werden. Entscheidend für die Frakturheilung ist eine möglichst
gute Kooperation beider Gewebe als sog. »Funktionseinheit Weich-
teil/Knochen« (⊡ Abb. 9.4, ⊡ Tab. 9.1). Bei den Weichteilen muss
unterschieden werden zwischen einer (faszio-)kutanen Schicht
und eine Muskelschicht. Histologisch zu den Weichteilen zählend
nimmt das Periost eine Mittelstellung ein, da es die mechanische
und funktionelle Bindeschicht zwischen Weichteil und Knochen
b
darstellt. Die Vaskularität im Frakturlager wird bestimmt durch
⊡ Abb. 9.1 Das innere Gefäßplexussystem des langen Röhrenknochens und die Qualität und Quantität der Gefäßverbindungen zwischen dem
dessen Zuflüsse nach Trias und Frey. a Knochenquerschnitt, b Knochenlängs- peripheren muskuloperiostalen und dem zentralen medullären
schnitt. (Aus Berger u. Hierner 2002) Gefäßsystem der »Funktionseinheit Weichteil/Knochen« im Frak-

⊡ Abb. 9.2 Konzept der dualen Blutver-


sorgung nach Berggren. a Physiologische
Blutversorgung (im Diaphysenbereich,
b muskuloperiostale (zentripedale) Blut-
versorgung bei Blockade des medullären,
zentralen Gefäßsystems, c medulläre (zen-
trifugale) Blutversorgung bei Blockade des
muskuloperiostalen peripheren Gefäßsys-
tems. (Aus Berger u. Hierner 2002) a b c
9.1 · Allgemeines
181 9
turbereich (⊡ Abb. 9.4a). Eine Schädigung der Funktionseinheit
Weichteil/Knochen führt zu einer Verminderung von Qualität und
Quantität der Gefäßverbindungen und somit zu einer Abnahme
der Vaskularität in dem betroffenen Abschnitt. Denudierung der
Frakturstümpfe und -fragmente durch Abscherung von Periost und
darüber liegender Weichteilgewebe, Knochenkontusion sowie eine
beeinträchtigte medulläre Blutversorgung des Knochens führen zu
mehr oder weniger avaskulären Knochenfragmenten. Avaskuläre
Knochenfragmente können keinen nennenswerten Beitrag zur Os-
teogenese leisten (⊡ Abb. 9.4b). Therapeutische Eingriffe zielen auf
die Verbesserung von Qualität und Quantität der Gefäßverbindun- a
gen und somit auf eine Zunahme der Vaskularität im betroffenen
Areal. Nur durch eine Revaskularisation präexistenter Gefäße oder
eine Neovaskularisation, d. h. eine Neueinsprossung von Gefäßen,
kann eine Revitalisierung der Knochenfragmente erreicht wer-
den. Bei einer zu großen Schädigung müssen Knochenfragmente
entfernt und defektüberbrückende Maßnahmen ergriffen werden
(⊡ Abb. 9.4c).
Bei kombinierten Knochen-Weichteil-Schäden kommen der
Weichteil- und Knochenkomponente jeweils spezifische Aufgaben
zu. Aufgaben des umliegenden Haut- und/oder Muskelgewebes
oder einer eventuellen Weichteilplastik im Falle einer Fraktur sind
1. die Frakturdeckung als mechanischer und biologischer Schutz
(Wundschluss bedeutet Infektprophylaxe, da die Möglichkei-
ten des Keimeintrittes reduziert werden) und
2. die Re- und/oder Neovaskularisation des Frakturbereiches zur
Infektprophylaxe- oder therapie und zur Vorbereitung weiterer
operativer Eingriffe im Sinne der Lagerverbesserung.

b c

⊡ Abb. 9.3 Einfluss der Osteosynthesemethode auf Durchblutung und


Stabilität im Frakturbereich. a Plattenosteosynthese: Durch den operativen
Zugang und die Kompression unterhalb der Platte kommt es zur größten Be-
einträchtigung der Vaskularisation bei allerdings bester Stabilität. b Fixateur
externe: Aufgrund des geringen zusätzlichen operativen Traumas und der
nur geringen Kontaktfläche kommt es zur geringsten Beeinträchtigung der ⊡ Abb. 9.4 Konzept der »Funktionseinheit Weichteil/Knochen. a Physiologi-
Vaskularisation, bei allerdings auch geringerer Stabilität scher Zustand, b Schädigung, c Rekonstruktion. (Aus Berger u. Hierner 2002)
182 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

⊡ Tab. 9.1 Klassifikation und klinische Bedeutung des Funktionszustandes der »Funktionseinheit Weichteil/Knochen« nach Hierner. (Aus Hierner u.
Berger 2002)

Funktionszustand im Frakturbereich Weichteil (»Frakturlager«) Knochen (»Frakturstümpfe«) Heilungsprognose

Sehr gut Ersatzstark Gut vaskularisiert Komplikationslos

Gut Ersatzstark Gering vaskularisiert Komplikationsarm


Ersatzschwach Gut vaskularisiert

Schlecht Ersatzstark Avaskulär Komplikationsreich


Ersatzunfähig Gut vaskularisiert

Ungenügend Ersatzschwach Avaskulär Keine Konsolidierung


Ersatzunfähig Gering vaskularisiert

Über das Periost wird Haut- und Muskelgewebe mechanisch (Mus-


kel-Sehnen-Ansätze) und funktionell (Gefäßanastomosen) an den
Knochen gekoppelt. Im Falle einer Fraktur besteht die Aufgabe des
Knochens in der Frakturheilung mit den Komponenten Knochen-
resorption, Knochenapposition und Knochenumbau (»internal re-
modelling«).
Der Zustand der »Funktionseinheit Weichteil/Knochen« wird
9 bestimmt aus den Funktionszuständen seiner Komponenten. Die
Vaskularisationssituation oder der Funktionszustand der Weich-
teile im Defektbereich lässt sich im Hinblick auf die Qualität als
Transplantatlager klassifizieren in »ersatzstark«, »ersatzschwach«
und »ersatzunfähig«. Klinisch-morphologisch lässt sich der Funk-
tionszustand des Knochens beschreiben als »gut vaskularisiert«,
»gering vaskularisiert« und »avaskulär«. Besteht ein »ersatzstarkes
Lager« mit »gut vaskularisiertem« Knochen, liegt ein sehr guter
Funktionszustand der Funktionseinheit Weichteil/Knochen vor.
Für die Fraktur gesprochen liegen im Frakturbereich ein optima-
les Frakturlager und optimal durchblutete Frakturstümpfe vor.
Eine ungestörte Frakturheilung kann erwartet werden. Ein guter
Funktionszustand der Funktionseinheit Weichteil/Knochen liegt
vor, wenn entweder ein »ersatzstarkes Lager« und ein »gering
vaskularisierter Knochen« oder ein »ersatzschwaches Lager« und
ein »gut vaskularisierter« Knochen vorliegen. Entweder werden
die gering vaskularisierten Frakturstümpfe aus dem umliegenden
Weichteillager so gut revaskularisiert oder beide Frakturstümpfe
sind so gut vaskularisiert, dass sie auf eine zusätzliche Revaskula- a
risierung aus dem Weichteillager hinsichtlich der Frakturheilung
nicht angewiesen sind. Bei beiden Situationen kommt es in den
meisten Fällen zu einer ungestörten Frakturheilung. Ein schlechter
Funktionszustand der Funktionseinheit Weichteil/Knochen liegt
vor, wenn ein »ersatzstarkes Lager« und ein »avaskulärer Knochen«
oder ein »ersatzunfähiges Lager« und ein »gut vaskularisierter
Knochen« bestehen. Von einer komplikationsreichen Frakturhei-
lung muss ausgegangen werden. Bei allen anderen Konstellationen
ist der Funktionszustand der Funktionseinheit Weichteil/Knochen
als ungenügend zu bezeichnen, eine Frakturheilung kann nicht
erwartet werden (⊡ Tab. 9.1).
b
Frakturheilung
Voraussetzungen für eine ungestörte Bruchheilung sind: Kon- ⊡ Abb. 9.5 Primäre und sekundäre Frakturheilung. a Direkte Osteogenese
takt der Fragmente, Ruhigstellung der Fraktur und ausreichende (primäre Frakturheilung), b indirekte Osteogenese (sekundäre Frakturheilung).
Durchblutung der Fragmente. Sind diese Bedingungen erfüllt, heilt (Aus Heberer et al. 1986)
die Fraktur primär, d. h. ohne den Umweg über spezifisches Nar-
bengewebe – den Kallus – (direkte oder primäre Bruchheilung).
Die primäre Frakturheilung erfolgt durch direkte angiogene Kno- sind. Die Fragmente werden durch die vorwachsenden Osteone
chenbildung zwischen stabil fixierten, gut durchbluteten Frag- dübelartig verzahnt (Kontaktheilung; ⊡ Abb. 9.5a). Wird die Frak-
menten, die ohne erkennbaren Zwischenraum zusammengefügt tur der Spontanheilung überlassen oder sind eine oder mehrere
9.1 · Allgemeines
183 9
der zuvor genannten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bruch- Ein besonderes Augenmerk verdienen die Rotationsfehlstel-
heilung nicht oder nur unvollständig gegeben, bildet sich zwischen lungen der Finger, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar
den Fragmenten und um sie herum Kallusgewebe, das dann se- sind. Rotationsfehler erkennt man daran, dass der Fingernagel
kundär über das Stadium des Geflechtknochens durch den sog. nicht in einer Reihe mit den übrigen Nägeln liegt, sondern nach
Haver’schen Knochenumbau (»internal remodelling«) zu struk- der Seite hin verdreht abweicht. Achsabweichungen, wie auch
turiertem lamellärem Knochen umgebaut wird (indirekte oder die Rotationsfehlstellungen, werden dann deutlich, wenn man die
sekundäre Bruchheilung; ⊡ Abb. 9.5b). Fingerstellung bei Faustschluss überprüft. Hier über- oder unter-
kreuzen die verletzten Finger die Nachbarfinger und zeigen so die
Knochendefektheilung Fehlstellung an ( Kap. 23).
Für die Knochendefektheilung gelten grundsätzlich die gleichen Die subtile klinische Untersuchung der Finger zum Erkennen
Prinzipien wie für die Frakturheilung. Die Einheilung nicht vas- von Bandrupturen oder Sehnenverletzungen ist wegen der vorhan-
kularisierter Knochentransplantate erfolgt nach dem Prinzip des denen Schmerzen nicht immer leicht durchzuführen, aber für die
»schleichenden Ersatzes« nach Barth (1895). Vaskularisierte Kno- sich hieraus abzuleitende Behandlungsstrategie besonders wichtig.
chentransplantate heilen wie eine Etagenfraktur ein. Der Einfluss Wenn primär nach dem Unfall kein eindeutiger Befund zu erheben
der permanenten eigenen Durchblutung des vaskularisierten Kno- ist, muss nach Rückgang der Weichteilschwellung erneut eine kli-
chentransplantates auf dessen biologische Einheilung und mecha- nische Kontrolle erfolgen. Hierbei ist gelegentlich der Vergleich zur
nischen Charakteristika war Gegenstand zahlreicher tierexperi- gesunden unverletzten Gegenseite hilfreich. Beim Vorhandensein
menteller und klinischer Studien. Das vaskularisierte Knochen- von palmaren Begleitverletzungen mit Zerstörung der Gefäß-Ner-
transplantat unterscheidet sich von seinem nicht vaskularisierten ven-Bündel muss frühzeitig die Entscheidung getroffen werden,
Analogon durch: den Patienten in eine handchirurgische Spezialklinik zu überwei-
1. geringere Abhängigkeit von der Vaskularität im Empfängerla- sen, die über einen Schwerpunkt verfügt und in der mikrochirurgi-
ger hinsichtlich der Vitalität und somit geringerer Gewebeun- sche Operationsverfahren beherrscht werden ( Kap. 22).
tergang nach Transplantation, Die Röntgenaufnahmen werden möglichst im dorsopalmaren
2. erhöhte Resistenz gegen Infektionen und Bestrahlungstherapie, und exakt seitlichen Strahlengang für jeden Finger getrennt ange-
3. schnellere und stärker ausgeprägte knöcherne Einheilung im fertigt. Hier hat sich die Vergrößerungstechnik für Fingeraufnah-
Empfängerknochen, men bewährt, um z. B. auch knöcherne Kapselbandverletzungen
4. früher einsetzende und stärker ausgeprägte Umbauvorgänge nicht zu übersehen. Das Anfertigen einer dritten schrägen Ebene
und ist nur ausnahmsweise notwendig. Gelegentlich ist, zur exakten
5. Neovaskularisierungspotenz für minderdurchbluteten und/ Einschätzung des Ausmaßes einer geringen Verletzung oder ei-
oder avaskulären (spongiösen) Knochen im Empfängergebiet. ner Fraktur, eine hochauflösende computertomografische Unter-
suchung in koronarer oder sagittaler Rekonstruktion erforderlich.
Für die genauere Weichteildiagnostik kann auch eine Kernspinto-
9.1.2 Epidemiologie mografie wichtige Informationen liefern. Bei dieser Untersuchung
sollte auch eine Bandverletzung oder knöcherne Bandverletzung
Frakturen im Handbereich sind häufige Verletzungen. Etwa 60% mit beurteilt werden.
aller Frakturen im Bereich der Hand entfallen auf die Phalangen,
etwa 30% auf die Mittelhand und ca. 10% auf die Handwurzel,
wobei die Skaphoidfraktur eine besondere Rolle einnimmt. Auch 9.1.5 Klassifikation
heute gilt die Aussage von Bunnel unverändert, dass Fingerfrak-
turen derart häufig sind und die damit verbundenen Folgekosten Frakturen
die Unfallversicherungsträger genauso belasten wie Frakturen der Frakturen können aufgrund mehrerer Kriterien klassifiziert wer-
langen Röhrenknochen. Daher müssen jedem Handchirurgen die den. Besondere Bedeutung für die klinische Praxis hat:
Grundsätze der operativen und konservativen Behandlung von ▬ die Unterscheidung in geschlossene und offene Frakturen,
Fingerfrakturen bekannt sein. ▬ die Klassifikation hinsichtlich der Bruchform und
▬ die Klassifikation hinsichtlich der Bruchlokalisation (Dia-
physe/Metaphyse/Epiphyse) bzw. extraartikuläre/intraartiku-
9.1.3 Ätiologie läre Frakturen.

Knochendefekte können angeboren oder erworben sein. Bei den Geschlossene und offene Frakturen werden heute meist nach
erworbenen Knochenverletzungen und -defekten unterscheidet Tscherne/Oestern klassifiziert. Alternativ kann auch die Klassifika-
man hinsichtlich der Ätiologie nach Trauma, Infekt oder Tumor. tion der Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese angewendet werden.
Für die Klassifikation von offenen Frakturen hat sich auch die
Klassifikation nach Gustilo bewährt (⊡ Tab. 9.2).
9.1.4 Diagnostik Für die Klassifikation hinsichtlich der Bruchform (A–C) und
Bruchlokalisation (proximales Segment/Gelenk und Metaphyse,
Die Untersuchung beginnt mit der Inspektion der Hand, sodass diaphasäres Segment/Schaft, distales Segment/Gelenk und Meta-
der Untersucher einen Überblick über die Weichteilsituation, Sen- physe) hat sich die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft Osteo-
sibilität und Durchblutung bekommt. Grobe Fehlstellungen der synthese bewährt. Für einzelne Lokalisationen können alternativ
Fingerachsen oder Luxationen werden selten übersehen. Typische auch andere Klassifikationen verwendet werden (s. in den jeweili-
Bruchformen sind durch die enge Verbindung mit dem umgeben- gen Kapiteln). Für die Klassifikation von Frakturen im Epiphysen-
den Kapselbandapparat sowie den Streck- und Beugesehnenansät- bereich beim wachsenden Skelett haben sich die Klassifikation nach
zen zu erklären ( Kap. 23,  Kap. 24). Aitken (Typ I–III) sowie Salter und Harris bewährt (⊡ Abb. 9.6).
184 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

⊡ Tab. 9.2 Auflistung der international gebräuchlichsten Klassifikationen zur Beschreibung von geschlossenen und offenen Frakturen

Tscherne/Oestern Gustilo Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese (AO)

Geschlossene Frakturen Knochen-Weichteil-Defekt Geschlossene Hautverletzungen (IC)

0: Geringer Weichteilschaden, einfache Grad I: Bis 1 cm lange Wunde, saubere IC 1: Keine Hautverletzung
Bruchform Wundränder, Unfallmechanismus
im Sinne einer Durchspießung
eines der Fragmente

I: Oberflächliche Schürfung, einfache bis mit- Grad II: 1–3 cm lange Wunde, Unfallme- IC 2: Kontusion und Hauteröffnung
telschwere Bruchform chanismus Trauma von außen
nach innen, Wunde ohne ex-
tensiven Weichteilverlust, keine
Lappenbildung oder Weichteila-
vulsionen

II: Tiefe, kontaminierte Schürfung, lokalisierte Grad III: Alle Komplikationswunden IC 3: Umschriebenes Décollement
Haut- und Muskelkontusion, alle Bruch- >3 cm mit extensivem Weichteil-
formen schaden, häufige Gefäß-/Nerven-
beteiligung

III: Ausgedehnte Hautkontusion, Hautquet- Grad III A: Knochen von vitaler Muskulatur IC 4: Ausgedehntes geschlossenes
schung oder Zerstörung der Muskulatur, oder Periost umgeben Décollement
subkutanes Décollement, dekompensier-
9 tes Kompartmentsyndrom

Offene Frakturen Grad III B: Freiliegender Knochen, hochgra- IC 5: Nekrose aufgrund von tiefer
dige Kontamination Kontusion

I: Fehlende oder geringe Kontusion, unbe- Grad III C: Rekonstruktionspflichtiger Ge- Offene Hautverletzungen (IO)
deutende bakterielle Kontamination, einfa- fäßschaden
che bis mittelschwere Bruchformen

II: Umschriebene Haut- und Weichteilkontusi- IO 1: Hautdurchspießung von innen


on, mittelschwere Kontamination nach außen

III: Ausgedehnte Weichteildestruktion, häufig IO 2: Hautdurchspießung von außen


zusätzlich Gefäß- und Nervenverletzungen, <5 cm mit kontusionierten
starke Wundkontamination Rändern

IV: Totale und subtotale Amputationen IO 3: Hautläsionen >5 cm, umschrie-


benes Décollement mit Rand-
kontusionen

IO 4: Hautverlust, tiefe Kontusion,


Schürfung

IO 5: Ausgedehntes Décollement

Muskel- und Sehenverletzungen (MT)

MT 1: Keine Verletzung

MT 2: Umschriebene Muskelverlet-
zung

MT 3: Ausgedehnte Muskelbeteiligung

MT 4: Ausriss oder Verlust ganzer


Muskelgruppen, Sehnendurch-
trennungen

MT 5: Logen- oder Crash-Syndrom

Neurovaskuläre Verletzungen (NV)

NV 1: Keine Verletzung

NV 2: Isolierte Nervenläsion

NV 3: Umschriebene Gefäßverletzung

NV 4: Kombinierte neurovaskuläre
Verletzung

NV 5: Subtotale Amputation
9.1 · Allgemeines
185 9
AI A II A III
SI S II S III S IV SV

⊡ Abb. 9.6 Klassifikation der Frakturen im Bereich der Wachstumsfugen nach Salter (die korrespondierenden Einteilungen nach Aitken sind angegeben). Bei
Typ I und II besteht eine gute Wachstumsprognose, bei Typ III–V ist das Stratum germinativum mit betroffen, weshalb mit Wachstumsbeeinträchtigungen zu
rechnen ist. Typ I: reine Epiphysenlösung, Typ II: partielle Epiphysenlösung mit einem metaphysären Keil (entspricht Aitken I), Typ III: epiphysäre Fraktur, die
in eine partielle Epiphysenlösung ausläuft (entspricht Aitken II), Typ IV: epiphysäre Fraktur, die direkt oder über eine partielle Epiphysenlösung in eine meta-
physäre Fraktur ausläuft (entspricht Aitken III), Typ V: Crush-Verletzung der Epiphyse. (Aus Siewert u. Brauer 2010)

⊡ Abb. 9.7 Klassifikation der vaskularisierten Knochentransplantate im Hinblick auf ihre externe Gefäßversorgung nach Hierner. (Aus Berger u. Hierner 2002)

Knochentransplantate Transplantate gehoben werden. In Abhängigkeit von ihrer Vas-


Zur Rekonstruktion von Knochendefekten bietet sich eine große kularisation lassen sich nicht vaskularisierte und vaskularisierte
Auswahl an Knochenersatzstoffen an. Prinzipiell lässt sich zwi- Knochentransplantate unterscheiden. In Abhängigkeit von der Art
schen Eigenmaterial und Fremdmaterial unterscheiden. der externen Vaskularisation des Knochens, d. h. über äußere
Das Fremdmaterial kann eingeteilt werden in allogenes Kno- periostale Gefäße oder A.(a) nutricia(e) mit Verbindung zu den
chengewebe, heterogenes Knochengewebe und künstlichen (allo- inneren medullären Gefäßsystemen, können die vaskularisierten
plastischen) Knochenersatz. Fremdmaterial hat den Vorteil, dass Knochentransplantate weiter unterteilt werden (⊡ Abb. 9.7). Haut-
kein zusätzlicher Spenderdefekt gesetzt werden muss. Bei der kli- (Typ Ia) und muskelgestielte (Typ Ib) Transponate gehören zu den
nischen Anwendung von allogenem und heterologem Knochen- »random pattern flaps«, da ihre Blutversorgung über anatomisch
gewebe kann es zu verzögerter Bruchheilung, Pseudarthrosenbil- nicht einheitlich klassifizierbare und lokalisierbare Gefäße ver-
dung, Ermüdungsfrakturen, Infektion, Abstoßungsreaktion und läuft. Die Blutversorgung geschieht durch Stromumkehr aus dem
partieller bis vollständiger Resorption kommen. Darüber hinaus periostalen Gefäßsystem des Knochens in zentripetaler Richtung
belasten die Nebenwirkungen der notwendigen Immunsuppression auf den Markraum zu (⊡ Abb. 9.2c). Die »random pattern flaps«
den Patienten. Als Nachteile beim Einsatz von künstlichem (allo- nehmen aufgrund ihrer Vaskularisation eine Mittelstellung zwi-
plastischem) Knochenersatz sind Implantatlockerungen, Fremd- schen den konventionellen oder nicht vaskularisierten und den
körperreaktionen und Kanzerogenität beschrieben. vaskularisierten Knochentransplantaten ein. In Abhängigkeit von
Wo immer nur möglich, sollte man versuchen, zuerst mit der zufällig vorhandenen Blutversorgung ähnelt ihr biologisches
körpereigenem Gewebe zu rekonstruieren, da hierbei die Nach- und mechanisches Verhalten jenem der gefäßgestielten bzw. mi-
teile des Fremdmaterials nicht auftreten. Autologe Knochentrans- krochirurgisch revaskularisierten Transplantate oder den nicht
plantate können als kortikale, spongiöse und kortikospongiöse vaskularisierten Pflänzlingen. Wegen der primär geringen Blutver-
186 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

sorgung der ossären Komponente haben hautgestielte Knochen- Als klare Indikationen zur Osteosynthese gelten:
transplantate im Gegensatz zu muskelgestielten heute nur noch 1. alle Frakturen, die erfahrungsgemäß auf konservativem Wege
geringe Bedeutung. Pathophysiologisch gesehen stellt die Kallus- nicht knöchern ausheilen können, wie z. B. metakarpale V-
distraktion zur Extremitätenverlängerung nach Ilizarov oder zur Basis-Fraktur, oder Bennet-Fraktur;
Knochendefektdeckung durch Segmenttransport eine Sonderform 2. dislozierte Gelenkfrakturen, die sich nicht geschlossen repo-
der lokalen vaskularisierten Knochentransposition (Typ II) dar. Je nieren lassen; die exakte anatomische Gelenkrekonstruktion
nach Höhe der Osteotomie handelt es sich hier um ein gefäß- und/ ist als Prävention einer vorzeitigen posttraumatischen Arthro-
oder muskelgestieltes lokales vaskularisiertes Knochentransplantat. se anzustreben;
Im Gegensatz zu den zuvor genannten Transponaten besteht aber 3. Schaftfrakturen, die durch Osteosynthese rascher und sicherer
zusätzlich über den Kallusschlauch eine weitere vaskuläre Verbin- heilen;
dung. Gefäßgestielte Knochentransponate (Typ IIIa) haben eine 4. offene Frakturen;
makroskopisch definierte Blutzu- und -abfuhr, welche während 5. geschlossene Frakturen, die durch Gefäß- oder Nervenschädi-
Präparation und Schwenkung nicht beschädigt werden darf. Man gungen oder ein Kompartmentsyndrom kompliziert sind;
zählt beide deshalb zu den »axial pattern flaps«. Bei den frei vas- 6. Kettenfrakturen und gewisse Frakturen beim Polytraumati-
kularisierten Knochentransplantaten (Typ IIIb) wird die Blutver- sierten;
sorgung kurzzeitig unterbrochen und mithilfe mikrochirurgischer 7. bestimmte Frakturen im Kindesalter;
Techniken im Empfängerlager wiederhergestellt. 8. pathologische Frakturen.

Knochentransplantate
9.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Eine optimale Knochendefektdeckung kann nur erzielt werden,
wenn der »optimale Rekonstruktionszeitpunkt« (»Konzept der
Stabile knöcherne Verhältnisse sind unabdingbare Voraussetzung Einzeitigkeit« vs. »Konzept der Mehrzeitigkeit«) und das »optimale
9 für eine erfolgreiche Weichteildeckung. Liegt eine Fraktur vor, Rekonstruktionsverfahren« (Spongiosaplastik vs. vaskularisierter
muss sie stabilisiert werden, um die notwendige mechanische Knochentransfer vs. Kallusdistraktion, aber auch Amputation)
Stabilität zu erreichen und einen weiteren Weichteilschaden zu gewählt werden. Die Knochenrekonstruktion darf nicht vor der
vermeiden. Sanierung eines mitbestehenden Weichteildefektes erfolgen. Die
Die Methode der Frakturbehandlung wird dabei bestimmt heute am meisten eingesetzten Verfahren zur Rekonstruktion von
durch Ausmaß, Lokalisation sowie die beabsichtigte Therapie des Knochendefekten mit autologem Material sind die Spongiosaplas-
Weichteil- und Knochenschadens. Luxationen und stärkere Dis- tik, der vaskularisierte Knochentransfer in Form des vaskularisier-
lokationen sollten so schnell wie möglich (bereits am Unfallort) ten Beckenkamm- und Fibulatransfers und die Kallusdistraktion.
beseitigt werden und instabile Frakturen provisorisch geschient Es ist wichtig diese Verfahren nicht als konkurrierende, sondern
werden, um den Weichteilschaden und die Durchblutungsstörun- als sich ergänzende Techniken zu verstehen. Welches der drei
gen zu begrenzen. Falls keine Frühoperationen erforderlich sind genannten Verfahren zur Rekonstruktion eines Knochendefektes
oder aktuell wegen des Allgemeinzustandes des Patienten nicht herangezogen wird, ist abhängig von:
durchgeführt werden können, müssen alle konservativen Stabilisie- 1. Ursache des Knochendefektes (Trauma/Tumor/Osteomyelitis),
rungsmaßnahmen so durchgeführt werden, als handle es sich um 2. Defektgröße,
die definitive Versorgung. Bei fehlender oder geringer Weichteil- 3. Defektlokalisation (Metaphyse/Diaphyse) und
schädigung und einfachen Frakturformen ohne Kontinuitätsdefekt 4. Defekttyp (partiell, segmental).
kann die definitive Versorgung am Unfalltag durchgeführt werden.
Bei unklarer oder ausgedehnter Weichteilschädigung bei Frakturen Darüber hinaus beeinflusst die Erfahrung des behandelnden Chir-
und Kontinuitätsdefekten hat sich ein abgestuftes Verfahren der urgen die Verfahrenswahl entscheidend.
Osteosynthese bewährt. Am Unfalltag wird die Knochenverletzung
> Die Durchsicht der Literatur zeigt, dass an der oberen Extre-
mit einem Fixateur externe gestellt. Dieses Verfahren erlaubt eine
mität in den meisten Fällen der nicht vaskularisierte Kno-
angemessene Stabilität des Knochens und guten Zugang für die
chentransfer (Spongiosaplastik, kortikospongiöser Span) in
Diagnostik und Therapie eines mitbestehenden Weichteilschadens.
Verbindung mit einer technisch gut durchgeführten Osteo-
Zeitpunkt und Art der definitiven osteosynthetischen Versorgung
synthese zum Erfolg führt.
sind hauptsächlich abhängig von:
1. Ausmaß der Weichteilschädigung nach Demarkation, Indikationen für den vaskularisierten Knochentransfer bestehen bei:
2. Ausmaß des Knochenschadens, 1. Knochendefekten nach Trauma und Osteomyelitis >4 cm,
3. Infektsituation und 2. Knochendefekten nach Tumorresektion mit anschließender
4. der Defektlokalisation (Stamm versus Extremitäten versus Bestrahlung oder Chemotherapie,
Kopf, untere Extremität versus obere Extremität). 3. Knochendefekte <4 cm bei gleichzeitig bestehendem ersatz-
schwachem Lager,
Frakturen 4. gleichzeitig bestehender Gefäßdefekt und
Prinzipiell steht der Benefit der geringeren Immobilisation und 5. gleichzeitiger Radius und Ulnaknochendefekt.
damit der Verhinderung der Einsteifung der Hand gegen das
Operationsrisiko. Bei der Auswahl des für den individuellen Pati- Da innere Distraktionssysteme noch nicht routinemäßig eingesetzt
enten optimalen Therapieverfahrens – konservativ versus operativ werden können, führt eine Kallusdistraktion an der oberen Extre-
– müssen defektbedingte, therapiebedingte und patientenbedingte mität mit äußeren Systemen zu einer größeren Beeinträchtigung
Kriterien berücksichtigt werden ( Kap. 4). des Patienten im täglichen Leben. Darüber hinaus gestaltet sich
Gute Indikationen für eine konservative Therapie sind stabile eine krankengymnastische Übungsbehandlung zur Prophylaxe der
und wenig dislozierte Frakturen. Einsteifung angrenzender Gelenke – vor allem des Schulterge-
9.1 · Allgemeines
187 9
lenks – schwieriger. Die Kallusdistraktion sollte deshalb derzeit Sowohl der frei vaskularisierte als auch der gestielte Knochentrans-
im Bereich der langen Röhrenknochen der oberen Extremität nur fer zur Therapie einer Skaphoidpseudarthrose bleibt derzeit eine
dann angewendet werden, wenn Kontraindikationen für den mi- Ausnahmeindikation. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin,
krovaskulären Knochentransfer bestehen. Für diaphysäre Defekte dass diese aufwendige Technik nur in ausgewählten Fällen, bei sehr
wird das vaskularisierte Fibulatransplantat eingesetzt, da die langen schlechten Durchblutungsverhältnissen bzw. kleinen Polfragmen-
Röhrenknochen der oberen Extremität einen annähernd gleichen ten und länger bestehender Pseudarthrose anzuwenden sei. Der
Durchmesser zeigen. Mithilfe der modernen Osteosynthesever- vaskularisierte Knochentransfer soll die knöcherne Konsolidierung
fahren ist es möglich, ein vaskularisiertes Fibulatransplantat nach beschleunigen oder überhaupt erst ermöglichen. Diese Methode
den Richtlinien einer Etagenfraktur übungsstabil zu integrieren. kann weder eine bereits bestehende Arthrose des Handgelenks
Die weitere Therapie erfolgt nach den Richtlinien der Frakturbe- noch eine manifeste Dekompensation des Karpus rückbilden. Sie
handlung. Darüber hinaus lassen sich gleichzeitig bestehende Kno- sollte aber vor allem bei jungen Patienten vor Durchführung einer
chensubstanzdefekte von Radius und Ulna sowie ein segmentaler Teilarthrodese im Karpusbereich oder der kompletten Handgelen-
Gefäßdefekt während der gleichen Operation rekonstruieren. Das karthrodese bedacht werden.
vaskularisierte Beckenkammtransplantat sollte eingesetzt werden Der gestielte Transfer des Os pisiforme ist indiziert bei Luna-
bei metaphysären Knochendefekten unter 10 cm. Vor allem bei tummalazie im Stadium II und III nach Decoulx. Im Stadium II ist
Arthrodesen nach Defektbrüchen mit Gelenkbeteiligung zeigt der definitionsgemäß die Schale des Os pisiforme noch intakt. Durch
kortikospongiöse Beckenkamm eine schnellere und stärkere Kno- Ausfräßen des nekrotischen Knochens und Zurechtformen des Os
chenbildung als die kortikale Fibula. pisiforme kann ein vaskularisierter Knochenblock in die Lunatum-
Bei der Therapie von avaskulären Knochennekrosen mit vasku- schale eingebracht werden. Dies hat den Vorteil, dass die intrin-
larisierten Knochentransplantaten zeigt sich, dass bei Therapiebe- sischen Bänder (skapholunär und lunotriquetral) und somit die
ginn in frühen Stadien, d. h. die subchondrale Knochenlamelle ist Architektur der proximalen Karpalreihe intakt bleiben. Dissoziative
noch intakt, die Gelenkfunktion zumindest temporär funktionell karpale Instabilitäten sind selten. Bei vielen Patienten im Stadium III
erhalten werden kann. Vor allem bei kortisoninduzierten Nekrosen besteht zwar ein Höhenverlust des Os pisiforme, die lateralen Veran-
scheint der vaskularisierte Knochentransfer im Gegensatz zu an- kerungen zu Skaphoid und Triquetrum sind aber noch weitgehend
deren Therapiemethoden den raschen devastären Verlauf am wir- intakt. Hier kann wie im Fall des Stadiums II vorgegangen werden.
kungsvollsten verhindern oder jahrelang hinauszögern zu können. Bei Frakturierung der Lunatumschale und/oder ausgeprägten arth-
Bei Stadien mit bereits strukturellen Gelenkveränderungen kann rotischen Veränderungen der Gelenkflächen (Stadium III und IV)
das Fortschreiten der Gelenkzerstörung nicht mehr aufgehalten bleibt nur deren Resektion. Eine Transposition des gesamten Os pi-
werden. Eine Osteotomie, Gelenkversteifung oder die Implantation siforme führen wir wegen der beträchtlichen sekundären Luxations-
einer Prothese sind unausweichlich. Zur Beurteilung der Knorpel- rate und der Neigung zum sekundären karpalen Kollaps nur selten
verhältnisse hat sich die Arthroskopie im Handgelenkbereich be- durch. Die STT-Arthrodese oder neuerdings die Kallusdistraktion
währt ( Übersicht). Derzeit werden Neovaskularisierungsoperati- des Os capitatum haben sich in dieser Situation bewährt.
onen meist erst nach Versagen aller anderen Techniken eingesetzt. Als allgemeine Kontraindikationen für den vaskularisierten
Ein frühzeitigerer Einsatz könnte hier noch zu einer zusätzlichen (vor allem freien mikrovaskulären) Knochentransfer gelten
Ergebnisverbesserung hinsichtlich der Gelenkerhaltung führen. 1. ausgeprägte Gefäßveränderungen im Spender- und Empfän-
gergebiet,
2. systemische Gerinnungserkrankungen und
Aktuelle Indikationen für den (freien mikrovaskulären) 3. fehlende Operabilität des Patienten.
Knochentransfer im Bereich der oberen Extremität
▬ Aktuelle Indikationen Aufgrund klinischer Studien, die zeigen konnten, dass Patienten
1. Knochendefekte >4 cm nach Trauma und Osteomyelitis über 65 Jahre kein signifikant erhöhtes transplantatspezifisches
2. Knochendefekte nach Tumorresektion mit anschließen- Risiko haben, stellt diese Gruppe keine strikte Kontraindikation für
der Bestrahlung oder Chemotherapie den mikrovaskulären Knochentransfer mehr dar. Auch Patienten
3. Knochendefekte <4 cm bei gleichzeitig bestehendem mit Diabetes mellitus, bei denen hauptsächlich nur mikroangio-
ersatzschwachem Lager pathische Veränderungen vorliegen, können ohne erhöhte Lap-
4. gleichzeitig bestehender Gefäßdefekt penverlustrate mikrochirurgischen Eingriffen zugeführt werden
5. gleichzeitiger Radius- und Ulnaknochendefekt (s. oben  Übersicht).
6. Skaphoidpseudarthrose :
– länger bestehende Pseudarthrose
– schlechte Durchblutungsverhältnisse 9.1.7 Therapie
– letzte Therapiemöglichkeit vor Teilarthrodese
7. Revaskularisation des Os lunatum Stadium II und III > Sowohl für die konservative als auch für die operative The-
▬ Aktuelle Kontraindikationen rapie der Frakturen gelten folgende identische Grundregeln:
1. ausgeprägte Gefäßveränderungen im Spender- oder »Re-«position, »Re-«tention und »Re-«habilitation.
Empfängergebiet
2. systemische Gerinnungserkrankungen Die Umsetzung dieser Prinzipien erfolgt mit unterschiedlichen
3. fehlende oder eingeschränkte Operabilität des Patienten Mitteln. Während bei der operativen Osteosynthese die Reposition
4. Diabetes mellitus mit ausgeprägten makroangiopathi- in der Regel offen oder zumindest minimalinvasiv und nach Mög-
schen Veränderungen (nicht mehr mikroangiopathische lichkeit mittels indirekter Technik erzielt wird, stützt sich die kon-
Veränderungen) servative Behandlung auf gedeckte Techniken durch Einrichtung
5. Alter eines Knochenbruchbehandlungsprinzips von Zug und Gegenzug
mit oder ohne lokale Repositionsmanöver.
188 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

Die Retention wird bei den konservativen Maßnahmen si-


chergestellt durch funktionelle oder immobilisierende Verbände
in Intrinsic-plus-Stellung in einer modernen Schienenanlage oder 70°–80°

Orthese. Mit diesen Hilfsmitteln wird sich nach Möglichkeit eine


sofortige oder eine allmählich sich steigernde Übungstherapie
anschließen. Bei dem operativen Verfahren wird die Retention
nach offener oder geschlossener Reposition durch Schrauben-,
Platten- oder nach Möglichkeit durch intramedulläre Kirschner-
Drahtosteosynthese erreicht. Zur Anwendung kommt auch der
Mini-Fixateur-externe. Ziel ist die übungsstabile Osteosynthese.
Ist die Osteosynthese stabil, was immer angestrebt werden soll, so
wird sofort postoperativ mit der Übungstherapie begonnen, falls 30°–40°
keine Bandrekonstruktionen durchgeführt worden sind.
Daran anschließend erfolgt die begleitende Rehabilitation, die ⊡ Abb. 9.8 Intrinsic-plus-Stellung der Hand bei Ruhigstellung
ebenso kontrolliert und begleitet werden muss.
Bei der konservativen Frakturbehandlung bedarf es wegen der
möglichen Komplikationen, wie evtl. Achsen- und Rotationsfehl- piekonzept zu ändern und sich für ein operatives Verfahren zu
stellung in der Anfangsphase, einer intensiven und sorgfältigen entscheiden.
Überwachung. Grundsätzlich bedeutet die konservative Behandlung nicht
immer eine reine statische Gipsruhigstellung, sondern sie ist bei
Konservative Therapie stabilen Frakturen mit frühfunktionellen Bewegungsübungen
Frakturen der Phalangen stellen zahlenmäßig den größten Anteil kombinierbar. So können z. B. die Fingergelenke aus der Schiene
9 der Frakturen des menschlichen Skeletts dar. Da diese Verletzun- heraus unter krankengymnastischer Anleitung geführt mobilisiert
gen weder spektakulär noch lebensbedrohlich sind, erhalten sie werden. Eine weitere Alternative ist die Mitnehmerschlaufe oder
trotz ihrer Häufigkeit und ihrer z. T. schwerwiegenden funktio- Solidaritätsschiene. Hierbei wird der frakturierte Finger am Nach-
nellen Auswirkung auf die Handfunktion nicht immer die gebüh- barfinger mit einer Klettschlaufe befestigt. Diese temporäre Syn-
rende Aufmerksamkeit, die ihnen zukommen sollte. Die korrekte daktyliestellung wirkt wie eine dynamische Orthese. 3 Wochen
konservative Behandlung stellt eine ebenso große Kunst dar wie reichen aus, bis es im Frakturbereich zu einer Konsolidierung
die korrekt durchgeführte Osteosynthese. Sie ist jedoch häufig gekommen ist. Nach 3 weiteren Wochen ist bei Handarbeitern die
unbequem, aufwendig, langwieriger und bedarf einer sorgfältigen, volle Belastungsfähigkeit erreicht.
ständigen Nachkontrolle, um damit ein gutes Behandlungsergebnis Nach primärer Schienenruhigstellung am Unfalltag werden zu
zu erzielen. Der überwiegende Anteil von Frakturen an der Hand einem späteren Zeitpunkt bevorzugt thermoplastische Materialien
wird konservativ behandelt. Nur bei einem geringen Anteil der oder Kunststoffschienen verwendet, welche sich an die individuelle
Phalangenfrakturen besteht eine sichere Indikation zur Operation. Anatomie besser anpassen und einen erheblichen Tragekomfort
Für die konservative Therapie sind geschlossene, gering verscho- darstellen.
bene und stabile Frakturen ohne Gelenkbeteiligung geeignet. In Bei stabilen Frakturen sollte eine frühzeitige Mobilisation unter
Leitungsanästhesie wird die Fraktur durch Längszug reponiert, krankengymnastischer Anleitung erfolgen, um der Ödembildung
wobei die Fingerspitze des Chirurgen als Hypomochlion benutzt und Gelenkeinsteifungen entgegenzuwirken. In der Regel reichen
wird. Das distale Fragment wird bei einem dorsal offenen Winkel 3 Wochen aus, bis stabile Frakturen konsolidieren und danach die
durch einen palmaren Druck reponiert. Die Retention erfolgt bei Ruhigstellung aufgegeben werden kann. Die strikte Immobilisation
stabilen Frakturen auf einer palmaren Fingergipsschiene in Intrin- ist verantwortlich für den größten Teil der Einsteifungen. Die ak-
sic-plus-Stellung. Die End- und Mittelgelenke der Finger werden tive globale Funktion wird zu 80% wiedererlangt, wenn die Immo-
dabei in Streckstellung, die Grundgelenke gleichzeitig in einer bilisation weniger als 4 Wochen beträgt.
Beugestellung von 70–80° und das Handgelenk in Extension von
20–30° immobilisiert (⊡ Abb. 9.8). Diese Haltung erleichtert den Operative Therapie
venösen Abfluss und minimiert das Risiko der Gelenkeinsteifung. Frakturen
In dieser Stellung sind die Kollateralbänder der Grundgelenke Ziel der Osteosynthese ist die Wiederherstellung der exakten ana-
gestrafft, sodass eine Schrumpfung und dadurch bedingt eine Beu- tomischen Form durch präzise Reposition der Fragmente. Sie ist
gekontraktur minimiert wird. Bei der Ruhigstellung der Grundge- die biomechanische Voraussetzung für die Wiederherstellung der
lenke in Streckstellung kontrahieren sich die Kollateralbänder und Funktion. Bei der Übertragung der Grundregeln für die Anwen-
können so zu einer dauernden Bewegungseinschränkung führen. dung von Osteosyntheseverfahren auf das Handskelett sind fol-
In der Akutsituation darf kein zirkulärer Gips angelegt werden. Es gende Besonderheiten zu berücksichtigen.
empfiehlt sich eine palmare Gipsschiene oder ein bis auf die letzte Die Finger sind fast frei von einem das Skelett umschließenden
Faser gespaltener zirkulärer Gips. Mit Ausnahme der funktionellen Muskelmantel. Eine dehnungsfähige subkutane Hautschicht fehlt.
Behandlung nach Kleinert sind dorsale Gipsschienen kontraindi- Das Fingerskelett wird von einem handschuhförmig anliegenden
ziert, da die Intrinsic-plus-Position nur sehr schwer erreicht und Sehnensystem umhüllt, dessen Gleitfunktion bei jeder operativen
gehalten werden kann. Freilegung in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Kleinheit der
Durch klinische und radiologische Kontrollen sollte eine se- Fragmente und der Knochen stellt höchste Ansprüche an die Ope-
kundäre Dislokation der Fraktur nicht übersehen werden. Sollte rationstechnik und das Osteosynthesematerial. Die biomechanisch
es jedoch im weiteren Verlauf zu einer sekundären Dislokation orientierte Osteosynthese zielt somit nicht wie an den großen
kommen, besteht innerhalb der ersten 10 Tage die Möglichkeit, Röhrenknochen auf die Entlastung des Skeletts ab, sondern strebt
die Fraktur erneut zu reponieren und retinieren oder das Thera- eine möglichst physiologische Beanspruchung des Knochens an.
9.1 · Allgemeines
189 9
Anstelle der postoperativen Ruhigstellung tritt die unmittelbare setzt. Die so hergestellte Schraube, die nun auch auf dem Markt
Wiederaufnahme der Funktion. Die stabile Osteosynthese stellt zu erhalten ist, eignet sich für intraartikuläre Frakturen, wobei die
dem möglicherweise großen Operationstrauma den Vorteil der Schrauben, die aus Titan hergestellt worden sind, in situ belassen
frühzeitigen funktionellen Wiederherstellung der schmerzfreien werden können.
Funktion gegenüber und darf mit Nachteilen der konservativen Die Plattenformen sind vielfältig, z. T. vorgebogen und lassen
Therapie nicht behaftet werden. das individuelle Anmodellieren an den Knochen zu. Der Schrau-
Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Osteosynthese an der benkopf passt präzise in das Plattenloch und überragt das Plat-
Hand sind tenprofil nicht. Die Profilstärke variiert von 0,55–1,3 mm und ist
▬ die Beherrschung der funktionellen Anatomie, daher für eine Vielzahl von verschiedenen Einsatzmöglichkeiten
▬ die einwandfreie Kenntnis und Handhabung des Instrumenta- geeignet. Die Interferenz der grazilen Plattenform mit den liga-
riums sowie mentären Strukturen ist so minimiert.
▬ die atraumatische Behandlung der Weichteile. Derzeit werden winkelstabile Platten und Schrauben angebo-
ten, die auch im Bereich der Handosteosynthesen ihre Anwendung
Handchirurgische Grundprinzipien, wie das Operieren in Blutleere finden, sowohl für den Bereich der Mittelhandknochen als auch
und die Verwendung einer Lupenbrille, sollten dabei unbedingt für die Phalangen.
beachtet werden. Ebenso sind moderne streustrahlungsarme Rönt-
gengeräte unabdingbare Voraussetzung. Sie sollten die Funktion Kirschner-Draht-Osteosynthese
einer Bildvergrößerung besitzen. Bei korrekter Indikationsstellung Für die Bohrdrahtosteosynthese im Fingerbereich stehen Bohr-
und einwandfreier Technik ist die übungsstabile Osteosynthese den drähte der Stärke 0,6–1,25 mm zur Verfügung. Dabei gibt es Aus-
konservativen Behandlungsverfahren überlegen. Sie ist Vorausset- führungen mit einer Dreikantspitze oder Doppelspitzen. Wahl-
zung für den Therapieerfolg beim Vorliegen von Begleitverletzun- weise sind diese Drähte aus Stahl- oder Titanlegierungen erhält-
gen wie Schädigung des Hautweichteilmantels, der Sehnen, der lich. In Kombination mit einem Cerclagedraht der Stärke 0,4–0,6
Gefäße und Nerven. kann mit einfachen Mitteln eine übungsstabile Osteosynthese, die
Abhängig von der Komplexität des Verletzungsmusters ist ein sog.»Lister-Montage«, erreicht werden.
Osteosyntheseverfahren zu wählen, das eine zusätzliche Freilegung
und Devitalisierung des Knochens vermeidet. Hier kommt dann Intramedulläre Fixation
z. B. eine perkutane Bohrdrahtosteosynthese oder die Anlage eines Vor allem im Mittelhandbereich können Kirschner-Drähte, int-
Fixateur externe in Betracht. Wann immer möglich, muss sich der ramedullär platziert, einen gewissen Stabilisierungseffekt haben.
Osteosynthese eine frühfunktionelle Nachbehandlung anschließen, Diese Osteosyntheseform zielt in erster Linie darauf ab, das Repo-
um der Gefahr von Verwachsung, vor allem der Strecksehne, mit sitionsergebnis zu halten, sie ist selten übungsstabil.
nachfolgender Blockierung der Gleitfähigkeit entgegenzuwirken.
Fixateur externe
Implantate und modulare Kleinfragmentsysteme Eine wichtige Ergänzung bilden die speziellen Fixateur-externe-
Von der AO wurden 1959 erste Schrauben für kleine Röhren- Systeme, die auch zur Stabilisierung von Mehrfragment- und De-
knochen entwickelt. 1964 wurde das Kleinfragmentinstrumenta- fektfrakturen an den Fingern eingesetzt werden und bei Frakturen
rium eingeführt und in der Folgezeit wurden Ergänzungen an mit schwerem Weichteilschaden oder Infektionen die immobilisie-
Implantaten und Instrumenten vorgenommen. Heute stehen von renden Gipsschienen ersetzt haben. Die intraartikulären Frakturen
verschiedenen Herstellern spezielle Handsets zur Verfügung, die im Bereich des Mittelgelenks können mithilfe eines dynamischen
speziell für die peripheren Knochen entwickelt wurden. Die mo- Fixateur externe erfolgreich behandelt werden. Bei der Wieder-
dularen Systeme enthalten die Implantate und die dazugehörigen herstellung der Greiffunktion und der Knochendefektbehandlung
Instrumente. Sie sind meist farblich kodiert, passend übersichtlich sollte auch an die Möglichkeit der Extremitätenverlängerung nach
in einer sterilisierbaren Implantatkassette geordnet und erleichtern Ilizarow/Matev bzw. eines Segmenttransportes mit speziellen Dis-
so die Handhabung. traktoren gedacht werden ( Kap. 42).
Die Platten und Schrauben der Implantatsysteme sind aus
Reintitan hergestellt. Dieses Material ist außergewöhnlich gewe- Knochentransplantate
beverträglich und korrosionsbeständig. Es zeigt beim Verformen Klassische Spendergebiete für nicht vaskularisierte Knochentrans-
keine Instabilität. Bei Reintitan sind bis heute keine allergischen plantate für Defekte im Bereich der oberen Extremität sind der di-
Gewebereaktionen bekannt. Die bessere Verformbarkeit des Titans stale Radius mit altersabhängiger Knochenqualität und der vordere
im Vergleich zu herkömmlichen Implantaten und Kobalt-Chrom- Beckenkamm als das biologisch optimale Entnahmegebiet ( Ab-
Legierungen lässt es zu, die Platten besser der Knochenkontur schn. 9.2.1). Das distale Radiusende liegt oft nahe dem Operations-
anzupassen. gebiet und bedarf keines zusätzlichen Hautschnitts. Das mögliche
Die Schraubendimensionen bewegen sich zwischen 1,0 und Entnahmegebiet ist jedoch begrenzt, die Spongiosa weitmaschig
2,4 mm. Sie sind selbstschneidend und erleichtern so das Einbrin- und mit Fett durchsetzt, sodass die Stabilität und die osteogene
gen. Der Schraubenkopf besitzt ein niedriges Profil und reduziert Potenz – vor allem bei älteren Patienten – zu wünschen übrig
dadurch die Weichteilirritation. Die Gewindegestaltung bietet opti- lässt. Nach ausgedehnter Spongiosaentnahme besteht auch noch
malen Halt im Knochen. Die Schraubenlängen sind in Millimeter- lange nach der Operation ein erhöhtes Frakturrisiko. Der vordere
schritten abgestuft erhältlich. Vor allem bei langen Querfrakturen Beckenkammspan stellt das Hauptentnahmegebiet für eine Spon-
im Schaftbereich sollte die Möglichkeit einer Zugschraubenos- giosaplastik im Bereich der oberen Extremität dar. Seltenere Ent-
teosynthese im Sinne einer übungsstabilen Minimalosteosynthese nahmestellen sind das Capitulum humeri radiale, das Olecranon,
bedacht werden. Die nichtkanülierten Doppelgewindeschrauben der Tibiakopf und die distale Tibiametaphyse.
(Stärke 1,3) werden für intraartikuläre Frakturen im Bereich der Zahlreiche frei vaskularisierte und muskel- und/oder gefäßge-
Gelenke an der Mittelhand und den Phalangen erfolgreich einge- stielte Knochentransplantate wurden in der Literatur beschrieben.
190 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

Im Folgenden wird nur eine Auswahl der derzeit am häufigsten


⊡ Tab. 9.3 Häufigkeit entsprechend des Alters für die einzelnen Frak-
eingesetzten Spendergebiete für vaskularisierte Knochentransplan- turtypen nach Weinberg
tate im Bereich der oberen Extremität dargestellt. In Abhängigkeit
von der Größe des zu hebenden vaskularisierten Knochentrans- Frakturtyp Alter
plantates, kann man unterscheiden in »kleine vaskularisierte Kno-
Hand Peak 1: Kleinkind
chentransplantate« und »große vaskularisierte Knochentransplan-
(am häufigsten Quetschverlet- Peak 2: 13 Jahre
tate« ( Übersicht). zungen der Endphalanx und Mit deutlichem Anstieg nach
SH II der Grundphalanx) dem 8. Lebensjahr

Spendergebiete für vaskularisierte Knochentrans- Karpus Selten


plantate
Skaphoid 15 Jahre
▬ Kleine vaskularisierte Knochentransplantate
– Scapula (lateraler Rand und Scapulaspitze) Triquetrum 11–13 Jahre
– Distaler Humerus
Hamatum Kurz vor der Skelettreife
– Radiusdiaphyse
– Radiusmetaphyse ( Abschn. 9.2.2) Distaler Radius – Epiphysen- Mädchen: 11–12 Jahre
– Metakarpale II lösung Jungen: 13–14 Jahre
– Os pisiforme Distale Ulna – Epiphysen- 11 Jahre
– Distaler medialer Femur lösung
▬ Große vaskularisierte Knochentransplantate
– Vorderer Beckenkamm Distale Stauchungsfrakturen 3–6 Jahre
– Fibuladiaphyse (  Abschn. 9.2.3)
9 Unterarmschaft
5% proximal
Mädchen: 5–6 Jahre
Jungen:
20% Schaft Peak 1: 9 Jahre
Die sog. »kleinen vaskularisierten Kochentransplantate« umfassen: 75% distal Peak 2: 14 Jahre
die Skapula, den distalen Humerus, und die die Radiusdiaphyse.
Proximaler Radius/Ulna 4–14 Jahre
Da es sich um relativ kurze Knochentransplantate handelt, eignen
sie sich vor allem zur Rekonstruktion von knöchernen Defekten an Galeazzi-Fraktur 9–14 Jahre
Finger- und Mittelhandstrahlen im Rahmen komplexer Verletzun-
Monteggia-Fraktur 5–9 Jahre
gen. Oft werden die kleinen vaskularisierten Knochentransplantate
im Rahmen eines zusammengesetzten mikrovaskulären Transplan-
tates mit knöchernem Anteil (»composite flap«) gehoben, wobei
die Weichteilkomponente die Wahl des Spendergebietes bestimmt. Frakturen) werden überwiegend Kirschner-Drähte angewandt, um
Für die Rekonstruktion von kleinen Knochendefekten und vor al- keine Kompression auf der Epiphyse und dadurch einen vorzeiti-
lem für Neovaskularisierungsoperationen sind im Handgelenkbe- gen Verschluss zu verursachen. Auch an die Hitzeentwicklung und
reich zahlreiche muskel- und gefäßgestielte Knochentransplantate Gewebsschäden beim Bohren des Drahtes muss gedacht werden.
beschrieben worden. Neben dem distalen Radius ( Abschn. 9.2.2, Die Häufigkeit der einzelnen Frakturtypen entsprechend des
 Abschn. 9.2.3,  Abschn. 9.2.6) und dem Os metacapale II wurde Alters ist in ⊡ Tab. 9.3 zusammengestellt.
das Os pisiforme ( Abschn. 9.2.4,  Abschn. 9.2.5) als Spendergebiet
beschrieben. Als Spenderstelle für freie hauptsächlich spongiöse
vaskularisierte Knochentransplantate hat sich der distale mediale 9.2 Spezielle Techniken
Femur ( Abschn. 9.2.8) bewährt. Für die Rekonstruktion von grö-
ßeren Knochendefekten sind die »großen vaskularisierten Kno- 9.2.1 Technik der osteoplastischen Entnahme
chentransplantate« notwendig. Bewährt haben sich das vaskulari- von spongiösem Knochen oder eines
sierte vordere Beckenkammtransplantat ( Abschn. 9.2.7) und das kortikospongiösen Spans vom vorderen
vaskularisierte Fibulatransplantat ( Abschn. 9.2.9). Beckenkamm

Die Knochenentnahme erfolgt aus dem vorderen Beckenkamm


9.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter und für gewöhnlich der kontralateralen Seite und wird in Vollnar-
kose und Rückenlage durchgeführt, wobei zur besseren Exposition
Für die Therapie von Frakturen und Knochendefekten im Kindes- ein Kissen untergeschoben wird. Ist ein zweites Operationsteam
alter sind folgende Besonderheiten zu beachten: Durch das dickere verfügbar, so kann eine Entnahme gleichzeitig von der kontrala-
Periost bei Kindern treten sog. Wulstbrüche – Frakturen mit noch teralen Seite erfolgen. Zur Verkürzung der Operationsdauer kann
intaktem Periostschlauch – auf. Aufgrund der hohen osteogenen das Knochentransplantat parallel zum eigentlichen Eingriff von
Aktivität im Bereich der Kambiumschicht heilen diese Frakturen einem zweiten Operationsteam gehoben werden.
sehr schnell, nach 2–4 Wochen, unter konservativer Therapie aus: Der Hautschnitt ist etwa 5 cm lang, verläuft parallel zum
Die noch nicht verschlossene Epiphyse erfordert spezielle Osteo- Beckenkamm und ist auf dessen mittleres Drittel zu zentrieren
syntheseverfahren im Wachstumsalter. Bei der Epiphysenfraktur (⊡ Abb. 9.9). Wird der Schnitt zu weit ventral geführt, so kann der
muss eine sog. wasserdichte Versorgung der Epiphyse erfolgen. N. cutaneus femoris lateralis verletzt werden. Unter Schonung des
Hier sollen durchaus Schraubenosteosynthesen eingesetzt werden, N. iliohypogastricus wird das subkutane Fettgewebe scharf durch-
wobei allerdings die Schraube die Epiphysenfuge nicht tangieren trennt und der Beckenkamm nach subtiler Blutstillung dargestellt.
darf. Bei Epiphysiolyse mit oder ohne metaphyseren Keil (Aitken- Für die Entnahme von rein spongiösem Knochen wird das Periost
9.2 · Spezielle Techniken
191 9

a b

c d e f g

⊡ Abb. 9.9 Entnahme von autologem spongiösem Knochen vom vorderen Beckenkamm. a Lagerung, Abdeckung und Hautschnitt, b Exposition des ventralen
Beckenkamms, c Eingehen mit dem Sauger zur Gewinnung von spongiösem Knochen: Insbesondere in der Nähe der Crista iliaca ist der Raum zwischen lateraler
und medialer Kortikalis relativ weit, sodass man tief in die Crista vordringen kann. d Heben eines Kortikalisdeckels mit medial belassenem »Periostscharnier« zur
Entnahme von Spongiosachips, e Entnahme kortikospongiöser Späne von der Innenseite des Beckenkamms mit einem Hohlmeißel, f Entnahme eines schmalen
trikortikalen Spans, g Entnahme eines großen bikortikalen Spans unter Belassung eines gestielten Beckenkammdeckels zur Defektüberbrückung

an der äußeren Kortikaliskante inzidiert, unter Verwendung eines 9.2.2 Technik der Entnahme des dorsoradialen
Meißels ein etwa 3 cm langer Kortikalisdeckel gehoben und zu- gestielten vaskularisierten Knochenspans
sammen mit dem Periost nach medial geklappt (⊡ Abb. 9.9). (A.-innominata-Lappenplastik nach
Ist nur spongiöser Knochen notwendig, kann dieser nun mit Zaidemberg)
einem scharfen Löffel zwischen beiden Kortikalislamellen entnom-
men werden (⊡ Abb. 9.9). Die Operation erfolgt in Rückenlage, Plexusanästhesie und Ober-
Soll ein kleiner kortikospongiöser Span (z. B. zur Therapie ei- armblutleere. Über einen dorsoradialen Zugang wird die A. radi-
ner Skaphoidpseudarthrose) entnommen werden, wird mit einem alis dargestellt und der Abgang der A. innominata präpariert. Die
scharfen Meißel ein überdimensionierter Span aus dem Oberrand sensiblen Äste des R. superficialis des N. radialis müssen dabei
der Crista iliaca gehoben. Die laterale Kortikalis sollte, wenn mög- geschont werden. Auf demselben Weg kann nach Eröffnung der
lich, geschont werden. Ist ein großer kortikospongiöser Span not- Kapsel das Os scaphoideum aufgesucht und die Pseudarthrose aus-
wendig, wird dieser mit der oszillierenden Säge oder dem Meißel geräumt werden. Die Korrektur der Pseudarthrose kann über einen
gewonnen (⊡ Abb. 9.9). zusätzlichen palmaren Zugang noch effektiver erfolgen, außerdem
Durch Komprimierung der Spongiosa und Einlage eines Kol- wird dabei die Blutversorgung noch mehr geschont. Im Weiteren
lagenvlieses kann die Blutungsneigung wirkungsvoll reduziert wer- wird das 1. Strecksehnenfach eröffnet; die Sehnen des M. extensor
den. Der Kortikalisdeckel wird nun zurückgeklappt und nach pollicis brevis und des M. abductor pollicis longus werden nach
Einlage einer Redon-Drainage erfolgt der schichtweise Wundver- palmar, die des M. extensor carpi radialis longus und des M. exten-
schluss (⊡ Abb. 9.9). Postoperativ empfiehlt sich für mindestens sor digitorum nach ulnar retrahiert. Damit wird die A. innominata
einen Tag Bettruhe. Die Mobilisierung sollte erfolgen, sobald es die nun auf der dorsoradialen Seite des Radius sichtbar (⊡ Abb. 9.10b).
Schmerzen im Entnahmebereich erlauben. Entsprechend der Größe des Skaphoiddefektes wird ein korti-
192 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

A. innominata
R. superficialis
des
9 N. radialis
b c

⊡ Abb. 9.10 A. innominata-Lappenplastik nach Zaidemberg zur Therapie einer teilweise avaskulären Skap-
hoidpseudarthrose. a Anatomie und Lappenplanung, b Präparation der A. innominata unterhalb der radia-
a len Strecksehnenfächer, c Zustand nach Lappenhebung und Einpassung in den Pseudarthrosenbereich

kospongiöses Knochentransponat auf dem periostalen Blutgefäß des Einsatzes von nichtferromagnetischem Osteosynthesematerial
zentriert. Aus Stabilitätsgründen sollte ein Abstand von etwa 1 cm – mithilfe der (Kontrast-) Kernspintomografie erfolgen.
von der radiokarpalen Gelenkfläche eingehalten werden. Nach
Einritzen des Periosts mit dem Skalpell wird das Knochentranspo-
nat mit einem scharfen Meißel gehoben. Dabei darf es zu keiner 9.2.3 Technik der Entnahme des gestielten
Abscherung zwischen Periost und darunter liegendem Knochen vaskularisierten Knochenspans vom
kommen. Der Gefäßstiel verbleibt auf dem Periost und kann nun Metakarpale II nach Brunelli
bis zur A. radialis präpariert werden. Gegebenenfalls kann ein von
dem Blutgefäß versorgtes Hautareal zur Erleichterung der postope- Nach Untersuchungen von Hoflehner et al. (1991) bzw. Pierer et al.
rativen Vitalitätsdiagnostik mitgehoben werden. (1992), die nur das am stärksten ausgeprägte Gefäß als versorgendes
Der vaskularisierte Knochenspan kann an seinem Schwenk- ansehen, wird das Os metacarpale II in 84,6% der Fälle von der ra-
punkt in der Tabatière zum Os scaphoideum verlagert werden dialen Seite her erreicht. Dieses Hauptgefäß entspringt entweder als
(⊡ Abb. 9.10c). Bei länger bestehender Pseudarthrose mit palmarem Radialis-Typ direkt aus der A. radialis oder als Metakarpal-Typ aus
Substanzdefekt muss nach Korrektur einer möglichen DISI-Fehl- dem Arcus palmaris profundus. Offenbar eignen sich beide Typen
stellung des Os lunatum mithilfe eines temporären radiokarpalen zur Transposition des Os metacarpale II, da selektive Injektionen
Kirschner-Drahtes ein entsprechend geformter kortikospongiöser des versorgenden Gefäßes trotz zahlreicher anatomischer Variatio-
Span eingebracht werden. Eine intraoperative Röntgenkontrolle zur nen in allen Fällen zu Anfärbungen des gesamten Knochens geführt
Dokumentation der Skaphoidkorrektur und der Lage des Knochen- haben. Ein bis zwei Vv. comitantes begleiten das versorgende Gefäß
transponates sollte generell durchgeführt werden. Nach Eröffnung und sichern den venösen Abfluss des Transplantates. Die Operation
der Blutleere erfolgen die Kontrolle der Durchblutung und eine erfolgt in Rückenlage, Plexusanästhesie und Oberarmblutleere. Das
subtile Blutstillung. Das vaskularisierte Knochentransponat wird lokal gestielte Knochentransponat wird ähnlich der fasziokutanen
im Empfängergebiet mit Kirschner-Drähten oder einer Herbert- Hautlappenplastik als Cerf-volant-Lappenplastik nach Foucher und
Schraube fixiert. Nach lockerem Kapselverschluss und Einlage einer Braun (1980) gehoben ( Abschn. 34.2.4). Über einen doppel-S-för-
Redon-Drainage ohne Sog erfolgt der Wundverschluss, wobei darauf migen Zugang auf der dorsalen Seite des Intermetakarpalraumes I
geachtet werden muss, dass der Gefäßstiel nicht komprimiert wird. wird die A. radialis in der Tabatière aufgesucht. Da in manchen Fäl-
Postoperativ ist eine Immobilisierung in einem gespaltenen len der oberflächliche Stamm der A. metacarpalis dorsalis I fehlen
Unterarmgips mit Daumeneinschluss für 6(–12) Wochen erforder- kann, wird ein breiter Stiel mit Faszie und subkutanem Fettgewebe,
lich. Anschließend muss eine krankengymnastische Behandlung der beide Aa. metacarpales dorsales I und deren Anastomosen ent-
zur Verbesserung von Beweglichkeit und Kraft begonnen werden. hält, gehoben. Die Präparation des etwa 1,5 cm breiten Stieles geht
Eine Vitalitätskontrolle des vaskularisierten Knochentransponates vom Winkel der beiden ersten Ossa metacarpalia auf der radialen
kann entweder bis zum 5. postoperativen Tag durch eine Drei- Seite des Os metacarpale II nach distal. Dabei darf der Übergang
Phasen-Knochenszintigrafie oder nach 6–12 Wochen – im Falle von Faszie und Periost nicht verletzt werden, da dieser die versor-
9.2 · Spezielle Techniken
193 9

⊡ Abb. 9.11 Technik der Entnahme des gestielten vaskularisierten Knochen- ⊡ Abb. 9.12 Palmarer vaskularisierter Knochenspan nach Kuhlmann/
spans vom Metakarpale II nach Brunelli Mathoulin

genden Gefäße enthält. Die Eintrittsstelle der letzten Knochenäste am Rande der Flexor carpi radialis. Nach Darstellen der Flexor
des Gefäßes befindet sich im Bereich der proximalen Insertion des carpi radialis wird die A. radialis exakt präpariert. Von hier aus wird
radialen Kollateralbandes. Da dieses zur Sicherung der Stabilität des ein ca. 0,6 cm breiter Streifen perivaskulär präpariert, um entlang
MP-Gelenks erhalten bleiben muss, ergibt sich daraus die distale der Gefäße auf den beugeseitigen Radius zu gelangen. In leichter
Begrenzung des Transplantates. Ohne Stabilitätsverlust kann maxi- Beugung des Handgelenks können die Flexoren mit einem Haken
mal ein Drittel des Os metacarpale II gehoben werden. Dazu wird leicht angehoben werden, um eine gute Sicht auf den beugeseitigen
zuerst das kortikospongiöse Transplantat mit der oszillierenden Radius zu ermöglichen. Hier wird nun nach Retraktion des M. pro-
Säge und anschließend mit einem feinen Meißel freigelegt und die nator quadratus ein Streifen im Bereich des periostalen und kapsu-
Präparation anschließend nach proximal bis zur Basis des Os meta- lären Gewebes geschnitten, der den Gefäßstiel des Spanes beinhal-
carpale II fortgesetzt. Auch hier darf das Gelenk nicht verletzt wer- tet. Die weitere Präparation erfolgt subperiostal unter Hebung des
den (⊡ Abb. 9.11). Die Durchblutung des Transplantates wird nach Gefäßes zusammen mit periostalem Streifen bis zum Knochenspan.
Öffnen der Blutsperre überprüft. Mit einem Gefäßstiel von etwa Der Knochenspan wird in Höhe des distalen Radioulnargelenks mit
5 cm Länge kann das Transplantat leicht in die radialen Handwur- einem Meißel an der ulnaren, distalen und proximalen Begrenzung
zelknochen verlagert werden. Der Stiel kann gegebenenfalls in der geformt und abgegrenzt. Die radiale Spanseite muss unter dem
Technik des Décroisement unter den Strecksehnen des Daumens Gefäßstiel mit dem Meißel begrenzt werden, sodass die leichte
durchgezogen und dadurch verlängert werden. Wackelbewegung des kortikospongiösen Knochens mit reichlich
Spongiosa aus der Tiefe gehoben werden kann. Dabei muss insbe-
sondere auf den Erhalt der radiokarpalen und radioulnaren Gelenk-
9.2.4 Technik der Entnahme des gestielten fläche geachtet werden. Der kortikospongiöse Knochen mit langem
vaskularisierten Knochenspans vom Stiel des Gefäßes kann dann mit leichter Drehung im Bereich des
4./5. Extensor-Kompartment nach Moran Skaphoids angepasst oder im Bereich des Os lunatums eingepresst
 Abschn. 29.2.2 werden. Der Gelenkverschluss soll ohne Einengung des Gefäßstieles
erfolgen. Postoperativ wird der Arm in einer Schiene dorsalseitig je
9.2.5 Technik des Os-pisiforme-Transfers nach Beck nach Erfordernis 4–6 Wochen ruhiggestellt (⊡ Abb. 9.12).
 Abschn. 29.2.4

9.2.6 Technik der Entnahme des palmaren 9.2.7 Technik der Entnahme des freien
gestielten vaskularisierten Knochenspans mikrovaskulären Knochenspans von
nach Kuhlmann/Mathoulin der Skapula nach Teot

Die Operation erfolgt in Oberarmblutleere mithilfe eines Vergrö- Die Operation erfolgt in Bauch- oder Seitenlage und Vollnarkose.
ßerungsinstruments (Lupe) unter üblichem beugeseitigem Zugang Die obere Extremität sollte frei beweglich gelagert werden, um so
194 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

die Präparation des Gefäßstieles im Bereich des medialen Axil- gende Hautast der A. circumflexa scapulae, der mit den Ästen der
ladreiecks zu erleichtern. Eine Abduktion im Schulterbereich von A. suprascapularis anastomosiert, aufgesucht und ligiert werden.
mehr als 90° sollte vermieden werden, um den Plexus brachialis Zur Erleichterung der Präparation wird der M. deltoideus retra-
nicht durch Druck zu schädigen. Zur Verkürzung der Operations- hiert und damit die Sicht auf die mediale Achsellücke verbessert.
dauer können zwei Operationsteams parallel arbeiten. Der Austritt der A.circumflexa scapulae liegt im Winkel zwischen
Gleichzeitig mit der Lappenhebung wird das Empfängerlager M. teres major und dem lateralen Skapularand etwa 4–7,5 cm
vorbereitet; die Gefäßanschlüsse werden dargestellt. Als Referenz- oberhalb des Angulus inferior scapulae. Präpariert man nun den
punkte für die Paraskapular-Lappenplastik, die ellipsenförmig über Gefäßstiel bis zum Abgang aus der A. thoracodorsalis in die Tiefe,
dem absteigenden Ast der A. circumflexa scapulae angezeichnet so kann eine Länge bis zu 8 cm mit einem Gefäßdurchmesser von
wird, dienen Angulus, Spina und Margo lateralis der Scapula. Die 2–5 mm erreicht werden. Im Bereich des Margo lateralis befindet
mediale Axillalücke wird entweder durch bimanuelle Palpation sich ein dichtes Geflecht aus Venen und Arterien. Hier gibt die
oder mithilfe der Doppler-Sonografie lokalisiert und markiert. A. circumflexa scapulae zahlreiche kurze muskuläre Endäste und
Bei der Umschneidung der Hautlappenplastik wird die untere Äste direkt zur Skapula ab, die allerdings leicht abreißen, wenn
Lappenhälfte bis auf die Muskelfaszie durchtrennt. Durch einige die Muskeln zu weit auseinandergezogen werden. Bleiben die
Nähte wird die Faszie mit der Haut vorübergehend solidarisiert Muskeläste zum M. teres major sowie die osteoperiostalen Äste
und der Lappen von kaudal nach kranial gelöst. Die Präparation erhalten, die zum Margo lateralis scapulae ziehen, so kann man
verläuft in der Schicht zwischen oberflächlicher Rückenfaszie und den lateralen Skapularand vom Angulus scapulae bis unterhalb
der Faszie der Mm. latissimus dorsi und teres major. In der Nähe des Ansatzes des Caput longum des M. triceps brachii als vaskula-
der medialen Achsellücke stellt sich an der Lappenunterseite der risiertes Knochentransplantat heben. Das hauptsächlich kortikale
absteigende Ast der A. circumflexa scapulae mit seinen beiden Knochentransplantat kann bis zu einer Länge von 10–14 cm und
Begleitvenen dar. Nach Aufsuchen des Austrittspunktes der A. cir- einer Breite von 2–4 cm dimensioniert werden. Man beginnt mit
cumflexa scapulae aus der medialen Achsellücke wird der kraniale einer Inzision der Mm. teres major, minor und infraspinatus bis
9 Lappenteil umschnitten und abpräpariert. Hier sollte der aufstei- auf das Periost. Danach werden die Muskeln epiperiostal scharf
nach lateral abpräpariert, bis die Dicke der Skapula abnimmt. Das
vaskularisierte Knochentransplantat wird mit der oszillierenden
Säge entnommen. Um die Beweglichkeit der Skapula zu erhalten
und die Schulterfunktion nicht zu beeinträchtigen, müssen die ab-
gehobenen Muskeln reinseriert werden (⊡ Abb. 9.13).
Präpariert man weiter bis zur A. axillaris, so kann eine Stiel-
länge von bis zu 15 cm erreicht werden. Nach Anschlingen der
Gefäße, die hier einen Durchmesser von ca. 4–6 mm besitzen, mit
R. horizontalis einem »vessel loop« erfolgt die vollständige Lösung der Lappen-
A. circumflexa scapulae plastik.
Ein primärer Wundverschluss im Spendergebiet ist bis zu
M. teres minor
einer Lappenbreite von etwa 10 cm möglich. Die Hand wird
in Intrinsic-plus-Stellung auf einer palmaren Unterarmschiene
gelagert. Mit krankengymnastischer Behandlung der Hand und
der Schulter kann frühestens nach 2–3 Wochen begonnen wer-
den. Zur besseren Lappenformung wird nach etwa 4 Wochen
eine Kompressionsbehandlung für etwa 3 Monate empfohlen und
Lymphdrainage verordnet.
Eine möglicherweise notwendige Lappenausdünnung sollte
frühestens nach 6 Monaten durchgeführt werden. Mit der Auflö-
sung einer iatrogenen Syndaktylie nach Deckung von polydigitalen
Defekten im MP-Gelenkbereich kann erst nach 3 Monaten begon-
nen werden.

9.2.8 Technik der Entnahme des freien


mikrovaskulären Knochenspans vom
lateralen distalen Humerus

Der distale Humerus wird über periostale Gefäße, die über das
Septum intermusculare laterale verlaufen, und muskuloperiostale
Gefäße, die aus den umliegenden Muskeln in den Knochen ziehen,
versorgt. Ein bis zu 10 cm langes und 1,5 cm breites vaskularisiertes
Knochentransplantat kann im Bereich des Septums zwischen dem
M. triceps brachii, Ansatz des M. deltoideus und dem Epicondylus lateralis entnom-
Caput longum
M. teres maior
men werden. Zur Sicherung der periostalen Blutversorgung sollte
R. descendens
eine etwa 1 cm breite Manschette aus der Insertion des M. triceps
⊡ Abb. 9.13 Lappenplastiken aus dem Stromgebiet der A. circumflexa sca- brachii dorsal und der Mm. brachialis und brachioradialis ventral
pulae. (Aus Berger u. Hirner 2002) des Septums belassen werden. Nach Sicherung des N. radialis ist
9.2 · Spezielle Techniken
195 9
äußerste Vorsicht bei der Entnahme des Knochenspans mit der 9.2.10 Technik der Entnahme des freien
oszillierenden Säge angebracht. In Abhängigkeit von der Breite des mikrovaskulären vorderen
entnommenen Knochenstückes empfiehlt sich postoperativ ein Beckenkammspans nach Taylor
Oberarm-Brace für 4–6 Wochen ( Abschn. 34.2.12).
Die Operation erfolgt in Rückenlage und Intubationsnarkose. Zur
besseren Exposition des vorderen Beckenkammanteiles wird ein
9.2.9 Technik der Entnahme des freien Sandsack unter das Gesäß geschoben (⊡ Abb. 9.15a). Bei Hebung
mikrovaskulären Knochenspans vom eines reinen Knochentransplantates wird die Inzision parallel ver-
distalen Radius setzt zu den Femoralgefäßen begonnen, entlang der oberen Be-
grenzung des Lig. inguinale bzw. der Crista iliaca fortgeführt und je
Wie in der in  Abschn. 34.2.10 beschriebenen Operationstechnik nach Länge des benötigten Gefäßstieles nach lateral hin ausgedehnt
wird das Septum intermusculare laterale mit seiner Fixierung (⊡ Abb. 9.15b). Der M. obliquus abdominis externus wird etwa 1 cm
am Radius dargestellt. Entlang seiner Anheftung zwischen der oberhalb des Leistenbandes und parallel dazu von der Mitte des Leis-
Insertion des M. pronator proximal und der Insertion des M. bra- tenbandes bis zur Spina iliaca anterior superior durchtrennt. Nach
chioradialis distal kann ein kortikospongiöses vaskularisiertes Ra- Zurückdrängen des Ductus deferens bzw. des Lig. teres uteri wird
diusknochentransplantat gewonnen werden. Zur Verminderung die Hinterwand des Leistenkanals, die Fascia transversalis, sichtbar.
der Frakturgefahr ist darauf zu achten, dass nicht mehr als die Auf der posterolateralen Seite können nach Darstellung und An-
Hälfte der Radiuszirkumferenz entnommen wird (⊡ Abb. 9.14). Aus schlingen der Vasa iliaca interna meist A. und V. circumflexa iliaca
demselben Grund wird bei der Spanentnahme jeweils am proxi- profunda gefunden werden, die zwischen den Mm. obliquus abdo-
malen und distalen Ende ein Bohrloch angelegt. Das Knochen- minis internus und transversus abdominis etwa 1 cm oberhalb und
transponat wird unter Schonung der versorgenden Gefäße mit der medial der Spina iliaca anterior superior verlaufen. Nach Ablösung
oszillierenden Säge entnommen. Zur Deckung der Entnahmestelle der Fasern des M. obliquus abdominis internus und des M. trans-
können die Muskelbäuche des M. brachioradialis und/oder des versus abdominis vom Leistenband kann der Gefäßstiel präpariert
M. flexor carpi radialis über der Entnahmestelle vereinigt werden. und angeschlungen werden. Der N. cutaneus femoris lateralis, der
Wenn die osteofasziokutane A.-radialis-Lappenplastik zur Dau- gelegentlich in dieser Region unmittelbar unterhalb der Gefäße liegt,
menrekonstruktion vorgesehen ist, erfolgt die Osteosynthese im muss geschont werden (⊡ Abb. 9.15c). Zur weiteren Darstellung des
Daumenbereich mithilfe von Cerclagen oder Miniplatten. Wegen Gefäßstieles entlang der Innenseite der Crista iliaca müssen die drei
der ungenügenden Sensibilität ist eine zusätzliche, die Sensibilität Schichten der Bauchwandmuskulatur etwa 1–2 cm von ihrem Ur-
wiederherstellende Operation für den Neo-Fingerkuppenbereich sprung am Labium externum durchtrennt werden. Der R. ascendens
notwendig ( Abschn. 34.2.10). zum M. obliquus abdominis internus muss dabei doppelseitig ligiert
werden. Nach Durchtrennung der Fascia transversalis und Lösung
des extraperitonealen Fettgewebes vom M. iliacus mindestens 1 cm
unterhalb des Gefäßstieles kann die innere Oberfläche des Os ilium
freigelegt werden (⊡ Abb. 9.15d). Je nach Bedarf an Form und Größe
wird ein entsprechendes Knochentransplantat mit der oszillieren-
den Säge bzw. einem Meißel gehoben. Im dorsalen Schnittbereich
muss eine subtile doppelseitige Gefäßligatur erfolgen. Zur Vermei-
dung von funktionellen und ästhetischen Komplikationen sollte die
Spina iliaca anterior superior jedoch in situ belassen werden. Im
Allgemeinen reicht schon die innere Kortikalislamelle zusammen
mit der Spongiosa zur Deckung des Knochendefektes. Die äußere
Kortikalis sollte in situ belassen werden, um die Beckenkammkontur
zu erhalten und dadurch die Qualität des Verschlusses des Spender-
gebietes (Bauchdeckenschwäche bis Hernie) verbessern zu können
(⊡ Abb. 9.15e). Nach Beendigung der Transplantathebung erfolgt die
Kontrolle der Durchblutung des an seinem arteriovenösen Gefäß-
stiel hängenden, vaskularisierten vorderen Beckenkammtransplan-
tates. Nach Absetzen des Gefäßstieles und Einlage eines Hämostyp-
tikums erfolgt der schichtweise Bauchwandverschluss (⊡ Abb. 9.15f).
Dazu wird zuerst die Faszie des M. iliacus mit dem M. transversus
abdominis und der Fascia transversalis vernäht und hier die erste
Drainage ohne Sog platziert. Die Mm. obliqui internus und externus
abdominis werden dann entweder an der verbleibenden äußeren
Kortikalislamelle oder, wenn diese mitgehoben wurde, an der Glu-
tealmuskulatur und am M. tensor fasciae latae fixiert. Auch Leisten-
kanal und Leistenband müssen nach ihren anatomischen Schichten
verschlossen werden. Der schichtweise Hautverschluss erfolgt nach
Einlage einer zweiten Drainage.
Nach osteosynthetischer Fixierung des vaskularisierten Kno-
chentransplantates im Empfängergebiet, die mindestens zu Übungs-
⊡ Abb. 9.14 Freier mikrovaskulärer Knochenspan vom distalen Radius. (Aus stabilität führen sollte, und intraoperativer Röntgenkontrolle wer-
Mantkelow u. Zucker 1986) den die Mikroanastomosen mit der Lupenbrille unter 5,5-facher
196 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

b
a

e f

⊡ Abb. 9.15 Freier mikrovaskulärer Knochenspans vom vorderen Beckenkamm nach Taylor. a Patientenlagerung, b Planung des Hautschnitts bei osteoku-
taner Lappenplastik, c laterokraniale Präparation, d mediokaudale Präparation mit Darstellung des Gefäßstiels und Loslösung des M. iliacus, e unikortikale
Hebung, f schichtweise Rekonstruktion des Spendergebietes. (Aus Mantkelow u. Zucker 1986)
9.2 · Spezielle Techniken
197 9
Vergrößerung oder unter dem Operationsmikroskop durchgeführt. einer palmaren Kapsulotomie des Gelenks zwischen Kahnbein und
Gewöhnlich werden die arterielle Anastomose mit der A. radialis in Trapezoid erreicht. Die DISI-Fehlstellung wird korrigiert und mit-
End-zu-Seit-Technik, die beiden venösen Anastomosen in End-zu- hilfe eines Kirschner-Drahtes fixiert. Wird das Handgelenk exten-
End-Technik mit monofilem 8/0- oder 9/0-Nahtmaterial durchge- diert, so öffnet sich die Pseudarthrose sichtbar. Zum Anpassen des
führt. Vor dem endgültigen Wundverschluss werden ein oder zwei Empfängergebiets für das Transplantat können die Knochenränder
Easy-flow-Drainagen eingelegt. Die Hand wird auf einer Unterarm- mit einer oszillierenden Säge geglättet werden.
schiene für 10–14 Tage ruhiggestellt. Die weitere Vorgangsweise Die Darstellung des Kahnbeins wird nach proximal verlängert,
hängt vom gewählten Osteosyntheseverfahren ab. Bei nicht übungs- um die A. radialis und deren Venae comitantes zu identifizieren.
stabiler Osteosynthese ist bis zum Abschluss der Transplantatein- Das Transplantat wird in Form eines trapezförmigen Keils,
heilung für 4–6 Wochen eine Ruhigstellung in einem zirkulären d. h. die periostale Oberfläche palmar auf die Angulationsfehlstel-
Unterarmgips notwendig. Eine postoperative Vitalitätskontrolle des lung (»Humbpack-Deformität«) des Skaphoids eingesetzt, um die
vaskularisierten Knochentransplantates kann bis zum 5. postoperati- Länge und Geometrie des Kahnbeins wiederherzustellen.
ven Tag durch eine Drei-Phasen-Szintigrafie oder – im Falle des Ein- Je nach Größe des Fragments und des Transplantats können
satzes von nichtferromagnetischem Osteosynthesematerial – nach eine kanülierte Schraube oder Kirschner Drähte zur Fixierung
6–12 Wochen mithilfe der (Kontrast-) Kernspintomografie erfolgen. verwendet werden.
Abschließend müssen die umliegenden Gelenke sorgfältig un-
tersucht werden, damit die Einklemmung des Transplantats in der
9.2.11 Technik der Entnahme des freien Umgebung – vor allem der radiopalmaren Radiuskante – ausge-
vaskularisierten Knochentransplantats vom schlossen werden kann (⊡ Abb. 9.16c).
medialen Kondylus nach Masquelet Die A. radialis wird inzidiert und eine End-zu-Seit-Anastomose
mit 9/0 Nylonnähten durchgeführt. Die Vene des Transplantats wird
Die Operation erfolgt in Rückenlage und Intubationsnarkose und an eine Vena comitantes angeschlossen. Durchgängigkeit der Gefäße
Oberschenkelblutsperre (400 mmHG). Der Hautschnitt verläuft und Durchblutung des Transplantats sind vor Wundverschluss zu
oberhalb des medialen Femurkondylus etwa 18–20 cm nach proxi- verifizieren (⊡ Abb. 9.16d). Die palmare Kapsel wird adaptiert, sofern
mal (⊡ Abb. 9.16a). Der M. vastus medialis wird nach ventral verla- dies ohne Einengung des Gefäßstils möglich ist. Abschließend er-
gert und die den medialen Kondylus versorgenden Gefäße aufge- folgt der schichtweise Wundverschluss nach Einlage einer Drainage.
sucht. Die absteigende A. genicularis entstammt der A. femoralis Als Wundverband wird ein dicker Watteverband mit Kompres-
superficialis proximal des Hiatus adductorius und mündet in einen sion gewählt. Das Handgelenk sollte mittels palmarer Schiene unter
Ast der A. saphena, der gemeinsam mit dem N. saphenus verläuft. Einschluss des Daumens in Neutralstellung ruhiggestellt werden.
Hierbei handelt es sich um einen tief muskulären Ast. Weiterhin Die operierte Extremität sollte über Herzniveau gelagert wer-
mündet sie in einen osteoartikulären Ast, der eine Anastomose mit den. Weiterhin sollte auf eine unverzügliche physiotherapeutische
der A. genicularis medialis superior bildet. Gemeinsam versorgen sie Beübung der Schulter und der Fingergelenke geachtet werden. Eine
den Kondylus femoralis medialis (⊡ Abb. 9.16b). Im Verlauf dieses Fadenentfernung kann 14 Tage postoperativ durchgeführt werden.
Präparationsabschnitts müssen diese Gefäße beurteilt werden. Sollte Die palmare Ruhigstellung unter Einschluss des Daumens sollte für
die A. genicularis medialis superior klein sein, wird diese ligiert und insgesamt 6 Wochen aufrechterhalten werden.
stattdessen die absteigende A. genicularis aufgesucht und aus dem In der Nachsorge sollten alle 3–6 Wochen Röntgenaufnahmen
umliegenden Gewebe nach proximal und distal herauspräpariert. durchgeführt werden, um den Grad der Knochenheilung bzw. -fu-
Nach Freilegen des Kondylus wird ein rechteckiger Bereich sion beurteilen und dokumentieren zu können.
über dem distalen ventralen Anteil angezeichnet. In diesem Be- Eine endgültige Fusion der Knochen sollte mittels Compu-
reich ist die Anzahl der Perforansgefäße am höchsten. Die Größe tertomographie dokumentiert werden. Ist die Knochenfusion
muss ausreichend gewählt werden, um den Defekt des Kahnbeins bzw. -heilung bestätigt, so können handtherapeutische Übungs-
ausfüllen zu können, in der Regel beträgt diese etwa 1×1 cm. behandlungen begonnen werden. Diese sollten nach Toleranz und
Das Periost wird scharf inzidiert, die Kortikales (Substantia Schmerzsymptomatik des Patienten angepasst werden.
compacta) mit einem kleinen Meißel oder einer oszillierenden
Säge senkrecht zu seiner Oberfläche durchtrennt. Ein zusätzlicher
Schnitt wird mit einer Neigung von 45° direkt distal des Trans- 9.2.12 Technik der Entnahme des vaskularisierten
plantats in der Spongiosa fortgeführt. Dies ermöglicht es das Fibuladiaphysentransplantats nach Ueba/
Transplantat zu heben, ohne den Gefäßstil zu verletzen. Nach dem Taylor
Öffnen der Blutleere können Blutungen aus dem Periost und der
Spongiosa beurteilt und unterbunden werden. Das Transplantat Der Patient wird in Rückenlage auf einer Wärmematte gelagert
kann nun geformt werden, um an die genauen Abmessungen des (adäquate Körpertemperatur zur Gefäßspasmusprophylaxe). Die
Kahnbeindefekts angeglichen zu werden. Operation erfolgt in Rückenlage und Oberschenkelblutleere. Eine
Nach Heben des Transplantats kann aus der Entnahmestelle Unterlage befindet sich unter dem ipsilateralen Gesäß.
weitere Spongiosa entnommen werden. Diese kann verwendet Für ein reines Knochentransplantat beginnt der Hautschnitt dor-
werden, um den proximalen Pol zu füllen. sal des Collum fibulae und verläuft entlang des hinteren Knochen-
Der Defekt im medialen Femurkondylus wird abschließend randes gerade nach distal. Die Länge des Hautschnittes ist abhängig
gründlich gespült und mit synthetischem Hydroxylapatit-Kno- von der Länge des zu entfernenden Knochens (⊡ Abb. 9.17a).
chenfüllmaterial aufgefüllt. Nach Einlage einer Redon-Drainage Die Fascia cruris wird zwischen dem M. soleus und den
erfolgt der schichtweise Wundverschluss. Als Verband genügt ein Mm. peronaei im Bereich des Septum intermusculare laterale er-
mäßig kompressiver Verband. öffnet. Die hier durchtretenden perforierenden fasziokutanen Äste
An der Hand wird der palmare Zugang zum Kahnbein ge- müssen subtil ligiert werden. Sie dienen als Leitschiene zum Aufsu-
wählt. Die Darstellung des Kahnbeins wird unter Durchführung chen der peronaealen Gefäße.
198 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

⊡ Abb. 9.16 Freies mikrovaskuläres vaskularisiertes Knochentransplantat vom


Condylus medialis nach Masquelet. a Planung des Hautschnitts, b Lappenpla- d
nung und Lappenhebung, c Einbringen des geformten Knochenspans, d mikro-
chirurgischer Gefäßanschluss an die A. radialis in End-zu-Seit-Technik (Aus: Gabl
et al. 2009)

Wird nur ein reines Knochentransplantat gehoben, müssen Fibulatransplantat nach lateral geschoben, um die Membrana inter-
im proximalen Unterschenkeldrittel 2–3 neurovaskuläre Stiele am ossea zu spannen, die in kaudokranialer Richtung etwa 0,5 cm von
oberen Ende des M. soleus ligiert werden. Der M. soleus wird dann ihrem fibularen Ansatz durchtrennt wird. Als nächstes erfolgt die
unter dem Collum fibulae transversal eingeschnitten. Er lässt sich dorsale Präparation (⊡ Abb. 9.17c). Die Durchtrennung der dorsalen
nach dorsal wegklappen, wenn man die proximal entspringenden Muskulatur führt dazu, dass das Transplantat nur noch an seinem
Fasern spaltet. Die Peronealgefäße werden an jenen Stellen auf- Gefäßstiel mit dem Unterschenkel in Verbindung steht. Nachdem
gesucht, an denen sie unter den M. flexor hallucis longus ziehen. das Fibulatransplantat nach lateral weggehalten wurde, lässt sich der
Zu diesem Zeitpunkt sollte der N. tibialis posterior von dem Stiel Stiel bis zum Ursprung der A. peronaea darstellen (⊡ Abb. 9.17d).
weggedrängt sein. Als nächstes erfolgt die ventrale Präparation Nach Öffnen der Blutleere wird die Durchblutung des Fibulatrans-
(⊡ Abb. 9.17b). Der M. peronaeus longus wird von seinem Ursprung plantats überprüft und eine subtile Blutstillung durchgeführt. Nach
von der Fibula knochennah scharf abpräpariert. Bei der Entnahme Abschluss der Präparation des Empfängergebiets wird der Gefäß-
eines längeren Knochenstückes werden die Mm. peronaei und ex- stiel nach proximal hin ligiert und das Transplantat entnommen.
tensor digitorum longus ebenfalls knochennah abpräpariert. Die Nach Einlage einer tiefen (und oberflächlichen) Redon-Drainage
Septa intermuscularia anterius und posterius werden etwa 0,5 cm erfolgt der schichtweise Wundverschluss. Am Ende der Operation
von ihrem tibialen Ursprung gespalten. Der N. peronaeus superfici- wird eine dorsale Unterschenkelgipsschiene angelegt. Postoperativ
alis und seine Muskeläste werden von der Muskelschicht vorsichtig erfolgt eine Ruhigstellung auf einer dorsalen Unterschenkelgips-
getrennt. Das Tibialis-anterior-Gefäß-/Nervenbündel, welches hin- schiene für 7–14 Tage. Bleibt das proximale und distale Fünftel
ter der Membrana interossea liegt, wird nach medial weggehalten. der Fibula erhalten, besteht ausreichend Stabilität im Knie- bzw.
Danach lässt sich die Membrana interossea entlang ihrer gesamten Sprunggelenkbereich. Bei älteren Patienten erfolgt die Mobilisation
Länge darstellen. Das Periost wird 1 cm über bzw. unterhalb der nach 10–14 Tagen. Bei jungen Patienten wird eine Vollbelastung erst
proximalen bzw. distalen Osteotomiestelle gespalten und mit einem nach 6 Wochen empfohlen. Nach Entfernung der Fäden sollte eine
Rasperatorium scharf abgedrängt. Dieses Vorgehen lässt eine effek- krankengymnastische Begleittherapie mit Kompression der operier-
tive muskuloperiostale Blutversorgung an beiden Enden des Trans- ten Extremität – eventuell kombiniert mit einer standardisierten
plantates zu. Nach proximaler und distaler Osteotomie wird das Narbentherapie – und zur Gangschulung durchgeführt werden.
9.2 · Spezielle Techniken
199 9

dorsale
Präparation
von lateral
nach medial

Membrana
interossea

Haut-
lappen posteriore
Inzision
oder
b e
R. Haut-
schnitt

A./ v. peronea

medialer Aspekt
des nach ventral
rotierten Fibula-
transplantats

abschließende
Präparation von
c medial nach lateral
A. und Vv. peroneae am
f
distalen Ende ligiert

⊡ Abb. 9.17 Vaskularisiertes Fibuladiaphysentransplantat nach Ueba. a Lappenplanung (für die Präparation eines reinen Knochentransplantats erfolgt ein
gerader Hautschnitt am Hinterrand der Fibula, für ein osteokutanes Transplantat werden präoperativ die Hautperforatoren nach Doppler-Untersuchung
markiert und ein elliptisches Hautareal über diesen Perforatoren angezeichnet), b vordere Präparation, c hintere Präparation. d Kölinischer Aspekt nach Been-
digung der Präparation. Das vaskularisierte Knochentransplantat ist nur noch über seinen Gefäßstiel mit dem Spendergebiet verbunden. e Klinischer Aspekt
»segmentierte Fibula« (»double barell«): Durch Segmentierung können bis zu vier an den Peronealgefäßen vaskularisierte Knochenstücke gewonnen werden,
um gleichzeitig räumlich unterschiedlich angeordnete Knochendefekte rekonstruieren zu können. f Klinischer Aspekt nach Abschluss der Präparation eines
osteokutanen freien Fibuladiaphysentransplantats: Soll eine osteo(myo)kutane Lappenplastik gehoben werden, wird ein ellipsenförmiges Hautareal mit Zen-
trum etwa 2 cm oberhalb der Mitte einer Linie zwischen Caput fibulae und Malleolus lateralis mitsamt der darunter liegenden Faszie umschnitten. Wird ein
Areal kleiner 6×12 cm umschnitten, gelingt meist der spannungsfreie Primärverschluss des Spendergebietes. Nach Solidarisierung von Haut und Faszie mit
einigen Einzelknopfnähten wird der Hautlappen von ventral und dorsal auf das Septum intermusculare laterale mit den darin enthaltenen fasziokutanen Per-
foratoren hin präpariert. Nach Sicherung von 2–3 kaliberstarken fasziokutanen, septalen Hautästen erfolgt die weitere Präparation der Fibula nach den oben
beschriebenen Richtlinien. (Aus Hierner et al. 2009)
200 Kapitel 9 · Prinzipien der Behandlung von Knochenverletzungen und -defekten

9.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen Gustilo RB, Mendoza RM, Wiulliams DN (1984) Problems in the management of
type III (severe) open fractures: a new classification of type II open fractures. J
Trauma 24: 742–746
Prinzipiell ist bei der Operation der Benefit der geringeren Immo- Heberer G, Köle W, Tscherne H (1986) Chirurgie, 5. Aufl. Springer, Berlin
bilisation und damit der Verhinderung der Einsteifung der Hand Hertel R, Masquelet AC (1989) The reverse flow medial knee osteoperiosteal flap
gegen das Operationsrisiko – iatrogener Schaden durch den ope- for skeletal reconstruction of the leg: Description and anatomical basis. Surg
rativen Zugang, Wundheilungsstörung, Infektion, Gefühlsstörun- Radiol Anat 11(4): 257–262
gen, Durchblutungsstörungen – abzuwägen. Neben der inadäqua- Hierner R (1992) Der vaskularisierte Fibulatransfer- Literaturüberblick und tierexpe-
rimentelle Modifikation. Med. Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München
ten Patientenauswahl führt der Neglekt der Biologie gegenüber Hierner R, Berger A (2002) Prinzipien der Defektdeckung. In: Berger A, Hierner R
der Mechanik am häufigsten zu Komplikationen. Es ist nicht der (Hrsg) Plastische Chirurgie Band I Grundlagen, Prinzipien, Techniken. Springer,
Knochen auf dem Röntgenbild, welcher operiert wird, sondern Heidelberg, S 261–312
die Hand als komplexes Knochen-Weichteil-System in ihrer Ge- Hierner R, Husain N, Nast-Kolb D (2009) Möglichkeiten, Planung und Hebung des
samtfunktion. Neben der adäquaten Auswahl des Operationsver- vaskularisierten Fibulatransplantats. Unfallchirurg 112: 419–425
Heberer G, Köle W, Tscherne H (1986) Lehrbuch für Studierende der Medizin und
fahrens sind dann vor allem die fehlerlose Operationstechnik und
Ärzte. Springer Berlin
die postoperative Nachbehandlung wichtig. Die Immobilisation in Hirasé Y, Kojima T (1992) Vascularized bone graft pedicled on the dorsal innomi-
einer nicht korrekten Position ist hier hauptsächlich zu nennen. nate artery for scaphoid non-union. In: Nakamura R, Linscheid RL, Miura T
Der anfänglichen Euphorie, alle komplizierten Knochen-Weich- (Hrsg) Wrist disorders, current concepts and challenges. Springer: Tokyo, S
teil-Defekte jetzt mit einem frei vaskularisierten »composite flap« 187–191
decken zu können, folgte schnell die Ernüchterung durch Komplika- Ilizarov GA (1991) Transosseous Osteosynthesis- Theroretical and clinical aspects of
the regeneration and growth of tissue. Springer: Berlin
tionsraten von 40–60%. Die Auswertung der bisherigen Ergebnisse
Jupiter JB, Ring DC (2005) AO Manual of Fracture Management: Hand and Wrist.
und Komplikationen führte zu Änderungen in der Indikationsstel- Thieme, New York
lung. Da der vaskularisierte Knochentransfer von einem ersatzstar- Larson, AN, Bishop AT, Shin AY (2006) Dorsal distal radius vascularized pedicled
ken Lager profitiert, soll auch hier zuerst ein bestehender Weichteil- bone grafts for scaphoid nonunions. Tech Hand Up Extrem Surg 10(4): 212–223
9 defekt behoben werden. Eine einzeitige Rekonstruktion sollte der Lexer E (1924) Die freien Transplantationen.Enke, Stuttgart
Situation mit geringem Weichteildefekt vorbehalten sein. Manktelow R, Zucker R (1986) Microvascular reconstruction. Springer, Berlin
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gie 21: 386–395 Defekten. Handchir. Mikrochir Plast Chir 21, 235–245
10

Prinzipien der Behandlung von


Gelenkverletzungen und -defekten
Hossein Towfigh, Robert Hierner
(Mit einem Beitrag von Erwin Waldemar Kollig)

10.1 Allgemeines – 202


10.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 202
10.1.2 Epidemiologie – 203
10.1.3 Ätiologie – 203
10.1.4 Diagnostik – 204
10.1.5 Klassifikation – 205
10.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 205
10.1.7 Therapie – 209
10.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 210
10.2 Spezielle Techniken – 211
10.2.1 Technik der Knorpeltransplantation – 211
10.2.2 Technik der autologen nicht vaskularisierten Knorpel-Knochen-
Transplantation (»osteochondral autologous transplantation«, OATS) – 211
10.2.3 Technik der heterodigitalen Gelenktransplantation – 211
10.2.4 Technik der freien mikrovaskulären MTP-Gelenk-Transplantation
aus dem Bereich der 2. Zehe – 211
10.2.5 Technik der freien mikrovaskulären PIP-Gelenk-Transplantation
aus dem Bereich der 2. Zehe – 214
10.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 216
Weiterführende Literatur – 216

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


202 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

10.1 Allgemeines Bei längerer Ruhigstellung des Gelenks verkürzen sich die Binde-
gewebsfasern, die Gelenkkapsel schrumpft und die Beweglichkeit
10.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und des Gelenks wird eingeschränkt. Oberflächlich gelegene, kräftige
Physiologie Züge der äußeren Faserschicht mit gleichartiger Verlaufsrichtung
der Fibrillen lassen sich präparatorisch als Gelenkbänder abgren-
Topografie des Gelenks zen, sie verstärken die Kapselwand.
Unabhängig von ihrer spezifischen anatomischen Konfiguration In der Membrana synovialis der Gelenkkapsel sind Zellar-
zeigen alle Gelenke ein einheitliches Bauprinzip, welches charakte- ten mit Phagozytoseeigenschaften und fibroblastenartige Zellen zu
risiert ist durch eine enge funktionelle Verflechtung von hyalinem unterscheiden, deren Funktion vorwiegend in der Synthese und
Gelenkknorpel, der Gelenkkapsel und der Synovialflüssigkeit. Sekretion von Bestandteilen der Synovialflüssigkeit (Synovia) – vor
Anforderungen an den hyalinen Knorpel sind reibungslose allem Hyaluronsäure – besteht. Bei überschießender Synovialpro-
Gleitfähigkeit, hohe Belastbarkeit und stoßdämpfend-elastische duktion kommt es zum Gelenkerguss. An schwachen Stellen der
Funktion. Der hyaline Knorpel besteht aus einem Kollagenfaser- Membrana fibrosa kann sich die Gelenkinnenhaut nach äußen
gerüst, einer homogenen Zwischensubstanz, den Proteoglykanen vorwölben, sodass ein Überbein, Ganglion, entsteht.
und den Chondrozyten. Der hyaline Knorpel ist gefäßlos. Die Die Synovialflüssigkeit sorgt einerseits für die Schmierung des
Chondrozyten sind metabolisch aktive Zellen, die die extrazellu- Gelenks und andererseits für die Ernährung (Substratzufuhr, Schla-
läre Matrix (Kollagenfasergerüst und Proteoglykane) synthetisieren ckenabtransport) des Gelenkknorpels (biologische Servoleistung
und katabolisieren. Sie haben im Erwachsenenalter die Fähigkeit der Chondroprotektion). Die Synovialflüssigkeitsverteilung erfolgt
verloren sich mitotisch zu teilen. im Gelenkraum durch die Gelenkbewegung (Umwälzprinzip), im
Die Intaktheit der Kollagenfaserstrukturen und das hohe hyalinen Knorpel durch Diffusion sowie nach dem Schwann-
Wasserbindungsvermögen der Proteoglykane bestimmen im We- Prinzip bei wechselnder Druckbelastung. Eine Ernährung durch
sentlichen das mechanische Verhalten des vor allem auf Druck das ossäre Gefäßsystem erfolgt nur unzureichend oder überhaupt
belasteten Knorpelgewebes. Fehlende Gefäßversorgung und Tei- nicht über die subchondrale Knochenlamelle, die beim erwachse-
lungsvermögen der Chondrozyten begrenzen die biologische Re- nen Skelett Gelenkknorpel und Röhrenknochen trennt. Das enge
10 aktionsfähigkeit des hyalinen Knorpelgewebes. Sie machen zu- funktionelle und nutritive Zusammenwirken der verschiedenen
gleich verständlich, warum die Einwirkung verschiedener Noxen Gelenkstrukturen erklärt die Tatsache, dass krankhafte Verände-
(Ruhigstellung, Überbelastung, Trauma, Entzündung, genetische rungen einzelner Strukturen zwangsläufig zu typischen Alteratio-
Faktoren, fehlerhafte Gelenkanlagen, Dysplasien usw.) zu relativ nen der anderen führen, was sich seinerseits wieder nachteilig auf
gleichartigen und einförmigen pathologisch-anatomischen Verän- den Ausgangsbefund auswirkt.
derungen führt (⊡ Abb. 10.1).
Die Gelenkkapsel schließt die Gelenkhöhle luftdicht ab. Man Physiologischer Alterungsprozess des Gelenkknorpels
unterscheidet eine äußere Faserschicht, Membrana fibrosa, und eine und Osteoarthrose
an den Gelenkspalt angrenzende Gelenkinnenhaut, Membrana sy- Im Alter kommt es im Gelenkknorpel zu einer Verminderung der
novialis. Die Gelenkkapsel ist bis in die tiefen Schichten der Ge- Zellzahl pro Volumeneinheit und zu einem Proteoglykanverlust mit
lenkinnenhaut sensibel reich innerviert, Verletzungen sind überaus gleichzeitiger Verschiebung des Verhältnisses der einzelnen Polysac-
schmerzhaft. In der Kapsel und in Kapselnähe liegen als Sinnesor- charidproteinkomplexstrukturen (Chondroitin-4-Sulfat, Chondroi-
gane kleine Lamellenkörperchen, Golgi-Mazzoni-Körperchen, die tin-6-Sulfat etc.). Das mit dem Proteoglykanverlust verminderte
über die Gelenkstellung informieren (mechanische Servoleistung der Wasserbindungsvermögen beeinträchtigt das mechanische Verhalten
Chondroprotektion durch ein neuromuskulär integriertes Gelenk). des Knorpels. Es kommt mit zunehmendem Alter zur Abnahme der
Die Membrana fibrosa besteht aus kollagenen Fibrillenbün- Permeabilität und zu einer Verminderung der Elastizität. Zusätzliche
deln, deren Verlaufsrichtung in den einzelnen Faserlagen wechselt. Erschwernisse in der synovialen Diffusionsstrecke der Gelenkkapsel

Tangentialfaserschicht

Übergangszone

Radiärfaserschicht

⊡ Abb. 10.1 Vereinfachter Aufbau des Knorpels


(Zelle, Matrix, kollagene Faserstruktur) nach
Benninghoff. a Senkrechter Schnitt durch den
Knorpel, b Verlauf der tragenden Kollagenfasern
mit den dazwischen liegenden Zellverbänden: c
Normalbefund, c Verlauf der tragenden Kollagen- verkalkter Knorpel
fasern mit den dazwischen liegenden Zellver- Knochen
bänden: primäre Knorpelschädigung a
10.1 · Allgemeines
203 10
(Verdichtung der Transitstrecke durch Vermehrung kollagenen Fa- 10.1.3 Ätiologie
sergewebes) engen die ohnehin beschränkte Kompensations- und
Anpassungsfähigkeit des Knorpelgewebes gegenüber Noxen jeder Gelenkveränderungen können angeboren oder erworben sein: Ne-
Art weiter ein, sodass bereits physiologische Belastungen, länger ben den angeborenen Fehlbildungen (z. B. Madelung-Deformität,
währende Ruhigstellung oder Gelenkerkrankungen ausreichen kön- Gelenkchondromatose) führen auch genetisch bedingte Stoffwech-
nen, irreparable, degenerativ dystrophe Prozesse einzuleiten. selerkrankungen und Gerinnungsstörungen (Blutergelenk) zu (po-
Die Bezeichnung Arthrose geht auf den deutschen Internisten lyartikulären) Gelenkveränderungen.
von Müller zurück. Er unterschied zwischen der primär entzündli- Bei den erworbenen Gelenkveränderungen unterscheidet man
chen und auch der rheumatischen Gelenkerkrankung, der Arthritis, die Osteoarthrose von den Arthritiden. Die Osteoarthrose wird
die an der Membrana synovialis beginnt, und der primär degene- bedingt durch Veränderungen des Knorpels bedingt durch die
rativen Erkrankung der Gelenke, an deren Beginn die Zerstörung Kombination von anlagebedingten (genetische Disposition) und
des Knorpels steht. Da im Verlauf der Degeneration auch Um- und erworbenen Ursachen (⊡ Abb. 10.2).
Anbauvorgänge am gelenknahen Knochen zu erkennen sind, setzt
sich heute mehr und mehr die Bezeichnung »Osteoarthrose« durch.
Von den physiologischen Altersveränderungen unterscheiden sich
arthrotische Läsionen weniger in qualitativer Hinsicht als vielmehr
quantitativ, d. h. in Umfang, Schwere, Zeitpunkt und Ausmaß des metabolische
Gelenkschadens. Die Osteoarthrose ist bedingt durch ein Versagen und
der mechanischen und/oder neuromuskulären Servoleistung des Ge- hormonelle Faktoren
lenks. Sie kann in 5 Stadien eingeteilt werden (⊡ Tab. 10.1). Wichtig
ist darauf hinzuweisen, dass das klinische Bild der Osteoarthrose in systemische
keinem Verhältnis zum Ausmaß der Gelenkzerstörung stehen muss. genetische und
Faktoren nutrielle
Schwerste röntgenologische Zerstörungen können nur geringe Be-
Faktoren
schwerden verursachen (»stumme Arthrose«) und vice versa. Kommt
aber zu den rein morphologischen Veränderungen des Knorpel- und
Knochenabriebs das phänomenologische Bild der sekundären Syno- Osteoarthrose
vitis hinzu, ändert sich das klinische Bild schlagartig (»aktivierte Ar-
throse«). Kommt es zu einem Zustand, in dem nicht nur das gereizte
Gelenk, sondern auch der ganze weitere Gelenkapparat, zugeordnete
mechanische
Muskeln und Bursen mit einbezogen werden, spricht man von einer Alter
Faktoren
dekompensierten Arthrose oder Periarthropathie.

lokale Faktoren
und
10.1.2 Epidemiologie
Bedingungen
(Dysplasie?)
Jeder Mensch leidet während seines Lebens an Gelenkverände-
rungen. Die Osteoarthrose ist die häufigste Erkrankung des Bewe-
gungsapparates. Meist sind Frauen ab der Menopause betroffen.
Eine familiäre Häufung ist sicher gegeben. ⊡ Abb. 10.2 Ätiologische Faktoren der Osteoarthritis

⊡ Tab. 10.1 Stadien der Osteoarthritis nach Fassbender

Stadium Morphologie

I: Die Demaskierung der Kollagenfaserbündel durch Verlust an Proteoglykanen führt zur Aufrauung der Oberfläche mit
Primärläsion Fissuren. Kompensation durch Lubrikationsvermögen der Synovialflüssigkeit, so lange die korrespondierende Knorpel-
oberfläche noch gesund ist

II: Zähnelung an beiden Knorpeloberflächen und nicht mehr ausreichende Kompensation durch Synovialflüssigkeit führt zu
Knorpelein- und Knorpeleinrissen entlang der Kollagenarkaden bis zur subchondralen Knochenlamelle. Röntgenologisch sieht man eine
Abrisse Verschmälerung des Gelenkspalts

III: Fortschreitender Knorpelabrieb durch Scherkräfte, Abrieb bis auf den Knochen, Entstehung einer »Knorpelglatze«. Knöcherne
Knorpelabrieb, Umbauvorgänge mit subchondraler Sklerose als Antwort auf die ungedämpfte Lastübertragung, und kompensatorischer Os-
knöcherner Umbau teophytenanbau an den Randzonen bedeckt mit Faserknorpel als Versuch der Vergrößerung der lastübertragenden Fläche

IV: Abschliff der verdickten subchondralen Knochenlamelle mit Eröffnung des subchondralen Knochens und Entstehung von
Knochenabschliff sog. Geröllzysten (Knorpel-Knochen-Sequester, Fremdkörperriesenzellen, Granulozyten, Fibrin). Röntgenologisch zeigen
sich nun zusätzlich Geröllzysten sowie Randexophyten in den unbelasteten Zonen

V: Nach Eröffnung des Markraumes gelangen teilungsfähige Zellen und Gefäße an die Gelenkoberfläche. Es kommt zur
Remodellierung der Bildung von Faserknorpel. Bei eingeschränkter Beweglichkeit kann dieses Gewebe über den Zustand einer straffen Pseu-
Gelenkfläche/Ankylose darthrose schließlich verknöchern. Das Gelenk versteift (ankylosiert) spontan. Röntgenologisch zeigt sich eine vollständige
Gelenkdeformierung mit Fehlstellung, der Gelenkspalt ist verschwunden und aufgebraucht
204 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

Als präarthrotische Deformität werden alle zum arthrotischen


Aufbrauchschaden des Gelenks führenden Vorschädigungen (Fehl-
stellungen, Gelenkflächeninkongruenz, früherer Infekt etc.) be-
zeichnet. I
Arthritiden können bedingt sein durch Bakterien, reaktiv
(akute Polyarthritis des rheumatischen Fiebers), autoimmunolo- II
gisch (chronische Polyarthritis, juvenile chronische Arthritis, Arth-
ritis psoriatica, Arthritis bei Kollagenosen, Morbus Bechterew etc.)
oder neuropathisch (Diabetes, Tabes dorsales etc.).

10.1.4 Diagnostik

Klinische Symptome bei Gelenkveränderungen sind: Schmerz,


Schwellung, Rötung, Überwärmung als Zeichen der Synovialitis,
Veränderungen der Gelenkkontur (Gelenkschwellung und Gelenk-
deformitäten) und Bewegungseinschränkung. Wichtig ist festzuhal- III
ten, ob es sich um einen monoartikulären Befall oder einen oligo-
oder polyartikulären Befall handelt. Typisch für die primäre und
sekundäre Osteoarthritis ist der monoartikuläre Befall. In diesen
Zusammenhang sollten vorausgegangene Traumen erfragt werden.
Beim Schmerz lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden: der
Schmerz vom mechanischen Typ (typisch für die nicht aktivierte
Osteoarthrose) und der Schmerz vom entzündlichen Typ (typisch ⊡ Abb. 10.3 Die häufigsten osteoarthrotischen Veränderungen an der Hand.
10 für die chronische Polyarthritis). Der Schmerz vom mechanischen I: Heberden-Arthrose des DIP-Gelenks: Die Bildung harter Knochenknorpel-
Typ tritt während oder nach körperlicher Aktivität auf, in Ruhe gewebe (Heberdenknoten) an den jeweiligen Seiten der Endgelenke ist die
nimmt er ab; nachts verschwindet er ganz, es besteht nur geringer Reaktion des Knochens auf den Gelenkverschleiß. Die Knotenbildungen sind
Anlaufschmerz. Der Schmerz vom entzündlichen Typ ist gekenn- häufig druck- und stoß- sowie kälteempfindlich. Gelegentlich bilden sich im
zeichnet durch Ruhe- und Dauerschmerzen und heftige nächtliche Bereich der Endgelenke Zysten im Sinne einer synovialen Aussackung, die prall
elastisch und glasig durchscheinend sein können. Bei fortschreitender Ge-
Schmerzen sowie ausgeprägte Anlaufschmerzen.
lenkzerstörung kann es zu Deviation der Phalangen und Formveränderungen
Hinsichtlich der Gelenkschwellung muss unterschieden werden
mit Instabilität der Gelenke kommen. II: Bouchard-Arthrose des PIP-Gelenks:
zwischen einer Kapselverdickung durch Synovialitis (Proliferation Tritt spindelförmig, teils prall elastisch, teils mit derben Auftreibungen der
der Gelenkinnenhaut) und einem Gelenkerguss. Bei einem Gelenk- Gelenke gepaart mit Druckschmerzen und Beugeeinschränkungen auf. Im
erguss kann unterschieden werden zwischen einem serösen Erguss fortgeschrittenen Zustand kommt es zu Deviationen der Phalangen im Gelenk
(Hydrops), einem serofibrinösen Erguss, einem eitrigen Erguss und zu Instabilität des Gelenks mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung.
(Pyarthros) und einem blutigen Erguss (Hämarthros) (⊡ Tab. 10.2). Bei feuchtkalten Wetterverhältnissen entstehen zunehmende Beschwerden. III:
Bei den Gelenkdeformitäten unterscheidet man Exophyten, Rhizarthrose des CMC-I-Gelenks (Daumensattelgelenkarthrose): Bei Verschleiß
sowie bei Exophytenbildung im Bereich des Os trapezium oder an der Basis
Gelenkverplumpung und Gelenkfehlstellungen (⊡ Abb. 10.3).
des 1. Mittelhandknochens kommt es zu Schmerzen und Bewegungsein-
Röntgenologische Veränderungen sind abhängig von der Ätiolo- schränkungen im Bereich des Daumensattelgelenks. Die Schmerzen werden
gie der Gelenkerkrankung. Bei Arthritiden können in der Frühphase vor allem beim Spitzgriff und 3-Finger-Griff verursacht. Im späteren Stadium
keine Veränderungen an Knorpel und Knochen gesehen werden. kommt es zu einer Adduktionsstellung des Daumens, wobei die Basis des
Hier dominiert die Weichteilschwellung. Knorpel (indirekte Zei- 1. Mittelhandknochens zu einer Subluxation nach dorsal neigt.

⊡ Tab. 10.2 Typische Synovialbefunde bei verschiedenen Gelenkerkrankungen

Chronische Polyarthritis Athrose Kristallsynovitis Bakterielle Infektionen

Aussehen Gelb, trüb Hellgelb Gelb-weißlich Trüb, eitrig

Viskosität ↓↓ Normal ↓↓ ↓

Leukozyten 5,0–30,0 0,2–2,0 5,0–15,0 20,0–80,0

Granulozyten >60% <30% 40–70% >90%

Kristalle – – + –

Rheumafaktor + – – –

Komplement ↓↓ Normal Normal ↓

Gesamteiweiß ↑↑ Normal ↑ ↓↓

Enzyme ↑↑ Normal ↑↑ ↑↑

Bakterien – – – +
10.1 · Allgemeines
205 10
chen) und Knochenveränderungen geben Informationen über den Basierend auf den Erfahrungen aus der Rheumachirurgie sollte das
Zustand des Knorpels und die jeweiligen spontanen Reparaturver- therapeutische Vorgehen primär aufgrund der klinisch prüfbaren
suche. Typische Zeichen sind die Verschmälerung des Gelenkspalts, funktionellen Beeinträchtigung festgesetzt werden. Oft liegt trotz
beginnende Strukturverdichtung im subchondralen Knochen, reak- deutlicher radiologischer Gelenkdestruktionen eine erstaunlich
tive Sklerosierung, Geröllzysten sowie Randexophyten und schließ- gute Mobilität vor. Solche Patienten stellen sich meist aufgrund
lich der aufgebrauchte oder verschwundene Gelenkspalt. von Schmerzen oder der Gelenkdeformität vor. Können die für
Die weitere apparative Diagnostik ist hauptsächlich abhängig den Patienten wichtigen täglichen Verrichtungen erfüllt werden
von der Ätiologie der Gelenkschädigung. und/oder besteht ein ausreichendes Bewegungsausmaß für die
Bei posttraumatischen Gelenkbeschwerden können mithilfe MP (61°), PIP (60°) und DIP (39°) sollten primär symptomatische
der diagnostischen Arthroskopie wichtige Informationen für das Therapiemaßnahmen, wie die systemische Gabe von nichtste-
weitere therapeutische Vorgehen gewonnen werden. roidalen Antireumatika oder die operative Fingergelenkdener-
Bei oligo- und polyartikulären Gelenkbeschwerden können vierung erwogen werden. Bei ausgeprägter Synovialitis bringt in
zahlreiche laborchemische Parameter die Differenzialdiagnose er- geeigneten Fällen eine Synovialektomie Schmerzerleichterung. Bei
leichtern. gut erhaltenem Kapsel-Band-Apparat und knöchernen Gelenk-
anteilen können bei jüngeren Patienten knorpelrekonstruktive
Eingriffe mithilfe von Pridie-Bohrungen und/oder Perichondri-
10.1.5 Klassifikation umtransplantaten und/oder Matrix-Chondrozytentransplantaten
(»tissue engineering«) angewendet werden. Erst wenn diese The-
Bei den Gelenkveränderungen unterscheidet man im deutschen rapiemöglichkeiten nicht erfolgreich oder möglich sind, sollten
Sprachraum in Osteoarthrose und Arthritis ( Abschn. 10.1.3): eingreifendere operative Maßnahmen durchgeführt werden. Bei
▬ Die Osteoarthrose geht vom Gelenkknorpel aus. Erst sekundär der Knorpel-Knochen-Transplantation (KKT) handelt es sich um
kann es zu einer reaktiven Synovialitis kommen. eine direkte Knorpeltransplantation von eigenem unbeschädig-
▬ Die Arthritiden sind Ausdruck einer primären Entzündung tem Knorpel, der an Stellen, wo er physiologisch nicht gebraucht
der Synovialmembran. Sekundär kommt es zu den Knorpel- wird, z. B. am Rand des Oberschenkelknorpels entnommen und
Knochen-Veränderungen. als Ersatz für zerstörten Knorpel in das Gelenk eingesetzt wird.
Mit dieser Methode werden kleinere Defekte des Gelenkknorpels
mosaikartig behandelt. Die Entnahme des Knorpels erfolgt in
10.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Zylinderform von bis zu 1 cm Durchmesser. Diese werden dann
in gleich groß ausgestanzte Öffnungen im beschädigten Knor-
Daumen- und Fingergelenke pelbereich eingefügt (⊡ Abb. 10.8). Resektions-Interpositions-
Die Gelenkzerstörung im Daumen und Fingerbereich führt zu Arthroplastiken und Silikonprothesen sind nur dann indiziert,
einer funktionellen Beeinträchtigung (durch Schmerzen, Bewe- wenn die Gelenkstabilität durch einen noch suffizienten Kapsel-
gungs- und/oder Kraftverlust und Wachstumsbeeinträchtigung bei Band-Apparat erhalten ist oder sekundär rekonstruiert werden
Kindern) und ästhetischen Beeinträchtigung der globalen Hand- kann. Jede übermäßige Beanspruchung (Handarbeit) führt zu
funktion. einer vorzeitigen Schwächung der Gelenkführung mit sukzessi-
Anforderungen an jede gelenkrekonstruktive Technik sind des- ven Funktionsverlust. Eine gleichzeitig bestehende Knochen- und
halb: Weichteilinsuffizienz im Gelenkbereich kann beim Erwachsenen
1. Schmerzreduktion- bis freiheit, mit einer Fingergelenkprothese therapiert werden. Basierend auf
2. ein funktionell ausreichendes Bewegungsausmaß, den Erfahrungen des prothetischen Gelenkersatzes ist auch an
3. ausreichende Stabilität bei Bewegung und Belastung, den Fingergelenken mit einer höheren Komplikationsrate nach
4. bei Kindern normales Wachstumspotenzial. septischer Gelenkzerstörung zu rechnen. Trotz einer stetigen Ver-
besserung bestehen bei den derzeitigen Fingergelenkprothesen si-
Therapeutische Möglichkeiten bei Gelenkzerstörung im Finger- gnifikante Probleme bezüglich aktiver Beweglichkeit, Haltbarkeit
bereich sind Fingergelenkdenervierung nach Wilhelm, Rekons- und Auslockerung (Problem Interface Knochen/Prothese) und
truktion der Knorpelglatze mithilfe von Pridie-Bohrungen und/ Stabilität. Aufgrund der fehlenden Wachstumspotenz nach pro-
oder Perichondriumtransplantate bzw. Matrix-Chondrozyten- thetischem Gelenkersatz sind sie bei Patienten im Wachstumsalter
transplantate (»tissue engineering«), nicht vaskularisierte Knorpel- kontraindiziert.
Knochen-Transplantate ( Abschn. 10.2.2), Resektions-Interposi- Arthrodesen im Fingerbereich stellen in Situationen, bei denen
tions-Arthroplastiken, Fingergelenkprothesen, die vaskularisierte die Gelenke so stark geschädigt sind, dass eine stabile Rekonstruk-
Gelenktransplantation aus dem Hand- oder Fußbereich, die Ge- tion mit schmerzfreier Beweglichkeit nicht mehr möglich ist, die
lenkversteifung und in Ausnahmefällen auch die Finger(strahl) Ultima Ratio für eine Verbesserung der Handfunktion dar.
amputation (⊡ Abb. 10.4). Kein Verfahren kann jedoch alle Anfor- Allgemeine Indikationen für Gelenkarthrodesen gelten auch
derungen gleichzeitig befriedigend erfüllen. Allein die vaskulari- für den Fingerbereich. Hierzu zählen Schmerzen, Instabilität, Ver-
sierte Gelenktransplantation ermöglicht eine Anpassung während lust von gelenkübergreifenden Muskeln und Sehnen und vorausge-
des Wachstums. gangene erfolglose gelenkerhaltende Operationen.
Die Wahl des therapeutischen Vorgehens ist hauptsächlich ab- Spezielle Indikationen für den Handbereich sind:
hängig von folgenden Faktoren: ▬ posttraumatische Gelenkzerstörungen und Arthrosen,
1. Allgemeinzustand des Patienten, ▬ mutilierende Arthritiden des rheumatischen Formenkreises,
2. funktionelle Beeinträchtigung, Verbrennungskontrakturen,
3. Ausprägung und Lokalisation der Destruktion, ▬ Zustände nach schweren Infektionen,
4. Ursache der Destruktion, ▬ ausgeprägte oder rezidivierende Dupuytrenkontrakturen sowie
5. Alter des Patienten. ▬ Paresen peripherer Nerven.
206 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

vaskularisierter Gelenk-Transfer
‘Gelenkersetzende Therapie

Amputation
Arthrodese
‘Gelenkzerstörende Therapie

4) Schmerzen und funktionelle Beeinträchtigung ohne adäquate Gelenkweichteile, mit Knochendefekt

Totale Endoprothese (TEP)


‘Gelenkersetzende Therapie

3) Schmerzen und funktionelle Beeinträchtigung ohne adäquate Gelenkweichteile, mit Knochendefekt

‘Gelenkerhaltende Therapie (subchondrale Knochenlamelle defekt)


Resektions/ Interpositions-Arthroplastik
Gewebeinterposition (palmare Platte,...)
Silikonspacer

Perichondrium-TX
Tissue Engineering (Matrix Chondrozyten-Konstrukte, ....)
‘Knorpelrekonstruktive Therapie (subchondrale Knochenlamelle intakt)
2) Schmerzen und funktionelle Beeinträchtigung, aber adäquate Gelenkweichteile

Chirurgisch (Gelenkdenervation nach WILHELM)


10 Radiologisch (Radiosynovialektomie)
Medikamentös (+ Schmerzambulanz)
‘Schmerztherapie
2) Schmerzen, aber funktionell Beweglichkeit erhalten

Systemische Therapie Lokale Therapie Basis- und Begleittherapie


Physiotherapie/ Ergotherapie
Integratives Therapiekonzept

Defekt-bedingte Faktoren Patienten-bedingte Faktoren Therapie-bedingte Faktoren


Standardisierte Patientenauswahl

Schmerzen Kraftverlust Bewegungsverlust Deformität Wachstums-


beeinträchtigung
Standardisierte Diagnostik und Dokumentation »gemeinsame Sprache«

Inadäquates Gelenk im Handbereich

⊡ Abb. 10.4 Differenzialtherapie »inadäquates Gelenk im Handbereich«

Erhebliche Bewegungseinschränkungen bis Versteifungen an be- Gelenken auch bei Kindern (Chondrodese) eingesetzt werden.
nachbarten Gelenken des zu versteifenden Fingergelenks stellen Wegen der großen funktionellen Beeinträchtigung der globalen
eine relative Kontraindikation dar, da hierdurch kompensatorische Handfunktion ist die Arthrodese im Metakarpophalangealbereich
Bewegungen unmöglich werden. Die Arthrodese führt zu einer der Finger und bei polydigitaler Zerstörung der PIP-Gelenke kont-
Schmerzreduktion – nicht zu einer kompletten Schmerzfreiheit – raindiziert. Im Bereich der PIP-Gelenke können monodigitale PIP-
bei guter Kraft jedoch auf Kosten der Mobilität. Beim Erwachsenen Gelenk-Defekte oft für den Patienten gewinnbringend mit einer
stellt die Gelenkversteifung eine gute Indikation bei (isolierter) Gelenkverblockung therapiert werden. Die vaskularisierte Gelenkt-
Gelenkzerstörung im Bereich des CMC- und MP-Gelenks des ransplantation sollte nur aus der Kenntnis über Indikationen bzw.
Daumens dar. Nur bei isoliertem Gelenkflächenverlust mit Erhalt Kontraindikationen und Ergebnisse aller therapeutischen Möglich-
der Wachstumsfugen kann die Arthrodese in den oben genannten keiten bei MP- und PIP-Gelenk-Defekten im Fingerbereich einge-
10.1 · Allgemeines
207 10
setzt werden. Sie ergibt sich bei Kindern aus Mangel an anderen 4. kombinierte vaskularisierte Transplantation von zwei MTP-
vernünftigen Therapieoptionen aufgrund fehlender Wachstumspo- Gelenken als Ersatz für zwei benachbarte MP-Gelenke,
tenz, beim Erwachsenen aus den Kontraindikationen für den pro- 5. kombinierte vaskularisierte Transplantation der PIP-Gelenke
thetischen Gelenkersatz und/oder der Arthrodese. Als vaskulari- der 2. und 3. Zehe als Ersatz für zwei benachbarte PIP-Finger-
sierte Gelenktransplantate bezeichnet man Gelenke, die ihre eigene gelenke und
Blutver- und -entsorgung in den Empfängerbereich mitbringen. 6. vaskularisierte Zehen-MTP-Gelenk-Transplantation zum Er-
Bei vaskularisierten Gelenktransplantaten unterscheidet man Ei- satz des CMC-Gelenks des Daumens.
gen- (autologe) und Fremdtransplantate (allogen, xenogen). Der
Einsatz von allogenen vaskularisierten Gelenktransplantaten bietet
theoretisch die Möglichkeit der fehlenden Spenderstellenmorbidi- Klassifikation der vaskularisierten Gelenktransplantate
tät sowie der unbegrenzten Verfügbarkeit. Experimentelle Studien ▬ Handbereich
zeigen, dass allogene Gelenktransplantate unter kontinuierlicher 1. Heterodigitaler Gelenktransfer
systemischer Immunsuppression den vaskularisierten autologen – DIP – PIP
Gelenktransplantaten analoge, gute Ergebnisse erzielen können. – PIP – PIP
Ohne Immunsuppression verlieren sie jedoch ihre Funktion nach – PIP – MP
6–8 Monaten. Ihr klinischer Einsatz ist jedoch wegen der mögli- – MP – MP
chen Patientengefährdung aufgrund der Immunsuppression und – Gefäßgestielte mikrochirurgische Transplantation
Übertragung von Infektionen bei fehlender vitaler Bedrohung un- bzw. Transposition
serer Meinung nach aus ethischer Sicht nicht gerechtfertigt. 2. Homodigitale Gelenktransposition
Bei den autologen vaskularisierten Gelenktransplantaten unter- – DIP – PIP
scheidet man partielle und komplette Gelenktransplantate, welche – (PIP – MP)
in gestielter oder mikrochirurgisch reanastomosierter Form ver- ▬ Bereich der 2. und 3. Zehe
pflanzt werden können. Die partielle Gelenktransplantation, d. h. 1. PIP (Zehe) – PIP (Finger)
die Transplantation nur eines Gelenkanteils ist prinzipiell tech- 2. MTP (Zehe) – MCP (Finger)
nisch möglich und klinisch beschrieben. Als Hauptnachteile der 3. MTP/PIP (Zehe) – MCP/MCP (Finger)
partiellen Gelenktransplantation gelten die Gelenkinkongruenz, 4. PIP/PIP (Zehe) – PIP/PIP (Finger)
Schädigung der Synovia mit subsequenter Funktionsminderung 5. MTP/MTP (Zehe) – MP /MP (Finger)
und die postoperative Gelenksteifigkeit durch Vernarbungen im 6. 6) MTP (Zehe) – CMC I (Daumen)
Kapsel-Band-Apparat. Aufgrund der geringen Beweglichkeit und
der vorzeitigen Arthrose erscheint die vaskularisierte partielle Ge-
lenktransplantation als ein aufwendiges Verfahren mit keinen sig-
nifikanten Vorteilen gegenüber der nicht vaskularisierten partiellen Wegen der identischen anatomischen Verhältnisse stellen vasku-
Gelenktransplantation. Indikationen für die vaskularisierte parti- larisierte Fingergelenktransplantate den idealen Ersatz bei Finger-
elle Gelenktransplantation bestehen heute nur noch im Rahmen gelenkdefekten dar. Ein heterodigitaler vaskularisierter (gestiel-
eines traumatischen Gelenkdefektes mit Erhalt einer Gelenkfläche ter oder mikrochirurgisch reanastomosierter) Gelenktransfer ist
oder bei angeborenen Fehlbildungen in Ausnahmefällen. In der aufgrund des großen Spenderdefektes nur dann gerechtfertigt,
Notfallsituation kann im Rahmen einer heterotopen Replantation wenn der Spenderfinger amputiert ist oder werden soll. Durch die
mit Rekonstruktion der Gelenkkapsel (Gewebebankkonzept nach Anwendung des Gewebebankkonzeptes, d. h. Verwendung von
Chase) ein Erhaltungsversuch des betroffenen Gelenks unternom- funktionell nicht mehr wichtigen Fingeranteilen zur funktionellen
men werden, um noch eine geringe Restbeweglichkeit zu erhalten. Rekonstruktion anderer geschädigter Finger, entsteht kein zusätzli-
Wenn immer möglich, sollte das komplette Gelenk transplan- cher Spenderdefekt und noch funktionierende Gewebeanteile kön-
tiert werden. Der Ersatz von Fingergelenken umfasst eine Reihe nen optimal eingesetzt werden. Vor allem in der Akutversorgung
von unterschiedlichen partiellen und kompletten Gelenktransplan- bei komplexen polydigitalen Handverletzungen sollte vermehrt
taten aus dem Hand- und Fußbereich ( Übersicht). Vaskularisierte an die Möglichkeit der heterodigitalen Transplantation von Am-
Gelenktransplantate aus dem Fingerbereich können in zwei For- putatteilen oder ganzer Fingern zur Verbesserung der globalen
men transplantiert werden: Handfunktion ohne zusätzliche Spendermorbidität gedacht wer-
1. Heterodigitale gestielte oder mikrochirurgisch reanastomo- den (⊡ Abb. 10.5). In Abhängigkeit von der Amputationshöhe kön-
sierte Gelenktransplantation unter Anwendung des Gewebe- nen bei Kindern und Erwachsenen DIP-, PIP- und MP-Gelenke
bankkonzeptes und alleine oder in Kombination als Spendergebiet verwendet werden.
2. homodigitale gefäßgestielte DIP-auf-PIP-Gelenk-Transposition. Nach Foucher et al. (1990) kann bei heterodigitaler Gelenktrans-
plantation im Rahmen einer polydigitalen Handverletzung nach
Wegen der ähnlichen anatomischen Verhältnisse können auch mi- vaskularisierter MP-Gelenk-Transplantation ein mittleres aktives
krochirurgisch transplantierte Gelenktransplantate vom Fuß zum Bewegungsausmaß von 45° und nach vaskularisierter PIP-Gelenk-
Ersatz von Fingergelenken eingesetzt werden. Folgende Techniken Transplantation von 42° erreicht werden.
werden beschrieben: Vaskularisierte Gelenktransplantate aus dem Bereich der 2. Zehe
1. vaskularisierte Zehen-PIP-Gelenk-Transplantation zum Ersatz sind indiziert bei bestehender Indikation zur vaskularisierten Ge-
eines Finger-PIP-Gelenks, lenktransplantation und fehlender Möglichkeit der heterodigitalen
2. vaskularisierte Zehen-MTP-Gelenk-Transplantation zum Er- und/oder homodigitalen vaskularisierten Gelenktransplantation.
satz eines Finger-MP-Gelenks, Bei Kindern ist die vaskularisierte Gelenktransplantation indiziert
3. Kombinierte vaskularisierte Transplantation der MTP- und bei kongenitalen Gelenkdefekten ohne zusätzliche Weichteilano-
PIP-Gelenke der 2. Zehe als Ersatz für zwei benachbarte MP- malien (vor allem Beugesehnendefekte), und für alle traumatisch
Fingergelenke, bedingten Gelenkdefekte im Bereich der MP-Gelenke aller Finger
208 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

a b c d

⊡ Abb. 10.5 Gestielte partielle Gelenktransplantation aus dem Handbereich nach komplexer Handverletzung unter Ausnutzung des Gewebebankkonzeptes:
Bei Amputation des Zeigefingers im Grundgliedbereich und Zerstörung des MP-III- und PIP-III-Gelenks im Mittelfingerbereich, wird das MP-II-Gelenk mit lan-
gem Metatarsalknochen und fast komplettem Grundglied des 2. Strahls für die Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit im MP-Bereich des Mittelfingers
verwendet. a Klinischer Befund präoperativ, b radiologischer Befund 2 Jahre nach Rekonstruktion: dorsale Ansicht, c klinischer Befund 2 Jahre postoperativ:
Fingerstreckung (Ansicht von dorsal), d klinischer Befund 2 Jahre postoperativ: Fingerbeugung (Ansicht von lateral): Im MP-III-Gelenk-Bereich kann eine aktive
Bewegung von Ex/Flex 0–10–80° erreicht werden

10
und des Daumens, sowie der PIP-Gelenke, wenn im Hinblick auf stellen die allgemeinen Kontraindikationen für die Anwendung
zusätzliche Weichteilschädigungen die Möglichkeit der Rekons- mikrochirurgischer Techniken dar.
truktion eines »funktionellen Fingers« besteht. Bei Defekten im Die Fingeramputation stellt eine Ausnahmeindikation dar. Sie
Bereich der MP-Gelenke sollen nur MTP-Gelenk-Transplantate kann im Fingerbereich erwogen werden, wenn aufgrund einer
eingesetzt werden, da deren Wachstumspotenz aufgrund der bei- zusätzlichen Knochen-Weichteil-Schädigung des gleichen Fingers
den Epiphysenfugen größer ist als jene der PIP-Gelenke mit nur keine Aussicht auf eine »funktionelle Rekonstruktion« besteht.
einer Epiphysenfuge. Defekte im Bereich der PIP-Gelenke werden
mit PIP-Gelenk-Transplantaten versorgt. Beim Erwachsenen ist die Handgelenk
vaskularisierte Gelenktransplantation im Bereich des CMC- und Bei Schmerzzuständen, die vor allem von älteren Luxationen und
MP-Gelenks des Daumens nur ausnahmsweise bei bestehender Frakturen, aber auch von arthrotischen Veränderungen der Inter-
Kontraindikation zur Arthrodese dieser Gelenke indiziert. Im Be- karpalknochen herrühren, kann die partielle Arthrodese der Kar-
reich der Finger-MP-Gelenke sollten vaskularisierte Gelenktrans- palknochen gute Dienste leisten. Hierbei wird nach Entfernung der
plantate aus dem Fußbereich nur bei bestehender Kontraindikation Gelenkknorpel der benachbarten Karpalknochen und Spongiosa-
zum prothetischen Gelenkersatz erwogen werden. Ein vaskulari- auffüllung eine feste Fusion der karpalen Knochen herbeigeführt.
sierter Gelenkersatz sollte besonders erwogen werden bei Die Indikationsstellung kann aufgrund von Veränderungen im Be-
1. jungen, motivierten Patienten mit handwerklicher Tätigkeit, reich eines oder mehrerer Handwurzelknochen gegeben sein bei:
2. Zustand nach Gelenkinfektion mit erhaltenem Kapsel-Band- 1. schweren Veränderungen des Kahnbeins mit Pseudarthrose,
Apparat, 2. Veränderungen des Mondbeins,
3. zusätzlicher Schädigung des Kapsel-Band-Apparates, 3. Mondbeinnekrosen,
4. zusätzlichem Knochendefekt und 4. SLAC-Wrist Arthrosestadium II,
5. nach Zustand nach fehlgeschlagenem prothetischem Gelen- 5. SLD Grad II und III.
kersatz mit ausgedehntem Knochendefekt.
Die komplette Handgelenkarthrodese ist indiziert bei:
Wegen der besseren funktionellen Ergebnisse im Handbereich und 1. ausgeprägter gleichzeitig bestehender radiokarpaler und
der komplikationsreichen Rekonstruktionsversuche im Bereich der midkarpaler Arthrose,
2. Zehe sollten für die MP-Rekonstruktion MTP-Gelenke verwen- 2. fehlgeschlagener partieller Arthrodese mit Beeinträchtigung
det werden. Bei gleichzeitig bestehendem Weichteil-Gelenk-Defekt des Patienten,
sollte ein zweizeitiges Vorgehen gewählt werden. Bei Hautdefek- 3. Schmerzen und/oder Kraftlosigkeit mit signifikanter Bewe-
ten bis 2 cm Breite kann zusätzlich zu dem Gelenk ein kleiner gungseinschränkung (Ex/Flex <20°–0–20°)
Hautlappen im Sinne eines osteokutanen Dorsalis-pedis-Lappens 4. Instabilität und Fehlstellung,
gehoben werden. Indikationen für den vaskularisierten Gelenker- 5. nach schweren Infektionen,
satz im Bereich der PIP-Gelenke ergeben sich aus den Kontrain- 6. nach schwerer Luxation und Trümmerbruch.
dikationen zur Arthrodese oder zu prothetischem Gelenkersatz in
diesem Bereich. Die vaskularisierte Gelenktransplantation sollte Nur bei nicht handwerklich tätigen Patienten kann in dieser Gruppe
besonders erwogen werden bei polydigitaler Schädigung, wobei noch die komplette Handgelenkarthroplastik erwogen werden. Lie-
hier vermehrt an das Gewebebankkonzept gedacht werden sollte. gen arthrotische Veränderungen entweder nur im radiokarpalen
Kontraindikationen für die vaskularisierte Gelenktransplantation oder im midkarpalen Gelenkspalt vor, stellt die komplette Handge-
10.1 · Allgemeines
209 10
lenkversteifung eine Alternative zu den partiellen Handgelenkarth- bestimmte ärztliche Maßnahmen aufbringt. Darüber hinaus sind
rodesen dar. Für die Differenzialtherapie entscheidende Kriterien Vermeidung einseitiger beruflicher und sportlicher Belastungen,
sind die klinische Symptomatik (Schmerzen, Kraftlosigkeit, Bewe- Gewichtsreduktion, Bewegung, Muskeltraining zur Vermeidung
gungseinschränkung), Beruf (Handarbeiter versus Kopfarbeiter), von Muskelatrophien und Kontrakturen wichtige weitere Punkte.
Händigkeit (dominante versus nichtdominante Hand befallen), Bei der medikamentösen Therapie muss unterschieden werden
Zustand der vorgeschalteten Gelenke (Ellenbogen, Schulter), Ge- zwischen
schlecht, Alter, Freizeitverhalten, Allgemeinzustand und subjektive ▬ symptomatischer Schmerztherapie,
Wünsche des Patienten. Bei Lunatumnekrose im Rahmen einer ▬ Therapie der Entzündung der Synovialitis,
zerebralen Erkrankung mit Spastik kann die Handgelenkarthro- ▬ Therapie zur Beeinflussung des Knorpelstoffwechsels,
dese auch schon in früheren Stadien diskutiert werden, wenn keine ▬ Therapie gegen Muskelverspannung bei Tonuserhöhung.
Möglichkeit der Funktionsverbesserung durch Sehnentransfer be-
steht und durch die Handgelenkverblockung ein deutlicher Funkti- Wichtiges frühes Therapieziel ist die adäquate Schmerztherapie.
onsgewinn erwartet werden kann. Nur so kann eine notwendige Compliance für die folgenden the-
Kontraindikationen für die komplette Handgelenkverblockung rapeutischen Schritte erreicht werden. Zur suffizienten Schmerz-
bestehen bei Stadium I und II der Lunatumnekrose und tetraplegi- therapie stehen eine Vielzahl von Antiphlogistika in Kombination
schen Patienten, die ihre Hand für Greif- und Transportfunktionen mit Analgetika zur Verfügung. Bei der Schmerztherapie ist zu
benötigen. Darüber hinaus ist die Implantation einer Osteosynthe- beachten, dass nichtsteroidale Antirheumatika in hohen Dosen
seplatte kontraindiziert bei noch offener Radiusepiphyse, persistie- sowie intraartikuläre Kortisonapplikationen zwar die Entzündung
rendem Infekt sowie schlechten Weichteilverhältnissen im Hand- hemmen, jedoch auch knorpelschädigend wirken. Eine kausale
gelenkbereich. Zur Verbesserung der postoperativen Ergebnisse medikamentöse Therapie eines eingetretenen Knorpelschadens ist
nach Handgelenkarthrodese muss routinemäßig nach zusätzlichen derzeit noch nicht möglich.
potenziellen Ursachen einer Funktionsbeeinträchtigung der Hand Physikalische bzw. physiotherapeutische Maßnahmen zielen
gesucht werden. Vor allem bei länger bestehenden ausgepräg- neben der Schmerzlinderung und Entzündungshemmung vor
ten arthrotischen Veränderungen mit karpalem Kollaps muss ein allem auf die Förderung der Durchblutung, Muskeltonisierung,
Karpaltunnelsyndrom ausgeschlossen werden. Bei bestehendem Verbesserung der Beweglichkeit und Kontrakturbeseitigung oder
Karpaltunnelsyndrom kann die Spaltung vor oder gleichzeitig -prophylaxe hin. Die verschiedenen und mannigfaltig kombinier-
mit der Arthrodese durchgeführt werden. Auf der routinemäßig baren Applikationsformen hydro- oder elektrotherapeutischer Ver-
durchgeführten Röntgenuntersuchung des Handgelenks in d. p. ordnungen und krankengymnastischer Behandlungen lassen sich
(Supination) und seitlichem Strahlengang ist zusätzlich besonders durch Badekuren (Moor-, Schwefel-, Thermalbäder, Radonapplika-
auf das distale Radioulnargelenk sowie das Lunotriquetralgelenk tion etc.) wirkungsvoll ergänzen.
zu achten. Veränderungen im Bereich des distalen Radiokarpalge- Durch orthopädische Hilfsmittel wird versucht, die eingetretene
lenks mit Beeinträchtigung der Pronosupination müssen getrennt Fehlstatik auszugleichen und schmerzhafte Bewegungsausschläge
therapiert werden. Bei degenerativen Veränderungen im Bereich oder Instabilitäten auszuschalten. Im Handbereich müssen sie aber
des Lunotriquetralgelenks muss dieses nur optional zu versteifende sehr restriktiv verschrieben werden. Sie sollten nur in Kombination
Gelenk angefrischt und mit verblockt werden. mit einem intensiven handtherapeutischen Programm angewendet
Wichtig ist es, in der präoperativen Planung auch die Funktion werden, denn durch das alleinige Tragen einer Handgelenkorthese
von Ellenbogen- und Schultergelenk(en) zu prüfen, da diese den werden die muskulären Handgelenkmotoren geschwächt und ein
Funktionsverlust durch die Handgelenkarthrodese für die gesamte Circulus vitiosus in das Gegenteil beginnt.
obere Extremität teilweise kompensieren können (müssen). Zur
Festsetzung der individuell optimalen Stellung der Arthrodese Operative Therapie
kann diese präoperativ mit Schienen oder Gipsverbänden simuliert Bei der operativen Therapie unterscheidet man gelenkerhaltende
werden. und gelenkersetzende Eingriffe.
Bei den gelenkerhaltenden Eingriffen differenziert man zwi-
schen Bandrekonstruktionen und Knochen-Knorpel-Rekonstruk-
10.1.7 Therapie tionen. Ligamentäre Verletzungen müssen so früh wie möglich und
so exakt wie möglich rekonstruiert werden. Die Rekonstruktionen
Die Therapie ist abhängig von der Ätiologie. Für osteoarthrotische chronischer ligamentärer Instabilitäten werden immer schlechtere
Veränderungen besteht bis dato keine Möglichkeit der Restitutio Ergebnisse erzielen als die der Instabilitäten nach Versorgung in
ad integrum. Hier ist es vorrangiges Therapieziel, die Degeneration der Akutsituation. Bei den Knochen-Knorpel-rekonstruktiven Ein-
so lange wie möglich hinauszuzögern. Das gleiche Ziel wird bei griffen müssen zwei unterschiedliche Ausgangssituationen betrach-
der Therapie der chronischen Polyarthritis verfolgt. Bei der bakte- tet werden, die »Knorpelglatze« und der partielle Gelenkdefekt. Je
riellen Arthritis besteht die Therapie in der sofortigen operativen jünger der Patient, desto größere Anstrengungen sollten unter-
Gelenksanierung. Je früher die adäquate Infektsanierung erfolgt, nommen werden, ein funktionelles Gelenk mit primär gelenk-
desto geringer ist der Restschaden im Gelenk. erhaltenden Maßnahmen wiederherzustellen. Für die Therapie der
»Knorpelglatze« stehen neben den Pridie-Bohrungen und/oder
Konservative Therapie Perichondrium-Transplantaten Matrix-Chondrozytentransplantate
Die konservative Therapie stellt die Basis aller therapeutischen (»tissue engineering«) zur Verfügung. Über den therapeutischen
Maßnahmen dar. Sie umfasst allgemeine Verhaltensregeln, me- Wert der bioartifiziellen Matrix-Chondrozytentransplantate kann
dikamentöse Therapien, physikalische und physiotherapeutische noch keine abschließende Wertung erfolgen. Die Transplantation
Maßnahmen und orthopädische Hilfsmittel. von Teilen eines Gelenkpartners bzw. des gesamten Gelenkpart-
Die allgemeinen Maßnahmen beginnen mit der Aufklärung ners im Sinne einer partiellen Gelenktransplantation ist prinzipiell
des Patienten über die Art seines Leidens, damit er Verständnis für technisch möglich und klinisch beschrieben. Als Hauptnachteile
210 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

der partiellen Gelenktransplantation gelten die Gelenkinkongru-


enz, Schädigung der Synovia mit subsequenter Funktionsminde-
rung und die postoperative Gelenksteifigkeit durch Vernarbungen
im Kapsel-Band-Apparat. Aufgrund der geringen Beweglichkeit
und der vorzeitigen Arthrose erscheint die vaskularisierte partielle
Gelenktransplantation als ein aufwendiges Verfahren ohne sig-
nifikante Vorteile gegenüber der nicht vaskularisierten partiellen
a Gelenktransplantation. Da nur ein Gelenkanteil denerviert ist und
postoperative arthrotische Gelenkveränderungen zu beobachten
sind, können mit der Zeit Schmerzen im Bereich des rekonst-
ruierten Gelenks auftreten. Indikationen für die vaskularisierte
partielle Gelenktransplantation bestehen heute im Rahmen eines
sekundären Gelenkdefektes (posttraumatisch oder Zustand nach
Tumorresektion) mit Erhalt einer Gelenkfläche oder bei angebo-
renen Fehlbildungen in Ausnahmefällen. In der Notfallsituation
kann im Rahmen einer heterotopen gestielten oder freien mikro-
vaskulären Gelenktransplantation mit Rekonstruktion der Gelenk-
b c
kapsel (Gewebebankkonzept nach Chase) ein Erhaltungsversuch
des betroffenen Gelenks unternommen werden, um noch eine
geringe Restbeweglichkeit zu erhalten. Partielle freie mikrochirur-
gische Gelenktransplantate aus dem Fußbereich sind ebenfalls nur
ausnahmsweise indiziert. Im Rahmen eines geplanten sekundären
Eingriffs kann bei einem im MP-Gelenk amputierten Daumen mit-
hilfe des vaskularisierten partiellen Zehentransplantates ebenfalls
10 versucht werden eine geringe Restbeweglichkeit zu erhalten. Durch
die partielle Transplantation der Großzehe wird eine signifikante
Verringerung des Spenderdefektes durch Erhalt des Metatarsale-I-
Köpfchens erreicht. Bei Verlust der Grundphalanx und erhaltener
Gelenkflächen im Metakarpal- und Mittelphalanxbereich kann
versucht werden, durch eine vaskularisierte Grundphalanxtrans-
plantation aus dem Bereich der 2. Zehe die Gelenkbeweglichkeit in
beiden Fingergelenken zu verbessern ⊡ Abb. 10.6).
Die Arthrodeseoperation erfolgt in Rückenlage. Die Hand wird
d e
auf einem Handtisch ausgelagert. Mit Ausnahme der DIP-Gelenk-
Arthrodese sollte die Operation in axillärer Plexusanästhesie oder
ITN erfolgen und eine Oberarmblutleere angelegt werden. Beim
operativen Vorgehen ist darauf zu achten, dass die Arthrodese-
stellung für den Patienten eine optimale Handfunktion zulässt.
Richtgrößen für die jeweiligen Fingergelenke sind beschrieben
(⊡ Abb. 10.7). Die individuelle Stellung sollte aber mit dem Pati-
enten abgesprochen werden. Eine knöcherne Konsolidierung ist
i. Allg. nach 6–8 Wochen erreicht. Auf ein erhöhtes Refraktur-
risiko bei schwerer körperlicher Arbeit und forcierter manueller
Mobilisation für den Zeitraum von 3 Monaten muss der Patient
ausdrücklich hingewiesen werden.

10.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter

Für die Therapie von Gelenkverletzungen und -defekten im Kin-


desalter gelten, bis auf wenige Ausnahmen, die gleichen Bedin-
gungen wie beim Erwachsenen. Auf folgende Unterschiede muss
f g
besonders hingewiesen werden:
Am wachsenden Skelett sind die Epiphysenfugen noch offen.
⊡ Abb. 10.6 Freie mikrovaskuläre komplette PIP-Gelenk-Transplantation aus Sie dürfen durch therapeutische Maßnahmen nicht verletzt wer-
dem Bereich der 2. Zehe zur Rekonstruktion des PIP-Gelenks am Ringfinger.
den. Aufgrund der größeren Regenerationskapazität während des
a Radiologischer Aspekt präoperativ: Der entstandene Defekt im Bereich des
Wachstums können gelenknahe Skelettfehlstellungen bis zu einem
Grundglieds wurde temporär mit einem Silikon-Spacer und zwei Grommets
auf Distanz gehalten, b klinischer Befund präoperativ (Residualzustand nach
gewissen Grad toleriert werden, da sie durch das verbleibende
Tumorexstirpation), c Lappenplanung im Bereich der 2. Zehe, d klinischer Wachstum ausgeglichen werden können. Bezüglich der Weichteile
Befund postoperativ, e radiologischer Befund postoperativ, f klinischer Be- bestehen ebenfalls einige Besonderheiten. Bei der Planung von In-
fund 5 Jahre postoperativ: Fingerstreckung (Ansicht von dorsal), g klinischer zisionen bzw. Erweiterung von Verletzungen ist darauf zu achten,
Befund 5 Jahre postoperativ: Faustschluss (Ansicht von ulnar) dass keine Narbe parallel zur Bewegungsachse zu liegen kommt, da
10.2 · Spezielle Techniken
211 10

⊡ Abb. 10.7 Richtgrößen für die Arthrodesestel-


lungen im Handbereich. a Finger, b Daumen: An-
sicht von palmar, c Daumen: Ansicht von dorsal.
a b c (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

hierdurch im weiteren Verlauf eine kutan bedingte Gelenkkontrak- zept, aus dem lateralen Femurkondylenrand oder aus dem Fuß-
tur entsteht, die sich durch das Wachstum noch verschlimmert. In bereich, gedacht werden. Die Entnahme des Knorpel-Knochen-
Gelenknähe müssen alle Inzisionen optimalerweise im 90°-Winkel Transplantats erfolgt in Zylinderform von bis zu 1 cm Durchmes-
angelegt werden. Bezüglich der Behandlung von Gelenksteifen sei ser (⊡ Abb. 10.8c). Entscheidend für den Operationserfolg ist eine
auf  Kap. 14 verwiesen. möglichst exakte, stufenlose Einpassung des Knorpel-Knochen-
Chips und eine möglichst übungsstabile Osteosynthese, um eine
frühzeitige Bewegung zu ermöglichen (⊡ Abb. 10.8).
10.2 Spezielle Techniken

10.2.1 Technik der Knorpeltransplantation 10.2.3 Technik der heterodigitalen


Gelenktransplantation
Dieses Verfahren bedient sich der Technik des Tissue Enginee-
ring. Bis dato liegen noch keine Langzeitbeobachtungen für den Das Gelenk wird als vaskularisierter Gewebeblock »in toto« analog
Handbereich vor. Ein gesundes autologes Knorpelstück wird bei einer Etagenfraktur möglichst übungsstabil osteosynthetisch ver-
einer Arthroskopie vom Patienten isoliert und als Biopsie ent- sorgt. In Abhängigkeit von dem gleichzeitig bestehenden Weich-
nommen. Dieses Knorpelstück wird zu Genzyme Biosurgery Inc. teildefekt erfolgt auch eine Rekonstruktion der Sehnen und des
(Cambridge/MA) gesandt. Dort werden die Chondrozyten isoliert Hautdefektes (⊡ Abb. 10.5).
und die Zellen in vitro – auf das etwa 10-fache – vermehrt. Nach
der Zellvermehrung werden die Chondrozyten suspendiert (Ca-
tricel) und zurückgesandt an den Einsender. Hier werden dann 10.2.4 Technik der freien mikrovaskulären
die Zellen in den Defekt des zerstörten Gelenks eingebracht. Nach MTP-Gelenk-Transplantation aus dem
Darstellung des Gelenks mit einer kleinen Arthrotomie wird der Bereich der 2. Zehe
Defekt debridiert und mit einem Periostlappen aus der Umge-
bung, der an den umgebenden Knorpel genäht wird, gedeckt. Dies Bei gleichzeitig bestehendem Weichteildefekt sollte zweizeitig vor-
dient der Versiegelung des Defektes und verhindert, dass sich die gegangen werden. Eine gute Hautbedeckung ist neben einer guten
eingebrachten Zellen unkontrolliert ausbreiten. Dann wird die Sehnenfunktion und einer frühzeitigen postoperativen Beübung
Zellsuspension unter dem Periostlappen (»Prinzip der autochtonen Voraussetzung für ein gutes funktionelles Ergebnis.
Wachstumskammer«) indiziert. Um degenerative Veränderungen ausschließen zu können, sind
präoperativ Röntgenaufnahmen von der Entnahmestelle am Fuß
und vom Empfängergebiet an der Hand erforderlich. In der Regel
10.2.2 Technik der autologen nicht vaskularisierten wird das Gelenk vom gleichseitigen Fuß entnommen, da in die-
Knorpel-Knochen-Transplantation (»osteo- sem Fall eine einfachere Anschlussmöglichkeit an die A. radialis
chondral autologous transplantation«, OATS) gegeben ist. Durch eine präoperative Doppler-Sonografie kann
festgestellt werden, ob ein dorsaler oder ein plantarer Versorgungs-
Erwin Kollig typ vorhanden ist, was für Lappenplanung und Operationstechnik
hilfreich sein kann.
Bei Knorpel-Knochen-Defekten im Fingerbereich (⊡ Abb. 10.8a) Die Operation erfolgt in Rückenlage und Intubationsnarkose.
sollte vor allem bei jungen Patienten die Möglichkeit von nicht Eine Blutleere wird sowohl am Oberarm (Kinder 200 mmHg, Er-
vaskularisierten Knorpel-Knochen-Transplantaten aus einem nicht wachsene 300 mmHg) als auch am Oberschenkel (300–500 mmHg)
mehr zu rekonstruierenden Finger nach dem Gewebebankkon- angelegt. Im Idealfall sollten zwei Operationsteams gleichzeitig
212 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

a d

10

c e

⊡ Abb. 10.8 Technik der autologen nicht vaskularisierten Knorpel-Knochen-Transplantation. a CT-Befund präoperativ, b intraoperativer Befund nach Zu-
richtung des Empfängerlagers, c intraoperativer Aspekt nach Entnahme des zylinderförmigen Knorpel-Knochen-Chips (OATS), d intraoperativer Aspekt nach
passgenauer, stufenloser Einbringung des Knorpel-Knochen-Transplantats im Bereich des Trapezium, e CT-Befund postoperativ

arbeiten. Wird die Lappenplastik von nur einem Operationsteam A. radialis und ein Ast der V. cephalica in der Tabatière aufgesucht
durchgeführt, so wird zunächst das Empfängergebiet vorbereitet. und für den mikrochirurgischen Anschluss des Transplantates
Zur Entfernung des funktionslosen Gelenks im Empfängerge- vorbereitet. Dies gilt auch für den kleinen Ast des R. superficialis
biet wird eine S-förmige Inzision auf der dorsalen Seite des Fingers des N. radialis, der sich in der Regel dorsal des Handgelenks vom
durchgeführt, die auf einer der beiden Seiten am MP-Gelenk Stamm löst.
vorbeizieht. Sie reicht durch das subkutane Fettgewebe bis auf die Für die Transplantatentnahme am Fuß werden zuerst die Äste
tiefe Faszie, die ebenfalls durchtrennt wird, sodass in der nächsten der V. saphena magna, die A. dorsalis pedis und die A. metatarsalis
Schicht präpariert werden kann. Zur Darstellung des MP-Gelenks dorsalis I dargestellt. Um in der postoperativen Phase die Kontrolle
wird die Streckaponeurose auf der ulnaren Seite inzidiert und der Durchblutung zu ermöglichen und den Wundverschluss zu
nach radial weggezogen. Nun wird das funktionslose Gelenk mit erleichtern, wird eine kleine Hautinsel dorsal des Zehengrundge-
dem Köpfchen des Os metacarpale und der Basis der Grundpha- lenks umschnitten (⊡ Abb. 10.9a). Da das Transplantat im Empfän-
lanx entfernt. Anschließend werden über eine zweite Inzision die gergebiet um 180° gedreht wird, sollte diese Hautinsel zur Erhal-
10.2 · Spezielle Techniken
213 10

a b c

⊡ Abb. 10.9 Freie mikrovaskuläre Metatarsophalangeal-(MTO-)II-Zehengelenk-Transplantation zur Rekonstruktion eines funktionslosen Zeigefingergrundge-
lenks. a Anatomie und Lappenplanung, b Drehung des vaskularisierten Gelenktransplantats um 180° und Platzierung des Hautlappens

tung der dorsalen Konvexität des MTP-Gelenks etwas exzentrisch der Präparation der plantaren Seite beginnt mit der Darstellung der
angelegt werden (⊡ Abb. 10.9b,c). Ist eine größere Hautinsel zur Sehnenscheide, weil dadurch die plantaren Gefäße nicht verletzt
Defektdeckung erforderlich, kann auch ein eigener, über den dor- werden können. Falls erforderlich, kann das A1-Ringband zur Sta-
salen Ast zur Großzehe versorgter Hautlappen entnommen werden bilisierung eines Sehnentransplantates auf der konvexen Seite des
(⊡ Abb. 10.9a). zu rekonstruierenden MP-Gelenks benutzt werden.
Unabhängig davon, ob ein dorsaler oder ein plantarer Ver- Bei der Präparation der dorsalen Seite ist auf die Endäste des
sorgungstyp vorhanden ist, müssen zur Erhaltung der Zuflüsse N. fibularis profundus sorgfältig zu achten.
in das Gefäßnetz um das MTP-Gelenk beide Gefäßsysteme dar- In einem nächsten Schritt werden beide Zügel der Strecksehne,
gestellt werden. Dies gilt auf der plantaren Seite vor allem für die das Os metatarsale, die Grundphalanx sowie das Lig. metatarsale
A. metatarsalis plantaris II. Ist die A. metatarsalis dorsalis I von transversum profundum durchtrennt. Die Höhe der Osteotomien
ausreichendem Kaliber, kann die Durchblutung des Transplantates ergibt sich aus den Anforderungen im Empfängergebiet. Im Ide-
auf diese Arterie sowie auf die A. metatarsalis plantaris II gestützt alfall sollte sie so gewählt werden, dass das künftige MP-Gelenk
werden. Eine ausreichende Verbindung der beiden Arterien be- in der anatomisch korrekten Position zu den benachbarten MP-
steht über den proximalen R. perforans zur A. plantaris profunda Gelenken der Hand zu liegen kommt. Ist allerdings am Hals des
im Bereich des 1. Intermetatarsalraumes und des Arcus plantaris Os metatarsale ein Gefäßnetz vorhanden, so muss die Osteotomie
(⊡ Abb. 10.9a). zwangsläufig weiter proximal ausgeführt werden. Sie darf grund-
Die weitere Präparation der A. metatarsalis dorsalis I erfolgt sätzlich auch nicht zu nahe am MTP-Gelenk liegen, da das hier
entlang des M. interosseus dorsalis I, wobei der Ast zum MTP-II- unbedingt zu erhaltende Gefäßnetz beschädigt werden könnte.
Gelenk geschont werden muss. Anschließend kann das Lig. meta- Nach Resektion der Strecksehne sind das MTP-Gelenk der 2. Zehe
tarsale transversum profundum durchtrennt und der arterielle Ast und die dorsale Hautinsel nun nur noch an ihrem Gefäßbündel
zur Großzehe unterbunden werden. Wegen seiner Bedeutung für gestielt.
die Verbindung der beiden Gefäßsysteme und die Speisung der Nun wird die Blutsperre des Beines geöffnet und die Perfusion
medialen Äste zum MTP-II-Gelenk muss auch der distale Perfo- des Gelenktransplantates in situ kontrolliert. Der Fuß kann in
ransast zwischen dorsalem und plantarem Gefäßsystem unbedingt warme Tücher eingewickelt und etwas tiefer gelagert werden. Ohne
erhalten bleiben. ausreichende Perfusion verbietet sich die Transplantation unter
Liegt nur eine schwach ausgebildete A. metatarsalis dorsa- allen Umständen.
lis I vor (Typ III nach Gilbert), so sollte das Transplantat an der Der Verschluss des Hebedefekts wird durch Entfernen des
A. metatarsalis plantaris I oder II gehoben werden. Die frühzeitige größten Teiles des Os metatarsale II erleichtert. Der Rest der bei-
Osteotomie des Os metatarsale II erleichtert dies. Die sicherste Art den Ligg. metatarsalia transversa profunda wird mit nichtresor-
214 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

bierbarem Nahtmaterial fixiert, um die Ossa metatarsalia I und III ermöglicht die Vorbereitung der Gefäßanschlüsse an die A. radialis
einander anzunähern. Nach Einlage einer Drainage ohne Sog wird und an einen Ast der V. cephalica. Zwischen beiden Inzisionen
die Haut spannungsfrei direkt verschlossen. Die Immobilisierung wird die Haut untertunnelt und so ein ausreichend großer Kanal
erfolgt in einem gespaltenen Unterschenkelgips für 4 Wochen. Mo- für das Gefäßbündel des Transplantates geschaffen.
bilisierung ohne Bodenkontakt ist nach 3–7 Tagen möglich. Eine In der Mehrzahl der Fälle wird nach Entnahme des Transplan-
orthopädische Versorgung der Entnahmestelle, wie das Tragen von tates von vornherein die Amputation des 2. Strahles geplant, wes-
Einlagen, ist ratsam. halb der gesamte Hautmantel um das PIP-Gelenk der 2. Zehe mit
Als nächstes wird das Transplantat an die Hand verlagert und dem Transplantat entnommen werden kann. In der Regel ist ein
dort fixiert. Wegen des größeren Bewegungsumfanges für die Hautlappen dorsal des PIP-Gelenks, vom DIP-Gelenk distal bis auf
Extension und des geringeren Bewegungsumfanges für die Fle- den Vorfuß proximal, ausreichend (⊡ Abb. 10.10a). Die Entnahme
xion (Extension/Flexion: 45/0/30) sollte das MTP-II-Gelenk um des PIP-Gelenks der 2. Zehe erfolgt ausschließlich von dorsal.
180° in der Längsachse gedreht implantiert werden. Lediglich bei Nach Aufsuchen und Präparation der A. dorsalis pedis und der
Kleinkindern ist eine anatomische Implantation sinnvoll, da mit V. saphena magna wird die Präparation von proximal nach distal in
weiterem Wachstum des Transplantates die Beweglichkeit im Beu- den 1. Intermetatarsalraum fortgeführt, wo die A. metatarsalis dor-
gebereich deutlich zunimmt. In diesem Fall kann eine Beugesehne salis I oberflächlich des Lig. metatarsale transversum aufgesucht
zusätzlich in das Transplantat eingeschlossen werden. Die Osteo- werden kann. Die Auswahl des Gefäßstieles hängt davon ab, ob ein
synthese wird mit Kirschner-Drähten, mit einer Drahtcerclage plantarer oder ein dorsaler Versorgungstyp des Fußes vorliegt, also
oder einer Platte erreicht, wobei die Durchblutung der transplan- von der Ausprägung der A. metatarsalis dorsalis I. Besitzt die vor-
tierten Skelettanteile möglichst wenig gestört werden darf. Ziel handene A. metatarsalis dorsalis I einen größeren Durchmesser als
ist eine möglichst hohe Stabilität, die eine frühzeitige Beübung 1 mm (dorsaler Versorgungstyp), so ist eine Darstellung der A. me-
des Transplantates zulässt, was entscheidenden Einfluss auf das tatarsalis plantaris I nicht notwendig, da über den distalen R. per-
funktionelle Ergebnis hat. Nach Öffnen der Blutleere werden die forans die für die Durchblutung der 2. Zehe ausschlaggebende
Strecksehnen versorgt, auf eine Rekonstruktion der Beugesehnen A. plantaris propria ausreichend versorgt wird. Zeigt die A. meta-
wird beim Erwachsenen verzichtet. Die Mikroanastomosen mit tarsalis dorsalis I einen kleineren Durchmesser als 1 mm, so muss
10 der A. radialis werden in End-zu-Seit-Technik, die mit der V. ce- die A. metatarsalis plantaris I bzw. die A. metatarsalis plantaris II
phalica in End-zu-End-Technik angelegt. Der Hautnervenast wird als Gefäßstiel für das vaskularisierte PIP-Gelenk-Transplantat ver-
mit dem R. superficialis des N. radialis koaptiert. Nach Öffnen der wendet werden. Dazu wird der Streckapparat längs inzidiert, das
Blutleere wird die Lappendurchblutung kontrolliert, eine subtile Os metatarsale II proximal osteotomiert und mit einem Haken
Blutstillung durchgeführt und die Haut nach Einlage von Draina- leicht angehoben (⊡ Abb. 10.10c). Die frühzeitige Osteotomie bietet
gen locker verschlossen. den Vorteil eines großzügigeren Zuganges und Überblickes auf das
Die Hand wird auf einer palmaren Unterarmgipsschiene oder plantare Gefäßsystem und erleichtert später den Verschluss des
in einem Replantationsverband für 10 Tage ruhiggestellt. Rheo- Hebedefektes. Wenn weder die beiden plantaren Arterien noch die
logische Maßnahmen können eingeleitet werden. Anschließend beiden dorsalen Arterien einen ausreichenden Gefäßdurchmesser
wird vorsichtig mit passiver krankengymnastischer Behandlung für eine alleinige Durchblutung des Transplantates besitzen, sollten
begonnen. Nach 4–6 Wochen ist in der Regel eine ausreichende 2–3 der kleineren Arterien im Empfängergebiet reanastomosiert
knöcherne Konsolidierung erreicht, sodass nach radiologischer werden.
Kontrolle mit aktiven und passiven krankengymnastischen und er- Die 2. Zehe wird nun distal im DIP-Gelenk durchtrennt. Eine
gotherapeutischen Übungen begonnen werden kann. Eine Nacht- mediane plantare Längsinzision bildet zwei laterale Hautlappen,
schienenversorgung zur Prävention einer Beuge- oder Streckfehl- die nach proximal bis zum Gefäß-Nerven-Bündel präpariert wer-
stellung kann für etwa 6 Monate notwendig sein. den. Anschließend erfolgt die Eröffnung der Beugesehnenscheide
in Längsrichtung und die Resektion der Sehnen. Dabei dürfen die
feinen retrotendinösen Gelenkäste, die die Durchblutung der plan-
10.2.5 Technik der freien mikrovaskulären taren Platte gewährleisten, nicht verletzt werden. Zum Schluss wird
PIP-Gelenk-Transplantation aus dem die Grundphalanx in der benötigten Höhe osteotomiert.
Bereich der 2. Zehe Sobald das Transplantat nur noch am Gefäßbündel gestielt
ist, wird die Blutsperre eröffnet, der Fuß mit warmen Tüchern
Die Operation erfolgt in Rückenlage und Intubationsnarkose. Am umwickelt und tiefer als die Körperebene gelagert. Die endgültige
Oberarm wird eine Blutleere (Kinder 200 mmHg, Erwachsene Transplantation sollte niemals vor Wiederherstellung der Durch-
300 mmHg) angelegt. Die Entnahme vom Fuß erfolgt in Ober- blutung des Transplantates, die bis zu 30 Minuten benötigen kann,
schenkelblutsperre (Kinder 300 mmHg, Erwachsene 500 mmHg). erfolgen.
Im Idealfall sollten zwei Operationsteams gleichzeitig arbeiten. Lu- Sobald das Empfängergebiet vorbereitet ist, wird der Gefäßstiel
penbrillenvergrößerung ist zur Präparation des Transplantates wie in der für einen direkten mikrochirurgischen Anschluss benötigten
auch zur Vorbereitung der Empfängerstelle anzuraten. Länge durchtrennt und das Transplantat an die Hand verlagert.
Zunächst wird die Empfängerstelle für die Transplantation Gleichzeitig mit der Fixierung des Transplantates im Handbereich
vorbereitet. Dazu wird eine longitudinale dorsale Inzision angelegt wird der Hebedefekt verschlossen.
und vernarbtes Gewebe von Haut, Sehnen oder Knochen entfernt, Der Verschluss des Spendergebietes erfolgt durch einen er-
um die Möglichkeit einer gleichzeitigen Rekonstruktion dieser An- fahrenen Operateur nach den gleichen Prinzipien wie bei der
teile sicherzustellen. Die Beugesehnenscheide wird abgetrennt und freien mikrovaskulären Transplantation der 2. Zehe nach Yang
die verbleibende palmare Platte verschmälert. Nach Resektion des ( Kap. 39).
funktionslosen Gelenks werden die beiden Knochenenden und der Grund- und Mittelphalanx des Empfängergebietes werden so
Streckapparat vorbereitet. Ein zweiter Zugang, der im Idealfall ho- geformt, dass das PIP-Gelenk der Zehe in die beiden Knochen-
rizontal an der Basis des 1. Intermetakarpalraumes angelegt wird, enden gesteckt werden kann. Diese Art der Fixation ermöglicht
10.2 · Spezielle Techniken
215 10

b c

⊡ Abb. 10.10 Freie mikrovaskularer PIP-Gelenk-Transplantation der 2. Zehe nach Foucher zur Rekonstruktion
eines funktionslosen PIP-Gelenks des Mittelfingers. a Anatomie und Lappenplanung, b postoperativer Zustand
a im Fingerbereich (Ansicht nach lateral), c postoperativer Zustand im Handbereich: Ansicht von dorsolateral

zusammen mit einer temporären Kirschner-Draht-Osteosynthese Anschließend werden die Gefäße unter Vermeidung jeglicher
eine bessere Stabilität des Gelenks. Um eine postoperative Beuge- Torsion durch den vorbereiteten Tunnel in die Tabatière verlagert.
kontraktur des Fingers zu vermeiden, ist es ratsam, eine geringe Die Arterien werden in End-zu-Seit- bzw. End-zu-End-Technik
Längenverkürzung einzukalkulieren. Schließlich werden die Reste (T-förmig) an die A. radialis, die Vene in End-zu-End-Technik an
der Beugesehnenscheide der Zehe mit der vorbereiteten Beuge- die V. cephalica anastomosiert.
sehnenscheide des Fingers vernäht, um einen Bogensehnen-Effekt Nach Öffnen der Blutleere wird die Durchblutung des Trans-
(»bow stringing«) zu vermeiden (⊡ Abb. 10.10b). plantates geprüft und eine subtile Blutstillung durchgeführt. Die
Wird gleichzeitig ein Beugesehnendefekt behandelt, so ist die Nerven des Transplantates werden mikrochirurgisch an die Äste
transplantierte lange Beugesehne der 2. Zehe als nicht vaskula- des R. superficialis des N. radialis koaptiert. Der Hautverschluss
risiertes Transplantat anzusehen, da im PIP-Gelenk-Bereich nur sollte in jedem Fall spannungsfrei erfolgen, um eine Kompression
wenige ernährende Vincula vorhanden sind. In diesem Fall sollte des Gefäßstieles zu vermeiden. Falls erforderlich, sollten freie
die kurze Beugesehne der 2. Zehe möglichst weit proximal durch- Hauttransplantate großzügig eingesetzt werden (⊡ Abb. 10.10c).
trennt werden, um sie in der Hohlhand mit der oberflächlichen Die Hand wird für 3 Wochen auf einer palmaren Gipsschiene
Beugesehne des Fingers besser vernähen zu können. Damit kann ruhiggestellt und postoperativ leicht hochgelagert. Die Hautinsel
die Beugemöglichkeit des rekonstruierten Gelenks verbessert wer- erlaubt eine Überwachung der Durchblutung des Transplantates.
den (⊡ Abb. 10.10b). Die Strecksehnen des Fingers werden mit den Eine systemische rheologische Therapie wird für 5 Tage durch-
Zehenstreckern in voller Extensionsstellung vereinigt. Die lange geführt. Nach 3 Wochen wird mit aktiven Bewegungsübungen
Strecksehne der Zehe wird dabei mit dem medialen Sehnenzug begonnen, die durch eine dynamische Schienenbehandlung unter-
der Streckaponeurose, die kurze Strecksehne der Zehe mit einem stützt werden können. Eine nächtlich anzulegende Lagerungsschiene
intrinsischen Muskel verbunden. Die Sehnennähte sollten jeweils wird ab der 5. Woche vorgeschrieben. Die Kirschner-Drähte können
so weit als möglich proximal bzw. distal und damit außerhalb des entsprechend der radiologisch zu beurteilenden Knochenkonsoli-
Narbengewebes zu liegen kommen (⊡ Abb. 10.10c). dierung nach 4–6 Wochen entfernt werden.
216 Kapitel 10 · Prinzipien der Behandlung von Gelenkverletzungen und -defekten

10.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen ist in solchen Fällen umso strenger zu stellen und eine sinnvolle
Kombination mit arthroplastischen Methoden zu suchen.
An Komplikationsmöglichkeiten sind bei Arthrodesen im Finger-
bereich die üblichen postoperativen Komplikationen nach Kno-
chen- und Gelenkeingriffen zu beobachten. Weiterführende Literatur
Früh postoperativ können Durchblutungsstörungen der Finger,
insbesondere nach Korrektur starker Flexionskontrakturen, eine Baumbach K, Petersen JP, Ueblacker P, Schröder J, Göpfert C, Stork A, Rueger
vitale Bedrohung des Fingers mit Notwendigkeit einer operativen JM, Amling M, Meenen NM (2008) The fate of osteochondral grafts after
Revision bedeuten und langfristig zu anhaltender Kälteintoleranz autologous osteochondral transplantation: a one-year follow-up study
und Schmerzen führen. Infekte der Haut, Weichteile und Kno- in a minipig model. Arch Orthop Trauma Surg. Nov;128(11):1255–1263
chen, insbesondere bei transkutan eingebrachten K-Drähten oder Buncke HJ, Daniller AI, Schulz WP, Chase RA (1967) The fate of autogenous
vermehrt bei Arthrodesen nach infektbedingter Gelenkzerstörung whole joints transplanted by microvascular anastomoses. Plast Reconstr
gehören zu den am häufigsten auftretenden Komplikationen. Surg 39: 333–341
Die Pseudarthrosenrate wird in der Literatur je nach ange- Buncke HJ, Valauri FA (1991) Vascularized toe-joint transplantation. In: Bun-
cke HJ (Hrsg) Microsurgery: Transplantation-Replantation. Philadelphia,
wandter Methode auf 0–30% beziffert und ist zumeist auf inad-
Lea & Febiger, 102–110
äquate Osteosynthesetechnik, nicht ausreichende Größe oder Vita-
Chase RA (1967) Expanded clinical and research use of composite tissue
lität der knöchernen Kontaktfläche oder falsche Nachbehandlung transfers on isolated vascular pedicles. Ann J Surg 114: 222–229
zurückzuführen. Für die Hand ist jedoch anders als bei Pseudarth- Chase RA (1968) The damaged index finger: A source of components to res-
rosen an anderen Lokalisationen immer zu berücksichtigen, dass tore the cripled hand. J Bone Jt Surg 50A: 1152–1160
eine schmerzfreie Pseudarthrose besser ist als eine Arthrodese, Chase RA (1973) Atlas of Hand Surgery. Saunders, Philadelphia
sodass die Indikation zu einer Rearthrodese anhand klinischer Colson P (1984) Greffes ostéo-articulaires. In: Tubiana R. (Hrsg) Traité de Chir-
Gesichtspunkte und nicht anhand von Röntgenbefunden gestellt urgie
werden darf. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich mit einer Re- de la Main, Tome II. Masson, Paris, S 531–539
arthrodese die Rate sämtlicher hier aufgeführter Komplikationen Comtet JJ, Monatte JP, Machenaud A (1975) Utilisation des implants de
Swanson au niveau des articulations interphalangiennes proximales
10 weiter erhöht.
dans les séquelles de traumatisme: voie d`abord, résultats, indications.
Insbesondere bei Perforation von Strecksehnen durch Bohr-
Ann Chir 29: 471–474
drähte oder Verwendung von auftragenden Kompressionsplatten Condamine JL, Benoit JY, Comtet JJ, Aubriot JH (1988) Proposition pour une
werden Strecksehnenadhäsionen beobachtet, die eine intensive arthroplastie digitale. ètude clinique des premiers résultats.Ann Chir 7:
physiotherapeutische Nachbehandlung oder auch sekundäre Te- 282–297
nolysen notwendig machen. Hierdurch kann es zu bleibenden Dautel G (1993) Le doigt-banque. In: Merle M, Dautel G (Hrsg) La Main trau-
Bewegungseinschränkungen der benachbarten, nicht versteiften matique, Bd 1, L’urgence. Masson, Paris, S 293–303
Gelenke kommen, was die Gesamtfunktion der Hand erheblich be- Dautel G, Merle M (1995) Reconstruction articulaire. In: Merle M, Dautel G
einträchtigen kann. Iatrogene Verletzungen des Mittelzügels durch (Hrsg) La Main traumatique, Tome 2 Chirurgie secondaire. Masson, Paris,
eine Querinzision bei Durchführung einer DIP-Arthrodese kön- S 15–54
nen eine nur schwer zu behebende Schwanenhalsdeformität nach Del Pinal F (2007) Costochondral autografts as a salvage procedure after
failed trapeziectomy in trapeziometacarpal osteoarthritis. J Hand Surg
sich ziehen.
32A: 1121
Die häufigsten technischen Fehler sind Achsenfehlstellungen,
Eades JW, Peacok EE (1966) Autogenous transplantation of an interphalan-
Rotationsfehler, die Nichtbeachtung der funktionell empfehlens- geal joint and proximal phalangeal epiphysis. Case report and ten-year
werten fingerspezifischen Arthrodesenwinkel, nicht kongruente follow-up. J Bone Jt Surg 48A: 775–778
Resektionsflächen und knöcherne Diastasen sowie eine ungenü- Ellis PR, Tsai TM, Kutz JE (1991) Joint transplantation with microvascular
gende Gelenkflächenresektion im nichtspongiösen Knochen mit anastomoses. In: Meyer VE, Black MJM (Hrsg) Microsurgical Procedures.
verzögerter oder ausbleibender Konsolidierung. Churchill Livingstone, Edinburgh, S 172–184
Hinzu kommen aus der allgemeinen operativen Frakturbe- Entin MA, Alger JR, Baird RM (1962) Experimental and clinical transplantation
handlung bekannte Fehler in der technischen Anwendung von of autogenous whole joints.J Bone Jt Surg 44: 1518–1536
Osteosynthesematerialien, insbesondere von Zugschrauben und Erdelye R (1963) Experimental autotransplantation of small joints. Plast Re-
constr Surg 31: 129–139
Kompressionsplatten mit folglich früher Auslockerung und Pseu-
Foucher G, Merle M (1976) Transfert articulaire au niveau d’un doigt en mi-
darthrosenbildung.
crochirurgie. In: Lettre d’information du GAM, N° 7
Eine durch eine schonende Präparation (evtl. unter Lupenbril- Foucher G, Braun F, Merle M, Michon J (1980) Le »doigt-banque« en trauma-
lenbedingungen) vermeidbare Gefahr ist insbesondere im MC-I- tologie de la main. Ann Chir 34: 693–698
Bereich die Verletzung von Fingernerven. Foucher G, Denuit P, Braun FM, Merle M, Michon J (1981) Le transfert total ou
Eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht darin, zu viele partiel du deuxième orteil dans la reconstruction digitale. A propos de
Arthrodesen an einer Hand durchführen zu wollen. Die oben 32 cas. Acta Orthop Belg 47: 845–866
genannten Indikationen und Darstellungen der unter Funktionsge- Foucher G, Hoang P, Citron N, Merle M, Dury M (1986) Joint reconstruction
sichtspunkten optimalen Arthrodesenwinkel sind für die Planung following trauma: Comparison of microsurgical transfer and conventio-
eines einzelnen oder weniger zu versteifender Gelenke gedacht. Bis nal methods: A Report of 61 Cases. J Hand Surg 11B: 388–393
Foucher G, Sammut D, Citron N (1990) Free vascularized toe joint transfer
auf funktionell kaum störende multiple DIP-Arthrodesen verlieren
in hand econstruction: A series of 25 patients. J. Reconstr Microsurg 6:
diese Empfehlungen bei multiplen geschädigten Fingergelenken
201–207
ihre relative Bedeutung. Bei gleichzeitiger Versteifung von Gelen- Foucher G, Lenoble E, Sammut D (1990) Transfer of a composite island ho-
ken des Daumens und von Fingern kommt es beispielsweise zu ei- modigital distal interphalangeal joint to replace the proximal interpha-
ner sich potenzierenden Funktionsminderung, sodass bei solchen langeal joint. Ann Chir Main 9: 369–375
Patienten von vornherein ein gedankliches Durchspielen der re- Foucher G, Citron N, Sammut D (1991) Compound vascularized island joint
sultierenden Handgesamtfunktion erforderlich ist. Die Indikation transfer in hand surgery. Orthop Surg 5: 32–39
Weiterführende Literatur
217 10
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11

Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich


Stephan F. Schindele, Beat R. Simmen

11.1 Allgemeines – 220


11.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 220
11.1.2 Epidemiologie – 222
11.1.3 Ätiologie – 222
11.1.4 Diagnostik – 222
11.1.5 Klassifikation – 222
11.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 222
11.1.7 Therapie – 223
11.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 226
11.2 Spezielle Techniken – 227
11.2.1 Technik des queren dorsalen Zugangs am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk – 227
11.2.2 Technik des longitudinalen dorsalen Zugangs am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk – 227
11.2.3 Technik des dorsalen Zugangs am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk – 227
11.2.4 Technik des palmaren Zugangs am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk – 229
11.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 230
11.3.1 Revisionseingriffe – 230
Weiterführende Literatur – 230

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


220 Kapitel 11 · Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich

11.1 Allgemeines und nimmt bei zunehmender Einsteifung der Nachbargelenke


dementsprechend zu.
11.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und
Physiologie Geschichte der Fingerarthroplastik
Die ersten Kunstgelenke
Die Greiffunktion unsere Hände wird maßgeblich durch die Funk- 1959 berichteten Brannon und Klein als Erste über einen alloarth-
tion der Grundgelenke (metakarpophalangeale Gelenke, MCP) roplastischen Gelenkersatz am MCP-Gelenk, wobei die Prothese
und Mittelgelenke (proximale interphalangeale Gelenke, PIP) be- aus einem einfachen Metallscharnier bestand. Bis zu diesem Zeit-
stimmt. Die Endgelenke (distale interphalangeale Gelenke, DIP) punkt wurde lediglich über diverse Weichteilinterpositionsarth-
nehmen dagegen nur eine untergeordnete Rolle in der Greiffunk- roplastiken bzw. Resektionsarthroplastiken berichtet, aber keine
tion der Hand ein. Ein Verlust der Beweglichkeit der MCP- und Technik konnte sich als Behandlungsstandart etablieren. Aufgrund
PIP-Gelenke an den ulnaren Strahlen (Ring- und Kleinfinger) zunehmender Prothesenlockerungen nahm der Enthusiasmus, der
bedeutet ein Verlust für das Greifen von kleinen Gegenständen von Brannon und Kleins Artikel ausging, jedoch schnell wieder
und auch einen erheblichen Verlust für die Kraft beim Greifen ab. Das Design der Prothesen wurde in der Folge mehrmals verän-
von Gegenständen aller Größen. An den radialen Strahlen ist der dert, wobei Flatt in den 70er Jahren den Schaft zu einem dünnen
Verlust der Beweglichkeit weniger einschränkend, da hier die Sta- Doppelschaft modifizierte. Steffee et al. entwickelten eine Polyethy-
bilität für den Spitz-und Schlüsselgriff zum Daumen eine weitaus len-Metall-Scharnierprothese, die durch Knochenzement veran-
wichtigere Rolle spielt. kert wurde. Bei initial guten Resultaten beider Prothesendesigns
Das PIP-Gelenk ist der wichtigste Schlüssel in der Greiffunk- lieferten diese im Langzeitverlauf unbefriedigende Ergebnisse, da
tion der Hand und verantwortlich für 40–50% der Gesamtbeweg- zunehmend Knochenerosionen, Ablagerungen von Metallabrieb
lichkeit. Auf der Bewegungskurve der Finger nimmt das Mittelge- im Gelenk und aseptische Lockerungen in Abhängigkeit der Liege-
lenk eine erhebliche Wertigkeit ein und ist verantwortlich für das dauer auftraten (⊡ Abb. 11.2, ⊡ Abb. 11.3).
Greifen von kleinen und von unregelmäßig geformten Gegenstän-
den. Als wichtigster funktioneller Bewegungsumfang wird eine
Beugung und Streckung von 85/0/0 beschrieben. In Anwesenheit
von intakten Grundgelenken wird ein Streckdefizit besser als eine
Einschränkung der Beugung toleriert.
11 Das MCP-Gelenk ist für rund 40% der gesamten Beweglichkeit
der Fingergelenke verantwortlich. Mit den am weitesten proximal
gelegenen Fingergelenken werden die Finger im Raum positioniert
(⊡ Abb. 11.1).
Die Wertigkeit jedes einzelnen Fingergelenks ist demgegenüber
abhängig von der Gesamtbeweglichkeit der benachbarten Gelenke

⊡ Abb. 11.2 Sammlung erster Fingergelenkimplantate (von links: Brannon,


Flatt, Swanson, Nicolle-Calnan, Stellbrink-St.Georg, Mathys, GSB-Schulthess)

⊡ Abb. 11.1 Bewegungsumfang der Finger. Der Bewegungsbereich eines


Fingers deckt sich mit einer gleichwinkeligen oder logarithmischen Spirale
(Fibonacci-Kurve). Verantwortlich hierfür ist das Längenverhältnis der Glieder ⊡ Abb. 11.3 Ausgedehnter Metallabrieb mit schwarzer Synovialitis einer
eines Fingerstrahls, das nach Littler 7,1, 4,6, 2,8 und 1,8 im Mittel beträgt Metallprothese
11.1 · Allgemeines
221 11
Silikonplatzhalter Silikonelastomer als Werkstoff diente, konnte er dann ab 1975 auf
In den 60er Jahren entwickelte Swanson dann einen Platzhalter ein »high-molecular-weight, crosslinked silicone elastomer« zu-
aus Silikonelastomer für die MCP-Gelenke und einige Jahre später rückgreifen. 1986 konnte der Werkstoff dann nochmals modifiziert
auch für die PIP-Gelenke. Durch die Erfahrungen mit der An- werden, sodass mit dem neuen HP-Silikonelastomer (»high per-
wendung von Silikonkautschuk bei der Versorgung von Amputa- formance«) die Gefahr von Ermüdungsbrüchen weiter verringert
tionsstümpfen bei Kindern und Jugendlichen angeregt, plante er werden konnte.
die nach Resektionsarthroplastiken entstandene Lücke mit einem Trotz der Verbesserungen des Werkstoffs zeigen sich im Lang-
Spacer zu überbrücken. zeitverlauf zunehmend Prothesenbrüche mit einer Degradation des
Niebauer entwickelte parallel zu Swanson eine kürzere und Materials. In mehreren Publikationen konnte gezeigt werden, dass
gedrungenere Interpositionsprothese aus Silikonkautschuk, welche durch die Prothesenbrüche langfristig von einer Reduktion der Ge-
zur besseren Verankerung intramedullär mit einem Dacronnetz lenkstabilität ausgegangen werden muss, weshalb bei Patienten mit
überzogen war. Zusätzlich wurde zur besseren Stabilität der Pro- einer rheumatoiden Arthritis ein Rezidiv des Ulnardrifts begüns-
these Dacron in das Silikon eingearbeitet. Dieses Design zeigte je- tigt wird. Probleme wie der Kaltfluss oder die Silikonsynovialitis,
doch langfristig eine hohe Rate an mechanischen Komplikationen. die häufig an anderen, mehr belastenden Gelenken (Handgelenk,
Swanson verfolgte bei seiner Interpositionsarthroplastik das Daumensattelgelenk) beobachtet werden konnten, stellen an den
Konzept einer Fixierung der Prothese durch eine sog. »Encapsula- Fingergelenken jedoch weniger ein Problem dar. Um die Pro-
tion«. Nach Resektion des Gelenks soll durch Einfügen des Spacers these vor den scharfen Knochenkanten mechanisch schützen zu
ein neuer Gelenkspalt geschaffen werden und ein zunächst limi- können, wurden zusätzlich Titanhülsen (»grommets«) entwickelt.
tierter, dann zunehmender Bewegungsausschlag erlaubt werden. Langfristig konnte jedoch die Zahl der Prothesenbrüche auch
Somit kann sich postoperativ eine fibröse Kapsel um das Implantat mit diesen Schutzhülsen nicht verbessert werden. Wahrscheinlich
ausbilden, die auch langfristig Stabilität und eine schmerzfreie muss davon ausgegangen werden, dass als Hauptursache für die
Bewegung des Gelenks ermöglicht. Diese neu gebildete Kapsel Prothesenbrüche ein Verlust der Elastizität durch den natürlichen
gewährleistet eine ausreichende Fixierung des Implantates, sodass Alterungsprozess des Silikonmaterials verantwortlich ist. Daneben
eine weitere intramedulläre Fixierung nicht nötig ist. Swanson war zeigt sich, dass die Stressspitzen an der Prothese nicht am dorsal
der Meinung, dass das freie Gleiten der Prothese im Markraum es- liegenden Scharnier auftreten, sondern sich proximal und distal
senziell für die gute Beweglichkeit des Gelenks sei und auch auf die am Übergang zum Prothesenschaft finden, wo sich in der Regel
Haltbarkeit des Implantats einen positiven Einfluss habe. Durch auch die Prothesenbrüche einstellen. Bei der rheumatoiden Arth-
die Gleitmöglichkeiten der Prothese können so die einwirkenden ritis begünstigt zusätzlich das Fortschreiten der Arthritis an den
Kräfte auf den Knochen reduziert werden. Er selbst bezeichnete Grenzschichten die Entstehung von scharfen Knochenkanten, die
dieses Gleiten der Prothese in den Markräumen als »Pistoning- dann zusätzlich zur Verletzung der Prothesenoberfläche führen
Effect« (⊡ Abb. 11.4). Nachdem Swanson anfänglich ein einfaches und langfristig einen Implantatbruch begünstigen.

Moderne Silikonprothesen
Mitte der 80er Jahre wurde als Alternative zur geraden Swan-
son-Prothese die Sutter-Prothese als leicht vorgebogene Vari-
ante vorgestellt. Im Weiteren wurden diverse Varianten dieses
neuen Designs von verschiedenen Anbietern entwickelt (Avanta-
Prothese, Neuflex-Prothese, Ascension-Silikon-Prothese). Diese
neuen Designs zeigen alle eine weitgehend identische Form, die
sich von der alten Form der Swanson-Prothese folgenderma-
ßen unterscheidet: Im Gegensatz zur geraden Swanson-Prothese
sind diese Prothesen im Scharnier um ca. 30° vorgebogen, was
die Beugung im Gelenk erleichtern soll (⊡ Abb. 11.5). Weiter-
hin liegt das Scharnier palmar, was dem Rotationszentrum des
natürlichen Gelenks näher kommt und die Kraft der Strecker
gegenüber den Beugesehnen begünstigt. Zwischen Scharnier und
dem rechteckigen Schaft finden sich proximal und distal große
breite Abstützplatten, die ein »pistoning« der Prothese bei der
Bewegung reduzieren sollen. Zudem ist die Prothese durch den
breitflächigen Kontakt besser gegen scharfe Knochenkanten ge-
schützt. In verschiedenen klinischen Untersuchungen, die teil-
weise auch prospektiv und als Blindversuch durchgeführt wur-
den, finden sich jedoch nur geringgradige bis keine Unterschiede
zur Swanson-Prothese. In der Regel wird die Beugung des Fingers
mit dem neuen Design jedoch leicht verbessert. Schmerz, Kraft
und Zufriedenheit der Patienten zeigen dagegen keinen signi-
fikanten Unterschied zur Swanson-Prothese. Da mit den neuen
Designs bislang noch keine Langzeitergebnisse vorliegen, kann
über die bei der Swanson-Prothese beobachteten Komplikationen
⊡ Abb. 11.4 Gleiten der Prothese im Markkanal (»piston effect«). Bei der wie Bruch der Prothese, Sinterung, Osteolysen oder den wieder-
Fingerbeugung gleitet die Prothese nach distal, bei der Extension schiebt es kehrenden Ulnadrift der Finger bei der rheumatoiden Arthrits
das Implantat nach proximal noch keine sichere Aussage gemacht werden.
222 Kapitel 11 · Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich

denen klinischen Studien wie auch im Tierexperiment konnte


jedoch gezeigt werden, dass eine wirkliche Osteointegration mit
Keramik und Pyrocarbon nicht zu erreichen ist. Mit zementierten
Metallprothesen und unzementierten Titanprothesen scheint da-
gegen eine ausreichende Fixierung bzw. Osteointegration möglich.
Vorteile gegenüber den Silikonprothesen liegen in der seitlichen
Stabilität, die durch diese neuen Prothesen erzielt werden konnte.
a Da die seitliche Stabilität vor allem an den radialen Strahlen eine
große Bedeutung hat, können diese bei entsprechender Indikation
immer noch bei der Wahl des Implantats in Erwägung gezogen
werden. Die durchschnittliche Gelenkfunktion ist ähnlich wie bei
den Silikonprothesen, wobei die Streubreite deutlich größer ist. In-
wieweit sich diese Neuentwicklungen jedoch langfristig bewähren,
muss der weitere Verlauf zeigen, da auch heute noch keine Langzei-
tergebnisse vorliegen. Als Goldstandard kann deshalb heute nach
wie vor die Silikonarthroplastik angesehen werden.
b

11.1.2 Epidemiologie  Kap. 10

11.1.3 Ätiologie  Kap. 10

11.1.4 Diagnostik  Kap. 10

11.1.5 Klassifikation  Kap. 10


c 11.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie  Kap. 10
11
Indikationen
Hauptindikation für den Einsatz eines Kunstgelenks am MCP-
Gelenk stellt die Destruktion dieser Gelenke bei der rheumatoiden
Arthritis dar. Gleichzeitig findet sich meist ein störender Ulnadrift
(»Coupe-de-vent-Deformität«), welcher von den Patienten primär
ästhetisch als störend empfunden wird und funktionell weniger ein
Problem darstellt. Die Arthroplastik hat hier neben der Schmerz-
d freiheit zusätzlich eine Korrektur des Alignement zum Ziel. Häufig
ist die Destruktion der Fingergrundgelenke mit einer rheumatoi-
⊡ Abb. 11.5 Silikon-Fingergelenkimplantate. Ansicht von der Seite:
den Destruktion des Handgelenks vergesellschaftet. Die gleichzei-
a gebogene NeuFlex-Prothese, b gerade Swanson-Prothese. Ansicht von der tige Ulnardeviation in den MCP-Gelenken und die Radialrotation
Seite: c gebogene NeuFlex-Prothese, d gerade Swanson-Prothese im Handgelenk führen zum »Wahrzeichen« der rheumatoiden
Arthritis, der »Handskoliose« (⊡ Abb. 11.6). Diese beiden Defor-
mitäten wirken sich biomechanisch gegenseitig begünstigend aus,
wobei nicht eindeutig geklärt ist, welche Deformität primär und
Echte Kunstgelenke und neue Entwicklungen welche sekundär oder allenfalls funktionell ist. Deshalb gehen die
Nachdem Brannon und Klein 1959 erstmals über einen arthro- Meinungen auch auseinander, welche der beiden Deformitäten zu-
plastischen Gelenkersatz berichtet haben, wurden im Verlauf der erst korrigiert werden soll. In Übereinstimmung mit den meisten
Jahrzehnte neben den Silikonprothesen diverse Gelenkprothesen Autoren empfehlen wir eine Korrektur von proximal nach distal,
entwickelt. Neben dem Hauptwerkstoff Metall wurden weitere also zuerst die Stabilisierung des Handgelenks und anschließend
Werkstoffe wie PEEK (Polyetheretherketone), Polypropylen etc. die Korrektur der Coupe-de-vent-Deformität.
oder Kombinationen von verschiedenen Werkstoffen eingeführt. Primäre Arthrosen, die sich häufig an den PIP-Gelenken (Bou-
Als Verankerung wurden Pressfittechniken, Zement, Dacron oder chard) oder DIP-Gelenken (Heberden) manifestieren, sind an den
Schraubprothesen verwendet, die alle keine wirkliche Osteointeg- MCP-Gelenken selten. Vor allem die familiär gehäuft auftretende
ration bzw. stabile Fixation erzielen konnten. Meist wurde als Ge- Fingerpolyarthrose manifestiert sich neben den DIP-Gelenken vor
lenkverbindung eine geführte (»constrained«) oder halbgeführte allem an den PIP-Gelenken und nicht selten auch am Daumensat-
(»semi-constrained«) Verbindung gewählt. Alle Prothesen haben telgelenk. Die rheumatoide Arthritis des Erwachsenen führt dage-
sich im Langzeitverlauf nicht bewährt. gen an den Mittelgelenken weniger zur Gelenkzerstörung als die
In den vergangenen Jahren haben sog. Gleitprothesen auf juvenile Form, die bereits im Kindesalter auftreten kann.
sich aufmerksam gemacht. Diese Neuentwicklungen wurden als Neben der rheumatoiden Arthritis ist die MCP-Arthoplastik
wirklicher Oberflächenersatz entwickelt, wie er sich an den großen auch bei anderen selteneren entzündlichen, degenerativen oder
Gelenken (Hüfte, Knie, Schulter) schon lange bewährt hat. Als Ma- posttraumatischen Gelenkzerstörungen indiziert. Hier muss vor
terialen werden Keramik, Pyrocarbon und Metall-/Titanprothesen allen Dingen die Psoriasisarthropathie oder Gelenkentzündungen
mit einer Metall-Polyethylen-Gleitpaarung eingesetzt. In verschie- im Rahmen von reaktiven Arthritiden bei Darmerkrankungen
11.1 · Allgemeines
223 11

⊡ Abb. 11.6 Handskoliose bei rheumatoider


Arthritis. a Coupe-de-vent-Deformität mit Sublu-
xation der MCP-Gelenke und Ulnadrift der Finger
sowie zusätzliche Instabilität am Handgelenk mit
ulnarem Abrutschen des Karpus und kompensa-
torischer Radialduktion der Mittelhand, b Korrek-
tur des Alignements mit MCP-Silikon-Arthroplas-
a b
tik 2–5 und radiolunärer Teilarthrodese

(Colitis ulcerosa, Morbus Crohn), Kollagenosen (Lupus erythema- 11.1.7 Therapie


todes, Jaccoud-Arthropathie, Sklerodermie, CREST-Syndrom etc.)
erwähnt werden. Nicht selten finden sich auch isolierte Gelenkzer- Konservative (nichtoperative) Therapie  Kap. 10
störungen bei Chondrokalzinose (Pseudogicht, CPPD), seltener bei Operative Therapie
der primären Hyperurikämie. Findet sich eine isolierte Zerstörung Der Zeitpunkt eines operativen Eingriffes an den Fingergelenken
eines MCP-Gelenks, sollte primär an eine nicht seltene Chondro- sollte mit dem Patienten gut gewählt werden. Da auch heute mit
kalzinose oder an eine sekundäre Arthrose z. B. im Rahmen einer dem Kunstgelenkersatz nur eine eingeschränkte Beweglichkeit am
Hämochromatose gedacht werden. jeweiligen Fingergelenk erzielt werden kann, sollte die Indikation
erst dann erfolgen, wenn neben den Schmerzen auch ein Verlust
Kontraindikationen der Beweglichkeit eingetreten ist. Stehen bei noch guter Beweglich-
Floride Infektionen im Bereich eines zerstörten Fingergelenks keit schmerzhafte Synovialitiden der Gelenke im Vordergrund so
stellen eine absolute Kontraindikation für die Implantation eines kann häufig eine temporäre Besserung der Schmerzsituation auch
Kunstgelenkes dar. Zuerst muss der Infekt zur Abheilung ge- mit Steroidinfiltrationen erreicht werden. Zeigt sich jedoch, dass
bracht werden, und es empfiehlt sich darüber hinaus ein größeres das Intervall zwischen den Infiltrationen sehr kurz ist, sollte dem
Zeitintervall von mehreren Wochen bis zur Gelenkimplantation Kunstgelenk der Vorzug gegeben werden. Besonders am Mittelge-
zuzuwarten. Da Infektparameter im Labor (CRP/BSR) nur selten lenk können aufgrund des geringen Weichteilmantels wiederholte
ein Ansprechen auf Fingergelenkinfektionen zeigen, können diese Infiltrationen zu einer störenden Steroidatrophie der Haut führen.
nicht für eine sichere Beurteilung der Aktivität herangezogen wer- Es sollte deshalb bei jeder Infiltration darauf geachtet werden, dass
den. Wichtig ist eine engmaschige Kontrolle und Beurteilung des diese intraartikulär und nicht in das umgebende Weichteilgewebe
klinischen Bildes. Da die Affinität von Bakterien zu Fremdkörpern, erfolgt.
hierzu zählen auch Fingerimplantate, um bis zu 104-fach erhöht ist, Die Beschreibung der Zugangswege sowohl am MCP- wie auch
sollten auch generalisierte Infektionen im Bereich der Haut oder PIP-Gelenk ( Abschn. 11.2) beziehen sich auf die Implantation von
der inneren Organe weitgehend abgeheilt sein. In jedem Fall eines Silikonplatzhaltern. Auch für moderne Implantatsysteme kann der
Kunstgelenkersatzes empfiehlt sich eine Single-shot-Antibiotika- jeweilige Zugangsweg gewählt werden, wobei Abweichungen je
prophylaxe ca. 30 min vor dem Hautschnitt. Ist ein Eingriff trotz nach Implantat möglich sind und die Technik dementsprechend
bestehendem Infekt nicht zu umgehen, sollte mit dem Infektologen angepasst werden muss.
ein entsprechendes perioperatives Antibotikaregime ausgearbeitet Für den Zugang zum Grundgelenk sind je nach Indikation
werden. zwei unterschiedliche dorsale Zugänge empfehlenswert ( Ab-
Als relative Kontraindikation müssen Einsteifungen der be- schn. 11.2.1,  Abschn. 11.2.2). Im Gegensatz zum PIP-Gelenk haben
troffenen Fingergelenke aufgrund einer fehlenden Gleitfähigkeit sich palmare oder laterale Zugänge nicht bewährt.
des Sehnengewebes betrachtet werden. Vor allem an den Finger- Für das PIP-Gelenk sind in der Literatur verschiedene chirurgi-
mittelgelenken können posttraumatische Adhäsionen des um- sche Zugänge beschrieben. Alle haben ihre theoretischen Vor- und
gebenden Sehnengleitgewebes vorliegen, die postoperativ eine Nachteile und bis heute hat kein Zugang eine eindeutige Überle-
erneute Einsteifung des Gelenks zur Folge haben. Ist intraoperativ genheit gegenüber einem anderen Zugang zeigen können. Knö-
die Chance auf eine Adhäsiolyse gering, soll auch die Indikation cherne und im Einzelfall auch spezielle Weichteilsituationen diktie-
zur Operation kritisch gestellt werden. Eine spontane (degenera- ren die Wahl des Zugangsweges. Eine Korrektur einer begleitenden
tive) Ankylose der PIP-Gelenke mit intakten Beuge- und Streck- Schwanenhals- oder Knopflochdeformität bedingt einen dorsalen
sehnen stellt keine Kontraindikation dar, insbesondere wenn Zugang ( Abschn. 11.2.3), wohingegen eine Beugekontraktur we-
die Versteifung in einer funktionell ungünstigen Stellung (meist gen Sehnenadhäsionen einen palmaren Zugang ( Abschn. 11.2.4)
Streckstellung) erfolgt ist. erforderlich macht. Der selten beschriebene laterale Zugang hat
224 Kapitel 11 · Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich

bis heute nur in wenigen Publikationen Erwähnung gefunden. Für Schiene) angepasst. Ziel dieser Schiene ist eine aktive Beugung
diesen Zugang ist eine komplette Durchtrennung mindestens eines in den Fingergelenken mit passiver Extension und Radialduk-
Seitenbandes nötig, weshalb er wahrscheinlich keine Vorteile ge- tion durch Gummizügel zum Schutz des rezentrierten Streck-
genüber dem dorsalen oder palmaren Zugang aufweist. apparates (⊡ Abb. 11.8). Diese Schiene wird am Tag während
6 Wochen durch den Patienten selbst angelegt und zur Nacht auf
Nachbehandlung nach Arthroplastik eine Fingerschiene in Extensionsstellung gewechselt. Diese wird
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk zusätzlich bis 3 Monate postoperativ getragen. Da das Anlegen
Die Nachbehandlung eines isolierten Gelenkersatzes im Falle einer der Schiene durch den Patienten selbst gelegentlich Probleme
Arthrose gestaltet sich in der Regel einfacher als bei der rheuma- bereiten kann, haben wir in Einzelfällen mit Erfolg auch primär
toiden Arthritis mit gleichzeitig vorliegender Luxation, Instabilität eine palmare Cock-up-Schiene mit Einschluss der MCP-Gelenke
und ulnarem Drift der Gelenke. angepasst (s. oben).
Beim Gelenkersatz eines isolierten Gelenks hat sich eine Obwohl in der Literatur auch über gute Resultate nach primä-
palmare Cock-up-Schiene mit Ausleger für das betroffene Grund- rer Immobilisation der Gelenke bis 4 Wochen berichtet wird, stre-
gelenk und dem ulnaren Nachbarstrahl bewährt (MCP-Schulthess- ben wir zur Verhinderung von Sehnenverklebungen die primäre
Splint). Durch Einschluss des Grundgelenks in 0°–10°-Extensions- Mobilisation mithilfe der oben beschriebenen dynamischen und
stellung kann die Naht des Streckapparates entlastet werden und statischen Schienen an.
umgehend in der Schiene die PIP- wie auch DIP- Gelenke aktiv
mobilisiert werden. So wird eine Verklebung des Sehnengleitgewe- Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk
bes verhindert. Nach 2–3 Wochen kann dann zusätzlich mehrmals Die postoperative Nachbehandlung sollte individuell angepasst
täglich aus der Schiene heraus auch das MCP-Gelenk aktiv und werden und richtet sich hauptsächlich nach dem gewählten Zu-
passiv mobilisiert werden. Pro Woche kann das aktive Bewegungs- gangsweg. Im Falle einer stabilen Refixation des Streckapparates
ausmaß um 20° gesteigert werden. Auf die Cock-up-Schiene wird beim dorsalen Zugang kann bedenkenlos in den ersten postopera-
nach 6 Wochen verzichtet, und eine Vollbelastung ist 8 Wochen tiven Tagen mit geschützten Beuge- und Streckübungen begonnen
postoperativ möglich (⊡ Abb. 11.7). werden. Im Falle einer zusätzlichen Korrektur einer Deformität
Bei der rheumatoiden Arthritis mit multiplem Ersatz der (Schwanenhals/Knopfloch) muss je nach Verfahren das postopera-
MCP-Gelenke wird nach einer ersten Phase der Abschwellung tive Protokoll angepasst werden.
und Immobilisation ca. 8–10 Tage postoperativ eine dynamische Der palmare Zugang erlaubt nach stabiler Refixation des Beu-
11 Extensionsschiene (Swanson-Schiene bzw. »reversed« Kleinert- gekanals eine relativ aggressive Rehabilitation. Dies ermöglicht

a a

b b

⊡ Abb. 11.7 Schulthess-Splint zur Nachbehandlung von isolierten MCP- ⊡ Abb. 11.8 Dynamische Extensionsschiene zur Nachbehandlung von MCP-
Arthroplastiken. Aktive Mobilisation der PIP-/DIP-Gelenke in extensionsnaher Arthroplastiken bei rheumatoider Arthritis. Durch die radiale Montage der
Lagerung der MCP-Gelenke zur Verhinderung von Strecksehnenadhäsionen Zügel kann der ulnare Drift ausgeglichen werden
11.1 · Allgemeines
225 11
ein frühfunktionelles Beüben der Beugung und Streckung in den Funktionelles Ergebnis und Revisionshäufigkeit hängen eng
ersten postoperativen Tagen. Zum Schutz sollte eine palmare La- mit dem Verlauf der Grunderkrankung zusammen. Mit Silikon-
gerungsschiene in Intrinsic-plus-Stellung für ca. 4–6 Wochen ge- implantaten entstehen Bindegewebsmembranen, welche an der
tragen werden. Aus dieser heraus müssen jedoch mehrmals täglich rheumatoiden Entzündungsaktivität teilhaben und erneuten Kno-
Bewegungsübungen durchgeführt werden, um eine postoperative chenverlust mit Rezidivdestruktion zur Folge haben können. Des-
Einsteifung durch Narbengewebe zu verhindern. Bei kooperativen halb kommt der Behandlung der Grunderkrankung entscheidende
Patienten kann eine frühfunktionelle Mobilisation im Zwillings- Bedeutung zu.
verband (8er-Schlinge) erlaubt werden. Da die Beugung an den Auch bei stabilen Arthrosen der MCP-Gelenke können güns-
ulnaren Strahlen von größerer Bedeutung ist als die Streckung, tige Langzeitergebnisse mit Silikonimplantaten erzielt werden.
sollte die Indikation zu Flexionszügeln großzügig gestellt werden. Oberflächenprothesen neuerer Bauart weisen vergleichbare Frü-
Um langfristig eine gute Stabilität beim Schlüssel- und Spitzgriff zu hergebnisse auf. Langfristig sind Variabilität der Ergebnisse und
erzielen, kann an den radialen Strahlen die Indikation zu länger- Revisionsrate für uns aber nach wie vor zu hoch, um von unserer
fristiger Immobilisation des PIP-Gelenks, z. B. in einer U-Schiene, bisherigen Implantatwahl abzuweichen.
in Erwägung gezogen werden. Im Zeitraum von 1998 bis 2008 wurden an unserer Klinik
Die Arthrose der Mittelgelenke (Bouchard-Arthrose) neigt in 580 MCP-Silikon-Arthroplastiken bei 169 Patienten durchgeführt.
ihrem Verlauf zur Einsteifung und in einzelnen Fällen zur voll- In der Mehrzahl waren dies Patienten mit einer rheumatoiden Ar-
ständigen knöchernen Ankylose in Streckstellung. Auch nach einer thritis, bei denen in der überwiegenden Zahl der Fälle ein multip-
Arthroplastik der PIP-Gelenke besteht im Langzeitverlauf eine ler Gelenkersatz zur Korrektur der Coupe-de-vent-Deformität nö-
Tendenz zur Streckkontraktur. Deshalb ist es sinnvoll, die Pati- tig war. Im gleichen Zeitraum musste dagegen nur bei 27 Patienten
enten auf diese Gefahr aufmerksam zu machen und sie zu einem eine Revision mit Implantatwechsel durchgeführt werden. In allen
langfristigen und regelmäßigen Übungsprogramm zur Verbesse- Fällen haben wir gebrochene Silikonprothesen entfernt und durch
rung und Erhaltung der Beugefähigkeit zu ermuntern. neue Silikonimplantate ersetzt (insgesamt 52 Silikonprothesen).

Ergebnisse Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk


Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk Im Gegensatz zu den MCP-Gelenken ist die häufigste Indikation
Die häufigste Indikation zum Ersatz der MCP-Gelenke ist die zur PIP-Arthroplastik die Bouchard-Arthrose. Die Ergebnisse sind
rheumatoide Arthritis. Neben der rein ossären Zerstörung beste- deshalb nicht zusätzlich durch den Verlauf einer Grunderkran-
hen auch begleitende Weichteilschäden mit palmarer Subluxation, kung, wie dies bei der rheumatoiden Arthritis der Fall ist, belastet.
Überdehnung der Kollateralbänder und der Streckerhauben mit Wir geben auch bei den PIP-Gelenken der Arthroplastik mit
ulnarer Subluxation der Strecksehnen (und auch Beugesehnen) Silikonimplantaten den Vorzug. Die Ergebnisse sind »uniform«.
mit der Coupe-de-vent-Deformität beim Vollbild. Bisher war es Es darf mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Funktion von
ausschließlich mit Silikonimplantaten langfristig möglich, solche 50–60% der Norm ohne Schmerzen mit hoher Langzeitkonstanz
Deformitäten zu beheben. Wesentlich erscheint die Beobachtung, gerechnet werden (⊡ Abb. 11.9, ⊡ Abb. 11.10). Der palmare Zugang
dass die Rekonstruktion ebenso ein Weichteileingriff ist wie eine ist technisch anspruchsvoll. Da die Vorteile des palmaren Zugan-
Arthroplastik. Wir geben der Rekonstruktion der MCP-Gelenke ges überwiegen, wird er bei uns als Standartzugang verwendet.
mit den neueren HP-Silikonimplantaten grundsätzlich den Vorzug. Nicht zuletzt sind auch die ästhetischen Ergebnisse ausgezeichnet,
Mit diesen Implantaten darf eine schmerzfrei Funktion der MCP- denn die Narben sind kaum sichtbar. Oberflächenersatzprothesen
Gelenke von 50% der Norm langfristig erwartet werden. Leider ist haben am PIP-Gelenk eher Aussicht auf Erfolg, da Weichteilprob-
mit einer gewissen Rezidiv-Ulnardeviation im Langzeitverlauf zu leme wie am MCP-Gelenk wegfallen. Solch ein echtes Gelenk setzt
rechnen (5° bis 20° Grad). Die Patientenzufriedenheit ist hoch, die eine exakte Gelenkachse voraus – ein schwer zu erreichendes Ziel
Revisionshäufigkeit niedrig. bei ausgedehnten arthrotischen Veränderungen. Vielleicht ist dies

⊡ Abb. 11.9 PIP-Arthroplastiken implantiert über


palmaren Zugang: Fall 1 mit isolierter Bouchard-
Arthrose PIP 3. a Präoperativ, b postoperativ nach
a b
Einsetzen eines NeuFlex-Silikonimplantats
226 Kapitel 11 · Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich

a b

11

⊡ Abb. 11.10 PIP-Arthroplastiken implantiert


über palmaren Zugang: Fall 2 mit erosiver
Fingerpolyarthrose und Swanson-Silikon-
Implantaten an 7 PIP-Gelenken. a Präoperativ
links, b präoperativ rechts, c postoperativ links,
c d
d postoperativ rechts

der Hauptgrund für die große Streubreite der funktionellen Ergeb- 11.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
nisse mit solchen Gelenken. Der palmare Zugang eignet sich auch
zur Implantation von Oberflächenersatzprothesen und ermöglicht Die Behandlung von Zerstörungen der Fingergelenke im Wachs-
eine frühfunktionelle Rehabilitation, welche sich günstig auf die tum unterscheidet sich wesentlich von der Behandlung Erwachse-
Vorhersehbarkeit der Ergebnisse auswirken dürfte. ner. Im Vordergrund stehen bei Kindern eher posttraumtische Zu-
Im Zeitraum von 1998 bis 2008 habe wir bei 326 Patienten eine stände und weniger Destruktionen im Rahmen von entzündlichen
Silikonarthroplastik am PIP-Gelenk aufgrund einer degenerativen Gelenkerkrankungen wie z. B. die juvenile rheumatoide Arthritis
Gelenkzerstörung durchgeführt. Dabei wurden bei einem Drittel ( Abschn. 51.1.8). Durch den Einsatz von modernen Basisthera-
aller Patienten aufgrund der hohen primären Zufriedenheit im peutika können heute schwere Gelenkzerstörungen oft ausreichend
gleichen Zeitraum zusätzlich ein oder zwei Gelenke ersetzt. Somit hinausgezögert werden, wobei Langzeiterfahrungen gerade bei
wurden insgesamt 550 primäre PIP-Arthroplastiken an den Fin- Kindern und Jugendlichen noch ausstehen.
gern in 10 Jahren durchgeführt. Auch an diesen Gelenken stellt Posttraumatische Destruktionen von Fingergelenken sollten in
die Revisionschirurgie nur ein kleines Problem dar, denn nur bei jedem Fall individuell behandelt und der Grad der Behinderung
30 Patienten musste eine Revision mit Wechsel auf ein neues Im- berücksichtigt werden. Da das Remodelingpotenzial gerade im
plantat während des gleichen Zeitraumes durchgeführt werden. Wachstum nicht zu unterschätzen ist, sollte eine operative Therapie
Die Patientenzufriedenheit ist als sehr hoch einzustufen. kritisch beurteilt werden. Eine operative Behandlung sollte erst
11.2 · Spezielle Techniken
227 11
dann erfolgen, wenn an den radialen Strahlen eine schwere Instabi- durchgeführt werden. Beim gekreuzten Intrinsic-Transfer wird die
lität oder insgesamt eine vollständige Inkongruenz mit Einsteifung distal abgelöste ulnare Interosseussehne in den radialen Streckap-
der Gelenke vorliegt. Sollte eine operative Therapie bei vollstän- parat des benachbarten Fingerstrahles eingeflochten (Zancolli).
diger Gelenkdestruktion und funktioneller Behinderung nicht zu In mehreren Studien konnte jedoch der gekreuzte intrinsische
umgehen sein, sollten im Wachstumsalter eher rekonstruktive Ein- Transfer keine eigentlichen Vorteile gegenüber dem alleinigen
griffe oder komplexe mikrovaskuläre Rekonstruktionen (z. B. freier Release zeigen.
Gelenktransfer) zum Erhalt von Wachstumsfugen geplant werden Findet sich eine langjährige Deformität mit weitgehender Ein-
( Abschn. 10.2.3,  Abschn. 10.2.4). steifung des Gelenks und somit sehr kontrakten Weichteilverhält-
nissen muss zusätzlich distal die palmare Platte an der Grund-
phalanx abgelöst werden. Dabei ist auf eine Schonung des Beuge-
11.2 Spezielle Techniken kanales zu achten. Nur ein ausreichendes Release der Weichteile
ermöglicht langfristig ein spannungsfreies Gleiten des Implantates
11.2.1 Technik des queren dorsalen Zugangs am und schafft damit auch die Voraussetzung für einen adäquaten
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk funktionellen Bewegungsumfang und verhindert ein frühzeitiges
Implantatversagen.
Beim Rheumatiker kann über einen dorsalen queren Zugang Nach Eröffnung des Markraumes und Präparation mit dem
knapp proximal der Metakarpaleköpfchen eine gute und ausrei- entsprechenden Instrumentarium kann nach der Probeprothese
chende Übersicht über alle vier Gelenke erzielt werden. Dabei die Originalprothese eingesetzt werden. Der Verschluss des Ge-
sollten die dorsalen Gefäßnervenbündel der Kommisuren ge- lenks und die abschließende Rezentrierung der Finger erfolgt dann
schont werden. Der Zugang zum Gelenk erfolgt durch eine radial- direkt über die Doppellungsnaht der Streckerhaube radialseitig
seitige Längsinzision der synovitisch ausgeweiteten Streckerhaube, (⊡ Abb. 11.11).
damit diese am Ende der Operation wieder durch eine geraffte
Doppelungsnaht zur Rezentrierung der Strecksehnen beitragen
kann. Da zur Korrektur einer Coupe-de-vent-Deformität prak- 11.2.2 Technik des longitudinalen dorsalen Zugangs
tisch immer ein »intrinsic release«, d. h. eine Durchtrennung der am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk
ulnaren Interosseusinsertion, notwendig ist, um ein korrektes
Alignement des Fingerstrahles nach der Arthroplastik zu erzie- Im Fall einer isolierten primären oder sekundären Arthrose kann
len, wird die ulnare Interosseussehne vom Streckapparat längs auch eine Längsinzision direkt über dem betroffenen Gelenk
abgelöst und an den Fingerstrahlen III und IV distal durchtrennt. gewählt werden. Der Zugang durch den Streckapparat erfolgt
Am Kleinfinger erfolgt das gleiche Vorgehen mit der Insertion bei zentriertem Gelenk zentral durch die Strecksehne, die in
des Abductor digiti minimi. Der kurze Beuger ist zu schonen, um den meisten Fällen sorgfältig von der Gelenkkapsel abpräpariert
die Flexion im Kleinfingergrundgelenk nicht zu schwächen. Die werden kann. Die Kapsel kann dann ebenfalls längs eröffnet und
Interosseussehne strahlt auch in das ulnare Grundglied ein. Auch das Gelenk dargestellt werden. Nach Implantation der Prothese
diese Insertion ist zu durchtrennen, um die nach ulnar ziehenden wird dann die Gelenkkapsel und anschließend der Streckapparat
Kräfte zu verringern. vernäht. Wir verwenden hierfür resorbierbares monofiles Naht-
Am Zeigefingerstrahl muss die Interosseussehne lediglich längs material.
von der Streckerhaube getrennt werden, um die Strecksehne nach
radial rezentrieren zu können. Eine Durchtrennung würde eine
spätere Pronationsdeformität des Zeigefingers verursachen, welche 11.2.3 Technik des dorsalen Zugangs am
sich sehr nachteilig auf den Spitzgriff auswirken würde. proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk
Selten findet sich noch eine suffiziente Gelenkkapsel, weshalb
diese im Sinne einer ausgedehnten Synovektomie der Gelenke Verschiedene Techniken zur Darstellung des Gelenks wurden be-
reseziert werden kann. Nach Darstellung der Gelenke werden schrieben. Swanson wählte einen geraden Zugang mit Durchtren-
die Köpfchen der Metakarpalia knapp distal des Seitenbandur- nung des Streckapparates in der Mittellinie. Dieser Zugang macht
sprungs reseziert. In fortgeschrittenen Fällen mit vollständiger die Ablösung des zentralen Streckzügels an der dorsalen Mittel-
Destruktion und palmarer Luxation der Grundphalanx unter den gliedbasis mit entsprechenden Konsequenzen für die Nachbehand-
Metakarpalekopf muss sogar der gesamte Kopf reseziert werden, lung notwendig. Um diesen Nachteil zu vermeiden bevorzugen die
um die Grundphalanx wieder korrekt reponieren zu können. Autoren eine Methode, die bereits von Chamay 1988 beschrieben
Meist ist eine Resektion der Grundgliedbasis nicht notwendig, wurde. Hier wird ein V-förmiger Lappen des Streckapparates mit
um die Prothese distal verankern zu können. Bei fortgeschrittener der Basis distal präpariert. Hierdurch kann das Gelenk sehr gut
Destruktion und langjähriger palmarer Subluxation kommt es oft dargestellt werden und nach Refixation ergibt sich wieder eine sta-
zu ausgedehnten Defekten an der dorsalen Grundgliedbasis, wel- bile Nahtlinie, die eine frühfunktionelle Mobilisation des Gelenks
che eine Resektion palmar erfordern, um eine Auflagefläche und ermöglicht.
sichere Verankerungsmöglichkeit für das Implantat auch distal zu Nach Eröffnung des Gelenks wird der V-förmige Sehnen-
schaffen. lappen nach distal mobilisiert und das Gelenk dargestellt. Dann
Auf eine Schonung der Seitenbänder kann verzichtet werden, werden die Kollateralbänder proximal an ihrem Ursprung dorsal
da diese in fortgeschrittenen Fällen nur noch residuell vorhan- abgelöst, um das straffe Gelenk für eine gute Übersicht darstellen
den sind. Da die Stabilität der Gelenke in solch fortgeschrittenen zu können. Normalerweise liegt die Resektionslinie des Köpfchens
Fällen erheblich eingeschränkt ist, empfiehlt sich der Einsatz von der Grundphalanx auf der Höhe des Ursprungs der Kollateralbän-
Silikon-Spacern. Zusätzlich muss neben der knöchernen Korrek- der, wobei der palmare Hauptanteil dieser lateralen Stabilisatoren
tur auch eine Rezentrierung des nach ulnar luxierten Streckap- geschont werden muss. Die Basis der Mittelphalanx sollte eine
parates und auch ein intrinsisches Release wie oben beschrieben flache Oberfläche aufweisen und Osteophyten sollten vorsichtig
228 Kapitel 11 · Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich

entfernt werden, um einerseits die Seitenbänder und andererseits Rahmen der Grunderkrankung insuffizient, so werden transossäre
die Insertion des Streckapparates zu erhalten (⊡ Abb. 11.12). Nähte vorgelegt, um nach Implantation der definitiven Prothese
Anschließend wird der Markraum mit entsprechenden Form- eine Reinsertion zu ermöglichen. Vor allem die radiale Seite sollte
raffeln bis zur gewünschten Implantatgröße präpariert. Ist die Größe dabei korrekt rekonstruiert werden, da das radiale Kollateralband
eines Implantates nicht ganz eindeutig zu bestimmen, sollte ein grö- beim Spitzgriff als Hauptstabilisator wirkt. Nach Einsetzen des
ßeres Implantat gewählt werden, um ein knöchernes Impingement definitiven Implantats werden die Seitenbänder refixiert und der
in Beugung zu verhindern. Sind die Seitenbänder zerstört bzw. im Strecksehnenlappen zweireihig mit fortlaufenden Nähten refixiert.

a d

11
b

⊡ Abb. 11.11 Zugang zur MCP-Arthroplastik


bei rheumatoider Arthritis. a Querer dorsaler
Zugang unter Schonung der Gefäß-Nerven-
Bündel in den Kommissuren, b intrinsisches
Release am Ringfinger, c radialseitige Längs-
inzision der Streckerhaube, d Präparation des
Markraums distal mit Formraspel, e definitives
c e
Bild nach Implantation der Silikonprothesen

a b c

⊡ Abb. 11.12 Dorsaler Zugang zum PIP-Gelenk mit Präparation eines


V-förmigen Lappens aus dem Zentralzügel nach Chamay. a Hautschnitt,
b Planung eines distal gestielten V-förmigen Strecksehnenlappens,
c Mobilisation des Sehnenlappens und Darstellung des PIP-Gelenks
11.2 · Spezielle Techniken
229 11
Schwanenhals- und Knopflochdeformitäten sind relative Kon- schont werden und die einzelnen Präparationsschritte müssen
traindikationen für dieses Verfahren. Besondere Beachtung sollte sorgfältig erfolgen, um genügend Übersicht und Raum für die
der Ursache einer Schwanenhalsdeformität beigemessen werden, da Implantation zu erzielen.
nicht selten die Ursache nicht auf Höhe des PIP-Gelenks zu suchen Beim Zugang selbst wird eine winkelförmige Inzision nach Bru-
ist. Bei gleichzeitiger Korrektur einer solchen Deformität sollte je- ner gewählt, wobei die Basis des dreieckförmigen Lappens radial
doch ein dorsaler Zugang zum Gelenk gewählt werden. Bei einer zu liegen kommt. Das ulnare Gefäß-Nerven-Bündel wird sorgfältig
Schwanenhalsdeformität ist ein Release der lateralen Seitenzügel mobilisiert und das radiale Bündel im Fettgewebe des Hautlappens
notwendig und in Kombination meist eine Verlängerung des Zent- belassen. Durch eine Querinzision wird der Beugekanal zwischen
ralzügels. Bei einer Knopflochdeformität muss der Ansatz des Zent- dem A2- und A3-Ringband eröffnet und dann nach distal auf der
ralzügels an der Basis des Mittelphalanx rekonstruiert werden. Hier- radialen und ulnaren Seite bis auf den Knochen abgelöst. Dabei wird
für sind verschiedene Verfahren in der Literatur beschrieben, wobei der gesamte Beugekanal bis an das distale Ende des A3-Ringbandes
die Autoren der Rekonstruktion nach Matev den Vorzug geben. abgelöst, sodass ein gut zu mobilisierender Schlauch entsteht, der
zwischen dem Knochen und den Beugesehnen problemlos vor und
zurück geschoben werden kann. Auf Höhe des PIP-Gelenks werden
11.2.4 Technik des palmaren Zugangs am durch das Ablösen vom Knochen automatisch auch das radiale und
proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk ulnare akzessorische Seitenband durchtrennt. Der Hauptanteil der
Kollateralbänder bleibt dabei intakt. Bei sehr kontrakten Gelenkver-
Theoretisch hat der palmare Zugang verschiedene Vorteile gegenüber hältnissen kann für eine bessere Übersicht auch der palmare Anteil
dem dorsalen Zugangsweg: Da das venöse Abflussgebiet überwiegend des ulnaren Kollateralbandes proximal abgelöst werden. Dann wird
dorsal liegt ist die venöse Drainage weniger beeinträchtigt und so der gesamte Schlauch des Beugekanals mit der palmaren Platte nach
die postoperative Schwellung der Weichteile geringer ausgeprägt; der radial angehoben und das Gelenk durch Überstreckung dargestellt.
Streckapparat bleibt intakt, was eine frühfunktionelle Mobilisation Nach Entfernung der palmaren Osteophyten kann der Grundpha-
begünstigt; der weitaus günstigste Effekt liegt darin begründet, dass lanxkopf reseziert bzw. je nach Prothesentyp präpariert werden und
beim Zugang von palmar die stabilisierenden Kollateralbänder intakt der Markraum mit entsprechenden Formraspeln vorbereitet wer-
bleiben, was vor allem an den radialen Strahlen zu einer Verbesserung den. Anschließend kann die Basis der Mittelphalanx dargestellt und
der postoperativen Stabilität beim Pinch-Griff führt; zudem ist die sparsam reseziert oder plan geschliffen werden. Wichtig dabei ist zu
Übersicht auf den beugeseitigen Aspekt des Gelenks deutlich größer, beachten, dass der dorsal liegende Zentralzügel an seinem Urspung
weshalb die meist palmar liegenden Osteophyten am Grundpha- durch die Knochenresektion nicht abgelöst wird. Beim Einsatz eines
lanxkopf besser abgetragen werden können. Somit kann eine ossäres Silikonimplantats sollte die meist sklerosierte Basis nicht vollständig
Impingement bei der Beugung zuverlässiger verhindert werden; De- entfernt werden, da diese langfristig eine Sinterung der Prothese
formitäten in der frontalen Ebene nach radial oder ulnar führen lang- verhindern kann. Nach erfolgter definitiver Implantation wird der
fristig zu einer Dislokation des Beugekanals, der so nach Implantation Beugekanal wieder rezentriert und vernäht. Dabei wird dieser mit
des Gelenks wieder zuverlässig rezentriert werden kann. den akzessorischen Seitenbändern radial und ulnar vernäht, sodass
Auf der anderen Seite ist der Zugang von palmar technisch eine gute Stabilität für eine frühfunktionelle Mobilisation gewähr-
deutlich anspruchsvoller. Beide Gefäß-Nerven-Bündel müssen ge- leistet ist (⊡ Abb. 11.13).

a b c

⊡ Abb. 11.13 Palmarer Zugang zum PIP-Gelenk. a Winkelförmige Inzision nach Bruner mit Basis radialseitig, b Präparation auf den Beugekanal (das radiale
Gefäß-Nerven-Bündel verbleibt im Lappen; quere Inzision auf Höhe der C2-Fasern und Längsinzision des Beugekanals radial und ulnar), c Seitansicht auf den
Beugekanal mit Inzisionslinie (akkzessorisches Seitenband muss radial und ulnar durchtrennt werden), d Köpfchenresektion des Grundgliedes, e nach Aufbe-
reitung der Markräume von Grund- und Mittelglied Einbringen der Prothese und Kontrolle des Prothesensitzes (Rotationsstabilität), f nach Prothesenimplan-
tation Refixation und Naht des Beugekanals. (Aus Simmen 1993)
230 Kapitel 11 · Prinzipien der Arthroplastik im Fingerbereich

11.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen frühe Revisionseingriffe selten durchgeführt werden. Wie bereits
an anderer Stelle erwähnt sind Revisionseingriffe nach primärer
Die Arthroplastik der Fingergelenke unterliegt nur wenigen Gefah- Silikonarthroplastik auch im Langzeitverlauf selten. Obwohl der
ren und stellt daher auch ein Verfahren dar, welches ein geringes Prothesenbruch langfristig bei einer zunehmenden Insuffizienz
Komplikationsrisiko aufweist und bei entsprechender Aufklärung der stabilisierenden Weichteile zu einer Instabilität am entspre-
auch eine hohe Patientenzufriedenheit erwarten lässt. Unter Be- chenden Gelenk führen kann, muss der alleinige Prothesenbruch
rücksichtigung von verschiedenen Einflussgrößen auf das post- einer Silikonprothese nicht unbedingt eine operative Revision nach
operative Ergebnis kann dies in einem hohen Prozentsatz sehr gut sich ziehen. Brüche von Silikonprothesen sind aufgrund einer
vorhergesagt werden. An den PIP-Gelenken sollte der individuelle natürlichen Degradation des Materials über die Jahre häufig, aber
Schmerz im Vordergrund stehen und präoperativ die Beweglich- in den meisten Fällen asymptomatisch. Sollte ein Revisionseingriff
keit durch eine deutliche Einschränkung gekennzeichnet sein. Da aufgrund eines klinisch symptomatischen Versagens der Prothese
in der Regel die postoperative Beweglichkeit eine wesentliche nicht zu umgehen sein, so kann nach einer Silikonarthroplastik
Einschränkung zur gesunden Hand aufweist sollte jeder Patient ein erneutes Silikonimplantat eingesetzt werden. Die zusätzliche
darauf hingewiesen werden. Hinzukommt, dass das postoperative Behandlung der Weichteile richtet sich dann wie bei der primären
Bewegungsausmaß stark mit der individuellen Bereitschaft zu ei- Prothesenimplantation nach der entsprechenden Fehlstellung oder
ner aktiven Mobilisation und Mitarbeit des Patienten korreliert. Achsabweichung. Grundsätzlich sollte versucht werden über einen
Intraoperativ ist auf eine sorgfältige Präparation der einzelnen identischen Zugangsweg das Gelenk zu erreichen. Eine Implan-
Strukturen zu achten, sodass Verletzungen der Gefäß-Nerven-Bün- tation von Oberflächenprothesen, sog. Gleitprothesen, im Revi-
del, Beuge- oder Strecksehnen und Ligamente vermieden werden. sionsfall ist schwierig. Da der zur Verfügung stehende Knochen
Um eine massive postoperative Schwellung und Hämatombildung nach Prothesenimplantation sowohl gelenknah wie auch intrame-
zu vermeiden, die eine postoperative Mobilisierung des Gelenks dullär in der Regel nur eingeschränkte Qualität besitzt, ist ein sol-
beeinträchtigt, sollte auf eine sorgfältige Blutstillung geachtet wer- ches Prothesenmodell weniger geeignet. In Einzelfällen kann nach
den. Am PIP muss weiterhin berücksichtigt werden, dass die meist entsprechendem Knochenaufbau ein Oberflächenersatz diskutiert
palmar liegenden Osteophyten vollständig abgetragen werden, da werden. In der Regel kommt im Revisionsfall sowohl am PIP- wie
ansonsten ein ossäres Impingement das Bewegungsausmaß negativ auch am MCP-Gelenk eine Silikonprothese zum Einsatz.
beeinflusst. Der palmare Zugang hat hier sicher einen Vorteil, da
von dorsal die beugeseitigen Osteophyten schlechter einzusehen
11 sind. An den MCP-Gelenken stellt dies weniger ein Problem dar, da Weiterführende Literatur
palmar liegende Osteophyten seltener und aufgrund der geringeren
Weichteilspannung besser erreichbar sind. Beevers DJ, Seedhom BB (1995) Metacarpohalangeal joint prosthesis. A re-
view of the clinical results of past and current designs. J Hand Surg (Br),
> Ein weiterer intraoperativer Fehler ist ein Overstuffing des 20-B(2): 125–136
Resektionsspaltes durch eine zu sparsame Knochenresektion Bravo CJ, Rizzo M, Hormel KB, Beckenbaugh RD (2007) Pyrolytic carbon pro-
oder durch die Wahl eines zu großen Implantates. ximal interphalangeal joint arthroplasty: results with minimum two-year
follow-up evaluation. The J Hand Surg Am 32 (1): 1–11
Da durch postoperative Narbenbildung und Schrumpfung des Gewe- Chamay A (1988) A distally based dorsal triangular tendinous flap for direct ac-
bes die Elastizität des Kapselgewebes zusätzlich abnimmt, kann dies cess to the proximal interphalangeal joint. Ann Chi Main 1988: 7: 179–183
zu einer erheblichen Kompromittierung der Beweglichkeit führen. Chamay A, Meythiaz A-M (1995) Proximal interphalangeal joint replacement
Bei der rheumatoiden Arthritis ist an den MCP-Gelenken zusätzlich with Swanson implant or DJOA prosthesis: a comparative study. In:
auf ein sorgfältiges Weichteilrelease zu achten, da das postoperative Schuind F, An KN, eds. Recent Advances in Upper Extremity Arthroplasty.
Alignement vor allem durch die Rezentrierung der Weichteilstruktu- Work Scientific 1995: Brussels: 91–98
ren beeinflusst wird. So sollte ein intrinisches Release an den Strah- Chung KC, Burns PB, Wilgis EF, Burke FD, Regan M, Kim HM, Fox DA (2009)
A multicenter clinical trial in rheumatoid arthritis comparing silicone
len 3–5, wie auch ein ausreichendes palmares Release in jedem Fall
metacarpophalangeal joint arthroplasty with medical treatment. J Hand
die Arthoplastik mit einem Implantat begleiten. Werden die Regeln Surg Am, 34 (5): 815–823
der modernen Asepsis befolgt sind perioperative Infektionen selten. Condamine JL, Fourquet M, Marcucci L (1997) Primary and proximal inter-
Oberflächliche Wundinfektionen sollten jedoch ernst genommen phalangeal arthrosis of the hand. Indications and results of 27 DJOA
werden und frühzeitig einer resistenzgerechten antibiotischen The- arthroplasties. Ann Chir Main 16(1): 66–78
rapie zugeführt werden. Hämatogen bedingte Spätinfektionen nach Cook SD, Beckenbaugh RD, Redendo J, Popich LS, Klawitter JJ, Linscheid RL
Monaten oder Jahren, wie sie gelegentlich an den großen Gelenken (1999) Long-term follow up of pyrocarbon metacarpophalangeal im-
auftreten, sind noch seltener. Auch Prothesenluxationen sind selten plants. J Bone Joint Surg (Am)81A: 635–48
Daecke W, Veyel K, Wieloch P, Jung M, Lorenz H, Martini A-K(2006) Osseo-
und können durch radiologische Kontrollen ausgeschlossen werden.
integration and mechanical stability of pyrocarbon and titanium hand
Beim zementierten und zementfreien Oberflächenersatz sollte durch implants in a load-bearing in vivo model for small joint arthroplasty. J
regelmäßige radiologische Kontrollen eine Lockerung der Kompo- Hand Surg Am 31(1): 90–97
nenten ausgeschlossen werden. Da nicht alle Werkstoffe eine osteoin- Delaney R, Trail IA, Nutall D (2005) A comparative study of outcome between
tegrative Eigenschaft aufweisen, ist in Fällen mit guter Beweglichkeit the Neuflex and Swanson metacarpophalangeal joint replacements. J
ein erhebliches Stress-Shielding am Interface Implantat/Knochen zu Hand Surg (Br), 30(1): 3–7
erwarten und somit eine Lockerung mit Osteolysen wahrscheinlich. Escott BG, Ronald K, Judd M GP, Bogoch ER (2010) NeuFlex and Swanson me-
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mized, controlled clinical trial. J Hand Surg Am 35 (1) : 44–51
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11.3.1 Revisionseingriffe
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Da Komplikationen bei der primären Prothesenimplantation so- view of the literature regarding long-term complications. J Hand Surg
wohl an den PIP- wie auch an MCP-Gelenken selten sind, müssen (Am) 20-A(3): 445–449
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12

Endoprothetik des Handgelenks


Sebastian Kluge, Daniel Herren

12.1 Allgemeines – 234


12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 234
12.1.2 Epidemiologie – 240
12.1.3 Ätiologie – 240
12.1.4 Diagnostik – 240
12.1.5 Klassifikation – 240
12.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 240
12.1.7 Therapie – 241
12.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 242
12.2 Spezielle Techniken – 242
12.2.1 Technik der Implantation der Handgelenkprothese – 242
12.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 244
12.3.1 Revisionseingriffe – 245
Weiterführende Literatur – 247

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


234 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

12.1 Allgemeines vornehmlich radiokarpal, die Flexion überwiegend midkarpal, an-


dere Studien konnten diesbezüglich jedoch keinen Unterschied
Die operative Therapie eines destruierten Handgelenks nimmt erkennen. Ergebnisse aktuellerer Untersuchungen deuten eher auf
nach wie vor einen hohen Stellenwert im handchirurgischen Alltag ein umgekehrtes Verhältnis hin, bei dem die Flexion vorwiegend
ein. Um dem Patienten eine Therapieoption anzubieten, die sowohl im Radiokarpalgelenk und die Extension im Mediokarpalgelenk
Schmerzlinderung als auch Kraft und Stabilität in sich vereint, hat stattfindet. Darüber hinaus folgen die meisten Tätigkeiten des
auch heutzutage die Komplettversteifung immer noch eine vor- Alltags keiner isolierten Bewegung in der Flexions- und Extensi-
rangige Bedeutung und wird daher häufig einer bewegungserhal- onsrichtung oder Radial- und Ulnarduktionsebene, sondern ei-
tenden Alternative vorgezogen. Die Arthrodese des Handgelenks ner sog. »darth throwers motion«, einem Bewegungsablauf, der
zeigt eine gut dokumentierte Vorhersehbarkeit der Resultate und von dorsoradial nach ulnopalmar verläuft und vorwiegend im
auch im Langzeitverlauf ein gutes funktionelles Outcome. Kobus Mediokarpalgelenk lokalisiert ist. Os capitatum und Os metacar-
und Turner (1990) berichten beispielsweise über 97% gute bis pale III stellen dabei das Rotationszentrum für die Radial- und
exzellente Resultate bei 87 Patienten mit Handgelenkversteifung in Ulnarduktion dar, während die Basis des Kapitatums die Flexions-
einem Nachuntersuchungszeitraum von 6 Jahren. Dennoch hat die Extensions-Achse ist. Dieses Bewegungszentrum liegt in Relation
Arthrodese des Handgelenks auch ihre Komplikationen und Limi- zum intramedullären Kanal des Radius nach ulnar versetzt, was
tationen. Clendenin und Green (1981) erwähnen Pseudarthrosen, vor allem auf die Form der Radiusgelenkfläche zurückzuführen ist.
Frakturen, Irritationen und Wunddehiszenzen, weitere Autoren Sie fällt nach ulnar ab und ist durch die radiale Höhe, radiale In-
Komplikationen bei 8–79% der Fälle in Abhängigkeit der Methode. klination und den palmaren Tilt ( Kap. 30) charakterisiert. Die da-
Unter den Tätigkeiten im Alltag (ADL) sind vor allem das Über- raus resultierende Dislokationstendenz des Karpus nach ulnar wird
Kopf-Arbeiten und die Intimhygiene wesentlich eingeschränkt. durch den extrinsischen Bandapparat, palmar vor allem durch das
Weiterhin kann gerade bei der posttraumatischen Arthrose eine Lig. radioscaphocapitatum und Lig. radiolunatum, dorsal durch
komplette Beschwerdefreiheit häufig nicht garantiert werden. das Lig. radiocarpale dorsale, verhindert ( Kap. 28).
Im Vergleich dazu erscheint die Handgelenkendoprothese zu- Die muskuläre Stabilisierung des Handgelenks erfolgt über
nächst als attraktive bewegungs- und funktionserhaltende Alterna- die Handgelenkflexoren (M. flexor carpi radialis und M. flexor
tive, mit der sich ebenfalls eine gute Schmerzreduktion erreichen carpi ulnaris) und -extensoren (M. extensor carpi radialis longus,
lässt. Vor allem Patienten mit bilateralen Handgelenkveränderun- M. extensor carpi radialis brevis, M. extensor carpi ulnaris). Als
gen, bei denen bereits ein Handgelenk versteift wurde, scheinen motorische Einheiten sind sie in ihrer Kraftverteilung nicht als
unter Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien eine gute Indikation gleichwertig zu erachten, der Flexor carpi ulnaris weist im Ver-
zum endoprothetischen Ersatz des anderen Handgelenks darzu- gleich zu den übrigen beugenden Handgelenkmotoren die größte
12 stellen. Dennoch haben die Entwicklungen in der Endoprothetik Kraft und Dominanz auf, während der Extensor carpi ulnaris das
des Handgelenks in den letzten Jahren nicht die Dynamik des pro- schwächste Glied bildet (⊡ Abb. 12.1)
thetischen Ersatzes anderer Gelenke erreicht. Die Gründe hierfür
sind mannigfaltig und sollen erläutert werden. Biomechanische Grundüberlegungen
Bei der Prothesenimplantation wird der für die stabile interkar-
pale Verblockung wichtige knöcherne und ligamentäre Anteil des
12.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Handgelenks entfernt, sodass die Gesamtstabilität nun wesentlich
Physiologie von der Form der neuen Gelenkfläche und sekundären Stabilisa-
toren wie der extrinsischen Handgelenkkapsel und der das Gelenk
Funktionelle Anatomie des Handgelenks überbrückenden Sehnenverläufe, vor allem der Handgelenkfle-
Die normale Handgelenkbeweglichkeit liegt bei einer Flexion und xoren und -extensoren, abhängig ist. Die resezierten inter- und
Extension von jeweils 80°, einer Radialduktion von 15° und einer intrakarpalen Bänder haben darüber hinaus neben einer stabilisie-
Ulnarduktion von 40°. Studien konnten zeigen, dass die im Alltag renden und limitierenden Funktion auch propriozeptive Aufgaben,
erforderlichen Bewegungsausmaße deutlich geringer sind. Gemäß vor allem der palmare und proximale Anteil des skapholunären
Palmer et al. (1985) werden sie mit einer Flexion von etwa 5°, einer Bandapparates scheinen hier eine wichtige Rolle zu spielen. Inwie-
Extension von 30°, einer Radialduktion von 15° und einer Ulnar- weit der Verlust dieser Rezeptorfunktion auch Auswirkungen auf
duktion von 30° angegeben. Die Handgelenkbeweglichkeit selbst die sekundäre und efferente muskulär umgeleitete Stabilisierung
ist als Gesamtresultat einzelner komplexer Gelenkinteraktionen des Handgelenks hat, ist derzeit noch unzureichend untersucht,
anzusehen. Dem proximalen Gelenkanteil, der aus Radius und möglicherweise ist er aber indirekt an sekundären Fehlstellungen
distaler Ulna samt triangulofibrokartilaginärem Komplex (TFCC) des Handgelenks beteiligt.
besteht, und der distalen Handwurzelreihe als distalem Gelen- Auch die zugrunde liegende Grunderkrankung spielt eine
kanteil ist die proximale Handwurzelreihe als sog. interkaliertes wesentliche Rolle für das zu erwartende Resultat. Die häufigste
Segment zwischengeschaltet. Funktionell besteht sie aus Skaphoid, Ursache entzündlicher Gelenkveränderungen ist die rheumatoide
Lunatum und Triquetrum, die je nach Position ligamentär geführte Arthritis, ihr Befall synovialer Gelenke führt zu Veränderungen
Flexions-, Extensions-, Translations- und Rotationsbewegungen der ligamentären Führung. Im Verlauf der Erkrankung kommt es
durchführen und das Handgelenk zusätzlich in jeder Position, mediatorengetriggert zu Gewebeveränderungen mit Arrosionen
muskulär unterstützt, stabil verblocken können. Das Os pisiforme von Knochen und entzündlichen Veränderungen der Weichteile,
übt durch seine Einbettung in die Sehne des Flexor carpi ulnaris was wiederum zu einer Instabilität führen und in einer Fehlstel-
eine sekundär stabilisierende Funktion auf das Os triquetrum und lung enden kann. Ein Großteil der Morbidität dieser Erkrankung
damit auf die proximale Handwurzelreihe aus. betrifft die Hand. Eine Studie von Hämäläinen et al. (1992) konnte
Das Verhältnis von Flexion und Extension in Bezug auf das zeigen, dass die kumulative Inzidenz für Symptome am Handge-
Radiokarpal- und Midkarpalgelenk wird in der Literatur unter- lenk seitenabhängig ist und nach 2 Jahren auf der rechten Seite
schiedlich bewertet. Gemäß einiger Autoren erfolgt die Extension 68,3%, auf der linken 66,7% beträgt; das Maximum von 93,3%
12.1 · Allgemeines
235 12
Muskel Arbeits- Innervation Muskel Arbeits- Innervation
möglichkeit möglichkeit
in mkg in mkg
M. flexor digitorum superficialis 4,8 N. medianus M. flexor carpi radialis longus 1,1 N. radialis
M. flexor digitorum profundus 4,5 N. medianus und N. ulnaris M. extensor carpi radialis brevis 0,3 N. radialis

M. flexor carpi ulnaris 2,0 N. ulnaris M. abductor pollicis longus 0,4 R. profundus ni. radialis

M. flexor pollicis longus 1,2 N. medianus M. extensor pollicis longus 0,1 R. profundus ni. radialis

M. flexor carpi radialis 0,8 N. medianus M. extensor indicis 0,1 R. profundus ni. radialis
M. flexor carpi radialis 0,1 N. medianus
M. abductor pollicis longus 0,1 R. profundus ni. radialis
Sämtliche Radialabduktoren 2,1
(M. palmaris longus)
Sämtliche Volarbeuger 13,4

a 168°
d –27° 54°
+27°

Innervation Arbeits- Muskel Innervation Maximale Arbeits- Supinieren


möglichkeit möglichkeit in mkg aus äußerster Pronation
in mkg N. musculocutaneus 1,1 M. biceps brachii
R. profundus ni. radialis 1,7 M. extensor digitorum communis R. profundus ni. radialis 0,3 M. supinator
R. profundus ni. radialis 1,1 M. extensor carpi ulnaris N. radialis < 0,1 M. brachioradialis
R. profundus ni. radialis 0,1 M. abductor pollicis longus
N. radialis 1,1 M. extensor carpi radialis longus
R. profundus ni. radialis 0,1 M. extensor pollicis longus
N. radialis 0,9 M. extensor carpi radialis brevis
R. profundus ni. radialis M. extensor pollicis brevis
R. profundus ni. radialis 0,5 M. extensor indicis R. profundus ni. radialis M. extensor indicis 120°
R. profundus ni. radialis 0,1 M. extensor pollicis longus 1,7 Sämtliche Supinatoren
5,4 Sämtliche Dorsalbeuger bei rechtwinkelig gebeugtem
(1,4 bei gestrecktem)
b (1,6 bei 140° gebeugtem)
Ellenbogen
e

168°

Innervation Arbeits- Muskel


möglichkeit
in mkg Pronieren Maximale Arbeits- Innervation
aus äußerster Suspination möglichkeit in mkg
1. R. profundus ni. radialis 1,1 M. extensor carpi ulnaris
M. pronator teres 0,7 N. medianus
2. N. ulnaris 0,7 M. extensor carpi ulnaris M. flexor carpi radialis 0,2 N. medianus
1,8 Sämtliche Ulnarabduktoren M. palmaris longus 0,1 N. medianus
c M. brachioradialis 0,2 N. radialis
M. extensor carpi radialis longus 0,2 N. radialis
M. pronator quadratus 0,2 N. medianus
Sämtliche Pronatoren 1,6
bei rechtwinkelig gebeugtem
(bei gestrecktem 0,9)
(bei 140° gebeugtem Ellenbogen 1,4)

+27°
54°
–27°

f
⊡ Abb. 12.1 Muskuläre Stabilisierung des Handgelenks. a Flexion,
b Extension, c Ulnarduktion, d Radialduktion, e Pronation, f Supination.
(Lanz u. Wachsmuth 1959)
236 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

rechts und 96,7% links war nach 11–12 Jahren erreicht. Für ra- Die Prothesen für das Handgelenk waren im Wesentlichen den
diologische Symptome war sie geringer und betrug nach 2 Jahren Silikon-Fingerimplantaten nachempfunden und aus einem flexi-
43,7% rechts und 38,0% links mit einem maximalen Endpunkt blen Stück mit einem in der Mitte gelegenem Scharnier gefertigt.
von 88,7% rechts und 85,9% links nach etwa 15–16 Jahren. Die Ein Dacronkern sollte der in 5 Größen verfügbaren Prothese
Folgen der degenerativen Weichteilveränderungen sind eine Ver- eine zusätzliche axiale Stabilität und Torsionssteife vermitteln.
lagerung des Rotationszentrums und eine Fehlpositionierung der Der proximale Schaftanteil wurde in den Markraumkanal des
Sehnen mit sekundärer Verlagerung der Muskelkräfte. Weichteil- Radius, der distale durch das Kapitatum in den Schaft des Os
kontrakturen oder Ulnardeviationen sind deshalb nicht selten. metacarpale III eingebracht. Die Beweglichkeit wurde nicht nur
Mit Fortschreiten der Erkrankung tritt zusätzlich ein Verlust durch die Biegung im zentralen Scharniersegment allein, sondern
der Willkürmotorik der Handgelenkextensoren ein. Dies hat zur zu einem gewissen Grad auch durch ein Gleiten der Prothese im
Folge, dass die Patienten Gegenstände mit einem synergistischen proximalen und distalen Anteil, dem sog. Pistoning, erreicht.
Einsatz von Finger- und Handgelenkflexoren greifen. Eine Vor- Die Prothese agierte als Spacer zwischen dem Radius und den
dehnung der Fingerflexoren durch den Tenodeseeffekt, an dem verbliebenen Handwurzelknochen und diente als Support für die
die Handgelenkextensoren beteiligt sind und der Voraussetzung umgebende Kapsel. Das Grundprinzip der Silikonprothese war
für den kraftvollen Faustschluss ist, bleibt aus. Eine dynamische demnach, die Gelenkhöhe zu erhalten, während im Rahmen ei-
Imbalance zwischen Handgelenkextensoren und -flexoren auf- ner Fremdkörperreaktion auf das Material eine Fibrosierung der
grund attritiver und nutritiver Extensorenrupturen infolge einer Handgelenkkapsel (Enkapsulation) auftrat, die eine Sekundärsta-
Synovitis der dorsalen Strecksehnenkompartimente muss eben- bilität gewährleistete. Das ursprünglich verwendete Silikonmate-
falls angenommen werden. Das Resultat ist eine kritische Schwä- rial wurde im Jahre 1974 gegen ein High-Performance-Elastomer
chung des Extensorenapparates, die sekundär die Feinmotorik der ausgetauscht, zusätzlich wurden sog. Grommets entwickelt, die
Finger und den Kraftgriff beeinträchtigt und im Endstadium auch eine Arrosion des Implantates an den Knochenrändern verhin-
zu Flexionskontrakturen führen kann. dern sollten. Die frühen Resultate des Verfahrens waren zunächst
erfreulich und mit einer guten Schmerzreduktion und Hand-
Geschichte der Handgelenkprothetik gelenkbeweglichkeit verbunden, jedoch blieb sowohl der Erhalt
Im Jahre 1890 führte Themistocles Gluck die erste Prothesenim- der karpalen Höhe als auch die Handbalance unvorhersehbar.
plantation am Handgelenk mit einem Elfenbeinimplantat durch. Studien mit einem längeren Nachuntersuchungszeitraum zeig-
Seit dieser Zeit wurden unzählige Prothesenmodelle vorgestellt, die ten zusätzlich eine hohe Inzidenz von Implantatbrüchen mit bis
zwar häufig sehr gute Frühresultate zeigten, deren initiale Euphorie zu 52% innerhalb von 6 Jahren und Osteolysen aufgrund von
aber meist durch ernüchternde oder schlechte Spätresultate ge- Fremdkörperreaktionen im Verlauf von durchschnittlich 15 Jah-
12 schmälert wurde. Die heute verwendeten Prothesenmodelle profi- ren. Silikonsynovitiden stellten eine weitere Komplikation dar,
tieren von einem langjährigen Entwicklungsprozess und den damit die aber im Vergleich zu den Fingergelenken aus Silikon am
verbundenen klinischen Erfahrungen und Rückschlägen, aber auch Handgelenk deutlich seltener auftraten.
von mittlerweile gut dokumentierten kinematischen Studien.
Die im Verlauf dieser Zeit entwickelten Implantate lassen sich Prothesen der 2. Generation
grundlegend in drei Generationen einteilen, von denen hier die Im Gegensatz zu den Silikonprothesen wurden die Implantate
wichtigsten Modelle kurz erläutert werden sollen. der zweiten Generation grundsätzlich aus einem proximalen und
distalen Schaft mit einem zentralen Gelenkstück konstruiert. Mo-
Prothesen der 1. Generation delle hierfür waren vor allem die Volz-Prothese (AMC) und die
Dem maßgeblichen Einsatz Alfred B. Swansons ist es zu verdan- Meuli-Prothese, beide wurden nahezu zeitgleich in den 70er Jahren
ken, dass der erstmals 1967 von ihm vorgestellte Silikonspacer entwickelt. Die Prothesen der 2. Generation waren vor allem mit
im Jahre 1973 auch für den prothetischen Ersatz des Handge- Problemen der Balance behaftet, stellten aber aufgrund ihrer Ar-
lenks Verwendung fand. Die Silikonprothese (⊡ Abb. 12.2) stellte tikulationsfläche trotz der deutlich erschwerten Revisionssituation
damit die erste Prothesengeneration für das Handgelenk dar. eine Entwicklungsverbesserung zur Silikonprothese dar.

⊡ Abb. 12.2 Swanson-Silikonspacer. a Implan-


tatdesign mit Grommets, b Röntgenbild eines
Handgelenks mit implantiertem Swanson-
a b
Silikonspacer und proximalem Grommet
12.1 · Allgemeines
237 12
Volz-Prothese fall der intrinsischen Kontrolle und die vermehrte Kraft der Fle-
Die Volz-Prothese (⊡ Abb. 12.3) wurde am Arizona Medical Center xoren führten zu einer sekundären Verkürzung der Flexoren- und
(AMC) entwickelt und daher auch als AMC-Prothese bezeichnet. Überdehnung der Extensorenmuskulatur. Aufgrund des Einflusses
Das Konstruktionsprinzip sollte durch eine in Relation zur Radial- der Handgelenkmotoren auf die Kontrolle der Finger, wurde die
und Ulnarduktion größere Flexion und Extension eine normale Notwendigkeit einer langfristigen handtherapeutischen Nachbe-
Beweglichkeit des Handgelenks gewährleisten. Die Artikulation handlung, in der Regel ergänzt durch eine Schienenbehandlung,
war zu diesem Zweck aus zwei unabhängigen Hemisphären gefer- hervorgehoben.
tigt und sollte eine Flexion und Extension von jeweils 90° sowie 1988 erhielt die Volz-Prothese wiederum ein neues Design,
ein radioulnares Bewegungsausmaß von 50° erlauben. Rotations- das die bekannten Komplikationen der Zementierung und der
und Translationsbewegungen waren nicht möglich. Die radiale radioulnaren Dysbalance beheben sollte. Die neue Clayton-Ferlic-
Komponente war deutlich größer ausgelegt und besaß ein konka- Volz-Prothese (⊡ Abb. 12.4) war eine modulare Titanprothese, die
ves Polyethylenlager, die metakarpale Komponente war mit zwei über eine ulnar versetzte elliptische Gelenkfläche verfügte und so
Metallstiften versehen, die der intramedullären Platzierung im 2. die Balance des Handgelenks verbessern sollte. Aufgrund dennoch
und 3. Mittelhandknochen dienten. Beide Komponenten wurden persistierender Probleme mit dem Implantat wurde die Prothese
zementiert. 1993 vom Markt genommen.
Die frühen Implantate zeigten durch die Verlagerung des Be-
wegungszentrums nach radial eine konsekutive Ulnarduktion des Meuli-Prothese
Karpus in Ruhestellung, die immerhin in 33% der untersuchten Nahezu parallel zum Volz-Implantat wurde im Jahre 1970 eine
Patienten auftrat. Initial wurde ein Transfer der ECU-Sehne vom Prothese von Meuli entwickelt und kurz darauf erste Resultate
Os metacarpale V auf das Os metacarpale IV vorgeschlagen, später präsentiert. Die Meuli-Prothese (⊡ Abb. 12.5a) bestand aus 3 Teilen:
versuchte Volz das Problem zu korrigieren, indem er das Design einer radialen, einer metakarpalen und einer zentralen Kugelkom-
auf einen metakarpalen Stift im Os metacarpale III wechselte. Erste ponente. Im Gegensatz zu Volz beließ Meuli den zweiten Schaft der
Ergebnisse zeigten zwar gute Resultate, jedoch war die Kompli- metakarpalen Komponente, positionierte jedoch beide in Relation
kationsrate mit 29% auch hier sehr hoch. Als Schlüsselpunkte für zum Zentrum versetzt, um sie besser in das Bewegungszentrum
den Therapieerfolg wertete Volz den Weichteilverschluss und die des Handgelenks zu integrieren. Die Verankerung erfolgte im 2.
postoperative Muskelbalance. Er empfahl bei der präoperativen und 3. Metakarpale.
Evaluation gezielt hierauf zu achten und die adäquate Funktion Die Meuli-Prothese wurde im Verlauf mehrfach modifiziert,
der Handgelenkextensoren zu prüfen. Zusätzlich wurde empfoh- u. a. musste der Polyesterkopf wegen rezidivierender Synovitiden
len, den Schaft der proximalen Komponente so weit wie möglich gegen einen Polyethylenkopf ausgetauscht werden. Im Jahre 1978
nach ulnar versetzt einzubringen, um den nach ulnar gerichteten wurde schließlich das endgültige Design (⊡ Abb. 12.5b) einge-
Kraftvektor der Flexor-carpi-ulnaris-Sehne zu minimieren. In eini- führt.
gen Fällen wurde zwar initial eine uneingeschränkte Funktion der Obgleich Meuli die Notwendigkeit einer korrekten Zentrierung
Handgelenkextensoren beobachtet, im späteren Verlauf trat jedoch der Prothese durch Vorbiegen der distalen Verankerung betonte,
ein Verlust der Willkürmotorik bei Greifaktivitäten auf, was als artikulierten weder die Meuli- noch die Volz-Prothese im Bewe-
Schmerzhemmung der Extensoren interpretiert wurde. Der Weg- gungszentrum des Handgelenks (⊡ Abb. 12.6). Durch eine Bie-

⊡ Abb. 12.3 Volz-Handgelenkprothese.


a Implantatdesign, b Röntgenbild einer
a b
implantierten Volz-Prothese
238 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

⊡ Abb. 12.4 Clayton-Ferlic-Volz-Prothese


(CFV). a Implantatdesign, b Röntgenbild
einer implantierten CFV-Prothese (d.p.),
c Röntgenbild einer implantierten CFV-
b c
Prothese (lateral) a

12

⊡ Abb. 12.5 Meuli-Prothese. a Meuli-Prothese


(Implantatdesign der 1. Generation), b Meuli-
a b
Prothese (Implantatdesign der 3. Generation)

gung der metakarpalen Stifte konnten die Zentrierungsprobleme und Weichteilkontrakturen (12,1%). 75% der Revisionseingriffe
zwar vermindert werden, die Komplikationsraten blieben jedoch erfolgten in den ersten 3 Jahren mit einer steigenden kumulativen
hoch, es gelang nicht, das natürliche Rotationszentrum zu repli- Wahrscheinlichkeit für eine Revisionsoperation über die Zeit. Bei
zieren. Nach einer Lernkurve konnte die Revisionsrate reduziert distalen Lockerungen kam es häufig zu einer palmaren Dislokation
werden, in einer Untersuchung an 140 Meuli-Prothesen betrug der Pfannenkomponente, was beim Faustschluss zu einer Attri-
sie aber dennoch durchschnittlich 33%. Die häufigsten Gründe tion der Beugesehnen und konsekutiven Sehnenrupturen sowie zu
waren dabei Dislokationen (8,6%), Prothesenlockerungen (2,9%) Kompressionen des N. medianus führte.
12.1 · Allgemeines
239 12

⊡ Abb. 12.6 Röntgenbilder einer Meuli-Prothese


mit Dysbalance und Perforation der proximalen
Implantatkomponente am Radius. Erkennbar ist
das nach radial verlagerte Rotationszentrum der
Prothese mit daraus resultierender Ulnarduktion
des Handgelenks in Ruhestellung. a d. p.Strahlen-
a b
gang, b lateraler Strahlengang

Prothesen der 3. Generation Zunahme des Kraftarmes für die Handgelenkflexoren und ulnare De-
Alle Prothesen der 3. Generation verwendeten ein in zwei Ebe- viationen verhindern und somit die Weichteilbalance verbessern.
nen dezentriertes Design der Gelenkflächen. Hierzu gehören die
Trispherical-Prothese, die Universal-Prothese, die Biaxial-Prothese Biaxial-Prothese
und die MWP-III-Prothese, welche die 3. Generation der Meuli- Die Biaxial-Prothese (⊡ Abb. 12.7) wurde zwischen 1978 und 1982
Prothese darstellte. an der Mayo Clinic in Rochester entwickelt. Die distale Kom-
ponente bestand aus einem langen, porös beschichteten Schaft
Trispherical-Prothese und einem elliptisch geformten Kopf. Die tragende Polyethylen-
Die Trispherical-Prothese stellte ein teilgekoppeltes Implantat dar Gelenkfläche lag auf einer ebenfalls porös beschichteten radialen
und war eine neue Art des Pfannengelenks. Die Komponenten Komponente. Die ungekoppelte ellipsoide Artikulation war nach
bestanden aus Titan mit einer ultrahochmolekularen Polyethylen- ulnar und palmar versetzt.
oberfläche (UHMWPE). Die metakarpale Komponente besaß einen
größeren Schaft für die Fixation im Os metacarpale III und einen MWP-III-Prothese. Die 3. Generation der Meuli-Prothese (MWP III)
versetzten kleineren Schaft für den zweiten Mittelhandknochen und wurde 1986 auf den Markt gebracht. Die Prothese bestand aus einer
das Skaphoid; er sollte einer Torsion entgegenwirken. Das Polyethy- Titanlegierung mit einer aufgerauten Oberfläche, die sowohl für die
lenlager war in die metakarpale Komponente einpasst und sollte Zementierung als auch für den unzementierten Einsatz in Press-
eine Radial- und Ulnardeviation von 15°, eine Flexion von 90° und fit-Technik verwendet werden konnte. Die Verankerungsstifte der
eine Extension von 80° erlauben. Die radiale Komponente wurde karpalen Komponente waren 15° nach dorsal und zur medianen
zwar zentral in den Radius eingebracht, hatte aber einen versetzten Achse angewinkelt. Aufgrund signifikanter Lockerungen bei Patien-
Schaft, wodurch das Artikulationszentrum auf Höhe des Kapita- ten mit schlechten Knochenverhältnissen wurde eine Prothese mit
tumkopfes zu liegen kam. Ein palmarer Tilt von 12° gegenüber der zwei Stielen entwickelt. Die distale Komponente wurde dahingehend
radialen Komponente erzeugte einen palmaren Shift in der Rotati- modifiziert, dass ein längerer Schaft für das Metakarpale III und ein
onsachse und sollte damit den Kraftarm der Extensoren stärken. zusätzlicher Schaft für das Metakarpale II geschaffen wurde.
Unabhängig aller Resultate sind gewisse Trends für die unter-
Universal-Prothese schiedlichen Prothesen ersichtlich. Die Swanson-Prothese zeigte
Die Menon-Prothese, auch als Universal-Total-Wrist-Implantat be- Frakturen und Revisionsraten in jeder publizierten Studie. Eine
kannt, wurde 1980 entworfen und sollte, wie alle ihre Vorgänger exponentielle Erhöhung der Revisions- und Frakturrate trat nach
im Übrigen auch, die Schwächen früherer Prothesen beheben. Das durchschnittlich 55 Monaten, der Bruch der Prothese in nahezu
Implantat stellte ein ungekoppeltes Gelenk dar, bestehend aus einer allen Fällen an der Verbindung zwischen dem metakarpalen
radialen CoCr-Komponente und einer karpalen Titan-Komponente. Stamm und dem Scharniergelenk auf. Zusammenfassend zeigten
Die konkave Gelenkfläche des radialen Anteils hatte eine radiale In- die Silikonprothesen initial gute Resultate, die aber mit längerer
klination von 20° und war somit der ursprünglichen Gelenkfläche des Nachbeobachtungszeit nachließen. Bei den folgenden Prothesen-
Radius nachempfunden. Die Befestigungsmethode der distalen Kom- generationen wurden Implantatbrüche zwar nicht berichtet, jedoch
ponente war neu. Sie bestand aus einem kurzen zentralen Schaft, der traten gerade bei den Meuli-Prothesen hohe Revisionsraten auf.
ins Kapitatum eingebracht wurde und zwei langen Schrauben für den Sie lagen bei bis zu 30% und wurden mit einer fehlerhaften Posi-
radialen und ulnaren Support. Die Fixation wurde mit einer inter- tionierung in Verbindung gebracht. Auch die Volz-Prothese zeigte
karpalen Fusion kombiniert, die eine Sinterung verhindern und die immer wieder Dislokationen, obgleich hier alles in allem bessere
Langzeitresultate verbessern sollte. Die radiale Komponente wurde Resultate vorlagen. Die frühen Handgelenkimplantate waren par-
parallel zu der existierenden Gelenkfläche angesetzt. Dies sollte eine tiell gekoppelt und hatten Lager mit kleinen Gelenkflächen. Ihr
240 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

wegungserhaltende Operationsverfahren wie z. B. Teilarthrodesen


nicht mehr therapierbar sind ( Abschn. 10.1.6.2). Hierfür können
entzündliche, degenerative, posttraumatische und avaskuläre Fak-
toren ursächlich sein ( Übersicht).

Indikationen zur Endoprothetik des Handgelenks


▬ Rheumatoide Arthritis (Typ I und II nach Simmen)
▬ Posttraumatische Arthrosen
▬ Avaskuläre Nekrosen
▬ Funktionelle Deformitäten (z. B. SLAC-Wrist)
▬ Andere posttraumatische Zustände

Die Hauptindikation für den prothetischen Handgelenkersatz stellt


neben den posttraumatischen Arthrosen die Rheumatoidarthritis im
Stadium I und II nach Stimmen dar. Die betroffenen Patienten sind
durch ihre Erkrankung häufig sehr stark beeinträchtigt und stellen
daher verhältnismäßig geringe Anforderungen an das postoperative
Outcome. Auch eine bilaterale Beteiligung des Handgelenks ist bei
⊡ Abb. 12.7 Biaxial-Prothese. diesen Patienten nicht selten. Obwohl gute Resultate nach beidsei-
Implantatdesign tiger Versteifung beschrieben wurden, können die funktionellen
Folgen schwerwiegend sein, weshalb Patienten, die beide Eingriffe
hinter sich haben, in der Regel die Arthroplastik bevorzugen. Wei-
Design war dahingehend ausgelegt, die Flexion und Extension terhin berichten Kobus und Turner, dass alle von ihnen untersuch-
zu maximieren, Instabilitäten und Dysbalancen waren dadurch ten Patienten, die unzufrieden mit einer Arthrodese auf der einen
jedoch nicht selten. Unterschiedliche Schaftausführungen für die Seite waren, auf der anderen Seite mit einer Endoprothese versorgt
proximale Fixierung im Radius und die distale im Karpus wurden wurden. Dennoch bedingen oben genannte biomechanische Anfor-
erprobt, die karpale Komponente wurde dabei typischerweise im derungen eine sehr genaue Patientenauswahl, die für das zu erwar-
12 Os metacarpale zementiert, wonach sich aber trotzdem eine hohe tende Resultat essenziell ist. So sollten nicht alle Verlaufsformen der
Inzidenz von Lockerungen zeigte, die durch metakarpale Erosio- rheumatoiden Arthritis einbezogen, sondern die Indikationsstellung
nen und Penetrationen der distalen Verankerung gekennzeichnet auf stabile Formen beschränkt werden. Im Allgemeinen sind dies
war. Periprothetische Knochenresorptionen im distalen Radius Typ I und Typ II nach der Schulthess-Klassifikation (⊡ Tab. 12.1).
waren ebenfalls häufig. Erste Änderungen am Design fokussierten Bereits bei der Anamneseerhebung sollten die Erfordernisse
daher darauf, die Balance des Handgelenks und die Lockerung der und das Tätigkeitsumfeld des Patienten genau erfragt werden. Ein
distalen Komponente durch eine möglichst akkurate Nachahmung eventuell notwendiger Gelenkersatz der unteren Extremität hat
der Handgelenkkinematik zu verbessern. Dies sollte durch Verän- in der Regel Priorität, da der Patient in solchen Fällen häufig auf
derungen an der Gelenkposition und -führung erreicht werden. Gehstützen angewiesen ist, was das Resultat einer Endoprothese am
Die überarbeitete Meuli-Prothese (Sulzer Orthopedics, Winterthur, Handgelenk deutlich beeinträchtigen kann. Die Beteiligung anderer
Schweiz), die Trispherical-Prothese (Osteonics, Allendale, New Gelenke der oberen Extremität ist ein weiterer Punkt, der in die
Jersey) sowie eine überarbeitete Volz-Prothese (Howmedica, Ruth- Indikationsstellung einbezogen werden muss. Da das Handgelenk
erford, New Jersey) zeigten zunächst ermutigende Frühresultate, eine Schlüsselfunktion für die Gesamtfunktion der oberen Extre-
spätere Untersuchungen ließen jedoch auch hier Dysbalancen, Sin- mität einnimmt, sollte hier die Hand Vorrang zu Eingriffen an El-
terungen der Prothesenkomponenten und Lockerungen erkennen. lenbogen und Schulter haben. Das Vorgehen muss aber individuell
Subjektiv waren die Resultate bei den meisten Patienten zumindest entschieden werden, Richtlinien zur Planung der Reihenfolge von
initial gut, die Lockerung verblieb aber ein substanzielles Problem. Eingriffen bei rheumatoider Arthritis wurden von Souter (1979)
vorgestellt. Die früher von Swanson beschriebenen Indikationen,
die u. a. auch Handgelenkinstabilitäten aufgrund von Subluxationen
12.1.2 Epidemiologie  Kap. 10 oder Dislokationen des Radiokarpalgelenks, schwere Deviationen
des Handgelenks durch muskuläre Dysbalancen und Einsteifungen
12.1.3 Ätiologie  Kap. 10 in einer funktionell ungünstigen Position umfassten, sehen wir
mittlerweile eher als Kontraindikation an. Hierzu sind auch Patien-
12.1.4 Diagnostik  Kap. 10 ten mit einem fehlenden knöchernen Support zu zählen.

12.1.5 Klassifikation  Kap. 10 > Das bisher nicht vollständig gelöste Problem bei der Endo-
prothetik des Handgelenkes ist immer noch die Lockerung
12.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie der distalen Komponente.
Ebenfalls kontraindiziert ist ein Handgelenkersatz bei Patienten mit
Die Indikationen für den bewegungserhaltenden Ersatz des Hand- chronisch rezidivierenden Infektionen, neurologischen Funktions-
gelenks entsprechen weitestgehend denen der Handgelenkverstei- störungen der Hand, Rupturen der radialen Handgelenkextensoren
fung und bestehen aus der Kombination von Handgelenkschmer- und unkooperative Persönlichkeitsstrukturen. Zurückhaltung in
zen und einer sekundären Handgelenkdestruktion, die durch be- der Indikationsstellung sollte auch bei Handgelenken mit multip-
12.1 · Allgemeines
241 12

⊡ Tab. 12.1 Schulthess-Klassifikation der rheumatoiden Arthritis

Typ Charakteristik Langzeitverlauf

Typ I Spontane Ankylose Selbststabilisierend

Typ II Sekundäre degenerative Arthrose Selbststabilisierend

Typ III Ligamentäre und/oder ossäre Destabilisierend


Destruktion

len Rupturen der Extensor-digitorum-communis-Sehnen sowie bei


immunsupprimierten, jungen und handwerklich tätigen Patienten
geübt werden ( Übersicht).

Kontraindikationen zur Endoprothetik des Handgelenks


▬ Desintegrative rheumatische Handgelenkdestruktionen
⊡ Abb. 12.8 Universal 2 Total Wrist Implant System. Implantatdesign
(Typ III nach Simmen)
▬ Chronische Instabilitäten des Handgelenks
▬ Muskuläre Dysbalancen
▬ Fehlender oder mangelnder knöcherner Support sierten Pfanne im Os metacarpale II und dem Os hamatum. Sie
▬ Rezidivierende und chronische Infektsituationen artikuliert mit einer proximalen CoCr-Radiuskomponente. Das
▬ Neurologische Funktionsstörungen der Hand Design ist auf den Erhalt des distalen Radioulnargelenks (DRUG)
▬ Patienten mit Rupturen der radialen Handgelenkextensoren ausgelegt. Die Universal-2-Prothese ist wohl das Modell, bei dem
▬ Immunsupprimierte Patienten die meisten klinischen Erfahrungen existieren. Die Frühergebnisse
▬ Unkooperative Persönlichkeitsstrukturen sind erfreulich; in einer prospektiven Studie konnten Divelbiss
▬ Patienten mit ausgesprochen hohen Anforderungen an das et al. (2002) bei einem Follow-up von 1 Jahr (14 Patienten) und
postoperative Resultat 2 Jahren (8 Patienten) eine deutlich verbesserte Beweglichkeit und
▬ Junge und schwer körperlich tätige Patienten eine Zunahme der DASH-Scores um 14 im 1. Jahr und 24 nach
2 Jahren zeigen. Drei Prothesen (14%) waren instabil und erforder-
ten weitere Eingriffe.

12.1.7 Therapie Re-Motion Total Wrist


Die Re-Motion-Total-Wrist-Prothese ist eine Prothese, die als
Konservative (nichtoperative) Therapie  Kap. 10 Avanta Total Wrist ursprünglich von der Firma Avanta hergestellt
Operative Therapie wurde und aktuell mit neuem und verbessertem Instrumenta-
Die heute am häufigsten verwendeten drei Prothesenmodelle sind rium von der Firma Small Bone Innovations vertrieben wird
die Universal-2- (KMI/Integra), die Re-Motion- (Small Bone In- (⊡ Abb. 12.9). Mit dem Versuch, das erforderliche Resektionsaus-
novations, Inc.) und die Maestro-Prothese (Biomet). Eine Son- maß zu reduzieren, basiert sie auf einem weitestmöglichen Erhalt
derposition nimmt die MBW-Handgelenkprothese (Moje Kera- des distalen Radius. Die Grundüberlegung dabei ist der Erhalt der
mikimplantate GmbH & Co. KG) ein, da sie im Gegensatz zu den extrinsischen palmaren Bänder, der zu einer verbesserten Stabilität
vorgenannten Implantaten aus Keramik gefertigt ist. beitragen soll. Eine konkave Radiuskomponente aus CoCr artiku-
liert mit einer konvexen Polyethylenkappe, die auf einer flachen,
Universal 2 karpal fixierten Platte sitzt. Diese ist distal mit einer radialen
Die Universal-2-Prothese stellt eine überarbeitete Form der Schraube im Karpus verankert, die das Os metacarpale II nicht
ursprünglich von Menon entwickelten UTW-Prothese dar penetriert, ulnar durch eine weitere Schraube. Grundsätzlich ist es
(⊡ Abb. 12.8). Die Inklination wurde auf 14° reduziert und die ra- aber möglich, gleichzeitig mit dem radiokarpalen Ersatz auch das
diale und karpale Komponente aus Gründen der Osseointegration distale Radioulnargelenk mit einer Ulnakopfprothese zu rekonst-
porös beschichtet. Besonderer Wert wurde dabei auf die primär ruieren. Mit oder ohne Ulnakopfersatz finden sich bei dieser Pro-
stabile Fixation des distalen Prothesenteils mit einer zusätzlichen these gute Frühresultate, allerdings fehlen auch hier die längeren
Schraubenfixierung im Karpus und auf eine breite, ellipsoide Ge- Nachbeobachtungszeiten.
lenkfläche gelegt. Zusätzliche biomechanische Veränderungen wa-
ren auf die Probleme mit Instabilität und Dislokation ausgerichtet. Maestro Wrist Reconstructive System (WRS)
Unter Einbezug von Computermodellen und Laborstudien wies Die Firma Biomet vertreibt das sog. Maestro Wrist Reconstructive
ein elliptisches Design der karpalen Komponente im Vergleich System (WRS). Diese Prothese unterscheidet sich signifikant von
zum früheren Ringform über das gesamte Bewegungsausmaß eine den beiden oben genannten anderen Modellen, die Hüft-, Knie-
konstantere Kontaktfläche zur radialen Komponente auf. Die Breite und Schulterprothesen nachempfunden sind. Bei der Maestro ar-
der radialen Komponente wurde darauf erhöht, um eine bessere tikuliert eine konvexe distale Metallkomponente mit einem pro-
Führung der karpalen Komponente bei besserer Rotationsstabilität ximalen konkaven Polyethylenkörper. Dieses Polyethylen (UHM-
zu gewährleisten. Die Universal 2 erfordert eine flache karpale WPE) ist direkt mit einem radialen CoCr-Körper mit Titanschaft
Osteotomie und eine Schraubenfixation der modularen distal ba- verbunden. Die distale Komponente besteht aus einer karpalen
242 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

12.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter

Indikationen für den Einsatz einer Endoprothese am kindlichen


Handgelenk gibt es nicht. Der primäre Grund hierfür ist die be-
stehende Wachstumstendenz des kindlichen Knochens. Die Im-
plantation einer Handgelenkprothese erfordert eine ausgedehnte
Präparation im Bereich des distalen Radius ( Abschn. 12.2.1), die
im Wachstumsalter zu einer Destruktion der distalen Epiphysen-
fuge führen würde. Im Gegensatz zur proximalen Epiphysenfuge,
deren Anteil am Längenwachstum lediglich 20% einnimmt, liegt
der Anteil distal bei etwa 80%. Die Folge wäre eine hemmende
Wachstumsstörung des Radius mit konsekutivem Längenverlust im
Vergleich zur Gegenseite, je nach Prothesenmodell und dem damit
verbundenen Verbleib des Ulnaköpfchens möglicherweise auch ein
relativer Ulnavorschub. Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass
die Entwicklung des Handwurzelskelettes je nach Alter des Kindes
noch nicht abgeschlossen ist. Dies führt zu Problemen der karpalen
und metakarpalen Verankerung, die nicht absehbar sind. Selbst bei
der juvenilen rheumatoiden Arthritis (Morbus Still), die unbehan-
delt häufig zu einer sehr früh einsetzenden und ausgeprägten De-
struktion des Handgelenks führt, ist die Komplettversteifung einer
Endoprothese vorzuziehen. Erfreulicherweise haben die ausgeprägt
mutilierenden Verläufe dieser Erkrankungsform aber aufgrund
⊡ Abb. 12.9 Re-Motion Total Wrist. Implantatdesign
neuerer Basistherapeutika deutlich abgenommen.

12.2 Spezielle Techniken

12.2.1 Technik der Implantation


der Handgelenkprothese
12
In der Regel erfolgt der Zugang zum Handgelenk über eine gerade
Hautinzision im verlängerten Verlauf des Os metacarpale III, leicht
ulnar des Tuberculum Listeri. Um Wundrandnekrosen zu vermei-
den, wird direkt auf die dorsale Vorderarmfaszie präpariert und die
Haut unter Schonung der Äste des R. superficialis N. radialis und des
R. dorsalis N. ulnaris samt subkutanem Fettgewebe nach radial und
ulnar präpariert. Nach Darstellung des Retinaculum extensorum
muss dieses eröffnet werden, was auf verschiedene Art und Weise
⊡ Abb. 12.10 MBW-Handgelenkprothese. Implantatdesign erfolgen kann. Die von uns favorisierte Methode ist die Eröffnung
des 3. Strecksehnenfaches im Verlauf der EPL-Sehne und dann fol-
gende tangentiale Eröffnung der angrenzenden Sehnenfächer nach
radial und ulnar. Alternativ kann auch das 4. Strecksehenfach zuerst
Platte aus CoCr mit oder ohne Skaphoidaugmentation. Alle Kom- eröffnet werden, am besten zickzackförmig, um dann von hier aus
ponenten sind modular aufgebaut. Anders als bei der Universal2 die Präparation nach radial und ulnar fortzusetzen.
und Re-Motion ist es nicht immer notwendig, eine Fusion des di- Der N. interosseus posterior wird im Sinne einer Teildenerva-
stalen Skaphoidpols an den umgebenden Karpus zu erreichen. Die tion etwa 2 cm proximal des Handgelenks koaguliert und reseziert.
Prothese besitzt dafür eine radiale, in die karpale Platte eingebun- Es folgt die Eröffnung der Handgelenkkapsel, für die es ebenfalls
dene Augmentation. Auch hier kann das distale Radioulnargelenk verschiedene Methoden gibt. Die Auswahl richtet sich nicht zuletzt
beim Einbau erhalten werden. danach, ob ein Eingriff am Ulnakopf vorgenommen werden soll
oder nicht, generell ist eine Präparation entlang des Verlaufs der
MBW-Handgelenk dorsalen Handgelenkligamente jedoch nicht zwingend erforderlich
Die MBW-Handgelenkprothese (⊡ Abb. 12.10), die von der Firma (⊡ Abb. 12.11a). Wird der Ulnakopf nicht reseziert, kann direkt ent-
Moje vertrieben wird, besteht im Gegensatz zu den anderen Implan- lang der Radiusgelenklippe, ulnar im Intervall zwischen der Handge-
taten aus Keramik. Beide Komponenten sind aus einem Stück geformt lenkkapsel und dem Lig. radioulnare dorsale eingegangen und so ein
und werden in der Press-fit-Technik eingebracht. Hierzu ist zunächst ausreichend breiter Kapsellappen nach distal abgehoben werden. Die
eine Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (»proximal row Randbegrenzungen werden dabei vom Boden des 1. und 6. Streck-
carpectomy«) notwendig, nachfolgend wird sowohl die Radiusge- sehnenfaches definiert, der M. brachioradialis und das aufsitzende
lenkfläche als auch der Kapitatumkopf reseziert und die jeweiligen 1. Strecksehnenfach werden subperiostal abgelöst. Das Handgelenk
Komponenten nach Präparation des Markraums als Gelenkersatz wird nun komplett flektiert, um das Gelenk einzusehen. Es folgt eine
eingebracht. Publikationen größerer Serien mit einem entsprechend Synovektomie im Radiokarpal- sowie im distalen Radioulnargelenk.
langen Nachbeobachtungszeitraum existieren derzeit noch nicht. Sollten sich hier arthrotische Veränderungen zeigen, kann je nach
12.2 · Spezielle Techniken
243 12

⊡ Abb. 12.11 Operationstechnik. a Operativer Zugang durch eine gerade Hautinzision mit Eröffnung des Retinaculum
extensorums und der dorsalen Handgelenkkapsel sowie Resektion des Ulnaköpfchens, b Präparation der radialen Kompo-
nente durch Aufbringen einer Zielvorrichtung über einen zentriert eingesetzen Draht, c Einsetzen eines Führungsstabes
und Vorformen des Markraums mit einem Raspatorium, d Präparation der distalen Komponente durch Vorbohren des Ka-
pitatums über eine Zielvorrichtung, e Belassen der Sägevorrichtung nach Resektion der karpalen Ebene, f Aufbringen der
distalen Probekomponente und radiale Bohrung über die Zielvorrichtung, die dem Os metacarpale II aufgesetzt wird f

Verfahren eine Resektion nach Darrach oder eine Hemiresektionsar- Kurette oder einem Pfriem erweitert. Es folgt das Einbringen
throplastik erfolgen. Den gleichzeitigen Gelenkersatz des Ulnakopfes eines Führungsstabes in den Markkanal, über den zunächst eine
führen wir nicht durch, ist aber prinzipiell möglich. Führungsrinne, dann ein Resektionsblock aufgesetzt wird, der als
Das weitere Vorgehen unterscheidet sich je nach Verwendung Führung für die proximale Resektion dient (⊡ Abb. 12.11b). Der
des jeweiligen Prothesenmodells. Als Beispiel soll hier die Implan- Resektionsblock wird mit zwei oder drei Kirschner-Drähten fixiert,
tation einer Universal2-Prothese beschrieben werden: wofür drei Lochreihen, die jeweils 2 mm voneinander entfernt
Die Präparation der radialen Komponente beginnt mit einer sind, vorgegeben sind. Beim Besetzen der mittleren Reihe, kann
Anbohrung der distalen Radiusgelenkfläche. Hierzu wird mit ei- jeweils nach proximal oder distal korrigiert werden. Der Führungs-
ner Ahle ca. 5 mm unterhalb der dorsalen Radiuskante, direkt stab und die Führungsrinne werden nun entfernt und die Enden
radial des Lister-Tuberkels ein Loch gesetzt und dieses mit einer der Kirschner-Drähte über dem Resektionsblock gekürzt. Nach
244 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

nochmaliger Kontrolle der Position erfolgt nun die Resektion der Kirschner-Drähte erfolgt das Einsetzen der radialen Komponente,
Radiusgelenkfläche mit einer oszillierenden Säge. Die Zielinstru- zuletzt das Aufsetzen der Polyethylenkomponente, die unter Druck
mente werden entfernt und überschüssige Osteophyten reseziert. einschnappt. Nach Reposition wird abschließend nochmals die
Nach erneutem Einsetzen des Führungsstabes kann nun mit ei- Beweglichkeit und Stabilität überprüft.
nem Raspatorium der Markkanal vorgeformt (⊡ Abb. 12.11c) und Die Kapselreadaptation erfolgt mit langsam resorbierbarem
danach die radiale Probekomponente eingesetzt werden. Für die monofilen Nahtmaterial (z. B. PDS 4/0), gleiches mit dem Reti-
Entfernung steht ein spezieller Extraktor zur Verfügung. naculum extensorum nach Rückverlagerung der EPL-Sehne. Der
Die Präparation der karpalen Komponente beginnt mit der Wundverschluss wird mit lockeren Einzelknopfnähten erreicht.
Exzision des Lunatums. Über eine modulare Zielvorrichtung, de- Die Nachbehandlung erfolgt in Abhängigkeit von der intraope-
ren Bohrhülse gegen den Kapitatumkopf gedrückt und deren Sat- rativen Stabilität des Handgelenks und der Fixation der Prothesen-
tel auf das Metakarpale III aufgelegt wird, kann nun ein Draht komponenten. Bei subjektiv unauffälligen Stabilitätsverhältnissen
durch das Kapitatum in das 3. Metakarpale vorgeschoben werden kann nach einer kurzfristigen Immobilisation von 2–3 Wochen mit
(⊡ Abb. 12.11d). Nach Entfernung der Zielkomponenten wird der einer aktiv-assistiven Mobilisation aus der Schiene heraus begon-
Draht mit einem kanülierten Bohrer überbohrt. Auch hier wird nen werden. Bei eher instabilen Verhältnissen empfiehlt sich eine
ein Führungsstab und hierüber die karpale Schneidevorrichtung konsequente Immobilisation über den Zeitraum von 4–5 Wochen.
eingebracht. Sie wird so positioniert, dass die Schnittebene durch
den proximalen Millimeter des Hamatums, den Kapitatumkopf,
die Skaphoidtaille und durch die Mitte des Triquetrums verläuft. 12.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
Insbesondere bei instabilen knöchernen Verhältnissen müssen die
verbleibenden Karpalknochen durch Kirschner-Drähte miteinan- Gründe für ein Implantatversagen sind mannigfaltig und nicht sel-
der fixiert werden. Nun wird die metakarpale Sägevorrichtung mit ten eine Kombination aus mehreren Faktoren, bei denen auch das
Kirschner-Drähten gesichert und die Resektion der karpalen Ebene Fortschreiten der Erkrankung eine Rolle spielen kann. Die bei der
mittels oszillierenden Säge vorgenommen. Im Gegensatz zur Präpa- Implantation kritischen Punkte bestehen vor allem aus der Zent-
ration der radialen Komponente verbleibt die Sägevorrichtung zur rierung des Implantats, der Prothesenfixierung und der Weichteil-
Stabilisierung der weiteren Präparation (⊡ Abb. 12.11e). Nach Er- balance. Subjektive Parameter einer Handgelenkinstabilität sind
weiterung des Bohrloches im Kapitatum und Einsetzen der Probe- meist schwer als Implantatversagen zu interpretieren und können
komponente wird die modulare Bohrführung im radialen Loch der daher nicht zu den Hauptfaktoren gezählt werden.
Probekomponente platziert, der Sattel auf das zweite Metakarpale Implantatlockerungen stellen trotz neuer Entwicklungen im-
aufgelegt und ein Bohrloch durch Skaphoid, Trapeziodeum und mer noch das größte Problem nach endoprothetischer Versorgung
12 Os metakarpale II gesetzt (⊡ Abb. 12.11f). Als Hilfe dient dabei eine des Handgelenks dar. Hiervon ist vor allem die distale Komponente
Markierung. Da diese Bohrung normalerweise nicht senkrecht zur betroffen. Während die Komplikationen mit den ursprünglich ver-
karpalen Komponente verläuft, sind die Plattenbohrungen für Win- wendeten flexiblen Silikonimplantaten auf eine Silikonsynovitis
kelverschraubungen ausgelegt. Danach kann eine selbstschneidende zurückzuführen waren, stehen heute andere Ursachen im Vor-
Schraube eingebracht werden, die aber noch nicht festgezogen wer- dergrund. So ist die Implantatlockerung heute vor allem von der
den sollte. In gleicher Technik wird nun mit der ulnaren Bohrung Knochenqualität, dem Implantatdesign, der Ausrichtung des Im-
verfahren, die durch das Hamatum verläuft. Bei der Bohrung muss plantats beim Einbau und dessen Fixation im Knochen abhängig.
das Os metacarpale IV angehoben werden, um eine palmare Bohr- Ob der Polyethylenabrieb und die daraus resultierenden Partikel
richtung zu vermeiden, die eingebrachte Schraube darf das sehr die gleiche Bedeutung haben wie bei der Prothesenversorgung an
mobile Karpometakarpalgelenk nicht kreuzen. der unteren Extremität, ist nicht klar. Beobachtungen bei Revisi-
Nun wird die radiale Komponente erneut eingebracht und zu- onsoperationen lassen jedoch vermuten, dass die Veränderungen
sätzlich eine Probe-Polyethylengelenkfläche aufgesetzt, beginnend am Polyethylen eher sekundärer Natur sind und durch die Pro-
mit der Standarddicke. Das Handgelenk wird reponiert und das thesendislokation entstehen. Je nach grundlegender Erkrankung
Bewegungsausmaß und die Stabilität überprüft. Normalerweise kann deren Fortschreiten zu einer Verschiebung des verbliebenen
zeigt sich eine stabile Situation mit einem Bewegungsausmaß von Karpus und hierdurch zu Mikrobewegungen und Lockerungen an
je etwa 50–60° Extension und Flexion. Sollte die palmare Kapsel der Zement-Knochen-Verbindung führen. Auch repetitiver Stress
zu straff sein und die Extension einschränken, ist ggf. eine Nach- auf die Komponenten kann Mikrofrakturen in diesem Bereich
resektion des Radius notwendig, häufig sind hierfür nur wenige verursachen, deren Folge Resorptionszonen und Sinterungen sind.
Millimeter erforderlich. Im Falle einer starken präoperativen Fle- Kinematische Studien zur Restbeweglichkeit des verbliebenen Kar-
xionskontraktur ist für eine bessere Balance und Beweglichkeit des pus und der Karpometakarpalgelenke gaben daher Empfehlungen
Handgelenks ggf. eine Verlängerungstenotomie der Flexor-carpi- zu einer interkarpalen oder karpometakarpalen Fusion aus. Der
ulnaris-Sehne notwendig. Bei einer palmaren Instabilität erfolgt Nachweis einer Prothesenlockerung ist oft nicht leicht. Ein Kli-
eine Inspektion der palmaren Kapsel. Sollte sie abgesetzt sein, wird cken oder Schnappen kann zwar auf eine Subluxation oder ein
eine Readaptation an die Radiuskante durchgeführt. Bei intakter Impingement hindeuten, diese Zeichen sind aber bei der passiven
Kapsel kann die Spannung durch den Wechsel auf eine dickere Testung meist unauffällig und lediglich im aktiven Gebrauch der
Polyethylenkomponente verbessert werden. Zeigt die Testung le- Hand demonstrierbar. Gegebenenfalls sind spezielle Röntgenun-
diglich eine milde Instabilität, reicht der alleinige Kapselverschluss tersuchungen notwendig, um eine klinisch vermutete Lockerung
in der Regel aus, um das Problem zu beheben. der Prothese nachzuweisen. Neben einer CT-Untersuchung kann
Nach Entfernen der Probekomponenten werden drei hori- auch eine Szintigrafie gute Dienste erweisen. Auch spezielle semi-
zontale Matratzennähte durch die dorsale Radiuskante vorgelegt, dynamische CT-Untersuchungen, bei denen nacheinander zwei
um den späteren Kapselverschluss zu gewährleisten. Die karpale Scans unter fixierter Pro- und Supination angefertigt und mit einer
Platte wird nun auf den Impaktor gesetzt und distal eingebracht, Fusionssoftware übereinander abgebildet werden, wurden zu die-
danach mit beiden Schrauben befestigt. Nach Entfernung der sem Zweck beschrieben.
12.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
245 12
Verhältnismäßig häufig und klinisch eindeutiger zu diagnosti- Resektionsarthroplastiken, wie sie früher vorgeschlagen wurden,
zieren ist eine statische Deformität. Sie tritt in den meisten Fällen in kommen heutzutage in der Regel kaum mehr zur Anwendung.
Form einer Flexions- oder Deviationskontraktur auf. Die Zentrie- Eine der möglichen Therapieoptionen ist die Prothesenrevi-
rung der Prothese ist häufig der schwierigste Teil der Implantation, sion und Reimplantation. Handgelenkprothesen sind in der Regel
vor allem bei Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis, deren von einer festen Bindegewebskapsel umgeben. Bei noch fest sit-
Knochenstruktur je nach Verlaufstyp mehr oder weniger verändert zenden Implantatanteilen kann es schwierig sein, die in der Regel
ist. Ein zusätzlicher karpaler Kollaps kann Muskelverkürzungen, zementierten Komponenten zu entfernen (⊡ Abb. 12.12). Durch
Sehnenrupturen, Weichteilkontrakturen und eine ulnare Fehlstel- sorgfältiges Lösen des Zementes vom Knochen wird versucht die
lung nach sich ziehen, was die Zentrierung zusätzlich erschwert. Implantatfixation so zu schwächen, dass ein Herauslösen des Im-
Bei diesen Patienten ist das Rotationszentrum des Handgelenks plantates samt Zementmantel möglich wird. Selten ist es notwen-
häufig versetzt, was eine sehr genaue Platzierung des Implantates dig, die Kortikalis zu spalten um sie dann vom Zementmantel zu
erfordert. Die Prothese sollte daher distal in einer Linie mit dem lösen. Löst sich der Schaft separat vom Zement, kann versucht
Os metacarpale III liegen, proximal mit dem ulnaren Rand des werden, den Zement mit einer hochtourigen Fräse herauszulösen.
Radius. Tendenziell ist eher ein distales, ulnares und palmares Ro- Hierbei wird der Zement bis zum Schmelzpunkt erhitzt, sukzessive
tationszentrum zu wählen. herausgeschliffen und die verbliebenen Reste dann herausgespült.
Protheseninfekte am Handgelenk sind selten und werden in der Falls eine erneute Implantation geplant ist, sollten sämtliche Ze-
Literatur mit 1–5% angegeben. Grundsätzlich ist das Management mentreste entfernt werden, da eine spätere Zement-Zement-Ver-
solcher Infekte mit Protheseninfekten anderer Lokalisationen ver- bindung wesentlich weniger stabil ist als eine Implantation in einen
gleichbar. Bei Frühinfekten, die rasch erkannt werden, können die wieder adäquat aufbereiteten Markraum. Im Falle eines vorher
Implantatkomponenten unter Umständen nach Debridement belas- verwendeten Silikonimplantates sollte das gesamte pseudomem-
sen werden. Bei modularen Prothesen kann es sinnvoll sein, das Po- branöse Material, das sich um den Schaft gebildet hat, debridiert
lyethlyen als größten Fremdkörper auszuwechseln. Bei aggressiveren werden. Eine der Revisionsstrategien ist hier das erneute Einbrin-
Infektionen ist es sinnvoll, die Prothese ganz auszubauen und das gen einer Swanson-Prothese, was angesichts der oft vorgefundenen
Handgelenk temporär mit einem Fixateur externe zu stabilisieren. Osteolysen eine mögliche und vor allem relativ einfache Revisions-
Je nach Verlauf und Gesamtsituation kann über diesen Fixateur eine möglichkeit darstellt.
Pseudoarthrosesituation im Sinne einer Resektionsarthroplastik er- Der zweithäufigste Grund einer Prothesenrevision ist die Dys-
reicht werden. Nach Abklingen des Infektes ist ein Wiedereinbau ei- balance des Handgelenks (⊡ Abb. 12.13). Dabei ist es bereits beim
ner Prothese zwar grundsätzlich denkbar, in den meisten Situationen Einbau der Prothese äußerst wichtig, die Weichteilbalance adäquat
allerdings nicht sinnvoll, da mit einer formellen Handgelenkarthro- herzustellen, was bereits beim Ersteingriff häufig entsprechende
dese funktionell befriedigende Resultate erreicht werden können. Sehnentransfers notwendig macht. Möglichkeiten der Stabilisie-
rung wurden bereits erwähnt und umfassen die Tenotomie des
Flexor carpi ulnaris (FCU), den FCU-Transfer, die Tenotomie der
12.3.1 Revisionseingriffe Palmaris-longus-Sehne und eine Schienentherapie. Bei modularen
Prothesen besteht zudem die Möglichkeit, die Spannungsverhält-
Treten klinisch relevante Komplikationen ein, bleiben in der Regel nisse der Weichteile am Handgelenk mit einem Wechsel der Poly-
drei Möglichkeiten der Therapie: ethylenkomponente zu verändern.
1. die Revision und Reimplantation einer neuen oder einer Revi- Hauptgründe für eine sekundäre Arthrodese des Handgelenks
sionsprothese, sind neben der Prothesenlockerung vor allem Infektionen und
2. eine Weichteilrekonstruktion oder chronische Instabilitäten (⊡ Abb. 12.14). Aufgrund der fehlenden
3. die Arthrodese des Handgelenks. Knochensubstanz erfordert sie in der Regel die Verwendung von

⊡ Abb. 12.12 Dislokation einer Meuli-Prothese


nach Ausbruch der zementierten proximalen
Komponente. a Röntgenbild, b entfernte Meuli-
Prothese mit Zementmantel und palmarer Radi-
a b
uskortikalis
246 Kapitel 12 · Endoprothetik des Handgelenks

a a

12

⊡ Abb. 12.14 Dislokation und Implantatlockerung nach Meuli-Prothese.


a Klinischer Aspekt präoperativ, b Konversion durch Prothesenausbau und
Handgelenkarthrodese

autologem oder homologem Knochenmaterial vom Beckenkamm.


Ihre Durchführung ist nach Ausbau einer Handgelenkprothese
jeglicher Art kein einfaches Unterfangen. Verschiedene Autoren
c berichten über erhebliche Probleme einerseits operativ-technischer
Art, andererseits ist das biologische Restpotenzial zur Einheilung
⊡ Abb. 12.13 Dysbalancen nach Implantation einer Handgelenkprothese. des oft großen Knochenspanes deutlich reduziert. Die Komplika-
a Ulnare Dysbalance des Handgelenks nach CFV-Prothese mit ulnokarpaler tionsrate solcher Eingriffe ist deshalb signifikant und die Fusions-
Impaktation, b ulnare Handgelenkdysbalance nach Meuli-Prothese, c palmare zeiten bis zum Einheilen des eingebrachten Knochenmaterials oft
Dislokation der distalen Implantatkomponente nach Menon-Prothese sehr lang.
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247 12
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13

Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand


Gerhard Böhringer

13.1 Allgemeines – 250


13.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 250
13.1.2 Epidemiologie – 250
13.1.3 Ätiologie – 250
13.1.4 Diagnostik – 250
13.1.5 Klassifikation – 250
13.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 251
13.1.7 Therapie – 251
13.2 Spezielle Techniken – 257
13.2.1 Synovia – 257
13.2.2 Knorpelpathologie – 258
13.2.3 Extrinsische Bandverletzungen – 258
13.2.4 Intrinsische Bandverletzungen und karpale Instabilitäten – 259
13.2.5 Verletzungen und Degeneration des triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFCC) – 261
13.2.6 Arthroskopisch assistierte Frakturbehandlung (Radius/Skaphoid) – 263
13.2.7 Arthroskopische Ganglionresektion – 265
13.2.8 Daumensattelgelenk und Grundgelenke – 265
13.3 Fehler und Gefahren – 266
Weiterführende Literatur – 266

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


250 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

13.1 Allgemeines Diskusresektion führt zur Instabilität im distalen Radioulnarge-


lenk. Eine Resektion der zentralen Diskusanteile unter Belassen
In der Diagnostik ist die Handgelenkarthroskopie anderen Ver- der radioulnaren Bänder führt nicht zur Instabilität im distalen
fahren wie Kernspintomografie und Arthrografie überlegen. Die Radioulnargelenk, bewirkt jedoch eine Umverteilung der axialen
gleichzeitige Möglichkeit zum therapeutischen Eingreifen macht Druckverhältnisse auf den Radius (vor Resektion: Radius/Ulna
die Handgelenkarthroskopie zum unentbehrlichen Instrument der 81%/19%, nach Resektion: 94%/6%; Hempfling 1995).
Diagnostik und Therapie in handchirurgischen Zentren. Die diffi- Der Discus articularis ist eine dreieckige, faserknorpelige,
zile Technik mit langer Lernkurve sowie ökonomisch-organisato- bikonkave Struktur, die im histologischen Aufbau dem Kniege-
rische Zwänge haben den Einsatz als Routineinstrumentarium in lenkmeniskus vergleichbar ist. Das distale Radioulnargelenk be-
Krankenhäusern bislang nicht erlaubt. steht aus der Circumferentia articularis des Caput ulnae und der
Incisura ulnaris des Radius und wird distal vom Discus articularis
abgeschlossen. Ab der 3. Lebensdekade treten zunehmend Dis-
13.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und kusperforationen auf, die eine Kommunikation zwischen beiden
Physiologie Gelenken erlauben. Das Mediokarpalgelenk findet sich zwischen
der proximalen Handwurzelreihe und der distalen Reihe (Os
Das Handgelenk setzt sich aus drei Teilen zusammen, trapezium, Os trapezoideum, Os capitatum, Os hamatum). Der
▬ dem Radiokarpalgelenk, Gelenkspalt ist sehr eng und verzweigt, es existieren neben dem
▬ dem Mediokarpalgelenk und Gelenk zwischen der proximalen und distalen Handwurzelreihe
▬ dem distalen Radioulnargelenk. abzweigende Gelenkspalten zwischen allen beteiligten Knochen
(⊡ Abb. 13.1).
Es handelt sich um drei getrennte, abgeschlossene Räume, die phy-
siologisch nicht miteinander kommunizieren. Das Radiokarpal-
gelenk ist das größte der drei Gelenke und wird proximal von der 13.1.2 Epidemiologie
konkaven Radiusgelenkfläche gebildet, die in eine Fovea scaphoi-
dea und eine Fovea lunata unterteilt ist, und dem Discus articula- Die Handgelenkarthroskopie hat sich nach der Einführung durch
ris, der radial an der Incisura ulnaris des Radius (Sigmoid Notch) Chen (1979) zunächst zögerlich etabliert. In den letzten Jahren
anhaftet und ulnarseits am Processus styloideus ulnae befestigt ist. hat sie jedoch schnell an Verbreitung gewonnen und ist zu einem
Die distale Gelenkfläche des Radiokarpalgelenks besteht aus den unentbehrlichen Instrument der Diagnostik und in zunehmendem
knorpeligen Anteilen des Os scaphoideum, Os lunatum und Os Maße auch der Therapie von intraartikulären Verletzungen und
triquetrum und den interkarpalen Bändern (Lig. scapholunatum Erkrankungen am Handgelenk geworden. In erster Linie sind
und Lig. lunotriquetrum), die eine straffe Verbindung zwischen hier die karpalen Instabilitäten, Knorpelschäden und die Erkran-
den drei Karpalknochen herstellen und das Radiokarpalgelenk kungen des ulnokarpalen Komplexes zu nennen. Die Häufigkeit
13 gegenüber dem Mediokarpalgelenk abschließen. und Bedeutung der karpalen Instabilitäten sowie von Verletzun-
Eine wichtige Rolle spielt der TFCC (triangulärer fibrokartila- gen des ulnokarpalen Komplexes lassen eine weitere Verbreitung
ginärer Komplex), der aus dem Discus articularis, dem Lig. colla- der Handgelenkarthroskopie in Krankenhäusern und ambulanten
terale ulnare, dem 6. Strecksehnenfach, den ulnokarpalen Bändern Operationszentren notwendig erscheinen.
(Lig. ulnolunatum et ulnotriquetrum) und dem Meniscus ulno-
carpalis gebildet wird. Der TFCC trägt entscheidend zur Stabilität
im distalen Radioulnargelenk bei und wirkt als Verteiler von 13.1.3 Ätiologie  Abschn. 13.1.6
Druck- und Stoßkräften im Radiokarpalgelenk. Eine vollständige
13.1.4 Diagnostik

Die Diagnostik bzw. Dokumentation der Befunde ist nicht nur aus
juristischen Gründen notwendig.
Die Demonstration der Befunde mit einem Videoprinteraus-
druck ist für den Patienten von nicht zu unterschätzendem Wert.
Die Transparenz der ärztlichen Arbeit erhöht die Compliance und
die Motivation des Patienten. Auch die direkte Demonstration der
Befunde intraoperativ sind für den Patienten, der dies wünscht,
meist immer positiv besetzt. Neuerdings ist auch eine sofortige di-
gitale Speicherung der Bilder möglich. Zur standardisierten Doku-
mentation hat sich ein Handgelenkprotokoll (⊡ Abb. 13.2) bewährt.
Hier werden die wichtigsten Vorbefunde, die arthroskopischen
Befunde und die arthroskopische Therapie eingetragen und im
Krankenblatt abgeheftet.

⊡ Abb. 13.1 Schemazeichnung der wichtigen ossären und ligamentären


13.1.5 Klassifikation
Strukturen. RSC Lig. Radioscaphocapitatum; RLT Lig. radiolunotriquetrum;
RSL Lig. radioscapholunatum; ST »synovial tuft; SL Lig. scapholunatum;
LT Lig. lunotriquetrum; TH Lig. triquetrohamatum; TFCC = Lig. ulnolunatum Die für die verschiedenen Krankheitsbilder spezifischen Klassifi-
(UL) + Lig. Ulnotriquetrum (UT) + Discus articularis (DA). (Schmit-Neuerburg kationen sind in den jeweiligen Abschnitten beschrieben ( Ab-
et al. 2001) schn. 13.2).
13.1 · Allgemeines
251 13
13.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie gesicherte SL-Dissoziation. Allerdings handelt es sich dabei nicht
um ein konsekutives Krankengut.
Skapholunäre Dissoziation Wir führen daher eine Arthroskopie bei frischen distalen Ra-
Das Spektrum der Indikationen zur Handgelenkarthroskopie hat diusfrakturen durch, wenn ein radiologischer Verdacht auf SL-Dis-
sich von der rein diagnostischen zur vermehrt operativen Seite in soziation besteht (SL-Distanz >2 mm, skapholunärer Winkel >60°)
den letzten Jahren entwickelt. Rein diagnostische Handgelenkar- und/oder ein intraartikulärer sagittal verlaufender Bruch vorliegt.
throskopien kommen heute kaum mehr vor. Bei den Indikationen Die Arthroskopie ist nach wie vor der Goldstandard in der
im akuten traumatologischen Krankengut stehen die karpalen Insta- Diagnostik der SL-Dissoziation. Andere Verfahren wie MRT oder
bilitäten, d. h. vor allem die skapholunäre Dissoziation als Begleit- Arthrografie haben keine vergleichbare Sensitivität. Wir führen
verletzung von Radiusfrakturen im Vordergrund. Die Häufigkeit daher auch keine Arthrografie vor der Arthroskopie durch, wie
der SL-Dissoziation bei distalen Radiusfrakturen wird allgemein es von manchen Autoren noch empfohlen wird. Die Arthrografie
unterschätzt. Der Zusammenhang zwischen distaler Radiusfraktur kann u. E. keine wesentlichen Zusatzinformationen liefern. Bei der
vom Typ Colles und SL-Dissoziation wird inzwischen allgemein Arthroskopie kann gleichzeitig eine minimalinvasive arthrosko-
erkannt. Arthroskopisch gesicherte Häufigkeitsangaben hierzu sind pisch kontrollierte Reposition und Kirschner-(K-)Draht-Fixation
veröffentlicht. Schädel-Höpfner et al. (1998) untersuchten alle dista- der SL-Dissoziation durchgeführt werden.
len Radiusfrakturen eines Jahres im eigenen Krankengut. Weitere Indikationen zur Handgelenkarthroskopie sind die
Zur Auswertung kamen 183 distale Radiusfrakturen bei ab- arthroskopisch kontrollierte Frakturversorgung an Radius und
geschlossenem Skelettwachstum, von denen 32 mit Verdacht auf Skaphoid. Diese Eingriffe werden bis jetzt nur an einigen Zent-
skapholunäre Dissoziation arthroskopiert werden konnten. Ins- ren durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die arthroskopische
gesamt zeigte sich eine arthroskopisch gesicherte SL-Dissoziation Frakturversorgung vor allem Begleitverletzungen (SL-Dissoziation,
bei 10,4% aller 183 Radiusfrakturen, bei den Typ-C-Frakturen TFCC-Verletzungen) aufdecken kann, der Beweis eines Vorteils
(n=50) nach AO-Klassifikation stieg die Häufigkeit auf 22%. Bei der arthroskopisch kontrollierten Reposition im Vergleich zur kon-
Frakturen mit intraartikulärem sagittalem Frakturverlauf (n=40) trollierten Reposition über Bildverstärker konnte nicht erbracht
stieg die Häufigkeit auf 30%. Seibert et al. (1998) fanden bei 12 von werden. Da nach dem Siegeszug der winkelstabilen Plattenosteo-
30 arthroskopierten distalen Radiusfrakturen eine arthroskopisch synthese minimalinvasive Osteosynthesen nur noch selten durch-
geführt werden, ist in letzter Zeit die Häufigkeit von Handgelen-
karthroskopien bei Radiusfrakturen wieder rückläufig.

Chronische Handgelenkbeschwerden
Chronische Handgelenkbeschwerden mit und ohne vorangegan-
genes Handgelenktrauma sind eine Indikation zur Arthroskopie.
Wegweisend sind eine genaue klinische Untersuchung (Watson-
Skaphoid-Test, lunotriquetraler Ballotement-Test, ulnokarpales
Impingement) und das MRT. In den meisten Fällen finden sich
Knorpelschäden, extrinsische und intrinsische Bandverletzungen
sowie TFCC-Verletzungen. Ein therapeutisches arthroskopisches
Vorgehen ist in den meisten Fällen möglich.
Neben den SL-Dissoziationen haben sich in den letzten Jahren
die Verletzungen des TFCC als Hauptindikationen zur Hand-
gelenkarthroskopie erwiesen. Meist kommen die Patienten erst
nach Monaten zur Arthroskopie; die primäre Diagnostik und
Therapie von TFCC-Läsionen bleibt der Ausnahmefall. Im eigenen
Krankengut hat sich durch die athroskopisch kontrollierte Frak-
turversorgung an Radius und Skaphoid die primäre Entdeckung
von TFCC-Läsionen vervielfacht. Die Arthroskopie ermöglicht
hier nicht nur die exakte Diagnose, sondern auch hervorragende
therapeutische Möglichkeiten, die der Meniskuschirurgie am Knie-
gelenk vergleichbar sind.
Die Indikation zur Arthroskopie des Mediokarpalgelenks be-
steht in Zweifelsfällen bei Verdacht auf SL- oder LT-Dissoziation
sowie bei Skaphoidfrakturen, außerdem bei unklaren chronischen
Handgelenkbeschwerden. Eine Arthroskopie des distalen Radioul-
nargelenks (DRUG) ist nur selten indiziert. Der radiologisch nicht
zu verifizierende Verdacht auf Arthrose oder Chondromalazie des
DRUG ist zu nennen.

13.1.7 Therapie

Anästhesie
⊡ Abb. 13.2 Dokumentationsbogen zur Handgelenkarthroskopie. (Schmit- Für die Handgelenkarthroskopie werden alle üblichen Narkosever-
Neuerburg et al. 2001) fahren eingesetzt. Die Intubationsnarkose empfiehlt sich für den
252 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

Anfänger und bei langwierigen arthroskopischen Operationen. Die


axilläre Plexusanästhesie hat sich in meinem Krankengut als Regel-
anästhesieverfahren bewährt. Sie erlaubt einen ausreichenden Zeit-
rahmen für die meisten operativen Eingriffe mit allen Vorteilen der
Regionalanästhesie. Insbesondere die direkte Demonstration der
Befunde ist für den Patienten von nicht zu unterschätzendem Wert.
Blutsperre oder Blutleere ist je nach Bedarf einsetzbar. Die Blut-
sperre hat sich bei chronischen Erkrankungen bewährt. Dadurch
bleibt die normale Gefäßfüllung der Synovia erhalten und beur-
teilbar. Bei frischen Traumata (Radiusfraktur, Skaphoidfraktur) ist
die Blutleere zu bevorzugen, um Einblutungen ins Gelenk zu mini-
mieren und dadurch eine bessere Übersicht im Gelenk zu bekom-
men. Die i. v.-Regionalanästhesie nach Bier muss unter Blutleere
vorgenommen werden und erfährt dadurch einen Nachteil bei der
Beurteilung der Synovia, wenngleich sie von einigen Autoren em-
pfohlen wird. Bei Verwendung eines doppelkammrigen Tourni-
quets können 60 min vom Patienten ohne Probleme toleriert wer-
den, was für die meisten Eingriffe völlig ausreichend ist. a

> Anäesthesie: Im Regelfall Plexusanaesthesie und Blutsperre,


bei frischem Trauma Blutleere.

Instrumentarium
Die Handgelenkarthroskopie erfordert eine Reihe von Instrumen-
ten, die für andere Gelenke in dieser Form nicht notwendig sind,
ert daher einigen Investitionsbedarf. Eine 30°-Optik mit einem
Außendurchmesser von 2,4 mm hat sich bei uns bewährt. Andere
Autoren empfehlen 1,9- oder 2,7-mm-Optiken. Eine 1,9-mm-Op-
tik hat den Vorteil, dass damit auch kleinere Gelenke (Daumen-
sattelgelenk, Grundgelenke) arthroskopiert werden können. Der
Nachteil liegt in der Instabilität des Arthroskopschaftes, der leicht
zu knicken ist und daher eine hohe Schadenshäufigkeit hat. Der
13 2,4-mm-Schaft hat den Vorteil von größeren Bildern und einer ge-
ringen Schadenshäufigkeit, sodass sich in unseren Augen der 2,4- b
mm-Schaft bewährt. Der 2,4-mm-Schaft ist auch zur Arthroskopie
des Sattelgelenks geeignet. Zur Arthroskopie der Grundgelenke
sollte aber immer ein 1,9-mm-Schaft benutzt werden.
Ein der Optik angepasster Arthroskopschaft mit Anschluss
für die Spüllösung (NaCl) und Absaugung (Dreiwegehahn) sowie
stumpfem Trokar ergänzt das System (⊡ Abb. 13.3). Nötig ist ein
kompletter Arthroskopieturm (⊡ Abb. 13.4), wie er auch für andere
Gelenke gebräuchlich ist, mit Kamera, Kaltlichtquelle, Monitor,
Videoprinter und Shaversystem. Ideal ist ein wie in der Abbildung
dargestellt vollständig digitales integriertes Bildverarbeitungssys-
tem, das die Foto- und Videodokumentation online zum Klinik-
managementsystem erlaubt und Live-Übertragungen von Operati-
onen ermöglicht. Zusätzlich sollte für die Handgelenkarthroskopie
eine Roller-Pumpe vorhanden sein, damit durch konstanten Druck
eine Aufweitung des engen Gelenkspalts erfolgen kann. Der Spül- c
druck sollte dabei im Regelfall nicht über 130 mmHg liegen, da
es sonst zu einer massiven Einschwemmung der Spüllösung ins ⊡ Abb. 13.3 Instrumententisch. a Arthroskop mit Zubehör, b mechanische
Gewebe kommen kann. Instrumente, c Shaversystem. (Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Zum Absaugen empfiehlt sich entweder eine separat ins Gelenk
eingebrachte Kanüle (vor allem bei frischen Verletzungen besser für
die Sichtverhältnisse), die an ein Absauggerät angeschlossen wird ponente erwiesen, es gehört zur Grundausstattung. Ohne Anwen-
oder die Verwendung eines Dreiwegehahns (⊡ Abb. 13.3a) am Ar- dung eines Shavers sind oft die Sichtverhältnisse so schlecht, dass
throskopschaft zum intermittierenden Spülen/Absaugen während eine normale Anatomie nicht darstellbar ist. Wichtig sind verschie-
der Arthroskopie. Bei Verwendung eines Shavers (⊡ Abb. 13.3c) dene Aufsätze wie Weichteilresektoren (»full radius«, »aggressive cut-
wird am Shaver die Absaugvorrichtung angeschlossen. ter«), Fräser (»abrader«) zur Bearbeitung von Knorpel und Knochen.
Zur arthroskopischen Chirurgie empfehlen sich außer einem Zusätzliche technisch aufwendige Geräte wie Hochfrequenzchirur-
Tasthaken noch weitere mechanische Miniinstrumente ( Übersicht giegerät oder Lasergeräte sind sicherlich hilfreich und praktisch, nach
und ⊡ Abb. 13.3b). Das Shaversystem hat sich als unabdingbare Kom- unserer Erfahrung allerdings nicht unbedingt notwendig.
13.1 · Allgemeines
253 13

a b

⊡ Abb. 13.5 Methoden der Distraktion. a Vertikale Distraktion am frei hän-


genden Arm, b vertikale Distraktion am Traction Tower. (Schmit-Neuerburg
et al. 2001)

Mädchenfängern mittels eines am Oberarm hängenden Gewichts


von 3–5 kg. Etwas komfortabler ist die Lagerung mittels eines sog.
»traction towers« (⊡ Abb. 13.5b). Vorteile sind die vom Operateur
veränderbare Distraktionskraft sowie die Möglichkeit, Extension/
Flexion und Radial/Ulnarduktion zu ändern.
⊡ Abb. 13.4 Arthroskopieturm. (Schmit-Neuerburg et al. 2001) Nachdem wir die Lagerungstechnik mit vertikalem Zug am
frei hängenden Arm bevorzugt hatten, sind wir für bestimmte
Indikationen (frisches Trauma) auf eine vereinfachte Lagerungs-
technik übergegangen, die den Traction Tower erspart. Wir la-
gern den Arm horizontal auf einem Armtisch und bringen über
Basisausrüstung zur Arthroskopie 3 sterile Mädchenfänger am 2. bis 4. Finger eine Distraktion von
▬ Monitor 5–8 kg an. Die Mädchenfänger sind durch ein steriles Kunststoff-
▬ Kamera band über eine am Ende des Handtischs befindliche Umlenkrolle
▬ Kaltlichtquelle mit den Extensionsgewichten verbunden (⊡ Abb. 13.6). Vorteile
▬ Videoprinter sind außer der kostengünstigen Technik die Durchführung von
▬ Roller-Pumpe mit Spüllösung Osteosynthesen von Radius- und Skaphoidfrakturen in gewohnter
▬ Shaversystem mit Aufsätzen Weise arthroskopisch kontrolliert auf dem Armtisch. Auch mit
▬ Absauggerät mit Schlauch und Kanüle dieser Lagerung ist durch Unterlegen von Stofftüchern eine varia-
▬ 30-Grad-Optik 1,9 mm oder 2,4 mm ble Extension/Flexion sowie durch Umsetzen der Mädchenfänger
▬ Arthroskopschaft mit stumpfem Trokar und Dreiwegehahn eine variable Radial-/Ulnarduktion möglich. Zur Änderung der
▬ Einmalspritze (20 ml) und Kanüle (22 Gauge) Distraktionskraft müssen vom OP-Springer die Gewichte verän-
▬ 11er Skalpell dert werden, diese sind nicht steril. Nach unserer Erfahrung ist
▬ feine Schere oder Klemme die Standardlagerung des Handgelenks in leichter Flexion und
▬ Minitasthaken Distraktion über den 2. bis 4. Finger im Regelfall bei frischem
▬ Minifasszange Trauma ausreichend, sodass bei uns selten Umlagerungen vorge-
▬ Minischere (gerade und gebogen) nommen werden.
▬ Ministanze Bei allen Fällen, denen nicht ein frisches Trauma als OP-Indi-
▬ Minibiopsiezange kation zugrunde liegt, bevorzugen wir die vertikale Distraktion am
frei hängenden Arm. Der Vorteil der vertikalen Distraktion liegt
in der besseren Aufdehnung des Gelenks und damit der besseren
Lagerung Übersichtlichkeit vor allem im ulnaren Gelenkbereich.
Zur Lagerung als unabdingbar notwendig hat sich eine Distrak- Bei der Arthroskopie des Daumensattelgelenks und der Grund-
tion des Handgelenks erwiesen. Nur mit Distraktion wird das gelenke sollte auch eine Distraktion der zu arthroskopierenden
Handgelenk so weit aufgedehnt, dass komfortable Sichtverhält- Finger durchgeführt werden. In unserer Erfahrung hat sich dabei
nisse herrschen. Möglich ist die Distraktion analog der Reposition die vertikale Distraktion auf dem Handtisch bewährt.
von Radiusfrakturen durch vertikalen Zug (⊡ Abb. 13.5a) an sog. Dabei sind kleinere Gewichte (1–2 kg) ausreichend.
254 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

13 ⊡ Abb. 13.7 Zugänge für die Handgelenkarthroskopie. (Schmit-Neuerburg


et al. 2001)
b

⊡ Abb. 13.6 Horizontale Distraktion. a Lagerungshilfen zur horizontalen


Distraktion, b Marburger Lagerung zur Handgelenkarthroskopie (horizontale
Distraktion). (Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Zugangswege
Radiokarpalgelenk
Die Zugänge für die Standardarthroskopie am Handgelenk befin-
den sich alle dorsal (⊡ Abb. 13.7).
Sie werden nach den Strecksehnenfächern benannt. Für den
Ungeübten hat es sich als nützlich erwiesen, die Lage der Streck-
sehnenfächer sowie von verschiedenen Landmarken (Tuberculum
Lister, Ulnakopf) vor Beginn der Arthroskopie auf der Haut zu
markieren (⊡ Abb. 13.8). Ebenso ist zu empfehlen, dass der Unge-
übte bei den ersten Handgelenkarthroskopien die Punktion der ⊡ Abb. 13.8 Punktion des Radiokarpalgelenks über das 3/4-Portal. (Schmit-
Gelenke unter Bildverstärkerkontrolle vornimmt, da so größerer Neuerburg et al. 2001)
Schaden vermieden wird.
Der erste Zugang zum Radiokarpalgelenk erfolgt über das
3/4-Portal, das zwischen dem 3. und dem 4. Strecksehnenfach auf Nun wird Spülflüssigkeit ins Gelenk instilliert. Besteht keine
Höhe des Gelenkspalts liegt. Das 3/4-Portal lässt sich als Vertiefung karpale Instabilität und keine artikuläre distale Radiusfraktur, so
ca. 1 cm distal des Tuberculum Lister tasten. Mit einer mit Spül- spürt man nach 3–5 ml einen Widerstand. Das Gelenk ist mit
flüssigkeit gefüllten Spritze wird das Radiokarpalgelenk punktiert Spülflüssigkeit aufgefüllt. Bei karpaler Instabilität besteht eine
(⊡ Abb. 13.8). Dabei ist auf die Inklination der Gelenkflächen zu Kommunikation zwischen Radiokarpalgelenk und Mediokarpal-
achten (⊡ Abb. 13.9). gelenk, sodass eine größere Menge Spülflüssigkeit ins Gelenk ein-
13.1 · Allgemeines
255 13

⊡ Abb. 13.9 Richtige Neigungswinkel zur Punktion des Radiokarpal- und ⊡ Abb. 13.11 Stumpfe Präparation mit feiner Schere bis ins Gelenk. (Schmit-
des Mediokarpalgelenks. (Schmit-Neuerburg et al. 2001) Neuerburg et al. 2001)

⊡ Abb. 13.10 Positiver 2-Kanülen-Test bei distaler Radiusfraktur mit SL- ⊡ Abb. 13.12 Einbringen des Arthroskopschaftes mit stumpfem Trokar.
Dissoziation. (Schmit-Neuerburg et al. 2001) (Schmit-Neuerburg et al. 2001)

gebracht werden kann. Dies kann gleich diagnostisch genützt verhältnissen bringen wir die Absaugung oder die Spülung über
werden, indem man bei in beiden Gelenken liegenden Kanülen eine Kanüle durch das 6-U-Portal an. Damit ist eine kontinuierli-
durch eine der beiden Kanülen Flüssigkeit instilliert (2-Kanülen- che Spülung/Absaugung möglich.
Test). Bei SL-Dissoziation fließt die Flüssigkeit durch die 2. Kanüle Die Anlage der weiteren Zugänge erfolgt auf die gleiche Weise.
ab (⊡ Abb. 13.10). Bei karpaler Stabilität (intaktes SL- und LT-Band) Zur Vereinfachung kann die Punktion des Gelenks und das wei-
ist dies nicht möglich. tere Vorgehen unter arthroskopischer Sicht (zuerst Kanüle, dann
Nach Entfernen der Kanüle aus dem ¾-Portal wird eine ca. Inzision und Instrument) durchgeführt werden, was eine optimale
2–3 mm große Stichinzision der Haut mit spitzem Skalpell durch- Lage der Zugänge begünstigt. Als 2. Standardzugang hat sich der
geführt. Die Skalpellklinge wird mit der schneidenden Seite nach 4/5-Zugang bewährt; über diesen Zugang wird der Tasthaken
distal gehalten und die Haut leicht angehoben. Dadurch wird die eingeführt. Durch Wechseln der Optik in den 4/5-Zugang und des
Wahrscheinlichkeit der Nervenverletzung minimiert. Anschlie- Tasthakens in den 3/4-Zugang kann das ganze Gelenk eingesehen
ßend wird mit einer feinen stumpfen Schere (⊡ Abb. 13.11) oder und beurteilt werden. Der Wechsel wird erleichtert, indem man
einer feinen Klemme eine stumpfe Präparation bis in das Gelenk einfach den Arthroskopschaft über den im 4/5-Zugang befind-
durchgeführt. Beim Spreizen der Schere tritt jetzt Spülflüssigkeit lichen Taststab schiebt, sodass man nicht erneut den stumpfen
aus dem Gelenk aus. Trokar zu Hilfe nehmen muss.
Dann wird der Arthroskopschaft mit dem stumpfen Trokar Bei arthroskopischen Operationen am TFCC hat sich zusätz-
ins Gelenk eingebracht (⊡ Abb. 13.12). Nach Entfernen des Tro- lich der 6-R- und in seltenen Fällen der 6-U-Zugang als günstig
kars und Einführen der Optik sowie Anschluss von Lichtquelle, erwiesen.
Spülflüssigkeit und Absaugung kann die Arthroskopie beginnen
(⊡ Abb. 13.13). Aus unserer Erfahrung hat sich der Anschluss von ! Cave
Spülflüssigkeit und Absaugung über einen Dreiwegehahn zum in- Durch die Gefährdung des oberflächlichen Astes des N. ulna-
termittierenden Spülen/Absaugen bewährt. Bei schwierigen Sicht- ris ist der 6-U-Zugang nur für Ausnahmefälle zu empfehlen.
256 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

Grundgelenke
Zur nur selten indizierten (z. B. Synovektomie) Arthroskopie der
Fingergrundgelenke haben sich dorsal gelegene Portale bewährt,
die seitlich neben den Strecksehnen gelegen sind. Hierzu ist unbe-
dingt ein kleines Arthroskop (1,9 mm oder kleiner) notwendig, da
mit größeren Arthroskopen diese Gelenke nicht penetrierbar sind.

Systematik der chirurgisch-arthroskopischen Anatomie


Radiokarpalgelenk
Nach Einbringen des Arthroskops über das 3/4-Portal und des
Tasthakens über das 4/5-Portal wird die Sicht durch intermit-
tierendes Spülen/Absaugen verbessert, ggf. wird eine ständige
Absaugung über das 6-U-Portal angelegt. Hartnäckige Luftblasen
können mit einer Spritze über eine Kanüle abgesaugt werden.
Bei weiter bestehender schlechter Sicht durch synoviale Zotten
oder Verwachsungen muss mit dem Shaver (»aggressive cutter«)
über das 4/5-Portal eine partielle Synovektomie vorgenommen
werden.
Nach Herstellung guter Sichtverhältnisse beginnt die Gelenk-
inspektion im radialen Recessus. Die Knorpelbeschaffenheit von
Radius (Fovea scaphoidea und Processus styloideus radii) und Ska-
phoid werden beurteilt und ertastet. Nach geringem Zurückziehen
des Arthroskops wird der Skaphoidrand bis zum skapholunären
Übergang verfolgt. Das sog. »babypoe-sign« zeigt ein unversehrtes
SL-Band an (⊡ Abb. 13.14). Das SL-Band wird mit dem Tasthaken
auf seine Integrität hin untersucht. Zusätzlich kann eine dynami-
sche Untersuchung durch Zug am Daumen oder Druck auf das
Tuberculum des Skaphoids durchgeführt werden.
⊡ Abb. 13.13 Arthroskop mit angeschlossener Lichtquelle, Spüllösung und Dann werden die palmaren Bänder (RSC = Lig. radioscapho-
Absaugung am Dreiwegehahn. (Schmit-Neuerburg et al. 2001) capitatum, RLT = Lig. radiolunotriquetrum, RSL = Lig. radiosca-
pholunatum) inspiziert und mechanisch untersucht (⊡ Abb. 13.15).
Das RSC entspringt vom palmaren Rand des Radius und zieht
13 leicht schräg nach distal zum Os capitatum. Das RLT verläuft vom
Mediokarpalgelenk palmaren Radiusrand schräger und ulnarer als das RSC zum Luna-
Die zusätzliche Arthroskopie des Mediokarpalgelenks kann zur tum und Triquetrum. Das RSL wird meist von einem synovialen
sicheren Diagnostik bei SL- oder LT-Dissoziationen sinnvoll Gewebe (»synovial tuft«) bedeckt. Es ist als y-förmige Struktur zu
sein. Skaphoidfrakturen sind meistens nur über das Mediokar- erkennen, die von der palmaren Radiuskante beiderseits des inter-
palgelenk darstellbar. Es gibt 2 Zugänge zum Mediokarpalgelenk ossären SL-Bandes ansetzt.
(⊡ Abb. 13.7). Zum einen der ca. 10 mm distal des 3/4-Zugangs Die Untersuchung wird fortgesetzt, indem man das Arthros-
gelegene mediokarpalradiale Zugang (MCR). Über diesen wird das kop weiter unter Einstellung des Lunatumrandes nach ulnar be-
Arthroskop eingebracht. Über den mediokarpalulnaren Zugang wegt und das LT-Ligament beurteilt. Auch hier muss der Tasthaken
(MCU), der sich 10 mm distal des 4/5-Zugangs befindet, wird der zuhilfe genommen werden. Dann werden die ulnokarpalen palma-
Tasthaken eingebracht. Ein Wechsel des Arthroskops in den MCU- ren Bänder (UL = Lig. ulnolunatum, UT = Lig. ulnotriquetrum),
Zugang ist meist nicht notwendig. die zum TFCC gehören und oft schlecht zu identifizieren sind,
beurteilt. Dann wird der Discus articularis inspiziert. Mit dem
Distales Radioulnargelenk Tasthaken wird der Trampolineffekt ausgeführt, der die normale
Das Portal für das distale Radioulnargelenk (DRUG) befindet sich Spannung des Diskus anzeigt (⊡ Abb. 13.16). Besonders muss die
ca. 10 mm proximal des 4/5-Portals (⊡ Abb. 13.7). Da das DRUG radiale Anheftung des Discus articularis in der Sigmoid Notch
sehr eng ist, ist die Einbringung des Arthroskops erschwert. Es emp- sowie die Anheftung am Processus styloideus ulnae sowie die dor-
fiehlt sich, die Punktion des Gelenks unter arthroskopischer Sicht soulnare Anheftung mit dem Tasthaken untersucht werden.
(Arthroskop im 3/4-Portal) oder in Bildverstärkerkontrolle durchzu-
> Eine zentrale Perforation des Discus articularis ist in Abhän-
führen, da Verletzungen des Discus articularis sonst häufig sind.
gigkeit vom Alter häufig und nicht traumabedingt.
Daumensattelgelenk Ulnodorsal ist auf den Meniscus ulnocarpalis zu achten, der
Die Portale für das Sattelgelenk sind von uns eingehend an Lei- in unverletztem Zustand nur als wulstförmige Verdickung zu
chenpräparaten untersucht worden. Dabei zeigte sich, dass ein erkennen ist, die vom dorsalen Diskusrand nach distal-palmar
dorsal der Abduktorsehne gelegenes Portal wegen der Gefahr der zum Os triquetrum zieht. Nach Rupturen kann sich der Menis-
Verletzung des Nervus radialis superficialis nicht zu empfehlen kus ins Gelenk vorwölben und zu Einklemmungserscheinungen
ist. Ein Portal, das palmar der Abduktorsehne liegt, ist in dieser führen. Nach Wechsel des Arthroskops in das 4/5-Portal kann
Hinsicht ungefährlich und als 1. Standardportal zu benutzen. Als die gesamte radiodorsale Gelenkkapsel beurteilt werden. Auch
2. Portal hat sich ein ca. 1,5 m weiter ulnar vom 1. Portal gelegenes die Beurteilung des lunotriquetralen Übergangs gelingt durch das
bewährt. 4/5-Portal besser.
13.2 · Spezielle Techniken
257 13

⊡ Abb. 13.14 Intakte Ligg. radioscaphocapitatum (RSC) und radiolunotriquet- ⊡ Abb. 13.16 Trampolineffekt bei intaktem Discus articularis (L Lunatum,
rum (RLT) bei C3-Radiusfraktur (S Skaphoid, R Radius. (Schmit-Neuerburg et D Diskus). (Schmit-Neuerburg et al. 2001)
al. 2001)

zeigt sich ein kongruenter Gelenkspalt; der Tasthaken kann nicht


oder nur äußerst schwierig den Gelenkspalt penetrieren. Dasselbe
trifft für den lunotriquetralen Gelenkspalt zu, der bei weiterer
ulnarwärtiger Bewegung des Arthroskops. im sog. Vierländereck
(Lunatum, Triquetrum, Kapitatum, Hamatum) zu beurteilen ist.

Distales Radioulnargelenk
Im distalen Radioulnargelenk wird die Knorpelbeschaffenheit des
Ulnaköpfchens sowie die proximale Oberfläche des Discus articu-
laris beurteilt. Bei zentraler Perforation des Diskus gelingt dies auch
durch das 4/5-Portal, sonst durch das DRUG-Portal (⊡ Abb. 13.7).

Daumensattelgelenk und Grundgelenke


Im Daumensattelgelenk lässt sich die Knorpelbeschaffenheit sehr
gut beurteilen, die bei der Rhizarthrose meist wesentlich schlechter
ist, als radiologisch vermutet. Die Bänder des Sattelgelenks sind
manchmal gut abzugrenzen. Im Sattelgelenk lässt sich sehr gut
durch das 2. Portal ein Shaver einbringen zur Synovektomie und
Knorpelbehandlung. Bei den Grundgelenken lassen sich Knorpel
und Kapsel-Band-Apparat gut beurteilen, Resektionen mit den
Shaver sind jedoch äußerst schwierig und nicht zu empfehlen.

⊡ Abb. 13.15 Intaktes SL-Ligament (»babypoe-sign«); R Radius, S Skaphoid,


L Lunatum . (Schmit-Neuerburg et al. 2001) 13.2 Spezielle Techniken

13.2.1 Synovia

Mediokarpalgelenk Die Beurteilung der Synovia gehört zu den ersten diagnostischen


Der arthroskopische Untersuchungsgang im Mediokarpalgelenk Maßnahmen. Man achtet auf Gefäßzeichnung, Ödembildung, Hy-
beginnt durch das MCR-Portal mit der Beurteilung der Knorpel- pertrophie, Farbe, Auflagerungen und Fibrose (⊡ Abb. 13.17). Die
oberfläche des Skaphoids und des Kapitatums. Die meisten Ska- Verwendung einer Blutleere ist zu berücksichtigen, da mit Blut-
phoidfrakturen können am besten durch das MCR-Portal beurteilt leere die Gefäßzeichnung nicht mehr zu beurteilen ist. Aus auffäl-
werden. Bei weiterer radialer Bewegung des Arthroskops kann das ligen Bezirken sollte eine Probeentnahme erfolgen, da nur hiermit
STT-Gelenk eingesehen werden, das allerdings über einen palma- die Unterscheidung in akute und chronische Synovitis vorgenom-
ren Zugang besser zu beurteilen ist. Das Arthroskop wird wieder men werden kann und rheumatische Ursachen für eine Synovitis
ulnarwärts zum skapholunären Übergang bewegt. Im Normalfall ausgeschlossen werden können.
258 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

⊡ Abb. 13.17 Dorsoulnare hyperämische Synovitis (Sy Synovitis, L Lunatum). ⊡ Abb. 13.18 Typ-I-Knorpelschaden bei fehlendem radiologischem Fraktur-
(Schmit-Neuerburg et al. 2001) nachweis (R Radius, K Knorpelschaden). (Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Eine lokale Synovitis muss von einer generalisierten Synovitis Typen 1–4 sind traumatische Läsionen, die oft bei Arthroskopien
unterschieden werden. Lokale Synovialitiden sind meist Ausdruck von Radiusfrakturen als Begleitverletzungen zu finden sind. Die
von TFCC-Verletzungen, extrinsischen und intrinsischen Band- Typen 5–6 sind degenerative Läsionen.
verletzungen, lokalisierten degenerativen Veränderungen (SLAC- Zur Behandlung von Knorpelschäden kommen die am Knie-
[»scapholunate advanced collapse«-]Wrist) oder fehlverheilten Ra- gelenk bewährten Techniken in Frage. Typ-1- und Typ-2-Läsionen
diusfrakturen. Lokale Synoviahypertrophien können zu Einklem- werden belassen. Bei Typ-3-, Typ-4-, Typ-5- und Typ-6-Läsionen
mungserscheinungen führen, die durch Resektion behandelbar werden instabile Knorpelareale entfernt. Bei Typ-4-, Typ-5- und
13 sind. Generalisierte Synovialitiden sind meist Ausdruck schwerer Typ-6-Läsionen kommen Verfahren zur Knorpelinduktion in
degenerativer Veränderungen (Radiokarpalarthrose) oder rheu- Frage. Hier stehen 3 Verfahren zur Auswahl, deren Wertigkeit am
matischer Erkrankungen. Unbedingt muss nach den ursächlichen Handgelenk noch nicht aussagekräftig untersucht wurde. Sowohl
Faktoren der Synovitis geforscht werden, da diese in erster Linie die Pridie-Bohrung als auch die subchondrale Abrasionschon-
behandelt werden müssen. droplastik nach Johnson und die Microfracture-Technik lassen
Schon zur diagnostischen Arthroskopie sind häufig partielle sich gut arthroskopisch durchführen. In unserer Erfahrung haben
Synovektomien notwendig. Therapeutisch können partielle und sich die subchondrale Abrasionschondroplastik nach Johnson und
totale Synovektomien arthroskopisch im Radiokarpalgelenk durch- die Microfracture-Technik bewährt, die in vielen Fällen gute Er-
geführt werden. Im Gegensatz zur offenen Synovektomie besteht gebnisse brachten. Allgemeine Empfehlungen lassen sich daraus
eine bessere Übersichtlichkeit, alle Recessus können arthrosko- und aus der Literatur nicht ableiten. Andere Verfahren wie Chon-
pisch erreicht werden. Die minimalinvasive Vorgehensweise er- drozytentransplantation oder osteochondrale Transplantation sind
laubt eine schnellere Rehabilitation des Patienten. Diese Tatsachen am Handgelenk bis jetzt nicht üblich und arthroskopisch nicht
begründen die Überlegenheit der Arthroskopie bei Synoviaopera- durchführbar.
tionen im Handgelenk. Die Grenzen der Knorpelbehandlung sind im Radiokarpalge-
lenk in bestehenden Instabilitäten (SL-Dissoziationen, SLAC- oder
> Partielle und totale Synovektomien am Handgelenk sind eine
SNAC-Wrist) oder Deformitäten (Ulna-Impaction-Syndrom, Lu-
Domäne der arthroskopischen Chirurgie und dem offenen
natummalazie) zu sehen. Hier ist eine alleinige Knorpelbehand-
Vorgehen vorzuziehen.
lung nicht sinnvoll, allenfalls in Kombination mit weitergehenden
operativen Maßnahmen, die die Grundkrankheit kausal angehen.
Freie Knorpelfragmente im Handgelenk sind selten und kön-
13.2.2 Knorpelpathologie nen sehr gut arthroskopisch entfernt werden.

Die Arthroskopie ist konkurrenzlos in der Diagnostik von radio-


logisch inapparenten Knorpelveränderungen. So sieht man oft bei 13.2.3 Extrinsische Bandverletzungen
sog. schweren Distorsionen des Handgelenks, die konventionell-ra-
diologisch keinen Frakturnachweis ergeben, arthroskopisch Knor- Unter dem extrinsischen Bandsystem des Handgelenks versteht
pelfrakturen (⊡ Abb. 13.18). Allenfalls die MRT kann u. U. ein Kno- man die äußeren Bänder, die die Handwurzelknochen mit dem
chenödem (»bone bruise«) nachweisen. Zur Einteilung der Knor- Radius, der Ulna und den Metakarpalen verbinden. Die Bedeutung
pelpathologie am Handgelenk hat sich nach unserer Erfahrung die von Verletzungen des extrinsischen Bandsystems ist nicht geklärt.
Einteilung nach Bauer und Jackson bewährt (⊡ Abb. 13.19). Die Zum einen können nicht immer alle palmaren extrinsischen Bän-
13.2 · Spezielle Techniken
259 13

⊡ Abb. 13.19 Einteilung der Knorpelschäden nach Bauer und Jackson. (Schmit-Neuerburg et al. 2001)

der arthroskopisch dargestellt werden, zum anderen fehlt auch später im mediokarpalen Gelenk. Dieser sog. SLAC-Wrist läuft in
der Beweis einer resultierenden Instabilität nach isolierten Verlet- charakteristischer Weise ab:
zungen der extrinsischen Bänder. Nur die Kombination von ex- ▬ Im 1. Stadium kommt es zur Arthrose zwischen Processus sty-
trinsischer und intrinsischer Verletzung führt zur Instabilität. Bei loideus radii und distalem Skaphoid.
der Arthroskopie von chronischen Handgelenkbeschwerden sehen ▬ Im 2. Stadium hat die arthrotische Veränderung das gesamte
wir häufig ins Gelenk eingeschlagene Bandreste, die zu Einklem- radioskaphoidale Gelenk erfasst.
mungserscheinungen führen. Am häufigsten betroffen ist das Lig. ▬ Im 3. Stadium wird auch das kapitolunäre Gelenk von den ar-
radioscapholunatum (Testut) sowie die zum TFCC gehörenden ul- throtischen Veränderungen betroffen.
nokarpalen Bänder (UL und UT) und das Meniskoid. Die arthro-
skopische Resektion dieser Bandreste mit partieller Synovektomie Die Arthroskopie wird allgemein als Goldstandard der Diagnostik
führt meist zur Symptomfreiheit. Deswegen führen wir auch bei der karpalen Instabilitäten anerkannt. Weder Arthrografie noch
frischen Radiusfrakturen ein arthroskopisches Débridement von MRT sind der Arthroskopie ebenbürtig. Die MR-Arthrografie als
eingeschlagenen Band- und Synovialstrukturen durch. neueres Verfahren scheint wesentlich genauere Aussagen zu er-
lauben als MRT oder Arthrografie alleine. Neuere 3-Tesla-MRT
können sicher die MRT-Diagnostik verbessern, neuere Studien ha-
13.2.4 Intrinsische Bandverletzungen und karpale ben dies gezeigt. Die Arthroskopie hat den Vorteil, dass außer der
Instabilitäten direkten Visualisierung der Läsion (⊡ Abb. 13.20) dynamische Tests
durchgeführt werden können. Die direkte Untersuchung mit dem
Unter dem intrinsischen Bandsystem versteht man die Bänder, die Tasthaken ist essenziell (⊡ Abb. 13.21). So können partielle intrinsi-
die Handwurzelknochen untereinander verbinden. Am häufigsten sche Rupturen ohne dynamische Instabilität gefunden werden.
ist eine Verletzung des skapholunären intrinsischen Bandes. Diese Lässt sich der Tasthaken durch ein zunächst homogen erschei-
führt unbehandelt zur skapholunären Dissoziation mit dynami- nendes SL-Band in den Gelenkspalt einbringen und können die
scher und im weiteren Verlauf statischer Instabilität mit typischer beiden Knochen voneinander distanziert werden, dann ist eine dy-
DISI-Fehlstellung (»dorsiflexed-intercalated-segment-instability«) namische SL-Dissoziation erwiesen. Ein zusätzlicher dynamischer
der 1. karpalen Reihe. Das Skaphoid folgt seiner natürlichen Be- Test vom mediokarpalen Gelenk mit dem Tasthaken ist oft aussage-
wegungstendenz nach Ruptur der skapholunären Verbindung und kräftiger als der Test von radiokarpal. Ein weiterer dynamischer Test
macht eine Palmarflexion durch, das Lunatum geht in Dorsalfle- kann durch Manipulation von außen durchgeführt werden. Manuelle
xion. Die karpalen Winkel verändern sich in charakteristischer Distraktion am Daumen oder Druck von palmar auf das Tuberculum
Weise, der wichtige skapholunäre Winkel wird >60°. Besteht die scaphoideum können eine dynamische Instabilität beweisen. Bei sta-
DISI-Fehlstellung über mehrere Jahre, so kommt es durch die un- tischer Instabilität kann von radiokarpal oft durch den weit offenen
physiologische Belastung zu einer Arthrose im Radiokarpal- und SL-Spalt direkt auf das Os capitatum geblickt werden (⊡ Abb. 13.22).
260 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

⊡ Abb. 13.22 Chronische statische SL-Dissoziation, freier Blick durch den


SL-Spalt auf das Kapitatum (S Skaphoid, L Lunatum, C Kapitatum). (Schmit-
Neuerburg et al. 2001)

Andere Autoren bevorzugen im Stadium 2 ein arthroskopi-


sches Débridement und eine perkutane Spickung. Die geschlossene
⊡ Abb. 13.20 C2-Radiusfraktur mit sagittalem Spaltbruch, der direkt auf die Reposition kann am besten mit der Joystick-Technik nach Poeh-
SL-Dissoziation zeigt. Ruptur der Ligg. SL und RSL (R Radius, S Skaphoid, L ling (1993) durchgeführt werden. Diese Technik wurde von uns
Lunatum). (Schmit-Neuerburg et al. 2001)
dahingehend abgewandelt, dass zunächst die Palmarflexion des
Skaphoids mit einem von distal-palmar eingebrachten K-Draht als
Joystick aufgehoben wird und das Skaphoid mit einem weiteren
K-Draht von radial an das Kapitatum fixiert wird. Dann wird ein
weiterer Joystick von dorsal in das Lunatum eingebracht und die
Dorsalflexion des Lunatum aufgehoben. Mit einem weiteren K-
Draht wird dann das Lunatum von ulnar gegen das bereits fixierte
13 Skaphoid transfixiert. Die Joystickdrähte werden wieder entfernt.
Das Ergebnis muss mit Bildverstärker (BV) kontrolliert werden,
und die Wiederherstellung der normalen karpalen Winkel muss si-
chergestellt sein. Können keine normalen karpalen Winkelverhält-
nisse hergestellt werden und/oder verbleibt ein weiter SL-Spalt, der
eine stabile Verheilung der SL-Ruptur verhindert, so muss offen
vorgegangen werden. Eine zusätzliche arthroskopische Kontrolle
am besten über den MCR-Zugang kann durchgeführt werden, ist
aber m. E. nicht so aussagekräftig wie die BV-Kontrolle und nicht
obligat.
Wegen der Schwierigkeit der geschlossenen Reposition und
⊡ Abb. 13.21 Akute dynamische SL-Dissoziation, Tasthaken lässt sich in den
SL-Spalt einführen (S Skaphoid, L Lunatum). (Schmit-Neuerburg et al. 2001)
der besseren Refixationsmöglichkeit durch Knochenanker em-
pfehlen wir dies im Stadium 2 nicht, da eine exakte Reposition
der SL-Instabilität eine Conditio sine qua non der erfolgreichen
Behandlung ist.
Eine sinnvolle Stadieneinteilung ist die von Krimmer et al. Im Stadium 3 kann eine geschlossene Reposition noch weni-
(1996) vorgeschlagene: ger empfohlen werden, da aufgrund des chronischen Verlaufs die
▬ Stadium 1: Teilruptur ohne Instabilität, Fehlstellung fixiert ist und perkutan nicht behoben werden kann.
▬ Stadium 2: komplette Ruptur mit dynamischer Instabilität, Können keine normalen karpalen Winkelverhältnisse hergestellt
▬ Stadium 3: komplette Ruptur mit statischer Instabilität. werden und/oder verbleibt ein weiter SL-Spalt, der eine stabile
Verheilung der SL-Ruptur verhindert, so muss offen vorgegangen
Die Therapie hängt vom Alter der Verletzung ab. Verletzungen, die werden. Dabei streben wir eine Naht des SL-Bandes (ggf. mit Kno-
nicht älter als 6–12 Wochen sind, können noch als frische Verletzun- chenanker) kombiniert mit einer dorsalen Kapsulodese an. Eine
gen angesehen werden. Frische Verletzungen werden im Stadium 1 K-Draht-Spickung SC und SL ist obligat. Die Immobilisation wird
arthroskopisch débridiert und für 6 Wochen immobilisiert. Im Sta- über 8 Wochen durchgeführt.
dium 2 wird in unserem Krankengut eine offene Reposition und Wenn eine SL-Dissoziation bei Radiusfraktur besteht, muss
efixation des skapholunären Bandes ggf. mit Knochenankern sowie bei der Verwendung eines Fixateur externe unbedingt die Reposi-
eine Spickung durchgeführt. Wir bevorzugen dabei einen K-Draht tion und Spickung der SL-Dissoziation vor Anlegen des Fixateurs
zwischen Skaphoid und Kapitatum und einen K-Draht zwischen durchgeführt werden, da unter Distraktion keine vernünftige Re-
Skaphoid und Lunatum. Die Immobilisation erfolgt für 8 Wochen. position der SL-Instabilität durchgeführt werden kann.
13.2 · Spezielle Techniken
261 13
> Vor Reposition und Spickung der SL-Instabilität unbedingt den letzten Jahren immer besser einer arthroskopischen Therapie
die Distraktion des Handgelenks aufheben! zugänglich geworden. Der typische Verletzungsmechanismus ist
ein Sturz auf die dorsal flektierte Hand oder plötzlicher Schmerz
Bei alten Verletzungen (> 12 Wochen) wird im Stadium 1 lediglich nach Heben von schweren Gegenständen. Auch plötzliche Rota-
ein arthroskopisches Débridement ohne Ruhigstellung durchge- tionstraumen des Handgelenks sind als ursächlich anzusehen. Im
führt. Im Stadium 2 und 3 wird nach arthroskopischer Diagnostik Allgemeinen kommen TFCC-Verletzungen in Zusammenhang mit
offen vorgegangen. Ein rein arthroskopisches Vorgehen mit Anfri- der Radiusfraktur vor, doch auch isolierte Verletzungen ohne Kno-
schung der Bänder und Knochen sowie temporärer Transfixation chenbeteiligung sind nicht selten.
ist unserer Erfahrung nach nicht gerechtfertigt und kann anhand In der Diagnostik dieser Verletzungen ist die Arthroskopie
der Literatur auch nicht empfohlen werden. Obwohl die Therapie der Goldstandard. Studien haben belegt, dass die MRT nur eine
alter Verletzungen schwieriger ist, sollte wegen der gravierenden Sensitivität von 73%, diejenige der Arthrografie beträgt 85%. Dies
Langzeitschäden keine symptomatische Behandlung erfolgen. steht im Widerspruch zu den häufig unter dieser Fragestellung
Unser Vorgehen sieht folgendermaßen aus: Eine dorsale Kap- angefertigten MRT-Untersuchungen, die unserer Erfahrung nach
sulodese wird ggf. mit einer Bandnaht kombiniert. Skaphoid, Kapi- meist im präklinischen Bereich zu verantworten sind. Wir machen
tatum und Lunatum werden wie oben beschrieben mit K-Drähten unsere Indikation zur Arthroskopie an klinischen und konventio-
transfixiert und für 8 Wochen immobilisiert. Die früher häufig nell radiologischen Befunden fest und ziehen das MRT als Hilfs-
durchgeführten transossären Bandplastiken mit autologem Seh- untersuchung zusätzlich, aber nicht ausschlaggebend in Betracht.
nenmaterial haben keine befriedigenden Resultate erbracht und Im Folgenden wird auf die Klinik, Diagnostik und Therapie der
werden von uns nicht mehr durchgeführt. einzelnen Verletzungsformen anhand der international gebräuchli-
Der Stellenwert der Arthroskopie bei fortgeschrittener SL-Dis- chen Palmer-Klassifikation eingegangen ( Kap. 32).
soziation mit Arthrose (SLAC-Wrist) liegt in der Beurteilung der
Facies lunata des Radius bei vorgesehener mediokarpaler Teilarth- Traumatische Läsionen
rodese oder des kapitolunären Gelenks bei vorgesehener »proximal Typ-1A-Verletzung
row carpectomy«. Ein rein arthroskopisches Vorgehen erscheint Bei der 1A-Verletzung handelt es sich um einen horizontalen Riss
uns beim SLAC-Wrist nicht gerechtfertigt. Bei Vorliegen eines (⊡ Abb. 13.23, ⊡ Abb. 13.24) nahe des radialen Ansatzes des Discus
SLAC-Wrist hat die Arthroskopie nur diagnostische Bedeutung; articularis (Sigmoid Notch). Die Häufigkeit wird von Preißler u.
evtl. ist eine arthroskopische Synovektomie sinnvoll, da diese offen Feldkamp (1996) mit 19% angegeben. Es besteht oft eine Druck-
schlechter durchführbar ist. empfindlichkeit dorsoulnar am Handgelenk, dort kann auch ein
Wesentlich seltener als die SL-Dissoziation ist die lunotrique-
trale Dissoziation. Sie führt zu einer VISI-Instabilität (»volarflex-
ed-intercalated-segment-instability«). Die Diagnostik erfolgt ar-
throskopisch wie bei der SL-Dissoziation durch dynamische Tests
mit dem Tasthaken. Sichere therapeutische Empfehlungen können
anhand der Literatur nicht gegeben werden. Meist wird eine defini-
tive Arthrodese zwischen Lunatum und Triquetrum favorisiert.

13.2.5 Verletzungen und Degeneration


des triangulären fibrokartilaginären
Komplexes (TFCC)

Der TFCC ist eine komplizierte biomechanische Einheit, die aus


dem Discus articularis mit Lig. radioulnare palmare und dorsale,
den ulnokarpalen Bändern (UL und UT), dem Lig. collaterale
ulnare, dem 6. Strecksehnenfach und dem Meniscus ulnocarpa- ⊡ Abb. 13.23 Klassifikation der TFCC-Verletzungen nach Palmer. (Schmit-
lis besteht. Verletzungen in diesem Bereich sind häufig und in Neuerburg et al. 2001)

⊡ Abb. 13.24 Traumatische Verletzung des TFCC.


a Typ-1A-Verletzung, b Typ-1A-Verletzung nach
arthroskopischem Débridement (D Diskus, U Ulna).
a b
(Schmit-Neuerburg et al. 2001)
262 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

13
d
b

⊡ Abb. 13.25 Arthroskopische Therapie der Typ 1B-Verletzung. a Typ-1B-Verletzung (D Discus, U Ulna), b Schema der Outside-inside-Naht der 1B-Verletzung
in der 2-Nadel-Technik, c Verknoten des Fadens am Boden des 6. Strecksehnenfachs, d arthroskopischer Endbefund. (Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Schmerz ausgelöst werden, wenn man die leicht dorsal flektierte muss der Discus articularis refixiert werden. Die »Outside-inside«-
und ulnarduzierte Hand mit axialem Druck pro- und supiniert. Technik nach Stanley u. Saffar (1994) mit 2 Kanülen (ein Faden
Die Untersuchung des Diskus mit dem Tasthaken führt schnell zur wird direkt und ein Faden in Form einer Schlinge durch die Kanüle
Diagnose. Instabile Anteile des Diskus werden mit einem Punch gelegt – zum Ausziehen des 1. Fadens) ist wohl am gebräuchlichs-
und dem Shaver reseziert (⊡ Abb. 13.24). Eine Ruhigstellung des ten. Anschließend wird der Faden (PDS 3/0) in der Regel am Boden
Handgelenks postoperativ erfolgt nicht. des 6. Strecksehnenfachs verknotet, das über eine kleine Inzision
exploriert wird (⊡ Abb. 13.25). Damit wird eine Vernähung mit der
Typ-1B-Verletzung Extensor-carpi-radialis-Sehne vermieden. Bei Abrissfrakturen des
Die 1B-Verletzung ist der ulnarseitige Abriss des Diskus, der meist Processus styloideus ulnae ist es auch möglich, einen Faden palmar
dorsoulnar gelegen ist (⊡ Abb. 13.25, ⊡ Abb. 13.26). Die Häufigkeit und einen Faden dorsal des Processus auszuleiten und den Pro-
wird von Preißler u. Feldkamp (1996) mit 46% angegeben. Er kann cessus so zu fixieren. Aber auch Inside-outside-Techniken sind in
mit einer Fraktur des Processus styloideus ulnae im Sinne eines der Literatur beschrieben. Ideal wäre wie im Kniegelenk eine »All-
knöchernen Ausrisses kombiniert sein. Klinisch zeigt sich eine inside«-Technik zur Refixation. Eine All-inside-Technik wurde von
Druckempfindlichkeit im Bereich des Processus styloideus ulnae. uns entwickelt, die jedoch wegen der fehlenden speziell der Größe
Die arthroskopische Diagnose ist mitunter erschwert. Nicht vorhan- des Handgelenks angepassten Implantate nicht durchsetzungsfähig
dene Spannung des Diskus beim Trampolineffekt ist wegweisend. war. Neuerdings wird von Poehling eine All-inside-Technik auf den
Das Arthroskop sollte ins 4/5-Portal umgesetzt werden und der Markt gebracht, die mit kleineren Implantaten bestückt ist und hier
Tasthaken vom 6-R- oder 6-U-Portal eingeführt werden. Lässt sich sicher besser durchsetzungsfähig ist.
der Discus articularis von seiner dorsoulnaren Fixation entfernen Die Nachbehandlung besteht in der Ruhigstellung im Ober-
und wird der Blick auf das Ulnaköpfchen frei (⊡ Abb. 13.26a), ist armcast in Supinationsstellung zur Entlastung der dorsalen Dis-
die Diagnose klar. In vielen Fällen ist der Befund nicht so eindeutig kusanteile mit dem Lig. radioulnare dorsale und der Naht für
und erfordert dann eine subtile Stabilitätsprüfung. Therapeutisch 4–6 Wochen.
13.2 · Spezielle Techniken
263 13
Typ-1C-Verletzung
Die 1C-Verletzung stellt einen Abriss der ulnokarpalen Ligamente
(UT und UL) vom Karpus dar (⊡ Abb. 13.23). Die Häufigkeit wird
von Preißler und Feldkamp (1996) mit 26% angegeben. Klinisch
zeigt sich ein Druckschmerz über der palmaren Seite der distalen
Ulna und dem ulnaren Karpus. Therapeutisch wird ein arthrosko-
pisches Débridement mit dem Shaver durchgeführt. Eine Ruhig-
stellung ist nicht notwendig.

Typ-1D-Verletzung
Die 1D-Verletzung ist der Abriss des Diskus von seinem radialen
Ansatz in der Sigmoid Notch. Die Häufigkeit wird von Preißler
u. Feldkamp (1996) mit 34% angegeben. Klinisch zeigt sich ein
Schmerz bei dorsopalmarer Bewegung der distalen Elle sowie bei
axialem Druck auf das Handgelenk bei Dorsalflexion und Ulnar-
duktion. Lange Zeit galt der radiale Abriss des Diskus als nicht für ⊡ Abb. 13.26 T-Fix-System zur radialseitigen Refixierung des Diskus.
eine Rekonstruktion geeignet. Untersuchungen haben aber gezeigt, (Schmit-Neuerburg et al. 2001)
dass auch im radialen Teil des Diskus kleine Gefäßnetze bestehen,
sodass eine transossäre Refixation sinnvoll ist.
Technisch gut durchführbar und ohne zusätzliches Instrumen-
tarium kostengünstig ist die Methode nach Fellinger. Diese Methode
hat sich auch im eigenen Krankengut bewährt. Unter arthroskopi-
scher und BV-Kontrolle wird ein K-Draht von der Sigmoid Notch
durch den Radius schräg retrograd eingebracht. Dann wird mit dem
kanülierten Bohrer antegrad auf 2,5 mm aufgebohrt. Ein T-Anker-
System, das von der Meniskuschirurgie bekannt ist, wird dann von
antegrad durch das Bohrloch eingeführt, der Diskus mit der Nadel
aufgespießt und der T-Anker entfaltet und zurückgezogen. Über ein
zweites Bohrloch (eigene Technik) kann dann der Faden am proxima-
len Radius radialseits gespannt und geknotet werden (⊡ Abb. 13.26).
Postoperativ führen wir eine Ruhigstellung für 6 Wochen im Ober-
armcast in Neutralstellung (0°-Supination/Pronation) durch.

Degenerative TFCC-Läsionen Typ 2


Degenerative TFCC-Läsionen sind Ausdruck eines Ulna-impac-
tion-Syndroms. Die Ursache ist meist eine in Fehlstellung verheilte
distale Radiusfraktur mit Ulnavorschub oder eine genuine Ulna-
plus-Variante. Palmer hat die Läsionen in 5 Gruppen eingeteilt:
▬ 2A: zentrale Ausdünnung des Diskus,
▬ 2B: 2A und Chondromalazie des Os lunatum oder Ulnaköpf-
chens, ⊡ Abb. 13.27 Zustand nach arthroskopischem Wafer-Verfahren (D Diskus,
▬ 2C: Chondromalazie und zentrale Perforation des Diskus; U Ulna). (Schmit-Neuerburg et al. 2001)
▬ 2D: 2C und Ruptur des lunotriquetralen Bandes,
▬ 2E: 2D und arthrotischer Umbau.
Läsionen des Meniscus ulnocarpalis
Die Grundzüge der arthroskopischen Therapie bestehen im Dé- Die Läsion des Meniscus ulnocarpalis ist in der Klassifikation von
bridement im Bereich des Diskus und der Knorpelbehandlung Palmer nicht berücksichtigt. Schütz et al. (1996) haben die Be-
des Os lunatum und des Ulnaköpfchens. In den Stadien 2C und deutung der Verletzungen des Meniskus herausgearbeitet. Bei 16
2D kommt ein arthroskopisches Wafer-Verfahren in Frage. Dabei von 166 Handgelenkarthroskopien fanden sie Meniskusläsionen.
wird mit der Fräse 2–3 mm der distalen Ulna abgetragen, un- Auch wir haben ähnliche Zahlen hinsichtlich der Häufigkeit der
ter Schonung der Gelenkfläche des distalen Radioulnargelenks Meniskusläsionen. Klinisch zeigt sich ein Einklemmungsschmerz
(⊡ Abb. 13.27). In den Stadien 2C und 2D kann dies von radiokar- bei Ulnarduktion und Dorsalextension unter axialem Druck. Das
pal durch die Diskusperforation erfolgen. Das minimalinvasive arthroskopische Débridement hinterlässt dankbare Patienten, die
arthroskopische Wafer-Verfahren steht in Konkurrenz zu offenen durch einen kleinen Eingriff meistens beschwerdefrei werden.
Verfahren zur Dekompression wie der Ulnaverkürzungsosteoto-
mie, die den Vorteil des extraartikulären Vorgehens hat. Im ei-
genen Krankengut hat sich das arthroskopische Wafer-Verfahren 13.2.6 Arthroskopisch assistierte
nicht bewährt. Wir bevorzugen die Ulnaverkürzungsosteotomie Frakturbehandlung (Radius/Skaphoid)
mit arthroskopischem Débridement und Knorpelbehandlung. Bei
LT-Instabilität (2D) führen wir eine offene LT-Arthrodese durch. Artikuläre Radiusfrakturen
Im Stadium 2E hat sich bei uns die Operation nach Sauve-Kapandji Seit Whipple 1991 über die ersten arthroskopisch assistierten Ope-
und die Ulnakopfprothese bewährt. rationen bei artikulären Radiusfrakturen berichtete, hat die arth-
264 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

roskopisch assistierte Frakturbehandlung in der Literatur weitere


Verbreitung gefunden. Unter arthroskopischer Kontrolle wird die
Fraktur mithilfe von K-Drähten als Joystick in den Fragmenten
oder über Instrumente, die ins Gelenk über die Zugänge zur Ar-
throskopie eingebracht werden, reponiert. Allerdings bleibt die
Technik bisher auf wenige Zentren beschränkt. Die meisten Veröf-
fentlichungen weisen nur geringe Fallzahlen (<20) auf und haben
keine fundierte Nachuntersuchung durchgeführt. Seibert et al.
(1998) berichten über 30 arthroskopisch assistiert versorgte Radi-
usfrakturen. Von 23 nachuntersuchten Patienten zeigte sich in 70%
gute und sehr gute Ergebnisse. Besonders wird auf die arthrosko-
pische Diagnostik von Begleitverletzungen hingewiesen. So fanden
sie 12 SL-Dissoziationen und in 9 Fällen TFCC-Verletzungen, die
arthroskopisch versorgt wurden.
Im eigenen Krankengut wurden über 200 arthroskopisch as-
sistierte Frakturversorgung von B- und C-Frakturen am distalen
Radius vorgenommen. Aus eigener Erfahrung besteht der Stellen-
wert der Arthroskopie im Wesentlichen in der Diagnostik und Be-
handlung von Begleitverletzungen des SL-Bandes und des TFCC.
Die Reposition der Fraktur geschieht bei uns im Wesentlichen
unter BV-Kontrolle. Joystickmanipulationen lassen sich auch bes- a
ser in BV-Kontrolle durchführen. Für die arthroskopisch assistierte
Reposition bleibt dann meistens nur das Einpassen von kleinen
osteochondralen Fragmenten mit Tasthaken (⊡ Abb. 13.28) und
Zange oder die Refixation von knöchernen radialen Ausrissen des
Discus articularis unter Sicht mit dünnen K-Drähten.
Vor allem durch den Siegeszug der winkelstabilen Platten am
distalen Radius hat die arthroskopisch assistierte minimalinvasive
Frakturversorgung an Bedeutung verloren. Darauf hat Fellinger
(2010) auch in einer aktuellen Übersichtsarbeit hingewiesen. Die
häufigen A3- und C-Frakturen werden in der Regel mit winkelsta-
bilen Platten versorgt, sodass nur die Typ-B-Frakturen und gege-
13 benenfalls C1-Frakturen für eine minimalinvasive arthroskopisch
kontrollierten Frakturversorgung übrig bleiben. Die Frakturversor-
gung erfolgt dann mit K-Drähten und Lochschrauben, die bei den
Typ-B-Frakturen für eine ausreichende Stabilität sorgen.
Bei diesen Typ-B-Frakturen sieht das eigene Vorgehen momen-
tan folgendermaßen aus: Erst erfolgt die geschlossene Reposition
unter BV-Kontrolle in horizontaler Lagerung mit Distraktion. Dann
wird unter BV-Kontrolle eine Fixation mit K-Drähten oder ka-
nülierten Schrauben vorgenommen. Lässt sich eine befriedigende
Reposition und Fixation erreichen, wird das Repositionsergebnis ar-
throskopisch kontrolliert und ggf. kleine osteochondrale Fragmente b
reponiert. Nach Diagnostik der Begleitverletzungen werden TFCC-
Verletzungen arthroskopisch versorgt. SL-Instabilitäten werden ggf. ⊡ Abb. 13.28 Arthroskopische assistierte Therapie der C3-Radiusfraktur.
offen versorgt. Diese Vorgehensweise verbindet die Vorteile der Ar- a Kleine Gelenkstufe nach geschlossener Reposition bei C3-Radiusfraktur,
throskopie mit den Vorteilen der BV-Kontrolle und einer optimier- b Beseitigen der Stufe mit dem Tasthaken (R Radius, S Skaphoid). (Schmit-
ten Zeit-Nutzen-Relation. Kann keine befriedigende geschlossene Neuerburg et al. 2001)
Reposition der Fraktur erreicht werden, muss ggf. halboffen oder of-
fen vorgegangen werden. Dabei kann auch eine Plattenosteosynthese
oder ein Fixateur externe notwendig werden ( Kap. 30). nimalinvasiv zu versorgen. Er empfiehlt die Arthroskopie des
Radiokarpalgelenks zur Positionierung des Zielgeräts (Jig) für die
> Wenn eine SL-Dissoziation bei Radiusfraktur besteht, muss
Herbert-Schraube. Zusätzlich wird eine mediokarpale Arthros-
bei der Verwendung eines Fixateur externe unbedingt die
kopie zur Beurteilung der Fraktur durchgeführt. Die Reposition
Versorgung der SL-Dissoziation vor Anlegen des Fixateurs
der Fraktur wird durch die für die Arthroskopie benötigte Trak-
durchgeführt werden, da unter Distraktion keine vernünftige
tion erleichtert, die mit 8–15 Pfund am Zeige- und Mittelfinger
Reposition der SL-Instabilität durchgeführt werden kann.
angelegt wird. Zusätzlich gibt Whipple an, dass die Reposition
durch Manipulation mit Instrumenten am proximalen Fragment
Skaphoidfrakturen über einen mediokarpalulnaren Zugang unterstützt werden kann.
Als erster beschrieb wiederum Whipple (1995) die arthroskopisch Ein perkutan in das proximale Fragment eingebrachter K-Draht
assistierte Osteosynthese von Skaphoidfrakturen. Er schildert eine kann in schwierigen Fällen als zusätzliche Repositionshilfe benutzt
Methode, Skaphoidfrakturen arthroskopisch kontrolliert und mi- werden. Detaillierte Ergebnisse der arthroskopisch assistierten Be-
13.2 · Spezielle Techniken
265 13
Die Arthroskopie kann sehr gut die Kompressionswirkung
der Schraube (⊡ Abb. 13.29) dokumentieren und verbliebene Stu-
fen oder Spalten nachweisen. Durch moderne BV ist dies jedoch
genauso gut möglich. Korrekte Winkelverhältnisse, insbesondere
der wichtige skapholunäre Winkel, können durch die Arthroskopie
nicht beurteilt werden. Der Stellenwert der Arthroskopie liegt nach
unserer Meinung in der Diagnostik von Begleitverletzungen. So
fanden wir in 7 Fällen skapholunäre Dissoziationen, in 2 Fällen
Verletzungen des Meniscus ulnocarpalis und in einem Fall eine
Diskusläsion Palmer 1B. Wir empfehlen daher obligat eine Arth-
roskopie bei der geschlossenen Osteosynthese der Skaphoidfraktur
und nach Durchführung der Osteosynthese zur Diagnostik der
häufigen Begleitverletzungen.

13.2.7 Arthroskopische Ganglionresektion

Die arthroskopische Resektion von dorsalen Handgelenkgang-


lien hat sich in den letzten Jahren etabliert. Der Stil der dorsalen
Handgelenkganglien befindet sich in der Regel auf der Höhe des
a skapholunären Übergangs. Arthroskopisch wird in dieser Region
eine komplette radikale Synovektomie und Kapselresektion durch-
geführt. Dadurch wird der Stil des Ganglions und der sich dort
befindliche Ventilmechanismus entfernt und damit das Ganglion
ausgerottet. Manche bevorzugen Zugänge neben dem Stil (1/2
und 6R), manche auch einen Zugang direkt durch den Stil (3/4).
Nach unserer Erfahrung hat sich die Methode nach Osterman
und Raphael (1995) bewährt, die den 1/2- und den 6R-Zugang
benützt. Nach kurzer Lernkurve benötigt diese arthroskopische
Operation keinen größeren Zeitaufwand als die offene Operation.
Kang et al.(2008) haben in einer prospektiv randomisierten Studie
keine wesentlichen Unterschiede in der Rezidivhäufigkeit und
Beschwerdefreiheit zwischen arthroskopischer und offener Gan-
glionresektion gefunden. Auch nach unserer Erfahrung hat sich
die arthroskopische Ganglionresektion bewährt, die Ergebnisse
sind dem offenen Vorgehen ebenbürtig und die Rehabilitations-
phase ist durch das minimalinvasive Verfahren wesentlich ver-
kürzt ( Kap. 60).

13.2.8 Daumensattelgelenk und Grundgelenke

b Die Arthroskopie des Daumensattelgelenks ist einfach durchzufüh-


ren. Eine Distraktion des Gelenks ist zur besseren Sicht notwendig.
⊡ Abb. 13.29 Arthroskopische assistierte Verschraubung einer distalen Durch zwei palmar gelegene Portale lassen sich Arthroskop und
Skaphoidfraktur. a Vor Einbringen der Herbert-Whipple-Schraube, b nach Shaver einführen. Ein Kleingelenkarthroskop ist nicht nötig, mit
Einbringen der Herbert-Whipple-Schraube (S Skaphoid, C Kapitatum). einer 2,4-mm-Optik lässt sich das Daumensattelgelenk sehr gut
(Schmit-Neuerburg et al. 2001) darstellen. Indikation ist im Wesentlichen die Rhizarthrose im
Stadium 1–2. Meistens zeigt der arthroskopische Befund deutlich
schlechtere Knorpelverhältnisse als radiologisch vermutet. Eine Sy-
handlung der Skaphoidfraktur werden von Whipple nicht vorge- novektomie und Abrasionsarthroplastik des Knorpels ist in diesen
stellt ( Kap. 26). Stadien sinnvoll und zeigt gute Erfolge, ein offenes Operations-
In einer Pilotstudie haben wir 20 Skaphoidfrakturen arthro- verfahren kann dadurch auf einen späteren Zeitpunkt verschoben
skopisch assistiert minimalinvasiv mit der kanülierten Herbert- werden.
Whipple-Schraube versorgt. Radiologisch und klinisch fanden wir Wie auch Badia (2007) feststellt, ist die Arthroskopie sowohl
sehr gute Ergebnisse. Zur Reposition genügte auch bei dislozierten des Daumensattelgelenks als auch der Grundgelenke noch nicht
Skaphoidfrakturen in der Regel die Distraktion über Mädchenfän- sehr verbreitet, obwohl die Industrie schon seit mehr als 10 Jahren
ger (5 kg) am Daumen in Supination und leichter Dorsalflexion Kleingelenkarthroskope zur Verfügung stellt, die allerdings nur für
(»wine waiter position«); in 4 Fällen musste mit K-Drähten in die Grundgelenke, nicht aber für das Sattelgelenk notwendig sind.
der Joysticktechnik nachgeholfen werden. Arthroskopische Ma- Auch im Bereich der Grundgelenke sind mit einem entsprechen-
nipulationen an den Fragmenten sind schwierig und nicht sehr den Arthroskop und Shaver Synovektomien, Knorpelbehandlun-
hilfreich. gen und Probeexzisionen möglich ( Kap. 50).
266 Kapitel 13 · Technik der Arthroskopie im Bereich der Hand

13.3 Fehler und Gefahren Poehling GC, Siegel DB, Koman LA, Chabon SJ (1993) Arthroscopy of the
wrist and elbow. In: Green DP (Hrsg) Operative hand surgery, vol. 1, 3rd
edn. Churchill Livingstone, New York, S 189–214
Viele verschiedene Komplikationen sind bei der Handgelenkar-
Preißler P, Feldkamp G (1996) Das arthroskopische Erscheinungsbild ulnarer
throskopie beschrieben, allerdings sind diese nicht sehr häufig. Handgelenkinstabilitäten. Handchir Mikrochir Plast Chir 28: 233–238
Im eigenen Krankengut sind in den letzten 15 Jahren bei über Ruch DS, Bowling J (1998) Arthroscopic assesment of carpal instability. Arth-
1.000 Arthroskopien des Handgelenks keine wesentlichen Kompli- roscopy 14: 675–681
kationen wie Nerven- oder Gefäßverletzungen, Infektionen oder Schädel-Höpfner M, Böhringer G, Lemke T, Gotzen L (1998) Zur Häufigkeit
Kompartmentsyndrome aufgetreten. In der Literatur wird von der scapholunären Dissoziation bei distalen Radiusfrakturen. Aktuelle
Lagerungsschäden bei Verwendung des Traction Tower berichtet. Traumatol 28: 71–73
Geringgradige Verletzungen von Nerven und Sehnen durch die Scheck RJ, Kubitzek C, Hierner R et al. (1997) The scapholunate interosseous
Zugänge sowie Knorpelschäden durch zu heftiges Manipulieren ligament in MR arthrography of the wrist. Skeletal Radiol 26: 263–271
Schmit-Neuerburg KP, Towfigh H, Letsch R (Hrsg) (2001) Tscherne Unfallchir-
werden berichtet.
urgie, Band VIII/2: Hand. Springer, Berlin
Ein vorsichtiges Vorgehen bei Anlage der Zugangsportale ist
Schütz K, Middendorp J, Meyer VE (1996) Ulnodorsales Impingementsyn-
wichtig. Stumpfes Präparieren mit Schere oder Klemme vor Ein- drom: Die Meniskusläsion des Handgelenks. Handchir Mikrochir Plast
führen des Arthroskops mit stumpfem Trokar minimiert Weich- Chir 28: 227–232
teil- und Knorpelverletzungen. Bei Schwierigkeiten empfiehlt sich Seibert FJ, Peicha G, Grechenig W, Schippinger G, Passler JM (1998) Radius-
die BV-Kontrolle, die dem Anfänger bei Anlage der Zugänge gene- fraktur loco typico -- Arthroskopisch assistierte Versorgung. Arthrosko-
rell zu empfehlen ist. Die weiteren Zugänge sollten arthroskopisch pie 11: 259–270
kontrolliert angelegt werden. Besonders bei der blinden Anlage des Shionoya K, Nakamura R, Imaeda T, Makino N (1998) Arthrography is superior
6-R-Portals kann es durch zu proximales Anlegen des Portals zu to magnetic resonance imaging for diagnosing injuries of the triangular
Schäden am Diskus kommen. Die Wechselstabtechnik erleichtert fibrocartilage. J Hand Surg (Br) 23: 402–405
Strobel M (1998) Arthroskopische Chirurgie. Springer, Berlin Heidelberg
den Wechsel zwischen den Portalen und minimiert Schäden durch
Warhold LG, Ruth RM (1995) Complications of wrist arthroskopy. Hand Clin
erneutes Einführen des Arthroskops. Gefühlvolles Hantieren der
11: 81–89
Instrumente verhindert mehrmaliges gefahrenträchtiges Einführen Whipple TL (1995) Stabilization of the fractured scaphoid under arthroscopic
der Instrumente. Durch zu hohen Spüldruck entsteht ein Ödem, control. Orthop Clin North Am 26: 749–754
das allerdings schon nach einem Tag in der Regel verschwunden Whipple TL, Cooney WP, Poehling GG et al. (1991) Intraarticular fractures. In:
ist. Ein Kompartmentsyndrom haben wir deswegen nie bemerkt. McGinty JB, Caspari RB, Jackson RW, Poehlin GG (Hrsg) Operative arth-
roscopy. Raven, New York, S 651–654

Weiterführende Literatur

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Osterman AL, Raphael J (1995) Arthroscopic resection of dorsal ganglion of
the wrist. Hand Clin 11(1): 7–12
14

Therapie der »steifen Hand«


Peter Hahn, Frank Unglaub

14.1 Allgemeines – 268


14.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 268
14.1.2 Epidemiologie – 269
14.1.3 Ätiologie – 269
14.1.4 Diagnostik – 269
14.1.5 Klassifikation – 269
14.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 270
14.1.7 Therapie – 270
14.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 271
14.2 Spezielle Techniken – 272
14.2.1 Technik der Tenolyse der Streckaponeurose der Finger – 272
14.2.2 Technik der Tenoarthrolyse der Grundgelenke streckseitig – 273
14.2.3 Technik der Tenolyse der Strecksehnen am Handrücken und Handgelenk – 274
14.2.4 Technik der Beugesehnentenolyse – 274
14.2.5 Technik der operativen Behandlung des Lumbrikalis-plus-Syndroms – 274
14.2.6 Technik der operativen Korrektur bei kombinierten Verwachsungen
von Streck- und Beugesehnen – 275
14.2.7 Technik der Arthrolyse bei Kontrakturen der PIP-Gelenke – 275
14.2.8 Technik der totalen anterioren Tenoarthrolyse (TATA) – 276
14.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 276
Weiterführende Literatur – 276

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


268 Kapitel 14 · Therapie der »steifen Hand«

14.1 Allgemeines Knochen


Diese sind in der Regel nicht direkt an der Bewegungseinschrän-
Die Rekonstruktion der Handfunktion ist ein Abenteuer. Immer kung beteiligt. Bestehen jedoch Fehlstellungen oder Pseudarthro-
wieder jedoch führen operative Eingriffe aber auch konservative sen, so müssen diese vor oder gleichzeitig mit Maßnahmen zur
Behandlungen zu einer Verschlechterung der Ausgangssituation. Es Wiederherstellung der Beweglichkeit korrigiert werden. Übungs-
sind nicht unbedingt schwerwiegende Fehler in der Planung oder stabile Osteosynthesen sind eine wichtige Voraussetzung für eine
Durchführung einer Therapie, sondern ein Überwiegen von vielen frühzeitige Bewegungstherapie. Ein weit verbreitetes Phänomen
kleinen negativen Faktoren, die letztendlich zu einem schlechten ist jedoch die übervorsichtige Ruhigstellung trotz übungsstabiler
Ergebnis führen. Sehnenverwachsungen, Schwellung und Schmer- Frakturversorgung.
zen sind die Hauptfaktoren, die eine Minderung der Handfunktion
bewirken und somit zu einer steifen Hand führen. Muskeln
Nach Littler (1972) deckt sich der Bewegungsbereich der Fin- Die Muskeln als solche können insbesondere durch ischämische
gergelenke mit einer gleichwinkeligen oder logarithmischen Spi- Nekrosen zerstört werden und fibrosieren. Fibrotische Verände-
rale. Verantwortlich hierfür ist das Längenverhältnis der Finger- rungen der Handbinnenmuskulatur sind nicht selten, werden aber
glieder, das im Mittel 7,1 (Metakarpale), 4,6 (Grundglied), 2,8 häufig nicht erkannt ( Kap. 47). Die ischämischen Muskelkon-
(Mittelglied) und 1,8 (Endglied) beträgt ( Kap. 11). trakturen spielen in der Diagnostik der Bewegungseinschränkung
Bewegungseinschränkungen im Frühstadium sind nach Ver- ebenfalls eine wichtige Rolle, da ihre Unkenntnis zu unnützen und
letzungen oder Operationen an der Hand kaum zu vermeiden, erfolglosen Operationen führt (s. unten).
müssen aber hinreichend therapiert werden, um irreversible oder Sehnendurchtrennungen oder lang andauernde Minderfunk-
therapiebedürftige Spätfolgen zu vermeiden. Kommt es zu lang tion, evtl. in Kontrakturstellung, führen häufig zu myostatischen
andauernden Funktionseinbußen, dann ist eine komplexe Thera- Kontrakturen der Muskulatur. Die myostatische Kontraktur er-
pie, häufig in der Kombination von konservativen und operativen schwert die Beurteilung der Beweglichkeit bei Sekundäreingriffen
Verfahren, notwendig. wie Tenolysen.
Eine Vielzahl von Gelenken und Motoren ermöglicht der
menschlichen Hand einen sehr großen Bewegungsumfang mit Nerven
einer hohen Anzahl an Freiheitsgraden. Bedingt durch die Vielzahl Die Nerven sind nur relativ wenig dehnbar, sind aber selten pri-
an anatomischen Strukturen die nebeneinander laufen und gleich- märe Ursache für Bewegungseinschränkungen. Bei langstreckigen
oder gegenläufig agieren, ist die Gefahr einer Einschränkung be- Verlusten sowohl bei Primär- als auch bei Sekundäreingriffen ist
sonders groß. jedoch auf eine spannungsfreie Versorgung, ggf. mit Interponaten,
zu achten. Häufig resultieren Bewegungseinschränkungen aus dem
Zwang, Nervennähte unter Spannung zu entlasten.
14.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und
Physiologie Sehnen
Nur in seltenen Fällen sind die Sehnen an sich Ursache von Bewe-
Nahezu jede Struktur an der Hand kann Ursache für eine Bewe- gungseinschränkungen. Das die Sehnen umgebende Gleitgewebe
14 gungseinschränkung sein. In der Regel sind aber mehrere Sys- und die Sehnenkanäle sind aber häufig Ursache für Bewegungs-
teme gleichzeitig betroffen. Da die unterschiedlichen Strukturen einschränkungen. Die besondere Anatomie und Physiologie der
auch einer unterschiedlichen Therapie bedürfen, ist die Behand- Sehnengleitgewebe wird ausführlicher in  Kap. 5 und  Kap. 6
lung von Bewegungseinschränkungen sehr komplex und erfor- behandelt. Eine Tatsache, die aus unserer Sicht häufig übersehen
dert neben genauen Kenntnissen der Anatomie und Biomechanik wird, ist, dass die Strecksehnen wesentlich empfindlicher auf
auch viel Erfahrung. Schon an dieser Stelle sei darauf hingewie- Störungen reagieren als die Beugesehnen. Wir werden später
sen, dass eine Therapie ohne den Handtherapeuten nicht mög- noch darauf eingehen. Die Therapie dieser Verwachsungen macht
lich ist. zusammen mit den gelenkbedingten Störungen einen Hauptteil
dieses Kapitels aus.
Haut und Subkutis
Narbenkontrakturen und Weichteildefekte finden sich häufig nach Gelenke
komplexen Verletzungen mit Weichteilverlust, Rezidiveingriffen Die verschiedenen Gelenke der Hand und des Handgelenks sind
z. B. bei Dupuytren-Kontraktur ( Kap. 33) oder nach Infektionen neben den Sehnen der Hauptgrund für sekundäre Bewegungs-
an der Hand ( Kap. 44). Im Akutstadium mit postoperativem einschränkungen. Schon kleine Fehler in der Initialbehandlung
Ödem besteht ein relativer Hautverlust. Das Ödem bewirkt eine können zu wesentlichen Folgeschäden führen. Ödeme, Infekti-
Vergrößerung des Abstands der Haut vom Gelenkdrehpunkt. Der onen oder Ruhigstellung in ungünstiger Position führen durch
Bewegungsradius und damit auch der Umfang nehmen zu. Für Fibrose der periartikulären Strukturen zu irreversiblen Bewe-
einen spezifischen Drehwinkel ist daher relativ mehr Hautdehnung gungseinschränkungen. Wie empfindlich die Fingergelenke re-
notwendig, die aber nicht vorhanden ist. Dies führt zur Bewe- agieren, zeigt sich in der Nachbehandlung der Beugesehnenver-
gungseinschränkung. letzungen. Streckdefizite des Mittelgelenks, die bis zum 7. post-
operativen Tag nicht »herausgeübt« wurden, persistieren und
Bindegewebe beeinflussen als Beugekontrakturen das Ergebnis nachhaltig (De-
Da das Bindegewebe nur über eine begrenzte Dehnfähigkeit ver- finition und Unterscheidung Streckdefizit und Beugekontraktur
fügt, führt jedes Ödem zu einer Bewegungseinschränkung. Ein s. unten).
lang anhaltendes Ödem, Infektionen oder eine zu lange Ruhigstel- Die besondere Problematik besteht darin, dass jedes Gelenk
lung resultieren in einer Fibrose der Bindegewebe mit konsekutiver aufgrund seiner speziellen anatomischen Struktur einer beson-
Bewegungseinschränkung. deren Behandlung Bedarf. So sind die Grundgelenke in Beugung
14.1 · Allgemeines
269 14
und die Mittelgelenke in Streckung gegen Kontrakturen geschützt. Sinnvoll für die genaue prä- und postoperative Dokumentation
Hierdurch sind die Bandstrukturen beider Gelenke in maximaler sind die aktiven und passiven Bewegungsausmaße in Neutral-Null-
Länge positioniert und können durch eine Ruhigstellung am we- Methode bzw. Fingerkuppenhohlhandabstand oder Fingernagelti-
nigsten schrumpfen (Intrinsic-plus-Stellung) ( Kap. 2). schabstand.
Ob nach Sehnenverletzungen die Sehne intakt oder durch-
trennt ist, kann insbesondere bei Vorliegen von Kontrakturen nur
14.1.2 Epidemiologie schwer beurteilt werden. Die folgenden Untersuchungen können
hier hilfreich sein:
Obwohl im klinischen Alltag häufig Patienten mit eingeschränkter ▬ Die gesunde Hand weist eine Zunahme der Fingerbeugung
Hand- bzw. Fingerbeweglichkeit den Handchirurgen aufsuchen, vom Zeigefinger zum Kleinfinger auf. Eine Abweichung von
sind klare Daten hinsichtlich der Prävalenz und Inzidenz schwierig diesem Muster deutet auf eine Sehnendurchtrennung hin.
zu ermitteln. Dies liegt insbesondere an der vielfältigen Ätiologie ▬ Bei ausgedehnter Kontraktur kann man bei Fixierung des
der steifen Hand. Mittelgelenks versuchen zu fühlen, ob sich am Endgelenk bei
sonst fehlender Beugung eine Minimalbewegung ertasten
> Huffaker et al. (1979) konnten jedoch zeigen dass die Bewe-
lässt. Dieser Test erfordert sehr viel Erfahrung und Gefühl.
gungseinschränkung der Hand, insbesondere durch falsche
oder zu lange Ruhigstellung nach Frakturen, ein sehr häufi-
Wichtige Hinweise auf die Art der Schädigung geben die Unter-
ges Problem in der handchirurgischen Praxis darstellt.
schiede zwischen aktiver und passiver Beweglichkeit der einzelnen
Gelenke. Als Regel gilt: Ist die passive Beugung größer als die
aktive Beugung, dann ist es eine Beugesehnenverwachsung. Wenn
14.1.3 Ätiologie die aktive Beugung gleich der passiven Beugung ist, dann handelt
es sich um eine Strecksehnenverwachsung. Leider schließt aber
Ätiologische Aspekte der steifen Hand sind sowohl im Diagnostik- der letzte Fall nicht aus, dass zusätzlich Verwachsungen auf der
und Therapieteil aufgeführt. Dies erleichtert das Verständnis der Beugeseite bestehen können. Erschwert wird die Situation, wenn
Pathophysiologie und Strategien zu den verschiedenen Therapie- gleichzeitig Gelenkkontrakturen vorhanden sind.
optionen. Es ist sinnvoll die Bewegung der Finger in unterschiedlichen
Positionen der Nachbargelenke zu untersuchen, da es mithilfe des
Tenodeseneffekts möglich ist, die Höhe der Verwachsung genauer
14.1.4 Diagnostik zu lokalisieren. Ist z. B. die Beugung der Finger im Grund- und
Mittelgelenk abhängig von der Position des Handgelenks, dann
Eine Bewegungseinschränkung der Finger kann verschiedene Ur- müssen entweder Verwachsungen proximal des Endgelenks vorlie-
sachen haben. Nach Ausschluss von Nervenläsionen mit moto- gen oder aber eine Kontraktur der extrinsischen Extensoren.
rischen Ausfällen verbleiben als Ursachen Sehnenverletzungen, Einen Sonderfall stellt die ischämische Kontraktur der Hand-
Verwachsungen der Sehnen oder Störungen der Gelenkmechanik binnenmuskulatur dar. Quetsch- oder Amputationsverletzungen,
oder Kombinationen dieser Erkrankungen. aber auch andere Traumata mit starker Schwellung der Hand
Diagnostisch geben aktive und passive Beweglichkeit der ein- können zu einer Fibrose der Mm. lumbricales und Mm. interossei
zelnen Gelenke eines Fingers wichtige Hinweise auf die Lokali- führen. Dies kann zu einer sog. »intrinsic tightness« führen. Bei
sation der Störung. Eine Röntgenaufnahme des Fingers in zwei Beugung im Grundgelenk, kann der Patient Mittel- und Endgelenk
Ebenen gibt Auskunft über den Zustand der Gelenkflächen sowie beugen. Wenn aber das Grundgelenk überstreckt wird, ist die Beu-
den Knochen. gung in den Mittel- und Endgelenken behindert oder aufgehoben
Die CT bringt nur einen zusätzlichen Nutzen, wenn im Rönt- (⊡ Abb. 14.1). Dieses Phänomen lässt sich durch den Verlauf der
genbild Veränderungen der Gelenke vorhanden sind, die sich aber intrinsischen Muskeln erklären. Diese verlaufen palmar der Bewe-
nicht genau zuordnen lassen. Die Indikation ist aber eng zu stellen. gungsachse des Grundgelenks und dorsal der Bewegungsachse des
Die MRT bringt keinen zusätzlichen Vorteil. Mittel- und Endgelenks. Wenn die Muskulatur fibrosiert ist, wird
Die häufigste Situation ist die, dass der betroffene Finger bei durch Überstreckung des Grundgelenks die gesamte Bewegungs-
unauffälligem Röntgenbefund eine eingeschränkte Beweglichkeit amplitude aufgebraucht und damit Mittel- und Endgelenk von
in ein oder mehreren Gelenken aufweist. Für die therapeuti- dorsal gezügelt. Ob die Mm. lumbricales an der Kontraktur betei-
sche Entscheidung ist die Lokalisation und Art der Verletzung ligt sind, kann man feststellen, wenn man den Test mehrfach bei
nur bedingt richtungsweisend, da es bei einer Fingerquetschung Ulnar- und Radialduktion im Grundgelenk durchführt. Ist der Test
mit Beugesehnendurchtrennung durchaus zu Verwachsungen der bei beiden Manövern gleich, dann müssen auch die Mm. interossei
Streckaponeurose oder Gelenkkontrakturen kommen kann. Die beteiligt sein. Ist die Kontraktur in Ulnarduktion verstärkt, dann
Osteosynthese einer Fraktur kann ebenfalls zu Verwachsungen an spricht dies für ein Lumbrikaliskomponente.
allen Strukturen führen. Insbesondere Infekte wirken weit über
ihren Entstehungsort hinaus.
Um eine präzise Beschreibung der Einschränkung zu ermögli- 14.1.5 Klassifikation
chen, müssen die verschiedenen Formen der Bewegungseinschrän-
kungen genau definiert werden. Eine Klassifikation hat sich bei der steifen Hand nicht durch-
▬ Beugekontraktur: Das betroffene Gelenk steht in Beugung, gesetzt, nicht zuletzt auch aufgrund des sehr unterschiedlichen
die anatomische Nullposition kann weder aktiv noch passiv Krankheitsbildes und der Vielzahl an Ursachen. In der Regel
erreicht werden. erfolgt die Beschreibung des Befundes z. B. als Beugekontraktur
▬ Streckdefizit: Das Gelenk steht in Beugung, kann aber passiv mit Angabe der Neutral-Null-Methode in aktiver und passiver
gestreckt werden. Eine aktive Streckung ist nicht möglich. Messung (s. oben).
270 Kapitel 14 · Therapie der »steifen Hand«

⊡ Abb. 14.1 Intrinsic-plus-(Bunnel-Littler-)Test. a Physiologischer Befund: Bei passiver Streckung im Grundgelenk des
betroffenen Fingers ist die passive Beugung in den Interphalangealgelenken leicht möglich. b Pathologischer Befund:
Bei passiver Streckung im Grundgelenk des betroffenen Fingers ist die passive Beugung in den Interphalangealgelenken
stark erschwert oder unmöglich. Ursachen sind entweder kontrakte Handbinnenmuskeln oder eine Kapselschrumpfung
im MP-Gelenk. c Kontrakte Handbinnenmuskel: Bei leichter Beugestellung im MP-Gelenk kann das PIP-Gelenk vollständig
gebeugt werden. d Beugehemmung durch Kapselschrumpfung: Bei leichter Beugestellung im MP Gelenk kann das PIP-
Gelenk nicht vollständig gebeugt werden. (Aus Berger u. Hierner 2009)

14
Brüser (2004) unterscheidet in einer Klassifikation periartiku- flusst. Sicher ist eine Blutstillung notwendig, sie sollte aber so ge-
läre und komplexe periartikuläre Kontrakturen der Mittelgelenke. zielt erfolgen, dass es nicht durch ungezielte Koagulation zu Nekro-
sen kommt. Nekrosen fördern Infektionen. Schlecht durchblutetes
Gewebe muss daher zugunsten der Beweglichkeit entfernt werden.
14.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Auch die Dauer der Operation hat einen Einfluss auf die postope-
 Abschn. 14.1.7 rative Infektion. Präzises Operieren ist aber nur unter optimalen
Bedingungen möglich.
14.1.7 Therapie Auch wenn dieser Satz banal klingt, so ist eine nicht unerheb-
liche Anzahl an Komplikationen auf die Nichtbeachtung dieser
Wesentlich sinnvoller als die Therapie von Bewegungseinschrän- Grundsätze zurückzuführen.
kungen ist sicher deren Vermeidung. Es werden hier nur einige Frühzeitige Mobilisation und gezielte »Belastung« vermindert
prinzipielle Ansätze zur Vermeidung angeführt, auf spezielle Vor- Verwachsungen und fördert die Knochen- und Sehnenheilung.
gehensweisen wird verwiesen. Um diese Ziele zu erreichen, sind eine Vielzahl an Maßnahmen
»Prima nil nocere« (»zuerst einmal nicht schaden«) ist ein erforderlich, die in den einzelnen Kapiteln ausführlicher erläutert
wichtiger Grundsatz zur Vermeidung von Problemen. Dies erfor- werden. Trotzdem sollen sie hier im Kontext der steifen Hand noch
dert präzise Kenntnisse der Anatomie und Biomechanik der Hand. einmal erwähnt werden:
Korrekte an die Beugefurchen der Hand angepasste Schnittführun- ▬ übungsstabile Osteosynthese,
gen zur Vermeidung von Hautnekrosen und Narbenkontrakturen ▬ Vermeidung von übervorsichtiger Ruhigstellung,
sind notwendig. Schon Bunnell betonte die Bedeutung des atrau- ▬ frühzeitige geführte Mobilisation durch den Handtherapeuten,
matischen Operierens, um die Gewebe zu schonen. ▬ »stabile« Sehnennähte und angepasste postoperative Konzepte.
Atraumatisches Operieren geht nur unter optimalen Bedin-
gungen (Blutleere, ausreichende Analgesie, Lupenbrille). Infektio- Einen ganz besonderen Stellenwert nimmt in diesem Zusammen-
nen, Nekrosen und Hämatom sind drei wichtige Faktoren, die sich hang die Handtherapie ein. Die frühzeitig, 1. bis 2. postoperativer
negativ auf die Beweglichkeit auswirken. Diese Faktoren werden Tag, einsetzende Handtherapie ist essenzieller Bestandteil jedes
wesentlich von der Sorgfalt und Umsicht des Operateurs beein- Therapiekonzeptes. Eine qualifizierte Handtherapie ist aber nur
14.1 · Allgemeines
271 14
machbar, wenn der Patient keine Schmerzen hat. Daher ist die > Die konservative Therapie sollte so lange fortgeführt werden,
angepasste postoperative Schmerztherapie mit Stufenanalgesie und wie noch messbare Verbesserungen nachzuweisen sind.
ggf. Handblock oder Plexuskatheter eine Conditio sine qua non für
alle handchirurgischen Eingriffe. Gilt dies im Allgemeinen für Pri- Kommt es zu einem Stillstand der Verbesserungen sollte über
märeingriffe, so ist sie im Besonderen für Revisionseingriffe, wie operative Maßnahmen nachgedacht werden. Tenolysen und Ar-
Teno- und Arthrolysen, besonders wichtig. throlysen sollten nach Verletzungen und Operationen frühestens
Die für Revisionseingriffe erforderliche Analgesie und Hand- nach 4 Monaten und nach Infektionen frühestens nach 6 Monaten
therapie lässt sich in der Regel nur unter stationären Bedingungen durchgeführt werden.
etablieren. Um für den Patienten optimale Bedingungen zu schaffen,
ist eine tägliche Kommunikation zwischen Patient, Chirurg, Thera- Medikamentöse Unterstützung der Tenolyse
peut und Anästhesist notwendig. Eine Kondition die bei ambulanten Eine Vielzahl von Medikamenten und Verfahren wurde ange-
Patienten nur schwer oder überhaupt nicht zu erreichen ist. wandt, um die Ergebnisse der Tenolyse zu verbessern. Neben
Auf die negative Auswirkung von Schwellung auf die Bewe- Kortisoninjektionen sind Gelapplikationen und Silikonfolien zu er-
gung sind wir bereits weiter oben eingegangen. Die Ödemprophy- wähnen. Die Ergebnisse dieser Versuche sind nicht eindeutig. Man
laxe und -therapie muss daher auch dem Patienten immer wieder muss insbesondere bei allen diesen Verfahren die erhöhte Gefahr
erläutert werden. Ausreichende Hochlagerung ist theoretisch ein- der Infektion durch die Fremdmaterialien im Auge behalten. Jede
leuchtend, aber in der Praxis häufig nur schwer zu realisieren. Infektion macht aber das gewünschte Ergebnis zunichte.
Die korrekte Lagerung des Armes ist nicht gerade einfach. Als
gutes Hilfsmittel hat sich ein doppelt genähtes Laken, das an einem Nachbehandlung
Infusionsständer befestigt werden kann, erwiesen. Dieses hindert Die Nachbehandlung nach Tenoarthrolysen stellt neben der sorg-
den Arm am Umfallen, wenn der Ellbogen auf dem Bett aufliegt. fältigen Operation den entscheidenden Faktor auf dem Weg zum
Die Patienten vergessen das Hochhalten des Armes spätestens, Erfolg dar. Schlüssel ist eine sofort einsetzende Handtherapie bei
nachdem der Arzt das Krankenzimmer verlassen hat. Der Arm sollte ausreichender Analgesierung und ggf. dem Einsatz von statischen
jedoch nicht in einer Schlinge gelagert werden, um Bewegungsein- oder dynamischen Schienen.
schränkungen im Schultergelenk zu vermeiden. Günstiger ist es, die Noch im Operationssaal muss die Hand so geschient werden,
Patienten in einer aktiven Benutzung aller nicht immobilisierten dass das funktionelle Ergebnis gehalten wird. So werden Grundge-
Gelenke durch spezifische regelmäßige Übungen anzuleiten. lenke nach Arthrolyse durch eine dorsale Gipsschiene in maximaler
Ubiquitäre Hinweisschilder für Hochhalten und Armübungen Flexion fixiert. Mittelgelenke nach Tenoarthrolyse in Extension.
auf Station und in der Ambulanz erhöhen den Lerneffekt bei Pati- Die Physiotherapie sollte spätestens am 1. postoperativen Tag
ent und Personal. beginnen. Für eine erfolgreiche Physiotherapie ist Schmerzfreiheit
Verbände und Schienen erfüllen wichtige Funktionen. Insbe- entscheidend. In komplexen Fällen erfolgt die Behandlung daher
sondere in der frühen postoperativen Phase kann eine gezielte Kom- unter Einsatz eines Plexuskatheters. In einfachen Fällen kann neben
pression Hämatome verhindern. Trotzdem muss auf ausreichende der Gabe von Analgetika eine lokoregionäre Anästhesie durch ei-
Polsterung geachtet werden. Auf keinen Fall soll der Verband durch nen Handblock sinnvoll sein, wie bereits weiter oben erwähnt. Die
proximale Kompression eine Schwellung verursachen. Gerade in Handtherapie sollte initial mindestens 2-mal täglich erfolgen. Der
den ersten Stunden nach der Operation kann ein ursprünglich gut Erfolg der Therapie hängt wesentlich von der Kommunikation zwi-
angelegter Verband durch die Schwellung zu eng werden und die schen Patient, Arzt und Therapeut ab. Die Fortschritte, aber auch
Schwellung verstärken. Daraus kann ein fataler positiver Rückkop- die Rückschritte gegenüber dem intraoperativen Befund müssen
pelungsmechanismus bis hin zur ischämischen Kontraktur entste- regelmäßig vom Operateur zusammen mit dem Physiotherapeuten
hen. Es soll daher die Regel sein, bei Schmerzen oder Schwellung als kontrolliert und dokumentiert werden. Diese Forderungen sind
erstes den Verband bis auf die letzte Faser zu öffnen. aber häufig nur unter stationären Bedingungen zu erfüllen. Aus
unserer Sicht stellen Tenolysen und Arthrolysen daher weiterhin
Konservative (nichtoperative) Therapie eine Indikation für eine stationäre Therapie dar. Zur Vermeidung
Bevor operative Maßnahmen geplant werden, ist nahezu in jedem von erneuten Kontrakturen kann die Anpassung einer statischen
Fall eine konservative Therapie erforderlich. Diese verfolgt ver- oder aber auch dynamischen Orthese in Einzelfällen sinnvoll sein.
schiedene Ziele. Die konservative Behandlung wird von Handthe- Dies gilt besonders wenn der Schutz von rekonstruierten Struktu-
rapeuten vorgenommen. ren mit Bewegung kombiniert werden muss. Spezielle Vorgehens-
Schwellungen müssen soweit als möglich beseitigt werden. weisen werden im Folgenden aufgezeigt.
Hierzu kommen verschiedene Verfahren wie Lymphdrainage, elas-
tokompressive Wickelung, Kompressionshandschuhe oder -finger- Operative Therapie der steifen Hand
linge und Bewegungsübungen der Hand in Erbsen- oder Bohnen- Bestehen Bewegungseinschränkungen auch nach dem Akutsta-
bädern zum Einsatz. Die Narbensituation muss verbessert werden. dium, sind abhängig von der Lokalisation und der Art der Störung
Neben den oben aufgeführten Kompressionsverfahren helfen hier unterschiedliche Therapien notwendig ( Abschn. 14.2).
Narbenmassage und Silikongelfolie. Zur Verbesserung der Beweg-
lichkeit tragen die handtherapeutischen Übungen bei. Diese kön-
nen durch statische oder dynamische Schienen unterstützt werden 14.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
( Kap. 15).
Schon zu Beginn der Therapie sollte ein Karpaltunnelsyndrom Für die Therapie von Steifigkeiten im Handbereich im Kindesalter
klinisch oder neurologisch ausgeschlossen werden. Viele Patienten gelten die gleichen Prinzipien wie beim Erwachsenen. Folgende
leiden posttraumatisch unter starken Schmerzen und daraus resul- Besonderheiten sind zu beachten:
tierenden Bewegungseinschränkungen, die sich nach Dekompres- Die Vermeidung von Bewegungseinschränkungen spielt bei
sion des N. medianus schnell bessern. Kindern eine herausragende Rolle. So erfordert die postopera-
272 Kapitel 14 · Therapie der »steifen Hand«

tive Therapie nach Verletzungen eine erhöhte Aufmerksamkeit Tractus intermedius Lamina intertendinea
Tractus lateralis Pars medialis Pars obliqua
von Arzt und Handtherapeuten. Insbesondere Schwellungen und Pars lateralis Pars lateralis Pars transversa
trophische Veränderungen müssen wesentlich engmaschiger kon- Pars terminalis M. extensor dig.
trolliert werden, da das Kommunikationsvermögen der Kinder je
nach Alter sehr eingeschränkt ist. In diesem Zusammenhang seien
die lebensverändernden Folgen einer Volkmann-Kontraktur nach
suprakondylären Humerusfrakturen ( Kap. 47) erinnert. Lig. retinaculare
Lig. retinaculare
Die Therapie der steifen Hand setzt eine hohe Kooperations- obl. (Landsmeer)
transvers. M. lumbricalis Mm. interossei
bereitschaft vonseiten des Patienten voraus. Pauschale Regeln, ob a (Landsmeer)
M. extensor dig.
ein Kind für eine der operativen Maßnahmen geeignet ist, lassen
sich nicht aufstellen. Bereits während der immer notwendigen
konservativen Behandlung kann der Arzt einen Eindruck gewin- Tractus lateralis
nen, ob Kind und Eltern für die anstrengenden und zeitraubenden Mm. interossei
Pars terminalis
postoperativen Maßnahmen geeignet sind. Die Rolle der Eltern für Pars lateralis
Lamina triangularis Pars medialis M. lumbricalis
den Erfolg darf nicht unterschätzt werden. Die meisten Probleme Pars lateralis
und Fehlschläge treten aus unserer Erfahrung bei »überbehüteten« b Tractus intermedius
Kindern auf.
Die Dynamik des noch im Wachstum befindlichen Gewe-
bes kann sich sowohl positiv als auch negativ auf das Ergebnis
auswirken. Einerseits toleriert das Kind manche Verletzungen Tractus lateralis
und Veränderungen ohne große Funktionseinschränkungen und Pars terminalis
regeneriert schneller. Auf der anderen Seite kann aber die erhöhte Lamina triangularis
Proliferationsbereitschaft auch zu hochgradigen Narbenbildungen Pars lateralis
führen.
Abgesehen von Ausnahmen sollte die Phase der konser-
vativen, handtherapeutischen Maßnahmen länger sein als bei Pars medialis
Erwachsenen. Lig. retinaculare obliquum
(Landsmeer)

14.2 Spezielle Techniken Tractus Intermedius


Pars lateralis
14.2.1 Technik der Tenolyse der Streckaponeurose
Pars medialis
der Finger
Pars obliqua und
Pars transversa der
Der Begriff Strecksehnentenolyse ist über den Fingern nicht rich-
14 tig, auch wenn wir ihn im Folgenden aus Gründen der Einfachheit
Lamina intertendinea superficialis
(Landsmeer)
benutzen. Über den Fingern besteht der Sehnenapparat nicht aus
einer Sehne, sondern aus einer Vielzahl an Fasern, die aus un-
terschiedlichen Sehnen und Muskeln entspringen (⊡ Abb. 14.2).
Diese Fasern liegen flächig dem Knochen auf. Das extrinsische
System, welches aus den langen Unterarmextensoren kommt, läuft Lig. sagittale
longitudinal, dorsal der Bewegungsachse. Zusätzlich bestehen zwei
Schrägsysteme, die das proximale Gelenk palmar der Bewegungs-
achse und das distale Gelenk dorsal der Bewegungsachse über-
kreuzen. Das proximale dieser beiden Systeme wird aus Fasern Sehne des
M. extensor digitorum
der Mm. lumbricales und interossei gebildet und koppelt die Be- c
wegung von Grund- und Mittelgelenk. Das distale System wird
u. a. vom Lig. retinanculum obliquum (Landsmeer) gebildet und ⊡ Abb. 14.2 Anatomie des Strecksehnenapparates Strecksehnenanatomie.
koppelt Mittel- und Endgelenk. a Ansicht von lateral, b Ansicht von dorsal, c Ansicht von palmar. (Aus
Die Streckaponeurose liegt eng am Knochen an und weist Schmit-Neuerburg et al. 2001 [a, b])
daher zwei spezielle Probleme auf: Einerseits ist die Gleitschicht
zwischen Streckaponeurose und Knochen sehr dünn und verletz-
lich, was die Ergebnisse der Sehnenlösung häufig verschlechtert. dass nach Strecksehnentenolysen, bei denen die Beugung nahezu
Andererseits liegt die Streckaponeurose näher an der Bewe- komplett wiederhergestellt werden kann, häufig ein Streckdefizit
gungsachse als die Beugesehnen. Daraus resultiert eine geringere verbleibt.
Bewegungsamplitude der Strecksehnen für den gleichen Ge- Klinisch resultieren daraus zwei verschiedene Probleme: Einer-
lenkwinkel. Daher bedingen schon geringe Verwachsungen eine seits kann eine eingeschränkte passive Beugung bestehen, die ein-
größere Bewegungseinschränkung. Häufig kommt es bei einer facher zu behandeln ist. Andererseits kann es sich um ein Streck-
Verletzung zu einer, wenn auch nur geringen, Verlängerung der defizit des Mittelgelenks handeln. Dieses ist wesentlich schwerer
Streckaponeurose. Diese resultiert bei Knochendefekten aus einer zu therapieren. Insbesondere der 5. Strahl ist häufig von einer
nicht ausreichenden Anpassung der Streckaponeurose oder aus Kombination aus Sehnenverwachsungen und Gelenkkontraktur
einer narbigen Verlängerung der Strecksehne. Dies führt dazu, betroffen.
14.2 · Spezielle Techniken
273 14
Bei Strecksehnentenolysen gelten die allgemeinen handchi-
rurgischen Operationsregeln. Bezüglich der Anästhesie besteht
jedoch die Besonderheit, dass geübte Operateure diese Opera-
tion in Handblockanästhesie durchführen können, mit bekann-
tem Zeitdruck der Oberarmblutleere. Dies hat den Vorteil, dass
man während der Operation ständig das aktive Bewegungsausmaß
überprüfen kann. Da die Bewegungen des Mittel -und Endgelenks
nicht durch eine einzelne Sehne verursacht werden, gibt es keinen
intraoperativen Test, der die Funktionsfähigkeit nachweisen kann.
Unter Lokalanästhesie kann die Tenolyse beendet werden, sobald
der Finger aktiv frei bewegt werden kann. Es werden nicht unnötig
zusätzliche Verletzungen an Stellen gesetzt, die eigentlich keiner
Tenolyse bedürfen. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine genaue
Analyse der präoperativen Situation, Erfahrung mit Tenolysen und
eine stringente Operationstechnik.
Für die Operation gibt es sonst keine festen Regeln. Der
Zugang erfolgt über eine mediolaterale oder dorsale S-förmige
Inzision. Einliegendes Metall oder Fremdkörper müssen in der a
gleichen Sitzung entfernt werden. Es muss darauf geachtet werden,
dass alle verwachsenen Anteile gelöst werden, ohne die insbeson-
dere nach Verletzungen dünnen Strukturen zu schädigen. Nach
jedem operativen Schritt sollte erneut geprüft werden, ob der Fin-
ger sich schon besser bewegt. Ziel sollte es sein, den Finger passiv
voll in die Hohlhand zu beugen. Insbesondere in Plexus- oder
Allgemeinnarkose ist es wichtig die verschiedenen, auch schräg
verlaufenden Anteile der Streckaponeurose zu befreien. Dazu sind
genaue anatomische Kenntnisse zum Verlauf notwendig. Besteht
gleichzeitig eine Gelenkkontraktur muss diese ebenfalls gelöst wer-
den (s. unten).
Die Nachbehandlung folgt den oben aufgeführten Grundsät-
zen. Eine Ruhigstellung im Gips ist häufig nicht erforderlich. Nach
wenigen Tagen kann ein Buddy-Taping zur Unterstützung der Be-
wegung angepasst werden.

14.2.2 Technik der Tenoarthrolyse der


Grundgelenke streckseitig

Bedingt durch fehlerhafte Ruhigstellung der Grundgelenke in


Streckstellung kommt es häufig zu Streckkontrakturen der Grund-
b
gelenke. Da die Kollateralbänder der Grundgelenke in Streck-
stellung entspannt und in Beugestellung gespannt sind, führt die
ödembedingte Streckung zur Verkürzung der Kollateralbänder und
somit zur Extensionskontraktur. Das Gelenk ist dann in mehr oder
minder starker Beugung fest und kann nicht weiter gebeugt wer-
den. Neben Verwachsungen der Streckerhaube über dem Grund-
gelenk sind hierfür häufig die Kollateralbänder am Grundgelenk
verantwortlich (⊡ Abb. 14.3).
Beschränken sich die Probleme auf die Kollateralbänder als
Ursache, so kann man die Gelenke »minimalinvasiv« lösen.

Technik der minimalinvasiven Arthrolyse der Grund-


gelenke
Bei dieser Technik werden die proximalen Ansätze der Kollateral-
bänder am Metakarpaleköpfchen scharf mit einem 11°-Messer ge-
löst. Dazu geht man auf Höhe der distalen Metakarpalia transkutan
in Höhe der Köpfchen streng am Knochen ein und löst die Kollate-
c
ralbänder mit kleinen gezielten Bewegungen (⊡ Abb. 14.4). Danach
lassen sich die Grundgelenke häufig bis auf 90° beugen. ⊡ Abb. 14.3 Schematische Darstellung der anatomischen Verhältnisse am
Zur Nachbehandlung ist es sinnvoll, die Grundgelenke außer- Fingergrundgelenk: Einzelne relevante Strukturen zur Arthrolyse. a Ansicht
halb der krankengymnastischen Behandlung mit einer dorsalen von radial, b Ansicht von dorsal, c Ansicht von frontal (Querschnitt). (Aus
Gipsschiene in maximaler Flexion zu halten. Haussmann u. Das Gupta 2003)
274 Kapitel 14 · Therapie der »steifen Hand«

⊡ Abb. 14.4 Technik der minimalinvasiven


Arthrolyse der Grundgelenke. a Intraoperativer
Aspekt: Planung der Hautinzisionen, b intraope-
rativer Aspekt: Hautinsisionen radial und ulnar
a b
im Bereich des MP-IV- und MP-V-Gelenks

14.2.3 Technik der Tenolyse der Strecksehnen Während einer Beugesehnentenolyse muss man auf zusätzliche
am Handrücken und Handgelenk Eingriffe wie Ringbandrekonstruktionen, Nerven- und Gefäßnähte
oder aber auf Beugesehnentransplantationen vorbereitet sein. Der
In diesem Bereich finden sich »echte« Strecksehnen (im Ver- Patient ist vorher über die Möglichkeiten aufzuklären. Als Inzision
gleich zum Finger), die über dem Handrücken flächig und am hat sich eine palmare Bruner-Inzision bewährt. Begonnen wird die
Handgelenk dann typisch oval angelegt sind. Bei Verwachsungen Tenolyse im Bereich proximal und distal der Verwachsungen. Im
am Handgelenk müssen die verschiedenen Strecksehnenfächer ge- Operationsfeld wird die Palmaraponeurose entfernt. Bei der Frei-
schont werden. Die Verwachsungen können sehr ausgedehnt sein. legung der Sehne muss neben Schonung der Gefäße und Nerven
Manchmal ist die dorsale Handgelenkkapsel mit beteiligt. Intra- auf eine Schonung der Ringbänder geachtet werden. Anatomische
operativ ist eine genaue Analyse der Beweglichkeit erforderlich. Variationen können die Beugesehnentenolyse erschweren. Die Seh-
Werden Verwachsungen distal des Retinaculum extensorum gelöst, nenscheide wird durch quere Inzisionen zwischen den Ringbändern
kann die Grundgelenkbeugung in Handgelenkextension gut sein, eröffnet. Die beiden Sehnen werden dann sorgfältig teils scharf, teils
bei Handgelenkflexion besteht aber weiter eine Beugehemmung stumpf vom umgebenden Narbengewebe gelöst. Altes Nahtmaterial
14 im Grundgelenk (Tenodeseeffekt). Dies ist ein Zeichen für weiter sollte entfernt werden. Insbesondere unter den Ringbändern kann
proximal gelegene Verwachsungen. Die Operation muss dann nach dies schwierig sein, da Hebelbewegungen mit dem Instrument
proximal ausgedehnt werden. leicht zu Zerreißungen der Ringbänder führen können. Nach jedem
Abhängig von der Lokalisation und der Ausdehnung kann Schritt muss geprüft werden, ob die Sehne sowohl nach distal als
neben der Physiotherapie der Einsatz von Schienen sinnvoll sein. auch nach proximal ausreichend gleitet. Wenn narbige Überbrü-
Diese halten das Handgelenk und/oder die Grundgelenke in maxi- ckungen der tiefen Beugesehnen bestehen oder der Knochen relativ
mal möglicher Flexion. zur Sehne verkürzt ist, kann diese zu lang sein, was die Ausbildung
eines Lumbrikalis-plus-Syndroms fördern kann.

14.2.4 Technik der Beugesehnentenolyse


14.2.5 Technik der operativen Behandlung
Bestehen Verwachsungen der Beugesehnen, so ist eine Beugeseh- des Lumbrikalis-plus-Syndroms
nentenolyse erforderlich. Da die Beugesehnen eine einheitlichere
Struktur als der Streckapparat darstellen, ist bei der Beugeseh- Dieses Phänomen tritt auf, wenn ein Beugesehnentransplantat der
nentenolyse häufiger als bei den Strecksehnen die gesamte Länge tiefen Beugesehne zu lang ist oder aber die Beugesehnen unter
vom proximalen Muskelbauch bis zum Endgelenk betroffen. Die narbiger Verlängerung geheilt sind. Klinisch imponiert bei den
meisten Verwachsungen finden sich jedoch im gemeinsamen os- Patienten beim Versuch der forcierten Beugung des Fingers eine
teofibrösen Kanal der oberflächlichen und tiefen Beugesehne, der Streckung im Mittelgelenk des betroffenen Fingers. Ursache ist die
von der Hohlhand bis in Höhe des Endgelenks reicht. Insbesondere Sehne des M. lumbricalis. Der M. lumbricalis kann das Grund-
in Höhe des distalen Anteils der Grundphalanx finden sich häufig gelenk beugen und das Mittelgelenk strecken. Wenn das Sehnen-
ausgedehnte Verwachsungen, da dort die Superfizialissehne direkt transplantat zu lang ist, wirkt der Zug nicht auf das Mittel- und
dem Knochen aufliegt. Auf der Beugeseite der Hand und der Fin- Endgelenk durch die tiefe Beugesehne, sondern der M. lumbricalis
ger finden sich eine Vielzahl von funktionell wichtigen Strukturen, wird nach proximal verlagert und streckt dann das Mittelgelenk.
was die Beugesehnentenolyse vermeintlich komplexer macht und Zur Vermeidung dieses Phänomens ist daher eine Resektion
in der Regel eine Plexusanästhesie oder Allgemeinnarkose erfor- der Sehne des M. lumbricalis notwendig.
dert. Von Vorteil ist die Tatsache, dass sich durch proximalen Zug Häufig findet sich die Situation, dass sich der Finger nach di-
an den Sehnen die gewünschte Funktion überprüfen lässt. staler beugeseitiger Tenolyse bei Zug in Höhe des A1-Ringbandes
14.2 · Spezielle Techniken
275 14
voll beugen lässt. Trotzdem können noch Verwachsungen proximal
in Höhe des Karpalkanals bestehen. Es ist daher unerlässlich die
Beugesehnen proximal des Karpalkanals freizulegen und sich durch
Zug an den Sehnen davon zu überzeugen, dass die Strecke im Kar-
palkanal frei ist. Nicht selten muss dann zusätzlich der Karpalkanal
eröffnet werden, um dort ausgedehnte Verwachsungen zu lösen.
Verbleibt nach sorgfältiger Tenolyse noch eine Kontraktur des
Mittel- oder Endgelenks so ist eine Arthrolyse erforderlich (s. un- Lig. collaterale
ten). A3
Lig. collaterale accessorium
Die Nachbehandlung folgt den oben aufgeführten Grundsät-
zen. Gegebenenfalls rekonstruierte Ringbänder sind während der palmare Sehnenplatte
Übungen durch manuelle Kompression zu fixieren und außerhalb
der Übungen mit einem Ring zu schützen. Die größte Gefahr,
C1
insbesondere bei langstreckigen Tenolysen, ist die Sehnenruptur.
Die Beurteilung der Rupturgefahr obliegt dem Operateur. Besteht
eine erhöhte Gefahr, so müssen die handtherapeutischen Übungen
zwischen 7. und 28. postoperativem Tag besonders vorsichtig er-
folgen, da hier aufgrund der Sehnenphysiologie die Rupturgefahr A2
besonders groß ist.

14.2.6 Technik der operativen Korrektur


bei kombinierten Verwachsungen
von Streck- und Beugesehnen

Patienten mit kombinierten Verwachsungen weisen einige Be-


sonderheiten auf. Bedingt durch die hochgradige Bewegungsein-
schränkung ist die Differenzialdiagnose gegenüber isolierten Ver-
wachsungen oder Gelenkkontrakturen erschwert.
Wir bevorzugen in der Regel ein zweizeitiges Vorgehen, auch ⊡ Abb. 14.5 Kapselbandapparat des proximalen Interphalangeal (PIP)-Gelenks.
wenn andere Autoren ein einzeitiges Vorgehen beschreiben. In der Mittelgelenk von schräg-palmar. Kollateralbänder (Lig. collaterale, Lig. collate-
1. Sitzung werden die Verwachsungen auf der Streckseite gelöst. rale accessorium), palmare Sehnenplatte und Anteile der Sehnenscheiden der
Danach folgt eine Phase intensiver Physiotherapie. Anschließend Fingerbeuger (A2, A3 Ringbänder, C1 Kreuzband) sorgen für die Stabilisierung
werden die Verwachsungen auf der Beugeseite gelöst. Aus unserer des Gelenks
Sicht berücksichtigt dieses Vorgehen eher die physiologischen Pro-
bleme der meist stark geschädigten Finger.
Die Nachbehandlung dieser Verletzungen ist noch komplexer Technik der operativen Korrektur der
als bei isolierten Verwachsungen, da hier sowohl den Besonderhei- Extensionskontraktur des PIP-Gelenks
ten der Strecksehnen als auch denen der Beugesehnen Rechnung Die Kontraktur des Mittelgelenks in Extension wird in der Regel
getragen werden muss. Intensive Krankengymnastik unter statio- durch Verwachsungen der Streckaponeurose verursacht, die weiter
nären Bedingungen ist hier unerlässlich. oben beschrieben sind. Es kann jedoch vorkommen, dass nach
Tenolyse der Streckaponeurose noch ein Bewegungsdefizit für die
Beugung verbleibt. Es ist dann erforderlich, sorgfältig von dorsal
14.2.7 Technik der Arthrolyse bei Kontrakturen insbesondere die dorsalen Anteile der Kollateralbänder zu inspizie-
der PIP-Gelenke ren und ggf. zu lösen. Hierzu erfolgt der Zugang lateral des Tractus
lateralis unter Schonung des Lig. retinanculum obliquum. Von dort
Die Mittelgelenkkontraktur stellt die häufigste Kontraktur der aus werden die dorsale Kapsel und die dorsalen Anteile des Kol-
Hand nach Verletzungen dar. Sie bedarf daher einer besonderen lateralbandes inzidiert und das Gelenk sukzessive gebeugt. Dieses
Behandlung. Die Beugekontraktur des Fingers (eingeschränkte ak- Vorgehen wird dann auf der gegenüber liegenden Seite wiederholt.
tive und passive Extension) ist wesentlich häufiger als die Extensi-
onskontraktur (eingeschränkte aktive und passive Beugung). Die Technik der operativen Korrektur der
Anatomie des Mittelgelenks ist sehr komplex (⊡ Abb. 14.5). Die Beugekontraktur des PIP-Gelenks
Freiheitsgrade des Mittelgelenks werden durch die palmare Platte Die Beugekontraktur der Mittelgelenke wird durch verschiedene
der Gelenkkapsel mit ihren seitlichen Verstärkungen, den sog. Strukturen verursacht. Hierzu gehören narbige Veränderungen der
»check reins«, und durch die Kollateralbänder sowie die akzesso- Haut oder Hautverluste, narbige Schrumpfung der Hautligamente
rischen Kollateralbänder begrenzt ( Kap. 22). Die palmare Platte (Grayson, Cleland), Schrumpfung der Beugesehnenscheide, Ver-
ist eine fibrokartilaginäre Verstärkung der Gelenkkapsel. Sie besitzt änderungen der palmaren Platte und narbige Veränderungen der
keine eigene Elastizität und gleitet bei Beugung nach proximal. Die Kollateralbänder des Mittelgelenks (⊡ Abb. 14.3).
Seitenbänder stehen sowohl in Beugung wie in Streckung unter Die Operation erfolgt in der Regel in Plexusanästhesie. Über
Spannung. Sie verlaufen vom dorsalen Anteil der Grundphalanx den operativen Zugang besteht in der Literatur keine Einigkeit. Wir
zur palmaren Mittelphalanx, die akzessorischen Seitenbänder lie- bevorzugen eine palmare Zickzackinzision. Andere Autoren bevor-
gen palmar davon und inserieren an der palmaren Platte. zugen eine mediolaterale Inzision. Die palmare Inzision verschafft
276 Kapitel 14 · Therapie der »steifen Hand«

einen besseren Überblick und eine Erweiterung zur langstreckigen 14.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
Tenolyse ist einfacher. Wenn ausgedehnte Hautkontrakturen oder
relative Hautverluste bestehen, ist eine Querinzision mit der Bildung Auf Fehler, Gefahren und Komplikationen wurde bereits intensiv
eines lateralen Transpositionslappens zur Defektdeckung sinnvoll. in den Abschnitten zur Diagnostik und Therapie eingegangen. Die
Die Präparation erfolgt schrittweise. Nach jedem Schritt wird operative Therapie der steifen Hand sollte in der Hand eines erfah-
die passive Streckung des Gelenks geprüft. Nach Hautinzision renen Handchirurgen erfolgen.
erfolgt die Durchtrennung der Grayson-Ligamente und Freilegung
der Beugesehnenscheide. Diese wird danach zwischen A2- und
A3-Ringband quer eröffnet. Zug an den Beugesehnen zeigt, ob Weiterführende Literatur
diese an der Kontraktur beteiligt ist.
Einfache Fälle einer isolierten Kontraktur des Mittelgelenks Berger A, Hierner R (Hrsg) (2009) Plastische Chirurgie, Band IV: Extremitäten.
mit erhaltener aktiver Beugung des Fingers sind häufig an diesem Springer, Heidelberg
Punkt beendet, da sich der Finger nach diesen Schritten frei stre- Brand PW, Hollister A, Ryan JD, Thorp D (1993) Clinical mechanics of the
hand, second edition. Mosby, St Louis
cken lässt. Ist dies nicht der Fall, erfolgt die weitere Präparation
Brüser P (2004) Beugekontrakturen der Mittelgelenke: Pathogenese, Klassifi-
der Cleland-Ligamente und deren Lösung. Danach werden die
kation und Ergebnisse nach Arthrolysen. Handchir Mikrochir plast Chir
Check-Rein-Ligamente und die palmare Platte abgelöst, danach die 36(4): 218–223
akzessorischen Kollateralbänder inzidiert. Insbesondere nach den Goldberg E, Unglaub F, Kneser U, Horch RE (2009) Intraartikuläre Mittelge-
letzten Schritten ist, beim Versuch das Mittelgelenk zu strecken, lenkfrakturen: Dynamische, frühfunktionelle Therapie mit einem gelenk-
darauf zu achten, dass es nicht zu einer Überstreckung des Gelenks distrahierenden Fixateur externe. Unfallchirurg 112(3): 337–245
kommt, da dies zu einem irreversiblen Schaden führt. Hahn P, König S, Weihs N (2003) Rehabilitation of extensor tendon injuries.
Orthopäde. 32(5): 370–373
Hahn P, Jacobs C, Müller-Zimmermann A (2003) Rehabilitation after flexor
14.2.8 Technik der totalen anterioren tendon surgery. Orthopäde. 32(5): 365–369
Tenoarthrolyse (TATA) Hahn P, Lanz U (1996) Die Ringbänder der Fingerbeugesehnen. Anatomie,
Biomechanik, Rekonstruktion. Handchir Mikrochir Plast Chir 28(5):
265–270
In einzelnen Fällen mit ausgedehnter Kontraktur aller Strukturen auf Hahn P, Krimmer H, Müller L, Lanz U (1996) Ergebnisse der Beugesehnente-
der Beugeseite kann eine totale anteriore Tenoarthrolyse (TATA) als nolyse bei Verletzungen in Zone 2. Handchir Mikrochir Plast Chir 28(4):
Ultima Ratio eingesetzt werden. Die Operation erfolgt in Plexusan- 198–203
ästhesie. Unter Bildung eines lateralen Transpositionslappens wird Hasselbacher K, Bleuel S, Landsleitner B (2002) Langzeitergebnisse nach beu-
der Schnitt auf die komplette Mediolaterallinie vom Grundgelenk geseitiger Mittelgelenkarthrolyse. Handchir Mikrochir Plast Chir 34(6):
bis zum Endgelenk erweitert. Dorsal des Gefäß-Nerven-Bündels 355–362
wird dann der komplette Beugesehnenapparat scharf vom Knochen Haussmann P, Das Gupta K (2003) Synovialektomie der Fingergrundgelenke
gelöst. Die Gefahr besteht bei dieser Operation in einer irreversiblen bei chronischer Polyarthritis. Oper Orthop Traumatol 15(3): 237–253
Hintringer W (2002) Arthrotenolyse der Fingermittelgelenke (PIP). Technik
Schädigung des Fingers mit der Gefahr des Verlustes (⊡ Abb. 14.6).
und Ergebnisse. Handchir Mikrochir Plast Chir 34(6): 345–351
14 Huffaker WH, Wray RC Jr, Weeks PM (1979) Factors influencing final range of
motion in the fingers after fractures of the hand. Plast Reconstr Surg.
63(1): 82–87
Lorea P, Medina Henriquez J, Navarro R, Legaillard P, Foucher G (2007)
Anterior tenoarthrolysis for severe flexion contracture of the fingers
(the »TATA« operation): a review of 50 cases. J Hand Surg Eur Vol. 32(2):
224–229
Martini AK (2008) Orthopädische Handchirurgie. Steinkopf, Heidelberg
Richter M (2008) Die Arthrolyse der Fingermittel- und Fingergrundgelenke.
Enteilung, Technik und Ergebnisse. Orthopäde 37: 1171–1179
Saffar P, Rengeval JP (1978) Total anterior tenoarthrolysis. Treatment of the
bent fingers (author’s transl). Ann Chir. 32(9): 579–582
Schmit-Neuerburg KP, Towfigh H, Letsch R (Hrsg) (2001) Tscherne Unfallchir-
a
urgie, Band VIII/2: Hand. Springer, Berlin
Towfigh H, Gruber P (2005). Tractus-intermedius-Durchtrennung über dem
Fingermittelgelenk (sog. Knopflochdeformität). Oper Orthop Traumatol
17(1): 66–78

⊡ Abb. 14.6 Technik der totalen anterioren Tenoarthrolyse (TATA). a Planung


der mediolateralen Hautinzision, b subperiostale »En-bloc«-Lösung aller
palmaren Strukturen unter Einschluss der palmaren Gelenkkapselanteile
IV

IV Handrehabilitation

15 Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung – 279


Christine Reff-Richter

16 Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen


Heilverfahren – Berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW)
und komplexe stationäre Rehabilitation (KSR) – 323
Detlef Schreier, Franz Jostkleigrewe
15

Grundlagen der Handrehabilitation


und Schienenversorgung
Christine Reff-Richter

15.1 Allgemeines – 280


15.1.1 Anamnese – 281
15.1.2 Evaluation – 281
15.1.3 Therapie – 290
15.1.4 Therapeutische Besonderheiten – 291
15.2 Spezielle Techniken – 294
15.2.1 Schmerzbehandlung und Schmerzmanagement – 294
15.2.2 Motorisch-funktionelle Behandlung – 294
15.2.3 Sensomotorisch-perzeptive Behandlung – 298
15.2.4 Psychisch-funktionelle Behandlung – 300
15.2.5 Physikalische Maßnahmen – 301
15.2.6 Apparative Behandlungsmethoden – 304
15.2.7 Sensibilitätstraining bzw. Desensibilisierung – 305
15.2.8 Ödembehandlung und Ödemprophylaxe – 305
15.2.9 Standardisierte Narbenbehandlung – 307
15.2.10 ADL (Activity of Daily Living) – 310
15.2.11 Schienenversorgung – 312
15.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 317
15.4 Handrehabilitation im Überblick – 317
15.5 Verordnungsmodalitäten – 319
Weiterführende Literatur – 321

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


280 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

15.1 Allgemeines es der genauen Kenntnis des Schadensausmaßes und des voran-
gegangenen Eingriffes. Daher ist eine kontinuierliche Kommuni-
Nachdem 1977 die amerikanischen Therapeuten die American So- kation zwischen dem Ärzte- und Therapeutenteam unabdingbar
ciety of Hand Therapists (ASHT) gründeten, folgten 1981 die bel- (⊡ Abb. 15.1). Dies kann mittels schriftlicher Berichte, Telefonate
gischen Handtherapeuten (BHT.BE), 1984 die British Association oder E-Mails kurzfristig und zeitnah erfolgen.
of Hand Therapists (BAHT) und die französische Société Francaise
> Handrehabilitative Maßnahmen können vorbereitend-
de Rééducation de la Main (SSRM), 1990 die Schweizerische
präoperativ und/oder nachsorgend-postoperativ eingesetzt
Gesellschaft für Handtherapie und 1995 schließlich die Deutsche
werden.
Gesellschaft für Handtherapie die (DAHTH).
Als internationaler Dachverband der Gesellschaften entstand So sind freie Gelenkbeweglichkeit, ausreichende präoperative Mus-
1985 die International Federation of Societies for Hand Therapy kelkraft und vorhandene Gleitkapazität der Sehnen eine wichtige
(IFSHT) und 1989 die European Federation of Societies for Hand Voraussetzung für operative Eingriffe, z. B. bei einer Muskel-Seh-
Therapy (EFSHT). nen-Transposition.
Handrehabilitation fasst ergo- und physiotherapeutische Maß- Postoperativ können durch den Einsatz begleitender Maßnah-
nahmen des Gesamtbehandlungsplans für die obere Extremität men Schwellneigungen oder Schmerzen deutlich verringert wer-
zusammen. Sie kann bereits präoperativ einsetzen und mit ihren den, wodurch eine effiziente, frühzeitige Nachbehandlung möglich
verschiedenen Wirkungsfaktoren Patienten bis zum Therapieende wird, die wiederum Gelenkeinsteifungen vorbeugt und zu einer
begleiten. Mit Handrehabilitation kann in der Initialphase anti- deutlichen Verbesserung der Gelenkknorpelversorgung führt.
phlogistisch und schmerzlindernd gearbeitet werden. Sie ist unent- Aber nicht nur das »bloße« Funktionieren der Extremität ist in
behrlich, wenn die Leistungsfähigkeit (Bewegung, Kraft, Ausdauer der Handrehabilitation von Bedeutung. Ebenso werden ganzheitli-
und Funktion) einer betroffenen Extremität verbessert, erhalten che begleitende Maßnahmen angeboten, die über die zu therapie-
oder wiederhergestellt werden muss. renden Körperabschnitte hinaus den Patienten mit Hilfsmitteln für
Um aus der Vielzahl des therapeutischen Angebotes die ge- die Aktivitäten des täglichen Lebens versorgen. Weiterhin werden
eigneten Maßnahmen für die Patienten herauszufinden, bedarf Schienen hergestellt und Beratungen angeboten, wenn Einschrän-

Handchirurgie
Anästhesie Handtherapie
Intensivmedizin Physiotherapie
Schmerztherapie Ergotherapie
Thermo- und Kryotherapie
Massage
Elektrotherapie

Radiologie Technische Orthopädie

15 Neurologie
PFLEGE
Sozialdienst

Mikrobiologie Versicherungen/DRG
HAUSARZT

Apotheke Patienten Selbsthilfegruppen

Verwaltung Grundlagenforschung

Fakultative Team-Mitglieder
 Onkologie
 Psychologie/Psychiatrie
 Pathologie
 sonstige……..

»gemeinsame Sprache«

Klassifikation Standardisierte Diagnostik Therapieplan


und Dokumentation (Clinical pathway)
(Worüber sprechen wir?) (Was müssen wir beachten?) (Wie wollen wir vorgehen?)

 Ätiologie  Diagnostik  Trauma


 Defekttyp  Dokumentation  Fehlbildung
 Lokalisation  Tumor
 Wundbeschaffenheit  Neurologisch
 …….  Vascular
⊡ Abb. 15.1 Interdisziplinäres Therapieteam mit  ……
»gemeinsamer Sprache«
15.1 · Allgemeines
281 15
kungen mit bleibenden Folgen nicht abwendbar sind. Ablenkende, tient einmal mit Operateur und Therapeutenteam im »gemeinsa-
spielerische und funktionelle Übungen lassen nicht nur Kinder die men Boot«, lässt sich das »Ufer« schneller und sicherer erreichen.
Therapie mit Freude erleben. Dabei spielen Persönlichkeit und soziokultureller Hintergrund des
In einer handtherapeutischen Schwerpunkteinrichtung werden Patienten eine wichtige Rolle.
die in diesem Kapitel beschriebenen, therapeutischen Anwendun- Informationen und Aufklärung über die therapeutischen In-
gen nahezu vollständig angeboten. Da die Spezialisierung jedoch halte und Ziele können mittels geeigneten Bildmaterials, plasti-
noch in den »Kinderschuhen« steckt und noch kein vollständiges schen Darstellungen und eingehenden Erklärungen verdeutlicht
Netz »zertifizierter Handtherapeuten« existiert, kann die nachfol- werden. Ein zeitlicher Überblick über Umfang und Dauer der
gende Auflistung zur Findung der geeigneten Therapieeinrichtung therapeutischen Maßnahmen hilft dem Patienten, seine Rehabilita-
nach bisher klassischer, beruflicher Unterscheidung hilfreich sein tionszeit sinnvoll mit zu gestalten.
( Übersicht). Die zu Behandlungsbeginn vom überweisenden Arzt mitgelie-
ferte Unterlagen (Operationsberichte, Befunde, Röntgenbilder) er-
möglichen eine schnelle Anamneseerstellung und exakte Evaluation.
Differenzierte Handtherapie
▬ Ergotherapie
– Funktionelle Ergotherapie 15.1.2 Evaluation
– Schienenversorgung
– Gelenkschutzberatung Für die Evaluation einer Handschädigung stehen eine Vielzahl
– Hilfsmittelversorgung von klinischen und standardisierten Testverfahren zu Verfügung.
– Sensibilitätstraining Diese ermöglichen eine genaue Erfassung des Ausmaßes der Ver-
– ADL-Training (»activity of daily living«) letzung. Anhand dieser Ergebnisse wird eine fachgerechte und pa-
– Narbenbehandlung tientenbezogene Therapie erstellt. Diagnostische Verfahren dienen
– Thermische Anwendung dabei der Erhebung des Patientenstatus, während Messungen auch
▬ Physiotherapie während des Therapieverlaufs als Kontrollinstrumente herangezo-
– Lagerung gen werden können.
– Passive oder aktive Mobilisation Die nachstehende Auswahl an Evaluations- und Testverfahren
– Dehnungsübungen stellt die gängigsten Methoden in der Handrehabilitation dar:
– Lockerungsübungen
– Isometrisches Muskeltraining Messmethoden
– Isotonische Kraftübungen Zur Messung von Bewegungsausmaßen wird die Neutral-0-Me-
– Manuelle Therapie thode angewendet. Sie ist ein standardisierter Bewertungsindex,
▬ Thermo- und Kryotherapie der die Beweglichkeit von Gelenken erfasst. Sie wird in der Ortho-
– Hydrotherapie (Sonderform) pädie zur Messung des Bewegungsausmaßes und der Winkelgrade
– Wärmetherapie (Thermotherapie): feuchte und trockene um eine bestimmte Achse eingesetzt und in einer dreiteiligen Co-
Wärme dierung (z. B.10–0–10°) zum Ausdruck gebracht. Hiermit können
– Kältetherapie (Kryotherapie): feuchte und trockene Kälte Bewegungsausmaße eindeutig nachvollzogen und zur Bewertung
▬ Massage und Dokumentation genutzt werden. Die Messungen werden je
– Klassische Massage (Knetung, Abreibung, Walkung) nach Größe des zu evaluierenden Körperteiles mittels Goniome-
– Mechanische Massage (Bürstenmassage) tern unterschiedlicher Ausführungen durchgeführt (⊡ Abb. 15.2,
– Reflexzonenmassage ⊡ Abb. 15.3, ⊡ Abb. 15.4, ⊡ Abb. 15.5, ⊡ Abb. 15.6, ⊡ Abb. 15.7).
▬ Elektrotherapie Dabei ist es sinnvoll die Messwerte auf 5° auf- bzw. abzurun-
– Niederfrequenz (<1.000 Hz), Iontophorese, Galvanisation, den, um Messdifferenzen zu berücksichtigen. Der bei der 3-teiligen
therapeutische Muskelstimulation Codierung vorgesehene Mittelwert stellt in der Regel die Nullstel-
– Mittelfrequenz (1.000–300.000 Hz), Interferenzstrom
– Hochfrequenz (>300.000 Hz), Kurzwelle, Dezimeterwelle,
Mikrowelle

15.1.1 Anamnese

Jede handtherapeutische Behandlung beginnt mit einer differen-


zierten Befunderhebung. Der eigentlichen Untersuchung der be-
troffenen Extremität geht eine Eigenanamnese voraus, welche Pa-
tienteninformationen und Vorerkrankungen erfasst. Ergänzt durch
die Fremd-, Beruf-, Familien- und Sozialanamnese ergibt sich ein
umfassendes Patientenbild, auf das eine zielgerichtete Therapie auf-
gebaut wird. Dabei ist es hilfreich, die Erwartungen des Patienten
und die therapeutischen Möglichkeiten aufeinander abzustimmen,
um eine bestmögliche Behandlungsbasis zu schaffen.
Patient, Arzt und das gesamte Therapieteam sollten eine Ein-
heit bilden und dabei ein gemeinsames Ziel anstreben. Sitzt der Pa- ⊡ Abb. 15.2 Verschiedene Goniometer (Gelenkwinkelmessgeräte)
282 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

lung oder die neutrale Ausgangsstellung dar. Kann eine Ausgang- Die Bewertungsskala reicht dabei von normal (5), gut (4), ausrei-
stellung nicht eingenommen werden, wird diese mit 0° angegeben. chend (3), schwach (2), Muskelkontraktion (1) bis keine Kontrak-
Die manuell durchgeführte und standardisierte Muskelfunkti- tion (0).
onsprüfung nach Highet (1934) beruht auf dem Bewertungssystem Für eine zuverlässige Bewertung ist eine manuelle Fixierung
▬ des Widerstandes eines Muskels oder der benachbarten Gelenke durch den Prüfer erforderlich, um das
▬ der Fähigkeit des Muskels oder einer Muskelgruppe, sich ge- jeweilige Gelenk auf ein gewünschtes Bewegungsausmaß zu be-
gen die Schwerkraft in seinem gesamten Bewegungsausmaß zu schränken. Eine gelenkübergreifende Muskeleinwirkung soll damit
bewegen. vermieden werden ( Übersicht, ⊡ Abb. 15.8).

1 Abduktion/Seitheben 4

2 Außendrehung/-rotation 4
1 5

3
3 Streckung/Retroversion 5

2 6 Adduktion/Heranführen
6

⊡ Abb. 15.3 Bewegungen und Bewegungsumfang im Bereich der Schulter. (Aus Tillmann 2004)
15

a b Umwendbewegung:
Supination

Pronation

Flexion Extension

⊡ Abb. 15.4 Bewegungen und Bewegungsumfang im Bereich des Ellbogens. a (Extension/Flexion), b (Pronation/Supination). (Aus Tillmann 2004)
15.1 · Allgemeines
283 15

Klassifikation der Muskelkraft nach Highet


▬ Keine Muskelaktivität
▬ Sichtbare oder fühlbare Muskelkontraktion ohne Bewegungs-
effekt
▬ Bewegungsmöglichkeit unter Ausschaltung der Schwerkraft
des abhängigen Gliedabschnittes
▬ Bewegungsmöglichkeit gegen die Schwerkraft
▬ Bewegungsmöglichkeit gegen mäßigen Widerstand
▬ Normale Kraft
b
ulnare Abduktion
a Ödeme im Bereich der Hand lassen sich mit dem Wasserverdrän-
gungstest, der sog. Volumetermessung nach Brand und Wood dar-
stellen. Das standardisierte Messinstrument, bestehend aus einem
Dorsalextension Wasserbehälter und einer Auffangsäule, gibt durch das Auffangen
radiale Abduktion
der verdrängten Wassermenge Aufschluss über den Schwellungszu-
stand. Die Hand wird dabei so in den Behälter geführt, dass Mittel-
und Ringfinger den quer liegenden Stab umfassen. Das verdrängte
Wasser wird in der Säule aufgefangen und gemessen (⊡ Abb. 15.9).
Betrifft das Ödem die gesamte Extremität, ist die Zirkum-
ferenzmessung eine gebräuchliche Methode. Dabei werden die
Werte an folgenden Stellen gemessen (⊡ Abb. 15.10):
Palmarflexion
▬ Oberarm-Umfang: 10-15 cm proximal des Humeruskondylus,
je nach Armlänge
▬ Unterarm-Umfang: 10-15 cm distal des Humeruskondylus
lateralis, je nach Armlänge
▬ Ellenbogengelenk: auf Höhe des Olecranon
▬ Handgelenk: distal des Processus Styloideus ulnae
⊡ Abb. 15.5 Bewegungen und Bewegungsumfang im Bereich des Handge- ▬ Mittelhand: unmittelbar proximal der Metakarpalgelenke
lenks. (Aus Tillmann 2004) ▬ Finger: einzelne Gelenke des jeweiligen Fingers

Flexion Flexion Flexion

Extension
Extension

Extension

⊡ Abb. 15.6 Bewegungen und Bewegungsumfang im Bereich der Finger. (Aus Tillmann 2004)
284 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

1 Beugung 4 Abspreizung/Abduktion

4
1
2 Streckung (Extension) 2

5 5

3 Adduktion (Heranführen)
3
6

1 Beugung/Flexion

Streckung/Extension

3 Beugung/Flexion 4 2

4 Streckung/Extension

⊡ Abb. 15.7 Bewegungen und Bewegungsumfang im Bereich des Daumens. (Aus Tillmann 2004)

15

⊡ Abb. 15.8 Muskelfunktionsprüfung der Fingerspreizung

⊡ Abb. 15.9 Volumetermessung nach Brand und Wood


15.1 · Allgemeines
285 15

a b
links palmar rechts palmar
rechts dorsal links dorsal

⊡ Abb. 15.11 Mapping. a Palmare Handseite, b dorsale Handseite

⊡ Abb. 15.10 Zirkumferenzmessung obere Extremität. (Aus Waldner-Nilsson


2008)

Standardisierte Tests
»Mapping«
Zu Beginn jeder Sensibilitätsbehandlung steht die Untersuchung
zur Eingrenzung des behandlungsbedürftigen Hautareals. Durch
das sog. »Mapping« wird eine optische Darstellung der sensiblen
Ausfälle erstellt. Die Testung kann sowohl vom Therapeuten als ⊡ Abb. 15.12 Semmes-Weinstein-Monofilamenttest
auch vom Patienten vorgenommen werden.
Dabei führt der Therapeut einen Stift auf der Hand des Pro-
banden, vom gesunden Bereich bis zum sensibilitätsgestörten.
Markierungen werden an den Stellen gesetzt, an denen der Pro- von leichter Berührung bis hin zum starken Druck kann hiermit
band Veränderungen wahrnimmt. Von allen Seiten (distal, proxi- ermittelt werden. Mittels Farbcodes, welche mit den Filamenten an
mal, ulnar und radial) wird das Untersuchungsgebiet eingegrenzt. dem Untersuchungsstab übereinstimmen, werden die Ergebnisse
Die Markierungen werden auf ein Handschema eingetragen. So auf ein Formblatt übertragen. Testwiederholungen im Laufe der
können Veränderungen jeglicher Art bei Kontrolluntersuchungen Behandlung geben einen Überblick über die Regeneration des be-
verifiziert werden (⊡ Abb. 15.11). troffenen Areals (⊡ Abb. 15.12).

Semmes-Weinstein-Test (von-Frey-Test) Statische 2-Punkte-Diskrimination (2-PDs)


Der Monofilament-Sensibilitätstest wurde 1960 als Semmes-und- Der Test wird zur Bestimmung der funktionellen Sensibilität der
Weinstein-Ästhesiometermessung bekannt und beruht auf den Hand eingesetzt. Die Testperson soll dabei zwei in bestimmten
Arbeiten von von Frey. Dieser Test enthält ursprünglich 20 kalib- Abständen liegende Distanzen erfassen. Der kleinste messbare Ab-
rierte Untersuchungsstäbe. Mittels Nylonfäden (Monofilamente) stand zwischen zwei Punkten geht dabei in die Bewertung ein. Die
unterschiedlicher Stärken (1,65–6,65) die den Logarithmus der Testung wird an der Hand longitudinal, von distal nach proximal
10-fachen Kraft in Milligramm repräsentieren, verbiegt sich das verlaufend, appliziert (⊡ Abb. 15.13). Die American Society for Sur-
dünnste Filament (1,65), sobald es mit einer Kraft von 0,0045 g gery of the Hand interpretiert den Test folgendermaßen:
(=4,5 mg) auf die Haut gedrückt wird. Mit dem »Weinstein En- ▬ normale Sensibilität: weniger als 6 mm Distanz,
hanced Sensory-Test« (WEST) wurde eine Modifikation mit nur ▬ eingeschränktes Berührungsempfinden: 6–10 mm,
5 Filamenten an einem Untersuchungsstab geschaffen, die den ▬ Schutzsensibilität vorhanden: keine Unterscheidung zwischen
Zeitaufwand für die Untersuchung deutlich reduziert. Der standar- 1 und 2 Punkten möglich,
disierte Test ermöglicht es, aussagekräftige Informationen über die ▬ Verlust der Schutzsensibilität: Druck wird nicht wahrgenom-
Oberflächensensibilität (Tastschwelle) zu erhalten. Das Spektrum men.
286 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.13 2-Punkte-Diskriminations-Test (2-PD)

⊡ Abb. 15.14 Lokalisation einer Berührung. (Aus Waldner-Nilsson 2008)


Spitz-Stumpf-Diskrimination
Diese Testung gibt Aufschluss über den Oberflächenschmerz und
ist kurzfristig und schnell zur Aussage über eine vorhandene
Schutzsensibilität einsetzbar. Mit dem stumpfen und dem spitzen
Ende einer aufgebogenen Büroklammer oder eines vergleichbaren
Gegenstandes wird der Proband auf dem gewünschten Hautareal
berührt und gibt Rückmeldung über die Art und Qualität der un-
terschiedlichen Wahrnehmungen. Dabei steht eine
▬ richtige Spitz-stumpf-Wahrnehmung für eine intakte Schutz-
sensibilität,
▬ unsichere Spitz-stumpf-Wahrnehmung für eine fehlende
Schutzsensibilität,
▬ verstärktes Schmerzempfinden für Hyperalgesie,
▬ ausschließliche Druckwahrnehmung für eine Hypalgesie (Ver-
minderung oder Aufhebung der Schmerzempfindung).

Lokalisation der Berührung


Der Test wird zur Verlaufskontrolle nach Nervenrekonstruktionen
15 eingesetzt. Die Testperson wird dabei zur exakten Lokalisation des
Berührungsreizes aufgefordert. Aufgezeichnete Punkte stellen dabei
eine korrekte Rückmeldung dar, während Pfeile den Abstand und den
Ort der Wahrnehmung des Stimulus kennzeichnen (⊡ Abb. 15.14). ⊡ Abb. 15.15 STI-Scheibe. (Aus Waldner-Nilsson 2008)

»Shape Textur Identification Test« (STI-Test)


Der standardisierte Test von Rosén und Lundborg (1998) erfordert stände sind seitdem aus Metall und schließen damit Unterschei-
die Zuordnung und Erkennung ohne Augenkontrolle von der Test- dungsmerkmale wie Temperatur und Oberflächenbeschaffenheit
person und wird mit 0 bis 6 Punkten bewertet. Eine Kunststoff- aus. Das Testmaterial besteht aus einer Stoppuhr und einem Behäl-
scheibe, versehen mit verschiedenen Formen (Quadrat, Sechseck, ter, einem Zwanzig- und einem Fünfzig-Cent-Stück, einer Flügel-
Kreis) und hervortretenden Punkten unterschiedlicher Größe, soll mutter, einem Schlüssel, einem Nagel, einerUnterlegscheibe, einer
dabei exploriert werden (⊡ Abb. 15.15). Schraube, einer Büroklammer, einer großen und einer kleinen
Sechskantmutter, einer Vierkantmutter sowie einer Sicherheitsna-
Ninhydrintest del. Der Auflesetest, welcher Aufschluss über die feinmotorischen
Bei einer kompletten Nervendurchtrennung sind sowohl sensible Fähigkeiten, insbesondere bei Läsionen des N. medianus bzw.
als auch sympathische Nervenfasern betroffen. Die dadurch de- N. medianus und N. ulnaris gibt, kann andererseits auch als Test
nervierte Haut zeigt keine Schweißsekretion, weshalb mittels Nin- zur Objektidentifikation dienen. Hierbei erfühlt die Testperson die
hydrintest, dessen Durchführung von Perry 1974 und Phelps 1977 Gegenstände, die sie aus dem vorhergehenden Auflesetest kennt
sich durchgesetzt hat, die gestörten Hautareale ermittelt werden ohne Augenkontrolle. Diese Testung eignet sich zur Bewertung von
können. Die Durchführung des Tests erfordert Erfahrung und ist stereognostischen Fähigkeiten (⊡ Abb. 15.17).
zeitlich aufwendig (⊡ Abb. 15.16). Das »Jamar Hand Dynamometer« dient zur Messung isomet-
rischer Handkraft nach Bechtold (1954), und wird als zuverlässi-
Moberg-(Pick-up-)Auflesetest ges Messinstrument für die Grobkraft der Hand empfohlen. Die
Ursprünglich von Moberg 1958 entwickelt, wurde der Pick-up-Test American Society of Hand Therapists (ASHT) empfiehlt diesen
1981 von Dellon modifiziert und standardisiert. Alle 12 Testgegen- Test aufgrund seiner Reliabilität und Validität. Das kalibrierte,
15.1 · Allgemeines
287 15

e e m
Naomrnamtsdatuks
V ebur s/Lin
G echt
R atum
D

1 2 3 4 5
⊡ Abb. 15.18 Jamar-Kraftmessung

Messgerät wird in einer Handgelenkstellung von etwa 0–30° Exten-


sion und einer leichten ulnaren Abduktion von 0–15° geführt. Drei
b abwechselnde Messungen finden in Folge mit der betroffenen und
der nicht betroffenen Hand statt. Für jede Seite wird ein Mittelwert
errechnet (⊡ Abb. 15.18).

Zum Beispiel:
rechts links
c 1. Messung 17,5 kg 31,0 kg
2. Messung 17,0 kg 28,5 kg
⊡ Abb. 15.16 Ninhydrintest. a Darstellung der Schweißsekretion durch das 3. Messung 17,0 kg 27,5 kg
Abdruckverfahren, b Ergebnis des Ninhydrintests bei einer Durchtrennung Durchschnittswert 16,7 kg 29,0 kg
des N. medianus, c Vergleich mit der nicht betroffenen Hand. (Aus Waldner-
Nilsson 2008)
Den Unterschied zwischen dominanter und nicht dominanter Seite
gibt Bechtold mit circa +5–10% für die dominante Seite an. Für
männliche und weibliche Personen werden je nach Betätigung
und Alter unterschiedliche Normen angegeben. Diese liegen bei
erwachsenen, weiblichen Probanden bei ca. 24–38 kg und bei
männlichen Probanden zwischen 30–70 kg.

Pinch-Gauge-Test
Drei Greiffunktionen werden hiermit bewertet: Der 2-Punkt-Griff
testet die Kraft zwischen Daumen und Zeigefinger. Dieser wird
überwiegend für leichtere, feinmotorische Tätigkeiten benötigt.
Der 3-Punkt Griff weist die Gegenüberstellung des Daumens zu
Zeige- und Mittelfinger auf. Der kräftigste der drei Griffe ist der
Lateralgriff, auch als Schlüsselgriff bezeichnet. Hierbei kommt der
Daumen radialseitig auf dem Zeigefinger zu liegen ( Kap. 2). Um
ein einheitliches Messergebnis zu erhalten, wird der Ellbogen auf
einer festen Unterlage aufgestützt, um kompensatorische Kraftein-
wirkung aus dem Oberarm zu verhindern. Der Durchschnittswert
⊡ Abb. 15.17 Moberg-(Pick-up-)Auflesetest wird nach drei abwechselnden Rechts-links-Messungen errechnet
(⊡ Abb. 15.19).
Einige dieser Messungen lassen sich bequem mit dem E-Link
hydraulische Dynamometer kann in 5 Positionen eingestellt wer- Biometrics, einem computergestützten System, durchführen.
den und ermittelt damit aussagekräftige Handkraftdaten, welche Handkraftmessung, Krafttest der Finger sowie Messung des Bewe-
sowohl in Kilogramm als auch in Pounds angegeben werden. Die gungsausmaßes können evaluiert und zu Vergleichsmessungen he-
Messung wird nach einheitlichem Verfahren durchgeführt und rangezogen werden. Damit ist eine kurzfristige und umfangreiche
ermöglicht dadurch eine vergleichbare Datenerfassung. Dazu soll Dokumentation möglich, die zudem eine automatische Kalkulation
der Arm am Oberkörper adduziert (Anweisung: »Ellbogen an den der Funktionseinschränkung ermöglicht. Entsprechend der Mess-
Körper«) und in 90°-flektiertem Ellbogen gehalten werden. Das ergebnisse können dann am PC therapeutische Spiele durchgeführt
288 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.19 Pinch-Gauge Test, Lateralgriff ⊡ Abb. 15.21 Hoffmann-Tinel-(HT)Zeichen

gungsgebiet auslöst, ist auf eine Beeinträchtigung des N. medianus


zu schließen (⊡ Abb. 15.21).

Phalen-Test
Der Phalen-Test, in zwei Varianten durchführbar, gibt Auskunft
über mögliche Störungen des Karpaltunnels am Handgelenk. In
der ersten Variante wird der Test mit zwei in Maximalflexion
gehaltenen Handgelenken durchgeführt, in der zweiten Variante
werden beide Handgelenke in maximaler Handgelenkstreckung,
dem »umgekehrten Phalen-Test«, gehalten. Bei Eintritt von Miss-
empfindungen binnen 20 s kann der Test als positiv gewertet
werden und lässt Rückschlüsse auf eine N.-medianus-Schädigung
zu (⊡ Abb. 15.22).

Froment-Zeichen
Eine N.-ulnaris- Schwäche wird durch das Froment-Zeichen ver-
⊡ Abb. 15.20 Biometrics PC-Messung
deutlicht: Ein flacher Gegenstand (z. B. ein Blatt Papier) soll zwi-
schen Daumen und Zeigefinger gehalten werden. Die Testperson
15 zieht nun den Gegenstand zurück. Bei einer vorliegenden Beein-
werden. Durch das computerbasierte Assessment dieses Gerätes trächtigung kann das Papier durch die Adduktionsschwäche des
lassen sich zur optischen Darstellung der Übungsergebnisse Grafi- M. Adduktor pollicis longus nicht gehalten werden (⊡ Abb. 15.23).
ken erstellen, die auch zu Dokumentationszwecken herangezogen
werden können. Damit können Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer, Temperaturdiskriminationstest
Beschleunigung der Bewegung, Fein-/Grobmotorik und Koordina- Um sich einen Eindruck über die Perzeption und die Differenzie-
tion trainiert werden (⊡ Abb. 15.20). rung des Temperaturempfindens zu schaffen, ist der Temperatur-
diskriminationstest eine sinnvolle Unterstützung. Hierfür werden
Sollermann-Test Metallröhrchen mit unterschiedlich temperierter (kalter und hei-
Alltagshandlungen werden mit dem »Sollermann Grip Function ßer) Flüssigkeit gefüllt. Die Testperson gibt nach Umfassen der
Test« abgefragt. 20 Aufgaben, nach 7 Grund-Greiffunktionen sor- Röhrchen Rückmeldung über die jeweilige Wahrnehmung der
tiert, sind entsprechend ihrer Anwendungshäufigkeit in dem Test Temperatur.
vertreten. Alltagsrelevante Gegenstände, Werkzeuge und Griffe
! Cave
werden getestet. Vorliegende normative Werte geben Aufschluss
Der Test ergibt keine differenzierte Aussage über das
über das Testergebnis. Studien über die Häufigkeit von Alltags-
Empfinden.
handlungen gingen der Testentwicklung voraus.

Klinische Tests Purdue-Test


Zur Vervollständigung der Gesamtbeurteilung einer Beeinträchti- Der ursprünglich für Industriearbeiter im Jahre 1948 von J. Tiffin
gung können einige klinische Tests aufschlussreich sein. und E.J. Asher entwickelte Test liefert Informationen über die Be-
weglichkeit der gesamten oberen Extremität (Schulter, Ellbogen,
Hoffmann-Tinel-Zeichen Handgelenk) und die feinmotorischen Fähigkeiten der Hand, ins-
Durch ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen, das bei Druck bzw. besondere jedoch über die des Fingerspitzengefühls. Kleine Metall-
Klopfen auf die Eintrittsstelle des N. medianus am Handgelenk stifte, Hülsen und Unterlegscheiben werden von dem Probanden
einen elektrisierenden Schmerz im distal davon liegenden Versor- unter genauer Anweisung und Zeitvorgabe in dafür vorgesehene
15.1 · Allgemeines
289 15

⊡ Abb. 15.22 Phalen-Test ⊡ Abb. 15.24 Purdue-Test

⊡ Abb. 15.23 Froment-Zeichen ⊡ Abb. 15.25 Valpar Upper Range of Motion Box

Vertiefungen gesteckt. Der Test kann bei exakter Vorgehensweise Selbsteinschätzung der Testperson bezogen auf ihre Leistungsfä-
als objektiv gewertet werden. Die Reliabilität des Testes wurde higkeit in der vergangenen Woche und in den vergangenen 4 Wo-
mehrfach geprüft und bestätigt (⊡ Abb. 15.24). chen. Der Test bezieht sich dabei auf Fragen nach
▬ Arbeit und Beruf (4 Fragen),
Valpar Upper Extremity Range of Motion Box ▬ Beschwerden (6 Fragen),
Die »Valpar Upper Extremity Range of Motion Box« gibt Auf- ▬ Sportausübung (4 Fragen),
schluss über die Bewegungsfähigkeit der oberen Extremität, vor- ▬ Musizieren (4 Fragen) und
wiegend jedoch die der Feinmotorik und Sensibilität der Hand- ▬ Funktionsfähigkeit (23 Fragen).
funktion. Das An- und Abschrauben von Muttern verschiedener
Größe nach standardisierter Vorgehensweise mit und ohne Au- Der Test wurde 1997 von Germann et al. übersetzt und von der
genkontrolle liefert Informationen über die Fähigkeit, die Hand AAOS (American Academy of Orthopedic Surgeons) zertifiziert
in Pro- und Supination, in Extension und Flexion einzusetzen, und akkreditiert. In Deutschland ist der Test auch als »Quick-
dabei Kraft aufzuwenden und die Zirkumbewegung durchzufüh- DASH Fragebogen« in Kurzversion erhältlich.
ren (⊡ Abb. 15.25).
ICF-Klassifikation zur Funktionsfähigkeit, Behinderung und
DASH-Test (Disability of Arm, Shoulder and Hand) Gesundheit (WHO)
Mit dem DASH-Test werden die Globalfunktionen der oberen Die ICF (International Classification of Functioning, Disability
Extremität erfasst. Die Testperson beantwortet darin Fragen zur and Health) dient als länder- und fachübergreifende Sprache zur
Funktionsfähigkeit aus dem Lebensalltag, zu Routinetätigkeiten, Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behin-
zu Themen aus dem familiären, sozialen und beruflichen Umfeld derung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umge-
sowie zu Fragen nach dem persönlichen Befinden (z. B. Schlaf, bungsfaktoren einer Person. Die Bedeutung und Anwendung der
Schmerz). Die Erfassung beruht dabei auf der Wiedergabe einer ICF sind in den Richtlinien über Leistungen zur medizinischen Re-
290 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

habilitation des gemeinsamen Bundesausschusses geregelt. Die ICF Sensomotorisch-perzeptive Übungen finden Anwendung bei
wird seit dem 1.4.2007 angewendet. Sie klassifiziert nicht die Per- neurologischen, sensiblen und wahrnehmungsbedingten Störun-
son, sondern beschreibt die Situation einer Person im Zusammen- gen, während die psychisch-funktionelle Verordnung bei geistigen
hang mit der gesundheitsbezogenen Domäne und umwelt- und Störungen, Verhaltensauffälligkeiten und Persönlichkeitsverände-
personenbezogenen Faktoren. Ziel ist eine gemeinsame Sprache in rungen verordnet wird.
einheitlicher und standardisierter Form bei der Beschreibung von Bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) werden Hand-
Gesundheits- und mit der Gesundheit zusammenhängenden Zu- lungsabläufe aus dem normalen Lebensalltag geübt. Gegenstände
ständen. Dazu gehören Körperfunktionen, Körperstrukturen wie werden genutzt, um Aktivitäten aus dem realen Alltag zu trainie-
auch Aktivitäten und die Teilhabe am sozialen und beruflichen ren, oder es werden Werkzeuge eingesetzt, um gezielte Tätigkeiten
Leben. Diese Sprache ermöglicht eine weltweite Kommunikation wieder zu erlernen, zu erhalten oder den veränderten Bedingungen
über Gesundheit und gesundheitliche Versorgung in verschiede- anzupassen.
nen Disziplinen und Wissenschaften. Der spezielle Bereich der Schienenherstellung mittels thermo-
Hinweis: Gesundheitsprobleme werden mit der ICD-10 klas- plastischer Materialien stellt eine vorwiegend ergotherapeutische
sifiziert, Gesundheitszustände mit der ICF-10. Beide ergänzen »Disziplin« in der Nachbehandlung dar, die als »Heilmittel« zusätz-
einander und betrachten einerseits die Leistungsfähigkeit und an- lich zur üblichen Therapie verordnet werden kann. Nicht zuletzt ist
dererseits die Leistung und deren Beeinträchtigung. Die ICF ist als die Beratung zum Schutz der Gelenke, beispielsweise bei rheuma-
PDF auf den Internetseiten des Deutschen Instituts für Medizini- tischen Erkrankungen, ein wesentlicher Bestandteil der Patienten-
sche Dokumentation und Information (DIMDI) kostenfrei abruf- versorgung und rundet damit das ganzheitliche Konzept ab.
bar unter: http://www.dimdi.de. Die psychosozialen Hintergründe eines Patienten wirken sich
massiv auf jede Therapiemaßnahme aus. Insbesondere Handver-
letzungen sind vielgestaltiger Natur und können oft nur schwer
15.1.3 Therapie verborgen werden. Sie sind in aller Regel sichtbar und stellen
für manche Patienten eine Störung des körperlichen Aussehens
Der nachfolgende Abschnitt befasst sich mit der Handrehabilita- und eine erhebliche Beeinträchtigung des Selbstwertempfindens
tion als ganzheitliche Versorgung bei Verletzungen, Erkrankungen dar. Selten ist es »nur« der Funktionsverlust, der im Mittelpunkt
oder Fehlbildungen der oberen Extremität. Beginnend mit der der Besorgnis steht. Kulturelle Hintergründe und soziale Aspekte
präoperativen Versorgung bis hin zur postoperativen Behandlung spielen hier eine wichtige Rolle. Nicht immer entspricht die Verlet-
werden therapeutische Maßnahmen, die in der Handrehabilitation zung dem Ausmaß der individuellen Reaktion des Betroffenen. So
zur Anwendung kommen, aufgeführt. können insbesondere in der heutigen schnelllebigen Zeit und den
Spezialisierte Einrichtungen verfügen über ein umfassendes, immer unsicherer werdenden Arbeitsbedingungen
übergreifendes Therapieangebot, das dem Patienten dahingehend ▬ Ängste,
zu Gute kommt, dass nötige Anwendungen sofort und individuell ▬ Aggressivität,
zugeschnitten zum Einsatz kommen können und der Patient somit ▬ Furcht vor Ausgrenzung,
nicht mit zusätzlichen Wegen und aufwendigem Zeitmanagement ▬ Absonderung,
belastet wird. Außerdem wird der interdisziplinäre Kommunikati- ▬ Abhängigkeit und
onsweg erheblich verkürzt. Da diese Einrichtungen bislang nicht ▬ Depression
flächendeckend angeboten werden, wird in den nachfolgenden erschwerend auf die Behandlung einwirken.
15 Ausführungen zur besseren Therapiezuordnung verschiedentlich Es ist von großer Bedeutung, diese Aspekte in jeder Behand-
die jeweilige Therapierichtung genannt. lung zu berücksichtigen und sich ein Bild von der Motivation des
Die klassische Unterscheidung zwischen Ergotherapie und Phy- Patienten zu verschaffen.
siotherapie wird teilweise nach wie vor dahingehend vorgenom- Negativ beeinflussende Faktoren können sein:
men, dass die Ergotherapie mehr den ganzheitlichen, funktionellen ▬ mangelnder familiärer Rückhalt,
und praktischen Therapieinhalten sowie der Schienenversorgung ▬ Arbeitsplatzverlust oder die Sorge darum,
zugeordnet wird. Isometrische, passive, aktive, dehnungs- und ▬ dauerhafte Einschränkungen in der Freizeitgestaltung und
gelenkmobilisierende und kräftigende Maßnahmen der Physio- Sport,
therapie. ▬ Intelligenzgrad des Patienten,
▬ Compliance,
> Durch sich annähernde Ausbildungskonzepte und indivi-
▬ sprachliche Verständigungsschwierigkeiten.
duelle behandlungsspezifische Fortbildungen der Ergothe-
rapie und Physiotherapie wird die Differenzierung immer
Mit einem gut strukturierten Therapievorgehen besteht die Mög-
schwieriger.
lichkeit, die genannten therapeutischen Besonderheiten und Er-
Die moderne Handrehabilitation bietet neben der isolierten ma- schwernisse zumindest teilweise auffangen zu können. Durch ein
nuellen Beübung zur Strukturverbesserung (Sehnengleiten, Mus- vertrauensvolles Verhältnis zwischen Patient und Therapeut kann
kelmobilisation, Narbenbehandlung) auch praktische Maßnahmen eine Basis geschaffen werden, die es ermöglicht, die Sorgen des
(Beübung komplexer Bewegungsabläufe und deren funktioneller Patienten einerseits zu objektivieren und andererseits auch auszu-
Einsatz im Alltag) an, um eine bessere Reintegration in den Le- räumen. Erfolgserlebnisse in der Therapie, die Ergebnis einer jeden
bensalltag zu erreichen. guten Behandlung sein sollten, können eine moralische Unterstüt-
Mittels motorisch-funktioneller Übungen werden Gelenke zung darstellen und das Durchhaltevermögen steigern. Realistische
sequenziell trainiert, indem z. B. Widerstandsklammern unter- Zielsetzungen in der Behandlung und ausführliche Informationen
schiedlicher Stärke bei einem Spiel zur Kräftigung der Handmus- über den allgemeinen Krankheitszustand schaffen Klarheit und
kulatur und zur Funktionsverbesserung im Bewegungsablauf, zum ermöglichen es dem Betroffenen eigeninitiativ zu werden. Die In-
Einsatz kommen. tegration der Familienangehörigen nimmt eine zentrale Rolle ein.
15.1 · Allgemeines
291 15
Durch sie kann die Fähigkeit, mit einer veränderten Lebenssitua- Situation ist erforderlich. Ein initial erstelltes Trainingsprogramm,
tion umzugehen, unterstützt werden. welches kontinuierlich angepasst wird, lässt die besten Ergebnisse
erwarten.
Behandlungsaufbau
Während einer therapeutischen Sitzung werden nicht nur einzelne Therapiedauer. Es wird empfohlen, Kontrollen bei kongenitalen
Behandlungselemente aneinandergereiht. Die Struktur und der Fehlbildungen über einen langen Zeitraum, weit über die unmittel-
Aufbau einer Behandlungseinheit basieren einerseits auf medizi- bare Behandlung hinaus, zu erstrecken, um das Einschleichen von
nisch-physikalischen Grundlagen, andererseits berücksichtigen sie Ausweichbewegungen zu verhindern. Dies kann vonseiten eines
psychosoziale Aspekte und ermöglichen so, die Persönlichkeit des spezialisierten Arztes oder auch von entsprechend geschulten The-
Patienten ganzheitlich zu erfassen. Damit werden die besten Vor- rapeuten übernommen werden. Assessments werden jährlich emp-
aussetzungen für eine optimale Rehabilitation geschaffen. fohlen, können in besonderen Fällen jedoch auch auf 2–3 Jahre
Wesentliche Bestandteile des medizinisch-physikalischen Be- ausgedehnt werden. Diese können persönlich, ggf. aber auch fern-
handlungskonzeptes sind daher: mündlich stattfinden.
1. Vorbereitung des Gewebes mittels geeigneter Massagetechni-
ken, Therapieparameter. Unmittelbar nach der Geburt sollte sich
2. Gelenkmobilisation zur Verbesserung des Bewegungsausma- ein gesamttherapeutisches Team bilden, welches eine gemeinsame
ßes, pädiatrische Beurteilung vornimmt und nachfolgend einen Be-
3. Durchführung funktioneller oder sensomotorisch-perzeptiver handlungsplan erstellt, der sowohl kurzfristige, mittel-, aber auch
Übungen, langfristige Aspekte berücksichtigt. Sollte der kleine Patient über-
4. apparative Behandlung, um die angebahnten Bewegungsabläu- wiegend in seiner häuslichen Umgebung leben, besteht das Erfor-
fe passiv oder passiv assistiert zu unterstützen, dernis, die Familie dahingehend zu unterstützen, ein ambulantes
5. abschließende Muskelentspannung; vorzugsweise thermische Therapienetzwerk aufbauen zu können.
und physikalische Maßnahmen mit entsprechender Wärme-
oder Kälteapplikation. Therapieinhalte. Die Inhalte der Therapie berücksichtigen die
Gesamtentwicklung des Kindes. Im Detail sind dies:
▬ Auge-Hand-Koordination,
15.1.4 Therapeutische Besonderheiten ▬ Greif- und Loslassfunktion,
▬ Objekttransfer und vergleichbare Funktionen,
Besonderheiten bei der Behandlung in der Pädiatrie ▬ ADL (Aktivitäten des täglichen Lebens) wie An- und Ausklei-
Entgegen bestehender Annahme, dass Kinder die Therapie nicht den (⊡ Abb. 15.26), Nahrungsaufnahme etc.
begreifen und es deshalb unnötig ist, für diese Patientengruppe ein
strukturiertes Nachbehandlungsprogramm zu konzipieren, zeigt Das Programm kann aktiv, assistiert oder passiv aufgebaut werden.
sich, dass gerade diese Patientengruppe von einer Kind-adaptierten Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Übungen vorsichtig, langsam
Handtherapie sehr profitieren kann. und ruhig dem Kind entsprechend stattfinden, um es nicht zu
Deshalb kommt der Handrehabilitation bei der Therapie mit ängstigen oder zu beunruhigen.
Kindern eine besondere Bedeutung zu. Pädiatrische Krankheits-
bilder, wie z. B. bei kongenitale Fehlbildungen, bedürfen einer sen-
siblen Behandlung und spezifischer Kenntnisse des Therapeuten
( Kap. 20).
Zudem hat es sich als sehr sinnvoll erwiesen, das Betreu-
ungsteam durch die Hinzunahme der Angehörigen zu erweitern.
Denn neben spezialisierten Ärzten, Handchirurgen, Gefäßspezi-
alisten, Neurologen, verschiedenen Therapeuten, Betreuungsper-
sonal und dem betroffenen Kind selbst spielen hier die Eltern
und der Personenkreis des häuslichen Umfeldes (Lehrer, Trainer,
Freunde) eine wichtige Rolle.
Das gesamte Behandlungsteam wird sich daher grundsätzlich
mit folgenden Themen beschäftigen:
▬ Ist eine normale Entwicklung des Kindes mit kongenitaler
Fehlbildung möglich?
▬ Gibt es Adaptationsmöglichkeiten und/oder Modifikationen
in der Entwicklung?
▬ Inwiefern stellen Schienen- und ggf. Prothesenversorgung eine
adäquate Unterstützung dar?
▬ Welche operativen Rekonstruktionen sind möglich?

Nach Klärung dieser Fragen im Betreuungsteam kann eine struk-


turierte Behandlung erfolgen.

Therapievorgehen. Im Unterschied zur Therapie mit erwachse-


nen Menschen ist ein direktives Therapievorgehen bei Kindern we-
nig sinnvoll. Ständiges Modifizieren und adaptieren der aktuellen ⊡ Abb. 15.26 ADL-Training (Schleife binden)
292 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

Hierfür sind Spiele, spielerische Techniken und speziell modi- bei Kindern. Die angefertigten, passgerechten und faltenfrei sit-
fizierte Gebrauchsgegenstände geeignet. Um die Aufmerksamkeit, zenden Kompressionshandschuhe üben konstanten Druck, bis zu
die Freude und die Kooperation des Kindes aufrechtzuerhalten, 24 h täglich, aus. Zur Anwendung kommen sowohl Kurzzug- (z. B.
ist es erforderlich, die Übungssequenzen abwechslungsreich und Jobskin von Smith & Nephew) als auch Langzugmaterialien (z. B.
zeitlich begrenzt, nicht länger als 5–20 min, je nach Aufmerksam- Cicatrec der Fa. Thuasne). Regelmäßige Kontrollen, insbesondere
keitsdauer, zu halten. in den ersten Monaten, sind notwendig, da aufgrund von Muskel-
Weiterhin sind die medizinischen Aspekte hinsichtlich des zuwachs und Rückgang der Schwellung mit ständiger Veränderung
Wachstums bei Kindern und der verlängerten Dauer der Heilpha- der Passform zu rechnen ist. Um an Problemzonen (z. B. Handflä-
sen (Narbenbildung bis zu 18–36 Monate) zu berücksichtigen. chen, Zwischenfingerfalten) ausreichende Kompression zu erhalten,
Ein psychologisch wichtiger Aspekt ist, das Therapieziel für ist es zweckmäßig, mit individuell formbaren Einlegematerialien
das Kind dahingehend auszurichten, dass es aus seinen Erfolgen wie Elastomer oder mit Silikonfolien zu unterstützen. Silikonbe-
Nutzen für die häusliche Umgebung ziehen kann, um in Familie handlungen sind ohne geklärten Wirkungsmechanismus, jedoch
und Freundeskreis Akzeptanz zu finden, um in ein möglichst »nor- mit Wirksamkeitsnachweis durch Fulton in verschiedenen Studien
males« Umfeld integriert werden zu können. erbracht. Unverträglichkeiten werden selten beobachtet.

Besonderheiten bei Verbrennungen  Kap. 45 Bewegungsbehandlung


Der Schmerz und dessen Bekämpfung nimmt eine zentrale Rolle Therapeutische Techniken aus der manuellen Therapie (s. mo-
in der Behandlung von Patienten mit Verbrennungen ein. Patienten torisch-funktionelle Behandlung) und neurophysiologisch basie-
mit erheblichen Schmerzen (z. B. bei wieder einsprossenden Ner- rende Übungen (s. sensomotorische-perzeptive Behandlung) mit
venenden) werden von der Therapie nur bedingt profitieren kön- der Zielsetzung der Gelenkmobilisation, der Dehnung der Weich-
nen. Auf eine ausreichende Analgesierung im Vorfeld der Therapie teilstrukturen, der Triggerung propriozeptiver Afferenzen und der
ist daher zu achten, insbesondere auch, um einer Chronifizierung Anbahnung alltagsrelevanter Funktionen kommen zur Anwen-
des Schmerzes vorzubeugen. Es empfiehlt sich die Vorgehensweise dung. Die Therapieeinheiten sollten in Einzelbehandlung (täglich
gemäß dem WHO-Stufen-Schema zur Schmerzbekämpfung anzu- werktags, circa 45–60 min) stattfinden. Ergänzend werden in the-
wenden, welches die Schmerzen und deren Behandlung in 3 Katego- rapiefreien Zeiten Motorschienen (s. CPM) zur Verbesserung der
rien unterteilt. So werden Verbandswechsel, Narbenbehandlung und Gelenkbeweglichkeit eingesetzt.
Narbenmassage sowie die Bewegungstherapie sinnvollerweise erst
nach Verabreichung eines schnell wirkenden Opioids durchgeführt. Berufliche Wiedereingliederung
Die berufliche Wiedereingliederung erfolgt in enger Zusammenar-
Narbenbehandlung beit mit Rehabilitationsberatern bzw. Berufshelfern. Jedoch können
Die Maturität (Reifungsprozess) der Narbe erstreckt sich über ei- im Rahmen der ergotherapeutischen Handrehabilitation bereits
nen Zeitraum von 10–24 Monaten beim Erwachsenen und 18–36 Übungen zur Erprobung einer möglicherweise nötigen beruflichen
Monate beim Kind. Klinisch kann die »Reifung einer Narbe« durch Umorientierung stattfinden.
die Farbänderung oder das Abblassen von rot nach weiß beurteilt
> Eine »gemeinsame Sprache«, multiprofessionelles Handeln
werden. In dieser Zeit unterstützen Eincremen und Massieren
im Team und interdisziplinäre Zusammenarbeit lassen ein
in besonderem Maße die Regeneration. Besonders in den ersten
bestmögliches Ergebnis der mannigfaltigen Problematik bei
Wochen ist dies integraler Bestandteil der Narbenbehandlung und
Verbrennungen erzielen.
15 bedarf eines zeitlichen Aufwandes von etwa 1 h je geschädigtem
Körperteil. In der speziellen Narbenmassage sind Elemente aus der
Lymph- und Bindegewebsmassage enthalten. Sie wird durch die Besonderheiten bei rheumatoider Arthritis  Kap. 51
Stimulation zentraler Lymphknoten vorbereitet und lymphbahn- Die Therapie bei Patienten mit Erkrankungen aus dem rheuma-
typisch, jedoch mit relativ starker Tiefenfriktion (nicht lymphty- tischen Formenkreis setzt umfassende therapeutische Erfahrung
pisch), ausgeführt. Dabei wird mit reichlich Fettcreme gearbeitet. voraus. Zunächst wird anamnestisch die Differenzierung zwischen
Die Narbe wird hiermit von kontraktilen Elementen gelöst, was Weichteil- und Gelenkrheumatismus erfasst, um anschließend ei-
zu einer Verbesserung der Beweglichkeit der betroffenen Gelenke nen spezifischen Behandlungsplan zu erstellen.
führt und damit einen Zuwachs an Gewebeelastizität bewirkt. Der Patient wird über die Dringlichkeit der präventiven The-
rapie aufgeklärt, d. h. alle therapeutischen Maßnahmen (Funkti-
> Eine spezielle Narbensalbe gibt es nicht!
onstherapie, Schienenversorgung, ADL-Training [»activity of daily
Die Salbe fettet die Haut zurück und ermöglicht erst die
living«] und Gelenkschutzberatung) sollen zum frühest möglichen
effektive Massage. Die Massage ist der wirkliche therapeu-
Zeitpunkt begonnen werden, um Deformitäten und Einschränkun-
tische Akt bei der Narbenbehandlung, sie hat zwei Haupt-
gen in der Beweglichkeit weitestgehend zu verhindern.
aufgaben:
1. Desensibilisierung (Verminderung der Schmerzemp-
Therapeutische Maßnahmen
findlichkeit im ehemaligen Wundgebiet),
▬ Beratung hinsichtlich des möglichen Krankheitsverlaufes,
2. Lösung der Narbe und Erhöhung der Gewebever-
▬ Versorgung mit präventiven Lagerungsschienen zur Verhin-
schieblichkeit im ehemaligen Wundbereich.
derung der Deviationen (nach ulnar oder radial),
▬ funktionelle Therapie zum Erhalt der Handfunktion,
Kompressionsbehandlung ▬ Versorgung mit Hilfsmitteln zur Vermeidung von Unabhän-
In Ergänzung zur standardisierten Narbenbehandlung ( Ab- gigkeitsverlust.
schn. 15.2.9) erstreckt sich die Kompressionsbehandlung bei Verbren-
nungen ebenso wie die Narbenbehandlung über einen verlängerten Therapievorgehen. Der Patient ist dahin gehend aufzuklären,
Zeitraum von bis zu 24 Monaten bei Erwachsenen und 36 Monaten dass Destruktionen nicht reversibel sind.
15.1 · Allgemeines
293 15
Therapiedauer. Chronisch erkrankte Patienten benötigen zum
Erhalt ihrer Teilhabe am Leben (ICF-Score) einer dauerhaften z Behandlung 2. bis 3. Woche postoperativ
therapeutischen Unterstützung. Sie können zeitweise intensive Be- ▬ Wenn Narbe ausreichend verschlossen, leichte Friktions-
handlung benötigen und in Zeiten blanden Erkrankungsverlau- massage
fes nur sporadischer Kontrollen (Überprüfung der Beweglichkeit, ▬ Retrograde Massage
Kraft und Handfunktion, der Passform der Schienen) bedürfen. ▬ Patient wird angewiesen, Narbenmassage zu Hause fortzu-
führen
Therapieparameter. Der Patient sollte sich nach Möglichkeit be-
reits zu Beginn der Erkrankung (nach Feststellung der Diagnose) ein z Behandlung 4. bis 5. Woche postoperativ
medizinisch-therapeutisches Versorgungsnetz aufbauen, um in Zei- ▬ Schiene wird zur Vergrößerung der Sehnenexkursion bis zu
ten akuter Schübe kurzfristig adäquat versorgt werden zu können. den MCP gekürzt und im Bereich HGL in die 0°-Stellung auf-
gerichtet
Besonderheiten bei Sehnenverletzungen  Kap. 5,  Kap. 6 ▬ Fortsetzung Übungsprogramm
Sehnenverletzungen bedürfen einer spezifischen Nachbehandlung, ▬ Ggf. Einsatz von Coban (Adhäsivbandage)
um einerseits Adhäsionen mit dem Umgebungsgewebe und an- ▬ Neben der aktiven isolierten PIP-Flexion in Entlastungsstel-
dererseits Distraktionen und/oder Kontraktionen zu verhindern. lung kann die »Place-hold«-Übung durchgeführt werden
Diesbezüglich kann auf verschiedene Nachbehandlungsprogramme
zurückgegriffen werden, welche abhängig von der Höhe der Verlet- z Behandlung 6. bis 7. Woche postoperativ
zung (Zone), von zusätzlichen Begleitverletzungen und von der ▬ Leichte aktive Flexion/Extension des HGL (bis 7. Woche
Compliance des Patienten sind. Extension nur mit leicht gebeugten, entspannten Fingern;
Drei postoperative Behandlungsprogramme kommen häufig ab 7. Woche auch allmählich bei leichter Fingerstreckung)
zur Anwendung: ▬ Isolierte Flexionsübungen
1. Postoperatives Behandlungsprogramm nach Kleinert (Cont- ▬ Isoliertes FDS-Training (Flexor-digitorum-superficialis-Trai-
rolled Active Motion) ning)
– Kleinert verwendet den dynamischen Zug, um die Exten- ▬ Passive Mobilisation der Finger
sion gegen Widerstand ausführen zu lassen, da es dadurch ▬ Differenziertes Sehnengleiten
zu einer Entspannung in den Flexoren kommt. ▬ Leichte funktionelle Aktivitäten
2. Postoperatives Behandlungsprogramm nach Duran und Hou-
ser (Controlled Passive Motion) z Behandlung 8. bis 10. Woche postoperativ
– Duran und Houser verwenden den dynamischen Zug, um ▬ Ist die Sehne adhärent, fördern Flexionsübungen gegen
den Finger in Flexion (Entlastungsstellung) zu halten. den Widerstand, der kontinuierlich gesteigert wird, das
3. Postoperatives Behandlungsprogramm nach dem Washington- Sehnengleiten
Regime ▬ Ggf. thermische Anwendung (warm)
– Es stellt eine Kombination der Komponenten des Kleinert- ▬ Patient soll Hand bei ADL (»activity of daily living«) einsetzen
Verfahrens und der kontrollierten passiven Bewegung nach ▬ Sind Fingergelenke in Extension oder Flexion eingeschränkt,
Duran und Houser dar. ggf. Schienen einsetzen

Im Kasten ist beispielhaft das  Kleinert-Konzept (Controlled Active z Behandlung 11. bis 12. Woche postoperativ
Motion) zur Veranschaulichung dargestellt: ▬ Übungen gegen Widerstand zur Verbesserung des Seh-
nengleitens und der Kraft bilden den Schwerpunkt der
Behandlung
Kleinert-Konzept (Controlled Active Motion) ▬ Nach ca. 12 Wochen können i. Allg. sämtliche Restriktionen
z Schiene aufgehoben werden, da die Reißfestigkeit der Sehne ver-
▬ Unmittelbar postoperativ wird eine dorsale thermoplastische mehrter Belastung standhält
Schiene vom proximalen Unterarm bis distal zu den Finger-
spitzen angefertigt. Ein 4/0-Nylonfaden wird am Fingernagel
des betroffenen Fingers befestigt. Die Fixierung kann auch Besonderheiten bei Nervenverletzungen  Kap. 8
mittels Öse auf den Nagel geklebt werden Abhängig von der Dauer der erforderlichen Ruhigstellung der betrof-
▬ Handgelenk 20–30° flektiert fenen Extremität, welche durch die Art der Verletzung, der Begleit-
▬ MCP-Gelenke in 50–70° Flexion immobilisiert verletzungen und der Operation der Nervennaht (Spannung der Ner-
▬ IP-Gelenke müssen vollständig streckbar sein vennaht) bedingt ist, sind folgende therapeutische Ziele anzustreben:
1. Schmerzreduktion und -vermeidung,
z Behandlung 1. bis 7. Tag postoperativ 2. Ödemresorption und -verhinderung,
▬ Behandlungbeginn 1. Tag postoperativ 3. Fehlstellungen vermeiden,
▬ Ödembehandlung 4. Überdehnung der Weichteilstrukturen und der Muskulatur
▬ Schienenbehandlung verhindern,
▬ Übungsprogramm mit Schiene: aktive Extension des Fingers 5. Bewegungsausmaß der Gelenke erhalten,
innerhalb der Begrenzung der Schiene, Flexion passiv mittels 6. Sensibilität verbessern,
Gummiband; stündlich 10 Repetitionen
▬ Hausprogramm, s. Übungsprogramm Maßnahmen hierfür können sein:
▼ ▬ Schmerzbehandlung und -management,
▬ Ödembehandlung und -prophylaxe,
294 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

▬ aktive und passive Mobilisationsübungen, Psychotherapie


▬ Kräftigungsübungen auch mittels Elektrotherapie, Sie stellt zudem einen wichtigen Pfeiler im Schmerzmanagement
▬ Fazilitationsübungen, dar und wird von eigens dafür geschulten Therapeuten durchge-
▬ Sensibilitätstraining, führt. Schmerzen gehen mit Ängsten, oft auch mit Aggressionen
▬ Schienenversorgung, einher und führen zu verstärkter muskulärer Anspannung und/
▬ Taping. oder zu dysfunktionaler Muskelschwäche aufgrund inadäquater
Ruhigstellung. Depressionen können Schmerzen verstärken oder
unterhalten und damit einen Circulus vitiosus auslösen.
15.2 Spezielle Techniken

15.2.1 Schmerzbehandlung und 15.2.2 Motorisch-funktionelle Behandlung


Schmerzmanagement  Kap. 18
Die motorisch-funktionelle Therapie hat zum Ziel, Funktionsstö-
> Eine unzureichende Schmerztherapie kann für Patienten eine rungen bei Gelenk- und Weichteilerkrankungen sowie Einschrän-
psychische und physische Beeinträchtigung darstellen, den kungen bei Fehlbildungen und systemischen Erkrankungen zu
Genesungsverlauf verzögern und/oder eine Chronifizierung verbessern.
der Schmerzen hervorrufen. Eine frühzeitig einsetzende sys- Dabei sind folgende Bewegungsstörungen der Gelenke typisch:
tematische Schmerzbehandlung trägt deshalb dazu bei, die ▬ Bewegungseinschränkungen,
Schmerzen zu kontrollieren bzw. zu verhindern. Damit wer- ▬ Instabilitäten,
den die Voraussetzungen für die Rehabilitationsmaßnahmen ▬ Deviationen, Subluxationen,
deutlich verbessert. ▬ Muskeldysbalancen, -insuffizienzen, -verkürzungen,
▬ Schmerzen,
Die Führung eines Schmerztagebuchs, welches anhand einer Skala ▬ Sensibilitätsstörungen,
von 1 bis 10 das subjektive Schmerzempfinden des Patienten wider- ▬ Durchblutungsstörungen,
spiegelt, kann zu einer besseren Einschätzung herangezogen werden. ▬ Störungen der Kraft und Grob- und Feinmotorik,
Ein umfassendes Schmerzmanagement, das durch ein Team ▬ Störungen der Körperwahrnehmung.
von Spezialisten (Anästhesist, Arzt, Handtherapeut, Psychothera-
peut) erfolgt, kommt hier zum Einsatz. Vier wesentliche Bereiche Therapieziele sind dabei unter anderem:
werden vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der ▬ Förderung der Selbstständigkeit in der Selbstversorgung,
Pflege (DNQP) aufgeführt: ▬ Verbesserung und Erhalt der körperlichen Beweglichkeit,
▬ Verbesserung der manuellen Geschicklichkeit,
Pharmakologische Unterstützung ▬ Wiederherstellung oder Besserung der Belastungsfähigkeit
Schmerzen besitzen als »Warner« eine wichtige biologische Schutz- und Ausdauer,
funktion und dienen als Hinweis zur Diagnostik einer Erkrankung. ▬ Erlernen von Kompensationsmechanismen.
Chronische Schmerzen (ab 6 Monate) überdauern diesen Zeitraum.
Sie sind von kausalen und anhaltenden Faktoren geprägt, welche so- Dabei stellt die Leitsymptomatik eine Fähigkeitsstörung dar. Diese
matischen, psychischen und sozialen Ursprungs sein können. Eine geht mit Einschränkungen der Selbstversorgung und Alltagsbewäl-
15 rein analgetische Schmerzbehandlung reicht hier nicht aus. tigung, der Beweglichkeit und Geschicklichkeit einher.
Folgende Diagnosen sind möglich:
Lokale Anästhesie ▬ rheumatoide Arthritis, Arthrosen, Lupus erythematodes,
Hier werden zunächst die vegetativen, danach die sensiblen und ▬ Frakturen,
schließlich die motorischen Nerven blockiert. ▬ Implantationen (Endoprothetik),
▬ Arthrodesen,
Handtherapeutische und physikalische Maßnahmen ▬ Narben und Kontrakturen,
Von den sensiblen Nerven der Haut zu den vegetativen Nerven der ▬ Dysmelien,
inneren Organe laufen kutiviszerale Reflexe (z. B. äußere Wärme- ▬ CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom),
applikation führt zu Entspannung innerer Organe). Head-Zonen ▬ Myotonie,
(Hautgebiete mit nervaler Beziehung zu bestimmten inneren Orga- ▬ Muskeldystrophie,
nen) können Hypersensibilitäten bzw. Schmerzen in dem zugeord- ▬ Sklerodermie,
neten Hautareal auftreten lassen. ▬ Polymyositis.
Sensible Reize der Haut ziehen sensible Reize von Bindege-
webe (BGW), Periost (Knochenhaut) und Skelettmuskulatur über Inhalte der motorisch-funktionellen Behandlung können manuelle
Reflexbögen sowohl zu inneren Organen, als auch zur Skelettmus- Therapien, funktionelle und handwerkliche Tätigkeiten sein, wel-
kulatur von einem zum anderen Organ. Entsprechend unterschei- che ergänzend zu weiteren Mobilisationstechniken eingesetzt wer-
det man Head-Zonen (Haut) und BGW-Zonen (Bindegewebe der den, insbesondere dann, wenn der Patient dem Therapiegeschehen
Subkutis), Knochenhautzonen und Muskelzonen. ängstlich gegenüber steht. Die Konzentration auf eine gezielte Tätig-
Auf dieser Wissensgrundlage basiert die gezielte physikali- keit, die dem Patienten zudem Freude bereitet, hilft die Scheu vor
sche Schmerzbehandlung  Abschn. 15.2.5. Hier seien besonders der Bewegung des erkrankten Körperteiles abzubauen. Bei Patien-
erwähnt: ten mit stark schmerzhaften Erkrankungen hat diese therapeutische
▬ Massagetherapie, Maßnahme auch eine gewisse Ablenkungsfunktion (⊡ Abb. 15.27).
▬ Thermotherapie, Die Tätigkeiten werden so ausgewählt, dass eine möglichst gro-
▬ Elektrotherapie. ße therapeutische Effizienz aus der Übung gezogen werden kann.
15.2 · Spezielle Techniken
295 15

⊡ Abb. 15.28 Manuelle Fingergelenkmobilisation

⊡ Abb. 15.27 Mobilisation der oberen Extremität mit »Loopliner«

Die Wahl der Übung kann dabei durchaus den Charakter einer be-
ruflichen Arbeitsförderung haben oder auch die einer klassischen,
funktionellen Alltagsaufgabe darstellen.

Manuelle Therapie
⊡ Abb. 15.29 Handgelenkkräftigung gegen Widerstand
Manualtherapeutische Mobilisationen und die Triggerpunktbe-
handlung stellen einen Teil der Mobilisationsbandlungen in der
Handrehabilitation dar und finden bei reversiblen Funktions-
störungen Anwendung. Unterschiedliche Konzepte von Cyriax,
Maitland und Kaltenborn/Evjenth werden unter diesem Begriff
zusammengefasst. Zielsetzung der Behandlung ist die Schmerzlin-
derung und die Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit. Aktive und
passive Mobilisationstechniken, translatorisches Gleiten und die
tiefe Querfriktion sind hier die bekanntesten Techniken. Bei den
der Therapie vorangegangenen Untersuchungstechniken werden
zunächst die angulären Bewegungsausmaße erfasst. Die passiven
Bewegungsgrenzen werden als hartes, festelastisches oder weiche-
lastisches Endgefühl definiert und geben dem Therapeuten Aus-
kunft über die Art der Bewegungseinschränkung.
Durch Traktion und Kompression werden artikuläre Gelenk-
bewegungen untersucht und geben Aufschluss über die Qualität
der Spannung des Gelenks und des Schmerzes. Das translatorische
Gleiten erfolgt nach der Konkav-konvex-Regel und ist abhängig ⊡ Abb. 15.30 Nervenmobilisation obere Extremität
von der Form der zu bewegenden Gelenkpartner. Die Gleitbewe-
gungen können bei Störungen vermindert oder vergrößert sein
(⊡ Abb. 15.28, ⊡ Abb. 15.29, ⊡ Abb. 15.30). Die Triggerpunkttherapie, von Travell und Simon (1983) er-
Indiziert ist diese Behandlungsform bei Bewegungseinschrän- weitert, ist eine systematische, manualtherapeutische Methode um
kungen aufgrund von Traumata verschiedener Genese (z. B. Distor- myofasziale Triggerpunkte, begleitet von Bindegewebsveränderun-
sionen, Frakturen) sowie bei arthrotischen Gelenkveränderungen. gen (intra- und intermuskuläre Adhäsionen aufgrund ödematöser
Kontraindiziert ist die Anwendung bei entzündlichen Erkran- Veränderungen), zu lösen. Diese sind in der oberflächlichen quer-
kungen (z. B. rheumatoider Arthtitis). gestreiften Muskulatur zu finden und werden als »Hartspannstrang«
296 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.31 Triggerpunktbehandlung ⊡ Abb. 15.32 Funktionelles Spiel mit »Hauptspange«

bezeichnet (⊡ Abb. 15.31). Sie werden in aktive und latente Trigger-


punkte unterteilt, wobei die aktiven Triggerpunkte hypersensibel und
stark schmerzhaft sein können, die latenten jedoch oft über lange
Zeit, unbemerkt bleiben. Die Behandlung kann bis zur Auflösung
der Triggerpunkte in mehreren Sitzungen erfolgen. Vorzugsweise
wird die Behandlung mit aktiven und/oder passiven Mobilisationen
und elektrotherapeutischen Maßnahmen ergänzt. Die Maßnahme
sollte nur von speziell geschulten Therapeuten angewendet werden.

Funktionelle Übungen

Auswahl geeigneter Übungen


▬ Maschinenschreiben (mechanisch, elektrisch)
▬ PC-Arbeiten (Mouse scrollen)
▬ Zeichnen (grafisch mit Lineal, Filz- und Bleistiften, Tintenfül-
⊡ Abb. 15.33 Fingerniere, »Bunell«-Brettchen, Hauptspange
lern, Kohlestiften)
▬ Malen (Pinsel, Kreide)
▬ Kartenspiele
▬ Klemmspiele (Klammern aufsetzen)
15 ▬ Wurfspiele
▬ Steckspiele
▬ Schlag- und Ballspiele (z. B. Federball, Beachball, Tischtennis,
Ball prellen, Softball, Kricket)
▬ Kreiseln

Bei all diesen Tätigkeiten werden differenzierte Anforderungen an


den Probanden gestellt. Je nach Auswahl des Spieles werden dabei
ein oder mehrere Funktionen gefördert:
▬ Grob- und Feinmotorik,
▬ Kraft (dosiert und absolut),
▬ Koordination,
▬ Schnelligkeit,
▬ Mobilität,
▬ Sensibilität,
▬ Ausdauer. ⊡ Abb. 15.34 Daumenabduktionsschiene

Die oben genannten funktionellen Spiele werden ggf. mit speziel-


len Griffadaptationen versehen um eine exakte Übungsbewegung Für die Fingerkräftigung werden sog. »Widerstandsklammern«
zu erfordern. (⊡ Abb. 15.35) eingesetzt.
Besondere Greifhilfen – z. B. Hauptspange (⊡ Abb. 15.32), Fin- Alle angewendeten Maßnahmen werden neben den Über-
gerniere, Bunell-Fingerbrettchen (⊡ Abb. 15.33), oder Abduktions- legungen im Hinblick auf ihren therapeutischen Effekt auch auf
schiene (⊡ Abb. 15.34) – finden Einsatz, wenn bestimmte Gelenk- eventuelle Kontraindikationen hin geprüft, da komplexere Bewe-
positionierungen erreicht werden sollen. gungsabläufe ggf. neben der gewünschten Kräftigung, z. B. der
15.2 · Spezielle Techniken
297 15

⊡ Abb. 15.36 Knetmassen in verschiedene Stärken

⊡ Abb. 15.35 Widerstandsklammer

Fingerflexoren, auch eine Überbelastung des angrenzenden Hand-


gelenks bewirken könnten.

Handwerkliche Tätigkeiten

Auswahl geeigneter Übungen ⊡ Abb. 15.37 Knetübung in Pro- und Supination


▬ Schneiden, Reißen, Kleben, Falten von Papier
▬ Flechten mit Peddigrohr
▬ Knüpfen mit Makramee
▬ Sägen von Holz oder Metall
▬ Weben am Tischwebstuhl, Hochwebstuhl, Kufenwebstuhl
▬ Modellieren mit Ton oder verschiedenen Teigen (z. B. Salz-
teig)
▬ Verschiedene Arbeiten im Haushalt (z. B. backen, kochen, spü-
len, Fenster putzen, wischen, schrauben, hämmern, heben)
▬ Gartentätigkeiten (z. B. jäten, mähen, pflanzen, binden)

Hinweis: Angemerkt sei hierbei, dass handwerkliche Tätigkeiten


in der Physiotherapie meist nicht angeboten werden und auch
in der Ergotherapie stark rückläufig sind. Grund dafür sind zu-
nehmender Zeitmangel und Kostendruck im Behandlungsverlauf
( Abschn. 15.3).

Therapeutische Knetübungen ⊡ Abb. 15.38 Knetübung in Fingerextension und -abduktion


Eine sinnvolle Ergänzung des Übungsangebotes stellt die therapeu-
tische Übungsknetmasse dar. Sie ist in verschiedenen Stärken und
Größen erhältlich, kostengünstig und sehr individuell einsetzbar. Menge der Masse je nach Bedarf vermehrt bzw. verringert werden
Damit können Patienten nach vorheriger, eingehender Instruk- (⊡ Abb. 15.36, ⊡ Abb. 15.37, ⊡ Abb. 15.38, ⊡ Abb. 15.39).
tion die Übungen therapieunterstützend zu Hause durchführen. Mit einem speziellen Übungsprogramm kann die gesamte
Vorteil der elastischen Masse ist die individuelle Adaptationsfä- Handfunktion trainiert und gekräftigt werden. Faustschlussübun-
higkeit der Übungen an den aktuellen Behandlungsstatus. Die gen trainieren vermehrt die Flexoren, Streck- und Spreizübungen
Materialstärke kann bei verbesserter Kraft härter gewählt und die die Extensoren, weitere Übungen übernehmen das Kräftigen der
298 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.39 Knetübung Spitzgriff ⊡ Abb. 15.40 Biometrics Pro- und Supinationsübung

Ab- und Adduktoren der intrinsischen und extrinsischen Musku- ▬ der kognitionsstützenden und höheren kognitiven Funktionen
latur. Spezifische Fingergelenkmobilisationen und diadochokineti- (Aufmerksamkeit, Konzentration, Ausdauer, psychomotori-
sche Übungen können damit ebenso ausgeführt werden. sches Tempo etc.),
▬ der geistigen und psychischen Funktionen,
! Cave
▬ des Gesichtsfeldes,
Patienten mit einer eher geringeren Compliance (ältere
▬ der Sensibilität und Körperwahrnehmung,
Menschen, kleinere Kinder) sollten die Übungen nicht ohne
▬ der Koordination und aktiven Körperbewegung.
Aufsicht durchführen, insbesondere dann, wenn durch
Übungsfehler die Gefahr von beispielsweise Sehnenrupturen
Angestrebte Therapieziele sind dabei:
oder Gelenkdeformitäten zu befürchten ist.
▬ Wiederherstellung/ Verbesserung der Belastbarkeit und Aus-
dauer,
Computergestützte Therapie ▬ Verbesserung der körperlichen Beweglichkeit,
Bereits bei den Messinstrumenten vorgestellt, kann das Biometrics ▬ Erlernen von Kompensationsmechanismen,
E-Link als modernes PC-Gerät Anwendung als Handübungstrai- ▬ Selbstständigkeit in der Selbstversorgung (Hygiene, Ankleiden),
ner finden. ▬ Verbesserung im Verhalten zwischenmenschlicher Beziehungen,
Bei einem Korbballspiel kann beispielsweise die Geschwindig-
keit, mit der die Bälle gefangen werden müssen, deren Anzahl und Diagnosen sind dabei u. a.:
der Widerstand des zu betätigenden Handgriffes sowie die Länge ▬ Schädelhirntraumen,
15 der Spielzeit eingestellt werden. Kräftigung und Mobilisation von ▬ Zerebralparesen,
Ellbogen und Handgelenk in Extension und Flexion, in Pro- und ▬ Genetisch bedingte peri- und postnatale Schädigungen,
Supination, differenzierte Fingergriffe (2-Punkt-, 3-Punkt-, La- ▬ zerebrale Tumoren, zerebrale Blutungen, Hypoxien,
teralgriff), Krafttraining in Kombination mit Schnelligkeit und ▬ multiple Sklerose, Morbus Parkinson,
Konzentration durch Anpassung der Spiele in der Geschwindigkeit ▬ Apoplex,
sind weitere Variationsmöglichkeiten. Die Übungsergebnisse kön- ▬ Querschnittsyndrome,
nen bei Bedarf als Grafik und zur Auswertung für Dokumentatio- ▬ Plexusparesen,
nen herangezogen werden (⊡ Abb. 15.40). ▬ Polyneuropathien.
> Aufgrund des relativ hohen Anschaffungspreises ist dieses
Die vorwiegend ganzheitlichen Maßnahmen basieren u. a. auf
Gerät meist nur in Kliniken, größeren Einrichtungen oder spe-
neurophysiologischen Grundlagen. Einige werden nachfolgend er-
zialisierten Praxen zu finden.
wähnt.

Spiegeltherapie  Kap. 64
15.2.3 Sensomotorisch-perzeptive Behandlung Die Spiegeltherapie ist ein ergotherapeutisches Verfahren, das 1996
von Vilayanur S. Ramachandran als »Imaginationstherapie« er-
Die sensomotorisch-perzeptive, therapeutische Behandlung wird funden wurde. Sie wird bei Nervenschmerzen, die mit fehlendem
verordnet bei: oder gestörtem afferentem, sensorischem Input einhergehen, ein-
▬ Schädigungen des zentralen Nervensystems, gesetzt. Dies betrifft u. a. Phantomschmerzen, z. B. nach Amputa-
▬ Entwicklungsstörungen, tionen, aber auch Schmerzen wie z. B. beim komplexen regionalen
▬ Erkrankungen der peripheren Nerven und Nervenläsionen. Schmerzsyndrom (Typ I und II). Die Methode wird außerdem
erfolgreich bei Patienten mit Lähmungen, Allodynien und Wahr-
Diese Funktionsstörungen gehen einher mit Beeinträchtigungen nehmungsstörungen eingesetzt. Die beeinträchtigte Gliedmaße
▬ der Grob- und Feinmotorik, Koordination, wird mithilfe von Spiegeln imaginativ dargestellt. Über die gesunde
▬ der Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung, Seite kann sie nun positioniert, bewegt und dadurch trainiert
15.2 · Spezielle Techniken
299 15

▬ Machen Sie ein Spiel beim Betrachten Ihrer Hand:


– Bilden Sie ein Quadrat aus Streichhölzern
– Legen Sie die Streichhölzer in die Schachtel zurück
– Bilden Sie einen kleinen Stapel mit Mühlesteinen
– Bewegen Sie die Steine auf dem Mühlebrett
– Legen Sie Karten in der richtigen Reihenfolge
– Malen Sie einen Kreis mit den Fingern

z Spezielle Übungen bei Verletzungen des N. ulnaris


▬ Finger spreizen
▬ Finger schließen
▬ Alle Finger strecken, dann nur die Grundgelenke beugen
▬ Schlüsselgriff
▬ Legen Sie die Hand flach auf den Tisch und beugen Sie dann
die Grundgelenke
▬ Aus der Faustposition nur die Fingergelenke strecken (Dach),
nicht die Grundgelenke
⊡ Abb. 15.41 Spiegeltherapie
▬ Formen Sie Ihre Hand zu einer Schale
▬ Strecken Sie die Finger ohne die Grundgelenke zu über-
strecken
werden. Die Therapie wird ausgehend von einer visuellen Illusion ▬ Bewegen Sie Ihre Finger, als würden Sie Klavier spielen
in verschiedenen Behandlungsphasen mit motorischen, sensori-
schen und imaginativen Trainingselementen durchgeführt. Dabei z Spezielle Übungen bei Verletzungen des N. medianus
sitzt der Patient so vor dem Spiegel, dass die erkrankte Extremität ▬ Bewegen Sie den Daumen von der Handfläche weg
verdeckt hinter dem Spiegel liegt, während die gesunde Seite im ▬ Beschreiben Sie mit dem Daumen einen Kreis
Spiegel sichtbar ist. Der gesunde Körperteil wird nun Berüh- ▬ Bewegen Sie den Daumen in Richtung Zeigefingerkuppe
rungsreizen (z. B. leichtes Streichen oder Bürsten) ausgesetzt oder ▬ Das Gleiche zur Kuppe des kleinen Fingers
der Patient führt selbst aktiv Bewegungen aus ( Spiegeltherapie: ▬ Bewegen Sie den Daumen am Zeigefinger entlang bis zur
Übungen). Ziel sind eine Verringerung der Medikation und der Kuppe
Schmerzen einerseits und eine verbesserte motorische und sensible ▬ Bewegen Sie den Daumen, als würden Sie die Leertaste der
Leistung andererseits (⊡ Abb. 15.41). Computertastatur drücken
Im Rahmen einer Studie, die in Bonn zwischen 2004 und 2006 ▬ Bewegen Sie eine Murmel zwischen der Kuppe des Zeigefin-
im Neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe durchge- gers und des Daumens
führt wurde, konnte anhand standardisierter Testverfahren eine
statistisch valide Verbesserung der Motorik, Oberflächensensibi-
lität und der Symptome einer Halbseitenvernachlässigung festge- Recognise Flash Cards
stellt werden. Das australische Neuro Orthopaedic Institute (http://www.noi-
group.com) hat mit den »Recognise Flash Cards« 84 farbige Foto-
grafien zur Imagination der linken und rechten Hand herausgege-
Siegeltherapie: Übungen ben, mit denen Nachahmungsübungen bei schmerzhaften Extre-
z Bei allgemeinen Nervenverletzungen (nach mitäten durchgeführt werden können. Mittels dieser Karten kann
Schreuders) sowohl die Testung als auch das Training durchgeführt werden.
▬ Finden Sie einen ruhigen Raum, in dem Sie sich konzentrie- Schmerzhafte Extremitäten können zu Störungen bzw. Verlust
ren können und nicht gestört werden. in der Wahrnehmung der Seitenbeteiligung führen (z. B. CRPS).
▬ Stellen Sie sicher, dass Sie bequem sitzen. Um schmerzfreie Bewegung ausführen zu können, muss Seitener-
▬ Positionieren Sie den Spiegel so, dass die reflektierende Spie- kennung im Gehirn vorhanden sein. Sogar einfache Bewegungen
geloberfläche zu Ihrer gesunden Hand zeigt und die betrof- können schmerzvoll sein, wenn das Gehirn nicht in der Lage ist zu
fene Hand hinter dem Spiegel liegt und durch die gesunde erkennen, mit welcher Seite die Bewegung ausgeführt wird. Dafür
Hand repräsentiert wird. ist es z. B. erforderlich, kleine einfache Nachahmungen in häufiger
▬ Schauen Sie die gesunde Hand im Spiegel an, ohne die eine Wiederholung auszuführen (⊡ Abb. 15.42).
oder andere Hand zu bewegen. Konzentrieren Sie sich für Trotz diesbezüglich vielversprechender Forschung über die
ca. 1 Minute auf das Spiegelbild. Sie können die Finger und kortikale Repräsentation und den Schmerz und über Seitenerken-
Teile der Hand benennen, während Sie das Spiegelbild be- nung eines Körpergliedes (»limb laterality recognition«) gibt es eine
trachten. so große Anzahl unterschiedlicher Extremitätenprobleme, dass die
▬ Sobald Sie damit gut zu Recht kommen, beginnen Sie lang- Therapieansätze jeweils individuell angesetzt werden müssen.
sam die nicht betroffene Hand zu bewegen, während Sie
das Spiegelbild betrachten. Dies sollten Sie einige Minuten Stress Loading Program (SLP)
fortsetzen. Eine weitere Methode zur Behandlung des CRPS (komplexes
▬ Bewegen Sie beide Hände auf die gleiche Art und Weise, regionales Schmerzsyndrom) Stadium I stellt das von Watson
▼ während Sie weiterhin das Spiegelbild betrachten. und Carlson 1988 entwickelte Stress Loading Program (SLP) dar.
Das Druck- und Zugbelastungsprogramm kann bei diagnosti-
300 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.43 Stereognosie-Memory

⊡ Abb. 15.42 Recognise Flash Cards

Stereognostische Übungen
Der Patient erhält Materialien mit unterschiedlichen Oberflächen-
ziertem CRPS frühzeitig eingesetzt werden. Zielsetzung ist eine strukturen, die er einerseits ohne Augenkontrolle identifizieren
Muskelaktivierung aufgrund metabolischer und mechanischer und andererseits im Seitenvergleich (geschädigte, nicht geschädigte
Reizung der afferenten Nervenfasern. Durch Druckbelastung Seite) differenzieren soll (⊡ Abb. 15.43).
(z. B. Schrubben, vorzugsweise im 4-Füßler-Stand), im Wechsel
mit der Zugbelastung (z. B. schwere Tasche tragen) soll unter Fazilitation
minimaler Bewegung die bei der CRPS vermutete Dysregulation Fazilitation beschreibt die Leistungsförderung des neuromuskulä-
beeinflusst werden. Es bedarf einer größeren Intensität, Dauer ren Systems (Nerven und Muskeln) über die Reizung der Rezepto-
und Häufigkeit um einen ausreichenden »afferenten« Input zu ren in den Körpergeweben.
erreichen, der eine Veränderung der abnormen Aktivität im ZNS Dabei wirkt
bewirken soll. ▬ die exterozeptive Stimulation auf die Haut und kann durch
Streichen und Pinseln stimuliert werden,
Kognitiv-therapeutische Übungen nach Perfetti ▬ die propriozeptive Stimulation auf die Propriozeptoren der
Das Konzept wurde von dem italienischen Neurologen Carlo Per- Muskeln (Muskelspindeln), der Sehnen (Golgi-Apparat) und
fetti ursprünglich speziell für Schlaganfallpatienten entwickelt. Es der Gelenke (Pacini-Lamellenkörperchen) und ist durch Kom-
handelt sich dabei nicht um mechanische Übungsabläufe, sondern pression oder Traktion der Gelenke, durch Bewegung gegen
15 um kognitive Lösungen bestimmter Aufgaben unter Nutzung affe- Widerstand oder Taping, zu erreichen,
renter Informationen aus der Außenwelt. Der Patient trainiert das ▬ die akustische Stimulation über die Stimme, welche zielgerich-
»Spüren« der Bewegung. Pathologische Bewegungsmuster sollen tet (laut und deutlich) zur Unterstützung bei der Bewegungs-
erkannt und kontrolliert werden. Ziel ist die Organisation und/ ausführung eingesetzt wird.
oder die Reorganisation des Nervensystems, das die Sensibilität
zur Grundlage der Therapie macht. Das ZNS braucht Informati- Durchgeführt wird die Dehnung des Muskelbauches mit Druck als
onen von Körper und Umwelt, um Bewegungen planen und aus- schnelle oder mäßige Dehnung auf den Muskel. Die Widerstands-
führen zu können. Dafür ist die Förderung des Bewusstseins, also übung zur Kräftigung des Muskels erfolgt, indem im Anschluss
der Aufmerksamkeit für die Reizverarbeitung (Wahrnehmung), an die vorausgegangene Dehnung ein Widerstand gegeben wird.
wichtig. Zur Stabilisation des Gelenks werden wechselnde Widerstände in
Durch das intensive Training des sensomotorischen Nerven- verschiedenen Gelenkebenen (z. B. Extension – Flexion, Pro- und
systems kann es zu einer Senkung des Muskeltonus (Spastik) kom- Supination) verwendet. Zur Traktion des Gelenks distrahiert man
men. Der Patient lernt Aufgaben zu lösen: die Gelenkflächen manualtherapeutisch. Die Kompression des Ge-
▬ Übung 1. Grades: Ziel ist es, wieder eine Vorstellung der Be- lenks kann mittels Abstützübungen, Druckbelastungen auf das Ge-
wegung zu bekommen. Der Patient hat die Augen geschlossen, lenk oder die gesamte Extremität ausgeführt werden. Die Übungen
der Therapeut führt die Bewegung. sollen mehrmals wiederholt und in verschiedenen Ebenen, vor-,
▬ Übung 2. Grades: Ziel ist es, wieder einen Teil der Bewegung rück- und seitwärts, durchgeführt werden.
selbst zu übernehmen. Der Therapeut unterstützt die Bewe-
gung nur noch.
▬ Übung 3. Grades: Der Patient lernt, die elementaren Schemata 15.2.4 Psychisch-funktionelle Behandlung
der Bewegung selbst zu kontrollieren.
Für die Behandlung von Fähigkeitsstörungen, die aus Verände-
Die Übungen nach Perfetti sind in Teilaspekten auf Ergebnissen rungen des psychisch-sozialen Verhaltens resultieren, kann die
wissenschaftlicher Studien konstruiert und entwickeln sich analog psychisch-funktionelle Therapie verordnet werden. Diese gezielten
der neuen Erkenntnisse weiter. Maßnahmen dienen der
15.2 · Spezielle Techniken
301 15
▬ Förderung, appliziert werden, da laut Lienhardt (1988) in jedem biologischen
▬ Verbesserung und System sich gegenseitig beeinflussende Vorgänge ablaufen und
▬ Wiederherstellung somit verstärkende oder abschwächende Wirkungen aufweisen.
von Die komplexen Wirkungsmechanismen sind bis dato noch nicht
▬ Verhaltensauffälligkeiten, abschließend geklärt.
▬ Störungen in der Beziehungsfähigkeit, Die Anwendungen bewirken eine Beeinflussung der inneren
▬ der Belastbarkeit und Ausdauer, Organe. Bei Traumen und akuten Entzündungen ist die Methode
▬ der Tagesstrukturen, der Wahl der Wärmeentzug; bei chronischen Entzündungen und
▬ der Selbstständigkeit in der Selbstversorgung, Muskelverspannungen wird die Wärmezuführung bevorzugt.
▬ der Verbesserung und dem Erhalt kognitiver Funktionen,
▬ der Verbesserung und dem Erhalt in Orientierung zu Raum,
Zeit und Personen, Kälte bewirkt:
▬ der Unterstützung der Beziehungsfähigkeit. ▬ Zunahme des Muskeltonus
▬ Abnahme der Durchblutung
Im Besonderen bei Kindern können Schädigungen und/oder Funk- ▬ Analgesie
tionsstörungen ▬ Entzündungshemmung
▬ in der Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung,
▬ im psychomotorischen Tempo und der Qualität, Eine lokale Anwendung von Eis (ca. –20°) ist von mindestens 5
▬ in den kognitiven und höheren kognitiven Funktionen, bis max. 20 min z. B. an Gelenken möglich. Das Eisteilbad wird
▬ bei den emotionalen Willensfunktionen, bei ca. 10° appliziert.
▬ bei der Anpassung von Verhaltensmustern
vorliegen. Wärme bewirkt:
Die therapeutischen Maßnahmen finden einerseits in Form von ▬ Senkung des Muskeltonus (= Entspannung) von glatter Mus-
▬ symptombezogenen Gesprächen statt, kulatur und Skelettmuskulatur
andererseits werden ▬ Zunahme der Durchblutung durch Gefäßweitstellung
▬ globale Handlungsabläufe (Planung und Gestaltung des Le- ▬ Analgesie aufgrund Muskelentspannung und Durchblutungs-
bensalltages) unter realistischen Bedingungen trainiert und in steigerung
▬ Einzelaktivitäten (z. B. Geschirrspülen, Schrank aus- und ein-
räumen, Einkäufe erledigen und Behördengänge absolvieren)
unterteilt. Im Vorfeld der Anwendungen beziehen wir folgende Kriterien in
In der Handrehabilitation wird diese Maßnahme überwiegend unsere Überlegungen ein:
zum Einsatz kommen, wenn aufgrund chronischer Beeinträchti- ▬ Allgemeinzustand des Patienten,
gung (z. B. Fehlbildungen) Auffälligkeiten im zwischenmenschli- ▬ Art der Verletzung und Zustand des zu behandelnden Gebie-
chen Umgang und in der Alltagsbewältigung signifikant werden. tes,
▬ Kühlungs- bzw. Erwärmungsbedarf,
▬ aktive oder passive Applikation,
15.2.5 Physikalische Maßnahmen ▬ Dauer der Applikation.

Massagen In der ergotherapeutischen Handrehabilitation kann thermische


Durch bestimmte Massagetechniken, wie die manuelle Massage, Anwendung in die Bewegungstherapie integriert werden. So
Akupressur, Reflexzonenbehandlung, kann über die Reflexbögen kann der Patient beispielsweise das Wachs des Paraffinbades an-
Einfluss auf das zugeordnete Organ genommen werden. Dies führt schließend kneten oder im erwärmten Quarzkiesbad bestimmte
zu verbesserter Durchblutung, Muskelentspannung und dadurch Übungen ausführen (z. B. Faustschluss, Fingerstreckung), um
zu Schmerzlinderung. sich die gewebelockernde Wirkung der Anwendung zu nutzen
Ätherische Öle (z. B. Rosmarin, Thymian, Waldkiefer) un- zu machen.
terstützen durch ihre durchblutungsfördernden Substanzen die Thermische Applikationen können in verschiedene Gruppen
Schmerzlinderung. untergliedert werden:
Primäre und sekundäre Lymphödeme können durch manu-
elle Lymphdrainage aufgrund ihrer entstauenden Wirkung auf Eisanwendung
Kutis und Subkutis behandelt werden und den Schmerz lindern. Die Applikation von Kälte ist eine wärmeentziehende physikalische
Durch die an- und abschwellenden Pumpbewegungen werden Maßnahme. Von kühlenden, feuchten Tüchern über Kältepackun-
die Lymphabflussbahnen frei und Schwellungen unterschiedlicher gen, Eiswürfelauflagen, Eisrollern, Eisstäben bis hin zu Kaltluft,
Ursachen können ebenso wie neurovegetative Störungen und Zer- Kältesprays, kühlende Gele oder Quarkwickel kann ausgewählt
rungen, Verbesserung finden. werden (⊡ Abb. 15.44).
> Kontraindikation: Akute Infekte und Thrombosen dürfen Handbäder (Hydrotherapie)
wegen der Streuungsgefahr nicht behandelt werden.
Sind hydrotherapeutische Anwendungen, die mit Temperaturen
von etwa 5–45° Celsius eingesetzt werden und denen resorptions-
Thermische Anwendungen fördernde oder schmerzlindernde Zusätze beigefügt werden kön-
Wärme (griech. »thermo«) und Kälte (griech. »kryo«) finden seit nen (z. B. Kamillosan, Arnika, Polyvidonjod). Durch Sprudeldruck
den Anfängen der physikalischen Therapie zur Linderung von (Wasser- oder Luftdruck) oder kreisende Bewegungen im Bad ist
Schmerzen Einsatz. Sie sollten stets individuell ausgewählt und es möglich, die Wirkung zu intensivieren oder abzumildern.
302 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.44 Eisapplikation ⊡ Abb. 15.45 Paraffin-Handbad

Paraffinbad
Die betroffene Extremität wird in ca. 40–45° Celsius erwärmtes,
flüssiges Paraffinwachs getaucht und anschließend wärmeerhal-
tend in Folie und einen Frotteehandschuh eingepackt. Während
einer Einwirkzeit von ca. 7–10 min kühlt das Wachs langsam ab
und kann erhärtet und nach dem Ablösen noch für einige Minu-
ten geknetet werden, um den Anwendungseffekt zu intensivieren.
Paraffin pflegt die Haut, macht sie geschmeidig, fördert die Durch-
blutung, entspannt das Gewebe und lockert die Narbenstrukturen.
Zusätzlich können bei dieser Anwendung die kleinen Fingerge-
lenke vor dem Eintauchen in das Wachs mittels Tape in bestimmte
Positionen »gequengelt« werden. Die Weichteile und Bandstruk-
turen werden dabei gedehnt und somit das Bewegungsausmaß
erhöht (⊡ Abb. 15.45).
! Cave
Bei sensiblen Störungen ist eine vorherige Temperaturtes-
15 tung mit der gesunden Hand vorzunehmen.

Fluidotherapie
Die Behandlung erfolgt unter Einsatz von Maisschrot. Mittels
Gebläse wird ein warmer trockener Luftwirbel erzeugt. Bei etwa
40° Celsius werden unter individuell einstellbarem Druck die fei-
nen Partikel tiefenmassierend um die jeweilige, durch einen Kanal
eingeführte Extremität gewirbelt. Die Applikationsdauer beträgt
ca. 5–15 min pro Sitzung.
Kontraindikation sind nicht gänzlich geschlossene Wunden, Zir-
kulationsstörungen und infektiöse Erkrankungen (⊡ Abb. 15.46).

Taktile Anwendungen
Styropor, Linsen, Bohnen, Rapssamen und Quarzkies verschie-
dener Konsistenzen setzen, in Therapieboxen verabreicht, tak- ⊡ Abb. 15.46 Fluidotherapieanwendung
tile, sensorische Reize unterschiedlicher Intensität. Diese werden
durch Kühlung oder Erwärmung des Inhaltes zusätzlich inten-
siviert. Dabei kann beispielsweise Styropor durch seine Eigen-
schaften, leicht, weich, mäßig temperiert und nicht scharfkantig, Elektrotherapie
schon in einer frühen Therapiephase eingesetzt werden, wäh- Elektrischer Strom führt zu Durchblutungsverbesserung und Mus-
rend Quarzkies in grober Form mit seinen Eigenschaften, kalt kelentspannung. Über die Reizung der sensiblen Nervenstruk-
oder warm, rau, schwer, hart, zur intensiveren Abhärtung in turen werden die Schmerzrezeptoren unempfindlicher und die
fortgeschrittenerem Stadium der Rehabilitation Einsatz findet körpereigene Endorphinausschüttung wird gesteigert. Dies führt
(⊡ Abb. 15.47). zu Schmerzlinderung und Beseitigung von Schmerzzuständen
15.2 · Spezielle Techniken
303 15

⊡ Abb. 15.47 Therapieraps ⊡ Abb. 15.48 TENS-Anwendung

(u. a. bei Arthrosen, Neuralgien, Myalgien, Narben- und Phan-


⊡ Tab. 15.1 Beispiel: bentrotens T37 von Bentronic
tomschmerz, Frakturschmerz und bei Schmerzen aufgrund von
Durchblutungsstörungen). Gerätetyp TENS-Stimulator
Mit dem TENS-Gerät (transkutane elektrische Nervenstimula- Stromform NF-Impulsstrom
tion) werden im Schmerzgebiet selbst, einer Head-Zone (Hauta-
real) oder anderer Reflexzonen, Klebeelektroden angebracht, wel- Strom 60 mA bei 1k Ohm max.
che Gleichstrom mit niederfrequenten Impulsen, täglich bis zu Impuls 80 μs
3-mal 30 min, abgeben. Für die Applikation an den Händen gibt Frequenzbereich 2–120 Hz je Kanal
es zur besseren Verteilung des Stromes auf alle Fingergelenke
spezielle, mit Metallfäden gestrickte, Handschuhe (⊡ Abb. 15.48, Modulation Frequenz: 50/80 Hz / 3 Hz Takt
Burst: 2 Hz / 80 ms / 80 Hz Basis
⊡ Tab. 15.1).
Impulsdauer: 60–150 μs (0,5 Hz)
Die elektrische Muskelstimulation (EMS) ist ein Verfahren, 80 Hz Basis
Muskulatur durch elektrische Impulse zur Kontraktion zu bringen.
Dadurch wird die Muskulatur gekräftigt und in den Bewegungsab-
lauf integriert. Bei zentralnervös bedingten Schwächen oder Aus- ⊡ Tab. 15.2 Beispiel: bentrofit F17 von Bentronic
fällen können Muskeln durch elektrische Impulse in ihrer Funk-
tion unterstützt werden. Hierzu wird die funktionelle elektrische Gerätetyp EMS/FES-Stimulator
Muskelstimulation (FES) eingesetzt (⊡ Tab. 15.2). Stromform NF-Schwellstrom
Zur Behandlung von zentralen und peripheren Muskelparesen,
z. B. nach Apoplexen, Kompressionssyndromen oder Ausfällen Strom 80 mA CC bei 120 V max.
an den Extremitäten, kann mittels eines Zweikanal-Reizstrom- Impuls 150 ms
Lähmungsstimulators behandelt werden (⊡ Tab. 15.3). Frequenzbereich 5 – 60 Hz frei wählbar
! Cave Betriebsarten konstante Frequenz oder Modulation 20-50 Hz
Der Strom wird individuell eingestellt, darf nicht schmerzhaft
sein und darf nicht von Patienten mit Herzschrittmachern
genutzt werden. ⊡ Tab. 15.3 Beispiel: bentrostim S56 von Bentronic

Taping Gerätetyp 2-Kanal-NF-Schwellstromstimulator mit


synchroner Regelung
Vor ca. 30 Jahren wurde von Kenso Kase in Japan die Technik des
Stromabgabe max. 50 mA je nach Kanal Konstantstrom bei
Tapens entwickelt. Mittels selbstklebender (100% Acrylklebstoff),
1 kOhm Last (RL) Toleranz +/- 10% je nach
elastischer Baumwollbänder, die in einer »Stretch- bzw. Ankertech- Stromform
nik« auf dem Körper appliziert werden, wird eine stimulierende
Spannung max. 160 V (U0)
Wirkung auf die Muskulatur, die Gelenke, das Venen-, Lymph- und
Nervensystem ausgeübt. Unter Berücksichtigung der Energetik, Impulsarten Bidirektional, symmetrisch, balanciert und
Statik, der Akupunkturpunkte und der Meridiane werden die Bän- monodirektionale Rechteck-/Dreieck-Impulse
bzw. Impulsserien
der auf dem jeweiligen Körperteil angebracht. In einer Studie be-
legte Sielmann (2009) deren Wirksamkeit. Bei allen Applikationen Impulsdauer 0,3 –1.000 ms
ist eine uneingeschränkte Bewegungsfreiheit (»full range of mo- Impulspausen 5–1.000 ms je nach Stromform
tion«) gewährleistet. Durch die Beeinflussung der Rezeptoren wird
Synchronität Leistungssynchron, parallel
ein verbessertes und stabileres Bewegungsgefühl in den Gelenken
304 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.49 Lymphabflusstape ⊡ Abb. 15.50 CPM-Handgelenkschiene

erreicht. Eine parallele Durchführung einer Bewegungstherapie ist Vorteile einer CPM-Behandlung sind dabei:
dabei nicht beeinträchtigt. ▬ prä- und frühpostoperative Mobilisation möglich,
▬ kann in häuslicher Umgebung vom Patienten eigenständig
Taping und therapieunterstützend angewendet werden (bis zu 6 An-
▬ kann die Muskelfunktion verbessern, wendungen à 30 min täglich),
▬ wirkt auf das Lymphsystem (⊡ Abb. 15.49), ▬ Kosten- und Zeitersparnis aufgrund kontinuierlicher Behand-
▬ beeinflusst die Schmerzfortleitung durch die Beeinflussung lung.
der Mechanorezeptoren,
▬ unterstützt die Gelenke unter Anwendung bestimmter Liga- Indikationen
menttechniken, ▬ Frakturen (übungsstabil),
▬ wirkt auf innere Organe (durch Ausübung eines viszerokuta- ▬ Kapsulektomien, Kapsulotomien,
nen Reflexes auf bestimmte Hautzonen). ▬ CRPS (»complex regional pain syndrome«),
▬ Arthrolysen, Tenolysen,
Erfolgreich eingesetzt wird die Methode u. a. bei ▬ Weichteilerkrankungen,
▬ Gelenkschmerzen (z. B. Epicondylitis, Gelenkdistorsionen), ▬ Arthrosen.
akutem Schulterschmerz (»frozen shoulder«), Arthrose-
schmerzen, Kontraindikationen
▬ muskulärem Schmerzsyndrom (Polyneuropathie, Nervenläsio- ▬ Frakturen (instabil),
15 nen), ▬ Infektionen,
▬ viszeralen Schmerzen (Lymphödem, chronische Lymphstau- ▬ Entzündungen.
ung, Thrombophlebitiden).
! Cave
Die CPM-Schienen sollen ausschließlich von geschultem
Hinweis: Taping wird nur von privaten Krankenkassen anerkannt
Fachpersonal abgegeben werden und bedürfen einer ge-
und gezahlt.
nauen Einweisung des Patienten. Bei Patienten mit unzurei-
chender Compliance ist der Einsatz dieser Schienen genau
15.2.6 Apparative Behandlungsmethoden abzuwägen.

Continuous Passive Motion (CPM) Anwendung


Kontinuierliche, passive Bewegungsschienen können begleitend ▬ Auf genaue Passform und Größe der Schiene ist zu achten
und ergänzend zur Behandlung von Einschränkungen der Gelenk- (während der Bewegungsphasen wird die Schiene auf korrekte
beweglichkeit eingesetzt werden und stellen eine sinnvolle Thera- Gelenkführung überprüft).
pieunterstützung dar. ▬ Der Patient wird hinsichtlich Tragedauer und Einstellung der
Die Behandlung wird mit speziell dafür vorgesehenen Motor- Schiene genau instruiert.
schienen durchgeführt und kann mehrmals täglich bis zu mehre- ▬ Es ist eine kontinuierliche Adaption und Überprüfung von
ren Stunden (mobile Geräte) angewendet werden. Seiten des Therapeuten erforderlich.
Ziele der Anwendung sind:
▬ Förderung und Erhalt der Gelenkbeweglichkeit, CPM-Schienen sind im Bereich der oberen Extremität sowohl als
▬ Verbesserung der Ergussresorption, Schulter-, Ellbogen-, Handgelenk- und Fingermobilisationsschie-
▬ postoperative Schmerzsenkung, nen (⊡ Abb. 15.50) auf dem Markt und können die normalen Bewe-
▬ verbesserte Gelenkflächenernährung, gungsebenen trainieren (Extension/Flexion, Pro- und Supination,
▬ Vermeidung von prä- und postoperativen, intra- und extraar- ⊡ Abb. 15.51; Ab- und Adduktion, Ante- und Retroversion). Sie sind
tikulären Ankylosen und Adhäsionen. je nach Gelenk als Standgeräte oder als mobile Geräte erhältlich.
15.2 · Spezielle Techniken
305 15
ben damit Aufschluss über den Zustand der thermischen, nozizep-
torischen und mechanischen Reizleitungen.
Dabei kommen im Einzelnen die folgenden Tests zur Anwen-
dung:
▬ zur Hitze-/Kältetestung der Temperaturdiskriminationstest
▬ zur Testung des Schmerzempfindens der Spitz -/Stumpf-Dis-
kriminationstest
▬ und zur Testung der Berührungswahrnehmung der Semmes-
Weinstein-Test

Funktionelle Tests
Sie ermöglichen, die Berührung differenzierter zu erfassen. Damit
sind Informationen über grobe und feine Sensibilitätswahrneh-
mung möglich, geben Auskunft über die Perzeption mit und ohne
Augenkontrolle und lassen Rückschluss auf die taktile Wahrneh-
mung zu.
Sinnvolle Tests sind folgende:
▬ Statischer 2-Punkte-Diskriminationstest,
▬ Auflesetest nach Moberg/Dellon,
▬ STI-Test (»shape texture identification test«),
▬ Berührungslokalisationstestung.

Zur detaillierten Bestimmung der motorischen und sensiblen Aus-


fälle bietet sich eine Kombination von Tests aus verschiedenen
Bereichen an (s. klinische und standardisierte Testverfahren).
Therapeutische Zielsetzung des Sensibilitäts- und Desensibili-
tätstrainings ist hierbei
▬ die Stimulation der Somatorezeptoren, Propriozeptoren (Tie-
fensensibilität) und Exterozeptoren (Oberflächensensibilität)
mittels
⊡ Abb. 15.51 CPM-Pro-und-Supinationsschiene – kognitiv therapeutischer Übungen nach Perfetti (s. kognitiv-
therapeutische Übungen nach Perfetti,  Abschn. 15.2.3),
– Tast- und Greifübungen mit und ohne Augenkontrolle,
▬ die Verbesserung der Augen-Hand-Koordination,
Hinweis: Bewegungsschienen können als medizinische Hilfs- ▬ die Verbesserung des Schmerzempfindens,
mittel vom Arzt verordnet werden. ▬ die Verbesserung des Temperaturempfindens.

Dies alles kann als sensomotorisch-perzeptive Ergotherapie ver-


15.2.7 Sensibilitätstraining bzw. Desensibilisierung ordnet werden.

Mannigfache degenerative Erkrankungen und Traumatisierungen


gehen mit mehr oder minder massiven Beeinträchtigungen der 15.2.8 Ödembehandlung und Ödemprophylaxe
Sensibilität einher.
Eine umfassende Befundung (Anamnese, Inspektion und Pal- Ätiologie
pation) im Vorfeld der Behandlung liefert nötige Informationen Jede Gewebetraumatisierung verursacht zunächst eine Ansamm-
für den Therapeuten, um das genaue Ausmaß der Störungen erfas- lung von Flüssigkeit in den Interstitialräumen (Gewebe, Zellen,
sen zu können. Organen) und bildet sich normalerweise nach 3–5 Tagen zurück.
Die derzeit gebräuchlichsten Tests lassen sich in die im Fol-
genden erläuterten drei Kategorien unterteilen (s. hierzu auch Klinische Darstellung
 Abschn. 15.1.2). Strukturelle (Schwellung, glänzende und gespannte Haut) und
morphologische Veränderungen führen zu Bewegungseinschrän-
Objektive Tests kungen. Gewebetrophik und Hauttemperatur können Normab-
Hiermit werden die sympathischen Funktionen wie Trophik der weichungen aufweisen und durch erhöhten Gewebedruck können
Haut, Vasomotorik, Pilomotorik und Sudomotorik erfasst. Diese zusätzlich Schmerzen erzeugt werden.
Tests können auch bei Kindern und inaktiven Testpersonen an- Bei länger andauernder Schwellung sind die Ursachen genauer
gewendet werden, da sie als Passivtestung möglich sind. Für die zu beurteilen. Zunächst kann Inaktivität aufgrund der Verletzung
Ermittlung der Sudomotorik kommt hier überwiegend der Ninhy- (Schonhaltung) zu einem Ödem führen. Des Weiteren ist die Durch-
drintest ( Abschn. 15.1.2) zum Einsatz. lässigkeit der Lymphkapillare zu prüfen, um Defekte an den Gefäß-
wänden und/oder des Lymphgefäßes selbst, auszuschließen. Auch
Modalitätentests Verbände, Gipse und Schienen, welche einengen, können zu einer
Diese Tests untersuchen die Hautrezeptoren. Hitze-, Kälte-, Beeinträchtigung des Lymphabflusses führen, Stauungen erzeugen
Schmerz- und Berührungsempfindung werden ermittelt und ge- und Gewebeschädigungen hervorrufen. Bewegungseinschränkun-
306 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

gen in der Umgebungsmuskulatur der Verletzung beeinträchtigen


von proximal beginnend die Blut- und Lymphzirkulation und kön-
nen so zu Ödemen in der distal liegenden Extremität führen. Auch
eine konstitutionelle Begünstigung wird in der Literatur erwähnt.
Ebenso können Traumatisierungen ohne äußere Verletzung, z. B.
bei Luxationen und Distorsionen, erheblichen Ödeme verursachen.
Eine besonders schonende Vorgehensweise bei operativen Eingrif-
fen (z. B. minimal-invasive Chirurgie) und eine adäquate Wund-
versorgung sowie entsprechende posttraumatische und postopera-
tive Lagerung unterstützen in erheblichem Maße eine erfolgreiche
Ödembehandlung. Kennzeichen eines Ödems sind:
▬ Verminderung der Hautfältelung,
▬ Temperaturdifferenzen im Seitenvergleich,
▬ vermehrter Turgor (Schwellungszustand im Gewebe, Haut
hinterlässt nach Druck eine Vertiefung),
▬ Schmerzen, verursacht durch Gewebespannung, Haut- und
Knochenschmerz und ungünstige Lagerung/Positionierung
der verletzten Extremität.

Ödeme dürfen keinesfalls unberücksichtigt bleiben, da sie die


nachfolgende Behandlung erschweren würden und mit dauerhaf-
ten Konsequenzen in Form von Bewegungseinschränkungen und
Kontrakturen zu rechnen ist.
Die Rehabilitationsphase wird deutlich verkürzt, wenn Ödeme
verhindert werden können und eine problemlose Wund- und Nar-
benheilung ablaufen kann, da dies zu geringerer Narbenproduk-
tion beiträgt (⊡ Abb. 15.52).
⊡ Abb. 15.53 Ödembehandlung: Übung an der schrägen Ebene
Therapeutische Behandlung
1. Evaluation, Inspektion und Palpation der verletzten Region
2. Ödemmessung (Volumeter, Zirkumferenzmessung)
3. Lagerung der verletzten Extremität
4. Schienenversorgung
5. Aktive Mobilisation (Übungen an der schrägen Ebene
[⊡ Abb. 15.53], funktionelle Spiele und Übungsgeräte, Knet-
übungen)
15 6. Massage (retrograde Massage, manuelle Lymphdrainage,
Bürstmassagen, Ausstreichungen [⊡ Abb. 15.54])
7. Kompressionsbehandlung (Wickelungen »Wrapping«, Kom-
pressionsbandagen »Coban«, Kompressionshandschuhe,
Fingerkompressionsstrumpf »digi-sleeves« [⊡ Abb. 15.55],
pneumatische Druckmanschette »Urias«)
8. Thermische Applikation (Kälte- und Wärmeanwendungen,
⊡ Abb. 15.54 Ödembehandlung: Ausstreichungen
Linsen, Sand, Raps, Hydrobehandlung)
9. Hautpflege

Ödem

Ruhigstellung Gewebsreaktion

Schmerzen Gefäßspasmen
⊡ Abb. 15.55 Kompressionsfingerling »digi sleeve« und »Silopad« Silikons-
⊡ Abb. 15.52 Circulus vitiosus bei einem Ödem. (Aus Waldner-Nilsson 2008) trumpf
15.2 · Spezielle Techniken
307 15
15.2.9 Standardisierte Narbenbehandlung der Kenndaten (einmalig), Allgemeinanamnese, Erhebung des
aktuellen extrinsischen und intrinsischen Risikoprofils (patien-
> Der Narbenbehandlung kommt in der Handchirurgie noch tenbedingte Faktoren) und die klinische Untersuchungen (nar-
immer nicht genug Bedeutung zu. Mit Ausnahme der Verbren- benbedingte Faktoren). Ziel dieses Untersuchungsschemas ist es,
nungspatienten wird sie bei allen anderen Pathologien so gut die Befunde, die für die Prophylaxe und Therapie wichtig sind,
wie immer vergessen. Die in der Verbrennung erarbeiteten standardisiert zu erfassen und zu dokumentieren. Außerdem sol-
Therapieprinzipien lassen sich weitgehend auf die linearen len Patientenkollektive verschiedener Untersucher im Sinne einer
Narben nach Verletzung und/oder Operation übertragen. »gemeinsamen Sprache« vergleichbar sein. Besonders ist dabei auf
eine adäquate Dokumentation zu achten, um die Untersuchungs-
Die Narbe ist das Ergebnis der Wundheilung und wird durch ergebnisse für jedes Mitglied des Therapieteams zu jedem Zeit-
zahlreiche endogene und exogene Faktoren beeinflusst. Nach der punkt nachvollziehbar und auswertbar zu machen. So entsteht die
äußerlich abgeschlossenen Wundheilung reift die Narbe makro- Möglichkeit einer frühest möglichen optimalen Prophylaxe und
skopisch und mikroskopisch weiter ( Kap. 4). Die Belastbarkeit Therapie, wodurch die Prognose des individuellen Krankheitsver-
nimmt dabei in den ersten 4 Monaten stark zu. Danach verlangsa- laufs erheblich verbessert wird. Es können maximale funktionelle
men sich die Umbauprozesse und dauern bis zur endgültigen Nar- und ästhetische Ergebnisse erzielt werden. Angewendete Thera-
benheilung mindestens 12 Monate bei Erwachsenen, bei Kindern piekonzepte können retrospektiv und prospektiv evaluiert werden
ca. 18 Monate (⊡ Abb. 15.56). (Qualitätssicherung). Aufgrund dieser Ergebnisse ist es möglich,
Neben den Wundheilungsstörungen mit dem Zusammenbruch diese Therapieverfahren zu optimieren und neue, bessere Thera-
der Narbe spielt die überschießende oder inadäquate Narbenbildung pieschemata gemeinsam zu entwickeln.
für das ästhetische und funktionelle Ergebnis eine große Rolle.
Diagnostik und Therapie der »inadäquaten« Narbenreifung
erfordert ein globales Narbenmanagement, welches basiert ist auf: Standartisiertes Diagnostik- und Dokumentations-
1. profunden anatomischen und pathohysiologischen Grundlagen- schema Narbe
kenntnissen sowie spezifische Kenntnisse der Narbenheilung, ▬ Erhebung/Aktualisierung der Kenndaten
2. einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit, ▬ Allgemeinanamnese
3. einer »gemeinsamen Sprache« und ▬ Erhebung der patientenbedingten Faktoren (aktuelles extrin-
4. der Anwendung eines sog. »multimodalen Therapiekonzeptes«. sisches und intrinsisches Risikoprofil)
▬ Erhebung der narbenbedingten Faktoren
Die Narbe ist das Endergebnis der Wundheilung. Die Narben- – klinische Untersuchung
bildung wird durch zahlreiche endogene und exogene Faktoren – laborchemische Untersuchungen
beeinflusst. Für den klinischen Gebrauch hat sich die Klassifikation – apparative Untersuchungen
in »unauffällige«, »adäquate« und »inadäquate« Narben bewährt. – intraoperative Untersuchungen
Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Mitglieder des The- – histologische Untersuchung
rapieteams benötigt man einen »einheitlichen Konsensus«. Für
die Diagnostik und Dokumentation verwenden wir deshalb ein
»Standartisiertes Diagnostik- und Dokumentationsschema Narbe« Für die Behandlung von Narben findet das »integrative Therapie-
( Übersicht). Zur Diagnostik gehören Erhebung/Aktualisierung konzept« nach Hierner u. van den Kerckhove (2010) Anwendung,
welches Prävention, Suppression und die Korrektur von Narben
umfasst (⊡ Abb. 15.57).
Stärke/normale Hautstärke
100
Vermeidung von Narben (Prävention)

90 > Die beste Narbentherapie ist die Vermeidung der Narbe


(durch den Handchirurgen).
80
Durch Entwicklung von narbensparenden Operationstechniken
wie z. B. der endoskopischen Techniken oder endoskopisch-assis-
70
Verwundung tierten Vorgehensweisen kann die Narbenlänge deutlich reduziert
60 und/oder Narben an wenig exponierte Orte der Körperoberfläche
verlagert werden. Durch gezielte Aufklärung sollte es möglich sein,
50 durch Verfeinerung der chirurgischen Nahttechniken im Sinne der
plastisch-chirurgischen Wundversorgung deutlich mehr unauffäl-
40 lige und akzeptable Narben zu erzielen.

30 Unterdrückung der (überschießenden) Narben-


bildung (Suppression)
20
> Die Suppression der Narbenbildung beginnt bereits vor der
10 Operation (und wird wesentlich durch den Handtherapeuten
postoperativ beeinflusst).
7 14 21 28 35 42 49 56 63
Tage postoperativ Durch den zeitgerechten Einsatz adjuvanter Maßnahmen kann
intra- und/oder postoperativ die Narbenbildung deutlich reduziert
⊡ Abb. 15.56 Wundbruchstärke nach Levenson werden. Es gilt dabei Störungen zu vermeiden, die die Bildung
308 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

Integratives Therapiekonzept »Narben« Information und Instruktion. Der Patient wird über die thera-
peutischen Maßnahmen und deren Wirkung aufgeklärt und erhält
. B Informationen über den Behandlungsverlauf sowie über beein-
. A PRÄVENTION (Aufklärung, Information) flussende Faktoren bezüglich Ernährung, Medikamenteneinfluss,
. S  Vermeidung von Narben Sonneneinwirkung und Nikotingenuss.
.  Neue Technologien und Behandlungen
I
 Endoskopie
0 S  …..
Dokumentation. Innerhalb des Therapieteams ist eine umfas-
1d  Reduktion von Narben sende Dokumentation unerlässlich, um Therapiekonzepte nach-
5d  Modifizierte Operationstechniken vollziehbar und auswertbar zu gestalten und die Untersuchungser-
gebnisse pro- und retrospektiv zum Zwecke der Qualitätssicherung
10d H
evaluieren zu können.
21d A
Die Narbenbehandlung beginnt mit der Erfassung und Eva-
. U SUPRESSION
luierung der Narbe. Ihre Größe und Verschiebbarkeit sind dabei
. T  Prävention von »inadäquaten« Narben
von Bedeutung wie auch Narbeneinziehung und Breite. Farbe und
 Risikoabwägung bei Elektiveingriffen
3m V Durchblutung geben Aufschluss über ihren Reifezustand. Zur Un-
 Beachtung der Hautspannungslinien und
6m E ästhetischen Einheiten terstützung der Dokumentation kann das Narbenbild fotografisch
12m R  Asepsis festgehalten werden.
 Atraumatische Operationstechnik Zur Vermeidung einer »inadäquaten« Narbe stehen eine Reihe
18m S
 Adäquates Operationsmaterial konservativer Maßnahmen zur Verfügung, die nachfolgend be-
. O  Spannungsfreier Wundschluss
schrieben werden. (Operative Korrekturmaßnahmen sind bei
. R  Adäquate postoperative Nachsorge
(Drainage, Verband, Fadenentfernung...) unzufriedenstellendem Behandlungsergebnis als Mittel der Wahl
. G
 Präventive narbensuppressive Begleit- möglich.)
. U behandlung Folgende Maßnahmen kommen dabei zum Einsatz:
. N ▬ Basishautpflege,
 Narbensuppressive Begleitbehandlung
. G
 Haut- und Narbenmassage
▬ Narbenmassage,
.  Ödemtherapie ▬ Desensibilisierung,
.  Silikontherapie ▬ Kompressionsbehandlung,
.
 Kombinierte Silikon- und Drucktherapie ▬ Silikonauflage,
 Intralesionale Medikamentenapplikation ▬ Mobilisation,
.  (Adjuvante) Radiotherapie ▬ Dehnung,
{t}  …..
▬ Schienenversorgung,
▬ physikalische Maßnahmen.

KORREKTUR Basishautpflege
 Minimalinvasive Eingriffe Die optimale Epithelialisation erfordert saubere Wundverhältnisse.
 Intraläsionale Medikamentenapplikation Trockene Krusten ohne Umgebungsrötung stellen die optimale
 Skin-Resurfacing-Techniken »feuchte Regenerationskammer« für die Epithelialisation dar. Sie
 Chemisches Peeling
15  Kryotherapie
sollten nicht abgerissen werden. Zur vorsichtigen Lösung von
 Laser Krusten hat sich die mehrmalige Applikation von Mandelöl durch
 Dermabrasio den Patienten selbst im Sinne einer Automassage bewährt.
 Fillers
! Cave
Eine längere Anwendung von Ölen führt zum Austrocknen
 Operative Behandlung
der Haut.
 Narbenausschneidung
 Narbenkorrektur durch Verlagerung des Die Verletzung selbst und/oder das längere Tragen eines Verbandes
Narbenverlaufs
mit und ohne Lokaltherapeutika führt zu einer Austrocknung der
 Gewebetransplantation
 Narbenkorrektur durch Volumen- Haut. Eine Rehydrierung und Rückfettung sind wichtige basisthe-
vermehrung im Narbenbereich rapeutische Prinzipien für eine möglichst ungestörte Epitheliali-
 (Lipofilling nach Colemann) sierung. Eine frühzeitige intensive Applikation fettreicher Salben
 Hauttransplantation führt zu einer signifikanten Verbesserung der Hautqualität und
 Lokale Lappenplastiken verbessert die Ausgangssituation für die nun folgende aktive Nar-
 Hautexpander
bentherapie.
 Freie mikrovaskluläre Lappenplastiken
Narbenmassage
⊡ Abb. 15.57 Integratives Therapiekonzept »Narben« nach Hierner Ziel der Narbenmassage ist eine geschmeidige, leicht verschiebbare
und ebenmäßige Hautstruktur. Die Narbenmassage wird unter-
stützt durch die vorherige Einreibung mit einer fetthaltigen Creme,
verschiedener Narbentypen zur Folge haben können. Die Klassifi- um die Gleitfähigkeit zu verbessern. Die Massage bewirkt eine
kation in »unauffällige«, »adäquate« und »inadäquate« Narben hat Mobilisation und gleichzeitig eine Desensibilisierung des Nar-
sich im klinischen Gebrauch bewährt. Sie beschreibt den Zustand bengewebes. Sie wird mit sanften, leichten und parallel zur Narbe
der Narbenstruktur, die atrophisch, hypertroph oder keloid ausge- verlaufenden Streichungen durchgeführt und darf keinesfalls aus-
bildet sein kann. einandergezogen werden. Dies kann sowohl manuell als auch mit
15.2 · Spezielle Techniken
309 15

⊡ Abb. 15.58 Narbenmassage mit Vibrationsmassagegerät ⊡ Abb. 15.61 Schiene mit Elastomereinlage

vermehrt Druck- und Rotationsbewegungen ausgesetzt werden


(⊡ Abb. 15.56). Sie soll nun auch gegen die unteren Gewebeschich-
ten hin, verschoben werden. Dabei sind die Zugrichtungen von
proximal nach distal und von lateral und medial und reziprok
möglich. Bei stark adhäsiven Narben kann unterstützend ein Un-
terdrucksauggerät eingesetzt werden, das jedoch ausschließlich von
erfahrenem Therapiepersonal benutzt werden soll, um Mikrotrau-
men im subkutanen Gewebe zu vermeiden (⊡ Abb. 15.60).
Liegen bereits Adhäsionen mit Sehnen vor, wird die Massage
in unterschiedlichen Gelenkpositionen vorgenommen, um die Lö-
sung durch Sehnengleiten zu unterstützen.
Der Patient sollte die Narbenbehandlung mehrmals täglich
unterstützend zu Hause durchführen. Diesbezüglich erhält er vom
Therapeuten gezielte Anweisungen.

Kompressionsbehandlung
⊡ Abb. 15.59 Schallwellenmassagegerät Druckausübung ist die Methode der Wahl, um Narben vor Verhär-
tungen und Hypertrophien zu schützen. Dabei kommen diverse
Hilfsmittel zum Einsatz. Coban-Adhäsivbandagen, Fingerkom-
pressionsstrümpfe (»digi-sleeves«), spezielle Kompressionshand-
schuhe »Isotoner« oder »Jobst«-Kompressionsbandagen. Indivi-
duell anformbare Einlagen für Handschuhe und/oder Schienen
aus »Elastomer« oder »Otoform« aus Zweikomponentenmaterial.
Mittels dieser Maßnahmen wird die Bildung hypertropher und
kontrakter Narben gehemmt und Ödeme reduziert. Laut Hardy
(1989), vermindert die Druckapplikation die Synthese bei einem
Weiterschreiten der Lyse, da die Kollagensynthese sauerstoffab-
hängig ist, die Lyse hingegen nicht. Kompressionen werden bis zu
24 h täglich vorgenommen und ausschließlich zu Hygienezwecken
und zu therapeutischen Maßnahmen entfernt. Sie sollen bis zur ab-
schließenden Narbenreife (bis 24 Monate, bei Kindern bis 36 Mo-
nate) getragen werden.
Durchblutungsstörungen und Entzündungen stellen eine Kon-
traindikation für eine Kompression dar.

⊡ Abb. 15.60 Unterdrucksauggerät zur Narbenmobilisation Schienenbehandlung


Statische, thermoplastische Schienen und/oder Gipsschienen (»ce-
real casting«) werden in der frühen postoperativen Phase einge-
einem speziellen Massagegerät ⊡ Abb. 15.58, ⊡ Abb. 15.59) durchge- setzt, um die Heilung durch Ruhigstellung des betroffenen Wund-
führt werden. gebietes zu unterstützen, Wundkontraktionen zu vermeiden und
Hat die Narbe nach etwa 3 Wochen ihren endgültigen Kol- damit Bewegungseinschränkungen vorzubeugen. Bei Sehnenbetei-
lagengehalt erreicht, darf die Behandlung intensiviert werden. ligungen sind dynamische Schienen sinnvoll, um Adhäsionen mit
Sie kann nun auch auf ihre Verschiebbarkeit hin trainiert und dem Umgebungsgewebe zu vermeiden (⊡ Abb. 15.61).
310 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

Korrektur der inadäquaten Narbe


> Zur Korrektur einer inadäquaten Narbe besteht eine Reihe
von konservativen und operativen Therapiemaßnahmen
( Kap. 34)

15.2.10 ADL (Activity of Daily Living)

Unter therapeutischer Anleitung erhält der Patient Informationen


über den Einsatz von alltagsunterstützenden und -erleichternden
Hilfen und deren korrekten Einsatz.
Bei einer sowohl theoretischen als auch praktischen Unter-
weisung erlernt der Betroffene den Umgang und Gebrauch von
Hilfsmitteln für den Alltag kennen und erfährt eine umfassende
Gelenkschutzberatung zur Vermeidung von Fehlbelastungen und
den daraus resultierenden Deformitäten. ⊡ Abb. 15.62 Diverse Stifte
Es können isolierte Einschränkungen der Handfunktion (z. B.
bei Fingeramputationen oder Arthrodesen) im Alltag sein, die den
praktischen Lebensalltag erschweren, oder auch dauerhafte, kom-
plexe Beeinträchtigungen mit weit reichenden Schädigungen, die
die Lebensqualität erheblich mindern.
Von therapeutischer Relevanz ist die Frage, ob die Beeinträch-
tigung temporärer Natur ist oder ob eine bleibende Schädigung
vorliegt. Dementsprechend wird die Versorgung mit Hilfsmitteln
unterschiedlich zu beurteilen sein.
Ziel ist eine patientenbezogene Unterstützung bei Alltagsakti-
vitäten und die Versorgung mit den nötigen Hilfsmitteln.

Hilfsmittelversorgung
Hilfsmittel dienen der Kompensation bei Funktionsseinschränkun-
gen. Sie können entweder vom Ergotherapeuten selbst hergestellt
oder aus vorhandenen Alltagsgegenständen individuell adaptiert
werden. Weiterhin sind entsprechende Produkte auch gebrauchs-
fertig im Handel erhältlich. Sie sollen
▬ Selbstständigkeit ermöglichen oder unterstützen,
⊡ Abb. 15.63 Diverse Deckelöffner
▬ Lebensqualität verbessern,
15 ▬ die Reintegration des Patienten in ein möglichst normales
Umfeld erleichtern,
▬ die Unabhängigkeit erhöhen,
▬ Restfunktionen trainieren und fördern.

Darüber hinaus können sie


▬ temporäre Unterstützung bis zur Wiedererlangung der Funk-
tion/Fähigkeit liefern und
▬ therapeutisch genutzt werden, indem sie Bewegung fordern
und Kräftigung fördern.
> Grundsätzlich gilt für den Einsatz der Hilfsmittel: So wenig
wie möglich – so viel wie nötig!
Die Anpassung der Alltagsgegenstände kann erreicht werden
durch
▬ Verstärkung von Griffen bei geringer Greiffunktion und -kraft
(z. B. an Essbestecken, Werkzeugen, Zahnbürsten etc.),
▬ Versehen mit speziellen Halterungen (z. B. an Scheren und
⊡ Abb. 15.64 Messer mit angepasstem Griff
Stiften, ⊡ Abb. 15.62)
▬ Anpassung von anatomisch geformten Griffen (z. B. an Geh-
stützen, ⊡ Abb. 15.63, ⊡ Abb. 15.64)
Diese sind, da nicht medizinisch geprüft, in der Regel erheb-
> Hinweis: Grundsätzlich ist der Einsatz von normalen Alltags- lich preisgünstiger und haben häufig nicht den Charakter des
gegenständen, die aufgrund ihrer Form und Beschaffenheit »Ungewöhnlichen oder Besonderen«. Dies erhöht die Akzep-
die Anforderungen eines Hilfsmittels erfüllen, zu bevorzugen. tanz bei Patienten und Angehörigen.
15.2 · Spezielle Techniken
311 15

a b

⊡ Abb. 15.65 Gelenkschonende Handlungsabläufe: Türklinke öffnen (Hebelgesetz beachten). a richtig, b falsch

a b

⊡ Abb. 15.66 Gelenkschonende Handlungsabläufe: Auswinden (Fehlbelastung der Fingergelenkachsen). a richtig, b falsch

Gelenkschutzberatung
Bei der Gelenkschutzberatung werden Aspekte zum schonenden
Einsatz der Gelenke vermittelt. Der Patient
▬ erhält grundsätzliche Informationen über anatomische
Gegebenheiten,
▬ wird über die pathophysiologischen Hintergründe der Er-
krankung aufgeklärt,
▬ erlernt die Prinzipien gelenkschonender Handlungs-
abläufe kennen (⊡ Abb. 15.65, ⊡ Abb. 15.66, ⊡ Abb. 15.67,
⊡ Abb. 15.68),
▬ erhält Informationen über kontrakturprophylaktische Maß-
nahmen und deren Handhabung im Alltag und
▬ erhält praktische Unterweisung für gelenkschützenden und
erleichternden Umgang im Lebensalltag.

Die Gelenkschutzberatung kann in Einzel- und/oder Gruppenthe-


⊡ Abb. 15.67 Ausgießen (Belastungsverteilung auf größere Gelenke) rapie durchgeführt werden.
312 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

⊡ Abb. 15.68 Korkenziehen (gelenkschonende Haltung) ⊡ Abb. 15.69 Ulnokarpale Funktionsschiene bei Zustand nach MCP-Endo-
prothesenversorgung

15.2.11 Schienenversorgung

Die prä- und postoperative Versorgung eines Patienten mit ther-


moplastischen Schienen stellt eine wichtige Maßnahme zur Lage-
rung und Korrektur von Extremitäten dar. Durch die Möglichkeit
der kurzfristigen Herstellung ist die Versorgung mit Schienen aus
der Handtherapie nicht mehr wegzudenken. Schienen können
schnell und zeitnah gebaut und somit direkt in die Nachbehand-
lung einbezogen werden. Sie werden nach den Bedürfnissen des
Patienten und den medizinischen Belangen ausgerichtet, sollen
alltagstauglich konstruiert werden, passgenau sein und einen guten
ästhetischen Standard aufweisen, um vom Patienten die erforderli-
che Compliance zu erhalten.
Für die Herstellung sind vom Therapeuten fundierte techni-
sche Kenntnisse und ein fachspezifisch, medizinisches und patho-
physiologisches Wissen unbedingt erforderlich. Biomechanisches
Verständnis vom Ablauf einzelner Bewegungsmuster sind insbe- ⊡ Abb. 15.70 Verschiedene Beugequengelschienen
15 sondere für den Bau von komplexen dynamischen Schienen nötig,
damit das Produkt den vielfältigen Alltagsanforderungen (z. B.
einhändiges An- und Ausziehen der Schiene, Vermeidung von
Verletzungen durch Ausleger und Zügelungen, optimales Gleiten
der mobilen Führungsanteile) standhält. Der Patient wird mit
dieser Orthese eine nicht unerhebliche Zeit, eventuell Wochen bis
Monate, verbringen (⊡ Abb. 15.69).
Mittlerweile wird auf dem Rehabilitationssektor eine Vielzahl
von vorgefertigten Konfektionsschienen angeboten, die preisgüns-
tig, funktionell und teilweise optisch sehr ansprechend gestaltet
sind (⊡ Abb. 15.70, ⊡ Abb. 15.71).
Maßangefertigte Schienen tragen jedoch den spezifischen Be-
dürfnissen des Patienten besser Rechnung, insbesondere wenn es zu
physiologischen Normabweichungen kommt oder durch operative
Eingriffe spezieller, individueller Formgebung, besonderer Gelenk-
führung oder Quengelung bedarf. Sie können überdies unmittelbar
an den jeweiligen Behandlungsstatus adaptiert werden und müssen
selten komplett erneuert werden. Dies unterstützt in erheblichem ⊡ Abb. 15.71 Verschiedene Streckquengelschienen
Maße das Zeitmanagement zur Erreichung eines optimalen Behand-
lungsergebnisses im Therapieverlauf und kompensiert damit auch
eventuell höhere Herstellungskosten gegenüber Fertigprodukten. herstellbar. Sie stehen dem Patienten somit sofort zur Verfügung.
Die Schienen werden aus thermoplastischem Niedrigtempera- Gelenkstellung, Zügelführung, Weitenregulierung und Polsterun-
turmaterial (verformbar bei ca. 60–75° Celsius) direkt am Patien- gen können während der Therapie jederzeit an den aktuellen Be-
ten nach Maß individuell modelliert und gefertigt und sind übli- handlungsstatus angepasst werden. Es wird zwischen statischen
cherweise in einem Zeitraum von etwa 30 min bis 2,5 h kurzfristig und dynamischen Schienen unterschieden.
15.2 · Spezielle Techniken
313 15
gotherapeuten angeboten. Sie kann als »Heilmittel« über die
Heilmittelverordnung Nummer 18, therapiebegleitend verordnet
werden.
Eine Verordnung könnte folgendermaßen ausgestellt werden:
▬ 10-mal motorisch-funktionelle Ergotherapie mit thermischen
Anwendungen,
▬ 1 Handgelenklagerungsschiene rechts, nach Maß.
> Schienenherstellung ist Vergütungsbestandteil aller gesetzli-
chen und der meisten privaten Krankenkassen. Bei aufwendi-
geren Schienen, z. B. dynamischen Unterarmschienen, müs-
sen im Vorfeld Kostenvoranschläge bei den Krankenkassen
eingereicht werden.
Orthesen bzw. Schienen aus dem Verarbeitungsbereich mit höhe-
ren Temperaturen, ab ca. 100° Celsius, werden von der Orthopä-
dietechnik nach Gipsabdruck als »Hilfsmittel« modelliert.
⊡ Abb. 15.72 Unterschiedliche Materialien und Verschlüsse
Schienenmaterialien
In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Schienen-
> Die statischen Schienen dienen überwiegend der Lagerung, materialien auf den Markt gebracht. Diese thermoplastischen
Ruhigstellung und Kontrakturprophylaxe, während dynami- Niedrigtemperaturkunststoffe unterscheiden sich in ihrer Zu-
sche Schienen zur Korrektur, Gelenkmobilisation und dem sammensetzung und Beschaffenheit. Welchem Material man
geführten Sehnengleiten eingesetzt werden. den Vorzug gibt, bestimmen einerseits die Art der Schiene,
andererseits die individuellen Erfordernisse. So finden wir stark
Schienen finden ihren Einsatz bei Verletzungen und Erkrankungen elastische Materialien, z. B. Polyform oder X-Lite, die sich gut
im traumatischen, orthopädischen, rheumatischen und neurologi- für große Ausdehnungen an Gelenken und Knochenvorsprün-
schen Bereich. Sie werden zur konservativen Versorgung in Akut- gen eignen, als auch Materialien mit Memory-Effekt, die beim
phasen aber auch zur prä- und postoperativen (auch frühen post- Wiedererwärmen in die Ausgangsschnittform zurückgehen und
operativen) Behandlung eingesetzt. Besondere Aufmerksamkeit ist somit für die Adaption im Therapieverlauf besonders geeignet
dem Schienenbau nach Tenolysen und Gelenkimplantationen zu sind. Die Kunststoffe sind in der Regel auch für Allergiker sehr
schenken, da hier mittels dynamischer Schienen Adhäsionen er- gut verwendbar. Es kommt äußerst selten zu Reaktionen auf das
folgreich verhindert werden können. Schienenmaterial. Vorsicht ist allerdings bei der Anbringung von
Nieten als Verschlusshalterung geboten, da diese Nickelallergien
Verordnungsmöglichkeiten auslösen können (⊡ Abb. 15.72).
Thermoplastische Schienenherstellung im Niedrigtemperaturbe- In ⊡ Abb. 15.73 werden einige Schienenmodelle mit ihren spe-
reich wird aktuell in Deutschland noch überwiegend von Er- zifischen Kriterien im Überblick dargestellt.

Abbildung Modell Schienen- Parameter Diagnosen Cave


art
Palmare Lagerungs- statisch HG Extension bis 30°, Rheumatoide Arthritis, Verschlüsse über MCP-
schiene MCP-Gelenke 40–45°, Immobilisierung b. Gelenken diagonal,
PIP und DIP-Gelenke Sehnenverletzungen, breite und gepolsterte
0–20° Verbrennung etc. Verschlüsse wählen

Intrinsic-Plus statisch MCP-Gelenke 70–90° Bevorzugte Lagerungs- Verschlüsse über MCP-


Schiene Flexion, PIP und DIP position zur Entlastung Gelenke diagonal, brei-
in Extension, HG 30° der MC-Kollateralbän- te Verschlüsse wählen
Extension der

Cock Up – Schiene statisch HG 20–30° Extension, N.radialis Läsion, Schiene distal bis max.
Schienenlänge 2/3 des Rheumatoide Arth- distale Hohlhandfalte,
Unterarmes ritis, Epicondylitis um Flexion der MC-
(ulnaris,radialis) CRPS Gelenke nicht zu be-
einträchtigen

⊡ Abb. 15.73 Schienenmodelle


314 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

Abbildung Modell Schienen- Parameter Diagnosen Cave


art
Ulno-Carpale dynamisch HG bis 30° Extension, Endoprothesen MCP- Druckstellenvermei-
Streckschiene mit dynamische Ausleger Gelenke, Sehnenplastik dung Caput ulnae,
Outriggern über MCP-Gelenken MCP-Gelenke, Teno- Ausleger 90° über
achsenkorrigierend lysen Grundphalanx
ausrichten

Kleinert-Schiene dynamisch HG 30 bis 60° Flexi- Sehnennaht der Finger- Zügelung richtet sich
on, MCP ca. 60-70° flexoren nach Os scaphoideum
Flexion, aus, Finger soll maxi-
mal streckbar sein

Ellbogenschiene statisch Ellbogen in 90° Fle- Epicondylitis, Rotationsstellung bei


xion, HG in Pro und Bild : CRPS Schienenanpassung
Sup.-Stellung (ca. 0°) beachten

Anti-ulnare Devia- statisch Palmare Mittelhand- Rheumatoide Arthritis, Mittelhandpelotte


tionsspange (AUD), pelotte zur Unterstüt- Ulnardeviation MCP- so breit wie möglich
palmar zung des Transversal- Gelenke fertigen, da ansonsten
gewölbes, bestmögli- Abkippung der gesam-
che Achsenkorrektur ten Schiene nach ulnar
der MCP-Gelenke möglich, Transversal-
nach radial, MCP Flexi- bogen durch Pelotten-
on bis ca.30° formung unterstützen

Anti-ulnare Devia- dynamisch Dorsale Zügelführung Rheumatoide Arthritis, Fingerzügelung: Hy-


tionsspange (AUD), der Grundphalanx im Ulnardeviation MCP- perextension der MCP-
dorsal 90°-Winkel zum ge- Gelenke, MCP-Extensi- Gelenke vermeiden,
15 streckten Finger und
MCP-Achsenkorrektur-
onshilfe bei Schwäche Verschluss über Hohl-
MCP-Kollateralbänder, hand querverlaufend
stellung möglichst 0° Schädigung des Endas- setzen, um Schienen-
tes d.N.radialis verkippung nach ulnar
zu verhindern

Mittelhandschiene dynamisch Palmare Schiene mit PIP-Endoprothesen und Ausschaltung der


mit Fingerzügelung Unterstützung des Beugekontrakturen PIP- MCP-Flexion durch
Transversalgewölbes, Gelenke bei z.B. Distor- Führungssteg bis PIP-
und Zügelung der sionsverletzungen Gelenk für die betrof-
Finger in Flexion (PIP- fenen Finger
Gelenke)

Rhizoring statisch Kleinstmögliche Subluxation MCP-Ge- Schienenmaterial in


Schiene zur Abduktion lenk, Adduktionskon- der ersten Kommisur
des Daumens traktur 1. Kommisur breit formen, um aus-
reichende Abduktion
zu erreichen

⊡ Abb. 15.73 Fortsetzung


15.2 · Spezielle Techniken
315 15
Abbildung Modell Schienen- Parameter Diagnosen Cave
art
Daumenlagerungs- statisch D1 in korrigierte Lagerung und Korrek- D1 in palmare Oppo-
schiene Position bringen , Ein- tur bei rheumatoider sition und Abduktion
schluß CMC, MCP Arthritis, Arthrose, bei Funktionsschiene,
Bandverletzungen, als postop-Schiene
postoperative Schiene in MP- Extension und
bei Resektionsarthro- Handflächenniveau-
plastik ebene

Schwanenhalsschie- statisch PIP - Gelenk in leichter Schwanenhalsdefor- Schienenmaterial breit


ne, Achterschlaufe, Flexion (-30°) mität, Bandinstabilität wählen, um Druck-
H-Schiene (Hyperextension des stellen bei Fingerstre-
PIP-Gelenkes) ckung zu verhindern

Opponenssplint statisch Abduktion und palma- Adduktionskontraktur, Greiffunktion ermög-


re Opposition D1 Schädigung des N. lichen, daher D1 in
medianus, mit Parese leichter Opposition
medianusinervierte und Flexion führen
Muskulatur (Schwur-
hand)

Daumenextensions- dynamisch D1 IP und MCP- Frühmobilisation Aktive Flexionsmög-


schiene Gelenk in Extension, bei Strecksehnennaht, lichkeit je nach Be-
Handgelenk 20-30° Tenolysen handlungsfortschritt
Extension mittels palmarer Platte
bei z.B. 30°, begrenzen

Ulnarisschiene dynamisch Palmare Mittelhand- Ulnarisläsionen, alle Hohlhandpelotte bis


pelotte mit D 4 und 5 Intrinsic minus Defor- prox. Hohlhandfalte
Zügelung in leichter mitäten, Guillain-Barré- (Transversalgeölbe
Flexion Strohl-Syndrom ausformen), ggf. Ab-
duktion D5 korrigieren

Palmare Mittelhand- statisch Handgelenk bis 20° Postop.Schiene bei. z.B. transversale Ver-
korrekturschiene Extension, MCP Gelen- Morbus Dupuytren, schlussführung über
ke, PIP, DIP max. Stre- Beugekontrakturen im den Fingergelenken,
ckung, HG-Einschluss Finger- Hohlhandbe- um Herausgleiten
nur bei weit nach reich unterschiedlicher nach proximal zu ver-
proximal reichenden Genese hindern, benachbarte
Inzisionen erforderlich Finger einschließen

⊡ Abb. 15.73 Fortsetzung


316 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

Abbildung Modell Schienen- Parameter Diagnosen Cave


art
3-Punkt Extensions- dynamisch PIP-Gelenke werden Streckdefizit unter- Hauttrophik unter den
Fingerquengel- mit unterschiedlich in- schiedlicher Genese, druckübertragenden
schiene (Konfekti- tensivem Federzug in z.B. Mb. Dupuytren, Pads kontrollieren
onsprodukt) Streckung gebracht rheumatoider Arthritis,
Endoprothetik, Bandlä-
sionen, Luxationen
3-Punkt Extensions- statisch PIP-Gelenk wird adjuvante Maßnahme Sensible Anwendung
Fingerquengelschie- progressiv mittels Schrauben- zur passiven PIP Stre- erforderlich, nur für
ne (Jack Joint, weiße drehung in Extension ckung begrenzte, kurzfristige
Schiene) (Konfekti- gebracht Intensivdehnung
onsprodukt)
3-Punkt Flexions- Semidy- PIP-Gelenke werden Beugedefizit unter- Hauttrophik unter den
Fingerquengel- namsich mit unterschiedlichem schiedlicher Genese, druckübertragenden
schiene (Konfekti- und dy- Federzug oder Draht- z.B. nach PIP- Endo- Pads kontrollieren
onsprodukt) namsich biegung in Flexion prothetik, Luxationen,
gebracht Distorsionen, Kapsel-
Bandverletzungen

Ringbandschutz statisch Zirkulärer Ringband- Ringbandrekonstruktio- Schienenmaterial darf


schutz nen, Tenolysen palmarseitig Fingerfle-
xion nicht beeinträch-
tigen

Adduktionshilfe statisch Stabilisierung von Kollateralbandläsionen, Metallringe wer-


(Zwillingsschlaufen, MCP-Gelenken durch MCP- Deviation und den höhenversetzt
Adduktionssringe) aneinanderfixierte Luxation bei z.B. rheu- aneinandergelötet
Fingerschlaufen oder matoider Arthristis (Goldschmied), bei
Ringe Zwillingsschlaufen
eventuellen schrägen
Zug beachten

15 Handgelenkban- elastisch Stabilisierung des Kar- Alle Instabilitäten des Wickelung direkt über
dage (gummiert) pometacarpalgelen- Handgelenkes, Bajo- Metacarpalgelenk
Fertigprodukt kes ohne Einschluss nettfehlstellung bei R.A. (Haftung durch Gum-
der Mittelhand mierung der Bandage)

Schwanenhals- statisch Koorektur und Sta- Schwanenhalsdefor- Ringe werden von Or-
Schmuckringe bilisierung des PIP in mitäten thopäditechniker, bzw.
leichter Flexionsstel- Goldschmied gefertigt,
lung (-30°) Auflagefläche des
Metalles soll flächig
sein, ansonsten Einker-
bungsgefahr

Flexionshandschuh flexibel Beugequengelung der Beugedefizit in Bei PIP und DIP Kon-
gesamten Fingerpha- MCP,PIP,DIP trakturen mit einer
lanx (D 1- 5 möglich) Mittelhandschiene
unterstützen, Zügel-
führung auf Os sca-
phoideum ausrichten,
daher Überkreuzung
der Zügel

⊡ Abb. 15.73 Fortsetzung


15.4 · Handrehabilitation im Überblick
317 15
15.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen xere Arbeitsabläufe, die beispielsweise der Arbeitserprobung die-
nen und zu einer zufriedenstellenden Teilhabe am normalen Leben
Die Handrehabilitation ist in den vergangenen Jahren zu einem im- (ICF-Score) beitragen, können häufig nur bedingt berücksichtigt
mer wichtiger werdenden Faktor einer erfolgreichen Nachbehand- werden.
lung avanciert, ist jedoch unter den zunehmend knapperen stationä- Auch die im Kapitel umfassend aufgeführten standardisierten
ren Aufenthaltszeiten und begrenzten ambulanten therapeutischen und klinischen Messungen können im zeitlich begrenzten Thera-
Verordnungsmöglichkeiten steigendem Erfolgsdruck ausgesetzt. piealltag häufig nicht durchgeführt werden, da hierfür ein höhe-
Dieser wirkt sich dahingehend erschwerend auf das Behand- rer Zeitaufwand erforderlich wäre. Für spätere dokumentarische
lungsgeschehen aus, dass der Patient mitunter das mögliche The- Rückfragen wird dies gelegentlich zum Problem.
rapieziel nicht erreichen kann, weil die Therapiegestaltung den
Bedürfnissen des Patienten nicht optimal angepasst werden kann.
Die Kommunikation zwischen den Beteiligten innerhalb eines 15.4 Handrehabilitation im Überblick
Rehabilitationsnetzwerkes (Patient, Arzt, Therapeut und andere)
kann zudem oft nur unzureichend stattfinden und erschwert da- Die nachfolgende Tabelle soll einen Überblick für die therapeuti-
durch die sensible Arbeit einer erfolgreichen Therapie. schen Möglichkeiten im Bereich der Handrehabilitation geben und
Wichtige Behandlungsformen, wie der Einsatz von handwerk- listet typische Diagnosen auf. Dabei sind die Maßnahmen als Emp-
lichen Tätigkeiten, treten dadurch in den Hintergrund. Komple- fehlung für eine sinnvolle Therapiegestaltung zu betrachten.

Diagnose Motorisch-funktionel- Sensomotorisch- Physikalische Apparative Weitere Schienen


le Behandlungen perzeptive Maßnahmen Behandlungen Maßnahmen (Abschn. 15.2.11)
( Abschn. 15.2.2) Behandlungen ( Abschn. (CPM)
( Abschn. 15.2.3) 15.2.5) ( Abschn. 15.2.6)

Frakturen Manuelle Therapie Manuelle CPM (Pro-/Supi- Narbenbehandlung Lagerungsschiene,


inklusive TP Massage nation, Extension- (Abschn. 15.2.9) Korrekturschiene, ggf.
Funktionelle Übungen Thermische Flexion) Stütz- und Schutz-
Computergestützte Anwendung bandage oder -man-
Therapie EMS schetten
Taping

Arthrodesen Funktionelle Übungen Manuelle CPM (Pro-/Supi- Sensibilitätstraining/ Lagerungsschiene


und Teilarthro- Computergestützte Massage nation, Extension- Desensibilisierung
desen an DIP, Therapie Thermische Flexion) ( Abschn. 15.2.7)
PIP, MCP, HG Anwendung Narbenmassage
(Abschn. 15.2.9)

Arthrosen Manuelle Therapie Manuelle Ggf. CPM (Pro-/ Hilfsmittelsversorgung Lagerungs- und
(Heberden, Funktionelle Übungen Massage Supination, Exten- ( Abschn. 15.2.10) Korrekturschiene (re-
Bouchard, Therapeutische Thermische sion-Flexion) Gelenkschutzberatung dressierende Schiene
Rhiz-, HG) Knetübungen (Heim- Anwendung (Abschn. 15.2.10) bei Achsfehlstellung),
übungsprogramm) TENS Schmerztagebuch Quengelschienen für
( Abschn. 15.2.1) PIP- Gelenke, Stütz-
manschetten und
-bandagen

Amputationen Manuelle Therapie für Spiegeltherapie Manuelle Sensibilisierung/Desensi- Lagerungs- und Kor-
(Finger, Hand) angrenzende Gelenke Recognise Flash Massage bilisierung rekturschiene, ggf. mit
Funktionelle Übungen Card Thermische (Abschn. 15.2.7) Elastomereinlage
Computergestützte Stereognostische Anwendung Ödembehandlung und
Therapie Übungen TENS, EMS Ödemprophylaxe
Kognitiv-therapeu- (Abschn. 15.2.8)
tische Übungen Standardisierte Narben-
nach Perfetti behandlung
(Phantomschmerz) ( Abschn. 15.2.9)
Schmerzmanagement
( Abschn. 15.2.1)
Taping ( Abschn. 15.2.5)

Endoprothesen Manuelle Therapie an- Manuelle CPM (Pro-/Supi- Hilfsmittelsversorgung Lagerungs- und Korrek-
(HG, MCP, PIP, grenzender Gelenke Massage nation, Extension- (Abschn. 15.2.10) turschiene (Ulnokarpale
CMC) Funktionelle Übungen Thermische Flexion) Gelenkschutzberatung Schiene mit Outrigger
Computergestützte Anwendung ( Abschn. 15.2.10) für jeweiligen DIG), dy-
Therapie namische Extensions-
Therapeutische Knet- bzw. Flexions- Quengel-
übungen schiene für PIP und DIP
Gelenke
318 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

Diagnose Motorisch-funktionel- Sensomotorisch- Physikalische Apparative Weitere Schienen


le Behandlungen perzeptive Maßnahmen Behandlungen Maßnahmen (Abschn. 15.2.11)
( Abschn. 15.2.2) Behandlungen ( Abschn. (CPM)
( Abschn. 15.2.3) 15.2.5) ( Abschn. 15.2.6)

Luxationen/ Manuelle Therapie Physikalische CPM (Pro-/Supi- Ödembehandlung und Lagerungsschiene,


Distorsionen Funktionelle Übungen Maßnahmen nation, Extension- Ödemprophylaxe dynamische Quen-
Therapeutische Knet- hier: TENS ein- Flexion) ( Abschn. 15.2.8), gelschiene für MCP,
übungen setzen ggf. Narbenmassage PIP- Gelenke, ggf. Flexi-
Computergestützte ( Abschn. 15.2.9) onshandschuh
Therapie

Morbus Manuelle Therapie Stereognostische Physikalische Ggf. CPM Sensibilitätstraining/ Lagerungs- und Kor-
Dupuytren Funktionelle Übungen Übungen Maßnahmen (Extension-Flexion) Desensibilisierung rekturschiene, ggf. mit
Therapeutische Knet- hier: TENS ein- ( Abschn. 15.2.7) Elastomereinlage
übungen (Heimpro- setzen Ödembehandlung und
gramm) Ödemprophylaxe
Computergestützte ( Abschn. 15.2.8)
Therapie Standardisierte Narben-
behandlung
( Abschn. 15.2.9)

Karpaltunnel- Manuelle Therapie Physikalische Ggf. CPM (Pro-/ Sensibilitätstraining/ Ggf. Lagerungsschiene
syndrom (CTS) Funktionelle Übungen Maßnahmen Supination, Exten- Desensibilisierung mit Elastomereinlage
Therapeutische Knet- TENS einsetzen sion-Flexion) ( Abschn. 15.2.7)
übungen Taping Narbenmassage
( Abschn. 15.2.9)

Sehnennähte Manuelle Therapie Ggf. Stereognosti- Massagen Besonderheiten bei Dynamische Flexions-
(Beuge-/Streck- Funktionelle Übungen sche Übungen Thermische Sehnenverletzungen schiene (Kleinert) oder
sehne) Therapeutische Knet- Anwendung ( Abschn. 15.1.4) dynamische Extensi-
übungen EMS onsschiene (Reversed
Computergestützte Kleinert) für einen oder
Therapie mehrere Finger

Tenolysen Manuelle Therapie Massagen CPM (Extension- Ggf. Standardisierte Ringbandschutz und
Funktionelle Übungen Thermische Flexion) Narbenbehandlung ggf. dynamische Funkti-
Therapeutische Knet- Anwendung ( Abschn. 15.2.9) onsschiene
übungen EMS
Computergestützte

Band- Funktionelle Übungen Physikalische CPM (Pro-/Supi- Narbenmassage Lagerungsschiene, ggf.


15 verletzungen Therapeutische Knet- Maßnahmen nation, Extension- ( Abschn. 15.2.9) Stütz- und Schutzban-
übungen Flexion) dage oder –manschette
Computergestützte
Therapie

Komplexes Motorisch-funktionelle Sensomotorisch- Physikalische CPM (Pro-/Supi- Ödembehandlung und Lagerungsschiene, ggf.
regionales Behandlung perzeptive Be- Maßnahmen nation, Extension- Ödemprophylaxe Stütz- und Schutzban-
Schmerzsyn- handlung hier: 15.2.5 Flexion) ( Abschn. 15.2.8) dage oder -manschette,
drom (CRPS) TENS einsetzen Schmerzmanagement pneumatische Druck-
( Abschn. 15.2.1) schiene

Sensibilitäts- Funktionelle Übungen Spiegeltherapie Manuelle Mas- Hilfsmittelsversorgung Lagerungsschiene


störungen Therapeutische Knet- Recognise Flash sage ( Abschn. 15.2.10)
übungen Card Thermische Gelenkschutzberatung
Stereognostische Anwendung ( Abschn. 15.2.10)
Übungen TENS

Nerven- Motorisch-funktionelle Spiegeltherapie Physikalische CPM (Pro-/Supi- Sensibilitätstraining/ Statische und dynami-
läsionen Behandlung Recognise Flash Maßnahmen nation, Extension- Desensibilisierung sche Schienen je nach
Cards Flexion) ( Abschn. 15.2.7) Verletzung erforderlich
Kognitiv-therapeu- Ödembehandlung und
tische Übungen Ödemprophylaxe
nach Perfetti ( Abschn. 15.2.8)
Stereognostische Standardisierte Narben-
Übungen behandlung
( Abschn. 15.2.9)
ADL ( Abschn. 15.2.10)
15.5 · Verordnungsmodalitäten
319 15

Diagnose Motorisch-funktionel- Sensomotorisch- Physikalische Apparative Weitere Schienen


le Behandlungen perzeptive Maßnahmen Behandlungen Maßnahmen (Abschn. 15.2.11)
( Abschn. 15.2.2) Behandlungen ( Abschn. (CPM)
( Abschn. 15.2.3) 15.2.5) ( Abschn. 15.2.6)

Rheumato- Funktionelle Übungen Stereognostische Manuelle Mas- CPM (Pro-/Supi- Schmerzbehandlung und Lagerungs- und Korrek-
ide Arthritis Therapeutische Übungen sage nation, Extension- Schmerzmanagement turschiene, ggf. Stütz-
(konservative Knetübungen (Heim- Thermische Flexion) ( Abschn. 15.2.1) und Schutzbandage
Behandlung) übungsprogramm) Anwendung Hilfsmittelsversorgung oder -manschetten,
TENS, EMS ( Abschn. 15.2.10) AUD-Spange palmar
Gelenkschutzberatung oder dorsal
( Abschn. 15.2.10)
Psychisch-funktionelle
Behandlung
( Abschn. 15.2.4)
Synovektomien Manuelle Therapie Manuelle Mas- CPM (Pro-/Supi- Lagerungsschiene,
Funktionelle Übungen sage nation, Extension- Quengelschienen für
Therapeutische Thermische Flexion) PIP-Gelenke, Stützman-
Knetübungen (Heim- Anwendung schetten und -bandage
übungsprogramm) TENS, EMS
Fehlbildungen Funktionelle Übungen Stereognostische Physikalische CPM (Pro-/Supina- Schmerzbehandlung und 2 Lagerungs- und
Handwerkliche Tätig- Übungen Maßnahmen tion, Ext. Flexion Schmerzmanagement Korrekturschienen, ggf.
keiten ( Abschn. 15.2.1) Stütz- und Schutzban-
Therapeutische Ödembehandlung und dage oder -manschet-
Knetübungen (Heim- Ödemprophylaxe ten, ggf. mit Elastomer-
übungsprogramm) ( Abschn. 15.2.8) einlage, dynamische
Standardisierte Narben- Extensions- bzw. Flexi-
behandlung ons-Quengelschiene
( Abschn. 15.2.9)
Hilfsmittelsversorgung
( Abschn. 15.2.10)
Gelenkschutzberatung
( Abschn. 15.2.10)
Psychisch-funktionelle
Behandlung ( Abschn.
15.2.4)
Verbrennun- Motorisch-funktionelle Sensomotorisch Physikalische CPM (Pro-/Supi- Sensibilitätstraining/ Statische und dynami-
gen Behandlung – perzeptive Be- Maßnahmen nation, Extension- Desensibilisierung sche Schienen je nach
handlung Flexion) ( Abschn. 15.2.7) Verletzung erforderlich
Ödembehandlung und
Ödemprophylaxe
( Abschn. 15.2.8)
Standardisierte Narben-
behandlung
( Abschn. 15.2.9)
ADL ( Abschn. 15.2.10)
Psychisch-funktionelle
Behandlung
( Abschn. 15.2.4)

15.5 Verordnungsmodalitäten Ziffern hinter dem Indikationsschlüssel ermöglichen eine wei-


tere Differenzierung. Beispiel: SB2 »Becken- und Extremitäten-
Der aktualisierte Heilmittelkatalog für Ergotherapie basiert auf der verletzungen/-operationen« – Störungen nach
nach wie vor gültigen Auflage vom 1.7.2004, für die Physiotherapie ▬ traumatischer Schädigung,
wurde er 2010 aktualisiert. Er beschreibt, welches Heilmittel (Ergo- ▬ Operationen,
therapie/ Physiotherapie) in welcher Menge, bei welcher Diagnose ▬ Verbrennungen,
im Regelfall als medizinisch angemessene, wirtschaftliche Versor- ▬ Verätzungen,
gung angesehen wird. vorwiegend im Schulter, Arm, Handbereich.
Dabei sind bei den Heilmittelverordnungen die in ⊡ Tab. 15.4 Einhergehend mit Funktionsstörungen
angegebenen Kürzel für die Indikationsschlüssel zu verwenden: ▬ aktive/passive Bewegungsstörungen,
Der Heilmittelkatalog untergliedert dabei in Diagnosegruppen ▬ Kontrakturen, Narbenzügen,
und in Leitsymptomatik (Schädigung bzw. Funktions- oder Fähig- ▬ Schmerz,
keitsstörung). Die Leitsymptomatik gibt dabei die anzustrebenden ▬ Störungen der Körperwahrnehmung,
Therapieziele vor. ▬ Störungen der Sensibilität,
320 Kapitel 15 · Grundlagen der Handrehabilitation und Schienenversorgung

deren Leitsymptomatik ist dabei die Fähigkeitsstörung mit Ein-


⊡ Tab. 15.4 Kürzel für die Indikationsschlüssel gemäß Heilmittelver-
ordnung
schränkungen
▬ im Verhalten,
Diagnosegruppe Indikationsschlüssel ▬ in der zwischenmenschlichen Interaktion,
▬ der Selbstversorgung und Alltagsbewältigung,
Ergotherapie Physiotherapie
▬ der Beweglichkeit und Geschicklichkeit,
Erkrankungen des zen- EN ZN, PN mit den angestrebten Therapiezielen:
tralen und peripheren ▬ Verbesserung des situationsgerechten Verhaltens, auch der so-
Nervensystems zioemotionalen Kompetenzen und Interaktionsfähigkeit,
▬ Selbstständigkeit in der Selbstversorgung,
Psychische Störungen PS -
▬ Verbesserung der Beziehungsfähigkeit,
Erkrankungen des SB EX ▬ Verbesserung der Tagesstrukturierung,
Stütz- und Bewegungs- ▬ Verbesserung der Belastungsfähigkeit und Ausdauer.
apparates

Chronifizierte Schmerz- - CS
Der Heilmittelkatalog (http://www.heilmittelkatalog.de) gibt Aus-
syndrome kunft darüber, mit welchem Heilmittel in welcher Verordnungs-
menge bzw. Gesamtverordnungsmenge das Therapieziel im Regel-
fall zu erreichen ist.
Für den Regelfall ist dabei immer die Verordnung eines sog.
deren Leitsymptomatik die »Fähigkeitsstörung« ist, die Einschrän- »vorrangigen« Heilmittels, z. B. »motorisch-funktionelle Behand-
kungen in der Selbstversorgung und Alltagsbewältigung, der Be- lung« vorgesehen. »Thermische Anwendung« kann, soweit medizi-
weglichkeit und Geschicklichkeit nach sich zieht. nisch erforderlich, als zusätzlich ergänzendes Heilmittel verordnet
Therapieziele für SB2 können u. a. sein: werden.
▬ Verbesserung der manuellen Geschicklichkeit, Ein »optionales« Heilmittel findet Einsatz bei Patienten, bei
▬ Verbesserung der körperlichen Beweglichkeit, denen das vorrangige Heilmittel nicht eingesetzt werden kann, z. B.
▬ Erlernen von Kompensationsmechanismen, »sensomotorisch-perzeptive« anstatt »motorisch-funktionelle« Be-
▬ Selbstständigkeit in der Selbstversorgung (Hygiene/Ankleiden), handlung.
Erkrankungen der Gruppe EN bzw. PN (periphere Nervenläsionen)
sind beispielsweise:
▬ Plexusparese,
▬ periphere Paresen,
▬ Polyneuropathie
Funktionsstörungen der
▬ Grob- und Feinmotorik, Koordination,
▬ Sensibilität und Körperwahrnehmung,
deren Leitsymptomatik die Fähigkeitsstörung z. B. in der
▬ körperlichen Beweglichkeit/Geschicklichkeit,
15 ▬ der Selbstversorgung und Alltagsbewältigung
ist.
Mit den möglichen Therapiezielen:
▬ Selbstständigkeit in der Selbstversorgung (Ankleiden/Hygi-
ene),
▬ Verbesserung der körperlichen Beweglichkeit und Geschick-
lichkeit,
▬ Erlernen von Kompensationsmechanismen,
▬ Wiederherstellung/Verbesserung der Belastbarkeit und Aus-
dauer

Erkrankungen der Gruppe PS (psychische Störungen) werden in


der Handrehabilitation vorzugsweise bei sog. Sekundärerkrankun-
gen verordnet, z. B. bei depressivem Verlauf oder frühkindlichem
Autismus.
Diagnosen sind dabei u. a.:
▬ depressive Störungen/Angststörung,
▬ Störungen des Sozialverhaltens,
▬ Abhängigkeitssyndrom,
▬ Borderline-Erkrankung,
mit Problemen in der
▬ Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung,
▬ des Denkens/der Denkinhalte,
▬ der kognitionsstützenden und höheren kognitiven Funktio-
nen, ⊡ Abb. 15.74 Heilmittelverordnung Nr. 18 Ergotherapie
Weiterführende Literatur
321 15
Welche Heilmittel (vorrangig, optional, ergänzend) im Einzelnen Weiterführende Literatur
verordnungsfähig sind, kann dem Katalog entnommen werden.
Die Heilmittelrichtlinien sehen die »Verordnung außerhalb des Daniels L, Worthingham C (1985) Muskelfunktionsprüfung, Manuelle Unter-
Regelfalles« für insbesondere langfristig erforderliche Therapien vor. suchungstechniken, 5. Aufl. Fischer, Stuttgart
Eine ergotherapeutische Verordnung kann beispielsweise wie Debrunner HU (1987) Orthopädisches Diagnostikum. Thieme, Stuttgart
Dölle U, Pohlmann M, (2004) Die ergotherapeutische Behandlung von Pati-
folgt ausgestellt werden (⊡ Abb. 15.74):
enten mit chronischer Polyarthritis, Bd 2. Schulz-Kirchner, Idstein
Berg van den F, Wolf U (2002) Manuelle Therapie, Sichere und effektive Mani-
pulationstechniken, Springer, Berlin Heidelberg
Auf eine korrekte Ausstellung der folgenden Punkte ist beson- Bomholt Andersen A (1982) Orthopädische Behandlungsschienen. Fischer,
ders zu achten, da die Krankenkassen die Verordnung sonst nicht Stuttgart
akzeptieren: Bringezu G, Schreiner O (2006) Lehrbuch der Entstauungstherapie, 2. Aufl.
1. Verordnungsmenge: z. B. 6, 10, 12 oder 20 Springer, Berlin Heidelberg
2. Heilmittel: »motorisch-funktionell«, »sensomotorisch-perzep- Butler Moseley (2005) Schmerzen verstehen. Springer, Berlin Heidelberg
tiv« oder »psychisch-funktionell« Frisch H (1989) Programmierte Untersuchung des Bewegungsapparates: Chi-
3. Indikationsschlüssel: z. B. SB2 rodiagnostik. Springer, Berlin Heidelberg
Hierner R, van den Kerckhove E (2010) Organization and results of the multi-
4. Genaue Diagnose mit Leitsymptomatik
disciplinary scar clinic. Eurn Surg Suppl 234: 29–30
5. Besonderheiten, die in der Therapie berücksichtigt werden
Hoffmann R (2009) Checkliste Handchirurgie, Thieme, Stuttgart
müssen Hoppenfeld S (1982) Klinische Untersuchung der Wirbelsäule und der Extre-
6. Therapieziele: Verbesserung, Förderung oder Erhaltung von mitäten. Fischer, Stuttgart,
… Hunter, Mackin, Callahan (2002) Rehabilitation of the hand and upper extre-
7. Medizinische Begründung: z. B. Erhalt der Selbstständigkeit mity, vol 1 und 2, 5th ed. Mosby, St. Louis
und Unabhängigkeit Janda V (1994) Manuelle Muskelfunktionsdiagnostik. Ullstein Mosby, Berlin
Physiotherapeutische Heilmittelverordnungen tragen die Formu- Kraus-Wloch P (2004) Brandverletzt. Schulz-Kirchner, Idstein
larnummer 13 (⊡ Abb. 15.75), während die der Ergotherapie mit Lede van P (2003) The splinting guide. OrfIt Industries NV, Leembeek
der Nummer 18 versehen ist. Merle M, Rehart S (2009), Chirurgie der Hand. Thieme, Stuttgart
Peterson-Kendall F, Kendall McCreary E (1988) Muskeln: Funktionen und
Tests. Fischer, Stuttgart
Putz R, Pabst R (2004) Sobotta, Atlas der Anatomie des Menschen. Urban &
Fischer, München
Sasson D, Romain M (1999) Réadaptation de la Main. Monographie de la
société Francaise de Chirurgie de la Main (GEM). Expansion Scientifique
Francaise, Paris
Schönberger M (2007) Glossar der Handchirurgie. Schnur, Dresden
Schröder B (1999) Handtherapie. Thieme, Stuttgart
Tilmann B (2004) Atlas der Anatomie des Menschen. Mit Muskeltrainer. Sprin-
ger, Berlin
Tsuge K (1990) Atlas der Handchirurgie. Hippokrates, Stuttgart
Waldner-Nilsson B (2009) Handrehabilitation, Bd 1, 2. Aufl., Springer, Berlin
Heidelberg

⊡ Abb. 15.75 Heilmittelverordnung Nr. 13 Physiotherapie


16

Die handchirurgische Rehabilitation im


berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren
– Berufsgenossenschaftliche stationäre
Weiterbehandlung (BGSW) und komplexe
stationäre Rehabilitation (KSR)
Detlef Schreier, Franz Jostkleigrewe

16.1 Allgemeines – 324


16.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 324
16.1.2 Epidemiologie – 324
16.1.3 Ätiologie – 324
16.1.4 Diagnostik – 324
16.1.5 Klassifikation – 324
16.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 324
16.1.7 Therapie – 327
16.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 329
16.1.9 Sozioökonomische Aspekte – 329
16.2 Spezielle Techniken – 331
16.2.1 Ziele – 331
16.2.2 Inhalte – 331
16.2.3 Ablauf – 332
16.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 337
Weiterführende Literatur – 338

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


324 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

16.1 Allgemeines eröffnet, zuletzt kam im Jahr 1997 das Unfallkrankenhaus Berlin-
Marzahn hinzu. Derzeit existieren in Deutschland 9 berufsgenos-
Die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) ist ein wesentlicher senschaftliche Unfallkliniken sowie 2 berufsgenossenschaftliche Kli-
Pfeiler im System der gegliederten deutschen Sozialversiche- niken für die Behandlung von Berufskrankheiten. Zusätzlich gibt es
rung und hat eine lange Tradition. Zusammen mit der Ren- 12 BG-Sonderstationen in externen Kliniken, die im engen Verbund
ten- und Krankenversicherung gehört sie zu den ersten sozialen mit berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken zusammenarbeiten.
Absicherungen für Arbeitnehmer. In der kaiserlichen Botschaft Parallel hierzu werden durch die Landesverbände der Deutschen Ge-
vom 17.11.1881 wurden erstmals die Grundzüge dieses neuen setzlichen Unfallversicherung ausschließlich geeignete Krankenhäu-
Versicherungsschutzes verkündet. Am 6. Juli 1884 beschloss der ser an der besonderen stationären Behandlung Schwerunfallverletzter
Reichstag das Unfallversicherungsgesetz, als dessen Konsequenz beteiligt (Verletzungsartenverfahren). Diese müssen im Hinblick auf
die Berufsgenossenschaften gegründet wurden. Das Gesetz hat die Schwere der Verletzungen spezielle personelle, apparative und
trotz zahlreicher Änderungen in seinen wesentlichen Bestandteilen räumliche Anforderungen erfüllen und zur Übernahme bestimmter
bis heute Gültigkeit. Mit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbu- Pflichten bereit sein. Bundesweit sind über 600 Krankenhäuser und
ches (SGB) VII am 1. Januar 1997 wurden die Vorschriften der Kliniken in dieses Verfahren vertraglich eingebunden.
seit 1914 geltenden Reichsversicherungsordnung ersetzt und das Handverletzungen stellen in ihrer Anzahl einen wesentlichen
berufsgenossenschaftliche Heilverfahren neu regelt. Am 26.6.2008 Teil aller Arbeitsunfälle dar. 30% aller meldepflichtigen Unfälle
beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Modernisierung im Zuständigkeitsbereich der DGUV betrafen 2008 die Hand
der Gesetzlichen Unfallversicherung (UVMG). Es trat – von weni- (Gesamtstatistik-Datenbestand der DGUV). Trotz des Einsatzes
gen Ausnahmen abgesehen – am 5.11.2008 in Kraft. modernster Operationstechniken und ständig aktualisierter Be-
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die gewerbli- handlungskonzepte gelingt es nicht immer, die komplexen Hand-
chen und landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sowie die funktionen wieder vollständig herzustellen. In 0,6% der Fälle 2008
Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand (Gemeindeunfall- resultierte zumindest vorübergehend eine Rentenzahlung.
versicherungsverbände, Unfallkassen). Seit dem 1.6.2007 sind der Die Bedeutung von Handverletzungen wurde von den Be-
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) rufsgenossenschaften bereits frühzeitig erkannt. Von Beginn an
und der Bundesverband der Unfallkassen (BUK) zum gemein- haben die berufsgenossenschaftlichen Kliniken große und leis-
samen Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung tungsfähige handchirurgische Zentren eingerichtet, in denen eine
(DGUV) fusioniert. Dachverband der landwirtschaftlichen Berufs- durchgehende Versorgung auch schwerster Handverletzungen ge-
genossenschaften ist der Bundesverband der landwirtschaftlichen währleistet ist. In den letzten Jahren hat sich das Augenmerk ver-
Berufsgenossenschaften (BLB). mehrt auf die sachgerechte Rehabilitation nach Handverletzungen
Die Aufgaben der GUV liegen zum einen in der Prävention von gerichtet. Es fiel auf, dass lange Heilverfahren und Dauerschäden
Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, zum anderen, nach Eintritt in rentenberechtigender Höhe zum Teil die Folgen von Unter-
eines Arbeitsunfalls, in der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, lassungen, mangelnder Kompetenz und fehlender Straffheit in
der Berufshilfe sowie dem materiellen Ausgleich nach Verletzungen. der Führung der Heilverfahren waren. Aber auch patientenseitige
Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag haben die Unfallversiche- unzureichende Mitarbeit, psychische Überlagerungen oder Aggra-
rungsträger nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrank- vationstendenzen wurden diesbezüglich als Problem erkannt. Um
heiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten dem entgegenzuwirken, bedarf es einer lückenlosen, intensiven
mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen. Hierzu gewäh- und dem Heilverlauf angepassten Rehabilitation. Dazu stehen dem
ren die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Heilbehandlung betreuenden Arzt verschiedene Konzepte zur Verfügung.
einschließlich der medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am
Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft. Ziel der Rehabi-
16 litation ist es, die durch einen Arbeitsunfall verursachten Körper- 16.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und
schäden zu beseitigen oder so weit wie möglich zu mildern. Physiologie  Kap. 15, 19, 35, 38, 39
Im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren obliegt der zu-
ständigen Berufsgenossenschaft die aktive Steuerung während des 16.1.2 Epidemiologie  Kap. 15, 19, 35, 38, 39
gesamten Verlaufs von der Akutversorgung über die Rehabilitation
und Wiedereingliederung in den Beruf bis hin zur finanziellen Ent- 16.1.3 Ätiologie  Kap. 15, 19, 35, 38, 39
schädigung. Die Leistungen werden durch einen Träger erbracht.
Liegt ein Arbeitsunfall vor, besteht in der Regel eine Vorstellungs- 16.1.4 Diagnostik  Kap. 2
pflicht bei einem D-Arzt (Durchgangsarzt), der zum Teil auch eine
das Heilverfahren steuernde Funktion übernimmt, in weniger kom- 16.1.5 Klassifikation  Kap. 2, 4
plizierten Fällen kann die Behandlung durch einen H-Arzt (»an der
besonderen Heilbehandlung beteiligter Arzt«), bei Handverletzungen 16.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie
durch einen Handchirurgen (§§ 35 und 37 Abs. 3 Vertrag Ärzte/Un-
fallversicherungsträger) erfolgen. Durch ein detailliert geregeltes, aus- Nach einfachen Prellungen und Distorsionen, oberflächlichen
führliches Berichtswesen, zu dem die Ärzte vertraglich verpflichtet Schnittverletzungen oder unkomplizierten Frakturen ist außer der
sind (SGB VII und Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger), sollen Wundbehandlung oder einer kurz angepassten Ruhigstellung die
der Berufsgenossenschaft schnell und umfassend die für die Heilver- Handfunktion in der Regel rasch wiederhergestellt. Erforderlich
fahrenssteuerung relevanten Informationen zur Verfügung stehen. sind allenfalls eigentätige Bewegungsübungen.
Um das Ziel der Rehabilitation »mit allen geeigneten Mitteln«
so weit wie möglich zu erreichen, errichteten die Berufsgenossen- Ambulante Physio- und Ergotherapie
schaften eigene Kliniken. Das erste berufsgenossenschaftliche Unfall- Bei schwerwiegenderen Verletzungen mit erheblicher Schwellung,
krankenhaus der Welt, das »Bergmannsheil« in Bochum wurde 1890 Hämatom oder Beteiligung tiefer Strukturen (Knochen, Sehnen,
16.1 · Allgemeines
325 16
Nerven, Gefäße) sind in den meisten Fällen krankengymnastische wenn ausgedehnte Verletzungsmuster vorliegen, die von Anfang an
Übungsbehandlungen, ggf. ergänzt durch physikalische Maßnah- eine intensive Nachbehandlung erfordern.
men, erforderlich. Ambulante Physiotherapie kommt als Stan- Die EAP wurde 1995 eingeführt. Sie gründet auf der »beson-
dardtherapie in Betracht, wenn die Beweglichkeit verletzter oder ders indizierten Therapie« (BiTh), die von der Verwaltungsberufs-
mitbetroffener Gelenke zu verbessern ist, reduzierte Muskelkraft genossenschaft für Verletzte aus dem Hochleistungssport entwi-
aufgebaut, Weichteilverwachsungen und Narbengewebe gelöst, ckelt und ab 1991 eingesetzt wurde.
verkürzte Muskulatur gedehnt und die Durchblutung sowie das Eine EAP ist laut Handlungsanleitung der DGUV und des
Koordinationsvermögen verbessert werden müssen. Stehen Stö- BLB zur Verordnung, Durchführung und Qualitätssicherung der
rungen der Funktionsabläufe im Vordergrund oder liegen Defekt- Physiotherapie/Krankengymnastik, physikalischen Therapie, EAP,
situationen vor, die ein Umlernen erforderlich machen, ist auch BGSW und sonstigen stationären Maßnahmen vom 1.1.2008 ins-
Ergotherapie notwendig und die Behandlung damit zu ergänzen. besondere indiziert bei:
Bei einer stärkeren Schwellung ist ein Kompressionshandschuh zu ▬ Bewegungseinschränkungen nach Gelenksteifen (z. B. Arthro-
verordnen, meist kombiniert mit Lymphdrainage. Hilfsmittel wie lysen, Gelenkersatz, nach ankylosierenden Arthrosen, Narko-
Mitnehmerschlaufen, Übungs- und Lagerungsschienen komplet- semobilisation etc.),
tieren die Behandlungsmaßnahmen. ▬ komplexen Gelenkverletzungen mit verzögerter Mobilisierbar-
Insbesondere in der Anfangsphase nach durchgeführter Immo- keit (z. B. wegen Weichteilschadens, postoperativer Ruhigstel-
bilisierung ist die Frequenz der Übungsbehandlung auf 4- bis 5-mal lung, schwerer Handverletzung etc.),
pro Woche festzulegen. In Einzelfällen können auch ambulant meh- ▬ objektiv nachweisbaren Muskelschwächen oder Muskelfunk-
rere Therapieanwendungen pro Tag sinnvoll sein. Im Bereich der tionsstörungen nach Verletzungen oder Operationen (z. B.
gesetzlichen Unfallversicherung kann das mit dem entsprechenden Kompartmentsyndrom),
Formular und kurzer Begründung problemlos verordnet werden. ▬ frühzeitig (innerhalb von 4 Wochen) erkennbarem Stillstand
Die Behandlungsdauer ist an Art und Ausmaß der Verletzung eines anfänglichen Funktionsgewinns unter konventioneller
sowie den individuellen Behandlungsfortschritt anzupassen. Der Physio- und Ergotherapie.
Umfang der notwendigen Behandlung kann von Patient zu Patient
bei gleichen Schadensbildern sehr unterschiedlich sein. Ein ängst- Bei der EAP werden die in der Standardtherapie vorwiegend isoliert
licher, schmerzempfindlicher Patient benötigt oft deutlich mehr zur Anwendung kommenden Behandlungsmaßnahmen (Kranken-
Therapie als ein robuster, bei dem möglicherweise nach Anleitung gymnastik, physikalische Therapie) um die medizinische Trainings-
eine eigentätige Übungsbehandlung ausreicht. Grundsätzlich ist es therapie ergänzt, zusammengeführt, auf den Einzelfall abgestellt und
sinnvoll, die Übungsbehandlung mit hoher Intensität zu beginnen in der jeweils in Betracht kommenden Kombination angewandt.
und diese dann nach Behandlungsfortschritt zu reduzieren. Es ist Sie dient damit insbesondere der Funktionswiederherstellung
meist schwer, zum Teil unmöglich, Bewegungseinschränkungen, bzw. -verbesserung nach Unfallverletzungen mit Störungen ganzer
die durch mangelnde Übungsbehandlung in der Frühphase be- Funktionsketten. Die oft zusätzlich notwendige Ergotherapie muss
dingt sind, später noch erfolgreich zu therapieren. separat verordnet werden.
Physiotherapie kann verordnet werden, solange ein erkennba- Die EAP ist grundsätzlich täglich durchzuführen und darf
rer, messbarer Funktionsgewinn zur völligen oder weitestgehen- eine tägliche Behandlungsdauer von 120 min nicht unterschreiten.
den Wiederherstellung zu verzeichnen ist oder einer drohenden Die »Verordnung zur Durchführung einer EAP« (F 2410) ist vom
Verschlimmerung vorgebeugt werden kann. Vom Patienten ist D-Arzt, H-Arzt oder zugelassenen Handchirurg für 2 Wochen zu
allerdings grundsätzlich zu erwarten, dass er mit der Zeit in die erstellen und bedarf einer Genehmigung der zuständigen Berufs-
Lage kommt, einfache aktive und passive Bewegungsübungen auch genossenschaft. Nach einer Wiedervorstellung können 2 weitere
eigentätig durchzuführen. Wochen ohne gesonderte Kostenzusage verschrieben werden. An-
Eine Verordnung umfasst generell 2 Wochen, danach hat eine schließend besteht die Möglichkeit, Physiotherapie als Einzelthera-
Kontrolluntersuchung zu erfolgen. Nach 4 Wochen ist eine Be- pie zu verordnen.
gründung des verordnenden Arztes für die ggf. weitere Verordnung Ist nach einem Behandlungszeitraum von 4 Wochen kein
erforderlich. Ist nach einem Behandlungszeitraum von 4 Wochen Funktionsgewinn feststellbar, ist festzulegen, ob:
kein Funktionsgewinn feststellbar, sollte erwogen werden, ob: ▬ die EAP abzuschließen ist,
▬ die Übungsbehandlung abzuschließen ist, ▬ eine BGSW indiziert ist oder
▬ eine erweitere ambulante Physiotherapie (EAP) bzw. eine be- ▬ eine andere medizinische Maßnahme notwendig sein könnte.
rufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW)
indiziert ist oder Berufsgenossenschaftliche stationäre
▬ eine andere medizinische Maßnahme notwendig sein könnte. Weiterbehandlung (BGSW)
Die BGSW ist ein relativ neuer Baustein der berufsgenossenschaft-
Verordnungen zur Durchführung von Physio- und Ergotherapie lichen Heilbehandlung. Sie entstand 1991 aufgrund des Umstan-
sind vom D-Arzt, H-Arzt oder Handchirurg nach § 37 Abs. 3 des, dass gesetzlich Unfallversicherte vermehrt zur Anschlussheil-
Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger mit dem Vordruck F 2400 behandlung verlegt wurden und somit nicht mehr der Steuerung
auszustellen. durch das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren unterlagen.
Dies war der Anlass für die Berufsgenossenschaften, ein eigenes
Erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) stationäres Rehabilitationsverfahren zu entwickeln, bei dem das
Ist erkennbar, dass trotz ausreichender Übungsfrequenz mit übli- Heilverfahren weiterhin der Steuerung durch dafür ermächtigte
cher Krankengymnastik und Ergotherapie das mögliche Rehabili- Ärzte unterliegt. 2008 waren einschließlich der BG-Einrichtungen
tationsergebnis nicht ausreichend oder nur verzögert erreicht wird, 126 Kliniken zur BGSW nach Verletzungen des Stütz- und Bewe-
kann eine Intensivierung der Behandlungsmaßnahmen in Form gungsapparats zugelassen. Dort wurden 2008 116.517 Patienten
einer EAP angezeigt sein. Sie sollte primär zum Einsatz kommen, behandelt. Für die Zulassung als BGSW-Klinik hat die Deutsche
326 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

Gesetzliche Unfallversicherung Anforderungen formuliert (zuletzt – Implantation einer Endoprothese,


vom 1.1.2006). Darin sind personelle und sachliche Voraussetzun- – operativ versorgter Knocheninfektion,
gen sowie Pflichten detailliert aufgeführt. Spezielle Anforderungen – Kontrakturen nach Brandverletzungen,
für die BGSW Handverletzter gibt es bisher nicht. – akutem komplexen regionalen Schmerzsyndrom I und II;
▬ gravierende Begleiterkrankungen;
Defintion ▬ soziale und organisatorische Gründe (persönliche und häusli-
» Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung (BGSW) che Verhältnisse, unzumutbare Anfahrtswege).
umfasst die nach Abschluss der Akutbehandlung in zeitlichem Zusam-
menhang stehenden medizinisch indizierten stationären Leistungen Im Einzelfall kann auch aus anderen Gründen (Nebenwirkungen
zur medizinischen Rehabilitation, insbesondere die intensive Übungs- von Medikamenten bei der Schmerzbehandlung oder anderen
behandlung (ggf. unter Einschluss arbeitsbezogener Abklärung). Sie Therapien, Minderjährige oder unter Betreuung stehende Patien-
findet unter ärztlicher Leitung und stationären Bedingungen in solchen ten) eine BGSW indiziert sein.
Kliniken statt, die hierfür von den Landesverbänden der Deutschen Ge- Die Indikationen zur BGSW werden von den Berufsgenossen-
setzlichen Unfallversicherung beteiligt sind. Sie umfasst den Zeitraum, schaften sehr allgemein formuliert: Dies hat den Vorteil, dass nicht
in dem bei schweren Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparates eine starre Indikationsliste entscheidet, ob eine BGSW einzuleiten
und des zentralen und peripheren Nervensystems zur Optimierung des ist, sondern der D-Arzt. Je nach Lage des Einzelfalls ist es mitun-
Rehabilitationserfolges ambulante Leistungen zur medizinischen Reha- ter sicher möglich, auch schwere Handverletzungen ambulant zu
bilitation nicht ausreichen oder nicht möglich bzw. nicht durchführbar rehabilitieren. In anderen Fällen kann trotz eines umschriebenen
sind. « (Aus Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2008) Schadensbilds eine BGSW dringend angezeigt sein.
Um überflüssigen berufsgenossenschaftlichen stationären Wei-
Die Aufnahme zur BGSW setzt voraus, dass die Patienten ausreichend terbehandlungen entgegenzuwirken, existiert ein Genehmigungs-
mobilisiert sind und eine selbstständige Versorgung (Körperhygiene, verfahren. Der verordnende D- oder H-Arzt bzw. zugelassene Hand-
Nahrungsaufnahme) gewährleistet ist. Tägliche ärztliche Kontrollen chirurg hat dem Unfallversicherungsträger rechtzeitig vor Beginn
sind nicht mehr notwendig. Eine ausreichende Belastbarkeit zur Teil- der BGSW die Verordnung zur Durchführung einer BGSW, den
nahme an den Therapiemaßnahmen sollte gegeben sein. Zusätzlich Vordruck F 2150, zu übersenden. Der UV-Träger muss zu dieser
zu Krankengymnastik, physikalischer Behandlung und medizinischer Verordnung innerhalb von 24 h Stellung beziehen. Ohne fristgerecht
Trainingtherapie findet eine arbeitstherapeutische und möglichst ar- abgegebene Stellungnahme gilt die Maßnahme als genehmigt.
beitsplatzorientierte Rehabilitation statt mit dem Ziel, frühzeitig Pro- Des Weiteren haben die Unfallversicherungsträger die Möglich-
gnosen zur Belastungsfähigkeit am Arbeitsplatz des Versicherten zu keit, die Einrichtung konkret zu benennen, in der die BGSW durch-
erstellen. Elemente hierzu sind interne, arbeitstherapeutische Belas- geführt werden soll. Hierbei ist u. a. durch den Unfallversiche-
tungsanalysen und/oder externe Belastungserprobungen unter realen rungsträger zu entscheiden, ob eine »normale« BGSW ausreichend
Arbeitsbedingungen. Des Weiteren können arbeitsplatzspezifische erscheint oder aufgrund des übermittelten Befundes die Durchfüh-
oder allgemein-erwerbsspezifische Belastungsprofile (z. B. Evaluation rung der Maßnahme in einer BG-Einrichtung sinnvoll ist.
der funktionellen Leistungsfähigkeit) erstellt werden, um die Belast- Die Dauer einer BGSW beträgt in der Regel 4 Wochen. In be-
barkeit des Verletzten differenziert darzustellen. gründeten Fällen kann sie jedoch weiter ausgedehnt werden. Bei
Eine BGSW- Maßnahme kann eingeleitet werden: Behandlungsbedürftigkeit über den genehmigten Zeitraum hinaus
▬ primär nach Beendigung des akutstationären Aufenthaltes ist die Verlängerung vom Arzt der BGSW-Klinik beim Unfallversi-
und vorliegender Belastungsfähigkeit oder nach ambulanter cherungsträger eine Woche vor Ablauf des bereits genehmigten Zeit-
Behandlung bei eingetretener Belastungsfähigkeit nach vorü- raums formlos zu beantragen. Ist nach dem genehmigten Behand-
bergehender Ruhigstellung und Entlastung, lungszeitraum kein Funktionsgewinn feststellbar, ist festzulegen, ob
16 ▬ wenn die ambulante, abgestufte Therapie mit Krankengym- ▬ die BGSW abzuschließen ist oder
nastik/Ergotherapie oder auch die EAP keinen ausreichenden ▬ oder eine andere medizinische Maßnahme notwendig sein
Erfolg aufwies, könnte.
▬ bei Verschlechterung des Zustandsbildes unter häuslichen Be-
dingungen oder nach Aufnahme der beruflichen Tätigkeit. Komplexe stationäre Rehabilitation (KSR)
Die KSR ist eine stationäre Rehabilitationsbehandlung – ähnlich der
Indikationen BGSW – bei besonderen Indikationen bzw. erweiterten therapeuti-
Gemäß der Handlungsanleitung der DGUV und des BLB ist eine schen oder diagnostischen Maßnahmen. Sie beinhaltet umfassende
BGSW zur Rehabilitation der Hand im Anschluss an eine Akutbe- Behandlungen nach komplexen Handverletzungen bzw. bei gravie-
handlung in der Regel indiziert bei: renden funktionellen Einschränkungen. Der Zustand des Verletzten
▬ schweren Handverletzungen, erfordert eine engmaschige ärztliche Überwachung der Therapie.
▬ Handamputationen, Kriterien für das Einleiten einer KSR nach Handverletzungen
▬ Replantationen, sind entsprechend der Handlungsanleitung der DGUV und des
▬ Verletzungen großer Nervenbahnen und -geflechte, BLB:
▬ ausgedehnten Verbrennungen und entsprechenden Weichteil- ▬ schwere Handverletzungen, einschließlich Verbrennungen,
verletzungen. ▬ auftretende Komplikationen wie Osteitis, Dystrophiesyndrom
mit wesentlichen Funktionsstörungen,
Mögliche Indikationen für eine BGSW sind: ▬ Gliedmaßenverlust zur prothetischen Versorgung,
▬ Komplikationsverläufe, insbesondere nach ▬ Unverhältnismäßigkeit zwischen primärem Körperschaden
– Fraktur mit begleitenden Weichteilschäden 2. und 3. Grades, und Dauer des Heilverfahrens (kleine Handverletzungen bis
– Fraktur großer Röhrenknochen, hin zu Bagatelltraumata, bei denen das Heilverfahren durch
– Fraktur großer Gelenke, verschiedene Faktoren prolongiert worden ist und das bisher
16.1 · Allgemeines
327 16
erreichte Ergebnis keinen Abschluss ermöglichte, mangelnde Die KSR bleibt in aller Regel den BG-Kliniken und BG-Sondersta-
Compliance und Probleme der Patientenführung, Verdacht tionen vorbehalten. Die Notwendigkeit der Einleitung einer KSR
auf Aggravation/Simulation), ist sorgfältig und für die Berufsgenossenschaft nachvollziehbar im
▬ Problematik bei der Teilhabe am Arbeitsleben (gescheiterter Hinblick auf die vorgenannten Kriterien zu begründen.
Arbeitsversuch, abgebrochene Arbeitsbelastungserprobung). Im Rahmen des Heilverfahrens kann auch ein mehrfacher
Wechsel zwischen KSR, BGSW, EAP, ambulanter Physio- und Er-
Gemäß eines Beschlusses der Deutschen Gesetzlichen Unfallver- gotherapie sowie akutstationärer Behandlung indiziert sein.
sicherung vom Januar 2009 ist eine stationäre Rehabilitationsbe-
handlung auch dann als KSR einzuordnen, wenn eines der folgen-
den Kriterien vorliegt: 16.1.7 Therapie
▬ erhöhter diagnostischer Aufwand oder Behandlungsbedarf,
▬ mehrfache psychologische Konsultationen, Die Ergebnisse nach Handverletzungen hängen neben einer sach-
▬ wiederholte Konsiliaruntersuchungen verschiedener Disziplinen, gerechten Erstbehandlung ebenso von einer korrekten Nachbe-
▬ Überprüfung von Operations- oder Revisionsindikationen, handlung ab ( Fallbeispiele, ⊡ Abb. 16.1, ⊡ Abb. 16.2). Bei schweren
▬ über das Maß der BGSW hinausgehende physio- und ergothe- Handverletzungen ist auch für den handchirurgisch wenig Erfah-
rapeutische Behandlung. renen meist einfach ersichtlich, dass eine spezielle und umfangrei-

a c d

⊡ Abb. 16.1 Fallbeispiel 1: Ausgedehnte Quetschver-


letzung der linken Hand. a Knöcherner Ausheilungs-
zustand, b Applikation einer dynamischen Streck-
quengelschiene, c und d Endergebnis mit sicherem
b
Spitzgriff zwischen Daumen und Zeigefinger
328 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

che Nachbehandlung erforderlich wird. Bei vermeintlich kleinen


Handverletzungen, die dann wider Erwarten doch zu erhebli-
chen Funktionseinschränkungen oder langen Behandlungszeiten
führen, setzt eine umfassende handchirurgische Nachbehandlung
oft zu spät ein. Ein großer Teil der handchirurgischen Nachbe-
handlung kann ambulant erfolgen. Das berufsgenossenschaftliche
Heilverfahren bietet die Möglichkeit, die notwendigen Maßnah-
men wie Physiotherapie und Ergotherapie ohne Budgetierung im
medizinisch sinnvollen Umfang zu verordnen. Als weiteren wich-
tigen Teil der ambulanten Behandlung gibt es die erweiterte ambu-
lante Physiotherapie (EAP). Auch die Versorgung mit notwendigen
Hilfsmitteln, wie z. B. Quengelschienen oder Kompressionshand-
schuhen, ist im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren zügig
und ohne großen bürokratischen Aufwand möglich.
Neben den ambulanten Rehabilitationsmöglichkeiten stellt die
a
stationäre Rehabilitation (BGSW und KSR) ein unverzichtbares
Element in der Nachbehandlung von Handverletzungen dar. Die
Indikation für eine stationäre Rehabilitation kann zum einen be-
reits frühzeitig aufgrund der Verletzungsschwere gestellt werden,
zum anderen ergibt sie sich oft erst im Verlauf bedingt durch
Heilverzögerungen, Heilentgleisungen oder Probleme bei der be-
ruflichen Rehabilitation. Neben der intensiven Therapie bietet die
stationäre Rehabilitation den Vorteil einer engen Zusammenarbeit
aller beteiligter Professionen unter einem Dach. Allein dadurch ge-
lingt es oft, eine Behandlung deutlich voranzubringen. Mit BGSW
und KSR können nicht alle Unfallfolgen gebessert werden. Auch
eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ist leider nicht immer
möglich. In der Regel lässt sich durch eine stationäre Rehabili-
tation aber eine fundierte Grundlage für die weitere medizini-
sche, berufliche und soziale Rehabilitation legen. Ein endgültiger
Nachweis, dass die stationäre Rehabilitation hinsichtlich Kosten,
b
Behandlungsdauer und Behandlungsergebnissen einer ambulanten
Behandlung überlegen ist, steht noch aus. In zahlreichen Fällen
lassen sich diese Nutzen jedoch eindeutig feststellen. Somit ist zu
empfehlen, die Indikation für eine stationäre Rehabilitation groß-
zügig zu stellen und die Behandlung frühzeitig einzuleiten. Funk-
tionelle Defizite, die durch eine unzureichende Nachbehandlung
bedingt sind, lassen sich zu einem späteren Zeitpunkt oft nur noch
eingeschränkt oder gar nicht mehr korrigieren.

16
Fallbeispiele
z Fallbeispiel 1 (⊡ Abb. 16.1)
Ein 41-jähriger Rangierarbeiter zog sich eine schwere offene
Quetschverletzung der linken Hand zu. Er war mit ihr zwischen
die Puffer zweier Eisenbahnwaggons geraten. Es bestand folgen-
des Verletzungsmuster: Durchtrennung der A. ulnaris, des ober-
flächlichen Hohlhandbogens und des N. ulnaris, offene Luxati-
onen der Karpometakarpalgelenke 2–5, dislozierte Fraktur des
3. Mittelhandknochens, Zerquetschung der Daumenballenmus-
kulatur sowie Decollement streckseitig am Handrücken, Hand-
gelenk und distalen Unterarm. Die Behandlung fand von Beginn
an in unserer Klinik statt. Am Unfalltag erfolgte die Revaskulari-
sierung der minderdurchbluteten Hand durch mikrochirurgische
Wiederherstellung des oberflächlichen Hohlhandbogens und der
A. ulnaris. Der N. ulnaris wurde mikrochirurgisch koaptiert, die
zerstörte Daumenballenmuskulatur reseziert. Die CMC-Luxatio-
c nen und die MHK-3-Fraktur wurden reponiert und mit Bohrdräh-
ten stabilisiert. Wegen einer nachfolgenden Nekrose des 5. Fin-
⊡ Abb. 16.2 Fallbeispiel 2: Schwere Quetschverletzung der Finger beider gerstrahles musste dieser in Mittelhandhöhe abgesetzt werden.
Hände. a Knöchernes Ausheilungsergebnis, b und c guter Grob- und Spitz- ▼
griff an beiden Händen zum Abschluss der Rehabilitation
16.1 · Allgemeines
329 16

Der verbliebene Hautweichteildefekt wurde sekundär mit einer schränkte Beweglichkeit sämtlicher Finger beider Hände. Der Pa-
gestielten Lappenplastik gedeckt. Nach 7 Wochen wurden die tient erhielt Krankengymnastik in Einzel- und Gruppensitzungen
Bohrdrähte entfernt. sowie Ergotherapie und Sportrehabilitation. Zur Verbesserung
Adaptiert an die Weichteilkonsolidierung erfolgte bereits im der Beweglichkeit der rechten Finger kamen ein dynamischer
Verlauf des akutstationären Aufenthalts eine krankengymnasti- Streckquengel sowie ein Beugequengelband zur Anwendung.
sche und ergotherapeutische Behandlung. Die Beweglichkeit der Trotz Verbesserung von Beweglichkeit, Kraft- und Einsatzfähigkeit
verbliebenen Finger wurde u. a. mit einer dynamischen Streck- beider Hände verblieb eine deutliche Funktionseinschränkung
quengelschiene trainiert. 10 Wochen nach dem Unfall verleg- beidseits. Nach Beendigung der 4-wöchigen BGSW wurden Kran-
ten wir den Patienten aufgrund der Komplexität der Verletzung kengymnastik und Ergotherapie ambulant fortgesetzt. Darunter
und der noch bestehenden Funktionseinschränkungen aus der kam es zu einer weiteren langsamen Besserung der Handfunk-
akutstationären Behandlung direkt in die BGSW. Die funktio- tionen. 9 Monate nach dem Unfall führten wir eine Arthrolyse
nelle Behandlung wurde intensiviert unter weiterer Nutzung der am rechten Zeigefingergrundgelenk durch. Zur Nachbehand-
Quengelschiene sowie zusätzlichem Einsatz eines Kompressi- lung kam u. a. eine Biodynamikschiene zur Anwendung. Da eine
onshandschuhs. Die anfänglich bestehende erhebliche Schwel- Rückführung des Versicherten an seinen alten Arbeitsplatz als
lung bildete sich sukzessive zurück, die Beweglichkeit des linken Industriemechaniker aufgrund der verbliebenen Funktionsein-
Handgelenks verbesserte sich schrittweise. Zwischen Daumen schränkungen beider Hände definitiv nicht möglich war, begann
und Zeigefinger konnte ein sicherer Spitzgriff erreicht werden. er 11 Monate nach dem Unfall eine 5-monatige Umschulung zum
Insgesamt verblieb jedoch eine erhebliche Einschränkung der Werkstoffprüfer, die durch die Berufshilfe bei einem potenziellen
Gebrauchsfähigkeit der linken Hand u. a. mit kraftgemindertem neuen Arbeitgeber in die Wege geleitet wurde. Die medizinische
Grobgriff und unvollständigem Faustschluss, sodass eine wettbe- Behandlung wurde ohne Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit
werbsfähige vollschichtige Wiederaufnahme der alten Tätigkeit in der alten Tätigkeit abgeschlossen.
als Rangierer absehbar auch langfristig nicht mehr möglich war.
Die Berufshilfe veranlasste eine innerbetriebliche Umsetzung an
einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Nach der Entlassung aus
der 4-wöchigen BGSW wurde eine Arbeitsbelastungserprobung 16.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
in der neuen Tätigkeit in der Zugvorbereitung mit aufsichtfüh-
renden Tätigkeiten durchgeführt. Die Arbeitsbelastung konnte Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen nach Handverletzungen
schrittweise bis auf vollschichtig gesteigert werden. 5 Monate sind aus medizinischen und sozialen Gründen bei Kindern und
nach dem Unfall konnte die Behandlung mit Arbeitsfähigkeit in Jugendlichen nach Unfällen in Kindertagesstätten und Schulen
der neuen leidensgerechten Tätigkeit beendet werden. sehr selten notwendig.
Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass bei diesen Patienten-
z Fallbeispiel 2 (⊡ Abb. 16.2) gruppen schwere Handverletzungen , die zu deutlichen Funktions-
Ein 35-jähriger Industriemechaniker geriet mit beiden Händen in defiziten führen können, kaum vorkommen. Zum anderen liegt im
eine Presse. Die Behandlung erfolgte von Beginn an in unserer Wachstumsalter ein ausgesprochen großes Korrekturpotenzial vor.
Klinik. Links bestanden eine Endgliedfraktur des Daumens sowie Je jünger die Kinder sind, umso mehr stehen nach einer ausrei-
Grundgliedfrakturen am Zeige-, Mittel- und Ringfinger. An der chenden Ruhigstellungszeit die eher spielerisch durchzuführende
rechten Hand kam es zu einer Grundgliedfraktur des Daumens, Krankengymnastik und besonders Ergotherapie im Vordergrund.
einer Köpfchenfraktur des 2. Mittelhandknochens, Grundglied- Dabei sind auch die Eltern oder Bezugspersonen, wann immer
frakturen des Mittel- und Ringfingers sowie einem Längsriss der möglich, in die Behandlung mit einzubeziehen. Zur Vermeidung
Ringfingerstrecksehne. Sämtliche Frakturen wurden am Unfalltag von Fehlwachstumsprozessen ist gelegentlich eine angepasste Or-
geschlossen reponiert und mit Kirschner-Drähten stabilisiert, die thesentherapie in Form einer Nachtlagerungsschiene angezeigt.
Strecksehne des rechten Ringfingers wurde genäht. Die Durchblu- Eine solche Schienentherapie ist langfristig angelegt und muss
tung der zu Beginn minderperfundierten Finger 3 und 4 beidseits in fachärztlicher Kontrolle bleiben. Dystrophiereaktionen an der
erholte sich zum Teil. Trotz rheologischer Therapie entwickelten Hand sind im Kindes- und Jugendalter in der Regel unbekannt.
sich Nekrosen am linken Mittel- und Ringfinger, sodass an beiden Bei anhaltenden nicht nachvollziebaren Schwellungszuständen der
Fingern eine Grundgliedstumpfbildung vorgenommen werden Hand ist eher der Verdacht auf eine artifizielle Störung zu äußern.
musste. Ein Weichteildefekt am rechten Mittelfinger mit freiliegen- Stehen jedoch stationäre Rehabilitationsmaßnahmen an, ist
der Strecksehne und freiliegendem Grundgliedknochen wurde bei Kindern und Jugendlichen besonders darauf zu achten, die
durch einen Reversed-cross-Fingerlappen gedeckt. Frühzeitig Handfunktion derart wiederherzustellen, dass die schulische Aus-
wurde mit eigentätigen und krankengymnastischen Übungsbe- bildung im vollen Umfang absolviert werden kann, um letztlich
handlungen begonnen. Nach 6 Wochen wurden die Kirschner- die bestmöglichen Voraussetzungen für den späteren beruflichen
Drähte entfernt. Der Patient wurde vorübergehend aus der stati- Werdegang zu erlangen.
onären Behandlung entlassen und erhielt ambulant Krankengym-
nastik. 3 Wochen nach der Reversed-cross-Fingerlappenplastik
wurde der eingeheilte Lappen abgetrennt. Wegen psychischer 16.1.9 Sozioökonomische Aspekte
Unfallfolgen (Anpassungsstörung) fand sowohl ambulant als auch
stationär eine psychologische Mitbehandlung statt. In ⊡ Tab. 16.1 sind Eckwerte der BGSW/KSR in der Berufsgenos-
Gut 3 Monate nach dem Unfall wurde der Patient zu einer senschaftlichen Unfallklinik Duisburg für das Jahr 2008 aufgeführt.
BGSW bei uns aufgenommen. Es bestand eine deutlich einge- Da die Klinik ein überregionales handchirurgisches Zentrum mit
▼ handchirurgischer Rehabilitationssektion ist, ergab sich die In-
dikation zur stationären Rehabilitation oft erst verzögert nach
330 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

⊡ Tab. 16.1 Übersicht über eigenes Patientengut 2008

Anzahl der stationären Hand-Reha-Patienten 2008 in der BGU Duisburg 198

Anteil BGSW 67%

Anteil KSR 33%

Altersmedian 47 Jahre

Anteil Männer 81%

Anteil Frauen 19%

Median der Arbeitsunfähigkeitsdauer vor Aufnahme zur stationären Reha 171 Tage

Durchschnittliche Dauer der stationären Reha 23 Tage

Anteil der Fälle mit resultierender OP-Indikation 15%

Anteil der Fälle mit psychischen Unfallfolgen 15%

Anteil der Fälle mit unfallunabhängigen psychischen Auffälligkeiten 21%

Median der Behandlungsdauer nach Ende der stationären Reha 54 Tage

Anteil der Fälle mit anschließender Arbeitsbelastungserprobung 46%

Anteil der Fälle mit resultierender Arbeitsfähigkeit in alter oder neuer (leidensgerechter) Tätigkeit 62%

davon: Anteil der Fälle mit Arbeitsfähigkeit direkt nach der stationären Rehabilitation 18%

Anteil der Fälle mit Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in alter Tätigkeit im Verlauf 34%

Anteil der Fälle mit Arbeitsfähigkeit in leidensgerechter Tätigkeit im Verlauf 10%

Anteil der Fälle ohne Arbeitsfähigkeit bei Abschluss der Behandlung 38%

prolongierter auswärtiger Vorbehandlung. Nur 14% der 198 Re- Heilverlauf münden. Gerade bei den vermeintlich leichten Verlet-
habilitanden wurden am Unfalltag oder zumindest innerhalb von zungen ist es wichtig, frühzeitig eine Abweichung vom erwarteten
4 Wochen nach Unfall bei uns vorgestellt. Dadurch ergibt sich unkomplizierten Verlauf zu erkennen. Auch einfache Verletzungen
ein relativ hoher Medianwert von 171 Tagen für die Arbeitsunfä- können, wenn sie auf Vorschäden oder Schadensanlagen tref-
higkeitsdauer vor der stationären Rehabilitation. Bemerkenswert fen, zu schwerwiegenden Funktionseinschränkungen führen. Des
sind der Anteil behandlungsrelevanter psychischer Unfallfolgen Weiteren ist auf die Möglichkeit einer Heilentgleisung durch eine
(15% der Fälle) und besonders der Anteil behandlungsrelevanter Dystrophie hinzuweisen.
unfallunabhängiger psychischer Besonderheiten (21%). Die Ein- In Zeiten der immer manifester werdenden Ressourcenknapp-
16 schätzung der Psyche wurde jeweils frei durch einen Psychologen heit im Gesundheitswesen steht die stationäre Rehabilitation unter
erstellt. Standardisierte psychologische Tests wurden dafür nicht zunehmendem Legitimationsdruck. Oft wird behauptet, die bes-
verwandt. In 62% der Fälle konnte im Verlauf nach der stationären seren Ergebnisse der Rehabilitation gesetzlich Unfallversicherter
Rehabilitation Arbeitsfähigkeit in alter oder leidensgerechter Tätig- seien nur unter erheblichen zusätzlichen Kostenaufwendungen zu
keit erreicht werden. Einen hohen Stellenwert im Verlauf nach der realisieren. Studien zum Vergleich von Behandlungsstrategien, ins-
stationären Behandlung nimmt die Arbeitsbelastungserprobung besondere vergleichende Behandlungskostenanalysen oder Aus-
ein (46% der Fälle). wertungen von Arbeitsunfähigkeitszeiten, Ergebnissen zur Teilhabe
Bei der Betrachtung verzögerter Heilverläufe zeigte sich, dass am Arbeitsleben, zum funktionellen Endergebnis und zur verblie-
insbesondere folgende Faktoren zu einem schwierigen Verlauf füh- benen MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) existieren jedoch
ren können: kaum. Entsprechende Untersuchungen wurden an der Hand bis-
▬ inadäquate und zu lange Ruhigstellung der verletzten Hand, her lediglich für distale Radiusfrakturen durchgeführt. Aufgrund
▬ früh auftretende, lang persistierende und therapieresistente der vielen und zum Teil nicht direkt miteinander vergleichbaren
Schwellungen der verletzten Hand, Einflüsse war es schwierig, verbindliche Aussagen zu treffen. Es
▬ unzureichende Erstversorgung bei komplexen Handverletzun- wurde jedoch deutlich, dass eine stationäre Rehabilitation positive
gen, Effekte hinsichtlich der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit, des
▬ verspätete Einleitung und zu niedrige Frequenz der ambulan- Endergebnisses und der Kosten je Fall hat, insbesondere wenn der
ten Physio- und Ergotherapie, das Heilverfahren führende Unfallversicherungsträger ein aktives
▬ Verständigungsschwierigkeiten, Sprachbarrieren sowie man- Handreha-Management betreibt.
gelnde Mitarbeit des Verletzten. Entscheidend ist, dass während der Steuerung des Heilverfah-
rens durch die Berufsgenossenschaft und den behandelnden Arzt
Zudem fiel auf, dass überdurchschnittlich oft leichte Verletzun- die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation erkannt und
gen bis hin zu Bagatellfällen in einen schwierigen, prolongierten in die Wege geleitet wird, auch wenn bisher nicht nachgewiesen
16.2 · Spezielle Techniken
331 16
wurde, bei welchen Verletzungsmustern die multidisziplinären, alte Tätigkeit möglich ist? Wenn das nicht der Fall ist: Welche
stationären Maßnahmen Vorteile bringen und bei welchen Pa- Anforderungen bestehen an einen neuen Arbeitsplatz? Steht ein
tienten eine adäquate teilstationäre oder ambulante Strategie zu leidensgerechter Arbeitsplatz im Unfallbetrieb zur Verfügung
gleichen Resultaten führt. (Klärung durch die Berufshilfe)? Manchmal bleibt auch nur
festzustellen, dass eine weitere Besserung der Unfallfolgen nicht
realisierbar ist und es sich um einen vorläufigen Endzustand
16.2 Spezielle Techniken handelt. Die weitere berufliche Rehabilitation wird dann vom
Reha-Management der Berufsgenossenschaft übernommen und
Im Folgenden soll die stationäre handchirurgische berufsgenos- ggf. werden Qualifizierungsmaßnahmen, eine Umschulung oder
senschaftliche Rehabilitation (BGSW/KSR) im Detail betrachtet Ausbildung eingeleitet.
werden. In manchen Rehabilitationsfällen besteht eine Diskrepanz zwi-
Gelegentlich wird seitens der Berufsgenossenschaft oder auch schen den objektivierbaren Unfallfolgen und der demonstrierten
der Patienten die Indikation zu einer stationären Rehabilitation Funktionseinschränkung. In diesen Fällen sollte zunächst die bis-
zunächst kritisch gesehen. Nach einer mitunter längeren stationä- herige Diagnostik überprüft und ggf. ergänzt werden. Zur weite-
ren Akutbehandlung möchten die Patienten verständlicherweise ren Klärung ist eine enge Zusammenarbeit mit den Therapeuten
oft im familiären heimatortnahen Umfeld behandelt werden. Die notwendig. Werden die Funktionseinschränkungen nur in Unter-
Berufsgenossenschaft steht in der Pflicht, unnötig hohe Behand- suchungssituationen demonstriert oder sind sie auch konsistent
lungskosten zu vermeiden. Grundsätzlich können nahezu alle Ele- während der Therapie festzustellen? Ggf. können spezielle Leis-
mente der stationären Rehabilitation auch ambulant durchgeführt tungstests weiterhelfen. Von psychologischer Seite ist zu überprü-
werden. Der entscheidende Vorteil der stationären Behandlung fen, ob seelische Probleme eine Rolle spielen, ggf. diese Unfallfolge
liegt in dem zeitlich komprimierten multidisziplinären Vorgehen oder unfallunabhängig sind und inwieweit eine psychologische
unter einem Dach. Zwischen den verschiedenen Professionen be- Therapie angeraten ist. Manchmal kann es notwendig werden, der
steht ein ständiger enger Kontakt. Zudem lassen sich Umfang und Berufsgenossenschaft zu empfehlen, die berufsgenossenschaftli-
Intensität der Behandlung ambulant oft nicht erreichen und der che Heilbehandlung mit Arbeitsfähigkeit zu beenden, obwohl der
Rehabilitand unterliegt stationär zu seinem Wohle einer deutlich Patient sich dazu nicht in der Lage sieht. Nicht alle Behandlungen
engeren Führung. lassen sich im Einvernehmen mit dem Patienten beenden.

16.2.1 Ziele 16.2.2 Inhalte

Wie das gesamte berufsgenossenschaftliche Heilverfahren zielt Die Therapie wird interdisziplinär unter Einbindung der folgenden
auch die stationäre Rehabilitation auf eine bestmögliche Verbes- Bereiche durchgeführt:
serung oder Wiederherstellung der Funktion mit allen geeigneten
Mitteln. Ein großes Augenmerk liegt auf der Wiederherstellung ▬ Handchirurgische Expertise
der Arbeitsfähigkeit. Falls dies nicht möglich ist, sollen die besten ▬ Physiotherapie
Voraussetzungen für eine anderweitige berufliche Rehabilitation ▬ Ergo-/Arbeitstherapie
geschaffen werden. Neben der beruflichen Wiedereingliederung ▬ Medizinische Trainingstherapie
zielt die Behandlung aber auch auf die Funktionsverbesserung zur ▬ Orthopädietechnik
Teilhabe an den außerberuflichen Lebensbereichen. Auch wenn ▬ Neurologie
abzusehen ist, dass ein Patient, aus welchen Gründen auch immer, ▬ Psychologie
zukünftig keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen wird, kann ▬ Schmerztherapie
trotzdem eine stationäre Rehabilitation indiziert sein, sofern eine ▬ Reha-Management (Berufshilfe), Sachbearbeiter der Berufs-
Chance dafür besteht, dadurch eine Funktionsverbesserung zu genossenschaft
erzielen. ▬ Kraftfahrzeugberatung und Fahrtraining
Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt des Heilverfahrens die sta-
tionäre Behandlung stattfindet, können die Schwerpunktziele un-
terschiedlich sein. Bei einer Rehabilitationsbehandlung kurz nach Ergänzend kommt eine Evaluation der funktionellen Leistungsfä-
Abschluss der Akutbehandlung stehen die Verbesserung von Kraft, higkeit nach Isernhagen (EFL-Test) in Betracht, soweit die Einrich-
Funktion und Gebrauchsfähigkeit der Hand im Vordergrund. Es tung dafür zertifiziert ist.
soll eine Grundlage für die oft noch notwendige weitere ambulante Sämtliche Leistungen sind darauf ausgerichtet, unter ständiger
Behandlung geschaffen werden. Zur Frage der Arbeitsfähigkeit ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders
lassen sich in der Frühphase oft noch keine fundierten Progno- geschultem Personal den Gesundheitszustand zu verbessern bzw.
sen stellen. Ist jedoch bereits zu einem frühen Zeitpunkt sicher einer Verschlimmerung entgegenzuwirken sowie bei der Entwick-
absehbar, dass die alte berufliche Tätigkeit nicht wieder aufgenom- lung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen. Durch eine
men werden kann, sollte dies mit dem Patienten und dem Reha- arbeitsbezogene Abklärung wird in Kooperation mit dem be-
Management der Berufsgenossenschaft erörtert werden. Dadurch rufsgenossenschaftlichen Reha-Management überprüft, inwieweit
kann das Heilverfahren beizeiten in Richtung realistischer Ziele Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig sind.
gelenkt werden.
Erfolgt die stationäre Behandlung in einem fortgeschrittenen Therapeutische Maßnahmen
Stadium des Heilverfahrens, so liegt der Schwerpunkt vorrangig Am engsten arbeiten mit dem Patienten die Kernbereiche Physiothe-
in der Klärung der beruflichen Rehabilitation. Kann die Hand- rapie, Ergotherapie sowie medizinische Trainingstherapie (MTT)/
funktion soweit gebessert werden, dass eine Reintegration in die Sporttherapie zusammen. Hierfür stehen den neuesten Erkenntnis-
332 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

sen entsprechende, speziell eingerichtete Räume mit Übungs- und – Training der allgemeinen und lokalen Ausdauer und Leis-
Testgeräten, Arbeitssimulationsplätze sowie ein Schwimmbad zur tungsfähigkeit (Armergometertraining),
Verfügung. – Isokinetik (Biodex);
Durch die Physiotherapie werden Entwicklungsstörungen, sen- ▬ Gruppentherapie:
somotorische Funktionen sowie Schmerzzustände analysiert und – Sportspiele und gymnastische Übungen unter Einsatz von
interpretiert, um sie mit speziellen manuellen und anderen physio- Kleingeräten (Bälle, Schläger u. a.),
therapeutischen Techniken sowie physikalischen Maßnahmen zu – Aquatraining (Hand-, Schulter-, Armgymnastik mit ver-
beeinflussen. Primärer Ansatzpunkt ist das Bewegungssystem und schiedenen Übungsmaterialien unter Ausnutzung des Was-
Bewegungsverhalten. Ziel der Physiotherapie ist es, Störungen der serwiderstandes, Sportschwimmen),
Körperfunktionen zu vermeiden oder zu beseitigen, Fehlentwick- ▬ Gesundheitsbildung/Verhaltenstraining.
lungen zu korrigieren und Heilungsprozesse einzuleiten oder zu
unterstützen. Gemäß den berufsgenossenschaftlichen Vorgaben sind pro Tag
Das Leistungsspektrum der Physiotherapie für die Handreha- mindestens 3 h Einzelbehandlungen zu erbringen. Die Gesamtnet-
bilitation besteht aus: totherapiezeit einschließlich von Gruppenbehandlungen darf 4 h
▬ Krankengymnastik, auch auf neurophysiologischer Grundlage, pro Tag nicht unterschreiten.
▬ Massagen, Falls es Hinweise für seelische Probleme gibt, sollte frühzeitig
▬ manueller Therapie, eine psychologische Mitbetreuung eingerichtet werden. Auch bei
▬ Lymphdrainage, chirurgisch nicht zu erklärenden Auffälligkeiten im Heilverlauf
▬ Thermo-, Hydro- und Kryotherapie, sollte der Patient zumindest einmal bei einem Psychologen vorge-
▬ Ultraschalltherapie/Phonophorese, stellt werden.
▬ Elektrotherapie, Lassen sich Schmerzen mit peripher wirksamen Analgetika
▬ hydroelektrische und Vierzellenbäder, nicht ausreichend gut behandeln, so empfiehlt sich frühzeitig eine
▬ Paraffinbad, schmerztherapeutische Beratung hinsichtlich einer speziellen
▬ Balneologie, Medikation. Dies gilt insbesondere bei Phantom- und Stumpf-
▬ Reflexzonentherapie, schmerzen sowie peripheren neuropathischen Schmerzen. Trotz
▬ Magnetfeldtherapie. Schmerzen sollte die Übungstherapie in angepasster Form fortge-
führt werden. Die Patienten sind darauf hinzuweisen, dass gewisse
Bei der Ergotherapie steht die eigenaktive Handlung im Sinne der Schmerzen bei der Übungstherapie in Kauf zu nehmen sind, um
Wiedererlernung komplexer Bewegungsmuster unter Einsatz spe- einen Behandlungsfortschritt zu erreichen, wobei ein erträgliches
ziell adaptierten Übungsmaterials im Mittelpunkt. Die Methoden Schmerzniveau selbstverständlich nicht überschritten werden darf.
der Ergotherapie orientieren sich an Tätigkeiten des Berufslebens, Der mitunter vertretenen Auffassung bei Schmerzen die Übungen
der Freizeitgestaltung sowie an alltäglichen Verrichtungen. Der abzubrechen ist ausdrücklich zu widersprechen. Auch der Patient
Leistungsumfang der Ergotherapie erstreckt sich auf: mit starken Schmerzen an der Hand bleibt ein handchirurgischer
▬ motorisch-funktionelle Behandlung, Patient. Die Führung der Behandlung darf nicht an einen Schmerz-
▬ sensomotorisch-perzeptive Behandlung, therapeuten abgegeben werden. Übungsbehandlungen unter Ple-
▬ Schienenanfertigung (Quengelschienen – statisch, dynamisch, xuskatheteranalgesie sollten eher zurückhaltend zum Einsatz kom-
Lagerungsschienen) men. Zwar sind unter guter Plexuskatheteranalgesie insbesondere
▬ Prothesentraining, passive Übungen besser durchzuführen. Meist stellt sich jedoch
▬ Hilfsmittel und Adaptationen (Verordnung, Probe, Übung), nach Entfernen des Katheters ein Zustand wie vor der Behandlung
▬ Testung beruflicher Belastungsprofile, ein. Bei jeder medikamentösen Schmerztherapie, die nicht wirkt,
16 ▬ berufsbezogenes Training im Werkstattbereich, ist dringend eine Überprüfung des Medikamentenspiegels im Blut-
▬ Betriebsbegehungen, Testung und Unterstützung bei verlet- serum zu empfehlen. Möglicherweise wurde die Dosierung des
zungsadaptierten Umbauarbeiten am Arbeitsplatz, Analgetikums zu niedrig gewählt oder aber auch die vorgeschrie-
▬ Aktivitäten des täglichen Lebens: Nahrungsaufnahme, Körper- bene Menge vom Patienten nicht eingenommen.
pflege, Schreib-, Anziehtraining,
▬ Übungswohnung, Wohnungsberatung, Arbeitsbezogene Maßnahmen
▬ Training im Übungsauto. Im Rahmen der BGSW wird eine Arbeitstherapie bzw. Belastungs-
probe unter Zugrundelegung der bisherigen beruflichen Tätigkeit
Ein weiterer Bestandteil des Gesamtkomplexes notwendiger the- durchgeführt. Ziel ist die Erstellung des Leistungsbildes hinsicht-
rapeutischer Maßnahmen ist die medizinische Trainingstherapie lich der weiteren Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsfähigkeit.
(MTT)/Sporttherapie. Die Aufgabe der MTT und Sporttherapie Darüber hinaus sollen etwaige Leistungen zur Teilhabe am Arbeits-
besteht sowohl in der Rehabilitation eines Gelenks oder einer leben geklärt werden.
Struktur, als auch in der aktiven Wiederherstellung der komple-
xen Haltungs- und Bewegungsfunktionen des Körpers. MTT und
Sporttherapie beruhen somit auf einem ganzheitlichen Ansatz und 16.2.3 Ablauf
trainingswissenschaftlichen Prinzipien. Zum Leistungsspektrum
der medizinischen Trainings- und Sporttherapie gehören: Unverzichtbar für den Erfolg der Handrehabilitation sind:
▬ Individuelles gerätegestütztes Trainingsprogramm zur Verbes- ▬ ein kooperativer und motivierter Patient,
serung der motorischen Grundfertigkeiten Kraft, Ausdauer, ▬ gut ausgebildete und engagierte Handtherapeuten,
Beweglichkeit und Koordination: ▬ eine offene und rege Kommunikation zwischen Patient,
– isometrisches und auxotones Krafttraining (Seilzuggeräte, Therapeuten, Arzt und berufsgenossenschaftlichem Reha-
Freihanteltraining), Management.
16.2 · Spezielle Techniken
333 16

⊡ Abb. 16.3 Computergestützter Handkraft-


schnellwechseltest

Durch den Arzt sowie die Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten, die Sporttherapie sowie der Ergotherapie einschließlich der arbeits-
den Patienten später auch behandeln werden, erfolgen bei Behand- platzbezogenen Therapie enthält. Therapieziele werden formuliert
lungsbeginn Anamneseerhebung und klinische Untersuchung. Die und dokumentiert. Der Therapieplan wird bei den regelmäßigen
Anamnese umfasst Beruf, aktuelles Arbeitsverhältnis sowie die Visiten durch ein interdisziplinäres Team überwacht und ggf.
familiäre und soziale Situation. Es wird ein Tätigkeitsprofil erstellt, angepasst. Das Team setzt sich aus Arzt, Physio- und Ergothe-
welches eine genaue Beschreibung der zuletzt ausgeübten Tätig- rapeut, Pflegekräften sowie dem Berufshelfer zusammen. Durch
keit hinsichtlich der Art, der regelmäßigen Arbeitszeit sowie der die Teamvisiten kommt es zu einer zeitnahen Information aller
äußeren Einflüsse, denen der Versicherte bei der Arbeit ausgesetzt Mitwirkenden an der Rehabilitation. Auf Änderungen bzw. Rück-
ist, enthält. Bei Unklarheiten bezüglich der Anforderungen am schritte im Heilverlauf kann frühzeitig reagiert und der Behand-
Arbeitsplatz sollte über die Berufsgenossenschaft eine detaillierte lungsplan angepasst werden
Arbeitsplatzbeschreibung angefordert werden. Die Kontrollen im Verlauf sind Grundlage für klare Thera-
Vor und während der stationären Rehabilitation sind die funk- pieentscheidungen und bestimmen die Dauer und den Abschluss
tionellen Defizite zu objektivieren und zu dokumentieren. Dies der Behandlung. Auch gelingt es, mithilfe verschiedener Tests
wird mit einfachen Maßnahmen, z. T. auch mittels standardisierter, Aggravations- und Simulationstendenzen aufzudecken und damit
computergestützter Tests durchgeführt: das Heilverfahren straff zu führen. Nach 14-tägiger Behandlung ist
▬ Erfassung der Bewegungs- und Umfangsmaße (Neutral-0 Me- an den zuständigen Unfallversicherungsträger der Vordruck »The-
thode), rapie- und Dokumentationsplan« (F 2158), in dem die bisherigen
▬ Messung der Kraft beim Grob-, Spitz- und Schlüsselgriff, Behandlungsmaßnahmen vermerkt sind, zu übersenden.
▬ DASH-Fragebogen, Während der stationären Rehabilitation muss eine tägliche
▬ Biodex-Test (PC-gestützte Isokinetik), Therapiezeit von mindestens 4 h gewährleistet sein. Neben dem
▬ Arbeitsplatzsimulationsgerät (⊡ Abb. 16.3). üblichen Spektrum der aktiven und passiven Anwendungen wer-
den in den Therapien besonders solche Tätigkeiten geübt, die der
Des Weiteren sollte vor Beginn der Handtherapie eine genaue Versicherte am Arbeitsplatz benötigt. Von größter Bedeutung ist,
Schmerzanamnese erstellt werden. Optional erfolgt die Einbezie- dem Patienten zu vermitteln, dass er durch Ärzte und Therapeuten
hung eines Schmerztherapeuten. Bei Verletzungen des peripheren begleitet wird, er letztlich jedoch selbst die treibende Kraft der
Nervensystems sowie akutem komplexem regionalem Schmerzsyn- Rehabilitation ist.
drom I und II ist eine Diagnostik und evtl. Mitbehandlung durch
einen Neurologen notwendig. Ergänzend werden eine internistische Wiedererlangung der Handfunktion
Konsiliaruntersuchung zur Einschätzung der Rehabilitationsfähig- Die Inhalte der Behandlung sind in der 1. Phase der Rehabilitation
keit sowie bei entsprechender Notwendigkeit eine psychologische darauf ausgerichtet, die verlorengegangene Funktion der Hand
Beurteilung durchgeführt. Ggf. kommen zur Vervollständigung wiederherzustellen. Die Funktion der Hand ist vielfältig. Die Hand
der Diagnostik bildgebende Verfahren (Röntgen, Sonografie, CT, ist Greiforgan, Tastorgan, Kommunikations- und Verständigungs-
MRT, Szintigrafie) zur Anwendung. Anschließend kann der Pati- organ und vor allem ein vielseitiges Arbeitsinstrument in Alltag
ent spezifisch und in Kenntnis seiner beruflichen Beanspruchung und Beruf. Einschränkungen für die Funktion ergeben sich nach
behandelt werden. Die für die Behandlung wesentlichen Personen Traumata aus:
verfügen über die gleichen Informationen, was spätere Absprachen ▬ Ödembildung,
erleichtert. An die zuständige Berufsgenossenschaft wird ein Auf- ▬ Narben,
nahmebericht (F 2152) erstattet. ▬ eingesteiften Gelenken,
Zu Beginn der Behandlung wird ein individueller Thera- ▬ Schmerzen,
pieplan erstellt, der alle Maßnahmen der Krankengymnastik, ▬ Sensibilitätsminderung,
der physikalischen Therapie, der medizinischen Trainings- und ▬ Neurombildung/Hyperpathie.
334 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

⊡ Tab. 16.2 Behandlungsmöglichkeiten zur Wiedererlangung des funktionellen Einsatzes der Hand

Ödembildung Hochlagern im Sandsack oder auf Kissen


Lymphdrainage
Massage
Passive Mobilisation der Finger
Eigentätige Pumpbewegungen mit der Hand unter Hochhalten des Armes
Pneumatische Drucktherapie
Kompressionshandschuh/Bandage
Thermische Anwendungen – Kälte, auf- und absteigende Bäder, Quarkpackungen
Medikamentöse Therapie

Narbe Narbenmassage/-mobilisierung
Salben
Kompressionshandschuh
Silikon
Lagerungsschienen zur Kontrakturprophylaxe

Gelenksteife Mobilisation verletzter und/oder mitbetroffener Gelenke (aktiv und passiv)


Spezielle Weichteiltechniken (z. B. Muskeldehnungen)
Mitnehmerschlaufen
Dynamische oder statische Schienenbehandlung, (z. B. Intervalltherapie mit Quengelschienen)

Schmerz Immobilisation (Lagerungsschienen)


Kälte- und Wärmeapplikationen
Dosierte Bewegung
Elektrostimulation
Spiegeltherapie
Medikamentöse Therapie (Analgetika, Anxiolytika, trizyklische Antidepressiva, Lokalanästhetika,
Leitungsblockaden)
Psychologische Mitbetreuung
Entspannungstherapie

Sensibilitätsminderung Sensory Reeducation grobe Schutzsensibilität, differenzierte Diskriminationsfähigkeit

Neurombildung/Hyperpathie Desensibilisierungstherapie (Igelball, verschiedene Bürsten)

⊡ Tab. 16.3 Funktionelle Therapie

Physiotherapie Krankengymnastik zum Muskelaufbau und zur Verbesserung des Koordinationsvermögens (z. B. durch PNF)
Knetmasse: Verbesserung der Kraft und Beweglichkeit
Federhanteln, Digiflex: Muskelaufbau
»Ganzkörperübungen« zur Ablenkung der Aufmerksamkeit von der betroffenen Extremität und zum spielerischen Wieder-
16 erlernen des normalen Bewegungsablaufs mit verschiedenen Geräten (z. B. Pezziball)

Ergotherapie Funktionelle Spiele – Greif- und Steckspiele fördern die Motorik und Geschicklichkeit
Peddigrohrflechten, Weben, Seidenmalen, Holzarbeiten zum differenzierten Einsatz der Hand

Medizinische Hand- und Armkurbelergometer – Steigerung der allgemeinen und lokalen Ausdauer
Trainingstherapie: Flexi-Bar – Verbesserung der Hand- und Armkoordination
Gerätgestütztes Krafttraining – komplexe Bewegungsabläufe mit alltagsbezogenem Ziehen, Drücken, Heben, Stemmen
Gruppentherapie – Hand-, Schulter-, Armgymnastik, Wassertherapie

Anteilig werden zunächst mehr gezielte individuelle Krankengym- Operation erreicht werden kann und ggf. diese im Verlauf einzu-
nastik, physikalische Therapie und Ergotherapie durchgeführt, um planen.
die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die verlorengegangene
Funktion wiederhergestellt werden kann (⊡ Tab. 16.2). Arbeitsplatzbezogene und soziale Rehabilitation
Im Anschluss oder auch parallel dazu erfolgt eine funktionelle Nach messbaren Fortschritten in funktioneller und konditioneller
Therapie, die zum Ziel hat, die differenzierten Finger- und Hand- Hinsicht wird in der 2. Phase die Behandlung zunehmend berufs-
funktionen, d. h. die verschiedenen Greifformen, Kraft, Beweglich- orientiert und auf die Aktivitäten des täglichen Lebens gerichtet.
keit und Koordination zu verbessern. Hierbei kommt neben der Dabei finden vorrangig arbeitsplatzbezogene Ergotherapie und
Physio- und Ergotherapie auch die medizinische Trainingstherapie MTT, aber auch weiterhin Krankengymnastik und physikalische
zum Einsatz (⊡ Tab. 16.3, ⊡ Abb. 16.4). Therapie statt.
Bei Stagnation im Rehabilitationsverlauf ist kritisch zu über- Nach einer Bestandsaufnahme, die die Arbeitsplatzsituation
prüfen, inwieweit eine Verbesserung des Befundes durch eine sowie die wiedererlangten Fähigkeiten und Fertigkeiten des Versi-
16.2 · Spezielle Techniken
335 16

⊡ Abb. 16.4 Verbesserung der Einsatzfähigkeit der verletzten Hand mittels


b
a Pezziball, b Peddigrohrflechten, c Seilzuggerät

cherten berücksichtigt, werden die nächsten Therapieziele festge- ▬ Profilvergleichsverfahren zur Integration von Menschen mit
legt und die hierzu notwendigen Maßnahmen veranlasst. Behinderungen in die Arbeitswelt (IMBA).
Die arbeitsplatzbezogene Rehabilitation sollte praxisnah und
leistungsorientiert am Patienten stattfinden. Trainiert werden ar- Berufliche Wiedereingliederung
beitsplatzähnliche Verrichtungen, Arbeitsabläufe sowie Arbeits- Der Rehabilitationsmanager/Berufshelfer ist während der gesamten
haltungen. Im Vordergrund stehen hierbei Heben, Tragen, Stapeln, Rehabilitation der zentrale Ansprechpartner für den Versicherten.
Überkopfarbeiten sowie das Besteigen von Leitern, Gerüsten und Durch ihn wird über den gesamten Verlauf Kontakt zur zuständi-
Schrägen (⊡ Abb. 16.5). gen Berufsgenossenschaft und zum Unfallbetrieb hergestellt. Zu
Moderne interaktive 3D-Fahrsimulatoren mit beweglicher den Aufgaben des Rehabilitationsmanagers zählen:
Steuereinheit ermöglichen das Austesten und Trainieren der Fahr- ▬ frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem Versicherten bereits im
tauglichkeit, was für Berufskraftfahrer aber auch für Verletzte, Krankenhaus,
die für das Erreichen des Arbeitsplatzes auf das Auto angewiesen ▬ Brückenfunktion zum Sachbearbeiter der zuständigen Berufs-
sind, hilfreich ist. Ziel der arbeitsplatzbezogenen Rehabilitation ist genossenschaft,
es, vorhandene funktionelle Defizite aufzuarbeiten, Ausdauer und ▬ Information über die Leistungen der gesetzlichen Unfallversi-
Koordinationsvermögen zu verbessern sowie die Belastbarkeits- cherung,
grenzen in einem arbeitsplatztypischen Umfeld hinsichtlich Qua- ▬ Koordination und Steuerung der medizinischen Rehabilitation
lität, Quantität und Wettbewerbsfähigkeit auf dem allgemeinen in Zusammenarbeit mit dem Versicherten sowie den behan-
Arbeitsmarkt praktisch auszutesten. Methoden zur Feststellung der delnden Ärzten und Therapeuten,
Belastbarkeitsgrenzen sind: ▬ Planung, Durchführung und Kontrolle der Wiedereingliede-
▬ funktionelle, auf beruflicher Tätigkeit basierende Ergotherapie, rung in das Arbeitsleben unter Berücksichtigung von Eignung,
▬ Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit nach Isernha- Neigung und bisheriger beruflicher Tätigkeit des Versicherten,
gen (EFL), ▬ Beratung und Unterstützung bei Umbauten am Arbeitsplatz,
▬ Arbeitsplatzsimulationsgerät (⊡ Abb. 16.6), ▬ in geeigneten Fällen Weiterbetreuung des Versicherten nach
▬ Arbeitsprobe. Wiederaufnahme einer Tätigkeit,
336 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

a b c

⊡ Abb. 16.5 Arbeitsplatzbezogene Rehabilitation. a Üben von Maurertätigkeiten, b Training von Dachdeckerarbeiten, c Erlernen der Bedienung einer Tastatur
mit Hilfsmittel

▬ Feststellung und Prüfung des Bedarfs an Leistungen zur Teil-


habe am Leben in der Gemeinschaft (Vermittlung ambulanter
Hilfen, Wohnungs- und Kraftfahrzeughilfe),
▬ Beratung in sozialrechtlichen Angelegenheiten.

Zur Mitte der BGSW-Maßnahme muss der Gesamtrehabilitati-


onsverlauf analysiert und die berufliche Wiedereingliederung, so
weit möglich, definitiv geplant und festgelegt werden. Es ist zu
entscheiden ob:
▬ der Versicherte nach Abschluss der BGSW arbeitsfähig ist,
▬ eine Arbeits- und Belastungserprobung durchgeführt wird,
▬ das Behandlungsverfahren ohne Wiedererlangung der Ar-
16 beitsfähigkeit abgeschlossen werden muss oder
▬ weiterhin Arbeitsunfähigkeit vorliegt und zusätzliche thera-
peutische Maßnahmen einzuleiten sind.

Zur Durchführung einer arbeitsplatzbezogenen Rehabilitation ste-


hen auch verschiedene externe Einrichtungen wie spezielle Er-
gotherapiepraxen, berufsorientierte Rehabilitationszentren, Be-
rufsförderungs- und Bildungswerke, Handwerkskammern etc. zur
Verfügung. Das Aufgabenfeld besteht hier ebenfalls darin, eine
Arbeit in einem arbeitsplatztypischen Umfeld zu ermöglichen mit
Austestung der Leistungsfähigkeit und Erstellung von arbeitsplatz-
und berufsbezogenen Belastungsprofilen. Indikationen für derar-
tige spezielle arbeitsplatztypische Therapien sind:
▬ Nutzung von seltenen, aufwendigen Therapiemaßnahmen
(z. B. Stuckateurarbeiten, Führen eines Krans),
▬ Durchführung einer mehrwöchigen berufsorientierten Re-
habilitation nach Beendigung der stationären Rehabilitation,
wenn eine Arbeitsbelastungserprobung nicht möglich ist
(LKW-Fahrer im Fernverkehr, Montagetätigkeit, Kündigung ⊡ Abb. 16.6 Arbeitsplatzsimulator. Ein geeignetes Gerät, Bewegungsabläufe,
des bisherigen Arbeitsplatzes, Verweigerung der Zustimmung Kraft, Geschicklichkeit und Kondition zu trainieren, stellt der Arbeitsplatzsi-
des Arbeitgebers zu einer Arbeitsbelastungserprobung im Un- mulator dar, an diesem können mit verschiedenen Zusatzgeräten Arbeitsab-
fallbetrieb). läufe, wie z. B. Erde schaufeln, nachgestellt und geübt werden
16.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
337 16

Stationäre handchirurgische
Rehabilitation

Funktionsverbesserung Stagnation

Weitere amb. Therapie Operation Verharrungszustand

Arbeitsbelastungserprobung ABE Abschluss der medizinischen Behandlung ohne


(ABE) gescheitert Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in der alten
Tätigkeit

ABE
erfolgreich

Arbeitsfähigkeit mit Weiterbildung, »78 -Wochen-Fall«


Arbeitsfähigkeit in
innerbetrieblicher Umschulung, (Verletztengeldzahlung bis Ende
alter Tätigkeit
Umsetzung Ausbildung 78. Woche nach Unfall)

⊡ Abb. 16.7 Ablauf nach stationärer Rehabilitation

Kann trotz optimal durchgeführter Heilbehandlung und medizini- festgelegt, wo die Weiterbehandlung stattfindet. Mitunter ist es
scher Rehabilitation eine Rückführung des Versicherten an seinen sinnvoll, eine ambulante Wiedervorstellung zur Mitbetreuung des
bisherigen Arbeitsplatz nicht oder nicht ohne Weiteres erfolgen, weiteren Heilverfahrens zu vereinbaren. Berufsgenossenschaft und
kommen unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit, Eignung, Weiterbehandler werden umgehend über die stationäre Rehabilita-
Neigung und bisherigen Tätigkeit des Versicherten Leistungen zur tionsbehandlung durch einen Kurz- bzw. Abschlussbericht (F 2156,
Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Hierzu wird ein positives und F 2160) informiert. Diese enthalten die Empfehlungen zur weiteren
negatives Leistungsbild erstellt, bei dem der bisherige Arbeitsplatz, Behandlung sowie eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung.
die vorhandenen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie der Jeder Patient sollte mit einer klaren Vorstellung über seine beruf-
Gesundheitszustand analysiert werden. Davon abhängig werden liche und private Zukunft aus der stationären Rehabilitationsbe-
Leistungen zur Erhaltung und Erlangung eines Arbeitsplatzes (Um- handlung herausgehen.
baumaßnahmen am Arbeitsplatz, innerbetriebliche Umsetzung),
Qualifizierungsmaßnahmen (berufliche Anpassung, Weiterbil-
dung), Umschulungen, oder Ausbildungen veranlasst. Unter Um- 16.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
ständen kommen aber auch diese nicht in Betracht, sodass letztlich
ein sog. 78-Wochen-Fall resultiert. In diesem Fall sind alle Optionen Ein spezielles Problem in der Therapie ist der »schwierige« Re-
der beruflichen Rehabilitation ausgeschöpft. Der Patient verbleibt habilitand. Ein kooperativer und motivierter Patient stellt eine
arbeitsunfähig und erhält bis zum Ablauf der 78. Woche nach dem Idealvoraussetzung für eine Rehabilitation dar. In der Praxis ist
Unfall als Lohnersatzleistung Verletztengeld (⊡ Abb. 16.7). diese Voraussetzung nicht immer gegeben. Vielerlei Gründe kön-
nen dazu führen, dass ein Patient bei der Behandlung nicht so
Entlassung mitarbeitet, wie man es sich wünscht. Zum Teil trifft man bei
Zur Entlassung des Patienten erfolgt die abschließende Überprü- Rehabilitanden auf überzogene Vorstellungen über die Leistungs-
fung der zu Beginn formulierten Ziele. Der Entlassungsbefund pflicht und -möglichkeiten der gesetzlichen Unfallversicherung.
wird dokumentiert. Der Patient erhält genaue Instruktionen zur Manche Rehabilitanden äußern die Auffassung, die Höhe einer
beruflichen Wiedereingliederung sowie über ggf. noch fortzu- etwaigen Unfallrente hänge von der Dauer der Arbeitsunfähigkeit
setzende Behandlungsmaßnahmen wie ambulante Krankengym- ab, sie sei eine Entschädigung für ertragenes Leid. Hat der Arzt
nastik und Ergotherapie. In Absprache mit dem Patienten wird den Verdacht, dass derartige Missverständnisse bestehen könnten,
338 Kapitel 16 · Die handchirurgische Rehabilitation im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren

so empfiehlt sich frühzeitig eine ruhige sachliche Information des Weiterführende Literatur
Rehabilitanden über die tatsächlichen Optionen und Ansprüche.
Neben Renten- oder Umschulungsbegehren gibt es zahlreiche Bereiter-Hahn W, Mehrtens G (2010) Gesetzliche Unfallversicherung. Erich
andere Gründe für eine unzureichende Mitarbeit des Rehabilitan- Schmidt, Berlin
den. Dazu können gehören: Froboese I, Wilke C, Nellessen-Martens G (2010) Training in der Therapie. Else-
vier Urban & Fischer, München
▬ vorbestehende Probleme am Arbeitsplatz (Mobbing),
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Bundesverband der landwirt-
▬ Probleme im privaten Umfeld (z. B. Überforderung durch Be-
schaftlichen Berufsgenossenschaften, Handlungsanleitung zur Ver-
ruf und Familie), ordnung, Durchführung und Qualitätssicherung der Physiotherapie/
▬ psychische Probleme, Krankengymnastik – Physikalischen Therapie, Erweiterten Ambulanten
▬ vorbestehende unfallunabhängige Körperschäden, Physiotherapie (EAP), Berufsgenossenschaftlichen Stationären Wei-
▬ eingeschränkte Leistungsfähigkeit durch höheres Lebensalter, terbehandlung (BGSW), sonstigen stationären Maßnahmen, Stand
▬ Suchtprobleme, 01.01.2008. http://www.dguv.de/landesverbaende/de/med_reha/docu-
▬ mangelnde Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestal- ments/hand.pdf
tung. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Bundesverband der landwirt-
schaftlichen Berufsgenossenschaften, Anforderungen der gesetzlichen
Unfallversicherungsträger nach § 34 SGB VII zur Beteiligung von Re-
Um die vorgenannten Problemfelder aufzuklären, ist in der Regel
habilitationskliniken an der Berufsgenossenschaftlichen Stationären
eine psychologische Exploration notwendig. Auch wenn von psy-
Weiterbehandlung (BGSW) für Verletzungen des Stütz- und Bewegungs-
chologischer Seite im Rahmen der handchirurgischen Rehabili- apparates vom 01. Januar 2006. http://www.dguv.de/landesverbaende/
tation in der Regel keine umfassende Begutachtung durchgeführt de/med_reha/documents/bgsw2.pdf
werden kann, so gelingt es meist, einen begründeten Verdacht zu Eisenschenk A, Ekkernkamp A, Witzel C, Ziche G, Last H (2001) Qualitätsma-
äußern oder auch auszuschließen. Soweit möglich, kann versucht nagement zur optimalen Steuerung des berufsgenossenschaftlichen
werden, bei der Lösung vorgenannter Probleme zu helfen und so Heilverfahrens für Handverletzungen. Trauma und Berufskrankheit 3:
die Rehabilitationsmotivation zu steigern. 65–69
Ärztlicherseits sollten auch beim Umgang mit »schwierigen« Froese E (2009) Strategien für modernes Reha-Management. Gentner, Stutt-
Rehabilitanden die sachgerechte Befunderhebung und -dokumen- gart
Hüter-Becker A, Dölken M (2006) Physikalische Therapie, Elektrotherapie und
tation sowie vorurteilsfreie Gespräche im Vordergrund stehen.
Massage. Thieme, Stuttgart
Der ärztliche Therapeut sollte den Klagen und Beschwerden
HVBG, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (2002)
seiner Patienten immer mit Empathie begegnen. Nach sachgerech- Richtlinien zur Rehabilitation in der der gesetzlichen Unfallversicherung,
ter Diagnostik wird er versuchen, dem Patienten Wege zur Heilung 2. Aufl. Gentner, Stuttgart
oder Linderung vorzuschlagen. In seiner heilverfahrenssteuernden List M (2009) Physiotherapie in der Traumatologie. Springer, Berlin Heidel-
Funktion hingegen hat der Arzt neutral und objektiv Einschät- berg
zungen in sozialmedizinischer Hinsicht vorzunehmen. Bei der Lohsträter A, Bak P (2006) Medizinische und ökonomische Effizienz des Reha-
Behandlung »schwieriger« Rehabilitanden ist es nicht immer leicht, Managements der VBG bei Patienten nach distaler Radiusfraktur. Phys
den therapeutischen Ansatz mit der nötigen sachlichen Sichtweise Med Rehab Kuror 16: 155–159
in Einklang zu bringen. Partecke B-D (2001) Qualitätssicherung und Management von Handverlet-
zungen aus der Sicht des Handchirurgen. Trauma Berufskrankh 3 (Suppl
Für arbeitsverunfallte Patienten besteht eine Pflicht zur Mit-
4): 479–486
wirkung am Heilverfahren. Eine stationäre Rehabilitationsbehand-
Rennekampf H-O, Rabbels J, Pfau M, Haerle M, Schaller H-E (2003) Die Wer-
lung ist grundsätzlich duldungspflichtig. Falls der Patient ganz tigkeit der BGSW (Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehand-
offensichtlich und wiederholt trotz Ermahnung den Rehabilitati- lung) in der Rehabilitation nach distaler Radiusfraktur. Akt Traumatol 33:
onsbemühungen entgegenarbeitet, z. B. Verweigerung zumutbarer 109–114
16 Therapien, Nichteinhalten von Terminen, ungebührliches Beneh- Sozialgesetzbuch (SGB) Siebtes Buch (VIII) – Gesetzliche Unfallversicherung –
men u. Ä., ist die Behandlung umgehend zu beenden. (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254). http://www.
Gerade beim »schwierigen« Rehabilitanden sollte den Klagen gesetze-im-internet.de/sgb_7/BJNR125410996.html
und Beschwerden mit allen geeigneten Mitteln nachgegangen wer- Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe
den. Sehr hilfreich bei deren Bewertung sind u. a. die Beobachtun- behinderter Menschen – (Artikel 1 des Gesetzes v. 19. 6.2001, BGBl. I S.
1046). http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/index.html
gen und Befunde während der Übungstherapie. Unter Zusammen-
Steen M (2005) Spezielle handtherapeutische Rehabilitation. Trauma Berufs-
schau von klinischen und apparativen Befunden, Leistungstests,
krankh (Suppl 1): 247-252
Konsiliarbefunden und Beobachtungen bei der Übungsbehandlung Stein V, Greitemann B (2005) Rehabilitation in Orthopädie und Unfallchirur-
ist es meist möglich, zu einer begründeten sozialmedizinischen Be- gie. Springer Medizin, Berlin Heidelberg
urteilung zu kommen. Auch wenn anzustreben ist, Einvernehmen Tilmann B (2004) Atlas der Anatomie des Menschen. Mit Muskeltrainer. Sprin-
mit dem Rehabilitanden herzustellen, so ist es doch unvermeidbar, ger, Berlin
dass im Einzelfall erhebliche Differenzen zwischen der ärztlichen Vertrag gem. § 34 Abs. 3 SGB VII zwischen der Deutschen Gesetzlichen Un-
Beurteilung und der Auffassung des Rehabilitanden, z. B. bezüg- fallversicherung e.V. (DGUV), Berlin, dem Bundesverband der landwirt-
lich der Arbeitsfähigkeit, verbleiben. Im Bericht an die Berufsge- schaftlichen Berufsgenossenschaften e.V., Kassel, einerseits und der Kas-
nossenschaft und die Weiterbehandler sollte das detailliert ausge- senärztlichen Bundesvereinigung, K.d.ö.R., Berlin, andererseits über die
Durchführung der Heilbehandlung, die Vergütung der Ärzte sowie die
führt werden. Die ärztliche Einschätzung ist unter Darstellung der
Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen (Vertrag Ärzte/
Befunde zu begründen. Die Entscheidung über das weitere sozial-
Unfallversicherungsträger) gültig ab 1. April 2008. http://www.dguv.de/
rechtliche Vorgehen obliegt der Berufsgenossenschaft. So kann der inhalt/rehabilitation/verguetung/documents/aerzte.pdf
Unfallversicherungsträger einerseits der ärztlichen Einschätzung Waldner-Nilsson B (1997) Handrehabilitation, Bd I und II. Springer, Berlin
folgen, andererseits auch eine Zweitmeinung an anderer geeigneter Heidelberg
Stelle einholen. Der Patient hat die Option, den sozialrechtlichen Wernicke F (2007) Arbeitsplatzbezogene Rehabilitation im Rahmen der
Weg bis hin zur Sozialgerichtsklage zu beschreiten. BGSW/KSR. Trauma Berufskrankh (Suppl 1)9: 98–102
V

V Therapie chronischer Schmerzen

17 Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung


im Bereich der oberen Extremität – 341
Albrecht Wilhelm

18 Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms


(CRPS) – 399
Reiner Winkel, Adriana Blonder

19 Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus


handtherapeutischer Sicht – 423
Rainer Zumhasch, Michael Wagner

20 Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)


durch transaxilläre Dekompression des Nerven-Gefäß-Stranges und obere
extrapleurale thorakale Sympathikusresektion – 437
Albrecht Wilhelm
17

Technik der Denervierung zur Schmerz-


ausschaltung im Bereich der oberen Extremität
Albrecht Wilhelm

17.1 Allgemeines – 342


17.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 342
17.1.2 Epidemiologie – 342
17.1.3 Ätiologie – 342
17.1.4 Diagnostik – 342
17.1.5 Klassifikation – 342
17.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 342
17.1.7 Therapie – 342
17.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 342
17.2 Spezielle Techniken – 342
17.2.1 Denervation von Finger- und Handgelenken – 342
17.2.2 Die operative Behandlung des therapieresistenten Tennisellenbogens
durch Denervation mit indirekter Dekompression des R. profundus ni. radialis – 356
17.2.3 Die operative Behandlung des therapieresistenten Golferellenbogens
durch Denervation nach Wilhelm – 373
17.2.4 Partielle Denervation und temporäre Schmerzausschaltung im Bereich
des Schultergelenks – 385
Weiterführende Literatur – 394

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


342 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

17.1 Allgemeines
⊡ Tab. 17.1 Allgemeine Indikationen und Kontraindikationen für die
Denervierung
Das Prinzip der sensiblen Neurotomie zur Ausschaltung von
Gelenkschmerzen ist keineswegs neu. So wurde im Bereich der Indikation
oberen Extremität bereits 1948 über eine Denervation des Ellen-
Palliativ – Präarthrotische, arthrotische und rheumatische
bogengelenks durch Bateman und 1955 über einen derartigen
Prozesse im Bereich der Handwurzel und der
Eingriff am Schultergelenk zur Behandlung der durch degenerative Fingergelenke sowie therapieresistente Neural-
Veränderungen verursachten Schmerzen durch Nyakas berichtet. gien des N. interosseus posterior, die Styloiditis
Die erste Denervation der Handwurzel wurde Anfang 1959 an der radii und Dysästhesien im Bereich des R. super-
Chirurgischen Universitätsklinik in Würzburg durchgeführt. Drei ficialis ni. radialis
Jahre später folgte dann die Denervation der PIP-Gelenke. – die schmerzhafte Schultersteife und die thera-
Das Prinzip der Denervation zur Schmerzausschaltung bei pieresistente sog. Korakoiditis.
Nervenkompression fand durch Wilhelm auch Anwendung beim Kurativ – Therapieresistenter Tennisellenbogen (TE)
Tennisellenbogen (R. profundus ni. radialis) und Golferellenbogen – therapieresistenter Golferellenbogen (GE)
(N. medianus und N. ulnaris). Weitere Denervationen betreffen die
Kontraindikation
Styloiditis radii bei Therapieresistenz (R. superficialis ni. radialis),
die Neuralgie des N. interosseus posterior (häufig in Verbindung mit – Negativer Ausfall der präoperativen Test-
einem posterioren Handgelenkganglion) und die sog. Korakoiditis. blockaden
– Gelenkinstabilitäten und inkongruente Gelenk-
flächen
17.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und – Entzündliche und akute rheumatische Prozesse
Physiologie

Durch gezielte sensible Neurotomie lassen sich heute bestimm- Bei den unter Punkt 1 und 2 genannten Denervationen handelt
te schmerzbedingte Leistungsausfälle und Beeinträchtigungen der es sich um palliative Eingriffe. Die unter Punkt 3 und 4 in Frage
Funktion der oberen Extremität erfolgreich behandeln. Dieser Ein- kommenden Operationen stellen dagegen kurative Verfahren dar,
griff bezweckt eine Unterbrechung der peripheren schmerzleitenden da diesen Erkrankungen nach neueren Erkenntnissen eine aus-
Nervenbahnen, wodurch in der Peripherie auch die zur Vasokon- schließlich neurogene Pathogenese zugrunde liegt.
striktion und Muskeltonisierung führenden Reflexmechanismen Die wichtigste Kontraindikation stellt der negative Ausfall der
ausgeschaltet werden (⊡ Abb. 17.1). Voraussetzung hierfür ist eine präoperativen Testblockaden dar. In diesen Fällen finden sich in
genaue Kenntnis der für die Schmerzleitung und für die Vermittlung der Regel hochgradige Aufbraucherscheinungen des Gelenkkör-
neuroirritativer Vorgänge in Frage kommenden nervösen Struktu- pers, die bereits röntgenologisch durch eine starke Verschmälerung
ren. Dabei sollte aber stets bedacht werden, dass die schmerzauslö- des Gelenkspaltes erkannt werden können. Durch direkte Berüh-
senden bzw. verursachenden Veränderungen nicht immer mit der rung der subchondralen Gelenkflächen tritt in diesem Fall eine
Präsentationszone des Schmerzes übereinstimmen müssen. endostale Schmerzleitung in Erscheinung, die durch alleinige De-
Die spezifischen anatomischen Verhältnisse in den unter- nervation nicht mehr beeinflusst werden kann. Auch Gelenkinsta-
schiedlichen Regionen der oberen Extremität werden in den jewei- bilitäten und inkongruente Gelenkflächen können kontraindiziert
ligen speziellen Kapitel beschrieben. sein, falls sie durch zusätzliche Maßnahmen, wie Bandplastiken
und Wiederherstellung der Gelenkflächenkongruenz, nicht ausrei-
chend korrigiert werden können. Schließlich ist die Denervation
17.1.2 Epidemiologie  Abschn. 17.2 bei akuten entzündlichen und rheumatischen Prozessen ebenfalls
kontraindiziert (⊡ Tab. 17.1).
17.1.3 Ätiologie  Abschn. 17.2
17
17.1.4 Diagnostik  Abschn. 17.2 17.1.7 Therapie  Abschn. 17.2

17.1.5 Klassifikation  Abschn. 17.2 17.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter

17.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Für die Therapie von therapieresistenten Schmerzzuständen im
Kindesalter gelten prinzipiell die gleichen Prinzipien wie beim
Durch Denervation können nach heutigem Kenntnis- und Er- Erwachsenen. Da die angesprochenen Krankheitsbilder aber erst
fahrungsstand folgende schmerzhafte Erkrankungen erfolgreich im Erwachsenenalter auftreten, haben diese Überlegungen nur
behandelt werden (⊡ Tab. 17.1): theoretischen Charakter.
1. präarthrotische, arthrotische und rheumatische Prozesse im
Bereich der Handwurzel und der Fingergelenke sowie thera-
pieresistente Neuralgien des N. interosseus posterior, die Sty- 17.2 Spezielle Techniken
loiditis radii und Dysästhesien im Bereich des R. superficialis
N. radialis; 17.2.1 Denervation von Finger- und Handgelenken
2. die schmerzhafte Schultersteife und die therapieresistente sog.
Korakoiditis; Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
3. der therapieresistente Tennisellenbogen (TE); Das Denervationsverfahren beruht auf eigenen anatomischen
4. der therapieresistente Golferellenbogen (GE). Untersuchungen, wodurch die fundamentalen Präparationser-
17.2 · Spezielle Techniken
343 17

⊡ Abb. 17.1 Anatomie der schmerzleitenden und schmerzverarbeitenden Systeme (mod. nach Struppler 1977). (Aus Rickenbacher et al. 1982)

gebnisse von Rüdinger (1857) nicht nur bestätigt, sondern in palmaren Fingernerven abstammen können. Diese Gelenkfasern
mehreren Details auch noch ergänzt werden konnten. Diese enden entweder auf dem Strecksehnenhäubchen oder treten seit-
Untersuchungen sind inzwischen vollauf bestätigt worden (Fuku- lich unter die Aponeurose an die Gelenkkapsel heran (⊡ Abb. 17.2).
moto et al. 1993). Nach diesem Schema versorgen vor- und rückläufige Äste der
Nn. digitales palmares proprii auch das DIP-Gelenk (⊡ Abb. 17.2).
Fingergelenke Das Daumengrundgelenk wird neben einem Ast des R. pro-
Die Innervation der MP-Gelenke erfolgt dorsal durch Rr. inter- fundus ni. ulnaris und des R. articularis spatii interossei I (R. in-
metacarpales, die subfaszial, mit Ausnahme der Außenseite des 2. termetacarpalis I; ⊡ Abb. 17.3) durch vor- und rückläufige Äste
und 5. Fingerstrahls, die einander zugekehrten dorsalen Abschnitte der dorsalen und palmaren Fingernerven versorgt. Das Endgelenk
der Gelenkkapsel von proximal her erreichen. Die entsprechenden des Daumens wird ebenfalls durch vor- und rückläufige Äste der
Nerven für die Radialseite des Zeigefingers und die Ulnarseite genannten Fingernerven innerviert.
des Daumengrundgelenks entstammen dem R. articularis spatii
interossei I. Zusätzlich werden die Fingergelenke von vorläufigen Handgelenk
Fasern der Nn. digitales dorsales versorgt. Außerdem innervieren An der nervösen Versorgung des Handgelenks beteiligen sich
auch noch rückläufige Nervenfasern der dorsalen Fingernerven Endäste aller Unterarmhautnerven, der Nn. interossei sowie der
diese Gelenke, die entweder direkt zur Streckaponeurose ziehen Gelenkäste des N. medianus, radialis und ulnaris. Eine genaue
oder seitlich unter diese treten (⊡ Abb. 17.2a). Kenntnis der anatomisch topografischen Verhältnisse dieser Ge-
Auf der Beugeseite erfolgt die Innervation der Grundgelenke lenknerven stellt die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche
von proximal her durch die Rr. articulares des tiefen Ulnarisastes Durchführung der Denervation dar.
und von seitlich auch noch durch rückläufige Gelenknerven, die
sich von den Nn. digitales palmares proprii ableiten (⊡ Abb. 17.2b). N. interosseus posterior
Die Innervation der PIP-Gelenke erfolgt ebenfalls durch vor- Der sensible Endast dieses Nervs verläuft distal direkt über der
und rückläufige Fasern dieser Fingernerven, wobei einige auch von Membrana interossea und gibt vor Erreichen der Radiusepiphyse
344 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.2 Die Innervation der


Fingergelenke. a Ansicht von
dorsal, b Ansicht von palmar. (Aus
Wilhelm 1972) a b

zunächst feine Äste zur Versorgung des distalen Radioulnargelenks in Begleitung der radialen Gefäße in Richtung des ersten Interme-
ab. Auf dem Boden des 4. Strecksehnenscheidenfaches verlau- takarpalraumes, wo sie sich mit Endfasern des R. articularis spatii
fend, erreicht er schließlich den radiokarpalen Gelenkspalt. Hier interossei verbinden. Es handelt sich hierbei ebenfalls um einen
verzweigt er sich in dem derben Kapselgewebe und gibt zunächst Gelenknerv des oberflächlichen Radialisastes, der sich in der Regel
einen kurzen Zweig in ulnarer und einen längeren Gelenkast in vom N. digitalis dorsalis communis I abzweigt, und zwar entweder
radialer Richtung ab, der den größten Abschnitt des Radiokarpal- vor oder nach dessen Aufteilung. Der Gelenknerv verläuft zunächst
gelenks versorgt und in der Tabatière eine Verbindung mit einem an der Ulnarseite der ersten Intermetakarpalvene und tritt dann
Ast des R. superficialis ni. radialis eingeht. Außerdem innerviert zusammen mit einem perforierenden Venenast distal der Basen
dieser Ast auch den Kapselapparat im Bereich des Skaphoids. Nach von MC I und II in den subfaszialen Raum ein, wo er sich konstant
büschelförmiger Aufteilung in 3–4 stärkere Äste, die divergierend in 7 Äste verzweigt und auch mit perforierenden Fasern des tiefen
zu den Basen der Mittelhandknochen verlaufen, versorgt er dann Ulnarisastes verbindet. Rückläufige Fasern verlaufen in Begleitung
den dorsalen Bandapparat sowie die intermetakarpalen und kar- der A. radialis nach proximal und versorgen die karpometakar-
pometakarpalen Gelenke zwischen MC II–IV, wahrscheinlich auch palen Gelenke I und II sowie das zugehörige Interkarpalgelenk
17 noch das Gelenk zwischen MC IV und V (⊡ Abb. 17.3a). zwischen den beiden Vieleckbeinen und verbinden sich schließlich
In diesem Bereich verbinden sich die Endäste des N. interos- auch mit den entsprechenden Ästen des N. cutaneus antebrachii
seus posterior mit perforierenden Gelenkfasern des tiefen Ulna- lateralis. Weitere Fasern versorgen die Ulnarseite des Metakarpale I
risastes. Aus diesen Verbindungen entwickeln sich dann 3 Rr. in- und das karpometakarpale Gelenk des Daumens. Dieses Gelenk
termetacarpales, die von proximal her die einander zugekehrten wird dorsoradial auch noch durch einen Ast des N. digitalis dorsa-
Seiten der Fingergrundgelenkkapseln D2–5 versorgen. Im dor- lis proprius radialis I innerviert (⊡ Abb. 17.3a).
soulnaren Abschnitt der Handwurzel gehen die Endzweige des
N. interosseus posterior mit den Gelenkfasern des N. cutaneus N. cutaneus antebrachii lateralis
antebrachii posterior sowie des R. dorsalis manus ni. ulnaris Ver- Dieser Nerv anastomosiert subkutan zunächst mit einem Hautast
bindungen ein (⊡ Abb. 17.3a). des R. palmaris ni. mediani und gibt dann 2 Gelenkäste ab, welche
die oberflächliche Faszie perforieren und dann in Begleitung der
R. superficialis ni. radialis Vasa radialia nach distal verlaufen. Mit zahlreichen Endfasern
Dieser Nerv gibt über dem Griffelfortsatz des Radius neben feinen versorgen sie zunächst den radiopalmaren Abschnitt des Gelenks
Fasern zum Retinaculum extensorum auch einen Gelenkast ab, der sowie den radialen und dorsal anschließenden Bereich. Hier in-
im proximalen Bereich der Tabatière das radiokarpale Gelenk ver- nervieren sie insbesondere das skaphotrapeziale und trapezio-
sorgt und hier die bereits genannte Verbindung mit dem Gelenkast metakarpale Gelenk sowie das Trapezoid. Im Ursprungsbereich
des N. interosseus posterior und den Fasern des N. cutaneus ante- des R. palmaris superficialis ae. radialis kommt es dabei zu zahl-
brachii lateralis eingeht. Letztere verlaufen subfaszial in Begleitung reichen Querverbindungen. In der Tabatière verbindet sich ein
der Vasa radialia zur Tabatière und versorgen hier ebenfalls den ra- Ästchen mit dem Gelenkzweig des oberflächlichen Radialisastes.
diokarpalen Gelenkbereich. Danach verlaufen diese Gelenkfasern Eine auffallend starke Faser unterläuft die A. radialis und anasto-
17.2 · Spezielle Techniken
345 17

⊡ Abb. 17.3 Innervation des Handgelenks. a Ansicht


b von dorsal, b Ansicht von palmar. (Aus Wilhelm 1972)

mosiert in der radiokarpalen Kapsel mit Ästen des N. interosseus dialis mit rückläufigen Ästchen des R. articularis spatii interossei I
anterior. Eine weitere Faser verbindet sich mit dem Gelenknerv (⊡ Abb. 17.3a).
des R. palmaris ni. mediani und innerviert zusammen mit diesem
die Eminentia carpi radialis und den anschließenden Abschnitt N. medianus
des Karpalkanalbodens mit den dazugehörigen Gelenken. Weiter Der Gelenkast des R. palmaris ni. mediani verläuft distal sub-
distal verbinden sich die Gelenkfasern im Bereich der Arteria ra- faszial zum Tuberculum ossis scaphoidei und erreicht hier die
346 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

Sehnenführung des FCR, wo er sich in drei Fasern aufteilt. Die bei abnutzungsbedingten primären Arthrosen. Auch rheumatoide
Auffälligste zieht mit der erwähnten Sehnenführung zum Bogen und infektiöse Prozesse können ebenfalls zu schmerzhaften Ge-
des Karpalkanals, wo sie sich in Höhe des Trapezoids verteilt und lenkschäden führen.
wahrscheinlich auch das Karpometakarpalgelenk II innerviert. Die Als häufigste Ursachen der schmerzhaften Handgelenkarth-
2. Faser versorgt das skaphotrapeziale Gelenk und anastomosiert rosen kommen Skaphoidarthrosen, distale Radialisfrakturen mit
hier mit Gelenkfasern des N. cutaneus antebrachii lateralis. Die Gelenkbeteiligung, Frakturen und Luxationsfrakturen anderer
3. Faser verteilt sich über dem Tuberculum ossis scaphoidei und Karpalknochen, unbehandelte perilunäre Luxationen und Luxati-
innerviert dann palmar das trapeziometakarpale Gelenk. Dieses onsfrakturen, skapholunäre Dissoziationen und andere Bandver-
wird palmar auch von Ästen des N. digitalis palmaris proprius I letzungen in Frage; ferner die Lunatummalazie, vor allem in Sta-
versorgt, und zwar mit je einem Faden proximal und distal des dium III und IV und die Arthrosen des distalen Radioulnargelenks
Gelenks (⊡ Abb. 17.3b). sowie der ulnokarpalen und interkarpalen Gelenke. Auch Defor-
mierungen der gelenkbildenden Knochenabschnitte und die rheu-
N. interosseus anterior matoide Polyarthritis sind in diesem Zusammenhang zu nennen.
Die Hauptinnervation des Karpalkanals erfolgt durch 2–3 Ge- Weitere Schmerzursachen stellen die Neuralgie des N. interosseus
lenkäste des N. interosseus anterior, die am distalen Rand des posterior, das distale Kompressionssyndrom des N. interosseus
M. pronator quadratus austreten und neben dem distalen Radio- posterior ( Kap. 56), Dysästhesien im Bereich des oberflächlichen
ulnargelenk zunächst das radiokarpale Gelenk innervieren. Die Radialisastes nach Verletzungen sowie die therapieresistente Stylo-
stärksten Fasern verzweigen sich dann am Boden des Karpalkanals iditis radii dar.
und verbinden sich radial mit Gelenkfasern des N. cutaneus ante-
brachii lateralis. Dabei kommt es über dem Os scaphoideum und Diagnostik
dem Os lunatum zu O-förmigen Geflechtbildungen, während der
Hauptstamm nach ständiger Abgabe von feinen Gelenkfasern über Fingergelenke
das Capitatum hinweg nach distal bis zu den karpometakarpalen Testausschaltungen im Bereich der Finger- und Daumengrundge-
Gelenken III und IV weiterzieht (⊡ Abb. 17.3b). lenke sind wegen der Gefahr einer zusätzlichen Beeinträchtigung
der endostalen Schmerzleitung eher problematisch und nicht so
N. ulnaris erfolgversprechend zu bewerten. Das Problem liegt darin, dass bei
Die Innervation im Bereich der Eminentia carpi radialis erfolgt einer Blockade der dorsalen und palmaren Fingernerven, z. B. in
durch Fasern des N. ulnaris und dessen R. profundus. Dies gilt Höhe des Caput phalangis manus, die gegenüber liegende Gelenk-
auch für die anliegenden metakarpalen Gelenke auf der palmaren fläche nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, weil durch
Seite. Außerdem werden auch Rr. perforantes abgegeben, die dorsal die Blockade gleichzeitig auch die endostale Schmerzleitung in der
mit Endfasern des N. interosseus posterior und des Gelenknervs Mittelphalanx ausgeschaltet wird.
des ersten Zwischenknochenraumes anastomosieren. Vom R. pro-
fundus ni. ulnaris gehen außerdem die palmaren Rr. articulares für Handgelenk
die Fingergrundgelenke ab (⊡ Abb. 17.2b, ⊡ Abb. 17.3b). Das ulno- Am Anfang der Untersuchung sollte durch eine genaue Anamnese
karpale Gelenk wird palmar von Endfasern des N. cutaneus ante- geprüft werden, welche Ursachen für die bestehenden Handge-
brachii medialis versorgt. Diesem Nerv schließen sich ulnodorsal lenkschmerzen in Frage kommen können, z. B. Unfälle, Arbeiten
die Gelenkäste des R. dorsalis manus ni. ulnaris an (⊡ Abb. 17.3a), mit Pressluftwerkzeugen und Bohrmaschinen usw. Danach wird
welche das ulnokarpale Gelenk sowie die ulnaren Bereiche des in- zunächst die Ausdehnung des schmerzhaften Areals durch Palpa-
terkarpalen und karpometakarpalen Gelenks V versorgen. In die- tion und Überprüfung der Handgelenkfunktion bestimmt und mit
sem Bereich gehen sie mit Endfasern des N. interosseus posterior den Ergebnissen der radiologischen Untersuchungen verglichen.
ebenfalls Verbindungen ein. Danach können anhand der Innervationsverhältnisse bereits erste
Hinweise gewonnen werden, welche Gelenknerven blockiert wer-
17 N. cutaneus antebrachii posterior den müssen, um Schmerzfreiheit zu erreichen. Auch ergibt sich
Der kurze Gelenkast dieses Nervs entspringt subkutan über dem aus diesem Vergleich ohne Weiteres, welche Nervenäste zusätzlich
Caput ulnae, perforiert das Retinaculum extensorum und tritt an für die Testausschaltung von Bedeutung sein könnten, falls der
der radialen Seite der Sehnenscheide des ECU in die Tiefe und erste Injektionsversuch nicht ausreichend gewesen sein sollte. Au-
innerviert hier das ulnokarpale Gelenk. Eine Endfaser verbindet ßerdem ist von Interesse, welche Bewegungen und Arbeitsgänge
sich subfaszial mit einem rückläufigen Ästchen des N. interosseus Schmerzen auslösen, um auch durch diese Angaben das Testergeb-
posterior (⊡ Abb. 17.3a). nis beurteilen zu können. Zusätzlich sollten Messungen der groben
Kraft vor und nach Nervenblockaden und natürlich auch postope-
Epidemiologie rativ durchgeführt werden.
Jeder Mensch leidet während seines Lebens an Gelenkverände-
rungen. Die Osteoarthrose ist die häufigste Erkrankung des Bewe- Technik der Testausschaltung:Handgelenkbereich
gungsapparaes ( Kap. 10). Darüber hinaus sind Verletzungen und nach Wilhelm
Frakturen im Handgelenk und Handbereich sehr häufig (Kap. 9).
> Für die Testauschaltung werden Langzeitanästhetika
Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Fraktur des Menschen
empfohlen.
( Kap. 31).
Um Fehler und falsche Rückschlüsse zu vermeiden, ist es unbe-
Ätiologie dingt erforderlich, die Testinjektionen in einer bestimmten Reihen-
Schmerzhafte Fingergelenke finden sich am häufigsten nach Dis- folge durchzuführen. Bei jeder Injektion sollten möglichst geringe
torsionen, Kontusionen, Subluxationen und Luxationen, ferner Mengen des Anästhetikums verwendet werden, um eine Blockade
nach intra- und paraartikulären sowie Luxationsfrakturen, ebenso benachbarter Gelenknerven zu vermeiden. Die Injektionsstellen
17.2 · Spezielle Techniken
347 17

a
b

⊡ Abb. 17.4 Technik der präoperativen Testausschaltung. Die Punkte (P.) 1– 10 bezeichnen die Reihenfolge und Lokalisation der Testinjektionen. Die
schraffierten Areale entsprechen dem Schmerzfeld einer schweren radiokarpalen Arthrose bei Skaphoidpseudarthrose. Die Ausschaltung des N. interos-
seus posterior (P. 1) kann auch von dorsal vorgenommen werden (P 6, angefärbt), und zwar proximal von P. 1. a Ansicht von dorsal, b Ansicht von palmar.
(Aus Wilhelm 1972)

sind in ⊡ Abb. 17.4 zahlenmäßig in der erforderlichen Reihenfolge


angegeben. Dabei handelt es sich um die Punkte (P.) 1–10. Für die Die Ausschaltung dieses Nervs kann man selbstverständlich
Injektion selbst verwendet man Standardnadeln der Stärke Nr. 12 auch von dorsal her durchführen, etwa 2 cm proximal von
oder 14. Nach jeder Blockade sollte man zunächst etwas warten, bis P. 1. Beim Vorschieben der Nadel ist auf das Durchstechen der
der gewünschte Erfolg eingetreten ist. Membrana interossea zu achten (Depot von 1 ml).
▬ P. 7 und P. 8: Blockade der Rr. perforantes ni. ulnaris II und III:
Kleines Depot dorsal direkt über den entsprechenden Inter-
Reihenfolge der Blockaden metakarpalgelenken.
▬ P. 1: Blockade des N. interosseus posterior: Einstich dorsome- ▬ P. 9: Blockade des R. dorsalis manus ni. ulnaris und des R. arti-
dian, senkrecht, etwa 3 cm proximal der Handwurzel bis auf culus ni. cutanei antebrachii medialis (Variation!): Der Einstich
die Radiusmetaphyse; Depot vom etwa 1 ml. erfolgt an der Außenseite des Processus styloideus ulnae.
▬ P. 2: Blockade des R. articularis spatii interossei I: Subkutanes Ausgiebige subkutane Infiltrationen bis zur Sehne des FCU,
Depot (0,5 ml) dorsal zwischen der Basis des 1. und 2. Mittel- die auch noch subfaszial unterspritzt werden sollte, um den
handknochens, am ulnaren Rand der meist gut sichtbaren Gelenkast des N. cutaneus antebrachii medialis ebenfalls zu
V. intermetacarpalis I. Dieser Gelenknerv muss stets vor dem erreichen.
Hauptstamm des R. superficialis ni. radialis ausgeschaltet ▬ P. 10: Blockade des N. cutaneus antebrachii posterior: Dorsa-
werden, weil er sonst der Prüfung entgeht. le subkutane Infiltration über dem Processus styloideus ulnae
▬ P. 3: Blockade der Rr. articulares ni. cutanei antebrachii latera- in querer Richtung bis in Höhe des distales Radioulnarge-
lis: Subfasziale Infiltration zwischen A. radialis und der Sehne lenks (Depot von 1–1,5 ml).
des M. flexor carpi radialis, etwa 3 cm proximal des Tubercu-
lum scaphoideum (Depot von 1–1,5 ml).
▬ P. 4: Blockade des R. superficialis ni. radialis zur Ausschaltung Nach Beendigung der Testblockaden sollte das ursprüngliche
seines Gelenkastes: Einstich 5–6 cm proximal des Proc. styloi- Schmerzareal noch einmal palpatorisch und funktionell überprüft
des radii, Infiltration in querer Richtung (Depot von 2–3 ml). und auch eine erneute Kraftmessung durchgeführt werden. Wenn
▬ P. 5: Blockade des R. palmaris ni. mediani: Einstich an der der Patient schmerzfrei geworden ist, kann man postoperativ mit
Radialseite des FCR, 3 cm proximal des Tuberculum scaphoi- einem guten Ergebnis rechnen.
deum (subkutanes Depot von 1 ml). Differenzialdiagnostisch kommen bei Schmerzen im Handge-
▬ P. 6: Blockade des N. interosseus anterior: Einstich senkrecht, lenk Tendovaginitiden, die unterschiedlich lokalisiert sein können,
3 cm proximal der distalen Handgelenkbeugefalte, und zwar Dysästhesien im Bereich des oberflächlichen Radialisastes infolge
am ulnaren Rand des M. palmaris longus. Depot von 1–2 ml eines Kompressionssyndroms des genannten Nerven, auch Cheir-
▼ direkt über der Radiusepiphyse. algie genannt, und projektionsbedingte Schmerzen, ausgehend von
weiter proximal gelegenen Irritationen und Kompressionen des
348 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

N. radialis, vor allem beim Tennisellenbogen und Kompressionen


⊡ Tab. 17.2 Denervation des Handgelenks – Krankengut 1968–1994
des genannten Nervs im Bereich des Hiatus N. radialis (PRKS) (Np=139, Nop=139)
( Kap. 56; vgl. auch ⊡ Tab. 17.22).
Die oben genannte Cheiralgie lässt sich durch entsprechende Operationsindikationen Nop Denervation
anamnestische Angaben, durch das Hoffmann-Tinel-Zeichen so-
A. Radiokarpale Arthrosen 89
wie durch den Pro- und Supinationstest sehr einfach diagnosti-
zieren bzw. ausschließen. Von besonderem Interesse sind auch Skaphoid-Pseudarthrosen 51 P. 1–4 / 6–8
äußerst schmerzhafte Osteofibrome und Glomustumore sowie
Transskaphoidale perilunäre Lux.- 2 P. 1–4 / 6–8
atypisch lokalisierte Ganglien und schließlich auch maligne Tu- Frakturen
morbildungen.
Intraartikuläre Radiusfrakturen 10 P. 1–4 / 6–8 (–10)
Klassifikation
Skapholunäre Dissoziationen 6 P. 1–4 / 6–8
Jahrzehntelange Erfahrungen haben gezeigt, dass für die Be-
handlung von schmerzhaften Affektionen des Handgelenks bis Lunatummalazien (Stadium III 16 P. 1–4 / 6–10
zu 10 Gelenknerven in Frage kommen. Die Ausschaltung dieser und IV)
Nervenbahnen wird als komplette Denervation bezeichnet, auch
B. Ulnokarpale Arthrosen 8 P. 1–(6) / 9–10
dann, wenn P. 5 nicht inbegriffen ist, da die Gelenkfasern des
palmaren Astes des N. medianus bei radio- und interkarpalen C. Interkarpale Arthrosen 6 P. 1–(5)–10
Arthrosen nach dem Testergebnis nur sehr selten berücksichtigt
D. Sonstige sekundäre und primäre 22 P. 1–4 / 6–8 (–10)
werden müssen. Unter partieller Denervation versteht man die Arthrosen
Ausschaltung von P. 1–5 (6–8), und zwar auch dann, wenn nur der
N. interosseus posterior (P. 1) reseziert werden muss. Den Begriff E. Neuralgie des N. interosseus 3 P. 1
der totalen Denervation sollte man dagegen nicht verwenden, da posterior
hierfür auch die palmaren karpalen Gelenkfasern des N. ulnaris F. Verhütung und Behandlung von 15 P. 1
und seines tiefen Astes berücksichtigt werden müssten, was bisher Neuromen des N. interosseus
jedoch noch nie erforderlich gewesen ist. posterior

> Das Verhältnis von partiellen zu kompletten Denervationen G. Dysästhesien i. B. des R. superfic. 0 P. 1
beträgt im eigenen Krankengut etwa 2:1 (⊡ Tab. 17.2). ni. rad. (Lluch u. Beasly 1997)

Indikationen und Kontraindikationen


Die Denervation der Fingergelenke, insbesondere der PIP-Gelenke der Gelenkkapsel erfolgt. Durch Resektion des N. interosseus
und der Daumenendgelenke, kommt vor allem bei therapieresis- posterior können auch Schmerzen im Ansatzbereich der radio-
tenten schmerzhaften Verstauchungen, Luxationen und Gelen- dorsalen Handstellmuskeln behoben werden, die bisher als sog.
kinstabilitäten sowie bei veralteten intraartikulären und Luxati- »Insertionstendopathie« bezeichnet worden sind; dies gilt auch
onsfrakturen mit Deformierung der gelenkbildenden Knochenab- für Schmerzen eines Handrückenhockers, auch »Carpe Bossu«
schnitte und beginnenden arthrotischen Veränderungen in Frage. oder »carpal boss« genannt. Falls in diesen Fällen die Testung von
Auch bei einer primären Arthrodese lassen sich durch Denervation P. 1 nicht ausreichend sein sollte, müssten auch noch P. 2 und P. 3
günstige Ergebnisse erzielen. blockiert werden (⊡ Abb. 17.4).
Die schmerzhafte Arthrose des Handgelenks stellt das Haupt- Die Ergebnisse der Denervation können durch kombinierte
indikationsgebiet der Denervation dar. Hierfür kommen ursäch- Eingriffe verbessert werden (⊡ Tab. 17.3). Dies gilt insbesondere
lich vor allem unbehandelte Skaphoidpseudarthrosen, Frakturen für die Skaphoidpseudarthrose, durch deren Behandlung mittels
17 und Luxationsfrakturen, intraartikuläre Radiusfrakturen, Ban- Osteosynthese und Knochentransplantation der ursprüngliche prä-
drupturen, skapholunäre und ähnliche Dissoziationen im Hand- arthrotische Faktor beseitigt und dadurch normale Belastungs-
gelenkbereich und schließlich auch noch die Lunatummalazie im verhältnisse im radiokarpalen Gelenk wiederhergestellt werden
Stadium III und IV nach Decoulx in Frage ⊡ Tab. 17.2). Neben können. Eine Verbesserung der postoperativen Ergebnisse ist in
ulno- und interkarpalen Arthrosen sowie anderen degenerati- ausgewählten Fällen durch eine zusätzliche radiale Styloidektomie
ven Veränderungen, die einer kompletten Denervation bedürfen, und durch Exzision eines kleinen proximalen Skaphoidfragments
ist vor allem auch die Resektion des N. interosseus posterior möglich. Bei veralteten perilunären transskaphoidalen Luxations-
(P. 1) von besonderem Interesse. Es lassen sich dadurch nicht frakturen und skapholunären Dissoziationen ist eine ausgedehnte
nur die Schmerzen bei Neuromen, therapieresistenten Neural- Denervation erforderlich (P. 1–4/6–8). Bei frischen Dissoziationen
gien des N. interosseus posterior (Wachsmuth u. Wilhelm 1967) ist zusätzlich zur operativen Versorgung auch noch eine Resektion
und bei distalen Kompressionssyndromen dieses Nervs bessern des N. interosseus posterior empfehlenswert.
(Erbs 1981, Wada et al. 1997), sondern auch Dysästhesien im Be- Die Kienböck-Erkrankung kann im Stadium I nach Decoulx
reich des R. superficialis Ni. radialis, die nach Verletzungen dieses konservativ behandelt werden (Martini 1990). Bei Therapiere-
Nervs auftreten können (LLuch u. Beasley 1997). Dieser therapeu- sistenz sind jedoch revaskularisierende Operationen indiziert;
tische Effekt dürfte auf einer Entspannung des N. radialis in Höhe dies gilt vor allem im Stadium II. Auch hier sollte zusätzlich eine
seiner Aufteilung beruhen. Auch die Ergebnisse einer Synovialek- Resektion des N. interosseus posterior durchgeführt werden, wo-
tomie wegen einer PCP im Bereich der Handwurzel können durch durch gleichzeitig ein schmerzhaftes Neurom vermieden werden
eine zusätzliche Ausschaltung von P. 1 deutlich verbessert werden kann. Bei Patienten mit deutlichen Ulna-minus-Varianten sollte
(Helbig 1980). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bereits ein Niveauausgleich durch Radiusverkürzung oder Ulnaverlän-
durch die Synovialektomie unbewusst eine partielle Denervation gerung durchgeführt werden. Im Stadium III und IV ist eine
17.2 · Spezielle Techniken
349 17
rung des Gelenkspaltes erkannt werden können. Durch direkte
⊡ Tab. 17.3 Denervation des Handgelenks – Krankengut* 1968–1994
(Np=139, Nop=139)
Berührung der subchondralen Gelenkflächen tritt in diesem Fall
eine endostale Schmerzleitung in Erscheinung (Vogel 1949), die
Kombinierte Operationen Nop durch alleinige Denervation nicht mehr beeinflusst werden kann.
Auch Gelenkinstabilitäten und inkongruente Gelenkflächen kön-
1. Spanbolzungen und Spongiosaplastiken (Skaphoid 19-mal, 25
nen kontraindiziert sein, falls sie durch zusätzliche Maßnahmen,
Lunatum 6-mal)
wie Bandplastiken und Wiederherstellung der Gelenkflächenkon-
2. Skaphoidosteosynthesen (Herbert-Schraube 3-mal, K-Draht 11 gruenz, nicht ausreichend korrigiert werden können. Schließlich
8-mal) ist die Denervation bei akuten entzündlichen und rheumatischen
Prozessen ebenfalls kontraindiziert.
3. Exstirpation eines prox. Skaphoidfragments 5

4. Radiale Styloidektomie 6 Therapie


Das Handgelenk stellt einen bevorzugten Sitz der verschieden-
5. Bandnaht und Fragmententfernung 4
artigsten schmerzhaften Erkrankungen dar, unter denen die
6. Exostosenabtragung 2 posttraumatische, degenerative und entzündliche Arthropathie
in diagnostisch-therapeutischer Hinsicht seit eh und je unser
7. Temporäre Arthrodese 11
besonderes Interesse beanspruchen. Die Erkrankungen können
8. Partielle Arthrodese 4 anfänglich zwar durch konservative Maßnahmen gebessert wer-
den, deren Erfolge jedoch oftmals nicht ausreichend und zeit-
9. Metallentfernung 4 lich begrenzt sind. Bei Fortbestehen oder sogar Zunahme der
10. Arthroplastik 7 Beschwerden werden daher unter Berücksichtigung des Lokal-
befundes als Ultima Ratio partielle und komplette Arthrodesen
11. Lunatumexstirpation (ohne Ersatzplastik 2-mal, mit Sili- 10 empfohlen, die zwar eine radikale, wegen der damit verbundenen
konplombe 8-mal) Behinderung der Bewegungsfunktion jedoch keine ideale Lösung
12. Lunatumzysten und intraossäre Ganglien (Ausräumung 8 des Schmerzproblems darstellen. Dies gilt auch für die verschie-
und Spongiosaplastik) denen Formen der Arthroplastiken, durch die der Schmerz zwar
auch ausgeschaltet werden kann, jedoch auf Kosten der groben
13. Exstirpation eines Ganglions 2 Kraft und einer Beeinträchtigung der Gelenkstabilität, von den
14. Exstirpation des Discus articularis 8 bekannten Komplikationsmöglichkeiten im Falle der Resekti-
onsarthroplastik ganz abgesehen. Die Denervation der Hand-
* Das Krankengut der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg von 1959– und Fingergelenke stellt dagegen eine einfache, schonende und
1968 (Nop=48) konnte nicht mehr berücksichtigt werden. durchaus erfolgversprechende Alternative dar, bei der die affe-
rente Schmerzleitung des betroffenen Gelenks über A-Delta- und
C-Fasern zum zentralen Nervensystem unterbrochen wird. Der
komplette Denervation zur Schmerzausschaltung erforderlich. Erfolg dieser Operation beruht auf einer gezielten Neurotomie
Die Behandlung im Stadium IIIa erfolgt durch Niveauausgleich, der Gelenknerven, und zwar unter vollständiger Erhaltung der
Revaskularisierung, partielle Arthrodesen und Alloarthroplasti- Motorik sowie der Oberflächen- und der Tiefensensibilität. Dies
ken. Im Stadium IV kann durch eine komplette Denervation in ist auch der Grund, warum nach einer kompletten Denervation
Kombination mit einer druckentlastenden STT-Arthrodese in noch nie ein Charkow-Gelenk beobachtet werden konnte. Die
vielen Fällen eine Handgelenkarthrodese, eine proximale Karpek- ursprüngliche Funktion der Hand kann durch Denervation nicht
tomie und ein alloarthroplastischer Gelenkersatz vermieden wer- nur erhalten, sondern in vielen Fällen durch Zunahme der Be-
den. Dabei sollte das Os lunatum, das immer noch eine gewisse weglichkeit und der groben Kraft sogar noch verbessert werden,
Platzhalterfunktion ausüben kann, nicht unbedingt in jedem vorausgesetzt allerdings, dass noch keine endostale Schmerzlei-
Fall entfernt werden, da hierdurch die Integrität der proximalen tung vorhanden ist, wie sie bei vollständigem Aufbrauch des Ge-
Handwurzelreihe unterbrochen wird (Lanz 1998). Die Frage der lenkknorpels mit Freiliegen der subchondralen Knochenschicht
Lunatumexstirpation sollte deshalb erst intraoperativ entschieden stets vorhanden ist. Dies war auch der Grund, warum die De-
werden. Bei veralteten intraartikulären Radiusfrakturen genügt in nervation des Karpometakarpale-I- und des Pisiforme-Gelenks
den meisten Fällen eine ausgedehnte partielle Denervation; bei wieder aufgegeben worden ist.
erheblichen Stufenbildungen ist jedoch zusätzlich eine Korrektur
durch Osteotomie mit anschließender Osteosynthese erforder- Technik der Denervation der proximalen Interphalangeal-
lich. (PIP-)Gelenke, distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenke
Die Prognose der Denervation ist im Allgemeinen umso güns- der Finger und des Interphalangeal-(IP-)Gelenks des
tiger, je umschriebener der schmerzhafte Prozess ausgebildet ist, Daumens nach Wilhelm
vor allem bei stabilen Gelenkverhältnissen. Durch zusätzliche Ein- Am einfachsten gestaltet sich der Eingriff an den PIP-Gelenken
griffe am Skaphoid, Lunatum, am Processus styloideus radii sowie (⊡ Abb. 17.5). Als Zugang dient eine mediolaterale Schnittführung
durch Bandplastiken usw. kann das Ergebnis noch günstiger beein- beiderseits, die jeweils von der Mitte des Grundgliedes bis zu der
flusst werden. Eine Übersicht der in Frage kommenden kombinier- des Mittelgliedes reicht. Nach Darstellen des Tractus lateralis der
ten Eingriffe zeigt ⊡ Tab. 17.3. Streckaponeurose und des Seitenbandapparates wird zunächst der
Die wichtigste Kontraindikation stellt der negative Ausfall der palmare Weichteilmantel mit den darin enthaltenen Nervengefäß-
präoperativen Testblockaden dar. In diesen Fällen finden sich in strängen im gesamten Wundbereich bis zur Basis der Beugeseh-
der Regel hochgradige Aufbraucherscheinungen des Gelenkkör- nenscheide abgelöst, wodurch die meisten vor- und rückläufigen
pers, die bereits röntgenologisch durch eine starke Verschmäle- palmaren Gelenknerven blind durchtrennt werden. Danach erfolgt
350 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

im gesamten Wundbereich die Darstellung der Streckaponeurose Technik der Denervation der Metakarpophalangeal-
bis zur Fingermitte. Hierzu muss der dorsale Weichteillappen abge- (MP-)Gelenke der Finger nach Wilhelm
löst werden, und zwar unter sorgfältiger Schonung des Epitenons. Abweichend von den Interphalangealgelenken ist für die Dener-
Dadurch werden die in das Strecksehnenhäubchen des PIP-Gelenks vation der Fingergrundgelenke aus anatomischen Gründen ein
einstrahlenden Äste der Nn. digitales dorsales proprii durchtrennt. palmarer und dorsaler Zugangsweg erforderlich.
Danach geht man proximal des Gelenks zwischen Streckaponeuro- Man beginnt am zweckmäßigsten auf der Beugeseite, und zwar
se und dem subkapitulären Abschnitt der Grundphalanx ein und in Form einer Bruner-Inzision, die von der Mitte des Grundgliedes
durchtrennt mit einem feinen elektrischen Messer das dem Kno- bis in die Höhe der Hohlhandbeugefalte reicht. Danach werden
chen aufliegende Gewebe von dorsomedian bis in unmittelbare proximal zunächst die Ausläufer der Palmaraponeurose dargestellt
Nähe der Beugesehnenscheide, und zwar ohne Verletzung des Sei- und einschließlich der vertikalen Septen zu beiden Seiten der
tenbandapparates. Das gleiche operative Vorgehen wird dann distal Beugesehnenscheide reseziert, um die benachbarten Nervengefäß-
des PIP-Gelenks durchgeführt, wobei insbesondere der Ansatzbe- stränge und das A1-Band übersichtlich darzustellen.
reich des Bandapparates des Tractus intermedius geschont werden Als erstes wird die Denervation des entsprechenden R. articu-
muss. Dieser Eingriff lässt sich wesentlich erleichtern, wenn man laris ni. ulnaris durchgeführt, der vom R. profundus oder von ei-
den Seitenzügel im Mittelgliedabschnitt genügend weit nach distal nem seiner Muskeläste entspringt. Er verläuft dann auf der Palmar-
freilegt. Durch dieses Vorgehen können auch noch jene Gelenk- fläche der Mm. interossei nach distal und nimmt vor Erreichen des
fasern erreicht werden, die sich bereits weiter proximal und distal Grundgelenks seinen Verlauf über der Längsachse des betreffen-
des Gelenks von den dorsalen und palmaren Hautnervenstämmen den Mittelhandknochens ein (⊡ Abb. 17.2b). Vor dem Gelenk teilt
abzweigen und auf den Phalangen zum PIP-Gelenk ziehen. er sich büschelförmig auf und innerviert so von proximal her im
Das gleiche operative Vorgehen wird dann auf der gegenüber- Sinne von vorläufigen Gelenkfasern das MP-Gelenk. Die Denerva-
liegenden Seite des PIP-Gelenks durchgeführt. Postoperativ werden tion selbst wird nach kurzer, etwa 5 mm langer basisnaher Inzision
alle Gelenke des operierten Fingers, einschließlich des benachbar- oder Resektion des proximalen Abschnittes des A1-Bandes durch-
ten Fingers für die Dauer der Wundbehandlung ruhiggestellt. geführt, wobei das proximal des Caput ossis metacarpali dem Kno-
Nach dem gleichen Prinzip können auch die DIP-Gelenke chen aufliegende Weichteilgewebe in querer Richtung mit einem
der Finger und das Daumenendgelenk denerviert werden. Der feinen elektrischen Messer durchtrennt wird. Eine umschriebene
Zugang und das übersichtliche Ablösen des dorsalen Weichteil- Eröffnung der Gelenkkapsel braucht nicht versorgt zu werden. Das
mantels gestalten sich allerdings etwas schwieriger. Dies lässt sich Denervationsareal kann durch einen Teil der anliegenden Beuge-
vermeiden, wenn man die beiden mediolateralen Inzisionen dorsal sehnenscheide gedeckt werden. Die weitere palmare Denervation
in der Mitte zwischen Endgelenk und Nagelmatrix durch eine quer erfolgt wiederum durch Ablösen des Weichteilmantels beiderseits
verlaufende Hautinzision verbindet und den U-förmig umschnitte- mit den darin enthaltenen Nervengefäßsträngen von der Beu-
nen Weichteillappen etwas zurückklappt. Auf der Beugeseite sollte gesehnenscheide und dem Kapselapparat bis in Höhe der Mitte
vor allem auf eine übersichtliche Darstellung des Profundusseh- der Grundphalanx. Dadurch werden die rückläufigen Gelenkäste
nenansatzes geachtet werden. der palmaren Fingernerven blind durchtrennt (⊡ Abb. 17.2b). Vor
Bei hochgradigen arthrotischen Veränderungen mit sichtbaren Wundverschluss und nach Überprüfung der Blutstillung empfiehlt
Randwulstbildungen des PIP-Gelenks und Insuffizienz der Streck- sich das Einlegen einer dünnen Redon-Drainage.
sehnenzügel ist die Denervation kontraindiziert und durch eine An der Streckseite des Fingergrundgelenks erfolgt die Freile-
Arthrodese zu ersetzen. gung durch eine S-förmige Inzision, die 3 cm proximal des MP-
Gelenks beginnt, die Knöchel- und Gelenkregion radialseitig bo-
genförmig umgreift und den Tractus intermedius erst im mittleren
Abschnitt des Grundgliedes kreuzt. Die Darstellung der subkutan
verlaufenden Gefäß- und Nervenstrukturen sollte mit einer feinen
Präparierschere erfolgen, bis der Strecksehnenapparat einschließ-
17 lich der Dorsalaponeurose dargestellt ist. Nach Versorgung von
störenden Gefäßen und Anschlingen von kreuzenden Nervenäs-
ten können dann die seitlichen Weichteillappen unter sorgfältiger
Schonung der Nn. digitales dorsales proprii und des Epitenons
vorsichtig abgelöst werden. Dabei sollte man auch die Fibrae trans-
versales der oberflächlichen Faszie über dem Grundgelenk intakt
lassen, da sie das Lig. metacarpeum transversum superficiale (Wil-
helm 1988) und die interaponeurotischen Faserverbindungen der
benachbarten Streckaponeurosen in Höhe der Metakarpaleköpfe
vor einer Verletzung bewahren. Ab Höhe der Grundphalanxbasis
kann die weitere Ablösung der Weichteile beiderseits bis über den
unteren Rand des Tractus lateralis durchgeführt werden. Durch
diesen Eingriff werden die vor- und rückläufigen Gelenkäste der
dorsalen Digitalnerven durchtrennt. Dabei können auch rückläu-
fige Gelenkäste, die sich von einem N. digitalis palmaris proprius
abzweigen und die ebenfalls zur Dorsalaponeurose ziehen und
diese durchsetzen oder seitlich unter sie treten, durchtrennt wer-
den (⊡ Abb. 17.2a).
⊡ Abb. 17.5 Demonstration der Zugangswege zur Denervation der PIP- Schließlich müssen an der Streckseite noch die Gelenkäste der
Gelenke. (Aus Wilhelm 1972) Rr. intermetacarpales ausgeschaltet werden, die sich aus den drei
17.2 · Spezielle Techniken
351 17
karpometakarpalen Endästen des N. interosseus posterior und den Technik der Denervation des Handgelenks nach
perforierenden Fasern des tiefen Ulnarisastes zusammensetzen. Sie Wilhelm
verlaufen auf der Fascia interossea nach peripher und innervieren Das 1959 von Wilhelm entwickelte und erstmals angewandte Ope-
in tiefer Schicht die einander zugekehrten Seiten der Grundgelenke rationsverfahren schließt die Möglichkeit einer Störung der Ober-
von D2 bis D5. Die Radialseite des Zeigefingergrundgelenks wird flächen- und Tiefensensibilität sowie der Motorik von vornherein
dabei von einem Ast des R. articularis spatii interossei I versorgt. aus. Etwaige Bedenken, dass sich nach kompletter Denervation ein
Die entsprechende Innervation der Ulnarseite des Kleinfinger- Charcot-Gelenk bilden könnte, sind völlig unbegründet, da die
grundgelenks erfolgt durch ein Ästchen des R. dorsalis manus von Golgi beschriebenen Muskelsehnenrezeptoren in jeder Weise
ni. ulnaris. Als Zugang dient eine distale Längsinzision der ober- im Stande sind, die erforderliche Tiefensensibilität zu garantieren.
flächlichen Faszie neben der Strecksehne, beginnend in Höhe der Auch ein durch Denervation begünstigtes Fortschreiten präarthro-
Trochleahöcker. Proximal derselben kann dann nach Beiseitezie- tischer und arthrotischer Prozesse konnte bisher nicht beobachtet
hen der Strecksehnen durch ein kleines Langenbeckhäkchen die werden.
Denervation mit einem elektrischen Messer wiederum in querer Die Denervation kann ambulant oder stationär in intravenöser
Richtung durchgeführt werden, wobei das dem Mittelhandkno- Regionalanästhesie, axillärer Plexusanästhesie oder Intubations-
chen in seiner ganzen Breite aufliegende Gewebe durchtrennt wird, narkose durchgeführt werden. Operationen in supraklavikulärer
und zwar in einem genügenden Abstand von der Trochlea, um Plexusanästhesie sollten nur bei stationären Patienten durchge-
nicht den dorsalen Rezessus der Grundgelenkkapsel zu gefährden. führt werden. Für den Eingriff selbst ist eine Oberarmblutsperre
Der Wundverschluss erfolgt hier ohne Drainage. obligatorisch. Die Operation sollte in jedem Fall das Ergebnis der
Statt der lokalen Ausschaltung der Gelenknerven der Rr. in- Testausschaltung sowie die Ausdehnung des Schmerzfeldes und
termetacarpales im Bereich der Grundgelenke kann der Ursprung der röntgenologisch fassbaren Veränderungen berücksichtigen.
dieser Nerven natürlich auch unmittelbar distal der intermetakar- Bei der Handgelenkdenervation ist nur bei zwei Nervenbahnen
palen Gelenke aufgesucht werden (⊡ Abb. 17.3a). Hierzu verwendet eine exakte präparatorische Darstellung erforderlich, und zwar
man quer oder bogenförmig verlaufende Inzisionen, wie bei der beim N. interosseus posterior (P. 1) und dem R. articularis spatii
Ausschaltung von P. 7 und 8 (⊡ Abb. 17.6a), über den in Frage kom- interossei I (P. 2). Ansonsten erfolgt die Denervation blind, und
menden intermetakarpalen Gelenken und sucht sich dann unmit- zwar durch epifasziales Ablösen bestimmter Abschnitte des ober-
telbar distal dieser Gelenke unter Verwendung einer Lupenbrille flächlichen Weichteilmantels. Dadurch können die Gelenkäste des
die beiden Ursprungsbezüge des jeweiligen R. intermetacarpalis R. superficialis ni. radialis im radiokarpalen Bereich (P. 4) und die
auf, wie sie in ⊡ Abb. 17.12 dargestellt sind. Beide Ursprungsfasern Endfasern des R. palmaris N. mediani im Bereich der Eminentia
werden durchtrennt und ihre distalen Anteile extrahiert. Diese carpi radialis (P. 5), des R. dorsalis manus N. ulnaris (P. 9) und des
Prozedur muss beispielsweise im Falle einer Denervation des Mit- Gelenkastes des N. cutaneus antebrachii posterior ausgeschaltet
telfingergrundgelenks im Bereich des 2. und 3. Zwischenknochen- werden (P. 10). Die Gelenkäste des N. cutaneus antebrachii lateralis
raums durchgeführt werden, während für die Denervation der werden dagegen subfaszial durch Resektion der paraarteriellen
Ulnarseite des entsprechenden Gelenks von D2 nur eine direkte Strukturen ausgeschaltet (P. 3), während die subfaszialen Endfa-
Ausschaltung des R. intermetacarpalis II (P. 7) erforderlich ist. Die sern des N. interosseus posterior, die sich mit perforierenden Ästen
Denervation der Radialseite dieses Gelenks kann dagegen sehr ein- des N. ulnaris verbinden, über den intermetakarpalen Gelenken II
fach bewerkstelligt werden, und zwar durch eine Durchtrennung und III mit dem elektrischen Messer durchtrennt werden.
des R. articularis spatii interossei I (P. 2) mit Exhairese des distalen Die operative Ausschaltung der einzelnen Gelenknerven wird
Stumpfes. Von diesem zweigt sich u. a. der für den Zeigefinger zu- aus didaktischen Gründen in der Reihenfolge der präoperativen
ständige Zweig des R. intermetacarpalis II, aber auch der entspre- Tests besprochen.
chende Ast für den ulnarseitigen Daumengelenkabschnitt ab. Für eine komplette Denervation werden unter Berücksichti-
Ausreichende Erfahrungen mit einem entsprechenden Opera- gung ästhetischer Gesichtspunkte insgesamt 5 Inzisionen benötigt
tionsverfahren für das Daumengrundgelenk liegen noch nicht vor. (⊡ Abb. 17.6a,b).

⊡ Abb. 17.6 Schnittführungen zur Denervation des Handge-


lenks (Erläuterung im Text). a Ansicht von dorsal, b Ansicht von
a b palmar. (Aus Wilhelm 1972)
352 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

1. N. interosseus posterior
Für die Darstellung dieses Nervs genügt eine dorsale, 3–4 cm lange
Inzision in querer Richtung, etwa 3 cm proximal der Handwurzel
(⊡ Abb. 17.6a, Nr. 1). Abweichend hiervon kann auch eine longitu-
dinale Inzision gewählt werden. Falls die Denervation zusätzlich
mit weiteren Eingriffen im dorsalen Abschnitt des Handgelenks
kombiniert werden muss, ist eine S-förmige Längsinzision emp-
fehlenswert (⊡ Tab. 17.3). Nach Darstellung der oberflächlichen
Faszie wird diese in Längsrichtung ulnar der gut tastbaren Crista
radii eröffnet. Nach Retraktion der Daumen- und Fingerstreckseh-
nen erkennt man dann den direkt über dem Periost des distalen a
Radiusabschnittes verlaufenden Nerv, der von den perforierenden
Ästen der Vasa interossea anteriora isoliert und dann möglichst
weit proximal reseziert wird, um auch den für das distale Radioul-
nargelenk bestimmten Nervenzweig auszuschalten (⊡ Abb. 17.7).

2. R. articularis spatii interossei I


Neben dem N. interosseus posterior verlangt nur noch dieser Ge-
lenknerv eine exakte Präparation. Für die Freilegung verwendet
man eine kurze Längsinzision zwischen den beiden gut tastbaren
Basen des MC I und II (⊡ Abb. 17.6a, Nr. 2). Anatomisches Leitge-
bilde für das weitere Vorgehen stellt die gut sichtbare Intermeta-
karpalvene I dar, an deren Ulnarseite man die zum Daumen und
Zeigefinger ziehenden Äste des N. digitalis dorsalis communis
findet (⊡ Abb. 17.8). Vor oder nach der Teilung dieses Hautnervs
entspringt dann der R. articularis spatii interossei I, der in Beglei-
tung eines Astes der genannten Vene fast senkrecht zur subfaszial
verlaufenden Arteria radialis zieht, wo er sich mit Fasern der
Rr. articulares ni. cutanei antebrachii lateralis und des tiefen Ul-
narisastes verbindet. Aus diesem Grund sollte dieser Gelenknerv
proximal durchtrennt und dann der distale Stumpf noch zusätzlich
exhairiert werden, um die Denervation möglichst optimal zu ge-
stalten.

3. Rr. articulares ni. cutanei antebrachii lateralis


Palmare, ulnar-konvexe Längsinzision, deren Bogen in Höhe des
radialen Randes der FCU-Sehne verläuft und nach distal bis zum b
Tuberculum ossis scaphoidei reicht (⊡ Abb. 17.6b, Nr. 1). Von die-
sem Zugang aus werden auch die Gelenknerven des R. superfici- ⊡ Abb. 17.8 Darstellung des R. art. spatii interossei I. a Halbschematisch
alis ni. radialis (P. 4), des R. palmaris ni. mediani (P. 5) und des (P. 2; aus Wilhelm 1972); b intraoperative Darstellung des R. art. spatii interos-
N. interosseus anterior (P. 6) ausgeschaltet (⊡ Abb. 17.3, ⊡ Abb. 17.6, sei I (RASI I). VIMC I Vena intermetacarpalis I; FS Fascia superficialis; D1 N. digi-
⊡ Abb. 17.9). Nach Durchtrennung der Haut sollte die subkuta- talis dorsalis proprius ulnaris I; D2 N. digitalis dorsalis proprius radialis II
17

⊡ Abb. 17.7 Darstellung des N. interosseus


posterior. a Halbschematisch (P. 1), Nerv mit
Häkchen gefasst; EPL und EDC ulnarwärts retra-
hiert, dazwischen perforierende Äste der Vasa
interossea anteriora (aus Wilhelm 1972); b int-
raoperative Darstellung des N. interosseus pos-
terior (NIP); EPL Extensor pollicis longus; RPVIA
b
Rr. perforantes der Vasa interossea anteriora a
17.2 · Spezielle Techniken
353 17

⊡ Abb. 17.10 Intraoperative Darstellung des R. superficialis ni. radialis (P. 4,


RSNR). PRAR R. perforans ae. radialis; RA R. articularis; T Tabatiére; SF I Streck-
sehnenfach I. (Aus Wilhelm 2001; mit freundlicher Genehmigung von Lippin-
cott Williams u. Wilkins)

b verlaufen (⊡ Abb. 17.10). In diesem Fall sollte man den Gelenknerv


unter Schonung des Gefäßes isolieren und dann durchtrennen.
⊡ Abb. 17.9 Darstellung der Rr. articulares ni. cutanei antebrachii lateralis (P. 3) > Dieser Eingriff ist übrigens auch als alleinige Maßnahme zur
sowie der Gelenk- und Periostäste des R. superficialis ni. radialis. a Halbsche- Schmerzausschaltung bei einer therapieresistenten Styloidi-
matisch (P. 4; aus Wilhelm 1972), b intraoperative Darstellung der Rr. articulares
tis radii indiziert.
ni. cutanei antebrachii lateralis (P. 3, RANCL) und der Gelenk- und Periostäste
des R. superficialis ni. radialis (P. 4, RSNR); RA R. articularis; RP Rr. periostales; Bei therapieresistenter Styloiditis ulnae ist eine Ausschaltung des
T Tabatière ; AR A. radialis. (Wilhelm 1988) Gelenkastes des N. cutaneus antebrachii posterior durch epifasziale
Ablösung der Weichteile über dem Caput ulnae erforderlich.

ne Präparation mit einer feinen Schere oder einem gebogenen 5. R. articularis ri. palmaris ni. mediani
Klemmchen erfolgen, um die nach radiopalmar verlaufenden sen- Die Ausschaltung der Endfasern dieses Nervens, die den distalen
siblen Zweige des oberflächlichen Radialisastes nicht zu gefähr- Bereich der Eminentia carpi radialis innervieren, ist nur selten
den. Nach Längsinzision der Faszie über den gut sichtbaren Vasa erforderlich. Sie erfolgt ebenfalls durch den in ⊡ Abb. 17.6b (Nr. 1)
radialia isoliert man einfach die A. radialis über eine Strecke von dargestellten Zugang, der bei Bedarf in querer Richtung bis über
mindestens 1 cm und reseziert das begleitende Gewebe einschließ- die Eminentia carpi radialis verlängert werden kann (Nr. 2). Zur
lich der feinen Gelenk- und Venenäste. Selbstverständlich kann Unterbrechung dieser feinen Nervenfasern wird das über dem Tu-
man diese Nervenfasern auch präparatorisch darstellen und isoliert berculum ossis scaphoidei gelegene Füllgewebe epifaszial bis zum
resezieren (⊡ Abb. 17.9b). radialen Rand der FCR-Sehne durchtrennt. Der Hauptstamm des
R. palmaris sollte dabei geschont werden, um ein sehr schmerzhaf-
4. R. articularis ri. superficialis ni. radialis tes Neurom dieses Nervenastes zu vermeiden.
Dieser Gelenknerv wird vom gleichen Zugang aus dargestellt. Dazu
löst man den radiopalmaren Weichteilmantel zunächst von proxi- 6. Rr. articulares ni. interossei anterioris
mal her epifaszial ab und präpariert dann vorsichtig nach distal, bis Für die blinde Durchtrennung dieser Gelenknerven kommt ebenfalls
die beiden ersten Strecksehnenscheidenfächer freiliegen. Häufig der in den ⊡ Abb. 17.6b (Nr. 1 und 3), ⊡ Abb. 17.9a und ⊡ Abb. 17.11
findet man dabei nur einen feinen Gelenkast, der von proximal dargestellte Zugangsweg in Frage. Von hier aus geht man zwischen
kommend in die Tabatière eintritt ⊡ Abb. 17.9b). Dieser Zweig kann A. radialis und der FCR-Sehne auf den distalen Rand des M. pro-
auch einmal stärker ausgeprägt sein und zusammen mit einem nator quadratus ein und retrahiert dazu die Sehne des FCR, die
in die Subkutis ziehenden Gefäß des Arcus radiocarpalis dorsalis Fingerbeuger sowie den N. medianus nach ulnar mit einem genü-
354 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.11 Palmarer Zugang zur Ausschaltung der Gelenkäste des R. inte-
rosseus anterior (P. 6). AR A. radialis; MPQ = M. pronator quadratus

gend großen Langenbeck-Haken bei leicht gebeugtem Handgelenk.


Dadurch kann ein ausreichend großer Freiraum gewonnen und
eine Druckschädigung des N. medianus vermieden werden, um den
distalen Rand des M. pronator quadratus übersichtlich darzustellen
⊡ Abb. 17.12 Intraoperative präparatorische Darstellung der perforierenden
und die hier austretenden Gelenkäste zusammen mit benachbartem Fasern des R. profundus ni. ulnaris (PFNU) und des R. intermetacarpalis (RIMC)
Füll- und periostalem Gewebe zu durchtrennen, am besten mit ei- des N. interosseus posterior im Bereich des Intermetakarpalgelenks I (P. 7); bei-
nem feinen elektrischen Messer. Um auch die Äste des N. interosseus de Gelenkfasern mit Einzinkerhäkchen gefasst. AMC II A. metacarpalis II; VMC II
anterior zu erreichen, welche das distale Radioulnargelenk versor- V. metacarpalis II; MIOD I M. interosseus doralis I, ulnarer Kopf; EDC Extensor
gen, muss der genannte Gewebeabschnitt bis zum ulnaren Rand der digitorum communis; BOMC III Basis des Os metacarpale III. (Aus Wilhelm 2001;
Radiusepiphyse durchtrennt werden (⊡ Abb. 17.3, ⊡ Abb. 17.11). mit freundlicher Genehmigung von Lippincott Williams u. Wilkins)

7. und 8. Rr. perforantes N. ulnaris


Der Zugang zu diesen feinen Gelenkfasern erfolgt durch eine
gemeinsame 2–3 cm lange, quer oder bogenförmig verlaufende
Inzision über dem dorsalen Aspekt der Metakarpalebasen II–IV
(⊡ Abb. 17.3a, ⊡ Abb. 17.6a, Nr. 3 und 4). Nach Inzision der ober-
flächlichen Faszie und Beiseitehalten der Fingerstrecksehnen er-
kennt man über dem intermetakarpalen Gelenk die A. metacarpea
17 dorsalis II mit der begleitenden Vene und den R. articularis inter-
metacarpalis sowie das perforierende Ästchen des R. profundus
ni. ulnaris (⊡ Abb. 17.12). Diese Strukturen werden dann zusam-
men mit der dünnen Weichteilschicht über den Metakarpalebasen
bogenförmig mit einem elektrischen Messer durchtrennt. Dieser
Eingriff wird routinemäßig im Bereich des 1. und 2. Intermetakar-
palgelenks durchgeführt (⊡ Abb. 17.13). Die Indikation zu diesem
Eingriff am 3. intermetakarpalen Gelenk ist nur selten gegeben.

9. Rr. articulares des R. dorsalis manus ni. ulnaris


Die Gelenkäste dieses Nervs werden ebenfalls blind durchtrennt,
und zwar durch epifasziale Mobilisierung des ulnokarpalen Weich-
teillappens bis zur Innenseite der FCU-Sehne, allerdings erst nach
präliminarer Darstellung des dorsalen Ulnarisastes. Die hierfür er-
forderliche Schnittführung umgreift in einem leichten Bogen den
Proc. styloides ulnae (⊡ Abb. 17.6a, Nr. 5, grünes Feld; ⊡ Abb. 17.14).

10. R. articularis ni. cutanei antebrachii posterior


Vom gleichen Zugang aus kann auch dieser Gelenknerv durch epi- ⊡ Abb. 17.13 Zustand nach Ausschaltung von P. 7. EDC Extensor digitorum
fasziale Präparation des dorsalen Weichteillappens über dem Caput communis; IMCG Intermetakarpalgelenk I. (Aus Wilhelm 1988)
17.2 · Spezielle Techniken
355 17

⊡ Tab. 17.4 Bewertungsschema für die postoperativen Ergebnisse


der Denervation

1 (sehr gut) Keine Schmerzen

2 (gut) Geringfügige Schmerzen bei Schwerarbeit

3 (befriedigend) Mäßige Schmerzen bei Schwerarbeit, subjek-


tiv jedoch deutlich besser als präoperativ

4 (schlecht) Keine Besserung

⊡ Tab. 17.5 Handgelenkdenervation – Eigene Ergebnisse

Resultate 1. Serie 2. Serie 3. Serie


(Nop = 21) (Nop = 27) (Nop = 24) a

Schmerz
⊡ Abb. 17.14 Zustand nach Ausschaltung der Gelenknerven des R. dorsalis
ni. ulnaris (P. 9, RDNU) und des N. cutaneus antebrachii posterior (P. 10, Zu- sehr gut 13 (61,9%) 15 (55,6%) 8 (33,3%)
stand nach epifaszialer Weichteilablösung vom Caput ulnae [CU]). RE IV Reti- gut 4 (19,1%) 6 (22,2%) 7 (29,2%)
naculum extensorum IV, geöffnet zur Resektion des N. interosseus posterior;
rot angeschlungen. ECU Extensor carpi ulnaris; EDM Extensor digiti minimi. befriedigend 2 (9,5%) 4 (14,8%) 7 (29,2%)
(Aus Wilhelm 1988). schlecht 2 (9,5%) 2 (7,4%) 2 (8,3%)

Besserungen

ulnae ausgeschaltet werden (⊡ Abb. 17.6a, Nr. 5, gelbes Feld). Im Fall grobe Kraft 14 (66,7%) 16 (59,3%) 12 (50,0%)
einer ulnokarpalen Arthrose kann von hier aus auch der N. inte- Gelenkbeweglichkeit 9 (42,8%) 12 (44,4%) 11 (45,8%)
rosseus posterior reseziert und das ulnokarpale Gelenk revidiert
Untersuchung nach 1,2 Jahre 2,2 Jahre 10,5 Jahre
werden (⊡ Abb. 17.14).
Nach Öffnen der Blutsperre, Blutstillung und Wundverschluss aNachuntersuchung von 24/45 Operationen der 3. Serie (Lanz u. Lehmann
wird ein leicht komprimierender Verband mit dorsaler Unterarm- 1976)
gipsschiene bis zum Abschluss der Wundheilung angelegt. Alle
Gelenke der Finger sowie des Ellenbogen- und Schultergelenks
werden dabei sofort aktiv bewegt. Bei kombinierten Eingriffen likationen über die gleichen oder sogar noch besseren Ergebnisse
(⊡ Tab. 17.3) muss entsprechend länger immobilisiert werden. berichteten. Weniger günstige Resultate wurden dagegen nur von
Bei Patienten, die schwere Handarbeiten verrichten müssen zwei Autorengruppen publiziert. Die Beurteilung der eigenen Er-
und einen Arbeitsplatzwechsel ablehnen, ist es unbedingt erforder- gebnisse erfolgte nach einem Bewertungsschema, das in ⊡ Tab. 17.4
lich, eine Unterarmmanschette mit eingearbeiteter palmarer Me- dargestellt ist.
tallschiene zu verordnen, die jedoch nur während der Arbeitszeit So konnten in einer ersten Serie von 21 Operationen nach 1,2
getragen werden muss, um eine vorzeitige Verschlimmerung der (0,25–3,9) Jahren in 81% sehr gute und gute Ergebnisse erreicht
degenerativen Veränderungen zu verhindern. werden. Dieser Prozentsatz sank dann in einer zweiten Serie von
27 Operationen nach durchschnittlich 2,2 (1,25–4,9) Jahren auf
Ergebnisse 77,8% ab. Nach durchschnittlich 10,5 (6–14) Jahren wurde das
Im Gegensatz zum Handgelenk hat das Problem der Fingergelenk- Ergebnis von einer unabhängigen Gruppe überprüft, und zwar
denervation in der Literatur nur wenig Beachtung gefunden. So be- anhand des gesamten Würzburger Krankengutes, wobei in Anbe-
richteten in den letzten Jahren nur Merck und Rudigier (2002) und tracht der zum Teil sehr langen Nachuntersuchungszeiten nur 24
Haerle et al. (2003) über dieses Problem. Letztgenannte führten bei (53,3%) von 45 Fällen untersucht werden konnten. Dabei fanden
insgesamt 50 Patienten nach durchschnittlich 2,8 (0,8–5,7) Jahren sich in 62,5% immer noch sehr gute und gute Ergebnisse. Dabei
entsprechende Befragungen durch, mit folgendem Ergebnis: Alle 6 zeigte sich außerdem, dass sich die Besserung der groben Kraft von
am MP-Gelenk Operierten waren nach 3,7 Jahren beschwerdefrei ursprünglich 66,7% auf 50% reduzierte, während die Handgelenk-
oder gebessert. Am PIP-Gelenk fanden sich nach 2,6 Jahren in 8 beweglichkeit leicht zunahm, und zwar von 42,8% auf 50,0%.
von 10 Fällen gute Ergebnisse. Am Endgelenk waren nach 2,6 Jah- Rechnet man dieses Ergebnis einschließlich der drei befriedi-
ren 12 (54,5%) von 22 Fällen beschwerdefrei. genden Fälle unter Berücksichtigung des gesamten Krankengutes
Am Daumensattelgelenk konnte nach 2,9 Jahren in 7 (58,3%) hoch, dann zeigt sich, dass nach durchschnittlich 10,5 Jahren im-
von 12 Fällen Beschwerdefreiheit erreicht werden. Bei 4 (33,3%) mer noch mindestens 48,9% der Patienten von der Denervation
Patienten traten die präoperativen Beschwerden jedoch wieder auf profitiert haben; die wahren Zahlen dürften allerdings etwas höher
und bei einem Patienten konnte überhaupt keine Besserung erzielt liegen (⊡ Tab. 17.5).
werden. Diese Ergebnisse der Sattelgelenkdenervation bestätigen Die erste Beurteilung der Handgelenkdenervation erfolgte 1977
die Richtigkeit unserer Empfehlung, in Zukunft an diesem Gelenk durch Buck-Gramcko anhand einer Sammelstatistik, an der insge-
keine operative Schmerzausschaltung mehr durchzuführen. An- samt 8 deutsche und schweizerische Handchirurgen beteiligt waren.
dere Therapieformen sind hier vorzuziehen ( Kap. 51). Dabei wurden 195 von 313 Denervationen nach einem Intervall von
Die Technik der Handgelenkdenervation hat dagegen zahlrei- mindestens 9 Monaten bis 14 Jahre ausgewertet. Dabei fanden sich
che Befürworter gefunden, die inzwischen in mindestens 42 Pub- nach durchschnittlich 4,1 Jahren sehr gute und gute Ergebnisse in
356 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

nicht lege artis oder überhaupt nicht durchgeführt werden und


⊡ Tab. 17.6 Denervation des Handgelenks – Sammelstatistik nach
Buck-Gramcko (1985) eine mögliche Schädigung der Tiefensensibilität auch heute noch
im Zusammenhang mit einer ausgedehnten Denervation diskutiert
Resultate Nop = 195 wird, weil dadurch ein Operateur veranlasst werden könnte, die
nach dem Testergebnis in Frage kommenden Nervenbahnen zu
Schmerz
reduzieren, was völlig unnötig wäre. Beweisend hierfür ist auch
sehr gut 50 (25,6%) die Tatsache, dass in der Literatur bei hunderten von derartigen
Eingriffen weder eine Beeinträchtigung der Tiefensensibilität, noch
gut 84 (43,1%)
die Ausbildung eines Charcot-Gelenks festgestellt werden konnte.
befriedigend 52 (26,7%) Das ist auch nicht zu erwarten, weil die von Golgi beschriebenen
Sehnenrezeptoren derartige Störungen verhindern.
schlecht 9 (4,6%)
Gefahren für die Denervation und deren Ergebnisse können
Besserungen dadurch entstehen, dass man die nach dem Testergebnis in Frage
kommenden schmerzleitenden Nervenbahnen reduziert, aus wel-
grobe Kraft nicht kontrolliert
chen Gründen auch immer. So wurde von Zeman (1985) die
Gelenkbeweglichkeit leichte Besserung Denervation des Radiokarpalgelenks auf die Ausschaltung des
N. interosseus palmaris und dorsalis sowie auf den Gelenkast des
Untersuchung nach 4,1 (0,75–14) Jahre
R. superficialis ni. radialis und auf die Äste des R. dorsalis manus
reduziert. Dies bedeutet, dass die ebenso wichtigen Gelenkäste des
N. cutaneus antebrachii lateralis und die Äste des R. articularis
68,7%; ein schlechtes Ergebnis fand sich nur in 9 Fällen (4,6%). Ein spatii interossei I nicht berücksichtigt wurden. Berger (1998) hat
positives Resultat konnte somit in 95,4% erzielt werden. Die bes- dann die Denervation sogar auf den N. interosseus posterior und
ten Ergebnisse zeigten sich vor allem bei Skaphoidpseudarthrosen anterior beschränkt, ebenso Dellon (2007, 2009).
(76,2%) und Lunatummalazien (65,6%). Fortschreitende degenerative
> Die oft angeführte Technik der transmembranösen Durch-
Veränderungen konnten bei 34 (17,4%) Patienten festgestellt werden.
trennung des N. interosseus anterior über den Zugang des
Als Ursache hierfür imponierten Gelenkinstabilitäten, Destruktionen
N. interosseus posterior ist sehr kritisch zu sehen.
der Gelenkflächen und schwere Handarbeit. Die leichte Besserung
der Handgelenkbeweglichkeit konnten bestätigt werden (⊡ Tab. 17.6). Dieser Vorschlag bietet sich zwar an, da diese Nerven, topografisch-
Diese Ergebnisse konnten 1985 von Buck-Gramcko bestätigt anatomisch gesehen, in unmittelbarer Nachbarschaft verlaufen. Die-
werden. Er fand bei 242 (73,8%) von 328 Patienten im eigenen se Möglichkeit wurde von uns jedoch bei der Planung der Denerva-
Krankengut nach einem Intervall von 6,7 (1–18) Jahren sehr gute tionsmethode »a priori« in Anbetracht des Verteilungsmusters des
und gute Ergebnisse in immerhin noch 66,5% (⊡ Tab. 17.6). N. interosseus anterior im M. pronator quadratus ausgeschlossen,
Über ähnlich günstige Ergebnisse berichteten außerdem Haerle da keine hinreichende Sicherheit für die Innervation dieses Muskels
et al. (2003), Rothe et al. (2004), Schweizer et al. (2006) und Dellon garantiert werden konnte. Aufgrund von anatomischen Untersu-
(2009). Ferner konnte festgestellt werden, dass die Besserungsraten chungen wurde diese Beurteilung inzwischen auch von anderen
des Schmerzes bei alleiniger Durchführung von kurativen Eingriffen Autoren bestätigt (Svienska et al. 2005; Lin et al. 2006). Im Gegen-
durch eine zusätzliche Denervation um 24% erhöht werden konnten. satz hierzu wurde die dorsale Ausschaltung der beiden Nerven von
Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass die Grafe et al. (2005) befürwortet, da eine »Durchtrennung des N. in-
Denervation des Handgelenks ein einfaches, kaum belastendes und terosseus anterior 2 cm proximal des Ulnakopfes die meisten moto-
ambulant durchführbares Operationsverfahren darstellt, das fast rischen Äste des M. pronator quadratus schonen würde«. Es wäre
90% der Patienten einer Gelenkversteifung vorziehen und in 85,9% erfreulich, wenn diese Ansicht auch neurologischerseits (EMG) und
wiederholen lassen würden. Die Ergebnisse nach durchschnittlich durch Messung der vergleichenden Pronationskraft bewiesen wer-
17 10 Jahren zeigen immer noch in zwei Drittel bis drei Viertel der den könnte, was bisher jedoch noch nicht geschehen ist.
Was den Vorschlag anbelangt, die Denervation auf die Elimi-
Fälle ein schmerzfreies und gutes Resultat. Damit ist bewiesen, dass
die Denervation, falls sie richtig durchgeführt und die Ursache für nierung der »critical nerve branches« (P. 1 und 6 nach Dellon) zu
eine vorzeitige Progredienz der degenerativen Veränderungen ope- beschränken, so sollte dieser einstweilen nur diskutiert werden, da
rativ entsprechend berücksichtigt wird, sehr wohl eine durchaus noch keine echten Endergebnisse vorliegen. Ob diese auf Dauer
vertretbare Alternative zur Arthroplastik und Arthrodese darstellt. ebenso günstig ausfallen, ist jedoch zu bezweifeln, da bei Radiokar-
Außerdem werden diese operativen Eingriffe im Bedarfsfall durch palarthrosen in jedem Fall auch die Punkte 2, 3 und 4 berücksich-
eine vorausgegangene Denervation hinsichtlich deren Indikation tigt werden müssten.
und Durchführbarkeit nicht beeinflusst.

Fehler, Gefahren und Komplikationen 17.2.2 Die operative Behandlung des therapie-
Der Hauptfehler bei einer Denervation im Bereich der Finger- resistenten Tennisellenbogens durch
und Handgelenke liegt darin, dass Kontraindikationen und die Denervation mit indirekter Dekompression
Bedeutung der endostalen Schmerzleitung, wie sie vor allem bei des R. profundus ni. radialis
Arthrosen des Sattelgelenks und der Articulatio ossis pisiformis
vorkommen, nicht beachtet werden. So stellt beispielsweise bei der Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
Behandlung der Rhizarthrose die Trapezektomie in Verbindung > Durch anatomische und klinische Untersuchungen konnte
mit einer Bandplastik und im anderen Fall eine Exstirpation des bewiesen werden, dass das maximal mögliche Schmerzfeld
Os pisiforme die bessere Lösung des Problems dar. Fehler können eines Tennisellenbogens ausschließlich durch Fasern des
auch dadurch entstehen, dass die präoperativen Testblockaden N. radialis versorgt wird (⊡ Abb. 17.15, ⊡ Abb. 17.16).
17.2 · Spezielle Techniken
357 17
Dies trifft auch für die koinzidenten Schmerzfelder im Bereich des raum werden dagegen durch Äste des R. superficialis ni. radialis
Handrückens mit Schmerzausstrahlung bis zu den Fingergrundge- innerviert. Dieser Nerv ist auch für die in 19% vorhandenen dorso-
lenken zu (Neuralgie des N. interosseus posterior; Wachsmuth u. radialen Sensibilitätsstörungen zuständig.
Wilhelm 1967; ⊡ Abb. 17.17). Die koinzidenten Schmerzareale über Die supraepikondylären und posterioren Schmerzfelder, die
dem Processus styloideus radii und im ersten Zwischenknochen- bis zur Außenseite des Olecranons reichen können, werden von
Ästen des subfaszial, hinter dem Septum intermusculare brachii
laterale verlaufenden R. collateralis lateralis ni. radialis und des
R. muscularis ni. anconaei versorgt. Letzterer entstammt einer
Verbindung der Muskeläste des Caput laterale und mediale des
M. triceps (⊡ Abb. 17.16), deren Bezüge sich bereits am Oberarm
vom N. radialis ableiten, und zwar noch proximal des Hiatus
ni. radialis. In gleicher Höhe entspringt auch der N. cutaneus an-
tebrachii posterior, der mit einem kleinen Zweig den Epikondylus
und die Ursprungsregion des ECRB innerviert. Verantwortlich
für die Schmerzmanifestation in den letztgenannten Bereichen
sind Irritationen des N. radialis und seiner Bezüge im Bereich des
Oberarmes, des Thoracic Outlet und der Foramina intervertreb-
ralia C5–7. Diese drei Lokalisationen haben mit dem eigentlichen
Kompressionsmechanismus des tiefen Radialisastes jedoch nichts
zu tun, verweisen jedoch auf die eben genannten Störstellen, die
für eine »double nerve lesion« in Betracht kommen können.
> Distal findet sich auf der Streckseite ein besonders wichtiger
rückläufiger Ast des R. muscularis supinatoris, der für die
Schmerzleitung in Richtung Epikondylus verantwortlich ist.
Davon kann man sich ganz einfach durch Fingerdruck über
dem Supinatorschlitz überzeugen.
Auf der Beugeseite versorgen Endfasern der Muskeläste des Exten-
sor carpi radialis longus (ECRL) und Extensor carpi radialis brevis
(ECRB) den humeroradialen Gelenkbereich (⊡ Abb. 17.16, rechts).
Einer dieser Äste (3. von oben) innerviert nicht nur die Ursprungs-
⊡ Abb. 17.15 Typisches Schmerzfeld einer schweren Epikondylitis lateralis sehne des ECRB, wo er sich reichlich verteilt, sondern auch den
humeri. Durchgezielte Blockaden können die einzelnen Schmerzareale und Epikondylus und das laterale Kollateralband. Weiter distal schließt
deren nervale Versorgung bestimmt werden. (Aus Wilhelm 2000, mit freund- sich ein anteriorer rückläufiger Gelenkast des R. muscularis su-
licher Genehmigung von Urban und Vogel) pinatoris an, dessen Funktionen auch einmal durch einen beson-

⊡ Abb. 17.16 Die Innervation der lateralen Epikondylengegend von


posterior (links) und anterior (rechts). N. radialis jeweils lateralwärts ab-
gezogen. Schwarze Pfeile: Testblockade nach Ishii und Nakashita (1985).
(Aus Wilhelm 1972)
358 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.17 Synopsis des Irritationssyndroms


des N. radialis. Punktierte Linie: Schmerzfeld bei
Tennisellenbogen (TE). Gestrichelte Linie: Hypäs-
thetische Zone im Bereich des R. superficialis
ni. radialis. Punktiertes Feld: Schmerzareal bei
Styloiditis radii. Bereich des mitunter vorhan-
17 denen Intermetakarpalschmerzes ebenfalls
punktiert. Schmerzfelder bei Neuralgie des
N. interosseus posterior über Os lunatum und
den Basen des zweiten und dritten Os metacar-
pale punktiert. (Aus Wilhelm 1972)

ders starken Zweig des N. radialis übernommen werden können 90% betroffen ist. Das Verhältnis von Männern zu Frauen beträgt
(⊡ Abb. 17.16, rechts, letzter Ast von oben). etwa 5:1. Eine operative Intervention wegen Therapieresistenz ist
Das anteriore Schmerzfeld erstreckt sich auf den Epikondylus, in 3–8% erforderlich (Demmer u. Rettig 1982). Das bevorzugte
den Wulst der Radialextensoren und auf den Verlauf des N. radi- Alter dieser Erkrankung liegt zwischen 35 und 55 Jahren.
alis, insbesondere in Höhe des Capitulum humeri, des Caput radii
und des Supinatorschlitzes. Ätiologie
Ätiologie und Pathogenese des TE werden bis heute kontrovers
Epidemiologie diskutiert. Für die operative Behandlung des resistenten TE ist
Die Inzidenz des Tennisellenbogens (TE) ist schwierig abzuschät- hingegen seit Anfang des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von Ope-
zen, da viele Patienten mit geringeren Beschwerden überhaupt rationstechniken entwickelt worden, die auf den unterschiedlichen
keinen Arzt aufsuchen. Im Allgemeinen wird die Häufigkeit jedoch Konzepten der Pathogenese beruhen. Die wichtigsten Operations-
auf etwa 1–3 bzw. 3–4% geschätzt, wobei der dominante Arm in techniken sind in ⊡ Tab. 17.7 zusammengefasst.
17.2 · Spezielle Techniken
359 17
Für die neurogene Genese sprechen folgende Tatsachen und
⊡ Tab. 17.7 Operative Behandlung des therapieresistenten
Tennisellenbogens – Literaturübersicht Schlussfolgerungen:
1. Anamnestische Angaben zur Entstehungsursache: Plötzliche
Autoren Operationsmethoden Hyperaktivität, z. B. durch einen kräftigen Pronationsschlag
Franke (1910) Epikondylektomie beim Tennisspiel und chronische Überbeanspruchung der
Pro- und Supinatoren sowie der Radialextensoren, vor allem
Fischer (1923) Exzision des subkutanen Gewebes über gegen Widerstand.
dem Epikondylus
2. Die maximal mögliche Ausdehnung des Schmerzfeldes be-
Hohmann (1927) Einkerbung der ECRB-Sehne schränkt sich nicht nur auf die laterale Epikondylenregion
(⊡ Abb. 17.15).
Tavernier (1946) Mononeurotomie des R. collateralis
lateralis ni. radialis 3. Die Innervation des Schmerzfeldes erfolgt ausschließlich
durch Fasern des N. radialis (⊡ Abb. 17.16).
Bosworth (1955) Partielle Resektion des Lig. anulare radii 4. Die anatomischen Befunde können durch gezielte Nervenblo-
Kaplan (1959) Partielle anteriore Denervation ckaden bestätigt und dadurch die zugehörigen Schmerzareale
bestimmt werden (⊡ Abb. 17.15).
Garden (1961) Distale Verlängerung der ECRB-Sehne
5. Ein bisher wenig beachtetes supraepikondyläres und posteri-
Wilhelm u. Gieseler (1962) Komplette Denervation ores Schmerzfeld ist in 31% vorhanden und wird durch den
R. collateralis lateralis ni. radialis und durch den R. muscula-
Goldie (1964) Exzision des subtendinösen pathologi-
schen Gewebes
ris ni. anconaei versorgt, die beide bereits am Oberarm vom
N. radialis entspringen (⊡ Abb. 17.16).
Capener (1966) Dekompression des R. profundus ni. 6. Die Epikondylenspitze und die Ursprungssehne des ECRB
radialis werden zusätzlich durch Fasern des N. cutaneus antebrachii
Roles u. Maudsley (1972) Dekompression des N. radialis posterior versorgt, der ebenfalls am Oberarm entspringt
(»Radialtunnel«) (⊡ Abb. 17.16). Damit ist bewiesen, dass bei einem TE auch mit
Schmerzausstrahlungen von weiter proximal gelegenen Stör-
Boyd u. McLeod (1973) Epikondylektomie und Teilexzision des
Lig. anulare radii stellen des N. radialis zu rechnen ist.
7. Durch die Überprüfung der Triggerpunkte im Bereich des
Wilhelm (1977) Dekompression des N. radialis am N. radialis in Höhe des Caput radii lassen sich in 67,8% und
Oberarm
über dem Supinatorschlitz in 77% Schmerzausstrahlungen
Nirschl u. Pettrone (1979) ¾-Resektion der ECRB-Sehne, Release in Richtung der Epikondylenspitze und des N. radialis nach
proximal und distal auslösen (⊡ Abb. 17.21). Die gleichen Sym-
van der Beken u. Joveneau Z-Plastik i. B. von ECRB u. EDC
(1983) ptome können auch durch den D3-Test ausglöst werden.
8. Im Bereich der Handwurzel finden sich auch koinzidente
Narakas (1987) Verlängerung des ECRB und Dekom- Schmerzareale des Tennisellenbogens, verursacht durch eine
pression des N. rad.
Neuralgie des N. interosseus posterior in 17,5% (⊡ Abb. 17.17).
Wilhelm (1989) Denervation u. direkte Dekompression 9. Koinzidente Sensibilitätsstörungen kommen im Bereich des
des N. rad. R. superficialis Ni. radialis in 19% vor, ebenso eine sog. Styloi-
Wilhelm (1996, 1999, Denervation u. indirekte Dekompression ditis radii in 16,7% (⊡ Abb. 17.17).
2000) des N. rad. 10. Die komprimierende Einwirkung der Supinatorarkade auf den
(seit 1991 Methode der Wahl) tiefen Radialisast kann durch den Pro- und Supinationstest
nachgewiesen werden, der mit 86% bzw. 93% dem D3-Test
Almquist et al. (1998) Epikondyläre Resektion des ECRB und
EDC – Anconaeusplastik
mit 74% absolut überlegen ist (Werner et al. 1980).
11. Normalerweise ist die Supinatorarkade in passiver Pronati-
Rayan et al. (2001) V-Y-Plastik der Ursprünge von ECRB u. onsstellung angespannt und führt zu einer deutlich sichtbaren
EDC
Druckbelastung des tiefen Radialisastes (⊡ Abb. 17.18a) in Höhe
Double Nerve Lesion von 40–50 mmHg (Werner et al. 1980). Dieser Druck reicht
bereits aus, um die intraneurale venöse Durchblutung und den
Wilhelm (1996) Transaxilläre Dekompression des
Nervengefäßbündels bei TOS und
axonalen Flow zu unterbrechen. Außerdem kommt es dabei dank
Sudeck’scher Dystrophie eines Koppelungseffektes der Supinatorsehne mit dem ECRB
zu einer Zugbelastung der Ursprungssehne dieses Muskels, die
Wilhelm (1977, 1996, Dekompression des Nervus radialis am dadurch einen gestreckten Verlauf einnimmt. In Supinationsstel-
1999) Oberarm (PRKS)
lung sind Arkade und alle übrigen Abschnitte des M. supinator
dagegen vollkommen entspannt, ebenso die ECRB-Sehne, die
dann einen mehr bogenförmigen Verlauf nach dorsal nimmt
Die am weitesten verbreitete Annahme geht von einer funkti- (⊡ Abb. 17.18b). Intraoperativ kann man diese unterschiedliche
onellen Überbeanspruchung verbunden mit Mikrotraumatisierung Zugbeanspruchung des ECRB durch die Supinatorarkade in Pro-
und degenerativen Veränderungen des Sehnengewebes aus. Nach und Supination des Unterarmes sehr gut demonstrieren, wenn
Bosworth liegt die Ursache des TE intraartikulär. Die Drehung des man den zusätzlichen Ursprung des M. supinator von proximal
unregelmäßig geformten Radiuskopfes ggf. in Kombination mit her mit einem Gummizügel umschlingt und mit dessen Hilfe die
einer Einklemmung einer Synovialzotte führt zu den typischen Be- ECRB-Sehne in entgegengesetzter Richtung entsprechend belas-
schwerden. Durch die Arbeiten von Wilhelm wurde in den letzten tet, wobei die Zugbeanspruchung durch den Zügel unter derjeni-
Jahren die neurogene Genese immer häufiger diskutiert. gen des M. supinator verbleiben muss (⊡ Abb. 17.18).
360 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

RPNR

RPNR

Supinatorarkade

Supinatorarkade

ECRB

ECRB

Supination
Pronation

a b

⊡ Abb. 17.18 Intraoperative Darstellung des Verhaltens der Supinatorarkade. a Bei passiver Pronation: In Pronation deutliche Anspannung der Arkade und
der starken oberflächlichen Faszie des M. supinator mit Kompression des tiefen Radialisastes und der kreuzenden Gefäße (»Henry’s leash«); Zugbeanspru-
chung der ECRB-Sehne (dünne Pfeile) durch zusätzlichen Ursprung des M. supinator von deren Sehne; Kennzeichnung durch Sternchen und Gummizügel.
b Bei passiver Supination völlige Entspannung der Arkade des M. supinator und der ERCB-Sehne; Druckbelastung des N. radialis vollständig aufgehoben

12. In einer kontinuierlichen Serie von 164 Denervationen (1980–


⊡ Tab. 17.8 Intraoperative Befunde bei Dekompression des R. pro-
2009) fanden sich in 96,9% fibröse Arkaden von unterschied-
fundus ni. radialis – Ergebnisse in Gruppe B (Nop=87)
licher Stärke. In zwei Fällen lag die Arkade unter dem tiefen
17 Radialisast; in 3 Fällen war sie überhaupt nicht angelegt. 1. Frohse-Fränkel-Arkade
13. Nach direkter Dekompression des N. radialis (1980–1990: Struktur
Nop=87) fanden sich in 85% unterschiedliche Kompressions-
schäden. In 15% war nur eine Störung der subepineuralen zart 23 (26,4%)
Durchblutung erkennbar (⊡ Tab. 17.8). Bei derartig geringfü- kräftig 64 (73,6%)
gig erscheinenden Veränderungen kommt es jedoch ebenfalls
2. Druckschaden des R. profundus N. radialis
zu einer Störung des intraneuralen Flows. Bei schweren
Zugbelastungen der Arkade kann es sogar zu einer erhebli- Abflachung 59 (67,8%)
chen Druckschädigung in Form einer Verbreiterung des Ner- Dellenbildung 8 (9,2%)
venquerschnitts und zu einer bogenförmigen Veränderung
Schnürring 7 (8,0%)
des Nervenverlaufs kommen. Nach Resektion der Arkade
sieht man das wahre Ausmaß der Schädigung. Die vom Epi- Pseudoneurom 26 (30,0%)
neurium entblößten Nervenkabeln bleiben nebeneinander Fehlen der subepineuralen Durchblutung 13 (15,0%)
liegen, nehmen jedoch wieder einen normalen Verlauf ein
(⊡ Abb. 17.19).
14. Zwei Jahre später konnten diese Druckschäden auch elektro- 15. Die durch den D3-Test ausgelösten sofortigen Schmerzreak-
diagnostisch bestätigt werden. Durch EMG-Untersuchungen tionen im Ursprungsbereich der gemeinsamen Unterarmstre-
des Unterarmes in Neutralstellung sowie in passiver Pro- und cker werden von den Erstbeschreibern, Roles und Maudsley
Supination konnten im gleichen Umfang, nämlich in 84%, pa- (1972), im Bereich der gemeinsamen Strecksehnenursprünge
thologische Reaktionen gefunden werden (Kupfer et al. 1998). lokalisiert und als Folge einer Anspannung der ECRB-Sehne
17.2 · Spezielle Techniken
361 17

R.prof.ni.rad.

R.prof.ni.rad.
Arkade

ECRB

a b

⊡ Abb. 17.19 R. profundus N. radialis am Eingang in den Supinatorkanal. a Dreifache Verbreiterung des Nervenquerschnitts in Höhe der angespannten Arka-
de mit Verdickung des Epineuriums. b Nach Resektion der Arkade liegen die Nervenfaszikel nebeneinander, das verdickte Epineurium ist zurückgeschoben

interpretiert. Diese Schmerzreaktion kann allerdings durch Ursache dieses Phänomens ist ein zusätzlicher Ursprung des
eine Blockade des N. radialis in der Ellenbeuge in 90% ausge- M. supinator von der Innenseite der Ursprungssehne des
schaltet werden (Ishii u. Nakashita 1985). Dieses überraschen- ECRB (⊡ Abb. 17.21a, Sternchen), der in der gängigen ana-
de Ergebnis spricht ebenfalls absolut gegen eine tendinogene tomischen Literatur noch keine Erwähnung gefunden hat.
Genese des Leidens, da in diesem Fall nach der Blockade noch Durch diesen Ursprung sind M. supinator und ECRB funkti-
eine Schmerzleitung vor allem über Fasern des N. cutaneus onell aneinandergekoppelt. Dieser Effekt konnte seit 1991 in
antebrachii posterior möglich gewesen wäre, welche den 74 (97,1%) von 77 Fällen nachgewiesen werden und erklärt
lateralen Epikondylus und den Ursprungsbereich der ECRB- letztendlich nicht nur die Schmerzreaktion beim D3-Test,
Sehne innervieren. sondern auch die ätiopathogenetische Bedeutung von Über-
16. Die unterschiedliche Wirkung der Unterarmpositionen auf beanspruchungen der Radialextensoren, insbesondere des
den Spannungszustand der Arkade erklärt auch, warum die ECRB.
grobe Kraft beim Tennisellenbogen in Pronation schmerzbe- Ergänzend sei hierzu noch bemerkt, dass Heyse-Moore
dingt stark erniedrigt und in Supination wegen Reduzierung (1984) darauf hingewiesen hat, dass die Ursprünge des
der Schmerzstärke wesentlich höher ist (⊡ Abb. 17.20). Bei sehr M. supinator und der Ursprungssehne des ECRB untrennbar
starken Schmerzen ist jedoch die grobe Kraft in beiden Positi- miteinander verschmolzen sind und dass dadurch seitens des
onen ganz erheblich erniedrigt, in manchen Fällen sogar nicht M. supinator eine erhöhte Zugeinwirkung auf den Epikondy-
mehr messbar. Wenn der D3-Test übrigens präoperativ in Pro- lus gegeben wäre, die man durch Abspaltung des oberfläch-
und Supination negativ ist, dann spricht dies für einen nicht lichen Kopfes dieses Muskels verringern könnte. Genau das
vorhandenen Koppelungsmechanismus von M. supinator und Gegenteil ist der Fall! Die durch den D3-Test reflektorisch
ECRB-Sehne. ausgelöste vermehrte Anspannung der ECRB-Sehne führt
17. Die komprimierende Einwirkung der ligamentär ausgebilde- infolge des geschilderten Koppelungsmechanismus zu einer
ten Arkade auf den tiefen Radialisast, die bereits bei passiver vermehrten Zugbeanspruchung der Supinatorarkade in passi-
Pronation nachweisbar ist, wird in dieser Position verstärkt, ver Pronationsstellung. Dies kann klinisch durch den D3-Test
sobald die Sehne des ECRB funktionell beansprucht wird. nachgewiesen werden.
362 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

Ellenbogengelenk gestreckt Ellenbogengelenk gebeugt:


≥ 90°
kp/cm² P S P S

11
10 - 32,7 % 10,1
- 17,5 % 9,7
9 (- 4 %)
8 8,0
7
6,88
6
5
4
3
2
⊡ Abb. 17.20 Verhalten der groben Kraft
bei Pronation (P) und Supination (S) (NPat=28; 1
1/2007–5/2009)

⊡ Tab. 17.9 Verhalten der Schmerzstärke beim D3-Test in passiver Pro- und Supination (NPat.=46; 8. 2004–12. 2007)

Pronation – EG gestreckt Supination – EG gestreckt Supination – EG gebeugt

N1 % N2 % N3 %

6x +++ 13,8 20 x --- 43,5 42 x --- 91,3

13 x ++ 27,6 12 x (+) 26,0 4x ((+)) 8,7

24 x + 51,7 14 x ((+)) 30,5

3x (+) 6,9

EG Ellenbogengelenk
Schmerzstärke: sehr stark = +++ (VAS: 7–10); stark = ++ (VAS: 5–6); mittelmäßig = + (VAS: 3–4); leicht = (+) (VAS: 2); minimal = ((+)) (VAS: 1); schmerzfrei = (-)
(VAS: 0)

17
18. Der D3-Test ist nach Denervation mit indirekter Dekompres-
sion des N. radialis negativ, da bei dieser Operation eine Ent- ⊡ Tab. 17.10 Tennisellenbogen bei proximalem Kompressionssyn-
drom des N. radialis (PRKS) Ergebnisse nach Dekompression
koppelung der gemeinsamen Ursprünge von Supinator und
(1969 bis 1988: Np = 13 – Nop = 13)
ECRB-Sehne durchgeführt werden muss, um die anteriolate-
rale Ursprungsportion des M. supinator für die Ausschaltung Präoperative Befunde Postoperative Ergebnisse
der wichtigsten schmerzleitenden Struktur, nämlich des rück-
läufigen Astes des R. muscularis supinatoris, freizulegen und Schmerzzonen n sehr gut unverändert
zu durchtrennen (⊡ Abb. 17.21).
Epikondylenregion 13 9 2 (+2)
19. Der D3-Test wird schließlich auch in passiver Supinationsstel-
lung des Unterarmes negativ, und zwar in 43,5% bei gleich- Neuralgie des N. 5 3 1 (+1)
zeitiger Streckung des Ellenbogengelenks und in 91,3% bei interosseus posterior
Beugung. Minimale Schmerzen verbleiben nur noch in 8,7%
(⊡ Tab. 17.9). Styloiditis radii 4 3 0 (+1)
20. Die Ursache dieses Phänomens liegt darin begründet, dass Sensibilitätsstörungen 19 16 2 (+1)
sich eine zusätzliche Kraftübertragung durch die ECRB-Sehne (R. superficialis Ni. radialis)
in Supinationsstellung des Unterarmes trotz des vorhandenen
Koppelungsmechanismus nicht auswirken kann, da in dieser Die Befunde in Klammern sind auf ein unabhängig bestehendes »Radialistun-
Position die Arkade vollständig entspannt ist (⊡ Abb. 17.18b). nel-Syndrom« von Roles und Maudsley zurückzuführen
17.2 · Spezielle Techniken
363 17

⊡ Tab. 17.11 Tennisellenbogen bei TOS (1982 bis 1987: Np = 92 – nachuntersucht – Nop = 100).

Präoperative Befunde n Postoperative Ergebnisse

sehr gut gut befriedigend unverändert

Tennisellenbogen 86 48 17 7 14

Radialistunnel, prox. Abschnitt 8 4 - 2 2

Radialistunnel, mittl. Abschnitt 34 14 4 8 8

Radialistunnel, distal. Abschnitt 29 21 1 3 4

Neuralgie des N. inteross. posterior 22 18 - 1 3

Styloiditis radii 18 11 1 3 3

Sensibilitätsstörungen 9 4 - 5 -
(R. superficialis ni. radialis)

Summe 206 (100%) 120 (58,3%) 23 (11,2%) 29 (14,0%) 34 (16,5%)

⊡ Tab. 17.12 Modifiziertes Bewertungsschema nach Roles und Maudsley

1 (sehr gut) Keine Schmerzen, freie Beweglichkeit, volle Aktivität und Wiederherstellung der groben Kraft

2 (gut) Gelegentlich Beschwerden, freie Beweglichkeit, volle Aktivität und Wiederherstellung der groben Kraft

3 (befriedigend) Schmerzen nach längerer Beanspruchung; leichter Druckschmerz im Bereich der Nervus radialis und/oder seines Ramus
profundus, Fernschmerz; subjektiv jedoch eindeutig besser als vor der Operation, grobe Kraft reduziert

4 (schlecht) Keine Besserung

⊡ Tab. 17.13 Denervationstechniken (Gruppe A, B und CI + II) – Nachuntersuchung

A. Denervation B. Denervation und direkte Dekompression C. Denervation und indirekte Dekompression


(1970–1990) des R. profundus ni. radialis (1980–1990) des R. profundus ni. radialis

CI (1991–1994) CII (1996–2009)

Patienten 39 81 46 31

Nachuntersucht 36 (92,3%) 69 (85,2%) 42 (91,3%) 28 (90,3%)

Operationen 39 87 46 31

Nachuntersucht 36 (92,3%) 75 (86,2%) 42 (91,3%) 28 (90,3%)

21. Von besonderer Bedeutung ist auch das Auftreten des TE im Bei dieser Bewertung wurden auch die Ergebnisse einer post-
Rahmen einer sog. Double Nerve Lesion. So konnten beim operativen Überprüfung der Chair-, D3- und PS-Tests sowie
PRKS nach Wilhelm (1999) durch operative Dekompression der groben Kraft, auch im Seitenvergleich, mitberücksichtigt
des N. radialis am Oberarm in 9 (69,0%) von 13 Fällen sehr (⊡ Tab. 17.15, ⊡ Tab. 17.16). Diese Ergebnisse konnten bereits in
gute und gute Ergebnisse erzielt werden (⊡ Tab. 17.10). Auch einer ersten Sammelstatistik bestätigt werden. Dabei fanden
durch operative Behandlung eines übergeordneten TOS sowie sich bei 356 (50,0%) von 711 Operationen sehr gute und gute
einer Sudeck-Dystrophie konnten in 65 (76%) von 86 Fällen Ergebnisse in Höhe von 90–92%. Bei 355 (50,0%) Eingriffen
(⊡ Tab. 17.11) bzw. in 7 (70%) von 10 Fällen derartige Besse- lagen die Ergebnisse zwischen 80–88% (Wilhelm 1999).
rungen der klassischen Symptomatik eines TE erzielt werden 23. Diese Ergebnisse konnten ohne Inzision, Exzision und Resek-
(⊡ Tab. 19.3; Wilhelm 2007). Für eine Double Nerve Lesion tion sowie ohne Z- und V-Y-Plastiken im Strecksehnenbereich
kommen schließlich auch noch die Foramina intervertebralia erreicht werden, und zwar allein durch Kombination der
C5–7 in Betracht. Denervation mit einer indirekten Dekompression des tiefen
22. Auch die sehr guten und guten Ergebnisse der seit 1991 Radialisastes, nach vorheriger Auflösung des genannten Kop-
durchgeführten Operationstechnik der Wahl in Höhe von pelungsmechanismus von M. supinator und ECRB.
fast 93% sprechen für die neurogene Pathogenese des TE Die bei diesem Operationsverfahren zur Denervation des
(Wilhelm 1999, 2000; ⊡ Tab. 17.12, ⊡ Tab. 17.13, ⊡ Tab. 17.14). rückläufigen Supinatorastes erforderliche Inzision der ante-
364 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Tab. 17.14 Postoperative Ergebnisse – Bewertung nach Roles und Maudsley (1972)

A B CI a CII b

(1970–1990) (1980–1990) (1991–1994) (1996–2009)

Sehr gut 29 (80,5%) 36 (48,0%) 33 (78,6%) 21 (75,0%)


(91,6%) (65,3%) (90,5%) (92,9%)
Gut 4 (11,1%) 13 (17,3%) 5 (11,9%) 5 (17,9%)

Befriedigend 2 (5,6%) 16 (21,3%) 3 (7,1%) 2 (7,1%)

Unverändert 1 (2,8%) 10 (13,4%) 1 (2,4%) 0 (0,0%)


a
Nachuntersuchung 9,7 3,6 4,9 3,5
(Jahre)

Arbeitsunfähigkeit 2,7 11,7 5,7 5,9


(Wochen)

a
Nachuntersuchung von Gruppe CI nach 7,3 (5,25–9) Jahren: sehr gut: 32 (78,6%), gut: 7 (11,9%) – (90,5%); befriedigend: 2 (7,1%), unverändert: 1 (2,4%)
b Nachuntersuchung
von Gruppe CII* nach 3,5 Jahren: sehr gut: 21 (75,0%), gut: 5 (17,9%) – (92,9%); befriedigend: 2 (7,2%), unverändert: 0 (0,0%)

⊡ Tab. 17.15 Ergebnisse der Denervation unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Funktionstests – Krankengut: 1991–1994

Bewertung n (42/46) Chair-Test D3-Test PS-Test

1 = sehr gut 32 (76,2%) 32-mal o. B. 32-mal o. B. 32-mal o. B.

2 = gut 7 (16,6%) 5-mal o. B. 5-mal o. B. 5-mal o. B.


2-mal ((+)) 2-mal ((+)) 2-mal ((+))

3 = befriedigend 2 (4,8%) 1-mal o. B. 1-mal (+) 1-mal o. B.


1-mal (+) 1-mal ((+)) 1-mal ((+))

4 = ohne Erfolg 1 (2,4%) 1-mal + 1-mal + 1-mal +

Geschlecht: 19 M : 23 F
Alter: 43,92 (22,58–62,14) Jahre
Lokalisation: dominante Seite (32-mal), Beihandseite (10-mal)
Nachuntersuchung: 7,3 (5,25–9,0) Jahre; Arbeitsunfähigkeit 5,7 (1,0–9,6) Wochen
Schmerzstärke: schmerzfrei = o. B., minimal = ((+)) (VAS: 1); leicht = (+) (VAS: 2); mittelmäßig = + (VAS: 3 – 4).

⊡ Tab. 17.16 Postoperative Beurteilung der groben Kraft bei den Bewertungsgruppen sehr gut und gut (n = 25 und 9) – Krankengut 1970–1990

Geschlecht n (25/39) Operationen n (9/39) Operationen


17 M/F Dominante Seite Beihandseite

M 13 P = 0,90 (0,76–1,23) 4 P = 0,78 (0,56–1,18)


S = 5,95 (-4,7–20,0) S = 3,60 (-3,4–8,9)

F 12 P = 0,72 (0,52–0,94) 5 P = 0,65 (0,56–0,90)


S = 15,95 (-3,7–28,5) S = 4,8 (-6,7–11,4)

P kp/cm²; S Seitendifferenz (%)


Bemerkung: Aus zeitlichen und Kostengründen konnten 5 (12,4%) von 39 Patienten nur telefonisch überprüft werden.

rioren und lateralen Ursprungsportionen des M. supinator in 24. Daraus kann geschlossen werden, dass es sich beim TE pa-
Höhe des distalen Randes desRadiuskopfes führt gleichzeitig thogenetisch ausschließlich um die Folgen einer Druckschä-
zu einer indirekten Dekompression des tiefen Radialisastes digung des N. radialis, seiner Ursprungsfaszikel und Äste
und zu wesentlich besseren postoperativen Ergebnissen. Diese handelt, wobei die schmerzauslösenden Neuroirritationen im
Beobachtung war schließlich auch Anlass, die zuvor geüb- Bereich einer oder mehrerer Lokalisationen erfolgen können.
te Denervationstechnik mit einer direkten Dekompression Das Supinatorschlitzsyndrom (TE) stellt damit nach dem Kar-
des Nervs wegen ihrer schlechteren Ergebnisse aufzugeben paltunnelsyndorm das zweithäufigste Nervenkompressions-
(⊡ Tab. 17.14, Gruppe B und C1/2). syndom an der oberen Extremität dar.
17.2 · Spezielle Techniken
365 17
25. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der tendi- Diagnostik
nogenen Pathogenese des Tennisellenbogens in der zurzeit Die Symptomatik eines TE kann entweder nach einem plötzlichen
immer noch diskutierten Form nicht mehr die Bedeutung Ereignis oder einer chronischen Überbeanspruchung der Pro- und
zugesprochen werden kann, wie bisher angenommen. Unter Supinatoren sowie der Radialextensoren, auch in Kombination mit
diesem Gesichtspunkt sollte man die ursächlich angeschul- Beuge- und Streckbewegungen im Ellenbogengelenk, auftreten.
digten degenerativen Prozesse im Bereich der Extensoren nur Dies ist vor allem bei großem Kraftaufwand und Widerstand der
noch unter dem Gesichtspunkt einer zufälligen Koinzidenz Fall, wie beispielsweise bei Bau-, Metall- und Waldarbeitern usw.
diskutieren, zumal der Häufigkeitsgipfel des TE etwa 10 Jahre Diese Symptomatik kann sich auch bei Berufen entwickeln, bei
vor dem der Sehnendegeneration gelegen ist (Goldie 1964). denen in überdurchschnittlich schneller Reihenfolge Fingerbewe-
26. Wenn man den verschiedenen Operationsabschnitten bei Ein- gungen in Pronationsstellung des Unterarmes ausgeführt werden
griffen am Strecksehnenapparat die Innervationsverhältnisse müssen, wie bei Musikern und Sekretärinnen. In diesem Zusam-
des gesamten Schmerzfeldes eines TE zugrunde legt, dann menhang sollte auch nach Schulter-, Arm- und Handbeschwerden
stellt sich heraus, dass die Erfolge dieser Eingriffe, was immer gefragt und die Sitzhaltung bei der Arbeit erkundet werden. Die
man auch tut, auf einer partiellen bis kompletten Denervati- Kenntnis von toxischen Einflüssen, von Stoffwechsel- und ent-
on und in den besten Fällen auch noch auf einer unbewusst zündlichen Erkrankungen sowie von Fokaltoxikosen, vor allem
durchgeführten Entspannung der Supinatorarkade beruhen. ausgehend vom Gebiss, den Tonsillen und Nasennebenhöhlen so-
Hierzu seien folgende Beispiele epikritisch beurteilt: wie von den Abdominalorganen, ist besonders wichtig, um durch
Die guten Ergebnisse der Hohmann-Operation können deren Vorbehandlung der Gefahr einer erhöhten Irritierbarkeit
nur dann erreicht werden, wenn man die Sehne des ECRB nervöser Strukturen, einer verstärkten Narbenbildung und einer
tief »einkerbt« und die Stümpfe »danach um 1 cm klaffen« Fokalarthritis vorzubeugen.
(Hohmann 1949). Betrachtet man die einzelnen Akte dieser Nach einer dringend indizierten Operation einer chronischen
Operation topografisch-anatomisch, dann zeigt sich, dass bei Tonsillitis kann man übrigens gar nicht so selten erleben, dass die
der Darstellung des Epikondylus und der Strecksehnenplatte Symptomatik eines TE in wenigen Tagen abklingt. Die näheren pa-
bereits unbewusst eine Durchtrennung der wichtigsten Endfa- thogenetischen Zusammenhänge dieses Phänomens konnten noch
sern eines Astes des N. cutaneus antebrachii posterior durch- nicht genau geklärt werden.
geführt wird; auch Endfasern von Muskelästen des ECRL Bei der Beurteilung eines TE sollte man eine übergeordnete
können dabei mitverletzt werden. Der wichtigste Akt besteht Irritation des N. radialis und seiner Bezüge im Bereich des Oberar-
aber in einer unbewusst durchgeführten zusätzlichen Durch- mes (PRKS), des Thoracic Outlet und der Foramina intervertebra-
trennung des Supinatorursprungs, wodurch erst die Stümpfe lia (C5–C7) nicht übersehen. Die bei dieser Untersuchung erhobe-
der ECRB-Sehne auseinanderweichen können. nen Befunde sollten ebenfalls dokumentiert werden. Dies gilt auch
für koinzidente Schmerzfelder an der Hand, verursacht durch eine
Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Operationstechniken Neuralgie des N. interosseus posterior, für Sensibilitätsstörungen
von Bosworth (1955), Goldie (1964), Boyd u. McLeod (1973), im Bereich des N. cutaneus antebrachii posterior und des R. super-
Nirschl u. Pettrone (1979), van der Beken u. Joveneau (1983) und ficialis ni. radialis mit zugehöriger sog. Styloiditis radii.
Rayan et al. (2001). Als nächstes wird das gesamte Schmerzfeld des TE durch eine
Das Verfahren nach Almquist et al. (1998) ist das einzige, palpatorische Untersuchung bestimmt, das nicht nur auf den Epi-
dessen Ergebnisse auf einer fast kompletten unbewusst durchge- kondylus beschränkt ist, sondern auch das Areal der Radialexten-
führten Denervation beruhen. Nicht durchtrennt wurde lediglich soren und den Verlauf des N. radialis in der Ellenbeuge sowie den
der R. collateralis lateralis ni. radialis, der hinter dem Septum gesamten Supinatorkanal umfassen kann; ferner das supraepikon-
intermusculare laterale brachii verläuft und nur das supraepikon- dyläre Schmerzfeld, das durch den R. collateralis lateralis ni. radia-
dyläre Schmerzfeld innerviert. Durch die bis auf die Gelenkkapsel lis und den N. cutaneus antebrachii posterior innerviert wird und
und das Seitenband reichende Resektion der gemeinsamen Streck- das bis zur Außenseite des Olecranons reichen kann (posteriores
sehnenursprünge wurde auch der wichtigste schmerzleitende Nerv, Schmerzfeld). Die Innervation dieses Areals erfolgt durch den
nämlich der rückläufige Ast des R. muscularis supinatoris durch- R. muscularis anconaei (⊡ Abb. 17.16).
trennt und die Supinatorarkade entspannt, d. h., der R. profundus Daran schließt sich die palpatorische Untersuchung des Ple-
ni. radialis dekomprimiert. Die Ausschaltung der Endfasern des xus brachialis, der Schmerzlokalisationen im Bereich des Schul-
von proximal einstrahlenden R. muscularis ni. anconaei erfolgte tergelenks und der verschiedenen Abschnitte des Radialiskanals
offenbar unbewusst durch die Deckung des Strecksehnendefektes mit Überprüfung von Sensibilitätsstörungen im Bereich des N. cu-
mit dem transferierten M. anconaeus. Der genannte Nerv ist üb- taneus brachii lateralis, des N. cutaneus antebrachii posterior und
rigens weder bildlich dargestellt, noch im Text erwähnt. Bezüglich des R. superficialis ni. radialis an. Eine Neuralgie des N. interosseus
der Innervation dieses Muskels finden sich lediglich Hinweise auf posterior (Wachsmuth u. Wilhelm 1967) wird durch den Handge-
einen Nervengefäßstrang, der von distal her in den Muskel ein- lenkbeugetest geprüft, der zu einer vermehrten Zugbeanspruchung
treten soll. Die guten Ergebnisse dieses Verfahrens liegen je nach des N. interosseus posterior führt und mit einer entsprechenden
Ausdehnung der Resektion und je nach Kombination mit einer Schmerzauslösung beantwortet wird. Der Test kann auch dann
Anconaeus-Plastik bei 62–87%. positiv sein, wenn Irritationen distal des Supinatorschlitzes oder
weiter proximal vorhanden sind.
> Die Aufklärung der Pathogenese des TE hat inzwischen dazu Die palpatorische Untersuchung des Supinatorschlitzes ist
geführt, dass bei Berufsgruppen, die sich arbeitsmäßig durch für die Diagnosestellung besonders wichtig, weil man dadurch
eine überdurchschnittliche Beanspruchung der Pro- und Schmerzausstrahlungen im Bereich des N. radialis nach proximal
Supinationsbewegungen gegen Widerstand auszeichnen, sei- und distal, vor allem aber in Richtung des Epikondylus auslösen
tens der Berufsgenossenschaften berechtigte Ansprüche auf kann, die von den Patienten oftmals selbst angegeben und auch
eine Berufserkrankung anerkannt werden. entsprechend demonstriert werden (⊡ Abb. 17.21a,b). Gerade dieser
366 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

RPNR
SA

ECRB

D3 – Test in
Pronation
a b

⊡ Abb. 17.21 D3-Test nach Roles und Maudsley.


a Der D3-Test wird in passiver Pronationsstellung RPNR
des Unterarmes durchgeführt: Beim D3-Test SA
kommt es reflektorisch zu einer erheblichen
Straffung der ECRB-Sehne, wodurch die normale
Zugbeanspruchung dieser Sehne durch den
M. supinator etwas reduziert wird. Die Straffung
der genannten Sehne ist jedoch so erheblich,
dass ihrerseits durch den Koppelungsmechanis- ECRB
mus sogar eine zusätzliche Zugbeanspruchung
der Supinatorarkade ausgelöst wird, die zu einer
prompten Schmerzreaktion führt. b In dieser
Position werden der tiefe Radialisast und die
17 kreuzenden Gefäße durch die Supinatorarkade
bereits komprimiert, während die Sehne des
ECRB durch den beschriebenen Koppelungs-
mechanismus einer erhöhten Zugspannung
ausgesetzt ist. c Passive Supinationsstellung. d In D3 – Test in
Supination erlischt wegen der Erschlaffung des Supination
M. supinator und seiner Arkade die Wirkung des
c d
oben beschriebenen Koppelungsmechanismus

Befund ist eine weitere Bestätigung der neurogenen Pathogenese Ein wichtiger Test ist auch der Pro- und Supinationstest gegen
des Tennisellenbogens. Widerstand nach Werner (1979), da er im Ergebnis dem D3-Test
Das Verhalten der groben Kraft und der D3-Test sollten nicht nur überlegen ist und außerdem die komprimierende Wirkung der
in passiver Pronationsstellung überprüft werden (⊡ Abb. 17.21a,b), Supinatorarkade auf den tiefen Radialisast demonstriert.
sondern auch in passiver Supination (⊡ Abb. 17.21c,d) bei gestreck- Differenzialdiagnostisch ist es wichtig, zunächst arthrogene
ten sowie bei gebeugtem Ellenbogengelenk (≥90 Grad). Die da- Erkrankungen und Unfallfolgen auszuschließen. Hierfür genügt
bei gewonnenen Kraft- und Schmerzwerte sollten nach der VAS eine Röntgenuntersuchung des Ellenbogengelenks in zwei Ebe-
punktemäßig bewertet und ebenfalls tabellarisch erfasst werden nen als Basisdiagnostik. Sollte sich diese als nicht ausreichend
(⊡ Abb. 17.20, ⊡ Tab. 17.9). erweisen, müsste die Indikation zu einer Arthroskopie gestellt
17.2 · Spezielle Techniken
367 17
werden. Bei Verdacht auf eine Ruptur im Bereich des Streckseh- Störstelle, sei es in Form eines neurologisch gesicherten PRKS,
nenursprungs genügt zunächst eine sonografische Abklärung. eines TOS oder einer Sudeck-Dystrophie. Bei Verdacht auf eine
Bei unklarem Befund empfiehlt sich eine MRT-Untersuchung, Foramenstenose ist ebenfalls eine neurologische Untersuchung
die auch bei Verdacht auf Bursitis und tiefer gelegene Tumorbil- dringend erforderlich, und zwar zum Ausschluss von radikulären
dungen, vor allem bei schmerzhaften AV-Fisteln, Osteofibromen Störungen. Die Indikation zur OP des Tennisellenbogens sollte in
und Glumustumoren indiziert ist. Radikuläre Störungen müs- diesem Fall auch mit dem Neurologen besprochen werden.
sen durch röntgenologische und neurologische Untersuchungen Bei einem eindeutig nachweisbarem PRKS mit Hypästhesien
abgeklärt werden. Differenzialdiagnostisch kommen vor allem im Bereich des N. cutaneus brachii posterior und des N. cutaneus
auch das TOS und das Anfangsstadium einer Sudeck-Dystrophie antebrachii posterior sollte man den TE ebenfalls nicht primär
in Frage, die man nur dann diagnostizieren bzw. ausschließen operieren, da nach Dekompression des N. radialis am Oberarm
kann, wenn man die gesamte obere Extremität systematisch un- in 9 (81,8%) von 11 Fällen die Symptomatik eines TE nicht mehr
tersucht und die einzelnen pathologischen Befunde dokumentiert nachweisbar ist (⊡ Tab. 17.10). Auch beim TOS sollte man den TE
(⊡ Abb. 19.5). nicht primär operieren, sondern erst den Erfolg einer konser-
Eine neurologische Untersuchung empfiehlt sich allein schon vativen bzw. operativen Behandlung dieses Syndroms abwarten.
aus juristischen Gründen und zur weiteren Absicherung der ge- Nach diesem Eingriff kann eine Heilung einer TE-Symptomatik
stellten Diagnose. Dabei sollte aber expressis verbis Wert auf eine in etwa 75,6% erwartet werden (⊡ Tab. 17.11). Die im Rahmen
Untersuchung nach Kupfer et al. (1998) gelegt werden, da bei der einer Sudeck-Dystrophie vorkommende TE darf auf keinen Fall
bisher üblichen Untersuchung in Mittelstellung des Unterarmes primär operiert werden, und zwar wegen der Gefahr einer Ver-
nur in 5–10% ein entsprechender pathologischer Befund gefunden schlechterung der dystrophischen Verhältnisse mit Anstieg der
werden konnte, was aus heutiger Sicht ebenfalls zur Verunsiche- VAS-Werte. Die Besserungsrate nach erfolgreicher konservati-
rung der Pathogenese des TE beigetragen hat. ver und operativer Behandlung beträgt nämlich in diesem Fall
etwa 70%.
Klassifikation
Aus therapeutischen Gründen sollte man den TE in eine akute, Therapie
eine konservativ therapieresistente und eine chronisch rezidivie- Am Anfang der konservativen Behandlung sollte in jedem Fall
rende Form einteilen. zunächst eine sofortige Ausschaltung oder Veränderung der ana-
mnestisch in Frage kommenden Ursachen in die Wege geleitet
Indikationen und Kontraindikationen werden, da diesem Leiden eine ausschließlich neurogene Genese
Es besteht weltweit Einverständnis darüber, dass der akute TE im Sinne einer Beschäftigungsneuralgie (Bernhardt 1896) zugrun-
zunächst konservativ behandelt wird. Dabei sollte berücksichtigt de liegt. Diese Ursachen können berufs-, aber auch freizeitbedingt
werden, dass die Symptome selbst bei einer schweren Erkrankung sein, wie z. B. das Tennisspielen.
durch alleinige Schonung und Verbot der auslösenden Ursache Bei akutem, sehr schmerzhaftem Krankheitsbeginn stehen
(Arbeitsunterbrechung, Tennisverbot usw.) sowie Verabreichung Schonung unter Vermeidung von Pronationsbewegungen und eine
von einfachen Schmerzmitteln innerhalb von 6 Monaten vollstän- analgetische sowie antiphlogistische Therapie im Vordergrund.
dig abklingen. Bewährt hat sich in diesen Fällen auch die Injektion eines Lang-
Bei Therapieresistenz trotz zusätzlicher Behandlungsmaßnah- zeitanästhetikums, etwa 1 Querfinger unterhalb des Radiuskopfes.
men sollte die Indikation zur Denervation mit indirekter Dekom- Dadurch wird der besonders wichtige rückläufige Supinatorast
pression des tiefen Radialisastes gestellt werden. Dies gilt ebenso ausgeschaltet. Durch Diffusion wird außerdem eine Blockade des
für chronisch rezidivierende Erkrankungen. Dabei kann bei Fehlen tiefen Radialisastes erreicht. Eine gleichzeitige Kombination mit
eines posterioren Schmerzfeldes auf eine zusätzliche Ausschaltung einem Kortikoid kann wegen der bekannten Nebenwirkungen,
der Endfasern des R. muscularis anconaei durch temporäres Ablö- die sich bis zu humeroradialen Kapseldefekten auswirken können,
sen der distalen Trizepsfasern und des Ursprungs des M. ancona- nicht mehr empfohlen werden.
eus verzichtet werden, soweit es sich bei den Patienten nicht um
> Die einzig mögliche spezifische konservative Behandlung des
Angehörige bestimmter Berufsgruppen handelt, die z. B. schwere
TE besteht in der Immobilisierung des betroffenen Armes in
Lasten bei gebeugtem Ellenbogengelenk tragen oder schwere Ar-
Supinationsstellung des Unterarmes, und zwar durch eine
beiten mit Überbelastung der Pro- und Supinatoren gegen Wider-
gut gepolsterte, abnehmbare Oberarmkunststoffschiene.
stand und unter Umständen auch noch unter Einbeziehung der
Trizepsmuskulatur verrichten müssen. Unter diesen Umständen Nur in dieser Position kann eine vollständige Entspannung des
kann es nämlich durch Irritationen der N. radialis am Oberarm via M. supinator einschließlich seiner Arkade erreicht werden und da-
R. muscularis anconaei zu Schmerzausstrahlungen in das posteri- mit eine völlige Druckentlastung des tiefen Radialisastes mit kon-
ore Schmerzfeld kommen. sekutiver Normalisierung der Durchblutung und des intraneuralen
Besonderes Augenmerk sollte man aber auch Sekretärinnen Flows. Schulter- und Fingergelenke können sofort bewegt werden,
und Musikern widmen, die bevorzugt in Pronationsstellung des zumal sich in der Supinationsstellung der genannte Koppelungs-
Unterarmes in schneller Reihenfolge ihre Finger einsetzen müssen, effekt in keiner Weise entfalten kann. Für die Nacht empfehlen
wie dies bei den Streichern im Fall des Bogenarms und bei Pianis- sich Valium und eine Erhöhung des Armes in Abduktionsstellung,
ten sogar beiderseits der Fall ist. In diesen und ähnlich gelagerten wobei Innenrotationen vermieden werden sollten. Über die Dauer
Fällen kann es bei Vorhandensein eines posterioren Schmerzfeldes der Ruhigstellung kann im Einzelfall nur anhand des Lokalbefun-
ebenfalls erforderlich sein, eine komplette Denervation durchzu- des und der Schmerzstärke entschieden werden. Bei Weichteil-
führen. schwellungen ist als erstes der Verband zu überprüfen und ggf. in
Kontraindikationen bestehen vor allem bei Verdacht auf ein fo- einer etwas lockeren Form wiederanzulegen. Die Aufhebung der
kaltoxisches Geschehen, das zunächst abgeklärt und entsprechend Immobilisierung sollte zunächst nur tagsüber unter Aufsicht einer
behandelt werden muss; ferner bei Vorliegen einer übergeordneten Krankengymnastin erfolgen.
368 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

Eine ruhigstellende Behandlung des Armes in Supinationsstel-


lung kann auch bei chronisch rezidivierenden Tennisellenbögen
versucht werden, allein schon deshalb, um den Patienten von dem
Behandlungseffekt zu überzeugen und ihm die Einwilligung in
eine Denervation mit indirekter Dekompression des tiefen Radia-
lisastes zu erleichtern.
In einer Übersichtsarbeit wurde nachgewiesen, dass die in der
Behandlungsphase Stufe 1 in Frage kommenden »Monotherapien
… allenfalls eine Evidenz zeigen für einen klinisch relevanten Ef-
fekt bis maximal zur 6. Woche nach Behandlungsbeginn« (Theis
et al. 2004). Danach seien nur noch Placeboeffekte vorhanden.
Dies betrifft insbesondere die Behandlung mit nichtsteroidalen
Antiphlogistika, Infiltrationsanästhesien und lokalen Kortikoste-
roidinjektionen in Kombination mit einem Lokalanästhetikum,
sondern auch die physikalische und Physiotherapie sowie die sog.
Epikondylitisspangen und Handgelenkschienen zur Entspannung ⊡ Abb. 17.22 Freilegung des R. profundus ni. radialis im Supinatorkanal nach
der Radialextensoren. Auch die Behandlung durch Ultraschall Guild u. Stookey. (Aus Wilhelm 1986, mit freundlicher Genehmigung von Thieme)
und Elektrostimulationen hat keine Vorteile ergeben (Rineer et al.
2009).
Die Meinungen über die Erfolge der extrakorporalen Stoß-
wellentherapie (ESWT) sind geteilt. So berichteten Rompe et al.
(1997) über eine Besserung der Schmerzen und Funktion nach
1 Jahr in Höhe von 48%, im Gegensatz zu 30% in der Kontroll-
gruppe. Demgegenüber kommen Buchbinder et al. (2005) nach M. supinator
Überprüfung von 9 Versuchsreihen mit über 1.000 Patienten zu caput superficiale
dem Schluss, dass die ESWT keinen bedeutenden Effekt besitzt.

Technik der kompletten Denervation mit indirekter


Dekompression des R. profundus ni. radialis nach
Wilhelm SA
Patientenaufklärung
▬ Erklärung des Operationsprinzips und Hinweis auf mögliche
kombinierte Eingriffe, wie Arthrotomien und/oder Nervenre-
visionen bei Rezidiveingriffen.
▬ Operationsdauer etwa 45–60 min, bei Rezidiveingriffen bis zu
1 h länger.
▬ Die zu erwartende Erfolgsquote beträgt über 90%.
⊡ Abb. 17.23 Zustand nach vollständiger Dekompression des tiefen Radiali-
▬ Übliche postoperative Komplikationen, wie Infektion, Nach- sastes. Die lateroposteriore Hälfte des Caput superficiale (unten) ist reseziert. Es
blutung, Weichteilschwellung usw. finden sich insgesamt 4 Kompressionsareale mit Unterbrechung des subepi-
▬ Restbeschwerden, insbesondere bei unabhängig fortbeste- neuralen Gefäßverlaufes, durch Pfeile markiert. Die schwerste Druckschädigung
henden Störzonen im Oberarm-, Schulter-, Hals- und HWS- erfolgte in diesem Fall in Höhe des Ausgangs des Supinatorkanals (unten
Bereich. rechts); auch hier ist das Epineurium zurückgeschoben (vgl. ⊡ Abb. 17.19).
17 ▬ Möglichkeit einer passageren Nervenschädigung bei Revisi-
onseingriffen.
▬ Unschöne Narbe. Anästhesie und Lagerung
▬ Einschränkung der Ellenbogenbeweglichkeit (selten). ▬ Intubationsnarkose.
▬ Sudeck-Dystrophie; im eigenen Krankengut nicht aufgetreten. ▬ Obere oder untere Plexusanästhesie und intravenöse Regional-
anästhesie.
> Da erfahrungsgemäß in etwa 1–3% der operierten TE in zwei-
▬ Rückenlage.
ter Sitzung noch eine vollständige Dekompression des tiefen
▬ Auswickeln des Oberarmes und Anlegen einer kontrollieren
Radialisastes erforderlich sein kann, empfiehlt es sich, den
Oberarmblutsperre, Manschettendruck 200–300 mmHg.
Patienten am Ende des Gespräches auch hierüber aufzuklären.
▬ Lagerung des leicht gebeugten Ellenbogengelenks auf einem
▬ Für den optimalen Zugang zwischen ECRB und EDC nach Tuchpolster.
Guild u. Stookey (1919; zit. n. Henry 1973) ist lediglich eine
Verlängerung der vorherigen TE-Inzision nötig (⊡ Abb. 17.22, Operationstechnik
⊡ Abb. 17.23). Auch in diesen Fällen sollte präoperativ erst z Hautschnitt
eine fachneurologische Untersuchung stattfinden. Nach Vorbereitung des Operationsgebietes werden zunächst die
Crista supraepicondylaris, die Epikondylenspitze und der Radi-
Instrumentarium uskopf als Orientierungspunkte für die Hautinzision bestimmt
▬ Handchirurgisches Instrumentarium. und angezeichnet. Freilegen der lateralen Epikondylenregion durch
▬ Feines elektrisches Messer. eine posteriore bogenförmige Umschneidung des Epikondylus
▬ Lupenbrille bei Revision des N. radialis. (⊡ Abb. 17.24). Der Schnitt beginnt 4–5 cm oberhalb des Epikondy-
17.2 · Spezielle Techniken
369 17

⊡ Abb. 17.24 Posteriore Umschneidung des


Epikondylus lateralis humeri; Verlängerung
der Inzision bei Revisionseingriffen rot ge-
strichelt. (Aus Wilhelm 2000, mit freundlicher
Genehmigung von Urban und Vogel)

lus direkt hinter der tastbaren Crista supraepicondylaris und endet


2–3 cm distal des Radiuskopfes. Eine Erweiterung des Zugangs
(gestrichelte Linie) ist nur bei Rezidiveingriffen zur Freilegung des
N. radialis und seiner Äste indiziert. Bei der Präparation der Sub- Septum im.
ECRL
kutis muss auf Äste des N. cutaneus antebrachii posterior geachtet
werden, von denen einer ausnahmsweise auch einmal hinter der
Crista verlaufen kann. Auf anteriore Schnittführungen sollte man ECRB
verzichten, um nicht Äste dieses Hautnervs zu gefährden. Epic. lat

z Darstellung des lateralen kollateralen Nervengefäßstranges


am Oberarm
Die epifasziale Präparation der Weichteile nach proximal erfolgt
bis oberhalb des ECRL-Ursprungs und nach distal bis 2–3 cm un-
terhalb des Caput radii.
> Beim Ablösen des anterioren Weichteilmantels werden be-
reits die dünnen Nervenendigungen des N. cutaneus ante- ⊡ Abb. 17.25 Zustand nach epifaszialem Ablösen des anterioren Weichteil-
brachii posterior epifaszial blind durchtrennt. mantels. Der N. cutaneus antebrachii posterior liegt im Unterhautfettgewebe
Die Längsinzision der Faszie erfolgt unmittelbar über der Crista und ist nicht zu sehen. Zustand nach Inzision der oberflächlichen Faszie
direkt unterhalb des Septum intermusculare laterale. Der laterale kollaterale
supraepicondylaris bis in Höhe der Epikondylenspitze, wodurch
Nervengefäßstrang liegt danach frei. Der Verlauf der dünnen Endfasern des
das laterale kollaterale Nervengefäßbündel, das unmittelbar hin-
kollateralen Nervenastes ist nur indirekt durch die umhüllenden Fettstruktu-
ter dem Septum intermusculare laterale verläuft, zur Darstellung ren zu erkennen (kleiner Pfeil). Die quere Durchtrennung des Nervengefäß-
kommt. Diese Strukturen werden dann in Höhe des proximalen bündels erfolgt hinter dem Septum in Höhe des Pfeiles (links oben) bis auf
Wundwinkels (linker Pfeil) mit dem Elektrokauter bis auf die Crista die Crista supraepicondylaris. Danach werden Septum und ECRL direkt am
in querer Richtung durchtrennt. Dadurch werden die supraepikon- Humerus bis in Höhe der Epikondylenspitze abgelöst, Verlängerung der Fas-
dylären Schmerzen bis in Höhe der kranialen Basis des Epikondy- zieninzision zur Trennung der beiden Radialextensoren rot gestrichelt
lus ausgeschaltet (⊡ Abb. 17.25).

z Anteriores Schmerzfeld: Ablösen des ECRL und Trennung Sicherheitshalber wird hierzu noch das in unmittelbarer Nähe
der Ursprungsportionen der beiden Radialextensoren der Gelenkkapsel gelegene Periost mit dem elektrischen Messer
Nach winkelförmiger Verlängerung der Faszieninzision zwischen inzidiert. In Pronation des Unterarmes wird dann die anterio-
den gut abgrenzbaren Radialextensoren erfolgt dann die Ablösung re und laterale Ursprungsportion des M. supinator dargestellt.
und Isolierung des ECRL mit dem elektrischen Messer unter Um- Hierzu müssen die beiden Radialextensoren noch 2–3 cm weiter
schneidung der anterioren Zirkumferenz des Epikondylus unter nach distal aufgetrennt werden, um Caput und Collum radii exakt
sorgfältiger Darstellung der vorderen humerolateralen Gelenk- überprüfen zu können. Nach vorheriger Inzision der oberfläch-
kapsel, zunächst bis in Höhe des Caput radii. Dadurch werden lichen Faszie kann die Auftrennung der Muskelfasern mit einem
die anterioren intra- und extramuskulär verlaufenden Radiali- gebogenen Klemmchen stumpf durchgeführt werden; dabei stößt
sendfasern, die zum Epikondylus ziehen und auch einen Teil der man in der Tiefe auf eine kräftige gemeinsame Ursprungsplatte
Ursprungssehne des ECRB versorgen, durchtrennt (⊡ Abb. 17.26). der Radialextensoren, die nach Längsinzision von proximal her
370 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.26 Zustand nach Ablösung des ECRL bis zur vorderen Gelenk-
kapsel und Trennung der beiden Radialextensoren. Zustand nach Durchtren-
nung des kollateralen Nervengefäßbündels durch Pfeil markiert. Im posterio-
ren Bereich ist der Zustand nach Ablösung der distalen Trizepsfasern und des
M. anconaeus dargestellt. (Aus Wilhelm 2000, mit freundlicher Genehmigung
von Urban und Vogel) ⊡ Abb. 17.28 Zusätzlicher Ursprung des M. supinator vom ECRB durch rot
punktierte Linie gekennzeichnet. Spätere Inzision des M. supinator über dem
distalen Rand des Radiuskopfes durch rote bogenförmige Linie hervorgeho-
ben. (Aus Wilhelm 2000, mit freundlicher Genehmigung von Urban und Vogel)

RPNR

RPNR
SH
EA

SA
SL

ECRL

NR
HE

SA ECRB
ECRB

⊡ Abb. 17.29 Unterfahren des zusätzlichen Supinatorursprungs von der In-


nenfläche des ECRB, Durchtrennungslinie durch Sternchen gekennzeichnet
17
⊡ Abb. 17.27 Zustand nach Trennung der beiden Radialextensoren mit
Darstellung der Arkade (SA), des R. profundes ni. radialis (RPNR) und des
kreuzenden Gefäßbündels, das nicht reseziert werden darf, um nicht das M. supinator. Hierzu muss erst der bisher kaum beachtete zusätz-
Nervengleitlager zu gefährden liche Ursprung des M. supinator von der Innenseite der ECRB-
Sehne abgelöst werden (⊡ Abb. 17.18a durch Sternchen und einen
blauen Gummizügel markiert). Danach wird diese Ursprungspor-
randständig reseziert wird, um einer überschießenden Narbenbil- tion von distal her entweder angeschlungen (⊡ Abb. 17.18a, b) oder
dung vorzubeugen. mit einem gebogenen Klemmchen unterfahren und dann scharf
durchtrennt (⊡ Abb. 17.29), wodurch gleichzeitig auch der geschil-
> Diese Präparation muss unbedingt in Pronationsstellung des
derte Koppelungsmechanismus aufgelöst wird. Erst dann können
Unterarmes erfolgen, um eine Läsion des tiefen Radialisastes
die anterioren und lateralen Ursprungsportionen des M. supinator
sicher vermeiden zu können.
übersichtlich dargestellt (⊡ Abb. 17.30, ⊡ Abb. 17.31) und über dem
Dieser Nerv verläuft nämlich in dieser Position etwa 4–6 cm distal distalen Rand des Radiuskopfes durchtrennt werden (⊡ Abb. 17.32,
des humeroradialen Gelenks (⊡ Abb. 17.26, ⊡ Abb. 17.27). ⊡ Abb. 17.33), um die schmerzleitenden rückläufigen Fasern des
R. muscularis supinatoris auszuschalten. Danach verbleibt im vor-
z Ausschaltung des rückläufigen R. muscularis supinatoris deren Wundbereich des oberflächlichen Supinatorkopfes eine Dia-
und Auflösung des Koppelungsmechanismus (⊡ Abb. 17.28): stase von 6–8 mm, die vollkommen ausreicht, um diesen Muskel-
Der wichtigste Akt der Denervation beginnt mit einer isolierten abschnitt und seine Arkade völlig zu entspannen und gleichzeitig
Darstellung der anterioren und lateralen Ursprungsportionen des den tiefen Radialisast vollständig zu entlasten.
17.2 · Spezielle Techniken
371 17

⊡ Abb. 17.30 Zustand nach Auflösung der Koppelung von M. supinator und
ECRB. Höhe der Inzision der anteriolateralen Ursprungsportion des M. supi-
nator durch rote Linie gekennzeichnet. Da alle operativen Schritte in dieser
Region in Pronationsstellung durchgeführt werden müssen, ist die Arkade ⊡ Abb. 17.32 Zustand nach Auflösung der Koppelung und Inzision der an-
angespannt und komprimiert den Nerven. Die kreuzenden Gefäße wurden teriolateralen Ursprungsportion des M. supinator. Die Arkade ist entspannt
aus didaktischen Gründen weggelassen. (Aus Wilhelm 2000, mit freundlicher und der tiefe Radialisast wird nicht mehr komprimiert. (Aus Wilhelm 2000,
Genehmigung von Urban und Vogel) mit freundlicher Genehmigung von Urban und Vogel)

RPNR

SA RPNR

ECRP

M.sup.
Epic. lat desinseriert

ECRB

⊡ Abb. 17.31 Zustand nach Auflösung der Koppelung, deren Basis mit einer
Pinzette gefasst ist

z Posteriores Schmerzfeld: Ausschltung der Endfasern des


R. muscularis anconaei
Danach wird die nervöse Versorgung des posterioren Schmerzfeldes
⊡ Abb. 17.33 Zustand nach Durchtrennung der anteriolateralen Ursprungs-
(⊡ Abb. 17.16) durch feine Fasern des R. muscularis anconaei ausge-
portion des M. supinator. Deutliche Diastase der Muskelstümpfe und Ent-
schaltet. Hierzu muss von der Epikondylenspitze aus zunächst die
spannung der Arkade
oberflächliche Faszie zwischen M. extensor carpi ulnaris und M. an-
conaeus nach distal verlängert werden. Danach werden die distalen
Trizepsfasern mit dem elektrischen Messer vom distalen Humerus
abgelöst, während der M. anconaeus im Ursprungsbereich scharf Danach erfolgt die Reinsertion der übrigen Muskulatur durch eine
durchtrennt und zurückgeklappt wird, und zwar unter sorgfältiger fortlaufende Naht der gegenüberliegenden Faszienränder, ebenfalls
Schonung der posterioren Gelenkkapsel (⊡ Abb. 17.26). mit resorbierbarem Faden der Stärke 4/0, jedoch mit Ausnahme
des M. supinator. Nach schichtweisem Wundverschluss wird ein
Drainage, Wundverschluss, Verband und Ruhigstellung Kompressionsverband angelegt, der von der Mittelhand bis zum
(⊡ Abb. 17.34) Oberarm reicht; die Ruhigstellung des Ellenbogengelenks erfolgt
Nach Öffnen der Blutleere, sorgfältiger Blutstillung und Einlegen in leichter Beugung (0–30–0) bei Mittelstellung des Unterarmes
einer Redon-Drainage in den vorderen Wundbereich wird zunächst und leichter Streckstellung des Handgelenks (0–20–0) mittels einer
der M. anconaeus mit einer resorbierbaren 8er-Naht reinseriert. dorsalen Oberarmkunststoffschiene.
372 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

Minineurome beobachtet worden sind, wohl aber nach unbewuss-


ter Verletzung des Nervenhauptstammes und seiner Äste (Dellon
2004).
Neuerdings wird die von uns seit 1991 empfohlene komplette
Denervation mit indirekter Dekompression des tiefen Radialisas-
tes in der Literatur nur noch auf zwei schmerzleitende Bahnen
beschränkt, nämlich auf den »N. cutaneus antebrachii posterior
und den R. muscularis anconaei« (Weigel u. Nehrlich 2005), die
jedoch mit der Hauptursache des Tennisellenbogens, d. h. mit der
Funktion der Supinatorarkade unter dem Einfluss von Überbean-
spruchungen, gar nichts zu tun haben, sondern lediglich für die
Versorgung des supraepikondylären und posterioren Schmerzfel-
des verantwortlich sind.
Inzwischen ist von mehreren Autoren die Denervation »nach
Wilhelm« sogar auf nur noch eine Nervendurchtrennung be-
schränkt worden, nämlich auf den R. collateralis lateralis ni. radia-
⊡ Abb. 17.34 Nach Einlegen einer Redon-Drainage in den anterioren Wund- lis. Dabei wurde jedoch völlig übersehen, dass diese Mononeuroto-
bereich werden alle abgelösten Muskelabschnitte durch eine fortlaufende mie bereits 1946 von Tavernier beschrieben worden ist und wegen
resorbierbare Fasziennaht der Stärke 3–4/0 wieder reinseriert, jedoch mit Aus- ihrer Erfolglosigkeit heute nur noch von historischem Interesse
nahme des M. supinator. (Aus Wilhelm 2000, mit freundlicher Genehmigung ist. Im Rahmen einer kompletten Denervation findet sie allerdings
von Urban und Vogel)
immer noch Anwendung, um das supraepikondyläre Schmerzfeld
ausschalten zu können.

Postoperative Behandlung > Es kann deshalb im Interesse der Patienten nur dringendst
darum gebeten werden, die seit 1991 bewährte und mehr-
▬ Hochlagerung des operierten Armes unter Vermeidung der
fach publizierte Technik der Denervation zu verwenden,
Innenrotation.
vorausgesetzt natürlich, dass man sich für diese Operations-
▬ Aktive Bewegungsübungen der Finger und des Schultergelenks.
methode entscheidet.
▬ Analgetische und antiphlogistische Therapie.
▬ Ziehen der Drainage nach 1–2 Tagen. Verschlimmert wird diese völlig unverständliche publizistische Si-
▬ Erster Verbandswechsel nach Abklingen der Ödemphase nach tuation auch noch dadurch, dass man es nicht einmal für nötig
frühestens 1 Woche. hält, den zu durchtrennenden Nerv überhaupt näher zu bezeich-
▬ Entfernung der Hautfäden nach 10 Tagen. nen, und sich lediglich mit dem Hinweis begnügt, dass »der
▬ Danach Beginn mit aktiven Bewegungsübungen im Ellenbo- schmerzleitende Nerv im intermuskulären Gefäßbündel läuft und
gengelenk. dort durchtrennt wird«.
▬ Von einem vorzeitigen Verbandswechsel wird dringend ab- Diese mangelhafte Information wurde jedoch von Eisenschenk
geraten, da sonst das Risiko einer postoperativen Weichteil- und Lautenbach (2003) durch ihre objektive und prägnante Dar-
schwellung bzw. Nachblutung mit erheblicher Verlängerung stellung der Denervation im selben Buchwerk vollständig kom-
des postoperativen Verlaufes in Kauf genommen werden muss. pensiert und aufgrund der eigenen Ergebnisse auch entsprechend
befürwortet.
Ergebnisse  Abschn. 17.2.2 Eine der größten Gefahren bei operativen Eingriffen in der la-
Fehler, Gefahren und Komplikationen teralen Ellenbogenregion besteht darin, dass bei anteriorer Schnitt-
führung der N. cutaneus antebrachii posterior und seine Hauptäste
> Bei Durchsicht der Literatur fällt auf, dass bereits 1982 den
17 Autoren der ersten Publikation der Denervation von Wilhelm
verletzt werden können. Eine Läsion des R. profundus ni. radialis
kann dagegen vermieden werden, wenn die Trennung der beiden
und Gieseler (1962) der Vorschlag einer Erweiterung der
Radialextensoren und die Inzision der anterioren und lateralen
Hohmann-Operation und einer zusätzlichen Durchtrennung
Ursprungsabschnitte des M. supinator in Pronationsstellung des
des N. cutaneus antebrachii posterior unterstellt worden ist
Unterarmes erfolgt.
(Demmer u. Rettig 1982). Dies erfolgte völlig zu Unrecht!
Eine mangelhafte Schmerzausschaltung ist nur dann möglich,
In der angesprochenen Publikation wurde lediglich ausgeführt, wenn die Denervation nicht lege artis durchgeführt und insbeson-
dass »durch epifasziales Abpräparieren des ventralen Hautsubku- dere eine Double Nerve Lesion sowie ein fokaltoxisches Geschehen
tislappens bereits der schmerzleitende Ast des N. cutaneus antebra- übersehen werden. Im letztgenannten Fall kann es postoperativ
chii posterior durchtrennt wird« (Wilhelm u. Gieseler (1962). Von zu einer Beeinträchtigung der Ellenbogengelenkbeweglichkeit und
einer Erweiterung der Hohmann-Operation ist ebenfalls nirgends u. U. sogar zu einer Einsteifung des Gelenks kommen.
die Rede. Auch in späteren Publikationen wurde immer wieder da- Bei Kapselverletzungen genügen wenige Einzelknopfnähte mit
rauf hingewiesen, dass die schmerzleitenden Fasern des genannten resorbierbarem Faden der Stärke 5/0.
Hautnervs, epifaszial blind bzw. unbewusst durchtrennt werden. Es
ist auch nie der Vorschlag gemacht worden, dass erst der genannte > Im Gegensatz zur Denervation mit direkter Dekompression
Hautnerv freipräpariert und dann unterbrochen werden sollte, des tiefen Radialisastes lassen sich narbige Veränderungen
wie dies Weigel und Nerlich (2005) behauptet haben. Ergänzend des Nervengleitlagers nur durch eine indirekte Dekompres-
sei hierzu noch bemerkt, dass nach epifaszialer blinder Durch- sion des N. radialis verhindern, wie dies die höchst unter-
trennung der Nervenendfasern, welche den Epikondylus und die schiedlichen Ergebnisse der beiden Operationsmethoden
Ursprungsportion des ECRB innervieren, noch nie schmerzhafte zeigen (⊡ Tab. 17.14).
17.2 · Spezielle Techniken
373 17
Postoperativ fortbestehende Beschwerden können auch durch wei- den. Danach kommen für die nervöse Versorgung des anterioren
ter proximal gelegene Irritationen des N. radialis und seiner Be- Schmerzfeldes vor allem die in ⊡ Abb. 17.35 (rechts), dargestellten
züge bedingt sein. Nach Feststellung ihrer Lokalisationen erfolgt Endfasern des N. medianus in Betracht. Diese leiten sich von
zunächst eine konservative Behandlung. rückläufigen Muskelästen ab, welche die beiden Ursprungsporti-
Gelegentlich verstärkt auftretende Schmerzen im Bereich des onen des M. pronator teres sowie den M. flexor digitorum com-
Schultergürtels werden ebenfalls konservativ behandelt. Dabei munis versorgen. Die schmerzleitenden Fasern lassen sich bis zur
sollte u. a. auf eine optimale Lagerung des betroffenen Armes Epikondylenspitze und zum medialen Bandapparat verfolgen. Die
in Abduktion unter Vermeidung der Innenrotation geachtet kraniale Zirkumferenz des medialen Epikondylus wird von einem
werden. kurzen Zweig, der gemeinsam aus dem N. medianus und dem
Weichteilschwellungen und Nachblutungen kommen nach zu N. musculocutaneus entspringt, innerviert. Dieser Zweig versorgt
früher Entfernung der Redon-Drainage und Wechsel des Verban- das Periost unterhalb der distalen, vom Septum intermusculare
des vor. Diese Komplikationen lassen sich nur dadurch vermeiden, mediale entspringenden Fasern des M. brachialis. Die Spitze des
dass man die Drainage erst nach Versiegen der Wundsekretion medialen Epikondylus wird auf der vorderen Seite zusätzlich
zieht und den Verband erst nach Ende der Ödemphase wechselt. auch noch durch ein Ästchen eines Hautnervs versorgt, dessen
Bei Infektionen sind Wundabstriche, Wundrevisionen in Ober- makroskopisch nachweisbares Innervationsareal in ⊡ Abb. 17.35
armblutsperre ohne Auswickeln des Armes, Drainage, ein lockerer (rechts) durch ein schraffiertes Areal hervorgehoben ist. Es han-
Wundverschluss durch vorgelegte Nähte, Ruhigstellung und eine delt sich dabei um ein 3 cm langes, dünnes Ästchen, das oberhalb
entsprechende antibiotische Behandlung erforderlich. Zur Behand- des Epikondylus vom R. posterior ni. cutanei antebrachii me-
lung einer postoperativ wohl nur sehr selten auftretenden Sudeck- dialis entspringt und sich dann dichotomisch teilt. Das stärkere
Dystrophie sei auf  Kap. 18, 19 und 20 verwiesen. Ästchen zieht dann subkutan in Richtung zur Epikondylenspitze
und innerviert unter büschelförmiger Aufteilung den anterioren
proximalen Bereich der Epikondylenspitze. Kurz darauf zweigt
17.2.3 Die operative Behandlung des sich eine stärkere Nervenfaser ab, die in Begleitung eines kleinen
therapieresistenten Golferellenbogens Astes der A. collateralis medialis distalis schließlich oberhalb des
durch Denervation nach Wilhelm Epikondylus endet (⊡ Abb. 17.36).
Das posteriore Schmerzfeld des GE wird ausschließlich von
Anfang 1962 wurden Recherchen in der Literatur durchgeführt, Gelenk- und Periostästen des N. ulnaris versorgt (⊡ Abb. 17.35,
soweit diese zum damaligen Zeitpunkt erreichbar war. Dabei stellte links). Nach Rüdinger kommen hierfür drei Äste in Frage. Der
sich heraus, dass bis dahin anscheinend noch kein relevantes Ope- obere Gelenknerv ist von unterschiedlicher Stärke und entspringt
rationsverfahren für die Behandlung der therapieresistenten »Epi- bereits mehrere Zentimeter oberhalb des Epikondylus vom Haupt-
condylitis humeri medialis« publiziert worden war. Zwar erwähnt stamm und gelangt dann auf der anteriomedialen Fläche des Caput
Hohmann 1949 diese Lokalisation im Zusammenhang mit dem mediale mi. tricipitis. Hier kann er bereits einen feinen Faden ab-
Tennisellenbogen, vor allem in diagnostischer Hinsicht, beschreibt geben, der die humerale Kapsel über der Fossa olecrani innerviert.
jedoch kein relevantes Operationsverfahren für die Behandlung Danach verläuft der erste Gelenkast etwas vor der Sehne des M.
des Golferellenbogens. Auch in Band 10, Teil 1 der »Allgemeinen triceps und verzweigt sich dann im proximalen Kapselabschnitt,
und Speziellen Chirurgischen Operationslehre« fehlt eine entspre- medial vom Olecranon. ⊡ Abb. 17.35 zeigt als Variation eine Ver-
chende Darstellung (Wachsmuth 1956). bindung zwischen 1. und 2. Gelenknerv, die dann gemeinsam
Diese Tatsache überrascht zunächst, wird jedoch sofort ver- den eben beschriebenen Kapselbereich innervieren. Der mittlere
ständlich, wenn man die sehr geringe Häufigkeit des Golferellen- Gelenknerv ist gewöhnlich etwas stärker als der vorherige und
bogens berücksichtigt. Es war deshalb naheliegend, in Anbetracht versorgt zusammen mit dem Hauptast des oberen Gelenknervs den
der inzwischen erzielten, erfolgversprechenden Operationsergeb- distalen humeroulnaren Kapselabschnitt. Zwischen diesen beiden
nisse des Tennisellenbogens das Prinzip der Denervation auch für ersten Gelenkästen kann noch eine feine Faser direkt aus dem
die Behandlung des therapieresistenten Golferellenbogens (GE) N. ulnaris entspringen, welche die Kapsel im unmittelbaren pos-
einzusetzen (Wilhelm u. Gieseler 1963). terioren Bereich des Epikondylenmassivs innerviert. Der untere
Gelenkast entspringt entweder ebenfalls direkt aus dem N. ulnaris
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie oder aber aus dem proximalen Ulnarisast, der den humeralen Kopf
Der Golferellenbogen (GE), auch Werferellenbogen genannt, ver- des M. flexor carpi ulnaris (FCU) innerviert und mit seinen rück-
ursacht im Gegensatz zum Tennisellenbogen (TE) nur eine geringe läufigen Fasern auch das Lig. collaterale mediale und den distalen
funktionelle Beeinträchtigung der Hand und zeichnet sich außer- medialen Kapselabschnitt erreicht.
dem durch ein relativ kleines Schmerzfeld aus. Dieses beschränkt Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es auch auf
sich häufig nur auf die Spitze und die gesamte Zirkumferenz des der Medialseite einen R. collateralis ni. radialis gibt, der bereits
medialen Epikondylus. In schweren Fällen können aber auch in der Axilla vom Hauptstamm entspringt, und bald danach in
Schmerzareale in der Gegend des medialen Kollateralbandes und enge Beziehung zum N. ulnaris tritt, mit dem er dann das Septum
der humeralen Ursprungsregion der Unterarmbeuger, vor allem intermusculare mediale in posteriorer Richtung durchbricht und,
des M. pronator teres, nachgewiesen werden. Im Gegensatz zum auf der freien Oberfläche des Caput mediale mi. tricipitis nach
TE, dessen Schmerzfeld ausschließlich durch Fasern des N. ra- distal verlaufend, schließlich als Gelenkast im Bereich der Fossa
dialis versorgt wird, erfolgt die Innervation des entsprechenden olecrani endet. Dieser Ast kommt aber für die Schmerzleitung
Areals des GE durch Äste, die sich von zwei Hauptnervenstäm- beim GE nicht in Betracht. Dies gilt auch für einen posterioren
men ableiten, nämlich vom N. medianus (C7–Th1) und N. ulnaris Zweig des R. posterior ni. cutanei antebrachii medialis, der den
(C6–Th1). medialen Rand des Olecranons und den unmittelbar anschließen-
Die Innervation der medialen Epikondylenregion ist bereits den Kapselbereich innerviert. Beide Nervenäste wurden deshalb in
1958, 1963 und 1972 ausführlich von Wilhelm beschrieben wor- ⊡ Abb. 17.35 (links) nicht berücksichtigt.
374 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.35 Die Innervation der medialen Epikondylen-


region von posterior (links) und anterior (rechts). N. ulnaris
abgezogen. (Aus Wilhelm 1972)

Ätiologie
Anamnestisch werden von den Patienten als exogene Ursachen des
GE berufs- und freizeitbedingte Tätigkeiten angegeben, die zu einer
Überbeanspruchung der Oberarm- und humeroulnaren Muskula-
tur führen. Im Berufsleben kann dies entweder durch ein akutes
Ereignis geschehen, wie z. B. durch ein plötzliches Steckenbleiben
eines Pressluftbohrers (sog. Rückschlagverletzung) oder aber in
Form einer chronischen Belastung durch bestimmte Arbeitsab-
läufe, welche mit einer ständigen Beuge- und Streckbewegung des
Ellenbogengelenks verbunden sind, vor allem in Kombination mit
gleichzeitig durchgeführten Pronationsbewegungen. Als typisches
Beispiel sei hierfür die stundenlange Bedienung des Hebels einer
Bohr- oder Stanzmaschine genannt. Als Folge dieser Belastungen
können Druckschäden des N. ulnaris im Bereich seines Sulcus und
des N. medianus in Höhe der Trochlea humeri auftreten, die unter
17 ⊡ Abb. 17.36 Präparatorische Darstellung der Innervation des medialen Epi-
Umständen auch zu entsprechenden Schmerzausstrahlungen in die
mediale Epikondylenregion führen.
kondylus (2) durch einen Ast des R. posterior ni. cutanei antebrachii medialis.
3 N. ulnaris; 4 M. epitrochleoancnaeus; 5 Arcus tendineus mi. flexoris carpi Bei Irritation des N. ulnaris werden von den Patienten mitunter
ulnaris (Aus Wilhelm u. Gieseler, 1963) auch Schmerzausstrahlungen in die beiden äußeren Finger ange-
geben, verbunden mit dem Gefühl des Einschlafens und einer ge-
wissen Minderung der groben Kraft sowie der Feinmotorik. Diese
Symptome finden sich aber auch bei einem beginnenden proxima-
Epidemiologie len Ulnariskompressionssyndrom (PUKS), was nicht verwundert,
Der Golferellenbogen (GE) ist relativ selten. Nach Nigst (1993) da diesem und dem GE die gleichen Kompressionsmechanismen
beträgt seine Häufigkeit nur 5–10% gegenüber 90–95% beim Ten- zugrunde liegen.
nisellenbogen. Das Durchschnittsalter liegt bei 43 (21–65) Jahren Dies gilt auch für den N. medianus. In diesem Fall klagen die
(Vangsness u. Jobe 1991). Eine operative Therapie hielten diese Patienten nicht nur über Schmerzen in der Ellenbeuge und in der
Autoren in 38 (11,4%) von 334 Patienten, die in der Zeit von 1974– Epikondylenregion, sondern auch über Beschwerden im Sinne ei-
1984 behandelt wurden, für erforderlich. Unter den 35 Nachunter- nes beginnenden Pronatorsyndroms. Außerdem geben die Patien-
suchten waren 32 Männer und 3 Frauen. Bei 33 von 35 Patienten ten eine Verstärkung der Schmerzen in der Ellenbeuge beim kräfti-
betraf die Erkrankung den dominanten Arm. Die Seitenverteilung gen Zupacken an. Das Taubheitsgefühl wird dabei als minimal, die
betrug 28:7 zugunsten der rechten Seite. Je nach Umfang des Kran- Kraftminderung dagegen als etwas stärker angegeben.
kengutes liegt die Häufigkeit des GE pro Jahr nach Vangsness und Als endogene Voraussetzung für den GE werden immer noch
Jobe (1991) bei 3,5, nach Schwarz et al. (1985) bei 1,4% und im Insertionstendopathien und degenerative Sehnenprozesse verant-
eigenen Krankengut bei 1,1%. wortlich gemacht. Demgegenüber sprechen anatomische, klinische
17.2 · Spezielle Techniken
375 17
und intraoperative Beobachtungen sowie letzten Endes auch die tienten Schmerzen an der Innenseite des Ellenbogengelenks
überzeugenden postoperativen Ergebnisse dafür, dass es sich bei angegeben, die bei Beugung des Ellenbogengelenks, vor allem
den endogenen Voraussetzungen um funktionell bedingte Druck- gegen Widerstand, wie z. B. beim Tragen von Taschen o. Ä.
schäden unterschiedlichen Ausmaßes des N. medianus und des auftreten oder sich verstärken. Auch bei maximaler Stre-
N. ulnaris handelt. ckung des Ellenbogengelenks, wie z. B. beim Golfspielen oder
Auf sportlichem Gebiet kommen als exogene Ursachen vor beim Tragen und Hochheben von schweren Lasten, werden
allem Golfspielen sowie Speer- und Diskuswerfen in Frage; fer- ebenfalls Schmerzen angegeben. Diese Schmerzausstrahlun-
ner Base- und Racket-Ball sowie Bowling, Gewichtheben und gen werden von einigen Patienten sogar selbst demonstriert
Ski-Langlauf in Frage. Besonderes Interesse in pathogenetischer (⊡ Abb. 17.49). Außerdem werden mitunter auch leichte
Hinsicht verdient dabei das Gewichtheben. Bei dieser Sportart Schmerzausstrahlungen nach proximal und distal angegeben
beobachtete Neugebauer (1974, zit. nach Machacek 1976) nämlich sowie eine leichte Störung der Sensibilität, eine gewisse Beein-
vor allem mediale »Epikondylitiden«, und zwar bei 24 Stemmern trächtigung der groben Kraft und der Feinmotorik.
insgesamt 19-mal. 2. Die maximale Ausdehnung des Schmerzfeldes umfasst nicht
Bekanntlich sehen die Befürworter der tendinogenen Pathoge- nur die entsprechende Epikondylenregion, sondern auch den
nese einen ursächlichen Zusammenhang der bei einem Golferel- Ursprungsbereich der humeroulnaren Muskulatur, und zwar
lenbogen vorhandenen Schmerzen mit einer Insertionstendopathie des M. pronator teres, des M. flexor digitorum superficialis
bzw. einem degenerativen Prozess der vom Epicondylus medialis und des Caput humerale des FCU, einschließlich des medialen
entspringenden Muskeln, und zwar als Folge einer funktionellen Seitenbandes.
Überbeanspruchung derselben. Die daraus zu ziehenden Schluss- 3. Das anteriore Schmerzfeld wird neben einem Periostzweig des
folgerungen, den Schmerz durch eine Zugentlastung in Form ei- R. posterior ni. cutanei antebrachii medialis vor allem durch
ner Sehneneinkerbung bzw. Ablösung der Ursprungsfasern zu Endfasern der für die humeralen Ursprünge des M. pronator
beseitigen, ist auf den ersten Blick durchaus einleuchtend. Es war teres und des M. flexor digitorum superficialis bestimmten
deshalb naheliegend, die operative Behandlung des resistenten GE Muskeläste des N. medianus innerviert (⊡ Abb. 17.35, rechts).
ebenfalls nach dem Hohmann-Prinzip durchzuführend. So berich- Diese Strukturen können durch eine entsprechende Nerven-
tete u. a. Machacek (1976) über vier erstmals erfolgreich operierte blockade bestätigt und dadurch gleichzeitig auch das zugehö-
Patienten, bei denen zur Zugentlastung »die Muskelursprünge am rige Schmerzfeld bestimmt werden.
Epikondylus medialis bis auf den Knochen abgelöst wurden«. Um 4. Als Ursache der anterioren Schmerzausstrahlung sind bereits
welche Muskeln es sich dabei im Einzelnen gehandelt hat, wurde 1963 »neuroirritative Impulse« diskutiert worden, die durch
allerdings nicht erwähnt. den N. medianus vermittelt werden, deren Ursachen aber zu-
Über ein ähnliches Operationsverfahren haben auch Vangs- nächst noch im Unklaren geblieben sind.
ness und Jobe (1991) berichtet, bei dem nach Darstellung des Systematische klinische und intraoperative Untersuchungen
Epikondylus der gemeinsame Ursprung der Unterarmmuskeln ein- des N. medianus und seiner proximalen motorischen Äste
schließlich des humeralen Kopfes des FCU in querer Richtung haben jedoch ergeben, dass es durchaus eine bevorzugte Lo-
durchtrennt, unter Schonung des medialen Seitenbandes abgelöst kalisation für die ursächlich in Frage kommenden Irritationen
und schließlich wieder zurückgeschlagen wird. Nach mehrfachem dieses Nervs gibt, und zwar im proximalen Bereich der El-
Anbohren des Epikondylus werden die abgelösten Unterarmbeuger lenbeuge. Dies bestätigte sich bei 7 der 12 operierten GE der
mit mehreren Nähten in »Ruhelänge« wieder reinseriert, um die vorliegenden Serie und spricht dafür, dass es auch beim GE
normale Spannung dieser Muskeln wiederherzustellen. Trotz die- Schmerzausstrahlungen gibt, die durch eine weiter proximal
ser an sich widersprüchlichen Reinsertion wird von den Autoren in gelegene Nervenirritation verursacht werden. Bei den übrigen
24 (69%) von 34 Fällen über sehr gute und in 10 (19%) über gute 5 Patienten konnte die Ursache letztlich nur in dem eben ge-
Ergebnisse berichtet. Diese sind überraschend, unter pathogenen nannten Bereich vermutet werden.
Gesichtspunkten aber nicht nachvollziehbar, da am Ende des Ein- 5. Verantwortlich für die anteriore Schmerzausstrahlung ist vor
griffs die ursprüngliche Zugbelastung am medialen Epikondylus allem eine Druckschädigung leichteren Grades (Irritation!)
ja wiederhergestellt worden ist. Deshalb stellt sich auch hier die des N. medianus und seiner motorischen Äste im Bereich der
Frage, wodurch letzten Endes in 88% des operativen Krankengutes Trochlea humeri, und zwar verursacht durch direkten Druck
Schmerzfreiheit erreicht werden konnte. Eine kurzfristige Aus- des Lacertus fibrosus bei 5 von 12 Patienten (⊡ Abb. 17.49,
schaltung der Zugbelastung des Epikondylus kommt in diesem Fall ⊡ Abb. 17.50, ⊡ Abb. 17.51).
für den Operationserfolg wohl kaum in Betracht. Berücksichtigt In diesen Fällen findet sich nach Resektion des Lacertus fibro-
man aber die Ausdehnung des entsprechenden Schmerzareals und sus bei Streckstellung des Ellenbogengelenks ein vorgewölbter
dessen nervöse Versorgung durch Endfasern des N. medianus und und verbreiterter N. medianus mit nebeneinander liegenden
N. ulnaris, dann bleibt, wie auch bereits am Beispiel des TE darge- Faszikeln und fehlender subepineuraler Durchblutung in
stellt, nur eine Erklärung, nämlich in Form einer unbewusst durch- Höhe der Trochlea humeri, woraus auch auf eine Störung des
geführten Denervation. Dabei werden beim Ablösen des anterio- intraneuralen Flows geschlossen werden kann.
ren Weichteillappens nicht nur die aus der Subkutis einstrahlenden In den beiden übrigen Fällen, die klinisch zunächst ebenfalls
Nervenfasern zum epikondylären und supraepikondylären Bereich als Kompressionssyndrom des Lacertus fibrosus imponierten,
unbewusst durchtrennt, sondern auch die schmerzleitenden End- fand sich als Hauptursache der Druckschädigung eine mehre-
fasern der Rr. musculares ni. mediani, die für die Versorgung der re Zentimeter breite, tief liegende und straffe Faszienbrücke,
humeroulnaren Muskeln zuständig sind. welche den M. pronator teres mit dem M. brachialis verbindet
Für die Bedeutung der ausschließlich neurogenen Genese des und dabei den N. medianus auch noch in seiner seitlichen Be-
GE sprechen folgende Tatsachen und Schlussfolgerungen: weglichkeit behindert (⊡ Abb. 17.52, ⊡ Abb. 17.53, ⊡ Abb. 17.54).
1. Anamnestische Angaben zu den exogenen Ursachen des GE Nach Resektion dieser Faszie findet sich ebenfalls eine schwe-
(s. oben): Als herausragendes Symptom werden von den Pa- re Durchblutungsstörung sowie eine leichte Verbreiterung
376 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

des Nervenquerschnitts und in je einem Fall sogar noch eine mochlion im distalen Bereich der Epikondylenzirkumferenz
umschriebene Ablösung des Epineurium, sowie eine stärkere findet, die an dieser Stelle in einem mehr oder weniger stump-
Dellenbildung. In Streckstellung des Ellenbogengelenks sind fen Winkel in die Trochlea übergeht (Güney et al. 1977).
die Folgen dieser komprimierenden Faszienplatte besonders 10. Die Dysplasie des medialen Epikondylus stellt neben der Quali-
gut zu erkennen (⊡ Abb. 17.52, ⊡ Abb. 17.53, ⊡ Abb. 17.54). tät der Überdachung des Sulcus ni. ulnaris die Hauptursache des
6. Da der Lacertus fibrosus in die Fascia antebrachii einstrahlt, GE in endogener Hinsicht dar. Ob es dabei zur Subluxation oder
entsteht dadurch bei Anspannung des M. biceps funktionell Luxation des N. ulnaris kommt, hängt in erster Linie von dem
ein gewisser Zuggurtungseffekt, wodurch ein kontrahierter Vorhandensein einer stabilen Überdachung des Sulcus ni. ul-
M. pronator teres noch stärker gegen die Trochlea humeri und naris ab. Diese erfolgt entweder durch den von Gruber (1866)
den darüber hinweg ziehenden M. brachialis gepresst wird. erstmals beschriebenen atavistischen M. epitrochleoanconaeus,
Dies hat zur Folge, dass auch der N. medianus und seine mo- der den Sulcus in querer Richtung überbrückt und von einem
torischen Äste dadurch noch zusätzlich unter Druck geraten Ast des N. ulnaris innerviert wird, oder durch sein ligamentäres
können, was bei zwei Patienten der Fall war. Diese Beobach- Rudiment, nämlich durch das Lig. epitrochleoanconaeum. Der
tung spricht dafür, den Lacertus fibrosus bei der Dekompressi- rudimentäre Charakter dieses Bandes ist nicht zuletzt auch da-
on des N. medianus stets zu resezieren. durch bewiesen, dass es quer angeordnete Muskelfasern enthal-
Eine Nervenirritation durch einen Proc. supracondylaris oder ten kann, welche dem Faserverlauf des M. epitrochleoanconaeus
durch ein Struther-Ligament konnte in der vorliegenden Serie entsprechen. Nach anatomischen Untersuchungen kommt dieser
nicht beobachtet werden. Muskel in 17,9–28,7% vor, nach klinischen Untersuchungen in
7. Das posteriore Schmerzfeld, das auch den Ursprung des Caput 9–17,3% (⊡ Tab. 17.17). Intraoperativ konnte der Muskel in 9,0 –
humerale mi. flexoris carpi ulnaris und des medialen Seiten- 17,3% beobachtet werden (⊡ Tab. 17.18).
bandapparates mit einschließt, wird im Gegensatz zum anteri- Der M. epitrochleoanconaeus und sein ligamentäres Rudiment
oren Bereich ausschließlich von Fasern der drei Gelenkäste des entspringen vom medialen Epikondylenmassiv und setzen an
N. ulnaris versorgt (⊡ Abb. 17.35, links) und kann durch Blockade der gegenüber liegenden Zirkumferenz des Olekranons zwi-
dieses Nervs etwa 2 cm proximal der Epikondylenspitze eben- schen Gelenkkapsel und den auslaufenden Sehnenfasern des
falls ausgeschaltet und auf diese Weise auch bestätigt werden. Caput mediale mi. tricipitis an (⊡ Abb. 17.37).
Bei Bedarf kann von hier aus auch der subkutan verlaufende In Streckstellung des Gelenks nehmen M. epitrochleoancona-
posteriore Ast des N. cutaneus antebrachii medialis blockiert eus und das Ligament eine annähernd rautenförmige Gestalt
werden. an, während es bei zunehmender Beugung infolge Änderung
Derartige routinemäßige Blockaden sind im Gegensatz zur der Entfernung und Verlagerung der Ursprungs- und Ansatz-
Denervation des Handgelenks weder beim GE, noch beim TE punkte zu einer trapezförmigen Ausgestaltung der genannten
erforderlich. Strukturen kommt. Wie aus ⊡ Abb. 17.38 hervorgeht, wird da-
8. Lokal findet sich neben Druckschmerzen, die in einigen Fällen durch gleichzeitig eine erhebliche Verlängerung dieser Struk-
auch auf die Spitze des Epikondylus beschränkt sein können, ein turen bis zu einem Drittel erreicht, die zu einer sehr starken
druckschmerzhafter N. ulnaris, von dem bei zunehmender pas- Anspannung des proximalen Muskel- bzw. Ligamentrandes
siver Beugung des Ellenbogengelenks Schmerzen in Richtung
Epikondylus, mitunter auch bis in den Kleinfinger ausstrahlen.
In diesem Bereich kann auch eine leichte Hypästhesie registriert
werden. Es sind dies Symptome, wie sie durch den Beugetest ⊡ Tab. 17.17 M. epitrochleoanconaeus: Anatomische Untersuchungen
des Ellenbogengelenks auch beim proximalen Ulnariskompres- Autoren Präparate Fälle %
sionssyndrom (PUKS) stets nachgewiesen werden können.
9. Für die Schmerzausstrahlung in den posterioren Bereich Gruber (1866) Erstbeschreibung
kommen in pathogenetischer Hinsicht folgende endogene
Kudo u. Li (1956) 472 85 18,0%
17 Ursachen als prädisponierende Faktoren in Betracht: Bei
normal ausgestaltetem rinnenförmigem Sulcus ni. ulnaris Mumenthaler (1961) 56 10 17,8%
(⊡ Abb. 17.37) verläuft der Nerv dorsal der Ellenbogengelenk-
Bando (1979) 157 45 28,7%
achse und ist dadurch bei Beugung des Gelenks einer ständigen
Zug- und Druckbelastung ausgesetzt, die letztlich durch das
Epikondylenmassiv bedingt und gleichzeitig abgefangen wird.
Dadurch erleidet der Nerv bei Beugung und Streckung des
⊡ Tab. 17.18 M.epitrochleoanconaeus: Klinische Untersuchungen
Gelenks eine ständige Veränderung seines Querschnitts, womit
wiederholte Verschiebungen der einzelnen Faszikel, wechselnde Autoren PUKS M. epitr. %
Druckbelastungen und Zugbeanspruchungen des Nervs sowie
eine sich ständig wiederholende Medialverschiebung des Nervs James (1956) ? 1 -
verbunden sind. Letztere kann durch die Wirkung des Caput Wachsmuth u. Wilhelm (1968) ? 5 -
breve mi. tricipitis auch noch begünstigt werden.
Diese Irritationen führen zu Störungen der nervalen Durch- Vanderpool et al. (1968) ? 2 -
blutung und des axonalen Flows, die letztlich für die Schmer- Kojima et al. (1979) 44 4 9,0%
zausstrahlung und für die Veränderung der Oberflächensensi-
Nigst (1983) 338 31 9,3%
bilität verantwortlich sind.
Bei einem normal ausgeprägten Epikondylus kann sich übri- Eigenes Krankengut: 1962–69 ? 16 -
gens dennoch eine Luxationstendenz zeigen, nämlich dann,
Eigenes Krankengut: 1970–84 208 36 17,3%
wenn der N. ulnaris mit zunehmender Beugung sein Hypo-
17.2 · Spezielle Techniken
377 17
führt, während am distalen Rand nur eine geringfügige Ver- intraoperative Beweis für diesen oben genannten proximalen
längerung registriert werden kann. Kompressionsmechanismus erbracht werden, dessen Folgen
Die Innervation des M. epitrochleoanconaeus erfolgt durch bei ligamentärer Überdachung sogar noch schwerwiegender
einen Zweig, der zusammen mit dem oberen Gelenkast vom ausfallen können, da die proximale Begrenzung des Ligaments
N. ulnaris entspringt (Wachsmuth u. Wilhelm 1968). bei maximaler Anspannung die Funktion einer scharfrandigen
Die Anspannung des Lig. epitrochleoanconaeum ist bereits Struktur ausübt, sodass es bei forcierten Bewegungsabläufen,
von Mumenthaler (1961) beschrieben worden, die unter Um- wie etwa beim Barrenturnen, sogar zu einer akuten Quetsch-
ständen »zu einer Kompression des Nerven im Sulcus selber verletzung des Nervs kommen kann.
führen kann«. In diesem Zusammenhang führt der Autor 12. Bei fehlender oder nur mangelhafter Ausbildung der Überda-
ferner aus, dass »der Nerv bei Beugung des Ellenbogengelenks chung des Sulcus ni. ulnaris luxiert der Nerv mit zunehmen-
zwischen dem tiefer tretenden Triceps und dem Epicondylus der Beugung des Ellenbogengelenks über den distalen Ab-
ulnaris mehr oder minder eingequetscht wird«. schnitt des Septum intermusculare mediale und die Epikon-
11. Bei normaler Ausgestaltung des Sulcus und des Epikondylus dylenspitze nach vorn und distal. Es kommt dadurch zu einer
üben die genannten Strukturen sehr wohl eine schützende fast rechtwinkligen Verlaufsänderung unter den in dieser Posi-
Funktion aus und bewahren den Nerv vor einer kompletten tion maximal angespannten Arcus tendineus des FCU in dem
Luxation. Erst bei endgradiger Beugung zeigt sich eine gewis- relativ engen osteofibrösen Kanal, der von Feindel u. Stratford
se Subluxationstendenz, die bei Dysplasie des Epikondylus (1958) als Kubitaltunnel beschrieben worden ist. Je nach Stär-
schon früher eintritt, und dann zur Einquetschung des Nervs ke der Gelenkbeugung kommt es dabei zu einer mehr oder
zwischen dem maximal angespannten M. epitrochleoanco- minder starken Irritation und Einklemmung des N. ulnaris
naeus oder seinem ligamentären Rudiment und der Epikon- am proximalen Rand des anatomisch gut abgrenzbaren Ar-
dylenspitze führt (⊡ Abb. 17.37, ⊡ Abb. 17.38, ⊡ Abb. 17.39, cus tendineus (⊡ Abb. 17.37, ⊡ Abb. 17.44, ⊡ Abb. 17.45). Diese
⊡ Abb. 17.40). Wenn man intraoperativ diese Position kurzfris- kann bei länger dauernder Beugestellung, wie z. B. während
tig aufrechterhält, kann man nach Ablösen der überdachenden des Schlafes, zu Par- und Hypästhesien führen, die nach
Strukturen mitunter eine leichte Dellenbildung des Nervs und Streckung des Gelenks jedoch rasch wieder verschwinden.
Vernarbungen seines Gleitlagers, auf alle Fälle aber ein Fehlen Diese Beschwerden lassen sich auch durch den Flexionstest
der subepineuralen Durchblutung als Folge der Kompression reproduzieren (Wilhelm 1970b). Im Laufe der Zeit kann dieser
erkennen (⊡ Abb. 17.43). Luxationsmechanismus (Osborne 1957) bei entsprechender
In der Literatur berichtete James (1956) anhand eines Falles Belastung zu bleibenden sensiblen und motorischen Störun-
erstmals über die Möglichkeit einer komprimierenden Wir- gen führen, wie z. B. beim Golferellenbogen bzw. bei dem pro-
kung dieses Muskels, ohne jedoch den Druckmechanismus ximalen Kompressionssyndrom des N. ulnaris.
im Einzelnen darzustellen; dies trifft auch für Vanderpool et Über die Häufigkeit der beiden Luxationsmechanismen infor-
al. (1968) zu. Erst 1968 konnte dann anhand von 5 Fällen der miert ⊡ Tab. 17.19.

⊡ Abb. 17.37 Darstellung der Luxationsmecha-


nismen des N. ulnaris. a Proximales Kompressi-
onssyndrom bei Subluxation (Wachsmuth u. Wil-
helm 1968), b distale Kompression bei Luxation
(Osborne 1957). Sternchen: Epicondylus medialis,
gelb: N. ulnaris mit Pseudoneurom; rot: M. epicon-
dyloanconaeus; orange: Arcus tendineus des FCU;
CH Caput humerale; CU Caput ulnare. (Aus Suden
a b u. Wilhelm 1987, mit freundlicher Genehmigung
von Thieme)

⊡ Abb. 17.38 Ansatz und Ursprung des M. epi-


trochleoanconaeus. a Bei gestrecktem Ellenbo-
gengelenk, b bei gebeugtem Ellenbogengelenk.
Der Abstand zwischen Ursprung und Ansatz
dieses Muskels und auch seines ligamentären
Rudiments wird mit zunehmender Beugung des
Ellenbogengelenks größer und führt schließlich
zu einer scharfrandigen Begrenzung dieser Struk-
turen am Eingang in den Sulcus ni. ulnaris und zu
a b
ihrer maximalen Straffung
378 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Tab. 17.19 N. ulnaris: Luxationsmechanismen (N=131)

Mechanismus Seitenverteilung Häufigkeit

rechts links

Subluxation (Suden u. Wilhelm 38 39 77 (58,8%)


1987)

Luxation (Osborne 1957) 28 26 54 (41,2%)

Gesamt 66 65 131 (100%)

lung via M. pronator teres in Richtung Epicondylus medialis


(⊡ Abb. 17.49). Dies gelingt auch durch den Strecktest des
Ellenbogengelenks. Ein derartiges Druckzeichen konnte bei 6
von 7 Patienten gefunden werden.
⊡ Abb. 17.39 Proximaler Kompressionsmechanismus des rechten N. ulnaris
16. In 5 Fällen handelt es sich um eine Kompression des N. me-
bei Vorhandensein eines M. epitrochleoanconaeus. Sternchen: Epicondylus
dianus in Höhe der Trochlea humeri durch den Lacertus fib-
medialis; RP R. posterior ni. cutanei antebrachii medialis; HUM humeroulnare
Muskulatur; SIM Septum intermusculare mediale; NU N. ulnaris; CMMT Caput rosus, die 1978 bereits von Laha et al. beschrieben worden ist.
mediale mi. tricipitis; MEA M. epicondyloanconaeus; FCU M. flexor carpi ulnaris. Nach Resektion dieser Struktur findet sich in Streckstellung
Arcus tendineus mit grünem Faden angeschlungen und nach distal gehalten. des Gelenks ein vorgewölbter und verbreiterter Nerv mit ne-
(Aus Suden u. Wilhelm 1987, mit freundlicher Genehmigung von Thieme) beneinander liegenden Faszikeln und fehlender subepineura-
ler Durchblutung, woraus auch auf eine Störung des intraneu-
ralen Flows geschlossen werden kann.
17. Bei den beiden übrigen Fällen, die klinisch zunächst ebenfalls
als alleiniges Kompressionssyndrom des Lacertus fibrosus
imponierten, fand sich als mögliche Hauptursache der Kom-
pression eine mehrere Zentimeter breite Faszienbrücke, die
vom M. pronator teres bis zur Faszie des M. brachialis reicht
und den Nerv außerdem auch noch in seiner Beweglichkeit
behindert. Nach Resektion des Faszienstreifens fand sich als
Kompressionsschaden eine umschriebene Ablösung des Epi-
neuriums und eine schwere Störung der Durchblutung.
Bei den übrigen 5 von 12 Patienten konnte im Bereich des
N. medianus klinisch keine Irritationslokalisation gefunden
werden.

Diagnostik
> Am Anfang der Untersuchung steht auch hier die Erhebung
einer sorgfältigen Anamnese im Vordergrund.
⊡ Abb. 17.40 Einquetschung des subluxierten N. ulnaris zwischen proxima-
lem Rand des M. epitrochleoanconaeus und Epicondylus medialis (Stern).
HUM humeroulnare Muskulatur; SIM Septum intermusculare mediale; NU Dabei sollten nach Art und Lokalisation der Schmerzen sowie be-
17 N. ulnaris; CMMT Caput mediale mi. tricipitis; kleine Sternchen: Ausdehnung rufs- und freizeitbedingten Überlastungen des Ellenbogengelenks
der subepineuralen Durchblutungsstörung in der Zone der maximalen geforscht werden. Von Bedeutung sind die für eine Überlastung
Druckbelastung des N. ulnaris, durch 2 Sternchen markiert; MEA M. epitroch- in Frage kommenden Bewegungsabläufe. Von großem Interesse
leoanconaeus; AT Arcus tendineus mi. flexoris carpi ulnaris. (Aus Suden u. ist auch die Frage, ob der Patient mit angewinkeltem Ellenbogen
Wilhelm 1987, mit freundlicher Genehmigung von Thieme) schläft und ob die dabei auftretenden Parästhesien nach Strecken
des außenrotierten Armes wieder verschwinden. Wichtig ist auch
die Frage, ob bei maximaler Streckung des Arms Schmerzen in
13. Von ganz besonderer Bedeutung für die Pathogenese des GE der Ellenbeuge auftreten, die zur Innenseite des Ellenbogengelenks
ist sein Auftreten im Rahmen einer sog. Double Nerve Lesion. ausstrahlen. Außerdem sollte nach Missempfindungen und Taub-
So fanden sich unter 100 übergeordneten TOS, die im glei- heitsgefühl in der Hand bei anhaltender Beugung (N. ulnaris) und
chen Zeitraum operiert worden sind, insgesamt 23 (23,0%) Streckung des Ellenbogengelenks (N. medianus) gefragt werden.
GE, die nach transaxillärer Dekompression des Nervengefäß-
stranges bei 19 (82,6%) von 23 Patienten nicht mehr nachweis- > Im Hinblick auf eine evtl. in Frage kommende Verlagerung
bar waren. Unbeeinflusst blieben nur 4 Fälle. des N. ulnaris ist es von allergrößter Bedeutung, nach
14. Ähnliches gilt auch für die Sudeck-Dystrophie, bei der in 1 toxischen Einflüssen (Alkoholabusus), Stoffwechsel- und
(10,0%) von 10 Fällen ebenfalls das klinische Bild eines GE entzündlichen Erkrankungen zu fahnden, die als Fokalto-
aufgetreten und nach transaxillärer Operation nicht mehr xikosen in Frage kommen, da das postoperative Ergebnis,
nachweisbar war. insbesondere vonseiten des verlagerten N. ulnaris u. a. auch
15. Bei Überprüfung des Triggertestes des N. medianus in von einer entsprechenden diagnostischen Abklärung und
Höhe der Trochlea humeri kommt es zur Schmerzausstrah- präoperativen Behandlung dieser Risikofaktoren abhängt.
17.2 · Spezielle Techniken
379 17

⊡ Abb. 17.41 Tangentiale Röntgenaufnahme des


gebeugten Ellenbogengelenks. Rechts normaler
und links dysplastischer Epicondylus medialis.
(Aus Güney et al. 1977)

Im Rahmen der Untersuchung sollte man auch beim GE auf die chenden Par- und Hypästhesien im Versorgungsgebiet des N. medi-
Möglichkeit einer übergeordneten Irritation der Bezüge des N. me- anus kommen, welche in Beugestellung wieder verschwinden.
dianus (C6–Th1) und des N. ulnaris (C6–Th1) im Bereich der Weitere Provokationsmanöver sind von Spinner (zit. nach
entsprechenden Foramina intervertebralia und des Thoracic outlet Tackmann et al. 1989) angegeben worden. So kann die komprimie-
achten, weil dadurch das Auftreten eines GE bei Vorhandensein rende Wirkung des Lacertus fibrosus auch durch die bei Beugung
entsprechender lokaler Voraussetzungen im Sinne einer Double und Supination des Unterarmes gegen Widerstand auftretenden
Nerve Lesion begünstigt werden kann. Die Besserungsquoten nach Schmerzen nachgewiesen werden.
Operationen von TOS sind mit über 80% eindeutig (⊡ Tab. 17.21). Für die durch den M. pronator teres verursachte Kompression
Außerdem sollte ein, wenn auch seltener Proc. supracondylaris spricht dagegen die Schmerzzunahme bei Streckung des pronierten
als mögliches Irritament nicht übersehen werden. Die Abgrenzung Unterarmes gegen Widerstand.
eines TOS von einer Irritation des N. ulnaris im Bereich des Ellenbo- Besonders wichtig ist in differenzialdiagnostischer Hinsicht der
gens ist einfach und wird durch den Nachweis von Sensibilitätsstö- Beugetest des Mittelfingers bei supiniertem Unterarm gegen Wi-
rungen im Bereich des N. cutaneus antebrachii medialis bestätigt. derstand nach Spinner (1978), da sich dadurch die komprimierende
Lokal wird zunächst das anteriore Schmerzfeld im Bereich der Wirkung der Superfizialissehnenarkade auf den N. interosseus ante-
Ursprünge der humeroulnaren Muskulatur, vor allem des M. pro- rior (Kiloh-Nevin-Syndrom) und andere in der Nähe gelegene bin-
nator teres, und danach das posteriore Schmerzfeld im Bereich der degewebige Anomalien beweisen bzw. ausschließen lässt.
Epikondylen- und angrenzenden Sulcusregion bestimmt. Danach Differenzialdiagnostisch kommen ferner neben Foramenste-
erfolgt die Untersuchung des N. ulnaris im Bereich des Sulcus und nosen und dem TOS traumatisch und arthrogen bedingte Irritatio-
des supraepikondylären Abschnittes, und zwar in Streck- und in nen des Nervs in Betracht.
Beugestellung. Dabei ist auf Druckempfindlichkeit und Beweglich- Röntgenologisch empfehlen sich Aufnahmen des Ellenbogen-
keit des Nervs, auf sein Verhalten bei Beugung im Sinne einer Sub- gelenks in zwei Ebenen zum Ausschluss von arthrogenen Faktoren
luxation oder Luxation sowie auf die Qualität der Überdachung des und tangentiale Aufnahmen des Sulcus ni. ulnaris für den Nach-
Sulcus ni. ulnaris zu achten. In maximaler Beugung sind ein evtl. weis einer Dysplasie des Epikondylenmassivs (⊡ Abb. 17.41).
vorhandener M. epicondyloanconaeus oder dessen ligamentäres Neurologische Untersuchungen des N. ulnaris im Falle ei-
Rudiment straff angespannt und im proximalen Bereich scharfran- nes GE sind nicht zwingend erforderlich, falls ein eindeutiges
dig begrenzt. Der N. ulnaris wird bei Subluxation zwischen diesen Schmerzareal und ein positiver Beugetest nachweisbar sind. Nur
Strukturen und der Epikondylenspitze eingeklemmt und ist hier in bestimmten Fällen wird man aus forensischen und differen-
druckschmerzhaft. In gleicher Weise verhält sich der N. ulnaris bei zialdiagnostischen Gründen derartige Untersuchungen dennoch
Luxation, die ein Fehlen der genannten Überdachung des Sulcus zur veranlassen, zumal durch eine zusätzliche sog. Inching-Technik
Voraussetzung hat. In diesem Fall kommt die Einklemmung bzw. die Lokalisation einer Schädigung des Nervs genau bestimmt wer-
Kompression des Nervs unter dem Arcus tendineus mi. flexoris den kann. Bei diesem Verfahren wird der Sulcus ni. ulnaris von
carpi ulnaris zustande, der an dieser Stelle ebenfalls druckschmerz- distal nach proximal in 10-mm-Abständen mit der Reizelektrode
haft ist. In beiden Fällen kommt es dabei zu einer Schmerzaus- »abgefahren«. Nach Passieren der Läsionsstelle kommt es dann in
strahlung in den posterioren Bereich der Epikondylenregion und typischen Fällen zu einem entsprechenden Latenz- und Amplitu-
zu peripheren Par- und Hypästhesien, welche nach Streckung des densprung (Kastrup et al., im Druck).
Gelenks wieder verschwinden. Dieses Verhalten des N. ulnaris wird Bei klinischem Nachweis einer Irritationslokalisation im Be-
seit 1970 als Beugetest sowohl für die Diagnose eines proximalen reich des N. medianus sollte allein schon aus differenzialdiagnosti-
Ulnariskompressionssyndroms, als auch eines GE verwendet. schen, aber auch aus forensischen Gründen eine neurologische Un-
Demgegenüber wird der Schmerz im anterioren Bereich durch tersuchung in die Wege geleitet werden, nicht zuletzt auch deshalb,
Palpation des Triggerpunktes des N. medianus in Höhe der Troch- um den Patienten ggf. anhand eines weiteren Arguments von der
lea humeri bei gestrecktem Arm verstärkt. Diese Schmerzprovoka- Dringlichkeit eines zweiten operativen Zugangsweges überzeugen
tion kann auch durch Hochheben eines Stuhles bei gestrecktem und zu können.
supiniertem Arm erreicht werden, und zwar durch Erhöhung der
Druckbelastung des N. medianus durch den angespannten Lacertus Klassifikation
fibrosus oder durch eine ggf. vorhandene tiefe kreuzende Faszi- Aus therapeutischen Gründen sollte man auch den GE in eine
enbrücke, die den N. medianus in Höhe der Trochlea behindert akute, eine konservativ therapieresistente und in eine chronisch
(⊡ Abb. 17.53). In diesem Fall kann es auch peripher zu entspre- rezidivierende Form einteilen.
380 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

Indikationen und Kontraindikationen von einfachen Schmerzmitteln. Bei sehr starken Schmerzen kann
auch eine Infiltrationsanästhesie im Bereich des medialen Epikon-
> Ein akut aufgetretener GE ist primär stets konservativ zu
dylus vorgenommen werden.
behandeln.
Bei Therapieresistenz und chronisch rezidivierenden > Lokale Kortikoidinjektionen sollten nicht mehr angewendet
Erkrankungen sollte die Indikation zur operativen Behand- werden.
lung gestellt werden, aber erst nach Ausschluss bzw.
Während der Nachtruhe sollte der Arm unter Vermeidung der In-
erfolgreicher Behandlung eines fokaltoxischen Gesche-
nenrotation hoch gelagert werden. Schulter- und Fingergelenke kön-
hens und einer Stoffwechselerkrankung.
nen sofort bewegt werden. Die Aufhebung der Immobilisierung soll-
Besondere Vorsicht ist auch bei Alkoholabusus geboten. Auch te zunächst nur tagsüber nach entsprechender Anleitung erfolgen.
wenn es möglich wäre, diese Situation zu bessern, sollte man die
Operationsindikation erst nach einer ausführlichen und rechtsver- Technik der Denervation durch zirkuläre Umschneidung
bindlichen Aufklärung durchführen, und zwar am besten durch der medialen Epikondylenregion nach Wilhelm (⊡ Abb. 17.43)
Benennung eines Zeugen. Patientenaufklärung
Bei normalem funktionellem Verhalten des N. ulnaris genügt ▬ Erklärung der in Frage kommenden Operationstechnik und
eine einfache Denervation in Form einer kreisförmigen Umschnei- Information über kombinierte Eingriffe, wie Verlagerung des
dung der medialen Epikondylenregion, wobei der im Sulcus freige- N. ulnaris, zusätzliche Dekompression des N. medianus in der
legte Nerv mithilfe eines kleinen Langenbeck- oder Schielhakens Ellenbeuge oder Revision eines Nervs bei Rezidiveingriffen.
bei Seite gehalten wird. Bei Subluxation und Luxation des Nervs ▬ Operationsdauer 30–60 Minuten, bei Rezidiveingriffen länger.
ist im Falle eines GE eine zirkuläre Denervation mit subkutaner ▬ Übliche postoperative Beschwerden, wie Weichteilschwellung,
anteriorer Verlagerung indiziert. Nachblutung, Infektionen.
Bei klinisch und neurologisch gesichertem Nachweis einer ▬ Restbeschwerden, insbesondere bei unabhängig fortbestehenden
Irritation des N. medianus in der Ellenbeuge ist die Indikation zu Störzonen im Oberarm-, Schulter-, Hals- und HWS-Bereich.
einer zusätzlichen Dekompression dieses Nervs zu stellen. Hierfür ▬ Möglichkeit einer Verletzung des posterioren Astes des N. cu-
kommen in erster Linie die Resektion des Lacertus fibrosus und taneus antebrachii medialis, vor allem bei Rezidiveingriffen
von tief liegenden komprimierenden fibrösen Strukturen, aber und passageren Nervenschäden durch Hakendruck.
auch der erhöhte Druck durch den M. pronator teres auf den Ner- ▬ Einschränkung der Ellenbogenbeweglichkeit (selten: Fokalar-
venhauptstamm und dessen motorische Äste in Frage. thritis!).
Falls die Schmerzausstrahlungen seitens des N. medianus dieje- ▬ Sudeck-Dystrophie; im eigenen Krankengut nicht aufgetreten.
nigen des N. ulnaris bei Weitem überwiegen, kann unter Umstän- ▬ Unschöne Narbe.
den nach entsprechender schriftlicher Aufklärung des Patienten
zunächst auf einen gleichzeitigen Eingriff im Bereich der medialen Instrumentarium
Epikondylenregion verzichtet werden. ▬ Handchirurgisches Instrumentarium.
Kontraindikationen stellen erhöhte Entzündungsparameter ▬ Feines elektrisches Messer.
dar, deren Ursachen nicht abgeklärt werden konnten. Auch bei ei-
ner vorrangigen TOS-Symptomatik sollte man die Operation eines Anästhesie und Lagerung
GE in Anbetracht der hohen Besserungsraten nach einer erfolgrei- ▬ Intubationsnarkose, obere oder untere Plexusanästhesie und
chen Dekompression des Nervengefäßstranges nach Roos (1966) intravenöse Regionalanästhesie.
vorerst noch zurückstellen. Dies gilt ganz besonders auch für die ▬ Rückenlage.
Sudeck-Dystrophie. ▬ Auswickeln des Armes und Anlegen einer kontrollierten
Oberarmblutsperre, Manschettendruck 200–300 mmHg.
Therapie ▬ Lagerung des leicht gebeugten Armes in Abduktionsstellung
17 Auch beim GE sollte am Anfang der konservativen Behandlung auf einem Tuchpolster.
stets die sofortige Ausschaltung der auslösenden und unterhal-
> Dieser Eingriff ist als alleinige Maßnahme nur bei normalem
tenden Noxen beruflicher und freizeitbedingter Art erfolgen, was
funktionellen Verhalten des N. ulnaris indiziert.
sich am einfachsten durch eine vorübergehende Arbeitsunfähig-
keit erreichen lässt. Zur Vermeidung von länger dauernden und Nach Vorbereitung des Operationsgebietes und Markierung der
wiederholten Beugungen des Ellenbogengelenks ist eine ruhigstel- Epikondylenspitze wird die Haut über dem Sulcus ni. ulnaris leicht
lende Behandlung mit einer gut gepolsterten abnehmbaren Ober- bogenförmig längsinzidiert, beginnend je etwa 3–4 cm proximal
armkunststoffschiene erforderlich, die in Beugestellung des Armes und distal der Epikondylenspitze reichend. Zur Schonung des
von 0–30–0 bei gleichzeitiger Mittelstellung des Unterarmes für die R. posterior ni. cutanei antebrachii medialis, dessen Verlauf sehr
Dauer von 2–3 Wochen angelegt wird. variabel sein kann, sollte die Subkutis mit einer feinen Schere
Je nach Schwere des Lokalbefundes sollte diese Schiene zunächst präpariert werden. Durch epifasziale Präparation des anterioren
nicht nur nachts, sondern auch tagsüber getragen werden. Ansonsten Weichteilmantels werden bereits die zur oberen Zirkumferenz des
sind tagsüber stärkere Beugungen im Ellenbogengelenk, vor allem ge- Epikondylus ziehenden Endfasern des genannten Hautnervs blind
gen Widerstand, zu vermeiden, ebenso endgradige Streckbewegungen durchtrennt (⊡ Abb. 17.35 rechts). Danach wird zunächst die ober-
unter Belastung, um eine Druckentlastung sowohl des N. ulnaris, als flächliche Faszie hinter dem Septum intermusculare mediale inzi-
auch des N. medianus zu gewährleisten. Bei gleichzeitig vorhandenen diert und die distal anschließende Überdachung des Sulcus unter
trophischen Störungen mit Hyperhidrose im Ulnarisbereich ist unter sorgfältiger Schonung des N. ulnaris und seiner begleitenden Gefä-
Umständen eine länger dauernde Immobilisierung erforderlich. ße durchtrennt, bei Bedarf auch einschließlich des Arcus tendineus
Lokal und peroral empfiehlt sich zusätzlich eine antiphlogis- des FCU (⊡ Abb. 17.42). Bei Vorliegen eines M. epitrochleoancona-
tische Therapie. Bei stärkeren Schmerzen genügt die Verordnung eus wird dieser zur Eröffnung des Sulcus vom Epikondylus abge-
17.2 · Spezielle Techniken
381 17

⊡ Abb. 17.42 Denervation der medialen Epikon-


dylenregion bei fehlender Subluxation. Gestrichel-
te Linie: Zirkuläre Umschneidung des Epikondylus.
Punktierte Linie: Inzision des Arcus tendineus bei
Bedarf. (Aus Wilhelm 1972)

löst. Diese Freilegung ist erforderlich, um den N. ulnaris während


der Denervation unter dem Schutz eines Häkchens beiseite halten
zu können. Zur weiteren Schmerzausschaltung genügt dann eine
zirkuläre Umschneidung des Epikondylus, die bis auf den Kno-
chen durchgeführt werden muss (⊡ Abb. 17.35 rechts, ⊡ Abb. 17.43).
Am zweckmäßigsten verwendet man hierzu ein feines elektrisches
Messer. Man beginnt damit etwa 1½ cm oberhalb der Epikondy-
lenspitze und durchtrennt dann bogenförmig zunächst den Ur-
sprung der humeroulnaren Muskulatur, einschließlich des humera-
len Kopfes des FCU und der oberflächlichen Schicht des medialen
Seitenbandapparates, wodurch die schmerzleitenden Endäste des
N. medianus und die rückläufigen Fasern des unteren Gelenkastes
des N. ulnaris blind durchtrennt werden (⊡ Abb. 17.35 links).
Die anschließende posteriore Umschneidung erfolgt in einem
Abstand von 0,5–1 cm von der Epikondylenspitze, wobei der N. ul-
naris genügend weit olekranonwärts abgedrängt wird und hier un-
ter dem Schutz eines kleinen Hakens verbleibt (⊡ Abb. 17.42).
Nach Öffnen der Blutsperre, sorgfältiger Blutstillung und Ein-
⊡ Abb. 17.43 Zustand nach Ablösung des M. epitrochleoanconaeus (MEA, Pfeil)
legen einer subkutanen Redon-Drainage werden die Faszienränder
vom Epikondylus nach Streckung des Ellenbogengelenks. Stern Epicondylus
einschließlich der Überdachung des Sulcus durch Einzelknopf- medialis; RP R. profundus ni. cutanei antebrachii medialis; HUM humeroulnare
nähte mit resorbierbarem Faden der Stärke 4–5/0 locker adap- Muskulatur; SIM Septum intermusculare mediale; NU N. ulnaris, Pfeil: leichte Del-
tiert. Nach schichtweisem Wundverschluss wird ein Kompressi- lenbildung und Adhäsion des paranervalen Gleitgewebes; Sternchen: N. ulnaris
onsverband angelegt, der von der Mittelhand bis zum Oberarm deutlich verbreitert und anämisch, Gleitgewebe abgelöst, beginnende Erholung
reicht. Die Ruhigstellung des Ellenbogengelenks erfolgt in leichter der subepineuralen Durchblutungsstörung. (Aus Suden u. Wilhelm 1987)
Beugung (0–30–0) bei Mittelstellung des Unterarmes und leichter
Streckstellung des Handgelenks (0–20–0) mittels einer Oberarm-
kunststoffschiene. vom Epikondylus abgelöst (⊡ Abb. 17.43) bzw. sein ligamentäres
Rudiment durchtrennt.
Technik der Denervation mit subkutaner Vorverlagerng Nach Inzision des Arcus tendineus und Trennung der bei-
des N. ulnaris (⊡ Abb. 17.48) den Ursprungsköpfe des FCU unter Schonung der Innervation
> Dieser Eingriff ist nur bei Subluxation und Luxation des Nervs (⊡ Abb. 17.47) liegt die tiefe Aponeurose des FCU frei, die über
sowie bei narbiger Umwandlung seines Gleitlagers indiziert. einem Zementspatel längs inzidiert und reseziert werden muss,
um an dieser Stelle einer erneuten Kompression des N. ulnaris
Bei diesem Eingriff ist eine etwas längere bogenförmige Inzision vorzubeugen.
erforderlich, um die subkutane Vorverlagerung unter optimalen Als nächstes wird der N. ulnaris proximal in Höhe des Sep-
Bedingungen durchführen zu können. Hierzu wird der N. ulnaris, tums schonend freipräpariert, mit einem zarten Gummizügel ange-
wie bei der einfachen Denervation freigelegt, jedoch etwas weiter schlungen und samt seiner begleitenden Strukturen aus dem Sulcus
nach proximal und distal, um einen möglichst flachen Ein- und vorsichtig herausgelöst. Dabei sollten präparatorisch erkennbare
Auslaufwinkel vorbereiten zu können (⊡ Abb. 17.48). Nach Inzision Gelenkäste möglichst weit distal, am besten im Innervationsbe-
der oberflächlichen Faszie wird dann der M. epitrochleoanconaeus reich durchtrennt werden. Danach wird der distale Abschnitt des
382 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.44 Distaler Kompressionsmechanismus des N. ulnaris (NU). Der ⊡ Abb. 17.46 Luxation des N. ulnaris bei Mitbeteiligung des M. triceps.
Sulcus ni. ulnaris ist nur von der oberflächlichen Faszie bedeckt. Stern: Epicon- Einklemmung des Nervs unter dem Arcus tendineus durch Spatel markiert;
dylus medialis; HUM humeroulnare Muskulatur; SIM Septum intermusculare HUM humeroulnare Muskulatur; NU N. ulnaris; CMMT Caput mediale mi. trici-
mediale; CMMT Caput mediale mi. tricipitis, CUFCU u. CHFCU Caput humerale pitis, Vorderrand durch schwarzen Faden markiert; AT Arcus tendineus,
et ulnare m. flexoris carpi ulnaris; Arcus tendineus mit Pinzette gefasst. (Aus SIM Septum intermusculare mediale, durch schwarzen Faden markiert.
Suden u. Wilhelm 1987, mit freundlicher Genehmigung von Thieme) (Aus Suden u. Wilhelm 1987, mit freundlicher Genehmigung von Thieme)

17 ⊡ Abb. 17.45 Luxation des N. ulnaris und Einquetschung unter dem Arcus
tendineus (kleine Sternchen). FCU M. flexor carpi ulnaris; HUM humeroulnare ⊡ Abb. 17.47 Luxation des N. ulnaris (NU) trotz Ausschaltung der Schubwir-
Muskulatur; NU N. ulnaris; Durchblutungsstörung bis in Höhe des Epicondy- kung des M. triceps (Pfeil; ⊡ Abb. 17.12). AT Durchtrennung des Arcus tendi-
lus medialis (Stern). Der Vorderrand des CMMT erreicht in dieser Position den neus durch schwarze Fäden markiert. Tiefe Aponeurose des M. flexor carpi
Epicondylus medialis. (Aus Suden u. Wilhelm 1987, mit freundlicher Geneh- ulnaris mit Spatel unterfahren. (Aus Suden u. Wilhelm 1987, mit freundlicher
migung von Thieme) Genehmigung von Thieme)

Septum intermusculare mediale ausgiebig keilförmig reseziert, um In den ⊡ Abb. 17,44, 45 und 46 ist das Verhalten des N. ulnaris bei
den verlagerten Nerv nicht zu irritieren (⊡ Abb. 17.48). Anschlie- fehlender Überdachung des Sulcus ni. ulnaris dargestellt. Die Kom-
ßend erfolgt die typische zirkuläre Umschneidung des Epikondylus pression des Nerven erfolgt in diesem Fall durch den bei Beugung des
und eine sorgfältige Blutstillung. Nach Wiederanlegen der Blut- Ellenbogengelenkes straff angespannten Arcus tendineus des FCU.
sperre werden zunächst die anterioren Wundverhältnisse geprüft.
Um das Ausmaß der bogenförmigen Inzision etwas günstiger zu Technik der zusätzlichen Dekompression des
gestalten, können die Wundränder mit feinsten resorbierbaren N. medianus in der Ellenbeuge nach Wilhelm
Nähten adaptiert werden. Erst danach wird die Nervenverlagerung > Dieser Eingriff ist im Rahmen einer operativen Behandlung des
durchgeführt. Um eine Reluxation zu verhindern, muss der Nerv GE nur dann indiziert, wenn klinisch und neurologisch die für
in seinem neuen Bett durch einige resorbierbare Einzelknopfnähte die Schmerzausstrahlung in das Ursprungsgebiet der humeroul-
(4–5/0) retiniert werden, welche die Subkutis mit der oberflächli- naren Muskulatur verantwortlichen Irritationen des N. media-
chen Faszie im anterioren Epikondylenbereich verbinden. nus in Höhe der Trochlea humeri nachgewiesen werden können.
17.2 · Spezielle Techniken
383 17

⊡ Abb. 17.48 Denervation der medialen Epikon-


dylenregion mit subkutaner Verlagerung des N. ul-
naris bei Subluxation und Luxation. Rot gestrichelt,
proximal: Resektion des Septum intermusculare
mediale. Rot gestrichelt, distal: Inzision der Überda-
chung des Sulcus ni. ulnaris, des Arcus tendineus
und der oberflächlichen Faszie zwischen den bei-
den Ursprungsköpfen des M. flexor carpi ulnaris.
(Aus Wilhelm 1972)

⊡ Abb. 17.49 Palpatorische Untersuchung des N. medianus in der Ellen- ⊡ Abb. 17.50 Subfaszialer Situs mit Darstellung des Lacertus fibrosus (LF)
beuge, durch Kreuzchen markiert, die im Falle eines Golferellenbogens zur rechts und des medialen Nervengefäßstranges. AB A. brachialis mit Be-
Schmerzausstrahlung via M. pronator teres und M. flexor digitorum superfi- gleitvenen; NM N. medianus; MPT M. pronator teres; LF Lacertus fibrosus;
cialis in Richtung Epikondylenregion (Pfeile) und Hand (blauer Pfeil) führen. MBB M. biceps brachii
Stern: Epicondylus medialis

Als Zugang genügt eine Längsinzision, die im distalen Oberarm- eines Proc. supracondylaris und des Struther-Ligaments beinhalten
abschnitt über dem medialen Rand des M. biceps beginnt, wobei sollte, ist unbedingt erforderlich, da der Nerv gleichzeitig an meh-
die Nn. cut. brachii et antebrachii mediales samt V. basilica medial reren Stellen verschiedenen irritierenden und komprimierenden
der Inzision verbleiben. Knapp oberhalb der Epikondylenlinie wird Strukturen ausgesetzt sein kann, wie sie von Hartz et al. (1981),
die Inzision bogenförmig und in schräger Richtung laterodistal Tackmann et al. (1989) und Nigst (1993) beschrieben worden sind.
bis zur Mitte der Ellenbeuge fortgeführt. Bei Bedarf kann diese Zunächst wird der N. medianus an der Medialseite des Gefäß-
Inzision nochmals bogenförmig oder zickzackförmig nach distal stranges proximal des Lacertus fibrosus dargestellt (⊡ Abb. 17.49,
verlängert werden. Dieser Zugang entspricht dem Verlauf des ⊡ Abb. 17.50, ⊡ Abb. 17.51). Nach Resektion dieser Struktur, die den
N. medianus und dem Oberrand des M. pronator teres und erlaubt M. biceps und den M. pronator teres in Form einer Zuggurtung
nach Durchtrennung der oberflächlichen Faszie die Resektion des verbindet, liegt der druckgeschädigte Nervenabschnitt über der
Lacertus fibrosus und die Revision des N. medianus bis zu seinem Trochlea humeri frei, die vom M. brachialis überquert und abge-
Eintritt in den M. pronator teres. Von hier aus kann auch der polstert wird (⊡ Abb. 17.51). Danach wird der Nerv, ohne ihn aus
Eintritt des N. medianus unter die bogenförmige Arkade des FDC seinem Gleitlager zu heben und anzuzügeln, weiter nach distal bis
erreicht werden. Eine derartige Revision, die auch den Ausschluss zum Eintritt in den M. pronator teres revidiert, wobei zusätzlich
384 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.51 Zustand nach Resektion des Lacertus fibrosus. In Streck- ⊡ Abb. 17.53 Zustand nach Resektion des Lacertus fibrosus mit Darstellung
stellung des Ellenbogengelenks erkennt man ein deutlich vorgewölbtes der komprimierenden Faszienbrücke (FB, Pfeil) im Bereich der Trochlea hu-
und verbreitertes Segment (Pfeil) des N. medianus (NM) mit nebenein- meri. N. medianus im proximalen Bereich normal durchblutet, während sich
ander liegenden Faszikeln und fehlender subepineuraler Durchblutung. distal der Faszienbrücke infolge einer fehlenden subepineuralen Durchblu-
MB M. brachialis; PNG paranervales Gleitgewebe, abgelöst; MPT M. pro- tung eine anämische Zone findet. MB M. Brachialis; MPT M. pronator teres;
nator teres VB Vasa brachialia; MBB M. biceps brachii

⊡ Abb. 17.52 Subfaszialer Situs bei Streckstellung des Ellenbogengelenks ⊡ Abb. 17.54 Nach Resektion der Faszienbrücke findet sich ein etwas ver-
mit Darstellung des Lacertus fibrosus (LF). NM N. medianus; VB Vasa brachia- breiterter N. medianus (NM) in Höhe der Druckschädigung mit beginnender
lia; MBB M. biceps brachii Erholung der subepineuralen Durchblutung. MB M. brachialis; PNG paraner-
17 vales Gleitgewebe, abgelöst; MPT M. pronator teres; VB Vasa brachialia

alle in Frage kommenden Kompressionsursachen beseitigt werden. für eine Schmerzausstrahlung in die mediale Epikondylenregion
Bei dieser Gelegenheit sollten auch die an der Medialseite des in Frage. Nach Beendigung der Nervendekompression erfolgt die
N. medianus abgehenden motorischen Äste untersucht werden, die sorgfältige Blutstillung, das Einlegen einer Redon-Drainage und
vor allem durch einen hypertrophischen M. pronator teres kompri- der schichtweise Wundverschluss (Verband, Ruhigstellung und
miert sein können. postoperative Behandlung s. oben).
Proximals des Lacertus fibrosus kann man in der Tiefe eine
weitere komprimierende Struktur finden, die in Form einer derben Ergebnisse
Faszienbrücke den Nerv in querer Richtung kreuzt, komprimiert Im vorliegenden Krankengut von 12 Patienten finden sich kli-
und seine Beweglichkeit beeinträchtigt (⊡ Abb. 17.52, ⊡ Abb. 17.53). nisch und intraoperativ insgesamt 7 eindeutige Druckschäden des
Die erhebliche komprimierende Wirkung hat in diesem Fall zu N. medianus, die in 5 Fällen durch die Einwirkung des Lacertus
einer ausgedehnten Durchblutungsstörung geführt, die distal die- fibrosus und bei 2 Patienten durch eine tief gelegene Faszienbrü-
ser Struktur besonders gut zu erkennen ist. Nach Resektion dieser cke verursacht worden sind. Nur bei einem der 5 Patienten führte
fibrösen Brücke erkennt man das wahre Ausmaß der Druckschä- die alleinige Dekompression des N. medianus zu einer völligen
digung (⊡ Abb. 17.54), nämlich eine ausgedehnte Durchblutungs- Schmerzfreiheit im Epikondylenbereich und zum Abklingen der
störung und eine tangentiale Ablösung des paranervalen Gleitge- in der Hand geklagten Beschwerden (⊡ Abb. 17.49, ⊡ Abb. 17.50,
webes. Auch diese Art der Druckschädigung kommt als Ursache ⊡ Abb. 17.51). Bei den übrigen 4 Patienten musste die medialseitige
17.2 · Spezielle Techniken
385 17
Denervation trotz der anfänglich nur geringen Beschwerden im tere Auftrennung der beiden Ursprungsköpfe des FCU und eine
Ulnarisgebiet in einer zweiten Sitzung nachgeholt werden. Daraus entsprechende spitzwinkelige Korrektur des Nervenverlaufes, der
kann nur der Schluss gezogen werden, beide Eingriffe möglichst in durch einige Nähte, welche die Subkutis im Bereich der Muskelfas-
einer Sitzung durchzuführen, falls der Patient damit einverstanden zie fixieren, gesichert werden muss.
ist. Ansonsten sollte die alleinige Dekompression des N. medianus
> Bei narbiger Einbettung des N. ulnaris kommt in erster Linie
nur auf solche Fälle beschränkt werden, die keine wesentliche Sym-
eine äußere Neurolyse und bei starker Druckschädigung mit
ptomatik im Ulnarisbereich und einen negativen Beugetest auf-
Durchblutungsstörungen auch eine longitudinale Epineuro-
weisen. Unter den 7 genannten Medianusdekompressionen fanden
tomie ohne Verletzung der subepineuralen Gefäße in Frage.
sich postoperativ 5-mal ein sehr gutes und je einmal ein gutes und
befriedigendes Ergebnis. Dagegen sollte auf eine Epineurektomie allein schon wegen der
Die im vorigen Abschnitt beschriebene Dekompression des N. großen Gefährdung der Nervendurchblutung verzichtet werden.
medianus kam nur einmal zur Anwendung (Ergebnis: sehr gut), Auch die interfaszikuläre Neurolyse sollte gerade bei dem an
während bei den übrigen 4 Patienten (Gruppe B) eine medialsei- sympathischen Fasern besonders reichen N. ulnaris nur unter er-
tige Denervation mit Vorverlagerung des N. ulnaris in 2. Sitzung heblichem Vorbehalt diskutiert werden, da in diesem Fall die große
kombiniert werden musste (Ergebnis: je 2-mal sehr gut und gut). Gefahr einer Kausalgie besteht.
Damit ergibt sich ein positives Resultat von 91,6%, das aber wegen Falls äußere Neurolyse und Epineurotomie nicht für die Lö-
des Fehlers der kleinen Zahl nicht überbewertet werden sollte. sung des Schmerzproblems ausreichen, sollte deshalb erst die
Um zur Häufigkeit der Kompression des N. medianus durch Möglichkeit einer Nerveneinbettung zwischen äußerer und tiefer,
den Lacertus fibrosus (Laha-Syndrom) und durch die tiefgele- gefäß- und nervenführender Schicht der Subkutis geprüft werden.
gene Faszienbrücke, die von Nigst (1993) als »fibröses Segel« Dieses Verfahren hat sich auch bei der Cheiralgie bewährt.
beschrieben worden ist, Stellung nehmen zu können, wurden alle Weichteilschwellungen und Nachblutungen können nur da-
Pronatorsyndrome von 1980–1994 überprüft. Dabei fanden sich durch verhindert werden, wenn der Kompressionsverband mit
in 9 (40,9%) von 22 Fällen Laha-Syndrome und bei 6 (27,3%) Pa- elastischer Binde lege artis angelegt, die Redon-Drainage erst nach
tienten Kompressionen durch eine tief gelegene fibröse Struktur, Versiegen der Sekretion entfernt und der erste Verbandswechsel
die sich brückenförmig vom M. brachialis bis zum Oberrand des erst nach Ende der Ödemphase durchgeführt werden, d. h. erst
M. pronator teres erstreckt. Übrigens wurde in dieser Serie auch nach 1 Woche. Der leider immer noch vielerorts gebräuchliche
ein Proc. supracondylaris entdeckt. Verbandswechsel am 1. postoperativen Tag kann allein zu einer bis
Die Erfolgsquote der operativen Behandlung des GE hängt vor zu 3-monatigen postoperativen Behandlung und Arbeitsunfähig-
allem von der Qualität des Nervengleitvermögens nach subkutaner keit führen.
Vorverlagerung ab. Bei Adhäsionen oder gar Vernarbungen des Bei Infektion sind Wundabstriche, Entfernung der Fäden bei
neuen Gleitlagers ist aufgrund der unterschiedlichen Zugbean- oberflächlichen und Wundrevisionen bei tiefer reichenden Pro-
spruchungen der basalen Nervenfaszikel bei Streckung des Ellen- zessen in Oberarmblutsperre, ohne Auswickeln des Armes, erfor-
bogengelenks so gut wie immer mit mehr oder minder starken derlich. Nach Einlegen einer größerkalibrigen Redon-Drainage
Beschwerden zu rechnen, die letztlich für den Operationserfolg kann ein lockerer Wundverschluss durch vorgelegte Nähte vorge-
entscheidend sind. nommen werden. Nach Anlegen des Verbandes erfolgt die Ruhig-
Unter Berücksichtigung des Fehlers der kleinen Zahl, der sich stellung des Ellenbogengelenks und die Hochlagerung des Armes
aus der relativen Seltenheit des GE ergibt, und der unterschiedli- sowie eine entsprechende antibiotische Behandlung. Bei schweren
chen Operationsmethoden, kann bei diesem Krankheitsbild mit Infektionen kann eine Spüldrainagebehandlung erforderlich sein.
einer Erfolgsquote von etwa 90% gerechnet werden. Dabei muss Zur Frage der Behandlung einer postoperativ aufgetretenen
jedoch die Reduzierung der sehr guten Ergebnisse auf 58,3% zu- Sudeck-Dystrophie wird auf  Kap. 18, 19 und 20 verwiesen.
gunsten der guten Resultate (33,3%) entsprechend berücksichtigt
werden, wie aus einem Vergleich mit den operativen Ergebnissen
des Tennisellenbogens hervorgeht (⊡ Tab. 17.14, Gruppe A, C1 und 17.2.4 Partielle Denervation und temporäre
C2). Ein befriedigendes Ergebnis konnte nur in 2 Fällen (7,1%) Schmerzausschaltung im Bereich des
gefunden werden (Bewertungsschema in ⊡ Tab. 17.12). Schultergelenks

Fehler, Gefahren und Komplikationen Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie


Bei scharfer Durchtrennung der Subkutis besteht die Gefahr einer Da in vielen einschlägigen Lehrbüchern und Atlanten eine Darstel-
Verletzung des R. profundus ni. cutanei antebrachii medialis. Eine lung der Gelenknerven im Bereich der oberen Extremität immer
mangelhafte Schmerzausschaltung ist nur dann möglich, wenn die noch fehlt, soll zunächst ein kurzer Überblick über die Innervation
Denervation nicht lege artis durchgeführt und eine Double Nerve des Schultergelenks gegeben werden. Zur genaueren Information
Lesion sowie ein fokaltoxisches Geschehen übersehen werden. wird hierzu auf die Monografie von Rüdinger (1957) und die
Nach der Dekompression des N. medianus können ebenfalls Arbeiten von Gardner (1948) und Wilhelm (1958, 1963 u. 1972)
Schmerzen fortbestehen, wenn der distale Abschnitt des Nervs bis sowie auf die Darstellungen von v. Lanz u. Wachsmuth (1959) und
zu seinem Eintritt in den M. pronator nicht revidiert wird. Im Hin- von Braus u. Elze (1960) verwiesen.
blick auf die Schmerzfreiheit sollte in jedem Fall auch der Lacertus Die Streckseite des Schultergelenks (⊡ Abb. 17.55) wird vor-
fibrosus reseziert werden. nehmlich von Ästen des N. suprascapularis versorgt. Extramus-
Bei schmerzhaften Verwachsungen des vorverlagerten N. ul- kulär innervieren in typischer Anordnung ein oberer, mittlerer
naris ist eine operative Revision indiziert, wobei insbesondere der und unterer Gelenknerv die skapulohumerale Gelenkkapsel. Der
proximale Einlauf des Nervs im Bereich des resezierten Septums R. articularis cranialis ni. suprascapularis versorgt zusätzlich auch
und der distale Auslauf überprüft werden müssen. Bei einem zu noch die Rückseite des Korakoids und erreicht schließlich das Ak-
steilen Auslaufwinkel empfiehlt sich nach Neurolyse eine wei- romioklavikulargelenk (AC-Gelenk). Intramuskulär zweigen sich
386 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Abb. 17.55 Die posteriore Innervation des Schulter-


gelenks. (Aus Wilhelm 1972)

⊡ Abb. 17.56 Die anteriore Innervation des Schulter-


gelenks, tiefe Schicht. (Aus Wilhelm 1972)

von den Rr. musculares ni. supraspinati et infraspinati zwei weitere


17 Gelenknerven ab, welche die Gelenkkapsel im Insertionsbereich
der genannten Muskeln erreichen. Weiter kaudal schließen sich
dann die Gelenkäste des N. axillaris und die Ausläufer seiner ante-
rioren Gelenkäste im Hiatus axillaris lateralis an.
Auf der Beugeseite wird das Schultergelenk in tiefer Schicht
von intramuskulär verlaufenden Gelenknerven versorgt, die sich
von insgesamt 4 Muskelästen der Nn. subscapulares ableiten
(⊡ Abb. 17.56). Der am weitesten kranial verlaufende Ast versorgt
dabei auch die Bursa subcoracoidea, die übrigen Muskeläste enden
als Gelenkfasern. Der Recessus axillaris wird kaudal von Gelenkfa-
sern des N. axillaris innerviert, bevor dieser in die laterale Achsel-
lücke eintritt. Die am weitesten lateral verlaufenden Gelenkfasern
innervieren neben der humeralen Kapsel auch das Tuberculum
minus humeri. ⊡ Abb. 17.56 zeigt außerdem als Variation einen
auffallend langen subdeltoidal verlaufenden R. intertubercularis
ni. axillaris, der nicht nur das AC-Gelenk, sondern auch das Tuber-
culum majus humeri innerviert (⊡ Abb. 17.57).
In oberflächlicher Schicht (⊡ Abb. 17.58), d. h. in extramusku-
lärer Lage, findet sich kranial zunächst ein R. articularis acromio- ⊡ Abb. 17.57 Anatomisches Präparat: Atypischer Verlauf eines R. intertuber-
clavicularis, der sich vom N. thoracicus anterior cranialis abzweigt. cularis ni. axillaris, der auch das AC-Gelenk innerviert. (Aus Wilhelm 1963)
17.2 · Spezielle Techniken
387 17

⊡ Abb. 17.58 Die anteriore Innervation des Schul-


tergelenks, oberflächliche Schicht. (Aus Wilhelm
1972)

⊡ Abb. 17.59 Die anteriore Innervation des Schul-


tergelenks mit normalem Verlauf des R. intertuber-
cularis ni. axillaris. (Aus Wilhelm 1972)

Er verläuft über den Proc. coracoideus nach lateral, innerviert der A. axillaris und verbindet sich hier schließlich mit dem oben ge-
diesen an seiner Vorder- und Oberseite und versorgt schließlich nannten Gelenkast des N. thoracicus anterior caudalis. Beide Struk-
die Bursa subacromialis und das AC-Gelenk. Kurz vor Eintritt des turen unterlaufen zusammen den lateralen Faszikel des Plexus bra-
N. thoracicus anterior cranialis in den M. pectoralis major zweigt chialis und ziehen dann auf der Vorderfläche des M. subscapularis,
sich ein stärkerer Nervenast ab, der knapp unterhalb des Korakoids zusammen mit einem kleinen Kapselgefäß der A. thoracoacromialis,
zum vorderen Rand des M. deltoideus zieht und dann unterhalb zum Korakoid. Nerv und Gefäße treten dann unterhalb desselben in
dieses Muskels schließlich als Variation eines R. intertubercularis die skapulare Kapsel und in die hier gelegene Bursa subcoracoidea
ni. axillaris sich im Bereich der Vagina synovialis intertubercularis ein, wobei ein feiner Nervenfaden auch die Unterseite des Korakoids
verzweigt (⊡ Abb. 17.58). Diese wird normalerweise von einem und das Lig. coracoacromiale versorgt (⊡ Abb. 17.58).
relativ kurzen Ast des N. axillaris bis in Höhe der Gelenkkapsel Weiter distal entspringen aus dem Fasciculus posterior zwei
innerviert (⊡ Abb. 17.59). Gelenkäste, die in einem leichten Bogen über dem M. subscapula-
Die Innervation des subkorakoidalen Kapselabschnitts ein- ris verlaufend zum Tuberculum minus humeri ziehen. Der unterste
schließlich der hier gelegenen Bursa erfolgt durch einen Ast des Zweig kann dabei einen Teil des in ⊡ Abb. 17.56 dargestellten Inner-
N. thoracicus anterior caudalis (⊡ Abb. 17.58) bzw. des N. musculo- vationsgebietes des N. axillaris übernehmen, der ja ebenfalls dem
cutaneus (⊡ Abb. 17.58). Dieser Gelenkast ist von besonderem Inte- posterioren Faszikel entstammt.
resse, weil zusammen mit ihm auch sympathische Fasern verlaufen,
die vom kranialen Pol des Ganglion stellatum entspringen, zur Rück- Epidemiologie
seite der A. subclavia ziehen und in der Adventitia dieses Gefäßes Die Schultergelenkregion stellt eine bevorzugte Lokalisation von
unter ständiger Abgabe von feinen Fäden nach distal verlaufen. Ei- verschiedenen Schmerzursachen dar, die durch rein lokale Prozes-
ner von ihnen zieht bis zum Ursprung der A. thoracoacromialis aus se, aber auch durch weiter proximal und gelegentlich auch distal
388 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

⊡ Tab. 17.20 Thoracic Outlet-Syndrom (1982–1987): Befunde im Bereich des Schultergürtels. (Mod. nach Wilhelm 1997)

Präoperative Befunde Postoperative Resultate

Np = 92 – nachuntersucht – Nop = 100 sehr gut gut befriedigend unverändert

Hinterhauptschmerz 28 → 18 2 3 5

Oberes Zervikalsyndrom 44 → 28 4 6 6

Unteres Zervikalsyndrom 72 → 50 4 10 8

M. trapezius 83 → 49 7 15 12

Plexus brachialis 92 → 64 10 7 11

Fossa supraspinata 34 → 22 1 7 4

Fossa infraspinata 31 → 19 2 7 3

N. accessorius 22 → 8 1 7 6

Processus coracoideus 71 → 46 7 8 10

Akromion 31 → 13 4 8 6

Tuberculum majus humeri 29 → 16 1 4 8

Deltoideusansatz 48 → 37 4 4 3

Summe 585 (100%) 370 (63,3%) 47 (8%) 86 (14,7%) 82 (14%)

⊡ Tab. 17.21 Thoracic Outlet-Syndrom (1982–1987): Befunde im Bereich des Ellenbogens und Unterarmes. (Mod nach Wilhelm 1997)

Präoperative Befunde Postoperative Resultate

Np = 92 – nachuntersucht – Nop = 100 sehr gut gut befriedigend unverändert

Proximaler Radialistunnel 8→ 4 - 2 2

Mittlerer Radialistunnel 34 → 14 4 8 8

Distaler Radialistunnel 29 → 21 1 3 4

Epicondylitis humeri radialis 86 → 48 17 7 14

Interosseusneuralgie 22 → 18 - 1 3

Styloiditis radii 18 → 11 1 3 3
17 Epicondylitis humeri ulnaris 23 → 18 1 1 3

N. cut. antebrachii medialis 32 → 25 1 3 3

Styloiditis ulnae 7→ 4 - 1 2

Brachioradialis-Insertionstendo- 10 → 4 1 1 4
pathie

Tendovaginitis de Quervain 11 → 7 1 1 2

Summe 280 (100%) 174 (62,2%) 27 (9,6%) 31 (11,1%) 48 (17%)

gelegene krankhafte Veränderungen bedingt sein können, und ter- und Akromioklavikulargelenks, vor allem um die auch heute
zwar in Form von Irritationen und Kompressionen des Plexus bra- noch unter dem Sammelbegriff der sog. »Periarthritis humeros-
chialis, einschließlich seiner Ursprünge im Bereich von C4 (–Th 1), capularis« zusammengefassten Erkrankungen der Rotatorenman-
und der peripheren Nerven. schette, insbesondere im Bereich der Sehnenansatzportionen des
Im erstgenannten Fall handelt es sich neben arthrotischen M. supra- und infraspinatus, die zu degenerativen Veränderungen,
und arthritischen sowie rheumatischen Veränderungen des Schul- Sehnenrupturen und zu einer Tendinitis calcarea führen können.
17.2 · Spezielle Techniken
389 17

⊡ Tab. 17.22 Thoracic Outlet-Syndrom (1982–1987): Befunde im Bereich der Hand. (Mod. nach Wilhelm 1997)

Präoperative Befunde Postoperative Resultate

Np = 92 – nachuntersucht – Nop = 100 sehr gut gut befriedigend unverändert

Tendovaginitis-Karpalkanal 35 → 15 10 4 7

N. medianus Kompression 79 → 53 11 8 6

Intermetakarpalschmerz 28 → 13 4 5 6

Thenarschmerz 19 → 14 - 2 3

Hypothenarschmerz 7→ 6 - 1 -

Tenovaginitis I–V 38 → 17 3 6 12

R. superficialis N. radialis 9→ 4 - 5 -

Gefühlsstörungen I–V 42 → 33 5 3 1

Handödem 39 → 23 7 6 3

Akroparästhesien 33 → 25 2 4 2

Kraftminderung 75 → 46 12 7 10

Summe 404 (100%) 248 (61,4%) 54 (13,3%) 52 (12,9%) 50 (12,4%)

Dazu gehören auch Affektionen des Bizepssehnenapparates, der Als weitere lokale Schmerzursachen kommen neben akuten
Bursa subacromialis et subdeltoidea sowie die adhäsive Kapsulitis, und chronischen Verletzungen der Schulterregion sowie den relativ
die auch als »frozen shoulder« bezeichnet wird. Außerdem wurde seltenen Druckschäden des N. suprascapularis auch internistische
bisher auch die sog. Korakoiditis dazugerechnet, in der Annahme, Erkrankungen, wie die Gicht und Pseudogicht, in Frage.
dass es sich bei diesem Leiden um eine Tendopathie handelt. Dies Entfernt liegende Schmerzursachen, wie das Paget-von-Schro-
dürfte jedoch nicht der Fall sein, da diese Schmerzlokalisation be- etter-Syndrom, die Lungentuberkulose und vor allem der Herzin-
vorzugt bei Foramenstenosen (C4–C7) sowie beim Thoracic-Out- farkt führen lediglich zu Schmerzprojektionen in die Schulterge-
let-Syndrom (TOS) und der Sudeck-Dystrophie (CRPS I) auftritt gend und in den Arm. Fernschmerzen können auch durch sub-
und allein durch eine konservative bzw. operative Therapie dieser phrenische Abszesse, Erkrankungen der Gallenwege, des Pankreas
Syndrome sehr erfolgreich behandelt werden kann (⊡ Tab. 17.20, und des Magenduodenalbereiches verursacht werden.
⊡ Tab. 17.21, ⊡ Tab. 17.22).
Im zweiten Fall handelt es sich um Schmerzausstrahlungen, die Ätiologie
durch proximal gelegene Kompressionen der genannten Plexus- Wie eingangs bereits erwähnt, kommt eine partielle Denerva-
wurzeln (Foramenstenosen) und des Plexus brachialis im Bereich tion vor allem für die Behandlung von therapieresistenten un-
des Thoracic Outlet (TOS und Sudeck-Dystrophie) verursacht erträglichen Schmerzeinstrahlungen in die Korakoid- und Ak-
werden, während die distalen Druckschäden die drei Hauptner- romionregion in Frage (⊡ Tab. 17.20), die im Wesentlichen über
venstämme betreffen. Ein schon seit Langem bekanntes Beispiel den R. articularis acromioclavicularis des N. thoracicus anterior
stellt das Karpaltunnelsyndrom dar. In einzelnen Fällen klagen cranialis und über Gelenkfasern des Ganglion stellatum in Verbin-
nämlich einige Patienten primär über Nackenschmerzen und dung mit einem Ast des N. thoracicus anterior caudalis erfolgen
Schmerzausstrahlungen in die vordere Schultergelenkregion. Diese (⊡ Abb. 17.58).
Reaktionen können auch durch palpatorische Untersuchungen des Als Ursache dieser Schmerzen, die einer evtl. operativen Be-
N. medianus im Bereich der Rascetta provoziert werden. Für die handlung bedürfen, kommen neben den Foramenstenosen, deren
Schmerzprojektion kommen vorrangig die Nn. thoracici anteriores Therapie hier nicht zur Diskussion steht, vor allem das TOS und
zusammen mit dem Gelenkast des Ganglion stellatum in Frage, da die oft schwer erkennbaren initialen Formen dieses Syndroms in
sie gemeinsam mit dem N. medianus aus den selben zervikalen Betracht, ebenso die Sudeck-Dystrophie (CRPS I), deren Sympto-
Segmenten (C6–C8) entspringen. Ähnliche Reaktionen können matik in geradezu auffälliger Weise der des TOS gleicht.
auch durch eine Kompression des tiefen Radialisastes im Bereich Schmerzen im Bereich des AC-Gelenks und des Akromions
des Supinatorschlitzes ausgelöst werden, wobei es zusätzlich auch werden vor allem durch arthrotische und arthritische Prozesse so-
noch zu Schmerzausstrahlungen in die laterale Epikondylengegend wie durch das subakromiale Impingement-Syndrom, Verletzungen
(TE) und zur Streckseite des Handgelenks kommen kann (Neural- der Rotatorenmanschette und durch die Tendinosis calcarea sowie
gie des N. interosseus posterior). deren negative Operationsfolgen verursacht.
Eine entsprechende Kompression des N. ulnaris im Bereich des Schultergelenkschmerzen, die im Rahmen einer prä- und post-
Sulcus ni. ulnaris, wie sie bei starker Beugung und dem sog. Flexi- operativen Nachbehandlung einer Schmerzausschaltung bedürfen,
onstest auftritt, kann ebenfalls zu einer Schmerzausstrahlung in die werden in erster Linie durch die primäre Schultersteife, die auch
Schulterregion führen. als adhäsive Kapsulitis bzw. Frozen Shoulder bezeichnet wird, und
390 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

durch die sekundäre Schultersteife verursacht, die postoperativ Von Bedeutung sind ferner Hautfarbe, Temperatur und Trophik
nach Verletzungen und operativen Eingriffen im Schulter-Arm- der Hand. Irritationen des Plexus brachialis im Bereich der obe-
Bereich beobachtet werden kann. Eine weitere, besonders wichtige ren Thoraxapertur können gelegentlich zu Raynaud-Phänomenen
Schmerzursache stellt der sog. periarthritische Anfall dar, wie er im und relativ häufig zu Horner-Syndromen führen. Bei Atrophie der
Rahmen einer Tendinosis calcarea auftreten und neben dem kli- Handbinnenmuskeln sollte man stets an eine Druckschädigung der
nischen Bild auch röntgenologisch durch begrenzte Verkalkungs- unteren Plexuswurzeln denken (C8 und Th1). Durch Pulskontrolle
herde im Bereich der Rotatorenmanschette mit entsprechenden os- bei herabhängendem Arm und Druckbelastung des Schultergürtels
teoporotischen Veränderungen im Bereich des Tuberculum majus sowie durch verschiedene Provokationstests, wie dem Tragetest
humeri bewiesen werden kann. (Anamnese!), dem Abduktionstest (3-Minuten-Faustschluss-Test)
nach Roos (1979) und dem Elevationstest lassen sich erste Hinwei-
Diagnostik se auf eine Mitbeteiligung des Gefäßsystems gewinnen, während
Anamnestisch ist zu erfahren, dass die Patienten neben ihren durch das Redressements des Schultergürtels eine Irritation der
Schmerzen im Schultergelenk sehr häufig auch über Schmerzen im unteren Plexuswurzeln mit Schmerzausstrahlung in den Hand-
Bereich des Hinterkopfes, der Nackenmuskulatur, der Schulter und und Fingerbereich ausgelöst werden kann.
bei Kopfbewegungen klagen ⊡ Tab. 17.20). Ferner werden Ruhe- Eine besonders sorgfältige Untersuchung des Nacken-, Hals-,
schmerzen angegeben, die im Gegensatz zum Bewegungsschmerz Schulter-, Arm- und Handbereichs ist diagnostisch von größter
der Schulter nachts infolge einer vermehrten Zugbeanspruchung Bedeutung. Dabei sollte vor allem auf multiple Schmerzlokalisati-
der Nervenwurzeln durch den nachlassenden Muskeltonus zuneh- onen im Bereich der Nackenmuskulatur, des M. trapezius und der
men, wobei die Schmerzausstrahlungen segmentalen Charakter Schulterblattmuskeln, des Plexus brachialis und des N. accessorius
aufweisen. sowie des Proc. coracoideus, des Akromions, der Tubercula humeri
und des Deltoideus-Ansatzes geachtet werden (⊡ Tab. 17.20). Von
> Motorische Beeinträchtigungen können durch Untersuchung
besonderem Interesse sind auch Druck- und Dehnungsschmer-
der Kennmuskeln festgestellt werden (C5: M. deltoideus, C6:
zen sowie Sensibilitätsstörungen im Bereich der peripheren Ner-
M. biceps und C7: M. triceps), ebenso durch Minderung der
ven und deren Innervationsgebiete (Tennis- u. Golferellenbogen,
groben Kraft.
Styloiditiden). An der Hand sind vor allem Ödembildungen,
Für die nervöse Versorgung des Schultergelenks kommen vor Tendovaginitiden, Druckschmerzen im Bereich des ersten Inter-
allem Gelenkäste des N. suprascapularis (C4–C6), der Nn. subsca- metakarpalraumes sowie des Daumen- und Kleinfingerballens,
pulares (C5–[C7]), der Nn. thoracici anteriores (C5–C8) und des Medianuskompressionen, Sensibilitätsstörungen im Bereich des
N. axillaris (C5, C6) in Frage. oberflächlichen Radialisastes und der Finger sowie Akroparästhe-
Zur genauen Lokalisation von schmerzhaften Bewegungsein- sien beachtenswert. Auch Messungen der groben Kraft sind wich-
schränkungen im Bereich der HWS wird eine segmentale Un- tig (⊡ Tab. 17.21, ⊡ Tab. 17.22).
tersuchung durchgeführt und das Verhalten der Schmerzen bei Eine tabellarische Zusammenfassung dieser Befunde (vgl.
Extension (Besserung) und Kompression der HWS (Verschlech-  Kap. 20, Tab. 20.7) erleichtert nicht nur die Untersuchungstech-
terung) überprüft. Für die röntgenologische Darstellung von post- nik, sondern ermöglicht gleichzeitig auch eine wesentlich bessere
traumatischen und degenerativen Gelenkveränderungen sowie von Übersicht, die im Einzelfall die sofortige Verdachtsdiagnose eines
Stenosen der Foramina intervertebralia genügen vorerst Röntgen- TOS stellen lässt (⊡ Tab. 17.20, ⊡ Tab. 17.21, ⊡ Tab. 17.22). Zur Be-
aufnahmen der HWS in 2 Ebenen und in halbschrägen Positio- stätigung dieser Diagnose empfiehlt sich eine Testblockade des
nen. Bei länger anhaltenden segmentalen Beschwerden sollte zum Ganglion stellatum oder des Plexus brachialis. Wichtig sind in die-
Ausschluss eines Bandscheibenprolapses und von tumorbedingten sem Zusammenhang auch Röntgenuntersuchungen der HWS zum
sowie entzündlich-destruierenden Prozessen ohne weitere Verzö- Ausschluss einer Foramenstenose. Eine Übersichtsaufnahme der
gerung eine Computertomografie bzw. Magnetresonanztomografie oberen Thoraxapertur erlaubt eine Beurteilung der Lage des Schul-
und in jedem Fall auch eine neurologische Untersuchung durch- tergürtels und seiner Beziehung zur ersten Rippe. Auch können
17 geführt werden. dadurch Halsrippen und deren Rudimente, besonders breite und
Bei der Diagnose des TOS ist der wichtigste und erste Schritt, wuchtig ausgebildete Querfortsätze von C7 sowie Form- und La-
dass man überhaupt an das Vorliegen eines derartigen Syndroms geveränderungen der erste Rippe und der Klavikula dokumentiert
denkt, zumal die Patienten meist schon selbst auf entsprechende werden. CT- und MRT-Untersuchungen sind nur selten indiziert.
Belastungs- und haltungsabhängige Beschwerden hinweisen. Bei
> Zur Abklärung von Ödemen im Arm- und Handbereich ist
der Inspektion sollte man insbesondere auf einen den Nervenge-
eine funktionelle Phlebografie der V. subclavia unerlässlich.
fäßstrang entlastenden Schulterhochstand bei Vorhandensein einer
Halsrippe achten, ebenso auf einen nach vorn gedrängten Schul- Diese nur geringfügig belastende Untersuchung erlaubt nämlich
tergürtel, wodurch der Nevengefäßstrang ebenfalls eine Entlastung eine genaue Beurteilung der Einflussverhältnisse im Bereich der
erfährt. V. subclavia. Bei Vorliegen von Stenosen, Kompressionen oder gar
Verschlüssen dieses Gefäßes ist mit einer entsprechenden Erhö-
> Von besonderer Bedeutung sind auch Umfangvermehrun- hung des venösen Einlaufdrucks zu rechnen, die röntgenologisch
gen im Arm- und Handbereich und eine evtl. gleichzeitig zur Ausbildung eines entsprechenden Kollateralkreislaufes und
vorhandene Vergrößerung der gleichseitigen Mamma, eine vor allem zu einem Reflux des Kontrastmittels in die V. cephalica
verstärkte Zeichnung der Handrückenvenen und ein sichtba- führt.
rer venöser Kollateralkreislauf im Schulter- und Brustbereich, Als Folge dieser Stauung finden sich Ödembildungen im Arm-,
weil daraus auf eine venöse Abflussbehinderung im Bereich Hand- und Fingerbereich, die durch vergleichende Umfangmes-
der V. subclavia infolge von Stenosen und angeborenen oder sungen und Bestimmungen des Handvolumens durch die Ein-
erworbenen Verschlüssen (»non thrombotic occlusion« und tauchprobe objektiviert werden. Dies gilt auch für die Beurteilung
Paget-von-Schroetter-Syndrom) geschlossen werden kann. der postoperativen Ergebnisse.
17.2 · Spezielle Techniken
391 17
Durch den phlebografischen Nachweis von Kompressionsef- Quadranten, namentlich in die Korakoidregion, ist nur selten
fekten im kostoklavikulären Spalt können auch wichtige Hinweise gegeben, da durch eine rechtzeitige konservative und operative Be-
auf fibromuskuläre und andere irritierenden Strukturen gewonnen handlung von Foramenstenosen und therapieresistenten Thoracic-
werden. Outlet-Syndromen sowie vor allem Sudeck-Dystrophien in den
Als weitere Folge des stauungsbedingten chronischen Ödems meisten Fällen eine erhebliche Besserung der Schmerzen erreicht
finden sich bei TOS-Patienten in 79 (79,0%) von 100 Fällen Me- werden kann (⊡ Tab. 17.20, ⊡ Tab. 17.21, ⊡ Tab. 17.22).
dianuskompressionen, die nach Dekompression der V. subclavia Durch eine partielle Denervation, die sich auf die Ausschaltung
bei 53 (67,1%) von 79 Patienten völlig verschwinden und bei 11 des Gelenkastes des N. thoracicus anterior cranialis beschränkt,
(13,9%) nur noch andeutungsweise nachweisbar sind. Unverändert können auch postoperative Schmerzen in der Region des AC-
blieb der Befund nur bei 6 (7,6%) Patienten. Gelenks nach operativen Eingriffen an den Rotatorenmanschetten
und nach Akromioplastiken erfolgreich behandelt werden.
> Damit und durch entsprechende histologische Untersu-
Demgegenüber stellt die temporäre Schmerzausschaltung
chungen ist die lang gesuchte Pathogenese der sog. idio-
durch Blockade der gesamten Schultergelenkinnervation eine sehr
pathischen Medianuskompression als Folge eines chroni-
erfolgreiche Methode zur Behandlung des sog. akuten periarthriti-
schen Ödems bewiesen (Wilhelm u. Wilhelm 1985).
schen Schmerzanfalles dar. Auch im Rahmen der Nachbehandlung
Eine absolute Indikation zur Arteriografie besteht nur bei Steno- von schmerzhaften Schultersteifen und Adduktionskontrakturen
segeräuschen, Pulsabschwächungen und einer Blutdruckdifferenz kann diese Methode als begünstigende und erfolgversprechende
von 20 mmHg und mehr; ferner bei Verdacht auf ein Aneurysma Maßnahme eingesetzt werden.
der A. subclavia und bei mikroembolischen Verschlüssen der peri- Spezielle Kontraindikationen für eine partielle Denervation
pheren Strombahn. Eine Doppleruntersuchung sollte dieser relativ bestehen nur bei hochgradiger krankheits- und altersbedingter
invasiven Diagnostik stets vorausgehen. Einschränkung der Operabilität, während die temporäre Schmerz-
Falls die Indikation zu einer operativen Behandlung eines the- ausschaltung keiner Einschränkung bedarf.
rapieresistenten TOS gegeben ist, sollten präoperativ unbedingt die
Entzündungsparameter, der ASL-Titer, die Rheumafaktoren, die Therapie
Harnsäure und leberspezifischen Laborwerte bestimmt werden. Bezüglich der Behandlung der verschiedenen Faktoren im HWS-
Ein Alkoholabusus sollte ausgeschlossen werden. Fokaltoxikosen Bereich wird auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen.
müssen präoperativ unbedingt saniert werden. Eine ausführliche Darstellung der gesamten Problematik des
Bei zusätzlichem Vorhandensein von trophischen und sekre- Thoracic-Outlet- und -Inlet-Syndroms findet sich bei Roos (1976,
torischen Störungen, von auffallenden Veränderungen der Tem- 1979), Wilhelm und Wilhelm (1985), Gruß et al. (1987), Tackmann
peratur und der Hautfarbe, von Sensibilitätsstörungen im Bereich et al. (1989), Leffert (1991), Narakas (1991), Mummenthaler et al.
des N. cutaneus antebrachii medialis und des Autonomgebietes des (1998), Bahm (2006), Millesi und Schmidhammer (2006), Prescher
N. ulnaris, aber auch in dem medianusinnervierten Gebiet, sollte und Schuster (2006).
man vorrangig immer eine Sudeck-Dystrophie (CRPS I) in Erwä- Die konservative und operative Therapie der Sudeck-Dystro-
gung ziehen. Dies gilt auch für Berührungs-, Druck-, Bewegungs- phie wird in  Kap. 18, 19 und 20 besprochen.
und Ruheschmerzen sowie für den Nachweis einer Allodynie und
Minderung der groben Kraft. Technik der partiellen Denervation im Bereich des
Als weiterführende Untersuchungen sind zum Nachweis einer vorderen oberen Quadranten des Schultergelenks
derartigen Dystrophie ebenfalls Blockaden des Ganglion stellatum nach Wilhelm
oder des Plexus brachialis sowie orientierende Röntgenaufnahmen Die Indikation zur partiellen Denervation im Bereich der Korako-
der Hand (Knochenatrophie), der oberen Thoraxapertur und vor idregion sollte niemals ohne eine entsprechende Testausschaltung
allem eine funktionelle Phlebografie der V. subclavia in Adduk- gestellt werden, bei der zunächst nur die anteriore Innervation des
tions- und Abduktionsstellung des Armes von 90° durchzufüh- Proc. coracoideus und des subkorakoidalen Raumes infiltriert wer-
ren. Diese Untersuchung ist bei der Sudeck-Dystrophie besonders den, um nicht eine mögliche Schmerzausstrahlung über den obe-
wichtig, weil sich daraus wichtige Hinweise für die Prognose dieses ren extramuskulär verlaufenden Gelenkast des N. suprascapularis
Leidens und insbesondere für die Dringlichkeit einer rechtzeitigen zu übersehen (⊡ Abb. 17.55). Gegebenenfalls kann eine derartige
Operationsindikation ableiten lassen, wovon letztendlich der Er- Schmerzleitung anschließend durch Blockade des N. suprascapu-
folg eines kurativen Eingriffes abhängt. laris ergänzt werden.
Eine Arteriografie ist bei der Sudeck-Dystrophie nur bei den Der 6–8 cm lange Hautschnitt beginnt direkt unterhalb der
oben bereits genannten Indikationen wünschenswert. Auf eine Klavikula in Höhe des Proc. coracoideus und folgt entlang des
szintigrafische Untersuchung der Hand kann dagegen verzichtet Innenrandes des M. deltoideus nach distal. Nach Inzision der
werden, da diese Methode unspezifisch und der Phlebografie in Fascia mi. deltoidei lateral des Verlaufes der V. cephalica wird zu-
prognostischer Hinsicht unterlegen ist (Weitere Einzelheiten zu nächst dieses Gefäß so freipräpariert, dass es im Verbund mit dem
diesem Thema  Kap. 18, 19 und 20). M. pectoralis major verbleibt. Dabei müssen kreuzende Gefäße
und einmündende Äste der V. cephalica ligiert und durchtrennt
Klassifikation werden. Die Äste des N. thoracicus anterior cranialis, die für die
Aus therapeutischen Gründen sollte man die Schmerzen im Schul- Innervation der Pars clavicularis mi. deltoidei bestimmt sind, soll-
terbereich in eine akute, eine konservativ therapieresistente und ten möglichst erhalten werden (⊡ Abb. 17.58, ⊡ Abb. 17.59). Nach
eine chronisch rezidivierende Form einteilen. Einsetzen eines stumpfen Hakens findet sich in der Tiefe die Fascia
pectoris profunda, deren mediale Anteile als Fascia clavipectoralis
Indikationen und Kontraindikationen den M. subclavius und M. pectoralis minor umhüllen. Die Fas-
Die Indikation für eine partielle Denervation zur Ausschaltung zie in der Mitte des Trigonum deltoideopectorale wird als Fascia
unerträglicher Schmerzausstrahlungen in den vorderen oberen thoracoaxillaris und lateral hiervon als Fascia thoracobrachialis
392 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

bezeichnet. Nach Anschlingen des N. thoracicus anterior cranialis innerviert der Gelenkast neben dem Korakoid auch das genannte
und seiner begleitenden Gefäße, welche die klavikuläre Portion des Band und die Bursa subcoracoidea (⊡ Abb. 17.59) und zieht dann
M. deltoideus versorgen, wird dann der Faszienabschnitt am Vor- als R. articularis acromioclavicularis zum AC-Gelenk. Die Dener-
derrand des kurzen Bizepskopfes längs inzidiert. Danach liegt der vation wird mit dem elektrischen Messer blind durchgeführt, wo-
Oberarmkopf frei, sodass nunmehr die in den lateralen Rand der bei die Weichteile über dem Proc. coracoideus basisnah an seiner
Ursprungssehne des kurzen Bizepskopfes einstrahlenden Fasern anteriomedialen Seite längs durchtrennt werden (⊡ Abb. 17.60).
des Lig. coracoacromiale bogenförmig reseziert werden können, Danach erfolgt die Ausschaltung des R. articularis des Gan-
wodurch man einen besseren Einblick in den subkorakoidalen glion stellatum, der sich hinter der A. axillaris einem etwas stär-
Raum erhält. Sollte dies, wie bei muskulären und adipösen Pa- keren Gelenkast des N. thoracicus anterior caudalis anschließt.
tienten nicht genügen, müsste entweder die sehnige Ursprungs- Der gemeinsame Stamm dieser Äste unterläuft dann den lateralen
portion des Bizepskopfes inzidiert oder aber gleich die Spitze des Faszikel, zieht auf der Vorderfläche des M. subscapularis zum
Proc. coracoideus nach Anlegen eines Bohrkanals mit einer Vib- Proc. coracoideus und tritt unterhalb desselben in die skapulare
riersäge abgetrennt werden, wonach die gemeinsamen Ursprünge Kapsel ein, wo er auch die Bursa synovialis subcoracoidea versorgt.
des M. biceps und M. coracobrachialis nach medial weggehalten Ein feiner Nervenfaden zieht an der Unterseite des Korakoids wei-
werden können, während der Ursprung des M. pectoralis minor ter und innerviert auch das Lig. coracohumerale (⊡ Abb. 17.58).
erhalten bleibt (⊡ Abb. 17.60). Nach Resektion der vom Lig. coracoacromiale in den kurzen
Als erstes wird der Gelenkast des N. thoracicus anterior crani- Bizepskopf einstrahlenden Fasern wird dann ein stumpfer Haken
alis ausgeschaltet, der die Lamina cribrosa infraclavicularis der Fa- eingesetzt, mit dem die Ursprungssehne dieses Muskels, erforder-
scia pectoris profunda durchbricht und sich vor dem M. subclavius lichenfalls auch die osteotomierte Spitze des Korakoids mit den
nach lateral wendet und dann, direkt vor dem Lig. coracoclavicu- hier entspringenden Armmuskeln vorsichtig beiseite gehalten wird.
lare verlaufend, den Proc. coracoideus überquert. An dieser Stelle Danach werden erst der Fasciculus lateralis und der N. musculocu-

17

⊡ Abb. 17.60 Anatomisch-topografische Verhältnisse im Bereich des vorderen Zugangs zum Schultergelenk. R. art. acromioclavicularis des N. thoracicus
anterior cranialis; Durchtrennung dieses Nervs durch dünnen schwarzen Pfeil markiert. Punktierte Linie: Abtrennung der Korakoidspitze oberhalb der Vasa tho-
racoacromialia. Gestrichelte Linie: Ausdehnung der Resektion der vom Lig. coracoacromiale einstrahlenden Fasern in den lateralen Rand des kurzen Bizepskop-
fes. Stark gebogener, dicker Pfeil: Zugang zur Bursa subcoracoidea und zum Gelenkast des Ganglion stellatum. Leicht gebogener, starker Pfeil: Leichte Außenro-
tation des Caput humeri. V. thoaracoacromialis in Bereich des Proc coracoideus aus optischen Gründen reseziert. (Nach v. Lanz u. Wachsmuth 1959)
17.2 · Spezielle Techniken
393 17
taneus lokalisiert und während der Präparation unter dem Schutz Klavikula ergibt sich dann etwas lateral dieser Längsachse, etwa
eines etwas tiefer gesetzten Hakens gehalten. Dabei muss eine 1 Querfinger hinter dem AC-Gelenk, die genaue Einstichstelle.
Druckschädigung dieser Strukturen unbedingt vermieden werden. Nach entsprechender Desinfektion wird dann eine kurze Nadel
Die Präparation erfolgt entlang des oberen Randes des M. sub- (Nr. 12 oder 14) auf eine 10-ml-Spritze aufgesetzt und senkrecht
scapularis, wobei auch die Vorderfläche der Bursa subcoracoidea bis zum Knochenkontakt eingeführt. Nach orientierender Aspi-
dargestellt wird, um auch noch die beiden oberen intramuskulär ration werden dann etwa 3 ml eines Lokalanästhetikums langsam
verlaufenden Gelenkäste der Nn. subscapularis ausschalten zu kön- injiziert. Hierbei hat sich in den letzten Jahren vor allem Naropin®
nen, falls dies erforderlich sein sollte. Hierzu muss der obere Teil (Ropivacain) bewährt.
des M. subscapularis von der humeralen und skapulären Kapsel Für die Ausschaltung der anterioren Gelenkäste (⊡ Abb. 17.56,
scharf abgelöst werden. Nach Beendigung dieser Präparation wird ⊡ Abb. 17.57, ⊡ Abb. 17.58, ⊡ Abb. 17.59) ist eine weitere Injektion
das gesamte unterhalb des Korakoids verbleibende Füllgewebe un- erforderlich. Zur Orientierung dient wiederum die Längsachse des
ter sorgfältiger Schonung der Bursa subcoracoidea exzidiert. Proc. coracoideus. In diesem Fall muss eine längere Kanüle (Nr. 12
oder 2) verwendet werden. Der Einstich erfolgt direkt über der Spit-
> Die Denervation kann also auch unterhalb des Proc. coracoi-
ze des Korakoids, von wo aus man die oberflächlichen Weichteile
deus blind durchgeführt werden.
fächerförmig bis zur Klavikula infiltriert. Hierfür reichen 3–5 ml
Nach Überprüfung der Blutstillung, Naht der inzidierten Bizeps- eines Lokalanästhetikums (⊡ Abb. 17.60, ⊡ Abb. 17.61). Durch die-
sehne bzw. Reposition der Korakoidspitze und Osteosynthese mit- se Blockade wird der R. articularis ni. thoracici anterior cranialis
tels Zugschraube oder zweier transossärer Drahtcerclagen sowie ausgeschaltet. Nach Umspritzen des Proc. coracoideus zieht man
nach Einlegen einer Redon-Drainage wird der schichtweise Wund- dann die Nadel in die Subkutis zurück, senkt die Spritze um etwa
verschluss durchgeführt. Nach Anlegen eines leicht komprimie- 70° nach medial und infiltriert das Gewebe unterhalb des Korakoids
renden Verbandes, der auch den Arm einschließen sollte, erfolgt fächerförmig in posterolateraler Richtung bis zum Schultergelenk.
die Ruhigstellung des Armes in Anteversion auf einer Abduktions- Dadurch werden die Gelenkäste des N. thoracicus anterior caudalis
schiene und diejenige des Unterarmes in Mittelstellung. Die aktive und des Ganglion stellatum sowie die intramuskulär verlaufenden
Mobilisierung des Schultergelenks erfolgt von der Abduktions- Äste der Nn. subscapulares ausgeschaltet. Unterhalb des Proc. cora-
schiene aus. coideus wird dabei ein größeres Depot in der Tiefe zwischen M. sub-
Falls erforderlich, kann von diesem Zugang aus natürlich auch scapularis und kurzem Bizepskopf gesetzt, da in dieser mit lockerem
eine Ausschaltung der übrigen intramuskulär verlaufenden Ge- Füllgewebe ausgestatteten Gleitschicht die meisten extramuskulär
lenkäste der Nn. subscapulares durchgeführt werden, wobei es verlaufenden, schmerzleitenden Fasern vorhanden sind. Hierfür
genügt, die Insertion des M. subscapularis, wie bei der Operation werden etwa 5–6 ml Ropivacain benötigt. Durch allmähliche Diffu-
nach Eden-Hybinette, knapp proximal der sehnigen Ansatzportio- sion des Anästhetikums werden schließlich auch die Gelenkäste des
nen zu durchtrennen und den proximalen Stumpf bis zum Beginn N. axillaris erreicht (⊡ Abb. 17.56, ⊡ Abb. 17.58, ⊡ Abb. 17.59).
der skapulären Kapsel scharf abzulösen und danach wieder zu
reinserieren.
Eine eventuell erforderliche Ausschaltung des kranialen extra-
muskulär verlaufenden Gelenkastes des N. suprascapularis, wel-
cher die Rückseite des Processus coracoideus und das AC-Gelenk
innerviert, benötigt einen zusätzlichen posterioren Zugang. Die
erforderliche Inzision erfolgt etwa 2 cm oberhalb und parallel zur
Spina scapulae, und zwar unter Ablösung des Trapeziusansatzes.
Der Gelenknerv zweigt sich unmittelbar nach Passieren der In-
cisura scapulae vom Hauptstamm ab und verläuft extramuskulär
nach lateral.
Da der N. thoracicus anterior cranialis nicht nur den Proc. co-
racoideus, sondern auch noch das AC-Gelenk innerviert, können
durch die alleinige Resektion dieses Nervs nach den Erfahrungen
von Dellon (2007) auch fortdauernde Schmerzen nach Operatio-
nen von Rotatorenmanschettendefekten und nach Akromioplasti-
ken erfolgreich behandelt werden.

Technik der kompletten temporären Schmerz-


ausschaltung am Schultergelenk nach Wilhelm
Mit der Blockade der Schultergelenkinnervation (⊡ Abb. 17.61)
sollte erst nach Legen eines intravenösen Zugangs für Notfallme-
dikamente begonnen werden. Diese wird insbesondere bei einem
hoch akuten periarthritischen Schmerzanfall, bei dem die Patien-
ten ihren erkrankten Arm im wahrsten Sinne des Wortes in die
Ambulanz tragen, bevorzugt am sitzenden Patienten durchgeführt.
In anderen Fällen kann die Blockade selbstverständlich auch im
Liegen durchgeführt werden. Für die Bestimmung der Einstichstel-
le zur Blockade der dorsalen Gelenkäste des N. suprascapularis
wird in der Fossa supraspinata zunächst die verlängerte Längsachse ⊡ Abb. 17.61 Technik der kompletten temporären Schmerzausschaltung am
des Proc. coracoideus palpatorisch bestimmt. Am Hinterrand der Schultergelenk. (Aus Wilhelm 1972)
394 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

Frühestens 5 min nach Beendigung der Blockade überzeugt Für die Anwendung von Carbostesin, Bupivacain und Naropin
man sich durch Befragen des Patienten und Palpation der vor- (Robivacain) ist ein genaues Studium der Gebrauchsinformation
her festgestellten druckschmerzhaften Areale von dem inzwischen unerlässlich. Dies gilt auch für das Vorhandensein der in Frage
eingetretenen Erfolg. Bei schmerzhaften Schultersteifen lässt man kommenden Notfallmedikamente, einschließlich eines Anti-
zunächst feindosierte, später ggf. in steigendem Maße aktive Bewe- konvulsivums, wie Thiopental-Natrium, in einer Dosierung von
gungen durchführen, die durch vorsichtiges manuelles Mitführen 1–3 mg/kg KG i. v. oder Diazepam 0,1 mg/kg KG i. v.
des Armes durch den Arzt bzw. durch eine Krankengymnastin
> Eine entsprechende Ausrüstung für das Monitoring, für die
unterstützt werden. Dadurch lassen sich nach relativ kurzer Zeit
Intubation und Beatmung sowie für die Wiederbelebung ist
Abduktionsgrade von 45–60° erzielen, womit das erste Ziel der Be-
obligat.
handlung, nämlich die Befreiung des Armes aus seiner Zwangslage
und dessen Lagerungsmöglichkeit auf einer Abduktionsschiene
erreicht wäre. Von da aus erfolgt dann die weitere Mobilisierung Ergebnisse
des Gelenks nach den hierfür bekannten Richtlinien. Die erste partielle anteriore Denervation des Schultergelenks ist
Bei einem hoch akuten periarthritischen Schmerzanfall und 1960 an der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg durch-
auch bei einer schmerzhaften Schulterkontraktur im Rahmen ei- geführt worden. Am Aschaffenburger Lehrkrankenhaus konnten
nes Thoracic-Outlet-Syndrom oder gar einer Sudeck-Dystrophie in der Zeit von 1970 bis 1985 nur 5 Patienten mit Erfolg operiert
empfiehlt es sich, zunächst noch weitere 5 min zu warten und erst werden. Eine Nachuntersuchung des gesamten Krankengutes seit
dann den Arm vorsichtig und unter Beachtung der Schmerzgrenze 1960 bis 1985 konnte wegen Vernichtung der Unterlagen nicht
in der erforderlichen Abduktionsstellung bei leicht gebeugtem El- mehr durchgeführt werden.
lenbogengelenk und einer Mittelstellung des Unterarmes auf einer Die postoperativen Ergebnisse bei TOS-Operationen im Be-
gut gepolsterten Abduktionsschiene lagern zu können. Erst dann reich der Schulterregion sind in ⊡ Tab. 17.20 dargesellt. Die entspre-
sollte eine orientierende Röntgenuntersuchung des Schultergelenks chenden Resultate der Sudeck-Operationen finden sich in  Kap. 20
sowie eine lokale und perorale antiphlogistische und Schmerzthe- (⊡ Tab. 19.2).
rapie eingeleitet werden. Für die Nachtruhe empfiehlt sich wegen Das Injektionsverfahren zur Schmerzausschaltung wurde 1963
des muskelentspannenden Effekts vor allem Valium in einer Dosie- nach einer 3-jährigen Erprobung publiziert. Die Erfolge und Vorteile
rung von zunächst 5 mg. dieser Methode konnten bereits 1967 durch Groß bestätigt werden.
Als Vorteile dieser Methode sind folgende Gesichtspunkte
anzuführen: Fehler, Gefahren und Komplikationen
1. Technisch einfaches Vorgehen, das auch in einer für die Not- Bei der partiellen Denervation im Bereich des vorderen oberen
falltherapie entsprechend eingerichteten Praxis durchgeführt Quadranten der Schultergelenkregion besteht vor allem die Gefahr
werden kann. einer Verletzung der V. cephalica und der A. thoracoacromialis
2. Verhütung von zusätzlichen Schmerzen bei lokaler Infiltrati- sowie für eine Druckschädigung des N. musculocuteanus und des
onsanästhesie, z. B. im subakromialen Raum. lateralen Fasciculus infraclavicularis durch brüskes Einsetzen und
3. Erhaltenbleiben einer ausreichenden Motorik des Schulter- Halten des stumpfen Hakens. Neben den üblichen Komplikationen
gürtels. kann es postoperativ auch zu einem thrombotischen Verschluss
4. Abkürzung der krankengymnastischen und postoperativen der V. subclavia kommen.
Behandlungsdauer. Bei der temporären Blockade des N. suprascapularis besteht
5. Da auch die sympathische Versorgung des Schultergelenks un- vor allem die Gefahr einer Injektion in die begleitenden Gefäße,
terbrochen wird, kann man auf die technisch weitaus schwie- falls kein Aspirationsversuch durchgeführt worden ist. Bei der
rigeren und komplizierteren Verfahren der Stellatum- und infrakorakoidalen Blockade besteht ebenfalls die Gefahr einer ver-
Plexusanästhesie verzichten. sehentlichen Punktion der Vasa axillaria, falls die Nadel mithilfe
6. Für passive Bewegungsversuche besteht noch eine ausreichen- der aufgesetzten Spritze nicht in posterolateraler Richtung einge-
17 de Schmerzhemmung, sodass die erzielte Schmerzfreiheit nur
im Rahmen eines physiologischen Redressements ausgenutzt
führt wird; die Folge wäre eine intravasale Injektion des Anästhe-
tikums, die zu erheblichen toxischen Störungen führen könnte.
werden kann. Um dies zu vermeiden, sollten vor und während der Applikation
entsprechende Aspirationsversuche durchgeführt werden und die
Wahl und Dosis des Lokalanästhetikums Injektion des Anästhetikums nur sehr langsam erfolgen, und zwar
Für diagnostische Zwecke sowie zum Anlegen von Verbänden bei steigenden Dosen von zunächst 25 mg/min bis maximal 50 mg/
genügt ein Kurzzeitanästhetikum, wie z. B. eine 1%ige Xylocain- min, d. h. 3,6 ml bis maximal 6,6 ml/min. Bei versehentlicher
oder Scandicain-Lösung ( Kap. 3). Punktion der genannten Gefäße muss außerdem mit Nachblutun-
Für therapeutische Blockaden empfiehlt sich dagegen ein gen gerechnet werden, auch bei Punktion der A. axillaris.
Langzeitanästhetikum, wie z. B. Carbostesin, bei dessen Anwen-
dung jedoch die wesentlich höhere Toxizität zu berücksichtigen ist.
Weiterführende Literatur
Die Dosierung für Jugendliche ab 15 Jahren und bei Erwachsenen
beträgt 2 mg/kg KG. Bei einer einmaligen Applikation bei einem
Fingergelenke und Handgelenk
durchschnittlichen Körpergewicht von 75 kg sollte eine Gesamtdo-
sis von 60 ml der 0,25%igen und 30 ml der 0,50%igen Lösung nicht
Bateman J E (1948) Denervation of the elbow joint for the relief of pain. J
überschritten werden. Bone Jt Surg 30 B: 635–642
Bei schweren Schmerzzuständen, wie bei einem sog. periarth- Beck E (1971) Die Verpflanzung des Os pisiforme am Gefäßstiel zur Behand-
ritischen Anfall, einem TOS oder gar einer Sudeck-Dystrophie hat lung der Lunatummalazie. Handchirurgie 3: 64–67
sich dagegen Naropin® wegen der wesentlich längeren Anästhesie- Berger A (1998) Partial denervation of the wrist: A new approach. Techniques
dauer von 6–10 h als überlegen erwiesen. Hand Upper Extrem Surg 2: 25–35
Weiterführende Literatur
395 17
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398 Kapitel 17 · Technik der Denervierung zur Schmerzausschaltung im Bereich der oberen Extremität

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deck. Handchir Mikrochir Plast Chir 29: 60–72

17
18

Therapie chronischer Schmerzen und des


komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)
Reiner Winkel, Adriana Blonder

18.1 Allgemeines – 400


18.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 401
18.1.2 Epidemiologie – 404
18.1.3 Ätiologie – 404
18.1.4 Diagnostik – 407
18.1.5 Klassifikation – 408
18.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 409
18.1.7 Therapie – 410
18.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 414
18.2 Spezielle Techniken – 415
18.2.1 Vorbild der heilen Hand – 415
18.2.2 Spiegeltherapie – 417
18.2.3 Begreifen mit der »heilenden Hand« – 417
18.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 418
Weiterführende Literatur – 420

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


400 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

18.1 Allgemeines

» Ein komplexes Problem verlangte eine komplexe Lösung, wird uns


gesagt. Tatsächlich trifft in schwer vorhersagbaren Situationen eher das
Gegenteil zu. « (Gigerenzer 2008)

Handchirurgen und handchirurgisch tätige Unfallchirurgen, Or-


thopäden und Plastische Chirurgen sind in der glücklichen Lage,
einem »komplexen regionalen Schmerzsyndrom« vorbeugen zu
können und im Beginn seine Heilung in die Wege leiten zu kön-
nen, weil diese Krankheit als Folge von Verletzungen und als Folge
von deren Behandlungen an der Hand entstehen kann. Wir wollen
erklären, warum und wie.
⊡ Abb. 18.1 Russische »Puppen in der Puppe«, aufgestellt als Sinnbild für
»Persönlich« heißt unser Schlüsselwort für den Zugang zum
die trennende Wirkung einer Verletzung. Die kleine Puppe, die aus den
»komplexen regionalen Schmerzsyndrom«. Persönlich getroffen
größeren Puppen herausgenommen wurde, steht für die Hand, die infolge
ist der daran Leidende, und persönlich angesprochen ist der Arzt der Verletzung instinktiv – normalerweise nur vorübergehend – ausgeglie-
im Handchirurgen. Jeder an einer Hand Verletzte benötigt nicht dert wurde aus dem Selbst der verletzten Person. Die unvollständige Zu-
nur die Hände des Handchirurgen, sondern auch den Rat und die sammenfügung der jeweiligen Hälften der kleinen Puppe und der größten
Anleitung des Handchirurgen, wie er nach der Behandlung seiner Puppe zeigt die Trennung ihrer jeweiligen Einheit an. Die größte Puppe ist
Wunde selber mit seinen beiden eigenen Händen handeln soll, um ausgegliedert aus dem Kreis ihrer Gemeinschaft, z. B. der Gemeinschaft ihres
die Heilung zu fördern. Arbeitslebens. Eine Wunde trennt nicht nur Gewebe an einer Hand, sondern
Die in der englischsprachigen Literatur »complex regional pain auch die Hand von der Person und die Person von ihrer Gemeinschaft
syndrom« (CRPS) genannte krankhafte Störung kann als Ausdruck
einer äußerst ernsten und fortdauernden Wirkung einer Verletzung
– oft einer Hand oder eines Handgelenks – aufgefasst werden. Person? Neueste Ergebnisse der Forschung lassen den Einfluss
»Komplex« ist die Krankheit deshalb, weil die Verwundung angeborener Anlagen annehmen. Dieser mögliche Einfluss von
und die krank machenden Schmerzen von der Person Besitz ergrif- Anlagen erklärt aber nicht hinreichend die Entstehung eines CRPS.
fen haben und diese von ihrer schmerzenden Hand und von ihrer Dieses entsteht auch ohne die angeborene Anlage, stärker mit einer
Gemeinschaft trennen. Der krankhafte Schmerz wird »regional«, neurogenen Entzündung auf eine Verletzung zu antworten.
zum Beispiel an der Hand, empfunden als Zeichen der Trennung Der andauernde, quälende Entzündungsschmerz, der verstärkt
von Geweben der Hand und als Zeichen der Trennung der Hand und/oder ausgelöst wird durch Bewegung, bedroht die Einheit
von der Person. jeder Person. Der Schmerz beim Bewegen und die Angst vor der
Die Person ist mehr als die Summe ihrer Zellen, ihrer Gewebe, Auslösung von Schmerzen durch die Bewegung der betroffenen
ihrer Glieder und ihrer Organe. Gleichzeitig ist jede Person Teil Hand lösen eine angeborene, instinktive Schonung aus, die dem
übergeordneter Einheiten, z. B. ihrer Gemeinschaft im Arbeits- Willen entzogen ist.
leben. Beim CRPS heilt oft die Hand, ohne oder mit bleibender
> Der »Schutzreflex« trennt beim CRPS-Kranken seine verletzte
Behinderung, aber die Heilung der Person verzögert sich oder
Hand von seinem »Selbst«.
bleibt unvollständig, weil ihr die Hand fehlt. Hand, »Hirn« und
»Herz«, als Vielheiten der höheren Einheit der Person sind dazu Deshalb genügt es in zu vielen Fällen nicht, dass jeder Helfende auf
bestimmt, eins, im Einklang zu sein. Wie ein störendes, schreien- seinem Fachgebiet nach den Regeln seiner Kunst richtig behan-
des Kind terrorisiert die »abgestoßene« Hand ihren Eigentümer, delt. Nur wenn durch diese Bemühungen der CRPS-Kranke selbst
der diese instinktiv »abgeschaltet« hat, der seine Hand nicht mehr befähigt wird, so zu denken, zu handeln und sich so zu verhalten,
wahrnimmt, sie nicht nutzt und sie ablehnt, obwohl er sich von ihr dass er die ausgegliederte Hand wieder in sein Selbst eingliedern
nicht trennen kann. kann, wird es dem CRPS-Kranken möglich, seinen »Schutzreflex«
zu überwinden.
18 > Die Antworten des Körpers auf eine Verletzung sind bei
Jede Verletzung schadet durch Trennung oder Verlust gleich-
einem CRPS unverhältnismäßig.
zeitig mehr oder minder Zellen und Geweben, trennt eine ge-
Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch andauernde, krank- schädigte Hand vom Selbst der Person und die Person von ihrer
hafte und krank machende Schmerzen. Diese Schmerzen sind Gemeinschaft (⊡ Abb. 18.1).
durch kein auslösendes Ereignis erklärbar. Sie sind verbunden mit Heilung bedeutet die »dauerhafte Wiedervereinigung der ge-
einem Muster von subjektiven Empfindungen und von objektiven trennten Theile«. Diese Begriffsbestimmung des Pathologen F.
Zeichen einer neurogenen Entzündung und mit einer Störung des Marchand (1901) erklärt die Wirkung von Heilung nicht nur für
Verhaltens. die Einheit eines Gewebes oder der Hand, sondern auch für die
betroffene Person und ihre Gemeinschaft. Marchands Begriff von
> Die schmerzhaften Empfindungen und die körperlichen
Heilung ist vereinbar mit der Vorstellung vom Menschen als einem
Zeichen der Entzündung sind vom eigenen Willen des CRPS-
»biopsychosozialen« Wesen. Ein gesundes Selbst ist im Einklang
Kranken und durch die üblichen Behandlungen oft nicht zu
mit sich und seinen Gemeinschaften (⊡ Abb. 18.2).
beeinflussen. Die unwillkürliche Schonung der betroffenen
Die Schmerzen beim CRPS »brennen«, sie brennen sich ein ins
Hand und die Angst, diese Hand zu bewegen, fallen auf.
Hirn, breiten sich aus, werden ausgelöst schon durch zarte Berüh-
Der Schmerz an der Hand wird als Bedrohung empfunden und rung, dauern sehr viel länger als der Reiz, der sie hervorrief, und
verlangt unabweislich nach Deutung und Linderung, weil er nicht sie entstehen von selbst; – auch vom Selbst? Auch die reflexartige
durch Verletzungsfolgen erklärbar ist. Liegt die Erklärung in der Schonung dauert fort. Die ehemals verletzte Hand wird getrennt
18.1 · Allgemeines
401 18
schenden Zeichen geholfen werden: der Angst, des Schmerzes und
der Hemmung der Bewegung.
Die gleichzeitige Linderung von Angst, Schmerzen und Scho-
nung ermöglicht der/dem Betroffenen die Umkehr. Auf dem Weg
der »Heilspirale« stärken sich die Erfahrungen der Erfolge bei der
Überwindung von Angst, Schmerzen und unwillentlicher Scho-
nung.

18.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und


Physiologie

Schaden und Schadensverarbeitung


Anatomie und Physiologie weisen dem Chirurgen den Weg für
sein Handeln, wenn er eingreift, um einem Verletzten oder Kran-
ken zu helfen. Das Wissen, wie ein Schaden normalerweise auf die
Ordnung und die Selbstordnung des Körpers wirkt, ist die Grund-
⊡ Abb. 18.2 Russische »Puppen in der Puppe«, aufgestellt als Sinnbild für die
lage für das Verständnis der krankhaft übersteigerten Reaktionen
normalerweise gleichzeitige dauernde Wiedervereinigung durch die Hei-
des Körpers beim CRPS.
lung. Gleichzeitig vereinigt die Heilung die getrennten Gewebe der Hand, die
Hand mit dem Selbst der Person und die Person mit ihrer Gemeinschaft, lässt
Deshalb beschreiben wir zunächst die normalen Reaktionen
sie z. B. wieder teilhaben an der Gemeinschaft ihres Arbeitslebens des Körpers auf eine Verletzung mit der Empfindung von Schmerz,
mit einer Entzündung und mit neuroplastischen Veränderungen.
Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis,
das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung einhergeht.
> Schmerz ist ein psychophysisches Erlebnis und keine spezifi-
sche Sinnesleistung.
Ein quälender Schmerz kann fortbestehen, obwohl die Nozizepto-
ren – die Melder von Schäden der Gewebe – nicht aktiv sind. Mehr
als bei jedem anderen Wahrnehmungssystem wird die Empfindung
des Schmerzes vom Gehirn selbst beeinflusst oder erzeugt. Das
Hirn erzeugt die Empfindung des Schmerzes als Zeichen für eine
Trennung. In der Sprache des Körpers bedeutet Schmerz einen
Schaden. Der Körper unterscheidet den vorübergehenden Wund-
schmerz, der mit der Heilung der Gewebe abnimmt, von einem
Dauerschmerz, der die andauernde Trennung anzeigt und gleich-
zeitig trennend wirkt, als ob die Wunde ins Hirn übertragen wäre.
⊡ Abb. 18.3 Russische »Puppen in der Puppe« aufgestellt als Sinnbild für
Der Dauerschmerz verletzt die Person.
die Integrationsstörung des CRPS. Die Störung der Wiedervereinigung der
getrennten Teile, d. h. die Störung der Heilung, betrifft die Hand, die Person Die Aufnahme von Reizen, die Schmerz als Empfindung aus-
und ihre Gemeinschaft. Die andauernde, scheinbar unerklärliche Fortdauer lösen können, erfolgt in den freien Nervenendigungen nichtmy-
der Empfindung krankhafter und krank machender Schmerzen zeigt eine elinisierter C-Fasern und dünner myelinisierter Aδ-Fasern. Die
nicht normale Fortdauer der Wirkung einer Verletzung an: einen Schaden Nozizeptoren sprechen entweder nur auf mechanische, nur auf
der Gewebe der Hand, eine fortdauernde Trennung der Hand vom Selbst der thermische, nur auf chemische Reize oder »polymodal« auf alle
Person und eine fortdauernde Trennung der Person von ihrer Gemeinschaft diese Reize an. Die Schwelle der Erregbarkeit der Nozizeptoren
wird herabgesetzt durch chemische Stoffe. Zum Beispiel depolari-
siert Bradykinin Nozizeptoren direkt und verursacht eine höhere
vom Körper gehalten, jede Berührung mit dieser Hand wird ge- Sensibilität für hitzeaktivierte Ionenkanäle. Prostaglandine lösen
mieden und schon die Vorstellung ihrer Bewegung gehemmt. Die keinen Schmerz aus, bewirken aber eine starke Zunahme der Sen-
Person, die ihre schmerzende Hand »verloren« oder »abgestoßen« sibilität von Nozizeptoren für andere Stimuli.
hat, wird einsam (⊡ Abb. 18.3) Das Peptid »Substanz P« wird von den Nozizeptoren selbst
Die Wahrnehmung der schmerzenden Hand wird reflexartig gebildet. Substanz P bewirkt eine Vasodilatation, eine Freisetzung
gehemmt und ihr Gebrauch unbewusst gemieden, auch gegen den von Histamin aus Mastzellen und steigert die Empfindlichkeit
eigenen Willen. Der quälende Entzündungsschmerz verschlim- anderer Nozizeptoren in der Nachbarschaft Die erste Schadensmel-
mert Angst, Schmerz und Schonung zu einer die Heilung hin- dung (mechanische Ursache, Temperatur) wird von den schnellen,
dernden »Teufelsspirale«. Jeder Versuch der Linderung nur eines dünn myelinisierten Aδ-Fasern übertragen, die länger anhaltende
der genannten Zeichen dieser »komplexen« krankhaften Störung zweite Schadensmeldung (Temperatur, Schmerz, Juckreiz) über die
oder der Versuch der Besserung der Symptome nacheinander wird langsamen C-Fasern. Die Aβ-Fasern von den Mechanorezeptoren
den meist monate- bis jahrelangen natürlichen Verlauf der Selbst- der Haut sind etwa doppelt so dick wie die Aδ-Fasern und leiten
heilung, häufig mit bleibenden Behinderungen, nicht wesentlich doppelt so schnell. Noch wesentlich schneller leiten die Aα-Fasern
kürzen und/oder günstig beeinflussen. von den Propriozeptoren der Skelettmuskeln.
Auch wenn die Ursache des CRPS nicht bekannt ist, so kann Die Zellkörper der dünnen Fasern liegen ebenso wie die der
doch meist entscheidend durch die Beeinflussung seiner vorherr- dickeren mechanosensorischen Aβa-Fasern in den segmentalen
402 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

also die erste Schadensmeldung. Der jüngere direkte Traktus spi-


nothalamicus endet in dem Nucleus ventroposterolateralis und
besonders im Nucleus ventrocaudalis parvocellularis des Thalamus
zusammen mit den Hinterstrangfasern. Der letztgenannte Kern
des Thalamus ist ein spezifischer Projektionskern mit somatoto-
pischer Anordnung, die auf eine sensorisch-diskriminative Funk-
tion deutet. Der ältere Tractus spinoreticulothalamicus hat enge
Verbindungen zur Formatio reticularis und projiziert zum un-
spezifischen diffusen sensorischen System des Thalamus. Bei der
Weiterleitung der im Mittelhirn verarbeiteten Schadensmeldungen
für die bewusste Wahrnehmung in der Hirnrinde spielen wahr-
scheinlich das Striatum und das limbische System eine wichtige
Rolle (⊡ Abb. 18.5).
Die Meldung eines Schadens, der die Empfindung von Schmerz
auslösen kann, wird bis zu ihrer Wahrnehmung in der »Body
Self Neuromatrix« mehrfach geprüft und beeinflusst. Das Hirn
kann die Empfindungen der Glieder und die Wahrnehmung von
Schmerz selbst erzeugen, ohne jede Meldung von außen.
Schmerzstillend wirken Opioide, die an Opioidrezeptoren des
zentralen Nervensystems (ZNS) binden. Das Hirn bildet selbst die
morphinartig wirkenden kleinen Peptide, die Endorphine genannt
werden. Endorphine und ihre Rezeptoren sind dort konzentriert,
⊡ Abb. 18.4 »Gate Control Theory« nach Melzack und Wall (1965). Erste
wo die Meldungen von Schäden verarbeitet werden. Ein Netzwerk
Möglichkeit der Kontrolle und der Beeinflussung von Schadensmeldungen, endorphinhaltiger Neurone im Rückenmark und im Hirnstamm
die eine Schmerzempfindung auslösen können, an der Pforte zum zentralen hindert die Weiterleitung der Meldungen von Gewebeschäden
Nervensystem. In der Substantia gelatinosa des Hinterhorns wird die Wei- durch das Hinterhorn zu den höheren Hirnebenen, in denen die
terleitung von Schadensmeldungen aus den langsamen C-Fasern gehemmt Empfindung von Schmerz hervorgerufen wird.
durch Signale aus den schnellen Aβ-Fasern, die Berührungsreize leiten, und Der Opioidrezeptorantagonist Naloxon kann die schmerzstil-
durch absteigende Bahnen, die Schmerz kontrollieren. Letztere werden lende Wirkung einer Substanz unterdrücken, die keinen schmerz-
durch die schmalen blauen Trichter symbolisiert stillenden Wirkstoff enthält, und die »Placebo« (»ich werde ge-
fallen«) genannt wird. Der Glaube daran, dass die Behandlung
Erfolg bringen wird, reicht anscheinend aus, die eigene Fähigkeit
Spinalganglien. In der Substantia gelatinosa des Hinterhorns des zu fördern, Schmerzen zu lindern. Der »Placeboeffekt« ist eine
Rückenmarks treten die Fasern der Nozizeptoren mit Zellen im mögliche Erklärung für den Erfolg von anderen Versuchen der
äußeren Teil des Hinterhorns des Rückenmarks in synaptische Schmerzstillung wie Akupunktur, Hypnose und – bei Kindern –
Verbindung. Glutamat ist der Neurotransmitter der Nozizeptoren. »ein liebkosender Kuss der Mutter«.
Substanz P wird auch hier freigesetzt zur Vermittlung eines mäßi- Placebos wirken durch unbewusste Konditionierung (be-
gen bis starken Schadens. dingte Reflexe), durch bewusste Erwartungshaltung und auch
An der Pforte zum zentralen Nervensystem – »gate control«, durch ärztliche Zuwendung. Der Placeboeffekt ist bei Schmerzen
in der Substantia gelatinosa des Hinterhorns des Rückenmarks – häufiger zu beobachten als bei anderen Indikationen und Symp-
kann die Schadensmeldung, die als Schmerz empfunden werden tomen.
kann, aber nicht als Schmerz wahrgenommen werden muss, zum Die Plastizität des erwachsenen Hirns ist nicht nur die Grund-
ersten Mal beeinflusst werden. Afferenzen der schnell leitenden lage für die Erklärung der verringerten oder fehlenden Wahrneh-
Fasern hemmen die der langsam leitenden. Zusätzlich werden mung und der Schonung einer geschädigten Hand infolge eines
die Hinterhornneurone durch die Aktivierung von absteigenden CRPS-Neglekts (⊡ Abb. 18.6), sondern auch für die Umkehrbarkeit
18 Bahnen aus dem Hirn gehemmt. Teile des Hirnstamms, die das dieser Veränderungen der Repräsentanz der Hand im Hirn. Die
Verhalten steuern, haben über die Raphekerne der Medulla, beim CRPS festgestellte, langfristige Verkleinerung der Abbildung
deren Neurotransmitter Serotonin ist, Einfluss darauf, ob und der geschädigten und geschonten Hand im Hirn war auch schon
wie die Meldungen von Schäden in den Hinterhörnern des nach einer Immobilisation von wenigen Wochen nachzuweisen,
Rückenmarks aufgenommen werden – »Top-down Kontrolle« verbunden mit einer Störung der Berührungswahrnehmung. Of-
durch Bahnen zur Kontrolle der Wahrnehmung von Schmerz fenbar formte der Gebrauch einer Hand wesentlich die Tätigkeit
(⊡ Abb. 18.4). der Hirnrinde und die »Kartenabbildungen« der Hand im Hirn.
Berührungsreize werden auf derselben Seite des Rückenmarks Ein minimaler Gebrauch der Hand war verbunden mit der größten
geleitet. Verkleinerung der Aktivität der Hirnrinde. Sogar die Immobilisa-
Im spinothalamischen Trakt der Gegenseite werden die Mel- tion eines Armes nur am Tage verschlechterte die Geschicklichkeit
dungen von Schäden durch mechanische, chemische oder Tempe- und verringerte sowohl somatosensorische als auch motorische
raturreize zum Thalamus geleitet. Das »laterale spinothalamische evozierte Potenziale örtlich über der gegenseitigen motorischen
System« besteht aus dem phylogenetisch älteren Tractus spino- Hirnrinde. Die Wahrnehmung der Größe und Lage der Hand
reticulothalamicus, der multisynaptisch ist und die verzögerten, wurde durch eine Deafferenzierung – eine Unterbrechung der Lei-
schlecht lokalisierbaren und stark affektbetonten C-Afferenzen tungen, die dem Hirn Botschaften vermitteln – infolge einer Lokal-
leitet. Der phylogenetisch jüngere, größtenteils monosynaptische anästhesie verzerrt. Eine vollständige Betäubung des Daumens ließ
neospinothalamische Trakt leitet die schnelleren Aδ-Afferenzen, ihn um 60–70% größer empfinden als ohne Betäubung. Infolge der
18.1 · Allgemeines
403 18

⊡ Abb. 18.5 Anatomie der schmerzleitenden und schmerzverarbeitenden Systeme. (Aus Lanz und Wachsmuth 1982)

Lokalanästhesie des Daumens blieb die empfundene Größe des be-


nachbarten Zeigefingers und die der anderen Finger unverändert,
aber erstaunlicherweise wurden auch die nicht betäubten Lippen
um bis zu 50% vergrößert wahrgenommen.
> Eine kurzzeitige Immobilisierung der Hand verändert die
Temperatur und die Farbe ihrer Haut, Zeichen, die auch Be-
standteil der Diagnose eines CRPS sind. Schonung kann als
alleinige Ursache eine Dystonie verursachen – den Verlust
über die Beherrschung der eigenen Bewegungen. Schonung
kann auch als alleinige Ursache ein Ödem hervorrufen. Scho-
nung oder Immobilisation beeinflussen die Sekretion von
Neuropeptiden!
Die grob skizzierten Grundlagen des Baues und der Wirkweise des
Nervensystems sind vereinbar mit den Erfahrungen von Psycho-
logen und Psychosomatikern: Je stärker die empfundene Selbst-
wirksamkeit war, die Schmerzempfindung zu verringern, desto
größer war die Opioidaktivierung. Außerdem gibt es eine bewusste
Schmerzkontrolle ohne Opioidaktivierung. Glauben kann zu ei-
ner inneren Wirklichkeit werden, die das Verhalten kontrolliert.
Schmerzempfindung und Verhalten wird als das Ergebnis einer ⊡ Abb. 18.6 Neglekt. Instinktive Nichtwahrnehmung einer verletzten, insbe-
komplexen Wechselwirkung von körperlichen (»bio«), persönli- sondere einer schmerzenden Hand. Das Abbild der aus der Wahrnehmung
chen (»psycho«) und Umgebungsfaktoren (»sozial«) aufgefasst. »ausgeblendeten« Hand im Selbstbild des »Homunkulus« schrumpft
404 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

Bewusste und unbewusste Verhaltensweisen prägten den Verlauf Familiäre Häufung. Das CRPS kann familiär gehäuft auftreten.
und die Symptome der sympathischen Reflexdystrophie (»reflex Ein Muster der Vererbung fanden de Rooji et al. (2009) nicht. Eine
sympathetic dystrophy« – RSD – ist eine synoyme, nicht mehr angeboren erhöhte Gefährdung, an einem CRPS zu erkranken,
gebrauchte Bezeichnung für das CRPS). Bewegungsstörungen ver- sollte Anlass geben zu einer erhöhten Wachsamkeit.
schlimmern sich durch Ängstlichkeit. Als »Kinesiophobia« wird
die Angst vor Bewegung bezeichnet. Die Anpassungsstörung des
Verhaltens ist kein Zeichen einer Psychopathologie. Die Vermu- 18.1.3 Ätiologie
tung einer »RSD-Persönlichkeit« entbehrt der Grundlage.
Das Selbst wird geschützt durch das Immunsystem, durch das Krankheit kann definiert werden als »Störung des Integriertseins«
»Schmerzsystem« und durch das »Angstsystem«. Gemäß dem Prin- eines Systems auf einer oder mehreren seiner Integrationsebenen.
zip der Gegenseitigkeit oder der Entsprechung kann ein Ausfall Eine Integrationsstörung entspricht einer Verletzung, die der Hei-
der Rückmeldungen, in denen sich der Körper selbst »zu eigen lung, d. h. der Reintegration, bedarf.
nimmt« dazu führen, dass Teile des Körpers als »fremd« empfun- Die Ursache des CRPS ist nicht bekannt.
den werden, d. h., nicht mehr zum eigenen Körper gehörig. Das zunehmende Wissen über seine Entstehung, vor allem
Auch die Kenntnisse über die Vorgänge bei einer »Ent-Zün- über seinen im Beginn umkehrbaren Verlauf, erhellt das für die Er-
dung«, bildlich gesprochen: der Entfachung eines »Brandes« im krankten und für ihre Helfer bedrohend wirkende, dunkle Geheim-
Gewebe, lassen die Empfindungen und Zeichen bei einem CRPS nis. Ist das CRPS das unabwendbare und nicht zu beeinflussende
besser verstehen. Schicksal des Kranken? Nein! Der Ausgang des Abwehrkampfes
Ein Gewebeschaden setzt die Mediatoren der Entzündung frei. des Selbst gegen die eigene Hand, weil diese bedrohend schmerzt,
Die Zeichen einer Entzündung sind: Rötung (Rubor), Überwär- ohne dass ein Arzt die Ursache erklären konnte, ist ungewiss. Meist
mung (Calor), Schwellung (Tumor), gestörte Funktion (Functio gewinnt das Selbst, indem es sich seine Hand wieder aneignet,
laesa), Schmerz (Dolor). Die aus weißen Blutzellen (Makrophagen, bevor diese auf Dauer ausgegliedert wird. Diese Tatsache der meist
Granulozyten und Thrombozyten) freigesetzten Mediatoren, u. a. erfolgreichen natürlichen Heilung dürfen alle Beteiligten nicht aus
Histamin, Serotonin, Bradykinin, lösen als »Schmerzstoffe« selbst den Augen verlieren, während und wenn sie ihre Aufmerksamkeit
Schmerz aus. Prostaglandine vermehren die Schmerzempfindlich- auf die Entstehung dieser Krankheit richten. Ohne das schützende
keit. Zusammen mit Leukotrienen, plättchenaktivierendem Faktor, Wissen, dass das Selbst in den allermeisten Fällen siegt, kann die
Stickstoffmonoxid und »aktiven Sauerstoffspezies« erweitern die Vertiefung in die Betrachtung der Entstehung und des Verlaufes
anderen Mediatoren, bis auf Prostaglandin F2α, das zu einer Va- des CRPS bei Betroffenen im Einzelfall eine Verschlimmerung be-
sokonstriktion führt, die Kapillaren und bewirken Rötung und fürchten lassen. »Diagnosen können zu einem Teil des pathogenen
Überwärmung. Fast alle Mediatoren erhöhen die Gefäßpermeabi- Geschehens werden«.
lität. Infolge der Exsudation schwillt das entzündete Gewebe. Die Die wissenschaftlichen Anhalte zur Annahme einer angebore-
Erregung der Nozizeptoren kann Schmerz auslösen, und sie stört nen Anlage von CRPS-Kranken dazu, dass bei ihnen die neurogene
die Bewegung. Entzündung leichter ausgelöst wird und heftiger verläuft als bei
Die Endothelzellen insbesondere der postkapillären Venolen den meisten Menschen, sollte nicht mehr Angst auslösen als das
bilden Eiweiße, die zur Einwanderung von Granulozyten in das Wissen, dass Rothaarige leichter einen Sonnenbrand bekommen
entzündete Gewebe führen, und sie bilden Zytokine. Durch die als Schwarzhaarige oder einige Menschen schneller und heftiger
Freisetzung proteolytischer Enzyme aus den Lysosomen der Pha- als andere auch mit einer Rötung der Haut ihre innere Berührung
gozyten werden Zelltrümmer, Fremdmaterial und Bakterien auf- zeigen.
gelöst und abgebaut, aber auch das umliegende Gewebe wird Einblicke in die Entwicklung der Krankheit können auf ver-
beschädigt oder zerstört. Aktive Sauerstoffspezies und Sickstoff- schiedenen Ebenen gewonnen werden. Betrachtet werden können
monoxid töten Bakterien, aber auch eigene Zellen. Die Zytokine die Wirkungsweise der Moleküle, die die Überträgerstoffe von
der Makrophagen, Interleukin-1 und Tumornekrosefaktor α lösen Zellbotschaften sind, das Verhalten der am Entzündungs- und Ab-
die »Akute-Phase-Reaktion« der Entzündung aus. Durch die Ent- wehrkampf beteiligten Zellen, das informierende periphere Ner-
zündung können Immunreaktionen ausgelöst werden. vensystem und das verarbeitende, deutende und beeinflussende
zentrale Nervensystem, das in ganz persönlicher Weise das eigene
18 > Bewegung beeinflusst offenbar das Immunsystem.
Verhalten der Person von den angeborenen Anlagen steuern lässt
So wirken die beim Sport gebildeten Radikale »wahrscheinlich oder das eigene Verhalten mit der Hilfe von Helfenden und selbst
langfristig wie ein Impfstoff gegen oxidativen Stress. Antioxidanzi- mit der Hilfe seiner Sinne in den Griff bekommt. Chronischer
en können diesen Impfeffekt unterdrücken.« Schmerz ist eine biopsychosoziale Erkrankung.

> »Chronischer Schmerz ist nur vor dem Hintergrund eines


18.1.2 Epidemiologie ›biopsychosocialen Krankheitskonzepts‹ zu verstehen.«

Aus Europa wurde eine höhere Häufigkeit – 26,2/100.000/Jahr Die »Sprache des Körpers« beim CRPS kann verstanden werden als
– berichtet als aus Amerika – 5,5/100.000/Jahr. Ein mehrfaches Botschaft einer »Abstoßungsreaktion« einer Hand, wenn diese das
familiäres Auftreten bei CRPS I konnte von De Rooii und Mitar- Selbst bedroht durch eine Ausbreitung des »Brandes« der Entzün-
beitern festgestellt werden, ein Nachweis für einen Erbgang wurde dung in der Hand auf das Selbst. Das Selbst versucht sich zu schüt-
allerdings nicht gefunden. zen, indem es das »Feuer« der Entzündung erstickt, dem Feuer die
Der Altersgipfel liegt bei 40–60 Jahren, aber auch ältere Men- Sauerstoffzufuhr entzieht durch eine Drosselung der Durchblu-
schen und Kinder können an einem CRPS erkranken. Frauen sind tung. Oder es versucht, das Feuer klein zu halten und ausbrennen
doppelt so häufig betroffen wie Männer, die Hände mehr als dop- zu lassen in der Hand, die zum Schutz vor der Ausbreitung des
pelt so häufig wie die Füße. Brandes vom Selbst getrennt wird. Der angeborene Selbstschutz
18.1 · Allgemeines
405 18
des Körpers entscheidet: »life before limb«. Doch der Versuch des kann ein »Teufelskreis« beginnen, der als »CRPS« bezeichnet wird
Selbstschutzes durch den Versuch der Abstoßung muss scheitern. (⊡ Abb. 18.8). Zu Anfang ist die Entwicklung umkehrbar.
Beim CRPS gelingt dem Körper der »Brandschutz« nicht.
> Die pathophysiologischen Konzepte für die Entstehung des
Ist es der Versuch selbst, der Versuch der Trennung von der
CRPS ergänzen sich: eine überschießende neurogene Ent-
schmerzenden Hand, der als Schmerz empfunden wird? Weil jeder
zündung, eine pathologische sympathikoafferente Kopplung
Schmerz die Empfindung einer Trennung ist und weil Schmerz
und periphere und zentrale neuroplastische Veränderungen.
trennend wirkt (⊡ Abb. 18.7)?
Ein krankhafter Dauerschmerz in einer ehemals verletzten Über die »acute entzündliche Knochenatrophie« schrieb Sudeck
Hand ist eine Empfindung, die davor warnt und daran hindert, (1900): »Die Fälle hatten alle das Gemeinsame, dass es sich um eine
diese Hand zu bewegen und zu nutzen. acute Entzündung des Handgelenks handelte, mit frühzeitig auftre-
Wenn die Empfindung eines Schmerzes, meist wie bei einer tender Steifigkeit und Schmerzhaftigkeit der Fingergelenke und sehr
Entzündung, unverstehbar quälend ist und länger dauert als die bald – nach mehreren Wochen – stark ausgeprochener Atrophie
Heilung einer Wunde der Hand, wenn Zeichen einer Entzündung des ganzen Handskelettes. Nur selten gelang es, völlige Funktions-
nicht nur empfunden werden, sondern für jeden erkennbar sind, fähigkeit wiederherzustellen.« Sudeck (1900) wies auch schon auf
wenn die ehemals verletzte Hand aus Angst vor dem quälen- einen der häufigsten Auslöser des CRPS hin, die Immobilisation:
den Schmerz nicht mehr als die eigene Hand wahrgenommen »Die meisten Fälle, die theils mehrere Wochen gar nicht, theils mit
wird, sondern als nutzlos, fremd, bedrohend abgelehnt wird, dann fixierenden (die sämtlichen Finger mit einbegreifenden) Verbänden
behandelt waren und mit völlig unbeweglichen Fingern in das Kran-
kenhaus kamen, blieben dauernd wesentlich in der Funktion nicht
nur des Handgelenks, sondern auch der Finger behindert.« Eine
schlechte Beweglichkeit der Finger war 10 Jahre nach Colle-Fraktu-
ren signifikant korreliert mit den Zeichen einer Algodystrophie (Al-
godystrophie ist eines der vielen Synonyme für ein CRPS). Zu enge
Gipsverbände können eine Algodystrophie auslösen.
Immobilisierung verstärkt die Schonung. Eine Immobilisie-
rung habe auch bei Ratten die Zeichen einer neurogenen Ent-
zündung nach einem Knochenbruch verstärkt. Zeichen einer
Entzündung, verbunden mit krankhaften Schmerzen prägen das
CRPS. Eine prospektive Studie an 829 Patienten unterstützte das
Konzept einer überschießenden Entzündung, bestätigte aber nicht
die üblicherweise vertretene Auffassung vom Ablauf des CRPS in
3 Phasen. Stattdessen wurde eine Einteilung in eine warme und in
eine kalte Form des CRPS vorgeschlagen. Auch Groeneweg et al.
(2006) unterschieden eine »warme Dystrophie« mit den Zeichen
einer neurogenen Entzündung von einer »kalten Dystrophie«. Jede
Entzündung hat eine »neurogene Komponente«.
⊡ Abb. 18.7 »Mein Schmerz« nannte unsere Patientin ihr Bild. Der von der Das Konzept der neurogenen Entzündung wird damit be-
Hand ausgehende Schmerz sprengt den Schädel, trennt die Wahrnehmun- gründet, dass in laborchemischen Untersuchungen die klassischen
gen der Sinne und die Empfindungen, raubt der Person ihre Ruhe und ihren humoralen und zellulären Veränderungen fehlen und dass vor al-
Einklang (mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin) lem die Mechano-Hitze-insensitiven C-Fasern (CMiHi), die zu den

a b c d

⊡ Abb. 18.8 Patient mit einem CRPS seiner rechten Hand, die schmerzte und nutzlos geworden war, trotz seines starken Willens und seiner Motivation. a Beim
Versuch, mit der rechten Hand an den Mund zu greifen, betrug der kleinste Abstand zwischen der als Bedrohung empfundenen Hand und dem Gesicht etwa
20 cm. b Eine Woche nach ganztägigen Übungen seiner Sinneswahrnehmungen des Begreifens von sich selbst mit seiner »abgelehnten« Hand während einer
stationären Therapie mit Schmerztherapie, Ergotherapie (Spiegeltherapie), Physiotherapie und psychologischer Verhaltenstherapie konnte der Patient mit sei-
ner rechten Hand seinen Hals begreifen. Der Handchirurg und Autor, der das erste ärztliche Gespräch mit ihm führte, ihn aufklärte und anleitete, begleitete ihn
als seine »Vertrauensperson«, die ihn täglich anleitete, während der multidisziplinären Schmerztherapie unter der Leitung der Koautorin. Anlässlich der Erstvor-
stellung hielt derselbe Patient seine rechten Finger regungslos in der gleichen Haltung sowohl beim Versuch des Faustschlusses (c), als auch beim Versuch ihrer
Streckung (d)
406 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

Chemorezeptoren gehören, im Rahmen von Axonreflexen Neuro- Kopplung auch beim CRPS des Menschen spricht, dass bei Patien-
peptide freisetzen. Die von Hitzereizen oder mechanischen Reizen ten, bei denen eine Sympathikusblockade die Schmerzen linderte,
nicht erregbaren Chemorezeptoren werden durch die Einwirkung die subkutane Injektion von Noradrenalin die gleichen Schmerzen
von Entzündungsmediatoren aktiviert und sensibilisiert. auslöste, die sie vor der Sympathikusblockade hatten. Das Vorhan-
Auch sekundäre Sensibilisierungen im ZNS sollen entscheidend densein sympathischer Neurone verstärkt die Plasmaextravasation
von diesen durch Hitze und durch mechanische Reize nicht erreg- im Beisein von Entzündungsmediatoren, möglicherweise vermittelt
baren Chemorezeptoren ausgelöst werden. Die von den CMiHi durch die Wirkung von Prostaglandin. An sympathischen Ner-
ausgeschütteten Neuropeptide Substanz P und das »calcitonine- venendigungen wird neben Noradrenalin auch das Neuropeptid Y
gene-related peptide« (CGRP) vermitteln die Plasmaextravasation (NPY) freigesetzt. NPY ist ein Vermittler der opioidunabhängigen
und so die ödematöse Schwellung. Die erweiternde Wirkung von Schmerzhemmung. Beim CRPS sei dies im Plasma vermindert.
CGRP auf die Blutgefäße führt zur Überwärmung und Rötung der
Haut. Außerdem bewirkt das Neuropeptid CGRP ein vermehrtes Die Beteiligung des peripheren und des zentralen Nerven-
Schwitzen (Hyperhidrose). systems beim CRPS
Die elektrisch induzierte Freisetzung von Substanz P soll nur bei Peripher beginnt bei längerem Andauern eines Schadensreizes die
CRPS-Patienten auftreten. CGRP wurde auch elektrisch induziert Steigerung der Empfindlichkeit der Schadensmelder im Umbau
freigesetzt und wurde in erhöhter Konzentration auf der an einem der Zellmembran der Nozizeptoren mit Expression neuer Rezep-
CRPS erkrankten Seite und im Serum nachgewiesen. Die Ursache toren und in der Änderung der Verteilung von Ionenkanälen. Die
der gesteigerten neurogenen Entzündung könnte aufgrund neuerer Schwelle, oberhalb derer ein Reiz eine Schadensmeldung bewirkt,
Untersuchungen die verletzungsbedingte Freisetzung von Zytoki- ist herabgesetzt. Infolge der Verletzung eines Nervens melden die
nen sein, die eine Entzündung auslösen: Interleukine und der Tu- schnellen Aβ-Fasern, die normalerweise den Reiz einer Berührung
mor-Nekrose-Faktor (TNF) steigerten die Bildung und Freisetzung leiten, eine Berührung als Schmerz – »Aβ-pain«. Die Wahrneh-
von Neuropeptiden aus C-Fasern. Vor allem der TNF-α sei erhöht mung von Berührung als Schmerz (Allodynie) ist Zeichen für ei-
gewesen in der Gliedmaße, die vom CRPS betroffen war. Der lösli- nen Schaden eines Nervens. Die geschädigten Aβ-Fasern lösen vor
che TNF-α-Rezeptor I habe sich als Prädiktor für eine Hyperalgesie der Empfindung von Schmerz und unabhängig davon instinktive
erwiesen. Die Hyperalgesie wird als erstes Symptom einer neuroge- Reflexantworten aus.
nen Entzündung beim CRPS betrachtet. Bei einer Hyperalgesie ist Ein Schaden eines peripheren Nerven verändert auch die »re-
die sonst hohe Reizschwelle für eine Schmerzempfindung herabge- zeptiven Felder« im Hinterhorn des Rückenmarks. Die Degene-
setzt, die Antwort auf schmerzhafte Reize wird verstärkt, oder ein ration von C-Fasern verringert die Synapsen in der 1. und der
Schmerzempfinden entsteht spontan. Zytokine, Nervenwachstums- 2. Schicht, in denen die Fasern enden. An deren Stelle sprossen
faktor (NGF) und TNF verstärken die neurogene Entzündung durch Aβ-Fasern, die Druck und Berührungsempfindung vermitteln, aus
Vermehrung der Bildung von Neuropeptiden und lösen Immunre- den Schichten 4 und 5, in denen die Aβ-Fasern enden. Infolge-
aktionen aus. Eine lang dauernde Schonung oder Immobilisation be- dessen werden Hinterhornneurone, die sonst Schmerzreize wei-
einflusst die Sekretion von Neuropeptiden. Auf die Beteiligung eines terleiten, durch Reize von Berührungsrezeptoren erregt und eine
Autoimmungeschehens deutet die Bindung von Autoantikörpern an Allodynie ausgelöst.
die Oberfläche von peripheren autonomen Neuronen.
> Ein CRPS verändert auch die Arbeitsweise des Hirns.
Ist das CRPS eine Autoimmunkrankheit? Bei einer Autoim-
munkrankheit greift der Körper Teile seines Selbst an, weil er sie Bildgebende Methoden konnten zeigen, dass die »Abbildung« der
als »fremd«, nicht mehr als »eigen« erkennt. Der Körper, nicht nur Hand in der Hirnrinde beim CRPS schrumpft und sich nach einer
das Hirn stellt die Sinnfrage: »Nutzt mir diese schmerzende Hand? erfolgreichen Behandlung wieder vergrößert.
Nutze ich diese schmerzende Hand?« Nicht nutzende und nicht ge- Die Störung der Selbstwahrnehmung der vernachlässigten Hand
nutzte, schmerzende und gefährdende Teile werden »abgeschaltet«, im »Homunculus« wurde als sog. Neglekt mit der funktionellen
abgebaut, abgelehnt. Der Erwerb oder der Erhalt einer Fähigkeit Kernspintomografie abgebildet. Auch eine Aktivierung von Hirntei-
lohnt nur, wenn er nutzt, zum Erhalt des Lebens und zur Verbin- len, die mit der affektiv-motivationalen Schmerzverarbeitung in Ver-
dung mit dem Leben. »Life before limb«. »Use it or lose it«. Was bindung gebracht werden, konnte so gezeigt werden. Neuropathi-
nutzt, wird genutzt, und was genutzt wird, nutzt. Gebrauch mehrt sche Schmerzen entstehen nach einer Schädigung oder Erkrankung
18 die Fähigkeit. Unpaare Organe können nicht »abgeschaltet« wer- afferenter Systeme im peripheren oder zentralen Nervensystem.
den ohne den Verlust des Lebens. Anders die Glieder. Zum Erhalt Die Schmerzen sind krankhaft, weil sie in Ruhe auftreten, oft
des Lebens müssen Glieder im Notfall »abgeschaltet« werden. quälend brennend, auch ohne vorangegangene Belastung und auch
Die augenfälligen, einseitigen autonomen Störungen beim unerklärlich von selbst einschießend, weil sie ausgelöst werden
CRPS, Rötung und Überwärmung der Haut und vermehrte durch einen Lufthauch, bei zarter Berührung und regelmäßig
Schweißbildung, unabhängig von der Entzündung, weisen auf eine durch Bewegung. Können diese auch krank machenden Schmerzen
zentrale Regulationsstörung im sympathischen System. verstanden werden als Schmerzen der Person, die diese Schmerzen
Bei einer CRPS-bedingten Abkühlung der betroffenen Glied- empfindet infolge der »Trennung« von ihrer kranken Hand, wegen
maße könnte die Minderung der Durchblutung auf eine Über- des Verlustes der »abgeschalteten«, »abgestoßenen« Hand für ihr
empfindlichkeit der Blutgefäße zurückgeführt werden, weil eine Selbst? Kann der neuropathische Schmerz beim CRPS im übertra-
vermehrte Dichte von α-Adrenorezeptoren der Hautgefäße nach- genen Sinne als Deafferenzierungsschmerz infolge des Verlustes
gewiesen wurde. Die Verbindung zwischen dem efferenten sympa- der Wahrnehmung der Hand verstanden werden? Als Deafferen-
thischen System mit dem afferenten nozizeptiven System wird noch zierungsschmerzen werden neuropathische Schmerzen bezeichnet,
kontrovers diskutiert. Tierexperimentell wurde nach Nervenläsio- deren Ursache die vollständige Trennung großer Nervenstämme
nen eine Expression von α-Adrenorezeptoren auf nozizeptiven Af- ist, z. B. nach einer Amputation.
ferenzen nachgewiesen, die daraufhin durch Katecholamine direkt Nicht nur Hunde heben ihre verletzte Pfote, auch uns ist die-
erregbar wurden. Für das Vorliegen einer sympathisch-afferenten ser schützende Reflex angeboren, der die Heilung des verletzten
18.1 · Allgemeines
407 18
Differentialdiagnose. Ausgeschlossen werden müssen andere
Erkrankungen, die die Symptome hinreichend erklären oder zu-
sätzlich verschlimmern. Erkrankungen des rheumatischen For-
menkreises, posttraumatische Arthritiden, Kompartment- oder
Kompressionssyndrome, posttraumatische Nervenschäden, die
durch eine operative Behandlung gebessert werden können, ein
sog. Thoracic-Outlet-Syndrom oder Folgen einer längeren Nicht-
benutzung und psychiatrische Erkrankungen.

Klinische Untersuchung
Anamnese, Inspektion und Palpation
Wir fragen: »Wann und wie wurde Ihre Hand geschädigt? Wie
wurde Ihre Hand behandelt? Wurden Ihre Finger geschient? Was
mussten Sie vorher tun mit Ihrer Hand bei Ihrer beruflichen Tätig-
keit, im Alltag, beim Sport? Hatten Sie vor diesem Ereignis schon
einmal Schmerzen, eine Verletzung oder eine Gebrauchsstörung an
dieser Hand? Was stört Sie gegenwärtig am meisten, der Schmerz
oder die Störung der Bewegung? Was erwarten Sie, nach der Be-
handlung wieder mit der Hand tun zu können? Bitte deuten Sie mit
dem anderen Zeigefinger dorthin, wo Sie den stärksten Schmerz
unmittelbar nach der Schädigung spürten und dorthin, wo Sie den
⊡ Abb. 18.9 »Schockstarre«. Viele CRPS-Kranke starren auf ihre entfremdete stärksten Schmerz nun empfinden.«
Hand wie das sprichwörtliche »Kaninchen auf die Schlange«. Andere meiden Die Untersuchung durch Ansehen in Ruhe beschreibt trophi-
gebannt ihren Anblick. (Aus König 2009, mit freundlicher Genehmigung von sche und vegetative Veränderungen/Seitenunterschiede. Gemes-
Rowohlt) sen werden die Armumfänge, die aktiven Bewegungsausmaße der
Arm-, Hand-, Daumen- und Fingergelenke und die Kraft des
Grobgriffes.
Nach einer rechtlich erforderlichen schriftlichen Einwilligungs-
Gliedes fördert durch die Hemmung seiner Wahrnehmung und erklärung des Patienten zeichnen wir einen Videofilm auf von der
seines Gebrauchs. Die Person wird vor bedrohendem Schaden Geste der »Denkerhaltung«. Wir fordern den Patienten auf: »Bitte
bewahrt durch die »Ausgliederung«, die Entfremdung von der greifen Sie mit »der« Hand so zum Mund wie beim Nachdenken«.
nicht mehr als eigen empfundenen Hand. Gleichzeitig starren viele Eine Störung der Wahrnehmung »der« Hand bildet sich ab in der
die »gefährdende« Hand ebenso reflexartig und angstvoll an, weil Störung der Gestik.
diese Hand nicht mehr zu ihrem Selbst gehört. Die/der an CRPS
> Die betastende Untersuchung erfolgt beidseits gleichzeitig
Erkrankte starrt auf die als Bedrohung empfundene Hand wie
mit beiden Händen des Untersuchers an beiden Händen des
sprichwörtlich »das Kaninchen auf die Schlange« (⊡ Abb. 18.9).
Untersuchten zur Erkennung von Unterschieden in der Wahr-
Solange die Finger nicht unumkehrbar steif, minderdurchblu-
nehmung von Berührungen und/oder einer Druckempfind-
tet und ernährungsgestört sind, können sie wieder »angeschaltet«
lichkeit im Seitenvergleich.
und als »eigen« kennengelernt werden.
Solange der CRPS-Kranke über außergewöhnliche Schmerzen bei
> Wenn das Zeitfenster der Umkehrbarkeit der Zeichen des
Berührung klagt, raten wir von einer betastenden Untersuchung
CRPS genutzt wird, heilt das CRPS.
ab. In jedem Falle empfehlen wir eine einfühlsame Behutsamkeit
Wenn die Gewebe der Hand und des zentralen Nervensystems beim Betasten.
nicht mehr umkehrbar geschädigt sind, werden Behinderung und Die Diagnose wird nur durch die Befragung und durch die
Schmerzen auf Dauer die Regel. Dann »heilen« die Hand und die Untersuchung durch Ansehen und Betasten gestellt. Die Erschei-
Person mit einem bleibenden Schaden. nungen und Zeichen der neurogenen Entzündung und trophische
Störungen sind leicht zu erkennen. Bei 829 Patienten mit einer
sympathischen Reflexdystrophie – einer nicht mehr gebrauchten
18.1.4 Diagnostik Bezeichnung mit der gleichen Bedeutung wie der jetzt gebräuchli-
chen CRPS – fanden Veldmannet al. (1993) häufiger die Zeichen/
Verlauf. Der Verlauf ist zu dokumentieren zu Beginn und wäh- Symptome einer Entzündung: Schmerz (93%), Farb- (92%) und
rend der Behandlung und bei Entlassung aus der Behandlung: Temperaturunterschiede (92%) und Bewegungseinschränkung
▬ Befragung und schriftliche Dokumentation der Äußerungen (88%) bzw. Schwäche (95%) und Ödem (69%) als trophische Stö-
des CRPS-Kranken, zu dem, was ihn am meisten stört und zu rungen, Atrophien von Muskeln (55%), Knochen (38% fleckige
dem, was er erwartet vom Verlauf seiner Erkrankung und von oder diffuse Osteoporose), Haut (40%), Nägeln (27% )oder ver-
der Behandlung. mehrtes Schwitzen (47%).
▬ Foto- und Videografie, Die zur Zeit anerkannte Definition des CRPS wurde von Har-
▬ Diagnosetabelle nach Harden et al. (s. unten), den et al. (2007) verfasst und lautet frei übersetzt: »Komplexes regi-
▬ Schmerzfragebogen, onales Schmerzsyndrom beschreibt ein Muster schmerzhafter Be-
▬ DASH-Fragebogen (»disability of arm shoulder hand«, frei findlichkeiten, die gekennzeichnet sind durch einen andauernden
übersetzt: subjektive Einschätzung der Gebrauchsfähigkeit des (von selbst und/oder ausgelöst) örtlich begrenzten Schmerz, der
Armes und der Hand). offenbar unverhältnismäßig ist in seiner Dauer und in seinem Aus-
408 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

maß zum üblichen Verlauf irgendeiner bekannten Verletzung oder Wenn die Schädigung, die das CRPS angeblich auslöste, falsch dia-
irgendeines bekannten Schadens. Der Schmerz ist örtlich begrenzt gnostiziert wurde, kann es sein, dass auch die Diagnose des CRPS
(nicht beschränkt auf das Versorgungsgebiet eines Nerven oder auf nicht stimmt, weil die Unverhältnismäßigkeit des Zusammenhangs
ein Dermatom), und er hat üblicherweise ein körperfernes Vor- entscheidend ist für die Antwort auf die 1. Frage. So können
herrschen von unnormalen sensorischen, motorischen, sudomo- die Erscheinungen und Zeichen unverhältnismäßig sein zu der
torischen, vasomotorischen und/oder trophischen Befunden. Das Annahme einer »Synovialitis« 6 Monate nach einer auslösenden
Syndrom ist unterschiedlich in seinem Verlauf. Für die klinische Schädigung. Die Erscheinungen und Zeichen können aber nach
Diagnose müssen folgende Kriterien erfüllt sein« (⊡ Tab. 18.1). 6 Monaten die verhältnismäßige Reaktion auf Belastungen des
Die Erfragung von Erscheinungen des CRPS in 3 oder 4 der Handgelenks sein, wenn in Wahrheit das Band zwischen Kahnbein
4 Kategorien und die Feststellung von Zeichen des CRPS in 2 der und Mondbein geschädigt ist. Dann erklärt diese andere Diagnose
4 Kategorien erlaubt nicht die Diagnose des CRPS! die Erscheinungen und Zeichen besser.

> Die Frage 1 nach der Unverhältnismäßigkeit des fortdau- Sonstiges


ernden Schmerzes zu der auslösenden Schädigung und die Eine QST (quantitativ sensorische Testung) und Messungen der
Frage 4, ob eine andere Diagnose die Erscheinungen und Zei- Hauttemperatur mit Hautthermometern oder der Infrarotthermo-
chen besser beschreibt, kann nur ein erfahrener Handchirurg grafie ist in spezialisierten Zentren möglich.
beantworten.
Radiologische Untersuchungen
Apparative Untersuchungen können die Diagnose bestätigen, aber
nicht ausschließen und dienen mehr der Differenzialdiagnose.
⊡ Tab. 18.1 Diagnose des CRPS nach Harden et al. (2007) Dem nuklearmedizinischen 3-Phasen-Knochenszintigramm wurde
von Schuind (1997) eine mitentscheidende Bedeutung für die Dia-
1. Fortdauernder Schmerz, unverhältnismäßig zu jeder auslösenden gnose gegeben. Die Spezifität des 3-Phasen-Knochenscintigramms
Schädigung: o ja ist höher als seine Sensitivität.
Kategorien 2. Berichtete 3. Untersuchte
Unverzichtbar zum Ausschluss eines Schmerzherdes sind
Erscheinungen Zeichen »Signs« konventionelle Röntgenaufnahmen der Hand mit Handgelenk im
»Symptoms« a.-p. Strahlengang und des Handgelenks seitlich, zur Beurteilung
der Dichte und der Verteilung des Kalksalzgehaltes. Bei Verdacht
a »Sensory« auf posttraumatische Veränderungen am Handgelenk ist eine CT
Hyperalgesie, Allodynie o o
Empfindung von Berüh-
angezeigt, weil Impressionen oder kleine Stufen in der Radiusge-
rung als Schmerz lenkfläche oder Verletzungen der Handwurzelknochen im kon-
ventionellen Röntgenbild nicht zu sehen sind. Verletzungen der
b »Vasomotor« Handwurzelbänder können nur durch eine Durchleuchtung im
Veränderungen/Seiten-
Seitenvergleich erkannt werden oder durch eine Arthroskopie.
unterschiede der Haut
Farbe o o
Eine MRT dient wesentlich zur Differenzialdiagnose.
Wärme o o
Neurologische Untersuchungen
c »Sudomotor/Edema« Eine Untersuchung durch einen Facharzt der Neurologie und Psy-
Ödem/Schwellung o o
chiatrie lässt zusätzliche Nervenschäden, häufig (!) ein Karpaltun-
Veränderungen/Seiten- o o
unterschiede der Feuch-
nelsyndrom oder eine Kompression des Ellennerven und/oder eine
te der Haut Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet feststellen.

d »Motor/Trophic«
Steife der Finger o o 18.1.5 Klassifikation
Schwäche o o
Zittern o o
18 Muskeln gehorchen nicht o o Die in Deutschland mit dem Namen von Sudeck (1900) verbun-
Trophische Störungen, dene Krankheit einer entzündlichen Dystrophie wurde in eng-
Veränderungen/Seiten- lischsprachigen Ländern »reflex sympathetic dystrophy« (RSD)
unterschiede: genannt, bis 1995 der Name mit internationaler Anerkennung in
Haare o o
»complex regional pain syndrome« (CRPS) geändert wurde.
Nägel o o
Aus systematischen Gründen wird noch unterschieden zwi-
Haut o o
schen einem CRPS Typ I, ohne Läsion eines Nerven, und einem
4. Keine andere Diagnose erklärt die Symptome und Zeichen CRPS Typ II, mit Läsion eines Nerven, bei dem die neurologischen
besser: o ja Ausfälle durch die Nervenläsion hinzukommen.
Für die Diagnose müssen die Punkte 1 und 4 erfüllt sein und zusät- > Die Einteilung des CRPS in Stadien wurde statistisch nicht
zlich: belegt.
Für die klinische Diagnose:
in 3 der 4 Kategorien mindesten je eine berichtete Erscheinung und Stattdessen werden Subtypen der Krankheit vermutet, und zwar ein
in 2 der 4 Kategorien mindesten je ein untersuchtes Zeichen. »florides CRPS«, ähnlich der klassischen Beschreibung des RSD, und
Für Forschungszwecke: zwei »begrenzte Formen«. Bei der einen begrenzten Form herrschen
in 4 der 4 Kategorien mindesten je eine berichtete Erscheinung und
vasomotorische Zeichen vor, bei der anderen stehen neuropathische
in 2 der 4 Kategorien mindesten je ein untersuchtes Zeichen.
Schmerzen und sensorische Abnormitäten im Vordergrund.
18.1 · Allgemeines
409 18
Das floride CRPS soll die stärksten motorischen und tro- Schmerz (»Schmerzen verstehen«; Butler u. Moseley, 2005), durch
phischen Zeichen und Veränderungen im Knochenszintigramm, die gleichzeitige medikamentöse Schmerztherapie, durch die phy-
möglicherweise in Zusammenhang mit »disuse« (Osteopenie), und sio- und ergotherapeutische Förderung der Abschwellung und der
die kürzeste Dauer der drei Untergruppen haben. Der Subtyp schmerzlosen natürlichen Bewegungen, der Wahrnehmung und des
mit vorherrschend neuropathischen Schmerzen und sensorischen Gebrauchs der Hand und in Einzelfällen durch verhaltenstherapeu-
Abnormalitäten könnte das CRPS II, widerspiegeln, früher auch tische Übungen des Umgangs mit psychischen Begleitstörungen.
»Kausalgie« genannt wegen des brennenden Schmerzes. Die Be- Jede der verschiedenen Behandlungsformen der gleichzeitigen viel-
deutung einer Einteilung nach Temperaturunterschieden, »war- schichtigen Behandlung dient nur dem einen Zweck, dem CRPS-
mes« und »kaltes« CRPS ist noch unklar. Die Muster der Tempera- Kranken das Lernen zu ermöglichen und zu fördern, dass beide
turunterschiede können sich im Verlauf ändern. Hände dem Hirn dabei helfen, die »ausgegliederte« Hand wieder
»einzugliedern«. Die gesunde Hand dient dem Hirn als Vorbild für
schmerzfreie Bewegungen mit natürlichem Ablauf. Die heilende
18.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Hand hilft dem Hirn bzw. dem Selbst, sich wieder zu begreifen. Die
gleichzeitige vielschichtige Behandlung fördert das Lernen, sich von
Ein an seiner Hand erkrankter CRPS-Patient wird häufig den um den eigenen Händen führen und heilen zu lassen.
Hilfe bitten, dem er die Kompetenz für die Gewebe der Hand zu- So wie die gesunde Hand das Vorbild für die kranke Hand ist,
traut, also einen Handchirurgen. so kann eine Person des Vertrauens das Vorbild für das Selbst des
CRPS-Kranken sein. Diejenige Person aus dem Kreise der Behan-
> Ein erfahrener Handchirurg, der sich nicht nur als Handwer-
delnden (⊡ Abb. 18.10) wird am ehesten das Vertrauen des CRPS-
ker, sondern auch als Arzt versteht, kann einem an seiner
Kranken gewinnen,
Hand Leidenden – nach sorgfältigem Ausschluss eines Scha-
▬ die selbst eine Vorstellung vom Ablauf der Heilung hat. Die
dens, der nur von einem Handchirurgen durch einen Eingriff
Übertragung dieser Vorstellung hat Erfolg, wenn der CRPS-
zu bessern ist – überzeugend erklären, dass er dem an seiner
Kranke ihre Verwirklichung erfährt. Die Linderung der
Hand Leidenden nicht mit dem Messer helfen kann.
Schmerzen und die Vermehrung des Nutzens seiner Hand
Der Handchirurg hat die einmalige Gelegenheit, die Herausfor- überzeugen ihn und fördern sich gegenseitig;
derung anzunehmen, sich der Hilfe suchenden Person als Person ▬ die das Vertrauen des CRPS-Kranken in seine beiden eigenen
ihres Vertrauens anzubieten, die die gemeinsame Behandlung mit Hände stärkt;
Vertretern anderer Fachgebiete nach den Bedürfnissen des Kran- ▬ die dem CRPS-Kranken die eigene Fähigkeit zur Förderung
ken veranlasst und vom Beginn bis zur Entlassung aus der Behand- seiner Heilung zutraut und die durch dieses Zutrauen das
lung begleitet. Wachsen des Selbstvertrauens des Kranken fördert.
Bei einem CRPS an der Hand ist eine möglichst frühzeitige
interdisziplinäre neurofunktionelle Rehabilitation angezeigt durch: Pragmatische Planung der speziellen Schmerztherapie
Lösung der Angst durch Förderung des Verständnisses für diese Die Behandlung berücksichtigt die persönlichen Bedürfnisse des
Störung der Heilung und durch die Förderung des Verstehens von CRPS-Kranken, erkennbar an den objektiven Zeichen, den subjek-

schmerz-
therapeutisch
tätiger schmerz-
handchirurgisch Anästhesist therapeutisch
tätiger tätiger
Unfallchirurg/ Neurologe
Orthopäde

Verhaltens-
therapeutisch
Handchirurg orientierter
Person des Psychologe
Vertrauens

neurofunktionell
orientierter
CRPS Physio
Kranker Therapeut
Rehamanager neurofunktionell
des orientierter ⊡ Abb. 18.10 Eingliederung des CRPS-Kranken in
Kostenträgers Ergo den Kreis seiner Helfer. Eine Vertrauensperson be-
Therapeut gleitet den Kranken während der Behandlung, auch
wenn die Verantwortung für die Leitung der ärztli-
chen Behandlung schwerpunktbezogen wechselt
410 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

tiven Symptomen (⊡ Tab. 18.1) und am Verlauf des CRPS. Die in- 18.1.7 Therapie
dividuell ausgerichteten und vielschichtigen Basistherapien, ohne
Medikamente und mit Medikamenten, ermöglichen – nach un- Die biopsychosoziale Medizin kann als Lehre der Beziehungen
serem ergänzenden Konzept – dem CRPS-Kranken durch neuro- verstanden werden.
funktionelle physiotherapeutische und ergotherapeutische Anlei-
> Die Therapie gibt dem Patienten Antworten, die ihm zeigen,
tung – nicht durch passives »Beüben« (!) – das Lernen mithilfe sei-
dass die Zeichen verstanden werden, die er auf körperlicher,
ner eigenen Sinne. Eine verhaltensorientierte Psychotherapie hilft
psychischer und sozialer Ebene unbewusst sendet.
zur Überwindung der Bewegungsangst. Voraussetzung dafür ist
die gleichzeitige (!) medikamentöse Unterstützung der Linderung Wenn sich Patient und Arzt als Personen begegnen, entsteht eine
seiner krank machenden bzw. neuropathischen Schmerzen und gemeinsame Wirklichkeit zwischen Arzt und Patient. Das CRPS
die Besserung der Symptome einer neurogenen Entzündung. Die betrifft die ganze Person. Deshalb muss die Behandlung »biopsy-
Wahl der Medikation erfolgt aufgrund der Schmerzcharakteristi- chosozial« sein.
ka der klinischen schmerztherapeutischen Diagnose (Anamnese, Das Ziel unseres Beitrages ist es, dem CRPS durch Aufklärung
Untersuchung, Auswertung eines Schmerzfragebogens und eines und Verständnis vorzubeugen, es zu entzaubern, wenn es schreckt,
Schmerztagebuches). In Betracht kommen die Gabe von Kortison, und alle Helfenden aus der ihnen von vielen Kranken zugedachten
Bisphosphonaten und/oder Kalzitonin und DMSO-Creme. Je nach falschen Rolle der Heiler zu erlösen. Alle »Behandelnden« haben mit
dem Charakter des Schmerzes und seiner Dynamik werden Anti- Beteiligung des CRPS-Kranken die Aufgabe – keine kleinere und
depressiva und/oder Antikonvulsiva ggf. kombiniert mit Opioiden keine größere – den natürlichen Ablauf einer vollständigen Heilung
gegeben mit dem Ziel, die Schmerzen so weit zu lindern, dass der des CRPS – die Wiedervereinigung des Selbst mit der ausgeglieder-
Patient in die Lage versetzt wird, selbst aktiv zu üben. ten Hand – zu ermöglichen, zu erleichtern, zu beschleunigen. Leider
Tritt keine wesentliche Besserung ein, sollen diagnostisch Sym- heilt die Natur das CRPS meist nicht vollständig. Zu oft heilt zwar
pathikusblockaden vorgenommen werden. Im Falle einer Schmerz- die neurogene Entzündung, aber die kranke Hand bleibt ausge-
reduktion von über 50% ist eine Serie angezeigt. gliedert, wenn dieser instinktiven Ausgliederung nicht vorbeugend
In seltenen schweren und therapierefraktären Fällen können oder spätestens von Beginn der Behandlung an entgegengewirkt
nach dem Ausschluss einer psychischen Komorbidität und nach wird. Betroffene und Helfende sind oft hilflos, weil die körperlichen
eindeutiger, dokumentierter Austestung, invasive Therapien zum Zeichen und die Empfindungen ohne die »alten« und die neuesten
Einsatz kommen, wie die elektrische Stimulation des Rückenmarks Erkenntnisse, die wir in  Abschn. 18.1.1 und  Abschn. 18.1.3 angeris-
(»spinal cord stimulation«, SCS;  Abschn. 15.2.3). Je früher das sen haben, nicht verstehbar sind. Die »Sprache des Körpers« ist auch
CRPS diagnostiziert wird und vom Beginn an individuell gleichzei- dem Willen nicht zugänglich. Die übliche Behandlung hilft oft nicht,
tig und vielschichtig behandelt wird, desto besser sind die Ergeb- wenn diese nur medikamentös schmerzlindernd, nur handtherapeu-
nisse und die Prognose (⊡ Abb. 18.11). tisch, nur psychologisch verhaltenstherapeutisch, nur handchirur-

a b c
18

d e f

⊡ Abb. 18.11 65-jährige Patientin mit einem CRPS ihrer linken Hand, vor der Behandlung. Obere Bildreihe: Linker Handrücken und Finger sind geschwollen,
die Finger regungslos beim Versuch des Faustschlusses und beim Versuch ihrer Streckung: a beide Handrücken, b beide Hände beim Versuch des Faustschlus-
ses, c beide Hände beim Versuch der Fingerstreckung. Untere Bildreihe: die Hände derselben Patientin. Nach 3 Wochen stationärer multidisziplinärer Therapie
war die linke Hand abgeschwollen und die Finger wurden wie rechts gebeugt und gestreckt: d beide Handrücken, e beide Hände von der Speichenseite beim
Versuch des Faustschlusses, f beide Hände beim Versuch der Fingerstreckung
18.1 · Allgemeines
411 18
gisch invasiv oder nur schmerztherapeutisch invasiv oder dies nach- sehr seltenen Fällen trotz des Versuches der Vorbeugung und trotz
einander und nicht gleichzeitig und ohne eine Vertrauensperson einer sachgemäßen interdisziplinären Behandlung schicksalhaft
erfolgt, z. B. einen mit dem CRPS vertrauten Handchirurgen. sein kann. Aber ein Handchirurg und ein handchirurgisch tätiger
Der an seiner Hand am komplexen regionalen Schmerzsyn- Unfallchirurg und/oder Orthopäde, der die Gefahr und ihre Auslö-
drom Erkrankte beansprucht die Persönlichkeit, die Intuition, das ser kennt, wird weniger Patienten haben, die unter dieser zwar selte-
Wissen und das Einfühlungsvermögen des Arztes in jedem Hand- nen, aber in Einzelfällen schicksalhaften »unvollständigen« Heilung
chirurgen. Die Aufgabe eines Chirurgen erschöpft sich nicht in länger leiden, als die Heilung der verletzten Gewebe dauerte.
seiner handwerklichen Tätigkeit. Der Chirurg schafft als Hand- Die Angst, der Schmerz und die Schonung einer ehemals
werker – die Bezeichnung »Chirurg« ist eine Zusammensetzung verletzten, fortdauernd schmerzenden, zu nichts nutzenden Hand
der griechischen Worte für Hand =»cheir« und für Werk =»ergon« werden vertrieben von wachsendem Mut, von der spürbaren Lin-
– die Voraussetzung für die Heilung der Gewebe durch die vorü- derung von Schmerzen, von der erneuten Wahrnehmung der
bergehende Wiedervereinigung der durch eine Wunde getrennten Hand und vom erfolgreichen Gebrauch dieser Hand.
Teile von Geweben. Mut, Wahrnehmung ohne Schmerzempfindung und Gebrauch
Wenn nur das Gewebe heilt, aber nicht der Mensch als Einheit, erhöhen die Schmerzschwelle und helfen, die zunächst reflexartig
und wenn dieser Mensch nicht dauernd wiedervereinigt wird mit verletzungsbedingt, dann krankhaft geschonte Hand wieder dau-
seinen Gemeinschaften, von denen er ein Teil war vor der Verletzung erhaft mit dem Hirn zu vereinen im Sinne der eingangs genannten
seiner Hand, wenn also die geheilte kleinere Einheit nicht in der grö- Definition von Heilung. Die Wiedereingliederung der vom Selbst
ßeren aufgeht und die Heilung auf diese Weise unvollendet bleibt, einstmals instinktiv ausgegliederten Hand, kann nur die Person
wenn die ehemals geschädigte Hand nicht mehr zu ihm gehört, ihm selbst vollbringen, die an einem komplexen regionalen Schmerz-
fremd geworden ist und auch noch schmerzt – oder fremd, weil sie syndrom ihrer Hand leidet. Dieser erkrankten Person kann mit
schmerzt? – wenn die schmerzende Hand ihn stört, ja, ihn zu bedro- bester Aussicht auf ihre Heilung eine Vertrauensperson helfen, die
hen scheint, dann ist der Boden für ein sog. CRPS bereitet. versteht, woran die kranke Person leidet und die ihr zu helfen weiß.
Denn jede Verletzung trennt nicht nur Gewebe, sondern re- Der Kranke wird sein Vertrauen dem Menschen schenken, von
flexartig die verletzte Hand von Hirn und Gemüt. Das Hirn schal- dem er glauben kann, dass dieser ihm helfen kann. Wie der Kranke
tet eine heilende, gebrauchsgestörte Hand ab, wenn diese keinen sich selbst einschätzt, was er sich vorstellt über sein Leiden, was
Nettonutzen behalten hat oder wiedergewinnt. Die unfallchirur- er darüber wirklich weiß und wem er glaubt, bestimmen wesent-
gische Faustregel »life before limb« gibt diesem in der Entwick- lich den Verlauf der krankhaft schmerzenden Störung, denn: der
lungsgeschichte vielfach bewährten und verwirklichten Prinzip Kranke kann sich seine Heilung nicht vorstellen.
Ausdruck, nach dem auch unsere Intuition, unser »Bauchgefühl« Der an einem CRPS einer Hand Erkrankte benötigt die Hilfe
uns unbewusst lenkt. Auch wenn der Verstand sagt: »ich brauche von Therapeuten, Ärzten, Helfern, um lernen zu können, wieder
doch meine verletzte Hand dringend«, kann das »Bauchgefühl« selbst über seine infolge des CRPS ausgegliederte Hand zu bestim-
bestimmen, welches sagt: »Die verletzte Hand hat nicht mehr men. Die krankhafte Fremdbestimmung des Selbst seiner Person
meine Gestalt, ist hässlich, sie stört mich, weil ich sie nicht nutzen durch die sie scheinbar »bedrohende Hand« wird abgelöst von der
kann, sie schmerzt so, dass die Schmerzen mich bedrohen. Ich will Selbstbestimmung über die heilende eigene Hand.
von meiner verletzten Hand nichts mehr wissen, ich würde sie Neue Impulse kommen aus der Neurologie und aus der Zu-
am liebsten nicht mehr wahrnehmen.« Das angeborene Verhalten sammenarbeit von Neurologen und Orthopäden. »Train the brain«,
kann uns nicht nur schützen und lenken, sondern auch hemmen, und zwar
hindern und in die Irre führen. Der Handchirurg hat meist als ers- ▬ durch die Nutzung der Wechselwirkung zwischen den Händen
ter die Gelegenheit, die jedem angeborene reflexartige Schonung und dem Hirn, (⊡ Abb. 18.12)
einer verletzten Hand zu erkennen und der hierin gründenden ▬ durch Lernen mit Hilfe der Sinne:
Gefahr einer dauerhaften Störung ihres Gebrauches vorzubeugen. ▬ durch Förderung der Hirnleistungen, die instinktiv/reflexartig
durch eine Verletzung oder durch einen Schaden an einer
> Eine Verzögerung des natürlichen Heilverlaufes ist vermeid-
Hand gehemmt sind:
bar durch die Anleitung zur Wahrnehmung und zum Ge-
▬ durch Förderung bzw. Bahnung der Wahrnehmung der »abge-
brauch der verletzten Hand während der Heilung.
schalteten« Hand und
Wirkt der Schmerz fort, der die natürliche, instinktive Schonung ▬ durch Förderung bzw. Bahnung des Vorstellungsvermögens
der verletzten Hand auslöste, wächst die Gefahr der Entwicklung der Bewegung und des Gebrauchs der heilenden Hand
eines CRPS. a) durch das Begreifen des eigenen Körpers mit der heilen-
den Hand und
> Unter allen Umständen muss die Ausbildung eines »Schmerz-
b) durch Nachahmung des Vorbildes der gesunden Hand bei
gedächtnisses« verhindert werden, damit die plastischen
gleichzeitigen Bewegungen beider Hände mit Blick auf die
Veränderungen des peripheren Neurons, des Hinterhorns im
gesunde Hand und
Rückenmark und im Hirn nicht entstehen.
c) durch Nutzen des Gelernten nach der Faustregel: »Ich
Als Arzt hilft der Handchirurg oder der handchirurgisch tätige nutze, was mir nutzt«.
Unfallchirurg und/oder Orthopäde einem an seiner Hand erkrank-
ten CRPS-Patienten, sich die heilende Hand wieder zu eigen zu Unsere Eingebung bzw. Intuition fördert das Nutzen nur, wenn
machen. Dazu brauchen der erstbehandelnde Arzt und der Kranke und weil es nutzt. Deshalb ist die »Zielgröße« der Behandlung des
die Hilfe von neurofunktionell orientierten Ergotherapeuten und CRPS die Wiedergewinnung des Nutzens der kranken Hand: Den
Physiotherapeuten, von schmerztherapeutisch tätigen Anästhesis- sinnlichen Wahrnehmungen des Tastens und Sehens kann sich das
ten oder Neurologen und von Rehamanagern der Kostenträger. Hirn nicht entziehen, wenn ihm dafür »die Augen geöffnet« wer-
Kein Handchirurg und kein handchirurgisch tätiger Unfallchir- den und wenn es wieder begreifen lernt. Das Hirn sendet erst dann
urg und/oder Orthopäde kann immer ein CRPS verhindern, das in wieder Signale an die Hand, wenn es Signale von ihr empfängt.
412 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

von Schmerzen so weit wie möglich zur Faust geschlossen und


gestreckt werden.
Bei den Zeichen einer neurogenen Entzündung wirken Quar-
kumschläge abschwellend.
Die Beweglichkeit mehr oder weniger steifer Fingergelenke
wird gebessert durch schmerzfreie Physiotherapie, insbesondere
eine manuelle Therapie.
Den Weg ins »Un-heil« zu verstehen – medizinisch: die Pa-
thophysiologie – kann den Helfenden und dem Kranken helfen,
diesen Weg nicht weiter zu gehen, sondern auf diesem Weg umzu-
kehren zurück zur Gesundheit. Leider sind die heilenden Vorgänge
im Körper nicht mit der gleichen Ausführlichkeit erforscht wie
die krank machenden, doch über die natürliche Hemmung von
Schmerzen wissen wir genug Hilfreiches.
> Die »Antinozizeption«, die angeborene/natürliche/physiolo-
gische Fähigkeit zur Steuerung und zur Hemmung der Emp-
findung von Schmerz kann gestärkt werden.
Dazu gehört als erstes »Schmerzen verstehen«. Dieses Buch von
Bulter u. Moseley (2005) leihen wir vielen CRPS-Kranken während
der stationären Behandlung.
Bei der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS)
werden nozizeptive Neuronen in der Substantia gelatinosa des Hin-
terhorns gehemmt durch die Stimulation von Aβ-Fasern (s. Phy-
siologie, »Gate Theory« von Melzack, 1965, ⊡ Abb. 18.4). Diese
Methode wird im Allgemeinen bei chronisch Schmerzkranken
angewandt, mit guten Ergebnissen auch bei CRPS-Patienten.
Die verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie »er-
zieht« und leitet an zur selbstbestimmten Steuerung des eigenen
Verhaltens im Umgang mit den Schmerzen und fördert die Selbst-
⊡ Abb. 18.12 »Das menschliche Denken«. Seine Sinne verbinden den wahrnehmung. Unter anderen werden »Biofeedback«- und imagi-
Menschen mit sich selbst und mit der Welt. (Aus Fludd 1619; mit freundlicher native Verfahren mit Erfolg eingesetzt.
Genehmigung der Universitätsbibliothek Leipzig)
Medikamentöse Behandlung des neuropathischen
Schmerzes beim CRPS
Konservative (nichtoperative) Therapie Mit einer rein medikamentösen Therapie ist eine Schmerzreduk-
Die Basistherapien sind: tion um über 30–50% zu erwarten. Schmerzfreiheit kann fast nie
▬ Handtherapie (Physiotherapie, Ergotherapie etc.;  Kap. 19) erreicht werden.
▬ Behandlung des neuropathischen Schmerzes Pathophysiologisch begründet ist wegen seiner entzündungs-
hemmenden und abschwellenden Wirkung die kurzzeitige und
Behandlung des neuropathischen Schmerzes hochdosierte Gabe von Kortison. Prednisolon wird in einer Dosie-
Die Physiotherapie und die Ergotherapie sollen vor allem die Be- rung von 100 mg über 4 Tage eingesetzt. Innerhalb von weiteren
weglichkeit ehemals nicht verletzter Finger wiederherstellen. Um 6 Tagen wird die Dosis reduziert bis zum Absetzen nach 10 Tagen.
die Bewegungen der Finger zu erleichtern, kann ein Handgelenk, Diese Abfolge kann nach einer Unterbrechung wiederholt werden.
das in Ruhe schmerzt, anfänglich nachts und tagsüber nach Bedarf Ununterbrochen soll Kortison beim CRPS wegen seiner Neben-
18 geschient werden. wirkungen nicht länger als 3 Wochen gegeben werden, zumal
innerhalb weniger Tage beurteilt werden kann, ob es hilft. Vor
> Eine Schienung des Handgelenks darf palmar nur bis zur
einer solchen Therapie müssen eine bakterielle Verursachung der
Hohlhandbeugefurche der Fingergrundgelenke, nicht bis zur
Entzündung oder andere Kontraindikationen unbedingt ausge-
Beugefurche der Fingergrundglieder reichen, weil sonst die
schlossen werden.
»Muskelpumpe« am Unterarm, die das Blut aus der Hand zu-
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind nicht gesondert
rückpumpt, blockiert wird.
für das Krankheitsbild des CRPS untersucht worden. Durch die
Sudeck (1900) schrieb: »Das Hauptgewicht bei der Behandlung ist Beeinflussung der Entzündung kann es zu einer Schmerzlinderung
darauf zu legen, dass lediglich das direkt entzündete Gelenk fixiert kommen. Für die Akuttherapie wird z. B. Ibuprofen ret. in einer
wird unter Freilassung der Finger, ... so dass möglichst bald ... Be- Dosierung von 800 mg 2-mal/Tag empfohlen. Wegen der schädli-
wegungstherapie angewandt werden kann.« chen Wirkung der meisten NSAR auf die Magenschleimhaut ist die
Zusätzlich zur Lymphdrainage-Behandlung wird der Patient gleichzeitige Gabe von Kortison kontraindiziert wegen seiner in
angeleitet, seine geschwollene Hand, so oft er kann, auf seinen gleicher Weise schädlichen Nebenwirkung.
Kopf zu legen und den Arm mit der ersten Zwischenfingerfalte Kalzitonin wird wegen seiner schmerzlindernden Wirkung und
der anderen Hand bei abgespreiztem Daumen bis zur Achselhöhle wegen seiner Hemmung der Osteoklastenaktivität eingesetzt in
auszustreichen. Die Unterarmmuskeln pumpen das Blut zurück, einer Dosierung von 100 IE als Injektion subkutan 1-mal/Tag oder
wenn die Finger mit ruhigen Bewegungen und ohne Auslösung 3-mal/Tag 100 IE intranasal, über 4–6 Wochen.
18.1 · Allgemeines
413 18

⊡ Tab. 18.2 Orientierender Algorithmus zur medikamentösen Therapie des CRPS

Zeichen/Symptome Mechanismus Medikation

Hyperalgesie Periphere Sensibilisierung Kortikoide

Kältehyperalgesie Sympatisch unterhaltener Schmerz, SMP Sypathikusblockade

Allodynie Zentrale Sensibilisierung Antikonvulsiva

Kältebrennschmerz Enthemmung der Schmerzkontrolle Antidepressiva

Auch Biphosphonate hemmen die Aktivität der Osteoklasten. tidepressivums mit einem Antikonvulsivum und einem Opioid
Ihre schmerzlindernde Wirkung wird bei CRPS nach Brüchen von sinnvoll (belegt durch Studien, die zur Behandlung neuropathi-
Knochen genutzt. Ihre Wirkung bei CRPS nach einer Verletzung schen Schmerzen durchgeführt wurden): z. B. Oxycodon retard
von Weichgeweben ist nicht bewiesen. Wir geben z. B. Alendronat Tbl. ab 2-mal 10 mg/Tag oder Tramadol retard Tbl. von anfangs
7,5 mg Infusion in 250 ml NaCl 0,9%, für 3 Tage. 2-mal 100 mg bis zur höchsten Tagesdosis von 400 mg. Eine Al-
ternative ist die perkutane Applikation von Opioiden als Pflaster.
Medikamente gegen neuropatische Schmerzen Zur Erleichterung der Wahl des Präparats gibt es einen »Opioid-
Kennzeichnend für das CRPS sind neuropathische Schmerzen, kalkulator« mit den Äquivalenzdosierungen für die verschiedenen
häufig als Dauerschmerz mit Verstärkung in Ruhe und nachts, und Opioidpräparate.
ein ohne erkennbare Ursache »von selbst« entstehender Schmerz, Vor der Gabe von Opioiden bzw. Morphin sind die Patienten
oft brennend und pochend und immer wieder ausgelöst durch insbesondere über die Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme
zarte Berührung und vor allem durch Bewegungen der zunächst der Medikamente, das Verbot von Alkohol sowie bei jeder Dosi-
durch eine überschießende Entzündung heilen »wollenden«, aber sanpassung über die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit aufzu-
wegen der Schmerzen krank machenden Hand. Die Behandlung klären. Alle diese Besonderheiten sind in einem »Patientenvertrag
mit Medikamenten kann angepasst werden an die persönlichen zur Therapie mit Morphin bei Patienten mit Schmerzen, die nicht
Bedürfnisse nach einer quantitativen sensorischen Testung (QST) durch Krebs hervorgerufen werden« gebündelt (erhältlich über
und/oder an die geklagten Empfindungen und an die durch ärztli- die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes). Diesen
che Untersuchung festgestellten Zeichen (⊡ Tab. 18.2). Vertrag muss der Patient vor Therapiebeginn zusammen mit dem
Die wichtigsten Substanzgruppen für die Behandlung der neu- Arzt unterschreiben.
ropathischen Schmerzen sind Antidepressiva und Antikonvulsiva. »Radikalfänger« werden empfohlen unter der Vorstellung,
Die schmerzlindernde Wirkung der Antidepressiva beruht auf damit freie Radikale zu binden, die während des Entzündungs-
der Hemmung der Wiederaufnahme von Botenstoffen für Schmerz prozesses entstehen und diesen unterhalten. Sie werden topisch
(Noradrenalin und Serotonin) im ZNS sowie auf einer Blockade appliziert. Zum Beispiel wird Dimethylsulfoxid (DMSO) 50% als
der Natriumkanäle der neuronalen Synapsen. fettige Creme 4-mal am Tag auf die schmerzende Haut aufgetragen.
Aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva (TZA) hat sich Systemisch wird Vitamin C (1 g i.v. am Tag) gegeben. Für die Wir-
das Amitriptylin bewährt. Es wird in einer Dosierung von anfänglich kung dieser Therapie steht der Nachweis noch aus.
10–20 mg eingesetzt. Je nach Wirkung bzw. Nebenwirkung kann bis Der Verlauf soll täglich beobachtet und dokumentiert werden.
auf 75 mg (max. 150 mg) auftitriert werden. Aufgrund seiner sedie- Wenn Vitamin C nicht hilft, soll es nach einigen Tagen abgesetzt
renden Komponente verbessert Amitriptylin die Schlafqualität, wenn werden, weil dort, wo die Konzentration von freien Radikalen
es abends verordnet wird. Über den verzögerten Wirkungseintritt erhöht ist, die Bioverfügbarkeit der Antioxidantien zu gering sein
erst 1–2 Wochen nach Beginn der Einnahme und über das Erreichen soll.
der stärksten Wirkung erst nach 6–8 Wochen muss der Patient auf- N-Acetylcystein wird in einer Dosierung von 3-mal 200 mg
geklärt werden. Eine Alternative zu Amitriptylin sind Antidepressiva beim »kalten« CRPS gegeben. Seine Wirkung ist noch nicht nach-
der neueren Generation wie z. B. Duloxetin, die ihre Wirkung schnel- gewiesen.
ler entfalten (4 Tage) und ggf. bei Patienten, die bei der Behandlung Umschriebene Hautflächen, die krankhaft empfindlich auf Be-
mit Amitriptylin stark unter Müdigkeit und Gewichtzunahme leiden, rührung sind, können durch die topische dermale Applikation
weniger derartige Nebenwirkungen hervorrufen. von Lokalanästhetika wie Lidocain (Versatis 5%) oder Prilocain
Antikonvulsiva können bei Patienten mit CRPS schmerzlin- (EMLA-Creme) örtlich betäubt werden.
dernd wirken. Bewährt haben sich Gabapentin und Pregabalin. Capsaicin-Salbe verursacht nach längerem Auftragen 4-mal
Die Anfangsdosis von Gabapentin 300 mg abends wird, täglich täglich über 4–6 Wochen (Salbe) oder einmalig (Pflaster) eine re-
verteilt auf 3 Einnahmen, gesteigert bis zum Eintritt der Wirkung, versible Degeneration nozizeptiver Afferenzen.
höchstens bis auf 1800 mg/Tag. Bei einer Niereninsuffizienz muss Die Beachtung der folgenden Empfehlungen fördert die not-
die Dosis angepasst werden. wendige Mitwirkung der Patienten und die Anpassung der medi-
Pregabalin fördert zusätzlich den Schlaf und wirkt angstlösend. kamentösen Therapie an den Krankheitsverlauf:
Bei der einschleichenden Dosierung muss das Alter des Patienten ▬ Aufklärung über jedes Medikament: über die Medikamenten-
berücksichtigt werden. Nach den ersten 25 mg abends wird die klasse, über seine Wirkungen und Nebenwirkungen; Retard-
Tagesdosis individuell gesteigert von 3-mal 25 mg bis zur höchsten präparate sind zu bevorzugen;
Tagesdosis von 300 mg. ▬ Anpassung der Dosis individuell nach Wirkung und Neben-
Wenn die Schmerzen die Bewegung der heilenden Hand hin- wirkung;
dern, ist besonders in der Akutphase die Kombination eines An- ▬ Kontrolle der Wirkung der Behandlung täglich.
414 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

Operative Therapie
Beseitigung einer Schmerzursache
Ursachen für Schmerzen, die durch eine handchirurgische und/
oder chirurgische Behandlung gebessert oder gar beseitigt werden
können, müssen vom erstbehandelnden Handchirurgen erkannt
werden (s. Differenzialdiagnosen). Ein bestehendes CRPS ist keine
Kontraindikation für einen handchirurgischen Eingriff, sondern
erfordert einen solchen, wenn eine Ursache für Schmerzen oder
für eine Abflussstörung des Blutes aus dem Arm ( Kap. 20) hier-
durch gebessert oder beseitigt werden. Neuropathische Schmerzen
wegen eines posttraumatischen Schadens eines peripheren Nervs,
z. B. eines Astes des Ramus superficialis des Nervus radialis oder
des Ramus palmaris Nervi mediani können nach positiver Test-
ausschaltung oft durch einen handchirurgischen Eingriff gebessert
werden. Auch Schmerzen bei einem CRPS infolge der Heilung ei- ⊡ Abb. 18.13 Betäubung des Ganglion stellatum des sympathischen Grenz-
nes Bruches der körperfernen Speiche in Fehlstellung können eine stranges (»ganglion local Opioid application«, GLOA) wegen eines CRPS an
Indikation zu einem handchirurgischen bzw. unfallchirurgisch- der rechten Hand eines 51-jährigen Mannes
orthopädischen Eingriff sein, wenn die Indikation nach den Regeln
der Kunst dafür gegeben ist, wenn eine Linderung der Schmerzen
von dem Eingriff zu erwarten ist und wenn die postoperative Wei- Patienten, die schon Kontrakturen und Versteifungen haben. Eine
terbehandlung in einem Zentrum erfolgt, in dem die dafür not- Plexuskatheteranästhesie ist selten indiziert in der akuten Phase
wendige interdisziplinäre Zusammenarbeit gewährleistet ist. des CRPS, weil die Entzündungsreaktion in der Hand gesteigert
Für die Einschätzung der Bedeutung der operativen Therapie werden kann und weil der Lernprozess (s. Basistherapie ohne Me-
für die Integrationsstörung des CRPS gilt, wie für die anderen dikamente) unterbrochen wird.
Arten der Behandlung auch: Die operative Therapie ist beim CRPS Die intravenöse regionale Sympathikusblockade (IVRB) mit
nur ein Glied in der Kette der Behandlungsarten, deren wichtigstes einer Mischung von Guanetidin 10 mg/ml, mit Solu Dekortin
Glied der Kranke selbst ist (⊡ Abb. 18.10). 100 mg, und Naropin 0,1%, ad 40 ml wird durch eine oberflächliche
Vene der betroffenen Hand in den blutleer gewickelten und mit
Minimalinvasive Therapie einer Blutsperre vom Kreislauf getrennten Arm infundiert. Das Gu-
> Alle (minimal-) invasiven Therapiemaßnahmen sollten hierin anetidin ist für diese Indikation nicht zugelassen. Deshalb muss der
ausgebildeten und erfahrenen Ärzten in spezialisierten Zent- Patient nach Aufklärung darin schriftlich einwilligen. Da die Wir-
ren vorbehalten bleiben. kung für das CRPS nicht nachgewiesen wurde, weil die Behandlung
schmerzhaft ist und ein CRPS verschlimmern kann, wird diese Art
Sympathikusblockade der Behandlung in der Leitlinie zum CRPS nicht empfohlen.
Sympathikusblockaden helfen nur bei einer Untergruppe von Patien-
ten mit einem CRPS, wenn ihr Schmerz »sympathisch unterhalten« Spinal-Cord-Stimulation (SCS)
ist. Ein vom sympathischen Nervensystem unterhaltener Schmerz Die Spinal-Cord-Stimulation (SCS) ist eine rückenmarksnahe Elek-
(»sympathetically maintained pain«, SMP) wird erkannt durch die trostimulation. Wenn eine Probestimulation erfolgreich war, wird
schmerzlindernde Wirkung zweier Probeblockaden. Eine Probeblo- in den Periduralraum eine Stimulationssonde implantiert, die
ckade des Sympathikus ist erst angezeigt, wenn die Basistherapie durch einen subkutan implantierten Impulsgeber gesteuert wird.
ohne und mit Medikamenten die Schmerzen und die Schwellung Die SCS wird nur für Patienten empfohlen, denen alle anderen
bzw. verstärktes Schwitzen nicht linderte. Eine Überlegenheit der Arten von Behandlungen nicht geholfen haben, und wenn eine
Intervention am Sympathikus ist gegenüber Placebo nicht bewiesen. psychische Begleiterkrankung durch eine fachspezifische Untersu-
Jedoch hat sich die Methode seit Jahren in der Behandlung des CRPS chung ausgeschlossen wurde.
etabliert aufgrund von positiven Erfahrungen bei vielen Patienten.
18 Ganglion-stellatum-Blockaden (»ganglion local opioid applica- Intrathekale Gabe von Baclofen
tion«, GLOA) werden bei einem »floriden« CRPS mit den Zeichen Mit der intrathekalen Gabe von Baclofen haben wir ebenso wie
einer Schwellung, Rötung und einer vermehrten Schweißabson- mit der Sympathektomie keine eigene Erfahrung. Nach einer Aus-
derung bevorzugt angewandt. Manche CRPS-Kranke empfinden testung mittels Bolusgabe wird laut Literatur Baclofen als GABA-
nicht nur eine Linderung dieser Symptome, sondern auch ihrer Rezeptor-Agonist bei chronischen CRPS, die mit dystonen Be-
Schmerzen. Voraussetzung für eine Serie von max. 10 Blockaden wegungsstörungen einhergehen, intrathekal kontinuierlich über
ist der Nachweis einer Verminderung der Schmerzen um mindes- implantierte Pumpen gegeben.
tens 50%, sowie ein Anstieg der Hauttemperatur (um mehr als 2° C
an der kranken Hand) infolge von 2 diagnostischen Sympathikus- Operative Therapie nach A. Wilhelm  Kap. 20
blockaden. Am Ganglion stellatum wird insgesamt ein Volumen
von 4-5 ml injiziert, bestehend aus Buprenorphin 0,15 mg und 4ml
Ropivacain 0,1% (⊡ Abb. 18.13). 18.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
Vor der operativen Sympathektomie wird gewarnt.
> Das CRPS kommt auch bei Kindern vor.
Kontinuierliche Plexusanästhesie
Eine kontinuierliche Plexusanästhesie über die Implantation ei- Kinder erkranken noch seltener an einem komplexen regionalen
nes Katheters für etwa 1 Woche kann indiziert sein bei CRPS- Schmerzsyndrom als Erwachsene.
18.2 · Spezielle Techniken
415 18
> Meistens sind ältere Mädchen betroffen, zu Beginn ihrer Alter von etwa 13 Jahren ohne Medikamente 92% der Mädchen
körperlichen und persönlichen Reifung zur Frau. zunächst symptomfrei machte. Die Mädchen wurden täglich über
1–2 Wochen angeleitet zu Übungen – 4 Stunden aerobische und
Wie beim CRPS der Erwachsenen wirkt eine oft harmlos erschei- funktionell ausgerichtete Bewegungen und 1–2 Stunden Hydro-
nende Verletzung der Glieder scheinbar unverhältnismäßig und therapie und Desensibilisierung. 77% der Mädchen wurden auch
unerklärlich krankhaft schmerzend und behindernd fort. Anders psychologisch beraten. Rezidive traten bei 31% auf, davon 79%
als bei Erwachsenen scheinen auffallend bei heranwachsenden innerhalb der ersten 6 Monate nach Behandlung. In einer anderen
Frauen die Sprunggelenke und Füße häufiger als die Handgelenke Mitteilung wurde allerdings über 42 Langzeitverläufe von CRPS
und Hände betroffen, und die ehemals verletzten Glieder sind berichtet, die in der Kindheit (Alter <16 Jahren) begonnen hatten,
meist kalt. Die Prognose scheint bei rechtzeitiger interdisziplinärer und im Erwachsenenalter keine bessere Lebensqualität hatten als
Behandlung günstiger zu sein als bei Erwachsenen. bei Verläufen von CRPS, die erst im Erwachsenenalter begannen.
Es ist unabdingbar, dass jeder Behandler die Kinder mag und Nach durchschnittlich 12 Jahren klagten 52% der 42 Patienten
ihnen gerne hilft. Das Team muss gut kommunizieren. Eine früh- über Schmerzen.
zeitige Schmerzlinderung, spezialisierte Physiotherapie und Ver- Wird das Nervensystem sensibilisiert für die Empfindung von
haltenstherapie bahnen bei Kindern und Heranwachsenden noch Schmerz durch die Hemmung von Muskelarbeit? Sind Menschen,
wirksamer als bei Erwachsenen einen meist günstigen Verlauf. die besonders empfindlich auf einen Mangel an Bewegung reagie-
Aber auch bis ins Erwachsenenalter fortbestehende schmerzhafte ren, stärker gefährdet, an einem CRPS zu erkranken als solche, die
Behinderungen sind beschrieben. Umso größer ist die Verantwor- auch ohne regelmäßiges Muskeltraining gesund bleiben? Sollten
tung aller handchirurgisch und handtherapeutisch Tätigen, bei solche Menschen ihr Leben lang ihre Muskeln trainieren?
Kindern, bei Heranwachsenden und besonders bei Mädchen in der Seit Sudeck vor mehr als 100 Jahren die Störung beschrieb,
Pubertät an ein komplexes regionales Schmerzsyndrom zu denken, die heute »komplexes regionales Schmerzsyndrom« (CRPS) heißt,
wenn Erscheinungen berichtet und Zeichen festgestellt werden, die zieht sich wie ein roter Faden durch alle Mitteilungen, dass offenbar
bei den diagnostischen Kriterien eines CRPS (⊡ Abb. 18.1) genannt ein Zusammenhang besteht zwischen der Verhinderung von natür-
sind. Ein normales Knochenszintigramm schließt insbesondere bei licher Bewegung und der Gefahr, an einem CRPS zu erkranken. Ist
Kindern und Heranwachsenden ein CRPS nicht aus. die Verhinderung von Bewegung die unverzichtbare Bedingung für
Das seltenere Vorkommen und der günstigere Verlauf des eine Erkrankung an einem CRPS? Heilt und verhindert Bewegung
CRPS bei Kindern und Heranwachsenden sind vereinbar mit der ein CRPS? Viele Zeichen sprechen für ein Ja als Antwort auf diese
Vorstellung vom komplexen regionalen Schmerzsyndrom als dem Fragen, mit den Ergänzungen: bei geerbter körperlicher Veran-
körpersprachlichen Ausdruck einer Fortdauer der trennenden lagung, bei einer Veränderung der Persönlichkeit aufgrund einer
Wirkung einer Verletzung. Bei einem CRPS trennen Angst, re- hormonellen Umstellung oder seelischer Belastungen, bei einem
flektorische Schonung und Schmerz das ehemals verletzte Glied Verlust, einer Trennung von Gemeinschaften.
auffallend lange vom Selbst der ehemals mitverletzten Person. Der Vor dem Hintergrund auch der neueren Erkenntnisse über
natürliche Schmerz infolge des Schadens der Gewebe verselbst- das CRPS bei Kindern und Heranwachsenden gilt für alle hand-
ständigt sich im »Schmerzgedächtnis« als Ursache und Folge von chirurgisch und handtherapeutisch Tätigen die Warnung: Jede
Angst vor Bewegung und aufgrund einer reflektorischen »Ausblen- (!) Schienung schadet. Eine Schienung, die unsachgemäß die Un-
dung«, und »Ausgliederung«, des ehemals verletzten Gliedes aus terarmmuskelpumpe blockiert – und das tun alle Schienen, die
dem Selbst der Person. Die krank machenden Schmerzen trennen palmar vom Unterarm bis zu den Grundgliedbeugefurchen der
die Erkrankten von ihren Gemeinschaften. Finger und darüber hinaus reichen – kann in sehr seltenen Fällen
Kinder und Heranwachsende können eine unnatürlich lange bei dazu veranlagten Kindern und Heranwachsenden die Entwick-
»Ausblendung« und »Ausgliederung« leichter überwinden als Er- lung eines CRPS fördern, mit der Dauerfolge von Schmerzen und
wachsene, weil sie allgemein einen stärkeren Drang haben, sich zu Behinderungen.
bewegen, »sich leichter vergessen« im Tun, weil sie unvorsichtiger
> Jeder Arzt, der Schienen an der Hand anlegt oder anlegen
und »mutiger« sind, weil sie leichter unbewusst lernen mithilfe
lässt, sollte die Gefahr einer unsachgemäßen Schienung auch
ihrer Sinne, weil sie ein ehemals verletztes Glied schneller wieder
für seine jungen Patienten kennen und vermeiden.
eingliedern und weil ihr natürliches Verhalten offenbar die Heilung
der noch kleinen und dennoch starken Persönlichkeiten fördert. Wir sind davon überzeugt, dass auch bei Kindern und Heranwach-
Zum Nachdenken über einen Zusammenhang zwischen einem senden anlässlich der ersten (!) Behandlung die Anleitung zum
Mangel, einer Hemmung oder gar Verhinderung von Bewegung Begreifen mit der verletzten Hand um den Mund und zum Be-
und Muskelarbeit einerseits und der Empfindung von Schmerz wegen beider Hände gleichzeitig nach dem Vorbild der gesunden
andererseits regt die Mitteilung an, dass 8 Mädchen, die einen von Hand, spielerisch auch mit gekreuzten Unterarmen, einer Dystonie
ihrer Mutter geerbten Schaden ihrer Mitochondrien hatten, auch infolge reflektorischer Schonung, einer Ausblendung der verletzten
an einem CRPS erkrankten, und die Feststellung, dass die Behand- Hand und einem CRPS vorbeugt.
lung des Mitochondrienschadens auch das CRPS besserte oder
heilte. Eine medizinische Trainingstherapie bessert die oxidative
Kapazität der Mitochondrien bei einer Erkrankung der Mitochon- 18.2 Spezielle Techniken
drien und auch von gesunden Mitochondrien. Trizyklische Anti-
depressiva (Amitriptylin) haben bekanntermaßen Wirkungen auf 18.2.1 Vorbild der heilen Hand
Mitochondrien, einschließlich der Entkoppelung der oxidativen
Phosphorylierung. Zusätzlich zur bereits im  Abschn. 18.1.7.1 beschriebenen konser-
Die Annahme eines Zusammenhanges zwischen Muskelarbeit vativen Therapie leiten wir an zur Überwindung des angeborenen
und der Empfindung von Schmerz wird auch nahegelegt durch und unbewussten Verhaltens mithilfe der eigenen Sinne und der
die Mitteilung, dass die CRPS-Behandlung von 103 Mädchen im beiden eigenen Hände: zur Überwindung der Hemmung der Be-
416 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

wegung, zur Überwindung der »Ausgliederung« und der »Aus- richteten Bewegungen beider Hände (⊡ Abb. 18.15). Die Bewegung
blendung« der heilenden Hand. der Finger ohne die Empfindung der schmerzauslösenden Anspan-
Bei den Übungen der natürlichen Bewegungsabläufe beim nung der Muskeln vermindert die Hemmung der Bewegung.
Faustschluss und der Fingerstreckung mit der heilen Hand
> Die Kreuzung der Unterarme bringt die heilende Hand in den
(⊡ Abb. 18.14) lernt der Betroffene, dass die (unvollständige) Bewe-
Raum der »gesunden« Körperseite, der das Hirn infolge des
gung seiner Finger keine Anspannung von Muskeln benötigt, wenn
geübten besseren Gebrauchs der »Gebrauchshand« unbe-
bei entspannten Muskeln am Unterarm die Wirkung der Schwer-
wusst mehr Aufmerksamkeit schenkt.
kraft die heile Hand abwechselnd hohlhandwärts und handrücken-
wärts fallen lässt. Wie schwach ist die Kraft, die er von seinen vor- Die Wahrnehmung ist raumbezogen, nicht gliedbezogen. Der be-
gespannten Muskeln am Unterarm fordern muss, um seine Finger wusste Blick ist gerichtet auf die gesunde Hand als Vorbild für die
vollständig zu beugen und zu strecken. Erst wenn er die gesunden Bewegungen der zu heilenden Hand (⊡ Abb. 18.16). Zur Entlastung
Finger mit der geringsten nötigen Anspannung ihrer Muskeln – vom Gewicht der Arme können diese mit den Ellenbogen auf
am Unterarm und in der Hand – sicher bewegt, wenn er »so weit einen Tisch gestützt werden. Durch die Drehung der Hände nach
ist«, wie ein 11-jähriges Mädchen einmal sagte, dann nimmt er die innen fallen diese handflächenwärts und die Finger strecken sich
heilende Hand mit, beteiligt sie an den gleichzeitigen und gleichge- ohne Anspannung ihrer Muskeln am Unterarm, nur durch ihre
»Zügelung« durch die Sehnen ihrer langen Streckmuskeln. Die
Drehung der Hände nach außen lässt diese bei entspannten Mus-
keln handrückenwärts fallen. Dabei werden die Finger ohne An-
spannung ihrer Muskeln gebeugt nur durch ihre »Zügelung« durch
die Sehnen ihrer am Unterarm tief und oberflächlich gelegenen
Beugemuskeln. Die natürlichen und Kraft sparenden Bewegungen
der Finger nutzen die Vorspannung ihrer Muskeln.
> Die Beteiligung des CRPS-Kranken an der Förderung seiner
Heilung durch die Nutzung seiner Sinne (⊡ Abb. 18.12) ist das
unersetzliche Bindeglied, das die Kette der Behandlungsmaß-
nahmen schließt (⊡ Abb. 18.10).
Der CRPS-Kranke braucht bildlich gesprochen »Fluchthilfe« aus
dem lähmenden und blendenden »Schutzreflex«, Befreiung von
der »Schockstarre« (⊡ Abb. 18.9).
Viele CRPS-Kranke starren auf ihre eigene ausgegliederte Hand
»wie das Kaninchen auf die Schlange«, weil sie sie zu bedrohen
scheint, andere vermeiden den Anblick ihrer »fremd« gewordenen
⊡ Abb. 18.14 Skizze der »natürlichen« Bewegungen der Finger, mit Nutzung Hand. Der »Schutzreflex« zwingt auch zur ständigen Beobachtung
der Vorspannung ihrer Sehnen vom Unterarm. (Aus Berger u. Hierner 2008) der scheinbar fremden und bedrohenden, CRPS-kranken Hand

⊡ Abb. 18.15 Beide Hände eines 11-jährigen


18 Mädchens beim gleichzeitigen Bewegen der Fin-
ger beider Hände mit Nutzung der Zügelung der
Finger durch ihre Sehnen von den Unterarmen
und mit dem Vorbild der heilen (rechten) Hand

⊡ Abb. 18.16 Gleichzeitige Bewegungen beider


Daumenendglieder mit gekreuzten Unterarmen
und Blick auf die heile (rechte) Hand
18.2 · Spezielle Techniken
417 18
oder zu ihrer Ausblendung. Die Wahrheit, dass die wirkliche Be- die Besinnung auf seine eigenen Sinne. Seine eigenen Sinne sind
drohung nicht von der schmerzenden Hand ausgeht, dass diese es, die ihm zur Wiedereingliederung seiner kranken Hand helfen
nicht die »Schlange« ist, von der er scheinbar kein Auge lassen können, bevor sie dauerhaft ausgegliedert ist. Die Nutzung der
darf, kann der CRPS-Kranke erst begreifen, wenn der schmerzende eigenen Sinne ist die Grundlage und ergänzt alle Maßnahmen zur
»Brand« in seiner Hand mit der Hilfe der Vertreter aller oben ge- Behandlung des CRPS und sie beugt einem CRPS vor.
nannten Berufsgruppen abkühlt, wenn er selbst und seine Helfer
> Die eigenen Sinne und beide eigenen Hände können die
die Hand als Teil der höheren Einheit seiner Person begreifen.
heilende Hand und die Person vor dem CRPS retten. Die
Das CRPS ist die eigentliche »Schlange«, die Krankheit, die seine
schmerzfreie Überwindung der unwillkürlichen Schonung
Hand und ihn selbst zu »fressen« droht, wenn er seine Hand nicht
der geschädigten Hand und deren erneute Wahrnehmung als
rechtzeitig wieder eingliedert. Der CRPS-Kranke braucht etwas,
eigene Hand fördern die Heilung des CRPS.
das ihm »auf die Sprünge hilft«. So wie dem Kaninchen im Comic
bei der ersten Begegnung mit der Schlange die Besinnung auf seine Wenn die krankhaften Schmerzen jede Bewegung der Finger ver-
angeborene Fähigkeit zur Flucht half, so hilft dem CRPS-Kranken hindern, kann die gehemmte Hirnleistung der Wahrnehmung der
schmerzenden Hand ohne Schmerzauslösung gefördert werden
durch Übungen zur Wiedererkennung der Seitenzugehörigkeit von
Händen, mithilfe eines Computerprogrammes (⊡ Abb. 18.17)

18.2.2 Spiegeltherapie

Bei der Spiegeltherapie werden durch das Spiegelbild der gesun-


den Hand zwei gesunde Hände vorgespiegelt (⊡ Abb. 18.18). Auch
hierbei, wie bei den gleichzeitigen Bewegungen beider Hände mit
Blick auf die gesunde Hand, werden die gehemmten Hirnleistun-
gen durch das Vorbild der gesunden Hand angeregt. Bei der Spie-
geltherapie soll aber die schmerzende Hand erst dann mitbewegt
werden, wenn die Bewegungen nicht mehr schmerzen.

18.2.3 Begreifen mit der »heilenden Hand«

Die Berührung mit einer verletzten Hand wird instinktiv gemie-


⊡ Abb. 18.17 Übung der Erkennung der Seitenzugehörigkeit gezeigter Hän- den. Das bewusste Begreifen mit der heilenden Hand um den
de mit einem Computerprogramm Mund (»wie beim Denken«, »Denkerhaltung«; ⊡ Abb. 18.19) ver-

a c

⊡ Abb. 18.18 Spiegeltherapie. a Die rechte Hand


mit gesundem Kleinfinger und ihr Spiegelbild.
b Der Blick auch hinter den Spiegel: Der linke
Kleinfinger wird gebeugt gehalten. c Zu Beginn
der Behandlung: beide Hände von der Ellenseite
beim Versuch der Streckung aller Finger. Der linke
Kleinfinger bleibt gebeugt. d Beide Hände von
der Ellenseite mit gestreckt gehaltenen Fingern.
Nach 1 Woche Behandlung, u. a. mit der Spiegel-
b d therapie, konnte die Patientin ihren linken Klein-
finger wieder fast vollständig strecken
418 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

⊡ Abb. 18.20 Die Schienung der Finger in sog. »Funktionsstellung« auf einer
palmaren 4-Finger-Schiene schaltet die Hand im Hirn ab

Hand zeigt, erst mit der gesunden Hand zu üben und dann die
⊡ Abb. 18.19 Die »Denkermaske« versinnbildlicht den Zusammenhang zwi- Übungen mit beiden Händen gleichzeitig und mit dem bewussten
schen Denken und Begreifen Blick auf die gesunde Hand als Vorbild zu üben. Selbstverständlich
dürfen Verbände nicht den Abfluss der Lymphe und den venösen
Rückfluss stauen. Wickeln Sie möglichst keine Binden um das
bindet wieder die nicht mehr wahrgenommene Hand mit dem Handgelenk und die Mittelhand und in gar keinem Falle bis über
Hirn. Die ehemals verletzte, und bei einem CRPS die Person verlet- die Fingergrundglieder (⊡ Abb. 18.20)!
zende Hand, ist anzusehen und zu begreifen als »heilende« Hand, Bei Wunden an der Mittelhand und den Fingergrundgliedern,
im doppelten Wortsinn. Die Hand heilt mit einer überschießenden z. B. nach einer Operation wegen Dupuytren-Fingerkrümmung
Entzündung und sie heilt die Person, wenn diese sich mit der »hei- benutzen wir Baumwollhandschuhe, die in der Industrie unter
lenden« Hand begreift. Gummihandschuhen getragen werden. Schienen aus Gips oder
Die heilende Hand einigt die Person mit Hilfe der Sinne, wenn Kunststoff, die angewickelt werden, wenn sie noch weich sind,
die Person sich die heilende Hand mit Vermittlung des »Herzens«, und die Mittelhand zusammenpressen, dürfen nicht so erhärten!
mit Mut und mit »wohlwollender Neugier« wieder zu eigen macht. Während der Erhärtung müssen Sie oder Ihre Mitarbeiter mit
Mit ihrem zunehmenden Nutzen vereinigt die heilende Hand die Ihren beiden Händen die zusammengepresste Mittelhand wieder
Person mit Gemeinschaften. entfalten, indem Sie mit Ihren Daumen den 2. und den 5. Mittel-
handknochen von palmar nach dorsal drücken. Während dieser
Maßnahmen können Sie aufklären und anleiten für das notwendi-
18.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen ge Handeln mit beiden Händen zur Förderung der Heilung.
Eine unbewusste Schonung kann als alleinige Ursache ein
> Handchirurgie ist nicht harmlos. Ödem und eine Dystonie auslösen! Eine schädlich wirkende Schie-
nung kann zusammen mit anderen Ursachen Grund für ein CRPS
Scheinbar »kleine« Eingriffe können auch bei anscheinend nicht werden (⊡ Abb. 18.21).
prädisponierten Personen ein CRPS auslösen. Die Anzeige zu ei- Die Unterlassung oder Verzögerung dieser Anleitungen und
18 nem handchirurgischen Eingriff muss deshalb streng gestellt wer- Hilfen ( Abschn. 18.1.7.1) kann der Grund für eine Hinderung
den, und auch vor »kleinen« Eingriffen ist vor der zwar seltenen der Heilung der Person, für eine vermeidbar lange Dauer der Ar-
aber nicht auszuschließenden Gefahr eines CRPS, das schlimms- beitsunfähigkeit und im schlimmsten Falle, wenn dazu noch krank
tenfalls zum Verlust der Gebrauchsfähigkeit der zu operierenden machende Schmerzen wirken, der Grund für die Entkoppelung der
Hand führen kann, aufzuklären und zu warnen. Heilung zu einem CRPS sein.
Andere körperliche Ursachen, die die Beschwerden erklären
> Der erstbehandelnde Handchirurg hat die unwiederbringliche
und die durch einen handchirurgischen oder einen chirurgischen
Gelegenheit, einem CRPS vorzubeugen durch Aufklärung und
Eingriff gebessert werden können (s. Differenzialdiagnose), müs-
Anleitung.
sen durch einen erfahrenen Handchirurgen ausgeschlossen sein.
Ohne eine therapeutische Aufklärung durch den Handchirurgen Nur der erfahrene Handchirurg hat die notwendige Autorität, dem
und durch den Handtherapeuten werden nur sehr wenige an einer CRPS-Kranken glaubhaft zu versichern, dass keine fortbestehende
Hand Verletzte und/oder Operierte von sich aus die verletzte Hand oder zu bessernde Schmerzursache seine Beschwerden erklärt.
auf ihrem Kopf ablegen, die Finger bewegen mit ihren eigenen Handchirurgen, handchirurgisch tätige Unfallchirurgen, Or-
Muskeln am Unterarm, den Arm ausstreichen mit der anderen thopäden und Plastische Chirurgen, Physiotherapeuten und Er-
Hand, und vor allem, sich mit der heilenden Hand um den Mund gotherapeuten dürfen die Erkenntnisse von Neurologen und von
begreifen. Noch weniger werden versuchen, die Übungen, die ih- schmerztherapeutisch tätigen Anästhesisten dankbar annehmen
nen die Physiotherapeutin bzw. Ergotherapeutin an ihrer heilenden und ihren Patienten zu Gute kommen lassen. Das handchirurgi-
18.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
419 18

a b

c d

e f

⊡ Abb. 18.21 CRPS der rechten Hand einer 29-jährigen Patientin nach Katzenbiss am Unterarm 4 Wochen zuvor. a Oberarmschienung mit Einschluss aller
Finger bis zu den Endgliedern, b Handrückenödem mit eingedrückter Delle, c beide Hände beim Versuch des Faustschlusses, die rechten Finger in gleicher
Stellung wie auf der Schiene, d beide Hände beim Versuch der Fingerstreckung, die rechten Finger in gleicher Stellung wie auf der Schiene, e, f die Hände
derselben Patientin : 4 Wochen nach Beginn der Behandlung konnte sie ihre linken Finger wieder frei bewegen
420 Kapitel 18 · Therapie chronischer Schmerzen und des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS)

sche Ziel der Gleichzeitigkeit von Heilung und Wiederherstellung Berger A, Hierner R (Hrsg) (2009) Plastische Chirurgie, Band IV: Extremitäten.
der Funktion darf sich nicht auf die Bewegungsfestigkeit handchi- Springer, Heidelberg
rurgisch geschaffener Verbindungen von Geweben – Knochen, Birklein F, Rowbotham M C (2005) Does pain change the brain? Neurology
Sehnen, Blutgefäßen, Nerven, Haut mit Fettgewebe – beschränken. 65: 666–667
Gleichzeitig braucht jeder Verletzte mehr oder weniger die Hilfe zu Birklein F, Schmelz M (2008) Neuropeptides, neurogenic inflammation
and complex regional pain Syndrome (CRPS). Neurosci Letters 437:
lernen, seine heilende Hand wahrzunehmen, zu nutzen und wieder
199–202
als eigen anzunehmen.
Birklein F, Baron R, Maier C, Sommer C, Tölle TR, Gradl G, Löscher W, Humm A
»Die Hand hängt am Hirn«. Je mehr Handchirurgen, handchirur- (2008) Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome
gisch tätige Unfallchirurgen, Orthopäden und Plastische Chirurgen, (CRPS) In: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 4.
schmerztherapeutisch tätige Neurologen und Anästhesisten, Physio- Aufl. Thieme, Stuttgart
therapeuten, Ergotherapeuten und Rehamanager der Kostenträger Blaes F, Tschernatsch M, Braeu ME, Matz O, Schmitz K, Nascimento D, Kaps M,
diese nur scheinbar banale Feststellung nicht nur als Erklärungs- Birklein F, (2007) Autoimmunity in Complex-Regional pain Syndrome.
möglichkeit für die erschreckenden und rätselhaften Erscheinungen Ann N Y Acad Sci 1107: 168–173
des CRPS an der Hand begreifen, sondern diese schlichte »Erkennt- Breidert M, Hofbauer K (2009) Placebo: Missverständnisse und Vorurteile.
nis« nutzen für die Hilfe zur Vorbeugung und zur Umkehrung der Dtsch Ärztebl Int 106: 751–755
Bruehl S, Harden RN, GalerBS, Saltz S, Bertram M,Backonja M, Gayles R, Ru-
krankhaften Entwicklung in ihrem Beginn, desto weniger CRPS
din N, Bhugra MK, Stanton-Hicks M (1999) External validation of IASP
wird es geben und umso schneller wird ein CRPS heilen.
diagnostic criteria for Complex Regional Pain Syndrom and proposed
Beim CRPS löst der krankhafte und krank machende Schmerz research diagnostic criteria. Pain 81: 147–154
einer neurogenen Entzündung einen angeborenen »Schutzreflex« Bruehl St, Harden RN, Galer BS, Saltz S, Backonja M, Stanton-Hicks M (2002)
aus, der die Hand, die die Person zu bedrohen scheint, ausgliedert Complex regional pain syndrom: are there distinct subtypes and se-
und die Heilung hindert. Die bewusste und unbewusste Überwin- quential stages of the syndrom? Pain 95: 119–124
dung der instinktiven Lähmung und der Ausblendung der eigenen Bunnell St, Böhler J (1958) Die Chirurgie der Hand, Teil 1. Wilhelm Maudrich,
Hand ist die unersetzliche Eigenleistung der Person zur Wiederein- Wien
gliederung der fremd gewordenen Hand. Butler DB, Moseley LM (2005) Schmerzen verstehen. Springer, Heidelberg
Die Ausgliederung ihrer Hand macht die am CRPS erkrankte Butler S H, Nyman M, Gordh T (1999) Immobility in volunteers produces signs
and symptoms of CRPS (1) and neglect-like state. Abstracts, 9th World
Person krank. Jede Form einer »Behandlung« bzw. »Beübung«, die
Congress on Pain, August 22–27, 1999, Vienna, Austria
nicht erkennt, dass die Ausgliederung ihrer Hand die erkrankte
Butler S H, Nyman M, Gordh T (1999) PET Changes with immobilisation; Is
Person krank macht, und die nur die Symptome der Krankheit zu this evidence for a Neglect-like state? Abstracts, 9th World Congress on
bessern versucht, wie den Schmerz oder die Störung der Bewegun- Pain, August 22–27, 1999, Vienna, Austria
gen, oder jede Therapie, die nur die betroffenen Teile des Körpers Covington EC (1996) Psychological issues in reflex sympathetic dystrophy. In:
des CRPS-Kranken, nur die Hand, nur das Hirn »trainiert« oder Jänig W, Stanton-Hicks M (Hrsg) Reflex sympathetic dystrophy: A reap-
»rehabilitiert«, blendet ebenso die eigentliche Störung aus wie der praisal. Progress in pain research and management, Vol. 6. IASP Press,
CRPS-Kranke, nämlich die Ausgliederung der Hand, vergisst sie Seattle, S 191–215
ebenso wie der CRPS-Kranke. Das Übersehen und die Nichtbe- DeGood DE, Shutty MS (1992) Assesment of Pain Beliefs, Coping, and Self-
achtung des »Schutzreflexes« ist kein Fehler im medizinrechtlichen Efficacy. In: Turk DC, Melzack R (Hrsg) Handbook of Pain Assessment.
Guilford, New York, S 214 -234
Sinne, aber das Ausblenden des Schutzreflexes durch die Behan-
Devor M (2009) Ectopic discharge in A-beta afferents as a source of neuropa-
delnden trägt zur Verzögerung oder zur Verhinderung der heilen-
thic pain. Exp Brain Res 196: 115–128
den Eigenleistung der Person bei. Devor M (2009) Editorial. Nerves hurt. Eur J Pain 13: 1–2
Die am CRPS erkrankte Person sucht und benötigt einen em- Engel GL (1977) The need for a new medical model: A challenge for biomedi-
pathischen Spezialisten ihrer Wahl aus dem Kreis der Therapeuten, cine. Science 196: 129–136
der sie »an die Hand nimmt« und die Behandlung vermittelt. Diese Engel GL (1995) Wie lange noch muß sich die Wissenschaft der Medizin auf eine
Person des Vertrauens erklärt ihr, auf welche Weise die verschiede- Weltanschauung aus dem 17. Jahrhundert stützen?. In: Uexküll T von (Hrsg)
nen Formen der Behandlung wirken und sie fordert und überwacht Psychosomatische Medizin. Urban & Schwarzenberg, München, S 3–11
die Beteiligung des CRPS-Kranken an seiner eigenen Behandlung Field J, Protheroe DL, Atkins RM (1994) Algodystrophy after Colles fractures is
nach der Faustregel: »Mit den eigenen Sinnen und den eigenen associated with secondary tightness of casts. J Bone Joint Surg 76–B: 901–5
18 Händen«. Therapien können die Wiedereingliederung der »verlore- Field J, Warwick D, Bannister GC (1992) Features of algodystrophy ten years
after colle’s fracture. J Hand Surg 17B: 318–320
nen« Hand zwar fördern, aber nicht bewirken. Die eigentliche Hei-
Gallagher RM (2007) Diagnostic Criteria for CRPS: Balancing the needs of
lung kann nur dann gelingen, wenn der CRPS-Kranke sich selbst/ clinicians and investigators. Pain Medicine 8: 289–292
persönlich, sein Selbst beteiligt an der Förderung seiner Heilung. Gandevia SC, Phegan CML (1999) Perceptual distortions of the human body
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19

Therapie des komplexen regionalen


Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus
handtherapeutischer Sicht
Rainer Zumhasch, Michael Wagner

19.1 Allgemeines – 424


19.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 424
19.1.2 Epidemiologie – 424
19.1.3 Ätiologie – 424
19.1.4 Diagnostik – 424
19.1.5 Klassifikation – 424
19.1.6 Indikationen und Differentialtherapie – 424
19.1.7 Therapie – 424
19.1.8 Besonderheiten im Wachstum – 431
19.2 Spezielle Techniken – 431
19.2.1 »Graded Motor Imagery Training« beim CRPS I – 431
19.2.2 Verhaltensprogramm »Graded Exposure« nach De Jong et al. (2005) – 432
19.2.3 Stabilitätstraining – 433
19.2.4 Aufbau eines Trainingsprogramms der stabilisierenden Muskulatur nach Diemer – 433
19.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 434
Weiterführende Literatur – 434

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


424 Kapitel 19 · Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus handtherapeutischer Sicht

19.1 Allgemeines

Das CRPS I gilt in der Handtherapie als eines der heute immer noch
am schwersten zu therapierenden Krankheitsbilder. In vielen thera-
peutischen Büchern wird über CRPS I und deren ergo- und physio-
therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten geschrieben. Innerhalb
des Literaturangebots fällt auf, dass es im deutschsprachigen Raum
kein einheitliches Behandlungskonzept gibt. Daher ist es nicht ver-
wunderlich, dass sich sehr viele Experteninventarisierungen mit un-
genügendem wissenschaftlichem Hintergrund finden lassen. Daher
scheint eine evidenzbasierte Medizin, vor allem im Bereich der phy-
sikalischen Therapie, welche einen Eckpfeiler des Behandlungskon-
zepts des CRPS I darstellt, fast unmöglich. Vielleicht liegt darin mit
begründet, dass nur ein Viertel der CRPS-Patienten nach 18 Mona-
ten wieder ihre ursprüngliche Arbeit aufnehmen konnte, bei einem
weiteren Viertel blieb die Arbeitsunfähigkeit bestehen. Daher ist es ⊡ Abb. 19.1 CRPS-I-Patient im Stadium I
langfristig wichtig, die Therapie auf eine möglichst evidenzbasierte
allgemeingültige Vorgehensweise zu beschränken. Auf diesem Fun-
dament und dem momentanen internationalen Wissenstand beruht als Entstehungsursache von CRPS I (van der Laa u. Jan 1997).
im weitesten Sinne diese Konzeption in der konservativen Therapie Freie Radikale entstehen auch bei normalen physiologischen Stoff-
des CRPS I (⊡ Abb. 19.1). wechselprozessen, z. B. bei einer Muskelkontraktion und der da-
mit verbundenen Bewegung. Im Normalfall können körpereigene
Stoffwechselreaktionen diese freien Radikale neutralisieren. Bei
19.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und einer Entzündung kann es zu einer Dysbalance zwischen der
Physiologie Anzahl freier Radikale und deren Neutralisierung kommen. So-
mit entsteht ein Überschuss an freien Radikalen im Gewebe, ein
19.1.2 Epidemiologie  Kap. 18 sog. oxidativer Stress. Freie Radikale sind aufgrund von mehreren
ungepaarten Elektronen sehr reaktionsfreudig und können oxida-
19.1.3 Ätiologie  Kap. 18 tive Reaktionen vielfältiger Art auslösen (Zalpour). Insbesondere
beim CRPS I kommt es zur Bildung von freien Radikalen, welche
19.1.4 Diagnostik  Kap. 18 zur massiven Ausprägung der lokalen Entzündung mit beitragen.
Passive und aktive Muskel- und Gelenkmobilisationen vonseiten
19.1.5 Klassifikation  Kap. 18 der Therapeuten sowie die Verrichtung von Alltagsaktivitäten der
Patienten würden diesen Prozess noch begünstigen und somit zur
19.1.6 Indikationen und Differentialtherapie  Kap. 18 Verstärkung der Entzündungsreaktion beitragen. Da DMSO als
Antioxidans freie Radikale bindende Eigenschaften besitzt, liegt
19.1.7 Therapie  Kap. 18 hier die Begründung in der Indikation beim CRPS. Somit kann
die Applikation von DMSO helfen, die Entzündungsreaktion beim
Konservative (nichtoperative) Therapie CRPS I zu mindern und eine entsprechende Schmerzreduktion zu
Die Handtherapie ist ausgerichtet auf: erwirken. Zudem ermöglicht DMSO eine frühzeitige passive und
▬ eine Wiederherstellung des verloren gegangenen Muskeltonus, aktive handtherapeutische Mobilisation von Muskeln und Gelen-
der Muskelkraft und -ausdauer und der Gelenkbeweglichkeit, ken bei gleichzeitiger Neutralisierung von entzündungsfördernden
▬ eine Rückbildung von Kontrakturen und freien Radikalen.
▬ eine Prävention von solchen Funktionsstörungen. In einer Studie von Langendijk et al. (1993) wurde in einer
Fallserie von 38 CRPS-I-Patienten (17 Männer und 21 Frauen im
Lokale schmerz- und entzündungshemmende Alter zwischen 10 und 77 Jahren) DMSO 50%tig in einer Salben-
medikamentöse Therapie unter Berücksichtigung form (»cremor vasilini cetomacrogolis«) angewandt. Die Creme
der Reduktion von freien Radikalen innerhalb wurde 5-mal täglich auf die betroffene Extremität aufgetragen. Im
19 einer handtherapeutischen Bewegungstherapie Falle von Hautirritationen sollte die Frequenz von 3-mal täglich ge-
beim CRPS I wählt werden. Zusätzlich zur Behandlung mit DMSO wurden alle
Medikamentöse Reduktion von freien Radikalen beim CRPS I Patienten und deren Therapeuten dazu angeleitet, unter Berück-
Dimethylsulfoxid ((CH3)2SO) oder kurz DMSO sowie N-Acetylcy- sichtigung der Schmerzgrenze, Bewegungsübungen auszuführen.
stein (NAC) wirken vermutlich durch eine Verminderung der im Die Patienten wurden während eines ganzen Jahres, nach vorher
Rahmen der Gewebetraumatisierung beim CRPS I freigesetzten festgelegten Diagnosekriterien, immer wieder aufs Neue beurteilt.
zytotoxischen und die Nozizeptoren reizenden freien Radikale Bei 36 Patienten (97%) konnte eine erfolgreiche Therapie beobach-
(Rüegg 2010). Obwohl es sich bei DMSO um ein Arzneimittel han- tet werden. Die Hauttemperatur normalisierte sich und das Ödem
delt, kann es durch seine Anwendungsform als Creme auch vom sowie die Hautrötung hatten sich zurückgebildet. Auch konnte
Handtherapeuten angewandt werden. Wichtig sind bei der Arbeit eine signifikante Schmerzreduktion erwirkt werden. Der Patient
mit DMSO die Einbindung und eine schriftliche Einverständniser- und der Therapeut gaben über den Therapieverlauf ein positives
klärung des behandelnden Arztes. Statement ab. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen in einer Dop-
Der Gebrauch von DMSO zur Behandlung von CRPS-I-Pa- pelblinstudie Zuurmond et al. (1996). Sie verglichen die Behand-
tienten gründet auf der Theorie einer übermäßigen Entzündung lung von 32 akuten CRPS-I-Patienten mit DMSO 50%tig in einer
19.1 · Allgemeines
425 19
Sauerstoffsynthese und somit zu einer erhöhten Freisetzung von
freien Radikalen führt, sollte das Auftragen der DMSO-Salbe im
Vorfeld einer Bewegungstherapie erfolgen. Im Anschluss ist die von
der Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Neurologie adaptierte
Mobilisation (unter Brücksichtigung der manuellen Therapie) und
Aktivierung über die rumpfnahen Gelenke (BWS/HWS – Schulter-
gürtel – Ellenbogen – Hand) indiziert. Da DMSO auch eine ödem-
reduzierende Wirkung zugesprochen wird (Langendijk) kann von
einer Lymphdrainage abgesehen werden. Zudem haben Studien
gezeigt, dass eine Lymphdrainage keinen wesentlichen Einfluss auf
die Ödemreduktion hinsichtlich eines CRPS I hat. Um nächtliche
Aktivitäten mit der betroffenen Extremiät auszuschließen, d. h. der
somit möglichen Freisetzung von freien Radikalen vorzubeugen,
ist die Adaption einer Nachtlagerungsschiene anzuraten.

Passive und aktive Mobilisation der Gelenkbeweglichkeit


Während der schmerzbedingten Immobilisation der Gelenke
nimmt die Zahl der Fibroblasten ab. Das führt zu einer Senkung
der extrazellulären Bestandteile wie Fasern, Proteoglykanen und
Glykosaminoglykanen. Durch den Verlust an Grundsubstanz steigt
die Zahl an nicht lösbaren Cross-Links, d. h. Verwachsungen oder
auch Stopps in der Kapsel. Dies hat eine gesenkte Mobilität zur
⊡ Abb. 19.2 DMSO-50%tig-Applikation Folge. Parallel kommt es zu ligamentären Verkürzungen bei gleich-
zeitiger Abnahme der Belastbarkeit. Tabary (1972) konnte in einer
Untersuchung aufzeigen, dass die Belastbarkeit von Ligamenten
fetthaltigen Creme mit einer Placebobehandlung. Als Resultat ist nach 4 Wochen Immobilisation nur noch 20% betrug. Daher ist es
die Behandlung von akuten CRPS-I-Patienten mit einer 50%tigen wichtig, möglichst frühzeitig mit dem passiven und aktiven Mo-
DMSO-Salbe sehr zu empfehlen (⊡ Abb. 19.2). bilisationsprozess der Gelenke zu beginnen. Somit können bereits
Des Weiteren untersuchten Perez et al. (2003) in einer rando- vorhandenen Cross-Links entgegengewirkt und der Bildung neuer
misierten kontrollierten Studie die Effekte von 50% DMSO in Sal- Verwachsungen vorgebeugt werden. In diesem Zusammenhang
benform und N-Acetylcystein (NAC, ein anderer Radikalfänger), gilt es auch, die benachbarten nicht betroffenen Gelenke präventiv
welcher hingegen oral verabreicht wurde. Bezüglich der Aufteilung mit in die Bewegungstherapie einzubinden. Innerhalb der hand-
in Untergruppen nach warmer und kalter Symptomatik war eine therapeutischen Vorgehensweise bietet hier gerade die manuelle
signifikant größere Verbesserung für die DMSO-Behandlung bei Therapie ein großes mannigfaltiges Spektrum an unterschiedlichen
warmem CRPS I (»warm type«), sowie ein signifikanter Unter- Vorgehensweisen unter Einbindung eines globalen Bewegungspro-
schied zugunsten der NAC-Behandlung bei kaltem CRPS I (»cold gramms. Die vorherige Applikation einer 50%tigen DMSO-Salbe
type«) zu verzeichnen. Bei der Messung nach 52 Wochen spiegel- kann hierfür die besten Voraussetzungen im lokalen Entzündungs-
ten sich dieselben Erkenntnisse wie nach 17 Wochen wieder. So gebiet herstellen.
halten die Autoren in ihrer Schlussfolgerung fest, dass die DMSO
50%tig und die NAC-Behandlung i. Allg. bei der Therapie von Manuelle Therapie und globale aktive Bewegungsübungen
CRPS I als gleichermaßen effektiv betrachtet werden können. Au- Schmerzlindernde, manualtherapeutische Techniken lassen sich in
ßerdem scheinen sich ein kaltes CRPS I besser durch NAC und ein allen 3 Stadien des CRPS I einsetzen. Obligat werden alle manuellen
warmes CRPS I besser mit DMSO 50%tig behandeln zu lassen. Ein Techniken schmerzfrei appliziert und in Absprache mit dem Pati-
akutes CRPS I lässt sich mit dieser Methode besser therapieren als enten individuell modifiziert. Im Mittelpunkt der Therapie stehen
im Vergleich zu älteren Beschwerdebildern. die reinen Gelenktechniken; das anatomische Substrat der Behand-
Aufgrund der Ergebnisse empfiehlt die Niederländische Richt- lung ist die Spannung der Gelenkkapsel, über die als maßgebliches
linie zur Behandlung von CRPS daher auch eine 3-monatige Ap- Kriterium die Intensität der Gelenktechnik definiert wird (Bayer).
plikation (5-mal täglich) von DMSO 50%tig bei CRPS-I-Patienten, Störgrößen bei der Ermittlung der Gelenkkapselspannung im Rah-
bei einem Fortbestand der Erkrankung unter 1 Monat (akut). Für men eines CRPS I sind Veränderungen der muskulären Tonuslage,
Patienten mit länger bestehender CRPS I wird eine 1-monatige z. B. durch Abwehrspannungen, und die CRPS-I-bedingte verän-
Probebehandlung, welche bei Erfolg fortzusetzen ist, empfohlen. derte Wahrnehmung des Patienten bei Beteiligung des peripheren
Bei primär kaltem CRPS I rät die Richtlinie zu einer Behandlung und zentralen Nervensystems. Grundlage der vom Handtherapeu-
mit NAC 3-mal täglich (Nederlandse Vereniging van Revalidatie- ten durchgeführten manualtherapeutischen Vorgehensweise sind
artsen en Nederlandse Vereniging voor Anesthesiologie). schmerzhemmende und Cross-Link-lösende Traktionen der Stufe 0
Auch wenn es sich bei DMSO um ein Arzneimittel handelt, wel- (Bayer), Stufe I, II und III (Kaltenborn) sowie weiterführende Tech-
ches vom Handtherapeuten nur unter Rücksprache mit dem Arzt niken wie Oszillitation und akzessorische Mobilisation (Maitland).
empfohlen oder angewendet werden darf, scheint es doch sinnvoll, Für eine einwandfreie Durchführung der Gelenktechnik sollten
den behandelnden Handtherapeuten über die Möglichkeiten einer im Vorfeld bzw. kombiniert muskuläre Techniken mit eingesetzt
solchen Behandlung aufzuklären. Auch die relative Nebenwir- werden (z. B. Triggerpunkttherapie, Waldner-Nilsson et. al.; PIR,
kungsfreiheit spricht für eine Integration und Applikation von postisometrische Relaxation nach Lewit; etc.). Der Muskeltonus ist
DMSO innerhalb der physio- und ergotherapeutische Behandlung. palpatorisch kontinuierlich zu kontrollieren. Abweichungen kön-
Da eine passive und aktive Bewegungstherapie zur vermehrten nen in Orientierung zu der nicht betroffenen Seite dokumentiert
426 Kapitel 19 · Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus handtherapeutischer Sicht

⊡ Abb. 19.3 Biofeedback-System in der Therapie ⊡ Abb. 19.5 Globale aktive Bewegungsübung

werden (Frisch, Schomacher). Auch diese Mobilisationen werden


schmerzfrei eingesetzt und sind günstig durch weiche muskuläre
Techniken zu unterstützen (Lewit). Die postisometrische Relaxation
(PIR) bietet sich hier mit ihren für das CRPS I günstigen schmerz-
freien und minimalintensiven Parametern als Übergangstechnik für
die aktive Therapie an. Gleichzeitig kann auch die Gelenkbeweglich-
keit über diese Kombination aus aktiver und passiver Mobilisation
deutlich erweitert werden, ohne Reizzustände zu provozieren. Im
Anschluss sollte stets ein allgemeines aktives Bewegungsprogramm
mit globalen achsengerechten Gelenkbewegungen erfolgen. Diese
Übungen dienen zur Prävention von Funktionsverlusten, zum Erhalt
des manualtherapeutisch erlangten Funktionsgewinns und zur wei-
teren Anbahnung von komplexen Bewegungsabläufen. Diese Übun-
gen sind vom CRPS-I-Patienten mehrmals täglich, im möglichst
schmerzfreien Bewegungsspiel, auszuführen (⊡ Abb. 19.5).

Ergänzende Maßnahmen
Zwischen den einzelnen Therapiephasen sowie mehrmals täglich
soll der CRPS-I-Patient seinen betroffenen Arm für ca. 45 Minu-
ten hochlagern (List) und somit auch entlasten. Damit wird der
⊡ Abb. 19.4 Manuelle Therapie am Handgelenk hydrostatische Gewebedruck vermindert und eine weitere Ödem-
reduktion angebahnt. Zudem sind leichte Ellenbogen- und Schul-
terübungen anzuraten. Die Extremität wird dabei vom Patienten
werden. Eine gute Hilfe stellen bei entzündlichen Prozessen auch mehrmals, d. h. im möglichst schmerzfreien Bewegungsausmaß, in
EMG bzw. Biofeedback-Systeme dar (⊡ Abb. 19.3). Abduktion und Elevation geführt. Diese Übung dient der Präventi-
Am Beispiel des Radiokarpalgelenks erfolgt eine schmerzlin- on von sekundären Bewegungseinschränkungen von Schulter und
19 dernde Traktion aus der aktuellen Ruhestellung dieses Gelenks in Ellenbogen sowie zur weiteren Unterstützung der Ödemreduktion
den Traktionsstufen 0, I und II (Bayer). Die Traktion wird dabei (Fleischhauer et al.). Auch mittels dieser kleinen Maßnahmen kann
über einen definierten Zeitraum gehalten oder intermittierend eine weitere Schmerzlinderung erwirkt werden. Wichtig ist, den
bzw. oszillierend angewandt; auch über kombinierte Druck- und CRPS-I-Patienten zu motivieren sich selbst aktiv am Genesungs-
Zugtechniken, sog. Push-pull-Technik, kann schmerzsenkend über prozess zu beteiligen.
die Regulierung der Kapselspannung Einfluss genommen werden Bei sehr akuten und schmerzhaften CRPS-I-Prozessen kann
(Streeck). Akzessorische Techniken beinhalten passive Bewegun- eine Bewegungsanbahnung über die kontralaterale Seite in Erwä-
gen, die aktiv in den zu therapierenden Gelenken physiologisch gung gezogen werden. Die Behandlung wird über die gesunde Seite
nicht durchführbar sind (Maitland). Sie dienen als Gradmesser für eingeleitet, d. h. mittels rhytmischer Bewegungen an den rumpfna-
die Einschränkung der betroffenen Gelenke (⊡ Abb. 19.4). hen Gelenken unter Einbindung des gesamten Körpers. Mittels des
Zeigen sich bereits Defizite des Gelenkspiels (»joint play«), bie- arthrokinetischen Reflexbogens kann die intersegmentale nervöse
ten sich manuelle Gleitmobilisationen an, die unter Berücksichti- Verknüpfung die vegetative Regulation auf der betroffenen Seite
gung der arthrokinematischen Gegebenheiten entsprechend der spe- fördern. Der Bewegungsprozess wird zunehmend von der CRPS-I-
zifischen Gelenkkurvatur, orientiert an der Konkavität durchgeführt Hand übernommen.
19.1 · Allgemeines
427 19
Schmerzhemmende Maßnahmen auf segmentaler
Ebene und Prävention bzw. Behandlung von
segmentalen- und insbesondere von zentralen
Schädigungen (Chronifizierung) beim CRPS I
Schmerzhemmende segmentale Techniken im Rahmen einer mul-
tidisziplinären CRPS-I-Therapie erfolgen unter zwei Voraussetzun-
gen. Erstens versteht auch der Handtherapeut unter dem CRPS I ein
mehrdimensionales und komplexes Krankheitsbild und zweitens
ist er in der Lage auf die vielschichtigen Probleme seines Patienten
einzugehen. Segmentale manualtherapeutische Techniken verfolgen
zwei Ziele. Sie sollen regulierend auf die einem Segment zugehöri-
gen Gewebe einwirken und damit pathologische Gewebsreaktionen,
die durch ein CRPS I ausgelöst werden, positiv beeinflussen. Neben
den klinischen Symptomen wie Dysästhesie, Hyperalgesie und Al-
lodynie kommt es beim CRPS I auch zu motorischen Störungen, die
die Koordination, die Feinmotorik und die Kraft betreffen (Nickel
u. Mailhöfner). Die Symtome müssen sich nicht auf einen lokalen
Bereich beschränken; sie können sich in der segmentalen Ebene
darstellen. Durch die Sensibilisierung des peripheren und zentralen
Nervensystems können neurodynamische Tests Indikatoren für ein ⊡ Abb. 19.6 Mobilisation der Kostovertebralgelenke aus Bauchlage
CRPS I sein. Zusätzlich kommt es bei den Segmenttechniken zu ei-
nem therapeutischen Nebeneffekt: Für die Dauer der Handtherapie
kann der Patient schlechter fokussieren, er ist abgelenkt und damit
für Therapieaspekte zugänglicher. Allgemeine Begleiterscheinungen
wie Schonhaltungen, Ausweichbewegungen und Vermeidungsstra-
tegien können als solche erkannt, zwischen Patient und Handthe-
rapeut kommuniziert und so vermieden bzw. reduziert werden.
Folgende Gewebe können über das Segment therapiert werden:
▬ Haut: Bindegewebsmassage, thermische Applikationen;
▬ Muskulatur: postisometrische Relaxation (PIR), Stabilisation
und Training, Triggerpunkttherapie, Massage, Elektrotherapie
etc.;
▬ Gelenke: translatorische Gleitmobilisation, Traktion und Kom-
pression sowie grundsätzliche Haltungsschulung.

Die Auswahl der jeweiligen Technik ist von der individuellen


Reaktionslage des Patienten abhängig. Grundsätzlich erfolgt die ⊡ Abb. 19.7 Bindegewebsmassage (BGM)
Anwendung sanft und wird in den therapeutischen Sitzungen mo-
difiziert und kombiniert. Gerade im 1. Stadium der CRPS I lassen
sich segmentale Techniken unterstützend zur lokalen und medika- der Halswirbelsäule, des Schultergürtels und des Arms mit direkter
mentösen Therapie gut einsetzen. Schmerzausstrahlung in die CRPS-I-betroffene Region sind hierbei
Für die segmentalen Gelenkbehandlungen bieten sich die in die Therapie zu integrieren.
Facettengelenke der Hals- und Brustwirbelsäule an; durch den Auch über die Haut und Unterhaut lassen sich segmental
Thorax kommen im Bereich der Brustwirbelsäule die Kostover- und vegetativ regulierend handtherapeutische Reize platzieren, die
tebral- und Kostotransversalgelenke dazu. Die intermittierenden, durch großflächige Verschiebetechniken die Nozi- und Mechano-
weichen Impulse erfolgen bei den Facetten der Brustwirbelsäule in zeptoren der Haut ansprechen und über Aβ-, Aδ- und C-Fasern
anteriorer Richtung; die Mobilisation der Rippengelenke wird nach afferent zu den Hinterhörnern des Rückenmarks geleitet werden
anteriolateral durchgeführt. Die Behandlung der Halswirbelfacet- (Kolster u. Marquardt, Winter). Die Technik und Wirkungsweise
ten erfolgt in einer aus der Transversalebene nach dorsal geneigten der Bindegewebsmassage als Reflexzonentherapie lässt sich auf
Richtung (⊡ Abb. 19.6). Dicke und Teirich-Leube zurückführen (⊡ Abb. 19.7).
Die segmentale Handtherapie der Muskulatur beinhaltet klas- Neben den bereits beschriebenen vegetativen segmentalen
sische Massagetechniken der paravertebralen Muskulatur, der schmerzhemmenden Behandlungsverfahren könnte als Ergänzung
Schultergürtel- und Nackenmuskulatur (Kolster), die über Wärme- auch eine TENS-Anwendung in Betracht gezogen werden. Bei der
applikationen (z. B. heiße Rolle) mit dem Ziel der Detonisierung TENS-Therapie handelt es sich um ein transkutan extern eingesetz-
und Aktivierung des lymphatischen Systems zur Unterstützung tes Analgesieverfahren mit Applikation niederfrequenter nulllinien-
des Abtransports von Muskelabbauprodukten unterstützt wer- symmetrischer bidirektionaler Impuls- und Gleichströme in leicht
den können. Triggerpunkte der Rückenmuskulatur, die sich dem bedienbaren batteriebetriebenen Taschengeräten mit Ein- oder Zwei-
Therapeuten als lokale, druckdolente Konsistenzverhärtungen mit kanaltechnik, einschließlich aufklebbaren Elektroden (Heisel u. Je-
wirbelsäulennaher Schmerzausstrahlung präsentieren, werden mit rosch). Die Wirkungsweise von TENS geht auf die im Jahre 1965 von
der Spray-und-Stretch-Technik nach Travel und Simons, einer Mellzack und Wall postulierte »Spinal Gate Control Theory« zurück.
kombinierten Kälte-, Dehnungs- und Wärmetechnik schmerzfrei Diese Theorie versucht die aktive Rolle des dorsalen Hornes
effektiv behandelt. Insbesondere die Triggerpunkte der Muskulatur des Rückenmarks bei der Modulation von sensorischen Reizen zu
428 Kapitel 19 · Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus handtherapeutischer Sicht

erklären. Eine der Aussagen dieser Theorie besagt, dass eine Akti- Moseley zeigte 2004 Patienten mit CRPS I der oberen Extremität
vität in den großen myelinisierten primär afferenten Nervenfasern Bilder von linken und rechten Händen in verschiedenen Stellungen.
(A-Fasern) über inhibitorische Kreisläufe, in der oberflächlichen Er zeichnete auf, wie lange die Patienten benötigten, um zu erken-
Lamina des dorsalen Rückenmarkhornes, die Transmission von nen, ob eine linke oder eine rechte Hand dargestellt wurde. Die Pati-
Aktivität in den kleineren unmyelinisierten primär afferenten Fa- enten konnten die nicht betroffene Extremität schneller zuordnen als
sern (C-Fasern) inhibiert . Zusätzlich zu diesen inhibitorischen die der pathologischen Seite. Je länger das CRPS I fortbestand, umso
Vorgängen auf Rückenmarksebene scheinen diese großen myeli- länger dauerte die Reaktionszeit. Bei 45% der Patienten bestand ein
nisierten Fasern auch noch spezifische Schmerzkontrollzentren Zusammenhang zwischen der Zeit, welche zur Erkennung benötigt
im Hirnstamm zu aktivieren, welche ihrerseits über absteigende wurde, und der vom Patienten eingeschätzten Schmerzintensität,
Bahnen die Schmerzweiterleitung zu höheren Zentren kontrollie- welche er erfahren würde, wenn er seine Extremität in die gezeigte
ren können (Ottoson u. Lundeberg). Vermutlich spielt auch die Position bringen müsste. Der Autor konnte keine direkten Zu-
Freisetzung endogener Morphin-(Opiat-)ähnlicher Substanzen bei sammenhänge zwischen den momentan tatsächlich empfundenen
der Schmerzunterdrückung eine Rolle. Das Prinzip der TENS- Schmerzen und dem Zeitfaktor zur Erkennung und Zuordnung der
Anwendung beruht also auf einer Aktivierung der A-Fasern, deren Handbilder feststellen. Er erklärte diese Befunde mit der Hypothese,
Aktivitätsschwelle niedriger liegt als die der C-Fasern, ohne dass dass beim CRPS I eine Umstrukturierung des sensorischen und mo-
hierbei die C-Fasern mit gereizt werden. torischen Kortex in Abhängigkeit von der Persistenz der Symptome
Für die Wirksamkeit einer TENS-Therapie bei CRPS-I-Patien- stattfindet. Außerdem vermutete er einen Schutzmechanismus auf
ten bestehen noch keine wissenschaftlichen Beweise (Nederlandse imaginärer Ebene, d. h., dass bereits bei der Planung einer Bewegung
Vereniging van Revalidatieartsen en Nederlandse Vereniging voor die zentrale Ebene die zur Ausführung der Bewegung geschätzten
Anesthesiologie). Fest steht allerdings, dass die TENS-Behandlung, Schmerzen mit im Empfinden berücksichtigt. Dies würde auch den
mit Ausnahme von allergischen Hautreaktionen, bei ungefähr 10% Zusammenhang zwischen geschätzter Schmerzintensität und Zuord-
der Patienten ohne Risiko als zusätzliche Therapie beim CRPS I nung der Seitenzugehörigkeit eines Bildes erklären.
ausprobiert werden kann. Hierbei scheint die Behandlung allein McCabe, Haigh, Halligan u. Blake (2003) fanden bei 5 von
Sinn zu machen, wenn sie vom Patienten als wirksam erfahren 16 CRPS-I-Patienten einen übertragenen Schmerz. Dieser war nur
wird. Dem Patienten kann dabei die Freiheit gegeben werden em- bei geschlossenen Augen durch Berührung oder Reizung mittels
pirisch die Stimulationsparameter mitzubestimmen, um so eine Nadelstich auslösbar und verschwand gleichzeitig mit dem Reiz.
maximal komfortable Parästhesie zu erreichen (⊡ Abb. 19.8). Das Erstaunliche an dieser Entdeckung war der Fakt, dass der
übertragene Schmerz nicht etwa in einem Segment, sondern in
CRPS-I-Behandlung auf der zentralnervösen Ebene einem dem gereizten Areal auf Penfields kortikalem Homunkulus
Ist eine lokale und segmentale Therapie nur bedingt oder wir- nahe liegenden Körperteil (Nasen-Wangen-Areal) auftrat. Außer-
kungslos, muss über eine zentrale Mitbeteiligung nachgedacht wer- dem konnte der übertragene Schmerz auch umgekehrt werden.
den. Einen direkten Hinweis auf eine zentrale Mitbeteiligung kön- Durch die Reizung des Körperteils, wo der Schmerz auftrat, wurde
nen zudem auch die Primärsymptome geben. Neben Schmerzen ist eine übertragene Empfindung in den Körperabschnitt der ersten
bei 76% der Patienten mit CRPS I das Imponieren von handschuh- Reizung herbeigeführt. Die Autoren sahen hierin einen Beweis
förmigen Sensibilitätsstörungen wie Hyperästhesien oder eine ver- für das Stattfinden einer zentralsensorischen Reorganisation bei
minderte Fähigkeit zur Lokalisation taktiler Stimuli ein direkter CRPS-I-Patienten.
zentraler Hinweis. Auch diese Symptome lassen sich bereits im Neben diesen empirischen Beweisen für eine zentrale Reorga-
Frühstadium neuroanatomisch nicht mit der Läsion eines periphe- nisation gibt es mittlerweile auch einige funktionale Magnetreso-
ren Nervs, des Plexus oder einer Nervenwurzel erklären. nanzuntersuchungen der betroffenen Hirnareale, welche eine Neu-
strukturierung bei CRPS-I-Patienten belegen. So konnten Maihöf-
ner, Handwerker, Neundörfer u. Birklein durch die Untersuchung
von 12 CRPS-I-Patienten der oberen Extremität, mittels einer Ma-
gnetresonanzenzephalografie, eine signifikante Schrumpfung des
Abstands der Repräsentation des 1. und 5. Fingers auf dem primä-
ren sensorischen Kortex sowie des Abstandes zwischen der Mitte
der Hand und der unteren Lippe, im Vergleich zur gesunden Seite,
belegen. Das erklärt auch, warum Patienten eine Misslokalisation
im Bereich der ipsilateralen Unterlippe und Wange bei Berührung
19 der CRPS-I-Hand empfunden haben (Nickel u. Maihöfner). Die
Schrumpfung korrelierte mit den durch im »McGill-Fragebogen«
gefundenen Schmerzen sowie mit der mechanischen Hyperalgesie
(Maihöfner, Handwerker, Neundörfer u. Birklein). Zusätzlich wa-
ren die zu der betroffenen Extremität gehörenden magnetischen
Felder (Messung der somatosensorisch evozierten Magnetfelder,
SEF), als Folge auf einen taktilen Reiz signifikant größer als die
der gesunden Extremität. Zu dem gleichen Ergebnis kamen auch
Juottonen, Gockel, Silén, Hurri, Hari u. Forss. Außerdem fan-
den sie eine Veränderung der Reaktivität des 20-Hz-Rythmus
des motorischen Kortex auf den taktilen Stimulus, woraus sie
ein Veränderung der Inhibitionsvorgänge des motorischen Kortex
schlussfolgerten. Sie kommen daher zu dem Ergebnis, dass chroni-
⊡ Abb. 19.8 TENS-Applikation HWS und BWS sche Schmerzen zu einer Beeinflussung der zentralen, taktilen und
19.1 · Allgemeines
429 19
motorischen Verarbeitung führen können. Ähnliche Phänomene der 2. Phase wurden den Patienten Bilder der betroffenen Hand ge-
sind auch nach Armamputationen beschrieben worden. zeigt und sie wurden aufgefordert sich vorzustellen, ihre Hand in die
Wie bereits bei Phantomschmerzen in Studien belegt, soll auch auf den Bildern gezeigte Stellung zu bewegen. Dies sollten sie auch
die Problematik beim CRPS I in einem Missverhältnis zwischen 3-mal in jeder wachen Stunde ausführen, wobei der Schwerpunkt
der motorischen Intention und dem propriozeptiven Feedback nicht auf der Schnelligkeit, sondern der Genauigkeit der vorgestell-
liegen. Bei Phantomschmerzen wird vermutet, dass der motorische ten Bewegung lag. Auch hier zeichnete ein Programm die Dauer,
Kortex nach wie vor Befehle zu der nicht mehr vorhandenen Ext- welche zur Ausführung benötigt wurde, auf. Die 3. und letzte Phase
remität sendet, welche jedoch nicht ausgeführt werden können. Es bestand aus Spiegeltherapie. Hierbei wurde der betroffene Arm des
kommt also nicht zu dem erwarteten propriozeptiven Feedback. Patienten in einer sog. »Mirror Box« versteckt, an deren medialer
Werden Bewegungen mit der gesunden Extremität mittels eines Seite sich ein Spiegel befand. So sah der CRPS-I-Patient anstelle sei-
Spiegels ausgeführt, bekommt das Gehirn über die Augen die In- nes betroffenen Armes das Spiegelbild seiner gesunden Extremität.
formation, dass beide Extremitäten vorhanden seien. Damit wird Dem Patienten wurden wieder 20 verschiedene Bilder, diesmal mit
ein visuelles Feedback für Bewegung geliefert. Wegen der Ähnlich- weniger aufwendigen Handhaltungen, gezeigt. Er sollte dann die
keit der Veränderung des sensorischen Kortex beim CRPS I mit dargestellte Haltung 10-mal zu jeder wachen Stunde langsam und
Amputationspatienten, wird diese Form der Therapie mittlerweile flüssig mit beiden Händen annehmen. Hierbei sollte der CRPS-I-
auch bei CRPS-I-Patienten eingesetzt. Patient vor allem auf das Spiegelbild seiner gesunden Extremität
Eine weitere Methode zur Behandlung der zentralen Kom- achten. Stiegen die Schmerzen während oder direkt nach der Spie-
ponente beim CRPS I könnten imaginäre Bewegungen (»motor geltherapie, so sollten die Probanden die Übungen unterbrechen.
imagery«) mit dem Ziel das »Gehirn zu trainieren« sein. Diese Es wurde von jedem CRPS-I-Patienten Buch über die Therapie ge-
Behandlung kann auch mit der Spiegeltherapie kombiniert wer- führt. Als Messung füllten die Patienten die »Neuropatic Pain Scale«
den. Dass imaginäre Bewegungen überhaupt einen Einfluss auf (NPS) vor dem Beginn der Studie nach 2, 4, 6 und 12 Wochen aus.
die CRPS-I-Symptomatik haben, konnten Moseley et al. (2008) Außerdem wurde der Fingerumfang gemessen. Alle Messungen
erst kürzlich belegen. Sie forderten 37 Patienten mit chronischen wurden von einem geblindeten Therapeuten ausgeführt. Nach den
Schmerzen (wovon 18 CRPS-Patienten waren) auf, sich die Aus- ersten 6 Wochen konnten bereits 2 und nach 12 Wochen 4 Patien-
führung einiger Bewegungen, deren Endhaltung sie auf einem Foto ten der Interventionsgruppe die Diagnosekriterien für CRPS I nicht
sahen, vorzustellen. Sofort nach der imaginären Bewegung sowie mehr halten. Sowohl auf dem NPS, dem Fingerumfang, wie bei der
1 Stunde später wurden Schmerz und Schwellung der betroffe- Zeit zur Erkennung der Seitenzugehörigkeit einer gezeigten Hand,
nen Extremität gemessen. Bei allen CRPS-I-Patienten waren die konnten mit dem Programm signifikante Verbesserungen erreicht
Schmerzen und die Schwellung sofort nach den vorgestellten Be- werden. Diese Verbesserungen hatten auch 6 Wochen nach Beendi-
wegungen höher als davor. Während der imaginären Bewegungen gung des Programms Bestand. In der Kontrollgruppe, welche 2- bis
wurde keine muskuläre Aktivität gefunden. Die Kontrolle erfolgte 3-mal wöchentlich mit einfacher Physiotherapie behandelt wurde,
mittels Elektromyogramm. Somit haben die hier aufgetretenen konnten, bis zum Zeitpunkt des Wechsels in das Behandlungs-
Reaktionen mit großer Wahrscheinlichkeit einen kortikalen, nicht programm, keine Änderungen der 3 Variablen gemessen werden.
aber über Stimulation nozizeptiver Afferenzen hervorgerufenen Während des Behandlungsprogramms verbesserten sich dann auch
Ursprung. bei diesen Patienten alle gemessenen Werte signifikant und 2 von
Die handtherapeutische Relevanz dieser Studien liegt darin, ihnen erfüllten nach 12 Wochen die Diagnosekriterien nicht mehr.
dass es auf zentralnervöser Ebene beim CRPS I zu Veränderun- Daraus kann geschlossen werden, dass ein zentrales Behandlungs-
gen kommt. Somit sollte heutzutage das CRPS I nicht länger nur programm effektiver ist, als die normal weitergeführte therapeuti-
auf einer peripheren und segmentalen Ebene behandelt werden. sche Betreuung beim CRPS I.
Vielmehr sind Veränderungen in der Größe und der Organisa-
tion unserer somatosensorischen Karte sowie Veränderungen im
motorischen Kortex und bei der Körperwahrnehmung deutliche
Zeichen für eine zusätzliche kortikal bezogene Therapie.
In einer einfach geblindeten randomisierten kontrollierten Stu-
die stellte Moseley (2004) ein Therapieprogramm (»graded motor
imagery«; ⊡ Abb. 19.9) zur Behandlung chronischer CRPS-I-Pati-
enten vor. Hierzu wurden 13 Patienten mit CRPS I der oberen Ex-
tremität nach nicht komplizierten Handgelenkfrakturen, bei denen
die Symptome bereits länger als 6 Monate bestanden, in zwei Grup-
pen randomisiert. Die Kontrollgruppe setzte die bisherige Behand-
lung fort und sollte bei Gelingen des Programms anschließend als
»Cross-over«-Gruppe von der gleichen Behandlung profitieren. Die
Interventionsgruppe wurde einem »Motor-Imagery«- Programm
unterzogen. Die Dauer der Intervention betrug 6 Wochen und teilte
sich in drei 2-wöchige Phasen auf. In Phase 1 wurden den Patienten
aus einem Pool von 84 Bildern Hände gezeigt und die CRPS-I-Pa-
tienten mussten die Seitenzugehörigkeit der Hand erkennen, indem
sie einen von zwei Knöpfen auf einem Computer drückten (links
oder rechts). Die Patienten bekamen ein Notebook mit den Bildern
mit nach Hause und sollten diese Aufgabe 3-mal (ungefähr 10 min)
in jeder wachen Stunde ausführen. Hierbei wurden die Zeit zur Er-
kennung und die Erkennungsrate vom Notebook aufgezeichnet. In ⊡ Abb. 19.9 »Graded-Motor-Imagery«-Trainingskarte
430 Kapitel 19 · Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus handtherapeutischer Sicht

In einer weiteren ähnlichen Studie untersucht der gleiche Au- Bewegen war dahingegen nur erfolgreich, wenn es auf die Seiten-
tor (Moseley) den Effekt seines »Motor-Imagery«-Programms bei zugehörigkeitserkennung folgte. Auch die Spiegeltherapie war nur
Patienten mit Phantomschmerz nach Amputation, Patienten mit nach dem imaginären Bewegen und nicht nach der Seitenzugehö-
Schmerz nach Durchtrennung des Plexus brachialis sowie CRPS- rigkeitserkennung effektiv.
I-Patienten. Hierzu wurden 51 Patienten, wovon 37 CRPS-I-Pati- Somit kann eine Symptomverbesserung nicht auf eine erhöhte
enten waren, in 2 Gruppen randomisiert. Die Interventionsgruppe Aufmerksamkeit für die betroffene Extremität zurückgeführt wer-
wurde mit dem gleichen 6-wöchigen »Graded-Motor-Imagery«- den. Weil die Patienten der Gruppe 1 größere Verbesserungen
Programm, die andere mit Standardmedikation und mindestens erzielten als die anderen Gruppen, aber auch weil imaginäres
einmal in der Woche mit Physiotherapie behandelt. Zur Mes- Bewegen und Spiegeltherapie nur in der richtigen Reihenfolge zu
sung sollten die Patienten 5 Aktivitäten nennen, welche seit der Verbesserungen führten, ist damit die Theorie einer schrittweisen
Verletzung nicht mehr wie gewohnt ausgeführt werden konnten, Aktivierung motorischer Netzwerke im Kortex beim CRPS I an-
und auf einer numerischen Skala (NRS) zwischen 0 (nicht mehr zunehmen. Außerdem liefert diese Studie eine weitere Bestätigung
ausführbar) und 10 (normal ausführbar) angeben, wie gut die Auf- der Wichtigkeit, gehirnspezifisches Training mit in die Therapie
gabe momentan gelingt. Des Weiteren wurde von den Patienten bei CRPS-I-Patienten einzubeziehen.
ein McGill-Schmerzfragebogen ausgefüllt sowie die Schmerzen Mit Erreichen einer annähernden Schmerzfreiheit geht der
auf einer VAS-Skala angegeben und vor und nach der Therapie CRPS-I-Patient in ein Stabilisations- und in ein alltagsbezogenes
bei CRPS-I-Patienten überprüft. Für die Patienten mit Phantom- Reaktivierungsprogramm »graded exposure« über.
schmerz wurden außerdem noch Hyperalgesie und Allodynie der
Stümpfe sowie Schwellung, Temperatur und motorische Störungen Wiederherstellung von spezifischen Bewegungs-
bei den Plexus-Patienten gemessen. Alle Therapeuten, welche Mes- abläufen, von Alltagsbewegungen »graded exposure«
sungen vornahmen, waren geblindet. Sofort nach der 6-wöchigen und Stabilitätstraining beim CRPS I
Behandlung ergab sich wieder für die Interventionsgruppe gegen- Beim CRPS-I-Patienten gehen zunehmend die aktive Kontrolle
über der Kontrollgruppe eine deutliche Durchschnittsverbesserung über die Bewegungen, das Gefühl für die Kraftdosierung von ge-
des Schmerzes und bezüglich der Aktivitäten. zielten Aktivitäten, das Gefühl für die Stellung einer Extremität im
In einer dritten Studie will der gleiche Autor (Moseley) her- Raum sowie die Geschwindigkeit und Beschleunigung einer zielge-
ausfinden, worauf die Wirksamkeit seines Behandlungsprogramms richteten Bewegung verloren. Auch fällt dem CRPS-I-Patienten der
beruht. Er stellt hierfür zwei mögliche Hypothesen in den Raum, Wechsel von abgestuften, unterschiedlichen Kontraktionsformen
welche es zu untersuchen gilt. Zum einen könnten die Verbes- selbstverständlich erscheinender motorischer Abläufe im Alltag
serungen durch eine erhöhte Aufmerksamkeit für die betroffene schwer. Die Konzentration und Fixierung auf die offensichtliche
Extremität entstehen. Zum anderen könnte das Programm schritt- Einschränkung und die nicht enden wollenden Schmerzen mani-
weise kortikale Mechanismen in Gang setzen, welche eine Verbin- pulieren und dirigieren nicht nur die motorischen Bewegungsab-
dung zu Bewegungsmechanismen haben, ohne jedoch Schmerzen läufe, sie verändern das Bewegungsverhalten des betroffenen Pati-
auszulösen. Er stellt daher die Hypothese auf, dass, sofern die enten immens. Die Selbstständigkeit geht verloren und es können
Wirkung wirklich nur auf einer erhöhten Aufmerksamkeit beruht, neben dem starken Schmerzgeschehen psychische Erkrankungen
die Reihenfolge der einzelnen Phasen keine Rolle spielen dürfte. entstehen. Dieser Tatsache muss sich ein Handtherapeut bewusst
Passiert jedoch etwas auf kortikale Ebene, so müssten sich durch sein; ein CRPS-I-Patient darf nicht als Summe physiologischer De-
Abänderung der Phasenreihenfolge auch die Therapieeffekte ver- fizite verstanden werden, sondern als ein in seiner Wahrnehmung
ändern. Um diese Hypothesen zu überprüfen, wurden 20 CRPS- und Darstellung irritierter und eingeschränkter Mensch. Einfachs-
I-Patienten mit Beschwerden (länger als 6 Monate) in 3 Gruppen te Bewegungsabläufe müssen somit hinterfragt, geübt, kontrolliert
randomisiert. Die Gruppenbehandlung unterschied sich hierbei und verfeinert werden. Dynamometer helfen bei der Aufstellung
lediglich in der Reihenfolge der einzelnen Phasen des »Graded- von Übungs- bzw. Trainingsparametern, können sich motivie-
Motor-Imagery«-Programms (Seitenzugehörigkeit erkennen, ima- rend für den CRPS-I-Patienten auswirken und dokumentieren
ginäres Bewegen, Spiegeltherapie). Zusätzlich wurden die Phasen die therapeutische Entwicklung. Auch die inflammatorische Kom-
in ihrer Dauer modifiziert, sodass alle Therapiephasen ungefähr ponente des CRPS I kann bei aktiven Übungen als Indikator für
gleich lang waren, um einer unterschiedlichen Gewichtung durch Überdosierungen beobachtet werden. Hier helfen kontinuierliche
den Faktor Zeit vorzubeugen. Gruppe 1 wurde so in der vom Hautmessungen, verlässlich auf überschießende Reaktionen bzw.
»Graded-Motor-Imagery«-Programm bekannten Reihenfolge be- Überforderungen zu reagieren, und helfen somit diese über eine
handelt: Seitenzugehörigkeit erkennen – imaginäres Bewegen – komplette Therapieeinheit zu vermeiden (⊡ Abb. 19.10).
19 Spiegeltherapie. Gruppe 2 hatte die Reihenfolge: imaginäres Be-
wegen – Seitenzugehörigkeit erkennen – imaginäres Bewegen;
und Gruppe 3 Seitenzugehörigkeit erkennen – Spiegeltherapie
– Seitenzugehörigkeit erkennen. Gemessen wurden Schmerzen auf
der »Neuropahtic Pain Scale« (NPS) sowie die Ausführung von
5 Aktivitäten auf einer numerischen Skale (NRS). Alle Messungen
wurden von einem für die Therapie geblindeten Therapeuten
durchgeführt. Nach 12 Wochen war in Gruppe 1 die Verbesserung,
sowohl für die Schmerzen (NPS) als auch für die Aktivitäten (NRS)
im Vergleich zu Gruppe 2 und 3 signifikant, d. h. 70% der Patien-
ten konnten in Gruppe 1 und nur 20% in Gruppe 2 und 3 eine Re-
duktion ihrer Schmerzen (NPS) um 50% erzielen. Die Erkennung
der Seitenzugehörigkeit erreichte unabhängig von der Reihenfolge
immer eine Verbesserung beim CRPS-I-Patienten. Das imaginäre ⊡ Abb. 19.10 Kraftmessung mittels Dynamometer
19.2 · Spezielle Techniken
431 19
Jeder handtherapeutische Versuch, forciert gegen die beschrie- Ausführung
benen Einschränkungen vorzugehen, scheitert. Die geduldige, Der CRPS-I-Patient wird in der Therapie über die Inhalte, Wir-
schmerzfreie Reduktion auf elementare Bewegungsabläufe, die das kung und Ausführung bzw. Abfolge des Graded Motor Imagery
aktuelle sensomotorische Leistungsvermögen des Patienten wider- Training instruiert. Der CRPS-I-Patient muss 3 Stadien über je
spiegeln und ihn gezielt wieder zum Herrn seiner Bewegungen 2 Wochen durchlaufen. Die Therapie wird primär als Heimtraining
verhelfen, sind therapeutisch indiziert. durchgeführt. Geübt wird zu jeder wachen Stunde 3-mal für insge-
Sowohl folgende isotonische als auch isometrische Trainings- samt 10 Minuten, d. h. pro Tag für ca. 1–1,5 Stunden). Nach jeder
programme sind schmerzfrei und für den Patienten nachvollzieh- Übungseinheit muss er ein Protokoll führen über Tag und Uhrzeit,
bar anzuwenden, möglichst mit Alltagsbezug. Die Dosierung der Schmerzlevel, Stimmung, Stadium, Schmerzverlauf (vorher–nach-
einzelnen Übungen stellt die eigentliche Herausforderung an den her) sowie besondere Auffälligkeiten beschreiben und das Ergebnis
Therapeuten dar. Biofeedback-Systeme unterstützen hier die thera- (wie schnell und akkurat die Ausführung möglich war) in Form
peutische Arbeit und geben dem Patienten Sicherheit. Patient und einer Punktzahl vermerken – Schmerzprotokoll. In den Therapie-
Therapeut können EMG-gestützt die muskuläre Aktivität einzelner stunden werden die Protokolle überprüft und gemeinsam mit dem
Bewegungen analysieren und zur nicht betroffenen Seite verglei- Patienten besprochen. Das Schmerzgeschehen sollte sich mit dem
chend kontrollierend darstellen. Erreichen des nächsten Übungsstadiums stets bessern (VAS-Kont-
Die aktiven isotonischen und isometrischen Übungseinhei- rolle). Um die Schwierigkeit im Laufe der Zeit auszubauen, werden
ten sind zunächst nicht gewichtstragend, d. h. für die betroffene vom Patienten die zur Therapie benutzten Karten nach seinem
Extremität nur gering belastend. Erst wenn die Reaktionen des Schmerzempfinden in 4 Kategorien eingeschätzt. Damit teilt der
Patienten es zulassen, werden einzelne Übungen mit Trainingsge- Handtherapeut die Kategorien in unterschiedliche Schwierigkeits-
rät zwischengeschaltet. Gleichzeitig kann damit begonnen werden, grade ein (Kategorie 1 = leicht; Kategorie 4 = schwer). Dieser Ab-
kardiovaskuläre Fortschritte über entsprechende Übungseinheiten lauf wird für jede Phase von Patient und Therapeut neu beurteilt.
zu erarbeiten, um die Durchblutung der Extremitäten zu fördern Die unterschiedlichen Kategorien können dann nach dem Zeitplan
und allgemein den Haltungstonus und das psychische Wohlbefin- in ⊡ Tab. 19.1 ihren Einsatz finden. Mit dieser Vorgabe kann der
den zu verbessern. Patient die Schwierigkeit innerhalb der einzelnen Phasen langsam
steigern (⊡ Abb. 19.11, ⊡ Abb. 19.12).
Ergänzende komplementäre Behandlungstechniken
beim CRPS I
Auch die Anwendung von Akupunktur wird heute bei der Behand-
lung eines CRPS I oft mit in Erwägung gezogen. Empfohlen wird
für die Behandlung ein Zeitraum von 3 Wochen, 5-mal wöchentlich
date / time
über 30 Minuten. Bei 18 Patienten konnte eine Verbesserung der
Schmerzen sowie eine Senkung der Temperatur unter das Aus- pain level (none) 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 (worst)
gangsniveau vor der Therapie verzeichnet werden. Die Nadelsetzung
or draw / describe your
auf standardisierten und nicht standadisierten Akupunkturpunkten mood in the face below
mood
führte gleichermaßen zum Erfolg. Eine Symptomfreiheit konnte
nicht erwirkt werden (Ernst et al.). Somit eignet sich die Akupunktur game
sicherlich als Begleittherapie, sollte aber als Alternative, abhängig
vom jeweiligen Interesse des CRPS-I-Patienten, eingesetzt werden. comment
Bezugnehmend auf einer Studie von Grunert et al. konnten
durch das autogene Training 20 CRPS-I-Patienten (Cold-Typ), bei
15–60 Behandlungen, 2-mal wöchentlich je 60 Minuten, eine deut- ⊡ Abb. 19.11 Graded Motor Imagery Training: Schmerz- und Bewegungs-
liche Schmerzhemmung und ein Wärmeempfinden in der betrof- protokoll
fenen Extremität wahrnehmen; 14 CRPS-I-Patienten waren sogar
in der Lage, ihre berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Auch
das autogene Training könnte somit eine weitere Alternative für die
Therapie des CRPS I darstellen.

Operative Therapie  Kap. 18

19.1.8 Besonderheiten im Wachstum  Kap. 18

19.2 Spezielle Techniken

19.2.1 »Graded Motor Imagery Training« beim


CRPS I

Materialien
▬ 1 Set »Graded Motor Imagery Pack« mit 48 Handfunktions-
karten,
▬ Dokumentationsbögen,
▬ 1 therapeutischer Spiegel 40×60 cm bzw. 60×40cm ⊡ Abb. 19.12 Graded Motor Imagery Training: Trainingsset
432 Kapitel 19 · Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus handtherapeutischer Sicht

⊡ Tab. 19.1 Phaseneinteilung des Graded Motor Imagery Training

Phase Tag 1–4 Tag 5–8 Tag 8–14

1 – Seitenzugehörigkeit erkennen Kategorie 1–2 Kategorie 1–-3 Kategorie 2–4

2 – Imaginäres Bewegen Kategorie 1 Kategorie 1–2 Kategorie 2–3

3 – Spiegeltherapie Kategorie 1 Kategorie 1–2 Kategorie 1–2

⊡ Abb. 19.13 Graded Motor Imagery Training: Phase 3 ⊡ Abb. 19.14 Graded Motor Imagery Training: Phase 3

Phase 1. Die 48 Handfunktionskarten werden gemischt und vom gewählten Maßnahmen müssen hierbei weitgehend schmerzfrei
CRPS-I-Patienten werden spontan jeweils 20 Karten ausgewählt. Der sein. Eine Salbenapplikation von DMSO 50% und manualthera-
Patient soll möglichst schnell und der Reihe nach die jeweilige Hand peutische Mobilisation, d. h. von den proximalen Gelenken aus-
nach der Händigkeit »rechts« oder »links« imaginär zuordnen. gehend, ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Einzelbehandlung.
Auch wird die DMSO-50%-Creme vom CRPS-I-Patienten 3- bis
Phase 2. Aus den 48 gemischten Karten werden wieder 20 aus- 5-mal täglich eigenständig auf die CRPS-Extremität aufgetra-
gewählt. Der CRPS-I-Patient muss sich jetzt geistig die bildlich gen. Die Applikation der DMSO-50%-Salbe ist unabhängig vom
dargestellte Handpositionen in einem Bewegungsablauf vorstellen. Erfolg des Graded Motor Imagery Trainings über 17 Wochen
Wichtig ist diese Übung nicht nach Schnelligkeit, sondern auf Prä- fortzuführen.
zision der gedachten Bewegung auszuführen.

Phase 3. Der Therapiespiegel wird seitlich zum CRPS-I-Patienten 19.2.2 Verhaltensprogramm »Graded Exposure«
platziert und die erkrankte Hand wird hinter dem Spiegel platziert, nach De Jong et al. (2005)
sodass sie für den Betroffenen nicht sichtbar ist. Die gesunde Ext-
remität muss vom Patienten im Spiegelbild für die erkrankte Hand Parallel zum Stabilitätstraining wird mit dem CRPS-I-Patienten
wahrgenommen werden (⊡ Abb. 19.13). ein ADL-bezogener Status (»activities of daily living«) erstellt. Der
19 CRPS-I-Patient soll sich bewusst im Alltag Situationen aussetzen,
Wiederum werden aus den 48 Handfunktionskarten 20 ausgewählt welche er als bedrohlich empfindet (Konfrontationshase). Alle pro-
und der CRPS-I-Patient muss jetzt die gezeigten Handpositio- blembezogenen Alltags- und Berufsverrichtungen sind im Nach-
nen in eine bilaterale Bewegung ausführen. Das Auge visualisiert hinein systematisch zu erfassen (Angsthierarchieliste). Der Hand-
die Bewegung der gesunden Hand im Spiegelbild und projiziert therapeut wählt jeweils eine für den CRPS-I-Patienten akzeptable
diese Ausführung auf die pathologische Extremität. Das Gehirn Problembewegung aus und macht diese dem CRPS-I-Patienten
bekommt somit die notwenigen Afferenzen für eine physiologi- einmal vor (Konfrontationsphase). Der CRPS-I-Patient wird dazu
sche Bewegung. Bei der Spiegeltherapie ist auf eine symmetrische ermutigt, das entsprechende Bewegungsmuster zu Hause so oft wie
Ausführung mit beiden Händen zu achten, da eine asymmetrische möglich zu wiederholen, d. h. bis sich die dazugehörigen Ängste
Ausführung die Symptome verschlimmern kann. Die betroffene reduzierten. Mit Besserung des jeweiligen Übungsauftrags werden
Extremität ist somit stets die Seite, welche die Möglichkeit der Be- aus dem ADL-Status weitere Bewegungsabläufe als Heimtraining
wegung vorgeben sollte (⊡ Abb. 19.14). dem CRPS-I-Patienten aufgetragen (⊡ Abb. 19.15).
Parallel sollte ggf. mit weiteren handtherapeutischen segmen- Ziel des gesamten Therapiekonzeptes sollte stets die berufliche
talen und lokalen Einzelbehandlungen fortgefahren werden. Alle und soziale Wiedereingliederung des CRPS-I-Patienten sein.
19.2 · Spezielle Techniken
433 19

⊡ Abb. 19.15 Verhaltensprogramm »Graded Exposure«

19.2.3 Stabilitätstraining

Das stabilisierende System basiert auf 3 Säulen:


1. passives System: knöcherne Gelenkpartner, Ligamente und
Kapsel,
2. aktives System: Muskulatur mit ihren Sehnen,
3. Kontroll- und Steuerungssystem: Propriozeptoren, peripheres
und zentrales Nervensystem.
⊡ Abb. 19.16 Stabilitätstraining
Das passive System sichert ein Gelenk mechanisch mit zuneh-
mendem Bewegungsausschlag in der sog. »elastischen Zone«
primär am Bewegungsende über die Vorspannung der passiven
Strukturen. 19.2.4 Aufbau eines Trainingsprogramms der
Das aktive System stabilisiert ein Gelenk um seine Neutral- stabilisierenden Muskulatur nach Diemer
stellung herum, d. h. der »neutralen Zone«. In dieser Zone kann
nur das aktive System für den Erhalt einer Gelenkposition und Willkürliche Aktivierung der primär stabilisierenden
deren Stabilisierung sorgen. Dabei wird das aktive System über das Muskulatur
passive und über das Kontrollsystem in Form von Propriozeptoren Die Kontrollmöglichkeiten, ob die stabilisierenden Muskeln auch
und deren Interaktion mit dem peripheren und zentralen Nerven- tatsächlich arbeiten, kann über Ultraschall oder EMG-Biofeed-
system unterstützt. Dabei muss die Muskulatur derart angesteuert back-Systeme optimal dargestellt werden. In der Regel müssen sich
werden, dass sie ihrer stabilisierenden Funktion gerecht werden hier die Handtherapeuten auf eine taktile oder optische Kontrolle
und adäquat auf körpereigene und fremde Bewegungsimpulse beschränken. Unter einer bewusst gehaltenen Spannung können
reagieren kann. gezielt Bewegungen eingeleitet und anschließend, d. h. ohne will-
Stabilisierende Muskeln zeichnen sich u. a. durch folgende kürliche Kontrolle, mit den stabilisierenden Muskeln durchgeführt
Eigenschaften aus: werden. Die Auswahl der therapeutischen Hilfsmittel darf dabei
▬ Sie halten tonische Kontraktionen über eine längere Zeit. die stabilisierenden Kapazitäten des Patienten nicht überschreiten
▬ Sie ordnen die Gelenkflächen einander optimal zu. (⊡ Abb. 19.16).
▬ Sie erhalten die oben genannten Aspekte in jeder Phase einer
Bewegung aufrecht. Feedback- und Feedforward-Mechanismen nach Diemer
▬ Antizipation: Stabilisierende Muskeln werden zeitlich vor den Bei dem Feedback-Mechanismus wird ein Gelenk einem destabili-
bewegenden Muskeln aktiviert. Tritt eine zeitliche Verspätung sierenden Reiz ausgesetzt, dessen muskuläre Reaktion hinsichtlich
der Aktivierung von stabilisierenden Muskeln auf, kommt es ihrer physiologischen Eigenschaften überprüft und ggf. trainiert
zu deutlich mehr Beschwerden in dem zu stabilisierenden Ge- wird (z. B. überschießende Bewegungen oder Ausweichbewegun-
lenk; bei Reaktivierung dieser Muskeln kann es hingegen zu gen). Die Feedforward-Methode soll zeigen, ob der Patient vor
einer Beschwerdeverbesserung kommen. dem eigentlichen Reiz die adäquate Muskelspannung erzeugt, um
▬ Stabilisierende Muskeln zeichnen sich durch eine geringe optimal auf den eintreffenden Reiz zu reagieren. Feedback- und
Aktivität aus, die bei ca. 10–20% ihrer maximalen Kraft liegen Feedforward-Methoden sind ebenfalls günstiger unter einer appa-
(Diemer). rativen Kontrolle zu realisieren.
434 Kapitel 19 · Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS-I) aus handtherapeutischer Sicht

19.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen Dauty M, Renaud P, Deniaud C, Tortellier L. & Dubois C (2001) Conséquences
professionnelles des algodystrophies. Ann Réadaptation Méd Phys 44:
89–94
So unterschiedlich die Meinungen bezüglich des Aufbau eines
De Jong JR, Vlaeyen JW, Onghena P, Cuypers C, den Hollander M, Ruijgrok J
CRPS-I-Therapiekonzepts auch sein mögen, so herrscht doch in (2005) Reduction of pain-related fear in complex regional pain syndrome
einigen Punkten Einigkeit. Ziel der Handtherapie beim CRPS I type I: The application of graded exposure in vivo. Pain 116: 264–275
ist i. Allg. einerseits eine Schmerzlinderung und andererseits die Dicke E, Schliack H, Wolff A (1982) Bindegewebsmassage, 11. Aufl. Hippokra-
Wiederherstellung einer normalen Funktion, also die Verhinde- tes, Stuttgart
rung einer Defektheilung durch Nichtgebrauch der Extremität. Diemer F, Sutor V (2007) Praxis der medizinischen Trainingstherapie. Thieme,
Spezifischer bedeutet dies, dass die Handtherapie auf eine Wieder- Stuttgart
herstellung des verloren gegangenen Muskeltonus, der Muskelkraft Diener H.C, Putzki N (2008) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der
und -ausdauer, der Gelenkbeweglichkeit sowie einer Rückbildung Neurologie, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart
von Kontrakturen beim CRPS I abzielt bzw. diese verhindern soll. Edel H (1991) Fibel der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie, 6. Aufl. Verlag
Gesundheit, Berlin
Hierbei dürfen die handtherapeutischen Maßnahmen auf keinen
Ernst E, Resch K, Fialka V, Ritter-Dittrich D, Alcamioglu Y, Chen O et al. (1995)
Fall zu aggressiv gewählt werden, da sich sonst die Symptome
Traditional acupuncture for reflex sympathetic dystrophy: a randomised,
des CRPS I verstärken und sich dadurch der Verlauf bezüglich sham-controlled, double-blind trial. Acupuncture Med 13 (2): 78–80
Schmerz und Funktion verschlechtern kann. Passive, aggressive Fleischhauer M, Heimann D, Hinkelmann U (2002) Leitfaden Physiotherapie
ROM-Tests (»range of movement«) sollen vermieden werden. in der Orthopädie und Traumatologie. Urban & Fischer, München
Der CRPS-I-Patient soll vielmehr aktiv unterhalb der Schmerz- Flor H, Nikolajsen L, Staehelin Jensen T (2006) Phantom limb pain; a case of
grenze üben, um so sein ROM zu erhalten oder zu verbessern. maladaptive CNS plasticity? Nat Rev Neurosci 7: 873–881
Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass es durch Muskelarbeit Frisch H (2009) Programmierte Untersuchung des Bewegungsapparates.
beim CRPS I zu einer Zunahme des Sauerstoffbedarfs und damit Springer, Heidelberg
zur Entstehung freier Radikale kommen kann. Sudeck selbst for- Gifford L (2000) Schmerzphysiologie. In: van den Berg F (Hrsg) Angewandte
mulierte 1942 in seiner letzten Arbeit schon folgenden Leitsatz Physiologie Band 2, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart
Giunta RE, Prommersberger KJ (2010) Handchirurgie, Mikrochirurgie, Plasti-
für die Behandlung von CRPS I: »Der Ausdruck Entzündung
sche Chirurgie – Schwerpunkt: Komplexes regionales Schmerzsyndrom,
ist ein Wegweiser für die Behandlung, geradezu ein Programm«
42. Jahrgang, Thieme, Stuttgart
und deutete damit an, dass am Anfang vor allem Regeneration Grunert B, Devine C, Sanger J, Matloub H, Green D (1990) Thermal self-
im Vordergrund steht und auf die durch die Entzündung verur- regulation for pain control in reflex sympathetic dystrophy. J Hand Surg
sachten Schmerzen »gehört« werden muss. Als Richtschnur für 15A: 615–618
die Therapieintensität ist daher vor allem der Nachtschmerz von Hasselblatt A (1999) Ergotherapie in der Orthopädie. Eine Einführung in die
Bedeutung. Wegen der Dynamik des Krankheitsbildes CRPS I fachspezifischen Behandlungstechniken. 3. Aufl. Stam, Köln
muss die Behandlung flexibel und individuell abgestimmt erfolgen Heisel J, Jerosch J (2007) Schmerztherapie der Halte- und Bewegungsorgane
und sollte sich nach anamnestisch fassbaren Therapiereaktionen – Allgemeine und spezifische Schmerztherapie. Springer, Heidelberg
richten. Die stadienbezogenen Therapiekonzepte beim CRPS I Jull G, Richardson C, Hodges P (1996) New advances in exercise to rehabili-
tate spinal stabilisation. Skript zum IFOMT preconference course, Lille-
wie z. B. das Algorithmus-Therapiekonzept nach Stanton-Hicks
hammer Norwegen 4: 19–20
et al. von 1998 und 2002 für CRPS sind fragwürdig und scheinen
Juottonen K, Gockel M, Silén T, Hurri H, Hari R. u. Forss N (2002) Altered
angesichts der fließenden Übergänge des Krankheitsbildes CRPS central sensorimotor processing in patients with complex regional pain
kaum umsetzbar. syndrome. Pain 98: 315–323
Die optimalen Voraussetzungen für die Therapie des CRPS I Kaltenborn F.M (2005) Manuelle Therapie nach Kaltenborn – Untersuchung
werden aber erst durch die gezielte Zusammenarbeit von Hand- und Mobilisation der Gelenke, Teil I: Extremitäten, 12. Aufl. Norli, Oslo,
therapeuten, Ärzten und ggf. einem Psychotherapeuten, die in- 44–48
nerhalb eines multidisziplinären Teams agieren, hergestellt. Somit Koch-Remmele R, Kreutzer R (2007) Funktionskrankheiten des Bewegungs-
bewegt sich der CRPS-I-Patient in einem Umfeld der kombinierten systems nach Brügger. Springer, Heidelberg
Schmerzkontrolle, in dem optimale Bedingungen für die Rehabili- Köck F, Borisch N, Koester B, Grifka J (2003) Das komplexe regionale Schmerz-
tation des Patienten vorzufinden sind. syndrom Typ I (CRPS I) Orthopäde , 32: 418–431
Koesling C, Bollinger Herzka T (2008) Ergotherapie in der Orthopädie, Trau-
Als Summe kann somit auch dieses komplexe CRPS I-Behand-
matologie und Rheumatologie. Thieme, Stuttgart
lungsmodell nur einen Versuch einer annähernden evidenzbasier-
Kolster B.C, Marquardt H (2004) Reflextherapie. Springer, Heidelberg
ten Therapie darstellen. Es ermutigt zu einer interdiziplinären Vor- Kolster BC (2003) Massage. 2. Aufl. Springer, Heidelberg
gehensweise zwischen den verschieden Berufsgruppen von Ärzten,
19 Handtherapeuten und Psychologen. Zudem soll es motivieren die
Kränzlin, M, Felder M, Schlumpf U, Troeger H, Kopp H, Thali A. et al. (2002)
Therapie der Algodystrophie. In: Bär E, Felder M, Kiene B, Bär E, Felder
Forschung von weiteren evidenzbasierten Therapien für dieses M, Kiene B (Hrsg) Algodystrophie (complex regional pain syndrome 1).
Krankheitsbild CRPS I zu forcieren, um mit weiteren Erkenntnis- Luzern: Suva, S 61–70
sen ein standardisiertes und international gültiges CRPS-I-Thera- Langendijk P, Zuurmond W, van Apeldoorn H, van Loenen HA, de Lange J
piekonzept zu erwirken. (1993) Goede resultaten van behandeling van acute refelectoir-sympa-
thische dystrofie met een 50%-dimethylsulfoxide-crème. Nederlandse
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20

Die operative Behandlung der


therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)
durch transaxilläre Dekompression des
Nerven-Gefäß-Stranges und obere extrapleurale
thorakale Sympathikusresektion
Albrecht Wilhelm

20.1 Allgemeines – 438


20.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 438
20.1.2 Epidemiologie – 441
20.1.3 Ätiologie – 441
20.1.4 Diagnostik – 443
20.1.5 Klassifikation – 451
20.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 451
20.1.7 Therapie – 452
20.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 452
20.2 Spezielle Techniken – 452
20.2.1 Technik der transaxillären Dekompression des Nerven-Gefäß-Stranges und extrapleurale
Resektion des oberen Grenzstranges bzw. Neurotomie der Rr. communicantes, die zu den
unteren Plexuswurzeln verlaufen – 452
20.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 463
Weiterführende Literatur – 465

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


438 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

20.1 Allgemeines Vena subclavia - Stenose

Die posttraumatische Dystrophie ist erstmals 1900 und 1902 von


Sudeck vollständig beschrieben worden. Neben den vier Kardi- Endokrine Trauma
Störungen AV-Fistel
nalsymptomen erwähnt er auch die sekundären Zeichen sowie Ödem
erstmals den Begriff der »reflektorischen Trophoneurosis«. Dieses
Schmerzsyndrom kann deshalb zu Recht als Sudeck-Dystrophie
Stoffwechselstörung
oder Sudeck-Erkrankung bezeichnet werden, eine Namensgebung, O2-Mangel
die im angloamerikanischen Schrifttum nur selten zu finden ist.
Dieses Krankheitsbild ist in der französischen Literatur als »Algo- Faservermehrung
Infiltration Degeneration
dystrophie reflexe« (Bircher 1981) und im englischen Schrifttum
Proliferation
als »Reflex sympathetic dystrophy« (RSD, Lankford 1988) be-
Narbe
zeichnet worden, während seit 1995 die international anerkannte
Bezeichnung »Reflex regional pain syndrome« (CRPS I) üblich ist.
Demgegenüber wird die erstmals von Mitchell (1867) beschriebe- Volumenzunahme
ne Kausalgie seither unter dem Begriff CRPS II geführt. Dessen
ungeachtet, sollte man aber die Namen dieser beiden ehrwürdigen
Autoren nicht vergessen, d. h., sie auch weiterhin verwenden! Medianuskompression
Die Sudeck-Dystrophie wird auch heute immer noch als »rät-
selhafte« Erkrankung beurteilt. Ätiologisch inzwischen zwar weit- ⊡ Abb. 20.1 Schematische Darstellung der Ätiopathogenese der ödembeding-
gehend abgeklärt, konnte in pathogenetischer Hinsicht bislang ten (idiopathischen) Medianuskompression. (Aus Wilhelm u. Wilhelm 1985, mit
nur Einigkeit dahingehend erzielt werden, dass es sich bei dieser freundlicher Genehmigung von Thieme)
Erkrankung um das Resultat einer vasomotorischen Dysfunktion
des sympathischen Nervensystems handelt (Lankford 1988).
Obwohl die lokalen Auswirkungen dieser Dystrophie bereits Die Besserungsraten der Medianuskompressionen nach operativer
eine weitgehende wissenschaftliche und klinische Abklärung er- Behandlung eines TOS betragen übrigens 64 (81,0%) von 79 Fällen
fahren haben, ist u. a. auch die Frage, warum unter vergleichbaren ( Kap. 17, ⊡ Tab. 17.22). Außerdem sprechen die postoperativen
äußeren Bedingungen gerade dieser Patient eine derartige Erkran- Besserungsraten bei den Tendovaginitiden in Höhe von 20 (52,6%)
kung erleidet und jener nicht, lange Zeit unbeantwortet geblieben. von 38 Fällen dafür, dass das chronische Ödem ebenfalls für deren
Als Erklärung für diese Auffälligkeit findet sich in der Literatur Pathogenese von größter Bedeutung ist. Auffallend ist dabei das
lediglich die Annahme einer sog. »individuellen Bereitschaft« zur häufige kombinierte Auftreten der Tendovaginitis mit einer Media-
Sudeck-Dystrophie (Blumensaat 1956) oder das »Phänomen der nuskompression ( Kap. 17, ⊡ Tab. 17.22).
Unberechenbarkeit«, das Hackethal (1958) in Betracht gezogen hat. Durch den phlebografischen Nachweis von Stenosen im Be-
Als prädisponierender Faktor kann hierfür zwar eine bereits vor reich der V. subclavia, die auch bei der Sudeck-Dystrophie vor-
Beginn der Dystrophie nachweisbare erhöhte Sympathikusaktivität handen sind, konnte inzwischen vor allem der weltweit gesuchte
gewertet werden, für die sich durch eine sorgfältige Untersuchung »zweite Schlüssel« (Lankford 1993) für die Lösung der Pathoge-
der oberen Extremität, vor allem der verschiedenen Schmerzlokali- nese dieser Erkrankung gefunden werden.
sationen, Triggerpunkte und Störungen der Sensibilität, bereits erste
Hinweise gewinnen lassen. Eine befriedigende Lösung der eben ge-
nannten Probleme ist dadurch für sich allein jedoch noch nicht ge- 20.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und
geben. Bei der Suche nach weiteren prädisponierenden Faktoren hat Physiologie
sich inzwischen herausgestellt, dass die Symptomatik einer Sudeck-
Erkrankung eine geradezu auffallende Ähnlichkeit mit derjenigen Die für die operative Behandlung von therapieresistenten Dystro-
eines »Thoracic-Outlet-Syndroms« (TOS) aufweist. Es war deshalb phien in Frage kommende transaxilläre Dekompression des Nerven-
naheliegend, die für das TOS erforderlichen diagnostischen Maß- Gefäß-Stranges, die Roos (1977) ursprünglich für die Behandlung
nahmen auch bei der Sudeck-Dystrophie anzuwenden. Dies gilt ins- des Thoracic-Outlet-Syndroms entwickelt und beschrieben hat, setzt
besondere für die funktionelle Phlebografie der V. subclavia, zumal eine genaue Kenntnis der Anatomie der Regio axillaris voraus.
sich beide Erkrankungen u. a. durch Ödembildungen auszeichnen. Nach von Lanz u. Wachsmuth (1959) stellt die Achselregion bei
Bei den seit Anfang 1982 durchgeführten phlebografischen abduziertem Arm eine 4-seitige Pyramide dar, deren Spitze hinter
Untersuchungen zeigte sich auch bei der Sudeck-Dystrophie eine der Mitte des Schlüsselbeins gelegen ist. Abhängig von der Arm-
20 mehr oder minder starke Beeinträchtigung des venösen Abflusses haltung verändert sich die Form dieser Pyramide. Ihr Boden wird
(Run-off), die um so stärker in Erscheinung tritt, je größer der ar- von der Fascia axillaris gebildet.
terielle Einstrom (Run-in) in die obere Extremität ist. Im Bereich der vorderen Wand wird die Achselhöhle in ober-
flächlicher Schicht vom M. pectoralis major und in der Tiefe vom
> Diese Abflussstörung führt zu einem Rückstau, der in erster M. pectoralis minor sowie vom M. subclavius begrenzt. Während
Linie als Ursache für die Ödembildungen sowohl beim TOS, als die mediale Pyramidenwand vom M. serratus lateralis und der dar-
auch bei der Sudeck-Dystrophie sowie auch nach Verletzungen unter gelegenen konvexen Thoraxwand gebildet wird, beteiligen sich
und operativen Eingriffen in Frage kommt. Auf derartigen an der Hinterwand gleich 3 Muskeln, nämlich der M. subscapularis,
Ödembildungen beruht übrigens auch die Pathogenese der der M. teres major und der M. latissimus dorsi. Die laterale Wand ist
idiopathischen Medianuskompression, was inzwischen auch die schmälste und nur in der Nähe der Pyramidengrundfläche aus-
histologisch und durch die postoperativen Ergebnisse bewie- geprägt. Sie wird durch die Innenseite des M. coracobrachialis und
sen werden konnte (Wilhelm u. Wilhelm 1985; ⊡ Abb. 20.1). des Caput breve mi. bicipitis sowie durch den Humerus begrenzt.
20.1 · Allgemeines
439 20

⊡ Abb. 20.2 Variationen des M. scalenus minimus und des Lig. pleurovertebrale. (Aus von Lanz u. Wachsmuth 1955)

Weiter proximal stoßen die Muskeln der Vorder- und Rück- kann relativ häufig durch einen M. scalenus minimus oder durch
wand in Höhe des Schultergelenks zusammen, weshalb im Spitzen- dessen ligamentäres Rudiment erfolgen. Außerdem können diese
bereich die Pyramide nur 3-seitig begrenzt wird. Strukturen auch als Irritamente in Frage kommen (⊡ Abb. 20.25).
Durchtrennt man die Fascia axillaris in Höhe der 3. Rippe Normalerweise entspringt der M. scalenus minimus vom
in querer Richtung, dann findet man im mittleren Bereich der Querfortsatz des 7. Halswirbels und setzt an der Innenseite der
oberflächlichen Schicht des Achselfüllgewebes die V. thoracoepi- 1. Rippe an. Sein Ursprung kann zusätzlich auch noch bis in Höhe
gastrica und die sie begleitenden Lymphgefäße und etwas medial des 5. Wirbelkörpers reichen. In diesem Fall setzt der relativ breite
hiervon die Vasa thoracica lateralia. In tieferer Schicht stößt man Muskel manchmal auch an der Pleurakuppe als sog. M. scale-
am Oberrand des M. latissimus dorsi auf den ihn innervierenden nopleuralis an (⊡ Abb. 20.2).
N. thoracodorsalis und dessen begleitende Gefäße. Bei weiterer Derartige Haltezüge, die vom seitlichen Umfang der Halswir-
Präparation gelangt man in der Tiefe auf den M. serratus lateralis belkörper entspringen, können ebenfalls hinter der A. subclavia
und auf den über diesem im lateralen Bereich senkrecht verlaufen- ansetzen. Als Lig. pleurovertebrale strahlen sie manchmal auch vor
den N. thoracicus longus. der A. subclavia ein und behindern dieses Gefäß. Die häufigsten
Die nächste Struktur, die weiter proximal, etwa in Höhe der Sonderfälle des M. scalenus minimus und des Lig. pleurovertebrale
mittleren Axillarlinie gefunden werden kann, stellt der N. inter- sind in ⊡ Abb. 20.2 zusammengefasst.
costobrachialis dar, dessen Fasern sich aus dem N. intercostalis II Demgegenüber entspringen M. scalenus anterior vom 3.–6.
und III abzweigen (⊡ Abb. 20.25). und der M. scalenus medius sogar vom 2.–7. Querfortsatz. Hinter
Etwas weiter laterokranial finden sich die Vasa thoracica su- dem M. scalenus medius findet sich noch der M. scalenus poste-
periora, die in den ersten Interkostalraum münden und deren Ur- rior, der von den Querfortsätzen des 4.–6. Halswirbels entspringt
sprung an der Unterseite der Vasa subclavia erfolgt. Nach Ligatur und im Gegensatz zu den vorgenannten Muskeln jedoch erst an
und Durchtrennung der Vasa thoracica superiora und Extension der 2. Rippe ansetzt.
des Armes in Abduktionsstellung liegen dann die 1. Rippe und Bei der präparatorischen Darstellung des M. scalenus anterior
die darüber zum Arm hinweg ziehenden Gefäße sowie der Plexus sind nach von Lanz und Wachsmuth (1955) insgesamt 6 Variatio-
brachialis frei. Im anterioren Bereich dieser Region, die im inter- nen zu beachten:
nationalen Schrifttum als Thoracic Outlet bezeichnet wird, findet 1. Der Muskel kann fehlen, im Übrigen auch zusammen mit den
sich ein auffallend sehniger Ursprung des M. subclavius von der beiden anderen Treppenmuskeln.
Knochen-Knorpel-Grenze der 1. Rippe, der die V. subclavia an 2. Der Muskel kann hinter der A. subclavia an der 1. Rippe ansit-
der Unter- und Vorderseite bogenförmig umgreift (⊡ Abb. 20.25). zen und mit dem M. scalenus medius verschmolzen sein.
Dieser Muskel setzt an der Unterseite des Schlüsselbeines an und 3. Obwohl ein Hiatus scalenorum vorhanden ist, kann die
kann bei stärkerer Ausbildung die V. subclavia auch von kranial A. subclavia den Muskel durchbohren und spalten.
her komprimieren. Hinter der Vene verläuft der M. scalenus ante- 4. Bei langen Halsrippen kann der Muskel auch an diesen anset-
rior, der am Tuberculum scaleni ansetzt und mit seinem Ausläufer zen.
die genannte Vene ebenfalls unterlaufen und komprimieren kann. 5. Der M. scalenus anterior kann mit dem M. scalenus medius
Außerdem trennt er die V. von der A. subclavia. Die Ansatzportion auch Ursprungsbündel austauschen.
dieses Muskels kann am Hinterrand, aber auch in ganzer Breite 6. Die Ursprünge können innig mit den Mm. intertransversarii
ausgesprochen sehnig ausgestaltet sein und dann bei funktioneller zusammenhängen.
Beanspruchung des Schultergürtels zu einer Irritation der A. sub- 7. Bei Fehlen des M. scalenus minimus ist zu beachten, dass die-
clavia und der mit diesem Gefäß nach peripher verlaufenden ser Muskel durch eine bandartige Struktur ersetzt sein kann,
sympathischen Fasern führen, die sich vom Ganglion stellatum die als Lig. pleurocostale entweder vom Proc. costotransversa-
ableiten (⊡ Abb. 20.25, ⊡ Abb. 20.27). rius des 7. Halswirbels oder vom Hals der 1. Rippe entsprin-
Unmittelbar anschließend an die A. subclavia verläuft in dem von gen kann und dann im Bereich der Pleurakuppe ansetzt.
den Mm. scaleni anterior et medius begrenzten Fach, das als Hiatus
scalenorum bezeichnet wird, unter normalen Bedingungen auch der Die meisten der genannten Strukturen lassen sich erst nach Ablö-
Plexus brachialis (C4–Th1). Eine Trennung dieser beiden Strukturen sen der Mm. scaleni anterior et medius darstellen.
440 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Abb. 20.3 a Ganglion cervicale inferius und thorakale I nicht verschmol-


zen. b Ganglion cervicale inferius und thorakale I zum Ganglion stellatum
a verschmolzen. (Aus von Lanz u. Wachsmuth 1955)

Um die Verhältnisse im Bereich der Pleurakuppe exakt beurtei- der A. thoracica interna und verläuft dann normalerweise medial
len zu können, ist die Resektion der 1. Rippe erforderlich, wodurch dieses Gefäßes an der Rückseite der V. subclavia in die obere Tho-
gleichzeitig der Nerven-Gefäß-Strang dekomprimiert wird. In die- raxapertur. Auch hier gibt es einige Variationen, die Beachtung
sem Bereich ist die Pleura parietalis zusätzlich durch eine lockere verdienen. So kann der N. phrenicus sehr selten auch auf der Vor-
Verschiebeschicht gegenüber der Brustwand geschützt (sog. Fascia derseite der V. subclavia verlaufen oder dieses Gefäß mit anterioren
endothoracica). Im Bereich der Pleurakuppe ist diese Faszie zu- und posterioren Teilzügen umschlingen. Er kann die Vene auch
sätzlich auch noch durch eine Membrana suprapleuralis gesichert, zentral in einem Knopfloch durchdringen. Mit einem Nebenphre-
die auch als Sibson-Faszie bezeichnet wird. nicus, der aus C8 und Th1 entspringt, muss ebenfalls, wenn auch
20 Bei starker Ausprägung kann diese Membran zu einer Kompres- sehr selten, gerechnet werden, der hinter der V. subclavia verläuft
sion der V. subclavia in posterior-anteriorer Richtung (⊡ Abb. 20.10) und sich dann unterhalb dieses Gefäßes mit dem Hauptstamm des
und bei Einschluss der Vasa thoracica interna und des N. phreni- N. phrenicus verbindet. Ein Nebenphrenicus soll in 10% vorkom-
cus sogar zu einer streifenförmigen Stenose des Gefäßes führen men (von Lanz u. Wachsmuth 1955).
(⊡ Abb. 20.12). Wenn man nach Abklärung der anatomisch-topografischen
Erst nach stumpfem Ablösen und Herabdrücken der Pleur- Verhältnisse im Bereich der oberen Thoraxapertur die Pleur-
akuppe sowie Resektion der Sibson-Faszie lassen sich dann die to- akuppe bis unterhalb der V. subclavia stumpf löst und nieder-
pografisch anatomischen Verhältnisse im Bereich der Hinterwand drückt, wird der Einblick auf die oberen Brustwirbelkörper frei.
der V. subclavia und den normalerweise dahinter in der oberen Hier findet sich nach Entfernung von Füllgewebe der obere tho-
Thoraxapertur verlaufenden Strukturen abklären. rakale Sympathikusstrang mit seinen Rr. communicantes und
Der N. phrenicus (C3–5) verläuft auf der Vorderfläche des Ganglien, die in Lamellen der Fascia prävertebralis eingelagert
M. scalenus anterior (Leitmuskel!), überkreuzt die Abgangsstelle sind.
20.1 · Allgemeines
441 20
Das Ganglion cervicale caudale ist regelmäßig vorhanden,
⊡ Tab. 20.1. M. Sudeck (1984–1991 und 2000–2002) – Therapie-
meist aber mit dem ersten thorakalen Ganglion zu einem relativ resistente Fälle
großen, unregelmäßigen und sternförmigen Gebilde verschmol-
zen, dem Ganglion stellatum. Dieses liegt in einem Grübchen zwi- Patient Auslösende Patient Auslösende
schen dem Querfortsatz des 7. HWK und dem Hals der 1. Rippe Nr. Ursachen Nr. Ursachen
(⊡ Abb. 20.3).
1 Radiusfraktur 11 Radiusfraktur
Am einfachsten ist es, wenn man zunächst das 3. thorakale
Ganglion, falls nicht vorhanden, das 2. Ganglion aufsucht, an- 2 Tennisellenbogen 12 Quetschverletzung
schlingt oder durchtrennt und dann die weitere Präparation in
3 Schulterprellung 13 Fraktur MC II
kranialer Richtung durchführt. Bei einem meist vorhandenen
Ganglion stellatum sollte man nicht nur die Rr. communicantes, 4 Handprellung 14 Bowling
sondern auch die an der Medialseite abgehenden Fasern der
Nn. cardiaci inferiores freilegen, um diese im Falle einer Sym- 5 Kahnbeinoperation 15 Strecksehnenruptur
D IV
pathikusresektion durch eine entsprechende Resektion des infe-
rioren Abschnittes des Ganglion stellatum erhalten zu können. 6 Radiusfraktur 16 Radiusfraktur
Bei einem isoliert liegendem Ganglion T1 ist dies nicht immer
7 Hohlhandphlegmone 17 TE-OP n. Hohmann
möglich (⊡ Abb. 20.3).
Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass 8 Fraktur MC II–IV 18 TE-OP n. Hohmann
vom Ganglion stellatum auch ein relativ starker Ast zur A. subcla-
via abgeht und diese plexusförmig in peripherer Richtung umgibt. 9 Handprellung 19 Schweißdrüsenabszess
Ein stärkerer Zweig versorgt dabei die Korakoidregion und den 10 Schnittverletzung 20 V. a. Kahnbeinfraktur
subkorakoidalen Raum.

20.1.2 Epidemiologie  Abschn. 18.1.2 und auslösende Faktoren müssen auch die Foramenstenosen im
unteren HWS-Bereich und die zervikalen Bandscheibenprolapse
20.1.3 Ätiologie gerechnet werden. Unter den iatrogenen Ursachen sind außerdem
vor allem paravasale Injektionen von Kontrastmitteln, Zytostatika
Zur Frage der Anatomie der schmerzleitenden und schmerzverar- und anderen Medikamenten und die versehentliche Injektion in
beitenden Systeme ist bereits im  Abschn. 18.1.1 Stellung genom- einen Nerven, z. B. in den N. medianus, zu nennen. Auf internis-
men worden, ebenso zur Frage der Ätiologie, die nach allgemeiner tischem Gebiet sind u. a. Hemiplegien und vor allem Herzinfarkte
Ansicht immer noch als ein ungelöstes Problem angesehen wird, als auslösende Faktoren zu nennen.
obwohl die Bedeutung eines erhöhten Sympathikotonus schon seit
> Zur Lösung des Problems der Pathogenese der Sudeck-
Leriche (1923) als neurale Ursache bekannt ist. Dies gilt auch für
Dystrophie fehlte bis vor Kurzem nur noch der Beweis für den
auslösende und begünstigende Faktoren.
»zweiten Schlüssel« (Lankford 1993).
Dabei fällt auf, dass die Entstehung der Dystrophie nicht von
der Schwere eines Traumas abhängt. Ja es ist geradezu auffallend, Erste Hinweise dafür konnten bereits Anfang der 80er Jahre des
dass diese Krankheit oftmals nach ganz banalen Verletzungen, wie vergangenen Jahrhunderts gefunden werden, und zwar in Form
Prellungen der Hand oder der Schulterregion und Verstauchun- einer phlebografisch nachweisbaren Stenose der V. subclavia (Wil-
gen auftritt, wobei der verzögerte Verlauf bis zur vollkommenen helm u. Wilhelm 1985), die letztlich als übergeordnete Ursache
Ausprägung der Dystrophie oftmals 1–3 Monate dauert und daher einer vaskulären peripheren Störung in Frage kommt.
diagnostisch im Anfangsstadium meist nur sehr schwer beur-
> Vereinfacht dargestellt, dürfte demnach die Pathogenese der
teilt werden kann. Zunehmende Ödembildungen und Einschrän-
Sudeck-Dystrophie im Wesentlichen auf einer übergeordne-
kungen der Handfunktion stehen dabei anfangs im Vordergrund
ten vaskulären und neuralen Ursache beruhen (⊡ Abb. 20.4).
(⊡ Tab. 20.1).
Erste Hinweise auf die Bedeutung einer Beeinträchtigung des
Besonders auffallend ist auch die Häufigkeit der Sudeck-Dys-
venösen Abflusses für diese Dystrophie hat übrigens bereits
trophie nach Radiusfrakturen, für die in erster Linie Druckschäden
Sudeck 1931 als Folge einer Thrombose der V. femoralis be-
durch Gipsverbände angeschuldigt werden. Dabei ist jedoch zu
schrieben.
bedenken, dass bei einer Immobilisierung der Fraktur in Prona-
tionsstellung nach den Untersuchungen der Pathogenese des Ten- Wie sich inzwischen herausgestellt hat, liegt die primäre Ursache
nisellenbogens der R. profundus ni. radialis durch die Supinatorar- des schmerzhaften Ödems nicht im Bereich der Hand, wo man
kade einer ständigen Druckbelastung ausgesetzt ist, die nach den bisher eine venöse Einflussbehinderung als Folge einer sympathi-
Untersuchungen von Werner (1979) 40–50 mmHg beträgt. Dieser kusgesteuerten Verengung der Venolen angenommen hat, sondert
Druck reicht bereits aus, um die intraneurale Durchblutung und weiter proximal, nämlich in Höhe der oberen Thoraxapertur, und
den axonalen Flow zu unterbrechen, wodurch Schmerzafferenzen zwar in Form einer Stenose der V. subclavia. Hierdurch wird der
ausgelöst werden können. venöse Rückstrom je nach Umfang der Beeinträchtigung der Ab-
Auffallend häufig entstehen derartige Dystrophien auch nach flussverhältnisse schon normalerweise mehr oder minder beein-
Arthroskopien (2,3%), vor allem des Handgelenks und nach Me- trächtigt, sodass es bei einem plötzlich auftretenden vermehrten
dianusdekompressionen, und zwar in 5%, wobei es sich jedoch um arteriellen Einstrom (Run-in), wie dies nach Traumen und operati-
leichtere Formen einer Reflexdystrophie handelt. Auch entzünd- ven Eingriffen der Fall ist, zu einer venösen Stauung und dadurch
liche Prozesse, vor allem an der Hand, können eine Dystrophie letztlich zu einem akuten Ödem kommt, welches schließlich zu
auslösen (⊡ Abb. 20.36, ⊡ Abb. 20.37). Als weitere begünstigende einer Erhöhung des subfaszialen Druckes führt.
442 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

A. Vaskuläre Ursachen B. Neurale Ursachen

Trauma-Operation Irritation- Kompression der unteren


Plexuswurzeln und postganglionären
sympathischen Fasern in Begleitung
Erhöhung des arteriellen Run-in der A. subclavia

Stenose der V. subclavia


mit
Reduzierung des venösen Run-off

Erhöhte
Akutes Ödem sympathische Aktivität

Erhöhung des subfascialen Druckes


mit
Beeinträchtigung der Mikrozirkulation, Abnormale
Gewebeperfusion u. d. Zellstoffwechsels sympathetische Aktivität ⊡ Abb. 20.5 Funktionelle Phlebografie der linken V. subclavia, die eine
80%ige Stenose (weißer Pfeil) mit einem kollateralen Kreislauf (gebogener
Pfeil) und Reflux in die V. cephalica zeigt (VC, schwarzer Pfeil). BVVS Bulbus
Ischämie und Azidose valvularis venae subclaviae. (Aus Wilhelm u. Wilhelm 1985, mit freundlicher
Algogene Substanzen Genehmigung von Thieme)

Sensibilisierung der Nozizeptoren

Schmerz-Affenzen Schmerz-Efferenzen

Immobilität

Reduktion der mechanozeptiven Afferenzen


(A-ß Fasern)
Funktionsstörung der Hinterhornsynapsen

»Circulus vitiosus«

⊡ Abb. 20.4 Pathogenese des M. Sudeck. (Aus Wilhelm 1997b, mit freundli-
cher Genehmigung von Thieme)
⊡ Abb. 20.6 Handödem links infolge einer hochgradigen Stenose der V. sub-
clavia nach Operation einer Dupuytren-Kontraktur. (Aus Wilhelm u. Wilhelm
1985, mit freundlicher Genehmigung von Thieme)
Die Folgen des Ödems führen aber nur dann zu einer abnor-
men sympathischen Reaktion, falls bei dem Patienten bereits vor
Beginn der Erkrankung eine erhöhte sympathische Aktivität vor- Die beiden wichtigsten kausalen Faktoren der SD sind nunmehr
handen gewesen ist. bekannt und radiologisch durch Phlebo- und Arteriografie lokali-
Ursächlich kommen hierfür, von zentralen Mechanismen ab- sier- und dokumentierbar. Die sog. »individuelle Bereitschaft« zur
gesehen, vor allem Irritationen und Kompressionen der unteren Sudeck-Dystrophie (Hackethal 1958) dürfte damit in erster Linie
Plexuswurzeln durch den Innenrand der 1. Rippe und durch fi- auf eine venöse Abflussbehinderung im Bereich der V. subclavia
bromuskuläre Strukturen sowie der postganglionären sympathi- und ein daraus resultierendes Missverhältnis zwischen arteriellem
schen Fasern, welche die A. subclavia begleiten, in Frage. Zufluss und venösem Abfluss bei einer gleichzeitig vorhandenen
Die abnorme sympathische Aktivität führt dann infolge Va- erhöhten Sympathikusaktivität zurückzuführen sein. Bei norma-
sokonstriktion zu einer weiteren Verschlechterung der durch die lem sympathischem Reflexgeschehen führt die Venenstenose unter
20 Ödembildung ohnehin beeinträchtigten Mikrozirkulation, Gewe- den gleichen äußeren Bedingungen (Operation, Trauma usw.) da-
beperfusion und des Zellstoffwechsels. Als Folge hiervon kommt gegen nur zu einem Handödem. ⊡ Abb. 20.5 und ⊡ Abb. 20.6 zeigen
es zu Ischämie und Azidose und durch die Wirkung der dabei ein derartiges Beispiel.
entstehenden algogenen Substanzen zu einer Steigerung der Erreg-
> Die Sudeck-Dystrophie ist durch die Einführung der funkti-
barkeit der Nozizeptoren mit konsekutiver Erhöhung der Schmerz-
onellen Phlebografie endlich berechenbar geworden, was
afferenzen.
nicht nur in therapeutischer und prognostischer, sondern
Die Sudeck-Dystrophie wird manifest, sobald die Summe aller
nicht zuletzt auch in forensischer und versicherungsrechtli-
Schmerzafferenzen und -efferenzen zu einem »Overstress« und
cher Hinsicht von großer Bedeutung ist.
zur Immobilität mit daraus resultierender Reduktion von schmerz-
hemmenden mechanozeptiven Afferenzen führt. Als Folge hiervon Unter Würdigung der dargestellten anatomisch-topografischen und
tritt bekanntlich ein »Circulus vitiosus« ein (Zimmermann u. pathophysiologischen Gegebenheiten könnte man den M. Sudeck
Handwerker 1984). somit auch als schwerste Form eines TOS und TIS bezeichnen.
20.1 · Allgemeines
443 20
20.1.4 Diagnostik Ergebnisse der verschiedenen Testverfahren sowie der Sympathi-
kusblockaden angegeben werden.
Bei der diagnostischen Beurteilung einer therapieresistenten Dys- Bei akuten Dystrophien mit hohen Schmerzwerten sollte man
trophie kommt es zunächst auf eine exakte Anamnese an, in deren den Stauungs- und Ischämietest allerdings nur ausnahmsweise
Rahmen auch die in Frage kommenden auslösenden Ursachen, ausführen, falls dies aus diagnostischen Gründen unbedingt erfor-
wie operative Eingriffe, Arbeits-, Sport- und Verkehrsverletzungen derlich sein sollte. Für die Beurteilung der Stadien II und III der
sowie häusliche Unfälle, entzündliche Prozesse, Herzerkrankungen Dystrophie können diese Untersuchungsmethoden jedoch durch-
usw. abgeklärt werden müssen. Von größtem Interesse ist außer- aus empfohlen werden.
dem die Entwicklung der Erkrankung aus Sicht des Patienten, Die Abklärung der neuralen Ursache der Sudeck-Dystrophie
vor allem aber die bisherige Dauer der Erkrankung und die Art ist nur durch eine sorgfältige und systematische Untersuchung
der durchgeführten Behandlung. Dabei sollte insbesondere auch der oberen Extremität einschließlich der Hals- und Nackenre-
die Frage geklärt werden, ob der Patient optimal mit adäquaten gion möglich. Die wichtigsten Ergebnisse einer derartigen Unter-
Schmerzmitteln versorgt oder diese Medikamente nur bei Bedarf suchung und die entsprechenden postoperativen Resultate sind
angeordnet wurden, da sich hieraus wichtige Gesichtspunkte für in den ⊡ Tab. 20.2, ⊡ Tab. 20.3 und ⊡ Tab. 20.4 dargestellt. Entspre-
die Prognose der Erkrankung ergeben. Ebenso wichtig ist eine ge- chende Vergleichsbefunde des TOS finden sich in  Abschn. 17.2.4.
naue Überprüfung der krankengymnastischen Behandlung, wobei Die Indikation zu einer neurologischen Untersuchung ist vor
insbesondere der Frage, ob aktiv oder passiv bewegt wurde, größte allem bei peripheren Nervenkompressionssyndromen und aus dif-
Bedeutung zukommt. Von Interesse ist ferner, welche invasiven ferenzialdiagnostischen Gründen gegeben.
Maßnahmen, wie Akupunkturen, Blockaden des Plexus brachialis Zur Sicherung der Diagnose sollte in jedem Fall nach Ab-
und des Ganglion stellatum und intravenöse regionale Blockaden schluss der Untersuchung eine Sympathikusblockade in Form der
mit Guanethidin usw., durchgeführt worden sind. Stellatum- oder Plexusanästhesie mit dem Langzeitanästhetikum
Um eine lückenlose Erfassung aller pathologischen Befunde im Naropin® durchgeführt werden, wodurch man dem Patienten
Bereich des Schultergürtels, der Ellenbogen- und Unterarmregion gleichzeitig das mögliche Ausmaß der Schmerzausschaltung durch
sowie der Hand zu garantieren und die für die Nachuntersuchung eine transaxilläre Dekompression des Nerven-Gefäß-Stranges mit
so wichtigen präoperativen Befunde in übersichtlicher Weise sofort zusätzlicher Sympathikusresektion demonstrieren kann.
zum Vergleich heranziehen zu können, empfiehlt sich dringend Als Standard-Röntgenuntersuchungen sind zunächst Aufnahmen
das Anlegen einer tabellarischen Dokumentation (⊡ Abb. 20.7). In der Hand in 2 Ebenen und der unteren HWS im a. p. und halb-
dieser sollten alle in Frage kommenden Schmerzlokalisationen, schrägen Strahlengang erforderlich. Hierdurch sollen Entkalkungen
neurologische Befunde und sonstigen Untersuchungsergebnisse, des Handskeletts und mögliche Foramenstenosen abgeklärt werden.
wie Gelenkfunktion, vergleichende Umfangsmaße, Untersuchun- Besonders wichtig in operativer Hinsicht sind Spezialaufnahmen der
gen der Volumina beider Hände (Eintauchprobe) und des venösen oberen Thoraxapertur, um rechtzeitig über das Vorhandensein einer
Einlaufdrucks enthalten sein. Neben Hautfarbe und -temperatur Halsrippe, eines ungewöhnlich langen Querfortsatzes des 7. Halswir-
sollten auch Stärke und Ausmaß der Ödembildungen, die verschie- belkörpers und eines Steilstandes oder einer Hypoplasie der 1. Rippe
denen Schmerzqualitäten einschließlich der Allodynie und die informiert zu sein, da diese Strukturen vor allem für eine Kompres-

⊡ Tab. 20.2 M. Sudeck (1984–1991): Schultergürtel. (Aus Wilhelm 1997)

Präoperative Befunde n Postoperative Resultate

NP=10 – nachuntersucht – NOP=10 sehr gut gut befriedigend unverändert

Hinterhauptschmerz 4 → 2 - 1 1

Oberes Zervikalsyndrom 5 → 3 - 2 -

Unteres Zervikalsyndrom 8 → 5 1 1 1

M. trapezius 9 → 6 2 1 -

Plexus brachialis 9 → 5 3 1 -

Fossa supraspinata 2 → 2 - - -

Fossa infraspinata 4 → 3 - - 1

N. accessorius 3 → 2 - - 1

Processus coracoideus 6 → 3 - 2 1

Acromion 3 → 3 - - -

Tuberculum majus humeri 6 → 4 2 - -

Deltoideusansatz 4 → 3 1 - -

Summe: 63 = 100% 41= 65,1% 9=14,3% 8=12,7% 5=7,9%


444 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

P.- Name Vorname Geb.- Diagnose Erstunter-


Nr. Tag suchung am:
Anschrift:

Tel.
Anamnese: Nachunter-
suchung am:

Op. re. am: Op. li. am:

Lokalbefund:* praeop.: postop.: Rö.-Untersuchungen


re. li. re. li.
Occipitalneuralgie Hand - Thoraxapertur – HWS

OCS
UCS Fu. Phlebo.: V. subclavia

Trapezius
Plexus brachialis Angio.: A. subclavia

Fossa supraspinata
Fossa infraspinata Langfingerfunktion

N. accessorius Defizit D2 D3 D4 D5

Proc. Coracoideus Flex. praeop.


Acromion postop.
Tub. maj. humeri Ext. praeop.
Deltoideus-Ansatz postop.
Hiatus ni. rad. Gelenkbeweglichkeit
Gelenke** praeop.: postop.:
Tennisellenbogen
re. li. re. li.
Dors. Schmerzfeld SG/Abd.
Rad. Tunnel i.H. Cap. rad. EG Flex.
Supinatorkanal Ext.
Interosseusneuralgie HG Flex.
R. superficialis ni. radialis Ext.
Styloiditis radii re. Umfangsmaße li.

N. cut. antebrachii post. praeop. postop. praeop. postop.

Styloiditis ulnae OA
M. brachioradialis-ISTP EL
TV HW dorsalis UA
TV de Quervain HW
TV Karpalkanal MH

*Beurteilung von Schmerzen (nach VAS s. Tab.11) und neurologischen Befunden: minimal = ((+)),
leicht = (+), stark = +, sehr stark = ++
**SG = Schultergelenk, EG = Ellenbogengelenk, HG = Handgelenk

⊡ Abb. 20.7 Untersuchungsbogen für TOS- und Sudeck-Patienten

20 sion des Plexus brachialis und der A. subclavia in Frage kommen. erlaubt diese Untersuchungsmethode keine verbindliche Aussage in
Eine Halsrippe oder deren bindegewebiger und knorpeliger Ansatz prognostischer Hinsicht, auch kann aus dem Untersuchungsergeb-
an der 1. Rippe können sogar die hintere Skalenuslücke verkleinern nis nicht abgeleitet werden, ob ein Patient für eine konservative oder
und zu einer Abwinkelung des Plexus brachialis und der A. subclavia für eine evtl. erforderliche operative Behandlung in Frage kommt.
führen. Ein entlastender Schulterhochstand legt bereits klinisch den Da die Symptomatik der Sudeck-Dystrophie in auffallender
Verdacht auf eine Halsrippe nahe. ⊡ Abb. 20.8 gibt einen Überblick Weise derjenigen eines TOS ähnelt, wurde deshalb die funktio-
über die Variationsmöglichkeiten der Halsrippenbildung. nelle Phlebografie, wie sie bei diesem Syndrom obligat ist, auch
Die 3-Phasen-Knochenszintigrafie kann am Anfang des Stadi- beim Morbus Sudeck als diagnostische Maßnahme eingeführt, um
um 1 der Erkrankung ein hilfreiches diagnostisches Hilfsmittel sein, auch bei dieser Erkrankung die Abflussverhältnisse im Bereich der
aber sie ist nicht spezifisch! Eine szintigrafische Mehranreicherung V. subclavia zu überprüfen, in der Hoffnung, dadurch eine nach-
kann nämlich auch durch andere Erkrankungen verursacht werden, vollziehbare Erklärung für das bei dieser Dystrophie akut auftre-
wie entzündliche, infektiöse und tumoröse Prozesse. Vor allem aber tende Ödem zu finden.
20.1 · Allgemeines
445 20
Lokalbefund:* praeop.: postop.: Handvolumen - Eintauchprobe
re. li. re. li.
Med.-Kompression re. (ml) li.
Golferellenbogen praeop. postop. praeop. postop.
N. cut. antebr. med.
Sensib.: D1, 2, 3, 4, 5 Venöser Einlaufdruck
TV: D1, 2, 3, 4, 5 re. (cmH 2O) li.
Grobe Kraft
Hand-UA-Ödem Therapeutische Blockaden
Hautfarbe Ggln. stellatum:
Hauttemperatur Plexus brachialis:
Ruheschmerz Guanethidin:
Berührungsschm.,Allodynie Focus: Pille:
Druckschmerz Laborwerte:
Bewegungsschmerz Blutzucker: Blutbild:
Hyperhidrosis Leberwerte:
Trophische Störungen BSG: CRP:
praeop.: postop.:
Test-Verfahren: ASL: Rh-Faktor:
re. li. re. li.
Tragetest Nierenwerte:
Abduktionstest n. Roos Urin:
Elevationstest Sudeck’sche Dystrophie (CRPS I)
Redress. d. Schultergürtels Alter: Stadium: Seite:
Stauungstest Einweisender Arzt / Klinik:
Ischämie-Test
Sympath. Blockade
Bisherige Behandlung und Verlauf:

D a tu m : Untersuchender Arzt:

⊡ Abb. 20.7 Fortsetzung

⊡ Abb. 20.8 a Variationen der Halsrippen. Unge-


wöhnlich langer Querfortsatz des 7. Halswirbels. b Aus
dem vorderen Abschnitt des Proc. costotransversarius
hat sich eine Rippenspange gebildet, welche mit
dem Querfortsatz und dem Wirbelkörper gelenkig
verbunden ist. c Die rudimentäre Halsrippe reicht in
unterschiedlicher Länge über den Querfortsatz hinaus
und endet frei; nur in 5% besteht eine Verbindung mit
der 1. Rippe. d Die Halsrippe erreicht bindegewebig,
knorpelig oder knöchern die 1. Rippe. e Die Halsrippe
verhält sich wie eine Brustrippe. Durch ihren mit der
1. Rippe verschmolzenen Knorpel erreicht sie das Ma-
a b c d e nubrium sterni. (Aus von Lanz u. Wachsmuth 1955)
446 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Tab. 20.3 M. Sudeck (1984–1991): Ellenbogen und Unterarm. (Aus Wilhelm 1997)

Präoperative Befunde n Postoperative Resultate

NP=10 – nachuntersucht – NOP=10 sehr gut gut befriedigend unverändert

Proximaler Radialistunnel 3 → 2 1 - -

Mittlerer Radialistunnel 9 → 4 3 - 2

Distaler Radialistunnel 9 → 3 3 1 2

Epicondylitis humeri radialis 10 → 4 3 1 2

Interosseusneuralgie 7 → 4 1 1 1

Styloiditis radii 7 → 5 2 - -

Epicondylitis humeri ulnaris 1 → 1 - - -

N. cut. antebrachii medialis 3 → 2 1 - -

Styloiditis ulnae 4 → 3 1 - -

Brachioradialis-Insertionstendopathie 6 → 3 2 1 -

Tendovaginitis de Quervain 3 → 2 - 1 -

Summe: 62 = 100% 33 = 53,2% 17 = 27,4% 5 = 8,1% 7 = 11,3%

⊡ Tab. 20.4 M. Sudeck (1984–1991): Hand. (Aus Wilhelm 1997)

Präoperative Befunde n Postoperative Resultate

NP=10 – nachuntersucht – NOP=10 sehr gut gut befriedigend unverändert

Trophische und sekretorische Störungen 10 → 5 3 2 -

Handödem 10 → 8 2 - -

erhöht 6 → 6 - - -
Hauttemperatur
erniedrigt 4 → 1 2 1 -

Sensibilitätsstörungen 10 → 6 4 - -

Berührungsschmerz 5 → 3 1 1 -

Druckschmerz 10 → 8 1 1 -

Bewegungsschmerz 10 → 8 2 - -

Ruheschmerz 10 → 8 2 - -

herabgesetzt 5 → 2 1 2 -
Grobe Kraft 2 1 2 -
nicht prüfbar 5 →

N. medianus-Kompression 7 → 4 2 1 -
(No. 3, 4 und 7 nicht geprüft) 3 → 2 1 - -

Weichteilatrophie 1 → - 1 - -

Knochenatrophie 9 → 5 3 1 -
20 Summe 106 = 100% 68 = 64,1% 26 = 24,5% 11 = 10,4% -

Die funktionelle Phlebografie wird bei dieser Erkrankung un- Als Kontrastmittel wird »Ultravist 300« verwendet, und zwar
ter Berücksichtigung der Schmerzgrenze in Adduktion und Ab- als Bolus von 30 ml/KM-Serie.
duktion des Armes, falls möglich bei 0–60–0 Grad durchgeführt,
und zwar in liegender oder sitzender Position. Aufnahmen in > Die Injektion sollte nach Anlegen einer venösen Stauung in
Elevationsstellung sind bei der Sudeck-Dystrophie nicht unbedingt die V. basilica erfolgen, um die Beurteilung des Refluxes in
erforderlich und sollten wegen der damit verbundenen relativ star- die V. cephalica bei einer wesentlichen Abflussstörung im Be-
ken Schmerzen eher vermieden werden. reich der V. subclavia nicht zu gefährden
20.1 · Allgemeines
447 20

⊡ Abb. 20.9 Röntgenologische Darstellung einer intravenösen Druckmes- ⊡ Abb. 20.10 Präoperative Phlebografie der linken V. subclavia (Sternchen).
sung im Bereich der V. axillaris, V. subclavia und der V. brachiocephalica dex- Breitflächige p.-a. Kompression durch die Fascia endothoracica. Kompression
tra. Infolge eines guten Kollateralkreislaufes findet sich in der V. axillaris ein der V. axillaris durch einen kräftigen M. pectoralis major
völlig normaler Druckwert

Bei 25 von 26 vom Autor operierten therapieresistenten Dystro-


phien konnten phlebografisch wesentliche Beeinträchtigungen des
venösen Abflusses im Bereich der V. subclavia mit Reflux in die
V. cephalica und bei höchstgradigen Veränderungen auch noch in
Kombination mit einem Kollateralkreislauf gefunden werden.
Der dadurch bedingte venöse Rückstau kann auch numerisch
bestimmt werden, und zwar durch Messung des venösen Einlauf-
drucks am sitzenden Patienten (Dunant 1987). Man bestimmt dazu
mithilfe eines Kochsalzinfusionsgeräts zunächst den Druck in der
V. axillaris bezogen auf das Niveau der Vorhöfe. Nach Vorschieben
des Katheters werden dann die Druckverhältnisse im Bereich der
Subklaviastenose und schließlich in der V. brachiocephalica be-
stimmt. Dabei können prästenotische Drucke beim Fehlen eines
wesentlichen Kollateralkreislaufs von bis zu 35 cm H2O gefunden
werden, während im Stenosenbereich der Druck bis auf 0 cm H2O
abfallen kann. Die Drucke in der oberen Hohlvene liegen bei Herz-
gesunden bei bis zu –3 an H2O und darunter. Bei einem ausge-
prägten Kollateralkreislauf können noch niedrigere Einlaufdrucke
⊡ Abb. 20.11 Präoperative Darstellung einer breitflächigen p.-a. Stenose
gefunden werden (⊡ Abb. 20.9). In diesen Fällen findet sich auch
durch die Fascia endothoracica rechts (weißer Pfeil) mit Reflux in die V. ce-
ein geringer ausgeprägtes Handödem.
phalica (kleiner Pfeil) und Umgehungskreislauf (großer schwarzer Pfeil). (Aus
Durch die Bestimmung des venösen Einlaufdrucks kann auch Wilhelm 1997b, mit freundlicher Genehmigung von Thieme)
bei schwierig zu beurteilenden postoperativen Phlebografien der
Erfolg einer operativen Dekompression der V. subclavia überprüft
werden. Dies gilt neben der Umfangmessung auch für die postope-
rative Untersuchung des Handvolumens. ⊡ Abb. 20.13 zeigt einen freien venösen Abfluss nach tran-
saxillärer Dekompression der V. subclavia. Der Einfluss
Phlebografische Befunde der V. jugularis interna ist nur andeutungsweise zu erken-
Die phlebografischen Befunde bei der Sudeck-Dystrophie lassen nen (postoperativer Befund nach Rückbildung des Ödems
sich in insgesamt 6 Grundformen einteilen, und zwar in ⊡ Abb. 20.36 und ⊡ Abb. 20.37; funktionelles Ergebnis
1. Posterior-anteriore Kompressionen der V. subclavia, verur- ⊡ Tab. 20.9, Patient 7.).
sacht durch den Druck einer stark ausgeprägten Fascia endo-
thoracica (Sibson-Faszie), und zwar ohne und mit Kollateral- Etwas weiter lateral dieser Kompression können bei anderen Phle-
kreislaufbildung (⊡ Abb. 20.10 bzw. ⊡ Abb. 20.11). bografien partielle streifenförmige und ebenfalls vertikal angeord-
2. Streifenförmige vertikal verlaufende Kompressionen bedingt nete Kompressionen gefunden werden, die durch einen ausgedehnt
durch die in der Sibson-Faszie eingeschlossenen A. thoracica ligamentär veränderten Vorderrand des M. scalenus anterior ver-
interna und N. phrenicus. ⊡ Abb. 20.12 zeigt eine derartige ursacht werden.
Kompression in Kombination mit einer muldenförmigen Im- 3. Filiforme Stenosen der V. subclavia: In ⊡ Abb. 20.14 ist eine
pression im inferioren Bereich des Gefäßes, verursacht durch solche Stenose mit Reflux in die V. cephalica bei einer Sudeck-
den sehnigen Ursprung des M. subclavius und einen ventralen Dystrophie im 2. Stadium dargestellt. ⊡ Abb. 20.15zeigt den
Ausläufer des M. scalenus anterior (weißer Pfeil). Es besteht postoperativen Einstrom in die V. cephalica sinistra. Der Re-
ein starker Reflux in eine doppelt angelegte V. cephalica. flux ist nicht mehr nachweisbar.
448 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Abb. 20.15 Postoperativ ist die in ⊡ Abb. 20.12 dargestellte Stenose nicht
mehr nachweisbar, ebenso der Reflux in die V. cephalica. VA = V. axillaris. (Aus
Wilhelm 2007)

⊡ Abb. 20.12 Präoperative Darstellung einer streifenförmigen, vertikal


verlaufenden Stenose der rechten V. subclavia (VS), verursacht durch die in
der Sibson-Faszie (Sternchen) eingebundenen Strukturen der A. thoracica
interna und des N. phrenicus. Zusätzliche inferiore Kompression durch den
M. scalenus anterior und den sehnigean Ursprung des M. subclavius (weißer
Pfeil). Starker Reflux in eine doppelt angelegte V. cephalica (VC, zwei schwarze
Pfeile). (Aus Wilhelm 1997b, mit freundlicher Genehmigung von Thieme)

⊡ Abb. 20.16 Konisch verlaufende Stenose der V. subclavia, verursacht


durch eine kräftige Sibson’sche Faszie. BVVS = Bulbus valvularis venae sub-
claviae. (Aus Wilhelm 2007)
⊡ Abb. 20.13 Postoperativ freier Abfluss durch die in ⊡ Abb. 20.12 dar-
gestellte Stenose der V. subclavia. Die Höhe der ehemaligen Stenose ist
durch einen weißen Pfeil gekennzeichnet. Reflux nicht mehr nachweisbar.
V. brachiocephalica dextra (VBD). (Aus Wilhelm 1997b, mit freundlicher 4. Konisch verlaufende Stenosen der V. subclaiva: ⊡ Abb. 20.16
Genehmigung von Thieme) zeigt phlebografisch eine derartige Stenose bei einer seit
13 Jahren bestehenden Dystrophie, die lediglich durch eine
sehr kräftige und ausgedehnte Sibson-Faszie verursacht
wurde (intraoperativer Befund). Durch die hier dargestellte
Aufnahmetechnik kann gleichzeitig das Ausmaß der Stenose
bestimmt werden; sie beträgt in diesem Fall 70,9% (Diese Auf-
nahme wurde dankenswerter Weise von Herrn PD Dr. med.
20 Eisenschenk, Berlin-Marzahn, zur Verfügung gestellt).
5. Zirkuläre Stenosen der V. subclavia: Diese werden im oberen
Gefäßbereich durch den M. subclavius, an der Unterseite
durch den M. scalenus anterior und in p.-a. Richtung durch
die Fascia endothoracica verursacht (⊡ Abb. 20.17).
6. Nichtthrombotische Obstruktionen der V. subclavia:
⊡ Abb. 20.18 zeigt einen derartigen Befund mit Umgehungs-
kreislauf und Reflux in die V. cephalica. In diesem Fall erfolgte
die Kompression des Gefäßes durch den M. scalenus anterior
⊡ Abb. 20.14 Phlebografischer Nachweis einer filiformen Stenose der V. sub- und M. subclavius sowie durch eine besonders kräftig ausgebil-
clavia (VS) mit Reflux in die V. cephalica (VC) in Adduktionsstellung des Armes dete Fascia endothoracica. Eine postoperative Kontrolle wurde
(Aus Wilhelm 2007) leider verweigert. Der optimale postoperative Verlauf spricht
20.1 · Allgemeines
449 20

a b

⊡ Abb. 20.19 a Phlebografischer Befund bei einer Sudeck-Dystrophie mit


inferiorer Kompression der V. subclavia (VS) und Reflux in die V. cephalica (VC,
linker Pfeil). Einlauf in die V. brachio-cephalica dextra (VBD) ebenfalls stenotisch
verändert, durch 3 kleine Pfeile begrenzt. Als Ursache hierfür dürfte in erster
Linie eine Kompression durch die Sibson-Faszie in Frage kommen. b Normale
⊡ Abb. 20.17 Präoperativer phlebografischer Befund einer zirkulären Ste- Phlebografie der V. subclavia auf der gesunden Seite. (Aus Wilhelm 2007)
nose der V. subclavia (weißer Pfeil) mit Umgehungskreislauf (dicke Pfeile,
2-mal lang, 1-mal kurz) und Reflux in die V. cephalica (VC, dünner schwarzer
Pfeil); Aufnahme in Abduktionsstellung des Armes. (Aus Wilhelm 1997b, mit
freundlicher Genehmigung von Thieme)
noch Verbindungen der Vv. comitantes cervicales superficiales mit
der V. cervicalis profunda in Betracht. Für den Blutabfluss kommt
schließlich auch noch das interkostale Venensystem in Frage, wo-
bei der Abfluss über die Vv. comitantes thoracales internae erfolgt.
Durch die Druckminderung im Bereich der V. subclavia und durch
den Reflux in die V. cephalica kommen diese venösen Abflüsse
jedoch phlebografisch nur ganz selten zur Darstellung. Klinisch ist
dieser Kollateralkreislauf jedoch makroskopisch zu erkennen, und
zwar in Form einer vermehrten Zeichnung der subkutanen Gefäße
in der oberen Brustregion. An diesen Kreislauf beteiligen sich auch
die Vv. pectorales und perforierende Äste der V. thoracica interna.
Der Abstrom des gestauten venösen Blutes wird dabei im
Halsbereich erleichtert, weil die Halsvenen im Übergangsbereich
zum Thorax durch Verspannungen offen gehalten werden und
außerdem noch der Sogwirkung des mediastinalen Unterdruckes
unterliegen. Die Halsvenen sind also keine Druckvenen, sondern
Saugvenen (von Lanz u. Wachsmuth 1959).
Die kleinen Halsvenen stellen dagegen reine Begleitvenen dar,
die an ihre zugehörigen arteriellen Gefäße gekoppelt und somit
⊡ Abb. 20.18 Nichtthrombotische Obstruktion der V. subclavia (VS) mit stark pulsdruckgefördert sind. So entsprechen die Vv. comitantes trans-
ausgeprägtem Kollateralkreislauf (bogenförmiger Pfeil) und Reflux in die V. ce- versae colli in ihrem Verlauf der A. transversa colli, die dann als
phalica (gerader Pfeil). Intraoperative Befunde und Bemerkungen s. Text. (Aus einheitlicher Gefäßstamm lateral der vorderen Skalenuslücke in die
Wilhelm 1997b, mit freundlicher Genehmigung von Thieme). V. subclavia einmünden.
Während bei Sudeck-Patienten die Stenose der V. subclavia
in der Regel bereits in Adduktionsstellung nachgewiesen werden
jedoch dafür, dass durch die Dekompression ein sehr guter kann, ist dies bei Gesunden am häufigsten in Elevationsstellung
venöser Abfluss erreicht werden konnte. Nach Abschluss der des Armes der Fall. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es auch bei
Behandlung konnte der Patient bei völlig freier Gelenkfunktion »Gesunden« derartige Venenstenosen geben könnte. Diese Be-
und Wiederherstellung der groben Kraft seinen alten Beruf obachtung kann vor allem bei trophisch gestörten Händen mit
als Stahlschlosser wieder aufnehmen (postoperative Funktion morgendlicher Behinderung des Faustschlusses, bei den gar nicht
⊡ Abb. 20.38, ⊡ Abb. 20.39, ⊡ Abb. 20.40 und ⊡ Tab. 20.9, Pati- so seltenen Rezidiven nach einer lege artis durchgeführten Me-
ent 4). dianusdekompression und bei Patienten beobachtet werden, die
nach schwerer Arbeit oder einem operativen Eingriff über eine
In ⊡ Abb. 20.19 sind die phlebografischen Befunde bei einer Su- Schwellung im Bereich der Hand und eine vermehrte Venenfül-
deck-Dystrophie rechts und auf der gesunden linken Seite darge- lung am Handrücken klagen. Ursache hierfür ist ebenfalls ein
stellt. Es gibt jedoch, wenn auch selten, eine beiderseits patholo- Missverhältnis zwischen einem erhöhten arteriellen Einstrom bei
gisch veränderte V. subclavia mit Dystrophien auf beiden Seiten. gleichzeitiger Behinderung des venösen Abstroms durch eine Ste-
Dies konnte seit 1982 bei 2 Patienten beobachtet werden. nose der V. subclavia.
Die Kollateralkreislaufbildung erfolgt neben Ästchen der Die ⊡ Abb. 20.5 und ⊡ Abb. 20.6 zeigen ein derartiges Beispiel,
V. subclavia via Rete venosum acromiale vor allem über die nämlich ein erhebliches »Hand-Finger-Syndrom« nach Operation
Vv. transversae colli und die Vv. comitantes cervicales superficia- einer Dupuytren-Kontraktur. In diesem Fall konnte als Ursache des
les, die in unmittelbarer Nähe der V. subclavia in die V. jugularis Ödems eine höchstgradige Subclaviastenose von 75% nachgewie-
externa einmünden. Für den venösen Abfluss kommen außerdem sen werden.
450 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

> Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, bei derartigen
Handödemen immer auch an die Möglichkeit einer Venenste-
nose zu denken.

In diesem Zusammenhang sei auch nochmals darauf hingewiesen,


dass als Ursache der idiopathischen Medianuskompression eben-
falls eine Stenose der V. subclavia gefunden und auch histologisch
bewiesen werden konnte (⊡ Abb. 20.1). Ödembedingte Medianus-
kompressionen kommen bekanntlich auch nach Verletzungen jeg-
licher Art im Bereich der oberen Extremität, während der Schwan-
gerschaft, bei kontinuierlicher Einnahme von Ovulationshemmern,
endokrinen Erkrankungen (Akromegalie und Myxödem) und nach
Anlegen einer AV-Fistel vor.

Arteriografische Untersuchungen und intraoperative


Befunde
Für die erhöhte sympathische Aktivität bei Sudeck-Syndromen ⊡ Abb. 20.20 Arteriografischer Befund der rechten A. subclavia mit Dis-
spricht neben dem typischen klinischen Untersuchungsbefund vor lokation des Gefäßes in kranialer und posteriorer Richtung (kleine Pfeile),
allem der Nachweis der hierfür verantwortlichen Irritationen der verursacht durch den M. scalenus anterior. AA A. axillaris; TTC Truncus thyro-
unteren Plexuswurzeln im Bereich der Foramina intervertebralia cervicalis; AV A. vertebralis; ACC A. carotis communis; ATI A. thoracica interna;
und des »Thoracic Outlet«, die sich röntgenologisch durch Auf- TBC Truncus brachiocephalicus. (Aus Wilhelm 1997b)
nahmen der HWS und durch eine Angiografie der A. subclavia
nachweisen lassen.
Eine Indikation zur Arteriografie ist zwar nur bei Stenose-
geräuschen, Pulsabschwächungen und Blutdruckdifferenzen von
20 mmHg und mehr sowie bei Verdacht auf ein Aneurysma, bei
Verschlüssen der peripheren Strombahn und beim Morbus Ray-
naud gegeben. Im Einzelfall kann jedoch eine derartige Untersu-
chung auch aus diagnostischen und wissenschaftlichen Gründen
bei einer Dystrophie verantwortet werden, zumal diese Methode
inzwischen durch die weitaus geringere invasive intravenöse Sub-
traktionsangiografie (DSA) ersetzt werden konnte und in besonde-
ren Fällen auch als intraarterielle Technik durchführbar ist.
Arteriografische Untersuchungen sind in dem vorliegenden
Krankengut von 26 Patienten nur insgesamt 7-mal durchgeführt
worden. Dabei fanden sich folgende pathologische Befunde im
Bereich der A. subclavia.
1. Dislokationen der A. subclavia in kranialer und posteriorer
Richtung: ⊡ Abb. 20.20 zeigt ein derartiges Beispiel. Bei Hals- ⊡ Abb. 20.21 Bandförmige Stenose der A. subclavia (AS; weißer gebogener
Pfeil), verursacht durch den M. scalenus anterior (gerader weißer Pfeil); Erklä-
rippen erfolgt die Verlagerung der Arterie und auch des Plexus
rung der Beschriftung in ⊡ Abb. 20.20. (Aus Wilhelm 1997b)
brachialis jedoch nach vorn oben (intraoperative Befunde).
2. Schmale bandförmige Kompressionen der A. subclavia: In
derartigen Fällen werden diese Kompressionen entweder
durch einen ligamentär veränderten M. scalenus anterior (in-
traoperativer Befund) oder durch ein fibröses Rudiment des
M. scalenus minimus verursacht (⊡ Abb. 20.21).
3. Umschriebene inferiore Impressionen der A. subclavia: Haupt-
ursache der in ⊡ Abb. 20.22 dargestellten Impression war ein
hypertropher M. scalenus anterior. Ähnliche Veränderungen
können aber auch durch einen kräftigen M. subclavius bedingt
20 sein.
4. Längliche Stenosen der A. subclavia: Die in ⊡ Abb. 20.23 abge-
bildete Stenose wurde durch die komprimierende Einwirkung
des M. scalenus anterior (weiße Pfeile) und eines M. scalenus
minimus (schwarze Pfeile) verursacht (intraoperativer Be-
fund).

Die demonstrierten angiografischen Befunde sprechen zusammen ⊡ Abb. 20.22 Inferiore Impression der A. subclavia (AS), verursacht durch
mit den intraoperativ gefundenen Beeinträchtigungen der A. sub- einen hypertrophen M. scalenus anterior mit zusätzlicher Behinderung
clavia dafür, dass nicht nur die unteren Plexuswurzeln, wie bereits des Gefäßes durch einen M. scalenus minimus (weißer Pfeil). Erklärung der
bekannt, sondern auch die genannte Arterie als Ausgangspunkt sym- Beschriftung in ⊡ Abb. 20.20. (Aus Wilhelm 1997b, mit freundlicher Geneh-
pathischer Efferenzen angesehen werden muss. Die Behinderung migung von Thieme)
20.1 · Allgemeines
451 20

⊡ Tab. 20.5 M. Sudeck (1984–1991 und 2000–2002) – Intraoperative Befunde (NOP = 20), irritierende und komprimierende Strukturen.
(Aus Wilhelm 2007)

V. subclavia A. subclavia Untere Plexuswurzeln

M. scalenus anterior 12 M. scalenus anterior 15 Costa I 7

M. subclavius 4 M. scalenus minimus 4 Fibröse Struktur 4

Lig. costoclaviculare 4 Lig. pleurovertebrale 10 M. scalenus minimus 5

Fascia endothoracica 15 Arkaden und fibröser Ersatz des 9 Halsrippe 0a


Lig. pleurovertebrale 3 M. scal. minimus

Stenose der V. subclavia 20 Poststen. Aneurysma 0 Substanzielle Schädigung 7

Verlagerung der Arteria subclavia 7

a
In den oben genannten Zeiträumen fand sich nur einmal eine Halsrippe bei einer konservativ behandelten Sudeck-Dystrophie im Stadium III

Differenzialdiagnostik
Differenzialdiagnostisch muss die Sudeck-Dystrophie vor allem
von der Kausalgie (CRPS II) abgegrenzt werden, deren Schmerzlo-
kalisation im Gegensatz zum M. Sudeck auf das Versorgungsgebiet
des geschädigten peripheren Nerven beschränkt ist. Besonders
charakteristisch sind außerdem oberflächliche Spontanschmerzen
und die sog. Allodynie, die jedoch keine wesentlichen orthosta-
tischen Reaktionen erkennen lassen. Auch sind sie durch den
sog. Ischämietest nicht beeinflussbar. Auffallend ist ferner, dass
optische, akustische, emotionale, vor allem aber sexuelle Reize zu
unerträglichen Schmerzverstärkungen führen können. Außerdem
zeichnet sich die Kausalgie durch Fehlen von peripheren Ödemen
und Veränderungen der Hauttemperatur aus. Die Schmerzausbrei-
tung kann schließlich auch die gegenseitige Extremität betreffen,
was als Alloparalgie bezeichnet wird.
⊡ Abb. 20.23 Längliche Stenose der A. subclavia durch komprimierende > Ähnliche Phänomene kann man übrigens auch bei der
Einwirkung des M. scalenus anterior (weiße Pfeile) und eines M. scalenus mi-
Sudeck-Dystrophie beobachten, und zwar im Bereich der ge-
nimus (schwarze Pfeile). (Aus Wilhelm 1997b, mit freundlicher Genehmigung
genseitigen oberen Extremität und des gleichseitigen Beins.
von Thieme)
Letztere verschwinden schlagartig nach oberer thorakaler
Sympathikusresektion.
dieser Arterie durch fibromuskuläre Strukturen, wie sie in ⊡ Tab. 20.5 Differenzialdiagnostisch sind außerdem arthritische, vor allem
dargestellt sind, führt nämlich automatisch zu einer ständigen Irrita- aber posttraumatische und postoperative Ödeme (⊡ Abb. 20.5,
tion der mit der A. subclavia und A. axillaris verlaufenden postgan- ⊡ Abb. 20.6) und die Thrombose der V. subclavia (Paget-v. Schro-
glionären Sympathikusfasern. Diese lassen sich makroskopisch u. a. etter-Syndrom) in Betracht zu ziehen. In Zweifelsfällen sollte man
bis zum anterioren Abschnitt des Schultergelenks und der subkora- auch an eine Selbstverstümmelung denken. Ein nichtabnehmbarer
koidalen Region verfolgen, wodurch sich die beim M. Sudeck, aber Unterarmfaustgips kann in diesem Fall zur Lösung des Problems
auch beim TOS vorhandenen Schmerzprojektionen in diese Region führen!
erklären lassen, die fälschlicherweise unter dem Begriff der sog. Ko-
rakoiditis bekannt geworden sind ( Abschn. 17.2.4; Tab. 20).
20.1.5 Klassifikation  Abschn. 18.1.5
Plexus brachialis und intraoperative Befunde
Irritationen und Kompressionen des Plexus brachialis werden am 20.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie
häufigsten durch den scharfen Innenrand der 1. Rippe und durch
basale fibröse arkadenförmige Strukturen, die auch die A. subcla- Die Indikation zur transaxillären Dekompression des Nerven-
via unterlaufen können, verursacht. Dadurch kam es allein bei 7 Gefäß-Strangs mit oberer thorakaler extrapleuraler Resektion des
von 20 Patienten zu einer substanziellen Schädigung der unteren Tractus sympathicus unter Einbeziehung der ersten 3 Ganglien ist
Plexuswurzeln in Form von subepineuralen Einblutungen und rin- nur bei therapieresistenten Dystrophien und hochgradigen Steno-
nenförmigen Impressionen. Auch Irritationen durch fibröse Struk- sen der V. subclavia gegeben. Sie sollte optimalerweise innerhalb
turen und durch einen kräftigen M. scalenus minimus stellen keine der ersten 9 Monate gestellt werden. Bei Stenosen der V. subclavia
Seltenheit dar. von 50% und mehr sollte die Operation bereits nach 2–3 Monaten
⊡ Tab. 20.5 zeigt eine Übersicht über die in Frage kommenden durchgeführt werden, um ein sehr gutes oder gutes Ergebnis er-
irritierenden und komprimierenden Strukturen im Bereich der reichen zu können, nicht zuletzt auch deshalb, um dem Patienten
Vasa subclavia und des Plexus brachialis. länger dauernde postoperative Behandlungen und Schmerzen zu
452 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

ersparen und ihm nicht zuletzt auch seinen Arbeitsplatz erhalten Da die Symptomatik einer Sudeck-Dystrophie in auffallender
zu können. Weise derjenigen eines Thoracic-Outlet-Syndroms gleicht, wurden
Nach Roos1 (1977) kann die transaxilläre Operation bei gege- auch bei diesen Dystrophien u. a. Phlebografien durchgeführt,
bener Indikation zum großen Vorteil für den Patienten auch bilate- die als Ursache einer venösen Abflussbehinderung eine Stenose
ral, und zwar gleichzeitig durchgeführt werden. im Bereich der V. subclavia ergaben. Diese Beobachtung führte
zum Entschluss, therapieresistente Dystrophien ebenfalls durch
Kontraindikationen eine transaxilläre Dekompression des Nerven-Gefäß-Stranges mit
Die wichtigste Kontraindikation stellt die Kausalgie (CRPS II) dar, Resektion des oberen thorakalen Sympathikusabschnittes zu be-
da in diesem Fall der schmerzhafte Prozess nicht durch das Tho- handeln. Dieser Eingriff wurde vom Autor bisher bei 26 Patienten
racic Outlet, sondern durch eine umschriebene Verletzung eines durchgeführt. Weitere Operationen sind inzwischen in Deutsch-
peripheren Nerven verursacht wird. Ansonsten gelten die Kon- land und England durchgeführt worden (⊡ Tab. 20.12). Über die
traindikationen, die allgemein für operative Eingriffe ähnlichen ersten drei erfolgreich operierten Dystrophien konnte bereits 1985
Ausmaßes in Frage kommen. berichtet werden.
Ob und inwieweit bei den relativ seltenen doppelseitigen Er-
krankungen und den zu spät überwiesenen Patienten eine Kontra-
indikation besteht, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Der 20.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
vom Autor angegebene Memantine-(Axura®-)Test kann für diese  Abschn. 18.1.8
Entscheidung sehr hilfreich sein.
Bei diesem Test wird Memantine einschleichend dosiert, und 20.2 Spezielle Techniken
zwar:
▬ in der 1. Woche ½ Tbl. (5 mg): morgens, 20.2.1 Technik der transaxillären Dekompression
▬ in der 2. Woche 2-mal ½ Tbl. (10 mg): 5–0–5, des Nerven-Gefäß-Stranges und extrapleura-
▬ in der 3. Woche (15 mg): 10–0–5, le Resektion des oberen Grenzstranges bzw.
▬ in der 4. Woche (20 mg): 10–0–10, Neurotomie der Rr. communicantes, die zu
▬ ab der 5. Woche kann die Dosis bei guter Verträglichkeit auf den unteren Plexuswurzeln verlaufen
(25 mg): 15–0–10 und
▬ ab der 6. Woche bis auf maximal (30 mg) erhöht werden: Patientenaufklärung und
15–0–15 Operationseinwilligung
Vor Beginn einer konservativen bzw. operativen Behandlung
Sobald der Patient eine Schmerzbesserung angibt, kann die Dosis kommt es zunächst darauf an, den hilfesuchenden, verängstigten
wieder ausschleichend reduziert werden. Dies gilt ebenso für den und nicht selten missverstandenen Patienten über die eigentliche
Patienten, der nur über Nebenwirkungen klagt. Im ersten Fall kann Ursache dieser organischen Erkrankung aufzuklären. Mit Rück-
die Indikation bejaht werden, im zweiten Fall jedoch nur unter sicht auf den Patienten sollte dabei auf eine zusätzliche Diskussion
größtem Vorbehalt. über die mögliche Bedeutung von Veränderungen im Zentralner-
vensystem bewusst verzichtet werden, da hierbei die große Gefahr
besteht, dass der Patient den Eindruck bekommt, dass Verände-
20.1.7 Therapie rungen in psychischer Hinsicht von Ärzten und Handtherapeuten
als mögliche Ursache der Erkrankung angesehen werden könnten!
Als Meilenstein der operativen Behandlung von Sudeck-Dystro- Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die Frage, ob es sich
phien kann die von Ehlert (1974) angegebene multiple Faszioto- bei den zentralen Veränderungen um eine auslösende Ursache
mie angesehen werden, die auf der Annahme eines subfaszialen oder nur um ein sekundäres Phänomen handelt, immer noch nicht
Druckanstiegs beruht. Durch dieses Verfahren konnten nicht nur geklärt werden konnte.
sofortige Schmerzfreiheit erreicht, sondern auch die Folgen dieser Bei dem Aufklärungsgespräch sollte auch darauf geachtet wer-
Dystrophie vermieden werden. Der gleiche Effekt wurde 1984 den, dass nahverwandte Familienmitglieder mit anwesend sind,
auch von Sudmann und Sundsford erreicht, und zwar durch eine damit sie ebenfalls darüber informiert werden können, um welche
ausgedehnte beugeseitige Unterarmfasziotomie mit gleichzeitiger Erkrankung es sich bei dem Patienten handelt, welche Behand-
Medianusdekompression. lungsmöglichkeiten in Frage kommen und mit welchem Verlauf

⊡ Tab. 20.6 M. Sudeck (1984–1991 und 2000–2002): OP bei Therapieresistenza (N = 20; Geschlecht: 16 Frauen, 4 Männer; Alter: 21–73 Jahre, ∅ = 45 Jahre).
20 (Aus Wilhelm 2007)

Operationsverfahren

TOS-Operationstechnik nach Roos rechts: 15-mal, links: 5-mal

OP mit oberer thorakaler Sympathikusresektionb 15-mal (Patient 1; 3–10; 15, 16–20)

OP mit alleiniger Durchtrennung von Rr. communicantes 4-mal (Patient 11–14)

OP ohne Sympathikusresektion 1-mal (Patient 2)

a Stadium II: 16-mal, Stadium III: 4-mal (Patient 5, 12, 13 und 15)
b
OP mit zusätzlicher periarterieller Sympathektomie: 2-mal
20.2 · Spezielle Techniken
453 20
in etwa gerechnet werden kann. Nur dadurch kann man davon Selbst nach einem unmittelbaren guten postoperativen Er-
ausgehen, dass dem Patienten im Kreise seiner Familie das nötige gebnis kann es infolge mangelnder Schonung und einer unerwar-
Verständnis für seine Situation entgegengebracht und das notwen- teten Traktionsschädigung des Plexus brachialis sogar zu einer
dige Gefühl der Geborgenheit und des Rückhaltes in seiner Familie wesentlichen Verschlimmerung des postoperativen Befunds und
vermittelt wird. der erzielten Schmerzwerte kommen. Verantwortlich hierfür ist in
In bestimmten Fällen kann es auch sinnvoll und notwendig erster Linie eine weitere Beeinträchtigung des schmerzdämpfenden
sein, den Arbeitgeber nach Rücksprache mit den Angehörigen ent- Hinterhornsynapsensystems, die je nach Dauer und Schwere des
sprechend zu informieren. Entsprechendes gilt auch für diejenigen schmerzhaften Prozesses sogar zu einer absoluten Therapieresis-
Krankenkassen, die sich weigern, für einen Sudeck-Patienten die tenz führen kann.
Kosten für einen stationären Aufenthalt oder für teure Schmerz- Um den erzielten Erfolg zu sichern, muss der operierte Arm
pflaster zu übernehmen. während der Nachtruhe in Abduktion (Funktionsstellung) und
Erklärung des Operationsprinzips und der beiden verschie- tagsüber auf einem Abduktionskissen mit Zuggurtung gelagert
denen Techniken der Sympathikusausschaltung im oberen Brust- werden, wodurch u. a. vor allem Zugschäden des Arm-Nerven-
bereich (Resektion der Ganglien T I–III bzw. Neurotomie der Geflechts vermieden werden können. Aus diesen Gründen muss
Rr. communicantes). auch das Tragen von Taschen, das Händeschütteln und das freund-
Resektion des N. intercostobrachialis zur prophylaktischen schaftliche Klopfen auf die Schulter unbedingt vermieden werden.
Schmerzausschaltung am Oberarm, vor allem bei schweren, ver- Dies gilt erfahrungsgemäß ebenso für Erschütterungen, wie sie
alteten Dystrophien mit erheblicher schmerzhafter Einsteifung der durch Autofahren und Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erlit-
Schultergelenkbeweglichkeit. ten werden können.
Bewegungsübungen im Bereich der Gelenke des operierten
Mögliche bleibende Folgen Arms dürfen nur aktiv unter ärztlicher und krankengymnastischer
1. Lidspaltenverengung (sog. Horner-Syndrom), meist temporär, Anleitung durchgeführt werden, mit der Zielsetzung, dass diese
Besserungen auch noch nach mehreren Jahren möglich. Therapie auch von dem Patienten selbst durchgeführt werden
2. Trockenheit der Haut im Arm-, Brustkorb-, Hals- und Ge- kann.
sichtsbereich auf der operierten Seite. Aufklärung und Operationseinwilligung sollten nicht nur nach
3. Herabsetzung der Sensibilität an der Oberarminnen- und den üblichen Vorschriften, sondern, falls möglich, auch durch ei-
-streckseite als Folge der Durchtrennung des N. intercostobra- nen Zeugen unterschrieben werden.
chialis.

Komplikationen Instrumentarium
1. Intraoperative Blutung: Nachblutung aus der A. intercostalis I. ▬ Stirnlampe, Lupenbrille bei Bedarf
2. Infektion, Embolie trotz Prophylaxe. ▬ Einmalmesser
3. Verletzung des unteren Armnervenstranges (Handschwäche!). ▬ Feines elektrisches Messer
4. Einriss des Rippenfells über der Lungenspitze. Kleinere Einris- ▬ 1 Präparierschere 28 cm; BC 281; Aeskulap
se sind harmlos und bedürfen keiner Naht. Größere Einrisse ▬ 1 Präparierschere 23 cm; 11-943-23; Martin
werden durch Naht versorgt. ▬ 1 Nadelhalter 23 cm; BM O36R; Aeskulap
5. Verletzung der Lungenspitze mit Luftaustritt. Intraoperative ▬ 1 Nadelhalter 18 cm; BM 12; Aeskulap
Versorgung durch Naht. Postoperativ aufgetretener Pneumo- ▬ 2 Overholt 28/27 cm; Nr. 4; Ullrich
thorax: Behandlung mit Brustkorb-Saugdrainage. ▬ 1 Kornzange 20 cm; BF U47; Aeskulap
6. Erneute Kompression der rechten Armvene durch übermäßige ▬ 1 Drahtzange 20 cm; FO 640; Aeskulap
Narbenbildung möglich. ▬ 1 abgewinkelter Luer 28 cm nach Wilhelm; Fa. Ullrich Ulm
7. Postoperative Ergussbildung im Rippenfellraum. Bei Rippen- ▬ 1 Rippenraspa lang winkelförmig 30 cm nach Roos; Fa. Ullrich
fellverletzungen Ablaufen des Ergusses über die intrapleurale ▬ 1 Rippenraspa kurz winkelförmig 20 cm
Drainage (Kopftieflage); ansonsten Behandlung durch Punkti- ▬ 2 Rippenraspa rund (re./li.) a 17 cm
on oder Drainage. ▬ 1 Raspa rund 18,5 cm; FK 350; Aeskulap
8. Bindehautentzündung (Sandgefühl). ▬ 1 TOS-Spatel nach Roos 35 cm; Fa. Ullrich
9. Rippenfellreizung bei Ergussbildung möglich. ▬ 1 »Großvater«-Leberspatel; BT 758; Aeskulap
10. Postoperatives Auftreten einer Interkostalneuralgie mit Schmer- ▬ 1 chir. Pinzette 30 cm; BD 563; Aeskulap
zen im oberen Brustkorbbereich, die sich bei Einatmung ver- ▬ 2 chir. Ewald-Pinzetten fein, mittelstark; Fa. Fehling/Aeskulap
stärken. Behandlung konservativ, bei Persistenz operativ durch ▬ 2 anat. Ewald-Pinzetten fein, mittelstark; Fa. Fehling/Aeskulap
Neurotomie zur Entspannung der Nn. intercostales. ▬ 1 anat. Pinzette 30 cm; 12-100-30; Martin
▬ 1 anat. Pinzette 30 cm; 24-388-30; Martin
Erfolgsgarantie ▬ 2 Langenbeck-Haken 14 cm (Spatellänge); BT 528; Aeskulap
Eine Erfolgsgarantie für eine Besserung der Schmerzen und der ▬ 2 Langenbeck-Haken 10 cm (Spatellänge); EAZ-5; Fehling
Beweglichkeit im Bereich der Gelenke des operierten Armes
kann nicht gegeben werden. Allerdings bestehen gute Aussichten
in bis zu 90%, falls der Eingriff rechtzeitig im Verlauf der ersten Operationstechnik
3–9 Monate nach Beginn der konservativen Behandlung durch- Der technisch einfachste und für den Patienten schonendste Zu-
geführt werden kann. Bei fortgeschrittenen therapieresistenten gangsweg stellt in jeder Weise das transaxilläre Vorgehen dar.
Erkrankungen mit schmerzhafter Einsteifung des Schultergelenks Die Lagerung des Patienten erfolgt in Seitenlage (⊡ Abb. 20.24).
kann die Operation nur unter großem Vorbehalt empfohlen Nach Vorbereitung und Abdeckung des Operationsareals wird der
werden. steril eingepackte Arm vom zweiten Assistenten in Abduktionsstel-
454 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

darstellt. Außerdem ist in diesem Bereich auf akzessorische fib-


romuskuläre Strukturen zu achten, die vom M. scalenus anterior
und dessen Medialseite abtreten können.
In der hinteren Achsellücke ist vor allem auf einen zusätzlich
vorhandenen M. scalenus minimus zu achten, welcher die A. sub-
clavia und den Plexus brachialis trennt, beide Strukturen aber
irritieren kann, vor allem bei Hypertrophie und scharfkantiger
Begrenzung sowie bei Ausbildung eines fibrösen Rudiments.
Danach wird der M. scalenus anterior 1 cm proximal sei-
nes Ansatzes scharf über einer Overholt-Klemme durchtrennt
(⊡ Abb. 20.26) und die V. subclavia aus ihrem Faszienköcher aus-
⊡ Abb. 20.24 Lagerung der Patientin in Seitenlage, Armhaltung durch zwei- gelöst. Dabei sollte auf fibröse arkadenförmige Strukturen an der
ten Assistenten, Schnittführung. (Aus Wilhelm u. Wilhelm 1985, mit freundli- Innenseite der 1. Rippe geachtet werden, welche die A. subclavia
cher Genehmigung von Thieme) und den Plexus brachialis unterlaufen und ebenfalls irritieren kön-
nen (⊡ Tab. 20.5).
Danach wird der sehnige Subklaviusursprung in der Nähe der
lung gehalten und bei Bedarf vorsichtig hochgezogen, nach vorn 1. Rippe quer durchtrennt und im Falle einer deutlichen superio-
oder hinten bewegt. Langes Extendieren muss allerdings wegen der ren Impression der V. subclavia reseziert. Anschließend erfolgt die
Gefahr einer Plexusschädigung unbedingt vermieden werden. Der Resektion eines eventuell vorhandenen M. scalenus minimus und
quere Hautschnitt liegt in Höhe der 3. Rippe und reicht vom Vor- die Ablösung des M. scalenus medius unter sorgfältiger Schonung
derrand des M. latissimus dorsi bis zum Unterrand des M. pectora- des Plexus brachialis. Dieser Muskel wird direkt von der 1. Rippe
lis major, gerade unterhalb der axillären Haargrenze. Nach Inzision abgetrennt, um am Ende der Operation mit dem Muskelstumpf
der oberflächlichen Faszie wird zunächst das thorakoepigastrische eine gute Weichteilunterfütterung der unteren Plexuswurzeln bil-
Gefäß- und Lymphsystem dargestellt, isoliert und nach Unter- den zu können (⊡ Abb. 20.25, ⊡ Abb. 20.29). Zur Abtrennung der
bindung durchtrennt. Erst danach wird die weitere Präparation Interkostalmuskulatur vom Unterrand der 1. Rippe wird diese mit
entlang der lateralen Thoraxwandung durchgeführt, wobei die zur einem Rippenraspatorium in posteriorer und anteriorer Richtung
vorderen Innenseite des M. latissimus dorsi ziehenden N. tho- ausgelöst. Die Rippenresektion erfolgt mittels einer abgewinkelten
racodorsalis und seine begleitenden Gefäße sowie der über dem Rippenzange und mit einem im Griffbereich abgebogenen Luer,
M. serratus anterior verlaufende N. thoracicus longus unbedingt um die Einsicht in das Operationsgebiet nicht zu behindern. Dieses
geschont werden müssen. Instrument hat sich zusammen mit dem von Roos angegebenen
Den N. intercostobrachialis sollte man bei der Sudeck-Dystro- Plexuswurzelretraktor bestens bewährt, vor allem dann, wenn man
phie im Gegensatz zum Thoracic-Outlet-Syndrom durchtrennen, das muldenförmige Endstück in verlängerter Richtung des Instru-
um dem Patienten die über viele Monate fortbestehenden und mentenschafts aufbiegt. Dadurch können die beiden unteren Ple-
manchmal unerträglichen Dysästhesien an der Oberarminnen- xuswurzeln direkt von dem Innenrand der 1. Rippe ferngehalten
und -rückseite zu ersparen, zumal der danach vorhandene Sensibi- und die Rippenresektion im posterioren Bereich nach Roos, etwa
litätsverlust bisher nach entsprechender präoperativer Aufklärung 1 cm distal des Brustwirbelquerfortsatzes, durchgeführt werden.
noch nie beanstandet worden ist, im Gegenteil, die Einschränkung Bei günstigen anatomisch-topografischen Verhältnissen wird
der Sensibilität wird eher verharmlost. vom Autor allerdings die Rippenresektion bis zur Articulatio costo-
Nach weiterer Präparation in kranialer Richtung stößt man dann vertebralis durchgeführt, um eine mögliche Irritation der unteren
auf die variablen Vasa thoracica suprema, die von den Vasa axillaria Plexuswurzeln durch den Rippenstumpf, vor allem bei Rückwärts-
entspringen und in die Muskulatur des ersten Interkostalraums ein- bewegungen des Armes, auszuschalten.
münden. Diese Gefäße müssen erst doppelt ligiert und dann durch- Die Resektionsstelle muss glatt sein, evtl. vorhandene Kno-
trennt werden, wobei man den distalen Gefäßstumpf durch eine vor- chenspitzen müssen mit dem Luer entfernt werden, da durch diese
gestochene Naht in der Muskulatur noch zusätzlich verankern sollte. der Armplexus und auch das Rippenfell verletzt werden können.
Dadurch wird der Weg zur 1. Rippe frei, die zunächst vom Die anterioren Rippenanteile werden im Bereich des Rippenknor-
sehnigen Ursprung des M. subclavius bis in Höhe des Ansatzes des pels reseziert; falls der verbleibende Rippenstumpf die V. subclavia
M. scalenus medius dargestellt wird (⊡ Abb. 20.25, ⊡ Abb. 20.28). noch irritieren sollte, kann dieser auch durch Exartikulation im
Besonderes Augenmerk gilt dabei zunächst dem sehnigen Ur- sternokostalen Gelenk abgesetzt werden.
sprung des M. subclavius vom 1. Rippenknorpelansatz, der den Nach Resektion der 1. Rippe erfolgt die Darstellung der Pleura-
vorderen basalen Bereich der V. subclavia sichelförmig umgreift, kuppel (⊡ Abb. 20.26) und eines evtl. vorhandenen Lig. pleuro-
20 während der Ansatz des M. scalenus anterior dieses Gefäß vom Tu- vertebrale, welches reseziert wird. Durch stumpfes Ablösen der
berculum scaleni aus unterläuft. Die V. subclavia zieht dann unter Pleurakuppe werden dann die Rückwand der V. subclavia und
dem Schlüsselbein und dem M. subclavius sowie vor dem M. scale- die hier verlaufenden A. thoraica interna und N. phrenicus unter
nus anterior über die 1. Rippe hinweg und ist dabei mit dem Peri- Resektion der komprimierenden Sibson-Faszie, in der die genann-
ost der 1. Rippe und dem sehnigen Faszienköcher des M. subclavi- ten anatomischen Strukturen eingebettet sein können, dargestellt
us verbunden, wodurch das Lumen der Vene ständig offengehalten (⊡ Abb. 20.30).
und der venöse Rückstrom begünstigt wird. Auf dieser Wegstrecke Präoperativ können diese Strukturen phlebografisch in Form
kann die V. subclavia aber trotzdem im Falle einer Hypertrophie einer streifenförmigen, vertikal verlaufenden Impression in Er-
und sehnigen Umgestaltung des M. scalenus anterior und dessen scheinung treten (⊡ Abb. 20.12).
anteriorer Ansatzportion an der posterioren und inferioren Seite Nach Dekompression der V. subclavia erfolgt dann die obere
imprimiert werden. Dies gilt ebenso für den M. subclavius, der thorakale Sympathikusresektion mit Entfernung der drei proxi-
die Hauptursache für die superioren Impressionen der V. subclavia malen Ganglien, von denen das erste häufig mit dem Ganglion
20.2 · Spezielle Techniken
455 20

⊡ Abb. 20.25 Darstellung der 1. Rippe sowie der


vorderen und hinteren Scalenuslücke. (Aus Wilhelm
u. Wilhelm 1985, mit freundlicher Genehmigung von
Thieme)

⊡ Abb. 20.26 Zustand nach Resektion der 1. Rippe


und Desinsertion der Mm. scaleni anterior et medius
(retrahiert) und Resektion eines M. scalenus mini-
mus. (Aus Wilhelm u. Wilhelm 1985, mit freundlicher
Genehmigung von Thieme)

⊡ Abb. 20.27 Darstellung eines sehr stark ligamentär veränderten M. sca- ⊡ Abb. 20.28 Intraoperative Darstellung der anatomischen Strukturen im
lenus anterior, unter dem rechten Haken ist die V. subclavia erkennbar. (Aus Bereich der vorderen und hinteren Scalenuslücke. V V. subclavia, A A. sub-
Wilhelm u. Wilhelm 1985, mit freundlicher Genehmigung von Thieme) clavia, P Plexus brachialis; Ansatz des M. scalenus anterior an der 1. Rippe
(Sternchen) und des M. scalenus medius (2 Sternchen).
456 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

brauchen operativ nicht versorgt zu werden. Größere Einrisse wer-


den dagegen durch Naht versorgt. Bei Verletzungen der Lungen-
spitze empfiehlt sich zunächst die Wasserprobe. Nach Darstellung
der Läsion erfolgt der Wundverschluss durch atraumatische Naht
mit anschließender nochmaliger Wasserprobe. Bei Pleuradefekten,
die sich nicht lückenlos schließen lassen, sollten nur adaptierende
Nähte gelegt und eine 14er Redon-Drainage in den Pleuraraum
so eingelegt werden, dass noch genügend Perforationen für die
Drainage der Wundsekrete im axillären Bereich verbleiben. Nach
schichtweisem Wundverschluss, der mit abschließender intraku-
taner Hautnaht und dem Anlegen eines einfachen Klebeverbandes
endet, sollte man bei Verletzungen der Lungenspitze postoperativ
eine Röntgenkontrolle durchführen, ebenso im Falle einer Nach-
blutung, um einen Pneumo- bzw. Hämatothorax auszuschließen.
Die therapeutischen Effekte des transaxillären Operationsver-
fahrens sind in ⊡ Abb. 20.31 zusammenfassend dargestellt.
Eine Übersicht über die vom Autor durchgeführten Operati-
onen, bei denen die Behandlung bis 2005 abgeschlossen werden
⊡ Abb. 20.29 Intraoperative Darstellung des M. scalenus medius, mit einer
konnte, ist in ⊡ Tab. 20.12 aufgeführt.
gebogenen Klemme unterfahren (2 Sternchen). M. scalenus anterior bereits
abgelöst (Sternchen). P Plexus brachialis, A A. subclavia. (Aus Wilhelm u. Wil-
Postoperative Behandlung
helm 1985, mit freundlicher Genehmigung von Thieme)
Postoperativ wird der Patient bei leicht erhöhtem Oberkörper und
gleichzeitiger Abduktion des Armes in Mittelstellung gelagert. Ein
angeklebter Tricodur-Verband zum Aufhängen des Unterarmes
kann dabei behilflich sein.
Die kontinuierliche individuelle Schmerztherapie wird post-
operativ unter entsprechender Anpassung der Dosisverhältnisse
weiter durchgeführt. Eine Übersicht der in Frage kommenden Me-
dikamente zeigt ⊡ Tab. 20.7, eingeteilt nach den WHO-Stufen.
Patienten mit hypotonen Kreislaufverhältnissen sollten beim
Aufstehen stets durch fachkundiges Personal begleitet werden, und
zwar immer auf der gesunden Seite, um im Falle eines Kollapses
des Patienten nicht in die Versuchung zu geraten, den operieren
Arm reflektorisch festzuhalten und im Sinne einer Zugschädigung
des Plexus brachialis zu gefährden (⊡ Tab. 20.11, Patient 20). Beim
Aufstehen sollte der Patient auch immer seinen bereits vorbestell-
ten Abduktionsverband angelegt bekommen, um schmerzauslö-
sende Bewegungen im Schultergelenk und Zugbeanspruchungen
des Plexus brachialis zu vermeiden. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass dieser Verband auch eine entsprechende Signalwirkung im
⊡ Abb. 20.30 Zustand nach Dekompression des rechten Nerven-Gefäß-
Sinne des »Noli me tangere« besitzt.
Stranges durch Resektion der 1. Rippe, Desinsertion der Mm. scaleni anterior
et posterior und Resektion des M. subclavius. Defekt dieses Muskels rechts Die Drainage sollte erst nach Versiegen der Wundsekretion
im Bild durch Zementspatel und Sternchen markiert. Weiß angeschlungen: gezogen werden. Eine Röntgenkontrolle am 3. Tag empfiehlt sich
N. phrenicus; rot angeschlungen: A. thoracica interna; schwarz angeschlungen: zum Ausschluss einer Nachblutung. Falls sich hierbei ein Häma-
kräftige fibromuskuläre Struktur, welche die A. subclavia umfasst und behin- tom in der Wundhöhle zeigen sollte, muss dieses sofort ausgeräumt
dert, noch nicht reseziert. Linkes Sternchen: Truncus brachiocephalicus dexter und erneut drainiert werden, um irritierende und komprimierende
mit A. subclavia, die durch die Unterbindung des Ursprungs der A. thoracica Narbenbildungen in der Achselhöhle zu verhindern. Die Fadenent-
superior gut erkennbar ist. Plexus brachialis links im Bild. (Aus Wilhelm u. Wil- fernung sollte nicht vor dem 10. Tag vorgenommen werden.
helm 1985, mit freundlicher Genehmigung von Thieme) Vorsichtige aktive Bewegungsübungen sollten postoperativ
vorerst nur im Bereich der Finger und des aufgestützten Ellenbo-
20 gengelenks durchgeführt werden, soweit der Patient hierzu unter
cervicale inferius zum Ganglion stellatum verschmolzen sein kann Beachtung der Schmerzgrenze in der Lage ist, und zwar unter An-
(⊡ Abb. 20.3). Bei schwierigen anatomischen Verhältnissen kann leitung des behandelnden Arztes. Jede passive Bewegungstherapie
diese Resektion auch durch eine Neurotomie der zu den unteren am operierten Arm ist dagegen verboten.
Plexuswurzeln führenden Rr. communicantes ersetzt werden (Rie-
> Eine manuelle (passive) handtherapeutische Behandlung
der 1977).
kommt vorerst nur für den gesunden Arm in Frage, und zwar
Zur Markierung des Resektionsbereiches dürfen feine Clips in
in Form der Lymphdrainage und einer vorsichtigen Extensi-
benachbarten Geweben platziert werden, aber niemals im Bereich
onsbehandlung der Finger- und Handgelenke.
der Sympathikusstümpfe, da in diesem Fall Postsympathektomie-
schmerzen verstärkt, ja sogar verursacht werden können. Danach Diese Behandlung sollte in Verbindung mit Bindegewebs- und Fas-
werden Blutstillung und Wundverhältnisse im Bereich der Pleura- zientechniken (Massagetechniken) sowie mit einem entsprechen-
kuppel überprüft. Kleine Pleuraverletzungen sind harmlos und den Sensibilitätstraining durchgeführt werden. Dabei »steht dieses
20.2 · Spezielle Techniken
457 20

Operative Behandlung des M. Sudeck Therapeutische Effekte

A. Dekompression der 1. Verbesserung des venösen Rückflusses


V. subclavia 2. Rückbildung des peripheren Ödems
(Beseitigung der Stenose) 3. Reduzierung des subfaszialen Druckes
4. Verbesserung der Mikrozirkulation,
Gewebeperfusion u. des Zellstoffwechsels

B. Dekompression der Verringerung sympathischer Efferenzen


A. subclavia

C. Dekompression der 1. Verringerung sympathischer Efferenzen


Plexuswurzel 2. Verbesserung des Einflusses mechano-
(C8 und Th1) zeptiver, schmerzhemmender Afferenzen
(AE-Fasern)

D. Transaxilläre 1. Unterbrechung der Hauptbahn


Sympathektomie symphatischer Efferenzen
2.Reduzierung der Schweißsekretion
3. Reduzierung des peripheren Gefäß-
widerstandes
4. Verbesserung der Stoffwechsellage
5. Reduzierung algogener Substanzen
6. Reduzierung schmerzhafter Afferenzen
( A G- und C-Fasern)

Erholung der schmerzhemmenden und -bahnenden Funktion der


Hinterhornsynapsen ⊡ Abb. 20.31 Operative Behandlung des
M. Sudeck. (Aus Wilhelm 1997b)

Training behandlungsmäßig vor dem Problem der Mobilität und steifung, was therapeutisch mancherorts – zwar in guter Absicht –
stellt die Basis für die Wiedergewinnung der Feinmotorik und der leider aber immer noch zu einem voreiligen Aktionismus verleitet.
Gesamtwahrnehmung des operierten Armes dar« (Tenyér 2000). Dieser führt im Laufe der Zeit zu einer ständigen Verschlimmerung
»Diese Behandlung sollte vorerst nur in Form einer Vibrations- des funktionellen Befundes und der durch die Operation erreich-
therapie durchgeführt werden, die im weiteren Verlauf durch eine ten Schmerzwerte mit einem entsprechenden »Endergebnis«, wie
Behandlung mit harten Bürsten, Igelball usw. (bewegliche Reize, sich dies bei Nachuntersuchungen nachweisen lässt (⊡ Tab. 20.11,
Wirkung über Reflexbogen) ergänzt wird. Erst danach sollte die Patient 11, 17 u. 18).
Therapie mit weichen Bürsten, Pinseln sowie in Form von stati- Besonders deprimierend gestaltete sich der Verlauf bei einer
schen Reizen (Stimmgabel, Holz- und Metallstifte, glatte und raue noch in Behandlung stehenden Patientin, die 5-mal pro Woche
Oberflächen) durchgeführt werden« (Tenyér 2000). über einen Zeitraum von 2 Jahren passiv behandelt wurde, und
»Diese Therapie wirkt sich bekanntlich in Form einer konsen- zwar durch Abbiegen des Handgelenks über einer Tischkante und
suellen Reaktion auch auf den operierten Arm aus, sodass, je nach durch passieves Beugen der Finger, in der Absicht, dadurch einen
Ausmaß der postoperativ erreichten Schmerzbesserung, nach etwa Faustschluss erreichen zu können; und dies ist kein Einzelfall!
3–4 Wochen mit dieser Therapie auch am operierten Arm begon- Mit Gewalt kann man bei der Behandlung der Sudeck-Dys-
nen werden kann, wobei behandlungsbedingte Schmerzafferen- trophie, auch in ihrem postoperativen Verlauf, nur Negatives er-
zen in jeder Weise selbstverständlich vermieden werden müssen. reichen! Anstatt dessen sind vielmehr Feinfühligkeit, Verzicht auf
Die im weiteren Behandlungsverlauf auftauchenden Probleme und alle Maßnahmen, die zu schädlichen Schmerzafferenzen führen,
Verschlimmerungen des Lokalbefundes sollten stets mit dem be- und eine individuelle, beruhigende und geduldige Behandlung des
handelnden Operateur besprochen werden« (Tenyér 2000). Patienten gefragt.
Für die Handtherapeuten entsteht bei dieser Erkrankung mit- Wie unnötig und schädlich jeder derartige passive Aktionis-
unter ein großes Problem, nämlich die Angst vor einer Gelenkver- mus ist, demonstrieren die ⊡ Abb. 20.32, ⊡ Abb. 20.33, ⊡ Abb. 20.34,
458 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Abb. 20.32 Präoperative Funktionsaufnahmen einer schweren Sudeck-


Dystrophie der linken Hand nach einer über 2-jährigen konservativen Be-
handlung. Infolge des immer noch bestehenden Ödems ist die Faltenbildung
über den MP- und IP-Gelenken der Finger nicht mehr erkennbar (Patient 19, ⊡ Abb. 20.35 Postoperativ besteht auch eine fast vollständige Beugung in
⊡ Tab. 20.11) den MP-Gelenken und ein Fingerspitzen-Hohlhand-Abstand von 5 cm

⊡ Abb. 20.33 Die präoperative seitliche Aufnahme der erkrankten Hand ⊡ Abb. 20.36 Diese Abbildungen zeigen ein massives Hand- und Unter-
zeigt eine hochgradige Strecksteife aller Finger armödem bei einer Sydeck-Dystrophie I, aufgetreten nach Operation einer
ausgedehnten Hohlhandphlegmone und die Rückbildung des Ödems
innerhalb von 4 Tagen. Wegen einer hochgradigen Stenose der V. subclavia
(⊡ Abb. 20.16) ist die Patientin bereits nach 2 Monaten operiert worden. Die
postoperative Behandlung konnte bereits nach 6 Monaten abgeschlossen
werden (Patient 7). (Aus Wilhelm 1997b)

⊡ Abb. 20.35. Sie demonstrieren eine ödematöse, in Streckstellung


»versteifte« Hand, die seit etwa 2 Jahren bestand und am Nachmittag
20 des Operationstages eine volle Streckung und eine fast vollständige
Beugung in den MP-Gelenken der Finger zeigte. Zu diesem Zeit-
punkt war auch das ausgeprägte Ödem fast vollständig verschwun-
den und die Hautfaltenbildung über den Gelenken wieder vollstän-
dig erkennbar. Derartige unmittelbare postoperative Befundbesse-
rungen zeigten sich, in einer etwas unterschiedlichen Ausbildung,
auch bei den übrigen guten Ergebnissen (⊡ Tab. 20.10, ⊡ Tab. 20.11).

Postoperative Ergebnisse
⊡ Abb. 20.34 Postoperativ findet sich am Nachmittag des Operationstages Zur Beurteilung des angewandten transaxillären Operationsverfah-
eine freie Streckung aller Finger und eine vollständige Rückbildung der rens wurden zunächst exemplarisch die Bildserien von 4 Patienten
Hautfalten über den genannten Gelenken (19, 7, 4 und 8) vorgestellt (Patient 19: ⊡ Abb. 20.32, ⊡ Abb. 20.33,
20.2 · Spezielle Techniken
459 20

⊡ Abb. 20.37 Rückbildung des Ödems innerhalb von 4 Tagen. Postoperati- ⊡ Abb. 20.39 Freie Streckfunktion der Finger 2 Monate nach der Operation,
ves Ergebnis s. ⊡ Tab. 20.9 und ⊡ Tab. 20.10 (Aus Wilhelm 1997b) deutliche Weichteilatrophie i. B. der Hand

⊡ Abb. 20.38 Sudeck-Dystrophie II bei einer »non-thrombotic-obstruction« ⊡ Abb. 20.40 Vollständiger Faustschluss der Finger, deutliche Weichteilatro-
der rechten V. subclavia (Patient 4, ⊡ Abb. 20.18). Das Ödem ist infolge einer phieauch i.B. des Unterarms
ausgezeichneten Kollateralkreislaufbildung auf die Hand beschränkt. Bereits
geringste Bewegungsversuche führten zu einer ganz erheblichen Schmer-
zäußerung; der VAS-Wert lag in Ruhe bei 8–10. Die Hand ist in einer Beu-
ge- und Adduktionsstellung der Finger vollkommen »versteift«. Nach einer
2-monatigen postoperativen Behandlung war der Patient schmerzfrei und
verfügte bereits über eine vollständige Fingerstreckung und einen komplet-
ten Faustschluss. (Aus Wilhelm 1997b)

⊡ Abb. 20.34, ⊡ Abb. 20.35; Patient 7: ⊡ Abb. 20.36, ⊡ Abb. 20.37; Pati-
ent 4: ⊡ Abb. 20.38, ⊡ Abb. 20.39, ⊡ Abb. 20.40; Patient 8: ⊡ Abb. 20.41,
⊡ Abb. 20.42).
Postoperativ konnten in dem Behandlungszeitraum von 1984–
1991 nach einer durchschnittlichen Vorbehandlungszeit von 9 Mo-
naten in 70% sehr gute, in 20% gute und in 10% ein befriedigendes
Ergebnis erreicht werden.
Eine postoperative Behandlung mit Valoron® N war nur bei
3 von 10 Patienten erforderlich (⊡ Tab. 20.10, Patient 2, 8 u. 9).
Ansonsten wurden nur Antiphlogistika, Psychopharmaka, Neuro-
bion® und einfache Schmerzmittel, wie Paracetamol, verabreicht. ⊡ Abb. 20.41 Sudeck-Dystrophie II nach 11-monatiger konservativer Be-
An Komplikationen waren lediglich ein Pneumothorax, der handlung (Patient 8). Operationsindikation wegen erheblicher Schmerzen,
drainiert, und eine Nachblutung aus der A. intercostalis I, die aus- Behinderung der Fingerstreckung und Fehlen der groben Kraft. Nach 5-mo-
geräumt werden musste, zu beklagen. natiger Nachbehandlung war die Patientin beschwerdefrei
460 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Tab. 20.7 M. Sudeck: Postoperative Schmerzbehandlung


(Beispiele). (Mod. nach Kayser 2001)

WHO-Stufe I WHO-Stufe II WHO-Stufe III


für BS »gut« für BS »befriedigend« für BS »ungenügend«
Nicht-Opioide Schwache Opioide Starke Opioide

ASS Codein (GelonidaSchm.) Morphin

Diclofenac Tilidin-N (Valoron® ret.) Buprenorphin

Ibuprofen Tramadol Morphin ret.

Novamin Codein ret. Oxycodon ret.

Paracetamol Tilidin-N ret. Hydromorphon ret.

Tramadol ret. Fentanyl-Pflaster o. Ä.

⊡ Abb. 20.42 Bei dieser Patientin lag außerdem eine erhebliche Einschrän- Adjuvanzien
kung des Faustschlusses vor (postoperative Funktion ⊡ Tab. 20.9, ⊡ Tab. 20.10)
Kortikoide Amitriptylin Quaddelungen

Gabapentin Valium® Stellatumblockade


(Neurontin®)
Zu einer unerwarteten Verschlimmerung des Befundes und
Katadolon® Plexusanästhesie(mit
der Schmerzwerte kam es bei einer Patientin nach Abschluss der Naropin®)
Behandlung und Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit, weshalb in
diesem Fall die Implantation eines »spinal-cord-stimulator« durch- Tolperison kontin. Pl.-Anästhsie
geführt werden musste (⊡ Tab. 20.10, Patient 9). (Mydocalm®
Im Behandlungszeitraum von 2000–2002 (⊡ Tab. 20.11) fiel Biphosphonate
schon sehr früh auf, dass nicht bei allen Patienten mit einer länge-
ren Vorbehandlungszeit befriedigende Ergebnisse erreicht werden BS Bewertungsstufe
können. Dies gilt insbesondere für Patient 11, während sich bei
der Patientin 17 nach einem anfänglich guten Resultat im weite-
ren Verlauf durch eigenes Verschulden, d. h. durch Nichtbefolgen
der vorher abgesprochenen Behandlungsmaßnahmen, eine zu- Patient 13, bei dem man nunmehr in Kenntnis der langjährigen
nehmende Verschlechterung des Befundes ergab, die schließlich Beanspruchung des schmerzdämpfenden Hinterhornsynapsensys-
zur absoluten Therapieresistenz führte. Umso erstaunlicher ist das tems ein letztlich wesentlich schlechteres Operationsergebnis hätte
Resultat bei Patient 13, der erst nach einer über 12-jährigen Vor- erwarten können, während bei Patient 17 allein schon wegen der
behandlung operiert werden konnte. Postoperativ lag das Ergebnis deutlich kürzeren Vorbehandlungszeit mit einem wesentlich güns-
zwischen 3 und 4, das im Wesentlichen auf eine sehr schmerzhafte tigeren Resultat zu rechnen gewesen wäre, und zwar trotz der in
Interkostalneuralgie zurückzuführen war. In diesem Fall konnte diesem Fall mangelhaften Teilnahme an der postoperativen Be-
durch eine Neurotomie der Nn. intercostales in 2 Sitzungen eine handlung, was ausschließlich berufsbedingt gewesen ist.
deutliche Besserung erzielt werden. In dieser Situation war es wohl ein glücklicher Zufall, dass der
Bei der Beurteilung dieser Ergebnisse müssen schließlich auch Autor 2004 durch einen Vortrag von Zieglgänzberger vom Max-
noch die in manchen Fällen unzureichende primäre medikamen- Planck-Institut in München auf ein Tierexperiment aufmerksam
töse Schmerzbehandlung und die immer noch passiv durchge- wurde, mit dem bewiesen werden kann, dass die Erhöhung der
führte Bewegungstherapie als ursächliche Gesichtspunkte berück- Stärke und Frequenz von Schmerzafferenzen nach einer genügend
sichtigt werden. Von Interesse sind außerdem der Zeitpunkt der langen Zeit durch einen übermäßigen Kalziumioneneinstrom über
Diagnosestellung und der Beginn einer adäquaten Behandlung. assoziierte Prozesse zu einer Zerstörung des Zellkerns des Inter-
An Komplikationen waren in dieser Gruppe 3 schmale, jedoch neuroms und dadurch zum Verlust der schmerzdämpfenden Funk-
nicht behandlungsbedürftige Mantelpneus zu beklagen. Ein zuneh- tion des Hinterhornsynapsensystems (HHSS) führt.
20 mender Pneumothorax nach Stellatumblockade musste allerdings Da durch diesen Versuch wissenschaftlich auch die Folgen ei-
durch Thoraxdrainage behandelt werden. ner kontraindizierten passiven Bewegungstherapie bei der Sudeck-
Die in Deutschland und England durchgeführten Eingriffe zur Dystrophie bewiesen werden können, sei im Folgenden die Funkti-
Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I) onen des HHSS unter normalen und pathologischen Bedingungen
veranschaulicht ⊡ Tab. 20.12. Danach konnte in 44 (84,61%) von kurz dargestellt.
52 Fällen ein erfolgreiches Resultat erzielt werden, das vollkommen Unter Ruhebedingungen ist das für die Neurotransmission
ausreichen dürfte, um das Operationsverfahren nunmehr auch erforderliche Glutamat im präsynaptischen Neuron gespeichert
allgemein empfehlen zu können. und der mit dem N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)Rezeptor des
Die im vorhergehenden Abschnitt aufgeführten ursächlichen postsynaptischen Neurons (Interneuron) des Hinterhornsynap-
Gesichtspunkte für die Erklärung der unterschiedlichen Operati- sensystems assoziierte Kalziumkanal durch Magnesiumionen ver-
onsergebnisse in der Gruppe II reichen jedoch nicht aus, um alle schlossen. Zu diesem Zeitpunkt ist die intrazelluläre Kalzium-
diesbezüglichen Fragen zu beantworten. Dies gilt vor allem für konzentration im postsynaptischen Neuron gering (⊡ Abb. 20.43).
20.2 · Spezielle Techniken
461 20

⊡ Tab. 20.8 M. Sudeck: Beurteilung der Ergebnisse. (Aus Wilhelm 1997)

Resultat Kraft Beugedefizit Streckdefizit Schmerzen Bewertung


NRHA .... cm NRTA .... cm VAS-Werte

sehr gut >50% 0–1 0–2 0–(1) a sehr gut

gut 30–50% 0–2 0–3 1–(3) a gut

befriedigend 10–30% bis 4 bis 4 3–(6) a befriedigend

schlecht <10% unverändert unverändert 6–10 ungenügend

a
maximale Schmerzwerte bei starker Belastung

⊡ Tab. 20.9 M. Sudeck (1984–1991): Wiederherstellug der Kraft und Fingerfunktion. (Aus Wilhelm 1997b)

Patient Nr. Kraft (%) Beugedefizit (NRHA in cm) Streckdefinzit (NRTA in cm) Nachuntersuchung
Postop. (Jahre)

Präop. (oben) Präop. (oben)


Postop. (unten) Postop. (unten)

1 68,8 3–3,5–3–2,5 6–6–5–4 10

0–0–0–0,5 0–0–0–0

2 77,1 3–2–2–2,5 5–6–5–3,5 9

0–0–0–0 0–0–0–0

3 60,0 3,5–3–2–1,5 4,5–3,5–2–2 9

1–0,5–0–0 0–1–2–0

4 98,0 5–5–5–5,5 7–7,5–7–6 9

0–0–0–0 0–0–0–0

5 48,7 5–4,5–3–2,5 2–3–3–1,5 8

0,5–0–0–0 1–1–1–1,5

6 93,1 4,5–5–5–4,5 1–2,5–2,5–3,5 7

0–0–0–0 0,5–0–0–1

7 40,0 4–4,5–5–5 4–5–4,5–4 7

1–2–3,5–3 0–1,5–2–3,5a

8 82,8 3,5–3–3–2,5 3–4–2,5–3,5 5

0–0–0–0 0–0–0–0

9 17,9 7–10,5–9,5–8,5 4,5–2–2–1,5 4

1,5–2,5–2–1,5 0–0–1–0

10 17,0 8,5–9–8–7 1,5–3–2–1,5 7

4–3,5–4–3 0–2,5–2,5–0b

a Z. n. Operation einer Hohlhandphlegmone


b
Z. n. Operation einer Sehnen-Nerven-Verletzung
462 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Tab. 20.10 M. Sudeck: Operationsergebnisse (1984–1991). (Aus Wilhelm 1997)

Patient Nr. Behandlungsdauer (Monate) Postoperat. Resultate

a
präop. postop. total Schmerz Horner-S. Bewertung

1 14 9 23 - - sehr gut

2 8 6 14 - - sehr gut

3 11 9 20 - ((+)) sehr gut

4 7 2 9 - ((+)) sehr gut

5 19 1 20 - - sehr gut

6 3 4 7 - - sehr gut

7 2 6 8 - - gut

8 11 5 16 - - sehr gut

9 7 42 49 ((+)) (+) befriedigend

10 9 9 18 ((+)) - gut

∅ (Monate) 9 9 18

Nachuntersuchung nach ∅ 7,5 (4–10) Jahren


Ergebnisse: 7-mal sehr gut = 70%, 2-mal gut = 20%, 1-mal befriedigend = 10%
a
Beurteilung der Schmerzwerte nach VAS

⊡ Tab. 20.11 M. Sudeck: Operationsergebnisse (2000 – VIII 2002). (Aus Wilhelm 1997b)

Patient Nr. Behandlungsdauer (Monate) Postop. Resultate Befunde

Präop. Postop. Total Schmerz Horner 1–4a Präop. Intraop.

11 21 24 → 45 (+) + 4 a +, b 160° d2→

12 35 19 → 54 (+) ⎯ 1 a +, b 160° d2→

13 148 19 → 167 ((+)) (+) 2 a +, b 50° d3→

14 28 6→ 34 ⎯ ((+)) 1 a ((+)), ⎯ d3→

15 28 13 → 51 ((+)) ((+)) 2 a +, b 70° c2→

16 18 1→ 19 ⎯ ((+)) 1 a (+), ⎯ c 1* →

17 13 10 → 23 (+)→ ++ 4 a ++, b 20° c 1* →

18 76 8→ 84 (+) (+) 3 a +, b 30° c2→

3→ c2→
20 19 27 30 ((+)) ((+)) 1 a ((+)), b 80°

20 22 7→ 29 (+) → + (+) 2 (4 b) a +, b 160° c3→

∅ Monate 43 11 54 Ergebnisse: sehr gut = 40%; gut = 20%; befriedigend = 10%; ohne Erfolg = 20%

(∅ Monate) c (30) (10) (41)

a präop. Schultersymptomatik [ ((+)) ⎯ ++ ]; b präop. Schulterkontraktur, Abduktionsumfangumfang; c Sympathikusresektion, Anzahl der Ganglien; d alleinige
Durchtrennung von Rr. communicantes, Anzahl; * auffallend langes Ganglion
a Bewertung: 1–4

b
(Patient 20): Zustand nach schwerer Traktionsschädigung des rechten Plexus brachialis am 2. postoperativen Tag durch Fremdverschulden. Handfunktion
nicht verwertbar. Postoperatives Resultat schmerzmäßig gut
c Durchschnittswerte nach Extrapolation von Patient 13
20.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
463 20

⊡ Tab. 20.12 Operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie – Sammelstatistik (1984–2002). (Aus Wilhelm 2007)

Klinik Fallzahl Ergebnis

Klinikum Aschaffenburg (eigenes Krankengut 1984–2005) 20 (+6)a 11-mal sehr gut


5-mal gut
2-mal befriedigend
2-mal ohne Erfolg

Diakonissenkrankenhaus Kassel 4 4-mal mit Erfolg b

Univ. Klinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie Aachen 1 1-mal sehr gut c

Bradford Teaching Hospital Dpt. Trauma/Orthopaedics Bradford 27 (+2)e 17-mal sehr gut und gut d
(1994–2006) 4-mal befriedigend
6-mal ohne Erfolg

Summe 52 (+8) a 44-mal mit Erfolg

a
Postoperative Behandlung bei 6 Patienten, die bis 2007 operiert wurden, noch nicht abgeschlossen
b
Persönliche Mitteilung von Prof. Dr. J. D. Gruß.
c Ergebnis einer eigenen Nachuntersuchung

d Persönliche Mitteilung von R. Boome, MD.

e 2 Patienten nicht verwertbar

wodurch Kalziumionen ständig in das postsynaptische Neuron


(Interneuron) einströmen und schließlich zu einer pathologischen
Zunahme des interzellulären Kalziumspiegel führen, wodurch über
einen längeren Zeitraum die Degeneration des Interneurons einge-
leitet wird (⊡ Abb. 20.45).
Das von der Firma Merz ursprünglich für die Behandlung der
Demenz vom Alzheimer-Typ entwickelte »Memantine« (Axura®)
wirkt wie das physiologische Magnesium, ist darüber hinaus wegen
seiner wesentlich größeren Bindungseigenschaften in der Lage,
den NMDA-Rezeptor auch in Gegenwart pathologisch anhaltender
Glutamatkonzentrationen im synaptischen Spalt zu blockieren und
das poststenotische Neuron vor dem glutamatvermittelten patho-
logischen Kalziumeinstrom zu schützen (neuroprotektiver Effekt;
⊡ Abb. 20.46).
⊡ Abb. 20.43 Schematische Darstellung der funktionalen Einheit einer glut- Unter normalen Bedingungen hat Memantine keinen negati-
amatergen Synapse. (Aus Merz 2003) ven Einfluss auf den Kalziumioneneinstrom.
Diese kurze Zusammenfassung der glutamergen Neurotrans-
mission in der Produktmonografie Axura der Firma Merz/Frank-
Gleichzeitig kann es besonders bei starken und länger anhaltenden furt, erhebt in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll
Schmerzen auch zur Freisetzung der Substanz P kommen (Baron lediglich Interessierte auf das Problem der Funktion des schmerz-
u. Zieglgänzberger o. J.). dämpfenden HHSS bei der Sudeck-Dystrophie aufmerksam ma-
Zur Aufhebung des Magnesiumblocks muss der Rezeptor chen und allen Therapeuten als wissenschaftlicher Beweis für den
durch Liganden, in diesem Fall durch das in den intrazellulären äußerst schädlichen Einfluss von zusätzlich ausgelösten Schmerzaf-
Spalt freigesetzte Glutamat aktiviert und das postsynaptische Neu- ferenzen, insbesondere durch passive Bewegungsübungen bei der
ron depolarisiert werden. Dabei ist es von Bedeutung, dass schon Behandlung des Morbus Sudeck, dienen.
bei einer leichten Depolarisierung der Zellmembran aufgrund der
relativ geringen Bindungseigenschaften des Magnesiums die Blo-
ckade des Ionenkanals für den Einstrom des Kalziums in die Zelle 20.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
des postsynaptischen Neurons gelöst wird (⊡ Abb. 20.44).
Unter pathologischen Bedingungen, z. B. bei Erhöhung der Die Möglichkeit einer Verletzung der unteren Plexuswurzeln dürfte
Frequenz und der Stärke der Schmerzafferenzen, erfolgt die Frei- bei entsprechender Erfahrung des Operateurs kaum gegeben sein.
setzung und Aufnahme des Glutamats weniger kontrolliert. Da- Dagegen lassen sich Nachblutungen aus der A. intercostalis I und
durch steigen die Glutamatkonzentrationen im synaptischen Spalt kleinen venösen Gefäßen nicht immer vermeiden. Relativ häufig
zwar nur geringfügig an. Wenn dies aber über einen genügend lan- kommen dagegen Verletzungen der Pleura vor, während Läsionen
gen Zeitraum geschieht, dann reichen die erzielten Glutamatmen- im Spitzenbereich des Lungenoberlappens nur selten passieren,
gen aus, um den Magnesiumblock des Kalziumkanals aufzuheben, und zwar beim Nahtversuch eines Pleuraeinrisses.
464 Kapitel 20 · Die operative Behandlung der therapieresistenten Sudeck-Dystrophie (CRPS I)

⊡ Abb. 20.44 Normale glutamatvermittelte Neuro-


transmission am NMDA-Rezeptor. (Aus Merz 2003)

⊡ Abb. 20.45 Gestörte glutamaterge Neurotrans-


mission mit klinischen und neuronalen Folgen.
»DAT-Symptomatik« durch Sudeck-Symptomatik
ersetzt. (Aus Merz 2003)

20

⊡ Abb. 20.46 Wirkungsmechanismus des NMDA-


Rezeptor-Antagonisten Memantine, der nicht nur
die Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT), sondern
auch die Symptomatik einer Sudeck-Dystrophie
im Anfangsstadium verbessern kann. (Aus Merz
2003)
Weiterführende Literatur
465 20
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VI

VI Angeborene Fehlbildungen und genetisch


bedingte Erkrankungen im Handbereich

21 Angeborene Fehlbildungen der Hand – 469


Hildegunde Piza-Katzer, Andrea Wenger
(Mit einem Beitrag von Dunja Estermann)

22 Epidermolysis bullosa – 527


Martin Langer, Carsten Surke, Eva Lötters
21

Angeborene Fehlbildungen der Hand


Hildegunde Piza-Katzer, Andrea Wenger
(Mit einem Beitrag von Dunja Estermann)

21.1 Allgemeines – 470


21.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 470
21.1.2 Epidemiologie – 470
21.1.3 Ätiologie – 470
21.1.4 Diagnostik – 474
21.1.5 Klassifikation – 475
21.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 475
21.1.7 Therapie – 475
21.1.8 Besonderheiten der Therapie angeborener Handfehlbildungen – 482
21.2 Spezielle Techniken – 482
21.2.1 Syndaktylie – 482
21.2.2 Apert-Syndrom – 486
21.2.3 Symbrachydaktylie – 488
21.2.4 Eingeschlagener Daumen – Pollex adductus – 490
21.2.5 Pollex flexus congenitus – 492
21.2.6 Windmühlenflügeldeformität – 493
21.2.7 Daumenhypoplasie – 495
21.2.8 Spalthandsysndrom – 500
21.2.9 Klinodaktylie – 502
21.2.10 Makrodaktylie – 504
21.2.11 Schnürringkomplex – 505
21.2.12 Hyperphalangie der Finger, triphalangealer Daumen – 508
21.2.13 Radiushypoplasie – 510
21.2.14 Polydaktylie – 514
21.2.15 Ulnahypoplasie – 520
21.2.16 Kamptodaktylie – 521
21.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 523
Weiterführende Literatur – 523

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


470 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

21.1 Allgemeines 21.1.2 Epidemiologie

In allen Bereichen der kindlichen Entwicklung spielt die Hand und Europaweit gibt es kein gemeinsames Handfehlbildungsregister, in
speziell der Daumen eine wichtige Rolle. Dies gilt für die Ausbil- dem alle Patienten dokumentiert werden. In Dänemark existiert
dung der motorischen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten sowie seit 1983 ein Register, das alle Fehlbildungen von Neugeborenen
für die Sprachentwicklung. Die Komplexität der Handfunktion und Totgeburten verzeichnet. Die meisten epidemiologischen Da-
wird durch die lange Phase der Perfektionierung widergespiegelt, ten zu den einzelnen Fehlbildungen beziehen sich auf eine Publi-
die sich über mehrere Jahre erstreckt und von ulnar nach radial – kation von Birch-Jensen aus dem Jahr 1949, wobei die Polydaktylie
vom Kraft- zum Präzisionsgriff – erfolgt. Die Hände dienen nicht nicht erwähnt wird. Generell wird angenommen, dass angeborene
nur als »Greiforgan«, sondern sind ein Ausdrucksorgan für Bezie- Fehlbildungen 1–2% aller Neugeborenen betreffen, 10% davon
hungen und Kreativität. Sie ermöglichen es uns, auf die Umwelt entfallen auf die obere Extremität. Um eine bessere Datenlage zu
einzuwirken und sie zu verändern. Sie sind großteils dafür verant- schaffen sprechen sich Weber et al. (2005) für eine Meldepflicht
wortlich, dass wir unser Leben »in der Hand haben«, es gestalten von Gliedmaßenfehlbildungen aus.
und beeinflussen können ( Kap. 2). ⊡ Tab. 21.1 gibt einen Überblick über die häufigsten Fehlbil-
Was passiert aber, wenn ein Kind mit einer fehlgebildeten dungsarten, die Häufigkeit sowie die Geschlechterverteilung und
Hand zur Welt kommt? Wenn die Hand durch die veränderte Ana- die Assoziation mit anderen Fehlbildungen.
tomie nicht gebrauchsfähig ist oder Finger, besonders der Daumen,
gänzlich fehlen? Aus der Erfahrung weiß man, dass sich Kinder mit
fehlgebildeten Händen auch ohne Operation im täglichen Leben 21.1.3 Ätiologie
sehr gut und rasch zurechtfinden und erstaunlich gute Bewegungs-
muster erlernen. Es gibt allerdings Fehlbildungen – meist im Rah- Um den 26. Tag nach der Konzeption entwickelt sich in der Embry-
men von Syndromen –, bei denen ein Kind zeitlebens einer Hilfe onalperiode die obere Extremitätenknospe zwischen den 9.–12. So-
(meist der Mutter) bedarf. miten, welche die Regionen C5–Th8 widerspiegeln. Nach Carnegie
Das Ziel eines chirurgischen Eingriffs an einer fehlgebilde- entspricht die Extremitätenentwicklung den Stadien 12–23 und
ten Hand ist dem Kind das Greifen zu ermöglichen. Dies ist für durchläuft hierbei 5 Organisationsphasen:
die Selbstständigkeit des Kindes und seine gesamte psychomo- 1. Induktion der Knospe,
torische Entwicklung wichtig, damit keine Entwicklungsverzö- 2. Festlegung der Achsen,
gerung auftritt. Nicht zu vernachlässigen ist die psychosoziale 3. Progressionszone,
Entwicklung eines fehlgebildeten Kindes, welches im Alter von 4. Differenzierung und
etwa 3 Jahren sein »Anderssein« bemerkt und daher im Kinder- 5. Abgrenzung der Fingerstrahlen.
garten einem großen emotionalen Stress ausgesetzt ist. Mit der
frühen chirurgischen Intervention, welche an Chirurgen und Während der Induktion durch den Wachstumsfaktor FGF 8 entsteht
Anästhesisten hohe technische Anforderungen stellt, wird neben die Extremitätenknospe, welche aus einem länglichen Mesoderm-
der Verbesserung der Handfunktion auch eine Verbesserung des kern und einer darüber liegenden dünnen Schicht Ektoderm auf-
Aussehens angestrebt. gebaut ist. Zu einem Auswachsen der Extremitätenanlage kommt
Die Aufgabe des Handchirurgen besteht in der Beratung der es entlang der Randleiste, die eine Verdickung des Ektoderms
Eltern über die Therapiemöglichkeiten und den besten Zeitpunkt darstellt (AER, »apical ectodermal ridge«). Es werden Signale ans
für die Operation. Es gilt, die verschiedenen Verfahren sorg- Innere gesendet, wodurch das Mesenchym proliferiert (Progressi-
fältig hinsichtlich Machbarkeit und Nutzen abzuwägen, wobei onszone) und die Extremität von proximal nach distal auswächst.
auch konservative Methoden erwähnt werden müssen. Ferner Mesoderm und Randleiste halten sich hierbei gegenseitig aktiv – die
sollte der Operateur, besonders im Falle von assoziierten Fehl- Wachstumsfaktoren FGF 2 und 8 sowie MSX 1 und 2 sind dafür
bildungen und Syndromen, mit anderen ärztlichen Fachgebieten verantwortlich. Nun wird ein Koordinatensystem aufgebaut; dieses
(Neonatologe, Kiefer-, Neuro-, Kinderchirurg, Pädiater, Radio- verläuft proximal und distal (durch den FGF-Gradienten), dorsal
loge, Genetiker) und Psychologen sowie Ergotherapeuten eng und ventral (durch differenzielle Genexpression) sowie anterior
zusammenarbeiten. Die genaue Planung bezüglich Diagnostik und posterior (bzw. prä- und postaxial oder radial und ulnar durch
und Therapie, vor allem aber die Aufklärung über die Ope- den Shh-Gradienten). Basierend auf Positionsinformation durch
ration und Führung der Eltern des Kindes fällt in das Aufga- die sog. HOX-Gene entstehen nun während der Musterbildung
bengebiet des Handchirurgen. Die Korrektur von angeborenen Ober- und Unterarm, Hand und Finger. HOXa 9–13 sind hierbei
Handfehlbildungen ist also ein komplexes und vielschichtiges für die proximodistale Entwicklung zuständig, HOXd 9–13 für die
Thema. radioulnare. Nun findet in der Gewebedifferenzierung die Unter-
scheidung in Knorpel, Knochen, Muskel, Nerven und Gefäße statt.
Auch werden in dieser Phase an der sog. Handplatte durch gezielte
21.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Apoptose von distal nach proximal in den Interdigitalräumen die
21 Physiologie Finger gebildet – bedingt durch das Fehlen der Wachstumsfaktoren.
Die Finger können ca. ab dem 41. Tag unterschieden werden und
Neben dem Wissen über die Anatomie und die Entwicklung der sind etwa 10 Tage später vollständig getrennt. Die Entwicklung der
Hand ( Kap. 65; z. B. Knochenwachstum) müssen dem Handchi- oberen Extremität dauert insgesamt etwa 26 Tage (⊡ Abb. 21.1).
rurgen Normvarianten von Gefäß- und Nervenabgängen sowie Postpartal setzt sich die Reifung bzw. das Wachstum der ver-
Muskel- und Sehneninsertionen bekannt sein. Vor allem aber muss schiedenen Gewebe fort. Die zeitliche Reihenfolge des Auftretens
der Operateur Wissen und Erfahrung um die Besonderheiten der von Knochenkernen (⊡ Abb. 21.2) und der Schluss der Epiphysen-
einzelnen Handfehlbildungen und deren anatomischen Gegeben- fugen (⊡ Abb. 21.3) im Bereich der oberen Extremität sind zeitlich
heiten mitbringen. breit gestreut und lassen so eine Bestimmung des Skelettalters zu.
21.1 · Allgemeines
471 21

⊡ Tab. 21.1 Epidemiologische Informationen zu den häufigsten Handfehlbildungen. Die Angaben variieren in der Literatur hinsichtlich Geschlechts-
verteilung und Inzidenz

Fehlbildung Häufigkeit m:w Lokalisation

Radiushypoplasie 1:30.000–1:100.000 3:4 Variierende Angaben zu uni-/bilateralem Auftreten

Ulnahypoplasie 1:100.000 k.A. Schwankende Angaben zu bilateralem Auftreten

Daumenhypoplasie 1:10.000–1:21.000 1:1 60% bilateral, unilateral meist rechts, oft in Kombination mit
Radiusdefekt

Spalthandsyndrom 1:90.000 2:1 Bilateral, bei 1/3 auch Spaltfüße

Syndaktylie 1:100–1:2.000 2:1 1. ZFF 10%, 2. ZFF 22%, 3. ZFF 47%, 4. ZFF 21%

M. Apert 1:175.000 1:1 Bilateral

Arthrogryposis multiplex 1:10.000 k.A. Typischerweise bilateral und symmetrisch, häufig assoziiert
congenita mit Klumpfüßen

Pollex flexus congenitus 1:2.000 k.A. Meist unilateral

Kamptodaktylie Prävalenz ca. 1% 1:1, ab dem 2. In 2/3 bilateral, Häufigkeit nimmt nach radial ab
Lebensjahr >w

Klinodaktylie Prävalenz 1,5–19,5% k.A. 5. Finger häufiger als der Daumen betroffen

Polydaktylie 1:1.000–1:2.000 4:3 Häufiger Dopplung radial bzw. ulnar als zentral, in 30-40%
bilateral

Triphalangealer Daumen 1:25.000 k.A. Häufig in Kombination mit Doppeldaumen, radialer Klump-
hand, Daumenhypoplasie

Hyperphalangie der Finger Sehr selten, ca. 120 Fälle in 1:1 Häufig assoziiert mit Klinodaktylie des Kleinfingers, Brachy-
der Literatur metakrapie, Klumpfuß, Hüftdysplasie

Makrodaktylie Sehr selten, ca. 165 Fälle in 1:1 Meist 2. und 3. Finger betroffen
der Literatur

Schnürring-Komplex 1:10.000–1:15.000 k.A. Obere Extremität häufiger als untere Extremität betroffen

Symbrachydaktylie 1:10.000–1:40.000 3:2 Unilateral, meist links, häufig Kurzfingerform

ZFF Zwischenfingerfurche

postaxial

D5 tose
D4 Apop
Progressionszone
(MSX 1, 2)
D3
Hoxd 9
proximal distal
Hoxd 10
D2 Hoxd 11
Randleiste (FGF 2, 8) Hoxd 12
D1
Hoxd 13
Handplatte
präaxial Extremitätenknospe FGF 8

⊡ Abb. 21.1 Embryonalentwicklung der oberen Extremität

Die Erkenntnis der molekularen Mechanismen in der em- Zahl der Progenitoren, welche die Knospe formieren, der Proli-
bryonalen Entwicklung der Hand führte zum Verständnis von ferationsrate und der Häufigkeit des Zelltodes. So kann z. B. die
Genmutationen, welche für das Entstehen von Handfehlbildungen, Polydaktylie ihre Ursachen in diesen 3 Faktoren haben und auf
besonders in Fällen von bilateralen Defekten, verantwortlich sein einen Defekt in der Menge des FGF-Wachstumsfaktors oder im
können. Shh-Signaltransduktionspfad sowie auf die fehlenden Apoptose an
Wie viele Finger sich aus der Handplatte entwickeln, ist ab- der Präachse zurückzuführen sein. Im Falle des Doppeldaumens
hängig von dem zur Verfügung stehenden Gewebe und somit der konnte die Ursache für die veränderte Shh-Signaltransduktionskas-
Größe der Extremitätenknospe. Diese wird beeinflusst von der kade am Chromosom 7q36 gefunden werden.
472 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Processus coracoideus
Apophysis curvaturae,
Apophysis corporis, 1. J. 15.–16. J.
Clavicula
Apophysis apicis, 15.–16 J. Corpus, 8. W Extremitas sternalis,
18.–20. J.

Acromion, 15.–18. J.
Os subcoracoideum, 10.–12. J.
Facies articularis, 18. J.
Caput humeri, 12.–15. M.
Scapula
Corpus, 8. W
Tuberculum maius, 2.–3. J.
Tuberculum minus, 2.–3. J. Margo vertebralis,
18.–19. J.
Angulus caudalis,
15.–18. J.

Corpus humeri, 7.–8. W

Epicondylus radialis, 8.–13. J. Epicondylus ulnaris, 5. J.


Capitulum humeri, 1. J. Trochlea, 12. J.

Olecranon, 8.–12. J.

Capitulum radii, 5.–7. J.

(Tuberositas radii, 10.–12. J.)


Corpus ulnae, 7. W.

Corpus radii, 7. W.

Capitulum ulnae, 5.–7. J.


Epiphysis distalis radii, 8.–16 M.
(Proc. styloideus, 7.–8. J.)
(Proc. styloideus, 10.–12. J.)
Os lunatum, 25.–65. M.
Os scaphoideum, 44.–75. M.
Os triquetrum, 5.–38. M.
Os trapezium, 45.–90. M. Os pisiforme, 8.–12. J.
Os trapezoideum, Os hamatum, 0.–7. M.
45.–90. M.
Os capitatum, 1.–6. M.
Basis ossi
metacarpi pollicis, Os metacarpi pollicis, II–V, 9. W.
17.–39. W. Caput ossis metacarpi pollicis, II–V, 9. W.
Os metacarpi
pollicis, 9. W. Epiphysis proximalis, 2.–3. J.
Diaphysis phalangis proximalis, 9. W.
21 Epiphysis proximalis, 2.–3. J.
Diaphysis phalangis mediae,
11.–12. W.
Epiphysis proximalis, 2.–3. J.
Diaphysis phalangis distalis,
7.–8. W.

⊡ Abb. 21.2 Knochenkerne des Armskelettes und Zeit-


punkt ihres Auftretens. (Aus Berger u. Hierner 2008)
21.1 · Allgemeines
473 21

Proc. coracoideus, 18.–21. J.

Acromion, 18.–19. J.
Epiphysis sternalis,
21.–24. J.
Synostosis epiphysis
primariae et Os subcoracoideum,
apophysium tuberculorum, 18. J.
5. J.

Synostosis epiphysis Margo vertebralis,


secundariae, 20.–25. J. 20.–21. J.

Angulus caudalis,
20.–21. J.
Cavits glenoidalis, 19. J.

Synostosis epiphysis
secundariae, 14.–16. J.

Synostosis epiphysis Epicondylus ulnaris, 14.–18. J.


primariae et apophysium
epicondylorum, 13.–16. J.

Olecranon, 13.–17. J.

Capitulum radii, 14.–18. J.

Tuberositas radii, 14.–18. J.


(Sonderfall)

Capitulum ulnae,
Epiphysis distalis, 21.–25 J. 20.–24. J.

Proc. styloideus, (Sonderfall) Proc. styloideus (Sonderfall)

Os metacarpi pollicis,
Epiphysis proximalis,
15. –20. J.
Epiphysenfigen
(Sonderfälle) Epiphysis distalis
metacarpi II–V, 15.–20. J

Epiphyses proximales
phalangium I–V, 20.–24. J.

⊡ Abb. 21.3 Wachstumsfugen des Armskeletts und Zeit-


punkt ihres Verschmelzens. (Aus Berger u. Hierner 2008)
474 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Bei Fehlbildungen, die familiär vorkommen, ist der Verer- Handfehlbildungen auch immer nach weiteren Fehlbildungen zu
bungsmodus häufig autosomal dominant mit großer intrafamiliärer suchen (⊡ Abb. 21.4).
Variabilität. Ein Beispiel dafür ist das Spalthandsyndrom (SHFM,
»split hand foot malformation«), für welches 5 verschiedene Gen-
loci gefunden werden konnten. Für die rezessive Form des Spalt- 21.1.4 Diagnostik
handsyndroms wurde bisher nur eine Mutation gefunden.
Auch exogene Noxen, wie Viren (z. B. das Rötelnvirus) oder Die Diagnostik von Handfehlbildungen beginnt mit den Ultra-
Medikamente, können für Fehlbildungen der oberen Extremität schalluntersuchungen während der Schwangerschaft. Der beste
verantwortlich gemacht werden. Zwischen 1957 und 1961 wurde Zeitpunkt ist im Rahmen des Organscreenings in der 21. Schwan-
ein sprunghafter Anstieg von verschiedenen Handfehlbildungs- gerschaftswoche (SSW) bzw. zwischen Ende des 1. und Anfang
arten in den Ländern beobachtet, in welchen die Substanz Tha- des 2. Trimenons. Aufgrund der Größe der Hand (etwa 8–9 mm in
lidomid (ein Beruhigungs- und Schlafmittel unter dem Namen der 11. SSW) und der Kindeslage ist die vollständige Abbildung oft
Contergan® bzw. Softenon®) zugelassen worden war. Laut dem nicht einfach. Vielfach kann die obere Extremität nicht zur Gänze
deutschen Bundesverband Contertangeschädigter e. V. wurden in dargestellt werden. Isolierte Handfehlbildungen sind schwer zu er-
Deutschland etwa 5.000 Kinder mit verschiedenen Fehlbildungen kennen. Bei assoziierten Fehlbildungen oder Syndromen kann nach
geboren. Je nach Zeitpunkt der Einnahme treten unterschiedliche Fehlbildungen der Hände gesucht werden, doch treten aufgrund der
Schädigungen auf. So kommt es zwischen dem 32. und 38. Tag Schwere anderer Fehlbildungen die Veränderungen an den Händen
post menstruationem (pm) zu einem Fehlen der Ohrmuschel und oft in den Hintergrund. Im Durchschnitt beträgt die Entdeckungs-
zu einer Fazialisparese, zwischen dem 40. und 42. Tag zu Arm-, rate von einfachen und komplexen Fehlbildungen des muskuloske-
zwischen dem 43. und 46. Tag zu Bein- und zwischen dem 48. und lettalen Systems in der 23. SSW laut Eurofetus-Studie 17 vs. 73%.
50. Tag zu Daumenfehlbildungen. Die Dosis von Thalidomid hat Wird eine Handfehlbildung während der Schwangerschaft er-
keinen Einfluss auf das Ausmaß der Fehlbildung. Die teratogene kannt, besteht bei vielen Eltern als erste Reaktion Unsicherheit
Wirkung der Substanz dürfte auf antiangiogenen Mechanismen hinsichtlich der Zukunft ihres Kindes. In dieser Phase scheint es
beruhen, wobei unreife Blutgefäße zur Gänze zerstört und reifere sinnvoll, die Eltern früh über postnatale Therapiemöglichkeiten
in ihrem Wachstum gehemmt werden. aufzuklären. Häufig werden Fehlbildungen an der Hand jedoch
Da exogene Noxen alle Organe, die sich in einer sensiblen Ent- erst nach der Geburt diagnostiziert. Die Zusammenarbeit zwischen
wicklungsphase befinden, schädigen können, ist bei angeborenen den einzelnen Fachdisziplinen ist hierbei genauso wichtig wie ein

Fetalperiode
Embryonalperiode in Wochen in Wochen Geburtstermin

1 2 3 4 5 6 7 8 9 16 20–36 38
Periode der sich gibt die häufigsten Lokalisationen der Teratogenwirkungen an. Gehirn
teilenden Zygote,
Implantation ZNS Gaumen Ohr
und zweischichtige Herz Auge Ohr
Auge
Keimscheibe Herz
Arm

Beine
Zähne äußeres Genitale
Zentralnervensystem

Herz

Arm

Auge

Beine

Zähne

21 Gaumen
gewöhnlich
keine Anfälligkeit äußeres Genitale
gegen Teratogene
mehr Ohr

funktionelle Defekte
Abort schwere morphologische Anomalien und kleinere morphologische Anomalien

⊡ Abb. 21.4 Schematische Darstellung der kritischen Perioden in der Embryonalentwicklung. (Aus Berger u. Hierner 2008)
21.1 · Allgemeines
475 21
Ansprechpartner für die Eltern, der die Planung der weiteren diag- um ggf. prä- und postoperative Ergebnisse eines Kindes sowie
nostischen und therapeutischen Schritte übernimmt. postoperative Daten mehrerer Kinder in einer statistischen Aus-
Da Handfehlbildungen vielfach ein Erscheinungsbild eines wertung vergleichen zu können.
Syndroms sind, muss das Kind vom Neonatologen oder Pädiater
durchuntersucht werden. So kann z. B. eine Radiusfehlbildung iso-
liert, aber auch im Rahmen eines TAR-Syndroms vorkommen, bei 21.1.5 Klassifikation
dem auch eine Thrombozytopenie vorliegt. Besteht der Verdacht
einer karyotypischen Aberration, ist eine genetische Untersuchung Angeborene Handfehlbildungen sind ein äußerst heterogenes
empfehlenswert. Krankheitsbild. Sie können von minimalen, kaum sichtbaren Ver-
Seitens des behandelnden Hand- oder Kinderchirurgen ist änderungen bis zum Fehlen von ganzen Gliedmaßenteilen reichen.
ebenfalls eine ausführliche klinische Diagnostik mit Kategorisie- Aus diesem Grund ist es sehr schwierig, eine einheitliche Klas-
rung der Fehlbildung inklusive Fotodokumentation sinnvoll. Ein sifikation der Handfehlbildungen zu formulieren. Viele Autoren
präoperatives Röntgen in 2 Ebenen von beiden Händen ist obligat. haben versucht, eine Einteilung vorzunehmen – die derzeit letzte
Bei komplexen Fehlbildungen (z. B. bei einer Triplikation des und gültige Fassung von Swanson, die auch von der International
Daumens) ist die Durchführung einer Multislice-(MS-)Angio-CT zu Federation of Societies for Surgery of the Hand (IFSSH) anerkannt
erwägen. Sie hat gegenüber der traditionellen Angiografie und dem wurde, wurde nach morphologischen Kriterien vorgenommen und
konventionellen Röntgen Vorteile (⊡ Abb. 21.5). Es wird dabei Kont- umfasst 7 Kategorien (⊡ Tab. 21.2).
rastmittel in eine periphere Vene injiziert. Die gegenüber der konven- In der Praxis wird zusätzlich eine Klassifikation der einzelnen
tionellen Röntgenuntersuchung erhöhte Strahlenbelastung und die Fehlbildungen vorgenommen und nach zunehmendem Schwere-
bei der Untersuchung von Kleinkindern nötige kurze Sedierung muss grad werden teratologische Reihen aufgestellt. Schwierigkeiten in
gegen den Nutzen der Darstellung von Einzelheiten aufgewogen wer- der Kategorisierung ergeben sich aber erneut bei kombinierten
den. Insgesamt liegt die Strahlenbelastung bei der Angio-CT bei etwa Defekten und es gibt auch Fehlbildungen, die nicht in eine Kate-
0,5 mSv im Vergleich von 0,1 μSv eines normalen Handröntgens. gorie passen.
Der funktionelle Handstatus, häufig durchgeführt von den Er-
gotherapeuten, stellt bei älteren Kindern ein wertvolles Instrument
für die Evaluierung des präoperativen Status, des postoperativen 21.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie
Verlaufs und des Therapieerfolges sowie die Möglichkeit einer
Qualitätskontrolle dar. Standardisierte Verfahren, wie die Messung Von Fehlbildung zu Fehlbildung und Fall zu Fall kann es hinsicht-
der Beweglichkeit aller Hand- und Fingergelenke nach der Neu- lich der Indikation und der verschiedenen Therapiemethoden gro-
tral-0-Methode, Kraftmessungen der Grobkraft, des Spitz-, Drei- ße Unterschiede geben. Aus diesem Grund werden diese Punkte in
punktgriffs und der Opposition zu den Fingerspitzen sowie ein den einzelnen Kapiteln ausführlich besprochen.
Koordinationstest, z. B. der »9-Hole-Peg-Test«, im Seitenvergleich
oder bei bilateralen Fehlbildungen im Vergleich zu einer gesunden
altersgleichen Population stehen hier zur Verfügung. Zusätzlich zu 21.1.7 Therapie
objektiven Messdaten ist die Beobachtung des Kindes beim Spielen
wertvoll. Die Eltern können über den Einsatz der fehlgebildeten Das Ziel jeglicher Therapie bei Handfehlbildungen stellt das Errei-
Hand im täglichen Leben Hinweise zur Funktionalität liefern. Es chen einer von der Schwere der Fehlbildung abhängigen optimalen
empfiehlt sich ein einheitliches Dokumentationsblatt zu erstellen, Greiffunktion sowie eines guten ästhetischen Ergebnisses dar.

⊡ Abb. 21.5 Röntgen und CT-angiografische


Darstellung der rechten Hand eines 11 Monate
alten Mädchens mit Tripeldaumen. Typen-Eintei-
lung: Buck-Gramcko CM+MP++, Zuidam VI T IV u
(H r, Tph m/u, D u)
476 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

⊡ Tab. 21.2 Klassifikation der angeborenen Fehlbildungen der oberen Extremität (IFFSH)

I. Fehlende Bildung von Teilen

A Transversale Defekte Amputationsfekte: Arm, Unterarm, Handgelenk, Finger

B Longitudinale Defekte Komplett: proximal (Phokomelie), distal


Kombiniert: radialer Defekt (radiale Klumphand)
Kombiniert: zentralder Defekt (Spalthand)
Kombiniert: ulnarer Defekt (ulnare Klumphand)
Hypoplasie distal: Finger

II. Fehlende Differenzierung (Separation) von Teilen

A Synostosen Ellenbogen, Unterarm, Karpus, Metakarpus, Phalangen

B Luxation des Radiuskopfes

C Symphalangie

D Syndaktylie Häutige Komplexe, als Teil eines Syndroms

E Kontraktur Weichteile: Arthrogryposis, Pterygium, schnellender Finger, Fehlen der Strecksehnen, Daumen-
hypoplasie, Kamptodaktylie, Windmühlenflügeldeformität
Knochen: Klinodaktylie, Kirner-Deformität, Deltaknochen

III. Doppelbildungen

A Daumenpolydaktylie (präaxial)
B Dreigleidriger Daumen, Hyperphalangie
C Polydaktylie der Finger: zentrale (Polysyndaktylie), ulnare Polydaktylie (postaxial)

IV. Überentwicklung (Gigantismus) des ganzen oder von Teilen des Arms

Makrodaktylie

V. Unterentwicklung (Hypoplasie)

VI. Schnürring-Komplex

VII. Generalisierte Skelettdeformitäten

Madelung-Deformität

Konservative (nichtoperative) Therapie den Korrektureingriff das Greifen für das Kind gravierend ändert,
Die Versorgung mit Prothesen wird dann die Therapie der Wahl da die Adaptation der veränderten Greiffunktion und die Integ-
sein, wenn für ein Kind keine operative Therapie in Frage kommt ration der umgestalteten Hand spielerisch, schneller und leichter
und das Kind sowie dessen Eltern eine solche wünschen (z. B. erfolgt. Das ist beispielsweise bei der Pollizisation des Zeigefingers
Symbrachydaktylie vom peromelen Typ). Es gibt auch konservative der Fall. Neben psychologischen Gründen (die Kinder werden
Therapiemethoden zur Vorbereitung von Operationen wie z. B. die wegen der Fehlbildung vielfach diskriminiert) sind das Verhindern
redressierende Schienentherapie vor der Korrekturosteotomie im zusätzlicher Deformierungen an Knochen und Gelenken durch
Falle der radialen Klumphand. Fehlwachstum sowie die bessere Anpassungsfähigkeit der verschie-
denen Gewebe an die durch die Operation veränderten Aufgaben
Operative Therapie dieser Strukturen weitere wichtige Argumente für eine operative
Je nach Fehlbildung kommen verschiedene Operationen zum Ein- Therapie im 1. Lebensjahr.
satz, um dem Kind eine funktionsfähige Hand zu ermöglichen. Bei bilateralen Hand- oder assoziierten Fußfehlbildungen ist
Wichtig ist die langjährige Erfahrung des Handchirurgen, die die Korrektur von beiden Fehlbildungen nacheinander in einer
Beachtung der allgemeinen Operationsprinzipien (Schnittführung, Sitzung oder ein paralleles Vorgehen in 2 Teams zu überlegen. In
Operation mit Lupenbrille und Mikroinstrumentarium, ggf. auch der detaillierten Planung des schrittweisen Vorgehens muss auch
21 unter dem Mikroskop) sowie die ständige Weiterbildung und in- auf mögliche assoziierte Fehlbildungen Rücksicht genommen und
terne Qualitätskontrolle. die Korrektur der Hand auf einen späteren Zeitpunkt verschoben
Zu welchem Zeitpunkt welcher Eingriff notwendig ist, ent- werden. So wird z. B. beim M. Apert immer der Schädel wegen
scheidet der Operateur – die Ansichten reichen von »so früh wie der Gefahr der Entwicklung eines Hydrocephalus aufgrund des
möglich« bis zu »nach Abschluss des Wachstums«. Zwar ist am erhöhten Hirndrucks zuerst korrigiert, bevor die Hände operiert
älteren Kind die Präparation der Strukturen oftmals einfacher, die werden. Weiterhin sind mögliche Korrektur- und/oder Nachfol-
Gefahr der Verletzung von Epiphysenfugen, Nerven und Gefäßen geoperationen zu bedenken. Eine regelmäßige Nachuntersuchung
somit geringer – jedoch wird von den meisten Autoren ein frühzei- bis zum Abschluss des Wachstums ist daher notwendig, um Ver-
tiger Eingriff empfohlen. Dieser ist dann sinnvoll, wenn sich durch änderungen, wie z. B. durch Narbenzüge entstandene Skelettdefor-
21.1 · Allgemeines
477 21
mitäten, zu erkennen und frühzeitig eingreifen zu können. Diese
Kontrolltermine dienen auch der internen Qualitätskontrolle und
der ständigen Evaluierung des eigenen Behandlungskonzepts.

Postoperative Maßnahmen
Als postoperative Maßnahme ist die Ergotherapie unverzichtbar
im interdisziplinären Behandlungskonzept. In spielerischer Art
werden Funktionen trainiert und die neue Handfunktion im Alltag
des Kindes umgesetzt. Je nach Alter des kleinen Patienten sind die
Eltern mehr oder weniger stark eingebunden. Das tägliche Spiel
mit der korrigierten fehlgebildeten Hand ist absolut notwendig,
um neben dem guten funktionellen auch ein gutes ästhetisches
Ergebnis zu erzielen. Dazu müssen die Eltern instruiert werden,
wie sie die Sensibilität, die Feinmotorik und die Kraft an der be-
troffenen Hand ihres Kindes fördern und die Narben gepflegt und
massiert werden können.
Die Anfertigung von thermoplastischen Schienen, präoperativ
zur Vorbereitung oder postoperativ zur Lagerung der operierten
Hand und zur Unterstützung der neu gewonnenen Funktion, ge-
hört ebenfalls zum Aufgabengebiet der Ergotherapie. Wenn für das
Kind notwendig, können die Eltern bezüglich der Verwendung von
Hilfsmitteln beraten und diese zur Erleichterung des Alltags indivi-
duell angefertigt werden. So wird der Gebrauch der fehlgebildeten
Hand gefördert und kann immer mehr Funktionen bei alltäglichen ⊡ Abb. 21.6 Statische Fingerschiene zur präoperativen Weichteildehnung
Aufgaben übernehmen. Eine Knöpfelhilfe kann z. B. das An- und vor dem Korrektureingriff einer Klinodaktylie am Kleinfingerendglied
Ausziehen erleichtern oder eine Griffadaptation des Besteckes das
Essen mit Messer und Gabel ermöglichen. Die Selbstständigkeit
und somit das Selbstwertgefühl des Kindes können so gefördert
werden. Schienenbehandlung
Schienen aus thermoplastischem Kunststoff werden von den Hand-
Handtherapie bei angeborenen Fehlbildungen therapeuten immer individuell an die jeweilige Kinderhand ange-
Dunja Estermann passt. Keinesfalls dürfen Druckstellen oder Abschnürungen auftre-
ten. Aus diesem Grund ist auf ein leichtes Material (z. B. 1,6 mm
Erfahrungen in der Handtherapie haben gezeigt, dass Kinder mit dicker thermoplastischer Kunststoff) und auf weiche Polsterungen
Handfehlbildungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten im Alltag, sowie gepolsterte Flauschbandverschlüsse zu achten. Regelmäßige
beim Spielen und bei anderen Greifaktivitäten außerordentlich Termine müssen mit den Eltern vereinbart werden, um zu kontrol-
geschickt sind. In fast allen Fällen können operative Eingriffe die lieren, ob die Schiene korrekt angelegt wird und ob das Kind noch
Funktion und Ästhetik der Kinderhände wesentlich verbessern nicht aus der Schiene herausgewachsen ist.
und somit einen beachtlichen Gewinn der Lebensqualität der Ziele der Schienenbehandlung können sein, eine knöcherne
betroffenen Kinder bewirken. Eine enge, direkte, vertrauensvolle, Struktur sowie Weichteile
interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem Ärzte-, Thera- a) präoperativ oder postoperativ aufzudehnen,
peuten- und Pflegeteam, den Eltern und den Kindern selbst ist eine b) postoperativ zu lagern und
wichtige Grundvoraussetzung zum Erreichen des bestmöglichen c) eine Schutzfunktion zu erfüllen.
postoperativen Ergebnisses. In der Handtherapie wird individuell
auf das Alter, die Lebensumstände und die jeweiligen Fähigkeiten Beim prä- und postoperativen Aufdehnen wird meist nachts eine
des Kindes eingegangen. Vorhandene Stärken werden gestärkt und statische Schiene und tagsüber stundenweise (z. B. 4-mal täg-
Schwächen geschult. lich 30 min) eine dynamische Schiene getragen. In dieser Weise
können Fehlbildungen wie die Klinodaktylie (⊡ Abb. 21.6;  Ab-
> Ein Schwerpunkt der Handtherapie ist es, durch Tätigsein im
schn 21.2.9), die radiale Klumphand ( Abschn. 21.2.13) und die
Alltag und beim Spielen den Gebrauch der operierten Hand
Windmühlenflügeldeformität ( Abschn. 21.2.6) behandelt werden.
zu trainieren und Greiffunktionen zu optimieren.
Bei der Kampto- und Klinodaktylie ist eine Schienenbehandlung
Um einen kurzen Überblick in die Handtherapie bei angeborenen über Jahre hinweg notwendig, um eine Verbesserung der Finger-
Fehlbildungen zu geben, wird nachstehend auf die wichtigsten stellung zu bewirken.
Maßnahmen in der Handtherapie eingegangen Bei der radialen Klumphand und Windmühlenflügelde-
Diese haben als Ziel eine/n möglichst formität verbessert das präoperative Vordehnen der Weichteil-
▬ schmerzfreien Gebrauch, und Gelenkstrukturen das postoperative Ergebnis. Postoperativ
▬ freie Gelenkbeweglichkeit, aufgedehnt werden müssen vor allem Narbenzüge, falls sie zu
▬ maximale Handfunktion, longitudinal geschnitten wurden und eine Bewegungseinschrän-
▬ größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag, kung bzw. Deviation eines Gelenks oder Fingers verursachen
▬ uneingeschränkten Handeinsatz beim Spielen, könnten.
▬ normales taktiles Empfinden, Die postoperative Lagerung ist beispielsweise nach einer Synd-
▬ kraftvolle Greiffunktion der betroffenen, operierten Hand. aktylietrennung in V-Form außerordentlich wichtig, um die Abduk-
478 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

⊡ Abb. 21.7 V-Schiene nach Syndaktylie-Trennung D III/IV, um postoperativ ⊡ Abb. 21.9 Statische Schiene zur Lagerung nach Korrektur einer radialen
die Weite der Kommissur zu erhalten Klumphand, um eine Rezidivdeviation zu verhindern

⊡ Abb. 21.8 Schiene zur postoperativen Stabilisierung des Neo-Daumens ⊡ Abb. 21.10 Zwillingsschiene D III/D IV nach Operation an einer Spalthand
nach Zeigefingerpollizisation

tionsfähigkeit der voneinander getrennten Finger zu gewährleisten Ödemreduktion


und die Narben optimal zu dehnen (⊡ Abb. 21.7;  Abschn. 21.2.1). Operative Eingriffe können mit einer anschließenden Ödembil-
Nach einer Pollizisation dient die postoperative Lagerung des Dau- dung einhergehen. Um dieser entgegenzuwirken, werden von Di-
mens in 40° Abduktionsstellung als Schutz. Das IP-Gelenk kann day-Nolle (2009) folgende ödemreduzierende Nachbehandlungen
dabei für Greifaktivitäten ohne Belastung frei bleiben (⊡ Abb. 21.8; empfohlen:
 Abschn. 21.2.7). ▬ Hochlagerung der oberen Extremität: die Hand wird höher
Eine Schutzfunktion übernimmt eine Schiene beispielsweise gelagert als der Ellenbogen, dieser wiederum höher als die
21 postoperativ bei einer radialen Klumphand (⊡ Abb. 21.9), indem Schulter, um den Lymphabfluss durch die Schwerkraftwirkung
das Handgelenk so weit nach ulnar wie möglich gelagert wird zu begünstigen;
(max. 0°), um einer abermaligen Radialdeviation vorzubeugen ▬ Schienenbehandlung zur Ruhigstellung der betroffenen Hand
( Abschn. 21.2.13). Ein Zwillingsschlaufenband dient nach einer in einer Lagerungsschiene;
Spalthandkorrektur ebenfalls als Schutz (⊡ Abb. 21.10) und bewirkt ▬ aktive Mobilisation zur Aktivierung der Muskelpumpe: z. B.
gleichzeitig ein Umlernen der neuen Fingerstellung in korrigierter Fingerab- und -adduktion zur Verminderung von Handrü-
Adduktionstellung. Die bisher gewohnte Abduktion soll damit ckenödemen durch Aktivierung der intrinsischen Muskulatur;
vermieden und der Spitzgriff zum Daumen angebahnt werden ▬ Durchführung leichter Tätigkeiten ohne körperlicher Be- und
( Abschn. 21.2.8). Überlastung;
21.1 · Allgemeines
479 21
▬ Druckanwendungen: z. B. Kompressionsbandagen, -handschu-
he, Druckmanschetten;
▬ Pinseln und Fächern von distal nach proximal, um das öde-
matöse Gewebe zu beruhigen und zu entstauen;
▬ Kälteapplikationen mit milder Kälte: z. B. gekühlte Sandbäder,
Topfenwickel, Gelapplikationen etc.;
▬ manuelle Lymphdrainage, bei welcher der Gewebsflüssigkeits-
abtransport durch großflächige, kreisförmige Griffe von distal
nach proximal begünstigt wird;
▬ Hautpflege und retrograde Massage, die ebenfalls von distal
nach proximal erfolgen und eine beruhigende, entstauende
Wirkung auf das Gewebe ausüben.

Narbenbehandlung
Der Narbenbehandlung kommt in der Handtherapie bei Hand-
fehlbildungen eine ganz wesentliche Bedeutung zu, da das Nar-
bengewebe im Wachstum der Kinderhand nicht gleich elastisch
ist wie das umliegende Haut- und Bindegewebe. Es kann daher zu
Deviationen, Bewegungseinschränkungen, narbigen Syndaktylien
und Minderwuchs kommen. Um dem entgegenzuwirken, muss
in der Therapie eine intensive Narbenbehandlung vorgenommen
werden, die auch den Eltern gezeigt wird, damit sie diese regelmä-
ßig zu Hause fortsetzen können. Als Maßnahmen eignen sich Mas-
sagen mit leichtem Druck und kreisenden Bewegungen – entweder
manuell ausgeführt oder mit einem kleinen Massagegerät. Dazu
können eine Fettcreme, Ringelblumensalbe, Johanniskrautöl oder
spezielle Narbensalben verwendet werden. Frühe aktive Mobilisa-
tion und eine vorsichtige Dehnung durch passive Mobilisation wir-
ken sich ebenfalls günstig auf die Narbenelastizität aus. Bestehen ⊡ Abb. 21.11 Vacuumpumpenset zur Narbenbehandlung
bereits kontrakte, longitudinale, palmare Narben, so müssen diese
durch eine gezielte Schienenbehandlung aufgedehnt oder, falls dies
über 3 Monate hinweg keinen Erfolg bringt, operativ korrigiert Schmerzgrenze und des Weichteilwiderstands achsengerecht passiv
werden. Bei einer Neigung zu hypertrophen Narben empfiehlt bewegt.
Waldner-Nilsson (2009) die Anwendung einer Kompressions- und
Silikonauflage, damit das Narbengewebe weicher und somit elas- Training von Alltagsaktivitäten
tischer wird. Wärmeanwendungen z. B. durch Paraffinpackungen Der Alltag eignet sich ausgezeichnet, um Greiffunktionen der
und Ultraschallbehandlungen wirken sich ebenfalls günstig auf die betroffenen, operierten Hand zu üben. Wesentlich dabei ist, dass
Narbenelastizität aus. Bei eingezogenen, adhärenten Narben kann das Kind möglichst viel Selbstständigkeit im Alltag erlangt, dass
eine Vacuumpumpe (⊡ Abb. 21.11) verwendet werden, um das ver- die Aktivitäten sinnvoll sind und dass die Grifftechniken häufig
klebte Narbengewebe durch Unterdruck vom darunter liegenden wiederholt werden. Als Motivation zum Greifen nach einer Polli-
Bindegewebe zu lösen. Diese Technik darf bei kleinen Kindern zisation kann dem Kind nach der Schienenabnahme (6 Wochen
nicht eingesetzt werden, da sie schmerzhaft sein und Hämatome postoperativ) z. B. ein Stück Brot oder Keks zum Essen angeboten
verursachen kann. Eine jährliche Narbenkontrolle soll mit den werden (⊡ Abb. 21.12), das es selber mit dem »neuen Daumen« er-
Eltern des Kindes bis zum Ende des Wachstums vereinbart werden, greift und zum Mund führt ( Abschn. 21.2.7). Auch das Zeichnen
damit auf Komplikationen rechtzeitig konservativ oder operativ und Schreiben hat einen motivierenden Aufforderungscharakter
reagiert werden kann. für Kinder (⊡ Abb. 21.13). Beim Baden, Eincremen, Anziehen, Fri-
sieren etc. kann die betroffene Hand vom Kind selbst eingesetzt
Aktive und passive Mobilisation werden, sofern das Kind alt genug dazu ist, alle Wunden verheilt
Manuelle Mobilisationstechniken dürfen an betroffenen knöcher- und die Gelenke zum aktiven Bewegen vom zuständigen Chirur-
nen und Weichteilstrukturen nur nach Rücksprache mit dem zu- gen freigegeben worden sind.
ständigen Chirurgen durchgeführt werden. Dieser gibt auch die
aktive Bewegung und Belastungserlaubnis der betroffenen Hand Hilfsmittel
zur gegebenen Zeit frei. Aus diesem Grund ist die direkte Zusam- Hilfsmittel werden angeboten, um Kindern den Gebrauch ihrer
menarbeit zwischen Therapeuten und Chirurgen von sehr großer Hand im Alltag zu erleichtern. Als Beispiel dafür dienen Griffver-
Wichtigkeit. dickungen an Stiften und Besteckgriffen (⊡ Abb. 21.14) oder indivi-
Die aktive Mobilisation muss postoperativ an allen nicht be- duell angefertigte Alltagshilfen, wie z. B. ein Lenkstangenhaken bei
troffenen Gelenken sofort erfolgen. Sobald alle offenen Wunden Peromelie, damit dem fingerlosen Kind das Radfahren ermöglicht
verheilt sind, erweist sich der Beginn der aktiven Greifübungen in wird (⊡ Abb. 21.15).
einem lauwarmen Wasserbad als vorteilhaft.
Bei der passiven Mobilisation eines bestimmten Gelenks muss Funktionelle Spiele
dieses vom Therapeuten proximal der Gelenkfalte fixiert wer- Viele spezielle Greiffunktionen lassen sich durch den Einsatz von
den. Die Phalanx distal des Gelenks wird unter Einhaltung der funktionellen Spielen ausgezeichnet üben, bereiten den Kindern
480 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

⊡ Abb. 21.15 Verlängerung der Lenkstange – Individuelles Hilfsmittel zum


Radfahren für ein Kind mit Peromelie

⊡ Abb. 21.12 Brot ergreifen nach Pollizisation des Zeigefingers bei Daumen-
hypoplasie – Alltagsaktivitäten zu Trainingszwecken

⊡ Abb. 21.16 Reversi als Stabspiel zum Erlernen des Faustschlusses

⊡ Abb. 21.13 Zeichnen zum Erlernen neuer Handfunktionen nach Korrektu-


roperationen bei M. Apert

⊡ Abb. 21.17 Alltägliches Spielzeug zum Training des Schlüsselgriffs

21
Freude und bieten Erfolgserlebnisse. Zum Erlernen des Grobgriffs
können Stabspiele eingesetzt werden, wie das Holzstab-Reversi-
Spiel (⊡ Abb. 21.16), für den Schlüsselgriff eignet sich das Ergreifen
von und Hantieren mit kleinen Spielsachen (⊡ Abb. 21.17) und
zum Üben des Spitzgriffs können dem Kind feinmotorische Stäb-
chenspiele oder ein Stecknadel-Solitär-Spiel angeboten werden
⊡ Abb. 21.14 Griffverdickungen als Möglichkeit zur Förderung der Selbst- (⊡ Abb. 21.18). Das Kind soll stets ermutigt werden, die betroffene
ständigkeit Hand zum Spielen einzusetzen und bilaterales Hantieren vorzuneh-
21.1 · Allgemeines
481 21

⊡ Abb. 21.19 Bürsten und Pinsel zum Sensibilitätstraining

⊡ Abb. 21.18 Solitär mit Stecknadeln, um den Spitzgriff zu beüben

men. Je nach Fehlbildung, Alter und Vorlieben des Kindes werden


den Eltern Tipps für zu Hause mitgegeben und Übungsspiele emp-
fohlen.

Sensibilitäts- und Wahrnehmungsschulung


Nach einem operativen Eingriff durch einen erfahrenen Hand-
chirurgen treten erfahrungsgemäß kaum Sensibilitätsstörungen
auf. Ausgenommen davon sind z. B. Zehentransfers, nach welchen
nicht nur die Sensibilität neu geschult, sondern das gesamte Kör-
perschema umgelernt werden muss. Zum Sensibilisieren eignen
sich Schwämme, Bürsten und Pinsel (⊡ Abb. 21.19), wobei dem
Kind zuerst härtere und nach und nach immer weichere Reize am
hypästhetischen Gebiet gegeben werden.
Bei einer Hyperästhesie erfolgt die Desensibilisierung in um-
gekehrter Reihenfolge, zuerst werden ganz weiche und mit der
Zeit immer härtere, für das Kind noch tolerierbare Reize ange- ⊡ Abb. 21.20 »Schatzsuche« im Sensibilitätsbad
boten. Wichtig ist, dass dieses Training nur kurz, aber mehrmals
am Tag regelmäßig über viele Wochen hinweg in der Therapie
und zu Hause von den Eltern des Kindes durchgeführt wird
(z. B. 4-mal täglich 5 min). Ein weiteres Element in der Wahrneh-
mungsschulung ist das Eintauchen mit der betroffenen Hand in
ein »Sensibad«, gefüllt mit Linsen, Reis, Sand, Kunststoffperlen
etc. (⊡ Abb. 21.20), aus welchem das Kind ohne visuelle Kontrolle
mit den hypästhetischen Fingern wie bei einer »Schatzsuche«
kleine Gegenstände (z. B. Murmeln) herausgreift. Zur Wahrneh-
mungs- und Sensibilitätsschulung können auch zugenähte »Sensi-
Säckchen« mit verschiedenen Inhalten, wie Kieselsteinen, Watte,
Getreide, Erbsen etc. verwendet werden, die das Kind voneinander
unterscheiden und benennen lernen soll. Auch ein »Sensi-Domi-
nospiel« aus Holz, das mit unterschiedlichen Oberflächen beklebt
wird, wie z. B. mit Leder, Schleifpapier, Frotteestoff, etc., bietet eine
gute Trainingsmöglichkeit. Das Kind soll gleiche Oberflächen ohne
visuelle Kontrolle durch Erfühlen zusammenfinden. Ein weiteres
Angebot kann eine Stofftasche gefüllt mit kleinen Gegenständen ⊡ Abb. 21.21 Krafttraining mit Knetmasse zum Training der Daumenmus-
sein, wie einem Löffel, Stein, Kamm, Radiergummi, Holzwürfel etc. kulatur
Aus dieser Tasche sollen vom Kind mit der operierten Hand ohne
hinzusehen die von den Eltern oder vom Therapeuten verlangten
Gegenstände einzeln herausgefühlt und herausgegriffen werden. durch den regelmäßigen Einsatz der betroffenen Hand im Alltag
und beim Spielen ohnehin regelmäßig trainiert und verbessert wird.
Krafttraining Sollte dennoch ein gezieltes Krafttraining nötig sein, so können mit
Das Krafttraining ist bei Kindern mit Handfehlbildungen nach ope- dem »Therapiekitt« (therapeutische Knetmasse; ⊡ Abb. 21.21), viele
rativen Eingriffen nicht von vorrangiger Bedeutung, da die Kraft Übungsvariationen durchgeführt werden. Auch Haushaltsgegen-
482 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

6. Prothetischer Ersatz ist im Allgemeinen bei Kindern nicht


notwendig, da das Kind mit seiner angeborenen Fehlbildung
aufwächst und oft erstaunliche Kompensationsmechanismen
entwickeln kann. Dagegen können speziell angefertigte Hilfs-
mittel zum Erlernen von beidhändigem Essen oder Radfahren
eine große Hilfe darstellen.

21.2 Spezielle Techniken

21.2.1 Syndaktylie

Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie


Als Syndaktylie wird die Verbindung von 2 oder mehreren Fingern
bezeichnet, wobei sie häutig oder knöchern sein kann.
Die Unterteilung in komplette und inkomplette Syndaktylien
⊡ Abb. 21.22 Krafttraining mit einer Widerstandsklammer erfolgt nach der Längsausdehnung der Verbindung, die, sind meh-
rere Finger betroffen, unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Bei der
kompletten Syndaktylie reicht die Hautbrücke bis zu den Finger-
stände, wie eine Gurkenzange aus Holz (⊡ Abb. 21.22) oder große spitzen (⊡ Abb. 21.23a), die Nägel sind getrennt oder können völlig
Wäscheklammern, können beim Spielen mit eingebunden werden, ineinander übergehen (sog. Nagelband). Inkomplette Syndaktylien
um die Finger- und Handkraft zu steigern. reichen selten bis zur Mitte der Endglieder und meist enden sie als
»Schwimmhaut« im distalen Drittel des Grundgliedes.
In der Hautbrücke zwischen den verbundenen Fingern laufen
21.1.8 Besonderheiten der Therapie angeborener transversal Bindegewebszüge und Venen. In Höhe der Grundglie-
Handfehlbildungen der kann man eine distal verlagerte Aufteilung der Gefäße und
Nerven vorfinden. Am häufigsten tritt die Syndaktylie zwischen
Im Vergleich zur Behandlung erworbener Defizite beim Erwach- dem Mittel- und Ringfinger (40–50%), sehr selten (7–9%) zwi-
senen bestehen bei der Behandlung von Handfehlbildungen des schen Daumen und Zeigefinger auf. Auch bei verschiedenen Syn-
(Klein-)Kindes deutliche Unterschiede: dromen ist die Syndaktylie ein fakultatives oder obligates Symptom
1. Die Therapieentscheidung erfolgt bei Kindern durch Dritte, (Poland-, Apert-Syndrom).
die Eltern oder Erziehungsberechtigten und nicht wie beim Bei der knöchernen Syndaktylie sind häufig die Streck-und
Erwachsenen durch den Patienten selbst. Selbstvorwürfe (»Ich Beugesehnen sowie Nerven und Gefäße ebenso fehlgebildet.
habe ein Kind mit einer Behinderung«), unrealistische Thera- Die Syndaktylie tritt sporadisch auf. Es sind aber auch zahl-
piehoffnungen oder Entscheidungsängste müssen bedacht und reiche erbliche Formen bekannt, wobei der Erbgang autosomal-
eventuell auch ein Psychologe hinzugezogen werden. dominant, mit inkompletter Penetranz und variabler Expressivität
2. Alle operativen Eingriffe erfolgen beim Kind in Allgemeinan- erfolgen kann.
ästhesie. Prinzipiell besteht keine Altersbeschränkung für ope-
rative Eingriffe. In der Praxis hat sich die Operation im Alter Klassifikation
um das 1. Lebensjahr bewährt. Bei der Syndaktylie lassen sich primäre und sekundäre Syndak-
3. Ziel der Therapie beim Erwachsenen ist eine möglichst opti- tylien unterscheiden. Während es sich bei den primären Syndak-
male Wiederherstellung von Form und Funktion. Bei einem tylien um eine Differenzierungsstörung der Weichteilmäntel um
Kind mit einer fehlgebildeten Hand müssen verschiedene die Knochenstrahlen handelt, entsteht die sekundäre Form durch
Greiffunktionen erst hergestellt werden. Im Gegensatz zu er- Differenzierungs- und Wachstumsstörung des bereits geglieder-
wachsenen Patienten mit Handverletzungen hat das Kind nie ten Skleroblastoms. Nach morphologischen und pathogenetischen
über eine spezifische Funktion verfügt, die nun plötzlich fehlt, Gesichtspunkten werden also die isolierte und die komplexe oder
daher ist diese auch im Körperschema des Kindes noch nicht kombinierte Form unterschieden, die jeweils wiederum unterteilt
angelegt. werden.
4. Bei Eingriffen an der kindlichen Hand müssen auch Me-
chanismen während des Wachstums beachtet werden. So Indikation und Operationszeitpunkt
können nicht ideal angelegte Inzisionen zu Narbenkontrak- Bei häutiger, kompletter Syndaktylie zwischen 2 Fingern verschie-
turen und diese wiederum zu Skelettfehlwachstum führen. dener Länge (z. B. Daumen und Zeigefinger oder Mittel- und
Die postoperative Ruhigstellung erfolgt beim (Klein-)Kind Ringfinger) kann es zur Deviation des längeren zum kürzeren
21 nach dem »Alles-oder nichts-Prinzip«. Zur Vermeidung von Finger kommen und dadurch zu knöchernem Fehlwachstum. Aus
ungewünschten Bewegungen kann auch ein Oberarmgips diesem Grunde ist bei dieser Art aber auch bei der Akrosyndakty-
notwendig sein. Sekundäre Gelenkeinsteifungen treten nur lie eine relativ frühe Trennung wichtig (1.–2. Lebensjahr). Die Syn-
äuβerst selten auf. daktylie zwischen Daumen und Zeigefinger, dieser ist dabei nach
5. Die Handtherapie hat bei der Nachbehandlung von Handver- radial gekrümmt, soll aufgrund des befürchteten Fehlwachstums
letzungen im Erwachsenenalter eine entscheidende Bedeutung bereits vor dem 1. Lebensjahr getrennt werden.
für das Gesamtergebnis. Bei Kindern muss bis zum Alter von Bei inkompletter häutiger Syndaktylie kann bis zum Schulein-
etwa 6 Jahren im Rahmen einer Spieltherapie versucht werden, trittsalter mit der Operation gewartet werden. Hier geht es meist
verschiedene Greifformen optimal zu erlernen. um eine ästhetische und nicht um eine funktionelle Verbesserung
21.2 · Spezielle Techniken
483 21
der Hand. Je früher die Teilung der Finger operativ vorgenommen
wird, umso wichtiger ist allerdings die jährliche Kontrolle, um
Narbenverziehungen rechtzeitig zu erkennen und eventuell zu kor-
rigieren. Wenn die Syndaktylie alle Finger betrifft und noch dazu
eine knöcherne Verschmelzung der Endglieder vorliegt, ist eine
genaue Planung und Entscheidung, wann wie viele Operationen
nötig sind, mit den Eltern zu treffen. Sind 3 Finger nebeneinander
verbunden, ist eine vorsichtige Trennung unter Erhalt der Gefäße
und Nerven in einer Operation möglich. Dies ist allerdings auf
dem Gebiet der Fehlbildungen erfahrenen Handchirurgen vorbe-
halten und bedarf einer subtilen Operationstechnik und genügend
langer Operationszeit. Bei beidseitiger Syndaktylie an Händen oder
Füßen ist eine Korrektur in einer Operation, parallel in 2 Teams
oder nacheinander, möglich.

Spezielle Therapie
Technik der Syndaktylietrennung zwischen zwei a b
Fingern
Das Ziel der Operation ist die Bildung einer tiefen Kommissur
zwischen den beiden betroffenen Fingern und die Bedeckung
der Fingerseitenflächen mit Haut. Der Umfang der beiden syn-
daktylen Finger ist immer deutlich kleiner als jener der beiden
getrennten Finger. Aus diesem Grunde ist entsprechend viel Haut
zur Bedeckung der Seitenflächen nötig. Die Kommissurbildung
erfolgt durch 2 dreieckige, dorsal und palmar proximal gestielte
Lappen, welche gegeneinander vernäht werden (⊡ Abb. 21.24). Es
kann auch ein breiter dorsaler Lappen umschnitten und nach
palmar eingenäht werden. Hsu et al. (2010) verwenden bei inkom-
pletter einfacher Syndaktylie einen modifizierten V-Y-Lappen vom
Handrücken, um den Zwischenfingerraum (ZFR) zu formen. Nach
weiter distal hat sich die bis an die Mittellinie der zu trennenden
Finger reichende zickzackförmige Inzision bewährt. Die dadurch c
gebildeten Läppchen, palmar und dorsal, werden an den Finger-
seitenflächen vor allem in Höhe der Gelenke gegeneinander genäht
(⊡ Abb. 21.23b). Besonders ist auf die Bildung von schmalen Fin-
gerkuppenlappen zu achten, um einen neuen Nagelfalz zu bilden
(⊡ Abb. 21.25). Die Zwischenräume in Höhe der Grund-, Mittel-
und Endglieder werden mit meist quer liegenden Transplantaten
versorgt. Es ist darauf zu achten, dass bei frühkindlichem Opera-
tionszeitpunkt die Winkel der zickzackförmig geschnittenen Läpp-
chen spitz (15–20°) sind (⊡ Abb. 21.26). Dadurch verringert sich im
Wachstum das Risiko einer Longitudinalisierung der Narben.
Bei der Trennung der Finger ist auf die distale Teilung der Ge-
fäßnervenbündel zwischen den verbundenen Fingern zu achten.
Zur Erreichung einer tiefen Kommissur muss eines der beiden
d
Gefäße durchtrennt und der Nerv mikrochirurgisch geteilt werden.
Die Durchtrennung einer Arterie kann später zu Durchblutungsstö-
⊡ Abb. 21.23 4-jähriger Knabe mit kompletter, häutiger Syndaktylie D III/IV.
rung führen. Es scheint in ausgewählten Fällen nötig zu sein, zuerst
a Linke Hand präoperativ, b Bildung des Nagelwalls durch langen, schmalen
eine Mikroklemme auf das zu durchtrennende Gefäß zu setzen und
Fingerkuppenlappen. Zur Bedeckung der Defekte an den Fingerseitenflächen
die Blutleere kurzfristig zu öffnen. Wenn der Finger trotz Klem- werden spitzwinkelige Läppchen von palmar und dorsal vor allem in Höhe
mung ausreichend durchblutet ist, kann das Gefäß durchtrennt der Gelenke gegeneinander vernäht, c 9 Jahre postoperativ – tiefe Kom-
werden. Diese Vorsichtsmaßnahme ist besonders bei Trennung von missur, eingeheilte Transplantate und gut geformte Nagelwälle, d palmare
3 benachbarten syndaktylen Fingern zu empfehlen. Die Durchtren- Ansicht beider Hände, links nach Syndaktylietrennung, rechts inkomplette
nung der Gefäße muss im Operationsbericht dokumentiert werden. häutige Syndaktylie
Die Entnahme der Vollhaut wird in der Leistenregion durchgeführt,
wobei 1 oder 2 elliptische Areale mit einer Breite von bis zu 3 cm
bei Kindern im Alter von 1–2 Jahren verwendet werden können. 5/0 und 6/0 resorbierbaren Fäden das Korium genäht und mit einer
Im Laufe weiterer Operationen können dieselben Entnahmestel- fortlaufenden Naht 5/0 die Haut verschlossen.
len genommen werden. Bei größeren Defekten verwenden wir Das Vollhauttransplantat muss entfettet werden. Die Einnaht er-
Haut vom Unterbauch. Es sollte darauf geachtet werden, dass die folgt nach Öffnen der Blutleere mit 6/0-Fäden. Bei größeren Trans-
Haut von einem später nicht haartragenden Körperteil stammt. Die plantaten empfiehlt es sich, kleine Öffnungen in das Transplantat zu
Hautentnahmestellen werden nur gering unterminiert, mit einigen schneiden und vor Anlegen des Verbandes unter dem Transplantat
484 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

a b

⊡ Abb. 21.24 Trennung einer kompletten kutanen


Syndaktylie mithilfe eines dorsalen und palmaren
Dreieckslappens und Zickzackinzision bis zu den
Fingerspitzen. a Präoperativer Aspekt und Planung
der Hautinzision: Ansicht von dorsal, b präoperati-
ver Aspekt und Planung der Hautinzision: Ansicht
von palmar nach Einnaht der Transplantate,
c von dorsal, d Ansicht am Ende der Operation c d
von palmar

21

⊡ Abb. 21.25 Schematische Darstellung der


Konstruktion des lateralen Nagelwalls bei Syndak-
tylietrennung nach Buck-Gramcko. a Planung der
Hautinzision, b Lappentransposition zur Herstel-
b
lung des Nagelwalls a
21.2 · Spezielle Techniken
485 21

⊡ Abb. 21.27 15-jähriges Mädchen mit Symbrachydaktylie vom Kurzfinger-


typ beidseits bei Zustand nach Trennung der häutigen Syndaktylie D I–IV
rechts und D II–V links. Ausgedehnte Narbenkontrakturen mit engen und
verschieden tiefen Kommissuren

⊡ Abb. 21.26 14 Monate altes Mädchen mit inkompletter häutiger Syndak-


tylie D III/IV rechts, spitzwinkelige, zickzackförmige Inzision mit dreieckigem,
proximal gestieltem Lappen zur Bildung einer ausreichend tiefen Kommissur Postoperative Therapie
Zwischen dem 10. und 21. postoperativen Tag werden den Kindern
in Kurznarkose alle Nähte, sowohl an der Hautentnahmestelle
vorsichtig mit physiologischer Kochsalzlösung ein eventuell vor- als auch an den Fingern, entfernt. Krusten werden im Wasserbad
handenes Hämatom auszuspülen. Die Verbandanordnung an der aufgeweicht. Die Fingerseitenflächen sind ab diesem Zeitpunkt
Hand ist wie folgt: Es wird mit Fettgaze und trockenen Tupfern ein durch die Pflegeperson zu massieren. Es empfiehlt sich eine Kont-
Überknüpfverband angelegt. Bei Trennung von 3 Fingern gleich- rolle 3 Monate nach der Operation, sowie einmal jährlich bis zum
zeitig wird der Verband nicht eingeknüpft, da durch eine postope- Abschluss des Wachstums (⊡ Abb. 21.23c,d), um die Narbenent-
rative Schwellung eine Durchblutungsstörung auftreten kann. Der wicklung beobachten zu können. Beim Auftreten von Narbenkon-
Verband wird mit Watte, Krepppapier und einer elastischen Binde trakturen mit einer Deviation der Finger kann durch diese regel-
bis zum proximalen Unterarmdrittel angewickelt. Werden beide mäßigen Kontrollen rechtzeitig eingegriffen werden.
Hände gleichzeitig operiert, werden die Extremitäten mit Oberarm-
Plastikhüllen, die an einem Hemd angenäht sind versorgt. Fehler, Gefahren und Komplikationen
Bei geringer Wundheilungsstörung muss eine Epithelialisierung
Technik der Syndaktylietrennung zwischen Daumen der Granulationen abgewartet werden.
und Zeigefinger Liegen Wundheilungsstörungen größeren Ausmaßes vor, ist
Bei komplexen Syndaktylien, wie beim Apert-Syndrom oder bei der eine Wiederholung der Hauttransplantation eher anzuraten als ein
Spalthand, sind Daumen und Zeigefinger verbunden, und somit Abwarten, da es sonst zu einer verstärkten Narbenbildung, zu ei-
der 1. ZFR nicht angelegt. Es werden verschiedene Methoden zur ner Verziehung und zu Wachstumsstörungen der Finger kommen
Erweiterung dieses für die Bewegung des Daumens so wichtigen kann (⊡ Abb. 21.27).
Raumes angegeben, wie z. B. Z-Plastik, Einbringen von Trans- Der Rotations-Dehnungs-Lappen kann eine Epitheliolyse oder
plantaten, V-Y-Plastik oder Einbringen eines Lappens. Der von durchgehende Nekrosen an der Lappenspitze aufweisen, wobei als
Buck-Gramcko (1981) angegebene Kombinationslappen von der Therapie bei Nekrose eine neuerliche sorgfältige Hebung und Verlän-
Streckseite der Mittelhand, der als Rotations-Dehnungs-Lappen be- gerung des Lappens eine sinnvolle Lösung des Problems darstellt.
schrieben wurde, ist sehr variabel in Größe und Form und die Lap- Eine Infektion kann aus verschiedenen Gründen auftreten.
penentnahmestelle kann ohne Verwendung eines Hauttransplantats Diese erfordert meist eine langwierige, für die Kinder auch äußerst
direkt verschlossen werden. Bei sorgfältiger Schonung der den schmerzvolle Therapie. Es ist häufiger Verbandwechsel bis zur Ab-
Lappen ernährenden Gefäße, Venen und Äste der A. radialis, kann heilung notwendig.
man den 1. ZFR sehr gut vertiefen und erweitern. Der Lappen kann Bei Verletzung oder Durchtrennung eines der beiden Finger-
verschieden breit und unterschiedlich lang genommen werden. nerven kommt es im distal gelegenen entsprechenden Fingerareal
Zur Aufrechterhaltung des weiten 1. ZFR wird nach Einheilung des zu einer trockenen und gefühllosen Haut. Daher ist bei der Tren-
Lappens eine Nachtschiene in ca. 45° palmarer Abduktionsstellung nung der Nerven im Falle einer weit distalen Teilung, auf eine
verordnet, welche etwa 4–6 Wochen getragen werden muss. sorgfältige intraneurale Präparation zu achten.
Die Hyperpigmentierung einerseits und das Auftreten von
Akrosyndaktylie beim Schnürringsyndrom und Haaren in der Pubertät an den Transplantaten andererseits kann
Vorliegen einer Knochenbrücke zwischen den Fingern ein ästhetisches Problem für den Patienten bedeuten.
mit Vorliegen eines Nagelbandes Werden die Inzisionen nicht richtig gewählt kann es zum Rezi-
Es gibt selten isolierte Knochenbrücken zwischen syndaktylen Fin- div kommen – die sorgfältige präoperative Planung der Schnittfüh-
gern. Diese treten hauptsächlich beim Apert- Syndrom auf. Da sich rung und Lappen zur Deckung ist deshalb unerlässlich. Beim Ab-
die operative Trennung der Finger in beiden Fällen ähnelt, wird die spreizen der Finger entsteht die meiste Spannung an den Narben in
Technik in  Abschn. 21.2.11 genau beschrieben. der Kommissur – hier vor allem beim dorsalen Rechtecklappen.
486 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

21.2.2 Apert-Syndrom Zwischen Ring- und Kleinfinger sowie zwischen Daumen und
Zeigefinger besteht häufig eine häutige Syndaktylie. Die plumpen,
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie kurzen Mittelhandknochen (MHK) IV und V zeigen nicht selten
Das Apert-Syndrom wurde 1906 erstmals beschrieben und ist eine eine Synostose. Aufgrund der mangelhaft angelegten Handbinnen-
Form der Syndaktylie. Es ist ein komplexes Syndrom mit Fehlbil- muskulatur sind die ZFR eng. Der Daumen zeigt in der Regel eine
dung an beiden Händen und Füßen, mit koronarer Kraniosynos- plumpe kurze Phalange mit einer Klinodaktylie nach radial.
tose, Hypoplasie des Mittelgesichts, Stellungsanomalien der Zähne Nerven- und Blutgefäßabzweigungen sind nach distal verlagert,
und Hypertelorismus. In den meisten Fällen liegt eine Intelligenz- Sehnen können fehlen, falsch inserieren oder verschmolzen sein. Die
minderung vor. Ellenbogengelenke können häufig nicht gestreckt werden (Cubitus
An den Händen sind Knochen, Gelenke und Weichteile be- valgus), die Schultergelenke sind in der Abduktion eingeschränkt.
troffen. Es besteht eine komplette Syndaktylie zwischen D II–V
mit Verwachsungen der Fingerkuppen. Die Finger sind kurz und Klassifikation
zeigen Symphalangien. Zwischen dem Zeige- und Ringfinger sind Nach Blauth und Schneider-Sickert (1976) können 3 Typen von
meist Knorpel-Knochen-Brücken zwischen den Phalangen ausge- Handfehlbildungen beim Apert-Syndrom unterschieden werden;
bildet und die Endglieder sind zu einer Platte fusioniert. In aus- Upton (1991) hat diese funktionelle Klassifikation übernommen
geprägten Fällen ist nur ein Nagelband vorhanden (⊡ Abb. 21.28a). (⊡ Abb. 21.29).

⊡ Abb. 21.28 13 Monate altes Mädchen mit


a
Apert-Syndrom Typ II nach Upton. a Radiale Ab-
winkelung des kurzen plumpen Daumens und
Verschmelzung der Nägel zu einer Nagelplatte
D II–V, b präoperative MSCT-Angiografie der lin-
e
ken Hand, Ansicht von dorsal: Knochenbrücken
zwischen den symphalangen D II–IV, gemein-
same akrale Knochenplatte. Ansicht von radial:
verplumpter, nach radial deviierter Daumen (Ge-
fäßversorgung – A. radialis, A. ulnaris und persis-
tierende A. mediana), c intraoperative Darstellung
3 Wochen nach Trennung der Knochenplatte und
Implantation eines Silikonplättchens zur Ausbil-
dung einer synovialen Membran zwischen D III/
IV. Ein an D IV umschnittener und von D III gefäß-
gestielter gut durchbluteter Fingerkuppenlappen
dient zur Herstellung des ulnaren Nagelwalls D III, b
d Zustand nach Operation an beiden Händen
mit weitem 1. ZFR, relativ unauffälligen Vollhaut- f
transplantaten an den Fingerseitenflächen und
gut eingeheilten Fingerkuppenlappen D III und IV
rechts sowie kaum sichtbarer Narbe nach Rotati-
onslappenplastik bei Daumenverlängerung und
21 -geradestellung links, e beide Daumen im Alter
von 4 Jahren, rechts Zustand nach verlängernder
Osteotomie mit Geradstellung des klinodaktylen
Daumens, Narben nach Dehnungslappenplastik,
links mit noch bestehender radialer Klinodaktylie,
f im Alter von 6 Jahren, Zeichnung der eigenen
linken Hand, g Röntgenaufnahme beider Hände
im Alter von 7 Jahren: verlängerte und gerade
gestellte Daumen beidseits, gerades Wachstum
c g
der symphalangealen D II–V beidseits
21.2 · Spezielle Techniken
487 21
Degenhardt postulierte 1950, dass die kritische Phase zur Ent- (1991), Buck-Gramcko (1996), Guero (2005) und Piza-Katzer et
stehung eines Apert-Syndroms die 3. Embryonalwoche darstellt. al. (2008) die operative Korrektur an den Händen von mehr als
Zwischen dem 29. und 35. Tag post conceptionem können die ers- einer Fehlbildung in einer Sitzung. Dazu operieren 2 Teams an
ten Zeichen einer Fehlentwicklung beobachtet werden, wobei die beiden Händen und trennen die Verbindungen von mehreren
Schwere der Fehlbildung vom Zeitpunkt der Schädigung abhängt. Fingern. Das hat den Vorteil, dass die Kinder weniger oft stationär
Tritt die Schädigung am 30. oder 31. Tag post conceptionem auf aufgenommen werden müssen, daher weniger Narkosen benötigen
entwickelt sich eine Löffelhand, am 33. Tag eine Geburtshelferhand – somit kann die insgesamte Zahl der notwendigen Operationen
und am 32. bis 35. Tag der Typ I des M. Apert. Müller fand die feh- reduziert werden. Kinder vor dem 2. Lebensjahr tolerieren dieses
lende Differenzierung der primitiven Handplatte als Ursache für Vorgehen sehr gut. Chang et al. (2002) empfehlen eine bilaterale
das Entstehen der Löffelhand. Trennung der randständigen Finger vom syndaktylen Komplex
von D II–IV im 1. Lebensjahr, gefolgt von der Syndaktylietrennung
Indikation und Operationszeitpunkt der Zeige- bis Ringfinger und einer Osteotomie des Daumens mit
Die Behandlung dieser Kinder bedarf einer engen interdisziplinä- Einsetzen eines Knochenspans.
ren Zusammenarbeit, um einen optimalen Zeitplan für die gesamte Die Operation der Füße soll die Gehfähigkeit und die Schuh-
medizinische Versorgung zu erstellen. Dies sollte auch in Hinblick versorgung erleichtern, kann aber zeitlich etwas verschoben wer-
auf die kindliche Entwicklung in einem Familienverband berück- den.
sichtigt werden, damit diese nicht durch zahllose Krankenhausauf- Da die Handfehlbildung beim Apert-Syndrom so komplex
enthalte – womöglich mit einem Elternteil – behindert wird. ist, ist besonders hier die präoperative MSCT-Angiografie für die
Für die kognitive Entwicklung der Kinder ist es notwendig, Operationsplanung wertvoll. Sie ermöglicht zusätzlich zum kon-
eine möglichst frühzeitige, wenngleich einfache Greiffunktion an ventionellen Röntgen eine Beurteilung der Gefäßversorgung, der
den Händen zu erreichen. Da aufgrund der multiplen Fehlbildun- Knochensituation und der Beugesehnen (⊡ Abb. 21.28b).
gen beim Apert-Syndrom zahlreiche Operationen am Schädel,
Mittelgesicht und Kiefer notwendig sind, erscheint eine intensive Spezielle Therapie
und gute Zusammenarbeit zwischen Pädiatern, Neurochirurgen, Beim Apert-Syndrom besteht eine Symphalangie, weshalb lediglich
Augen- und HNO-Ärzten sowie Handchirurgen unabdingbar. Die eine Beweglichkeit im Grundgelenk zu erwarten ist. Die Bildung
1. Operation am Schädel wird meist wenige Monate nach der einer Vier-Finger- oder Fünf-Finger-Hand wird kontrovers disku-
Geburt durchgeführt. Kinder mit Apert-Syndrom leiden in vie- tiert. Hoover et al. (1970) führen neben der Syndaktylietrennung
len Fällen an einer geistigen Retardierung und neigen durch den auch die Amputation des Mittel- oder Ringfingers durch, um damit
Hypertelorismus und die Hypoplasie der Maxilla oft zu Infekten mehr Haut zur Bedeckung der Fingerseitenflächen und mehr Platz
und Atemstörungen. Manche Kinder benötigen daher einen hohen für die übrigen Finger zu erhalten. Auch Chang et al. bevorzugen
pflegerischen Aufwand. bei Typ III nach Upton die Bildung einer Vier-Finger-Hand.
Die Handfunktion von Kindern mit Apert-Syndrom ist in allen Eine quere Distraktion zum Ziel der Hautdehnung und Be-
Fällen eingeschränkt. Gegenstände können nur beidhändig gegrif- deckung des durchgemeißelten Knochens nach Osteotomie der
fen und zwischen einer Hand und dem Körper gehalten werden. Akrosynostose wurde von Habenicht (2005) vorgeschlagen. Diese
Deshalb ist eine frühzeitige Korrektur der Apert-Hand indiziert. Methode erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern und
Im Gegensatz zu Blauth und Schneider-Sickert empfehlen Upton Handchirurgen und wird nicht von allen Eltern akzeptiert.

Typ I Typ II Typ III

⊡ Abb. 21.29 Klassifikation der Handfehlbildungen beim Morbus Apert. Typ I – »spade hand«: häutige Syndaktylie der Finger, teilweise komplexe Syndaktylie
zwischen 3. und 4. Finger, isolierter Daumen, welcher verkürzt, verbreitert und nach radial abgewinkelt ist. Typ II – »spoon hand, mitten hand«, »Geburtshel-
ferhand«: Akrosynostose der Finger, häutige Syndaktylie des Daumens mit den anderen Fingern. Typ III – »rosebud hand«, »Löffelhand«: komplette häutige
und knöcherne Syndaktylie aller Finger
488 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Es kann in der 1. operativen Sitzung parallel oder nachein- eine Ruhigstellung in palmarer Abduktion des Daumens in einem
ander an beiden Händen bei Upton Typ III der Daumen und der Unterarmgips bis zur 4. postoperativen Woche.
Kleinfinger vom syndaktylen Komplex der Finger II–IV getrennt
werden. Die derben Bindegewebszüge im 1. ZFR werden reseziert Fehler, Gefahren und Komplikationen
und der M. abductor pollicis brevis teilweise abgetrennt. Zur Er-  Abschn. 21.2.1
reichung eines weiten und tiefen 1. ZFR bietet sich ein dorsaler Zuker et al. (1991) empfehlen nach Durchtrennung der Knochen-
proximal gestielter Dehnungs-Lappen an. Die meist nur häutig brücken die Finger mit Kirschner-Draht in Abduktionsstellung
syndaktylen Fingern IV/V werden durch dorsale und palmare zu fixieren und die freiliegende Spongiosa mit einem Leisten-
zickzackförmige Inzisionen getrennt. Zur Deckung der Defekte lappen zu bedecken. Diese Methode erfordert einen großen pfle-
an den Fingerseitenflächen werden Vollhauttransplantate aus der gerischen Aufwand sowie weitere Operationen und kann daher
Leiste entnommen. nicht empfohlen werden. Ashmead und Smith (1995) versuchten
Bei dieser Operation werden auch die Knorpel- und Kno- durch Expanderimplantation am Handrücken Hauttransplantate
chenbrücken zwischen D II–IV osteotomiert und reseziert – dies zu vermeiden. Aufgrund aufgetretener Hautperforation und In-
erfolgt durch einen dorsalen Zugang, wobei die Haut an den Fin- fektionen wird dieses Verfahren nicht mehr empfohlen. Die von
gerkuppen nicht durchtrennt wird. Anschließend wird in den Os- Fearon verwendete gerade Inzision zur Trennung der Finger bei
teotomiespalt ein 2–3 mm dünnes Silikonplättchen eingelegt und der Apert-Hand kann aufgrund der Gefahr einer Longitudina-
die Hautinzision wieder verschlossen. Um das Silikonplättchen lisierung der Narben während des Wachstums nicht empfohlen
bildet sich eine gut durchblutete Gleitschicht aus. Die endgültige werden.
Trennung der Finger wird ca. 3–4 Wochen nach der 1. Opera-
tion ausgeführt (⊡ Abb. 21.28c). Das Silikonplättchen wird entfernt
und auf der ausgebildeten Gleitschicht werden Vollhauttransplan- 21.2.3 Symbrachydaktylie
tate eingenäht. Es wird wie bei der häutigen Syndaktylietrennung
vorgegangen und eine Kuppenlappenplastik zur Herstellung des Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
Nagelwalls durchgeführt. Auch hier werden beide Hände in einer Mit der Bezeichnung Symbrachydaktylie wird eine große Gruppe
Operation versorgt. Durch die möglichst vielen gleichzeitigen ope- von Handfehlbildungen mit Längenreduktion der Fingerstrahlen
rativen Schritte werden die notwendigen Krankenhausaufenthalte in Kombination mit einer Syndaktylie definiert, die einseitig auf-
gering gehalten (⊡ Abb. 21.28d). tritt. Poland (1841) beschreibt in einigen Fällen ein assoziiertes
Sugihara et al. (1991) beschreiben 2 Rechtecklappen knapp Fehlen des M. pectoralis major oder eine Thoraxdeformität – die-
proximal der Nagelmatrix nach Trennung der Endgliedknochen- ses Syndrom wird deshalb auch Poland-Syndrom genannt.
brücken und zur Bedeckung der freiliegenden Knochen. Die Ätiologie ist bisher noch unbekannt, es werden aber exo-
Aufgrund des kurzen Daumens, der radialen Klinodaktylie so- gene Entstehungsursachen vermutet. De Smet und Fabry (1998)
wie des immobilen CMC- und des fehlenden IP-Gelenks kann kein diskutieren eine Unterbrechung der Blutversorgung der Extremi-
Spitzgriff ausgeführt werden. Mit einer Verlängerung des Daumens tätenknospe.
kann ein guter Seitgriff erreicht werden.
Die Korrektur des klinodaktylen Daumens kann entweder Klassifikation
gleichzeitig mit der 2. Fingertrennung oder zu einem späteren Die teratologische Reihe der Symbrachydaktylie wurde von Müller
Zeitpunkt durchgeführt werden. Von der Streckseite des kurzen 1937 aufgestellt, die jeweils eine Zunahme der Schwere der Fehlbil-
Daumens wird ein Lappen abpräpariert, die Ansätze der kurzen dung beschreibt und von verkürzten und syndaktylen Fingern bis
Daumenmuskeln sowie die Strecksehne werden abgelöst. Es wird zur Handlosigkeit mit sog. Fingerbürzeln reicht.
eine verlängernde Osteotomie mit Geradstellung des Daumens Von peripheren Hypoplasien oder transversalen Defekten kann
durch Einbringung eines Radius- oder Beckenkammspans durch- man die Symbrachydaktylie durch die mehr oder weniger gute Er-
geführt. Die Stabilisierung erfolgt über eine temporäre Arthrodese haltung der Endphalangen abgrenzen. Es kommt eine Brachyme-
mittels Kirschner-Draht (⊡ Abb. 21.28e-g). sophalangie an einem oder allen Fingern vor, die Syndaktylie kann
Dao et al. (2001) erreichen eine radiale Winkelkorrektur des häutig, partiell oder komplett auftreten und die Mittelhandstrahlen
Daumens ohne Osteotomie. Dabei wird der Ansatz der Abductor- sind hypoplastisch, partiell oder total aplastisch.
pollicis-brevis-Sehne abgelöst und an der radialen Seite der Basis Blauth und Gekeler stellten 1971 in Anlehnung an die te-
des Grundgliedes reinseriert sowie eine Kapsulotomie radial am ratologische Reihe eine Klassifikation der Symbrachydaktylie in
MCP-Gelenk durchgeführt. Matsumoto et al. (2002) berichten 4 Gruppen auf:
über gute Ergebnisse der Daumenverlängerung durch einen Mini- ▬ Typ I – Kurzfingertyp: Brachymesophalangien und/oder Feh-
Fixateur externe. Im jugendlichen Alter sollte nach Fearon (2003) len einer oder mehrerer Mittelphalangen (⊡ Abb. 21.30);
zur Verbesserung der Greiffunktion vor allem am Zeigefinger eine ▬ Typ II – Spalthandtyp: Fehlen eines Fingers oder mehrerer
Winkelosteotomie erfolgen. mittelständiger Handstrahlen (⊡ Abb. 21.31);
▬ Typ III – monodaktyler Typ: sämtliche Finger fehlen, nur der
21 Postoperative Therapie Daumen ist erhalten;
Die Verbände werden wie nach Syndaktylietrennung mit Fettga- ▬ Typ IV – peromeler Typ: sämtliche Finger fehlen.
ze, trockenen gelegten Tupfern, Watte-, Papier- und elastischen
Binden durchgeführt. Die Fingerkuppen bleiben im Verband frei Yamauchi und Tanabu (1998) präzisieren aufgrund der Röntgen-
und können so hinsichtlich der Durchblutung kontrolliert werden. aufnahmen nach tri-, di-, mono- und aphalangealem, ametakarpa-
Die Kinder werden am 2. postoperativen Tag ohne Verbandwech- lem, akarpalem und Unterarmamputationstyp.
sel entlassen. Die Nahtentfernung erfolgt 10 Tage postoperativ Das Auftreten einer beidseitigen Symbrachydaktylie ist selten.
in Kurznarkose. Nach dieser erfolgt die Pflege der Hände im Differenzialdiagnostisch kommen ein Spalthandsyndrom oder ein
Handbad mit Öl. Nur nach der Operation am Daumen erfolgt Schnürringsyndrom in Frage.
21.2 · Spezielle Techniken
489 21

⊡ Abb. 21.30 3 Monate alter Knabe mit Sym- ⊡ Abb. 21.31 1-jähriger Knabe mit Symbrachy- ⊡ Abb. 21.32 4 Jahre alter Knabe mit Sym-
brachydaktylie vom Kurzfingertyp rechts daktylie vom Spalthandtyp links brachydaktylie vom peromelen Typ links, Ver-
sorgung mit Behelf zum Halten einer Gabel

Indikation und Operationszeitpunkt c) Aufstockungsverlängerung eines ulnaren MHK Anteils,


Bei Symbrachydaktylie Typ III und IV nach Blauth und Gekeler wenn nur die Basis eines MHK vorhanden ist,
ist, falls keine Operation in Betracht kommt, die Anpassung eines d) Zehentransplantation (s. peromeler Typ).
Greifwiderlagers bis zur Hilfsmittel- oder Prothesenversorgung ▬ Peromeler Typ: Herstellung der Greifzange durch Zehentrans-
indiziert (⊡ Abb. 21.32). Von einer generellen Prothesenversorgung plantation oder Krukenberg-Plastik. Zur Zehentransplantation
aller Kinder mit Symbrachydaktylie höhergradiger Formen ist je- werden eine oder 2 Zweitzehen übertragen, wobei es schwierig
doch abzuraten, da die Sensibilität am Stumpf sehr ausgeprägt sein kann, geeignete Gefäße, Nerven, vor allem aber Sehnen für
ist und bei dauerndem Tragen der Prothese nicht zur Wirkung den erforderlichen Anschluss zu finden. Im Falle des peromelen
kommen kann. Typs wird in einem zweizeitigen Verfahren zuerst der ulnare,
Ziel einer Operation ist die Verbesserung oder Herstellung der danach der radiale Finger jeweils mit der 2. Zehe aufgebaut.
Greiffunktion, der Operationszeitpunkt liegt zwischen dem 2. und
3. Lebensjahr. Postoperative Therapie
Je nach durchgeführter Operation (Trennung der Sydaktylien, Er-
Spezielle Therapie weiterung des 1. ZFR, Knochentransplantation zu Verlängerung
Die operative Therapie richtet sich je nach Schweregrad der Fehl- von Fingern) muss die postoperative Ruhigstellung und der Beginn
bildung und beinhaltet die folgenden Punkte: der Bewegungstherapie angepasst werden. Die freie mikrovasku-
▬ Kurzfingertyp: Syndaktylietrennung und Vertiefung des ZFR, läre Zehentransplantation bedarf eines mindestens 1-wöchigen
um einen relativen Längengewinn zu erzielen, Aufbau des Krankenhausaufenthaltes wegen der engmaschig durchzuführen-
Kleinfingers durch eventuell Dreh- und Abwinkelungsosteoto- den Durchblutungskontrolle. Speziell angepasste Schienen werden
mie des MHK I und V und Opponensplastik. bis zur Knocheneinheilung getragen. Zur Aufrechthaltung eines
▬ Spalthandtyp: Exstirpation der mittleren Fingerrudimente erweiterten 1. ZFR sollten die Eltern für einige Wochen in der
und Vertiefung des ZFR – Z- und lokale Lappen-Plastik, Sta- Nacht Bandagen in Daumenabduktionsstellung anlegen.
bilisierung instabiler Gelenke, Stabilisierung knochenloser
Fingeranteile durch Knochenspanübertragung (Aufstockungs- Fehler, Gefahren und Komplikationen
verlängerung, Phalangentransfer, Interpositionsverlängerung) Bei der Aufstockungsverlängerung des monodaktylen Typs kann es
(⊡ Abb. 21.32). zur Resorption des transplantierten Knochenspans kommen.
▬ Monodaktyler Typ: Aufbau eines Gegengreifers zur Erreichung Die Zehenübertragung birgt einerseits die Gefahr von Gefäß-
eines Spitzgriffs durch: verschlüssen in der ersten postoperativen Phase, aber auch eine
a) Transposition eines noch vorhandenen radialen MHK mit mangelnde Gebrauchsfähigkeit der übertragenen Zehe, wenn keine
Weichteilen neurovaskulär übertragen nach ulnar, geeigneten Sehnen an der Hand gefunden werden können. Trotz
b) Interprositionsverlängerung eines ulnaren MHK – Ver- der Koaptation der nervalen Strukturen kann ein bleibendes sen-
längerung (durch Distraktion) und Einbringen eines sibles Defizit resultieren. Die unbewegliche, asensible Zehe und
Knochenspans (Beckenkamm oder Zehengrundglied mit somit die ganze Hand wird abgelehnt und es können deshalb vor
Periostschlauch), Spanverlängerung im Laufe des Wachs- allem in der Pubertät enorme psychische Schwierigkeiten auftreten
tums, (⊡ Abb. 21.34).
490 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

a a

b b

⊡ Abb. 21.34 15-jähriges Mädchen mit Symbrachydaktylie vom monodakty-


lien Typ rechts. a Zustand nach auswärts durchgeführter Zehenübertragung
im Alter von 2 Jahren, fehlende Funktion, b Nichtakzeptanz des funktionellen
und ästhetischen Ergebnisses, Ablehnung einer Revisionsoperation, Versor-
gung der Hand mit einer Schmuckprothese im Alter von 16 Jahren

21.2.4 Eingeschlagener Daumen – Pollex adductus

Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie


Neugeborene halten den Daumen meist bis zum 3. Lebensmonat
(LM) unter die gebeugten Finger. Bleibt diese Stellung bestehen
c spricht man vom angeborenen eingeschlagenen Daumen und der
angeborenen Adduktionskontraktur. Beim Pollex adductus ist der
⊡ Abb. 21.33 5 Monate alter Knabe mit Symbrachydaktylie links. a Komplet- Daumen im Grundgelenk gebeugt und adduziert sowie in die
21 te Syndaktylie D I–III, inkomplette häutige Syndaktylie D III/IV sowie IV/V, Na- Hohlhand eingeschlagen. Die Ursache ist hier eine Hypo- oder
gelplatte D I/II, b Angio-CT der linken Hand im Alter von 1 Jahr, Ansicht von Aplasie der Daumenstrecker, die deutlich seltener vorkommt als
dorsoradial: akrale Knochenplatte mit Furt zwischen Daumen und verbrei-
der Pollex flexus congenitus ( Abschn. 21.2.5); die Fehlbildung tritt
tertem Zeigefinger (an diesem kein Mittelglied erkennbar), Brachymesopha-
häufig bilateral auf (⊡ Abb. 21.35a).
langie D III–V, Ansicht von palmar-ulnar: Furt in der Knochenplatte zwischen
D I/II, D II verbreitert und durch eine zusätzliche Furt scheinbar »gedoppelt«;
Der eingeschlagene Daumen ist selten und tritt meist im Rah-
fehlende A. ulnaris, persistierende kräftige A. mediana, regelrecht verlau- men eines Syndroms auf. Wenn diese Veränderung mit einer
fende A. radialis, c 7 Jahre postoperativ, 4-Finger-Hand nach Resektion des Ulnardeviation und Beugekontraktur der Finger kombiniert ist,
2. Strahls, weite Kommissuren, gut eingeheilte Transplantate, Zustand nach spricht man von der sog. Windmühlenhand. Diese kann wiede-
Rotations-Dehnungs-Lappen zur Verbreiterung des 1. ZFR rum u. a. kombiniert sein mit Gesichtsveränderungen, wie beim
21.2 · Spezielle Techniken
491 21

a b

⊡ Abb. 21.35 3 Wochen alter Knabe mit Freeman-Sheldon-Syndrom. a Eingeschlagener Daumen und gebeugte Finger an der linken Hand, b Zustand nach
intensiver Dehnung (Schienenbehandlung aller Finger) und 2 Jahre postoperativ nach gleichzeitiger Operation der beiden eingeschlagenen Daumen – Ver-
breiterung der 1. ZFR durch Resektion von Bindegewebe und Muskelfaszien, Kerbung der M. adductor pollicis und M. interosseus dorsalis I und Einbringen
eines dorsalen Rotations-Dehnungs-Lappens. Arthrodese der MCP-Gelenke

Freeman-Sheldon-Syndrom oder einer Arthrogrypose und kommt brevis und des 1. dorsalen Interosseusmuskels sowie Verlängerung
auch beim Pterygium-Syndrom vor. Bei zusätzlicher mentaler Re- der Haut durch Z-Plastik, Schmetterlingsplastik, Einsetzen eines
tardation, einer Ganganomalie sowie Aphasie spricht man vom Hauttransplantats oder durch einen dorsalen Rotations-Dehnungs-
MASA-Syndrom. Beim eingeschlagenen Daumen ist das MCP- Lappen kann der Daumen nun abgespreizt werden (⊡ Abb. 21.35b).
Gelenk, beim Triggerdaumen hingegen das IP-Gelenk gebeugt. Um die Stellung aufrechtzuerhalten werden 2 quere Kirschner-
Drähte zwischen 1. und 2. MHK eingebracht und die Hand für
Klassifikation 3–6 Wochen im Daumeneinschlussgips ruhiggestellt.
Nach Weckesser et al. (1968) wird der eingeschlagene Daumen wie Bei Schwäche oder Fehlen des M. extensor pollicis longus
folgt eingeteilt. kann gleichzeitig mit der Weichteiloperation oder im Alter von
▬ Typ I: isolierter eingeschlagener Daumen, durch Schwäche 3–5 Jahren eine Sehnenverlagerung einer der beiden Zeigefinger-
oder Fehlen des M. extensor pollicis longus und/oder brevis strecksehnen durchgeführt werden. Eine Verstärkung der Funktion
hervorgerufen; des M. abductor pollicis brevis erreicht man entweder durch Verla-
▬ Typ II: mit zusätzlicher Beugekontraktur der Finger kombi- gerung des M. abductor digit minimi oder, wie Flatt empfiehlt, mit
niert; der oberflächlichen Beugesehne des Ringfingers. Kann die Beu-
▬ Typ III: kombiniert mit radialer Hypoplasie (Muskel, Sehnen, gefehlstellung des Daumens im MCP-Gelenk nicht ausgeglichen
Knochen); werden, ist eine Arthrodese angezeigt. Bei Weckesser Typ IV ist
▬ Typ IV: kombiniert mit radialer Polydaktylie; die Amputation des doppelt angelegten Daumens und die Verwen-
dung der in diesem vorhandenen Sehnen zur Umlagerung auf den
Von McCarroll wurden 1985 2 Typen des Pollex adductus unter- verbleibenden Daumen indiziert.
schieden:
▬ Typ I, bei dem die passive Korrektur möglich ist; Postoperative Therapie
▬ Typ II, bei dem sie nicht möglich ist; mit Haut- und Weichteil- Eine Daumenruhigstellung in maximaler Radialabduktion und
kontraktur, fehlender Streckung des Daumens und Schwäche Extension während der Nacht ist 3 Monate lang nötig, wenn der
des Kapsel-Bandapparats. ZFR erweitert oder die kleinen Daumenmuskeln abgelöst wur-
den. Eine statische Daumen-Handgelenk-Schiene wird in leichter
Indikation und Operationszeitpunkt Handgelenk- und maximaler Daumenextension angefertigt, so-
Bis zum 2. Lebensjahr ist die konservative Schienenbehandlung fern ein Sehnentransfer der Extensor-indicis-Sehne als Ersatz für
(3–6 Monate in Abduktion und Extension des Daumens) zu emp- den fehlenden Daumenstrecker erfolgte. Diese Handgelenk- und
fehlen. Kinder ab dem 2. Lebensjahr sprechen wegen der Schrump- Daumenstellung gewährleistet ein spannungsfreies Einheilen der
fung der Weichteile meist nicht mehr auf eine Schienenbehandlung transponierten Sehne. Zur vorsichtigen passiven Mobilisation un-
an und müssen operiert werden. ter Einhaltung der Schmerzgrenze und des Weichteilwiderstandes
kann die Schiene ab der 2. postoperativen Woche 1- bis 2-mal täg-
Spezielle Therapie lich abgenommen werden.
Die operative Therapie erfolgt zur Erweiterung des 1. ZFR und Eine weitere Möglichkeit des Sehnengleitens bietet eine umge-
die Methoden variieren je nach Grad der Kontraktur. Durch die kehrte Kleinert-Schiene, die 6 Wochen lang getragen wird. Grund-
Entfernung der geschrumpften Faszie, Desinsertion oder Verlän- voraussetzung dafür ist eine gute Zusammenarbeit mit einem
gerung des M. adductor pollicis, opponens pollicis, flexor pollicis bereits größeren Kind.
492 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Die selbst vorgenommene, langsame, aktive Daumenstreckung


darf erst in der 4. Woche begonnen werden, ab der 8. Woche kann
diese mit ansteigendem Widerstand erfolgen.
Wurde das MCP-Gelenk mit Kirschner-Draht oder Verplat-
tung arthrodetisiert, so muss 8 Wochen lang eine Daumenschiene
als Schutz getragen werden.

Fehler, Gefahren und Komplikationen


Durch zu frühe Aktivierung oder zu lange Ruhigstellung nach
Sehnenumlagerung kann es einerseits zur Ruptur, andererseits zu
Verklebungen kommen und damit zu einer mangelnden Streck-
fähigkeit des Daumens. Bei Erweiterung des 1. ZFR durch Lap-
penplastik muss, um einer Schrumpfung und neuerlichen Adduk-
tionskontraktur vorzubeugen, eine Nachtschiene für mindestens
3 Monate getragen werden.

21.2.5 Pollex flexus congenitus

Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie


Der Pollex flexus congenitus ist eine Fehlbildung bei der die
Beugekontraktur des Daumen-MCP-Gelenks durch eine angebo-
a
rene Tendovaginitis stenosans entsteht. Die Sehne des M. flexor
pollicis longus ist spindelförmig aufgetrieben, dadurch ist das
Ringband A1 zu »eng«. Das Gleiten des Sehnenknotens unter dem
Ringband wird als unangenehm empfunden und von den Kindern
deshalb vermieden.
Die Ätiologie ist unbekannt, obwohl eine genetische Prädis-
position angenommen wird und die Deformität familiär gehäuft
vorkommen kann.

Klassifikation
Nach Watanabe et al. (2001) werden 4 klinische Stadien des ange-
borenen »Trigger-Daumen« beschrieben:
▬ Stadium 0: normal;
▬ Stadium 1: »Hängenbleiben« in Flexion oder Extension, aktive
Lösung mit Schnappen des Daumens;
▬ Stadium 2: »Hängenbleiben« in Flexion oder Extension, passi-
ve Lösung mit Schnappen des Daumens;
▬ Stadium 3: »Hängenbleiben« in Flexion oder Extension, keine
Lösung möglich.

Indikation und Operationszeitpunkt


Die Therapie des Pollex flexus congenitus kann wiederum konser-
vativ und operativ erfolgen. Kindern im 1. Lebensjahr kann eine
thermoplastische oder eine Opponensschiene, welche den Daumen
in einer Abduktions-Extensions-Stellung fixiert ohne die Handge- b
A. digitalis
lenkbeweglichkeit zu beeinflussen, angepasst werden. Die Schiene Vinculum palmaris propria
kann von den Eltern zum Baden leicht abgenommen und danach N. digitalis
Tendo m. flexoris pollicis longus palmaris proprius
wieder angelegt werden. Sie wird für 2–6 Monate dauernd getra-
Ringband
gen, danach kann sie tagsüber abgenommen, muss aber weiterhin
nachts angelegt werden. Das Tragen der Schiene wird bis zum ⊡ Abb. 21.36 Dekompression des Pollex flexus congenitus beim Kleinkind.
Ende des 1. Lebensjahres fortgesetzt und wegen des Wachstums
21 laufend neu angepasst.
a Anzeichnen des Hautschnitts, b Darstellung nach Spaltung des A1-Ring-
bandes: Inspektion von M. flexor pollicis longus und Sehnenscheidenkanal.
(Aus Berger u. Hierner 2008)
Spezielle Therapie
Wie im Fall der Tendovaginitis stenosans des Erwachsenen ist eine
operative Ringbandspaltung eine einfache und sehr effiziente Me- band-System vorliegen, welches ebenfalls gespalten werden muss.
thode zur Korrektur auch der angeborenen Form. Die Haut wird Die Sehne des M. flexor pollicis longus wird inspiziert – meist liegt
quer in Höhe des Grundgelenks durchtrennt, die beiden Gefäßner- eine umschriebene, knötchenförmige Verdickung vor, und es muss
venbündel werden dargestellt und das A1-Ringband gespalten. Es intraoperativ auch die passive Streckbarkeit des Daumens geprüft
kann auch ein zusätzliches Ringband oder ein erweitertes A1-Ring- werden (⊡ Abb. 21.36).
21.2 · Spezielle Techniken
493 21
Postoperative Therapie Konservativ kann vor allem bei Neugeborenen eine deutliche
Der Daumen wird nur mit einer Papier- und elastischen Binde bis Besserung der Beugekontraktur aller Finger durch regelmäßige
zur Nahtentfernung verbunden. Es sollte schon ab dem 1. post- passive Mobilisation und Dehnung mittels Schienen erreicht wer-
operativen Tag spielerisch das Daumenendglied passiv und aktiv den. Die Eltern werden unterwiesen die passive Dehnung der
bewegt werden. gebeugten Finger und des eingeschlagenen Daumens mehrmals
täglich durchzuführen.
Fehler, Gefahren und Komplikationen Bis zum 3. Lebensmonat eignen sich Baumwollröllchen, welche
Wegen der Gefahr der Entwicklung einer hypertrophen Narbe in die Hohlhand eingelegt und über Nacht anbandagiert werden, um
sollte keine Längsinzision – wie von Ger et al. (1991) gefordert – den durch Massage und Dehnung erreichten Zustand zu halten.
verwendet werden. Die Gefahr der Nervenverletzung ist durch die Eine palmare Schiene aus thermoplastischem Kunststoff, welche
Größe der Kinderhand natürlich gegeben. Sie kann durch Opera- über mehrere Monate nachts und während der Schlafenszeiten tags-
tion in Oberarmblutleere und Darstellung der Gefäßnervenbündel über getragen wird, kann bei Kindern ab dem 3. Lebensmonat ange-
mit Lupenvergrößerung vermieden werden. Insgesamt stellt die passt werden. Um die Greifaktivitäten tagsüber nicht einzuschrän-
Ringbandspaltung aber einen relativ einfachen Eingriff dar. ken, ist nach einigen Monaten nur noch eine nächtliche Schienenbe-
handlung zum Aufdehnen der verkürzten Strukturen nötig.
Besonders der 1. ZFR und der M. flexor pollicis longus können
21.2.6 Windmühlenflügeldeformität mit Orthesen gut gedehnt werden, wobei die Finger besser anspre-
chen als der Daumen. Zusätzlich wird den Eltern die mehrmals
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie täglich durchzuführende Technik der manuellen Therapie gezeigt,
Die sog. Windmühlenflügeldeformität der Hand (»wind blown welche mittels Traktionen, Translationen und passiver Dehnung
hand«) ähnelt in ihrer Erscheinung der rheumatischen Hand und den Bewegungsumfang der einzelnen Gelenke vergrößert.
kann mit den Flügeln einer Windmühle verglichen werden. Nach Nach der Schwere der Veränderungen und dem Erfolg der ma-
Boix (1897) besteht hier eine Flexions- und Adduktionskontrak- nuellen Therapie und Schienenbehandlung richtet sich die Indika-
tur des Daumens, ein enger 1. ZFR und ulnare Deviation in den tion für die jeweilige Korrekturoperation. Eine Sehnenverlagerung
Grundgelenken der Finger, die üblicherweise zur Faust geschlossen an den Fingern, aber auch eine Arthrodese im Daumengrundge-
sind (⊡ Abb. 21.37a). Die Veränderungen an der Hand können ein- lenk wird meist erst im Vorschulalter durchgeführt.
seitig auftreten, finden sich meist aber beidseitig (⊡ Abb. 21.37b).
Die Pathogenese der Fehlbildung ist bisher ungeklärt und es Spezielle Therapie
gibt zahlreiche Erklärungsmodelle. Sie erscheint häufig in Ver- Ist mit konservativen Therapiemethoden keine weitere Besserung
bindung mit dem Freeman-Sheldon-Syndrom (kraniokarpotarsale zu erwarten, kann die operative Korrektur geplant werden. Dabei
Dystrophie), welches durch ein typisches »whistling face«, Telecan- darf kein Gelenk isoliert betrachtet werden, sondern es wird von
thus, Klumpfüße, Kleinwuchs, Kyphoskoliose und eine abdominale proximal beginnend nach distal ein Behandlungsplan erstellt, da
Hernie gekennzeichnet ist. An den oberen Extremitäten hat die die Einstellung der distalen von der erreichten Position der pro-
Fehlstellung bei der Windmühlenflügelhand Ähnlichkeiten mit der ximalen Gelenke abhängt. Der nicht dominante Arm wird so kor-
Arthrogrypose. Bei dieser besteht zusätzlich eine insgesamt gerin- rigiert, dass er für Funktionen des entfernten Tätigkeitsbereiches
gere Muskelmasse, eine eingeschränkte Schulterbeweglichkeit und eingesetzt werden kann, der dominante Arm für Funktionen des
Unterarmrotation. Beim Ichthyosis- oder Proteussyndrom können Nahbereichs, wie z. B. Essen und Schreiben.
ebenfalls ähnliche Veränderungen auftreten. Ulnar deviierte Finger Die Verbreiterung des 1. ZFR kann bei geringer Ausprägung
kombiniert mit einem Klumpfuß wurden von Fisk et al. (1971) der Adduktionskontraktur durch eine Schmetterlingsplastik oder
beschrieben. Hier liegt jedoch keine Schädel- oder Gesichtsabnor- durch einen Lappen aus der Streckseite des Grundglieds des Zeige-
mität vor. fingers erfolgen. Bei massiver Adduktionskontraktur ist es sinnvoll,
die Faszien über den Muskeln des 1. ZFR zu spalten und z. T. zu
Klassifikation entfernen sowie den Ursprung des 1. dorsalen Interosseus-Muskels
Die Arthrogryposis multiplex congenita wird im Bereich der Hän- abzupräparieren, eventuell den M. adductor zu kerben und einen
de nach Bamshad et al. (1996) in 2 Typen eingeteilt: Rotations-Dehnungs-Lappen vom Handrücken zur Verbreiterung
▬ Typ I: mit adduziertem Daumen und Ulnardeviation der des 1. ZFR einzubringen.
Finger; Der Daumen wird durch eine Grundgelenkarthrodese aufge-
▬ Typ II A: fehlgebildetes Gesicht, Flexion und Ulnardeviation richtet. Dazu werden nach Darstellung der Gefäße und Nerven
der Finger; zum Daumen und Zeigefinger sämtliche Muskelfaszien im 1. ZFR
▬ Typ II B: wie Typ II A mit vertikalem Talus. exzidiert und ein Teil des Adduktoransatzes an der Grundglied-
basis des Daumens abgetrennt, um so den Daumen in maximale
Zancolli und Zancolli (1984) bezeichnen die Veränderungen mit Abduktion zu bringen. Das Grundgelenk des Daumens wird dar-
dem Ulnardrift der Finger als segmentäre Form der Arthrogrypose gestellt, der Kapselbandapparat durchtrennt und eine Entknorpe-
und teilen sie in Arthrogrypose Typ I und II ein, wobei der Typ I lung durchgeführt. Die Arthrodese im Grundgelenk erfolgt durch
nur in einer digitopalmaren Hautverkürzung der Typ II durch eine 2 parallel liegende 1 mm starke Kirschner-Drähte (⊡ Abb. 21.37c,d).
Verkürzung der Sehnen, Kapsel und Ligamente zustande kommt. Die abgelösten Adduktoranteile werden am Grundglied ulnar rein-
seriert. Gleichzeitig kann eine verkürzende Doppelung der meist
Indikation und Operationszeitpunkt hypoplastischen Strecksehnen (M. extensor pollicis longus und
Das primäre Behandlungsziel ist nicht die Beseitigung der Gelenk- M. extensor pollicis brevis) durchgeführt werden.
kontrakturen, sondern die Förderung der motorischen, kognitiven Bei der Arthrogrypose Typ I empfehlen Zancolli und Zancolli
und sozialen Entwicklung und damit die Selbstständigkeit des an den MCP-Gelenken eine Hautverlängerung und eine Entfer-
Kindes. nung der digitopalmaren, meist ulnar ziehenden longitudinalen
494 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

e f
21
⊡ Abb. 21.37 4-jähriges Mädchen mit kraniokarpotarsalem Fehlbildungssyndrom (Freeman-Sheldon-Syndrom) und Windmühlendeformität beider Hände.
a Fixierte proximale interphalangeale Gelenkkontrakturen (am stärksten D III links betroffen), Zustand nach zahlreichen Schienenanwendungen zur Verbesserung
der Handgelenkbeugekontraktur, Verbesserung an den Fingern jedoch keinerlei an den eingeschlagenen und gebeugten Daumen, b präoperatives Röntgen mit
ausgeprägten Mittelfingerkontrakturen und eingeschlagenen Daumen beidseits, c chirurgische Korrektur des eingeschlagenen rechten Daumens, Arthrodese des
MCP-Gelenks (2 Kirschner-Drähte), Vertiefung und Verbreiterung des 1. ZFR, Verwendung eines großen Rotations-Dehnungs-Lappens, dessen Entnahmestelle pri-
mär verschlossen werden kann. Zur Aufrechterhaltung der Weite des 1. ZFR Einbringung eines queren Kirschner-Drahtes, d Spitzgriff, Zustand nach Arthrodese des
MCP-Gelenks und Lappenplastik zur Erweiterung der Kommissur 6 Jahre postoperativ, e Zustand nach Operation an beiden Daumen und deutlicher Verbesserung
der Beugekontrakturen durch Tenolysen, Sehnenverlagerungen, Z-Plastiken und Einbringen zahlreicher Vollhauttransplantate vor allem in Höhe der Grundglieder
D II–IV, beidseits kräftiger Faustschluss möglich, f Röntgen im Alter von 12 Jahren, deutliche Verbesserung der Gelenkstellungen an beiden Händen
21.2 · Spezielle Techniken
495 21
fibrösen Bänder, welche auch mit der Beugesehnenscheide Ver-
bindung haben und unter Lupenvergrößerung entfernt werden
müssen. Die Hautverlängerung erfolgt durch Einbringen eines
Vollhauttransplantates in Höhe des Grundglieds, nachdem die
Haut quer von der einen zur anderen Mittseitlinie inzidiert wurde
(⊡ Abb. 21.37e).
Zur Behandlung der ulnaren Deviation werden nach ulnar
subluxierte Strecksehnen zentriert. Die entspannten ulnaren Seh-
nen werden abgetrennt, die radialen Bänder sind durch das Ein-
bringen der abgetrennten Sehne des radial benachbarten Fingers
zu verstärken. Die Sehnen werden durch ein kleines Loch in den
Extensorhut eingewoben und vernäht. Am Zeigefinger werden die
beiden Strecksehnen radial gedoppelt.

Postoperative Therapie
Infolge der stabilen Kirschner-Draht-Fixation der Daumenarthro-
dese ist eine Ruhigstellung mit einem Gips nicht erforderlich. Es
wird ein kräftiger Verband mit elastischer Binde angelegt, der die
notwendige Ruhigstellung bewirkt. Die intermetakarpalen Kirsch-
ner-Drähte können nach vollständigem Abschluss der Wundhei-
lung entfernt werden, sollten aber nicht länger als 3 Wochen be-
lassen werden. Danach sind Bewegungsübungen durchzuführen ⊡ Abb. 21.38 8 Monate alter Knabe mit Daumenaplasie rechts
und die Bandagierung der 1. Kommissur nächtlich noch 3 Monate
lang fortzusetzen, um die durch die Operation erreichte Weite zu
erhalten (⊡ Abb. 21.37f). entscheidend für die Greiffunktion der Hand und die psychomo-
torische Entwicklung des Kindes. Der optimale Zeitpunkt für die
Fehler, Gefahren und Komplikationen Pollizisation liegt zwischen dem 1. und 2. Lebensjahr.
Bei jedem der oben angeführten Operationsschritte können Kom-
plikationen auftreten, die von Wundheilungsstörungen, über Lap- Spezielle Therapie
penteilnekrosen, Verlust von Transplantaten, aber auch zu neu- Daumenhypoplasie Grad I und II
erlichem Abweichen der verlagerten Sehnen führen können. Das Die Daumenhypoplasie Grad I bedarf in aller Regel keiner The-
Fortschreiten der Beugekontrakturen in den Mittelgelenken der rapie, hingegen ist bei Grad II (⊡ Abb. 21.40a,b) eine Behandlung
Finger durch Schrumpfung der palmaren Haut macht es nötig, die erforderlich, die folgende Schritte beinhaltet:
Kinder engmaschig – anfangs halbjährlich, bis zum Abschluss des ▬ Beseitigung der Adduktionskontraktur: Besteht eine partielle
Wachstums aber einmal jährlich – zu kontrollieren. Syndaktylie, muss diese getrennt werden. Auch sind alle quer
durch den 1. ZFR ziehenden bindegewebigen Faserzüge zu
resezieren und die 1. Kommissur durch eine Z-Plastik oder
21.2.7 Daumenhypoplasie einen Verschiebelappen (Rotationslappen vom Handrücken
oder Transpositionslappen von der Dorsalseite des Zeigefin-
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie gers) zu erweitern. Die Hebedefekte werden mit Spalthaut
Die Daumenhypoplasie zählt zu den Oligodaktylien – also einer gedeckt, sofern sie sich nicht primär verschließen lassen.
angeborenen Minderung der Fingerzahlen. Sie ist eine heterogene ▬ Stabilisierung des Grundgelenks: Besonders die Rekonstruk-
und komplexe Fehlbildung, tritt sporadisch, ein- oder doppelseitig tion des ulnaren Daumenseitenbandes ist notwendig, um den
und auch im Rahmen von Syndromen (Radiusdefekte, Holt-Oram- Daumen beim Greifen stabilisieren zu können. Hierzu kann
Syndrom etc.) auf. In höhergradigen Formen werden das Aussehen man ein Stück Sehne (z. B. Palmaris-longus-Sehne) oder einen
und die Greiffunktion der Hand stark beeinträchtigt, weshalb eine Faszienstreifen nehmen, der an das Periost angenäht wird.
Therapie im 1. Lebensjahr angezeigt ist (⊡ Abb. 21.38). ▬ Opponensplastik: Hierzu eignen sich die Methoden zu moto-
rischen Ersatzoperationen wie nach Medianusverletzung. Die
Klassifikation Wahl der verwendeten Muskel-Sehnen-Einheit als künftiger
Blauth (1967) erweiterte die 4 Schweregrade der Daumenhypo- Motor hängt jedoch von einer möglichen zusätzlichen Fehlbil-
plasie nach Müller (1937) und stellte die teratologische Reihe auf. dung sowie der Erfahrung und Präferenz des Operateurs ab.
Buck-Gramcko fügte den Grad III C hinzu und somit werden
5 Grade der Daumenhypoplasie unterschieden, mit einer weiteren Bei der Daumenhypoplasie Grad II wird die Umlagerung der Seh-
Unterteilung des Grades 3 (⊡ Abb. 21.39). ne des M. flexor digitorum superficialis des Ringfingers bevorzugt.
Die oberflächliche Beugesehne wird durch eine quere Inzision in
Indikation und Operationszeitpunkt Höhe der Mittelgelenkbeugefurche freigelegt und durch einen wei-
Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Dau- teren Schnitt im Bereich der distalen Hohlhandbeugefurche mobi-
menhypoplasie und so kommen unterschiedliche Verfahren zum lisiert. Dabei ist darauf zu achten, dass die tiefe Beugesehne nicht
Einsatz. »Die Opposition ist eine für die Gesamtfunktion der verletzt wird. Blauth und Schneider-Sickert (1976) sowie Nigst et
Hand überaus wichtige Bewegung, die ihr die Durchführbarkeit al. (1981) trennen nun die Sehne an ihren Ansätzen ab, was später
des Spitzgriffs und des Umfassens von Gegenständen gibt« (Buck- aber dazu führen kann, dass das Mittelgelenk überstreckbar wird.
Gramcko 1991). Das Wiederherstellen der Opposition ist also Deshalb tragen wir den Ansatz des radialen Schenkels am Kno-
496 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Typ I Typ II Typ IIIA Typ IIIB Typ IIIC

⊡ Abb. 21.39 Teratologische Reihe der Daumenhypoplasie nach Blauth, mo-


difiziert von Buck-Gramcko. Grad I geringe Verkürzung und Verschmälerung,
leichte Atrophie des M. abductor pollicis brevis und M. opponens; Grad II
Adduktionsstellung des hypoplastischen 1. MHK, partielle Syndaktylie, Insta-
bilität des MCP-Gelenks und deutliche Hypo- oder Aplasie der Daumenbal-
lenmuskulatur; Grad III A wie bei Grad II mit Fehlinsertion, Hypo- oder Aplasie
des M. extensor pollicis longus und M. flexor pollicis longus, Grad III B wie bei
Typ III A mit partieller Aplasie des 1. MHK, Grad III C nur der Kopf des MHK ist
angelegt; Grad IV totale Aplasie des 1. MHK, Trapezium und Skaphoid, rudi-
mentäre Anlage des Daumengrund- und Endgliedes (Pendeldaumen, flottie-
Typ IV Typ V render Daumen); Grad V Daumenaplasie. (Aus Berger u. Hierner 2008)

chen ab, der ulnare Schenkel wird in Höhe des Chiasmas durch- Kapsel des MCP-Gelenks. Nicht selten scheint jedoch der M. ab-
trennt (⊡ Abb. 21.40c). Dieser Sehnenanteil wird am Köpfchen des ductor digit minimi zu kurz zu sein, um das Daumengrundgelenk
Grundgliedes fixiert, um eine Überstreckung des Mittelgelenks zu zu erreichen und muss daher mit einer Sehne verlängert werden.
verhindern. Als Pulley dient der distale Teil der Sehne des M. fle- Die Verlagerung des Muskels führt im Laufe der Jahre zu einer
xor carpi ulnaris oder das Retinaculum flexorum. Der neue distale relativ guten Ausbildung eines Thenars – vor allem bei Mitnahme
Ansatz der verlagerten Sehne im Bereich des Daumengrundge- einer Hautinsel des Hypothenars – hingegen bringt der Sehnen-
lenks kann nun entweder direkt in den Knochen mit transossärer transfer vom Ringfinger mehr Kraft und bietet die Möglichkeit
Tunnelierung oder an den Sehnen bzw. kurzen sehnigen Ansätzen der Rekonstruktion des ulnaren Daumenseitenbandes. Die genaue
der hypoplastischen Daumenballenmuskulatur erfolgen. Bei ei- Stelle der Insertion ist hier für die Kraftentwicklung und möglichst
ner Hypermobilität des Grundgelenks wird der Ansatz der Sehne natürliche Oppositionsstellung wichtig; Roach et al. (2001) favori-
gleichzeitig als Stabilisation verwendet, was durch eine doppelte sieren hierfür die Sehne des Flexor pollicis brevis und die radiale
transossäre Insertion im Kopf des 1. MHK sowie in der Basis des Streckerhaube bzw. den Ansatz des M. abductor pollicis brevis.
Grundglieds oder durch Einflechtung in den Kapsel-Band-Apparat
erreicht wird (⊡ Abb. 21.40d). Daumenhypoplasie Grad III A
Als weitere Technik der Opponensplastik bei Daumenhypo- Zusätzlich zu den Maßnahmen bei Grad II kommen bei Grad III A
plasie Grad II eignet sich der Transfer des M. abductor digit mi- Eingriffe zur Rekonstruktion der langen Beuge- und Strecksehnen
nimi. Diese Methode wurde gleichzeitig von Huber (1921) und hinzu. Sie müssen in einen richtigen Verlauf gebracht, zentriert
Nicolaysen (1922) beschrieben. Huber konnte zeigen, dass die und mit konstruierten Ringbändern fixiert werden, um einen
Nerven- und Blutversorgung des Muskels nur an seiner Basis liegt, guten Muskelzug zu ermöglichen. Hypoplastische Sehnen werden
weshalb er in der gesamten Länge umgelagert werden kann. Nach durch die Sehne des M. extensor indicis proprius als Strecker und
21 einer Inzision an der ulnaren Handkante und an der radialen Seite die oberflächliche Beugesehne des Ringfingers als Beuger ersetzt.
des Daumengrundgelenks werden distal die Ansätze des Muskels
abpräpariert – einer an der Basis des Grundgliedes, der andere von Daumenhypoplasie Grad III B (⊡ Abb. 21.41a,b)
der Dorsalaponeurose – und der Muskel Richtung Os pisiforme Barsky (1958) hat versucht, aus dem hypoplastischen Daumen
isoliert, wobei aber sein Ursprung an demselben erhalten bleibt. einen funktionstüchtigen Daumen zu konstruieren. Er übertrug
Nachdem die Haut zwischen den beiden Inzisionen unterminiert dazu einen Knochenspan oder ein Zehengrundgelenk mit angren-
wird, zieht man den Muskel bei gleichzeitiger Rotation um 170° zenden Knochenanteilen.
unter der Hautbrücke durch und fixiert ihn an die Sehne des Auch Blauth hatte anfangs die Bestrebung den Daumen zu
M. extensor pollicis brevis oder, wenn das nicht möglich ist, an die erhalten und mit einer Knochenabspaltung aus dem 2. MHK und
21.2 · Spezielle Techniken
497 21

⊡ Abb. 21.40 10-jähriges Mädchen mit Dau-


menhypoplasie Grad II. a Unterentwicklung des
Daumens, Instabilität des Grundglieds und Hypo-
plasie der Daumenmuskeln, b Röntgen der Hän-
de im Seitenvergleich, rechts deutlich schmälerer
Daumenstrahl, Os trapezium und scaphoideum
unterentwickelt, c intraoperative Darstellung der
Entnahme des M. flexor digitorum superficialis IV
zur Opponensplastik, d 2 Jahre postoperativ,
kräftiger Spitzgriff D I/V – kaum sichtbare Narben
an der Hand, keine Überstreckung des PIP-
b d
Gelenks D IV rechts

zusätzlichem Darmbeinspan zu stabilisieren. Mit Buck-Gramcko ruht auf 4 Operationsprinzipien, die für ein gutes Ergebnis von
und Littler hat sich in Europa allerdings die Methode der Polli- gleichrangiger Bedeutung sind:
zisation des Zeigefingers durchgesetzt. In Asien wird häufig aus
kulturellen Gründen das Verfahren einer freien Zehengelenküber- Schnittführung. Es gibt mehrere Varianten, einerseits nach Buck-
tragung mit mikrovaskulären Anastomosen angewendet und auch Gramcko und andererseits nach Blauth. Die Idee besteht darin, die
Foucher et al. (2001) beschreiben bei der Hypoplasie Grad III B die Haut so aufzuteilen, dass keine zusätzlichen Hauttransplantationen
Anwendung dieser Technik. Allerdings muss hier mit mehreren erforderlich sind, die Hautlappen optimal durchblutet werden und
Operationen und der Notwendigkeit einer Knochenverlängerung später keine Narbenkontrakturen resultieren.
gerechnet werden.
Fingertransposition mit neurovaskulärem Stiel. Die Präpa-
Daumenhypoplasie Grad III C bis V ration der beiden palmaren Gefäß-Nerven-Bündel muss sorgfältig
Das angeborene vollständige Fehlen des Daumens kann – im erfolgen, die Arterie zur Radialseite des Mittelfingers wird unter-
Gegensatz zu Patienten, die ihren Daumen durch ein Trauma bunden, der gemeinsame Fingernerv II/III mikrochirurgisch auf-
verloren haben – von den Kindern meist relativ gut kompensiert geteilt. Damit wird sichergestellt, dass es nach der Umsetzung des
werden. Dennoch haben die kleinen Patienten erhebliche funkti- Zeigefingers zu keinem Zug am ulnaren Daumennerven kommt.
onelle Beeinträchtigungen. Die fehlende Daumenopposition und
somit der Spitzgriff wird durch ein Seit-zu-Seit-Greifen des Zei- Skelettanpassung – Kürzung, Rotation, Abduktion. Der neu
ge- und Mittelfingers ersetzt. Das führt schon sehr früh dazu, dass gebildete Daumen aus dem Zeigefinger soll stabil und optimal
der Zeigefinger im Vergleich zur anderen Hand radial abduziert positioniert sein. Dazu muss die Länge der Knochen reduziert und
ist. Die Kinder haben Schwierigkeiten, größere Gegenstände wie der Strahl gedreht werden: Der 2. MHK wird subperiostal freige-
Flaschen zu umfassen und zu öffnen, und das Tragen von schweren legt und bis auf den Kopf, welcher das neue Trapezium darstellt,
Gegenständen ist fast unmöglich. Deshalb ist das alltägliche Leben gekürzt und die Wachstumsfuge zerstört. Je nach Länge des Zeige-
deutlich mühsamer zu bewältigen. fingers empfiehlt es sich 1 cm der Basis des 2. MHK zu belassen,
Somit wurde die operative Behandlung mit der Zielsetzung des da hier auch die Sehnen der Mm. extensor carpi radialis longus
Ausgleichs dieser Greifbehinderung notwendig. und flexor carpi radialis ansetzen. Diese Entscheidung ist in jedem
Die Methode der Wahl ist die Pollizisation des Zeigefingers, Fall individuell zu fällen. Das ehemalige MCP-Gelenk wird so zum
eine Transposition des Zeigefingers an seinem neurovaskulären neuen Daumensattelgelenk, das Mittelgelenk zum Grundgelenk
Stiel (⊡ Abb. 21.42). Diese Methode der Daumenrekonstruktion ist und das Endgelenk zum IP-Gelenk des Daumens. Die Drehung des
bei Verlust nach Trauma entstanden und wurde von Blauth (1967) Zeigefingerstrahls um seine longitudinale Achse ist entscheidend,
genau beschrieben. Buck-Gramcko, der im Rahmen der Thalido- um dem späteren Daumen die größtmögliche Funktion zu ermög-
mid-Embryopathie viele Kinder mit angeborenen Fehlbildungen lichen. Am Ende der Operation sollte eine Rotation von ca. 120°
operierte, kann auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. gegeben sein. Auch in Richtung der palmaren Abduktion ist eine
Die Operationsmethode wurde von ihm weiterentwickelt und be- Kippung erforderlich, ca. 40° sollten erzielt werden.
498 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

a b c

21
⊡ Abb. 21.41 10-jähriges Mädchen mit Daumenhypoplasie Grad III B
rechts. a Zustand nach Stabilisierungsversuch des MCP-Gelenks im Alter
von 2 Jahren, b CT ~90°ige Luxation des MCP-Gelenks und Hypoplasie des
Daumens, c Ergebnis 9 Jahre nach Pollizisation des Zeigefingers bei dem
damals 10-jährigem Mädchen im Seitenvergleich, d radiale Abduktion,
seitengleich weite Kommissuren, e palmare Abduktion, f Oppostion zum
Kleinfinger, g postoperative CT von palmar und dorsal 4 Jahre nach Pollizi-
f
sation des Zeigefingers
21.2 · Spezielle Techniken
499 21

M. interosseus
palmaris
ulnarer
Seitenzügel
der
Aponeurosis
radialer dorsalis
Seitenzügel
der Tendo
Aponeurosis m.extensoris
dorsalis indicis
M. interosseus
dorsalis I Tendo
m.extensoris
digitorum

a b
Articulatio
metacarpo-
phalangealis
Aponeurosis
dorsalis

M. interosseus
palmaris

Tendo
m.extensoris
indicis

M. interosseus
dorsalis
Tendo m.extensoris e f
digitorum

⊡ Abb. 21.42 Zeigefingerpollizisation nach Buck-Gramcko bei Daumenaplasie. a Hautschnitt, Ansicht von palmar: Die Haut über dem Grundglied wird ent-
fernt, um den neuen Daumen kürzer erscheinen zu lassen. b Hautschnitt, Ansicht von dorsal: Die schräge Längsinzision muss sehr vorsichtig erfolgen, um
oberflächlich quer verlaufende Venen nicht zu zerstören. Für jeden der beiden Lappen ist je eine längs verlaufende Vene zu präparieren und zu erhalten,
damit es bei der Einnaht in der neuen Position nicht zu Durchblutungsstörungen kommt. Die quer verlaufenden Venen sind vorsichtig zu ligieren oder zu
koagulieren. c Die muskuläre Stabilisierung erfolgt durch Versetzen der beiden Mm. interosseus dorsalis I und palmaris I (s. Text). Je nach Fehlbildungstyp gilt
es die vorhandene Muskulatur genau zu präparieren und eventuell zur Fixierung vor allem des neuen MCP-Gelenks zu verwenden. Während der Rotation des
neuen Daumens und der muskulären Stabilisierung empfiehlt es sich, ihn an seiner Kuppe mit der Ringerfingerkuppe durch eine Naht vorübergehend zu
fixieren. d Die Sehne des M. extensor indicis proprius wird gekürzt, um sie an die Länge des neuen Daumens anzupassen und die beiden Enden werden ver-
näht. e Schema postoperativ, Ansicht von dorsal, f Schema postoperativ, Ansicht von palmar. (Aus Berger u. Hierner 2008)
500 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Muskuläre Stabilisierung. Durch die Kürzung und Rotation des Ein häufiges Problem ist der zu lange Neo-Daumen, der
Skeletts muss ein Muskelgleichgewicht in Beugung und Streckung durch eine zu geringe Kürzung des 2. MHK oder ein zusätzliches
bzw. palmarer Abduktion und Adduktion geschaffen werden. Von Längenwachstum infolge ungenügender Zerstörung der Wachs-
der Sehne des M. extensor indicis proprius wird ein Stück reseziert tumsfuge entsteht. Eine ungenügende Rotation des 2. Fingers um
und die Enden wieder adaptiert. Sie wird als Ersatz für den Abduktor seine Längsachse führt zu einer insuffizienten Opposition, eine
von der Streckaponeurose abgetrennt und an der Basis des bisheri- zu geringe Kippung hingegen zu einer unbefriedigenden Absprei-
gen Grundgliedes und jetzigen neuen MHK angenäht. Die Interos- zungsfähigkeit des Daumens. Weiterhin kann es aufgrund von
seusmuskeln sind wichtig für die seitliche Stabilisierung des neuen Durchblutungsstörungen zur Nekrose kommen und Nervenschä-
Daumens: der 1. dorsale und der 1. palmare M. interosseus werden digungen wirken sich negativ auf die Sensibilität oder die aktive
abgetrennt und weiter distal im Bereich des neuen Grundgelenks an Beweglichkeit des ehemaligen Zeigefingers aus.
die Seitenzügel der Streckaponeurose reinseriert. So wird die Muskel- Eine weitere Möglichkeit zur Herstellung eines funktionsfähi-
kontraktion übertragen und sowohl das MCP- als auch das IP-Gelenk gen Daumens ist die Methode der »Rotation-Recession« mit einer
können gestreckt werden. Nach Buck-Gramcko ist die Kürzung der Dreh-, Abwinklungs- und Verkürzungsosteotomie im MHK. Die-
Beugesehnen des Zeigefingers nicht vorgesehen, dies könnte aber ses Verfahren schafft aber keinen guten 1. ZFR und der Greifakt
längerfristig ein besseres Ergebnis in der Kraftentwicklung bringen. ist wiederum nicht optimal möglich. Die freie Zehenübertra-
gung (2. Zehenstrahl) hat als Behandlung der Daumenhypoplasie
Das Ergebnis der Pollizisation des Zeigefingers hängt von der aus kulturellen Gründen besonders im asiatischen Raum ihren
jeweiligen Ausgangssituation ab. Ist zur Daumenfehlbildung z. B. Stellenwert. Sie ist allerdings weder funktionell noch ästhetisch
zusätzlich noch eine Klumphand vorhanden, ist der neue Daumen immer zufriedenstellend. Auch bereitet der Anschluss der Ze-
aufgrund der veränderten Muskelzüge (Radialdeviation im Hand- hennerven und -sehnen an Strukturen der Hand Schwierigkeiten,
gelenk) weniger funktionsfähig. Auch die Beschaffenheit des zu da diese oft nicht vorhanden sind. Von diesen beiden Methoden
pollizisierenden 2. Fingers (normale Anlage aller Strukturen, kräf- sollte also bei angeborenem Fehlen des Daumens abgesehen
tiger 1. dorsaler Interosseusmuskel) ist entscheidend für das Ergeb- werden.
nis. Auf Röntgenbildern nach Zeigefingertransfer konnten Aliu et
al. (2008) hinsichtlich der Veränderung am MHK mit besonderem
Augenmerk auf den ursprünglichen Kopf des 2. MHK zeigen, dass 21.2.8 Spalthandsysndrom
sich das umgesetzte ehemalige proximale Glied kontinuierlich zu
einem Daumen-MHK umwandelt und der Kopf des 2. MHK be- Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
züglich Aussehen und Funktion immer mehr einem Trapezium Das Spalthandsyndrom ist ein longitudinaler distaler zentraler De-
und Daumensattelgelenk ähnelt. fekt, wobei in erster Linie der 3. Strahl als Binnenstrahl betroffen
ist. Der Spalt ist keilförmig mit nach proximal gerichteter Spitze.
Postoperative Therapie Knöcherne Anteile werden dabei verlagert, Weichteile verschmel-
Nach Opponensplastik mit der oberflächlichen Beugesehne des zen und Differenzierungsprozesse werden unterdrückt.
Ringfingers wird der Daumen in palmarer Abduktion von 30–40°, Der Defekt breitet sich nach zentral und radial aus, wobei
das MCP-Gelenk in 0° und mit freiem IP-Gelenk für 3–4 Wo- die erhaltenen Finger meist regelrecht angelegt sind. Es kann
chen ruhiggestellt. Das PIP-Gelenk des Ringfingers wird mit einer auch zur Ausbildung von sog. Quer- oder Transversalknochen
kurzen Schiene für 3 Wochen in 15° Beugung gehalten bis der kommen, die für die Spalthand typisch sind. Die Gefäße können
am Grundglied reinserierte Seitenzügel angewachsen und so eine ebenfalls Anomalien aufweisen und die randständigen Finger
Überstreckung des Gelenks nicht mehr möglich ist. sind oft syndaktyl verbunden (⊡ Abb. 21.43a). In mehr als 70% be-
Nach der Pollizisation des Zeigefingers wird die betroffene steht eine Syndaktylie zwischen dem Daumen und dem abnorm
Extremität wegen der Sehnen- und Muskelnähte durch eine Ober- positionierten Zeigefingerstrahl, oder es liegt eine inkomplette
armgipsschiene mit Daumeneinschluss für 3 Wochen ruhiggestellt, Polydaktylie vor.
danach meist eine thermoplastische Schiene in 40–50° palmarer Von Grebe (1985) und Kelikan (1974) konnte ein dominanter
Abduktion angepasst. Die Übungsbehandlung ist vom Zeitpunkt Erbgang nachgewiesen werden, was besonders für die Spalthand-/
der Pollizisation abhängig. Je älter die Kinder zum Operationszeit- Spaltfuß-Malformation gilt. Die als unilaterale Spalthand bezeich-
punkt sind, desto bewusster muss das Greifen mit dem neuen Dau- nete Fehlbildung tritt sporadisch auf, wobei es beim typischen
men geübt werden. Dazu empfiehlt sich die Durchführung einer Spalthandsyndrom keine einseitige Erscheinungsform gibt und
Ergotherapie, in der mit kindgerechten Mitteln Bewegungsausmaß, diese unilateral betroffenen Fälle eine Symbrachydaktylie vom
Feinmotorik und Kraft trainiert und auch die Eltern zur Durchfüh- Spalthandtyp darstellen.
rung eines Heimprogramms mit dem Kind instruiert werden. Wird
hingegen das Kind vor dem 2. Lebensjahr operiert, akzeptiert es Klassifikation
den transponierten Zeigefinger als Daumen meist sehr schnell und Die teratologische Reihe des Spalthandsyndroms wurde 1937 bzw.
ganz automatisch (z. B. durch Daumenlutschen). Die Greifformen 1938 von Müller und Stroer formuliert, wobei der V-förmige De-
21 können sich im Alltag spielerisch entwickeln und das Erlernen des fekt der Binnenstrahlen die mildeste und die ulnare Monodaktylie
Spitzgriffs kann sich wie bei allen Kleinkindern natürlich entwi- die schwerste Form der Spalthand darstellt.
ckeln (⊡ Abb. 21.41c–g). Weitere Einteilungen wurden von Birch-Jensen (1949), Barsky
(1964), Blauth und Falliner (1986) sowie Manske und Halikis
Fehler, Gefahren und Komplikationen (1995) vorgenommen, die sich nach formellen Gesichtspunkten
Neben den allgemeinen Komplikationen einer Operation kann bei richten. Ogino wiederum beschreibt 1990 die Spalthand als Pro-
der Pollizisation durch die fehlende Erfahrung des Operateurs oder dukt eines Zusammenspiels von Syn- und Polydaktylie. Insgesamt
durch das Nichtbeachten aller Einzelheiten das Ergebnis subopti- lässt sich die Vielfalt der Spalthandformen kaum in einer Klassifi-
mal ausfallen. kation vereinen und die Einteilungsversuche weisen Unzulänglich-
21.2 · Spezielle Techniken
501 21

⊡ Abb. 21.43 6 Monate altes Mädchen mit beid-


seitiger Spalthand. a Rechts: mit hypoplastischem
MHK III, Synostose der Grundphalangen D I und
D II, links: MHK III relativ gut entwickelt, Grund-
und Mittelphalange des Ringfingers verbreitert,
komplette häutige Syndaktylie D I/II mit massiver
e
radialer Abwinklung; b Operation links: Trennung
der häutigen Syndaktylie zwischen D I/II und
Operation nach Snow-Littler; c Präparation des
palmar gestielten zickzackförmig umschnittenen
Lappens, Haut von D II in Höhe des Grundglieds
unter Schonung der palmaren Gefäß-Nerven-
c Bündel durchtrennt; d nach genauer Präparation
der palmaren Gefäß-Nerven-Bündel, Entfernung
des Bindegewebes und der Faszien über der in-
trinsischen Daumenmuskulatur, Erweiterung des
1. ZFR, vor Kürzung des MHK III und Transposition
des 2. auf den 3. MHK; e Stabilisierung der bei-
f
den MHK mit längsgerichtetem Kirschner-Draht,
direkter Verschluss der Spalte und Transposition
des Lappens aus der Spalte in den 1. ZFR, vor
Einbringen von Vollhauttransplantaten an den
Fingerseitenflächen von Daumen und Zeigefinger;
f postoperatives Ergebnis an der linken Hand nach
2 Jahren – Spreizen und Strecken, kräftiger Faust-
schluss ohne Unter- oder Übergreifen der Finger;
g postoperatives Röntgen, die rechte Hand wurde
nicht operiert; h in einer 2. Operation Verlänge-
rung der radial gelegenen Narbe am Zeigefinger
durch quere Inzisionen und Einbringen von Voll-
hauttransplantaten, weitere Vertiefung des 1. ZFR
d g
durch Bildung eines dorsalen Dehnungslappens

keiten und Unvollständigkeiten auf, denn es fehlt bei den jeweili- ist die Verbesserung des Erscheinungsbildes und der Handfunkti-
gen Systemen die jeder einzelnen Gruppe zuzuordnende operative on. Dabei richtet sich die Art der Operation nach dem Befund und
Behandlung und somit die praktische Konsequenz. erfolgt ein- oder mehrzeitig, einzeln nacheinander oder in 2 Teams
parallel. Durch das inhomogene Erscheinungsbild von Spalthän-
Indikation und Operationszeitpunkt den muss auch die Operationstechnik immer individuell ausge-
In der Behandlung des Spalthandsyndroms gibt es keine konserva- wählt werden. Die Korrektur dieser schwerwiegenden und oftmals
tiven Therapiemaßnahmen. Das Ziel der operativen Behandlung komplizierten Fehlbildung führt zu einer lediglich ausreichenden
502 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Funktion der Hand für den Alltag. Besonders zu beachten ist das Greiffunktion wird diese automatisiert und daraufhin auch ganz
Fehlen eines kräftigen Spitzgriffs und die Operationsmethoden natürlich in den Alltag übernommen.
müssen dementsprechend angepasst werden.
Fehler, Gefahren und Komplikationen
Spezielle Therapie Die Operationsmethode nach Snow-Littler kann zu partiellen
Prinzipiell kommen folgende operative Verfahren in Betracht: Lappennekrosen führen, die einer Korrekturoperation bedür-
▬ Syndaktylietrennung; fen. Notwendige Revisionseingriffe beinhalten die Korrektur von
▬ Entfernung von Transversalknochen: Wood (2004) empfiehlt longitudinalisierten Narben mit Z-Plastiken und andere Korrek-
bei zwischen dem 1. und 2. Fingerstrahl liegenden Quer- turen in der 1. Kommissur (⊡ Abb. 21.43h) sowie Osteotomie des
knochen diesen nur zu entfernen, wenn die nötige Tiefe des 2. MHK, Sehnentransfer des M. extensor carpi radialis longus,
1. ZFR fehlt, sodass größere Gegenstände trotz der guten um die Zeigefingerabduktion wiederherzustellen, Korrektur von
Spannweite nicht gegriffen werden können; Grund- oder Mittelgelenkkontrakturen und Sehnentransfer, um
▬ Korrektur der Kamptodaktylie oder Korrekturosteotomie; den M. abductor pollicis longus zu stärken. Weiterhin sind fall-
▬ Beseitigung der Spalte durch Transposition des 2. MHK auf weise Arthrodesen von instabilen oder nicht achsengerechten
die Basis des 3. MHK nach Weichteil- und Resektion des Gelenken nötig. Der Spitzgriff ist bei allen operierten Patienten
3. MHK; schwach.
▬ zusätzlich Vertiefung des 1. ZFR nach Snow-Littler (1967)
oder Modifikation der Schnittführung nach Miura und Koma-
da (1979) 21.2.9 Klinodaktylie

Die Operationsmethode nach Snow-Littler ist technisch äußerst Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
anspruchsvoll (⊡ Abb. 21.43b–e), kann aber funktionell wie ästhe- Die Klinodaktylie ist nach Tamplin (1846) die seitliche Abwink-
tisch gute Ergebnisse bringen. Die Schnittführung erfolgt an der lung eines Fingers oder des Daumens im Mittelgliedbereich, meist
Spalte, eine bestehende Syndaktylie des 1. und 2. Fingers wird bedingt durch die Form des verkürzten Mittelglieds bei Brachyme-
durch eine zickzackförmige Inzision getrennt. Der 3. MHK wird sophalangie oder einer Deltaphalanx.
bis auf die Basis entfernt, der Zeigefingerstrahl darauf gesetzt und Sie tritt vorwiegend am Kleinfinger (Abweichen im Mittel-
mit 2 Kirschner-Drähten fixiert. Dabei ist darauf zu achten, dass glied nach radial), am Zeigefinger (⊡ Abb. 21.44) und am Daumen
der transponierte Finger nicht in einer Drehfehlstellung fixiert (⊡ Abb. 21.45a) (im Grundgelenk Abwinklung nach radial, bei
wird. Der M. interosseus dorsalis I wird für die Transposition Triphalangie im Mittelgelenk nach ulnar) auf. Im Gegensatz zum
vorsichtig abgelöst, der palmare wenn möglich mit transponiert. Auftreten am Kleinfinger kommt die kongenitale Klinodaktylie
Der 2. dorsale kann entfernt und der 3. dorsale auf den Ansatz des am Daumen isoliert, oftmals aber im Rahmen von Syndro-
palmaren aufgenäht werden. Das Lig. metacarpeum transversum men (z. B. beim Apert-, Holt-Oram-, Down-, Poland-Syndrom
profundum muss schlingenförmig aus Sehnenteilen des Mittel- etc.) vor.
fingers konstruiert werden. Rider et al. (2000) erachten diesen Die Dreieckform eines Fingergliedes kommt durch eine bo-
Schritt nicht unbedingt notwendig, da im Rahmen einer Nachun- genförmige längsgerichtete Epiphyse zustande, welche die beiden
tersuchung weder klinisch eine Instabilität noch radiologisch eine Gelenkanteile miteinander verbindet. Die distale Gelenkfläche
Separation festgestellt werden konnte. Die Haut des Spaltes wird verläuft dadurch schräg, der betroffene Knochen ist deutlich
in einen palmar gestielten Hautlappen umgewandelt und kann verkürzt. Man spricht auch von Dreieckdeformität oder Delta-
zur Erweiterung des 1. ZFR verwendet werden, welcher durch die knochen (⊡ Abb. 21.45b). Ogino et al. (1994) sowie Watson und
Zeigefingerverschiebung auf eine normale Weite gebracht wird. Boyes (1967) sehen in der Deltaphalanx eine Vorstufe zur Poly-
Wenn erforderlich, werden etwaige Restdefekte mit Vollhaut aus daktylie.
der Leiste gedeckt.
Nach Miura und Komada wird die Operation wie nach Snow-
Littler durchgeführt, lediglich die Inzisionen sind modifiziert, um
für die 2. Kommissur kleine Hautlappen zu bilden.

Postoperative Therapie
Nach der Transposition des 3. an die Stelle des 2. MHK wird die
Hand ruhiggestellt. Danach kann eine die Hand umfassende Span-
ge aus thermoplastischem Material für 6–8 Wochen Schutz für die
Knocheneinheilungsphase bieten. Wurde eine tiefe Daumenkom-
missur geschaffen, muss der Daumen nachts mittels Schienen-
behandlung in maximaler palmarer Abduktion und Opposition
21 gelagert werden, um die optimale Weite zu erhalten.
Ein zirkuläres Zwillingsschlaufenband wird um den 2. und
3. Finger angebracht, um der bisherigen Spalthandstellung entge-
genzuwirken sowie eine Neuprogrammierung des Körperschemas
im Gehirn zu ermöglichen. In dieser Weise wird der Interdigital-
griff D II/III (bzw. D II/IV) unterbunden und neben der Finger-
beugung und -streckung wird so auch der Spitzgriff zum Daumen
und der Grobgriff angebahnt (⊡ Abb. 21.43f,g). Durch den spiele- ⊡ Abb. 21.44 Klinodaktylie beider brachymesophalangealer Zeigefinger mit
rischen Einsatz der Hand und häufiges Wiederholen der neuen gedoppelten Endgliedern und dreieckigen Mittelgliedern
21.2 · Spezielle Techniken
503 21
Klassifikation ▬ Keilosteotomie und Teilresektion der Epiphysenfuge mit
Die Klinodaktylie ist ein klinisches Symptom und stellt keine eige- Fettinterposition, spontane Korrektur durch das Wachstum;
ne Erkrankung dar. Sie kann angeboren sein, traumatisch bedingt ▬ Resektion eines dreieckigen Knochens bei Daumendreiglied-
oder im Rahmen einer juvenilen rheumatoiden Arthritis auftreten. rigkeit, eventuell Arthrodese des Gelenks;
Die Patienten können somit in 4 Kategorien eingeteilt werden: ▬ Bei der Verlängerung eines kurzen MHK müssen vor der Os-
▬ Typ I: familiäre Klinodaktylie mit einem dominanten Erbgang teotomie die Mm. interossei abgelöst und das Lig. metacarpeum
(üblicherweise keine anderen Fehlbildungen); profundum durchtrennt werden, ehe die Interposition eines
▬ Typ II: Klinodaktylie assoziiert mit anderen Fehlbildungen; Darmbein- oder Radiusspans, welche mit einer Platte oder
▬ Typ III: Klinodaktylie mit physikalischem oder thermalem durch 2 Kirschner-Drähte fixiert werden, erfolgt. Zusätzlich zur
Trauma der Epiphyse; Knochenkorrektur muss eine Verlängerung der Weichteile (mit
▬ Typ IV: Klinodaktylie beim triphalangealen Daumen. Z-Plastiken oder gestieltem Lappen) erfolgen.

Indikation und Operationszeitpunkt Postoperative Therapie


Eine Schienenbehandlung als konservativer Therapieversuch ist Das operativ korrigierte Gelenk und seine angrenzenden Phalan-
nicht erfolgversprechend, weshalb man bei starker Abwinklung gen müssen bis zum Abschluss der Knochenheilung für 6–8 Wo-
eine operative Korrektur durchführt. Wegen der geringen Größe chen Tag und Nacht in achsengerechter Streckstellung mit einer
der Knochen empfiehlt sich die Operation im Vorschulalter oder Fingerschiene ruhiggestellt werden. Um Kontrakturen vorzubeu-
später. gen und um den vollständigen Bewegungsumfang zu erhalten,
werden alle nicht betroffenen Gelenke in dieser Zeit frei bewegt.
Spezielle Therapie Für weitere 6 Wochen empfiehlt sich eine thermoplastische
Zur operativen Korrektur des Deltaknochens können verschiedene Schiene für den operierten Finger bei sportlichen Aktivitäten als
Verfahren zum Einsatz kommen: Schutz zu tragen.
▬ Verlängernde Keilosteotomie mit Knochenspaninterposition
und Verlängerung des Weichteilmantels mittels Z-Plastik oder Fehler, Gefahren und Komplikationen
»bilobed-flap«, die Fixation erfolgt mit 1–2 Kirschner-Drähten Da die kleinen Knochentransplantate meist durch einen Kirsch-
(⊡ Abb. 21.45c–f, ⊡ Abb. 21.46); ner-Draht fixiert werden, kann es zu einer Infektion bzw. Nicht-

a b

⊡ Abb. 21.45 Einjähriges Mädchen mit


Klinodaktylie beider Daumen. a Zusätzliche
Fehlbildungen: ulnare Deviation der kurzen
Zeige- und Mittelfinger sowie radiale Deviation
c der kurzen Kleinfinger, b Röntgen beider Hände,
Deltaphalanx der Daumengrundglieder, Poly-
phalangie D II und D III, Brachymesophalangie
d
D V, c zickzackförmige Inzision und Abpräparati-
on eines dorsalen Lappens am rechten Daumen,
aufklappende Osteotomie des Deltaknochens,
Belassen des Periosts an der Ulnarseite, Inter-
position eines Beckenkammspans, Fixation
mit longitudinalem Kirschner-Draht, d 6 Jahre
nach Operation an beiden Daumen, kräftiger
Spitzgriff an beiden Händen, die Gelenke sind
seitlich stabil, e kaum sichtbare Narben nach
Dehnungslappenplastik, f postoperatives Rönt-
gen nach Aufrichtung beider Daumen, Fusion
der primär separierten Phalangen im Zeige- und
e f
Mittelfinger
504 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

verkürzende 10 Jahre
Osteotomie
Fetttransplantat

verlängernde Osteotomie
Rotationsosteotomie
Knochen
-transplantat

⊡ Abb. 21.46 Schematische Darstellung der Therapie-


möglichkeiten bei Klinodaktylie. (Aus Berger u. Hierner
2008)

einheilen des Knochens kommen. Wird bei der aufklappenden Klassifikation


Osteotomie kein Perioststreifen stehen gelassen, ist ein Rezidiv der Die Einteilung der Makrodaktylie erfolgte von Temtamy und
Klinodaktylie möglich. Die Haut kann bei einer Verlängerung des McKusick (1978). De Laurenzi (1962) unterteilte die echte Ma-
Fingers postoperativ unter Spannung kommen, sodass eine Nek- krodaktylie in 2 weitere Formen als isolierte Anomalie oder als
rose entstehen kann. Es ist also durch eine primäre lokale Lappen- partiellen Riesenwuchs im Rahmen eines Syndroms (z. B. Morbus
plastik dieser möglichen Komplikation vorzubeugen. Recklinghausen). Bei der echten Makrodaktylie mit Hyperplasie
des Knochens sind das enchondrale und periostale Knochenwachs-
tum betroffen, wodurch der Knochen länger und dicker ist. Es
21.2.10 Makrodaktylie scheint auch die Knochenreifung beschleunigt zu sein, was sich am
vorzeitigen Auftreten knöcherner Epiphysenkerne zeigt. Die Kno-
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie chenveränderungen nehmen nach distal zu. Eine Verkrümmung
Als Makrodaktylie wird der Riesenwuchs der Finger bezeichnet, der des makrodaktylen Fingers kann durch asymmetrisches Wachstum
1824 von Klein erstmals beschrieben wurde. Die Morphologie und verursacht sein. Die Pseudomakrodaktylie betrifft lediglich die
Pathogenese ist uneinheitlich, definitionsgemäß besteht aber eine Weichteile.
»angeborene Vergrößerung eines oder mehrerer Finger mit dem dazu Nach Dell (1985) wird die Makrodaktylie in 3 Typen mit lipo-
gehörigen Teil der Hohlhand« (Martini 2003, S. 216). Häufig sind 2, fibromatösen Hamartomen (Typ I), Neurofibromatosen (Typ II)
seltener 3 Finger betroffen, meist sind es der Zeige- und Mittelfinger. oder mit ausgeprägten Hyperostosen (⊡ Abb. 21.47b) ohne nervale
Die Hyperplasie betrifft in erster Linie den Knochen und das Fett- Veränderungen (Typ III) unterschieden.
gewebe. Aber es werden auch Riesenwuchs und Nervenhyperplasie Flatt unterteilt die Makrodaktylie in ein System, das für den
von mehreren Autoren in Zusammenhang gebracht, wobei Kelikan Chirurgen wahrscheinlich am hilfreichsten ist:
(1974) besonders den N. medianus hervorhebt und vom sog. NTOM ▬ Typ I: Gigantismus und Lipofibromatose;
(»nerve territory oriented macrodactyly«) spricht. Bei dieser Form ▬ Typ II: Gigantismus und Neurofibromatose;
zeigt sich in der Histologie eine Lipofibromatose der Nerven oder ein ▬ Typ III: Gigantismus und digitale Hyperostose;
lipomatöses Hamartom (⊡ Abb. 21.47a) Ulrich et al. (2009) beschrei- ▬ Typ IV: Gigantismus und Hemihypertrophie.
21 ben charakteristische Veränderungen am Nerven mit Expansion des
Epineuriums, Zunahme des endo- und perineuralen Bindegewebes Indikation und Operationszeitpunkt
und Proliferation von dysplastischen Perineuriumzellen. Bei Kindern mit knöchernem Riesenwuchs kommt als erste Maß-
Es wird vermutet, dass anlagebedingt eine lokal vermehrte Sensi- nahme die Verödung der Epiphysen in Frage. Im Erwachsenenalter
tivität auf Wachstumsreize besteht, bzw. eine Störung der wachstums- hingegen ist die Amputation des fehlgebildeten Fingers oft nicht
hemmenden Faktoren in der betroffenen Region vorliegt. Ochi et al. zu umgehen.
(1987) konnten bei Makrodaktylie mehr Somatomedin-C-Rezepto- Bei alleiniger Weichteilbeteiligung kann man durch Weichteil-
ren im Bereich der Wachstumsfuge finden. Somatomedin-C spielt verschmälerung ein befriedigendes funktionelles und ästhetisches
eine Rolle bei Differenzierung und Wachstum von Chondrozyten. Ergebnis erreichen.
21.2 · Spezielle Techniken
505 21

a b c d

⊡ Abb. 21.47 37-jährige Frau mit Makrodaktylie am rechten Daumen. a Zustand nach auswärts durchgeführter Operation im Alter von 14 Jahren, b Röntgen
rechter Daumen: Verkalkungen und Osteophyten um die Gelenke, c MRI: Längsdarstellung des stark verdickten Weichteilpolsters über dem Thenar entspre-
chend einer Fettansammlung, d intraoperative Darstellung des massiv vergrößerten N. medianus vor allem in Handgelenkhöhe, geschlängelte Faszikelgrup-
pen, teilweise resezierte peri- und intraneurale Bindegwebs-und Fettansammlung. Die angeschlungenen Daumennerven sind radial noch von Fett umgeben,
der N. digitorum communis I bereits freipräpariert

Spezielle Therapie ▬ Amputation: Der Riesenfinger ist meist eher unbeweglich und
Zur Korrektur der Makrodaktylie werden meist verschiedene störend. Deshalb sollte im Falle eines betroffenen Fingers eine
Methoden kombiniert und häufig sind mehrere Eingriffe not- Amputation mit Handverschmälerung in Betracht gezogen
wendig. werden. Im Falle des Daumens ist dies jedoch keine geeignete
▬ Verödung der Epiphysenfugen: während des Knochenwachs- Lösung.
tums, wenn die gewünschte Endlänge des Fingers (Vergleich
mit den Eltern) erreicht ist. Postoperative Therapie
▬ Reduktion der Weichteile: Fettmasse und Haut werden rese- Bei gewebeabtragenden Verfahren ist die postoperative Ruhigstel-
ziert; die Operationen an der palmaren bzw. dorsalen Seite lung nur bis zur Wundheilung erforderlich. Bei Knochenverkür-
des Fingers sollten in einem Mindestabstand von 3 Monaten zungen und Osteosynthese ist eine Ruhigstellung für 4–6 Wochen
erfolgen. Als Inzisionen können jene nach Bruner oder die bzw. bis zur Knochenheilung indiziert.
Mitt-Seit-Inzisionen verwendet werden. Edgerton und Tuerk
(1974) schlagen die Exzision und Entfettung der Haut mit Fehler, Gefahren und Komplikationen
Replantation als Vollhaut vor. Es wird auch das Stripping der Bei ausschließlicher Weichteilresektion besteht die Gefahr der
Nerven empfohlen, um so einem weiteren Wachstum des Hautnekrose. Wegen der Gefahr der Entwicklung von schmerzhaf-
Extremitätenteils Einhalt zu gebieten. Am Finger sollte man ten Neuromen bzw. von asensiblen Fingern und dadurch erhöhter
die betroffenen Nerven resezieren und durch Transplantate Verletzungsgefahr wird eine Nervenresektion und -transplantation
ersetzen. bei Weichteilresektion nicht empfohlen.
▬ Resektionsarthrodese: Resektion des Endgelenks, um den
Finger zu verkürzen und zu begradigen. Tsuge (1967) führt
eine zweizeitige Operation durch, wobei in der 1. Sitzung das 21.2.11 Schnürringkomplex
distale Glied bis auf eine schmale Scheibe reseziert und mit
dem Grundglied fusioniert wird und in einer 2. Sitzung die Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
überschüssigen Weichteile entfernt werden. Unter dieser Bezeichnung werden Fehlbildungen zusammenge-
▬ Resektionsosteotomie nach Millesi (1966): zum Verkürzen fasst, die mit verschiedenen morphologischen Veränderungen ein-
und Verschmälern des Gliedes, bei Bedarf kann auch der hergehen, welche an der unteren, häufiger aber an der oberen
MHK verkürzt werden. Extremität vorkommen.
▬ Dekompression von Nerven: Sind durch ein lipofibromatöses Es zeigen sich quer oder zirkulär verlaufende Schnürfurchen
Hamartom als benigner Tumor der peripheren Nerven der mit distal davon gelegenen polsterartigen Verdickungen der dorsa-
N. medianus oder ulnaris im Karpalkanal bzw. der Guyon-Lo- len Weichteile, periphere Defekte bis zu Teilamputationen und Syn-
ge komprimiert und hat dies sensible oder motorische Ausfälle daktylien der Finger (⊡ Abb. 21.48). Die Syndaktylien sind meist als
zur Folge, muss auch eine Dekompressionstherapie erfolgen Akrosyndaktylien ausgebildet. Reste der ZFR sind als Hauttunnel
(⊡ Abb. 21.47c,d). vorhanden. Die Kommissuren sind nicht in der korrekten Position.
506 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Die Haut im Bereich der Schnürfurche ist sehr dünn und es knospenartigen Fingerresten. Die Atrophie von N. medianus und
fehlt das subkutane Fettgewebe. Die Ringe können oberflächlich N. ulnaris distal des Schnürrings am Unterarm hat eine Sensibili-
(⊡ Abb. 21.49, ⊡ Abb. 21.50) oder tief bis zum Knochen reichen, tätsstörung im Versorgungsgebiet der Hand zur Folge. An Fingern
was am Unterarm zu einer radioulnaren Synostose und an den mit Schnürringen sind die Nägel hypoplastisch, wachsen langsam
Fingern zu Defektpseudoarthrosen führen kann. Knochen und oder fehlen ganz. Diese Merkmale können einzeln oder in Kombi-
Weichteile proximal des Rings sind normal, im Bereich des Rings nation, nur an einer Extremität oder doppelseitig, oder auch an der
weisen Nerven und Gefäße häufig abnormale Verläufe auf. Distal oberen und unteren Extremität auftreten.
der Schnürringe finden sich Lymphödeme und dorsalseitig Finger- Äußerst selten kommen Schnürringe auch am Abdomen vor
polster aus subkutanem Gewebe. Zirkuläre Abschnürungen führen oder es ist die Nabelschnur betroffen, was zu einem intrauterinen
distal des Rings zu Atrophie oder zu Teilamputationen und somit Absterben des Feten und somit zu einer Totgeburt führt. Der
Schnürringkomplex ist in etwa 40% der Fälle mit anderen Fehlbil-
dungen kombiniert (z. B. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, Klump-
fuß). Seine Entstehung ist noch nicht vollständig geklärt. Einerseits
werden Amnionabschnürungen dafür verantwortlich gemacht.
Andererseits gibt es durch histologische Untersuchungen an Feten
den Hinweis auf eine endogene Entstehungsursache. Eine familiäre
Häufung konnte nicht nachgewiesen werden, genauso wenig ein
Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Niko-
tineinfluss während der Schwangerschaft.
Die Abgrenzung des Schnürringkomplexes zu anderen Fehl-
bildungen ist nicht immer einfach weshalb die Symbrachydaktylie
und die periphere Hypoplasie aller Finger als Differenzialdiagno-
sen in Betracht zu ziehen sind.

Klassifikation
Eine Unterteilung des Schnürringkomplexes wurde von Patterson
(1961) nach dem Vorkommen des Schnürrings vorgenommen:
▬ Typ I: isoliert;
▬ Typ II: mit Akrosyndaktylie;
▬ Typ III: Akrosyndaktylie und zusätzliche Teilamputation.

Eine aktuelle Klassifikation von Al Quattan (2000) unterscheidet in:


▬ Typ I: proximale Amputation;
⊡ Abb. 21.48 5 Monate altes Mädchen mit Schnürringkomplex: linke Hand ▬ Typ II: Finger-Teilamputation mit Weichteilverschmelzung und
mit Akrosyndaktylie D II–IV mit Schnürring und distal davon gelegenen lym- Verklumpung der Finger;
phomatös aufgetriebenen Knospen, Schnürring am Endglied D V ▬ Typ III: Finger-Teilamputation ohne Verklumpung.

21

1 3 5 1 3 5
2 4 6
2 4 6

⊡ Abb. 21.49 Prinzip der Korrektur eines Schnürrings


mithilfe von Z-Plastiken. a Planung, b postoperativer
Zustand. (Aus Berger u. Hierner 2008) a b
21.2 · Spezielle Techniken
507 21

a b

⊡ Abb. 21.50 6 Monate alter Knabe mit Schnürringkomplex der


rechten Hand. a Akrosyndaktylie, Übereinanderlagerung von
Fingerteilen. b Die Angio-CT zeigt eine transversale Amputation
der akrosyndaktylen Finger I–V, ein in die Hohlhand verlagerter
Fingeranteil entspricht dem Mittelfinger. Vorhandene Aa. radialis,
mediana und ulnaris. c ½ Jahr nach Auflösung der Schnürfurchen
der rechten Hand mit Erweiterung des 1. ZFR durch dorsalen
Dehnungs-Rotations-Lappen, Vertiefung des 2. und 4. ZFR durch
c
Lappenplastik und Vollhauttransplantate

Weichteilverschmelzungen. Die (akro-) syndaktylen Finger


sollen in den ersten Monaten getrennt werden. Dadurch werden
Fehlstellungen und Lymphödeme reduziert mit der Hoffnung,
dass die Finger gerade weiterwachsen können. Die Hautbrücken
werden getrennt, die Defektdeckung erfolgt mit Vollhauttransplan-
taten. Die zu seichten Kommissuren werden zu einem späteren
Zeitpunkt vertieft.

Wiederherstellende Maßnahmen. Im Alter von 2–3 Jahren


werden rekonstruktive Eingriffe, oft mehrere Verfahren in einer
Sitzung, durchgeführt. Diese umfassen:
▬ Beseitigung der restlichen Schnürringe,
⊡ Abb. 21.51 Knabe mit Schnürringkomplex 5 Jahre nach Auflösung durch ▬ Syndaktylietrennung und Vertiefung der Kommissuren,
Z-Plastik ▬ Knochentransplantation bei Defektpseudarthrosen,
▬ Daumenbildung bei Teilverlust mit funktionslosem kurzem
Stumpf mittels Aufstockung durch Transposition eines Fin-
Indikation und Operationszeitpunkt gerstumpfes auf neurovaskulärem Stiel, Kallusdistraktion des
Neben Berichten über erfolgreiche Auflösung der Schnürringe in 1. MHK oder Zehentransplantation (in ausgesuchten Fällen).
utero mittels endoskopischer Technik richtet sich die postnatale
Therapie nach der Schwere der Fehlbildung mit dem Ziel, die Korrektureingriffe. Im Laufe des Wachstums können weitere
Funktion und auch das Erscheinungsbild zu verbessern. Das akute Operationen notwendig werden, wie z. B. eine erneute Vertiefung
Ödem sollte in den ersten Lebenstagen behandelt werden und be- der Kommissuren, Korrekturosteotomien oder Arthrodesen eines
steht in der Exzison des Schnürrings und Anlegen von multiplen Fingergelenks.
Z-Plastiken. Wenn die Finger akrosyndaktyl verbunden sind und
in abnormer Position zueinander liegen, sollte die weitere Operati- Postoperative Therapie
on schon sehr früh im 1. Lebensjahr erfolgen (⊡ Abb. 21.50). Nach der Entfernung des Schnürrings oder der gleichzeitigen
Trennung der akrosyndaktyl verbundenen Finger werden kleine
Spezielle Therapie Drainagen in die locker vernähten Wunden eingelegt. Über Haut-
Dringliche Eingriffe. Wenn durch die Schnürringe die Gefahr der transplantaten oder über kleinen in den Schnürring transponierten
Nekrose besteht, muss der Patient innerhalb der ersten Lebenstage Lappen wird nur ein weicher Verband und eine halbelastische Bin-
operiert werden (⊡ Abb. 21.52). Der Ring und bereits nekrotische de locker darüber gewickelt, um die Durchblutung der distal der
Anteile werden reseziert und Z-Plastiken angelegt. Schnürfurche gelegenen Anteile immer kontrollieren zu können.
508 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

⊡ Abb. 21.52 Schnürring an der rechten unteren Extremität eines neugebo- ⊡ Abb. 21.53 Mädchen mit Klinodaktylie am Daumen ( Abschn. 21.2.9) und
renen Knaben, die Amputation konnte nicht verhindert werden Hyperphalangie D II und D III, nur eine Beugefalte am Zeigefinger sichtbar

Nach Eingriffen am Knochen wird die obere Extremität im Gips Beim triphalangealen Daumen existiert ein zusätzliches ru-
ruhiggestellt und hoch gelagert. Sollten Schmerzen auftreten, ist dimentäres oder normal ausgebildetes Mittelglied. Er tritt häufig
ein Verbandwechsel dringend indiziert. Die Nähte werden etwa gemeinsam mit anderen Fehlbildungen der Hand, wie z. B. Klump-
2 Wochen nach der Operation (bei Kindern bis zu 2 Jahren in All- hand, Daumenhypoplasie und Polydaktylie (⊡ Abb. 21.54a), der
gemeinnarkose) entfernt. unteren Extremität und im Rahmen von Syndromen (z. B. Holt-
Oram-Syndrom) auf.
Fehler, Gefahren und Komplikationen Durch die Einnahme von Thalidomid während der Schwan-
Schlecht durchblutetes Gewebe ist für Infektionen anfällig. Deshalb gerschaft wurde eine signifikante Häufung der Triphalangie des
sollte intraoperativ nach der Trennung der akrosyndaktyl zusam- Daumens beobachtet und mehrfach auch ein autosomal-dominan-
mengewachsenen Finger die eröffneten Interdigital-Sinus neuer- ter Erbgang der Fehlbildung nachgewiesen.
lich desinfiziert werden, da abgeschilferte Epithelreste und Keime Die Pathogenese zur Entstehung dieser Fehlbildung ist noch
in dem mit Epithel ausgekleideten Sinus liegen. nicht geklärt. Im Falle der Ausbildung eines kompletten Mittelglie-
Wenn ein Hämatom auftritt, kann es zur Lappennekrose oder des wird eine Doppelbildung des Zeigefingers bei Daumenaplasie
Nekrose der Transplantate kommen. Bei Nekrosen des distal der angenommen. Ogino et al. (1994) diskutieren für die brachyme-
Furche gelegenen Anteils der Extremität muss rasch eine Amputation sophalangeale Form eine unvollständige Doppelanlage des Dau-
durchgeführt werden, um das Leben des Kindes nicht zu gefährden. menendgliedes mit Teilfusion. Zuidam et al. wiesen 2006 einen
Einfluss der Lage der Wachstumsfuge auf die Länge des 1. MHK
nach. Die häufigste Lokalisation der Wachstumsfuge lag bei ihren
21.2.12 Hyperphalangie der Finger, triphalangealer Patienten distal, im Gegensatz zur Normalbevölkerung, bei der sie
Daumen proximal liegt.

Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie Klassifikation


21 Metrische Variationen können bei allen Fingern vorkommen, sind Die Hyperphalangie der Finger wird nach Pol (1914) in 3 Grade
jedoch als Plusvariante mit dem triphalangealen Daumen am häu- unterteilt:
figsten. Sie beginnt mit der Anlage überzähliger Epiphysen und ▬ Grad I: latente Hyperphalangie mit Verdickung der radialen
endet mit der Hyperphalangie. Seite der Grundgliedbasis;
Bei der Hyperphalangie der Finger geht die Polyphalangie mit ▬ Grad II: rudimentäre Hyperphalangie mit Pseudoepiphyse;
einer Verkürzung des Mittelgliedes (Brachymesophalangie) ein- ▬ Grad III: komplette Hyperphalangie.
her (⊡ Abb. 21.53). Sie ist häufig assoziiert mit einer Klinodaktylie
des Kleinfingers und Brachymetakarpie an derselben Hand sowie Zur Einteilung des triphalangealen Daumens sind mehrere Klas-
Klumpfüßen, Brachyphalangie der Zehen und Hüftdysplasie. sifikationen gebräuchlich. Müller stellte 1937 die teratologische
21.2 · Spezielle Techniken
509 21

⊡ Abb. 21.54 1-jähriges Mädchen mit Triplikation des Daumens (Röntgen und CT-Angiografie
⊡ Abb. 21.5). a Durch die Anordnung der Furchen an den 3 radialen Fingern und deren Position
in der Handebene können eine Zeigefingerduplikation und eine Spiegelhand als Differenzialdia-
gnose ausgeschlossen werden, b intraoperatives Bild nach Entfernung des ulnaren und radialen
Daumens sowie Kürzung des triphalangealen mittleren Daumens, c Verkürzung und Doppelung
der Strecksehne. d Im Röntgen 4 Jahre postoperativ ist ein nach radial abgekippter und in Fehl-
position eingeheilter Kopf des ehemaligen MHK I des triphalangealen Daumens erkennbar. e Da
das Mädchen im täglichen Leben kaum Einschränkungen hat, ist derzeit keine Korrekturoperation
c
gewünscht

Reihe auf, die von einem kleinen dreieckigen bis zum vollständigen eine Klassifikation aufgestellt, die nach Wood 1976 nach radiologi-
Mittelglied reicht. Cocchi (1952), Swanson und Brown (1962) tei- scher Darstellung des Mittelgliedes modifiziert wurde und in der
len die Fehlbildung in 2 Formen ein: Literatur sehr gebräuchlich ist:
▬ brachymesophalangeale Form: normale Länge des Daumens, ▬ Typ I – Deltaphalanx: Schaltknochen zwischen Grund- und
keilförmiges Mittelglied, Daumen oppositionsfähig; Endglied;
▬ dolichophalangeale Form: Daumenballenmuskulatur fehlt, ▬ Typ II – viereckiges Glied: rudimentäres Mittelglied;
Fünf-Finger-Hand, keine Oppositionsfähigkeit. ▬ Typ III – vollständiges Mittelglied: Fünf-Finger-Hand.

Grobelnik (1951) und Ogino et al. (1994) unterscheiden in opposi- Buck-Gramcko (1998) hat bisher die ausführlichste Einteilung nach der
tionsfähige und -unfähige Typen. Hilgenreiner (1907) hat ebenfalls Gestaltung der zusätzlichen Phalanx vorgenommen (⊡ Abb. 21.55).
510 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

⊡ Abb. 21.55 Klassifikation des triphalan-


gealen Daumens nach Buck-Gramcko. Typ I
rudimentäre Dreigliedrigkeit – kleiner dreiecki-
ger Schaltknochen ohne Gelenkverbindung
zum Endglied; Typ II brachymesophalangeale
Form – kurze dreieckige Mittelphalanx; Typ III
intermediate Form – trapezoidförmige Mit-
telphalanx; Typ IV dolichophalangeale Form
– rechteckige mittellange Phalanx; Typ V hypo-
plastischer dreigliedriger Daumen; Typ IV drei-
gliedriger Daumen mit oder ohne Polydaktylie Typ I Typ II Typ III Typ IV Typ V Typ VI

Indikation und Operationszeitpunkt halb in diesem Falle der triphalangeale Daumen amputiert und der
Zur Vermeidung einer Entwicklungsverzögerung ist die rechtzeiti- Zeigefinger pollizisiert wird. El-Karef (2004) hingegen geht nach
ge Korrektur des triphalangealen Daumens anzustreben. einem zweizeitigen Verfahren vor, indem er zuerst das PIP-Gelenk
entfernt und den MHK des Daumens osteotomiert, um die richtige
Spezielle Therapie Daumenlänge, Position und ausreichende Weite des 1. ZFR zu
Aufgrund der verschiedenen Formen und Schweregrade der Dau- erreichen. In der 2. Sitzung 4–8 Monate später wird eine Extensor-
mendreigliedrigkeit ist auch die operative Korrektur darauf abzu- indicis-Opponensplastik durchgeführt.
stimmen. Das Alter hat ebenfalls einen Einfluss auf die Wahl der
Methode. Der triphalangeale Daumen wird in unterschiedlicher Postoperative Therapie
Weise korrigiert – Resektion, Korrekturosteotomie mit und ohne Je nach Art des Eingriffs ist auf eine Stabilität der Gelenke durch
Zerstörung der Epiphyse, Osteotomie des MHK und Opponens- adäquate Knochenheilung zu achten, bei mangelhaft ausgebildeter
plastik. Muskulatur erscheint eine Sehnenverlagerung als Opponensplastik
und eine entsprechende Ruhigstellung und Bewegungstherapie
Brachymesophalangeale Form mit keilförmigem Mittel- angezeigt.
glied. Innerhalb der ersten Lebensjahre ist eine Exstirpation des Bei Operation eines Tripeldaumens im 1. Lebensjahr ist auf
dreieckigen Knochens mit Seitenbandrekonstruktion indiziert. Die eine länger dauernde Schienenruhigstellung zu achten, um ein Ab-
Gelenkflächen passen sich im weiteren Wachstum sehr gut an und kippen des pollizisierten triphalangealen Daumens zu verhindern.
außer einer unbedeutenden Bewegungseinschränkung bleiben kei-
ne Folgen zurück. Werden hingegen die Kinder erst später gesehen, Fehler, Gefahren und Komplikationen
wird nach der Entfernung des überzähligen Daumengliedes eine Die größte Gefahr besteht in einer Instabilität der Gelenke, wenn
Arthrodese des schrägen Gelenkspaltes mit leichter Knochenresek- die Seitenbänder bei Entfernung einer Mittelphalange nicht oder
tion durchgeführt, oder auch eine Keilosteotomie am Grundglied. nur mangelhaft wiederhergestellt werden.
Bei Typ III und IV müssen die Ansätze der Mm. interossei
Brachymesophalangeale Form mit rechteckigem Mittel- versetzt und die Dorsalaponeurose gekürzt bzw. gerafft werden.
glied (Übergangsform). Hier wäre eine stärkere Verkürzung Bei Duplikation oder Triplikation des Daumens kann der 1. ZFR
der Daumenlänge notwendig, wobei aber die Exstirpation des zu weit werden. Bei Pollizisation des radialen Fingers können die-
Mittelgliedes nicht in Frage kommt. Hingegen ist die Resektion selben Komplikationen wie bei Zeigefingerpollizisation auftreten
des distalen Gelenks, eine Verkürzungs- und Drehosteotomie im (⊡ Abb. 21.54d,e).
MHK, eine Raffung der Streckaponeurose und eine Verlagerung
der Daumenmuskelansätze nach distal notwendig. So wird die kor-
rekte Daumenlänge erreicht und das Muskelgleichgewicht wieder- 21.2.13 Radiushypoplasie
hergestellt. Horii et al. (2001) hingegen konnten bessere Ergebnisse
durch die Exzision der Wachstumsfuge erzielen. Die Operation Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
21 sollte zwischen 1. und 2. Lebensjahr erfolgen, wenn die Epiphyse Die Radiushypoplasie ist eine Hemmungsfehlbildung des präa-
am Röntgen sichtbar ist. xialen Teils der oberen Extremitätenanlage mit Verkürzung des
Unterarms und einer Radialdeviation der Hand (Manus vara,
Dolichophalangeale Form. Der Daumen gleicht in Aussehen radiale Klumphand). Der Radius kann hypoplastisch angelegt sein
und Anatomie sowie Stellung in der Fingerreihe einem Finger. Aus oder vollständig fehlen und durch einen derben fibrösen Strang
diesem Grund ist eine Pollizisation des radialen Fingers die Metho- ersetzt sein, an dem die Muskulatur inseriert. Die Ulna ist häufig
de der Wahl, die wie bei der Zeigefingerpollizisation durchgeführt nach radial verbogen, die Handwurzel meist hypoplastisch – hier
wird (⊡ Abb. 21.54b,c). Ein hypoplastischer dreigliedriger Daumen besonders die radiale Hälfte, was sich bis zu den Fingern fortsetzt
kann auch nach Pollizisation keine gute Funktion erreichen, wes- (z. B. Daumenhypoplasie, ⊡ Abb. 21.56a,b). Die radiale Klumphand
21.2 · Spezielle Techniken
511 21

d e

⊡ Abb. 21.56 6 Wochen altes Mädchen mit radialer Klumphand rechts. a assoziierte Aplasie des Dau-
mens, b isolierte Radiusaplasie, instabiles Handgelenk, kurze, verdickte und verbogene Ulna, Daumen-
aplasie, c Schienenbehandlung zur Aufrichtung des Handgelenks, d Fixation des Handgelenks mit Kirsch-
ner-Draht nach offener Radialisation mit Sehnenverlagerung, e Zustand nach Aufrichtung der radialen
c
Klumphand, f unmittelbar postoperativ nach Pollizisation des Zeigefingers bei Daumenaplasie

tritt meist sporadisch auf, kommt isoliert aber auch in Verbindung (1982) und andererseits von James et al. (1999). Bayne unterschei-
mit anderen Fehlbildungen oder im Rahmen von Syndromen (z. B. det 4 Typen und geht davon aus, dass die Handdeformität parallel
TAR-Syndrom, VATER-Assoziation) vor. zum Radiusdefekt verläuft:
▬ Typ I – Verkürzung des distalen Radius: vorhandene distale
Klassifikation Epiphyse, angedeutete Radialdeviation, Daumenhypoplasie,
In der teratologischen Reihe der radialen Klumphand wurde der Ellenbogenfunktion normal;
triphalangeale Daumen oder die Daumenhypoplasie als die leich- ▬ Typ II – Radiushypoplasie: vorhandene Epiphysenfugen – bei
teste Form beschrieben. Die Schwere der Fehlbildung setzt sich beiden allerdings eingeschränktes Wachstum, verkürzter Un-
mit zunehmender Defektbildung des Radius und Humerus bis terarm, verbogene Ulna;
zur Extremform nur eines angelegten Fingers mit Hypoplasie des ▬ Typ III – partielle Radiusaplasie: kurze, verdickte und verboge-
Schultergürtels fort (⊡ Abb. 21.57). ne Ulna, instabiles Handgelenk;
Des Weiteren existieren neben der teratologischen Reihe 2 Ein- ▬ Typ IV – totale Radiusaplasie: Ulnaveränderungen s. Typ III,
teilungssysteme der Radiusfehlbildung – einerseits von Bayne instabiles Handgelenk.
512 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

⊡ Abb. 21.57 Teratologische Reihe der Radiusfehlbildungen

James et al. hingegen differenzieren 6 Typen und berücksichtigen Zentralisation der Elle
mehr die Daumen- und Karpusveränderungen. Bei dieser Operationsmethode ist das Ziel die Ankylose der
Handwurzel auf dem distalen Ende der Ulna in Funktions-
Indikation und Operationszeitpunkt stellung. Die Operationsmethode wurde von Sayre (1893) be-
Ob die Radiushypoplasie isoliert oder als Teil eines Syndroms schrieben und von Blauth (1969) und Bayne (1985) modifiziert.
vorliegt, muss bei jedem Patienten genau untersucht werden. Der Dabei werden die Kontrakturstränge abgelöst, die Gelenkkapsel
präoperative Status der Gelenkbeweglichkeit ist essenziell, um dem eröffnet und das distale Ellenende mobilisiert. Durch Entfernung
Kind bei beeinträchtigter Beugefähigkeit des Ellenbogens durch der mittleren Handwurzelknochen wird eine Mulde gebildet,
die Aufrichtung der Hand nicht die Möglichkeit zu nehmen, den in der die Ulna mit Kirschner-Draht fixiert wird. Die Sehnen
Mund zu erreichen. Die klinische Untersuchung muss also de- des M. brachioradialis und des M. flexor carpi radialis werden
tailliert erfolgen, um das Prozedere gut planen zu können. Da der durchtrennt, die des M. extensor carpi ulnaris gerafft und die des
Unterarm bei den Radiusfehlbildungen sehr stark verbogen ist, M. flexor carpi ulnaris nach Naht der ulnarseitigen Gelenkkapsel
drängen die meisten Eltern auf eine operative Korrektur. mit der Extensorensehne vernäht. Die Ergebnisse fielen leider
Wie auch die meisten Autoren empfiehlt Buck-Gramcko (1985) sehr enttäuschend aus und die Patienten mussten neben dem
eine frühzeitige operative Behandlung im 2.–6. Lebensmonat. Bewegungsverlust auch eine Verkürzung des Unterarms durch
Schädigung der Wachstumsfuge, Rezidiv und Verbiegung der
Spezielle Therapie Ulna hinnehmen.
Konservative Therapie
Einige Tage postpartal sollte die konservative Therapie mit Schie- Zweizeitige Zentralisation oder Radialisation der Elle
nenbehandlung beginnen (⊡ Abb. 21.56c). So wird die Beweglich- Reposition durch Traktion. Die Handwurzel sollte einen Ab-
keit verbessert und dabei vermieden, dass die Radialdeviation im stand zum distalen Ulnaende von mehreren Zentimetern errei-
Handgelenk kontrakt wird. Die Schienen werden immer wieder chen. Hierzu werden die Weichteile mittels Fixateur externe lang-
neu angepasst und die Aufrichtung des Handgelenks von Mal zu sam gedehnt.
Mal verstärkt (Redression). Sie sind nachts zu tragen, tagsüber
sollte die Beweglichkeit gefördert werden und die Schienen sind Radialisation. Nach geschlossener Reposition wird das Hand-
abzunehmen. Die präoperative Dehnung des Haut-Weichteil-Man- gelenk in Mittelstellung mit einem Kirschner-Draht fixiert
tels mit einem Distraktor und Nachtlagerungsschienen ist eine (⊡ Abb. 21.56d,e). Buck-Gramcko hingegen empfiehlt nach einer
effektive Vorbereitung zur Radialisation der Ulna. Bei Taghinia Ruhepause von 2 Wochen nach der Traktionsbehandlung die Ent-
21 et al. (2007) erfolgt die Weichteildistraktion mit einem Orthofix fernung des Fixateurs und offene Reposition. Das distale Ellenende
uniplanaren Device. wird dabei unter die radiale Handwurzel gestellt und die Sehnen-
ansätze des M. extensor carpi radialis und M. flexor carpi radialis
Operative Therapie auf die ulnarseitige Handwurzel transponiert. Durch die Überkor-
Die Verfahren, welche zur Anwendung kommen, sind je nach Art rektur und Sehnenverlagerung soll die Balance des Handgelenks
der Radiusfehlbildung unterschiedlich. So wird bei der Radiushy- besser gehalten und Rezidive verhindert werden.
poplasie die Kallusdistraktionsverlängerung des Radius empfohlen, Die präoperative Weichteildistraktion ist eine äußerst wir-
bei der totalen oder subtotalen Aplasie sind verschiedene Wege kungsvolle Methode, um den Karpus im Falle der Radiushypo-
möglich. plasie zu repositionieren. Bei der Radialisationsoperation müssen
21.2 · Spezielle Techniken
513 21

⊡ Abb. 21.58 22-jährige Frau mit Radiusaplasie


sowie Daumenhypoplasie Grad III C rechts und
Grad III B links. a Zustand nach auswärts durch-
geführter Operation der radialen Klumphand
rechts im Alter von 4 Jahren, b erneutes Abgleiten
des Karpus nach radial und palmar, c Röntgen
18 Jahre nach auswärts durchgeführter Klump-
handkorrektur. d Die junge Frau kommt trotz der
beidseitigen Daumenhypoplasie im Alltag und
Beruf gut zurecht, weshalb sie keine weitere ope-
d c
rative Therapie wünscht

Gefäße, Nerven und Weichteile nicht mehr gedehnt werden und so Einheit mit mikrovaskuklärem Anschluss transplantiert. Beide Epi-
kann die beste Position und optimale Länge erreicht werden. physenfugen zeigten ausreichendes Wachstum, allerdings kam es
in 3 von 6 Fällen zu schweren Komplikationen mit Rezidiv.
Verlängerung der Ulna durch Kallusdistraktion
Im Alter von 6 oder 12–14 Jahren wird die Ulna verlängert, da das Postoperative Therapie
Wachstum eingeschränkt ist und nur etwa 50–75% der gesunden Nach Beendigung der Distraktion werden die Patienten mit Nacht-
Seite erreicht wird. Die Osteotomiestelle soll in der Metaphyse lie- lagerungsschienen versorgt, um das Ergebnis bis zur weiteren chir-
gen und die Verlängerung kann um ca. 1 mm pro Tag erfolgen. Die urgischen Versorgung zu erhalten.
Konsolidierung dauert ca. doppelt so lang wie die Verlängerung Ein Oberarmgips wird für 3 Wochen angelegt und der Arm
– ca. 60–94% der Ulnalänge ist möglich – und es kann auch eine hochgelagert, der Kirschner-Draht bleibt meist bis zur Pollizisation
gleichzeitige Achsenkorrektur erfolgen. (⊡ Abb. 21.56f), danach muss eine Nachtschiene getragen werden.

Weitere Eingriffe Fehler, Gefahren und Komplikationen


Knöcherne radiale Abstützung. Albee (1928) und Starr (1945) Bei der Zentralisation der Elle wird deren Epiphyse zerstört. Bei
verwendeten ein Stück der Fibula bzw. das Fibulaköpfchen samt der Modifikation von Blauth kann sie erhalten bleiben, allerdings
Wachstumsfuge, um es in die Ulna einzubringen. Es konnte aber müssen die zentralen Karpalknochen entfernt werden. Bei beiden
kein Wachstum erreicht werden und die Abstützung erfolgte nur Arten der Zentralisation sind die Spätresultate nicht befriedigend
vorrübergehend. Sawaizumi et al. (1991) haben diese Operations- (⊡ Abb. 21.58), sodass empfohlen wurde, den Kirschner-Draht für
methode mit mikrochirurgischen Verfahren verbessert. mehrere Jahre zu belassen. Der Vorteil der Radialisation besteht in
der Überkorrektur der Transposition sowohl des M. extensor carpi
Transplantation des 2. Os metatarsale. Das 2. Os metatarsale, radialis wie M. flexor carpi radialis und somit einer Minderung der
das MT-Gelenk und das Grundglied wurden von Vilkki (1998) als Kräfte zur radialen Deviation. Da keine Karpalknochen entfernt
514 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

werden müssen, bleibt der ohnehin kurze Arm in seiner Länge Unter zentraler Polydaktylie versteht man die Doppelbildung des
erhalten. Zeige-, Mittel- oder Ringfingers. Ein triphalangealer, radialer
Die MT-Gelenk-Transplantation nach Vilkki ist aufwändig und zusätzlicher Finger wird als Doppelung des Daumens bezeichnet.
risikoreich. Das Ergebnis der Handgelenkbeweglichkeit, vor al- Die Zeigefingerdoppelung ist selten, kann die End-, Mittel- und
lem in Extension, wird dadurch nur unwesentlich verbessert. Der Grundglieder, aber auch die MHK betreffen. Der Mittel- und
mikrochirurgische Gefäßanschluss ist häufig mit Komplikationen Ringfinger sind meist gemeinsam betroffen, wobei der 3. MHK
behaftet. Auch muss die Positionierung des MT-Gelenks im Ver- gedoppelt und die restlichen Phalangen mit dem Ringfinger syn-
hältnis zum »Ulnokarpalgelenk« optimal sein, um die Beweglich- daktyl verbunden sein können. Es scheint in diesen Fällen, dass
keit überhaupt nutzen zu können. der 2. Finger im distalen Bereich gedoppelt ist, während proximal
eine Doppelung des Mittelfingers vorliegt. Die Duplikation des
Ringfingers ist der häufigste Typ der zentralen Polydaktylie. Beim
21.2.14 Polydaktylie rudimentären Typ findet man eine Perforation in der breiten
distalen Phalanx. In vielen Fällen handelt es sich um eine Dop-
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie pelung der End- oder Mittelphalange, welche eine partielle oder
Eine Polydaktylie wird definiert als eine Hand mit mehr als 5 Fin- komplette Syndaktylie zeigen. Sehr selten ist die Verdoppelung
gern, welche durch übermäßige longitudinale Segmentierung aller drei Phalangen oder die Doppelung im Mittelhandkno-
in der Embryonalentwicklung entsteht. Die Separationsstörung chen beschrieben. Die Mittelfingerduplikation ist häufiger als
kommt durch eine abnorme Wechselwirkung zwischen der api- die Zeigefingerverdoppelung. Auch hier können die Finger mit
kalen Ektodermalleiste und dem Mesoderm zustande. Die tera- allen drei Phalangen, aber auch mit einer Duplikation des MHK
tologische Reihe der Polydaktylie beginnt mit der Verbreiterung einhergehen. Die Doppelung ist meist mit einer Syndaktylie zwi-
des Endgliedes bis zur Verdopplung und Verdreifachung gesamter schen Mittel- und Ringfinger kombiniert. Die Beweglichkeit in
Fingerstrahlen – sie schreitet von distal nach proximal fort. Zu- all jenen Fällen, bei denen in verschiedenen Gelenken eine Du-
sätzliche Fingerstrahlen können radial, zentral und ulnar auftreten, plikation vorliegt, ist limitiert. Beuge- und Strecksehnen sind bei
wobei sie zentral am seltensten vorkommen. dieser Fehlbildung mit betroffen. Sehr häufig sind an den MHK
Synostosen vorhanden und nicht selten liegen auch gleichzeitig
> Die radiale Polydaktylie – also der Doppeldaumen – ist die Deltaphalangen vor. Meist ist eine Erblichkeit festzustellen. Es
häufigste Fehlbildung der Hand. können auch zusätzliche Anomalien an den Füßen, aber auch an

Typ I Typ II Typ III Typ IV Typ V Typ VI Typ VII Typ VIII

21

Triplikation T Triphalangie Tph Triplikation Hypoplasie H Deviation D Symphalangie S


unterschiedlicherHöhe
assoziiert mit Triphalangie

⊡ Abb. 21.59 Klassifikation der radialen Polydaktylie nach Zuidam et al. (2008). Tph Triphalangie; H Hypoplasie; D Deviation; S Symphalangismus; T Triplikati-
on; U ulnarer Strahl; M medialer Strahl; R radialer Strahl
21.2 · Spezielle Techniken
515 21
der anderen Hand vorliegen. Neben den Knochen- gibt es auch der zwischen 6 und 24 Monate alt sein. Am schwierigsten zu
Gelenkfehlbildungen, die Sehnen- und Gefäßnervenbündel ver- operieren sind jene Fälle, die abnormale Phalangen und unregel-
laufen meist atypisch. mäßige Gelenkflächen aufweisen.
Als ulnare Hexa- oder Polydaktylie wird ein zusätzlicher Klein-
finger bezeichnet, der von kleinen Hautanhängen bis zur Doppe- Spezielle Therapie
lung ab dem Mittelhandknochen reicht. Die distale Bifurkation ist Bei der Entfernung eines überzähligen Fingers müssen viele Details
seltener als die Doppelung beginnend im MCP-Gelenk, wobei der beachtet werden, um ein optimales Ergebnis zu erzielen und die
5. MHK meistens deutlich stärker ausgebildet ist. Anzahl der Korrekturoperationen gering zu halten. »Je nach Form
der Polydaktylie (ungleich große, gleich große normal entwickelte
Klassifikation bzw. hypoplastische Partner) kommen verschiedene Verfahren zur
Bei den Polydaktylien unterscheidet man generell zwischen prä- Anwendung, die sich bei den unterschiedlichen Formen der Po-
und postaxial bzw. radial und ulnar sowie zentral. lydaktylie wiederholen und eventuell auch kombiniert angewandt
Die radiale Polydaktylie wird üblicherweise nach Wassel 1969 werden müssen« (Buck-Gramcko 1981, S. 12.58f.).
eingeteilt – nach Modifikationen durch Tuch (1977), Wood (1978)
und Horii et al. (1997) berücksichtigt sie Form, Gliederzahl und Radiale Polydaktylie
Art der Verbindung beider Daumen. Dabei kann der doppelte Handelt es sich um zwei ungleich ausgebildete Daumen soll grund-
Daumen normal oder hypoplastisch und auch triphalangeal ange- sätzlich der hypoplastische Daumen entfernt werden (⊡ Abb. 21.60a).
legt sein. Zuidam et al. (2008) stellen eine erneute Modifikation der Allerdings sollte präoperativ mittels Röntgen genau beurteilt werden,
Wassel-Klassifikation vor, wo besonders auch die Triphalangie und welcher der beiden Daumen der gelenkbildende ist (⊡ Abb. 21.60b,c).
Hypoplasie gedoppelter Daumenstrahlen berücksichtigt werden Die präoperative Planung ist bei der Resektion eines Daumen-
und die Beschreibung von Dreifachdaumen möglich wird. Die strahls besonders wichtig, damit keine Komplikationen, wie Devia-
Karpal- und Interkarpaltypen von Buck-Gramcko wurden eben- tionen oder Entstehung von kontrakten Narben sowie Nageldefor-
falls in die neue Klassifikation mit eingearbeitet, sowie Uptons No- mierungen, eintreten (⊡ Abb. 21.60d–f). Bewegungseinschränkun-
menklatur für kombinierte Triphalangie und radiale Polydaktylie gen in den einzelnen Gelenken sind hingegen fast unvermeidbar.
adaptiert (⊡ Abb. 21.59). Bei Entfernung eines Daumens muss eine Seitenbandrekons-
Die zentrale Polydaktylie kommt meist als Synpolydaktylie truktion aus wegfallenden Sehnen- oder Kapselanteilen durchge-
vor, welche wesentlich seltener als die randständigen Polydakty- führt werden. Die Ansätze der kurzen Daumenmuskeln müssen
lien, aber häufig bilateral auftritt. Die Fehlbildung kann von der vorsichtig vom zu resezierenden Anteil mit den Sehnenansätzen
Verbreiterung des Endgliedes mit einem breiten oder doppelt abpräpariert und auf den verbleibenden Daumen transponiert
angelegten Fingernagel bis zur Doppelung aller 3 Phalangen und werden. Exzentrisch ansetzende Sehnen werden zentralisiert
des MHK reichen, die Einteilung wird nach Tada et al. (1982) vor- (⊡ Abb. 21.61). Es kann auch nötig sein einen distal besseren Dau-
genommen: men auf die proximale bessere Basis des anderen einschließlich
▬ Typ I: Anhängsel ohne Skelettverbindung; Sehnen und Muskeln zu setzen.
▬ Typ II A: Doppelbildung eines gesamten oder Teil eines Fin- Bei symmetrischer Doppelung, wenn die beiden Finger hypo-
gers, der von einer Phalanx oder einem MHK abgeht; plastisch sind, kann sowohl bei distalen als auch bei proximalen
▬ Typ II B: wie Typ A, aber mit Syndaktylie; Typen der radialen Polydaktylie die Bilhaut-Cloquet-Technik an-
▬ Typ III: vollständiger Doppelfinger mit eigenem MHK. gewandt werden. Im Prinzip werden die zentralen Teile der Du-
plikation reseziert und anschließend die beiden lateralen Anteile
Bei der ulnaren Polydaktylie werden nach Stelling (1963) 2 Typen fusioniert. So erhält man einen Daumen mit zufriedenstellender
unterschieden – einerseits Doppelfinger mit knöcherner Verbin- Länge und Umfang.
dung zum Kleinfinger (Typ A) sowie Anhängsel mit Weichteil- Man beginnt mit dem Einzeichnen der Zickzackinzision an
verbindung zum Kleinfinger (Typ B). Bei Typ A ist der Finger jedem Daumen. Sie muss parallel zur Nagelzeichnung verlaufen
meist vollständig mit Streck- und Beugesehne sowie je einem und im Bereich der Matrix in einer Linie mit der Nagelinzision
radialen und ulnaren Gefäß-Nerven-Bündel ausgebildet, das Mit- liegen. Dabei muss beachtet werden, dass die Schnittführung an
telglied jedoch ist kurz und der Finger funktionslos. Beim Typ B jedem Daumen gleich erfolgt. Der kontralaterale, nicht betroffene
besteht die Verbindung zum 5. Finger aus Haut und Gefäß-Ner- Daumen dient hier zum Vergleich. Ist auch dieser fehlgebildet, ori-
ven-Bündeln, ein Knochenkern sowie ein Fingernagel können entiert man sich an der Breite des Zeigefingernagels (130–140%).
vorkommen. Die zentralen Haut- und Nagelanteile werden reseziert und die
Phalangen mit dem Skalpell longitudinal getrennt. Die lateralen
Indikation und Operationszeitpunkt Strahlenanteile werden nun zusammengefügt und die Knochen mit
Im Falle einer rudimentären Polydaktylie mit Hautbürzeln kann einer Cerclage aus resorbierbaren PDS-Fäden verbunden, wobei
bereits unmittelbar postpartal der häutige Stiel abgetragen wer- besonderes Augenmerk auf eine stufenfreie Gestaltung der Gelenk-
den, wobei zur Schmerzausschaltung lokal eine Emler-Creme flächen gerichtet werden soll.
aufgetragen wird. Da im Hautstiel immer ein Gefäßnervenbündel Baek et al. (2007) haben diesen Schritt bei Wassel Typ II und
vorhanden ist, sollte man einen sterilen Kompressionsverband an- III folgendermaßen modifiziert: Bei Typ II wird das IP-Gelenk
legen. Viele Eltern möchten allerdings dem Neugeborenen diesen lediglich aus einem Daumenstrahl rekonstruiert und der 2. wird
Eingriff ersparen und kommen erst nach einigen Wochen zum distal des Gelenks mit dem 1. fusioniert. Diese Technik ist also
Arzt. extraartikulär und ermöglicht durch eine glatte Gelenkfläche eine
Beim Doppeldaumen ist eine frühzeitige Korrekturoperation gute Gelenkbeweglichkeit. Für Wassel Typ III gilt dieselbe Vor-
anzustreben – am besten zwischen dem 8. und 12. LM. Bei der gangsweise und der überzählige Daumen wird in Höhe der Bifur-
zentralen Polydaktylie sollten die Operationen im 1. oder 2. Le- kation osteotomiert und bis auf das distale Fragment reseziert, das
bensjahr erfolgen, bei der ulnaren Doppelbildung sollten die Kin- wiederum zur Gestaltung des Endgliedes dient. Bei beiden Modifi-
516 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

a d

⊡ Abb. 21.60 2-jähriger Knabe mit radialer


Polydaktylie. a Beide Hände – rechts mit kurzem,
breitem nach radial abweichenden Daumen,
b Röntgen: rudimentäre Doppelung des Grund-
und Endglieds sichtbar durch Perforation sowie
zusätzliches Daumenrudiment radialseitig,
c Angio-CT-Darstellung des kurzen deltaförmi-
gen 1. MHK, angedeutete Furt im Grundglied, b e
zusätzlicher hypoplastischer radial liegender
Knochen in Höhe des Grundglieds, d kurzer,
radial abgewinkelter rechter Daumen mit einem
breiten Daumennagel ulnar (rudimentäre Dop-
pelung) sowie einem radialen, durch häutige
Syndaktylie verbundenen, schmäleren Nagel
(radialer hypoplastischer Strahl), präoperative
Anzeichnung der Resektionslinie sowie des
Fingerkuppen- und des Rotations-Dehnungs-
Lappens, e 4 Jahre postoperativ, Beugung im
IP-Gelenk, gut ausgebildeter radialer Nagelwall
und zickzackförmige kaum sichtbare Narbe,
f
f vergleichendes Handröntgen nach Entfernung
des rudimentären Daumens, Verschmälerung
des Endglieds und aufrichtender Osteotomie mit
keilförmiger Beckenkammspaninterposition zur
Geradstellung und Verlängerung des rechten
c
Daumens

kationen muss natürlich auch auf die Gelenkstabilität geachtet und che Operationen an diesen Händen nötig sind, die Knochen und
ggf. ein Kirschner-Draht eingebracht werden (⊡ Abb. 21.62). Sehnen betreffen. Besonders bei dieser sehr komplizierten Fehlbil-
Sind die proximalen Phalangen nicht gleich lang (z. B. Was- dung ist es angezeigt, dass ausschließlich erfahrene Handchirurgen
sel Typ IV) wird zusätzlich eine Verkürzungsosteotomie durch- diese Korrekturoperationen durchführen.
geführt. Die Haut und der Nagel werden genäht – dabei wird das Syndaktylieoperationen sind erst notwendig, wenn überzäh-
Nagelbett ausgespart, um die Deformierung des Nagels gering zu lige Finger weggenommen werden. Dabei ist oft genügend Haut
halten. für den direkten Verschluss der Fingerseitenflächen vorhanden,
Als Übergang zur zentralen Polydaktylie stellt der Tripeldau- vor allem, wenn vorher Osteotomien erfolgten. Die Entfernung
men eine sehr seltene Fehlbildung dar. Buck-Gramcko (1981) von überzähligen Knochen ist bei der zentralen Polydaktylie
empfiehlt eine Resektion des radialen und ulnaren Strahls und der notwendig. Wenn der überzählige Finger mit einem Gelenk
verbliebene anatomisch normal ausgebildete Finger wird mittels verbunden ist, muss dieses Gelenk durch eine Rekonstruktion
üblicher Pollizisationstechnik zum Daumen gemacht. der Seitenbänder stabilisiert werden (⊡ Abb. 21.63). Eine vorüber-
Bei Zuidam et al. basiert die Behandlung des Tripeldaumens gehende Stabilisierung mit einem Kirschner-Draht ist nötig. Bei
auf den gleichen Prinzipien, wie sie für weniger komplexe Formen gedoppelten gleich großen syndaktyl verbundenen Phalangen,
21 der radialen Polydaktylie gelten. Sie führten an ihren Patienten fol- ist es im 1. Schritt sinnvoll, sie zu vereinen. Bei Deltaphalan-
gende operative Korrekturen durch: Resektion aberranter Strahlen, gen ist die Osteotomie für die Korrektur der axialen Deviation
Anpassung der Daumenlänge und Achse durch Osteotomien mit notwendig. Das Gleiche gilt für eine Y-förmige Bifurkation des
Stabilisation der Gelenke und Reinsertion von Sehnen sowie Kor- MHK, damit es zu einem in der Längsachse geraden Wachstums
rektur des Nagels und Nagelwalls. kommt. Wenn ein Finger den anderen übergreift, muss auch
eine Rotationsosteotomie durchgeführt werden. Selten ist eine
Zentrale Polydaktylie primäre oder sekundäre Amputation des Ringfingers angezeigt.
Die operativen Eingriffe sind abhängig von dem Typus der Fehlbil- Eine Verstärkung des Strecksehnenapparates ist manchmal ziel-
dung und es wird in den meisten Arbeiten zugegeben, dass zahlrei- führend.
21.2 · Spezielle Techniken
517 21

⊡ Abb. 21.61 Schema der Operationsschritte


bei Doppeldaumen Typ Wassel III. a Anzeich-
nung der Inzisionslinien, b Resektion des klei-
neren nicht gelenkbildenden Daumens, c Re-
konstruktion des Seitenbandbandkomplexes,
gleichzeitige Korrekturosteotomie im Bereich
des MHK I, Stabilisierung mit Kirschner-Draht,
d Muskelverlagerung, e postoperativer Aspekt.
c d (Aus Berger u. Hierner 2008)

a b c d

⊡ Abb. 21.62 11-jähriges Mädchen mit radialer Polydaktylie. a Doppeldaumen rechts, Abwinklung in beiden IP-Gelenken, b Röntgen: Doppeldaumen
Typ Wassel III bzw. Zuidam III D r/u mit gemeinsamer Epiphyse, c 7 Jahre postoperativ, kräftiger Spitzgriff D I/II, d Röntgen: nach Entfernung des radialen
Daumens Verschmälerung des 1. MHK sowie erforderliche Umsetzung der Muskeln und Sehnen; die Basis des Grundglieds ist radial gering verbreitert
518 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

Ulnare Polydaktylie
Der Zeitpunkt der Operation hängt von der Höhe der Doppelung
ab. Der Hautanhang kann unmittelbar nach der Geburt entfernt
werden. Wenn eine Doppelung vorliegt, ist meistens der Ansatz der
Hypothenarmuskulatur am schwächeren ulnaren Finger zu finden.
Diese muss bei der Operation vorsichtig abpräpariert und verlagert
werden. Es muss auch eine Stabilisation im betroffenen Gelenk
erfolgen und der breite MHK durch eine longitudinale Keilosteoto-
mie verschmälert werden. Bei Fällen mit Teilung im Metakarpalbe-
reich ist es oft notwendig, eine Korrektur der longitudinalen Achse
des 5. MHK durchzuführen (⊡ Abb. 21.64).

Postoperative Therapie
a Wenn die Therapie in einer Amputation bestand, ist nach der
Wundheilung eine freie Beweglichkeit anzustreben. Wurde hin-
gegen ein Gelenk durch eine Sehnen- oder Muskelverlagerung
stabilisiert, ist eine 3-wöchige Ruhigstellung des Gelenks erforder-
lich. Normalerweise werden nach Stabilisierung von Knochen die
Kirschner-Drähte nach 6 Wochen entfernt.
Zur Evaluation der Ergebnisse nach Operation der radialen
Polydaktylie kann das Bewertungsschema von Tada et al. (1983)
herangezogen werden, da es mittels objektiv feststellbarer Kriterien
über ein Punkteschema die Resultate beurteilt.

Fehler, Gefahren und Komplikationen


Radiale Polydaktylie
Postoperative Komplikationen beinhalteten die Atrophie der Dau-
menspitze, hypertrophe Narben, Gelenkinstabilität und -deformi-
tät, Kontraktur des 1. ZFR und Gelenksteifigkeit. Bewegungsein-
schränkungen in den einzelnen Gelenken sind fast unvermeidbar
– im Gegensatz zu Deviationen im Endgelenk (Belassen einer
b
exzentrischen Sehneninsertion, unterlassene Keilosteotomie) oder
der Entstehung von kontrakten Narben (Längsschnitt). Auch kön-
nen unschöne Vorwölbungen aus der ungenügenden Entfernung
besonders der basalen Anteile des überzähligen Daumens oder
Gelenkinstabilitäten aus einer inadäquaten Operationstechnik re-
sultieren. Bei der Bilhaut-Cloquet-Technik können gröbere Nagel-
deformierungen entstehen.

Zentrale Polydaktylie
Es sind wesentlich mehr Komplikationen bei den zentralen Poly-
daktylieoperationen zu erwarten als bei anderen Fehlbildungen,
um ein akzeptables, funktionelles Resultat zu erzielen. Zu den
Frühkomplikationen zählen Hautnekrosen, spätere Komplikati-
onen sind das Wiederauftreten von Deviationen aufgrund von
c schrägen Gelenkstellungen oder abnormalen Epiphysen. Ein Un-
ter- oder Übergreifen der Finger limitiert den Faustschluss und
⊡ Abb. 21.63 1-jähriger Knabe mit zentraler Polydaktylie bei Oligodaktylie mindert die Grobkraft der Hand. Die Sekundär- oder Mehrfach-
beidseits. a Links: Daumenstrahl normal angelegt, Finger häutig syndaktyl operationen führen selten zu einem guten Resultat. Oft ist es
verbunden, leicht nach ulnar deviierter Zeigefinger, 3. Strahl ist in allen besser, eine Arthrodese in den Zwischenfingergelenken zu machen
drei Gliedern gedoppelt, der radiale Anteil des Grundglieds knöchern nur oder einen Finger zu enukleieren als weitere Korrekturoperationen
sehr gering sichtbar, der ulnare Anteil in Form einer Deltaphalange dar- durchzuführen (⊡ Abb. 21.65).
gestellt. Die Gelenkflächen an der synostotischen Basis der Mittelglieder
21 sind gegenläufig schräg gerichtet. An den Endgliedern besteht eine Ulnare Polydaktylie
Akrosynostose. Rechts: inkomplette häutige Syndaktylie zwischen dem Am häufigsten kommt es bei mangelhafter Wiederherstellung des
hypoplastischen zentralen (keilförmiges MHK) und ulnarem Randstrahl.
ulnaren Seitenbandes zu einem instabilen MCP-Gelenk. Wenn
b 9 Jahre postoperativ links bei Zustand nach verlängernder Keilosteo-
der 5. MHK nicht durch eine longitudinale Keilosteotomie ver-
tomie des deltaförmigen Grundglieds wobei zur Interposition der radial
gelegene hypoplastische Grundgliedanteil verwendet wurde. Blockbildung schmälert wurde, kommt es zum Auftreten einer sichtbaren
in der distalen Handwurzelreihe: Rechts bei Zustand nach Entfernung des Prominenz an der Ulnarseite der Mittelhand. Die Beugefähigkeit
zentralen hypoplastischen Fingers mit gleichzeitiger Trennung der inkom- des 5. Fingers ist manchmal limitiert, da die Beugesehnen des
pletten häutigen Syndaktylie, c beiderseitige 3-Finger-Hand mit ausrei- radial liegenden gedoppelten Fingers schwächer sind als die des
chend tiefer und weiter Kommissur D II/III ulnaren.
21.2 · Spezielle Techniken
519 21

d e

⊡ Abb. 21.64 4-jähriges Mädchen mit ulnarer Hexadaktylie. a Die beiden zusätzlichen Kleinfinger sind hypoplastisch angelegt, b Röntgen beider Hände,
rechts Y-Form des MHK D V, links proximale Synostose der MHK D IV und V. Der 5. Finger links ist zusätzlich rudimentär gedoppelt (breites Mittelglied, Perfo-
ration im Endglied), c 3 Jahre postoperativ, gute Abspreizbarkeit der 5. Finger beidseits durch Verlagerung der am 6. MHK entspringenden und ansetzenden
Muskulatur auf den 5. Strahl unter strenger Schonung der Gefäße und Innervation, d ulnare Handkante links, kaum sichtbare zickzackförmig verlaufende Nar-
be nach Resektion des zusätzlichen 6. Fingers, e Röntgen beider Hände; die rudimentäre Duplikation des Kleinfingers wurde nicht korrigiert

a b

⊡ Abb. 21.65 5-jähriger Knabe mit familiärer Belastung einer zentralen


Polydaktylie. a Röntgen beider Hände: kombinierte Doppelung von D III
und D IV. Die Duplikation beginnt auf Höhe des 3. MHK, wobei die distalen
Anteile eher mit dem Ringfinger verbunden sind. Sowohl die Basis der
Grund- als auch die Endglieder sind synostotisch verbunden. Zusätzlich
besteht eine häutige Syndaktylie und eine Brachymesophalangie am D V.
b Röntgen im Alter von 9 Jahren bei Zustand nach auswärtig insuffizient
durchgeführter Operation, c Über- und Untergreifen der Finger beim Faust-
c
schluss beidseits
520 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

21.2.15 Ulnahypoplasie Klassifikation


Neben Ogden et al. (1976), die die Ulnadefekte in 3 Schweregrade
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie einteilen, werden sie von Riordan (1978) nach dem Zustand der
Die Ulnahypoplasie ist eine Hemmungsfehlbildung der Postachse Ulna und dem Vorhandensein einer radiohumeralen Synostose
und deutlich seltener als die radiale Klumphand (Fehlbildung klassifiziert. Swanson et al. (1984) teilen in 4 Klassen ein, wie auch
der Präachse). Das Ellenbogengelenk ist meist mit verändert, Bayne (1988):
das Handgelenk in der Regel stabil und selten mehr als 30° nach ▬ Typ I: Hypoplasie der Ulna;
ulnar deviiert. In 60% liegt eine Teilaplasie des distalen Anteils ▬ Typ II: partielle Ulnaaplasie;
vor, gefolgt von der Hypo- und totalen Aplasie. Im Falle der ▬ Typ III: totale Ulnaaplasie;
Teilaplasie setzt die Ossifikation verspätet ein, was in frühen ▬ Typ IV: radiohumerale Synostose:
Röntgenaufnahmen den Eindruck des kompletten Fehlens der
Elle erweckt. Ist die Elle aplastisch führt dies zu einer Instabili- Indikation und Operationszeitpunkt
tät des Ellenbogengelenks. Häufig kann eine fibrokartilaginäre Ist der Unterarm stabil, sollte auf jede operative Behandlung ver-
Anlage gefunden werden, die dann zur distalen Wachstumsfuge zichtet werden. Wenn eine Neigung zur Ulnarduktion besteht,
des Radius zieht und zur Verbiegung des Radius führen kann. können sehr früh Schienen angelegt werden. Das Gleiche gilt für
Ulnare Handwurzelknochen fehlen häufig. Die ulnaren Finger Flexionskontrakturen im Ellenbogengelenk. Je nach den Verände-
können ebenfalls hypoplastisch sein oder fehlen, selten auch die rungen an der Hand gelten dieselben Operationszeitpunkte wie bei
radialen. Bei den vorhandenen Fingern können Syndaktylien, anderen Handfehlbildungen.
Klinodaktylien und Fehlbildungen des Daumens (Hypo- oder Eine sehr seltene Fehlbildung ist das totale Fehlen der Elle und
Aplasie, Doppeldaumen) vorliegen. Zusätzlich können radiohu- eine maximale Flexion zum Humerus. Es besteht ein Pterygium
merale Synostosen, Radiusköpfchenluxation, Femur- und Fibu- in der Ellenbeuge und der M. triceps fehlt. Das Wesentliche bei
ladefekte sowie Skoliose, Thorax- und Gesichtsdeformitäten vor- dieser Fehlbildung ist ein mobiles Ellenbogengelenk zu erhalten
kommen. (⊡ Abb. 21.66).

a d

21
b c

⊡ Abb. 21.66 34-jähriger Mann mit beidseitiger Ulnaaplasie. a Pterygium in der Ellenbeuge und maximale Beugung im Ellenbogengelenk, b seitliches Rönt-
gen der linken oberen Extremität: Ellenaplasie, Pseudogelenk zwischen Radius und Humerus, gute Oppositionsstellung zwischen Daumen und einzigem Fin-
ger. c Angio-CT links: Am distalen Oberarm teilt sich die aus der A. axillaris entspringende A. brachialis in zwei Äste, wobei der radial verlaufende und die bei-
den Finger versorgende der kräftigere ist. Die ulnar verlaufende Arterie verdämmert in Handgelenkhöhe ohne eine Arkade mit der radialen Arterie zu bilden.
Zwei subkutan verlaufende Venen sind gleich stark und verlaufen oberflächlich im Pterygium. Blockbildung der Handwurzelknochen. d Der Mann kommt in
seinem täglichen Leben gut zurecht und ist mit einer maximalen Streckung von 80° rechts und 90° links im Ellenbogengelenk bei gleichzeitiger Ulnarduktion
von 30° in beiden Handgelenken weitestgehend von fremder Hilfe unabhängig. Der M. triceps ist beidseits vorhanden, jedoch hypoplastisch
21.2 · Spezielle Techniken
521 21
Spezielle Therapie im Laufe des Kleinkindalters auftreten. Meist ist der Kleinfin-
Kein einziger dieser Patienten gleicht im Erscheinungsbild einem ger betroffen und die Ausprägung kann von mild bis zu einer
anderen. Das konservative wie operative Therapiekonzept muss sehr starken Beugekontraktur im PIP-Gelenk mit Überstreckung
daher individuell auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten ab- im Endgelenk reichen. Die Gelenkflächen können abgeflacht
gestimmt werden. sein und proximal des Grundgliedköpfchens eine Delle aufwei-
Werden die Eltern mit dem Kind vor dem 6. LM vorstellig, sollte sen (⊡ Abb. 21.68b,c). Die aktive Flexion ist frei und schmerzlos
die fibrokartilaginäre Anlage der distalen Ulna reseziert werden, da möglich.
diese bei Belassung zu zunehmender Krümmung des Radius führt. Zur Pathogenese gibt es verschiedene Theorien, wie z. B. die
In diesem Fall kann mit der Entfernung der bindegewebigen Anlage strukturelle oder funktionelle Schwäche der Dorsalaponeurose
auch eine korrigierende Radiusosteotomie durchgeführt werden. über dem PIP-Gelenk ( Kap. 5), Fehlinsertion des M. lumbrica-
Diesem Vorgehen widersprechen Khuri und Ger (1979), die be- lis, wodurch das Gleiten der Flexor-digitorum-superficialis-Sehne
obachteten, dass dieser Eingriff in jungen Jahren kein Rezidiv ver- behindert wird, durch aberrante oberflächliche Beugesehnen oder
hindern kann. Das verrenkte Radiusköpfchen sollte ulnar proximal eine Abflachung der Gelenkflächen. Veränderungen an der Haut,
synostostiert werden. An der Hand selbst sind Syndaktylien zu tren- den Knochen (⊡ Abb. 21.69) und am Bindegewebe sind hier Sekun-
nen und ein Gegengreifer zu mindestens einem Finger zu schaffen. därerscheinungen.
Es kann erforderlich werden Drehosteotomien, Verlängerungen der
Finger durch Phalangen vom Fuß sowie Sehnenverlagerungen oder Klassifikation
-transplantationen vorzunehmen. Das Ziel ist aber bei allen Eingrif- Nach dem Grad der Beugestellung wird die Kamptodaktylie nach
fen die Erreichung eines Spitzgriffs (⊡ Abb. 21.67). Frank et al. (1996) in 3 Stadien eingeteilt:
▬ Stadium 1: Streckdefizit ohne bzw. mit geringer Verkürzung
Postoperative Therapie der Haut;
Die postoperative Therapie richtet sich nach der erforderlichen ▬ Stadium 2: Beugekontraktur <50°;
Operation an der Hand. Zu den schweren Fällen mit Synostose ▬ Stadium 3: Beugekontraktur >50° mit Hautverkürzung.
zwischen Radius und Humerus bei gleichzeitiger Agenesie der Elle
gibt es einzelne Berichte, die allerdings kein einheitliches Behand- Indikation und Operationszeitpunkt
lungskonzept aufweisen. Foucher et al. (2006) verwenden zur Entscheidungsfindung der
Therapiemethode der Wahl einen Algoritmus auf der Basis von
Fehler, Gefahren und Komplikationen 6 klinischen Tests.
Je früher ein Kind operiert wird, desto präziser muss die Operation Milde Ausprägungen werden nicht behandelt. Besteht ledig-
und die postoperative Nachbehandlung erfolgen. lich ein Streckdefizit können Dehnungsübungen und eine stati-
sche und/oder dynamische Schienenbehandlung über mindes-
tens 6 Monate zu einer Verbesserung der Beweglichkeit führen
21.2.16 Kamptodaktylie (⊡ Abb. 21.70). Eine operative Therapie kommt bei fehlendem
Erfolg der konservativen Therapie und bei Beugekontraktur >50°
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie in Frage. Sie ist zurückhaltend und nur nach präziser Indikations-
Als Kamptodaktylie wird eine Beugekontraktur des PIP-Gelenks stellung angezeigt.
bezeichnet (⊡ Abb. 21.68a). Sie kann angeboren sein, oder erst

a b c d

⊡ Abb. 21.67 4-jähriges Mädchen mit Ulnahypoplasie. a Röntgen rechts: Z. n. Syndaktylietrennung zwischen Daumen und Finger, Synostose zwischen den
Köpfen MHK I/II, Daumen und Finger stehen in einer Ebene, b Röntgen 10 Jahre postoperativ bei Zustand nach Entfernung des MHK II und Drehosteotomie
D I, Syndaktylietrennung, Erweiterung des ZFR durch Verlagerung der Muskulatur und dorsalem Dehnungslappen, Subluxation der gebogenen und verkürz-
ten Speiche, c kräftiger Griff und weiter ZFR rechts, Narben nach Dehnungslappen im Alter von 14 Jahren, d kräftiger Spitzgriff rechts nach Drehosteotomie
und Entfernung des 2. MHK
522 Kapitel 21 · Angeborene Fehlbildungen der Hand

b c

⊡ Abb. 21.68 14-jähriges Mädchen mit Kamptodaktylie des linken Kleinfingers. a Zusätzliche Fehlbildung: überlanger Ringfinger und kurze Finger D II und
III sowie V rechts, b Röntgen beider Hände: Polyphalangie D II und III sowie ulnare Deviation beider Zeigefinger, c CT-angiografische Darstellung der linken
Hand mit höhergradiger Kamptodaktylie – Subluxation der Mittel- und Überstreckung des Endglieds

normal

a
C
E

B
abnormal

A
D

21
⊡ Abb. 21.69 Schematische Darstellung der sekundären Veränderungen im
Bereich des PIP-Gelenks während des Wachstums bei Kamptodaktylie
b

⊡ Abb. 21.70 5-jähriger Knabe mit Kamptodaktylie des linken Kleinfingers.


a Milde Ausprägung der Beugestellung im PIP-Gelenk, b statische Schiene
zur Aufdehnung der Kontraktur
Weiterführende Literatur
523 21
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22

Epidermolysis bullosa
Martin Langer, Carsten Surke, Eva Lötters

22.1 Allgemeines – 528


22.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 528
22.1.2 Epidemiologie – 528
22.1.3 Ätiologie – 528
22.1.4 Diagnostik – 528
22.1.5 Klassifikation – 528
22.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 530
22.1.7 Therapie – 530
22.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 531
22.2 Spezielle Techniken – 531
22.2.1 Operationsvorbereitung – 531
22.2.2 Lagerung – 532
22.2.3 Anästhesie – 532
22.2.4 Blutleere – 532
22.2.5 Operationstechnik – 532
22.2.6 Verbandwechsel und Wundversorgung – 534
22.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 534
Weiterführende Literatur – 535

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


528 Kapitel 22 · Epidermolysis bullosa

22.1 Allgemeines 22.1.3 Ätiologie

22.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Pathogenetisch liegt eine Störung von Strukturproteinen der Epi-
Physiologie dermis oder der dermoepidermalen Junktionszone vor. Bisher
wurden mehr als 1.000 verschiedene Mutationen an mindestens
Unter der Bezeichnung Epidermolysis bullosa, welche von Koe- 13 Genen bekannt. Die Blasen kommen durch die Instabilität der
bner 1886 erstmal beschrieben wurde, werden mehrere erbliche Hautschichten untereinander zustande. Der Erbgang kann auto-
Erkrankungen der Haut zusammengefasst, bei denen meist schon somal rezessiv oder auch dominant sein. Bei der dystrophen Form
geringe Traumata zu Blasen an der Haut (Nikolsky-Zeichen) liegt eine Störung des Kollagen VII vor.
führen.
Klinisch sind die verschiedenen Erkrankungen sehr unter-
schiedlich und reichen von früh letalen Formen bis zu milden klei- 22.1.4 Diagnostik
nen, eher unbedeutenden Blasenbildungen. Betroffen ist aber nicht
nur die Haut, sondern auch der gesamte Intestinaltrakt, vor allem Zum Zeitpunkt der Geburt finden sich meist nur einfache Hautero-
die Speiseröhre und der Analbereich, sodass auch Ösophaguss- sionen und die Fingernägel sind noch vorhanden. Nach und nach
tenosen, Anämien, Osteoporosen und Wachstumsverzögerungen kommt es durch rezidivierende Blasenbildungen und Vernarbun-
mit auftreten. gen zu zunehmenden Kontrakturen, Pseudosyndaktylien zwischen
den Fingern und an den Fingerspitzen zu einem Nagelverlust.
> Die Diagnostik und Therapie der Epidermolysis bullosa be-
Bei der dystrophen Form reicht die Klinik an den Händen
nötigt ein multidisziplinäres Behandlungsteam und sollte
von der Nageldystrophie bis hin zu schwersten Formen, bei denen
nur in dafür spezialisierten Zentren durchgeführt werden.
die gesamte Hand wie in einem engen Fausthandschuh (»mitten
Die nationalen Patientenvereinigungen sollten unbedingt
hand«) steckend aussieht und kein Finger mehr sichtbar ist.
mit einbezogen werden.
Handchirurgisch wichtig ist vor allem die dystrophe Form der
Epidermolysis, die Epidermolysis bullosa dystrophicans Hallo- 22.1.5 Klassifikation
peau-Siemens. Die entstehenden Blasen hinterlassen jeweils eine
Narbe, was mit der Zeit zu ausgeprägten Vernarbungen der Hände Eine Klassifikation wird bei den verschiedenen Formen der Epider-
führt. molysis bullosa zunächst in Abhängigkeit von der Spaltbildungs-
ebene vorgenommen. Die einfache Form mit einer intraepiderma-
len Spaltbildung – also einer nicht narbenbildenden Erkrankung
22.1.2 Epidemiologie – ist die Epidermolysis bullosa simplex. Daneben findet sich noch
die junktionale Epidermolysis bullosa mit Spaltbildungen zwischen
Für die gesamte Epidermolysisgruppe wird eine Prävalenz von Epidermis und Lamina densa und die handchirurgisch wichtige
1:20.000 bis 1:100.000 angenommen. Die Inzidenz liegt bei 19–26 dystrophe Form, die Epidermolysis bullosa dystrophicans. Insge-
auf 1 Mio. Lebendgeburten. Die Erkrankung kommt auf allen samt sind heute 33 verschiedene Unterformen bekannt. Im Folgen-
Kontinenten vor und Mädchen und Jungen sind gleichermaßen den wird nur noch auf die autosomal rezessiv vererbte dystrophe
betroffen. In Deutschland gibt es etwa 600 Patienten mit einer dys- Epidermolysis bullosa (früher Hallopeau-Siemens) eingegangen,
trophen Form der Epidermolysis bullosa. Die Lebenserwartung ist da diese Form die meisten handchirurgischen Probleme bereitet.
bei der dystrophen Form aufgrund von nicht selten auftretenden Bei der dystrophen Form unterscheidet man an der Hand nach
Plattenepithelkarzinomen eingeschränkt. Glicenstein 4 verschiedene Schweregrade der Erkrankung.

22

⊡ Abb. 22.1 Stadium 1 der Epidermolysis bullosa


22.1 · Allgemeines
529 22
Im Stadium 1 liegt eine Flexionskontraktur der Finger und eine Im Stadium 3a liegt eine komplette Pseudosyndaktylie der Fin-
beginnende Adduktionskontraktur des Daumens vor (⊡ Abb. 22.1). ger und eine Daumenadduktion vor, allerdings ist das Greifen mit
Das Stadium 2 ist durch eine manifeste Adduktionskontraktur dem Daumen immer noch möglich (⊡ Abb. 22.3).
des Daumens, Flexionskontrakturen der Mittel- und Endgelenke Ist auch der Daumen komplett abgelegt, wird der Griff voll-
der Finger sowie Pseudosyndaktylien der Grund- und Mittelglie- kommen unmöglich und wir sprechen von einem Stadium 3b
der gekennzeichnet (⊡ Abb. 22.2). (⊡ Abb. 22.4)

⊡ Abb. 22.2 Stadium 2 der Epidermolysis bullosa

⊡ Abb. 22.3 Stadium 3a der Epidermolysis bullosa

⊡ Abb. 22.4 Stadium 3b der Epidermolysis bullosa


530 Kapitel 22 · Epidermolysis bullosa

⊡ Abb. 22.5 Stadium 4a der Epidermolysis bullosa

⊡ Abb. 22.6 Stadium 4b der Epidermolysis bullosa

Im Stadium 4a ist auch die Hohlhand komplett ausgefüllt, das geln zu beachten: Die Haut kann natürlich betastet und angefasst
Handgelenk aber noch mobil (⊡ Abb. 22.5). werden, allerdings sollten keine Scherkräfte ausgeübt werden. Di-
Ist auch das Handgelenk in einer Flexionskontraktur und jeg- rekter (senkrechter) Druck wird problemlos vertragen. Pflaster
licher Griff nicht mehr möglich, so ist der Patient im Stadium 4b. direkt auf die Haut sind strengstens verboten ( Übersicht).
Die Grundgelenke sind hier nicht selten überstreckt (⊡ Abb. 22.6).

Die 10 Todsünden bei der Behandlung von Patienten


22.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie mit Epidermolysis bullosa dystrophicans
1. Festes Anfassen, Ziehen oder Schieben an jeder Stelle der
Die Indikation zur Operation an der Hand muss individuell zu- Körperoberfläche oder an den Schleimhäuten
sammen mit dem Kind und den Eltern oder dem erwachsenen 2. Pflaster jeglicher Art auf die Haut (reißen die Haut auf )
Patienten gestellt werden. Entscheidend ist häufig ein verloren 3. Blasen nicht aufzustechen oder aufzuschneiden (bereits un-
gegangener Griff oder eine weit reduzierte Griffspanne zwischen ter leichtem Druck dehnen sich die Blasen zu den Seiten hin
22 Daumen und Zeigefinger. aus und werden dadurch größer)
4. Faustverband an der Hand (fördert die Pseudosyndaktyliebil-
dung, immer Fingerzwischenräume einzeln verbinden)
22.1.7 Therapie 5. Feste Wickelverbände (führen zur Blasenbildung)
6. Trockene Mullkompressen auf frische Wunden (verkleben
Bei dem Umgang mit Epidermolysis-bullosa-Patienten, die in vie- ▼ und sind stark schmerzhaft, später kaum zu lösen)
len Fällen hochintelligent sind, sind zunächst folgende Grundre-
22.2 · Spezielle Techniken
531 22
Pflegekräften gestellt werden. In die gesamte Planung müssen
7. Haut dick mit Salbe einzuschmieren (Haut weicht auf und aber auch die Anästhesisten, Dermatologen, Gastroenterologen,
wird noch vulnerabler) Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen und ggf. auch Augenärzte mit
8. Stärkere Reibung beim Abwaschen oder Abrubbeln einbezogen werden.
9. Krusten intensiv abzutragen (eine Kruste ist auch Schutz, so-
> Eine Narkose stellt bereits ein erhebliches Trauma für die
weit sie nicht stark übersteht)
Kinder dar und daher sollten innerhalb einer Narkose mög-
10. Watteverband oder leicht fusselnde Verbände auf die Haut
lichst viele notwendige Schritte gleichzeitig vorgenommen
(verklebt und sind nicht zu lösen)
werden. Hierzu können Zahnextraktionen, Anlage von perku-
tanen Gastroenterostomiesonden, Ösophagusbougierungen,
Hautbiopsien, Lidkorrekturen etc. zählen.
Sämtliche Therapieversuche an der Hand sind aber meist nur
palliativ und zielen auf eine möglichst lange Gebrauchsfähigkeit
der Hand hin. Kurative Therapiemaßnahmen wären wünschens- Weiterbehandlung
wert, sind aber derzeit noch nicht möglich. Die Möglichkeiten In der Weiterbehandlung nach einer Handoperation nehmen na-
der Zell-, Protein- und Gentherapie werden intensiv erforscht und türlich in erster Linie die Eltern und Pflegekräfte, aber auch die
Haut- und Knochenmarktransplantationen zeigen erste positive Handtherapeuten eine besondere Rolle ein. Die Verbandwechsel
Ergebnisse. müssen sehr sorgfältig gemacht werden, damit sich nicht von vorn-
herein erneute Pseudosyndaktylien und Kontrakturen ausbilden.
Konservative Therapie Dies ist nicht ganz leicht, da die Finger noch empfindlicher sind als
Die Vermeidung von Blasenbildungen steht bei der Epidermolysis sonst und der gesamte Verbandwechsel manchmal mehrere Stun-
bullosa dystrophicans im Vordergrund. Da eine Blase narbenbil- den am Tag in Anspruch nehmen kann.
dend ist und eine Blase sich bei Druck zu den Seiten hin ausweitet, Bei den Verbandwechseln sind die modernen Wundauflagen
ist es notwendig, entstandene Blasen frühzeitig zu punktieren. Die mit Silikonbeschichtungen sehr hilfreich, allerdings muss auch
meisten Patienten haben daher immer einen Satz an verschiede- hier auf ausgewogene und individuell unterschiedliche Relationen
nen sterilen Kanülen dabei, um die Blasen sofort aufzustechen. zwischen trockenen Verbänden und Verbänden mit fetthaltigen
Das Infektionsrisiko ist hier nur von sekundärer Bedeutung. Um Cremes geachtet werden. Zu feuchte Wundflächen können auch
die Pseudosyndaktylien und Kontrakturen zu verhindern ist eine hier zu Hypergranulationen führen, die gerade zwischen den Fin-
gute Wickeltechnik erforderlich. Die Abdeckmaterialien sind sehr gern schmerzhaft sind und schnell zu Rezidiv-Pseudosyndaktylien
unterschiedlich und meist haben die Patienten individuell zu- führen.
sammengestellte Verbandsmaterialien und Cremes. Eine geradezu
revolutionäre Neuerung war die Einführung von silikonhaltigen
Verbands- und Schaumkombinationen, vor allem von der Fir- 22.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
ma Mölnlycke das Mepithel, Mepilex, Mepilex light und Mepilex
transfer. Diese Materialien haben die Verbandswechsel bei den Die Kontrakturen und Pseudosyndaktylien treten manchmal
meist jungen Epidermolysis-bullosa-Kranken nicht nur wesentlich schon sehr früh, d. h. im Alter von 2–3 Jahren auf. Die erste Ope-
schneller, sondern vor allem auch wesentlich weniger schmerzhaft ration an einer Hand ist meist leichter und erfolgversprechender
gemacht. als Rezidivoperationen, da die Lederhaut noch nicht kontrakt ist.
Nach den bisherigen Erfahrungen scheinen gezielte Wickelver- Bei den Rezidivoperationen müssen meist zusätzlich Hautplasti-
bände mit mit fetthaltigen Cremes getränkten Binden die Adduk- ken in der Tiefe ausgeführt werden. Daher sollte man eine Han-
tionskontrakturen des Daumens und der Pseudosyndaktylien der doperation nicht zu früh beginnen, sondern die konservativen
Finger am besten aufhalten zu können. Schienen mit Silikonüber- Maßnahmen mit geeigneter Wickeltechnik erst weitestgehend
zügen werden häufig mit erheblichem Aufwand hergestellt, bieten ausnutzen.
aber meist nur für eine kurze Zeit den gewünschten Effekt. Zudem schädigen Transfixationen der Fingergelenke mit
Kirschner-Drähten im jungen Alter die Wachstumsfugen. Hier
Operative Therapie muss individuell abgewogen werden, wann eine Transfixation der
Bei der Epidermolysis bullosa dystrophicans treten besonders Gelenke notwendig ist und wie lange eine solche Transfixation ge-
häufig an den exponierten Körperregionen Wunden auf, die wünscht ist. In manchen Fällen kann eine längere Transfixation der
jeweils vernarben. Besonders häufig liegen diese Wunden im PIP-Gelenke eine Gelenksteifigkeit herbeiführen, die aber erneute
Bereich der Beugefurchen, bzw. über den Gelenken, wo die Haut Flexionskontrakturen vermeiden kann.
besonders beansprucht wird. Bei der Epidermolysis bullosa dys-
trophicans liegt durch die fast täglich entstehenden Wunden nun
das Maximalbild der Narbenkontraktur vor. Die Vernarbungen 22.2 Spezielle Techniken
betreffen hier aber nicht nur die Beugefurchen, sondern auch
die Fingerzwischenräume. Es finden sich daher nicht nur maxi- 22.2.1 Operationsvorbereitung
male Fingerbeugekontrakturen, sondern auch Vernarbungen der
Finger untereinander wie bei Syndaktylien. Diese werden Pseu- Die stationäre Aufnahme sollte bereits einige Tage vor der eigent-
dosyndaktylien genannt. Auch der Daumen bleibt davon nicht lichen Operation erfolgen, um den Patienten von mehreren Fach-
verschont und neben einer Beugestellung des Daumengrund- disziplinen zeitnah untersuchen lassen zu können und Zeit für die
und Endgelenks finden sich fixierte Vernarbungen des Daumens eigene Planung und Organisation der Operation und Bereitstellung
in der Hohlhand. von ausreichend speziellem Verbandsmaterial zu haben. Die stati-
Die Indikation zur Operation muss mit dem Patienten (auch onäre Aufnahme der Eltern bringt ebenfalls erhebliche Vorteile für
wenn es sich noch um jüngere Kinder handelt), den Eltern und die Kinder. Sie kennen alle Probleme der Kinder.
532 Kapitel 22 · Epidermolysis bullosa

22.2.2 Lagerung

Auch beim Transport in den Operationssaal und bei der Lagerung


auf den Operationstisch können sehr leicht Verwundungen an der
Haut entstehen. Jede Verschiebung an der Haut muss vermieden
werden. Der Patient muss zu jeder Zeit sorgfältig gelagert werden,
besondere Druckstellen sollten besonders abgepolstert werden.
Aus kleinen Blasen oder Wunden treten Sekrete aus, die während
der Operation mit Watte oder Baumwolle verkleben können. Wird
nach der Operation die Watte oder der Verband entfernt, so wer-
den die Wunden und die Haut erneut aufgerissen. Daher müssen
alle Polsterungen aus nicht fusselnden, nicht klebenden Materiali-
en gemacht werden.

22.2.3 Anästhesie

Da sämtliche Pflaster vermieden werden müssen, ist bereits die


Befestigung des venösen Zugangs ein Problem. Problemstellen auf ⊡ Abb. 22.7 Oberarmblutsperre über Mepilex
der Haut können sehr gut mit silikonbeschichteten Polyurethan-
schwämmen (Mepithel) abgedeckt und darauf dann die Zugänge
oder Intubationstuben befestigt werden. Weise mit der Esmarch-Binde ausgewickelt, sondern nur der Arm
Für kurze Eingriffe kann eine Maskennarkose ausreichen, wo- einige Zeitlang hoch gehalten und zusätzlich manuell mit 4 Hän-
bei die Kontaktstellen des Gesichts mit Mepithel abgedeckt werden den vorsichtig an der Hand und an den Unterarmen gedrückt,
können, damit hier keine Blasen entstehen. Wenn allein an der ohne Blasen zu produzieren.
Hand operiert werden muss, ist auch eine Plexusanästhesie mit
entsprechender intravenöser Sedierung ausreichend und verhin-
dert Blasenbildungen im Mund und in der Trachea, die bei einer 22.2.5 Operationstechnik
Intubationsnarkose unweigerlich entstehen.
Die Augen, die bei der Operation häufig nicht geschlossen wer- Im Vorfeld der Operation einer dystrophen Epidermolysis-bullosa-
den können, müssen vor Austrocknung und Corneaschädigungen Hand sollte jeder Hautschnitt genau geplant werden. Die Hand ist
mit fetthaltigen Cremes geschützt werden. meist mit einer etwas dickeren Hornschicht wachsartig überdeckt.
Die postoperative Schmerztherapie kann bereits am Ende der Diese Schicht wird häufig Kokon genannt. Eine Inzision bewirkt
Operation mit Leitungsanästhesien der Hand- oder Armnerven eine sofortige Lockerung und Ablösung dieses Kokons. In der
mit Bupivacain begonnen werden. Diese Anästhesie hält meist Literatur wird häufig empfohlen, diesen Kokon komplett zu entfer-
8–9 h. Danach kann in vielen Fällen mit oralen Schmerzmittelsäf- nen. Da an der Unterfläche der Hornhaut aber die Basalzellschicht
ten eine ausreichende Analgesie erzeugt werden. Bei den Opioiden hängt, ist diese Ablösung der Haut eine tiefere Wunde, die sekun-
und Zäpfchen muss daran gedacht werden, dass auch die Schleim- där zwar heilen kann, aber langwierig und stets schmerzhaft ist.
häute des Analkanals mit von dieser Erkrankung betroffen sind Wir haben andere Erfahrungen gemacht: Gerade an den Finger-
und dass eine rektale Verabreichung oder eine Provokation von spitzen sollte versucht werden, diesen Kokon möglichst zu erhalten
hartem Stuhl negative Folgen haben kann. und an möglichst vielen Stellen zu schonen. Gegebenenfalls kön-
nen einzelne Bereiche durch Adaptationsnähte fixiert werden.
Mit dem Skalpell wird zunächst die oberflächliche Hornschicht
22.2.4 Blutleere am besten über dem zu erwartenden oder früheren Spalt zwischen
zwei Fingern oder zwischen Daumen und Zeigefinger inzidiert. Der
Eine Blutleere ist für jede Handoperation von unschätzbarem Wert. Kokon platzt dann ein wenig auf und gibt die Sicht auf die Leder-
Es liegt eine viel bessere Übersicht vor, es lässt sich dadurch schnel- haut frei. Mit einer stumpfen Präparierschere kann dann die Leder-
ler und sicherer operieren und der Blutverlust ist geringer. Gerade haut vorsichtig getrennt werden. Bei der ersten Operation an der
die Kinder mit einer Epidermolysis bullosa dystrophicans haben Epidermolysis-bullosa-Hand ist dies meist erstaunlich einfach und
häufig eine Anämie, teils durch die vielen kleineren Wunden, aber die Finger und der Daumen können manchmal schnell ohne Inzi-
auch durch die Mangelernährung aufgrund von Schluckstörungen. sion der Lederhaut in voller Länge entwickelt werden. Bei längerer
Nach unseren Erfahrungen ist es immer möglich bei Epidermo- Kontrakturzeit und Rezidiven ist dagegen auch die Lederhaut deut-
lysis-bullosa-Patienten eine Blutleere am Oberarm anzulegen. Bei lich geschrumpft und es müssen an der Lederhaut auch Inzisionen,
unverletzter und qualitativ guter Haut am Oberarm kann ein Hautplastiken wie Z-Plastiken, V-Y-Plastiken oder andere Techni-
Wattepolsterverband angelegt werden, bei Hauterosionen legen wir ken eingesetzt werden, In manchen Arealen liegt das Fettgewebe
22 eine ganze Platte Mepilex um den Oberarm direkt auf die Haut und großflächig frei und muss mit Hauttransplantaten gedeckt werden.
hierüber direkt die Oberarmblutdruckmanschette. Die Manschette Trotz genauer Präparation löst sich die Lederhaut an vielen
wird etwa 50–80 mmHg oberhalb des systolischen Blutdrucks auf- Stellen. Abgelöste Kokons von den Fingerspitzen können zum
gepumpt (⊡ Abb. 22.7). Bisher haben wir noch keine Blasenbildung Ende der Operation sehr gut als fingerhutförmige Autotransplan-
oder Einrisse unter dem Tourniquet beobachtet. tate wieder aufgesetzt und fixiert werden. Größere abgelöste Flä-
Nach dem sterilen Abwaschen, oder besser Abtupfen mit mil- chen des Kokons sollten aufbewahrt werden, damit sie noch als
den Desinfektionslösungen, z. B. Prontosan, wird nicht in üblicher Hauttransplantate verwendet werden können.
22.2 · Spezielle Techniken
533 22

a c

b d

⊡ Abb. 22.8 Korrektur der »Cocoon-Handdeformität«. a Präoperativer Aspekt, b intraoperativer Aspekt nach Auflösungen der Hautkontrakturen und tem-
porärer Transfixation der Finger mittels axialem Kirschner-Draht: Ansicht von palmar, c intraoperativer Aspekt nach Auflösungen der Hautkontrakturen und
temporärer Transfixation der Finger mittels axialem Kirschner-Draht: Ansicht von radial (auf eine möglichst vollständige Auflösung der Kontraktur im Bereich
der ersten Kommissur ist zu achten), d intraoperativer Aspekt: Einnähen des Vollhauttransplantats im Zeigefingerbereich

Durch die langanhaltenden Fehlstellungen der Finger und des


Daumens haben sich Gelenkkontrakturen ausgebildet, die auch
nach Lösung der Hautkontrakturen die Finger wieder in eine deut-
liche Beugestellung und eine Adduktionsstellung des Daumens
bringen. Da eine äußere Schienung nicht möglich ist, müssen die
Finger und der Daumen intern in Streckstellung gehalten werden.
Dazu werden bei deutlichen Spannungen Kirschner-Drähte in
die Finger eingebracht und die DIP-, PIP- und manchmal auch
die MP-Gelenke in Streckstellung transfixiert. Zwei Zentimeter
oberhalb der Fingerkuppe können die Kirschner-Drähte umgebo-
gen und mit einem Pallakos-Mantel als Fixateur befestigt werden.
Die Stellung dieses Fixateurs hat sich in den letzten Jahren immer
weiter geändert. Von einer »tellerförmigen« Fixation aller Finger
und des Daumens in der Anfangszeit sind wir jetzt auf eine Trans-
fixation zwischen Metakarpale I und II in Oppositionsstellung
und Abduktionsstellung des Daumens mit einem Kirschner-Draht ⊡ Abb. 22.9 Entnahme des dünnen Spalthauttransplantats von der Unter-
umgestiegen. Die Finger werden dagegen weiterhin in der Längs- armbeugeseite
achse mit jeweils einem Kirschner-Draht fixiert und über den Fin-
gerspitzen in maximaler Abduktionsstellung voneinander mit dem
Pallakos-Fixateur gehalten (⊡ Abb. 22.8). se an den Ecken mit einer Pinzette abgehoben und dann auf ein
Offene Wundflächen werden mit einer ultradünnen Spalt- Wattestäbchen aufgerollt (⊡ Abb. 22.9). An der Hand wird diese
haut abgedeckt, die vom Unterarm entnommen wird. Dazu wird ultradünne Haut dann von dem Stäbchen abgerollt und an den
großflächig aber nur oberflächlich die Haut am Unterarm in Form entsprechenden Stellen mit schnell resorbierbaren Fäden der Stär-
eines langen Rechteckes inzidiert und die Haut wie bei einer Bla- ke 5/0 und 6/0 fixiert.
534 Kapitel 22 · Epidermolysis bullosa

Bei weniger dramatischen Erkrankungsbildern, sollte im Be- Der Verband ist sehr aufwendig und muss mit Kombinationen
reich der palmaren Handfläche, wenn immer möglich, ein Voll- verschiedener Materialien erfolgen. Fetthaltige Verbände sind hier
hauttransplantat eingesetzt werden, da hier die Wachstumsbeein- von großem Vorteil, da diese die Verklebung der Wundflächen mit
trächtigung durch Narbenkontraktur geringer ist und das funk- dem Verbandmaterial auch langfristig verhindern. Baumwollkom-
tionelle Ergebnis jenem nach Spalthauttransplantation deutlich pressen sollten in keinen direkten Kontakt mit der Haut oder den
überlegen ist (⊡ Abb. 22.10). Wunden kommen. Bewährt haben sich bei uns wiederum die sili-
konbeschichteten saugfähigen Mepilex-Folien, die um die Finger
und um die Hand, aber auch auf der Entnahmestelle der Haut auf-
gebracht werden können. Hierzu wird aber zusätzlich eine fetthal-
tige Creme (z. B. Bepanthen) verwendet. Da die Wunden z. T. stark
sezernieren, sollte oberhalb der Mepilex-Verbände ein saugfähiges
und keimabtötendes Material aufgebracht werden. Hier haben
sich silberbeschichtete Alginate bewährt. Die Alginate sollten aber
trotzdem nie direkt mit den Wunden in Kontakt kommen.

22.2.6 Verbandwechsel und Wundversorgung

a Der erste Verbandwechsel, der erst nach 7–14 Tage nach der Ope-
ration erfolgt, kann teilweise ohne Narkose nach einem länge-
ren Wasserbad durchgeführt werden, bei jüngeren Kindern oder
großflächigen Eingriffen sollte dies aber in einer Maskennarkose
erfolgen. Die eingebrachten Drähte können 6 oder mehr Wochen
verbleiben, so lange jedenfalls, bis die Haut zwischen den Fingern
trocken verheilt ist.
Nach Entfernung des Fixateurs ist eine Schienenbehandlung
(⊡ Abb. 22.11) mit weichen Silikonmaterialien wünschenswert, aber
meist recht schwierig. Die besten Langzeiterfolge haben wir mit
guten Wickeltechniken gesehen, bei denen fettgetränkte Wickel
verwendet wurden. Hier sind die individuellen Hautverhältnisse
ausschlaggebend und die Eltern haben meist ein sehr gutes Ge-
spür dafür, was an der Haut des Kindes am besten funktioniert
(⊡ Abb. 22.12).

b 22.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

⊡ Abb. 22.10 Vollhauttransplantate an der Beugeseite der Finger. a Intra- Die Gefahr eines schnellen Rezidivs der Pseudosyndaktylien oder
operativer Aspekt, b Ergebnis 6 Monate postoperativ der Adduktionskontraktur des Daumens besteht jederzeit und

22

⊡ Abb. 22.11 Postoperative (Nacht-) Schiene


aus leichtem, glattem, trockenem Material zur
Kontrakturprophylaxe muss individuell erstellt
werden
Weiterführende Literatur
535 22

⊡ Abb. 22.12 a Fettgetränkte Wickel in Kombination mit Silikon können die Fingerfunktion langfristig erhalten. b Die Fingerzwischenräume müssen beson-
ders geschont werden.

insbesondere in der ersten Phase nach der Operation. Infektionen Fivenson DP, Scherschun L, Cohen LV (2003) Apligraf in the treatment of
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22
VII

VII Frakturen, Luxationen

23 Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich


(einschließlich Arthrodesen) – 539
Hossein Towfigh

24 Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner


Fehlstellungen) – 581
Hossein Towfigh (Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg)

25 Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner


Fehlstellungen – 613
Hossein Towfigh (Mit einem Beitrag von Barbara Schmidt und Annelie Weinberg)

26 Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich – 649


Hossein Towfigh (Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg)

27 Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose – 669


Torsten Dönicke, Reinhard Friedel (Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg und
Barbara Schmidt)

28 Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen – 697


Martin Lutz, Rohit Arora, Markus Gabl

29 Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich – 709


Hossein Towfigh

30 Idiopatische Mondbeinnekrose – 749


Markus Gabl, Rohit Arora

31 Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit) – 769


Michael Strassmair, Klaus Wilhelm, Reinhard Friedel und Torsten Dönicke
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg und Barbara Schmidt)

32 Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur – 819


Andreas Pachucki, Barbara Freudenschuss (Mit einem Beitrag von Robert Eberl und
Annelie Weinberg)

33 Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer


Komplex (TFCC) – 839
Markus Gabl, Rohit Arora
23

Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen


im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)
Hossein Towfigh

23.1 Allgemeines – 541


23.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 541
23.1.2 Epidemiologie – 549
23.1.3 Ätiologie – 550
23.1.4 Diagnostik – 550
23.1.5 Klassifikation – 552
23.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 555
23.1.7 Therapie – 557
23.1.8 Besonderheit im Wachstumsalter – 562
23.1.9 Prognose – 562
23.2 Spezielle Techniken – 563
23.2.1 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des ulnaren
Kollateralbandapparates am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des Daumens – 563
23.2.2 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des radialen
Kollateralbandapparates am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des Daumens – 565
23.2.3 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung der palmaren Bänder
am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des Daumens – 565
23.2.4 Technik der operativen Versorgung der veralteten Verletzung (chronischen Instabilität)
des ulnaren Kollateralbandapparates am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des Daumens – 565
23.2.5 Technik der Bandersatzplastik bei palmarer Instabilität des Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenks
nach Pechlaner – 565
23.2.6 Technik der Arthrodese im Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenk mit Cerclage
und querem Kirschner-Draht – 566
23.2.7 Technik der Arthrodese im Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenk mit einer dorsalen
Plattenosteosynthese (LC-DCP 2,0 mm) – 568
23.2.8 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des Kapsel-Band-Apparates
am Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens – 568
23.2.9 Technik der Arthrodese im distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger
und Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens mit Cerclage und Kirschner-Draht – 568
23.2.10 Technik der Arthrodese im distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger
und Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens mit Schraubenarthrodese – 569
23.2.11 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des Kollateralbandapparates
am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk der Finger – 570
23.2.12 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung der palmaren Bänder
am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk der Finger – 570
23.2.13 Technik der operativen Versorgung der veralteten Verletzung (chronischen Instabilität)
des Kollateralbandapparates am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk der Finger – 570
23.2.14 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des Kollateralbandapparates
am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger – 571

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


23.2.15 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung der distalen palmaren Bänder
am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger – 571
23.2.16 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung der proximalen palmaren Bänder
am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger – 571
23.2.17 Technik der operativen Versorgung der akuten knöchernen palmaren Bandverletzung
am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mit Kirschner-Drähten und Suzuki-Fixateur – 571
23.2.18 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung der palmaren Bänder
am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger mit großem knöchernem Fragment – 571
23.2.19 Technik der operativen Versorgung der veralteten Verletzung (chronischen Instabilität)
des Kollateralbandapparates am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger – 571
23.2.20 Technik der operativen Versorgung der veralteten Verletzung (chronischen Instabilität)
der palmaren Bänder am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger – 572
23.2.21 Technik der Implantation einer Gelenkprothese zur Versorgung der veralteten Verletzung (chronischen
Instabilität) der palmaren Bänder am proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger – 572
23.2.22 Technik der Arthrodese im proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mit Cerclage
und querem Kirschner-Draht – 572
23.2.23 Technik der Arthrodese im proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mithilfe
einer dorsalen Plattenosteosynthese – 573
23.2.24 Technik der Arthrodese im proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mithilfe
einer Zuggurtungsosteosynthese – 573
23.2.25 Technik der Arthrodese im proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mithilfe
einer Zugschraubenosteosynthese nach Seegmüller – 574
23.2.26 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des Kollateralbandapparates
am distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger – 574
23.2.27 Technik der Arthrodese im distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger
und Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens mit Zuggurtungsosteosynthese – 574
23.2.28 Technik der Arthrodese im Karpometakarpal-I-(CMC-I-)Gelenk – 575
23.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 577
23.3.1 Daumen – 577
23.3.2 Finger – 578
Weiterführende Literatur – 578
23.1 · Allgemeines
541 23
23.1 Allgemeines dynamische Muskelzügelung durch intrinsische und extrinsische
Muskeln im Bereich des 1. Strahls (⊡ Abb. 23.4).
Die Verletzungen im Bereich der Hand werden oft bagatellisiert.
Der Arzt wird häufig erst bei lang andauernden Beschwerden Radialer und ulnarer Kollateralbandkomplex
und Bewegungseinschränkung aufgesucht. Für die Diagnostik und Die stabilisierenden Strukturen der ulnaren Seite werden als der
insbesondere für die Therapie ergeben sich dann oft erhebliche sog. ulnare Kollateralbandkomplex zusammengefasst und umfas-
Probleme, es resultieren nicht selten schwerwiegende Verletzungs- sen das ulnare Kollateralband, den ulnaren Meniskus, die ulnaren
folgen, evtl. mit längerer Arbeits- und Sportunfähigkeit. Anteile der palmaren Platte und die ulnaren Anteile der dorsalen
Kapsel. Am ulnaren Seitenband können 2 Faszikel unterschieden
werden:
23.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und 1. Das horizontal verlaufende kräftige Hauptbündel (metakarpo-
Physiologie phalangealer Faszikel) ist in Extension entspannt und in Fle-
xion angespannt; es ist verantwortlich für die laterale Stabilität
Die Gelenkführung ist bedingt durch einen komplexen Kapsel- während des Flexionsvorgangs (⊡ Abb. 23.2a).
Band-Apparat (ulnarer und radialer Kollateralbandkomplex, 2. Der akzessorische oder absteigende Anteil kann noch weiter
palmare Platte, dorsale Kapselanteile) sowie eine dynamische Mus- unterteilt werden in
kelzügelung durch intrinsische und extrinsische Muskeln. a) einen metakarposesamoidalen und
b) einen sesamoidophalangealen Anteil
Daumen c) ulnaren bzw. radialen Meniskus,
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio d) ulnare bzw. radiale Anteile der palmaren Platte,
metacarpophalangea) e) ulnare bzw. radiale Anteile der dorsalen Platte.
Von seiner Konstruktion her ist das Daumengrundgelenk mit nahezu
kugeligem Köpfchen des 1. Mittelhandknochens und der konkaven Da der akzessorische Anteil während der Extension angespannt
Schale der Basis des Daumengrundgliedes einem Eigelenk ähnlich. Es und während der Flexion entspannt ist, ist er verantwortlich für die
ist allerdings in seinen Bewegungsschlägen sehr stark eingeschränkt laterale Stabilität in Extensionsstellung (⊡ Abb. 23.2b).
und besteht normalerweise nur aus einem Bewegungsausschlag von Die charakteristische Faserverflechtung von Bändern und Ge-
5/0/30°, wobei die Hauptachse die sagittale ist, also ein Bewegungs- lenkkapsel sowohl im radialen als auch im ulnaren Gelenkkompar-
ausschlag in Streckung und Beugung vorliegt. Alle anderen Bewe- timent sowie der charakteristische Aufbau stellen den Ausdruck
gungsqualitäten wie Ab- und Adduktion, Rotation und Opposition der besonderen lokalen Beanspruchung bei der Begrenzung des
werden praktisch nur im Sattelgelenk durchgeführt. Ausmaßes radialer und ulnarer Abduktionsbewegungen dar.
Das MP-I-Gelenk ist ein Eigelenk mit 3 Freiheitsgraden:
▬ Flexion/Extension (50–70°), Palmare Platte
▬ geringe Abduktion/Adduktion (10–20°), Die Basis der Grundphalanx ist solide mit dem fibrokartilaginä-
▬ kleine axiale Rotation (5–0°): Die Rotationsbewegung ist für ren Gelenkkomplex verbunden, der die 2 Sesambeine enthält, die
den Feingriff von großer Bedeutung (⊡ Abb. 23.1). Bei der
Arthrodese des MP-I-Gelenks muss sie bei der Planung der
definitiven Stellung beachtet werden ( Abschn. 10.2.15).

Das Bewegungsausmaß ist individuell unterschiedlich, jedoch im


Seitenvergleich relativ konstant.
Die Gelenkführung ist bedingt durch einen komplexen Kap-
sel-Band-Apparat (ulnarer und radialer Kollateralbandkomplex,
palmare Platte, dorsale Kapselanteile) (⊡ Abb. 23.3) sowie eine

a b

⊡ Abb. 23.2 Schematische Darstellung der lateralen Bandstrukturen des


Daumengrundgelenks in Extension und Flexion. a Extension: Der abstei-
gende oder akzessorische Bandanteil ist angespannt. Er ist für die laterale
Stabilität in Extensionsstellung verantwortlich. b Flexion: Das horizontal
verlaufende kräftige Hauptbündel (metakarpophalangealer Faszikel) ist in
Extension entspannt und in Flexion angespannt; es ist verantwortlich für die
⊡ Abb. 23.1 Pronation des Daumens bei Beugung des MP-I-Gelenks laterale Stabilität während des Flexionsvorgangs
542 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

untereinander durch das intersesamoidale Band verbunden sind Durch seine Anordnung verhindert der palmare fibrokartilagi-
(⊡ Abb. 23.3a-d). Die palmare Platte ist am Daumen kürzer als an näre Gelenkkomplex Translationsbewegungen in der Sagittalebene.
den Fingern. Sie besitzt keine oder nur sehr kurze radiale und Bei vielen Menschen ist die palmare Platte so schlaff, dass das
ulnare Zügelbänder, Lig. palmare longitudinale radiale et ulnare MP-I-Gelenk oft, und zwar aktiv, beträchtlich überstreckt werden
(»check-rein-ligaments«), die jeweils eine Pars proximalis und kann.
eine Pars distalis zeigen. In die palmare Platte sind zwei Sesambei-
ne integriert. An den Sesambeinen inserieren die akzessorischen Dorsale Kapselanteile
lateralen Ligamente (Lig. collaterale acessorium) mit ihren meta- Im Bereich der dorsalen Gelenkanteile ist die Kapsel mit der Faszie
karposesamoidalen Anteilen, das Lig. phalangoglenoidale und die des Extensorenapparats verbunden. Dieser Verbund verhindert
Lamina intertendinea. Nach Pechlaner stellen diese Strukturen die eine dorsale Luxation im Sinne einer Knopflochdeformität. Eine
passiven Stabilisatoren eines »Bremssystems« mit aktiven und pas- Läsion dieser Anteile führt neben der genannten Deformität zu
siven Komponenten dar. Mit zunehmender Streckung des Grund- einer lateralen Instabilität und vor allem zu chronischen Beschwer-
gelenks werden die in diesem Bandapparat integrierten Sesam- den (⊡ Abb. 23.3).
beine auf deren Gleitbahn am Kopf des Metakarpale I gedrückt, Alle intrinsischen und extrinsischen Muskeln, welche im Be-
bremsen die Streckung ab und limitieren passiv die Überstreckung reich des 1. Strahls ansetzen, haben eine dynamische Stabilisie-
des Gelenks (⊡ Abb. 23.3e). rungswirkung auf das MP-I-Gelenk. Das Daumengrundgelenk

Lig. phalangoglenoidale Lig. collaterale accessorium


Lig. collaterale
Lig. collaterale accessorium
Lig. collaterale

a
Zügelband
O
A2 A1
radiales Sesambein
FPL
Lig. collaterale
Lig. collaterale
. accessorium Lig. phalangoglenoidale
Lig. collaterale accessorium
Lig. collaterale

O A2
b A1
ulnares Sesambein c
FPL

23 d
e

⊡ Abb. 23.3 Kapsel-Band-Strukturen des Metakarpophalangeal- (MP-) und Interphalangeal-(IP-)Gelenks des Daumens. a Ansicht von radial, b Ansicht von
ulnar, c Ansicht von palmar, d Ansicht von ulnodorsal, e Spannungsverhältnisse des passiven Bremssystems nach Pechlaner bei Flexion und Extension
23.1 · Allgemeines
543 23

Phalanx proximalis
Phalanx proximalis

Lig. collaterale ulnare


Lig. collaterale ulnare
Lig. obliquum pollicis Lamina intertendinea accessorium
Os sesamoideum radiale
Lamina intertendinea
Tendo m. flexoris pollicis longi M. abductor pollicis brevis

Os sesamoideum ulnare
M. flexor pollicis brevis
M. adductor pollicis,
Ringband A1
Caput superficiale Caput transversum
Os metacarpale I
M. adductor pollicis
Caput transversum Caput profundum Os metacarpale I

Caput obliquum
M. interosseus
M. opponens pollicis dorsalis I
a b

⊡ Abb. 23.4 Bandstrukturen und Muskelansätze im Bereich des Daumengrundgelenks (modifiziert nach Pechlaner). a Ansicht von radio-palmar, b Ansicht
von ulnar

wird ulnar und radial von Kollateralbändern gehalten, wobei an in Streckstellung, wenn die ligamentäre Führung der Ligg. collate-
beiden Seiten Muskeln zur Verstärkung des Kapsel-Band-Apparats rale am PIP- und DIP-Gelenk am schwächsten ist, wirken dynami-
einstrahlen. Die aktiven Stabilisatoren des palmaren Bremssystems sche Muskelkräfte, die senkrecht zur Bewegungsachse des Mittel-
nach Pechlaner setzen sich zusammen aus den Thenarmuskeln. An gelenks orientiert sind und die Gelenkflächen aufeinander drücken
der radialen, also der Daumenballenseite sind dies der Flexor polli- (»longitudinale Verspannung«), einer Instabilität entgegen.
cis brevis, der Abductor pollicis brevis und der Opponens pollicis. Die Fingergrundgelenke werden fast nur mittelbar bewegt,
An der ulnaren Seite des Gelenks strahlt der 1. dorsale Interosseus da beinahe alle Muskeln ihre Anheftung erst an der Mittel- oder
ohne den Abduktor pollicis aus, wobei der Letztere am ulnaren Se- Endphalanx finden. Aber alle am Grundgelenk vorbeiziehenden
sambein des Daumengrundgelenks ansetzt und damit den Kapsel- Muskeln sind mit ihm in inniger Verbindung: Die Beugesehnen
Band-Apparat verstärkt. Diese Muskelgruppe ermöglicht, bezogen hängen am Grundglied durch ihre Faserscheiden unverschiebbar
auf die palmare Stabilität, die dosierte Einstellung beim Übergang an, die Dorsalaponeurose schickt unterflächige Bündel durch die
der maximalen Beugung zur Streckung. Ihre Muskelwirkung allein Gelenkkapsel zum Grundgelenk.
ist jedoch nicht ausreichend, eine kapsuloligamentär bedingte Ge- Auf alle drei Fingergelenke wirken streckend der M. extensor
lenkinstabilität zu kompensieren (⊡ Abb. 23.4). digitorum. An beiden Randfingern wird er von den Mm. extensor
indicis propius und digiti minimi unterstützt. Die Hauptwirkung
Interphalangeal-(IP-)Gelenk (Articulatio interphalangea) dieser langen extrinsischen Fingerstrecker betrifft in erster Linie
Das Daumenendgelenk ist mechanisch gesehen ein Scharnierge- das Fingergrundgelenk. Auf die Mittel- und Endglieder haben
lenk mit 2 Freiheitsgraden: die langen Fingerstrecker mit den Mittel- und Seitenzügeln der
▬ Extension/Flexion (25–0–90°), Dorsalaponeurose nur schwachen Einfluss. Hier wirken vor allem
▬ Kleine axiale Rotation (5–10°): Die Rotationsbewegung ist die Mm. lumbricales und die Mm. interossei palmares et dorsa-
durch die Form der beiden Gelenkflächen bedingt. Sie ist für les, indem sie an der Grundphalanx vorbei in die Seitenzügel der
den Feingriff von großer Bedeutung (⊡ Abb. 23.1). Bei der Dorsalaponeurose über dem Mittelgelenk einstrahlen (⊡ Abb. 23.5,
Arthrodese des MP-I-Gelenks muss sie bei der Planung der ⊡ Abb. 23.7b,c)
definitiven Stellung beachtet werden ( Abschn. 10.2 15)
> Fallen die Mm. interossei durch Lähmung aus, kommen die
Finger in Klauenstellung, d. h. am Mittel- und Endglied über-
Der anatomische Aufbau des Interphalangealgelenks des Daumens
wiegen die Beuger, am Grundglied die Strecker.
entspricht bis auf einige Ausnahmen jenem der distalen Interpha-
Ist die Sehnenkappe der Dorsalaponeurose über dem
langealgelenke. Die palmare Platte ist wesentlich dicker, weshalb
Grundglied durchtrennt, oder liegt eine Lähmung der
die Sehne des M. flexor pollicis longus weiter palmar der Gelenk-
extrinsischen Strecker vor, kann der Finger im Grundglied
achse zu liegen kommt. Beide Konstruktionsmerkmale machen
nicht mehr gestreckt werden, wohl aber in den Mittel- und
den Daumen bei kraftvollen Oppositionsbewegungen stabiler.
Endgelenken.
Finger Der M. flexor digitorum superficialis beugt unmittelbar nur das
Alle intrinsischen und extrinsischen Muskeln, welche im Bereich proximale Interphalangeal-(PIP-)Gelenk, der M. flexor digito-
der Finger ansetzen, haben eine dynamische Stabilisierungswir- rum profundus sowohl das distale als auch das proximale In-
kung auf eines oder mehrere Gelenke im Fingerbereich. Vor allem terphalangealgelenk. Die Beugewirkung dieser Muskeln auf das
544 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.5 Flexion und Extension in den Fingergelenken. (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)

Grundgelenk wird mittelbar durch die Beugesehnenscheide auf mehr Finger aus der Streck- in die Beugestellung geführt wer-
die Grundphalanx übertragen. Sie ist nur dann kraftvoll, wenn die den. Bei rechtwinkeliger Palmarflexion oder Faustschluss kön-
Verkürzungsgrößen der Muskeln nicht schon durch Beugung des nen die vier Finger nicht voneinander bewegt werden. Der Mit-
Handgelenks oder in den eigentlichen Fingergelenken verbraucht telfinger kann aus der Normalstellung der Hand, in welcher er
ist (⊡ Abb. 23.5). in der Verlängerung der Längsachse des Os capitatum und des
Obwohl die Beugemuskeln nur einen etwa doppelt so großen Os metacarpale III steht, radial und ulnar gleich weit, etwa um
wirksamen Muskelquerschnitt aufweisen wie die Strecker, ist die 20°, adduziert werden. Die vier übrigen Finger können von ihm
von ihnen geleistete Arbeit doch etwa 4-mal so groß, weil sie, abgespreizt und zu ihm hin geschlossen werden. Dabei sind die
bei gleichen Winkelwegen, auf einen längeren Hebelarm wirken Bewegungsräume der einzelnen Finger verschieden groß. Der
können. Das Übergewicht der langen Fingerbeuger bedingt die Zeigefinger kann seine Richtung insgesamt 60° verändern (Ab-
Ruhehaltung der Hand. duktion/Adduktion: 15–0–45°). Ring- und Kleinfinger haben
einen Bewegungsraum von 45°. Im Bereich des Ringfingers sind
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio Abduktion und Adduktion etwa gleich, am Kleinfinger über-
metacarpophalangea) wiegt die Abduktion (Abspreizung) (⊡ Abb. 23.6).
Die Grundgelenke der Finger entsprechen funktionell einem Kugel- ▬ Geringe ulnare Rotationsbewegungen bei Flexion: Diese Be-
gelenk. Der konvexe Gelenkkörper, das Caput ossis metacarpalis, wegung ist hauptsächlich durch die Asymmetrie der Kondylen
stellt den Ausschnitt einer Kugeloberfläche dar. Er verbreitert sich und der Kollateralbänder bedingt.
palmar und ist in zwei Zipfel ausgezogen, welche die Beugeseh-
nenscheide zwischen sich knöchern fixieren. Nur in Beugestellung Das Bewegungsausmaß ist individuell unterschiedlich, jedoch im
passt das Köpfchen der Breite nach in die Pfanne, in Extension ist Seitenvergleich relativ konstant.
es zu schmal. Das MP-II-V-Gelenk hat 3 Freiheitsgrade: Die Gelenkführung ist bedingt durch einen komplexen Kap-
▬ Flexion/Extension (30–0–100°): Vor allem die Extension lässt sel-Band-Apparat (ulnarer und radialer Kollateralbandkomplex,
sich durch Training wesentlich erhöhen. palmare Platte, Verankerung der Mittelhandknochen unterein-
23 ▬ Geringe Abduktion/Adduktion (10–20°): Die gestreckten Fin- ander, den zirkulären metakarpophalangealen Halteapparat nach
gergrundgelenke gestatten ein Spreizen (Abduktion) und Schlie- Zancolli (»Zancolli-Komplex«), dorsale Kapselanteile) sowie eine
ßen (Adduktion) der Finger um eine dorsopalmare Achse. Der dynamische Muskelzügelung durch intrinsische und extrinsische
Umfang dieser Bewegung wird umso stärker eingeschränkt, je Muskeln im Bereich des 2.–5. Strahls.
23.1 · Allgemeines
545 23

a b

⊡ Abb. 23.6 Bewegungsausmaß der Finger in den Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenken in dorsopalmarer Richtung. a Adduktion (Schließen), b Abduktion
(Spreizen). (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)

Radialer und ulnarer Kollateralbandkomplex (»oblique lateral erst weiter distal am A2-Ringband erfahren. Der resultierende
ligaments«) Kraftvektor, der sich weiter distal befinden würde, und die
Die stabilisierenden Strukturen der ulnaren und radialen Seite wer- Vergrößerung des Abstandes zur Beugeachse hätten ein Kip-
den als der sog. Kollateralbandkomplex zusammengefasst und um- pen und Verkanten der Gelenkpfanne auf dem Metakarpal-
fassen das Kollateralband, die lateralen Anteile der palmaren Platte kopf zur Folge. Die Kollateralbänder können dem Verkanten
und die lateralen Anteile der dorsalen Kapsel. Am Kollateralband nicht entgegenwirken, da sie sehr weit palmar ansetzen. Daher
können 3 Faszikel unterschieden werden (⊡ Abb. 23.2, ⊡ Abb. 23.7): begünstigen Zugkräfte in den Ligg. phalangoglenoidalia ein
1. Das horizontal verlaufende kräftige Hauptbündel (metakar- flächendeckendes Gleiten beider Gelenkkörper.
pophalangealer Faszikel): In Extension ist das Lig. collaterale
entspannt. Palmare Platte
2. Der akzessorische oder absteigende Anteil (metakarpoglenoi- Die flach ausgehölte Basis der Grundphalanx (P1) wird an ihrem
daler Faszikel): In Extension sind das Lig. collaterale accessori- palmaren Umfang durch die rechteckige palmare Platte (fibrocar-
um und das Lig. phalangoglenoidale angespannt und begren- tilago palmaris) ergänzt, welche die palmare Kapsel verstärkt und
zen die Extension. Das Lig. collaterale accessorium ist sowohl mit der Basis der Grundphalanx fest verwachsen ist, während die
in Extension als auch in Flexion angespannt. Dadurch werden Verbindung mit dem Köpfchen aus lockerem Bindegewebe besteht
die palmare Platte und das an ihr befestigte A1-Ringband der und keine knorpelige Versteifung aufweist. In Extension nimmt
Beugesehnenscheide fixiert. Andererseits erlauben die ge- die zug- und druckfeste palmare Platte das Köpfchen in sich auf.
spannten Fasern aufgrund ihres steileren Verlaufswinkels klei- Zugleich bildet sie mit ihrer palmaren Seite das Lager für die in der
ne Dreh- und Verschiebebewegungen der palmaren Platte, die Faserscheide gleitenden Beugesehnen und muss beim Andrücken
dem gestreckten Finger die seitliche Beweglichkeit erhalten, der Hand auf eine Unterlage auch diesem Druck standhalten. In
während die Beugesehen nicht nennenswert nach der Seite Beugestellung verformt sich die palmare Platte selbst nur gering.
ausweichen können. Ihr Rand verschiebt sich aber proximalwärts, sodass die Bindege-
3. Ein zusätzlicher Bandzug, das Lig. phalangoglenoidale (»pha- webszüge, welche die Platte mit dem Köpfchen verbinden, locker
langoglenoidal component«): Das phalangoglenoidale Band werden. Erst bei maximaler Beugung spannt die palmare Platte
ist der oberflächlichste Bandzug. Er entspringt von der Basis auch diese Verbindungen an. Sie liegen dann zwischen Köpfchen
der Grundphalanx und zieht schräg über den Ansatz des und der palmaren Platte ausgespannt. Die palmare Platte hat
Lig. collaterale nach palmar und proximal. Die mehr proximal funktionell gesehen prinzipiell zwei Hauptaufgaben: Als eine Art
gelegenen längeren Fasern strahlen seitlich in die palmare »labrum glenoidale« vergrößert sie die Gelenkpfanne und liefert
Platte ein, während die mehr distal gelegenen Bandzüge in das dem Metakarpalekopf eine weitere Unterstützungsfläche. Zum an-
A1-Ringband übergehen. Das Lig. phalangoglenoidale wirkt deren beteiligt sich ihre palmare Fläche an der Bildung der fibrösen
zusammen mit dem Lig. collaterale accessorium Zugkräften Anteile der Beugesehnenscheide (⊡ Abb. 23.9). In Streckstellung
entgegen, die bei der Beugung über die Ringbänder der Seh- erweitert sie den Abstand zwischen den Sehnen der langen Fin-
nenscheide nach palmar gerichtet sind. Dadurch wird eine gerbeuger und der Beugeachse und schafft somit günstigere He-
wichtige Zügelungseinrichtung geschaffen. Ohne Ausbildung belverhältnisse für die 1. Phase der Beugung. Zusammen mit dem
der Ligg. phalangoglenoidalia würden die Beugesehnen ihre Lig. collaterale acessorium verhindert die palmare Platte mit ihrem
Umlenkung nicht schon in Höhe des Grundgelenks, sondern dicken distalen Anteil eine übermäßige Hyperextension.
546 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

Lig. collaterale

Lig. collaterale accessorium Lig. phalangoglenoidale

a1

a2

27 mm

35 mm
A1 A2
a3
a

⊡ Abb. 23.7a–c Kapsel-Band-Apparat des Metakarpophalangealgelenks im Fingerbereich:


a Anatomische Darstellung: Ansicht von lateral. Funktionelle Darstellung. a1 Darstellung in
Extension: Das Ligamentum collaterale ist entspannt. a2 Darstellung in Flexion: Das Liga-
23 mentum collaterale ist angespannt. Beim Beugevorgang wandert die Anspannung von den
mehr palmar gelegenen Bandanteilen zu den dorsal gelegenen. a3 Die Strecke zwischen
Ansatz und Ursprung des Seitenbandes beträgt bei Streckung des Fingers 27 mm, bei
Beugung 35 mm (Langer). b Ansicht von lateral: Statische Gelenkstabilisatoren (aus Tilmann
2004). c Ansicht von lateral: Dynamische Gelenkstabilisatoren (aus Tilmann 2004)
23.1 · Allgemeines
547 23

⊡ Abb. 23.7d Ansicht von dorsal: Dynamische Gelenkstablisatoren (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)

> Die Ruhigstellung der Finger sollte in der sog. »Intrinsic-


plus-Stellung« erfolgen, da bei Beugung der Grundgelenke
alle Anteile des Kollateralbandkomplexes angespannt sind
und somit der Immobilisationsschaden am geringsten ist
0,2%
( Kap. 2)

In die palmare Platte können an allen Fingern doppelseitig Sesam-


beine eingewoben sein. Am Daumen und Kleinfingergrundgelenk
kommen sie fast regelmäßig, an den übrigen Fingern gelegentlich
vor. Oft sind anstatt der Sesambeine nur kleine hyaline Sesamknor-
pel eingelagert, die röntgenologisch nicht zur Darstellung kommen
(⊡ Abb. 23.8). 1,5%

Verankerung der Mittelhandknochen untereinander


Die Köpfchen der Mittelhandknochen II–V sind durch starke
Querzüge, Lig. metacarpeum transversum profundum, fest gegen- 72,9%
einander verankert. Dieses Band spannt sich in radioulnarer Rich-
tung palmar vor den Grundgelenken der Finger aus (⊡ Abb. 23.9). 82,4% 47,8%
Fest verheftet mit den palmaren Platten sowie den A1-Ringbän-
dern der Beugesehnenscheide stellt es eine wichtige Verstrebung 2,3%
der distalen Mittelhand dar, stabilisiert den queren Mittelhand- 0,1%
bogen und unterstützt die Führung der Beugesehnen. Durch die 0,1%
straffen Verbindungen zu den Metakarpalknochen einerseits und 100%
zur Palmaraponeurose und Haut andererseits unterstützt es die 1 Fall
Verklammerung der Weichteile besonders während der Beanspru- beobachtet
chung der Hohlhand bei kraftvollem Festhalten von Gegenständen
(Grobgriff).

Zirkulärer metakarpophalangealer Halteapparat nach


Zancolli (»Zancolli-Komplex«)
Die queren tiefen Verstrebungen sind Teile eines komplexen binde-
gewebigen Systems, welche den Bewegungsablauf der Grundgelenke
stabilisieren, die Strecksehnen führen, den intrinsischen Handmus- ⊡ Abb. 23.8 Sesambeine des Handskeletts. (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)
keln als Ansatz dienen, das A1-Ringband und die palmare Platte
fixieren und den transversalen Hohlhandbogen verspannen. Dieser
von Zancolli beschriebene zirkuläre metakarpophalangeale Halteap- intertendinea (»ligament of Landsmeer«). Sie besteht seitlich des
parat ist wie folgt aufgebaut: Von der Sehne des M. extensor digito- Gelenks aus den einstrahlenden Fasern der Mm. interossei (»inter-
rum und ihren Ansatzfasern löst sich die Pars transversa der Lamina osseous hood«) und einer fibrösen Lamelle (»sagital ligament«), die
548 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

Kern bildet die Grenze zwischen zwei Fächern, einem dorsalen für
das Grundgelenk und einem palmaren für die Beugesehnenscheide
(⊡ Abb. 23.9b). Schädigungen eines oder mehrerer Bauteile können
das Gleichgewicht am MP-Gelenk ansetzender oder vorbeiziehender
Kräfte stören und zu Fehlstellungen führen.

Dorsale Kapselanteile
Die Gelenkkapsel ist schlaff. Vor allem dorsal ist sie dünn und weit,
sodass man den Finger vom Mittelhandknochen abziehen kann.
Der Luftdruck presst dann die Kapsel unter hörbarem Knacken in
den Gelenkraum ein (⊡ Abb. 23.7b,c).
b
Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk (Articulatio
⊡ Abb. 23.9 Verankerung der Mittelhandknochen II–V untereinander, interphalangea proximalis)
der sog. »Zancolli-Komplex«. a Ansicht von palmar, b Ansicht von frontal
(Schnittbild) . (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)
Die proximalen Interphalangealgelenke der Finger entsprechen
funktionell einem Scharniergelenk. Der konvexe Gelenkkörper, das
Caput ossis phalangis, stellt die gekehlte Rolle des Grundphalanx-
23 köpfchens dar, welche auf der Basis der nächstfolgenden Mittelpha-
zusammen mit dem Lig. metacarpale transversum profundum, der lanx in zwei flache, von einer schwachen Führungsleiste geschiede-
palmaren Platte und dem A1-Ringband den metakarpalen Vereini- ne Grübchen eingreift. Auch an den DIP-Gelenken wird die Rolle
gungskern (»assemblage nucleus« oder »force nucleus«) bilden. Der nach palmar hin breiter. Das PIP-II-V-Gelenk hat 2 Freiheitsgrade:
23.1 · Allgemeines
549 23
▬ Extension/Flexion (10–0–100°): In den eigentlichen Finger-
gelenken sind ausschließlich Beuge- und Streckbewegungen
möglich. Bei manchen Menschen ist auch eine Hyperextensi-
on möglich.
▬ Geringe Abduktion/Adduktion (10–20°): Seitbewegungen sind
aufgrund der straffen Bandführung fast nicht möglich. Nur
bei besonders großer Elastizität der Gelenkknorpel und Band-
strukturen (Kinder, angeborene Bindegewebsschwäche etc.) Lig. collaterale
lassen sich passive Seitbewegungen und Parallelverschiebun- A3
Lig. collaterale accessorium
gen geringen Umfangs ausführen.
palmare Sehnenplatte

Die Gelenkführung ist bedingt durch einen komplexen Kapsel-


Band-Apparat (ulnarer und radialer Kollateralbandkomplex, C1
palmare Platte, dorsale Kapselanteile) sowie eine dynamische Mus-
kelzügelung durch intrinsische und extrinsische Muskeln im Be-
reich des 2.–5. Strahls (⊡ Abb. 23.7).

Radialer und ulnarer Kollateralbandkomplex A2


Die stabilisierenden Strukturen der radialen und ulnaren Seite wer-
den als der sog. Kollateralbandkomplex zusammengefasst und um-
fassen das Kollateralband, die lateralen Anteile der palmaren Platte
und die lateralen Anteile der dorsalen Kapsel. Am Kollateralband
können 3 Faszikel unterschieden werden (⊡ Abb. 23.7a–c):
1. Das horizontal verlaufende kräftige Hauptbündel (Lig. colla-
terale) verläuft von dorsal nach palmar und inseriert an der
Mittelphalanx und dem A4-Ringband. In Extension ist das
Lig. collaterale entspannt, bei zunehmender Beugung wird es
gespannt.
2. Der akzessorische oder absteigende Anteil (Lig. collaterale
accessorium) entspringt weiter proximal und palmar am ⊡ Abb. 23.10 Fibrokartilaginärer Gelenkkomplex der palmaren Platte des
Grundgliedköpfchen. Es verbreitert sich fächerartig bis zu proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenks
seinem Ansatz an der palmaren Platte. In Extension sind das
Lig. collaterale accessorium und das Lig. phalangoglenoidale
angespannt und begrenzen die Extension. In leichter Flexion Gelenkkapsel, die sich damit hier nicht von der Streckaponeurose
sind das Lig. collaterale accessorium und die palmare Platte trennen lässt. Neben der Zügelung des Strecksehnenapparats und
am wenigsten gespannt. In dieser Stellung muss die Funkti- der Vergrößerung des Drehmoments der Strecksehne trägt sie
onsprüfung für das Lig. collaterale durchgeführt werden. zusätzlich zur Stabilisierung des PIP-Gelenks bei. Dieser Verbund
3. Das Lig. phalangoglenoidale ist das oberflächlichste Band und verhindert eine dorsale Luxation im Sinne einer Knopflochdefor-
verläuft von den seitlichen Vorsprüngen an der Basis der Mit- mität ( Kap. 5).
telphalanx zur palmaren Platte des PIP-Gelenks.
Distales Interphalangeal-(DIP-)Gelenk (Articulatio
Palmare Platte interphalangea distalis)
Die Basis der Mittelphalanx ist solide mit dem fibrokartilaginären Das distale und das proximale Interphalangealgelenk sind prin-
Gelenkkomplex der palmaren Platte verbunden. Sie läuft nach zipiell baugleich aufgebaut, wobei einige Unterschiede bestehen:
proximal in einer schwalbenschwanzähnlichen Form aus. Distal Insgesamt sind beim DIP-Gelenk alle Gelenkstrukturen kleiner.
ist sie mit der palmaren Fläche der Mittelphalanx nur lateral fest Die palmare Platte des DIP-Gelenks besitzt proximal keine oder
verankert (»critical corners«). Die dazwischen liegenden Anteile nur eine sehr schwache knöcherne Anheftung.
sind über einen dünnen Biegefalz mit dem Mittelglied verbunden.
Von proximal strahlen beiderseits Zügelbänder (»check-rein-liga-
ments) in die Faserknorpelplatte ein und verlängern den Schwal- 23.1.2 Epidemiologie
benschwanz. Sie kommen von kleinen Knochenleisten an der
palmaren Fläche des Grundgliedschaftes und von der Innenseite Bei Sportverletzungen sind in etwa 20% der Fälle die oberen Extre-
bzw. dem distalen Rand des A2-Ringbandes. Zwischen den beiden mitäten betroffen. Führend hiervon sind mit etwa 30% die Verlet-
Zügeln ist ein Fettpolster eingelagert, in dem der Arcus digitopal- zungen an der Hand.
maris verläuft und kleine Äste an die Gelenkkapsel und die Beuge- Die häufigsten Kapsel-Band-Verletzungen (33,2%) ereignen
sehenvinculae abgibt (⊡ Abb. 23.10). sich beim Sport, wobei 75% der Verletzungen auf die Altersklasse
von 16–45 Jahren entfallen.
Dorsale Kapselanteile
Im Bereich der dorsalen Gelenkanteile ist die Kapsel mit der Faszie Daumen
des Extensorenapparats verbunden. Palmar des Tractus interme- > Die Verletzungen bzw. Rupturen des Seitenbandes am
dius der Dorsalaponeurose liegt in Höhe des PIP-Gelenks eine Daumengrundgelenk sind die häufigsten Bandläsionen im
regelhaft vorkommende dorsale Faserknorpelplatte. Sie ist Teil der Bereich der Hand.
550 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

Hiervon sind die ulnaren Seitenbandausrisse bei Weitem häufiger kommt es zum Abriss der palmaren Platte. Knöcherne Ausrisse
als die radialen (12:1). Die atypische Adduktionsverletzung durch im Bereich des Daumengrundgelenks kommen gelegentlich kom-
Kompression des 1. Strahls und durch die Ruptur der radialsei- biniert mit Verletzungen des Fibrocartilago palmaris vor. Dieses
tigen Bänder ist wesentlich seltener. In einem Gesamtkollektiv verursacht besonders beim Spitzgriff eine dauernde Instabilität
der Kapsel-Band-Verletzungen der Hand waren die Läsionen am und eine frühzeitige Gelenkarthrose des Daumens.
Daumen mit 29% beteiligt. Als wichtiger Fakt für die Prognose
der Kapsel-Band-Verletzungen der Fingergelenke konnte überein- Finger
stimmend mit der Literatur das Verletzungsalter bestätigt werden, Der Sturz auf den ausgestreckten Finger und das axiale Stau-
wobei bei zunehmender Dauer der Verletzung eine ungünstige chungstrauma bei Ballsportarten sind die typischen Unfallmecha-
Prognose hinsichtlich der Funktion und Beschwerdefreiheit gestellt nismen. Seitenbandstabilität, Überstreckbarkeit und die Funktion
werden muss. des Traktus intermedius sind schmerzbedingt primär nicht immer
sicher zu prüfen.
Finger Die Rupturen der Kollateralbänder im Bereich der Finger-
Die Seitenbandläsionen im Grundgelenk der Finger sind sehr sel- grundgelenke entstehen, wenn einer der randständigen Finger
ten. Prädestiniert sind das radiale Seitenband am 5. Finger und das stark nach radial bzw. ulnar gebogen bzw. abduziert wird.
ulnare Seitenband am 2. Finger. Die Verletzungen entstehen stets Die Luxationen im Grundgelenk der Finger entstehen durch
beim »Hängenbleiben« und Hyperabduktion/Hyperextension des Sturz auf die Hand bei überstreckten Fingern, wobei die doch rela-
entsprechenden Fingers beim Sturz, z. B. vom Reck. Luxationen tiv starke palmare Platte zerreißt. Die Bandausrisse bei Luxationen
und Seitenbandrupturen stellen etwa 9,7% der Fingerverletzungen in den Grundgelenken kommen nicht nur durch Stauchung allein,
beim Sport dar. Verletzungsträchtig sind beim Sport vor allem die sondern auch durch Zugkräfte zustande und bergen sowohl bei
Ballspiele wie Fußball, Hand- und Basketball sowie Volleyball, epiphysären als auch bei metaphysären Ausrissen im Kindesalter
gefolgt von Turnen, Gymnastik, Skilaufen, Reiten und verschiede- die Gefahr des partiellen Fugenschlusses in sich.
nen Kampfsportarten. Die dorsale Luxation im Grundgelenk des Kapsel-Band-Verletzungen im Bereich der Mittelgelenke der
Fingers ist sehr selten. Die Luxationen im MP-Gelenk der Finger Finger entstehen durch Überstrecktraumata, oft kombiniert mit
sind selten (9%; Towfigh 1986) und treten am häufigsten am Zeige- Rotations- und Lateralduktion. Die typischen Verletzungsmuster
finger, dann am Kleinfinger und Mittelfinger auf. entstehen hier je nach Stellung des Fingers und Art der auf das
Mittelgelenk wirkenden Kräfte.

23.1.3 Ätiologie
23.1.4 Diagnostik
Daumen
Verletzungsträchtig sind beim Sport vor allem die Ballspiele wie Nur eine genaue Anamnese und sorgfältige manuelle Untersu-
Fuß-, Hand-, Basket- sowie Volleyball, gefolgt von Turnen, Gym- chung sowie eine spezielle Röntgendiagnostik in Vergrößerungs-
nastik, Skilaufen, Reiten und verschiedenen Kampfsportarten. In technik können die Sachlage und die Frage der therapeutischen
diesem Zusammenhang sollten auch die typischen Freizeitsport- Konsequenzen klären.
arten wie Kegeln, Bowlen und Rugby nicht in Vergessenheit ge-
raten. Beim Bowling kommt es häufig zu einer schmerzhaften Daumen
Verdickung bzw. zu einer Neurombildung an der Ulnarseite des Zum Ausschluss einer knöchernen Verletzung erfolgt primär, d. h.
Daumens. Beim Rugby wird häufig eine Ruptur der Flexor-digito- vor der mechanischen Stabilitätsprüfung, eine Röntgenuntersu-
rum-profundus-Sehne in der Regel im Ansatzbereich am Endglied chung in d. p. und lateralem Strahlengang.
festgestellt. Beim Boxer kommt es durch häufige Frakturen im Zur Bestimmung des Ausmaßes der Distorsion erfolgt die
Bereich der Basis des Metakarpale I zu einer gebogenen und an der manuelle Stabilitätstestung. Der Test vergleicht die Stabilitätsver-
Basis stark aufgetriebenen Form des Metakarpale I, wobei dieses hältnisse der MP-Gelenke auf der geschädigten und der gesunden
auf einen nicht exakt in der Verlängerung der Achse des Unterarms Seite. Eine ulnare Aufklappbarkeit von durchschnittlich 15° bei
führenden Schlag zurückzuführen ist. Männern und 20° bei Frauen wird als physiologisch erachtet. Die
Die ulnaren Seitenbandverletzungen am Daumengrundgelenk manuelle Stabilitätstestung kann sehr schmerzhaft sein, weshalb
(29%) entstehen durch Sturz oder Schlag auf den abduzierten Dau- eine Lokalanästhesie notwendig werden kann. Die Prüfung der
men, wobei hier eine über das physiologische Maß hinausgehende Seitenstabilität erfolgt durch Valgusstress. Neben dem Ausmaß der
Abduktion im Daumengrundgelenk zur Verletzung führt. Dieser vermehrten Aufklappbarkeit wird das Vorhandensein oder Fehlen
Mechanismus tritt bei Skiunfällen am häufigsten auf, sodass hier eines federnden Gelenkanschlags in Extension (Test für akzessori-
die klassische Verletzung als »Skidaumen« bezeichnet wurde. Meis- schen Bandanteil) und Flexion (Test für horizontalen Bandanteil)
tens rupturieren zuerst das ulnare Seitenband an seinem Ansatz am geprüft. Eine Abweichung von mehr als 20–30° und das Fehlen
Daumengrundgelenk und Teile der palmaren Grundgelenkkapsel. eines federnden Anschlags kennzeichnen eine Bandverletzung. Die
Schließlich kann auch die Aponeurose des M. adductor pollicis Prüfung der Stabilität der palmaren und dorsalen Kapselanteile
brevis rupturieren. Klinisch werden etwa 70% reine Bandausrisse erfolgt mit dem sog. Schubladentest durch a.-p.-Stress.
einem Anteil von 30% distaler knöcherner Bandausrisse gegen- Eine röntgenologische Dokumentation im Sinne von gehalte-
übergestellt, wobei das Verhältnis ulnar zu radial für knöcherne nen Aufnahmen soll durchgeführt werden und ist als Dokumenta-
Ausrisse 2:1 und für interligamentäre Rupturen 12:1 beträgt. Die tion des Befunds wichtig.
23 komplette Zerreißung des Seitenbandes erfolgt bei einer mittleren
Bruchlast von 10 kp. > Die gehaltenen Aufnahmen werden erst nach Ausschluss
Bei forcierter Hyperextension des Daumengrundgelenks, wie knöcherner Verletzungen in den Nativaufnahmen durchge-
es z. B. beim Torhüter (»gatekeeper‘s thumb«) vorkommen kann, führt.
23.1 · Allgemeines
551 23
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk
Bandrupturen und Luxationen im MP sind sehr selten und können
übersehen werden.
> Die Überprüfung der Seitenbandinstabilität an den Grund-
gelenken erfolgt in 80–90° Beugestellung im Grundgelenk.
Prädisponiert sind das radiale Seitenband am 5. Finger und das
ulnare Seitenband am 2. Finger. Die Verletzung entsteht stets beim
Hängenbleiben und Hyperextension/Hyperflexion des Fingers
beim Sturz. Bei Instabilitäten und Aufklappbarkeit ist eine Indika-
tion zur Operation gegeben (⊡ Abb. 23.12).

Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk
Die anatomische Komplexität des Mittelgelenks bedingt oft nach
Verletzungen eine nachhaltende Schwellung und Bewegungsein-
schränkung mit bleibendem funktionellem Defizit.
Der Sturz auf den ausgestreckten Finger und das axiale Stau-
chungstrauma bei Ballsportarten sind die typischen Unfallme-
chanismen bei Luxationen oder Frakturen im Mittelgelenk
(⊡ Abb. 23.13). Dorsale Überstreckbarkeit, die Funktion des Traktus
intermedius und Seitenbandstabilität sind schmerzbedingt primär
nicht immer sicher zu prüfen. Auf die Notwendigkeit einer exakten
Röntgenaufnahme des Mittelgelenks in 2 Ebenen in Vergröße-
rungstechnik wurde bereits hingewiesen, um knöcherne Begleit-
verletzungen nicht zu übersehen.
Bei den Kapsel-Band-Verletzungen unterscheidet man:
1. palmare Kapsel-Band-Läsionen,
2. Verletzungen des Tractus intermedius der Streckaponeurose,
3. Kollateralbandrupturen.

Palmare Kapsel-Band-Läsionen. Hyperextensionsverletzungen


von Fingern im Mittelgelenk sind häufige Verletzungen vor allem
beim Sport. Bei exakter klinischer Untersuchung lässt sich die
Ausrissstelle der palmaren Platte genau lokalisieren. Hierbei ist
auch die Untersuchung des Fingers hinsichtlich der funktionellen
Stabilität von Bedeutung. Die aktive und passive Stabilität bilden
die Grundlage einer differenzierten Behandlung. Kapsel-Band-
Verletzungen am Finger sind häufig auftretende Verletzungen, die
oft nicht diagnostiziert und bagatellisiert werden. Die dann lang
⊡ Abb. 23.11 Stellung des Daumens bei der gehaltenen Aufnahme im Rönt- andauernden Schmerzen und zunehmende Bewegungseinschrän-
gen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) kung, vor allem Streckhemmungen, sind hinderlich und führen
den Patienten zum Arzt. Abgesehen von einer genauen klinischen
Untersuchung ist auch eine exakte Röntgendiagnostik erforderlich,
Die Technik der gehaltenen Aufnahmen ist einfach und besteht in um eine korrekte Behandlung einzuleiten.
einer forcierten Hyperabduktion bzw. Hyperadduktion des Dau- Das klinische Zeichen einer Kapsel-Band-Verletzung im Be-
mengrundgliedes gegenüber dem 1. Mittelhandknochen, wobei reich der Fingergelenke besteht in einer Hämatomverfärbung,
die Streckseite des Daumens und der 1. Mittelhandstrahl exakt massiver Schwellung und Ergussbildung, die gut palpabel ist. Bei
auf der Röntgenplatte liegen müssen und der Daumen im Grund- einer vollständigen Zerreißung des Kapsel-Band-Apparates kann
gelenk in einer Beugung von etwa 20° gehalten werden muss. auch der Gelenkerguss fehlen, da das Hämatom in das umgebene
Ein Vergleich zur gesunden Seite ist obligatorisch, da der Ge- Weichteilgewebe und in das Gelenk diffundiert wird.
lenkschluss in weiten physiologischen Grenzen schwanken kann Bei der klinischen Überprüfung wird eine Überstreckbarkeit
(⊡ Abb. 23.11). oder Seiteninstabilität festgestellt. Es kann auch bei der Überprü-
Ein MRT ist nicht unbedingt erforderlich. Kleinere knöcherne fung eine kombinierte Verletzung, nämlich der palmaren Platte
Ausrisse können nur durch diffizile Röntgendiagnostik, ggf. CT, verbunden mit seitlicher Instabilität, festgestellt werden, wobei
dargestellt werden. diese durch die Dorsal-palmar-Verschiebung des Mittelglieds ge-
genüber dem Grundglied festgestellt werden kann.
Finger Die Röntgenaufnahmen sollten in a.-p. und exakt seitlich
Die Diagnostik der Bandverletzungen im Fingerbereich erfolgt durchgeführt werden, wobei durch die Vergrößerungsmöglichkeit
nach den gleichen Prinzipien wie im Daumenbereich. auch die kleinsten knöchernen Ausrisse festgestellt werden kön-
Zum Ausschluss einer knöchernen Verletzung erfolgt primär, nen. Die Röntgenstrahlen sollen genau auf den Gelenkspalt ein-
d. h. vor der mechanischen Stabilitätsprüfung, eine Röntgenunter- gestellt werden. Gelegentlich wird auch eine 45° Schrägaufnahme
suchung in d. p. und lateralem Strahlengang. erforderlich sein.
552 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.13 Luxation mit Kapsel-Band-Riss am Mittelgelenk und Fraktur


nach Sturz auf die Hand

Verletzungen des Tractus intermedius der Streckaponeu-


rose. Die Untersuchung der Funktion des Tractus intermedius der
Strecksehnenaponeurose ist detailliert in  Kap. 5 dargestellt.

Kollateralbandrupturen. Die Diagnostik der Bandverletzungen


b im Fingerbereich erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie im
Daumenbereich.

23.1.5 Klassifikation

Daumen
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio metacarpo-
phalangea)
Für den Vergleich verschiedener Therapieformen ist es notwendig,
eine einheitliche Klassifikation der Läsion sowie eine einheitliche
Klassifikation der Therapieergebnisse anzuwenden.
Für den klinischen Gebrauch hat es sich bewährt, Distorsionen
im Bereich des Kollateralbandkomplexes am Daumen in 3 Schwe-
c regrade in Anlehnung an die Klassifikation nach Posner und Re-
taillaurd (1992) einzuteilen. Eine Erweiterung dieser Klassifikation
23 ⊡ Abb. 23.12 Knöcherner Bandriss MP mit Dislokation der Fragmente. erfolgt durch die Berücksichtigung der dorsalen und palmaren
a Präoperativer röntgenologischer Aspekt, b intraoperativer Aspekt, c post- Luxationen des MP-I-Gelenks.
operativer röntgenologischer Aspekt nach Schraubenosteosynthese. (Aus Bei der irreponiblen Luxation des Daumengrundgelenks liegt
Schmit-Neuerburg et al. 2001) die Ursache gewöhnlich in der Luxation des Mittelhandköpfchens
23.1 · Allgemeines
553 23

⊡ Tab. 23.1 Klinische Klassifikation der Distorsion des MP-I-Gelenks

Schmerzen Schwellung Fester Anschlag Vermehrte Aufklappbarkeit Therapie

Grad 1 + + + – Frühfunktionelle Therapie


(30%) 3 Wochen, evtl. plus Tape-Verband

Grad 2 + + + Unidirektional ohne dorsale Immobilisation für 3 Wochen,


(40%) Extension Physiotherapie

Unidirektional mit dorsaler Operativ plus Immobilisation für


Extension 3 Wochen, Physiotherapie

Grad 3 + + – Multidirektional Operativ


(30%)

Sonderform:
– Stener-Defekt (rupturiertes und zurückgeschlagenes Kollateralband)
– Dislozierter ossärer Bandausriss
– Kombinationsverletzungen
– Luxationen
– dorsale
– inkomplette einfache Luxation
– vollständig einfache Luxation
– komplexe Luxation
– palmare

Die akuten Verletzungen der palmaren Bänder des Daumengrundge-


lenks werden nach Pechlaner in fünf Typen eingeteilt (⊡ Abb. 23.15):
▬ Typ 0 :
– Elongation: Ruptur einzelner Faserbündel der palmaren
Längsbänder und/oder des palmaren Querbandes unter
Aufrechterhaltung des passiven Bremssystems des Daumen-
grundgelenks.
▬ Typ 1 :
– Abriss der palmaren Längsbänder,
– proximaler Abriss vom Metakarpale I,
– distaler Abriss von der Basis der Grundphalanx,
– Abriss vom Sesambein.
a b c d ▬ Typ 2:
– knöcherner Ausriss der palmaren Längsbänder vom Sesam-
⊡ Abb. 23.14 Anatomische Klassifikation der Kollateralbandverletzungen bein: Querfraktur des Sesambeins.
nach Pechlaner. a Typ 0: Elongation (inkomplette Zerreißung), b Typ I: intra- ▬ Typ 3:
ligamentäre Ruptur (komplette Zerreißung), c Typ II: Abriss des Bandes von – Abriss des palmaren Querbandes vom Sesambein,
einer Insertionsstelle, d Typ III: knöcherner Bandausriss
– Abriss vom radialen Sesambein,
– Abriss vom ulnaren Sesambein.
▬ Typ 4 :
durch einen Kapselschlitz zwischen der Sehne des M. flexor polli- – knöcherner Ausriss des palmaren Querbandes vom Sesam-
cis brevis oder durch Verbacken der Sehne des M. flexor pollicis bein: Längsfraktur des Sesambeins,
longus oder des Sesambeins (⊡ Tab. 23.1). – knöcherner Ausriss vom radialen Sesambein,
Während inkomplette Zerreißungen und knöcherne Bandaus- – knöcherner Ausriss vom ulnaren Sesambein.
risse ohne Dislokation mit gutem Erfolg konservativ behandelt
werden können, müssen die Rupturen sowie dislozierte knöcherne Die Luxationen werden eingeteilt in die häufigen dorsalen und die
Bandläsionen operativ versorgt werden, um ein optimales Ergebnis seltenen palmaren Luxationen.
zu erzielen. Bei den dorsalen Luxationen wird nach Farabeuf unterschie-
Die Bandinstabilität im Bereich des Daumengrundgelenks den in 3 Schweregrade:
kann anatomisch in 4 Formen auftreten (⊡ Abb. 23.14): ▬ inkomplette einfache dorsale Luxation,
1. inkomplette Zerreißung (Typ 0: Elongation), ▬ vollständige dorsale Luxation,
2. totale Zerreißung (Typ I: intraligamentäre Ruptur) ▬ komplexe dorsale Luxation.
3. totale Zerreißung (Typ II: Abriss des Bandes von einer Inserti-
onsstelle), Interphalangeal-(IP-)Gelenk (Articulatio interphalangea)
4. knöcherne Ausrisse des Kollateralbandapparats (Typ III: knö- Die Klassifikation entspricht jener der Metakarpophalangeal-(MP-)
cherner Bandausriss). Gelenke der Finger.
554 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

Typ II. Mäßiges Überstrecktrauma mit Lateralduktion. Geringe


Dislokation der palmaren Platte und/oder Ausriss des knöchernen
Fragments. Die Dislokation der palmaren Platte oder des knö-
chernen Ausrisses beträgt weniger als 1 mm. Es kommt zu einem
Auseinanderklaffen zwischen eigentlichen und akzessorischen Kol-
lateralbändern. Das Gelenk ist mit 10–15° mäßig überstreckbar.
Typ 0 Typ Ia Typ Ib
Typ III. Starke Überstreckung mit Kapsel-Band-Ausriss und kleines
oder größeres knöchernes Auseinanderklaffen zwischen eigentli-
chen und akzessorischen Kollateralbändern. Das Gelenk ist stark
überstreckbar oder luxierbar. Bei Verkippung des Fragments von
90° entsteht eine Diastase von 2–3 mm nach proximal verschoben.

Typ IV. Überstrecktrauma mit palmarem Kapsel-Band-Riss und


zusätzlichem Kollateralbandriss. Luxation des Mittelgelenks ulnar
und streckseitig oder radial und streckseitig. Das knöcherne Frag-
ment ist fast um 90° verkippt. Das Gelenk bleibt in zwei Ebenen
Typ II Typ III Typ IV
instabil, es handelt sich um eine kombinierte Instabilität.

⊡ Abb. 23.15 Anatomische Klassifikation der akuten Verletzungen der


palmaren Bänder des Daumengrundgelenks nach Pechlaner. a Typ 0: Elonga-
tion: Ruptur einzelner Faserbündel der palmaren Längsbänder und/oder des a d
palmaren Querbandes unter Aufrechterhaltung des passiven Bremssystems
des Daumengrundgelenks, b Typ 1: Abriss der palmaren Längsbänder, pro-
ximaler Abriss vom Metakarpale I, distaler Abriss von der Basis der Grund-
phalanx, Abriss vom Sesambein, c Typ 2:knöcherner Ausriss der palmaren
Längsbänder vom Sesambein: Querfraktur des Sesambeins, d Typ 3: Abriss b
des palmaren Querbandes vom Sesambein, Abriss vom radialen Sesambein, e
Abriss vom ulnaren Sesambein, e Typ 4: knöcherner Ausriss des palmaren
Querbandes vom Sesambein: Längsfraktur des Sesambeins, knöcherner Aus-
riss vom radialen Sesambein, knöcherner Ausriss vom ulnaren Sesambein
c
f

Finger
⊡ Abb. 23.16 Einteilung der Kapsel-Band-Verletzungen im Mittelgelenk
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio metacarpo-
nach Hintringer und Leixnering. a Typ I: Überstreckung mit knöchernem
phalangea) oder ligamentärem Abriss der palmaren Platte ohne Dislokation. Die Seiten-
Im Fingerbereich unterscheidet man: bandstrukturen sind unverletzt, das Gelenk ist stabil. b Typ II: Mäßiges Über-
1. Läsionen des Kollateralbandkomplexes: Die Klassifikation der strecktrauma mit Lateralduktion. Geringe Dislokation der palmaren Platte
Bandläsionen entspricht jener beim Grundgelenk des Daumens. und/oder Ausriss des knöchernen Fragments. Die Dislokation der palmaren
2. Läsionen der palmaren Platte. Platte oder des knöchernen Ausrisses beträgt weniger als 1 mm. Es kommt
3. Kombinierte Bandrupturen oder Luxationen: Analog der Si- zu einem Auseinanderklaffen zwischen eigentlichen und akzessorischen
tuation am Daumen unterscheidet man dorsale und palmare Kollateralbändern. Das Gelenk ist mit 10–15° mäßig überstreckbar. c Typ III:
Starke Überstreckung mit Kapsel-Band-Ausriss und kleines oder größeres
Luxationen. Die dorsalen Luxationen können analog der Klas-
knöchernes Auseinanderklaffen zwischen eigentlichen und akzessorischen
sifikation nach Farabeuf klassifiziert werden.
Kollateralbändern. Das Gelenk ist stark überstreckbar oder luxierbar. Bei
Verkippung des Fragments von 90° entsteht eine Diastase von 2–3 mm nach
Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk (Articulatio inter- proximal verschoben. d Typ IV: Überstrecktrauma mit palmarem Kapsel-
phalangea proximalis) Band-Riss und zusätzlichem Kollateralbandriss. Luxation des Mittelgelenks
Die Klassifikation entspricht jener der Metakarpophalangeal-(MP-) ulnar und streckseitig oder radial und streckseitig. Das knöcherne Fragment
Gelenke der Finger. Zusätzlich bestehen noch Verletzungen des ist fast um 90° verkippt. Das Gelenk bleibt in zwei Ebenen instabil, es handelt
Tractus Intermedius der Strecksehnenaponeurose. sich um eine kombinierte Instabilität. e Typ V: Luxation des Mittelgelenks
Je nach Stellung der Finger, sowie Richtung und Intensität der in Kombination mit einer Rotation zur Beugeseite hin. Abriss der palmaren
einwirkenden Kräfte können unterschiedliche Verletzungstypen Platte und des Tractus intermedius knöchern oder ligamentär. Osteokartila-
ginärer Abriss auf der Beuge- oder Streckseite mit einer Diastase. Einseitiger
entstehen. Hintringer und Leixnering (1991) haben Verletzungen
Seitenbandabriss. Es handelt sich um eine kombinierte Instabilität der Mit-
des Kapsel-Band-Apparates im Bereich des Mittelgelenks in 6 ver-
telgliedbasis an der Dorsalseite des eingerissenen Tractus intermedius. Der
schiedene Verletzungstypen eingeteilt (⊡ Abb. 23.16):
23 Tractus intermedius kann auch vollständig abgerissen sein, sodass eine Stre-
ckung im Mittelgelenk nicht mehr möglich ist. f Typ VI: Kollateralband und
Typ I. Überstreckung mit knöchernem oder ligamentärem Abriss palmare Platte in wechselnder Richtung knöchern oder ligamentär gerissen.
der palmaren Platte ohne Dislokation. Die Seitenbandstrukturen Die palmare Kapsel reißt von der Mittelgliedbasis und das Kollateralband
sind unverletzt, das Gelenk ist stabil. von der Trochlea ab. Es handelt sich um eine kombinierte Instabilität
23.1 · Allgemeines
555 23
Typ V. Luxation des Mittelgelenks in Kombination mit einer Rota- z Partielle oder komplette Bandruptur
tion zur Beugeseite hin. Abriss der palmaren Platte und des Tractus Bei einer einfachen ligamentären Distorsion ohne ossären Ausriss
intermedius knöchern oder ligamentär. Osteokartilaginärer Abriss ist das weitere therapeutische Vorgehen abhängig vom Ergebnis
auf der Beuge- oder Streckseite mit einer Diastase. Einseitiger Sei- der klinischen Untersuchung, indirekten röntgenologischen Insta-
tenbandabriss. Es handelt sich um eine kombinierte Instabilität der bilitätskriterien sowie der manuellen Stabilitätsprüfung (gehaltene
Mittelgliedbasis an der Dorsalseite des eingerissenen Tractus inter- Röntgenaufnahmen). Klinische Leitsymptome sind Schmerz über
medius. Der Tractus intermedius kann auch vollständig abgerissen den ulnaren oder seltener den radialen Gelenkanteilen (diffus oder
sein, sodass eine Streckung im Mittelgelenk nicht mehr möglich ist. lokalisiert), Schwellung, eingeschränkte Daumenfunktion und evtl.
Hämatom.
Typ VI. Kollateralband und palmare Platte in wechselnder Rich-
> Bei ausgedehnten Hämatomen mit Ausbreitung entlang der
tung knöchern oder ligamentär gerissen. Die palmare Kapsel reißt
EPL-Sehnen besteht der hochgradige Verdacht auf eine Mit-
von der Mittelgliedbasis und das Kollateralband von der Trochlea
beteiligung der dorsalen Kapselanteile.
ab. Es handelt sich um eine kombinierte Instabilität.
In einigen Fällen mit noch geringer Schwellung kann im proxi-
Distales Interphalangeal-(DIP-)Gelenk (Articulatio malen Bereich des Strecksehnenhäubchens das zurückgeschlagene
interphalangea distalis) Kollateralband, der sog. Stener-Defekt, getastet werden. Eine spon-
Die Klassifikation entspricht jener der Metakarpophalangeal-(MP-) tane palmare Subluxation auf dem seitlichen Röntgenbild kann
Gelenke der Finger. als indirektes röntgenologisches Instabilitätskriterium als Hinweis
auf einen Einriss der dorsalen Gelenkkapsel, welcher ebenfalls der
operativen Therapie zugeführt werden muss, gewertet werden.
23.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Wird die frische Versorgung nicht innerhalb von 2 Wochen
durchgeführt, ist das Kollateralband narbig verändert und ge-
Partielle Rupturen der Ligg. collateralia werden konservativ mit schrumpft. Eine Rekonstruktion des Bandes durch direkte Naht ist
3-wöchiger Ruhigstellung behandelt. Belastung nach 4–6 Wochen. nicht mehr möglich. Die funktionellen Ergebnisse sind auch bei
sekundärer Versorgung der Bänder nicht mehr günstig. Es muss
Daumen deshalb mit einem Sehnentransplantat die Stabilität des Gelenks
Karpometakarpal-(CMC-)Gelenk wiederhergestellt werden, vor allem, da bei lockerem ulnarem oder
Luxationen in diesem Bereich sind relativ selten. Die Verletzungen radialem Seitenbandapparat die Greiffunktionen, besonders der
im Daumensattelgelenk sind häufig mit knöchernen Ausrissen Spitzgriff, beträchtlich gestört werden können.
oder mit größeren knöchernen Abrissen im Sinne einer Bennett- Bei älteren Verletzungen kommt es zu einem schmerzhaften
oder Rolando-Fraktur verbunden. Dabei können sowohl knöcher- Wackeldaumen mit einer Verdickung im Bandverlauf als Bandkal-
ne Ausrisse aus der Basis des 1. Mittelhandknochens als auch lus. In der Regel ist hier eine Bandplastik ( Abschn. 23.2.4) oder
vom Os trapezium entstehen ( Abschn. 26.2.4). Kleinere knöcherne auch Arthrodese ( Abschn. 23.2.4) erforderlich.
Ausrisse können nur durch diffizile Röntgendiagnostik, ggf. CT,
dargestellt werden. Ein MRT ist nicht unbedingt erforderlich. z Verletzungen der palmaren Bänder
Partielle Rupturen der palmaren Bänder sowie der isolierte Ab-
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio metacarpo- riss eines palmaren Längsbandes können konservativ behandelt
phalangea) werden. Alle anderen Verletzungen der palmaren Bänder sollten
z Kollateralbandverletzungen operativ versorgt werden, um chronische posttraumatische Insta-
Die Behandlung einer frischen, weniger als 10–15 Tage alten me- bilitäten zu vermeiden. In Abhängigkeit vom Verletzungstyp der
takarpophalangealen Distorsion hängt vom klinischen und rönt- palmaren Bänder erfolgt die Rekonstruktion mittels U-Nähten,
genologischen Befund ab. Folgendes Vorgehen hat sich bewährt transossärer Ausziehnaht und/oder Stiftfixation. Bei kompletter
(⊡ Abb. 23.17). Ruptur nach kompletter dorsaler Luxation ist die Lage der Band-
Nach Anamnese, Inspektion und Palpation müssen zunächst stümpfe schwer zu beurteilen. Eine Ausheilung mit dislozierten
einfache Röntgenbilder in a.-p. und lateralem Strahlengang ange- Bandenden führt zu einer verminderten Belastbarkeit und/oder
fertigt werden, um eine knöcherne Läsion zu diagnostizieren bzw. Instabilitätsbeschwerden. Bei zusätzlichen sekundären osteoarth-
auszuschließen. rotischen Veränderungen ist vor allem beim Handarbeiter an die
Arthrodese des MP-I-Gelenks ( Abschn. 23.2.5,  Abschn. 23.2.6)
z Knöcherner Bandausriss zu denken. Die Winkel der Arthrodese sind für die Greiffunktion
Bei Bestehen einer ossären Läsion ist zu unterscheiden, ob ein entscheidend ( Kap. 10). Allgemeine Indikationen für Gelenkarth-
nichtdislozierter oder ein dislozierter knöcherner Bandausriss vor- rodesen gelten auch für den Fingerbereich. Hierzu zählen Schmer-
liegt. Im Falle eines nichtdislozierten Bandausrisses muss jede zen, Instabilität, Verlust von gelenkübergreifenden Bändern, Mus-
weitere Manipulation des Gelenks vermieden werden. Diese Läsion keln und Sehnen und vorausgegangene erfolglose gelenkerhaltende
wird konservativ behandelt. Es erfolgt eine Immobilisation in einer Operationen.
Daumenorthese oder in einem Steigbügelgips für 3 Wochen, das Spezielle Indikationen für den Handbereich sind:
Endgelenk wird frei belassen und wird bewegt. ▬ posttraumatische Gelenkzerstörungen und Arthrosen,
Das Handgelenk, die MP-Gelenke der Finger und das Interpha- ▬ mutilierende Arthritiden des rheumatischen Formenkreises,
langealgelenk des Daumens bleiben frei beweglich. Die 1. Kommis- ▬ Verbrennungskontrakturen,
sur wird in Funktionsstellung frei belassen, eine Adduktionsbe- ▬ Zustände nach schweren Infektionen,
wegung des MP-I-Gelenks darf jedoch nicht zugelassen werden. ▬ ausgeprägte oder rezidivierende Dupuytren-Kontrakturen,
Das Handgelenk bleibt bei der Anwendung des Steigbügelgipses ▬ Paresen peripherer Nerven sowie
ruhiggestellt. ▬ gelenknahe atrophe Pseudarthrosen.
556 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

Interphalangeal-(IP-)Gelenk (Articulatio interphalangea) Bei komplexer Bandinstabilität, bei offener Luxation und grö-
Die Behandlung entspricht dem Vorgehen bei Verletzungen des ßeren Abrissfragmenten und nicht reponiblen Gelenkluxationen
distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenks im Fingerbereich. besteht die Indikation zur Operation.
Eine Versteifung des IP-Gelenks des Daumens führt in der Regel
zu keinen wesentlichen funktionellen Auswirkungen auf die Funk- Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk (Articulatio
tion des Daumens bei Grobgriffaktionen, jedoch zu einer Beein- interphalangea proximalis)
trächtigung der Feingrifffunktionen. Um die Funktionsbeeinträch- Partielle Rupturen des Kollateralbandkomplexes und/oder der
tigung auf ein absolutes Minimum zu beschränken, sollte ein Ver- Ligg. palmaria, wenig dislozierte knöcherne Kollateralbandausris-
steifungswinkel von 0–15° angestrebt werden, wobei die individuell se und kleine knöcherne Ausrisse der palmaren Platte werden
optimale Position von Art und Ausmaß der Aktivität des Patienten konservativ behandelt. Bei Läsionen der Kollateralbänder kann
sowie des Funktionszustandes der Finger abhängig ist ( Kap. 10). eine frühfunktionelle Behandlung im Syndaktylieverband für 3–4
Wochen erfolgen. Bei Verletzungen der palmaren Platte muss eine
Finger Hyperextension der PIP-Gelenke vermieden werden. Hier emp-
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio metacarpo- fiehlt sich eine Schienung für 1–2 Wochen. Eine Belastung ist Ende
phalangea) der 4. Woche möglich.
Bei partieller Ruptur – d. h. einer Instabilität in nur einer Ebene Komplette Rupturen des Kollateralbandkomplexes und/oder
– besteht die Indikation zur frühfunktionellen konservativen Be- der palmaren Ligamente, größere knöcherne Ausrisse des Seiten-
handlung im Syndaktylieverband. bandkomplexes und/oder der palmaren Platte sowie Luxationen

Anamnese:
Valgus - und / oder Hyperabdiktionstrauma
Schmerzen, Schwellung, Bewegungseinschränkung

Inspektion:
Schwellung, Hämatom (Cave: Ausbreitung), Schonhaltung

Palpation:
Schmerz (Cave : dorsaler Kapselschmerz), Tumor (Cave: Stener - Defekt)

Röntgenuntersuchung (DI - Strahl a.p. / seitlich)

knöcherner Bandausriss

disloziert nicht - disloziert


⇒ Operation ⇒ Konservativ
(Immobilisation 4 Wochen)
kein knöcherner Bandausriss

palmare Subluxationsstellung
(seitliche Aufnahme)
⇒ Operation keine palmare Subluxationsstellung

Manuelle Stabilitätsprüfung
(evtl. röntgenologische Dokumentation
„gehaltene Aufnahme”)
keine Instabilität
(Grad 1- Läsion)
⇒ Konservativ
Instabilität (frühfunktionelle Therapie
evtl. Tape - Verband)
kompletter Bandabriss /
multidirektionale Instabilität
Sonderform: „Stener - Defekt”
MP - I - Gelenkluxationen
⇒ Operation
partieller Bandabriss
⊡ Abb. 23.17 Strukturiertes
23 Vorgehen (»clinical pathway«) bei
der Versorgung von Distorsionen
mit dorsaler Extension ohne dorsale Extension
⇒ Operation unidirektionale Instabilität im Bereich des (ulnaren) Kollate-
⇒ Konservativ ralbandkomplexes. (Aus Schmit-
(Immobilisation für 4 Wochen) Neuerburg et al. 2001)
23.1 · Allgemeines
557 23
des PIP-Gelenks und des MP-Gelenks werden operativ versorgt 23.1.7 Therapie
( Absolute und relative Operationsindikationen bei Kapsel-Band-Ver-
letzungen im PIP-Gelenk-Bereich). Postoperativ erfolgt eine Ruhigstel- Konservative Therapie
lung (palmare Schiene in Intrinsic-plus-Stellung) für 2–3 Wochen, Daumen
gefolgt von einer funktionellen Weiterbehandlung. Eine Belastung Patienten mit schmerzhaftem MP-I-Gelenk ohne ligamentäre In-
ist Ende der 4. Woche möglich. stabilität (Grad 1) werden der frühfunktionellen Behandlung zu-
Versteifungen des DIP-Gelenks stellen eine für die Hand- geführt. Ein zusätzlicher Tape-Verband kann je nach Schmerz und
funktion akzeptable Methode zur Behandlung fortgeschrit- Schwellung angelegt werden.
tener Gelenkzerstörungen dar. Aufgrund der Größenverhält- Der Daumen mit unidirektionaler Instabilität ohne Läsion
nisse der Gelenkflächen bedarf es einer exakten chirurgischen im Bereich der dorsalen Kapselanteile (ausgedehntes Hämatom,
Technik. dorsaler Druckschmerz) wird für 2–3 Wochen in einer Daumen-
Im DIP-Gelenk-Bereich soll ein Versteifungswinkel von 0–20° orthese (⊡ Abb. 23.18a) oder einem Steigbügelgips (⊡ Abb. 23.18b)
angestrebt werden. Am Zeige- und Mittelfinger kann zusätzlich ruhiggestellt. Dabei soll das Endgelenk frei beweglich bleiben, um
eine Supination von 5° den Fingerkuppenkontakt beim Spitzgriff weitere Verklebungen zu vermeiden.
erleichtern.
Finger
Partielle Rupturen des Kollateralbandkomplexes der Grundgelenke
Absolute und relative Operationsindikationen bei werden konservativ behandelt. In Abhängigkeit von den Schmer-
Kapsel-Band-Verletzungen im PIP-Gelenk-Bereich zen und der Lokalisation (Zeigefinger und Kleinfinger vs. Mittel-
Absolute Indikation zur Operation mit knöcherner und Ringfinger) kann entweder eine frühfunktionelle Behandlung
Verletzung im PIP im Syndaktylieverband oder eine Ruhigstellung (palmare Schiene
1. Kleine oder größere knöcherne Ausrisse mit Verdrehung und in Intrinsic-plus-Stellung) für 1–2 Wochen erfolgen, gefolgt von
massiver Überstreckbarkeit einer funktionellen Weiterbehandlung. Eine Belastung ist Ende der
2. Knöcherne Traktusruptur mit Streckausfall im Mittelgelenk 6. Woche möglich.
3. Bleibende Subluxation nach Reposition als Zeichen einer Partielle Rupturen der palmaren Kapsel oder wenig dislozierte
Interposition knöcherne Ausrisse der palmaren Ligamente werden konservativ
4. Veraltete knöcherne Bandausrisse mit Streckhemmung
5. Kombinierte knöcherne Kollateralband- und palmare
Bandausrisse
6. Typ III, IV, V nach Hintringer und Leixnering

Absolute Indikation zur Operation ohne knöcherne


Verletzung
1. Nicht reponierbare Luxation oder Subluxation als Zeichen
einer ligamentären Interposition
2. Überstreckbarkeit des Mittelgelenks bei zusätzlich angebo-
rener Überstreckbarkeit der gesunden Fingermittelgelenke
(Bandlaxizität). Dabei ist die »check-reins« proximal gerissen.
Hier führt die konservative Behandlung eventuell zu einer
Schwanenhalsdeformität
3. Veraltete Bandausrisse mit Streckhemmung
4. Kombinierte Kollateralband- und palmare Bandausrisse a

Relative Indikation zur Operation


1. Schmerzhafte Überstreckbarkeit im Mittelgelenk mit und
ohne knöcherne Beteiligung
2. Strecksehnenausfall ohne knöcherne Beteiligung

Distales Interphalangeal-(DIP-)Gelenk (Articulatio


interphalangea distalis)
Die Behandlung der ligamentären Verletzungen des DIP-(End-)
Gelenks ist in der Regel konservativ. Nur selten kommt es zu ei-
nem dislozierten knöchernen Kapsel-Band-Ausriss oder einem
knöchernen Ausriss der palmaren Platte. Nach Reposition der Lu-
xation durch Längszug wird bei geschlossenen Verletzungen eine b
Stack-Schiene angebracht, die für 3–4 Wochen getragen werden
sollte. Bei offenen Verletzungen kann die direkte Naht des Kapsel- ⊡ Abb. 23.18 Konservative Ruhigstellung bei Läsion des ulnaren Kollateral-
Band-Apparats mit resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 4/0 bandkomplexes im MP-I-Gelenk-Bereich. a Daumenorthese ohne Immobi-
erforderlich sein. Auch hiernach ist eine Ruhigstellung in einer lisierung des Handgelenks, b Steigbügelschiene. (Aus Schmit-Neuerburg et
Fingerschiene angezeigt. al. 2001)
558 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

behandelt. Hierfür eignen sich Schienen, die das Mittelgelenk in


Streckstellung ruhigstellen, damit die Anteile des eigentlichen und
des akzessorischen Kollateralbands entfaltet sind und diese nicht
miteinander verkleben können. In dieser Stellung wird der palmare
Rezessus durch die Beugesehnen entleert und der Schrumpfung
der palmaren Platte entgegengewirkt. Die Ruhigstellung sollte nur
das Mittelgelenk einschließen, um mögliche Adhäsionen des Trac-
tus laterales der Streckaponeurose zu vermeiden. Hierzu eignen
sich Stack-Mittelgelenkschienen, Capener-Schienen oder selbst
gefertigte Thermoplastschienen, die eine Überstreckung des Mit-
telgelenks verhindern. Die Ruhigstellungszeit sollte in der Regel
nicht länger als 2 Wochen betragen, und es sollte sich danach
eine funktionelle Nachbehandlung anschließen. Trotzdem können
Streckdefizite, Beugekontrakturen oder eine Schwanenhalsdefor-
mität als Residuen dieser Verletzung verbleiben. a b
Die Behandlung der ligamentären Verletzungen des DIP-(End-)
Gelenks ist in der Regel konservativ. Nach Reposition der Luxation
durch Längszug wird bei geschlossenen Verletzungen eine Stack-
Schiene angebracht, die für 3–4 Wochen getragen werden sollte.

Operative Therapie
Daumen
> Die operative Versorgung der frischen Läsionen muss inner-
halb der ersten 10 bis maximal 15 Tage nach Trauma erfol-
gen, um das Risiko einer späteren chronischen Instabilität zu
vermeiden.
c
Patienten mit einer unidirektionalen Instabilität mit Extensions-
läsion im Bereich der dorsalen Kapselanteile und Patienten mit
multidirektionaler Instabilität müssen der operativen Versorgung
zugeführt werden.
Der Stener-Defekt stellt eine Sonderform der multidirektio- d
nalen Instabilität dar: Bei einer kompletten Bandruptur kann der
proximale Bandanteil durch Retraktion auf dem Strecksehnen- ⊡ Abb. 23.19 Operative Versorgung knöcherner ulnarer Bandrisse mit Lenge-
häubchen des Daumens (Sehnenplatte des M. adductor pollicis) mann-Drahtnaht. a Röntgenologischer Aspekt präoperativ, b postoperativer
zu liegen kommen. Dies verhindert nun eine spontane Vernarbung röntgenologischer Aspekt, c postoperativer klinischer Aspekt, d röntgenologi-
und liegt zwischen den beiden Anteilen des Ligaments, auch wenn scher Aspekt nach Materialentfernung; Versorgung mit Metallanker möglich.
der Daumen sachgerecht immobilisiert wird. Nur eine operative (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Therapie kann beide Bandanteile unter dem Strecksehnenhäub-
chen vereinigen. Die operative Versorgung der frischen Läsionen
muss innerhalb der ersten 10 bis maximal 15 Tage nach Trauma angelegt, entfernt und ab sofort mit krankengymnastischen Bewe-
erfolgen, um das Risiko einer späteren chronischen Instabilität zu gungsübungen begonnen werden (⊡ Abb. 23.19).
vermeiden. Bei sehr großen knöchernen Fragmenten hat sich eine Osteo-
Die Wahl der Operationstechnik für die primäre Versorgung synthese mit Minischrauben bewährt.
von Läsionen des ulnaren Kollateralbandkomplexes ist abhängig Die Verwendung einer zusätzlichen temporären Kirschner-
von der Art der Läsion: Draht-Arthrodese im Bereich des Daumengrundgelenks nach
Rein ligamentäre Läsionen ohne knöcherne Beteiligung wer- Bandnaht oder Anwendung der Drahtnaht wird von uns nicht
den durch direkte Bandnaht versorgt. Bei knöchernen Bandaus- empfohlen, da es zur zusätzlichen Knorpeldestruktion des bereits
rissen entscheidet die Größe des knöchernen Fragments über verletzten Gelenks kommt. Außerdem führt eine äußere Fixation
das weitere Vorgehen. Sehr kleine Fragmente werden reseziert. im Sinne eines Daumengipses oder Steigbügelgipses zu einer aus-
Die Refixierung des Bandes erfolgt am knöchern ausgerissenen reichenden Ruhigstellung des versorgten Bandapparats, sodass von
Band durch Reinsertion des Bandes in eine mit dem Meißel aus- einer zusätzlichen temporären Arthrodese mit Draht abgesehen
gehobene Knochenlamelle. Mithilfe eines Knochenankers oder werden kann.
einer Lengemann-Naht wird das Band am Knochen fixiert, zu- Eine Operation am Daumengrundgelenk ist auch bei Kom-
sätzlich über eine Band-Periost-Naht. Bei den mittelgroßen Frag- binationsverletzungen mit Zerreißung des Seitenbandes und bei
menten wird vorzugsweise mithilfe einer Lengemann-Ausziehnaht Durchtrennung der dicken Faserknorpelplatte palmar indiziert.
das Band refixiert . Nach wiederholten Verbandswechseln und Kommt es zu einer dorsalen Luxation des Daumengrundgelenks,
Wundkontrollen kann der Gipsverband schließlich nach 3 Wochen gelingt die geschlossene Reposition in den meisten Fällen nicht.
23 entfernt werden. Ab diesem Zeitpunkt wird mit selbstständigen Die in das Gelenk eingeschlagene Knorpelplatte stellt ein Hinder-
krankengymnastischen Bewegungsübungen begonnen, wobei eine nis dar. Außerdem wird das Mittelhandköpfchen von Weichteilen
Abduktion oder Adduktion des Daumens vermieden werden sollte. umschlungen und in der Luxationsstellung fixiert, sodass eine of-
Nach Ablauf von 6 Wochen kann die Lengemann-Drahtnaht, falls fene Reposition erforderlich ist. Es kann auch zu einem Abriss der
23.1 · Allgemeines
559 23
kräftigen Faserknorpelplatte an der Beugeseite des Grundgliedes Bruner-Inzision die Darstellung der Bandstümpfe und die anato-
und auch zur Zerreißung des M. flexor pollicis brevis im Sesamoid mische Rekonstruktion mit U-Nähten (⊡ Abb. 23.21). Nach post-
oder im Band zwischen Sesamoid und Grundphalanx kommen. operativer Immobilisation auf einer palmaren Schiene für 1–2 Wo-
Diese Verletzung muss wegen der Stabilität des Grundgelenks chen sollte nach Abschluss der Wundheilung eine handspezifische
ebenso operativ versorgt werden. Bei Frakturen am Sesambein krankengymnastische Bewegungstherapie folgen.
können diese reseziert und die palmare Platte durch Naht versorgt
werden. z Palmare Kapsel-Band-Läsionen am PIP
Im Unterschied zu ulnaren Seitenbandverletzungen, die auch bei
Finger Stressaufnahmen dargestellt und dokumentiert werden können
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk (Articulatio und einer operativen Versorgung zugeführt werden müssen, wird
metacarpophalangea) die Versorgung der Verletzung am Mittelgelenk der Finger nicht
Bei komplexer Bandinstabilität, bei offener Luxation und größeren immer einheitlich beurteilt. Verletzungen der Kapsel-Band-Appa-
Abrissfragmenten besteht die Indikation zur Operation. rate am Mittelgelenk können zum großen Teil mit Ruhigstellung
Die dorsale Luxation im Grundgelenk des Fingers ist sehr sel- oder auch funktioneller Therapie behandelt werden.
ten. Hier zerreißen die Fibrocartilargo palmaris und evtl. auch die Partielle Rupturen der palmaren Kapsel oder wenig dislozierte
Seitenbänder. Das Grundglied ist über dem dorsalen Teil des Me- knöcherne Ausrisse der palmaren Ligamente werden konservativ
takarpalköpfchens disloziert. Der Finger ist deformiert und weist behandelt. Schienen, die das Mittelgelenk in Streckstellung ru-
eine ulnare Rotation und Deviation auf. Er ist im Grundgelenk higstellen, damit die Anteile des eigentlichen und des akzessori-
federnd fixiert und nach dorsal überstreckt, wobei das Mittel- und schen Kollateralbands entfaltet sind und diese nicht miteinander
Endgelenk in Beugestellung stehen. In der Hohlhand tritt das Köpf- verkleben können, eignen sich hierfür. In dieser Stellung wird
chen des Mittelhandknochens direkt unter der Haut hervor. Das der palmare Rezessus durch die Beugesehnen entleert und der
Metakarpalköpfchen springt wie durch ein Knopfloch nach palmar Schrumpfung der palmaren Platte entgegengewirkt. Die Ruhigstel-
vor und ist dann von Gebilden der Hohlhand umgeben. (Am Zei- lung sollte nur das Mittelgelenk einschließen, um mögliche Adhä-
gefingergrundgelenk liegt radial das Gefäß-Nerven-Bündel, ulnar sionen des Tractus laterales der Streckaponeurose zu vermeiden.
die Beugesehne, peripher die Fibrocartilago und zentral die Pars Hierzu eignen sich Stack-Mittelgelenkschienen, Capener-Schienen
transversa der Hohlhandaponeurose). Die geschlossene Reposition oder selbst gefertigte Thermoplastschienen, die eine Überstre-
bei kompletter Luxation der dreigliedrigen Finger im MP-Gelenk ckung des Mittelgelenks verhindern. Die Ruhigstellungszeit sollte
gelingt gewöhnlich nicht. Repositionshindernisse ergeben sich im in der Regel nicht länger als 2 Wochen betragen, und es sollte sich
Wesentlichen aus der Interposition von zerrissenen Seitenbändern danach eine funktionelle Nachbehandlung anschließen. Trotzdem
mit und ohne Knorpel-Knochen-Verletzung und der Interposition können Streckdefizite, Beugekontrakturen oder eine Schwanen-
von Faser-Knorpel-Platte und Beugesehnen. Auch der dorsale An- halsdeformität als Residuen dieser Verletzung verbleiben.
teil der Gelenkkapsel kann in die Dorsalaponeurose des Grundge- Bei komplexer Bandinstabilität, bei offener Luxation und grö-
lenks interponiert sein und die Reposition behindern. Die Beuge- ßeren Abrissfragmenten sowie bleibender Subluxation nach Repo-
sehne und die Lumbricalis verhindern oft eine Reposition, da das sition besteht die Indikation zur Operation. Bei Abriss der palma-
Mittelhandköpfchen durch diese Sehnen wie durch ein Knopfloch ren Platte im PIP wird, falls erforderlich, zur Wiederherstellung
hindurchragt. Eine Reposition gelingt dann nur operativ. nach einem palmaren Zugang nach Bruner oder einem mediolate-
Die offene Reposition muss dann palmarseitig evtl. durch Ein- ralen Zugang die palmare Platte U-förmig mit einer resorbierbaren
kerbung der Bänder und Ligamente erfolgen (⊡ Abb. 23.20). Naht gefasst und transossär streckseitig im sehnenfreien Dreieck
Jede Fingerverrenkung, die sich nicht leicht konservativ be- mit einer Bunnell-Nadel ausgeleitet (⊡ Abb. 23.22). Wann immer
seitigen lässt, die nach Reposition nicht in normaler anatomischer möglich, sollte auf eine temporäre Bohrdrahtarthrodese des Mit-
Stellung bleibt oder auch nach Repositionsversuch im Röntgenbild telgelenks verzichtet werden, um den Gelenkknorpel zu schonen.
eine Subluxation zeigt, muss operativ versorgt werden. Die Prü- Nach postoperativer Immobilisation auf einer palmaren Schiene
fung der Seitenbandstabilität erfolgt in gebeugtem Grundgelenk. sollte nach Abschluss der Wundheilung eine handspezifische kran-
Bei Abriss des Lig. collaterale entweder von der Basis der Grund- kengymnastische Bewegungstherapie folgen.
phalanx oder vom Caput des Os metacarpale erfolgt die dorsale
bogenförmige Umschneidung des Grundgelenks streckseitig. Nach z Verletzungen des Tractus intermedius der Streckaponeurose
Durchtrennung der Pars transversa der Lamina intertendinea su- Unverschobene knöcherne Ausrisse des Mittelzügels werden, wie
perficialis erfolgt die periostale Refixation des Bandes evtl. auch auch gedeckte Rupturen, konservativ mit der bereits erwähnten
mit Metallanker. Die Ruhigstellung in der Intrinsic-plus-Stellung Mittelgelenkschiene, die 6 Wochen getragen werden sollte, behan-
sollte für 3 Wochen erfolgen und danach sollte sich eine funktio- delt. Voraussetzung ist allerdings, dass das Mittelgelenk nach passi-
nelle Weiterbehandlung anschließen. ver Streckung in dieser Position gehalten werden kann. Der Tractus
lateralis zieht bei der aktiven Streckung im Endgelenk die gesamte
Proximales Interphalangeal-(PIP-)Gelenk Streckaponeurose nach peripher und wirkt so der Fragmentdis-
z Kollateralbandrupturen am PIP lokation entgegen. Bei kompletten Rupturen erfolgt die operative
Bei partieller Ruptur – d. h. einer Instabilität in nur einer Ebene Versorgung mit direkten feinen U-Nähten, um der Entstehung
– besteht die Indikation zur frühfunktionellen konservativen Be- einer Knopfloch- oder Boutonière-Deformität zu entgegnen.
handlung im Syndaktylieverband. Knöcherne Ausrisse des Mittelzügels mit Dislokation von mehr
Da es bei der kompletten Ruptur auch zu einem Einschla- als 1 mm, Typ II nach Rappold und Mondl (1997), müssen ope-
gen der Bandstümpfe zwischen dem Lig. retinaculare obliquum rativ refixiert werden. Methodisch kommen dabei die transossäre
(Landsmeer) und dem Tractus intermedius Pars lateralis kommen Reinsertion, Minischrauben, Mitek-Anker oder Bohrdrahtosteo-
kann, ist nicht mehr mit einer genügenden Stabilität bei nur kon- synthese infrage. Nicht immer kann dabei auf eine temporäre
servativer Behandlung zu rechnen. Es empfiehlt sich über eine Bohrdrahtarthrodese der Stärke 1,0 mm verzichtet werden. Bei
560 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

a b c

d
e

f g

23 h

⊡ Abb. 23.20 Klinischer, röntgenologischer und intraoperativer Befund und Funktion nach irreponibler Luxation im Fingergrundgelenk. (Aus Schmit-Neuer-
burg et al. 2001)
23.1 · Allgemeines
561 23

⊡ Abb. 23.21 Luxation des Kleinfingers im Mittelgelenk nach ulnar mit Zerreißung des Kollateralbandes. a Klinischer Aspekt präoperativ, b »gehaltene Rönt-
genaufnahme in d. p. Strahlengang, c intraoperativer Aspekt nach Darstellung der Strukturen, d intraoperativer Aspekt nach Naht des Kapselapparates. (Aus
Schmit-Neuerburg et al. 2001)

4–6 Wochen. Danach schließt sich eine intensive, handspezifische


krankengymnastische Bewegungstherapie an ( Kap. 5).

Distales Interphalangeal-(DIP-)Gelenk (Articulatio interpha-


langeadistalis)
Die operative Behandlung der ligamentären Verletzungen des DIP-
(End-)Gelenks ist eine Ausnahme. Nur selten kommt es zu einem
dislozierten knöchernen Kapsel-Band-Ausriss oder einem knö-
chernen Ausriss der palmaren Platte. Bei offenen Verletzungen
kann die direkte Naht des Kapsel-Band-Apparats mit resorbierba-
rem Nahtmaterial der Stärke 4/0 erforderlich sein. Auch hiernach
ist eine Ruhigstellung in einer Fingerschiene (nach Abschwellung
⊡ Abb. 23.22 Knöcherner Ausriss der palmaren Platte am Mittelgelenk: hat sich die Stack-Schiene bewährt) angezeigt.
Schema der operativen Versorgung bei Instabilität und drohender Luxation. Allgemeine Indikationen für Gelenkarthrodesen gelten auch
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) für den Fingerbereich. Hierzu zählen Schmerzen, Instabilität, Ver-
lust von gelenkübergreifenden Bändern, Muskeln und Sehnen und
vorausgegangene erfolglose gelenkerhaltende Operationen.
Defektverletzungen des Tractus intermedius muss dieser primär Spezielle Indikationen für den Handbereich sind:
rekonstruiert werden. Eine Möglichkeit der Rekonstruktion stellt ▬ posttraumatische Gelenkzerstörungen und Arthrosen,
die Umkippplastik nach Snow (1976) dar, bei der ein distal gestiel- ▬ mutilierende Arthritiden des rheumatischen Formenkreises,
ter Sehnenstreifen aus der Streckaponeurose verwandt wird, um Verbrennungskontrakturen,
den Defekt zu überbrücken. Auch eine Plastik nach Hellmann zeigt ▬ Zustände nach schweren Infektionen,
gute Ergebnisse. Die Ruhigstellung erfolgt zunächst in Intrinsic- ▬ ausgeprägte oder rezidivierende Dupuytren-Kontrakturen sowie
plus-Stellung, später mit einer Mittelgelenkschiene für insgesamt ▬ Paresen peripherer Nerven.
562 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.23 Richtgrößen für die


Arthrodesestellungen im Handbe-
reich a Finger, b Daumen: Ansicht
von palmar, c Daumen: Ansicht von
dorsal. (Aus Schmit-Neuerburg et
a b c al. 2001)

Richtgrößen für die Arthrodesestellungen im Handbereich finden Diese sind vor allem bei der Behandlung der PIP-Gelenk-Verlet-
sich in ⊡ Abb. 23.23. zungen großzügig einzusetzen, um die oft auftretende Beugekon-
traktur im PIP-Gelenk zu vermeiden.
Weiterbehandlung
Nur durch das Zusammenspiel von Operateur, Therapeut und Pa-
tient in einem Team ist ein gutes funktionelles Ergebnis erreichbar. 23.1.8 Besonderheit im Wachstumsalter
In Abhängigkeit von der Rekonstruktionstechnik und des fest-
gelegten Procederes beginnt eine frühzeitige Krankengymnastik Die Gelenkverletzungen im Wachstumsalter betreffen sehr häufig
mit aktiven Bewegungsübungen aus der Schiene heraus. Passive die Epiphyse, sodass hier nach Möglichkeit die genaueste Rekon-
Bewegungsübungen, im Schutz der Osteosynthese, können die struktion des Gelenks und der Epiphyse erfolgen muss. Allerdings
benachbarten Gelenke mit einschließen. Bei protrahierten post- sind Kapsel-Band-Ausrisse im Kindesalter selten. Häufiger sind
operativen Schwellungszuständen ist der frühzeitige Einsatz von Epiphysiolyse und Frakturen nach Aitken, die durch Osteosyn-
Lymphdrainagen indiziert. Selbstverständlich sollte auf eine aus- thesen, vornehmlich Kirschner-Drähte, versorgt werden müssen.
reichende postoperative Analgesie geachtet werden. Bei schweren Auch die seltenen knöchernen Bandausrisse werden mit Kirschner-
komplexen Handverletzungen hat sich die Anlage eines Plexuska- Drähten wiederhergestellt und durch äußere Fixation wie Gips für
theters bewährt. Damit erzielt man die beste Prophylaxe, um der eine angemessene Zeit ruhiggestellt. Nach knöchernem Anheilen
Entstehung des regionalen Schmerzsyndroms (Morbus Sudeck, der Fragmente können die Kirschner-Drähte nach 3–6 Wochen (je
Algodystrophie oder sympathische Reflexdystrophie) zu begegnen. nach Alter des Verletzten) entfernt werden.
Nach der Hautfadenentfernung ergibt sich die Möglichkeit der Be-
wegungstherapie im Handbad und Paraffinbecken.
23.1.9 Prognose
> Die Rolle der Handtherapeuten ist bei der Handrehabilitation
nicht zu unterschätzen ( Kap. 15).
Als wichtiger Fakt für die Prognose der Kapsel-Band-Verletzungen
Eine Narbenbehandlung mit Massagen, Ultraschall, Druckverband der Fingergelenke konnte übereinstimmend mit der Literatur das
und speziellen Narbenauflagen aus Silikon kann einer schmerz- Verletzungsalter bestätigt werden, wobei bei zunehmendem Alter
haften Narbenkontraktur entgegenwirken und die Narbenbildung der Verletzung eine ungünstige Prognose hinsichtlich der Funktion
positiv beeinflussen. Kälteanwendung zur Schmerzreduktion, ma- und Beschwerdefreiheit gestellt werden muss.
nualtherapeutische Übungen zum Lösen von arthrogenen Kon- Nach Moutet und Mitarbeitern (1989) können die Therapie-
trakturen, das Wiedererlernen der Muskel- und Sehnenfunktionen, ergebnisse von Distorsionen im MP-I-Gelenk aufgrund folgender
Lymphdrainagen und Kompressionsbehandlung, PFN (proprio- Kriterien bewertet werden (⊡ Tab. 23.2):
zeptive neuromuskuläre Fasziliation) sowie ergotherapeutische ▬ Schmerzen,
23 Maßnahmen sind individuell nach dem Verletzungsmuster ein- ▬ Stabilität,
zusetzen. ▬ aktive und passive Beweglichkeit des MP-I-Gelenks,
Auch stellt der Einsatz von statischen und dynamischen Schie- ▬ Oppositionsfähigkeit des 1. Strahls und
nen in der Nachbehandlungsphase ein wichtiges Hilfsmittel dar. ▬ Kraft bei Pinch-Griff.
23.2 · Spezielle Techniken
563 23

⊡ Tab. 23.2 Bewertungskriterien und Klassifikation der Ergebnisse nach konservativer und operativer Therapie bei Distorsionen im Bereich des ulnaren
Kollateralbandkomplexes. (Nach Moutet et al. 1989)

Bewertungskriterium Sehr gut Gut Mäßig Schlecht

Schmerzen – – – +

Stabilität + + + –

Beweglichkeit – –10–15% –20–30%

Kraft beim Pinch-Griff + + + –

Ein sehr gutes Ergebnis liegt vor bei einem schmerzfreien Daumen Sodann wird mit einem 1,0-Kirschner-Draht ein schräg-transver-
mit normaler Funktion und Stabilität. saler Kanal zur Gegenseite der Kortikalis geschaffen, danach wird
Als gutes Ergebnis wird ein schmerzfreier Daumen mit guter die Lengemann-Drahtnaht so angelegt, dass der Y-Schenkel des
Stabilität, aber einer Bewegungseinschränkung von 10–15% defi- abgerissenen Bandes in die angehobene Knochenlamelle hinein-
niert. zieht. Dabei muss darauf geachtet werden, dass genügend Abstand
Bei einem mäßigen Ergebnis liegt ein schmerzfreier Dau- zwischen dem Y-Schenkel und dem distalen Ende des Bandes
men mit guter Stabilität, aber einer Bewegungseinschränkung von bestehen bleibt. Durch Gegenzug des Drahtes kann der Y-Haken
20–30% vor. das Band in die eingeschlagene Lamelle hineinziehen, wobei der
Ein schmerzhafter und/oder instabiler Daumen wird als distale Teil des Drahtes nach Anbringen der Unterlegscheibe und
schlechtes Ergebnis bezeichnet. der Bleiplombe über der Haut fixiert werden kann. Durch zusätz-
Die meisten Patienten (98%) können ihre ursprüngliche Ar- liche einzelne Nähte des Bandes mit dem Periost ergibt sich wei-
beit wieder aufnehmen. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit beträgt tere Stabilität (⊡ Abb. 23.24c). Bei Abriss des Kollateralbandes sehr
weniger als 6 Wochen für etwa 50%, 6–12 Wochen für 42% und nah oder direkt am Knochen (Basis des Grundgliedes) können
12 Wochen für 8% der Patienten. auch mit einem intraossär angebrachten Anker die Bänder wieder
reinseriert werden, wobei je nach Möglichkeit mit Meisel eine
Einkerbung in diesem Bereich angebracht wird, um die Bänder an
23.2 Spezielle Techniken den Knochen heranzuführen. Eine Ruhigstellung ist für 3 Wochen
erforderlich.
23.2.1 Technik der operativen Versorgung Bei kleineren knöchernen Fragmenten, die nicht refixiert wer-
der akuten Verletzung des ulnaren den können, wird das knöcherne Fragment von dem distalen
Kollateralbandapparates am ausgerissenen Band entfernt und, ähnlich wie bei den ulnaren
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk Abrissverletzungen, der Bandapparat refixiert.
des Daumens Bei größeren knöchernen Fragmenten können diese mit ei-
ner Minizugschraube von 1,0–1,5 mm Stärke versorgt werden
Bei knöchernen und ligamentären Verletzungen des ulnaren Sei- (⊡ Abb. 23.24d) oder nach Fixation des knöchernen Fragments an
tenbandes wird ein leicht gebogener Längsschnitt ulnarseitig über der ausgerissenen Stelle wird dieses mit einem Zahnarzthäkchen
dem Grundgelenk angelegt (⊡ Abb. 23.24a). Bei Rissen des radialen festgehalten und mit einem 1,0-Kirschner-Draht ein Kanal über
Bandapparats wird der Schnitt in der verlängerten Hautfalte des dem Fragment bis zur Gegenkortikalis angebracht und schließlich
Daumengrundgelenks radialseitig angelegt. die Lengemann-Drahtnaht so angelegt, dass der Y-Haken über
Bei der Präparation ulnarseitig wird auf exakte Darstellung dem knöchernen Fragment zu liegen kommt. Durch Gegenzug an
und Schonung des N. digitalis dorsalis, Hauptast des N. radialis, der Gegenkortikalis und Anbringen der Unterlegscheibe kann der
geachtet (⊡ Abb. 23.24a,b); Darstellung der Adduktoraponeurose Draht mit einer Bleiplombe fixiert werden. Bei Verwendung der
bzw. Adduktorsehnenplatte. Diese wird mit der Präparationsschere Lengemann-Drahtnaht kann auch zur Vermeidung eines Weich-
unterfahren und quer zur Faserrichtung eingeschnitten und mit teilschadens und für eine sehr stabile Fixation eine Distanzhülse
Haltefäden zur Seite gehalten. Man findet dann in der Regel distal eingesetzt werden.
abgerissenes Seitenband, das nach proximal umgeschlagen und Die Verwendung einer zusätzlichen temporären Pinarthrodese
unter der Adduktoraponeurose retrahiert ist (durch diese Tatsache im Bereich des Daumengrundgelenks nach Bandnaht oder Anwen-
werden die Misserfolge nach der konservativen Behandlung inter- dung der Lengemann-Drahtnaht wird von uns nicht empfohlen,
ligamentärer Bandrupturen erklärt) (⊡ Abb. 23.24b). da es zur zusätzlichen Knorpeldestruktion des bereits verletzten
Die Wahl der Operationstechnik für die primäre Versorgung Gelenks kommt.
von Läsionen des ulnaren Kollateralbandkomplexes ist abhängig Nach Versorgung der Bandverletzung erfolgt der schichtweise
von der Art der Läsion. Wundverschluss mit Naht der Gelenkkapsel und schließlich der
Bei interligamentären Rupturen werden adaptierende U-Nähte Adduktorsehnenplatte (⊡ Abb. 23.24e) mit 4/0 monofilem Faden in
mit 4/0 monofilem resorbierbarem Faden durchgeführt. Bei Ab- U-Naht-Technik.
riss des Bandes vom Knochen erfolgt eine transossäre Fixation Nach Öffnen der Blutleere und Blutstillung erfolgt nochmalige
mittels Ausziehdraht von Lengemann. Hierbei wird zunächst an Kontrolle auf wiederhergestellte Stabilität und Unversehrtheit des
der ausgerissenen Stelle am Knochen mit einem feinen Meißel dorsalen Nerven, Hautnaht, steriler Verband, intraoperative Rönt-
an der Grenze zum Gelenk eine Knochenlamelle angehoben. genkontrolle, falls Draht oder Schraube zur Anwendung gekom-
564 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.24 Technik der operativen Versorgung der akuten Verletzung des
ulnaren Kollateralbandkomplexes am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des
Daumens. a Planung des Hautschnitts, b Darstellung und Anschlingen des
N. digitalis dorsalis und der Lamina intertendinea (»Adduktorsehnenplatte«).
Bei einer kompletten Bandruptur kann der proximale Bandanteil durch Re-
traktion auf dem Strecksehnenhäubchen des Daumens (Sehnenplatte des
M. adductor pollicis) zu liegen kommen. Diese verhindert nun eine spontane
Vernarbung und liegt zwischen den beiden Anteilen des Ligamentum, auch
wenn der Daumen sachgerecht immobilisiert wird (»Stener-Defekt«). c Darstel-
lung des Seitenbandes nach Durchtrennung der Lamina intertendinea und der
Gelenkkapsel, d Möglichkeiten der chirurgischen Versorgung von Läsionen des
ulnaren Kollateralbandkomplexes in Abhängigkeit von der Läsionsart, d1 interli-
gamentäre Läsion: einfache U-Nähte, d2 knöcherne und knochennahe Ausrisse:
Lengemann-Ausziehnaht, d3 ossäre Ausrisse mit großen Fragmenten: Mini-
schraubenosteosynthese, e Rekonstruktion der Gelenkkapsel, f Rekonstruktion
a der Lamina intertendinea (»Adduktorsehnenplatte«). (Aus Haussmann 1991)

b
c

e
23
f
23.2 · Spezielle Techniken
565 23
men sind, Ruhigstellung in einem Handgips oder Steigbügelgips
für insgesamt 3 Wochen, wobei das Endgelenk zu aktiven Bewe-
gungsübungen freigelassen wird (⊡ Abb. 23.18a,b). Unabhängig von
der gewählten Therapieart (konservativ vs. operativ) sollten alle
Patienten informiert werden, dass eine Bewegungseinschränkung
für mindestens 4–6 Wochen vorhanden ist. Körperliche Schwerar-
beit sollte erst nach Ablauf von 3 Monaten durchgeführt werden.
Geringe bis mäßige Beschwerden (Kälteempfindlichkeit, Wetter-
fühligkeit) halten bis zu 6 Monate an.

23.2.2 Technik der operativen Versorgung


der akuten Verletzung des radialen
Kollateralbandapparates am a
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk
des Daumens

Bei der radialen Kollateralbandverletzung des Daumengrund-


gelenks wird der Schnitt radialseitig angelegt, der radiale dor-
sale Hautnerv (N1d) dargestellt und zur Seite gehalten und die
Abduktorsehne zwischen Haltefäden durchtrennt. Die weitere
Vorgehensweise ist wie bei der ulnaren Seitenbandverletzung des
Daumens.

23.2.3 Technik der operativen Versorgung der


akuten Verletzung der palmaren Bänder
am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des
Daumens

Radialer seitlicher Schnitt am Thenar, schräg verlaufend, von der


Grundgelenkbeugefalte bis zum Grundglied (⊡ Abb. 23.26a), offene
b
Reposition und U-Nähte des Bandes. Bei Frakturen des Sesam-
beins können diese mit Drahtnaht versorgt werden oder durch
transossäre Naht wiederhergestellt werden.
Bei der primären Bandnaht soll eine postoperative Ruhigstel-
⊡ Abb. 23.25 Technik der operativen Versorgung der veralteten Verletzung
lung für 3 Wochen und bei der sekundären Bandrekonstruktion
(chronischen Instabilität) des ulnaren Kollateralbandapparates am Metakar-
postoperativ eine Ruhigstellung von 4 Wochen in der oben be-
pophalangeal-(MP-)Gelenk des Daumens mit einem Palmaris-longus-Sehnen-
schriebenen Gipsschiene bzw. Orthese erfolgen. Transplantat. a Die proximalen Bandreste werden mobilisiert, flächenhaft
unter Erhaltung des Bandursprunges ausgedünnt und nach proximal umge-
schlagen. Anschließend Anlage eines schräg nach radial-proximal verlaufen-
23.2.4 Technik der operativen Versorgung der ver- den 2,5 mm weiten Bohrkanals. Danach Freipräparation der ulnaren palmaren
alteten Verletzung (chronischen Instabilität) Basiskante der Grundphalanx, durch die ein gewinkelter, dorsopalmarer,
des ulnaren Kollateralbandapparates am 2,5 mm weiter Bohrkanal angelegt wird (aus Pechlaner u. Sailer 1990). b Das
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk des Sehnentransplantat wird durch die Bohrkanäle gezogen und in Adduktions-
Daumens stellung des Daumengrundgelenks unter mäßiger Spannung aneinander ge-
näht. Der proximale Bandrest wird auf die Transplantatschlinge aufgenäht. Die
beiden Schenkel des Transplantats werden ebenfalls miteinander vernäht.
Der Zugang erfolgt in gleicher Weise wie bei frischen Verletzungen
am Daumengrundgelenk.
Nach Darstellung des Knochens werden Bohrkanäle durch das
Mittelhandköpfchen und die Basis des Daumengrundgliedes mit
dem 2,0- bis 2,7-mm-Bohrer angelegt (⊡ Abb. 23.25). Die Palmaris- 23.2.5 Technik der Bandersatzplastik bei palmarer
sehne wird mit einem Sehnenstripper gestrippt und mit dem Skal- Instabilität des Metakarpophalangeal-I-
pell durch einen Längsschnitt in einer Dicke von etwa 2 mm ausge- (MP-I-)Gelenks nach Pechlaner
dünnt. Durch diese Bohrkanäle wird das freie Sehnentransplantat
durchgezogen und über dem Gelenk gekreuzt angesetzt und ange- Der Hautschnitt verläuft von ulnar nach radial quer über die
näht. Ein zusätzlicher freier Sehnentransplantatzügel streckseitig Grundphalanx. Zur besseren Exposition kann er in der Mediola-
verstärkt die dorsale Stabilität. Die Sehnentransplantate werden terallinie auf den Thenar verlängert werden (⊡ Abb. 23.25a). Nach
in sich mit Einzelknopfnähten gesichert. Anschließend wird ein Präparation und Anschlingen der beiden palmaren Gefäß-Nerven-
Steigbügelgips für 4 Wochen angelegt. Falls keine Palmarissehne Bündel, wird der M. flexor pollicis brevis mit seinem Ansatz am
vorhanden ist, können Teile des Extensor digiti minimi oder der radialen Sesambein aufgesucht. Das radiale Sesambeim wird nach
Plantarissehne herangezogen werden. distal und lateral aus dem palmaren Bandapparat und der Kapsel
566 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.26 Technik der Bandersatzplastik bei palmarer Instabilität


des Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenks nach Pechlaner. a Hautschnitt,
b Präparation von Spender- und Empfängergebiet, c intraoperativer Aspekt
nach Transposition und Fixierung des radialen Sesambeins mit dem Caput
profundum M. flexor pollicis brevis. (Aus Pechlaner u. Sailer 1990)

b c

herausgelöst. Die Insertion des Caput profundum des M. flexor pollcis brevis fest vernäht. Durch diese Tenodese wird eine Hyper-
pollicis brevis muss erhalten bleiben. Nun muss durch Zug an dem extension des MP-Gelenks verhindert und die aktive Stabilisierung
Muskel sichergestellt werden, dass alle Bandanteile ausreichend ge- in Streckstellung entlastet (⊡ Abb. 23.26c).
löst wurden. Die Knorpeloberfläche des radialen Sesambeins wird Postoperativ erfolgt eine Ruhigstellung für 4 Wochen. Eine
mit einem feinen Luer angefrischt. Danach wird ein Bohrkanal für Materialentfernung ist im Regelfall nicht notwendig.
eine Minischraube (1,5 mm) angelegt. Zur Vorbereitung des neuen
Ansatzgebietes wird die Sehne des M. flexor pollicis longus von ra-
dial her von der Unterfläche des Daumengrundgliedes abpräpariert 23.2.6 Technik der Arthrodese im
und nach ulnar weggehalten. Im Bereich der Grundgliedbasis wird Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenk mit
nun eine dem Sesambein an Größe entsprechende Mulde angefer- Cerclage und querem Kirschner-Draht
tigt, an deren tiefstem Punkt ein Bohrloch für die Zugschraubenos-
teosynthese angelegt wird (⊡ Abb. 23.26b). Das Sesambein wird mit Eine Versteifung des MP-I-Gelenks hat eine Verminderung der Op-
dem M. flexor pollicis brevis unter dem radialen Gefäß-Nerven- positionsfähigkeit des Daumens zur Folge sowie eine Aufhebung der
Bündel hindurchgeführt und an seinem neuen Ansatzort osteosyn- automatischen Pronation bei Oppositionsbewegungen. Am MP-I-
23 thetisch fixiert. Nach Überprüfung der palmaren Stabilität wird in Gelenk wird daher ein optimaler Arthrodesewinkel von 5–15° sowie
Streck- oder höchstens geringer Beugestellung des MP-Gelenks der eine Pronation von 10° zur Erleichterung des Spitzgriffs empfohlen.
sehnige Anteil des M. flexor pollicis brevis mit dem verbleibenden Der operative Zugang erfolgt von dorsal über einen bogenför-
palmaren Bandapparat und dem sehnigen Anteil des M. abductor migen Hautschnitt, dessen Scheitelpunkt sich radial auf Höhe des
23.2 · Spezielle Techniken
567 23

⊡ Abb. 23.27 Arthodese des MP-I-Gelenks.


a Planung des Hautschnitts, b Darstellung
und Spaltung des Strecksehnenapparates.
a b (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Gelenkspalts projiziert. Den dorsalen radialen und ulnaren Dau-


mennerven, die hier dicht unter der Haut verlaufen, muss bei der
Präparation auf das Gelenk äußerste Aufmerksamkeit geschenkt
werden. Der Streckapparat wird längs mit dem Skalpell durch-
trennt und die Gelenkkapsel durch forcierte Flexion dargestellt.
Diese wird quer inzidiert und die Gelenkflächen werden dargestellt
(⊡ Abb. 23.27).
Aufgrund der gleichzeitigen Einstellbarkeit einer Flexion und
einer Pronation hat sich als Präparationsmethode der Gelenk-
flächen im MP-I-Gelenk die sog. »Cup-and-Cone-Technik« be-
währt (⊡ Abb. 23.28). Der Gelenkknorpel wird zu beiden Seiten in
maximaler Flexion mit einer feinen Luer-Zange entfernt und die
Knochenenden so geformt, dass sie wie ein Kugelgelenk ineinander
passen. Für einen optimalen Formschluss kann auch eine Kno-
chenfräsung unter konsequenter Spülung verwendet werden.
Alternativ können auch mit osziellierender Säge die Gelenk-
flächen in entsprechendem Winkel wie oben angegeben analog zu
den Mittelgelenken reseziert werden.
Dann wird in das Metakarpale I von proximal orthrograd
ein zentraler Kirschner-Draht der Stärke 1,2 mm eingebracht, die
Knochenenden reponiert und der Kirschner-Draht nach proximal
a b c d in die Grundphalanx eingebohrt. Anschließend wird von proximal
noch ein 45° schräg verlaufender zweiter Kirschner-Draht (1,0–
⊡ Abb. 23.28 Cup-and-Cone-Technik zur optimalen Reposition der Gelenk- 1,2 mm) zur Sicherung der Rotation eingebracht (⊡ Abb. 23.28).
flächen. a Sparsame Gelenkresektion mit Erreichung einer Passform (»cup Hier ist 6-wöchige Ruhigstellung erforderlich.
and cone«), b orthrograde Einbringung eines axialen Kirschner-Drahtes im Bei glatter Gelenkflächenpräparation mit der oszillierenden
Bereich von Grund- und Endphalanx, Einstellung der Arthrodese und Säge ist die Einstellung der Pronation erfahrungsgemäß auch gut
Fixierung der Arthrodesestellung durch Vorbohren des Kirschner-Drahtes möglich (⊡ Abb. 23.30).
in das Metakarpale I; mithilfe eines zweiten queren Kirschner-Drahtes kann Ist zusätzlich eine Kompression im Arthrodesebereich ge-
die exakte Stellung temporär gehalten werden: Ansicht von dorsal,
wünscht, kann der schräge Kirschner-Draht durch eine Cerclage
c orthrograde Einbringung eines axialen Kirschner-Drahtes im Bereich
ersetzt werden (⊡ Abb. 23.36) oder eine klassische Zuggurtungsos-
von Grund- und Endphalanx, Einstellung der Arthrodese und Fixierung
der Arthrodesestellung durch Vorbohren des Kirschner-Drahtes in das
teosynthese durchgeführt werden.
Metakarpale I; mithilfe eines zweiten queren Kirschner-Drahtes kann die Auch die Zuggurtungsarthrodese mit Drähten und Cerclage
exakte Stellung temporär gehalten werden: Ansicht von lateral, d glatte bringt gute Stabilität und Kompression der Arthrodesefläche, hier
Resektion mithilfe der oszillierenden Säge: Ansicht von lateral. (Aus Schmit- ist jedoch auf eine Beeinträchtigung des Strecksehnenapparates zu
Neuerburg et al. 2001) achten (⊡ Abb. 23.29).
568 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.29 Zuggurtungsarthrodese des


Daumengrundgelenks. a Röntgenbild: d. p.
Strahlengang, b Röntgenbild: lateraler Strah-
a b
lengang

⊡ Abb. 23.30 Technik der Arthrodese im


Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenk mit
einer dorsalen Plattenosteosynthese. a Glatte
Resektion mithilfe der oszillierenden Säge:
Ansicht von lateral, b Glatte Resektion mithil-
fe der oszillierenden Säge: Ansicht von dorsal,
c postoperativer Aspekt: Ansicht von lateral,
d postoperativer Aspekt: Ansicht von dorsal.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) a b c d

Zur Vermeidung einer postoperativen 90°/90°-Fehlstellung Plattenlöcher werden dann in Neutralposition mit entsprechenden
muss der Streckapparat anatomisch rekonstruiert werden. Die Ru- Schrauben besetzt. Adaptation von Periost und Kapsel über der
higstellung erfolgt mit einer Daumenorthese oder einem Daumen- Platte, sodass die Sehne über die Platte gleitet. Hautverschluss nach
Hand-Gips für 4 Wochen. Die Entfernung des Osteosynthesemate- Blutstillung und Drainage. Eine Ruhigstellung ist bei stabiler Arth-
rials kann je nach Röntgenbefund ab der 6.–8. Woche erfolgen; die rodese nicht erforderlich (⊡ Abb. 23.30).
Cerclage kann bei fehlenden Beschwerden belassen werden.

23.2.8 Technik der operativen Versorgung


23.2.7 Technik der Arthrodese im der akuten Verletzung des Kapsel-Band-
Metakarpophalangeal-I-(MP-I-)Gelenk Apparates am Interphalangeal-(IP-)Gelenk
mit einer dorsalen Plattenosteosynthese des Daumens
(LC-DCP 2,0 mm)
Bei akuter Abrissverletzung des Kollateralbandes am Endgelenk des
Der operative Zugang und die Vorbereitung der Resektionsflächen Daumens und bestehender Instabilität besteht die Indikation zur
entsprechen dem in  Abschn. 23.2.4 beschriebenen Vorgehen. Die operativen Versorgung. Über einen mediolateralen Zugang werden
Resektionsflächen werden in dieser Stellung mittels eines perkutan die Bandstümpfe mit U-Nähten fixiert. Zur Sicherung dieser Nähte
schräg eingebrachten Kirschner-Drahtes der Stärke 1,0 mm oder erfolgt postoperativ eine Ruhigstellung für 4 Wochen. Eine tempo-
spitzen Repositionszange vorübergehend transfixiert. Es wird eine räre Kirschner-Draht-Arthrodese kann durchgeführt werden.
5-Loch LC-DC-Platte der Dimension 2,0 mm etwas stärker als
der Arthrodesewinkel vorgebogen, sodass sie im Bereich des Ar-
throdesespalts 1–2 mm vom Knochen absteht. Nach Auflegen der 23.2.9 Technik der Arthrodese im distalen
Platte kommt der Arthrodesespalt unter das mittlere Plattenloch Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger und
zu liegen. Die beiden dem mittleren Loch benachbarten Schrau- Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens
23 benlöcher werden nacheinander exzentrisch mit 1,5-mm-Bohrer mit Cerclage und Kirschner-Draht
gebohrt und mit entsprechend langen Schrauben besetzt, diese je-
doch erst nach Entfernung des Kirschner-Drahtes wechselseitig fest Versteifungen des DIP-Gelenks stellen eine für die Handfunktion
angezogen, wodurch sich der Spalt schließt. Die beiden äußeren akzeptable Methode zur Behandlung fortgeschrittener Gelenkzer-
23.2 · Spezielle Techniken
569 23

a b c e f

⊡ Abb. 23.31 Arthrodese des DIP-Gelenks mit Cerclage und Kirschner-Draht. a, b Planung der Hautinzision, operativer Zugang: Ansicht von dorsal, c operativer
Zugang und Planung der Knorpelresektionen: Ansicht von lateral, d orthogrades Einbringen des axialen Kirschner-Drahtes, e Einbringen der Cerclage durch zwei
zentrale Bohrkanäle. Die Cerclagespirale darf nicht auf der belasteten Fingerseite zu liegen kommen. f Postoperatives Ergebnis, postoperative Immobilisation auf
einer Zwei-Finger-Schiene. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

störungen dar. Aufgrund der Größenverhältnisse der Gelenkflä- laufender Kirschner-Draht der Stärke 1,0–1,2 mm eingebracht
chen bedarf es einer exakten chirurgischen Technik. (⊡ Abb. 23.31).
Im DIP-Gelenk-Bereich soll ein Versteifungswinkel von 20° Postoperativ wird der Finger auf einer Zwei-Finger-Schiene
nicht überschritten werden. Am Zeige- und Mittelfinger kann für 3–4 Wochen ruhiggestellt. Die Entfernung des Osteosynthese-
ein Winkel von 5° den Fingerkuppenkontakt beim Spitzgriff er- materials kann je nach Röntgenbefund ab der 8. Woche erfolgen;
leichtern. die Cerclage kann bei fehlenden Beschwerden belassen werden.
Eine Versteifung des IP-Gelenks des Daumens führt in der Besteht radiologisch nach dieser Zeit noch keine sichere knöcherne
Regel zu keinen wesentlichen funktionellen Auswirkungen auf die Durchbauung, genügt für die weitere Ruhigstellung eine nur noch
Funktion des Daumens bei Grobgriffaktionen. Um die Funkti- das DIP-Gelenk ruhigstellende modifizierte Stack-Schiene.
onsbeeinträchtigung auf ein absolutes Minimum zu beschränken,
sollte ein Versteifungswinkel von 0–15° angestrebt werden, wobei
die individuell optimale Position von Art und Ausmaß der Aktivi- 23.2.10 Technik der Arthrodese im distalen
tät des Patienten sowie des Funktionszustands der Finger abhängig Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger und
ist. Kosmetisch ist jedoch die 0°-Stellung vorzuziehen. Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens
Die Arthrodese im IP- und DIP-Gelenk-Bereich kann in Ple- mit Schraubenarthrodese
xusanästhesie oder Vollnarkose und Blutleere mithilfe der Lupe
durchgeführt werden. Der operative Zugang und die Vorbereitung der Resektionsflä-
Der operative Zugang erfolgt von dorsal über einen bogenför- chen entsprechen dem in  Abschn. 23.2.9 beschriebenen Vorge-
migen oder H-förmigen Hautschnitt. hen. Von der Resektionsfläche am Endglied aus wird ein Gleitloch
Die Strecksehne wird quer mit dem Skalpell kurz proximal des mit 2,0- (oder 2,5-) Bohrer nach distal gebohrt. Die Haut wird
Gelenks gespalten und die darunter liegende Gelenkkapsel darge- vor dem Austritt der Bohrerspitze (in Nagelrandnähe) an der
stellt. Nach Längsinzision der Gelenkkapsel wird durch subperio- Fingerkuppe inzidiert. Über diese Inzision wird nach Aufeinan-
stale Präparation das Gelenk exponiert. dersetzen der Resektionsflächen des End- und Mittelgliedes mit
Nach ursprungsnahem Absetzen der Seitenbänder werden dem 1,5- (oder 2,0-) Bohrer durch das Gleitloch ein Gewindeloch
durch maximale Flexion beide Gelenkflächen dargestellt. Mit ei- in das Mittelglied gebohrt. Anschließend Messen der Schrauben-
nem scharfen Meißel oder einer kleinen oszillierenden Säge wer- länge unter Berücksichtigung der noch zu erfolgenden Kompres-
den die Gelenkflächen zu beiden Seiten sparsam, jedoch bis in sion. Die Schraube (2,0 oder 2,4 mm) wird dann retrograd vom
den spongiösen Knochen so abgetragen, dass ein Winkel von Endglied eingedreht, wodurch die Resektionsflächen aufeinan-
0–5° resultiert, je nach Erfordernis der Arthrodesewinkel. Das dergesetzt und komprimiert werden. Auf eine korrekte Rotation
Knochenmaterial wird zunächst asserviert und bei Bedarf nach des Endgliedes muss hierbei geachtet und das Ergebnis mit dem
durchgeführter Arthrodese für eine Spongiosaplastik verwendet. Bildverstärker kontrolliert und dokumentiert werden. Vor dem
Anschließend werden Exophyten entfernt und, wenn notwendig, Hautverschluss erfolgt die Naht der Strecksehne mit einem resor-
eine Synovialektomie durchgeführt. bierbaren und monofilen Faden der Stärke 4/0. Postoperativ wird
Etwa 3 mm proximal und distal der Resektionslinie wird von der Finger auf einer Zwei-Finger-Schiene für 10–14 Tagen ruhig-
seitlich jeweils ein querer Bohrkanal mit einem 0,8-mm-Kirschner- gestellt. Die Entfernung des Osteosynthesematerials kann je nach
Draht angelegt und ein Cerclagedraht mit Stärke 0,5 mm über Röntgenbefund ab dem 4. Monat erfolgen. Bei den Schraubenos-
Kanülierung mit einer 20-G-Kanüle eingebracht. teosynthesen soll eventuell die Beeinträchtigung der Sensibilität
Beide Knochenenden können nun reponiert und mit dem im Pulpabereich durch den operativen Zugang und den über
Cerclagedraht unter Kompression gebracht werden. Bei der Pla- das Knochenniveau herausragenden Schraubenkopf (versenken)
nung sollte darauf geachtet werden, dass die Cerclagespirale auf berücksichtigt werden. Bei Verwendung der Herbert-Schraube
der nicht belasteten Fingerseite zum Liegen kommt (Radialseite lässt sich nur schwer ein Arthrodesewinkel, wenn erfordelich,
des Kleinfingers, Ulnarseite des Zeige-, Mittel- und Ringfingers). einrichten, zudem sind die Materialkosten unverhältnismäßig
Abschließend wird noch ein entweder axial oder 45° schräg ver- hoch (⊡ Abb. 23.32).
570 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

b
a

⊡ Abb. 23.32 Retrograde Schraubenarthrodese der Endgelenke. a Operative Vorgehensweise zur Schraubenarthrodese des Endgeleks, b Röntgenologisches
Ergebnis der retrograden Schraubenarthrodese

23.2.11 Technik der operativen Versorgung mit und ohne Knorpel-Knochen-Verletzung und Interposition von
der akuten Verletzung des Faser-Knorpel-Platte und Beugesehnen. Auch der dorsale Anteil
Kollateralbandapparates am der Gelenkkapsel kann in die Dorsalaponeurose des Grundgelenks
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk interponiert sein und die Reposition behindern. Die Beugesehne
der Finger und die Lumbricalis verhindern oft eine Reposition, da das Mit-
telhandköpfchen durch diese Sehnen wie durch ein Knopfloch
Bei der Ruptur der kräftigen Kollateralbänder an den Grundgelen- hindurchragt. Eine Reposition gelingt dann nur operativ.
ken der Finger muss die Wiederherstellung bzw. Rekonstruktion Die offene Reposition muss dann palmarseitig evtl. durch Ein-
und Stabilisierung in einer angemessenen Zeit innerhalb von bis zu kerbung der Bänder und Ligamente erfolgen.
14 Tagen erfolgen. Bei knöchernen Ausrissen müssen diese durch
Schrauben, Drähte oder Mitek-Anker refixiert und stabilisiert wer-
den. Die Zeit der Ruhigstellung beträgt 2–3 Wochen auf einer 23.2.13 Technik der operativen Versorgung
Schiene in Intrinsic-plus-Stellung. Bei stabiler Versorgung können der veralteten Verletzung (chronischen
auch nach 10 Tagen mit einer Solidaritätsschiene Bewegungsübun- Instabilität) des Kollateralbandapparates
gen durchgeführt werden, ohne einen Nachteil für den refixierten am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk
Bandapparat (⊡ Abb. 23.12). der Finger

Da es bei chronischer Instabilität am Grundgelenk zu Subluxations-


23.2.12 Technik der operativen Versorgung der stellungen kommen kann, besteht hier eine Präarthrose oder Arthrose
akuten Verletzung der palmaren Bänder des Gelenks mit Tendenz zu palmarer Subluxation. Die Funktion des
am Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenk Grundgelenks ist eingeschränkt. Bei chronischen Instabilitäten am
der Finger Grundgelenk der Finger ist eine Bandrekonstruktion oder Bandplas-
tik nur dann sinnvoll, wenn die Knorpelstrukturen gut erhalten sind
Die palmaren Bänder im Grundgelenk der Finger sind ein starker, und eine passive oder aktive Bewegung ohne Subluxation möglich
annähernd fibroser, jedoch elastischer Komplex, und verhindern ist. Bei veralteten Verletzungen besteht die Indikation zur Arthrolyse
einerseits eine Überstreckung des Grundgelenks und bilden an- des Gelenks ( Kap. 14) und je nach Notwendigkeit nach Raffung der
dererseits einen Boden für den Sehnenscheidenkanal. Bei Ruptur palmaren Bänder eine temporäre Fixation des Gelenks mit Kirsch-
dieser Bänder besteht eine Überstreckung oder Subluxation im ner-Draht in physiologischer Stellung des Gelenks (Intrinsic plus)
Grundgelenk. Oft reißen die palmaren Bänder knöchern aus und nach Beseitigung der Subluxation oder Luxation. Je nach Instabilität
sind gelegentlich auch mit irreponiblen Luxationen im Grundge- wird entweder ein palmarer oder ein dorsaler Zugang gewählt:
lenk verbunden. Bei akuten Verletzungen soll der Kapsel-Band- ▬ Dorsaler leicht gebogener Schnitt um das Gelenk, Naht der
Apparat innerhalb von 4–7 Tagen wiederhergestellt werden. Bei Ligg. palmaria mit 4/0 monofilem Faden, sodann Rekonstruk-
bestehender Subluxation oder Luxation besteht eine dringende In- tion und Naht der Ligg. collateralia nach exakter Reposition;
dikation zur Operation, da bei längerem Bestehen eine Reposition, evtl. temporäre Kirschner-Draht-Arthrodese des Gelenks für
die offen durchgeführt werden muss, sich schwierig gestalten wird. 3 Wochen, Ruhigstellung auf Schiene.
Die knöchernen Ausrisse müssen mit Schrauben oder Drähten ▬ Palmarer Brunner-Schnitt. Repositionshindernis beseitigt,
refixiert werden. Die Zeit der Ruhigstellung beträgt je nach Schwe- Naht Ligg. collateralia und Ligg. palmaria mit 4/0 monofi-
23 re der Verletzung bis zu 3 Wochen. Die geschlossene Reposition lem Faden in U-Naht-Technik. Rekonstruktion und Naht
bei kompletter Luxation der dreigliedrigen Finger im MP-Gelenk des Bandapparates nach exakter Reposition, evtl. temporäre
gelingt gewöhnlich nicht. Repositionshindernisse ergeben sich im Kirschner-Draht-Arthrodese des Gelenks für 3 Wochen, Ru-
Wesentlichen aus der Interposition von zerrissenen Seitenbändern higstellung auf Schiene.
23.2 · Spezielle Techniken
571 23
23.2.14 Technik der operativen Versorgung 23.2.17 Technik der operativen Versorgung
der akuten Verletzung des der akuten knöchernen palma-
Kollateralbandapparates am proximalen ren Bandverletzung am proximalen
Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mit
Kirschner-Drähten und Suzuki-Fixateur
Über einen mediolateralen oder dorsalen Zugang zum Mittel-
gelenk werden die Bandstümpfe dargestellt. Die Rekonstruktion Bei größeren gelenktragenden Frakturen an der Basis des Mittel-
erfolgt mit 4/0 monofilem Faden in U-Naht-Technik oder je nach gliedes mit Luxation oder Luxationstendenz des Gelenks emp-
Notwendigkeit mithilfe von Mitek-Anker. Postoperativ erfolgt eine fiehlt es sich, den dynamischen Fixateur nach Suzuki anzuwenden.
Ruhigstellung in Intrinsic-plus-Stellung für 3 Wochen. Anschlie- Die Reposition der Impressionsfraktur wird mit einem Kirschner-
ßend ist eine intensive krankengymnastische Übungsbehandlung Draht unter intraoperativer Röntgenkontrolle durchgeführt. Nach
zur Erlangung der kompletten aktiven und passiven Beweglichkeit Reposition der Fraktur wird der Fixateur vervollständigt, wobei
durchzuführen (⊡ Abb. 23.21). der Suzuki-Fixateur eine dynamische funktionelle Behandlung der
Gelenkfraktur erlaubt und so die anatomische Gelenkfläche wie-
derherstellt.
23.2.15 Technik der operativen Versorgung Bei Impressionen im Gelenkbereich, vor allem an der Basis des
der akuten Verletzung der distalen Mittelgliedes, und bei palmaren Kapsel-Band-Verletzungen kann
palmaren Bänder am proximalen durch gleichzeitige Distraktion des Gelenks und durch Bewegungs-
Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger übungen im Gelenk im Sinne einer funktionellen Behandlung mit
speziellen Fixateuren (z. B. Suzuki-Fixateur) eine Remodellierung
Bei distalem Abriss der palmaren Platte im PIP wird zur Wie- des Gelenks erreicht werden. Gleichzeitig wird die Subluxation
derherstellung ein palmarer Zugang nach Brunner oder ein me- durch Distraktion und Bewegungsübungen schrittweise behoben.
diolateraler Zugang gewählt. Für die operative Versorgung und Die Impression des Gelenks kann zuvor durch einen perkutan von
Refixation der palmaren Platte oder von knöchernen Fragmenten dorsal-distal nach palmar-proximal eingeschobenen leicht geboge-
werden die Platte bzw. das knöcherne Fragment angepasst und nen Draht vom Markraum her aufgerichtet und reponiert werden
die Fäden durch Bohrkanäle an der Streckseite herausgeleitet. (⊡ Abb. 23.35b). Eine fortlaufende engmaschige Röntgenkontrolle
Das Fragment wird so durch das Anpressen und den Druck so- ist erforderlich, um eine nicht wiederhergestellte Luxation oder
wie durch Zug durch die Nähte stabilisiert. Die Enden werden Subluxation rechtzeitig zu erkennen und durch Umsteigen auf ein
an der strecksehnenfreien Zone miteinander verknotet. Hierbei anderes Verfahren wieder zu beheben. Die Dauer der Behandlung
ist darauf zu achten, dass der Tractus lateralis nicht mit in die mit Suzuki-Fixateur beträgt je nach Fraktur 4–6 Wochen.
Naht gefasst wird (⊡ Abb. 23.22). Danach ist bei Verletzung der Bei guter Stellung und aufgehobener Luxation kann der Fixa-
Kollateralbänder auch die Reinsertion der Seitenbänder durchzu- teur nach 4–6 Wochen entfernt werden (⊡ Abb. 23.33).
führen.
Wann immer möglich, sollte auf eine temporäre Bohrdraht-
arthrodese des Mittelgelenks verzichtet werden, um den Gelenk- 23.2.18 Technik der operativen Versorgung der
knorpel zu schonen. Nach postoperativer Immobilisation auf akuten Verletzung der palmaren Bänder
einer palmaren Schiene sollte nach Abschluss der Wundheilung am proximalen Interphalangeal-(PIP-)
eine handspezifische krankengymnastische Bewegungstherapie Gelenk der Finger mit großem knöchernem
folgen. Fragment

Je nach Frakturgröße an der Basis des Mittelgliedes oder im Bereich


23.2.16 Technik der operativen Versorgung der der Trochlea kann diese von dorsal oder palmar mit einer Minisch-
akuten Verletzung der proximalen palmaren raube (1,3–1,5 mm) oder nach Beseitigung der imprimierten Ge-
Bänder am proximalen Interphalangeal- lenkfläche mit Kirschner-Drähten fixiert werden (⊡ Abb. 23.34).
(PIP-)Gelenk der Finger

Proximale Ausrisse des Kapsel-Band-Apparates an der Basis des 23.2.19 Technik der operativen Versorgung der ver-
Grundgliedes sind selten, wobei bei Laxizität der Gelenke und alteten Verletzung (chronischen Instabilität)
Überstreckbarkeit der Mittelgelenke Schwanenhalsdeformitäten des Kollateralbandapparates am proximalen
auftreten können ( Kap. 5). Wegen der Gefahr der Schwanenhals- Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger
deformität und einer zunehmenden Dekompensation des Mittel-
gelenks sollten solche Fälle einer Operation zugeführt werden. Bei chronischer komplexer Kapsel-Band-Instabilität besteht eine
Hierbei reißen die »check-reins« von proximal ab und rutschen zunehmende Subluxationsstellung und dadurch vermehrte Arth-
zusammen mit den akzessorischen Kollateralbändern über die rose im betreffenden Mittelgelenk. Es kommt zu Deformierungen
Trochlea nach distal. Der distale Plattenanteil bleibt jedoch un- und Unsicherheitsgefühlen bei der Greiffunktion. Bei Insuffizienz
verletzt. Die operative Versorgung besteht im Ablösen des akzes- der noch vorhandenen Bänder können diese durch Nähte gerafft
sorischen Kollateralbandes von der palmaren Platte, wobei die und dadurch eine Stabilisierung herbeigeführt werden.
palmare Platte nach proximal gezogen und mit dem akzessori- Auch bei der Kollateralinsuffizienz können Teile der Seitenzü-
schen Kollateralband vernäht wird. Es gelingt so eine Raffung gel abgespalten nach proximal und palmar zurückgeschlagen und
herbeizuführen, die allerdings nur auf einer Seite durchgeführt an den proximalen Anteil des Kollateralbandes angenäht werden.
wird. Durch die Raffung entsteht eine Bremse und dadurch eine Dadurch wird eine gewisse Seitenstabilität auf Kosten der Funktion
Streckhemmung im Gelenk. des Mittelgelenks erreicht.
572 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

a b c d e

⊡ Abb. 23.33 Modifizierter Suzuki-Fixateur bei gelenktragender palmarer Fraktur am Mittelgelenk. a Präoperativer Röntgenbefund, b intraoperative Röntgen-
kontrolle: Technik der Reposition der Gelenkfläche der Mittelgliedphalanxbasis mit einem umgebogenen Kirschner-Draht-Ende, c Röntgenkontrolle nach Repo-
sition und kompletter Montage des Fixateurs, d klinischer Aspekt, e Röntgenbild nach Ausheilung ohne nennenswerte Gelenkstufe (lateraler Strahlengang)

⊡ Abb. 23.34 Therapie eines knöchernen Aus-


risses der palmaren Platte mit großem knöcher-
nem Fragment mit einer Schraubenosteosyn-
these. a Präoperativer Aspekt, b postoperativer
a b
Aspekt. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Auch durch die Präparation der Narbenplatte von palmar und 23.2.21 Technik der Implantation einer Gelenk-
dorsal kann durch Doppelung des distal gestielten Narbenstreifens prothese zur Versorgung der veralteten
nach proximal und Fixation derselben durch eine Mitek-Anker- Verletzung (chronischen Instabilität)
Naht eine gute Seitenstabilität erreicht werden. Pechlaner emp- der palmaren Bänder am proximalen
fiehlt, die Narbenplatte mit einer Schraube (1,5 mm) zu refixieren. Interphalangeal-(PIP-)Gelenk der Finger
Ruhigstellungszeit 2 Wochen, danach Handtherapie.
Bei bestehenden arthrotischen Veränderungen im Mittelgelenk
und Instabilität ist auch die Implantation einer Mittelgelenkprothe-
23.2.20 Technik der operativen Versorgung se in Erwägung zu ziehen ( Kap. 11).
der veralteten Verletzung (chronischen
Instabilität) der palmaren Bänder am
proximalen Interphalangeal-(PIP-)Gelenk 23.2.22 Technik der Arthrodese im proximalen
der Finger Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mit Cerclage
und querem Kirschner-Draht
Bei chronischer palmarer Instabilität und beginnender Schwa-
nenhalsdeformität muss dies bei noch intaktem Knorpel des Ge- Über einen dorsalen Zugang durch einen Z- oder bogenförmigen
lenks wie eine Schwanenhalsdeformität behandelt werden ( Ab- Hautschnitt wird der Streckapparat dargestellt. Durch Längsspaltung
23 schn. 23.2.17). Die palmare Stabilität kann durch distal gestielte und subperiostales Abschieben nach lateral werden Gelenk und
Anteile des Superficialissehnenstreifens, der am proximalen Anteil Phalangen exponiert. Die Gelenkflächenpräparation und Osteoto-
der palmaren Kapsel oder am A2-Ringband angenäht wird, er- mie erfolgt analog der am DIP-Gelenk entsprechend dem geplan-
reicht werden. ten Arthrodesewinkel. Aufgrund der geringen Beeinträchtigung des
23.2 · Spezielle Techniken
573 23

a b c d

⊡ Abb. 23.36 Arthrodese des PIP-Gelenks mit Plattenosteosynthese. a Pla-


nung der Hautinzision: Ansicht von dorsal, b Planung der Gelenkresektionen:
Ansicht von lateral, c postoperativer Aspekt: Ansicht von dorsal, d postopera-
tiver Aspekt: Ansicht von lateral. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Eine Raffung des Strecksehnenapparates ist bei der Plattenosteo-


synthese im Gegensatz zu allen anderen Osteosyntheseverfahren an
diesem Gelenk nicht notwendig, da durch das Auftragen der Platte
die relative Sehnenverlängerung bei knöcherner Verkürzung kom-
⊡ Abb. 23.35 Technik der Arthrodese im proximalen Interphalangeal-(PIP-) pensiert wird (⊡ Abb. 23.36).
Gelenk mit Cerclage und querem Kirschner-Draht (»Lister-Montage«). (Aus Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung auf einer Zwei-Finger-
Berger u. Hierner 2009) Schiene bis zur Abschwellung. Je nach Qualität der Kompressions-
osteosynthesen kann bereits frühzeitig eine aktive Fingermobilisa-
tion erfolgen. Bei ungenügender Kompression auf den Arthrodes-
Strecksehnenapparates durch das Osteosynthesematerial und der espalt, z. B. bei schlechter Knochenqualität oder durchgeführter
hohen postoperativen Belastbarkeit stellt die Arthrodese mit Cercla- Spongiosaplastik nach Pseudarthrose, sollte eine Ruhigstellung
ge und Kirschner-Draht auch im PIP-Bereich eine gute Methode dar. über 3 Wochen erfolgen.
Für den PIP-Gelenk-Bereich wird ein Versteifungswinkel von 40°
> Bei den neuen dünnen Titanimplantaten erscheint eine Mate-
am Zeigefinger und ein um jeweils 5° größerer Winkel an den weite-
rialentfernung nach etwa 6 Monaten bei fehlenden klinischen
ren Fingern bis zu 55° am Kleinfinger oder ein gleicher Winkel von
Beschwerden nicht zwingend notwendig. Grundsätzlich sollte
40° für alle Finger empfohlen (⊡ Abb. 23.35;  Abschn. 23.2.9).
eine Metallentfernung nur bei Beschwerden erwogen werden.

23.2.23 Technik der Arthrodese im proximalen


Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mithilfe einer 23.2.24 Technik der Arthrodese im proximalen
dorsalen Plattenosteosynthese Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mithilfe einer
Zuggurtungsosteosynthese
Insbesondere bei Vorliegen eines segmentalen knöchernen Defektes
oder Vorliegen einer Pseudarthrose hat sich die Plattenosteosynthese Der operative Zugang und die Vorbereitung der Resektionsflä-
mit neuen dünnen Implantaten bewährt. Bei ausgedehnten Knochen- chen entsprechen dem in  Abschn. 23.2.21 beschriebenen Vorge-
Weichteil-Schädigungen hingegen ist die Verwendung der Plattenos- hen. Über einen dorsalen Zugang durch einen radial oder medial
teosynthese aufgrund der zusätzlichen Devaskularisierung durch den durchgeführten Schnitt am Mittelgelenk oder auch einen Z-förmig
operativen Zugang kontraindiziert. Der operative Zugang und die treppenförmigen Schnitt wird der Streckapparat dargestellt. Der
Vorbereitung der Resektionsflächen des Gelenkes in der Neigung des Tractus intermedius wird durch Heben eines dreieckigen distal
gewünschten Arthrodesewinkels und die Resektion der kollateralen gestielten Lappens umschnitten und abpräpariert. Zurseitehalten
Bänder entsprechen dem in  Abschn. 23.2.21 beschriebenen Vorge- und Schonen der ulnaren und radialen Seitenzügel unter Darstel-
hen. Die 1,5 mm 5-Loch-Platte wird nach Gelenkresektion und Bie- lung des Gelenks. Das Gelenk wird unter Beugung geöffnet. Un-
gung im gewünschten Winkel dorsal liegend zunächst distal fixiert. ter Schonung der Seitenzügel werden die Kollateralbänder soweit
Die proximalen Schrauben werden dann nach exzentrischer Bohrung möglich vollständig reseziert. Die Exophyten werden abgetragen
eingebracht und somit eine Kompression auf den Arthrodesespalt er- und mit oszillierender Säge der Arthrodesewinkel von etwa 30–40°
zeugt. Bei Vorliegen einer Pseudarthrose kann zusätzlich eine Spon- reseziert, wobei die Basis des Mittelgliedes mit oszillierender Säge
giosaplastik oder ein kortikospongiöser Span eingebracht werden. oder auch Liston bis auf den Spongiosabereich entknorpelt wird.
Abschließend muss der Strecksehnenapparat möglichst anatomisch An der Mittelgliedbasis, ca. 1 cm distal der Resektionsfläche, wird
rekonstruiert werden, um postoperative Tenodesen zu vermeiden. quer ein Bohrkanal mit einem 1,1-mm-Bohrer angebracht und ein
574 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

a b d e

⊡ Abb. 23.37 Arthrodese des PIP-Gelenks mit Zuggurtungsosteosynthese. a Hautschnitt, b Bildung eines distal gestielten Strecksehnenlappens, c Resektion
der Knochenflächen, d postoperativer Aspekt: Ansicht von lateral, e postoperativer Aspekt: Ansicht von dorsal. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

0,8 mm starker Cerclage-Draht durchgefädelt. Es werden nun zwei losteotomie der dorsalen Grundgliedkortikalis wird eine 1,5- bis
1,0-mm-Kirschner-Drähte von der Mitte der Resektionsfläche am 2,0-mm-Schraube im Sinne einer Zugschraube eingedreht und der
Grundglied aus parallel verlaufend nach proximal gebohrt, bis sie Schraubenkopf versenkt. Bei zartem Fingerskelett sollten dünnere
aus der Grundgliedkortikalis proximal der Osteotomiestelle heraus- Bohrer verwendet werden (1,5 und 2,0 mm). Alternativ kann als Im-
treten (retrograd in das Grundglied gebohrt). Nach Umsetzen der plantat auch eine Herbert-Schraube verwendet werden; deren Länge
Bohrmaschine und Einstellen der Resektionsflächen aufeinander wird am besten mit einem Kirschner-Draht ermittelt. Die postopera-
werden die Drähte nacheinander in das Mittelglied vorgebohrt, bis tive Nachbehandlung entspricht derjenigen der Plattenosteosynthese.
die Gegenkortikalis im Mittelglied sicher gefasstist. Der Cerclage-
Draht wird in einer Achtertour um die Kirschnerdrähte gelegt und
mit 2 Zangen beidseits oder auch alternativ nur mit einem Draht 23.2.26 Technik der operativen Versorgung der aku-
auf einer Seite zugezwirbelt, bis die Kompression ausreichend groß ten Verletzung des Kollateralbandapparates
erscheint. Die Kirschner-Drähte werden proximal umgebogen und am distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenk
anschließend gekürzt und nach palmar umgebogen, sodass sie der Finger
parallel zur dorsalen Kortikalis zu liegen kommen und den Streck-
apparat nicht perforieren. Feinadaptation der distal gestielten oder Bei frischen Verletzungen des Kollateralbandapparates am Endge-
auch längs gespaltenen Tractus intermedius mit 4/0 monofilem lenk der Finger und des Daumens und bestehender Instabilität ist
Faden, Eröffnung der Blutleere und Blutstillung, Einlegen der eine Bandnaht und Immobilisation durch angepasste äußere Schie-
Redon-Drainage und Hautverschluss. Nach Rekonstruktion des ne für das Endgelenk (Stack-Schiene) oder Fixation des Endgelenks
Strecksehnenapparates und stabiler Zuggurtungsarthrodese ist nur mit einer temporären Kirschner-Draht-Arthrodese angezeigt.
wenige Tage (bis 14 Tage) eine Ruhigstellung erforderlich. Danach
kann die Mobilisierung der Finger erfolgen (⊡ Abb. 23.37).
23.2.27 Technik der Arthrodese im distalen
Interphalangeal-(DIP-)Gelenk der Finger und
23.2.25 Technik der Arthrodese im proximalen Interphalangeal-(IP-)Gelenk des Daumens
Interphalangeal-(PIP-)Gelenk mithilfe mit Zuggurtungsosteosynthese
einer Zugschraubenosteosynthese nach
Seegmüller Der operative Zugang und die Vorbereitung der Resektionsflächen
entsprechen dem in  Abschn. 23.2.9 beschriebenen Vorgehen. Als
Eine Arthrodese unter Verwendung einer Zugschraubenosteosyn- alternative Operationsmethoden werden in der Literatur Techni-
these wird vielfach empfohlen, stellt sich in der praktischen Durch- ken mit 2 um 90° versetzten Cerclagen, die Zuggurtungsosteosyn-
führung jedoch als technisch verhältnismäßig anspruchsvoll dar. these, die einfache Kirschner-Draht-Osteosynthese – gekreuzt oder
Der operative Zugang und die Vorbereitung der Resektionsflä- parallel – und die Schraubenosteosynthese mithilfe der Herbert-
chen entsprechen dem in  Abschn. 23.2.21 beschriebenen Vorgehen. Schraube angegeben.
Bei der Zugschraubenosteosynthese wird nach Gelenkflächenresek-
tion und Einrichtung zunächst ca. 10 mm proximal der Grundglie- > Obwohl die Cerclagen einen guten Kompressionseffekt
23 dosteotomie ein Kirschner-Draht zur Führung eingebracht und dann erbringen, muss zur Einbringung der sagittalen Cerclage
mit einem kanülierten 2,0-mm-Bohrer der Kanal im Grund- und eine große Weichteilpräparation durchgeführt werden. Die
Mittelgelenk gebohrt. Der Kanal im Grundglied wird anschließend übungsstabile Zuggurtungsosteosynthese führt nicht selten
mit einem 2,5-mm-Bohrer weiter aufgebohrt. Nach vorsichtiger Kei- zu Beeinträchtigungen im Strecksehnenbereich.
23.2 · Spezielle Techniken
575 23

Lig. trapezio-metacarpale II/III

Lig. obliquum palmare superficiale


(Pieron‘s »curtain-like«)

Lig. obliquum palmare profundum


(»palmar beak ligament«)

APL
Lig. trapezio-capitale

FCR
⊡ Abb. 23.38 Kapsel-Band-Apparat des Daumensattelgelenks

23.2.28 Technik der Arthrodese im


Karpometakarpal-I-(CMC-I-)Gelenk

Die Arthrodese des CMC-1-Gelenks stellt nur eine sehr seltene


Indikation dar. Bei jungen, schwer arbeitenden Handwerkern kann
nach genauer Abwägung der Vor- und Nachteile eine Arthrodese
empfohlen werden, da eine schnelle und feste Greiffunktion re-
sultiert.
Die stabile Arthrodese im Sattelgelenk stellt nur einen gerin-
gen Funktionsverlust des Daumens durch aufgehobene Opposition
dar. Wegen der vermehrten Belastung der angrenzenden Gelenke
nach CMC-Arthrodese stellt eine beeinträchtigte Gelenkfunktion
im STT- und/oder MP-I-Gelenk eine formale Kontraindikation zur
Arthrodese dar. Bei Vorliegen weiterer Arthrosen im Karpus werden
auch beim handwerklich tätigen Patienten Resektionsarthroplasti-
ken bevorzugt. Der Patient muss über eine etwaige schneller fort-
schreitende Arthrose im STT-Gelenk aufgeklärt werden. Die Hand
kann in der Regel nicht mehr flach auf den Tisch aufgelegt werden.
Vorteil dieser Operation ist jedoch die gute Schmerzreduktion und
der Krafterhalt. Klimo et al. (2001) empfehlen eine Versteifung des
CMC-1-Gelenks in 20–30° Radialabduktion und 30° Palmarabduk-
tion und Opposition von 40°. Die Pronation des Daumens sollte so a b
eingestellt werden, dass die Daumenspitze in Handgelenkextension
die mittlere Phalanx des Zeigefingers berührt. Die Plattenosteosyn- ⊡ Abb. 23.39 Resektionsarthrodese des CMC-I-Gelenks mithilfe einer
these zeigt bei dieser Operationstechnik die höchste Durchbauungs- Kleinfragment-T-Platte. a Sparsame Resektion der Gelenkflächen: Ansicht
rate. Das anatomische Präparat zeigt die kräftigen Bänder im Bereich von lateral, b postoperatives Ergebnis: Position der Platte auf der Streck-
seite des Trapeziums
des Daumensattelgelenks, die je nach Arthrosegrad elongiert sind
oder zum Teil durch Schrumpfung der Muskelsehnenansätze eine
Adduktion des Daumens verursachen (⊡ Abb. 22.38).
Die Gelenkflächen an der Basis des 1. Mittelhandknochens werden
Operatives Vorgehen parallel zur Gelenkfläche mit einer oszillierenden Säge reseziert.
Der operative Zugang erfolgt durch eine bogenförmige dorsale, Parallel hierzu wird die Gelenkfläche des Os trapezium mit einem
distal-konkave Inzision in Höhe des Sattelgelenkes, die an der etwas breiterem Keil radial-palmar sparsam entfernt. Dabei soll
Streckseite des MHK-I nach distal verlängert wird. eine Opposition von 40° und eine Radialabduktion von 20° sowie
Die Sehnen des M. abductor pollicis longus und des M. exten- eine ausreichende Pronation zur Ermöglichung eines Spitzgriffs
sor pollicis longus werden nach Präparation nach dorsal weggehal- erreicht werden. Je nach Ausmaß der knöchernen Resektion wird
ten. Achtzugeben ist auf die Daumenäste des N. radialis superfici- die Interposition eines kortikospongiösen Spans vom mittleren
alis. Zur Vermeidung einer Schädigung von A. und V. radialis in Beckenkammdrittel notwendig. Dann wird zum Halten der Repo-
der Tabatière müssen diese von der Gelenkkapsel abpräpariert, an- sition ein axialer Kirschner-Draht eingebracht. Anstelle des Kirsch-
geschlungen und weggehalten werden. Das Gelenk wird freigelegt nerer-Drahtes kann auch die Arthrodese mit einer spitzen Reposi-
und der Kapsel-Band-Apparat nach radial und ulnar mobilisiert. tionszange plan aufeinandergestellt und festgehalten werden.
576 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

⊡ Abb. 23.41 Funktion 2 Monate nach Arthrodese des Daumensattelgelenks

Die endgültige Fixierung erfolgt mit einer Kleinfragment-T-


Platte (2,0 mm) im Sinne einer Zuggurtungsplatte, wobei der T-
Schenkel über dem Os trapezium zum Liegen kommt (⊡ Abb. 23.39).
Zunächst wird eine Schraube über der Platte am Trapezium parallel
zur Gelenkfläche zwischen Trapezium und Skaphoid angebracht.
Die Schrauben dürfen diese Gelenkfläche nicht tangieren. Bei gu-
ter Kompression mit der spitzen Zange wird das Os trapezium und
der 1. Mittelhandknochen in gewünschter Position komprimiert.
Dann wird die 2. Schraube über der Platte am Schaft des 1. Mittel-
handknochens angebracht. Nach festem Anziehen beider Schrau-
ben wird nochmals die anatomische Position des Daumens für die
Greiffunktion der Finger überprüft, wobei die Daumenkuppe die
Kleinfingerkuppe bei guter Opposition passiv erreicht.
Erst jetzt werden die anderen Schrauben zur Vervollständigung
c
der Arthrodese angebracht, wobei, wenn möglich, die Osteotomie
mit einer freien oder durch die Platte gelegten interfragmentären
Zugschraube zusätzlich unter Kompression gebracht werden soll.
Nach nochmaliger röntgenologischer Kontrolle Entfernung der
Blutleere und nach Blutstillung adaptierende Nähte von peritendi-
nösem Gewebe über der Platte und den Schrauben sowie Hautver-
schluss (⊡ Abb. 23.40)

Postoperative Behandlung
Die postoperative Ruhigstellung in einer Unterarmschiene mit
Daumeneinschluss braucht bei stabiler Plattenosteosynthese nur
für 5–10 Tage zu erfolgen, bei Implantation eines kortikospongiö-
sen Spans hingegen 3 Wochen. Das Daumenendgelenk bleibt frei
und aktiv beweglich. Die vollständige knöcherne Durchbauung
kann mehrere Wochen dauern (Abb. 22.39). Bei Durchbauung kann
23 d eine Materialentfernung nach 12 Monaten durchgeführt werden.
Als alternatives Osteosyntheseverfahren kann die Zuggurtungsos-
⊡ Abb. 23.40 Operative Schritte bei der Arthrodese des Daumensattelge- teosynthese mit 2 parallelen Kirschner-Drähten und einer Cerclage
lenks und postoperative Röntgenaufnahme in Achtertour und 4-wöchiger Ruhigstellung durchgeführt werden.
23.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
577 23
23.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen fehlgeschlagener Knochenbruchheilung die Funktion der Hand zu
verbessern.
An Komplikationsmöglichkeiten sind bei Arthrodesen im Finger- Weitere Gefahren bestehen bei
bereich die üblichen postoperativen Komplikationen nach Kno- ▬ Immobilisationsschäden durch fehlerhafte und zu lange Ru-
chen- und Gelenkeingriffen zu beobachten. higstellung in einem Schienenverband,
Früh postoperativ können Durchblutungsstörungen der Finger, ▬ Zerbrechen von kleinen Fragmenten durch überdimensionier-
insbesondere nach Korrektur starker Flexionskontrakturen, eine te Drähte oder Schrauben,
vitale Bedrohung des Fingers mit Notwendigkeit einer operativen ▬ Hitzenekrosen an Weichteilen und Knochen mit nachfolgen-
Revision bedeuten und langfristig zu anhaltender Kälteintoleranz den Osteolysen, frühzeitige Lockerungen und septische Kom-
und Schmerzen führen. Infekte der Haut, Weichteile und Knochen, plikationen durch zu hochtouriges Bohren bei der Bohrdrah-
insbesondere bei transkutan eingebrachten Kirschner-Drähten tosteosynthese,
oder vermehrt bei Arthrodesen nach infektbedingter Gelenkzer- ▬ fehlende Verankerung einer Bohrdrahtfixation in der Gegenk-
störung gehören zu den am häufigsten auftretenden Komplikatio- ortikalis und Kreuzen der Bohrdrähte,
nen, ebenso die mangelnde Kompression der Arthrodeseflächen. ▬ Instabilität und vorzeitige Lockerung durch zu kurze Schrau-
Die Pseudarthrosenrate wird in der Literatur je nach ange- ben,
wandter Methode auf 0–30% beziffert und ist zumeist auf inad- ▬ Chronische Instabilität der Fingergelenke nach Luxation, die
äquate Osteosynthesetechnik, nicht ausreichende Größe oder Vita- einer sekundären operativen Rekonstruktion bedürfen.
lität der knöchernen Kontaktfläche oder falsche Nachbehandlung
zurückzuführen. Für die Hand ist jedoch anders als bei Pseudarth- An Komplikationsmöglichkeiten sind bei Arthrodesen im Finger-
rosen an anderen Lokalisationen immer zu berücksichtigen, dass bereich die üblichen postoperativen Komplikationen nach Kno-
eine schmerzfreie Pseudarthrose besser ist als eine Arthrodese, chen- und Gelenkeingriffen zu beobachten.
sodass die Indikation zu einer Rearthrodese anhand klinischer Früh postoperativ können Durchblutungsstörungen der Finger,
Gesichtspunkte und nicht anhand von Röntgenbefunden gestellt insbesondere nach Korrektur starker Flexionskontrakturen, eine
werden soll. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich mit einer Re- vitale Bedrohung des Fingers mit Notwendigkeit einer operativen
arthrodese die Rate sämtlicher hier aufgeführter Komplikationen Revision bedeuten und langfristig zu anhaltender Kälteintoleranz
weiter erhöht. und Schmerzen führen. Infekte der Haut, Weichteile und Knochen,
insbesondere bei transkutan eingebrachten Kirschner-Drähten oder
vermehrt bei Arthrodesen nach infektbedingter Gelenkzerstörung
23.3.1 Daumen gehören zu den am häufigsten auftretenden Komplikationen.
Insbesondere bei Perforation von Strecksehnen durch Bohr-
Mögliche Komplikationen sind drähte oder Verwendung von auftragenden Kompressionsplatten
▬ Verletzung des Hauptastes des N. radialis am Daumen, werden Strecksehnenadhäsionen beobachtet, die eine intensive phy-
▬ Überstreckung des Daumens im Grundgelenk bei Fixation siotherapeutische Nachbehandlung oder auch sekundäre Tenolysen
der Lengemann-Draht-Naht und durch starken Zug, sodass es notwendig machen. Hierdurch kann es zu bleibenden Bewegungs-
zu einer Überstreckung im Daumengrundgelenk kommt, vor einschränkungen der benachbarten, nicht versteiften Gelenke kom-
allem bei laxen Gelenkverhältnissen, men, was die Gesamtfunktion der Hand erheblich beeinträchtigen
▬ Nekrose der Haut unter der Bleiplombe aufgrund starken Zu- kann. Iatrogene Verletzungen des Mittelzügels durch eine Querin-
ges am Drahtseil und Druck der Bleiplombe an der Haut, zision bei Durchführung einer DIP-Arthrodese können eine nur
▬ zu lange Ruhigstellung des Daumens in einem Gipsverband schwer zu behebende Schwanenhalsdeformität nach sich ziehen.
führt zu Bewegungseinschränkungen im Bereich des Daumen- Die häufigsten technischen Fehler sind Achsenfehlstellungen,
grundgelenks und bedarf schließlich längerer krankengymnas- Rotationsfehler, die Nichtbeachtung der funktionell empfehlens-
tischer Bewegungsübungen. werten fingerspezifischen Arthrodesewinkel, nicht kongruente Re-
sektionsflächen und knöcherne Diastasen sowie eine ungenügende
Die Bohrdrahtosteosynthese gewährleistet nicht immer die biome- Gelenkflächenresektion im nichtspongiösen Knochen mit verzö-
chanische Stabilität, die für eine frühzeitige Mobilisation nötig ist. gerter oder ausbleibender Konsolidierung.
Die gelenknah eingebrachten Drähte stören das kapsuloligamen- Hinzu kommen aus der allgemeinen operativen Frakturbe-
täre Gleiten und können zur Lockerung und Dislokation oder Be- handlung bekannte Fehler in der technischen Anwendung von
wegungseinschränkung führen. Verletzungen der Gefäß-Nerven- Osteosynthesematerialien, insbesondere von Drähten und Kom-
Bündel mit den daraus resultierenden Durchblutungsstörungen pressionsplatten mit folglich früher Auslockerung und Pseudarth-
und Sensibilitätsminderungen treten bei Fehllage der Drähte auf. rosenbildung.
Septische Komplikationen und Pseudarthrosen kommen ebenfalls Eine durch eine schonende Präparation (evtl. unter Lupenbril-
vor. Auf die Gefahr von Hitzenekrosen wurde bereits hingewiesen. lenbedingungen) vermeidbare Gefahr ist insbesondere im MC-I-
Der Zugangsweg bei der offenen Reposition muss sehr sorgfältig Bereich die Verletzung von Fingernerven.
gewählt werden, um eine zusätzliche Devaskularisation des Haut- Eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht darin, zu viele
mantels und eine exzessive Deperiostierung zu verhindern. Die Arthrodesen an einer Hand durchführen zu wollen. Die oben
Desinsertion von kapsuloligamentären Strukturen muss auf ein genannten Indikationen und Darstellungen der unter Funktions-
Minimum reduziert werden, um die ossären Fragmente vor Nek- gesichtspunkten optimalen Arthrodesewinkel sind für die Planung
rosen zu schützen. Pin-Infektionen, chronische Infektionen, Pseu- eines einzelnen oder weniger zu versteifender Gelenke gedacht. Bis
darthrosen und Fehlstellungen sowie Bewegungseinschränkungen auf funktionell kaum störende multiple DIP-Arthrodesen verlieren
sind die Folgen. Arthrolysen, Tenolysen, Derotationsosteotomien, diese Empfehlungen bei multiplen geschädigten Fingergelenken
Reosteosynthesen, Spongiosaplastik und Knochenspanimplantati- ihre relative Bedeutung. Bei gleichzeitiger Versteifung von Ge-
onen sowie Arthrodesen stellen operative Möglichkeiten dar, bei lenken des Daumens und von Fingern ergibt sich beispielsweise
578 Kapitel 23 · Kapsel-Band-Läsionen und Luxationen im Fingerbereich (einschließlich Arthrodesen)

eine sich potenzierende Funktionsminderung, sodass bei solchen Bartelmann U, Kotas J, Landsleitner B (1997) Ursachen von Nachoperationen
Patienten von vornherein ein gedankliches Durchspielen der re- nach Osteosynthesen von Finger- und Mittelhandfrakturen. Handchir
sultierenden Handgesamtfunktion erforderlich ist. Die Indikation Mikrochir Plast Chir 29: 204–208
ist in solchen Fällen umso strenger zu stellen und eine sinnvolle Berger A, Hierner R (Hrsg) (2009) Plastische Chirurgie, Band IV: Extremitäten.
Kombination mit arthroplastischen Methoden zu suchen. Springer, Heidelberg
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23.3.2 Finger
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776–781
Mögliche Komplikationen sind Broome A, Cedell C, Collen S (1964) High plaster immobilization for fracture
▬ Verletzung des Hauptastes des N. radialis am Zeigefinger und of the carpal scaphoid bone. Acta Chirurg. Scand 128: 42–45
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ges am Drahtseil und Druck der Bleiplombe an der Haut, Notfall. 2. Aufl. Hippokrates, Stuttgart
▬ Zu lange Ruhigstellung der Finger in einem Gipsverband, die Büchler U (1987) Minicondylenplättchen. Handchir Mikrochir Plast Chir 19:
136–144
zu Bewegungseinschränkungen im Bereich der Fingergrund-
Büchler U, Fischer T (1987) Use of minicondylar plate for metacarpal and
und Mittelgelenke führt, sodass es schließlich längerer kran-
phalangeal periarticular injuries. Clin Orthop 214: 53–58
kengymnastischer Bewegungsübungen bedarf, Bunnel S (1956) Surgery of the hand. Lippincott, Philadelphia London
▬ Zerbrechen von kleinen Fragmenten durch überdimensionier- DaCruz DJ, Slade RJ, Malone W (1988) Fractures of the distal phalanges. J
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▬ Hitzenekrose bei Einbringen von Drähten. Das Gupta KR, Hornung W, Bach C, Germann G (1996) Funktionelle Ergeb-
nisse nach operativer Versorgung von Verletzungen der Fibrocartilago
Die häufigste Komplikation besteht in der Schädigung des ulnaren palmaris. Handchir Mikrochir Plast Chir 28: 249–253
dorsalen Hautnervs, meistens durch Hackendruck oder Missach- Davi S (1968) Humphack wrist. Panminerva Med 10: 171–175
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Der häufigste Fehler bei der Diagnostik derartiger Bandläsio-
tion of the hand: Surgery and therapy. Mosby, St. Louis, S 1165–1174
nen liegt in der inadäquaten Stabilitätsprüfung. Meistens wird nur
Dobyns J, Linscheid R (1975) Traumatic instability of the wrist. Instruct
eine Ebene geprüft und (röntgenologisch) dokumentiert. Für eine Course Lect 24: 182–199
exakte Festlegung des Schadensausmaßes ist es wichtig, die multi- Dray L, Eaton RG (1988) Dislocation and ligament injuries in the digits. In:
direktionale manuelle Prüfung vorzunehmen. Green DP (Hrsg) Operative hand surgery. Vol 1. Churchill Livingstone,
Besteht die Indikation zur operativen Versorgung, muss inner- Edinburgh, S 778–811
halb von 10 bis maximal 15 Tagen eine Versorgung durchgeführt Durham JW, Khuri S, Kim MH (1993) Acute and late radial collateral ligament
werden, da sonst durch die intrinsische Bandretraktion eine derar- injuries of the thumb metacarpophalangeal joint. J. Hand Surg. 18 A:
tige Verkürzung der Bandstümpfe eintritt, dass eine direkte Rekon- 232–237
struktion in allen Ebenen oft nicht mehr möglich ist. Ender HG, Hintringer W (1986) Die perkutane Versorgung von knöchernen
Ausrissen der Strecksehne und Seitenbändern an den Fingern mit dem
Bewegungseinschränkung durch enge Bandnaht in Beugestel-
Hakendraht. Unfallchirurgie 12: 143–147
lung des Grundgelenks und zu lange Ruhigstellung sind ebenso
Englert HM (1976) Hamulus ossis hamate Pseudarthrose als Ursache anhal-
möglich. Fehlende Krankengymnastik führt bald nach der Ruhig- tender Schmerzen im Hypothenar. Handchirurgie 8: 39–40
stellung zur Funktionseinschränkung. Epping W (1982) Diskussion zu Pseudarthrosen des Scaphoids. In: Nigst H
Die Beugekontraktur des Mittelgelenks entsteht als Folge einer (Hrsg) Frakturen, Luxationen und Dissoziationen der karpalen Knochen.
unzureichenden Streckstellung oder nach Operation bei unzurei- Hippokrates, Stuttgart (Bibliothek für Handchirurgie)
chender Kontrolle und Nachsorge. Fink D, Gasperschitz C (1978) Verrenkungen und Verrenkungsbrüche der Car-
Die Fixationsdauer sollte 1–3 Wochen nicht überschreiten. Bei pometacarpalgelenke II–V. Unfallheilkunde (Tagung in Salzburg) 1978
bestehenden Schmerzen ist jedoch eine kurzfristige Ruhigstellung Forster RJ, Hasting II H (1987) Treatment of Bennett, Rolando and vertical
auf einer Schiene in Streckstellung des Mittelgelenks zu empfehlen. intraarticular trapezial fractures. Clin Orthop 214: 121–129
Friedel R, Dorow C, Schmidt I, Fährmann M (1996) Prinzipien der Osteosyn-
Eine bleibende Restverdickung am Mittelendgelenk ist häufig zu
thesen an der Hand. Zentralbl Chir 120: 934–939
beobachten, wobei Fingerkompressionshandschuhe oder -finger-
Gabl M, Lutz M, Pechlaner S, Fink C (1996) Perilunäre Luxation und Luxati-
linge gute Dienste leisten. Über die mögliche Verdickung der Mit- onsfraktur – Ergebnisse nach operativer Versorgung. Unfallchirurgie 99:
telgelenke sollten die Patienten von vornherein mit und ohne OP 650–655
aufgeklärt werden. Gedda KP, Moberg E (1953) Open reduction and osteosynthesis of so-called
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24

Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre


Korrektur knöcherner Fehlstellungen)
Hossein Towfigh
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg)

24.1 Allgemeines – 582


24.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 582
24.1.2 Epidemiologie – 584
24.1.3 Ätiologie – 584
24.1.4 Diagnostik – 585
24.1.5 Klassifikation – 586
24.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 586
24.1.7 Therapie – 591
24.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 593
24.2 Spezielle Techniken – 606
24.2.1 Technik der direkten Refixierung des Fragments bei knöchernem Strecksehnenausriss
nach offener Reposition mithilfe einer transossären Ausziehnaht nach Lengemann – 606
24.2.2 Technik der direkten Refixierung des Fragments bei knöchernem Strecksehnenausriss
nach offener Reposition mit Kirschner-Drähten oder in Rückbohrtechnik – 606
24.2.3 Technik der direkten Refixierung des Fragments bei knöchernem Ausriss der tiefen Beugesehne nach
offener Reposition mithilfe einer Ausziehnaht nach Lengemann, Knochenanker oder Schraube – 606
24.2.4 Technik der Zugschraubenosteosynthese bei monokondylären Frakturen im Mittelglied-(P2-)
und Grundglied-(P1-)Bereich – 607
24.2.5 Technik der gekreuzten Kirschner-Draht-Osteosynthese bei Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-) und
Grundglied-(P1-)Bereich – 607
24.2.6 Technik der interossären Cerclage in Kombination mit einem queren Kirschner-Draht nach
Robinson bzw. Lister bei Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-)Bereich – 607
24.2.7 Technik der Zugschraubenosteosynthese bei Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-)
und Grundglied-(P1-)Bereich – 607
24.2.8 Technik der dorsalen Plattenosteosynthese bei Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-)
und Grundglied-(P1-)Bereich – 608
24.2.9 Technik der intramedullären Kirschner-Draht-Fixation bei subkapitalen Frakturen
im Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-)Bereich – 609
24.2.10 Technik der Implantation eines Fixateur externe bei komplexen Knochen-Weichteil-Defekten
im Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-)Bereich – 609
24.2.11 Technik der geschlossenen Reposition und perkutanen Kirschner-Draht-Fixierung der
dorsalen Luxationsfraktur der Basis der Mittelphalanx mit Ausriss eines palmaren Fragments – 609
24.2.12 Technik der Korrekturosteotomien an den Phalangen – 609
24.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 612
24.3.1 Frakturen – 612
24.3.2 Knöcherne Fehlstellungen im Fingerbereich – 612
Weiterführende Literatur – 612

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


582 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

24.1 Allgemeines ist deshalb aus rekonstruktiver Sicht eine sog. »Niederresistenzzo-
ne« ( Kap. 35).
24.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Die Haut im dorsalen Fingerbereich ist Felderhaut. Sie ist
Physiologie vor allem auf Elastizität ausgelegt. Einschränkungen der dorsalen
Elastizität führen schnell zu Bewegungseinschränkungen im PIP-
Mit Ausnahme des Daumens besitzt jeder Finger drei Glieder, die Gelenk-Bereich. Die Haut im palmaren Fingerbereich ist Leisten-
Grund- (P1), Mittel- (P2) und Endphalanx (P3) (⊡ Abb. 24.1). Am haut. Sie ist vor allem auf mechanische Belastbarkeit (P1, P2 und
Daumen fehlt die Mittelphalanx, die Endphalanx (P3) ist dafür die proximale Hälfte von P3) und Tastsinn (distale Hälfte von P3)
etwas länger und stärker. ausgelegt.
Die besondere funktionelle Situation ist durch folgende anato- Das Fingerskelett wird von einem handschuhförmig anliegen-
mische Charakteristika gekennzeichnet: den Sehnensystem umhüllt, dessen Gleitfunktion bei jeder opera-
1. fehlende Muskulatur, tiven Freilegung in Mitleidenschaft gezogen wird. Bereits kleine
2. spezielle Hautsituation dorsal und palmar, anatomische Veränderungen können zu bedeutenden Funktions-
3. enge topografische Beziehungen von Knochen, Sehnen, Ner- störungen führen (⊡ Abb. 24.2).
ven und Gefäßen, Finger können aus biomechanischer Sicht als ein osteotendoli-
4. spezielle osteofibrotendinöse Architektur. gamentäres System betrachtet werden. Das 2- bzw. 3-gliedrige Ske-
lettsystem wird durch ligamentäre Verstärkungen im Kapsel-Band-
Im gesamten Fingerbereich fehlen Muskelbäuche. Sehnen und Apparat der Fingergelenke passiv zusammengehalten. Durch die
Knochen liegen direkt unter der Haut. Der gesamte Fingerbereich verschiedenen dorsalen und palmaren Ansätze der extrinsischen

24 ⊡ Abb. 24.1 Lagebeziehung der Fingerglieder und -gelenke. a Ansicht von palmar, b Ansicht von dorsal, c Ansicht von lateral. (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)
24.1 · Allgemeines
583 24
und intrinsischen Muskeln wird das passive System bewegt. Un- stellungen bei Störungen des Systems verglichen mit dem Finger-
ter physiologischen Bedingungen steht das osteotendoligamentäre bereich ( Kap. 23).
System im Gleichgewicht, wobei die Flexoren leicht überwiegen. Störungen des osteotendoligamentären Systems aufgrund von
Die ganze Fingerkette steht unter Druckbelastung. Die Tatsache, Frakturen führen dazu, dass bei verschiedenen Frakturhöhen das
dass der Daumen nur 2 Skelettelemente besitzt, macht die Funk- physiologische Gleichgewicht unterschiedlich gestört wird und dass
tionskette stabiler, d. h. weniger anfällig für nachgeschaltete Fehl- daraus ganz spezifische Fehlstellungen resultieren (⊡ Abb. 24.3).

⊡ Abb. 24.2 Querschnittanatomie


durch den rechten Zeigefinger. (Aus
Lanz u. Wachsmuth 1959)
584 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

⊡ Abb. 24.3 Typische Bruchformen im Finger-


bereich, deren Fehlstellung durch die an den
Fragmenten ansetzenden Muskeln und Sehnen
erklärbar ist. a Die Intrinsic-Muskeln führen bei
einer diaphysären Fraktur im Grundgliedbereich
zu einer Flexion des proximalen Fragments mit
einem nach dorsal offenen Winkel. b Die Fraktur
der Mittelphalanx proximal der Insertionsstelle
des FDS bewirkt einen nach palmar offenen c
Winkel. c Die distal der Insertionsstelle des FDS
lokalisierte Fraktur der Mittelphalanx entwickelt
einen nach dorsal offenen Winkel. (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)

Dieses physiologische Phänomen sollte man sich bei der Frak- 24.1.3 Ätiologie
turbehandlung zu Nutze machen. Gelingt die Reposition und
kann eine ausreichende Retention bei geeigneten Bruchformen Knochendefekte können angeborenen oder erworben sein. Bei den
(Querfraktur) erreicht werden, können die Frakturen aufgrund der erworbenen Knochenverletzungen und -defekten unterscheidet
physiologischen Druckbelastung durch die dorsalen und palmaren man hinsichtlich der Ätiologie nach Trauma, Infekt oder Tumor.
Stabilisatoren geschützt bewegt werden. Fingerfrakturen entstehen meist durch direkte Gewalteinwirkung
und gehen fast immer mit einer Weichteilschädigung einher. Die
Quetschung des Endglieds führt zu einer Hämatombildung, wel-
24.1.2 Epidemiologie che, bedingt durch die zahlreichen sensiblen Rezeptoren, sehr
schmerzhaft ist. Die Beachtung der Weichteilverhältnisse und die
Von allen Körperteilen sind die Finger am meisten Verletzungen Entlastung von Hämatomen sind bei diesem Frakturtyp besonders
und Schäden ausgesetzt. Frakturen im Handbereich sind häufige wichtig. So muss ein subunguales Hämatom immer trepaniert
Verletzungen. Etwa 60% aller Frakturen im Bereich der Hand werden. Die anatomisch exakte Rekonstruktion des Nagelbetts ist
entfallen auf die Phalangen, etwa 30% auf die Mittelhand und ebenso wichtig wie der Erhalt des Fingernagels. Bei einer Luxation
ca. 10% auf die Handwurzel, wobei die Skaphoidfraktur eine be- des Fingernagels sollte dieser refixiert werden. Ein nicht mehr vor-
sondere Rolle einnimmt. Auch heute gilt die Aussage von Bunnel handener Fingernagel sollte nach Möglichkeit durch einen Kunst-
unverändert, dass Fingerfrakturen derart häufig sind und die damit nagel ersetzt werden, der vor Infektion schützt und der Nagelneu-
verbundenen Folgekosten die Unfallversicherungsträger genauso bildung den Weg bahnt ( Kap. 4).
belasten, wie Frakturen der langen Röhrenknochen. Durch die be- Die adäquate chirurgische Primärtherapie ist die beste Prophy-
sonderen anatomischen Verhältnisse im Fingerkuppenbereich und laxe zur Vermeidung von Fehlstellungen und von Störungen der
24 die Häufigkeit der Verletzungen kommt diesen Frakturformen eine Knochenbruchheilung. Die Gefahr einer Ausheilung in Fehlstel-
besondere Stellung zu. lung ist insbesondere bei langen Schrägfrakturen, Trümmerbrü-
24.1 · Allgemeines
585 24

a b c

⊡ Abb. 24.4 Klinische Untersuchung von Achsenfehlstellungen im Fingerbereich. a Beim physiologischen Faustschluss zeigen die Achsen der Phalangen
auf das Os scaphoideum. b Bei einem proximalen Rotationsfehler ist der harmonische Faustschluss gestört. Die Folge ist eine ulnarseitige oder radialseitige
Achsabweichung. In der Funktionsdiagnostik divergieren oder konvergieren die Fingerstrahlen. Je distaler ein Rotationsfehler gelegen ist, desto weniger
beeinflusst er die Konvergenz oder Divergenz der Phalangen. c Die Verkippung der Fingernagelebene ist ein deutliches Zeichen für eine distale Rotationsfehl-
stellung. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

chen und bei traumatischem Substanzverlust gegeben. Eine ver- densein von palmaren Begleitverletzungen mit Zerstörung der
zögerte Knochenbruchheilung und die Ausbildung hypertropher Gefäß-Nerven-Bündel muss frühzeitig die Entscheidung getroffen
Pseudarthrosen werden im Bereich der Röhrenknochen der Hand werden, den Patienten in eine handchirurgische Spezialklinik zu
beobachtet. Atrophe Pseudarthrosen hingegen sind ungewöhnlich überweisen, die über einen Schwerpunkt verfügt und in der mikro-
und basieren meist auf Defektfrakturen. chirurgische Operationsverfahren beherrscht werden.
Die Röntgenaufnahmen werden möglichst im dorsopalma-
ren und exakt seitlichen Strahlengang für jeden Finger getrennt
24.1.4 Diagnostik angefertigt. Hier hat sich die Vergrößerungstechnik für Finger-
aufnahmen bewährt, um z. B. auch knöcherne Kapsel-Band-Ver-
Die Untersuchung beginnt mit der Inspektion der Hand, sodass letzungen nicht zu übersehen. Das Anfertigen einer 3. schrägen
der Untersucher einen Überblick über die Weichteilsituation, die Ebene ist nur ausnahmsweise notwendig. Rotationsfehler lassen
Sensibilität und Durchblutung bekommt. Grobe Fehlstellungen der sich im Röntgenbild nur schwer im vollen Ausmaß dokumentie-
Fingerachsen oder Luxationen werden selten übersehen. Typische ren. In den Standardröntgenaufnahmen ist ein Rotationsfehler nur
Bruchformen sind durch die enge Verbindung mit dem umgeben- durch die Verkippung der Abbildung in Richtung der seitlichen
den Kapsel-Band-Apparat sowie den Streck- und Beugesehnenan- Projektion dargestellt. Für die Diagnostik der Fehlstellungen in der
sätzen zu erklären (⊡ Abb. 24.3). Sagittalebene sowie bei Varus- und Valgusfehlstellungen bestehen
Ein besonderes Augenmerk verdienen die Rotationsfehlstel- weniger Schwierigkeiten. Meistens sind diese offensichtlich und
lungen der Finger, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar der Röntgendiagnostik gut zugänglich. Bei der konventionellen
sind. Rotationsfehler erkennt man daran, dass der Fingernagel Röntgenaufnahme liegt die Hand direkt auf der Filmkassette. Eine
nicht in einer Reihe mit den übrigen Nägeln liegt, sondern nach klinisch relevante geometrische Verzerrung tritt daher nicht auf.
der Seite hin verdreht abweicht. Achsabweichungen, wie auch Somit können sowohl die metrischen Werte als auch die ausge-
die Rotationsfehlstellungen, werden dann deutlich, wenn man die messenen Winkelgrade für die Therapieplanung einer sekundären
Fingerstellung bei Faustschluss überprüft. Hier über- oder unter- Korrekturosteotomie verwendet werden. Gelegentlich ist, zur ex-
kreuzen die verletzten Finger die Nachbarfinger und zeigen so die akten Einschätzung des Ausmaßes einer geringen Verletzung oder
Fehlstellung an (⊡ Abb. 24.4). einer Fraktur, eine hochauflösende computertomografische Unter-
Die subtile klinische Untersuchung der Finger zum Erkennen suchung in koronarer oder sagittaler Rekonstruktion erforderlich.
von Bandrupturen oder Sehnenverletzungen ist wegen der vorhan- Für die genauere Weichteildiagnostik kann auch eine Kernspinto-
denen Schmerzen nicht immer leicht durchzuführen, aber für die mografie wichtige Informationen liefern. Bei dieser Untersuchung
sich hieraus abzuleitende Behandlungsstrategie besonders wichtig. sollte auch eine Bandverletzung oder knöcherne Bandverletzung
Wenn primär nach dem Unfall kein eindeutiger Befund zu erhe- mit beurteilt werden.
ben ist, muss nach Rückgang der Weichteilschwellung erneut eine Für die intraoperative Diagnostik von Achsenfehlstellungen
klinische Kontrolle erfolgen. Hierbei ist gelegentlich der Vergleich stehen metallene, sterilisierbare Winkelmesser (Goniometer) oder
zur gesunden unverletzten Gegenseite hilfreich. Beim Vorhan- Zentimetermaße zur Verfügung.
586 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

24.1.5 Klassifikation

Frakturen
Eine einheitlich verwendete Klassifikation der Fingerfrakturen be-
steht nicht. In Anlehnung an die AO-Klassifikation (Petracic u.
Siebert 1998) werden anhand der Buchstaben und Zahlen die Frak-
turen und deren Lokalisation des jeweiligen Fingerstrahls beschrie-
ben. Dabei wird das Ausmaß der Weichteilverletzung nicht berück-
sichtigt. Ein wesentliches morphologisches Kriterium besteht bei
Dislokation, Instabilität und Gelenkbeteiligung (⊡ Abb. 24.5).
Im Endgliedbereich können folgende Frakturformen unter-
schieden werden:
1. Nagelkranzfrakturen,
2. Schaftfrakturen,
3. Basisfrakturen mit und ohne Gelenkbeteiligung und
4. Ausrissfrakturen der Beuge- und Strecksehnenansätze.

Frakturformen im Mittel- und Grundgliedbereich sind:


1. Trochleafrakturen,
2. Schaftfrakturen und
3. Basisfrakturen mit Gelenkbeteiligung (PIP- oder MP-Gelenk).

Knöcherne Fehlstellungen
Die häufigste Form einer knöchern fehlverheilten Fraktur im Fin-
a gerbereich ist die Verkürzungsstellung. Weitere Fehlstellungen sind
Achsenfehler in der Sagittalebene, Achsenfehler als Varus-Valgus-
Fehlstellungen und Rotationsfehler. Die Fehlstellungen können
einzeln oder (meist) kombiniert auftreten.

24.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie

Frakturen im Endgliedbereich
Nagelkranzfrakturen
Geschlossene und wenig verschobene Frakturen werden konserva-
tiv mit einem Schienenverband für den Finger behandelt. Sobald
es die Weichteilverhältnisse zulassen, kann dann z. B. eine Stack-
Schiene für 2 Wochen getragen werden.
Bei offenen Verletzungen des Nagelkranzes mit multipler Frag-
mentierung erfolgt die Entfernung der losen avitalen Fragmente durch
die offene Weichteilverletzung, da schlecht durchblutete Fragmente
zur Sequestrierung neigen. Die offene Wunde kann nach Säuberung
und Débridement mit wenigen lockeren Nähten adaptiert werden.
Nach Abschluss der Wundheilung soll eine Desensibilisierungsbe-
handlung durchgeführt werden, um eine schnellere Kuppenabhär-
tung zu erreichen. Trotz regelrechter Behandlung verbleiben häufig
Beschwerden, die sich in Wetterempfindlichkeit, Schmerzhaftigkeit,
Nagelwachstumsstörungen und Sensibilitätsstörungen manifestieren.

Schaftfrakturen
Auch hier gilt, dass nicht verschobene Frakturen konservativ mit
einem Schienenverband für 3 Wochen behandelt werden. Die Indi-
kation für die Operation ergibt sich bei verschobenen oder geschlos-
sen nicht zu reponierenden Frakturen. In der Regel wird die Fraktur
durch die vorhandene Verletzungswunde hindurch reponiert und
mit 1 oder 2 Bohrdrähten der Stärke 1,0 mm stabilisiert. Wenn mög-
lich sollte dieser von distal dorsolateral eingebracht werden, um die
sensiblen Nervenfasern der Fingerpulpa zu schonen. Es empfiehlt
b sich das subkutane Versenken des Drahts, um so die Infektionsge-
fahr zu reduzieren. Bei reizloser Lage des Bohrdrahts sollte dieser
⊡ Abb. 24.5 AO-Klassifikation der Fingerfrakturen. (Aus Schmit-Neuerburg 4 Wochen belassen werden, unterstützt von einem Schienenverband.
24 et al. 2001) Eine temporäre DIP-Arthrodese soll vermieden werden.
24.1 · Allgemeines
587 24
erfolgt bei genügend großen Fragmenten die Zugschraubenosteo-
synthese mit 1,0- bis 1,5 mm selbstschneidenden Titanschrauben.
Dies erlaubt eine sichere Fixierung und eine funktionelle Nachbe-
handlung ohne zwingende Notwendigkeit der Metallentfernung
(⊡ Abb. 24.7).

Ausrissfrakturen der Beuge- und Strecksehnenansätze


Eine besondere Problematik stellen die Ausrissfrakturen der Beu-
ge- und Strecksehnenansätze dar. Gelingt eine Reposition und
Retention, liegt meist eine partielle Ausrissverletzung vor, bei der
die Narbenbildung entlang noch bestehender Sehnenstrukturen zu
einer befriedigenden Spontanheilung führt. Hier sollte eine kon-
servative Therapie gewählt werden.
Gelingt die geschlossene Reposition und Retention nicht in idea-
ler Weise, ist die operative Therapie indiziert. Für die operative The-
rapie stehen mehrere Operationsverfahren zur Verfügung ( Kap. 5).

Knöcherne streckseitige Verletzungen


In Abhängigkeit von der Größe des knöchernen Fragments kom-
a b men mehrere Techniken zur Anwendung:
Bei einem kleinen Knochenfragment haben sich die tran-
⊡ Abb. 24.6 Basisnahe Endphalanxfraktur. a Präoperativer Aspekt, b Fixation sossäre Lengemann-Draht-Naht und Modifikationen davon be-
mit 2 gekreuzten Kirschner-Drähten. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) währt. Bei größerem Knochenfragment, vor allem wenn die Größe
mehr als ein Drittel der Gelenkfläche der Endgliedbasis ausmacht,
sollte eine möglichst anatomische Refixierung durchgeführt wer-
den. Dies kann durch direkte Fixierung des Fragments nach of-
fener Reposition mit Schrauben, Kirschner-Drähten alleine oder
in Rückbohrtechnik und mithilfe einer Schraubenosteosynthese
erfolgen. Bei genügend großem Fragment wird nach offener Re-
position dieses direkt z. B. mit einer 1,3 mm selbstschneidenden
Titanschraube fixiert. Die Strecksehne selbst darf dabei nicht ab-
gelöst werden. Der Schraubenkanal muss durch den Sehnenansatz
hindurchgebohrt und der Bohrkanal ein zweites Mal aufgefunden
werden, um die Schraube exakt zu platzieren.
Bei allen genannten Verfahren ist eine stufenlose Reposition
entscheidend. Jeder Operateur sollte für sich das geeignetste Ver-
fahren verwenden, von dem er überzeugt ist, dass er damit die
besten Ergebnisse erzielen kann ( Abschn. 5.2.2).
Bei ausgedehnten Verletzungen, die u. a. auch mit einem Kno-
a b c chendefekt einhergehen, ist die Möglichkeit einer primären Endge-
lenkarthrodese in Erwägung zu ziehen ( Kap. 23).
⊡ Abb. 24.7 Fraktur der Basis der Endphalanx mit Gelenkbeteiligung. a Prä-
operativer Aspekt, b Zugang über einen dorsalen Hautschnitt, c Zugschrau- Knöcherne beugeseitige Verletzungen
benosteosynthese. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Kleine knöcherne Ausrisse der tiefen Beugesehne (Sehne des
M. flexor digitorum profundus) werden, wie isolierte ansatznahe
Beugesehnendurchtrennungen, mittels transossärer Ausziehnaht
Basisfrakturen mit und ohne Gelenkbeteiligung nach Lengemann versorgt ( Abschn. 24.2.3) oder nach Abtragen
Die konservative Behandlung ist für stabile, unverschobene Fraktu- des kleinen Fragmentes wieder reinseriert (Mitek-Anker). Große
ren ohne Gelenkbeteiligung geeignet. Eine entsprechende Schiene, palmare Fragmente, wie sie bei dem dorsalen Verrenkungsbruch
die das Endgelenk ruhigstellt, muss für 8 Wochen angelegt werden. vorkommen, müssen mit einer Schraube oder gekreuzten Kirsch-
Radiologische Stellungskontrollen sind angezeigt, um eine sekun- ner-Drähten refixiert werden.
däre Dislokation durch den Ansatz der Beuge- und Strecksehnen
frühzeitig zu erkennen. Bei dislozierten basisnahen Schaftfraktu- Frakturen im Mittelglied- und Grundgliedbereich
ren ohne Gelenkbeteiligung ist die Bohrdrahtosteosynthese evtl. Trochleafrakturen
mit 2 gekreuzten Drähten Methode der 1. Wahl (⊡ Abb. 24.6). Die- Stabile Frakturen ohne Gelenkstufe und Achsabweichung werden
se sollte nach geschlossener Reposition perkutan vorgenommen konservativ behandelt. Hierzu erfolgt die Anlage einer palmaren
werden. Ebenfalls kann diese Osteosyntheseform mit einer immo- Fingergipsschiene für 4 Wochen in Intrinsic-plus-Stellung. An-
bilisierenden Fingerschiene kombiniert werden. Die Bohrdrähte fangs sollte eine engmaschige Röntgenkontrolle durchgeführt wer-
müssen für 3–4 Wochen belassen werden. den, um eine sekundäre Dislokation nicht zu übersehen.
Verschobene Gelenkfrakturen, die geschlossen nicht reponiert Für die Bohrdraht- (⊡ Abb. 24.8) oder Schraubenosteosynthese
und retiniert werden können, werden durch einen streckseitigen ( Abschn. 24.2.4) kommen alle Frakturen in Frage, die geschlossen
treppenförmigen Zugang dargestellt. Nach stufenloser Reposition nicht exakt reponiert oder retiniert werden können. Ziel einer
588 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

a b

⊡ Abb. 24.8 Monokondyläre Trochleafraktur der Mittelphalanx. a Präope-


rativer Aspekt, b mit 2 Kirschner-Drähten versorgte Fraktur. (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)
a b

⊡ Abb. 24.10 Bikondyläre Grundphalanxfraktur. a Präoperativer Aspekt,


b Reposition mit winkelstabiler Platte

Schwieriger ist die Situation bei inter- und subkondylären


Frakturen. Hierbei wird zunächst versucht, die Kondylenebene
durch Bohrdrähte oder Zugschrauben zu rekonstruieren. Die wie-
derhergestellte Kondyle wird nun mit der Metaphyse fixiert, indem
2 schräg eingebrachte Bohrdrähte bis in die Gegenkortikalis vorge-
bohrt werden (⊡ Abb. 24.9).
Alternativ kann auch eine Platte (winkelstabile Platte) angebracht
werden, wenn es die knöcherne Situation zulässt (⊡ Abb. 24.10).
Das operative Ergebnis wird unter Durchleuchtungskontrolle
dokumentiert und der osteosynthetisch versorgte Finger auf einer
palmaren Fingerschiene ruhiggestellt. Die Nachbehandlung orien-
tiert sich an der erreichten Stabilität. Eine frühzeitige Bewegungs-
therapie aus der Schiene heraus sollte angestrebt werden. Die Bohr-
drähte werden nach 4 Wochen entfernt, die Schrauben möglichst
belassen oder erst nach 4–6 Monaten entfernt. Nach Entfernung
der Bohrdrähte schließt sich eine intensive, handspezifische kran-
kengymnastische Bewegungstherapie an.
a b
Schaftfrakturen
⊡ Abb. 24.9 Bikondyläre Grundphalanxfraktur. a Präoperativer Aspekt, Stabile Schaftfrakturen ohne Achsabweichungen und Rotations-
b Reposition und Schraubenosteosynthese der intertrochlearen Fraktur und fehlstellung können konservativ behandelt werden. Auch hier
perkutane Kirschner-Draht-Fixation. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) sollte eine sekundäre Dislokation der Fraktur mit Rotation und
Achsfehlstellung durch engmaschige klinische und radiologische
Kontrollen erkannt und der operativen Behandlung zugeführt
solchen Osteosynthese ist es, sekundäre Dislokationen zu vermei- werden.
den und eine frühzeitige Mobilisation zu gewährleisten. Hierzu In Abhängigkeit von der Frakturform und dem Ausmaß des
eignet sich neben dem perkutanen Vorgehen ein streckseitiger Weichteilschadens stehen bei Instabilität und Dislokation folgende
oder mediolateraler Zugang. Bei der Benutzung von Bohrdrähten operative Verfahren zur Verfügung:
muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass bei hochtourigem 1. Bohrdrahtosteosynthese,
Einbohren des Drahtes in den kortikalen Knochen eine erhebliche 2. interossäre Cerclage in Kombination mit einem queren
Hitzeentwicklung entsteht, die später zu osteolytischen Nekrosen Kirschner-Draht nach Robinson bzw. Lister,
führt. Ebenso sind Mehrfachbohrungen zu vermeiden. Die Draht- 3. Zugschraubenosteosynthese,
dimension ist dem Knochen anzupassen, infrage kommen Bohr- 4. Plattenosteosynthese (gerade Platte, Y-, H-, L-,T-Platte)
24 drähte der Stärke 0,8–1,25 mm oder selbstschneidende Schrauben 5. intramedulläre Drahtschienung,
der Stärke 1,0–1,5 mm. 6. Fixateur externe.
24.1 · Allgemeines
589 24

a c

⊡ Abb. 24.11 Korrektur einer posttrau-


matischen Rotationsfehlstellung mit Hilfe
einer Drehfehlerkorrekturplatte. a Präope-
rativer klinischer Befund, b intraoperativer
klinischer Befund, c intraoperativer rönt-
genologischer Befund, d postoperativer
b d
klinischer Befund

Die gekreuzte Kirschner-Draht-Osteosynthese ist indiziert bei in- den kann. Auch im Bereich der Mittelhand (2,0 mm) und der
stabilen Schaftfrakturen und offenen Frakturen ( Abschn. 24.2.5). Phalangen(1,5 mm) können mehrere winkelstabile Schrauben ge-
Die interossäre Cerclage in Kombination mit einem queren Kirsch- lenknah eingebracht werden und somit sind aktive Übungsbe-
ner-Draht nach Robinson bzw. Lister ist indiziert bei Querfraktu- handlungen frühzeitig möglich. Auch bei Defektbildungen und
ren ( Abschn. 24.2.6) als Alternative zur Plattenosteosynthese. Bei nach Amputationen können die winkelstabilen Implantate dort, wo
langen Schräg- und Drehbrüchen eignet sich die Zugschraubenos- eine große Stabilität notwendig erscheint, gute Dienste leisten.
teosynthese zur minimal-invasiven Stabilisierung ( Abschn. 24.2.7). Weiterhin stehen Platten zur Korrektur der Drehfehler sowohl
Die Indikation zur Plattenosteosynthese ( Abschn. 24.2.8) ist grund- im Bereich der Mittelhand als auch im Bereich der Phalangen
sätzlich zurückhaltend zu stellen, erlebt aber bedingt durch neuere, in einer Dimension von 2,0 mm und 1,3 mm von verschiedenen
feinere Osteosynthesematerialien, vor allem aus Reintitan, eine Anbietern in Titan zur Verfügung. Bei den Defektfrakturen, vor
gewisse Renaissance. Inadäquat angebrachte Osteosynthesen an allem Kreissägenverletzungen und Amputationen, ist eine exakte
der Hand mit zwar gutem Röntgenbefund, aber zum Teil katast- Rotationsstellung des Fingers schwierig, sodass es hier oft zu einer
rophalen Verwachsungen der Sehnen und Bänder, haben in den Drehfehlstellung und Achsenknickung kommen kann. Die neuen
letzten Jahren einen ungerechtfertigt schlechten Ruf der Platte- Korrekturplatten leisten, abgesehen von Korrekturosteotomien im
nosteosynthese an der Hand hervorgerufen. Es können jedoch bei Bereich der Mittelhand und der Phalangen, auch bei Primärver-
peinlichst genauer Weichteilschonung und Rekonstruktion heute sorgung, vor allem der queren Frakturen, gute Dienste. Durch das
mit dem neuen Plattensystem kurzfristig sehr gute Erfolge, auch im quere Langloch in der Drehfehlerkorrekturplatte kann zunächst
Bereich der Phalangen und der Mittelhand, erzielt werden. die Platte grob in Mittelstellung fixiert und anschließend bei guter
Die Indikationen zur Plattenosteosynthese am Schaftbereich Stabilität die Feineinstellung der Fingerdrehung vorgenommen
sind vor allem Defekt- und Trümmerfrakturen sowie offene oder werden. Die Breite und Wölbung des Querloches ist so dimensi-
veraltete Frakturen mit verzögerter Heilung. Hier werden ebenso oniert, dass aus der Mittelstellung heraus zu jeder Seite etwa 18°
die Implantate von 1,3–1,5 mm Schraubendurchmesser eingesetzt. Drehung, also um insgesamt 36°, korrigiert werden kann. Diese
Einen großen Nutzen bringen die winkelstabilen Implantate Maßnahme kann selbstverständlich auch bei Korrekturosteoto-
im Bereich der Mittelhand und der Phalangen sicherlich bei Kno- mien von fehlverheilten Frakturen genutzt werden (⊡ Abb. 24.11).
chendefekten und Frakturen im gelenknahen Bereich, vor allem Dislozierte subkapitale Frakturen der Grund- und Mittelglie-
dort, wo Bänder entspringen oder ansetzen wie bei bikondylären der lassen sich bei ausreichender Fragmentgröße auch nach ge-
Frakturen. Hier kommen enorme Kräfte bei der zwingend not- schlossener exakter Reposition mit einer anterograd oder retrograd
wendigen Übungsstabilität auf, denen mit neuen Systemen und eingebrachten intramedullären Enddrahtschienung adaptierend
den 1,5 mm winkelstabilen Implantaten Rechnung getragen wer- stabilisieren, wobei bei Einsatz von 2 Drähten, die dann auf ei-
590 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

ner Seite nach Abkneifen des Drahtes subkutan gelagert werden, Über eine Stichinzision auf der Streckseite des Mittelglieds im
eine gute Stabilität herbeigeführt werden kann ( Abschn. 24.2.9). Bereich des sehnenfreien Dreiecks wird der Markraum mit einem
Bei offenen Trümmerfrakturen, die immer mit einer erheblichen 2-mm-Bohrer tangential aufgebohrt und die Fraktur mit einem
Weichteilschädigung einhergehen und bei denen sich deshalb eine umgebogenen Bohrdrahtende oder Raspatorium unter Bildwand-
Freilegung der Fraktur verbietet, ist der Fixateur externe ebenso lerkontrolle reponiert. Die Trochlea des angrenzenden Grund-
wie bei septischen Komplikationen eine gute Alternative ( Ab- glieds stellt dabei das Widerlager für die aufgestößelte Gelenkfläche
schn. 24.2.10). dar. Anschließend werden mehrere 0,6–0,8 mm starke Bohrdrähte
fächerförmig in 2 Ebenen eingebracht, um die Gelenkfläche zu
Basisfrakturen mit Gelenkbeteiligung retinieren ⊡ Abb. 24.13). Dieses Verfahren ist auch mit einer Spon-
Basisfrakturen mit Gelenkbeteiligung im proximalen Inter- giosaplastik zu kombinieren. Die anschließende Ruhigstellung in
phalangeal-(PIP-)Gelenk Intrinsic-plus-Stellung sollte 3–4 Wochen betragen, die Metallent-
Zwei anatomischen Gegebenheiten ist hier Rechnung zu tragen. fernung nach 5–6 Wochen erfolgen.
Zum einen kommt es bei dorsalen Verrenkungsbrüchen des Mittel- Als Alternative kann nach der Reposition eine Remodellierung
gelenks zur Absprengung eines palmaren Fragments, zum anderen der Gelenkfläche durch die Extensionsbehandlung mit Fixateur
kann der Tractus intermedius knöchern ausreißen. externe nach Suzuki oder die Verwendung eines kleinen Finger-
Kleine knöcherne Ausrisse der palmaren Platte ohne wesentli- bewegungsfixateurs erreicht werden. Das Anbringen des Fixateurs
che Beteiligung der Gelenkfläche können nach einwöchiger Ruhig- ist einfach, erfordert jedoch eine exakte Lage der eingebrachten
stellung frühzeitig funktionell behandelt werden. Bei schmerzhaf- Drähte am Köpfchen des Grundglieds und des Mittelglieds, wobei
ter Streckstellung ist gelegentlich die Indikation zur Resektion des
nicht gelenktragenden palmaren Fragments gegeben.
Bei genügender Größe der Fragmente und ohne Impression
der Gelenkfläche erfolgt nach geschlossener Reposition durch ma-
ximale Beugung des Mittelgelenks die streckseitige Bohrdrahtfixa-
tion. Zusätzlich wird das Gelenk für 3 Wochen temporär transfi-
xiert ( Abschn. 24.2.11).
Gelingt die geschlossene Reposition nicht oder liegt bei Ver-
renkungsbrüchen die Impression der Gelenkfläche vor, so ist die
offene Reposition angezeigt. Nach einem palmaren Zugang mit
Bruner-Inzision wird das Gelenk seitlich eröffnet. Bei Bedarf kann
der Defekt mit Spongiosa aufgefüllt werden. Die Fraktur wird
reponiert, und die Stabilisierung der Fragmente erfolgt mit Bohr-
drähten oder einer Schraube (⊡ Abb. 24.12;  Abschn. 23.2.16). Die
Schraube oder die Drähte dürfen die Beugesehnen nicht tangieren.
Je nach Stabilität des Verfahrens erfolgt eine 3-wöchige Ruhigstel-
lung in Intrinsic-plus-Position mit nachfolgender funktioneller
Weiterbehandlung.
Da die offene Reposition oft mit erheblichen Schwierigkei-
ten verbunden ist und die funktionellen Resultate nach längerer
Ruhigstellung nicht befriedigen, soll hier noch einmal auf eine b
indirekte Reposition mit perkutaner Ausstopfung verwiesen wer-
den, die auch mit einer dynamischen Traktion zu kombinieren ist.
Klinische Studien zeigen, dass weniger die gesamte Rekonstruktion
a
der Gelenkfläche als vielmehr die Beseitigung der Subluxationsstel-
lung für den Behandlungserfolg entscheidend ist. ⊡ Abb. 24.13 Reposition der Gelenkfläche der Mittelphalanxbasis mit einem
Bei der Methode nach Hintringer u. Ender (1986) wird die umgebogenen Kirschner-Draht-Ende. a Reposition mit dem »Joystick«-Manö-
imprimierte Gelenkfläche perkutan vom Markraum her reponiert. ver, b Stabilisierung mit perkutan eingebrachten Kirschner-Drähten

⊡ Abb. 24.12 Ausriss eines palmaren Fragments


an der Basis der Mittelphalanx. a Präoperativer
24 Aspekt, b Schraubenosteosynthese. (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)
a b
24.1 · Allgemeines
591 24
durch den Zug der Gummizügel und Bewegungsmöglichkeit am brauchten Verfahren. Bei ausgedehnten Gelenkzerstörungen ist
Mittelgelenk eine Remodellierung der Trümmerfraktur und Auf- die Möglichkeit einer primären Arthrodese in Betracht zu ziehen.
hebung der Luxation in diesem Bereich erzielt werden sollte. Eine Bei komplexen Mehrfachverletzungen mehrerer Finger muss die
fortlaufende wöchentliche Röntgenkontrolle ist erforderlich. Bei Priorität so gesetzt werden, dass ein möglichst gutes Gesamtergeb-
fehlender Remodellierung oder fortbestehender Luxation oder Su- nis für die verletzte Hand resultiert. Neben einer sicheren stabilen
bluxation sollte rechtzeitig auf eine andere Methode umgestiegen Osteosynthese sind auch die mikrochirurgischen und plastischen
werden ( Abschn. 23.2.16). Operationsverfahren sicher zu beherrschen. Sekundäre Wiederher-
stellungsverfahren zur Verbesserung der Greiffunktion der Hand,
Basisfrakturen mit Gelenkbeteiligung im Metakarpophalan- wie z. B. Pollizisation oder freier Zehentransfer, sollten Zentren
geal-(MP-)Gelenk vorbehalten bleiben, die eine genügend große Erfahrung mit die-
An der Basis der Grundphalangen sind Stauchungsbrüche mit grö- sen Techniken haben. Je nach Erfahrung des Operateurs kommen
ßeren Trümmerzonen nicht selten. Nach Trojan (1969) sind funk- hier Platten-, Schrauben- und Drahtosteosynthesen in Frage.
tionelle Störungen bei diesen Verletzungen wider Erwarten gering.
Dagegen lassen sich größere Einzelfragmente mit Zugschrauben Korrekturosteotomien bei knöchernen Fehlstellungen
genau reponieren und fixieren. Im Hinblick auf die sofortige Entscheidend für die erfolgreiche Therapie der Achsabweichun-
funktionelle Nachbehandlung ist die Schraubenosteosynthese der gen im Fingerbeich ist die Operationsplanung in Verbindung mit
Bohrdrahtosteosynthese überlegen (⊡ Abb. 24.14). der korrekten Indikationsstellung. Hierbei sind die individuellen
Patientendaten wie (biologisches) Alter, Geschlecht, Beruf, Frei-
Osteosynthesen bei komplexen Fingerverletzungen zeitbeschäftigung, Seite der Gebrauchshand und vorbestehende
Hinsichtlich der Operationstechnik gibt es bei diesen Verletzun- Beeinträchtigungen an vorgeschalteten Bewegungssegmenten der
gen keine grundsätzlichen Unterschiede zu den zuvor genannten oberen Extremität zu berücksichtigen. Zudem fließen, neben dem
Verfahren, lediglich der Gesamtkontext der Verletzung ist ein an- Ausmaß der Fehlstellung auch Begleitverletzungen an Nerven,
derer. Die Rücksichtnahme auf die Weichteilstrukturen wie Haut, Gefäßen, Sehnen und Gelenken mit in die Beurteilung ein. Eine
Sehnen, Gefäße und Nerven bei der definitiven Erstversorgung ist Operationsindikation ist gegeben, wenn aus der knöchernen Fehl-
Voraussetzung für das Erreichen einer guten Funktion der meist stellung funktionelle und/oder ästhetische Beeinträchtigungen re-
schwer geschädigten Hand. Unterschieden werden sultieren, insbesondere dann, wenn Störungen der Feinmotorik,
▬ Amputationsverletzungen, eine Kraftminderung und Schmerzen bei Belastung in Verbindung
▬ Quetschverletzungen und mit Tendinosen auftreten.
▬ Explosionsverletzungen.

Eine stabile Osteosynthese ist auch hier immer die Vorausset- 24.1.7 Therapie
zung für die Versorgung der übrigen Strukturen. Die Osteosyn-
these muss ausreichend stabil, sicher und schnell durchführbar Frakturen
sein. Weitere Weichteilschädigungen müssen vermieden werden. Frakturen der Phalangen stellen zahlenmäßig den größten Anteil
Bohrdrähte und Fixateur externe sind zweifellos die meist ge- der Frakturen des menschlichen Skeletts dar. Da diese Verletzun-
gen weder spektakulär noch lebensbedrohlich sind, erhalten sie
trotz ihrer Häufigkeit und ihrer z. T. schwerwiegenden funktionel-
len Auswirkung auf die Handfunktion nicht immer die ihnen ge-
bührende Aufmerksamkeit. Die korrekte konservative Behandlung
stellt eine ebenso große Kunst dar wie die korrekt durchgeführte
Osteosynthese.
Sowohl für die konservative als auch für die operative Therapie
der Frakturen gilt folgende Grundregel:
> »Re«-position, »Re«-tention und »Re«-habilitation.

Konservative Therapie
Der überwiegende Anteil an Frakturen im Fingerbereich wird
konservativ behandelt. Nur bei einem geringen Anteil der Phalan-
genfrakturen besteht eine sichere Indikation zur Operation. Für
die konservative Therapie sind geschlossene, gering verschobene
und stabile Frakturen ohne Gelenkbeteiligung geeignet. In Lei-
tungsanästhesie wird die Fraktur durch Längszug reponiert, wobei
die Fingerspitze des Chirurgen als Hypomochlion benutzt wird.
Das distale Fragment wird bei einem dorsal offenen Winkel durch
einen palmaren Druck reponiert. Die Retention erfolgt bei stabilen
Frakturen auf einer palmaren Fingergipsschiene in Intrinsic-plus-
a b Position ( Kap. 2).
Nach primärer Schienenruhigstellung am Unfalltag werden zu
⊡ Abb. 24.14 Grundphalanxbasisfraktur mit Gelenkbeteiligung. a Präopera- einem späteren Zeitpunkt bevorzugt thermoplastische Materialien
tiver Zustand, b postoperativer Aspekt nach Osteosynthese mit 2 Schrauben. oder Kunststoffschienen verwendet, welche sich an die individuelle
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Anatomie besser anpassen und einen erheblichen Tragekomfort
592 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

bieten. Durch klinische und radiologische Kontrollen sollte eine Die Finger sind fast frei von einem das Skelett umschließenden
sekundäre Dislokation der Fraktur nicht übersehen werden. Sollte Muskelmantel. Eine dehnungsfähige subkutane Hautschicht fehlt.
es jedoch im weiteren Verlauf zu einer sekundären Dislokation Das Fingerskelett wird von einem handschuhförmig anliegenden
kommen, besteht innerhalb der ersten 10 Tage die Möglichkeit, Sehnensystem umhüllt, dessen Gleitfunktion bei jeder operativen
die Fraktur erneut zu reponieren und zu retinieren oder das The- Freilegung in Mitleidenschaft gezogen wird.
rapiekonzept zu ändern und sich für ein operatives Verfahren zu Die Kleinheit der Fragmente und der Knochen stellt höchste
entscheiden. Ansprüche an die Operationstechnik und das Osteosynthesemate-
Grundsätzlich bedeutet die konservative Behandlung nicht im- rial. Die biomechanisch orientierte Osteosynthese zielt somit nicht
mer eine reine statische Gipsruhigstellung, sondern sie ist bei sta- wie an den großen Röhrenknochen auf die Entlastung des Skeletts
bilen Frakturen mit frühfunktionellen Bewegungsübungen kombi- ab, sondern strebt eine möglichst physiologische Beanspruchung
nierbar. So können z. B. die Fingergelenke aus der Schiene heraus des Knochens an.
unter krankengymnastischer Anleitung geführt mobilisiert werden. Anstelle der postoperativen Ruhigstellung tritt die unmittelbare
Eine weitere Alternative ist die Mitnehmerschlaufe oder Solidari- Wiederaufnahme der Funktion. Die stabile Osteosynthese stellt
tätsschiene. Hierbei wird der frakturierte Finger am Nachbarfinger dem möglicherweise großen Operationstrauma den Vorteil der
mit einer Klettschlaufe befestigt. Diese temporäre Syndaktyliestel- frühzeitigen funktionellen Wiederherstellung der schmerzfreien
lung wirkt wie eine dynamische Orthese. 3 Wochen reichen aus, bis Funktion gegenüber und darf mit Nachteilen der konservativen
es im Frakturbereich zu einer Konsolidierung gekommen ist. Nach Therapie nicht behaftet werden.
3 weiteren Wochen ist bei Handarbeitern die volle Belastungsfähig- Bei korrekter Indikationsstellung und einwandfreier Technik
keit erreicht (⊡ Abb. 24.15). ist die übungsstabile Osteosynthese den konservativen Behand-
Bei stabilen Frakturen sollte eine frühzeitige Mobilisation unter lungsverfahren überlegen. Sie ist Voraussetzung für den Therapie-
krankengymnastischer Anleitung erfolgen, um der Ödembildung erfolg bei Vorliegen von Begleitverletzungen wie Schädigung des
und Gelenkeinsteifungen entgegenzuwirken. In der Regel reichen Hautweichteilmantels, der Sehnen, der Gefäße und Nerven. Die
3 Wochen aus, bis stabile Frakturen konsolidieren und danach die Voraussetzungen für die erfolgreiche Osteosynthese an der Hand
Ruhigstellung aufgegeben werden kann. Die strikte Immobilisation sind
ist verantwortlich für den größten Teil der Einsteifungen. Die akti- ▬ die Beherrschung der funktionellen Anatomie ( Abschn. 24.1.1),
ve globale Funktion wird zu 80% wiedererlangt, wenn die Immobi- ▬ die einwandfreie Kenntnis und Handhabung des Instrumenta-
lisation weniger als 4 Wochen beträgt. riums,
▬ Möglichkeit der intraoperativen Bildwandlerkontrolle mit der
Operative Therapie Funktion einer Bildvergrößerung,
Ziel der Osteosynthese ist die Wiederherstellung der exakten ana- ▬ die atraumatische Behandlung der Weichteile.
tomischen Form durch präzise Reposition der Fragmente. Sie ist
die biomechanische Voraussetzung für die Wiederherstellung der Handchirurgische Grundprinzipien, wie das Operieren in Blutlee-
Funktion. Bei der Übertragung der Grundregeln für die Anwen- re und die Verwendung der Lupenbrille sollten dabei unbedingt
dung von Osteosyntheseverfahren auf das Handskelett sind folgen- beachtet werden. Bei der Auswahl des operativen Zugangs muss
de Besonderheiten zu berücksichtigen. bei möglichst optimaler Sicht ein möglichst minimaler zusätzli-
cher (iatrogener) Weichteilschaden gesetzt werden. Für die meis-
ten elektiven operativen Zugänge wird ein dorsaler oder lateraler
Zugang gewählt. Bei bereits bestehendem Hautdefekt sollte diese
Inzision möglichst über Hilfsschnitte zur Erweiterung bestehender
Wunden geschaffen werden ( Kap. 4).
Abhängig von der Komplexität des Verletzungsmusters ist ein
Osteosyntheseverfahren zu wählen, das eine zusätzliche Freile-
gung und Devitalisierung des Knochens vermeidet. Hier kommt
dann z. B. eine perkutane Bohrdrahtosteosynthese oder die An-
lage eines Fixateur externe in Betracht. Wann immer möglich
muss sich der Osteosynthese eine frühfunktionelle Nachbehand-
lung anschließen, um der Gefahr von Verwachsungen vor allem
der Strecksehne mit nachfolgender Blockierung der Gleitfähigkeit
entgegenzuwirken.
Um eine freie Funktion nach einer Handverletzung zu erzielen,
ist die enge Zusammenarbeit im Team zwischen Handtherapeut,
Patient und Handchirurg wichtig. Ein verantwortungsvoller Ope-
rateur, der den intraoperativen Befund am besten kennt, muss auch
die Kontrolle der Nachbehandlung übernehmen, um in enger Ab-
stimmung mit dem Therapeuten ein individuelles Therapiekonzept
vorzuschlagen.
Auf die korrekte postoperative Verbandanordnung wurde
bereits hingewiesen. Wenn immer möglich, sollte der Verband
in Intrinsic-plus-Stellung angelegt werden, komprimierende Ver-
⊡ Abb. 24.15 Frühfunktionelle Frakturbehandlung im Syndaktylieverband. bände sind zu vermeiden. Die handchirurgische Operation endet
24 Bei Fingerfrakturen sollte nur eine distale Solidarisierung erfolgen um Schwel- für den Operateur nicht mit dem Eindrehen der letzten Schraube.
lungszustände zu vermeiden Er ist auch für den Verband und die Art der Ruhigstellung verant-
24.1 · Allgemeines
593 24
wortlich, die er persönlich durchführt. Die operierte Hand sollte Knöcherne Fehlstellungen im Fingerbereich
konsequent hochgelagert werden, um einen raschen Rückgang der Wann immer möglich sollte die Korreturosteotomie am Ort der
posttraumatischen Schwellung zu erreichen. Bei der sich anschlie- Fehlstellung durchgeführt werden. Bestehen am Ort der Fehlstel-
ßenden krankengymnastischen Behandlung sollten Schulter- und lung stärkere Fibrosierungen aufgrund eines vorausgegangenen
Ellenbogengelenk einbezogen werden, um Bewegungseinschrän- Weichteilschadens, kann eine extrafokale Korrekturosteotomie in-
kungen vorzubeugen. diziert sein. Dies gilt insbesondere für Rotationsfehlstellungen. Die
Das Konzept einer wöchentlich stattfindenden Teambespre- Osteotomie wird dann basisnah im spongiösen Knochen durchge-
chung zwischen Therapeut, Patient und behandelndem Arzt hat führt ( Abschn. 24.2.12).
sich bewährt. Hierbei wird der Therapieverlauf evaluiert und do-
kumentiert und Problemfälle werden diskutiert.
In Abhängigkeit von der Osteosyntheseform und dem festge- 24.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
legten Procedere beginnt eine frühzeitige Krankengymnastik mit
aktiven Bewegungsübungen aus der Schiene heraus. Passive Bewe- Annelie Weinberg
gungsübungen, im Schutz der Osteosynthese, können die benach-
barten Gelenke mit einschließen. Bei protrahierten, postoperativen Chirurgisch relevante Anatomie
Schwellungszuständen ist der frühzeitige Einsatz von Lymphdrai- Die jeweiligen Epiphysenfugen finden sich stets basal. Die sekun-
nagen indiziert. Selbstverständlich sollte auf eine ausreichende dären Ossifikationskerne treten zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr
postoperative Analgesie geachtet werden. Bei schweren komplexen auf. Der Epiphysenschluss findet zwischen dem 20. und 24. Le-
Handverletzungen hat sich die Anlage eines Plexuskatheters be- bensjahr statt ( Kap. 21).
währt. Damit erzielt man die beste Prophylaxe, um der Entstehung
des regionalen Schmerzsyndroms ( Kap. 18) zu begegnen. Nach Wachstumsstörung
der Hautfadenentfernung ergibt sich die Möglichkeit der Bewe- Nach einer Salter-Harris-I- und –II-Verletzung ist eine Wachs-
gungstherapie im Handbad und Paraffinbecken. tumsstörung nicht zu erwarten. Intraartikuläre Läsionen (Salter-
Die Rolle der Ergo- und Physiotherapeuten ist bei der Hand- Harris III und IV) neigen eher zu posttraumatischen Verände-
rehabilitation nicht zu unterschätzen. Eine Narbenbehandlung mit rungen. Meist ist die Minderdurchblutung, die sich aus initialem
Massagen, Ultraschall, Druckverband und speziellen Narbenaufla- Trauma, Fragmentgröße und offener Reposition zusammensetzt,
gen aus Silikon kann einer schmerzhaften Narbenkontraktur ent- für diese Spätschäden verantwortlich. Bei schwergradigen Verlet-
gegenwirken und die Narbenbildung positiv beeinflussen. Kältean- zungen kann es zu einem vorzeitigen Fugenschluss mit Entwick-
wendung zur Schmerzreduktion, manualtherapeutische Übungen lung einer Brachyphalangie kommen (⊡ Abb. 24.16).
zum Lösen von iatrogenen Kontrakturen, das Wiedererlernen der
Muskel- und Sehnenfunktionen, Lymphdrainagen und Kompressi- Möglichkeiten und Grenzen der Spontankorrektur
onsbehandlung, PFN (propriorezeptive neuromuskuläre Faszilia- Eine problemlose Korrektur konnte bei Achsabweichungen in der
tion) sowie handtherapeutische Maßnahmen sind individuell nach Sagittalebene bis zu 30° ebenso wie bei Seit-zu-Seit-Verschiebungen
dem Verletzungsmuster einzusetzen. Auch stellt der Einsatz von bis Schaftbreite bei jungen Kindern (<8 Jahre) beobachtet werden.
statischen und dynamischen Schienen in der Nachbehandlungs- Im Gegensatz dazu erfahren Achsabweichungen in der Frontalebe-
phase ein wichtiges Hilfsmittel dar. Nur durch das Zusammenspiel ne im Wachstum keinerlei Korrektur bzw. nur im Kleinkindalter
von Operateur, Therapeut und Patient in einem Team ist ein gutes eine geringe Korrektur. Da Fehlstellungen nach Basisfrakturen der
funktionelles Ergebnis erreichbar ( Kap. 15). Grundphalanx funktionell durch das benachbarte Grundgelenk

⊡ Abb. 24.16 a 5-jähriges Mädchen quetschte


sich den 3. Finger in einer Tür ein und zog sich
dabei eine undislozierte Trochleafraktur des
Grundgliedes des rechten Fingers zu. Es erfolgte
eine 2-wöchige Ruhigstellung mit komplikations-
losem Verlauf. b Nach 9 Monaten stellt sich die
Patientin wieder vor mit einer Achsabweichung
in der Frontalebene nach ulnar von 15° bei freier
Streckung (im Seitenvergleich). (Aus Weinberg u.
a b
Tscherne 2006)
594 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

⊡ Tab. 24.1 Maximale Achsenfehlstellung, die in der Primärtherapie akzeptiert werden kann. (Die Spontankorrekturpotenz kann über diesen Werten
liegen, sollte jedoch in das primäre Konzept nicht integriert werden. Dies sind dann individuelle Einzelfallentscheidungen.)

Akzeptable Dislokation Kind Schulkind Schulkind Jugendlicher


bis 6 Jahre 6-12 Jahre 12-14 Jahre >14 Jahre

Frontalebene (maximal) 15° 10° Keine Keine

Sagittalebene (maximal) 30° 20° 10° Keine

Seitverschiebung 1/2 1/2 1/3 1/3


(maximale Schaftbreite)

Rotationsfehler Keinen Keinen Keinen Keinen

a b

c e

⊡ Abb. 24.17 a Unfallbild eines 8-jährigen Jungen, der sich eine Epiphysenlösung mit metaphysärem Keil am Grundglied des 5. Fingers zuzog. Funktionelle
Behandlung mit Brace-Ruhigstellung. b Ausheilungsbild nach 4 Wochen. Geringe Achsenfehlstellung in der Frontalebene, in der Sagittalebene nahezu 25°
Achsenfehlstellung. c,d Klinische Funktion bei Abschluss der Behandlung nach 4 Wochen. e Nach 2 Jahren Ausgleich der Fehlstellung in der Sagittalebene
(gutes Remodelling) bei ausbleibender Spontankorrektur in der Frontalebene bei guter Funktion. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

kompensiert werden können, können Fehlstellungen in der Fron- ner kommt es zu Verletzungen der Wachstumsfuge oder des DIP-
talebene bis zu 10° durchaus belassen werden. Gelenks. Da es sich typischerweise um eine Quetschverletzung
Da dieser Kompensationsmechanismus im Bereich von Mittel- handelt, liegt neben der Fraktur oft eine ausgedehnte Traumati-
und Endphalanx nicht vorhanden ist, gehen Achsabweichungen sierung des Weichteilmantels mit Beteiligung oder Aushülsung
>15° in der Frontalebene meist mit erheblichen Beschwerden und des Nagelbetts vor. Diese Verletzungen sind für die Kinder sehr
Behinderungen einher (⊡ Abb. 24.17, ⊡ Abb. 24.18, ⊡ Tab. 24.1). schmerzhaft, was bei der Untersuchung beachtet werden sollte.
Ausgiebige Inspektionen sind nur dem narkotisierten Kind zuzu-
Epidemiologie und Ätiologie muten.
Die Verletzung der distalen Phalanx mit Beteiligung des Nagel- Im jugendlichen Alter finden sich Frakturen der Grundpha-
24 betts stellt eine klassische Verletzung des Kleinkindes dar. Hierbei lanx basisnah mit oder ohne Beteiligung der Wachstumsfugen.
handelt es sich meist um Nagelkranz- oder Schaftfrakturen, selte- Schaft- und distale subkapitale Frakturen sind hingegen wesentlich
24.1 · Allgemeines
595 24

⊡ Abb. 24.18 a Dislozierte subkapitale Trochleaf-


raktur, die damals konservativ therapiert wurde.
b Eine Nachuntersuchung nach 13 Jahren zeigt
ein gutes Remodelling in der Sagittalebene bei
ausbleibendem Remodelling in der Frontalebene.
a b
(Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

a b

⊡ Abb. 24.19 a Längsfraktur des Schaftes des


Grundgliedes. b Konservative Therapie mit Ruhig-
stellung in Finger-Böhler-Schiene für 2 Wochen.
c,d Gute Funktion und Ausheilung nach 4 Wo-
c d
chen. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

seltener. In dieser Altersgruppe, die sich vor allem bei der Durch- Epiphysäre Gelenkverletzungen kommen im Gegensatz zu den
führung von Ballsportarten verletzt, manifestieren sich knöcherne Salter-Harris-I- und –II-Läsionen selten vor.
Seitenbandausrisse sowie im Bereich des PIP-Gelenks fibrokartila- Für alle Fingerfrakturen gelten die gleichen Kriterien zur The-
ginäre Ausrisse, die durch Hyperextension bei Volley- oder Hand- rapieentscheidung entsprechend anderen Lokalisationen. Grund-
ballspiel verursacht werden (⊡ Abb. 24.19). sätzlich wird unterschieden zwischen nicht dislozierten und dislo-
596 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

zierten Brüchen, wobei als zusätzliches Kriterium die Stabilität he- Klassifikation
rangezogen wird. Instabile nicht dislozierte Verletzungen können Endglied (P3)
konservativ behandelt werden, müssen aber kontrolliert werden, Am Endglied (⊡ Abb. 24.20) unterscheidet man:
hingegen werden dislozierte stabile Verletzungen altersentspre- ▬ Nagelkranzfrakturen,
chend toleriert oder reponiert. Dislozierte, instabile Verletzungen ▬ vollständige Quer- bzw. Längsfrakturen und
müssen meist reponiert und – insbesondere bei offenen Verletzun- ▬ Epiphyseolysen.
gen – oft operativ stabilisiert werden.
Gelenkfrakturen verursachen vor allem bei älteren Kindern wie Querfrakturen sind oftmals kombiniert mit Schädigungen des Na-
bei den Erwachsenen zu Schmerzen und funktionellen Einschrän- gelbetts. Längsfrakturen können bei Kegelverletzungen beobachtet
kungen. Daher sollten diese Verletzungen anatomisch reponiert werden und reichen bisweilen bis in die Epiphyse. Die Epiphyseo-
und ausreichend stabilisiert und kontrolliert werden. lysen, die vor allem bei Kindern unter dem 12. Lebensjahr zu fin-
den sind, weisen eine Dislokation auf, bei der sich typischerweise
Diagnostik das distale Fragment aufgrund des Zuges der Sehne des M. flexor
Die Diagnostik erfolgt mittels Röntgenbild in zwei Ebenen: a.-p. digitorum profundus nach palmar verschiebt (⊡ Abb. 24.21).
und seitlich. Besonders bei Frakturen der distalen Phalanx sollte An Epiphysenverletzungen mit Gelenkbeteiligung finden sich
eine genaue Begutachtung des Nagelbetts erfolgen, da bei der im Teenageralter Salter-Harris-III- oder –IV-Verletzungen bzw.
Hälfte der Frakturen eine zusätzliche Verletzung in diesem Bereich knöcherne Abrisse der Strecksehne.
vorliegt.
Im Bereich des PIP-Gelenks findet man neben einer starken Grund- (P1) und Mittelglied (P2)
Schwellung des Gelenks radiologisch meist ein kleines, nur wenig Im Grund- und Mittelgliedbereich unterscheidet man:
disloziertes palmares Fragment als Hinweis auf einen fibrokartila- ▬ Frakturen des Kondylus: Dabei handelt es sich um Gelenk-
ginären Ausriss (⊡ Abb. 24.19). frakturen. Sie können als uni- (mono-) oder bikondyläre

a b c d e

⊡ Abb. 24.20 Typische Frakturen des Endgliedes (ohne knöcherne Strecksehenabrisse). a Nagelkranzfraktur. b Epiphysiolyse (Salter-Harris I). c Epiphyseolyse
mit metaphysärem Keil. d Querfraktur. e Längsfraktur (typische Kegelverletzung im Kindesalter). (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

⊡ Abb. 24.21 Unfallbild einer dislozierten Epi-


physiolyse der Endphalanx (a), die mit einem
Spickdraht retiniert wurde, da diese Verletzun-
24 gen eine hohe Instabilität aufweisen (b). (Aus
Weinberg u. Tscherne 2006)
a b
24.1 · Allgemeines
597 24
Trochleafrakturen auftreten, selten auch als Mehrfragment- In den meisten Fällen handelt es sich bei den Epiphysenfrakturen,
köpfchenfraktur. Sie sind meist innerhalb der Gelenkkapsel lo- vor allem beim ulnaren knöchernen Seitenbandausriss am Dau-
kalisiert und können manchmal auf die palmare oder dorsale men, um Übergangsfrakturen. Das heißt, dass der physiologische
Seite begrenzt auftreten (⊡ Abb. 24.22). Fugenschluss im nicht dislozierten Anteil der Epiphyse schon
▬ Fraktur des Caput phalangis: Diese Frakturen liegen subtroch- begonnen hat und Wachstumsstörungen nicht mehr zu befürchten
lear, wobei am häufigsten subkapitale Frakturen auftreten. sind. Zum Teil ist der nicht gelöste Teil der Fuge schon fest und be-
Sie können inner- und außerhalb der Gelenkkapsel liegen ginnt zu verknöchern. Auch im Bereich der Phalangen werden in
(⊡ Abb. 24.23). der Literatur Übergangsfrakturen beschrieben. Erst in der Adoles-
▬ Frakturen des Corpus phalangis: Dies sind Schaftfrakturen, zenz kommt es zu ligamentären Bandverletzungen und zu intraar-
deren Frakturlinie quer oder schräg verlaufen kann. Weiter- tikulären Frakturen, die den typischen Läsionen des Erwachsenen
hin zählen Mehrfragment- oder Trümmerfrakturen zu dieser gleichen und entsprechend behandelt werden. Zusätzlich müssen
Gruppe. Luxationen mit knöcherner Beteiligung und die reinen Kapsel-
▬ Frakturen der Basis phalangis: Die basalen Frakturen können Band-Läsionen differenziert werden.
extraartikuläre Salter-Harris-I- und -II-Läsionen wie auch Stau-
chungsfrakturen sein. Weitaus seltener finden sich intraartikulä- Therapie
re Brüche, die eine Salter-Harris-III-oder -IV-Läsion enthalten. Endglied (P3)
Konservative Therapie
Nicht dislozierte Epiphysenlösungen oder stabile Quer- oder
Längsfrakturen werden durch eine Immobilisation für insgesamt
2–3 Wochen therapiert. Abhängig vom Alter ist dies im Kindesal-
ter der geschlossene Unterarmgips mit eingegipster Fingerschiene
oder eine isolierte Finger-Böhler-Schiene. Die Phalanx wird auf
der Schiene mit Pflasterstreifen fixiert. In der Adoleszenz können
stabile Frakturen auch mit einem Tape-Verband oder einer Stack-
bzw. Knopflochschiene ausbehandelt werden.
Dislozierte Frakturen müssen reponiert werden, wenn diese
das zu akzeptierende Dislokationsausmaß der jeweiligen Alters-
gruppe überschreiten.

Operative Therapie
Instabile Läsionen müssen ggf. mit einem dünnen Stift fixiert
werden, wobei die Stiftelung bei kleinen Kindern ausschließlich
mit dem Handbohrer durchgeführt werden sollte. Bei sehr kleinen
Kindern kann die Fixierung auch mit dünnen Kanülen erfolgen.
Größere offene Verletzungen erhalten zusätzlich eine antibioti-
sche Therapie und müssen sorgfältig bezüglich ihrer Weichteilver-
letzung inspiziert und therapiert werden ( Kap. 35).

Subunguales Hämatom. Ein häufiges begleitendes Hämatom


⊡ Abb. 24.22 Mögliche Formen der unikondylären Trochleafraktur. (Aus sollte dann trepaniert werden, wenn es mehr als zwei Drittel des
Weinberg u. Tscherne 2006) Nagels erfasst ( Kap. 38).

a b c d e

⊡ Abb. 24.23 Die Therapie der subkapitalen Frakturen richtet sich nach dem Dislokationsausmaß. a und b lassen sich konservativ behandeln, wobei bei b alters-
abhängig eine geschlossene Reposition erfolgt. Bei c und d erfolgt die offene Reposition mit operativer Refixation, da es in diesen Fällen zu Fragmentrotation mit
eingeschlagener Kapsel (e) kommen kann (Durchblutung, Gefahr der Nekrose!) (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
598 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

⊡ Abb. 24.24 a Typische Luxation des DIP-Ge-


lenks bei einem 12-jährigen Jungen, der sich als
Torwart verletzte. Reposition in Oberst-Lokalan-
ästhesie. b Nach der Reposition achsengerechte
Stellung, konservative Behandlung mittels
Tape-Verband für 3 Wochen. (Aus Weinberg u.
a b
Tscherne 2006)

⊡ Abb. 24.25 Bei einem 12-jährigen Patienten


wurde eine unikondyläre Trochleafraktur des
Grundgelenks des 3. Fingers diagnostiziert.
a Da keine sichtbare Stufe vorhanden war,
erfolgte die konservative Behandlung. b Aus-
heilungsbild nach 3 Wochen. (Aus Weinberg u.
a b
Tscherne 2006)

Luxationen im distalen Interphalangeal-(DIP-)Gelenk. Reine der mittlere und der seitliche Anteil des Streckapparats das distale
ligamentäre Luxationen im DIP-Gelenk können meist problem- Fragment gestreckt halten.
los reponiert werden und sind im Kindesalter fast ausschließlich An der Mittelphalanx hängt die Stellung der Fragmente auch
stabile Läsionen, die durch Ruhigstellung des Fingers problemlos von der Lokalisation der Fraktur ab: Bei einer proximalen Fraktur
ausheilen (⊡ Abb. 24.24). kommt es zur Streckung des proximalen Fragments durch Zug der
Bei zusätzlichem knöchernem Fragment, welches zunehmend Sehne des M. extensor digitorum. Bei distalen Frakturen über-
bei älteren Kindern vorkommt, ist eine Refixation des Fragments wiegen die oberflächlichen Beuger und flektieren das proximale
insbesondere bei Gelenkbeteiligung, wenn es sich nicht anatomisch Fragment.
nach Reposition anlegt, in Erwägung zu ziehen. Zu differenzierende Läsionen am Mittel- und Grundglied:
▬ Fraktur des Kondylus: Dabei handelt es sich um Gelenkfrak-
Mittel- (P2) und Grundphalanx (P1) turen. Sie können als uni- (mono-) oder bikondyläre Trochle-
24 An der Grundphalanx kommt es meist zur Beugung des proxima- afrakturen auftreten, selten auch als Mehrfragmentköpfchen-
len Fragments durch die Mm. interossei und lumbricalia, während fraktur. Sie sind meist innerhalb der Gelenkkapsel lokalisiert
24.1 · Allgemeines
599 24

a b c

⊡ Abb. 24.26 a 9-jähriger Patient mit einer verschobenen unikondylären Trochleafraktur. b Offene Reposition, Fixation des Fragments mit einem Spickdraht.
c Ausheilungsbild nach 3 Monaten. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

und können manchmal auf die palmare oder dorsale Seite der Fraktur, um eine sekundäre Dislokation rechtzeitig zu erkennen.
begrenzt auftreten (⊡ Abb. 24.25). Insgesamt wird der Finger maximal 2 Wochen ruhiggestellt. Meist
▬ Fraktur des Caput phalangis: Diese Frakturen liegen subtroch- beginnen wir die frühfunktionelle Therapie nach 10 Tagen.
lear, wobei am häufigsten subkapitale Frakturen auftreten. Dislozierte Frakturen sind operativ zu versorgen. Auch intra-
Sie können inner- oder außerhalb der Gelenkkapsel liegen artikuläre Stauchungsfrakturen müssen operativ versorgt werden,
(⊡ Abb. 24.26). um die Gelenkkongruenz wiederherzustellen.
▬ Fraktur des Corpus phalangis: Dies sind Schaftfrakturen, de- Insgesamt ist jedoch nach jeder operativen Therapie und dem
ren Frakturlinie quer oder schräg verlaufen kann. Weiterhin dadurch zusätzlich hervorgerufenen Weichteilschaden neben der
zählen Mehrfragment- oder Trümmerfrakturen zu dieser durch das Trauma reduzierten Durchblutung mit einer weiteren
Gruppe. Störung der Durchblutung zu rechnen, die mit einer Deformität
▬ Fraktur der Basis phalangis: Die basalen Frakturen können ex- und Beeinträchtigung der Funktion einhergehen kann.
traartikuläre Salter-Harris-I- und -II-Läsionen wie auch Stau- Je kleiner das Kind ist, desto kritischer muss die Indikation
chungsfrakturen sein. Weitaus seltener finden sich intraarti- zur operativen Fixierung gestellt werden, da diese Frakturen trotz
kuläre Brüche, die eine Salter-Harris-III- oder -IV-Läsionen Deformierung des Gelenks eine gute Funktion aufweisen können.
enthalten. Operativ stabilisierte Trochleafrakturen weisen trotz guten radio-
logischen Endergebnisses nicht selten eine schlechte Funktion auf
In den meisten Fällen handelt es sich bei den Epiphysenfrakturen, (⊡ Abb. 24.25, ⊡ Abb. 24.26).
vor allem beim ulnaren knöchernen Seitenbandausriss am Dau-
men, um Übergangsfrakturen. Das heißt, dass der physiologische Frakturen des Caput phalangis
Fugenschluss im nicht dislozierten Anteil der Epiphyse schon Frakturen des Caputs, die knapp unterhalb der Gelenkfläche loka-
begonnen hat und Wachstumsstörungen nicht mehr zu befürchten lisiert sind, werden konservativ frühfunktionell behandelt, wenn
sind. Zum Teil ist der nicht gelöste Teil der Fuge schon fest oder diese nicht disloziert bzw. maximal um ein Drittel Schaftbreite in
beginnt zu verknöchern. Auch im Bereich der Phalangen wurden der Sagittalebene abgekippt sind. Auch die Seit-zu-Seit-Versetzung
in der Literatur Übergangsfrakturen beschrieben. ist bis zu einem Drittel Schaftbreite akzeptabel. Ab dem 10. Le-
Erst in der Adoleszenz kommt es zu ligamentären Bandver- bensjahr ist die Toleranzgrenze deutlich geringer.
letzungen und zu intraartikulären Frakturen, die den typischen Rotations- und Achsfehlstellungen in der Frontalebene müssen
Läsionen des Erwachsenen gleichen und entsprechend behandelt in allen Altersstufen vermieden werden (⊡ Abb. 24.27).
werden. Dislozierte Frakturen werden operativ versorgt. Die intrame-
Zusätzlich müssen die Luxationen mit knöcherner Beteiligung dulläre Aufrichtung stellt das dafür am besten geeignete Verfahren
und die reinen Kapsel-Band-Läsionen differenziert werden. dar, zumal ein geschlossenes Vorgehen möglich ist. Andernfalls ist
offen vorzugehen, und je nach Frakturtyp ist eine Schrauben- oder
Therapie Kirschner-Draht-Osteosynthese indiziert.
Frakturen der Kondylen (Trochleafrakturen)
Nicht dislozierte Frakturen bzw. tolerable Abweichungen können ! Cave
konservativ behandelt werden. Letztere werden definiert als eine Vollständig rotierte Fragmente müssen immer offen repo-
Diastase von 1–2 mm und eine Stufe von Kortikalisdicke bis zum niert werden. Bei Trümmerfrakturen des Köpfchens ist meist
10. Lebensjahr, anschließend sind keine Abweichungen mehr zu ak- keine Osteosynthese möglich, um die Gelenkfläche zu rekon-
zeptieren. Die Frakturen werden mit einer angegipsten Fingerschie- struieren. Diese Frakturen werden nach 2 Wochen Ruhigstel-
ne ruhiggestellt. Nach 1 Woche erfolgt eine radiologische Kontrolle lung funktionell nachbehandelt (⊡ Abb. 24.28).
600 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

⊡ Abb. 24.27 a 9-jähriges Mädchen zog sich


eine mäßig dislozierte subkapitale Fraktur des
Grundgelenks zu. b Es wurde eine konservative
frühfunktionelle Behandlung durchgeführt.
Nach 3 Wochen Frakturheilung mit gutem
funktionellen Endergebnis. (Aus Weinberg u.
a b
Tscherne 2006)

a b

⊡ Abb. 24.28 a Dislozierte subkapitale Frak-


tur des Mittelgliedes. b Operative Versorgung
mit gekreuzten Spickdrähten. c Ausheilungs-
bild vor Implantatentfernung nach 4 Wochen.
24 d Ausheilungsbild nach 3 Monaten (Aus
Weinberg u. Tscherne 2006)
c d
24.1 · Allgemeines
601 24
Frakturen des Corpus phalangis Nicht dislozierte Gelenkfrakturen können ebenfalls konservativ
Stabile und instabile nicht dislozierte Frakturen (unverschobene behandelt werden. Dabei besteht aber stets die Gefahr des sekun-
Schaftfrakturen) können ebenfalls konservativ mit einer ange- dären Abrutschens in den Achsenfehler in der Frontalebene und
gipsten Fingerschiene in Intrinsic-plus-Stellung behandelt werden, der möglichen Fehlstellung im Gelenk. Um dies rechtzeitig zu
müssen aber nach 7 Tagen radiologisch bezüglich einer sekundär- erkennen, sollte 7 Tagen nach dem Unfall nochmals eine radiologi-
en Dislokation kontrolliert werden. sche Stellungskontrolle durchgeführt werden.
Alle instabilen dislozierten Frakturen – meist Schräg- und Kleine Ausrissfragmente palmar an der Basis der Mittelphalanx
instabile Querfrakturen sowie vorliegende Drehfehler – müssen können ebenfalls konservativ behandelt werden. Diese werden oft
definitiv stabilisiert werden, wenn keine altersentsprechend ak- durch den Anprall des Balls auf den gestreckten Finger verursacht.
zeptable Stellung konservativ zu erreichen ist (⊡ Tab. 24.2). Dazu Es kommt dabei zu einer Verschiebung der Mittelphalanx nach
werden gekreuzte Kirschner-Drähte verwendet. Diese können oft dorsal. Bei Kindern ist im Gegensatz zum Erwachsenen das Frag-
perkutan schräg lateral vom Köpfchen aus eingebracht werden. Das ment selten so groß, dass es operativ fixiert werden muss. Die Frag-
Gelenk sollte unbedingt geschont werden. Die beim Erwachsenen mente verursachen oft längere Zeit Schwellung und Schmerzen.
verwendeten Plättchen wurden bisher für Kinder nicht hergestellt Sobald ein intraartikuläres Fragment einen Teil der Gelenkfläche
(⊡ Abb. 24.29). bildet, wird es bei einem kleinen Fragment (höchstens ein Viertel
der Gelenkfläche) entfernt oder es wird versucht, die Gelenkfläche
Frakturen der Basis phalangis wiederherzustellen.
Konservativ können nicht dislozierte Frakturen – meist Stau- Dislozierte Gelenkfrakturen sowie offene Läsionen sind opera-
chungsfrakturen, bzw. Epiphysiolysen – konservativ behandelt tiv zu stabilisieren.
werden. Dislozierte Frakturen (Epiphysiolysen) sind ebenfalls kon-
> Schwellungen des PIP-Gelenks nach Verletzungen – meist
servativ zu therapieren, wenn sie sich nach der Reposition stabil
durch Bälle – können als Kapselverdickung bis zu einem
eingestellt haben. Eine sekundäre Dislokation tritt selten ein, sollte
halben Jahr persistieren, bei älteren Kindern sogar länger.
dann aber mit Kirschner-Drähten stabilisiert werden. Bei einer
Reposition ist besonders auf die Vermeidung eines Rotationsfeh-
lers und einer Achsabweichung in der Frontalebene zu achten. Im Operatives Vorgehen
Bereich der Grundgelenke ist es von Vorteil, die Reposition über Anästhesie. Bei kleinen Kindern empfehlen wir ausschließlich die
ein Hypomochlion durchzuführen (⊡ Abb. 24.30). Vollnarkose. Aber auch bei größeren Kindern lehnen wir die regi-

⊡ Tab. 24.2 Maximale Achsenfehlstellung, die in der Primärtherapie akzeptiert werden kann. (Die Spontankorrekturpotenz kann über diesen Werten
liegen, sollte jedoch in das primäre Konzept nicht integriert werden. Dies sind dann individuelle Einzelfallentscheidungen)

Akzeptable Dislokationen Kind Schulkind Schulkind Adoleszent


bis 6 Jahre 6–12 Jahre 12–14 Jahre >14 Jahre

Frontalebene (maximal) 15° 10° Keine Keine

Sagittalebene (maximal) 30° 20° 10° Keine

Seitverschiebung 1/2 1/2 1/3 1/3


(maximale Schaftbreite)

Rotationsfehler Keinen Keinen Keinen Keinen

⊡ Abb. 24.29 a Ein 13-jähriger Junge zog sich


eine dislozierte Schaftfraktur des 4. Fingers am
Grundglied beim Snowboarden zu. b Operative
Versorgung mit gekreuzten Kirschner-Drähten.
a b
(Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
602 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

c
a b

⊡ Abb. 24.30 Repositionstechnik über Hypomochlion (Schere, Kuli) bei dislozierten Epiphysenlösungen mit oder ohne Keil bei primärer Achsendeviation.
Ein 7-jähriger Junge stürzte und zog sich eine Epiphysiolyse mit metaphysärem Keil des Grundgliedes des Daumens zu (a). Die Fraktur wurde über einem
Hypomochlion reponiert (b). c Postoperative Kontrolle; geschlossene Gipsanlage mit Einschluss der benachbarten Gelenke. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

onale Anästhesie – wie dies beim Jugendlichen möglich ist – ab, da


die Kinder nicht lang genug stillliegen können.

Indikation. Eine absolute Indikation zu einer offenen Reposition


besteht bei fehlgeschlagener geschlossener Reposition. Alle offenen
Frakturen sollten fixiert werden, außer die Fraktur ist per se stabil
und nicht dislokationsgefährdet. Letztere können auch ohne einge-
brachte Fixation ausbehandelt werden.

Zugang. Über dem DIP-Gelenk wählt man einen dorsalseitigen


treppenförmigen Zugang, über dem PIP-Gelenk den Zugang in ei-
nem stumpfen Winkel, sodass der Hautverschluss leichter durchge- a b
führt werden kann. Im Bereich des Schaftes wird eine dorsalseitige
leicht geschwungene Schnittführung gewählt.
Mitt-Seit-Schnitte, wie sie bei der Behandlung dieser Verlet-
zungen im Erwachsenenalter üblich sind, sollten bei Kindern nicht
vorgenommen werden, da eine straffe Narbenbildung am wachsen-
den Skelett eine Achsabweichung provozieren kann.
Bei offenen Frakturen wird die Reposition über die Verlet-
⊡ Abb. 24.31 Die dislozierten monokondylären Fingerfrakturen können mit
zungswunde oder entsprechende Erweiterungsschnitte empfohlen.
parallel eingebrachten Spickdrähten oder mit Schrauben versorgt werden.
Dies hängt vom Alter und dem betroffenen Glied des Fingers ab. a Zugang
Osteosynthesematerial. Dünne Kirschner-Drähte (1,0 mm Durch- bei Trochleafraktur am Mittelglied, treppenförmige Inzision, Spickdrahtosteo-
messer je nach Alter des Kindes) oder Schrauben (1,3–2 mm Durch- synthese, bei kleinen Kindern ist auch ein Draht ausreichend. b Unikondyläre
messer). Trochleafraktur am distalen Grundglied. Bogenförmige Inzision. Schraubenos-
teosynthese, wenn dies das Fragment erlaubt. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
Osteosynthesetechniken. Folgende Osteosynthesetechniken
haben sich bei den einzelnen Frakturformen durchgesetzt:
▬ Bei uni- bzw. bikondylären Frakturen erfolgt entweder das werden. Dies kann zu einer Störung der Ernährung und in der
Einbringen von 1 bzw. 2 Drähten parallel zum Gelenk, bei Folge zu einer Deformität führen. Die Beuge- und Streckseh-
größeren Kindern empfiehlt sich die Schraubenosteosynthese. nen können verletzt werden.
▬ Schaftfrakturen können im Fall von Schrägfrakturen ebenfalls ▬ Querfrakturen in Schaftmitte lassen sich intramedullär auffä-
mit Schrauben oder auch mit Kirschner-Drähten und bei grö- deln oder mit gekreuzten Kirschner-Drähten versorgen.
ßeren Kindern und Jugendlichen mit kleinen Platten (wenn ▬ Epiphysiolysen werden mit Kirschner-Drähten gekreuzt reti-
entsprechende Dimensionen vorhanden sind) versorgt werden. niert, wobei möglichst keine Transfixation des PIP-Gelenks er-
24 ▬ Es sollten keine Cerclagedrähte verwendet werden, da bei folgen sollte; im Bereich des DIP-Gelenks lässt sich dies nicht
ihrer Einbringung die Fragmente oftmals zirkulär freigelegt immer vermeiden (⊡ Abb. 24.31, ⊡ Abb. 24.32).
24.1 · Allgemeines
603 24
Verletzung des kollateralen Seitenbandapparates
Seitenbandrupturen und periostale Seitenbandausrisse kommen
vorwiegend am Daumen vor und werden klinisch verifiziert. Bei
radiologischen Aufnahmen – insbesondere gehaltenen Aufnah-
men – ist darauf zu achten, dass der Daumen im Grundgelenk
20° gebeugt sein muss und dabei der erste Mittelhandstrahl und
die Streckseite des Daumens exakt auf der Röntgenplatte liegen
müssen.

> Als komplette Rupturen werden Verletzungen gewertet, die


eine Abweichung von mehr als 20–30° und das Fehlen eines
festen Anschlags aufweisen.

Wichtig im Kindesalter ist der Seitenvergleich, da es enorme Norm-


varianten geben kann. Weiterhin sind alle Verletzungen instabil,
die in der seitlichen Aufnahme eine palmare Subluxationsstellung
aufweisen oder in mehreren Ebenen klinisch instabil sind. Instabile
a
Verletzungen treten selten vor dem 12. Lebensjahr auf. Die Re-
konstruktion des Seitenbandapparats bei bestehender Instabilität
muss sowohl auf radialer als auch auf ulnarer Seite operativ erfol-
gen. Anschließend werden diese Bandverletzungen für 4 Wochen
im Gips und für weitere 3 Wochen in einer Abduktionsschiene
ruhiggestellt. Knöcherne Seitenbandausrisse werden nur für 3 Wo-
chen im Gips ruhiggestellt. Im Kindesalter haben auch sekundär
diagnostizierte Instabilitäten (nach 5–8 Wochen) im Gegensatz
zum Erwachsenen noch eine gute Prognose, wenn erst zu diesem
Zeitpunkt die Naht erfolgt.

Gefahren, Fehler, Komplikationen


Siehe ⊡ Abb. 24.33, ⊡ Abb. 24.34, ⊡ Abb. 24.35, ⊡ Abb. 24.36.
▬ Gerade im Kindesalter scheint bei den uni- bzw. bikondylären
Frakturen, insbesondere da die Reposition meist nur durch
offene Verfahren zu erreichen ist, die Durchblutung gefährdet
zu sein, und es können entsprechende Nekrosen oder Defor-
mitäten auftreten.
▬ Nichterkannte sekundäre Dislokationen von Gelenkfrakturen
führen ebenfalls zu Gelenkdeformitäten und Achsabwei-
b chungen.
▬ Achsenfehlstellungen in der Frontalebene korrigieren sich
⊡ Abb. 24.32 a Gekreuzte Spickdrahtosteosynthese bei Querfrakturen des
Schaftes (keine Cerclagen!). b Schraubenosteosynthese bei Drehfehlern der
nicht und müssen vermieden werden.
Grundphalanx. Bogenförmiger dorsaler Zugang (bei kleinen Kindern kein ▬ Da das kleine knöcherne Fragment beim fibrokartilaginären
Mitt-Seit-Schnitt, da Narbenbildungen Achsabweichungen beim wachsenden Ausriss aus der Epiphyse stammt, muss diese Verletzung zu
Skelett verursachen können). Einbringen der Schrauben entsprechend der den Epiphysenverletzungen gezählt werden. Wachstumsstö-
größten Auflagefläche der Bruchfragmente. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006) rungen sind jedoch nicht zu befürchten.

a b c

⊡ Abb. 24.33 Gefahren und Komplikationen bei der Behandlung von Fingerfrakturen. a 4-jähriger Junge, der sich die Hand quetschte und sich dabei eine
subkapitale Fraktur des Mittelgliedes des 3. Fingers zuzog. b Nach 7 Wochen zeigt sich eine Duchbauung der Fraktur mit Abkippung nach palmar. c Bereits
nach 9 Monaten beginnendes Remodelling bei guter Funktion. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
604 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

a b c d e

⊡ Abb. 24.34 Gefahren und Komplikationen bei der Behandlung von Fingerfrakturen. a 3-jähriges Mädchen, welches erstmalig 10 Tage nach erlittener uni-
kondylärer Trochleafraktur des Mittelglieds des 3. Fingers vorstellig wurde. Eine operative Intervention wurde in Anbetracht des Alters und der bereits in Hei-
lung befindlichen Fraktur mit Gefahr der erheblichen Durchblutungsstörung bei verzögertem offenem Verfahren nicht durchgeführt. Es wurde konservativ
frühfunktionell behandelt. Im Verlauf nach 3 Wochen (b), nach 3 Monaten (c) und 15 Monaten (d) zeigt sich ein gutes Remodelling bei sehr guter Funktion (e).
(Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

▬ Verklebungen der Strecksehnen und der Gelenkkapsel sind unter der konservativen Therapie die Ausheilung. Bei anhalten-
insbesondere nach Transfixationen der Gelenke nicht selten den Beschwerden kann ggf. eine Exstirpation in Betracht gezogen
anzutreffen. Eine Tenolyse kann nicht in allen Fällen die werden.
Funktion verbessern. Wichtig ist eine gute Compliance bei
der Nachbehandlung, um Verklebungen zu verhindern. Eine Nachbehandlung
entsprechende Aufklärung der Eltern über diese mögliche Die Beurteilung der Konsolidation wird bei allen Fingerfraktu-
Komplikation ist notwendig. ren klinisch vorgenommen, da erst nach Wochen bzw. mehreren
Monaten radiologisch eine Durchbauung der Fraktur sichtbar
Fraktur der Sesambeine wird. Bei indolentem Kallus kann mit spontanen Bewegungs-
Sesambeine findet man palmar am Köpfchen aller Metakarpa- übungen begonnen werden. Die volle Beweglichkeit ist meist
lia, wobei vor allem diejenigen über dem Daumengrundgelenk in 1–2 Wochen erreicht, dann können sportliche Betätigungen
infolge eines direkten Traumas oder als Abrissfraktur bei einem wieder aufgenommen werden. Die Behandlung ist mit dem Er-
Hyperextensionstrauma frakturieren können. Dies kommt bei reichen der freien Funktion bei symmetrischen Fingerachsen zu
Kindern sowie bei Erwachsenen äußerst selten vor. Die Diagnose beenden. Eine gewisse Verdickung im Bereich des Gelenks oder
24 wird durch das Röntgenbild gestellt, wobei die Frakturen von sog. der Phalangen verschwindet erst nach stattgehabtem Remodelling
geteilten Sesambeinen abgegrenzt werden müssen. Meist gelingt (6–12 Monate).
24.1 · Allgemeines
605 24

a b

⊡ Abb. 24.35 Gefahren und Komplikationen


bei der Behandlung von Fingerfrakturen. Dislo-
zierte subkapitale Fraktur (a), die operativ mit
Spickdrähten versorgt wurde (b). c,d Im Verlauf
zwar gutes Remodelling der subkapitalen Frak-
tur bei leider eingetretenem posttraumatischem
vorzeitigem Fugenschluss im Endgelenk und
mäßiger Funktion. (Aus Weinberg u. Tscherne
c d
2006)

Stabile Läsionen jeglicher Lokalisation können auch funktio- Subkapitale Frakturen


nell nachbehandelt werden, wobei wir dies nur bei älteren Kindern Die Konsolidationsbeurteilung wird klinisch durchgeführt. Das
empfehlen. Jüngere Kinder bedürfen einer adäquaten Schmerzbe- weitere Procedere erfolgt wie bei allen anderen Frakturen des
kämpfung, die im Allgemeinen nur durch eine Ruhigstellung zu Handskeletts.
erreichen ist.
Schaftfrakturen
Frakturen der Kondylen Bleibt nach 3 Wochen klinisch eine Druckdolenz des Kallus beste-
Trochleafrakturen werden für 3 Wochen ruhiggestellt, anschlie- hen, so muss die Fraktur weiterhin ruhiggestellt werden. Für den
ßend erfolgt die funktionelle Behandlung. Dies gilt auch für ope- Abschluss der Behandlung sollten freie Funktion und symmetri-
rativ versorgte Frakturen. Bei intraoperativer Stabilität wird die sche Fingerachsen vorliegen, um eine beschwerdefreie Sportaus-
Ruhigstellung nur bis zur Abschwellung durchgeführt. Allerdings übung zu gewährleisten.
müssen Eltern und Patient hinsichtlich der Prognose der Fraktur
aufgeklärt werden. Gerade bei den uni- oder bikondylären Frak- Basale Frakturen
turen kann es aufgrund einer Schädigung der zentralen Durch- Nach 2–3 Wochen Gipsruhigstellung kann die konservative Be-
blutung zu Defektheilungen kommen. Diese können mit einer handlung beendet und mit spontanen Bewegungsübungen begon-
Verbreiterung des Köpfchens, aber auch mit entsprechendem post- nen werden. Eine Sport- und Turnbefreiung sollte für 2 Wochen
traumatischem Achsenfehlwachstum einhergehen. verordnet werden.
606 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

a b

⊡ Abb. 24.36 Gefahren und Komplikationen bei der Be-


handlung von Fingerfrakturen. a 12-jährige Junge, der
eine dislozierte subkapitale Fraktur des Mittelgliedes des
5. Fingers erlitt, b operative Versorgung mit Spickdrähten,
c Ausheilungsbild nach 4 Wochen, d Kontrolle nach einem
Jahr. Typische Verbreiterung und Verplumpung im zentralen
Anteil des Gelenks (Pfeil) als Ausdruck einer stattgehabten
c d
Wachstumsstörung. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

Bei operativ versorgten Frakturen wird für 3 Wochen der Fin- 24.2 Spezielle Techniken
ger ruhiggestellt. Anschließend werden die Kirschner-Drähte ent-
fernt und es wird funktionell weiterbehandelt. 24.2.1 Technik der direkten Refixierung
des Fragments bei knöchernem
Spätkomplikationen Strecksehnenausriss nach offener Reposition
Bei Verletzungsmustern, die eine offene Reposition erfordern, be- mithilfe einer transossären Ausziehnaht nach
steht immer die Gefahr der Periostverletzung sowie der Unterbre- Lengemann  Abschn. 5.2.2
chung der Blutzufuhr für die Epiphyse mit der Folge einer post-
traumatischen Defektheilung. 24.2.2 Technik der direkten Refixierung
Zu den selten auftretenden Komplikationen zählen Bewe- des Fragments bei knöchernem
gungseinschränkungen, Fehlstellungen und Wachstumsstörungen. Strecksehnenausriss nach offener
Der Patient bzw. dessen Familie sollte bei einer Fraktur darauf Reposition mit Kirschner-Drähten oder
hingewiesen werden, dass ein möglicher vorzeitiger Fugenschluss in Rückbohrtechnik  Abschn. 5.2.2
Wachstumsstörungen nach sich ziehen kann.
Im Rahmen von Frakturen der Grundphalangen kann es unter 24.2.3 Technik der direkten Refixierung des
Umständen zu einem »entrapement« der Flexorsehne kommen. Fragments bei knöchernem Ausriss der
Falls eine Korrektur notwendig wird, muss das Vorgehen ent- tiefen Beugesehne nach offener Reposition
sprechend dem Zeitpunkt der stattgehabten Verletzung gewählt mithilfe einer Ausziehnaht nach Lengemann,
werden. Frühkorrekturen innerhalb von 4–8 Wochen lassen sich Knochenanker oder Schraube
noch durch Kallusmobilisation und entsprechende Kirschner-
Draht-Fixation korrigieren. Liegt der Unfall länger zurück, so Nach einer Bruner-Inzision und Darstellung der tiefen Beugesehne
versuchen wir die Korrektur des Schafts über einen Minifixateur wird das distale Ende mit einer Bunnel-Drahtnaht durchflochten.
durchzuführen, aber auch die Miniplattenosteosynthese findet An- Das knöcherne Hauptfragment wird mit einer Schraube fixiert und
wendung mit guten Resultaten. Bei Frakturen, die das Gelenk die Ausziehnaht transossär distal der Lumula ausgeführt und über
betreffen, warten wir das Remodelling und die Funktion ab. Nicht einen Knopf fixiert (⊡ Abb. 24.37).
selten zeigen diese Frakturen einen befriedigenden Bewegungs- Wenn immer möglich, schließt sich eine dynamische Nachbe-
24 umfang trotz Deformität des Gelenks. Eine Achskorrektur kann in handlung in einer Kleinert-Schiene an, falls die genügend stabile
diesem Fall nicht selten die Funktion verbessern. Osteosynthese dies erlaubt.
24.2 · Spezielle Techniken
607 24
Bei der Verwendung zu langer Schrauben kann es zu Weichtei-
lirritationen kommen, zu kurze Schrauben können ausreißen oder
zu frühzeitiger Lockerung führen.
Zur besseren Rotationsstabilität sollte nach Möglichkeit ein
zweites Implantat in Form einer Schraube bei größeren Fragmen-
ten oder eines Kirschner-Drahts bei kleineren Fragmenten einge-
a bracht werden

24.2.5 Technik der gekreuzten Kirschner-Draht-


Osteosynthese bei Schaftfrakturen im
Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-)
Bereich

Instabile Schaftfrakturen und offene Frakturen werden geschlossen


b oder offen reponiert und z. B. mit 2 gekreuzten Bohrdrähten fixiert
(⊡ Abb. 24.38). Bei der geschlossenen Reposition wird die Fraktur
durch Zug und Druck achsengerecht gestellt. Der Bohrdraht wird
perkutan retrograd von distal nach proximal eingebracht bis Kno-
chenkontakt besteht. Unter Durchleuchtung wird die Zielrichtung
der Drahtbohrung in allen Ebenen geprüft. Niedrigtouriges Boh-
ren ist ebenso wichtig wie die Tatsache, dass die Kreuzungsstelle
der Drähte nicht in der Fraktur zum Liegen kommen darf. Die
Gegenkortikalis wird durchbohrt und der Draht so gekürzt, bis er
c subkutan zum Liegen kommt. Nach abschließender Röntgendo-
kumentation erfolgt die Ruhigstellung auf einer palmaren Finger-
schiene. Bei genügender Sorgfalt sollten Hitzenekrosen, Fragment-
berstungen, Weichteilschädigungen und mangelnde Stabilität auf
ein Minimum reduziert werden.
⊡ Abb. 24.37 Technik der direkten Refixierung des Fragments bei knöcher- Die Ruhigstellung ist für 3–4 Wochen notwendig. Die restli-
nem Ausriss der tiefen Beugesehne nach offener Reposition mithilfe einer chen Bohrdrähte sollten in Abhängigkeit vom Röntgenbild nach
Ausziehnaht nach Lengemann. a Präoperativer Aspekt: Ansicht von dorsal, etwa 5–6 Wochen entfernt werden.
b präoperativer Aspekt: Ansicht von lateral, c Schraubenosteosynthese des
Ausrissfragments und Refixation der Beugesehne. (Aus Schmit-Neuerburg et
al. 2001)
24.2.6 Technik der interossären Cerclage in
Kombination mit einem queren Kirschner-
Draht nach Robinson bzw. Lister bei
Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-) und
24.2.4 Technik der Zugschraubenosteosynthese Grundglied-(P1-)Bereich
bei monokondylären Frakturen im
Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-) Querfrakturen eignen sich für eine intraossäre Drahtnaht. Es erfolgt
Bereich die offene Reposition mit Korrektur der Fehlstellung. Es werden
2 Bohrungen jeweils ca. 1 cm proximal und distal der Fraktur quer
Bei monokondylären Frakturen wird zunächst über einen bogen- und dorsal zur Längsachse angelegt. Ein Draht von 0,6–0,8 mm
förmigen, streckseitigen Zugang die Streckaponeurose dargestellt Durchmesser wird jeweils durch die Bohrlöcher geführt und beid-
( Kap. 3). Zwischen dem Tractus lateralis Pars lateralis und dem seits unter gleichmäßigem Zug verzwirbelt (⊡ Abb. 24.39). Zusätz-
Tractus intermedius Pars medialis erfolgt der Zugang zum Mit- lich kann die Fraktur durch einen schrägen Bohrdraht stabilisiert
telgelenk. Das Lig. retinaculare transversum wird dabei obligat werden. Zu achten ist auf einen genügenden Kompressionseffekt
durchtrennt, kann aber aufgrund des traumatisierten Gewebes und auf einen gleichmäßigen Zug der Drahtnaht. Bei ungeeigneter
nicht immer eindeutig identifiziert werden. Wichtig ist dabei, dass Knochenstruktur kann es bei zu hoher Zugkraft zum Ausreißen
der knöcherne Ansatz des Tractus intermedius nicht abgelöst wird. des Drahtes kommen. Je nach Stabilität der versorgten Fraktur er-
Bei genügender Größe der Fragmente kann das Zugschrauben- folgt eine kurze Ruhigstellung auf einer palmaren Fingerschiene.
prinzip zur Anwendung kommen. Dann wird z. B. eine 1,5-mm-
Schraube benutzt. Nach offener Reposition erfolgt die Retention
mit einer Repositionszange. Mit dem 1,1-mm-Spiralbohrer werden 24.2.7 Technik der Zugschraubenosteosynthese
beide Kortikales durchbohrt. Nach der exakten Schraubenlängen- bei Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-) und
bestimmung wird das Gleitloch auf der vorderen Kortikalis bis Grundglied-(P1-)Bereich
zum Frakturspalt mit dem 1,5-mm-Spiralbohrer gebohrt. Wenn
nicht selbstschneidende Schrauben Verwendung finden, wird das Bei langen Schräg- und Drehbrüchen eignet sich die Zugschrau-
hintere Gewindeloch mit einem 1,5-mm-Gewindeschneider ange- benosteosynthese zur Stabilisierung. Hierbei kommen Schrauben
legt. Nun wird die Kortikalisschraube eingedreht, bis interfragmen- der Dimension 1,3–1,5 mm zur Anwendung. Über einen streck-
täre Kompression entsteht. seitigen oder mediolateralen Zugang oder bei offenen Frakturen
608 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

⊡ Abb. 24.38 Technik der gekreuzten Kirsch-


ner-Draht-Osteosynthese bei Schaftfrakturen im
Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-)Bereich.
a Präoperativer Aspekt, b mit 2 gekreuzten
Kirschner-Drähten stabilisiert. (Aus Schmit-
a b
Neuerburg et al. 2001)

Bei zu hoher Drehzahl des Bohrers ohne Kühlung mit Koch-


salzlösung oder bei stumpfen Bohrern ist mit Hitzenekrosen im
Knochen zu rechnen.

24.2.8 Technik der dorsalen Plattenosteosynthese


bei Schaftfrakturen im Mittelglied-(P2-) und
Grundglied-(P1-)Bereich
a
Die dorsale Plattenlage ist biomechanisch günstiger, verlangt aber
u. U. die Spaltung der Strecksehne, wobei das Strecksehnengleitge-
webe geschont werden sollte (⊡ Abb. 24.40). Voraussetzung für die
Anwendung dieses Verfahrens sind feine Implantate vorzugsweise
b c aus Titan der Profilstärke 0,55 mm, welche die Gleitfähigkeit der
⊡ Abb. 24.39 Technik der interossären Cerclage in Kombination mit einem
Strecksehne nicht beeinträchtigen. Die seitliche Plattenlage ist
queren Kirschner-Draht nach Robinson bzw. Lister bei Schaftfrakturen im biomechanisch ungünstiger und kann die einstrahlende Lumbrika-
Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-)Bereich. a Präoperativer Aspekt, b lis- und Interosseusmuskulatur beeinträchtigen. Sie führt jedoch zu
transversal eingebrachte Bohrlöcher, c Osteosynthese mit Cerclage und keiner Beeinträchtigung der dorsalen Strecksehne.
Draht. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Nach Reposition der Fraktur und vorläufiger Fixation mit Re-
positionszangen oder evtl. auch mit einem temporär eingebrachten
Kirschner-Draht erfolgt die Auswahl des Implantats. Die Platte
durch Erweiterung der Verletzungswunde selbst wird die Fraktur kann als Neutralisations- oder dynamische Kompressionsplatte
mit Repositionszangen fixiert. Bei der Verwendung z. B. einer verwandt werden. Mit den Biegezangen wird die Platte der Kno-
Schraube der Dimension 1,5 mm werden beide Kortikales mit chenform nachmodelliert. Platzieren der ersten Schrauben beid-
dem 1,1-mm-Bohrer durchbohrt. Die optimale Schraubenlage ist seits der Fraktur über der Platte, wobei der Bohrer im Plattenloch
die winkelhalbierende Bruchlinie und Schaftachse. Nach Messen jeweils frakturfern angesetzt wird. Jetzt erfolgt die erste klinische
der exakten Schraubenlänge mit dem Tiefenmessgerät erfolgt in Kontrolle auf Achs- und Rotationsfehlstellung. Wenn es die Frak-
der nahen Kortikalis die Anlage des Gleitlochs mit dem 1,5-mm- turform erlaubt, kann auch nach Anbringen der ersten Schraube
Bohrer, welcher dem Außendurchmesser der Schraube entspricht. die Platte mit der Repositionszange jenseits der Fraktur fixiert
Beim Anziehen der 1,5-mm-Schraube entsteht so interfragmentäre werden. In dieser Stellung erfolgt vor dem Einbringen der zweiten
Kompression. Das Fräsen einer Mulde für den Schraubenkopf ist Schraube die Überprüfung des Repositionsergebnisses. Bei korrek-
aufgrund des modernen Schraubendesigns in der Regel nicht nötig. ter Achs- und Rotationsstellung erfolgt das Besetzen der übrigen
Bei langen Schrägfrakturen wird eine 2. oder 3. Schraube gleich- Schraubenlöcher. In der Regel handelt es sich bei den Schrauben
mäßig über die Frakturlänge verteilt, um eine bessere Kompression um selbstschneidende Kortikalisschrauben.
entlang der Frakturausdehnung zu erzielen. Die Schrauben sind Nach Abschluss der Osteosynthese erfolgt nochmals die klini-
nach Möglichkeit von einer Seite des Knochens einzubringen um sche Kontrolle auf Achs- und Rotationsstellung, die in Streckstel-
eine eventuelle Metallentfernung zu erleichtern. Zu achten ist bei lung und beim passiven Faustschluss überprüft wird. Das Ergeb-
diesem Vorgehen besonders auf die Auswahl der richtigen Schrau- nis ist unter Bildwandlerkontrolle zu dokumentieren. Bei exakter
bendimension. Der Schraubendurchmesser ist dem Knochen an- Präparation ist es oft möglich, das peritendinöse Gewebe mit
zupassen, 2 kleine Schrauben sind einer großen hier mechanisch 6/0-Faden über der Platte wieder anzunähen, sodass die Sehne
überlegen. Wenn möglich soll die Schraube über das kleine Frag- nicht direkt über die Platte gleitet. Wird eine übungsstabile Frak-
24 ment in das Große eingebracht werden, um einem Gewindebruch turversorgung erreicht, was immer angestrebt werden soll, schließt
vorzubeugen und um einen besseren Zug zu gewährleisten. sich unmittelbar postoperativ eine aktive krankengymnastische
24.2 · Spezielle Techniken
609 24
das Gestänge montiert und die Schrauben festgezogen. Bei stabilen
Verhältnissen ist dann eine frühfunktionelle Nachbehandlung der
Gelenke möglich (⊡ Abb. 24.41). Dieses Verfahren kann auch ge-
lenküberbrückend eingesetzt werden, z. B. wenn eine Distraktion
erwünscht ist, wenn kein Implantat in Frakturnähe angebracht
werden soll oder bei der Sanierung von Infektionen. Die Entfer-
nung des Fixateurs externe kann je nach knöcherner Konsolidie-
rung nach 4–6 Wochen erfolgen.

24.2.11 Technik der geschlossenen Reposition und


perkutanen Kirschner-Draht-Fixierung der
dorsalen Luxationsfraktur der Basis der
Mittelphalanx mit Ausriss eines palmaren
Fragments

Bei genügender Größe der Fragmente und ohne Impression der


Gelenkfläche erfolgt nach geschlossener Reposition durch maxi-
male Beugung des Mittelgelenks die streckseitige Bohrdrahtfixati-
a b on (⊡ Abb. 24.42).

⊡ Abb. 24.40 Grundphalanxtrümmerfraktur. a Präoperativer Aspekt, b mit


dorsaler Platte und interfragmentärer Kompressionsschraube versorgt. (Aus 24.2.12 Technik der Korrekturosteotomien an den
Schmit-Neuerburg et al. 2001) Phalangen

Die operativen Techniken entsprechen weitgehend denen der Kor-


Bewegungstherapie an, um der Strecksehnenverklebung zu begeg- rekturosteotomien im Bereich der Metakarpalia. Die Rotationsfeh-
nen (⊡ Abb. 24.40). ler werden wie die metakarpalen Rotationsfehler versorgt. Hierbei
ist auch die Möglichkeit einer extrafokalen Derotationsosteotomie
gegeben. Die subtraktive Keilosteotomie wird im phalangealen
24.2.9 Technik der intramedullären Kirschner- Bereich zur Korrektur einer Achsabweichung bevorzugt. Die vor-
Draht-Fixation bei subkapitalen Frakturen bestehenden Weichteilretraktionen erlauben nur sehr selten einen
im Mittelglied-(P2-) und Grundglied-(P1-) adäquaten Längenausgleich. Die Keilosteotomie wird nicht voll-
Bereich ständig, sondern unter Belassung der osteotomiefernen Kortikalis
ausgeführt. Diese Kortikalis wird bei der Reposition manuell faktu-
Dislozierte subkapitale Frakturen der Grund- und Mittelglieder las- riert, sodass vor allem bei Jugendlichen das Periost erhalten bleibt
sen sich bei ausreichender Fragmentgröße auch nach geschlossener und die Osteotomie anschließend mittels Korrektur-Plattenosteo-
exakter Reposition mit einer anterograd oder retrograd eingebrach- synthese, einer Kombination von Kirschner-Draht und Drahtcer-
ten intermedullären Enddrahtschienung adaptierend stabilisieren, clage, oder Kirschner-Draht-Osteosynthese versorgt wird.
wobei beim Einbringen von 2 Drähten, die dann auf einer Seite Bei Verwendung von gekreuzten Kirschner-Drähten, mit
nach Abkneifen des Drahtes subkutan gelagert werden, eine gute der Kreuzungsstelle außerhalb des Osteotomiespalts, sollte nach
Stabilität herbeigeführt werden kann. Beim Anbringen der interme- 3–4 Wochen die Osteosynthese dynamisiert werden. Dieses Vorge-
dullären Drähte muss sowohl der Streckapparat als auch das an der hen vermeidet Frakturheilungsstörungen. Hierzu wird ein Kirsch-
Basis ansetzende Ligamentum collaterale geschont werden. Nach ner-Draht entfernt.
Stabilität kann evtl. auf einen äußeren Schienenverband verzichtet
werden. Nur falls eine Rotationsinstabilität besteht, sollte vorüber- Technik der subtraktiven (»closing wedge«)
gehend bis zu 14 Tage eine äußere Fingerschienenruhigstellung ein- Osteotomie bei einer Valgusfehlstellung der
gesetzt werden. Fortlaufende Röntgenkontrolle bis zur knöchernen Grundphalanx
Heilung der Fraktur innerhalb 3 Wochen ist erforderlich. Die subtraktive Keilosteotomie wird im phalangealen Bereich zur
Korrektur von Achsenfehlstellungen bevorzugt. Die vorbestehen-
den Weichteilretraktionen erlauben nur selten einen adäquaten
24.2.10 Technik der Implantation eines Fixateur Längenausgleich. Die Keilosteotomie wird nicht vollständig, son-
externe bei komplexen Knochen-Weichteil- dern unter Belassung der osteotomiefernen Kortikalis ausgeführt.
Defekten im Mittelglied-(P2-) und Diese Kortikalis wird bei der Reposition manuell frakturiert und
Grundglied-(P1-)Bereich die Osteotomie anschließend mittels Plattenosteosynthese, einer
Kombination von Cerclage und Kirschner-Draht nach Robinson
Bei offenen Trümmerfrakturen oder Schussverletzungen ( Kap. 43), bzw. Lister oder eine gekreuzten Kirschner-Draht-Osteosynthese
die immer mit einer erheblichen Weichteilschädigung einhergehen versorgt (⊡ Abb. 24.43).
und bei denen sich deshalb eine Freilegung der Fraktur verbietet,
ist der Fixateur externe ebenso wie bei septischen Komplikatio- Techniken für Korrekturosteotomien
nen eine gute Alternative. Über eine seitliche Inzision werden die Für die Korrekturosteotomien an der Hand wird in der Regel ein
Schanz-Schrauben eingebracht, die Fraktur geschlossen reponiert, dorsaler Zugang ( Kap. 4) verwendet. Die präoperativ erhobenen
610 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

a b

c d

⊡ Abb. 24.41 Versorgung einer Schussverletzung des Zeigefingers mithilfe eines Fixateur externe. a Aspekt bei Klinikaufnahme, b Röntgenaufnahmen in
2 Ebenen, c Anlage eines Fixateur externe, d Funktionsaufnahmen nach Metallentfernung. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

a b c

⊡ Abb. 24.42 Technik der geschlossenen Reposition und perkutanen Kirschner-Draht-Fixierung der dorsalen Luxationsfraktur der Basis der Mittelphalanx mit
24 Ausriss eines palmaren Fragments. a Präoperativer Aspekt, b Fixation des Fragments mit einem Kirschner-Draht, c temporäre PIP-Arthrodese. (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)
24.2 · Spezielle Techniken
611 24
Achsen- und Rotationsfehler können unterschiedlich umgesetzt Korrektur der Fehlstellung müssen beide Kirschner-Drähte in allen
werden. Eine Möglichkeit besteht darin, vor der Osteotomie jeweils Ebenen parallel eingestellt sein und zeigen somit die achs- und ro-
einen Kirschner-Draht proximal und distal der Korrekturstelle tationsgerechte Korrektur an (⊡ Abb. 24.44). Eine zweite Möglich-
einzubringen, wobei der proximale senkrecht zur Handebene und keit dient der Einstellung von Rotationsfehlern. Hierbei wird vor
der distale senkrecht zur Korrekturebene steht. Diese weisen dann der Osteotomie die dorsale Kortikalis mit der oszillierenden Säge
den zu korrigierenden Fehler auf. Nach Setzen der Osteotomie und in longitudinaler Richtung eingekerbt. Die Osteotomie verläuft
dann senkrecht zur Markierung. Bei der anschließenden Rotation
des distalen Segments ist der Winkelgrad durch das Auseinander-
weichen der Markierung abzuschätzen (⊡ Abb. 24.44b). Intraopera-
tiv hilft ein temporärer und in longitudinaler Richtung eingebrach-
ter Kirschner-Draht, die Osteotomie zu stabilisieren. Die Rotation
wird anschließend anhand der klinischen Faustschlussprobe kon-
trolliert (⊡ Abb. 24.44c). Die Osteosynthese wird entweder mit ei-
ner Kirschner-Draht-Osteosynthese eventuell in Kombination mit
einer Cerclage ( Abschn. 24.2.6) oder einer Plattenosteosynthese
( Abschn. 24.2.8) durchgeführt.
Die postoperative Ruhigstellung auf einer palmaren Unter-
armschiene in Intrinsic-plus-Stellung ist abhängig vom gewählten
Osteosyntheseverfahren.
Knöcherne Fehlstellungen können innerhalb von 3 Wochen
durch Osteosynthese korrigiert werden. Spätere Korrekturen sind
nur durch Osteotomie möglich. Hier kommen die Rotationskor-
rekturplatten zur Anwendung, die eine sehr geeignete Indikation
hierbei darstellen.
Bei Trümmerfrakturen und Frakturheilung mit Rotations-
fehlstellung empfiehlt sich die Osteosynthese mit Rotationsplatte
durchzuführen. Diese erlaubt eine Korrektur bis zu insgesamt 36°.
Die quere Osteotomie erfolgt basisnah an den Phalangen, nachdem
a b die Platte proximal fixiert ist. Nach der Osteotomie erfolgt die
Fixierung mit der Schraube im queren Loch der Platte distal der
⊡ Abb. 24.43 Technik der subtraktiven (»closing wedge«) Osteotomie bei
einer Valgusfehlstellung der Grundphalanx. a Aspekt vor Korrekurosteotomie
Osteotomiestelle in korrekter Rotation, wobei das quere Loch der
und Planung: Die zuvor in Richtung der Fehlstellung eingebrachten Kirsch- Platte weitere Korrekturen erlaubt. Nach exakter Rotationsstellung
ner-Drähte erlauben eine intraoperative Achsenkontrolle. b Nach der Korrek- werden die übrigen Schrauben über der Platte angebracht. Die
tur sind die Kirschner-Drähte parallel ausgerichtet. (Aus Schmit-Neuerburg korrekte Achse und Rotation wird in Beugestellung der Finger wie-
et al. 2001) derholt intraoperativ kontrolliert (⊡ Abb. 24.11).

a b c

⊡ Abb. 24.44 Hilfstechniken für die Durchführung und Ausrichtung der Korrekturosteotomie. a Einstellung der Rotationsebene anhand von 2 zuvor einge-
brachten Kirschner-Drähten. Diese werden proximal senkrecht zur Schaftachse und distal in Richtung der zu korrigierenden Fehlstellung eingebracht. Nach der
Korrektur müssen die Kirschner-Drähte parallel sein. b Markierung senkrecht zur Osteotomielinie: Durch das Auseinanderweichen der osteotomienahen und
osteotomiefernen Markierung kann die Korrektur eines Rotationsfehlers dargestellt werden. c Ein longitudinal eingebrachter temporärer Kirschner-Draht stabili-
siert die Osteotomie oder die bereits korrigierte Achse (z. B. nach subtraktiver Osteotomie). Die Rotation ist weiterhin frei. Der Operateur ist somit in der Lage, die
klinischen Parameter (Faustschluss und Lage der Fingernagelebene) vor der definitiven Osteosynthese zu überprüfen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
612 Kapitel 24 · Frakturen im Fingerbereich (inklusive sekundäre Korrektur knöcherner Fehlstellungen)

24.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen Strukturen voraussetzt, stellt die Nachbehandlung nach Osteosyn-
thesen, wie bei allen anderen Operationen an der Hand auch, eine
24.3.1 Frakturen unabdingbare Voraussetzung dar. Der Erfolg der Behandlung wird
nicht durch das Röntgenbild eines korrekt platzierten Implanta-
Prinzipiell ist der Benefit der geringeren Immobilisation und der tes nachgewiesenen, sondern durch das funktionelle Endergebnis.
damit verbundenen Einsteifung der Hand gegen das Operations- Durch die adäquate Nachbehandlung können die konservativ oder
risiko – iatrogener Schaden durch den operativen Zugang, Wund- operativ geschaffenen Voraussetzungen erst erreicht werden. Eine
heilungsstörung, Infektion, Gefühlsstörungen, Durchblutungsstö- fehlende oder zu geringe Handtherapie ist eine der häufigsten Ur-
rungen – abzuwägen. Neben der inadäquaten Patientenauswahl sache für bleibende Funktionseinschränkungen.
führt die Vernachlässigung der Biologie gegenüber der Mechanik
am häufigsten zu Komplikationen. Es ist nicht der Knochen auf
dem Röntgenbild, welcher operiert wird, sondern die Hand als 24.3.2 Knöcherne Fehlstellungen im Fingerbereich
komplexes Knochen-Weichteil-System in ihrer Gesamtfunktion.
Die hauptsächlichen Fehler passieren Bei Defektbildungen der Knochen und Trümmerzonen kann es
▬ bei der Auswahl des Therapieverfahrens ( Abschn. 24.1.6), sowohl bei der konservativen wie auch bei der operativen Behand-
▬ durch eine inadäquate konservative Therapie, lung zu Fehlbildungen kommen, wenn die Prinzipien der Fraktur-
▬ durch eine inadäquate Operationstechnik, behandlung vor allem durch Osteosynthese nicht beachtet werden.
▬ durch eine inadäquate Nachbehandlung. Die Rotations- und die Achsenfehlstellung werden nur bei passiv
gebeugtem Finger festgestellt. Die knöcherne Fehlstellung kann
Die konservative Therapie ist häufig unbequem, aufwändig, lang- innerhalb von 3 Wochen durch Osteosynthese korrigiert werden.
wieriger und bedarf einer sorgfältigen, ständigen Nachkontrolle, Spätere Korrekturen sind nur durch Osteotomie möglich. Hier
um damit ein gutes Behandlungsergebnis zu erzielen. Neben der kommen die Rotationskorrekturplatten zur Anwendung, die eine
inadäquaten Nachkontrolle sind Immobilisationsschäden durch sehr geeignete Indikation hierbei darstellen.
fehlerhafte und zu lange Ruhigstellung in einem Schienenverband Gefahren der Fehlstellung bestehen insbesondere auch bei ver-
zu nennen. längernden Korrekturosteotomien. Hierbei sollte auf eine ausrei-
Bei der operativen Therapie wird immer ein zusätzlicher Scha- chende Dehnbarkeit des Weichteilmantels geachtet werden. Even-
den durch das Einbringen des Osteosynthesematerials gesetzt. Die- tuell sind zusätzliche Weichteildeckungen mit Lappenplastiken und
ser muss immer so klein wie möglich sein. Der Zugangsweg bei der Spalthauttransplantaten erforderlich. Eine vorbestehende Kontrak-
offenen Reposition muss sehr sorgfältig gewählt werden, um eine tur kann verstärkt werden. Dies gilt insbesondere für tendogene
zusätzliche Devaskularisation des Hautmantels und eine exzessive Kontrakturen. Bei den kleinen Osteotomien tritt durch den Säge-
Deperiostierung zu verhindern. Die Desinsertion von kapsuloliga- defekt ein nicht unerheblicher Fehler auf. Die klinischen Parameter
mentären Strukturen muss auf ein Minimum reduziert werden, um der physiologischen Fingerstellung sind daher zu beachten. Für
die ossären Fragmente vor Nekrosen zu schützen. Instabilität und kindliche Frakturen vor dem Epiphysenschluss sollte unbedingt die
Funktionsverlust durch Desinsertion von Sehnen und Bandansät- spontane, wachstumsbedingte Korrektur mit berücksichtigt und
zen bei der Darstellung von Frakturen zur Osteosynthese müssen eventuell abgewartet werden. Eine Korrekturosteotomie ist bis auf
vermieden werden. Weitere typische Fehler sind: wenige Ausnahmen vor dem Epiphysenschluss nicht erforderlich.
1. Zerbrechen von kleinen Fragmenten durch überdimensionier- Gefahren bestehen insbesondere bei verlängernden Osteoto-
te Drähte oder Schrauben, mien. Hierbei sollte auf eine ausreichende Dehnbarkeit des Weich-
2. Hitzenekrosen an Weichteilen und Knochen mit nachfolgen- teilmantels geachtet werden. Eventuell sind zusätzliche Weich-
den Osteolysen, frühzeitige Lockerungen und septische Kom- teildeckungen mit Lappenplastiken und Spalthauttransplantaten
plikationen durch zu hochtouriges Bohren bei der Bohrdrah- erforderlich. Eine vorbestehende Kontraktur kann verstärkt wer-
tosteosynthese, den. Dies gilt insbesondere für tendogene Kontrakturen. Bei den
3. Fehlende Verankerung einer Bohrdrahtfixation in der Gegen- kleinen Osteotomien tritt durch den Sägedefekt ein nicht unerheb-
kortikalis und Kreuzen der Bohrdrähte im Frakturbereich, licher Fehler auf. Die klinischen Parameter der physiologischen
4. Instabilität einer langen Schrägfraktur des Schaftes, die nur Fingerstellung sind daher zu beachten. Für kindliche Frakturen vor
mit Zugschrauben fixiert wird, dem Epiphysenschluss sollte unbedingt die spontane, wachstums-
5. Interferenz mit den Weichteilstrukturen (Sehnen, Nerven und bedingte Korrektur mit berücksichtigt werden. Eine Osteotomie
Gefäßen) durch zu lange Schrauben, ist bis auf wenige Ausnahmen vor dem Epiphysenschluss selten
6. Instabilität und vorzeitige Lockerung durch zu kurze Schrau- erforderlich.
ben,
7. Infekt der Osteosynthese,
8. schmerzhafte Bewegungseinschränkung mit frühzeitiger Arth- Weiterführende Literatur
rose bei Gelenkflächeninkongruenz nach ausgeheilter Gelenk-
fraktur mit Stufenbildung (operativ besteht dann nur noch die Lanz T von, Wachsmuth W (1959) Praktische Anatomie, 1. Band, 3. Teil
Möglichkeit zur Anlage einer Arthrodese), Arm, 2. Aufl. Springer, Berlin
9. Pseudarthrose, Schmit-Neuerburg KP, Towfigh H, Letsch R (Hrsg) (2001) Tscherne Unfall-
10. Rotations- und Achsfehlstellung nach erfolgter Osteosynthese, chirurgie, Band VIII/2: Hand. Springer, Berlin
Weinberg AM, Tscherne H (2006) Unfallchirurgie im Kindesalter, Band 1.
11. Instabilität und Funktionsverlust durch Desinsertion von Seh-
Springer, Berlin
nen- und Bandansätzen bei der Darstellung der Fraktur.

24 Neben einer einwandfreien handchirurgischen Operationstechnik,


die den schonenden Umgang mit dem Gewebe und den ossären
25

Frakturen im Mittelhandbereich inklusive


sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen
Hossein Towfigh
(Mit einem Beitrag von Barbara Schmidt und Annelie Weinberg)

25.1 Allgemeines – 614


25.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 614
25.1.2 Epidemiologie – 618
25.1.3 Ätiologie – 618
25.1.4 Diagnostik – 618
25.1.5 Klassifikation – 618
25.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 619
25.1.7 Therapie – 624
25.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 626
25.2 Spezielle Techniken – 633
25.2.1 Technik der geschlossenen Reposition bei Frakturen des MHK I – 633
25.2.2 Technik der Reposition der intraartikulären MHK-I-Basis-Fraktur und Kirschner-Draht-
Osteosynthese nach Wiggins bzw. Iselin – 634
25.2.3 Technik der offenen Reposition der intraartikulären MHK-I-Basis-Fraktur und interne Fixierung – 634
25.2.4 Technik der offenen Reposition der MHK-I-Schaft-Fraktur und Plattenosteosynthese – 636
25.2.5 Technik der offenen Reposition der MHK-I-Köpfchen-Fraktur und interne Fixierung – 636
25.2.6 Technik der geschlossenen Reposition bei Frakturen der MHK II–V nach Jahss – 637
25.2.7 Technik der offenen Reposition und Osteosynthese bei Luxationen und Luxationsfrakturen
an den MHK, Basis II–IV – 637
25.2.8 Technik der offenen Reposition und Osteosynthese bei Luxationen und Luxationsfrakturen
an den MHK, Basis V – 638
25.2.9 Technik der offenen Reposition und Osteosynthese bei Schaftfrakturen der MHK II–V – 638
25.2.10 Technik der geschlossenen Reposition bei subkapitalen Frakturen der MHK II–V
und intramedulläre Kirschner-Draht-Osteosynthese nach Kapandji – 639
25.2.11 Technik der offenen Reposition bei subkapitalen Frakturen der MHK II–V und
Plattenosteosynthese – 640
25.2.12 Technik der offenen Reposition bei subkapitalen Frakturen der MHK II–V und
Osteosynthese mithilfe einer Kondylenplatte – 640
25.2.13 Technik der Versorgung multipler Metakarpalfrakturen mithilfe von Kirschner-Drähten – 641
25.2.14 Technik der Versorgung multipler Metakarpalfrakturen mithilfe eines Fixateur externe – 641
25.2.15 Technik der subtraktiven (»closing wedge«) Korrekturosteotomie bei einer Fehlstellung
in der Sagittalebene im Metakarpalbereich – 642
25.2.16 Technik der Korrekturosteotomie bei Rotationsabweichungen – 643
25.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 643
Weiterführende Literatur – 645

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


614 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25.1 Allgemeines seite ab. Mit dem proximalen Teil, der Basis, sind sie gelenkig an
25 den Karpus gefügt. Die Karpometakarpalgelenke (CMC) II und
25.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und III sind sehr straff und erlauben nur geringste Bewegungen. Die
Physiologie Beweglichkeit im CMC-IV- und vor allem CMC-V-Gelenk ist ein
bedeutender Faktor für den kraftvollen Grobgriff (»Schlussrotation
Die Mittelhand ist die Schlüsselregion für die Architektur der des Metakarpale V«; ⊡ Abb. 25.2). Dieses Gelenk muss deshalb bei
Hand. Hier werden erstmals die fünf Strahlen ausgebildet, die sich den häufigen Metakarpale-V-Basis-Frakturen – die durch den Zug
zum Daumen und den Fingern fortsetzen und von denen jeder der ECU-Sehne als instabil zu betrachten sind – möglichst anato-
eine unterschiedlich bewegliche Gelenkkette darstellt. misch rekonstruiert werden.
Die fünf langen Knochen der Mittelhand sind so zusammen- Der Daumen ist der wichtigste Finger, weil er der einzige
gefasst, dass sie das Gewölbe der Handwurzel fortsetzen und nach Partner der Finger bei den höheren Greifformen ist. Er verdankt
distal verflachen lassen. Metakarpale II und III stellen zusammen diese Sonderstellung dem CMC I-Gelenk. Eine Beeinträchtigung
mit der distalen Karpalreihe das stabile Segment des Handskeletts, der Funktion dieses Gelenks führt zu einer Beeinträchtigung der
um das der sehr bewegliche 1. Strahl und die deutlich weniger globalen Handfunktion. Deshalb ist eine möglichst anatomische
beweglichen Strahlen IV und V sich bewegen (⊡ Abb. 25.1). Diese Rekonstruktion der Gelenkflächen bei intraartikulären Frakturen
Architektur ist Voraussetzung für die Präzisionsgreifformen der zu fordern.
menschlichen Hand. Bei Lähmungen der intrinsischen Handmus- Die Metakarpalknochen sind auch Ansatz für Sehnen der ex-
kulatur kommt es zum Abflachen des Gewölbes und zum Verlust trinsischen Handmuskulatur vom Unterarm. Der M. abductor pol-
der Präzisionsgreifformen. licis longus setzt an der Basis des Metakalpale I an, der M. extensor
Die Mittelstücke, die dem Schaft der Röhrenknochen ent- carpi radialis longus an der Basis des Metakarpale II, an dem
sprechen, sind außerdem an der Palmarseite in der Längsrichtung palmar auch noch der M. flexor carpi radialis inseriert, der M. ex-
schwach gebogen und fassen zwischen sich die Knochenzwischen- tensor carpi radialis brevis an der Basis des Metakarpale III und
räume, die von den Mm. interossei ausgefüllt werden. An Länge der M. extensor carpi ulnaris an der Basis des Metakarpale V. Der
nehmen die Mittelhandknochen vom zweiten an, nach der Ulnar- Muskelzug führt physiologischerweise zu Bewegungen der Hand.

⊡ Abb. 25.1 Architektur der Hand. a Ansicht von dorsal: Die distale Karpalreihe und die Metakarpale II und III bilden die stabilen Segmente der Hand.
b Ansicht von lateral: Die Hand zeigt einen Längsbogen (Radius-Lunatum-Metakarpale-III-Phalangen von D III) und zwei Querbögen. Der transversale karpale
Bogen ist weitgehend starr. Durch Muskelzug kann der transversale metakarpale Bogen abgeflacht werden. c Bei Lähmungen der intrinsischen Handmusku-
latur kommt es zum Abflachen des Gewölbes und zum Verlust der Präzisionsgreifformen
25.1 · Allgemeines
615 25
Bei Frakturen führt der Zug zur Dislokation. Das ist vor allem bei ableitet, wird im folgenden als epifasziale Schicht bezeichnet.
Basisfrakturen des Metakarpale I (Bennett, Rolando, Winterstein) Unterhalb der Faszie schließt sich eine subfasziale Schicht an. An
und des Metakarpale V zu berücksichtigen (⊡ Abb. 25.3). der Streckseite der Finger kann eine epifasziale Schicht chirurgisch
Die Metakarpalköpfe sind mit den Fingern gelenkig über die nicht eindeutig abgegrenzt werden, weshalb hier die Bezeichnung
Metakarpophalangeal-(MP-)Gelenke verbunden und besitzen ku- subkutane Schicht gewählt wurde (⊡ Tab. 25.1).
gelige Gelenkflächen, die sich palmarwärts ausdehnen und hier Der etwas komplexere Aufbau der Palmarseite der Hand
mehr oder weniger deutlich in zwei Zipfel ausgezogen sind. Zur führt zu einer topografischen Gliederung in drei Räume. Der
Befestigung der Seitenbänder hat das Caput beiderseits eine Gru- Bereich zwischen der Unterfläche der Haut und der Aponeurosis
be. Die Köpfe der Mittelhandknochen II–V sind durch äußerst palmaris, die eng mit der Fascia antebrachii zusammenhängt,
feste Bänder, Ligg. metacarpea transversa profunda verbunden, wird als epifasziale oder subkutane Schicht bezeichnet. Der sich
sodass sie nicht auseinanderweichen können. Zusammen mit den daran in die Tiefe anschließende subfasziale oder subaponeu-
Handbinnenmuskeln bilden diese Bänder eine Art interkarpaler rotische Raum wird zweckmäßigerweise mit Rücksicht auf den
Verspannung. Bei intakter interkarpaler Verspannung neigen Frak- Fächer der Beugesehnen in eine oberflächliche, epitendinöse
turen der randbildenden Mittelhandknochen II und V wegen nur und eine tiefe, subtendinöse Schicht gegliedert. Neben dieser
einseitiger Schienung zu stärkeren Dislokationen als die MHK III horizontalen Gliederung lässt sich die Hohlhand unterhalb der
und IV (⊡ Abb. 25.4). Aponeurose bzw. der seitlich davon ausstrahlenden Faszie noch
Ein Querschnitt durch die Mittelhand zeigt die komplexe Ar- in longitudinal orientierte Kompartimente untergliedern. Die
chitektur der Weichteile (⊡ Abb. 25.5, ⊡ Tab. 25.1). Mittelhandstraße wird nach radial durch die Sehnenplatte der
Der Raum zwischen der Unterfläche der Haut des Handrü- ulnaren Thenarmuskeln von der Thenarloge, nach ulnar durch
ckens und der alle Sehnen bedeckenden Faszie, die sich, ohne die radialen Muskeln des Hypothenars von der Hypothenarloge
einen eigenen Namen zu besitzen, aus der Fascia antebrachii abgegrenzt ( Kap. 48).

⊡ Abb. 25.2 »Schlussrotation« des 5. Strahls


bei festem Faustschluss. a Lockerer Faust-
a b schluss, b fester Faustschluss

⊡ Abb. 25.3 Dislokation des distalen Frag-


ments bei Frakturen der Metakarpalbasis V und
I durch Sehnenzug. Diese Kraft kann aber auch
für die Osteosynthese genützt werden, wenn es
gelingt den Zug in einen Druck umzuwandeln.
a Metakarpale-V-Basis-Fraktur: Durch den Zug
des M. extensor carpi ulnaris kommt es zur
Dislokation. b Metakarpale-I-Basis-Fraktur: Das
periphere Fragment wird durch den Zug des
M. abductor pollicis longus und flexor pollicis
brevis unter Verschmälerung der 1. Kommissur
a b adduziert. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
616 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a b c d

⊡ Abb. 25.4 Stabilität bzw. Dislokation von Schaftfrakturen der Metakarpalia II–V. a, b Dislokation der Mittelhandfrakturen II und V mit Rotationsfehlstellung der
Mittelhandknochen und Finger durch Verspannung des peripheren Fragments. Bei Beugung der Finger im Grundgelenk wird die Rotationsfehlstellung des mo-
bilen Strahles sichtbar (vor allem bei den Randknochen II und V). Dislokationen des peripheren Fragments bei Schaftfrakturen der randständigen Metakarpalia II
und V erfolgen, da keine beiderseitige Verspannung durch die Ligg. metacarpalia oder Einklemmung zwischen zwei Nachbarfingern besteht. c, d Bei Beugung
der Finger im Grundgelenk wird die Rotationsfehlstellung des mobilen Strahls sichtbar, wobei durch die Verspannung der Kollateralbänder im Grundgelenk bei
Beugestellung des Fingers und Feststellung des Ausmaßes der Rotationsfehlstellung diese durch die benachbarten Mittelhandknochen und Verspannung des
peripheren Fragments durch die Ligg. metacarpalia korrigiert werden können. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

⊡ Abb. 25.5 Querschnitt durch die Mittelhand. (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)
25.1 · Allgemeines
617 25

⊡ Tab. 25.1 Schichtengliederung und Kompartimente der Hand

Seite Karpus Metakarpus Digiti

Dorsal Epifaszial (subkutan) Epifaszial (subkutan) Subkutan

Subfaszial Subfaszial

Palmar Epifaszial (subkutan) Epifaszial (subkutan) Epivaginal (subkutan)

Subfaszial Thenar Palma manus Hypothenar Subtendinös

Subfaszial Subfaszial Subfaszial


(Subaponeurotisch)
Epitendinös
Subfaszial
(Subaponeurotisch)
Subtendinös

⊡ Abb. 25.7 Dislokation bei Mittelhandfrakturen. a Typische palmare Ab-


kippung des peripheren Fragmentes durch Zug der Mm. interossei und
Beugesehnen bei Frakturen der MHK II–V, b typische Fehlstellung bei CMC-
⊡ Abb. 25.6 Kollaterales Ödem des Handrückens nach Mittelhandfraktur. Luxationsfraktur. Das palmare Fragment bleibt an den straffen Bändern mit
(Aus Lanz u. Wachsmuth 1959) den distalen Karpalknochen verbunden. Durch den Muskelzug der Handge-
lenkextensoren kommt es zu einer dorsalen Luxation des distalen Fragments
mit kompensatorischer Hyperextension im MP-Gelenk und Flexion im PIP-
Aufgrund des straffen palmaren und des relativ lockeren dor- Gelenk. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
salen Aufbaus ist es wichtig daran zu denken, dass Erkrankungen,
die zunächst Handskelett, Hohlhand und Finger betreffen und
durch Lymphbahnen und Venen zum Handrücken fortgeleitet turen führen am Metakarpale II–V zu einer typischen palmaren
werden, zuerst hier zu einer hochgradigen Schwellung, einem sog. Abkippung des peripheren Fragmentes (⊡ Abb. 25.7). Die typische
kollateralen Ödem des Handrückens, führen (⊡ Abb. 25.6). Dislokation des gebrochenen Mittelhandknochens (MHK) II–V,
Die Mittelhand kann – in Analogie zum Finger – aus biome- nämlich die palmare Abkippung des peripheren Fragments in
chanischer Sicht als ein osteotendoligamentäres System betrachtet Beugestellung, kommt durch den Zug der Intrinsic- und Extrinsic-
werden. Das Skelettsystem wird durch ligamentäre Verstärkungen Beuger, vor allem der Mm. interossei zustande. Das Auftreten des
im Kapsel-Band-Apparat der MP II- bis -V- und CMC-II- bis –V- beugeseitig offenen Winkels der Mittelhandknochen kann oft nicht
Gelenke passiv zusammengehalten. in gut reponierter Stellung konservativ gehalten werden. Gelingt
Durch die verschiedenen dorsalen und palmaren Ansätze der die Reposition und kann eine ausreichende Retention bei geeig-
extrinsischen und intrinsischen Muskeln wird das passive System neten Bruchformen (Querfraktur) erreicht werden, können die
bewegt. Unter physiologischen Bedingungen steht das osteoten- Frakturen aufgrund der physiologischen Druckbelastung durch
doligamentäre System im Gleichgewicht, wobei die Flexoren leicht die dorsalen und palmaren Stabilisatoren – z. B. im Rahmen der
überwiegen. Das ganze System steht unter Druckbelastung. Stö- konservativen Frakturbehandlung – geschützt bewegt werden. Eine
rungen des osteotendoligamentären Systems aufgrund von Frak- nicht reponierbare Fehlstellung der MHK-Fraktur mit palmar of-
618 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

fenem Winkel stört das Muskelgleichgewicht der Hand. Es kommt Die exakte seitliche Röntgenaufnahme ist sehr wertvoll, da gerade
25 zur kompensatorischen Überstreckung im Grundgelenk und ist der exakte seitliche Strahlengang eine Luxation oder Luxations-
kosmetisch störend. Eine deutliche Verkürzung des Mittelhand- fraktur im karpometakarpalen Bereich zur Darstellung bringt.
knochens nach Fraktur oder Torsionsabweichung kann zu erheb- Gelegentlich wird zur besseren Darstellung der Luxation, Luxati-
lichen Störungen der Greiffunktion führen und ist kosmetisch onsfraktur oder Trümmerzonen bei Einstauchungen eine compu-
störend. Daraus resultiert eine klare Indikation zu einer Korrektur. tertomografische Untersuchung mit der sagittalen und koronaren
Rekonstruktion erforderlich.
Zusätzlich können Röntgenaufnahmen mit Zentralstrahl auf
25.1.2 Epidemiologie Fraktur/Luxation unter Durchleuchtung notwendig werden, wenn
die genaue Kenntnis der Verletzung zur Planung der Operation
Frakturen im Handbereich sind häufige Verletzungen. Etwa 60% erforderlich ist.
aller Frakturen im Bereich der Hand entfallen auf die Phalangen, CT- oder MRT-Untersuchungen sind nur dann erforderlich,
etwa 30% auf die Mittelhand und ca. 10% auf die Handwurzel, wo- wenn dringender Verdacht auf Frakturen oder Bandverletzungen
bei die Skaphoidfraktur eine besondere Rolle einnimmt. der Handwurzel oder der Mittelhand besteht, die durch konventio-
nelles Röntgen nicht dargestellt werden können.

25.1.3 Ätiologie
25.1.5 Klassifikation
Knochendefekte können angeboren oder erworben sein. Bei den
erworbenen Knochenverletzungen und -defekten unterscheidet Frakturen
man hinsichtlich der Ätiologie nach Trauma, Infekt oder Tumor. Die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese (Petracic u. Siebert
Die Art der Gewalteinwirkung beeinflusst Lokalisation und Typ 1995) hat eine Klassifikation der kurzen Röhrenknochen im Be-
der Fraktur der Mittelhandknochen. Axiale Kompression auf dem reich der Mittelhand und der Phalangen vorgenommen. Analog zu
Mittelhandknochen, auf das rechtwinklig gebeugte Grundglied, den langen Röhrenknochen werden hier Einteilungen nach
führt zu subkapitalen Frakturen, direkte Gewalteinwirkung zu ▬ A: diaphysären Frakturen,
Schräg- und Querbrüchen, Torsion zu Spiralfrakturen des Schaftes. ▬ B: metaphysären Frakturen,
Die Dislokation dagegen ist fast ausschließlich Folge der lokal ein- ▬ C: Gelenkfrakturen
wirkenden mechanischen Kräfte (⊡ Abb. 25.3; ⊡ Abb. 25.7). unterschieden, wobei diese je nach Schwere der Fraktur weitere
Unterteilungen erfahren. Das Ausmaß einer möglicherweise mit-
bestehenden Weichteilverletzung wird nicht berücksichtigt. Ein
25.1.4 Diagnostik wesentliches morphologisches Kriterium besteht bei Dislokation,
Instabilität und Gelenkbeteiligung ( Kap. 24).
Der Untersuchungsgang entspricht dem Vorgehen bei Frakturen Während die allgemeine Klassifikation den Frakturen an den
im Fingerbereich ( Abschn. 21.1.4). Auf folgende Besonderheiten Phalangen und der Mittelhand gilt, wird aufgrund der besonderen
soll speziell hingewiesen werden: funktionellen Bedeutung des Daumens und dessen Greiffunktion
Entscheidend bei der Beurteilung von Frakturen der Mittel- auf spezielle Einteilung der Basisfrakturen des 1. Mittelhandkno-
handknochen sind nicht allein die röntgenologisch erkennbaren chens mit Einteilung in Bennett-, Rolando- und Winterstein-Frak-
unmittelbaren Schäden, sondern auch die erfahrungsgemäß zu turen hingewiesen.
erwartenden funktionellen Störungen der gesamten Hand. Aufgrund der klinischen Erfahrung hat sich für den Metakar-
Beim Befragen der Patienten ist auf den exakten Entstehungs- palbereich eine Klassifikation in folgende Untergruppen bewährt:
mechanismus der Verletzung zu achten. Eine schmerzhafte Hand-
rückenschwellung und Funktionsverlust mit beginnender Defor-
mität im Bereich der Mittelhandknochen proximal oder distal wei- Frakturen im Bereich des Metakarpale I
sen auf eine Fraktur oder Luxation hin. Die Luxation im Bereich ▬ MHK-I-Basisfrakturen
der karpometakarpalen Knochen können aufgrund der massiven – Luxationsfrakturen der MHK-I-Basis (Bennett, Rolando)
Schwellung des Handrückens klinisch übersehen und röntgeno- – Extraartikuläre Schrägfraktur der MHK-I-Basis (Winterstein)
logisch bei einer zusätzlich erkennbaren Fraktur im Schaftbereich ▬ MHK-I-Schaft-Frakturen
fehlgedeutet werden. Ein Abweichen der Metakarpalköpfe in ent- ▬ Distale Metakarpale-I-Köpfchen-Frakturen
sprechender Reihe bei angedeutetem Faustschluss weist auf eine
Luxationsfraktur der betreffenden Mittelhandknochen hin. Weich- Frakturen im Bereich der Metakarpale II – V
teilverletzungen im Bereich des Köpfchens mit Deformierung des ▬ MHK-II- bis -V-Basis-Frakturen
Mittelhandknochens weisen auf eine Schlag- oder Bissverletzung – Luxationsfrakturen der MHK-II- bis –V Basis
der Hand hin. Eine Fehlstellung der Mittelhandknochenfraktur ▬ MHK-II- bis -V-Schaft-Frakturen
mit palmarem offenem Winkel stört das Muskelgleichgewicht der ▬ MHK-II- bis -V-Köpfchen-Frakturen
Hand. Es kommt zu kompensatorischer Überstreckung im Grund-
gelenk und ist kosmetisch störend.
Zur Diagnostik der Mittelhandfrakturen oder allgemeinen Ver- Knöcherne Fehlstellungen
letzungen werden konventionelle Röntgenaufnahmen in drei Ebe- Die häufigste Form einer knöchern fehlverheilten Fraktur im Me-
nen notwendig. takarpalbereich ist die Verkürzungsstellung. Weitere Fehlstellungen
1. Mittelhand mit distaler Handwurzelreihe d.-p., sind Achsenfehler in der Sagittalebene, Achsenfehler als Varus-Val-
2. Mittelhand mit distaler Handwurzelreihe 20° seitlich, gus-Fehlstellungen und Rotationsfehler (Torsion). Die Fehlstellun-
3. Mittelhand mit distaler Handwurzelreihe streng seitlich. gen können einzeln oder (meist) kombiniert auftreten.
25.1 · Allgemeines
619 25
25.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Osteosynthesen einer zusätzlichen Immobilisierung im Schienen-
verband bedarf.
Frakturen Da die stabile Schrauben- und Plattenosteosynthese operativ
Frakturen im Bereich des Metakarpale I aufwändig und technisch schwierig ist, besteht hierzu eine Indi-
Bei allen Frakturen des 1. Mittelhandknochens steht klinisch die kation, wenn unmittelbar postoperativ aktive Bewegung möglich
Verschmälerung der Kommissur I–II im Vordergrund, durch Ad- und erwünscht ist, z. B. aus sozialer Indikation oder zur sofortigen
duktion des peripheren Hauptfragments, z. B. bei Schaftfrakturen funktionellen Nachbehandlung bei Begleitverletzungen. Bei Ge-
und den extraartikulären Schrägfrakturen der MHK-I-Basis (Win- lenkfrakturen mit Stufenbildung besteht immer eine Indikation zur
terstein-Fraktur). Bei der Luxationsfraktur des Karpometakarpal- Operation.
gelenks I (Bennett-Fraktur) ist das ulnar-palmare Fragment durch
den intakten beugeseitigen Kapsel-Band-Apparat fixiert, während MHK-I-Basis-Frakturen
das Schaft-Hauptfragment zusätzlich zur Adduktion durch Zug des Bei intraartikulären Frakturen der MHK-I-Basis steht die exakte
M. abduktor pollicis longus nach proximal luxiert. Gleiches gilt für Wiederherstellung der Gelenkfläche im Vordergrund, wobei je
die intraartikuläre Y- oder T-Fraktur der MHK-I-Basis (Rolando- nach Frakturtyp 1,2- bis 1,4-mm-Kirschner-Drähte oder Schrau-
Fraktur). Diese Dislokation in Verkürzung und Adduktion lässt ben (⊡ Abb. 25.8) und Platten in 2 mm Dimension zur Anwendung
sich auch leicht geschlossen durch Längszug und Abduktion über kommen. Lässt sich bei Luxationsfrakturen die exakte Reposition
dem Finger des Chirurgen als Hypomochlion reponieren, jedoch durch Gips allein nicht retinieren, so ist bei sehr kleinem ulnar-
ebenso wie die Reposition der Gelenkfläche nur schwer auf Dauer palmaren Fragment die Kirschner-Draht-Stabilisierung indiziert.
durch äußere Fixation allein retinieren. Deshalb besteht auch hier Prinzipiell ist diese auch perkutan unter geschlossener Reposition
eine Operationsindikation. möglich ( Abschn. 25.2.2). Da hierbei jedoch auch unter Bildver-
Rotationsfehlstellungen und starke Verkürzung der Mittel- stärkerkontrolle die Beurteilung der Gelenkfläche unsicher ist,
handknochen führen zu schweren Funktionseinschränkungen sollte dieses Verfahren nur in Ausnahmefällen (eingeschränkte OP-
und Störungen. Deshalb müssen diese verhindert bzw. ausge- Fähigkeit, Polytrauma) angewandt werden.
glichen werden. Eine Indikation zur Operation besteht, falls die Wenn immer möglich sollte die Reposition offen erfolgen, da
Fehlstellung nicht korrigiert und retiniert werden kann. Eine nur so nicht einzupassende kleinste Fragmente aus dem Gelenk
Mittelstellung zwischen geschlossener konservativer Behandlung entfernt werden und die Weichteile wie Sehnen, Gefäße und Ner-
und offener Osteosynthese stellt die geschlossene Reposition mit ven geschont werden können. Nach Reposition der Gelenkfläche
perkutaner Kirschner-Draht-Fixation zur Sicherung des Repo- unter Sicht können mehrere Osteosynthesetechniken zur Fixierung
sitionsergebnisses dar, die allerdings wie alle Kirschner-Draht- verwendet werden ( Abschn. 25.2.3). Eine Zugschrauben- oder

a b

c d

⊡ Abb. 25.8 Postoperatives Ergebnis einer intraartikulären MHK-I-Basis-Fraktur (Bennett) nach offener Reposition und Schraubenosteosynthese. a–d Röntgen-
darstellung: Schraubenosteosynthese der Bennett-Fraktur mit Schraubenfixation des Bandrisses am Trapezium. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
620 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

Plattenosteosynthese von MHK-I-Basis-Frakturen sollte versucht kontinuierliche und regelmäßige Kontrolle durch einen erfahrenen
25 werden, wenn nicht ein ausgesprochener Trümmerbruch vorliegt, Arzt erforderlich. Abgesehen vom kosmetischen Aspekt spielt bei
bei dem das ulnar-palmare Fragment zu klein ist, um darin sicher subkapitalen Frakturen die typische palmare Abkippung des Köpf-
eine Schraube zu verankern ( Abschn. 26.2.4). Winkelstabile Mini- chens an MHK II und III bis 10°, an MHK IV und V bis 20° funkti-
platten können auch hier gute Dienste erweisen. onell keine wesentliche Rolle, solange ein gleichzeitiger Drehfehler
Das Gleiche gilt für echte T- oder Y-Frakturen der Basis des ausgeschlossen werden kann.
MHK I (Rolando-Fraktur) mit 2 ausreichend großen proximalen Kontraindiziert ist die konservative Behandlung im Gips, wenn
Fragmenten, wobei der rekonstruierte solide Gelenkblock mit iso- durch die Immobilisierung in einer Zwangsstellung vorbestehende
lierten Zugschrauben, T- oder L-Plättchen (Minifragmentosteosyn- Schäden oder Erkrankungen wesentlich verschlimmert und einer
these 2,0 mm) am Metakarpalschaft fixiert wird ( Abschn. 25.2.3). objektivierbaren Kontrolle entzogen würden.
Auch der extraartikuläre Schrägbruch an der Basis des MHK I Wenn sich geschlossene Repositionsergebnisse auf Dauer durch
(Winterstein-Fraktur) sollte wie eine Gelenkfraktur mit Osteoyn- einen zusätzlichen Verband nicht retinieren lassen, ist stabile Platten-
these stabilisiert werden ( Abschn. 25.2.3). oder Schraubenosteosynthese nur gerechtfertigt, weil die dann mög-
Bei zu kleinem knöchernem proximalem Fragment und Trüm- liche postoperative funktionelle Nachbehandlung vorteilhafter ist.
merfrakturen der gelenkbildenden MHK-I-Basis, ist die Kirschner- Eine absolute Indikation zur operativen Behandlung besteht bei allen
Draht-Osteosynthese (1,2–1,4 mm) die einzig mögliche Thera- ▬ offenen Frakturen (mit oder ohne Begleitverletzungen);
piemethode ( Abschn. 25.2.3). Als zusätzlicher Schutz kann nach ▬ Mehrfachfrakturen (fehlende gegenseitige Stabilisierung);
Kirschner-Draht-Rekonstruktion der Gelenkfläche ein Minifixa- ▬ nicht stabil reponierbaren Frakturen (Frakturen der MHK-
teur externe angebracht werden. V-Basis, die wegen des Zuges des M. abductor digiti minimi
geschlossen nicht retiniert werden können) sowie
MHK-I-Schaft-Frakturen ▬ Luxationen und Luxationsfrakturen der karpometakarpalen
Geschlossene MHK-I-Schaft-Frakturen ohne Weichteilschaden oder Gelenke (⊡ Abb. 25.3a, ⊡ Abb. 25.10a–c). Hier ist eine interne
Dislokation können konservativ oder operativ behandelt werden. Fixierung erforderlich. Wegen der flachen Form der karpome-
Instabile, zur Verkürzung, Rotation oder Verschmälerung der takarpalen Gelenke gibt es oft keine Stabilität nach Repositi-
Daumenkommissur neigende MHK-I-Schaft-Frakturen werden onen der Luxationsfrakturen in diesem Bereich und deshalb
durch dorsale Plattenosteosynthese mit T- oder geraden Plättchen muss operativ stabilisiert werden. Häufig ist die Luxation
stabilisiert ( Abschn. 25.2.4). Eine reine Zugschraubenosteosyn- streckseitig mit beugeseitigem Knochenkeil (⊡ Abb. 25.9a);
these mit 2-mm-Kortikalisschrauben kommt nur bei ausgesproche- ▬ Trümmerbrüchen, Querfrakturen, kurzen Schrägfrakturen;
nen Spiralfrakturen in Frage. Bei problematischen Weichteilen hat ▬ Drehkeilfrakturen wegen der Torsionsfehler;
sich die intramedulläre Kirschner-Draht-Schienung oder äußere ▬ Frakturen und Bandzerreisungen der distalen Handwurzel-
Stabilisierung mittels Minifixateur externe bewährt. Im Gegensatz knochen (⊡ Abb. 25.9b,c).
zur Kirschner-Draht-Osteosynthese kann dabei, wie nach stabiler
Osteosynthese, funktionell nachbehandelt werden. Eine definitive Osteosynthese von Mittelhandfrakturen bei proble-
matischen Weichteilen ist kontraindiziert, z. B. bei Kontamination
Distale Metakarpale-I-Köpfchen-Frakturen begleitender Weichteilwunden oder wenn der schwere Weichteil-
Kleinere einzelne Fragmente des Mittelhandköpfchens werden, schaden primär aufgrund der zu erwartenden Nekrosen überhaupt
wenn sie geschlossen reponierbar sind, perkutan mit 1 oder nicht abzusehen ist. Neben der üblichen Minimalosteosynthese mit
2 Kirschner-Drähten der Stärke 1–1,2 mm fixiert. Nicht reponier- Kirschner-Drähten hat sich in solchen Fällen die Anwendung des
bare größere Fragmente müssen offen reponiert und durch eine Minifixateur externe bewährt. Nur falls ein primärer Verschluss
Schraube stabil refixiert werden. Ist das Fragment hierzu zu klein, durch Lappenplastiken (Nah- und Fernlappen) angestrebt wird,
so kann es alternativ mit Kirschner-Drähten oder einer transossä- ist auch der Einsatz einer Osteosynthese möglich. Die retrograde
ren Naht evtl. mit Mitek-Anker refixiert werden, ansonsten wird es Bohrdrahtosteosynthese, die früher als Standardverfahren auch im
besser entfernt. Bereich der Mittelhandknochen angewandt wurde, führt zwangs-
Ausgesprochene Trümmerfrakturen des Mittelhandköpfchens läufig immer zu einer Verletzung und Fixierung der Streckseh-
legt man besser nicht frei, da sonst der letzte Weichteilgewebskon- nenhaube und ist beim Erwachsenen nicht mehr einzusetzen. Hier
takt verloren geht ( Abschn. 25.2.5). kommt die relativ stabilere intramedulläre Osteosynthese zum
Diese Frakturen werden im Kindesalter, solange die Epiphyse Einsatz, die erst durch das fächerförmige Ausbreiten der leicht ge-
offen ist, mit Kirschner-Drähten versorgt. Die Stärke der Kirsch- bogenen Drähte der Fraktur besser retiniert.
ner-Drähte richtet sich nach Größe des Fragments, bei Kindern
zwischen 0,6–1,2 mm an der Mittelhand und an den Phalan- MHK-I- bis -V-Basis-Frakturen
gen. Anschließend ist eine Ruhigstellung mittels einer Schiene für Die Art der Gewalteinwirkung beeinflusst Lokalisation und Typ
3 Wochen erforderlich. der Frakturen der Mittelhandknochen. Axiale Kompression auf die
Mittelhandknochen bei rechtwinklig gebeugtem Grundglied kann,
Frakturen im Bereich der Metakarpale II–V abgesehen von subkapitalen Frakturen (»Boxer-Fraktur«), durch zu-
Nicht dislozierte oder nach geschlossener Reposition stabile Frak- sätzliche Torsion zu Luxationen und Luxationsfrakturen in den kar-
turen der Metakarpalia werden in der Regel konservativ im Gips pometakarpalen Gelenken II–V führen. Die schweren Dislokationen
behandelt ( Abschn. 25.2.6). Hierunter fallen isolierte nicht dislo- sind fast ausschließlich Folge der lokal einwirkenden mechanischen
zierte Schaft-, isolierte subkapitale sowie Basisfrakturen der Meta- Kräfte. Die typische Dislokation der gebrochenen Mittelhandfrak-
karpalia III und IV. Bei stabilen Frakturen ohne Dislokation oder tur II–V an der Basis, nämlich die palmare Abkippung des periphe-
mit zu vernachlässigender Dislokation kann auch eine »funktio- ren Fragments in Beugestellung, kommt durch den Zug vor allem der
nelle« Behandlung mit flexiblen Schienenverbänden angeordnet Mm. interossei zustande. Eine Fehlstellung der Mittelhandknochen
werden, solange der Patient kooperativ und zuverlässig ist. Hier ist durch Fraktur mit palmar offenem Winkel stört das Muskelgleich-
25.1 · Allgemeines
621 25

a b a b

⊡ Abb. 25.9 Luxationen und Luxationsfrakturen im CMC sind wegen der


flachen Form der Gelenke instabil. a In Rotationsfehlstellung mit Kirschner-
Drähten adaptierte MHK IV, b übersehene Luxation CMC V mit starker Dis-
lokation und Drehfehler, c postoperative Korrektur: Plattenosteosynthese c b
MHK IV, Reposition und temporäre Fixation MHK V und Bandnaht im CMC V.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) ⊡ Abb. 25.10 Luxationen und Luxationsfrakturen im CMC: veraltete MHK-IV-
Basis-Mehrfragmentfraktur sowie MHK-V-Basis-Mehrfragmentfraktur mit CMC-
Luxation V und Osteosynthese mittels winkelstabiler 2,0-mm-Platte an MHK IV
sowie überbrückender Osteosynthese an MHK V mit temporärer Arthrodese.
gewicht der Hand. Es kommt zur kompensatorischen Überstreckung a Röntgen präoperativ: d.-p. Strahlengang, b Röntgen präoperativ: schräger
im Grundgelenk und ist kosmetisch störend. Die Verkürzung eines Strahlengang, c Röntgen postoperativ: schräger Strahlengang, d Röntgen
Metakarpalknochens beeinträchtigt neben der Ästhetik die physio- postoperativ: lateraler Strahlengang
logische Vorspannung der übergreifenden Muskeln bzw. Sehnen, so-
dass z. B. eine Strecksehneninsuffizienz resultiert. Eine Rotationsfehl-
stellung darf auf gar keinen Fall akzeptiert werden. Eine Verkürzung turen an der Basis der Mittelhandknochen, auch Frakturen und
über 3–5 mm kann funktionell und ästhetisch störend wirken. Bandzerreißungen der distalen Handwurzelreihe. Die Diagnose
Basisfrakturen und basisnahe Frakturen der Mittelhandkno- ist nicht schwierig, wird aber oft übersehen, weshalb gelegentlich
chen II–IV sind in der Regel nicht disloziert und lassen sich daher MRT oder CT erforderlich wird (⊡ Abb. 25.10).
konservativ im Gips behandeln. Eine Ausnahme bilden evtl. die
Basisfrakturen des 5. Mittelhandknochens, die wegen des Zuges MHK-II- bis -V-Schaft-Frakturen
des M. abductor digiti minimi geschlossen nicht retiniert werden Nicht dislozierte oder nach geschlossener Reposition stabile Schaft-
können, sowie Luxationen und Luxationsfrakturen der karpome- frakturen der Metakarpalia werden in der Regel konservativ im
takarpalen Gelenke. Hier ist eine interne Fixierung erforderlich Gips behandelt ( Abschn. 25.2.7).
( Abschn. 25.2.8). Bei instabilen Frakturen ist die operative Therapie indiziert.
Wegen der flachen Form der karpometakarpalen Gelenke gibt Die Auswahl des Osteosyntheseverfahrens ist dabei abhängig vom
es oft keine Stabilität nach Reposition der Luxationsfrakturen in Frakturtyp ( Abschn. 25.2.9).
diesem Bereich, deshalb muss hier eine operative Stabilisierung Bei langen Schrägfrakturen ist die reine (Zug-)Schraubenos-
erfolgen ( Abschn. 25.2.7). Häufig ist die Luxation streckseitig mit teosynthese die Therapie der 1. Wahl. Sie erfordert mindestens
beugeseitigem Knochenkeil. Gelegentlich entstehen bei massiver 2 jeweils senkrecht den Frakturspalt komprimierende Zugschrau-
axialer Stauchung, abgesehen von Luxationen und Luxationsfrak- ben (2,0 mm).
622 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

⊡ Abb. 25.11 Lange Torsionsfraktur mit zusätz-


lichem dorsalen Keil. a Präoperativer Röntgen-
befund, b Osteosynthese mit T-Platte, c Metal-
lentfernung nach vollständiger Durchbauung
b c
des Knochens möglich

Bei einfachen diaphysären Schrägbrüchen der MHK II und V wieder über den Schrauben und Platten angenäht werden, um eine
empfiehlt sich zur zusätzlichen Stabilisierung eine Miniplatte mit Reibung der Sehnen auf dem Osteosynthesematerial zu verhindern.
mindestens 4 Löchern als Neutralisationsplatte (⊡ Abb. 25.11). Bei zusätzlichem Weichteildefekt kann die Kirschner-Draht-
Die Anwendung der Zugschrauben sowie die Miniplattenosteo- Osteosynthese notwendig werden. Bei der intramedullären Schie-
synthese, Dimension 2,0 mm, kommen bei queren Frakturen, langen nung ist darauf zu achten, dass die 2 antegrad zur Markraumschie-
Schrägbrüchen und Frakturen mit Trümmerzone in Frage. Nach nung eingebrachten Drähte sich nicht in Höhe der Schaftfraktur
Vervollständigung der Osteosynthese soll das peritendinöse Gewebe kreuzen. Diese sollten fächerförmig eingebracht werden, sodass
25.1 · Allgemeines
623 25

⊡ Abb. 25.12 Kondylenplattenosteosynthese


der Mittelhandknochen. a Dislozierte Mehrfrag-
mentfraktur köpfchennah am 5. Mittelhand-
knochen, b Kondylenplattenosteosynthese und
a b
Stabilisierung sowie Aufrichtung

sich die Drähte im Markraum verklemmen. Dadurch kommt es zu Immobilisierung, wie bei der konservativen Therapie, ist nicht
einer guten Stabilität der Fraktur, die sogar auch eine Rotations- erforderlich (höchstens 7–10 Tage). Durch vorgebogene Draht-
stabilität beinhaltet. Bei guter Einklemmung ist nur eine vorüber- spitzen können die reponierten Frakturen des Köpfchens besser
gehende Ruhigstellung für 7–10 Tage auf einer Schiene angezeigt gehalten werden ( Abschn. 25.2.10).
( Abschn. 25.2.10). Muss eine Immobilisierung unbedingt vermieden werden, ist
Falls überhaupt 2 retrograd eingebrachte Kirschner-Drähte die stabile Osteosynthese nur durch Platten und Schrauben zu
notwendig sein sollten, ist darauf zu achten, dass diese sich nicht erreichen. Da im distalen Fragment mindestens 2 Schrauben liegen
in Höhe der Fraktur kreuzen. Da nach einer Kirschner-Draht-Os- müssen, setzt auch die T- oder L-Platte ein ausreichend großes
teosynthese zusätzlich für 3–4 Wochen ein Gipsverband in Intrin- Köpfchenfragment voraus. Problematisch ist die Beeinträchtigung
sic-plus-Stellung wegen der schräg verlaufenden Kollateralbänder des Strecksehnenhäubchens. Eine gute Indikation bildet hier die
absolut erforderlich ist, kombiniert man die Gefahr der operativen winkelstabile Plattenosteosynthese, die auch gute Stabilität gelen-
Behandlung (Infekt, Läsionen des Streckapparats über den MP- knah erbringen kann. Durch Versenken der Schraube in der Platte
Gelenken etc.) mit den Nachteilen der konservativen Behandlung ist die Beeinträchtigung der Strecksehnenhaube deutlich geringer
(Immobilisierung nicht betroffener Gelenke). Letztlich sind die Art ( Abschn. 25.2.11).
und die Dauer der Ruhigstellung abhängig von der Compliance des Eine Minikondylenplatte ist für Frakturen des 2. und 5. Mittel-
Patienten. Wann immer möglich, sollten retrograde Drähte über handknochens vorgesehen (⊡ Abb. 25.12).
der Strecksehnenhaube vermieden werden. Durch die lateral anzubringende Minikondylenplatte für den 2.
Bei ausgesprochenen Trümmerfrakturen einzelner oder meh- und 5. MHK kann zwar eine Freilegung des Streckapparats weitge-
rerer Mittelhandknochen oder problematischen Weichteilen emp- hend vermieden werden, biomechanisch ist diese Lage aber proble-
fiehlt sich die Minifixateur-externe-Osteosynthese, wobei die Mini- matisch, da keine Zuggurtung streckseitig erfolgt und die palmare
Schanz-Schrauben am 2. Metakarpale von radialseitig, am Metakar- Abkippung nur durch stabile axiale Kompression des gesamten
pale V von dorsoulnar, ansonsten streckseitig im Winkel von 45° Frakturspalts verhindert werden kann ( Abschn. 25.2.12).
zum Mittelhandknochen eingebracht werden. Der Vorteil dieses Bei Frakturen des MHK-Köpfchens selbst lassen sich größere
Verfahrens ist ohne Zweifel die stabile perkutane Montage ohne Fragmente, z. B. ein abgescherter Kondylus, mit Zugschrauben
Freilegung der eigentlichen Frakturzone. Dafür sind jeweils min- oder Kirschner-Draht refixieren. Weiterhin kommen für die Kopf-
destens 2 Schanz-Schrauben proximal und distal der Fraktur erfor- frakturen bzw. Mehrfragmentfrakturen des Gelenks die Minisch-
derlich. Die Montage kann axial einfach oder in Form von Rahmen- rauben mit 1,5 mm Durchmesser und Doppelgewinde in Frage,
montage erfolgen. Die Planung vor der Montage ist notwendig. die ebenso eine gute Stabilität bringen. Eine Entfernung solcher
Schrauben ist nicht mehr vorgesehen (⊡ Abb. 25.13). Deformierte
MHK-II- bis -V-Köpfchen-Frakturen Köpfchen bei ausgesprochenen Trümmerfrakturen lassen sich
Distale Schaft- oder subkapitale Frakturen, die nach der geschlos- geschlossen durch das typische Repositionsmanöver nach Jahss
senen Reposition nach palmar abkippen, können nach erneuter ( Abschn. 25.2.1) besser wiederherstellen als offen, wobei dann
Reposition durch 2 intermedulläre Drähte stabilisiert werden, die die intramedulläre Schienung zur Anwendung kommt. Mit der
je nach Frakturform fächerförmig eingebracht werden. Eine lange Kapandji-Technik kann eine relativ stabile intramedulläre antro-
624 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

um eine geschlossene oder offene Verletzung handeln. Bei der ge-


25 schlossenen Verletzung ist i. Allg. mit einer massiven Schwellung,
Hämatombildung und drohendem Kompartment in der Mittel-
hand und im Karpaltunnel zu rechnen. Aus diesem Grunde ist die
strenge Überwachung dringend angezeigt. Da sich bei Mehrfach-
frakturen Luxationen, Verschiebungen und vor allem Verkürzun-
gen und Rotationsfehlstellungen einstellen, ist die Indikation zur
Operation gegeben. Falls kein drohendes Kompartment besteht,
ist bei geschlossenen Verletzungen eine Reposition durch Aushän-
gen der Finger am Extensionsgerät sowie in querer Transfixation
möglich ( Abschn. 25.2.13). Bei Mehrfragmentfrakturen multipler
Mittelhandknochen sowie Weichteilkontusion ist die Indikation
a d zur Stabilisierung mit dem Minifixateur externe gegeben ( Ab-
schn. 25.2.14). Faszienspaltung des Handrückens und der Hohlhand
ist bei drohendem Kompartment dringend indiziert ( Kap. 48).

Korrekturosteotomien bei knöchernen Fehlstellungen


Die allgemeinen Indikationen für sekundäre Korrekturosteotomi-
en sind bereits im  Abschn. 21.1.6 beschrieben.
Eine Achsenabweichung wird in den proximal zur Handwurzel
fixierten Metakarpale II und III stärkere Auswirkungen haben als
in den beweglicheren Metakarpale IV (bis 10°) und V (bis 15°).
Verkürzung eines Metakarpale beeinträchtigt neben der Ästhetik
die physiologische Vorspannung der frakturübergreifenden Mus-
keln bzw. Sehnen, sodass z. B. eine Strecksehneninsuffizienz re-
sultiert. Die palmare Kippung des Metakarpale wird zwischen 10
und 20° toleriert. Eine Rotationsfehlstellung darf auf keinen Fall
b e akzeptiert werden. Eine Verkürzung über 3 mm kann funktionell
und ästhetisch störend wirken.

25.1.7 Therapie

Frakturen
Sowohl für die konservative als auch für die operative Therapie der
Frakturen gelten folgende identische Grundregeln:
> Reposition, Retention und Rehabilitation.

Konservative Therapie
Nicht dislozierte oder nach geschlossener Reposition stabile Frak-
turen der Metakarpalia werden in der Regel konservativ in Instri-
nic-plus-Stellung im Gips behandelt:
In Narkose, Plexusanästhesie oder im Handblock wird die
Fraktur mithilfe des Manövers nach Jahss reponiert. Die Retention
c f erfolgt bei stabilen Frakturen auf einer palmaren Fingergipsschiene
in Intrinsic-plus-Position ( Kap. 2). Nach primärer Schienenru-
⊡ Abb. 25.13 Kapitale und subkapitale MHK-V-Trümmerfraktur und osteo- higstellung am Unfalltag werden zu einem späteren Zeitpunkt
synthetische Versorgung mit 2 1,5-mm-Doppelgewindeschrauben sowie bevorzugt thermoplastische Materialien oder Kunststoffschienen
winkelstabiler 2,0-mm-Platte. a Röntgenbild präoperativ: d. p. Strahlengang, verwendet, welche sich an die individuelle Anatomie besser anpas-
b Röntgenbild postoperativ: d. p. Strahlengang, c Röntgenbild postoperativ: sen und einen erheblichen Tragekomfort bieten. Durch klinische
lateraler Strahlengang, d Funktion 10 Tage postoperativ: komplette Finger- und radiologische Kontrollen sollte eine sekundäre Dislokation der
streckung, e, f Funktion 10 Tage postoperativ: kompletter Faustschluss Fraktur nicht übersehen werden. Sollte es jedoch im weiteren Ver-
lauf zu einer sekundären Dislokation kommen, besteht innerhalb
der ersten 10 Tage die Möglichkeit, die Fraktur erneut zu reponie-
grad geführte Osteosynthese mit 1,2-mm-Drähten durchgeführt ren und retinieren oder das Therapiekonzept zu ändern und sich
werden ( Abschn. 25.2.10). für ein operatives Verfahren zu entscheiden. Bei stabilen Frakturen
sollte eine frühzeitige Mobilisation unter krankengymnastischer
Multiple Metakarpalfrakturen Anleitung erfolgen, um der Ödembildung und Gelenkeinsteifun-
Multiple Mittelhandfrakturen in einfacher oder mehrfrakturierter gen entgegenzuwirken. In der Regel reichen 4–6 Wochen aus, bis
Form kommen nach schweren Riss- und Quetschverletzungen die Frakturen konsolidieren und danach die Ruhigstellung aufge-
sowie Anprall- oder Stauchungstraumen vor. Dabei kann es sich geben werden kann.
25.1 · Allgemeines
625 25

a b

c d e

⊡ Abb. 25.14 Frühfunktionelle Frakturbehandlung nach Thomine bei Metakarpal-II-Schaft-Frakturen bei einem 13-jährigen Mädchen. a Röntgenbild am
Unfalltag: d. p. Strahlengang, b Röntgenbild am Unfalltag: schräger Strahlengang, c Röntgenbild 19 Monate nach Fraktur: d. p. Strahlengang, schräger
Strahlengang, d Funktion 19 Monate nach Fraktur, e Brace-Behandlung: Die Hand wird in Intrinsic-plus-Stellung immobilisiert. Durch die Entspannung der
M. interossei wird die Dislokationsgefahr signifikant reduziert (Ansicht von lateral). Durch frühzeitige Mobilisation der Finger in Syndaktyliestellung wird der
Immobilisationsschaden auf ein Minimum reduziert und eine sekundäre Rotationsfehlstellung vermieden. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

Grundsätzlich bedeutet die konservative Behandlung nicht im- und ohne kleinere knöcherne Fragmente lassen sich leicht durch
mer eine reine statische Gipsruhigstellung, sondern sie ist bei sta- Zug an den betreffenden Fingern, kombiniert mit einem Druck
bilen Frakturen mit frühfunktionellen Bewegungsübungen kom- auf die Basis des luxierten Metakarpalknochens reponieren. We-
binierbar. In der Technik nach Thomine wird die Hand in einer gen der flachen Form der karpometakarpalen Gelenke gibt es oft
funktionellen Orthese in Intrinsic-plus-Stellung fixiert. Durch Syn- keine Stabilität nach Reposition der Luxationsfrakturen in diesem
daktylieverband distal der PIP-Gelenke wird so eine ausreichende Bereich, sodass immer eine operative Stabilisierung günstiger ist.
Stabilität bei Metakarpale-II- bis -V-Frakturen erreicht, sodass eine Unter sicherer Vermeidung eingeschlagener Bandanteile und exak-
physiotherapeutische Therapie nach Sistieren der Schmerzen früh- ter Reposition, die am besten operativ erfolgen sollte, sowie unter
zeitig gestartet werden kann (⊡ Abb. 25.14). Retention mit Bohrdrähten und zusätzlicher Gipsfixation können
sekundäre Luxationen vermieden werden ( Abschn. 25.2.7).
Operative Therapie Eine Fraktur oder Luxationsfraktur der Mittelhandknochen un-
Bei intraartikulären Frakturen der MHK-I-Basis steht die exakte ter Mitbeteiligung der distalen Handwurzel muss dementsprechend
Wiederherstellung der Gelenkfläche im Vordergrund, wobei die mit Schrauben oder Kirschner-Drähten versorgt und die karpome-
interne Fixierung des Repositionsergebnisses je nach Frakturtyp takarpalen Bänder müssen wieder genäht werden. Je nach Luxati-
durch Kirschner-Drähte der Stärke 1,2–1,4 mm oder 2,0-mm-Kor- onstendenz des Mittelhandknochens vom Karpus muss zusätzlich
tikalisschrauben oder Minifragmentplättchen erfolgt. Anzustreben eine temporäre Fixierung mit Kirschner-Drähten angeschlossen
ist bei absoluter Indikation die primäre Operation, doch kann werden. Eine Ruhigstellung im Gipsverband für 4–6 Wochen ist
die Osteosynthese notfalls auch, wie nach Redislokation im Gips, für die Ausheilung der Bänder erforderlich. Nach Entfernung des
sekundär nach 5–8 Tagen nach Abschwellung erfolgen, z. B. bei Gipsverbandes und der Kirschner-Drähte nach 6 Wochen kann
polytraumatisierten Patienten, wenn in der primären operativen mit aktiven Bewegungsübungen begonnen werden. Beim Gips-
Phase andere Verletzungen im Vordergrund stehen. verband bleiben die Grundgelenke der Finger grundsätzlich zur
Bei den meisten instabilen Luxationsfrakturen der Mittelhand- Übung frei. Falls bei einer Fraktur an der Basis des Mittelhandkno-
basis II–V steht die Rekonstruktion der Gelenkfläche und des chens keine Luxation des Karpometakarpale besteht, ist bei stabiler
Bandapparats zur Handwurzel im Vordergrund. Subluxationen mit Osteosynthese kein Gipsverband erforderlich.
626 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

Röntgenaufnahmen sind nach Entfernung des Gipsverbands 25.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter


25 und bei Abschluss der Behandlung zur Befunddokumentation er-
forderlich ( Abschn. 25.2.7 und  Abschn. 25.2.8). Barbara Schmidt, Annelie Weinberg
Reine Luxationen in den karpometakarpalen Gelenken, wel-
che immer nach dorsal erfolgen, werden in gleicher Weise offen Chirurgisch relevante Anatomie
reponiert und nach Bandnaht für 6 Wochen durch eine temporäre Ossifikationskerne, Zeitpunkt des Fugenschlusses. Alle Me-
Arthrodese gesichert bzw. im Gips ruhiggestellt. Die Frakturen takarpalknochen verfügen nur über eine richtige Epiphysenfuge,
am proximalen Mittelhandknochen ohne Gelenk- und Bandver- die von den häufig vorhandenen Pseudofugen differenziert werden
letzungen werden wie Schaftfrakturen behandelt (Zugschrauben, muss und von einer Fraktur zu unterscheiden ist. Während das
T- und L-Platten). Bei Gelenkfrakturen kommen auch winkelsta- Metakarpale I eine basale (proximale) Fuge aufweist, zeigen die
bile T-Platten-Osteosynthesen in Frage, die einen guten Halt und übrigen Metakarpalia eine distale Fuge. Die sekundären Ossifi-
Stabilität bieten. Große Frakturfragmente oder Luxationsfraktu- kationszentren der Metakarpalknochen treten zwischen 1,5 und
ren in den proximalen Mittelhandknochen können dementspre- 3 Jahren auf. Der Epiphysenschluss findet zwischen dem 15. und
chend mit Schrauben und Kirschner-Drähten versorgt und die 20. Lebensjahr statt ( Kap. 21).
karpometakarpalen Bänder wieder genäht werden. Bei veralteten
Luxationen gelingt die Reposition nur in offener Form. Da in Wachstumsstörungen sowie Möglichkeiten und Grenzen der
den Karpometakarpalen II und III keine wesentliche Bewegung Spontankorrektur. Die Korrekturkapazität einer Deformität wird
stattfindet, kann diese Immobilisation durch eine auf die distale grundsätzlich durch die Faktoren Kindesalter, Frakturlokalisation
Handwurzelreihe übergreifende Form einer Arthrodese erfolgen. sowie das Ausmaß der Fehlstellung beeinflusst. Bei epiphysennahen
Dabei ist dann die Dauer der Arbeitsunfähigkeit auf 4–6 Wochen Frakturen, bei Fehlstellungen in der Sagittalebene (Bewegungsebe-
begrenzt. Beim Karpometakarpalgelenk IV und V empfiehlt sich ne) sowie bei Seit-zu-Seit-Verschiebungen ist eine Spontankorrektur
dagegen die temporäre Arthrodese mit Kirschner-Drähten und bis zu 2 Jahre vor Abschluss des Längenwachstums möglich. Auch
Bandnähten, um nach Möglichkeit die geringgradig bestehende eine Verkürzung von 0,5 cm korrigiert sich problemlos.
Beweglichkeit zu erhalten. Bei Destruktion der Karpometakar-
! Cave
palgelenke muss auch die Basis des Mittelhandknochens ausgegli-
Nicht zu erwarten sind die Korrekturen bei Fehlstellungen in
chen und nach exakter Reposition und Einstellung der korrekten
der Frontalebene, bei Drehfehlern sowie bei Verkürzungen im
Rotation eine Arthrodese der betreffenden Karpometakarpal-
Schaftbereich über 0,5 cm.
gelenke durchgeführt werden. Die Arthrodese des Karpometa-
karpalgelenks erfolgt nach Resektion des knorpeligen Teils mit Eine Achsabweichung in der Sagittalebene kann mit Ausnahme des
Kirschner-Drähten oder auch Kleinfragment- und Miniplatten. 1. Mittelhandknochen bis zum 10. Lebensjahr altersabhängig bis
Der Funktionsausfall ist infolge der geringgradigen Bewegung zu 30° toleriert werden (⊡ Abb. 25.15).
der Karpometakarpalgelenke, bis auf den 5. Mittelhandknochen, Eine Wachstumsstörung wird in der Literatur nach fugen-
relativ gering (⊡ Abb. 25.10). nahen bzw. fugenkreuzenden Frakturen beschrieben, bleibt aber
Für die postoperative Weiterbehandlung gelten die glei- insgesamt eine seltene Traumafolge. Der vollständige frühzeitige
chen Prinzipien wie nach Wundversorgung an der Hand ( Ab- Verschluss führt zu einer Längenalteration. Eine partielle Wachs-
schn. 21.1.7). tumsstörung ist noch seltener und führt zu entsprechender Ach-
Stabile Osteosynthesen erfordern postoperativ keine äußere sendeviation.
Fixation und können funktionell weiterbehandelt werden. Bewe-
gungsübungen dürfen dabei nur aktiv durchgeführt werden. Bei Muskelzug und Frakturstabilität. Auch im Kindesalter sind die
problematischen Weichteilen oder gefährdeter Heilung kann die distalen Fragmente bei Frakturen des 1. Metakarpalknochens auf-
Hand maximal für die Zeit der primären Wundheilung, d. h. für grund des Muskelzuges instabil und können sekundär dislozieren
8 Tage, in Funktionsstellung auf einer Schiene immobilisiert wer- (⊡ Abb. 25.3).
den. Eine solche Schiene empfiehlt sich ansonsten auch nachts,
wenn unkontrollierte passive Bewegungen unbedingt vermieden Epidemiologie und Ätiologie
werden sollen. Zusammen mit den phalangealen Frakturen machen die Frakturen
Nach Kirschner-Draht-Osteosynthese wird eine Unterarm- der Metakarpalia einen Anteil von 10–30% aller Frakturen im Kin-
schiene für 3 Wochen angelegt. desalter aus. Die Verletzungen erfolgen sehr häufig bei Kontakt-
Kirschner-Drähte werden nach 6–8 Wochen entfernt, im sportarten, aber auch Unfälle beim Fahrradfahren sind beschrie-
Einzelfall auch früher, wenn sie nach Gipsabnahme und aus- ben worden. Als Boxerverletzung ist die subkapitale Fraktur vor
reichender Konsolidierung die weitere funktionelle Behandlung allem des 5. Mittelhandknochen bekannt. Brüche der Mittelhand
behindern. können auch durch direkte Traumata, z. B. herabfallende Gegen-
Platten werden je nach Notwendigkeit (funktionelle und/oder stände, verursacht werden.
ästhetische Beeinträchtigung) nach 4–6 Monaten oder nach 1 Jahr
entfernt, einzelne Schrauben können belassen werden. Metakarpale I. Der Daumen und in seiner Verlängerung der
1. Mittelhandstrahl nehmen eine Sonderrolle ein. Durch das Vor-
Knöcherne Fehlstellungen im Metakarpalbereich handensein der basalen Fuge kommt es am 1. Metakarpalknochen
Die Prinzipien der Korrekturosteotomie entsprechen jenen im gehäuft zu proximalen metaphysären Stauchungsfrakturen oder
Fingerbereich ( Abschn. 25.1.7). Die Rotationskorrekturplatte mit Epiphysenlösungen, die mit einem metaphysären Ausbruchkeil
quer angeordnetem ovalen Plattenloch ermöglicht eine Gesamt- kombiniert sein können. Bennett- und Rolando-Frakturen werden
korrektur von 36°. Gelegentlich scheint es auch besser möglich, die bei noch offenen Fugen selten beobachtet und finden sich erst am
Korrektur der Fehlstellung an den Phalangen auch in der Mittel- Ende der Adoleszenz bei in Fugenschluss befindlichen Mittelhand-
hand durchzuführen. knochen.
25.1 · Allgemeines
627 25

a ⊡ Abb. 25.16 Klassifikation: D 2 Schaftfrakturen: vollständige Brüche (Quer-,


Schräg-und Trümmerfrakturen), Biegungsfrakturen (Bowing- und Grünholz-
Frakturen); D 3 subkapitale Frakturen: Epiphyseolysen mit und ohne Keil
(Salter-Harris I und II), Stauchungsfrakturen. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

Frakturen des Caput. Dies sind Gelenkfrakturen. Sie können die


Gelenkfläche betreffen oder eben außerhalb der gelenktragenden
Fläche liegen. Sie sind fast immer innerhalb der Kapsel lokalisiert.
Insgesamt sind Frakturen des Caput des 2.–5. Mittelhandknochen
seltene Verletzungen.

Subkapitale Frakturen. Diese sind bedingt durch ihre Nähe zur


dort befindlichen Epiphysenfuge. Es sind Epiphysenlösungen mit
b und ohne Keil oder metaphysäre Stauchungsfrakturen.

Frakturen des Korpus. Das sind Schaftfrakturen, deren Frak-


turlinie quer oder schräg verlaufen kann. Weiterhin zählen Trüm-
merfrakturen zu dieser Entität. Eine weitere Frakturform in diesem
Bereich sind die Biegungsfrakturen (Bowing- und Grünholz-Frak-
turen). Grünholz-Frakturen weisen auch an dieser Stelle Refraktu-
ren auf (⊡ Abb. 25.17).

Basale Frakturen. Basale Frakturen der Mittelhand des 2.-5. Fin-


gers sind selten. Am 1. Strahl handelt es sich um echte Epiphysen-
lösungen mit oder ohne Keil (Fuge proximal). Weiterhin kommen
intraartikuläre Frakturen vor.

Diagnostik
Die klinische Untersuchung berücksichtigt Schmerz, Schwellung,
Fehlstellung und Bewegungseinschränkungen. Besonderes Augen-
c
merk gilt möglichen Drehfehlern, die in der Regel nur bei der
Beugung der Finger offensichtlich werden ( Kap. 24) Die palmare
⊡ Abb. 25.15 a Quetschverletzung der linken Hand mit offenen Frakturen,
Achsenfehlstellung (Sagittalebene) fällt durch ein Tiefertreten des
zunächst rein konservatives Vorgehen, b Ausheilungsbild nach 6 Wochen,
Köpfchens auf. Dieses verschwindet erst mit vollständigem Remo-
c Kontrolle nach 2 Jahren zeigt ein gutes Remodelling. (Aus Weinberg u.
Tscherne 2006) delling.
Röntgenbilder der Mittelhand in zwei Ebenen sind der Standard.
Bei massiver Schwellung und fehlendem radiologischen Nachweis
einer Fraktur empfiehlt sich eine Ruhigstellung für 7–10 Tage. Bei
Metakarpalia II–V. Bei diesen Knochen sind Frakturen im Be- entsprechender weiter bestehender klinischer Symptomatik kann
reich von Basis und Schaft eher selten, hier überwiegen die distalen nach diesem Zeitintervall gezielt nachgeröntgt werden.
subkapitalen Frakturen, die als Stauchungsfrakturen und als Epi-
physenlösungen mit metaphysärem Keil (Fuge distal!) vorkommen. Therapie
Der am häufigsten betroffene Knochen ist das Metakarpale V. Hauptziel der Therapie ist das Vermeiden von Bewegungsein-
schränkungen bei Ausheilung der Fraktur in einer altersentspre-
Klassifikation chend anatomiegerechten Stellung (⊡ Tab. 25.2).
Im Bereich der Frakturen der Metakarpalia unterscheidet man Der Grad der Stabilität bei üblicherweise stereotypen Verlet-
entsprechend ihrer anatomischen Lokalisation vier Formen zungen ist in der Kindertraumatologie das Entscheidungskriterium
(⊡ Abb. 25.16). für die einzelnen Verfahren.
628 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a b c

d e f

⊡ Abb. 25.17 Fraktur in Schaftmitte des 5. Mittelhandknochens (Mädchen, 12 Jahre). a Unfallbild einer Grünholz-Fraktur in Schaftmitte des 5. Mittelhand-
knochens, b konservative Therapie, c Ausheilung nach 4 Wochen, d Refraktur mit inakzeptabler Achsenfehlstellung, e intramedulläre Schienung der Refrak-
tur, f Ausheilungsbild nach 8 Wochen nach durchgeführter Implantatentfernung. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

Als stabil gelten alle Stauchungsfrakturen sowie inkomplett den gelenktragenden Teil betreffen, achsengerecht zu versorgen.
gebrochene Brüche (Grünholz-Frakturen). Grundsätzlich stellen Insgesamt sind die Verletzungen des 2.–5. Strahls weniger disloka-
wir diese Frakturen für 10–14 Tage ruhig, um die Schmerzen zu tionsgefährdet als die des 1. Strahls. Falls ein operatives Vorgehen
lindern. Bei Kindern über dem 8. Lebensjahr und insbesondere bei notwendig wird, sind wenn möglich die geschlossenen den offenen
Adoleszenten sowie bei sportlich aktiven Jugendlichen kann die Verfahren vorzuziehen. Die Indikation zur Osteosynthese ist eben-
Fraktur durch einen funktionellen Brace ruhiggestellt werden. falls bei offenen Frakturen gegeben.
Dies trifft sowohl für Frakturen mit oder ohne Osteosynthese
zu. Dabei wird der betroffene Finger an einen gesunden Nachbar- Metakarpale II–V
finger in künstlicher Syndaktyliestellung fixiert. Die Schienenan- Frakturen des Caput
ordnung berücksichtigt die Intrinsc-plus-Stellung und besteht aus Unverschobene, stabile Frakturen werden konservativ behandelt.
zwei Hälften, welche zusammen, z. B. durch Klettbänder, fixiert Bei dislozierten intraartikulären (epiphysären!) Frakturen ist die
werden. Der beugeseitige Anteil reicht vom Unterarm bis zur dista- offene Reposition mit anschließender Fixation indiziert, wobei
len Hohlhandbeugefalte, im Gegensatz dazu endet der streckseitige der Zugang über eine Längsinzision und Spaltung der Sehne des
Anteil über den PIP-Gelenken. Die Kinder werden angehalten, M. extensor digitorum und Eröffnen der Kapsel erfolgt. Meist wer-
gleichzeitig die Finger 2–5 im PIP und DIP zu bewegen. Dabei den bei Kindern Kirschner-Drähte oder bei größeren Fragmenten
werden Verklebungen der Strecksehnen vermieden, sodass nach Minischrauben verwendet.
Beendigung der Schienenbehandlung eine Frakturkonsolidierung
und freie Beweglichkeit gleichzeitig erreicht werden (⊡ Abb. 25.14). Subkapitale Frakturen
Instabil können vollständige Frakturen bzw. Epiphyseolysen Konservative Behandlung
mit oder ohne metaphysären Keil sein. Gelenkfrakturen treten Die häufig vorkommenden subkapitalen Frakturen treten – als Lö-
sehr selten auf und sind bei jeglicher Dislokation, wenn diese sung oder spongiöse Stauchungsfraktur – fast immer in Kombina-
25.1 · Allgemeines
629 25

⊡ Tab. 25.2 Behandlungsalgorithmus der Mittelhandfrakturen I bis V

Dislokation Therapie Ruhigstellung

MCP I Basale Frakturen Nicht disloziert (meist Stau- 10–14 Tage Daumenabduktionsgips
chungsfraktur)

Disloziert Reposition
Instabil: Osteosynthese

Frakturen des Nicht disloziert 3–4 Wochen Daumenabduktionsgips


Korpus (Schaft)
Disloziert Reposition
Instabil: Osteosynthese

MCP II Frakturen des Nicht disloziert 3 Wochen


bis V Caput
Disloziert, intraartikuläre Reposition (meist offen) 3 Wochen
Frakturen Osteosynthese

Subkapitale Nicht disloziert 10–14 Tage palmare Schiene


Frakturen (meist Stauchungsfraktur)

Disloziert Bei Reposition intramedulläre 7 Tage, anschließend funktionell


Schienung

Frakturen des Nicht disloziert Kontrolle nach 7 Tagen: sekun- 3 Wochen


Korpus (Schaft) däre Dislokation?

Disloziert Intramedulläre Schienung, bei 7–10 Tage, bei Stabilität anschließend


Spiralfrakturen Schrauben funktionell

Basale Frakturen Nicht disloziert 10–14 Tage

Disloziert Reposition meist offen 3 Wochen


Kirschner-Draht

tion mit unterschiedlich ausgeprägten Kippungen des Köpfchens der »Joy-Stick«-Methode auf den Schaft zu setzen. In Ausnahme-
nach palmar auf. Es lässt sich zu der palmaren Abkippung oft auch fällen ist die Miniplattenosteosynthese indiziert (⊡ Abb. 25.18).
eine Dislokation nach ulnar diagnostizieren. Wird eine zusätzliche
seitliche Achsabweichung nach ulnar oder radial festgestellt, ist Frakturen des Korpus
eine Reposition der Fraktur mit anschließender Ruhigstellung in Konservative Behandlung
einem Unterarmgips mit Einschluss des dreigliedrigen betroffe- Nicht dislozierte oder nur leicht dislozierte Schaftfrakturen kön-
nen Fingers und mindestens eines gesunden Nachbarfingers indi- nen konservativ behandelt werden. Darunter wird eine maximale
ziert. Handelt es sich dagegen um eine Seit-zu-Seit-Verschiebung Verkürzung ohne Rotationsfehler von bis zu 6 mm und eine Seit-
kann diese bis zu einem Drittel toleriert werden und benötigt kei- zu-Seit-Verschiebung von 1/3 Schaftbreite verstanden. Dies trifft
ne Reposition. In der Adoleszenz wird die Intrinsic-plus-Stellung besonders für den 3. und 4. Strahl bei intakten metakarpalen
bevorzugt. Ist eine Achsabweichung in der Frontalebene oder Bandverbindungen zu. Schaftfrakturen des 2. und 5. Mittelhand-
ein Rotationsfehler ausgeschlossen, so kann bei einer palmaren knochens weisen ein höheres Risiko auf, sekundär zu dislozieren.
Abkippung altersabhängig bis 30° auf eine Reposition verzichtet Dislozierte und vor allem verkürzte Schaftfrakturen können
werden. Die rein funktionelle Therapie der gering dislozierten mithilfe einer eingegipsten Fingerschiene nach Böhler wieder re-
Fraktur ist ebenfalls möglich, sollte sich aber unserer Meinung poniert werden: Es wird nach üblicher Polsterung eine beugeseitige
nach am Alter und der notwendigen Compliance in ihrer Indika- Gipsschiene angelegt. Dabei ist bei gebeugtem MP- und PIP-Ge-
tion orientieren. lenk auf die Achsausrichtung der Finger in Richtung Skaphoid zu
Bei Ruhigstellung mit Unterarmgips unter Einschluss einer achten. Beim Anlegen der ersten Gipslonguette ist streng darauf zu
palmaren Böhler-Fingerschiene sollte die Krümmung der Schiene achten, dass der Gips in der proximalen Hohlhandfurche endet. Ist
in Höhe der Interdigitalfalten liegen, damit von palmar ein gewis- der Gips angetrocknet, so wird der Finger durch die Pflasterstreifen
ser Redressionsdruck auf das Köpfchen ausgeübt werden kann. in Streckstellung an die Schiene gefesselt und die Schiene mit dem
Finger in der distalen Hohlhandfurche, d. h. im Grundgelenk, nach
Operative Behandlung palmar umgebogen. Dadurch stellt sich die Fraktur achsengerecht
Bei Jugendlichen mit nahezu geschlossenen Fugen, bei denen eine ein, die Verkürzung korrigiert sich durch den Extensionseffekt.
möglichst exakte Stellung angestrebt wird oder bei inakzeptablen Die Grünholz-Fraktur im Schaftbereich birgt die Gefahr einer
Achsenabweichungen, vor allem in der Frontalebene, und Instabili- möglichen Refraktur. Wie auch bei der distalen Radiusfraktur
tät sollte das Repositionsergebnis mit axialen Kirschner-Drähten – scheint dies altersabhängig zu sein. Je älter das Kind, desto eher
im Sinne der intramedullären Schienung – fixiert werden. Ähnlich kommt es zur Refraktur. Dies ist nicht von der Dauer der Ruhig-
wie am Radiusköpfchen kann versucht werden, das Köpfchen in stellung abhängig.
630 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a
b

c d

⊡ Abb. 25.18 a Gipsanlage bei konservativer Therapie einer subkapitalen Mittelhandfraktur. Es ist darauf zu achten, dass der Redressionsdruck auf das Köpf-
chen zielt. b Schematische Darstellung der intramedullären Schienung bei subkapitalen Frakturen des 5. Mittelhandknochens. c Ein 6-jähriger Junge zog sich
diese Fraktur beim Fußball zu. Das Unfallbild zeigt neben einer Achsenfehlstellung in der Sagittalebene eine Dislokation des Köpfchens nach radial. d Trans-
kutanes Einbringen und Aufrichten des Köpfchens durch intramedullären Draht. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

Operative Behandlung z Anästhesie und Lagerung


Indikationen für eine Osteosynthese stellen Drehfehler jeglicher Art Ausschließlich in Vollnarkose, bei Jugendlichen ist auch eine Ple-
sowie Achsenfehler über 10–15° dar. Bei Verkürzungen, die sich xusanästhesie möglich.
nicht durch Längszug reponieren, sowie bei Beteiligung mehrerer
Mittelhandknochen ist eine Stabilisierung ebenfalls sinnvoll. Gän- z Implantate
gige Osteosyntheseverfahren stellen die transkutane intramedulläre Kirschner-Drähte 0,8–1,2 mm entsprechend dem Alter des Pati-
Stabilisierung sowie die Schraubenosteosynthese bei Spiralfrakturen enten.
dar (⊡ Abb. 25.19). Bei Jugendlichen wird die Miniplattenosteosyn-
these analog zu den Kriterien der Erwachsenen angewendet. z Zugangsweg
Die gekreuzte Spickdrahtosteosynthese kommt bei Schaftfrak- Nur bei offenem Vorgehen (Schrauben- und Plattenosteosynthese)
turen in Knochenmitte nur noch selten zum Einsatz und ist vor- erfolgt eine dorsale Längsinzision. Bei der Versorgung mehrerer
rangig bei basalen Frakturen indiziert. Bei Weichteilproblemen Frakturen wird zwischen den zu versorgenden benachbarten Brü-
stellt die Montage eines Minifixateur externe ebenfalls ein mögli- chen inzidiert.
ches Verfahren dar.
Wurde durch die Osteosynthese keine übungsstabile Situation z Technik
erzielt, sollte eine Immobilisation in einer Intrinsic-plus-Stellung Intramedulläre Schienung. Transkutanes Einbringen des Drah-
für 4 Wochen erfolgen. tes, wobei zur Schonung der subkapitalen Wachstumsfugen am
25.1 · Allgemeines
631 25

a d

b e

⊡ Abb. 25.19 a Zugschraubenosteosynthese am 4. Mittelhandknochen, Platten-


osteosynthese am 5. Mittelhandknochen. b Ein 11-jähriger Junge zog sich eine
Schrägfraktur mit Biegungskeil des 3. Mittelhandknochens zu. Die primären Unfall-
bilder zeigen eine Verkürzung und Rotationsfehlstellung. c Es wurden eine Schrau-
benosteosynthese und eine Vicryl-Cerclage durchgeführt. d Ausheilungsbild nach
4 Wochen. e Nach 3 Monaten zeigt sich ein ausgeprägter Resorptionssaum um den
resorbierbaren Faden. f Nach 6 Monaten Ausheilung der Fraktur vor Metallentfer-
f
nung. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

2.-5. Mittelhandknochen diese möglichst von proximal platziert > Verwendete resorbierbare Cerclagen können durch den vor-
werden. Auffädeln der Fraktur. Meist reicht ein Draht, bei größe- handenen Resorptionssaum eine Pseudarthrose vortäuschen
ren Kindern 2 intramedulläre Stifte (Lallemand u. de Jesse, 2002a). (⊡ Abb. 25.20e).
Die Drähte können versenkt oder auch außerhalb der Haut belas-
sen werden. Bei versenkten Drähten kann bei Stabilität eine funkti- Basale Frakturen
onelle Therapie eingeleitet werden (⊡ Abb. 25.20). Konservative Behandlung
Bei den basalen Frakturen der Mittelhandknochen II–IV handelt
Schraubenosteosynthese. Darstellen und Schonung der Streck- es sich meist um Stauchungsbrüche ohne wesentliche Dislokation,
sehnen sowie der Hautnerven. Das Periost sollte inzidiert und sodass nach einer kurzen Immobilisation von 14 Tagen eine früh-
mit den Mm. interossei abgeschoben werden, nach Fixation mit funktionelle Übungsbehandlung möglich ist.
Schrauben oder bei Jugendlichen evtl. mit Platten erfolgt die Re-
fixation des Periosts und der Mm. interossei. Je nach Stabilität Operative Behandlung
Festlegen des weiteren Procedere. Zur Reduktion der Schmerzen Bei primären bzw. sekundär dislozierten Frakturen, die ins Ge-
erhalten die Kinder bis zur Wundheilung eine palmare Schiene. lenk reichen, bei bestehendem Repositionshindernis und auch
632 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a b c

⊡ Abb. 25.20 a Dislozierte proximale Schaftfraktur des 2. Mittelhandknochens, b deszendierende Schienung durch intramedullären Draht, c Ausheilung
4 Wochen nach erfolgter Metallentfernung. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

bei offenen Frakturen ist eine offene Rekonstruktion des Gelenks z Operative Behandlung
indiziert. Handelt es sich um instabile Frakturen, die auch nach der Repositi-
Auch bei Kindern ist am 5. Strahl besonders bei der Radialduk- on nicht stabil sind, empfiehlt sich die perkutane axiale Kirschner-
tion des Handgelenks durch den Zug des M. extensor carpi ulnaris Draht-Osteosynthese, aber auch die gekreuzte Einbringung der
die Dislokation eines ulnaren Hauptfragments im Sinne einer Drähte, wie in der Literatur beschrieben. Bei größeren Kindern
»reversed Bennett-Fraktur« möglich. Diese kann entweder mit kann in Ausnahmefällen die Miniplattenosteosynthese angewendet
Kirschner-Drähten oder kleinen Schrauben refixiert werden. werden. Offene Frakturen sind ebenfalls osteosynthetisch zu ver-
sorgen (s. Frakturen des 2.–5. Mittelhandknochens).
Komplikationen
Zu den Komplikationen der Metakarpalfrakturen zählen besonders Frakturen des Korpus
Drehfehler mit einer Funktionseinschränkung sowie in seltenen z Konservative Behandlung
Fällen avaskuläre Nekrosen des Metakarpalkopfes. Nicht dislozierte Frakturen des anatomisch exponierten 1. Mittel-
Bei allen offenen Frakturen kann es zu Verklebungen der handknochens ohne Gelenkbeteiligung sind selten. Bei diesen ist
Strecksehnen kommen. Diese müssen mit Physiotherapie/Ergo- die konservative Therapie angezeigt.
therapie und der Mithilfe der Eltern nachbehandelt werden. Diese
sind im Langzeitverlauf mühsam, da die erforderliche Motivation z Operative Behandlung
des Kindes zur Durchführung täglicher Übungen oft schwierig ist. Dislozierte Frakturen zeigen trotz der zeltähnlichen Weichteilsta-
Dies ist präoperativ zu bedenken. bilisierung des Daumens ungeachtet der Frakturlokalisation eine
erhebliche Instabilität. Wird nach der Reposition auf eine Osteo-
Metakarpale I synthese verzichtet, findet sich meist ein sekundärer Repositions-
Frakturen des Caput verlust. Aufgrund der Wertigkeit des Daumens sollten zur Ver-
Die Behandlungsrichtlinien der Frakturen des Caput des 1. Me- meidung einer späteren Funktionseinschränkung Fehlstellungen
takarpale entspricht der Behandlung der Frakturen des Caput im außerhalb der Sagittalebene nicht toleriert werden.
Bereich des 2.-5. Mittelhandknochens. Handelt es sich um dislozierte, nach Reposition instabile
Frakturen, empfiehlt sich die intramedulläre Markraumschie-
Subkapitale Frakturen nung. Manche Autoren bevorzugen noch die gekreuzte Kirsch-
z Konservative Behandlung ner-Draht-Osteosynthese. Ein Vorteil der intramedullären Mark-
Die Therapie der distalen Frakturen des Metakarpale I erfolgt bei raumschienung ist der frakturferne Eintrittspunkt, die einfachere
nicht dislozierten Frakturen (meist Stauchungsfrakturen) durch Handhabung der Implantation sowie die indirekte Schienung der
eine 10- bis 14-tägige Ruhigstellung. Frakturen. Bei Adoleszenten können auch Schrauben oder Plat-
Dislozierte Frakturen werden zunächst reponiert und dann im ten notwendig werden, dies ist insbesondere bei Spiralfrakturen
Daumenabduktionsgips immobilisiert. Während Achsabweichungen der Fall. Offene Frakturen sind ebenfalls osteosynthestisch zu
in der Frontalebene nicht toleriert werden dürfen, können sich Ach- versorgen.
senabweichungen in der Sagittalebene bis zu einem Ausmaß von 30°
im Verlauf korrigieren. Im Gegensatz zu den anderen Mittelhandkno- Basale Frakturen
chen toleriert man in der Primärtherapie des 1. Mittelhandknochens z Konservative Behandlung
maximal eine Achsenabweichung von 10–20° (altersabhängig). Meist finden sich Stauchungsfrakturen. Da aber die Fuge am
1. Mittelhandknochen proximal liegt, kommen nicht selten Epi-
> Klinischer Hinweis: Am Metakarpale I befindet sich die physeolysen mit oder ohne Keil vor. Letztere sind instabil und nei-
Wachstumsfuge basal! gen durch den Zug des M. abductor pollicis longus zur sekundären
25.2 · Spezielle Techniken
633 25
2. Alle reponierten, bzw. abrutschgefährdeten Frakturen werden
ebenfalls nach 5–7 Tagen kontrolliert und geröntgt. Ruhig-
stellung insgesamt von 3–4 Wochen. Ein druckschmerzhafter
Kallus weist auf eine inkomplette Frakturkonsolidierung hin,
sodass die Immobilisation noch für weitere 2 Wochen fortge-
setzt wird.
3. Alle operativ versorgten Frakturen werden klinisch kontrol-
liert. Je nach Stabilität der Osteosynthese erfolgt eine Ruhig-
stellung bis zur Wund- oder bis zur endgültigen Frakturhei-
lung.

Radiologisch
Am 5.–7. Tag nach dem Unfall sind alle reponierten und sekundär
dislokationsgefährdeten Frakturen radiologischen Stellungskont-
rollen zu unterziehen. Eine Röntgenaufnahme zur Überprüfung
der Durchbauung ist nach 3–4 Wochen angezeigt.

Metallentfernung
Alle intramedullären Implantate, sowie Kirschner-Drähte werden
b bei ausreichender Durchbauung entfernt. Platten und Schrauben
sollten spätesten nach 3–6 Monaten entfernt werden, können aber
auch bei fehlender Symptomatik in situ belassen werden.

Sport
Ist die Beweglichkeit inklusive des vollständigen Faustschlusses
a etwa 3 Wochen nach Freigabe der Fraktur möglich, so kann die
sportliche Tätigkeit wieder voll aufgenommen werden. Liegt weder
⊡ Abb. 25.21 Gekreuzte Spickdrahtosteosynthese bei basisnaher Fraktur
eine funktionelle noch eine kosmetische Deformität vor, wird die
des 1. Mittelhandknochens. Bei kleineren Kindern reicht auch ein Draht aus
Behandlung abgeschlossen.
(Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

Wachstumskontrolle
Bei belassenen oder verbliebenen Fehlstellungen im Rahmen von
Dislokation. Die Kirschner-Draht-Osteosynthese ist ein geeignetes Epiphysenlösungen und subkapitalen Frakturen – meist ist beim
Verfahren (⊡ Abb. 25.21). Faustschluss die Kontur des verletzten Köpfchens deutlich nach
Kurz vor Wachstumsabschluss kann es zu Bennett- und Rolan- palmar abgesunken – sind in Halbjahresabständen klinische, even-
do-Frakturen kommen, diese werden entsprechend der Vorgaben tuell auch fotografische Kontrollen bis zur Wiederherstellung der
in der Traumatologie der erwachsenen Hand versorgt. normalen, seitengleichen Knöchelkontur vorzunehmen. Wenn kei-
ne Schmerzen bestehen, erübrigen sich weitere Röntgenkontrollen.
z Operative Behandlung
Anästhesie und Lagerung. Ausschließlich in Vollnarkose, bei Ju- Posttraumatische Deformitäten
gendlichen kann auch eine Plexusanästhesie angewendet werden. Posttraumatische Deformitäten im Sinne von Wachstumsstörun-
gen sind normalerweise nicht zu erwarten. Kam es im Verlauf der
Implantate. Kirschner-Drähte 0,8–1,2 mm entsprechend dem Al- Behandlung zu Drehfehlern (Rotationsfehlern), so müssen diese
ter des Patienten. durch eine Korrekturosteotomie behoben werden.

Zugangsweg. Nur bei Repositionsschwierigkeiten erfolgt ein


dorsoradialer, besser dorsopalmarer Zugang. 25.2 Spezielle Techniken

Technik. Die Reposition erfolgt im Kindesalter geschlossen ohne 25.2.1 Technik der geschlossenen Reposition bei
Aushang, die Drahtfixation ist bei kleinen Kindern nur axial mög- Frakturen des MHK I
lich, gelegentlich wird vorübergehend eine Transfixation des Dau-
mensattelgelenks notwendig. Bei älteren Kindern bzw. Jugendli- Die konservative Behandlung bei Frakturen des MHK I ist bei
chen ist die gekreuzte Technik möglich oder bei offenem Vorgehen nicht dislozierten Gelenkfrakturen oder bei nur sehr gering dislo-
die Miniplattenosteosynthese zu bevorzugen. zierten Schaftfrakturen gerechtfertigt.
Die Reposition erfolgt durch Längszug am peripheren Daumen
Nachbehandlung und Abduktion über dem Finger des Chirurgen als Hypomochlion
Klinisch (⊡ Abb. 25.22). Zur äußeren Fixierung wird zunächst eine Unter-
1. Alle primär stabilen Frakturen (meist Stauchungsfrakturen, armschiene mit Daumeneinschluss in dieser Stellung angelegt,
aber auch nicht dislozierte, inkomplette Frakturen) werden die nach einer Woche zirkuliert wird. Die Dauer der Schienen-
nach 5–7 Tagen klinisch kontrolliert; insgesamt für 10– behandlung richtet sich nach der Frakturlokalisation und beträgt
14 Tage ruhiggestellt; eine Röntgenkontrolle ist nicht mehr 3–4 Wochen. Regelmäßige Röntgenuntersuchungen zur Kontrolle
notwendig. des Repositionsergebnisses sind unerlässlich. Bei Verlust des Re-
634 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

⊡ Abb. 25.22 Technik der Reposition bei Frakturen des MHK I. (Aus Schmit-
a b
Neuerburg et al. 2001)

positionsergebnisses oder Fehlstellung besteht die Indikation zur


Operation.

25.2.2 Technik der Reposition der intraartikulären


MHK-I-Basis-Fraktur und Kirschner-Draht-
Osteosynthese nach Wiggins bzw. Iselin

Lässt sich bei Luxationsfrakturen die exakte Reposition durch Gips


allein nicht retinieren, so ist bei sehr kleinem ulnar-palmarem
Fragment die Kirschner-Draht-Stabilisierung indiziert. Prinzipiell
ist diese auch perkutan unter geschlossener Reposition möglich.
c d e
Da hierbei jedoch auch unter Bildverstärkerkontrolle die Beurtei-
lung der Gelenkfläche unsicher ist, sollte die Reposition und das
Einbringen der Kirschner-Drähte möglichst offen erfolgen, zumal ⊡ Abb. 25.23 a,b Technik der Reposition der intraartikulären MHK-I-Basis-
fraktur und Kirschner-Draht-Schrauben-Osteosynthese (aus Schmit-Neuer-
nur so nicht einzupassende kleinste Fragmente aus dem Gelenk
burg et al. 2001), c–e Kombination einer Bennett- und Os-trapezium-Fraktur
entfernt werden und die Weichteile wie Sehnen, Gefäße und Ner- mit interfragmentärer Schraubenosteosynthese
ven geschont werden können. Nach Reposition unter Sicht der
Gelenkfläche kann ein Kirschner-Draht streckseitig von distal her
in die Basis des Fragmentes eingebracht werden. Bei der Kirschner-
Draht-Adaptationsosteosynthese ist eine äußere Fixierung in der Für die Osteosynthese stehen mehrere Verfahren zur Auswahl:
Schiene mit Daumeneinschluss für ca. 3–4 Wochen erforderlich Eine übungsstabile Osteosynthese ist bei der typischen Luxa-
(⊡ Abb. 25.23). tionsfraktur (Bennett-Fraktur) mit einem großen ulnar-palmaren
Fragment nur durch offene Reposition und Verschraubung zu
erreichen (⊡ Abb. 25.25).
25.2.3 Technik der offenen Reposition der Das Gleiche gilt für echte T- oder Y-Frakturen der Basis des
intraartikulären MHK-I-Basis-Fraktur MHK I (Rolando-Fraktur, ⊡ Abb. 25.21a) mit zwei ausreichend gro-
und interne Fixierung ßen proximalen Fragmenten, wobei nach der Rekonstruktion des
soliden Gelenkblocks mit Zugschraube das T- oder L-Plättchen
Die Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten auf einem (Minifragmentosteosynthese) am Metakarpalschaft fixiert wird
Armtisch. Eine Blutsperre am Oberarm sowie eine Lupenbrille (⊡ Abb. 25.26).
sind erforderlich, eine intraoperative Röntgendurchleuchtung un- Gelegentlich findet eine Fraktur des Karpus mit Bandriss im
abdingbar. Sinne einer Luxationsfraktur am 1. MHK statt. (⊡ Abb. 25.27)
Die beste Übersicht über das Sattelgelenk bietet der radio- Bei Trümmerfrakturen der gelenkbildenden MHK-I-Basis,
palmare L-förmige Zugang. Die Sehne des M. abduktor pollicis die häufiger sind als die echte Dreifragment- Y- oder -T-Fraktur
longus wird zusammen mit den Extensorsehnen, dem R. superfi- (Rolando-Fraktur), ist die Gelenkfläche nur unter Sicht wiederher-
cialis des N. radialis zur Seite gehalten, die Thenarmuskulatur vom zustellen. Die Fragmente sind gelegentlich zu klein für eine sichere
Metakarpale und von der Gelenkkapsel selbst, soweit notwendig, Platzierung von Schrauben, sodass die Stabilisierung zumindest
scharf abgelöst. Nach querer Inzision der Gelenkkapsel und axia- der fragmentierten Gelenkfläche durch mehrere kleine Kirschner-
lem Zug am Daumen kann die gesamte Gelenkfläche der MHK-I- Drähte (wie bei den intraartikulären Basisfrakturen der Phalangen)
Basis eingesehen werden (⊡ Abb. 25.24). erfolgen muss.
25.2 · Spezielle Techniken
635 25

c d

⊡ Abb. 25.25 Technik der offenen Reposition der intraartikulären MHK-I-


Basis-Fraktur und Zugschraubenosteosynthese einer Bennett-Fraktur. a Dar-
b stellung der Fraktur, b nach Säuberung des Frakturspaltes und Darstellung
der Fragmentkanten unter Sicht der Gelenkfläche Reposition und passagere
Retention durch eine spitze Repositionszange und einen Kirschner-Draht von
palmar, c Verschraubung von dorsal mit einer 2,0-mm-Kortikaliszugschraube.
Der Kirschner-Draht wird wieder entfernt, kann aber auch zur Rotationssi-
cherung belassen werden. d Es können aber auch bei größeren Fragmenten
2 Zugschrauben 2,0 mm angebracht werden (Durchbohren mit 1,5 mm, Boh-
ren der vorderen Kortikalis mit 2,0 mm). (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Kirschner-Draht-Os-


teosynthese der Fraktur, wobei der Kirschner-Draht von palmar
unter Sicht durch das kleine ulnar-palmare Fragment in das repo-
nierte MHK-I-Hauptfragment gebohrt wird, bis die Spitze streck-
seitig subkutan liegt (Gedda und Moberg 1951). Der Draht wird
dann palmar gekürzt, sodass er nach 6 Wochen streckseitig durch
eine Stichinzision entfernt werden kann (⊡ Abb. 25.27). Diese Ad-
aptationsosteosynthese erfordert postoperativ ebenfalls eine Im-
c mobilisation im Schienenverband mit Daumeneinschluss für ca.
3–4 Wochen.
Als zusätzlicher Schutz kann nach Kirschner-Draht-Rekon-
struktion der Gelenkfläche ein Minifixateur externe angebracht
werden, wobei proximal 2 Schanz-Schrauben quer in das Os tra-
pezium und distal 2 Schrauben längs in den MHK-I-Schaft einge-
⊡ Abb. 25.24 a,b Operativer Zugang zur MHK-I-Basis über einen radio-
palmaren bogenförmigen Hautschnitt, der nach distal notfalls verlängert bracht werden. Danach ist eine gipsfreie Nachbehandlung möglich.
werden kann und die beste Einsicht des Sattelgelenks selbst gewährt. Am Bis auf das passager immobilisierte Sattelgelenk können die übri-
radialen Rand (neben den Extensorsehnen) ist der R. superficialis des N. radi- gen Gelenke aktiv bewegt werden.
alis zu schonen, c Darstellung der Strecksehnen am Sattelgelenk: Zugang zur Auch winkelstabile Miniplatten können hier eine gute Anwen-
Fraktur. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) dung finden.
636 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a b c d e

⊡ Abb. 25.26 Technik der offenen Reposition der intraartikulären MHK-I-Basis-Fraktur und Schraubenosteosynthese einer Rolando-Fraktur. a Darstellung der
Fraktur. b Bei echten Y-Frakturen bilden die beiden Gelenkfragmente die gesamte MHK-Basis. Daher erfolgt zunächst unter Zug am Schaft die Reposition der
gelenkbildenden Fragmente und stabile Zugschraubenosteosynthese (1,5 mm durchbohren und dann 2,0 mm bohren vordere Kortikalis) der Basis, c danach
erst die Osteosynthese des Gelenkblocks gegenüber dem Metakarpaleschaft durch eine 2,0-T-Platte. d Reicht die proximale Spitze des Schafthauptfragments
bis zur Gelenkfläche, liegt also (im Gegensatz zur Y-Fraktur) eine V-förmige (Trümmer)-Fraktur vor, kann die Reposition der gelenkbildenden Fragmente durch
einen quer eingebrachten Kirschner-Draht gesichert werden. Eine Kompression beider gelenkbildenden Hauptfragmente gegeneinander ist nicht möglich.
e Danach Osteosynthese mit 2,0-mm-T-Platte. Der Kirschner-Draht kann nach Kürzen belassen werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Eine basisnahe Schaftfraktur des ersten Mittelhandknochens


proximal des Ansatzes des M. abductor pollicis longus (Winter-
stein-Fraktur) zeigt eine charakteristische Fehlstellung durch Mus-
kel- und Sehnenzug und Dislokation nach radial. Hier ist die Be-
handlung der Wahl nach Möglichkeit die T-Platten-Osteosynthese
oder winkelstabile Platte in 2,0 mm Dimension.
Wenn immer möglich, sollte bei der T-Platte zur Erhöhung der
Stabilität die erste Schraube im Plattenschaft als interfragmentäre
Zugschraube eingebracht werden (⊡ Abb. 25.28c–e). Voraussetzung
für ausreichende Stabilität, und damit eine gipsfreie Nachbehand-
lung, ist die knöcherne Abstützung auf der der Platte gegenüber
liegenden Beugeseite.
Bei fehlender Abstützung wegen einer Trümmerzone oder
eines Defekts ist neben einer Spongiosaplastik die postoperative
äußere Fixierung durch einen Steigbügelgips für mindestens 2 Wo-
chen erforderlich, um eine Verbiegung der Platte zu vermeiden.
Die winkelstabilen Miniplatten können auch hier eine gute An-
wendung finden (ohne Spongiosaplastik).
Bei der stabilen Osteosynthese sind postoperativ funktionelle
Übungen erlaubt, zur Sicherheit kann evtl. nachts passager eine
a b
Daumenschiene angelegt werden.
⊡ Abb. 25.27 Technik der offenen Reposition der intraartikulären MHK-I-
Basis-Fraktur und Kirschner-Draht-Osteosynthese zur Wiederherstellung des
Gelenks (MHK-I-Basis). a Befund präoperativ, b postoperatives Ergebnis nach 25.2.5 Technik der offenen Reposition der MHK-I-
Fixation mit Kirschner-Drähten. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) Köpfchen-Fraktur und interne Fixierung

Das MHK-I-Köpfchen bzw. Daumengrundgelenk wird streckseitig


durch einen ulnarseitigen Längsschnitt freigelegt. Die Präparation
25.2.4 Technik der offenen Reposition der MHK-I- in der Tiefe zur Eröffnung des Grundgelenks erfolgt wie bei den
Schaft-Fraktur und Plattenosteosynthese übrigen Fingergrundgelenken.
Als Osteosynthesematerial werden T-, Y- oder L-Miniplättchen
Die Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten auf einem Arm- für 2,0-mm-Schrauben oder 2,0-mm-Zugschrauben (2,0-mm-
tisch. Eine Blutsperre am Oberarm sowie eine Lupenbrille sind erfor- Gleitloch) verwendet (1,5er-Bohrer). Falls Kirschner-Drähte zur
derlich, eine intraoperative Röntgendurchleuchtung ist unabdingbar. Anwendung kommen, sollen diese die 1,4 mm Stärke nicht über-
Eine Freilegung des MHK-I-Schafts erfolgt über eine radio- schreiten.
dorsale oder radiopalmare Längsinzision, welche nach proximal Im Vordergrund steht neben der palmaren Abkippung die Im-
über der Basis bzw. dem Sattelgelenk L- oder Y-förmig verlängert pression. Durch axialen Zug am Daumen in Streckstellung wird die
werden kann. Hierbei sind ebenfalls die radial längs verlaufenden beste Reposition erreicht, die durch einen gelenkübergreifenden
Strukturen sorgfältig zu schonen (⊡ Abb. 25.28a,b). Minifixateur externe gesichert wird. Durch die Distraktion werden
25.2 · Spezielle Techniken
637 25

⊡ Abb. 25.29 Technik der Reposition bei Frakturen des MHK II–V nach Jahss.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Diese Frakturen werden im Kindesalter, solange die Epi-


physe offen ist, mit Kirschner-Drähten versorgt. Die Stärke der
Kirschner-Drähte richtet sich nach Größe der Knochen, bei
Kindern zwischen 0,6 und 1,2 mm an der Mittelhand und an den
Phalangen.

25.2.6 Technik der geschlossenen Reposition bei


Frakturen der MHK II–V nach Jahss

Bei der geschlossenen Reposition von Schaft-Querfrakturen und


subkapitalen Frakturen werden zunächst durch Beugung der Fin-
ger im MP- und PIP-Gelenk die deformierenden Mm. interossei
b c d entspannt und gleichzeitig die Kollateralbänder des Grundgelenks
angespannt. Durch direkten Druck auf das proximale Fragment
⊡ Abb. 25.28 Technik der offenen Reposition der MHK-I-Schaft-Fraktur und handrückenseitig und mittelbaren Gegendruck über den 90°-ge-
Plattenosteosynthese. a Radio-dorsaler (L-) Längsschnitt zur Freilegung des
beugten Finger auf das periphere Fragment (⊡ Abb. 25.29) beuge-
proximalen Metakarpale I. Die Einsicht in das Sattelgelenk ist schlechter als
seitig lassen sich die meisten Frakturen reponieren, in der Intrin-
beim radiopalmaren Zugang, b Zugang zum streckseitig-radialen proximalen
1. Mittelhandknochen. Der R. superficialis des N. radialis muss nach ulnar sic-plus-Stellung halten (Jahss) und im Gipsverband retinieren,
weggehalten werden, c extraartikuläre Basisfraktur mit typischer Dislokati- wobei bei den randständigen Strahlen II und V ein Nachbarfinger,
on des peripheren Schaftfragments in Adduktionsstellung, d Fixation des ansonsten 2 Nachbarfinger, zur Schienung und Vermeidung eines
Querbalkens der T-Platte zunächst an der Basis, erst danach Reposition des Rotationsfehlers mit im Gips immobilisiert werden.
Schaftes und Vervollständigung der Osteosynthese. Bei einfachen Frakturen Frakturen ohne Verschiebung können auch durch Solidaritäts-
mit sicherer knöcherner Abstützung wird die Stabilität durch eine interfrag- verbände mit einem Nachbarfinger ( Kap. 2) behandelt werden,
mentäre Zugschraube beträchtlich erhöht. Durch Verwendung von T- oder falls die Patienten zuverlässig und diszipliniert sind. Die Dauer der
L-Platten können auch in kleinen Fragmenten 2 Schrauben sicher platziert Ruhigstellung im Schienenverband beträgt 3 Wochen.
werden (Zugschraube: 1,5 mm durchbohren, 2,0 mm bohren vordere Korti-
kalis). (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
25.2.7 Technik der offenen Reposition und
Osteosynthese bei Luxationen und
die Kollateralbänder gespannt, sodass kaum eine Schrumpfung zu Luxationsfrakturen an den MHK, Basis II–IV
erwarten ist. Da im Gegensatz zu den Fingern der Daumen nicht
über Wochen in 80°-Beugung nach dem reponierten, ehemals nach Die Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten auf einem Arm-
palmar abgekippten Metakarpale-I-Köpfchen fixiert werden kann, tisch. Eine Blutleere am Oberarm sowie eine Lupenbrille sind er-
ist bei subkapitalen, instabilen Frakturen eine interne Fixierung forderlich, eine intraoperative Röntgendurchleuchtung unabding-
erforderlich. Dabei wird wie bei den übrigen Mittelhandköpfchen bar. Die Fraktur wird über einen dorsalen Zugang (⊡ Abb. 25.32a)
entweder perkutan durch gekreuzte Kirschner-Drähte oder durch dargestellt.
eine Zuggurtungs-T- oder -L-Platte streckseitig eine Stabilisierung Die Reposition gelingt bei den frischen Luxationen und Luxati-
herbeigeführt. Eine Beeinträchtigung des Strecksehnenhäubchens onsfrakturen relativ leicht, bedarf jedoch oft wegen der besonderen
kann durch Verwendung einer radial seitlich angebrachten 1,5- Gelenkform und der Instabilität zusätzlich einer internen Fixation
bis 2,0-mm-Minikondylenplatte oder eine 2,0 mm starke winkel- in Form eines Kirschner-Drahtes zur temporären Arthrodese des
stabile Platte vermieden werden. Wenn die Fraktur axial unter Karpometakarpalgelenks, die schräg von der Mittelhand Richtung
Kompression gebracht werden muss, ist die seitliche Plattenlage Basis bis zur proximalen Handwurzel eingeführt wird, da es sonst
biomechanisch ungünstig. Vorteil dieser Osteosynthese ist die Sta- zur Reluxation in diesem flachen Gelenk kommt. Von dieser Relu-
bilität, die eine sofortige funktionelle Behandlung ohne jede äußere xationstendenz und Instabilität sind vor allem der 2. und 5. Mittel-
Fixierung ermöglicht. handknochen betroffen, da aufgrund des randständigen Knochens
638 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

ven Bewegungsübungen begonnen werden. Bei dem Gipsverband


25 bleiben die Grundgelenke der Finger grundsätzlich zur Übung frei.
Röntgenaufnahmen sind nach Entfernung des Gipsverbands und bei
Abschluss der Behandlung zur Befunddokumentation erforderlich.
Reine Luxationen in den karpometakarpalen Gelenken, wel-
che immer nach dorsal erfolgen, werden in gleicher Weise offen
reponiert und nach Bandnaht für 6 Wochen durch eine temporäre
Arthrodese gesichert bzw. im Gips ruhiggestellt.

25.2.8 Technik der offenen Reposition und


Osteosynthese bei Luxationen und
Luxationsfrakturen an den MHK, Basis V
a b
Die Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten auf einem Arm-
tisch. Eine Blutsperre am Oberarm sowie eine Lupenbrille sind er-
forderlich, eine intraoperative Röntgendurchleuchtung unabding-
bar. Die Fraktur wird über einen dorsalen Zugang (⊡ Abb. 25.31a)
dargestellt.
Die Reposition erfolgt durch Längszug am Kleinfinger. Nach
exakter Einstellung und Kontrolle der Rotation erfolgt die Osteo-
synthese. Hierzu stehen mehrere Verfahren zur Auswahl. Bei aus-
reichend großem proximalem Fragment kann die Osteosynthese
entweder mit 2 parallelen Kirschner-Drähten oder 2 Schrauben
erfolgen. Durch die Osteosynthese wird der Zug des M. exten-
sor carpi ulnaris in einen Druck im Frakturspalt umgewandelt.
Bei Trümmerzonen im Bereich des CMC-V-Gelenks hat sich die
dorsale Plattenosteosynthese bewährt (⊡ Abb. 25.26). Falls bei ei-
ner Fraktur an der Basis des Mittelhandknochens keine Luxation
c d des Karpometakarpale besteht, ist bei stabiler Osteosynthese kein
Gipsverband erforderlich (⊡ Abb. 25.31a–c).
⊡ Abb. 25.30 Luxationsfraktur des Karpometakarpale V und Fraktur der Ba-
sis des 4. Mittelhandknochens mit Luxation am Hamatum. a,b Röntgenbild
präoperativ: schräger Strahlengang, c Röntgenbild postoperativ: d. p. Strah- 25.2.9 Technik der offenen Reposition und
lengang, d Röntgenbild postoperativ: schräger Strahlengang. (Aus Schmit- Osteosynthese bei Schaftfrakturen der
Neuerburg et al. 2001) MHK II–V

Der Zugang zu den Metakarpalia II–V erfolgt durch dorsale Längs-


eine Stabilität nach Basisfraktur oder Luxationsfraktur konservativ inzision, die am proximalen wie am distalen Ende der Mittelhand-
nicht möglich ist. knochen bogenförmig verlängert werden kann, zum MHK II radial
Unter sicherer Vermeidung eingeschlagener Bandanteile und streckseitig, zum MHK V ulnar streckseitig, ansonsten über den
exakter Reposition, die am besten operativ erfolgen sollte, sowie Intermetakarpalräumen. Hier können von einem Schnitt aus durch
unter Retention mit Bohrdrähten und zusätzlicher Gipsfixation Y-förmige Verlängerung proximal wie distal 2 Mittelhandknochen
können sekundäre Luxationen vermieden werden. freigelegt werden (⊡ Abb. 25.32a).
Neben der Osteosynthese der MHK-Basis und Naht der karpo- Für die Osteosynthese stehen mehrere Verfahren zur Auswahl:
metakarpalen Bänder ist vor allem bei den randständigen Mittel- Wie bei der typischen Dislokation der MHK-Schaft- und sub-
handknochen II und V und bei Luxationsfrakturen mehrerer be- kapitalen Frakturen festzustellen ist, wird die Streckseite der Mit-
nachbarter Metakarpalia bis zur Ausheilung des Kapsel-Band-Ap- telhandknochen biomechanisch auf Zug, die Beugeseite auf Druck
parats nach 6 Wochen eine temporäre Arthrodese dieser Gelenke belastet. Eine Plattenlage auf der Zuggurtungsseite setzt daher eine
erforderlich. Hier ist das schräge Anbringen des Arthrodesedrahtes stabile beugeseitige knöcherne Abstützung voraus, da die dünnen
notwendig. Beim karpometakarpalen Gelenk IV und V empfiehlt Platten nicht als Brückenplatte eingesetzt werden können.
sich hingegen die temporäre Arthrodese mit Kirschner-Drähten, Stabiler sind die 2,0-mm-Schrauben und -Platten, zumeist aus
die unbedingt nach 6 Wochen vor Beginn der aktiven Bewegungs- Titan, die mit versenkbaren Schrauben zur Verfügung stehen.
übungen zu entfernen ist (⊡ Abb. 25.31). Ist beugeseitig durch Trümmerzone oder Defekt keine axiale
Da in den karpometakarpalen Gelenken II und III keine we- Kompression der Fraktur möglich, so ist evtl. eine Spongiosaplastik
sentliche Bewegung stattfindet, kann die Immobilisierung hier erforderlich, um eine Verbiegung der Platte zu vermeiden. Eine
durch eine auf die distalen Handwurzelknochen übergreifende Ar- winkelstabile Platte ersetzt oft die Spongiosaplastik.
throdeseplatte (⊡ Abb. 25.10) erfolgen, falls eine Trümmerfraktur Die Platte soll an jedes Hauptfragment mit mindestens
besteht (⊡ Abb. 25.30). 2 Schrauben (4 Kortikalis) fixiert werden, am proximalen bzw.
Eine Ruhigstellung im Gipsverband für 4–6 Wochen ist für die distalen Mittelhandknochen ist dieses nur bei Verwendung von T-
Ausheilung der Bänder erforderlich. Nach Entfernung des Gipsver- oder L-Plättchen möglich. Eine peritendinöse Gewebenaht muss
bandes und der Kirschner-Drähte nach 6 Wochen kann mit akti- die Platten bedecken.
25.2 · Spezielle Techniken
639 25

⊡ Abb. 25.31 Technik der offenen Reposition und


Osteosynthese bei Luxationen und Luxationsfrak-
turen an den Mittelhandknochen, Basis V. Analog
zu der Basisfraktur des 1. Mittelhandknochens
lassen sich nur bei der Verwendung einer T-Platte
2 Schrauben proximal des kurzen Hauptfragments
platzieren. Wann immer möglich, soll zusätzlich eine
intrafragmentäre Zugschraube angewandt werden.
a Basisnaher Schrägbruch des Mittelhandknochens
mit Dislokation durch Zug des M. extensor carpi
ulnaris), b Zugschraubenosteosynthese bei basis-
nahem Schrägbruch des Mittelhandknochens, c T-
Platten-Osteosynthese bei basisnahem Schrägbruch
des Mittelhandknochens (Ansicht von dorsal), d T-
Platten-Osteosynthese bei basisnahem Schrägbruch
des Mittelhandknochens (Ansicht von schräg). (Aus
a b c Schmit-Neuerburg et al. 2001)

c
a b

⊡ Abb. 25.32 Technik der offenen Reposition und Osteosynthese bei Schaftfrakturen der Mittelhandknochen II–V. a Operativer Zugang, b in der Regel dor-
sale Plattenlage auf der Zugseite. Bei solider knöcherner Abstützung der plattenfernen Zirkumferenz wird eine stabile Osteosynthese erreicht, wenn mindes-
tens 2 Schrauben in jedem Hauptfragment und möglichst eine interfragmentäre Zugschraube eingebracht werden können. Reine Schraubenosteosynthesen
längerer Spiralfrakturen sollten nur an den mechanisch weniger exponierten Mittelhandknochen III und IV durchgeführt werden. c Ist der Frakturspalt nicht
durch eine über die Platte frakturfern eingebrachte Schraube unter Kompression zu setzen, kann bei längeren Schrägfrakturen eine gesonderte Zugschraube
eingebracht werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Prinzipiell ist von Osteosynthesen der randständigen Meta- 25.2.10 Technik der geschlossenen
karpalia II und V wegen der höheren biomechanischen Bean- Reposition bei subkapitalen Frakturen
spruchung eine größere Stabilität zu fordern, als an MHK III und der MHK II–V und intramedulläre
IV. Eine reine Schraubenosteosynthese kommt allgemein nur bei Kirschner-Draht-Osteosynthese nach
ausgesprochenen Torsionsfrakturen und bei langen diaphysären Kapandji
Schrägbrüchen infrage. Bewährt hat sich gelegentlich die intrame-
dulläre Stabilisierung durch Drähte. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass die Strecksehnen-
Auch der Einsatz von Minikondylenplatten für MHK-II- haube unangetastet bleibt im Gegensatz zur Kirschner-Draht-Os-
und -V-Köpfchen-Frakturen kommt ebenso zur Anwendung teosynthese, die retrograd vom Köpfchen des Mitthandknochens
(⊡ Abb. 25.32b,c). eingebracht wird.
640 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a b

⊡ Abb. 25.33 Technik der geschlossenen


Reposition bei Frakturen der MHK II–V und in-
tramedullärer Kirschner-Draht-Osteosynthese
nach Kapandji. a Intraoperatives Röntgenbild
vor Reposition, b intraoperatives Röntgenbild
nach Reposition der Fraktur nach Jaahs und
Vorschieben des intramedullären Kirschner-
c d
Drahtes , c Schema der intramedullären Auf-
fächerung der Kirschner-Drähte: Ansicht von
lateral, d Schema der intramedullären Auffä-
cherung der Kirschner-Drähte: Ansicht von
dorsal. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Die Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten auf einem 25.2.11 Technik der offenen Reposition bei
Armtisch. Eine Blutsperre am Oberarm sowie eine intraoperative subkapitalen Frakturen der MHK II–V
Röntgendurchleuchtung sind erforderlich (⊡ Abb. 25.28) und Plattenosteosynthese
▬ Am 5. Mittelhandknochen wird proximal seitlich nach einer
etwa 1 cm langen Stichinzision die Kortikalis dargestellt. Die Die Freilegung des isolierten MHK-Köpfchens bzw. des metakarpo-
Stichinzision erfolgt beim 2.–4. Mittelhandknochen dorsal- phalangealen Gelenks erfolgt durch einen bogenförmigen Schnitt
seitig, wobei dann die Strecksehnen dargestellt und zur Seite streckseitig. Exakte Darstellung der Sehnen und der dorsalen feinen
gehalten werden. Nerven ist erforderlich. Falls nötig kann der Connexus intertendino-
▬ Mit einem Bohrer Stärke 2,0 mm oder auch nur einem Pfriem sus eingekerbt und nach der Osteosynthese wieder exakt genäht wer-
wird die vordere Kortikalis angebohrt und so die Öffnung den. Die Strecksehnen werden mit peritendinösem Gewebe zusam-
zum intramedullären Raum geschaffen und mit dem Pfriem men freipräpariert und mit Periost hochgehalten (⊡ Abb. 25.34a).
erweitert. Zunächst wird der Querbalken der T-Platte (2,0-mm-Schrau-
▬ Ein 1,2 mm dicker Kirschner-Draht wird an der stumpfen Sei- ben) mit einer Schraube am dislozierten Köpfchen fixiert, danach
te etwa 3 mm leicht umgebogen. das Köpfchen mittels des Plattenschaftes reponiert.
▬ Die Reposition der Fraktur erfolgt durch den Druck über dem Anschließend wird das 2. Schraubenloch des Querbalkens be-
Handrücken am zentralen Fragment und Gegendruck in 90°- setzt. Nun wird der Finger auf korrekte Rotationsstellung überprüft.
Beugestellung des Grundgelenks des peripheren Fragments, Erst dann wird die 1. Schraube exzentrisch (frakturfern) zur
wobei das Grundglied unter dem Köpfchen des Mittelhand- Kompression der Fraktur in das Plattenloch bzw. den Mittelhand-
knochens als Hypomochlion die Reposition der Fraktur er- schaft eingebracht. Nach Vervollständigung der Osteosynthese
leichtert (nach Jahss). nochmalige Kontrolle auf exakte Rotationsstellung.
▬ In dieser Stellung werden 2 stumpfe, zuvor vorbereitete, um- Nach Anbringen der Platte und der Schrauben werden das
gebogene, 1,2 mm dicke Drähte von proximal nach distal Periost und das peritendinöse Gewebe über der Platte angenäht,
über die Fraktur geschoben, am Köpfchen platziert und ent- sodass die Strecksehen nicht über die Platte oder die Schrauben
sprechend fächerförmig ausgebreitet. Die Drähte werden kurz gleiten (⊡ Abb. 25.34b–e).
oberhalb des Knochenniveaus abgetrennt, wobei das periten-
dinöse Gewebe und Weichteile über die Drahtenden genäht
werden müssen, um eine Arrosion der Strecksehne zu vermei- 25.2.12 Technik der offenen Reposition bei
den. Ein Verdrehen des Drahtes, nachdem der intermedullär subkapitalen Frakturen der MHK II–V und
eingebracht ist, kann die gute Reposition wieder ändern. Osteosynthese mithilfe einer Kondylenplatte
▬ Die so eingebrachte intramedulläre Drahtfixation kann je nach
Frakturform eine solche Stabilität zeigen, dass lediglich einige Die Freilegung des isolierten MHK-Köpfchens bzw. des meta-
Tage äußerer Fixation in Form eines Schienenverbandes not- karpophalangealen Gelenks erfolgt durch einen bogenförmigen
wendig sein können. Falls eine Instabilität, vor allem in Form Schnitt streckseitig. Exakte Darstellung der Sehnen und der dorsa-
einer Rotationsinstabilität, besteht, ist die Indikation zur zu- len feinen Nerven ist erforderlich. Falls nötig kann der Connexus
sätzlichen äußeren Fixation in Form eines Gipsverbandes für intertendinosus eingekerbt und nach der Osteosynthese wieder ex-
etwa 2–3 Wochen notwendig. akt genäht werden. Die Strecksehnen werden mit peritendinösem
25.2 · Spezielle Techniken
641 25

b c d e

⊡ Abb. 25.34 Technik der offenen Reposition bei subkapitalen Frakturen der MHK II–V und Plattenos-
teosynthese. a Operativer Zugang. b Zunächst wird der Querbalken der T-Platte mit einer Schraube am
dislozierten Köpfchen fixiert, danach das Köpfchen mittels des Plattenschaftes reponiert. c Anschließend
wird das 2. Schraubenloch des Querbalkens besetzt. Nun wird der Finger auf korrekte Rotationsstellung
überprüft. d Erst dann wird die 1. Schraube exzentrisch (frakturfern) zur Kompression der Fraktur in das
Plattenloch bzw. den Mittelhandschaft eingebracht. Nach Vervollständigung der Osteosynthese noch-
malige Kontrolle auf exakte Rotationsstellung, e Adaptionsosteosynthese mit 2 Kirschner-Drähten, wo-
bei die Abbildung die exakten Repositionsmanöver zeigt. Falls 2 Drähte eingesetzt werden, sollen diese
a sich nicht im Frakturspalt kreuzen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

mit dem 1,5-mm-Bohrer gebohrt und eine 2-mm-Schraube ange-


bracht, sodass Platte und Klinge fest im Köpfchen verankert sind.
Danach werden die anderen Schrauben über der Platte am Schaft des
Mittelhandknochens seitlich angebracht. Intraoperative Röntgenkon-
trolle ist erforderlich (Dokumentation) (⊡ Abb. 25.35).

25.2.13 Technik der Versorgung multipler


Metakarpalfrakturen mithilfe von
Kirschner-Drähten

In ausreichender Anästhesie wird nach Aushängen der Finger am


Extensionsgerät (⊡ Abb. 25.36) unter Gegenzug am Oberarm mit
Hilfe des Bildverstärkers die möglichst geschlossene Reposition der
⊡ Abb. 25.35 Technik der offenen Reposition bei subkapitalen Frakturen der einzelnen Mittelhandfrakturen vorgenommen. Sodann wird eine
MHK II und V durch Osteosynthese mithilfe einer Kondylenplatte. Einsetzen der dorsale Längsinzision seitlich des Mittelhandknochens angelegt.
Kondylenplatte bei den Metakarpaliarandknochen am 2. und 5. Mittelhand- Nun erfolgt die Stabilisierung der Mittelhandknochen nach Re-
knochen: Die Kondylenklinge muss exakt platziert werden und sich außerhalb
position mit einem Kirschner-Draht mit einem Durchmesser von
der Knorpelzone befinden. Das Plattenloch unterhalb der Klinge kann durch
1,2–1,4 mm. Die Transfixation der Mittelhandköpfchen erfolgt quer
eine parallel zur Klinge geführte Schraube oder eine schräg angebrachte
Schraube zur Stabilisierung der Platte distal der Fraktur eingesetzt werden. Vor durch die Köpfe der Mittelhandknochen, sodann erfolgt die einzelne
der Fixierung der Schraube über die Platte proximal der Fraktur muss die Platte Stabilisierung der verletzten und frakturierten Mittelhandknochen
mit der Repositionszange am Schaft fixiert und die exakte Rotationsstellung axial. Die Drähte werden möglichst umgebogen und versenkt und
des Fingers überprüft werden. Erst dann können die Schrauben proximal der die Stichwunden zugenäht. Die Ruhigstellung erfolgt in einer palmar
Fraktur einzeln besetzt werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) angelegten Gipslongettenschiene für 4 Wochen, dabei sind die Fin-
ger auf der Schiene frei, sodass Bewegungsübungen im Bereich der
Grund- und Mittelgelenke erlaubt sind. Anfangs durchgeführte wö-
Gewebe zusammen freipräpariert und mit Periost hochgehalten chentliche Röntgenkontrollen sichern die Stellung der Fraktur.
(⊡ Abb. 25.34a).
Als nächstes wird am Köpfchen des MHK (II oder V) mit
entsprechender Schablone oder auch in 90°-Stellung zum Mittel- 25.2.14 Technik der Versorgung multipler
handknochen mit einem 2,0-mm-Bohrer senkrecht zur Achse des Metakarpalfrakturen mithilfe eines
Knochens gebohrt. Danach wird die Klinge der Minikondylenplatte Fixateur externe  Kap. 43
in den Bohrkanal eingeführt und der Schaft der Platte an dem Schaft
des Knochens mit der Repositionszange fixiert. Dabei wird gleichzei- Durch die Transfixation der Mittelhandköpfchen unter Einsatz eines
tig das nach palmar gekippte Köpfchen aufgerichtet (⊡ Abb. 25.34a–d). durch die Köpfe der Mittelhandknochen durchgeführten Kirschner-
Zur besseren Stabilität wird parallel zur Klinge der Kondylenplatte Drahtes wird sowohl das Gewölbe als auch die Beziehung der ein-
642 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

⊡ Abb. 25.36 Technik der Versorgung multipler Metakarpalfrakturen mithil-


25 fe von Kirschner-Drähten. a Aushängen der Finger am Extensionsgerät bis
zur korrekten Länge des Mittelhandknochens, quere Transfixation mit Kirsch-
ner-Drähten unter Bildverstärkerkontrolle von ulnar oder von ulnar und radi-
al in Köpfchenhöhe. Die eingebrachten queren Drähte sorgen für zusätzliche
Stabilität und Erhaltung der Länge. b Axiale Fixation der einzelnen Schaft-
frakturen mit einem Kirschner-Draht Stärke 1,2–1,4 mm. Die Drähte können
auch bis zur distalen Handwurzelreihe eingeschoben werden, falls die Trüm-
merbrüche auch basisnah liegen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

a b

zelnen Mittelhandköpfchen zueinander aufgerichtet. Nun werden Bei schweren Quetsch-, Riss- und Abrisstraumen im Bereich
Schanz-Schrauben im Bereich der einzelnen Mittelhandknochen der Mittelhandknochen und bestehenden Defektbildungen kann,
angebracht. Bei Frakturen des 2.–5. Mittelhandknochens werden falls eine Wiederherstellung der Länge durch Implantation von
die Schanz-Schrauben am 2. und 5. Mittelhandknochen am Köpf- neuem kortikospongiösem Knochen nicht erreicht werden kann,
chen und an der Basis angebracht und somit sowohl ulnar als auch eine Umsetzung der Mittelhandknochenstrahlen vorgenommen
radial durch Minifixateur-Montage vervollständigt. Dadurch wird werden.
die Länge der Mittelhandknochen durch Distraktion des Minifixa- Im Allgemeinen kann bei Erhaltung der Länge der Mittelhand-
teurs exakt wiederhergestellt, und je nach Abhängigkeit von der er- knochen später der bestehende Defekt durch einen kortikospon-
reichten Stabilität kann mit funktioneller Behandlung sowie Bewe- giösen Knochen und eine Plattenosteosynthese wiederhergestellt
gungsübungen der Grund- und Mittelgelenke der Finger begonnen werden, falls die Weichteile dies erlauben (⊡ Abb. 25.37).
werden. Regelmäßige Röntgenkontrollen sichern die erreichte Stel-
lung der Mittelhandknochen. Die Entfernung des Fixateur externe
und die Entfernung des Kirschner-Drahtes erfolgt nach 6 Wochen. 25.2.15 Technik der subtraktiven (»closing wedge«)
Bei offenen Verletzungen ist dann je nach Schwere der Verlet- Korrekturosteotomie bei einer Fehlstellung
zung die Indikation zur Kirschner-Draht-Osteosynthese, Platte- in der Sagittalebene im Metakarpalbereich
nosteosynthese oder auch Minifixateur externe gegeben.
Nach Ausräumung des Hämatoms und Débridement wird die Nach der Darstellung des Knochens können die gemessenen Resek-
Fraktur möglichst stabil versorgt, falls das Osteosynthesematerial tionswinkel mit Kirschner-Drähten übertragen werden. Anschlie-
(Platte und Schrauben) gute Deckung durch die Weichteile erfährt. ßend wird das Resektat mit der oszillierenden Säge herausgetrennt.
Bei Hautdécollement und Weichteildefekten ist eine Plattenosteo- Der präparierte Knochenkeil wird entfernt und die Knochenfrag-
synthese nicht angezeigt. Hier ist dann nach exakter Reposition mente werden mit einer Osteosynthese verbunden (⊡ Abb. 25.38).
der Frakturen und erzielter Länge sowie korrekter Rotation die Bei multidirektionalen Fehlstellungen wird zunächst der Achsen-
Kirschner-Draht-Osteosynthese, wie beschrieben, oder auch das fehler behoben. Im Anschluss stabilisiert ein temporärer longi-
Anbringen eines Minifixateur externe angezeigt. Die Versorgung tudinaler Kirschner-Draht die Achse. Nun erfolgt die Korrektur
der Weichteildefekte kann primär oder auch frühsekundär vorge- der Rotation anhand der klinischen Parameter. Eine intraoperati-
nommen werden. In jedem Falle sollten die Sehnen und Knochen ve Durchleuchtungskontrolle ist für die Beurteilung wertvoll. Sie
nicht unverschlossen bleiben. dient zudem der Dokumentation des operativen Ergebnisses.
25.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
643 25

⊡ Abb. 25.37 Technik der Versorgung mul-


tipler Metakarpalfrakturen mithilfe eines
Fixateur externe. a Aushängen der Finger am
Extensionsgerät bis zur korrekten Länge des
Mittelhandknochens, Einbringen eines queren
Transfixationsdrahtes (von ulnar oder radial
oder beidseits), Setzen der Schanz-Minisch-
rauben für den Fixateur externe an den jeweils
radialen und ulnaren/proximalen und distalen
Fragmenten der Mittelhandknochen, b Monta-
ge des Minifixateur externe als Rahmenfixateur
mit queren Stäben. (Aus Schmit-Neuerburg et
a b al. 2001)

der Platte durch Schrauben der distale Teil in Mittelstellung grob


fixiert werden und anschließend bei schon guter Stabilität die
Feineinstellung der Fingerdrehung beim Faustschluss vorgenom-
men werden. Die Breite und die Wölbung des Querloches erlaubt,
a aus der Mittelstellung heraus zu jeder Seite etwa 18° Drehung zur
Korrektur vorzunehmen. Insgesamt sind etwa 36° Korrektur mög-
lich. Diese Korrekturplatte, die bei verschiedenen Anbietern zur
Verfügung steht, erleichtert enorm die Korrektur der Fehlstellung
sowohl im Bereich der Mittelhandknochen, die im Schaftbereich
durchgeführt werden soll, aber auch im Bereich der Phalangen, die
b
vor allem in Höhe des Grundgliedes durchgeführt werden soll, in
unschätzbarem Maße.
⊡ Abb. 25.38 Technik der subtraktiven (»closing wedge«) Korrekturosteo-
Schließlich kann, wenn einmal ein entsprechendes Osteosyn-
tomie bei einer Fehlstellung in der Sagittalebene im Metakarpalbereich. thesematerial nicht zur Verfügung steht, die herkömmliche Me-
a Präoperativer Zustand und Planung, b postoperatives Ergebnis. (Aus thode vorgenommen werden:
Schmit-Neuerburg et al. 2001) Häufig wird eine transversale Osteotomie im Bereich der ehe-
maligen Fraktur oder eine Osteotomie im Metaphysenbereich ver-
wendet. Nach der Darstellung des Operationsgebietes wird die
Osteotomie mit der oszillierenden Säge gesetzt und anschließend
25.2.16 Technik der Korrekturosteotomie bei ein 0,8-mm-Kirschner-Draht in longitudinaler Richtung einge-
Rotationsabweichungen bracht. Die Korrektur der Rotationsabweichung kann nun erfolgen.
Die Drehung der Fragmente erfolgt um die Drahtachse. Durch
Für die Korrekturen der Rotationsfehlstellung sowohl im Bereich die Überprüfung der Fingerstellung erfolgt die Feineinstellung
der Phalangen als auch im Bereich der Mittelhandknochen stehen der Rotation. Im Anschluss wird die Osteosynthese entweder als
die sog. Drehfehlerkorrekturplatten (Rotationsplatte 1,5 mm und Miniplattenosteosynthese oder als Kirschner-Draht-Osteosynthese
2,0 mm) zur Verfügung. Dieses sehr hilfreiche Osteosynthesemate- durchgeführt. Der zentrale Kirschner-Draht wird nach Fertigstel-
rial erübrigt die doch sehr mühsame Korrektur der Rotationsfehler, lung der Osteosynthese entfernt (⊡ Abb. 25.39). Von anderen Au-
wie sie bisher durchgeführt werden musste, und erleichtert bei toren wird die Möglichkeit einer Z-förmigen oder treppenstufen-
stabiler Osteosynthese die genaue Korrektur. Bei Defektfraktu- artigen Osteotomie des Mittelhandknochens mit anschließender
ren, Trümmerfrakturen und vor allem Kreissägenverletzungen und Schraubenosteosynthese angegeben.
Amputationen treten nicht selten Drehfehler auf, die zu korrigie-
ren sind. Eine Drehfehlstellung von 5–10° hat enorme Auswirkun-
gen auf die Funktion der Hand. Die herkömmlichen Platten erlau- 25.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
ben keine Versetzung der distalen Osteotomiefragmente, sodass
nach Fertigstellung der Osteosynthese eine Korrektur nur selten Gefahren bestehen insbesondere bei verlängernden Osteotomien.
möglich war. Bei der neu konzipierten Platte, die als T-Platte zur Hierbei sollte auf eine ausreichende Dehnbarkeit des Weichteil-
Verfügung steht, kann durch das quere Langloch in der Drehfeh- mantels geachtet werden. Eventuell sind zusätzliche Weichteilde-
lerkorrekturplatte zunächst nach Fixierung des proximalen Teiles ckungen mit Lappenplastiken und Spalthauttransplantaten erfor-
644 Kapitel 25 · Frakturen im Mittelhandbereich inklusive sekundärer Korrektur knöcherner Fehlstellungen

25

a c d

⊡ Abb. 25.39 Korrekturosteotomie


mit Rotationskorrekturplatte bei
Rotationsfehlstellung am MHK V.
a Klinischer Aspekt präoperativ,
b Schema der Korrektur, c klinischer
Aspekt intraoperativ, d klinischer
Aspekt am Ende der Operation b

derlich. Eine vorbestehende Kontraktur kann verstärkt werden. dert also eine übungsstabile Osteosynthese. Umgekehrt ist eine Ad-
Dies gilt insbesondere für tendogene Kontrakturen. Bei den klei- aptationsosteosynthese mit Kirschner-Drähten ausreichend, wenn
nen Osteotomien tritt durch den Sägedefekt ein nicht unerheb- wegen begleitender Nervenverletzungen ohnehin eine Immobilisa-
licher Fehler auf. Die klinischen Parameter der physiologischen tion der Hand in Intrinsic-plus-Stellung erfolgen muss.
Fingerstellung sind daher zu beachten. Für kindliche Frakturen vor Der häufigste Fehler bei der konservativen Behandlung betrifft
dem Epiphysenschluss sollte unbedingt die spontane, wachstums- die Haltung der Hand bzw. die Stellung der Gelenke im Gipsver-
bedingte Korrektur mit berücksichtigt werden. Eine Osteotomie band. Eine Beugung der MP-Gelenke II–V von 80–90° ist nur
ist bis auf wenige Ausnahmen vor dem Epiphysenschluss selten möglich, wenn der Gips oder die palmar in den Gips integrierte
erforderlich. gepolsterte Aluminiumschiene in Höhe der proximalen Hohlhand-
Nicht selten werden die Luxationen an der Basis der karpo- beugefalte, welche der Verbindungslinie der ulnaren distalen mit
metakarpalen Gelenke II–V infolge der Schwellung und fehlender der radialen proximalen Hohlhandquerfalte entspricht, abgewin-
exakter Röntgenaufnahmen übersehen. Hier ist – im Gegensatz zu kelt ist. Röntgenologische Kontrollen der Fragmentstellung bzw.
den Schrägaufnahmen der Mittelhand selbst in Pro- oder Supina- der Frakturheilung sind unerlässlich und daher in der Nachbe-
tion – eine streng seitliche Projektion erforderlich. Zur Beurteilung handlung bis zum Abschluss der Behandlung fest einzuplanen.
einzelner Gelenke sind Vergrößerungsaufnahmen in mindestens Falsche Einschätzungen der biomechanischen Stabilität nach
2 Ebenen unerlässlich. Bei den seltenen palmaren Luxationen der Osteosynthesen führen unweigerlich zu Komplikationen. Da Plat-
Mittelhandknochen im CMC-Bereich kann es, abgesehen von ei- ten an den Mittelhandknochen nur deformierende Kräfte neutrali-
ner Rotationsfehlstellung und Verkürzung, zur Verletzung oder sieren, z. B. bei der häufigsten Lage dorsal als Zuggurtung wirken,
Kompression des Gefäß-Nerven-Bündels und hier vor allem des setzen sie eine knöcherne Abstützung voraus. Fehlt diese, muss bis
tiefen Astes des N. ulnaris kommen. zu ihrer Wiederherstellung (röntgenologisch nachweisbare Struk-
Die erste Fehlerquelle in der Behandlung von Mittelhandfrak- turierung der kortikalen Trümmerzone oder einer primären Spon-
turen liegt in einer falschen Indikationsstellung. Liegen neben der giosaplastik) eine zusätzliche äußere Fixierung auf einer Schiene
knöchernen Läsion noch weitere Schäden vor, z. B. an Sehnen und oder im Gipsverband erfolgen. Das Gleiche gilt, wenn im spongiö-
Nerven, so muss die Verfahrenswahl bezüglich der Frakturbehand- sen Bereich am proximalen oder distalen Ende der Mittelhandkno-
lung ein sinnvoller Teil des therapeutischen Gesamtkonzeptes sein. chen keine sichere Verankerung der Plattenschrauben möglich ist.
Eine funktionelle Nachbehandlung einer gleichzeitigen Beugeseh- Die Kirschner-Drähte dürfen nicht im Frakturspalt gekreuzt sein.
nenverletzung setzt z. B. ein belastbares Handskelett voraus, erfor- Die wichtigste Frühkomplikation ist die Redislokation nach Osteo-
Weiterführende Literatur
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26

Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich


Hossein Towfigh
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg)

26.1 Allgemeines – 650


26.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 650
26.1.2 Epidemiologie – 651
26.1.3 Ätiologie – 651
26.1.4 Diagnostik – 653
26.1.5 Klassifikation – 655
26.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 655
26.1.7 Therapie – 657
26.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 658
26.2 Spezielle Techniken – 659
26.2.1 Technik der operativen Versorgung des Os triquetrum – 659
26.2.2 Technik der operativen Versorgung des Os lunatum – 659
26.2.3 Technik der operativen Versorgung des Os pisiforme – 660
26.2.4 Technik der operativen Versorgung des Os trapezium – 660
26.2.5 Technik der operativen Versorgung des Os trapezoideum – 660
26.2.6 Technik der operativen Versorgung des Os capitatum – 660
26.2.7 Technik der operativen Versorgung des Os hamatum – 662
26.2.8 Technik der operativen Versorgung der Quervain-Luxationsfraktur
(Fraktur des Skaphoids, perilunäre Luxation) – 662
26.2.9 Skaphoidluxation und Technik der Versorgung – 662
26.2.10 Lunatumluxation und Technik der Versorgung – 664
26.2.11 Luxationen im Handwurzelbereich – 664
26.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 665
Weiterführende Literatur – 666

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


650 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26.1 Allgemeines geneinander und gegenüber den benachbarten Knochen. Dies ist
auch der Grund für die lange und weitgehende Ruhigstellung der
26.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Frakturen im Handwurzelbereich. Die Verletzungen der Handwur-
Physiologie zelknochen und des Handgelenks sind aufgrund der Beteiligung
26 zahlreicher Knochen, Bänder und Gelenke vielfältig. Zur konser-
Die 8 Handwurzelknochen bilden mosaikförmig die Verbindung vativen oder operativen Behandlung sind jeweils eine Reihe unter-
zwischen dem distalen Radius und der Ulna zu den Metakar- schiedlicher Methoden angegeben worden, was erfahrungsgemäß
palknochen. Sie werden sowohl dorsal als auch palmar durch eine für die Schwierigkeit der Behandlung spricht. Der Anteil der
Vielzahl von sehr kräftigen Bändern überzogen. Die Querachse des Skaphoidfrakturen an den Handwurzelverletzungen besitzt einen
Handgelenks verläuft etwa durch das Os lunatum. Die Palmarflexi- besonderen Stellenwert.
on ist größer als die Dorsalextension, da der dorsale Bandapparat Am Handgelenk sind zahlreiche akzessorische Knochen be-
deutlich schwächer ausgebildet ist als das palmare Bandgefüge. schrieben. Die Kenntnis dieser Knochen hat vor allem in der Diffe-
Durch die dorsale und palmare Bewegung, aber auch durch die renzialdiagnostik von karpalen Frakturen Bedeutung (⊡ Abb. 26.1).
ulnare und radiale Beweglichkeit im Handgefüge, kommt es zu Die Durchblutung der einzelnen Handwurzelknochen ist un-
erheblicher Verschiebung der einzelnen Handwurzelknochen ge- terschiedlich und hängt von den gefäßführenden intrinsischen und

a b

⊡ Abb. 26.1 Mögliche akzessorische Knochen im Handgelenkbereich. a Ansicht von palmar, b Ansicht von dorsal. (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)

⊡ Abb. 26.2 Durchblutung der karpalen Knochen.


a Ansicht von dorsal, b Ansicht von palmar a b
26.1 · Allgemeines
651 26
extrinsischen Kapsel-Band-Anteilen ab. Sie sind verantwortlich 26.1.3 Ätiologie
für die Durchblutung der Knochen, auch nach der Fraktur und
Reposition der Luxationen. Daher sind die Reposition der Fraktu- Frakturen der Handwurzelknochen
ren und die Wiederherstellung des Kapsel-Band-Apparates für den (außer Skaphoid)
Heilungsprozess maßgeblich (⊡ Abb. 26.2). Die Ursachen von Frakturen der karpalen Knochen sind vielfäl-
Das Gefüge der Handwurzelknochen untereinander sowie zum tig. Sie treten vor allem nach einem Sturz auf die ausgestreckte
Radius und zur Ulna, aber auch zum Mittelhandknochen hin, ist und dorsalflektierte, aber auch extrem palmar gebeugte Hand
durch straffe Bänder dorsal und palmar stabilisiert. Dies ermög- auf, wobei es nach axialer Gewalteinwirkung und Hyperextension
licht einerseits eine differenzierte Funktion im Handwurzelbe- (⊡ Abb. 26.3a) sowie nach direkter oder indirekter Gewalteinwir-
reich, verhindert aber andererseits eine grobe Verschiebung der kung und Hyperflexion (⊡ Abb. 26.3b) bei rotierenden Maschinen
einzelnen Handwurzelknochen zueinander sowie eine Luxation zur Fraktur oder Luxation eines oder mehrerer Knochen im Hand-
( Kap. 28). Die klinische Bedeutung der Luxation im Handwurzel- wurzelbereich kommen kann.
bereich kommt vor allem durch die große Zahl von übersehenen
und nicht adäquat behandelten Verletzungen zum Ausdruck. Die Os lunatum
Behandlungsergebnisse sind insbesondere in ihrer Konzeptlosig- Frakturen und Luxationen des Os lunatum sind selten und wer-
keit unbefriedigend, weshalb nicht selten sekundäre Maßnahmen den häufig übersehen, sie sind nicht schwer zu erkennen. Die
erforderlich werden. Mondbeinfrakturen werden häufiger im Rahmen einer Kombina-
tionsverletzung in der proximalen Handwurzelreihe festgestellt.
Gelegentlich werden auch knöcherne Kapsel-Band-Ausrisse be-
26.1.2 Epidemiologie obachtet. Isolierte Luxationen des Os lunatum sind sehr selten
und verursachen häufig später eine Lunatumnekrose aufgrund der
Die einzelnen Handwurzelknochen sind unterschiedlich häufig Mangeldurchblutung.
von Frakturen und Luxationen betroffen. Während diese am Kahn-
bein am häufigsten vorkommen, sind Kapitatum und Trapezoi-
deum selten betroffen. Die karpalen Instabilitäten durch Kapsel-
bandzerreißungen und Luxationen sowie fehlverheilte Frakturen ⊡ Tab. 26.2 Sammelstatistik der Handwurzelfrakturen
– allen voran des Skaphoids – sind die bedeutsamen Spätfolgen der
n %
Verletzungen am Karpus. Sie können schmerzhafte Funktionsein-
schränkungen verursachen, die zum Teil nicht mehr korrigierbar Skaphoid 1826 89,24
sind. Bei einer Sammelstatistik von zwei hand- und unfallchir-
urgischen Abteilungen über 10 Jahre wurden 4.168 Verletzungen Lunatum 14 0,68
im Bereich der Handwurzelknochen registriert (⊡ Tab. 26.1). Bei Triquetrum 152 7,42
weiterer Aufarbeitung konnten dann insgesamt 2.046 Frakturen
der Handwurzelknochen festgestellt werden (⊡ Tab. 26.2). In dieser Pisiforme 11 0,53
Statistik war das Skaphoid mit 87% am stärksten betroffen, wie Trapezium 15 0,73
auch aus der Literatur bekannt, wo das Skaphoid zwischen 75 und
90% als häufigste Fraktur im Bereich der Handwurzelknochen Trapezoideum 6 0,29
angegeben wird. Dementsprechend groß ist die Bedeutung der Kapitatum 8 0,39
Skaphoidfraktur und deren Wiederherstellung gegenüber den übri-
gen Frakturen der Handwurzelknochen ( Kap. 27). Die Frakturen Hamatum 14 0,68
des Os triquetrum sind nach den Skaphoidfrakturen die häufigsten
Insgesamt 2.046 100
(7,4–14%) knöchernen Verletzungen der karpalen Knochen.

⊡ Tab. 26.1 Sammelstatistik der Verletzungen und Frakturen an der Handwurzel (n=4.168)

Verletzungen Frakturen Anteil der Frakturen an den Verletzungen (%)

Skaphoid 2098 1826 87,04

Lunatum 156 14 8,97

Triquetrum 1692 152 8,98

Pisiforme 74 11 14,86

Trapezium 68 15 22,06

Trapezoideum 12 6 50,00

Kapitatum 22 8 36,36

Hamatum 46 14 30,43

Insgesamt 4.168 2.046 49,09

Der Prozentsatz bezieht sich jeweils auf den Anteil der Frakturen in Bezug auf die Verletzungen der jeweiligen Handwurzelknochen
652 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26

c
b

⊡ Abb. 26.3 Ätiologie der Frakturen, Luxationsfrakturen und Luxationen im Handwurzelbereich. a Hyperextension
und axiale Krafteinwirkung, b Hyperflexion und Hyperextension bei rotierenden Maschinen, c völlige Luxation des
Radiokarpalgelenks mit Abscherfraktur des Radius und palmarer und dorsaler Kapselbandausrisse und Handwurzel-
a frakturen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

> Eine Kombination der Fraktur des Skaphoid zusammen mit durch Kompression des Os trapezium zwischen dem 1. Mittelhand-
skapholunärer Bandruptur im Sinne einer de Quervain- knochen und dem Processus styloideus radii bei axialer Stauchung
Luxationsfraktur wird häufiger angetroffen als eine isolierte hervorgerufen. Die Kombinationsverletzung des Os trapezium mit
Luxation des Os lunatum ( Kap. 28). der Basisfraktur des 1. Mittelhandknochens oder dem Radiusende
ist bekannt. Oft können Standardröntgenaufnahmen die Fraktur
Os triquetrum darstellen. Bei Randfrakturen empfiehlt sich eine computertomo-
Durch direktes Trauma des Handrückens, aber auch beim Sturz auf grafische Untersuchung, um die einzelnen Anteile des Trapeziums –
die maximal dorsal oder palmar flektierte Hand, kann eine Fraktur Korpus-, Rand- und Tuberkulumfrakturen – genauer zu beurteilen.
des Os triquetrum entstehen. Die Verletzung des Os triquetrum Eine isolierte Luxation des Os trapezium ist sehr selten.
ist auch bei Widerstand der Hand gegen eine Rotationsbewegung
bekannt. Oft sind schalige knöcherne Bandausrisse in seitlichen Os trapezoideum
Röntgenaufnahmen sichtbar. Isolierte Luxationen des Os triquet- Die Fraktur des Os trapezoideum ist selten und wird nur im Zu-
rum sind selten. Die Frakturen können in dorsal-schalige Formen sammenhang mit der Fraktur des Os trapezium oder den Frakturen
oder Korpusfrakturen des Os triquetrum unterteilt werden. Ra- oder Luxationen der distalen Handwurzelreihe beobachtet. Der
diologisch kann die schalige Form der Fraktur in seitlicher Ebene Mechanismus der Entstehung ist eine Längsstauchung des 2. Mittel-
exakt dargestellt werden. Die Korpusfrakturen kommen eher durch handknochens zusammen mit einer starken Dorsalflexion. Durch
Computertomografieuntersuchungen zur Darstellung. die Überlagerung der Knochen wird die Fraktur des Trapezoideum
selten diagnostiziert. Eine isolierte Luxation ist höchst selten.
Os pisiforme
Durch die kräftige Zugwirkung des M. flexor carpi ulnaris oder Os capitatum
als Folge direkter umschriebener Gewalteinwirkung auf die ul- Isolierte Kapitatumfrakturen sind relativ selten. Durch einen Sturz
nare oder palmare Handkante kann die Fraktur des Os pisiforme auf die ausgestreckte Hand oder durch ein indirektes Trauma
entstehen. Außerdem entstehen Frakturen des Os pisiforme durch kann eine Kapitatumfraktur entstehen. Kombinierte Frakturen der
Sturz auf die dorsal flektierte Hand und direktes Trauma. Die Handwurzelknochen mit dem Kapitatum sind bekannt, wobei je-
Frakturen können auf Standardröntgenaufnahmen nicht sichtbar weils Luxationen oder Frakturen entstehen können (⊡ Abb. 26.7).
sein oder auch übersehen werden. Deshalb soll bei Verdacht eine Ein Zusammentreffen von Fraktur und Luxation von Kapitatum
Röntgenaufnahme des Karpaltunnels, eine Schrägaufnahme des und Skaphoid (skaphokapitates Syndrom) im Rahmen der von
Handgelenks oder auch eine Computertomografie angefertigt wer- Fenton beschriebenen transskaphoidalen-transcapitalen perilunä-
den. Luxationen sind aufgrund der ligamentären Verbindungen ren Luxation ist häufig mit einer Rotation des proximalen Kapita-
sehr selten, können jedoch radiologisch diagnostiziert werden. Bei tumfragmentes verbunden. Hierbei ist eine offene Reposition und
isolierten Luxationen besteht die Indikation zu Exzision des Os operative Versorgung indiziert. Bei fehlender Therapie werden
pisiforme und Wiederherstellung des Bandapparates. häufig Pseudarthrosen und Nekrosen beschrieben.

Os trapezium Os hamatum
Durch Sturz auf die überstreckte Hand und durch direktes Trauma Die Fraktur des Os hamatum entsteht durch Sturz auf die flache
auf die Handwurzel kann eine Trapeziumfraktur entstehen. Die Hohlhand mit und ohne Druck von Gegenständen (z. B. Tennis-
Fraktur, die auch isoliert als Trümmerbruch vorkommen kann, wird schläger) auf die Hohlhand. Bei knöchernen Verletzungen des Os
26.1 · Allgemeines
653 26
hamatum werden Korpusfrakturen und Frakturen des Hamulus
ossis hamati unterschieden. Die Korpusrandfrakturen finden sich
häufig im Rahmen der Luxationen bzw. Luxationsfrakturen des 4.
und 5. Mittelhandknochens und werden nicht selten übersehen.
Isolierte Korpusfrakturen sind jedoch selten.
Die Frakturen des Hamulus entstehen durch direkte Gewalt-
einwirkung auf den Hypothenar, vor allem im Zusammenhang mit
Tennis- und Squash-Spielen. Klinisch besteht länger ein Druck-
schmerz über dem Hypothenar und gelegentlich auch eine Greif-
schwäche. In der Literatur wird auch danach ein posttraumatisches
Loge-de-Guyon-Syndrom beschrieben. Ein röntgenologischer Nach-
weis einer isolierten Hamulusfraktur ist schwierig und kann nur
in der Karpaltunnelaufnahme zur Darstellung kommen. Wir emp-
fehlen jedoch bei Verdacht auf Luxation oder Luxationsfraktur im
Bereich des Os hamatum eine Dünnschicht-Computertomografie.
Die Pseudarthrose des Hamulus ist häufig, wobei eine operative
Versorgung mit einer Schraube zu empfehlen ist. ⊡ Abb. 26.4 Fraktur des Os triquetrum (knöcherner Bandausriss). (Aus
Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Luxationsfrakturen und Luxationen der
Handwurzelreihe
Der Luxation oder Fraktur der Handwurzelknochen gehen in der sind Schwellung, Hämatomverfärbung und Bewegungsschmerzen
Regel schwere Quetsch-, Scher- und Stauchungstraumata voraus. charakteristisch. Nicht selten sind jedoch die Symptome diskret, so-
Die isolierte Luxation oder Fraktur der distalen Reihe der Hand- dass keine ärztliche Untersuchung stattfindet. Gelegentlich ist auch
wurzelknochen ist sehr selten, während Verletzungen oder Brüche bei bestehenden Beschwerden kein Frakturnachweis möglich.
an der proximalen Reihe bekannte Krankheitsbilder darstellen. Nach Anamnese und Beschreibung des Unfallhergangs bei
frischen Ereignissen wird nach möglichen früheren Verletzungen
Luxatio carpometacarpea und Vorschäden und bestandenen Beschwerden gefragt. Direktes
Diese Verrenkungen entstehen vor allem bei starken Gewalteinwir- oder indirektes Trauma, Ausmaß und Ausrichtung der Kraftein-
kungen, bei Hyperextension durch Sturz aus großer Höhe, bei Mo- wirkung sowie Stellung der Hand sind entscheidend für die Art
torrad- oder Reitunfällen und werden in der überwiegenden Zahl und die Schwere der Verletzung.
der Fälle als offene Luxationsfrakturen angetroffen. Die häufigsten Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich des Handrückens,
Luxationen oder Luxationsfrakturen in diesem Bereich sind im aber auch Schwellung und Hämatomverfärbungen werden klinisch
Sattelgelenk am 1. Mittelhandstrahl anzutreffen; sie ereignen sich festgestellt. Inspektion und Palpation liefern gute Informationen in
bei abduziertem und opponiertem Daumen beim Sturz. Isolierte Bezug auf Fraktur, Luxation oder auch Bandrupturen.
Luxationen können auch bei starker Einstauchung des Daumens
beobachtet werden, wobei der 1. Mittelhandknochen nach dorsal,
radial und zentral verschoben wird. Die Luxationen der Mittel- Klinische und bildgebende Verfahren für Frakturen und
handknochen II–V werden häufiger nach dorsal als nach palmar Luxationen der Handwurzelknochen
beobachtet. 1. Exakte Anamnese
2. Genaue klinische Untersuchung und Beurteilung
Luxatio mediocarpea 3. Bildgebende Diagnostik
Diese Luxationen erfolgen zwischen der proximalen und distalen a) Röntgenaufnahmen des Handgelenks und der Hand-
Handwurzelreihe und sind selten. Häufiger wird die Luxation mit wurzelknochen in drei Ebenen, bzw. zwei Ebenen
Kombinationsfrakturen der Handwurzelknochen vor allem der (d. p./lateral) und spezielle Zielaufnahmen, evtl. exakt
proximalen Reihe in Form einer dorsalen, palmaren oder radialen seitlich
Verschiebung beobachtet. b) CT-Dünnschichtaufnahmen
c) Arthro-MRT
Luxatio radiocarpea d) Szintigrafie
Die Verrenkungen kommen beim Sturz auf die stark dorsal flek- 4. Arthroskopie je nach Erfordernis
tierte Hand, aber auch bei Luxationsfrakturen mit Abscherung der
dorsalen und palmaren Anteile des distalen Radius zustande. Eine
reine Luxation im Radiokarpalgelenk ist jedoch selten. Dagegen spielen sonografische Untersuchungen hierbei keine ent-
scheidende Rolle mehr.

26.1.4 Diagnostik > Bei unzureichenden diagnostischen Hilfsmitteln, aber vor


allem bei mehrfach verletzten Patienten können die Luxatio-
Symptome und klinische Diagnostik (kombinierte nen im Handwurzelbereich übersehen werden.
Luxationsfrakturen) Die Symptomatik und Diagnostik bei einer Fraktur des Os triquet-
Anamnese und Unfallhergang sind hier sehr wesentlich. Die Be- rum bestehen in Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich des
schwerden können akut direkt nach dem Unfall auftreten und Handrückens, aber auch Schwellung und Hämatomverfärbungen
zeichnen sich vor allem durch den Druckschmerz über der Tabatie- werden klinisch festgestellt. Röntgenologisch werden auf der seitli-
re oder an der Radialseite des Handgelenks aus. Im akuten Stadium chen Aufnahme kleinere Ausrissfrakturen sichtbar (⊡ Abb. 26.4).
654 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26

a b c d e

⊡ Abb. 26.5 Fraktur des Os pisiforme. a Röntgenbild präoperativ: d. p. Strahlengang, b Röntgenbild präoperativ: Zielaufnahme, c Röntgenbild postoperativ:
d. p. Strahlengang, d Röntgenbild postoperativ: lateraler Strahlengang, e Röntgenbild postoperativ: Zielaufnahme

Symptomatik und Diagnostik bei einer Fraktur des Os lunatum


entsprechen dem Beschwerdebild ähnlich wie beim Os triquetrum,
wobei der röntgenologische Nachweis einer Fraktur selten gelingt.
Symptome und Diagnose der Fraktur des Os pisiforme beste-
hen in isolierten Schmerzen direkt an der palmaren Seite ulnar
nach Sturz auf die Handfläche mehr ulnarseitig sowie gelegentlich
Krepitation und Beschwerden bei der dorsalen Flexion durch den
Zug am M. flexor carpi ulnaris. Eine Irritation des R. profun-
dus Nn. ulnaris ist jedoch selten. Röntgenologisch können Quer-,
Längs- und Mehrfachfrakturen am kleinen Os pisiforme festgestellt
werden. Zur exakten Darstellung sind Spezialvergrößerungsauf-
nahmen erforderlich (⊡ Abb. 26.5).
Hinsichtlich der Symptomatik und Diagnose der Fraktur des Os
trapezium sind bei frischen Fällen eine schmerzhafte Bewegungs-
a b
einschränkung, extreme Schwellungen und Hämatomverfärbung
möglich. Die Beschwerden werden vor allem bei der Bewegung des
Daumens in der Tabatière angegeben. Die Greiffunktion ist allge-
mein stark behindert. Röntgenologisch wird man kleine knöcherne
Ausrisse bis zu völligen Trümmerfrakturen feststellen (⊡ Abb. 26.6).
Die Symptome und Diagnostik bei Fraktur des Os trapezoideum
sind Schwellung, Druckschmerzen und Hämatomverfärbung über
dem Handrücken, wobei die Diagnose röntgenologisch gestellt wird.
Bei der Symptomatik einer Fraktur des Os hamatum handelt
es sich um allgemeine Beschwerden im Bereich der Hand, wobei
kein eindeutiger Hinweis auf einen speziellen Handwurzelknochen
gegeben werden kann. Allgemeine Beschwerden, Kraftminderung
und Druckschmerzen im Bereich der Hohlhand können zusammen
mit der Anamnese Hinweise auf eine Fraktur geben. Diagnostisch
kann die Fraktur des Hamatumkörpers relativ leicht festgestellt wer-
den, wobei der radiologische Nachweis der Fraktur Hamulus ossis c d
hamati nur durch Spezialvergrößerungsaufnahmen oder Karpaltun-
nelaufnahmen möglich ist. Oft werden diese Frakturen erst im Pseu- ⊡ Abb. 26.6 Fraktur des Os trapezium. a Röntgenbefund präoperativ: d. p.
darthrosenstadium nach exakter Untersuchung erkannt. Normale Strahlengang, b Röntgenbefund präoperativ: schräger Strahlengang, c Rönt-
Röntgenaufnahmen können die Frakturen des Hamulus ossis hamati genbefund postoperativ: d. p. Strahlengang, d Röntgenbefund postoperativ:
nicht zur Darstellung bringen. Bei Verdacht auf Hamatumfraktur schräger Strahlengang
oder Fraktur des Hamulus ossis hamati bzw. Druckschmerzen auf
der Beugeseite ulnar am Karpus muss immer zum Ausschluss einer
Fraktur ein Dünnschicht-CT des Karpus durchgeführt werden. tur sehr schwer zu diagnostizieren ist. Eine Fraktur des Hamatum-
Die Fraktur des Os hamatum wird selten im frischen Stadium körpers ist jedoch selten.
diagnostiziert. Oft wird das Hamulus ossis hamati an der Basis Bei Frakturen im Bereich des Os capitatum entstehen Schwel-
frakturiert, wobei auf der Röntgenübersichtsaufnahme eine Frak- lung und Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der Handwurzelkno-
26.1 · Allgemeines
655 26

⊡ Abb. 26.7 Frakturen von Skaphoid, Kapitatum, Triquetrum und Radius

chen mehr in der Mitte, wobei bei Luxationsfrakturen Schwellun-


gen und Beschwerden die exakte Röntgenuntersuchung notwendig
machen. Die Diagnose einer Fraktur des Os capitatum wird dann
röntgenologisch gestellt.
Schwere Krafteinwirkung auf das Handgelenk führt nicht sel-
⊡ Abb. 26.8 AO-Klassifikation der Frakturen der Handwurzelknochen. (Aus
ten zu Kapselbandzerreißungen vor allem palmar mit massiven
Schmit-Neuerburg et al. 2001)
Verrenkungen und Frakturen (⊡ Abb. 26.7).

Bildgebende Diagnostik bei karpalen Frakturen


Bei Verdacht auf Luxationen oder Frakturen im Bereich des Kar-
pus wird immer eine Röntgenuntersuchung des Handgelenks und Luxationsfrakturen und Luxationen der
der Handwurzelknochen in drei Ebenen erforderlich. Je nach Be- Handwurzelknochen
fundung dieser Röntgenaufnahmen und klinischer Symptoma- Für Luxationsfrakturen und Luxationen sind ebenfalls zahlreiche
tik und Untersuchung können spezielle Röntgenaufnahmen wie Klassifikationen beschrieben worden. Man unterscheidet:
Kahnbeinzielaufnahmen oder Stecheraufnahmen angefertigt wer- ▬ transversale oder horizontale Luxationen und Luxationsfrak-
den. Von außerordentlicher Bedeutung ist die Durchführung der turen (⊡ Abb. 26.9),
CT-Dünnschichtaufnahmen und je nach Bandverletzung Arthro- ▬ longitudinale oder axiale Luxationen und Luxationsfrakturen
MRT-Untersuchungen. Beide Untersuchungsverfahren dienen der (⊡ Abb. 26.10) und
Diagnostik der Kapsel-Band-Verletzungen, knöcherner Ausrisse, ▬ Kombination von beiden.
Frakturen und Luxationen. Das CT stellt die genauen knöchernen
Strukturen dar, während das MRT eine höhere Sensitivität für die Für die Beschreibung der karpalen Instabilität stehen ebenfalls
Darstellung und Erkennung der Kapsel-Band-Strukturen bietet. mehrere Klassifikationen zur Verfügung. Bei uns hat sich die Klas-
sifikation der MAYO Clinic bewährt ( Kap. 29).

26.1.5 Klassifikation
26.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie
Frakturen der Handwurzelknochen
Für die Frakturen des Skaphoids wird meist die Klassifikation nach Bei vielen offenen Verletzungen im Bereich der Hand können
Herbert angewandt ( Abschn. 28.1.5). Eine weitere Klassifikation Luxationen von einem oder mehreren Handwurzelknochen fest-
der Kahnbeinfraktur ist die der Arbeitsgemeinschaft Osteosynthe- gestellt werden. Es handelt sich oft um komplexe Verletzungen,
se (AO), die sowohl für das Kahnbein als auch für andere karpale die nicht nur das Handskelett betreffen, sondern auch vielfach die
Knochen angewandt werden kann. Bei allen karpalen Knochen Weichteile in Form von Sehnen-, Nerven- und Gefäßverletzungen
können folgende Frakturen unterschieden werden (⊡ Abb. 26.8; mit einbeziehen. Nicht selten sind die luxierten Handwurzelkno-
s. auch  Kap. 28): chen dann gegeneinander so verschoben und verhakt, dass auch
▬ A: Abriss, Abscherfrakturen, eine offene Reposition mühsam wird.
▬ B: Frakturen quer, schräg oder parallel zur Unterarmlängsachse, In der Literatur wird über Luxationen oder Luxationsfrakturen
▬ C: Mehrfragment- und Trümmerfrakturen. im Bereich des Os pisiforme, triquetrum, trapezium und trape-
656 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26

a b c

⊡ Abb. 26.9 Transversale oder horizontale Luxationen und Luxationsfrakturen. a Luxatio radiocarpea, b Luxatio mediocarpea, c Luxatio carpometacarpea.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

⊡ Abb. 26.10 Longitudinale oder axiale Luxati-


onen und Luxationsfrakturen. a Radiale Formen,
b ulnare Formen b

zoideum berichtet, wobei für die gute Reposition der Luxationen Eine sehr seltene Verletzung bildet die traumatische Spalthand,
immer eine operative Intervention benötigt wird. die eine Trennung der Hand in der Längsachse bis zu den Hand-
Ebenso werden Luxationen im Bereich des Os capitatum und wurzelknochen darstellt. Nach erfolgter Reposition der Handwur-
Os hamatum vereinzelt in der Literatur beschrieben. Diese ge- zelknochen, konservativ wie operativ, sollte eine Ruhigstellung
hen oft mit weiteren Frakturen oder Luxationen im benachbarten in einem geschlossenen Unterarmgips für insgesamt 6 Wochen
Handwurzelknochen einher. erfolgen. Dabei sollen die Fingergelenke zur Bewegung freigelassen
26.1 · Allgemeines
657 26
werden. Die Ruhigstellung kann zweckmäßigerweise durch Kunst- Fraktur des Os triquetrum
stoffverbände erfolgen, wodurch dann während des gesamten Heil- Die Durchblutung des Os triquetrum ist aufgrund der zahlreichen
verlaufs Röntgenkontrollen erfolgen können. palmaren, dorsalen, aber auch ulnaren Kapsel-Band-Ansätze sehr
Um eine genaue Indikation für die konservative oder operative gut. Die Frakturen heilen deshalb i. Allg. folgenlos aus. Die Be-
Therapie zu treffen, empfiehlt sich nach Nativröntgenaufnahme handlung der Frakturen oder knöchernen Ausrisse des Os triquet-
der Handwurzelknochen in 3 Ebenen unter Einbeziehung der rum besteht in einer 3- bis 4-wöchigen Ruhigstellung des Handge-
Nachbargelenke (karpometakarpal und radiokarpal) eine compu- lenks in einem zunächst gespaltenen Zirkulärgips am Unterarm,
tertomografische Untersuchung anzuschließen, um eine Luxation der nach Abschwellung durch einen geschlossenen Unterarmgips
oder Luxationsfraktur genauer darzustellen. Spezialröntgenaufnah- für 3–4 Wochen ersetzt wird. Die meisten Instabilitäten kommen
men wie Karpaltunnelaufnahmen können Frakturen in einzelnen durch Luxationen zwischen Lunatum und Triquetrum und nicht
Handwurzelknochen zur Darstellung bringen. Wir empfehlen bei verheilte ligamentäre Anteile zustande.
allen Luxationen eine offene Reposition und je nach Möglich-
keit Bandnaht und temporäre Fixation mit Kirschner-Drähten, Fraktur des Os pisiforme
sowie eine Schienenruhigstellung für 6 Wochen (s. unten). Die Grundsätzlich hat die konservative Therapie den Vorrang. Dabei
Entscheidung über eine konservative oder operative Therapie muss wird der Arm in einer Unterarmgipsschiene ruhiggestellt, wobei bei
im Einzelfall und individuell getroffen werden, wobei die Gefahr bestehenden Beschwerden eine Dauer von 4 Wochen als Minimum
der Pseudarthrose und Nekrose bei konservative Therapie, aber angesehen werden muss. Bei fortbestehenden Beschwerden muss
auch die Komplikation der Operation in Betracht gezogen werden die Dauer der Ruhigstellung bis zu 8 Wochen verlängert oder die
muss. Indikation zur Operation überprüft werden. Eine Arthrose kann bei
Nichtbehandlung oder Subluxation des Os pisiforme entstehen.

26.1.7 Therapie Fraktur des Os trapezium


Die Therapie wird von Frakturform und Schweregrad der Dis-
Konservative und operative Therapie der Frakturen lokation bestimmt. Bei unverschobenen Frakturen wird man die
und Luxationen der Handwurzelknochen (außer konservative Behandlung mit Ruhigstellung in einem Gipsverband
Skaphoid) unter Einschluss des Daumens für 6 Wochen wählen.
Fraktur des Os lunatum
Isolierte, kleinere knöcherne Ausrisse werden konservativ durch Ru- Fraktur des Os trapezoideum
higstellung des Handgelenks in einem geschlossenen Unterarmgips Die Therapie besteht bis auf schwere Luxationen und Luxations-
für 4–6 Wochen versorgt. Bei kleinen knöchernen Ausrissen ist eine frakturen in einer konservativen Behandlung durch Ruhigstellung
geschlossene Reposition oder Retention nicht notwendig. Die kli- in einem Gipsverband für 6 Wochen.
nische Überprüfung zeigt einen dorsalen Druckschmerz über dem
Handwurzelknochen in der Nähe des Lister-Tuberkels. Die Fraktur Fraktur des Os capitatum
des Lunatums liegt häufig zwischen dem mittleren Drittel und dem In Fällen, in denen das Kapitatum keine große Dislokation zeigt, ist
dorsalen oder palmaren Drittel. Frakturen des Lunatums können die Ruhigstellung in einem Unterarmgips für insgesamt 6 Wochen
den dorsalen oder palmaren Teil betreffen oder auch äußere Ecken angezeigt. Auch hier kommt je nach Fraktur und Dislokation eine
des Lunatums. Rotationssubluxationen des Lunatums können ein karpometakarpale Arthrodese oder interkarpale Arthrodese in Frage.
Fehlverheilen oder Nichtverheilen des Lunatums verursachen. Das
Nichtanheilen der Lunatumfraktur führt zu radiokarpaler Arthrose, Fraktur des Os hamatum
Lunatumnekrose und gelegentlich zu einem Karpaltunnelsyndrom. Bei der Diagnose im frischen Stadium wird vor allem bei Frakturen
Eine Avulsion im Bereich der Handwurzelknochen kann zu einer im Hamatumkörper eine Ruhigstellung auf einem geschlossenen
radiolunotriquetralen, lunotriquetralen oder skapholunären Ver- Unterarmgips für 6 Wochen notwendig sein.
letzung führen. Bei einer Dislokation von mehr als 1 mm ist die Die Einteilung der Hamatumfrakturen nach Cain zeigt die
Indikation zur offenen Versorgung gegeben. häufige Verbindung der Hamatumfraktur mit Luxation oder Luxati-

Typ IA Typ IB
N-1 N-10

Typ II Typ III ⊡ Abb. 26.11 Schema der Einteilung der


N-2 N-4 Os-hamatum-Frakturen nach James Cain
658 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

onsfrakturen der karpometakarpalen Gelenke. Gelegentlich ist auch Quetschung der Hand und bei mehrfach Verletzten vor. Aufgrund
eine Fraktur des 4. oder 5. Mittelhandknochens damit verbunden. der Beteiligung mehrerer Knochen und Weichteilstrukturen ist
immer eine operative Intervention angezeigt, wobei die stabile Os-
Konservative und operative Therapie der Luxationen teosynthese, wo immer möglich, bevorzugt angewandt werden soll.
26 der Handwurzelknochen Insgesamt stellen die Luxationsfrakturen der Handwurzelknochen
Die Luxationen der Handwurzelknochen entstehen durch Kapsel- eine schwere Verletzung dar, deren Erkennung für den Ungeübten
Band-Zerreißungen zwischen Radius und Ulna einerseits und den Schwierigkeiten bereiten kann. Umso wichtiger ist jedoch die pri-
karpalen Knochen andererseits, aber auch durch Zerreißen des in- märe Erkennung und adäquate Behandlung, damit in einem oh-
trinsischen Bandapparates, nämlich der ligamentären Verbindun- nehin schwer beschädigten Gelenk eine mindestens ausreichende
gen zwischen den einzelnen Handwurzelknochen. Je nach Schwere Beweglichkeit erhalten werden kann.
der Krafteinwirkung entstehen isolierte Bandverletzungen oder
auch Subluxationen bzw. Luxationen der Handwurzelknochen. Da-
raus folgt eine Instabilität im Bereich der Handwurzelknochen mit 26.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
oder ohne Luxation.
Wir sind der Auffassung, dass im frischen Stadium die Kapsel- Annelie Weinberg
Band-Zerreißungen auch ohne Luxation des Handwurzelknochens
offen rekonstruiert und genäht werden sollte und die karpalen Chirurgisch relevante Anatomie
Knochen vorübergehend durch Kirschner-Drähte fixiert werden Ossifikationskerne, Zeitpunkt des Fugenschlusses. Das
sollten (temporäre Arthrodese der karpalen Knochen). Die fri- menschliche Handgelenk entsteht zunächst aus einer einzigen knor-
schen und veralteten Kapsel-Band-Rekonstruktionen werden aus- peligen Struktur, die sich dann ab der 10. SSW in 8 eigene Entitäten
führlich in  Kap. 29 behandelt. mit definierbarer interkarpaler Separation gliedert. Daneben lassen
Eine Besonderheit bildet die perilunäre Luxation mit Skapho- sich kleinere Veränderungen der Kontur beobachten, die den spä-
idfraktur, die sog. de Quervain’sche Luxationsfraktur. Es kommt zu teren reifen Karpalknochen in ihrer individuellen Ausprägung äh-
Kapsel-Band-Ausrissen des Mondbeins zusammen mit Fraktur des neln. Die Karpalknochen ossifizieren in einer vorhersagbaren Form
Kahnbeins. Die Reposition des Mondbeins im frischen Stadium er- mit nur geringen Abweichungen. Das Os capitatum weist bis zum
folgt mühelos, wobei durch Extension und Gegenzug am Unterarm 6. Monat kein Ossifikationszentrum auf. Ist bis zum 1. Jahr noch
und an den Fingern die Reposition des Mondbeins leicht gelingt. keine Ossifikation vorhanden, so kann dies ein Hinweis auf eine an-
Wenn auch die Einrichtung des Lunatums gut möglich ist, sind wir geborene Anomalie sein. Das Os hamatum ähnelt röntgenologisch
der Meinung, dass bei der Schwere der Verletzung, wie sie bei der de dem Os capitatum im 4. Monat. Das Ossifikationszentrum des Os
Quervain-Luxationsfraktur der Fall ist, eine absolute Indikation zur triquetrum erscheint während des 2. Lebensjahres und ist im 3. Le-
Operation besteht. Nach Erfahrungen von Jahna (1965) und Wagner bensjahr bei fast allen Kindern vorhanden. Die Ossifikation des Os
(1956) führt die konservative Therapie solcher Verletzungen, selbst lunatum beginnt um das 4. Lebensjahr, die des Os scaphoideum
bei sofortiger Reposition, zu 50% und bei verzögerter Reposition zu um das 5. Lebensjahr. Die Tatsache, dass die Verknöcherung des
100%, zu Pseudarthrosen oder Nekrosen des Kahnbeins (s. oben). Skaphoids von distal beginnend nach proximal fortschreitet, findet
Nach offener Reposition und Schraubenosteosynthese des Kahn- sich in zahlreichen pathologischen Vorgängen wieder. Sowohl das
beins kann dann zur Vermeidung einer Reluxation des Mondbeins Trapezium als auch das Trapezoideum weisen im 5. Lebensjahr ra-
nach Bandnaht die temporäre Arthrodese mit einem transartikulär diologisch Ossifikationszentren auf, wobei das des Trapezoids etwas
angelegten Kirschner-Draht im Handgelenk und eine Ruhigstellung verzögert erscheinen kann. Die Ossifikation endet mit der Verknö-
im Gipsverband erfolgen. Die operative Bandversorgung erfolgt von cherung des Os pisiforme im 9.–10. Lebensjahr. Die Ossifikation
palmar, wobei von einer zusätzlichen Verletzung der noch intakten verläuft von einem definierten Zentrum aus in einer festgelegten
Bänder unbedingt Abstand genommen werden muss, damit die Form. Skaphoid, Trapezoid, Lunatum, Trapezium und Pisiforme
bestehende Durchblutung nicht unnötig gestört wird. Falls not- können multiple Ossifikaztionszentren aufweisen (⊡ Abb. 26.12).
wendig kann auch von palmarer Seite der das Mondbein fixierende
! Cave
Kirschner-Draht von radial her angebracht werden. Obwohl diese Variationen bekannt sind, können sie bei Be-
Die Schraubenosteosynthese des Kahnbeins erfolgt von einem trachtung von frischen Frakturen im Röntgenbild zu Fehldia-
dorsalen Schnitt her, wie bereits beschrieben ( Kap. 27). gnosen führen. Darüber hinaus kann das bis zum 15. Lebens-
Bei nachuntersuchten Versicherten mit Quervain-Luxations- jahr noch nicht ausgereifte Skaphoid eine vergrößerte Lücke
fraktur bezogen ca. 15% der Patienten eine Dauerrente (Jahna 1965). zum Lunatum hin vortäuschen und im Sinn einer skapholu-
Dies zeigt das Ausmaß der Schädigung bei der Schwere der Verlet- nären Bandverletzung fehlinterpretiert werden.
zung. Weiterhin werden selten Frakturen zusammen mit perilunären
Luxationen festgestellt. Die in der Literatur bekannten Verletzungen
sind transskaphoideotranskapitato perilunäre Luxationsfrakturen, 2
transskaphoideotranskapitatotranstriquetro perilunäre Luxations- 1 6

frakturen, Subluxationen des Kahnbeins mit Mondbeinbruch sowie


6
traumatische Spalthand durch Längsspaltung zwischen der 2. und 3 5
3. Mittelhand und Kapitatum und Trapezium oder zwischen 3. und 12
4. Mittelhand und Kapitatum und Hamatum ( Kap. 28).
4
Kombinierte Luxationsfrakturen der
karpometakarpalen Knochen
Die kombinierten Luxationsfrakturen der Karpometakarpalgelen- ⊡ Abb. 26.12 Zeitspirale als Faustregel der Verknöcherung der Handwurzel-
ke (CMC) und der karpalen Knochen kommen u. a. nach schwerer knochen in Jahren
26.2 · Spezielle Techniken
659 26
Therapie sich in der MRT eine Fraktur, so kann immer noch eine CT durch-
Triquetrum geführt werden, falls dies notwendig erscheint (⊡ Abb. 26.13).
Frakturen des Os triquetrum treten häufig in Kombination mit Eine spezifische Klassifikation hat sich nicht bewährt, da diese
anderen Verletzungen im Bereich des Handskeletts auf. Der Al- Frakturen im Kindesalter zu selten sind.
tersgipfel dieser Fraktur liegt zwischen dem 11. und 13. Lebens- Liegt nur eine geringe oder keine Dislokation vor, so genügt die
jahr. Zumeist reicht die konservative Behandlung mit kurzzeitiger 3- bis 4-wöchige Immobilisation. Kommt es jedoch zu signifikan-
Immobilisation für 2–3 Wochen im Unterarmgips oder in einer ten Dislokationen des proximalen Pols, ist eine offene Reposition
palmaren Unterarmschiene aus. In diesen Fällen ist eine frühzeiti- mit oder ohne anschließende Fixation indiziert. Zu den beobach-
ge Mobilisation wünschenswert. Die sportliche Aktivität sollte aber teten Komplikationen zählen auch ischämische Nekrosen sowie
erst bei absoluter Schmerzfreiheit wieder aufgenommen werden. Pseudarthrosen.

Lunatum  Kap. 28 Nachkontrollen


Pisiforme Nach 4 Wochen erfolgt die radiologische und klinische Kontrolle
Die eher bei Erwachsenen auftretenden Frakturen des Os pisifor- der Fraktur. Bei freier Beweglichkeit kann mit sportlicher Aktivität
me werden im Kindesalter symptomatisch behandelt. Auch hier begonnen werden.
liegt häufig eine Kombination mit anderen Frakturen vor.
Hamatum
Trapezium Die seltenen Hamatumfrakturen treten typischerweise im Rah-
Die außerordentlich seltenen Frakturen des Os trapezium werden men von Sportarten mit Schlägereinsatz kurz vor der Skelettreife
durch direkte palmare Traumen oder Hyperextensionsverletzun- auf. Initial sollte eine geschlossene Behandlung angestrebt wer-
gen hervorgerufen. Immobilisation und symptomatische Therapie den. Letztendlich fehlen aber detaillierte Berichte bezüglich dieser
sind im Normalfall ausreichend. Eine Ruhigstellung im Unterarm- Frakturen in der Literatur. Aufgrund der Erfahrungen erscheint
gips mit Daumeneinschluss ist für 3–4 Wochen empfehlenswert. eine Immobilisation im geschlossenen Unterarmgips für 4 Wochen
Anschließend Mobilisation und langsamer Belastungsaufbau. empfehlenswert. Mit der sportlichen Betätigung sollte erst bei un-
eingeschränkter Funktion und Schmerzfreiheit begonnen werden.
Kapitatum
Isolierte Frakturen des Kapitatums sind sehr selten und weisen
zumeist auf Hochrasanztraumen (»High-Energy-Traumen«) hin 26.2 Spezielle Techniken
(Mazur et al. 1995). Typische Unfallmechanismen sind neben der
Hyperdorsalflexion vor allem die direkte Kompression, wobei das 26.2.1 Technik der operativen Versorgung
Skaphoid häufig mit betroffen ist. des Os triquetrum
Die radiologische Beurteilung kann teilweise eine Herausfor-
derung darstellen, da das Kapitatum um 180° rotieren und damit Bei offenen Verletzungen oder größeren Fragmentbrüchen ist die
besonders bei Aufnahmen des noch unreifen Skeletts ein verwir- Indikation zur Schraubenosteosynthese mit Kleinfragmentinstru-
rendes Bild ergeben kann. Besteht der Verdacht, so ist eine MRT menten (1,5–2 mm) gegeben. In seltenen Fällen ist die Resektion
hilfreich und nicht strahlenbelastend. Da diese Frakturen selten der schmerzhaften, nicht angeheilten kleineren Abrissfraktur dorsal
disloziert sind, ist die CT zweite Wahl, auch wenn Knochenstruk- am Handgelenk erforderlich. Eine Pseudarthrose der Triquetrum-
turen und vor allem Stufen nur hiermit zu erkennen sind. Bestätigt korpusfraktur ist jedoch selten. Durch eine dorsale Schnittführung
über dem Triquetrum kann die Fraktur dargestellt und durch eine
2,0-mm-Schraube stabilisiert werden. Bei knöchernen ligamentä-
ren Ausrissen können Mitek-Anker eingesetzt werden. Bei nicht
verheilten Bandausrissen und Instabilitäten kommt auch eine Ar-
throdese zwischen Lunatum und Triquetrum in Frage ( Kap. 29).

26.2.2 Technik der operativen Versorgung


des Os lunatum

Bei größeren Diastasen der Fragmente wird man sich zu einer


operativen Intervention, Resektion des kleinen Fragments und
Reinsertion des Kapsel-Band-Anteils, vor allem des SL-Bandes,
entschließen müssen, will man nicht eine Instabilität oder gar
eine Mondbeinnekrose heraufbeschwören. Bei größeren knöcher-
nen Ausrissen des Mondbeines kann die Stabilisierung des Frag-
ments nach eigener Beobachtung durch eine 1,5-mm-Schraube
mit versenktem Kopf oder eine 1,3-mm-Schraube mit Doppel-
gewinde im Knochen gute Ergebnisse bringen. Unerkannte und
a b nicht behandelte Lunatumfrakturen werden für die Entstehung
der Mondbeinnekrose (Kienböck-Erkrankung) verantwortlich ge-
⊡ Abb. 26.13 Fraktur des Os capitatum beim Kind. a Röntgenbild am macht (⊡ Abb. 26.14). Nach Reposition der Luxation oder Fraktur
Unfalltag, b Röntgenbefund nach 6-wöchiger Ruhigstellung (Ausheilung). bei Fortbestehen einer pathologischen Diastase von mehr als 1 mm
(Aus Weinberg u. Tscherne 2006) ist die Indikation zur offenen Reposition und Behandlung gegeben.
660 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26.2.4 Technik der operativen Versorgung


des Os trapezium

Bei Längs- und Trümmerfrakturen, aber auch großen knöchernen


26 Bandausrissen wird eine operative Intervention in Form einer Wie-
derherstellung der Gelenkfläche mit stabiler Osteosynthese durch
Kleinfragmentschrauben oder auch Adaptationsosteosynthesen
zusammen mit äußerer Gipsfixation bevorzugt werden. Falls die
Adaptationsosteosynthese mit Kirschner-Drähten und äußerer Fi-
xierung durch einen Gipsverband mit Einschluss des Daumens
vorgenommen wird, ist eine Ruhigstellung für 6 Wochen erforder-
lich. Eine stabile Osteosynthese bedarf keiner zusätzlichen äußeren
Fixation. Als Zugang wird ein L-förmiger Schnitt radiopalmar an
der Basis des 1. Mittelhandknochens bis zur Handgelenkbeugefalte
a
direkt über dem Trapezium verwendet. Dabei werden der sensible
Ast des N. radialis und die Sehne der Mm. extensor pollicis brevis
und abductor pollicis longus dargestellt und zur Seite gehalten. Die
Sehne des Extensor pollicis longus wird ulnarwärts gehalten und
so die Gelenkkapsel dargestellt und eröffnet. Die Gelenkkapsel
kann quer eröffnet werden. Nach Reposition der Fraktur kann nun
die Osteosynthese erfolgen, wobei je nach Möglichkeit die stabile
Schraubenosteosynthese bevorzugt werden sollte (⊡ Abb. 26.6).
Häufig tritt jedoch eine knöcherne Bandläsion im Bereich des
Daumensattelgelenks auf, wobei das Os trapezium mit verletzt ist.
Bei größeren Fragmenten müssen diese mit Schraubenosteosyn-
these nach exakter Wiederherstellung der Gelenkfläche des Os
trapezium versorgt werden. Durch einen bogenförmigen Schnitt
b
radiopalmar um das Sattelgelenk kann sowohl die Basis des ers-
ten Mittelhandknochens als auch das Os trapezium dargestellt
⊡ Abb. 26.14 Zunehmende Nekrose nach isolierter Fraktur des Os lunatum.
werden, wobei dann jeweils die Frakturen an der Basis des ersten
a Röntgenbefund am Unfalltag, b Röntgenbefund 1 Jahr nach Unfall
Mittelhandknochens aber auch des Os trapezium versorgt werden
können. Die Dimension der Schrauben richtet sich nach der Größe
der Fragmente, wobei hier oft 1,5 mm Schrauben zur Anwendung
Hier können je nach Fraktur und Lokalisation ein bogenförmiger kommen. Die intraartikulären Frakturen können auch mit Schrau-
dorsaler oder palmarer Schnitt das Os lunatum und die Frak- ben mit Doppelgewinde eingesetzt werden. Die Gewinde werden
tur darstellen. Je nach Fragmentgröße kommt hier eine 1,5-mm- subchondral gelagert (⊡ Abb. 26.15).
Schraube mit Doppelgewinde, die subchondral versenkt wird, in
Frage. Bei kleineren knöchernen Bandausrissen können Mitek-
Anker zur Kapsel-Band-Naht zusammen mit einer temporären Ar- 26.2.5 Technik der operativen Versorgung
throdese mit Kirschner-Drähten zwischen Lunatum und Skaphoid des Os trapezoideum
oder Triquetrum und Lunatum zum Einsatz kommen.
Bei schweren Luxationen und Frakturen muss offen reponiert und
durch Osteosynthese stabilisiert werden. Auch bei Trümmerbrü-
26.2.3 Technik der operativen Versorgung chen mit Luxation kommt eine karpometakarpale Arthrodese in
des Os pisiforme Frage.

Bei Fortbestehen der Beschwerden und vorhandener Diastase ist


eine Schraubenosteosynthese mit Kleinfragmentinstrumentarium 26.2.6 Technik der operativen Versorgung
oder Resektion des Os pisiforme vor allem bei Trümmerfrakturen des Os capitatum
angezeigt. Gewöhnlich werden die Patienten nach kurzer Ruhig-
stellungszeit beschwerdefrei, ohne dass röntgenologisch eine Kon- Bei Luxationsfrakturen oder Frakturen des Os capitatum ist immer
solidierung der Fraktur festgestellt werden kann. Eine Arthrose eine offene Reposition und Fixierung angezeigt. Bei einer offenen
zwischen dem Os triquetrum und dem Os pisiforme verursacht Reposition kann die Stabilisierung des Kapitatums durch 1,5- bis
u. U. starke Beschwerden, sodass eine Exstirpation des Os pisifor- 2-mm-Schrauben, Schrauben mit Doppelgewinde oder gelegent-
me vor allem bei einer vorausgegangenen Fraktur angezeigt ist. Der lich durch Arthrodese mit dem Nachbarknochen erfolgen. Diese
Zugang ist ulnopalmar, radialseitig vom Os pisiforme. Methoden der operativen Behandlung zeigen gute Ergebnisse bei
Auf den Verlauf des N. ulnaris bei der Verletzung oder auch Frakturen oder Luxationsfrakturen.
bei der Operation muss geachtet werden, um eine Läsion auszu- Falls keine stabile Osteosynthese angewandt werden kann, ist
schließen bzw. keine Verletzung bei der Operation zu verursachen. die Ruhigstellung trotz Adaptationsosteosynthese mit Kirschner-
Zur Stabilisierung kommt eine 1,3- bis 1,5-mm-Schraube, die nach Drähten für 6 Wochen in einem Unterarmgips angezeigt.
Möglichkeit im Sinne einer Zugschraube eingesetzt werden soll, in Die Operation erfolgt durch einen bogenförmigen dorsalen
Frage (⊡ Abb. 26.5). Schnitt, proximal des 3. Mittelhandknochens, wobei die Sehnen
26.2 · Spezielle Techniken
661 26

a b c d

⊡ Abb. 26.15 Kombinationsverletzung einer Bennett-Fraktur und Os-trapezium-Fraktur sowie der Osteosynthese mit interfragmentären 1,5-mm-Zugschrau-
ben und zusätzlichem Kirschner-Draht. a CT-Schnittbild präoperativ, b Röntgenbild postoperativ: d. p. Strahlengang, c Röntgenbild postoperativ: schräger
Strahlengang, d Röntgenbild postoperativ: lateraler Strahlengang

a c

⊡ Abb. 26.16 Verzögerte Heilung/Pseudarthrose Os capitatum. a Röntgenbefund präoperativ mit Nachweis einer Kapitatumfraktur, b CT-Befund präoperativ,
c Röntgenbefund postoperativ: Osteosynthese des Os capitatum und Arthrodese des CMC-III-Gelenks unter Implantation von autologer Spongiosa

und Nerven geschont werden müssen. Nach Eröffnung der dor- ren. Ältere Luxationsfrakturen in diesem Bereich können längere
salen Gelenkkapsel kann die Kapitatumfraktur dargestellt werden. Beschwerden und Kraftminderung verursachen. In diesen Fällen
Die Versorgung erfolgt mit einer 1,5- oder 2,0-mm-Schraube. ist auch eine Arthrodese mit dem 3. Mittelhandknochen mit einer
Gelegentlich ist es jedoch erforderlich, eine Arthrodese mit dem Platte sowie autologe Spongiosaplastik unter Resektion des karpo-
Nachbarknochen zur Stabilisierung des Kapitatums durchzufüh- metakarpalen Knochens erforderlich (⊡ Abb. 26.16).
662 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26.2.7 Technik der operativen Versorgung 26.2.8 Technik der operativen Versorgung der
des Os hamatum Quervain-Luxationsfraktur (Fraktur des
Skaphoids, perilunäre Luxation)  Kap. 28
Bei Frakturen im Bereich des Hamulus ossis hamati oder Luxati-
26 onsfraktur mit Bandrissen, die sehr häufig mit einer Luxation des 26.2.9 Skaphoidluxation und Technik der
karpometakarpalen Knochens verbunden ist, muss eine offene Versorgung
Reposition und stabile Osteosynthese mit einer Kleinfragmentos-
teosynthese und Reposition der Luxation und Stabilisierung der Eine isolierte, vor allem geschlossene Luxation oder Subluxation
Luxation durch Bandnaht und temporäre Fixation mit Kirschner- des Kahnbeins ist sehr selten, wird jedoch häufiger angetroffen,
Draht (⊡ Abb. 26.17) durchgeführt werden. Bei Verwendung der als in der Literatur angegeben. Nach Zerreißung der Ligamente,
Verschraubung ist ein dorsaler Zugang durch einen Längsschnitt insbesondere zwischen dem Kahn- und Mondbein palmarseitig
etwa proximal der Basis des 4. und 5. Mittelhandknochens ange- kommt es zu einer Verdrehung und Subluxation bis Luxation des
zeigt (⊡ Abb. 26.18). Von hier aus wird schrittweise die Fraktur am Kahnbeins. Nach Sturz auf die dorsal flektierte Hand wird gele-
Korpus des Os hamatum oder des Hamulus ossis hamati, der sich gentlich eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich
senkrecht palmarwärts ausstreckt, dargestellt. des Handgelenks ohne röntgenologisch sichtbare Frakturen oder
Die Fixation des Hamulus ossis hamati wird durch ein Reposi- Luxationen festgestellt. Bei genauer Betrachtung wird jedoch eine
tionsmanöver mit einem gebogenen Haken im Bereich des Hamu- skapholunäre Dissoziation als Ausdruck der zerrissenen Bandver-
lus ossis hamati vorgenommen, wobei dann von dorsal der Bohr- bindung zwischen dem Kahnbein und Mondbein (Stadium I der
kanal für die Schraube einer Kleinfragmentosteosynthese angelegt perilunären Instabilität nach Mayfield et al. 1980) festgestellt. Die
wird. Trotz Osteosynthese wird eine Ruhigstellung für mindestens Diastase zwischen Skaphoid und Lunatum wird manchmal erst
3 Wochen in einem geschlossenen Unterarmgips notwendig sein bei funktionellen Röntgenaufnahmen sichtbar, wobei das Handge-
(⊡ Abb. 26.19). Auf den Verlauf des N. ulnaris in der Loge de Guy- lenk in maximaler Radial- oder Ulnarabduktion dargestellt wird.
on muss geachtet werden. Hier muss vor allem bei Verletzten im jugendlichen Alter eine

a b c d

e f g h

⊡ Abb. 26.17 a–h Luxationsfraktur des Karpometakarpale V und Fraktur der Basis des 4. Mittelhandknochens mit Luxation am Hamatum
26.2 · Spezielle Techniken
663 26
Vergleichsaufnahme von der gesunden Seite durchgeführt werden. tion oder bestehender provozierender Diastase ist die Indikation
Die Teilverrenkung des Kahnbeins ist röntgenologisch durch eine zur Operation gegeben, wobei hier eher von der palmaren Seite das
verlagerungsfreie Aufnahme des Handgelenks in voller Supination Kahnbein dargestellt und die Bandverbindung zwischen Kahnbein
darstellbar. und Mondbein wiederhergestellt werden muss. Bei älteren Fällen
Bei geschlossener Verletzung erfolgt in Narkose die Reposition ist evtl. eine Bandplastik, die eher palmar in Höhe der Handgelenk-
im Zug und Gegenzug am Unterarm und an den Fingern. Falls bei fläche angelegt werden sollte, angezeigt. Bei der operativen Ver-
guter Reposition keine Luxationstendenz mehr besteht, ist eine Ru- sorgung müssen dann die interponierten Bandanteile entfernt und
higstellung des Armes zunächst in einem gespaltenen Oberarmgips die Bänder genäht werden. Es wird ein Kirschner-Draht zwischen
und nach Abschwellung in einem geschlossenen Oberarmgips für Mondbein oder Radius und Kahnbein von radial her angebracht,
6 Wochen erforderlich. Bei Reluxationstendenz, irreponibler Luxa- um die Luxation zu verhindern. Bei veralteten Luxationen oder

a b c

⊡ Abb. 26.18 Os-hamatum-Fraktur mit karpometa-


karpaler Luxation IV und V, hier gibt insbesondere die
streng seitliche Röntgenaufnahme Aufschluss über
die Luxation, die auf der a.-p. und seitlichen Aufnah-
me übersehen werden kann. a Röntgenbild präope-
rativ: d. p. Strahlengang, b Röntgenbild präoperativ:
lateraler Strahlengang, c Röntgenbild präoperativ:
schräger Strahlengang, d CT präoperativ: sagittaler
Schnitt, e CT präoperativ: koronarer Schnitt, f Rönt-
genbild postoperativ: d. p. Strahlengang (postope-
rative Versorgung mittels zwei 2,0-mm-Schrauben,
eine mit Unterlegscheibe, um die Kompression zu er-
höhen sowie temporärer Kirschner-Draht-Arthrodese
e f g
1,2 mm zur Stabilisierung der reponierten Luxation)

⊡ Abb. 26.19 Operative Versorgung einer Hamulus-


ossis-hamati-Fraktur rechts mittels Mini-Doppel-
gewindeschraube. a Röntgenbefund postoperativ:
d. p. Strahlengang, b Röntgenbefund postoperativ:
lateraler Strahlengang, c Röntgenbefund postopera-
a b c
tiv: schräger Strahlengang
664 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

26.2.10 Lunatumluxation und Technik


der Versorgung  Kap. 28

26.2.11 Luxationen im Handwurzelbereich


26
Luxatio carpometacarpea
Die Reposition der Luxation gelingt unter kontinuierlicher Ex-
tension, wobei hier der »Mädchenfänger« eingesetzt werden
kann (⊡ Abb. 26.21). Der Druck auf die verschobenen Mittel-
handknochen kann dann die Reposition herbeiführen. Bei In-
terposition von Fragmenten oder Sehnen und Gelenkkapsel
kann eine geschlossene Reposition nicht mehr gewährleistet
sein, sodass eine offene Reposition vor allem von der dorsalen
oder dorsalen und palmaren Seite her erfolgen muss, wobei
nach typischer Schnittführung die interponierten Sehnen oder
Fragmente im Gelenk beseitigt und die Kapsel wieder genäht
werden kann. Es wird eine temporäre Fixation der reponierten
Metakarpalknochen notwendig sein. Bei knöchernen Ausrissen
ist eine exakte Wiederherstellung und Reposition der Fragmente
notwendig.
Die Ruhigstellung erfolgt im Gipsverband in neutraler Stel-
lung des Handgelenks für 6 Wochen, wobei die Grundgelenke
nach Möglichkeit in etwa 60° Beugestellung gehalten werden
sollten (Kollateralbänder der Grundgelenke). Länger bestehende
Verrenkungen in den Karpometakarpalgelenken können nur
operativ beseitig werden, wobei Kapsulotomien und Inzisionen
im Bereich der Kollateralbänder notwendig werden. Isolierte
Verrenkungen der einzelnen Mittelhandknochen in den Kar-
pometakarpalgelenken sind relativ selten. Auch Luxationsfrak-
turen in diesem Bereich können diagnostisch Schwierigkeiten
bereiten, wobei bei Fortbestehen der Beschwerden immer eine
operative Intervention notwendig wird. Gelegentlich muss auf-
grund der alten Subluxationsstellung oder Gelenkstufenbildung
nach Fraktur bei Fortbestehen der Beschwerden eine isolierte
Arthrodese des einzelnen Mittelhandknochens mit der dista-
len Karpusreihe als notwendige Maßnahme betrachtet werden.
Nicht selten wird eine alte traumatische Luxation im Bereich der
Basis des 2. oder 3. Mittelhandknochens, die eine entsprechende
Prominenz der Knochen verursacht, als Knochengeschwulst an-
gesehen. Ähnliche Veränderungen, die in der Literatur als »Car-
pe bossi« bezeichnet werden, bereiten nur selten Beschwerden.
Die Veränderungen, die auch als Exostosen imponieren, werden
sowohl an der Basis des 3. als auch am 2. Mittelhandknochen
festgestellt. Ob diese Veränderungen auf eine Subluxation im
Karpometakarpalgelenk zurückzuführen sind oder ob es sich um
verdickte Knochen aufgrund des Sehnenzuges handelt, kann auf-
grund der geringen Fallzahl jeweils nicht mit letzter Sicherheit
belegt werden.

Luxatio mediocarpea
Die Reposition erfolgt durch Längszug an den Fingern, die auch
hier durch den »Mädchenfänger« erfolgen kann. Durch Druck auf
die verschobene Handwurzelreihe gelingt dann die Reposition,
⊡ Abb. 26.20 Subluxation des Os scaphoideum. a Röntgenbild präoperativ, wobei eine Ruhigstellung in einem Unterarmgips für insgesamt
b intraoperativer Aspekt, c Röntgenbild postoperativ 4–6 Wochen angezeigt ist. Bei Instabilität nach der Reposition oder
weiterbestehender Subluxationstendenz ist die offene Reposition
und Naht der Bänder von der dorsalen Seite her dringend ange-
zeigt, zumal Teile knöcherner Ausrisse entfernt werden müssen.
Subluxationen des Kahnbeins ist eine geschlossene Reposition Die vorhandenen Bänder müssen unbedingt durch interligamen-
nicht mehr sinnvoll und erfolgversprechend, sondern eine Band- täre Nähte oder transossäre Bohrkanäle wieder fixiert werden.
plastik durch Sehnen oder Triskaphoidarthrodese oder andere Bei Gefahr der Subluxation ist eine Kirschner-Draht-Fixation des
Maßnahmen erforderlich (⊡ Abb. 26.20;  Kap. 29). Mittelhandknochens bis zur proximalen Handwurzelreihe für min-
26.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
665 26

b c d
a

⊡ Abb. 26.21 a Geschlossene Reposition der Handwurzelknochen unter kontinuierlichem Zug mit »Mädchenfänger«, b,c alte Luxatio carpometacarpea
mit Frakturen der distalen Handwurzelknochen, d Luxation des Radiokarpalgelenks mit Frakturen von Radius, Ulna, Skaphoid und Kapitatum. (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)

destens 4 Wochen erforderlich. Hierbei muss ebenfalls eine äußere stale Radiusfraktur durch eine winkelstabile Platte oder auch
Fixation in Form eines Unterarmgipsverbandes für 6 Wochen an- Kirschner-Drähte wiederhergestellt werden sollten. Die Dauer
gelegt werden. Die Drähte werden schräg seitlich von der Mittel- der Ruhigstellung beträgt 6 Wochen.
hand nach proximal geführt.
Bei älteren Verletzungen ist eine Rekonstruktion nicht mehr
möglich, sodass zur Beseitigung der kosmetisch und funktionell 26.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
sehr störenden Stufenbildung im Bereich des Handrückens die
Resektion des Mediokarpalgelenks durchgeführt wird und nach Die Tatsache, dass über 50% der konservativ behandelten Quer-
Verkürzung eine Arthrodese zwischen der proximalen und dis- vain-Luxationsfrakturen auch nach sofortiger Reposition eine
talen Reihe der Handwurzelknochen angebracht ist. Die Arthro- Pseudarthrose und sekundäre Repositionen zu 100% Nekrosen
dese kann durch Spongiosainterposition und Plattenosteosynthese zeigen, beweist die schweren und komplexen knöchernen und liga-
erfolgen, wobei dann eine Ruhigstellung für 4 Wochen in einem mentären Verletzungen im Karpus. Spätestens jetzt ist die absolute
Unterarmgips angezeigt ist. Indikation der primären Operation bei Quervain-Luxationsfraktu-
ren offensichtlich.
Luxatio radiocarpea Die inkomplette Reposition der Handwurzelluxationen, vor
Bei isolierter geschlossener Luxation erfolgt die Reposition durch allem des Mondbeins, führt zu Minderdurchblutung bzw. Nekrose
Zug an den Fingern und Druck auf den verschobenen Handwur- der Handwurzelknochen, da durch die Kapsel-Band-Zerreißung
zelknochen. Die Ruhigstellung beträgt dann 4–6 Wochen. Bei auch die Durchblutung der Handwurzelknochen stark beeinträch-
bestehender Subluxation oder weitgehender Instabilität ist die tigt wird. Die Subluxationsstellungen der Handwurzelknochen
Indikation zur Operation gegeben, wobei von einer geschlosse- führen außerdem zu einer präarthrotischen Deformität des Ge-
nen Kirschner-Draht-Fixation im Bereich des Radiokarpalge- lenks und zu einem frühen Auftreten schmerzhafter arthrotischer
lenks Abstand genommen werden muss. Falls bei der Reposition Veränderungen des Gelenks. Eine Verschiebung der Handwurzel-
weiterhin eine Instabilität besteht, die behandlungsbedürftig ist, knochen kann abgesehen von einer Dislokation des betreffenden
müssen die vorhandenen Bänder, vor allem dorsal, aber auch Handwurzelknochens auch zu Proximalisierung der Handwurzel-
palmar, wiederhergestellt und dann, falls notwendig, durch tem- knochen führen. Die veralteten Luxationen und Luxationsfraktu-
poräre Arthrodesen mit Kirschner-Drähten in Stellung gehalten ren zwingen nicht selten zu einer interkarpalen oder mediokar-
werden. Nach offener Reposition und Bandrekonstruktion ist palen Arthrodese oder gar zu einer vollständigen radiokarpalen
jedoch selten eine zusätzliche Kirschner-Draht-Fixation notwen- Arthrodese des Handgelenks.
dig. Die Zugänge erfolgen dorsalseitig S-förmig und palmarseitig Die Fehlinterpretation der einfachen Röntgenaufnahmen
bogenförmig im Bereich des Handgelenks. Die interligamentären führt nicht selten zu einer Fehldiagnose und zu Fehltherapie.
Rupturen werden genäht, die knöchernen Ausrisse transossär Daher sollten die Beschwerden der Patienten und die Funktions-
durch Nähte oder Zugschrauben refixiert. Postoperativ wird die einschränkungen des Handgelenks ernst genommen werden und
Hand in einem Unterarmgipsverband für 4 Wochen ruhiggestellt. alle möglichen diagnostischen Maßnahmen im Sinne von Com-
Bei bestehenden zusätzlichen Frakturen müssen diese durch putertomografie, Arthro-MRT und Arthroskopie bis zu eventuell
Osteosynthesen stabilisiert werden, wobei eine Kahnbein- und notwendiger Szintigrafie zum Ausschluss von knöchernen und
Mondbeinfraktur durch Schraubenosteosynthese und eine di- Bandverletzungen des Karpus ausgeschöpft werden.
666 Kapitel 26 · Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich

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27

Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose


Torsten Dönicke, Reinhard Friedel
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg und Barbara Schmidt)

27.1 Allgemeines – 670


27.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 670
27.1.2 Epidemiologie – 670
27.1.3 Ätiologie – 671
27.1.4 Diagnostik – 672
27.1.5 Klassifikation – 675
27.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 676
27.1.7 Therapie – 677
27.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 683
27.2 Spezielle Techniken – 685
27.2.1 Technik der perkutanen Schraubenosteosynthese der frischen Skaphoidfraktur
von dorsal – 685
27.2.2 Technik der perkutanen Schraubenosteosynthese der frischen Skaphoidfraktur
von radiopalmar – 687
27.2.3 Technik der offenen Reposition und Schraubenosteosynthese der frischen
Skaphoidfraktur von dorsal – 687
27.2.4 Technik der offenen Reposition und Schraubenosteosynthese der frischen
Skaphoidfraktur von palmar – 687
27.2.5 Technik der offenen Reposition und Schraubenosteosynthese der frischen
Skaphoidfraktur von radial – 690
27.2.6 Technik der Korrektur der Skaphoidpseudarthrose über einen palmaren Zugang
am Beispiel der Matti-Russe-Plastik – 690
27.2.7 Technik der Entnahme des dorsoradialen vaskularisierten Knochenspans
(A.-innominata-Lappenplastik nach Zaidemberg) – 692
27.2.8 Technik der Entnahme des palmaren vaskularisierten Knochenspans
nach Kuhlmann/Mathoulin – 692
27.2.9 Technik der Entnahme des freien vaskularisierten Knochentransplantat
vom medialen Femurkondylus nach Masquelet – 692
27.2.10 Technik der Entnahme des freien mikrovaskulären vorderen Beckenkamspans nach Taylor – 692
27.2.11 Technik der Skaphoidektomie und mediokarpalen Arthrodese – 692
27.2.12 Technik der Resektion der proximalen Karpalreihe – 692
27.2.13 Technik der kompletten Handgelenkarthrodese – 692
27.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 692
27.3.1 Skaphoidfraktur – 692
27.3.2 Skaphoidpseudarthrose – 693
Weiterführende Literatur – 694

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


670 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

27.1 Allgemeines

Die Skaphoidfraktur ist der »Klassiker« unter den Handwurzelver-


letzungen. Wie bei vielen anderen Frakturen hat sich hier in den
letzten Jahren ein deutlicher Trend von der konservativen hin zur
operativen Behandlung vollzogen. Gründe dafür sind einerseits
27 die Verfügbarkeit geeigneter Osteosyntheseimplantate sowie der
Wunsch der Patienten nach schnellstmöglicher Rehabilitation mit
kalkulierbaren Behandlungszeiten und -ergebnissen. Durch den
heute weit verbreiteten Einsatz der Computer- und MR-Tomografie
in der Diagnostik wurde die Beurteilbarkeit der Frakturmorpholo-
gie im Vergleich zu den Möglichkeiten der konventionellen Rönt-
gentechniken auf ein neues Qualitätsniveau gehoben, welches die
Voraussetzungen für eine differenzierte Therapie geschaffen hat.
Trotzdem verbleibt eine nicht unerhebliche Anzahl von Patienten,
die sich infolge nicht ausgeheilter Skaphoidfrakturen aufwendigen ⊡ Abb. 27.1 Blutversorgung des Skaphoids
Pseudarthrosebehandlungen oder sog. Rettungsoperationen wegen
irreversibler Sekundärschäden des Handgelenks unterziehen muss.
Deshalb wäre eine Rücknahme der hohen und teilweise kostenin- capitatum und über das wichtige SL-Band mit dem Os lunatum
tensiven Standards in der Diagnostik und Therapie ein Sparen an fixiert. Weitere Stabilisatoren sind die extrinsischen Bandverbin-
der falschen Stelle, denn bei Eintritt des »worst case« einer Pseu- dungen, die palmar besonders stark ausgeprägt sind und von
darthrose oder Handgelenkarthrose würde dies eine Verschiebung der Radiuskante und dem Radiusstyloid über das Kahnbein zum
der Kosten mit hohem Multiplikator in die Zukunft bedeuten. Die Kopf- und Mondbein verlaufen. Nach der Theorie des karpalen
konsequente Diagnostik und Behandlung der Skaphoidfraktur be- Ringes mit seiner Funktion als dynamisches Stabilisierungssystem
wahren somit nicht nur den Patienten vor negativen körperlichen resultiert aus einer Skaphoidfraktur zunächst eine Ringsprengung
und sozialen Folgen bis hin zur Berufsunfähigkeit, sondern auch mit Stabilitätsminderung, welche bei ausbleibender Frakturhei-
den Behandler vor späteren juristischen Anfechtungen. lung über dysharmonische Kraftübertragung im Verlauf von meist
mehreren Jahren zur Translokation des Kopfbeins in Richtung
der Schwachstelle nach proximal und des Mondbeins nach ulnar
27.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und mit gleichzeitiger Dorsalverkippung in die sog. DISI-Fehlstellung
Physiologie (»dorsal intercalated segment instability«) führt. Die klinische Ma-
nifestation bezeichnet man in diesem Fall als SNAC-Wrist (»sca-
Topografie des Skaphoids phoid nonunion advanced collapse«), welches im Endstadium die
Das Kahnbein wird nach seiner Form eines gedrungenen Schiff- Zerstörung der radioskaphoidalen, der skaphotrapezialen sowie
chens bezeichnet. Die klinisch-anatomische Unterteilung erfolgt der mediokarpalen Gelenkflächen beinhaltet .
in proximales Drittel, Taille und distales Drittel mit Tuberkulum. Die Blutversorgung des Skaphoids erfolgt im Wesentlichen
Der Taillenbereich weist eine Krümmung auf, die aufgrund der durch je einen palmaren und dorsalen Ast der A. radialis, die über
physiologischen Schrägstellung des Knochens im Karpus sowohl Bänder- und Kapselanteile in das distale und mittlere Kahnbeind-
in der dorsal-palmaren als auch in der seitlichen Röntgenebene rittel einstrahlen. Im Gegensatz dazu ist das proximale Kahnbein-
sichtbar wird. Einen ungefähren Eindruck über den Verlauf der drittel allseitig von Knorpel überzogen und wird ausschließlich
Längsachse des Skaphoids erhält man durch gleichzeitiges Ertasten endarteriell versorgt (⊡ Abb. 27.1). Dies bedeutet, dass umso mehr
des palmarseitig radial der FCR-Sehne an der Thenarbasis promi- die Gefahr einer insuffizienten Fragmentdurchblutung bis hin zur
nenten Tuberculum ossis scaphoidei und des proximalen Pols in Nekrose besteht, je weiter proximal die Fraktur lokalisiert ist. Bei
der Tabatiere. Frakturen des proximalen Kahnbeindrittels ist von einer 2- bis
Zwei Drittel der Kahnbeinoberfläche besitzen einen Gelenk- 3-fach verlängerten Heilungsdauer (12–18 Wochen!) bei deutlich
knorpelüberzug. Damit artikuliert das Kahnbein sowohl mit der erhöhter Pseudarthrosegefahr auszugehen, woraus sich die Indika-
Fossa scaphoidea der Radiusgelenkfläche als Teil des radiokarpalen tion zur operativen Behandlung begründet. Darüber hinaus gibt es
Gelenks (proximales Handgelenk) als auch mit dem Kopfbein als auch Hinweise, dass die spezifische Durchblutungssituation nicht
Teil des Mediokarpalgelenks (distales Handgelenk). Es ist somit allein für eine schlechte Frakturheilung im proximalen Kahnbein-
das radiale Bindeglied zwischen beiden Gelenkanteilen, die in drittel verantwortlich ist.
ihrem Zusammenspiel die Gesamtbeweglichkeit der Hand gegen
den Unterarm bestimmen. Deformierungen der Kahnbeinkontur
führen deshalb regelhaft zu Schmerzen, Arthrosen und Bewe- 27.1.2 Epidemiologie
gungseinschränkungen im Handgelenk. Eine weitere Gelenkbe-
ziehung besteht nach distal zum Os trapezium, die bei distalen Skaphoidfraktur
Kahnbeinfrakturen oder palmarer Verkippung des distalen Frag- Kahnbeinbrüche der Hand sind mit 1–4% aller Frakturen selten.
ments (Humpback-Deformität) zur Sekundärarthrose des skapho- Bezogen auf die Handwurzel machen sie allerdings 60–80% aller
trapezialen Gelenks und damit zur radialen Schmerzsymptomatik Brüche dieser Körperregion aus. Am häufigsten betroffen sind
führen kann. beruflich und sportlich aktive Männer im Alter vom 15–40 Jahren,
Das Kahnbein ist als am weitesten radial gelegener Knochen wobei das Verhältnis Männer zu Frauen 6:1 beträgt. Ältere Men-
der proximalen Handwurzelreihe durch die intrinsischen, inter- schen erleiden bei vergleichbarer Gewalteinwirkung eher distale
karpalen Bänder mit den Nachbarknochen Os trapezium und Os Radiusfrakturen, bei Kindern ist die Skaphoidfraktur eine Rarität.
27.1 · Allgemeines
671 27
Skaphoidpseudarthrose
Analog zur Häufigkeitsverteilung der Skaphoidfraktur findet man die
Skaphoidpseudarthrose überwiegend bei Männern im jugendlichen
und mittleren Alter. Auch bei adäquater Behandlung der frischen
Kahnbeinfraktur kommt es in 2–12% der Fälle zur Pseudarthrosen-
bildung, bei inadäquater oder ausgebliebener Therapie bei bis zu
60% der Frakturen. Das Pseudarthroserisiko ist weniger vom Alter
des Patienten als vielmehr von der Fraktursituation abhängig, sodass
vor allem proximale Frakturen mit kleinen nekrosegefährdeten Frag-
menten sowie primär stark dislozierte Frakturen besonders gefährdet
sind. Im klinischen Alltag dominieren allerdings Pseudarthrosen, die
aus Schräg- oder Trümmerbrüchen der Kahnbeintaille resultieren, da
sich in diesem Bereich auch 60–80% der primären Frakturen ereig-
nen. Die meisten Pseudarthrosen des Kahnbeins werden entweder als
Zufallsbefund nach einem erneuten Trauma oder aufgrund von pro-
gredienten Beschwerden durch sekundäre arthrotische Veränderun- a b
gen am Handgelenk (SNAC-Wrist) diagnostiziert, wobei zwischen
Primärtrauma und Diagnosestellung sehr unterschiedliche Zeitinter-
valle, nicht selten mehr als 10 Jahre, liegen können. Mit konsequen-
ter Umsetzung der aktuellen Leitlinien für die Diagnostik frischer
Kahnbeinfrakturen ( Abschn. 27.1.4) und dem eindeutigen Trend zur
primär operativen Versorgung sollte die Häufigkeit behandlungsbe-
dürftiger Skaphoidpseudarthrosen zukünftig abnehmen.

27.1.3 Ätiologie

Skaphoidfraktur
Typischer Unfallmechanismus ist der Sturz auf die dorsal exten-
dierte Hand, wobei die gleichzeitige Ulnarabduktion des Handge-
lenks eher zur Fraktur des proximalen Kahnbeindrittels, eine Ra-
dialabduktion eher zur Fraktur des distalen Drittels führt. Neben
c d
diesem indirekten Verletzungsmechanismus kommt es zur direk-
ten Gewalteinwirkung bei Abscherfrakturen des Tuberkulums oder
Rückschlagtraumen gegen die Hand. Nach Literaturangaben sind ⊡ Abb. 27.2 B4-Skaphoidfraktur de Quervain bei perilunärer Luxation,
a Röntgenbilder präoperativ: a.-p. und lateral, b Röntgenbilder präoperativ:
60–80% der Frakturen im mittleren Drittel und je 10–20% im pro-
a.-p. und lateral
ximalen und distalen Drittel einschließlich des Tuberkulums loka-
lisiert. Kahnbeinfrakturen treten meist als Einzelverletzung, nicht
selten aber auch im Rahmen von komplexen Handgelenk- und
Handwurzelverletzungen als sog. de Quervain-Luxationsfraktur
(6–7%) oder als Begleitverletzung bei distaler Radiusfraktur (ca.
4%) auf. Auch ohne Komplexverletzung der Handwurzel kann eine
SL-Band-Ruptur simultan mit einer Skaphoidfraktur vorkommen
(⊡ Abb. 27.2, ⊡ Abb. 27.3).

Skaphoidpseudarthrose
Als Ursache für Skaphoidpseudarthrosen kommen heutzutage in
erster Linie unerkannte und somit nicht behandelte Skaphoid-
frakturen in Betracht. Hinzu kommen Frakturen, die durch eine
vorangegangene konservative oder inoptimale operative Behand-
lung nicht ausgeheilt sind. Begünstigende Faktoren sind die un-
genügende Ruhigstellung, verbliebene Fragmentdislokation und
fortbestehende Instabilität. Des Weiteren spielt die ungünstige
Durchblutungssituation im proximalen Kahnbeindrittel eine Rolle,
wo bei überwiegend konservativ behandelten Frakturen in diesem ⊡ Abb. 27.3 Simultanes Auftreten einer B2-Skaphoidfraktur und kompletten
Bereich von einer Pseudarthroserate bis zu 48% berichtet wurde. SL-Band-Ruptur
Außerdem ist zu vermuten, dass auch die ligamentäre Instabilität
durch radiokarpale oder interkarpale Begleitverletzungen mit zur
Heilungsstörung der Kahnbeinfraktur beiträgt. So führt beispiels- In Abhängigkeit vom Grad der Instabilität und Dislokation
weise eine begleitende SL-Band-Ruptur sowohl zur höheren Mobi- kommt es bei gestörter Frakturheilung entweder zur bindege-
lität und als auch zur weiteren Verschlechterung der Durchblutung webigen Überbrückung oder zur weiteren Fragmentdiastase. Die
des proximalen Fragmentes. bindegewebige Verbindung kann sich im weiteren Verlauf zur
672 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

⊡ Tab. 27.1 Stadieneinteilung SNAC- und SLAC-Wrist (Watson u. Ruy


1986)

Stadium Ausmaß der Arthrose

I Beschränkt auf Processus styloideus radii

27 II Erweitert auf das Radioskaphoidalgelenk

III Zusätzlich mediokarpale Arthrose

straffen Pseudarthrose mit Erhalt der Kahnbeinkontur entwickeln,


wodurch die karpale Integrität bestehen bleibt. In frühen Stadien
(»delayed union«) kann diese Situation durch Schaffung einer
suffizienten Fragmentstabilisierung und -kompression mittels Ver-
schraubung noch zur knöchernen Ausheilung gebracht werden. Im
Falle der Fragmentdiastase kommt es zur knöchernen Abdecke-
lung der Hauptfragmente oder Nekrose des proximalen Fragments,
wodurch die Instabilität und damit die Situation der karpalen
Ringsprengung manifestiert wird. Während das distale Fragment
eine Palmarflexionsstellung (Humpback-Deformität) einnimmt,
kippt das proximale Fragment zusammen mit dem Mondbein
in die Dorsalextension (DISI-Fehlstellung), das Kapitatum drängt
gleichzeitig nach proximal. Je nach Grad der Instabilität und Belas-
tung des Handgelenks kommt es dann in der Regel nach 2–10 Jah-
ren zu stadienhaft verlaufenden arthrotischen Veränderungen mit
karpalem Kollaps (SNAC-Wrist) und darüber hinaus bis zur Hand-
gelenkpanarthrose (⊡ Tab. 27.1;  Kap. 29).
⊡ Abb. 27.4 Hand- und Armstellung zur Stecher-Aufnahme

27.1.4 Diagnostik
Bei sicherem Frakturnachweis durch die konventionellen Rönt-
Skaphoidfraktur genaufnahmen ist eine ergänzende Bildgebung mittels Computer-
Die zielführende und konsequente Diagnostik ist der Schlüssel tomografie in folgenden Fällen erforderlich:
zum Erfolg in der Behandlung der Skaphoidfraktur. In einer Über- ▬ bei gering dislozierten Frakturen mit Kortikalisstufen <1 mm
sichtsarbeit (Strassmair u. Wilhelm 2001) zu den Ursachen der und/oder dehiszentem Bruchspalt zur Klärung, ob eine per-
Skaphoidpseudarthrose wird dargestellt, dass von 361 betroffenen kutane Verschraubung noch möglich ist oder offen operiert
Patienten immerhin 79% nach dem primären Trauma einen Arzt werden muss (Operationsplanung),
aufgesucht hatten, in Folge dessen ein Drittel der Kahnbeinfrak- ▬ bei Unklarheit, ob es sich um eine »aktivierte« Pseudarthrose
turen nicht erkannt oder nicht in der erforderlichen Genauigkeit handelt (Therapieplanung, Kausalität),
diagnostiziert wurden, um eine adäquate Therapie einzuleiten. ▬ bei Komplextraumen und Luxationsverletzungen,
Klinische Hinweiszeichen auf eine Skaphoidfraktur sind Druck- ▬ bei geplanter konservativer Therapie zum Ausschluss von In-
schmerz in der Tabatiere und palmar am Tuberculum scaphoideum stabilitätskriterien.
sowie axialer Kompressionsschmerz zwischen diesen Punkten,
Schmerz bei axialer Stauchung des Daumenstrahls sowie Schmerz- Auf eine CT-Untersuchung könnte bei bereits konventionell sicht-
verstärkung bei Handgelenkextension und Radialabduktion. In der barer deutlicher Fragmentdislokation und weitem Bruchspalt mit
Akutphase eines Handgelenktraumas sind diese Zeichen allerdings oder ohne Trümmerzone verzichtet werden, da hier die Indikation
wenig spezifisch, da sie genauso gut durch ligamentäre Distorsion zur offenen operativen Vorgehensweise eindeutig ist. Im klinischen
generiert werden können. Alltag setzt sich berechtigter Weise aber auch in diesen Fällen im-
Als erste Stufe der bildgebenden Diagnostik werden Röntgen- mer mehr die obligate Durchführung einer Computertomografie
aufnahmen des Handgelenks in 2 Ebenen angefertigt, die bei kli- durch, da nur so die Frakturmorphologie, Fragmentgrößen und
nischen und anamnestischen Hinweisen auf eine mögliche Skap- Begleitverletzungen sicher verifiziert und die erforderlichen Be-
hoidfraktur immer durch eine Stecher-Aufnahme ergänzt werden. handlungsmaßnahmen präzisiert werden können.
Diese ist Bestandteil des sog. Kahnbeinquartetts, wobei die zur
> Die Technik der CT-Untersuchung beinhaltet eine Überkopfla-
Faust geballte Hand in maximaler Ulnarabduktion des Handge-
gerung des pronierten Armes, die CT-Schnitte müssen paral-
lenks bei 90° abduziertem und im Ellenbogen rechtwinklig gebeug-
lel zur Längsachse des Skaphoids in 0,5 mm dicken Schichten
tem Arm auf der Röntgenplatte gelagert wird ⊡ Abb. 27.4). In dieser
gelegt werden. Die angrenzende Handwurzel und der distale
Position kommt es zur Aufrichtung des Kahnbeins, sodass es in
Radius sollten mit gescannt werden, um begleitende Fraktu-
seiner gesamten Länge beurteilbar ist. Auch bei Verlaufskontrollen
ren oder Luxationen nicht zu übersehen.
kann man sich auf diese 3 Aufnahmen beschränken, die übrigen
Einstellungen des Kahnbeinquartetts haben zugunsten weiterfüh- Abweichungen von der oben genannten CT-Untersuchungstechnik
render Schnittbilddiagnostik ihre Bedeutung verloren. wie die Aufnahme axialer Quellschichten mit parasagittaler Rekon-
27.1 · Allgemeines
673 27

a b c

⊡ Abb. 27.5 Vergleichende Darstellung bei Patient mit frischer Skaphoidfraktur. a Nativ-Röntgenaufnahme, b CT, c MRT

struktion bergen die Gefahr, dass auch in der Computertomografie Röntgen und CT (sog. okkulte Frakturen), bei gezielter Suche
frische Skaphoidfrakturen übersehen werden. nach Begleitverletzungen oder bei Kontraindikationen gegen
Unsicherheiten und Fehler im diagnostischen Procedere er- die Anwendung ionisierender Strahlung.
geben sich häufig dann, wenn in den konventionellen Röntgen-
aufnahmen kein eindeutiger Frakturnachweis geführt werden Skaphoidpseudarthrose
kann. Sollten auch nur geringste Fraktursymptome bei geeignetem Skaphoidpseudarthrosen bieten vor allem im frühen Stadium kei-
Trauma vorliegen, ist der Nachweis oder Ausschluss einer frischen ne charakteristische Beschwerdesymptomatik. Am ehesten treten
Fraktur mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu er- am Handgelenk endgradige Bewegungsschmerzen, Beschwerden
zwingen. Eine konventionelle Röntgenkontrolle nach 7–10 Tagen bei spezifischer und starker Belastung oder Klickphänomene auf.
ist besser, als jegliche weitere Diagnostik zu unterlassen. Sie kann Bei einer Reihe von Patienten kann die Pseudarthrose über Jahre
im günstigsten Falle zu einem Sichtbarwerden der Fraktur und völlig symptomlos bleiben, insbesondere wenn die Handgelen-
zum Einleiten einer adäquaten Therapie führen. Heute ist dieses ke keiner großen Belastung ausgesetzt sind. Nicht selten ist ein
Vorgehen nicht mehr zeitgemäß, da es die Mehrzahl der sog. ok- Bagatelltrauma der Hand Auslöser für persistierende Handge-
kulten Frakturen nicht aufdeckt und dem allgemeinen Bedürfnis lenkbeschwerden im Sinne einer »aktivierten Pseudarthrose«. So
der Patienten nach zeitnaher Diagnosestellung und Therapieein- wird die Kahnbeinpseudarthrose dann zufällig im Rahmen einer
leitung entgegensteht. Die Durchführung einer Dünnschicht-CT Röntgenuntersuchung des Handgelenks entdeckt, die wegen einer
oder MRT ist in jedem Fall anzuraten. anderen Fragestellung veranlasst wurde. Die genaue Differenzie-
Obwohl die Magnetresonanztomografie mit Kontrastmittel rung zwischen frischer Fraktur und Pseudarthrose zieht in diesen
wegen ihrer nahezu 100%igen Sensitivität für den Nachweis fri- Fällen nicht nur therapeutische, sondern oft auch weitreichende
scher Skaphoidfrakturen sehr gut geeignet ist, bleibt sie im kli- sozial- und versicherungsrechtliche Konsequenzen für den Pati-
nischen Alltag speziellen Fragestellungen vorbehalten. Aufgrund enten nach sich.
der begrenzten Ortsauflösung ist die Frakturzone im Vergleich zur Im späteren Stadium werden durch die zunehmende radiokar-
Computertomografie schlechter zu beurteilen. Außerdem kann pale Arthrose und die Gefügestörungen der Handwurzel progre-
das sog. »bone bruise«, welches auch bei Knochenkontusion und diente Handgelenkschmerzen generiert, die zunächst radialbetont
trabekulärer Mikrofrakturierung auftritt, fehlgedeutet werden. An- sind und mit einer Verdickung der radiodorsalen Handgelen-
dererseits können durch die MRT-Untersuchung ligamentäre und kregion, Einschränkungen der Handgelenkbeweglichkeit sowie
andere Begleitverletzungen (TFCC) des Handgelenks nachgewie- Krepitationen einhergehen (⊡ Tab. 27.1).
sen werden, was insbesondere bei negativem Frakturbefund und Die bildgebende Diagnostik umfasst wie bei der frischen
positiver Klinik von Bedeutung ist (⊡ Abb. 27.5). Das notwendige Kahnbeinfraktur zunächst Röntgenaufnahmen des Handgelenks
Frequenzspektrum umfasst koronare flüssigkeitssensitive STIR- in 2 Ebenen sowie die Stecher-Projektion. Obwohl die Bild-
Sequenzen sowie T1-gewichtete Sequenzen in koronarer und sagit- morphologie des Skaphoids und der Pseudarthrose dabei sehr
taler Schichtung. Die Aussagekraft der Befunde ist maßgeblich von unterschiedlich sein kann, können relativ genaue Aussagen zur
der korrekten Untersuchungstechnik (Bauchlage, Armlagerung Kahnbeinkontur, zur Beschaffenheit der Pseudarthrosezone, zur
über Kopf) mit Verwendung geeigneter Oberflächenspulen und Struktur des proximalen Fragmentes sowie zum Ausmaß der
der Kompetenz des Untersuchers abhängig. karpalen Gefügeänderungen (DISI-Fehlstellung) und der radio-
karpalen Arthrose gewonnen werden (⊡ Abb. 27.6). Diese wiede-
> Die Indikation zur MRT-Untersuchung in der Primärdiagnos- rum lassen Rückschlüsse auf die Instabilität der Pseudarthrose
tik der frischen Kahnbeinfraktur ergibt sich bei Patienten mit und der Handwurzel zu und sind wegweisend für die weiteren
positiver Klinik und negativem Frakturnachweis im Nativ- Therapieoptionen.
674 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

oder idiopathische Knochenzysten hervorgerufen werden. Hin-


Zur Abgrenzung gegenüber einer frischen Kahnbeinfraktur und weisend sind hier fehlende klinische Beschwerden und eine leere
der verzögerten Frakturheilung lässt sich die Skaphoidpseudar- Traumaanamnese.
throse über folgenden Röntgenkriterien definieren: Zur differenzierteren Diagnostik haben wie bei der frischen
▬ Resorptionszonen entlang des Frakturspaltes Skaphoidfraktur die Schnittbildverfahren heute einen festen Stel-
▬ Resorptionszysten mit Randsklerose lenwert. Mit der Computertomografie können Größe und Fehl-
27 ▬ Sklerosierung und Abdeckelung der Spaltränder, Randosteo- stellung der Fragmente, das Ausmaß der Zystenbildung und Skle-
phyten rosierung, der Verlauf des Pseudarthrosenspaltes und die karpalen
▬ Aufweitung des Pseudarthrosenspaltes Fehlstellungen sehr genau beurteilt werden (⊡ Abb. 27.7c,d). Diese
▬ Sklerose eines Fragmentes (meist des proximalen) Informationen sind insbesondere für die präoperative Planung bei
▬ Karpale Gefügestörungen (DISI-Fehlstellung und Höhenmin- rekonstruktiven Eingriffen am Kahnbein von Nutzen.
derung des Karpus) Zur Abklärung der Vitalität vor allem kleiner proximaler Frag-
▬ Periskaphoidale Arthrose (radiokarpal, mediokarpal) mente und in seltenen Fällen zur Abgrenzung einer verzögerten
Heilung von einer manifesten Pseudarthrose kann die Magnetre-
sonanztomografie mit Kontrastmittel dienen (⊡ Abb. 27.7e). Ob-
Nach einer Kahnbeinfraktur findet sich im proximalen Fragment wohl der Nachweis einer fortgeschrittenen Fragmentsklerose oder
als Ausdruck seiner Minderdurchblutung häufig eine vermehrte -nekrose für die weitere Therapieplanung von entscheidender Be-
Kalkdichte. Dies ist aber nicht in jedem Fall als ausgebliebene knö- deutung ist, wird die obligate Durchführung einer MRT kontrovers
cherne Heilung zu interpretieren, da das Phänomen bis zu 1,5 Jah- diskutiert. Argumentiert wird damit, dass die Untersuchung kos-
re nach knöcherner Ausheilung zu beobachten ist. tenintensiv ist und sich die intraoperative Durchblutungssituation
Differenzialdiagnostisch kann ein pseudarthroseähnlicher Rönt- der Fragmente nicht selten anders darstellt als im MRT beschrie-
genbefund auch durch ein seltenes Os scaphoideum bipartitum ben. Da die Anzahl der in Frage kommenden Patienten überschau-

a b

⊡ Abb. 27.6 Straffe und instabile Pseudarthrose. a Straffe Pseudarthrose ohne Kahnbeindeformierung und ohne karpale Gefügestörungen, b instabile Pseu-
darthrose mit Kahnbeindeformierung, Sklerosezone und degenerativen Zysten (p.a.-Aufnahme) sowie DISI-Fehlstellung des Lunatums als Zeichen der Instabi-
lität (seitliche Aufnahme)

a b c d e

⊡ Abb. 27.7 Skaphoidpseudarthrose im fortgeschrittenen Stadium. a Röntgen p.-a.: disloziertes Fragment, Resorptionszysten und Sklerose im proximalen
Fragment, radiokarpale und mediokarpale Arthrose, b Röntgen seitlich: DISI-Fehlstellung des Lunatums, c CT schräg-sagittal: Resorptionszyste auch im dis-
talen Fragment; Nebenbefund: große Knochenzyste im Kapitatum, d CT sagittal: deutliche DISI-Fehlstellung mit lunokapitaler Arthrose; Nebenbefund: große
Knochenzyste im Kapitatum, e MRT: regelrechte Durchblutung nur noch im distalen Fragment
27.1 · Allgemeines
675 27
bar bleibt und es für die Betroffenen bei der Therapieentscheidung von Krimmer et al. (2000) modifiziert und an die aktuellen klini-
meist um die letzte Chance zur Erhaltung der Handgelenkfunktion schen Gegebenheiten angepasst (⊡ Tab. 27.2).
geht, plädieren wir für eine großzügige Indikationsstellung zum Der ursprünglich von Herbert noch verwendete und auf dem
MRT. Die Knochenszintigrafie spielt in der Pseudarthrosendiag- konventionellen Röntgenbild basierende Begriff der inkompletten
nostik keine Rolle mehr. Fraktur der Kahnbeintaille (A2) hat im Zeitalter der Schnittbild-
Bei länger bestehenden Pseudarthrosen und insbesondere diagnostik keine Bedeutung mehr, da sich im CT letztlich immer
dann, wenn klinisch und röntgenologisch bereits Arthrosezeichen eine durchgehende Frakturlinie nachweisen lässt (⊡ Abb. 27.9). Des
vorliegen, sollte in Ergänzung zur bildgebenden Diagnostik obli- Weiteren beschreibt die Herbert-Klassifikation neben den frischen
gat eine bilanzierende Handgelenkarthroskopie einschließlich des A- und B-Frakturen noch die verzögerte Frakturheilung Typ C
Mediokarpalgelenks durchgeführt werden. Diese allein ist geeignet, (»delayed union«) und die Pseudarthrose Typ D (»nonunion«)
genaue Auskunft über die Ausdehnung der Knorpelschäden und ( Abschn. 27.1.5). Die AO-Klassifikation für Frakturen an der
das SNAC-Wrist-Stadium zu geben, um entscheiden zu können, Hand, die auch für das Skaphoid anwendbar ist ( Abschn. 27.1.5)
ob eine Pseudarthrosensanierung noch Sinn macht oder lediglich konnte sich hingegen nicht durchsetzen.
palliative Verfahren infrage kommen ( Kap. 13).
Skaphoidpseudarthrose
In der klinischen Praxis hat sich die Klassifikation nach Herbert
Schwieriger als die primäre Pseudarthrosediagnostik ist die und Filan durchgesetzt, die in ihrer 1996 modifizierten Version so-
radiologische Beurteilung des Heilungserfolges nach Kahn- wohl die verzögerte Frakturheilung als Typ C als auch die Pseudar-
beinrekonstruktion. Die knöcherne Konsolidierung wird ange-
nommen bei
▬ Kontrastmittelaufnahme des transplantatierten Knochens im ⊡ Tab. 27.2 Frakturklassifikation in Anlehnung an Herbert und
Kontrastmittel-MRT, CT-Befund. (Nach Krimmer et al. 2000)
▬ trabekulärer Überbrückung im Nativröntgen und CT sowie
▬ gleichzeitigem Fehlen von Spaltbildungen und Dislokationen Typ A Frische stabile Frakturen
an den Grenzen der Knochentransplantate A1 Tuberkelfrakturen

A2 Undislozierte Rissfrakturen mit querem Verlauf im


mittleren oder distalen Drittel
27.1.5 Klassifikation
Typ B Frische instabile Frakturen

Skaphoidfraktur B1 Schrägfrakturen
Im klinischen Alltag ist weiterhin die bereits 1990 eingeführte B2 Dislozierte oder klaffende Frakturen
Herbert-Klassifikation etabliert, welche auf der konventionellen
Röntgenbildgebung basiert (⊡ Abb. 27.8). Unter Berücksichtigung B3 Frakturen des proximalen Drittels
der differenzierteren Befunderhebung mit Einführung der CT-
B4 Transskaphoidale perilunäre Luxationsfraktur
Diagnostik als Standardmethode wurde die Herbert-Klassifikation

⊡ Abb. 27.8 Klassifikation nach Herbert und


Fisher. (Aus Schaefer u. Siebert 2002)
676 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

27

⊡ Abb. 27.9 Einfluss der Art der bildgebenden


Diagnostik auf die präoperative Frakturklas-
sifikation. a Konventionelles Röntgen mit A2-
Fraktur nach Herbert-Klassifikation, b gleiche
Fraktur im CT als B2-Fraktur nach modifizierter
a b
Herbert-Krimmer-Klassifikation

⊡ Abb. 27.10 Modifizierte Klassifikation der


Skaphoidpseudarthrosen nach Herbert und
Filan (1996)

⊡ Tab. 27.3 Modifizierte Klassifikation der Skaphoidpseudarthrosen nach Herbert und Filan (1996)

Pseudarthrosetyp Beschreibung

D1 Straffe Pseudarthrose mit fibröser Überbrückung, kein karpaler Kollaps, keine Arthrosezeichen

D2 Mobile Pseudarthrose mit diskreter Kahnbeindeformierung, beginnender karpaler Kollaps, keine Arthrosezeichen

D3 Mobile Pseudarthrose mit fortgeschrittener Kahnbeindeformierung und Fragmentsklerose, deutlicher karpaler Kollaps,
manifeste Arthrosezeichen

D4 Mobile Pseudarthrose mit erheblicher Kahnbeindeformierung und nekrotischem Zerfall des proximalen Fragmentes,
fixierter karpaler Kollaps, fortgeschrittene Arthrose

throsen als Typ D differenziert. Letztere werden nochmals in die 27.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie
Untertypen D1–D4 unterteilt, womit die Pseudarthrosenstabilität,
die Kahnbeindeformität und die Vitalität des proximalen Fragmen- Skaphoidfraktur
tes unterschieden und Rückschlüsse auf den Therapiebedarf und
> Für die Auswahl des Behandlungsweges der Kahnbeinfraktu-
die Prognose abgeleitet werden können (⊡ Tab. 27.3).
ren ist zunächst die Frage nach der Frakturstabilität entschei-
Wenn sich bis zur 20. Woche nach dem Frakturereignis mit-
dend.
tels bildgebender Diagnostik keine knöcherne Konsolidierung der
Kahnbeinfraktur nachweisen lässt, spricht man im nachfolgenden Die Herbert-Klassifikation und die CT-basierte Krimmer-Klassi-
Zeitintervall bis zum Ablauf von 6 Monaten nach der Fraktur fikation berücksichtigen sowohl Frakturanatomie, Stabilität und
von einer verzögerten Knochenbruchheilung (»delayed union«, Unfallmechanismus, sodass sich die entscheidenden prognosti-
Typ C). Nach den aktuellen Leitlinien liegt danach eine manifeste schen und therapeutischen Aussagen ableiten lassen. Danach gel-
Pseudarthrose mit den entsprechenden radiologischen Zeichen ten Typ-A-Frakturen als stabil, zu denen alle frischen Frakturen
vor ( Abschn. 27.1.4). In Anlehnung an unsere eigenen klinischen des Tuberkulum (A1) sowie nichtdislozierte Rissfrakturen mit que-
Erfahrungen plädieren wir dafür, diesen Zeitraum eher bis zum rem Verlauf im mittleren und distalen Drittel (A2) zählen. Diese
8. Monat nach dem Frakturereignis auszudehnen. haben eine sehr gute Ausheilungsprognose und können sowohl
27.1 · Allgemeines
677 27
konservativ als auch operativ behandelt werden. Kraus et al. (2005) D1-Pseudarthrosen gelten als stabil und sind nicht oder nur
empfiehlt eine Unterscheidung der Tuberkelbrüche in extraartiku- unwesentlich disloziert. Da keine degenerativen Veränderungen
läre Abriss- und intraartikuläre Abscherfrakturen, wobei für Letz- vorliegen, ergibt sich die Indikation zur Rekonstruktion. Im Ge-
tere wegen anzunehmender Instabilität die operative Versorgung gensatz zur »delayed union« reicht hier die alleinige Verschrau-
nahegelegt wird. bung nicht aus. Vielmehr muss die bindegewebige Pseudarthro-
Zu den als instabil einzustufenden Typ-B-Frakturen gehören sezone reseziert und mit autologer Spongiosa ersetzt werden, um
alle Schrägfrakturen (B1), dislozierte oder klaffende Frakturen eine knöcherne Ausheilung zu erreichen. Die Stabilisierung erfolgt
(B2), Frakturen des proximalen Drittels (B3) und perilunäre, trans- mittels Doppelgewindeschraube unter Erhaltung der anatomischen
skaphoidale Luxationsfrakturen (B4). Für die instabilen B-Frak- Kahnbeinform und -länge. Straffe Pseudarthrosen sollten auch
turen besteht wegen der deutlich erhöhten Pseudarthrosegefahr bei aktueller Beschwerdefreiheit immer saniert werden, weil un-
immer eine Operationsindikation. ter stärkerer Belastung über einen längeren Zeitraum mit einer
Die Differenzierung zwischen A2-, B1- und B2-Frakturen ist zunehmenden Lockerung und Instabilität der Pseudarthrose zu
anhand der konventionellen Röntgenaufnahmen häufig schwierig rechnen ist. Lediglich bei beschwerdefreien älteren Patienten (über
oder unmöglich, nicht selten erweist sich eine im Röntgenbild als 50–60 Jahre) kann zugewartet werden.
stabil erscheinende Fraktur in der Computertomografie als instabil Bei D2- und D3-Pseudarthrosen liegen infolge der Fragmen-
(⊡ Abb. 27.9). tinstabilität bereits mehr oder weniger stark ausgeprägte Sekundär-
schäden am Handgelenk vor, sodass zu entscheiden ist, ob durch
> Aus der Computertomografie abzuleitende Stabilitätskrite-
eine Sanierung der Pseudarthrose und Behebung der Kahnbeinde-
rien sind:
formität ein Fortschreiten der Handgelenkarthrose und des karpa-
▬ Fehlende Fragmentdislokation
len Kollapses noch aufzuhalten ist. Da meist schon eine dorsoradi-
▬ Frakturspaltweite <1 mm
ale Schmerzsymptomatik vorliegt, sollten rekonstruktive Eingriffe
▬ Nur 2 Fragmente nachweisbar
mit einer dorsalen und radialen Teildenervation des Handgelenks
▬ Fehlende Anhaltspunkte für ligamentäre Begleitverlet-
kombiniert werden (N. interosseus posterior, R. articularis spa-
zungen
tii interosseus I, Gelenkäste der Nn. radialis, cutaneus antebrachii
lateralis und medianus) ( Kap. 17). Bei ausgeprägter Schmerzsym-
Skaphoidpseudarthrose ptomatik führt nach unseren Erfahrungen eine alleinige palliative
> Für konservative Therapieversuche gibt es bei der verzöger- Denervierung nicht zur ausreichenden Beschwerdelinderung, wes-
ten Kahnbeinbruchheilung und bei der Kahnbeinpseudarth-
halb bei den meisten D3-Pseudarthrosen resezierende oder teilver-
rose heutzutage keine Indikation mehr.
steifende Verfahren erforderlich sind.
Eine Sanierung der D4-Pseudarthrosen ist nicht indiziert, wo-
Obwohl für veraltete Kahnbeinbrüche (»delayed union«, Typ C) bei je nach klinischer Symptomatik, radiologischen Veränderungen,
auch durch eine konsequente Gipsbehandlung die Chance einer beruflicher Belastung und Patientenalter eine Reihe von bewegungs-
Ausheilung besteht, sind die erforderlichen extrem langen Immo- erhaltenden oder versteifenden Rettungsoperationen zur Verfügung
bilisationszeiten und der ungewisse Heilungsausgang dem Patien- stehen (⊡ Tab. 27.4). Bei Vorliegen von degenerativen Veränderungen
ten heute nicht mehr zuzumuten. Hier bietet die Verschraubung in in Kombination mit bereits erheblichen schmerzbedingten Bewe-
Fällen mit oder ohne vorausgegangene konservative Behandlung gungslimitierungen des Handgelenks führen bewegungserhaltende
die Möglichkeit der suffizienten Stabilisierung und Kompression Rettungsoperationen, mit Ausnahme der Totalendoprothese, nach
der Fragmente, was in der Regel die knöcherne Ausheilung her- unseren Erfahrungen nicht zu einer dauerhaften Lösung für den
beiführt. Bei nicht oder nur minimal dislozierten Typ-C-Frakturen Patienten. Hier ist in den meisten Fällen die primäre Handgelenkver-
ohne Begleitverletzungen ist auch eine minimalinvasive perkutane steifung das beste Verfahren ( Abschn. 27.2.10).
Verschraubung möglich, alle anderen Frakturen müssen offen mit
oder ohne Spongiosaplastik versorgt werden ( Abschn. 27.1.7 und
 Abschn. 27.2). 27.1.7 Therapie
Für die manifesten Pseudarthrosen (»nonunion«, Typ D) ist
die Wahl des operativen Verfahrens in erster Linie vom Vorliegen Skaphoidfraktur
und Ausmaß der Fragmentdeformitäten und -vaskularisation, dem Konservative (nichtoperative) Behandlung
Grad der karpalen Gefügestörungen und der arthrotischen Verän- Die konservative Therapie der Skaphoidfraktur ist nicht nur zeitin-
derungen des Handgelenks abhängig. Bei fortgeschrittener Hand- tensiv für den Patienten, sondern erfordert auch vom Behandler
gelenkarthrose macht eine Sanierung der Pseudarthrose keinen viel Sachverstand und Erfahrung. Geeignet sind prinzipiell nur
Sinn mehr, so dass in diesen Fällen nur noch sog. Rückzugs- oder Typ-A-Frakturen (⊡ Abb. 27.8, ⊡ Tab. 27.2). Bei Tuberkulumfraktu-
Rettungsoperationen in Betracht kommen. Lediglich beim SNAC- ren (A1) genügt eine Gipsimmobilisation von 4 Wochen. Bei den
Wrist I kann die Skaphoidrekonstruktion in Verbindung mit einer A2-Frakturen sind die Bestätigung der Frakturklassifikation und
partiellen Resektion des Radiusstyloids eine Therapieoption sein. der Nachweis der Stabilitätskriterien ( Abschn. 27.1.6) durch eine
Bei noch intaktem Handgelenk muss die anatomische Kahnbein- CT-Untersuchung vor Einleitung einer konservativen Behandlung
kontur wiederhergestellt werden, um degenerativen Veränderun- zwingend zu fordern.
gen und dem karpalen Kollaps entgegenzuwirken. Durchblutungs- Der geschlossene Kahnbeingips schließt das Daumengrundge-
gestörte oder avaskuläre proximale Fragmente bedürfen spezieller lenk ein und lässt die Fingergrundgelenke sowie das Ellenbogen-
Operationstechniken ( Abschn. 27.1.7). Bei der Indikationsstellung gelenk frei beweglich. Das initiale Anlegen eines Oberarmgipses
müssen neben dem Pseudarthrose- und SNAC-Wrist-Stadium un- ist heute verlassen. Die erste Röntgenkontrolle im Gips sollte nach
bedingt auch die beruflichen Anforderungen und Freizeitaktivi- 3 Wochen stattfinden, falls sich hier eine neu aufgetretene Dislo-
täten des Patienten Berücksichtigung finden, um das Ziel einer kation zeigt, ist eine Konversion zur operativen Verschraubung
dauerhaft belastbaren Handfunktion zur erreichen. anzuraten. Nach 6–8 Wochen (distales Drittel) oder 8–10 Wochen
678 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

⊡ Tab. 27.4 Behandlungsalgorithmus bei Skaphoidpseudarthrosen

Ohne Arthrose Mit Arthrose

Stabil Instabil SNAC I Rekonstruktion der Form des Skaphoids mit Spongiosa, spongiösem
Knochenblock oder gefäßgestieltem Knochentranspantat
+ Stabilisierung mit kanülierter Herbert-Schraube
27 + ggf. dorsoradiale Teildenervation des Handgelenks

Spongiosaplastik Rekonstruktion der Form SNAC II Vorgehen wie bei SNAC I


+ kanülierte Herbert- des Skaphoids mit Spon- (ohne fixierte
Schraube giosa und spongiösem DISI-Fehlstellung)
Knochenblock
+ Stabilisierung mit kanü-
lierter Herbert-Schraube

SNAC II Mediokarpale Teilarthrodese mit Entfernung des Skaphoids oder


(mit fixierter »proximal row carpectomy« (PRC)
DISI-Fehlstellung)

SNAC III Mediokarpale Teilarthrodese mit Entfernung des Skaphoids,


ggf. Vorgehen wie bei Panarthrose

Panarthrose Handgelenkarthrodese oder Totalendoprothese

(mittleres Drittel) Gipsimmobilisation müssen weitere Röntgenauf- Alle anderen Frakturen sollten primär offen angegangen wer-
nahmen des Handgelenks in 2 Ebenen plus Stecher-Aufnahme eine den, da die gedeckte Reposition von abgekippten oder rotierten
weitgehende Frakturkonsolidierung zeigen. In diesem Fall kann Fragmenten durch perkutane Joysticks sehr schwierig ist und die
der Patient mit aktiven Bewegungsübungen des Handgelenks be- intraoperative Bildgebung keine hinreichende Kontrollmöglichkeit
ginnen, sollte aber für weitere 4 Wochen eine abnehmbare dorsale der korrekten Reposition und Rotation bietet.
Handgelenk-Unterarm-Schiene mit Daumeneinschluss tragen. Da- Frakturen mit ausgedehnter Trümmerzone bedürfen einer pri-
nach sind ein zügiger Belastungsaufbau und das forcierte Auftrai- mären Spongiosaplastik und müssen ebenfalls offen versorgt wer-
nieren der Unterarmmuskulatur möglich. Bei unbefriedigendem den. Spongiosaentnahmen erfolgen aus dem distalen Radius über
Röntgenbefund bekommt der Patient eine weitere CT-Untersu- kurze Schnitterweiterungen nach proximal zwischen dem 1. und
chung, zeichnet sich auch in dieser eine verzögerte Frakturheilung 2. Streckerfach beim dorsalen bzw. an der palmaren Metaphyse
ab, empfehlen wir anstelle einer weiteren Gipsbehandlung die per- beim palmaren Zugang.
kutane oder offene Verschraubung. Eine Beschleunigung der Frak- Auch primär offene Frakturen werden immer operativ ver-
turheilung um 30% durch die Anwendung von niedrig intensivem, sorgt, in Abhängigkeit von der Weichteilverletzung und den regel-
gepulstem Ultraschall fanden Mayr et al. (2000) bei konservativ mäßig anzutreffenden Begleitverletzungen am Unterarm und am
behandelten stabilen frischen Skaphoidfrakturen. Karpus von palmar oder dorsal.
Als Implantat für die Osteosynthese frischer Frakturen hat sich
> Bei korrekter Indikationsstellung und Behandlung bestehen
die vollständig im Kahnbein versenkbare, kanülierte Doppelgewin-
zwischen konservativer und operativer Therapie hinsichtlich
deschraube durchgesetzt und die nicht kanülierte Version, nor-
der Ausheilungsprognose keine Unterschiede.
male Zugschrauben sowie reine Kirschner-Draht-Osteosynthesen
Allerdings ist beim konservativen Behandlungsregime mit einer abgelöst. Das Funktionsprinzip der verschiedenen auf dem Markt
signifikant längeren Arbeitsunfähigkeitsdauer als wesentlicher so- befindlichen Schrauben geht auf die von Herbert 1984 vorgestellte
zioökonomischer Faktor zu rechnen. Obwohl heute die übergroße Kahnbeinschraube zurück, die möglichst zentral in Längsrich-
Mehrheit der Patienten die operative Versorgung wünscht, gilt es, tung des Knochens eingebracht wird und durch unterschiedliche
in diesem Kontext ein sachliches und abwägendes Aufklärungsge- Gewindesteigungen beim Eintritt des nachgehenden Gewindes
spräch zu führen und zu dokumentieren. in den Knochen zu einer interfragmentären Kompression führt
(⊡ Abb. 27.11).
Operative Behandlung Für sehr kleine, insbesondere proximale Polfragmente, wurde
Die operative Versorgung kann sowohl als offene Reposition und die kürzere und im Schaftdurchmesser auf 1,5 mm reduzierte
interne Stabilisierung mit oder ohne Spongiosaplastik als auch Mini-Herbert-Schraube entwickelt. Es gibt eine Reihe weiterer
durch minimalinvasive perkutane Verschraubung durchgeführt konstruktionstechnischer Variationen, bei denen z. B. durch iso-
werden. Die minimalinvasive Technik bedarf eines kanülierten lierte Drehmöglichkeit der Gewindeanteile gegeneinander eine
Schraubensystems und kommt für Patienten mit A2-Frakturen zusätzliche Kompression erzeugt werden kann oder durch ein spe-
in Betracht, die keine konservative Behandlung wünschen, sowie zielles Instrumentarium die Fragmentkomprimierung bereits vor
für B1-, B2- und B3-Frakturen, sofern keine wesentlichen Dislo- Eindrehen des nachgehenden Schraubengewindes in den Knochen
kationen oder Trümmerzonen vorliegen (⊡ Abb. 27.8, ⊡ Tab. 27.2). erfolgt (⊡ Abb. 27.12).
Falls für Tuberkulumfrakturen eine Operationsindikation besteht, Prinzipiell gilt aber, dass für die Qualität der Osteosynthese
können auch diese meist perkutan mittels kanülierter 2,0- bis 2,5- nicht die konstruktiven Raffinessen am Implantat, sondern die
mm-Minischrauben versorgt werden. optimale Lage und Länge der Schraube im Knochen entscheidend
27.1 · Allgemeines
679 27
die Kahnbeinkontur als auch eine unproblematische Reposition des
meist nach palmar flektierten distalen Fragmentes ermöglicht. Die
zwangsläufig zu durchtrennenden kräftigen palmaren Band- und
Kapselanteile sind auf dem Rückweg wieder subtil zu vernähen.
Nach unseren Erfahrungen sind die palmaren Vernarbungen mit
⊡ Abb. 27.11 Prinzip der Herbert-Schraube. Durch zwei unterschiedlich steil geringeren und kürzeren Beeinträchtigungen der Handgelenkbe-
verlaufende Gewinde, kommt es zwischen den beiden Gewinden zu einem
weglichkeit vergesellschaftet als die postoperativen Verwachsungen
Kompressionseffekt
im Bereich der sehr verschieblichen und nachgiebigen dorsalen
Handgelenkweichteile ( Abschn. 27.2.4).
Die perkutane Schraubenosteosynthese ist in gleicher Weise
sowohl von dorsal-proximal als auch von palmar-distal möglich.
Die Vorteile dieser Operationsmethode liegen in einem minimalen
Zugangstrauma, der Schonung des palmaren bzw. dorsalen Kapsel-
Band-Apparates sowie im Vermeiden einer vaskulären Denudie-
rung der Kahnbeinfragmente. Bei deutlich ungleicher Fragment-
⊡ Abb. 27.12 Twin-Fix-Schraube mit separater Drehmöglichkeit des gold- größe sollte der Zugang von der Seite des kleineren Fragmentes
farbenen Teiles aus erfolgen. Eine leichte Humpback-Verkippung lässt sich über
den palmar-distalen Zugang mit dorsal extendiertem Handgelenk
besser reponieren als von dorsal. Bei freier Wahlmöglichkeit be-
vorzugen wir für die perkutane Verschraubung den dorsal-pro-
ximalen Zugang, der über die Miniarthrotomie des Handgelenks
auch zur Entlastung des Hämarthros führt und durch Blick auf
den Daumenstrahl eine gute Orientierung über die Kahnbeinachse
ermöglicht. Die Operation kann idealerweise in Regionalanästhesie
durchgeführt werden, Operationszeiten von 20–30 Minuten sind
mit zunehmender Routine realisierbar. Eine Blutleere ist nicht er-
forderlich, sollte aber wegen einer ggf. erforderlichen Konversion
zur offenen Operation vorbereitet sein. Gegenüber der offenen Ver-
sorgung ergeben sich regelmäßig längere Röntgenzeiten durch die
Bestimmung des Eintrittspunktes und die erforderlichen Kontrollen
des Schraubenvortriebes ( Abschn. 27.2.1,  Abschn. 27.2.2).

Navigierte Osteosynthese
a b Die perkutane navigierte Kahnbeinverschraubung ist eine neue
Methode, mit welcher eine genauere Bestimmung der Schrauben-
⊡ Abb. 27.13 Doppelschraubenosteosynthese. a B2-Skaphoidfraktur, Rönt- position und -länge erreicht werden kann, als dies mit der her-
genaufnahme p.-a., b nach Doppelschraubenosteosynthese kömmlichen BV-gestützten Technik möglich ist.

sind. In bestimmten Fällen können bei unzureichendem Schrau- Die Ziele der computergestützten perkutanen Kahnbeinver-
benanzug, sehr instabilen oder mehrfragmentären Kahnbeinfrak- schraubung sind:
turen auch 2 Schrauben eingebracht werden (⊡ Abb. 27.13). Das 1. optimale zentrale und frakturadaptierte Lage der Schraube,
Bestimmen der korrekten Lage und Länge des Schraubenimplan- 2. optimale Länge der Schraube
tates ist insbesondere bei der perkutanen Verschraubung wegen und damit
der in beiden Ebenen gekrümmten Zentralachse des Kahnbeins 3. höhere Stabilität,
nach wie vor problematisch und in hohem Maße von der Rou- 4. Verkürzung der Ausheilungszeit
tine des Operateurs abhängig. Mögliche Lösungsansätze für die bei gleichzeitiger
Optimierung der Schraubenplatzierung sind zukünftig durch die 5. Reduktion der Röntgenbelastung.
spezifische Weiterentwicklung der bildgestützten Navigation zu
erwarten (s. unten).
Die offene Osteosynthese von dorsal findet Anwendung bei Nach biomechanischen Studien von McCallister et al. (2003) resul-
der Versorgung von perilunären Luxationsfrakturen (B4), wobei tierten biomechanische Vorteile aus einer exakt zentralen Lage der
weitere karpale Verletzungen mit versorgt und die Reposition Schraube im proximalen Fragment mit einer bis zu 43% höheren
der Handwurzelknochen durch interkarpale Kirschner-Drähte ge- Steifigkeit der Osteosynthese im Vergleich zu einer peripheren
halten werden (⊡ Abb. 27.2). Auch bei sehr kleinen proximalen Lage. Desweiteren konnte die notwendige Röntgendurchleuch-
Polfragmenten kann die offene dorsale Verschraubung, ggf. mit tungszeit um etwa 70% reduziert werden, da für die 2D-Navigation
zusätzlicher Kirschner-Draht-Transfixation des Mond- und Kahn- prinzipiell nur 3 Röntgenaufnahmen erforderlich sind.
beins, notwendig sein ebenso wie im seltenen Fall eines intraope- Die erste experimentelle computergestützte perkutane Ver-
rativen Konvertierens bei primär begonnener dorsaler perkutaner schraubung einer Skaphoidfraktur wurde von Liverneaux et al.
Verschraubung ( Abschn. 27.2.3). (2005) publiziert. Dazu wurde ein für die Wirbelsäule entwickeltes
Für alle anderen offenen Frakturversorgungen präferieren wir Navigationssystem verwendet mit Fixierung der Hand in einer
den palmaren Zugang, da dieser sowohl eine gute Übersicht über röntgendurchlässigen und sterilisierbaren »Chiroblock«-Schiene.
680 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

27
⊡ Abb. 27.14 Spezialinstrumentarium für die
navigierte Kahnbeinverschraubung. a Bohrma-
schine, kanüliertes Schraubensystem, Pointer,
Bohrhülse mit Tracker, Kalibrierstation, Klemme
zur Fixierung des Schienentrackers, b navigiertes
a b
Einbringen des Führungs-Kirschner-Drahtes

Das Verfahren wurde allerdings für die Humanmedizin als noch nach 6 Wochen (Handgelenk in 2 Ebenen plus Stecher-Aufnahme)
nicht ausgereift eingestuft. erforderlich, sollten sich dabei Auffälligkeiten in der Frakturhei-
Seth et al. (2006) untersuchten den Einfluss unterschiedlicher lung ergeben, wird eine Computertomografie nachgezogen. Dieses
Schraubenlängen auf die Stabilität der Osteosynthese an Kadaver- Nachbehandlungsschema gilt prinzipiell nach perkutanen und offe-
extremitäten. Hierbei zeigte sich eine signifikant größere Stabilität nen Frakturversorgungen, wobei im Falle einer Komplexverletzung
der langen Schrauben gegenüber den kürzeren Implantaten. oder Spongiosaplastik unmittelbar postoperativ eine 3-wöchige
In einer eigenen Kadaverstudie (2007) führten wir an 10 fri- Komplettimmobilisation des Handgelenks, z. B. durch eine aus zwei
schen Oberarmpräparaten eine perkutane Verschraubung mit der Halbschalen bestehende Sandwich-Thermoplastschiene, eingefügt
Twin-Fix-Schraube über den dorsalen Zugang durch. Dabei kamen wird. Insbesondere nach offenen Frakturversorgungen und längerer
das Cart-II-Navigationssystems mit Virtual Fluoroskopy 2.1 (Fa. Immobilisationsdauer müssen Ergotherapie und Physiotherapie für
Stryker) und eine Thermoplastschiene mit fester Integration der das Handgelenk und zur Narbenbehandlung verordnet werden.
Spine-Tracker zur Anwendung. Kendoff et al. konnten bereits 2007 Zum Behandlungsabschluss werden sowohl die operativ als
nachweisen, dass mit einer derart konstruierten Lagerungsschiene auch die konservativ behandelten Patienten dahingehend instruiert,
ohne invasive Fixierung des Patiententrackers eine ausreichend ex- sich im Falle von persistierenden oder wiederauftretenden Handge-
akte Platzierung der Schraube (Fehlertoleranz <2 mm) möglich ist. lenkbeschwerden frühzeitig wieder vorzustellen, um Implantatlo-
Die von Catala-Lehnen et al. auf dem Deutschen Kongress ckerungen, Pseudarthrosen, Begleitverletzungen oder posttraumati-
für Orthopädie und Unfallchirurgie 2009 vorgestellte Kadaver- sche Arthrosen rechtzeitig erkennen und behandeln zu können.
Studie zum Vergleich von 2D- und 3D-Fluoroskopie zeigte, dass
zum gegenwärtigen Zeitpunkt die 2D-Navigation eine sehr prä- Skaphoidpseudarthrose
zise Schraubenpositionierung bei guter Praktikabilität ermöglicht, Die Operationen bei Kahnbeinpseudarthrosen sind technisch sehr
während die 3D-Navigation selbst erfahrenen Operateuren noch anspruchsvoll und sollten nur von erfahrenen Operateuren durch-
Probleme bei der Zuordnung der einzelnen Ebenen bietet . Wir geführt werden. Im Gegensatz zu den Kahnbeinfrakturen erfolgt
haben mit der klinischen Erprobung der 3D-Navigation (Brainlab, die operative Versorgung der Skaphoidpseudarthrosen ausschließ-
IsoC-3D-Bildwandler) begonnen, wobei unsere ersten Erfahrungen lich durch offene Vorgehensweise. Dabei ist der palmare Zugang
vielversprechend sind (⊡ Abb. 27.14). Durch die Möglichkeit eines zu bevorzugen, da er einerseits die Blutversorgung der Fragmente
zweiten intraoperativen Scans bei liegendem Führungsdraht kön- weniger kompromittiert als der dorsale Zugang und andererseits
nen noch Korrekturen vorgenommen werden, bevor die Doppel- eine Reposition der häufig vorhandenen Abwinkelung der Kahn-
gewindeschraube eingebracht wird. Die Röntgenstrahlenbelastung beinfragmente bei der Pseudarthrose mit Einbringen eines keil-
für einen Scan mit etwa 110 Bildern (136°, 64 s) ist mit ca. 50 cGy/ förmigen »wedge-craft« besser ermöglicht. Allerdings hat auch der
cm2 relativ niedrig. Dennoch ist die navigierte Kahnbeinverschrau- dorsale Zugang für spezielle Indikationen wie die Verschraubung
bung noch kein etabliertes Verfahren zur Versorgung der frischen kleiner proximaler Fragmente oder die Versorgung mit einem dor-
Kahnbeinfraktur. Weitere biomechanische und klinische Studien sal gefäßgestielten Knochentransplantat seine Berechtigung.
müssen die sich abzeichnenden Vorteile und die Praxistauglichkeit Bei den rekonstruktiven Pseudarthroseoperationen kommt es
dieser apparativ aufwendigen Methode zukünftig belegen. nicht nur darauf an, die Knochenheilung zu induzieren, sondern
auch die anatomische Form und Länge des Kahnbeins wiederher-
Nachbehandlung zustellen, da nur so langfristig die Arthrose im Radiokarpal- und
Da bei korrekter Schraubenplatzierung eine übungsstabile Osteo- Mediokarpalgelenk vermieden werden kann (⊡ Abb. 27.15).
synthese resultiert, ist postoperativ eine strenge Gipsimmobilisation Zum Auffüllen des knöcheren Substanzdefektes nach Resek-
nicht mehr erforderlich. Zur Behandlung des Weichteiltraumas und tion der Pseudarthrosezone und Reposition der Fragmente sind
zum Schutz vor versehentlicher Belastung bekommt der Patient in der Regel autologe Knochentransplantate erforderlich. Für
für 3–6 Wochen eine abnehmbare dorsale Handgelenk-Unterarm- Pseudarthrosen mit schmaler Frakturzone und fehlender oder
Schiene mit Einschluss des Daumengrundgliedes, aus der heraus das geringer Kahnbeindeformierung sind Spongiosachips ausreichend.
Handgelenk aktiv bewegt werden kann. Für insgesamt 6 Wochen ist Für breitere Zonen oder höhergradige Deformitäten sind kompak-
eine Belastungskarenz der betroffenen Hand einzuhalten. Neben te Spongiosablöcke, ggf. mit einer dünnen Kortikalislamelle von
der frühen postoperativen Röntgenkontrolle ist eine weitere erst Vorteil, da sie einem Zusammensintern beim Anziehen der Os-
27.1 · Allgemeines
681 27

a b c

e
d1 d2 d3

f g h

⊡ Abb. 27.15 Operative Versorgung einer D2-Pseudarthrose mit Humpback-Deformität, geringer DISI-Fehlstellung des Lunatums und beginnendem karpa-
lem Kollaps, a Röntgen p.-a.: geringe Kahnbeindeformierung, keine Arthrosezeichen, b Röntgen seitlich: Abwinkelung des Kahnbeins, geringe DISI-Fehlstel-
lung des Lunatums, SL-Winkel >60°, c intraoperativ: ausgeräumte Pseudarthrosezone, d Prinzip der Korrektur schematisch, d1 normaler SL-Winkel <60°,
d2 Humpback-Deformität des Skaphoids mit Vergrößerung des SL-Winkels; bei zusätzlicher DISI-Fehlstellung des Lunatums weitere Zunahme des SL-Winkels,
d3 Beseitigung der Humpback-Deformität und Wiederherstellung der Skaphoid-Länge durch Reposition und Einbringen eines keilförmigen palmaren Kno-
chenspans (»wedge-craft«) in Kombination mit einer kanülierten Herbert-Schrauben-Osteosynthese, e intraoperativ: Pseudarthrosezone nach Auffüllung mit
Spongiosa vom distalen Radius, f postoperatives Röntgen p.-a.: Stabilisierung der Pseudarthrose durch Doppelgewindeschraube und der karpalen Instabilität
durch Kirschner-Drähte, g postoperatives Röntgen seitlich: Aufrichtung des Kahnbeins, Beseitigung des DISI-Fehlstellung des Lunatums, SL-Winkel <60°,
h röntgenologisches Ausheilungsergebnis 20 Wochen p. o. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

teosyntheseschraube besser widerstehen als reine Spongiosachips. dorsal am distalen Radius ( Kap. 9), freie Transplantate vom Be-
Langstreckige Pseudarthrosezonen oder die Matti-Russe-Plastik ckenkamm und vom medialen Femurkondylus gewonnen werden.
erfordern kortikospongiöse Späne. Bei kritischer Fragmentdurch- Damit die Spongiosaplastik einheilen kann, müssen Sklero-
blutung oder Pseudarthroserezidiven kommen vaskularisierte sezonen, Zysten und knöcherne Abdeckelungen bis zum Errei-
Knochentransplantate zur Anwendung, die einer geringeren Span- chen normal strukturierter Fragmentspongiosa entfernt werden.
absorption unterliegen. Gestielte Transplantate können palmar und Intraoperativ kann durch Öffnen der Blutsperre die Fragment-
682 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

durchblutung überprüft werden. Alle Nischen und Zwischenräume Eine besondere Herausforderung stellt die Kahnbeinrekon-
müssen subtil mit kleinen Spongiosaanteilen ausgestopft werden, struktion bei Pseudarthrosen mit kleinen proximalen und par-
um einen möglichst innigen Kontakt zwischen Fragmentflächen tiell oder total avaskulären Fragmenten dar, die nur indiziert
und Spongiosaplastik zu erhalten. Die Spongiosaentnahmen soll- ist, sofern noch keine Frakturierung des Polfragmentes vorliegt.
ten bevorzugt vom Beckenkamm oder Trochanter major erfolgen, Während früher zur Fragmentwiederherstellung die Matti-Russe-
da hier die Struktur kompakter ist als am distalen Radius und die II-Plastik mit Apposition eines pilzförmigen Knochenblockes fa-
27 benötigte Menge nicht unterschätzt werden darf. vorisiert wurde, gilt diese Situation heute als eine Domäne der
Die Stabilisierung der Kahnbeinfragmente bei der rekonst- gestielten vaskularisierten Knochentransplantate. Neuere Studien
ruktiven Pseudarthrosenchirurgie kann auf verschiedenen Wegen berichten über knöcherne Ausheilungsraten von 85% beim freien
erfolgen. Die älteste bewährte Methode mit einer knöchernen Kon- vaskularisierten Beckenkammspan und von 71% bis 100% bei ge-
solidierungsrate von 80–90% ist die Matti-Russe-Plastik, bei der die fäßgestielten Knochentransplantaten vom distalen Radius. Im Falle
Stabilisierung mit einem kortikospongiösen Span als Knochend- einer gleichzeitigen Chondromalazie am proximalen Fragment
übel erfolgt ( Abschn. 27.2.5). Der entscheidende Nachteil dieses schlagen Kälicke et al. (2009) die Verwendung eines vaskularisier-
Verfahrens ist die Notwendigkeit einer zusätzlichen, mindestens ten Knochentransplantates mit teilweisem Knorpelüberzug vom
12-wöchigen strengen Gipsretention des Handgelenks mit den be- medialen Femurkondylus vor. Zur Osteosynthese sollten bevorzugt
kannten negativen Begleitfolgen. Um auf eine Gipsimmobilisation kanülierte Schrauben in Mini-Herbert-Schrauben-Dimension ein-
verzichten oder diese zumindest deutlich verkürzen zu können gesetzt werden, alternativ auch Kirschner-Drähte (⊡ Abb. 27.16).
wird die Spanverblockung heute zunehmend mit einer Verschrau- Das alleinige Verklemmen des Spans birgt auch bei konsequenter
bung (Herbert- oder Mini-Herbert-Schraube) kombiniert. Gipsimmobilisation in hohem Maße die Gefahr einer Spandisloka-
Wie bei der Versorgung frischer Kahnbeinfrakturen hat sich tion. Die SL-Bandstabilität muss aber in jedem Fall erhalten blei-
auch bei der Pseudarthrosensanierung die Osteosynthese mittels ben, da sich sonst auch bei erfolgreicher Sanierung der Skaphoidp-
Doppelgewindeschrauben als Standardverfahren durchgesetzt. seudarthrose ein SLAC-Wrist (scapho-lunate advanced collapse)
Die kanülierten Systeme bieten intraoperativ, analog zur Fraktur- entwickeln kann (⊡ Tab. 27.5).
versorgung, Vorteile beim Bestimmen der richtigen Schraubenlage
und -länge.
> Da die Knochensubstanz durch die degenerativen Verände-
rungen bei der Pseudarthrose meist weniger tragfähig ist, be-
steht bei suboptimaler Schraubenpositionierung in erhöhtem
Maße die Gefahr einer insuffizienten Gewindeverankerung
ohne ausreichenden Kompressionseffekt.
Demgegenüber besteht bei gut erhaltener Knochenstruktur der
Pseudarthrosefragmente durchaus die Chance, dass auch im Falle
einer ausbleibenden radiologischen Knochendurchbauung bei gut
verankerter Schraube eine dauerhaft stabile Situation herbeigeführt
wird. Beim Verwenden von normal dimensionierten Schrauben in
Verbindung mit kortikospongiösen Spänen oder Spongiosablöck-
chen können die Knochentransplantate u. U. durch den Bohrvor-
gang und das Einbringen der Schraube frakturieren oder diszlozie-
ren. Alternativ kommen deshalb gelegentlich auch noch Kirschner- a b
Drähte als Stabilisierungsoption, insbesondere bei gefäßgestielten
Transplantaten, zur Anwendung. Desweiteren dienen temporäre ⊡ Abb. 27.16 Verschiedene Osteosyntheseverfahren bei gefäßgestieltem
Kirschner-Drähte zum Halten der Fragmentreposition und Länge Knochentransplantat (1./2. interkompartmentelle supraretinakuläre Arterie)
des Kahnbeins bis zur definitiven Osteosynthese oder zur Retenti- vom distalen Radius. a Kirschner-Draht-Osteosynthese, b kanülierte Doppel-
on karpaler Instabilitäten. gewindeschraube

⊡ Tab. 27.5 Behandlungsalgorithmus bei Problem- und Sonderfällen

Kleines proximales Fragment Persistierende Pseudarthrose Refraktur nach ausgeheilter Pseudarthrose

Vital: Nach primärer Frakturverschraubung: Gute Knochensubstanz und Vaskulariät:


Dorsale (kanülierte) Mini-Herbert- In Abhängigkeit von Knochensubstanz und Vaskula- Wie frische Skaphoidfraktur, ggf. mit Spongiosa-
Schraube mit Spongiosaplastik rität Reosteosynthese mit Spongiosaplastik plastik
oder
gefäßgestieltem Knochentransplantat oder klassi-
sche Matti-Russe-Plastik

Avital: Nach Pseudarthroseoperation: Schlechte Knochensubstanz und Vaskularität:


Vaskularisiertes gestieltes/freies In Abhängigkeit vom karpalen Kollaps/Arthrosegrad Entfernung des Skaphoids und palliative Rettungs-
Knochentransplantat oder palliative Reosteosynthese mit gefäßgestieltem Knochen- operation
Rettungsoperation transplantat oder palliative Rettungsoperation
27.1 · Allgemeines
683 27
> Bei vaskularisierten Knochentransplantaten sollten wenn 27.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
möglich die Doppelgewindeschraubenosteosynthesen der
Kirschner-Draht-Osteosynthese vorgezogen werden, da Annelie Weinberg, Barbara Schmidt
hier der Grundsatz »Stabilität vor Vaskularität« zu berück-
sichtigen ist. Chirurgisch relevante Anatomie
Ossifikationskerne, Zeitpunkt des Fugenschlusses. Das
Die Wertigkeit einer simultanen radialen Styloidektomie im Rah- menschliche Handgelenk beginnt zunächst als eine einzige knor-
men der Kahnbeinrekonstruktion ist umstritten. Bei isolierten pelige Struktur, die sich allerdings in der 10. SSW in 8 eigene Enti-
3.- und 4.-gradigen Knorpelschäden an der radialen Gelenkfläche täten mit definierbarer interkarpaler Separation gliedert. Daneben
der Fossa scaphoidea, wie sie beispielsweise beim SNAC-Wrist I lassen sich kleinere Veränderungen der Kontur beobachten, die
auftreten können, macht diese Maßnahme durchaus Sinn. Sie muss den späteren reifen Karpalknochen in ihrer individuellen Ausprä-
bogenförmig, möglichst sparsam und unter Schonung der radial gung ähneln. Die Karpalknochen ossifizieren in einer vorhersag-
über das Styloid verlaufenden Daumensehnen (EPB, APL) durch- baren Form mit nur geringen Abweichungen ( Kap. 21). Das Os
geführt werden. scaphoideum beginnt um das 5. Lebensjahr zu verknöchern. Die
Für die Nachbehandlung nach rekonstruktiven Pseudarth- Verknöcherung des Skaphoids beginnt von distal nach proximal.
roseoperationen gibt es keine einheitlichen Richtlinien. Während Die Ossifikation verläuft von einem definierten Zentrum aus in
Herbert und Filan (1999) nach Schraubenosteosynthesen auch bei einer bestimmten Form. Das Skaphoid und natürlich alle anderen
proximalen Pseudarthrosen auf eine Immobilisation verzichteten, Handwurzelknochen können multiple Ossifikationszentren auf-
empfehlen wir nach Skaphoidrekonstruktionen generell die An- weisen. Obwohl diese Variationen bekannt sind, können sie bei Be-
lage eines Unterarm-Kahnbein-Gipses mit Daumeneinschluss für trachtung von frischen Frakturen im Röntgenbild zu Fehldiagno-
6 Wochen. Bei stabiler Verschraubung erhält der Patient eine Mo- sen führen. Darüber hinaus kann das bis zum 15. Lebensjahr noch
difikation aus zwei stabilen Thermoplast-Halbschalen (»Sandwich- nicht ausgereifte Skaphoid eine vergrößerte Lücke zum Lunatum
Schiene«), die mit breiten Klettbändern verbunden werden und so hin vortäuschen und im Sinn einer skapholunären Bandverletzung
immer eine optimale Anpassung an die Umfänge der Hand und fehlinterpretiert werden.
des Unterarmes ermöglichen. Danach sollte der Patient trotz Frei-
gabe der Handgelenkbewegungen mit einer Handgelenkorthese Skaphoidfraktur
versorgt werden, die auch während der stufenweisen Aufbelastung Epidemiologie und Ätiologie
im Alltag zu tragen ist. Die Freigabe der Vollbelastung der Hand Frakturen der Handwurzelknochen bei Kindern sind selten und
geschieht in der Regel nicht vor Ablauf der 12. postoperativen kommen wahrscheinlich erst ab dem 10. bis zum 15. Lebensjahr
Woche. Falls in den radiologischen Verlaufskontrollen Heilungs- vor. Am häufigsten betroffen ist das Skaphoid mit 0,45% aller
verzögerungen beobachtet werden, verlängern sich die einzelnen Frakturen an der oberen Extremität. Typische Unfälle sind Stürze
Abschnitte entsprechend. Ein postoperativer Nachbeobachtungs- mit dem Skateboard oder beim Inline-Skating auf die ausgestreckte
zeitraum von wenigstens 1 Jahr wird angeraten. Hand, aber auch ein direktes Trauma stellt zuweilen die Unfallur-
Die Ausheilungsprognose ist von verschiedenen Faktoren und sache dar. Die Frakturen treten überwiegend im distalen Drittel auf
deren Kombination abhängig und somit individuell sehr unter- und sind inkomplett oder nicht disloziert.
schiedlich. Damit ist eine vergleichende Bewertung der einzelnen
Operationsmethoden im Hinblick auf die Heilungsraten schlecht Diagnostik
möglich. Insgesamt betrachtet kann man dem Patienten sowohl Patienten mit Skaphoidfrakturen weisen häufig keine äußeren Ver-
bei der Matti-Russe-Plastik als auch bei den anderen Verfahren letzungszeichen auf. Eine Schwellung radial am Handgelenk kann
eine 80–90%ige Heilungschance in Aussicht stellen, wobei die ver- vorliegen. Wegweisend ist ein Druckschmerz in der Tabatière.
öffentlichten Studien sowohl bessere als auch deutlich schlechtere Beugeseitig am Handgelenk ist über dem distalen Kahnbeinpol
Werte beinhalten. Als positive Einflussfaktoren gelten Pseudarth- ebenfalls häufig ein Druckschmerz auszulösen.
rosealter <1 Jahr, Patientenalter <40 Jahre, anatomische Kahnbein- Die radiologische Diagnostik beginnt mit Aufnahmen des
rekonstruktion, gute Vaskularität der Fragmente und Lokalisation Handgelenks in zwei Ebenen, gefolgt von Zielaufnahmen des
im mittleren Drittel. Bei vergleichbarer Heilungsprognose sollte Kahnbeins. Die klassischen Kahnbeinaufnahmen sind im Kahn-
das Verfahren favorisiert werden, welches die kürzeste postopera- beinquartett zusammengefasst. Einige Autoren weisen darauf hin,
tive Gipsimmobilisation erfordert. dass in erster Linie die p.-a.-Aufnahme in Ulnarduktion, die Ste-
Bei persistierender Pseudarthrose trotz operativem Sanie- cher-Projektion des Kahnbeinquartetts, von Bedeutung ist, da in
rungsversuch oder Refraktur nach ausgeheilter Pseudarthrose ist ihr das Kahnbein vollständig aufgerichtet ist und sich damit zur
die Indikation zum nochmaligen Kahnbeinerhaltungsversuch zwar Beurteilung in ausreichender Weise darstellt (⊡ Abb. 27.4).
prinzipiell gegeben, aber sehr restriktiv zu stellen, da eine weitere Das Ausmaß einer Dislokation der Skaphoidfraktur erschließt
Verschlechterung der Knochensubstanz und Vaskulariät angenom- sich oftmals erst in der CT-Untersuchung, deren Schnitte idealer-
men werden muss (⊡ Tab. 27.5). weise entlang der Kahnbeinachse gelegt werden sollten. Probleme
Sofern keine Indikation mehr für die Kahnbeinrekonstruktion der Heilung von Kahnbeinbrüchen werden auf übersehene Dislo-
besteht, kommen Rettungs- oder Rückzugoperationen wie die kationen zurückgeführt (⊡ Abb. 27.17).
Denervierung ( Kap. 17), die Kahnbeinexstirpation mit mediokar-
paler Teilarthrodese ( Abschn. 27.2.10), die proximale Rowcarpek- Klassifikation
tomie, die komplette Handgelenkarthrodese oder auch die Hand- Man unterscheidet am Os scaphoideum entsprechend der Lokali-
gelenkendoprothese ( Kap. 12) in Betracht. Außer bei der Kom- sation insgesamt 3 verschiedene Subtypen. Dies sind die Frakturen
plettarthrodese geht der Patient dabei einen Kompromiss zwischen des distalen, des mittleren und proximalen Pols. Im Gegensatz zu
Restbeweglichkeit des Handgelenks und tolerierbaren Schmerzen Erwachsenen finden sich die Frakturen des Skaphoids bei Kindern
bei dauerhaft reduzierter Belastbarkeit der Hand ein. meist am distalen Pol. Grundsätzlich wird zwischen dislozierten
684 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

27

a b c

⊡ Abb. 27.17 Sturz vom Fahrrad, Mädchen, 10 Jahre. a Röntgenbild, b,c MRT: Es zeigt sich ein Kontusionsherd (»bone bruise«) im Kahnbein (Pfeile). (Aus
Weinberg u. Tscherne 2006)

es dabei zum Einsatz von Kirschner-Drähten oder kanülierten


Schrauben bis hin zu speziell für diese Frakturen entwickelten
Schrauben (Herbert-Schraube) kommt, ist abhängig vom Alter des
Patienten und der Fragmentgröße.

Therapie
Das therapeutische Vorgehen ist abhängig vom klinischen Bild und
der radiologischen Diagnostik. Nicht immer ist eine Fraktur des
Skaphoids primär radiologisch zu verifizieren.
Folgendes Procedere hat sich bei der Behandlung von Skapho-
idfrakturen bei Kindern bewährt:
⊡ Abb. 27.18 Klassifikation der Kahnbeinfrakturen beim Kind. A distales ▬ Liegt trotz klinischen Verdachts ein unauffälliges Röntgenbild
Drittel, B mittleres Drittel, C proximales Drittel. Prognostisch günstig sind vor, wird zunächst für 7–14 Tage ein Unterarmgips mit Dau-
bei Jugendlichen Frakturen des distalen Drittels, die ungünstigere Prognose meneinschluss angelegt. Anschließend erfolgt eine neuerliche
weisen Verletzungen im proximalen Drittel auf. Bei Kindern ist die Prognose gipsfreie Röntgenkontrolle. Sind keine Frakturzeichen zu er-
insgesamt günstiger. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006) kennen und gibt der Patient keine Schmerzen mehr an, gilt die
Behandlung als abgeschlossen.
▬ Bei immer noch andauerndem Schmerz nach 7–14 Tagen
und nicht dislozierten Frakturen differenziert, da dieses therapeu- wird entweder eine neuerliche Immobilisation für 2 Wochen
tische Konsequenzen nach sich zieht (⊡ Abb. 27.18). durchgeführt oder aber eine MRT-Untersuchung. Wird weiter
konservativ ohne MRT vorgegangen, erfolgt nach 4 Wochen
Indikation und Differenzialtherapie erneut eine klinische und radiologische Kontrolle, ggf. ist die
Die Entscheidung zur konservativen oder operativen Therapie Behandlung bei bestehender Symptomatik auf 6 Wochen aus-
wird anhand der Dislokation vorgenommen. Eine nicht dislozierte zudehnen.
Skaphoidfraktur kann konservativ behandelt werden. Die Ruhig- ▬ Zeigt sich bereits primär eine Fraktur im Röntgenbild, so wird
stellung erfolgt im Kahnbeingips, d. h. in einer Unterarmschiene für 6 Wochen ein Unterarmgips mit Daumeneinschluss ange-
mit Einschluss des Daumengrundgelenks. Zunächst wird dieser legt. Kann nach 6 Wochen ein Knochendurchbau radiologisch
Gips als eine dorsoradiale Schiene angelegt, sekundär wird auf gesichert werden, so kann mit Bewegungsübungen begonnen
einen zirkulären Gips umgestiegen. Leichte Kunststoffmaterialien werden.
haben sich hierbei bewährt. ▬ Zeigt sich nach dieser Zeit keine knöcherne Konsolidierung
Operationsindikationen bestehen bei dislozierten und instabi- der Fraktur, muss erneut eine Immobilisation für weitere
len Skaphoidfrakturen. Eine relative Indikation zur operativen Ver- 4 Wochen erfolgen. Dies ist im Kindesalter eine Rarität. Ist der
sorgung stellen konservativ behandelbare Skaphoidfrakturen dar, Patient in der Pubertät, sollte die Fraktur spätestens zu diesem
wenn Gründe gegen eine Ruhigstellung sprechen. Übungsstabilität Zeitpunkt operativ stabilisiert werden. Auch sekundär nach
sollte dann das OP-Ziel sein. 6 Wochen zeigt die Behandlung dieser Frakturen noch gute
Ergebnisse.
> Da Einsteifungen des Handgelenks nach konservativ behan-
▬ Handelt es sich um eine dislozierte Fraktur, so gestaltet es sich
delten Kahnbeinbrüchen gerade bei Kindern und Jugendli-
äußerst schwierig, die anatomische Position durch einen Gips
chen nicht beobachtet werden, ist die OP-Indikation, die sich
zu retinieren. In diesen Fällen sind offene Reposition und
nur auf eine Verkürzung der Ruhigstellungszeit gründet, mit
Transfixation der Fraktur indiziert.
besonderer Sorgfalt zu prüfen.
Als disloziert gelten alle sichtbaren Stufenbildungen und Spalt- Die Behandlung besteht mit Ausnahme von Komplexverletzungen
bildungen über 2 mm sowie Abkippungen von mehr als 10°. Ob immer in der Anlage eines Unterarm-Kahnbein-Gipses, in der
27.2 · Spezielle Techniken
685 27
Regel für 6 Wochen. Die Prognose für eine vollständige Ausheilung
ist sehr gut.
Die Kahnbeinosteosynthese erfolgt nach den Richtlinien von
Erwachsenen, da diese Frakturen fast ausschließlich in der Puber-
tät auftreten.

Nachkontrolle
In der Regel heilen die Frakturen in 6–8 Wochen aus, allerdings
wird in der Literatur empfohlen, nach 4 Wochen ein gipsfreies
Röntgenbild aufzunehmen und je nach klinischem Befund even-
tuell nochmals im Skaphoidgips für 2–4 Wochen ruhigzustellen.
Danach ist die Konsolidierung bei entsprechendem radiologischem
und klinischem Befund nochmals zu beurteilen.
a
Wachstumskontrollen. Da auch sekundär aufgetretene Pseudar-
throsen beschrieben werden, scheint es sinnvoll eine klinische und
bei entsprechender Symptomatik eine radiologische Verlaufskont-
rolle nach 6 Monaten zu empfehlen. Nach Meinung der Autoren ist
dies aber nur bei nachgewiesenen durchgehenden Frakturen von
Bedeutung. Fissuren und inkomplette Brüche zeigen keine sekun-
dären Dislokationen und damit Pseudarthrosen.

Sportfähigkeit. Nach konservativer als auch operativer Behand-


lung kann bei gesicherter Durchbauung und freier Beweglichkeit
erneut mit der sportlichen Betätigung begonnen werden. Dies ist
meist ab der 12. Woche möglich.

Skaphoidpseudarthrose b
Grundsätzlich sind Pseudarthrosen nicht zu befürchten, wenn zum
Zeitpunkt des Unfalls die Wachstumsfugen der Umgebung noch ⊡ Abb. 27.19 Universell einsetzbares Schienenpaar zur intraoperativen Lage-
weit offen sind. Hingegen können Deformierungen der Kahnbein- rung bei der perkutanen Verschraubung von dorsal und palmar. a Ansicht von
kontur oder sekundäre Veränderungen am Karpus und Radius- oben, b Lagerung der linken Hand zur Verschraubung von dorsal
styloid sowie entsprechende klinische Beschwerden hinweisend
auf das Vorliegen einer seltenen Kahnbeinpseudarthrose sein. Für
Jugendliche gelten die gleichen Prinzipien wie für Erwachsene. (⊡ Abb. 27.19). Dadurch wird der proximale Skaphoidpol über die
dorsale Radiuskante hervorgedreht und für die Platzierung des Füh-
> Bei einem entsprechenden röntgenologischen Befund ist
rungsdrahtes zugänglich. Alternativ muss die Hand durch die Ope-
differenzialdiagnostisch an ein Os scaphoideum bipartitum
rationsassistenz in der entsprechenden Stellung gehalten werden.
(Os centrale carpi) oder ein Os radiale externum ( Kap. 26)
zu denken.
Operationsablauf (⊡ Abb. 27.20). Hautlängsinzision (5 mm) über
dem röntgenologisch lokalisierten proximalen Skaphoidpol. Sprei-
zen der Weichteile zwischen 3. und 4. Strecksehnenfach. Perfo-
27.2 Spezielle Techniken ration der dorsalen Gelenkkapsel, Entlastung des Hämarthros.
Vorbohren des Führungs-Kirschner-Drahtes bis zur distalen Kahn-
27.2.1 Technik der perkutanen beinkortikalis. Dieser muss idealerweise in beiden Röntgenebe-
Schraubenosteosynthese der frischen nen zentral platziert werden. Da der Daumenstrahl nicht mit in
Skaphoidfraktur von dorsal der Lagerungsschiene fixiert ist, kann dieser als Verlängerung
der Kahnbeinachse zur visuellen Orientierung dienen. Um die
Indikation. Nicht oder gering dislozierte Frakturen im proxima- Knochenstruktur nicht zu schwächen, sollte man die Anzahl der
len oder mittleren Kahnbeindrittel. Bohrversuche möglichst gering halten. Längenbestimmung mit
Messlatte laut OP-Anleitung (systemspezifische Besonderheiten
Equipment. Kanüliertes Schraubensystem, Bohrmaschine, Arm- beachten!). Weiteres Vorbohren des Führungsdrahtes bis ins Tra-
tisch, Oberarmblutleere, BV. pezium zur besseren Stabilisierung des distalen Fragmentes. Optio-
nal kann parallel zum Führungsdraht ein weiterer Kirschner-Draht
Anästhesie. Regionalanästhesie (Bier‘sche i.v.-Anästhesie, Arm- zur Fragmentstabilisierung eingebracht werden, welcher aber mit
plexus-Anästhesie) oder Vollnarkose. dem Schraubenverlauf nicht kollidieren darf. Vorsichtiges Auf-
bohren über den Führungsdraht bis knapp über die Frakturzone
Operationsdauer. 20–40 min. hinaus. Eindrehen der Doppelgewindeschraube mit der ermittelten
Länge, bis der nachgehende Gewindeanteil im Knochen greift
Lagerung. Die Hand wird bei frei bleibendem Daumen auf einer und ein beginnendes Anziehen der Schraube spürbar ist. Erst
sterilen, stabilen und röntgendurchlässigen Kunststoffschiene in ma- nach nochmaliger genauer röntgenologischer Verifizierung der
ximaler Flexion und Ulnarabduktion des Handgelenks fest fixiert korrekten Schraubenlänge weiteres Eindrehen der Schraube bis
686 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

27

a b d

f i

e g

⊡ Abb. 27.20 Operationsschritte der perkutanen


Verschraubung von dorsal. a Einstellen der p.-a.-
Ebene unter dem Röntgen-BV, b Hautinzision und
Weichteilpräparation, c Bestimmung des Eintritts-
punktes, d Vorbohren des Führungsdrahtes bis
ins Trapezium, e Aufbohren mit dem kanülierten
Bohrer, f Eindrehen der Schraube (seitliche Ebe-
ne), g sichere intraossäre Schraubenlage in der
Stecher-Projektion, h in der seitlichen Röntgen-
aufnahme, i klinische Prüfung: Flexion, j klinische
h j
Prüfung: Extension
27.2 · Spezielle Techniken
687 27
zur maximalen Kompression mit sicherer intraossärer Lage des Lagerung. Der Unterarm wird zunächst flach auf dem Armtisch
proximalen und distalen Schraubenendes. Nach Entfernung des gelagert. Eine straff gewickelte Bauchtuchrolle sollte vorbereitet
Führungs- und ggf. des Antirotationsdrahtes Herausnehmen der sein, über der im weiteren Operationsverlauf das Handgelenk in
Hand aus der Lagerungsschiene und BV-Röntgenkontrollen in gebeugter Stellung gelagert werden kann, um die Kahnbeingelenk-
2 Ebenen sowie Stecher-Aufnahme. Dokumentation der korrekten fläche und -kontur möglichst vollständig beurteilen zu können.
Schraubenlage und -länge, der geschlossenen Frakturzone und der Um den phasenweise erforderlichen Zug am Daumen oder der
regelrechten Kahnbeinkontur. Klinische Prüfung der freien und Hand aufrechtzuerhalten, sollte eine zweite Assistenz eingeplant
krepitationslosen Handgelenkbeweglichkeit. Hautnaht. werden.

Operationsablauf (⊡ Abb. 27.21). Dorsaler Hautschnitt 5–7 cm


27.2.2 Technik der perkutanen lang mit dem Tuberculum listeri im Zentrum. Weichteilpräpara-
Schraubenosteosynthese der frischen tion zwischen dem 3. und 4. Strecksehnenfach, schräge Durch-
Skaphoidfraktur von radiopalmar trennung des Retinaculum extensorum und Mobilisierung der
Strecksehnen. Verlagerung der EPL-Sehne nach radial und der
Indikation. Nicht oder gering dislozierte Frakturen im distalen EDC-/EI-Sehnen nach ulnar. T-förmige Inzision der Gelenkkapsel
oder mittleren Kahnbeindrittel. und Abpräparieren der beiden Lappendreiecke vom Knochen,
sodass das Skaphoid mit Frakturzone und der SL-Band-Bereich
Equipment. Kanüliertes Schraubensystem, Bohrmaschine, Arm- eingesehen werden können (⊡ Abb. 27.21b). Durch Beugung der
tisch, Oberarmblutleere, BV. Hand unter leichtem Zug dreht sich das Kahnbein aus der Fossa
scaphoidea heraus. Die weiteren Operationsschritte entsprechen
Anästhesie. Regionalanästhesie (Bier‘sche i.v.-Anästhesie, Arm- prinzipiell denen der Versorgung von palmar ( Abschn. 27.2.4).
plexus-Anästhesie) oder Vollnarkose. Eventuelle karpale Begleitverletzungen werden durch Reposition,
Kirschner-Draht-Transfixationen und Bandnähte versorgt. Falls
Operationsdauer. 20–40 min. erforderlich, kann Spongiosa über ein Kortikalisfenster zwischen
dem 1. und 2. Strecksehnenfach am distalen Radius entnommen
Lagerung. Die Hand wird auf einer sterilen, stabilen und rönt- werden.
gendurchlässigen Kunststoffschiene in maximaler Extension und
Radialabduktion des Handgelenks fest fixiert (⊡ Abb. 27.20a). Da-
durch wird das häufig nach palmar flektierte distale Fragment auf- 27.2.4 Technik der offenen Reposition und
gerichtet und im weiteren Operationsverlauf retiniert. Alternativ Schraubenosteosynthese der frischen
muss die Hand durch die Operationsassistenz in der entsprechen- Skaphoidfraktur von palmar
den Stellung gehalten werden.
Indikation. Dislozierte Frakturen ohne versorgungspflichtige kar-
Operationsablauf. Geschlossene Reposition durch Längszug pale Begleitverletzungen.
am Daumen. Gelingt diese nicht, können perkutan jeweils ein
1,6-mm-Kirschner-Draht in das proximale und distale Fragment Equipment. Kanüliertes Schraubensystem, Bohrmaschine, Armtisch,
als Joysticks eingebracht werden, mit deren Hilfe eine direkte Oberarmblutleere, BV, ggf. Meißelsieb zur Spongiosaentnahme.
Feinreposition gelingen kann. Bestimmung des Eintrittspunktes
über der Tuberositas am Tuberculum scaphoidei möglichst weit Anästhesie. Armplexus-Regionalanästhesie oder Vollnarkose.
radial-palmar, um Irritationen des skaphotrapezialen Gelenks zu
minimieren. Vorbohren des Führungsdrahtes bis zur proximalen Operationsdauer. 60–120 min.
Kahnbeinkortikalis. Hautlängsinzision (3–5 mm) und Präparation
der Weichteile bis zum Knochen entlang des Führungsdrahtes. Lagerung. Der Unterarm wird zunächst mit leichter Extension
Nach Längenmessung (systemspezifische Besonderheiten beach- des Handgelenks auf dem Armtisch gelagert. Eine straff gewi-
ten!) weiteres Vorbohren des Führungsdrahtes bis in den Radius ckelte Bauchtuchrolle sollte vorbereitet sein, über der im weiteren
zur besseren Stabilisierung des proximalen Fragmentes. Der weite- Operationsverlauf das Handgelenk weiter nach dorsal extendiert
re Operationsablauf entspricht jenem unter  Abschn. 27.2.1. werden kann, um die Kahnbeinfraktur zu reponieren und die
Kahnbeingelenkfläche möglichst vollständig beurteilen zu kön-
nen. Um den phasenweise erforderlichen Zug am Daumen oder
27.2.3 Technik der offenen Reposition und der Hand aufrechtzuerhalten, möglichst zweite Assistenz mit
Schraubenosteosynthese der frischen einplanen.
Skaphoidfraktur von dorsal
Operationsablauf (⊡ Abb. 27.22). Die Flexor-carpi-radialis-Sehne
Indikation. Dislozierte Frakturen, insbesondere mit versorgungs- und das Tuberculum scaphoidei dienen als palpierbare anatomi-
pflichtigen karpalen Begleitverletzungen. sche Landmarken. Tennisschlägerförmiger Hautschnitt am radia-
len Rand der FCR-Sehne mit Abwinkelung über dem Tuberkulum
Equipment. Kanüliertes Schraubensystem, Bohrmaschine, Armtisch, und Weiterführung bis in Höhe des Trapeziums (⊡ Abb. 27.22b).
Oberarmblutleere, BV, ggf. Meißelsieb zur Spongiosaentnahme. Inzision der FCR-Sehnenscheide und weitere Präparation nach
distal entlang der radialen Sehnenkante, ggf. muss der kreuzende
Anästhesie. Armplexus-Regionalanästhesie oder Vollnarkose. palmare Ast der A. radialis ligiert werden (⊡ Abb. 27.22c). Längs-
inzision der kräftigen palmaren radiokarpalen Bänder und der
Operationsdauer. 60–120 min. Gelenkkapsel. Nach Eröffnung des Handgelenks wird das mittlere
688 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

27

⊡ Abb. 27.21 Operationsschritte


der offenen Reposition und Schrau-
benosteosynthese der frischen
Skaphoidfraktur von dorsal, a Haut-
schnitt für den dorsalen Zugang,
b Eröffnung der dorsalen Kapsel
in ihrem radialen Anteil und Dar-
stellung des Frakturspaltes, c nach
Reposition und intraoperativer
Röntgenkontrolle der Fragment-
stellung Einbringen des zentralen
Führungsdrahtes bis ins Trapezium,
d Aufbohren mit dem kanülierten
Bohrer, e Eindrehen der Schraube. f
(Aus Kremling et al. 2001) e
27.2 · Spezielle Techniken
689 27

b c
a

f
d e

h i j
g

⊡ Abb. 27.22 Technik der offenen Reposition und Schraubenosteosynthese der frischen Skaphoidfraktur von palmar, a Leitstruktur ist die Sehne des M. fle-
xor carpi radialis, b Anzeichnung des Hautschnitts, c Durchtrennung der Sehnengleitbahn: Oft muss ein kreuzender palmarer Ast – distaler Perforator – der
A. radialis ligiert werden, d Anzeichnung der Eröffnung der derben radiopalmaren Gelenkkapsel, e Einkerbung (Durchtrennung) des Lig. radioscaphocapi-
tatum, f Darstellung des Kahnbeins: Zur Operation im mittleren und distalen Drittel wird die Sehne des M. flexor carpi radialis nach ulnar gehalten, zur Dar-
stellung des proximalen Pols nach radial, g sparsames Freipräparieren der Eintrittsstelle für den Führungsdraht am distalen Kahnbeinpol durch Inzision der
Thenarmuskulatur, von Kapsel-Band-Anteilen des skaphotrapezialen Gelenks und ggf. Resektion des palmaren Anteils des Os trapezium mit der Luer-Zange,
h Positionierung des Führungsdrahtes am distalen Skaphoidpol, i Längenbestimmung mit der Messlehre, j Eindrehen der Doppelgewindeschraube und ggf.
Spongiosaauffüllung des Frakturspaltes. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006 [a, d, e,] und Preißer 1996 [g])
690 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

Drittel des Kahnbeins sichtbar (⊡ Abb. 27.22d–f). Einsetzen eines Kirschner-Draht mit Gewinde zur Transfixation der Fragmente
scharfen stabilen Wundspreizers. Reposition der Fraktur durch und als Kernmarkierung der kanülierten Schraube in Längsachse
Zug am Daumen und Extension des Handgelenks. Meist ist es des Kahnbeins angelegt werden. Oft können durch den Zug des
erforderlich, die Fragmente mit je einem Joystick-Kirschner-Draht feinen gebogenen Hakens, der am proximalen Pol des Kahnbeins
zu besetzen, um eine direkte Reposition vornehmen zu können. angesetzt ist, die Fragmente reponiert und durch leichten Gegen-
Sparsames Freipräparieren der Eintrittsstelle für den Führungs- druck des Bohrers kann eine ausreichende Fixation zum Boh-
27 draht am distalen Kahnbeinpol durch Inzision der Thenarmus- ren erzielt werden. Der 1,1 mm dicke Führungsdraht wird von
kulatur und von Kapsel-Band-Anteilen des skaphotrapezialen dorsal-distal parallel zur Längsachse des Kahnbeins senkrecht
Gelenks. zur Bruchfläche so eingebracht, dass die beiden Fragmente in
Auch bei exakter Reposition kann es schwierig sein, den anatomisch reponierter Stellung fixiert werden. Der Kirschner-
Schraubeneintritt ausreichend weit dorsal im distalen Fragment zu Draht soll nach Möglichkeit im proximalen Pol des Kahnbeins
platzieren. Ist dies durch eine Mobilisation des distalen Pols nicht fest verankert und in Korpusmitte des Kahnbeins platziert sein
möglich, kann alternativ hierzu mit der Luer-Zange eine Rinne und bildet eine Leitschiene für den endgültigen Platz der Schrau-
in den prominenten palmar-proximalen Anteil des Os trapezi- be. Die Lage des Kirschner-Drahtes wird unter Bildverstärker
ums angelegt werden. Dies vermeidet die Ablösung der palmaren kontrolliert. Nun wird über den Kirschner-Draht mit einem
Bandstrukturen am distalen Kahnbeinpol (⊡ Abb. 27.22g,h). Unter kanülierten 2,0-mm-Bohrer ein Kanal von distal nach proximal
Halten der Reposition Vorbohren des Führungsdrahtes bis zur des Kahnbeins eingebohrt. Der Bohrer darf nicht den proximalen
proximalen Kahnbeinkortikalis und Bestimmung der Schrauben- Pol des Kahnbeins durchstoßen. Ein Gewindeschneiden wird
länge (systemspezifische Besonderheiten beachten!) (⊡ Abb. 27.22i). nicht benötigt, da hier die Schraube selbst gewindeschneidend
Durch weiteres Vorbohren des Führungsdrahtes bis in den distalen ist. Anschließend Messung der Schraubenlänge. Die gemessene
Radius wird das proximale Fragment besser stabilisiert, allerdings kanülierte Schraube wird nun über den Kirschner-Draht mit
darf dann das Handgelenk nicht mehr bewegt werden. Optional einem kanülierten Schraubendreher eingedreht. Der Kirschner-
kann parallel zum Führungsdraht ein weiterer Kirschner-Draht Draht wird anschließend entfernt. Nochmalige Kontrolle unter
zur Fragmentstabilisierung eingebracht werden, welcher aber mit Bildverstärker. Nach Spülung des Gelenks erfolgen die Öffnung
dem Schraubenverlauf nicht kollidieren darf. Vorsichtiges Aufboh- der Blutleere, Blutstillung, Kapselnaht, Einlegen einer Redon-
ren mit dem kanülierten Bohrer bis knapp über die Frakturzone Drainage und Hautverschluss.
hinweg in das proximale Fragment hinein. Eindrehen der Doppel-
gewindeschraube mit der ermittelten Länge, bis der nachgehende
Gewindeanteil im Knochen greift und ein beginnendes Anziehen 27.2.6 Technik der Korrektur der Skaphoid-
der Schraube spürbar ist (⊡ Abb. 27.22j). Erst nach nochmaliger pseudarthrose über einen palmaren Zugang
genauer röntgenologischer Verifizierung der korrekten Schrau- am Beispiel der Matti-Russe-Plastik
benlänge weiteres Eindrehen der Schraube bis zur maximalen
Kompression mit sicherer intraossärer Lage des proximalen und Indikation. Pseudarthrose mittleres Drittel bis Übergangsbereich
distalen Schraubenendes. Sollte nach korrekter Reposition ein zum proximalen Drittel bei erhaltener Fragmentvaskularisation.
keilförmig klaffender Frakturspalt resultieren, muss dieser mit
autologer Spongiosa fest ausgefüllt werden, damit bei Entfaltung Equipment. Bohrmaschine mit Minifräsen, Armtisch, Oberarm-
der vollen Kompressionswirkung der Schraube keine erneute An- blutleere, BV, Minimeißel, Meißelsieb zur Knochenentnahme, ggf.
gulationsfehlstellung eintritt. Die Spongiosa kann in dieser Situa- kanüliertes Schraubensystem.
tion durch eine kurze Schnitterweiterung nach proximal über ein
palmares Kortikalisfenster am Radiusstyloid gewonnen werden. Anästhesie. Vollnarkose wegen Knochenentnahmeam Becken-
Nach Entfernung des Führungs- und ggf. des Antirotationsdrah- kamm.
tes BV-Röntgenkontrollen in 2 Ebenen sowie Stecher-Aufnahme.
Dokumentation der korrekten Schraubenlage und -länge, der ge- Operationsdauer. 90–120 min, Verkürzung bei simultaner Kno-
schlossenen Frakturzone und der regelrechten Kahnbeinkontur. chenentnahme durch zweites Operationsteam.
Klinische Prüfung der freien und krepitationslosen Handgelenkbe-
weglichkeit. Naht der Gelenkkapsel und palmaren Bänder, Subku- Lagerung. Der Unterarm wird zunächst mit leichter Extension
tan- und Hautnaht. des Handgelenks auf dem Armtisch gelagert. Eine straff gewickelte
Bauchtuchrolle sollte vorbereitet sein, über der im weiteren Opera-
tionsverlauf das Handgelenk weiter nach dorsal extendiert werden
27.2.5 Technik der offenen Reposition und kann, um die Kahnbeinfragmente zu reponieren und die Kahn-
Schraubenosteosynthese der frischen beingelenkfläche möglichst vollständig beurteilen zu können. Um
Skaphoidfraktur von radial den phasenweise erforderlichen Zug am Daumen oder der Hand
aufrechtzuerhalten, möglichst zweite Assistenz mit einplanen.
Als Zugang wird ein ca. 5 cm langer Längsschnitt in der Tabati-
ere gewählt (⊡ Abb. 27.23a). Es muss eine exakte Darstellung und Operation (⊡ Abb. 27.24). Lagerung und operativer Zugang ent-
Schonung der Sehne des M. abductor pollicis longus und Exten- sprechen dem in  Abschn. 27.2.4 beschriebenen Vorgehen . Spal-
sor pollicis brevis sowie Ramus superfizialis N. radialis erfolgen tung der Gelenkkapsel parallel zur Kahnbeinachse und Darstellung
(⊡ Abb. 27.23b); Eröffnung der Gelenkkapsel durch eine Längs- der Pseudarthrose. Liegen arthrotische Veränderungen an der Ge-
spaltung, Ablösen der Gelenkkapsel vom Processus styloideus lenkfläche des Processus styloideus radii vor, kann dieser sparsam
radii (⊡ Abb. 27.23c). Darstellen des Kahnbeins, Reposition und bogenförmig abgemeißelt werden. Hierbei sind die ansetzenden
Retention der Fragmente unter Sicht und mithilfe eines feinen Bandverbindungen zu lösen und die über das Styloid verlaufenden
gebogenen Hakens (⊡ Abb. 27.23d). Nun kann ein temporärer EPB- und APL-Sehnen sorgfältig zu schonen. Resektion der bin-
27.2 · Spezielle Techniken
691 27
⊡ Abb. 27.23 Technik der offenen Reposition und Schraubenosteosynthese
der frischen Skaphoidfraktur von radial. a Anzeichnung des Hautschnitts,
b Darstellung der Strukturen im Bereich des radialen Handgelenks: Die
Äste des R. superficialis N. radialis müssen dargestellt, angeschlungen und
vorsichtig weggehalten werden. c Darstellung der radialen Gelenkkapsel,
d Eröffnung der radialen Gelenkkapsel und Darstellung der Fraktur, e Reposi-
tion der Fraktur und Retention mithilfe eines Kirschner-Drahtes. (Aus Schmit-
Neuerburg et al. 2001)

c
692 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

degewebigen Pseudarthrosezone bzw. Entdeckelung der Pseudar- 27.2.7 Technik der Entnahme des dorsoradialen
throseflächen mit dem Mini-Luer. Gegebenenfalls Einbringen von vaskularisierten Knochenspans
jeweils einem Joystick-Kirschner-Draht pro Fragment und Halten (A.-innominata-Lappenplastik nach
der korrekten Kahnbeinlänge und Repositionsstellung. Ausarbei- Zaidemberg)  Abschn. 9.2.2
ten eines insgesamt ca. 10 mm langen und 3 mm breiten Kortika-
lisfensters parallel zur Längsachse des Kahnbeins und mit Zentrum 27.2.8 Technik der Entnahme des palmaren
27 über dem Pseudarthrosespalt. Dabei ist der intakte gelenkbildende vaskularisierten Knochenspans nach
Knorpelbereich möglichst zu schonen. Von diesem rinnenförmi- Kuhlmann/Mathoulin  Abschn. 9.2.3
gen Kortikalisfenster aus werden die bindegewebig und zystisch
degenerierten Bereiche mit dem Mini-Luer und scharfem Löffel 27.2.9 Technik der Entnahme des freien
aus beiden Fragmenten entfernt, bis nur noch vitale Spongiosa vaskularisierten Knochentransplantat
vorhanden ist (⊡ Abb. 27.24a). Ein kurzes Öffnen der Blutleere vom medialen Femurkondylus nach
kann zum Nachweis der Durchblutung des proximalen Fragmentes Masquelet  Abschn. 9.2.8
dienen. Nun wird der vom Beckenkamm entnommene kortiko-
spongiöse Knochenspan nach der Größe der Knochenhöhle und 27.2.10 Technik der Entnahme des freien
der wiederherzustellenden Kahnbeinlänge subtil zugerichtet. An mikrovaskulären vorderen Beckenkamspans
der Außenseite anhaftendes Bindegewebe wird zusammen mit der nach Taylor  Abschn. 29.2.7
äußeren Kortikalisschicht mit dem Luer entfernt, ohne die struk-
turelle Stabilität des Spans wesentlich zu schwächen. Schrittweises 27.2.11 Technik der Skaphoidektomie und
Einpassen des nicht vaskularisierten autologen kortikospongiösen mediokarpalen Arthrodese  Abschn. 28.2.10
Knochenspans je nach Situation über die Stirnseiten der Fragmente
oder die ausgearbeitete Rinne ohne stärkere Gewaltanwendung 27.2.12 Technik der Resektion der proximalen
(⊡ Abb. 27.24b). Zusätzlich eingepresste Spongiosachips verblocken Karpalreihe  Abschn. 28.2.14
den Span und füllen die verbliebenen Knochenlücken auf. Gelenk-
spülung (⊡ Abb. 27.24c). 27.2.13 Technik der kompletten
Röngten-BV-Kontrollen und Bewegung des Handgelenks zur Handgelenkarthrodese  Abschn. 28.2.15
klinischen Prüfung der Kahnbeinstabilität. (Gegebenenfalls zusätz-
liches Einbringen von 1–2 stabilisierenden Kirschner-Drähten oder 27.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
einer Mini-Herbert-Schraube.) Naht der Gelenkkapsel und ggf. der
FCR-Sehne. Öffnen der Blutsperre und Blutstillung. Einlage einer 27.3.1 Skaphoidfraktur
Mini-Redon-Drainage, Subkutan- und Hautnaht. Dünner steriler
Verband. Unvollständige oder inkonsequente bildgebende Diagnostik kann zur
Noch im Operationssaal Anlage eines gespaltenen und über Fehleinschätzung der Frakturmorphologie sowie -stabilitätssituation
der Wunde gefensterten Kahnbeingipses bis zum Oberarm, wie er und in der Folge zur Auswahl eines ungeeigneten Therapieverfahrens
nach klassischer Anleitung gefordert wird. Nach 6 Wochen kann führen. Aus einer unterlassenen Reposition resultiert dann bei der
auf einen Unterarmfaustgips gewechselt werden, der wiederum perkutanen Verschraubung z. B. eine Fixierung der Angulations-
6 Wochen zu tragen ist, sodass eine Gesamtdauer der Gipsimmobi- fehlstellung der Kahnbeinfragmente. Ebenso kann bei übersehener
lisation von 12 Wochen resultiert. Bei Lockerung durch Abschwel- Trümmerzone die Kompressionswirkung der Doppelgewindeschrau-
lung und Muskelatrophie muss der Gips erneuert werden. (Durch be eine Abwinkelung der Fragmente bewirken oder verstärken.
simultane Verschraubung kann auf den Oberarmgips verzichtet Kommt insbesondere das vorangehende Schraubengewinde
und die Immobilisationsdauer auf die Hälfte verkürzt werden.) ganz oder teilweise im Frakturbereich oder in einem übersehe-

a b c

⊡ Abb. 27.24 Operationsschritte bei der Matti-Russe-Plastik. a Resektion der Pseudarthrosezone und Ausarbeitung des Spanbettes, b Einpassung des nicht
vaskularisierten kortikospongiösen autologen Knochenspans, c Abschlusssitus nach Auffüllen der verbleibenden Knochendefekte mit Spongiosachips. (Aus
Schmit-Neuerburg et al. 2001)
27.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
693 27
nen Frakturausläufer zu liegen, führt dies zur unzureichenden gestörten Frakturheilung mit einem hohem Pseudarthroserisiko
Kompression und Stabilisierung der Fraktur mit erhöhter Pseu- (⊡ Abb. 27.27).
darthrosegefahr. Gleiches gilt für zu kurze Schrauben oder deut- Bei Kindern ist zu beachten, dass die Ossa lunatum, pisiforme
liche Abweichungen der Schraubenlage von der Zentralachse des und scaphoideum häufig mehr als ein Ossifikationszentrum besit-
Kahnbeins. Bei sehr kleinen proximalen Polfragmenten besteht zen und damit bei der radiologischen Deutung der Aufnahmen die
die Gefahr, dass durch dezentrale Platzierung des Schraubenein- Gefahr der Verwechslung mit einer Fraktur besteht ( Kap. 26)
trittspunktes das Fragment gesprengt oder das nachgehende kurze
Schraubengewinde unzureichend verankert wird.
Problembehaftet kann sich auch der intraoperative Schrauben- 27.3.2 Skaphoidpseudarthrose
wechsel gestalten, da beim Zurückdrehen der Schraube durch die
unterschiedlichen Gewindesteigungen ein Auseinanderdrängen der Der Verzicht auf eine präoperative bilanzierende Arthroskopie
Fragmente mit Rotationsdislokation eintreten kann. Hier ist das Ein- birgt die Gefahr einer Fehleinschätzung des Arthrosegrades und
bringen eines zusätzlichen Antirotations-Kirschner-Drahtes hilfreich. der Stabilität der Pseudarthrose. Darauf basierend kann es zur
Durch die Wahl einer ungeeigneten Schraubengeometrie Auswahl des ungeeigneten Operationsverfahrens kommen. Auf
erhöht sich ebenfalls das Risiko einer Knochenheilungsstörung intraoperative Überraschungen muss dann mit Änderungen oder
(⊡ Abb. 27.25). Erweiterungen des geplanten Procedere, im schlimmsten Fall auch
Neben zu kurzen Schrauben sind auch proximal oder dis- mit dem Abbruch der Operation reagiert werden.
tal überstehende Schraubenanteile zu vermeiden, da diese neben Die postoperative Immobilisierungszeit des Handgelenks und
Schmerzen zur Arthrose der radialen bzw. trapezialen Gelenkflä- vor allem die Dauer der Belastungskarenz für die Hand sollten
chen führen können (⊡ Abb. 27.26). Eine Schraubenentfernung ist nach rekonstruktiven Pseudarthroseoperationen nicht zu kurz an-
in diesen Fällen nach Frakturkonsolidierung anzuraten. gesetzt werden. Auch bei interner Stabilisierung der Fragmente
Bei der konservativen Therapie und in der Nachbehandlung mittels Doppelgewindeschraube ist von einer köchernen Aushei-
operierter Patienten führt eine inadäquate Ruhigstellung zu einer lungsdauer der Pseudarthosen im proximalen Drittel von mehr als

a b

⊡ Abb. 27.25 Skaphoidpseudarthrose nach Osteosynthese mit ungeeigneter ⊡ Abb. 27.27 Verzögert heilende, 6 Monate alte Kahnbeinfraktur im pro-
Schraube ximalen Drittel ohne adäquate Therapie. a Röntgenaufnahme p.-a.: keine
Deformierung, b MRT mit Kontrastmittel: verminderte, aber nachweisbare
Restdurchblutung im proximalen Fragment

a b

⊡ Abb. 27.26 Proximal und distal überstehende Schraube. a Röntgen p.-a. und seitlich, b Computertomografie
694 Kapitel 27 · Skaphoidfraktur und Skaphoidpseudarthrose

6 Monaten und weiter distal von mehr als 4 Monaten auszugehen, Greene MH, Hadied AM, LaMont RL (1984) Scaphoid fractures in children. J
im Einzelfall kann die Heilung aber noch wesentlich länger dauern Hand Surg [Am] 9: 536–541
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28

Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen


Martin Lutz, Rohit Arora, Markus Gabl

28.1 Allgemeines – 698


28.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 698
28.1.2 Epidemiologie – 698
28.1.3 Ätiologie – 698
28.1.4 Diagnostik – 698
28.1.5 Klassifikation – 699
28.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 701
28.1.7 Therapie – 701
28.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 704
28.2 Spezielle Techniken – 704
28.2.1 Gedeckte Reposition und temporäre perkutane Kirschner-Draht-Fixation – 704
28.2.2 Technik der beuge- und streckseitigen Versorgung der perilunären Luxation – 704
28.2.3 Technik der beuge- und streckseitigen Versorgung der perilunären Luxationsfraktur – 706
28.2.4 Technik der Resektion der proximalen Karpalreihe – 707
28.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 707
Weiterführende Literatur – 708

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


698 Kapitel 28 · Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen

28.1 Allgemeines schlag . Nach Riss der palmaren schwachen Bandverbindung zwi-
schen Lunatum und Kapitatum rutschen Unterarm und Mondbein
Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen umfassen im End- gegenüber der fixierten Hand nach palmar. Schließlich rupturiert
zustand das Radiokarpalgelenk, das Midkarpalgelenk und auch die auch der dorsale Bandapparat, sodass das Mondbein in unter-
Interkarpalgelenke. schiedlichem Ausmaß von der Radiusfläche verdrängt wird oder
nach Aufhebung der Dorsalflexion im Handgelenk allein aus der
> Der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung dieser komple-
proximalen Handwurzelreihe nach palmar luxiert (⊡ Abb. 28.2a).
xen Verletzung liegt in einer anatomischen Rekonstruktion
In der Literatur wird oftmals zwischen einer dorsalen perilunären
des Bandapparates, einer stabilen Frakturversorgung und
Luxation und einer palmaren Lunatumluxation unterschieden. In
28 einer zuverlässigen Transfixation sowohl der proximalen
der Realität sind dies jedoch keine zwei verschiedenen Verlet-
Handwurzelreihe als auch des Midkarpalgelenks. Vorausset-
zungsmuster, sondern stellen verschiedene Stadien desselben Pa-
zung ist eine exakte Kenntnis des Bandapparates sowie sei-
thomechanismus dar. Die Lunatumluxationen sind keine isloierten
ner biomechanische Bedeutung.
Verletzungen des Lunatums, sondern Endstadien der dorsalen
perilunären Luxationen. Bei der dorsalen perilunären Luxation
wird die Hand gegenüber dem fixierten Os lunatum und distalem
28.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Radius nach dorsal luxiert. Kann sich die nach dorsal luxierte
Physiologie Hand durch Muskelspannung oder durch Fortführung des unfall-
verursachenden Kraftvektors gegenüber dem distalen Radius wie-
Anatomie des Bandapparates  Kap. 29 der einrichten, wird dabei das Os lunatum nach palmar verdrängt
Gefäßversorgung des Os lunatum (⊡ Abb. 28.2b).
Die Vaskularisation der Handwurzelknochen erfolgt über palmare
und dorsale Gefäße ( Kap. 26). Die Aa. nutriciae treten sowohl
von palmar als auch von dorsal in den Knochen ein. Die externen 28.1.4 Diagnostik
Gefäße treten über die palmare und dorsale Kapsel in den nicht
knorpeltragenden Anteil ein und versorgen das interne Gefäßsys-
> Bei den perilunären Luxationen und Luxationsfrakturen han-
tem des Knochens (⊡ Abb. 28.1a). Bei Dislokation des Os lunatum
delt es sich um komplexe Gefügestörungen der gesamten
mit Ruptur nur eines Ligaments bleibt ein Gefäßzufluss erhalten.
knöchernen und ligamentären Handgelenkanatomie, welche
Erfolgt eine schnelle Reposition besteht eine große Chance eine
das Radiokarpalgelenk, das Midkarpalgelenk und auch die
posttraumatische Lunatumnekrose zu vermeiden (⊡ Abb. 28.1b).
Interkarpalgelenke umfassen.
Sind beide Bänder gerissen oder erfolgt eine Reposition erst ver-
spätet, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten Die klinische Erscheinung der Patienten mit perilunären Luxa-
einer posttraumatischen Lunatumnekrose (⊡ Abb. 28.1c) tionen ist oftmals anfangs nicht dramatisch und bei oftmals feh-
lender Deformität werden diese schwerwiegenden Verletzungen
in 16–25% primär übersehen. Verzögerte Behandlung führt zu
28.1.2 Epidemiologie schlechten Ergebnissen und benötigt meist »Rettungsoperationen«.
Oft präsentieren sich die Patienten anfangs mit mäßigen Schwel-
Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen sind komplexe Ver- lungen und diffusen Schmerzen im Bereich des Handgelenks.
letzungen der Handwurzel, die meist im Rahmen von Hochrasanz- Um Schmerzen zu vermindern, wird das Handgelenk in leichter
traumen entstehen und in der Regel junge aktive Patienten betref- Beugestellung gehalten. Die Handgelenkstreckung würde vermehr-
fen. Sie sind relativ selten und stehen mit 3–4% an 5. Stelle aller ten Druck auf das palmar luxierte Lunatum verursachen und die
Gelenkluxationen. In 61–65% der Fälle ist das Kahnbein (trans- Schmerzen verstärken. Durch die Luxation des Lunatums in den
skaphoidale perilunäre Luxationsfraktur) zusätzlich frakturiert. Karpaltunnel können je nach Trauma-Ausmaß gelegentlich Sensi-
bilitätsstörungen im Medianusgebiet vorliegen. Die Finger können
häufig nicht vollständig gestreckt werden.
28.1.3 Ätiologie Röntgenaufnahmen beider Handgelenke im dorsopalmaren
und seitlichen Strahlengang sind unabkömmlich für die Abklä-
Die Luxation des Lunatums selbst entsteht ebenfalls meist durch rung und Diagnose einer perilunären Luxation und Luxations-
Sturz auf die dorsal flektierte Hand und gelegentlich durch Kurbel- fraktur.

⊡ Abb. 28.1 Vaskularisation des Os lunatum.


a Schema der Blutversorgung des Os lunatum:
Die Aa. nutritiae treten von dorsal und palmar in
den nicht knorpeltragenden Knochenanteil ein.
b Schema der Blutversorgung bei palamrer Luxa-
tion des Os lunatum: Trotz verminderter Blutver-
sorgung kann durch eine frühe Reposition eine
posttraumatische Lunatumnekrose meist verhin-
dert werden. c Bei kompletter Ruptur der dorsalen
und palmaren Bänder und bei zu später Reposition
kommt es zu einer posttraumatischen Lunatumne-
krose. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) a b c
28.1 · Allgemeines
699 28
> Die Röntgenaufnahmen der gesunden Gegenseite sind un- eine dreieckige, anstatt einer viereckigen Form des dislozierten
serer Meinung nach für die operative Planung sehr hilfreich Lunatums meist der einzige Hinweis auf die vorhandene Patho-
und bedeutend. Für die Wiederherstellung der oftmals pati- logie. Auf den seitlichen Aufnahmen des Röntgenbildes sind das
entenabhängigen individuellen Anatomie orientieren wir uns nach palmar dislozierte Lunatum und das nach dorsal dislozierte
an der gesunden Gegenseite. Kapitatum deutlich zu erkennen (⊡ Abb. 28.3a–d).
Eine zusätzliche Computertomografie des verletzten Handge-
Da in der dorsopalmaren Röntgenaufnahme grobe Fehlstellungen lenks zur Beurteilung der Stellung des Karpus und zur Erfassung
nicht vorhanden sind, können vor allem die perilunären Luxati- von knöchernen Bandausrissen nach primär geschlossener Reposi-
onen oft übersehen werden. In der dorsopalmaren Aufnahme ist tion der Luxation hat sich bewährt (⊡ Abb. 28.3e).
Um die bei einer perilunären Luxation oder Luxationsfraktur
entstandene karpale Gefügestörung wiederherstellen zu können,
ist die Kenntnis der physiologischen karpalen Winkel und einiger
radiologischer Parameter von großer Bedeutung. Dazu gehören
einerseits der kapitolunäre, der skapholunäre und der radiolunäre
Winkel sowie der skapholunäre Abstand. Als Normwerte gelten für
den kapitolunären Winkel 0–15°, für den skapholunären Winkel
30–60°, für den radiolunären Winkel 0–10° und für den skapho-
lunären Abstand 2 mm. Bei der Interpretation dieser Winkel ist
jedoch zu beachten, dass diese Parameter individuell sehr variieren
können und von einer exakten und standardisierten Positionierung
des Handgelenks während der Röntgenaufnahme abhängig sind
(⊡ Abb. 28.4).
a
28.1.5 Klassifikation

Prinzipiell wird bei dieser Art der Verletzung zwischen der perilu-
nären Luxation (»lesser arc injuries«), also einer rein ligamentären
Verletzung der Handwurzel, und der perilunären Luxationsfraktur
(»greater arc injuries«) mit zusätzlicher Fraktur eines Handwurzel-
knochens unterschieden.

Perilunäre Luxation (»lesser arc injuries«)


Die bei perilunären Luxationen und Luxationsfrakturen ent-
stehende karpale Gefügestörung beginnt radial und setzt sich
dann über das Mediokarpalgelenk nach ulnar fort, um mit einer
b
Verrenkung der Handwurzel um das Mondbein nach dorsal bzw.
⊡ Abb. 28.2 Mechanismus der Bandrupturen bei perilunärer Luxation: einer Verrenkung des Mondbeins nach palmar zu enden. Eine
schematische Abbildung der Stadieneinteilung nach Mayfield, Stadium I–IV. Hyperextension, Supination und Ulnarduktion der Handwur-
a Perilunäre palmare Luxation, b perilunäre dorsale Luxation nach Perschl. zel gegenüber dem Unterarm gilt als ursächlicher Kraftvektor
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) in der Entstehung einer Verletzungssequenz, die von Mayfield

c d e
a b

⊡ Abb. 28.3 Röntgenaufnahmen einer perilunären Luxation mit knöchernem Ausriss des radioskaphokapitalen Bandes. a Schema: d. p. Strahlengang, b Schema:
lateraler Strahlengang, c Röntgenbild: d. p. Strahlengang, d Röntgenbild: lateraler Strahlengang, e Computertomografische Darstellung einer perilunären Luxati-
on mit knöchernem Ausriss des radioskaphokapitalen Bandes nach Reposition. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
700 Kapitel 28 · Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen

28

a b c

⊡ Abb. 28.4 Winkelmessung zwischen den Handwurzelknochen. a Kapitolunärer Winkel (CL), b skapholunärer Winkel (SL), c radiolunärer Winkel (RL). (Aus
Schmit-Neuerburg et al. 2001)

(1980) experimentell beschrieben und in 4 Stadien eingeteilt Je nach Stellung des Handgelenks zum Zeitpunkt der Kraftappli-
wurde (⊡ Abb. 28.2a): kation können alle Knochen der proximalen Handwurzelreihe
▬ Stadium 1: Durch die axiale Kraftzufuhr kommt es zu einer und das Kapitatum aus der distalen Handwurzelreihe mit in den
Hyperextension der distalen Handwurzelreihe. Die kräftigen Frakturverlauf einbezogen sein. Die in der Literatur bekannten
Bandverbindungen des Skapho-Trapezium-Kapitatum-Gelenks Verletzungen sind transskaphoideo-transkapitato perilunäre Lu-
zwingen das Kahnbein in die Extension. Das Mondbein kann xationsfrakturen, transskaphoideo-transkapitato-transtriquetro
aufgrund seiner palmaren starken Bandverbindung durch das perilunäre Luxationsfrakturen, Subluxationen des Kahnbeins mit
kurze und lange Ligamentum radiolunare die Exkursion des Mondbeinbruch sowie traumatische Spalthand durch Längsspal-
Kahnbeins nicht verfolgen. Somit kommt es zu einer Ruptur tung zwischen der 2. und 3. Mittelhand und Kapitatum und
des intrinsischen skapholunären Bandes von palmar begin- Trapezium oder zwischen 3. und 4. Mittelhand und Kapitatum
nend und nach dorsal fortschreitend mit der Manifestation und Hamatum. Die Processus styloideus radii und ulnae in Form
einer kompletten skapholunärer Dissoziation. Widersteht das von knöchernen Bandausrissen können ebenfalls beteiligt sein
intrinsische skapholunäre Band der Krafteinwirkung schlägt (⊡ Abb. 28.5).
das Kahnbein an den dorsalen Radiusrand. Dabei kommt es zu Entsprechend dieser Verletzungscharakteristik wurde von Pan-
einer Fraktur des Kahnbeins meist in seiner Taille. ting (1984) eine einfache Klassifikation in zwei Gruppen mit
▬ Stadium 2: Bei Fortschreiten der Hyperextension kommt es zu und ohne Skaphoidfraktur vorgenommen. Dadurch können Ver-
einer Ruptur des intrinsischen kapitolunären Bandes mit dor- letzungen mit komplett rupturiertem skapholunärem Bandapparat
saler Luxation des Kapitatums (in 90% der Fälle) gegenüber von Verletzungen mit intaktem Bandapparat bei transskaphoidalen
dem Lunatum mit Eröffnung der Poirier-Lücke. Auch eine Luxationsfrakturen differenziert werden. Die Unterscheidung ist
palmare Luxation des Kapitatums kann vorkommen und sollte pathobiomechanisch von entscheidender Bedeutung, da das skap-
nicht übersehen werden holunäre Band wesentlich zur Stabilität der Handwurzel beiträgt.
▬ Stadium 3: Bei fortschreiten der Hyperextension und Supinati- Die Kombination von kompletter SL-Band-Zerreißung und Kahn-
on kommt es zu einer Ruptur des intrinsischen lunotriquetra- beinfraktur ist zwar beschrieben, muss aber als absolute Rarität
len Bandes mit lunotriquetraler Dissoziation oder aber zu einer angesehen werden. Die Bedeutung dieser einfachen Klassifikation
Fraktur des Triquetrums bei intaktem lunotriquetralen Band liegt in ihrem prognostischen Wert, da transskaphoidale perilunäre
▬ Stadium 4: Bei Fortschreiten der Hyperextension kommt es zu Luxationen im Allgemeinen bessere klinische Ergebnisse erzielen
einer Ruptur der dorsalen Kapsel und des Ligamentum inter- als rein ligamentäre Verletzungen.
carpale dorsale. Das nach proximal verrenkte Kapitatum drängt Aufgrund der geringen Fallzahlen und der verschiedenen Ver-
je nach Kraftzufuhr das Lunatums, welches an den kräftigen letzungsvarianten, die uneinheitlich eingeteilt werden, sind Be-
extrinsischen kurzen und langen radiolunären Bändern gestielt richte über große Fallzahlen lediglich im Rahmen von Multi-
bleibt, nach palmar in den Karpaltunnel. Dieser Zustand ent- centerstudien verfügbar. Verschiedene operative Techniken mit
spricht dem Endstadium der perilunären Luxationsabfolge. variierenden Prioritäten in der ligamentären Rekonstruktion spie-
geln die nicht immer zufriedenstellenden Ergebnisse nach diesen
Luxationsfrakturen (»greater arc injuries«) Verletzungen wider. Während die Anzahl und Art der operativen
Als häufigste Begleitfraktur ist das Skaphoid in Form einer Tail- Zugänge sowie Fixationstechniken kontrovers diskutiert werden,
len- bzw. proximalen Polfraktur betroffen (»Greater arc injuries«). herrscht entsprechend der Multicenterstudie von Herzberg et al.
28.1 · Allgemeines
701 28

a b

transtriquetro-perilunär transkaphoido-perilunär (de Quervain)


transkapitato-perilunär transkaphoido-kapitato-perilunär
peritriquetro-lunär transkaphoido-kapitato-triquetro-perilunär
⊡ Abb. 28.5 Perilunäre Luxationsfrakturen (»greater arc injuries«). a Dar- periskaphoido-triquetro-lunär transstylo-perilunär
stellung der vulnerablen Zonen, b möglicher Verlauf der Frakturlinie periskaphoido-lunär transstylo-skaphoido-perilunär

(1993) Einigkeit, dass möglichst alle Verletzungskomponenten er- 28.1.7 Therapie


fasst und therapiert werden sollen.
Das Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung und Retenti-
on der anatomischen Handwurzelstellung. Nur eine anatomische
28.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Reposition der dislozierten Handwurzel zueinander, eine stabile
Osteosynthese der frakturierten Karpalia und die Rekonstruktion
Konservativ vs. operativ der intrinsischen und extrinsischen Bänder schaffen eine Voraus-
Konservative Behandlung dieser komplexen und hochgradig in- setzung für die anatomische Heilung der komplexen Verletzung,
stabilen Verletzungen mittels geschlossener Reposition und Gips- welche wiederum für die Funktion des gesamten Handgelenks von
ruhigstellung führte zu schlechten klinischen und radiologischen Bedeutung ist. In der Literatur sind im Wesentlichen 4 verschie-
Ergebnissen mit chronischer karpaler Instabilität, Bewegungsein- dene Optionen zur Behandlung einer perilunären Luxation oder
schränkungen, Schmerzen und Osteoarthrose. Luxationsfraktur beschrieben:
Gute klinische und radiologische Ergebnisse hingegen konnten 1. gedeckte Reposition und Gispruhigstellung,
nach offener Reposition, Rekonstruktion der karpalen Bänder und 2. gedeckte Reposition und temporäre perkutane Kirschner-
interner Kirschner-Draht-Fixierung erzielt werden. In der Litera- Draht-Fixation,
tur gibt es mittlerweile auf »evidence-based medicine« basierende 3. offene Reposition, Bandrekonstruktion und innere Fixation,
Empfehlungen über eine frühzeitige operative Behandlung von 4. arhtroskopisch assistierte Reposition und temporäre perkutane
perilunären Luxationen und Luxationsfrakturen. Kirschner-Draht-Fixation.

Akute vs. chronische/späte Versorgung > Das nach palmar in den Karpaltunnel dislozierte Lunatum ver-
ursacht abhängig von der bestehenden Dauer der Dislokation
Problematisch ist die Therapie einer chronisch bestehenden perilu-
einen Druckschaden des Nervus medianus und ist somit ein
nären Luxation und Luxationsfraktur. Inoue und Shionoya (1999)
handchirurgischer Notfall mit höchster Dringlichkeit.
empfehlen die Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (»pro-
Eine sofortige Einrichtung und Beseitigung der Luxation
ximal row carpectomy«) bei Patienten mit bestehender perilunären
ist von großer Bedeutung und sollte anschließend an die
Luxation, die länger als 2 Monate besteht. Givissis et al. (2006)
primäre radiologische Diagnostik baldmöglichst durchge-
hingegen berichten über gute Ergebnisse nach offener Reposition
führt werden.
und Kirschner-Draht-Fixation bei Patienten mit vorbestehender
perilunärer Luxation von über 3 Monaten. Unseren eigenen Erfah-
rungen nach ist die Wiederherstellung der karpalen Anatomie bei Konservative Therapie
chronisch vorbestehender perilunärer Luxation nach 12 Wochen Die gedeckte Reposition und Gipsruhigstellung erscheint uns nur
technisch nicht mehr möglich. Nach diesem Zeitraum verkürzen in Ausnahmenfällen gerechtfertigt. In zwei Drittel der Fälle kommt
sich die intrinsischen Bänder und eine primäre Bandrekonstruk- es bereits innerhalb der ersten 2 Wochen zum Verlust der Reposition
tion ohne etwaige Augmentation oder zusätzliche Bandplastik ist des kapitolunären Gelenks mit zusätzlicher Rotationssubluxation des
nicht mehr durchführbar. In diesen Fällen empfiehlt sich die Skaphoids und skapholunärer Diastase, was wiederum eine Arthrose
Entfernung der proximalen Handwurzelreihe. Sind bereits arthro- mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung des Handglenks ver-
tische Veränderungen der Fossa lunata eingetreten, ist die Handge- ursacht. Bei polymorbiden Patienten oder bei Patienten mit hohem
lenkarthrodese die Therapie der Wahl. Narkoserisiko sollte das Nutzen einer operativen Versorgung gegen-
702 Kapitel 28 · Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen

28

⊡ Abb. 28.6 Technik der geschlossenen Reposition der perilunären Luxation nach Aushängen im »Mädchenfän-
ger«. a Schema: vertikale Distraktion am frei hängenden Arm in adäquater Anästhesie (axillärer Plexusblock oder
a Allgemeinanästhesie), b Reposition des Lunatums durch palmaren Druck

über dem erwarteten Risiko kritisch überdacht werden. Sollten Pati- proximal zu vermeiden. Ist das Kapitatum auf die Gelenkfläche des
enten mit einer perilunären Luxation oder Luxationsfraktur konser- Lunatums reponiert, wird das Lunatum durch eine vorsichtige Ex-
vativ behandelt werden, wird eine Gipsruhigstellung für 12 Wochen tension des Handgelenks auf die Radiusgelenkfläche gebracht und
empfohlen. Allen anderen Patienten empfehlen wir die operative die Reposition vervollständigt (⊡ Abb. 28.6).
Versorgung einer solchen schweren Handgelenkverletzung. Anschließend wird die Stellung der radiolunären und kapi-
Verschiedene Repositionstechniken sind in der Literatur be- tolunären Gelenke unter dem Bildverstärker kontrolliert. Bei zu-
schrieben. friedenstellender Reposition wird eine Unterarmgipslonguette in
neutraler Stellung des Handgelenks angelegt. Sofortige aktive Mo-
> Ein wichtiger Faktor für die problemlose Reposition ist die
bilisierung der Finger zur Vermeidung weiterer Schwellung und
komplette Muskelrelaxierung unter ausreichender Anästhe-
Bewegungseinschränkung sollte angeleitet werden.
sie (axiläre Plexusanästhesie, allgemeine Anästhesie).
> Eine Ruhigstellung in Handgelenkbeugestellung (»Schede-
Das Prinzip der Reposition ist, durch kontinuierlichen Längszug
Stellung«) zur besseren Retention der Reposition kann ein
die nach dorsal proximal dislozierte Hand nach palmar distal zu
akutes Karpaltunnelsyndrom und oder CRPS-I-Syndrom ver-
distrahieren, um so dem nach palmar disloziertem Lunatum wie-
ursachen und sollte unbedingt vermieden werden.
der Raum in der Fossa lunata zu verschaffen. Mayfield et al. (1980)
empfehlen aufgrund ihrer pathomechanischen Kadaverversuche
über perilunäre Luxationen die Umkehrung des Unfallmechanis- Operative Therapie
mus zur Reposition. Die Reposition sollte somit durch Zug, Prona- Die gedeckte Reposition und temporäre perkutane Kirschner-
tion, Radialdeviation und Flexion des Handgelenks erfolgen. Wir Draht-Fixation erhöht die Wahrscheinlichkeit der spontanen Band-
verwenden »Fingerfänger« für einen kontinuierlichen Längszug heilung. Die Kirschner-Drähte fixieren Skaphoid und Kapitatum,
mit 8–10 kg für mindestens 10 Minuten. Der Patient liegt mit 90° Skaphoid und Lunatum, Lunatum und Triquetrum und Triquet-
gebeugtem Ellbogen am Rücken. Vorsichtig wird das palmar dislo- rum und Hamatum. Sie müssen mindestens 6 Wochen in situ
zierte Lunatum getastet und mit dem Daumen ein leichter Druck verbleiben. Die Gipsruhigstellung ist für mindestens 12 Wochen
nach distal und dorsal ausgeübt. Unter ständigem beugeseitigem notwendig.
Druck auf das Lunatum werden dann die Fingerfänger entfernt Offene Reposition, Bandrekonstruktion und innere Fixation:
und manuell eine Traktion nach distal durchgeführt und gleich- Indikationen zur offenen Versorgung der perilunären Luxations-
zeitig das Handgelenk langsam gebeugt. Dabei kommt es zu einer verletzungen sind:
Reposition des Kapitatums auf die distale konkave Gelenkfläche ▬ Repositionshindernis durch Interposition von Weichteilen
des Lunatums. Wichtig ist es, bei diesem Manöver das Lunatum zwischen der distalen Radiusgelenkfläche und dem nach pro-
palmar zu stabilisieren, um eine weitere Dislokation nach palmar ximal dislozierten Kapitatum,
28.1 · Allgemeines
703 28

a b c d

⊡ Abb. 28.7 Transskaphoidale perilu-


näre Luxationsfraktur. a Röntgenbild:
d. p. Strahlengang, b Röntgenbild: late-
raler Strahlengang, c, d posteroanterio-
re und laterale computertomografische
Darstellung einer transskaphoidalen
perilunären Luxationsfraktur mit be-
gleitendem knöchernen Ausriss des
Lig. radiotriquetrum dorsale nach Re-
position, e postoperatives Röntgenbild:
d. p. Strahlengang, f postoperatives
Röntgenbild: lateraler Strahlengang,
g Röntgenbild 1 Jahr postoperativ: d. p.
Strahlengang, h Röntgenbild 1 Jahr
e f g h
postoperativ: lateraler Strahlengang

▬ Verdrehung und starker Verschiebung des Lunatums, im Mediokarpalgelenk korrelierte mit schlechten klinischen und
▬ länger bestehende Luxation oder Subluxation, radiologischen Ergebnissen.
▬ Luxation mit N.-medianus-Kompressionssyndrom, Um dieser Anforderung gerecht zu werden, wird in der Lite-
▬ Luxationen mit Mehrfragmentfrakturen des Lunatums, ratur für die offene Reposition und Kirschner-Draht-Fixation der
▬ Luxationen des Lunatums mit Fraktur eines anderen Hand- perilunären Luxationen und perilunären Luxationsfrakturen der
wurzelknochens und beidseitige Zugang (palmar und dorsal) empfohlen. Wir versorgen
▬ Frakturen von mehreren Knochen. die perilunären Luxationen und perilunären Luxationsfrakturen
über einen beidseitigen Zugang. Dabei werden alle an der Ver-
Nach erfolgter geschlossener Reposition und Anfertigung der letzung beteiligten anatomischen ligamentären und knöchernen
Röntgenaufnahmen sollte auch dann die Indikation zur operativen Strukturen erfasst. Kahnbeinfrakturen werden je nach Lokalisation
Freilegung und Naht der Bänder gestellt werden, wenn bei Dorsal- von proximal oder distal stabil versorgt, knöcherne Bandausrisse
kippung des Mondbeins ein an anatomischer Position refixiert.
▬ pathologisch-radiolunärer Winkel, Einige Autoren favorisieren anstatt der Kirschner-Draht-Fixa-
▬ pathologisch-kapitolunärer Winkel, tion transartikuläre Schrauben oder Drahtschlingen zur Sicherung
▬ pathologisch-skapholunärer Winkel oder eine der Bandrekonstruktion, was jedoch zur Destruktion des Gelenkes
▬ skapholunäre Diastase führt. Inwieweit eine frühzeitige Mobilisation in Kombination mit
vorliegt. transartikulären Schrauben oder einer Drahtschlinge zur Siche-
Wurde die gedeckte Reposition problemlos erzielt, führen wir rung der Bandrekonstruktion das Langzeitergebnis günstig beein-
die offene Reposition und interne Fixation erst bei abgeschwolle- flusst muss derzeit noch abgewartet werden.
nen Weichteilverhältnissen nach ca. 5–7 Tagen nach dem Unfall- Die angegebene postoperative Ruhigstellungsdauer schwankt
ereignis durch. in der Literatur zwischen 6 und 14 Wochen, wobei Trumble et al.
Während Einigkeit über die Notwendigkeit einer chirurgischen (2004) als Heilungszeit für den karpalen Bandapparat 12 Wochen
Intervention dieser komplexen Verletzung herrscht, wird immer angeben. Wir führen eine 12-wöchige postoperative Ruhigstellung
wieder über den operativen Zugang debattiert. Herzberg et al. mittels Unterarmgips mit Einschluss des Daumens bis zum Inter-
(1993) empfehlen, dass alle verletzten Strukturen einer perilunä- phalangealgelenk durch. Nach 8 Wochen werden alle Transfixati-
ren Luxation und perilunären Luxationsfraktur bei der operativen onsstifte in Lokalanästhesie entfernt. Im geringen postoperativen
Versorgung angegangen und rekonstruiert werden sollten. Schon Korrekturverlust und dem langfristig erhaltenen karpalen Gefüge
das Nichtbehandeln einer einzigen Komponente, beispielsweise sowie der geringen Arthroserate im eigenen Patientenkollektiv se-
einer lunotriquetralen Diastase oder einer Subluxationsstellung hen wir uns in diesem Vorgehen bestätigt (⊡ Abb. 28.7).
704 Kapitel 28 · Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen

Arthroskopisch assistierte Reposition und perkutane Kirsch- Beugeseitig luxiertes Os lunatum


ner-Draht-Fixierung: Um etwaige Bewegungseinschränkungen ver-
ursacht durch den invasiven beidseitigen Zugang zu vermeiden,
wurde in der rezenten Literatur über arthroskopisch assistierte
Reposition und perkutane Kirschner-Draht-Fixation berichtet. Der
Vorteil dieser Behandlungsmethode liegt in der minimalinvasiven
Technik mit relativ guter Visualisierung der Handwurzelknochen
und des Bandapparates. Ob die Ergebnisse dieser Methode die
eines offenen Verfahrens übertreffen, muss erst durch prospektiv
28 randomisierte Studien belegt werden

28.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter

Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen sind im Kindesalter


eine Rarität. Für Diagnostik und Therapie im Kindesalter gelten
die gleichen Prinzipien wie beim Erwachsenen. b
a Lig.
Lig. ulnolunatum radiolunatum
long.
28.2 Spezielle Techniken Lig. radiolunatum brev.

28.2.1 Gedeckte Reposition und temporäre


perkutane Kirschner-Draht-Fixation Lig. capitato- Lig. radioscapho- Lig. capitato-
hamatotriquetrum capitatum hamatotriquetrum Poirier-Lücke

Aufgrund der instabilen Verletzung werden von einigen Autoren


eine gedeckte Reposition mit zusätzlicher perkutaner Kirschner-
Draht-Fixation, anstatt einer alleinigen Gipsruhigstellung, emp-
fohlen. Dabei wird unter ständiger Bildverstärkerkontrolle primär
ein Kirschner-Draht als Joystick von dorsal in das Lunatum einge-
bracht, dieses dann zur distalen Gelenkfläche des Radius reponiert
und ein zusätzlicher Kirschner-Draht durch die Radiusmetaphyse
in das Lunatum eingebracht und dieses somit temporär fixiert.
Anschließend wird ein Kirschner-Draht als Joystick von dorsal in
das Skaphoid eingebracht und dieses dann zum bereits anatomisch
eingestellten und fixierten Lunatum reponiert und dann mit einem
zusätzlichen Kirschner-Draht von radial zum Lunatum fixiert.
Anschließend wird das Triquetrum mit einem Kirschner-Draht
zum Lunatum fixiert. Somit sollte die proximale Handwurzelreihe
anatomisch reponiert sein und der Kirschner-Draht kann durch c d
die Radiusmetaphyse entfernt werden. Als nächstes wird das Ka-
Lig. ulnolunatum Lig. radiolunatum Lig. ulnolunatum
pitatum zur distalen Gelenkfläche des Lunatums reponiert und ein long.
weiterer Kirschner-Draht wird vom Skaphoid ins Kapitatum zur Lig. radiolunatum brev.
Sicherung des Midkarpalgelenks eingebracht. Um eine iatrogene
Läsion der A. radialis und des Ramus superficialis des N. radialis
zu verhindern, sollten die radial eingebrachten Kirschner-Drähte
über eine Inzision und mithilfe einer Bohrhülse eingebracht wer-
den. Nach radiologischer Kontrolle der Reposition werden die
Kirschner-Drähte unter der Haut abgezwickt und für 8 Wochen
belassen. Eine postoperative Gipsruhigstellung wird für insgesamt
12 Wochen durchgeführt.

28.2.2 Technik der beuge- und streckseitigen


Versorgung der perilunären Luxation

Der Hautschnitt beginnt ca. 4 cm proximal der Handgelenkfurche


und verläuft entlang des ulnaren Randes der Sehnen des M. pal-
maris longus. Im Bereich der Rascetta wird der Schnitt mit einem
Rubin-Pfeil unterbrochen, um nicht mit einer geraden Narbe über
ein bewegtes Gelenk zu ziehen. Im Bereich der Hohlhand verläuft e
der Schnitt entlang der Thenarfurche bzw. zwischen dem 3. und
4. Finger zentriert nach distal (⊡ Abb. 28.8a). ⊡ Abb. 28.8
28.2 · Spezielle Techniken
705 28
Proximaler Pol Os capitatum
des Os scaphoideum Os lunatum Lig. intercarpale
dors. Os lunatum

f g h
Lig. radiotriquetrum dors. Lig. scapholunatum

i
k

Lig. intercarpale
dors.

m
l Lig. scapholunatum

⊡ Abb. 28.8 Technik der beugeseitigen Versorgung der perilunären Luxation. a Palmarer Hautschnitt ca. 4 cm proximal der Handgelenkbeugefurche begin-
nend entlang des ulnaren Randes der Sehne des M. palmaris longus; Z-förmige Erweiterung in die Hohlhand entlang der Thenarfurche, b Darstellung der
palmaren Bänder, c Vorlegen der Fäden zur Rekonstruktion der palmaren Bänder: Beugesehnen und N. medianus sind nach ulnar weggehalten, d Vorlegen
der Fäden zur Rekonstruktion der palmaren Bänder: Beugesehnen und N. medianus sind nach radial weggehalten, e geschwungener Hautschnitt streckseitig
über dem Handgelenk , f Darstellung der dorsalen Handwurzel, g Identifikation der aufgetretenen Bandläsionen, h Anschlingen der Ligg. scapholunatum und
intercarpale dorsale, i Bohren von V-förmigen Bohrkanälen im Lunatum und bei Bedarf auch zusätzlich im Sklaphoid zur transossären Reinsertion der Bänder,
j Einbringen von Kirschner-Drähten in Kahn- und Mondbein zur Steuerung der Reposition (Joystick-Technik). k Die intraoperative Bildverstärkerkontrolle zeigt
eine korrekte Rotation des Unterarms bei einwandfreier Einsicht in das distale Radioulnargelenk. Zur Sicherung der Bandheilung erfolgt eine interkarpale und
mediokarpale Kirschner-Draht-Transfixation, l Vorlegen der Bandnähte und Transfixierung der Karpalia in korrekter Stellung mithilfe von perkutanen Kirsch-
ner-Drähten. m Die vorgelegten Bandnähte werden nun geknüpft, wobei darauf zu achten ist, dass die Bandstümpfe an den entsprechenden Ausrissorten zu
liegen kommen. n Die beugeseitig vorgelegten Bandnähte werden geknüpft und somit die Poirier-Lücke wieder verschlossen. (Aus Lutz et al. 2009)
706 Kapitel 28 · Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen

Nach Eröffnung des Karpalkanals wird der N. medianuns an- schluss palmar, sowie die Retinakulumrekonstruktion (⊡ Abb. 28.8n)
geschlungen und die Beugesehnen wechselweise nach radial und und der Hautschluss dorsal. Auch dorsal empfiehlt sich die Einlage
nach ulnar weggehalten. Dadurch besteht eine gute Übersicht über einer Redon-Drainage.
den gesamten palmaren karpalen Bandapparat. Das Mondbein ist
an seinem radio- und ulnolinären Bandapparat gestielt und kann
zur Beugeseite luxiert werden (⊡ Abb. 28.8b). Nach Reposition des 28.2.3 Technik der beuge- und streckseitigen
Mondbeins Anschlingen der Bänder, die in Längsrichtung zum Versorgung der perilunären Luxationsfraktur
Faserverlauf zerrissen sind und zwar zwischen Lig. radiolunatum
longum und Lig. ulonlunatum einerseits sowie Lig. ulnotriquet- Der Hautschnitt beginnt ebenfalls etwa 4 cm proximal der Rascetta,
28 rum andererseits (⊡ Abb. 28.8c,d). Zusätzlich kann das Lig. radio- wird über die Sehne des M. flexor carpi radialis nach distal geführt,
scaphocapitatum vom Processus styloideus radii knöchern oder biegt auf Höhe des Tuberculums ossis scaphoidei rechtwinkelig
ligamentär abgerissen sein. Nach Inspektion der Gelenkflächen auf nach ulnar und läuft in der Thenarfurche aus (⊡ Abb. 28.9a). Nach
Band- und Knocheninterpositionen werden die Bandnähte beuge- subkutaner Präparation wird im proximalen Anteil die Sehnen-
seitig vorgelegt. Anschließend erfolgt der dorsale Zugang. scheide des M. flexor carpi radialis eröffnet. Im querverlaufenden
Streckseitig erfolgt ein geschwungener Hautschnitt über dem Anteil der Inzision muss die Weichteilbrücke erhalten bleiben, um
Handgelenk (⊡ Abb. 28.8e). Das Strecksehnenretinakulum wird Z- den R. palmaris N. mediani zu schonen. Distal wird der Karpalka-
förmig eröffnet und die Retinakulumstreifen zur Seite gehalten. Es nal an seinem ulnaren Rand eröffnet. Unter Sicht wird die Unter-
erfolgt eine Eröffnung des 2.–5. Strecksehnenfaches, um die Sehnen armfaszie quer zur Sehne des M. flexor carpi radialis hin gespalten,
beiseite halten zu können. Nach Einsetzen eines stumpfen Spreizers um eine entsprechende Übersicht über den beugeseitigen Band-
zum Auseinanderdrängen der Strecksehnen werden Gelenkkapsel apparat und das Kahnbein zu bekommen (⊡ Abb. 28.9b). In der
und dorsaler Handgelenkapparat dargestellt. In den meisten Fällen Regel zeigt sich die Dissektion zwischen dem Lig. radiolunatum
zeigt sich ein Abriss der Kapsel vom Radius über dem proximalen longum und dem Lig. radioscaphocapitatum. Wenn das Lig. ra-
Kahnbeinpol. Ausgehend von dieser Lücke erfolgt die Arthrotomie dioscaphocapitatum zusätzlich vom Radius abgerissen ist, lässt sich
am distalen Rand des Lig. radiotriquetrum dorsale zum Os triquet- durch Anschlingen und Beiseitehalten desselben eine ausreichende
rum. Nach radial wird die Gelenkkapsel bis zur Spitze des Proces- Übersicht über das Kahnbein gewinnen. Anderenfalls muss das
sus styloideus scharf abgelöst. Dadurch kann ein ausreichender Lig. radioscaphocapitatum eingekerbt werden. Von radial lässt sich
Überblick über die Handwurzel gewonnen werden (⊡ Abb. 28.8f). der Bandschaden bis zum Mondbein einsehen (⊡ Abb. 28.9c).
Jetzt erfolgt die Identifikation der aufgetretenen Bandrupturen: Das Der ulnare Anteil des karpalen Bandapparats wird von ulnar
Lig. radiotriquetrum dorsale wird in seiner Kontinuität mit einem revidiert, die Bänder beiderseits des längs verlaufenden Risses
Tasthaken auf eventuelle ansatznahe Ausrisse beurteilt. Darstellen zwischen Lig. ulnotriquetrum und Lig. ulnolunatum werden ange-
der Abrisse des Lig. scapholunatum vom Skaphoid oder Luna- schlungen, und nach Kontrolle der Gelenkflächen auf knöcherne
tum und des Lig. intercarpale dprsale vom Lunatum (⊡ Abb. 28.8g). und/oder ligamentäre Interponate werden Nähte für die korres-
Inspektion des lunotriquetralen Gelenkspaltes auf osteochondrale pondierenden Bänder vorgelegt (⊡ Abb. 28.9d). Im Anschluss wird
bzw. Kapselbandinterponate. Auf eine transossäre Refixation des das Kahnbein reponiert und mit einem Kirschner-Draht von distal
Lig. lunotriquetrum verzichten wir, da es vom Lig. radiotriquetrum her gesichert. Dazu wird das STT-Gelenk beugeseitig auf etwa
dorsale überdeckt wird und nach Reposition eine gute Heilungsten- 3 mm quer geöffnet. Ein zusätzlicher Antirotationsstift dient zur
denz zeigt. Anschlingen der Ligg. scapholunatum und intercarpale Repositionssicherung während der Verschraubung. Nach Aufboh-
dorsale (⊡ Abb. 28.8h). Einbringen von Kirschner-Drähten in das ren über den zentralen Führungsdraht wird die Schraube von
Kahn- und Mondbein zur Steuerung der Reposition. Bohren von distal her eingebracht (⊡ Abb. 28.9e). Mehrfragmentfrakturen, die
V-förmigen Bohrkanälen im Lunatum und bei Bedarf zusätzlich im sich mit einer Schraube nicht ausreichend stabilisieren lassen,
Skaphoid zur transossären Reinsertion der Bänder (⊡ Abb. 28.8i). werden mittels Spongiosaplastik vom Beckenkamm in der Technik
Unter Verwendung der Kirschner-Drähte als Repositionshilfen nach Matti-Russe versorgt ( Kap. 27.2.5). Anschließend erfolgt der
(Joysticks) wird primär das Mondbein zur distalen Radiusgelenkflä- dorsale Zugang.
che reponiert und dann das Kahnbein zum Mondbein (⊡ Abb. 28.8). Im Gegensatz zu rein ligamentären Verletzungen ist das ska-
Wesentliches Augenmerk ist dabei auf eine entsprechende Rotation pholunäre Band bei der transskaphoidalen Luxationsfraktur erhal-
des Unterarms zu legen, um eine Rotationsfehlstellung der Hand- ten. Bei Kahnbeinfrakturen im mittleren Drittel wird das Kahnbein
wurzel zu vermeiden (⊡ Abb. 28.8k). Bei Einsicht in das distale beugeseitig verschraubt. Das Verhältnis Radius, Kahrnbein und
Radioulnargelenk mit dem Bildwandler ist eine korrekte Position Mondbein ist dann bereits wiederhergestellt. Bei proximalen Pol-
erreicht. Vorlegen der Bandnähte. Nach Reposition von Skaphoid frakturen erfolgt die Stabilisierung des Kahnbeins mittels Schrau-
und Lunatum zum Radius wird ein Kirschner-Draht perkutan vom benosteosynthese von dorsal. Das Kahnbein wird reponiert und
Kahnbein in das Mondbein gebohrt. Nach Kontrolle der Stellung mit zwei Kirschner-Drähten fixiert; im Anschluss wird der zentrale
der Handwurzel im Bildverstärker in beiden Ebenen wird der Kapi- Kirschner-Draht überbohrt und das Kahnbein mit einer Schraube
tatumkopf zur distalen Mondbeinfläche positioniert und ein zwei- stabilisiert. Der Antirotationsdraht wird danach entfernt. Das ab-
ter Kirschner-Draht vom distalen Skaphoidpol in das Kapitatum gerissene dorsale interkarpale Band wird angeschlungen und durch
gebohrt. Abschließend wird das Gelenk zwischen Lunatum und einen V-förmigen Bohrkanal im Mondbein die transossäre Naht
Triquetrum transfixiert (⊡ Abb. 28.88l). Die vorgelegten Bandnähte vorgelegt. Nach Einstellung des Kapitatumkopfes in die distale
werden nun geknüpft, wobei darauf zu achten ist, dass die Band- Mondbeingelenkfläche und Reposition des lunotriquetralen Ge-
stümpfe an den entsprechenden Ausrissorten zu liegen kommen lenks werden zwei Transfixationsstifte vom Triquetrum in das Lu-
(⊡ Abb. 28.8l). Im Anschluss an den streckseitigen Kapselschluss natum und vom Triquetrum in das Hamatum und Kapitatum ein-
werden die beugeseitig vorgelegten Nähte geknüpft (⊡ Abb. 28.8m). gebracht. Nun wird das Lig. intercarpale dorsale an das Mondbein
Nach Öffnen der Blutsperre erfolgt eine exakte Blutstillung. Nach fixiert (⊡ Abb. 28.9f) und die dorsale Kapsel verschlossen. Die wei-
Einlage einer Redon-Drainage erfolgt der schichtweise Wundver- tere Versorgung entspricht dem Vorgehen unter  Abschn. 28.2.2.
28.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
707 28

Lig. radioscaphocapitatum

M. palmaris long. Lig. radiolunatum


Durchtrenntes long.
Retinaculum flexorum
Weichteilbrücke mit
R. palmaris n. med.

a
M. flexor carp.
rad. c

M. flexor poll.
long.
b

Antirotationsstift

d e f

⊡ Abb. 28.9 Technik der beuge- und streckseitigen Versorgung der perilunären Luxationsfrakturen. a Hautschnitt, b subkutane Präparation: Der R. palmaris
N. mediani muss geschont werden, c Darstellung der palmaren Bänder und der Bandverletzung, d Darstellung der Skaphoidfraktur, e Versorgung der Skaphoid-
fraktur von palmar, f Versorgung der dorsalen Bandverletzungen. (Aus Lutz et al. 2009)

28.2.4 Technik der Resektion der proximalen


Karpalreihe  Kap. 29

28.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

Mögliche Komplikationen und Gefahren im Rahmen der operati- ▬ Verletzung der A. radialis: Mikrochirurgische Arterienrekons-
ven Versorgung der perilunären Luxation und Luxationsfrakturen truktion.
können sein: ▬ Sehnenverletzung: Primäre Sehnennaht.
▬ Begleitende Nervenkompressionssymptomatik des N. medi- ▬ CRPS Typ 1: Schmerzbehandlung, Antiphlogistika, dosierte
anus oder N. ulnaris: primäre Operation mit entsprechender Krankengymnastik.
Dekompression. ▬ Posttraumatische Arthrose: Handgelenk(teil)arthrodese.
▬ Vorzeitige Transfixationsstiftlockerung: Revision und neuerli- ▬ Posttraumatische Mondbeinnekrose: Proximal Row Carpecto-
che Platzierung. my oder Handgelenkarthrodese oder Mediokarpale Teilarthro-
▬ Nervenverletzung (Ramus superficialis N. radialis, Ramus dese.
palmaris N. medianus): Bei Durchtrennung mikrochirurgische ▬ Kahnbeinpseudarthrose: Revision und Rekonstruktion des
Naht zur Wiederherstellung der Sensibilität. Kahnbeins, z. B. mit einem gefäßgestielten Beckenspan.
708 Kapitel 28 · Perilunäre Luxationen und Luxationsfrakturen

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29

Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich
Hossein Towfigh

29.1 Allgemeines – 710


29.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 710
29.1.2 Epidemiologie – 718
29.1.3 Ätiologie – 718
29.1.4 Diagnostik – 719
29.1.5 Klassifikation – 721
29.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 725
29.1.7 Therapie – 726
29.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 730
29.1.9 Prognose – 730
29.2 Spezielle Techniken – 731
29.2.1 Technik der Akutversorgung der skapholunären (SL-) Dissoziation – 731
29.2.2 Technik der verspäteten Versorgung der skapholunären Dissoziation nach Linscheid – 731
29.2.3 Technik der verspäteten Versorgung der skapholunären Dissoziation mithilfe
einer dorsalen Kapsulodese nach Blatt – 731
29.2.4 Technik der distalen Fesselung des Kahnbeins nach Brunelli in der Modifikation nach Garcia-Elias,
Lluch und Stanley zur Behandlung der veralteten skapholunären Dissoziation – 733
29.2.5 Technik der Akutversorgung der lunotriquetralen Läsionen und Instabilität – 734
29.2.6 Technik der verspäteten Versorgung lunotriquetraler Bandläsionen bei Dissoziationen
von dorsal mit ECU-Sehne – 734
29.2.7 Technik der verspäteten Versorgung lunotriquetraler Bandläsionen bei Dissoziationen
von palmar mit ECU-Sehne – 734
29.2.8 Technik der verspäteten Versorgung lunotriquetraler Bandläsionen mithilfe
einer Kapsulodese mit dem Lig. radiotriquetrum/radiolunatum – 734
29.2.9 Technik der skaphotrapeziotrapezoidalen (STT-) Arthrodese – 735
29.2.10 Technik der skaphokapitären (SC-) Arthrodese – 735
29.2.11 Technik der lunotriquetralen (LT-) Arthrodese – 735
29.2.12 Technik der mediokarpalen Arthrodese (»four corner fusion«) – 735
29.2.13 Technik der Resektion der proximalen Karpalreihe (»proximal row carpectomie«, PRC) – 739
29.2.14 Technik seltener Arthrodesen – 740
29.2.15 Technik der kompletten Handgelenkarthrodese – 740
29.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 744
Weiterführende Literatur – 744

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


710 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29.1 Allgemeines se spielt in den Konzepten der Behandlung von angeborenen und
erworbenen karpalen Instabilitäten eine wichtige Rolle.
Die klinische Bedeutung der Luxation und Luxationsfrakturen im In der vertikalen oder longitudinalen Aufgliederung werden
Handwurzelbereich zeigt sich vor allem in der großen Zahl von drei Säulen beschrieben (⊡ Abb. 29.3b). Die zentrale Säule besteht
übersehenen und nicht adäquat behandelten Verletzungen. Die aus der distalen Reihe der Handwurzelknochen, die über das Os
Behandlungsergebnisse sind vor allem in ihrer Konzeptlosigkeit capitatum und Os lunatum T-förmig mit dem Radius in Verbin-
unbefriedigend, weshalb nicht selten sekundäre Maßnahmen er- dung stehen. Da das Os lunatum palmar breiter ist als dorsal, hat es
forderlich werden. durch seine Keilform die natürliche Tendenz, nach palmar aus dem
Durch die Bandruptur und/oder Fraktur kommt es zu einer Karpus herauszutreten und nach dorsal zu kippen. Im gleichen
Dissoziation. Diese Dissoziation zeigt sich im Röntgenbild anhand Sinne wirken die Abkippung der Radiusgelenkfläche (⊡ Abb. 29.4a)
von spezifischen Veränderungen, z. B. einer Erweiterung des SL- und die nonaxisymmetrischen Drehachsen von Skaphoid und Ka-
29 Spaltes und rotatorischen Subluxationsstellung des Skaphoids. Die
Instabilität ist die klinische Beschreibung der Symptome der Band-
pitatum. In dieser Betrachtung erscheint die zentrale Säule als
der Hauptkraftübertragungsweg zwischen Metakarpus und Radi-
verletzung bzw. Fraktur (⊡ Abb. 29.1). us. Nach Sennwald (1988) läuft jedoch diese mechanische Sicht
dem eigentlichen Bau der radialen Gelenkpfanne zuwider. Diese
Gelenkpfanne zeigt in ihrem Bau zwei Besonderheiten: In der
29.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Frontalebene bildet die Achse des Gelenks mit der Lotrechten zur
Physiologie Longitudinalachse des Radius einen Winkel von etwa 20°. In der
Sagittalebene schwankt die Gelenkachse zwischen 10–20°. Die dis-
Die Stabilität des Handgelenks hängt ab von tale Gelenkfläche des Radius erscheint als eine Gleitebene, auf wel-
▬ der Form der Knochen und ihrer Gelenkfläche, cher der Karpus beständig abzuweichen sucht. Dieses Abrutschen
▬ dem extrinsischen und intrinsischen Bandapparat und wird durch den extrinsischen und intrinsischen Bandkomplex des
▬ den über das Handgelenk hinwegziehenden Sehnen. Handgelenks verhindert (⊡ Abb. 29.6, ⊡ Abb. 29.7, ⊡ Abb. 29.8).
Die radiale Säule wird durch das Os scaphoideum beweglich
Handwurzelknochen gestaltet. Seinem distalen Pol stemmen sich das Os trapezium und
Das Handgelenk, Karpus, besteht aus 8 Handwurzelknochen, die in Os trapezoideum gemeinsam entgegen und versuchen das Skapho-
2 Reihen angeordnet sind. Die proximale Reihe besteht aus 3 Kno- id nach palmar zu drehen. Die Bewegungstendenzen des Skapho-
chen, dem Kahnbein (Os scaphoideum) auf der radialen Seite, dem ids und des Lunatums sind somit entgegengesetzt und heben sich
Mondbein (Os lunatum) in der Mitte und dem Dreiecksbein (Os gegenläufig auf, solange die Koppelung beider Knochen durch das
triquetrum) auf der Ulnarseite. Als kleines Sesambein ist das Erb- Lig. scapholunatum intakt ist.
senbein (Os pisiforme) in die Sehnen des M. flexor carpi ulnaris Die ulnare Säule wird durch das Os triquetrum und Os pi-
eingeschaltet und liegt dem Os triquetrum auf. Die distale Reihe siforme repräsentiert. Vor allem während der Seitbewegungen
enthält 4 Skelettelemente. Es sind dies von radial nach ulnar: das (Ulnar- und Radialduktion) der Hand gleitet das Os triquetrum
trapezförmige Bein (Os trapezium), das trapezähnliche Bein (Os entlang der schraubenförmigen Gelenkfläche des Os hamatum.
trapezoideum), das Kopfbein (Os capitatum), und das Hackenbein Bei der Ulnarabduktion gleitet das Os triquetrum am Os hamatum
(Os hamatum) (⊡ Abb. 29.2). nach distal, gleichzeitig resultiert daraus eine Extensionsbewegung
Die Architektur des Karpus lässt sich horizontal und vertikal des Os triquetrum. Die karpale Höhe wird ulnar verringert. Das
betrachten (⊡ Abb. 29.3): In der horizonalen bzw. transversalen Os hamatum nähert sich dem Proc. styloideus ulnae. Mit dem Os
Aufgliederung werden 2 Knochenreihen, die proximale und die di- triquetrum über das Lig. lunotriquetrale verbunden und seiner
stale, unterschieden. In dieser Betrachtung erscheint die proximale natürlichen Bewegungstendenz folgend rotiert das Os lunatum in
Reihe wie eine zwischen den Radius und der distalen Karpalreihe eine Extensionsstellung. Dem folgt über das Lig. scapholunatum
zwischengeschaltete Struktur (⊡ Abb. 29.2a). Die Betrachtungswei- geführt das Os scaphoideum in Streckstellung. Umgekehrt kommt

Skapholunäre Dissotiation Rotatorische Subluxations- Skapholunäre Instabilität


stellung des Skaphoids

Anatomische Beschreibung Radiologische Beschreibung Klinische Beschreibung der


der skapholunären der Folge der skapholunären Symptome der skapho-
Bandverletzung/ruptur Bandverletzung lunären Bandverletzung

⊡ Abb. 29.1 Definition Dissoziation/radiologi-


sche Fehlstellung/Instabilität
29.1 · Allgemeines
711 29

Caput ossis metacarpi

Corpus ossis metacarpi

Basis metacarpalis

Hamulus ossis hamati Os trapezoideum


Os trapezium
Os hamatum
Os capitatum
Os pisiforme
Os scaphoideum
Os triquetrum
Processus styloideus radii
Processus styloideus ulnae

Os lunare

⊡ Abb. 29.2 Handwurzel und Mittelhand-


knochen. a Ansicht von dorsal, b Ansicht
b von palmar. (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)
712 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Zahlreiche unterschiedliche Beschreibungen der Bänder im


Handgelenkbereich sind bekannt. Nach Kuhlmann und Kapandji
können die Bänder in 3 Schichten – eine oberflächliche, mittlere
und tiefe – eingeteilt werden: Dieses Konzept wurde in der Folge
noch verfeinert. Im Folgenden wird die zusammenfassende Dar-
stellung nach Lanz verwendet ⊡ Abb. 29.5).

Oberflächliche Schicht des karpalen Bandapparates


(»extraartikuläre Schleuder des Karpus«)
In der am weitesten oberflächlich gelegenen Schicht haben sowohl
das Retinaculum flexorum als auch das Retinaculum extensorum
29 zunächst die Aufgabe, Sehnen zu zügeln und in ihrer richtigen Po-
sition über dem Handgelenk zu führen (⊡ Abb. 29.6).
Das Retinaculum flexorum (⊡ Abb. 29.6a,b) überquert den Sul-
cus carpi und ist an den Eminantiae carpi radialis et ulnaris befes-
tigt. Obwohl nach einer Durchtrennung die randständigen Hand-
a b wurzelknochen bis zu 3 mm auseinanderklaffen können, führt eine
Durchtrennung des Retinaculum flexorum nicht zu einer klinisch
⊡ Abb. 29.3 Architektur des Karpus. a Vertikale Gliederung, b horizontale
relevanten Instabilität des Karpus.
Gliederung. (Aus Sennwald 1988)
Das Retinaculum extensorum (⊡ Abb. 29.6a,c) besteht aus 2 Fa-
serzügen. Der proximale quere Zug verläuft vom radialen Rand
der distalen Radiusepiphyse auf die Gegenseite. Hier fesselt er die
Sehenscheide des M. extensor carpi ulnaris an die Ulna, jedoch
ohne feste Anheftung an diesen Knochen. Der distale schräge Zug
löst sich zunächst aus demselben Radiusbereich. Er zieht dann di-
stal vom Proc. styloideus ulnae um den ulnaren Rand des Karpus.
Seine Fasern enden um die Sehne des M. flexor carpi ulnaris und
am Os pisiforme. Zusammen mit den hier einstrahlenden Fasern
des Retinaculum flexorum bilden sie die extraartikuläre Schleuder
nach Kuhlmann (1982), die zur Rotationsstabilität des Karpus
beiträgt. Außerdem wirkt es Kräften entgegen, die, begünstigt von
der palmaren und ulnaren Inklination der radialen Handgelenkflä-
chen, eine palmare Subluxation des Karpus (⊡ Abb. 29.7b) erzeugen
können.
a b
Mittlere Schicht des karpalen Bandapparates
⊡ Abb. 29.4 Artikuläre Gleitebenen nach Sennwald. a Frontalebene, b Sagit- Die proximale Bandgruppe der mittleren Schicht umfasst nach
talebene. (Aus Sennwald 1988) Berger (1998) oberflächliche und tief gelegene Fasern in Form
der palmaren radiokarpalen Bänder, der ulnokarpalen Bänder
( Kap. 33, sowie der dorsalen radiokarpalen Bänder. Palmar sind
das Os triquetrum bei der Radialabduktion im Vergleich zum Os die Bänder dicker und fester. Die dorsalen Bänder sind wesentlich
hamatum in eine proximale Stellung. Mit ihm richtet sich auch das dünner und mit den Wänden der Strecksehnenfächer verbunden.
Os lunatum im Sinne einer Flexion auf, dem das Os scaphoideum Die palmaren radiokarpalen Bänder liegen in einer zarteren
entsprechend seiner formbedingten Bewegung in Beugerichtung oberflächlichen und einer kräftigeren tiefen intrakapsulären Faser-
folgt. Dadurch wird die radiale karpale Höhe verkürzt und der schicht vor. Vom knöchernen Rand an der Basis des Proc. styloi-
Bewegungsausschlag nach radial vergrößert. deus radii ziehen die oberflächlichen Faserzüge zum Os capitatum
und Os lunatum. Die tiefer gelegenen Bandstreifen unterteilen sich
Karpales Bandsystem in 3 Faserzüge, die nach ihren jeweiligen Befestigungspunkten an
Das Gefüge der Handwurzelknochen ist untereinander sowie zum den Handwurzelknochen benannt werden:
Radius und zur Ulna, aber auch zum Mittelhandknochen hin, Das Lig. radioscaphocapitatum (RSC) entspringt proximal vom
durch straffe Bänder stabilisiert. Dies ermöglicht einerseits eine Proc. styloideus radii. Es bildet den radialen Boden und die radiale
differenzierte Funktion und verhindert andererseits die Luxation. Fläche der Gelenkkapsel. Es zieht nach distal, leicht ulnarwärts
Direkte Gewalteinwirkungen auf die Hand führen, je nach Aus- in Richtung Skaphoid. Auf seinem Weg hat es mehrere konstante
maß der Traumaeinwirkung und der momentanen Stellung der Ansatzorte. Der erste liegt im Bereich der Taille des Kahnbeins
Hand zum Unterarm, zu schweren Verletzungen des Kapsel-Band- und der Sehnenscheidenwand des M. flexor carpi radialis – dieser
Apparats oder auch zu Frakturen am Unterarm und Handskelett, Anteil entspricht der im anatomischen Schrifttum als Lig. colla-
die eine Instabilität des Handgelenks zur Folge haben. Somit ist terale radiale bezeichneten Struktur. Der zweite Insertionspunkt
jede Luxation, Subluxation oder Fraktur im Bereich der Handwur- des Bandes erstreckt sich vom radialen Aspekt der Taille bis zum
zelknochen zumindest ein Ausdruck der potenziellen Instabilität proximalen Rand des distalen Skaphoidpols. Dieser Abschnitt ist
im Radiokarpal-, Interkarpal- oder karpometakarpalen Gelenk, die zusätzlich mit einer fibrösen Schicht in der Gelenkkapsel bedeckt.
klinisch und röntgenologisch bestätigt oder ausgeschlossen werden Hier treten die Blutgefäße für die Versorgung des Os scaphoideum
muss. ein. Der dritte Anteil des RSC-Bandes verläuft nach ulnar und di-
29.1 · Allgemeines
713 29
Oberflächliche Schicht

Retinaculum flexorum Retinaculum extensorum

Mittlere Schicht

proximal Lig. intercarpale dorsale*** distal


Ligg. radiocarpalia Ligg. carpometacarpalia

Lig. collaterale carpi radiale Lig. radiocarpale palmare Ulnokarpaler Komplex Lig. radiocarpale dorsale

oberflächliche tiefe − Discus articularis −Lig. radioscaphoideum


Fasern Fasern −Lig. radioulnare palmare −Lig. radiolunatum
−Lig. radioulnare dorsale −Lig. radiotriquetrum
−Lig. ulnolunatum*
−Lig. radioscaphocapitatum** −Lig. ulnotriquetrum
−Lig. rcapitatohamatotriquetrum** −Lig. ulnocarpale (= meniscus homoloque)
−Lig. radiolunotriquetrum* −Lig. collaterale carpi ulnare
−Lig. Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris
−Bandzug vom Discus articularis (dorsal) zur
Gelenkkapsel der Articulatio ossis pisiformis

Tiefe Schicht

−Lig. trapezotrapezoideum −Lig. lunotriquetrum −Lig. radioscapholunatum (Testut)


−Lig. trapezoideocapitatum −Lig. scapholunatum
−Lig. hamatocapitatum −Lig. scaphotrapezium

−palmar −palmar −palmar


−dorsal
−interossär

* = proximales V-Band **= distales V-Band ***= dorsales V-Band

⊡ Abb. 29.5 Karpale Bandsysteme nach Lanz

stal, palmar der Taille des Scaphoids – ohne wirkliche Anheftung interligamentären Sulcus. Dies ist auch die mechanische Schwach-
– in Richtung Os capitatum. Nach ulnar hin verbinden sich die stelle bei traumatischen Läsionen, auch bekannt als Poirier-Raum.
Fasern mit jenen des Lig. ulnotriquetrale und bilden zusammen Das LRL hat keine weitere Insertion am proximalen Skaphoidpol
das distale V-Band (Lig. acuatum). Nur die distalsten Fasern des oder dem Lig. scapholunatum interossea (SLI) und inseriert am
RSC-Bandes erreichen über das Lig. scaphocapitatum eine Inser- radialen Rand der palmaren Fläche des Os lunatum. Es ist wichtig
tion am Os capitatum. Es ist wichtig anzumerken, dass die direkte anzumerken, dass dieses Band keine substanziellen Verbindungen
ligamentäre Verbindung zwischen Radius und Os capitatum sehr zum Os triquetrum hat. Deshalb sollte bei Exstirpation des Lu-
gering ist. Es wird mehr eine »palmare Platte« im Sinne eines Lab- natums zumindest das palmare Horn mit seinen lunotriquetralen
riums geschaffen, das den Kopf des Os lunatum palmar abstützt. Bandanheftungen belassen bleiben.
Das Lig. radiolunatum longus (LRL, »long radiolunate liga- Das Lig. radioscapholunatum (RSL, »ligament de Testut«) ent-
ment«) entspringt von dem palmaren Radiusrand entlang der springt von einer kleinen Vertiefung am distalen Radiusende, die
Fossa scaphoidea. Mit seinen radialsten und palmarsten Fasern in Höhe des Ristes zwischen kleiner und großer Gelenkfacette
überdeckt es das RSC-Band und bildet mit diesem die palmare liegt. Es inseriert am ulnaren Rand des proximalen Pols des Kahn-
Gelenkkapsel. Das LRL verläuft in einer etwas flacheren, fast que- beins, am proximalen Rand des Os lunatum und am proximalen
ren Verlaufsrichtung nach distal. Im Bereich der Gelenkfläche von Anteil des Lig. scapholinatum interosseum. Sein Gefäßreichtum
Skaphoid und Kapitatum sind die Faserzüge des LRL-Bandes und und seine Dehnbarkeit weisen auf eine Sonderstellung hin. Es gibt
des RSC-Bandes scharf voneinander getrennt und bilden den sog. Hinweise, dass dieses Band an der Blutversorgung des proximalen
714 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Skaphoidpols und Lunatums beteiligt sein soll. Darüber hinaus des Lig. unotriquetrale palmare. Ulnar davon verschmelzt es mit
enthält es auch Nerven, welche möglicherweise eine Mechanore- den Fasern des Lig. ulnolunatum, welches vom palmaren Rand des
zeptorenfunktion habe. Ferner sieht man bei der rheumatoiden TFCC entspringt und an der proximalen palmaren Ecke des Os
Arthritis um seine Anheftung am Radius schon frühzeitig Zysten- lunatum inseriert. Zusammen bilden die zuletzt genannten Bän-
bildung (Signalzysten). der das proximale V-Band. Dieser Bandkomplex ist der palmare
Das Lig. radiolunatum brevis (SRL, »short radiolunat liga- Hauptstabilisator des Lunatums.
ment«) entspringt vom Rand des palmaren Radius entlang der Die dorsalen radiokarpalen Bänder sind breitflächiger und
Fossa lunata. Es verläuft ulnarwärts nach distal und bildet den dünner angelegt. Sie entspringen vom distalen Rand des Radius
Boden der Gelenkkapsel des radiolunären Gelenkraumes. Es in- distal des Lister-Tuberkels und ulnarwärts bis zum Ansatz des
seriert über eine 3–4 mm weite Zone am Kreuzungspunkt der Lig. radioulnaris dorsalis (DRU, »dorsal radioulnar ligament«).
proximalen Gelenkfläche mit dem palmaren gelenkflächenfreien Man unterscheidet hier ebenfalls 3 Faserzüge, die von der dorsa-
29 Horn. Hier verschmelzen die Endfasern mit jenen des LRL und len distalen Radiuskante entspringen und zum Os scaphoideum

⊡ Abb. 29.6 Oberflächliche Schicht des karpalen Bandapparates (»extraartikuläre Schleuder nach Kuhlmann«). a Ansicht von palmar (Retinaculum flexorum),
b Querschnitt, c Ansicht von dorsal (Retinaculum extensorum). (Aus Lanz u. Wachsmuth 1959)
29.1 · Allgemeines
715 29

Retinaculum flexorum palmare radiokarpale Bänder

Lig. carpi palmare Sehnenscheide


Guyonsche Loge
des M. flexor carpi radialis
(proximaler Eingang)
Os pisiforme
Karpaltunnel

II

III–IV
Sehnenscheide
b des M. extensor carpi ulnaris Radius
Os triquetrum
Os lunatum
Os scaphoideum
dorsale radiokarpale Bänder

c
716 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29

a b

⊡ Abb. 29.7 Mittlere Schicht des karpalen Bandapparates nach Lanz. a Ansicht von palmar, b Ansicht von dorsal. (Aus Lutz et al. 2009)

Lig. capito-
Lig. capito- Lig. capito-
trapezoidum Lig. capito- Lig. trapezio-
Lig. trapezio- hamatum trapezoidum
hamatum trapezoidum
trapezoidum

V V
I
Td H Td
H Lig. triquetro- C Tm
Tm hamatum
C Lig. scapho-
trapezium
S P trapezoidum
T S
Lig. triquetro- Lig. scapho-
L capitatum L capitatum

Lig. luno- Lig. luno- Lig. scapho-


Lig. scapho-
triquetrum triquetrum lunatum
lunatum

a b

⊡ Abb. 29.8 Tiefe Schicht des karpalen Bandapparates. a Ansicht von palmar, b Ansicht von dorsal

(Lig. radioscaphoideum dorsale), Os lunatum (Lig. radiolunatum Bandstreifen zum Os triquetrum bzw. scaphoideum ein mit der
dorsale) und Os triquetrum (Lig. radiotriquetrum dorsale) ziehen. Spitze nach distal weisendes V bilden (distales V-Band). Zwischen
Ihre Verlaufsrichtung ist schräg zum Gelenkspalt der Articulatio dem proximalen V-Band und dem distalen V-Band entsteht eine
radiocarpalis ausgerichtet. Die auf das Triquetrum zulaufenden ra- Schwachstelle des Karpus, der Poirier-Raum.
diokarpalen Bandzüge bilden zusammen mit dem Lig. intercarpale
dorsale, welches zwischen Skaphoid und Triquetrum ausgespannt Tiefe Schicht des karpalen Bandapparates
ist, das dorsale V-Band. Die kurzen Faserzüge der tiefen Schicht verklammern benachbart
In der zurzeit gültigen Nomenklatur wird distal palmar ein liegende Handwurzelknochen auf kürzestem Weg sowohl palmar
Lig. carpi radiatum (»deloid radiate, arcuate or V ligament«) be- als auch dorsal sowie in den gelenkflächenfreien Zonen zwischen
nannt. Dieses Bandsystem entspricht einer variablen Ausbildung den karpalen Skelettelementen. Etwas länger sind die Faserzüge
bei verschiedenen Individuen. Manchmal lassen sich von distal zwischen Os scaphoideum und Os trapezium, Os lunatum und
nach proximal fächerartig auseinanderstrebende Fasern darstellen Os triquetrum sowie Os scaphoideum und Os lunatum angelegt.
(Lig. deltoideum oder radiatum). Vom Os capitatum ziehen sie Die kräftigen radiopalmaren Fasern zwischen den Tuberkula des
zum Os triquetrum und Os hamatum (Lig. capitohamatotriquet- Os scaphoideum und Os trapezium erlauben dem Os trapezium
rum), zum Os scaphoideum und zum Os lunatum, sodass die und Os trapezoideum auf dem distalen Pol des Kahnbeins zu
29.1 · Allgemeines
717 29

⊡ Abb. 29.9 Positions- und Lageveränderung


a der Karpalknochen während der Bewegung.
a Radialduktion/Flexion: Die proximale Karpalrei-
he ist in Beugestellung. Das Skaphoid erscheint
perspektivisch verkürzt (»Ringzeichen«), das Os
lunatum dreieckig und das Os triquetrum proxi-
mal im Verhältnis zum Os hamatum (»high posi-
tion«). b Ulnaduktion/Extension: Die proximale
Karpalreihe steht in Streckstellung. Das Skaphoid
ist nach dorsal rotiert und erscheint in seiner lan-
gen Projektion. Das Os triquetrum ist entlang des
Os hamatum nach distal gewandert (»low positi-
on«). Das Os hamatum nähert sich dem Processus
b styloideus ulnae. Mit ihm rotiert das Os lunatum
in eine Streckstellung. (Aus Schmitt 2006)

wandern, eine wesentliche Voraussetzung, damit das Os scapho- nar verlagert. In Extremstellung werden die Karpalknochen durch
ideum während der Radialabduktion und Flexion eine palmar die erhöhte Spannung in den Bändern verriegelt (⊡ Abb. 29.9a).
flektierte Stellung (»tiefe Position«) einnehmen kann. Das starke In Ulnarduktion laufen dann die umgekehrten Bewegungsab-
Lig. lunotriquetrum setzt die Verlaufsrichtung der Fasern des ra- läufe ebenfalls bis zu einer festen Blockierung ab (⊡ Abb. 29.9b).
diolunären Bandzuges fort. Es erlaubt eine Verschiebung des Os Bei Flexion werden die distalen Handwurzelknochen nach
triquetrum von proximal nach distal während der Ulnarabduktion. palmar und proximal verlagert. Das Os capitatum zieht das Mond-
Die proximalen Säume von Kahn- und Mondbein sind durch die bein in Beugestellung, sodass dessen palmar breitere Gelenkfläche
Fasern des Lig. scapholunatum verbunden. Es zieht vom proxima- den Radius berührt. Da der palmare Zügel der »Schleuder« für das
len Pol des Os scaphoideum von seiner ulnaren Seite aus schräg Triquetrum erschlafft, zieht der sich anspannende dorsale Anteil
verlaufend zur radialen Seitenfläche des Os lunatum. Da es sehr das Os triquetrum in eine proximale Position gegenüber dem Os
straff und fest aufgebaut ist, hat es eine wichtige Funktion in der hamatum. Gleichzeitig kippt die proximale Handwurzelreihe in
Erhaltung der karpalen Stabilität. Distal der Bandzüge verbleiben eine Beugestellung gegenüber dem Radius. Dorsale radiokarpale
halbmondförmige, mit Knorpel überzogene Gelenkflächen, die mit und interkarpale Bänder hemmen durch ihre Anspannung extreme
dem Mediokarpalgelenk in offener Verbindung stehen. Diese Kon- Auslenkungen (⊡ Abb. 29.9a).
struktion erlaubt in besonderer Weise Gleit- und Torsionsbewe- In Extension gleitet die distale Handwurzelreihe nach proximal
gungen der beiden Knochen gegeneinander. Möglicherweise liegt und dorsal. In der radialen Säule verhindern das Lig. collaterale
in der ungewöhnlichen Belastung die Erklärung für die bevorzugte radiale und das Lig. radioscaphocapitatum eine uneingeschränkte
Entstehung von Ganglionzysten an diesem Band (⊡ Abb. 29.8). Extension des Kahnbeins. Die sich anspannenden Fasern des
»palmaren Tragbandes« bremsen eine weitläufige Überstreckung
Karpale Kinematik von Os capitatum und Os lunatum. Die dorsalen Zügel der Tri-
Die Beweglichkeit im Handgelenk, nämlich Flexion und Extension, quetrumschleuder werden durch die Extension des Os hamatum
aber auch ulnare und radiale Abwicklung werden in unterschiedli- angespannt. Somit gleitet das Os triquetrum auf der Schrauben-
chem Maße durchgeführt, wobei durchschnittlich eine Flexions-/ fläche des Os hamatum nach distal und kommt gegenüber dem
Extensionsbewegung von 120° und eine Radial- und Ulnarabduk- Radius ebenfalls in eine Extensionsstellung. Im Ganzen kippt die
tion von insgesamt 50° festgehalten werden kann. Die Bewegungen proximale Reihe der Handwurzelknochen in die gegenüber dem
finden zwischen mediokarpalen und radiokarpalen Gelenken, aber Radius extendierte Stellung. Diese Bewegung wird durch die An-
auch interkarpal zwischen einzelnen Handwurzelknochen statt. spannung der palmaren Bandsysteme und des Retinaculum flexo-
Während das Radiokarpalgelenk bei der Extension bevorzugt in rum in seiner Endstellung blockiert (⊡ Abb. 29.9b).
Anspruch genommen wird, ist bei der Flexion das mediokarpale
Gelenk vermehrt beansprucht. Karpaler Kollaps
Bei den radialen Abduktionsbewegungen kommt die gesamte Sowohl die instabile Skaphoidpseudarthrose als auch die ska-
proximale Handwurzelreihe zu einer Palmarflexion, sodass die pholunäre Dissoziation führen zu einem Aufbrechen des karpalen
karpale Höhe radial abnimmt. Das Os lunatum kommt in eine Gefüges, wobei die knöcherne Verletzung (SNAC-Wrist, »scaphoid
leichte PISI-Stellung. nonunion advanced collapse«; ⊡ Abb. 29.10) sich in ihrem Verlauf
Bei der Radialduktion verschiebt sich die distale Handwurzel- bis zum Vollbild des karpalen Kollapses anders verhält als die
reihe nach radial und proximal. Während sich der Karpus um das ligamentäre Verletzung (SLAC-Wrist, »scapholunate advanced col-
Os capitatum dreht, wird gleichzeitig die proximale Reihe nach ul- lapse«; ⊡ Abb. 29.11).
718 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

⊡ Tab. 29.1 Stadieneinteilung SLAC- und SNAC-Wrist.


(Aus Watson u. Ruy 1986)

Stadium Ausmaß der Arthrose

I Beschränkt auf Processus styloideus radii

II Erweitert auf das Radioskaphoidalgelenk

III Zusätzlich mediokarpale Arthrose

III
I
29 Radiusgelenkfläche länger ohne wesentliche arthrotische Verände-
rungen. Analog zur SLAC-Wrist laufen auch bei der SNAC-Wrist
II das Tiefertreten und die Radialverschiebung des Kapitatumkopfes.
Langfristig entstehen dann eine radiokarpale Arthrose sowie spä-
ter noch zusätzlich eine Mediokarpalarthrose zwischen den Ge-
lenkanteilen des Kapitatumkopfes und dem proximalen Skaphoid-
fragment bei Skaphoidpseudarthrose. Bei der SLAC-Wrist kommt
es jedoch bei zunehmender Dauer zur Arthrose im Mediokarpal-
gelenk zwischen Kapitatum, Lunatum und Triquetrum. Obwohl
⊡ Abb. 29.10 SLAC-Wrist nach Watson: Stadieneinteilung (Reihenfolge der sich der Beginn und Durchlauf der Arthrose bei SLAC-Wrist und
Arthroseentstehung II,I,III). (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) SNAC-Wrist unterschiedlich gestaltet, sollte die von Watson u.
Ruy (1986) vorgeschlagene Einteilung zur Vereinheitlichung an-
gewandt werden, die auch bei den anderen Autoren zunehmende
Akzeptanz findet (Krakauer et al. 1994; Krimmer et al. 1997;
Towfigh 1988). Sowohl bei SLAC-Wrist als auch bei SNAC-Wrist
kommt es durch verschiedene Kippungen des Skaphoids und des
Lunatums zum Tiefertreten des Kapitatums mit Verschiebung
nach radial. Dadurch ist die karpale Höhe deutlich vermindert
und der Karpus kollabiert. Daher wird die Krafteinwirkung und
Übertragung gestört und dieses führt zum Fortschreiten der be-
stehenden Arthrose in den mediokarpalen Gelenkabschnitten mit
Knorpelabrieb und Destruktion, vor allem im Bereich des Kapita-
I tumkopfes. Bei SLAC-Wrist ist die radiolunäre Gelenkfläche fast
immer von der Arthrose ausgespart (⊡ Tab. 29.1).
II III

29.1.2 Epidemiologie

Eine genaue epidemiologische Bestimmung ist aufgrund der viel-


fältigen Instabilitäten im Bereich der Handwurzelknochen nicht
zu eruieren. Es treten einzelne und kombinierte Instabilitäten mit
⊡ Abb. 29.11 SNAC-Wrist: Stadieneinteilung (Reihenfolge der Arthroseent- unterschiedlicher Symptomatik je nach Verletzung und Belastung
stehung I, II, III) auf, die schwer zu beziffern sind.

Bei der länger bestehenden Kahnbeinpseudarthrose nimmt 29.1.3 Ätiologie


das distale Fragment des Kahnbeins eine Flexionsstellung ein.
Das proximale Fragment nimmt jedoch eine Extensionsstellung Instabilitäten können angeboren und/oder erworben sein. Sie be-
ein, da es durch die straffe Verbindung mit dem skapholunären treffen den Knochen (Fraktur oder Fehlstellung) und/oder die
Bandapparat am Lunatum fest verankert ist. Dadurch entsteht Weichteile (extrinsische und intrinsische Bänder, Sehnen) ( Ab-
eine Verkantung und Kippung des distalen Kahnbeinfragments schn. 29.1.5).
mit dem Processus styloideus radii. Hierdurch und an dieser Stelle Der CIND (»carpal instability non dissociative«) ist oft ver-
entstehen bei SNAC-Wrist zuerst arthrotische Veränderungen bei bundenen mit hypermobilen Handwurzelknochen und Bandlaxität
der Kahnbeinpseudarthrose. Bei der SLAC-Wrist dagegen wird in den radio- und interkarpalen Gelenkanteilen. Gelegentlich ist
die Arthrose zuerst zwischen der dorsalen Radiusgelenkfläche CIND kombiniert mit einer Ulnaminusvariante.
und dem verkanteten proximalen Skaphoidpol, also in der Mitte Erworbene karpale Instabilitäten können durch Verletzungen,
der distalen Radiusgelenkfläche, registriert. Eine isolierte, auf den aber auch durch degenerative Veränderungen der Knochen und
Processus styloideus radii beschränkte Arthrose zwischen Skap- Elongation der Bänder sowie Entzündungen (chronische Polyarth-
hoid und Processus styloideus radii wird sehr selten bei SLAC- ritis), neoplastisch und iatrogen hervorgerufen worden sein.
Wrist beobachtet. Bei Kahnbeinpseudarthrose bleiben das pro- Der Mechanismus der Verletzungen ist ungenau. Die häu-
ximale Fragment und der korrespondierende Anteil der distalen figsten Verletzungen geschehen durch massive dorsale Flexio-
29.1 · Allgemeines
719 29
nen im Handgelenk kombiniert mit Rotation und Kompression.
Ebenso kann eine Distraktion mit Rotationskomponente ent-
sprechende Kapsel-Band-Verletzungen am Handwurzelknochen
hervorrufen.
Länger bestehende Kahnbeinpseudarthrosen, vor allem mit
Dislokation oder Instabilität, führen ähnlich wie die skapholu-
näre Dissoziation zu typischen Achsenfehlstellungen der pro-
ximalen Handwurzelreihe. Die daraus folgenden arthrotischen
Veränderungen, sowohl radiokarpal als auch interkarpal, führen
zu einem karpalen Kollaps, wobei dieser dann seinerseits die
arthrotischen Veränderungen verstärkt. Im Hinblick auf unter-
schiedliche therapeutische Möglichkeiten ist eine differenzierte
Betrachtungsweise bezüglich der Ursache des Kollapses und der
Arthrose sinnvoll. Arthrotische Veränderungen zusammen mit
dem karpalen Kollaps werden nach Watson u. Ballet (1984) als
SLAC-Wrist bezeichnet.

29.1.4 Diagnostik

Neben einer gründlichen »Basisuntersuchung« der Hand ( Kap. 2)


sind spezifische klinische Tests und apparative Untersuchungen für
eine möglichst exakte Diagnosestellung notwendig ( Übersicht).

Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf eine karpale


Instabilität
⊡ Abb. 29.12 Skaphoid-Shift-Test nach Watson. (Aus Nakamura et al. 1992)
▬ Anamnese
▬ (Ätiologie, Datum, Schmerzen, Klick-Phänomene etc.)
▬ Klinische Untersuchung
▬ (Druckschmerz, Watson-Test, Ballotment-Test etc.) (schmerzhaften) Klick – subluxieren lässt (⊡ Abb. 29.12). Es ist zu
▬ Röntgen (im Seitenvergleich) bemerken, dass ohne vorausgegangenes Trauma oder Trauma-
– statisch (d. p., lateral → karpale Winkel, Gilula-Bögen etc.) mechanismus bei einer Großzahl von Menschen, vor allem jun-
– dynamisch (Ulnardeviation, fester Faustschluss in Supina- gen Frauen, ein Schnappphänomen schmerzfrei ausgelöst werden
tion etc.) kann. Besonders häufig wird dies bei jungen weiblichen Personen
▬ Bildwandleruntersuchung (im Seitenvergleich) mit laxen Bandapparaten festgestellt. Nur alleine der schmerzhaf-
▬ Arhthro-MRT te Charakter des Schnappens oder das spontane Auftreten beim
▬ Arthroskopie Einsatz des Handgelenks sind entscheidend für die Indikation zur
▬ Intraoperative Untersuchungen Diagnostik und von therapeutischen Maßnahmen.

Skapholunärer Ballottement-Test. Skaphoid und Lunatum


Spezifische klinische Tests werden zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und gegen-
Durch Provokationstests am Handgelenk werden dynamische In- sinnig in d. p. Ebene verschoben. Bei einer Läsion des SL-Bandes
stabilitäten durch Provokation einer Subluxation aufgedeckt. Die können hier Schmerzen auftreten.
Tests sollen immer im Seitenvergleich durchgeführt werden, da
bei Laxizität des Bandapparates seitengleiche Instabilitäten oft kei- Lunatotriquetraler Ballottement-Test. Beim lunatotriquetra-
ne klinische Relevanz haben. Jede Instabilität sollte als statische len Ballottement-Test wird die Instabilität klinisch nachgewiesen.
(bereits auf dem Röntgenbild sichtbar) oder dynamische (nur Bei der Fixierung des triquetropisiformen Komplexes und des Os
durch Provokation auslösbar) klassifiziert werden. Die statischen lunatum und Verschiebung der beiden gegeneinander kommt es zu
Instabilitäten sollten klinisch auf ihre Reponierbarkeit (»statisch- einem Klickphänomen, welches schmerzhaft für den Patienten ist,
reponierbar« oder »statisch-irreponierbar«) getestet werden. Man falls diese Manipulation eine Instabilität hervorgerufen hat.
beginnt mit der gesunden Hand.
Midcarpal-Shift-Test. Hand und Radius werden fixiert und in
Skaphoid-Shift-Test nach Watson. Der Test dient der Diagnose Höhe des Kapitatums gegensinnig in dorsopalmarer Richtung ver-
einer skapholunären Bandverletzung mit Rotationsinstabilität des schoben. Neben Schmerzen ist auf eine erhöhte Beweglichkeit zu
Skaphoids. Die rechte Hand des Untersuchers greift von radial das achten. Eine vermehrte dorsale Translation deutet auf die Ruptur
rechte Handgelenk des Patienten, sodass der Daumen Druck auf des dorsalen V-Bandes hin.
das Tuberculum ossis scaphoidei ausübt und Zeige- und Mittel-
finger dorsal das SL-Gelenk tasten können. Wird nun die Hand Catch-up-Clunk-Test. Der Patient führt die geballte Faust von ra-
des Patienten von ulnar nach radial geführt, drückt das Skaphoid dial nach ulnar hin und her. Bei positivem Test ist ein oft schmerz-
den Daumen des Untersuchers nach palmar. Der Test ist positiv, haftes Schnappen spürbar, was auf eine Instabilität im Mediakar-
wenn der Daumendruck das Skaphoid nach dorsal – mit einem palgelenk hindeutet.
720 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Apparative Untersuchungen auf dem Röntgenbild die Mittelhand nur unvollständig abgebildet
Röntgenbilder im Seitenvergleich ist, kann der modifizierte Längenindex nach Nattras (Längenquo-
Für die Diagnostik sind Röntgenaufnahmen in Neutralstellung des tient aus Karpus und Kapitatum) angewendet werden. Der Norm-
Handgelenks notwendig, sowohl was die Streckung und Beugung wert ist 1,57 ±0,05.
als auch Radial- und Ulnarabduktion betrifft. Bei unkorrekter Auf der seitlichen Aufnahme wird zuerst die Gelenkflächenin-
Neutralstellung kann sich die Form und Lage des Kahnbeins und klination des Radius bestimmt, die physiologischerweise 0–20°
Mondbeins beträchtlich verändern (⊡ Abb. 29.13). beträgt ( Kap. 31). Anschließend wird die Stellung des Os lunatum
Auf diesen Röntgenbildern kann die Stellung der Karpalkno- bewertet. Das Mondbein steht physiologischerweise in einer Neu-
chen zueinander exakt vermessen und objektiviert werden. Die tralstellung. Eine Kippung der distalen Gelenkfläche nach dorsal
morphometrische Analyse der d. p. Aufnahme beginnt mit der wird als DISI (»dorsal intercalated segment instability«), eine Kip-
Bestimmung der Gelenkflächeninklination des Radius, die physio- pung nach palmar als PISI (»palmar intercalated segment instabili-
29 logischerweise um 15–35° nach ulnar gerichtet ist ( Kap. 31). Da- ty«) bezeichnet (⊡ Abb. 29.16).
nach wird das relative Längenverhältnis zwischen Radius und Ulna
bestimmt ( Kap. 33). Nach Gilula verlaufen in der d. p. Projektion
physiologischerweise 3 Verbindungslinien harmonisch, parallel
und ohne Unterbrechung entlang der proximalen und distalen
Handwurzelreihe (⊡ Abb. 29.14). Bei einer Unterbrechung besteht
der Verdacht auf eine karpale Gefügestörung.
III
Bei intaktem Gefüge weist der Karpus eine konstante Höhe auf.
Der Index der Karpushöhe nach Youm wird durch die Formel L2/ II
L1 definiert, in der L1 die Länge des Metakarpale III im Röntgen- I
bild bedeutet, und L2 den Abstand zwischen dem palmaren Rand
des Radius und dem CMC-III-Gelenk bezeichnet: Dieser Abstand
wird auf der Achse des Metakarpale III gemessen. Normalerweise
hat dieser Index einen Wert von 0,54 ±0,03 (⊡ Abb. 29.15). Wenn

⊡ Abb. 29.14 Konzentrische Bögen nach Gilula. (Aus Schmit-Neuerburg et


al. 2001)

⊡ Abb. 29.13 Schemata zur Projektionsradiografie des Handgelenks in


Neutralstellung. a Für die dorsopalmare (d. p.) Aufnahme wird der Oberarm
abduziert, sodass sich die Hand im Höhenniveau der Schulter befindet. Ist
die dorsopalmare Aufnahme korrekt eingestellt, projiziert sich der Processus
styloideus ulnae im Profil auf die Außenseite des Ulnakopfes. b Für die latera-
le Projektion wird der Oberarm adduziert, sodass die Hand mit der Ulnarseite
auf dem Bucky-Tisch aufliegt. In der korrekt eingestellten Seitenaufnahme
findet sich das Pisiforme auf halber Strecke zwischen Kapitatum und dista-
lem Skaphoidpol. (Aus Schmitt 2006) ⊡ Abb. 29.15 Index der Karpushöhe nach Youm. (Aus Sennwald 1988)
29.1 · Allgemeines
721 29
Als nächstes wird die normale Gefügeanordnung der Hand- gamentären Bändern. Die CT-Arthrografie stellt Läsionen der intra-
wurzel durch Winkel zwischen den Längsausdehnungen von Ra- artikulären Ligamente und gleichzeitig Frakturen dar und bietet eine
dius, Lunatum, Kapitatum und Skaphoid mithilfe der Axial- oder höhere Ortsauflösung sowohl in der Schichtebene als auch bezüglich
Tangenzialmethode definiert ( Kap. 28). Als Normwerte gelten: der Schichtdicke. Das CT hat jedoch eine hohe Strahlenbelastung.
▬ radiolunärer Winkel 0°±15°,
▬ lunokapitaler Winkel 0° ±15° und Magnetresonanztomografie
▬ skapholunärer Winkel 45° ±15°. Das MRT bzw. die MR-Arthrografie zählen neben den konven-
tionellen Röntgenbildern zu den wichtigsten nichtinvasiven Un-
Stressaufnahmen tersuchungen. Leider werden sehr viele Untersuchungen für die
Stressaufnahmen werden angefertigt, um das Ausmaß einer sta- zu beantwortende Fragestellung nicht korrekt durchgeführt. Zur
tischen Instabilität und einer dynamischen Instabilität darzustel- Darstellung der Bänder ist nach Schmitt (2006) eine hochauflösen-
len. Unter Ruhebedingungen misst die Weite der radiologischen de Untersuchungstechnik mit Verwendung mehrkanaliger Phased-
Gelenkspalten ca. 2 mm, im Belastungsstress sind Distanzen von Array-Spulen Voraussetzung. Ligamente weisen in nativen, T2-
mehr als 4 mm für eine Bandruptur verdächtig. Auch die Stressauf- gewichteten Sequenzen (T2*w-GRE, fettgesättigte PDw-FSE oder
nahmen müssen immer im Seitenvergleich durchgeführt werden. T2w-FSE, STIRw-FSE) ein intermediäres bis hypointenses Signal
Zum Nachweis einer SL-Dissoziation hat sich die Aufnahme in mit teils schlechtem Kontrast zum hyalinen Gelenkknorpel auf. Als
d. p. oder p.d. Projektion mit festem Faustschluss (eventuell Um- vorteilhaft werden 3D-Datensätze in T2*-Gewichtung gewertet.
greifen eines Balles) bewährt. Aufgrund der diagnostischen Herausforderung einer Objektgröße
im Millimeterbereich und eines reduzierten Signal-zu-Rausch-Ver-
Kinematografie hältnisses können in der nativen MRT karpale Bandrupturen nur
Die durch den Handchirurgen selbst durchgeführte dynamische dann sicher bewertet werden, wenn die rupturierten Bandsegmen-
Untersuchung unter dem Bildwandler liefert vor allem bei dyna- te von einer hyperintensen Flüssigkeit umgeben sind.
mischen Instabilitäten wichtige Informationen. Ein klinisch fühl- Mit der intravenösen Applikation von Kontrastmittel kann
bares positives Watson-Zeichen kann objektiv dargestellt werden. der Versuch unternommen werden, in T1-gewichteten Sequenzen
Das karpale Gefügespiel ist ebenfalls klar dargestellbar. Auch das mit Fettsaturation den Kontrast am rupturierten Ligament zu er-
Auseinanderweichen des SL-Spaltes bei festem Faustschluss kann höhen. Im akuten und subakuten Stadium kommt es nämlich am
sichtbar gemacht werden. Schädigungsort zu einer fokalen Anreicherung eines systemisch
applizierten Kontrastmittels. Pathophysiologische Ursache ist die
Arthrografie und CT-Arthrografie Hyperämie, die sich auf dem Boden eines fibrovaskulären Repara-
Die konventionelle Arthrografie hat heute fast keine Bedeutung mehr. tionsgewebes und einer lokalisierten Synovialitis ausbildet.
Neben dem Risiko eines Gelenkempyems besteht das Problem der
falsch positiven Befunde durch physiologische Lücken in den interli- MR-Arthrografie
Die direkte MR-Angiografie ist für die Darstellung der karpalen
Bänder der diagnostische Goldstandard. Mit dem semiinvasiven
Verfahren wird nicht nur der Kontrast zur periligamentären Um-
gebung verbessert, sondern auch die intraartikulären Ligamente
vom hyalinen Knorpel distanziert. Beide Phänomene tragen zur
optimierten Abgrenzbarkeit der karpalen Bänder bei, insbesondere
der wichtigen intrinsischen Ligamente bei Verwendung von 3D-
Datensätzen. In der indirekten MR-Arthrografie wird das syste-
misch applizierte Kontrastmittel durch transsynoviale Diffusion in
35° die karpalen Gelenkkompartimente abgegeben und ein verbesser-
ter intraartikulärer Kontrast in T1-gewichteten Sequenzen erzielt.
Wegen des nur geringen Distensionseffekts weist das indirekte
Verfahren im Vergleich zur direkten Arthrografie signifikante Li-
mitationen an den karpalen Ligamenten auf.

>15° Arthroskopie
<-15° Die Arthroskopie ist nach wie vor der Goldstandard in der Diag-
nostik der SL-Dissoziation ( Kap. 13).

29.1.5 Klassifikation

Karpale Gefügestörungen können nach Larsen et al. (1995) nach


DISI-Fehlstellung PISI-Fehlstellung mehreren Kriterien klassifiziert werden:
(dorsiflexed intercalated (Palmar intercalated
segment instability) segment instability) ▬ Chronizität,
a b
▬ Art der Instabilität,
⊡ Abb. 29.16 Pathologische Stellung des Os lunatum auf der seitlichen ▬ Ätiologie,
Röntgenaufnahme. a DISI-Fehlstellung (»dorsal intercalated segment insta- ▬ Lokalisation,
bility«), b PISI-Fehlstellung (»palmar intercalated segment instability«). (Aus ▬ Richtung und
Schmit-Neuerburg et al. 2001) ▬ Dissoziationsbild.
722 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Chronizität einer Dissoziation anzusehen ist. Dabei ist der Vergleich mit der
Von einer akuten Dissoziation spricht man, wenn das Ereignis gesunden Seite hilfreich und erforderlich.
<7 Tage zurückliegt. Die SLD wird als Instabilität des Kahnbeins, bedingt durch
Eine subakute Dissoziation liegt vor, wenn das Ereignis >7 Tage eine akute oder chronische Schädigung seiner Bandverbindung
und <6 Wochen zurückliegt. zum Mondbein und des palmaren oder dorsalen Kapsel-Band-
Liegt die Dissoziation >6 Wochen vor, spricht man von einer Apparats, bezeichnet.
chronischen Dissoziation. Diese Einteilung ist besonders im Hin- Die synchrone Bewegung zwischen der proximalen und dista-
blick auf die Wahl des Therapieverfahrens und die Therapieprog- len Karpalreihe ist damit unterbrochen. Neben der SLD wird die
nose wichtig. DISI-Stellung des Lunatums und die Flexionsstellung des Skapho-
ids sowie ein erweiterter skapholunärer Winkel festgestellt. Über
Art der Instabilität längere Zeit bestehende und unbehandelte skapholunäre Bandver-
29 Die Entstehung von Instabilitäten hängt von der Schwere der knö- letzungen können zu einem karpalen Kollaps mit arthrotischen
chernen und ligamentären Verletzung bzw. Degeneration der Kno- Veränderungen, zur sog. SLAC-Wrist, führen, wobei hier eine in-
chenknorpel und ligamentären Strukturen der karpalen Knochen terkarpale Arthrose bei proximalisiertem Kapitatum vorliegt. Hier
ab. Es entstehen vielfältige sowohl dynamische als auch statische besteht eine Translation des Lunatums nach ulnar, das Skaphoid
Instabilitäten. befindet sich in Flexions- und Rotationsstellung.
Das vollständige Bild der SLD ist durch
Statische Instabilität. Fixierte Fehlstellungen der Handwurzel- ▬ einen skapholunären Spalt,
knochen, die weder vom Patienten noch vom untersuchenden ▬ eine DISI-Stellung des Mondbeines und
Arzt manuell zu korrigieren sind, werden als statische Instabilität ▬ eine Flexionsstellung des Kahnbeines (SLAC) mit erweitertem
bezeichnet. Die statische Instabilität findet sich insbesondere bei skapholunären Winkel
Knochenbeteiligungen wie bei in dorsaler Fehlstellung verheilter gekennzeichnet.
Radiusfraktur, Mondbeinnekrose oder auch nach einer perilunären
Luxation oder Luxationsfraktur.
Klinische Symptomatik der SLD
Dynamische Instabilität. Hier ist die Fehlstellung durch Bewe- 1. Schmerzen im Radiokarpalbereich werden durch die Sub-
gung und Manipulation vom Patienten oder Arzt zu provozieren. luxation des Skaphoids verursacht
Diese dynamische Instabilität ist meistens mit einem schmerzhaf- 2. Schnappphänomene bedingen eine Mikrotraumatisierung
ten Klicken verbunden, wobei die klinische Diagnostik gelegentlich des Gelenkknorpels, akustisch als Klickgeräusche und als
schwierig sein kann und die genaue Diagnose erst nach röntgenki- Gelenkknirschen feststellbar
nematografischen Untersuchungen, Arthrografie des Handgelenks 3. Bewegungseinschränkung durch die Nicht-Kopplung von
oder MRT-Untersuchungen gestellt werden kann. Skaphoid und Lunatum
4. Kraftminderung als Folge des sich in Flexion befindlichen
Ätiologie  Abschn. 29.1.3 Kahnbeins (Kollapsposition) und der vorhandenen Schmerz-
Lokalisation symptomatik (SLAC-Wrist)
Dissoziationen, die zu Instabilitäten führen, können grundsätzlich 5. Schwellung auf der Streckseite des Handgelenks bei reaktiver
in jedem Gelenkabschnitt des Karpus auftreten. Am häufigsten Synovitis über dem Bandkomplex
werden Instabilitäten im Bereich des SL-Bandes gefunden. Die 6. Skaphoidverschiebetest nach Watson.
lunotriquetrale Instabilität ist ein seltener Befund.

Skapholunäre Instabilität Für die klinische Untersuchung kommt dem Skaphoidschiebetest


Die skapholunäre Dissoziation (SLD) tritt am häufigsten nach nach Watson und Ballet (1984) entscheidende Bedeutung zu. Ki-
Sturz auf das in Hebeextension fixierte Handgelenk auf. Meistens nematisch kann es bei Ab- und Adduktion des Handgelenks zu
liegt dabei auch eine leichte Adduktionsstellung des Handgelenks einer spontanen Reposition des Lunatums aus seiner extendierten
vor, sodass das Skaphoid zwischen der dorsalen Radiuslippe und Stellung kommen. Häufig ist hierbei ein Klickphänomen hörbar.
dem radiokarpalen Band, der sog. Triquetrumschleuder, fixiert Das bildgebende Verfahren folgt der klinischen Untersuchung, wo-
wird. Das Lunatum kann sich relativ zum Skaphoid weiter in Ex- bei abgesehen von Standardröntgenaufnahmen (⊡ Abb. 29.17) auch
tension bewegen. Bei der akuten Verletzung handelt es sich über- die Überprüfung der Funktion sowie dynamische Röntgenunter-
wiegend um Hyperextensionstraumata oder Begleitverletzungen suchungen angezeigt erscheinen. Röntgenologisch wird ein pa-
bei Radiusfrakturen, wobei bei veralteten Verletzungen häufig kein thologisch vergrößerter skapholunärer Winkel auf über 70° mit
exakter Unfallzeitpunkt erinnerlich ist, was bei gutachterlichen Ringzeichen des Skaphoids, bedingt durch die Verkürzung des
Fragestellungen Probleme aufwerfen kann. Nicht selten wird der Kahnbeins, in der d. p. Röntgenaufnahme und erweitertem oder
bereits bestehende karpale Kollaps mit sekundärer Arthrose durch dreieckförmigem skapholunärem Spalt hervorgerufen. Eine Arthro-
ein neuerliches Trauma aktiviert. Rheumatoide Entzündungen und grafie ist in Grad II und Grad III sicher positiv. Die MRT kann zwar
andere seltene Ursachen wie Handgelenkganglien sowie iatrogene den Nachweis einer skapholunären Bandverletzung hervorbringen,
Verletzungen im Rahmen anderer Eingriffe, wie z. B. Arthroskopi- allerdings ist eine sichere Differenzierung zwischen Teil- und To-
en, und Infektionen können auch eine Schädigung des skapholunä- talruptur nicht mehr möglich, sodass eine Ausnahmeindikation
ren Ligaments zur Folge haben. besteht. Hier kann die Arthroskopie die Diagnose sichern. Die CT
Bei der einfachen Form der Bandruptur zwischen Skaphoid kann zur Klärung sekundärarthrotischer Veränderungen beitragen.
und Lunatum handelt es sich um eine Verletzung des radioskapho- Diagnostische Hilfsmittel werden in ⊡ Tab. 29.2 dargestellt.
lunären Kapselkomplexes. Röntgenologisch zeigt sich der Abstand Je nach Schweregrad der skapholunären Bandverletzung und
zwischen Mondbein und Kahnbein über 2 mm, was als Zeichen bestehender oder provozierbarer Instabilität können folgende Sta-
29.1 · Allgemeines
723 29
dien der Dissoziation bei der Diagnostik unterschieden werden
(⊡ Abb. 29.18, ⊡ Tab. 29.3):
▬ Im Grad I wird die Diagnostik durch Arthrografie, MRT oder
Arthroskopie festgestellt. Häufig wird eine Teilruptur diagnos-
tiziert.
▬ Der Grad II ist durch eine dynamische Instabilität gekenn-
zeichnet, da die Rotationsinstabilität des Kahnbeins mit
palmarer Kippung nur durch Stressaufnahmen oder in der
Kinematografie nachweisbar ist. Eine arthroskopische Unter-
suchung kann die Diagnose sichern.
▬ Grad III entspricht dem Vollbild der SLD mit Flexion des
Skaphoids und Extension des Lunatums. Der Grad III wird als
statische Instabilität bezeichnet und ist durch Palmarflexion
des Skaphoids und DISI-Position oder PISI-Position des Luna-
tums gekennzeichnet.

⊡ Tab. 29.2 Diagnostik der skapholunären Dissoziation

Grad I Grad II Grad III

Watson-Test + (–) + +

Röntgen, nativ – – +

Röntgen, Stress – + +

Röntgen, Kinematografie (+) + Ent.

Arthrografie (3 Phasen) + + +

Arthroskopie + + +

CT – – (+) +

MRT + (–) + +

⊡ Tab. 29.3 Stadieneinteilung der skapholunären Dissoziation (SLD)

SLD-Grad Kennzeichen Instabilität

I Teilruptur Ohne

II Komplette Ruptur ohne Achsenfehl- Dynamisch


⊡ Abb. 29.17 Röntgendarstellung der skapholunären Dissoziation mit ro- stellung
tatorischer Subluxationsstellung des Skaphoids. Aufgrund der Kippung des
III Komplette Ruptur mit Achsenfehl- Statisch
Skaphoids kann beim Röntgen in d. p. Stellung die Länge des Kahnbeins
stellung (SL-Dissoziation)
nicht mehr dargestellt werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

⊡ Abb. 29.18 Anatomisches Korrelat der Sta-


dien der SL-Dissoziation. a Teilruptur ohne In-
stabilität und Achsenfehlstellung, b Totalruptur
ohne Achsenfehlstellung, dynamische Rotati-
onsinstabilität des Skaphoids, c Totalruptur mit
Achsenfehlstellung, statische Instabilität. (Aus
a b c Schmit-Neuerburg et al. 2001)
724 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

In ⊡ Tab. 29.4 wird der Schweregrad der skapholunären Dissozia- Palmare Instabilität (PISI)
tion in Bezug zur möglichen Therapie gesetzt. Bei dieser selteneren Form der karpalen Instabilität ist das Luna-
Unbehandelt führt das Vollbild des SLD zum fortgeschrittenen tum im seitlichen Röntgenbild im Sinne der Beugung gekippt, wo-
karpalen Kollaps (SLAC-Wrist) mit: bei das Kahnbein verkürzt ist. Dadurch ist der skapholunäre Win-
▬ radioskaphoidaler Arthrose, kel unter 30°, der kapitolunäre Winkel positiv und der radiolunäre
▬ Knorpelschaden am proximalen Pol des Skaphoids, Winkel negativ. Analog zur dorsalen Instabilität führt die palmare
▬ Höhenminderung des Karpus, Instabilität zu vermehrter Abkippung der distalen Radiusgelenk-
▬ Verschiebung des Kapitatums nach proximal und radial und fläche, wodurch die Kippung des Mondbeins nach palmar und die
▬ Arthrose zwischen Kapitatum und Lunatum. Veränderung des radiolunären und skapholunären Gelenkwinkels
verursacht werden. Die Handwurzeln befinden sich dabei in Teil-
Lunotriquetrale Instabilität verrenkungsstellung gegenüber dem Radius, wodurch es zu einer
29 Ulnare Instabilitäten des Karpus sind seltene Befunde, denen entsprechenden Bewegungseinschränkung kommt. Der skapho-
lunäre Winkel wird geringer als 30° und der kapitolunäre Winkel
eine Dissoziation der lunotriquetralen (LT-)Verbindung zugrunde
liegt. Sie werden häufig nicht erkannt oder mit anderen Ursachen wird positiv, wobei der radiolunäre Winkel aufgrund der Kippung
ulnokarpaler Beschwerden verwechselt, weil charakteristische kli- des Mondbeins nach palmar negativ abweicht. Die palmare Insta-
nische und radiologische Zeichen fehlen. Zentrale Struktur ist das bilität wird vor allem bei rheumatoider Arthritis und angeborener
Os triquetrum mit seinen Bandverbindungen zum Os lunatum, interligamentärer Laxizität, jedoch weniger bei posttraumatischen
zum distalen Karpus sowie zu Radius und Ulna. Als wichtigste Veränderungen beobachtet. Bei der palmaren Stabilität erscheint
Ursachen kommen Verletzungen aber auch degenerative Prozesse, das skapholunäre Ligament intakt zu sein, wobei eine gewisse La-
ein »ulnar impaction syndrome« oder eine Ulna-plus-Varianz in- xizität des palmaren radiokarpalen Ligaments feststellbar ist. Eine
frage. Symptomatisch treten ulnokarpale Schmerzen, Instabilitäts- Ruptur der palmaren Bandanteile des Handgelenks, die vom dista-
gefühle und Schwäche sowie schnappende Sensationen im ulnaren len Radius zur Handwurzel ziehen, führt zur Aufhebung der Wir-
Handgelenk auf. Die klinische Untersuchung kann Druckschmerz kung des palmaren Tragbands sowie Teilen der Gelenkschleuder,
über dem LT-Spalt ergeben. Der lunotriquetrale Ballottement- sodass es durch dorsale Kippung des Mondbeins und Drehung des
Test ist positiv. Röntgenologisch ist bei einer Teildurchtrennung Kahnbeins zu einer dorsalen Instabilität mit stark vergrößertem
nur selten eine Verbreiterung des lunotriquetralen Gelenkspaltes skapholunärem Winkel kommt. Bei hochgradiger Lunatummala-
zu sehen. Bei kompletter Dissoziation zeigt sich auf der lateralen zie (Kienböck-Erkrankung) erfolgt beim Zusammensintern des
Aufnahme eine PISI-Fehlstellung des Os lunatum. Diagnostik Mondbeins eine Drehung des Skaphoids im Sinne der Beugung
und Therapie erfolgen analog der Prinzipien der SL-Dissoziation und eine Proximalverschiebung des Kapitatums, weshalb es auch
(⊡ Tab. 29.4). hier zu einer Vergrößerung des skapholunären Winkels und zu
einem positiven radiolunären Winkel und damit zu einer dorsalen
Mediokarpale Instabilität Instabilität kommt. Die Therapie der Lunatummalazie muss darin
Die mediokarpale Instabilität betrifft vor allem die proximale bestehen, die vorhandenen Verkürzungen zu beseitigen, was aller-
Handwurzelreihe. Bei ulnarer Inklination des Handgelenks und dings bei lang bestehenden Malazien aus operationstechnischen
gleichzeitiger Beugung entsteht ein schmerzhaftes Schnapp- Gründen meistens nicht möglich ist (⊡ Abb. 29.16b).
phänomen. Röntgenologisch besteht bei dieser Instabilität eine Die laterale, mediale und proximale Instabilität wurde von
palmare Flexion der gesamten proximalen Handwurzelreihe, vor Taleisnik (1984) ausgearbeitet.
allem des Os lunatum (PISI-Deformität).
Radiale (laterale) karpale Instabilität
Richtung der Instabilität Darunter ist eine zwischen dem Kahnbein und seinen benach-
Dorsale Instabilität (DISI) barten Knochen, nämlich Mondbein, Trapezium, Trapezoideum
Die am häufigsten vorkommende Form der traumatisch beding- und Kapitatum, auftretende Instabilität zu verstehen. Die häufigste
ten karpalen Instabilität ist die dorsale Instabilität, wobei das Form der radialen karpalen Instabilität ist die SLD. Sie entsteht
Mondbein nach dorsal abgekippt und das Kahnbein radiologisch in der Mehrzahl traumatisch primär durch Bandruptur oder als
verkürzt ist. Dadurch wird der skapholunäre Winkel deutlich grö- Folgezustand perilunärer Luxationen und Luxationsfrakturen. Die
ßer, der radiolunäre Winkel positiv messbar und der kapitolunäre Ruptur oder Dehnung des Bandapparats, nämlich Lig. radiosca-
Winkel negativ (⊡ Abb. 29.16a). pholunare, radiocapitatum und scapholunare, führt zur dorsa-
len Subluxation des proximalen Kahnbeinpols, sodass sich das
Kahnbein in der queren Achse dreht. Dieses Instabilitätsmuster
entspricht der DISI-Deformität mit entsprechenden weiteren Ver-
⊡ Tab. 29.4 Stadieneinteilung der lunotriquetralen Dissoziation
änderungen im Handwurzelbereich.
(LTD) nach Viegas

LTD-Grad Kennzeichen Instabilität Ulnare (mediale) karpale Instabilität


Diese Instabilität entsteht durch Lockerung und Verschiebung
I Partielle oder komplette LT- Keine PISI-Stellung zwischen dem medialen Pfeiler, dem Triquetrum und dem aus Lu-
Ruptur natum und Hamatum bestehenden Teil des zentralen Pfeilers der
II Komplette LT-Ruptur Dynamische PISI- Handwurzelknochen.
+ Läsion der palmaren Bänder Stellung
Triquetrolunäre Instabilität
III Komplette LT-Ruptur Statische PISI-Stellung Die triquetrolunäre Instabilität ist durch Risse des Discus articularis,
+ Läsion der palmaren Bänder
Schädigung des distalen Radioulnargelenks und Triquetro-Hama-
+ Läsion der dorsalen Bänder
tum-Dissoziation sowie rheumatische Erkrankungen gekennzeich-
29.1 · Allgemeines
725 29
net. Bei vollständigen Rupturen findet sich die typische palmare ⊡ Tab. 29.5 Mayo-Klassifikation der verschiedenen karpalen Dissoziationen
Instabilität im Sinne einer PISI. Dabei ist das Skaphoid verkürzt
und das Lunatum von dreieckiger Form, jedoch besteht infolge Typ Radiologische Zeichen
der gleichgerichteten Kippung beider Knochen keine skapholu- I. Dissoziative karpale Instabilität
näre Dissoziation. Im seitlichen Strahlengang sind Kahnbein und 1.1. Dissoziative proximale Handwurzelinstabilität
Mondbein nach palmar abgekippt, sodass der skapholunäre Winkel – Instabile Skaphoidfraktur DISI
kleiner als 30° ist. Klinisch besteht eine Synovitis bei Bandschlaff- – Skapholunäre Dissoziation DISI
heit. Ein schmerzhaftes Schnappen steht im Vordergrund, welches – Lunotriquetrale Dissoziation PISI
beim Übergang in die ulnare Abwinkelung bei der Pronation im
1.2 Dissoziative distale Handwurzelinstabilität
Handgelenk auftritt. Hierbei springt die proximale Handwurzelrei-
– Axial-radiales Auseinanderweichen Radiale Translation
he von der dabei physiologisch auftretenden Beugestellung in eine
Streckstellung über. Die Patienten können diese Bewegung spontan Proximale Translation
wieder rückgängig machen und ebenso provozieren. – Axial-ulnares Auseinanderweichen Ulnare Translation
Proximale Translation
Proximale karpale Instabilität – Kombiniertes axiales radiales und
Hier liegt die Lokalisation der Schädigung im Radioulnargelenk. ulnares Auseinanderweichen
Die Instabilität ist Folge einer Bandruptur oder einer posttrau- 1.3 Kombinierte dissoziative proximale und distale Handwurzelinstabilität
matischen Fehlstellung der distalen Radiusgelenkfläche. Nach in II. Nicht dissoziative karpale Instabilität
Fehlstellung verheilten distalen Radiusfrakturen ist gelegentlich 2.1 Radiokarpale nicht dissoziative
eine DISI-Form zu beobachten, die eine Kombination zwischen Instabilität
medialer und proximaler karpaler Instabilität darstellt. – Palmare Bandrupturen DISI, ulnare Translation der
kompletten proximalen
Dissoziationsbild Handwurzelreihe
Ulnare Translation mit erwei-
Nach der Klassifikation der Mayo-Clinic können 4 verschiedene tertem SL-Abstand
Dissoziationsbilder unterschieden werden (⊡ Tab. 29.5). Proximale Translation
(eigentlich kombinierte oder
komplexe karpale Instabilität)
CID (dissoziative karpale Instabilität). Bei der CID wird die
karpale Instabilität durch die Zerstörung der intrinsischen Liga- – Dorsale Bandrupturen PISI, dorsale Translation
mente im Bereich der proximalen oder distalen Karpalreihe oder – Nach fehlverheilter Radius-, Skap-
durch die entstandenen Frakturen hervorgerufen. Dies sind vor al- hoid- und Lunatumfraktur, Madelung-
Deformität
lem Skaphoidfrakturen, skapholunäre Diastasen mit Instabilität, lu-
2.2 Mediokarpale nicht dissoziative Instabilität
notriquetrale Diastasen mit Instabilität sowie triquetrale Frakturen.
– Ulnare mediokarpale Instabilität bei PISI
palmarer Bandläsion
CIND (nicht dissoziative karpale Instabilität). Hier entsteht
– Radiale mediokarpale Instabilität bei PISI
die karpale Instabilität durch Verletzung oder Veränderung der palmarer Bandläsion
extrinsischen Ligamente zwischen distalem Radius und proximaler
– Kombinierte ulnare und radiale PISI
oder distaler karpaler Reihe. mediokarpale Instabilität bei palmarer
Bandläsion
CIC (kombinierte karpale Instabilität). Unter dieser Gruppe – Mediokarpale Instabilität bei dorsaler DISI
werden Mischformen der beiden zuvor genannten Instabilitätsbil- Bandruptur
der zusammengefasst. 2.3 Kombinierte radiokarpale-mediokarpale nicht dissoziative Instabilität
– Kapitatolunäre Instabilität Wechselnd DISI-PISI
CIA (adaptive karpale Instabilität). Diese Gruppe wurde erst in – Ruptur der radialen und zentralen Ulnare Translation mit oder
den letzten Jahren vermehrt beschrieben. Eine knöcherne Fehlstel- Bänder ohne PISI oder DISI
lung ist die Ursache der karpalen Instabilität. Diese kann angebo- III. Kombinierte oder komplexe karpale Instabilität (dissoziativ oder nicht-
ren (Madelung-Deformität) oder erworben sein. Die große Gruppe dissoziativ)
der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfrakturen ( Kap. 31) – Perilunär mit radiokarpaler Instabilität DISI und ulnare Translation
ist hier besonders zu nennen. – Perilunär mit axialer Instabilität Axiale ulnare Instabilität und
ulnare Translation
– Radiokarpal mit axialer Instabilität Axiale radiale Instabilität und
29.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie ulnare Translation
– Skapholunäre Dissoziation mit ulnarer DISI und ulnare Translation
Skapholunäre Dissoziation Translation
Prinzipiell gilt es, die akut entstandenen Dissoziationen so anato- IV. »Adaptierter Karpus«
misch wie möglich zu rekonstruieren. Die Indikation zur opera- – Karpusfehlstellung bei fehlverheiltem DISI oder dorsale Translation
tiven Versorgung wird eher großzügig gestellt. Das therapeutische Radius
Vorgehen richtet sich nach Ausmaß der Verletzung, Alter des Pati- – Karpusfehlstellung bei fehlverheiltem DISI
enten und vorliegenden sekundären arthrotischen Veränderungen. Skaphoid
Das differenzialtherapeutische Vorgehen zur Versorgung der – Karpusfehlstellung bei fehlverheiltem DISI oder PISI
frischen (<6 Wochen) und alten (>6 Wochen) skapholunären Dis- Lunatum
soziationen ist in ⊡ Tab. 29.6 und im Kasten  »Verfahrenswahl bei – Karpusfehlstellung bei Madelung- Ulnare Translation, DISI,
der veralteten (>6 Wochen) skapholunären Verletzung« dargestellt. Deformität proximale Translation
726 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Als besseres alternatives Verfahren wird die mediokarpale Teil-


⊡ Tab. 29.6 Verfahrenswahl bei der frischen (<6 Wochen) skapholu-
nären Verletzung in Abhängigkeit vom Ausmaß der Dissoziation
arthrodese (4-Quadranten-Arthrodese) nach kompletter Skaphoi-
dektomie empfohlen.
SLD-Grad Frisch (6 Wochen) Nur bei nicht handwerklich tätigen Patienten kann in die-
ser Gruppe noch die komplette Handgelenkarthroplastik erwogen
I Immobilisation im Skaphoidgips für 6 Wochen; besser
werden. Liegen arthrotische Veränderungen entweder nur im ra-
ist offen Reposition, Bandnaht und Unterarmgips
diokarpalen oder im mediokarpalen Gelenkspalt vor, stellt die par-
II Offene Reposition, intraossäre Bandnaht nach Shaping tielle Handgelenkversteifung eine Alternative zu der kompletten
und Arthroskopie, Kirschner-Drähte, Immobilisation Handgelenkarthrodese dar.
6 Wochen im Skaphoidgips Die komplette Handgelenkarthrodese ist indiziert bei:
III Offene Reposition, intraossäre Bandnaht, Kirschner-
1. ausgeprägter, gleichzeitig bestehender radiokarpaler und me-
29 Drähte, Immobilisation 6–8 Wochen im Skaphoidgips; diokarpaler Arthrose,
2. fehlgeschlagener partieller Arthrodese mit Beeinträchtigung
oder auch Kapsulodese
des Patienten,
3. Schmerzen und/oder Kraftlosigkeit mit signifikanter Bewe-
gungseinschränkung (Ex/Flex <20°–0–20°),
4. Instabilität und Fehlstellung,
Verfahrenswahl bei der veralteten (>6 Wochen) 5. nach schwerer Infektion,
skapholunären Verletzung in Abhängigkeit vom 6. nach schwerer Luxation und Trümmerbruch.
Ausmaß der Dissoziation
Nicht fixierte/reponible alte SL-Band-Verletzung Lunotriquetrale Dissoziation
▬ Anatomische Rekonstruktion, wenn noch keine osteoarthro- Für die Versorgung der lunotriquetralen Dissoziation gilt prin-
tischen Sekundärveränderungen vorliegen zipiell das Gleiche. Wann immer möglich sollte die anatomische
▬ Cave: >6–12 Wochen: inkonstante Ergebnisse der SL-Band- Rekonstruktion der Bänder, die das Triquetrum fixieren, erfolgen.
naht → Augmentation mit SL-Bandrekonstruktion in Kombi- Ist eine Naht oder Refixation nicht möglich, kommen Rekonstruk-
nation mit: tionsverfahren infrage. Dazu zählen die Sehnenplastik mit einem
– Dorsaler Kapselplastik Anteil der Extensor-carpi-ulnaris-Sehne, die dorsale Kapsulodese
– Sehnenzügelung und die Bone-Ligament-Bone-Transplantation. Die Rolle der knö-
▬ Prävention von sekundären Gefügestörungen und osteo- chernen Fusion des lunotriquetralen Übergangs wird wegen einer
arthrotischen Veränderungen »rund um das Skaphoid hohen Rate an Nichtfusionen kontrovers beurteilt. Die einfache
– SC-Arthrodese + partielle radiale Styloidektomie Korrektur der LT-Dissoziation behebt nicht die statische Instabi-
– STT-Arthrodese + partielle radiale Styloidektomie lität der proximalen Handwurzelknochenreihe (erkennbar an der
– Mediokarpale (CL-) Arthrodese PISI-Stellung des Lunatums). In diesen Fällen sind Rettungsope-
– Interkarpale Arthrodese rationen in Form von Teilversteifungen des Handgelenks, selten
die Entfernung der proximalen Handwurzelknochenreihe oder der
Fixierte/nicht reponible alte SL-Band-Verletzung Totalarthrodese indiziert.
▬ Ersatzoperationen in Abhängigkeit von der Lokalisation der
osteoarthrotischen Veränderungen Mediokarpale Instabilität
– STT-Arthrose Auch bei der Therapie der mediokarpalen Instabilitäten sollte
– STT-Arthrodese + partielle radiale Styloidektomie immer eine frühzeitige anatomische Rekonstruktion der verletzten
– Stadium I (Arthrose Proc. styloideus radii) Bänder durchgeführt werden. Bei den oft durch angeborene Laxi-
– partielle Styloidektomie (+ STT oder SC-Arthrodese) zität hervorgerufenen mediokarpalen Instabilitäten kann eine dor-
– Stadium II (Arthrose radioskaphoides Kompartiment) sale Bandplastik, die von der dorsalen Radiuslippe zur Dorsalseite
– Skaphoidektomie + mediokarpale Arthrodese des Os triquetrum zieht, zur Verstärkung des Lig. radiocarpeum
– Resektion der proximalen Karpalreihe dorsale indiziert sein. Die interkarpale Arthrodese ist bei multipler
– Stadium III (Arthrose mediokarpal) Instabilität indiziert.
– Skaphoidektomie + mediokarpale Arthrodese
– Komplette Handgelenkarthrodese Proximale (radiokarpale) Instabilität
Bei ulnarer Translation des Karpus ist die Verstärkung der »Ge-
lenkschleuder« operativ indiziert. Dabei wird die Handwurzel kor-
Die Durchführung der Handgelenkdenervation bei SNAC-Wrist rekt eingestellt und mit Kirschner-Drähten transfixiert. Anschlie-
und SLAC-Wrist kann lediglich im Stadium II oder III als palli- ßend werden die Bänder zwischen Radius, Skaphoid, Kapitatum,
ativer Eingriff durchgeführt werden. Dieses kann oft zusammen Lunatum und das dorsale Lig. radiocarpeum rekonstruiert und
mit der Resektion des Processus styloideus radii kombiniert das Handgelenk für 8–12 Wochen in einem Skaphoidgips ruhig-
und dadurch eine vorübergehende Beschwerdefreiheit erreicht gestellt.
werden.
Bei schweren arthrotischen Veränderungen und bestehender
Kahnbeinpseudarthrose wird auch die Resektion der proximalen 29.1.7 Therapie
Karpalreihe beschrieben. Das Kapitatum schiebt sich nach pro-
ximal und bildet mit dem distalen Radius die neue radiokarpale Aufgrund der großen Beeinträchtigung im täglichen Leben durch
Gelenkfläche. Voraussetzung ist eine intakte Knorpelfläche des ein instabiles Handgelenk, sollte die Indikation zur möglichst frü-
Kapitatums und der Fossa lunata des Radius. hen operativen Versorgung großzügig gestellt werden. Dasselbe
29.1 · Allgemeines
727 29
gilt für die Indikation zu funktionsverbessernden Sekundäropera- Bei Grad II der Verletzung ist die offene Reposition, Bandnaht
tionen im Sinne einer Resektion der proximalen Karpalreihe oder und Kirschner-Draht-Fixation zwischen Skaphoid und Lunatum
einer mediokarpalen Arthrodese bei entsprechendem klinischem bzw. Kapitatum mit einer Ruhigstellungszeit von 6–8 Wochen an-
und radiologischem Befund. gezeigt.
Bei Grad III der Verletzung muss zunächst eine achsengerechte
Konservative (nichtoperative) Therapie offene Reposition erfolgen, da diese unbedingte Voraussetzung für
Bei einer frischen Luxation des Mondbeins und den perilunären eine anatomiegerechte Position und Heilung ist. Das Repositions-
Luxationsfrakturen ist die sofortige Einrichtung und Beseitigung ergebnis muss dann durch eine Kirschner-Draht-Fixation stabili-
der Luxation erforderlich und gelingt meist leicht. Auch wenn siert werden. Anschließend erfolgt eine intraossäre Bandnaht. Eine
eine Operation angezeigt und vorgesehen ist, muss zunächst ein Ruhigstellung für 6–8 Wochen ist dann angezeigt (⊡ Tab. 29.5).
Repositionsversuch unternommen werden. Die Reposition muss Falls die intraossäre Naht nicht erfolgversprechend erscheint,
innerhalb der ersten Stunden erfolgen, wobei Zug und Gegenzug muss eine Bandplastik erfolgen. Die Behandlungsergebnisse der
mit Druck auf das Mondbein oder lang dauernder gleichmäßiger Bandplastik sind in der Literatur sehr unterschiedlich und unbe-
axialer Zug und Druck auf das Lunatum die Reposition herbei- friedigend. Langfristige Ergebnisse zahlreicher Methoden stehen
führen. Nach der Reposition sind exakte Röntgenaufnahmen in noch aus. Ob und welche Methoden der Bandplastiken und Kapsu-
3 Ebenen erforderlich, um die genaue Lage des Os lunatum zu lodesen bei Insufffizienz der Bänder oder Ruptur der extrinsischen
den Nachbarknochen zu beurteilen. Auch bei augenscheinlich ligamentären Strukturen als geeignet angesehen werden können,
physiologischen Knochenwinkeln sollte zumindest eine arthros- wird sich erst nach langer Erfahrung und mit großen Patientenkol-
kopisch assistierte perkutane Kirschner-Draht-Fixierung erfolgen. lektiven herausstellen.
Bei der Vorstellung des Verletzungsmechanismus muss davon aus- Bei nicht fixierten bzw. reponiblen Kapsel-Band-Läsionen, die
gegangen werden, dass schwere Krafteinwirkungen auf die starken älter als 6 Wochen sind, führt die Rekonstruktion des skapholunä-
und straffen Bänder einwirken, sodass diese zur Zerreißung und ren Bandes zu sehr inkonstanten Ergebnissen. Hier sollte zusätzlich
zur Luxation führen. Deshalb muss immer von einer schweren eine dorsale Kapselplastik oder eine distale Aufhängung des Ska-
Traumatisierung der Bänder und Gelenke ausgegangen werden. phoids nach Brunelli erfolgen. Bei handwerklich tätigen Patienten
Eine konservative Behandlung eines derart schwer traumatisierten sollte die partielle Arthrodese frühzeitig im Sinne einer Prävention
Gelenks erscheint uns nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Wir von sekundären Gefügestörungen »rund um das Skaphoid« emp-
bevorzugen die offene Reposition, Bandrekonstruktion und innere fohlen werden ( Übersicht oben).
Fixation ( Abschn. 29.2.2). Bei fixierten bzw. nicht reponiblen SL-Band-Verletzungen mit
Bei konservativer Behandlung wird zunächst nach Reposition osteoarthrotischen Veränderungen sind partielle Arthrodesen oder
und exakter Stellung des Lunatums ohne Luxationstendenz ein die Totalarthrodese indiziert. Der endoprothetische Totalersatz des
Unterarmgips für 4–5 Wochen angelegt, wobei nach Abschwellung Handgelenks kann bei älteren, handwerklich nicht aktiven Patien-
ein zirkulärer Unterarmgips erforderlich wird. Frühzeitige Opera- ten erwogen werden ( Kap. 12).
tion ist zu empfehlen. Die verschiedenen Möglichkeiten der partiellen Handgelenk-
Für die Therapie der skapholunären Dissoziation sind Alter der versteifungen werden abhängig von der Lokalisation der Arthrose
Verletzung, Schweregrad und die Tatsache der vorhandenen schwe- gewählt.
ren arthrotischen Veränderungen bei der Auswahl der Therapie- Bei hauptsächlich bestehender STT-Arthrose, ist die STT-Ar-
verfahren entscheidend. Frische skapholunäre Verletzungen sind throdese mit partieller Styloidektomie indiziert (⊡ Abb. 29.19). Bei
gekennzeichnet durch fehlende degenerative Veränderungen. Bei hauptsächlich bestehender Arthrose im Bereich des Proc. styloi-
der Diagnose einer frischen SLD-Grad-I-Verletzung ist eine kon- deus wird die partielle Styloidektomie alleine oder in Kombination
servative Behandlung mit Gipsimmobilisierung für 4–6 Wochen mit einer STT- oder SC-Arthrodese empfohlen. Die sog. Triska-
notwendig, besser ist jedoch die Operation. Alte skapholunäre phoidarthrodese zwischen Trapezium, Trapezoideum und Skaphoid
Verletzungen sind gekennzeichnet durch inkonstante Ergebnisse hat sich für die Behandlung der skapholunären Dissoziation ebenso
der Bandrekonstruktion und unterschiedlich schwer ausgeprägte bewährt wie für diejenige mit Mondbeinnekrosen, da sie bei beiden
arthrotische Veränderungen. Die konservative Therapie mit einer den Handwurzelkollaps wirksam verhindert und das Skaphoid in
Ledermanschette für das Handgelenk ist heute obsolet und nur seiner hohen Position fixiert. Dabei wird vor allem das Kahnbein
noch dann indiziert, wenn eine absolute Kontraindikation zur vor seiner Fixierung in den normalen Winkel von 45° seitlich zur
Operation besteht. Radiusachse eingestellt. Die entstehenden Bewegungseinschrän-
kungen sind relativ gering und rechtfertigen das Vorgehen, vor
Operative Therapie allem wenn sie mit dem Vorteil eines Rückgangs der Beschwerden
Die Therapie der Wahl bei der perilunären Luxation und den pe- auch bei Triskaphoidarthrose aufgewogen werden. Eine differen-
rilunären Luxationsfrakturen ist die frühzeitige (<3 Tage) offene zierte Indikation der Patienten mit einer skapholunären Dissozia-
Reposition, Bandrekonstruktion und innere Fixation ( Kap. 28) tion zu einer dorsalen Kapsulodese oder einer STT-Arthrodese ist
schwierig und wird in der Literatur kontrovers diskutiert, wobei bei
> Wir sind der Ansicht, dass eine frische (<3 Tage) skapholunäre
Grad II bei älteren Verletzungen und bei Grad III immer eine STT-
Dissoziation nur durch offene Reposition, Bandnaht und Fi-
oder interkarpale Arthrodese möglich ist. Ältere skapholunäre
xation mit Drähten und Schiene adäquat behandelt werden
Dissoziationen können bei guten Knorpelverhältnissen sowohl mit
kann und nicht durch geschlossenen Repositionsversuch und
einer dorsalen Kapsulodese als auch mit einer STT-Arthrodese ver-
perkutanes Anbringen von Kirschner-Drähten.
sorgt werden. Bei körperlich schwer arbeitenden Patienten besteht
Es soll bei Grad I der frischen Verletzung der skapholunären Dis- die Tendenz eine STT-Arthrodese oder interkarpale Arthrodese
soziation, wo immer möglich, die Rekonstruktion des SL-Bandes zu empfehlen, da bei grober Krafteinwirkung Bandplastiken oder
vorgenommen werden. Bandplastiken sind bis heute nicht ganz Bandnähte auf Dauer keinen guten Halt bieten. Es gibt jedoch kein
befriedigend. Allgemeinkonzept der scharfen Trennung der Indikation zu dem
728 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Drainage erfolgt der schichtweise Wundschluss. Postoperativ wird


das Handgelenk in einem Steigbügelgips bis zur Fadenentfernung
nach 14 Tagen ruhiggestellt. (⊡ Abb. 29.25). Diese Form der Ar-
throdese wird zurzeit noch selten angewendet. In der Literatur
wird sie vor allem bei fortgeschrittener Kahnbeinpseudarthrose,
nach Versagen des interponierten spongiösen Knochens (bei Ska-
phoidpseudarthrose nach Knocheninterposition) bei noch guter
Durchblutung des proximalen Pols des Kahnbeins ohne radiokar-
pale Arthrose eingesetzt.
Bei Arthrose des radioskaphoidalen Kompartimentes stellen
die Skaphoidektomie mit nachfolgender mediokarpaler Arthrodese
29 und die Resektion der proximalen Handwurzelreihe die möglichen
Therapieverfahren dar.
Bei einer Arthrose im mediokarpalen Gelenkbereich ist die Re-
sektion der proximalen Karpalreihe nicht mehr ratsam, da der ent-
knorpelte Kapitatumkopf mit der Fossa lunata artikulieren würde.
Hier bleibt nur noch die Mediokarpalarthrodese als Methode der
Wahl.
Im Stadium I der SNAC-Wrist werden in der Regel rekonstruk-
tive Maßnahmen eingesetzt. Hier wird bei der SNAC-Wrist das
Kahnbein durch Interposition eines kortikospongiösen autogenen
Knochenblocks rekonstruiert und durch Herbert-Schraube, kanü-
lierte 3,0-mm-Schraube (Doppelgewinde), stabilisiert. Zusätzlich
wird die bestehende Arthrose im Bereich des Processus styloideus
radii durch Resektion beseitigt. Durch knöchernen Durchbau des
a b
Skaphoids und Wiederherstellung der Länge und Stabilität wird ein
stabiler Zustand erreicht und ein weiteres rasches Fortschreiten der
⊡ Abb. 29.19 STT-Arthrodese bei skapholunärer Dissoziation und STT-
Arthrose verhindert.
Arthrose. a Röntgenbefund präoperativ, b Röntgenbefund postoperativ
Im Stadium II ist die Arthrose im Radiokarpalgelenk bereits
so weit fortgeschritten, dass eine rekonstruktive Maßnahme nicht
mehr sinnvoll erscheint. Im Wesentlichen kann hier durch medio-
einen oder dem anderen Verfahren bei den Patienten mit einer karpale Teilarthrodese, d. h. durch Fusion des Lunatums mit dem
skapholunären Dissoziation. Zahlreiche Untersucher zeigten, dass Kapitatum und Triquetrum und vollständige Resektion des Kahn-
mit STT-Fusion die Kraftübertragung am Handgelenk auf die ra- beins, Abhilfe geschaffen werden.
diale Säule umgelenkt wird. Der radiolunäre Gelenkabschnitt wird In diesem Stadium kommt auch die Resektion der proxima-
damit weitgehend entlastet. Eine Denervation des N. interosseus len Handwurzelreihe (»proximal row carpectomy«) als weitere
dorsalis kann immer angeschlossen werden. Maßnahme infrage. Die Resektion der proximalen Karpalreihe
Die Indikation für eine STT-Arthrodese wird vor allem gestellt beinhaltet die Entfernung des Os scaphoideum, Os lunatum und
bei: Os triquetrum. Weitere Voraussetzung ist das arthrosefreie Kapi-
▬ Rotationsluxation des Kahnbeins, tatum. Es wird peinlichst auf vollständige Resektion der einzelnen
▬ Mondbeinnekrose, Knochen geachtet, damit keine Knochenteile in dem neu geschaf-
▬ STT-Arthrose mit karpaler Instabilität sowie bei fenen Gelenk zwischen Radiusgelenkfläche und distaler Hand-
▬ traumatischer Dislokation und wurzelreihe (Kapitatum) verbleiben. Nach Kapselnaht wird eine
▬ kongenitaler Synchondrose. Ruhigstellung für 3–4 Wochen auf einer Schiene erforderlich sein.
Anschließende krankengymnastische Bewegungsübungen brin-
Die SC-Arthrodese hat das gleiche Indikations- und Kontraindi- gen relativ gute Funktion, wobei zunächst eine Kraftminderung
kationsspektrum wie die STT-Arthrodese ( Abschn. 29.2.9). Sie aufgrund der relativen Verlängerung der Streck- und Beugesehnen
hat jedoch den großen Vorteil, dass die Gelenke des 1. Strahls besteht. In der Literatur ist ein endgültiger Stellenwert dieser
unangetastet bleiben. Über einen radiodorsalen Zugang werden Operation noch nicht gesichert. Die konkurrierende Operation
distaler Radius, Skaphoid und Kapitatum dargestellt. Bei allen ist die mediokarpale Arthrodese, wobei in der Literatur eine gute
Operationen, die das Skaphoid in eine hohe Position aufrichten, postoperative Schmerzreduktion und Funktion wiederholt be-
hat sich die partielle Styloidektomie bewährt. Darüber hinaus scheinigt wird.
wird auch noch spongiöser Knochen vom Beckenkamm für die Im Stadium III ist die Entfernung der proximalen Handwur-
Arthrodese gewonnen. Die Einstellung des Skaphoids erfolgt ana- zelreihe aufgrund der ausgeprägten arthrotischen Veränderungen
log den Schritten der STT-Arthrodese. Nach Anfrischung der des Radiokarpalgelenks nicht mehr sinnvoll, da dieses Verfahren
Gelenkflächen werden Skaphoid und Kapitatum mithilfe zwei- eine arthrosefreie Zone des Kapitatumkopfes voraussetzt, was bei
er Kirschner-Drähte oder kanülierter Schrauben oder Schraube der bestehenden mediokarpalen Arthrose nicht mehr möglich sein
mit Doppelgewinde (kanülierte Herbert-Schraube) oder 1,5-mm- wird. In diesem Stadium ist die mediokarpale Teilarthrodese wei-
Platte und Schrauben miteinander verblockt. Zusätzlich erfolgt terhin sinnvoll, da die arthrotische Fläche sowohl radioskaphoidal
eine Anlagerung von spongiösem Knochen. Nach Öffnen der unter Resektion des Skaphoids als auch mediokarpal durch Fusion
Blutleere erfolgt eine subtile Blutstillung und ein anatomischer des Lunatums mit dem Kapitatum und dem Triquetrum beseitigt
Verschluss der Handgelenkkapsel. Nach Einlage einer Redon- wird.
29.1 · Allgemeines
729 29

⊡ Tab. 29.7 Therapeutische Maßnahmen nach Stadieneinteilung bei


SNAC-Wrist

Stadium SNAC-Wrist

I Rekonstruktion des Skaphoids ggf. mit Resektion des


Proc. styloideus radii

II Handgelenkdenervation, mediokarpale Teilarthrodese,


Entfernung der proximalen Handwurzelreihe
(»proximal row carpectomy«)

III Mediokarpale Teilarthrodese

Arthrodese vorgeschalteten Gelenke (Ellenbogen, Schulter), Ge-


schlecht, Alter, Freizeitverhalten, Allgemeinzustand und subjektive
Wünsche des Patienten. Bei Lunatumnekrose im Rahmen einer
zerebralen Erkrankung mit Spastik kann die Handgelenkarthrode-
se auch schon in früheren Stadien diskutiert werden, wenn keine
Möglichkeit der Funktionsverbesserung durch Sehnentransfer be-
steht und durch die Handgelenkverblockung ein deutlicher Funkti-
onsgewinn erwartet werden kann.
Kontraindikationen für die komplette Handgelenkverblockung
bestehen bei Stadium I und II der Lunatumnekrose und tetraplegi-
schen Patienten, die ihre Hand für Greif- und Transportfunktionen
benötigen. Darüber hinaus ist die Implantation einer Osteosynthe-
seplatte kontraindiziert bei noch offener Radiusepiphyse, persistie-
rendem Infekt sowie schlechten Weichteilverhältnissen im Hand-
gelenkbereich. Zur Verbesserung der postoperativen Ergebnisse
nach Handgelenkarthrodese muss routinemäßig nach zusätzlichen
b potenziellen Ursachen einer Funktionsbeeinträchtigung der Hand
gesucht werden. Vor allem bei länger bestehenden ausgepräg-
⊡ Abb. 29.20 Mediokarpale Teilarthrodese bei schwerer skapholunärer ten arthrotischen Veränderungen mit karpalem Kollaps muss ein
Arthrose mit massiver Exkavation des distalen Radius durch das Kahnbein, Karpaltunnelsyndrom ausgeschlossen werden. Bei bestehendem
dorsale Kippung des Mondbeins (DISI) im Sinne einer SLAC-Wrist und zu- Karpaltunnelsyndrom kann die Spaltung vor oder gleichzeitig
nehmendem karpalen Kollaps. a Röntgenbild präoperativ, b Röntgenbefund mit der Arthrodese durchgeführt werden. Auf der routingemäßig
postoperativ. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) durchgeführten Röntgenuntersuchung des Handgelenks in d. p.
(Supination) und seitlichem Strahlengang ist zusätzlich besonders
auf das distale Radioulnargelenk sowie das Lunotriquetralgelenk
Das operative Ziel der mediokarpalen Teilarthrodese besteht zu achten. Veränderungen im Bereich des distalen Radioulnarge-
darin, das Handgelenk so weit zu stabilisieren, dass eine Bewegung lenks mit Beeinträchtigung der Pronosupination müssen getrennt
und Belastung in diesen erhalten gebliebenen Gelenkflächen ablau- therapiert werden. Bei degenerativen Veränderungen im Bereich
fen kann. Dabei müssen folgende Punkte beachtet werden: des Lunotriquetralgelenks muss dieses nur optional zu versteifende
1. Die karpale Höhe muss durch Korrektur der Achsenfehl- Gelenk angefrischt und mit verblockt werden.
stellung und Aufrichtung der Knochen, nämlich sowohl des Wichtig ist es, in der präoperativen Planung auch die Funktion
Kahnbeins als auch des Mondbeins, erfolgen. Dadurch wird von Ellenbogen- und Schultergelenk(en) zu prüfen, da diese den
die DISI-Position des Lunatums, radiale und proximale Trans- Funktionsverlust durch die Handgelenkarthrodese für die gesamte
lation des Kapitatums, aufgehoben und in korrekter Stellung obere Extremität teilweise kompensieren müssen. Zur Festsetzung
die Stabilisierung und Fusionierung durchgeführt. der individuell optimalen Stellung der Arthrodese kann diese
2. Beseitigung der arthrotischen Gelenkfläche durch totale präoperativ mit Schienen oder Gipsverbänden simuliert werden
Entfernung des Kahnbeins. Dabei führt die Arthrodese im (⊡ Tab. 29.7, ⊡ Abb. 29.21).
mediokarpalen Gelenk zu einer Stabilisierung im Bereich der Eine isolierte lunotriquetrale Bandläsion führt sehr selten zu
Handwurzelknochen und korrekten Achsenstellung im radio- einer Instabilität im Bereich der Handwurzelknochen, dies ist
karpalen Gelenk (⊡ Abb. 29.20). wichtig, um alle weiteren potenziellen Gründe für die Symptoma-
tik der bestehenden Beschwerden in dieser Zone auszuschließen.
Liegen arthrotische Veränderungen im radiokarpalen und im me- Falls eine temporäre Ruhigstellung für 3 Wochen keine Linderung
diokarpalen Gelenkspalt vor, stellt die komplette Handgelenkver- bringt, ist die Indikation zur weiteren Diagnostik gegeben, wobei
steifung eine Alternative zu den partiellen Handgelenkarthrodesen hier das Arthro-MRT oder die Arthroskopie notwendig sein wird.
dar. Für die Differenzialtherapie entscheidende Kriterien sind die Die Versorgung einer frischen Verletzung dieser ligamentären
klinische Symptomatik (Schmerzen, Kraftlosigkeit, Bewegungsein- Läsion ist selten, da die Diagnose oft verspätet gestellt wird. Rönt-
schränkung), Beruf (Handarbeiter versus Kopfarbeiter), Händig- genologisch ist eine PISI-Stellung feststellbar, wobei eine dynami-
keit (dominante versus nicht dominante Hand), Zustand der der sche oder auch eine statische Instabilität vorliegen kann. Arthros-
730 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29

a b

⊡ Abb. 29.21 Totale Handgelenkarthrodese bei SLAC-Wrist III mit ausgeprägter radiokarpaler und mediokarpaler Arthrose. a Präoperativer Befund, b post-
operativer Befund

kopisch ist mit dem Tasthaken der Spalt und die Dissoziation sicher 29.1.9 Prognose
darstellbar. Bei bestehender Instabilität und Dissoziation zwischen
Lunatum und Triquetrum ist auf eine Läsion des palmaren ra- Wie aus der Literatur bekannt, wurden bei klinischer und radio-
diolunatotriquetralen Bandes als extrinsisches palmares Ligament logischer Untersuchung sowie in der klinischen Studie sehr gute
und des radiotriquetralen und skaphotriquetralen Ligaments als Ergebnisse bei fortgeschrittenem karpalem Kollaps durch medio-
intrinisches Band zu schließen. Hier ist eine elektive Rekonstruk- karpale Arthrodese erreicht, wobei das Handgelenk nach adäquat
tion der ligamentären Strukturen notwendig, wobei die Diagnostik durchgeführter Operation etwa 60–70% der Kraft und Funktion
fast immer verspätet gestellt wird und eine direkte Rekonstruktion im Vergleich zur gesunden Seite erreicht. Die grobe Kraft liegt
nicht mehr möglich ist. Bei seltenen Fällen, die eine dissoziative nach mediokarpaler Teilarthrodese bei etwa 65–75% der gesunden
lunotriquetrale Instabilität zeigen, wurde die Diagnose immer erst Seite. Bei der Röntgenuntersuchung, die bei den Spätergebnis-
lange Zeit nach einem Trauma gestellt (>6 Wochen). Unter diesen sen durchgeführt wurde, wird eine Zunahme der subchondralen
Umständen empfiehlt es sich, eine lunotriquetrale Arthrodose Sklerosierung im Bereich der Fossa lunata beschrieben. Es han-
durchzuführen, da diese eine höhere Erfolgsrate aufweist als eine delt sich hierbei um eine funktionelle Anpassung an die erhöhte
alleinige Bandrekonstruktion, unabhängig von den Knorpelläsio- Kraftübertragung im verbliebenen radiolunären Gelenkabschnitt
nen bei älteren Verletzungen. ohne pathologischen Wert und signifikanten Unterschied. Die
Bei komplexen interkarpalen Instabilitäten ohne Anzeichen ei- mediokarpale Teilarthrodese bietet gegenüber der Entfernung der
ner radiokarpalen Arthrose bringt die interkarpale Arthodese nach proximalen Handwurzelreihe (proximale Row-Karpektomie) eine
Graner (I) gute Ergebnisse. deutlich bessere Funktion unter Kraftentwicklung sowie länger
Bei karpalen Instabilitäten nach in Fehlstellung verheilten dis- anhaltende Beschwerdefreiheit, wie auch aus der Literatur bekannt.
talen Radiusfrakturen braucht die Therapie nicht an den Handwur- Insgesamt wird im Stadium II und III der karpalen Instabilität die
zelknochen anzusetzen, sondern besteht in einer Korrekturosteoto- Indikation zur mediokarpalen Teilarthrodese gestellt, wobei auf ex-
mie der fehlverheilten distalen Radiusfraktur. Hierbei wird auch akte Indikationsstellung bei arthrosefreier Gelenkfläche zwischen
der Kollaps der Handwurzelknochen ausgeglichen ( Kap. 32). Radius und Lunatum geachtet werden sollte.
Für die Auswertung der einzelnen Bewegungen wurde die
Funktionsfähigkeit der Hand nach verschiedenen Parametern ein-
29.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter geschätzt:
▬ Schmerz: variable Analogskala I–IV,
Karpale Instabilitäten kommen auch bei Kindern vor. Die bekann- ▬ grobe Griffkraft: Ballonvigorimeter.
teste Form ist die Madelung-Deformität – eine Unterform der
adaptiven karpalen Instabilität (⊡ Tab. 29.5). Kapsel-Band-Läsionen Es handelt sich um das Schema nach Krimmer, das auf der Grund-
im Sinne einer dissotiativen Instabilität im Handgelenkbereich lage des »Mayo Wrist Score« von Cooney und Mitarbeitern entwi-
kommen auch bei Kindern vor. Diagnostik und Therapie sind ckelt wurde. Es berücksichtigt Schmerz, Beweglichkeit, Kraft und
entsprechend wie bei den Erwachsenen. Bei verschiedenen syste- Gebrauchsfähigkeit anhand einer Punkteskala von 0–100 (80–100
mischen Erkrankungen des Bewegungsapparates (Akromegalie) = sehr gut, 65–80 = gut, 50–65 = befriedigend, 0–50 = schlecht).
besteht eine Laxizität des Kapsel-Band-Apparates im Sinne einer Außerdem werden häufig die Dasch-Fragebögen bei der Bewer-
nicht dissoziativen karpalen Instabilität. Ebenso sind kombinierte tung herangezogen (0 = keine Einschränkung, 100 = maximale
karpale Instabilitäten bei der juvenilen Arthritis bekannt. Einschränkung). Die ulnare Translation des Os lunatum nach Gilu-
29.2 · Spezielle Techniken
731 29
la und Weeks liegt dann vor, wenn ein Überhang um mehr als 50% auf das dorsale Tuberculum am Os triquetrum fortgesetzt und
der Lunatumbreite ulnar der Fossa lunata besteht. hierdurch der proximale Schenkel des dorsalen V-Bandes (Liga-
Die röntgenologisch nach der Durchführung der mediokarpa- mentum radiotriquetrum dorsale) gespalten. Die Inzision wird
len Arthrodese langfristig festgestellte Gelenkspaltverschmälerung nach radial in Richtung auf den Sulcus zwischen Os scaphoideum
zwischen Radius und Lunatum sowie spitzzipfelige Ausziehung im und Os trapezoideum fortgeführt. Hierdurch wird das Lig. inter-
dorsalen radiolunären Gelenkabschnitt im Sinne einer Arthrose ist carpale dorsale (distaler Schenkel des dorsalen V-Bandes) gespal-
für die Funktionsfähigkeit und Schmerzen nicht relevant. Bei allen ten und der am Skaphoid ansetzende Anteil dieses Bandes mit dem
Patienten zeigte sich eine funktionelle Anpassung der veränderten radialseitig gestielten Lappen gehoben (⊡ Abb. 29.22d). Das Hand-
Kraftübertragung mit Zunahme der subchondralen Sklerosierun- gelenk wird nach palmar flektiert und die proximale Handwurzel-
gen im Bereich des radioulnaren Gelenkabschnittes. reihe dargestellt. Das Intervall zwischen Skaphoid und Lunatum
Falls rekonstruktive Maßnamen bei SNAC-Wrist und SLAC- wird angefrischt. Im Bereich von Skaphoid und Lunatum werden
Wrist im Stadium II nicht mehr sinnvoll erscheinen und die Arth- Bohrkanäle angelegt. Hierdurch werden nicht resorbierbare Fäden
rose des Radioskaphoidalgelenks fortgeschritten ist, so kann unter gezogen und vorgelegt (⊡ Abb. 29.22e). Die physiologische Stellung
Resektion des Kahnbeins die mediokarpale Arthrodese durch Fusion der Karpalia wird intraoperativ mit dem Bildwandler geprüft. Nach
von Lunatum, Kapitatum, Hamatum und Triquetrum durchgeführt Einstellung des Lunatum mithilfe eines (temporären) radiolunären
werden. Voraussetzung ist allerdings, dass bei gutem Knorpelüberzug Kirschner-Drahtes werden Skaphoid und Lunatum auf Kompressi-
keine Arthrosezeichen an der Fossa lunata bzw. radiolunär bestehen. on gebracht. In physiologischer Stellung erfolgt die Transfixierung
Bei deutlicher Schmerzreduktion besteht dann noch eine Rest- mit Kirschner-Drähten zwischen dem distalen Skaphoid und dem
beweglichkeit im Handgelenk. Entscheidend bei dem operativen Kapitatum, dem Skaphoid und dem Lunatum und dem Lunatum
Konzept ist die Korrektur der DISI-Fehlstellung des Lunatums, Auf- und Triquetrum. Nun werden die vorgelegten Fäden zwischen
hebung der radialen Translation des Kapitatums und der ulnaren Skaphoid und Lunatum verknotet (⊡ Abb. 29.22f). Zur Augmenta-
Translation des Lunatums sowie Aufrichtung des karpalen Kollapses. tion der Rekonstruktion kann ein dorsaler Kaspellappen aus dem
mittleren Drittel des Lig. intercarpale dorsale verwendet werden.
Er wird ulnar am Triquetrum abgesetzt und bleibt radial an seinem
29.2 Spezielle Techniken Ursprung am distalen Skaphoid gestielt. Nun erfolgt eine Inzision
des Lig. radiotriquetrum dorsale nahe seinem Ansatz am Triquet-
29.2.1 Technik der Akutversorgung der rum. Das freie Ende des Kapsellappens wird durchgezogen, umge-
skapholunären (SL-) Dissoziation schlagen und mit sich selbst mit nicht resorbierbarem Nahtmate-
rial oder PDS vernäht. Die Spannung wird dabei so gewählt, dass
Die Rekonstruktion der akuten SL-Band-Ruptur erfolgt über einen das Handgelenk in 0-Stellung einen skapholunären Winkel von 60°
kombinierten dorsalen und palmaren Zugang, analog der Versor- (intraoperative Bildwandlerkontrolle) bildet. Zusätzliche Stabilität
gung der perilunären Luxation ( Abschn. 29.2.2). kann durch Raffung des verbleibenden proximalen und distalen
Drittels des Lig. intercarpale dorsale mit U-Nähten erreicht werden.
Verschluss der Kapsel durch Rücknähen des Kapsellappens. Öffnen
29.2.2 Technik der verspäteten Versorgung der der Blutleere und subtile Blutstillung. Verschluss des Retinaculum
skapholunären Dissoziation nach Linscheid extensorum. Die Sehne des M. extensor pollicis longus wird hier-
bei subkutan belassen (⊡ Abb. 29.22g). Anschließend Einlage einer
Der dorsale Zugang zum Handgelenk verwendet einen etwa 8 cm Redon-Drainage und schichtweiser Wundschluss. Postoperativ er-
langen S-förmig geschwungenen Hautschnitt, der über dem Tu- folgt eine Immobilisation in einem gespaltenen Skaphoidgips, der
berculum Listeri zentriert ist (⊡ Abb. 29.22a). Nach Darstellung des nach Abschwellung zirkuliert wird und insgesamt für 6–8 Wochen
Retinaculum extensorum unter Schonung der Äste des R. superfici- getragen wird. Danach Entfernung der Kirschner-Drähte und Be-
alis N. radialis sowie des R. dorsalis N. ulnaris wird das 3. Streckse- ginn der intensiven Handtherapie. Zur Augmentation kann auch
henfach eröffnet und die Sehne des M. extensor pollicis longus nach eine distal gestielte ECRL-Sehne verwendet werden.
radial herausluxiert. Anschließend wird das 2. und 4. Streckseh-
nenfach mittels Durchtrennung der vertikalen Septen und Mobili-
sierung nach radial bzw. ulnar eröffnet (⊡ Abb. 29.22b). Der N. in- 29.2.3 Technik der verspäteten Versorgung der
terosseus posterior wird auf einer Länge von 2 cm im Sinne einer skapholunären Dissoziation mithilfe einer
partiellen dorsalen Handgelenkdenervation reseziert. Aufgrund des dorsalen Kapsulodese nach Blatt
ihn begleitenden Gefäßes empfiehlt es sich den Nerven zu ligieren
(⊡ Abb. 29.22c). Nun erfolgt die Eröffnung des dorsalseitigen Hand- Für die Stabilisierung der chronisch bestehenden Rotations-Su-
gelenks unter Bildung eines gestielten Kapsellappens nach Berger. bluxations-Stellung des Skaphoids ist von Blatt eine dorsale Kap-
Hierzu werden drei Orientierungspunkte markiert, nämlich sulodese mit einem Teil des dorsalen Ligaments beschrieben, die
1. die Mitte zwischen dem Tuberculum Listeri und der Incisura allerdings wegen der Pull-out-Naht seltener angewandt wird. Dor-
ulnaris, erkennbar am Septum zwischen den 4. und 5. Streck- soradialer Schnitt am Handgelenk. Darstellung und Schonung
sehnenfach, von R. superficialis N. radialis, EPL, ECRL und ECRB. Vom dor-
2. das dorsale Tuberculum am Os triquetrum sowie salen kapsuloligamentären Gewebe wird am Radius ein proximal
3. der Sulcus zwischen Os scaphoideum und Os trapezoideum. gestielter Lappen präpariert. Die Rotations-Subluxations-Stellung
des Skaphoids wird behoben und durch einen 1,2-mm-Kirschner-
Die Inzision beginnt am Processus styloideus radii, setzt sich Draht zwischen Skaphoid und Kapitatum stabilisiert, am distalen,
entlang des radiokarpalen Gelenkspalts bis zum Mittelpunkt zwi- nicht gelenkexponierten Pol des Skaphoids wird der Knochen mit
schen Tuberculum Listeri und dem Septum zwischen dem 4. und Fräse angefrischt. Das dorsal-proximal gestielte Ligament wird
5. Strecksehnenfach fort. Von dort wird die Inzision in Richtung durch eine Ausziehdrahtnaht über den angefrischten Knochen am
732 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

Mm. extensores carp. rad. Mm. extensores dig. comm.


long. et brev. 4. Strecksehnenfach
2. Strecksehnenfach

29
b

M. extensor dig. comm.

A. radialis

R. superficialis n. rad.

M. extensor carpi rad. long.

M. extensor carpi rad. brev.

M. extensor poll. long.

M. extensor poll. brev.


M. abductor poll. long.

N. interosseus post.
am Boden
a des 4. Strecksehnenfachs

Gestielter
Kapsellappen
f

⊡ Abb. 29.22 Technik der verspäteten Versorgung der skapholunären Dissoziation nach Linscheid.
a S-förmig geschwungener Hautschnitt von etwa 8 cm Länge, zentriert über dem Tuberculi Listeri,
b Darstellung des Retinaculum extensorum, Eröffnung des 3. Strecksehnenfaches, Luxation der EPL-Seh-
ne und Eröffnung des 2. und 4. Strecksehnenfaches, c Resektion des N. interosseus posterior im Sinne ei- Retinaculum
ner partiellen dorsalen Handgelenkdenervierung mit proximaler und distaler Ligatur (Cave: Blutung aus M. extensor extensorum
poll. long.
Begleitgefäß), d Bildung eines radiodorsal basierten Kapsellappens, e transossäre Bohrungen in Skapho- (subkutan)
id und Lunatum und Vorlage von nicht resorbierbaren Fäden, f nach Einrichtung des Lunatums und Re-
position des Skaphoids, Transfixierung der Karpalia mit Kirschner-Drähten und Knotung der vorgelegten
Fäden. g Nach anatomischer Rekonstruktion der dorsalen Kapsel wird die Blutleere geöffnet, eine subtile
Blutstillung durchgeführt und das Retinaculum extensorum rekonstruiert. Die Sehne des M. extensor car- g
pi radialis bleibt subkutan. (Aus Kalb et al. 2009 [a–d, g] und Schmit-Neuerburg et al. 2001 [e, f]) Redon-Drainage
29.2 · Spezielle Techniken
733 29
Skaphoid nach palmar gezogen und über einem Knopf fixiert. Zur ein 3,2 mm großes Bohrloch zur Passage des Sehnenzügels von
Verminderung der Hautkomplikationen benutzen wir einen Kno- palmar nach dorsal angelegt. Die Verlaufsrichtung des Bohrkanals
chenanker anstelle der Ausziehdrahtnaht. Anschließend erfolgt zielt vom Ursprung des dorsalen Anteils des skapholunären Bandes
eine Schienenruhigstellung für 6–8 Wochen. am Skaphoid in Richtung auf das Tuberculum des Kahnbeins auf
der Beugeseite. Die Bohrung kann unter Bildwandlerkontrolle
erfolgen (⊡ Abb. 29.23b). Anschließend wird der Sehnenstreifen
29.2.4 Technik der distalen Fesselung des durch den Bohrkanal nach dorsal geführt. Die Reposition von
Kahnbeins nach Brunelli in der Modifikation Lunatum und Skaphoid erfolgt in der gleichen Technik wie in
nach Garcia-Elias, Lluch und Stanley zur  Abschn. 29.2.2 beschrieben. Als nächstes wird eine bis zum spon-
Behandlung der veralteten skapholunären giösen Knochen reichende Nut im Os lunatum mit der Luer-
Dissoziation Zange oder der Fräse angelegt und ein Knochenanker eingebracht
(⊡ Abb. 29.23c). Nach Schlitzen des Lig. radiotriquetrum dorsale in
Die dorsale Darstellung des Karpus erfolgt analog zu den in  Ab- Ansatznähe am Os triquetrum wird der Sehnenstreifen der FCR-
schn. 29.2.2 beschriebenen Operationsschritten. Für die Entnahme Sehne durchgezogen und mit dem Knochenanker am Os lunatum
der distal gestielten halben Sehnen des FCR werden über dem Seh- (Nahtfixation am Lig. radiotriquetrum dorsale) und mit sich selbst
nenverlauf zwei quere Inzisionen im Abstand von 5 cm angelegt. mit nicht resorbierbaren Nähten bzw. mit PDS vernäht. Die Span-
Ein mindestens 8 cm distal gestielter, langer Sehnenstreifen wird nung wird dabei so gewählt, dass das Handgelenk in 0-Stellung
präpariert (⊡ Abb. 29.23a). Nun wird im distalen Skaphoidbereich einen skapholunären Winkel von 60° (intraoperative Bildwandler-

Metacarpale I

Os trapezium
Metacarpale II
Os scaphoideum
Metacarpale I
Proc. styloideus
Führungsdraht
Radius Os scaphoideum

M. flexor carp. rad.


Sehne distal gestielt
Radius
Distal gestielter
FCR-Sehnenstreifen
a
FCR
b

⊡ Abb. 29.23 Technik der distalen Fesse-


lung des Kahnbeins nach Brunelli in der
Modifikation nach Garcia-Elias, Lluch und
Stanley zur Behandlung der veralteten
skapholunären Dissoziation. a Technik der
Entnahme des distal gestielten mindestens
8 cm langen Sehnenstreifens aus der Sehne
Lig. radio- des M. flexor carpi radialis, b Anlage des
triquetrum K-Drähte
Distal dors. Lig. radio- transskaphoidalen Bohrloches, c Durchzug
gestielter triquetrum des Sehnenstreifens und Schaffung einer
FCR-Sehnen- dors. Nut im Os lunatum mit Einbringen eines
streifen Mit sich selbst
vernähter Knochenankers, d Reposition des Skaphoids
FCR-Sehnen- und Fixierung des Sehnenstreifens mit dem
streifen
Knochenanker, dem Lig. radiotriquetrum
c Fadenanker in der Knochennut d dorsale und sich selbst. (Aus Kalb et al. 2009)
734 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

kontrolle) bildet (⊡ Abb. 29.23d). Die weiteren operativen Schritte mit dem Lunatum andererseits durch Drähte, wobei Deformitäten
entsprechen dem Verfahren in  Abschn. 29.2.2 wie Transfixation beseitigt sein sollten, wird dann die Sehne, die nun wiederum
Os scaphoideum, Os lunatum und Os capitatum mit Kirschner- palmar liegt, mit sich selbst vernäht. Die Ruhigstellung erfolgt
Drähten und 6-wöchiger Ruhigstellung. 6–8 Wochen auf einem Schienenverband, danach Entfernung der
Drähte und Handtherapie. Bei bestehenden arthrotischen Verän-
derungen oder Bandinsuffizienz ist die Indikation zur Arthro-
29.2.5 Technik der Akutversorgung der dese zwischen Lunatum und Triquetrum gegeben. Nicht selten
lunotriquetralen Läsionen und Instabilität besteht jedoch eine Triquetro-Hamatum-Dissoziation mit oder
ohne Beteiligung des Discus articularis und des distalen Ra-
Falls die Diagnose im Frühstadium arthroskopisch oder durch dioulnargelenks. Klinisch steht ein schmerzhaftes Schnappen im
ein Arthro-MRT gestellt wird, besteht die Indikation in einer Vordergrund, das beim Übergang in die ulnare Abwicklung bei
29 offenen Rekonstruktion des Kapsel-Band-Apparates und tempo- der Pronation im Handgelenk auftritt. Hierbei springt die proxi-
male Handwurzelreihe von der dabei physiologisch auftretenden
rärer Arthrodese mit Kirschner-Drähten zwischen Triquetrum
und Lunatum und Triquetrum und Kapitatum. Nach 6 Wochen Beugestellung in eine Streckstellung über. Bei fortbestehenden
Ruhigstellung erfolgt die Entfernung der Drähte und Handmo- Beschwerden ist eine Arthrodese zwischen Lunatum, Triquetrum
bilisation. und Hamatum in Erwägung zu ziehen.

29.2.6 Technik der verspäteten Versorgung 29.2.8 Technik der verspäteten Versorgung
lunotriquetraler Bandläsionen bei lunotriquetraler Bandläsionen mithilfe einer
Dissoziationen von dorsal mit ECU-Sehne Kapsulodese mit dem Lig. radiotriquetrum/
radiolunatum
Bogenförmige dorsoulnare Schnittführung unter Schonung des
Hautastes des Nervus ulnaris. Eingehend zwischen dem 5. und Bei diesem Verfahren wird ein Streifen des Lig. radiotriquetrum
6. Strecksehnenfach wird die dorsale Gelenkkapsel eröffnet und präpariert, der am Triquetrum fixiert wird. Der Streifen wird in
das Lunatum und Triquetrum bzw. das lunotriquetrale Ligament Höhe des Lunatums sparsam mobilisiert. Nach Anfrischen des Lu-
dargestellt. Der radiale Teil des Extensor carpi ulnaris (ECU) wird natumpols wird die LT-Verbindung reponiert und mit Kirschner-
längs gespalten, distal gestielt und durch etwa in 45° angebrachte Drähten transfixiert. Nach Vorlegen eines Knochenankers wird
Kanäle im Bereich des Os triquetrum und Os lunatum durchge- dann das Lig. radiotriquetrum unter Vorspannung am Lunatum
zogen. Der distal gestielte Sehnenanteil des Extensor carpi radialis fixiert. Es wird hierdurch allerdings nur eine dorsale Stabilisation
wird dorsal durch den Os triquetrum durchgezogen und palmar erreicht. Eine ähnliche Methode mit einem am Triquetrum gestiel-
herausgeleitet, wobei er wiederum palmar in das Os lunatum ten Streifen aus dem Lig. intercarpale dorsale zeigt ⊡ Abb. 29.24.
eingezogen und nach dorsal herausgeleitet wird. Nach Beseitigung Die Anwendung eignet sich daher vor allem für Situationen, in
der Verkippungen werden zwei Kirschner-Drähte zur Fixierung denen der palmare Anteil des LT-Bandes noch stabil ist. Das Ver-
des Os triquetrum mit dem Os lunatum und wiederum des Os fahren stellt eine Analogie zu gleichartigen Kapsulodesevefahren
triquetrum mit dem Os capitatum eingebracht. Nun werden die bei skapholunären Instabilitäten dar. Postoperativ erfolgt eine Ru-
nach dorsal geführten Sehnenenden nach festem Anziehen mit- higstellung im Unterarmgips für 6 Wochen. Die Drähte werden für
einander vernäht (die Sehne ist von dorsal nach palmar durch 8–12 Wochen belassen.
das Triquetrum und von palmar nach dorsal durch das Lunatum
durchgezogen). Wichtig ist die Wiederherstellung des Lig. radio-
triquetrum dorsale beim Verschluss der dorsalen Handgelenkkap-
sel durch End-zu-End-Naht. Anschließend wird der LT-Übergang
transfixiert

29.2.7 Technik der verspäteten Versorgung


lunotriquetraler Bandläsionen bei
Dissoziationen von palmar mit ECU-Sehne

Es ist möglich, auch den Flexor carpi ulnaris (FCU) für eine
Bandrekonstruktion bei Instabilität zwischen Lunatum und Tri-
quetrum heranzuziehen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, so-
wohl dorsal als auch palmar die beiden Methoden miteinander
zu kombinieren. Schnittführung palmar/ulnar über dem Flexor
carpi ulnaris. Der Flexor carpi ulnaris wird distal gestielt und in
einer Länge von etwa 8–10 cm längs gespalten. Die Sehne wird
zunächst durch den ulnokarpalen Bandkomplex durchgezogen
auf den palmaren triquetralen Anteil hin, sodass die Sehne durch
den Kanal in das Triquetrum nach dorsal gezogen werden kann.
Weiterhin wird durch einen Kanal im Os lunatum die nun dorsal ⊡ Abb. 29.24 Technik der verspäteten Versorgung lunotriquetraler Bandläsi-
stehende Sehne nach palmar durchgezogen. Nach Fixierung des onen mithilfe einer Kapsulodese mit dem Lig. radiotriquetrum/radiolunatum.
Triquetrums mit dem Kapitatum einerseits und des Triquetrums (Aus Pillukat et al. 2004)
29.2 · Spezielle Techniken
735 29
29.2.9 Technik der skaphotrapeziotrapezoidalen len. Bei Anwendung von Kirschner-Drähten und Gipsschienen
(STT-) Arthrodese für die Arthrodese muss eine 8-wöchige Ruhigstellung erfolgen
(⊡ Abb. 29.26).
Ein etwa 4 cm langer Schnitt wird auf der Streckseite über dem
Handrücken in Höhe der Tabatière durchgeführt (⊡ Abb. 29.25a).
Darstellen (⊡ Abb. 29.25b) und Zurseitehalten des Extensor pollicis 29.2.11 Technik der lunotriquetralen (LT-) Arthrodese
longus ulnar und Abductor pollicis brevis radial (⊡ Abb. 29.25c).
Spaltung der Gelenkkapsel, wobei auf exakte Darstellung und Dorsoulnarer Schnitt unter Darstellung und Schonung des dor-
Schonung des R. superficialis N. radialis geachtet werden muss. salen Astes des N. ulnaris. Eingehen in das 5. Strecksehnenfach,
Darstellen des Skaphoids, des Trapeziums und des Trapezoide- das eröffnet wird. Zur-Seite-Halten der Extensor-digiti-quinti-
ums und der gemeinsamen Gelenkfläche. Inspektion der Gelenk- proprius-Sehne und Eröffnen der dorsalen Handgelenkkapsel in
fläche und Beurteilung der Mobilität des Skaphoids. Gelenkfläche Längsrichtung. Darstellen des lunotriquetralen Gelenks durch Zug
zwischen Skaphoid und Trapezium sowie zwischen Skaphoid und des Handgelenks und Flexion. Inspektion der Gelenkfläche, vor
Trapezoideum wird mit Meißel entknorpelt (⊡ Abb. 29.25d). Hier allem Triquetrum zu Lunatum und Triquetrum zu Hamatum, bei
wird Spongiosa angebracht. Sodann wird das Kahnbein mobi- Schonung und Erhaltung des Discus triangularis. Zur Arthrodese
lisiert, in der physiologischen Stellung gehalten (⊡ Abb. 29.25e), wird die Gelenkfläche zwischen Os lunatum und Os triquetrum
45–60° zur Radiusachse, und mit einem 1,0-mm-Kirschner-Draht dargestellt und der Restknorpel entfernt. Bei vorliegender Dest-
am Trapezoideum fixiert oder mit spitzer Repositionszange fest- ruktion, auch zwischen Triquetrum und Hamatum, wird dieses
gehalten. Kontrolle unter Bildverstärker, der die exakte Position Gelenk ebenso vom Restknorpel befreit und in die Arthrodese ein-
und Aufrichtung des Kahnbeins zeigen muss. Hier ist gleichzeitig geschlossen. Ausgiebige Spongiosaplastik zwischen Lunatum und
auch der karpale Kollaps aufgehoben. Nach exakter Reposition Triquetrum (falls nötig auch zwischen Triquetrum und Hamatum)
kann die Rentention mit Osteosynthesetechniken – Kirschner- aus dem Beckenkamm. Aufrichtung und anatomische Winkel-
Drähten, Plattenosteosynthese – erreicht werden. Neben der Mit- stellung des Lunatums und des Triquetrums; die Reposition kann
hilfe einer T-Platte vom Minifragmentinstrumentarium sowie durch eine spitze Zange fixiert werden.
mit 1,5-mm- oder 2,0-mm-Schrauben wird die entsprechende Je nach Notwendigkeit und Möglichkeit wird gleichzeitig eine
Plattenarthrodese des Triskaphoids zwischen Skaphoid, Trape- Teildenervation im Sinne einer Durchtrennung des Nervus inter-
zium und Trapezoideum durchgeführt. Es kann auch eine win- osseus posterior durchgeführt. Nach Anbringen einer 1,5–2 mm
kelstabile Platte zur Anwendung kommen. Vor Abschluss der starken Platte (eventuell T-Platte und Winkelstabilität) über dem
Operation wird nochmals die korrekte Stellung des Skaphoids in Os triquetrum und Os lunatum sollen jeweils 2 Schrauben in je-
beiden Ebenen und Aufhebung des karpalen Kollapses festgehal- dem Handwurzelknochen zu liegen kommen. Unter Fixation ist
ten und dokumentiert. Naht der dorsalen Gelenkkapsel über der die Kontrolle der Stellung des Os lunatum und triquetrum zur
Platte und den Schrauben, sodass die Sehnen nicht darüberglei- Handachse unter BV erforderlich. Bei stabiler Osteosynthese ist
ten können. Bei Anwendung einer stabilen Plattenarthrodese ist nur eine vorübergehende Ruhigstellung von 1–2 Wochen ausrei-
eine Ruhigstellung höchstens 7–10 Tage erforderlich. Mit einer chend. Bei Einsatz von Kirschner-Drähten für die Arthrodese und
knöchernen Verheilung ist nach 8–12 Wochen zu rechnen. Die Gipsverband ist eine Ruhigstellung für 8 Wochen erforderlich.
Metallentfernung kann, wenn nötig, frühestens nach 6 Monaten Ausheilung 6–8 Wochen mit Röntgenkontrolle.
erfolgen (⊡ Abb. 29.19). Die Triskaphoidarthrodese kann auch
> Die Arthrodese ist technisch anspruchsvoll. Bei Einsatz von
durch eine Kirschner-Draht-Osteosynthese erfolgen. Hierbei ist
Kirschner-Drähten Osteosynthese anstatt Plattenosteosyn-
eine postoperative Ruhigstellung von 8 Wochen in einem Steig-
these ist über häufige Pseudarthrose und Misserfolge auf-
bügelgips notwendig. Die Drahtentfernung erfolgt nach fester
grund der fehlenden Fusion berichtet worden.
Arthrodese nach 10–12 Wochen.

29.2.10 Technik der skaphokapitären (SC-) 29.2.12 Technik der mediokarpalen Arthrodese
Arthrodese (»four corner fusion«)

Bogenförmiger dorsaler Zugang unter Schonung des Hautastes des Die dorsale Darstellung des Karpus erfolgt analog zu den in  Ab-
Nervus radialis. Längsschnitt und Eröffnung der Gelenkkapsel. schn. 29.2.2 beschriebenen Operationsschritten (⊡ Abb. 29.22).
Darstellen der Gelenkfläche zwischen Skaphoid und Kapitatum. Nach Resektion des Kahnbeins kann das Mondbein aufgerichtet
Restentknorpelung der Gelenkfläche zwischen Skaphoid und Ka- und die DISI-Position beseitigt werden. Durch Beseitigung der
pitatum. Anbringen von Spongiosa aus dem Beckenkamm und Verwachsungen im Bereich der kapitolunären Gelenkfläche soll
Kompression beider Knochen unter Aufrichtung des Skaphoids das Mondbein in guter und aufgerichteter Position gehalten
mit einer spitzen Repositionszange. Bei guter Reposition, welche werden, wobei das temporäre Anbringen eines dünnen radi-
durch BV-Röntgenkontrolle überprüft werden soll, muss nun das lunären Kirschner-Drahtes (1,0 mm Durchmesser) oder Repo-
Skaphoid in physiologischem Winkel zu Kapitatum und Lunatum sitionszange zur Aufrechterhaltung der Korrekturposition des
stehen (radioskaphoidaler Winkel etwa 40°). Die Stabilisierung Mondbeins zum Radius hilfreich ist. Es wird dann die medio-
erfolgt durch Osteosynthese mit einer 1,5 mm oder 2 mm star- karpale Gelenkfläche zwischen Kapitatum und Lunatum sowie
ken Platte, welche auch als winkelstabile Platte eingesetzt werden zwischen Triquetrum und Hamatum entknorpelt (⊡ Abb. 29.27a).
kann, oder durch Schraube mit Doppelgewinde. Die Ruhigstellung Um die karpale Höhe wiederherzustellen ist gelegentlich ein
erfolgt 1–2 Wochen, wobei bei stabiler Osteosynthese dann Be- kortikospongiöser Span vom vorderen Beckenkamm notwendig.
wegungsübungen ohne Belastung erlaubt werden. Die Ausheilung Bei der Aufrichtung ist auch auf die Korrektur einer radialseiti-
wird 8 Wochen dauern. Eine Röntgenkontrolle ist zu empfeh- gen Verlagerung des Os capitatum zu achten (⊡ Abb. 29.27b,c).
736 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29
d

c f

⊡ Abb. 29.25 STT-Arthrodese bei Skapholunärer Dissotiation. a Dorsoradiale Schnittführung. b Darstellung des Retinaculum Extensorum und des R. super-
ficialis N. Radialis. c Darstellung der Gelenkkapsel. d präoperativer röntgenologischer Aspekt: Drehung und Kippung des Kahnbeins in die tiefe Position (po-
sitives Ring-Zeichen). e postoperativer röntgenologischer Aspekt: Korrektur durch Aufrichtung des Skaphoids aus Rotationssubluxationsstellung in die hohe
Position und Arthrodese mit Minifragmentosteosynthese und Implantation von Spongiosa. f röntgenologischer Aspekt nach Materialentfernung. (a,b,c,d,e,f
Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
29.2 · Spezielle Techniken
737 29

b
d
⊡ Abb. 29.26 Technik der skaphokapitären Arthrodese nach Sennwald. a Planung einer 4 cm
langen dorsoradialen Hautinzision, b,c Darstellung und Eröffnung der Gelenkkapsel, d parti-
elle Styloidektomie und Entnahme von spongiösem Knochen aus dem Beckenkamm. Reposi-
tion des Skaphoids in die hohe Position und Retention mit Kirschner-Drähten oder Schraube
mit Doppelgewinde. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

a b c

⊡ Abb. 29.27 Technik der mediokarpalen Arthrodese (»four corner fusion«). a Unter Zug Aufweiten des Mediokarpalgelenks und Entknorpelung der Ossa
capitatum, hamatum, triquetrum und lunatum bis spongiöser Knochen sichtbar wird. Soll ein kortikospongiöser Span vom Beckenkamm eingesetzt werden,
Verwendung eines Meißels zur Schaffung glatter spongiöser Flächen. Wird nur Beckenspongiosa benutzt ist ein konturgerechtes Entknorpeln wegen der
Spongiosamenge notwendig. b, c Bei ausgeprägtem karpalen Kollaps ist eine Aufrichtung des Os lunatum und eine Korrektur der radialen Verlagerung des
Os capitatum notwendig. (b) Befund präoperativ und (c) postoperativ. (Aus Krimmer u. Lanz 1996)
738 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29

a b c

d e f

h i

⊡ Abb. 29.28 Technik der mediokarpalen Arthrodese:


a, b Röntgenologische Darstellung, c arthroskopische
Darstellung mit älterer SL-Ruptur, d intraoperative Dar-
stellung, e intraoperativer Situs nach Entfernung des
Skaphoids, f entferntes Skaphoid und Darstellung der
destruierten Knorpelfläche, g intraoperative Darstel-
lung nach Anbringen von Spongiosaplastik und Anbrin-
gen der Spider-Platte, h, i röntgenologische Darstellung
nach mediokarpaler Arthrodese, j, k röntgenologische
Darstellung der dorsalen Extension und palmaren Flexi-
j k
on bei liegender Spider-Platte
29.2 · Spezielle Techniken
739 29

a b c d

⊡ Abb. 29.29a–d Radioskaphoidarthrose und Rhizarthrose; mediokarpale Arthrodese und Daumensattelgelenkarthrodese

Falls nach Aufrichtung des Mondbeins und korrekter Lage des und koaguliert (Teildenervation des Handgelenks). Überprüfung
Mondbeins zum Kapitatum kein wesentlicher karpaler Kollaps der Indikation und Inspektion der Fossa lunata am Radius und der
festgestellt werden kann, wird nur die Spongiosaplastik zwi- Gelenkfläche des Os capitatums.
schen den entknorpelten Gelenkflächen eingebracht und die Fi-
> Der gute Knorpelüberzug in diesem Bereich ist die Vor-
xierung der Knochen durch eine kleine Spider-Platte (zuvor
aussetzung für die Durchführung einer proximalen Row-
muss das Plattenlager aufgefräst werden), T- oder H-Miniplat-
Karpektomie im Sinne einer proximalen Reihenresektion
ten-Osteosynthese mit 2,0- bzw. 2,4-mm-Schrauben so durch-
(⊡ Abb. 29.30a).
geführt, dass Hamatum, Triquetrum, Lunatum und Kapitatum
durch Schrauben und Platte fixiert werden. Die Fixation kann Bei Knorpeldefekten im Bereich der Fossa lunata kann mithilfe
auch durch 3 Kirschner-Drähte, Stärke 1,4 mm, die zwischen eines osteochondralen Transplantats aus dem resezierten Skaphoid
den oben genannten Knochen eingebracht werden, durchgeführt die Knorpeloberfläche wiederhergestellt werden (⊡ Abb. 29.30b).
werden, wobei das Radiokarpalgelenk immer frei bleiben muss. Distraktion des Handgelenks in Längsrichtung sowie Palmarfle-
Wichtig erscheint die stabile Säule des Kapitatums und Lunatums xion im Handgelenk ermöglicht die exakte Exploration. Unter
(⊡ Abb. 29.28). Beachtung der Unversehrtheit der palmaren Kapsel werden alle
Die weiteren operativen Schritte entsprechen dem Verfahren in 3 proximalen Handwurzelknochen in entsprechender Reihenfolge,
 Abschn. 29.2.2 (⊡ Abb. 29.22g). nämlich Lunatum, Skaphoid und Triquetrum, schrittweise in toto
Postoperativ wird bei Durchführung einer Plattenarthrodese oder unter Zuhilfenahme von Meißel und Luer entfernt. Gelegent-
lediglich 1–2 Wochen das Handgelenk in einer Unterarmschiene lich können Kirschner-Drähte im Bereich der einzelnen zu entfer-
ruhiggestellt. Bei der Durchführung der Kirschner-Draht-Osteo- nenden Knochen angebracht werden, die als Joystick Erleichterung
synthese ist eine mindestens 8-wöchige Ruhigstellung in einem bringen. Einzelne knöcherne Anteile werden sorgsam aus den kap-
Unterarmgips notwendig. Die Plattenarthrodese kann, wenn nötig, suloligamentärten Anteilen abgelöst und vollständig entfernt. Nach
nach 12 Monaten, die Kirschner-Draht-Osteosynthese nach 4 Mo- vollständiger Resektion aller 3 proximalen Handwurzelreihenkno-
naten, nach Röntgenkontrollen entfernt werden. Mit Bewegungs- chen wird die Vollständigkeit der Resektion unter BV kontrolliert.
übungen kann bereits nach Entfernung des Schienenverbandes Es wird peinlichst auf vollständige Resektion der einzelnen Kno-
begonnen werden. chen geachtet, damit keine Knochenteile in dem neu geschaffenen
Bei bestehender SLAC-Wrist Stadium III und zusätzlicher Ar- Gelenk zwischen Radiusgelenkfläche und distaler Handwurzelrei-
throse des Daumensattelgelenks empfiehlt es sich, eine mediokar- he verbleiben. Gelegentlich ist die Fixation des Kapitatums durch
pale Arthrodese und zusätzliche Plattenarthrodese des Daumensat- einen Kirschner-Draht, welcher radial über die Lippe des Radius
telgelenks durchzuführen (⊡ Abb. 29.29). geführt wird, zur Zentrierung des Kapitatums in der Fossa lunata
angezeigt (⊡ Abb. 29.30c). Nach Kapselnaht und Raffung erfolgt die
Wiederherstellung des Retinaculum extensorum.
29.2.13 Technik der Resektion der proximalen Eine Ruhigstellung von 3–4 Wochen ist erforderlich. Danach
Karpalreihe (»proximal row carpectomie«, sollen die eventuell angebrachten Kirschner-Drähte entfernt wer-
PRC) den. Anschließende krankengymnastische Bewegungsübungen
bringen relativ gute Funktion, wobei zunächst eine Kraftminde-
Leicht bogenförmiger Schnitt dorsal über dem Handgelenk und rung aufgrund der relativen Verlängerung der Streck- und Beu-
Handwurzelknochen. Schonung der Hautäste des N. radialis und gesehnen besteht. In der Literatur ist ein endgültiger Stellenwert
ulnaris. Darstellen des Retinaculum extensorum, welches dann dieser Operation noch nicht gesichert. Die konkurrierende Ope-
zwischen 3. und 4. Strecksehnenfach eröffnet wird. Die Handge- ration ist die mediokarpale Arthrodese, wobei in der Literatur eine
lenkkapsel wird dargestellt und der N. interosseus posterior wird gute postoperative Schmerzreduktion und Funktion wiederholt
am ulnaren Rand des Tuberculum Listeri aufgesucht, durchtrennt bescheinigt wird.
740 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29 d
a b c

⊡ Abb. 29.30 Resektion der proximalen Karpalreihe (Handgelenk in a.-p. Strahlengang). a Resektion des processus styloidens radii unter Schonung
des RSC-Bandes. Das RLT-Band wird bei Entfernung des Lunatums geschont. b Das intakte RSC-Band wird für den korrekten Sitz des Kapitatums in
der fossa lunata gerafft. c Schema: Rekonstruktion der Fossa lunata mit einem osteokartilaginären Span vom Skaphoid nach Langer, d postoperativer
Röntgenbefund

29.2.14 Technik seltener Arthrodesen lung. Danach erfolgt das Auffüllen der Defekte durch Spongiosa
und die Osteosynthese der einzelnen Knochen miteinander durch
Es bestehen weitere seltene Arthrodosen, wie zwischen Kapitatum 2,0-Mini-Fragment-T-Platten oder runde Platte (Spider-Platte,
und Lunatum und zwischen Triquetrum und Hamatum. Diese ⊡ Abb. 29.32).
Arthrodesen werden bei Instabilität zwischen den Handwurzel- Bei der Osteosynthese muss auf exakte Niveauhaltung der
knochen durchgeführt, wobei die alleinigen intrinsischen und in- Interkarpalknochen, vor allem in Bezug auf den Radius, geachtet
traossären Bandverletzungen nicht zur Instabilität der karpalen werden. Die Achse der Handwurzelknochen zum Radius muss
Knochen führen. Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass korrigiert und fixiert werden. Über der Platte und den Schrauben
bei bestehenden einzelnen Dissoziationen zwischen Handwurzel- wird die Gelenkkapsel vernäht, sodass die Strecksehnen nicht über
knochen wie Kapitatum, Lunatum und Triquetrum und Hamatum das Osteosynthesematerial gleiten. Danach erfolgt die Naht des
hier eine interkarpale Arthrodese unter Belassung des Skaphoids Retinaculum extensorum; Entfernung der Blutleere, Blutstillung,
durchgeführt werden soll (⊡ Abb. 29.31) Hautnaht, steriler Verband und Anlegen von Wattekompressions-
Da jedoch die mediokarpale Arthrodese durch Fusionierung verband, Röntgenkontrolle. Danach wird ein geschlossener Unter-
der Handwurzelknochen eine Bewegungseinschränkung mit sich armgips angelegt, der sofort gespalten wird. Als Alternative kann
bringt, sind wir der Meinung, dass die Arthrodese nur die Kno- anstatt autologer Spongiosa auch Endobon verwendet werden.
chen und Nachbargelenke einschließen soll, die von der Hauptin- Postoperativ wird der Arm in einem geschlossenen Unterarm-
stabilität betroffen sind. gips für insgesamt 2–3 Wochen ruhiggestellt. Je nach Fortschritt
der knöchernen Verheilung der Arthrodese kann mit Bewegungs-
Technik der Interkarpalarthrodese nach Graner I übungen im Bereich des Handgelenks begonnen werden.
Bei der ersten Interkarpalarthrodese (Graner I) werden die Ge-
lenkflächen zwischen Skaphoid, Lunatum, Triquetrum, Kapitatum Technik der Karpalarthrodese nach Graner II
und Hamatum entknorpelt und diese Knochen durch Einbringen Bei stark deformiertem Lunatum wird dieses in der zweiten Tech-
von spongiösem Knochen miteinander verblockt. Eine Revasku- nik (Graner II) exstirpiert. Zum Auffüllen der entstandenen Lücke
larisation oder genauer Neovaskularisation des nekrotischen Os wird das Kapitatum osteotomiert, der proximale Pol nach proximal
lunatum erfolgt durch Einwachsen von Gefäßen aus den umliegen- verlagert und der Defekt zwischen dem proximalen und distalen
den entknorpelten Karpalknochen. Kapitatumanteil mit einem kortikospongiösen Span ausgefüllt (zur
Als Hauptindikationen der Interkarpalarthrodese gelten die Technik  Kap. 30).
posttraumatischen Zustände und die Lunatumnekrose ohne Form-
verlust des Os lunatum.
Das Handgelenk wird von einem queren S-förmigen Haut- 29.2.15 Technik der kompletten
schnitt von der dorsalen Seite her freigelegt. Das Retinaculum ex- Handgelenkarthrodese
tensorum wird Z-förmig und die Strecksehnen aus dem 4. Streck-
sehnenfach herausluxiert und zur Seite gehalten. Die dorsale Kap- Die Operation wird in Rückenlage und Vollnarkose durchgeführt.
sel wird durch eine V-förmige Inzision parallel zum Verlauf des Die Hand wird auf einem Handtisch gelagert. Die Operation erfolgt
Lig. radiotriquetrum dorsale und Lig. intercarpale dorsale eröffnet. in Oberarmblutleere (250 mmHg). Zur Entnahme von spongiösem
Die dorsalen Flächen der einzelnen Knochen wie Kapitatum, Skap- Knochen wird ein Beckenkamm vorbereitet.
hoid und Lunatum werden dargestellt. Nun wird nach Resektion Die dorsale Darstellung des Carpus erfolgt analog zu den in
der gemeinsamen Gelenkflächen zwischen den einzelnen Hand-  Abschn. 29.2.2 beschriebenen Operationsschritten (⊡ Abb. 29.21).
wurzelknochen der Knorpel reseziert. Es erfolgt die Aufrichtung Anschließend wird das 3. Strecksehnenfach auf seiner gesam-
des Knochens (Skaphoid und/oder Lunatum) von der DISI-Stel- ten Länge gespalten und sowohl Sehne als auch der Muskel-
29.2 · Spezielle Techniken
741 29

a b

c d

⊡ Abb. 29.31 Technik der Interkarpalarthrodese nach Graner I. a Planung der Hautinzision, b Z-förmige Eröffnung des Retinaculum extensorum, c Herauslu-
xieren der Strecksehnen aus dem 4. Strecksehnenfach und V-förmige Eröffnung der dorsalen Kapsel, d Entknorpelung der Gelenkflächen zwischen Skaphoid,
Lunatum, Triquetrum, Kapitatum und Hamatum, Einbringen von spongiösem Knochen, Minifragment-Platten-Osteosynthese und 2,0-mm-Schrauben oder
2,4-mm-Spider-Platte
742 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29 b

c d

⊡ Abb. 29.32 Interkarpale Arthrodese mit


Spider-Platte. a Karpale Instabilität bei alter
SL-Ruptur, b, c röntgenologische Darstellung
und intraoperative Reposition (nach Spon-
giosaplastik), d intraoperative Reposition der
karpalen Knochen, Aufrichtung des Lunatums,
Spongiosaplastik und Aufsetzen der Spider-
Platte, e, f postoperative Röntgenaufnahmen
e f
mit Spider-Platte

bauch des M. extensor pollicis longus (EPL) nach radial verlagert der Beugesehnen führt (⊡ Abb. 29.33d,e). Wenn möglich sollten die
(⊡ Abb. 29.33a). Über eine tiefe gerade Inzision, beginnend radi- ulnaren Anteile des mediokarpalen Gelenkspaltes erhalten bleiben,
alseitig des 3. Os metacarpale und nach proximal bis zum dista- um die für den festen Faustschluss notwendige Beweglichkeit der
len Radiusdrittel reichend, werden ein radialer und ein ulnarer beiden ulnaren Fingerstrahlen nicht zu beeinträchtigen. Der für
Faszien-Gelenkkapsel-Lappen gebildet. Im Bereich des Os meta- die Verblockung notwendige spongiöse Knochen wird vorzugs-
carpale III (oder II) und des Radius erfolgt die Präparation in der weise aus dem Bereich der Crista iliaca gewonnen. Über eine Inzi-
subperiostalen Schicht. Mit dem radialen Faszien-Gelenkkapsel- sion kann die Spongiosa und ein kortikospongiöser Span aus dem
Lappen wird das 2. Strecksehnenfach ohne Eröffnung nach radial, Beckenkamm entnommen werden.
mit dem ulnaren Lappen das 4. Strecksehnenfach ebenfalls ohne Abhängig von den individuellen Verhältnissen wird die Artho-
Eröffnung nach ulnar weggehalten (⊡ Abb. 29.33c). Die tangentiale deseplatte entweder auf der Dorsalfläche des Os metacarpale II
Dekortikation im Bereich des Plattenlagers am Radius soll eine oder vorzugsweise III fixiert. Die distale Grenze des Plattenlagers
funktionell und ästhetisch störende Plattenprominenz vermeiden. darf den Übergang des mittleren zum distalen Metakarpaldrittel
Alle Gelenkflächen der interkarpalen Knochen und im Bereich nicht wesentlich überschreiten. Die proximale Grenze des Platten-
des Plattenlagers werden mit einem Meißel entknorpelt. Dabei ist lagers liegt etwa auf Höhe des M. abductor pollicis brevis. Die ul-
darauf zu achten, dass eine möglichst sparsame Resektion durch- nare Grenze darf das distale Radioulnargelenk nicht beeinflussen,
geführt wird, da eine zu große Verkürzung zu einem Kraftverlust um Störungen dieses Gelenks zu vermeiden (⊡ Abb. 29.33f). Für die
29.2 · Spezielle Techniken
743 29

b
c
a

Becken-
kamm-
span

d f

⊡ Abb. 29.33 Technik der komplet-


ten Handgelenkarthrodese. a Dorsaler
Zugang zum Handgelenk unter
Bildung eines dorsoradial gestielten
Kapsellappens, b Planung des Platten-
lagers: Ansicht von dorsal, c Planung
des Plattenlagers: Ansicht von lateral,
d Darstellung der obligat und optio-
nal zu entknorpelnden Gelenkflächen
im Handgelenkbereich, e Aspekt nach
Plattenosteosynthese, f zusätzliche In-
terposition eines kortiko-spongiösen
Knochenspans vom Beckenkamm bei
großem Knochendefekt bzw. Ulna-
plus-Stellung zur Dekompression des
Radioulnargelenks, g Bedeckung der
distalen Platte mit dem dorsoradialen
Kapsellappen zur Wiederherstellung
des Sehnengleitlagers, h Rekonstruk-
tion des Retinaculum extensorum. Die
Sehne des M. extensor carpi radialis
g h
bleibt subkutan. (Aus Kalb et al. 2009)
744 Kapitel 29 · Kapsel-Band-Läsionen im Handgelenkbereich

29.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen


⊡ Tab. 29.8 Stellung der totalen Handgelenkarthrodese

Unilaterale Hand- Extension 0–30° Aufgrund der großen Beeinträchtigung im täglichen Leben durch
gelenkarthrodese Ulnarabduktion 5–10° ein instabiles Handgelenk sollte die Indikation zur möglichst frü-
hen operativen Versorgung großzügig gestellt werden. Dasselbe
Unilaterale Hand- Extension 0°
gilt für die Indikation zu funktionsverbessernden Sekundäropera-
gelenkarthrodese Ulnarabduktion 5–10°
tionen im Sinne einer Resektion der proximalen Karpalreihe oder
beim Spastiker
einer mediokarpalen Arthrodese bei entsprechendem klinischem
Bilaterale Hand- Dominante Hand Extension 10–20° oder 0° und radiologischem Befund.
gelenkarthodese Ulnarabduktion 5–10° Je nach Beanspruchung der Hand haben partielle Arthrodesen
eine mehr oder weniger lange Halbwertzeit. Durch die Verblo-
Nicht dominante Leichte Flexion (10–20°)
29 Hand Ulnarabduktion 5–10° ckung von Segmenten werden die benachbarten Gelenke verstärkt
belastet. Eine spezifische Komplikation der STT-Arthrodese be-
steht in der Läsion des R. superficialis N. radialis.
Nach Hastings (1994) können die spezifischen Komplikationen
Arthrodese wird eine gerade Arthrodeseplatte verwendet, die distal nach kompletter Handgelenkarthrodese mithilfe der Plattenosteo-
mit 2,7-mm-Schrauben und maximal mit 3,5-mm-Schrauben be- synthese in leichte und schwerwiegende eingeteilt werden.
setzt werden. Zur Dekompression des distalen Radioulnargelenks, Leichte Komplikationen haben keinen Einfluss auf das Opera-
einem oft vergessenen aber extrem wichtigen Operationsschritt, tionsergebnis und sind bei bis zu 33% aller Patienten nach subtiler
genügt es vor der Fixation der Platte den Karpus leicht zu distra- Untersuchung zu finden. Die häufigste leichte Komplikation stellt
hieren, nach radial zu schieben und ausreichend spongiösen Kno- eine massive postoperative Schwellung dar. Von etwa 19% aller
chen einzubringen. Bei ausgeprägtem Knochenverlust und Ulna- Patienten werden Plattenbeschwerden vor allem im Metakarpal-
plus-Variante sollte ein kortikospongiöser Beckenkammspan zum bereich, welche in Ruhe (Wetterfühligkeit, Kälteempfindlichkeit)
Niveauausgleich eingebracht werden (⊡ Abb. 29.33g). und/oder bei Belastung (Druck- und/oder Klopfempfindlichkeit)
Anbringen von Spongiosa in den interkarpalen Knochen und auftreten, angegeben. Nach Entfernung der Platte nach 12–18 Mo-
eines kortikospongiösen Blocks über dem distalen Radius (tangen- naten verschwinden sie vollständig. Bei 14% aller Patienten treten
tiale Dekortikation) und den Handwurzelknochen, worauf dann postoperativ die Symptome eines Karpaltunnelsyndroms auf, wel-
die Arthrodeseplatte angebracht wird. Die Stellung der Arthrodese che eine konservative oder meist operative Therapie notwendig
ist abhängig von mehreren Kriterien (⊡ Tab. 29.8). machen. Temporäre oder andauernde Gefühlsstörungen im Be-
Die Plattenfixierung beginnt im Metakarpalbereich. Die Posi- reich des R. superficialis N. radialis werden beschrieben.
tion des Zentrums des distalsten Loches wird markiert. Die Platte Schwerwiegende Komplikationen beeinflussen das Operations-
wird mit einem 2,0-mm-Bohrer (für 2,7-mm-Schrauben) an der ergebnis und machen einen erneuten oder verlängerten stationären
Mittelhand und 2,5-mm-Bohrer für 3,5-mm-Schrauben an dem Aufenthalt notwendig. Sie treten bei etwa 14% aller Patienten auf
Radius fixiert. Um eine Rotationsfehlstellung im Metakarpalbe- und beinhalten fehlende knöcherne Konsolidierung mit oder ohne
reich zu vermeiden, muss darauf geachtet werden, die Bohrlöcher Plattenbruch (1,5%), postoperative Sehnenadhäsionen (3,5%),
exakt in der d. p. Ebene anzubringen. Weitere Schrauben werden postoperative Störungen der Pronosupination (5,6%), Wundhei-
nach der gleichen Technik im Metakarpalbereich bzw. am Radius lungsstörungen bis Infektionen im Handgelenkbereich und Wund-
eingebracht. Das Loch für die vorletzte Schraube wird exzentrisch heilungsstörungen bis Infektionen im Beckenkammbereich (6%).
gebohrt, um Kompression auf die Arthrodese zu bringen. Insge-
samt werden drei Kortikalisschrauben und eine Spongiosaschraube
am Radius eingebracht. Kontrolle unter BV nach Abschluss der Weiterführende Literatur
Osteosynthese. Bewertungskriterien der intraoperativen Röntgen-
kontrolle in d. p. und seitlichem Strahlengang sind die Achsenver- American Society for Surgery of the Hand (Hrsg) (1983) The hand – examina-
hältnisse im Handgelenkbereich und die Schraubenlänge. Nach tion und diagnosis, 2. Aufl. Churchill Livingstone, Edinburgh
Eröffnung der Blutleere und ausgiebiger Blutstillung wird die Os- Arbeitlang E, Trojan E (1963) Irreponible Fingerluxation. Monatsschr Unfall-
heilkd 66: 445–451
teosyntheseplatte mit den beiden Kapsel-Faszien-Lappen bedeckt
Asche G (1984) Stabilisierungsmöglichkeit fingergelenksnaher Frakturen mit
und Lage sowie freie Beweglichkeit von Muskelbauch und Sehne
dem Minifixateur externe. Handchir Mikrochir Plast Chir 16: 192–195
des EPL kontrolliert. Nach Einlage einer Redon-Drainage erfolgt Asche G (1988) Die Behandlung der Frakturen der Metacarpalia mit dem
der schichtweise Wundverschluss. Postoperativ wird das Handge- Minifixateur externe. In: Nigst H (Hrsg) Frakturen der Hand und des
lenk auf einer palmaren Unterarmgipsschiene mit freier Fingerbe- Handgelenkes. Hippokrates, Stuttgart, S 81–87
weglichkeit gelagert. Abschwellende Maßnahmen wie Hochlagern Bartelmann U, Kotas J, Landsleitner B (1997) Ursachen von Nachoperationen
(auf einem Keilkissen) und Eisapplikation werden verordnet. Die nach Osteosynthesen von Finger- und Mittelhandfrakturen. Handchir
systemische antiphlogistische und analgetische Therapie hat sich Mikrochir Plast Chir 29: 204–208
im Hinblick auf eine frühe aktive und passive Mobilisation sehr be- Boscheinen-Morrin J, Davey V, Conolly WB (1988) Physikalische Therapie der
währt. Mit aktiver und passiver krankengymnastischer Übungsbe- Hand. Hippokrates, Stuttgart
Brauer H, Diecking KD, Wabec (1997) Die Anwendung der Herbert-Schraube
handlung im Fingerbereich wird postoperativ so früh wie möglich
zur Osteosynthese der frischen Skaphoidfraktur. Unfallchirurgie 10:
begonnen. Nach Durchführung einer Röntgenkontrolle ohne Gips
776–781
kann im Allgemeinen nach 3 Wochen die Ruhigstellung beendet Broome A, Cedell C, Collen S (1964) High plaster immobilization for fracture
und das Handgelenk in Pronation und Supination krankengym- of the carpal scaphoid bone. Acta Chirurg Scand 128: 42–45
nastisch beübt werden. Eine Vollbelastung kann nach 10–12 Wo- Buck-Gramcko D (1985) Karpale Instabilität. Handchirurgie 17: 188–193
chen erfolgen. Die Entfernung der Platte sollte, wenn überhaupt Buck-Gramcko D, Hoffmann R, Neumann R (1989) Der Handchirurgische
noch, 12–18 Monate nach Implantation erfolgen. Notfall. 2. Aufl. Hippokrates, Stuttgart
Weiterführende Literatur
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30

Idiopatische Mondbeinnekrose
Markus Gabl, Rohit Arora

30.1 Allgemeines – 750


30.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 750
30.1.2 Epidemiologie – 751
30.1.3 Ätiologie – 751
30.1.4 Diagnostik – 752
30.1.5 Klassifikation – 753
30.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 754
30.1.7 Therapie – 760
30.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 760
30.2 Spezielle Techniken – 760
30.2.1 Operationstechnik der Verkürzungsosteotomie des Radius – 760
30.2.2 Technik der Entnahme des gestielten vaskularisierten Knochenspans
vom 4./5. Extensorkompartment nach Moran – 761
30.2.3 Technik der Entnahme des palmaren vaskularisierten Knochenspans
nach Kuhlmann/Mathoulin – 761
30.2.4 Technik des Os-pisiforme-Transfers nach Beck – 761
30.2.5 Technik der Entnahme des freien vaskularisierten Knochentransplantats
vom medialen Kondylus nach Masquelet – 763
30.2.6 Technik der Entnahme des freien mikrovaskulären vorderen Beckenkammspans nach Taylor – 763
30.2.7 Skaphoid-Trapezium-Trapezoideum-(STT-)Arthrodese – 763
30.2.8 Skaphokapitäre (SC-) Arthrodese – 763
30.2.9 Radioskapholunäre (RSL-) Arthrodese – 763
30.2.10 Operation nach Graner II – 764
30.2.11 Technik der Kallusdistraktion des Os capitatum – 764
30.2.12 Technik der Resektion der proximalen Karpalreihe – 765
30.2.13 Technik der kompletten Handgelenkarthrodese – 765
30.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 765
Weiterführende Literatur – 766

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


750 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

30.1 Allgemeines tum. Beim flachen Typ des Os capitatum (65%) fanden sie kleine
Gelenkflächen beider Typen des Os lunatum, beim sphärischen
Von Anatomen wurden im 19. Jahrhundert abnorme Variationen Typ des Os capitatum (22%) betrug die Gelenkfläche des Os luna-
des Mondbeins beschrieben und als »Lunatum partitum, bipar- tum Typ 2 bis zu 4 mm und beim V-geformten Os capitatum (14%)
titum, hypo- oder epilunatum« benannt. Pfitzner (1900) stellte fanden sie nur ein Os lunatum des Typs 2 vor mit großer Gelenk-
erstmals die Frage, ob es sich bei dieser Veränderung des Mond- fläche zum Os hamatum.
beins als »Produkt eines Zerfalles durch Entartungserscheinungen« Die Gefäßversorgung des Os lunatum ist inkonstant. Nur we-
handelt und Wolff (1903) sah die Mondbeinnekrose verursacht nige Foramina nutritia sind an der größeren palmaren und der
durch Kompression zwischen Radius und Kopfbein. Robert Kien- kleineren dorsalen Fläche des Os lunatum zu sehen. Gelbermann
böck (1910) veröffentlichte eine detaillierte Symptomatologie mit et al. (1980) beschrieben drei häufig vorkommende intraossäre
radiologischer Beschreibung der Veränderung des Mondbeins und Verzweigungsmuster. Der Y-förmige Typ (59%) zeigt 2 palmare
benannte diese Erkrankung als Lunatummalazie. Als Ursache für Zuflüsse aus der A. ulnaris und der A. interossea anterior sowie
diese Veränderung vermutete Kienböck eine »perilunäre Dorsallu- einen dorsal aus der A. radialis. Der I-förmige Typ (31%) weist
xation der Hand von momentaner Dauer«, begleitet von einer Zer- einen dorsalen und einen palmaren Zustrom auf, der X-förmige
30 rung der Bandstrukturen und Ruptur der Gefäße des Mondbeins. Typ (10%) jeweils zwei dorsale und 2 palmar zuführende Gefäße
Er betonte, dass die beschriebenen Traumata zu gering seien, um (⊡ Abb. 30.3). Lee (1963) fand in 26% ein einzelnes arterielles Gefäß
eine Fraktur zu verursachen, und dass die bei einer Lunatummala- entweder von dorsal oder palmar, 8% hatten palmare und dorsale
zie beobachteten Frakturen nur bei einem pathologisch geschwäch- Gefäße ohne intraossäre Anastomose, die Verbleibenden zeigten
ten Knochen möglich seien. Im Gegensatz zu dieser Theorie der keine intraossären Anastomosen. Lamas et al. (2001) beschreiben
Durchblutungsstörung wurde argumentiert, dass nach Luxation 1–3 Foramina nutritia am dorsalen Horn des Mondbeins und eine
des Mondbeins keine »Lunatummalazie« bislang beobachtet wur- größere Anzahl von 1–5 palmar.
de. Diese Hypothesen prägen die Diskussion zur Entstehung der Die Gefäßversorgung verläuft entlang dem Ansatz einzelner
Mondbeinnekrose bis heute. karpaler Bandstrukturen (RSL, RL, DIC, DCL). Sie schließen da-
Die idiopathische Mondbeinnekrose ist ein destruierender, raus, dass Schädigungen der Bandstrukturen durchaus auch die
progredient verlaufender Krankheitsprozess des Handgelenks. Mit arterielle Versorgung des Os lunatum beeinflussen können.
einer verfeinerten Diagnostik können heute einzelne Krankheits-
stadien differenziert werden, die als Basis für neue Therapieansätze
dienen.

30.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und


Physiologie

Das Os lunatum ist in dorsopalmarer Richtung keilförmig ausge-


richtet, gegenläufig zur palmaren Kippung der Radiusgelenkfläche.
Es grenzt an die Fossa lunata des Radius, das Os capitatum, das
Os scaphoideum, das Os triquetrum und variabel an das Os ha-
matum. Es ist nach proximal konvex, nach distal konkav geformt
und palmar breiter als dorsal. Es misst dorsopalmar durchschnitt-
lich 19,7 mm, radioulnar 18 mm und von proximal nach distal
13,4 mm. (⊡ Abb. 30.1)
Die Ausformung einer Gelenkfläche zum Os Hamatum be-
steht in 65,5%. Liegt diese Gelenkfläche vor, spricht man vom Os
Lunatum Typ 2. Eine signifikante Häufung einer Arthrose wurde
beim Os Lunatum Typ 2 mit einer Gelenkfläche zum Os Hamatum
größer als 3 mm beschrieben (⊡ Abb. 30.2).
Yazaki et al. (2008) beobachteten einen Zusammenhang der ⊡ Abb. 30.2 Das Mondbein Typ 2 besitzt eine differenzierte Gelenkfläche
2 Formen des Os lunatum und der 3 Ausprägungen des Os capita- zum Os hamatum

palmar radial dorsal ulnar

⊡ Abb. 30.1 Topografie des Os lunatum


30.1 · Allgemeines
751 30

a b c

59% 31% 10%

⊡ Abb. 30.3 Blutversorgung des Os lunatum nach Gelbermann. a Der Y-förmige Typ (59%) zeigt 2 palmare Zuflüsse aus der A. ulnaris und der A. interossea
anterior sowie einen dorsal aus der A. radialis. b Der I-förmige Typ (31%) weist einen dorsalen und einen palmaren Zustrom auf. c Der X-förmige Typ (10%)
hat jeweils 2 dorsale und 2 palmar zuführende Gefäße

30.1.2 Epidemiologie Mondbein bestehend aus einem weichen Knochenkern, umgeben


von einer zähen, elastischen knorpeligen Kapsel, die durch eine
Nach Decoulx et al. (1957) tritt der Morbus Kienböck meist bei kurzzeitige Kompression nicht geschädigt wird und sich nach
Männern im Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 40. Lebens- Einwirken der Kraft wieder entfaltet, beschleunigt auch durch
jahr auf. Die Erkrankung ist unilateral, wobei beide Seiten gleich den intraossären Druck der Blutung. Stahl (1947) beschrieb die
häufig betroffen sind. Im eigenen Krankengut aus den Jahren Entstehung der Mondbeinnekrose als Folge eines Handgelenk-
1995–2004 waren von 88 Patienten 61 Männer betroffen. Eine traumas. Repetitive übermäßige Krafteinwirkung führt demnach
maximale Häufung trat zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr auf, zu wiederholten Mikrofrakturen und zur Nekrose der Trabekel.
ein weiterer Gipfel bestand zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Dabei besteht ein »Nußknackereffekt« zwischen Kopfbein und Ra-
Schmerz und Kraftverlust traten am häufigsten im Stadium 3a dius einerseits und dem relativ elastischen Dreieckknorpel (TFC)
auf, vermutlich durch Veränderungen der karpalen Gefügestörung andererseits, der zu einer ungleichen intraossären Stressverteilung
durch den eingetretenen Kollaps des Os lunatum. Eine Lunatum- im Os lunatum führt. Für die traumatische Genese spricht, dass
nekrose im Kindesalter ist selten. Die erst im späteren Lebens- viele Patienten ein Trauma beschreiben (Stahl), leider aber nur in
abschnitt sich klinisch manifestierende Lunatumnekrose scheint seltenen Fällen eine Frakturlinie oder eine skapholunäre Dissozia-
einen anderen Verlauf zu haben und sollte ebenfalls gesondert tion nachweisbar ist. Über den natürlichen Verlauf über mehrere
betrachtet werden. Stadien ist nur wenig berichtet.

Anatomische Formvarianten
30.1.3 Ätiologie Gegenwärtig wird die Bedeutung anatomisch prädisponierender
Formvarianten der Handwurzelknochen näher untersucht. So
Die Entstehung einer avaskulären Osteonekrose des Os lunatum ist scheint die trapezoidale Form des Os lunatum, die Ausprägung der
bis heute nicht gesichert. Gelenkfläche zum Os hamatum eines Os lunatum des Typs 2, die
Entsprechend des jeweiligen Wissenstandes wurde das Krank- radiale Inklination des Radius und die Abdeckung des Os lunatum
heitsbild bisher auch als septische, aseptisch-avaskuläre Nekrose durch die distale Radiusgelenkfläche untersucht.
des Os lunatum bezeichnet.
Vaskuläre Faktoren
Als möglicher auslösender Faktor bei der Entstehung einer Lu-
Hypothesen zur Entstehung der Lunatumnekrose natumnekrose wird auch eine Schädigung der Gefäßversorgung
▬ Akutes Trauma des Os lunatum diskutiert. Die Formvielfalt des extraossären Ge-
▬ Repetitives Trauma fäßnetzes und die Variabilität intraossärer Anastomosen können
▬ Anatomische Prädisposition dabei prädisponierend sein, ein minimales Trauma Ursache einer
▬ Vaskulitis (Raynaud, SLE, Sklerodermie) Schädigung der Endstrombahn, die bei fehlender Anastomose zur
▬ Virale Infektion (Reaktive Arthritis, HIV) partiellen Nekrose des Os lunatum führen kann. In Anlehnung an
▬ Koagulopathie (Sichelzellanämie) die Pathogenese der Femurkopfnekrose (Morbus Perthes) wird
▬ Kongenital erworben auch eine venöse Abflussstörung als Ursache diskutiert, bei der bei
▬ Steroide Hyperextension des Handgelenks der Blutstrom stagniert und sich
▬ M. Caisson Thromben bilden, welche die Infarzierung einleiten. Nachweis-
bar ist ein erhöhter intraossärer Druck. Schiltenwolf et al. (2001)
untersuchten die Bedeutung des intraossären Drucks hinsichtlich
Biomechanische Faktoren der Pathogenese des M. Kienböck und fanden die Ursache für die
Einen bedeutenden Ansatz zur Entstehung der Lunatumnekrose pathologische Drucksteigerung im gestörten venösen Abfluss. Der
lieferten die biomechanischen Untersuchungen von Hulten (1928), venöse Abfluss wurde von Pichler und Putz (2003) dann näher un-
die eine vermehrte Inzidenz der Erkrankung bei Ulnaminus-Vari- tersucht. Sie fanden ein dorsal und palmar gelegenes feines Venen-
ante des distalen Radioulnargelenks zeigten. Hulten beschrieb das geflecht, das im festen periostalen Bindegewebe eingeflochten ist.
752 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

Dieses scheint den schwächsten Punkt der venösen Drainage dar- xation des Kahnbeins, sowie die Proximalisierung des Kopfbeins.
zustellen, auch durch die kleine Kontaktfläche des hemizirkulären, Nur in geringem Maß weicht das Dreieckbein nach ulnar ab. Es
großteils knorpelig überzogenen Mondbeins. Für eine vaskuläre resultieren Arthrosen, ein karpaler Kollaps ist eingetreten.
Genese spricht auch das seltene Auftreten einer Lunatumnekrose
bei Sichelzellanämie oder bei Zerebralparese mit Beugekontraktur
des Handgelenks oder anderer Vaskulitiden. 30.1.4 Diagnostik

Pathogenese Klinische Symptomatik


Erste histologische Untersuchungen von Baum (1913) und Rütt-
> Der Beginn der Erkrankung verläuft meist asymptomatisch.
ner (1946) zeigten bei einem Krankheitsbild von 2 und 4 Jahren
eine Zertrümmerung und Nekrose der Spongiosa mit verzögerter Als frühes Symptom manifestieren sich unspezifische Handgelenk-
und inkompletter kallöser Heilung, bei einem Krankheitsbild von schmerzen, die häufig denen einer Tendovaginitis gleichen und thera-
2 Monaten Frakturen mit frischen Einblutungen und begrenzten pieresistent verlaufen. Zunehmend stellen sich Belastungsschmerzen
Nekrosen. Trumble und Irvin (1990) bestätigten in ihren Unter- ein, das Handgelenk ist im Bereich des Mondbeins druckschmerz-
30 suchungen einen dynamischen Knochenumbauprozess. Demnach haft, die Kraft ist gemindert. Mit dem Auftreten einer Fraktur des
treten in umschriebenen, avaskulären Zonen, osteopenische Ver- Mondbeins und dem Eintreten des Mondbeinkollaps, dem »point of
änderungen des Knochens auf. In diesem osteologisch minderak- no return«, treten starke Schmerzen auf, die nach Monaten wieder
tiven Areal zeigen sich Trabekeleinbrüche, die von der Umgebung abklingen können. Im späteren Stadium imponieren die Zeichen der
mit fibrovaskulärem Bindegewebe zunächst reparativ aufgefüllt Handgelenkinstabilität mit konsekutiver Arthrose. Das Hauptsymp-
werden. Aus noch nicht bekannten Gründen wandelt sich dieses tom des Morbus Kienböck ist der Handgelenkschmerz.
Gewebe jedoch nicht in Knochensubstanz um. Am klassischen
> Klinische Symptome
Bild dieser Veränderung ist ein makroskopisch dreischichtiger
▬ Frühstadium: Schwellung, unspezifischer Handgelenk-
Aufbau der Knochenstruktur zu sehen (⊡ Abb. 30.4).
schmerz, Discomfort
In typischer Weise beginnt die Osteonekrose des Mondbeins
▬ Lunatumkollaps: plötzlicher Schmerz unfall- oder be-
proximal subchondral. Nach anfänglichen Reparationsversuchen
lastungsabhängig, Abklingen der Beschwerden nach
sklerosiert der angrenzende Bereich. In der mittleren Schicht
wenigen Monaten
der Reparationszone befindet sich fibrovaskuläres Bindegewebe,
▬ Spätstadium: Arthroseschmerz, Funktionsverlust
das sich radiologisch kalkarm darstellt. Der distale Abschnitt des
Mondbeinkörpers mit den Vorder- und Hinterhörnern zeigt am
längsten vitales Knochengewebe. Wie neuere Studien zeigen, ist die Bildgebende Verfahren
Lokalisation und Ausdehnung dieser osteologisch inaktiven Zonen Die Diagnose einer Mondbeinnekrose erfolgt durch bildgebende
variabel, was zu einem unterschiedlichen Frakturmuster führt. Je- Verfahren, mit deren Hilfe das Stadium der Erkrankung und ana-
denfalls werden derart separierte Areale des Knochens nekrotisch. tomische Besonderheiten erfasst werden können.
Das Mondbein verliert in weiterer Folge bei gleichbleibender Belas- Von entscheidender Bedeutung in der bildgebenden Abklärung
tung an Höhe, sinkt zusammen und frakturiert – ein Lunatumkol- ist die Früherkennung des M. Kienböck und die Früherkennung
laps ist eingetreten. Die verringerte Höhe des Mondbeins führt zu des beginnenden Mondbeinkollaps, dem »point of no return« im
einer karpalen Gefügestörung mit fortschreitendem Höhenverlust natürlichen Krankheitsverlauf.
der Handwurzel und Störung des gesamten karpalen Bandsystems. Die konventionelle Röntgenaufnahme bleibt die Basisuntersu-
Radiologisch auffallend ist dabei eine scheinbare Rotationssublu- chung. Zur Abklärung eines Verdachts auf eine vorliegende prära-
diologische Veränderung des Os lunatum ist die Magnetresonanz-
tomografie indiziert. Besteht ein Hinweis auf Konturverformung
des Os lunatum kommt die Computertomografie zum Einsatz.
> Differenzialdiagnose: Radiologisch abzugrenzen sind
intraossäre Zysten und Ganglien, Signalveränderungen
im MRT durch Druckbelastung bei ulnarem Impaktions-
syndrom, Frakturen des Mondbeins.

Konventionelle Röntgendiagnostik
Wichtige Voraussetzung für eine akkurate Beurteilung einer Mond-
beinerkrankung ist eine normierte Aufnahmetechnik des Handge-
lenks in Neutralstellung ( Kap. 29).
> Das konventionelle Röntgen ist die Basisdiagnostik der
Lunatumnekrose ( Abschn. 30.1.5.2).
Es zeigen sich Sklerosierungen der Trabekel und Grenzlamel-
len, fleckige oder zystische Aufhellungen, teilweise begrenzt von
Sklerosesäumen. Dadurch wirkt die Knochendichte inhomogen.
Von Bedeutung ist auch eine Formveränderung des Mondbeins,
wobei die Nekrose oft subchondral an der proximalen konvexen
⊡ Abb. 30.4 Zonen der Mondbeinnekrose: proximale Nekrosezone, mittlere Gelenkfläche beginnt und Konturverformungen, Frakturen und
Regenerationszone, distale Vitalitätszone Fragmentation auftreten können. Das Os scaphoideum erscheint
30.1 · Allgemeines
753 30
flektiert. Die Unterscheidung zwischen den Stadien 3a und 3b er- Für die präoperative Planung ist der Nachweis einer Fraktur
folgt anhand der Rotationsfehlstellung des Os lunatum mit einem und deren Verlauf von Bedeutung, wobei auf ein koronares Frak-
SL-Winkel über 60°, dem Höhenindex nach Stahl (⊡ Abb. 30.5), turmuster besonders geachtet werden soll.
dem Kapitatumindex nach Nattrass und dem karpalen Höhenin-
dex nach Youm ( Kap. 29). Arthroskopie
Die relative Verkürzung der Elle im Bezug zum Radius kann Die Beurteilung und Klassifikation des Knorpelschadens erfolgt
nur an normierten Aufnahmen und im a.-p. Strahlengang beur- arthroskopisch. Sie ist hilfreich bei der Indikation rekonstruktiver
teilt werden. Nach Hulten können Ulna-plus-, Ulna-minus- und Eingriffe und unterstützt die Auswahl sekundärer Rekonstrukti-
Ulna-Null-Varianten unterschieden werden. Die Extremausschläge onsverfahren. In der Arthroskopie kann der Knorpelzustand der
bertragen ±2 mm ( Kap. 33). perilunären Gelenksituation erfasst werden. Nach Lokalisation des
Knorpelschadens sind 4 arthroskopische Stadien zu unterscheiden
Magnetresonanztomografie (⊡ Tab. 30.3). Im Frühstadium sind synovitische Veränderungen zu
Im Frühstadium der Lunatumnekrose ist die Magnetresonanz- beobachten.
untersuchung von wesentlicher Bedeutung. Mit ihr lässt sich ein
Ödem von einer partiellen Nekrose oder kompletten Nekrose des
Os lunatum differenzieren. Das pränekrotische Stadium muss als 30.1.5 Klassifikation
Knochenmarködem diagnostiziert werden und darf nicht als Nek-
rose fehlgedeutet werden. Die Lunatumnekrose kann aufgrund mehrerer Kriterien klassifi-
ziert werden:
> Entscheidend zur Darstellung von Osteonekrosen ist der
▬ Lebensalter,
Einsatz eines intravenösen Kontrastmittels.
▬ röntgenologischer Befund,
Besondere Bedeutung hat die Magnetresonanztomografie in der ▬ kernspintomografischer Befund,
Frühdiagnostik vor dem radiologischen Stadium 1 nach Licht- ▬ arthroskopischer Befund.
man. In diesem Stadium ruft die Ischämie ein Knochenmarködem
hervor. Nach Absterben der Fettmarkzellen kommt es zu einem Lebensalter
intensiven Signalverlust. Somit lassen sich bereits pathologische Die Genese der Lunatumnekrose bleibt bislang ebenso unklar wie
Veränderungen feststellen, bevor erste radiologische Zeichen er- der natürliche Krankheitsverlauf. Dennoch hat sich die Einteilung
sichtlich sind. Ihre Ergebnisse sind entsprechend der untersuchten nach Manifestation und Lebensalter zum Zeitpunkt der Erstmani-
Gewebe nicht identisch mit der radiologischen Klassifikation. In festation als hilfreich erwiesen:
diesen frühen Stadien der Erkrankung kann man korrekterweise
> Infantile Lunatummalazie – meist selbstheilend
nicht von einer Knochennekrose ausgehen (⊡ Tab. 30.2).
▬ Juvenile Lunatummalazie – mit zunehmenden Alter
Computertomografie progredienter Verlauf
▬ Lunatumnekrose Erwachsenenalter – progredienter
Mit der Computertomografie in Feinschichtung sind eine Sklero-
Verlauf
sierung, pseudozystische partielle Nekrosezonen, Frakturierungen
▬ Lunatumnekrose im höheren Alter – ab dem 60. Lebens-
und Deformierungen des Os lunatum früher zu erkennen und
jahr auch stagnierender Verlauf
genauer zu lokalisieren. Die Einstufung des Krankheitsbildes ist
im Vergleich zur konventionellen Bildgebung meist um einen Grad
erhöht. Die Computertomografie ist besonders zur Abklärung des Röntgenologische Stadien der Erkrankung
Stadiums 3a von zunehmend großer klinischer Bedeutung. Eine erste Stadieneinteilung im konventionellen Röntgen erfolgte
1957 durch Decoulx und Mitarbeiter. Die heute am häufigsten
verwendete Einteilung ist jene nach Lichtman und Ross (1994), sie
berücksichtigt sowohl klinische als auch radiologische Parameter
(⊡ Abb. 30.6).
Dabei ist das Stadium 1 durch eine diffuse Sklerosierung im
trabekulären Bereich gekennzeichnet. Eine Formveränderung
des Os lunatum ist noch nicht eingetreten. Im Stadium 2 treten
zystische Einschlüsse hinzu, die Kontur des Mondbeins ist erhal-
ten. Das Stadium 3 weist eine Formveränderung des Mondbeins
auf, häufig mit einer typischen subchondralen Aufhellung, mit
sichtbarer Abflachung der proximalen konvexen Gelenkform,
die aber auch Folge zentraler Einbrüche mit plastischer Ver-
formung oder Folge der Dislokation nach Frakturen sein kann.
Mit dem Kollaps des Os lunatum ist jener Punkt im natürli-
chen Verlauf der Mondbeinnekrose eingetreten, ab dem eine
selbstheilende morphologische Restitutio nicht mehr möglich
ist. Durch den Höhenverlust des Os lunatum verändert sich die
Position der Handwurzelknochen, die auch zu einer vermehrten
Rotationssubluxation des Os scaphoideum führt, Stadium 3b.
Mit den nunmehr eingetretenen Veränderungen dominiert die
⊡ Abb. 30.5 Höhenindex nach Stahl: Quotient aus longitudinalem und Problematik der karpalen Instabilität das Krankheitsbild. Im
sagittalem Diameter des Os lunatum (Norm: 0,53). (Aus Sennwald 1988) Stadium 4 ist das Os lunatum fragmentiert, kollabiert, skle-
754 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

rotisch, das Handgelenk ist arthrotisch verändert (⊡ Tab. 30.1, Arthroskopische Stadien der Erkrankung
⊡ Abb. 30.6). In Stadium 1 besteht eine Knorpelschädigung im Bereich der
proximalen Gelenkfläche des Os lunatum. Im Stadium 2 ist zu-
Kernspintomografische Stadien der Erkrankung sätzlich die Fossa lunata radii betroffen. Im Stadium 3 kommt
Im MR-Stadium 1 (Ödem) ist das T1-Signal erniedrigt, es zeigt sich eine Knorpelschädigung im Bereich der distalen Gelenkfläche
ein homogenes Bild nach Kontrastmittelgabe. Im MR-Stadium 2 des Os lunatum hinzu. Im Stadium 4 ist zusätzlich noch die
(partielle Nekrose) ist das T1-Signal erniedrigt, nach Kontrastmit- proximale Gelenkfläche des Os capitatum arthrotisch verändert
telgabe zeigt sich ein fleckig inhomogenes Bild. Im MR-Stadium 3 (⊡ Tab. 30.3).
(komplette Nekrose) ist das T1-Signal erniedrigt, nach Kontrast-
mittelgabe zeigt sich keine Anreicherung (⊡ Tab. 30.2).
30.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie

Hundert Jahre nach der ersten Beschreibung der aseptischen


Mondbeinnekrose durch Kienböck gibt es nach wie vor keine
30 eindeutige evidenzbasierte und überlegene Therapieoption dieser
Erkrankung. Dies ist u. a. auch dadurch begründet, dass bisher
weder die Ätiologie noch die Pathogenese dieser Erkrankung defi-
niert werden konnte.
Langzeitstudien nach konservativer Therapie zeigen einen pro-
gressiven Verlauf der Erkrankung mit Fortschreiten des karpalen
I II Kollaps, der durch die Immobilisation im Gipsverband nicht ver-
hindert werden kann. Jedoch nicht jede radiologische Verschlech-

⊡ Tab. 30.3 Arthroskopische Stadieneinteilung der Lunatumnekrose


nach Bain

Stadium 1 Proximale Gelenkfläche des Os lunatum

Stadium 2 Stadium 1 plus Fossa lunata radii


IIIa IIIb IV
Stadium 3 Stadium 2 plus distale Gelenkfläche des Os lunatum
⊡ Abb. 30.6 Röntgenologische Stadieneinteilung der Lunatumnekrose nach
Stadium 4 Stadium 3 plus proximale Gelenkfläche des Os capitatum
Decoulx, modifiziert nach Lichtman. (Aus Nakamura 1992)

⊡ Tab. 30.1 Röntgenologische Stadieneinteilung der Lunatumnekrose nach Decoulx, modifiziert nach Lichtman

Stadium Binnenstruktur Äußere Form Nachbarknochen Besonderheiten

1 Unauffällig Unauffällig Unauffällig Diagnose nur durch MRT


nachweisbar

2 Fleckige Sklerose, zystische Ein- Unauffällig, evtl. angedeuteter be- Unauffällig


schlüsse, Verlust der normalen ginnender Zusammenbruch radial
Trabekelstruktur proximal

3a Frakturierung an der proxima- Gering deformiert Unauffällig Mondbeinkollaps, karpale


len Zirkumferenz Architektur erhalten

3b Frakturierung, zunehmende Zunehmend deformiert Vermehrte Flexionsstel- Karpaler Kollaps, Flexionsstel-


Verdichtung lung des Skaphoids lung des Os scaphoideum

4 Starke Verdichtung, zusammen- Stark höhengemindert, Karpaler Kollaps, perilu-


gesintert arthrotische Randzacken näre Arthrose

⊡ Tab. 30.2 Kernspintomografische Stadieneinteilung der Lunatumnekrose nach Schmitt u. Lanz

Stadium Signal in nativer T1-Sequenz Signalverstärkung nach Kontrastmittel Pathologie

MR 1 Niedrig Homogen vermindert Ödem

MR 2 Niedrig Fleckig inhomogen Partielle Nekrose

MR 3 Niedrig Fehlend Komplette Nekrose


30.1 · Allgemeines
755 30
terung korreliert mit klinischen Befunden. Oftmals präsentieren Druckentlastende Verfahren
sich Patienten mit radiologisch weit fortgeschrittenem karpalem Die Verfahren zur Druckentlastung setzen am Karpus oder an
Kollaps mit guter Handgelenkfunktion und geringen Schmerzen. Radius und Ulna an.
Chirurgische Therapie wird generell bei symptomatischen Patien- Alle interkarpalen Arthrodesen bezwecken den schädigenden
ten empfohlen. direkten Druck auf das Mondbein durch Verteilung auf benach-
Die Therapieoptionen der symptomatischen aseptischen barte Karpalknochen zu verringern und somit zur indirekten Re-
Mondbeinnekrose basieren auf der jeweiligen Stadieneinteilung vaskularisierung des Mondbeins durch selbstheilende Reparation
sowie auf dem Ausmaß der vorbestehenden Ulnavarianz. Man beizutragen. Nachteile der interkarpalen Arthrodesen sind die
unterscheidet zwischen: hohe Nichtheilungsrate, die Verlagerung der Druckverhältnisse auf
▬ Eingriffen am Mondbein bzw. Handgelenk und gesunde Gelenkabschnitte und die Verminderung des postoperati-
▬ zusätzlichen Therapiemaßnahmen. ven Bewegungsausmaßes.

Eingriffe am Mondbein bzw. Handgelenk Skapho-Kapitatum-Arthrodese. Mit einer Arthrodese von Skap-
Prinzipiell können die vielfältigen Therapieoptionen nach ihrer hoid und Kapitatum soll die Migration des Kapitatums bei fortschrei-
Zielsetzung in drei Kategorien zusammengefasst werden: tendem Verlust der karpalen Höhe durch Kollaps des Mondbeins
1. biomechanische Druckentlastung des Mondbeins, verhindert werden. Dabei werden über einen streckseitigen Zugang
2. Vaskularisierung des Mondbeines mit Knochentransplantaten die Gelenkflächen zwischen Kapitatum und Skaphoid entknorpelt
und und die spongiösen Knochenflächen mit Kirschner-Drähten oder
3. »Rettungsoperationen« bei eingetretener Arthrose im fortge- kopflosen Schrauben miteinander fusioniert ( Abschn. 29.2.10). Auf
schrittenen Stadium. die Stellung des Skaphoids ist zu achten, da eine Fixierung in mehr
als 60° Beugung zu einer deutlichen Bewegungseinschränkung führt.
Stadium 1 nach Lichtman Biomechanische Beobachtungen zeigten jedoch, dass die SL Arth-
Immobilisation rodese zu keiner für das Mondbein relevanten Druckentlastung des
Stahl und Kuhlmann berichteten im Jahre 1947 über erste klini- radiolunären Gelenks führt. Auch war zu sehen, dass die Druckver-
sche Ergebnisse der Behandlung der aseptischen Mondbeinne- teilung auf das Kahnbein und somit auf die Fossa scaphoidea zur
krose nach Immobilisation der Hand im Gipsverband. Die Au- Entwicklung einer radioskaphoidalen Arthrose führte.
toren konnten bei 50% der Patienten Schmerzfreiheit und eine
Remission der Erkrankung erzielen. 1977 berichteten Lichtman Skaphoid-Trapezium-Trapezoideum-(STT-)Arthrodese. Eine
et al. über 22 Patienten mit aseptischer Mondbeinnekrose, die im Arthrodese von Skaphoid, Trapezium und Trapezoideum führt zu
Gipsverband behandelt wurden. Siebzehn Patienten zeigten einen einer Druckentlastung des Mondbeins und wirkt somit einem kar-
progressiven karpalen Kollaps und 19 Patienten waren aufgrund palen Höhenverlust entgegen ( Abschn. 29.2.9). Über einen dorsalen
der anhaltenden Schmerzen unzufrieden. S-förmigen Zugang werden die Gelenke zwischen Skaphoid, Trape-
Eine Gipsfixation des Handgelenks mit Einschluss des Dau- zium und Trapezoideum dargestellt und entknorpelt. Je ein Kirsch-
mengrundgelenks kann je nach Schmerzsymptomatik für bis zu ner-Draht wird von dorsal in das Trapezium und das Trapezoideum
6 Monaten durchgeführt werden. Retrospektive Vergleichsstudien eingebracht und nach Reposition des Skaphoids auf 60° Beugung
zwischen konservativer Therapie und Radiusverkürzungsosteoto- vorgetrieben. Die Defekte werden zusätzlich mit Spongiosa aus dem
mie zeigten allerdings deutlich bessere Ergebnisse zugunsten der distalen Radius oder dem vorderen Beckenkamm aufgefüllt. Eine
Radiusverkürzungsosteotomie. Bei symptomatischer aseptischer postoperative Ruhigstellung im Unterarmgips für 6 Wochen und
Mondbeinnekrose wird die konservative Therapie nur noch im die Entfernung der Kirschner-Drähte nach durchbauter Arthrodese
Stadium 1 und im Kindesalter eingesetzt. sind erforderlich. Zusätzlich kann das kollabierte Mondbein entfernt
und durch ein Sehneninterponat ersetzt werden. Die Entfernung
Lunatumanbohrung nach Beck des Processus styloideus radii wird empfohlen, wenn intraoperativ
Wird als Ursache der aspetischen Mondbeinnekrose eine venöse eine Impaktion des Trapeziums bei Radialduktion beobachtet wird.
Abflussstörung angenommen, kann man versuchen durch An- Langzeitstudien zeigten jedoch, dass die Druckverlagerung auf das
bohren des Mondbeins den intraossären Druck zu senken, um Kahnbein und in Folge auf die Fossa scaphoidea des Radius letztend-
eine Verbesserung der Zirkulation zu erzielen. In der Bildgebung lich zur Entwicklung einer radioskaphoidalen Arthrose führte.
konnte bislang allerdings keine Verbesserung der Mondbeindurch-
blutung nachgewiesen werden und auch im längerfristigen Verlauf Druckentlastende Therapieoptionen – Niveauangleichende
wurde das Eintreten eines karpalen Kollaps nicht verhindert. Die Maßnahmen
Schmerzen konnten kurzfristig gelindert werden. Kapitatumverkürzungsosteotomie. Hori et al. (1990) führten
bei Patienten mit Ulna-plus-Variante eine Verkürzung des Kopf-
Stadium 2 nach Lichtman beins durch, um das Mondbein zu entlasten. Dabei wurde eine Re-
Arthroskopisches Débridement duktion der Druckbelastung des Mondbeins auf 66% erreicht. Die
Die zunehmende Erfahrung mit der Handgelenkarthroskopie er- Druckbelastung auf das Skaphotrapezoidalgelenk stieg auf 150%.
möglicht heute auch einen minimalinvasiven Therapieansatz. Vor Als problematisch erwies sich das Auftreten einer avaskulären
allem das arthroskopische Débridement der schmerzverursachen- Nekrose des proximalen Kapitatfragments. Auch wurde über die
den Begleitsynovitis im Stadium 2 hat sich als vorübergehende Entwicklung einer sekundären Arthrose des Skaphotrapezoidalge-
minimalinvasive Maßnahme zur Verbesserung der Schmerzsymp- lenks berichtet.
tomatik bewährt.
Die Mondbeinnekrose im Stadium 2 kann entweder mit druck- Radiusverkürzung- und Ulnaverlängerungsosteotomie. Bei
entlastenden Verfahren oder mit gestielten, lokalen Knochenplasti- der Radiusverkürzung und Ulnaverlängerungsosteotomie werden
ken behandelt werden. die Gelenkkörper von Ulna und Radius im distalen Radioul-
756 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

nargelenk in ihrer Länge einander angeglichen. Niveauoperationen


an Radius und Ulna sollten nur bei vorbestehender Ulna-minus-
Variante durchgeführt werden. Als günstige Indikation gilt das frühe
Stadium der Erkrankung, solange das Mondbein nicht frakturiert
und fragmentiert ist. Prinzipiell ist die Radiusverkürzung technisch
leichter durchzuführen und unproblematischer als eine Ulnaverlän-
gerung. Bei Letzterer ist die knöcherne Heilung durch den korti-
kalen Knochenaufbau erschwert und eine Knochenplastik aus dem
Beckenkamm oder eine Kallusdistraktion zur Defektüberbrückung
erforderlich. Die Häufigkeit einer pseudoarthrotischen Heilung ist
ungleich höher, die Dauer bis zur knöchernen Festigung deutlich
länger. In einem direkten Vergleich zwischen Radiusverkürzungsos-
teotomie und konservativer Therapie konnte nach Verkürzung der R U
Speiche eine deutliche Verminderung der Schmerzen erzielt werden.
30 Leider zeigte sich aber auch, dass trotz der eindeutigen klinischen
Besserung, die natürliche Progression der degenerativen Verände-
rung durch die Radiusverkürzung nicht verhindert werden konnte.
⊡ Abb. 30.7 Lateral schließende Radiusosteotomie. Möglichst im meta-
> Bei einer Verkürzung des Radius ist auf die Form und Lage physären Abschnitt des distalen Radius wird ein lateraler Korrekturkeill
der Gelenkkörper des distalen Radioulnargelenks (DRUG) zu entnommen. Die Stabilisierung kann durch Schrauben- oder Plattenosteo-
achten. Ist das DRUG nicht parallel zur Verkürzungsachse des synthese erfolgen
Radius gerichtet, kann die Verkürzung zu einer Inkongruenz
des DRUG führen. Schmerzen bei der Unterarmumwendbe-
wegung und Arthrose können die Folge sein.
Trumble et al. (1986) konnten in einer Studie nachweisen, dass mit
einer Verkürzung des Radius von 2 mm ein Maximum an Druck-
entlastung für das Mondbein zu erreichen ist. Prinzipiell erfolgt die
operative Planung anhand eines präoperativen normierten Rönt-
genbildes im a.-p. Strahlengang. Die Osteotomie erfolgt über einen
radiopalmaren Zugang mit Entfernung eines Segments aus dem
metaphysären Bereich der distalen Speiche. Korrekturen auf Höhe
der kortikalen Radiusdiaphyse führen häufiger zu Pseudarthrosen.
Die osteotomierten Fragmente werden nach Technik der Plattenos-
teosynthese stabilisiert ( Abschn. 30.2.1). Durch die Verkürzung
sollen frakturerzeugende Scherkräfte neutralisiert werden. Der kor- a b
respondierende, über den ulnaren Speichenrand ragende Anteil des
Mondbeins wird durch den distalisierten Ellenkopf unterstützt. ⊡ Abb. 30.8 Metaphysäre Dekompression nach Illarramendi. a Dorsoradiale
Fenestrierung zwischen 1. und 2. Strecksehnenfach, b ausgiebige subchon-
Schließende laterale Radiusosteotomie (»radial closing dral reichende Kürettage der Spongiosa unter der Fossa lunata des distalen
wedge osteotomy«). Tsuge und Nakamura (1993) konnten Radius
nachweisen, dass die radiale Inklination bei Patienten mit Mond-
beinnekrose deutlich höher ist als bei Patienten ohne Mondbein-
nekrose. Liegt eine Ellen-Null-Variante vor oder besteht eine ana- metaphyse nach Illarramendi (2001) dar. Dabei wird nach einer Fe-
tomische Form des Mondbeins, die durch die Radiusgelenkfläche nestrierung der Speiche (⊡ Abb. 30.8a) im Bereich der Fossa lunata
nicht komplett abgestützt wird (»lunate cover ratio«), ist die laterale subchondral eine ausgiebige Kürettage der Spongiosa durchgeführt
Osteotomie der Speiche indiziert. Mit Abflachung des radioulnaren (⊡ Abb. 30.8b). Das Mondbein soll sich danach selbst regenerieren.
Winkels wird beabsichtigt, dass sich der Karpus nach radial verlagert Als Erklärung dient zum einen der reparative Frakturreiz mit
und die Druckbelastung des Mondbeins minimiert wird. Dazu wird vermehrter Vaskularisierung und zum anderen eine veränderte
aus dem Radius ein lateraler Keil entnommen, ohne das DRUG zu Druckübernahme durch die geschwächte Trabekelstruktur unter-
schädigen. Die Stabilisierung kann durch Schrauben- oder Platten- halb der Fossa lunata. Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer
osteosynthese erfolgen (⊡ Abb. 30.7). Korrekturen auf Höhe der kor- einfachen Durchführbarkeit ohne erforderliche postoperative Ru-
tikalen Radiusdiaphyse sind in ihrer Heilung problematischer. Gute higstellung. Langzeitergebnisse dieser Behandlungsoption liegen
klinische Ergebnisse konnten durch eine lateral schließende Os- noch nicht vor.
teotomie von 5–10° erzielt werden. Biomechanisch zeigte sich eine
günstige Druckverlagerung nach Osteotomie 5 cm proximal des Revaskularisierungsoptionen bei Mondbeinnekrose
Speichengriffelendes und Resektion eines Korrekturkeiles von 15° Hinsichtlich der vaskulären Genese der Erkrankung stehen auch
(Tsumara 1984). Nachteilig wurden die Entstehung einer Arthrose Verfahren zur Rekonstruktion der ossären Durchblutung zur Ver-
im DRUG und ein mögliches Impaktionssyndrom beschrieben. fügung.

Metaphysäre Dekompression nach Illarramendi. Einen inte- > Bei bereits eingetretenem Kollaps des Mondbeins kann mit
ressanten Therapieansatz zur Behandlung der Mondbeinnekrose druckentlastenden Verfahren die Progression des Krankheits-
im Frühstadium stellt die Kerndekompression der distalen Radius- verlaufs nicht mehr günstig beeinflusst werden.
30.1 · Allgemeines
757 30
Aspenburg et al. beobachteten, dass die Revaskularisierung zu ei-
ner passager vermehrten Aktivität der Osteoklasten führt und das
Transplantat während seiner Reorganisation biomechanisch ge-
schwächt ist. Sie folgerten, dass in dieser vulnerablen Phase stören-
de Kraftflüsse durch Kraftträger neutralisiert werden sollten, um
einen ungestörten biologischen Heilungsvorgang zu ermöglichen.
Vitalität und Stabilität bilden die beiden entscheidenden Säulen im
Behandlungskonzept der vaskularisierenden Verfahren.

Bohrung nach Beck. Als frühes Verfahren wurde die alleinige


Kürettage des nekrotischen Knochens durchgeführt. Das »avive-
ment« der indirekten Knochenheilung sollte zur Neogenese einer
gut vaskularisierten Spongiosa stimulieren. Dieses minimalinvasi-
ve Verfahren kann bei kleinsten Nekrosezonen zu durchaus güns-
tigen Ergebnissen führen, bei ausgedehnten Nekrosezonen sind die
Resultate jedoch enttäuschend.

Bohrung nach Beck und zusätzliche autologe Spongiosa-


plastik. Aus diesen Erfahrungen leitete sich die Auffüllung des
Defektes mit spongiösem Knochen ab. Die konventionell entnom-
mene, autolog transplantierte Spongiosa heilte mit Creeping-Sub- ⊡ Abb. 30.9 Zur Verbesserung der Vaskularität der frei transplantierten
stitution. Dem vorangehenden Knochenabbau folgt der Wieder- Beckenspongiosa verpflanzten Hori et al. (1979) zusätzlich ein metakarpales
aufbau durch Osteoblasten. Das Transplantat hatte keine trabekulär Gefäßbündel in das Mondbein
stabilisierende Funktion und war ohne vaskuläre Versorgung. Das
Verfahren wurde bei ausgedehnter Nekrose wegen der enttäu-
schenden Ergebnisse verlassen.

Bohrung nach Beck, autologe Spongiosaplastik und mikro-


chirurgische Implantation eines Gefäßstiels nach Hori. Um
die Durchblutung zu verbessern wurde von Hori et al. (1979) mit
der frei gewonnenen Beckenspongiosa ein metakarpales Gefäß-
bündel in das Mondbein verpflanzt (⊡ Abb. 30.9). Langzeituntersu-
chungen dieser Methode zeigten eine deutliche Schmerzreduktion,
eine Verbesserung der Griffstärke und des Bewegungsausmaßes.
Die radiologische Progression der Mondbeinnekrose konnte durch
diese Methode jedoch nicht verhindert werden. In Folge empfah-
len die Autoren dieses Verfahren in Verbindung mit einer Radius-
verkürzungsosteotomie oder mit einer interkarpalen Arthrodese
anzuwenden.

Gestielte vaskularisierte Knochentransplantate (Knochen-


transponate)
Mit lokal gestielten vaskularisierten Knochentransplantaten
(LVBG) der Hand kann nekrotischer Knochen gut ersetzt werden.
Als vaskularisierter, vitaler Knochen mit einem schon initial stabi- ⊡ Abb. 30.10 Schematische Zeichnung der Transplantationstechnik eines am
len trabekulären Aufbau und erhaltener, auch intraossärer Gefäß- M. pronator quadratus gestielten Knochenspans. (Aus Nakamura et al. 1992)
struktur sind wesentliche Voraussetzungen zum Wiederaufbau des
debridierten Mondbeins gegeben.
Lunatumaushöhlung und Transposition eines vaskulari-
Lunatumaushöhlung und Transposition des Os pisiforme sierten Knochenspans vom dorsalen distalen Radius nach
nach Beck. Mit der Transposition des lokal gefäßgestielten Os Moran. Moran et al. (2005) verwendeten einen vaskularisierten
pisiforme erfolgte bereits früh der Ersatz nekrotischer Mondbein- Knochenspan vom dorsalen distalen Radius gestielt an der dorsa-
abschnitte mit einem trabekulär intakten Knochentransplantat. len Interkompartmentarterie des 4. und 5. Strecksehnenfachs am
Die geringe anteroposteriore Ausdehnung des Erbsenbeins erlaubt distalen Radius zur Versorgung der Lunatumpathologie über einen
jedoch nur einen begrenzten Ersatz vorwiegend palmarer nekro- dorsalen Zugang ( Abschn. 30.2.5).
tischer Areale des Mondbeins im Stadium 1 und 2. Saffar (1982)
beschrieb die Transposition des gefäßgestielten Os pisiforme an Lunatumaushöhlung und Transposition eines vaskularisierten
die Stelle des zuvor exstirpierten Mondbeins. Maydell und Brüser palmaren myoossären Knochenspans gestielt am M. pronator
(2008) berichteten über gute klinische Langzeitergebnisse dieser quadratrus. Mathoulin und Wahegaonkar (2009) berichteten über
Methode zur Behandlung der Mondbeinnekrose im Stadium 3b den Einsatz eines am M. quadratus gestielten Knochenspans zur
nach Lichtman. Die Progression der Erkrankung konnte jedoch Behandlung der Lunatumnekrose (⊡ Abb. 30.10). Zu Problemen
nicht verhindert werden ( Abschn. 30.2.4). kann ein geringer Rotationsradius am proximalen Gefäßstiel füh-
758 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

ren, der die Implantation des Knochenspans im Mondbein er- Formung des Transplantats entsprechend der gesamten Ausdeh-
schwert. Der Schwenkradius kann durch partielle Mobilisation des nung des ausgehöhlten Mondbeins. Der Gefäßstiel wird mikro-
Muskelbauchs am ulnaren Ansatz erweitert werden (Kawaii). Rath chirurgisch an die A. ulnaris End-zu-Seit und an die Begleitvenen
erreicht einen ausreichend großen Schwenkradius, indem er den End-zu-End anastomosiert. Durch die Anwendung eines Fixateur
Knochenspan am R. communicans der A. interossea anterior distal externe mit Distraktionsmodul können die während der Heilungs-
gestielt belässt. Technisch anspruchsvoll bleibt das Heben eines phase störend einwirkenden Druckkräfte neutralisiert werden. In
ausreichend großen Knochenspans, das Zurechtformen und stabile einer Langzeitnachuntersuchung zeigte sich, dass die intraoperativ
Einbringen in das ausgehöhlte Mondbein, ohne den Gefäßstiel wiederhergestellte Lunatumhöhe über die durchschnittliche Nach-
dabei zu gefährden. untersuchungszeit von 13 Jahren erhalten und die Progression der
aseptischen Mondbeinnekrose verhindert werden konnte ( Ab-
Lunatumaushöhlung und Transposition eines vaskulari- schn. 9.2.10). Das Verfahren ist indiziert für das Stadium 3a. Bei
sierten palmaren Knochenspans nach Kuhlmann/Mathou- transversalem Frakturverlauf muss der Span ganz im Hinterhorn
lin. Durch Skelettierung des Gefäßstiels und distale Stielung lässt verankert sein. Mit seiner dichten trabekulären Struktur erweist er
sich der Schwenkradius eines vaskularisierten Knochenspans vom sich stabil genug, die über das Kopfbein spaltende Krafteinleitung
30 palmaren distalen Radius erhöhen ( Abschn. 9.2.6). zu kompensieren. Frakturen nahe dem Hinterhorn neigen eher
zur Dislokation und sollten bei Verdacht auf eine verbleibende
Freie gefäßgestielte Revaskularisierungsverfahren Frakturinstabilität zusätzlich von dorsal mitversorgt werden. Eine
Gabl et al. (2002) berichteten über die Ergebnisse eines freien ausreichend vorhandene Restdurchblutung des Hinterhorns ist in
gefäßgestielten Beckenkammtransplantats zur Behandlung einer dieser Situation für die knöcherne Heilung entscheidend.
Mondbeinnekrose im Stadium 3 nach Lichtman. Dabei wird ein
kortikospongiöser Knochenblock gestielt an der A. circumflexa Fortgeschrittenes Stadium 3
ilium profunda aus dem Beckenkamm entnommen (⊡ Abb. 30.11) Im Stadium 3b mit kollabiertem, fragmentiertem Mondbein und
und in das unter Schonung der intrinsischen Bandansätze aus- eingetretener Fehlstellung des Kahnbeins haben sich Rekonstrukti-
gehöhlte Mondbein (⊡ Abb. 30.11) eingepflanzt und stiftfixiert. onsverfahren nicht bewährt. Ab diesem Stadium sind Rettungsein-
Die ausreichend zur Verfügung stehende Spangröße erlaubt eine griffe (»salvage procedures«) indiziert. Die Wahl des Rettungsver-
fahrens richtet sich primär nach dem vorliegenden Knorpelscha-
den am Radius und den in Betracht kommenden Karpalia.

Lunatumexstirpation
Über gute klinische Ergebnisse durch partielle oder komplette
Exzision des Mondbeins wurde vereinzelt berichtet. Die Handge-
lenkschmerzen konnten dabei zwar kurzfristig gelindert, der pro-
gressive Kollaps im Langzeitverlauf aber nicht verhindert werden.
Die Lunatumexzision als alleinige Therapieoption kann aufgrund
des fortschreitenden karpalen Kollaps nicht mehr allgemein emp-
fohlen werden.

Lunatumexstirpation und Sehneninterposition


Ueba et al. berichteten über 15 Patienten, die mit Lunatumexzision
und Interposition eines Sehnenknäuels des M. palmaris longus be-
a handelt wurden. Postoperativ wurde ein Fixateur externe für insge-
samt 4 Wochen getragen. Nach durchschnittlich 16 Jahren zeigten
alle Patienten einen progressiven karpalen Kollaps mit deutlicher
Zunahme der Schmerzen.

Lunatumexstirpation und Implantation eines Spacer (Silikon,


Titan)
Silikonimplantate (⊡ Abb. 30.12) als Mondbeinersatz führten im
Langzeitverlauf zu schmerzhaften Synovitiden. Nach Einsatz von
Titanimplantaten (⊡ Abb. 30.13) wurden Luxationen des Implantats
in den Karpaltunnel mit neurologischen Folgen beobachtet. Auch
führten sie zu direkten Druckschäden an den angrenzenden Kar-
palknochen und wegen ihrer fehlenden ligamentären Einbindung
zu karpalen Instabilitäten mit arthrotischen Folgeschäden. Erste
Langzeitergebnisse über den Einsatz neuer Implantate aus Pyrokar-
bon stehen noch aus.
b
Lunatumexstirpation und Kapitatumverlängerungs-
⊡ Abb. 30.11 Freier mikrovaskulärer Beckenkammspan zur Revaskulari-
osteotomie nach Graner
sierung einer Lunatumnekrose Stadium 3a. a Das Mondbein wird unter Graner führte eine Mondbeinexzision mit gleichzeitiger Kapita-
Schonung der intrinsischen Bandansätze ausgehöhlt. b Das entnommene tumosteotomie durch. Dabei wird das Kapitatumkopfsegment an
Transplantat wird entsprechend dem Spanbett zurechtgeformt die Stelle des Mondbeins verlagert und in den Knochendefekt ein
30.1 · Allgemeines
759 30
Beckenspan interponiert. Alle Handwurzelknochen wurden mit- trapeziums bei Radialduktion beobachtet wird. Lumsden et al.
einander zu einem Monolithen fusioniert. Mit diesem Vorgehen (2008) berichteten über Ergebnisse mit einem durchschnittlichen
bleiben karpale Höhe und radiokarpale Gelenkflächen erhalten. Nachuntersuchungszeitraum von 15 Jahren nach Entfernung der
Takase und Imakiire (2001) berichteten über 5-Jahres-Ergebnis- proximalen Handwurzelreihe im Stadium 3a und 3b nach Licht-
se mit vergleichbar ähnlich guten klinischen Ergebnissen, wobei man und vorliegender Ulna-Null-Variante. Sie erzielten eine gute
progressive degenerative Veränderungen nicht verhindert werden Restbeweglichkeit und Schmerzlinderung. Im Röntgen zeigte sich
konnten ( Abschn. 30.2.8). eine Verformung der Gelenkkörper mit radiologisch fortgeschritte-
ner Arthrose des radiokapitalen Gelenks.
Lunatumexstirpation und Kapitatumdistraktion nach Wilhelm
und Hierner Radioskapholunäre Arthrodese
Um das Risiko einer Nekrose des proximalen Kapitatumkopffrag- Liegen starke Knorpelschäden der Fossa scaphoidea und Fossa lu-
ments zu verringern, wendeten Wilhelm und Hierner (1997) die nata am distalen Radius vor, ohne Knorpelschaden im Mediokar-
Kallusdistraktion an. Nach einer postoperativen Ruhephase von palgelenk, bietet sich bei fortgeschrittenem Kollaps des Mondbeins
7–10 Tagen wurde mit der Kapitatumdistraktion (1 mm/Tag) begon- die Fusion von Radius, Kahn- und Mondbein (RSL-Fusion) als
nen. Um das Distraktionsfragment während der langen Festigungs- Rettungsoperation an. Dadurch wird versucht, den schmerzauslö-
phase zu entlasten, wurden das SC-Gelenk – und das STT-Gelenk senden Abschnitt des Handgelenks auszuschalten, während über die
temporär mit Kirschner-Drähten fixiert. Eine Nekrose des Kapita- noch intakten Gelenkabschnitte eine wertvolle Restbeweglichkeit
tumkopffragments wurde nicht mehr beobachtet ( Abschn. 30.2.9). des Handgelenks erhalten bleibt. Über einen dorsalen Zugang, nach
Eröffnen des 2.–4. Strecksehnenfachs und nach Resektion des N. in-
Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (»proximal row terosseus posterior zur Teildenervation des Handgelenks, werden die
carpectomy«) Gelenkflächen von Radius, Kahn- und Mondbein entknorpelt und
Die Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (PRC) ist nur entweder Radiusspongiosa oder ein kortikospongiöser Beckenspan
bei fehlenden Knorpelschäden an der Fossa lunata und des Ka- in den Gelenkspalt eingebracht. Die Stabilisation der Gelenkpartner
pitatumkopfes sinnvoll. Dabei wird über einen meist dorsalen erfolgt durch Kirschner-Drähte oder durch Plattenosteosynthese.
Zugang unter Schonung der palmar wichtigen karpalen Bänder Eine zusätzliche Resektion des distalen Kahnbeinpoles wird zur
und unter Aussparung des Os pisiforme die gesamte proximale Verbesserung des Bewegungsausmaßes empfohlen. McCombe et al.
Handwurzelreihe entfernt. Das dadurch neu zusammengesetzte (2001) konnte biomechanisch nachweisen, dass durch die zusätzliche
Gelenk aus der distalen Radiusgelenkfläche und dem Kapitatum- Resektion des distalen Kahnbeinpols bei RSL-Arthrodese die medio-
kopf ermöglicht den Erhalt einer radiokarpalen Restbeweglichkeit karpale Beweglichkeit von 60° auf 122° verbessert werden kann. Pro-
(⊡ Abb. 30.14). Die zusätzliche Entfernung des Processus styloideus blematisch bleibt der knöcherne Durchbau durch die verminderte
radii wird empfohlen, falls intraoperativ ein Impingement des Os biologische Heilungskapazität des nekrotischen Mondbeinrests.

⊡ Abb. 30.12 Silikonprothese mit deutlichen de- ⊡ Abb. 30.13 Titanprothese mit DISI- ⊡ Abb. 30.14 Röntgen des Handgelenks 9 Jahre
generativen Gelenkveränderungen, Erweiterung Stellung als Zeichen einer karpalen nach Entfernung der proximalen Handwurzel-
des skapholunären Gelenks und Ulnartranslation Instabilität reihe wegen aseptischer Mondbeinnekrose im
des Karpus Stadium 3b nach Lichtman
760 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

Stadium 4 auftritt, von der juvenilen Lunatummalazie, die sich ab dem 13. Le-
Bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der Fossa lu- bensalter bis zum Schluss der Wachstumsfugen manifestiert. Die
nata, des Kapitatumkopfes mit karpalem Kollaps oder nach erfolg- konservative Behandlung der infantilen Lunatummalazie mit Ru-
loser Rettungsoperation wird die totale Handgelenkarthrodese als higstellung im Gipsverband zeigte durchweg gute klinische und
Ultima Ratio empfohlen. radiologische Verläufe. Langzeitergebnisse von bis zu 21 Jahren
zeigten eine komplette Wiederherstellung der Mondbeinanatomie
Zusätzliche Therapiemaßnahmen und Durchblutung mit asymptomatischen Patienten. Die Dauer
Handgelenkdenervation nach Wilhelm der Immobilisation wird für bis zu 12 Wochen angegeben. Bei
Eine teilweise oder vollständige Denervation des Handgelenks als Patienten ab dem 15. Lebensjahr (juvenile Lunatummalazie) führte
alleinige Therapieoption im fortgeschrittenen Stadium führte zu die konservative Therapie zu keiner klinischen und radiologischen
keiner wesentlichen Besserung der Beschwerden. Als zusätzlicher Verbesserung. Für diese symptomatische Altersgruppe wird primär
Eingriff in Kombination mit anderen Rettungsoperationen kann die die Radiusverkürzungsosteotomie empfohlen. Ist das Mondbein
Denervation zu deutlicher Schmerzreduktion führen ( Kap. 17). frakturiert und kollabiert versuchen wir bei noch offener Wachs-
tumsfuge eine Rekonstruktion mit freiem Femur- oder Beckenspan
30 und Druckentlastung mit einem Fixateur externe.
30.1.7 Therapie

Folgender Algorithmus zur Behandlung der aseptischen Luna- 30.2 Spezielle Techniken
tumnekrose wird von uns, abhängig vom Krankheitsstadium, dem
Ausmaß der vorbestehenden Ulnavarianz und der Abdeckung der 30.2.1 Operationstechnik der
proximalen Lunatumgelenkfläche durch die distale Radiusgelenk- Verkürzungsosteotomie des Radius
fläche (»lunate cover ratio«) praktiziert ( Übersicht).
Die Bedeutung der proximal flächigen Insertion des Lig. radio car-
peum dorsale in Bezug auf die Osteotomiehöhe am Radius wurde
Von den Autoren bevorzugtes therapeutisches Vorgehen vielfach diskutiert. Eine Osteotomie mit Verkürzung würde zu
bei vorliegender Lunatumnekrose vermehrter Zugbelastung auf das Os triquetrum führen und dieses
▬ Stadium 1: gegen das Os lunatum pressen. Somit führt diese Osteotomie zu kei-
– Konservativ: Gipsfixation für maximal 6 Monate ner Entlastung, sondern eher zu einer Kompression des Mondbeins.
– Operativ: arthroskopische Synovektomie, Kerndekompres- Das zusätzliche periostale Ablösen des Lig. radio carpeum dorsale
sion nach Illirramendi kann zur Entlastung des Mondbeins führen. Eine Verschiebung des
▬ Stadium 2: Dreieckbeins nach distal wird dadurch erleichtert. Die beugeseiti-
– Ulna-minus-Variante: gen Bandstrukturen werden dadurch jedoch nicht entlastet und der
– Radiusverkürzungsosteotomie bei normaler »lunate cover Druck über den Ellenkopf und TFCC auf das ulnar überstehende
ratio« Mondbein kann sich theoretisch erhöhen. Das Ausmaß der Resekti-
– Ulna-Null-Variante: on scheint dabei entscheidend zu sein (⊡ Abb. 30.15a).
– Laterale schließende Radiusosteotomie bei Ulnarshift Die Operation erfolgt in Rückenlage mit ausgelagertem Arm
(»lunate cover ratio«) und angelegter Oberarmblutleere. Die dorsale Darstellung des Kar-
– Vaskularisierter Knochenspan nach Moran oder Kuhl- pus erfolgt analog zu den in  Abschn. 29.2.2 beschriebenen Opera-
mann ohne Ulnarshift tionsschritten. Nach Darstellung und Schonung des R. superficialis
▬ Stadium 3a: N. radialis wird zwischen den Sehnen des M. extensor carpi radialis
– Freier Beckenspan und Fixateur externe und des M. extensor digitorum communis eingegangen, das distale
▬ Stadium 3b: Radiusende und die Membrana interossei, auf welcher der N. inte-
– Ohne Knorpelschaden in der Fossa lunata und Kapitatum- rosseus superior verläuft, werden dargestellt und der N. interosseus
kopf: Entfernung der proximalen Handwurzelreihe dorsalis reseziert (Denervationseffekt). In Folge kann ein dorso-
– Mit Knorpelschaden radiokarpal und ohne Knorpel- radialer Kapselperiostlappen mit Ablösen des Lig. radiocarpeum
schaden mediokarpal: radioskapholunäre Arthrodese dorsale und der Membrana interossea bis 1 cm proximal der Ge-
– Mit degenerativen Veränderungen radiokarpal und medio- lenkkapsel gebildet werden (⊡ Abb. 30.15b). Nach Markierung der
karpal: totale Handgelenkarthrodese Osteotomiestelle wird das gewählte Implantat proximal und distal
▬ Stadium 4: über Kompressionsgleitlöcher zunächst unikortikal achsengerecht
– Totale Handgelenkarthrodese positioniert. Danach wird das Implantat wieder entfernt und eine
hitzearme quere Osteotomie des Radius durchgeführt. In die Pla-
nung der Korrektur muss der Verschnitt durch die Sägeblattdicke
einbezogen werden. Nach Entfernen des Resektats erfolgt die Stabi-
30.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter lisierung durch das Implantat über die vorgelegten Bohrlöcher und
durch exzentrische Schraubenbesetzung. Durch die Verwendung
Aseptische Mondbeinnekrosen im Wachstumsalter sind selten. Da neuer winkelstabiler Implantate ist eine bessere Rotationsstabilität
diese Erkrankung im Wachstumsalter eine günstigere Prognose zu erzielen. Viele Systeme erlauben auch eine weichteilschonendere
und kaum eine Tendenz zur Progression aufweist, sollte von einer palmare Plattenlage. In diesem Fall wäre ein limitierter dorsaler
anderen Erkrankungsform, einer Mondbeinmalazie, ausgegangen Zugang zum Kapsel-Band-Apparat möglich. Der Spongiosaanteil
werden. Es liegt eine Erweichung des Mondbeins, aber keine Kno- des entnommenen Resektates wird angelagert. Auf eine korrekte
chennekrose vor. Irisarri et al. (2010) unterscheiden die infantile Achsenstellung und Korrektur der Länge im DRUG ist zu achten
Lunatummalazie, welche bis zu einem Lebensalter von 12 Jahren und eine intraoperative Bildwandlerkontrolle ist erforderlich. Eine
30.2 · Spezielle Techniken
761 30
Os capitatum Os lunatum
Os scaphoideum
M. extensor digitorum
Radius

M. extensor pollicis longus


M. abductor pollicis longus
M. extensor carpi radialis brevis M. extensor pollicis brevis
a b M. extensor carpi radialis longus c

⊡ Abb. 30.15 Schema der Operationsschritte der Verkürzungsosteotomie am Radius zur Dekompression des Os lunatum. a Prinzip der Dekompression des
Os lunatum durch Radiusverkürzungsosteotomie. Die Osteotomie im Metaphysenbereich hat im Vergleich zur Osteotomie im Diaphysenbereich eine gerin-
gere Komplikationsrate hinsichtlich der Knochenheilung. b Bilden eines dorsoradialen Kapselperiostverschiebelappens unter Ablösung des Lig. radiocarpeum
dorsale. c Klassische Osteosynthese mit herkömmlicher DC-Platte. Erhöhte Rotationsstabilität und geringere Weichteilirritation können bei Verwendung neuer
winkelstabiler Implantatsysteme mit optionaler dorsaler oder palmarer Plattenlage erzielt werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Ruhigstellung des Handgelenks im Gipsverband für 3-5 Wochen in Nach Eröffnen der Loge Guyon und Darstellen des ulnaren
Abhängigkeit von den verwendeten Implantatsystemen ist empfeh- Gefäß-Nerven-Bündels wird das in der Tiefe liegende Retinacu-
lenswert (⊡ Abb. 30.15c). lum flexorum unter Schonung sämtlicher anderer Arterienäste
durchtrennt und nach radial umgeschlagen. Nach Verlagerung
der Beugesehnen auf die radiale Seite des Canalis carpi wird der
30.2.2 Technik der Entnahme des gestielten palmare Kapsel-Band-Apparat über dem Mondbein eröffnet. Mit
vaskularisierten Knochenspans vom einer feinen Luer-Zange und einer Fräse wird das nekrotische
4./5. Extensorkompartment nach Moran Knochengewebe unter Schonung der kortikalen Strukturen des
Mondbeins und der intrinsischen Bandansätze entfernt. Eine
Die Operation erfolgt in Rückenlage, der Arm ist auf einem Arm- intraoperative Bildwandlerkontrolle zur Beurteilung des Débri-
tisch ausgelagert. Eine Oberarmblutsperre wird angelegt. Nach An- dements ist empfehlenswert. Das Os pisiforme wird unter Lupen-
zeichnen des dorsalen geraden oder geschwungenen Hautschnit- brillenvergrößerung präpariert und sein Gefäßbündel am Abgang
tes wird das Retinaculum extensorum Z-förmig eröffnet und die aus dem R. carpalis dorsalis oder aus der A. ulnaris bis zum
Sehnen des 4. und 5. Streckerfachs retrahiert und die Gefäße am Knocheneintritt zunächst dargestellt. Anschließend wird das Os
Boden der Strecksehnenfächer identifiziert. Gemeinsam mit der pisiforme an seiner proximalen, ulnaren und distalen Seite von
5. Extensorkompartmentarterie kann die 4. Extensorkompartmen- den Ansätzen des M. flexor carpi ulnaris und des M. abductor
tarterie distal gestielt an der A. interossea posterior mit einem digiti minimi zusammen mit den Ligg. pisohamatum und piso-
Knochenspan gehoben werden. Die Hebestelle des Transplantats metacarpale abgelöst. Jetzt kann das Os pisiforme von ulnar mo-
wird 10 mm proximal des Radiokarpalgelenks markiert. Die A. in- bilisiert und unter dem N. ulnaris, an seinem Gefäßstiel hängend,
terossea posterior wird proximal ligiert, das durch retrograden in das ausgehöhlte Lunatum geschwenkt werden (⊡ Abb. 30.16c).
Blutfluss versorgte Transplantat vom dorsalen Radius gehoben Die Form des Erbsenbeins wird mit einer Luer-Zange an den
und in das ausgehöhlte Mondbein eingepflanzt. Bei Bedarf kann zuvor präparierten Hohlraum des Mondbeins angepasst, be-
zusätzlich noch Radiusspongiosa gewonnen werden. Vorteil dieser vor es in den Knochendefekt eingepresst wird. Der Gefäßstiel
Methode ist die Notwendigkeit einer einzigen dorsalen Inzision darf dabei nicht torquiert werden (⊡ Abb. 30.16d). Bis zum Ab-
unter Schonung der wichtigen palmaren karpalen Bänder. schluss der Knochenheilung empfiehlt sich eine Fixierung des
Os pisiforme im Lunatum mit Kirschner-Drähten. Die Sehne des
M. flexor carpi ulnaris wird mit dem Ursprung des M. abductor
30.2.3 Technik der Entnahme des palmaren digiti minimi und den Ligg. pisohamatum und pisometacar-
vaskularisierten Knochenspans nach pale adaptiert. Nach Einlage einer Redon-Drainage erfolgt der
Kuhlmann/Mathoulin  Abschn. 9.2.3 Wundverschluss.
Postoperativ wird die Hand in einem gespaltenen Unterarmgips
30.2.4 Technik des Os-pisiforme-Transfers nach Beck für 6 Wochen ruhiggestellt. Nach Entfernung der Kirschner-Drähte
sind krankengymnastische Behandlungen empfehlenswert. Es ist
Die Operation erfolgt in Rückenlage, Plexusanästhesie und Ober- nur eine belastungsfreie Mobilisation der Hand bis zu 3 Monaten
armblutleere. Als Zugang wird ein S-förmiger Schnitt gewählt, der erlaubt, da in diesem Zeitraum durch Knochenumbauvorgänge
zunächst in der Linea vitalis verläuft, auf Höhe der Rascetta quer und damit eine verminderte Stabilität eine erhöhte Frakturgefahr
nach ulnar geführt wird und schließlich entlang dem FCU nach besteht. Starke manuelle Belastung oder sportliche Aktivitäten mit
proximal auf den Unterarm hin ausläuft (⊡ Abb. 30.16a). der Hand sollten bis zum 6. Monat vermieden werden.
762 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

30

Os pisiforme
c
Tendo m. flexoris
carpi ulnaris

R. cubitodorsalis

b
72% 24% 4% d

⊡ Abb. 30.16 Os-pisiforme-Lappenplastik nach Beck zur Neovaskularisierung des Os lunatum bei Lunatummalazie im Stadium 2. a Anatomie und Lappen-
planung, b Variationen des R. carpalis dorsalis (sog. R. ulnodorsalis) der A. ulnaris und seiner Äste, c Zustand nach Lappenhebung, d intraossäre Transposition
nach Beck
30.2 · Spezielle Techniken
763 30
30.2.5 Technik der Entnahme des freien Unter Längszug wird das Radiokarpalgelenk aufgeweitet
vaskularisierten Knochentransplantats (⊡ Abb. 30.17a). Mit einem (Lambotte-) Meißel erfolgt die kontur-
vom medialen Kondylus nach Masquelet gerechte Entknorpelung unter Mitnahme der subchondralen Kno-
 Abschn. 9.2.8 chenlamelle von Radius, Skaphoid und Lunatum. Zur Verbesse-
rung der Ulnar- und Radialabduktion kann das distale Viertel des
30.2.6 Technik der Entnahme des freien Os scaphoideum reseziert werden. Für die RSL-Arthrodese ist eine
mikrovaskulären vorderen Spongiosaplastik dringend angeraten. Das dafür erforderliche Kno-
Beckenkammspans nach Taylor  Abschn. 9.2.8 chentransplantat kann vom Beckenkamm ( Abschn. 9.2.1) oder aus
dem distalen Radius gewonnen werden. Für die Osteosynthese ste-
30.2.7 Skaphoid-Trapezium-Trapezoideum-(STT-) hen mehrere Verfahren zur Auswahl. Klassischerweise erfolgt eine
Arthrodese  Abschn. 29.2.7 Kirschner-Draht-Osteosynthese. Hierzu werden zwei 1,6 mm dicke
Kirschner-Drähte vom Tuberculum Listeri des Radius eingebracht,
30.2.8 Skaphokapitäre (SC-) Arthrodese bis deren Spitzen an der entknorpelten Radiusgelenkfläche gerade
 Abschn. 29.2.10 sichtbar werden (⊡ Abb. 30.17b). Nach Anlage der Spongiosaplastik
werden beide Kirschner-Drähte in Neutralstellung des Handge-
30.2.9 Radioskapholunäre (RSL-) Arthrodese lenks nach distal in das Kahn- und Mondbein vorgetrieben. Be-
steht eine karpale Gefügestörung, müssen Lunatum und Skaphoid
Die Operation erfolgt in Rückenlage, der Arm ist auf einem Arm- jeweils mithilfe eines von dorsal eingebrachten Kirschner-Drahts
tisch ausgelagert. Eine Oberarmblutleere wird angelegt. Die dorsale (»Joystick-Technik«) reponiert und temporär stiftfixiert werden.
Darstellung des Karpus erfolgt analog zu den in  Abschn. 29.2.2 Die restliche Spongiosa wird noch angelagert und ein anatomi-
beschriebenen Operationsschritten. scher Kapselverschluss durchgeführt (⊡ Abb. 30.17c). Die weiteren

b
⊡ Abb. 30.17 Technik der radioskapho-
lunären Arthrodese. a Unter Längszug
Aufweiten des Radiokarpalgelenks und
konturgerechte Entknorpelung von
Radius, Skaphoid und Lunatum mit
dem (Lambotte-) Meißel bis auf spon-
giösen Knochen. b Einbringen von zwei
1,6 mm dicken Kirschner-Drähten vom
Tuberculum Listeri des Radius in Rich-
tung Skaphoid und Lunatum. c Nach
Einpressen von spongiösem Knochen,
Durchführung der Osteosynthese in
Neutralstellung des Handgelenks. d Bei
Ulna-plus-Stellung und ausgedehnter
Nekrose ist die Interposition eines
d kortikospongiösen Knochenspans vom
vorderen Beckenkamm indiziert. (Aus
c Prommersberger et al. 2003)
764 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

operativen Schritte entsprechen dem Verfahren in  Abschn. 29.2.2. einem kortikospongiösen Beckenkammspan überbrückt und ent-
Zur Verminderung der Rate an Pseudarthrosen hat sich auch weder mit Kirschner-Drähten oder einer Osteosyntheseplatte fixiert
der Einsatz neuer Implantatsysteme bewährt. (⊡ Abb. 30.18c). Die weiteren operativen Schritte entsprechen dem
Bei Ulna-plus-Stellung oder Vorliegen einer kompletten Mond- Verfahren in  Abschn. 9.2.2. Die Ruhigstellung erfolgt nach Ab-
beinnekrose ist zur besseren Durchbauung der Arthrodese die schwellung im zirkulären Skaphoidgips für insgesamt 6–8 Wochen.
Interposition eines kortikospongiösen Knochenspans vom vorde- Nach guter knöcherner Durchbauung kann mit einer intensiven
ren Beckenkamm ( Abschn. 9.2.1) indiziert. Zur Schaffung glatter krankengymnastischen Nachbehandlung begonnen werden.
spongiöser Flächen am Radius, Skaphoid und Lunatum haben sich
der Lambotte-Meißel oder die Minisäge bewährt (⊡ Abb. 30.17d).
30.2.11 Technik der Kallusdistraktion des Os
capitatum
30.2.10 Operation nach Graner II
Die operativen Schritte entsprechen jenen der Interkarpalarthrodese
Die dorsale Darstellung des Karpus erfolgt analog zu den in  Ab- nach Graner II bis zur Resektion des frakturierten und nekrotischen
30 schn. 29.2.2 beschriebenen Operationsschritten. Die Gelenkkapsel Os lunatum. Wird eine Kallusdistraktion des Os capitatum durch-
wird vollständig vom darunter liegenden Lunatum abpräpariert. Der geführt, werden nach Markierung der Osteotomiehöhe beiderseits
Knochen des Os capitatums wird nur auf einem dünnen Streifen 2 Vorbohrungen mit einem 1,0-mm-Kirschner-Draht für die später
freigelegt, um die dorsale Blutversorgung möglichst wenig zu beein- einzubringenden selbstschneidenden Steinmann-Nägel (1,6 mm)
trächtigen. Zur besseren Darstellung des Skaphoids wird eine quere unter direkter Sicht plaziert. Im distalen Kapitatumpol kann nur ein
Kapselinzision etwas distal der dorsalen Radiuskante durchgeführt; Steinmann-Nagel eingebracht werden, der zweite wird in der Basis
die Kapselinzision erhält somit ein L-förmiges Aussehen. Unter di- des Metakarpale III gesetzt. Aufgrund des amphiarthrotischen Cha-
rekter Sicht kann die Position des Skaphoids kontrolliert und evtl. rakters der CMC-III-Gelenke sind keine Nagellockerungen zu er-
korrigiert werden. Um die Karpushöhe zu erhalten, sollte das Ska- warten. Nun werden 4 seperate Stichinzisionen in der Handrücken-
phoid in seine anatomische Position in Neutralstellung zu liegen haut angelegt, die Steinmann-Nägel hindurchgeführt und an den
kommen. Im Rahmen der Kallusdistraktion wird dashalb eine tempo- Strecksehnen vorbei in die Vorbohrungen eingebracht. Die selbst-
räre perkutane Kirschner-Draht-Fixierung (1,0 mm) von Kahn- und schneidenden Steinmann-Nägel müssen die dorsale und palmare
Kopfbein oder Skaphoid-Trapezium-Trapezoideum durchgeführt. Kortikalis sicher fassen. Die Osteotomie erfolgt im Übergang vom
Anschließend wird das Os lunatum unter Schonung der Ge- mittleren zum distalen Drittel. Eine intraoperative Röntgenkontrolle
lenkflächen des distalen Radius und des Os capitatum exstirpiert ist empfehlenswert. Ein dichter Kapselschluss muss erreicht werden,
(⊡ Abb. 30.18a). Nur bei guten Knorpelverhältnissen können die um das Frakturhämatom möglichst zu konzentrieren und eine Inter-
Graner-II-Operation und ihre Varianten durchgeführt werden. Die position von Weichteilgewebe zu verhindern. Nach Rekonstruktion
Auswahl der optimalen Osteotomiestelle erfolgt unter Berücksich- des Retinaculum extensorum wird nach vorhergehender Funkti-
tigung der extra- und intraossären Blutversorgung. Die Osteotomie onskontrolle der Distraktor montiert. Um Weichteilkomplikationen
wird am Übergang vom mittleren zum distalen Kapitatumdrittel vorzubeugen, ist auf einen ausreichenden Abstand zur Oberfläche zu
durchgeführt. Hierbei ist darauf zu achten, dass die palmaren Band- achten, wobei die postoperative Schwellung einzubeziehen ist. Post-
verbindungen zum proximalen Anteil des Os capitatum erhalten operativ wird die Hand auf einer palmaren Unterarmschiene mit ei-
bleiben. In der Orginaltechnik nach Graner II wird durch einzeitige ner Handgelenkstreckung von etwa 20° für 7–10 Tage ruhiggestellt.
Distraktion der proximale Kapitatumpol an die Stelle des extrahier- Während dieser Prädistraktionsphase bildet sich Kallusgewebe.
ten Mondbeines verlagert (⊡ Abb. 30.18b). Der entstehende Defekt Bei einem Distraktionsbeginn vor dem 7. postoperativen Tag besteht
zwischen dem proximalen und distalen Kapitatumpol wird mit das Risiko einer ungenügenden Regeneratbildung, bei späterem Dis-

a b c

⊡ Abb. 30.18 Technik der Interkarpalarthrodese nach Graner II. a Präoperativer Befund des nekrotischen und deformierten Os lunatum. b Resektion des nekro-
tischen Mondbeins und Ersatz durch das osteotomierte Kapitatum. Die Lücke zwischen dem neugebildeten Mondbein und dem Kapitatum wird mit Spongiosa
oder einem kortikospongiösen Span aus dem vorderen Beckenkamm aufgefüllt. c Osteosynthese mit Minifragmentsystem. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
30.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
765 30
traktionsbeginn kann eine partielle knöcherne Durchbauung eine
Verlängerung verhindern. Die progressive Kapitatumverlängerung
erfolgt fraktioniert (2-mal 0,5 mm) mit einer Distraktionsgeschwin-
digkeit von 1 mm pro Tag. Die Verlängerung kann entweder durch
den Patienten selbst oder den Hausarzt durchgeführt werden. Bei
starken Schmerzen, Hautischämie oder Entzündungszeichen muss
die Distraktion verlangsamt werden und der Patient sich umgehend
vorstellen. Bei komplikationslosem Verlauf ist eine wöchentliche
Kontrolluntersuchung oft ausreichend. Die gewünschte Distrakti-
onslänge ist erreicht, wenn sich die Gelenkfläche des proximalen
Kapitatumpols röntgenologisch harmonisch in die proximale Ge-
lenkfläche der ersten Karpalreihe einfügt. Während der gesamten
Distraktionsphase wird der Patient angeleitet, krankengymnastische
Übungen zur Erhaltung der Fingerbeweglichkeit durchzuführen.
Die sich anschließende Konsolidierungsphase dauert 2- bis 3-mal
so lange wie die Distraktionsphase. Zur Verringerung möglicher
a Weichteilkomplikationen kann der externe Distraktor durch 2 per-
kutan eingebrachte Kirschner-Drähte (1,2 mm), welche Triquetrum,
proximalen Kapitatumpol und Skaophoid stabilisieren, ersetzt wer-
den. Die palmare Unterarmschiene mit Handgelenkextension von
20° wird bis zur Entfernung der Kirschner-Drähte getragen, um Ext-
rembewegungen zu vermeiden. Das Ende der Konsolidierungsphase
ist erreicht, wenn röntgenologisch gerichtete Trabekelstrukturen im
Distraktionsbereich zu sehen sind. Nach ambulant chirurgischer
Entfernung der Kirschner-Drähte wird eine intensive krankengym-
nastische Übungsbehandlung 1- bis 2-mal täglich für 4–6 Wochen
(Rehabilitationsphase) angeschlossen (⊡ Abb. 30.19).

30.2.12 Technik der Resektion der proximalen


Karpalreihe  Abschn. 29.2.14

b c 30.2.13 Technik der kompletten Handgelenk-


arthrodese  Abschn. 29.2.15

30.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

Mögliche Komplikationen und Gefahren im Rahmen der Behand-


lung einer aseptischen Mondbeinnekrose können sein:
▬ Die exakte und frühzeitige Diagnose ist entscheidend. Im
Kontrastmittel-MRT sollte zwischen intraossärem Ödem (»bone
bruise«) und Mondbeinnekrose unterschieden werden. Gangli-
en und Zysten sind in der Strahlenbildgebung zu differenzieren.
▬ Der »point of no return« (Kollaps des Mondbeins) sollte durch
kurzfristige Verlaufskontrollen rechtzeitig erkannt werden.
▬ Bei interkarpalen Arthrodesen sollte bedacht werden, dass
die Druckspitzen vom Mondbein auf die Fossa skaphoidea
verlagert werden und hier sekundär Arthrosen entstehen. Die
Indikation zur interkarpalen Arthrodese sollte daher kritisch
gestellt werden.
▬ Bei Radiusverkürzungen sollte darauf geachtet werden, die
Kongruenz des distalen Radioulnargelenks nicht zu stören.
Ist das DRUG nicht parallel zur Verkürzungsachse des Radius
ausgerichtet, kann eine Radiusverkürzung zur Inkongruenz
d
und Arthrose des DRUG führen.
▬ Die lateral schließenden Radiusosteotomien sollten nur dann
⊡ Abb. 30.19 Technik der Kallusdistraktion des Os capitatum nach Hierner
durchgeführt werden, wenn die proximale Mondbeingelenk-
und Wilhelm. a Lunatumnekrose Stadium 3a in d.p. und lateralem Strahlen-
gang, b Beginn der Kallusdistraktion am 10. postoperativen Tag, c nach Errei-
fläche die Radiusgelenkfläche nach ulnar weit überragt.
chen der gewünschten Distraktionslänge Fixierung des proximalen Kapita- ▬ Bei revitalisierenden Therapieverfahren sollte das Mondbein
tumanteils mit queren Kirschner-Drähten und Entfernung des Distraktors entweder durch temporäre Kirschner-Drähte oder durch einen
(nach etwa 6 Wochen), d nach Konsolidierung (etwa nach 3 Monaten) Entfer- Fixateur externe bis zur Einheilung des gefäßgestielten Kno-
nung der Kirschner-Drähte chenspans entlastet werden.
766 Kapitel 30 · Idiopatische Mondbeinnekrose

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31

Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen


radioulnaren Funktionseinheit)
Michael Strassmair, Klaus Wilhelm, Reinhard Friedel und Torsten Dönicke
(Mit einem Beitrag von Annelie Weinberg und Barbara Schmidt)

31.1 Allgemeines – 770


31.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 770
31.1.2 Epidemiologie – 772
31.1.3 Ätiologie – 773
31.1.4 Diagnostik – 774
31.1.5 Klassifikation – 776
31.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 780
31.1.7 Therapie – 783
31.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 793
31.2 Spezielle Techniken – 804
31.2.1 Kirschner-Draht-Osteosynthese nach Lambotte – 804
31.2.2 Kirschner-Draht-Spickung nach Kapandji – 804
31.2.3 Kombinierte Kirschner-Draht-Verfahren – 804
31.2.4 Schraubenosteosynthese – 804
31.2.5 Plattenosteosynthese – 805
31.2.6 Fixateur externe – 810
31.2.7 Intramedulläre Marknagelung – 810
31.2.8 Frakturen der distalen Ulna und Verletzungen des distalen Radioulnargelenks – 810
31.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 812
31.3.1 Konservative Therapie – 812
31.3.2 Operative Therapie – 812
Weiterführende Literatur – 815

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


770 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

31.1 Allgemeines im Mittelpunkt des Interesses. Neben der Flexion und Extension
sowie Ulna- und Radialduktion stellen die Pronation und Supina-
Die Erstbeschreibung der distalen Radisufraktur in loco typico tion des Unterarms in ihrer Kombination die hohe Mobilität der
geht auf den französischen Chirurgen Clause Pouteau (1725–1775) Hand in ihrem täglichen Gebrauch sicher. Diese Bewegungsmuster
zurück. Typischerweise wird der irische Chirurg und Anatom Abra- müssen unabhängig von der Gewichtsbelastung sowohl für die
ham Colles (1773–1843), der erst im Jahre 1814 im »Medical Jour- grobe Kraft wie auch für die Feinmotorik erhalten bleiben.
nal« einen Artikel über Frakturen des distalen Radius veröffentlich- Obwohl im Schrifttum meist nur von der distalen Radiusfrak-
te, in der Literatur häufiger zitiert, da die französische Literatur – tur gesprochen wird, ist bei diesen Verletzungen immer die gesamte
unglücklicherweise für die gesamte Handchirurgie – im deutschen radioulnare Funktionseinheit, d. h. Radius, Ulna, distales Radioul-
und angloamerikanischen Sprachraum relativ unbekannt ist. nargelenk (DRUG), die proximale Handwurzelreihe, die Memb-
rana interossea und das proximales Radioulnargelenk (PRUG) in
unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Deshalb erscheint es uns
31.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und richtiger, anstatt von einer distalen Radiusfraktur, von einer dis-
Physiologie talen Verletzung der radioulnaren Funktionseinheit (⊡ Abb. 31.1)
bzw. von einer distalen Unterarmfraktur zu sprechen.
Konzept der distalen radioulnaren Funktionseinheit Die Kenntnis der speziellen Anatomie ist Voraussetzung für
Der distale Radius kann nicht als isolierter Knochen betrachtet das Verständnis pathologischer Veränderungen. Bei der distalen
31 werden. Vielmehr steht die funktionelle Einheit des Handgelenks Radiusfraktur umfasst dies den Entstehungsmechanismus des

c
a

⊡ Abb. 31.1 Die radioulnare Funktionseinheit. a Übersicht, b Detailansicht im distalen Bereich. c Die Gelenkfläche des distalen Radius ist bikonkav, die Gelenk-
facetten zum Os scaphoideum und Os lunatum sind konkav in d.p. Richtung und in radioulnarer Richtung. (Aus Weinberg u.Tscherne 2006 [a, b]; Oestern 1999 [c])
31.1 · Allgemeines
771 31
Knochenbruchs selbst, die möglichen Mechanismen einer sekun- sehnenfächer. Die Crista listeri ist osteofibrös ausgebildet und gut
dären Dislokation sowie das Auftreten von Begleitverletzungen. tastbar. Diese dient als Hypomochlion für die Umlenkung der Seh-
Bei mangelnder Rekonstruktion, also bei nicht wiederhergestellten ne des Extensor pollicis longus.
anatomischen Verhältnissen ist mit sekundären Verletzungsfolgen
und damit Funktionseinbußen zu rechnen. Neben den theore- Kapsel-Band-Strukturen
tischen Betrachtungen stellt auch hier die umfassende Kenntnis Um eine geführte Stabilität der Handgelenkbeweglichkeit in allen
der Anatomie die Basis für die chirurgische Vorgehensweise, die Lagen gewährleisten zu können, verfügt das Handgelenk über
Wahl des operativen Zugangs wie auch zur Vermeidung iatrogener palmare sowie dorsale oberflächliche und tiefe Bandstrukturen.
Läsionen dar. Diese können im Gefolge einer Fraktur gedehnt werden, rupturie-
ren oder mit einem knöchernen Fragment ausreißen ( Kap. 28).
Knöcherne Strukturen Zur Stabilisation des distalen Radioulnargelenks finden sich neben
Der distale Radius, die proximale Karpalreihe sowie die distale dem TFCC (»triangular fibrocartilaginous complex«), welcher ein
Ulna bestimmen die drei entscheidenden knöchernen Strukturen ulnares Auslaufen der Radiusgelenkfläche darstellt ( Kap. 34). Der
des Handgelenks. Diese bilden das Radiokarpalgelenk, das distale gesamte Kapsel-Band-Apparat ermöglicht die geführte Bewegung
Radioulnargelenk und den karpoulnaren Raum. Die Radiusge- des Handgelenks bei gleichzeitigem Verhindern eines Abrutschens
lenkfläche unterteilt sich in eine Fossa scaphoidea sowie eine Fossa oder Luxierens der Handwurzelknochen.
lunata. Diese beiden Gelenkoberflächen werden in dorsopalmarer
Richtung durch den Radiusfirst getrennt. Somit entstehen eigene Sehnen
Gelenkschalen für das Skaphoid und das Lunatum. Die dritte Funktionell unterscheidet man zwei Gruppen von Sehnen: Dies
knorpelig überzogene Gelenkfläche stellt den radialen und ulnaren sind einerseits die Handgelenkstrecker und die Handgelenkbeuger
Anteil des distalen Radioulnargelenks dar. Diese wird als »sigmoid sowie die Strecksehnen und Beugesehnen der Finger. Erstere be-
notch« bezeichnet. inhalten die Sehnen des M. extensor carpi ulnaris sowie extensor
Betrachtet man die Fossa scaphoidea sowie die Fossa lunata carpi radialis longus et brevis am dorsalen Handgelenk und die
von lateral, so fällt eine deutlich erkennbare Schüsselform auf. Der Sehnen des M. flexor carpi ulnaris sowie flexor carpi radialis am
Boden der Gelenkfläche liegt hierbei proximal der palmaren und palmaren Handgelenk. Diese Sehnen haben neben der Zuständig-
dorsalen Begrenzungen des Radius. Dies kann die Ursache für eine keit für die Handgelenkbeweglichkeit eine stützende bzw. stabilisie-
ungewollte Schraubenpenetration in das Gelenk bei jedweder Os- rende Funktion für das Radiokarpalgelenk. Bei einem Sturz auf das
teosynthese sein (⊡ Abb. 31.1c). hyperextendierte Handgelenk wirken die Handgelenkbeuger im
Die distale Gelenkfläche weist im Mittel eine palmare Inklina- Moment ihrer maximalen Überstreckung als palmare Zuggurtung
tion von 14° (11–15°) sowie eine radioulnare Inklination von 22° und Tragen somit ihrerseits zu einer Überlastungsstauchung der
(10–25°) auf (⊡ Abb. 31.2). dorsalen Kortikalis bei. Während der Ausheilungsphase einer dis-
Radiologisch wird dieser Sachverhalt durch die sog. Böhler- talen Radiusfraktur muss der Spontantonus dieser Muskelgruppen
Winkel beschrieben. Die Spitze des Processus styloideus radii mit berücksichtigt werden. Die den Handgelenkspalt kreuzenden,
projeziert sich 10–12 mm distal der Gelenkoberfläche an ihrem stabilisierenden Sehnen können bei inadäquater Gipsimmobilisati-
tiefsten Punkt. Betrachtet man die Oberfläche des distalen Radius on eine sekundäre Dislokation der Fraktur erklären.
außerhalb der Gelenkflächen, so findet sich palmar eine relativ pla- Die zweite Gruppen stellen die Beugesehnen sowie Streckseh-
ne Knochenoberfläche, welche ca. 1,5–2 cm proximal des Gelenk- nen der Finger dar. Auch diese Sehnen können im Rahmen ihrer
spalts aus der Ebene des Radiusschafts nach palmar inkliniert. Im Funktion sowie bei Übungsbehandlungen zu ungünstigen Kraft-
Bereich des Processus styloideus radii geht der Knochen in einen übertragungen und somit einer sekundären Dislokation führen.
fibrösen Kanal über und bildet die Begrenzung des 1. Streckseh- Die Beugesehnen verlaufen palmar vom Unterarm entlang des
nenfachs. Dorsal erhebt sich etwas ulnarseitig der Mittellinie eine Radius bis in den Karpalkanal und dann weiter nach distal in ihren
ähnliche fibroossäre Längsfalte. Diese dient als Anheftungsstelle Sehnenscheiden. Im Rahmen der distalen Radiusfraktur sowie
des Retinaculum extensorum zur Schaffung der weiteren Streck- ihrer Versorgung spielen sie aufgrund der guten Weichteildeckung

a b c

⊡ Abb. 31.2 Vermessung des distalen Radius. a Bestimmung der Radiuslänge, b Bestimmung des Radiuswinkels, c Bestimmung des palmaren Neigungswin-
kels. (Aus Schmidt Neuerburg 2001)
772 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

sowie der Unterpolsterung durch den M. pronator quadratus hin-


sichtlich der Frakturzone eher eine untergeordnete Rolle. Es be-
steht jedoch die Möglichkeit einer Interposition einzelner Sehnen
in den Frakturspalt.
Die Strecksehnen verlaufen entlang des radialen und radiodor-
salen Unterarms durch ihre Strecksehnenfächer hindurch zu den
Fingern und dem Daumen. Das erste Strecksehnenfach beherbergt
den Extensor pollicis brevis sowie Abduktor pollicis longus. Diese
verlaufen durch ihren fibroossären Kanal an der radialen Seite des
Processus styloideus radii. In diesem Bereich findet sich zusätzlich
epifaszial ein oberflächlicher, aber klinisch wichtiger sensibler Ast
des N. radialis. Bei der Einbringung von Kirschner-Drähten, sowie
der Einbringung von Zugschrauben ist dies von Bedeutung. Hier
müssen Sehnenverletzungen sowie eine Verletzung des N.-radialis-
Astes vermieden werden. Das 2. Strecksehnenfach beinhaltet die
Sehnen des Extensor carpi radialis longus sowie brevis. Ulnar
davon findet sich die Crista listeri und dahinter das 3. Streckseh-
31 nenfach mit der Sehne des Extensor pollicis longus. Da diese Sehne
an der radialen Seite diagonal über das Handgelenk verläuft, muss
bei einem dorsalen Zugang und einer Präparation des Retinaculum
extensorum gerade bei Längsinzision besonders auf diese Sehne
geachtet werden. Das 4. Strecksehnenfach beherbergt daneben die
Strecksehnen der Finger, das 5. Strecksehnenfach die Strecksehnen
des Kleinfingers und das 6. Strecksehnenfach die Sehne des Exten-
⊡ Abb. 31.3 Das Drei-Säulen-Modell nach Rikli et al. (2003). U ulnare Säule
sor carpi ulnaris.
mit Ulnakopf und TFCC; I intermediäre Säule mit Fossa lunata und Incisura
Abhängig von der Frakturgeometrie und dem gewählten Ver-
ulnaris radii (DRUG); R radiale Säule mit Fossa scaphoidea und Processus sty-
fahren ergeben sich verschiedene Möglichkeiten der operativen loideus radii. (Aus Rikli et al. 2005)
Zugangswege. Diese orientieren sich an den anatomischen Struk-
turen, welche zu durchtrennen bzw. zu separieren und ggf. auch zu
rekonstruieren sind.
auch diesbezüglich eine Schlüsselrolle ein. Chirurgisch gesehen ist
Biomechanische Betrachtungen: die intermediäre Säule der Schlüssel zum Radiokarpalgelenk.
Das »Drei-Säulen-Modell« nach Rikli et al. (2003)
Der distale Unterarm besteht aus drei Säulen: einer radialen Säule
mit Processus styloideus radii und Fossa scaphoidea, einer inter- 31.1.2 Epidemiologie
mediären Säule mit Fossa lunata und dem radialen Teil des DRUG
(Incisura ulnaris oder »sigmoid notch«) sowie einer ulnaren Säule > Die distale Radiusfraktur ist der häufigste Knochenbruch
mit distaler Ulna und Discus ulnocarpalis (triangulärer fibrokarti- des menschlichen Skeletts mit einer Inzidenz von 2–3 pro
laginärer Komplex, TFCC; ⊡ Abb. 31.3). Die ossäre und ligamentäre 100.000 Einwohner.
Integrität aller drei Säulen ist für die Stabilität des Handgelenks
unabdingbar. Jede der drei Säulen besitzt charakteristische Eigen- Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Durch den aufrechten Gang
schaften, die es zu beachten gilt. Die radiale Säule hat vor allem haben sich die Hände und Unterarme zu Trage- und Haltewerk-
stabilisierende Funktion, ossär stützt sie gegen radial ab; daneben zeugen entwickelt. Stürzt der Mensch aus dieser aufrechten Positi-
ist der Processus styloideus radii ein wichtiger Ansatz für stabili- on, so kommt es reflexartig zu einer Abstützbewegung der Hände,
sierende dorsale und palmare extrinsische Bandstrukturen. Diese um die Wucht des Sturzes abzufangen. Abhängig von der Kno-
leisten einerseits einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des chenqualität, der Kraft des Aufpralls sowie dem Aufprallwinkel
Karpus, andererseits tragen sie zur Kontrolle der Drehbewegung kann es nun lediglich zu einer Kontusion oder eben auch zu einer
des Radius um die Ulna bei. Über die radiale Säule wird nur wenig Frakturierung des Radius oder ggf. auch der Elle kommen.
Kraft vom Karpus auf den Vorderarm übertragen. Die ulnare Säule Die Inzidenz wird bei Menschen unter 35 Jahren für Frauen
ihrerseits stellt eine fixe Achse dar, um die sich der Radius dreht. mit 0,37% und Männer für 0,09% angegeben. Ab dem 50. Lebens-
Der TFCC übernimmt die wichtige Aufgabe, das radioulnokar- jahr liegt bei Frauen das Risiko eine distale Radiusfraktur zu erlei-
pale Gelenk vom radioulnaren Gelenk zu kompartimentieren, da- den bei 15%, bei Männern bei 2%.
mit eine voneinander unabhängige Bewegung in beiden Gelenken Frakturlokalisation und Frakturtyp hängen im Wesentlichen
möglich ist. Daneben wird ein Teil der Kraft von der Handwurzel von der Position des Handgelenks während des Sturzes und dem
über die ulnare Säule auf den Vorderarm übertragen. Die interme- Alter des Patienten und der Stabilität des Knochens ab. Bei be-
diäre Säule mit der Fossa lunata schließlich dient hauptsächlich der troffenen unter 40 Jahren finden sich meist Hochenergietraumen
Kraftübertragung. Ein kurzes, kräftiges Band setzt an der palmaren wie z. B. im Rahmen von Stürzen oder Verkehrsunfällen. Die
Lippe der Fossa lunata an und läuft zum Os lunatum, um dieses zu Geschlechtsverteilung ist hier in etwa gleich. In über 50% der Fälle
stabilisieren. Bei einer intraartikulären Fraktur ist die intermediäre finden sich jedoch stärker dislozierte, instabile Frakturen.
Säule oft in ein dorsoulnares und ein palmoulnares Fragment ge- Bei Patienten über dem 40. Lebensjahr überwiegen als Ursa-
spalten. Diese beiden Fragmente bilden gleichzeitig das Gelenk zur chen sog. Low-Energy-Traumen wie z. B. ein Sturz aus dem Stand.
distalen Ulna (Incisura ulnaris oder »sigmoid notch«) und nehmen In dieser Altersgruppe ist das Risiko für Frauen 6,2-fach höher als
31.1 · Allgemeines
773 31
für Männer, bei einem Sturz eine Radiusfraktur zu erleiden. Mit Pathologische Frakturen
Zunahme des Alters häufen sich Unfälle im häuslichen Umfeld im Knochentumore sind in dieser Region selten. Wird die Struktur
Gefolge einer reduzierten Reaktionsfähigkeit sowie zusätzlicher hierdurch geschwächt so kann es bereits bei Bagatellverletzungen
internistischer Erkrankungen. zu Frakturen (»pathologische Frakturen«) kommen.
Im Rahmen der Osteoporose kommt es sowohl zu einer Aus-
dünnung und Schwächung der Knochenspongiosa wie auch der
31.1.3 Ätiologie Kortikalis im Bereich des distalen Radius.
Als Hauptursache hierfür ist der postmenopausale Östrogen-
Hyperextensionsfrakturen (Typ Colles) mangel bei Frauen bekannt. Zusätzlich können für beide Ge-
Der typische Verletzungsmechanismus der distalen Radiusfraktur schlechter als Ursache Vitamin-D-Mangel, gestörte Leberfunktion
ist ein Sturz auf die dorsal flektierte Hand. Dies kann entweder bei sowie auch gesteigerte Parathormonspiegel beobachtet werden. Bei
einem Stolpern nach vorne über ein Hindernis mit einem Abfangver- Männern wird als zusätzliche Ursache ein erniedrigter Serumtesto-
such der Hand oder auch durch ein Stolpern nach hinten mit einer storonspiegel beschrieben.
Abstützbewegung geschehen (⊡ Abb. 31.4). Seltene Ursachen sind Ab- Die für eine Frakturentstehung erforderliche Kraft hängt von
stützverletzungen wie z. B. beim Anprall auf ein Lenkrad, Frakturen der Ausprägung der Osteoporose ab.
durch ein direktes Quetschtrauma oder Brüche in Folge einer Unter- Im englischen Sprachgebrauch wird von sog. »low energy
armrotation bei fixiertem Handgelenk. Komplexe Frakturen finden fractures« gesprochen. Somit können Bagatellverletzungen oder
sich oftmals begleitend im Rahmen der Polytraumaverletzung nach unspektakuläre Stürze zur Entstehung eines Speichenbruchs
schweren Verkehrsunfällen oder Stürzen aus größerer Höhe. Experi- führen.
mentell konnte die zur Entstehung des Knochenbruchs nötige Kraft- Von klinischer Relevanz sind vor allem 3 Gesichtspunkte:
einwirkung- die bei einer Handgelenkdorsalflexion zwischen 105 1. Kommt es bei einem unwesentlichen Trauma zu einer distalen
und 440 kg liegt- nachgewiesen werden. Im Mittel liegt die benötigte Radiusfraktur, so sollte bei der Erstuntersuchung mit beson-
Kraft für Männer bei 282 kg und für Frauen bei 195 kg und bei einer derer Sorgfalt nach weiteren knöchernen Verletzungen, vor
Dorsalflexion zwischen 40° und 90°. Obwohl individuell betrachtet allem im Bereich der Hüften und der Wirbelsäule, gesucht
der exakte Frakturmechanismus letztendlich nicht eindeutig geklärt werden.
ist, deuten die scharfkantigen Bruchlinien an der palmaren Kortikalis 2. Wird im Rahmen einer distalen Radiusfraktur eine bestehende
auf eine primäre Zerreißung des Knochens palmar bei Hyperextensi- Osteoporose erstmals auffällig, so ist im weiteren Behand-
on hin. Durch den Verlust dieser metaphysären palmaren Abstützung lungsverlauf eine Knochendichtemessung anzuraten. Durch
kommt es bei ausreichender Krafteinleitung zu einer Kompressi- entsprechende Therapie kann der weitere Knochenabbau
on der Spongiosa und letztendlich zu einer Berstung der dorsalen gestoppt und ein gewisser Kochenaufbau gefördert werden.
Kortikalisanteile. Hier finden sich oftmals mehrere frakturierte und Somit kann die Gefahr späterer Frakturen im Bereich der
übereinander geschobene Kortikalisschuppen. Abhängig vom Vek- Wirbelkörper sowie der Hüften und Unterarme in ihrer Häu-
tor der Krafteinleitung sowie der absoluten Krafteinwirkung kann figkeit reduziert werden.
es zusätzlich zu einem Bersten der Gelenkflächen und ggf. über die 3. Bei der Wahl der Therapie ist der Grad der Osteoporose zu
proximale Handwurzelreihe zu einer Impaktierung der Gelenkfläche berücksichtigen. Insbesondere bei der Behandlung mittels
in die bereits komprimierte Spongiosa kommen. Kirschner-Draht-Osteosynthese sowie mittels Fixateur exter-
ne muss die fragwürdig sichere Verankerung der Drähte be-
Flexionsfrakturen (Typ Smith) dingt durch die schwache Knochenstruktur kritisch diskutiert
Bei Sturz auf das hyperflektierte Handgelenk können palmare werden.
Knochenfragmente resultieren.

a b

⊡ Abb. 31.4 Biomechanische Entwicklung einer metaphysären Fraktur durch Sturz auf die ausgestreckte Hand. a,b Mechanismus einer volaren Abscherfrak-
tur (B3) durch Sturz auf die flektierte Hand. (Aus Oestern 1999)
774 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

31.1.4 Diagnostik Zusätzlich sollten bei der Gesamtbetrachtung der Röntgenbilder


etwaige begleitende Frakturen im Bereich der Mittelhand und der
Anamnese, körperliche Untersuchung und bildgebende Diagnostik Finger erkannt und damit erfasst werden. Zur Sicherung eines
müssen folgende Fragen beantworten: standardisierten Vorgehens kann ein diagnostischer Algorithmus
hilfreich sein (⊡ Abb. 31.5).
▬ Stabilitäts- und Instabilitätszeichen
▬ Frakturtyp Anamnese und körperliche Untersuchung
▬ Mitbeteiligung des distalen Radioulnargelenks (Kongruenz, Klinisch kann die Bandbreite von wenig Schmerzen und dezenter
Stabilität) Schwellung hin bis einer deutlich erkennbaren Dislokation im
▬ Zeichen karpaler Begleitverletzungen (ossär, ligamentär) Sinne einer Bajonett-Stellung mit ausgeprägter Schwellung und
▬ Drohendes Nervenkompressionssyndrom (N. medianus) Hämatom und starken Schmerzen imponieren (⊡ Abb. 31.6a). Bis-
▬ Verletzung des Weichteilmantels weilen finden sich palmare Hautwunden nach Durchspießung der
▬ Strecksehnenverletzung frakturierten Knochenschäfte (⊡ Abb. 31.6a).
▬ Begleiterkrankungen Bei der Erstuntersuchung sind der Grad der Schwellung, et-
▬ physische und psychische Fähigkeiten (Kooperation, Compli- waige Hämatome sowie Anzeichen einer offenen Fraktur, welche
ance) sich meist im Bereich der palmaren Ulna finden, zu dokumen-
▬ soziales Umfeld tieren. Ebenso ist eine schriftliche Fixierung der Durchblutung
31 sowie der Sensibilität der Finger obligatorisch. Dies ist gerade in
Hinsicht auf eine etwaige primäre Verletzung des N. medianus
Bei der klinischen und radiologischen Untersuchung muss neben und in seltenen Fällen des N. ulnaris wichtig. Zusätzlich sollte
der Diagnostik der distalen Radiusfraktur zusätzlich ein besonderes auf die periphere Durchblutung geachtet werden ( Kap. 2). Die
Augenmerk auf mögliche Begleitverletzungen gelegt werden. Im Tastbarkeit der Pulse (A. radialis, A. ulnaris) ist aufgrund der
Bereich der Weichteile betrifft dies Nervenverletzungen, ggf. ein dro- Schwellung am Handgelenk nicht immer möglich.
hendes Kompartment sowie den Verdacht auf Sehnenverletzungen.
Bildgebende Diagnostik
> Besonders gefahndet werden muss nach dem Vorliegen von Die bildgebende Standarddiagnostik umfasst konventionelle Rönt-
Frakturen der proximalen Handwurzelreihe, insbesondere genbilder in 2 Ebenen. Hierbei ist dringend auf eine exakte Ein-
einer begleitenden Skaphoidfraktur sowie einer möglichen haltung der p.-a. Ebene sowie der streng seitlichen Ebene trotz der
Verletzung des SL-Bandes oder LT-Bandes ( Kap. 29) oftmals schwierigen Untersuchungstechnik zu achten. Nur so kann

Unfallmechanismus

Klinischer Aspekt
Untersuchung

Isolierte distale konventionelles


Radiusfraktur Röntgen in 2 Ebenen

einfach komplex Verdacht auf

Frakturtypgerechte CT Radiusfraktur mit Isolierte karpale


Therapie Begleitverletzung Verletzung

V.a. begleitende CT ASK


Skaphoidfraktur MRT Arthrographie

ASK V.a. begleitende


Arthrographie Verletzung des SL- Verletzungsgerechte Kapitel 19-21
Bandes Therapie

⊡ Abb. 31.5 Algorithmus zur Primärdiagnostik der distalen Radiusfraktur


31.1 · Allgemeines
775 31
der Grad einer etwaigen Dislokation der Gelenkfläche sowie einzel- Die Dünnschicht-Computertomografie hat sich in den letzten
ner Gelenke adäquat erkannt und beurteilt werden. Ebenso wichtig Jahren als wichtiger Bestandteil der Diagnostik der distalen Radi-
ist es, dass sich die Einblendung des Röntgenbildes bis auf das distale usfraktur etabliert. Gerade für die präoperative Planung können
Drittel des Unterarms mit erstreckt. Hier könnten sonst nach proxi- wichtige Informationen, wie z. B. die Lage der intraartikulären
mal ziehende Frakturlinien, welche ggf. nur durch eine Kortikalisun- Frakturlinien sowie ggf. eine Impression der Gelenkfläche, sicher
terbrechung erkennbar sind, übersehen werden. Zur Operationspla- dargestellt und die therapeutischen Konsequenzen angepasst wer-
nung und hierbei zur Beurteilung der Winkelverhältnisse und der den. Zusätzlich gelingt eine genauere Einordnung in entsprechende
Radiuslänge leisten Röntgenaufnahmen der Gegenseite gute Dienste. Klassifikationen (⊡ Abb. 31.7b). Mithilfe der dreidimensionalen Re-
Hiermit besteht die Möglichkeit der Orientierung an einem nicht konstruktion kann die Anzahl der Fragmente und deren Lagebe-
verletzten, jedoch üblicherweise identischen Gelenk (⊡ Abb. 31.7a). ziehung besser dargestellt werden (⊡ Abb. 31.7c).

⊡ Abb. 31.6 Klinischer Aspekt der distalen Radi-


usfraktur. a Typische Bajonett- oder Fourchette-
Fehlstellung bei distaler Radiusfraktur, b prä-
operativer Aspekt einer offenen distalen Unter-
armfraktur durch palmare Durchspießung des
b
a Hautmantels. (Aus Heberer et al. 1986)

a b c

⊡ Abb. 31.7 Vergleich der Darstellung einer intraartikulären Fraktur im konventionellen Röntgen, der Computertomografie und der 3D-Rekonstruktion.
a Intraartikuläre Mehrfragmentfraktur mit dorsaler Trümmerzone. b In der Dünnschicht CT zeigt sich das Ausmaß der Gelenkzerstörung, der metaphysäre
Substanzdefekt sowie die dorsale Instabilität. c In der 3D-Rekonstruktion können die einzelnen Fragmente in ihrer Lagebeziehung beurteilt werden
776 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

31

⊡ Abb. 31.8 Kernspintomografie bei distaler


Radiusfraktur. a Unauffälliges konventionelles
Röntgenbild nach Hyperextensionstrauma
mit entsprechenden klinischen Beschwerden.
b In der MRT Darstellung eines »bone bruise«
b
des distalen Radius

Der Stellenwert der Kernspintomografie ist noch unklar. Hilf- schen Verfahren. Schnittbildverfahren wie die Computertomogra-
reich ist diese jedoch bei der Darstellung von Weichteilverletzungen fie können ergänzend mit herangezogen werden. Eine Frakturklas-
und Begleitverletzungen sowie zum Auffinden okkulter Frakturen sifikation ist der schwierige Versuch, die einzelnen Knochenbruch-
oder zur Analyse osteochondraler Läsionen. Bei rein spongiöser typen gemäß ihrer Morphologie in Haupt- und Untergruppen
Infraktion im Sinne eines »bone bruise« kann diese als Knochen- einzuteilen und damit zu definieren und vergleichbar zu machen.
ödem nachgewiesen werden (⊡ Abb. 31.8). Es ergibt sich hieraus Diese Vergleichbarkeit wird benötigt, um Therapieergebnisse im
zwar keine therapeutische Konsequenz, mögliche Beschwerden des klinischen Alltag, wie auch im Rahmen von Studien adäquat
Patienten können allerdings verifiziert werden. gegenüberstellen und bewerten zu können. Daraus ergeben sich
Therapieempfehlungen im Einzelnen oder auch ganze Therapieal-
Arthroskopie gorithmen. Distale Radiusfrakturen können nach mehreren Krite-
Die in den letzten Jahren auch bei der akuten Versorgung von rien eingeteilt werden:
Verletzungen des distalen Radius eingesetzte Arthroskopie erlaubt ▬ Name des Erstbeschreibers,
unter erhöhtem Aufwand die Entfernung freier Knochen-Knorpel- ▬ Mechanismus der Verletzung,
Fragmente, die Kontrolle intraartikulärer Frakturen und des Repo- ▬ Richtung der Dislokation,
sitionsergebnisses, die Erkennung frischer oder degenerativer Lä- ▬ Röntgenbefund oder Dislokationsgrad (AO-Klassifikation),
sionen des Discus triangularis und Läsionen mit Instabilitäten des ▬ Gelenkbeteiligung (Klassifikation nach Melone),
intrinsischen karpalen Bandapparats. Bei bestimmten Verletzungs- ▬ Mitbeteiligung des distalen Radioulnargelenks (Klassifikation
mustern (intraartikulären Mehrfragmentbrüchen mit assoziierten nach Frykman).
karpalen und ulnokarpalen Begleitverletzungen) erlaubt somit die
bei der definitiven Versorgung dieser Verletzung durchgeführte Name des Erstbeschreibers
Handgelenkarthroskopie neben diagnostischen auch therapeuti- Die Frakturen des distalen Radius wurden früher lediglich mit
sche minimalinvasive Verfahren ( Kap. 13). Eigennamen (Eponymen) belegt (⊡ Tab. 31.1). Bei der Vielzahl der
möglichen Frakturformen im Bereich des distalen Radius ist eine
derartige Klassifikation auf lange Sicht nicht möglich.
31.1.5 Klassifikation
Mechanismus der Verletzung  Abschn. 31.1.3
Für die Klassifikation der distalen Radiusfraktur finden sich in der Richtung der Dislokation
Literatur etwa 40 zum Teil sehr unterschiedliche Vorschläge. Diese Die einfachste Unterteilung der distalen Radiusfraktur ist die nach
stützen sich primär auf die bekannten konventionellen radiologi- der Richtung ihrer Dislokation. Die sogenannte Colles-Fraktur
31.1 · Allgemeines
777 31

⊡ Tab. 31.1 Klassifikation distaler Radiusfrakturen anhand von


Eponymen

Smith-Fraktur Distales Radiusfragment ist nach palmar


gekippt

Barton-Fraktur Am Radius ist ein dorsales Kantenfrag-


ment abgebrochen

Reverse Barton-Fraktur Am Radius ist ein palmares Kantenfrag-


ment abgebrochen

Chauffeur-Fraktur Processus styloideus radii ist frakturiert

»Die Punch Fracture« Fossa lunata radii ist imprimiert

Grünholz-Fraktur Bei der kindlichen Fraktur ist die Kortikalis


der Konvexseite vollständig durchgebro-
chen, an der Konkavseite nur angebrochen

Galeazzi-Fraktur Fraktur des distalen Radiusdrittels ist mit


einer Luxation im distalen Radioulnar-
gelenk kombiniert

⊡ Abb. 31.10 AO-Klassifikation. (Aus Schmit-Neuerburg et al 2001)

Typ1 Typ2 Typ3 Röntgenbefund oder Dislokationsgrad


(AO-Klassifikation)
⊡ Abb. 31.9 Klassifikation der palmaren Smith-Frakturen nach Thomas
Im deutschsprachigen Raum hat sich weitgehend die AO-Klas-
sifikation nach Müller für die distalen Radiusfrakturen etabliert
(⊡ Tab. 31.2, ⊡ Abb. 31.10). Obwohl hierbei auch nicht auf den Dis-
(fractura Collesi) beschreibt eine Dislokation nach dorsal mit lokationsgrad komplexer intraartikulärer Frakturen bzw. deren
Abkippung der Gelenkfläche. Zusätzlich kann sich eine radia- Fragmentanzahl und -stellung eingegangen wird, so ist sie doch für
le Abkippung sowie eine Verkürzung des Radius einstellen. Als den täglichen klinischen Gebrauch aufgrund ihrer klaren Struktu-
sogenannte Smith-fracture(Smith-Goyrand) oder auch »reverse rierung äußerst wertvoll.
Colles-fracture« wird ein Bruch mit einer palmaren Abkippung
bezeichnet. Bei beiden werden extraartikuäre von intraartikulären Gelenkbeteiligung
Bruchformen unterschieden. Die Klassifikation von Frykman unterscheidet 8 Gruppen. Sie be-
Für die Smith-Frakturen steht zusätzlich eine Einteilung nach rücksichtigt Zusatzverletzungen im Bereich der distalen Ulna und
Thomas zur Verfügung (⊡ Abb. 31.9). Hier beschreibt Typ 1 die umfasst die Gelenkbeteiligung (Radiokarpalgelenk Typ III und IV,
extraartikuläre, transversale palmar abgekippte Fraktur, Typ 2 die Radioulnargelenk Typ V und VI sowie beide Gelenke Typ VII und
extraartikuläre, quer verlaufende Fraktur mit palmarer Dislokation VIII). Die extraartikulären Frakturen umfassen die Typen I und II
des Karpus und Typ 3 die intraartikuläre Fraktur mit palmarer (⊡ Abb. 31.11).
Dislokation des Karpus und Dislokation des palmaren Radiusfrag- Um der Komplexizität intraartikulärer Frakturen mit deren
ments (palmare Bartonfraktur). Fragmentdislokation eher gerecht zu werden, wurden weitere Ein-
Sagittal verlaufende intraartikuläre Frakturformen, welche nur teilungen entwickelt. In der Klassifikation nach Melone werden die
die palmaren bzw. dorsalen Gelenkabteile im Sinne einer Abriss- einzelnen Frakturfragmente durchnummeriert und zueinander in
fraktur betreffen, werden als palmare bzw. dorsale Barton-Fraktu- Beziehung gesetzt (⊡ Abb. 31.12). Diese Subklassifikation legt ihren
ren bezeichnet. Fokus auf die einzelnen Fragmente sowie Anteile der Gelenkfläche,
778 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

⊡ Tab. 31.2 AO-Klassifikation

Art Hauptgruppe Untergruppe

A Extraartikulär A.1 Fraktur der Ulna A.1.1 Processus styloideus ulnae


A.1.2 Metaphysär einfach
A.1.3 Metaphysär mehrfragmentär
A.2 Einfach und impaktiert A.2.1 Ohne Fehlstellung
A.2.2 Dorsale Fehlstellung (Colles)
A.2.3 Palmare Fehlstellung (Smith)
A.3 Mehrfragmentär A.3.1 Impaktiert
A.3.2 Mit Keil
A.3.3 Komplex
B Partiell intraartikulär B.1 Sagittal B.1.1 Lateral einfach
B.1.2 Lateral mehrfragmentär
B.1.3 Medial

31 B.2 Dorsal (Barton) B.2.1


B.2.2
Einfach
Frontal verlaufend
B.2.3 Dorsale Karpusdislokation
B.3 Palmar (reverse Barton) B.3.1 Kleines Fragment
B.3.2 Großes Fragment
B.3.3 Mehrfragmentär
C Vollständig intraartikulär C.1 Artikulär einfach, metaphysär einfach C.1.1 Posteromediales Fragment
C.1.2 Sagittal verlaufend
C.1.3 Frontal verlaufend
C.2 Artikulär einfach, metaphysär mehrfragmentär C.2.1 Sagittal verlaufend
C.2.2 Frontal verlaufend
C.2.3 In Diaphyse reichend
C.3 Mehrfragmentär C.3.1 Metaphysär einfach
C.3.2 Metaphysär mehrfragmentär
C.3.3 In Diaphyse reichend

⊡ Abb. 31.11 Klassifikation nach Frykman. Unterschieden werden extraartikuläre Frakturen (Typ I und II) und intraartikuläre Frakturen (Typ III, Typ IV). Die Klassi-
fikation erfolgt nach extra- und intraartikulären Frakturverlauf und dem zusätzlichen Abriss des Proc. styloideus ulnae. Obere Reihe (ohne Fraktur des Proc. Sty-
loideus ulanae): Typ I Radius extraartikulär ohne Fraktur des Proc. styloideus ulnae; Typ III Radius intraartikulär ohne Fraktur des Proc. Styloideus; Typ V distales
Radioulnargelenk ohne Fraktur des Proc. styloideus ulnae; Typ VII radiokarpal und DRUG ohne Fraktur des Proc. styloideus ulnae. Untere Reihe (mit Fraktur des
Proc. styloideus ulane): Typ II Radius extraartikulär mit Fraktur des Proc. styloideus ulnae; Typ IV Radius intraartikulär mit Fraktur des Proc. styloideus; Typ VI dista-
les Radioulnargelenk mit Fraktur des Proc. styloideus ulnae; Typ VIII radiokarpal und DRUG mit Fraktur des Proc. styloideus ulnae
31.1 · Allgemeines
779 31

⊡ Tab. 31.3 Universelle Klassifikation der Frakturen des distalen Radius nach Gartland und Werley mit dazugehörigem Therapiealgorithmus

Typ Beschreibung Therapie

Typ I Extraartikuläre, nicht dislozierte und stabile Frakturen Gips oder Schiene

Typ II Extraartikuläre, dislozierte und potenziell instabile Frakturen Geschlossene Reposition


Wenn stabil, Gips oder perkutane Kirschner-Draht-Versorgung
Wenn instabil, Fixateur externe

Typ III Intraartikuläre, nicht dislozierte und stabile Frakturen Gips und ggf. perkutane Spickung

Typ IV Intraartikuläre, dislozierte Frakturen

Typ IVa Intraartikuläre, dislozierte Frakturen, welche nach der Reposition Geschlossene Reposition
als stabil gelten Gips, ggf. Drähte

Typ IVb Reponierbare, jedoch instabile Frakturen Fixateur externe


Ggf. Drähte

Typ IVc Nicht reponierbar und instabile Frakturen Plattenosteosynthese


Ggf. in Kombination mit Drähten

Typ IVd Komplexe, schwerwiegende instabile Frakturen mit Defektzone Plattenosteosynthese


Knochenersatz
Kirschner-Drähte
Ggf. Fixateur externe

⊡ Abb. 31.12 Klassifikation intraartikulärer Radiusfrakturen nach Melone. Am häufigsten werden am distalen Radius 4 Fragmentlokalisationen angetroffen:
1 Fragment des Radiusschaftes, 2 Fragment des Proc. styloideus radii das auch die Fossa scaphoides trägt, 3 Fragment der palmaren Fossa lunata, 4 Fragment
der dorsalen Fossa lunata

welche disloziert oder komprimiert sein können. Die grundlegenden ▬ Unter Typ IV werden Brüche der Gelenkfläche mit Rotations-
Komponenten hierbei sind der Radiusschaft, der Processus styloide- fehlstellung subsummiert.
us radii sowie dorsomediale und palmomediale Komponenten.
▬ Typ I beschreibt hierbei eine wenig dislozierte Mehrfragment- Im angloamerikanischen Sprachgebrauch hat sich in den letzten
fraktur. Jahren die »universal classification« nach Gartland und Werley
▬ Typ II beschreibt eine Impression- bzw. Berstungsfraktur der durchgesetzt (⊡ Abb. 31.13). Grund dieser neuen Betrachtung war
Radiusgelenkfläche (»die punch injury«). Diese umfasst mo- der Versuch, dem aktuellen Verständnis der Fragmentdislokation
derate bis schwerwiegende Fragmentdislokationen und wird der distalen Radiusfraktur, nicht zuletzt auch durch die CT-Dia-
als instabil eingestuft. gnostik, wie auch den moderneren Möglichkeiten der Therapie
▬ Typ III beinhaltet zusätzlich Komponenten im Bereich des Ra- gerecht zu werden. Im Gefolge der »universal classification« wurde
diusschafts, welche in das Beugesehnenkompartment hinein- ein eigener Therapiealgorithmus für die distale Radiusfraktur an-
ragen können. gegeben (⊡ Tab. 31.3).
780 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Typ I Typ II
extraartikulär-undisloziert extraartikulär-disloziert

31

Typ III Typ IV


intraartikulär-undisloziert intraartikulär-disloziert
A: reponierbar-stabil

Typ IV Typ IV
⊡ Abb. 31.13 Universelle Klassifikation nach intraartikulär-disloziert intraartikulär-disloziert
Gartland und Werley B: reponierbar-instabil C: nicht reponierbar-instabil

31.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie Behandlung der Fraktur


Bei der Behandlung der distalen Radiusfraktur ergänzen sich kon-
Bei der Therapie der distalen Radiusfraktur muss man unterschei- servative sowie verschiedene operative Behandlungsansätze.
den in:
▬ Behandlung der Fraktur und > Die Indikationsstellung ist hierbei die Suche nach einer
▬ Behandlung der Begleitverletzungen. individuellen, an den Patienten sowie die Frakturform
angepassten, schonendsten Behandlungsform mit dem
Ein therapeutischer Algorithmus ist die Basis für die einheitliche besten zu erwartenden Therapieergebnis. Eine falsche
Therapie der distalen Radiusfraktur in einer Klinik oder Abteilung Indikationsstellung kann zu einem schlechten Therapieer-
(⊡ Abb. 31.14). gebnis führen.
31.1 · Allgemeines
781 31

Distale
Radiusfraktur

nein Mehr als ein ja


Instabilitätskriterium

Stabile Fraktur Instabile Fraktur

A0 Typ A2 A0 Typ A2, A3 A0 Typ B1 A0 Typ B2, B3, C1, C2, C3

Geschlossene Reposition Kirschnerdrahtosteosynthese Schraubenosynthese Plattenosynthese


dorsale Gipsschiene Fixateur externe

Röntgenkontrolle nach Röntgenkontrolle nach Röntgenkontrolle nach Röntgenkontrolle nach


7, 14 und 21 Tagen 7, 14 und 21 Tagen 7, 14 und 21 Tagen 7, 14 und 21 Tagen

ja ja Schiene bis zur Wundheilung


Redislokation Redislokation Sofort Lymphdrainage

nein nein

Krankengymnastik

Ruhigstellung für Ruhigstellung für


4-6 Wochen 6 Wochen

Drahtentfernung nach ggf. Metallentfernung nach ggf. Metallentfernung nach


6-8 Wochen 9-12 Monaten 9-12 Monaten

⊡ Abb. 31.14 Vorschlag eines Algorithmus zur einheitlichen Behandlung der distalen Radiusfraktur

Ausgehend vom radiologischen Bild bzw. ergänzender Zusatzdi- Vorerkrankungen im Bereich der Hand oder des Handgelenks müssen
agnostik werden die Frakturform und der Frakturtyp festgelegt. bei der individuellen Therapieplanung ebenso wie der Allgemeinzu-
Entsprechend dieser Zuordnung wird die Behandlungsstrategie stand des Patienten mit berücksichtigt werden. Gerade vorbestehen-
individuell bestimmt. Das Spektrum der Behandlung reicht von de Arthrosen im Bereich der Hand wie z. B. eine Sattelgelenkarthrose
der konservativen Therapie über eine operative Behandlung mittels können sich durch eine 6-wöchige Ruhigstellung klinisch und funkti-
Kirschner-Drähten, Plattenosteosynthese, Schraubenosteosynthese onell deutlich verschlechtern. Bei derartigen Vorerkrankungen kann
bis zum Einsatz des Fixateur externe. eine großzügige Indikationsstellung hin zur Plattenosteosynthese, die
eine sofortige Übungsbehandlung ermöglicht, Vorteile für die spätere
> Im Verlauf der Behandlung kann abhängig von den radiolo- Funktion der Hand und des Handgelenks erbringen.
gisch dokumentierten Ergebnissen ein Verfahrenswechsel Schwerwiegende Allgemeinerkrankungen, wie etwa eine nicht
erforderlich werden. Die Ursache hierfür ist entweder ein unterbrechbare Antikoagulationstherapie, beeinflussen die Wahl
zunehmender und damit nicht akzeptabler Verlust des in- des Behandlungsverfahrens. Bei dem Vorliegen derartiger Grund-
itial erreichten Repositionsergebnisses oder ein Erkennen erkrankungen ist die Entscheidung zur geschlossenen Reposition
weiterer Zusatzverletzungen, welche eine Intervention er- und perkutaner Drahtfixation als am wenigsten invasives operati-
forderlich machen. ves Verfahren trotz geringerer Stabilität zu bevorzugen.
782 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Behandlung der Begleitverletzungen Fixateur externe ist obsolet. Begleitverletzungen können im Verlauf
Vor allem durch die Arbeiten von Pechlaner et al. (2002) sind die zu einem Verfahrenswechsel zwingen.
Begleitverletzungen im Rahmen einer Fraktur der distalen Funkti-
onseinheit bekannt geworden. Hierzu zählen: Zusätzliche Läsion des DRUG ( Kap. 33). Die distale Ulna mit
▬ zusätzliche karpale Frakturen, ihrer Gelenkfläche hin zum Radius, ihren stabilisierenden Kapsel-
▬ zusätzliche Läsionen des Kapsel-Band-Apparates, Band-Strukturen und sowie dem karpoulnaren Raum ist bei der
▬ karpale Instabilität und Beurteilung der distalen Radiusfraktur mit einzubeziehen. Diesem
▬ zusätzliche Läsion des DRUG. Umstand wird in der AO-Klassifikation mit dem Typ A1, also der
isolierten Fraktur der distalen Ulna, Rechnung getragen. Der ulna-
Zusätzliche karpale Frakturen. Frakturen des Os scaphoideum re Handgelenkabschnitt spielt eine tragende Rolle sowohl für die
sind zu einem geringen Anteil mit distalen Radiusfrakturen asso- Pronation und Supination des Unterarms wie auch für die kraftvolle
ziiert (⊡ Abb. 31.15), häufiger jedoch bei den Luxationsfrakturen statische und dynamische Stabilisierung des Handgelenks. Begleiten-
des Karpus mit Kantenabrissen des distalen Radius anzutreffen. de Verletzungen sowie posttraumatische Fehlstellungen im Gefolge
Bei Verdacht einer begleitenden Kahnbeinfraktur des Handgelenks einer Radiusfraktur können eine Bewegungseinschränkung in allen
bringt die CT-Untersuchung in mm-Schichtung des Kahnbeins Ebenen, einen Kraftverlust für die Greiffunktion sowie bleibende
in seiner Längsrichtung die größtmögliche Sicherheit. Eine be- Schmerzen verursachen. Erfolgt die Ausheilung einer Radiusfraktur
gleitende Skaphoidfraktur erfordert eine operative Stabilisierung in Fehlstellung mit Verkürzung des Radius so entsteht eine Inkon-
31 ( Kap. 27). Als Basis für diese Versorgung hat sich die zusätzliche gruenz der Gelenkflächen des distalen Radioulargelenks (radioulna-
Plattenosteosynthese der Radiusfraktur bewährt (⊡ Abb. 31.14). re Arthrose) sowie eine Einengung des karpoulnaren Raums (ulno-
karpales Impingement). Dies bedeutet bei einem relativen Ulnavor-
Zusätzliche Läsionen des Kapsel-Band-Apparates. Beim schub von 2 mm eine Einschränkung von Pronation und Supination
Vorliegen einer behandlungsbedürftigen SL-Band-Verletzung um etwa 20%, bei einem Vorschub von 4 mm um etwa 50%, was zu
Grad II und Grad III ist ebenfalls eine Plattenosteosynthese die einer empfindlichen Behinderung der gesamten Unterarmfunktion
Grundlage für weitere Rekonstruktionen im Bereich der Handwur- führt. Durch die Einengung des karpoulnaren Raums entsteht ein
zel ( Kap. 29). Aufgrund des dorsalen Zugangs zum Handgelenk Impingement zwischen Ulna, Os lunatum und Os triquetrum mit
wird hier üblicherweise eine dorsale Plattenanlagerung am Radius Einklemmung des Discus triangularis und damit Schädigung des
gewählt. Eine begleitende Fraktur der distalen Ulna destabilisiert TFCC. Die Folgen hiervon sind Kraftverlust und eine Bewegungs-
die Radiusfraktur zusätzlich. Auch hier ist eine Plattenosteosyn- einschränkung für die Extension und Flexion. Eine Gelenkstufe in
these am distalen Radius sowie ggf. eine zusätzliche Osteosynthese der »sigmoid notch« des Radius oder eine durch Radiussinterung
mittels Kirschner-Draht oder Miniplatte an der distalen Ulna zu bedingte Fehlbelastung dieses Gelenks sind Ursachen einer posttrau-
fordern. Eine Behandlung dieser Frakturkombinationen mittels matischen Arthrose des distalen Radioulnargelenks ( Kap. 32).

⊡ Abb. 31.15 Wenig dislozierte Radiusfraktur


mit begleitender Skaphoidfraktur. a Präopera-
tiver Aspekt, b dorsaler Zugang zur Versorgung
beider Brüche; Plattenosteosynthese am Radius
sowie Herbert-Schraube zur Stabilisierung der
a b
Skaphoidfraktur
31.1 · Allgemeines
783 31
Die akuten posttraumatischen Verletzungen des Discus trian- Zeitpunkt der Therapie
gularis (TFCC) werden entsprechend ihrer Risslokalisation in Die Behandlung soll zeitnah zum Unfallereignis erfolgen, um zu-
a) zentrale, sätzliche, durch die Dislokation der distalen Fragmente hervorge-
b) ulnare, rufene Weichteilschädigungen, insbesondere des N. medianus, der
c) palmare und A. ulnaris und der Haut, auf ein Minimum zu reduzieren. Eine
d) radiale Verletzungen notfallmäßige Einrichtung und Schienung vor weiterführender Di-
unterteilt. Während eine vertikale Frakturlinie durch die Fossa agnostik und Behandlung unter lokaler Bruchspaltanästhesie muss
lunata mit Dislokation der intraartikulären Fragmente auf eine im Einzelfall vor einer längeren Behandlungspause in Erwägung
SL-Dissoziation hohen Ausmaßes hinweist, muss bei erheblichen gezogen werden. In Abhängigkeit vom vorgesehenen Behandlungs-
radialen Dislokationen der Radiusbasis bei fehlender Fraktur des verfahren erfolgt die Einrichtung entweder in Bruchspalt-, Re-
Caput ulnae eine Läsion des ulnokarpalen Bandapparates und des gional- oder Allgemeinnarkose. Bei komplexen Frakturen sollte
Discus triangularis angenommen werden. Diagnostische Sicherheit zumindest die definitive operative Versorgung erst nach 3–5 Tagen
für eine akute Läsion des Discus triangularis bietet die Arthrosko- nach Abschwellung vorgenommen werden.
pie. Frische Abrisse mit Aufhebung der Spannung des Discus (feh-
lender Trampolineffekt) werden durch transossäre/transligamentä- Beurteilung der Stabilität bzw. Instabilität der Fraktur
re Nähte, ähnlich der Refixation von Meniskusrupturen, versorgt. Bereits die richtige Einschätzung von Stabilität bzw. Instabilität der
Nach Einrichtung und Fixation der dislozierten Radiusfragmente Fraktur kann Probleme bereiten. Hierfür wurden mögliche Insta-
werden die Kongruenz und Stabilität des distalen Radioulnarge- bilitätskriterien identifiziert, welche ggf. zu Rate gezogen werden
lenks radiologisch und klinisch überprüft. Diese Prüfung ist auch können ( Übersicht). Isolierte metaphysäre Frakturen ohne beglei-
bei der konservativen Einrichtung einer stabilen, dislozierten Frak- tende Bandverletzung gelten als weitgehend stabil. Das Fortschrei-
tur vor Anlegen des fixierenden Verbands zu fordern. Stellt sich ten der Dislokation verhindern ein unversehrter ulnarer Bandap-
nach Einrichtung der Radiusbasis keine Kongruenz des distalen parat und ein intaktes distales Radioulnargelenk.
Radioulnargelenks ein, wird diese durch offene oder gedeckte Re-
> Oftmals zeigt sich jedoch erst nach einer geschlossener
position wiederhergestellt. Entsprechend der Dislokationsrichtung
Reposition unter Durchleuchtung, inwieweit das erzielte
des Radius bei Instabilität nach palmar oder dorsal wird über einen
Ergebnis als stabil zu betrachten ist.
palmaren oder häufiger dorsalen Zugang die Revision des distalen
Radioulnargelenks durchgeführt und nach anatomischer Repo-
sition bei persistierender Instabilität mit einem Kirschner-Draht Beurteilung der Stabilität bzw. Instabilität einer distalen
das Gelenk transfixiert. Dabei wird der Unterarm in 0–40° Pro- Radiusfraktur
nationsstellung für eine Dauer von 3–4 Wochen ruhiggestellt. Ein ▬ Stabilitätskriterien
das Ellenbogengelenk und damit das proximale Radioulnargelenk – Isolierte metaphysäre Frakturen ohne begleitende Band-
fixierender Verband ist bis zur Entfernung der transfixierenden verletzung gelten als weitgehend stabil
Kirschner-Drähte notwendig. Dislozierte Basisfrakturen des Ulna- ▬ Instabilitätskriterien
kopfs sind Zeichen einer ulnaren Instabilität des Handgelenks und (bei Zutreffen von zwei oder mehr der genannten Kriterien
bedürfen der Reposition und Fixation durch Zuggurtung oder/und ist von einer instabilen Situation auszugehen)
Kirschner-Drähte, bei Trümmerfrakturen gelegentlich der offenen – Initiale Dislokation >20° nach dorsal
Einrichtung und Stabilisierung mit 2,4- bis 2,7-mm-Formplatten – Verkürzung der Radiusbasis von mehr als 3 mm
(⊡ Abb. 31.10). – Palmare und dorsale metaphysäre Trümmerzonen
– Dislozierte intraartikuläre Fraktur
Adaptive karpale Instabilität. Eine in Fehlstellung verheilte – Dislozierte Flexionsfraktur
distale Radiusfraktur führt zu einer adaptiven karpalen Instabilität – Ulnarvorschub >3 mm
( Kap. 29). Die beste Therapie ist deren Vermeidung durch eine – Dislozierte Basisfrakturen des Processus styloideus ulnae
anatomische Rekonstruktion. Ist dies primär nicht möglich oder – Patientenalter >60 (Osteoporose)
stellt sich der Patient erst sekundär vor, sollte möglichst frühzeitig
eine Korrektur ( Kap. 32) durchgeführt werden.
Allgemeine Therapierichtlinien
Prinzipiell gilt: Je jünger und aktiver der Patient, umso dringender
31.1.7 Therapie ist eine sichere anatomische Rekonstruktion anzustreben. Neben
einem guten funktionellen Frühergebnis muss hier auch auf die
Determinanten der Therapie Vermeidung von Spätschäden geachtet werden.
Die Kunst der Therapie distaler Radiusfrakturen ist neben dem Bei beidseitigen Radiusfrakturen ist die Indikation zur Plat-
rein handwerklichen die richtige Entscheidung, d. h. das Finden ei- tenosteosynthese und der damit verbundenen Teilfunktion groß-
ner frakturangepassten Indikationsstellung für das therapeutische zügig zu stellen. Somit kann der Zustand der fast vollständigen
Vorgehen. Die Wahl des Behandlungsverfahrens richtet sich nach: Hilflosigkeit zeitlich stark abgekürzt werden.
▬ vorliegendem Verletzungsmuster, Eine Veränderung der Gelenkwinkel in der d.p. sowie seit-
▬ begleitenden Zusatzverletzungen, lichen Ebene, eine Verkürzung des Radius um mehr als 2 mm
▬ Erkrankungen oder/und anlagebedingten Anomalien, wie auch eine Veränderung in der Kongruenz der radiokarpalen
▬ Bedürfnissen des Patienten, Gelenkfläche können jede für sich selbst wie auch in Kombination
▬ gesicherten Behandlungsmethoden, Bewegungseinschränkungen, Schmerzen sowie Kraftverlust nach
▬ Erfahrung des Behandelnden, sich ziehen.
▬ Behandlungsmöglichkeiten (Massenanfall von Verletzten), Eine Vertiefung der radiokarpalen Gelenkfläche infolge einer
▬ ökonomischen Aspekten. Impression um auch nur 1 mm führt zu signifikanten Einschrän-
784 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

kungen in der radiokarpalen Beweglichkeit. Gerade der Längen- Osteopenie des betroffenen Skelettabschnitts im Gefolge einer
verlust des Radius im Verhältnis zum Ulnaköpfchen verursacht Fraktur langfristig zu behandeln bzw. ihr vorzubeugen.
auch bei älteren Patienten deutliche Funktionseinbußen in Pro-
> Trotz aller technischen Maßnahmen und Bemühungen kann
nation und Supination. Bei einer verbleibenden intraartikulären
es zu einer Fehlstellung kommen. Diese führt bei alten Pa-
Gelenkstufe von mehr als 2 mm ist initial von einem schlechten
tienten aufgrund der geringen beruflichen und privaten
funktionalen Ergebnis und auf längere Zeit gesehen von der Aus-
Beanspruchung oftmals zu klinisch befriedigenden Ergebnis-
bildung einer Radiokarpalarthrose auszugehen.
sen, während bei jungen Patienten erfahrungsgemäß auch
Therapieziele kleinste Fehlstellungen zu Bewegungseinschränkungen,
Kraftverlust und belastungsabhängigen Schmerzen führen
Adäquate Schmerztherapie. Zur Verbesserung der Lebensqua-
können. Abhängig von Lebensalter und Leidensdruck ist eine
lität sollte immer eine posttraumatische Schmerztherapie ( Kap. 3)
Korrektur der Fehlstellung indiziert ( Kap. 32)
durchgeführt werden. Diese erleichtert dann auch die mög-
lichst frühzeitig einsetzende handtherapeutische Begleittherapie
( Kap. 15). Der übliche Ruhigstellungszeitraum beim Erwachsenen Konservative (nichtoperative) Therapie
beträgt hierbei 6 Wochen, es kann jedoch im Einzelfall notwendig > Die konservative Therapie umfasst die Ruhigstellung bzw. die
sein, von dieser Vorgabe abzuweichen. Technisch stehen verschie- Reposition und Ruhigstellung des Handgelenks im Unterarm-
dene Kunststoffgipse zur Verfügung. gips (in seltenen Ausnahmefällen ggf. Oberarmgips).
31
Wiederherstellung von Form und Funktion. Ziel der Behand- Das Problem der konservativen Therapie besteht darin, primär
lung der distalen Radiusfraktur ist eine Abwägung zwischen scho- keine ausreichende Reposition zu erreichen bzw. einer sekundären
nendster Therapieform und einer bestmöglichen anatomischen Dislokation Vorschub zu leisten, die unkorrigiert zur Fehlstellung
Rekonstruktion. Dies ist die wesentliche Voraussetzung für die führt. Die Domäne der konservativen Therapie sind die extraarti-
Wiederherstellung einer guten Funktion in allen Bewegungsebe- kulären, wenig dislozierten Radiusfrakturen ohne größere dorsale
nen. Hierunter fällt eine weitgehende Rekonstruktion der alten Trümmerzone, welche als stabil eingestuft werden können (A2-
Winkelverhältnisse unter Vermeidung der Abkippung der Gelenk- Frakturen). Zeigt sich initial keine nennenswerte Fehlstellung, so
fläche nach radial, palmar oder dorsal. Eine relative Ulna-plus- erfolgt lediglich die Anlage des Gipsverbandes.
Variante und damit Störung des distalen Radioulnargelenks infolge Bei in akzeptabler Stellung eingestauchten Frakturen er-
einer Verkürzung der Speiche durch Sinterung sollte ebenso ver- folgt die Retention der Fraktur in einem zirkulären Unterarm-
mieden werden wie intraartikuläre Gelenkstufen oder eine Vertie- gips, der bis auf die letzte Faser gespalten werden muss. Die
fung der Gelenkfläche durch Impaktionierung der komprimierten MP-Gelenke müssen frei beweglich sein. Das Handgelenk steht in
Spongiosa. Mittelstellung (etwa 30° Extension, Pronation/Supination in neu-
tral; ⊡ Abb. 31.17d). Auf eine ausreichende Polsterung mit Watte
Adäquate Therapie der Begleitverletzungen  Abschn. 31.1.7.3 (oder anderen Polsterstoffen) sollte immer geachtet werden, um
Druckstellen zu vermeiden. Der Gipsverband wird an der palma-
Vermeidung von Komplikationen. In der unmittelbaren Folge ren Unterarm- und Handgelenkseite angebracht und zirkulär mit
einer distalen Radiusfraktur und deren Behandlung ist es wichtig, Gipsbinden verstärkt. Der noch nicht ausgehärtete Gips kann
die Entstehung einer Reflexalgodystrophie/CRPS (»complex regi- nun anatomisch anmodelliert werden. Hierbei sollte das palmare
onal pain syndrome«) zu verhindern. Da keine echten Interven- proximale Quergewölbe und das Längsgewölbe sowie dorsal der
tionsmöglichkeiten bekannt sind, um eine derartige Zweiterkran- radiokarpale Übergang herausgearbeitet werden. Nach Aushärten
kung auszuschließen, ist es wichtig, alle negativen Faktoren, welche des Gipsverbandes muss dieser bis auf die letzte Faser – d. h. das
zur Entstehung eines CRPS beitragen können, zu vermeiden. Ne- Polstermaterial mit inbegriffen – gespalten werden. Der gespaltene
ben der richtigen Wahl der Therapie sowie der fürsorglichen Pa- Gips wird mit einer elastischen Binde fixiert.
tientenführung besteht diese Vorsorge in einer ausreichenden und
kontinuierlichen analgetischen Behandlung. Vor dem Hintergrund
der Zunahme der ambulanten Versorgungen haben sich konkrete Eine Palmarflexion – die sog. Schede-Stellung – ist aus folgenden
postoperative Nachbehandlungsregime bewährt. Ein angepasstes Gründen abzulehnen:
antiphlogistisch/analgetisches Medikamentenschema, ggf. mit pe- 1. Eine starke Flexion des Handgelenks im Gipsverband kann
rioperativer Opiatgabe, ist als Schmerztherapie gefordert ( Kap. 3). nicht durch Zug an der Gelenkkapsel die Redislokation ver-
Bei Zunahme von Schmerzen ist stets auf die korrekte Lage eines hindern. Erst eine Beugung von 80–90° führt zu Anspannung
Gipses oder einer Gipslonguette zu achten. Ein zu enger Gips oder der Gelenkkapsel, aber auch – im Sinne eines Phalen-Tests –
Verband, welcher zu Zirkulationsstörungen führt, kann das spätere zur Kompression des N. medianus im Karpaltunnel.
funktionelle Ergebnis deutlich negativ beeinträchtigen. Patienten 2. Die Schede-Stellung verhindert darüber hinaus den festen
mit einem CRPS in der Anamnese werden zur Sicherstellung einer Faustschluss und zentriert die proximale Handwurzelreihe
ausreichenden Analgesie üblicherweise unter stationären Bedin- auf die dorsale Hälfte der Radiusgelenkfläche. Dadurch wird
gungen behandelt. Hierbei kann auch eine fortlaufende Plexusan- der größte Druck in diesem Bereich ausgeübt.
ästhesie mittels Plexuskatheter für 2–4 Tage gute Dienste leisten 3. Die Schede-Stellung hat eine höhere Inzidenz des CRPS I
( Kap. 18). ( Kap. 18)

Prävention einer Refraktur. Der supportive Einsatz von Bis-


phosphonaten oder ähnlichen knochendichtefördernden Substan- Zur Kontrolle und Dokumentation der Stellung nach Immobi-
zen ist in der perioperativen Phase in seiner Wirksamkeit nicht lisation ist eine Röntgenaufnahme des Handgelenks in d.p. und
belegt. Als Langzeittherapie besteht jedoch die Möglichkeit, eine lateralem Strahlengang notwendig. Der Patient muss ausdrücklich
31.1 · Allgemeines
785 31

⊡ Abb. 31.16 Ausbehandeln einer nicht dislozierten, stabilen Fraktur im Unterarmgips. Keine sekundäre Dislokation im Verlauf der routinemäßigen Röntgen-
kontrollen nach 1,2,4 und 6 Wochen

darauf hingewiesen werden, dass, wenn Schmerzen oder Kribbel- fällen – sehr ängstlicher Patient, Nachreposition – notwendig. Zur
parästhesien auftreten oder zunehmen, er unverzüglich ärztliche Bruchspaltanästhesie wird das Handgelenk entsprechend desinfiziert
Hilfe aufsuchen muss. Darüber hinaus ist die routinemäßige Kont- und der Bruchspalt mit der Injektionsnadel von der Streckseite des
rolle des Gipses am nächsten Tag obligat. Nach erfolgter Abschwel- Handgelenks aufgesucht. Wichtig ist dabei, dass die Nadel schräg
lung nach 7–10 Tagen wird dieser Gips dann »zirkuliert« und bis von proximal-dorsal in Richtung distal-palmar geführt wird, da bei
zur Ausheilung der Fraktur nach 4–6 Wochen belassen. Andere senkrechtem Einstich aufgrund der Dislokation der Bruchspalt nicht
Autoren befürworten ein »Umgipsen« nach 7–10 Tagen, da der erreicht werden kann. Zur besseren Orientierung kann die Bruch-
initiale Gips durch die Abschwellung nicht mehr genügend Halt spaltanästhesie unter Bildwandlerkontrolle erfolgen. Unter Kno-
bieten kann. Zur radiologischen Kontrolle des Heilungsverlaufs chenkontakt wird Blut (Frakturhämatom) aspiriert und 5–10 cm³
empfehlen sich Röntgenkontrollen nach 1, 2, 4 und 6 Wochen eines 1–2% Lokalanästhetikums ohne Adrenalinzusatz (Cave: Vaso-
(⊡ Abb. 31.16). Diese engmaschige Röntgenkontrolle ermöglicht es, spasmus im Bereich der Akren) eingespritzt (⊡ Abb. 31.17a).
bei einer Verschlechterung des Repositionsergebnisses eine erneute Nun erfolgt das Aushängen der Extremität. Der Patient liegt
Reposition durchzuführen oder auf ein anderes Therapieverfahren auf dem Rücken, die Schulter am Tischrand, der Oberarm in 90°
rechtzeitig umsteigen zu können. abduziert und der Unterarm steht in Neutralposition. Die Einrich-
Findet sich primär eine dorsale Abkippung bzw. Fehlstellung, tung des Bruches wird nach dem Prinzip von »Zug und Gegenzug«
welche als stabil eingeschätzt werden kann, so geht der Gipsan- und manuellem Druck ausgeführt. Die Extension erfolgt über
lage eine geschlossene Reposition voraus. Bei einer Radiusfraktur Extensionshülsen, sog. »Mädchenfänger«, die an einem Extensi-
von über 5 mm initialer Verkürzung ist von einer sekundären onsständer aufgehängt sind. Der Zug verläuft über den Daumen.
Dislokation bei ausschließlicher Ruhigstellung auszugehen. Eine Der 2. und 4. Finger werden ebenfalls mit sog. »Mädchenfängern«
dorsale Abkippung bis zu 9° und eine radiale Abkippung bis zu 3° ausgehängt. Dadurch befindet sich die Hand in einer Mittelstellung
sind nach Reposition noch akzeptabel. und eine Rotation des Karpus wird vermieden. Der alleinige Zug
am Daumen führt über eine Rotation des Karpus zu einer Verlän-
> Die Reposition sollte technisch unter Bedingungen durch-
gerung der ulnaren Bandverbindungen und zu einer Subluxations-
geführt werden, in denen man bei Bedarf eine zusätzliche
stellung der Hand mit entsprechend eingeschränkter Funktion. Zur
perkutane Kirschner-Draht-Fixation anschließen kann.
Distraktion werden 5–8 kg am Oberarm befestigt.
Voraussetzung für eine optimale Reposition ist eine adäquate Die reine Zugdauer beträgt mindestens 5–10 Minuten. Hier
Schmerztherapie. Hierfür stehen die lokale Bruchspaltanästhesie, reponiert sich bereits eine große Anzahl der Achsenfehlstellun-
die Leitungsanästhesie in Form des subaxillären Plexusblocks und gen von selbst (⊡ Abb. 31.17b). Ist eine ausreichende Reposition
die Allgemeinnarkose zur Verfügung ( Kap. 3). Die Bruchspaltan- erreicht, erfolgt die Retention im gespaltenen Unterarmgips nach
ästhesie bringt in den meisten Fällen genügend Schmerzfreiheit und den oben geannnten Richtlinien.
ist sehr komplikationsarm. Bei der Regionalanästhesie können dar- Ist noch keine ausreichende Frakturstellung erzielt worden,
über hinaus auch reflektorische Muskelkräfte ausgeschaltet werden. sind manuelle Repositionsmanöver notwendig. Diese richten sich
Die Allgemeinanästhesie ist bei Erwachsenen nur in Ausnahme- vor allem nach der Dislokationsrichtung der Fraktur.
786 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

> Alle Repositionsmanöver müssen behutsam durchgeführt knochen unter Kippung nach ulnar und Gegenzug am Unterarm
werden. Forcierte Manöver mit starken Schmerzen für die erreicht (⊡ Abb. 31.17c, links). Anschließend wird die Dislokation
Patienten sind häufig Auslöser eines CRPS I ( Kap. 18). nach dorsal reponiert. Die eine Hand umfasst als Gegenhalt von
palmar her den distalen Unterarm in Höhe des proximalen Frag-
Bei Frakturen mit Dislokation nach dorsal haben sich zwei Repo- ments, mit der anderen wird ein Druck von dorsal auf das distale
sitionstechniken besonders bewährt: Bei den meisten Patienten Fragment und die Handwurzel ausgeübt, dabei muss eine zu starke
beginnt die Reposition zunächst mit einer Reposition der Radial- Flexion nach palmar vermieden werden, um eine palmarseitige
verschiebung. Dies wird durch verstärkten Zug am 1. Mittelhand- Fragmentsprengung zu vermeiden. Eine zu forcierte Reposition

31

c d

⊡ Abb. 31.17 Technik der Reposition der nach dorsal dislozierten distalen Radiusfraktur im Aushang. a Technik der Bruchspaltanästhesie: Infiltration eines Lokal-
anästhetikums (ohne Adrenalinzusatz) in den Bruchspalt, b Anlage des »Mädchenfängers« über dem Daumen, dem 2. und (3.)4. Finger, Rechtwinkelstellung des
Ellbogens, Neutralstellung des Unterarm, Anhängen von 5–8 kg Gewicht, korrekte Bildwandlereinstellung. c Der Repositionsvorgang beginnt mit der Reposition
der Radialverschiebung durch verstärkten Zug am 1. Mittelhandknochen und Kippung nach ulnar (links). Die Dorsalverschiebung wird durch Druck von dorsal auf
das distale Fragment und die Handwurzel ausgeübt, wobei die eine Hand als Gegenhalt für das proximale Fragment dient (rechts). d Gipsanlage am distalen Un-
terarm: Sog. 3–Punkte-Fixation des Gipsverbandes über der Mittelhand dorsal, dem proximalen Unterarm dorsal und auf Höhe der Fraktur palmar. (Aus Weinberg
u. Tscherne 2006, Oestern 1999, Kohn u. Pohlemann 2010)
31.1 · Allgemeines
787 31
kann ebenso zu einer Palmarkippung des distalen Fragments füh- und Ruhigstellung, nach 1 Woche, nach 2 Wochen, nach 4 Wochen
ren. Die Einrichtung erfolgt mit dem Kleinfingerballen, während vor geplanter Gipsentfernung sowie nach 6 Wochen durchgeführt
der Gegendruck mit dem Daumenballen ausgeübt wird. Ein punk- (⊡ Abb. 31.17). Sollte sich in der Frühphase der Behandlung eine
tueller Druck von dorsal, nur auf das distale Radiusfragment, kann sekundäre Dislokation, in der Regel mit Dorsalabkippung einstel-
zu einer Pronationsfehlstellung und damit Supinationsminderung len, so muss frühzeitig über einen Verfahrenswechsel mit erneuter
führen (⊡ Abb. 31.17c, rechts). Die Retention der Fraktur erfolgt in Reposition und zusätzliche Kirschner-Draht-Osteosynthese oder
einem zirkulären Unterarmgips, der bis auf die letzte Faser gespal- sonstige operative Therapie nachgedacht werden. Gefährlich ist das
ten werden muss (⊡ Abb. 31.17d). Tolerieren einer dorsalen Abkippung von 5–10° in der 1. Woche
Bei Frakturen mit Dislokation nach palmar wird zuerst durch sowie weiterer 5–10° in der 2. Woche. Vergleicht man den schlei-
Zug und Gegenzug am Unterarm die Achsenfehlstellung in der chenden, aber zunehmenden Verlust des Repositionsergebnisses
Frontalebene korrigiert. Die Reposition in der Sagittalebene erfolgt über die komplette Behandlungsdauer, so findet sich oftmals in
dadurch, dass man die Hand als Gegenhalt dorsalseitig quer an das der Summe abschließend eine höherwertige Fehlstellung, welche
proximale Fragment legt und mit der anderen Hand drückt. Diese vermeidbar gewesen wäre (⊡ Abb. 31.18).
Hand liegt dorsalseitig quer an der Handwurzel und am distalen
Fragment, wodurch das verschobene Fragment nach dorsal in die Nachbehandlung bei konservativer Therapie. Für die Dauer
korrekte Position zurückgeschoben werden kann. der Ruhigstellung bis zur Gipsentfernung nach 4–6 Wochen erfor-
Bei der konservativen Therapie der distalen Radiusfraktur dert das konservative Therapieregime eine engmaschige klinische
sollte in der Nachbehandlungszeit ein Zeitschema bezüglich der sowie radiologische Kontrolle (⊡ Tab. 31.4). Auf alle Beschwerden
radiologischen Kontrollen festgelegt werden (⊡ Tab. 31.4). So wer- des Patienten insbesondere bezüglich Schmerzen oder Druckge-
den Röntgenaufnahmen direkt nach Ruhigstellung bzw. Reposition fühl muss angemessen reagiert werden.

⊡ Tab. 31.4 Behandlungsplan (»clinical pathway«) bei konservativer Therapie und Spickdrahtosteosynthese in Abhängigkeit vom posttraumatischen
Zeitintervall. Das Schema dient als Leitfaden, damit wichtige Kontrolltermine nicht übersehen werden

Zeitintervall nach Reposition Vorgehen Röntgenkontrollen

Unfalltag Reposition, ggf. Spickdrahtosteosynthese, dorsale Gipsschiene, anschließend +


Röntgenkontrolle

1. Tag Gipskontrolle: auf Durchblutung, Motorik, Sensibilität und Schmerzen achten


Anleitung oder Rezept für begleitende Krankengymnastik: Faustschluss, Finger-
streckung und Ellenbogengelenk beüben; Arm intermittierend hochlagern lassen

3.–5. Tag Gipszirkulation, bei konservativer Therapie anschließend Röntgenkontrolle (+)

7.–10. Tag Gipswechsel unter Zug auf geschlossenen Unterarmgips- oder-kunsstoffverband, +


anschließend Röntgenkontrolle

Nur bei konservativer Therapie Klinische Kontrolle, anschließend Röntgenkontrolle (+)


4 Tage später

Nach 4 Wochen Gipsabnahme, anschließend Röntgenkontrolle, ggf. Terminierung der Entfernung +


der Spickdrähte in Lokalanästhesie (noch am selben Tag oder einige Tage später)

(+) die Einklammerung bedeutet, dass dieser Röntgenkontrolltermin bei stattgehabter Spickdrahtosteosynthese entfällt

a b

⊡ Abb. 31.18 Sekundäre Dislokation nach primär reponierter distaler Radiusfraktur. a Initial nicht verschobene distale Radiusfraktur, b Dislokation nach radial
und palmar mit Ausheilung in Fehlstellung bei konservativer Therapie
788 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

> Es gilt der traditionelle Merkspruch: »Klagt ein Patient im Kirschner-Draht-Fixierung (Spickdrahtosteosynthese)
Gips hat er/sie immer recht«. Die perkutane Fixation mittels Kirschner-Drähten (1,5–2,0 mm)
hat das Ziel, eine geschlossene Reposition, welche instabil oder
Ein zu enger oder drückender Unterarmgips kann zur Ursache fraglich stabil erscheint, mit wenig Operationstrauma zu reti-
für spätere schwerwiegende Komplikationen werden. Hier sei ex- nieren. Für dieses Verfahren kommen extraartikuläre Frakturen
emplarisch das CRPS I (Synonym: Reflexalgodystrophie, Morbus ohne größere dorsale Trümmerzone in Betracht, wenn sich diese
Sudeck) genannt ( Kap. 18). geschlossen adäquat reponieren lassen. Bezüglich der Stabilität ist
Nach geschlossener Reposition erfolgt die Ruhigstellung im die Kirschner-Draht-Fixation der reinen Gipsimmobilisation in
gespaltenen Unterarmgips. jedem Fall überlegen. Entscheidend ist die korrekte Einschätzung
der Fraktur, um spätere Dislokationen zu vermeiden. C2- und C3-
> Einen Tag nach der Gipsanlage muss eine klinische Kontrolle Frakturen sind ungeeignet für eine alleinige Kirschner-Draht-Os-
der Schwellungssituation sowie der Durchblutung und Sensi- teosynthese. Bei älteren Patienten mit osteoporotischen Knochen
bilität der Finger erfolgen und dokumentiert werden. muss die Indikation im Einzelfall aufgrund der häufig instabilen
Verankerung kritisch überprüft werden. Intraartikuläre Fraktu-
Röntgenkontrollen bei der konservativen Behandlung erfolgen di- ren sollten nur in Einzelfällen mittels perkutaner Drahtfixation
rekt nach der Primärversorgung, nach dem Zirkulieren des Unter- behandelt werden. Der große Vorteil der Kirschner-Draht-Fixati-
armgipses nach 5–7 Tagen, nach 14 Tagen, nach 28 Tagen sowie on liegt in dem geringen Operationstrauma. Weitere Komplikati-
31 42 Tagen. Die Röntgenkontrollen werden direkt im Anschluss an onen sind Infekte an den Eintrittsstellen der Kirschner-Drähte. In
das Umgipsen veranlasst. Eine Kontrolluntersuchung zur Doku- solchen Fällen erfolgt die Entfernung der Kirschner-Drähte und
mentation der Schwellung, Durchblutung und Sensibilität ist auch u. U. der Wechsel auf den Fixateur externe. Zu schwach dimensi-
hier 24 Stunden später zu fordern. onierte Kirschner-Drähte können das Repositionsergebnis nicht
Unmittelbar nach der Gipsentfernung beginnt eine intensive halten, und es kommt zu einer Dislokation der Kirschner-Drähte
krankengymnastische Übungsbehandlung mit Bewegungsübungen sowie zu einer sekundären Fragmentdislokation. Zu flach ein-
des Handgelenks sowie der Finger. Die Interphalangealgelenke der gebrachte Kirschner-Drähte bedingen ebenfalls eine sekundäre
Finger sollen auch während der Immobilisationsphase des Hand- Dislokation, wenn der Kirschner-Draht nur wenige Millime-
gelenks aktiv beübt werden ( Kap. 15). ter proximal der Fraktur in der Gegenkortikalis platziert wird.
Das Einbringen muss langsam unter Vermeidung von Hitzeent-
Operative Therapie wicklung erfolgen. Zu hochtourig eingebrachte Kirschner-Drähte
Aufklärung. Neben den üblichen Risiken wie Infektion und führen zu einer Hitzenekrose und damit zu einem Durchwan-
Nachblutung muss man den Patienten, abhängig von der Art dern der Kirschner-Drähte nach proximal. Parallel eingeführte
des gewählten Verfahrens, auf verschiedene Dinge aufmerksam Kirschner-Drähte bringen keine ausreichende Stabilität, deswe-
machen. Die Spickdrahtosteosynthese und der Fixateur externe gen müssen sich die Kirschner-Drähte kreuzen. Das größte Ri-
kommen zwar, da sie perkutane Verfahren sind, mit den kleinst- siko dieses Verfahrens ist die Verletzung des Ramus superficialis
möglichen Zugängen aus, verursachen aber häufig Weichteilprob- des N. radialis. Auch bei der Materialentfernung kann dieser
leme (⊡ Tab. 31.5). Nervenast verletzt werden. Wegen der Gefahr der Verletzung des
Für die Versorgung der primär instabilen distalen Radius- Ramus superficialis des N. radialis empfehlen einige Autoren die
fraktur stehen eine Reihe unterschiedlicher operativer Verfahren offene Bohrdrahtosteosynthese. Als Operationstisch wird der
zur Verfügung. Die Schwierigkeit ist, das richtige zu wählen, da um 180° gedrehte Bildverstärker verwandt. Der Proc. styloideus
sich die einzelnen Bruchtypen nicht immer zweifelsfrei einem radii wird durch eine 1 cm lange Längsinzision an der Basis der
bestimmten Typ zuordnen lassen und andererseits auch Weichteil- Tabatiere, parallel zum Hautast des N. radialis, freigelegt. Der
situation und Knochenqualität über die Art des Eingriffs mitent- Ramus superficialis wird angeschlungen, die Stabilisierung der
scheiden (⊡ Tab. 31.5). Fraktur erfolgt dann entsprechend dem geschlossenen Verfahren.

⊡ Tab. 31.5 Möglichkeiten der operativen Versorgung der distalen Radiusfraktur unter Angabe des spezifischen Risikos der jeweiligen Operations-
technik (nach Weigel)

Art des Risikos Spickdrähte Fixateur Dorsale Platte Palmare Platte Schrauben

Nervenläsion ++ + + + +

Gefäßläsion +

Sehnenläsion + ++ ++ +

Weichteilläsion ++ ++ +

Sekundäre Dislokation ++ ++

Algodystrophie ++ ++ + +

Implantatlockerung ++ ++ + +

Pseudarthrose + ++

+ eher selten; ++ eher häufig


31.1 · Allgemeines
789 31
Bei der Kirschner-Draht-Fixierung unterscheidet man mehrere tischen Übungsbehandlung und bei Bedarf der Lymphdrainage-
Techniken: Therapie begonnen werden ( Kap. 15).
▬ perkutante Kirschner-Draht-Fixierung nach Lambotte
( Abschn. 31.2.1), Schraubenosteosynthese
▬ Methode nach Kapandji ( Abschn. 31.2.2) und Für besondere Indikationen besteht die Möglichkeit einer ein-
▬ kombinierte Verfahren ( Abschn. 31.2.3). fachen Schraubenosteosynthese. Hierfür eignen sich vor allem
größere intraartikulläre Abrissfrakturen des Processus styloideus
Bei all diesen Verfahren besteht die Möglichkeit, die Drähte aus der radii (B1-Frakturen). Hier kann über zwei Zugschrauben nach
Haut herausstehen zu lassen und entsprechend umzubiegen, um Reposition eine Stabilisation und gleichzeitig Kompression der
Verletzungen durch die Drahtenden zu verhindern. Dies erleichtert Frakturfragmente erreicht werden (⊡ Abb. 31.20).
die Metallentfernung, birgt jedoch ein erhöhtes Risiko von Wund- Für die technische Durchführung bieten sich heute vor allem
infektionen bzw. Wundheilungsstörungen an der Eintrittsstelle in kanülierte Schrauben an. Hierbei besteht die Möglichkeit der ge-
der Haut. Als zweite Möglichkeit können die Drähte subkutan schlossenen Reposition unter Durchleuchtung. Die Einbringung der
verlagert und anschließend die Haut darüber verschlossen werden. Führungsdrähte erfolgt nach kleinem Hautschnitt über dem Proces-
Die Drahtentfernung wird in der Regel für die 6.–8. postoperative sus styloideus radii entweder dorsal oder palmar des 1. Streckseh-
Woche geplant und ist vom radiologischen Verlauf abhängig. Bei nenfachs. Die Reposition kann bereits über die Führungsdrähte
einem Verlust von Knochensubstanz durch Kompression der dista- gehalten werden. Anschließend werden nach Aufbohrung die ka-
len Radiusspongiosa kann es auch bei einer Drahtentfernung noch nülierten Schrauben eingebracht. Eine derartige Versorgung erlaubt
nach 8 Wochen sekundär zu einer gewissen Redislokation mit Ver- nach minimalinvasiver Technik eine frühe Mobilisation. Es besteht
kürzung der Speiche kommen. keine Gefahr der sekundären Sehnen- oder Nervenirritationen.
Die allgemeine Weiterbehandlung nach geschlossener Repo- Besonders kleine Fragmente mit einer Dislokation sollten ebenfalls
sition bei zusätzlicher Kirschner-Draht-Osteosynthese ist mit der mit Einzelschrauben fixiert werden ( Abschn. 31.2.4).
rein konservativen Behandlung weitgehend identisch. Ein Nach-
kontrollschema mit Röntgenuntersuchungen nach der 1, 7, 28,
und 42 Tagen hat sich als sinnvoll erwiesen (⊡ Tab. 31.4). Ge-
gebenenfalls müsste bei Redislokation über eine Revision ggf.
mit Verfahrenswechsel nachgedacht werden (⊡ Abb. 31.19). Beson-
deres Augenmerk gilt den Einbringstellen der Kirschner-Drähte,
diese müssen jederzeit zugänglich und beurteilbar sein. Aus die-
sem Grund erfolgt die Ruhigstellung entweder durch eine Gips-
longuette oder durch einen gefensterten Unterarmgips, der leicht
abgenommen werden kann. Mindestens einmal wöchentlich sind
die Drahteinstichsstellen auch bei subkutan versenkten Kirschner-
Drähten zu kontrollieren, da es im Rahmen der Abschwellung hier
zu einer Spontanperforation der Haut kommen kann. Es müssen a b
ggf. entsprechende desinfizierende bzw. antiseptische Maßnahmen
bei engmaschiger Kontrolle durchgeführt werden. Die Drahtent- ⊡ Abb. 31.20 Schraubenosteosynthese der Fraktur des Proc. styloideus
fernung erfolgt entsprechend des radiologischen Verlaufes nach radii (B1-Fraktur). a Weit nach proximal auslaufende »Chauffeur«-B1-Fraktur,
6–8 Wochen. Unmittelbar danach kann mit der krankengymnas- b Osteosynthese mit Zugschrauben und Kirschner-Draht

⊡ Abb. 31.19 Versorgung einer extraartikulä-


ren Fraktur mittels perkutaner Kirschner-Draht-
Fixierung nach Lambotte. a Insuffiziente Ver-
sorgung einer extraartikulären Fraktur mittels
Kirschner-Drähten, b Revision und Stabilisie-
rung durch palmare Platte, Beta-TCP zusätzliche
Augmentation mit Beta-Tri-Calcium-Phosphat,
a b c
c Ausheilungsergebnis nach 8 Wochen
790 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Plattenosteosynthese heutzutage auch dorsal weit verbreiteten Anwendung winkelstabiler


Die Versorgung der distalen Radiusfraktur mittels offener Reposi- Implantate nur noch in Ausnahmefällen notwendig. Ebenso sehen
tion durch Visualisierung der Frakturlinien sowie Osteosynthese wir keine Indikation mehr zur obligaten Implanatentfernung.
mit Plattensystemen verspricht zum einen die Möglichkeit einer Trotz der zunehmenden Etablierung der palmaren winkelstabilen
exakten anatomischen Wiederherstellung und zum anderen eine si- Plattenosteosynthese als Standardmethode für die Versorgung sowohl
chere Retention. Die Einführung winkelstabiler Plattensysteme, die einfacher als auch komplexer Frakturen aller Klassifikationen verblei-
vor allem bei der Frakturstabilisierung des osteoporotischen Kno- ben etwa 10–15% der Fälle, für die eine alleinige oder komplementäre
chens Vorteile gegenüber herkömmlichen Platten aufweisen, und dorsale Plattenosteosynthese unverzichtbar ist (⊡ Abb. 31.21a,b).
die verringerte Zugangsmorbidität durch überwiegend palmare,
aber auch fragmentadaptierte kleine dorsoradiale und dorsoulnare
Zugänge haben in den letzten Jahren zu einer weit verbreiteten An- Indikationen für die dorsale Plattenosteosynthese
wendung der Plattenosteosynthesen sowie zu einer Erweiterung der ▬ B2-Frakturen
Indikationen geführt. Das Design moderner winkelstabiler Radius- ▬ zentral imprimierte Gelenkflächenfragmente
platten berücksichtigt die anatomischen Gegebenheiten am distalen ▬ stark dislozierte dorsale Fragmente
Radius (watershed-line) ebenso wie biomechanische Erkenntnisse ▬ Einbringen von Spongiosa oder Knocherersatzmaterial in die
(3-Säulen-Modell) und strukturelle Besonderheiten der Knochen- dorsale Defektzone
morphologie. Damit gewährleisten sie nicht nur eine sichere Kno- ▬ verspätet primär zu operierende Extensionsfrakturen (> 14d)
31 chenbruchheilung, sondern werden auch den Erfordernissen einer ▬ kombinierte palmare und dorsale Versorgung bei sehr kom-
größtmöglichen Weichteilschonung immer besser gerecht. plexen Frakturen
Die stabile Fixation der Frakturfragmente bietet den allgemei- ▬ primär versorgungspflichtige karpale Begleitverletzungen
nen Vorteil einer gipsfreien Nachbehandlung und eines frühzeiti-
gen Beginns der postoperativen Physio- und Ergotherapie. Darü-
ber hinaus profitiert der jüngere Patient durch die sichere und ana- Palmare Plattenosteosynthese
tomische Wiederherstellung der Handgelenkskonturen, wodurch Vor der Anwendungsmöglichkeit winkelstabiler Plattensysteme
eine präarthrotische Deformität vermieden wird. Für den älteren war die palmare Plattenosteosynthese der Versorgung von Flexi-
Menschen als »funktionellen Vierfüßer« bedeutet die unmittelbar onsfrakturen (Smith-fracture) und B3-Frakturen vorbehalten. Mit
postoperativ wieder abrufbare, zumindest teilweise Gebrauchsfä- Einführung der winkelstabilen Schraubenverblockung in der Platte
higkeit der Hand eine frühzeitige Rückkehr ins gewohnte soziale konnte die Indikation auch auf die weitaus häufigeren Extensions-
Umfeld und die Vermeidung einer längeren Hilfsbedürftigkeit. und Komplexfrakturen erweitert werden. Dabei bildet das Implan-
Weitere Vorteile der offenen Frakturversorgung sind die mög- tat nach dem Prinzip des Fixateurs interne einen winkelstabilen
liche Beseitigung von Repositionshindernissen (interponierte Mus- Rahmen, der es gestattet, auch bei fehlender dorsaler Abstützung
kulatur, Sehnenanteile) und die simultane Versorgungsmöglich- die distalen Fragmente sicher gegen den Radiusschaft zu retinieren.
keit von Begleitpathologien (KTS, Kompartmentsyndrom, karpale Biomechanische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Stabilität
Frakturen und Bandverletzungen). Andererseits kann es durch die einer derartigen Osteosynthese dann besonders hoch ist, wenn
Plattenosteosynthese selbst zu Nerven- und Sehnenschädigungen gleichzeitig eine exakte Reposition der palmaren Kortikalis und ein
kommen, des weiteren müssen die allgemeinen Operationsrisiken, subchondraler Verlauf der distalen Plattenschrauben vorliegen.
die hohen Implantatkosten und die ggf. erforderliche Implantatent- Während sich die eigentliche Fragmentreposition bei den Ex-
fernung mit in die Bewertung einbezogen werden. tensionsfrakturen von palmar etwas schwieriger gestaltet als von
dorsal, gelten der operationstechnisch einfache Zugang zum Kno-
Dorsale Plattenosteosynthese chen und die gute muskuläre Weichteildeckung des Plattenkörpers
Betrachtet man die Entwicklung der Plattenosteosynthesen am als Vorteile der palmaren Plattenosteosynthese. Für letzteres gilt
distalen Radius, so stand die dorsale Plattenosteosynthese, die bei allerdings die Einschränkung, dass der hierfür zu verwendende M.
den häufigen Extensionsfrakturen als Abstützplatte nach den Prin-
zipien der AO fungierte, am Anfang. Die eigentliche Osteosynthe-
se war somit relativ einfach durchzuführen, Probleme bereiteten
aber häufige Strecksehnenirritationen bis hin zu Rupturen, bedingt
durch auftragende Implantate und inoptimale Zugangstechniken.
Durch die Einführung kleiner, flacher und anatomisch geformter
Platten konnte die Strecksehnengefährdung deutlich verringert
werden, bei gleichzeitiger sehnenschonender Operationstechnik
mit subperiostaler Präparation der Sehnenfächer und Vermeidung
eines direkten Kontaktes zwischen Sehnen und Implantat durch
Bildung eines Retinakulum-Lappens lassen sich Strecksehnenschä-
den heute sicher vermeiden. Damit ist der dorsale Zugang genau-
genommen eine handchirurgische Operation (⊡ Abb. 31.32).
Neben einer fragmentadaptierten sicheren Retention gestat-
tet der dorsale Zugang nach distaler Schnitterweiterung auch die
simultane Versorgung von karpalen Begleitverletzungen wie Frak- a b
turen und Bandläsionen. Eine Durchtrennung des N. interosseus
posterior im Sinne einer selektiven Denervierung sollte immer mit ⊡ Abb. 31.21a,b a CT einer B2-Fraktur mit zusätzlicher zentrale Gelenkflä-
erfolgen. Die Unterfütterung der dorsalen Trümmer- oder Defekt- chenimpression. b Dorsale Doppelplattenosteosynthese bei C1-Fraktur und
zone mit autologer Spongiosa oder Knochenersatzstoffen ist mit der simultan versorgter Skaphoidfraktur und partieller SL-Band-Läsion
31.1 · Allgemeines
791 31

⊡ Tab. 31.6 Absolute und relative Indikationen zur Implantatentfernung palmarer Platten am distalen Radius

absolute Indikationen relative Indikationen


– intraartikuläre Schraubenlage (radiocarpal, DRUG) – radiologische u./o. sonografische Hinweise auf inoptimale Implan-
– klinische u./o. sonografische Hinweise auf Sehnenirritationen tatlage oder überlange Schrauben ohne entsprechende klinische
– röntgenologische Hinweise auf Implantatlockerung u./o. -dislokation Beschwerden
– schmerzhafte implantatbedingte Weichteilirritation – Lockerung einzelner Plattenschrauben
– Infektion oder Materialunverträglichkeit – Patientenwunsch, insbes. bei jüngeren Patienten

pronator quadratus häufig nicht ausreicht, um die distale Platten- der Frakturzone, wodurch eine stabile Retention, auch kleinerer
kante abzudecken und somit den Kontakt zwischen dem metal- Zwischenfragmente, sichergestellt wird.
lischen Fremdkörper und den knochennah verlaufenden Beuge- Beim beidseitigen Vorgehen ist der präoperativen Weichteil-
sehnen (FPL, FDP) zu verhindern. Orbay et al. wiesen in diesem situation besonderes Augenmerk zu schenken, zumal es sich bei
Zusammenhang erstmals auf die Bedeutung der richtigen Platten- den Verletzungen häufig um Hochrasanztraumen handelt. Eine
position proximal der sog. watershed line, also der Ansatzzone der Dekompression des Karpalkanales ist deshalb meist obligat, nicht
palmaren Gelenkkapsel, hin. Die Beugesehnen werden an dieser selten auch eine beugeseitige Fasziotomie am Unterarm. Ist der pri-
Knochenprominenz in ihrem Verlauf vom Unterarm in Richtung märe Wundverschluss nicht möglich, kann dieser nach Abschwel-
Karpaltunnel umgelenkt, so dass es bei zu weit distaler oder vom lung der Weichteile frühsekundär erfolgen. Um die Weichteilprob-
Knochen abstehender Plattenpositionierung vor allem während lematik zu umgehen, empfiehlt es sich, derartige Frakturen initial
der Extension der Handgelenkes zu langfristigen Beugesehnenirri- mittels Fixateur externe zu stabililisieren und erst nach Weichteil-
tationen kommen kann. Da dorsal überstehende Schraubenspitzen konsolidierung die definitive Doppelplattenosteosynthese im Sinne
noch eine zusätzliche potentielle Gefahr für die Strecksehnen dar- eines Verfahrenswechsel vorzunehmen (⊡ Abb. 31.22)
stellen, ist der Vermeidung von Sehnenkomplikationen auch bei
der palmaren Plattenosteosynthese Beachtung zu schenken. Fixateur externe
In der Praxis sind sowohl der mediale Zugang zwischen den Seh- Trotz der rasanten Fortentwicklung von Implantaten für interne
nen des M. flexor carpi radialis und des M. palmaris longus als auch Osteosynthesen distaler Radiusfrakturen hat der handgelenksüber-
der radiale Zugang zwischen der Sehne des M. flexor carpi radialis greifende Fixateur externe einen unverzichtbaren Stellenwert be-
und der A. radialis anzutreffen. Aus unserer Sicht ist der radiale Zu- halten. Indikationen für den Fixateur externe sind:
gang zu präferieren, da dieser durch die kräftige FCR-Sehne einen gu- ▬ schwerer offener oder geschlossener Weichteilschaden
ten Schutz des N. medianus gegenüber Hakenzug oder direkten Ver- ▬ primäre Frakturstabilisierung bei komplexen Frakturen und
letzungen bietet. Trotz der Nähe der A. radialis ist deren Verletzungs- beim polytraumatisierten Patienten mit der Option eines se-
gefahr bei konsequenter Orientierung am Verlauf der FCR-Sehne kundären Verfahrenswechsels
gering, kleine kreuzende Arterienäste sollten aber subtil koaguliert ▬ stark kontaminierte offene Frakturen
werden. Hingegen sind beim medialen Zugang allein durch die not- ▬ Fraktur begleitende Verletzungen der extrinsischen Hand-
wendige langstreckige Mobilisation des N. medianus postoperative gelenksbänder und der Handwurzel mit Instabilität (Luxati-
epineurale Vernarbungen mit Adhäsionen zur Haut und neuropa- onsfrakturen, CMC-Gelenkluxationen) als Ergänzung zu den
thischen Beschwerden relativ häufig zu beobachten. Im Hinblick auf internen Osteosynthesen und Bandrekonstuktionen
die spätere Narbenbildung sollte der Bereich zwischen den Handge-
lenksbeugefalten Rascetta und Restricta beim Hautschnitt ausgespart Frakturreposition und Fragmentretention geschehen bei Anwen-
bleiben, distale Schnitterweiterungen dürfen das Areal nur schräg dung des Fixateurs externe nicht direkt, sondern indirekt durch
verlaufend kreuzen. Auch bei simultaner Spaltung des Karpalkanales Ligamentotaxis. Diese lässt aber bereits wenige Tage nach Fixa-
muss diese Zone nicht tangiert werden, wenn ein separater Zugang teuranlage nach, so dass es regelmäßig zu einem Repositionsverlust
loco typico in der proximalen Hohlhand gewählt wird. der Fragmente kommt. Nach Fixateurentfernung kann es zu einem
Eine generelle Implantatentfernung der palmaren Platten ist weiteren Nachsintern kommen, weshalb bei Einsatz des Fixateurs
mit Ausnahme der in ⊡ Tab. 31.6 aufgeführten Indikationen beim als definitives Osteosyntheseverfahren eine additive direkte Frag-
älteren Menschen nicht erforderlich, bei jüngeren Altersgruppen mentaddressierung durch K-Drähte unbedingt zu empfehlen ist.
sollte man sich am Patientenwunsch orientieren. Das Handgelenk sollte auch im Fixateur externe eine annä-
hernd physiologische Stellung einnehmen, um eine gute Fingerbe-
Kombinierte dorsale und palmare Plattenosteosynthese weglichkeit zu ermöglichen und die Gefahr eines CRPS gering zu
Bei bestimmten sehr komplexen C2- oder C3-Frakturen kann auch halten. Aus Patientensicht nachteilige Aspekte der Fixateuranwen-
die gleichzeitige Plattenanlage von palmar und dorsal hilfreich oder dung sind der schlechte Tragekomfort, die aufwendige Pinpflege,
sogar zwingend notwendig sein. Dies trifft insbesondere dann zu, die mehrwöchige deutliche Gebrauchsminderung der Hand und
wenn sowohl palmar als auch dorsal langstreckige Trümmerzonen die langwierige Nachbehandlung.
anzutreffen sind oder im gelenktragenden Knochenblock sagittale
und frontale Frakturverläufe mit Fragmentdislokation nebenein- Kombinationsosteosynthesen
ander vorliegen. Hierbei wird durch das zumeist primäre Anbrin- Je nach Art des Frakturtypes, der persönlichen Erfahrung sowie der
gen der palmaren Platte mit Reposition der palmaren Kortikalis technischen Möglichkeiten kommt auch die kombinierte Anwen-
eine Referenz bezüglich der Radiuslänge und Gelenkflächenwinkel dung verschiedener Osteosyntheseverfahren in Betracht. So kann
geschaffen, die bei der Reposition der zentralen und dorsalen beispielsweise der Fixateur externe der Erhaltung der Radiuslänge
Fragmente als Orientierung dient. Aus der beidseitigen Plattenpo- und zur Neutralisation des Muskelzuges der Handgelenksbeuger und
sition resultiert eine Fragment komprimierende Umklammerung -strecker dienen bei gleichzeitiger Feinadaptation der Gelenkflächen-
792 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

fragmente durch Kirschner-Drähte, kleine Platten oder Schrauben. masse kommen. Ursache hierfür ist eine Kompression der trabe-
Es besteht dann die Möglichkeit, den Fixateur nach 3–6 Wochen zu kulären Strukturen, welche bei der Dislokation im Rahmen des
entfernen und damit die Handgelenksbeweglichkeit freizugeben. Bei Frakturgeschehens stattfindet. Diese Kompressionszone hinterlässt
intraartikulären Frakturen mit zwei größeren dehiszenten Fragemen- nach Reposition einen knöchernen Substanzdefekt. Patienten mit
ten kann durch primäre Platzierung einer Zugschraube ein stabiler osteoporotischen Knochen sind aufgrund der Rarefizierung der
distaler Block geschaffen werden, welcher danach mittels Plattenos- Spongiosabälkchen von diesem Phänomen stärker betroffen.
teosynthese am Radiusschaft fixiert wird. Randständige knöcherne Umfasst der knöcherne Defekt die komplette Breite des distalen
Band- und Kapselausrisse oder kleine Styloidfragmente erfordern bis- Radius und findet sich zusätzlich durch Impaktierung ein Subs-
weilen eine direkte Refixation mit dünnen K-Drähten zusätzlich zur tanzverlust der abstützenden dorsalen Kortikalis, so ist die dorsale
Plattenosteosynthese, sofern eine Fixation durch stabile transossäre Radiussäule mit potenzieller Instabilität anhaltend geschwächt. In
Naht an der Platte nicht gelingt. Weitere Materialkombinationen sind diesen Fällen wird der Knochendefekt aufgefüllt. Traditionell wird
in der Praxis anwendbar mit dem Ziel einer möglichst anatomischen eine Transplantation eines kortikospongiösen Spans, vornehmlich
Rekonstruktion und eines zusätzlichen Stabilitätsgewinns. aus dem hinteren Beckenkammbereich, durchgeführt. Alternativ
Insbesondere für Gelenkfrakturen mit zentral imprimierten kommen verschiedenste kommerzielle Präparate vom demineralisier-
Fragmenten schlagen Pinal et al. die arthroskopisch assistierte Os- ten Knochen bis hin zu soliden oder formbaren mineralischen oder
teosynthese vor. Dabei dient die Arthroskopie sowohl der direkten keramischen Knochenersatzstoffen infrage. Der Einsatz solider Kno-
instrumentellen Fragmentreposition als auch der Kontrolle der Ge- chenersatzstoffe erfordert in der Regel einen dorsalen Zugang, um die
31 lenkflächenrekonstruktion ohne weite Eröffnung der dorsalen Hand- Defektzone direkt inspizieren zu können und ggf. aufzufüllen. Beim
gelenkskapsel. Desweiteren lassen sich chondrale und ligamentäre palmaren Zugang ist es nur schwer möglich, solide Elemente einzu-
Begleitverletzungen am Karpus sowie TFCC-Verletzungen sicher bringen. Aus diesem Grund wurden formbare bzw. injizierbare Er-
nachweisen oder ausschließen, mit den entsprechenden therapeuti- satzstoffe entwickelt, welche nach der Applikation in vivo aushärten.
schen Konsequenzen. Die Osteosynthese erfolgt dann vorzugsweise Mit zunehmender Verbreitung winkelstabiler Plattensysteme ist
mit palmarer Plattenosteosynthese. Da der zusätzliche apparative die Notwendigkeit zur Augmentation der Defekthöhle deutlich selte-
und zeitliche Aufwand für die simultane Handgelenksarthroskopie ner geworden. Signifikant bessere klinische sowie radiologische Er-
nicht unerheblich ist, hat das Prozedere trotz seiner nachvollziehba- gebnisse sind bei der Kombination von Plattenosteosynthesen bzw.
ren Vorteile noch keine allgemeine Verbreitung gefunden. Fixateur externe mit Knochenersatzstoffen nicht nachgewiesen wor-
den. Eine Sonderstellung nimmt die Augmentation der Gelenkfläche
Indikation für Spongiosaplastik oder Knochenersatzstoffe ein. Ist es hier zu einer Impression der Gelenkfläche gekommen und
Insbesondere bei der Colles-Fraktur kann es durch Impression der muss diese subchondral angehoben werden, so ist der Einsatz von
dorsalen Spongiosa bei Abkippung zu einem Verlust an Knochen- körpereigenem Knochen oder Knochenersatzstoffen unverzichtbar.

a b c

d e

⊡ Abb. 31.22 Versorgung einer komplexen C3.3-Fraktur mittels kombinierter dorsaler und palmarer Plattenosteosynthese. a Unfallaufnahme mit temporärer
Stabilisierung im Fixateur externe, b definitive Osteosynthese von palmar und dorsal, c Röntgenaufnahme nach Implantatentfernung, d Vergleichsaufnahme
der unverletzten Gegenseite und e funktionelles Ergebnis 12 Monate p.o.
31.1 · Allgemeines
793 31
Nachbehandlung Chirurgisch relevante Anatomie
Für die Nachbehandlung distaler Radiusfrakturen lässt sich kein Ossifikationszentren
allgemein gültiges Zeitschema aufstellen, da deren Beginn und Radius und Ulna ossifizieren, ausgehend von primären Ossifika-
die Intensität vom Therapieverfahren (konservativ, Fixateur, Plat- tionskernen, in der 8. Schwangerschaftswoche. Am Handgelenk
tenosteosynthese) sowie von der Schwere der Verletzung und des erscheinen die sekundären Ossifikationskerne der distalen radia-
zusätzlichen Operationstraumas abhängig zu machen sind. Damit len Epiphyse bei Mädchen im 5. Monat, bei Jungen etwas später.
erfordert jeder Patient einen individuell angepassten Nachbehand- Wissenschaftlich ist nicht eindeutig geklärt, inwieweit es sich an
lungsplan. Obwohl nach internen Osteosynthesen in der Regel eine der Spitze des Processus styloideus radii um einen eigenen Os-
primär übungsstabile Handgelenksbeweglichkeit resultiert, steht sifikationskern handelt. Dieser kann im Rahmen von Frakturen
die unmittelbar postoperative Anlage einer vorzugsweise dorsalen Wachstumsstörungen aufweisen.
Schiene nicht im Widerspruch zur gipsfreien Nachbehandlung. Die Ossifikation an der distalen ulnaren Epiphyse beginnt bei
Durch die vorübergehende Immobilisation des Handgelenkes wird Jungen und Mädchen gleichermaßen im 6. Lebensjahr und geht
die Regredienz der posttraumatischen Schwellung und Schmerz- häufig von zwei verschiedenen Punkten aus. Der Anteil der dista-
haftigkeit beschleunigt, was wiederum die Voraussetzung für ei- len Epiphysen von Radius und Ulna macht 75–80% des Gesamt-
nen frühzeitigen Beginn der eigentlichen Bewegungsübungen des wachstums des Unterarmknochens aus.
Handgelenkes bildet. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu Der Schluss der distalen radialen Epiphysenfuge findet bei
berücksichtigen, dass jeder distalen Radiusfraktur eine schwere Mädchen im Alter von 15, bei Jungen im Alter von 16–19 Jahren
Handgelenksdistorsion vorangeht. statt. Zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr verschließt sich bei den
In der postoperativen Frühphase der Nachbehandlung gelten Mädchen die distale ulnare Fuge, bei Jungen zwischen dem 17. und
die Hochlagerung des Armes und lokale Kühlung sowie regelmäßige 18. Lebensjahr.
Fingerbewegungen als obligate abschwellende Maßnahmen. Diese Der proximale Epiphysenkern des Radius erscheint im 5.–7. Le-
können durch manuelle Lymphmassagen und -drainagen ergänzt bensjahr, der proximale Kern der Ulna im 9.–10. Lebensjahr, dies
werden. Als neueres Verfahren kann auch das Kinesio-Taping zur gilt für Mädchen und Jungen gleichermaßen. Zwischen dem 15.
Anwendung kommen, womit wir gute Erfahrungen gemacht haben. und 18. Lebensjahr verbinden sich bei beiden Geschlechtern die
Die suffiziente Behandlung der postoperativen Schmerzen ist Fugen mit dem Schaft ( Kap. 21).
ein wesentlicher Faktor zur Vermeidung eines CRPS. Meist ist eine
orale Basismedikation ausreichend. Bei schwerem Verletzungs- Korrekturmechanismen
befund, sehr starken oder therapierefraktären Schmerzzuständen Am Unterarmschaft können Korrekturen sowohl direkt als auch
sollte die Indikation zur Anlage eines Armplexuskatheters großzü- indirekt ablaufen. Man unterscheidet die Korrektur der Seit-zu-
gig gestellt werden. Seit-Verschiebung, der Verkürzung oder der Verlängerung. Weiter-
Ergo- und Physiotherapie sind die Hauptbestandteile der inter- hin gibt es Korrekturen nach Achsfehlstellungen, welche in Fehl-
mediären Nachbehandlungsphase. Neben der schnellstmöglichen stellungen der Frontal- und der Sagittalebene eingeteilt werden,
Wiedererlangung einer guten Finger- und Handgelenksbeweg- sowie Korrekturen nach Rotationsfehlern.
lichkeit durch belastungsfreie Bewegungsübungen geht es darum, Allen Korrekturen ist gemeinsam, dass sie altersmäßig limitiert
Muskelatrophien, Fehlstellungen, Schonhaltungen und Störungen sind. In der Literatur hat sich die Einteilung der Kinder mit einem
der Gelenkkette zu vermeiden, die Weichteiltrophik zu verbessern Lebensalter über oder unter 10 Jahren bewährt. Dennoch finden
und die Narbenbildung günstig zu beeinflussen. sich am Unterarm sowohl am distalen als auch proximalen Radius
Die Spätphase der Nachbehandlung beginnt nach Eintritt ei- noch bis zum 12. Lebensjahr ausgesprochen gute Korrekturpoten-
ner belastungsfähigen Frakturkonsolidierung. Schwerpunkt sind zen, die in einen Behandlungsalgorithmus integriert werden kön-
nun der Kraftaufbau der Hand- und Unterarmmuskulatur sowie nen. Diesbezüglich stellt der Unterarm eine Ausnahme gegenüber
die vollständige soziale und berufliche Reintegration. Nicht selten anderen Skelettabschnitten dar.
sind in dieser Phase noch Narbenbehandlungen und Lymphdrai- Seit-zu-Seit-Verschiebungen werden am Unterarm problemlos
nagen, in Einzelfällen auch die Verordnung eines Kompressions- auch bis zur Schaftbreite ausgeglichen. Die Schnelligkeit der Kor-
handschuhs, notwendig. rektur hängt von ihrer Nähe zur distalen Fuge und vom Alter des
Patienten ab. Distal sollte die Seit-zu-Seit-Verschiebung nicht über
halbe Schaftbreite und für die Schaftmitte nicht über ein Drittel des
31.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter Schafts betragen, da es sonst gehäuft zu sekundären Dislokationen
kommen kann.
Annelie Weinberg, Barbara Schmidt Die Korrektur von Achsenabweichungen in der Frontal- und
Sagittalebene wird wie folgt beurteilt: Metaphysäre Frakturen zei-
> Die Behandlung der Frakturen des Unterarms in der Kindheit gen eine ausgesprochen gute Korrekturpotenz bei Fehlstellungen
unterscheidet sich fundamental von der Behandlung der glei- von bis zu 40°, vor allem in dorsoradialer Richtung. Die palmare
chen Frakturen im Erwachsenenalter. Fehlstellung korrigiert sich schlechter. Die Korrektur, der in Ver-
kürzung verheilten Knochen am Unterarmschaft, ist möglich. Die
Dies begründet sich durch das mögliche Remodelling, welches eine im Zuge des Wachstums eintretende Verlängerung eines der Part-
achsengerechte Heilung auch bei nicht exakter Stellung ermöglicht. nerknochen wird meistens bis zum Wachstumsabschluss ausgegli-
Dieses Korrekturvermögen ist abhängig von folgenden Faktoren: chen. Dieses Phänomen wirkt sich nicht bei den entsprechenden
1. Zeitpunkt des Fugenschlusses, Knochen der anderen Körperseite aus.
2. Wachstumspotenz der jeweiligen Fuge, Die Korrektur des Rotationsfehlers wird von den meisten Auto-
3. Lokalisation der Fraktur zur Fuge, ren bestritten. Da es sich um Röhrenknochen handelt und an anderen
4. Bewegungsebene des angrenzenden Gelenks, Skelettabschnitten Derotationsvorgänge registriert wurden, ist der
5. Alter des Kindes. eigentliche Nachweis für oder gegen mögliche Derotationsvorgänge
794 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

⊡ Tab. 31.7 Korrekturpotenzial in Abhängigkeit von der Lokalisation vom Unterarm

Proximaler Unterarm Unterarmschaft Distaler Unterarm


(ohne Radiusköpfchen)
Seit-zu-Seit- Verschiebung um nahezu Schaftbreite Verschiebung um Schaftbreite Verschiebung um Schaftbreite
Verschiebung Cave: Solche Fehlstellungen gehen immer Cave: Wird der interossäre Raum eingeschränkt, Gehen nie mit Funktions-
mit Funktionseinschränkungen einher sind Funktionseinschränkungen möglich einschränkungen einher
Achsabweichung Maximal 10° Maximal 5–15° <10 Jahre: bis 40°
frontal Richtungsabhängig? Richtungsabhängig: >10 Jahre: bis 20°
Keine exakten Daten in der Literatur Dorsal 5°
Palmar 15°
Interossär einengend, wird bei blockierenden
Einschränkungen nicht ausgeglichen
Achsabweichung Maximal 10° Maximal bis 10° <10 Jahre: bis 40°
sagittal >10 Jahre: 20°
Rotation Fragliche Korrektur Fragliche Korrektur Fragliche Korrektur
Verkürzung Wird ausgeglichen Wird ausgeglichen Wird ausgeglichen
31

a b c

⊡ Abb. 31.23 12-jähriger Junge, Salter-Harris-II-Verletzung beim Sturz mit dem Fahrrad

bisher nicht geführt worden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass jeder Fraktur anzutreffen. Das Auftreten einer verstärkten Längen-
der Rotationsfehler unter 20° radiologisch nur schwer zu diagnosti- zunahme korreliert entsprechend anderer Lokalisationen am Skelett
zieren ist. Klinisch ist der Rotationsfehler erst ab einem Ausmaß von mit der Zahl der Repositionen und Refrakturen. Die resultierende
20° mit Einschränkungen der Umwendbewegung verknüpft. Diese Längendifferenz zwischen Radius und Ulna ist jedoch aufgrund der
können auch im radiologischen Bild, durch einen Kalibersprung schnellen Frakturheilung gering und wird meist bis zum Wachs-
der Fragmente, nachgewiesen werden. Es erscheint fragwürdig, ob tumsabschluss auf ein tolerables Ausmaß zurückkorrigiert. Diese
mögliche Derotationsvorgänge dieses Ausmaß korrigieren würden. Längenkorrektur findet nur gegenüber der Ulna und nicht gegen-
Daher ist der radiologisch nachgewiesene Rotationsfehler nicht zu über dem entsprechenden Knochen der anderen Körperseite statt.
belassen und sollte behandelt werden (⊡ Tab. 31.7) Refrakturen nach Grünholz-Frakturen im metadiaphysären
Übergang und nach abgekippten Frakturen des distalen Radius
Wachstumsprognose treten im Gegensatz zu Brüchen der Diaphyse seltener auf. Eine
Hemmende Wachstumsstörungen. Zu Wachstumsstörungen des verzögerte Frakturheilung an der konkaven Seite ist zwar möglich.
vorzeitigen partiellen oder vollständigen Verschlusses einer Wachs- Diese kommt jedoch durch die Schnelle der Heilung klinisch nicht
tumsfuge mit konsekutivem Fehlwachstum kann es nach Epiphy- zum Tragen.
senfrakturen, Epiphysenlösungen, aber auch nach epiphysennahen
metaphysären, undislozierten und dislozierten Frakturen kommen. Möglichkeiten und Grenzen der Spontankorrektur
Die eigentliche Ursache derartiger Wachstumsstörungen ist unbe- Bei der metaphysären Unterarmfraktur können bedingt durch die
kannt. Die Rate der angegebenen Wachstumsstörungen variiert, Nähe ihrer Lage zur distalen Radiusepiphyse und durch den späten
dabei werden für den Radius Werte zwischen 1 und 7% und für Verschluss derselben zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr sowohl
die Ulna bis zu 21% genannt. Die Häufigkeit ist signifikant niedri- Seit-zu-Seit-Verschiebungen bis zur vollen Schaftbreite als auch Ach-
ger als der entsprechende Wert für die untere Extremität, der mit senfehlstellungen – in der Frontal- und Sagittalebene – bis zu 40° im
20–30% angegeben wird (⊡ Abb. 31.23). weiteren Wachstum spontan korrigiert werden. Die seltene palmare
Abkippung korrigiert sich schlechter als die dorsale. Im Allgemeinen
Stimulative Wachstumsstörungen. Am Radius sind Wachs- wird als Altersgrenze für das Auftreten dieser Korrektur das 10. Le-
tumsstörungen im Sinne eines partiellen Mehrwachstums nach bensjahr angegeben. Aber auch nach dem 10. Lebensjahr treten auf-
31.1 · Allgemeines
795 31

a b

⊡ Abb. 31.24 12-jähriger Patient, der vorstellig


wurde 2,5 Wochen nach erlittenem metaphysä-
rem Biegungsbruch mit einer Abkippung der
Gelenkfläche nach dorsal von 20°. (Aus Weinberg
c
u. Tscherne 2006)

grund des späten Verschlusses der Fuge noch Spontankorrekturen von Zugspannung wird das intakte Periost bei Grünholz-Frakturen
von Fehlstellungen von bis zu 20–30° auf (⊡ Abb. 31.24). die Stabilität im Bereich der Fraktur wahren (⊡ Abb. 31.25).
Do et al. (2003) bestätigten dies mit der Beobachtung, dass
sich bei offener Epiphysenfuge Achsabweichungen bei isolierten Pro- und Supination
Verletzungen von 15° dorsopalmar und 15° radioulnar sowie eine Die Umwendbewegung ist eine fast ausschließlich dem Menschen
Verkürzung von 1 cm im Durchschnitt von 7,5 Monaten vollstän- zur Verfügung stehende Bewegung. Nach Frakturen des Unterarmes
dig remodellieren. kommt es am häufigsten zu Störungen von Pro- oder Supination,
wobei die Pronation häufiger beeinträchtigt ist. Die durchschnittli-
Periost che Umwendbewegung des Unterarmes liegt bei 150–170° und kann
Die Knochen von Kindern verfügen über ein sehr dickes, pluripo- durch Einbeziehung des Handgelenks Werte über 180° erreichen.
tentes Periost, welches eine Fraktur mechanisch stabilisiert und auch Der Abstand der Ansätze der Membrana interossea antebrachii
zu einem schnellen Heilungsverlauf beiträgt. Im Gegensatz zu der zwischen Ulna und Radius wird für jede Knochenstellung und in
oft offenen Reposition und Fixation der Frakturen bei Erwachsenen jeder Schnittebene möglichst minimal gehalten. Für die beschrie-
können diese daher bei Kindern geschlossen ohne Osteosynthese bene Umwendbewegung konnte keine konstante Drehachse gefun-
therapiert werden. Im Falle einer Grünholzfraktur wird das Periost den werden. Stattdessen findet die Bewegung um eine Bezugsachse
üblicherweise auf der konvexen oder gespannten Seite verletzt, wäh- statt, deren räumliche Lage sich abhängig vom Drehwinkel ändert.
rend auf der konkaven oder Kompressionsseite eine intakte Brücke Sie ist kinematisch als momentane Schraubachse zu definieren.
des Periostes vorhanden ist. Im Zuge der Frakturheilung kann es an Dies kann auf die Bewegungsabläufe von Radius und Ulna
der konvexen Bruchstelle zu einer Durchbauungsstörung kommen. zurückgeführt werden. Der Radius rotiert um seine Längsachse.
Diese kann als Refraktur klinisch relevant werden. Unter Anwendung Die Ulna führt eine Lateralisation, welche eine Abduktions-Exten-
796 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

a b c

⊡ Abb. 31.26 Der Bewegungsablauf beider Unterarmknochen von der Supi-


31 nation in die Pronation. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)

sions-Adduktions-Bewegung darstellt, aus. Sie kann auch als an-


nähernd halbkreisförmige Bewegung beschrieben werden, wobei
keine Rotation stattfindet. Der Radius wird über das Lig. annulare
gegenüber der Ulna in Position gehalten. Insgesamt beträgt der
Winkel α, den die Ulna während der Umwendbewegung in Rela-
tion zum Ellenbogengelenk durchführt, 6– 8° (⊡ Abb. 31.26).

Funktionelle Deformitäten
Einschränkungen der Umwendbewegung sind abhängig von der
Richtung der Achsenfehlstellung im Raum, dem Ausmaß und der
Lokalisation der Fraktur. Anhand von Experimenten an humanen
Präparaten konnte aufgezeigt werden, dass besonders in der Schaft-
mitte ein Funktionsverlust bereits bei einer Angulation von 10°
eintreten kann. Die Defizite sind vor allem bei Einengungen des
interossären Raums zu erwarten. Andererseits müssen Fehlstellun-
gen, die den interossären Raum vergrößern, nicht mit einer Bewe-
d gungsbehinderung einhergehen. Bei proximalen Frakturen kann die
interossäre Distanzverkürzung eine Verminderung des Rotations-
ausmaßes dadurch verursachen, dass es zu einem Impingement der
Tuberositas radii gegenüber der Ulna kommt. Frakturen am distalen
Ende des Unterarms gehen seltener mit einer Bewegungseinschrän-
kung einher. Dies begründet sich in der Tatsache, dass die Über-
kreuzung beider Knochen am anfälligsten für Störungen ist. Daher
können im distalen Bereich auch höhere Fehlstellungen belassen
werden. Distale metaphysäre Frakturfehlstellungen der Ulna können
die Spannung am Diskus derartig erhöhen, dass das Ulnaköpfchen
nicht mehr frei bewegt werden kann. Demzufolge kommt es dann
ebenfalls zu Funktionsstörungen der Umwendbewegung, aber auch
der anderen Bewegungsrichtungen des Unterarms. Die Experimente
an humanen Präparaten berücksichtigen nicht, ein für Kinder typi-
scherweise auftretendes Remodelling. Es findet sich eine Korrelation
des Restwinkels der Frakturen und des Bewegungsausmaßes der
involvierten Extremitäten einerseits sowie der eintretenden Spontan-
korrektur anderseits. Allerdings finden sich in der Literatur Hinwei-
se, dass auch Frakturen, die in anatomischer Stellung verheilen, mit
Verlusten der Rotationsfähigkeit einhergehen können.

Epidemiologie und Ätiologie


e Am distalen Unterarm treten 75% aller Unterarmfrakturen auf,
d. h. etwa 20% sämtlicher Extremitätenfrakturen. Dabei sind iso-
⊡ Abb. 31.25 Abheilungsmodus der Grünholz-Fraktur. (Aus Weinberg u. lierte Radiusfrakturen etwa doppelt so häufig wie alle anderen
Tscherne 2006) Frakturen des distalen Unterarmes zusammengenommen. Die Epi-
31.1 · Allgemeines
797 31
physenlösung des Radius entspricht der Radiusfraktur »loco classi- Klassifikation
co« des Erwachsenen. Bei distalen Unterarmverletzungen unterscheidet man die extraar-
Bei der Analyse der Unfallmechanismen konnte festgestellt tikulären von den intraartikulären Frakturen. Eine Sonderform am
werden, dass der größte Teil der Patienten einen Sturz auf die distalen Unterarm sind die Galeazzi-Frakturen oder deren Äquiva-
dorsal flektierte Hand erleidet. In neuerer Zeit nimmt die Rate der- lent ( Übersicht):
jenigen, die aufgrund neuerer Rasanzsportarten wie Inlineskating,
Rollerskating und Snowboardfahren verunglücken, zu.
Klassifikation der distalen Unterarmfrakturen
> Epiphysenfrakturen am distalen Radius sind Raritäten. Die
▬ Extraartikuläre distale Unterarmfrakturen
Häufigkeit liegt weit unter 1%. Der Unfallmechanismus ent-
– Distale metaphysäre Fraktur
spricht wahrscheinlich dem der metaphysären Frakturen.
– Epiphysenverletzung mit transversalem Bruchverlauf Typ
Die in nur 5% aller physären Frakturen vorkommende, isolierte (Salter I und II bzw. Aitken I)
distale Fraktur der Ulna ist mit einer hohen Komplikationsrate ver- ▬ Intraartikuläre distale Unterarmfrakturen
gesellschaftet. Die Darstellung der Altersverteilung weist einen ge- – Epiphysenverletzung vom epiphysären Bruchlinienverlauf
schlechtsunspezifischen Gipfel um das 11. Lebensjahr auf. Es wird (Salter Typ III bzw. Aitken II)
die transepiphysäre Verletzung von der intraepiphysären Läsion – Epiphysenverletzung vom epimetaphysären Bruchlinien-
abgegrenzt. Für die diagnostische Sicherung der Wachstumsfugen- verlauf (Salter Typ IV bzw. Aitken III)
verletzung im Bereich der distalen Ulna werden Röntgenaufnah- ▬ Sonderfomen
men in 2 Ebenen angefertigt. – Isolierte distale Fraktur (Epiphysenverletzung) der Ulna
Die bei Kindern zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr zu be- – Galeazzi-Läsionen
obachtenden Galeazzi-Frakturen sind selten. Sie machen 3% aller
Unterarmfrakturen beim Kind aus.
Der Unfallmechanismus ist noch nicht exakt definiert, aller- Als extraartikuläre Frakturen finden sich distale metaphysäre
dings konnte nachgewiesen werden, dass sowohl eine extreme Frakturen sowie Epiphysenlockerungen und -lösungen. Letztge-
Rotation als auch eine axiale Belastung von Bedeutung sind. nannte Verletzungen führen transversal durch die Fuge. Da sie dort
ausschließlich den metaphysären Anteil betreffen, sind sie zu den
Diagnostik metaphysären Frakturen zu zählen.
Bei der Erstuntersuchung müssen Durchblutung, Mobilität, Motorik
> Die metaphysären Frakturen und die Epiphysenlösungen
und Sensibilität in der Peripherie dokumentiert werden. Dies ist
mit oder ohne metaphysären Keil sind im Gegensatz zu den
jedoch bei verunfallten Kindern oftmals nur in sehr engen Grenzen
Epiphysenfrakturen durch dieselbe Wachstumsprognose
möglich. Bei der klinischen Prüfung des distalen Radioulnargelenks
und Spontankorrektur gekennzeichnet. Daher erscheint es
zeigen sich bei der Galeazzi-Läsion die Rotation, Flexion und Exten-
sinnvoll, einem daraus abgeleiteten Behandlungskonzept zu
sion schmerzhaft eingeschränkt. Eine klinische Untersuchung sollte
folgen.
stets den Ellenbogen, zumindest orientierend mit erfassen. Findet sich
hier auch nur der Verdacht auf eine Pathologie, so ist eine zusätzliche Demgegenüber handelt es sich bei den intraartikulären Frakturen
Röntgenaufnahme des Ellenbogengelenks in zwei Ebenen zu fordern. um Epiphysenfrakturen mit epiphysärem (Salter III) oder epime-
Zur Diagnostik der distalen Unterarmfrakturen werden Röntgen- taphysärem (Salter IV) Bruchlinienverlauf. Sie kreuzen die Fuge
aufnahmen in 2 Ebenen durchgeführt. Die Diagnose kann bei undis- immer sagittal. Umstritten bleibt, inwieweit Übergangsfrakturen
lozierten oder auch spontan reponierten Epiphysenlösungen schwie- am distalen Unterarm auftreten. Es wird postuliert, dass der Fu-
rig sein, da dann auch die sekundäre Diagnostik bei ideal stehenden genschluss weitaus schneller als an der distalen Tibia eintritt und
Frakturen durch Fehlen der periostalen Abstützung den Nachweis daher dieser Frakturtyp nicht oder nur ganz selten auftritt. Letzt-
der Fraktur nicht erbringt. In diesen Fällen sind Ruhigstellung und endlich handelt es sich um eine intrartikuläre Fraktur, die entspre-
klinische Verlaufskontrollen ausreichend. Zu diesem Zeitpunkt hal- chend therapeutisch versorgt werden sollte.
ten wir eine zusätzliche Röntgenkontrolle wie bei Erwachsenen für
> Alle intraartikulären Frakturen (Epiphysenfrakturen) müssen
überflüssig. Werden nach einer Woche noch Schmerzen angegeben,
anatomisch reponiert werden, um mögliche posttrauma-
so wird der distale Unterarm insgesamt für 3 Wochen ruhigestellt.
tische Schäden, die eine Präarthrose für das Handgelenk
Nur wenn dann über das tolerable Maß hinaus noch Schmerzen be-
darstellen würden, zu vermeiden. Bei allen extraartikulären
stehen, erfolgt zu diesem Zeitpunkt eine Röntgenkontrolle.
Verletzungen kann die ausgesprochen gute Korrekturpotenz
Dislozierte Frakturen des distalen Unterarmes können zu Ner-
in das Behandlungsregime entsprechend dem Alter integriert
venkompressionen und daraus resultierenden Parästhesien führen,
werden.
die sich jedoch nach erfolgter Reposition spontan bessern. Das bei
einigen Frakturen zu beobachtende »Pronator-Zeichen« entsteht
durch subperiostale Blutungen, die das Periost und das darüber Extraartikuläre distale Unterarmfrakturen
liegende Fettgewebe sowie den M. pronator teres einengen. Die Einteilung der distalen metaphysären Frakturen in 4 unter-
Zusatzverletzung wie eine Skaphoidfraktur oder SL-Band-Ver- schiedliche Läsionen erscheint sinnvoll, da sich hieraus unter-
letzung sind bei Kindern kaum zu erwarten. Erst im adoleszenten schiedliche Behandlungsalgorithmen ableiten lassen (⊡ Abb. 31.27).
Alter müssen diese ggf. mit in Betracht gezogen werden. In jedem Manche Autoren sprechen auch von 5 Läsionen und schließen den
Fall muss bei der Beurteilung der Gesamtaspekt der Knochenreifung metadiaphysären Übergang mit ein.
bzw. des Knochenalters in die Befundung mit einbezogen werden.
Eine Computertomografie sollte aufgrund der hohen Strahlen- Metaphysäre Stauchungsbrüche einer der beiden Unter-
belastung sowie des kaum zu erwartenden Informationsgewinns armknochen. Diese Stauchungszonen können dabei auf die dor-
unterbleiben. sale Seite beschränkt sein, es können aber auch ventral und dorsale
798 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Knochenbereiche gestaucht sein. Sie werden als Wulstfrakturen des der Fraktur der Ulna vorgenommen. Neben der klassischen
kindlichen Unterarms bezeichnet. Form ist vor allem bei Kindern auch eine äquivalente Läsion
bekannt; die Radiusfraktur kombiniert mit einer Epiphysiolyse
Metaphysäre Biegungsbrüche eines oder beider Knochen. der distalen Ulna. Die Äquivalentverletzung ist bei Kindern
Diese Läsionen imponieren durch eine Fraktur nur einer Kortikalis häufiger als die klassische Läsion. Diese Klassifikation ist hilf-
und meist der Stauchung der anderen Kortikalis. Diese Frakturen reich für die Beschreibung der Läsion, aber für die Therapie
gehen häufig mit einer Achsenabweichung einher. Zusätzlich wei- und Prognose wenig aussagekräftig.
sen diese Frakturen oft einen Wulstbruch der Ulna auf. Es ist nicht
immer einfach, die Grünholzfraktur von der Stauchungsfraktur, Indikationen und Differenzialtherapie
die abgekippt ist, zu trennen. Da die Grünholzfraktur in der Meta- Extraartikuläre distale Unterarmfrakturen
physe nur selten Komplikationen aufweist, kann man diese beiden Bei den metaphysären Frakturen einschließlich der Epiphysenlö-
Frakturformen zusammen betrachten. sung ist das Ziel der Therapie, sowohl funktionelle als auch kosme-
tische Deformitäten zu vermeiden. Da es sich um extraartikuläre
Vollständige Fraktur. Hier sind beide Kortikales durchbrochen Frakturen handelt, muss die achsengerechte Redression nicht um
und sie ist meist vollständig disloziert. Hier kommt es zu einer jeden Preis angestrebt werden. Als Behandlungsmöglichkeiten ste-
Verkürzungsfehlstellung. hen folgende Optionen zur Verfügung:
1. Konservation mit Integration der Spontankorrekturen,
31 Epiphysenlösung des distalen Radius mit oder ohne meta- 2. geschlossene Reposition und Gips,
physären Keil. Meist gehen diese Verletzungen mit einer Läsion 3. geschlossene Reposition mit zusätzlicher Kirschner-Draht-
der Ulna einher. Dabei kann es sich um Frakturen des Processus Stabilisierung,
styloideus ulnae, eine Epiphysenlösung oder einen metaphysären 4. offene Reposition, Osteosynthese (»open reduction internal
Wulstbruch handeln. Neben der Epiphysenlösung werden auch fixation«, ORIF),
Epiphysenlockerungen am Radius beschrieben, die wiederum zu- 5. Gipskeilung (dies ist nur möglich bei entsprechend geschultem
sätzlich von den oben genannten Läsionen der Ulna begleitet sein Personal und Weiterbehandlung des Patienten in derselben
können. Insitution),
6. Kirschner-Draht-Stabilisierung, Plattenosteosynthese beim
Frakturen am metadiaphysären Übergang. Sie nehmen eine Adolszenten.
Sonderstellung ein. Ihre Versorgung entspricht den diaphysären
Frakturen. Prognostisch sind diese Frakturen jedoch zu den meta- Alle primär undislozierten stabilen Frakturen werden in Unter-
physären Läsionen zu rechnen, sowohl bezüglich der Spontankor- armgips bzw. -schiene ruhiggestellt. Geschlossene Gipse müssen
rekturen als auch den zu erwartenden Bewegungseinschränkungen. gespalten werden und sind um den 8. Tag zirkulär zu schließen.
Diese Frakturen befinden sich hinter dem Überkreuzungspunkt Eine radiologische Kontrolle der stabilen metaphysären Unterarm-
bei der Umwendbewegung. fraktur ist nicht notwendig.
Zusätzlich nützt die Einteilung in stabile und instabile Verlet- Handelt es sich um eine undislozierte instabile Fraktur, so
zungen der radioulnaren Funktionseinheit: wird diese ebenfalls im Gips retiniert, wobei die Instabilität per se
Als stabil gelten alle Frakturen mit Bruch nur einer Kortika- einen Oberarmgips für den Patienten nach sich zieht. Geschlossene
lis (Grünholz-Fraktur), weiterhin alle Stauchungsfrakturen sowie Gipse müssen gespalten werden und um den 6.–8. Tag nach dem
Frakturen nur eines Knochens. Trauma bei entsprechender Abschwellung zirkulär geschlossen
werden. Zu diesem Zeitpunkt werden diese Frakturen radiologisch
> Die Abkippung stellt ein therapeutisches Kriterium, jedoch
kontrolliert. Zeigt sich eine sekundäre Dislokation der Fraktur, so
keinen eindeutigen Hinweis auf Instabilität bei diesen Fraktu-
entscheiden die Kriterien Verschiebung ad latus, Verkürzung sowie
ren dar.
Ausmaß der Abkippung – entsprechend den primär abgekippten
Als instabil gelten alle Frakturen beider Kortikales sowie alle Epi- Frakturen – über das weitere Vorgehen.
physenlösungen und vollständig dislozierte Frakturen. Primär oder sekundär abgekippte/dislozierte stabile Fraktu-
ren bedürfen einer geschlossenen Reposition. Die Technik der
Intraartikuläre distale Unterarmfrakturen Reposition im Aushang und/oder manuellen Manöver entspricht
Epiphysenfrakturen des distalen Radius können eingeteilt wer- jenem beim Erwachsenen (⊡ Abb. 31.17).
den in reine epiphysäre Frakturen (Salter-Harris III) und epimeta- Bezüglich der Anästhesie bestehen im Vergleich zum Erwach-
physäre Läsionen (Salter-Harris IV). Zusätzlich sind Übergansfrak- senen wichtige Unterschiede:
turen beschrieben worden ( Kap. 10). ▬ Eine Bruchspaltanästhesie und eine subaxilläre Plexusanästhe-
sie kommen nur beim Adoleszenten in Frage.
Sonderformen ▬ Eine Analgosedierung ist in Abhängigkeit von der Fraktur-
Isolierte distale Fraktur (Epiphysenverletzung) der Ulna form und dem Alter möglich. Sie sollte nur dann gewählt wer-
Bei dieser Verletzung wird eine transepiphysäre Verletzung von den, wenn kein zusätzlicher chirurgischer Eingriff notwendig
einer intraepiphysären Läsion abgegrenzt. werden könnte.
▬ Die Indikation zur Allgemeinanästhesie ist bei Kindern groß-
Galeazzi-Läsionen zügig zu stellen (Traumabewältigung). Bei Kindern unter
Bei der Galeazzi-Läsion handelt es sich um die Kombination aus 4 Jahre ist sie obligat. Bei Kindern über 12 Jahren sollte die
Radiusschaftfraktur mit Luxation des distalen Ulnaendes, wobei Reposition immer in Allgemeinanästhesie erfolgen, da bei
vielfältige Kombinationen zu beobachten sind. Nach Letts und Instabilität der Fraktur eine sofortige osteosynthetische Ver-
Rowhani (1993) werden 4 Haupttypen unterschieden. Die wei- sorgung erfolgt. Absolute Indikationen zur Reposition in All-
tere Unterteilung wird dann entsprechend der Dislokation bzw. gemeinanästhesie sind in der folgenden  Übersicht dargestellt.
31.1 · Allgemeines
799 31

⊡ Abb. 31.27 Einteilung der distalen metaphysären Unterarmfrakturen. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
800 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Zeigt sich die Fraktursituation danach stabil kann die konservative


Absolute Indikationen zur Reposition in Allgemein- Therapie fortgesetzt werden. Kommt es jedoch unter der Repositi-
anästhesie bzw. ggf. zur definitiven osteosynthetischen on zur Instabilität, so sind diese Frakturen operativ zu stabilisieren.
Versorgung Dies stellt sich ein, wenn bei metaphysären Biegungsfrakturen bei-
▬ Massive Schwellungen de Kortikales durchbrochen werden mussten und gleichzeitig ein
▬ Ipsilaterale Frakturen des gleichseitigen Arms vollständiger Bruch der Ulna vorliegt.
▬ Wiederholte Nachrepositionen Bei allen abgekippten/dislozierten, per definitionem stabilen
▬ Vorliegen von schweren Hautverletzungen wie Brandwun- Frakturen empfiehlt von Laer (1986) den Gipsschluss um den 4. Tag,
den oder ausgedehnten offenen Quetschverletzungen anschließend eine Keilung um den 8. Tag. Er plädiert nur bei älteren
▬ Die primär offene Reposition kommt bei offenen Fraktu- Kindern für eine radiologische Kontrolle. In unserem Haus werden
ren, irreponierbaren Frakturen und Weichteilkomplikatio- diese Frakturen zwischen dem 7. und 10. Tag klinisch und radiolo-
nen wie Kompartement- oder Karpaltunnelsyndrom zum gisch kontrolliert. In Absprache mit den Eltern wird bei tolerierbarem
Einsatz Ausmaß der Achsenfehlstellung das weitere Procedere festgelegt. In
▬ Nach der Reposition persistierende Pulslosigkeit oder senso- aller Regel entscheiden sich die Eltern für das spontane Remodelling.
motorische Ausfälle Grundsätzlich wächst eine verbliebene Achsenfehlstellung in
den Schaftbereich und wird dort periostal ausgeglichen. Die Epi-
physe richtet sich im weiteren Verlauf wieder zur Bewegungsebene
31 auf. Die Mechanismen, die dieses Phänomen beeinflussen, sind
nicht geklärt und es bleibt abzuwarten, inwieweit molekularbiolo-
⊡ Tab. 31.8 Maximal tolerable altersabhängige Fehlstellung bei
gische Erkenntnisse dieses Phänomen erhellen können (⊡ Tab. 31.8,
der Primärtherapie für die distale metaphysäre Biegungs- und Stau- ⊡ Tab. 31.9, ⊡ Tab. 31.10).
chungsfrakturen im Wachstumsalter. Bei Überschreiten der Werte wird Ist bei primär oder sekundär abgekippten dislozierten insta-
die Reposition empfohlen bilen Frakturen eine Reposition notwendig, so wird für alle primär
und sekundär instabilen abgekippten Frakturen die sofortige defi-
Alter (Jahre) Achsabweichung ( in Grad) nach nitive Versorgung der Läsion gefordert. Diese Forderung geht auf
Palmar/dorsal Radial/ulnar die hohe Rate an Nachrepositionen in Narkose, die eine unnötige
Aufwandssteigerung darstellen, zurück. Sie wird mit einem Drittel
0–3 10–25 15–20 aller Frakturen angegeben. Insgesamt zeigt sich allerdings eine Al-
>3–6 10–20 10–15
tersabhängigkeit. Bei Kindern unter 8 Jahren kann weiterhin nach
Reposition eine konservative Therapie empfohlen werden, da sich
>6–10 10–15 <10 fast alle Fehlstellungen in einem zumutbaren Zeitfenster spontan
korrigieren können. Kinder über 12 Jahre sind unserer Meinung
>10–14 <10 <10
nach definitiv zu versorgen. An Osteosynthesen wird die perkutane

⊡ Tab. 31.9 Maximal tolerable altersabhängige Fehlstellung bei der Primärtherapie für die distale Radiusepiphysenlösung im Wachstumsalter. Bei
Überschreiten der Werte wird die Reposition empfohlen

Alter (Jahre) Achsabweichung ( in Grad) nach Seitverschiebung nach

Palmar/dorsal Radial/ulnar Dorsal/palmar Radial/ulnar

0–3 15–25 15–20 ½ Schaftbreite ¼ Schaftbreite

>3–6 10–20 10–15 ¾ Schaftbreite 4 mm

>6–10 10–15 <10 ¼ Schaftbreite 3 mm

>10–14 <10 <10 3 mm 2 mm

⊡ Tab. 31.10 Maximal tolerable altersabhängige Fehlstellung bei der Primärtherapie für komplett durchgebrochene distale metaphysäre Unterarm-
frakturen im Wachstumsalter. Bei Überschreiten der Werte wird die Reposition empfohlen

Alter (Jahre) Achsabweichung ( in Grad) nach Seitverschiebung nach

Palmar/dorsal Radial/ulnar Dorsal/palmar Radial/ulnar

0–3 15–25 15–20 Fast Schaftbreite ½ Schaftbreite

>3–6 10–20 10–15 2/3 Schaftbreite 1/3 Schaftbreite

>6–10 0–15 <10 1/3 Schaftbreite 1/3 Schaftbreite

>10–14 <10 <10 3 mm 3 mm


31.1 · Allgemeines
801 31
Kirschner-Draht-Spickung, bevorzugt von radial (⊡ Abb. 31.30), dullären Schiene von dorsal. Der Draht darf bei der dorsalen Ein-
empfohlen. Bei der Technik der gekreuzten Kirschner-Draht-Spi- bringung nicht so weit gekürzt werden, dass er an den Sehnen reibt
ckung ist darauf zu achten, dass die Kreuzung der Kirschner- (Riss der Sehne). Alternativ kann auch die Nagelung des Radius von
Drähte nicht im Frakturniveau liegt, da ansonsten ein Sperrphä- proximal angewendet werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass die
nomen der Osteosynthese – bei initialer Knochenresorption mit Einbringung des Priems nur in voller Supination erfolgt, um bei
fehlender Möglichkeit der Nachsinterung – auftreten kann. der Umwendbewegung keine Einschränkung zu produzieren. Wei-
Bei Adoleszenten kann die palmare Plattenosteosynthese eben- terhin ist streng darauf zu achten, dass nicht zu distal eingegangen
falls als Osteosynthese zum Einsatz kommen, insbesondere, wenn wird, wegen der Gefahr einer Läsion des N. radialis (⊡ Abb. 31.29).
eine geschlossene Reposition nicht gelingt. Hier ist auf eine Scho-
nung der Epiphysenfuge zu achten (⊡ Abb. 31.28). Intraartikuläre distale Unterarmfrakturen
Findet sich die Fraktur am diametaphysären Übergang und Das Therapieziel einer solchen Verletzung ist die Rekonstruktion
ist disloziert, so kann die intramedulläre Nagelung wie auch die der ursprünglichen Gelenkanatomie. Es soll sowohl eine funktio-
Kirschner-Draht-Spickung oder auch eine Platte Anwendung fin- nelle als auch eine kosmetische Deformität verhindert, aber auch
den. Das Problem der intramedullären Nagelung ist immer der das Risiko einer präarthrotischen Fehlstellung verkleinert werden.
auftretende Seitenversatz bei lateral eingebrachtem Draht (Eintritts-
punkt – Nähe zur Frakturhöhe). Der Seitenversatz kann im Kindes- > Eine Epiphysiolyse bzw. eine epiphysäre Fraktur stellt eine
alter problemlos dem spontanen Remodelling überlassen werden. Notfallsituation dar und bedarf einer umgehenden Reposi-
Die Nagelung ist in dieser Altersklasse gegenüber dem offenen tion zur Rettung der Wachstumsfuge. Mit einer Verzögerung
Verfahren unbedingt vorzuziehen. Bei größeren Kindern sollte der der Reposition und damit verspäteter Wiederherstellung der
Seitenversatz nicht mehr als ein Drittel der Schaftbreite betragen. anatomischen Verhältnisse steigt die Gefahr der Ausbildung
Daher empfehlen einige Autoren die Einbringung der intrame- von Wachstumsstörungen.

a b c d

⊡ Abb. 31.28 Palmare Plattenosteosynthese mit Positionierung der Schrauben proximal der adoleszenten Wachstumsfuge

a
b

⊡ Abb. 31.29 Die Schienung von distal kann bei Frakturen des Übergangs von Meta- zu Diaphyse problematisch sein. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
802 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Üblicherweise erfolgt die Reposition in Allgemeinanästhesie und der Luxation im distalen Radioulnargelenk anstreben. Gelingt eine
unter Bildwandlerdurchleuchtung im Operationssaal. Diese gelingt stabile Reposition, so kann die Verletzung konservativ im Ober-
in der Regel problemlos ohne operative Freilegung des Knochens. armgips in Supinationsstellung ausbehandelt werden. Bringt die
Die Stabilität des Repositionsergebnisses bzw. die Gefahr einer geschlossene Reposition keine stabile Retention am Radius, ist die
Redislokation ist oftmals nur schwer einzuschätzen. Diese wird Stabilisierung operativ durch eine intramedulläre Markraumschie-
für die ersten 2 Wochen mit bis zu 13% angegeben. Aus diesem nung oder bei Adoleszenten ggf. durch eine Plattenosteosynthese
Grund ist beim geringsten Verdacht auf eine mögliche Instabilität zu sichern. Eine zusätzliche Revision am Handgelenk ist meistens
eine perkutane Fixierung mittels Kirschner-Draht zu fordern. Die nicht erforderlich.
Retention der operierten Frakturen kann angesichts der geringen Bei operativ versorgten Frakturen kann die Nachbehandlung
Größe der Knochen nur mit dünnen Kirschner-Drähten erfol- frühzeitig mit spontanen Bewegungsübungen, anfänglich aus einer
gen. Je nach Knochengröße wählt man die Drahtdicke zwischen Gipsschiene heraus, erfolgen.
0,8–1,4 mm.
Therapie
> Nach Kreuzen der Wachstumsfuge muss die Eindrehge-
Der Therapiealgorithmus richtet sich nach dem Alter bzw. der Rei-
schwindigkeit zur Vermeidung thermischer Schäden mög-
fe der Epiphysenfuge:
lichst gering gehalten werden.
▬ Bei geschlossener Fugen erfolgt die Behandlung wie bei den
Die Drahtentfernung erfolgt nach einem altersabhängigem Zeit- Erwachsenen.
31 schema (⊡ Tab. 31.11): ▬ Kinder über 12 Jahre mit abgekippten Frakturen sind primär
Da es sich um Gelenkverletzungen handelt, sind eine offene definitiv zu versorgen und werden daher in Allgemeinan-
Reposition und eine Fixation bei Dislokationen oder Distraktionen ästhesie reponiert. Bei Instabilität werden diese Frakturen
über 2 mm angezeigt. entsprechend osteosynthetisch versorgt, insbesondere weil in
Mögliche Wachstumsstörungen sind durch eine Operation dieser Altersgruppe die Epiphysenlösungen zunehmen und
nicht zu verhindern. Handelt es sich um Patienten mit geschlosse- die Gefahr besteht, im Verlauf eine sekundäre Dislokation zu
nen Fugen, kommen die winkelstabilen Implantate bei palmarem entwickeln. Repositionen in Analgosedierung haben sich in
Zugang am häufigsten zum Einsatz. dieser Altergruppe bei instabilen, verkürzten Frakturen nicht
Nachbehandlung und Nachkontrollen erfolgen entsprechend bewährt, da bei insuffizientem Repositionsergebnis – durch
den anderen Läsionen des distalen Unterarmes. die zu geringe Spontankorrektur – ggf., d.h. in etwa einem
Drittel der Patienten, Nachrepositionen notwendig werden.
Sonderformen ▬ Kinder zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr werden in Allge-
Isolierte distale Fraktur (Epiphysenverletzung) der Ulna meinnarkose reponiert, wenn es sich um verkürzte, vollstän-
Transepiphysäre Frakturen werden im Rahmen der konservati- dig dislozierte und instabile Verletzungen handelt. Bei diesen
ven Therapie geschlossen reponiert. Intraepiphysäre Frakturen des Frakturformen sollte die Reposition in »Kirschner-Draht-Be-
ulnaren Styloids liegen in 33% der Fälle als Begleitverletzungen reitschaft« durchgeführt werden. Bei ungenügender Stabilität
einer distalen Radiusfraktur vor. In diesen Fällen wird der Radius erfolgt eine zusätzliche Kirschner-Draht-Osteosynthese. Alle
zuerst reponiert. Die Therapie der Ulna ist sekundär und häufig dislozierten abgekippten per se stabilen Frakturen werden in
nicht separat notwendig, da sie während der Reposition des Radius Analgosedierung reponiert. Dabei wird in Kauf genommen,
spontan mitreponiert wird. dass bereits initial eine mögliche Spontankorrektur bei der
Kann eine geschlossene Reposition aufgrund von interponierten Beurteilung der altersentsprechenden akzeptablen Ergebnisse
Weichteilen nicht erfolgreich durchgeführt werden, so ist, ebenso mitintegriert wird (Absprache mit den Eltern, die über das
wie bei Frakturinstabilität, ein operatives Vorgehen zu wählen. Pri- zumutbare Maß und den Aufwand aufgeklärt wurden).
mär offene Frakturen bedeuten eine absolute Operationsindikation. ▬ Bei Kindern unter dem 6. Lebensjahr kann nach durchge-
Die Nachbehandlung erfolgt wie bei distalen Radiusverletzungen führter Reposition eine konservative Therapie in allen Fällen
empfohlen werden, da sich fast alle Fehlstellungen in einem
Galeazzi-Läsionen zumutbaren Zeitfenster spontan korrigieren können und da-
Die Therapie muss die physiologische Armlänge wiederherstellen mit eine zweite Narkose zur Materialentfernung vermieden
und damit die Reposition der Radiusfraktur sowie die Beseitigung werden kann.

⊡ Tab. 31.11 Zeitschema für die bzw. Drahtentfernung bei der kindlichen Radiusfraktur

Frakturtyp Dauer der Ruhigstellung

Unter 5 Jahre 5–10 Jahre Über 10 Jahre

Undislozierte metaphysäre Frakturen ohne Reposition 3 Wochen 3–4 Wochen 4–5 Wochen

Metaphysäre Frakturen nach Reposition 3–4 Wochen 3–4 Wochen 4–5 Wochen

Metaphysäre Frakturen nach Reposition und Osteosynthese 3–4 Wochen 3–4 Wochen 4–5 Wochen

Epiphysenfrakturen nach geschlossener Reposition 3 Wochen 3–4 Wochen 4–5 Wochen

Epiphysäre Frakturen nach Reposition und Osteosynthese 3 Wochen 3–4 Wochen 3–4 Wochen
31.1 · Allgemeines
803 31
Das therapeutische Vorgehen für die Unterguppen der distalen letzungen. In der Literatur wird betont, dass diese Verletzung mit einer
metaphysären Frakturen im Wachstumsalter ist in ⊡ Tab. 31.12, hohen Rate an Pseudarthrosen einhergeht. Diese brauchen in den
⊡ Tab. 31.13, ⊡ Tab. 31.14 und ⊡ Tab. 31.15 dargestellt. meisten Fällen nicht behandelt werden, da sie fast immer asymptoma-
tisch bleiben. Gelegentlich kann die Exzision des Fragments ratsam
Komplikationen sein, um Schmerzen und Funktionseinschränkungen zu verhindern.
Die meisten distalen Unterarmfrakturen heilen folgenlos aus. Bei Ver- Eine persistierende Schmerzsymptomatik im Handgelenk kann
letzungen mit Beteiligung der Epiphysenfuge können Wachstumsstö- auf eine Begleitverletzungen oder chronische Kompression des ulno-
rungen vorkommen. Dieses Risiko ist hoch bei ulnaren Epiphysenver- karpalen Diskus im distalen Radioulnargelenk zurückzuführen sein.
Zu den Komplikationen zählen belassene Fehlstellungen, die
funktionelle Beeinträchtigungen nach sich ziehen.
⊡ Tab. 31.12 Therapeutisches Vorgehen bei der distalen metaphysären Nach wie vor existieren nur wenige Studien, in denen dezidiert
Fraktur im Wachstumsalter: Undislozierte metaphysäre Stauchungsfraktur die Fehlstellung hinsichtlich der Wiedererlangung der Beweglich-
Unfall Gipsschiene keit prospektiv kontrolliert wurde. Blockierende Fehlstellungen
korrigieren sich meist nicht.
7. Tag Gipsschluss
Bei offenen Frakturen ist das Risiko einer Infektion erhöht. Des
14.–21. Tag Gipsentfernung Weiteren können Refrakturen und Wachstumsstörungen vermehrt
Klinische Kontrolle nach diesen Verletzungen beobachtet werden.
Bei der Galeazzi-Läsion können Angulationen von mehr als
Kein Röntgen notwendig
10° mit Einschränkungen von Pro- und Supination einhergehen.

⊡ Tab. 31.13 Therapeutisches Vorgehen bei der distalen metaphysären Fraktur im Wachstumsalter: Undisloziert bzw. mit primär altersentsprechend
akzeptabler Achsenfehlstellung

<10 Jahre >12 Jahre


Zwischen 10. und 12. Lebensjahr entsprechend dem Knochenalter und nicht dem biologischen Alter vorgehen!
Unfall Gipsschiene Gipsschiene
7. Tag Gipsschluss Röntgenkontrolle, Gipsschluss
3.–4. Woche Gipsentfernung, fakultativ Röntgenkontrolle Gipsentfernung, Röntgenkontrolle

⊡ Tab. 31.14 Therapeutisches Vorgehen bei der distalen metaphysären Fraktur im Wachstumsalter: Primär abgekippte stabile Fraktur (Bruch nur eines
Knochens, Biegungsfraktur)

<10 Jahre >12 Jahre


Zwischen 10. und 12. Lebensjahr entsprechend dem Knochenalter und nicht dem biologischen Alter vorgehen!
Unfall Reposition Reposition, post repositionem stabil (sonst Vorgehen)
Gipsschiene Gipsschiene
7. Tag Gipsschluss Röntgenkontrolle, Gipsschluss
Keilung, (Reposition), (Röntgenkontrolle) Röntgenkontrolle, ggf. Reposition + Röntgenkontrolle
14. Tag – (Röntgenkontrolle)
4. Woche Gipsentfernung, (Röntgenkontrolle) Gipsentfernung, Röntgenkontrolle

⊡ Tab. 31.15 Therapeutisches Vorgehen bei der distalen metaphysären Fraktur im Wachstumsalter: Vollständig dislozierte Epiphysiolysen/Frakturen
beider Knochen (instabil)

<10 Jahre >12 Jahre

Zwischen 10. und 12. Lebensjahr entsprechend dem Knochenalter und nicht dem biologischen Alter vorgehen!

Unfall Reposition Reposition

Ggf. Osteosynthese, Oberarmgipsschiene, Röntgenkontrolle Osteosynthese! Oberarmgipsschiene, Röntgenkontrolle

7. Tag Gipsschluss, Röntgenkontrolle Gipsschluss, Röntgenkontrolle

14. Tag Fakultativ Röntgenkontrolle Röntgenkontrolle

4. Woche Gipsentfernung, Röntgenkontrolle Gipsentfernung, Röntgenkontrolle


804 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

Weitere Komplikationen sind Nervenverletzungen, radioulnare Su- 31.2.2 Kirschner-Draht-Spickung nach Kapandji
bluxationen und Wachstumsstörungen.
Die traditionelle Spickung nach Kapandji erfolgt mit drei Drähten
> Galeazzi-äquivalente Verletzungen weisen, trotz anatomischer
von dorsal bzw. dorsoradial. Diese werden in den Frakturspalt di-
Reposition, eine hohe Rate an frühzeitigem Fugenschluss auf.
rekt eingebracht und anschließend die distale Metaphyse über die
distalen Schäfte der Drähte reponiert. Die Fixation erfolgt dann in
der Gegenkortikalis. Vorteil dieses Verfahrens ist die Möglichkeit
31.2 Spezielle Techniken der Reposition unter Zuhilfenahme der Kirschner-Drähte, im Sinne
eines Hebels (Joystick-Methode; ⊡ Abb. 31.31). Der große Nachteil
31.2.1 Kirschner-Draht-Osteosynthese nach Lambotte dieses Verfahrens ist eine mögliche Irritation der Strecksehnen so-
wie eine fraglich ausreichende Stabilität. Insbesondere Brüche mit
Beim Erwachsenen erfolgt der Eingriff in Plexusanästhesie, im größerer dorsaler Trümmerzone neigen zu Instabilität.
Bier-Block oder ggf. auch in einer Bruchspaltanästhesie. Beim Kind
ist eine Allgemeinanästhesie zu fordern. Obligat ist eine intraope-
rative Durchleuchtungsmöglichkeit. Bei der Kirschner-Draht-Os- 31.2.3 Kombinierte Kirschner-Draht-Verfahren
teosynthese nach Lambotte werden nach der geschlossenen Repo-
sition zwei Kirschner-Drähte über dem Processus styloideus radii, Bei einem kombinierten Verfahren kann man sich die Repositi-
31 die Frakturzone überbrückend, in die Gegenseite der Kortikalis des onstechnik nach Kapandji zunutze machen. Dorsal werden hier 1
Radius proximal verankert. Dieses Verfahren erfordert genügend oder 2 Drähte eingebracht. Es erfolgt eine zusätzliche Stabilisation,
Knochenmasse im Bereich des Processus styloideus radii sowie entweder über einen Draht über dem Processus styloideus radii,
eine stabile Knochenstruktur auf der Verankerungsseite. im Sinne einer Spickung nach Lambotte, oder eine direkte Fixation
Dünnere Kirschner-Drähte als 1,6 mm sind biomechanisch in- größerer Fragmente. Kombinierte Verfahren scheinen bezüglich
stabil. 2,0-mm-Kirschner-Drähte führen zu einer verbesserten Rota- ihrer Stabilität den Einzelverfahren überlegen zu sein. Auch die
tionsstabilität. Die Biegefestigkeit weist bei 2,0-mm-Kirschner-Dräh- Verwendung von lediglich zwei Drähten kann für die notwendige
ten keine Verbesserung gegenüber den 1,6-mm-Kirschner-Drähten Stabilität ausreichen.
auf. Bei diesem Zugangsweg, werden die Strecksehnenfächer ge-
schont. Um eine größtmögliche Stabilität zu erreichen, muss der
Draht in einem möglichst steilen Winkel kreuzen und die Gegenkor- 31.2.4 Schraubenosteosynthese
tikalis sicher fassen. Dies bedeutet bei Kindern in den meisten Fällen
einen Zugang über die Epiphyse mit Kreuzung der Fuge. Die Reposition des Proc.-styloideus-Fragments kann entweder
manuell oder mit einer kleinen Repositionszange erfolgen. Die
> Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die Kirschner-Drähte B1.3-Frakturen lassen sich am besten über einen dicken Kirschner-
zentral durch die Fuge eingebracht werden, da eine peri- Draht unter Längszug direkt geschlossen oder offen reponieren.
phere Lage die Durchblutung der Epiphyse in der Ranvier- Die B1.1-Frakturen (lateral einfach) und B1.2-Frakturen (la-
Zone gefährdet (⊡ Abb. 31.30). teral Mehrfragment) werden zunächst mit 2 Kirschner-Drähten
stabilisiert. Aufgrund der ventralen Lage des Proc. styloideus im
Bei einer Gelenkfraktur wird zuerst ein zum Gelenk paralleler Vergleich zur mittleren Achse des distalen Radius sollte die Ver-
Draht eingeführt oder aber das ulnare Fragment von dorsolateral laufsrichtung der Kirschner-Drähte nach proximal ulnar und etwas
her mit einem weiteren Kirschner-Draht stabilisiert. Seine Aufgabe dorsal gerichtet sein, um die dorsoulnare Kortikalis zu erreichen.
besteht in der Retention des reponierten Radioulnargelenks. Ein Es erfolgt zunächst die Stabilisierung mit 2 Kirschner-Drähten. Bei
Oberarmgipsverband zur Verhinderung der Supination und Pro- genügend großem Fragment kann der Austausch gegen 2 Schrau-
nation ist dann natürlich unerlässlich. ben erfolgen oder es wird ein Kirschner-Draht belassen und der

b c d
a

⊡ Abb. 31.30 Technik der perkutanen Kirscher-Draht-Osteosynthese nach Lambotte. (Aus Weinberg u. Tscherne 2006)
31.2 · Spezielle Techniken
805 31
andere Kirschner-Draht durch eine Zugschraube ersetzt. Um eine werden und nach Applikation der Platte auf die Platte zurückver-
gleichmäßige Kompression zu erzielen, sollen die Schrauben paral- lagert werden. Dieses Vorgehen erzielt einen sicheren Schutz der
lel eingebracht werden (⊡ Abb. 31.20). EPL-Sehne. Die Gelenkkapsel kann über eine Längsarthrotomie
Bei den B1.3-Frakturen (medial) kann das in Reposition ge- zur besseren Übersicht der radialen Gelenkfläche des Karpus eröff-
haltene Fragment perkutan mit 1–2 Kirschner-Drähten fixiert net werden (⊡ Abb. 31.32)
werden. Durch manuelle Kompression in radioulnarer Richtung
durch einen Assistenten und das Fixieren des Fragments durch den Operatives Vorgehen bei A3- und B2-Frakturen ohne knö-
von dorsal eingebrachten Kirschner-Draht wird beim Einbringen chernen Defekt. Die dorsal applizierte Platte fungiert als Ab-
der beiden zur Stabilisierung eingebrachten Kirschner-Drähte eine stützplatte. Es erfolgt zunächst die Reposition und Fixierung des
weitere Diastase bzw. Dislokation vermieden. Proc.-styloideus-radii-Fragmentes mit einem Kirschner-Draht.
Postoperativ kann für einige Tage eine dorsale Gipsschiene Die anatomische Reposition kann metaphysär überprüft wer-
angelegt werden. Ansonsten ist bei guter Knochenstruktur die den. Die dorsale Randfraktur wird anschließend gegen Skaphoid
Fraktur übungsstabil versorgt. und Lunatum reponiert und die dorsale Subluxation des Karpus
korrigiert. Die intraartikuläre Kongruenz wird über eine dorsale
Querarthrotomie oder mit Bildwandler überprüft. Die Gelenk-
31.2.5 Plattenosteosynthese fragmente können gegen das palmare Fragment des Radius fixiert
werden. Bei metaphysärem Defekt ist u. U. eine Spongiosaplastik
Für die Durchführung einer Plattenosteosynthese bestehen mehre- notwendig.
re operative Zugänge zum distalen Handgelenk.
Operatives Vorgehen bei A3- und B2-Frakturen mit knö-
Dorsaler Zugang chernen Defekt. Mit den neuen winkelstabilen Platten kann
Beim dorsalen Zugang erfolgt ein S-förmiger oder bogenförmiger nicht nur eine Abstützfunktion erreicht werden, sondern auch
Hautschnitt über dem Radius nach distal auslaufend. Nach Durch- im Sinne eines Fixateur interne eine dauerhafte Retention. Der
trennung des subkutanen Fettgewebes trifft man auf das R. exten- Knochendefekt muss nicht mehr mit einem kortikospongiösen
sorum. Dieses wird üblicherweise vom 3. bis hin zum 4. Streckseh- Span aufgefüllt werden, es genügt die einfache Unterfütterung
nenfach Z-förmig eröffnet oder als ulnar gestielter türflügelartiger mit dem osteogenetisch aktiveren spongiösen Knochen. Nach
Lappen zwischen dem 1. und 2. Strecksehnenfach abgelöst. Durchführung der Osteosynthese kann die Rekonstruktion des
Das 4. Strecksehnenfach kann subperiostal abgeschoben wer- Retinakulums über eine Retinakulumplastik erfolgen. Hierbei
den, um die Unterfläche des Kompartments nicht zu verletzen. wird das Band transversal in 2 Lappen gespalten. Der eine Lappen
Dadurch wird die Irritation der Strecksehnen über der Platte ver- wird zwischen Platte und Strecksehnen, der andere Lappen über
mindert. Die Extensor-pollicis-longus-Sehne wird mobilisiert und die Strecksehnen gelegt und an der radialen Seite vernäht. Dies
verbleibt beim Wundverschluss oberhalb des Retinakulums, um vermeidet einen Bogensehneneffekt bei Anspannung der Handge-
eine Verletzung der Sehne durch Ischämie oder direkten Kontakt lenk- und Fingerstrecksehnen.
mit dem Implantat zu vermeiden. Jetzt können die Strecksehnen
beiseite gehalten werden. Am Boden des 4. Strecksehnenfachs fin- Operatives Vorgehen bei C2-Frakturen nach Rikli. Die in-
det man den Nervus interosseus posterior. Dieser hat die Aufgabe termediäre Säule (⊡ Abb. 31.3) wird über den oben beschriebenen
der Schmerzweiterleitung des Handgelenks. Hier kann eine Teil- Zugang dargestellt. Die radiale Säule wird nicht unter Weiterfüh-
denervierung durch Nervenexhärese durchgeführt werden. Die ren der Präparation subperiostal von ulnar nach radial unter dem
Fraktur lässt sich nun darstellen. Zum Anpassen einer dorsalen 2. Fach angegangen, sondern durch eine subkutane Präparation
Platte kann eine Entfernung der fibrösen Anteile des Tuberculum zwischen Hautlappen und Retinakulum nach radial dargestellt.
listeri erforderlich sein. In diesem Bereich findet man in der Regel Dabei muss der Ramus superficialis N. radialis aufgesucht und
eine dorsale Trümmerzone, welche sich ggf. für das Einbringen von geschont werden. Die Sehnen des 1. Fachs werden proximal im
Knochenersatzstoffen eignet. Alternativ kann das Tuberkulum Lis- Bereich des muskulotendinösen Übergangs aus ihrem Fach he-
teri samt der EPL-Gleitschicht mit einem Flachmeißel abgehoben rausgelöst. Hier liegt meist die Frakturzone der radialen Säule

⊡ Abb. 31.31 Prinzip der Spickung nach Kapand-


ji mit der Reposition über den Hebel der Kirsch-
ner-Drähte. a Einbringen der Drähte von dorsal
in den Frakturspalt, b Aufrichten der Fraktur über
den Hebel der Drähte, c endgültige Fixation in
a b c
der Gegenkortikalis. (Aus Oestern 1999)
806 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

31
c b

⊡ Abb. 31.32 Darstellung möglicher dorsaler Zugänge zum distalen Radius und zum Ra-
dioulnargelenk, zur Ulna sowie zum distalen Radioulnargelenk und zum Ulnokarpalgelenk.
a Mögliche Lokalisationen des Hautschnittes, b dorsaler Zugang zum Handgelenk mit Dar-
stellung des Retinaculum extensorum, c Eingehen zwischen dem 3. und 4. Strecksehenfach:
Das 4. Strecksehnenfach kann subperiostal abgeschoben werden, um die Unterfläche des
Kompartments nicht zu verletzen. Dadurch wird die Irritation der Strecksehnen über der
Platte vermindert. Die Extensor-pollicis-longus-Sehne wird mobilisiert und verbleibt beim
Wundverschluss oberhalb des Retinakulums, um eine Verletzung der Sehne durch Ischämie
oder direkten Kontakt mit dem Implantat zu vermeiden. d Nach Resektion des N. interosseus
posterior auf einer Länge von 2 cm (dorsale partielle Handgelenkdenervierung), Darstellung
der Fraktur. Die Gelenkkapsel kann über eine Längsarthrotomie zur besseren Übersicht der
radialen Gelenkfläche des Karpus eröffnet werden. e Verschluss der Gelenkkapsel und des
Retinaculum extensorum im proximalen Anteil über den Strecksehnen. Im distalen Anteil
kann eine Retinaculumstreifung unter die Strecksehnen geführt werden, um die Streckseh-
e nen von der Osteosyntheseplatte zu trennen. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
31.2 · Spezielle Techniken
807 31
(⊡ Abb. 31.33a). Mit diesem Zugang kommt die Platte radial und sollte dabei nicht über die Spitze des Styloids ragen. Manchmal ist
nicht dorsoradial zu liegen und stützt damit die radiale Säule kor- es erforderlich, die Sehnen des M. brachioradialis an ihrem Ansatz
rekt ab. Die Reposition wird vorläufig mit dünnen Kirschner-Dräh- etwas einzukerben, da deren Zug als Repositionshindernis wirken
ten fixiert. Zur Einstellung der Länge sind die dorsal ausgebroche- kann. Die Platte wird ebenfalls vorläufig im langen Loch fraktur-
nen Kortikalisschalen im Bereich der metaphysären Trümmerzone nahe im proximalen Fragment mit einer Standardschraube fixiert.
hilfreich. Nun wird eine passende L-Platte angeformt. Sie muss Anschließend Kontrolle der Reposition und Positionierung der
meist distal etwas zurückgebogen und in sich verwrungen werden. Implantate im Bildverstärker. Korrekturen der Reposition und der
Die Platte wird mit einer Standardschraube bevorzugt durch das Lage der Platten können jetzt noch problemlos vorgenommen wer-
lange Loch im proximalen Fragment frakturnah vorläufig fixiert den. Die Osteosynthese wird dann vervollständigt, indem zuerst
(⊡ Abb. 31.33b). Eine S-förmig vorgeformte Platte wird unter den jeweils das proximalste Plattenloch mit einer Standardschraube be-
Sehnen des 1. Fachs durchgeschoben und so platziert, dass sie den stückt wird. Damit kann die Platte nicht mehr verrutschen. Dann
Processus styloideus radii und damit die radiale Säule abstützt. Sie werden die distalen Plattenlöcher mit winkelstabilen Schrauben

a
b

⊡ Abb. 31.33 Operatives Vorgehen bei C2–Frakturen nach Rikli. a Darstellung der radialen Säule über eine subkutane Erweiterung des dorsalen Zugangs
unter Beachtung der Äste des R superficialis N radialis. Das 1. Strecksehnenfach wird eröffnet. b Nach Reposition der Knochenfragmente mit temporärer
Kirschner-Draht-Fixierung, Anbringen der L-förmigen Platte im Bereich der intermediären Säule. Nach Durchschieben unter dem 1. Strecksehnenfach,
Anbringen der lateralen Platte. c Nach intraoperativer Bildwandlerkontrolle Fertigstellung der Osteosynthesen, Lösung des Fixateur externe und Durch-
bewegen des Handgelenks unter klinischer und röntgenologischer Kontrolle. d Schichtweiser Wundverschluss, wobei das erste Fach offen gelassen wird.
Die EPL-Sehne belassen wir subkutan, indem der Retinakulumlappen zwischen Sehne und dorsoulnare Platte gezogen und vernäht wird. Die EPL-Sehne
bleibt durch Belassen des distalen Teils des Fachs genügend geführt. Proximal kommt sie subkutan zu liegen, ohne Kontakt zur dorsoulnaren Platte. (Aus
Rikli et al. 2005)
808 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

besetzt. In der radialen Platte reichen 2 Schrauben aus. Die distals- Kirschner-Drähte hilfreich sein. Dazu werden 1,0–1,5 mm starke
te Schraube wird in der Regel sehr kurz sein, die proximale lang; Kirschner-Drähte in schräger Verlaufsrichtung außerhalb der spä-
sie unterstützt zusätzlich das radiokarpale Gelenk. Im Bereich der teren Plattenlage eingebracht. Alternativ können die Drähte auch
dorsoulnaren Platte wird in der Regel der quere Plattenschenkel nach dorsal hindurchgeführt werden und zwar so weit, bis das
mit winkelstabilen Schrauben besetzt. Damit wird die rekonst- Drahtende mit der palmaren Fläche abschließt. Eine Radiusplatte
ruierte Gelenkfläche subchondral abgestützt. Es muss darauf ge- wird nun entsprechend angebogen und zunächst proximal pro-
achtet werden, dass die Schrauben nicht in das Gelenk vorragen. visorisch fixiert. Bei der distalen Plattenlage ist darauf zu achten,
Die aufschraubbare Bohrbüchse für die winkelstabilen Schrauben dass der distale Plattenrand die sog. Watershed Line nicht überragt
muss sehr sorgfältig auf die Platte geschraubt werden. Nur so lässt (⊡ Abb. 31.34e).
sich sicherstellen, dass die Schrauben ganz in der Platte versinken
und stabil im Plattengewinde verankert sind. Kontrolle im Bild- Operatives Vorgehen bei Mehrfragmentfrakturen. Bei einer
verstärker. Ist die Rekonstruktion zufriedenstellend und liegen die Mehrfragmentfraktur und sehr osteoporotischen Knochen genügt
Implantate korrekt, wird der Fixateur geöffnet und das Handgelenk es häufig, die Fraktur nur abzustützen. In diesen Fällen wird die
wird unter Bildverstärkung durchbewegt, um die Stabilität der Platte nur mit den proximalen Schrauben besetzt, während der
Fixation im Hinblick auf die frühe funktionelle Nachbehandlung distale quer verlaufende Schenkel unbesetzt bleiben kann.
zu dokumentieren (⊡ Abb. 31.33c). Schichtweiser Wundverschluss,
wobei das 1. Fach offen gelassen wird. Auch die Arthrotomie wird Operatives Vorgehen zur Reposition einer A3-Fraktur. Nach
31 nicht verschlossen. Die EPL-Sehne belassen wir subkutan, indem Markierung der Gelenkebene, ggf. kontrolliert durch eine seitliche
der Retinakulumlappen zwischen Sehne und dorsoulnare Platte Bildwandleraufnahme, wird nun die geeignete Platte ausgewählt.
gezogen und vernäht wird (⊡ Abb. 31.33d). Die EPL-Sehne bleibt Sie wird zunächst ausgerichtet und ein weiterer Spickdraht parallel
durch Belassen des distalen Teils des Fachs genügend geführt. zu dem Markierungsdraht in das distale Fragment eingebracht
Proximal kommt sie subkutan zu liegen, ohne Kontakt zur dorsoul- (⊡ Abb. 31.34f). Idealerweise wird die Position so gewählt, dass der
naren Platte. Optional kann eine Drainage eingelegt werden. Nach Draht durch ein Schraubenloch eingebracht wird, damit die Plat-
Wundverschluss wird der Fixateur externe entfernt. Anlegen einer tenpositionierung nicht behindert wird. Die Position des Kirsch-
palmaren Unterarmgipsschiene. ner-Drahts wird nun nochmals unter dem Bildwandler kontrol-
liert, ggf. müssen erneut Korrekturen vorgenommen werden bzw.
Palmarer Zugang bei der Besetzung der Schrauben notwendige Über- und Unterkor-
Für den palmaren Zugangsweg stehen zwei Möglichkeiten zur Ver- rekturen berücksichtigt werden (⊡ Abb. 31.34g). Der in das Gelenk
fügung, der radiale und der mediane Zugang. eingesteckte Spickdraht wird nun entfernt, die Platte in der a.-p.
Ebene nochmals ausgerichtet und die Führungshülsen aufgesetzt.
Radialer palmarer Zugang Die entsprechende Distalisierung oder Proximalisierung der Platte
Der radiale Zugang eignet sich für den überwiegenden Teil aller ist über den durch das Plattenloch eingebrachten Kirschner-Draht
B3.1- und B3.2-Frakturen. Hierbei erfolgt der Hautschnitt längsge- gesichert. Die Führungshülse wird nun genau parallel zum einge-
richtet über der Flexor-carpi-radialis-Sehne, wobei er distal in ei- brachten Kirschner-Draht ausgerichtet. Die Platte kommt nahezu
nem kleinen Bogen nach radial verläuft (⊡ Abb. 31.34a). Unter dem automatisch in die richtige Lage. Es muss darauf geachtet werden,
Subkutangewebe kommt man auf die Sehnenscheide der FCR-Seh- dass das proximale Ende der Platte ausreichend vom Knochen ab-
ne. Diese wird längs gespalten. Um eine Verletzung der A. radialis steht. Die Reposition wird durch vorsichtiges Andrücken der Platte
zu verhindern, muss die Längsspaltung der Unterarmfaszie entwe- an den Knochen erreicht. Abschließend erfolgt eine Bildwandler-
der exakt am Rand der Sehne oder etwas ulnar davon unter der kontrolle in d.p. und lateralem Strahlengang. Dokumentation der
Sehne erfolgen. Man tritt nun nach Eröffnen der Unterarmfaszie in Bilder, Prüfen der freien Handgelenkbeweglichkeit ohne Krepitati-
das radialseitige Beugesehnenkompartement (⊡ Abb. 31.34b,c). Die on als Zeichen einer intraartikulären Schraubenlage und sorgfälti-
Sehnen und die Muskelbäuche, soweit diese nach distal reichen, ge Prüfung zum Ausschluss einer Perforation einer Schraube in die
werden beiseite gehalten. Als nächste Struktur findet man den dorsalen Sehnenfächer.
M. pronator quadratus. Dieser wird an der ulnaren Radiuskante Anschließend Eröffnung der Blutleere, subtile Blutstillung und
längs abgesetzt und anschließend mit dem Raspartorium von Einlage einer Redon-Drainage. Refixierung des M. pronator qua-
Knochen entfernt. Nun hat man die direkte Sicht auf den distalen daratus über der Osteosyntheseplatte und Verschluss der Sehnen-
Radius und kann die Frakturlinien beurteilen (⊡ Abb. 31.34d). scheide des M. flexor carpi radialis. Tiefdermale Nähte, Hautnaht
in Einzelknopftechnik oder intrakutaner fortlaufender Naht.
Operatives Vorgehen zur Reposition einer B3.1- und B3.2-
Fraktur. Die Reposition lässt sich am einfachsten erreichen über Medianer palmarer Zugang
ein Hypomochleon, welches unter das Handgelenk dorsalseitig Erfordert die Geometrie der Fraktur ein Zugehen mehr ulnarwärts,
gelegt wird. Am besten eignet sich ein Operationstuch oder ein so kann ein medianer palmarer Zugang gewählt werden. Die
Operationskittel. Unter Extension lässt sich dadurch die Reposition operativen Schritte entsprechen jenen beim palmaren Zugang zur
einfach erzielen. Bei diesem Frakturtyp sollte die palmare Kapsel Therapie einer perilunären Luxation ( Abschn. 28.2.2). Der Haut-
zur Darstellung der Gelenkfläche nicht eröffnet werden. Durch schnitt erfolgt längsgerichtet über der Palmaris-longus-Sehne. Man
Verletzung der radiokarpalen Bänder könnte dies zu einer post- kann ihn im Bereich der Linea raszetta etwas bogenförmig nach ul-
operativen Instabilität führen. Besteht aufgrund der präoperativen nar ausschwingen und über dem Karpalkanal verlaufen lassen. Da-
Röntgenbilder ein Hinweis auf ein weiteres disloziertes Gelenk- bei besteht auch die Möglichkeit einer Spaltung des Retinakulum
fragment, sollte dies zunächst durch Weghalten des anterioren flexorum. Nach Durchtrennen des subkutanen Fettgewebes wird
Gelenkfragments dargestellt werden. Dadurch ist die Reposition die Unterarmfaszie am radialen Rand der Palmaris-longus-Sehne
ohne zusätzliche Verletzung der palmaren Bänder möglich. Ge- längs eröffnet. Bereits hier kann man auf den Ramus palmaris
legentlich kann die temporäre Stabilisierung der Fraktur über des Nervus medianus treffen. Auf diesen Nerven muss gesondert
31.2 · Spezielle Techniken
809 31

M. flexor carpi radialis

b
M. flexor digitorum superficialis
c

g
f

⊡ Abb. 31.34 Radiopalmarer Zugang zum distalen Radius. a Hautschnitt erfolgt ulnar der A. radialis bis zur Rascetta. b Anatomischer Situs im Querschnitt des Un-
terarms im distalen Drittel. Der rote Pfeil markiert den Zugangsweg auf den Radius. c Nach Spaltung der Sehnenscheide des M. flexor carpi radialis erfolgt die Prä-
paration radial des M. flexor carpi radialis in die Tiefe auf den M. flexor pollicis longus. d M. flexor digitorum superficialis und M. flexor pollicis longus werden nach
ulnar beiseite gehalten. Der M. pronator quadratus wird entlang der gestrichelten Linie vom darunter liegenden Radius abgelöst. e Operatives Vorgehen zur Repo-
sition einer B3.1– und B3.2–Fraktur: Zunächst erfolgt die Fixierung der proximalen Schraube. Die Platte steht leicht von der Kortikalis des Radius ab. Anschließend
wird mit der 2. Schraube von proximal die Platte gegen die Kortikalis fixiert. Damit kommt es zu einer Reposition des distalen Fragments. Zusatzschrauben können
dann in das periphere Fragment eingebracht werden. f Operatives Vorgehen zur Reposition einer A3–Fraktur: Die Platte ist distal verankert, die Schrauben liegen
parallel zur Gelenkfläche. Mithilfe einer Tuchrolle, leichter Extension und vorsichtigem Andrücken der Platte an den Schaft wird die Reposition erreicht und durch
Einbringen einer Plattenzugschraube, bevorzugt in ein Langloch, gesichert. Durch leichtes Lösen dieser Schraube lassen sich ggf. noch leichte Längenkorrekturen
erreichen. g Schematische Darstellung der reponierten und stabilisierten Fraktur. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001, Kohn u. Pohlemann 2010)
810 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

geachtet werden. Die weitere Präparation in die Tiefe bringt den ten Fällen ist das der Radius. Gelingt nach 2 Versuchen weder die
Nervus medianus zur Darstellung. Dieser wird separiert und üb- Reposition von Radius noch die der Ulna, so ist die Fraktur offen
licherweise mittels »Vessel-loop« angeschlungen und nach ulnar zu reponieren, da meist ein Muskelinterponat vorliegt. Dafür
verlagert. Nach Verlagerung des Nerven werden die Beugesehnen wird ein kleiner Zugang (entsprechender Verlauf der Inzision)
separiert und verlagert. Man gelangt ebenfalls ulnarseits auf den für Radius und Ulna bei offener Reposition über der Fraktur
M. pronator quadratus. Dieser wird hier an der ulnaren Kante des betroffenen Knochens gelegt und unter Sicht reponiert. Die
abgesetzt und abgeschoben. Somit gewinnt man den gewünschten Nagelspitzen sollen aufeinander zugedreht zu liegen kommen,
Überblick über die Fraktur vor allem im Bereich der Fossa lunata da dann die Knochen in physiologischer Krümmung zueinander
und des distalen Radioulnargelenks. Das Ziel einer anschließenden liegen. Damit bleibt gewährleistet, dass die Membrana interossea
Osteosynthese ist die stabile Fixation des ulnaren »Schlüsselfrag- aufgespannt wird und der interossäre Raum nicht eingeengt wird.
ments« in anatomischer Stellung, einer wichtigen Voraussetzung Die Nagelenden sollten nicht zu weit (5–6 mm) aus dem Kno-
für ein gutes Therapieergebnis. Bei der Extension des Handgelenks chen herausragen, um nach Abschwellung der Weichteile Haut-
ist die palmare Abstützung des Lunatums von zentraler Bedeutung irritationen auf ein Minimum zu begrenzen. Alternativ können
(⊡ Abb. 31.3). die Enden bei Stahlnägeln umgebogen werden. Alle Patienten
erhalten postoperativ einen elastischen Schlauchverband oder
ausschließlich einen Pflasterverband. Zusätzlich kann ein Drei-
31.2.6 Fixateur externe  Abschn. 43.2.7 eckstuch die ersten Tage getragen werden. Kinder können diesen
31 entsprechend der individuell empfundenen Schmerzen jederzeit
Es stehen verschiedene Techniken zur externen Stabilisierung zur abnehmen (⊡ Abb. 31.35).
Verfügung. Primär werden Bridging-Verfahren von Non-Bridging-
Verfahren unterschieden: Bei Bridging-Verfahren handelt es sich
um eine Positionierung der Steinmann-Nägel im Bereich des dista- 31.2.8 Frakturen der distalen Ulna und
len Radius sowie Metakarpale II oder III. Man erreicht hierbei eine Verletzungen des distalen Radioulnargelenks
Überbrückung des Handgelenks. Zusätzlich kann hier eine milde
Distraktion angewandt werden. Eine Übungsmöglichkeit für die Frakturen des Processus styloideus ulnae und der distalen
Handgelenkbeweglichkeit besteht nicht ( Abschn. 43.2.7). Ulna
Beim Non-Bridging-Fixateur werden die Steinmann-Nägel bei Im Rahmen der traumatischen Dislokation der Radiuskonsole
geeigneter Frakturform in der Radiusdiaphyse sowie Metaphyse kann es über die Ligamenta radioulnare anterior et posterior zu
verankert. Der Fixateur stabilisiert somit zwar die Frakturzone, einer Ausrissfraktur des Processus styloideus ulnae kommen. Die
überbrückt jedoch nicht den Handgelenkspalt. Größe des hier entstehenden Fragments variiert zwischen einem
kleinen Flake bis hin zu einem kompletten Abriss des Griffelfort-
satzes. Bei der Versorgung der Radiusfraktur ist die Stabilität des
31.2.7 Intramedulläre Marknagelung distalen Radioulnargelenks klinisch zu prüfen. Zeigen sich Zeichen
einer Instabilität, so wird das Gelenk bei kleinen Flakes für 4 Wo-
Die Operation erfolgt in Rückenlage und Allgemeinanästhesie. chen transfixiert, größere Fragmente werden mittels Draht oder
Die obere Extremität muss frei beweglich abgedeckt werden, Schraube refixiert und damit stabilisiert.
wobei ein Armtisch empfehlenswert ist, aber nicht obligat). Die Eine isolierte Fraktur der distalen Ulna im metaphysären An-
Operation erfolgt in Oberarmblutleere (200–250 mmHg). Im Ge- teil kann bei fehlender Dislokation mittels Oberarmgips behandelt
gensatz zu anderen Indikationsbereichen der intramedullären werden. Instabile Frakturen werden je nach Größe mittels Draht,
Schienung sollte am Unterarmschaft die Nageldicke zwei Drittel Schraube oder Platte osteosynthetisch versorgt (⊡ Abb. 31.36).
des Markraums betragen. Handelt es sich nicht um bereits präpa-
rierte bzw. Titanschienen, so wird der Nagel zunächst zum Erhalt Distale Unterarmfraktur
der Vorspannung vorgebogen und das stumpfte Ende etwa 10 mm Bei einer kombinierten Fraktur von Radius und Ulna spricht man
vom Ende 15–20° abgewinkelt, um die Manövrierfähigkeit zu von einer distalen Unterarmfraktur. Wird der Speichenbruch os-
verbessern. Grundsätzlich sollte das Nagelende stumpf sein, da es teosynthetisch versorgt, so ist auch die Elle zu stabilisieren um die
sonst beim Vorschlagen zu Perforationen der Kortikalis kommen Kongruenz der Radioulnargelenkflächen wiederherzustellen. Eine
kann, falls der Nagel sich mit der Spitze in den Knochen bohrt. nicht mitversorgte distale Ulnafraktur würde die Osteosynthese am
Um diese Gefahr zu minimieren ist es wichtig, unter drehenden Radius mechanisch schwächen. Als stabilisierende Verfahren kom-
Bewegungen den Nagel voranzutreiben. Die dorsale Eintrittsstelle men Kirschner-Drähte, Schrauben sowie Miniplatten zum Einsatz
am Radius sollte radialwärts etwa 2 cm proximal der Epiphysen- ( Kap. 32; ⊡ Abb. 31.37).
fuge liegen. Der R. superficialis N. radialis sollte immer darge-
stellt und angezügelt werden. Wichtig ist die stumpfe Präparation Begleitende Weichteilverletzungen
zum Knochen. Unter Sicht den Pfriem einbringen. Anschließend Im Rahmen der distalen Radiusfraktur kann es zu schwerwie-
erfolgt die Eröffnung der Kortikalis mit dem Pfriem. Die Ulna genden Verletzungen der stabilisierenden Weichteilstrukturen
wird meist deszendierend geschient. Die Hautinzision erfolgt kommen. Hierzu zählen der radiale oder ulnare Ausriss des Dis-
dorsal unter Schonung der Olekranonepiphyse. Die Elle wird cus triangularis, eine Verletzung des TFCC mit Zerreißung des
etwa 2 cm distal der Apophysenfuge mit dem Pfriem im Winkel 6. Strecksehnenfachs sowie Rupturen der intrinsischen ulnokarpa-
von 45° perforiert. Beide Nägel werden je von distal-radial bzw. len Bänder. Ein relativer Ulnavorschub bei gesinterter Radiusfrak-
von proximal-ulnar unter Hin- und Herdrehen bis auf die Höhe tur kann zu einer Einklemmung des Discus triangularis führen. All
der Fraktur vorgeschoben. In der Praxis hat es sich gezeigt , dass diese Veränderungen können zu einer akuten posttraumatischen
der schwer zu reponierende Knochen, meist der vollständig dislo- Instabilität des distalen Radioulnargelenks oder zu sekundären
zierte, zuerst reponiert und stabilisiert werden sollte. In den meis- chronischen Veränderungen führen ( Kap. 33).
31.2 · Spezielle Techniken
811 31

⊡ Abb. 31.35 Technik der intrame-


dullären Markraumschienung. (Aus
Weinberg u. Tscherne 2006)
812 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

31.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen

31.3.1 Konservative Therapie

Die Unterschätzung einer instabilen Fraktur kann zu häufigen


Redislokationen, auch bei genauer Einhaltung der Prinzipien einer
konservativen Frakturbehandlung, führen. In diesen Fällen muss
die rein konservative Behandlung zugunsten eines operativen Ver-
fahrens verlassen werden.
Die sog. Sudeck-Dystrophie kann ihre Ursache neben häufigen
Repositionen auch in zu eng angelegten Gipsverbänden haben. Wich-
tig ist während der gesamten konservativen Behandlung die freie
Beweglichkeit der Finger, insbesondere das vollständige Spreizen

31.3.2 Operative Therapie

31 Im Gefolge der Erstbehandlung kann es zu verschiedensten Kom-


plikationen kommen. Diese werden je nach zeitlichem Auftreten
in Frühkomplikationen, intermediäre Komplikationen sowie Spät-
komplikationen unterteilt (⊡ Abb. 31.38).

Technische Fehler
Technische Fehler bei der Osteosynthese sind nicht selten, jedoch
a b
auch nicht immer vermeidbar. Ihre Konsequenz kann sich von
einer fehlenden klinischen Relevanz bis hin zu schwerwiegenden
⊡ Abb. 31.36 Isolierte Schrägfraktur der distalen Ulna (AO-Typ A1).
Folgen erstrecken.
a Präoperativer Aspekt, b Osteosynthese mit winkelstabiler Miniplatte
Das Wissen um mögliche technische Fehler kann helfen, diese
zu vermeiden oder rechtzeitig intraoperativ zur korrigieren. Letzt-
endlich kann es sogar notwendig werden, eine fehlerhafte Osteo-
synthese durch einen Zweiteingriff zu korrigieren.

Implantatwahl und Implantatlage


Gerade die Plattenosteosynthese birgt erhebliche technische Feh-
lerquellen. Insbesondere eine falsche Positionierung der Schrauben
im distalen Anteil kann zu postoperativen Problemen führen. Aus
diesem Grund ist stets eine intraoperative Röntgendurchleuchtung
zur Dokumentation der Materiallage zu fordern.
Bei den distalen Schrauben sollte es das Ziel sein, alle betrof-
fenen Fragmente zu fassen und gleichzeitig die Schrauben in eine
Position knapp unter den Gelenkspalt einzubringen. Hier finden
sich gerade beim alten Patienten oftmals noch eine gute Knochen-
dichte und somit stabile subchondrale Knochenlamellen. Dies birgt
aber die Gefahr in sich, bei der Einbringung der Schrauben in
einen zu weit nach distal liegenden spitzen Winkel zu geraten und
damit die Schrauben im Gelenk zu platzieren. Eine streng seitliche
Einstellung der intraoperativen Durchleuchtung sowie die 30° Ge-
lenkseitlichaufnahme mit einem qualitativ guten Bildwandler kann
helfen, eine intraartikuläre Schraubenlage zu vermeiden. Ein Boh-
ren der Schraubenlöcher unter Durchleuchtung hat sich gerade
beim palmaren Zugang bewährt (⊡ Abb. 31.39).
Die radial gelegenen Schrauben, welche den Processus styloi-
deus radii fassen sollen, ragen im Röntgenbild oftmals weiter nach
distal. Dies kann in der seitlichen Aufnahme den Anschein einer
falschen Schraubenlage vortäuschen.
Bei intraartikulären Frakturen besteht die Gefahr, eine Schraube
direkt in den Frakturspalt zu platzieren. Dies kann zu einem Ausei-
nanderdrängen der Fragmente bei fehlendem Stabilisierungsbeitrag
a b sowie zu einer späteren Irritation des Gelenks führen. Aus diesem
Grund müssen nicht zwingend alle Schraubenlöcher besetzt werden.
⊡ Abb. 31.37 Distale dislozierte Unterarmfraktur. a Präoperativer Aspekt, Ein kleines ulnares Schlüsselfragment stellt eine erhöhte Anfor-
b Versorgung mit beidseitiger winkelstabiler Plattenosteosynthese derung an die Planung und Durchführung der Osteosynthese dar,
31.3 · Fehler, Gefahren und Komplikationen
813 31
da dieses von einer Schraube durch die Platte möglicherweise nicht die Schrauben für eine ausreichende Stabilisierung die Gegen-
ausreichend gefasst werden kann. Gerade die Stabilisierung dieses kortikalis nicht zwingend mit erfassen. Insbesondere die ulnaren
Fragments ist jedoch die Grundlage für den Aufbau der weiteren Schrauben können bei Penetration der Gegenkortikalis bzw. bei
Osteosynthese. Deshalb sollte insbesondere bei komplexen intraar- einem Überragen des Knochens chronische Irritationen oder Ver-
tikulären Frakturen zunächst die ulnare Gelenkfläche reponiert und letzungen der Strecksehnen, insbesondere der EPL-Sehne, verursa-
anschließend sicher fixiert werden. Unterbleibt dies, so kann es im chen (⊡ Abb. 31.40).
weiteren Gefolge trotz stabiler Plattenlage zu einem Absinken dieses Fehlermöglichkeiten der Schraubenlängenbestimmung bei der
Fragments bei ansonsten stabiler radialer Gelenkkonsole kommen. palmaren Plattenosteosynthese ergeben sich aus
Die Folge ist die Entstehung einer Gelenkstufe. Daneben besteht ge- ▬ der dorsalen Trümmerzone
rade bei kleinen Fragmenten die Gefahr, die Schraube zu weit ulnar ▬ der Möglichkeit des Verhakens der Messlehre am Boden oder
zu setzen und somit in das distale Radioulnargelenk abzudriften und an der dorsalen Kante der Strecksehnenfächer
dieses zu schädigen. Eine derartige Fehlpositionierung ist durch eine ▬ dem finalen Heranziehen der Fragmente an die Platte vor Ver-
streng a.-p. gelegene Bildwandlerkontrolle sowie die klinische Kont- riegelung insbesondere der ersten distalen Plattenschraube
rolle zu erkennen und muss entsprechend korrigiert werden. ▬ konstruktiven Toleranzen der Messlehren.

Falsche Schraubenlänge oder Plattengröße Die intraoperativen Kontrollmöglichkeiten mittels seitlicher und
Gerade bei der palmaren Plattenosteosynthese ist auf eine korrekte schräg-seitlicher Röntgenaufnahmen haben sich durch die im
Schraubenlänge zu achten. Bei winkelstabilen Systemen müssen »Strahlenschatten« des Tuberkulum listeri gelegenen radial und

Frühkomplikationen Intermediäre Komplikationen Spätkomplikationen

instabile Osteosynthese sekundäre Dislokation sekundäre Arthrose

fixierte Fehlstellung Pseudarthrose

imprimierte Gelenkfläche Implantatbruch/Materiallockerung

instabiles DRUG

Sehnenverklebungen/Sehnenrupturen

Nervenkompression/CRPS/Infekt ⊡ Abb. 31.40 Nach palmarer Plattenosteosynthese stehen zwei Schrauben


aus der dorsalen Kortikalis heraus. Es kam zu einer Ruptur der EPL-Sehne
durch mechanische Beanspruchung, III 3. Strecksehnenfach; IV 4. Streckseh-
⊡ Abb. 31.38 Zeitliche Einteilung der Komplikationen bei der distalen Radi- nenfach; CL Crista Listeri; EPL distaler Stumpf der rupturierten Sehne des
usfraktur M. extensor pollicis longus

a b

⊡ Abb. 31.39 Intraartikuläre Schraubenlage. a Verdacht auf intraartikuläre Schraubenlage im konventionellen Röntgenbild, b Nachweis der Fehllage der
Schrauben in der CT
814 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

durch eine Dehnung oder Kompression des N. medianus oder


N. ulnaris ein akutes Karpaltunnelsyndrom, selten eine Guyon-
Logen-Syndrom entstehen. Als weitere Weichteilkomplikationen
sind zunehmende Postrepositionsschwellungen mit der Gefahr ei-
nes Kompartmentsyndroms des Unterarms und der Hand bekannt.
Im Gefolge der Osteosynthese kann es ebenfalls zu Quetschungen,
Teildurchtrennungen oder Durchtrennungen peripherer Nerven
oder Sehnen kommen. Zu den Frühkomplikationen zählen auch
alle übersehenen assoziierten karpalen Verletzungen oder sonstige
Begleitverletzungen. Eine Infektion nach einer operativen Stabili-
sierung kann akut zu den Frühkomplikationen und als chronischer
Infekt zu den intermediären Komplikationen zählen.
Im Zusammenhang mit den heutzutage sehr weit verbreiteten
palmaren winkelstabilen Plattenosteosynthesen distaler Radius-
a b
frakturen ist in bis zu 15% der Fälle mit Sehnenkomplikationen
zu rechnen. Diese können als intermediäre und späte Kompli-
⊡ Abb. 31.41a,b a intraoperative Röntgen-BV-Einstellung zur Tangentialauf- kationen sowohl palmar- als auch dorsalseitig auftreten, wobei
31 nahme der dorsalen Radiuskontur nach Dönicke, b frontale Darstellung der
Strecksehnenirritationen in der Regel deutlich früher klinische
dorsalen Radiusfacette und der distalen Plattenschrauben
Symptome auslösen als Beugesehnenirritationen. Das klinische
Erscheinungsbild einer implantatbedingten Sehnenirritation be-
ginnt regelhaft mit einer chronischen, nur wenig schmerzhaften
ulnar abfallenden Radiusfacetten und die darin muldenartig verlau- Synovialitis, die im weiteren Verlauf zu einer Synovialiswucherung
fenden Strecksehnenfächer als unzuverlässig erwiesen. Da in den mit konsekutiver Sehnenarosion und im schlimmsten Fall zur
engen dorsalen Strecksehnenfächern bereits ein Schraubenüber- Sehnenruptur führt. Beugeseitig sind überwiegend die Daumen-
stand von 1–2 mm zur Strecksehnenarosion und -ruptur führen und Zeigefingerbeugesehnen betroffen, streckseitig mit Abstand
kann, sollten jegliche Schraubenpenetrationen über die dorsale am häufigsten die lange Daumenstrecksehne (EPL) gefolgt von
Kortikalis hinaus unbedingt ausgeschlossen werden. Hierfür hat den Langfingerstrecksehnen im 4. Strecksehnenfach. Abzugrenzen
sich die Durchführung der sog. Tangentialaufnahme der dorsalen sind Spontanrupturen der EPL-Sehne, die sowohl bei konservativ
Radiuskontur nach Dönicke als weitere intraoperative Standardrönt- als auch operativ behandelten distalen Radiusfrakturen mit einer
geneinstellung bewährt (⊡ Abb. 31.41a,b). Häufigkeit von ca. 1% auftreten.
Es ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass auch das alleini- Als Ursachen für implantatbedingte Beugesehnenirritation gel-
ge Durchbohren durch die Gegenkortikalis mit anschließendem ten der direkte Kontakt zwischen Sehnen und dem distale Platten-
Durchgleiten des Bohrers bei zu hohem Druck eine Verletzung der rand infolge
Weichteile und der Strecksehnen verursachen kann. ▬ der meist unzureichenden Deckung durch den M. pronator
Bei der Vielzahl der heute angebotenen unterschiedlichen quadratus
Plattengeometrien sollte bei jeder Fraktur versucht werden, die ▬ von zu weit distalen oder vom Knochen abstehenden Platten
optimale Größe und Form des Implantats zu bestimmen. Zu klein durch verbleibende primäre oder sekundäre Fragmentdisloka-
gewählte Implantate gefährden die Stabilität und limitieren die tion, primäre Plattenfehllagen und sekundäre Schraubenlocke-
freie Wahl der optimalen Schraubenposition. Zu groß gewählte rungen
Implantate können den Knochen überragen und somit im Ge- ▬ von endogenen individuellen Metallunverträglichkeiten.
folge zu schmerzhaften Druckpunkten und Störung der Weich-
teile führen. Strecksehnenkomplikationen nach palmaren Plattenosteosynthesen
Bei weit distal gelegenen Bruchlinien lässt sich eine sehr distale treten fast ausschließlich durch überlange Schrauben auf, in selte-
Plattenlage selten vermeiden. Wenn es aufgrund der Frakturgeome- nen Fällen sind auch scharfe Fragmentkanten verantwortlich. An-
trie jedoch möglich ist, so sollte der Plattensteg die sog. Watershed zumerken bleibt, dass bei der dorsalen Plattenosteosynthese durch
Line, also die Ansatzzone der palmaren Handgelenkkapsel, nicht die sehnenschonende Präparation zum Knochen, die Verwendung
überragen um chronnische Beugesehnenirritationen zu vermeiden. wenig auftragender Platten und deren Deckung mit einem Retin-
Bei Spiralfrakturen, die proximal in den metaphysären bzw. akulum-Lappen Strecksehnenkomplikationen weitgehend vermie-
diaphysären Bereich ziehen, ist die Plattenlänge für eine ausrei- den werden können. Allerdings können palmar hervorstehende
chende Stabilisierung nach proximal hin eher großzügig zu wäh- Schraubenspitzen, vor allem im Bereich der watershed-line, analog
len. Gerade in diesem Bereich des Radius findet sich eine deutlich zur palmaren Plattenosteosynthese Beugesehnenaffektionen her-
schlechtere Durchblutungssituation mit entsprechend schwächerer vorrufen.
Knochenheilung. Bei Hinweisen auf implantatbedingte Sehnenirritationen ist
die frühzeitige Implantentfernung in allen Altersgruppen obligat.
Frükomplikationen Dönicke et al. schlagen eine Konzept zur Vermeidung von Sehnen-
Zu den Frühkomplikationen zählen zunächst die unbefriedigen- komplikationen bei palmarer Plattenosteosynthese distaler Radius-
den Ergebnisse nach Osteosynthese. Zu nennen sind zuvorderst frakturen vor, welches sowohl die intra- als auch die postoperativen
instabile Fixationen oder fixierte Fehlstellungen nach schwieriger Behandlungsphasen einbezieht (⊡ Abb. 31.42).
Reposition. Hierzu zählen auch schwerwiegende und nicht rekon-
struierbare Impressionen der Gelenkfläche. Des Weiteren können Intermediäre Komplikationen
Subluxationen des Ulnaköpfchens im Gefolge eines instabilen di- In der Gruppe der intermediären Komplikationen spielt der Verlust
stalen Radioulnargelenks auftreten. Bezüglich der Weichteile kann des Repositionsergebnisses im Sinne einer sekundären Dislokation
Weiterführende Literatur
815 31

Konzept zur Vermeidung von Sehnenkomplikationen nach Plattenosteosynthesen


Plattenosteosynthesen
distaler Radiusfrakturen

1.1. 2.2. 3.3. 4.4. 5.5.

intraop. TA postop. postop. fachspezifische IE vor Eintritt


intraop . TA der
der dorsalen postop .
Sonographie postop .
Patienteninfo. fachspezifische
Nachsorge von IEvon
vorSehnen-
Eintritt
dorsalen
Radiuskontur Sonographie
am distalen Patienteninfo.
über Symptome Nachsorge von
Risikopatienten von Sehnen -
komplikationen
Radiuskontur am distalen über Symptome Risikopatienten komplikationen
Radius mögl. Sehnen-
Radius mögl. Sehnen -
irritationen
irritationen

VK + Neuzugänge
Neuzugänge pos. Symptom.

nicht auswertbar NachweisSehnenirritation


Nachweis Sehnenirritation gravierende SI (EPL)
⊡ Abb. 31.42 Konzept zur Vermeidung von
Sehnenkomplikationen nach palmarer Platten-
osteosynthese distaler Radiusfrakturen
ggf. CT
(Dönicke et al., Jena)

mit Entstehung einer sekundären Deformität die wesentliche Rolle. Arora R, Gabl M, Gschwentner M, Deml C, Krappinger D, Lutz M (2009) A
Hierzu gehören die Fälle, in denen die Stabilität der Implantate we- comparative study of clinical and radiologic outcomes of unstable
gen unzureichender Knochenneubildung (Remodelling) nachlässt colles type distal radius fractures in patients older than 70 years: nono-
perative treatment versus volar locking plating. J Orthop Trauma 23(4),
und es somit zu einer Lockerung der Frakturzone kommt. Auch
237–242
Schraubenlockerungen aus der Platte bei insuffizienter Verriege-
Attia MW, Glasstetter DS (1997) Plastic bowing type fracture of the forearm in
lung und seltene Implantatbrüche verursachen einen Stabilitätsver- two children. Pediatr Emerg Care 13: 392–393
lust mit konsekutiver Dislokation. Zusätzlich kann sich ein spätes Bado LJ (1958) La lesion de monteggia. Inter-Medica Sarandi 328
Karpaltunnelsyndrom entwickeln. Bezüglich der Gelenkstruktur Bado LJ (1962) The monteggia lesion. Springfield, Charles Thomas
besteht die Möglichkeit einer Entstehung eines instabilen distalen Bado LJ (1967) The monteggia lesion. Clin Orthop 50: 71–86
Radioulnargelenks sowie bei primär nicht erkannten Kapsel-Band- Bailey DA., Wedge JH, McCullough RJ, Martin A.D, Bernhardson SC (1989)
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Spätkomplikationen Bass RL, Stern PJ (1994) Elbow and forearm anatomy and surgical approa-
ches. Hand-Clin 10: 343–356
Die häufigste Spätkomplikation ist die radiokarpale Arthrose. Be-
Bellemans M, Lamoureux J (1995) Indications for immediate percutaneous
dingt durch eine unzureichende Wiederherstellung der Gelenkflä-
intramedullary nailing of complete diaphyseal forearm shaft fractures in
che und Knorpelschädigung entstehen sekundäre Arthrosen un- children. Acta Orthop Belg 61, Suppl 1: 169–172
terschiedlicher Form und zeitlicher Ausprägung. Auch im distalen Beyer W, Stolzenburg T, Paris S (1995) Functional limitation of the forearm
Radioulnargelenk kann eine Gelenkstufe oder eine zunehmende after shaft fracture in childhood. possible role of the antebrachial in-
Dissoziation zu einer Arthrose dieses Gelenks führen. Auch nach terosseous membrane: MRI and ultrasound studies. Unfallchirurgie 21:
Monaten besteht die Möglichkeit der Entstehung eines späten 275–284
Karpaltunnelsyndroms oder Gyon-Logen-Syndroms sowie später Biasca N, Battaglia H, Simmen HP, Disler P, Trentz O (1995) An overview of
Affektion der oberflächlichen Äste des N. radialis. snow-boarding injuries. Unfallchirurg 98: 33–39
Ein Wandern von Schrauben oder Drähten kann hier mit be- Blackburn N, Ziv I, Rang M (1984) Correction of the malunited forearm frac-
ture. Clin Orthop 54–57
teiligt sein. Es finden sich Adhäsionen vor allem der Beugesehnen
Blount WP (1955) Fractures in children. Baltimore, Williams & Wilkins
mit Beeinträchtigung der Fingerbeweglichkeit ebenso wie späte
Blount WP (1967) Forearm fractures in children. Clin Orthop 51: 93–107
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Komplikation ist die Entstehung einer Pseudarthrose des distalen Borton D, Masterson E, O‘Brien T (1994) Distal forearm fractures in children:
Radius zu nennen. The role of hand dominance. J Pediatr Orthop 14: 496–497
Zu allen Phasen gehören die akuten wie auch chronischen Boyd HB (1940) Surgical exposure of the ulna and proximal one-third of the
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816 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

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818 Kapitel 31 · Distale Radiusfraktur (Verletzung der distalen radioulnaren Funktionseinheit)

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32

Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen


Radiusfraktur
Andreas Pachucki, Barbara Freudenschuss
(Mit einem Beitrag von Robert Eberl und Annelie Weinberg)

32.1 Allgemeines – 820


32.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 820
32.1.2 Epidemiologie – 822
32.1.3 Ätiologie – 822
32.1.4 Diagnostik – 822
32.1.5 Klassifikation – 824
32.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 826
32.1.7 Therapie – 829
32.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 832
32.1.9 Prognose – 834
32.2 Spezielle Techniken – 834
32.2.1 Korrektur der Fehlstellung vom Extensionstyp des Radius über einen radiopalmaren Zugang – 834
32.2.2 Korrektur der Fehlstellung vom Extensionstyp des Radius über einen dorsalen Zugang – 834
32.2.3 Verkürzungsosteotomie (»closing-wedge«) des Radius in Kombination mit
Ellenverkürzungsosteotomie – 836
32.2.4 Korrektur der Fehlstellung vom Flexionstyp des Radius mit Anlage einer Platte – 836
32.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 836
Weiterführende Literatur – 836

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


820 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

32.1 Allgemeines durch eine knöcherne Fehlstellung bedingt sein kann und/oder
auf einer unphysiologischen Gelenkführung aufgrund von Kapsel-
32.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie Band-Läsionen beruhen kann, stellt eine »präarthrotische Defor-
und Physiologie mität« nach Hackenbroch dar. Die Zeitdauer bis zur Entstehung
einer Osteoarthrose ( Kap. 10) ist hauptsächlich abhängig von ver-
Konzept der »distalen radioulnären Funktionseinheit« schiedenen Faktoren wie:
Der distale Radius kann nicht als isolierter Knochen betrachtet ▬ Ausmaß der Fehlstellung,
werden. Vielmehr steht die funktionelle Einheit des Handgelenks ▬ Belastung des betroffenen Gelenks,
im Mittelpunkt des Interesses. Neben der Flexion und Extension ▬ Zustand des Gelenks vor der Verletzung,
sowie Ulna- und Radialduktion stellen die Pronation und Supina- ▬ Alter (→ voraussischtliche Belastungsdauer).
tion des Unterarms in ihrer Kombination die hohe Mobilität der
Hand in ihrem täglichen Gebrauch sicher. Diese Bewegungsmuster Durch die veränderte Gelenkgeometrie im Bereich des distalen
müssen unabhängig von der Gewichtsbelastung sowohl für die radioulnären Einheit kommt es zu:
grobe Kraft wie auch für die Feinmotorik erhalten bleiben. 1. Veränderungen der Kraftübertragung im Radiokarpalge-
Obwohl im Schrifttum meist nur von der distalen Radius- lenk und somit zu einer Veränderung der Kraftübertra-
fraktur gesprochen wird, ist bei diesen Verletzungen immer die gung im horizonalen Kompartment des distalen Radioul-
gesamte radioulnäre Funktionseinheit, d. h. Radius, Ulna, dista- nargelenks,
les Radioulnargelenk (DRUG), die proximale Handwurzelreihe, 2. Veränderung der Kraftübertragung im vertikalen Kompart-
die Membrana interossea und das proximales Radioulnargelenk ment des distalen Radioulnargelenks,
32 (PRUG) in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Deshalb er- 3. Beeinträchtigung der Umwendbewegung,
scheint es uns richtiger, anstatt von einer distalen Radiusfraktur, 4. Instabilität des DRUG.
von einer distalen Verletzung der radioulnären Funktionseinheit
zu sprechen ( Abschn. 31.1.1). Veränderung der Kraftübertragung im Radiokarpalgelenk
und Veränderung der Kraftübertragung im horizontalen
Auswirkungen einer Fraktur des distalen Radius auf Kompartment des distalen Radioulnargelenk. Die Kraft-
das Radiokarpalgelenk übertragung erfolgt am gesunden Handgelenk zu 15 bis maximal
Eine knöcherne Fehlstellung des Radius ist die Ursache einer ad- 30% über die Ulna und zu 70–85% über den Radius.
aptiven karpalen Instabilität. Durch die veränderte Gelenkachse
> In Abhängigkeit von der Fehlstellung und Verkürzung des
kommt es zu einer Veränderung der Relativbewegungen der Ge-
distalen Radius kommt es bei Ausheilung einer distalen Radi-
lenkpartner zueinander. Als Frühzeichen entsteht die sekundäre
usfraktur in Fehlstellung zu einer erhöhten Druckbelastung
DISI-Fehlstellung des Os lunatum. Durch die Fehlstellung bedingte
des ulnokarpalen Gelenkkompartments.
Fehlbelastung resultiert eine ektope Mehr- bis Überbelastung von
Knorpel und Kapsel-Band-Strukturen des Radiokarpalgelenks. Eine Radiusverkürzung von 2 mm verdoppelt nahezu den Anteil
Dies ist die Ursache für eine posttraumatische Osteoarthrose mit der Kraftübertragung über die Ulna. Bei einer Dorsalkippung der
den Leitsymptomen Schmerz, Bewegungseinschränkung und Radiusgelenkfläche von 20° werden 50% des gesamten Kraftflus-
Kraftlosigkeit. Radiologische Zeichen sind eine frühzeitige Abnut- ses von der Hand auf den Unterarm über die Ulna übertragen.
zung der dorsalen Radiusanteile und des Os lunatum, eine zuneh- Bei lang andauernder starker Druckerhöhung ulnokarpal kommt
mende DISI-Fehlstellung und schließlich ein Zickzackkollaps der es als sichtbare radiologische Anzeichen der Osteoarthrose im
Handwurzel (⊡ Abb. 32.1). ulnaren Kompartment zur Ausbildung von Zysten im Ulnakopf
sowie einer Arrosion von Lunatum und Triquetrum. Auch das
Auswirkungen einer Fraktur des distalen Radius auf lunotriquetrale Band bleibt nicht ausgespart. Das chronische Ul-
das distale Radioulnargelenk (DRUG) und den TFCC na-Impakt Syndrom ist mit Ursache für die ulnokarpalen Hand-
Eine Veränderung der Gelenkgeometrie durch eine direkte Ge- gelenkschmerzen der Patienten mit fehlverheilten distalen Radius-
lenkstufe und/oder eine Veränderung der Gelenkachse, welche frakturen (⊡ Abb. 32.2a).

⊡ Abb. 32.1 Adaptive karpale Instabilität


durch in Fehlstellung konsolidierte distale
Radiusfraktur im Bereich des Radiokarpal-
gelenks. a Vermehrte Belastung im Bereich dorsale
des dorsalen Radius und des Os lunatum, Kompression
b zunehmende Insuffizienz der radio-
karpalen Bänder durch Überbelastung
und Elongation mit daraus resultierender
zunehmenden DISI-Fehlstellung des Os
lunatum. c Aufgrund der zunehmenden
Gefügestörung entwickelt sich ein Zick-
zackkollaps der Handwurzel a b c
32.1 · Allgemeines
821 32
Die vermehrte Spannung des TFCC, die erhöhte Druckbe- > Radiologisch äußert sich die Inkongruenz in pathologischen
lastung des ulnokarpalen Handgelenkkompartments und der ge- Knochenwinkeln und auf lange Sicht in einer zunehmenden
ringere Abstand zwischen Triquetrum und Ulnakopf sind die Osteoarthrose, Klinisch-funktionell äußert sich diese Inkon-
Ursache für das sog. Ulna-Impakt-Syndrom bei der posttraumati- gruenz des DRUG bei fehlverheilter distaler extraartikulärer
schen Ulna-plus-Situation des Handgelenks. Der TFCC wird dabei Radiusfraktur in Form von:
einerseits über dem Ulnakopf straff ausgespannt und andererseits ▬ ulnaren Handgelenkbeschwerden – bei Belastung grö-
gleichzeitig zwischen Ulnakopf und Lunatum sowie Triquetrum ßer als in Ruhe,
eingeklemmt und zerrieben. Dieser Prozess wird durch eine vor- ▬ einer eingeschränkten Unterarmdrehbewegung und
bestehende Schädigung des Discus triangularis oder durch eine ▬ einer verminderten Kraft.
während der distalen Radiusfraktur mit entstandenen Läsion – die
nicht adäquat versorgt wurde – beschleunigt (⊡ Abb. 32.2b). Beeinträchtigung der Umwendbewegung. Bei einer Verkür-
zung des Radius um nur 1 mm kommt es zu einer Einschränkung
Veränderung der Kraftübertragung im vertikalen Kom- der Pronation von 47% und der Supination von 29%. Bei einer
partment des distalen Radioulnargelenks. Bei jeder Fehl- Verkürzung des Radius von 15 mm ist am Leichenpräparat die
stellung im distalen Radioulnargelenk (DRUG) kommt es zu einer Pronosupinationsbewegung blockiert. Eine Verkippung des Radi-
Verminderung der Kontaktfläche im DRUG. Bei einer Radiusver- usfragments nach dorsal und palmar führt ebenfalls zu einer signi-
kürzung von 1 mm reduziert sich die Kontaktfläche auf 77% des fikanten Beeinträchtigung der Umwendbewegung (⊡ Abb. 32.2c,d).
Normalwertes und bei 2 mm auf 58%. Bei einer Verkürzung von Dabei korreliert die Einschränkung der Unterarmdrehung streng
4 mm beträgt sie lediglich noch 52% und bei 6 mm noch ganze mit dem Ausmaß der Fehlstellung des distalen Radius und zeigt
45%. Die Dorsalkippung des distalen Radiusfragments von 5° ver- sich gleichzeitig abhängig vom Zustand des TFCC. Bei intaktem
ursacht eine Reduktion der Kontaktfläche im DRUG auf 55%; eine TFCC ist die Drehung des Unterarms stärker eingeschränkt als
Palmarkippung von 5° auf 29%. Auch die Malrotation des distalen nach Ruptur des TFCC. Ursache ist ein mit der Fehlstellung des
Radiusfragments führt zu einer Verkleinerung der Kontaktfläche distalen Radius einhergehender Spannungsanstieg des TFCC. So
im DRUG. So bewirkt eine supinatorische Torsion von 10° eine führt eine Radiusverkürzung von 5 mm zu einem Spannungs-
Verringerung auf 60%, eine pronatorische Malrotation von 10° so- anstieg des zentralen Anteils des TFCC um 13%. Neben diesem
gar auf 33%. Bei zusätzlicher Pro- oder Supination des Unterarmes Spannungsanstieg des zentralen Anteils des TFCC kommt es bei
kommt es jeweils – wie auch bei physiologischer Stellung des dista- der Radiusverkürzung zu einem symmetrischen Spannungsanstieg
len Radius – zu einer weiteren Herabsetzung der Kontaktfläche im der Ligg. radioulnare dorsale und palmare. Die Dorsalkippung
DRUG. Bei gleicher Krafteinleitung kommt es durch die reduziert des distalen Radiusfragments hingegen verursacht vor allem einen
Oberfläche deshalb zu einem Anstieg des Drucks auf die verblei- Spannungszuwachs am Lig. radioulnare dorsale. Auch ein Span-
bende kleinere Kontaktfläche und somit zu einem vermehrten nungsanstieg des distalen Anteils der Membrana interossea wurde
Abrieb (⊡ Abb. 32.2a). parallel zur Verkippung des distalen Radiusfragmentes beobachtet.

a b c d

⊡ Abb. 32.2 Veränderungen durch in Fehlstellung konsolidierte distale Radiusfraktur im Bereich des distalen Radioulargelenks (DRUG). a Veränderungen der
Kraftübertragung im Radiokarpalgelenk: Bei jeder Fehlstellung im distalen Radioulnargelenk (DRUG) kommt es zum einen zu einer Lastverteilung auf das
ulnare Kompartment und zu einer Verminderung der Kontaktfläche im DRUG. Bei gleicher Krafteinleitung kommt es durch die reduzierte Oberfläche deshalb
zu einem Anstieg des Drucks auf die verbleibende kleinere Kontaktfläche und somit zu einem vermehrten Abrieb und damit zu einer Osteoarthrose. b Im Be-
reich des TFCC kann ein Ulna-Impakt-Syndrom auftreten. c Bei Verkürzung des Radius kommt es zu einer Reduktion der Pronosupinationsbewegung, d Durch
Läsion des palmaren oder dorsalen Verstärkungsbandes des TFCC oder gar einen vollständigen Abriss des TFCC selbstresultiert eine Instabilität des DRUG
822 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

Instabilität des DRUG. Kommt es beim Unfall zu einer Ruptur des 32.1.3 Ätiologie
palmaren oder dorsalen Verstärkungsbandes des TFCC oder gar zu
einem vollständigen Abriss des TFCC selbst, so resultiert eine In- Ursachen, welche zur Ausheilung in Fehlstellung führen können,
stabilität des DRUG. Dies bedeutet zunächst eine erhöhte Mobilität sind
im DRUG. Erst die durch die Läsion mögliche Subluxation oder gar 1. die Bruchform (ausgedehnte Trümmerzonen etc.),
Luxation im DRUG verursacht eine Einschränkung der Umwend- 2. die mangelnde Primärstabilität und
bewegung. Rupturiert z. B. das Lig. radioulnare dorsale, gleitet der 3. die Fehleinschätzung des primären Behandlungsverlaufes.
distale Radius bei der Supination aufgrund seiner erhöhten Mobilität
vermehrt nach dorsal und rutscht schließlich über den Ulnakopf, In zahlreichen Publikationen konnte die Korrelation von anatomi-
was die Umwendbewegung limitiert (⊡ Abb. 32.2c,d). scher Reposition zum funktionellen Ergebnis nachgewiesen werden.
Eine Funktionsstörung war vorhanden, wenn
▬ die dorsale Neigung der Speichengelenkfläche mehr als 20°
32.1.2 Epidemiologie betrug,
▬ eine Verkürzung der Speiche von mehr als 4 mm vorlag und
> Fehlheilungen in Bereich des distalen Radius sind die ▬ die ulnare Inklination um mehr als 10° herabgesetzt war.
dritthäufigste Komplikation nach distalen Speichenbrüchen.

Cooney (1980) berichtet anhand einer retrospektiven Nachunter- 32.1.4 Diagnostik


suchung von 565 konservativ und operativ behandelten distalen
32 Speichenfrakturen über eine Komplikationsrate von 31%. An erster Anamnese und körperliche Untersuchung
Stelle der Komplikationen führte er die Neuropathien des Nervus Die klinischen Leitsymptome (der Extensionsfehlstellung) beste-
medianus, ulnaris oder radialis an. An zweiter Stelle die Arthrosen hen aus Schmerz, Bewegungseinschränkung, Kraftverlust und
des Radiokarpal- oder Radioulnargelenks und an dritter Stelle un- neurologischen Sekundärschäden und werden im Bezug auf ihre
befriedigende Ausheilungsergebnisse der Speichenfrakturen durch Ursachen analysiert. Die Gewichtung der Leitsymptome kann von
Korrekturverlust. Fall zu Fall stark divergieren. Aus didaktischen Gründen erscheint

⊡ Tab. 32.1 Klinische Symptomatik bei in Fehlstellung konsolidierter distaler Radiusfraktur

Klinische Radial Ulnar


Leitsymptome

Schmerzen Schmerzen im radiokarpalen Gelenkabschnitt Der Ellenvorschub kann ein schmerzhaftes Impingement zwischen Ellenkopf
können durch ein radiokarpales Impingement des und Os lunatum und triquetrum bewirken
Carpus an der dorsalen Speichenlippe verursacht Die Lastumverteilung durch die Speichenverkürzung kann eine schmerzhafte
sein Überbelastung des ulnaren Gelenkabschnitts verursachen
Die adaptive Instabilität der Handwurzel äußert Die Verkürzung und Dorsalabkippung der distalen Speiche kann durch die er-
sich in Handgelenkschmerzen, wobei oftmals ein höhte Belastung zu einer schmerzhaften Sekundärschädigung des TFCC führen
schmerzfreies Intervall von Wochen oder auch Typischerwesie treten die Schmerzen bei der Pronosupination auf, so beim
Monaten zwischen Frakturheilung und Schmerz- Öffnen von Drehverschlüssen und beim Auswringen eines Lappens, aber auch
beginn vorliegt beim Aufstützen mit der Hand
Die Dorsalverkippung des Gelenkblocks führt zu Inkongruenzen des DRUG führen erst im fortgeschrittenen Stadium zur
einer Querschnittverringerung des Karpalkanales schmerzhaften Arthrose. Während sich bei der Arthrose des DRUG ein Druck-
und kann ein Karpaltunnelsyndrom verursachen schmerz dorsal über dem Gelenk auslösen lässt, findet sich das Punctum ma-
ximum des Druckschmerzes bei einem TFCC-Schaden weiter distal und eher
palmar des Processus styloideus ulnae gelegen mit Verstärkung bei Drehung des
Unterarmes gegen Widerstand und forcierter Ulnarduktion des Handgelenks

Bewegungs- Die dorsale Fehlstellung der Gelenkfläche führt zur Inkongruenzen im distalen Radioulnargelenk verursachen ebenfalls eine Ein-
einschränkung Einschränkung der Flexion des Handgelenks schränkung der Vorderarmdrehung
Die Abnahme der ulnaren Inklination führt zur Eine fehlverheilte Radiusextensionsfraktur geht mit einer symmetrischen Ein-
Reduktion der Ulnaduktion schränkung der Pro-/Supination einher, während fehlverheilte Flexionsfraktu-
Die Verkürzung der Speiche und die Abnahme der ren durch eine Einschränkung der Supination gekennzeichnet sind
Inklination führen neben der dorsalen Fehlstellung Die Luxation des DRUG geht meist mit einem charakteristischen klinischen Bild
zur Spannungszunahme des TFCC und der Memb- einher, nämlich der fixierten Blockade der Unterarmdrehung in Supination mit
rana interossea und damit zur Einschränkung der deutlicher Prominenz des Ulnakopfes palmar
Vorderarmdrehung
Die adaptive Fehlstellung des Karpus führt zu ei-
ner komplexen Bewegungseinschränkung

Kraftverlust Der durch die Dorsalneigung des Gelenkblocks Schmerzbedingt kommt es zu einer Abnahme der Grobkraft
geänderte Verlauf der Beuge- und Strecksehnen
führt zu einer Abnahme der Kraftentwicklung

Gestörte Gabel und Bajonettstellung im Bereich des dista- Prominentes Caput ulnae bei Instabilität
Ästhetik len Handgelenks Schwellungen laterodorsal und -palmar über dem Ulnakopf bei ansonsten
unauffälligem Erscheinungsbild des Handgelenks sprechen hingegen eher für
eine Läsion des TFCC
32.1 · Allgemeines
823 32
es angebracht, die Symptomatik einzuteilen in Symptome des ra- Apparative Untersuchungen
dialen und ulnaren Kompartments inklusive des DRUG (»ulnare Standardröntgenbilder im Seitenvergleich
Handgelenkbeschwerden«) (⊡ Tab. 32.1). Obligatorisch zur Operationsplanung ist die Durchführung einer
Röntgenuntersuchung beider Handgelenke d. p. und streng seitlich
Spezifische klinische Tests im Seitenvergleich. Auf diesen Aufnahmen wird die Fehlstellung in
Durch Provokationstests am Handgelenk werden dynamische In-
stabilitäten durch Provokation einer Subluxation aufgedeckt. Die
Tests sollen immer im Seitenvergleich durchgeführt werden, da bei
Laxizität des Bandapparates seitengleiche Instabilitäten oft keine
klinische Relevanz haben. Jede Instabilität sollte als statische (bereits
auf dem Röntgenbild sichtbar) oder dynamische (nur durch Provo-
kation auslösbar) klassifiziert werden. Die statischen Instabilitäten
sollten klinisch auf ihre Reponierbarkeit (»statisch-reponierbar«
oder »statisch-irreponierbar«) getestet werden. Man beginnt mit
der gesunden Hand. Die spezifischen klinischen Provokationstest
zur Diagnostik der karpalen Instabilität sind in  Kap. 29 beschrie-
ben. Spezifische Provokationstest für das DRUG sind:

Diskus-Grinding-Test. Es wird eine axiale Kompression der


Hand in Ulnardeviation mit dorsopalmarer Schiebebewegung, ab-
wechselnd in Pro- und Supination, durchgeführt. Dazu fixiert der
Untersucher mit einer Hand den Unterarm des Patienten. Die
andere Hand rotiert die ulnarduzierte Hand des Patienten. Ist dies
schmerzhaft, ist der Test positiv. Es kann sich um eine Diskuslä-
sion, eine lokale Synovialreaktion oder einen Knorpelschaden im
LT-Bereich handeln (⊡ Abb. 32.3).

Klaviertasten-Test. Ein in dorsaler Subluxation stehendes Ulna-


köpfchen wird in Pronation nach palmar reponiert, was schmerz- ⊡ Abb. 32.4 Klaviertasten-Test. (Aus Nakamura et al. 1992)
haft sein kann. Beim Loslassen gleitet das Ulnaköpfchen in die su-
bluxierte Position zurück und deutet auf eine dorsale Bandruptur
des DRUG hin (⊡ Abb. 32.4).

DRUG-Shift-Test. Der Ulnakopf wird gegen den distalen Radius


mit Kraft dorsopalmar hin und her bewegt. Ist dies schmerzhaft,
kann eine Arthrose im DRUG vorliegen.

ECU-Test. Eine Subluxation bzw. Luxation der ECU-Sehne kann


am besten provoziert werden, wenn der Patient die auf dem Ole-
kranon aufgestützen Unterarme in maximaler Supination ulnar
deviiert. Bei einem positiven Test luxiert die Sehne über den
Proc. styloideus mit einem Schnappen (⊡ Abb. 32.5).

⊡ Abb. 32.3 Diskus-Grinding-Test. (Aus Nakamura et al. 1992) ⊡ Abb. 32.5 ECU-Test. (Aus Nakamura et al. 1992)
824 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

der Sagittal- und Frontalebene beurteilt und vermessen. Außerdem setzt sind, durch das Vorliegen von Knochenmarködemen identi-
kann unter Einbezug der Ulnavariante der Gegenseite der Längen- fiziert werden.
verlust der Speiche bestimmt werden ( Abschn. 29.1.4). Auf den
streng seitlichen Aufnahmen kommt eine eventuelle Subluxation im MR-Arthrografie
DRUG zur Darstellung. Die Krümmung der Sigmoid Notch kann Die direkte MR-Arthrografie ist für die Darstellung der karpalen
im Seitenvergleich bestimmt werden. Auf den Nativröntgenaufnah- Bänder und des TFCC der diagnostische Goldstandard ( Ab-
men können eventuell begleitende Fehlstellungen des Karpus, sei schn. 29.1.4).
es adaptiv oder durch stattgehabte, begleitende ligamentäre Verlet-
zungen, gesehen werden. Weiterhin sind bereits bestehende ausge- Arthroskopie
dehnte Veränderungen des fehlverheilten Handgelenks erfassbar. Für die Diagnostik der Gelenkflächen, der Kapsel-Band-Struk-
Radiologische Kriterien der Fehlstellung im Extensionstyp sind: turen und des TFCC ist die Arthroskopie von großem Wert. In
▬ Achsenfehlstellung nach dorsal von mehr als 20°, d. h. Ge- ausgewählten Fällen, wie zur exakten Evaluierung intraartikulärer
samtfehlstellung von 30°, Stufenbildungen, zur Beurteilung begleitender Bandverletzungen
▬ Verkürzung von mehr als 4 mm, und/oder sekundär-arthrotischer Veränderungen kann vor der
▬ Verringerung der ulnaren Inklination von mehr als 10°, Korrekturosteotomie die Arthroskopie des Handgelenks indiziert
▬ Luxation oder Subluxation im distalen Radioulnargelenk. sein ( Kap. 13).

Zur Bestimmung der exakten Knochenlänge sind zusätzlich Auf- Zusätzliche Untersuchungen
nahmen beider Unterarme in maximaler Pronation und Supina- Beim Vorliegen einer Neuropathie, insbesondere des Nervus medi-
32 tion durchzuführen. anus, muss praeoperativ eine elektrophysiologische Untersuchung
durchgeführt werden ( Abschn. 56.1.4).
> Die Pronation führt zu einer relativen Proximalisierung der
Speiche im distalen Radioulnargelenk von 1 mm. Niveauve-
ränderungen im distalen Radioulnargelenk im Verlauf der 32.1.5 Klassifikation
Umwendbewegungen der Hand müssen bei der Planung von
Längenkorrekturen berücksichtigt werden, die Röntgenauf-
Fehlstellungen im Bereich der distalen radioulnären Funktions-
nahmen sollten daher in Neutralstellung des Handgelenks
einheit nach distaler Radiusfraktur können bedingt sein durch
(»Handgelenk-Normaufnahme«) angefertigt werden.
eine Achsenabweichung von Radius und/oder Ulna und/oder eine
Subluxationsstellung des DRUG nach dorsal (häufig) oder nach
Stressaufnahmen und Kinematografie palmar (selten) (Übersicht im Kasten  Fehlstellungen im Bereich
Begleitende ligamentäre Verletzungen können unter Umständen der distalen radioulnären Funktionseinheit nach distaler Radius-
Funktionsaufnahmen oder eine kinematograpische Untersuchung fraktur).
notwendig machen ( Abschn. 29.1.4.2).

Computertomografie Fehlstellungen im Bereich der distalen radioulnären


Eine Feinschicht-CT-Untersuchung eventuell mit dreidimensiona- Funktionseinheit nach distaler Radiusfraktur
ler Rekonstruktion wird zur Beurteilung der Rotationsfehlstellung Fehlstellung des Radius
des Gelenkblocks oder Anteilen desselben notwendig. Durch die Extraartikuläre Fehlstellungen können grundsätzlich in
CT-Untersuchung kann das Ausmaß und die Lokalisation einer 3 Ebenen vorliegen:
vorliegenden Gelenkflächenimpression oder Stufe beurteilt werden. ▬ in sagittaler Ebene nach dorsal bzw. palmar
Resultierende Fehlstellungen des Karpus kommen im Detail zur ▬ in frontaler Ebene – Verringerung der ulnaren Inklination,
Darstellung. Die CT-Untersuchung kann das Ausmaß der Fehlstel- Verkürzung
lung im DRUG sowie die Kontaktflächen der Sigmoid Notch und ▬ in koronarer Ebene – in Supination oder Pronation
des Ellenkopfes visualisieren. Rozental et al. (2001) konnten durch
Standardröntgenaufnahmen des Handgelenks die Mitbeteiligung Intraartikuläre Fehlstellungen werden nach der Art und
der Sigmoid Notch durch eine Fraktur in nur 35% nachweisen. Bei Lokalisation der zu Grunde liegenden Frakturen eingeteilt
der CT-Untersuchung lag eine Mitbeteiligung der Sigmoid Notch ▬ Abscherfrakturen der palmaren oder dorsalen Speichenlippe
jedoch in 65% bei gleichem Patientengut vor. Von diesen 65% des (Barton-Fraktur)
gesamten untersuchten Patientenkollektivs waren in 69% der Fälle ▬ Impressionsfrakturen der Fossa lunata und/oder der Fossa
die Frakturen verschoben und in 31% unverschoben. Gelenkstufen scaphoidea (Die-Punch-Fraktur)
der Sigmoid Notch wurden nur durch die CT-Untersuchung, aber ▬ Fraktur des Proc. styloideus radii (B1-Fraktur)
nicht durch das Nativröntgen erkannt. Zur exakten Beurteilung
des DRUG ist somit die Durchführung einer CT-Untersuchung
unerlässlich. Bereits eingetretene degenerative Veränderungen des Fehlstellung der Ulna
Handgelenks können durch die CT-Untersuchung ergänzend zum Extraartikuläre Fehlstellungen können grundsätzlich in
Nativröntgen beurteilt werden. 3 Ebenen vorliegen:
▬ in sagittaler Ebene nach dorsal bzw. palmar
Magnetresonanztomografie ▬ in frontaler Ebene – Verringerung der ulnaren Inklination,
Eine zusätzliche MRT-Untersuchung des betroffenen Handgelenks Verkürzung
ist bei Verdacht auf eine begleitende Läsion des TFCC und/oder ▬ in koronarer Ebene – in Supination oder Pronation
Bandläsionen des Karpus indiziert. Ebenso können knöcherne ▼
Areale, welche durch die Fehlstellung erhöhter Belastung ausge-
32.1 · Allgemeines
825 32
lung von mehr als 20° des distalen Speichenfragments. Die dorsale
Intraartikuläre Fehlstellungen werden nach der Art und Fehlstellung führte zu einer Straffung der Membrana interossea
Lokalisation der zu Grunde liegenden Frakturen eingeteilt und des TFCC mit Verringerung der Unterarmrotation. Zu einer
▬ Fraktur des Caput ulnae Luxation oder Subluxation im distalen Radioulnargelenk kam es
▬ Fraktur des Proc. styloideus ulnae erst nach Durchtrennung sowohl des TFCC als auch der Memb-
rana interossea. Dies erklärt den Umstand, dass es auch bei erheb-
Subluxationsstellungen des DRUG licher Fehlstellung des Gelenkblocks bei gleichzeitiger Zerreißung
▬ Dorsale Subluxation der Membrana interossea und des TFCC zu keiner wesentlichen
▬ Palmare Subluxation Einschränkung der Unterarmrotation kommt.
Fehlstellungen vom Extensionstyp weisen häufig eine nicht un-
beträchtliche Verkürzung auf. Die Verkürzung resultiert einerseits
Fehlstellungen des Radius aus der dorsalen Abkippung des distalen Fragments, andererseits
Fehlstellungen des Radius nach distaler Radiusfraktur können aus der primären Stauchung. Adams et al. (1993) konnten zeigen,
eingeteilt werden in extraartikuläre und intraartikuläre Fehlstel- dass die Verkürzung der Speiche mit Straffung des TFCC-Kom-
lungen. plexes den wesentlichsten Faktor der Einschränkung der Unter-
armrotation darstellt. Die Abnahme der ulnaren Inklination und
Extraartikuläre Fehlstellung vom Extensionstyp die Fehlstellung nach dorsal hatten in ihrer Studie hingegen nur
geringere Auswirkungen auf die Gelenkmechanik. Die Spannungs-
> Die extraartikuläre Fehlstellung nach einem distalen
verhältnisse des TFCC haben somit einen hohen Einfluss auf die
Speichenbruch liegt praktisch nie in nur einer Ebene vor.
Unterarmrotation. Dieser Einfluss hängt allerdings auch wesentlich
Fast immer besteht eine kompleXE Fehlstellung, welche
von den Längenverhältnissen zwischen Elle und Speiche ab. Bu et
zumindest zwei, wenn nicht alle drei Ebenen einschließt.
al. (2008) zeigten, dass Handgelenke mit Ulna-minus-Variante auf
Die häufigste extraartikuläre komplexe Fehlstellung nach einem Verkürzungen der Speiche mit geringerer Lastumverteilung nach
Bruch der distalen Speiche ist der »Extensionstyp«. Die Art und ulnar reagieren, als solche mit Ulna-plus-Variante. Bronstein et al.
das Ausmaß der Fehlstellung resultiert aus der primäre Verletzung. (1997) wiesen darauf hin, dass die Ulnartranslation des distalen
Im Rahmen der Extensionsverletzung ist das Handgelenk meist in Fragments sowie die Verkürzung der Speiche zur Verringerung
einer Dorsalextension und Radialduktion. Durch die Zunahme der der Unterarmrotation führten. Bereits eine Ulnartranslation des
Pronation des Unterarms gegenüber dem Gelenkblock kann durch distalen Fragmentes von 5 mm führte zu einer Einschränkung
die gegenläufige Bewegung eine Supinationsfehlstellung resultie- der Unterarmrotation von 23%, die Verkürzung der Speiche von
ren. In weitaus selteneren Fällen kommt es während des Sturzes 10 mm zu einer Verringerung der Pronation von 47% und der
zur Zunahme der Supination des Unterarmes gegenüber dem Supination von 29%. Eine Translation nach radial von bis zu
Gelenkblock mit einer Pronationsfehlstellung der Fraktur. Die axial 10 mm führte hingegen zu keiner signifikanten Einschränkung der
einwirkende Kraft verursacht eine zusätzliche Stauchung. Daraus Unterarmrotation. Prommersberger et al. (2004) konnte nachwei-
ergibt sich die kompleXE Fehlstellung des Extensionstypes. sen, dass das Ausmaß der Rotationsfehlstellung des Gelenkblocks
Durch die verletzungsbedingte Impaktion des Gelenkblocks nicht mit der Einschränkung der Vorderarmdrehung korrelierte
in Streckstellung mit einer teils nicht unbeträchtlichen dorsalen und daher im klinischen Alltag überbewertet wird. Die bislang
Trümmerzone, kommt es durch eine ungenügende dorsale Abstüt- vertretene Meinung, dass eine Extensionsfehlstellung immer auch
zung zum Korrekturverlust mit einer Abkippung nach dorsal. mit einer Supinationsfehlstellung und eine Flexionsfehlstellung
Pogue et al. (1990) zeigten durch eine experimentelle Studie, immer auch mit einer Pronationsfehlstellung verbunden ist, konnte
dass eine Fehlstellung des Gelenkblocks von mehr als 20° nach dor- durch Prommersberger (1998) widerlegt werden. Er fand lediglich
sal oder palmar zu einer signifikanten Änderung der Lastverteilung einen Trend der Supinationsfehlstellung zur Extensionsfehlstellung
im Handgelenk führt. Die dorsale Fehlstellung und Verkürzung bzw. der Pronationsfehlstellung zur Flexionsfehlstellung. Die Dor-
führt zu einer vermehrten Lastübertragung auf die dorsalen Anteile salverkippung des Gelenkblocks hat aber auch einen bedeutenden
der Speichengelenkfläche, wobei die Kontaktoberfläche zwischen Einfluss auf die Mechanik der Handwurzel. Die Adaptierung der
Speiche und Karpus vermindert wird. Dies führt zur Präarthrose Handwurzel kann sowohl radiokarpal als auch midkarpal auftre-
des Handgelenks mit typischem dorsalem Impingement zwischen ten. Bei der statischen radiokarpalen Instabilität kommt es zu einer
der dorsalen Speichenlippe und dem nach dorsal dislozierten Lu- Translation des Mondbeins entlang der dorsal geneigten Speichen-
natum und Skaphoid (⊡ Abb. 32.1a). Die Dorsalneigung beeinflusst gelenkfläche nach dorsal, der kapitolunäre Winkel bleibt erhalten
aber nicht nur die Lastverteilung im Radiokarpalgelenk nach dorsal, (⊡ Abb. 32.1a). Bei der statischen midkarpalen Instabilität verbleibt
sondern führt auch zu einer Lastumverteilung auf die distale Ulna. hingegen die Achse zwischen der distalen Speichengelenkfläche
Bei einem dorsalen Neigungswinkel von 45°des distalen Speichen- und dem Mondbein unverändert, es kommt allerdings zu einer
fragments nimmt die Belastung der distalen Elle von normalerweise Palmarflexion im lunokapitalen Gelenk (⊡ Abb. 32.1b). Durch die
20 auf 67% zu (⊡ Abb. 32.1a). Bereits geringe Veränderungen der Dynamik axialer Zugkräfte, wie sie bei Belastung des Handgelenks
ulnaren Inklination führen zu erheblichen Veränderungen der Last- auftreten, führen letztlich beide Typen im Laufe der Zeit zum sog.
verteilung zwischen Skaphoid und Lunatum. Hirahara et al. (2003) Zickzackkollaps der Handwurzel (⊡ Abb. 32.1c).
konnten an Leichenpräparaten nachweisen, dass Verkippungen des
distalen Speichenfragments von mehr als 30° nach dorsal zu einer Extraartikuläre Fehlstellung vom Flexionstyp
signifikanten Abnahme der Unterarmrotation führen. Der Flexionstyp entsteht durch eine extraartikuläre palmare Ein-
Auch Kihara et al. (2003) wiesen darauf hin, dass das Ausmaß stauchung der distalen Speiche mit oder ohne palmare Trümmer-
der Fehlstellung nach dorsal einen der wesentlichsten Faktoren, zone. Der Gelenkblock ist daher nach palmar verkippt, verbunden
welcher zur Einschränkung der Vorderarmdrehung führt, darstellt. mit einer Verkürzung und Rotationsfehlstellung häufiger im Sinne
Zur Bewegungseinschränkung kam es bei einer dorsalen Fehlstel- der Pronation, seltener im Sinne der Supination.
826 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

> Durch die palmare Fehlstellung des distalen Speichengelenk- agnostik eine Feinschicht-CT-Untersuchung oder besser noch eine
blocks kommt es im Radiokarpalgelenk zur Einschränkung diagnostische Arthroskopie unbedingt erforderlich.
der Dorsalextension. Knirk und Jupiter (1986) konnten in einer retrospektiven Stu-
die von 43 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 27,6 Jahren
Die Verkürzung der Speiche, einerseits durch die palmare Fehl- mit distalen, intraartikulären Speichenfrakturen bei den 24 Patien-
stellung, andrerseits durch die Trümmerzone, führt, wie beim ten, bei welchen die Frakturen mit Stufenbildung ausheilten, nach
Extensionstyp, zur Lastumverteilung von radial nach ulnar. Dies einem Nachuntersuchungszeitraum von 6,7 Jahren in 91% eine
führt zum ulnaren Impingement mit Schmerzen im ulnokarpalen Arthrose feststellen; hingegen bei den 19 Patienten, bei welchen
Gelenkabschnitt. die Frakturen mit kongruenten Gelenkverhältnissen ausheilten,
Die Verkürzung der Speiche und die Abnahme der Inklination nur in 11%.
führen neben der palmaren Fehlstellung zur Spannungszunahme Grundsätzlich können 3 Typen von intraartikulären Fehlstel-
des TFCC und der Membrana interossea und damit zur Einschrän- lung unterschieden werden:
kung der Vorderarmdrehung. 1. Fehlverheilte palmare oder dorsale Abscherungsfrakturen
Die palmare Fehlstellung des Gelenkblocks führt zur Subluxa- (Typ Barton) mit Palmar- bzw. Dorsalsubluxation des Karpus
tion im DRUG und zur Einschränkung der Vorderarmdrehung. (AO-Klassifikation B2 und B3).
2. Die-Punch-Typ (AO-Klassifikation B4): Fehlverheilte Im-
Intraartikuläre Fehlstellungen pressionsfrakturen der Fossa lunata oder Fossa scaphoidea.
Intraartikuläre Fehlstellungen führen zur Knorpelüberlastung und Fehlstellungen vom Die-Punch-Typ finden sich häufiger in
stellen somit einen präarthrotischen Faktor dar, weshalb sie zum der Fossa lunata und dort häufiger dorsal als palmar. Ein
32 frühest möglichen Zeitpunkt operativ korrigiert werden müssen. fehlverheilter Impressionsbruch durch die Fossa lunata führt
Knirk und Jupiter (1986) berichteten, dass Stufenbildungen zum sekundären Malalignement der proximalen Handwurzel-
von 2 mm oder mehr zur posttraumatischen Arthrose führten. reihe durch chronische Überlastung des SL-Band-Apparates
Trumble et al. (1986) fanden bereits bei Stufenbildungen von nur (⊡ Abb. 32.6).
1 mm Schmerzen und Bewegungseinschränkungen des Handge- 3. Speichengriffelfortsatztyp ( AO-Klassifikation B1): Fehlver-
lenks. Im Tiermodell wurden nur Stufenbildungen von weniger als heilte Fraktur durch den Speichengriffelfortsatz.
1 mm vollständig ausgeglichen. Es zeigte sich, dass die Remodellie-
rungsfähigkeit des Knorpels von seiner Dicke abhängt, so können Fehlstellungen der Ulna
beispielsweise im Kniegelenk stärkere Stufenbildungen toleriert In Analogie zum Radius kann man bei der Ulna auch extraartiku-
werden als an der distalen Radiusgelenkfläche. läre und intraartikuläre Fehlstellungen unterscheiden.
Extraartikuläre Fehlstellungen (A1-Frakturen) können grund-
> Die Indikation zur Korrektur kann sich daher im Einzelfall
sätzlich in 3 Ebenen vorliegen:
bereits bei Stufenbildung von 1–2 mm ergeben.
▬ in sagittaler Ebene nach dorsal bzw. palmar,
Da das Abschätzen von Stufenbildungen am Nativröntgen nicht ▬ in frontaler Ebene – Verringerung der ulnaren Inklination,
exakt möglich ist, ist zur Indikationsstellung und präoperativen Di- Verkürzung,
▬ in koronarer Ebene – in Supination oder Pronation.

Intraartikuläre Fehlstellungen werden nach der Art und Lokalisa-


tion der zu Grunde liegenden Frakturen eingeteilt in
▬ Frakturen des Caput ulnae und
▬ Frakturen des Proc. styloideus ulnae (A2- und A3-Frakturen)

Subluxation des DRUG


Die Subluxationsstellung des DRUG nimmt eine gewisse Zwitter-
stellung ein, sie ist zugleich Symptom als auch biomechanische Ur-
sache von Beschwerden. Das Spektrum der Instabilität im DRUG
reicht von der leicht vermehrten Verschieblichkeit des Ellenkopfes
gegenüber dem Radius im Seitenvergleich, über die primär ein-
geschränkte und dann nach einem oft mit einem Klickgeräusch
einhergehenden Schnappen vollständig mögliche Unterarmdre-
hung bis hin zu einem bei aufliegendem Unterarm vom Patienten
willkürlich auslösbaren Klaviertasten-Phänomen (⊡ Abb. 32.4) mit
sichtbarer Dorsal- und Palmartranslation des Ulnakopfes bei An-
spannung und Relaxation der Handgelenkextensoren und -flexo-
ren. Die dorsale Subluxation ist häufiger als die palmare.

32.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie

Hinsichtlich der Therapie ist zu unterscheiden in:


▬ Korrektureingriffe am distalen Radius,
⊡ Abb. 32.6 Ulnarer Die-Punch-Typ mit sekundärem Malalignement der ▬ Korrektureingriffe an der Ulna und
proximalen Handwurzelreihe ▬ Korrektureingriffe im Bereich des DRUG.
32.1 · Allgemeines
827 32
Behandlungsalgorithmus für radiokarpale tikulären Fehlstellungen ist die Korrekturosteotomie zum frühest-
Handgelenkbeschwerden bei fehlverheilter möglichen Zeitpunkt durchzuführen.
distaler Radiusfraktur
Um unter den verschiedenen Therapieoptionen die geeignete zu Osteoarthrose im Bereich des Radiokarpalgelenks
finden, ist es deshalb am günstigsten, einen Fragenkatalog sys- Bei fehlenden Anzeichen einer Osteoarthrose sollte die möglichst
tematisch abzuarbeiten. Die erste Frage gilt der Kongruenz des anatomische Korrektur der Fehlstellung erfolgen. Heute besteht
Radiokarpalgelenks, die zweite Frage der Osteoarthrose im Bereich grundsätzlich die Lehrmeinung, dass die Korrekturosteotomie im-
des Radiokarpalgelenks. mer primär am Ort der Fehlstellung, d. h. am distalen Speichen-
ende, durchgeführt werden muss, wenngleich zusätzliche Eingriffe
Kongruenz des Radiokarpalgelenks im Bereich des distalen Ellenendes erforderlich sein können.
Bei extraartikulärer Fehlstellung gilt es dem klinischen und ra- Bei bereits bestehender Arthrose sollte eine Korrekturosteo-
diologischen Befund Rechnung zu tragen. Die Indikation zur tomie dann erwogen werden, wenn hierdurch der arthrotisch
Korrekturosteotomie stellt sich fast ausschließlich durch klinische veränderte Bereich aus der Belastungszone herausgebracht werden
Symptome, wie Bewegungseinschränkung, Schmerz und Kraftver- kann. In Abhängigkeit vom Arthrosemuster sollte die Möglich-
lust. In Ausnahmen steht der kosmetische Aspekt (Bajonett- und keit einer bewegungserhaltenden partiellen Handgelenkarthrodese
Gabelfehlstellung) für den Patienten im Vordergrund. Bei extra- überprüft werden ( Kap. 29). Zusätzlich sollte über die Möglichkeit
artikulären Fehlstellungen empfehlen wir hingegen, insbesondere einer Handgelenkdenervation nach Wilhelm nachgedacht wer-
bei älteren Patienten, die Korrektur nach primär konservativer den ( Kap. 17). Bei weit fortgeschrittener Arthrose ist nur noch
Behandlung erst 5–6 Monate nach dem Initialtrauma und inten- die komplette Handgelenkprothese ( Kap. 12) oder die komplette
siver Heilgymnastik durchzuführen, da sich im klinischen Alltag Handgelenkarthrodese ( Abschn. 29.2.14) möglich. Eine alleinige
zeigt, dass zuweilen trotz erheblicher radiologischer Fehlstellungen konservative Therapie ist nur dann indiziert, wenn eine Kontra-
zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden können. Bei primär indikation zur operativen Versorgung besteht. In diesen Fällen
operativer Behandlung und sekundärer extraartikulärer Fehlstel- erfolgt eine Ruhigstellung des Handgelenks mithilfe einer Orthese
lung bei liegender Platte empfehlen wir hingegen mit der Korrektur (⊡ Abb. 32.7).
nicht lange zuzuwarten, da wesentliche Fortschritte nicht mehr zu
erwarten sind. In die Überlegung über die Art und das Ausmaß der Behandlungsalgorithmus für ulnare Handgelenk-
Korrektur sollten zusätzliche Faktoren einerseits handgelenkspezi- beschwerden bei fehlverheilter distaler Radiusfraktur
fisch, wie das Vorliegen degenerativer Veränderungen im Hand- nach Prommersberger und van Schoonhoven (2008)
gelenk, oder systemisch, wie das einer Osteoporose oder anderer Bei der Therapie ellenseitiger Handgelenkbeschwerden nach einer
systemischer Erkrankungen, mit einbezogen werden. Außerdem distalen Radiusfraktur gilt es, dem klinischen und radiologischen
spielen die Erwartungen des Patienten und die berufliche und/ Befund Rechnung zu tragen. Um unter den verschiedenen Thera-
oder sportliche Belastung des Handgelenks eine nicht unerhebliche pieoptionen die geeignete zu finden, ist es deshalb am günstigsten,
Rolle bei der Entscheidungsfindung. einen Fragenkatalog systematisch abzuarbeiten. Die erste Frage gilt
Bei intraartikulärer Fehlstellung oder Subluxation des Karpus der Kongruenz des DRUG.
ergibt sich die Empfehlung zur Frühkorrekturosteotomie auch
ohne entsprechende Klinik, nur anhand der Röntgen- und oder Kongruenz des DRUG
CT-Diagnostik, da mit hoher Wahrscheinlichkeit im Langzeitver- Liegt Kongruenz vor, ist zu klären, ob das Gelenk stabil oder
lauf mit einer ausgeprägten Arthrose zu rechnen ist. Bei intraar- instabil ist. Bei Stabilität kann das DRUG frei beweglich, jedoch

Beschwerden, Klagen und radiologischer Befund


nach in Fehlstellung verheilter distaler Radiusfraktur

Extraartikuläre Fehlstellung Intraartikuläre Fehlstellung

Keine Keine
Arthrose Arthrose Arthrose Arthrose

frühzeitige
Keine weitere Korrektur-
operative Therapie osteotomie
KG 1.) Handgelenksdenervirung
Schmerztherapie 2.) Partielle HG-Arthrodese
3.) Komplette HG-Arthrodese
4.) Handgelenksprothese
5.) HG-Orthese bei fehlender ⊡ Abb. 32.7 Behandlungsalgorithmus für radio-
OP-Fähigkeit karpale Handgelenkbeschwerden bei fehlverheil-
ter distaler Radiusfraktur
828 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

Beschwerden/ Klagen DRUG nach distaler Radiusfraktur

Gelenk kongruent Gelenk inkongruent

stabil instabil

stabil, aber stabil, aber gravierend deutlich gering


schmerzhaft eingesteift instabil instabil instabil

PSU-Pseudarthrose PSU-Pseudarthrose PSU-Pseudarthrose PSU-Pseudarthrose

arthroskopisches Resektion PSU+ KG Rekonstruktion offene arthros- Resektion PSU+


Debridement arth. Rotationssplint Ligg. radio- TFCC-Refixation kopische offene TFCC-Refix.
Debridement Arthrolyse ulnare TFCC-Refixation

⊡ Abb. 32.8 Behandlungsalgorithmus für ulnare Handgelenkbeschwerden bei fehlverheilter distaler Radiusfraktur bei erhaltener Kongruenz im DRUG.
32 PSU processus styloideus ulnae (Aus Prommersberger u. van Schoonhoven 2008)

Beschwerden/Klagen DRUG nach distaler Radiusfraktur

Gelenk kongruent Gelenk inkongruent

„direkte“ Inkongruenz DRUG „indirekte“ Inkongruenz DRUG

ohne Arthrose isolierte multidirektionale Radiusluxation


Radiusverkürzung Radiusfehl- +/- Deformität
-20° > Radiustilt < 10° stellung des distalen
Gelenkfläche Gelenkfläche mit Arthrose Fragmentes
rekonstruierbar nicht
rekonstruierbar

„Rettungsoperation“

ohne Instabilität mit Instabilität

intraartikuläre Bowers' OP Bowers' OP Ulna- s. Abb.10 „Rettungsoperation“


Korrekturosteotomie Kapandji Ulnakopfprothese verkürzung ev. + Radiuskorrektur
Ulnakopfprothese

⊡ Abb. 32.9 Behandlungsalgorithmus für ulnare Handgelenkbeschwerden bei fehlverheilter distaler Radiusfraktur nach Prommersberger u. van Schoonhoven
bei direkter Inkongruenz im DRUG. (Aus Prommersberger u. van Schoonhoven 2008)

schmerzhaft oder aber eingesteift sein. Ist das Gelenk instabil, gilt konstruktionsfähigkeit der Gelenkfläche als auch eine vorhandene
es, den Ausprägungsgrad der Instabilität bei der Therapiewahl zu oder nicht vorhandene Instabilität über die Therapie (⊡ Abb. 32.9).
berücksichtigen, wobei zumindest bei geringer Instabilität einer Ursache für eine »indirekte« Inkongruenz des DRUG kann
Pseudarthrose des Ulnastyloids als zusätzliche Quelle von Be- eine Radiusluxation, eine isolierte Radiusverkürzung oder aber
schwerden Beachtung geschenkt werden sollte (⊡ Abb. 32.8). eine multidirektionale Fehlstellung des Radius sein. Die Therapie
Liegt eine Inkongruenz des DRUG vor, muss zwischen einer einer isolierten Verkürzung des Radius mit Arthrose des DRUG
»direkten« und »indirekten« Inkongruenz unterschieden werden. ist identisch mit der Therapie einer »direkten« Inkongruenz des
Dabei gibt es durchaus Überschneidungen bei der Therapie. Bei DRUG, sofern trotz fehlender Arthrose die Gelenkfläche nicht
»direkter« Inkongruenz des Gelenks entscheiden neben dem Um- mehr rekonstruierbar ist oder bereits eine Arthrose vorliegt. Eine
stand, ob bereits eine Arthrose vorliegt oder nicht, sowohl die Re- isolierte Radiusverkürzung ohne Arthrose sollte mittels Ulnaver-
32.1 · Allgemeines
829 32
Beschwerden/Klagen DRUG nach distaler Radiusfraktur

Gelenk inkongruent

„direkte“ Inkongruenz DRUG „indirekte“ Inkongruenz DRUG

Radiusluxation isolierte multidirektionale


+/- Deformität des Radiusverkürzung Radiusfehlstellung
distalen Fragmentes -20° > Radiustilt < 10°

keine/leichte Instabilität; deutliche Instabilität deutliche Arthrose


+/- keine, leichte Arthrose

Radiusverkürzung Radiusverkürzung
>12mm <12mm

Radiuskorrektur + Radiuskorrektur Radiuskorrektur + Radiuskorrektur +


Ulnaverkürzung sim./sek. Adams-OP sim./sek. „Rettungs“-OP

⊡ Abb. 32.10 Behandlungsalgorithmus für ulnare Handgelenkbeschwerden bei fehlverheilter distaler Radiusfraktur bei indirekter Inkongruenz im DRUG.
(Prommersberger u. van Schoonhoven 2008)

kürzung angegangen werden, wobei weder das Ausmaß der Ver- supination wiedererlangt werden. Die Patienten sollen so schnell wie
kürzung noch eine vorhandene Instabilität zu berücksichtigen sind. möglich alle Tätigkeiten im alltäglichen Leben durchführen. In hart-
Unklar ist bisher jedoch, ob die Morphologie des Ulnakopfes und näckigen Fällen kann eine gezielte Schienenbehandlung wie nach
damit die Konfiguration des DRUG, besonderer Beachtung bedarf einer Arthrolyse mit einer Umdrehquengelschiene indiziert sein.
( Kap. 33). Multidirektionale Radiusfehlstellungen bedürfen einer
Radiuskorrekturosteotomie. Abhängig vom Ausmaß der Radius- Operative Therapie
verkürzung und der evtl. vorhandenen Instabilität und Arthrose > Die Korrektur der verschiedenen Fehlstellungen wird
des DRUG sind gleichzeitig oder sekundär Zusatzeingriffe auf der operativ durchgeführt.
Ellenseite des Handgelenks ratsam (⊡ Abb. 32.10).
Eine Korrektur der Fehlstellung nach distaler Radiusfraktur Schon vor 200 Jahren wurde die Resektion des distalen Ellenendes
ist bei hoher Komorbidität, bei Osteoporose, hohem Patientenal- zunächst von Desault (1771), Moore (1880) und später von Darrach
ter verbunden mit einem niedrigen Aktivitätslevel, mangelnder (1913) zur Behandlung schmerzhafter fehlverheilter distaler Spei-
Patientencompliance sowie Alkohol- und Drogenabusus kontra- chenfrakturen beschrieben. Campell beschrieb 1937 erstmals eine
indiziert bzw. es sollte die angewendete Operationstechnik auf die Korrekturosteotomie am distalen Speichenende mit Interposition
Knochenqualität abgestimmt werden. eines vom distalen Ellenende entnommenen Knochenspanes.

Korrektureingriffe am Radius
32.1.7 Therapie Die Korrekturoperation sollte vor Auftreten von Sekundärschäden
durchgeführt werden. Eine Lösung der Fraktur ist innerhalb der
> Die beste Therapie ist die Vermeidung der Fehlstellung ersten 3–4 Monate noch mit dem Meißel möglich, welcher dem
durch möglichst anatomische Rekonstruktion der knöcher- ursprünglichen Frakturverlauf folgt, wodurch die anatomischen
nen Fehlstellung der Fraktur und kompletter Versorgung Verhältnisse am besten nachvollzogen werden können.
aller verletzten Weichteile. Jupiter et al. (2001) verglichen den Einfluss des Operationszeit-
punkts der Korrekturosteotomie auf das klinische Ergebnis anhand
Konservative Therapie von zwei Vergleichskollektiven. Bei der 1. Gruppe wurde die Korrek-
Die krankengymnastische Übungstherapie stellt die Basis jeder Be- turosteotomie bereits durchschnittlich 8 Wochen nach dem Trauma;
handlung dar. Nahezu alle Patienten weisen nach Beendigung der bei der 2. Gruppe erst nach 40 Wochen durchgeführt. Die funkti-
Immobilisation ihres Handgelenks im Rahmen der Behandlung ei- onellen und radiologischen Ergebnisse zeigten keinen relevanten
ner distalen Radiusfraktur nach 4–6 Wochen eine Einschränkung Unterschied. Die frühere Osteotomie führte aber zu einer deutlichen
der Unterarmdrehung auf. Durch eine intensive handtherapeutische Verkürzung der Krankheits- und Krankenstandsdauer von 21 Wo-
Begleitbehandlung kann in den meisten Fällen eine normale Prono- chen gegenüber 70 Wochen. Wenngleich beim jüngeren Patienten
830 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

32

⊡ Abb. 32.11 Korrektur einer Fehlstellung vom Extensionstyp über einen dorsalen Zugang. a Die Verkürzung des Radius beträgt 7 mm, die radiale Inklination
ist von 25° (im Seitenvergleich) auf 10° vermindert. Zusätzlich besteht eine Dorsalkippung der distalen Raduisgelenkfläche. b Nach Osteotomie im ehemali-
gen Bruchspalt erfolgt die Aufrichtung der Fraktur mittels dorsal eingebrachtem Mini-AO-Fixateur – zur Korrektur der Fehlstellung in sagittaler Ebene – und
mittels eines radial eingebrachten Spreizers – zur Korrektur der Fehlstellung in frontaler Ebene. c In Höhe der Osteotomie wird ein zugeschnittener kortiko-
spongiöser Span (10/5 mm) eingebracht und mittels eines Kirschner-Drahtes temporär fixiert, d Anbringen der »low-profile« winkelstabilen Osteosynthese-
platte von dorsal

eine Frühkorrektur anzustreben ist, sollte bei älteren Patienten, wel- zuweilen eine streckseitige Zusatzinzision erforderlich. Von Vorteil
che nicht mehr berufstätig sind, das Ergebnis einer intensiven ergo- ist die beugeseitige Plattenlage, wodurch die Implantate im Regel-
und physiotherapeutischen Nachbehandlung abgewartet werden. fall dauerhaft belassen werden können.
Der Vorteil des radialen Zugangs liegt in der Übersicht nach
Fehlstellungen des Extensionstypes dorsal und palmar und bewährt sich somit bei komplexen Kor-
Sie können über einen dorsalen, palmaren oder radialen Zugang rekturen mit Wiederherstellung der ulnaren Inklination, aber auch
korrigiert werden: bei einfachen Closing- (Subtraktionsosteotomie) oder Opening-
Der dorsale Zugang wird von den meisten Autoren zur Korrek- Wedge-Osteotomien (Additionsosteotomie). Die Osteosynthese
tur einer Fehlstellung des Extensionstypes bevorzugt. Der Vorteil kann häufig nur mit Kirschner-Drähten erfolgen oder mittels
liegt im direkten Einblick auf den knöchernen Defekt, welcher spezieller Platten, welche für die radiale Säule des distalen Spei-
der Basis des zu interponierenden Knochenspanes entspricht. Ein chenendes vorgeformt sind. Das 1. Strecksehnenfach soll nicht
weiterer Vorteil ist die direkte Visualisierung des radiokarpalen verschlossen werden; eine subtile Präparation der sensiblen Radia-
Gelenkabschnitts. Als Nachteil des Zugangs kann es trotz der Ver- lisäste ist erforderlich.
wendung von Niederprofilplatten zu Konfliktsituationen mit den Entsprechend der präoperativen Planung wird die Osteotomie
Strecksehnen kommen, was im Regelfall eine frühzeitige Entfer- der distalen Speiche wenn möglich im ehemaligen Frakturbereich
nung des Osteosynthesematerials erforderlich macht (⊡ Abb. 32.11). vorgenommen. Anschließend erfolgt die Stellungskorrektur ent-
Der palmare Zugang hat den Nachteil, dass keine direkte Visu- sprechend der präoperativen Planung in allen 3 Ebenen. Zur tem-
alisierung der knöchernen Defektzone möglich ist. Das Einpassen porären Aufrechterhaltung der Korrekturstellung haben sich meh-
der dorsal liegenden Keilbasis ist deutlich schwieriger und macht rere Typen von Wirbelspreizern und Handmeißeln verschiedener
32.1 · Allgemeines
831 32

⊡ Abb. 32.12 Korrektur mit Hilfe von Bohr-


drähten. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)

Breite als Platzhalter bewährt. Erst nach diesem Operationsschritt abstützung mit Rezentrierung der Handwurzel. Die Osteosynthese
wird das Korrekturergebnis mit Bohrdrähten temporär fixiert. Die erfolgt je nach Größe des Fragments mit Schrauben oder mittels
Kontrolle der Korrektur erfolgt unter Bildwandlersicht unter Be- einer Plattenosteosynthese.
rücksichtigung der kontralateralen, unverletzten Seite. Nach Ent-
nahme eines mono- oder bikortikalen kortikospongiösen Spanes Fehlverheilte Impressionsfrakturen der Fossa lunata oder
aus dem Beckenkamm ( Kap. 9) wird dieser entsprechend der Fossa scaphoidea: Fehlstellungen vom Die-Punch-Typ (AO-
Defektgröße zubereitet und »press-fit« zur Erzielung einer hohen Klassifikation B4). Die Korrektur erfolgt je nach Vorliegen der
Primärstabilität eingebracht. Im Regelfall erfolgt die Osteosynthese Fehlstellung von dorsal oder palmar. Nach Osteotomie und Mobi-
mit einer winkelstabilen Platte, welche eine frühfunktionelle Nach- lisierung des imprimierten Gelenkanteils wird dieser reponiert und
behandlung zulässt (⊡ Abb. 32.11). Die sog. Trapezoidalosteotomie mit einem autologen Knochenspan unterfüttert. Die Osteosynthe-
hat den Vorteil, dass die Spanentnahme direkt aus dem Operati- se erfolgt je nach Größe des Fragments mit Kirschner-Drähten,
onsbereich, aus der dorsalen Kortikalis der distalen Speiche, und Schrauben oder mittels Plattenosteosynthese. Del Piñal et al. (2006)
nicht vom Beckenkamm vorgenommen wird. Dadurch kann die führten die Operation in einer Inside-out-Osteotomie-Technik
Operation in Regionalanästhesie durchgeführt werden. Die Ergeb- durch. Dabei wurden die fehlverheilten Frakturlinien unter arth-
nisse sind mit der Standardmethode durchaus vergleichbar. roskopischer Sicht von der Gelenkseite her gelöst, die imprimierten
Im Falle einer Spätkorrektur, wenn der ehemalige Frakturspalt Gelenkanteile gehoben und über einen extraartikulären Zugang
nicht mehr auffindbar ist, kann die Markierung der Fehlstellung durch Spongiosa unterfüttert und osteosynthetisiert.
mittels Kirschner-Drähten zumindest in sagittaler Ebene hilfreich
sein. Dabei wird der distale Kirschner-Draht in a.-p. Richtung Fehlverheilte Fraktur des Proc. styloideus radii (AO-Klas-
parallel zur fehlgestellten Gelenkfläche, der proximale normal zur sifikation B1). Die Korrektur erfolgt im Regelfall von dorsal.
Schaftachse eingebracht. Die Osteotomie erfolgt parallel zum dis- Der dorsale Zugang bietet den Vorteil einer besseren Visualisie-
talen Kirschner-Draht. Mithilfe dieses Kirschner-Drahtes wird das rung der Gelenkfläche und der proximalen Handwurzelreihe. Die
distale Fragment aufgehebelt (»Joystick-Technik«), bis der distale Wiederherstellung kongruenter Gelenkverhältnisse erfolgt durch
Bohrdraht parallel zum proximalen steht. Die weiteren Operations- die Lösung der fehlverheilten Fraktur mit Anpassen des radialen
schritte entsprechen der oben angeführten Technik (⊡ Abb. 32.12). Fragments an den zentralen Pfeiler und Osteosynthesetechnik je
nach Größe des Fragments, entweder durch Kirschner-Drähte oder
Fehlstellungen des Flexionstyps meist kanülierte Schrauben.
Operationszeitpunkt und Technik entsprechen im Wesentlichen
dem Extensionstyp. Für die Korrekturosteotomie der Speiche Korrektureingriffe an der Ulna
bei der Flexionsfehlstellung eignet sich der palmare Zugang am Da eine genaue Beschreibung aller ulnarer Zusatzeingriffe den
besten. Rahmen dieses Kapitels überschreiten würde, werden diese nur
tabellarisch angeführt ( Kap. 33).
Fehlverheilte palmare oder dorsale Abscherungsfrakturen
(Typ Barton) mit Palmar- bzw. Dorsalsubluxation des Kar- Eingrifffe im Bereich des Proc. styloideus ulnae. Der Proc. sty-
pus (AO-Klassifikation B2 und B3). Die Korrektur erfolgt über loideus ulnae hat für die Anheftung des Discus articularis eine zen-
einen palmaren oder dorsalen Zugang unter Lösung der fehlver- trale Bedeutung und sollte wenn immer möglich erhalten bleiben.
heilten Fraktur und Wiederherstellung einer regelrechten Gelenk- Bei einer schmerzhaften Pseudarthrose sollte bei einem ausreichend
832 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

⊡ Abb. 32.13 Pseudarthrose des Proc, sty-


loideus ulnae mit ausreichend großem
Fragment. a Präoperativer Befund und OP-
Planung, b Z. n. Resektion der Pseudarthrose,
c Z. n. Refixierung des Proc. styloideus ulnae.
(Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001) a b c

großen Fragment eine Refixierung erwogen werden (⊡ Abb. 32.13). des Ulnakopfes aus der Incisura ulnaris um mehr als zwei Drittel
Bei kleinem Fragment erfolgt eine Resektion mit Refixierung des Schaftbreite des Radius) der TFCC aufgebraucht, empfiehlt sich
Diskus an der Basis des Proc. styloideus ulnae. eine Rekonstruktion der Ligg. radioulnare palmare und dorsale.

32 Niveauoperationen zur Wiederherstellung exakter Längen-


verhältnisse. Bei guter Pronosupination und Radiokarpalfunkti- 32.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
on sollte bei Vorliegen eines Ulna-Impakt-Syndroms eine Korrek-
tur der Ulnalänge erwogen werden. Hierfür stehen verschiedene Robert Eberl, Tanja Kraus, Annelie Weinberg
Operationstechniken wie Ellenverkürzungsosteotomie, »Wafer-
Procedure«, Hemiresektions- oder Resektionsarthroplastiken am Chirurgisch relevante Anatomie
distalen Ellenende ( Kap. 33) zur Verfügung.
> Der Wachstumsanteil der distalen Fugen von Radius und Ulna
tragen zu 80% zum Längenwachstum des Unterarms bei.
Rettungsoperationen bei intraartikuläre Schädigung des
distalen Radioulnargelenks. Bei schmerzhafter Gelenkinkon- Der körperferne Unterarm und das Handgelenk bedürfen beson-
gruenz im DRUG sollte die Möglichkeit einer OP nach Kapandji- derer Berücksichtigung in der Diskussion kindlicher Frakturen, da
Sauve, einer Resektionsarthroplastik nach Bowers (oder Darrach) diese die bevorzugte Lokalisation aller knöchernen Verletzungen
oder die Ellenkopfprothese erwogen werden ( Kap. 32) zur Ver- am wachsenden Skelett darstellen.
fügung.
Epidemiologie
Korrektureingriffe im Bereich des DRUG Die Wachstumsfuge des distalen Radius ist die am häufigsten ver-
Eingriffe bei Kontraktur des DRUG. Die Kombination einer letzte Fuge insgesamt.
Arthrolyse des DRUG gleichzeitig mit einer Radiuskorrekturos-
teotomie ist nach unseren Erfahrungen nicht ratsam, da die intra- Ätiologie
operativ gewonnene Beweglichkeit im DRUG aufgrund der durch Als Ursache ist eine relative Weichheit der distalen Radiusmeta-
die Radiuskorrekturosteotomie notwendige Ruhigstellung wieder physe als dissoziative Folge von Längenwachstum und Minera-
verloren geht. Zeigt sich nach einer Radiuskorrekturosteotomie die lisation anzusehen. Thomas et al. (1975) beschrieben eine Ten-
Unterarmdrehung für den Patienten funktionell bedeutend einge- denz zur Distalisierung der Fraktur mit zunehmendem Alter der
schränkt, so ist es vielmehr sinnvoll, eine Arthrolyse des DRUG kindlichen Patienten als Folge einer vermehrten Aushärtung des
sekundär z. B. im Rahmen der Entfernung des Osteosynthesema- diametaphysären Übergangs. Klinisch wird dies im eigenen Haus
terials vorzunehmen. bestätigt. Diese Gegebenheiten erklären die Tatsache, dass distale
Radiusfrakturen im Kindesalter nur in Ausnahmefällen eine int-
Handgelenkarthroskopie. Durch ein Débridement des ulnokar- raartikuläre Beteiligung aufweisen und Probleme im Langzeitver-
palen Komplexes lässt sich bei posttraumatischen ebenso wie bei lauf Raritäten darstellen. Gegensätzliches ist beim Jugendlichen
degenerativen Veränderungen des TFCC in einem hohen Prozent- mit funktionell subtotal verschlossenen Fugen möglich und zu
satz eine Beschwerdeminderung erzielen ( Kap. 13). Dabei sind die berücksichtigen. Verletzungen mit Gelenkbeteiligung sind relativ
Erfolgsaussichten größer, wenn keine Ulna-plus-Situation vorliegt. häufiger und Komplikationen im Verlauf ähnlich dem Erwachsen
Bestehen nach einem arthroskopischen Débridement des ulno- wahrscheinlicher.
karpalen Komplexes ellenseitige Handgelenkbeschwerden über
3 Monate fort, ist insbesondere bei Vorliegen eines statischen, aber Diagnostik
auch eines dynamischen Ulna-Impakt-Syndroms eine Ulnaverkür- Das diagnostische Vorgehen entspricht jenem beim Erwachsenen
zungsosteotomie anzuraten. ( Abschn. 32.1.4).

Rekonstruktion des TFCC. Bei traumatisch bedingten Abrissen Klassifikation


des Discus triangularis ist eines Refixierung indiziert ( Kap. 32) Bei der Beurteilung muss grundsätzlich unterschieden werden
zwischen:
Rekonstruktion der radioulnären Zügelbänder. Zeigt sich ▬ Fehlstellung nach unzureichender Erstversorgung und
bei einer ausgeprägten Instabilität des DRUG (= Verschiebbarkeit ▬ Fehlstellungen nach Wachstumsstörungen.
32.1 · Allgemeines
833 32
Indikation und Differenzialtherapie > Bei verbleibendem Restwachstum von mindestens 2 Jahren
Es sind monoplanare von polyplanaren Fehlstellung als Folge eines und einer Brückenbildung von weniger als 40% des Gesamt-
partiellen Fugenschlusses zu unterscheiden von reinen Verkürzun- querschnitts der Fuge sollte die Knochenbrücke reseziert
gen der Speiche als Konsequenz eines totalen Fugenschlusses mit oder gesprengt werden. Bei simultan vorhandener Achsab-
prämaturem Wachstumsstopp der Speiche. weichung von mehr als 20° wird eine zusätzliche Osteotomie
erforderlich.
Fehlstellungen nach unzureichender Erstversorgung
Hier ist die Fuge intakt und das spontane Korrekturverhalten Zur Bestimmung des Ausmaßes der Knochenbrücke ist die Durch-
der Fuge muss bei der Entscheidung zur Korrekturoperation mit führung einer CT oder MRT erforderlich. Die Brücke wird über
berücksichtigt werden ( Abschn. 31.1.8). Der distale Unterarm einen metaphysären Zugang reseziert und mit körpereigenem oder
und der distale Radius – definitionsgemäß handelt es sich aus- körperfremdem Material aufgefüllt. Körpereigener Knorpel ist am
schließlich um metaphysäre Frakturen – besitzen das größte Kor- besten geeignet. Gegebenenfalls ist eine simultane Epipyseodese
rekturpotenzial für posttraumatische Fehlstellungen am gesamten der distalen Elle zu diskutieren. Langzeitkontrollen sind bis zum
wachsenden Skelett. Bei unter 12-Jährigen sind Korrekturen in der Wachstumsabschluss unerlässlich und Reoperationen im Verlauf
Frontal- und Sagittalebene bis 50° möglich. Die seltenere palmare nicht auszuschließen. Insgesamt ist die Expertise des Einzelnen
Abkippung korrigiert sich schlechter als die dorsale. Metaphysäre in diesen Fällen gering. Beschreibungen in der Literatur betreffen
Seit-zu-Seit-Verschiebungen von voller Schaftbreite korrigieren Einzelfälle und Kleinserien. Die genannten Verfahren sind beim
sich ebenfalls spontan über das weitere Wachstum. Abhängig vom jüngeren Kind mit noch hohem Wachstumspotenzial und dadurch
Alter des Patienten und von der Reife des Skeletts reduziert sich bedingter großer Wahrscheinlichkeit zur Befundprogredienz ange-
das verbleibende Potenzial zur Spontankorrektur und muss in der zeigt und sollten zeitnah erfolgen.
Therapie berücksichtigt werden. Durch den späten Fugenschluss Grundsätzlich sind einzeitige Verfahren mit interner Osteo-
der körperfernen Speiche um das 15.–18. Lebensjahr sind jedoch synthese von dynamischen Verfahren mit externer Stabilisierung
auch beim älteren Kind spontane Fehlstellungskorrekturen von bis zu unterscheiden: Bei der einzeitigen Intervention sind additive
zu 30° und mehr möglich. Da es sich im Allgemeinen um nume- und subtraktive Korrekturen möglich. Da eine hemmende Wachs-
rische Werte handelt, sollte man immer mit den Eltern die Mög- tumsstörung immer mit einer Verkürzung der Speiche verbunden
lichkeit diskutieren, die Korrektur einer verbleibenden Fehlstellung ist, sind subtraktive Verfahren mit Keilentnahme am Radius zur
aufgrund belassener Achsabweichung nach Wachstumsabschluss Korrektur nicht geeignet, da eine weitere konsekutive Verlänge-
durchzuführen. Der Aufwand ist identisch. Von Vorteil ist, dass rung der Elle resultiert und Zusatzeingriffe erforderlich werden.
man die Chance der eigenen spontanen Korrektur, die ja vom Die additive Korrektur erlaubt eine maximale Verlängerung des
biologischen Alter abhängt und sehr stark variieren kann, abwar- Radius von 10–12 mm und erfordert zusätzlich die Interposi-
tet. Ist die Fuge geschlossen, ist diese Möglichkeit natürlich nicht tion eines kortikospongiösen Beckenkammspanes. Die Osteotomie
mehr vorhanden. Die Potenz der Spontankorrektur sollte einer und Aufrichtung der Gelenkfläche orientiert sich an der prä-
wiederholten oder verzögerten Reposition vorgezogen werden, um operativen Planung, die Stabilisierung erfolgt mittels Platte und
iatrogene Traumatisierungen der Wachstumsfuge mit möglichem Schrauben (⊡ Abb. 32.11, ⊡ Abb. 32.14). Der operative Zugangsweg
totalem oder partiellem Fugenschluss einerseits oder die Stimula- erfolgt palmar oder dorsal in üblicher Technik. Eine postoperative
tion zum vermehrten Längenwachstum anderseits zu vermeiden. Übungsstabilität ist unmittelbar gegeben.
Das vermehrte Längenwachstum ist häufig, bleibt klinisch jedoch
irrelevant.

Fehlstellungen nach Wachstumsstörungen


Im Gegensatz dazu ist bei Wachstumsstörungen die Ursache ein
teilweiser oder völliger Fugenstillstand, der sich nicht spontan
reduziert. Wachstumsstörungen durch totalen oder partiellen Fu-
genschluss sind außerordentlich selten, jedoch klinisch bedeu-
tungsvoll und die häufigste Ursache für erforderliche operative
Korrekturen. Das Auftreten einer solchen Wachstumsstörung ist
bei jeder Verletzung der Fuge möglich, in ihrer Wahrscheinlichkeit
an sich und im Zeitfenster zum Trauma aber nicht vorhersagbar.
In der Literatur sind Wachstumsstörungen mit 1–7% beschrieben.
Die Wahrscheinlichkeit ist nach massivem Trauma, bei offener
Fraktur und nach wiederholten oder verzögerten Repositionsma-
növern sowie bei Infektion insbesondere nach Osteosynthesen
erhöht. Langzeitkontrollen sind im Zweifelsfall notwendig und
eine entsprechende Aufklärung der Eltern des Patienten immer
erforderlich. Der alleinige Verschluss der distalen Ulna ist eben-
falls sehr selten.

Therapie a b
Bei korrekter Therapie sind operative Interventionen zur Achsen-
korrektur am distalen Radius nur nach Verletzungen mit Beteili- ⊡ Abb. 32.14 Dynamische Korrektur einer polyplanaren Fehlstellung mit-
gung der Wachstumsfuge und persistierender Schädigung dersel- hilfe eines Hexapodenfixateurs. a Befund nach Osteotomie, b Befund nach
ben erforderlich. Abschluss der Distraktionsperiode (Korrekturperiode)
834 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

Die Verkürzung der Elle ist nur bei monoplanarer Fehlstellung rechten Winkel zu den beiden anderen eingebracht, was eine hohe
im Sinne einer reinen Verkürzung der Speiche bei achsgerechter Winkelstabilität ergibt. Beim Einbringen der Schrauben ist die
Gelenkfläche möglich. Zur Vermeidung von Pseudarthrosen sollte Dorsalkippung der Radiusgelenkfläche zu berücksichtigen. Nach
die Osteotomie schräg oder treppenförmig erfolgen ( Kap. 32). der Fixierung der Platte distal steht der Plattenstiel proximal ent-
Bei polyplanaren Fehlstellungen mit Verkürzung von mehr als sprechend dem Korrekturwinkel der dorsopalmaren Ebene vom
10 mm bietet sich optional die dynamische Korrektur über Hexa- Radiusschaft ab (⊡ Abb. 32.15e). Nach Markierung der vorgesehe-
podenfixateur an (⊡ Abb. 32.14). Der Vorteil besteht in der steten nen Osteotomiestelle mit dem Meißel wird die Platte entfernt. Bei
Möglichkeit zur Änderung der initial geplanten Korrektur, dies extremer Dorsalkippung der Radiusgelenkfläche ist eventuell ein
kann EDV-gestützt erfolgen. Über Kallusdistraktion ist eine adju- geringfügiges Nachbiegen der Platte erforderlich.
vante Knochenanlagerung vermeidbar. Nachteilig sind die lange Die Osteotomiestelle sollte möglichst dem Ort der ursprüng-
Therapiedauer, der durch den Fixateur externe verminderte Pati- lichen Fraktur entsprechen und knapp proximal des mittleren
entenkomfort und eine zwingend erforderliche hohe Compliance Schraubenlochs der 3 distalen Schrauben liegen.
des Patienten bzw. der Eltern des Patienten.
> Die Osteotomie erfolgt in der Winkelhalbierenden des
Korrekturwinkels in beiden Ebenen.
32.1.9 Prognose Dies hat sich als günstig erwiesen: Beim Aufspreizen entsteht eine
doppeltrapezförmige Lücke; dies erleichtert das Zurechtschneiden
Bei sorgfältiger Indikationsstellung und korrekter Operationstech- und Verkeilen des Knochenspans. Osteotomiert man in einem
nik können durch Korrekturosteotomien der Speiche sowohl bei kleineren Winkel, muss man das distale Fragment stärker kippen,
32 extraartikulärer als auch intraartikulärer Fehlstellung beim wach- und die Längsachse des Karpus kommt palmar der Langsachse
senden Skelett und beim Erwachsenen zufriedenstellende Ergeb- des Unterarmes zu liegen. Osteotomiert man in einem größeren
nisse erzielt werden. Winkel, wird das distale Fragment dorsal länger. Beim Aufspreizen
entsteht dadurch ein dorsaler Knochenbuckel. Nach der Osteoto-
mie wird die Platte distal wieder fixiert. Der Osteotomiespalt wird
32.2 Spezielle Techniken mit einem Pseudarthrosenspreizer, der im dorsalen Drittel der
Osteotomiefläche des Radius eingebracht wird, aufgedehnt. Hier-
32.2.1 Korrektur der Fehlstellung vom bei legt sich die Platte an den Radiusschaft, wenn der Gelenkblock
Extensionstyp des Radius über einen seine ursprüngliche Neigung – vor der Fraktur – eingenommen
radiopalmaren Zugang hat. Zur Reposition müssen erhebliche Kräfte aufgewendet werden.
Hierzu kann auch die Anlage eines Minifixateur sehr hilfreich sein.
Die Operation erfolgt in Allgemeinanästhesie, da ein kortikospon- Mit zwei kräftigen Plattenhaltezangen wird die Platte provisorisch
giöser Span entnommen werden muss ( Abschn. 9.2.1). Die Hand am Radiusschaft fixiert. In den Osteotomiespalt wird ein dop-
wird auf einen Handtisch ausgelagert, die Operation erfolgt unter peltrapezförmig zugeschnittener, kortikospongiöser Knochenspan
Blutleere. Die Möglichkeit der intraoperativen Durchleuchtung vom Beckenkamm eingebracht (⊡ Abb. 32.15f). Die Platte wird am
muss vorbereitet werden. Radiusschaft befestigt. Abschließend fixiert man den Knochenspan
Der Hautschnitt, Durchtrennung der Sehnenscheide des mit einer Zugschraube. Der Span wird dadurch zwischen die Radi-
M. flexor carpi radialis und Darstellung des M. pronator quadratus usfragmente eingezogen und interfragmentär komprimiert.
erfolgen wie zum palmaren Zugang zum Radius ( Abschn. 31.2.5). Anschließend Eröffnung der Blutleere, subtile Blutstillung und
Zur Darstellung des lateralen Radius erfolgt nun die vollständige Einlage einer Redon-Drainage. Refixierung des M. pronator qua-
Spaltung des 1. Strecksehnenfaches und das teilweise Ablösen des daratus über der Osteosyntheseplatte und Verschluss der Seh-
Ansatzes der Sehne des M. brachioradalis (⊡ Abb. 32.15a). An- nenscheide des M. flexor carpi radialis. Die Sehne des M. pollicis
schließend Eröffnen des 3. Strecksehnenfaches und Herausluxieren longus verbleibt subkutan. Tiefdermale Nähte, Hautnaht in Einzel-
der Sehne des M. extensor pollicis longus. Nun wird der M. pro- knopftechnik oder intrakutaner fortlaufender Naht. Eine Ruhig-
nator quadratus zusammen mit dem M. flexor pollicis longus und stellung im Gipsverband mit einer leicht gepolsterten, palmaren,
dem radialen Gefäßbündel nach ulnar vom Radius abgeschoben ulnar das Handgelenk umgreifenden Gipsschiene ist nur bis zur
(⊡ Abb. 32.15b). Die palmare Knochenkante des 1. Strecksehenefa- gesicherten Wundheilung erforderlich.
ches muss abgetragen werden, um hier eine glatte Auflagefläche für
die Platte zu schaffen. Anschließend wird der radiokarpale Gelenk-
spalt mit einem Kirschner-Draht markiert. Der distale Rand der 32.2.2 Korrektur der Fehlstellung
Platte sollte bis an die »Watershed-Line« heranreichen. Die Platte vom Extensionstyp des Radius
wird im mittleren Loch fixiert. Dadurch hat man die Möglichkeit, über einen dorsalen Zugang
die Platte entsprechend dem geplanten Korrekturwinkel der Ulna-
rinklination noch zu drehen (⊡ Abb. 32.15c). Der Korrekturwinkel Der operative Zugang erfolgt analog dem dorsalen Zugang zur
entspricht dem Winkel zwischen der radialen Radiuskante und Versorgung der frischen distalen Radiusfraktur ( Abschn. 31.2.5).
dem radialen Rand des Plattenstiels (⊡ Abb. 32.15d). Nach dem Die Korrekturosteotomie erfolgt wieder im Bereich der alten Frak-
Einstellen der Platte entsprechend dem Korrekturwinkel der Ulna- tur. Die Berechnung der Osteotomie – bzw. der Korrekturach-
rinklination wird das ulnare, distale Schraubenloch besetzt und das sen – erfolgt analog dem Vorgehen in  Abschn. 32.2.1. In dem
radiale Schraubenloch vorgebohrt. Die Platte weist neben ihrer der überkorrigierten Osteotomiespalt wird der der Planung entspre-
physiologischen palmaren Krümmung des Radius entsprechen- chend zubereitete kortikospongiöse Span eingebracht und mittels
den Biegung in der Längsachse distal eine zweite Biegung radial Kirschner-Drähten temporär fixiert. Nach Kontrolle unter Bild-
auf, sodass sie die laterale Kante des Radius leicht umgreift. Von wandlersicht erfolgt die definitive Osteosynthese entweder mit
hieraus wird die radiale der drei distalen Schrauben nahezu im einer herkömmlichen Osteosyntheseplatte oder mit einer anato-
32.2 · Spezielle Techniken
835 32

b
a

e f

⊡ Abb. 32.15 Technik der Korrektur der Fehlstellung vom Extensionstyp des Radius über einen radiopalmaren Zugang. a Erweiterung des klassischen palma-
ren Zugangs nach radial mit teilweisem distalem Ablösen der Ansatzsehne des M. brachioradialis, Spaltung des 1. Strecksehnenfaches und Herausluxieren der
Sehnen des M. abductor pollicis longus und M. extensor pollicis brevis. b Spaltung des 3. Strecksehnenfaches und Herausluxieren der Sehne des M. extensor
pollicis longus. c Nach Abtragen der Knochenkante des 1. Strecksehnenfaches Anpassen der winkelstabilen Platte und Fixierung im mittleren Loch der dista-
len queren Schenkels. Dadurch besteht die Möglichkeit die Platte entsprechend dem geplanten Korrekturwinkel der Ulnarinklination zu drehen. d Nach dem
Einstellen der Platte entsprechend dem Korrekturwinkel der Ulnarinklination wird das ulnare, distale Schraubenloch besetzt und das radiale Schraubenloch
vorgebohrt. e Nach Osteotomie im alten Frakturbereich Refixierung der entsprechend der sagittalen Fehlstellung vorgebogenen Osteosyntheseplatte. f Kor-
rektur der Fehlstellung mit der Platte. Temporäre Fixierung mit 1 oder 2 Repositionszangen und Einbringen des kortikospongiösen Knochenspans. Komplet-
tierung der Osteosynthese. (Aus Prommersberger u. Lanz 1998)
836 Kapitel 32 · Korrektur der in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur

misch vorgeformten winkelstabilen Platte. Wichtig im dorsalen Bewegungsumfangs und des Zustands der Gelenkflächen abzu-
Handgelenkbereich ist ein möglichst flaches und stabiles Implantat wägen, ob eben doch noch eine Korrekturosteotomie oder eine
einzusetzten, um mit den Strecksehnen so wenig wie möglich Rettungsoperation im Sinne von Teilarthrodesen oder Resektions-
zu interferieren. Anschließend schichtweiser Wundverschluss. Die arthroplastiken oder ein Belassen der Fehlstellung indiziert ist. Je
EPL-Sehne belassen wir subkutan. Sie bleibt durch Belassen des länger das Intervall zwischen Initialtrauma und Korrekturosteo-
distalen Teils des 3. Strecksehnenfaches genügend geführt. Einlage tomie, desto unsicherer wird der subjektive Operationserfolg für
einer Redon-Drainage und schichtweiser Wundschluss. Eine Ru- den Patienten. Diese Überlegungen sind auch in die präoperative
higstellung im Gipsverband mit einer leicht gepolsterten, palma- Patientenaufklärung mit einzubeziehen.
ren, ulnar das Handgelenk umgreifenden Gipsschiene ist nur bis Chronische Schwellungszustände und CRPS I stellen nicht
zur gesicherten Wundheilung erforderlich. unbedingt eine Kontraindikation zur Korrekturosteotomie dar,
da schmerzverursachende Fehlstellungen, gelockerte bzw. fehl-
platzierte Implantate etc. eine Triggerfunktion ausüben können.
32.2.3 Verkürzungsosteotomie (»closing-wedge«) In derartigen Fällen empfehlen wir zur Erzielung einer absoluten
des Radius in Kombination postoperativen Schmerzfreiheit und zur Sympatikolyse die Opera-
mit Ellenverkürzungsosteotomie tion bei liegender Plexusverweilkanüle bis zum 10. postoperativen
Tag durchzuführen.
Mit der Closing-Wedge-Osteotomie in Kombination mit Ellenver- Zur Minimierung des Infektrisikos ist eine Single-Shot-An-
kürzungsosteotomie können mit Standardtechniken vergleichbare tibiotikaprophylaXE mittels Cephalosporine (1. Wahl) 1 Stunde
Ergebnisse erzielt werden. Es wird an Stelle der Spaninterposition präoperativ obligat, bei lang dauernden komplexen Korrekturope-
32 die Korrektur durch Spanentnahme aus dem ehemaligen Fraktur- rationen mit OP-Dauer von über 2 Stunden kann eine 2. Gabe bei
bereich vorgenommen und die Osteotomie geschlossen. Durch noch offener OP-Wunde indiziert sein.
fehlende Wiederherstellung der ursprünglichen Speichenlänge ist Die Osteosynthese bei Korrekturosteotomie erfolgt im Re-
diese Technik zwingend mit einer Verkürzungsosteotomie oder gelfall mittels winkelstabilen Platten wodurch sich die gleichen
Resektionsarthroplastik der Elle verbunden. technischen Fehlerquellen, wie bei primärer Osteosynthese (auch
 Abschn. 28.3.1)ergeben. Zu erwähnen sind vor allem eine intraar-
tikuläre Schraubenlage im Radiokarpalspalt oder im Radioulnarge-
32.2.4 Korrektur der Fehlstellung vom Flexionstyp lenk bzw. überlange Schrauben, welche streckseitig zu Sehnenarro-
des Radius mit Anlage einer Platte sionen führen können.
Bei Interposition eines kortikospongiösen Spanes ist dieser in
Entsprechend der präoperativen Planung wird die Osteotomie des Erwartung von Resorptionsvorgängen, insbesondere bei schlechter
distalen Speichengelenkblocks über einen palmaren Zugang im Knochenqualität eher größer als geplant zu entnehmen. Ein Aus-
ehemaligen Frakturbereich durchgeführt. In dem überkorrigierten wandern des meist keilförmigen Spanes ist möglich, wenn dieser
Osteotomiespalt wird der der Planung entsprechend zubereitete keine ausreichende Primärstabilität (»Press-fit-Technik«) aufweist
kortikospongiöse Span eingebracht und mittels Kirschner-Drähten oder die Osteosynthese mangelhaft ist.
temporär fixiert. Nach Kontrolle unter Bildwandlersicht erfolgt die
definitive Osteosynthese entweder mit einer herkömmlichen Ab-
stützplatte oder mit einer anatomisch vorgeformten winkelstabilen Weiterführende Literatur
Platte. Die als Druckplatte eingebrachte Abstützplatte erscheint uns
zur Neutralisierung der Kräfte geeigneter. Bei Anwendung einer Abe M, Shirai H, Okamoto M, Onomura T (1996) Lengthening of the forearm
anatomisch vorgeformten winkelstabilen Platte empfehlen wir den by callus distraction. J Hand Surg Br 21(2): 151–163
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Zur Vermeidung von Planungsfehlern empfehlen wir dem Opera-
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teur eine Skizzenzeichnung der in Fehlstellung verheilten Fraktur Bailey DA, Wedge JH, McCulloch RG, et al. (1989) Epidemiology of fractures
mit den geplanten Korrekturschritten, nicht zuletzt auch unter Be- of the distal end of the radius in children as associated with growth. J
rücksichtigung der Längenverhältnisse zwischen Elle und Speiche, Bone Joint Surg Am 71: 1225–1231
durchzuführen. Barr SJ, Zaleske DJ (1992) Physeal reconstruction with blocks of cartilage of
Es können die einzelnen Operationsschritte aber auch mittels varying developmental time. J Pediatr Orthop 11: 766–773
entsprechender Software an einem Computerprogramm animiert Barr SJ, Zaleske DJ (1992) Physeal reconstruction with blocks of cartilage of
werden. Die in  Abschn. 32.2.1 angeführte Operationstechnik er- varying developmental time. J Pediatr Orthop 11: 766–773
möglicht, nach Meinung der Autoren, eine präzisere Vornahme Beaty JH, Kasser JR (2009) Rockwood and Wilkins‘ fractures in children. Lip-
der Korrektur. Computerassistierte Operationstechniken führen zu pincott William & Wilkins, Philadelphia
Bell MJ, Hill RJ, McMurtry RY (1985) Ulnar impingement syndrome. J Bone
vergleichbaren Ergebnissen wie die herkömmliche Operationstech-
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nik. Dadurch werden die zur Erreichung einer optimalen Korrek- Berger RA (2004) Hand surgery. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia
tur erforderlichen Operationsschritte präzise geplant. Bronstein AJ, Trumble TE, Tencer AF (1997) The effects of distal radius fracture
Bereits nach einigen Monaten oder Jahren kommt es zu mehr malalignment on forearm rotation: a cadaveric study. J Hand Surg 22A:
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änderungen ( Abschn. 32.1.1). In diesen Fällen ist unter sorgfäl- Brunelli GA (2003) Dome-shaped osteotomy for distal radius fracture maluni-
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33

Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer


fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)
Markus Gabl, Rohit Arora

33.1 Allgemeines – 840


33.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 840
33.1.2 Epidemiologie – 844
33.1.3 Ätiologie – 845
33.1.4 Diagnostik – 845
33.1.5 Klassifikation – 848
33.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 850
33.1.7 Therapie – 850
33.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 853
33.2 Spezielle Techniken – 854
33.2.1 Technik der arthroskopischen Naht bei symptomatischem Riss des Dreieckknorpels – 854
33.2.2 Technik der arthroskopischen Refixierung bei ulnarem distalem Riss des Dreieckknorpels
– Palmer 1B – 854
33.2.3 Technik der Resektion der Ellengriffelspitze mit Reinsertion der distalen Anheftung des TFC – 854
33.2.4 Wafer-Operation nach Feldon – 854
33.2.5 Technik der intraartikulären Dekompressionsosteotomie des Ellenkopfes bei
Impingement-Beschwerden im ulnaren Handgelenkkompartiment nach Pechlaner – 854
33.2.6 Technik der extraartikulären Ulnaverkürzungsosteotomie – 856
33.2.7 Bandplastik nach Adams zur Stabilisierung des instabilen distalen Radioulnargelenks – 856
33.2.8 Arthrodese des distalen Radioulnargelenks mit Segmentresektion aus der Ulna
– Technik der OP nach Sauvé-Kapandji – 856
33.2.9 Technik der Hemiresektions-Interpositions-Arthroplastik nach Bowers – 857
33.2.10 Technik der Resektion der distalen Ulna nach Darrach – 859
33.2.11 Technik des hemiprothetischen Ersatzes des Ellenkopfes – 859
33.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 859
Weiterführende Literatur – 859

H. Towf gh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


840 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

33.1 Allgemeines

Diagnose und Therapie der funktionellen Störungen des distalen


Radioulnargelenks (DRUG) konnten in den letzten Jahren dank
der rasanten medizinisch-technischen Entwicklungen, insbeson-
dere im Bereiche der hochauflösende Weichteildarstellung durch
die Magnetresonanztomografie (MRT) und durch den erweiterten
Einsatz der Handgelenkarthroskopie, erleichtert und verbessert
werden.
Zusätzlich zu den von Palmer klassifizierten isolierten Schä-
digungsmustern des Diskuskomplexes (triangulärer fibrokartilagi-
närer Komplex, TFCC, oder ulnokarpaler Komplex) rückte in den
letzten Jahren zunehmend die Problematik der Instabilität der Ar-
ticulatio radioulnaris distalis (distales Radioulnargelenk, DRUG)
in den Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses.

33.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie


und Physiologie

Konzept der »distalen radioulnaren Funktionseinheit«


Neben der Handgelenkbewegung, Flexion bzw. Extension sowie
33 Ulna- bzw. Radialduktion stellen die Pronation bzw. Supination des
Unterarms in ihrer Kombination die hohe Mobilität der Hand in
ihrem täglichen Gebrauch sicher. Diese Bewegungsmuster müssen
unabhängig von der Gewichtsbelastung sowohl für die grobe Kraft
als auch für die Feinmotorik erhalten bleiben. ( Abschn. 31.1.1 und
 Abschn. 32.1.1)

Konzept des »biartikulären Gelenksystems«


nach Hagert
Das distale Radioulnargelenk (DRUG) ist zusammen mit dem
proximalen Radioulnargelenk (PRUG) verantwortlich für die Pro-
nations- und Supinationsbewegung der beiden Unterarmknochen
Elle (Ulna) und Speiche (Radius). Deren proximale »Rolle« (Caput
radii) lässt während der Umwendebewegungen eine axiale Ro-
tation und geringe Translation in der Incisura radialis der Ulna
zu. Dem steht eine weit ausgeprägtere »Schwingbewegung« des
distalen Radius mit seiner Incisura ulnaris um die Zirkumferenz
des Ulnakopfes als distale »Rolle« gegenüber. Dabei ist die Ulna das
statische Element während der Unterarmdrehung. Als bewegter
Knochen dreht sich der Radius um sich selbst. Die Drehachse der
Pro- und Supination verläuft schräg durch den Unterarm nahe ⊡ Abb. 33.1 Articulatio bicondylaris nach Hagert (1990). Articulationes
der Mitte des Radiuskopfes nach distal zum Ulnakopf. Der Radius radioulnares proximalis et distalis und Membrana interossea. (Aus Lanz u.
umfährt dabei die Außenfläche eines Kegelmantelsegments, das Wachsmuth 1959)
nach dorsal geöffnet ist. Die Basis des Kegels liegt distal, während
die Spitze in Höhe des humeroradialen Gelenkkompartiments der
Articulatio cubiti zu finden ist. Gleichzeitig kommt es während des Ulnakopfes. Neben den Gelenkkörpern und der Membrana
der Umwendbewegungen zu einer relativen »Translationsbewe- interossea trägt der ulnokarpale Komplex oder triangulärer fibrok-
gung« von Radius und Ulna, bei der die Ulna in Pronation eine artilaginärer Komplex (TFCC) wesentlich zur Stabilität des nicht
distale und in Supination eine proximale Position in Relation zum formschlüssigen distalen Radioulnargelenks (DRUG) bei.
Radius einnimmt. Dieses biartikuläre Gelenksystem nach Hagert Die Drehachse für Pronation und Supination ist nicht kons-
(1991) wird u. a. durch die Membrana interossea geführt und sta- tant, sie verläuft distal in einem umschriebenen Areal nahe dem
bilisiert (⊡ Abb. 33.1). Distale Speiche (Incisura ulnaris radii) und Zentrum des Ellenkopfes (⊡ Abb. 33.1). Das funktionelle Über-
Ellenkopf (Circumferentia articularis ulnae) sind die knöchernen kreuzen der beiden Unterarmknochen in Pronation führt zu einer
Komponenten des distalen Radioulnargelenks. Das DRUG bildet relativen Verkürzung des Radius im distalen Radioulnargelenk um
eine funktionelle Einheit mit dem proximalen Radioulnargelenk. etwa 1 mm, ein kraftvoller Faustschluss einer solchen um bis zu
Das distale Radioulnargelenk besteht aus 2 Kompartimenten: Zum 2 mm. In Pronation verschiebt sich daher die axiale Kraftvertei-
einen artikulieren die 180° messende Gelenkfläche des Ulnakopfes lung von der Radiusgelenkfläche zur Ellenseite hin. In neutraler
mit der nur 90° betragenden Pfannenkonkavität der Incisura ulna- Position des Handgelenks werden 20% der axialen Kraft über den
ris des Radius. Synchron gleitet der Discus ulnocarpalis (triangu- ulnaren Abschnitt und 80% über den Radius weitergeleitet. Bei
laris) während der Umwendbewegung über den distalen Bereich einer Ulna-plus-Variante von 2,5 mm steigt die auf die Elle über-
33.1 · Allgemeines
841 33

a b c d

⊡ Abb. 33.2 Formvarianten des Caput ulnae in Abhängigkeit von den distalen radioulnaren Lagepositionen. a Ulna-Null-Variante (Zylinder), b Ulna-plus-Variante
(Kugel), c Ulna-minus-Variante (schräg stehender Zylinder), d ausgeprägte Ulna-minus-Variante (Kegel)

⊡ Abb. 33.3 Drehung des Radius um die Ulna


bei der Umwendbewegung der Hand: In Neu-
tralstellung stehen beide radioulnaren Bänder
unter Spannung. In Pronation streicht das Lig. ra-
dioulnare dorsale (RUDL) über den Ulnakopf und
bleibt angespannt, während das Lig. radioulnare
palmare (RUPL) entspannt ist. Umgekehrt verhält
sich die Bandfunktion in Supination, bei der das
RUPL unter Anspannung gerät und das RUDL
erschlafft ist

tragene Kraft auf bis zu 42%. Es zeigte sich auch, dass bei Ulna- und somit die Funktion ungünstig beeinflussen. In dorsopalmarer,
minus-Varianten prozentual die gleiche Kraftverteilung vorliegt transversaler Ebene kann die Incisura ulnaris radii flach (42%),
wie bei Ulna-plus-Varianten, wobei der bei der Ulna-plus-Variante schiförmig (14%), C-förmig (30%) oder S-förmig (14%) erscheinen
dünnere Dreiecksknorpel häufiger rupturiert ist. Ekenstam (1984) (⊡ Abb. 33.2).
konnte nachweisen, dass in Radialabduktion des Handgelenks die Die knorpelbedeckte Oberfläche des meist sphärisch oder oval
Kraftverteilung auf den Dreiecksknorpel um 60%, in Pronation erscheinenden Ellenkopfes ist deutlich größer als jene der Incisura
und Ulnarduktion um 150%, bezogen auf die Werte in Neutralpo- ulnaris radii, deren Segmentwinkel in der Transversalebene mit
sition, zunimmt. durchschnittlich 60° geringer ist, als jener des Ellenkopfes mit
durchschnittlich 100°. Der Radius der Incisura ulnaris radii ist mit
Knöcherne Strukturen (ulnokarpaler Komplex) 19 mm größer als jener des Ellenkopfes mit 10 mm. Diese ana-
Die Facetten des distalen Radioulnargelenks (DRUG) formen ein tomischen Gegebenheiten führen zu einer relativen Inkongruenz
nicht kongruentes Radgelenk, dessen Stabilität passiv durch den der Gelenkflächen mit geringem, punktuellem Gelenkkontakt, sie
Diskuskomplex mit seinem diffizilen Bandapparat (TFCC) und der führen auch dazu, dass die Umwendbewegungen der Hand über
Membrana interossea, aktiv durch Muskel- und Sehnenstrukturen, mehrere Drehzentren im Ellenkopf nahe dem distalen Radioul-
welche die Unterarmdrehachse queren, gewährleistet wird. nargelenk im Sinne einer Rotation und Translation in allen drei
Die Form des distalen Radioulnargelenks ist variabel, die Raumebenen verlaufen (⊡ Abb. 33.3).
Längsachse der Incisura ulnaris radii kann parallel zur Radius-
> Die Pronation führt zu einer relativen Proximalisierung der
längsachse verlaufen, von dieser jedoch auch signifikant nach ra-
Speiche im distalen Radioulnargelenk von 1 mm. Niveau-
dial oder ulnar abweichen. Mit zunehmender Abweichung wächst
veränderungen im distalen Radioulnargelenk während der
die Häufigkeit degenerativer Veränderungen. So steigt z. B. bei
Umwendbewegungen müssen bei der Planung von Längen-
zunehmendem Winkel zwischen Längsachse der Elle und Neigung
korrekturen bedacht werden, die Röntgenaufnahmen zur
der Incisura ulnaris radii die Arthrosehäufigkeit. Auch kann der
präoperativen Planung sollten daher in Neutralstellung des
Ellenkopf die ulnare Radiusgelenkfläche nach distal überragen
Handgelenks (»Handgelenk-Normaufnahme«) angefertigt
(Ulna-plus-Stellung), auf gleichem Niveau (Ulna-Null-Stellung)
werden.
oder proximal davon (Ulna-minus-Stellung) enden. Die Längs-
ausdehnung der Knorpelfläche beträgt an der Incisura ulnaris
radii etwa 8 mm, an der korrespondierenden Ellengelenkfläche Kapsel-Band-Strukturen
in etwa 7 mm. Außerordentliche Veränderungen der Längenver- Anatomisch besteht der ulnokarpale Komplex (⊡ Abb. 33.4) aus
hältnisse (posttraumatisch oder operativ) können die Kongruenz den in der folgenden Übersicht aufgeführten Bestandteilen:
842 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

Discus ulnocarpalis (Discus articularis; »triangular fibroc-


Bestandteile des ulnokarpalen Komplexes artilage«). Der Dreiecksknorpel (TFC) gleicht einer Hängematte,
▬ Discus ulnocarpalis (Discus articularis; »triangular fibrocarti- die ulnar proximal in der Fossa ulnaris und an der Spitze des
lage«) Ellengriffels, sowie radial an der Kante der Incisura ulnaris radii
▬ Lig. radioulnare palmare und dorsale ansetzt. Im anteroposterioren Schnittbild ergibt sich die Form ei-
▬ Lig. ulnolunatum nes Schwalbenschwanzes.
▬ Lig. ulnotriquetrum
▬ Lig. ulnocapitatum Lig. radioulnare palmare und dorsale. In Supination sind die
▬ Meniscus ulnocarpalis (»meniscus homologue«) palmaren oberflächlichen und die dorsalen tiefen radioulnaren
▬ Recessus ulnaris (»prestyloid recess«) Bänder gespannt, in Pronation die oberflächlichen dorsalen und
▬ Lig. collaterale carpi ulnare tiefen palmaren Strukturen (⊡ Abb. 33.5).
▬ Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris
Lig. ulnolunatum. Das Lig. ulnolunatum verläuft von der palma-
ren Kante des Caput ulnae zur palmaren Fläche des Os lunatum
Die knorpeligen (avaskulären) Anteile übertragen die Druck- und ist die direkte Fortsetzung des kurzen Lig. radiolunatum und
kräfte, die ligamentären (vaskularisierten) Anteile des Diskuskom- kann von diesem Band nur aufgrund des Ursprunges abgegrenzt
plexes (TFCC) sind wesentlich für die Stabilisierung des distalen werden.
Radioulnargelenks und des Karpus. Die distalen radioulnaren Li-
gamente entspringen dorsal bzw. palmar an der distalen Kante der Lig. ulnotriquetrum. Das Lig. ulnotriquetrum verläuft von der
Incisura ulnaris radii und ziehen zum ulnaren Ansatz in die Fossa palmaren Kante des Caput ulnae zur palmaren Fläche des Os tri-
ulnaris radii am Ellenkopf, wo sich ihre Fasern kreuzen und bei quetrum. Dieses Band zeigt einen komplexen Aufbau und entsen-
Rotation ineinander verdrehen. Die oberflächliche, distale Por- det unterschiedliche Faserzüge zu den verschiedenen Strukturen
33 tion der radioulnaren Ligamente umfasst den Dreiecksknorpel, des ulnokarpalen Komplex wie dem Lig. radioulnare palmare, der
während die tiefe Portion proximal an der Fovea ulnaris ansetzt Sehnenscheide des ECU und als Lig. triquetrohamatum zum Os
(⊡ Abb. 33.4b,c). hamatum und der Basis des Metakarpale V. Im Bereich dieses Band

Oberflächliche Schicht des TFCC


Triquetrum mit Discus ulnocarpalis

Lig. collaterale carpi ulnare Lunatum Meniscus ulnocarpalis

Akzessorischer Bandzug
Praestyloidaler Recessus
Meniscus ulnocarpalis

Lig. radiotriquetrum dorsale


Radius tiefe Schicht des TFCC mit
Lig. radioulnare dorsale
Lig. subcruentum

b
a Ulna

Lig. ulnotriquetrum
Lig. ulnolunatum
Lig. collaterale carpi ulnare Lig. collaterale carpi ulnare
Recessus ulnaris
Meniscus ulnocarpalis Meniscus ulnocarpalis

Lig. ulnotriquetrum Discus ulnocarpalis

Lig. ulnolunatum Lig. radioulnare dorsale

Lig. radioulnare palmare Membrana interossea

c d

⊡ Abb. 33.4 Ulnokarpaler Komplex. a Ansicht von dorsal, b Ansicht von dorsal (Histologiescher Schnitt), c Ansicht von palmar, d Ansicht von distal
33.1 · Allgemeines
843 33
ist ein konstanter kreisrunder Defekt zu finden. Die ist der Eingang
zum Recessus ulnaris.

Lig. ulnocapitatum. Das Lig. ulnocapitatum verläuft von der


palmaren Kante des Caput ulnae zur palmaren Fläche des Os
capitatum. Es ist das oberflächlichste palmare Band und bildet
zusammen mit dem radioskaphokapitären Band das sog. palmare
distae V-Band.

Meniscus ulnocarpalis. Ohne sichtbaren Übergang entwickelt sich


von den dorsalen und ulnaren Kanten des Discus ulnocarpalis und
vom Proc. styloideus ulnae ein vertikal ausgerichteter Meniscus ulno-
carpalis (»ulnocarpal meniscus homologue«). Er besteht aus dichtem
faserigem Bindegewebe ohne spezielle Differenzierung und ohne
Knorpelzellen. Seine Fasern konvergieren vom ulnaren Griffelfort-
satz aus nach distal. Sie sind an der palmaren ulnaren Fläche des Os
triquetrum befestigt. Außen (ulnar) liegen ihm Fasern des ulnaren
a Kollateralbands an (⊡ Abb. 33.4a). Der Meniscus hat eine durch-
schnittliche ulnare Länge von 15,1 mm und eine durchschnittliche
radiale Länge von 10,0 mm. Er ist etwa 2 mm dick und enthält in sei-
nem Mittelteil die Öffnung für den Eingang in den Recessus ulnaris
(»prestyloid recess« (⊡ Abb. 33.4b). Diese ist in 74% sehr eng, in 11%
dagegen ausgesprochen weit. Dadurch wird eine physiologische Ver-
bindung zum ulnokarpalen Gelenkraum möglich. In 15% ist keine
sichtbare Öffnung vorhanden. Hier kommuniziert der Recessus ulna-
ris dann mit der Gelenkhöhle der Articulatio radioulnaris distalis.

Recessus ulnaris. Als synoviale Aussackung des ulnokarpalen


Kompartiments besitzt der regelhaft angelegte Recessus ulnaris
(⊡ Abb. 33.4b, ⊡ Abb. 33.5 und ⊡ Abb. 33.6) eine enge topografische
Beziehung zum Proc. styloideus ulnae (»prestyloid recess«). Sein
arthroskopisch darstellbarer Eingang befindet sich im Bereich des
Lig. ulnotriquetrum (s. oben). In 62% liegt der ulnare Recessus
streng palmar, in 16% ist er radiopalmar, in 10% apikal und in
1,6% ulnopalmar orientiert (⊡ Abb. 33.6). Seine räumliche Ausdeh-
b
nung zeigt unterschiedliche Formgestaltungen: sackförmig (38%),
gestreckt-tubulär (18%), zapfenförmig (18%) oder zungenförmig-
⊡ Abb. 33.5 Caput ulnae bei Pronation und Supination. a In Pronation wird
abgeplattet (13%). In Abhängigkeit von der Länge und Ausfor-
der Ellenkopf an die dorsale Begrenzung der Incisura ulnaris radii gepresst,
das dorsale distale oberflächliche radioulnare Band (DRUL d) ist gespannt
mung des Proc. styloideus ulnae dehnt sich der Recessus ulnaris
ebenso das in der Fovea ulnaris inserierende palmare tiefe proximale radio- zwischen 3 und 6 mm tief aus. Dadurch ist er auf Arthrografien
ulnare Band (DRUL p). b In Supination drückt der Ellenkopf an die palmare deutlich zu erkennen.
Begrenzung der Incisura ulnaris radii. Das palmare distale oberflächliche
radioulnare Band (DRUL d) und das dorsale proximale tiefe radioulnare Band Lig. collaterale carpi ulnare. Das Lig. collaterale carpi ulnare bil-
(DRUL p) sind angespannt det den ulnaren Rand des ulnokarpalen Komplexes (⊡ Abb. 33.4a,b).

10%

1,6%

62% 16%

⊡ Abb. 33.6 Lokalisation der Recessus ulnares von distal und palmar gesehen
844 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris. Als ein wei- Kapsel zwischen dem 5. und 6. Sehnenscheidenfach unter dem
terer stabilisierender Bestandteil sowohl des ulnokarpalen Kom- Retinaculum extensorum. Der Faserzug ist in Pronation gespannt
plexes als auch des distalen Radioulnargelenks ist die etwa 50 mm und in Supination entspannt. Der von der Membrana interossea
lange Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris aufzufassen. palmar in die Gelenkkapsel einstrahlende Anteil der Membrana
Zusammen mit den infratendinösen Faserlamellen des Retina- interossea wurde von Fick als »Septum falciforme« beschrieben
culum extensorum im Bereich des Strecksehnenfachs und dem (⊡ Abb. 33.8). Es entspringt im Mittel 3 mm breit an der weit distal
Lig. radioulnare dorsale zügelt die Sehnenscheide den Ulnakopf gelegenen Nische zwischen Radius und Ulna an der Membrana
in seiner gelenkigen Verbindung mit dem Radius. Durch ihre interossea, ist etwa 2 mm dick und zieht mit einer mittleren Länge
enge Faserverbindung mit dem ulnokarpalen Komplex wird die von 12,6 mm – bedeckt von der tiefen Portion des M. pronator
Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris vor allem dorsoul- quadratus – zur Kapsel des distalen Radioulnargelenks. In Pro-
nar fest fixiert. Der ulnokarpale Komplex wirkt als Widerlager nation deutlich erschlafft, spannt es sich in Supination stark an.
(»pulley«) für den ulnaren Handgelenkstrecker und verhindert Es wirkt folglich kapselstraffend und stabilisiert den Ulnakopf im
einen gelenkmechanisch ungünstigen Bogensehneneffekt (»bow Sinne einer Zügelung in Supination.
stringing«; ⊡ Abb. 33.4a–c). Schräge Fasern dorsaler radiotrique-
traler Bänder und quere Fasern des Lig. intercarpale dorsale Dynamische (muskuläre) Stabilisatoren
vervollständigen diesen Zügelungskomplex als das sog. dorsale Wesentliche muskuläre Stabilisatoren sind der M. pronator quad-
V-Band. Es schließt auch Fasern mit ein, die schlingenförmig ratus, der M. pronator teres, der M. supinator sowie der M. biceps
um die ulnare Seite des Os triquetrum herumziehen. Sie setzen brachii.
sich kontinuierlich in die Gelenkkapsel der Articulatio ossis
pisiformis fort und verlaufen von hier als Fasern des Lig. radiolu-
notriquetralis als sog. Gelenkschleuder nach Pauwels zum Radius 33.1.2 Epidemiologie
zurück (⊡ Abb. 33.7).
33 Mikic (1978) untersuchte ein Patientengut, bei dem keine Trauma-
Kapsel des distalen Radioulnargelenks (DRUG). Die Gelenk- anamnese bestand und fand bei Patienten unter dem 20. Lebens-
kapsel ist vom Diskuskomplex deutlich abgrenzbar und wird dorsal jahr keine Perforation des Dreieckknorpels (TFC), ab dem 50. Le-
und palmar durch den einstrahlenden Zügel der Membrana inter- bensjahr hingegen zeigten alle Patienten mit und ohne Trauma-
ossea verstärkt (s. oben). anamnese Anzeichen einer Degeneration, ab dem 60. Lebensjahr
wiesen bereits 50% dieses Patientenkollektivs eine Perforation des
Membrana interossea Dreieckknorpels auf. Er schloss daraus, dass nicht alle Schädigun-
Die interossäre Membran des Unterarms verbindet Radius und gen des Diskuskomplexes klinisch relevant, sondern vielmehr als
Ulna nahezu in ganzer Länge. Neben der Chorda obliqua stabi- altersabhängige Zufallsbefunde zu werten sind.
lisiert vor allem das »zentrale Band« im Mittelabschnitt die ra-
dioulnaren Gelenke bei der axialen Kraftübertragung. Der distale
Anteil der Membrana interossea strahlt dorsal und palmar in die
Gelenkkapsel des DRUG ein. Der dorsal in die Gelenkkapsel des
DRUG einstrahlende Anteil der Membrana interossea ist etwa
8 mm breit, 1 mm dick und 3 cm lang und entspringt von der
Dorsalseite der Membrana interossea (⊡ Abb. 33.1). Er setzt dorsal
an der Kapsel des distalen Radioulnargelenks an, umfängt den
Ulnakopf schlingenartig und sichert damit eine Schwachstelle der

⊡ Abb. 33.8 Septum falciforme nach Fick. Palmare Verstärung der Gelenk-
⊡ Abb. 33.7 Radioulnare Gelenkschleuder nach Pauwels. (Aus Koebke 1988) kapsel ausgehend von der Membrana interossea
33.1 · Allgemeines
845 33
33.1.3 Ätiologie Distales Radioulnargelenk (DRUG)
Im Bereich des distalen Radioulnargelenks (DRUG) lassen sich
Nach Palmer (1981) kann eine traumatische Schädigung des 3 wesentliche Pathologien unterscheiden: Instabilitäten, Inkongru-
Diskuskomplexes von degenerativen Veränderungen abgegrenzt enzen und Arthrosen.
werden. Degenerative Veränderungen des Dreieckknorpels sind
vorwiegend druckbedingt, sie werden als Folge einer ulnaren Im- Instabilität des DRUG
paktion erklärt, bei der der zentrale Anteil des Dreieckknorpels Die Ursache einer Instabilität des DRUG kann posttraumatischer,
zwischen Ellenkopf und proximaler Handwurzelreihe eingeklemmt habitueller oder degenerativer Natur sein, wobei sowohl an eine
wird. In Folge kann der TFC zentral ausgedünnt werden und Schädigung der Gelenkkörper als auch der passiven und/oder
letztlich perforieren. Der angrenzende Gelenkknorpel wie auch aktiven Stabilisatoren zu denken ist. Sie kann sich in einer symp-
der lunotriquetrale Bandapparat werden geschädigt, dies wiede- tomatischen Subluxation oder Luxation der Speiche nach palmar
rum fördert die Instabilität und arthrotische Veränderungen. Ein oder dorsal äußern.
kraftvolles repetitives Greifmuster in Pronation und Ulnarduktion Die Subluxation führt zu wechselnden, belastungsabhängigen
werden als Ursache angenommen, es können jedoch auch syste- Beschwerden, wobei Schwierigkeiten angegeben werden, die Hand
mische Grunderkrankungen zu degenerative Veränderungen des in endlagiger Rotation unter Last zu stabilisieren (⊡ Abb. 33.9).
Dreieckknorpels führen. Bei der Inspektion kann sich eine Einziehung der Weichteil-
Traumatische Rissbildungen des Diskuskomplexes sind Folge kontur wie auch ein prominenter Ellenkopf zeigen (⊡ Abb. 33.10).
dislozierender Krafteinwirkung auf das distale Radioulnargelenk. Ein passiv durchgeführter dorsopalmarer Translationstest ohne
Sie sind vorwiegend Begleitverletzungen bei Hyperextensionst- festen Anschlag (»Klaviertasten-Zeichen«) kann als positiver kli-
raumen des Handgelenks. Bei distalen Radiusfrakturen kommt nischer Befund gewertet werden. Eine komplexe Schädigung liegt
es vorwiegend zur ulnaren Desinsertion des Diskuskomplexes, vor, wenn die Hand dabei in Radialduktion gehalten wird und der
mit oder ohne knöcherne Beteiligung des Ellengriffels. Die ra- ulnare Abschnitt des TFC maximal gespannt sein sollte. Der »Tab-
diale Desinsertion wird bei intraartikulären Radiusfrakturen als le-press-Test«, ausgeführt mit Druck der flachen Hand bei freiem
Abriss- bzw. als Abscherverletzung gesehen. Während knöcherne Handgelenk auf die Ober- oder Unterseite einer Tischfläche, führt
Abrisse des Ellengriffels oder Frakturen an der Incisura ulnaris ebenfalls zu einer im Seitenvergleich nach palmar oder dorsal ver-
radii in der Röntgenbildgebung gut darstellbar sind, können mehrten symptomatischen Einziehung der Weichteile über dem
rein ligamentäre Verletzungen der Erstdiagnostik leicht entge- distalen Radioulnargelenk. Komplette Luxationen können auch
hen. Diese Rupturen sind gehäuft ulnar distal nahe dem Kol- verhaken und zu einer Druckschädigung des N. ulnaris führen.
lateralband, ulnar proximal in der Fovea ulnaris oder kombi- Im Nativröntgen weist ein Basisabriss des Ellengriffels (mit Des-
niert zu finden und führen unbehandelt zu einer Instabilität insertion des Ansatzes in der Fovea ulnaris) ebenso auf eine Instabi-
des Dreieckknorpels bzw. des distalen Radioulnargelenks. Bei lität des distalen Radioulnargelenks hin, wie ein druckschmerzhafter
maximaler Rotation treten am radialen Ansatz des Diskuskom- pseudarthrotischer Ellengriffel. Komplexe Instabilitäten können mit
plexes erhebliche Zugkräfte auf, die dort zu Abrissverletzun- »gehaltenen Aufnahmen« und »cineradiografisch« dokumentiert
gen der radioulnaren Bänder führen können, aber auch ra- werden. Zur genaueren Bestimmung eignen sich frontale CT-Abbil-
diopalmare und radiodorsale Rissformen des Dreieckknorpels dungen im Seitenvergleich, wobei die »Radioulnar-Ratio-Methode«
bewirken ( Kap. 31). Weitere posttraumatische Störungen der als eine aussagekräftig Messmethode erscheint.
Umwendbewegung können auftreten als Folge der Galeazzi-
Fraktur, der Moore-Fraktur, der Essex- Lopresti-Verletzung, als Inkongruenzen und Arthrose
Folge unterschiedlicher Abrissfrakturen des Ellengriffels, perilu- Knöcherne oder weichteilbedingte Instabilitäten des DRUG füh-
närer Luxationen bzw. Luxationsfrakturen ( Kap. 28), wie auch ren zu einer Arthrose. Die Verdachtsdiagnose einer Arthrose im
als Folgen einer postraumatischen oder rheumatischen Arthri-
tis (RA;  Kap. 52), angeborener oder erworbener Längenunter-
schiede der Unterarmknochen, fixierten Rotationsdeformitäten
der Madelung-Deformität ( Kap. 21) sowie der mitunter schwer
erkennbaren Instabilitäten der Sehne des ulnaren Handgelenk-
streckers.

33.1.4 Diagnostik

In die Abklärung des unklaren ulnaren Handgelenkschmerzes sind


auch extraartikuläre Pathologien einzubeziehen. Differenzialdia-
gnostisch zu erwähnen sind Ganglien, Tumore, Tenosynovitiden,
die Subluxation und Luxation der Sehne des M. extensol carpi ul-
naris, Arthritiden, rheumatische Arthritis, Aneurysmen, Neurome
etc. Für die Untersuchung des ulnaren Handgelenks hat sich ein
⊡ Abb. 33.9 Waiters-Test nach Kapandji. In Position I wird die Fähigkeit der
standardisiertes Vorgehen bewährt.
kompletten Extension und Supination geprüft. In Position II wird die Kraft
Nach Brüser (2004) lassen sich 4 Komplexe unterscheiden: des Handgelenks in vertikaler Stellung und Supination (axiale Belastung)
1. distales Radioulnargelenk (DRUG), geprüft. Der Test ist positiv, wenn ein Tablett mit einem Glas Wasser gehalten
2. Ulnokarpalgelenk, werden kann, ohne dass das Wasser verschüttet wird. In Position III wird die
3. ulnarer Karpus, Stabilität des Handgelenks bei Ellbogenstreckung (horizontale Lage) und
4. Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris. kompletter Supination geprüft. (Aus Nakamura et al. 1992)
846 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

⊡ Abb. 33.10 Translationsverschiebetest. a Dorsalverschiebung der Speiche ⊡ Abb. 33.11 Ulna-Impakt-Syndrom. Die longitudinale Subluxation der Elle
mit festem Anschlag und ohne Vorspringen des Ellenkopfes, b Palmarver- nach distal führt zur vermehrten Druckbelastung des Dreieckknorpels (TFC-
33 schiebung der Speiche mit weichem Anschlag, Einziehung der Weichteil- Asterix), der im Kontaktbereich zwischen Ulnakopf und Os Lunatum ruptu-
kontur streckseitig mit Ausprägung einer Delle (Instabilität des« Ellenkopfes riert ist. Der Knorpel am Ellenkopf ist stark ausgedünnt. Das LT-Band scheint
nach palmar«) erhalten (Kryoschnitttechnik nach A. Kathrein)

DRUG wird klinisch gestellt, wenn neben einer schmerzhaften zystische Veränderungen im Mondbein, Dreieckbein oder Ellen-
Pro-/Supinationsbewegung der proximale Druck auf Radius und kopf als einen indirekten Hinweis auf eine Druckschädigung.
Ulna zu »Fernschmerzen« im DRUG führt. Die Diagnose wird in Zur selektiven Diagnostik dienen besonders die Dreikompart-
der Regel radiologisch und/oder im CT gestellt. mentarthrografie, die MRT, das Arthro-CT und die Arthroskopie,
welche als goldener Standard in der Diagnostik betrachtet werden
Ulnokarpalgelenk kann. Als nichtinvasives Verfahren ist die MRT mit Kontrast
Das Ulnokarpalgelenk besteht aus dem Discus ulnocarpalis mit sei- – durchgeführt mit einer Handspule und befundet von einem
nen komplexen Bandstrukturen, die dem Ulnakopf teils aufliegen handchirurgisch versierten Radiologen – von hoher Aussagekraft,
und damit das DRUG nach distal abschließen und gleichzeitig sta- da zusätzlich auch extraartikuläre Strukturen beurteilt werden
bilisieren. Distaler Partner ist der gegenüberliegende »lunotrique- können, die der Arthroskopie entgehen.
trale« Handwurzelblock, wobei Os lunatum und Os triquetrum
zusätzlich miteinander artikulieren. Symptomatischer Riss des Dreieckknorpels (TFC)
Im Bereich des Ulnokarpalgelenks können ebenfalls 3 Patholo- Ein symptomatischer Riss des Dreieckknorpels kann ein Klicken,
gien unterscheiden: Ulna-Impakt-Syndrom, symptomatische Ein- Blockieren oder Schnappen verursachen. Palpatorisch weist ein
risse des Dreieckknorpels und Instabilität des TFCC. Druckschmerz palmar des Ellengriffels auf eine Pathologie des ul-
naren Ansatzes des Diskuskomplexes oder auf entzündliche Verän-
Ulna-Impakt-Syndrom (ulnares Anschlagsyndrom) derungen des prästyloiden Recessus hin. Im Nativröntgen ist eine
Das symptomatische Ulna-Impakt-Syndrom ist Folge eines post- knöcherne Begleitverletzung auszuschließen. Der Riss ist mittels
traumatisch oder degenerativ bedingten Engpasses zwischen proxi- MRT (⊡ Tab. 33.1) oder in der Arthrografie nachweisbar und kann
maler Handwurzelreihe und Ellenkopf. Es ist charakterisiert durch nach positiven Vorbefunden in der Arthroskopie bestätigt werden.
eine Druckschädigung des Diskuskomplexes bei intakter ligamen-
tärer Führung (⊡ Abb. 33.11). Klinisch besteht eine belastungsab- Instabilität des TFCC
hängige Schmerzsymptomatik, vorwiegend in Pronation und unter Die Instabilität des TFCC führt zur Verlagerung des Dreieck-
axialer Kraftaufwendung. Besteht ein Riss des Dreieckknorpels, knorpels mit symptomatischer Einklemmung zwischen proximaler
kann auch hier ein Schnappen, Klicken oder Blockieren auftreten. Handwurzelreihe und Ellenkopf, dem Impingement-Syndrom. Der
Bei der Palpation ergibt sich ein Druckschmerz über dem Diskus- Patient gibt belastungsabhängige Schmerzen über dem ulnaren
komplex. Der passiv geführte Impingement-Test ist positiv. Handgelenkkompartiment an, häufig in Pronation und Extension.
Im standardisierten Röntgenbild des Handgelenks (»Handge- Die Untersuchung ergibt einen positiven Impingement-Test. Dabei
lenknormaufnahme«), Schulter abduziert auf 90°, im Ellbogen- führt die forcierte Durchbewegung des Handgelenks in der Fron-
gelenk gebeugt auf 90° und dem Mittelfinger ausgerichtet nach talebene zur symptomatischen Kompression des Dreieckknorpels
der Radiuslängsachse und eingeschwenktem, auf das Lunatum in Ulnarposition. Im Nativröntgen kann ein (pseudarthrotischer)
zentriertem Leitstrahl, können Längenunterschiede im distalen Ra- Abriss des Ellengriffels oder dessen Dislokation auf eine mögliche
dioulnargelenk im Seitenvergleich gemessen werden, wobei die am Instabilität des Dreieckknorpels hinweisen. Mit der dynamischen
häufigsten angewendeten Messmethoden als gleich aussagekräftig Aufzeichnung standardisierter MRT-Sequenzen während der Ul-
gelten. Das Nativröntgen zeigt zusätzlich arthritische und/oder nar- und Radialduktion, können unterschiedliche Pathologien des
33.1 · Allgemeines
847 33

⊡ Tab. 33.1 MRT-Befunde der posttraumatischen Läsionen des TFCC in der Klassifikation nach Palmer. (Mod. nach Schmidt et al. 2004)

Typ Pathoanatomie MRT-Zeichen Ce-T1-Sequenz (FS) MR-Arthrografie


Native T2-/T2*-Sequenz

IA Schlitzförmiger Riss im Flüssigkeitsäquivalentes Signal im Keine Kontrastmittelan- Kontrastmittel im radialseitigen


radialseitigen Diskusab- radialen Diskusabschnitt mit vertikal reicherung (avaskuläres Diskusriss und Kommunikation
schnitt linearem Verlauf Segment) zum distalen Radioulnargelenk

IB Diskusabriss vom Proc. sty- Flüssigkeitsäquivalentes Signal am Kontrastmittelanreicherung Kontrastmittel zwischen Diskus
loideus ulnae Proc. styloideus ulnae am Proc. styloideus ulnae und Proc. styloideus ulnae und
(vaskularisiertes Segment) mit Übertritt in das distale Radio-
ulnargelenk

Häufig Fraktur des Instabilität im distalen Radioulanr-


Proc. styloideus ulnae gelenk

IC Osteoligamentäre Avulsion Lig. ulnolunatum oder Lig. ulnotriquet- Palmarseitige Kontrastmittel- Fakultativ Kontrastmitteldepot
des Lig. ulnolunatum oder rum mit flüssigkeitsäquivalenten Sig- anreicherung (vaskularisier- palmarseitig, aber keine Kommu-
des Lig. ulnotriquetrum naleinschluss in sagittalen Schichten; tes Segment) nikation zum distalen Radioul-
evtl. palmare Translokation von Luna- nargelenk
tum bzw. Triquetrum

ID Diskusabriss an der Incisu- Diskus durch flüssigkeitsäquivalenten Keine Kontrastmittelanrei- Kontrastmitteldepot zwischen
ra ulnaris radii Signaleinschluss von der Incisura ulna- cherung am Diskus (avasku- Diskus und Incisura ulnaris radii
ris radii getrennt läres Segment) sowie Kommunikation zum dis-
talen Radioulnargelenk

Häufig mit Radiusfraktur Kontrastmittelanreicherung


in Ligg. radioulnaria (vaskula-
risiertes Segment)

⊡ Abb. 33.12 Funktionstest im Bereich des


ulnokarpalen Komplexes. a Positiver Hook-Test:
Bei ulnarer Instabilität des Dreieckknorpels (TFC)
kann dieser mit dem Tasthaken vom distalen
Radioulnargelenk aus in das Radiokarpalgelenk
vorgewölbt werden, falls die proximale tiefe
radioulnare Bandstruktur insuffizient ist (Optik
Portal 3, Haken DRUG). b Positiver Push-Test: Der
ulnare Rand des Dreieckknorpels ist mit dem
Tasthaken nach radial und distal zu verschieben.
Die ulnare distale Anhaftung des Dreieckknorpels
fehlt bis unter die Sehnenscheide des M. extensor
carpi unaris, die ulnare proximale Anheftung ist
a b
ebenfalls insuffizient

Impingement differenziert werden. In unsere Studie konnte Ru- Ulnarer Karpus


disch festhalten, dass die Einklemmung des Dreieckknorpels in Erkrankungen des ulnaren Karpus gehen in der Regel nicht mit ei-
Ulnarduktion des Handgelenks am häufigsten vorkommt. Dabei ner schmerzhaften Unterarmdrehbewegung einher, sondern bieten
liegt der Engpass in 24% zwischen Ulnakopf und Os triquetrum, ein isoliertes Schmerzbild im ulnaren Handgelenkbereich distal
in 19% zwischen Ulnastyloid und Os triquetrum und in 11% nicht des Proc. styloideus ulnae in Höhe des gut tastbaren Os pisiforme.
am Ulnakopf selbst sondern in der Incisura ulnaris radii zwischen Im Bereich des ulnaren Karpus können 4 Pathologien unter-
Os triquetrum oder Os lunatum. In Radialduktion findet die Ein- schieden werden: triquetrales Impingement nach Watson und Wein-
klemmung zwischen Ulnakopf und Os lunatum statt (42%). Es ist zweig (1999), lunotriquetrale Bandläsionen, Pisotriquetralarthrose
damit ein direkter Nachweis der Lokalisation der Einklemmung und Ansatztendopathie der Sehnen des M. flexor carpi ulnaris.
und der Bewegungsrichtung möglich, der selbst in der Arthros-
kopie verborgen bleibt, da diese erforderlicherweise in Extension Triquetrales Impingement (TILT) nach Watson u. Weinzweig
durchgeführt werden muss. In der Arthroskopie weist ein positiver (1999)
Push-Effekt mit Radialverschiebung und Aufwerfung des Dreieck- Dieses Syndrom wird durch eine Verletzung der radiotriquetralen
knorpels auf eine Schädigung der proximalen ulnaren Anhaftung Gelenkschleuder (⊡ Abb. 33.8) hervorgerufen. Klinisch findet sich
des Diskuskomplexes hin (⊡ Abb. 33.12b). Fehlt der Trampolinef- in Höhe des Os triquetrum an der ulnaren Handkante meist eine
fekt, weist dies auf einen distalen Abriss des Dreieckknorpels hin. schmerzhafte Schwellung. Anamnestisch wird regelmäßig ein Hy-
848 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

perextensionstrauma angegeben, radiologische Veränderungen fin- ulnaris mitunter auch Schmerzen im muskulären Bereich angege-
den sich nicht. Die Diagnose wird im Ausschlussverfahren gestellt. ben. Bei Rotation des Unterarmes ist die Verlagerung derSehene
Die Therapie besteht in einer Dekompression des Os triquetrum meist als Schnappen zu tasten. Die Subluxation und eine reaktive
durch Exzision der komprimierenden Bandanteile. Synovialitis sind am besten im Ultraschall oder in der dynami-
schen MRT nachzuweisen.
Lunotriquetrale Bandläsionen
Lunotriquetrale Bandläsionen können posttraumatisch – LT-Diss- Caput-ulnae-Syndrom  Abschn. 52.1.1
soziation ( Abschn. 29.1.6.2), Lunatumfraktur ( Abschn. 26.1.7.1.2),
entzündlich und/oder degenerativ bedingt sein. Während bei der
statischen Dissoziation eine VISI-Stellung des Os lunatum die 33.1.5 Klassifikation
Diagnose erhärten kann, lässt sich die dynamische Form bei ent-
sprechendem positivem klinischem LT-Ballotment-Test ( Ab- Klassifikation der Läsionen des TFCC nach Palmer
schn. 32.1.4) mit größter Sicherheit nur arthroskopisch stellen. Hier- Zur Einstufung einer Schädigung des Diskuskomplexes wird die
bei finden sich dann Zerreißungen oder Zottenbildungen des Klassifikation nach Palmer (1981) am häufigsten verwendet. Im
lunotriquetralen Bandapparates. Unterschied zur Mayo-Klassifikation, welche sich vorwiegend auf
die Lokalisation und Rissformen nahe der Incisura ulnaris radii –
Pisotriquetralarthrose zentral, ulnar, palmar – bezieht, berücksichtigt die Einteilung nach
Bei pisotriquetraler Arthrose werden die Beschwerden über dem Palmer auch die Pathogenese. Mit ihr können auch die funktionel-
gut tastbaren Os pisiforme durch Druck und Verschiebung mit len Störungen des Diskuskomplexes weitgehend erklärt werden. So
Druck ausgelöst. Radiologisch können auf der Pisiforme-Spezi- werden in der Klasse 1 nach Palmer traumatische Rissformen des
alaufnahme (HG lateral in 20° Supination) eine Minderung der Diskuskomplexes nach Lokalisation der geschädigten Struktur er-
Gelenkhöhe und eventuell Zeichen einer Osteoarthrose gefunden fasst und ein radialer und ulnarer Riss des Diskuskomplexes sowie
33 werden. Die Injektion eines Lokalanästhetikums in das Pisotrique- ein Riss der ulnokarpalen Bänder oder ein Abriss der radioulnaren
tralgelenk bewirkt sofortige Schmerzfreiheit und beweist zusam- Bandstrukturen vom Radius berücksichtigt. In der Klasse 2 nach
men mit einer seitlichen Röntgenaufnahme die Diagnose. Palmer werden degenerative Veränderungen des Diskuskomplexes
zusammengefasst, wobei gemäß dem Ausmaß des Druckschadens
Ansatztendopathie der Sehnen des M. flexor carpi ulnaris eine zentrale Degeneration des Dreieckknorpels, eine zentrale De-
Bei der Ansatztendopathie der Sehne des M. flexor carpi ulnaris generation des TFC mit Chondromalazie, eine Degeneration des
findet sich das Punctum maximum des Schmerzes im Bereich des TFC mit Rissbildung und ein Knorpelschaden am Mondbein und
Os pisiforme. Der Schmerz kann auch entlang des Sehnenverlaufs am Ellenkopf, ausgedehnte Rissbildung und lunotriquetrale Schä-
in den ulnopalmaren Unterarm austrahlen. Typisch ist eine Auslö- digung und Ruptur bis zur degenerativen Arthritis des ulnokarpa-
sung durch repetitive Bewegungen. len Gelenkkompartiments zu finden sein kann (⊡ Abb. 33.13).
Der ulnare Diskusschaden 1B kann in der MRT in einen dista-
Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris len, einen proximalen oder kombinierten Abriss unterteilt werden,
Erkrankungen der Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris ge- sie können in der Arthroskopie durch Fehlen des Trampolineffekts
hen in der Regel mit einer schmerzhaften Unterarmdrehbewegung oder durch einen positiven Push-Effekt (⊡ Abb. 33.12b) diagnosti-
und einem mehr oder weniger ausgeprägten Klick-Phänomen – bei ziert werden.
Instabilität – bzw. Schwellung – bei Synovialistis – einher.
Im Bereich des 6. Strecksehnenfachs können 3 Pathologien un- Klassifikation des ulnokarpalen Impingement nach
terschieden werden: Ansatztendopathie der Sehnen des M. exten- Rudisch
sor carpi ulnaris, Subluxation/Luxation der Sehne des M. extensor Nach Rudisch (2006) erfolgt die Klassifikation des ulnokarpalen
carpi ulnaris, Caput-ulnae-Syndrom bei chronischer Polyarthritis. Impingement im dynamischen MRT nach Lokalisation und Bewe-
gungsrichtung (⊡ Tab. 33.2).
Ansatztendopathie der Sehnen des M. extensor carpi ulnaris Der direkte funktionelle Nachweis eines radioulnaren Impinge-
Bei der Ansatztendopathie der Sehne des M. extensor carpi ulnaris ment gelingt bislang nur in der dynamischen Magnetresonanz-
findet sich das Punctum maximum des Schmerzes im Bereich der tomografie. Im »MR-Movie« kann auch bei Ulna-Null-Variante
Basis des 5. Mittelhandknochens. Der Schmerz kann auch entlang
des Sehnenverlaufs in den dorsoulnaren Unterarm ausstrahlen. Eine
Tendovaginitis des 6. Strecksehnenfachs zeigt das gleiche Beschwer- ⊡ Tab. 33.2 Klassifikation des ulnokarpalen Impingement im
debild. Typisch ist eine Auslösung durch repetitive Bewegungen. dynamischen MRT nach Lokalisation und Bewegungsrichtung nach
Rudisch
Subluxation/Luxation der Sehne des M. extensor carpi ulnaris
Die korrekte Führung der Sehne des M. extensor carpi ulnaris im 6. Typ Lokalisation des Impingement und Bewegungsrichtung
Strecksehnenfach ist schon wegen ihrer Nähe und stabilisierenden 1 Ulnakopf und Os triquetrum in Ulnarduktion
Funktion für das distale Radioulnargelenk in die Untersuchung
des Diskuskomplexes mit einzubeziehen. Nicht selten findet sich 2 Ulnakopf und Os lunatum in Radialduktion
bei kombinierter Instabilität des distalen Radioulnargelenks und
3 Incisura ulnaris radii und Os triquetrum/lunatum in
des Handgelenks eine Subluxation der Sehne des M. extensor carpi Ulnarduktion
ulnaris. Der ossäre Kanal des 6. Strecksehnenfaches kann flach
ausgebildet sein, dies begünstigt bei maximaler Supination eine Su- 4a Ulnastyloid und Os triquetrum in Ulnarduktion
bluxation der Sehne. Über die lokalen Beschwerden hinaus werden
4b Pseudarthrose Ulnastyloid und Os triquetrum in Ulnarduktion
bei einer chronischen Subluxation der Sehne des M. extensor carpi
33.1 · Allgemeines
849 33
ein Impingement des Dreieckknorpels zwischen Ellenkopf und relativ zum Ellenkopf disloziert. Die Instabilität wird als »Luxation
Mondbein und zwischen Ellenkopf und Os triquetrum in Ulnar- des Ellenkopfes« nach palmar oder dorsal beschrieben. So ist eine
duktion und Radialduktion des Handgelenks unterschieden wer- komplette Luxation von einer Subluxation, eine uni- von einer
den (⊡ Abb. 33.14). multidirektionalen, einer nach dorsal von einer nach palmar und
eine verhakte von einer reponiblen zu unterscheiden. Die Subluxa-
Klassifikation der Instabilität des DRUG tion oder Luxation nach distal ist im Beschwerdebild des Impakti-
Eine Einteilung der Instabilität des distalen Radioulnargelenks onssyndroms enthalten.
kann nach deren Richtung, dem Ausmaß und der Reponierbarkeit Entsprechend ihrer Ursache lassen sich die Instabilitäten des
der Dislokation erfolgen ( Übersicht). Entsprechend der Literatur distalen Radioulnargelenks auf intraartikuläre oder extraartikuläre
wird häufig fälschlicherweise die Richtung der Instabilität nach knöcherne Deformitäten, auf eine ligamentäre Insuffizienz oder
Prominenz des Ellenkopfes beschrieben, obwohl sich die Speiche auf eine Kombination beider zurückführen.

1a 1b knöchern 1b ligamentär 1c 1d

2a 2b 2c 2d 2e

⊡ Abb. 33.13 Klassifikation der Schädigung des Diskuskomplexes (TFCC) nach Palmer. a Typ 1: traumatischer Schaden, 1A horizontaler Riss nahe der Incisura
ulnaris radii, 1B Ausriss des Dreieckknorpels an der Ulna, 1C Riss der ulnokarpalen Bänder, 1D Abriss des Dreieckknorpels von der Incisura ulnaris radii. b Typ 2:
degenerativer Schaden, 2A Ausdünnung des Dreieckknorpels, 2B Ausdünnung des Dreieckknorpels, Chondromalazie (Ulnakopf oder Os Lunatum), 2C Perfora-
tion des Dreieckknorpels, Chondromalazie, 2D Perforation des Dreieckknorpels, Chondromalazie, partielle Ruptur der lunotriquetralen Bänder, 2E Perforation
des Dreieckknorpels, Chondromalazie, Ruptur der lunotriquetralen Bänder, Arthritis ulnokarpal

a b c

⊡ Abb. 33.14 Dynamische Magnetresonanztomografie zum Nach-


weis eines radioulnaren Impingement. a Nachweis einer ulnaren
Instabilität des TFCC im dynamischen MRT: Bei Ulna-Null-Variante
wird der Dreieckknorpels verlagert, die fehlende Verspannung
nach distal und die signalveränderte proximale tiefe radioulnare
Bandstruktur weisen auf eine ulnare Schädigung des TFCC hin (Lä-
sion Palmer Typ 1B). b In Ulnarduktion erkennbare Einklemmung
des TFC bei instabiler Pseudarthrose des distalen Ellengriffelabris-
ses (Typ 4b nach Rudisch), c Impingement des Dreieckknorpels in
Ulnarduktion zwischen Ulnakopf und Os triquetrum (Typ 1 nach
Rudisch), d Impingement des Dreieckknorpels in Radialduktion
zwischen Ulnakopf und Os lunatum bei Ulna-plus-Variante (Typ 2
nach Rudisch), e Impingement des Dreieckknorpels in Ulnarduk-
d e
tion zwischen Ulnastyloid und Os Triquetrum (Typ 4 nach Rudisch)
850 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

– Ulnakopfverkürzungsosteotomie, arthroskopisches Debride-


Klassifikation der Instabilität des distalen Radioulnar- ment,
gelenks nach Adams – bei Ulna-Null-Variante: Wafer Procedure.
▬ I: Knöcherne Deformität ▬ Palmer 2D (zentraler degenerativer Riss des Dreieckknorpels
– Extrartikulär bei lunotriquetraler Instabilität): Ulnaschaftverkürzungsosteo-
– Intraartikulär tomie.
▬ II. Ligamentäre Insuffizienz ▬ Palmer 2E (zentraler degenerativer Riss des Dreieckknorpels
– Subluxation nach palmar, dorsal, distal bei lunotriquetraler Instabilität und Arthritis): Ersatzopera-
– Komplette Luxation nach palmar, dorsal, distal tion: Kapandji Sauve’, Bowers, Ellenkopfprothese.
▬ III. Kombination
– Kombination I und II Ligamentäre Insuffizienz
– Kombination I und/oder II mit karpaler Instabilität Subluxation
▬ Palmer 1B p (proximaler Abriss) uni/multidirektional:
– Arthroskopische oder offene Reinsertion des Dreieckknor-
pels proximal am Ansatz in der Fovea ulnaris,
33.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – bei insuffizienter Narbe: Bandplastik.
▬ Palmer 1D: Abriss des Dreieckknorpels von der Incisura ulna-
Die Indikation zur Operation basiert auf einer nachvollziehbaren ris radii: Arthroskopisch assistierte oder offene Stabilisierung
Beschwerdesymptomatik, eindeutigen klinischen Befunden mit des radialen Bandabrisses, meist im Rahmen der Osteosyn-
kausal zuordenbarer Pathologie in der Bildgebung. Ein Riss des these einer distalen Radiusfraktur.
Diskuskomplexes als asymptomatischer Zufallsbefund in der MRT
oder eine degenerative Schädigung Typ Palmer IIA und IIB kann Komplette Luxation
33 nach Aufklärung des Patienten konservativ behandelt werden. ▬ Palmer 1B p (proximaler Abriss und Schaden der Membrana
Der symptomatische Diskusriss ohne Instabilität des distalen interossea und/oder Kapselstrukturen): Bandplastik, Knochen-
Radioulnargelenks oder eine Einklemmpathologie können mini- spanplastik, OP nach Sauvé-Kapandji.
malinvasiv mittels arthroskopischer Teilresektion behandelt wer-
den ( Abschn. 33.2.1) Kombinierte Luxation
Das symptomatische Impaktionssyndrom ist von einem Im- ▬ Palmer 1B p (proximaler Abriss des TFC mit Schaden der
pingement-Syndrom zu differenzieren, da bei Niveauabweichun- Membrana interossea Kapselstrukturen, Schädigung der
gen längenausgleichende Verfahren zur Anwendung kommen, Gelenkkörper): Stellungskorrektur und Rekonstruktion des
während beim Impingement-Syndrom auch die Weichteilrekons- TFCC, karpale Bandplastik, Ersatzoperationen
truktion zum Erfolg führen kann.
Die Korrektur der Instabilität des distalen Radioulnargelenks Subluxation/Luxation der Sehne des M. extensor carpi
richtet sich nach der vorliegenden Pathologie und berücksichtigt ulnaris
die Form und die Stellung der Gelenkkörper, die Ansatzstellen der Bei der operativen Behandlung kann die Sehne durch Rekonstruk-
radioulnaren Bänder sowie einen möglichen Schaden der Memb- tion eines Ringbandes, gebildet durch einen radial gestielten und
rana interossea. in sich rückvernähten Lappen des Extensorretinakulums, in ihrer
funktionelle Gleitbahn stabilisiert werden.
Symptomatischer Riss des Dreieckknorpels
▬ Palmer 1A und 2C: Arthroskopie, Debridement
33.1.7 Therapie
Instabilität des Dreieckknorpels, Impingement-
Syndrom Konservative (nichtoperative) Therapie
▬ Palmer 1B d (ulnarer, distaler Riss des TFCC): Arthroskopi- Minimal dislozierte Abrissfrakturen der Ellengriffelspitze können
sche Refixation des Dreieckknorpels; Resektion einer pseu- konservativ im Unterarmgipsverband behandelt werden, wobei das
darthrotisch instabilen Ellengriffelspitze und Refixation des Handgelenk in Neutralposition eingestellt wird. Besonders bei Frak-
Dreieckknorpels. turformen des Ellengriffels im mittleren Drittel, bei basisnahen
▬ Palmer 1C (Riss der ulnokarpalen Bänder): Debridement. Abrissfrakturen des Ellengriffels an anatomischer Stelle oder bei den
selten primär diagnostizierten isolierten ulnaren Bandverletzungen
Instabilität des distalen Radioulnargelenks des TFCC erfolgt, wegen des Risikos einer Dislokation bei Drehung
Knöcherne Fehlstellung des Unterarmes, die Ruhigstellung im Oberarmgipsverband in Neut-
Intraartikuläre Fehlstellung ralposition. Die Ruhigstellungsdauer sollte 4–6 Wochen betragen.
Korrektur der Fehlstellung, offene Reposition interne Fixation
(ORIF), Ersatzoperation. Operative Therapie
Symptomatischer Diskusriss
Extraartikuläre Fehlstellung Die Arthroskopie des Handgelenks hat sich zu einem wesentlichen
Varus/Valgus, Dorsal-/Palmarangulation: Korrektur der Fehlstel- Bestandteil in der Behandlung der Pathologie des Diskuskom-
lung, (ORIF). plexes entwickelt ( Kap. 13). Über das Portal 3/4 wird die Optik
Longitudinale Fehlstellung, die zum Impaktionssyndrom führt eingebracht, die Zugänge 6U, 6R, 4U dienen als Arbeitsportale.
mit: Eine Instabilität der proximalen Handwurzelreihe wird über die
▬ Palmer 2C (zentraler degenerativer Riss des Dreieckknorpels midkarpalen Portale nach Berger klassifiziert. Ist ein Debridement
oft als Folge distaler Radiusfraktur: eines lappenförmigen Diskusrisses erforderlich , können, sofern
33.1 · Allgemeines
851 33
die ligamentären Anteile erhalten bleiben, bis zu zwei Drittel des
Dreieckknorpels entfernt werden, ohne eine Instabilität des dis-
talen Radioulnargelenks zu verursachen. Ein mehrmaliger Wech-
sel der Arbeitsportale ist meist erforderlich. Die Abtragung des
Dreieckknorpels erfolgt über Zangen oder mittels eines Shaver.
Bei Anwendung eines Vaporsystems ist die Temperaturerhöhung
bei deutlich reduziertem Umsatz der kühlenden Spülflüssigkeit im
vergleichsweise kleinen Handgelenk zu beachten.

Instabilität des Diskuskomplexes, Impingement a


Zur arthroskopischen Refixation eines Risses 1B d (ulnarer distaler
Abriss) eignet sich das Portal 3R als optischer Zugang, sowie die
Arbeitsportale 4/5, 6R und 6U mit einem zusätzlichen ca. 1,5 cm
langen Hautschnitt ulnar der Sehne des M. extensor carpi ulnaris.
Die distale Aufhängung des Dreieckknorpels kann angeschlungen
und an die Sehnenscheide des M. extensor carpi ulnaris vernäht
werden ( Abschn. 13.2.5).
Bei isolierter Läsion 1B p (ulnarer proximaler Abriss) kann in b
gleicher Weise eine Verankerung des Diskuskomplexes in der Fo-
vea ulnaris, transossär oder mit Ausziehanker erfolgen.
Beim Impingement zwischen Ulnastyloid und Os triquetrum
(Typ 4) führen wir eine Resektion der Ellengriffelspitze mit Rein-
sertion der distalen Anheftung des TFCC durch.

Ulna-Impakt-Syndrom
Zur operativen Behandlung des symptomatischen Impaktionssyn-
droms stehen intra- und extraartikuläre Verfahren zur Verfügung.
Berücksichtigt werden sollte dabei die Ulnavarianz, wobei sich bei
Patienten mit Ulna-plus-Stellung ein einfaches arthroskopisches
Debridement des Dreieckknorpels als nicht ausreichend erweisen
kann (⊡ Abb. 33.15), in diesen Fällen ist eine Druckentlastung
durch Niveauangleichung zu bevorzugen.
Bei Ulna-Null- und Ulna-minus-Varianten wurde ein Fort-
schreiten der Symptomatik nicht beobachtet, in einem Drittel der
c
Fälle klangen die Beschwerden ohne operative Therapie ab.
Häufig ist ein offener Zugang zum distalen Radioulnarge-
lenk notwendig, er kann über das 4. Strecksehnenfach erfolgen
(⊡ Abb. 33.16). Dabei wird nach bogenförmigem Hautschnitt zu-
nächst das Retinaculum extensorum mit einem ulnar gestielten
Lappen gehoben, und danach die darunter liegende Gelenkkapsel

⊡ Abb. 33.16 Operativer Zugang zum distalen Radioulnargelenk über das


5. Streckerkompartment nach Garcia-Elias. a Planung der Hautinzision,
⊡ Abb. 33.15 Arthroskopisches Debridement eines degenerativen Schadens b Planung des Retinakulumlappens, c Hebung des Kapsellappens und
des Dreieckknorpels unter Erhalt der stabilisierenden Bänder. Knorpelschaden Planung der Kapselinzision, d Darstellung des Caput ulnae. (Aus Schmit-
Ellenkopf. LT-Band-Insuffizienz (Läsion Palmer 2D) Neuerburg et al. 2001)
852 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

gegenläufig radial gestielt eröffnet. Bei Instabilität kann der dorsale rotationsgesicherter Kompression kann der Operationsablauf weit-
Kapsellappen mit dem Retinakulumlappen verstärkt und gerafft gehend standardisiert und die Komplikationsrate gesenkt werden.
werden. Ein ähnlicher Zugang ist über das 5. Streckerkompartment In unserem retrospektiv untersuchten Kollektiv von 20 Patienten
mit Erweiterung des Kapsellappens nach distal beschrieben, wobei (durchschnittlicher Nachuntersuchungszeitraum 13 Monate, paral-
das dorsale radiokarpale Band erhalten bleibt. Dadurch wird so- lele Schrägosteotomie, palmare Implantatlage) wurde in einem Fall
wohl ein Zugang zum lunotriquetralen Bandapparat als auch eine eine verzögerte Heilung beobachtet, bei allen weiteren Patienten er-
ausreichende Einsicht in den ulnaren Abschnitt des Radiokarpalge- folgte die Konsolidierung der Elle bis zum Nachuntersuchungszeit-
lenks ermöglicht. Der alternative Zugang über das 6. Streckerfach raum von 6 Monaten, achsengerecht und ohne Rotationsfehlstellung.
schwächt die dorsale Anhaftung des Diskuskomplexes und wird Unsere Indikationen für dieses Verfahren sahen wir bei einer longi-
daher von uns nicht bevorzugt. tudinalen Fehlstellung im distalen Radioulnargelenk von 4–10 mm,
Die »Wafer Procedure« nach Feldon ( Abschn. 33.2.4) zählt zu die zum Impaktionssyndrom führt (meist Folge einer distalen Radi-
den intraartikulären Verfahren, wobei nach Resektion des Dreieck- usfraktur), nach Essex-Lopresti-Verletzungen in Kombination mit
knorpels und des radialen Anteils des Ellenkopfes bei Ulna-plus- einem Radiuskopfersatz oder bei habitueller Ulna-plus-Variante.
Varianten eine signifikante Druckentlastung erzielt werden kann Bei ungünstigen, irreparablen Knorpelverhältnissen wird eine
(⊡ Abb. 33.21a,b). Es werden über 80% gute Resultate nach 3–6 Mo- bestmögliche Wiederherstellung der Funktion des distalen Radio-
naten berichtet, wobei die Dauer bis zur Beschwerdefreiheit deutlich ulnargelenks durch eine Ersatzoperation angestrebt.
länger sein kann. Bei der arthroskopisch durchgeführten Wafer Bei irreparabler, kompletter Instabilität des Diskuskomple-
Procedure wird zunächst über die radiokarpalen Portale der Drei- xes und des distalen Radioulnargelenks kann – unter der Vor-
eckknorpel debridiert, um anschließend mit einer Fräse durch den aussetzung guter Knorpelverhältnisse im distalen Radioulnarge-
entstandenen Defekt die radialen zwei Drittel des Ellenkopfes ab- lenk – eine Bandersatzplastik in Betracht gezogen werden ( Ab-
zutragen. Zu berücksichtigen bleibt die anatomische Variation einer schn. 33.2.7). Bei den seltenen kombinierten Instabilitäten können
kleinen Gelenkfläche der Circumferentia articularis ulnae, die bei zu Bandplastiken, Korrekturosteotomien und Periostlappenplastiken
33 ausgiebiger Segmententfernung zur Inkongruenz des distalen Radio- hilfreich sein (⊡ Abb. 33.17).
ulnargelenks führen und eine Arthrosebildung begünstigen kann. Die Arthrodese des distalen Radioulnargelenks mit Segmen-
Ein alternatives Verfahren ist die intraartikuläre Ellenkopfver- tresektion der angrenzenden Elle nach Sauvé-Kapandji ( Ab-
kürzung durch Resektion einer Knochenscheibe aus dem Ellenkopf schn. 33.2.8) erlaubt eine stabile Führung des Karpus und eine
nach Pechlaner ( Abschn. 33.2.5). ausgewogene Kraftübertragung auf den Unterarm. Die Unterarm-
Die extraartikuläre Ellenschaftverkürzung ( Abschn. 33.2.6) wird drehung lässt sich meist zur Gänze wiederherstellen, die subjek-
in der Literatur zum Teil kritisch diskutiert. Bei kortikalem Knochen tiven Ergebnisse sind gut. Bei insuffizienter Stabilisierung des
ist eine schädigende Hitzeentwicklung während der Osteotomie proximalen Ellenstumpfes kann es bei Belastung zu einem sympto-
zu vermeiden, diese beeinträchtigt den Heilungsverlauf zum Teil matischen Impingement an der Speiche kommen, dem sollte durch
beträchtlich. Der dünne Knochen ist hohen Belastungen ausgesetzt, eine möglichst distale und kurze Resektion vorgebeugt werden.
die nach Osteotomie eines stabilen Implantates bedürfen. Weichteil- Als konkurrierendes Verfahren gilt die Hemiresektions-In-
situation und Formvielfalt der Elle begrenzen zudem eine dauerhafte terpositions-Arthroplastik (HIT) nach Bowers ( Abschn. 33.2.9).
Implantatlage. Zudem verbleiben nach der Schraubenentfernung Dabei wird über einen dorsalen Zugang der knorpelige Anteil
langzeitig Schwachstellen. Zu den Komplikationen zählen Pseudar- des Ellenkopfes entfernt und bei erhaltenem ulnarem Ansatz des
throse, Refraktur, Tenosynovialitis der Sehne des M. extensor carpi Diskuskomplexes ein Sehnenersatz an die Stelle des resezierten
ulnaris und die Rotationsfehlstellung. Mit neuen winkelstabilen Im- Ellenkopfes interponiert. Mit diesem Verfahren ist eine gute Un-
plantatsystemen zur variablen Schrägosteotomie mit kombinierter terarmdrehung und eine deutliche Schmerzreduktion zu erzielen.

a b

⊡ Abb. 33.17 Therapie der kombinierten Instabilität im distalen Radioulnargelenk. a Kombinierte komplette Instabilität im DRUG nach dorsal bei symptomati-
scher midkarpaler Instabilität (»carpal instability non dissociative«, CIND), b schließende Keilosteotomie der Elle, Refixation der proximalen tiefen radioulnaren
Bänder in der Fovea ulnaris, Verstärkung der dorsalen Kapselstruktur mit Retinakulum- bzw. Kapselplastik und radiokarpale Aufhängeplastik des Ellenkopfes mit
freiem Periostlappen (nach M. Lutz) zur Stabilisierung der CIND. fPL freier Periostlappen vom Beckenkamm; ECU M. extensor carpi ulnaris; Tq Triquetrum
33.1 · Allgemeines
853 33
Als Komplikation wurde ein Impaktionssyndrom zwischen Ellen- und eine zusätzliche Ellenkopfresektion nach Darrach bei beglei-
griffelspitze und proximaler Handwurzelreihe beschrieben. Die tender Rekonstruktion der rupturierten Sehnen als erfolgverspre-
Ursache dafür ist eine Medialisierung der Elle beim kraftvollen chend (⊡ Abb. 33.18). Eine Arthrodese oder eine Arthroplastik
Faustschluss. Die Arthrodese des distalen Radioulnargelenks und des distalen Radioulnargelenks ist bei Caput-ulnae-Syndrom mit
die Hemiresektions-Interpositions-Arthroplastik liefern annähernd ankylosierendem Karpus seltener indiziert ( Kap. 52).
gleichwertige Ergebnisse und sind beide der einfachen Resektion
des Ellenkopfes nach Darrach ( Abschn. 33.2.10) überlegen.
Alternativ steht der hemiprothetische Ersatz des Ellenkopfes zur 33.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
Diskussion, der bislang nur in wenigen Zentren durchgeführt wurde.
Ein Nachteil aller Resektionsverfahren, wie auch des Sauve-Kapand- Diagnostik und Therapie von Verletzungen und Defekten im Be-
ji-Verfahrens ist die eingeschränkte Möglichkeit, eine hohe Stabilität reich des distalen Radioulnargelenks im Kindesalter sind durch die
des Unterames in der transversalen Ebene wiederherzustellen. Der selbstheilende Korrekturmöglichkeit der Wachstumsfugen geson-
Einsatz einer Hemiprothese bietet diese Möglichkeit und ermöglicht dert zu betrachten:
zudem eine günstige Kraftverteilung über das Handgelenk. Zurzeit Für Patienten im Adoleszentenalter mit nahezu geschlossenen
finden jedoch nur wenige Produkte Anwendung, längerfristige Re- Wachstumsfugen gelten hingegen im Wesentlichen die gleichen
sultate fehlen. Bei den sphärisch geformten Implantaten wird der Prinzipien wie beim Erwachsenen.
Ellenkopf einer stammgeführten Kragenprothese durch die Weich- Vom Pathomechanismus her stellen die Epiphysenfugen das
teilhaube des Diskuskomplexes stabilisiert. Bei einem weiteren Mo- schwächste Glied in der Verletzungskette dar und so sind reine
dell bleibt der ulnare Ansatz des Diskuskomplexes intakt, sodass ligamentäre Verletzungen kaum zu beobachten. Die Einteilung der
lediglich der knorpelige Anteil des Ellenkopfes durch das Implantat gelenknahen Frakturen im Kindesalter erfolgt nach Salter-Harris
ersetzt wird. Größere Kollektive und Langzeitresultate wurden noch oder Aitken. Lösungen der Epiphysen können im Kindesalter am
nicht ausgewertet. Für den Nachuntersuchungszeitraum von 2 Jah- Standardröntgen oft nur schwer zu sehen sein, das Schädigungs-
ren wird über eine Verbesserung der Schmerzsituation, der Kraft ausmaß der Wachstumsfugen oder eine Fehlstellung lassen sich
und eine verbesserte Funktion berichtet. bei Verdacht dann am besten im MRT oder in der CT beurteilen.
Beim Krankheitsbild der rheumatischen Arthritis ist das di- Als Folge einer Epiphysen- oder Fugenschädigung im Kindesalter
stale Radioulnargelenk frühzeitig betroffen. Kann mit einer me- kann ein vorzeitiger, meist partieller Schluss der Wachstumsfuge
dikamentösen Therapie keine Besserung erreicht werden, ist die mit daraus resultierender Fehlstellung eintreten. An der distalen
frühzeitige Synovektomie indiziert. Bei bereits fortgeschrittener Speiche führt dieser zur Kippung des Gelenkkörpers, welche zu In-
Destruktion des distalen Radioulnargelenks und instabilen karpa- stabilitätsbeschwerden oder zu einem Impaktionssyndrom führen
len Verhältnissen, dem »Caput-ulnae-Syndrom«, meist begleitet kann. Extraartikuläre Achsenabweichungen nach Schaftfrakturen
von einer Ruptur der Strecksehnen, gilt die Arthrodese des Karpus können ebenfalls zur Inkongruenz des distalen Radioulnargelenks

⊡ Abb. 33.18 Caput-ulnae-Syndrom bei chronischer Polyarthritis. a Betroffen ist die Umgebung
des Ellenköpfchens mit Beteiligung des DRUG und des TFCC. b Bei ausgedehnter Synovialitis sollte
primär eine frühe Synovialektomie durchgeführt werden, um eine weitere Instabilität im Bereich
des 6. Strecksehnenfaches zu vermeiden. c Bei Zerstörung des Ellenkopfes bzw. irreversibler und
symptomatischer Instabilität des DRUG kann eine Resektionsarthroplastik oder eine andere Ersatz-
operation durchgeführt werden. (Aus Berger u. Hierner 2008)

a b c
854 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

⊡ Abb. 33.19 Epiphysenlösung der distalen Elle


mit konsekutivem Fehlwachstum, Ulnarissympto-
matik und Pronationsblockade. Nach Lösen des
ulnaren Ansatzes des TFCC erfolgte die Stellung-
korrektur und das Ausrichten des deformierten
Gelenkkörpers in Richtung Incisura ulnaris radii
mit anschließender Osteosynthese der Elle und
Refixation des ulnaren Ansatzes des TFCC

33
führen, korrigieren sich jedoch zumeist weitgehend selbst. Intraar-
tikuläre Frakturen hingegen sind kritisch zu verfolgen und sollten
bei ausgeprägter Fehlstellung auch im Kindesalter operativ behan-
T
delt werden (⊡ Abb. 33.19). In jedem Fall ist auf die erforderlichen
L
langfristigen Verlaufskontrollen hinzuweisen.

33.2 Spezielle Techniken

33.2.1 Technik der arthroskopischen Naht bei


symptomatischem Riss des Dreieckknorpels
 Kap. 13

33.2.2 Technik der arthroskopischen


Refixierung bei ulnarem distalem Riss des
Dreieckknorpels – Palmer 1B  Kap. 13
a b
33.2.3 Technik der Resektion der Ellengriffelspitze ⊡ Abb. 33.20 Wafer-Verfahren, intraartikuläre Teilresektion des Ulnakopfes
mit Reinsertion der distalen Anheftung des nach Feldon. a Operationsschema: Eine etwa 2–4 mm dicke Scheibe aus
TFC Knorpel und Knochen wird vom distalen Caput ulnae reseziert. Die ulno-
radiale Gelenkfläche wird nicht angetastet, b intraoperatives Bild
Über einen ulnaren Zugang direkt über dem Styloid der Elle wird die
pseudarthrotische Ellengriffelspitze subperiostal aus dem Weichteil-
verband präpariert und entfernt. Anschließend wird der Weichteil-
verband, die distale Anhaftung des Dreieckknorpels, vernäht.
33.2.5 Technik der intraartikulären
Dekompressionsosteotomie des Ellenkopfes
33.2.4 Wafer-Operation nach Feldon bei Impingement-Beschwerden im ulnaren
Handgelenkkompartiment nach Pechlaner
Nach biomechanischen Untersuchungen kann bei Ulna-plus-Va-
rianten durch Resektion des radialen Drittels des Ellenkopfes bis Dieses Verfahren eignet sich bei der symptomatischen Ulna-plus-
unmittelbar unter das Knorpelniveau eine signifikante Druckent- und Ulna-Null-Variante.
lastung erzielt werden. Das offene Wafer-Verfahren kann über das Die Operation erfolgt in Rückenlage und Blutleere. Der Arm
4. oder 5. Strecksehnenfach erfolgen, die Gelenkkapsel wird eröff- wird auf einem Handtisch ausgelagert und proniert. Der offene
net, der Ellenkopf wird durch Pronation und Supination freigestellt Zugang zum DRUG erfolgt zwischen dem 5. und 6. Strecksehnen-
und im knorpeligen Teil gleichmäßig gerundet abgetragen. Die fach nach Garcia-Ellias (⊡ Abb. 33.16a–d). Durch Abdrängen des
ulnoradiale Gelenkfläche und der ulnare Bandansatz des TFCC radioulnokarpalen Bandkomplexes einschließlich des Discus ulno-
bleiben unberührt (⊡ Abb. 33.20). carpalis wird mithilfe eines Kirschner-Drahts unter Röntgenbild-
33.2 · Spezielle Techniken
855 33

a b

c d

⊡ Abb. 33.21 Technik der intraartikulären Ulnakopfverkürzung nach Pechlaner. a Ulna-plus-Variante: Markierung der distalen radialen Kante des Ulnakopfes
und der parallel geführten Osteotomien. Absenken des Niveaus des Ellenkopfes, b Stabilisierung der Fragmente im Zugschraubenprinzip, c Rekonstruktion
des DRUG. (Aus Pechlaner 1995)

verstärkerkontrolle in dorsopalmarer Projektion die distale, radiale chenscheibe ein »Verschnittdefekt« durch das Sägeblatt entsteht.
Kante des Ellenkopfes markiert. Von hier aus nach proximal wird Die Breite dieses Defekts ist abhängig von der Dicke des Sägeblatts
die distale Osteotomielinie in einem Winkel von 45° auf die Ellen- (⊡ Abb. 33.21a). Entlang der markierten Schnittebenen wird von
längsachse eingezeichnet. Parallel dazu, nach proximal versetzt, proximal ein flacher, etwas breiterer Hohmann-Hebel zum Schutz
verläuft die zweite Schnittlinie, wobei die radioulnare Gelenkfor- der palmar des Ellenkopfes liegenden Strukturen (A. ulnaris,
mation erhalten bleibt. Allgemein wird eine Entlastung des ulnaren N. ulnaris) eingebracht. Distal schützt ein kantenfreier, schmaler
Handgelenkkompartiments von 2–3 mm angestrebt. Die Breite des Hohmann-Hebel oder eine gerundete Schlittensonde Bandstruk-
bei der Schrägosteotomie gesetzten Defekts entspricht etwa der turen und Diskus vor Läsionen durch die oszillierende Säge. Das
Absenkung des Ellenniveaus; rein rechnerisch ist die Absenkung distale Ellenkopfsegment wird daraufhin proximalisiert und mit
geringfügig größer. Bei der Planung der Niveauabsenkung muss dem Hauptfragment verschraubt (⊡ Abb. 33.21c). Nach Überprü-
bedacht werden, dass zusätzlich zur Breite der entnommenen Kno- fung der Unterarmdrehung und Kontrolle der Osteosynthese im
856 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

Röntgenbild werden das Kapsel-Band-Gewebe anatomisch rekons- und der distale, mittlere Schaftbereich der Ulna freigelegt. Eine
truiert (⊡ Abb. 33.21) und die Sehnenfächer 5 und 6 refixiert. Nach durchblutungsstörende zirkuläre Freilegung der Ulna ist zu ver-
Öffnen der Blutleere und subtiler Blutstillung erfolgt die Einlage meiden und erfolgt nur im Bereich der Osteotomie. Die Schrägos-
einer Saugdrainage und ein schichtweiser Wundverschluss. teotomie wird planparallel über eine Schnittlehre, unter minimaler
Wärmeentwicklung durchgeführt um Hitzenekrosen zu vermeiden.
Nach Entfernen des Knochensegments erfolgt die longitudinale,
33.2.6 Technik der extraartikulären rotationsgesicherte Verkürzung über die Gleitlöcher des Implan-
Ulnaverkürzungsosteotomie tats. Die Osteotomieflächen werden unter Kompression gebracht
und über das Implantatsystem stabilisiert (⊡ Abb. 33.22).
Bei beabsichtigter palmarer Plattenlage wird nach ulnarer Hautin-
zision zwischen dem M. extensor carpi ulnaris und dem M. flexor
carpi ulnaris die anhaftende palmare Muskulatur zurückgedrängt 33.2.7 Bandplastik nach Adams zur Stabilisierung
des instabilen distalen Radioulnargelenks

Zur Behandlung der chronischen Instabilität des distalen Radio-


ulnargelenks ist eine Vielzahl an Bandplastiken beschrieben. Nach
Adams wird der ursprüngliche Verlauf der radioulnaren Bänder
mit einem Palmaris-Sehnen-Transplantat nachverfolgt. Der offene
Zugang zum DRUG erfolgt zwischen dem 5. und 6. Strecksehnen-
fach nach Garcia-Ellias (⊡ Abb. 33.16).
Unter Berücksichtigung der Gelenkformen wird zunächst eine
dorsopalmare Bohrung durch den distalen Radius, nahe der In-
33 cisura ulnaris radii und dem Radiokarpalgelenk, und eine weitere
Bohrung durch die Fovea ulnaris nach proximal und ulnar der
Sehne des M. extensor carpi ulnaris durchgeführt. Ein Sehnen-
transplantat aus dem Bereich des M. palmaris longus oder planta-
ris longus wird entnommen. Das freie Sehnentransplantat soll von
extraartikulär durch den radialen Tunnel, danach intraartikulär
mit Einbeziehen der radioulnaren Bandreste durch den fovealen
Tunnel geführt, gestrafft und fixiert werden (⊡ Abb. 33.23).
Nach Überprüfung der Unterarmdrehung und Kontrolle der
Osteosynthese im Röntgenbild werden das Kapsel-Band-Gewebe
anatomisch rekonstruiert und die Sehnenfächer 5 und 6 refixiert.
Nach Öffnen der Blutleere und subtiler Blutstillung erfolgt die Ein-
lage einer Saugdrainage und ein schichtweiser Wundverschluss.
a b
33.2.8 Arthrodese des distalen Radioulnargelenks
⊡ Abb. 33.22 Technik der extraartikulären Ulnaverkürzungsosteotomie. mit Segmentresektion aus der Ulna – Technik
a Planparallele Osteotomie. Das Periost wird nach Verkürzung und Stabilisie- der OP nach Sauvé-Kapandji
rung über den Osteotomiebereich gelegt. b Polytrauma. Nach Primärversor-
gung der distalen Radiusfraktur, der Basisfraktur des 1. Mittelhandknochen
und Radiuskopffraktur verblieb eine longitudinale Instabilität: Extraartikuläre Bei irreparabler Schädigung des distalen Radioulnargelenks werden
Ellenschaftverkürzung mit palmarer Lage einer rotationssichernden Gleit- nach der Technik von Sauvé-Kapandji Radius und Elle arthrodeti-
lochplatte, nach paralleler Schrägosteotomie und Kompression. Radiuskop- siert. Gleichzeitig wird durch Resektion eines Knochensegments aus
fersatz und Rückvernähen des TFCC bei ulnarer Läsion der gelenknahen Ulna ein »Neogelenk« geschaffen, das die Unter-

⊡ Abb. 33.23 Schematische Darstellung der


Adams-Bandplastik zur Stabilisierung des
chronisch instabilen distalen Radioulnarge-
lenks. a L-förmige Kapseleröffnung zwischen
dem 5. und 6. Strecksehnenfach. b Bohrungen
nahe der Incisura ulnaris radii und in der Fovea
ulnaris. Das Sehnentransplantat wurde nach
Umfahren der distalen Elle in sich vernäht:
Ansicht von dorsal a b
33.2 · Spezielle Techniken
857 33
armdrehung wieder ermöglicht. Die Operation erfolgt in Rücken- Beim Anlegen des Bohrkanals ist darauf zu achten, dass die gegen-
lage und Blutleere. Der Arm wird auf einem Handtisch ausgelagert über liegenden Sehnen des 1. und 2. Strecksehnenfachs weder durch
und proniert. Der offene Zugang zum DRUG erfolgt zwischen dem den Bohrer noch eine vorstehende Schraubenspitze irritiert werden.
5. und 6. Strecksehnenfach nach Garcia-Ellias (⊡ Abb. 33.16). Nunmehr wird vom proximalen Ellenanteil ein weiteres Segment in
Die Längsachse der freigelegten Ulna wird markiert. Dies er- einer Länge von etwa 1–1,5 cm mit der oszillierenden Säge reseziert
leichtert später die korrekte Einstellung der Rotation der distalen Elle und dabei der Ansatz des M. pronator quadratus mit dem Periost
in Neutralstellung. Anschließend Einbringen von zwei Hohmann- abgelöst. Dieses Ellensegment kann zur Abstützung als Knochen-
Hebeln und parallele Resektion eines ersten Segmentes etwa 2–3 cm brücke zwischen Speiche und distalem Ellenfragment eingebracht.
proximal des peripheren Ellenendes im Ausmaß des relativen El- An Elle und Speiche wird dazu ein Knochenlager zur Aufnahme
lenvorschubs, errechnet aus den Röntgenaufnahmen des verletzten des Resektats geformt. Die proximale Schraube wird durch das ein-
Handgelenks im Vergleich zur gesunden Gegenseite (⊡ Abb. 33.24a). gepasste Ellensegment hindurchgeführt und stabilisiert das lnterpo-
Die Resektion muss im Ansatzbereich des M. pronator quadratus nat. Die beiden Resektionsflächen der Elle werden abgerundet. Der
liegen, damit der proximale Ellenstumpf stabil ummantelt wird. M. pronator quadratus wird samt anheftendem Periost eingekerbt,
Die Sehne des M. extensor carpi ulnaris wird mit ihrem Sehnen- umgeschlagen und transossär an den Ellenenden vernäht. Dies be-
fach aus der Knochenrinne des Caput ulnae teilweise freipräpariert. wirkt eine Stabilisierung des proximalen Ellenstumpfes, vergrößert
Nun kann das distale Radioulnargelenk aufgeklappt und mit einem die Ansatzfläche des M. pronator quadratus am Ellenschaft und
Luer entknorpelt werden. Die Verblockung des Ellenkopfes mit vermindert die Gefahr der lokalen Verkalkung im Resektionsspalt.
der Speiche sollte mit korrektem Längenausgleich und in neutraler Die Ummantelung des proximalen Ellenendes ist für die Stabilität
Rotationsstellung des distalen Radioulnargelenks erfolgen. Mithilfe entscheidend (⊡ Abb. 33.24c). Vor dem Wundverschluss wird eine
eines kleinen Knocheneinzinkers wird die distale Elle nach proximal Röntgenaufnahme in beiden Ebenen angefertigt. Nach Öffnen der
gezogen, wodurch der Längenausgleich erreicht wird. Blutleere und subtiler Blutstillung erfolgen die Einlage einer Saug-
drainage und ein schichtweiser Wundverschluss. Postoperativ ist die
> Um die korrekte Rotationseinstellung zu erreichen, muss
vollständige Blockierung der Pronosupination im Oberarmgipsver-
der periphere Ellenanteil um etwa 90° in Pronationsrichtung
band zur stabilen Heilung der Muskel-Periost-Nähte notwendig.
»nachgedreht« werden, da die Speiche in maximaler Prona-
tion gelagert ist. Zur Orientierung hilft die anfangs angelegte
Längsmarkierung. 33.2.9 Technik der Hemiresektions-Interpositions-
Eine temporäre Kirschner-Draht-Transfixation der so erreichten Arthroplastik nach Bowers
Einstellung erleichtert das weitere Vorgehen. Die Korrektur wird im
Bildwandler oder auf einem Röntgenbild überprüft (⊡ Abb. 33.24b). Die Hemiresektions-Interpositions-Arthroplastik kann als Alter-
Die Stabilisierung erfolgt mit Spongiosaschrauben (3,0 oder 4,0 mm, native zur Resektionsarthroplastik nach Darrach gesehen werden.
vorteilhaft kanüliert) nach dem Zugschraubenprinzip. Die periphere Arthritische Schmerzen lassen sich wirksam beseitigen und die
Schraube wird knapp palmar des 6. Strecksehnenfachs positioniert. Grobkraft großteils erhalten. Die Ergebnisse sind jedoch bei vor-

a b c

⊡ Abb. 33.24 Arthrodese des distalen Radioulnargelenks mit Segmentresektion aus der Ulna, Technik der OP nach Sauvé-Kapandji. a Nach Darstellung der
distalen Ulna, Rotationsmarkierung, parallele Resektion eines ersten Segments im Ausmaß des relevanten Ulnavorschubs. b Um die korrekte Rotationsein-
stellung zu erreichen, muss der periphere Ellenanteil um etwa 90° zur Rotationsmarkierung »nachgedreht« werden, da die Speiche in maximaler Pronation
gelagert ist. Das resezierte Ellenfragement wird zurechtgeformt und zwischen Radius und distalem Ellenstumpf eingefalzt. c Die Schraube wird durch das
eingepasste Ellensegment hindurchgeführt und verhindert so ein Abgleiten des lnterponats. Der M. pronator quadratus wird samt anheftendem Periost ein-
gekerbt und umgeschlagen und die abgerundeten Ellenenden damit ummantelt. (Aus Pechlaner u. Sailer 1993)
858 Kapitel 33 · Distales Radioulnargelenk (DRUG) und triangulärer fibrokartilaginärer Komplex (TFCC)

Ulna
Schnitt 2
Schnitt 1

Proc. styloideus
ulnae
Radius

a
b c
TFCC
Osteotomie

Radialer Rand
des Lappens
33 mit palmarer
Kapsel

e f
M. extensor
d Radialer Anteil dig. minim. Retinaculum
des Lappens extensorum

⊡ Abb. 33.25 Technik der Hemiresektions-Interpositions-Arthroplastik nach Bowers. a Planung und Schnittebene der 1. Resektion, b Planung und Schnit-
tebene der 2. Resektion, c Refixierung der distalen Ulna: Bei diesem Schritt der Operation kann der Ellbogen so gebeugt werden, dass der Unterarm auf dem
Armtisch senkrecht steht und in 40° Supination gehalten wird. Diese Position minimiert die Zugspannung im Lappen und am ulnokarpalen Bandkomplex
während des Verschlusses. Das Lig. radioulnare dorsale und der Discus triangularis werden an der Unterseite des Lappens refixiert. Dies geschieht durch ver-
senkte Einzelknopfnähte mit resorbierbarem Nahtmaterial. d Rekonstruktion des DRUG: Der dorsoradiale Teil des eingeschlagenen Lappens wird nun zusätz-
lich unter angemessener Spannung – evtl. mit transossären Nähten – an der dorsalen Lippe der Incisura ulnaris des Radius fixiert. Dazu benutzt man kräftiges,
nicht resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 0. Diese Nahtreihe rafft den Lappen, verstärkt die Führung des Ulnaendes gegenüber dem Radius und verlagert
die Sehne des M. extensor carpi ulnaris weiter nach dorsal. Dies verstärkt die dorsalen Anteile des Lappens und erzeugt eine dynamische Zügelung des Ulna-
endes, die eine Dislokationstendenz nach dorsal reduziert. e Rekonstruktion des Retinaculum extensorium: Das 5 Strecksehnenfach ist damit aufgelöst, die
Sehne des M. extensor digiti minimi verbleibt subkutan. (Aus Pillukat u. Schoonhoven 2009)

bestehender Instabilität des distalen Radioulnargelenks unsicher. tial vorbeigeführt. Das Sägeblatt bildet dabei mit der Horizontalen
Nach Hierner erfolgt die Operation in Rückenlage und Blutleere. einen Winkel von 45–60°. Durch diesen Schnitt entsteht eine an-
Der Arm wird auf einem Handtisch ausgelagert und proniert. nähernd dreieckige Resektionsfläche radial an der Elle. Dadurch
Der offene Zugang zum DRUG erfolgt zwischen dem 5. und wird ungefähr die Hälfte des Ellenkopfes abgetragen, wobei der
6. Strecksehnenfach nach Garcia-Ellias (⊡ Abb. 33.16). Anschlie- Proc. styloideus ulnae erhalten bleibt (⊡ Abb. 33.25a). Der zweite
ßend wird der distale Ellenkopf mithilfe zweier Hohmann-Hebel Sägeschnitt verläuft auf der gleichen Linie in einem Winkel von
unterfahren und herausgehebelt. Für die Osteotomie der Ulna 80–100° zum ersten Sägeschnitt und wird ebenfalls tangential am
wird der Arm auf dem Armtisch so ausgerichtet, dass die Linie Proc. styloideus ulnae vorbeigeführt. Dieser Schnitt reseziert den
Proc. styloideus ulnae/Olekranon, zum Operationstisch gewandt, Rest des Ellenkopfes mit Ausnahme der Basis des Proc. styloideus
den tiefsten Punkt bildet. Durch gleichzeitige maximale Pronation ulnae (⊡ Abb. 33.25b). Sofern gelenktragende Anteile des Ellen-
des Handgelenks bei fixiertem Ellenbogen ergibt sich die korrekte kopfes verblieben sind, wird nachreseziert, danach Abrunden der
Position für die Resektion. Die distale Elle hat nun die Form ei- Schnittflächen mit der Luer-Zange. Diese Abrundung ist wichtig,
nes Prismas, dessen Spitze der Proc. styloideus ulnae bildet. Die damit der Radius bei der Umwendbewegung die Ulna nicht tan-
Resektionslinie der distalen Elle sollte dabei parallel zur Kontur giert und stört. Sofern erforderlich, transossäre Refixation des
des distalen Radius verlaufen, um ein punktuelles Impingement ulnokarpalen Bandkomplexes mittels nicht resorbierbarer Fäden
zu verhindern. Der erste Schnitt beginnt etwa 4 cm proximal des der Stärke 0 durch 2 Bohrungen von 1 mm Durchmesser, schräg
Ulnakopfes auf der dem Proc. styloideus ulnae abgewandten Seite von der Basis des Proc. styloideus ulnae zur Streckseite verlau-
der Ulna und wird distal knapp am Proc. styloideus ulnae unter fend, an der distalen Ulna. Soll in gleicher Sitzung eine Verkür-
Schonung des Ansatzes des ulnokarpalen Bandkomplexes tangen- zung bei Ulna-plus-Variante durchgeführt werden, können der
Weiterführende Literatur
859 33
M. pronator quadratus resorbierbarem Nahtmaterial fortlaufend vernäht. Das 5. Streck-
Vagina tendinis ECU sehnenfach ist damit aufgelöst, die Sehne des M. extensor digiti
minimi verbleibt subkutan (⊡ Abb. 33.25e). Postoperativ ist die
vollständige Blockierung der Pronosupination notwendig, wes-
halb auch trotz stabiler Osteosynthese ein Oberarmgipsverband
Ulna
angelegt werden muss.

33.2.10 Technik der Resektion der distalen Ulna


nach Darrach

Bei der Resektionsarthroplastik nach Darrach wird der Ellenkopf


Radius zur Gänze entfernt. Eine verbleibende Instabilität des proximalen
Ellenstumpfes kann mit einem breiten palmaren Kapsellappen,
einem M.-pronator-quadratus-Lappen oder Tenodesen des M. ex-
tensor carpi ulnaris oder/und des M. flexor carpi ulnaris behandelt
werden. Beim M.-pronator-quadratus-Lappen wird dieser an der
Resektionsstelle nach dorsal geführt und an die Sehnenscheide des
M. extensor carpi ulnaris vernäht (⊡ Abb. 33.26).

33.2.11 Technik des hemiprothetischen Ersatzes


des Ellenkopfes
M. pronator quadratus
Bei Verwendung der Head-Prothese (Avanta Orthopaedics) wird
Vagina tendinis ECU
zwischen den Sehnen des M. extensor carpi ulnaris und M. flexor
carpi ulnaris oder über das 5. Strecksehnenfach die Ulna subperio-
stal freipräpariert. Der Dreieckknorpel wird nach distal abgehoben,
nach Resektion die Hemiprothese implantiert und der angeschlun-
gene Dreieckknorpel mit ausgewogener Weichteilspannung über
das Implantat fixiert.
⊡ Abb. 33.26 Technik der Resektion der distalen Ulna nach Darrach. Zur
Stabilisierung des Ulnastumpfes kann der M. pronator quadratus an das
6. Strecksehnenfach genäht werden. Zudem kann die Sehne des M. extensor 33.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen
carpi ulnaris mit einem in sich vernähten radial gestielten Lappen des Exten-
sorretinakulums dorsal geführt werden
Neben operationstechnischen Risiken kommt der richtigen Diag-
nose die entscheidende Bedeutung zu. Ein operativer Eingriff ist
umso mehr zu relativieren, wenn Beschwerdebild und Befunde
Proc. styloideus ulnae osteotomiert und die Ulna proximal davon einander nicht entsprechen. Bei arthroskopischen Zugängen ist auf
im erforderlichen Ausmaß reseziert werden. Bei diesem Schritt den Verlauf des Hautastes des N. ulnaris und der Sehnenstrukturen
der Operation kann der Ellbogen so gebeugt werden, dass der zu achten, bei der Refixation des proximalen ulnaren Ansatzes auf
Unterarm auf dem Armtisch senkrecht steht und in 40° Supina- die anatomische Reinsertion in der Fovea ulnaris. Nach Refixation
tion gehalten wird. Diese Position minimiert die Zugspannung des ligamentären Anteils des Diskuskomplexes ist postoperativ
im Lappen und am ulnokarpalen Bandkomplex während des Ver- eine Ruhigstellung der Unterarmdrehbewegungen für die Dauer
schlusses. Das Ligamentum radioulnare dorsale und der Discus der Bandheilung von 6–8 Wochen erforderlich. Bei den Ersatz-
triangularis werden an der Unterseite des Lappens refixiert. Dies operationen ist auf eine längere Ruhigstellungsdauer und Nachbe-
geschieht durch versenkte Einzelknopfnähte mit resorbierbarem handlung hinzuweisen.
Nahtmaterial (⊡ Abb. 33.25c). Der dorsoradiale Teil des einge-
schlagenen Lappens wird nun zusätzlich unter angemessener
Spannung – evtl. mit transossären Nähten – an der dorsalen Weiterführende Literatur
Lippe der Incisura ulnaris des Radius fixiert. Dazu benutzt man
kräftiges, nicht resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 0. Diese Adams BD, Holley KA (1993) Strains in the articular disk of the triangular
Nahtreihe rafft den Lappen, verstärkt die Führung des Ulnaendes fibrocartilage complex: a biomechanical study.J Hand Surg Am 18(5):
gegenüber dem Radius und verlagert die Sehne des M. extensor 919–925
carpi ulnaris weiter nach dorsal. Vor dem definitiven Verschluss Adams B (2004) Distal radioulnar joint instability. In: Berger RA, Weiss AP
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337
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(⊡ Abb. 33.25d). Vor dem Wundverschluss wird eine Röntgenauf- injuries with DRUJ instability. J Hand Surg Eur 34(5): 582–591
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und ein schichtweiser Wundverschluss. Die verbliebenen freien Borisch N, Haussmann P (2004) [The caput-ulnae-syndrome. Pathogenesis,
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33.3 · Weiterführende Literatur
887 VIII
33

VIII Haut und Weichteile

34 Morbus Dupuytren – 889


Peter Brenner

35 Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten


im Handbereich – 919
Robert Hierner, Zunli Shen

36 Hochdruckeinspritzverletzungen – 985
Berthold Bickert

37 Paravasate im Bereich der oberen Extremität – 995


Horst Koch, Armin Gerger, Benjamin Gehl
33.3 · Weiterführende Literatur
889 34

Morbus Dupuytren
Peter Brenner

34.1 Allgemeines – 890


34.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 890
34.1.2 Epidemiologie – 894
34.1.3 Ätiologie – 896
34.1.4 Diagnostik – 898
34.1.5 Klassifikation – 900
34.1.6 Indikation und Differenzialtherapie – 900
34.1.7 Therapie – 900
34.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 901
34.1.9 Ergebnisse – 902
34.2 Spezielle Techniken – 904
34.2.1 Perkutane Nadelfasziektomie – 904
34.2.2 Open-Palm-Technik nach McCash – 904
34.2.3 Partielle Fasziektomie – 904
34.2.4 Komplette Fasziektomie – 908
34.2.5 Kontinuierliche Distraktionstechnik nach Messina – 908
34.2.6 Varia – 911
34.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 914
34.3.1 Hämatome – 914
34.3.2 Gefäß-Nerven-Verletzungen – 914
34.3.3 Wundrandnekrosen – 914
34.3.4 Transplantatverlust – 914
34.3.5 Lappennekrose – 914
34.3.6 CRPS (Reflexdystrophie, Algodystrophie) – 914
Weiterführende Literatur – 914

H. Towfigh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_34, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


890 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

34.1 Allgemeines kommuniziert somit auch mit den Digitalfaszien (Fascia digitalis)
(⊡ Abb. 34.2).
Der Morbus Dupuytren ist Teil einer systemischen Bindegewebser- An der Unterfläche der Fascia palmaris befinden sich die acht
krankung. Zell- und Bindegewebsproliferationen (Wucherungen) kielartigen Vertikal- oder Intermediärsepten. Sie unterteilen die
des präexistenten Bindegewebskontinuums bedingen manuelle Dys- Hohlhand. Getrennt werden jeweils die Beugesehnenpaare von
ästhesien, evozieren schmerzlose Knotenbildungen der Hohlhand den Mm. lumbricales mit daraufliegenden Gefäß-Nerven-Bündeln.
und verursachen im Spätstadium schließlich die auffällige, digito- In Metarkarpaliahöhe sind die Vertikalsepten vorhanden. Distal
palmare Beugekontraktur (⊡ Abb. 34.1). Dass es sich bei der Dupu- der »Kaplan-Zentrallinie« (ungefähr in Höhe des Lig. transversum
ytren-Erkrankung nicht nur um ein extremitätenchirurgisches Pro- profundum) sind sie nicht mehr nachweisbar (⊡ Abb. 34.3).
blem handelt, bezeugen neben den ektopen Fingerknöchelpolstern Kennzeichen der digitopalmare Übergangszone (Fascia digito-
auch die Induratio penis plastica (Morbus Peyronie), der simultan palmaris) sind die Fasciculi transversales:
auftretende, plantare Morbus Ledderhose, ebenso wie die dystope 1. das Lig. metacarpeum superficiale, synonym auch Lig. natato-
Extremform als ubiquitär vorkommende Polyfibromatose. rium oder transversales Subkutanband des Schwimmbandes
Obendrein führt die aggressive Dupuytren-Diathese zu grotes- (distales Kommissurenband) genannt;
ken sowie rapiden Beugefehlstellungen oftmals an beiden Händen. 2. das tiefer liegende transversale, intermetakarpale Band
Sie ist vergesellschaftet mit auffällig positiver Familienanamnese, (Lig. transversum profundum), das sich zwischen den palma-
eindeutiger Ethnologie, frühzeitigem Erkrankungsgipfel schon in ren Platten der Metakarpophalangelangealgelenke und der
jungen Jahren (deutlich vor der 5. Lebensdekade) mit Ausbreitung Beugesehnenscheide ausspannt.
von zahlreichen, histologischen identischen Bindegewebsdepots
jenseits der Hand sowie Androtropie. Letzteres wird in den Nomina anatomica als Fasciculi transversi
aponeurosis palmaris bezeichnet (⊡ Abb. 34.4).
Das scherengitterartige Geflecht des Schwimmbandes, an dem
34.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie u. a. auch die aus der Tiefe kommenden Vertikalsepten inserieren,
und Physiologie verursacht bei fibrösem Befall eine Adduktionskontraktur der Zwi-
34 schenfingerfalte. Die ursprünglich u-förmige Kommissur wird v-
Ausgangspunkt der Erkrankung sind vorbestehende, dreidimen- förmig verformt, was zu einer Abspreizhemmung der Finger führt.
sionale Palmar- und Digitalfaszien, die man insgesamt als di- Bedeckt werden die tiefer liegenden Fasciculi transversales apo-
gitopalmaren Bindegewebskörper oder -kontinuum bezeichnet. neurosis palmaris durch die oberflächlicheren Fasciculi longitudi-
Interponiert ist zwischen beiden Fasziensystemen die sog. digito- nales zu den Fingern und dem minder ausgeprägten Längsband
palmare Übergangszone. Vereinfachend könnte man sie auch als zum Daumenstrahl: Die vor der Beugesehne längs verlaufenden
eine Art »Knautschzone« beschreiben. Adhäsionen oder »Verlö- (prätendinösen) Palmarfaszienkondensate, welche fächerförmig
tungen« der dreidimensionalen Bindegewebsarchitektur implizie- aus der proximalen Anheftungszone der Aponeurose zu den fünf
ren je nach Blickpunkt eine Beugekontraktur oder vice versa eine Fingerstrahlen bis zur digitopalmaren Übergangszone ziehen, hei-
Streckhemmung. ßen bei pathologischem Dupuytren-Befall Längsstränge.
Die zentrale Hohlhandfaszie (Fascia palmaris) ist eine drei- Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass weder die Longitudi-
eckförmige Bindegewebsplatte, die zwischen der Hypothenar- und nalbänder noch ihre fibrosebefallenen Strangkorrelate als Ver-
Thenarmuskelfaszie (ulnare und radiale Aponeurose) jeweils seit- längerung der Sehne des Palmaris longus anzusehen sind, da sie
wärts angeheftet ist und proximale Zuschüsse von der Tendo auch bei deren Abwesenheit (Aplasie) vorkommen. Vereinfachend
m. palmaris longus oder der Fascia antebrachii erhält. Nach di- dargestellt entsprechen die peripheren Zentralstränge einer Fort-
stal ist sie an den Anteilen des Schwimmbandes aufgehängt und setzung der prätendinösen Stränge.

⊡ Abb. 34.1 Fallbeispiel für die autosomale


Vererbung des Morbus Dupuytren: 35-jähriger
Vater und sein 8-jähriger Sohn. Beide leiden
an einer expansiven Form der digitopalmaren
Fibromatose, die vom Daumenstrahl bis zum
Kleinfinger reicht. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
34.1 · Allgemeines
891 34

⊡ Abb. 34.2 Palmaraponeurose. a Zonenein-


teilung des palmaren Faszienkomplexes. b Der
Palmarfaszienkomplex umfasst 5 anatomische
Komponenten: Fascia thenaris, Fascia hypo-
thenaris, Aponeurosis palmaris, digitopalmare
Übergangszone (»Knautschzone«) und die
Fingerfaszien. Die Palmarfaszie besteht aus
3 Anteilen: thenare, hypothenare und zentrale
b Aponeurose. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
892 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

34

⊡ Abb. 34.3 Vertikal und Intermediärsepten. a Quer-


schnitt durch die distale Mittelhand in Höhe des Me-
tacarpalköpfchens zur Darstellung der Vertikalsepten
nach Legue u. Juvara. Von den Septen werden zwei
unterschiedliche tunnelartige Kompartimente gebildet.
Diese beinhalten einerseits die Beugesehnenscheide
mit dem Beugesehnenpaar, andererseits je einen
M. lumbricalis samt begleitendem Gefäß-Nerven-Bün-
del. b Durch die Vertikalsepten nach Legue u. Juvara
bilden sich 7 Kompartimente. Querschnitte in unter-
schiedlicher Höhe durch die Hand zeigen die Anwe-
senheit der Verikalsepten nur bis in Monticuli-Höhe. Sie
sind bereits unmittelbar distal der Kaplan-Zentrallinie
nicht mehr vorhanden. (Aus Brenner u. Rayan 2003) b
34.1 · Allgemeines
893 34

⊡ Abb. 34.4 Vereinfachtes dreidimensiona-


les Modell des digitopalmaren Kontinuums.
Dargestellt sind die räumlichen Beziehungen
zwischen longitudinalen, transversalen und
vertikalen Faszienzügen. (Aus Brenner u. Rayan
2003)

Zur Fascia digitalis zählen: neurovaskuläre Bündel durch den unterkreuzenden Spiralstrang
1. der Zentralstrang, von einer distalen Dislokation, zur Oberfläche, zur Grundgliedmit-
2. der Spiralstrang, te und schließlich zur Grundgliedbasis verlagert (⊡ Abb. 34.6).
3. der Lateralstrang, Mittseitliche Stauchungszonen der längsgerichteten, tubulä-
4. die Halteligamente des Streckapparates und ren Fingerfaszien werden als Lateralstrang angesehen. Sie führen
5. die Grayson- und Cleland-Ligamente. ebenso wie die Spiralstränge zu einer Beugefehlstellung der Mit-
telgelenke. Dabei können ausgeprägte PIP-Flexionskontrakturen
Der Zentralstrang ist das pathologische Korrelat der von der Hohl- – ähnlich wie bei einer Knopflochdeformität am Mittelgelenk – zu
hand kommenden Fasciculi longitudinales in der Fingermitte. For- einer kompensatorischen Überstreckstellung des Fingerendgelenks
malpathogenetisch unterscheidet man eine kurze und lange Ver- führen. Eine Grundgliedkontraktur verursacht dieser Strang nicht.
laufsform. Beide bedingen eine Grundgelenkbeugung mit Streck- Grundsätzlich unterscheidet man am bindegewebigen Chassis der
hemmung. Im Regelfall verändert der Zentralstrang nicht die Finger 1. die Halteligamente der Haut (Verankerungssystem) und
Lage der neurovaskulären Bündel, die bilateral neben ihm liegen 2. die Halteligamente des Streckapparates. Zu Letzteren zählen
(⊡ Abb. 34.5). die Lamina triangularis, das sagittale Band, das Lig. reticulare
Der Spiralstrang ist eine zusammengesetzte Struktur, die aus transversum und schließlich das Lig. reticulare obliquum nach
dem prätendinösen Band der Palmaraponeurse entstammt. Er Landsmeer (1949, 1976). Das Landsmeer-Band verläuft längsseits
zieht von der mittseitlichen Linie des Metakarpophalangealgelenks der Kapsel vom Interphalangealgelenk und ist selten durch den
und inseriert zumeist mit seinem oberflächlichen Anteil sowohl Morbus Dupuytren befallen. Besteht aber eine retrovaskuläre Fib-
im filiformen Hautverankerungssystem des Retinaculum cutis und rose, kann es sowohl eine Flexionskontraktur des Mittelgelenks als
mit dem tiefen Anteil entweder in der Bindgewebescheide des auch eine Hyperextension im Endgelenk induzieren. Ein kombi-
Fingergrundgelenks oder aber in den Grayson-Ligamenten des nierter Befall mit dem Grayson-Ligament kommt vor. Übersehene
lateralen Fingerfaszienkondensates distal des Mittelgelenks; verein- retrovaskuläre Stränge sind teils die Ursache von repetitiven Klein-
zelt auch proximal davon. Bereits die Namensgebung verdeutlicht, gelenkkontrakturen.
dass wesentliche Faseranteile dieses Strangs um die Gefäß-Nerven- Anteile der Fingerfaszienkondensate sind die palmar des Ge-
Bündel spiralförmig umschlingen und zwingt dieses mit sukzessi- fäß-Nerven-Bündels liegenden Grayson-Ligamente sowie die ret-
ver Kontraktion eine schraubenförmige Verwindung. Rein prag- rovaskulär befindlichen Cleland-Ligamente. In Höhe jedes Inter-
matisch und aus Sicht der chirurgischen Dissektion unterscheidet phalangealgelenks spannt sich v-förmig und bilateral ein Cleland-
McFarlane (1984) drei Typen: Mit zunehmender Flexion wird das Band aus. Diese längsgerichteten Fasersysteme verhindern u. a.
894 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

die Dislokation des Gefäß-Nerven-Bündels unter Streckung und


Beugung. Eine Fibrosebefall ist denkbar.
Um die verwirrende Komplexität des dreidimensionalen digi-
topalmaren Bindegewebskörper didaktisch verständlich zu illus-
trieren, lamellierten Holland et al. (1997) das Kontinuum in drei
Längslagen: Lage 1 (superfizielles Fasziensystem); Lage 2 (Interme-
diäres Fasersystem) und Lage 3 (tiefes Fasziensytem). ⊡ Abb. 34.7
fasst die Lageverhältnisse zusammen.
⊡ Abb. 34.8 fasst die typischen Fasziensystem des Radial- und
Ulnartypen der Dupuytren-Kontraktur zusammen, auf deren klini-
schen Merkmale weiter hinten eingegangen wird.

34.1.2 Epidemiologie

Der Morbus Dupuytren – als superfizielle Fibromatose – ist die


häufigste Neubildung an der Hand. Von dieser Volkskrankheit sind
rund 1,9 Mio. Deutsche betroffen. Daraus ergibt sich einerseits die
volkswirtschaftliche Bedeutung der Erkrankung und andererseits
eine individuelle Restriktion im Gebrauch der befallenen Hand:
Neben dem beruflichen Handicap, mit Griffunsicherheit und er-
höhtem Unfallrisiko, stellt die Dupuytren-Kontraktur gerade im
kalten Norden eine erhebliche Beeinträchtigung der persönlichen
Lebensführung dar. Dies umso mehr, wenn beispielsweise die Fle-
34 xionskontraktur das Einstecken der Hand in die Hosentasche oder
das Anziehen von Handschuhen im Winter vereitelt.
Schwerpunktmäßig erkranken Nordeuropäer oder deren
Nachfahren beispielsweise in Australien und Nordamerika. Im
Mittelmeerraum ist das Krankheitsbild dagegen rar. Ganz selten
sind Schwarzafrikaner und Asiaten von der digitoplamaren Flexi-
onskontraktur betroffen: Mit fortschreitendem Lebensalter besteht
ein kontinuierlicher Anstieg der Dupuytren-Prävalenz. Charakte-
ristisch ist die Antrotropie, d. h. deutlich mehr Männer als Frauen
zeigen eine digitopalmare Kontraktur. Männer erkranken überwie-
gend in der 4.–5. Lebensdekade, Frauen meistens 15 Jahre später.
Wohl aufgrund dieser zeitlichen Latenz weisen Frauen auch eine
⊡ Abb. 34.5 Synopse der bedeutendsten pathologischen Dupuytren-Stränge, moderate Form der Beugefehlstellung auf.
welche Kontrakturen an Fingergrund- und -mittelgelenken verursachen. Nicht Oft beginnt der Morbus Dupuytren einseitig. Dabei wird die
abgebildet ist der perivakuläre Strang. (Aus Brenner u. Rayan 2003) dominante Seite keineswegs häufiger befallen. Allerdings lassen

⊡ Abb. 34.6 Anatomie des Spi-


ralstranges. Von links nach rechts
nimmt die Flexion des Fingermit-
telgelenks durch den Spiralstrang
zu. Mit zunehmender Beugung
wird das Gefäß-Nerven-Bündel
von distal nach proximal disloziert.
Schließlich ist das Gefäß-Nerven-
Bündel gefährlich nach zentral und
zur Oberfläche verlagert. Bei der
chirurgischen Dissektion steigt die
Möglichkeit einer akzidentellen Ver-
letzung des Gefäß-Nerven-Bündels.
(Aus Brenner u. Rayan 2003) a b c
34.1 · Allgemeines
895 34

⊡ Abb. 34.7 Die Lageverhältnisse der


Longitudinal- und Transversalfasern in der
digitopalmaren Übergangszone: Die ober-
flächlichen Längsfasern der Lage 1 inserieren
im Retinaculum cutis. Die intermediären Fa-
sern der Lage 2 verlaufen spiralförmig um das
Gefäß-Nerven-Bündel. Beide längsgerichteten
Faserzüge ziehen zunächst oberflächlich der
Transversalfasern, um unterhalb des Lig. me-
tacarpale transversum superficialie einzu-
tauchen. Die tiefen Fasern der Lage 3 teilen
sich in zwei Portionen: Charakteristisch für
die Lage 3a ist ihr Verlauf hinter der Lage 2.
Oberdrein zweigt sie gesetzmäßig oberhalb,
aber distal der Transversalfasern ab. Tauchen
die proximalen Faseranteile unterhalt der
Transversalfasern ein, bilden sie die Lage 3b.
(Aus Brenner u. Rayan 2003)

⊡ Abb. 34.8 Fasziensystem des Radial- und Ulnartypen der Dupuytren-Kon-


traktur. a Proximales und distales Kommissurenligament lassen sich bereits
im Normalzustand durch Abspreizung des Daumens im 1. Zwischenfinger-
raum zur Darstellung bringen. b Die wichtigsten radialen Fasziensysteme.
Prätendinöses Band am Daumen mit y-förmiger Aufteilung; starker Anteil
zum Zeigefinger, geringer Anteil zum Daumen, c spezielle Anatomie der
c Faszien- und Sehnenverhältnisse am subkapitalen Querschnitt der Kleinfin-
gerseite. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
896 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

sich die Betroffenen frühzeitiger an ihrer funktionell gestörten, sein, welche die Fibroblastenproliferation einerseits zur Leberzirrhose
dominanten Hand häufiger operieren, was das statistische Überge- und andererseits zur digitopalmaren Fibromatose anregen kann. Mit
wicht in operativ orientierten Statistiken erklärt. 28% respektive 22% hatten sowohl Alkoholiker wie auch Abstinente
mit gleicher Lebererkrankung eine höher Dupuytren-Prävalenz im
Vergleich zur Kontrollegruppe, die sich aus altersgleichen Traumapa-
34.1.3 Ätiologie tienten eines Manchester Krankenhauses rekrutierten.
Ähnlich sieht man die Assoziation von Diabetes mellitus und
Der verständliche Wunsch diese systemische Allgemeinerkran- Morbus Dupuytren, wo es aufgrund der diabetischen Mikroangiopa-
kung des Bindegewebes monokausal zu erklären, muss als geschei- thie zur lokalen Ischämie mit Freisetzung von freien Sauerstoffradi-
tert gelten. Unzählige Hypothesen zur Ätiologie der Dupuytren- kalen kommt, welche wiederum die Fibromatose stimulieren.
Erkrankung sind veröffentlicht worden. Wir beschränken uns auf Vor allem die Kombination aus Epilepsie und Dupuytren-
die meist kontrovers diskutierten Anschauungen, die einerseits Flexionskontraktur ist häufig anzutreffen. Epileptiker haben eine
Relevanz für die chirurgische Methodenwahl und andererseits eine 5-fach höhere Inzidenz der Beugekontraktur, während bei Epilepti-
Bedeutung für eine systemische Therapie besitzen. kerinnen das Risiko sogar um das 11-fache gesteigert ist.
Das konkordante Vorkommen der Dupuytren-Kontraktur, das Hinsichtlich der Koinzidenz zwischen Epilepsie und der palma-
Jentsch (1937) bei eineiigen Zwillingen beobachtete, wertete er ren Fibromatose bestehen zwei wesentliche Hypothesen:
als eindeutigen Beweis für die Erblichkeit des Krankheitsbildes: 1. Sowohl die Epilepsie als auch die Dupuytren-Kontraktur besit-
Heute gehen wir von einem autosomal-dominanten Erbgang der zen eine genetische und damit vererbliche Grundlage.
digitopalmaren Fibromatose mit variabler Penetranz aus. Die volle 2. Die Zunahme der digitopalmaren Fibromatose wird als Se-
Genexpression tritt bei Männern erst jenseits des 75. Lebensjahrs kundäreffekt infolge Medikation (z. B. Antikonvulsiva oder
auf. Dagegen besteht für Frauen eine geringere Penetranz. Eine Phenobarbital) verstanden.
Ausnahme gilt allerdings für das weibliche Geschlecht mit Homo-
zytogie durch beide Elternteile. Die Homozygotie bedingt zugleich Der Morbus Dupuytren entsteht keinesfalls als eine de Novo-Pro-
einen aggressiveren Krankheitsverlauf. liferation (externe Hypothese), sondern entwickelt sich aus entlang
34 Wie Einzelfälle unter reinrassigen ethnischen Gruppen von Af- des chassisartigen, digitopalmaren Bindegewebskörpers (interne
rikanern, Afroamerikanern, Asiaten und sonst nicht prädisponier- Theorie).
ten Personenkreisen zeigen, aber auch das Auftreten des Morbus Der primäre Induktor des Morbus Dupuytren, der insbesondere
Dupuytren bei Kleinkindern belegt, gibt es offensichtlich ein spora- die Freisetzung von FGF (»fibroblast growth factor«) aus endotheli-
disches und spontanes Auftreten der Erkrankung ( Abschn. 34.1.8). alen oder perivaskulären Zellen ermöglicht und als angiogenetische
Weiterhin gilt als gesichert, dass die oben genannte Ge- Antwort zur Proliferation von Fibroblasten und den pathognomi-
nexpression insbesondere von Matrix-Metallpreinase (MMP2, sche Myofibroblasten führt, schien bislang unbekannt. Ein mög-
MMP13, MMP14, MMP16, MMP19), ebenso wie »Thrombopon- licher Kausalfaktor sind Sauerstoffradikale. Letztere sind Atome
tif motifs« (ADAMTS2, ADAMTS4, ADAMTS5, ADAMTS14 oder Moleküle mit einem unpaaren Elektron auf ihrem äußeren
und ADAMTS16) parallel zur Rezidivrate der Flexionskontrak- Orbit (univalent reduziertes Sauerstoffatom oder -molekül). Der
tur verläuft. Drang ein weiteres Elektron einzufangen, macht Sauerstoffradikale
Gleichalt wie die Medizingeschichte der digitopalmaren Fibro- zu chemisch hochreaktiven Substanzen im Gewebe. Vermehrte Sau-
matose ist der Versuch einen Zusammenhang zwischen Handtrauma erstoffradikale bilden sich bei Hyperoxämie (»respiratory distress
und dem Morbus Dupuytren zu schaffen. Der Beweis von Hämo- syndrome«), ferner bei andauernder Gewebehypoxie (mikrovasku-
siderinablagerungen in histologischen Schnitten schien diese An- läre Okklusion), bei Entzündungsvorgängen (Autoimmunerkran-
nahme zu bestätigen, ebenso der klinisch höhere Ausprägungsgrad kungen), als Folge von Strahlentherapie (antineoplastischer Effekt
bei repetitiver »Erschütterung«. Doch wie verhält es sich bei nicht der Radiolyse) und unter Einwirkung spezifische Toxine (Äthyl-
händisch Tätigen, die gleichwohl einen mechanischen Hohlhand- alkohol, medikamenteninduzierte Lebertoxizität). Aufgrund einer
stress durch stundenlanges Golfen oder enthusiastisches Tennisspiels überschießenden Radikalenbildung und/oder einer Schwächung
vorzuweisen haben? In Mitteleuropa und Nordamerika negiert man der antioxidativer Schutzsysteme resultiert »oxidativer Stress«.
daher die Traumagenese mehrheitlich, während der Morbus Dupu- Antioxidanzien – sog. Scavenger – wie etwa Vitamin A, C, E
ytren in einzelnen europäischen Ländern (Bulgarien, Dänemark, (Retinol, Ascorbinsäure und Tocopherol) vermögen ebenso wie
ehemalige Sowjetunion) gar als Berufserkrankung anerkannt wird. Gutathion, Cystein, Lycopin (in Tomaten) und Zeaxanthin (im
So kommt es, dass u. a. auch Khan et al. (2004) sogar einen Mais) das zur Vervollständigung der Sauerstoffreduktion benötigte
inversen Einfluss der manuellen Arbeit mit der Ausbreitung des zusätzliche Elektron bereitzustellen und somit die Sauerstoffradi-
Morbus Dupuytren postulieren (n=502.493 Probanden, ungefähr kale zu eliminieren.
1% der Population von England und Wales). Kommt es zu keiner »Pufferung« der Sauerstoffradikale, resul-
Etliche, überwiegend internistische Erkrankungen sind mit der tiert infolge einer Störung der andenosintriphosphatabhängigen
Dupuytren-Erkrankung assoziiert, ätiologische Gemeinsamkeiten Zellmembranfunktion der programmierte Zelltod (Apoptose).
aber nicht schlüssig bewiesen worden. Exzessiver Alkoholkonsum ist Unter Hypoxiebedingungen wandelt sich die Energiegewin-
unter Dupuytren-Kranken signifikant häufiger als unter nicht befal- nung von der ökonomischen oxydativen Phosphorrylierung zur
len Probanden (7,3 »units« versus 5,4 »units« wöchentlich). Alkohol unwirtschafltichen anaeroben Glykolyse. Lokale Ischämie verur-
verursacht dabei eine unvollständige Oxidation einzelner Fettsäuren. sacht einen ATP-Abbau bis zu den Purinbasen Hypoxanthin und
Akkumulierende kurzkettige Fettsäuren und der Anstieg des Oc- Xanthin; zugleich wird Hypoxanthindehydrogenase zu Xanthinoxi-
tanoats sind für die konsekutive Leberhypoxie verantwortlich. Im datse verstoffwechselt. Schließlich werden die resultierenden freien
Dupuytren-Gewebe findet man pathologische Konzentrationen von Radikale freigesetzt. Neben der Ischämie ist es insbesondere der
Methylesthern und freiem Cholesterol. Diese Marker der lipogene- Alkohol, der diese Transformation begünstigt; ein Umstand, der für
tischen Aktivität scheinen somit Ausdruck einer milden Hypoxie zu die Koinzidenz von Alkoholabusus und Morbus Dupuytren spricht.
34.1 · Allgemeines
897 34
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Hy- der Hypoxanthinoxidase, entstehen erneut freie Sauerstoffradikale.
poxanthindehydrogenase in der menschlichen Skelettmuskulatur Den Effekt der durch die Blutleere bedingten Ischämie bei Gesun-
und ebenfalls in den kapillären Endothelzellen in mehrfach höhe- den veranschlagen sie mit unter 10% gegenüber einem globalen
rer Konzentration als in allen Körperzellen vorliegt. Kommt freies Anstieg um 600% beim Morbus Dupuytren.
Hypoxanthin mit molekularem Sauerstoff zusammen, so bilden In den von Morbus Dupuytren befallenen Palmarfaszie nimmt
sich einerseits Urat und andererseits freie Sauerstoffradikale. die Konzentration an Hypoxanthin entsprechend der Zelldichte
Entweder die entstehenden freien Radikale, deren Halbwertzeit an Fibroblasten zu und ist zweimal größer in dem als »Knoten«
nur einige Millisekunden beträgt, oder aber deren Zerfallspro- klassifizierten Gewebe im Vergleich zum »Strang«. Das Verhältnis
dukte schädigen die Mikrogefäßlumina und vermögen zumindest beträgt 0,32 μmol Hypoxanthin pro Gramm Nassgewicht versus
theoretisch Perizyten oder Fibroblasten zur Umwandlung in die 0,14 μmol Hypoxanthin/g Nassgewicht (p<0,005).
pathognomischen Myofibroblasten zu beeinflussen. Dieser Vor- Es waren Wilutzky et al (1998), die für den Morbus Dupuytren
gang beschleunigt eine Verengung der Mikrogefäßlumina und zeigen konnten, dass endogen freigesetzte Radikale eine Apoptose
perpetuiert daher die lokale Ischämie sowie die Generation von (programmierter Zelltod) der Myofibroblasten induzieren, verge-
weiteren Radikalen. Auch Nikotinabusus fördert diese uniforme sellschaftet mit konsekutiver DNS-Fragmentation, die zur lokalen
Pathologie. Proliferation von Fibroblasten oder fibroblastenähnlichen Zellfor-
Überzeugend zeigten Murrel et al. (1987, 1990), dass das pa- mationen führt.
thologische Fasziengewebe von Dupuytren-Kranken eine 6-fach Diese Ergebnisse erhärten Vorbefunde von Murrell et al. (1992,
höhere Konzentration an Hypoxanthin im Vergleich zum ver- 1994), wonach endogen freigesetzte Radikale die Fibroblastenproli-
meintlich normalen Fasziengewebe enthält. Reagiert Letzteres mit feration simulieren (⊡ Abb. 34.9)

⊡ Abb. 34.9 Vereinfachender Erklärungsversuch zur Ätiopathogenese des Morbus Dupuytren anhand der Sauerstoffradikalentheorie. Kapilläre Lumenein-
engung gepaart mit den Kofaktoren Alter, Vererbung, Umwelt, Geschlecht, Diabetes mellitus, Epilepsie und möglicherweise Zugbelastung begünstigen die
fortschreitende Ischämie. Diese wird durch die Sauerstoffradikale, die beispielsweise durch Alkohol, Nikotin und eventuell auch durch die HIV-Erkrankung
freigesetzt werden, perpetuiert. Die ökonomische Energiegewinnung durch aerobe Phosphorylierung weicht im Beisein von Sauerstoffradikalen der unwirt-
schaftlichen anaeroben Glykolyse, an deren Endpunkt Harnsäure gebildet wird. Dieses unwirtliche Milieu stimuliert die Fibroblastenproliferation. Während-
dessen nimmt die Typ-I-Kollagen-Synthese ab. Gleichzeitig steigt die Bildung von Typ-III-Kollagen, was zur deutlichen Verschiebung der Verhältniszahl führt.
(Aus Brenner u. Rayan 2003)
898 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

Angemerkt sei, dass Fibroblasten selbst in Zellkulturen ihre FGF(»fibroblast growth factor«), PDGF (»platlet derived growth
eigenen Radikale generieren und freisetzen. Trelstad (1981) de- factor«) und TGF β (»transforming growth factor subunit β«) sti-
monstrierte, dass Sauerstoffradikale auf nicht enzymatischem muliert die Proliferation von Fibroblasten ebenso wie die Angioge-
Wege Residuen von Prolin und Lysin hydroxylieren und somit nese. Fibroblasten produzieren Kollagen und Glykosaminoglykane
einen Anstieg der Kollagenproduktion sowie der Angiogenese (GAG) und beeinflussen die extrazelluläre Matrix (ECM), in der
verursachen. sie existieren (Auto- oder Parakrinie). Die Zellen beeindrucken
Grundsätzlich besteht Bindegewebe zu 10% aus zellulären und durch ein Intermediärstadium zwischen erwachsenen und virust-
zu 90% aus extrazellulären Bestandteilen. Um die Zusammen- ransformierten Fibroblasten.
hänge innerhalb der extrazellulären Matrix – die sowohl Kollagene Grundsätzlich unterscheidet man bei den fibrösen Proteinen
aus auch Glykosaminoglykane enthält – zu verdeutlichen, sei ein einerseits nach Strukturproteinen und andererseits nach adhäsiven
bildhafter Vergleich mit dem Stahlbetonbau erlaubt. Stahlbeton Proteinen. Kollagen ist das bekannteste Strukturprotein.
besteht üblicher Weise aus Stahlgeflecht und einem Sand-Zement- Eine Auffälligkeit bei der digitopalmaren Fibromatose ist die
Gemisch, dem zusätzlich Kieselsteine beigemengt sind. In Analo- signifikante Zunahme der Kollagenkonzentration, besonders des
gie zu den Verhältnissen in der extrazellulären Matrix entsprechen Kollagens Typ III in der extrazellulären Matrix. Die extrazellu-
die Kieselsteine den Bindegewebszellen, das Stahlgeflecht den Kol- läre Matrix stabilisiert nicht nur die Kollagenfibrillen, sondern
lagenfibrillen und das Sand-Zement-Gemisch den Glykosamino- spielt eine aktive Rolle beim Zellkontakt und der Migration von
glykanen. Zellen.
Prinzipiell unterscheidet man die Zellen der extrazellulä- Werden Sauerstoffradikale in den Extrazelluarraum freigesetzt,
ren Matrix hinsichtlich ihres Migrationsverhaltens. Zu den orts- bewirken sie u. a. eine Gewebeschädigung aufgrund der Peroxida-
ständigen (fixen) Zellen zählen die juvenilen Fibroblasten und tion von Fett, es kommt zu Membranzerreißungen von Organellen
die adulten Fibrozyten, während u. a. Histiozyten, Plasmazellen, und zur Degradation von Glykosaminoglykanen, insbesondere der
Mono- und Lymphozyten zur wandernden (mobilen) Zellreihe Hyaluronsäure.
gehört. Die Glykosaminoglykan-Disaccharide im Blut sind wertvolle
Die bedeutendste fixe Bindegewebszelle ist der Fibroblast, der Kenngrößen, um einen verstärkten Umbau von Bindegewebe beim
34 mit seinen Ausläufern ein Gitter- oder Maschenwerk bildet, in dem Morbus Dupuytren nachzuweisen. Die Konzentration von Hyalu-
sich die mobilen Bindegewebszellen bewegen. Als Vorläufer des ronsäure ist bei den Dupuytren-befallenen Patienten signifikant
Fibrozyten gilt der spindelförmige Fibroblast. Er ist eine der facet- erhöht. Chondroitin und Chondroitin-4-sulfat werden ebenfalls
tenreichsten Zellarten, die wir kennen. Plakativ betrachtet ist der erhöht im Plasma vorgefunden. Dermatan und Dermatansulfat
Fibroblast die betriebsame, syntheseaktive Zellform, während die werden nicht oder nur in geringer Konzentration im Blutplasma
Fibrozyten als ruhende, synthesearme Bindegewebszellen gelten der Erkrankten nachgewiesen. Spezielle Glykosaminoglykane wie
(⊡ Abb. 34.10). Hyaluronsäure sind potenziell geeignet, um die Progression der
Seit Gabbiani u. Majno (1972) werden Myofibroblasten als Erkrankung und die Rezidivwahrscheinlichkeit einschätzen zu
morphologisches Charakteristikum des Morbus Dupuytren ange- können.
sehen. Dabei impliziert die Namensgebung dieses spezialisierten Folglich handelt es sich beim Morbus Dupuytren um eine sys-
Fibroblasten, d. h. dieses Myofibroblast, zahlreiche morphologi- temische Bindegewebserkrankung mit einem erhöhten »Turnover«
sche Kennzeichen glatter Muskelzellen (längs orientierte Mikrofila- der plasmatischen und fazialen Glykosaminoglykane.
mente, »dense bodies«, auffällige Einbuchtungen und Fältelungen
des Zellkern) besitzen.
Typisierungsversuche von Skalli et al. (1989) und Schürch et 34.1.4 Diagnostik
al. (1990) nach vier zytoskeletalen Formen zeigen folgende Merk-
male: Der Morbus Dupuytren ist eine Blickdiagnose, wobei die ulnare
1. Phänotyp V: Ausschließlich Vimetin-postive Zellen scheinen Beugefehlstellung der Finger als Geigerhand im Spätstadium im-
vom Fibroblasten zu stammen. Vimetin ist dabei der Grund- poniert. Die Flexionskontraktur beginnt aber mit trichterförmigen
baustein der Intermediärfilamente. Reliefstörungen der distalen Palma manus. Gesetzmäßig sind diese
2. Phänotyp VAD: Bei dieser Klasse besitzen die Myofibroblas- u-förmigen Stauchungszonen nach distal offen. Man nennt dies
ten positive Rezeptoren für Vimetin, α-Aktin und Desmin. das Hugh-Johnson-Zeichen (Johnson 1980). Anfänglich sind digi-
α-Smooth-Muscle-Aktin und faktultativ Desmin sind Indi- topalmar lediglich derbe Knoten tastbar, die man fälschlicherweise
katoren glattmuskulärer Eigenschaften. Die Expression des einer Bagatellverletzung beimisst. Es folgen longitudinale, sicht-
α-Smooth-Muscle-Aktins korreliert mit der kontraktilen Kraft oder tastbare Stränge mit flächenhafter Induration. Strangbildun-
und ist somit je nach Erkrankungsstadium des Morbus Du- gen der Schwimmbänder in den Zwischenfingerräumen bedingen
puytren verschieden. Vermehrt findet man Desmin in nicht einerseits eine v-förmige Deformierung der Kommissur, anderer-
muskulären, mesenchymalen Zellen , beispielsweise in Endo- seits schränken sie die Handspanne ein. Im Spätstadium imponie-
thelzellen. ren die betenden Hände (»prayer sign«).
3. Phänotyp VA: Mit Nachweis von Vimetin, α-Aktin von glatter Klassischerweise erkranken in abnehmender Häufigkeit der
Muskulatur. Ring-, Mittel- und Kleinfinger. Sie stellen den häufigen Ulnartyp
4. Phänotyp VD: Bei diesem sind die Myofibroblasten positiv für des Morbus Dupuytren dar.
Vimetin und Desmin. Aufgrund des unterschiedlichen Krankheitsverlauf, der ande-
ren Rezidivquote und dem zu erzielenden Operationsergebnis gilt
Hinsichtlich der Herkunft des Fibroblasten gehen wir gegenwärtig es, davon den selteneren radialen Typ des Morbus Dupuytren zu
davon aus, dass die Zelle einen nichtepithelialen Ursprung hat, unterscheiden. Charakteristisch ist hierbei der zusätzliche Befall
nachdem sie gegenüber dem von-Willebrandt-Faktor negativ ist. von Daumen und Zeigefinger und deren gemeinsamer Kommissur.
Fibroblasten besitzen die Mimikrie von Makrophagen. Basisches Angaben zur Inzidenz des Radialtyps vom Morbus Dupuytren
34.1 · Allgemeines
899 34

b c

⊡ Abb. 34.10 Zustände der Palmaraponeurose. a Bindegewebe. Normalbefund: Die facettenreichste Bindegewebszelle ist der längsovale bis spindelförmige
Fibroblast (links). Er besitzt zahlreiche, verplumpte Fortsätze. Kennzeichen seiner hohen Syntheserate sind das reichliche, endoplasmatische Reticulum, Mito-
chondrien und pinozytotische Bläschen. Die für die Kontraktion wichtigen Mikrofilamente verlaufen von intra- nach extrazellulär. Diese stehen in Beziehung
einerseits zu den Kollagenfibrillen, andererseits verlaufen sie innerhalb der Kollagenfasern weiter. Wegen der geringen Syntheseleistung des maturen Fibrozy-
ten ist dessen endoplasmatisches Reticulum nur spärlich ausgebildet. Als baumwurzelartige Strukturen sind die elastischen Fasern dargestellt. Die Zwischen-
räume diese Geflechtes werden durch Glykosaminoglykane ausgefüllt, welche aufgrund ihres Wasserbindungsvermögens einen gallertigen Zustand schaffen.
b Palmarfaszie: hyperzellulärer Knoten. c Palmarfaszie: Strangstadium. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
900 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

variieren in der zugänglichen Literatur zwischen 3,3–39%. Gründe 34.1.6 Indikation und Differenzialtherapie
der bisherigen Unterbewertung des spezifischen Krankheitsbildes
sind dem flüchtigen Übersehen oder der Unkenntnis hinsichtlich Die Operationsindikation berücksichtigt folgende Überlegungen:
des Detailwissens zuzuordnen. 1. Obwohl der Morbus Dupuytren eine tumorähnliche Läsion
(Bindegewebswucherung) darstellt, ist seine Dignität gutartig.
2. Die digitopalmare Beugekontraktur kann unabhängig vom
34.1.5 Klassifikation dem Krankheitsstadium temporär oder dauerhaft spontan und
ohne jegliche chirurgische Intervention zum Stillstand kom-
Eine Klassifikation ist zur Standardisierung der Indikationsstel- men.
lung, wie auch zur vereinfachten Bewertung der erzielten Ope- 3. Beeinträchtigungen des Alltagslebens bestehend überwiegend
rationsergebnisse zwingend notwendig. Im klinischen Alltag hat erst ab dem Tubiana-Stadium III. Eine Operationsindikation
sich Tubianas Stadieneinteilung bewährt. Der Inaugurator teilt resultiert mehrheitliche erst bei einem positiven Table-Top-
die Hand längs in 5 digitopalmare Segmente ein. Jedes Segment Test.
besteht aus einem Finger und seiner zugehörigen digitopalma- 4. Sofern ein Frühstadium der Dupuytren-Kontraktur besteht,
ren Zone. Der 1. Zwischenfingerraum gehört kalkulatorisch dem ergeben erst subjektive Beeinträchtigungen, wie etwa Griffun-
Daumensegment an. Für jedes Segment werden die Läsionen der sicherheit oder nervale Irritationen, eine Relativindikation zur
Hohlhand und der Finger einem bestimmten Stadium zugeordnet, Operation.
das auch die Punktezahl des jeweiligen Längssegmentes widerspie- 5. Ernste, eingriffsimmanente Komplikationen sind dem künf-
gelt. Jedes Stadium entspricht der stufenweise einer Änderung oder tigen, funkionellen Rückgewinn einer erfolgreichen Faszi-
einem Streckdefizit von 45° eines Fingers oder eines Segmentes. ektomie bereits vor der Indikationsstellung zur Operation
Die totale Deformität oder Gesamtkontraktur eines Fingers ist die eines Morbus Dupuytren gegenüberzustellen. Auch sollte das
Summe der Streckdefizite aller drei Fingergelenke (Grund-, Mit- kalkulierte Operationsergebnis gegen den zu erwartenden
tel-, und Endgelenk). Besteht zudem eine Überstreckstellung des spontanen Krankheitsverlauf jeweils gedanklich abgewogen
Endgliedes ist ihr Ausmaß zur Gesamtsumme der Kontraktur zu werden.
34 addieren. Die Bewegungsbreite des einzelnen Fingers kann sowohl 6. Bekanntermaßen deuten die nachweisbaren Glykosamino-
von 0° bis zu 200° bei schwerer Kontraktur mit bis zur Hohlhand glykankonzentrationen im Blutplasma darauf hin, dass der
reichenden Fehlstellung variieren. Für den Daumen mit nur zwei Morbus Dupuytren nicht nur eine digitopalmare Flexions-
Gelenken (Grund- und Interphalangealgelenk) sind Deformitäten kontraktur darstellt, sondern eine systemische Bindegewebs-
zwischen 0–160° möglich. Die Schweregrade oder Stadien der Beu- erkrankung. Folglich kann diese nicht ortsständig und mittels
gekontraktur an den Fingern und ihrer Hohlhandsegemente teilt Skalpell therapiert werden. In Anerkennung dieser faktischen
man in 6 Stadien, wie folgt ein: Lage erscheint es geboten, antatt von der Dupuytren-Kon-
traktur von einer »maladie de Dupuytren«, also von einer
Dupuytren-Erkrankung oder dem Morbus Dupuytren, zu
▬ Stadium 0: Keine Streckhemmung; keine Läsion (keine sprechen.
Punkte). 7. Phänotypisierungen, der Nachweis von genetischen Moasizis-
▬ Stadium N: Der Suffix N (Nodus) steht für einen Knoten, al- men ebenso wie die diversen positiven Familienanamnesen,
lerdings ohne Kontraktur (lediglich 0,5 Punkte erzielbar). die Ergebnisse der Zwillingsforschung und die DNS-Analysen
▬ Stadium 1: Die Summe der Streckdefizite an sämtlichen Fin- bei migrierten Volksstämmen, legen den Schluss nahe, dass
gergelenken beträgt insgesamt bis zu 45°. der Morbus Dupuytren eine idiopathische, genetische Er-
▬ Stadium 2: Mit der Gesamtkontraktur von 46–90°. krankung ist. Ihre Ätiopathogenese kann nicht anhand eines
▬ Stadium 3: Die Streckhemmung reicht von 91–135°. monokausalen Ursachen-Wirkungs-Prinzips erklärt werden.
▬ Stadium 4: Mit einer Gesamtkontraktur über 135°. Somit ist diese fibromatöse Erkrankung auch nicht ausschließ-
lich chirurgisch therapierbar.

Nach Tubiana entspricht die Adduktionskontraktur der 1. Kom-


missur einem Verlust der Abspreizung (Abduktion) von jeweils 15° 34.1.7 Therapie
(Abb. 25a-d). Daraus ergibt sich:
▬ Stadium 0: weder Knoten, noch Abduktionsverlust. Der folgende Abschnitt kompiliert grundverschiedene Indikatio-
▬ Stadium N: Knoten. nen von gängigen Operationsmethoden, einschließlich alternativer
▬ Stadium 1: Abspreizwinkel zwischen 45 und 30°. Verfahren sowie ergänzende operative Maßnahmen, die auf eine
▬ Stadium 2: Abspreizwinkel zwischen 29 und 15°. Verbesserung der Handfunktion zielen.
▬ Stadium 3: Abspreizwinkel zwischen 14 und 0°. Das einfachste Verfahren ist die Fasziotomie. Grundsätzlich
unterscheiden wir dabei die subkutane Fasziotomie, die »blind«
Somit beträgt die Zwischensumme der Streckhemmung maxi- und nur tastend durchgeführt wird, von der lokoregionären Fas-
mal 20 Punkte, die Zwischensumme für die eingeschränkte Ab- ziotomie, die an einer Stelle jeweils die Haut, die Subkutis und den
spreizfähigkeit höchstens 3 Punkte. Summarisch ist somit ein bogenartig vorspringenden Strang unter Sicht durch einen Schnitt
Höchstwert von 23 Tubiana-Punkten erreichbar. Suffixe wie »F« durchtrennt. Sie zielt auf eine Funktionsverbesserung infolge der
(Fusion), das eine Ankylose versinnbildlich oder »R« (echtes minimalinvasiven gewöhnlichen Strangdurchtrennung. Als Pallia-
Rezidiv) können die vorgenannte Skalierung ergänzen. Allerdings tivverfahren ist sie vorwiegend bei alten Patienten im reduzierten
gibt es kein universelles Graduierungssystem, das die vielfältigen Allgemeinzustand indiziert. Bei jüngeren Patienten ist sie immer
Ausdrucksformen und Variationen des Morbus Dupyutren erfas- dann anzuwenden, wenn infolge anderer Gründe ein expansiveres
sen kann. Fasziektomieverfahren ausscheidet.
34.1 · Allgemeines
901 34
Zudem kann die gewöhnliche Fasziotomie der erste Schritt zur 34.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter
zweizeitigen, inkompletten oder kompletten Aponeurektomie sein.
Eine präliminare Fasziotomie kann auch die Vorbereitung für Obgleich seit der Erstbeschreibung der juvenilen Fibroamtose durch
die kontinuierliche Extensionstechnik sein, die im speziellen Teil Dupuytren (1832) bekannt, ist das Krankheitsbild eine Rarität. Die
besprochen wird. Inzidenz der histologisch bewiesenen Fibromatose an der Hand
Die »quasi-chirurgische«, zumeist mehrzeitige Nadelfasziekto- und Fingern beträgt bei Kindern unter 0,5%. Einzelfälle von kon-
mie, welche praktisch einer modifizierten Fasziotomie mittels einer genitalem Morbus Dupuytren wurden bei Säuglingen, Babys im
geschliffenen Kanüle entspricht, wird ebenfalls als Minimaleingriff Krabbelalter, bei Kindern und Teenagern beschrieben. Die größte
unter Lokalanästhesie bei Rheumatikern oder Multimorbiden pro- Serie von superfizieller Fibromatose bei Kindern unterhalb von
pagiert. Initialer Ausgangspunkt dieser Methode war hauptsächlich 13 Jahren wurde durch Urban et al. (1996) veröffentlicht. Die Auto-
der frankophone Raum. ren berichten über zwei eigene Fälle und kompilieren sieben andere,
McCash (1964) kehrte zu den Grundzügen der Fasziektomie- histologisch verifizierte Fallbeispiele kongenitaler Beugekontrak-
technik, wie sie 1832 Baron Dupuytren ursprünglich propagierte tur, die während der letzten 200 Jahre dokumentiert wurden. Der
hatte zurück: jüngste publizierte Fall eines Morbus Dupuytren betraf ein 10 Mo-
1. Transversalinzisionen in den häutigen Querfurchen, nate altes Mädchen, während der von uns operierte und berichtete
2. Resektion ausschließlich der die Kontraktur verursachenden Fall sich auf einen histologisch bewiesenen Morbus Dupuytren bei
Stränge, einem 6 Monate alten Säugling bezog. Bislang ist unklar, weshalb
3. Schienenbehandlung für 4 Wochen postoperativ und die digitopalmare Fibromatose das männliche Geschlecht mehr
4. eine offen belassene Wunde, die durch Granulation heilt. als das weibliche betrifft. Auch für den Morbus Dupuytren im
Wachstumsalter gilt die Androtopie. Mit einer Spontanmutation ist
Es war der Inaugurator der Open-Palm-Technik, der betonte, dass bei 1:100.000 Neugeborenen aufgrund von chromosomalen Mosai-
zwar seine Methode primär zu einem Release der metakarpopha- zismen, Chromosomenanomalien –Y; respektive Trisomien +7 und
langealen Kontraktur führt, die Fingerdissektion jedoch prinzipiell +8 zu rechnen. Darüber hinaus zeigen epidemiologische Studien an
an den Mittelgelenken endet. Ein Release der proximalen Interpha- »reinrassigen« Populationen (»of pure ethnic stock«) eindeutig, dass
langealgelenke erfordert nach McCash (1964) und Lubahn (1996) mit einem sporadischen und spontanen Auftreten des Morbus Du-
stets einen Zweiteingriff. puytren zu rechnen ist. Rosenfeld et al. (1983) bestätigen diese Hy-
Die Indikation zur Open-Palm-Technik sieht Allieu (1988) pothese. Sie beschreiben die Koinzidenz einer kindlichen Fibroma-
hauptsächlich bei multidigitalem Dupuytren-Befall des Stadi- tose in Abhängigkeit vom ethnischen Hintergrund bei Schwarzen.
ums III oder mehr und eine metakarpophalangealen Retraktion im Die Dermatofasziektomie – also die Entfernung des pathologischen
Senium, wo bewusst auf ein Hauttransplantat oder Lappenplasti- Fasziengewebes einschließlich der bedeckenden Haut – ist insbe-
ken verzichtet werden soll. Somit ergibt sich in großen Erfassungs- sondere in jungen Lebensjahren, bei Hautinfiltration, bei aggressi-
studien die Indikation zur Open-Palm-Technik in etwa 18% aller ver Progression, der Dupuytren-Diathese oder multiplen Rezidiven
operierten Dupuytren-Fälle. indiziert. Dabei wirken die interponierten Vollhauttransplantate
Lediglich um die Zeitspanne der Per-secundam-Granulation als »Feuerschneisen«. Die Dermatofasziektomie scheint mit einer
bei der Open-Palm-Methode zu verkürzen, empfiehlt Skoff (2004) geringeren Rezidivrate einherzugehen, allerdings kann die Methode
zusätzliche die transversalen Defektflächen durch Hauttransplan- nicht die Progression des Morbus Dupuytren in vorher nicht be-
tate zu bedecken. fallenen oder nicht operierten Arealen verhindern. Obgleich die
Die partielle Fasziektomie als Primäroperation wenden Millesi Dermatofasziektomie mit Vollhauttransplantation gerade bei fa-
(1981), Berger et al. (1990) und Brenner (1994, 2002, 2002) bei weit miliärer Diathese, kurzer Vorgeschichte und rascher Progression
fortgeschrittenem Krankheitsstadium des Morbus Dupuytren an. befürwortet wird, findet man unisono nur lokale Fasziektomien
Die partielle Fasziektomie nannte Skoog (1974) auch die »se- als Methode beim kindlichen Morbus Dupuytren (Ketchum et al.
lektive Aponeurektomie. 1987. Hall et al. 1997). Somit ist auch die hohe Rezidivrate gerade
Nach Buck-Gramcko et al. (1992) ist die partielle Fasziektomie bei juveniler Fibromatosis digitopalmaris erklärbar. Während Hu-
gleichermaßen für jüngere und ältere Dupuytren-Patienten geeig- eston (1994) und Brotherson et al. (1994; Nachbeobachtungszeit-
net. Infolge Krankheitsprogression oder Rezidivneigung müssen raum 80–120 Monate) kein Rezidiv nach einer Dermatofasziekto-
sich vornehmlich jüngere Patienten einem Wiederholungseingriff mie beobachteten, geben Tonkin (1984) und Hall et al. (1997) eine
unterziehen. Befallrate unterhalb der Vollhauttransplantate zwischen 4–8% an.
Die initiale Begeisterung für die »radikale Fasziektomie«, wie sie Darüber hinaus beträgt die Progression unter der originären Haut
Skoog (1948), Shaw et al. (1951) und McIndoe (1958) – als seinerzeit gemäß Ketchum (1987; Nachbeobachtung 3,9 Jahre) 8% und gemäß
namhafteste Vertreter – in der fälschlichen Annahme propagierten, Tonkin (1984; Nachbeobachtung 36 Monate) zwischen 33 und 42%
damit auch die Dupuytren-Erkrankung endgültig erradieren zu kön- nach Dermatofasziektomie bei (Erwachsenen)fällen.
nen, ist mittlerweile einer skeptischen Nüchternheit gewichen. Bedauerlicherweise gibt es keine Übereinstimmung zwischen
Die komplette Fasziektomie befürwortet Millesi (1981) bei der Menge des exzidierten Dupuytren-Gewebes und dem Endergeb-
günstigen allgemeinen sowie lokalen Bedingungen und sofern die nis nach diversen Fasziektomieformen – ausgenommen möglicher-
Kontraktur des am stärksten betroffenen Fingers weniger als 45° weise die Dermatofasziektomie. Extensive Faszienresektionen gehen
beträgt. nicht notwendigerweise mit einer geringer Rate von Rezidiven oder
Sakellarides (1972) ergänzt, dass zudem der weitläufige Fibro- Progression einher. Darüber hinaus kann keine der vorgestellten
sebefall (»widespread disease«) die, wie sie der Autor wenig zutref- Methoden eine tatsächliche Heilung der Grunderkrankung erzielen.
fend nennt, »totale Fasziektomie« indiziert. Dies ist der Grund, weshalb es bedeutend ist, die anatomischen
Somit scheint die expensive Fasziektomie die Therapie der Gegebenheiten und die Physiologie der Hand zu respektieren.
Wahl bei einem Radialtyp des Morbus Dupuytren zu sein (Brenner Dieser Grundsatz gilt insbesondere für den kongenitalen Morbus
2003). Dupuytren (⊡ Tab. 34.1).
902 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

⊡ Tab. 34.1 Juveniler Morbus Dupuytren – Metaanalyse

Autor Jahre Alter Geschlecht Technik Komplikationen Rezidiv

Goetze et al. 1955 14 Jahre Männl. Partielle Fasziektomie rechter Ring- u. Kleinfin- Keine ?
ger (+ Exzision der Palmarfaszie)

Jakubik 1965 11 Jahre Weibl. Partielle Fasziektomie Keine Nach 36


Monaten

Rosenfeld 1983 13 Jahre Weibl. Partielle Fasziektomie rechte Hohlhand u. ? ?


et al. Mittelfinger

Berger et al. 1985 2 Jahre Männl. Partielle Fasziektomie linker Zeige- u. Mittel- Keine ?
finger

Urban et al. 1996 9 Jahre Männl. Partielle Fasziektomie rechter Kleinfinger Keine Nach 20
Monaten

10 Jahre Männl. Partielle Fasziektomie linke Hohlhand, Keine _


Zeige- u. Mittelfinger

Brenner et al. 2001 7 Jahre Weibl. Partielle Fasziektomie rechte Hohlhand u. Ring- Keine Kein
finger

8 Jahre Männl. Partielle Fasziektomie rechter Ring- u. Klein- Keine Nach 36


finger Monaten

Focher 2001 10 Monate Männl. Partielle Fasziektomie Keine Kein

34 Brenner u.
Benatar
2006 6 Monate Weibl. Partielle Fasziektomie u. »check rein release«
Mittelfinger u. linke Hohlhand.
Keine Nach 9
Monaten
Zweiteingriff:Dermatofasziektomie u. Vollhaut-
transplantat

Mandia et al. 2003 10 Jahre Männl. Nodulektomie Hohlhand 4. Strahl Keine Kein

Bebbington 2005 6 Monate Männl. Segmentale Aponeurektomie Palma manus u. Keine Kein
et al. D4

Marsh et al. 2008 8 Jahre Männl. Partielle Fasziektomie D4 rechts Keine Kein

34.1.9 Ergebnisse Semantisch verstehen wir unter einem Rezidiv, die Dupuytren-
Manifestation in einer voroperierten Zone. Hinsichtlich der Dis-
Während das postoperative Ergebnis der Grundgelenkbeweglich- kussion um den Zeitpunkt, wann mit größtmöglicher Verlässlich-
keit weniger von irgendwelchen Variablen wie beispielsweise Fami- keit die tatsächliche Rezidivrate zu bestimmen sei, existieren diver-
lienanamnese, dem Alter bei Krankheitsbeginn, vom präoperativen gierende Angaben: Beispielsweise gab Hueston (1963) an, dass 87%
Gelenkstatus, der Operationsart, der Eingriffsdauer sowie von der aller Rezidive nach Dupuytren-Operationen unter seinen Patienten
Erfahrung des Operateurs abhängen, wiesen Legge et al. (1980) während der ersten 2 Jahre nach dem Eingriff auftraten. Dagegen
überzeugend nach, dass das postoperative Bewegungsausmaß der schrieb Millesi (1965, 1981) unter Bezug auf sein umfangreiches
Interphalangealgelenke vorwiegend durch präexisistente anatomi- Krankenmaterial, dass immerhin 48% der von ihm gesehenen Du-
sche Gegebenheiten, wie beispielsweise die Anzahl der beteiligten puytren-Rezidive noch 3 Jahre nach der Erstoperation auftraten.
Gelenke, oder den präoperativen Kontraktionszustand bestimmt Auch Tubiana u. Leclerq (1986) bestätigen, dass lediglich 34% der
wird. Krankheitsrückfälle innerhalb der ersten beiden postoperativen
Das postoperative Bewegungsausmaß des Kleinfingers wird Jahre auftraten. Bei einer Nachbeobachtungszeit von ca. 5 Jahren
allerdings und ausnahmsweise auch durch den primären Kon- notierten sie 50% Rezidive, nach insgesamt 10 Jahren sogar 65%.
trakturzustand der Articulatio metacarpophalangea V – wegen Doch verliefen 16% der Dupuytren-Rezidive klinisch asymptoma-
des hier lokalisierten Vereinigungskerns nach Zancolli ( Kap. 23) tisch, weshalb sie nur selten einer weiteren Operation bedurften.
– mitbestimmt. Das wiedererlangte Bewegungsausmaß des Klein- Forgon et al. (1988) dokumentierten, dass durch die partielle
fingers ist zugleich der Gradmesser einer »erfolgreichen« Dupu- Fasziektomie (n=95 Eingriffe) das präoperativ bestimmte Bewe-
ytren-Operation. Zudem bewiesen Adam u. Loynes (1992), dass gungsausmaß zunächst um 41% gebessert werden konnte. Hin-
das Bewegungsausmaß der Metakarpophalangealgelenke sowohl terher käme es jedoch aufgrund der mit 18% bezifferten Rezidive
prognostisch als auch statisch postoperativ eindeutig im Vergleich innerhalb der 5 postoperativen Jahre zu einer merklichen Ein-
zur Beweglichkeit der Interphalangealgelenke gebessert ist. Dies schränkung der Handfunktion. Im 2. und 3. Jahr beobachteten die
trifft sowohl für die primäre als auch die sekundäre Fasziektomie Verfasser eine relative Stagnation dieser Rezidivneigung. Ingesamt
zu. Einen zusammenhängenden Eindruck über die Handfunktion, zeigten die funktionellen Spätergebnisse einen noch bestehenden
abhängig von den diversen Fasziektomieformen und durch ver- Zugewinn an Beweglichkeit von 22,6%, gegenüber dem Anfangs-
schiendene Graduierungsmethoden erfasst, vermittelt ⊡ Tab. 34.2. zustand. Über ähnliche Erfahrungen mit dem Berliner Krankengut
34.1 · Allgemeines
903 34

⊡ Tab. 34.2 Methodenabhängige Komplikationen. (Aus Brenner u. Rayan 2003)

Autor Methode (Fälle) Hämatome Gefäß-Nerven- Infekt Nekrose Algodystrophie


(%) Verletzungen (%) (%)

Badois (1993) Nadelfasziokotmie 7 2,0 2,0 16 (Hauteinrisse u. ?


(n=90/123 Hände) Fissuren)

Lermusiaux (1997) Nadelfasziotomie 0,8 5,2 7 7 1,8


(n=799/3.736 Strahlen)

Millesi (1965) »begrenzte Resektion« 3,2 ? 0 ? 3,3 (»persistierendes


= Segmentresektion Ödem«)

Moermanns(1965) Segmentresektion 2,28 1,14 ? 0,57 1,14

Millesi (1965) Partielle Fasziektomie 3,1 ? ? 6,2 4,65 (»persistieren-


(n=129) des Ödem«)

Narotte (1988) Partielle Fasziektomie ? 3,4 ? 25,8 3,4


(n=58)

Brenner (2002) Partielle Fasziektomie 2,35 1,4 0,5 4,2 ?


(n=383)

Geldmacher(1972) Partielle Fasziektomie 1,16 Nerven 2,82 2,68 4,27 2,18


(n=1.565) Arterien 1,3

Millesi (1965) Komplette Fasziekto- 7,7 ? ? 12,1 5,5 (»persis-tierendes


mie (n=91) Ödem«)

Sennwald (1990) Komplette Fasziekto- 2.91 Nerven 9,7 ? 0,97 17,5


mie (n=103) Gefäße 9,7

Brenner (2002) Komplette Fasziekto- 4,8 2,8 0,8 6,34 ?


mie (n=126)

Schneider (1986) Open-Palm-Technik 0 ? 0 0 12


(n=49)

Shaw (1996) Open-Palm-Technik ? 4 ? ? 4


(n=25)

Noble (1992) Open-Palm-Technik ? 18,75 6,25 5 ?


(n=75) (»Hypästhesien«)

Hall (1997) Dermatofasziektomie ? 1,5 ? 1,5 0


(n=67/90 Strahlen) (Amputationen 1,5)

berichte u. a. auch Huber (1987). Narotte et al. (1988, 1989) konn- Honner et al. (1971) berichten über ein Rezidivaufkommen von
ten lediglich 20% (n=58) ihrer fasziektomierten und sonst stan- 41% bei einer australischen Population mit drei Viertel vollstän-
dardisiert behandelten Patienten 10 Jahre postoperativ hinsichtlich diger und einem Viertel limitierter Fasziektomie. Die Dupuytren-
der Rezidivrate untersuchen. Die Rückfallqute betrug global 71%. Expansion beziffern sie mit 20%. Millesi (1981) dokumentierte
Ein »Wieder-in-Erscheinung-Treten« manifestierte sich dabei in- weiterhin, dass der Krankheitsverlauf nach einer totalen Fasziek-
nerhalb der ersten 2 Jahre in 63%. Zwischen dem 2. und 5. Jahr tomie bei 5-jähriger Nachbeobachtungszeit minder aggressiv ver-
nach dem Eingriff rezidivierten 32%. Nur weitere 5% der Krank- läuft, weshalb er diese eingeschränkt befürwortet. Die vermeintlich
heitsrückfälle diagnostizierte man nach Ablauf dieser Zeitspanne. vermehrten Komplikationen infolge der ausgedehnten Präparation
Retrospektiv nennen die Autoren summarisch die nach ihrer An- lassen sich bei routinierten Operateuren auf Quoten, die der parti-
sicht gefürchtetsten Rezidivfaktoren. In abnehmender Häufigkeit ellen Fasziektomie vergleichbar sind, senken. Besonders häufig sind
sind dies: Rezidive, sowie vereinzelt eine Dupuytren-Progression, im 1. Zwi-
1. Lebensalter unterhalb von 50 Jahren. schenfingerraum anzutreffen. Ursache hierfür sind die insgesamt
2. Klinisch fortgeschrittenes Kontrakturstadium entsprechend 3 fibrinösen Stränge – nämlich die prätendinöse und transversale
Stadien III und IV. Formation der Palmaraponeurose sowie der Schwimmbandstrang
3. Der Anteil von Diabetikern, nachweislicher Epilepsie, Alkoho- –, die häufig nicht wahrgenommen werden.
labusus, ektopen Fibromatosen und familiäre Belastung vari- Alliieu u. Tessier (1987) geben nach der Open-Palm-Technik
iert in der Rezidivgruppe zwischen 75 und 92%. und einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 1 Jahr (Durch-
4. Die Rezidivrate scheint nach Einschätzung der Autoren von schnitt 36 Monate, Maximum 7 Jahre) bei 77 von 164 in Open-
der Operationstechnik unabhängig zu sein. Palm-Technik operierten Händen eine Rezidivrate von 23/77
904 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

(29,7%) und eine Dupuytren-Progression in 15/77 (19,4%) inner- Hohlhandfurchen platziert werden. Als einzeitige Modifikation,
halb der nicht operierten Zone an. bei der auch die betroffenen Finger fasziektomiert werden, kann
Aus einer Gesamtsumme von 868 Operationen mit Offenlas- man zusätzlich serpentinenartige oder modifizierte Bruner-Zu-
sen der Hohlhandwunde konnten Foucher et al. (1992) 107 Pati- gänge wählen, damit der geforderte Primärverschluss der Längsin-
enten mit 140 solchen Eingriffen an Fingern und einer Nachbe- zisionen auch bei der Open-Palm-Technik gelingt.
obachtungszeit von mindestens 5 Jahren nachuntersuchen: Ihre Nach der originären McCash-Methode (1964) wird eine parti-
Rezidivrate betug 40,6%, wovon 23% einen Zweiteingriff benötig- elle Fasziektomie ausgeführt. Sie beschränkt sich allerdings nur auf
ten, während die Expansion des Morbus Dupuytren im gleichen die Wegnahme des die Kontraktur verursachenden Fasziengewebes
Krankengut 39% aller Fälle betraf. ohne einen zusätzlichen Sicherheitssaum einzuhalten. Die Finger-
Bei Tonkin et al. (1984) beträgt die Rezidivrate nach Dermato- dissektion endet prinzipiell an den Mittelgelenken. Ein Release
fasziektomie bei 41/100 Operierten und einer durchschnittlichen der Fingerendgelenke erfordert nach McCash (1964, 1986) und
Nachbeobachtungszeit von 36 Monaten, 4% innerhalb der Voll- Lubahn (1966) einen Zweiteingriff. Man verschließt die Längsinzi-
hauttransplantate, während sie bei den gleichen Patienten außer- sionen von Fingern und teils sogar die palmaren Zweitinzisionen.
halb der Transplantate bei 33–42% liegt. Hingegen bleiben die Querfurchen in der Hand offen, sodass sich
Brotherson et al. (1994), die 34 einheitlich mittels Derma- die gestauchte Hohlhandhaut während Wochen in der sekundär
tofasziektomie durch den Senior-Chirurgen operierte britische heilenden Wunde ausbreiten kann (⊡ Abb. 34.12).
Patienten als Gesamtgruppe komplett durchschnittlich 100 Mo-
nate (Bandbreite 80–120 Monate) postoperativ nachuntersuchten,
fanden in keinem Fall einen Hinweis auf Rezidive unterhalb der 34.2.3 Partielle Fasziektomie
Vollhauttransplantate. In keinem Fall betrug die digitopalmare
Kontraktur mehr als 15°. Die Resektionsgrenzen bei der tradierten partiellen Fasziektomie
Hingegen gibt Moermans (1996) nach der minimalinva- umfassen den fibrös veränderten Strang einschließlich des makros-
siven segmentalen Aponeurektomie bei 59% (n=141/240) mit kopisch scheinbar unbeteiligten Fasziengewebes mit einem kleinen
173/292 Händen, die er 2,9 Jahre später nachuntersuchte, eine Ex- Sicherheitssaum. Während die Dissektionszeit bei der inkomplet-
34 tensionsrate von 16% (n=27) bei 23% (n=39) Rezidive sowie einer ten Fasziektomie deutlich geringer als bei der kompletten Form
Kombination aus beiden in weiteren 15% (n=26) an.
Foucher et al. (1998) modifizierten geringfügig die übliche
perkuntane Fasziektomie. Auf diese Weise behandelten sie insges-
mat 171 Patienten, bei denen in 52 Fällen Komplikationen auf-
traten. Dies ist umso bemerkenswerter, da sich die »Operateure«
bei der Nadelfasziektomie mehrheitlich auf die Hohlhand be-
schränkten. Die kurzfristige Befundbesserung betrug durchschnitt-
lich 72,1% (präoperative Streckhemmung 46,7%, postoperativ 13%
median).

34.2 Spezielle Techniken

34.2.1 Perkutane Nadelfasziektomie

Die ambulante, perkutane Nadelfasziektomie operiert man vor-


zugsweise auch in kurzzeitiger Blutleere, jedoch unter Lokalanäs-
thesie. Die für die Betäubung benutzte 16-er Kanüle wird an der
Kante des tastbaren Strangs angesetzt und sägenartig sowie unter
Wiederholung so lange von palmar nach dorsal bewegt, bis eine
passive Aufdehnung des Fingers (»redressement forcé«) gelingt
(⊡ Abb. 34.11). Bevorzugt wird sie in der distalen Hohlhand, über
dem Metakarpophalangealgelenken, der Grund- und seltener an
der Mittelphalanx eingesetzt. Am Endglied wird die Nadelfaszi-
ektomie, die in Wirklichkeit eine selektive Form der Fasziotomie
darstellt, niemals angewandt.
Nach gewaltsamer Streckung des Fingers ist eine Naht der
Einstichstelle entbehrlich. Ein sparsamer Handverband über dem
Minimalzugang ist ausreichend. Es folgt eine frühfunktionelle
Nachbehandlung.
⊡ Abb. 34.11 Bei der palliativen sog. Nadelfasziektomie, die tatsächlich eine
34.2.2 Open-Palm-Technik nach McCash Fasziotomieform darstellt, benutzt man die zur Lokalanästhesie verwandte
Injektionskanüle, um mit ihrem scharfen Schliff und durch sägezahnartige
Bewegungen den Fingerstrang zu durchtrennen. Das Pfeilsymbol kenn-
Ursprünglich als zweizeitiges Verfahren eingeführt, benutzt die zeichnet einerseits die Bewegungsrichtung und andererseits die mögliche
Offene-Hand-Technik grundsätzlich Querinzisionen sowohl in der Nervenläsion. Detail: Der Nadelschliff »sägt« am Longitudinalstrang. Einzelne
Hohlhand wie auch an den Fingern, die jeweils in die Beuge- und Fasern sind bereits durchtrennt. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
34.2 · Spezielle Techniken
905 34
ist, scheint ihre Rezidivrate, ebenso wie die Extenison annähernd cher«) und Interferenzen mit der Lappendurchblutung bedacht
gleich zu sein. Am kontrakten Finger wählen wir einen Längs- werden. Nachdem die Streckfähigkeit überprüft ist, werden die ge-
schnitt in der Mitte, der das Endgelenk auslässt. Obwohl man Z- beugten Finger intraoperativ mittels Traktionsfäden (Fingerkuppe
Plastiken erst nach der Fasziektomie schneidet, werden sie bereits oder Margo liber unguis) – alternativ mit Gummizügeln an der ge-
zu diesem Zeitpunkt geplant und eingezeichnet. Dabei müssen bohrten Handplatte – gehalten. Bruner-Inzisionen haben allenfalls
auch eventuelle unbeabsichtigte Hautperforationen (»Knopflö- bei maßvoller Kontraktur ihre Berechtigung (⊡ Abb. 34.13).

a b c

d e f

⊡ Abb. 34.12 Open-Palm-Technik nach McCash. a Open-Palm-Technik: Ursprünglich als zweizeitiges Verfahren eingeführt, benutzt die Offene-Hand-Technik
grundsätzlich Querinzisionen sowohl der Hohlhand wie auch an den Fingern, die man jeweils in die Beuge- oder Hohlhandfurchen platziert. b Als einzeitige Mo-
difikation, bei der auch die betroffenen Finger fasziektomiert werden, kann man zusätzlich serpentinenartige oder modifizierte Bruner-Inzisionen wählen, damit
der geforderte Primärverschluss der Längsinzisionen auch bei der Open-Palm-Technik gelingt. c Nach der Original-McCash-Methode wird eine partielle Fasziekto-
mie ausgeführt. Sie beschränkt sich auf die Wegnahme des die Kontraktur verursachenden Fasziengewebes, ohne einen zusätzlichen Sicherheitssaum einzuhal-
ten. Die Fingerdissektion endet prinzipiell an den Mittelgelenken. Ein Release der proximalen Interphalangealgelenke erfordert nach McCash und Lubahn stets
einen Zweiteingriff. Man verschließt jeweils die Längsinzisionen von Fingern und teilweise sogar die palmaren Zweitinzisionen. Gelingt kein spannungsfreier Ver-
schluss der digitalen Querinzisionen sind Vollhauttransplantate bei ersatzstarkem Wundgrund obligat. Hingegen bleibt die Querfurche in der Hand offen, sodass
sich die »gestauchte« Hohlhandhaut während Wochen in der sekundär heilenden Wunde ausbreiten kann. d Spenderareale für Vollhauttransplante. Prinzipiell
wird die Entnahmestelle primär verschlossen. e Entscheidend für den funktionellen Erfolg bleibt die konsequent durchgeführte Rehabilitation mit nächtlicher La-
gerungsschiene oder einer dynamischen Streckschiene. Dargestellt ist eine rahmenförmiger Streckapparat (z. B. aus Metall) mit einem distalen Elastikband sowie
einem proximalen Trageriemen. Angepasster Streckapparat mit Abstützung des Rahmens über der Rascetta und den Metakarpophalangealgelenken mit quer
verlaufendem, straffen Elastikband. f Nachts wird eine statische Lagerungsschiene in Extension der Finger getragen. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
906 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

a b c

34

d e

⊡ Abb. 34.13 Partielle Fasziektomie. a Dupuytren-Kontraktur von Ring- und Kleinfinger, die an die Handstellung eines Geigenspielers erinnert (Stadium IV).
b Beugeseitiger Mittelschnitt am Kleinfinger. Obwohl die Z-Plastiken erst nach der Fasziektomie geplant werden, sind sie hier bereits angedeutet. Dabei müssen
auch eventuelle »Knopflöcher« der Haut und Interferenzen mit der Lappendurchblutung bedacht werden. Nachdem die Streckfähigkeit überprüft ist, werden
die gebeugten Finger intraoperativ mittels Traktionsfäden (Fingerkuppe oder Margo liber unguis) gehalten. Am Ringfinger ist das Prinzip der zickzackförmigen,
rechtwinkeligen Bruner-Inzisionen erkennbar, welche nur bei moderaten Kontrakturformen berechtigt sind. c Mittels der Handplatte mit Löchern – durch die
Gummizügel durchgezogen sind, welche rückwärtig durch die Kocher-Klemmen gehalten werden – erzielt man eine maximale Fingerstreckung. Einen noch
längeren Zugang bis in die Hohlhand hinein erreicht man entweder durch eine axiale Schnittverlängerung oder durch eine bajonettartige Inzision, die jeweils die
Furchenbildung berücksichtigt. d Digitaler Längsschnitt durch Haut und Subkutis bis zum fibromatösen Gewebe. Beachtenswert ist die Verlagerung des Gefäß-
Nerven-Bündels IX nach proximal-ulnar Es wird stets mit dem Skalpell präpariert. e Sorgsames bilaterales Unterminieren der Haut-Subkutis-Lappen jenseits der
fibromatosebefallenen Palmaraponeurose oder der Fingerstränge. Erkennbare Subkutanvenen oder aufsteigende Perforatoren koaguliert man mit der bipolaren
Pinzette. f Fibromatöser Zentral- und Spiralstrang, die eine ausgeprägte Beugefehlstellung des proximalen Interphalangealgelenks verursachen. g Faszienver-
hältnise im subkapitalen Querschnitt. h Spezielle Anatomie der Faszien- und Sehnenverhältnisse am subkapitalen Querschnitt der Kleinfingerseite. i Zusätzlich
tenotomieren wir nahe des metakarpophalangealen Vereinigungskerns (»carrefour fibrieux«; »metcarpophalangeal assemblage nucleus«) nach Zancolli, damit
eine günstige Streckfähigkeit des Kleinfingermittelgelenks entsteht. Die erreichte PIP-Streckfähigkeit ist stets das Beurteilungskriterium einer erfolgreichen Fas-
ziotomie an der ulnaren Hand. j Modellhafte Auswirkung des Tenotomieeffektes des M. abductor digiti minimi auf die palmare Platte, das Grundglied sowie das
PIP-Gelenk. Links Kontraktionszustand vor der Tenotomie, rechts nahezu vollständige Streckung nach der ulnaren, partiellen Sehnendurchtrennung. k Planen und
Zeichnen der 60-Grad-Z-Plastiken mit gerundeten Lappenspitzen zur Prävention der Spitzennekrose. Die Z-Plastik wird bei uns in die Fingerbeugefurche platziert.
Abwarten der reaktiven Hyperämie nach Eröffnung der Blutleere und peinlich genaue Blutstillung mittels bipolarer Diathermie. Überprüfen der Lappenvitalität
und ggf. Resektion und Ersatz durch Vollhauttransplantate oder lokale Lappenplastiken. Ausleiten einer Redon-Drainage (10 Charrière). Fixieren derselben. Ver-
zicht auf Subkutannaht. l Einzelknopfnaht mit 5/0 monofilem Nylon. An den Ecken intradermale Gillies-Technik (Dreipunktnaht), um Spitzennekrosen zu vermei-
den. m Zustand nach beendeter Hautnaht. Der Ringfinger zeigt den Hautverschluss nach Bruner-Inzision. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
34.2 · Spezielle Techniken
907 34

h i j

k l m
908 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

Nachdem die Finger durch die Handplatte, Gummizügel oder Sind über die Hohlhanddissektion noch zusätzliche digitale
Traktionsfäden maximal gestreckt wurden, inzidieren wir längs Fasziendissektionen notwendig, verbleiben optionale und kleine,
den Finger bis zum fibrösen Gewebe. Es wird stets mit dem die Monticuli verbindende Hautbrücken zwischen Fingern und der
Skalpell präpariert. Sorgsames und bilaterales Unterminieren der Palma manus. Auch hierzu werden möglich Längsinzisionen durch
Haut-Subkutis-Lappen jenseits der fibromatosebefallenen Palma- Z-Plastiken, wie gezeigt, unterbrochen.
raponeurose oder der Fingerstränge. Platzieren von Haltefäden Nach Eröffnen der Blutsperre installiert man temporär warme
oder Häkchen. Erkennbare Subkutanvenen oder aufsteigende Per- Kochsalzkompressen in das Wundgebiet und unter manueller
foratoren koaguliert man mit der bipolaren Pinzette. Kompression des Operateurs warten wir bis zum Ende der reak-
Durch sachten Druck auf das 15er Skalpell eröffnet man, mit tiven Hyperämie. Nachdem die Gazekompressen entfernt sind,
einem »Sicherheitsabstand« von 5 mm, die gesunde Palmarapo- folgt die subtile Hämostase mit bipolarer Koagulationspinzette.
neurose. Soll der Hohlhandbogen oder das gemeinsame Gefäß- Ausleiten einer 10 Charrière starken Redon-Drainage. Hautnaht
Nerven-Bündel unter einer lobulären Fettschicht eingescheidet in der Hohlhand mit 4/0er und an den Fingern mit 5/0er Nylon,
und verborgen liegen, spalten wir der Länge nach mit der Präpa- Fettgazeverband, Kompressionsverband mit Stahlwolle – alternativ
rierschere, zunächst vom Gesunden kommend. Der distale zumeist Krüllverband – und Gipslonguette (⊡ Abb. 34.14d-f).
dreieckförmige Faszienabschnitt wird mit einer Adson-Pinzette ge-
griffen und angespannt, damit die »hackende« Skalpellpräparation
prograd mühelos voranschreitet. 34.2.5 Kontinuierliche Distraktionstechnik nach
In der Hohlhand präpariert man beim Ulnartyp des Morbus Messina
Dupuytren jeweils von daumen- nach kleinfingerseitig. Das darge-
stellte kommune Gefäß-Nerven-Bündel halten wir zusammen mit Bei der kontinuierlichen Elongations- oder Distraktionstechnik
dem M. lumbricalis durch eine stumpfen Doppelzinkerhaken nach nach Messina (1994) werden zwei Steinmann-Nägel mit selbst-
radial. Sodann überblickt man das Verikalseptum zwischen Mittel- schneidendem Gewinde und einem Durchmesser von 2–3,5 mm
und Ringfinger. Dieses wird am tiefsten Punkt mit dem Messer ulnarseitig in die Ossa metacarpalia 4 und 5 mit Fassen aller vier
unter wohl dosiertem Druck durchtrennt. Strikt am Muskelbauch Kortikalisflächen eingedreht und gleichzeitig ein transversaler
34 des auf der gegenüberliegenden Seite befindlichen M. lumbricalis Kirschner-Draht, der zu einem Extensionsbügel umgeformt wird,
präparierend kommt das kontralaterale Gefäß-Nerven-Bündel zur in das Mittelglied von Mittel-, Ring- oder Kleinfinger eingebohrt.
Darstellung. Das fibromatöse Gewebe oberhalb der Flexoren rese- An diese Stahlteile wird der T.E.C.-Rahmen (»Tecnica di Esten-
ziert man, ohne die Beugesehnenscheide zu eröffnen. Auf der ulna- sione Continua«); der gegenwärtig 190 g wiegt, angepasst. Diese
ren Mittelfingerseite geht es entsprechend weiter. Am Kleinfinger Maßnahmen sollte man grundsätzlich – so der Autor – stationär
kommt das 10. Gefäß-Nerven-Bündel separat zur Darstellung. ausführen. Es schließt sich ab dem 3. postoperativen Tag die
Nach Planen und Schneiden der Z-Plastiken werden diese – ambulante Nachbetreuung an. Während der ersten 3–4 postope-
subtile Hämostase vorausgesetzt – transponiert und eingenäht. rativen Tage kann ein Extensionsgewinn von täglich 3–4 mm
Einzelheiten des Wundverschlusses sowohl mit Z- als auch V-Y- schmerzfrei erzielt werden. Im Verlauf der nachfolgenden 3 Wo-
Plastiken sind weiter hinten detailliert zusammengefasst. chen steigert man das Extensionsausmaß durch Erhöhung der
Dehnungsfrequenz, sodass ein günstiger Flexionsgrad an den
Grund- und Mittelgelenken als vorbereitende Maßnahme auf
34.2.4 Komplette Fasziektomie eine konventionelle Fasziektomie erreicht wird. Der Einsatz dieser
Technik kann günstigstenfalls im Verzicht auf weichteilplastische
Die komplette Fasziektomie beginnt mit der triradiären oder mer- Maßnahmen enden.
cedessternartigen Hautinzision der Hohlhand unter Ausnutzung Laut Inauguratoren der Methode konnten somit bei bislang
der beugeseitigen Hautlinien. Der proximale Hautschnitt verläuft 30 behandelten Patienten »gute Ergebnisse« erzielt werden. Be-
in der Linea stomatica und trifft sich in der Mitte mit der »iatro- handlungsabbrüche sind nicht bekannt. Aufgelistete Infektionen
genen« Querfurche. Letztere verbindet Anteile der proximalen mit oder Negativaspekte findet man nicht. Trotz der vermeintliche
der distalen Hohlhandfurche. Ein 120-Grad-Winkel ist anzustre- überragenden Eigenschafen führte bereits 1994 Hodgkinson ein
ben. Dieser stellt die beste Prävention einer zentralen Nekose dar minituriarisiertes Nachfolgemodell (Pipster) ein. Citron u. Messina
(⊡ Abb. 34.14a–c). (1998) reagierten mit der artähnlichen, respektive baugleichen
Abpräparieren der dreiecksförmigen Lappen mit dem Skalpell, Entwicklung des »Verona-Apparates«, der im Übrigen auch die
das nicht gezogen, sondern drückend geführt wird. Erhalt der Lap- identische Anwendung wie der Pipster besitzt. Die Autoren plä-
pendurchblutung durch Bilden von breitbasigen Lappen, die von dieren für die Primäranwendung bei Flexionskontrakturen der
den Perforaten der Monticuli, der Thenar- und Hypothenarregion Fingermittelgelenke ihres ebenfalls miniaturisierten Verona-Exten-
versorgt werden (⊡ Abb. 34.14b). sionsapparates. Aufgrund der offensichtlichen Nachteile des Mes-
Darstellen der gesamten – gesunden und fibromatösen – sina-Verfahrens, wie Fehlbohrungen mit Nerven- oder Sehnenver-
Palmaraponeurose. »Hackendes« Absetzen der Hohlhandfaszie letzungen, Pin-Infekt, Inakzeptanz der Fixateur-externe-Montage
vom Hypothenar, der dreiecksförmigen Fixation am Retinaculum seitens der Patienten, und zur Kostenreduktion führen Piza-Katzer
flexorum (Palmarisinsertion) und dem Daumenballen. Besonders et al. (2000) ein nichtinvasives, intermittierendes und pneumati-
verletzungsgefährdet sind immer der Hohlhandbogen – der abhän- sches Dehnungsverfahren der kontrakten Finger durch einen spe-
gig vom Geschlecht etwa 3,0–3,5 cm distal der Rascetta zu erwar- ziellen Ballon ein. Dazu wird eine Metallplatte der Hohlhandfläche
ten ist – sowie der motorische Medianusast in seinen anatomischen entsprechend einem individuellen Abdruck angepasst. Diese reicht
Variationen. Prograde Präparation oberhalb eine identifizierten distal bis an die Fingergrundgelenke. Die Platte dient einerseits
Gefäß-Nerven-Bündels von proximal nach distal und von radial als stabiles Widerlager und anderseits zur sicheren Befestigung
nach ulnar unter prophylaktischer Resektion der Vertikalsepten, des Ballons. Eine der Mittelhandorthese ähnliche Vorrichtung fi-
wie bei der partiellen Fasziektomie beschrieben (⊡ Abb. 34.14c). xiert den pneumatischen Dehnungsquengel durch einen Klettver-
34.2 · Spezielle Techniken
909 34

a b c

d e f

⊡ Abb. 34.14 Komplette Fasziektomie. a Komplette Fasziektomie: Y-förmige Hautinzision in der Palma manus unter Ausnutzung der natürlichen Furchenbil-
dung. Die Dissektion überschreitet nicht die Ausdehnung der dreiecksförmigen Aponeurosis palmaris und endet aus Perfusisionsgründen an der Thenar- und
Hypothenarmuskulatur sowie den Monticuli. Die 120-Grad-Stellung der gebildeten Haut-Subkutis-Lappen soll einer möglichen, zentralen Nekrosebildung
entgegenwirken. b Scharfe Präparation der dreieckförmigen Lappen mit dem Skalpell. Auf den Erhalt einer breiten Lappenbasis und eines intakten subder-
malen Plexus ist zu achten. c Darstellen der gesamten – gesunden und fibromatösen – Palmaraponeurose. »Hackendes« Absetzen der Hohlhandfaszie vom
Hypothenar, der dreieckförmigen Fixaiton am Lig. flexorum (Palmarisinsertion) und dem Daumenballen. Besonders verletzungsgefährdet sind immer der
Hohlhandbogen sowie der subfaszial gelegene, motorische Medianusast. Prograde Präparation oberhalb eines indentifizierten Gefäß-Nerven-Bündels von
proximal nach distal und von radial nach ulnar unter Resektion der Vertikalsepten, wie vorher bei der partiellen Fasziektomie beschrieben. d Ausgeführte
totale Fasziektomie der Hohlhand. Sind zusätzliche Fingerdissektionen notwendig, verbleiben auf jeden Fall kleine Haut-Subkutis-Brücken in Höhe der digi-
topalmaren Übergangszone. Die digitalen Längsinzisionen werden, wie bereits bei der partiellen Fasziektomie gezeigt, durch Z-Plastiken unterbrochen. Nach
Abwarten der reaktiven Hyperämie und peniblen Hämostase wird noch das Wundgebiet drainiert. Hautnaht. e Fettgazeverband, Kompressionsverband mit
Stahlwolle und Gipslonguette. Aufgrund der nur kurzfristigen Immobilisationszeit kann ausnahmsweise auf die Intrinsic-plus-Stellung zugunsten einer funk-
tionellen Ruhigstellung ohne Nachteil für die Kollateralbänder und den Kapsel-Band-Apparat verzichtet werden. Sind keine Transplantate notwendig, werden
Verband und Gips am 5. postoperativen Tag entfernt und die operierte Hand intensiv krankengymnastisch aktiv beübt. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
910 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

34

⊡ Abb. 34.15 Kontinuierliche Distraktionstechnik nach Messina.


a Morbus Dupuytren von Mittel-, Ring- und Kleinfinger rechts. Letzterer
zeigt eine 160-Grad-Flexionskontraktur. b Messinas T.E.C.-Apparat
(Fa. Biotek, Turin/Italien) zur kontinuierlichen Extensionsbehandlung
des Morbus Dupuytren. Durch die endständigen Backen der Längsstan-
gen werden die zwei selbstschneidenden Steinmann-Nägel (2–3,5 mm
Durchmesser) gehalten. Durch eine zweite Backe wird die Transversal-
stange befestigt, dies erlaubt eine beliebige Anpassung hinsichtlich der
Länge. Durch die dritte Backe, die an der Transversalstange angebracht
ist, kann man die Höhe, entsprechend dem Kontraktionsgrad modifi-
zieren. Die gesamte Apparatur dient dazu, durch kontinuierliche Exten-
sion am Zugbügel, der am Mittelglied angebracht ist, den kontrakten
Kleinfinger »aufzudehnen«. Der ursprüngliche T.E.C.-Apparat wiegt
190 g. c Pneumatische Ballonextension: Die stabile Mittelhandorthese
dient einerseits der Befestigung des »Ballons« mit dem die Dehnungs-
behandlung erfolgt und andererseits zur intermediären Feststellung
des Fingergrundgliedes zum Erzeugen der notwendigen Gegenkraft.
Initial beträgt der Luftdruck 0,35 bar im »Ballon«. Mit einer handelsüb-
lichen Luftpumpe wird der Druck bis zur Schmerzgrenze erhöht. Der
pneumatische Dehnungsquengel soll den Finger schmerzfrei über
einen längeren Zeitraum zur vollständigen Streckung bringen. Der Pfeil
illustriert den Extensionsvorgang. (Aus Brenner u. Rayan 2003) c
34.2 · Spezielle Techniken
911 34
schluss. Im Ballon beträgt der Luftdruck 0,34 bar. Die langsame Umstellungsosteotomien
Drucksteigerung erweitert die augenblickliche Biegsamkeit. Nach Moberg (1973) hat, um die Flexionskontraktur am Kleinfinger-
Piza-Katzer (2000) erlaubt das Verfahren eine Aufdehnung, nach mittelgelenk zu reduzieren, eine subkapitale Resektion des Finger-
der die späteren Fasziektomie mit geringeren Komplikationen be- grundgelenks empfohlen. Im nächsten Schritt wird die Trochlea
haftet ist. Ein weiterer Vorzug dieser Methode ist die ungehinderte phalangis proximalis um 90° nach palmar gekippt und in der
Wasch- und Pflegemöglichkeit der zu dehnenden Fingern und der neuen Position mit dem Grundglied neu osteosynthetisiert. Durch
Hand (⊡ Abb. 34.15). diese Umstellungsosteotomie kann eine exzessive Flexionskontrak-
tur in eine funktionell günstige Stellung überführt werden.
Eine Modifikation dieses Verfahrens stellt die von Tonkin et al.
34.2.6 Varia (1985) propagierte dorsale Keilosteotomie dar. Durch Wegnahme
eines gleichschenkligen Dreiecks mit der Basis an der dorsalen
Weichteilmantel Kortikalis verkleinert sich das initiale Streckdefizit beispielsweise
Bedauerlicherweise ist nur bei einer geringen Anzahl von Dupu- von 90 auf 30°, wobei ein identisches, jedoch vorteilhafteres Bewe-
ytren-Patienten der Primärverschluss möglich. Genügt der Wund- gungsausmaß (»range of motion«, ROM) von ebenfalls 60° erhal-
grund nicht den Anforderungen für ein Vollhauttransplantat, kom- ten bleibt (⊡ Abb. 34.17).
men vielgestaltige homo- und herterodigitale sowie in Einzelfälle
freie Lappenplastiken zur Anwendung, wobei deren Selektion im- Arthrodesen
mer ein Crescendo darstellt. Die Lappenplastiken werden anderen- Die Arthodese endet in einer schmerzlosen, stabilen Fusion eines
orts in diesem Buch abgehandelt, sodass wir hier auf Wiederholun- früheren Gelenks und platziert den ehemals kontrakten Finger in
gen verzichten können ( Kap. 35). eine günstigere Funktionsstellung. Der Nachteil ist die bleibende
Steife.
Restkontrakturen Besteht eine nicht »auflösbare«, vorwiegende Mittelgelenkkon-
Während lang bestehende Grundgelenkkontrakturen sich günstig traktur in über 90-Grad-Stellung, ergibt sich nach ausgeschöpften
auflösen lassen, persistiert die Flexionsstellung vorwiegend an den vorgenannten Optionen die Indikation zur Arthrodese.
proximalen Interphalangealgelenken. Restkontrakturen der Fin- Dazu wird mit einer bogenförmigen Inzision das Mittelge-
germittelgelenke von mehr als 30° Beugung behindern die Alltags- lenk umschnitten, der Tractus intermedius dargestellt und als
verrichtung. ein distal gestieltes V hochgeschlagen. Nach Entknorpelung der
Kommt es aufgrund der anhaltenden Beugekontraktur beim Gelenkflächen werden Grund- und Mittelglied in einen günsti-
Morbus Dupuytren zu sekundären Veränderungen des Streckap- gen Angulationswinkel gebracht. Diese Einstellung wird durch
parates, können diese Kontrakturformen in allen drei Fingerge- zwei parallel eingebohrte Kirschner-Drähte gehalten. Durch den
lenken, entsprechend Hueston (1985), günstig durch Tenotomie transversalen gebohrten Knochenkanal an der Mittelgliedbasis
in unterschiedlicher Höhe kupiert werden. Bei Hyperextension führt man eine Drahtnaht hindurch, um so die Zuggurtungsar-
des distalen Interphalangealgelenks, trotz adäquater Fasziekto- throdese zu beenden. Der zurückgeschlagene v-förmige Sehnen-
mie, empfiehlt der Autor die Tenotomie des Landsmeer‘schen lappen bedeckt günstigstenfalls das Implantat bei dieser »Cup-
Lig. reticulare obliquum. Zur Korrektur der fibroseinduzierten and-Cone«-Arthrodese. Es folgt die Hautnaht. Andererseits kann
buttonièreartigen Flexionskontraktur des proximalen Interphalan- ein longitudinaler Schnitt, der Haut, Subkutis, Sehnenanteile und
gealgelenks sei eine Fowler-Tenotomie günstig, wobei der Tractus die Gelenkkapsel durchtrennt, gewählt werden. Proximal des Ge-
intermedius als »lebender Splint« dient. Um Residualkontraktu- lenkknorpels wird der Kopfanteil des Grundgliedes in 90-Grad-
ren insbesondere am Kleinfingermittelgelenk aufzulösen, sei die Stellung zur Fingerachse reseziert. Die Mittelgliedbasis durch-
Tenotomie der Mm. lumbricales als auch des M. abductor digiti trennt man keilförmig, um den benötigten, funktionell günstigen
minimi wichtig. Neigungswinkel zu erhalten. Die beiden glatten Resektionsflä-
Ein frustrierendes Problem für den handchirurgisch Tätigen chen erlauben jegliche Rotation, um eine axial günstige Verstei-
sind stets sowohl primär fibrosebedingte Streckhemmungen als fung des Fingers zu ermöglichen. Die Arthrodese ist möglich
auch sekundäre Dupuytren-induzierte Veränderungen der intrinsi- entweder als Zuggurtungsarthrodese, wie oben beschrieben, oder
schen Muskulatur, ebenso wie die ausgeprägte Beugefehlstellungen auch durch einen diagonal eingeschossenen Kirschner-Draht, der
der proximalen Interpahalangealgelenke durch die permanente durch zwei transversale Drahtenden ergänzt wird, die man an
Flexion beim Morbus Dupuytren (⊡ Abb. 34.16). ihren Enden beiderseits verdreht, umso die zur Konsolidierung
Weinzweig et al. (1996) verglichen retrospektiv die Funktions- notwendigen Kompression auf die Resektionsflächen zu bringen
ergebnisse nach schwerwiegender Flexionskontraktur des Mittelge- ( Kap. 23).
lenks (>60°) und zwar jeweils mit und ohne Kapsulotomie. Trotz
Kapsulotomie und Desinsertion der Zügelbänder zeigt sich statis- Amputationen
tisch keine Besserung verglichen mit der Gruppe ohne Artholyse. Amputationen betreffen vorwiegend den Kleinfinger und aus-
Die Komplikationsrate nach Kapsulotomie betrug 27% gegenüber nahmsweise den Ringfinger. Wegen des Fibrosebefalls auch des
19% bei unversehrter Gelenkkapsel. Fingergrundgliedes sollte primär die Exartikulation im Grundge-
Nachdem bekannt ist, dass die Arthrolyse mit temporärer lenk erwogen werden. Dabei kann der Weichteilmantel des ampu-
Kirschner-Draht-Transfixation keineswegs langfristig günstigere tierten Fingers (»Filetlappen«, Cheiloplastik) zur Defektdeckung in
Erfolge gegenüber der konventionellen Kapsulotomie ergibt, plä- der Hohlhand bei kontrakturinduziertem Substanzdefekt dienen
diert McGrouther (1999) deshalb dafür, die Indikation zur Arthro- (⊡ Abb. 34.18).
dese großzügig zu stellen. Der Filetlappen ist Hauttransplantaten und Fernlappenplasti-
Summarisch geht man im Schrifttum mehrheitlich davon aus, ken überlegen, da er hinsichtlich des handtypischen Gewebsauf-
dass eine Restkontraktur, nach ausgeschöpften Therapiemöglich- baus und des Farbmatch übereinstimmt, die Haut belastbar ist und
keiten, von bis zu 45° tolerable ist. das Feingefühl unübertroffen bleibt.
912 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

34

⊡ Abb. 34.16 Restkontrakturen. a Schema der persistierenden Sekundärkontraktur eines PIP-Gelenks. b Die Zügelbänder sind schwalbenschwanzförmige,
bindegewebige »Ligamente«, die zwischen der palmaren Platte und deren Insertionsflächen an den ulnaren und radialen Knochenleisten (»assembly lines«)
des Fingergrundgliedschaftes verlaufen. Nach Darstellen der bilateralen Aa. digitales palmares propriae wie auch der transversalen, unterhalb der Zügelbän-
der verlaufenden Arcus digitopalmaris (zur Versorgung des Vincula-Systems der Beugesehnen) desinseriert man basisnah an der palmaren Platte die »check
reins« oder reseziert sie vollständig. c Im ersten Schritt wird diese Sekundärkontraktur durch die Resektion der Zügelbänder (»check reins«) und bei fortbeste-
hender Retraktion durch das Ablösen der akzessorischen Seitenbänder beiderseits behandelt. d Durch passive Aufdehnung des proximalen Interphalangeal-
gelenks, bei gebeugtem Metakarpophangealgelenk, löst sich die Sekundärkontraktur normalerweise auf. Bei fortdauernder, elastischer Resistenz oder even-
tuellem Schnappeffekt ist auch eine komplette Kerbung der geschrumpften Ligamenta collateralia accessoria sinnvoll. Gegebenenfalls können auch beide
Bänder vollständig reseziert werden. Der transversal verlaufende digitalpalmare Arcus (»digitopalmarer Bogen«) darf weder unachtsamerweise durchtrennt
noch zerrissen werden. Unmittelbar nach dem Eingriff beginnt die aktive Übungsbehandlung. Zusätzlich wird eine dynamische Streckschiene getragen. (Aus
Brenner u. Rayan 2003)
34.2 · Spezielle Techniken
913 34

a b c

⊡ Abb. 34.17 Umstellungsosteotomie. a Korrekturmöglichkeiten einer 90-Grad-Flexionskontraktur des proximalen Interphalangealgelenks modifiziert nach
Moberg und Tonkin: Subkapitale, keilförmige Resektion und Osteosynthese in Überstreckstellung des Grundgliedköpfchens. Der dorsale Winkel verdeutlicht
das Ausmaß der Keilresektion. Reduktion der ursprünglichen Flexionskontraktur auf 30° postoperativ. b Zur Fixation dient eine diagonaler Kirschner-Stift und
eine Drahtnaht als Zuggurtung. Im Osteotomiespalt entwickelt sich eine zunehmende Kompression durch aktive, frühfunktionelle Beübung. Der ROM (»rang
of motion«) bleibt mit annähernd 60° gleich. c Fertiggestellte Umstellungsosteotomie modifiziert nach Moberg. Reduktion der Flexionskontontraktur von 90
auf etwa 30°. (Aus Brenner u. Rayan 2003)

⊡ Abb. 34.18 Amputation. a Wegen funktioneller Behinderung z. B. infolge


mehrfacher Dupuytren-Rezidive, oder intraoperativ aufgrund der Ischämie
ergibt sich die Indikation zur Kleinfingeramputation. b Nach Exartikulation im
Kleinfingergrundgelenk wird der Haut-Weichteil-Mantel, in dem sich die bei-
den Gefäß-Nerven-Bündel befinden, als sog. Filetlappen (Cheiloplastik) dazu
b
verwandt, den beugeseitigen Defekt zu schließen. (Aus Brenner u. Rayan 2003)
914 Kapitel 34 · Morbus Dupuytren

Zur Vermeidung von Amputationsneurinomen kann der rou- 34.3.4 Transplantatverlust


tinierte Mikrochirurg auch eine »on-top plasty« des an den bilate-
ralen Gefäß-Nerven-Bündeln freipräparierten Endgliedes wählen, Verluste von Hauttransplantaten beruhen auf einem falsch beurteil-
das auf den durch Segmentamputation resultierenden Grundglied- ten Wundgrund, inkorrekter Transplantatwahl, falscher Transplan-
stumpf durch Osteosynthese oder Arthrodese gesetzt wird. Ein tatgröße mit zeltdachartiger Abhebung am Empfängerort sowie
wesentlicher Vorzug der »on-top plasty« besteht darin, dass sie eventueller Unterblutung und unzulänglicher Immobilisation der
die eigentliche Stumpfbildung, trotz partieller Nachamputation, Gliedmaße. Beide letztgenannten Faktoren vereiteln das Einspros-
geschickt umgeht. sen von Kapillaren in das Transplantat. Die Folge ist eine notwen-
dige Konditionierung des Wundgebietes für ein zweites Transplan-
tat, die Entscheidung zugunsten einer homo- oder heterodigitalen
34.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen Lappenplasitk oder das Überlassen einer Sekundärgranulation an
den Fingern, die zwangsläufig zur plattenartigen Narbenkontraktur
Komplikationen können in jeder Phase des intra- oder periope- führt und damit zur Minderfunktion.
rativen Verlaufs entstehen. Es ist indes das Talent des Chirurgen,
solche Schwierigkeiten prompt zu erkennen. Das Vermögen seiner
zielgerichteten Handlungsweise entscheidet darüber, ob trotz Kom- 34.3.5 Lappennekrose
plikationen schon kurz- oder erst langfristig ein günstiges Behand-
lungsergebnis zu erwarten ist. Lappennekrosen sind mehrheitlich das Ergebnis eines falschen Lap-
pendesigns bei Missachtung des Längen-Breiten-Verhältnisses. Ein
Verhältnis von mehr als 1:2 führt zur vaskulären Insuffizienz. Fer-
34.3.1 Hämatome ner entsteht eine Lappennekrose durch Zug an den Wundrändern,
durch Serome oder Hämatome unterhalb des Lappens, aufgrund
Blutergüsse können aufgrund der intrapalmaren Druckerhöhung der resultierenden externen Kompression sowie als Endprodukt ei-
zur Nekrose der grenzwertig durchbluteten Lappens führen. Bei ner falschen Dissektionsebene. Knopflochartige, akzidentelle Haut-
34 ausbleibender Evakuation entsteht eine ausgeprägte Bewegungsbe- perforationen können fallweise die Ursache einer Lappennekrose
hinderung. Manchmal besteht zudem eine verstärkte postoperative aufgrund einer unzureichenden Restperfusion sein.
Ödembildung, die auch eine vermehrte Reflexdystophie erklärt.

34.3.6 CRPS (Reflexdystrophie, Algodystrophie)


34.3.2 Gefäß-Nerven-Verletzungen
Präventiv sollten expansive Simultaneingriffe unterbleiben. Eine
Die Auswirkung von durchschnittenen Fingernerven, sofern sie atraumatische Operationstechnik, die darauf bedacht ist, Devas-
nicht unmittelbar durch epiperineurale Naht oder Nerventrans- kularisationen von Gewebsabschnitten zu vermeiden, soll die Inzi-
plantat rekonstruiert werden, ist ein asensibles Areal. Während- denz der sympathischen Reflexdystrophie senken. Hinsichtlich der
dessen können Elongationen der Fingergefäße bei aufgehobener, stadiengerechten Therapie, die immer interdisziplinäre (Chirurg,
langfristig bestehender und fortgeschrittener Flexionskontraktur Schmerzklinik, Physiotherapeut, ggf. Psychiater oder Psychothera-
eine temporäre oder auch dauerhafte Ischämie zur Folge haben. peut) verläuft, sei auf  Kap. 18 verwiesen.
Ischämiegefährdet sind besonders Ein-Gefäß-Finger bei Rezidiv-
eingriffen, bei denen eine mikrovaskuläre Gefäßrekonstruktion
nicht gelingt. Amputation respektive Exartikulation sind not- Weiterführende Literatur
wendige Folgen. Daher sollten bereits präoperative angiologische
Methoden zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos eingesetzt Abe Y, Rokkaku T, Ofuchi S (2004) Surgery for Dupuytren’s disease in Japa-
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34.3 · Weiterführende Literatur
919 35

Deckung vom Weichteil- und kombinierten


Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich
Robert Hierner, Zunli Shen

35.1 Allgemeines – 920


35.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 920
35.1.2 Epidemiologie – 924
35.1.3 Ätiologie – 924
35.1.4 Diagnostik – 925
35.1.5 Klassifikation – 925
35.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie – 925
35.1.7 Therapie – 961
35.1.8 Besonderheiten im Wachstumsalter – 971
35.2 Spezielle Techniken – 971
35.2.1 Freie Hauttransplantation – 971
35.2.2 2- bzw. 4-Lappen-Z-Plastik zur Vertiefung der 1. Kommissur – 973
35.2.3 Trident-Lappenplastik nach Glicenstein bzw. Hirshowitz zur Korrektur einer Adduktionskontraktur
mit einer vernarbten Kommissurenplatte im Bereich der 1. Kommissur – 973
35.2.4 A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastikreihe (Hilgenfeld, Holevich, Foucher) – 973
35.2.5 Transpositionslappen nach Hueston – 974
35.2.6 Laterale Transpositionslappenreihe im Fingerbereich (Tanzer, Colson, Russel, Oberlin) – 976
35.2.7 Distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -IV-Lappenplastikreihe (Maruyama, Quaba,
Bakhach) – 977
35.2.8 A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach Pendeado bzw. Zancolli – 978
35.2.9 Ulnodorsale fasziokutane Perforatorlappenplastik nach Becker u. Gilbert – 979
35.2.10 Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock in epifaszialer Technik nach Wei – 979
35.2.11 Leistenlappen nach McGregor – 980
35.2.12 Freie mikrovaskuläre (erweiterete) laterale Oberarmlappenplastik nach Song – 982
35.3 Fehler, Gefahren und Komplikationen – 983
Weiterführende Literatur – 984

H. Towfigh et al (Hrsg.), Handchirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-11758-9_35, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011


920 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

35.1 Allgemeines (»back-cut«, mikrochirurgische Präparation des Gefäß-Nerven-


Bündels) gehoben werden können, mit dem Ziel einen immer grö-
Für die erfolgreiche Therapie von Defektzuständen im Handbe- ßeren Defekt zu decken. Für den klinischen Gebrauch haben sich
reich hat sich ein globales Defektmanagement bewährt, welches die im Folgenden aufgeführten Lappenreihen bewährt.
basiert auf:
▬ profundem Basiswissen ( Abschn. 35.1.1),
▬ einer multidisziplinären Behandlung mit einer gemeinsamen Lappenreihen für den klinischen Gebrauch
Sprache für Diagnostik und Dokumentation ( Abschn. 35.1.4, 1. Daumenbereich:
 Abschn. 35.1.5), – Palmare Dehnungslappenreihe (Moberg, Foucher, O‘Brien,
▬ einer standardisierten Patientenauswahl und Epping; ⊡ Abb. 35.1)
▬ einem sog. »integrativen Therapiekonzept« ( Abschn. 35.1.7). – Palmare Transpositionslappenreihe (Hueston, O‘Brien)
– Dorsale Transpositionslappenreihe (Hueston, Brunelli)
2. Fingerbereich:
35.1.1 Chirurgisch relevante Anatomie – Bilaterale Dehnungslappenreihe (Tranquilli, Lealy, Atasoy,
und Physiologie Snow)
– Unilaterale Dehnungslappenreihe (Geissendörfer/Kutler,
Vaskularisation: Konzept der Lappenreihe Venkataswami, Mouchet)
Die Kenntnis der regionenspezifischen Vaskularisation unter Nor- – Unilaterale Insellappenreihe (Littler, Loda)
malbedingungen und ihrer defektbedingten Beeinträchtigung be- – Palmare Transpositionslappenreihe (Hueston)
einflusst die Auswahl des Therapieverfahrens entscheidend. – Dorsale Transpositionslappenreihe (Hueston, Büchler)
Basierend auf einer profunden Kenntnis der Vaskularisation – Laterale Transpositionslappenreihe (Colson, Elliot,
im Daumen- und Fingerbereich ist es möglich, eine Vielzahl von Oberlin)
homodigitalen Lappenplastiken zu beschreiben. Zur besseren di- – A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastikreihe (Hilgenfeld,
daktischen Darstellung hat sich das »Konzept der Lappenreihen« Holevich, Foucher) ( Abschn. 35.2.4)
bewährt. Unter einer Lappenreihe werden alle Lappenplastiken – A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -IV-Lappenreihe (Aruyama/
zusammengefasst, die vom selben Spendergebiet – palmare, dor- Quaba/Backhach;  Abschn. 35.2.6)
sale oder laterale Fingerhaut – durch Ausweitung der Präparation
35

⊡ Abb. 35.1 Palmare Dehnungslappenreihe im


Daumenbereich (Moberg, Foucher, O’Brien, Epping).
a Schema: palmare neurovaskuläre bipedikuläre
Dehnungslappenplastik nach Moberg: Durch
eine weitere Z-Plastik im Bereich der distalen MP-
a b c
Gelenkfalte kann zusätzlich Strecke gewonnen
werden (Modifikation nach Foucher). b Mit dieser
Schnittführung können palmare Defekte der Zone 2
im Endgliedbereich zuverlässig gedeckt werden.
c Schema der palmaren neurovaskulären bipedi-
kulären Insellappenplastik nach O‘Brien: Durch
mikrochirurgische Präparation des beiden Gefäß-
Nerven-Stiele kann der Schwenkradius vergrößert
werden. Zur Deckung des Spenderdefekts ist ein
Hauttransplantat notwendig. d Mit dieser Schnitt-
führung können palmare Defekte der Zone 2 im
Endgliedbereich zuverlässig gedeckt werden, eine
Flexion im IP-Gelenk ist nicht mehr notwendig.
e Schema der palmaren neurovaskulären bipediku-
lären erweiterten Insellappenplastik nach Epping:
Durch Vergrößerung des Hautlappen auf P1 und
P2 kann der Schwenkradius abermals vergrößert
werden. Zur Deckung des Spenderdefekts wird eine
VY-Plastik durchgeführt. f Mit dieser Schnittführung
können palmare Defekte der Zone 3 im Endgliedbe-
d e f
reich zuverlässig gedeckt werden
35.1 · Allgemeines
921 35
In der klinischen Praxis hat es sich bewährt, die maximal zu präpa- Hauteinheiten« zu unterscheiden. Diese Einheiten berücksichtigen
rierende Lappenform anzuzeichnen (⊡ Abb. 35.1c,d) und dann die neben lokalen Faktoren, wie Funktion, mechanische Beanspruchung
Präparation am individuellen Patienten an dem Ort zu beenden, an und Ästhetik, vor allem die Möglichkeiten der Defektdeckung.
dem eine ausreichende und adäquate Defektdeckung der gehobe- Im distalen Unterarmbereich, welcher den Handgelenkbereich
nen Lappenplastik erreicht werden kann (⊡ Abb. 35.1e). mitbeinhaltet, werden eine dorsale, ulnare, palmare und radiale
Prinzipiell sollten große Lappen geschnitten werden, da sowohl Subeinheit unterschieden.
ihre Durchblutung als auch ihre funktionellen Ergebnisse (Sensi- Im Handbereich können folgende »rekonstruktive Einheiten«
bilität) denen kleiner Lappenplastiken überlegen ist. Ein weiterer benannt werden:
Vorteil des großen Lappendesigns besteht darin, dass bei Wund- 1. Handrücken,
heilungsstörungen mehr Material zur Korrektur – im Sinne eines 2. Hohlhand,
»Nachschiebens der Lappenplastik« – vorhanden ist. 3. 1. Zwischenfingerfalte,
4. 2.–4. Kommissur,
Hautlinien im Bereich der Hand 5. Daumen und
Durch die (elastischen) Verbindungen zwischen Haut und dem 6. Finger.
darunter liegenden Gewebe (z. B. Muskel) überträgt sich die Span-
nung in Ruhe und bei Bewegung auf die Haut. Dies führt zu den Für diese Einheiten können nach Tubiana weitere Subeinheiten
typischen Hautfalten. Die »relaxed skin tension lines« (RSTL) nach beschrieben werden (⊡ Tab. 35.1, ⊡ Abb. 35.3).
Borges stellen die dynamische Situation am Lebenden mit noch
bestehendem Muskeltonus dar. Die Langer-Hautlinien zeigen den Konzept der Niederresistenzzonen im Bereich der Hand
bevorzugten (statischen) Spannungsverlauf der Haut im Zustand Hinsichtlich der mechanischen Beanspruchung müssen sog. Nie-
der Totenstarre (Rigor mortis). Die Hautlinien haben für das derresistenzzonen im Bereich der Hand besonders beachtet werden
plastisch-chirurgische Vorgehen mehrere Bedeutungen: (⊡ Abb. 35.4). Als Niederresistenzzonen werden Regionen beschrie-
Die größte Verschieblichkeit der Haut besteht immer senk- ben, in denen der Knochen direkt unter der Haut liegt und nicht
recht zum Verlauf der Hautlinien (»lines of maximal extensibility«, vom Muskel »abgepolstert« ist und die größeren mechanischen
LME), weshalb sich die Wundkontraktion auch vorwiegend in Belastungen ausgesetzt sind. Selbst bei »ersatzstarkem« Lager in
diese Richtung auswirken kann. Schnittführungen im Hautniveau diesen Regionen sollte hier keine alleinige Spalthauttransplantation
bei elektiven Eingriffen sollten deshalb paralell zu den Langer- zur definitiven Defektdeckung durchgeführt werden. Wegen der
Hautlinien bzw. RSTL erfolgen, da quer verlaufende Narben oft geringen Widerstandsfähigkeit der alleinigen Spalthautplastik und
ästhetisch störend wirken. Praktisch sollte man die Rücksicht auf der hohen mechanischen Beanspruchung kommt es in vielen Fäl-
die Spannungslinien nur dort verlassen, wo erschwerte Übersicht len zur Ausbildung instabiler Narbenverhältnisse.
einen anderen Hautschnitt vorschreibt oder die Lage der Narbe die
spätere Funktion beeinträchtigen würde (⊡ Abb. 35.2). Hautqualitäten im Handbereich
Im Hinblick auf die regionenspezifischen Anforderungen an die
»Rekonstruktive Einheiten« im Bereich der Hand Weichteildeckung und die lokalen therapeutischen Möglichkeiten
Im Hinblick auf die Defektrekonstruktion hat es sich auch im Hand- spielt auch die Lokalisation des Defektes eine entscheidende Rolle.
bereich bewährt, sog. »rekonstruktive Einheiten« oder »funktionelle Die Haut an der palmaren Seite der Hand unterscheidet sich von

a b c

⊡ Abb. 35.2 Spannungslinien der Haut im Bereich der Hand. a Palmare Ansicht, b dorsale Ansicht. c Das Ausmaß der Wundranddehiszenz einer Schnitt-
wunde hängt von der Richtung des Wundverlaufs zu den Hautspaltlinien ab. Die in Richtung 1 und 2 parallel oder fast parallel zu den Spaltlinien gesetzten
Schnittwunden sind einem geringeren Seitenzug ausgesetzt als die der Wunde 3 und 4. (Aus Wachsmuth u. Wilhelm 1972)
922 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

⊡ Tab. 35.1 Funktionelle und ästhetische Einheiten und Untereinheiten im Handbereich

Handgelenk (distales Unterarmdrittel) palmare Untereinheit


dorsale Untereinheit
radiale Untereinheit
ulnare Untereinheit
Handrücken
Hohlhand Zentrale Untereinheit
Radiale Untereinheit (Thenar)
Ulnare Untereinheit (Hypothenar)
Metacarpophalangealgelenk Untereinheit
1. Zwischenfingerfalte (Kommissur) Distaler Kommissurenrand
Dorsale Kommissurenplatte
Palmare Kommissurenplatte
Daumen (D I) Dorsaler MP-Gelenk-Bereich
Grundglied (P1) Palmare Untereinheit
Dorsale Untereinheit
Dorsaler IP-Gelenk-Bereich
Endglied (P2) Palmare Untereinheit
Dorsale Untereinheit
2.–4. Zwischenfingerfalte (Kommissur) Distaler Kommissurenrand
Dorsale Kommissurenplatte

35 Palmare Kommissurenplatte
Finger Dorsaler MP-Gelenk-Bereich
Grundglied (P1) Palmare Untereinheit
Dorsale Untereinheit
Dorsaler PIP-Gelenk-Bereich
Mittelglied (P2) Palmare Untereinheit
Dorsale Untereinheit
Dorsaler DIP-Gelenk-Bereich
Endglied (P3) Palmare Untereinheit
Dorsale Untereinheit

a b c d

⊡ Abb. 35.3 »Rekonstruktive bzw. funktionelle Einheiten« im Bereich der Hand. a Ventrale Ansicht, b dorsale Ansicht, c 1. Zwischenfingerfalte, d 2.–4. Zwischen-
fingerfalte
35.1 · Allgemeines
923 35
Spina scapulae
Radix spinae Extremitas acromialis
Clavicula claviculae
Acromion Acromion
Processus coracoideus
Tuberculum maius Tuberculum maius
Tuberculum minus
Caput humeri

Margo
vertebralis Margo ulnaris
Corpus humeri
Margo ulnaris Angulus caudalis Margo radialis
Corpus humeri
Margo radialis

Epikondylus Epikondylus radialis


Epikondylus radialis Epikondylus ulnaris
ulnaris Capitulum radii
Capitulum radii
Processus Olecranon
coronoideus

Crista dorsalis
ulnae

Eminentia carpi
radialis Capitulum ulnae

Corpus radii, Processus styloideus


Margo radialis ulnae
Corpus radii,
Corpus ulnae, Os capitatum, Facies dorsalis
Processus styloideus Facies dorsalis
radii Margo ulnaris Processus styloideus
Os hamatum, radii
Tuberositas ossis Os pisiforme Facies ulnaris
navicularis Eminentia carpi
Hamulus ossis ulnaris Os trapezium,
hamati Basis
Tuberculum Os metacarpi V Corpus Facies dorsalis
ossis trapezii Caput
Caput ossis metacarpi V
Caput ossis Basis
metacarpi I Basis Phalanx Corpus
proximalis Caput
Ossa Corpus
sesamoidea Margo lateralis Phalanx Basis
proximalis Phalanx Corpus
Caput media Caput
Basis phalangis distalis Phalanx
distalis
a Cupula digiti Daktylion b

⊡ Abb. 35.4 Niederresistenzzonen im Bereich der Hand. a Ventrale Ansicht, b dorsale Ansicht. (Aus Berger u. Hierner 2009)

jener der dorsalen Seite durch eine hohe mechanische Beanspru- reich) genügend Abpolsterung zu bieten. An den Fingerkuppen
chungsfähigkeit und eine ausgezeichnete Sensibilität. wiederum sollten möglichst sensible Lappenplastiken eingesetzt
werden, um deren Sinnesfunktion, das Tasten, aufrechtzuerhalten.
> Im palmaren Bereich liegt die sog. Leistenhaut, im dorsalen
Am Handrücken sind vor allem Zugspannungen vorhanden. Für
Bereich die sog. Felderhaut (⊡ Abb. 35.5).
eine normale Handfunktion (vollständige Fingerbewegung und
Lappenplastiken für die Deckung auf der Palmarseite müssen kraftvoller Faustschluss) ist ein relativer Hautüberschuss am Hand-
ausreichend Fettgewebe besitzen, um einerseits ein Gleiten der rücken und im Bereich der Zwischenfingerfalten notwendig. Die
Beugesehen zu ermöglichen und andererseits in den Greifarea- Handrückenseite, die soziale Seite der Hand, ist viel mehr expo-
len (Thenar-, Hypothenar-, Metakarpophalangeal- und Fingerbe- niert und verlangt daher eher eine ästhetische Deckung.
924 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

Hautleisten ekkriner
Haarschaft Schweißdrüsengang
Hautfurchen papillärer
Gefäßplexus
ekkriner
Schweißdrüsengang
Talgdrüse

Epidermis

Epidermis

Dermis
Dermis

subdermaler
Gefäßplexus b
dermaler
Gefäßplexus Pacinikörperchen
Pacinikörperchen dermaler
subcutanes Fettgewebe Gefäßplexus
subdermaler
Gefäßplexus
⊡ Abb. 35.5 Hauttypen im Handbereich. a Palmare Leistenhaut, b dorsale
Felderhaut. (Aus Berger u. Hierner 2009) Arector Pili subkutanes Fettgewebe
Haarfollikel

35
35.1.2 Epidemiologie momenten und bei jedem Kind unter 2 Jahren die Verletzung
durch ein Äquivalent des Kinder- und Jugendamtes abklären lassen
Defekte im Handbereich sind häufige Defekte. Sog. kleine Hand- müssen, hat man festgestellt, dass bis zu 20% aller kindlichen Ver-
verletzungen können großen volkswirtschaftlichen Schaden an- brennungen auf Kindesmisshandlungen beruhen.
richten, wenn sie nicht primär optimal versorgt werden. Die folgenden Punkte werden in der Literatur als Hinweise
Hautdefekte, die nicht primär verschlossen werden können, auf das Vorliegen einer Misshandlung genannt; findet man 2 oder
isoliert oder in Kombination mit Knochen-, und/oder Sehnen- mehr diese Indizien, so soll dies in 60% der Fälle auf eine Miss-
und/oder Nervendefekten, stellen wegen ihrer unterschiedlichen handlung hinweisen (nach Blakeney und Herndon).
Ätiologie und Ausprägungen ein komplexes diagnostisches und
therapeutisches Problem dar.
Hinweise auf das Vorliegen einer Misshandlung
▬ Das verletzte Kind wird nicht von Verwandten zur Behand-
35.1.3 Ätiologie lung gebracht.
▬ Bei verletzten Erwachsenen besteht ein Abhängigkeitsver-
Nach der Ätiologie unterscheiden wir akute und chronische Weich- hältnis zwischen Patient und Versorger.
teildefekte: ▬ Die Behandlung wird verzögert (>12 h) aufgesucht.
Akute Weichteilverletzungen sind zumeist Folge von Rasanz- ▬ Die Schuld an der Verletzung wird dem Verletztem zuge-
traumen (z. B. Motorradunfälle, Sturz aus großer Höhe), Decol- wiesen.
lement-Verletzungen, Verbrennungen und Schussverletzungen. ▬ Die Beschreibung des Verletzungsmechanismus passt nicht
Bezüglich der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zum Verletzungsmuster.
stellen die kombinierte Weichteil-Knochen-Schädigung und Weich- ▬ Die Beschreibung des Verletzungsmechanismus passt nicht
teilschädigung im Rahmen eines Polytraumas eine Sonderform dar. zum Verhalten des Patienten.
Die häufigste Ursache für chronische Weichteildefekte sind ▬ Ähnliche Verletzungen sind anamnestisch bekannt.
chronische Entzündungen (z. B. Osteomyelitiden), die meist als ▬ Zeichen von Unterernährung, Vernachlässigung, Alkohol-
Spätkomplikationen auftreten, Strahlenschäden nach Radiothe- oder Drogeneinfluss.
rapie, Endzustände nach postthrombotischem Syndrom, Narben ▬ Die Beschreibung des Verletzungsmechanismus verändert
nach multiplen Operationen sowie neurogene Erkrankungen. sich mit jeder Erzählung.
▬ Es bestehen Zeichen vorausgehender anderer Verletzungen.
Handverletzung als Kindesmisshandlung ▬ Bei Verbrühungen sind die Verbrennungen glatt abgegrenzt,
Verbrennungen als Misshandlung im Allgemeinen und speziell an Beugefalten sind ausgespart (als Zeichen des Eingetaucht-
der Hand sind seit etwa 25 Jahren in das Blickfeld der Öffentlich- werdens in Abwehrstellung).
keit geraten. Meist sind Kinder und ältere Menschen betroffen. In ▬ Verbrennungen sind an dorsalen Körperarealen.
den USA, wo behandelnde Ärzte bereits bei geringsten Verdachts-
35.1 · Allgemeines
925 35
35.1.4 Diagnostik
⊡ Tab. 35.2 Klassifikation des Gewebeschadens an der Hand

Bei der Untersuchung von Patienten mit Defektverletzungen im Scheinbarer Defekt (Wundrandretraktion durch Gewebeelastizität
Bereich der Hand müssen zwei Situationen unterschieden werden: und/oder Schwellung)
1. die isolierte Defektverletzung und
Realer Defekt (echter Gewebeverlust)
2. die Defektverletzung im Rahmen eines Polytraumas.
Typ A Isolierter Hautdefekt (Defekte, die bis auf die Faszie
Für eine möglichst exakte Schadenserfassung dient uns ein »stan- reichen können)
dardisiertes diagnostisches Vorgehen« ( Übersicht). Im Rahmen
Typ B Kombinierter Weichteildefekt (Haut, Muskel, Sehnen,
eines Polytraumas muss dieses »standardisierte disganostische Vor-
Nerven, Blutgefäße)
gehen« in ein umfassendes »Diagnostik- und Therapieschama bei
Polytrauma integriert werden. Typ C Isolierter Knochendefekt

Typ D Komplexe Weichteil- und Knochendefekte


Standardisiertes diagnostisches Vorgehen bei (Typ E) Komplexe Defekte mit Eröffnung einer Körperhöhle
Defektverletzungen im Bereich der oberen Extremität
(aus Berger u. Hierner 2008)
Anamnese
▬ Akute Verletzungen 1. Defekte die bis auf die Faszie reichen können (Typ-A-Defekt),
▬ Chronische Beschwerden 2. gemischte Haut-Muskel- und andere Weichteildefekte (Typ-B-
Defekt),
Klinische Untersuchung 3. isolierte Knochendefekte (Typ-C-Defekte),
▬ Inspektion 4. kombinierte Weichteil- und Knochendefekte (Typ-D-
▬ Palpation Defekte).
▬ Perfusion 5. Im Stammbereich werden noch bei Eröffnung einer Körper-
▬ Sensibilität höhle (Thorax, Abdomen) kombinierte Gewebedefekt mit
▬ Aktive und passive Gelenkbeweglichkeit Eröffnung einer Körperhöhle (Typ-E-Defekte) unertschieden.
▬ Kraft
▬ Spezielle manuelle Untersuchungen, z. B. Karpusdiagnostik Zur weiteren Klassifizierung der kombinierten Knochen-Weich-
teil-Defekte (Typ D) verwenden wir im Hinblick auf die Wahl der
Allgemeine apparative Untersuchungen Therapieart (konservativ versus operativ), die Verfahrenswahl der
▬ Röntgen Osteosynthese (innere Fixierung – Nagel, Platte – versus äußere
Fixierung – Fixateur externe) und das zu erwartende Ergebnis die
Spezielle Apparative Untersuchungen Klassifikation nach Tscherne, Gustilo oder der Arbeitsgemein-
▬ Radiologie schaft Osteosynthese (AO) ( Kap. 9).
– Konventionelle Tomografie Bei den Weichteildefekten (Typ A und B) bestehen zwei Son-
– CT derformen, die Verbrennungsverletzung und die chronischen
– Arthro-CT Druckschädigungen.
– MRT Für die Klassifikation der Verbrennungsverletzungen wird in-
– Szintigrafie ternational die Unterscheidung in I- bis III-gradige, manchmal
– Sonografie auch I- bis IV-gradige Verbrennungen ( Kap. 4) angewendet.
– Angiografie Die Klassifikation des Dekubitus erfolgt nach der Klassifika-
▬ Neurologie tion der EUAP in vier Schweregrade
– Elektromyografie ▬ I: nicht wegdrückbare Rötung,
– Nervenleitgeschwindigkeit ▬ II: Blasenbildung,
– F-Welle ▬ III: kutane Läsion bis auf die Faszie,
▬ Labor ▬ IV: Defektausdehnung unterhalb der Faszie.
– Rheumafaktoren
– ASL-Titer
▬ Arthroskopie 35.1.6 Indikationen und Differenzialtherapie

Da eine detaillierte Darstellung der Defekte im Handbereich und


ihrer möglichen Therapien den Rahmen dieses Kapitels spren-
35.1.5 Klassifikation gen würde, werden nur die klinisch häufigsten Defektsituationen
beschrieben. Für weitere Informationen sei auf die ausführliche
Bei einer klinisch apparenten Weichteilinsuffizienz muss primär Sekundärliteratur verwiesen.
überprüft werden, ob eine Gewebedehiszenz (»scheinbarer Gewe-
bedefekt«) aufgrund der elastischen Eigenschaften des Weichteil- Haut- (Typ A) und Weichteildefekte (Typ B)
gewebes oder eines Gewebeödems (z. B. Kompartmentsyndrom) Handgelenk (distales Unterarmdrittel)
oder ein wirklicker Gewebeverlust (»echter Gewebedefekt«) vor- Aufgrund der funktionellen Bedeutung dieser Region ist eine ad-
liegt. Um das Ausmaß eines echten Gewebedefektes erfassen zu äquate Weichteildeckung hier besonders wichtig. Nach Masquelet
können, unterscheiden wir in (⊡ Tab. 35.2): können folgende Regionen unterschieden werden:
926 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

▬ dorsale Handgelenkregion,
▬ palmare Handgelenkregion, Polyregionale Defekte
▬ radiale Handgelenkregion, ▬ Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken
▬ ulnare Handgelenkregion. – Lateraler Oberarmlappen
– Paraskalpula-/Skapulalappen
> Da die distale Unterarmregion zu den Niederresistenzzonen
– Anterolateraler Oberschenkellappen
zählt, ist die einfache Hauttransplantation meist nur zur
– Myokutaner (funktioneller) Latissimus-dorsi-Lappen
temporären Deckung oder als Therapie der letzten Wahl
▬ Gestielte Fernlappenplastiken
einzusetzen.
– Leistenlappen
Zur Deckung kleiner bis mittelgroßer Defekte können Rotations- – Abominallappen
lappen aus dem Unterarmbereich verwendet werden. Für grö-
ßere Defekte sind vor allem der A.-interossea-posterior-Lappen
( Abschn. 35.2.8), der ulnodorsale Perfoatorlappen nach Becker Dorsale Handgelenkregion
u. Gilbert ( Abschn. 35.2.9), der ulnare neurokutan gestielte Lap- Ursachen für einen Gewebedefekt im Bereich der dorsalen Hand-
pen nach Bertelli, der radiale neurokutan gestielte Lappen nach gelenkregion sind Trauma, Defektzustände nach Kontrakturauf-
Bertelli, der radiale distale Perforatorlappen nach Goffin und lösung und postoperativen Gewebeuntergang nach ausgedehnten
die distal gestielte A. radialis-Lappenplastik nach Stock ( Ab- Synovialektomien und Defektzustände nach Paravasaten. Eine wei-
schn. 35.2.10) indiziert ( Differenzialtherapie im Bereich des Hand- tere wichtige Indikation stellt die Lagerverbesserung vor Streckseh-
gelenks). Die distale gestielte A.-ulnaris-Lappenplastik findet bei nenrekonstruktion dar.
uns aufgrund der möglichen Schädigung des N. ulnaris keine Für kleine bis mittelgroße (Breite <3 cm) Defekte stellt die ul-
Verwendung. nodorsale Lappenplastik nach Becker u. Gilbert ( Abschn. 35.2.9)
die Therapie der Wahl dar.
Größere Defekte werden bevorzugt mit der A.-interossea-poste-
Differenzialtherapie im Bereich des Handgelenks rior-Lappenplastik nach Pendeado bzw. Zancolli ( Abschn. 35.2.8)
(distales Unterarmdrittel) gedeckt. Bei Defekten im dorsalen Handgelenkbereich muss aber
Handgelenk (distales Unterarmdrittel) darauf geachtet werden, dass der R. communicans der A. interos-
Dorsale Handgelenkregion sea posterior mit der A. interossea anterior erhalten ist. Deshalb ist
35 ▬ Kleine bis mittelgroße (Breite <3 cm) Defekte präoperativ eine Doppleruntersuchung notwendig. Bei Kontrain-
– Ulnodorsaler Perforatorlappenplastik nach Becker dikationen für den A.-interossea-posterior-Lappen oder größeren
▬ Größere Defekte Defekten sollte als Nächstes an die Möglichkeit eines distalen
– Interossea-posterior-Lappenplastik radialen Perforatorlappens nach Goffin gedacht werden. Aufgrund
– Ulnare neurokutan gestielte Lappen nach Bertelli des Spenderdefektes stellen die ulnare bzw. radiale neurokutan
– Radiale neurokutan gestielte Lappen nach Bertelli gestielten Lappen nach Bertelli nur die Therapie der 2. Wahl dar.
– Radiale distale Perforatorlappen nach Goffin Bei ausgedehnten (polyregionalen) Defekten ist die distal gestielte
– Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik A.-radialis-Lappenplastik nach Stock ( Abschn. 35.2.10) die einzig
– Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken lokal verbleibende Deckungsmöglichkeit. Alternativ können für
– Leistenlappen derartige Defekte freie mikrovaskuläre Lappenplastiken (lateraler
Oberarmlappen nach Song, Skapulalappen nach Dos Santos, Pa-
Palmare Handgelenkregion rascapulalappen nach Nassif, anterolateraler Obersschenkellappen
▬ Kleine bis mittelgroße Defekte nach Song) und gestielte Fernlappenplastiken (Leistenlappen) ein-

(Synoviallappen nach Wulle) gesetzt werden ( Differenzialtherapie im Bereich des Handgelenks).

(Hypothenar-Fett-Faszien-Lappen nach Cremer) Da im Handrückenbereich eine sehr dünne Weichteilbede-

(M.-abductor-pollicis-brevis-Lappen) ckung benötig wird, können bei Patienten mit dicker Subku-

Distale ulnodorsale Perforatolappenplastik nach tanschicht dünne Faszienlappen gehoben werden, die dann mit
Becker einem mitteldicken Spalthauttransplantat bedeckt werden. Dieses
– M.-pronator-quadratus-Lappenplastik Vorgehen erbringt sehr gute ästhetische Ergebnisse. Es ist jedoch
– A.-interossea-posterior-Lappenplastik problematisch, wenn Sekundäreingriffe (Reoperationen, zweizei-
▬ Große Defekte tige Strecksehnenrekonstruktion) notwendig sind.
– Ulnare neurokutan gestielte Lappen nach Bertelli
– Radiale neurokutan gestielte Lappen nach Bertelli Palmare Handgelenkregion
– Radiale distale Perforatorlappen nach Goffin Defektzustände im Bereich der palmaren Handgelenkregion sind
– Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik meist bedingt durch Auflösung von Kontrakturen und Trauma.
– Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Eine weitere immer häufigere Indikation besteht bei Rezidiven
– Leistenlappen eines Karpaltunnelsyndroms, wenn gleichzeitig eine Deckung und
eine gefäßversorgte Abpolsterung für den N. medianus nötig ist.
Radiale/ulnare Handgelenkregion Zur Abpolsterung und Revaskularisierung des N. medianus im
▬ A.-interossea-posterior-Lappenplastik distalen Unterarm und Handgelenkbereich sind vor allem die
▬ Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik Synoviallappenplastik nach Wulle (⊡ Abb. 35.6), die Hypothenar-
▬ Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken Fettlappen-Plastik nach Cremer, die M.-abductor-pollicis-brevis-
▬ Leistenlappen Lappenplastik, die M.-pronator-quadratus-Lappenplastik und die
▼ ulnodorsale Perforatorlappenplastik nach Becker bzw. Gilbert ge-
eignet ( Kap. 8).
35.1 · Allgemeines
927 35

⊡ Abb. 35.6 Synoviallappenplastik nach Wulle


zur Abpolsertung des N. medianus nach mehr-
fachem Rezidiv eines Kompressionssyndroms
des N. medianus im Karpalkanalbereich. a Intra-
operativer Aspekt nach Präparation der ulnarge-
stielten Synoviallappenplastik, b intraoperativer
Aspekt nach Bedeckung des mikrochirurgisch
neurolysierten N. medianus mit der Synoviallap-
a b
penplastik

a b c

⊡ Abb. 35.7 Deckung eines mittelgroßen palma-


ren Handgelenkdefektes nach Suizidversuch
nach Rekonstruktion aller palmaren Strukturen
inklusive Aa. ulnaris et radialis. a Klinischer Aspekt
präoperativ, b klinischer Aspekt intraoperativ:
Schematische Darstellung von Anatomie und
Vaskularisation der Lappenplastik, c klinischer
Aspekt nach Einnähen der Lappenplastik, d klini-
scher Aspekt 6 Monate postoperativ: ästhetisches
Ergebnis Spenderdefekt, e klinischer Aspekt
6 Monate postoperativ: ästhetisches Ergebnis
Empfängergebiet, freie Streckung aller Finger, f
klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ: ästhe-
tisches Ergebnis Empfängergebiet, kompletter
d e f
Faustschluss

Für kleine bis mittelgroße Defekte stellt die A.-interossea-poste- Für größere Defekte ist wiederum die A.-radialis-Lappenplas-
rior-Lappenplastik die Therapie der 1. Wahl dar, da hierdurch keine tik indiziert. Wiederum ist an die Spendergebietmorbidität durch
Hauptgefäßachse geopfert werden muss (⊡ Abb. 35.7). Aufgrund des Entnahme der A. radialis zu denken. Alternativ können der Leis-
Spenderdefektes stellen die ulnare bzw. radiale neurokutan gestiel- tenlappen oder freie mikrovaskuläre Lappenplastiken eingesetzt
ten Lappen nach Bertelli nur die Therapie der 2. Wahl dar. werden ( Differenzialtherapie im Bereich des Handgelenks).
928 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

e f

35
b

g h

⊡ Abb. 35.8 Deckung eines fasziokutanen De-


fektes des gesamten dorsalen Unterarms nach
c Heißpressenverletzung mithilfe eines freien Pa-
raskapulalappens. a Klinischer Aspekt präoperativ,
b klinischer Aspekt nach Débridement, ulnodor-
saler Lappenplastik nach Becker und initialer De-
ckung mit Integra, c klinischer Aspekt 6 Monate
postoperativ mit posttraumatischer Tendodese al-
ler Strecksehnen, d klinischer Aspekt 1 Jahr nach
Deckung mit freier Paraskapula-Lappenplastik:
Empfängergebiet, e klinischer Aspekt 1 Jahr nach
Deckung mit freier Paraskapula-Lappenplastik:
Spendergebiet, f klinischer Aspekt 1 Jahr nach
Deckung mit freier Paraskapula-Lappenplastik:
Handgelenkbeugung, g klinischer Aspekt 1 Jahr
nach Deckung mit freier Paraskapula-Lappen-
plastik: Handgelenkstreckung, h klinischer Aspekt
1 Jahr nach Deckung mit freier Paraskapula-Lap-
penplastik: Fingerstreckung, i klinischer Aspekt
1 Jahr nach Deckung mit freier Paraskapula-
d i
Lappenplastik: Faustschluss
35.1 · Allgemeines
929 35
Mediale und laterale Handgelenkregion
Defekte im Bereich der medialen und lateralen Handgelenkregion Klassifikation der Defekte im Handrückenbereich
werden bevorzugt mithilfe der A.-interossea-posterior-Lappen- ▬ Oberflächliche Defekte ohne Exposition von Strecksehnen
plastik gedeckt. Komplexe Verletzungen mit offenen Frakturen im ▬ Tiefe Defekte mit Exposition von Strecksehnen
Bereich des Handgelenks stellen eine Kontraindikation für diesen – Kleine zentrale Defekte
Lappen dar. Aufgrund des Spenderdefektes stellen die ulnare- – Defekte proximal der MP-Gelenke
bzw. radiale- neurokutan gestielten Lappen nach Bertelli nur die – Kleine Defekte im MP- und Kommissurenbereich
Therapie der 2. Wahl dar. Bei Läsion der A. ulnaris besteht eine – Defekte einschließlich der MP-Gelenke, des Kommissuren-
Kontraindikation zu Verwendung eines distal gestielten A.-radia- bereichs und der Dorsalseite des Grundglieds
lis-Lappens. In diesen Fällen ist eine freie mikrovaskuläre Lappen- – Kombinierte Haut-Knochen-Defekte im Handrücken-
plastik oder eine Fernlappenplastik indiziert ( Differenzialtherapie bereich
im Bereich des Handgelenks).

Polyregionale Defekte Oberflächliche Defekte ohne Exposition von Strecksehnen


Ausgedehnte Verletzungen können auch mehrere Regionen betref- Zur Vermeidung einer postoperativen Narbenkontraktur wird eine
fen. Diese großen Defekte können meist nicht mehr mit lokalen gezackte und ggf. die gesunde Haut mit einbeziehende Schnitt-
Lappenplastiken gedeckt werden, da diese selbst zu klein sind oder führung gewählt. Das Hauttransplantat bzw. die Lappenplastik
der resultierende Spenderdefekt zu einer zusätzlichen funktionel- muss in der Stellung der Hand eingenäht werden, in welcher der
len und/oder ästhetischen Beeinträchtigung führen würde. zu deckende Defekt am weitesten gedehnt ist, was beim festen
Bei reinen fasziokutanen Defekten und fehlendem Knochen- Faustschluss der Fall ist. Dabei ist darauf zu achten, dass das Trans-
defekt haben sich die Skapula- oder Paraskapula-Lappenplastiken plantat bzw. die Lappenplastik beim Einnähen am Handrücken in
bewährt (⊡ Abb. 35.8). Querrichtung weniger gespannt wird als in Längsrichtung. Um
Bei Defekten, welche mit diesen Lappenplastiken nicht mehr eine lange Immobilisationszeit sowie eine tiefe Narbenbildung mit
gedeckt werden können (meist >9×20 cm) und bei zusätzlichem Beeinträchtigung der Gleitschichten und der Strecksehnen zu ver-
Knochendefekt stellt die (myokutane) Latissimus-dorsi-Lappen- meiden, ist eine primäre Wundheilung im dorsalen Handbereich
plastik immer noch die Therapie der Wahl dar. Zusätzlich zur wichtig ( Abschn. 35.2.1).
reinen Defektdeckung kann durch mikrochirurgisch Nervenko-
aptation mit einem geeigneten Spendernerv im Sinne eines freien Tiefe Defekte mit Exposition von Strecksehnen
funktionellen Muskeltransfers auch Bewegung wiederhergestellt Die Wahl des Verfahrens zur Defektdeckung ist abhängig von Aus-
oder augmentiert werden. dehnung, Tiefe und Lokalisation des Defektes.
> Wegen der großen Beeinträchtigung der Patienten durch Kleine zentrale Defekte
Immobilisation und mehrfache Operationen und den sekun-
Aufgrund der großen Mobilität und der guten Vaskularisation
dären Immobilisationsschaden im Bereich der gesamten obe-
der Haut im Handrückenbereich stellen die lokalen defektangren-
ren Extremität sollten gestielte Fernlappenplastiken aus dem
zenden Lappenplastiken die Therapie der 1. Wahl bei kleineren
Leisten-, kontralateralen Oberarm- und Bauchhautbereich
Hautdefekten im Handrückenbereich dar. Bei runden zentralen
nur als letzte Therapiemöglichkeit eingesetzt werden.
Defekten hat sich die Lappenplastik nach Pick bewährt. Bei recht-
eckigen zentralen Defekten sollte die Technik nach Limberg für
Handrücken Defekte deren beide kleineren Winkel 60° ausmachen eingesetzt
Anforderungen an die Hautdeckung im Bereich des Handrückens werden. Bei rechteckigen Defekten, deren beide kleineren spitzen
sind Wundschluss und/oder die Schaffung eines ersatzstarken Winkel 60–90° einschließen ist die Technik nach Dufourmentel
Transplantatlagers bei ausgedehnten kombinierten Haut-, Sehnen- vorzuziehen. Lineare oder eliptoide Defekte, die nicht größer sind
und Knochendefekten. Aus funktioneller Sicht muss die Defekt- als ein Drittel des Handrückendurchmessers, können am einfachs-
deckung ein ausreichendes Gleitlager für die Strecksehnen schaf- ten mithilfe einer Brücken- bzw. Visierlappenplastik in Kombina-
fen. Wegen der großen Hautverschiebungen in longitudinaler und tion mit einer mitteldicken Spalthautdeckung des Spendergebietes
transversaler Richtung bei Hand- und Fingerbewegungen muss im verschlossen werden. Bei exzentrisch gelegenen Defekten, die die
Bereich der funktionellen Einheit von Hand- und Fingerrücken, Hälfte des Handrückendurchmessers nicht überschreiten, bietet
die sich von der proximalen dorsalen Handgelenkfalte bis zu den sich ein konventioneller Transpositionslappen mit dem Basis-Län-
PIP-Gelenken der Finger und dem MP-Gelenk des Daumens er- gen-Verhältnis von 1:2 zur Deckung an. Das Spendergebiet wird
streckt, ein relativer Hautüberschuss bestehen. Schließlich soll die wiederum mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat verschlos-
ästhetische Funktion des Handrückens als soziale Seite der Hand sen (⊡ Abb. 35.9).
auch aus psychologischen Gründen wiederhergestellt werden.
Zur Prävention von postoperativen Bewegungseinschränkun- Handrückendefekte proximal der Metakarpophalangeal-
gen und einer Minimierung von Narbenbildungen mit sekundären gelenke
Kontrakturen sind einige wichtige Gesichtspunkte zu beachten. Liegt der Hautdefekt proximal der MP-Gelenke und kann er nicht
Immer sollten die Grenzen der funktionellen Einheiten der Hand komplett mit einer lokalen defektangrenzenden Lappenplastik al-
(⊡ Abb. 35.4) respektiert werden. In einigen Fällen kann es deshalb lein verschlossen werden, so ist zu prüfen, ob er nicht mit einer
notwendig sein, auch gesunde, nicht verletzte dorsale Haut zu ent- nicht defektangrenzenden Lappenplastik aus dem Handrücken-
fernen. Dies gilt vor allem im Fingerrückenbereich, will man die bereich verschlossen werden kann. Zentrale und ulnar gelegene
Lappengrenzen zu beiden Seiten in die Mediolaterallinie bringen. Hautdefekte, die nicht mehr als ein Viertel des Handrückens be-
Aufgrund der klinischen Erfahrung hat sich für den Handrü- treffen, können mithilfe der A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappen-
cken eine Klassifikation in folgende Untergruppen bewährt. plastik nach Hilgenfeldt und der A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis
930 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

C E
E’

A
B

b c d e
a

⊡ Abb. 35.9 Deckung eines kleinen Defektes im zentralen Handrückenbereich nach Wundheilungsstörung bei jahrelanger Kortisonmedikation mithilfe einer
Translationslappenplastik nach Iselin. a Schema der Planung der Lappenplastik: Der häufigste Fehler besteht darin, den Drehpunkt der Lappenplastik an der
Schnittstelle zwischen Lappen, gesunder Haut und Defekt festzusetzen. Tatsächlich muss der Abstand AB genauso groß wie die Breite des Defektes sein (EE‘).
Wenn nun die Lappenspitze (D) nach E geschwenkt wird, muss der Abstand (Spannungslinie) von B zu D genauso groß sein wie BE. Durch die Transposition
kommt es zu einer »Verkürzung der Lappenplastik« um etwa ein Drittel der Länge. b Klinischer Aspekt nach Débridement und Lappenumschneidung, c klini-
scher Aspekt nach Transposition des Lappens und Deckung des sekundären Spenderdefektes mithilfe eines Vollhauttransplantats aus der Leiste, d Fixierung
des Vollhauttransplantats mithilfe eines Überknüpfverbandes, e klinischer Aspekt 6 Monate nach Lappenplastik

35
-IV-Lappenplastik nach Earley und Milner als hautgestielte oder Bei den genannten Ausnahmen sowie bei Defekten, die größer
Insellappenplastiken zuverlässig verschlossen werden. Lineare oder als 6×15 cm sind, kann nur auf die distal gestielte A.-radialis-Lap-
elliptoide Defekte, die nicht größer sind als ein Drittel der Hand- penplastik nach Stock zurückgegriffen werden ( Abschn. 35.2.11).
rückenbreite, können am einfachsten mithilfe einer bipedikulären Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich, so
Translationslappenplastik (Visier- bzw. Brücken-Lappenplastik) in müssen freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken
Kombination mit einer mitteldicken Spalthautdeckung des Spen- angewandt werden. Wegen der Notwendigkeit einer frühzeitigen
dergebietes versorgt werden. Bei exzentrisch gelegenen Defekten, Mobilisierung, der leichteren Pflege und einer geringeren psy-
die die Hälfte der Handrückenbreite nicht überschreiten, stellt die chischen Belastung des Patienten sind mikrovaskuläre Lappen-
Translations-Lappenplastik nach Iselin in Kombination mit einer plastiken den gestielten Fernlappenplastiken vorzuziehen. Wegen
Spalthauttransplantation zur Deckung des Entnahmedefektes die der ähnlichen Hautqualität und -farbe und der Tatsache, dass
Therapie der 1. Wahl dar. kein Hauptgefäßstamm geopfert werden muss, stellt der laterale
Ist eine Defektdeckung mit einer lokalen Lappenplastik aus Oberarmlappen nach Song die Therapie der 1. Wahl dar. Bei di-
dem Handbereich nicht möglich, so sollte als Nächstes an die cker Subkutanschicht und bei sehr kleinem Oberarmumfang bei
Möglichkeit einer gestielten Lappenplastik aus dem Unterarm- zierlichen Patienten sollte sie jedoch erst als Therapie der 2. Wahl
bereich gedacht werden, wobei es sich immer um fasziokutane eingesetzt werden. Hier ist die A.-radialis-Lappenplastik nach
Transplantate handelt. Bei dicker subkutaner Schicht sollte zur Yang die Therapie der 1. Wahl. Dem Vorteil des langen großlu-
Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses und zur Minimierung migen Gefäßstieles des Radialislappens steht der Nachteil der
des Entnahmedefektes (u. a. A.-radialis-Lappenplastik nach Yang) Opferung einer Hauptgefäßstraße zur Hand – mit Notwendigkeit
eine gestielte Fett-Faszien-Lappenplastik gehoben werden. Dem einer mikrovaskulären Rekonstruktion – sowie der große ästhe-
Vorteil des geringeren Spenderdefektes steht der Nachteil einer tische Defekt im Unterarmbereich gegenüber. Bei ausgeprägter
möglichen zweiten Operation zur Nachdeckung bei unvollständi- subkutaner Fettschicht an Stamm und Extremitäten sollte aus
gem Anwachsen der Spalthaut und der schlechteren postoperati- ästhetischer Indikation eine freie A.-radialis-Faszienlappenplastik
ven Beurteilbarkeit der Lappendurchblutung gegenüber. Bei pro- mit mitteldicker Spalthautdeckung durchgeführt werden. Ist eine
ximalen handgelenknahen Defekten sollte die ulnodorsale Lap- Radialis-Faszienlappenplastik nicht möglich, so sollte als Nächs-
penplastik nach Becker und Gilbert ( Abschn. 35.2.9) bevorzugt tes die Möglichkeit einer freien mikrovaskulären A.-temporalis-
werden. Für Defekte, die sich vom Handrücken bis zu den MP- Faszienlappenplastik nach Smith geprüft werden. Ist auch diese
Gelenken erstrecken, stellt die distal gestielte A.-interossea-poste- nicht möglich oder erwünscht, so kann die freie mikrovaskuläre
rior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli ( Abschn. 35.2.8) thorakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch und Helaly,
bis auf wenige Ausnahmen bei Defekten bis zu 6×15 cm Größe kombiniert mit einer mitteldicken Spalthauttransplantation, in
die Therapie der 1. Wahl dar. Wegen der Gefahr einer Schädigung Erwägung gezogen werden.
des R. communicans zwischen den Aa. interosseae anterior und Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich,
posterior sollte bei Verletzungen im distalen Unterarmbereich die so müssen gestielte Fernlappenplastiken eingesetzt werden. Als
distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nicht ange- Spenderstellen stehen die kontralaterale Außenseite des Oberarms
wandt werden (⊡ Abb. 35.10). sowie die ipsilaterale Leistenregion und Bauchhaut zur Verfügung.
35.1 · Allgemeines
931 35

a c
b

d e f

⊡ Abb. 35.10 Deckung eines posttraumatischen Handrückendefektes bei komplexer Knochen-Weichteil-Schädigung mithilfe eines A.-interossea-posterior-
Lappens. a Klinischer Aspekt präoperativ, b Röntgenbild präoperativ, c klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ, d Funktion 1 Jahr postoperativ: Handgelenk-
streckung, e Funktion 1 Jahr postoperativ: Faustschluss, f Funktion 1 Jahr postoperativ: Fingerstreckung

Dem Vorteil des besseren ästhetischen Ergebnisses im Bereich des


Empfängergebietes, der sich daraus ergibt, dass keine Ausdünnung Differenzialtherapie bei Handrückendefekten proximal
notwendig ist, steht bei der »Cross-arm«-Lappenplastik nach Mc- der Metakarpophalangealgelenke
Cash in der Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier der ▬ Hautdefekte <1⁄4 des Handrückens
Nachteil einer sichtbaren und wenig ästhetischen Spenderstelle am – A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt
kontralateralen Oberarm sowie ein erhöhtes Risiko einer Lappen- – A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -IV-Lappenplastik nach
nekrose gegenüber. Im Bereich von Leiste und Bauchhaut kann der Earley und Milner
Spenderdefekt gering oder zumindest gut versteckt gehalten wer- ▬ Hautdefekte <1⁄3 des Handrückens
den, jedoch ist im Empfängergebiet immer eine zweite Operation – Bipedikuläre Translationslappenplastik (Visier- bzw.
zur Lappenausdünnung nach frühestens 6 Monaten notwendig. Brückenlappenplastik)
Wegen der besseren Möglichkeit der frühzeitigen postoperativen ▬ Hautdefekte <1⁄2 des Handrückens
Mobilisierung der Hand sollte, wenn es die Ausdehnung des De- – Translationslappenplastik nach Iselin
fektes erlaubt, die Leistenlappenplastik nach McGregor der Bauch- ▬ Proximale handgelenknahe und ulnare Defekte
hautlappenplastik nach Zoltan vorgezogen werden. Neben den – Distale ulnodorsale Perforatorlappenplastik nach Becker
durch die Immobilisation von mindestens 3 Wochen bedingten und Gilbert
Nachteilen kommt es bei beiden letztgenannten Lappenplastiken ▬ Sonstige Defekte
zu einer ausgeprägten Lappenprominenz aufgrund der dicken Sub- – Distal gestielte A.-interossea-posterior-(Faszien-)Lappen-
kutisschicht. Zur Vermeidung dieser Lappenprominenz kann bei plastik nach Penteado bzw. Zancolli
beiden Lappenplastiken das »Lambeau-greffe-Prinzip« nach Col- – Distal gestielte A.-radialis-(Faszien-)Lappenplastik nach
son u. Janvier oder das »Crane-flap-Prinzip« nach Millard einge- ▼ Stock
setzt werden.
932 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich, müssen


– Freier lateraler Oberarmlappen nach Song freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken angewandt
– Freie mikrovaskuläre A.-radialis-(Faszien-)Lappenplastik werden. Die Lappenauswahl erfolgt nach den gleichen Kriterien
nach Yang wie für die Deckung von Handrückendefekten proximal der MP-
– A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith Gelenke (s. oben). Bei Handrückendefekten mit Beteiligung der
– Thorakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch und angrenzenden Regionen dorsale Finger bzw. distaler Unterarm
Helaly und Handgelenk kann der Defekt so groß sein, dass eine feie M.-
– »Cross-arm«-Lappenplastik nach McCash (Lambeau-greffe- latissimus-dorsi-Lappenplastik notwendig wird (⊡ Abb. 35.11). Die
Technik nach Colson u. Janvier) Lappenplastik kann als myokutane Lappenplastik oder als Muskel-
– Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe- lappenplastik in Kombination mit einer mitteldicken Spalthaut-
Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip transplantation gehoben werden. Bei dünner Rückenhaut ist der
nach Millard) myokutanen Lappenplastik der Vorzug zu geben, da bei derartigen
– Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe- Defekten oft mehrmalige sekundäre Eingriffe zur Verbesserung
Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip des funktionellen und ästhetischen Ergebnisses notwendig sind.
nach Millard) Hier bietet die Hautlappenkomponente gegenüber der Spalthaut
deutliche Vorteile. Bei dicker Subkutanschicht ist eine mehrfache
Lappenausdünnung notwendig. Vor- und Nachteile sind mit dem
Handrückendefekte im Metakarpophalangeal- und Patienten zu besprechen.
Kommissurenbereich
Bei distal gelegenen, kleinen Defekten im dorsalen MP-Gelenk- und
Kommissurenbereich ist primär an die Möglichkeit einer dorsok- Differenzialtherapie bei Handrückendefekten
ommissuralen Lappenplastik nach Dautel zu denken. Die proximal einschließlich der Metakarpophalangealgelenke,
oder distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach des Kommissurenbereiches und der Dorsalseite
Hilgenfeldt und die A.-metacarpalis-dorsalis-II bis -IV-Lappenplas- der Grundglieder
tiken nach Earley u. Milner sollten in dieser Region als Therapie der ▬ Distal gestielte A.-radialis-(Faszien-)Lappenplastik nach Stock
2. Wahl eingesetzt werden. Als Therapie der 3. Wahl kommt eine ▬ (Distal gestielte A.-ulnaris-Lappenplastik nach Guiberteau)
laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell in Frage ▬ Distal gestielte A.-interossea-posterior-(Faszien-)Lappenplas-
35 (⊡ Tab. 35.2). Kann eine Defektdeckung mit diesen Lappenplastiken tik nach Penteado bzw. Zancolli
nicht erreicht werden, erfolgt die Lappenwahl nach den gleichen ▬ Distal gestielte A.-radialis-(Faszien-)Lappenplastik nach Stock
Kriterien, wie sie für die Deckung von Handrückendefekten ein- ▬ Freier lateraler Oberarmlappen nach Song
schließlich der MP-Gelenke, des Kommissurenbereiches und der ▬ Freie mikrovaskuläre A.-radialis-(Faszien-)Lappenplastik nach
Dorsalseite der Grundglieder gelten (s. unten). Yang
▬ Freie mikrovaskuläre (myokutane) Latissimus-dorsi-Lappen-
plastik nach Olivari
Differenzialtherapie bei Handrückendefekten im ▬ A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith
Metakarpophalangeal- und Kommissurenbereich ▬ Thorako-dorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch u. Helaly
▬ Dorsokommissurale Lappenplastik nach Dautel ▬ »Cross-arm«-Lappenplastik nach McCash (Lambeau-greffe-
▬ A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt Technik nach Colson u. Janvier)
▬ A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -IV-Lappenplastik nach Earley ▬ Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe-
und Milner Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip nach
▬ Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell Millard)«
▬ Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe-
Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip nach
Handrückendefekte einschließlich der Metakarpophalangeal- Millard)
gelenke, des Kommissurenbereiches und der Dorsalseite der
Grundglieder
Bei Hautdefekten des Handrückens, die den Bereich der MP- Kombinierte Haut-Knochen-Defekte im Handrückenbereich
Gelenke, der Kommissuren und der Dorsalseite der Grundglieder Bei kombinierten Haut-Knochen-Defekten im Handrückenbereich
einschließen, ist primär die Möglichkeit einer Spalthauttransplan- ist als Erstes zu prüfen, ob der kombinierte Haut-Knochen-Defekt
tation zu prüfen. einzeitig oder zweizeitig gedeckt werden kann. Bei einer Entschei-
Ist eine Defektdeckung mit einem mitteldicken Spalthauttrans- dung für eine zweizeitige Vorgangsweise erfolgt die Hautdefektde-
plantat nicht möglich, so sollte als Nächstes an die Möglichkeit ckung nach den oben genannten Richtlinien. Nach Defektdeckung
der gestielten (Faszien-)Lappenplastik aus dem Unterarmbereich und Schaffung eines ersatzstarken Lagers kann der Knochendefekt
gedacht werden. Bei einer Defektausdehnung vom Handrücken mit einem nichtvaskularisierten kortikospongiösen Span vom Be-
bis zur dorsalen Fläche des Grundgliedes stellt die distal gestielte ckenkamm überbrückt werden. Nur in Ausnahmefällen ist der
A.-radialis-Lappenplastik nach Stock ( Abschn. 35.2.11) die einzige Einsatz eines vaskularisierten Knochentransplantates notwendig
lokale therapeutische Option dar. Aufgrund der Bedeutung der ( Kap. 9). Ist eine einzeitige Defektdeckung geplant, so muss der
A. ulnaris für die Durchblutung der Hand bzw. der Gefahr einer Einsatz einer gestielten oder freien mikrovaskulären osteokutanen
Beeinträchtigung des N. ulnaris sollte die distal gestielte A.-ulna- Lappenplastik geprüft werden.
ris-Lappenplastik nach Guimberteau – wenn überhaupt – nur als Bei kleinen Hautdefekten sollte primär an die distal gestielte,
letzte Therapiemöglichkeit eingesetzt werden. Die mikrochirurgi- osteofasziokutane Mehrkomponenten-A.-interossea-anterior-Lap-
sche Rekonstruktion der A. ulnaris ist dann als obligat anzusehen. penplastik nach Hu gedacht werden. Ist diese z. B. nach einer
35.1 · Allgemeines
933 35

a b c d

e f g h

⊡ Abb. 35.11 Deckung eines Heißmangeldefektes von distalem Unterarm, Handrücken


und proximalem Finger mithilfe einer freien myokutanen Latissimsus-dorsi-Lappenplastik.
a Klinischer Aspekt nach komplettem Débridement, b klinischer Aspekt 1 Jahr postoperativ
nach freiem myokutanem Latissimus-dorsi-Lappen und Strecksehnenrekonstruktion mit Fascia
lata, c klinischer Aspekt der Lappenkompression und Narbentherapie mit Silikonpelotten,
d klinischer Aspekt nach Lappenausdünnung ulnarseitig und Korrektur der iatrogenen parti-
ellen Syndaktylie im Bereich der 4. Kommissur, e klinischer Aspekt 2 Jahre nach Lappenplastik:
Ansicht von palmar, f klinischer Aspekt 2 Jahre nach Lappenplastik: Ansicht von radial, g klini-
scher Aspekt 2 Jahre nach Lappenplastik: Ansicht von dorsal, h klinischer Aspekt 2 Jahre nach
Lappenplastik: Ansicht von frontal, i Funktion 2 Jahre nach Rekonstruktion: Fingerstreckung,
i j
j Funktion 2 Jahre nach Rekonstruktion: Faustschluss

distalen Radiusfraktur nicht möglich oder wegen des ästhetischen einen Metakarpalknochen betreffen, stellt die freie mikrovasku-
Spenderdefektes nicht erwünscht, so kommt nur noch die distal läre, laterale osteokutane Oberarmlappenplastik nach Song die
gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock ( Abschn. 35.2.11) in Therapie der 1. Wahl dar. Aufgrund des geringen ästhetischen
Frage, da bei Knochenentnahme im Rahmen einer distal gestielten Spenderdefektes sollte bei Patienten mit dünner Subkutanschicht
A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli die freie mikrovaskuläre, osteomyokutane Skapula-/Paraskapula-
der Spenderdefekt wegen der Schädigung der M.-extensor-pollicis- Lappenplastik als Therapie der 1. Wahl eingesetzt werden. Wegen
longus-Funktion als zu groß angesehen werden muss und darüber des großen Spenderdefektes kommt das freie mikrovaskuläre Os-
hinaus die Qualität des kortikalen Ulnaknochentransplantats und metatarsale-II-Knochentransplantat nur als Therapie der 3. Wahl
dessen Vaskularisation als nicht sehr hochwertig angesehen werden in Frage. Bei Hautdefekten mit zusätzlichen Defekten mehrerer
können. . Metakarpal- oder Karpalknochen empfiehlt sich bei ersatzschwa-
Ist eine distal gestielte osteokutane Lappenplastik aus dem chem und ersatzunfähigem Lager in erster Linie das segmentierte
Unterarmbereich nicht möglich, muss als Nächstes die Möglichkeit freie mikrovaskuläre Fibula-Diaphysen-Trasnsplantat nach Ueba
einer freien mikrovaskulären osteokutanen Lappenplastik geprüft ( Kap. 9.2.12) oder das freie mikrovaskuläre vordere Beckenkamm-
werden. Bei Knochendefekten, die neben dem Hautdefekt nur Knochentransplantat nach Taylor ( Übersicht).
934 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

Bei einigen Defekten nach Resektion einer Dupuytren-Kontraktur


Differenzialtherapie bei kombinierten Haut-Knochen- wird dieses Verfahren als »open palm technique« nach McCash
Defekten im Handrückenbereich ( Kap. 34) beschrieben. Die Wahl des Verfahrens zur Defektde-
▬ Zweizeitige Deckung des kombinierten Weichteil-Knochen- ckung ist abhängig von Ausdehnung, Tiefe und Lokalisation des
Defektes (Typ D) Defektes.
– Primäre Hautdefektdeckung im Handrükenbereich Aufgrund klinischer Erfahrung hat es sich für die Hohlhand
– Sekundäre Knochendefektdeckung ( Transplantation eine Klassifikation in folgende Untergruppen bewährt:
eines nicht vaskularisierten kortikospongiösen Becken-
kammspans)
▬ Einzeitige Deckung des kombinierten Weichteil-Knochen- Klassifikation der Defekte im Hohlhandbereich
Defektes (Typ D) ▬ Oberflächliche Defekte oberhalb der Palmaraponeurose
– Ersatz eines Metakarpalknochens (kleiner Knochendefekt) ▬ Tiefe Defekte unterhalb der Palmaraponeurose
– Freie mikrovaskuläre osteokutane laterale Oberarm- – Defekte <1 cm Durchmesser
lappenplastik nach Song – Defekte >1 cm Durchmesser
– Freie mikrovaskuläre osteokutane Skapula-/Paraskapu- – Defekte von der Rascetta bis zur proximalen Hohlhand-
lalappenplastik nach Teot furche
– Freiens mikrovaskuläres Os-metatarsale-II-Knochen- – Defekte im palmaren Metakarpophalangealbereich
transplantat – Komplette Hohlhanddefekte einschließlich des palma-
– Ersatz mehrerer Metakarpalknochen (großer Knochen- ren Kommissuren- und Grundgliedbereiches
defekt)
– Freies mikrovaskuläres osteokutanes segmentiertes
Fibula-Diaphysen-Transplantat nach Ueba Oberflächliche Defekte
– Freies mikrovaskulärese vorderes Beckenkammknochen- Bei oberflächlichen Defekten mit »ersatzstarkem« Transplantat-
transplantat nach Taylor lager, d. h. mit gut vaskularisiertem Wundgrund (oberflächlicher
Defekt ohne Exposition von Sehnen, Nerven, Gefäßen oder depe-
riostiertem Knochen) stellt das Vollhauttransplantat die Methode
Hohlhand der 1. Wahl zur Deckung eines partiellen oder kompletten Hohl-
35 Anforderungen an die Hautdeckung in der Hohlhand sind Wund- handdefektes dar.
schluss und/oder die Schaffung eines ersatzstarken Transplantat- Wegen der hohen mechanischen Beanspruchung der Haut in
lagers bei ausgedehnten Knochen-Weichteil-Schäden. In beiden der Hohlhand sind Spalthauttransplantate zur definitiven Deckung
Fällen sollte die Sensibilität in den Greif- und Druckzonen, also im nicht geeignet. Sie können jedoch zur temporären Deckung von
Bereich der Thenareminenz und der ulnaren Handkante, erhalten stark kontaminierten Wunden (»physiologischer Verband«) oder
oder wiederhergestellt werden. Wegen der hohen mechanischen Defekten nach Exstirpation eines malignen Tumors zur besseren
Beanspruchung im Bereich der Hohlhand muss die Hautdeckung Beurteilung eines Lokalrezidives eingesetzt werden (⊡ Abb. 35.12).
sehr widerstandsfähig sein. Um die Gefahr der Narbenbildung mit
sekundären Kontrakturen so weit als möglich zu minimieren, sind Tiefe Defekte
einige Gesichtspunkte zu beachten. Ist kein ausreichendes Transplantatlager vorhanden oder besteht
Grundsätzlich sollten die Grenzen der funktionellen Einheiten ein tieferer Weichteildefekt, muss der Defekt mit lokalen Lappen-
der Hand (⊡ Abb. 35.4) respektiert werden. Zur Vermeidung von plastiken oder Lappenplastiken aus angrenzenden oder entfernten
sekundären Kontrakturen dürfen die Transplantatränder die Li- Körperregionen gedeckt werden.
nien der durch die distale Palmarfläche, die Handgelenkfalte, die
Linea vitalis und axialis gebildete »H«-Form nur in einem Winkel Defekte <1 cm Durchmesser
von 45° kreuzen. Gerade Nahtlinien neigen infolge der starken Aufgrund seiner mechanischen und sensiblen Eigenschaften stellt
Verformung bei Bewegungen zu Hypertrophie und Schrumpfung. die defektangrenzende Haut das beste Spendergebiet für Lap-
Angesichts der starken und vielseitigen Bewegung des Daumens ist penplastiken zur Defektdeckung im Bereich der Hohlhand dar.
im Thenarbereich die Gefahr der hypertrophischen Narbenbildung Wegen der geringen Verschieblichkeit der Haut können an der
besonders groß. Die Nahtlinien müssen deshalb in einem spitzen Handinnenfläche von Erwachsenen jedoch nur Defekte mit ei-
Winkel angelegt werden. Im Bereich der Kommissuren darf die nem Durchmesser bis etwa 1 cm mit lokalen defektangrenzenden
Schnittführung nicht parallel zum Interdigitalfaltenrand verlau- Lappenplastiken ersetzt werden. Zudem schränkt die an der Han-
fen, sondern schräg (Pfeilform), damit eine Narbenretraktion die dinnenfläche zulässige Schnittführung die Möglichkeiten weiter
Fingerspreizung so wenig wie möglich beeinflusst. In manchen ein. Bei strangförmigen Hautdefekten, wie sie vor allem bei der
Fällen sollte man nicht zögern, normale Haut zu opfern, um einen Dupuytren-Erkrankung vorkommen, stellen einfache, serielle und/
optimalen Wundrandverlauf für eine Gewebetransplantation in oder multiple Z-Plastiken die Therapie der 1. Wahl dar, wobei fol-
Form von Vollhauttransplantaten oder lokalen bzw. freien Lappen- gende Grundsätze beachtet werden sollten:
plastiken zu erreichen. ▬ Die Schenkel der Z-Plastik, die die Hauptfalten der Handin-
Bei bestehendem Hautdefekt im Bereich der Hohlhand kommt nenfläche kreuzen, enden, genauso wie an den Fingern, bei
es im Rahmen der sekundären Wundheilung zu einer ausgepräg- der Falte.
ten Narbenbildung mit Ausbildung von sekundären Beugekon- ▬ Wegen der starken Spannung ist es nicht ratsam, eine ein
trakturen im Finger-und Daumenbereich und dadurch deutlicher Viertel der Handtellerbreite überschreitende Z-Plastik auszu-
Einschränkung der Grobgriffunktion (»iatrogener Dupuytren«). führen.
Die sekundäre Wundheilung im Bereich der Hohlhand sollte nur ▬ Von der Handtellermitte in Richtung zu den Rändern ist die
bei Defekten parallel zu den Hohlhandfalten eingesetzt werden. Ausführung der Z-Plastik immer leichter.
35.1 · Allgemeines
935 35

a b c

d e f g

⊡ Abb. 35.12 Deckung eines Defektes nach Resektion eines malignen Melanoms im radialen Hohlhandbereich mithilfe eines Vollhauttransplantats. a Klinischer
Aspekt nach Tumorresektion: Es besteht ein »ersatzstarkes Lager« mit Muskulatur im Defektgrund. b Klinischer Befund nach einnähen des Vollhauttransplantats.
Durch die pfeilförmige Ausziehung des Vollhauttransplantats im Bereich der 1. Zwischenfingerfalte,wird zuverlässig eine postoperative narbenbedingte Be-
wegungseinschränkung im Bereich der 1. Kommissur vermieden. c Klinischer Befund nach Fixierung des Hauttransplantats mithilfe eines Überknüpfverbands,
d klinischer Befund der Nachbehandlung mithilfe einer C-förmigen Nachtschiene für etwa 6 Monate, e ästhetisches und funktionelles Ergebnis 1 Jahr nach
Operation: Ansicht von palmar, f ästhetisches und funktionelles Ergebnis 1 Jahr nach Operation: »Kommissurenblick«, g ästhetisches und funktionelles Ergebnis
1 Jahr nach Operation: Ansicht von radial

Neben den konventionellen Z-Plastiken haben die Esser-Emmet- fektes ist diese Lappenplastik bevorzugt auch bei Frauen einzuset-
Lappen mit Subkutisstiel die speziellen Erfordernisse am besten zen ( Abschn. 35.2.9).
erfüllt. In der zentralen Region sind jedoch auch diese nicht an- Bei Defekten im Bereich des zentralen Hohlhanddreiecks mit
wendbar. Kleinere Defekte in der zentralen Region können durch Exposition von Gefäßen und Nerven sowie Beugesehnen sollte
konventionelle Transpositionslappen mit Verschluss der Spender- primär an die Transposition einer vollhautgedeckten M.-abductor-
stelle mithilfe eines Vollhautttransplantats (»Prinzip der Kombina- digiti-minimi-Lappenplastik nach Huber bzw. Nicolaysen oder an
tion von mehreren Techniken«) gedeckt werden. die M.-abductor-pollicis-brevis-Lappenplastik nach Mathes und
Nahai ( Abschn. 8.2.1) gedacht werden.
Defekte >1 cm Durchmesser Bei ausgeprägtem Narbengewebe, z. B. bei Zuständen nach
z Defekte von der Rascetta bis zur proximalen Hohlhand- mehrmaliger Revision des Karpalkanales, Exposition des N. medi-
furche anus oder synovektomierten Beugesehnen muss der Hautdefekt im
Die Wahl der Lappenplastik ist hauptsächlich abhängig von der Karpaltunnelbereich mit einer vaskularisierten Lappenplastik gedeckt
Lokalisation und Größe des Hautdefektes. werden. Zur Abpolsterung und Revaskularisierung des N. medianus
Bei Defekten im Bereich der Hypothenareminenz bietet die ul- im Handgelenkbereich stellt die Synoviallappenplastik nach Wulle
nodorsale sensible Handrücken-Transpositionslappenplastik nach (⊡ Abb. 35.6) die Therapie der 1. Wahl dar. Ist diese Lappenplastik
Pieper eine einfache Möglichkeit der sensiblen Defektdeckung. nach Mehrfacheingriffen nicht mehr zuverlässig möglich, dann sollte
Aufgrund der hohen mechanischen Beanspruchbarkeit und der als Nächstes die Hypothenar-Fettlappenplastik nach Cremer ( Ab-
guten Sensibilität erscheinen der große Spenderdefekt am Handrü- schn. 8.2.1) gewählt werden. Wegen des funktionellen Spenderdefek-
cken und der Sensibilitätsverlust der ulnaren dorsalen Fingerseite, tes kann die M.-abductor-pollicis-brevis-Lappenplastik nach Mathes
vor allem bei Handarbeitern, gerechtfertigt. Wegen des großen und Nahai ( Abschn. 8.2.1) kombiniert mit einer Vollhauttransplan-
ästhetischen Spenderdefektes sollte diese Lappenplastik bei Frauen tation, nur als letzte Therapiemöglichkeit angesehen werden. Bei De-
nicht eingesetzt werden. Da keine sensible Deckung möglich ist, fekten, die auch die palmare Handgelenkregion mitbetreffen ist die
stellt die ulnodorsale Lappenplastik nach Becker und Gilbert bei ulnodorsale Perforatorlappenplastik nach Becker bzw. Gilbert ( Ab-
ulnar begrenzten Hohlhanddefekten die Therapie der 2. Wahl bei schn. 8.2.1) die Therapie der 1. Wahl. Als Therapie der 2. Wahl kann
Handarbeitern dar. Wegen des geringeren ästhetischen Spenderde- die M.-pronator-quadratus-Lappenplastik nach Dellon u. Mackinnon
936 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

a b c d

⊡ Abb. 35.13 Deckung eines ulnaren Defektes im Bereich der Hohlhand mithilfe eines radialen neurokutan gestielten Unterarmlappens nach Bertelli. a Klinischer
Aspekt präoperativ, b Präparation des N. cutaneus antebrachii lateralis als Gefäßachse, c klinischer Aspekt nach Lappenhebung und Öffnen der Blutsperre, d klini-
scher Aspekt postoperativ

(⊡ Abb. 35.7d), kombiniert mit einer Vollhauttransplantation, einge-


setzt werden. Als weitere Therapiemöglichkeit ist die distal gestielte
A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli
(⊡ Abb. 35.7a–e) zu empfehlen. Bei Läsion des distalen Perforators
35 stellt die radiale neurokutan gestielte Unterarmlappenplastik nach
Bertelli (⊡ Abb. 35.13) die nächste Therapieoption dar.
Zur Deckung von Defekten bei ersatzschwachem oder er- a
satzunfähigem Transplantatlager im Bereich der Thenareminenz
stellt die sensible Transpositionslappenplastik aus dem Bereich des
Daumenballens oder der Daumenrückseite das bevorzugte Thera-
pieverfahren dar. Durch das Einbringen von mechanisch belast-
barer, gut sensibler Haut kann die radiale Greif- und Druckzone
der Hand am besten wiederhergestellt werden. Wird der dorsale
Spenderdefekt mit einem Vollhauttransplantat gedeckt, kann ein
sehr gutes ästhetisches Ergebnis erzielt werden, weshalb sich dieses
Verfahren auch bei Frauen empfiehlt.
Bei Hohlhanddefekten mit einer Ausdehnung unter 6×15 cm,
die mehrere der oben genannten Regionen im Bereich distal der
Rascetta bis zur proximalen Hohlhandfurche betreffen, sollte auf-
grund des geringeren Spenderdefektes der A.-interossea-posterior- b
Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli gegenüber der distal ge-
stielten A.-radialis-Lappenplastik nach Stock der Vorrang gegeben
werden. Bei Defekten, die größer als 6×15 cm sind, stellt die distal
gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock die einzige Möglich-
keit einer distal gestielten Lappenplastik aus dem Unterarmbereich
dar ( Abschn. 35.2.10). Da die distalen palmaren Perforatoren der
A. ulnaris meist sehr stark ausgeprägt sind, sollte die Möglichkeit
der ulnopalmaren distalen Perforatorlappenplastik nicht vergessen
werden (⊡ Abb. 35.14). Wegen der großen Bedeutung der A. ulnaris
für die Durchblutung der Hand und des N. ulnaris sollte die distal
gestielte A.-ulnaris-Lappenplastik nach Guimberteau nicht zur De-
ckung von Hohlhanddefekten herangezogen werden.
Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich
oder erwünscht, so müssen freie mikrovaskuläre oder gestielte
Fernlappenplastiken angewandt werden. Die Auswahl der Lap- c
penplastik erfolgt nach den gleichen Richtlinien wie für komplette
Hohlhanddefekte einschließlich des palmaren Kommissuren- und ⊡ Abb. 35.14 Ulnopalmare distale Perforatorlappenplastik zur Deckung eines
Grundgliedbereiches ( Differenzialtherapie bei Defekten im Hohl- zentralen palmaren Defektes. a Schematische Darstellung, b intraoperativer
handbereich). Aspekt: Z. n. Lappenhebung, c intraoperativer Aspekt: Z. n. Lappeneinnähung
35.1 · Allgemeines
937 35
z Defekte im palmaren Metakarpophalangealbereich Bei Hautdefekten im Bereich der Aponeurosis manus sollte vor
Bei komplexen Handverletzungen ist immer an die Möglichkeit allem bei Schwerarbeitern an den freien Plantaris-medialis-Lappen
der Defektdeckung mithilfe des Hautmantels eines oder mehrerer gedacht werden. Aufgrund der ähnlichen Haut-Faszien-Architek-
nicht mehr zu rekonstruierender Finger im Sinne des Gewebe- tur wie an der Hand, kann die kutane Instabilität vermieden wer-
bankkonzeptes nach Chase zu denken. den. Darüber hinaus bietet der Lappen eine bessere Möglichkeit
Bei kleinen distalen Defekten im palmarer Metakarpophalan- der sensiblen Reinnervation. Es muss jedoch ein erheblicher Spen-
gealbereich sollten primär Lappenplastiken aus dem Fingerbereich derdefekt in Kauf genommen werden. Eine therapeutische Alterna-
eingesetzt werden. Neben der laterodigitalen Lappenplastik kön- tive stellt die freie mikrovaskuläre Muskellappentransplantation in
nen auch palmar gefäßgestielte laterale Lappenplastiken gewählt Kombinatioon mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat dar.
werden. Ein distal gefäßgestielter Lappen kann im Bereich der Neben dem M. gracilis, hat sich der M. serratus anterior und der
Eminentia hypothenaris gehoben werden. Wegen der großen Be- M. pectoralis minor bewährt. Die Dicke des freien Muskellappens
deutung der Eminentia hypothenaris für die Grobgriffunktion stellt dabei nur eine vorübergehende Beeinträchtigung dar. Nach
sollte dieses Spendergebiet bei Handarbeitern nicht genutzt wer- sekundärer Atrophie des denervierten Muskels wird eine akzep-
den. Wird ein sensibles Transplantat benötigt, stellen der Fähn- table Kontur der Hohlhand erreicht. Durch die Rekonstruktion
chenlappen und der proximal neurovaskulär gestielte dorsale Digi- mithilfe eines Muskellappens besteht ein ausgezeichnetes Trans-
tallappen weitere therapeutische Möglichkeiten dar. Bei komplexen plantationslager für weitere Knochen-, Nerven- und/oder Sehen-
Handverletzungen ist zudem immer an die Möglichkeit der De- transplantationen.
fektdeckung mithilfe des Hautmantels eines nicht mehr zu rekon- Sind sowohl lokale als auch freie mikrovaskuläre Lappenplasti-
struierenden Fingers – Cheiroplastik oder Filetfingerlappen – zu ken nicht möglich, müssen gestielte Fernlappenplastiken eingesetzt
denken ( Differenzialtherapie bei Defekten im Hohlhandbereich). werden. Wenn immer möglich (Defektausdehnung) ist der axial
gestielte Leistenlappen ( Abschn. 35.2.11) dem »Random-Pattern«-
z Defekte von der distalen Handgelenkfurche bis zu den Bauchhautlappen vorzuziehen. Neben den Nachteilen bedingt
Interdigitalräumen durch die Immobilisation von mindestens 3 Wochen kommt es
Bei ausgedehnte Defekte im Bereich der Rascetta bis zu den In- bei beiden Lappenplastiken zu einer ausgeprägten kutanen Insta-
terdigitalräumen I–V stellt der distal gestielter Radialislappen die bilität aufgrund eines dicken Subkutangewebes. Bei den gestielten
einzig mögliche lokale Lappenplastik aus dem Hand- und Unter- Fernlappenplastiken stellt das Crane-flap-Prinzip von Millard eine
armbereich dar ( Abschn. 35.2.10). Präventionsmöglichkeit des »Lappenschwimmens« dar ( Differen-
Besteht eine Kontraindikation für den distal gestielten Radialis- zialtherapie bei Defekten im Hohlhandbereich).
lappen, sollte die Möglichkeit eines distal gestielten Ulnarislappens,
als letzte lokale Therapiemöglichkeit vom Unterarm, geprüft wer-
den. Ist auch diese nicht möglich, kann der Defekt nur noch mit Differenzialtherapie bei Defekten im Hohlhandbereich
frei mikrovaskulären oder gestielten Fernlappenplastiken gedeckt Defekte im Bereich der Hypothenareminenz
werden. Wegen der Notwendigkeit der frühzeitigen Mobilisierung, ▬ Ulnodorsale sensible Handrückentranspositionslappen-
der leichteren Pflege und geringeren psychischen Beeinträchtigung plastik nach Pieper
des Patienten sind die mikrovaskulären Lappenplastiken den ge- ▬ Ulnodorsale Perforatorlappenplastik nach Becker und
stielten Fernlappenplastiken vorzuziehen. Im Gegensatz zur Haut Gilbert
der Palmar manus zeigen alle vom Unterarm gestielten lokalen ▬ Ulnopalmare Perforatorlappenplastik
sowie frei mikrovaskulären und gestielten Fernlappenplastiken ▬ Radiale neurokutan gestielte Unterarmlappenplastik nach
eine deutlich ausgeprägte Subkutanschicht ohne straffe Septierung. Bertelli
Dies führt bei der Belastung während des Grobgriffs zu einer
ausgeprägten Hypermobilität des Hautmantels (»Schwimmen des Defekte im Bereich des zentralen Hohlhanddreiecks
Lappens« oder »Savonnage«). Vor allem bei Handarbeitern kann ▬ M.-abductor-digiti-minimi-Lappenplastik nach Huber
diese kutane Instabilität zu einer starken Beeinträchtigung führen. bzw. Nicolaysen, kombiniert mit Vollhauttransplantation
Durch eine sekundäre Lappenausdünnung, welche frühestens nach ▬ M.-abductor-pollicis-brevis-Lappenplastik nach Mathes
etwa 6 Monaten durchgeführt werden sollte, kann diese Beein- u. Nahai, kombiniert mit Vollhauttransplantation
trächtigung vermindert werden.
Die Hebung des lateralen Oberarmlappens beschädigt keine Defekte im Bereich des Karpaltunnels
Hauptgefäßachse, jedoch sind nur relativ kleinkalibrige und kurze ▬ Synoviallappenplastik nach Wulle
Lappengefäße vorhanden. Wegen des geringeren Spenderdefek- ▬ Hypothenar-Fettlappenplastik nach Cremer
tes sollte der laterale Oberarmlappen bei guter Gefäßsituation ▬ M..abductor.pollicis.brevis-Lappenplastik nach Mathes
im Empfängergebiet bevorzugt eingesetzt werden. Bei unsicherer u. Nahai
Gefäßsituation im Handbereich wird bevorzugt der Radialislap- ▬ Ulno-dorsale Lappenplastik nach Becker u. Gilbert
pen verwendet, da der Gefäßanschluss weitab von der verletzten ▬ M.-pronator-quadratus-Lappenplastik nach Dellon
Region erfolgen kann. Dem Vorteil des langen großlumigen Gefäß- u. Mackinnon, kombiniert mit Vollhauttransplantation
stieles steht der Nachteil der Opferung einer Hauptgefäßstraße zur ▬ Distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach
Hand – mit eventueller Notwendigkeit der mikrovaskulären Re- Penteado bzw. Zancolli
konstruktion – entgegen. Bezüglich der sensiblen Reinnervierung
zeigen beide Lappen keine größeren Unterschiede. Trotz nervaler Defekte im Bereich der Thenaremminenz
Reanastomosierung im Empfängergebiet (R. palmaris N. medianus ▬ Sensible Transpositionslappenplastik aus dem Bereich der
oder R. palmaris N. ulnaris) bildet sich bei beiden Lappenplastiken Eminentia thenaris oder der Daumenrückseite
nur in Ausnahmefällen mehr als eine »protektive Sensibilität« im ▼
Lappenbereich aus.
938 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

M. interosseus dors. 1
Defekte im palmaren Metakarpophalangealbereich
▬ Cheiroplastik
▬ Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell
▬ Dorsale Fähnchenlappenplastik nach Vilain
▬ »Seagull-flap«
▬ Laterale Insellappenplastik nach Rose
▬ Distal gestielte Lappenplastik nach Koshima

Hohlhanddefekte, die mehrere der oben genannten


Regionen im Bereich distal der Rascetta bis zur proximalen
Hohlhandfurche betreffen
▬ Distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach A. radialis
Penteado bzw. Zancolli M. adductor pollicis (durchtrennt)
▬ Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock ulnarer Daumennerv
▬ (Distal gestielte A.-ulnaris-Lappenplastik nach Guiberteau)
▬ Freie mikrovaskuläre laterale Oberarmlappenplastik nach Song ⊡ Abb. 35.15 »Crescendo der Kommissurolyse« im Bereich der 1. Kommissur.
▬ Freier mikrovaskulärer A.-radialis-Lappenplastik nach Yang (Aus Berger u. Hierner 2009)
▬ (Freie mikrovaskuläre A.-plantaris-medialis-Lappenplastik)
▬ Freier M.-gracilis-Lappen, kombiniert mit einem Hauttrans-
plantat gen im Bereich der Haut, der palmaren und dorsalen Faszienzüge,
▬ Freie M.-serratus-anterior-Lappenplastik nach Takayanagi u. intrinsischer und/oder extrinsischer Muskeln und Sehnen sowie
Tsukie, kombiniert mit einem Hauttransplantat der Gelenke alleine oder in Kombination bedingt sein. Eine suk-
▬ Leistenlappenplastik nach McGregor (evtl. Lambeau-greffe- zessive Entlastung der genannten Strukturen (sog. »Crescendo der
Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip nach Kommissurolyse«; ⊡ Abb. 35.15) kann für die Wiederherstellung
Millard) der Bewegungsamplitude notwendig werden.
▬ Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (evtl. Lambeau-greffe- Nach Zoltan besteht die 1. Kommissur aus zwei auf die Spitze
35 Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip nach gestellten und mit der Basis aneinander gelehnten dreieckigen Plat-
Millard) ten, die am Faltenrand zusammentreffen (⊡ Abb. 35.3a).
Zur Prävention der postoperativen Bewegungseinschränkung
Palmare Defekte von der distalen Handgelenkfurche bis zu und Minimierung der Narbenbildung mit sekundären Kontraktu-
den Interdigitalräumen ren sind einige Gesichtspunkte zu beachten. Wenn möglich, sollten
▬ Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock die Grenzen der funktionellen Einheit der Hand (⊡ Abb. 35.4a–d) re-
▬ (Distal gestielte A.-ulnaris-Lappenplastik nach Guiberteau) spektiert werden. Im Bereich der Kommissur müssen die Schnittli-
▬ Freier mikrovaskulärer laterale Oberarmlappenplastik nach nien eines Hauttransplantates oder die Lappengrenzen entlang den
Song anatomischen Falten oder parallel zu ihnen verlaufen. Eine zum
▬ Freie mikrovaskuläre A.-radialis-Lappenplastik nach Yang distalen Kommissurenrand parallele Schnittführung ist zu vermei-
▬ Freier M.-gracilis-Lappen, kombiniert mit einem Hauttrans- den, da hierdurch eine spannungsbedingte hypertrophe Narbenbil-
plantat dung provoziert wird. Nah- oder Fernlappentransplantate müssen
▬ Freie M.-serratus-anterior-Lappenplastik nach Takayanagi u. bei maximaler Kommissurenspreizung eingenäht werden. Da in
Tsukie, kombiniert mit einem Hauttransplantat den meisten Fällen der Hautdefekt im Kommissurenbereich un-
▬ Leistenlappenplastik nach McGregor (evtl. Lambeau-greffe- terschätzt wird, sollte primär eine Überkorrektur angestrebt wer-
Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip nach den. Wegen der sekundären Narbenkontraktur ist eine sekundäre
Millard) Wundheilung im Bereich der Kommissuren zu vermeiden.
▬ Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (evtl. Lambeau-greffe- Die Wahl des Verfahrens zur Rekonstruktion der Kommissur
Technik nach Colson u. Janvier oder Crane-flap-Prinzip nach ist abhängig von Lokalisation und Ausdehnung des Hautdefektes.
Millard) Bei Verletzungen oder Vernarbungen der 1. Kommissur ist genau
zu prüfen, ob sich der Defekt nur auf den Faltenrand erstreckt und
wie weit die Kommissurenplatten der Falte geschrumpft sind oder
1. Zwischenfingerfalte (Kommissur) fehlen, wie z. B. bei einer angeborenen Syndaktylie.
Anforderungen an die Hautdeckung im Bereich der Daumen-Zeige- Aufgrund klinischer Erfahrung hat sich für die 1. Zwischenfin-
finger-Kommissur (1. Zwischenfingerfalte) sind die Defektdeckung gerfalte eine Klassifikation in folgende Untergruppen bewährt:
und Wiederherstellung einer normalen Form und Funktion.
Die freie Beweglichkeit im Bereich der 1. Kommissur ist Vo-
raussetzung für die Oppositionsbewegung des 1. Strahles. Eine Klassifikation der Defekte im Bereich der
Restriktion führt zu einer signifikanten Einschränkung der Kraft-, 1. Zwischenfingerfalte
Schlüssel- und Spitzgriff-Funktion der gesamten Hand. Die nor- ▬ Auf die Kommissur beschränkte Defekte
male Beweglichkeit des 1. Strahles beträgt für die radiale Ab- – Linearer Narbenzug im Bereich des distalen Randes der
spreizung (Flexion–Adduktion/Extension–Abduktion) bzw. für die 1. Kommissur
palmare Abspreizung in der Hohlhandebene (Antepulsion–Oppo- – Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Kom-
sition/Retropulsion–Reposition) je etwa 70–90°. Bewegungsein- ▼ missurenrandes und der dorsalen Kommissurenplatte
schränkungen im Bereich der 1. Kommissur können durch Störun-
35.1 · Allgemeines
939 35

– Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Kom- – Palmar gefäßgestielte Transpositionslappenplastik nach
missurenrandes und der palmaren Kommissurenplatte Vasconez
– Defekte beider Kommissurenplatten der Interdigitalfalte – Distal gestielte A.-interossea-posterior-Faszienlappenplas-
(Syndaktylie) tik nach Penteado bzw. Zancolli
▬ Über die Kommissur hinausgehende Defekte – Distal gestielte A.-radialis-Faszienlappenplastik nach Stock
– Mehrdimensionale Defekte des distalen Kommissurenran- – Laterale Oberarm-Faszienlappenplastik nach Song
des und der dorsalen Kommissurenplatte in Kombination – Freie mikrovaskuläre A.-radialis-lappenplastik nach Yang
mit ausgedehnten Handrücken- und proximalen Daumen- – Doppelte Dreieckslappenplastik nach Bonola u. Fiocchi
grundglieddefekten (Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier)
– mehrdimensionale Defekte des distalen Kommissurenran- – Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe-
des und der palmaren Kommissurenplatte in Kombination Technik nach Colson u. Janvier)
mit ausgedehnten Hohlhand- und proximalen Daumen- – Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe-
grundglieddefekten Technik nach Colson u. Janvier)
▬ Komplette Syndaktylie
– Cheiroplastik
– Kontinuierliche Hautexpansion nach Radovan
Auf die Kommissur beschränkte Defekte
– Kontinuierliche Weichteildistraktion nach Messina bzw.
Ilizarov
Differenzialtherapie bei auf die Kommissur beschränkten – Dorsale Lappenplastik nach Bauer (+ Vollhauttransplantation)
Defekten im Bereich der 1. Kommissur – Palmare Lappenplastik nach Blauth und Schneider-Sickert
Linearer Narbenzug im Bereich des distalen Randes der (+ Vollhauttransplantation)
1. Kommissur – Kombinierte palmare und dorsale Lappenplastik nach Cro-
▬ Zwei-Lappen-Z-Plastik nach Horner nin (+ Vollhauttransplantation)
▬ Vier-Lappen-Z-Plastik nach Woolf u. Broadbent – Distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach
Penteado bzw. Zancolli
Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes – Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock
und der dorsalen Kommissurenplatte der 1. Kommissur – Laterale Oberarm-Faszienlappenplastik nach Song
▬ Trident-Lappenplastik nach Glicenstein bzw. Hirshowitz – Freie mikrovaskuläre A.-radialis-lappenplastik nach Yang
▬ Vollhauttransplantation (mitteldicke Spalthauttransplanta- – Freier M.-gracilis-Lappen, kombiniert mit einem Hauttrans-
tion) plantat
▬ A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt – Freier (funktioneller) M.-serratus-anterior-Lappenplastik
▬ Rotationslappenplastik nach Riordan nach Takayanagi und Tsukie, kombiniert mit einem Haut-
transplantat
Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes – Freie (funktionelle) M.-pectoralis-minor-Lappenplastik ,
und der palmaren Kommissurenplatte der 1. Kommissur kombiniert mit einem Hauttransplantat
▬ Trident-Lappenplastik nach Glicenstein bzw. Hirshowitz – Doppelte Dreieckslappenplastik nach Bonola und Fiocchi
▬ Vollhaut-Transplantation (mitteldicke Spalthaut-Transplanta- (Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier)
tion) – Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe-
▬ palmar gefäßgestielte Transpositionslappenplastik nach Technik nach Colson u. Janvier)
Vasconez – Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe-
Technik nach Colson u. Janvier)
Defekte beider Platten der 1. Kommissur
▬ Partielle Syndaktylie
– Cheiroplastik Linearer Narbenzug im Bereich des distalen Randes der
– (Kontinuierliche Hautexpansion nach Radovan) 1. Kommissur
– (Kontinuierliche Weichteilextension) Besteht nur ein linearer Narbenzug im Bereich des distalen Randes
– Vollhauttransplantation (mitteldicke Spalthauttransplanta- der 1. Kommissur, so wird kein Hautersatz, sondern nur eine
tion) Hautverlängerung benötigt und die Z-Plastik stellt das Verfahren
– Drei-Lappen-Transpositionsplastik nach Schneider der Wahl dar. Da bei der Zwei-Lappen-Z-Plastik meist nur eine V-
(+ Vollhauttransplantat) förmige Zwischenfingerfalte wiederhergestellt werden kann, sollte
– Schmetterlingslappenplastik nach Shaw (+ Vollhauttrans- die Vier-Lappen-Z-Plastik nach Woolf und Broadbent bevorzugt
plantat) eingesetzt werden. Nur bei ausgeprägten Vernarbungen der tiefe-
– Dorsopalmare Transpositionslappenplastik nach Flatt ren Strukturen sollte wegen des erhöhten Risikos einer Lappen-
(+ Vollhauttransplantat) nekrose der vier kleinen Hautlappen die Zwei-Lappen-Z-Plastik
– A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt vorgezogen werden ( Abschn. 35.2.2,  Differenzialtherapie bei auf
– Rotationslappenplastik nach Riordan die Kommissur beschränkte Defekte im Bereich der 1. Kommissur).
– Dorsale Daumen-Transpositionslappenplastik nach
Spinner Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes
– Radiolaterale Zeigefinger-Transpositionslappenplastik und der dorsalen Kommissurenplatte der 1. Kommissur
▼ nach Spinner Ist zusätzlich zum distalen Kommissurenrand auch die dorsale
Kommissurenplatte narbig verändert, besteht also ein mehrdi-
940 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

mensionaler Defekt, so ist ein Hautersatz notwendig. Bei isolier- ierenden Zeigefingers (Cheiroplastik) nach dem Gewebebankkon-
ten Defektzuständen der Interdigitalfalte ohne Notwendigkeit des zept nach Chase zu denken.
Hautersatzes im Handrückenbereich sollte primär an die Möglich- Die kontinuierliche Hautexpansion nach Radovan oder die
keit einer lokalen Lappenplastik aus der unmittelbaren Umgebung kontinuierliche Weichteilextension der 1. Kommissur nach Wen-
gedacht werden, eventuell kombiniert mit einem Hauttransplantat. ner u. Shalvoy oder nach Epping stellen Therapieverfahren dar, die
Bei einem kleinen Hautdefekt stellt die Trident-Lappenplastik nach nur in ausgesuchten, gut planbaren Fällen bei Patienten mit hoher
Glicenstein bzw. Hirshowitz ( Abschn. 35.2.3) die Therapie der Compliance eingesetzt werden sollten. In der Notfallsituation sind
1. Wahl dar. Zeigt sich nach Auflösung der Kontraktur ein deutli- sie kontraindiziert. Aufgrund der langen Therapiedauer und der
cher Hautdefekt, so muss zunächst geprüft werden, ob dieser mit noch hohen Komplikationsrate werden diese Verfahren zurzeit nur
einem freien Hauttransplantat gedeckt werden kann. Wegen der zurückhaltend eingesetzt.
Schrumpfungsneigung des Transplantats und der damit verbun- Wie bei allen Hautdefekten an der Hand sollte primär untersucht
denen Funktionseinbuße sollte die Indikation zur vaskularisierten werden, ob der Defekt nicht mit einem freien Hauttransplantat ge-
Lappenplastik großzügig gestellt werden. Bei auf die 1. Kommissur deckt werden kann. Wegen der Gefahr der sekundären Retraktion
begrenzten, dorsalen Hautdefekten kann in vielen Fällen durch sollte eine einfache Hauttransplantation im Kommissurenbereich
Kombination einer lokalen Lappenplastik mit einem mitteldicken nur in Ausnahmefällen, wie z. B. bei ausgezeichneter Vaskularisa-
Spalthauttransplantat ein funktionell und ästhetisch gutes Ergebnis tion oder bei kritischem Patientenzustand, und dann mit einem
erzielt werden. Bei Erwachsenen stellt die A.-metacarpalis-dorsa- möglichst dicken ovalen Hauttransplantat durchgeführt werden,
lis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt die Therapie der 1. Wahl dar wobei sowohl ein Vollhaut- als auch ein dickes Spalthauttransplan-
( Abschn. 35.2.4) tat in Frage kommt. In der Praxis führt dies zu einigen Nachteilen.
Da bei Kleinkindern oft kein zusätzliches Hauttransplantat Der Defektgrund ist häufig unregelmäßig ausgebildet, besonders
zum Verschluss des Spenderdefektes benötigt wird, sollte bei dieser wenn der M. adductor pollicis und der M. interosseus palmaris I
Patientengruppe die Rotationslappenplastik nach Riordan bevor- reseziert wurden. Auch eine Schienenversorgung ist nicht risikolos,
zugt werden, während sie bei Erwachsenen wegen der ausgedehn- da Druck auf ein desensibilisiertes Gebiet zu Nekrosen führen kann.
teren Präparation die Therapie der 2. Wahl darstellt. Der Einsatz von Kirschner-Drähten zwischen den Metakarpalia
oder als externe Fixation verzögert den Beginn der Physiotherapie
Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes und kann zur Einsteifung in der neuen Position führen.
und der palmaren Kommissurenplatte der 1. Kommissur Ist eine freie Hauttransplantation nicht möglich, so bestimmt
35 Bei mehrdimensionalen Defekten im Bereich des distalen Randes bei Vorliegen einer partiellen kutanen Syndaktylie die Qualität
der 1. Kommissur und der palmaren Kommissurenplatte ohne der dorsalen Haut im Kommissurenbereich die Wahl der vaskula-
Notwendigkeit des Hautersatzes im Handrückenbereich sollte risierten Lappenplastik. Bei intakter Haut stellt die Drei-Lappen-
primär an die Möglichkeit einer lokalen Lappenplastik aus der Transpositionsplastik nach Schneider und Vaubel die Therapie der
unmittelbaren Umgebung, eventuell kombiniert mit einem Haut- Wahl dar. Als Therapie der 2. Wahl hat sich die Schmetterlingslap-
transplantat, gedacht werden. Bei nur kleinem Hautdefekt stellt penplastik nach Shaw, als Therapie der 3.WAHL die dorsopalmare
die Trident-Lappenplastik nach Glicenstein bzw. Hirshowitz ( Ab- Transpositionslappenplastik nach Flatt bewährt. Zur Vermeidung
schn. 35.2.3) die Therapie der 1. Wahl dar. eines Syndaktylierezidivs durch sekundären Narbenzug (»web
Zeigt sich nach Auflösung der Kontraktur ein deutlicher Haut- creeping«) sollte bei allen drei Lappenplastiken die Indikation zur
defekt, so muss zunächst geprüft werden, ob dieser mit einem zusätzlichen Vollhauttransplantation großzügig gestellt werden.
freien Hauttransplantat gedeckt werden kann. Dies ist der Fall, Ist die Haut im Syndaktyliebereich pathologisch verändert, so
wenn keine wichtigen Strukturen, wie Gefäße, Nerven, Sehnen sollte der Hautersatz durch lokale Lappenplastiken erfolgen. Die
oder Knochen, exponiert sind. In der Akutsituation kann zur De- A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt ( Ab-
fektdeckung ein mitteldickes Spalthauttransplantat verwendet wer- schn. 35.2.4) stellt bei Erwachsenen die Therapie der 1. Wahl dar.
den. Bei sekundären Hautdefektrekonstruktionen sollte wegen der Da bei Kleinkindern oft kein zusätzliches Hauttransplantat zum
geringeren Schrumpfungsneigung unbedingt ein Vollhauttrans- Verschluss des Spenderdefektes benötigt wird, empfiehlt es sich,
plantat benützt werden. Ist eine Defektdeckung mit einem freien die Rotationslappenplastik nach Riordan als Therapie der 1. Wahl
Hauttransplantat nicht möglich, so kommt eine vaskularisierte einzusetzen. Bei Erwachsenen dagegen kommt diese Lappenplastik
Lappenplastik alleine oder in Kombination mit einem freien Haut- wegen der ausgedehnteren Präparation nur sekundär in Frage.
transplantat in Frage. Zur Deckung von ausschließlich palmaren Wegen des großen ästhetischen Spenderdefektes stellt die dorsale
Defekten hat sich die palmar gefäßgestielte Transpositionslappen- Daumen-Transpositionslappenplastik nach Spinner die Therapie
plastik nach Vasconez bewährt. der 3. Wahl dar. Aufgrund der großen Bedeutung der lateralen
Zeigefingerfläche für den Schlüsselgriff sollte die radiolaterale
Defekte beider Platten der 1. Kommissur Zeigefinger-Transpositionslappenplastik nach Spinner nur dann
Bei gleichzeitigen Defekten an beiden Platten der 1. Kommissur erwogen werden, wenn keine anderen lokalen Lappenplastiken zur
besteht meist das Bild einer einfachen kutanen Syndaktylie. Reicht Verfügung stehen.
der distale Rand der 1. Kommissur bis in Höhe des IP-Gelenks, Ist auch die Haut im gesamten Handrückenbereich pathologisch
spricht man von einer partiellen kutanen Syndaktylie. Erstreckt verändert, so kann eine lokale Defektdeckung im Kommissurenbe-
sich die Syndaktylie nach distal über das IP-Gelenk hinaus, so be- reich nur noch durch die palmar gefäßgestielte Transpositionslap-
steht eine komplette kutane Syndaktylie. penplastik nach Vasconez erfolgen. Wegen des großen funktionellen
Spenderdefektes sollte in dieser Situation vor allem bei Handarbei-
Partielle Syndaktylie im Bereich der 1. Kommissur tern auf andere lokale Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich
Bei angeborenen Fehlbildungen und polydigitalen Handverletzun- eingesetzt werden. Therapie der 1. Wahl für komplette Defekte im
gen im Kommissurenbereich ist immer an die Möglichkeit der Bereich der 1. Kommissur ist die distal gestielte A.-interossea poste-
Defektdeckung durch Hautgewebe eines nicht mehr zu rekonstru- rior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli (⊡ Abb. 35.16).
35.1 · Allgemeines
941 35

a b c

d e f

⊡ Abb. 35.16 Deckung eines Hautdefektes im Bereich der 1. Kommissur nach Auflösung einer posttraumatischen Adduktionskontraktur mithilfe einer distal
gestielten A.-interossea-Lappenplastik. a Präoperativer Röntgenbefund, b postoperativer Röntgenbefund nach Kommissurolyse und temporärer Fixierung
mithilfe von 2 parallelen Kirschner-Drähten, c postoperativer klinischer Aspekt: Spendergebiet, d postoperativer klinischer Aspekt: Empfängergebiet, e Funk-
tion 3 Monate postoperativ: Fingerstreckung, f Funktion 3 Monate postoperativ: Faustschluss

Bestehen Kontraindikationen zur A.-interossea-posterior-Lap- Wenn möglich, sollten alle genannten Fernlappenplastiken in der
penplastik stellt die distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier gehoben werden.
Stock ( Abschn. 35.2.10) die Therapie der nächsten Wahl dar.
Bei Zuständen nach ausgedehnten Verbrennungen und be- Komplette Syndaktylie im Bereich der 1. Kommissur
stimmten posttraumatischen Situationen, besonders wenn sowohl Für die Behandlung der seltenen kompletten Syndaktylieformen
lokale als auch distal gestielte Lappen vom Unterarm nicht in Frage im Bereich der 1. Kommissur gelten mit geringen Ausnahmen die
kommen, müssen Hautlappenplastiken von entfernteren Körper- gleichen Richtlinien wie für die Therapie der kompletten Syndak-
regionen eingesetzt werden. Wegen der geringeren postoperativen tylien im Fingerbereich ( Differenzialtherapie bei Defekten beider
Belastung für den Patienten sollte zunächst an freie mikrovaskuläre Platten der 2.–4. Kommissur).
Lappenplastiken gedacht werden, da diese keine Immobilisierung
der operierten Extremität erfordern und eine frühzeitige Übungs- Über die Kommissur hinausgehende Defekte
therapie erlauben. Wegen des geringeren Spenderdefektes sollte die Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der
laterale Oberarmlappenplastik nach Song der freien mikrovaskulä- 1. Kommissur und der dorsalen Kommissurenplatte in
ren A.-radialis-Lappenplastik nach Yang vorgezogen werden. Bei Kombination mit ausgedehnten Handrücken- und
sehr adipösen Patienten kann wiederum eine freie mikrovaskuläre proximalen Grundglieddefekten des Daumens
Faszienlappenplastik eingebracht und mit einem Voll- oder zumin- Setzt sich der komplexe Kommissurendefekt auch auf den Handrü-
dest einem dicken Spalthauttransplantat gedeckt werden. cken und auf das dorsale Daumengrundglied fort, so sollte primär
Bestehen Kontraindikationen für eine freie mikrovaskuläre geprüft werden, ob eine freie Vollhauttransplantation durchgeführt
Lappenplastik, so müssen bei sehr großen Defekten Fernlap- werden kann. Wenn dies nicht möglich ist, so muss die Defektde-
penplastiken eingesetzt werden. Wegen der weiten Öffnung der ckung mit einer vaskularisierten Lappenplastik erfolgen. Bei Hand-
1. Kommissur während der Immobilisierungszeit hat sich als Va- rückendefekten mit Beteiligung der 1. Kommissur sollte zuerst
riante der Cross-arm-Lappenplastik die doppelte Dreieckslappen- geprüft werden, ob gefäßgestielte Lappenplastiken aus dem Un-
plastik nach Bonola und Fiocchi als Therapie der 1. Wahl erwie- terarmbereich möglich sind. Bei Defekten, die kleiner als 6×15 cm
sen. Weitere therapeutische Optionen sind die Leistenlappenplas- sind, hat sich die distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappen-
tik nach McGregor und die Bauchhautlappenplastik nach Zoltan. plastik nach Penteado bzw. Zancolli als erfolgreich erwiesen. Ist die
942 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nicht möglich


oder erwünscht, so stellt die distal gestielte A.-radialis-Lappenplas-
tik nach Stock die nächstgeeignetste Therapiemöglichkeit dar.
Ist eine distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock
nicht möglich, müssen freie oder gestielte Fernlappenplastiken
eingesetzt werden. Wegen der Notwendigkeit der frühzeitigen Mo-
bilisierung, der leichteren Pflege und einer geringeren psychischen
Beeinträchtigung sind die mikrovaskulären Lappenplastiken den
gestielten Fernlappenplastiken vorzuziehen. Aufgrund des gerin-
geren funktionellen Spenderdefektes sollte primär an die laterale
Oberarmlappenplastik nach Song gedacht werden. Bei ausgedehn-
ten Hautdefekten und komplizierter Gefäßsituation sollte die freie
mikrovaskuläre A.-radialis-Lappenplastik nach Yang als Therapie
der 2. Wahl eingesetzt werden.
Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich oder
erwünscht, so müssen gestielte Fernlappenplastiken eingesetzt wer-
den. Wenn möglich, ist die axial gestielte Leistenlappenplastik nach
McGregor der Bauchhautlappenplastik nach Zoltan vorzuziehen.
Wegen der oft sehr dicken subkutanen Fettschicht ist in fast allen
Fällen zumindest im Kommissurenbereich eine sekundäre Lappen-
ausdünnung notwendig.

Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der


1. Kommissur und der palmaren Kommissurenplatte
in Kombination mit ausgedehnten Hohlhand- und
proximalen Grundglieddefekten des Daumens
Bei mehrdimensionalen Defekten im Bereich des distalen Randes ⊡ Abb. 35.17 Freier funktioneller M.-serratus-anterior-Transfer zur Weichteil-
35 der 1. Kommissur und der palmaren Kommissurenplatte in Kom- defektdeckung im Thenarbereich und gleichzeitiger Verbesserung der Opposi-
bination mit ausgedehnten Hohlhand- und palmaren proxima- tionsbewegung des Daumens. (Mod. nach Loda, aus Berger u. Hierner 2009)
len Fingerdefekten ist primär die Möglichkeit einer Vollhaut-
transplantation zu erwägen. Ist eine Defektdeckung mit einem
Vollhauttransplantat nicht möglich, so muss eine vaskularisierte Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich oder
Lappenplastik durchgeführt werden. Bei Hohlhanddefekten mit erwünscht, so müssen gestielte Fernlappenplastiken eingesetzt wer-
Kommissurenbeteiligung sollte zuerst geprüft werden, ob gefäß- den. Wenn möglich, ist die axial gestielte Leistenlappenplastik nach
gestielte Lappenplastiken aus dem Unterarmbereich möglich sind. McGregor der Bauchhautlappenplastik nach Zoltan vorzuziehen.
Die distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock stellt we- Wegen der oft sehr dicken subkutanen Fettschicht ist in fast allen
gen des limitierten palmaren Schwenkradius der A.-interossea- Fällen zumindest im Kommissurenbereich eine sekundäre Lappen-
Lappenplastiken die einzige Transpositionsmöglichkeit aus dem ausdünnung notwendig.
Unterarmbereich dar. Ist eine distal gestielte A.-radialis-Lappen-
plastik nach Stock nicht möglich, müssen freie oder gestielte Daumen
Fernlappenplastiken eingesetzt werden. Wegen der Notwendigkeit Bei der Deckung von Hautdefekten im Daumenbereich können
der frühzeitigen Mobilisierung, der leichteren Pflege und einer ge- Grundglied-(P1-)Defekte, Endglied-(P2-)Defekte und kombinierte
ringeren psychischen Beeinträchtigung sind die mikrovaskulären Grund-(P1-) und Endglied-(P2-)Defekte unterschieden werden.
Lappenplastiken den gestielten Fernlappenplastiken vorzuziehen.
Aufgrund des geringeren funktionellen Spenderdefektes sollte pri- Grundglieddefekte
mär an die laterale Oberarmlappenplastik nach Song gedacht Palmare Grundglieddefekte
werden. Bei ausgedehnten Hautdefekten und komplizierter Gefäß- Bei komplexen Handverletzungen oder geplanten Sekundäreingrif-
situation sollte die freie mikrovaskuläre A.-radialis-Lappenplastik fen sollte immer an die Möglichkeit der Defektdeckung mithilfe
nach Yang als Therapie der 2. Wahl eingesetzt werden. Bei aus- des Hautmantels eines oder mehrerer nicht mehr zu rekonstru-
gedehnten Knochen-Weichteil-Defekten im Rahmen komplexer ierender Finger im Sinne des Gewebebankkonzeptes nach Chase
Handverletzungen mit Beteiligung der Strukturen der 1. Kommis- gedacht werden.
sur kann die neurovaskuläre, freie funktionelle, Transplantation Bei den palmaren Hautdefekten im Grundgliedbereich ist pri-
einer vollhautgedeckten Muskellappenplastik im Kombination mit mär zu prüfen, ob die Defektdeckung mit einer freien Hauttrans-
einem möglichst dicken Hauttransplantat indiziert sein. Als Spen- plantation durchgeführt werden kann. Dies ist möglich, wenn die
dermuskel haben sich bewährt, der M. gracilis, der M. serratus palmaren Gefäß-Nerven-Strukturen nicht verletzt und mit gut
anterior, und der M. pectoralis minor. Durch die Rekonstruk- vaskularisiertem Gewebe bedeckt sind, und wenn die Beugeseh-
tion mithilfe einer Muskellappenplastik besteht ein ausgezeich- nenscheide intakt ist.
netes Transplantatlager für weitere Knochen-, Nerven- und/oder Liegt neben dem Hautdefekt auch eine Gefäß-, Nerven- und/
Sehnentransplantationen. Wird darüber hinaus der Muskel auch oder Beugesehnenverletzung und/oder eine Fraktur vor, so muss
nerval angeschlossen, kann durch eine dynamische Muskellap- der Hautdefekt mit einer vaskularisierten Hautlappenplastik ge-
penplastik die fehlende Beweglichkeit teilweise wiederhergestellt deckt werden. Als Therapie der 1. Wahl hat sich die »A.-metacar-
werden (⊡ Abb. 35.17). palis-dorsalis-Lappenplastiken-Familie« bewährt. Bei rein auf das
35.1 · Allgemeines
943 35
Grundglied begrenzten Defekten ist die neurovaskulär gestielte (⊡ Abb. 35.18) primär eingesetzt werden. Wegen der palmaren
Variante nach Foucher (»lambeau Cerf-volan«) ein erprobtes Ver- Gefäß-Nerven-Präparation in der Hohlhand ist bei Defekten, die
fahren. Aufgrund der palmaren Gefäß-Nerven-Präparation in der auf das Grundglied beschränkt bleiben, die dorsale Mittelphalanx-
Hohlhand ist bei Defekten, die auf das Grundglied beschränkt blei- Insellappenplastik nach Büchler u. Frey als Therapie der 2. Wahl
ben, die dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler und zu empfehlen. Besteht zusätzlich ein Hautdefekt im Bereich des
Frey als Therapie der 2. Wahl zu empfehlen. Besteht zusätzlich ein MP-Gelenks, so stellt die proximal hautgestielte Variante nach
Hautdefekt im Bereich des MP-Gelenks, so stellt die proximal haut- Hilgenfeldt die Therapie der 1. Wahl dar. Als Therapie der 2. Wahl
gestielte Variante nach Hilgenfeldt die Therapie der 1. Wahl dar. ist für den gleichen Defekt die distal gestielte A.-interossea-poste-
Als Therapie der 2. Wahl empfiehlt sich für den gleichen rior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zancolli, als Therapie der
Defekt die distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik 3. Wahl die distal gestielte A. interossea anterior-Lappenplastik
nach Penteado bzw. Zancolli. Ist eine gestielte Lappenplastik aus nach Hu anzusehen.
dem Hand- oder Unterarmbereich nicht möglich, so muss eine Ist eine gestielte Lappenplastik aus dem Hand- oder Unterarm-
Fernlappenplastik durchgeführt werden. Um die Beweglichkeit bereich nicht möglich, so muss eine Fernlappenplastik durchge-
des Daumenstrahles möglichst wenig zu beeinträchtigen, sollte führt werden. Um die Beweglichkeit des Daumenstrahles möglichst
zunächst an die Möglichkeit einer freien mikrovaskulären venö- wenig zu beeinträchtigen, sollte zunächst an die Möglichkeit einer
sen Lappenplastik nach Yoshimura gedacht werden. Bei kleinen freien mikrovaskulären venösen Lappenplastik nach Yoshimura
Defekten sollte diese wegen des geringen Spenderdefektes auch gedacht werden. Aufgrund des geringen Spenderdefektes kann die
in Spezialzentren vorrangig vor der distal gestielten A.-radialis- freie mikrovaskuläre venöse Lappenplastik in mikrochirurgischen
Lappenplastik nach Stock durchgeführt werden. Bei gleichzeitig Spezialzentren auch vor den Interosseae-Lappenplastiken vom Un-
bestehendem, segmentalem arteriellem Defekt kann zusammen terarm angewandt werden.
mit der Weichteildeckung auch eine Rekonstruktion des Gefäßde- Ist eine freie mikrovaskuläre venöse Lappenplastik nicht mög-
fektes erfolgen, vor allem wenn eine arterioarterielle Variante der lich oder gewollt, so sollte eine gestielte Cross-arm-Lappenplastik
venösen Hautlappenplastiken gewählt wird. Zur besseren venösen nach McCash in der Lambeau-greffe-Technik nach Colson u.
Drainage sollte jedoch auf jeden Fall zusätzlich mindestens eine Janvier an der medialen Oberarmseite durchgeführt werden. Die
venovenöse Anastomose hergestellt werden. mediale Oberarmlappenplastik bietet – verglichen mit der ge-
Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich oder stielten Leistenlappenplastik nach McGregor und der gestielten
gewünscht, so kann an eine Bauchhautlappenplastik nach Zoltan Bauchhautlappenplastik nach Zoltan, den nächsten Therapiemög-
in der Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier gedacht lichkeiten – eine dünne Hautlappenplastik, eine gut versteckte
werden. Spenderstelle und die beste Position für den Daumen mit weit
geöffneter 1. Kommissur.

Differenzialtherapie bei dorsalen oder palmaren Kombinierte palmare und dorsale Grundglieddefekte
Grundglieddefekten des Daumens Bei komplexen Handverletzungen sollte immer an die Möglichkeit
▬ Heterotoper Gewebetransfer aus dem Handbereich der Defektdeckung mithilfe des Hautmantels eines oder mehrerer
▬ Freie Hauttransplantation nicht mehr zu rekonstruierender Finger im Sinne des Gewebe-
▬ A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt bankkonzeptes nach Chase gedacht werden.
▬ Dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. Frey Bei diesen partiellen Ringfingertypverletzungen mit erhalte-
▬ Distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach ner Hautdeckung im Endgliedbereich ist zunächst zu prüfen, ob
Penteado bzw. Zancolli zumindest eine Seite mit einem mitteldicken Spalthauttransplan-
▬ Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock tat gedeckt werden kann. Lässt sich nur eine Seite decken, muss
▬ Freie venöse Lappenplastik nach Yoshimura die Gegenseite nach den oben beschriebenen Richtlinien für die
▬ Cross-arm-Lappenplastik nach McCash (Lambeau-greffe- palmare bzw. dorsale Grundgliedhautdeckung (s. oben) behandelt
Technik nach Colson u. Janvier) werden.
▬ Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe-Tech- Ist keine freie Hauttransplantation möglich, so muss eine vas-
nik nach Colson u. Janvier) kularisierte Lappenplastik angewandt werden. Als erstes ist hier
▬ Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe-Tech- an die Möglichkeit einer Kombination aus einer A.-metacarpalis-
nik nach Colson u. Janvier) dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt und einer dorsalen Mit-
telphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. Frey zu denken. Die
Kombination aus distal gestielter A.-radialis-Faszienlappenplastik
Dorsale Grundglieddefekte nach Stock und einer mitteldicken Spalthautdeckung kann eine
Wie bei den palmaren Hautdefekten im Grundgliedbereich ist komplette Defektdeckung mit einer lokalen Lappenplastik ermög-
auch bei den dorsalen Defekten am Grundglied primär zu prüfen, lichen.
ob der Defekt mit einem freien mitteldicken Spalthauttransplantat Bestehen Kontraindikationen für diesen Weg, so muss auf eine
gedeckt werden kann. Dies ist der Fall, wenn das Peritendineum im Fernlappenplastik zurückgegriffen werden. Um die Mobilität im
Bereich der Strecksehne(n) intakt ist. Bereich des 1. Strahles möglichst wenig zu beeinträchtigen, sollte
Bei zusätzlicher Strecksehnenverletzung oder bei einer Fraktur eine freie mikrovaskuläre Gewebetransplantation bevorzugt wer-
muss der Defekt mit einer vaskularisierten Lappenplastik gedeckt den. Die freie mikrovaskuläre A.-temporalis-Faszienlappenplastik
werden. Als Therapie der 1. Wahl haben sich die Lappenplas- nach Smith – kombiniert mit einem mitteldicken Spalthauttrans-
tiken aus dem Versorgungsgebiet der A. metacarpalis dorsalis I plantat – stellt dabei die Therapie der 1. Wahl dar. Bei dünnem
nach Hilgenfeldt bewährt. Bei rein auf das Grundglied begrenzten subkutanem Fettgewebe können auch die freie mikrovaskuläre
Defekten sollte die A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach laterale Oberarmlappenplastik nach Song oder die freie mikrovas-
Hilgenfeldt in der Cerf-volant-Variante nach Foucher u. Braun kuläre A.-radialis-Lappenplastik nach Yang angewandt werden.
944 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

M. interosseus
dorsalis I
A. metacarpalis
dorsalis I

a c
b

35

d e f g

⊡ Abb. 35.18 Deckung eines dorsalen Grundglieddefektes mithilfe einer neurovaskulär gestielten Metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik (»cerf volant«) nach
Foucher. a Klinischer Befund präoperativ, b Schema: Anatomie und Lappenplanung (aus Berger u. Hierner 2008), c klinischer Befund nach Débridement und
MP-I-Arthrodese sowie Lappenplanung, d klinischer Befund nach Lappenhebung, e klinischer Befund nach Lappentransposition und Deckung des Spen-
derdefektes mithilfe eines Vollhauttransplantats aus der Leiste, f funktionelles Ergebnis 1 Jahr postoperativ: Fingerstreckung, g funktionelles Ergebnis 1 Jahr
postoperativ: Kapandji 6/10 (kontralateral 8/10)

Ist eine mikrochirurgische Rekonstruktion nicht möglich oder


gewollt, so stellt die Cross-arm-Lappenplastik nach McCash die ▬ A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith (+ Hauttrans-
nächste Therapiemöglichkeit dar. Wegen der ungünstigen Position plantation)
des Daumens und wegen des zusätzlichen beträchtlichen Spender- ▬ Laterale Oberarmlappenplastik nach Song
defektes bei der Stielbildung sollten die Leistenlappenplastik nach ▬ Freie mikrovaskuläre kontralaterale A.-radialis-Lappenplastik
McGregor und die Bauchhautlappenplastik nach Zoltan nur als nach Yang
letzte Möglichkeit für eine Defektdeckung eingesetzt werden. ▬ Cross-arm-Lappenplastik nach nach Colson u. Janvier)
▬ Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe-Tech-
nik nach Colson u. Janvier)
Differenzialtherapie bei kombinierten palmaren und ▬ Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe-Tech-
dorsalen Grundglieddefekten des Daumens nik nach Colson u. Janvier)
▬ Cheiroplastik
▬ Freie Hauttransplantation
▬ A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt Endglieddefekte  Kap. 38
▬ Dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. Kombinierte Grundglied- und Endglieddefekte
Frey z Kombinierte palmare Grundglied- und Endglieddefekte
▬ Distal gestielte A.-radialis-Faszienlappenplastik nach Stock Neben der Defektdeckung an sich muss bei diesen Defekten be-
▼ (+ Hauttransplantation) sonders auf die Wiederherstellung der Sensibilität im Bereich des
ulnaren Daumenpulpaanteiles geachtet werden.
35.1 · Allgemeines
945 35

a b c

d e f g

⊡ Abb. 35.19 Deckung eines kombinierten palmaren Grundglied- und Endglieddefektes nach Infekt mithilfe einer A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik
(»cerf volant«) nach Hilgenfeldt. a Klinischer Befund präoperativ, b klinischer Befund nach Débridement und Lappenplanung, c klinischer Befund nach Lap-
penhebung, d klinischer Befund 1 Jahr postoperativ: Fingerstreckung (Ansicht von dorsal), e klinischer Befund 1 Jahr postoperativ: kompletter Faustschluss
(Ansicht von frontal), f klinischer Befund 1 Jahr postoperativ: palmare Weichteildeckung im Grund- und Endgliedbereich (Ansicht von palmar), g klinischer
Befund 1 Jahr postoperativ: palmare Weichteildeckung im Grund- und Endgliedbereich (Ansicht von radial)

Abhängig von Defekttiefe und Patientenalter können verschie- kann. Nach Michon können im dorsalen Daumenbereich 5 funktio-
dene Therapieverfahren zum Einsatz kommen. Bei oberflächlichen nelle Einheiten der Hand unterschieden werden. Wegen der besonde-
Defekten ohne Exposition von Sehnen, Gefäßen, Nerven oder Kno- ren Beanspruchung bei Beugung sollte die Hautoberfläche oberhalb
chen kann eine freie Hauttransplantation durchgeführt werden. des MP- und IP-Gelenks bevorzugt mit einem Vollhauttransplantat
In der Akutsituation empfiehlt sich der Einsatz eines mitteldicken ersetzt werden. Ist eine einfache Hauttransplantation nicht möglich
Spalthauttransplantates, bei sekundärer Rekonstruktion – wenn oder wurde Letztere nur ungenügend aus dem Defektlager rein-
möglich – ein Vollhauttransplantat, womit sich vor allem bei Kin- nerviert, so muss eine vaskularisierte Lappenplastik durchgeführt
dern gute ästhetische und funktionelle Ergebnisse erzielen lassen. werden. Bezüglich der Rekonstruktionsmöglichkeiten des Nagelkom-
Ist eine einfache Hauttransplantation nicht möglich, so muss für plexes im dorsalen Endgliedbereich gelten die in  Kap. 38 beschrie-
den Fingerkuppenanteil eine sensible Ersatzoperation ( Kap. 38) benen Richtlinien. Der Grundgliedbereich wird dabei nach den für
und für den restlichen Defekt eine vaskularisierte Lappenplastik diesen Bereich beschriebenen Richtlinien versorgt (s. oben).
durchgeführt werden. Der Grundgliedbereich wird dabei nach den Ist eine freie Hauttransplantation wegen Fehlens des Peritendi-
für diesen Bereich beschriebenen Richtlinien versorgt (s. oben). neums oder wegen zusätzlicher Sehnen- und/oder Knochenverletzun-
Die Therapie der 1. Wahl stellt die A.-metacarpalis-dorsalis-I- gen nicht durchzuführen, so stellt die proximal hautgestielte A.-meta-
Lappenplastik nach Hilgenfeldt dar, da mit dieser Lappenplastik carpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt ( Abschn. 35.2.4)
sowohl der Grundglieddefekt bedeckt, als auch der Endglieddefekt die Therapie der 1. Wahl dar. Ist ihr Einsatz nicht möglich, so sollte
funktionell rekonstruiert werden kann (⊡ Abb. 35.20). als Nächstes an die distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach
Stock gedacht werden. Bei dicker Subkutanschicht im Unterarmbe-
z Kombinierte dorsale Grundglied- und Endglieddefekte reich kann eine Faszienlappenplastik in Kombination mit einer mit
Bei komplexen Handverletzungen sollte immer an die Möglichkeit einem mitteldicken Spalthauttransplantat eingesetzt werden.
der Defektdeckung mithilfe des Hautmantels eines oder mehrerer Bestehen Kontraindikationen für die A.-radialis-Lappenplastik,
nicht mehr zu rekonstruierender Finger im Sinne des Gewebe- so muss als Nächstes an eine Fernlappenplastik gedacht werden.
bankkonzeptes nach Chase gedacht werden. Um die Beweglichkeit des Daumenstrahles möglichst wenig zu
Auch bei dorsalen Hautdefekten, die Grund- und Endglied ge- beeinträchtigen, sollte zunächst eine freie mikrovaskuläre Lap-
meinsam betreffen, ist als Erstes zu prüfen, ob eine Deckung mit penplastik in Erwägung gezogen werden. Bei der Auswahl der
einem freien mitteldicken Spalthauttransplantat durchgeführt werden Lappenplastik ist dabei vor allem auf die Lappendicke zu achten,
946 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

um neben einem guten funktionellen auch ein möglichst gutes Ist eine distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nicht einsetzbar,
ästhetisches Ergebnis erzielen zu können. Bei dünner subkutaner so muss eine Fernlappenplastik durchgeführt werden. Wegen des gut
Fettschicht im Oberarmbereich sollte die freie mikrovaskuläre la- versteckten Spenderdefektes an der medialen Oberarmseite sollte als
terale Oberarmlappenplastik nach Song gewählt werden. Ist diese Nächstes an eine Cross-arm-Lappenplastik nach McCash gedacht
Entnahmestelle nicht geeignet, so stellt die A.-temporalis-Faszi- werden. Ist auch diese nicht möglich, so stellt die laterale Oberarm-
enlappenplastik nach Smith – kombiniert mit einem mitteldicken lappenplastik nach Song in der uni- oder bipedikulär hautgestielten
Spalthauttransplantat – die nächstbeste Therapiemöglichkeit dar. Variante die nächste Therapiemöglichkeit dar. Wegen des großen
Schließlich kann auch die freie mikrovaskuläre kontralaterale A.- ästhetischen Spenderdefektes sollte letztere Technik bei Frauen nicht
radialis-Faszienlappenplastik nach Yang – kombiniert mit einem eingesetzt werden. Hier steht als weitere Therapiemöglichkeit die
mitteldicken Spalthauttransplantat – eingesetzt werden. Leistenlappenplastik nach McGregor zur Auswahl. Neben der Mög-
Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich oder lichkeit der frühzeitigen krankengymnastischen Übungsbehandlung
gewünscht, so stellt die gestielte Cross-arm-Lappenplastik nach erleichtert dieses Verfahren aufgrund eines gewissen Gewebeüberschus-
McCash in der Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier die ses jede sekundäre sensible Ersatzoperation. Bei dicker subkuta-
Therapie der Wahl dar. Reicht der Hautdefekt proximal über das ner Fettschicht im Leistenbereich sollte wegen des zu erwartenden
MP-I-Gelenk hinaus, so kann mit der Cross-arm-Lappenplastik schlechten funktionellen und ästhetischen Ergebnisses ein anderes
keine ausreichende Weichteildeckung erreicht werden. In diesen Fäl- Verfahren herangezogen werden. Bei mäßig dicker Fettschicht emp-
len ist die Bauchhautlappenplastik nach Zoltan oder die Leisten- fiehlt sich auch im Leistenbereich das Lambeau-greffe-Prinzip. Ist
lappenplastik nach McGregor ( Abschn. 35.2.11) indiziert. Beide eine Leistenlappenplastik z. B. wegen vorhergegangener Operationen
letztgenannten Lappenplastiken sollten in der Lambeau-greffe- nicht möglich oder nicht erwünscht, so steht als Nächstes die Bauch-
Technik nach Colson u. Janvier angewandt werden. hautlappenplastik nach Zoltan zur Diskussion. Wegen des großen
Spenderdefektes ist dieses Verfahren nur ausnahmsweise einzusetzen.
z Kombinierte palmare und dorsale Grundglied- und In der Akutsituation kann bei personellen und/oder materiellen Eng-
Endglieddefekte (»Ringfingertypverletzung«) pässen nach Versorgung der geschädigten Strukturen im Sinne eines
Partielle oder komplette palmare und dorsale Grund- und End- physiologischen Verbandes temporär eine Vakuumversiegelung nach
glieddefekte sind meist entweder Folge einer Avulsionsverletzung Fleischmann durchgeführt werden. Die definitive Weichteildeckung
vom Ringfingertyp oder eines Verbrennungs- bzw. Verbrühungs- sollte aber so bald wie möglich angeschlossen werden. Die sekundäre
traumas. Neben der einfachen Defektdeckung sollte auch bei die- sensible Ersatzoperation erfolgt nach den Richtlinien der schräg nach
35 sen Defekten vor allem die Wiederherstellung der Sensibilität im palmar verlaufenden Defekte der Zone 4 ( Kap. 38).
Kuppenbereich im Vordergrund stehen. Ist die Endphalanx nicht mehr durchblutet, so sollte zur Erhal-
In jedem Fall muss bei einer Avulsionsverletzung eine Replan- tung der maximalen Länge des Daumens sofort eine Weichteilde-
tation erwogen werden. Wegen der meist bestehenden lokalen ckung mithilfe einer vaskularisierten Lappenplastik zur Re- bzw.
Gefäßschädigung hat sich der Einsatz von Veneninterponaten be- Neovaskularisierung des Knochens durchgeführt werden. Die De-
währt. Bei Nervendefekten sollte sekundär nach 3–6 Monaten eine fektdeckung erfolgt nach den obengenannten Richtlinien. Bei Verlust
Nerventransplantation erfolgen. der Endphalanx sollte darauf geachtet werden, dass die Beuge- und
Ist eine Replantation nicht möglich, so müssen in einem nächs- Strecksehnenansätze im Bereich des Grundgliedes erhalten bleiben,
ten Schritt die distalen Durchblutungsverhältnisse der Skelettanteile um eine möglichst große Restbeweglichkeit zu erhalten. Wird nur
überprüft werden. Eine ausreichende Durchblutung des Endgliedes eine Weichteildeckung durchgeführt, so können neben den oben be-
ist sichergestellt, wenn der Nachweis kapillär periostaler Blutun- schriebenen noch weitere Rekonstruktionstechniken eingesetzt wer-
gen geführt werden kann. Liegen gute Durchblutungsverhältnisse den. So kann etwa bei einer Akutversorgung des Daumenstumpfes
(ersatzstarkes Lager) vor, muss als Nächstes geprüft werden, ob zu- mit einer Vakuumversiegelung nach Fleischmann als Nächstes die
mindest dorsal ein freies mitteldickes Spalthauttransplantat benützt Crane-flap-Technik nach Millard angewandt werden, da in diesem
werden kann. Dies erscheint zielführend, wenn dorsal das Periten- Fall auf die IP-Gelenk-Funktion nicht mehr Rücksicht genommen
dineum intakt ist und palmar Gefäße, Nerven sowie die Beugesehne werden muss. Alternativ kann auch noch auf die Reverse-dermis-
noch ausreichend bedeckt sind. In günstigen Fällen, vor allem bei flap-Technik nach Hynes aus dem Bauchhautbereich zurückgegrif-
Kindern, kann eine ausreichende Sensibilität durch Resensibili- fen werden. Zur Herstellung der Sensibilität im Fingerendbereich ist
sierung des Hauttransplantates aus dem Empfängergebiet erreicht wiederum eine sensible Ersatzoperation wie bei schräg nach palmar
werden. Bei ungenügender Resensibilisierung im palmaren End- verlaufenden Endglieddefekten der Zone 4 ( Kap. 38).
gliedbereich ist eine sensible Ersatzoperation ( Kap. 38) indiziert.
Bei mitbestehenden Gefäß-, Nerven-, Sehnen- und/oder Kno-
chenverletzungen (ersatzschwaches oder ersatzunfähiges Lager) Differenzialtherapie bei kombinierten palmaren und
muss der Defekt mit einer vaskularisierten Lappenplastik gedeckt dorsalen Grund- und Endglieddefekten des Daumens
werden. Wegen der Größe des Defektes hat sich ein zweizeitiges (»Ringfingertypverletzungen«)
Verfahren bewährt. Vor der sensiblen Ersatzoperation sollte primär ▬ Mikrochirurgische Rekonstruktion
eine überdimensionierte Weichteildeckung erfolgen. Zu diesem – Orthotop
Zweck bietet sich eine distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik – Heterotop (»Gewebebankprinzip«)
nach Stock an. Bei der Planung dieses Lappens muss unbedingt die
Dicke der subkutanen Fettschicht am Unterarm mit eingerechnet Ersatzstarkes Lager
werden. Je dicker die subkutane Fettschicht ist, umso größer muss ▬ Freie Hauttransplantation
die zu entnehmende Hautfläche sein und ein umso schlechteres – Palmar oder dorsal
ästhetisches Ergebnis ist zu erwarten. Bei ausgeprägter subkutaner – Palmar und dorsal (evtl. mit sekundärer sensibler Ersatz-
Fettschicht empfiehlt sich eine Faszienlappenvariante, kombiniert ▼ operation)
mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat.
35.1 · Allgemeines
947 35
2.–4. Zwischenfingerfalte (Kommissur)
Ersatzschwaches oder ersatzunfähiges Lager Anforderungen an die Hautdeckung im Bereich der Zwischenfin-
▬ Akutversorgung gerräume der Finger, der 2.–4. Kommissur, sind Defektdeckung
– Vakuumversiegelung nach Fleischmann und Wiederherstellung einer in Form und Funktion normalen
▬ Primäre Defektdeckung Kommissur.
– A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach Hilgenfeldt Die freie Beweglichkeit im Bereich der Zwischenfingerfalten
– Dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. bildet die Voraussetzung für die volle Grob- oder Kraftgrifffunk-
Frey tion. Eine Abduktionsbewegung der Finger ist aktiv um etwa 36°
– Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock und passiv um 45–65° möglich. Eine Bewegungseinschränkung im
– Freier mikrovaskulärer lateraler Oberarmlappen nach song Kommissurenbereich kann durch Störungen im Bereich von Haut,
– Cross-arm-Lappenplastik nach McCash Faszienzügen, intrinsischer und/oder extrinsischer Muskeln und
– Laterale Oberarmlappenplastik nach Song Sehnen sowie der Gelenke alleine oder in Kombination bedingt
– Leistenlappenplastik nach McGregor sein. Eine sukzessive Entlastung der genannten Strukturen (sog.
– Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe- Crescendo der Kommissurolyse) kann für die Wiederherstellung
Technik nach Colson u. Janvier, Reverse-dermis-flap-Tech- der Bewegungsamplitude notwendig werden (⊡ Abb. 35.20).
nik nach Hynes, Crane-flap-Prinzip nach Millard) Bei ausgeprägter Kontraktur sowie bei Syndaktylietrennungen
▬ Sekundärrekonstruktion können die neurovaskulären Strukturen die Korrektur limitieren.
– Symmetrische, transversal verlaufende (komplette) End- Um postoperative neurovaskuläre Störungen zu verhindern, muss
glieddefekte jede größere Spannung dieser Strukturen vermieden werden.
– Modifizierter »wrap-around flap« nach Morrison bzw. Die Zwischenfingerfalten der Finger beginnen distal der Grund-
Steichen gelenke und markieren die Grenzen der Finger gegen die Hohlhand
– Neurovaskuläre Pulpalappenplastik nach Buncke und den Handrücken. Nach Upton zeigt die Fingerkommissur in
u. Rose der Ansicht von oben charakteristischerweise eine U- oder Recht-
– Heterodigitale Insellappenplastik nach Littler eckform. In der seitlichen Ansicht hat die Zwischenfingerfalte eine
– Cerf-volant-Insellappenplastik nach Foucher u. Braun Keilform, deren dorsale Fläche eine Inklination von etwa 45° auf-
– Dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler weist und deren palmare Fläche normalerweise bis etwa zur Mitte
u. Frey des Grundgliedes reicht. Aufgrund dieser Inklination erscheint die
– Dorsale sensible Cross-finger-Lappenplastik nach Gaul Streckseite der Finger um etwa 2–3 cm länger als deren Beugeseite.
– Palmare Cross-finger-Lappenplastik nach Iselin In der Ansicht von den Fingerenden aus (sog. Kommissurenblick)
– Homodigitale dorsale Insellappenplastik mit retro- zeigt die dorsale Oberfläche eine leichte Eindellung, während die
gradem Fluss nach Brunelli palmare Fläche eben ist. An den meisten Händen reichen die in
– Asymmetrische, schräg verlaufende Endglieddefekte etwa auf gleicher Höhe liegenden Ränder des 2. und 3. Zwischenfin-
– Dominante Pulpa gerraumes weiter nach distal als die der angrenzenden Räume. Die
– Fingerkuppen-Austauschlappenplastik nach Foucher distale Kommissurenfalte des 4. Interdigitalraumes liegt weiter pro-
– Nichtdominante Pulpa ximal, jene der 1. Kommissur projiziert sich auf die Hohlhandmitte.
– Homodigitale laterodorsale Insellappenplastik nach Nach Zoltan besteht die Fingerkommissur aus zwei auf die Spitze
Joshi bzw. Pho gestellten und mit der Basis aneinander gelehnten, fünfeckigen Plat-
– Homodigitale dorsale Insellappenplastik mit retro- ten, die am Faltenrand zusammentreffen (⊡ Abb. 35.3d).
gradem Fluss nach Brunelli Die palmare Hautbedeckung der interdigitalen Zwischenräume
stellt eine Fortsetzung der Leistenhaut der Palma manus dar. Dor-

Lig. accessorium Dorsalaponeurose

Interosseussehne Lig. collaterale

palmare Platte

M. lumbricalis ⊡ Abb. 35.20 »Crescendo der Kommissurolyse« im Bereich


der 2.–4. Kommissur. (Aus Berger u. Hierner 2009)
948 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

sal ist sie wesentlich dünner, man sieht die Vereinigung der dorsa-
len Fingervenen mit den Vv. capitulares hindurchschimmern. Im
Ganzen ist die Haut hier auch heller als an den anderen Regionen
der Hand, weil die Falten bei entspannter Fingerhaltung bedeckt
und damit einer geringeren Lichteinwirkung ausgesetzt sind.
Zur Prävention der postoperativen Bewegungseinschränkung
und Minimierung von Narbenbildungen mit sekundären Kon-
trakturen sind einige wichtige Gesichtspunkte zu beachten. Wenn
möglich, sollten die Grenzen der funktionellen Einheiten der Hand
(⊡ Abb. 35.3a–d) respektiert werden. Im Bereich der Kommissur
müssen die Schnittlinien eines Hauttransplantates oder eines sons-
tigen Lappens entlang den anatomischen Grenzen der Falte oder
parallel zu ihnen geführt werden. Eine dem distalen Kommissu-
renrand parallele Schnittführung ist zu vermeiden, da hierdurch
eine spannungsbedingte hypertrophe Narbenbildung provoziert
wird. Nah- oder Fernlappentransplantate müssen bei maxima-
ler Kommissurenspreizung eingenäht werden. Da in den meisten
a b
Fällen der Hautdefekt im Fingerkommissurenbereich unterschätzt
wird, sollte primär eine Überkorrektur angestrebt werden. Wegen ⊡ Abb. 35.21 V-M-Lappenplastik nach Alexander zur Unterbrechung eines
der sekundären Narbenretraktion ist eine sekundäre Wundheilung linearen Narbenzugs im distalen Rander der 2. Kommissur. a Präoperativer
im Bereich der Fingerkommissuren ungünstig. Zustand und Lappenplanung, b postoperatives Ergebnis. (Aus Schmit-Neuer-
Die Wahl des Verfahrens zur Kommissurenrekonstruktion ist burg et al. 2001)
abhängig von Lokalisation und Ausdehnung des Hautdefektes. Bei
allen Defektzuständen muss geprüft werden, welche Anteile der
Kommissur betroffen sind. Dabei ist zu klären, ob die Kontraktur erhöhten Risikos von Lappennekrosen der vier kleinen Hautlappen
der Interdigitalfalte nur den Faltenrand (eindimensional) betrifft die Zwei-Lappen-Z-Plastik verwendet werden. Die V-M- Lappen-
oder ob sie über diesen hinaus auf die palmare und/oder dorsale plastik nach Alexander stellt eine weitere Therapiemöglichkeit dar
35 Platte (mehrdimensional) reicht. (⊡ Abb. 35.21).
Aufgrund klinischer Erfahrung hat sich für die 2.–4. Zwischen-
fingerfalte eine Klassifikation in folgende Untergruppen bewährt: Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes
und der dorsalen Kommissurenplatte der 2.–4. Kommissur
Ist neben dem distalen Kommissurenrand auch die dorsale Haut
Klassifikation der Defekte im Bereich der 2.-4. Zwischen- der Falte narbig verändert, so besteht ein mehrdimensionaler De-
fingerfalte fekt, bei dem ein Hautersatz notwendig ist. Im Rahmen von isolier-
▬ Auf die Kommissur beschränkte Defekte ten Defektzuständen der Interdigitalfalte ohne Notwendigkeit des
– Lineare Narbenzüge im Bereich des distalen Randes der Hautersatzes im Handrückenbereich sollte primär die Möglichkeit
2.–4. Kommissur einer gestielten Hautlappenplastik aus der unmittelbaren Umge-
– Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes bung, eventuell kombiniert mit Hauttransplantaten, zur Deckung
der 2.–4. Kommissur und der dorsalen Platte des Spenderdefektes erwogen werden.
– Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes Bei kleinen Hautdefekten stellt die Trident-Lappenplastik nach
der 2.–4. Kommissur und der palmaren Platte Glicenstein bzw. Hirshowitz ( Abschn. 35.2.3) die Therapie der Wahl
– Defekte beider Platten der 2.–4. Kommissur, dar. Zeigt sich nach Auflösung der Kontraktur ein deutlicher Haut-
▬ Über die Kommissur hinausgehende Defekte defekt, so muss zunächst geprüft werden, ob dieser mit einem freien
– Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der Hauttransplantat gedeckt werden kann. Wegen der Schrumpfungs-
2.–4. Kommissur und der dorsalen Platte in Kombination neigung des Transplantates und der damit verbundenen Funkti-
mit ausgedehnten Handrücken- und proximalen dorsalen onseinbuße sollte die Indikation zur vaskularisierten Lappenplastik
Fingerdefekten großzügig gestellt werden. Bei auf die Kommissur begrenzten Haut-
– Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der defekten kann die dorsokommissurale Lappenplastik nach Dautel
2.–4. Kommissur und der palmaren Platte in Kombination oder alternativ die neurovaskuläre Insellappenplastik von der dor-
mit ausgedehnten Hohlhand- und proximalen palmaren salen Seite des Grundgliedes des benachbarten Fingers eingesetzt
Fingerdefekten werden. Wegen der schwierigeren Lappenpräparation sollten die
distal gestielten Varianten der Aa.-metacarpales-dorsales-II- bis -IV-
Lappenplastiken nach Maruyama sowie die distal gestielten Aa.-
Auf die Kommissur beschränkte Defekte metacarpales-dorsales-II- bis -IV-Perforatorlappenplastiken nach
Linearer Narbenzug im Bereich des distalen Randes der Quaba u. Davison ( Abschn. 35.2.7) sehr spät eingesetzt werden.
2.-4. Kommissur Gesellt sich – was im Allgemeinen nach Verbrennungen ge-
Besteht nur eine lineare Narbe, so wird kein Hautersatz benötigt, schieht – zur ausgedehnten Vernarbung des Handrückens eine
die Z-Plastik stellt das Verfahren der Wahl dar. Da bei der Zwei- Schrumpfung der Interdigitalfalten hinzu, müssen die Falten
Lappen-Z-Plastik meist nur eine V-Form der Zwischenfingerfalte gleichzeitig mit dem Ersatz der Handrückenhaut wiederhergestellt
erreicht werden kann, wird die Vier-Lappen-Z-Plastik nach Woolf werden. In diesem Fall stellt die laterodigitale Transpositionslap-
u. Broadbent ( Abschn. 35.2.2) bevorzugt eingesetzt. Nur bei aus- penplastik nach Bunnell (⊡ Abb. 35.22) die Therapie der 1. Wahl
geprägten Vernarbungen der tieferen Strukturen sollte wegen des dar (s. unten).
35.1 · Allgemeines
949 35

⊡ Abb. 35.22 Korrektur einer partiellen Synd-


aktylie mit Vernarbung im dorsalen Kommissu-
renbereich mithilfe eienr Transpositions-Lappen-
plastik nach Bunnell u. Colson. a Partielle dorsale
Syndatylie und Lappenplanung, b Zustand nach
Auflösung der partiellen dorsalen Syndaktylie.
Der entstandene Defekt wird mit einer latero-
digitalen Lappenplastik vom benachbarten
Finger gedeckt, c Verschluss des Hebedefecktung
mithilfe eines Vollhauttransplantats. (Aus Wachs-
a b c musth u. Wilhelm 1972)

Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes Defektdeckung im Kommissurenbereich durch Hautgewebe (Chei-
und der palmaren Kommissurenplatte der 2.-4. Kommissur roplastik) eines nicht mehr zu rekonstruierenden Fingers nach dem
Zur Rekonstruktion von mehrdimensionalen Defekten im Bereich Gewebebankkonzept nach Chase gedacht werden. Die freie Haut-
des distalen Randes der 2.–4. Kommissur und der palmaren Kom- transplantation muss als Verfahren der 2. Wahl betrachtet werden.
missurenplatte stellt die laterodigitale Transpositionslappenplastik Bei intakter Haut stellt die Drei-Lappen-Transpositionsplastik
nach Bunnell ( Abschn. 35.2.6) die Therapie der 1. Wahl dar. Wei- nach Schneider u. Vaubel die Therapie der Wahl dar. Als Therapie
tere therapeutische Möglichkeiten sind die laterale Insellappenplas- der 2. Wahl hat sich die Schmetterlingslappenplastik nach Shaw
tik nach Rose, die dorsale Fähnchenlappenplastik nach Vilain oder bewährt. Zur Vermeidung eines Syndaktylierezidivs durch sekun-
deren Seagull-flap-Variante. dären Narbenzug (»web creeping«) sollte bei beiden Lappenplasti-
ken die Indikation zur zusätzlichen Vollhauttransplantation an den
lateralen Fingerseiten großzügig gestellt werden.
Differenzialtherapie bei mehrdimensionalen Defekten Ist die Haut im Syndaktyliebereich pathologisch verändert,
im Bereich des distalen Randes der 2.–4. Kommissur und so sollte der Hautersatz durch lokale Lappenplastiken erfolgen.
der palmaren oder der dorsalen Kommissurenplatte Vor allem bei Verbrennungen stellt die laterodigitale Transpositi-
▬ Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes onslappenplastik nach Bunnell u. Colson die Therapie der Wahl
der 2.–4. Kommissur und der dorsalen Kommissurenplatte dar (⊡ Abb. 35.22). Bei intakter Haut im Bereich des Handrückens
– Trident-Lappenplastik nach Glicenstein bzw. Hirshowitz und/oder der MP-Gelenke sowie der dorsalen Fingergrundglieder
– Dorsokommissurale Lappenplastik nach Dautel können die dorsokommissurale Lappenplastik nach Dautel, die
– Neurovaskuläre Insellappenplastik von der dorsalen Seite Seagull-flap-Variante der Fähnchenlappenplastik nach Vilain und
des Grundgliedes die distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -IV-Lappenreihe
– Distal gestielte Aa.-metacarpales-dorsales-II- bis -IV-Lappen- als Therapie der 2. Wahl eingesetzt werden.
plastiken nach Maruyama Der Einsatz von distal gefäßgestielten Lappenplastiken aus
– Distal gestielte Aa.-metacarpales-dorsales-II- bis -IV-Lappen- dem Unterarmbereich, von freien mikrovaskulären Lappenplasti-
plastiken nach Quaba u. Davison ken oder direkten Fernlappenplastiken stellt wegen der vielfältigen
– Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell Möglichkeiten lokaler Lappenplastiken zur Kommissurenrekonst-
▬ Mehrdimensionale Defekte im Bereich des distalen Randes ruktion und der geringen Funktionseinbuße der Hand bei mono-
der 2.–4. Kommissur und der palmaren Kommissurenplatte fokaler partieller Syndaktylie im Fingerbereich im Gegensatz zum
– Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell 1. Interdigitalraum eine absolute Ausnahmeindikation dar.
– Laterale Insellappenplastik nach Rose Wegen der langen Immobilisationszeit und der hohen Komplika-
– Dorsale Fähnchenlappenplastik nach Vilain tionsrate sollte die kontinuierliche Hautexpansion nach Radovan und
– Seagull-flap die kontinuierliche Weichteilextension zur Wiederherstellung einer
Zwischenfingerfalte als letzte Therapiemöglichkeit angesehen werden
( Differenzialtherapie bei Defekten beider Platten der 2.–4. Kommissur).
Defekte beider Platten der 2.–4. Kommissur (Syndaktylie)
Bei gleichzeitigem Defekt an beiden Platten der Interdigitalfalte z Komplette Syndaktylie im Bereich der 2.–4. Kommissur
und des distalen Kommissurenrandes besteht das klinische Bild Erstreckt sich die Syndaktylie über das PIP-Gelenk hinaus, so
einer einfachen kutanen Syndaktylie. Reicht die distale Kommis- besteht eine komplette kutane Syndaktylie ( Kap. 21). Zur Ver-
surenfalte bis in Höhe des PIP-Gelenks, so spricht man von einer meidung von Narbenzügen im Bereich der Kommissur sowie zur
partiellen kutanen Syndaktylie. Wiederherstellung der physiologischen dorsopalmaren Inklination
empfiehlt es sich, wenn möglich, die Kommissur mit einer groß di-
z Partielle Syndaktylie im Bereich der 2.–4. Kommissur mensionierten dorsalen Hautlappenplastik nach Bauer zu decken.
Bei Vorliegen einer partiellen kutanen Syndaktylie bestimmt die Qua- Die Lappengrenzen sollten dabei distal die dorsalen proximalen
lität der dorsalen Haut im Syndaktyliebereich die Wahl der vaskulari- Hautfalten im Bereich des PIP-Gelenks erreichen und nach late-
sierten Lappenplastik. Vor allem bei angeborenen Fehlbildungen und ral das mediale Drittel des dorsalen Fingerumfanges nicht über-
polydigitalen Handverletzungen sollte immer an die Möglichkeit der schreiten. Um der Zwischenfingerfalte ihr natürliches Aussehen
950 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

⊡ Abb. 35.23 Korrektur einer angeborenen a b c


kutanen kompletten Syndaktylie beim Erwach-
senen mithilfe einer dorsalen Hautlappenplastik
nach Bauer in Kombination mit zwei lateralen
Vollhauttransplantaten. a Präoperativer Befund:
Ansicht von dorsal, b präoperativer Befund:
Ansicht von palmar, c intraoperativer Befund,
Ansicht von dorsal: Planung der dorsalen
Lappenplastik, sowie der gegenläufigen Zick-
zackinzisionen im Bereich der benachbarten
Finger, d intraoperativer Befund, Ansicht von
palmar: Planung der palmaren Inzision sowie
der gegenläufigen Zickzackinzision im Bereich
der benachbarten Finger, e postoperativer
Befund: Ansicht von dorsal, f postoperativer
d e f
35 Befund: Ansicht von palmar

geben zu können, müssen die dorsalen Inzisionen weiter nach


proximal geführt werden als die palmaren. Zur Vermeidung eines ▬ Distal gestielte Aa.-metacarpales-dorsales-II- bis -IV-Lappen-
sekundären narbenbedingten Syndaktylierezidivs muss der dorsale plastiken nach Maruyama
Lappen palmar 4–5 mm weiter proximal eingenäht werden. Die ▬ Distal gestielte Aa.-metacarpales-dorsales-II- bis -IV-Lappen-
entstehenden lateralen Fingerdefekte werden mithilfe von Voll- plastiken nach Quaba und Davison
hauttransplantaten gedeckt (⊡ Abb. 35.23). ▬ (Kontinuierliche Hautexpansion nach Radovan)
Bei insuffizienter dorsaler Haut im proximalen Kommissuren- ▬ (Progressive Weichteildistraktion)
bereich sollte immer versucht werden, den Defekt mit einer lokalen
Lappenplastik zu verschließen. In diesen Fällen hat sich die palmare Komplette kutane Syndaktylien
Lappenplastik nach Blauth u. Schneider-Sickert oder die kombinier- ▬ Cheiroplastik
te palmare und dorsale Lappenplastik nach Cronin bewährt ( Diffe- ▬ Freie Hauttransplantation
renzialtherapie bei Defekten beider Platten der 2.–4. Kommissur). ▬ Kontinuierliche Hautexpansion nach Radovan
▬ Dorsale Lappenplastik nach Bauer + Hauttransplantation
▬ Palmare Lappenplastik nach Blauth u. Schneider-Sickert +
Differenzialtherapie bei Defekten beider Platten der Hauttransplantation
2.–4. Kommissur (Syndaktylien) ▬ Kombinierte palmare und dorsale Lappenplastik nach Cronin
Partielle kutane Syndaktylien + Hauttransplantation
▬ Cheiroplastik ▬ Distal gestielte A.-interossea-anterior-Lappenplastik nach Hu
▬ (Freie Hauttransplantation) ▬ Distal gestielte A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach
Penteado bzw. Zancolli
Intakte Haut ▬ Distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock
▬ Drei-Lappen-Transpositionsplastik nach Schneider und ▬ Cross-arm-Lappenplastik nach McCash
Vaubel (+ Hauttransplantation)
▬ Schmetterlingslappenplastik nach Shaw (+ Hauttrans-
plantation) Über die Kommissur hinausgehende Defekte
Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der
Vernarbte Haut 2.–4. Kommissur und der dorsalen Platte in Kombination
▬ Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell mit ausgedehnten Handrücken- und proximalen dorsalen
▬ Dorsokommissurale Lappenplastik nach Dautel Fingerdefekten
▬ Seagull-flap Bei mehrdimensionalen Defekten im Bereich des distalen Randes
▼ der 2.–4. Kommissur und der dorsalen Platte in Kombination mit
ausgedehnten Handrücken- und proximalen dorsalen Fingerde-
35.1 · Allgemeines
951 35
fekten sollte primär die Möglichkeit der Spalthauttransplantation
geprüft werden. Bei der freien Hauttransplantation im Gebiet der
Interdigitalfalten gilt das Grundprinzip, dass die Nahtlinien ent-
lang den anatomischen Grenzen der Falte oder parallel zu ihnen
verlaufen sollten. Erstreckt sich ein Hautdefekt auch auf die Finger,
so geschieht der Ersatz einer Falte ebenfalls mit einem sich spitz
verschmälernden Transplantat. Die Nahtlinien des die Dorsalfläche
des Fingers sowie die Interdigitalfalte deckenden Transplantates
sollten sich dabei in spitzem Winkel in der mediolateralen Linie
des Fingers treffen. Ist ein Teil der Faltenhaut intakt, so wird unter
deren Schonung eine zickzackförmige Nahtlinie durchgeführt. In
solchen Fällen ist bei der Operation erhöhte Sorgfalt nötig, da bei
b
einer Wundheilungsstörung der kleinen Läppchen die zickzack-
förmige Linie zu einem einzigen dicken, schrumpfenden Narben-
strang verschmelzen kann ( Abschn. 35.2.1).
Ist eine Spalthauttransplantation aufgrund eines ersatzschwa-
chen oder ersatzunfähigen Defektgebietes mit exponierter Streck-
sehne und deperiostiertem Knochen nicht möglich, so muss die
Defektdeckung mit einer vaskularisierten Lappenplastik erfolgen. a c
Bei Handrückendefekten mit Kommissurenbeteiligung sollte zu-
erst geprüft werden, ob gefäßgestielte Lappenplastiken aus dem ⊡ Abb. 35.24 Hautinzision bei mehrdimensionalen Defekten des dista-
len Randes der 2.–4. Kommissur und der palmaren Platte in Kombination
Unterarmbereich möglich sind. Bei Handrückendefekten mit
mit ausgedehnten Hohlhand- und proximalen palmaren Fingerdefekten.
Kommissurenbeteiligung sollte wegen des geringeren Spenderde-
a Gezackte Schnittführung im Hohlandbereich, b gezackte Schnittfüh-
fektes bevorzugt die A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach rung im lateralen Fingerbereich, c »Kommissurenblick«’: Im Vollhauttrans-
Penteado bzw. Zancolli und die A.-interossea-anterior-Lappen- plantat müssen zusätzlich Auszipfelungen angelegt werden und in die
plastik nach Hu erwogen werden. Die genannten Lappenplastiken Inzision der Zwischenfingerfalte geschwenkt werden. Die Grenzen der
können entweder als fasziokutane Lappenplastiken oder Faszien- funktionellen Einheit der Zwischenfingerfalte müssen unbedingt respek-
lappenplastiken mit mitteldicker Spalthautdeckung transponiert tiert werden. (Aus Schmit-Neuerburg et al. 2001)
werden. Wegen der größeren distalen Reichweite und der damit
verbundenen besseren Möglichkeit der Kommissurenrekonstruk-
tion sollte die A.-interossea-anterior-Lappenplastik nach Hu der werden. Bei Hohlhanddefekten mit Kommissurenbeteiligung
A.-interossea-posterior-Lappenplastik nach Penteado bzw. Zan- sollte zuerst geprüft werden, ob gefäßgestielte Lappenplastiken
colli vorgezogen werden. Bei zusätzlichen Läsionen im Bereich des aus dem Unterarmbereich einsetzbar sind. Die distal gestielte
dorsalen distalen Unterarmbereiches ist die Versorgung der A.- A.-radialis-Lappenplastik nach Stock stellt wegen des limitierten
interossea-Lappenplastiken nicht mehr sicher gewährleistet, sodass palmaren Schwenkradius der Interossea-Lappenplastiken die ein-
die distal gestielte A.-radialis-Lappenplastik nach Stock das einzig zige Transpositionsmöglichkeit aus dem Unterarmgebiet dar. Soll
mögliche Transponat darstellt. Aufgrund der großen Bedeutung die Palmarfläche mehrerer Finger gleichzeitig mit einem Lappen
der A. ulnaris für die Versorgung der Hand sollte die distal gestielte gedeckt werden, darf die Wundfläche zwischen den Fingern nicht
A.-ulnaris-Lappenplastik nach Guimberteau in diesen Fällen nicht offenbleiben. Um dies zu vermeiden, wird eine iatrogene Syn-
eingesetzt werden. daktylie (⊡ Abb. 35.30) angelegt. Die sekundäre Rekonstruktion
Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich, der Interdigitalräume erfolgt nach den obengenannten Prinzipien
müssen freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken der sukzessiven Auflösung einer partiellen oder kompletten Syn-
angewandt werden. Bezüglich der Auswahl des Transplantates gelten daktylie.
die gleichen Richtlinien wie für die Deckung von Handrückende- Sind lokale Lappenplastiken vom Unterarm nicht möglich, so
fekten einschließlich der MP-Gelenke, des Kommissurenbereiches müssen freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken
und der Dorsalseite der Grundglieder (s. oben). angewandt werden. Bezüglich der Auswahl des Transplantates zur
palmaren Defektdeckung gelten die gleichen Richtlinien wie zur
Mehrdimensionale Defekte des distalen Randes der Deckung von kompletten Hohlhanddefekten einschließlich des
2.–4. Kommissur und der palmaren Platte in Kombination palmaren Kommissuren- und Grundgliedbereiches (s. oben).
mit ausgedehnten Hohlhand- und proximalen palmaren
Fingerdefekten Finger
Bei mehrdimensionalen Defekten im Bereich des distalen Randes Bei der Deckung von Hautdefekten im Fingerbereich können
der 2.–4. Kommissur und der palmaren Platte in Kombination mit Grundglied-(P1-), Mittelglied-(P2-), Endglied-(P3-)Defekte und
ausgedehnten Hohlhand- und proximalen palmaren Fingerdefek- kombinierte Grund-(P1-), Mittel-(P2-) und Endglied-(P3-)Defekte
ten ist primär die Möglichkeit der Vollhauttransplantation zu erwä- unterschieden werden.
gen. Betrifft der Hohlhanddefekt auch den Kommissurenbereich,
so müssen an dem Hauttransplantat zusätzliche Auszipfelungen Grundglieddefekte
geschnitten werden, um sie in die vorher eingelegten Inzisionen Palmare Grundglieddefekte
der Zwischenfingerfalten schwenken und hier das Auftreten von Bei den palmaren Grundglieddefekten ist in der Akutsituation
sekundären Kontrakturen verhindern zu können (⊡ Abb. 35.24). primär zu entscheiden, ob der Defekt mit einer orthotopen Replan-
Ist die Defektdeckung mit einem Vollhauttransplantat nicht tation oder einem heterotopen Gewebetransfer nach dem Gewebe-
möglich, so muss eine vaskularisierte Lappenplastik durchgeführt bankkonzept nach Chase gedeckt werden kann.
952 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

Ist dies nicht möglich, muss als Nächstes geprüft werden, ob der die Möglichkeit einer palmaren Translationslappenplastik nach
Defekt mit einer freien Hauttransplantation verschlossen werden Hueston ( Abschn. 35.2.5) erwogen werden.
kann. Dies ist der Fall, wenn die palmaren Gefäß-Nerven-Struk- Bei partiellen Defekten bis etwa 50% der gesamten funktionel-
turen nicht verletzt sind und die Beugesehnenscheide intakt ist. len Einheit sollte bei proximal gelegenen partiellen Defekten die
Für die Defektdeckung in der Akutsituation wird ein mitteldickes laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell eingesetzt
Spalthauttransplantat gewählt. Wenn möglich, sollte bei Sekundär- werden.
rekonstruktionen ein Vollhauttransplantat eingesetzt werden. Bei ausgedehnten, auf die funktionelle Einheit der dorsalen
Liegt neben dem Hautdefekt auch ein Gefäß-Nerven-Defekt Haut des Grundgliedes beschränkten Defekten sollte primär an
und/oder eine Beugesehnenverletzung und/oder eine Fraktur vor, die Möglichkeit einer neurovaskulären Insellappenplastik von der
so muss der Hautdefekt mit einer vaskularisierten Lappenplastik dorsalen Seite des Grundgliedes des benachbarten Fingers im
gedeckt werden. Sinne eines Fähnchenlappens nach Vilain oder an eine dorsokom-
Bei partiellen Defekten, die etwa ein Drittel der gesamten funk- missurale Lappenplastik nach Dautel gedacht werden. Wegen der
tionelle Einheit des palmaren Grundgliedes betreffen, sollte primär zusätzlichen Immobilisierung eines Nachbarfingers sollte die des-
die Möglichkeit einer palmaren Translationslappenplastik nach epidermialisierte reverse Cross-finger-Lappenplastik nach Pakiam
Hueston ( Abschn. 35.2.5) erwogen werden. Bei partiellen De- nur als Therapie der 3. Wahl eingesetzt werden.
fekten bis etwa 50% der gesamten funktionellen Einheit sollte bei Bei ausgedehnten, über die funktionelle Einheit der dorsalen
proximal gelegenen partiellen Defekten die laterodigitale Transpo- Haut des Grundgliedes hinausgehenden Defekten stellt die distal
sitionslappenplastik nach Bunnell eingesetzt werden, bei distal ge- gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -V-Lappenreihe ( Ab-
legenen Defekten sollte bevorzugt an die laterale Insellappenplastik schn. 35.2.7) die Therapie der 1. Wahl dar. Wegen des geringen
nach Rose gedacht werden ( Abschn. 35.2.6). Spenderdefektes kann die freie mikrovaskuläre venöse Lappenplas-
Ausgedehnte, auf die funktionelle Einheit des palmaren tik nach Yoshimura in mikrochirurgischen Spezialzentren noch
Grundgliedes begrenzte Defekte sollten primär mithilfe der dor- vor der distal gestielten Lappenplastik aus dem Handbereich ein-
salen Cross-finger-Lappenplastik nach Cronin ( Kap. 38) versorgt gesetzt werden.
werden. Vor allem bei mitbestehendem palmarem Arteriendefekt
kommt bevorzugt die freie mikrovaskuläre venöse Lappenplastik
nach Yoshimura in ihrer arteriovenösen Variante mit zusätzlicher Differenzialtherapie bei dorsalen Grundglieddefekten
dorsaler venöser Abflussmöglichkeit in Betracht. der Finger
35 Alle dorsalen Grundglieddefekte
▬ Heterotoper Gewebetransfer aus dem Handbereich
Differenzialtherapie bei palmaren Grundglieddefekten ▬ Spalthauttransplantation
der Finger
▬ Alle palmaren Grundglieddefekte Partielle dorsale Grundglieddefekte
– Heterotoper Gewebetransfer aus dem Handbereich ▬ Dorsale Translationslappenplastik nach Hueston
– Freie Hauttransplantation ▬ Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell
– Akutsituation: Spalthauttransplantation ▬ Desepidermialisierte reverse Cross-finger-Lappenplastik nach
– Sekundärrekonstruktion: Vollhauttransplantation Pakiam
▬ Partielle palmare Grundglieddefekte
– Palmare Translationslappenplastik nach Hueston Ausgedehnte dorsale Grundglieddefekte
– Laterodigitale Transpositionslappenplastik nach Bunnell ▬ Neurovaskuläre Insellappenplastik von der dorsalen Seite des
– Laterale Insellappenplastik nach Rose Grundgliedes des benachbarten Fingers
▬ Ausgedehnte palmare Grundglieddefekte ▬ Dorsokommissurale Lappenplastik nach Dautel
– Dorsale Cross-finger-Lappenplastik nach Cronin ▬ Distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach
– Venöse Lappenplastik nach Yoshimura Hilgenfeldt
▬ Distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-II- bis -IV-Lappen-
reihe
Wegen der aufwendigen Präparation sollten die dorsale Mittelpha- ▬ Venöse Lappenplastik nach Yoshimura
lanx-Insellappenplastik nach Büchler und Frey nur als Therapie
der letzten Wahl erwogen werden.
Die Therapie von Hautdefekten, die das palmare Grundglied Mittelglied-(P2-)Defekte
und die Hohlhand betreffen, erfolgt nach den im Abschnitt »Hohl- Palmare Mittelglieddefekte
hand« aufgeführten Richtlinien. Bei den palmaren Mittelglieddefekten ist primär zu prüfen, ob die
Defektdeckung mit einer freien Hauttransplantation durchgeführt
Dorsale Grundglieddefekte werden kann. Dies ist der Fall, wenn die palmaren Gefäß-Nerven-
Wie bei den palmaren, so ist auch bei allen dorsalen Hautdefekten Strukturen nicht verletzt oder mit gut vaskularisiertem Gewebe
im Grundgliedbereich primär zu prüfen, ob der Defekt mit einem bedeckt sind und die Beugesehnenscheide intakt ist.
mitteldicken Spalthauttransplantat versorgt werden kann. Dies ist Liegt neben dem Hautdefekt auch eine Gefäß-, Nerven- und/
der Fall, wenn das Peritendineum im Bereich der Strecksehnen oder Beugesehnenverletzung und/oder eine Fraktur vor, muss der
intakt ist. Hautdefekt mit einer vaskularisierten Hautlappenplastik gedeckt
Bei zusätzlicher Strecksehnenverletzung oder Fraktur muss der werden. Bei partiellen Defekten, die etwa ein Drittel der gesamten
Defekt mit einer vaskularisierten Lappenplastik gedeckt werden. funktionelle Einheit des palmaren Mittelgliedes betreffen, sollte
Bei partiellen Defekten, die etwa ein Drittel der gesamten funk- primär die Möglichkeit einer palmaren Translationslappenplastik
tionelle Einheit des dorsalen Grundgliedes betreffen, sollte primär nach Hueston ( Abschn. 35.2.5) erwogen werden.
35.1 · Allgemeines
953 35
Für größere partielle Defekte stellt die dorsale Cross-finger- läre venöse Lappenplastik nach Yoshimura bedacht werden. Wegen
Lappenplastik nach Cronin die Therapie der Wahl dar. Wegen des durch die Präparation bedingten großen Spenderdefektes des
des geringen Spenderdefektes und der fehlenden heterodigitalen Gefäß-Nerven-Bündels in der Hohlhand sollte die dorsale Mittel-
Immobilisierung sollte in Spezialzentren die freie mikrovaskuläre phalanx-Insellappenplastik nach Büchler u- Frey nur als Therapie
venöse Lappenplastik nach Yoshimura bevorzugt eingesetzt wer- der letzten Wahl eingesetzt werden.
den. Sind beide palmaren Fingerarterien intakt, kann als Therapie Direkte Fernlappenplastiken und freie mikrovaskuläre Lap-
der 4. Wahl die homodigitale Insellappenplastik mit retrogradem penplastiken – ausgenommen freie mikrovaskuläre venöse Lap-
Fluss nach Oberlin durchgeführt werden. Wegen der aufwendigen penplastiken – stellen für den isolierten Mittelglieddefekt eines
Präparation sollten die laterale Insellappenplastik nach Rose und einzelnen Fingers die Ausnahme dar.
die dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. Frey
nur als Therapie der letzten Wahl erwogen werden.
Direkte Fernlappenplastiken und freie mikrovaskuläre Lap- Differenzialtherapie bei dorsalen Mittelglieddefekten
penplastiken – ausgenommen venöse Lappenplastiken – stellen für der Finger
den isolierten palmaren Mittelglieddefekt eines einzelnen Fingers Alle dorsalen Mittelglieddefekte
die Ausnahme dar. ▬ Heterotoper Gewebetransfer aus dem Handbereich
▬ Spalthauttransplantation

Differenzialtherapie bei palmaren Mittelglieddefekten Partielle dorsale Mittelglieddefekte


der Finger ▬ Dorsale Translationslappenplastik nach Hueston
Alle palmaren Mittelglieddefekte ▬ Distal subkutisgestielte Lappenplastik nach Del Bene
▬ Heterotoper Gewebetransfer aus dem Handbereich ▬ Homodigitale Insellappenplastik mit retrogradem Fluss nach
▬ Freie Hauttransplantation Oberlin
▬ Akutsituation: Spalthauttransplantation
▬ Sekundärrekonstruktion: Vollhauttransplantation Ausgedehnte dorsale Mittelglieddefekte
▬ Distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenplastik nach
Partielle palmare Mittelglieddefekte Hilgenfeldt
▬ Palmare Translationslappenplastik nach Hueston ▬ Distal gestielte A.-metacarpalis-dorsalis-II-Lappenplastik nach
▬ Laterale Insellappenplastik nach Rose Earley u. Milner
▬ Desepidermialisierte reverse Cross-finger-Lappenplastik nach
Ausgedehnte palmare Mittelglieddefekte Pakiam
▬ Dorsale Cross-finger-Lappenplastik nach Cronin ▬ Venöse Lappenplastik nach Yoshimura
▬ Venöse Lappenplastik nach Yoshimura ▬ Dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. Frey
▬ Homodigitale Insellappenplastik mit retrogradem Fluss nach
Oberlin
▬ Dorsale Mittelphalanx-Insellappenplastik nach Büchler u. Frey Endglieddefekte  Kap. 38

Kombinierte Grund-, Mittel- und Endglieddefekte


Dorsale Mittelglieddefekte z Kombinierte palmare Grund-, Mittel- und Endglieddefekte
Wie bei den palmaren Hautdefekten im Mittelgliedbereich ist auch Neben der einfachen Defektdeckung muss bei dieser Gruppe die
bei den dorsalen primär zu prüfen, ob der Defekt mit einem freien Sensibilität im Bereich der Fingerkuppe oder zumindest des do-
mitteldicken Spalthauttransplantat gedeckt werden kann. Dies ist minanten Pulpaanteiles wiederhergestellt werden. Nur in seltenen
der Fall, wenn das Peritendineum der Strecksehne intakt ist. Fällen rechtfertigt das funktionelle Ergebnis den therapeutischen
Bei zusätzlicher Strecksehnenverletzung oder Fraktur muss der Aufwand. Eine Weichteildeckung sollte nur bei ansonsten intak-
Defekt mit einer vaskularisierten Lappenplastik gedeckt werden. tem Finger oder bei polydigitaler Schädigung erfolgen. Abhängig
Bei partiellen Defekten, die etwa ein Drittel der gesamten von der Defekttiefe können verschiedene Therapieverfahren zum
funktionelle Einheit des dorsalen Mittelgliedes betreffen, sollte Einsatz kommen.
primär die Möglichkeit einer palmaren Translationslappenplastik Bei allen Hautdefekten ist als Erstes zu prüfen, ob in der Akut-
nach Hueston ( Abschn. 35.2.5) erwogen werden. Ist diese Lap- situation eine Deckung mithilfe einer orthotopen Replantation
penplastik nicht ausreichend oder möglich, so kommt als Nächstes oder einer heterotopen Gewebetransplantation nach dem Gewebe-
die distal subkutisgestielte Lappenplastik nach Del Bene in Kombi- bankkonzept nach Chase erfolgen kann (⊡ Abb. 35.25).
nation mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat in Frage. Als Wenn dies nicht möglich ist, muss als Nächstes geprüft
Therapie der 3. Wahl kann die homodigitale Insellappenplastik mit werden, ob der Defekt mit einer freien Hauttransplantation ver-
retrogradem Fluss nach Oberlin eingesetzt werden. Eine nächste schlossen werden kann. Dies ist der Fall, wenn die palmaren
Therapiemöglichkeit ist die desepidermialisierte reverse Cross- Gefäß-Nerven-Strukturen nicht verletzt und noch mit gut vas-
finger-Lappenplastik nach Pakiam. kularisiertem Gewebe bedeckt sind und die Beugesehnenscheide
Bei Defekten im Bereich des Mittelgliedes mit Beteiligung intakt ist. Für die Defektdeckung in der Akutsituation wird ein
des dorsalen PIP-Gelenk-Bereiches von Zeige- und Mittelfinger (aus- mitteldickes Spalthauttransplantat gewählt. Wenn möglich, sollte
gedehnte Defekte) sollte primär an die Möglichkeit einer distal bei Sekundärrekonstruktionen ein Vollhauttransplantat einge-
gestielten A.-metacarpalis-dorsalis-I-Lappenreihe bzw. distal ge- setzt werden.
stielten A.-metacarpalis-II- bis -IV-Lappenreihe gedacht werden Liegt neben dem Hautdefekt auch eine Gefäß-, Nerven- und/
( Abschn. 35.2.7). Vor allem bei Defekten, die auch die funktionelle oder Beugesehnenscheidenverletzung und/oder eine Fraktur vor,
Einheit der PIP-Gelenke mitbetreffen, sollte die freie mikrovasku- so muss der Hautdefekt mit einer vaskularisierten Lappenplastik
954 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

⊡ Abb. 35.25 Deckung eines kombinierten pal-


meren Grund-, Mittel- und Endglieddefektes im
Zeigefingerbereich mithilfe der palmaren Haut
des Mittelfingers, der aufgrund seiner Schädi-
gung nicht mehr funktionell rekonstruiert wer-
den kann, im Sinne einer heterotopen Gewebe-
transplantation nach dem Gewebebankkonzept
nach Chase. a Präoperativer Befund und Lap-
penplanung: Die palmare Haut des Mittelfingers
wird als bipedikulär neurovaskulär gestielte Lap-
penplastik gehoben. b Postoperativer Befund:
Eingenähte Lappenplastik im Zeigefingerbe-
reich. Nachamputation des Mittelfingers unter
Erhalt der Grundgliedbasis und Deckung des
Stumpfes mithilfe eines dorsalen Hautlappens.
(Aus Wachsmusth u. Wilhelm 1972) a b

35

a b c d

⊡ Abb. 35.26 Deckung eines kombinierten palmeren Grund-, Mittel- und Endglieddefektes im Zeigefingerbereich mithilfe einer distal gestielten A.-radialis-
Lappenplastik nach Stock. a Klinischer Aspekt vor der 1. Lappenausdünnung, b klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ (Ansicht von palmar): Neben einer
intensiven krankengymnastischen Begleittherapie wird auch eine standardisierte Narbentherapie mit Kompression und Silikonfolie durchgeführt; komplette
Fingerstreckung. c Klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ (Ansicht von lateral): kompletter Faustschluss, d klinischer Aspekt 6 Monate postoperativ (Ansicht
von radiopalmar): Nur die sehr gute Mobilität der beiden ulnaren Fingerstrahlen rechtfertigt das aufwendige Vorgehen

gedeckt werden. Da die Rekonstruktion derartiger Hautdefekte um neben einem guten funktionellen Ergebnis ein möglichst gutes
einen großen therapeutischen Einsatz benötigt, sollte sicherge- ästhetisches Ergebnis zu erzielen, bei der Auswahl der Lappenplas-
stellt sein, dass das funktionelle und das ästhetische Ergebnis den tik vor allem auf die Lappendicke zu achten. Bei dünner subkutaner
Aufwand rechtfertigen. Bei zusätzlicher Schädigung, wie Gelenk- Fettschicht im Oberarmbereich sollte die freie mikrovaskuläre late-
steifigkeit, Sehnendefekten oder Sensibilitätsstörungen, sollte im- rale Oberarm-Faszienlappenplastik nach Song ( Abschn. 35.2.12)
mer an die Möglichkeit der Fingerstrahlresektion mit eventueller gewählt werden. Bei dicker subkutaner Oberarmfettschicht stellt
Strahltransposition gedacht werden. die A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith, kombiniert
Liegen keine zusätzlichen Schädigungen im Bereich des betrof- mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat, die nächste in Frage
fenen Fingers vor, so stellt die distal gestielte A.-radialis-Lappen- kommende Therapiemöglichkeit dar. Schließlich kann auch die
plastik nach Stock die Therapie der Wahl dar (⊡ Abb. 35.26). freie mikrovaskuläre kontralaterale A.-radialis-Faszienlappenplas-
Bestehen Kontraindikationen für die A.-radialis-Lappenplas- tik nach Yang kombiniert mit einem mitteldicken Spalthauttrans-
tik, muss als nächste Therapiemöglichkeit eine Fernlappenplastik plantat, eingesetzt werden.
gewählt werden. Um die Beweglichkeit im Handbereich möglichst Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich oder
wenig zu beeinträchtigen, sollte zunächst die Möglichkeit einer erwünscht, so stellt die gestielte laterale Cross-arm-Lappenplastik
freien mikrovaskulären Lappenplastik bedacht werden. Dabei ist, nach McCash in der Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Jan-
35.1 · Allgemeines
955 35
vier die Therapie der Wahl dar. Reicht der Defekt proximal über chen Richtlinien wie die palmare Defektdeckung in diesem Bereich
die MP-Gelenke hinaus, so kann mit der lateralen Cross-arm-Lap- ( Differenzialtherapie bei kombinierten Grund-, Mittel- und Endglied-
penplastik keine ausreichende Weichteildeckung erreicht werden. defekten der Finger).
In diesen Fällen ist die Bauchhautlappenplastik nach Zoltan oder
die Leistenlappenplastik nach McGregor indiziert. Beide letztge- z Kombinierte palmare und dorsale Grund-, Mittel- und End-
nannten Lappenplastiken sollten in der Lambeau-greffe-Technik glieddefekte
nach Colson u. Janvier angewandt werden. Partielle oder komplette, kombinierte palmare und dorsale Grund-,
Die Rekonstruktion im Bereich der Fingerkuppe erfolgt nach Mittel- und Endglieddefekte im Fingerbereich sind meist Folge
den gleichen Richtlinien wie für die Deckung der schräg nach einer Avulsionsverletzung vom Ringfingertyp oder eines Verbren-
palmar verlaufenden Endglieddefekte der Zone 4 ( Kap. 38), wo- nungs- bzw. Verbrühungstraumas. Neben der einfachen Defekt-
bei wegen der bestehenden palmaren Schädigung die homodigi- deckung sollte in dieser Gruppe wiederum die Sensibilität im
tale Insellappenplastik mit retrogradem Fluss nach Oberlin und Kuppenbereich hergestellt werden.
wegen der Gefahr der Gelenkeinsteifung sowie der schlechten Im Gegensatz zum Daumen sollte im Fingerbereich nur dann
Sensibilität die Thenar-Lappenplastik nach Gatewood nicht einge- eine Rekonstruktion erwogen werden, wenn Aussicht auf eine be-
setzt werden sollten. friedigende funktionelle und ästhetische Wiederherstellung besteht
oder wenn der geschädigte Finger für die globale Handfunktion
wichtig ist, wie z. B. bei polydigitaler Schädigung.
Differenzialtherapie bei kombinierten Grund-, Mittel- In jedem Fall muss bei einer Avulsionsverletzung eine Re-
und Endglieddefekten der Finger plantation erwogen werden. Wegen der lokalen Gefäßschädigung
Zusätzliche Schädigung im Fingerbereich hat sich der Einsatz von langen Veneninterponaten bewährt
▬ Strahlamputation (mit anschließender Strahltransposition) ( Kap. 39).
Ist eine Replantation nicht möglich, so sollte die Strahlresek-
Keine zusätzliche Schädigung im Fingerbereich tion mit eventueller Transposition des 2. oder 5. Strahles erfol-
▬ Primäre Grund-, Mittel- und Endgliedrekonstruktion gen. Nur in Ausnahmesituationen erfolgt die Rekonstruktion des
– Mikrochirurgische Rekonstruktion (orthotop, heterotop) Hautmantels. Diese wird nach den Richtlinien zur Rekonstruktion
– Freie Hauttransplantation palmarer und dorsaler Defekte im Grund-, Mittel- und Endglied-
– Distal gestielte A.-radialis-(Faszien-)Lappenplastik nach bereich ( Differenzialtherapie bei kombinierten Grund-, Mittel- und
Stock (+ Spalthaut) Endglieddefekten der Finger) durchgeführt.
– Freie mikrovaskuläre laterale Oberarm-(Faszien-)Lappen-
plastik nach Song (+ Spalthaut) Polyregionale Defekte
– A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith + Spalt- Als polydigitale Hautdefekte werden alle Defekte bezeichnet, die
haut mindestens 2 Finger und ggf. Anteile der palmaren und/oder der
– Freie mikrovaskuläre kontralaterale A. radialis-Faszien- dorsalen Handflächen betreffen.
lappenplastik nach Yang + Spalthaut Bei der Therapie werden Defekte im Daumenbereich und De-
– Laterale Cross-arm-Lappenplastik nach McCash (Lambeau- fekte im Fingerbereich getrennt betrachtet und behandelt.
greffe-Technik nach Colson u. Janvier) Hautdefekte im Daumenbereich werden nach den Richtlinien
– Bauchhautlappenplastik nach Zoltan-(Lambeau-greffe- der Differenzialtherapie bei kombinierten Grundglied- und End-
Technik nach Colson u. Janvier) glieddefekten des Daumens (s. oben) behandelt.
– Leistenlappenplastik nach McGregor-(Lambeau-greffe- Aufgrund klinischer Erfahrung hat sich für die polyreginalen
Technik nach Colson u. Janvier) Hautdefekte im Handbereich eine Klassifikation in folgende Unter-
▬ Sekundäre Pulparekonstruktion gruppen bewährt:
– Neurovaskuläre Pulpalappenplastik nach Buncke u.Rose
– Heterodigitale Insellappenplastik nach Littler
– Mikrochirurgisch resensibilisierte Cross-finger-Lappen- Klassifikation der polyregionalen Defekte im Hand-
plastik nach Berger u. Meissl bereich
– Dorsale Cross-finger-Lappenplastik nach Cronin ▬ Einfache palmare oder dorsale polydigitale Fingerdefekte
▬ Kombinierte palmare oder dorsale Hand- und Fingerdefekte
▬ Komplexe palmare und dorsale Hand- und Fingerdefekte
z Kombinierte dorsale Grund-, Mittel- und Endglieddefekte
Bei dorsalen Hautdefekten, die Grund-, Mittel- und Endglied
gleichzeitig betreffen, ist wiederum als Erstes zu entscheiden, ob Einfache palmare oder dorsale polydigitale Fingerdefekte
eine Deckung in der Akutsituation mithilfe einer orthotopen Re- Bei komplexen Handverletzungen sollte immer an die Möglichkeit
plantation oder einer heterotopen Gewebetransplantation nach der Defektdeckung mithilfe des Hautmantels eines oder mehrerer
dem Gewebebankkonzept nach Chase erfolgen kann. nicht mehr zu rekonstruierender Finger im Sinne des Gewebe-
Ist dies nicht möglich, so muss als Nächstes geprüft werden, bankkonzeptes nach Chase gedacht werden. Die mikrochirurgi-
ob der Defekt mit einem mitteldicken Spalthauttransplantat ver- sche Rekonstruktion ist nur in Ausnahmefällen möglich.
schlossen werden kann. Dies ist der Fall, wenn das Peritendineum Bei Weichteildefekten, die Palmar- oder Dorsalflächen mehre-
im Bereich des Strecksehnenansatzes intakt ist. Bei zusätzlicher rer Finger betreffen, muss zuerst geprüft werden, ob der Defekt mit
Strecksehnenverletzung oder Fraktur muss der Defekt mit einer einem Voll- oder Spalthauttransplantat funktionell befriedigend
vaskularisierten Lappenplastik gedeckt werden. gedeckt werden kann. Sind keine besonders wichtigen Strukturen,
Eine Nagelkomplexrekonstruktion im Fingerbereich stellt eine wie Gefäße, Nerven und Sehnen, exponiert und besteht ein ersatz-
Ausnahme dar. Die dorsale Defektdeckung erfolgt nach den glei- starkes Lager, so reicht in der Akutsituation eine Spalthauttrans-
956 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

plantation sowohl für die Palmar- als auch für die Dorsalseite aus. chen Wert, da die Züchtung eines spalthautfähigen Wundgrundes
Bei sekundären Defektdeckungen, z. B. nach Narbenexzision, sollte bzw. eine wundbettverbessernde Eigenschaft durch die negative
auf der mechanisch höher beanspruchten Palmarseite der Finger topische Drucktherapie in gleicher Weise, aber ohne zusätzlichen
ein Vollhauttransplantat eingesetzt werden. Spenderdefekt, erreicht wird.
Ist eine freie Hauttransplantation nicht möglich, so ist eine
Defektdeckung mithilfe von Nah- oder Fernlappenplastiken er-
forderlich. Dazu muss geprüft werden, ob eine Deckung ohne Bil- Differenzialtherapie bei einfachen palmaren oder
dung einer iatrogenen Syndaktylie möglich ist. Vor allem dorsale dorsalen polydigitalen Hautdefekten und kombinierte
polydigitale Defekte im Grundgliedbereich können individuell für palmare oder dorsale Handflächen- und Fingerdefekte
jeden Finger nach denselben Therapierichtlinien wie monodigitale ▬ (Cheiroplastik)
Defekte ( Differenzialtherapie bei kombinierten Grund-, Mittel- und ▬ (Mikrochirurgische Rekonstruktion [orthotop, heterotop])
Endglieddefekten der Finger) versorgt werden. ▬ Vakuumversiegelung
Ist die polydigitale Defektdeckung an den Fingern nur mit ▬ Freie Hauttransplantation (Spalthaut, Vollhaut)
Bildung einer iatrogenen Syndaktylie zu erreichen, so sollte als ▬ Multiple Cross-finger-Lappenplastiken
Nächstes geprüft werden, ob dazu eine oder mehrere Lappenplas- ▬ Distal gestielte A.-radialis-Faszienlappenplastik nach
tiken notwendig sind. Polydigitale palmare Defekte von Grund- Stock
oder Mittelglied sind häufig durch mehrere dorsale Cross-fin- ▬ Freie mikrovaskuläre A.-temporalis-Faszienlappenplastik
ger-Lappenplastiken vom Nachbarfinger zu decken. Ist aber die nach Smith (+ Hauttransplantation)
polydigitale Defektdeckung nur durch eine größere Lappenplastik ▬ Thorakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch u. Helaly
unter Bildung einer iatrogenen Syndaktylie möglich, so können (+ Hauttransplantation)
nicht defektangrenzende Lappenplastiken aus dem Unterarmbe- ▬ Freie mikrovaskuläre A.-radialis-Faszienlappenplastik nach
reich bzw. freie mikrovaskuläre oder gestielte Fernlappenplastiken Yang (+ Hauttransplantation)
eingesetzt werden. Um eine Immobilisation nicht betroffener Ext- ▬ Laterale fasziokutane Oberarmlappenplastik nach Song
remitätenabschnitte zu vermeiden, sollte als Erstes die Möglichkeit ▬ Freie mikrovaskuläre kontralaterale A.-radialis-Lappenplastik
einer distal gestielten A.-radialis-Lappenplastik nach Stock geprüft nach Yang
werden. Zur Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses hat sich ▬ Freie mikrovaskuläre Lappenplastik aus dem Subscapularis-
insbesondere für die dorsalen Fingerflächen die distal gestielte A.- Gebiet (»Mega-flap« nach Hayden)
35 radialis-Faszienlappenplastik in Kombination mit einer Spalthaut- ▬ Cross-arm-Lappenplastik nach McCash (Lambeau-greffe-
transplantation bewährt. Technik nach Colson u. Janvier)
Für die mechanisch stärker beanspruchten palmaren Fingerbe- ▬ Leistenlappenplastik nach McGregor (Lambeau-greffe-Tech-
reiche sollte ein fasziokutaner Lappentyp, eventuell mit sekundärer nik nach Colson u. Janvier)
Lappenausdünnung, gewählt werden (⊡ Abb. 35.27). ▬ Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Lambeau-greffe-Tech-
Wegen der Gefahr der Beeinträchtigung des N. ulnaris sollte nik nach Colson u. Janvier)
die distal gestielte A. ulnaris-Lappenplastik nach Guimberteau
nicht mehr angewandt werden. Ist die distal gestielte A.-radia-
lis-Lappenplastik nicht einsetzbar, so kann eine Defektdeckung Kombinierte palmare oder dorsale Handflächen- und
nur durch gestielte Fernlappenplastiken oder freie mikrovaskuläre Fingerdefekte
Lappenplastiken erfolgen. Zur Vermeidung einer längeren post- Für kombinierte palmare oder dorsale Handflächen- und Fingerde-
operativen Immobilisation mit sekundärer Gelenkeinsteifung und fekte gelten weitgehend die gleichen Richtlinien wie für die einfa-
Notwendigkeit einer zweiten Operation ist einer freien mikrovas- chen palmaren oder dorsalen polydigitalen Hautdefekte (s. oben).
kulären Lappenplastik der Vorzug zu geben. Für die Dorsalseite hat Da die versorgenden Gefäße der distal gestielten Metakar-
sich eine freie mikrovaskuläre Faszienlappenplastik, kombiniert mit pallappenplastiken meist im Defektbereich liegen, sollten diese
einem mitteldicken Spalthauttransplantat, bewährt. Dazu bieten Lappenplastiken gemieden werden. Für die Rekonstruktion der
sich die A.-temporalis-Faszienlappenplastik nach Smith, die tho- Zwischenfingerfalten ist besondere Sorgfalt aufzuwenden. Der
rakodorsale Faszienlappenplastik nach Wintsch u. Helaly und die häufigste Fehler liegt dabei in der Fehleinschätzung der Größe
freie mikrovaskuläre A.-radialis-Faszienlappenplastik nach Yang der zu bedeckenden Hautfläche im Kommissurenbereich. Die Be-
an. Auf der Palmarseite sind fasziokutane Lappenplastiken, wie die stimmung der Lappenbreite muss bei gestreckten MP-Gelenken
laterale Oberarmlappenplastik nach Song ( Abschn. 35.2.12) und erfolgen, die Festlegung der ausreichenden Lappenlänge bei kom-
die freie mikrovaskuläre kontralaterale A.-radialis-Lappenplastik plettem Faustschluss.
nach Yang, zu empfehlen. Um eine Immobilisation nicht betroffener Extremitätenab-
Ist eine freie mikrovaskuläre Lappenplastik nicht möglich oder schnitte zu vermeiden, sollte als Erstes die Möglichkeit einer distal
sinnvoll, stellt die Cross-arm-Lappenplastik nach McCash in der gestielten A.-radialis-Lappenplastik nach Stock geprüft werden. Zur
Lambeau-greffe-Modifikation nach Colson u. Janvier die Therapie Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses hat sich insbesondere
der Wahl dar. Um einer besonderen Exposition der Spenderstelle für die dorsalen Fingerflächen die distal gestielte A.-radialis-Faszi-
auszuweichen, hat sich die Bauchhautlappenplastik nach Zoltan enlappenplastik in Kombination mit einer Spalthauttransplantation
bewährt. Hierzu sind zwei unterschiedliche Vorgehensweisen mög- bewährt. Für die mechanisch stärker beanspruchten palmaren
lich: Im palmaren Fingerbereich vermeidet die Bauchhautlappen- Fingerbereiche sollte ein fasziokutaner Lappentyp, eventuell mit
plastik in der Lambeau-greffe-Technik nach Colson u. Janvier eine sekundärer Lappenausdünnung, gewählt werden (⊡ Abb. 35.27).
voluminöse Weichteildeckung. Wegen der Größe des zu deckenden Defektes kann auch an
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit der Vakuumversie- eine Leistenlappenplastik nach McGregor, an eine mikrovaskuläre
gelung nach Fleischmann haben die Muff-Plastik nach Marino Mehrkomponenten-Lappenplastik aus dem A.-subscapularis-Ge-
und das Crane-flap-Prinzip nach Millard nur noch geschichtli- biet (⊡ Abb. 35.11) gedacht werden.
35.1 · Allgemeines
957 35

a b c d

e f h

i j k l

⊡ Abb. 35.27 Deckung eines ausgedehnten palmaren Defektes im Bereich der Hohlhand und des 2.–4. Fingers nach Decollement-Verletzung mithilfe einer
distal gestielten A.-radialis-Lappenplastik nach Stock in Kombination mit einer Spalthauttransplantation im Bereich der dorsalen Fingerdefekte. a Postoperativer
Befund: Ansicht von dorsal, b postoperativer Befund: Ansicht von palmar, c Trennung der iatrogenen Syndaktylie zwischen Zeigefinger und Mittelfinger: intraope-
rativer Aspekt, d Trennung der iatrogenen Syndaktylie zwischen Zeigefinger und Mittelfinger: klinischer Aspekt nach 6 Monaten, Ansicht von palmar, e Trennung
der iatrogenen Syndaktylie zwischen Mittelfinger und Ringfinger, Ansicht von palmar: Planung der Hautinzision, f Trennung der iatrogenen Syndaktylie zwischen
Mittelfinger und Ringfinger, Ansicht von dorsal: Planung der Hautinzision, g Trennung der iatrogenen Syndaktylie zwischen Mittelfinger und Ringfinger, Ansicht
von frontal: Planung der Hautinzision nach Buck-Gramcko, h Trennung der iatrogenen Syndaktylie zwischen Mittelfinger und Ringfinger, Ansicht von fronal: Zu-
stand nach Fingertrennung und Einnähung der Hautlappen, i Trennung der iatrogenen Syndaktylie zwischen Mittelfinger und Ringfinger, Ansicht des Ringfingers
von lateral: Zustand nach Fingertrennung und Einnähung der Hautlappen. Die Restdefekte werden mit Vollhauttransplantaten gedeckt. j Postoperatives Ergeb-
nis 1 Jahr nach Syndaktylietrennung, Ansicht von dorsal: komplette Fingerstreckung, k postoperatives Ergebnis 1 Jahr nach Syndaktylietrennung, Ansicht von
palmar: komplette Fingerstreckung, l postoperatives Ergebnis 1 Jahr nach Syndaktylietrennung, Ansicht von palmar: komplette Fingerbeugung
958 Kapitel 35 · Deckung vom Weichteil- und kombinierten Knochen-Weichteil-Defekten im Handbereich

Kombinierte palmare und dorsale Handflächen- und trakturen im Bereich der verletzten Extremität durch
Fingerdefekte postoperative Immobilisation zu erwarten sind, oder
Weitgehender oder kompletter Verlust der Haut im Handbereich eine direkte Fernlappenplastik angewandt werden.
ist meist durch Verbrennungen, Verbrühungen oder Avulsions- Als Therapie der 2. Wahl kann eine freie mirko-
verletzungen verursacht, wobei das Skelettsystem und die Sehnen vaskuläre Transplantation des Omentum majus als
häufig erhalten bleiben. Dementsprechend sind die Möglichkeiten Carrier für ein Spalthauttransplantat erfolgen. Der
der Weichteildeckung stark limitiert, funktionelle und ästhetische Spenderdefekt durch die notwendige Laparotomie
Ergebnisse unbefriedigend. Da jedoch auch bei diesen Handver- muss beachtet werden. Alternativ kann bereits in
letzungen immer noch mehr Funktion erhalten werden kann, als der Akutsituation die Hautdefektdeckung mit einer
jede heute erwerbbare Prothese bietet, ist eine Rekonstruktion auf paarigen Bauchhautlappenplastik nach Miura u. Na-
jeden Fall anzustreben. Folgende Grundprinzipien haben sich bei kamura oder einer kombinierten Lappenplastik aus
der Versorgung der kompletten Degloving-Verletzung der Hand dem lateralen Oberschenkelbereich – für die Finger
bewährt: – und aus dem Leistenbereich – für den Daumen
1. Adäquates Débridement am Unfalltag: Im Fingerbereich – erfolgen. Nach 10–14 Tagen kann mit dem Lap-
werden die denudierten Endglieder amputiert. Die Ge- pentraining begonnen werden, die Durchtrennung
lenkkapseln (v. a. MP-Gelenkkapsel der Finger) müssen kann nach 4–5 Wochen erfolgen. Wird die Hand mit
als »sensible Ersatzorgane« erhalten bleiben. Temporärer einer Bauchhautlappenplastik nach Zoltan gedeckt,
Verband mithilfe künstlicher Hautersatzstoffe (z. B. Epigard, so kann nach 10–14 Tagen die Lappenumschneidung
⊡ Abb. 35.28b) oder besser einer Vakuumversiegelung nach beginnen. Nach den notwendigen lappenvorberei-
Fleischmann. tenden Operationen kann etwa 6 Wochen später ein
2. Bestmögliche Versorgung des 1. Strahls ( Differenzialtherapie »random pattern flap« gehoben und der Handdefekt
bei kombinierten palmaren und dorsalen Grund- und Endgliedde- gedeckt werden. Bei dieser Vorgehensweise besteht
fekten des Daumens »Ringfingertypverletzung«), wenn immer allerdings die Gefahr von Einsteifungen aller Ge-
möglich unter Verwendung eines freien mikrochirurgischen lenke der betroffenen Extremität. Durch keine der
Transplantats aus dem Großzehenbereich (⊡ Abb. 35.28). genannten Vorgehensweisen wird die Sensibilität im
3. Geplanter »second look« nach 24–48 h: Die Durchblutung im Handbereich wiederhergestellt.
Fingerbereich bestimmt dabei das weitere rekonstruktive Vor- 4. Zur Verbesserung der Weichteilsituation im palmaren und/
35 gehen (s. unten): oder dorsalen Handbereich können weitere rekonstruktive
a) Liegt eine ausreichende Durchblutung der distalen Fin- Operationen entsprechend den Bedürfnissen des Patienten
geranteile sowohl der Endphalangen als auch der Sehnen nach den oben beschriebenen Prinzipien geplant werden.
vor, so kann eine möglichst einfache Form des Hautersat- 5. Um das ästhetische Ergebnis zu verbessern, kann eine äs-
zes gewählt werden. Besteht ein intaktes Peritendineum, so thetische oder passive Handprothese rezeptiert werden
reicht in der Akutsituation sowohl für die Palmar- als auch (⊡ Abb. 35.28l).
für die Dorsalseite ein mitteldickes Spalthauttransplantat
aus.
b) Liegt keine ausreichende Durchblutung vor, bestehen zwei Differenzialtherapie bei kombinierten palmaren
Möglichkeiten: und dorsalen Handflächen- und Fingerdefekten im
1. Erneutes Débridement »bis auf blutendes Gewebe« Fingerbereich
und erneut eine Vakuumversiegelung anbringen. Es ▬ Ausreichende Durchblutung
kann 2–3 Wochen dauern, bis genügend spalthautfä- – Vakuumversiegelung nach Fleischmann → Spalthaut-
higes Granulationsgewebe gezüchtet wurde, um eine transplantation
mitteldickes Spalthauttransplantat erfolgreich zur – (→ Sekundärrekonstruktion entsprechend den Bedürfnis-
Einheilung zu bringen. Bis zur kompletten Deckung sen des Patienten)
können mehrere Nachoperationen notwendig sein. ▬ Ungenügende Durchblutung
2. Durchführung einer freien mikrovaskulären Lap- – Freie mikrovaskuläre Mega-flap-Lappenplastik aus dem
penplastik oder gestielten Fernlappenplastik zur Subskapularisgebiet nach Hayden
Deckung des Defektes im Fingerbereich. Zur Er- – Freie mikrovaskuläre Omentum-majus-Lappenplastik nach
haltung der Fingerlänge sind mehrere gleichwertige Kiricuta
Vorgehensweisen möglich. Da zur Lappenausdün- – Paarige Bauchhautlappenplastik nach Miura und Naka-
nung mehrere Eingriffe unvermeidlich sind, müssen mura
Aufwand und Risiko mit dem Patienten genau be- – Kombinierte Lappenplastik aus dem lateralen Oberschen-
sprochen werden, vor allem auch im Hinblick auf das kel- und Leistenbereich
nicht selten funktionell und ästhetisch bescheidene – Bauchhautlappenplastik nach Zoltan (Crane-flap-Technik
Ergebnis. Bei komplettem Weichteilverlust im Hand- nach Millard)
bereich ist die A.-subscapularis-Mega-Lappenplastik – (→ Sekundärrekonstruktion entsprechend den Bedürfnis-
nach Hayden die Methode der Wahl. Damit können sen des Patienten)
Hand- und Fingerrücken durch einen Faszienlap-
penanteil, die Hohlhand durch einen fasziokutanen
Lappenanteil gedeckt werden. Bei palmaren Finger- Kombinierter Weichteil-Knochen-Defekt (Typ D)
defekten kann nach den oben beschriebenen Richt- Eine optimale Knochendefektedeckung kann nur dann erzielt wer-
linien entweder eine zweite freie mikrovaskuläre den, wenn sowohl Rekonstruktionszeitpunkt als auch Rekonstruk-
Lappenplastik, bei der keine sekundären Gelen

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