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Prävention
von Thrombosen
und Embolien
in der Inneren
Medizin
Möglichkeiten und Vorzüge
von niedermolekularen Heparinen
123
Sylvia Haas
Professor, Dr. med.
Institut für Experimentelle Onkologie
und Therapieforschung
Ismaninger Str. 22
81675 München
sylvia.haas@lrz.tum.de
ISBN 3-540-22563-3
Springer Medizin Verlag Heidelberg
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SPIN 11306450
Druck: abcdruck GmbH, Heidelberg
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
20 Thromboseprophylaxe
bei Schlaganfallpatienten . . . . . . . . . . . 119
VII
Inhaltsverzeichnis
27 Therapiealgorithmen . . . . . . . . . . . . . . . 147
Mitarbeiterverzeichnis
Herausgeber
Haas, Sylvia
Professor, Dr. med.
Institut für Experimentelle Onkologie
und Therapieforschung
Ismaninger Str. 22
81675 München
sylvia.haas@lrz.tum.de
Beitragsautoren
Die tiefe Beinvenenthrombose beginnt in der Regel in den distalen Venen der Unterschen-
kel, von dort kann sie in die proximalen Venen der Oberschenkel aufsteigen und unter
Umständen eine Lungenembolie verursachen (Kearon 2003). Jedes dieser möglichen Sta-
dien kann symptomatisch oder asymptomatisch verlaufen, abhängig von dem Ausmaß
der Thrombose, der Ausbildung von Kollateralgefäßen und der Stärke des begleitenden
Gefäßverschlusses bzw. der Entzündungsreaktion. Die tiefe Beinvenenthrombose tritt
häufig als Komplikation bei stationären Aufenthalten auf, kann aber auch bei Patien-
ten außerhalb des Krankenhauses oder bei ansonsten gesunden Menschen vorkommen
(Lensing et al. 1999). Die tiefe Beinvenenthrombose und die Lungenembolie werden
als venöse thromboembolische Ereignisse (»venous thromboembolism«) zusammen-
gefasst.
Inzidenzraten
tomographie gesicherte Diagnose. ⊡ Tabelle 1.1 fasst die einzelnen Studien zu den Inzidenz-
raten einschließlich der verwendeten diagnostischen Methoden zusammen.
Anderson et al. (1991) ermittelten in ihrer bevölkerungsbasierten Untersuchung in
Worcester/USA mithilfe von Entlassungsdiagnosen die alters- und geschlechtsadjustierte
Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose und der Lungenembolie (107 pro 100.000) und
rechneten dann die Fälle für die USA hoch. Dabei ergaben sich für das Jahr 1986 für die
USA 257.972 venöse thromboembolische Ereignisse mit Krankenhausaufenthalt, davon
waren 171.178 erstmalige Episoden (115.726 tiefe Beinvenenthrombose, 55.452 Lungenem-
bolie). In der Untersuchung von Anderson et al. ergab sich ein exponentieller Anstieg der
Inzidenz der venösen thromboembolischen Ereignisse mit zunehmendem Alter sowohl bei
Männern als auch bei Frauen (⊡ Abb. 1.1).
Das relative Risiko für ein venöses thromboembolisches Ereignis betrug pro 10-Jahres-
Anstieg des Lebensalters 1,9. Der Anstieg der Inzidenz mit zunehmendem Lebensalter wird
konsistent in der Literatur beschrieben (White 2003). In der Untersuchung von Anderson
et al. (1991) fand sich ein erhöhtes Risiko eines venösen thromboembolischen Ereignisses
für Männer im Vergleich zu Frauen, mit einem relativen Risiko von 1,4. In der Übersichts-
arbeit von White (2003) konnte kein eindeutiger Unterschied in der Inzidenz zwischen
Männern und Frauen in der Literatur gefunden werden.
600
Männer
Frauen
500
400
Inzidenz pro 100 000
300
200
100
0
5 15 25 35 45 55 65 75 >80
Alter (Jahre)
⊡ Abb. 1.1. Inzidenzraten von klinisch diagnostizierten venösen thromboembolischen Ereignissen pro 100.000
Einwohner nach Altersgruppen und getrennt für Männer und Frauen. (Mod. nach Anderson et al. 1991)
1
4
⊡ Tabelle 1.1. Inzidenzraten in unterschiedlichen Populationen von venösen thromboembolischen Ereignissen (VTE), d. h. Lungenembolie (LE) und tiefe Beinvenenthrombose
(TVT) kombiniert
Anderson et 1985–1986 Patienten mit TVT und/ Krankenhausbasiert Erstmalig TVT: Alters- und geschlechtsadjustiert:
al. 1991 oder LE (alle Altersgrup- Querschnittsstudie Rezidiv Phlebographie: 67% TVT/LE: 107/100.000
pen) Plethysmographie: 37% Erstmalige Episode:
Worcester, USA (16 Kli- Ultraschall: 5% TVT: 48/100.000
niken) LE: LE: 23/100.000
Angiographie: 13% Letalität LE: 12%
Perfusionsszintigraphie: 48%
Silverstein et 1966–2000 Patienten mit TVT und/ Krankenhausbasiert Erstmalig TVT: Alter- und geschlechtsadjustiert:
al. 1998 oder LE (alle Altersgrup- Querschnittsstudie Definitiv: 38% Erstmalige Episode:
pen) Wahrscheinlich: 8% TVT/LE: 117/100.000
Olmsted County, USA Möglich: 54% TVT: 48/100.000
LE+/- TVT: LE +/- TVT: 69/100.000
Definitiv: 48%
Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
Wahrscheinlich: 18%
Möglich: 34%
Kniffin et al. 1986–1989 Patienten mit TVT und/ Medicare-Mitglieder Erstmalig ICD-Codes für TVT oder LE 65–69 Jahre:
1994 oder LE (>65 Jahre) 5% Stichprobe Keine weiteren Angaben TVT: 180/100.000
USA Kohortenstudie LE: 130/100.000
Krankenhaus- oder 85–89 Jahre:
Ambulanzdiagnose TVT: 310/100.000
LE: 280/100.000
Letalität: LE 21%, TVT 3%
⊡ Tabelle 1.1. Fortsetzung
Tsai et al. 1987–1993 Patienten mit TVT und/ Bevölkerungsbasiert Erstmalig TVT: definitiv und wahr- ARICa Studie:
2002 oder LE (ARICa: 45-64; Zwei Kohorten: scheinlich TVT/LE: 110/100.000 Personenjahre
CHSb ≥65 Jahre) ARICa/CHSb Studien LE: definitiv CHSb Studie:
USA Krankenhausakten TVT/LE: 280/100.000 Personenjahre
Hansson et al. 1963–1993 Patienten mit TVT und/ Bevölkerungsbasiert Erstmalig Entlassungsdiagnosen Erstmalig:
1997 oder LE (Männer, 50–80 Kohortenstudie Rezidiv Totenscheine TVT: 138/100.000
Jahre) TVT: Phlebographie Nichttödliche LE 67/100.000
Göteborg, Schweden LE: Perfusionsszintigraphie Tödliche LE: 105/100.000
Erstmalig + Revidiv:
TVT: 182/100.000
Nichttödliche LE: 98/100.000
Tödliche LE: 107/100.000
Kapitel 1 · Gesamtzahl von Thrombosen und Embolien
Nordstrom et 1987 Patienten mit TVT (alle Krankenhausbasiert Erstmalig Phlebographie TVT:
al. 1992 Altersgruppen) Querschnittsstudie Rezidiv Männer: 155/100.000
Malmö, Schweden Frauen: 162/100.000
White et al. 1991–1994 Patienten mit TVT (> 8 Krankenhausbasiert Erstmalig Entlassungdiagnosen Alters- und geschlechtsadjustiert:
1998 Jahre) Querschnittsstudie idiopathi- Antikoagulation als Therapie Idiopathische TVTc:
5
aARIC
Atherosclerosis Risk in Communities, bCHS Cardiovascular Health Study, ICD International Classification of Diseases
cIdiopathische
Diagnose: Diagnose einer TVT mit mindestens drei Tagen Krankenhausaufenthalt ohne Tumorerkrankung oder Krankenhausaufenthalt in den letzten sechs Monaten
1
6 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
Zeitliche Trends
1
Die Inzidenz der Lungenembolie scheint insgesamt abzunehmen, wie eine Untersuchung
von Silverstein et al. (1998) ergab. In einer bevölkerungsbasierten retrospektiven Studie in
Olmsted County, Minnesota/USA, wurden die medizinischen Akten aller Patienten unter-
sucht, die in den 25 Jahren zwischen 1966 und 1990 entweder eine tiefe Beinvenenthrombo-
se oder eine Lungenembolie hatten. Die Inzidenz der Lungenembolie war in den letzten 15
Jahren etwa 45% niedriger als im Zeitraum davor. Dies galt sowohl für Männer als auch für
Frauen und in allen Altersgruppen. Im Gegensatz dazu blieb die Inzidenz der tiefen Bein-
venenthrombose bei Männern konstant, nahm bei Frauen, die jünger als 55 Jahre waren,
ab, und bei Frauen, die älter als 60 Jahre waren, zu.
⊡ Abbildung 1.2 zeigt die alters- und geschlechtsadjustierten Inzidenzraten venöser
thromboembolischer Ereignisse in den Jahren zwischen 1966 und 1990. Allerdings nahmen
im Zeitraum zwischen 1966 und 2000 auch die Autopsieraten ab, von 50–60% der Todes-
fälle in den 60er-Jahren auf 30–35% in den letzten Jahren. Hier lässt sich ein Rückgang in
der vollständigen Erfassung der durch venöse thromboembolische Ereignisse bedingten
Todesfälle nicht ausschließen. Kahn et al. (2004) kamen in ihrer Übersichtsarbeit dagegen
zur Schlussfolgerung, dass die jährliche Inzidenz venöser thromboembolischer Ereignisse
in den letzten Jahren nicht abgenommen hätte.
200
Inz ide nz pro 100 000
150
100
50
Chirurgie
Bei Patienten, die operativ versorgt werden, ist das Risiko eines venösen thromboemboli-
schen Ereignisses unterschiedlich hoch (⊡ Tabelle 2.1 und 2.2; Nicolaides et al. 2001). Es liegt
bei chirurgischen Patienten ohne medikamentöse Thromboseprophylaxe zwischen 9% bei
der transurethralen Prostatektomie und 51% beim elektiven Hüftgelenkersatz für eine tiefe
Beinvenenthrombose (⊡ Tabelle 2.1). In den ersten zwei Wochen nach der Operation ist das
Risiko am höchsten und bleibt während der folgenden zwei bis drei Monaten weiterhin
erhöht (Kearon 2003). Das Auftreten der postoperativen venösen thromboembolischen
Ereignisse hängt von der Art der Chirurgie ab, z. B. ist das Risiko nach einer Kniegelenken-
doprothese im Vergleich zum Hüftgelenkersatz am Anfang höher, fällt dann aber früher
wieder ab. Ungefähr die Hälfte der tiefen Beinvenenthrombosen beginnt intraoperativ, vie-
le davon lösen sich spontan auf. Das Risiko der Progression der tiefen Beinvenenthrombose
hängt von der Größe des Thrombus und dem Vorliegen persistierender Risikofaktoren,
z. B. einer längerfristigen Immobilisierung, ab. Für eine tödliche Lungenembolie ist das
Risiko in den drei bis sieben Tagen nach der Operation am höchsten.
Orthopädie
Bei Patienten mit Knie- und Hüftgelenkersatz, Hüftgelenkfrakturen und bei Patienten
mit Polytrauma liegt das Risiko ohne medikamentöse Prophylaxe bei etwa 50%. Mit einer
adäquaten medikamentösen Prophylaxe sinkt das Risiko auf etwa 5% und 20% (Caprini et
al. 2003). Insgesamt ist bei orthopädischen Operationen das Risiko eines venösen throm-
boembolischen Ereignisses etwa doppelt so hoch im Vergleich zu allgemein-chirurgischen
Eingriffen (Kearon 2003; Nicolaides et al. 2001).
Kapitel 2 · Häufigkeit von Thrombosen und Embolien nach Fachgruppen
9 2
⊡ Tabelle 2.1 Häufigkeiten tiefer Beinvenenthrombosen (TVT) in der operativen Medizin ohne medikamen-
töse Prophylaxe. (Mod. nach Nicolaides et al. 2001)
Gynäkologische Chirurgie:
Malignome 4 297 22 17–26
Benigne Erkrankungen 4 460 14 11–17
⊡ Tabelle 2.2. Die Häufigkeit klinischer und tödlicher Lungenembolien ohne medikamentöse Prophylaxe
bei einigen Diagnosegruppen. (Mod. nach Nicolaides et al. 2001)
Klinische Lungenembolie
Tödliche Lungenembolie
KI Konfidenzintervall
10 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
Traumatologie
Gynäkologie
Innere Medizin
Gesicht,
Thorax oder untere
Abdomen Kopf Rückenmark Extremitäten
17/25 19/26
Rückenmark
68% 73%
69/104 untere
66% Extremitäten
⊡ Abb. 2.1. Häufigkeiten der tiefen Beinvenenthrombose (TVT) bei Patienten mit Trauma in Abhängigkeit von der
Lokalisation der Verletzung. Die weißen Kästchen zeigen die Häufigkeiten der TVT bei einer Verletzung, die blauen
Kästchen die Häufigkeiten bei mehreren Verletzungen. (Mod. nach Geerts et al. 1994)
⊡ Tabelle 2.3. Häufigkeiten tiefer Beinvenenthrombosen in der Inneren Medizin ohne medikamentöse Pro-
phylaxe. (Mod. nach Nicolaides et al. 2001)
Intensivmedizin
Attia et al. (2001) führten eine systematische Übersichtsarbeit von Studien zur Inzidenz
der tiefen Beinvenenthrombose bei Patienten auf medizinischen und chirurgischen Inten-
sivstationen durch. Etwa 10–30% der Patienten auf den Intensivstationen entwickelten
innerhalb der ersten Woche nach Aufnahme auf die Intensivstation eine tiefe Beinvenen-
thrombose. Je nach Variation in den Patientencharakteristika lag die Inzidenz im Bereich
zwischen 22% und 80%.
Intermediäre Betreuungseinrichtungen
⊡ Tabelle 2.4. Multivariate Analyse der mit einer medikamentösen Prophylaxe assoziierten Faktoren bei
Patienten in 36 intermediären Betreuungseinrichtungen in Frankreich. (Mod. nach Bosson 2003)
Immobilisierung:
Nein 441 1,00 (Referenz)
1–29 Tage 127 4,17 (2,48–7,01) <0,01
t30 Tage 284 3,19 (2,22–4,60) <0,01
KI Konfidenzintervall
25 20,8
20 17,1
13,8
15
TVT %
10,4
10
0
Keine Kompressions- Medikamentös Kombiniert
strümpfe
Die Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose liegt bei der Kniegelenkendoprothese ohne
medikamentöse Prophylaxe bei 47% (95%-KI 42–51%), beim Hüftgelenkersatz bei 51%
(95%-KI 48–54%) und bei der Hüftgelenkfraktur bei 45% (95%-KI 41–48%; ⊡ s. Tabelle 2.1).
Etwa 75% der tiefen Beinvenenthrombosen treten bei orthopädischen Operationen in
dem operierten Bein auf. Die Raten für eine proximale tiefe Beinvenenthrombose liegen
bei 15–20% bei einer Kniegelenkendoprothese, bei 25% beim Hüftgelenkersatz und bei
30% bei einer Hüftgelenkfraktur. Für den Hüftgelenkersatz liegt die Inzidenz der klinisch
manifesten Lungenembolie bei 4% (95%-KI 3,0–5,1%) und der tödlichen Lungenembolie
bei 1,7% (95%-KI 0,4–2,7%). Bei der Kniegelenkendoprothese wurde eine Inzidenz zwi-
schen 1,8% und 7% für eine Lungenembolie und zwischen 0,2% und 0,7% für eine tödliche
Lungenembolie berichtet (Geerts et al. 2001). Bei der Hüftgelenkfraktur liegt die Inzidenz
zwischen 4,3% und 24% für eine Lungenembolie und zwischen 3,6% und 12,9% für eine
tödliche Lungenembolie.
Unter Therapie mit Antikoagulanzien liegt die Inzidenz venöser thromboembolischer
Ereignisse deutlich niedriger (Geerts et al. 1994; Leclerc et al. 1998; White et al. 1998). In
Interventionsstudien, die verschiedene Antikoagulanzien untereinander oder gegen Pla-
zebo verglichen, lag die Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose unter Therapie zwischen
14% und 30% (Geerts et al. 1994). Die Diagnose der tiefen Beinvenenthrombose war in den
Interventionsstudien mittels Phlebographie gesichert worden. In aktuellen Kohortenstu-
dien lag die Inzidenz unter antikoagulativer Therapie noch deutlich niedriger (Leclerc et
al. 1998). So untersuchten Leclerc et al. in einer Kohortenstudie 1984 Patienten nach Knie-
oder Hüftgelenkersatz. Bei 2,1% der Patienten nach Kniegelenkendoprothese trat während
der Prophylaxe ein venöses thromboembolisches Ereignis auf, bei 1,8% nach Abschluss der
Prophylaxe. Bei 2,1% der Patienten nach Hüftgelenkersatz trat während der Prophylaxe ein
venöses thromboembolisches Ereignis auf, bei 2,2% nach Abschluss der Prophylaxe. Die
durchschnittliche Dauer der Prophylaxe (Enoxaparin) betrug 9 Tage, der Krankenhausauf-
enthalt dauerte im Durchschnitt 12 Tage und der Beobachtungszeitraum 84 Tage. Ähnliche
Inzidenzraten fanden sich in der Studie von White et al. (1998), in der Entlassungsdaten
von 24.059 Patienten nach Kniegelenkendoprothese und 19.586 Patienten nach Hüftge-
lenkersatz untersucht wurden. Die Inzidenz für venöse thromboembolische Ereignisse
Kapitel 3 · Häufigkeit von Thrombosen und Embolien
15 3
lag hier bei 2,1% nach Kniegelenkendoprothese und bei 2,8% nach Hüftgelenkersatz. Hier
ereignete sich allerdings ein hoher Prozentsatz der Ereignisse erst nach Entlassung aus dem
Krankenhaus.
Tumorerkrankungen
Der Zusammenhang zwischen Tumorerkrankungen und einem erhöhten Risiko für venöse
thromboembolische Ereignisse ist häufig beschrieben worden (Sorenson et al. 1998; Geerts
et al. 2001; Lee u. Levine 2003; Deitcher 2003). Als pathogene Ursachen sind vor allem die
mit dem Tumor verbundene Hyperkoagulabilität und/oder die Therapie des Tumors mit
chirurgischen Interventionen, Chemotherapie oder Strahlentherapie verantwortlich. Die
Inzidenz der symptomatischen venösen thromboembolischen Ereignisse bei Tumorpati-
enten beträgt etwa 15%, mit einer Spannbreite der berichteten Inzidenzraten zwischen 4%
und 31% (Deitcher 2003). Das Risiko einer postoperativen tiefen Beinvenenthrombose nach
chirurgischen Interventionen von Patienten mit einer Tumorerkrankung liegt bei 36% und
ist damit zwischen 1,5- und 3,6fach höher als das postoperative Risiko bei Patienten ohne
Tumorerkrankung. Allerdings scheint das tatsächliche Risiko eines venösen thromboem-
bolischen Ereignisses deutlich höher zu liegen, da sich in Autopsien Raten von bis zu 50%
zeigen. Neben einer häufig geringen klinischen Symptomatik oder der fehlenden Spezifität
der Symptome kann auch eine Fehlinterpretation der Symptome als Tumor verursacht eine
mögliche Erklärung für diese Unterschätzung sein.
Die höchsten Inzidenzraten für venöse thromboembolische Ereignisse sind in einer
großen bevölkerungsbasierten Studie von Levitan et al. (1999) mit mehr als 7000 Medicare-
Patienten (>65 Jahre) bei Tumoren des Ovars, des Gehirns und des Pankreas beschrieben
worden. Als weitere Tumoren sind vor allem Tumoren des Magens und der Lunge sowie
Lymphome mit einer erhöhten Inzidenz von venösen thromboembolischen Ereignissen
assoziiert (Lee u. Levine 2003; Deitcher 2003). Allerdings ist auch die absolute Häufigkeit
der jeweiligen Tumorarten für das Auftreten eines venösen thromboembolischen Ereig-
nisses von Bedeutung. So waren die häufigen Tumoren der Lunge, des Kolons und der
Prostata in der Untersuchung von Levitan et al. (1999) für jeweils 21%, 18% und 17% der
Fälle verantwortlich. Das attributable Risiko in einer Population scheint daher für die häu-
figen Tumorarten am höchsten zu sein, auch wenn einzelne Tumorarten ein relativ höheres
Risikoverhältnis aufweisen.
Die venösen thromboembolischen Ereignisse können auch vor dem Tumor auftreten
und damit möglicherweise als Prädiktor dienen. Sorenson et al. (1998) führten eine natio-
nale dänische Studie durch, die Daten des Danish National Registry of Patients (1977–1992)
mit den Entlassungsdiagnosen von 99% der dänischen Krankenhäuser und des Danish
Cancer Registry verband. Die Autoren identifizierten 15.348 Patienten mit tiefer Beinven-
enthrombose und 11.305 Patienten mit Lungenembolie. Der Beobachtungszeitraum betrug
bei Patienten nach tiefer Beinvenenthrombose 6,1 Jahre und bei Patienten nach Lungenem-
bolie 3,6 Jahre. In der Kohorte nach tiefer Beinvenenthrombose trat bei 1737 Patienten ein
Tumor auf (erwartete Fälle nach Schätzung auf Basis nationaler alters-, geschlechts- und
lokalisationsadjustierter Inzidenzraten: 1372) und in der Kohorte nach Lungenembolie bei
730 Patienten (erwartete Fälle: 556). Damit ergab sich eine standardisierte Inzidenz-Ratio
(SIR) für einen Tumor von 1,3 nach einer tiefen Beinvenenthrombose (95%-KI 1,21–1,33)
und von 1,3 nach einer Lungenembolie (95%-KI 1,2–1,4). Das Risiko für einen Tumor war
16 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
4, 0 Tiefe Beinvenenthrombose
Lungenembolie
3, 5
Standardisierte Inzidenz Ratio
3, 0
3
2, 5
2, 0
1, 5
1, 0
0, 5
0, 0
. . . J. J. J.
M M M
6 12 24
5 10 10
-< < -< < ³
0 6- -< 2 5-
12
Beobachtungszeitraum
⊡ Abb. 3.1. Risiko des Auftretens eines Tumors nach einer tiefen Beinvenenthrombose oder einer Lungenembolie
in Abhängigkeit von der Länge des Beobachtungszeitraums. (Mod. nach Sorenson et al. 1998)
vor allem in den ersten sechs Monaten deutlich erhöht und sank dann auf 1,0 nach einem
Jahr ab (⊡ Abb. 3.1).
Im ersten Jahr nach dem venösen thromboembolischen Ereignis lag die SIR insgesamt
bei 2,1 (95%-KI 1,9–2,4) für Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose und bei 2,3 (95%-KI
2,0–2,7) für Patienten mit Lungenembolie (⊡ Tabelle 3.1).
Die starke Assoziation im ersten Jahr bestand mit einigen Tumorarten, vor allem
bei Tumoren des Pankreas, des Ovars, der Leber (primäres Leberzellkarzinom) und des
Gehirns. Von den Patienten, die im Laufe des Jahres nach einem thromboembolischen
Ereignis eine Tumorerkrankung diagnostiziert bekamen, hatten 40% bereits Fernmetasta-
sen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und 25% eine regionale Ausbreitung des Tumors.
Das Risiko eines Tumors lag bei rezidivierenden Episoden eines venösen thromboem-
bolischen Ereignisses bei 3,2 (95%-KI 2,0–4,8). Im ansteigendem Alter nahm die Bedeu-
tung eines venösen thromboembolischen Ereignisses als Prädiktor für einen Tumor ab.
Allerdings kamen andere Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen über die Bedeutung
von venösen thromboembolischen Ereignissen als Prädiktor für eine Tumorerkrankung
(Sorenson et al. 1998).
Bei Patienten mit Tumorerkrankungen zählt neben der tiefen Beinvenenthrombose
und der Lungenembolie auch die tiefe Thrombose der oberen Extremitäten in Zusam-
menhang mit zentralen Venenkathetern zu den venösen thromboembolischen Ereignissen
⊡ Tabelle 3.1. Standardisierte Inzidenz-Ratio (SIR) für bestimmte Tumorarten bei Patienten im Jahr nach einem Krankenhausaufenthalt aufgrund einer tiefen Beinvenen-
thrombose (TVT) oder Lungenembolie (LE). (Mod. nach Sorenson et al. 1998)
Alle Tumoren 390 181,5 2,1 (1,9–2,4) 170 74,1 2,3 (2,0–2,7)
Schwach assoziiert
Magen 14 7,0 2,0 (0,7–3,3) 6 2,8 2,1 (0,8–4,6)
Kolon 26 16,3 1,6 (1,0–2,3) 13 6,5 2,0 (1,1–3,4)
Mamma 18 14,3 1,3 (0,7–2,0) 6 6,1 1,0 (0,4–2,2)
17
KI Konfidenzintervall
3
18 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
(Versio u. Agnelli 2003). Die Inzidenz der tiefen Venenthrombose liegt bei länger verwei-
lenden zentralen Venenkathetern klinisch zwischen 0,3% und 28% und in der Phlebogra-
phie zwischen 27% und 66%. Die Inzidenz der klinisch manifesten Lungenembolie liegt
bei Patienten mit tiefer Venenthrombose der oberen Extremitäten zwischen 15% und 25%,
allerdings ergaben Autopsien auch Raten bis zu 50%. Pathogenetische Faktoren sind die
3 Verletzung des Gefäßes bei Legen des Katheters, der venöse Rückstau durch den liegenden
Katheter und die mit dem Tumor verbundene Hyperkoagulabilität.
Der Verlauf von venösen thromboembolischen Ereignissen unterscheidet sich bei Pati-
enten mit einem Tumor deutlich von dem Verlauf bei Patienten ohne Tumor (Deitcher
2003). Patienten mit Tumorerkrankung haben häufiger eine proximale tiefe Beinvenen-
thrombose als Patienten ohne Tumorerkrankung (Prandoni et al. 1996). Ebenso zeigen sie
eine größere Ausprägung der Thrombose, eine stärkere klinische Verschlechterung trotz
antikoagulativer Therapie und eine geringere Verbesserung in der Phlebographie. Das Risi-
ko eines rezidivierenden venösen thromboembolischen Ereignisses ist bei Patienten mit
Tumorerkrankung etwa 2- bis 3fach erhöht (Prandoni et al. 1996; Heit et al. 2000; Hansson
et al. 2000; Prandoni et al. 2002; Bona et al. 1995; Hutten et al. 2000). Antineoplastische The-
rapie erhöht das Risiko eines Rezidivs bei Patienten mit Tumorerkrankung weiter (Deitcher
2003). Ebenso scheint während Phasen, in denen die International Normalized Ratio (INR)
trotz Antikoagulation unter 2 sinkt, bei Patienten mit Tumor im Vergleich zu Patienten
ohne Tumor eine deutlich höhere Revidizrate vorzuliegen (54 vs. 15, 9 Ereignisse pro 100
Patientenjahre; Hutten et al. 2000).
Schlaganfall
Patienten mit einem Schlaganfall und Lähmungen haben ohne medikamentöse Prophylaxe
ein hohes Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose in der gelähmten Extremität mit einer
Inzidenz von 56% (95%-KI 51–61%; ⊡ s. Tabelle 2.3; Nicolaides et al. 2001; Geerts et al. 2001).
Die Inzidenz der Lungenembolie liegt bei Patienten mit Schlaganfall zwischen 8% und 37%
(Gregory u. Kuhlemeier 2003). Das Risiko von Patienten mit einem Schlaganfall für eine
tiefe Beinvenenthrombose ist vor allem durch den veränderten Blutfluss in der gelähmten
Extremität erhöht. Auch kann es aufgrund der Lähmung schwierig sein, die Symptome der
tiefen Beinvenenthrombose richtig zu interpretieren. Das führt zu einer fehlenden oder
verspäteten Therapie mit einem erhöhten Risiko für eine Lungenembolie.
Bei Patienten unter medikamentöser Prophylaxe ist die Inzidenz venöser thromboem-
bolischer Ereignisse deutlich geringer (Geerts et al. 2001; Langhorne et al. 2000; Roth et al.
2001). In Interventionsstudien, die Patienten unter antikoagulativer Therapie mit Patienten
unter Plazebo verglichen, lag die Inzidenz in der Interventionsgruppe zwischen 10% und
24%. In aktuellen Kohortenstudien liegen die Inzidenzraten mit 2–4% für eine tiefe Bein-
venenthrombose und mit 1% für eine Lungenembolie noch geringer (Langhorne et al. 2000;
Roth et al. 2001). So wurden in einer prospektiven Studie von Langhorne et al. (2000) 311
konsekutive Patienten mit Schlaganfall über einen Zeitraum von 30 Monaten nachbeobach-
tet. Bei 2% (95%-KI 0–3%) der Patienten trat während des stationären Aufenthaltes eine
tiefe Beinvenenthrombose auf und bei 1% (95%-KI 0–2%) eine Lungenembolie. Allerdings
scheinen die tatsächlichen Inzidenzraten für venöse thromboembolische Ereignisse unter
medikamentöser Prophylaxe höher zu liegen als klinisch diagnostiziert. In einer Studie
wurde bei 421 Patienten nach einem Schlaganfall bei Aufnahme in die stationäre Rehabili-
Kapitel 3 · Häufigkeit von Thrombosen und Embolien
19 3
Myokardinfarkt
Die Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose beträgt bei Patienten mit einem Myokardin-
farkt ohne medikamentöse Prophylaxe 22% (95%-KI 16–28%) (⊡ s. Tabelle 2.3; Nicolaides et
al. 2001; Geerts et al. 2001). In älteren Studien vor dem weit verbreiteten Einsatz der Throm-
bolyse und/oder weiterer antithrombotischer Therapien bei Patienten mit Myokardinfarkt
bewirkte die antikoagulative Therapie mit niedrig- oder hochdosiertem unfraktionierten
Heparin bereits eine deutliche Reduktion der Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose auf
4–7%. Die relative Risikoreduktion betrug bei niedrig dosiertem unfraktionierten Heparin
71% und bei hoch dosiertem unfraktionierten Heparin 86%. Ältere randomisierte Studien,
die eine kombinierte Therapie aus Heparin und oraler Antikoagulation mit entweder kei-
ner medikamentösen Prophylaxe oder einer niedrig dosierten Antikoagulation verglichen
hatten, zeigten analog eine deutliche Reduktion im Auftreten venöser thromboembolischer
Ereignisse bei Patienten mit intensivierter Therapie.
Der derzeitige Therapiestandard beim Myokardinfarkt mit einer Verbindung von
Heparin, Thrombozytenaggregationshemmern, Thrombolyse und/oder weiteren anti-
thrombotischen Substanzen führt dazu, dass die Prävention venöser thromboembolischer
Ereignisse als sekundäre Wirkung parallel erfolgt. Eine Reihe an Risikofaktoren für eine
tiefe Beinvenenthrombose sind häufig mit einem Myokardinfarkt assoziiert, z. B. zuneh-
mendes Alter, Bettruhe, venöser Rückstau aufgrund chronischer Herzinsuffizienz, sodass
der Myokardinfarkt noch nicht als unabhängiger Risikofaktor für ein venöses thromboem-
bolisches Ereignis etabliert ist.
4
Venöse thromboembolische Ereignisse sind einer hohen Rate an Rezidiven und einer ins-
gesamt erhöhten Mortalität verbunden (Kearon 2003; White 2003; Geerts et al. 2001). Spät-
folgen sind das postthrombotische Syndrom und die chronisch-venöse Insuffizienz, die mit
einer eingeschränkten gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Patienten verbunden sind.
Rezividierende Episoden
Das postthrombotische Syndrom entsteht durch eine Schädigung der Venenklappen mit
venöser Insuffizienz und Ausbildung von Ödemen, Hypoxie und unter Umständen zu
Hautulzerationen. Das postthrombotische Syndrom ist eine häufige Komplikation nach
tiefer Beinvenenthrombose und entwickelt sich in 20–50% der Patienten innerhalb von
ein bis zwei Jahren nach symptomatischer tiefer Beinvenenthrombose (Kahn u. Ginsberg
2004). So zeigte sich in einer Kohortenstudie von Prandoni et al. (1996), dass bei Patienten
nach erster Episode einer symptomatischen tiefen Beinvenenthrombose die kumulative
Inzidenz des postthrombotischen Syndroms 17% nach 1 Jahr, 23% nach 2 Jahren, 28% nach
5 Jahren und 29% nach 8 Jahren betrug. Die Patienten waren dazu ermutigt worden, Kom-
pressionsstrümpfe zu tragen. Eine schwere Form mit Entstehung von venösen Ulzera tritt
bei etwa einem Viertel bis einem Drittel der Patienten mit postthrombotischem Syndrom
auf (Kahn u. Ginsberg 2004).
Als Hauptrisikofaktor für die Ausbildung eines postthrombotischen Syndroms gilt die
rezidivierende, ipsilaterale tiefe Beinvenenthrombose, die das Risiko etwa 6fach erhöht
(Kahn u. Ginsberg 2004). Rezidivierende tiefe Beinvenenthrombosen führen vermutlich
über eine Schädigung bereits angegriffener Venenklappen und eine zusätzliche Obstruk-
tion der Venen zum postthrombotischen Syndrom. Es gibt nur eine geringe Assoziati-
on zwischen dem Schweregrad der initialen Thrombose in der Phlebographie und der
Ausbildung eines postthrombotischen Syndroms. In einigen Studien war das Risiko bei
proximalen tiefen Beinvenenthrombosen höher als bei distalen, während die Lokalisation
der Thrombose in anderen Studien keine Rolle spielte. Unter Umständen können auch
asymptomatische tiefe Beinvenenthrombosen, die z. B. durch Screening entdeckt werden,
zu einem postthrombotischen Syndrom führen, allerdings sind die Ergebnisse verschiede-
ner Studien dazu kontrovers.
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist bei Patienten mit postthrombotischem
Syndrom deutlich reduziert (Beyth et al. 1995; Kahn et al. 2002). In einer Studie, die Patien-
ten sechs bis acht Jahre nach einer tiefen Beinvenenthrombose mit einem krankheitsüber-
greifenden Instrument zur Lebensqualität – dem SF-36 – untersuchte, hatten die Patienten
mit postthrombotischem Syndrom ein schlechteres Gesundheitsempfinden, eine stärker
reduzierte körperliche Funktionsfähigkeit und eine höhergradige Einschränkung der Rol-
lenfunktionen als Patienten ohne postthrombotisches Syndrom (Beyth et al. 1995). Eine
andere Studie, die einen krankheitsspezifischen Fragebogen einsetzte, zeigte ebenfalls eine
deutlich reduzierte gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Patienten mit postthromboti-
schen Syndrom zwei Jahre nach einer tiefen Beinvenenthrombose (Kahn et al. 2002). Mit
zunehmendem Schweregrad des postthrombotischen Syndroms verschlechterten sich die
Werte für die Lebensqualität.
Prognose
Die Mortalität ist nach einem venösen thromboembolischen Ereignis deutlich erhöht
(Kearon 2003; Kniffin et al. 1994). So zeigten Kniffin et al. (1994) in ihrer Studie bei Medi-
care-Mitgliedern im Alter über 65 Jahren eine intrahospitale Mortalität von 21% nach
einer Lungenembolie und von 3% nach einer tiefen Beinvenenthrombose. Die Mortalität
nach einem Jahr lag bei einer Lungenembolie bei 39% und bei einer tiefen Beinvenen-
22 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
thrombose bei 21%. Kearon (2003) fasste in seiner Übersichtsarbeit die Mortalitätsraten
zusammen und berichtete, dass ungefähr ein Viertel der Patienten nach einer Lungenem-
bolie innerhalb eines Jahres versterben. Während allerdings die Mehrheit der Todesfälle
innerhalb eines Monats durch eine tödliche Lungenembolie verursacht sind, sind nur
20% der Todesfälle innerhalb eines Jahres auf ein Rezidiv einer Lungenembolie zurück zu
führen. Hier sind die meisten Todesfälle durch die Grunderkrankung, z. B. eine Tumor-
erkrankung oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen bedingt. Insgesamt haben zwar Patienten
mit Lungenembolie eine erheblich höhere intrahospitale Mortalität als Patienten mit tiefer
4 Beinvenenthrombose, aber nach dem ersten Monat gleicht sich die Mortalität zu einem
großen Teil an.
5
Sozialmedizinische
und sozioökonomische Bedeutung
Jacqueline Müller-Nordhorn, Stefan N. Willich
Die Kosten der venösen thromboembolischen Ereignisse und ihrer Komplikationen sind
beträchtlich (Caprini et al. 2003; Bergqvist et al. 1997). In einer schwedischen retrospekti-
ven Studie wurden 257 Patienten mit einer tiefen Beinvenenthrombose und 241 alters- und
geschlechtsgematchte Kontrollen ohne tiefe Beinvenenthrombose verglichen. Nach 15 Jah-
re waren 35% der Patienten mit und 57% der Kontrollen ohne tiefe Beinvenenthrombose
am Leben. Bei den Patienten ereigneten sich 242 Komplikationen und bei den Kontrollen
25 ähnliche Ereignisse. Die geschätzten Kosten der Behandlung sowohl der primären
tiefen Beinvenenthrombose als auch der postthrombotischen Komplikationen betrugen
$ 10.368,–. Davon entfielen etwa 60% auf das primäre Ereignis ($ 6083,–) und 40% auf die
postthrombotischen Komplikationen ($ 4285,–).
Caprini et al. (2003) berechneten mithilfe eines gesundheitsökonomischem Markov-
Modells die geschätzten Kosten der Versorgung für Komplikationen der tiefen Beinven-
enthrombose nach Patienten nach Hüftgelenkersatz für die USA. Unter Verwendung
veröffentlichter Daten zu Inzidenz und Prognose nach tiefer Beinvenenthrombose wurde
der natürliche Verlauf simuliert und die Inanspruchnahme medizinischer Ressourcen
berechnet. Auf Basis der Literatur wurden erfolgte medizinische Leistungen (Einheiten)
für ein postthrombotisches Syndrom geringen/mittleren und höheren Schweregrades ange-
nommen. Die Anzahl der beanspruchten Einheiten wurde dann mit den Kosten pro Einheit
multipliziert. Dabei ergaben sich folgende Kosten pro Jahr und Patient für jede der gezeig-
ten Komplikationen: postthrombotisches Syndrom geringen und mittleren Schweregrades
$ 839,– im ersten Jahr und $ 341,– in den folgenden Jahren, postthrombotisches Syndrom
höheren Schweregrades $ 3817,– im ersten Jahr und $ 1677,– in den folgenden Jahren, tiefe
Beinvenenthrombose $ 3798,– und Lungenembolie $ 6604,–. Die mittleren diskontierten
Lebenszeitkosten der Komplikationen der tiefen Beinvenenthrombose beliefen sich damit
auf geschätzte $ 3069,– (95%-KI $ 2091–4279,–).
Im Hinblick auf die hohen Kosten der venösen thromboembolischen Ereignisse und
ihrer Komplikationen gewinnt die Frage der Kosteneffektivität der zur Verfügung stehen-
den antikoagulativen Therapie zunehmend an Bedeutung. Gould et al. (1999) evaluierten
die Kosteneffektivität der niedermolekularen Heparine im Vergleich zu unfraktioniertem
Heparin in der Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose. Unter Verwendung eines
entscheidungsanalytischen Modells wurde eine Kosten-Effektivitäts-Analyse durchgeführt.
Die Daten zur klinischen Effektivität basierten auf den Ergebnissen einer Metaanalyse, die
24 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
⊡ Tabelle 5.1. Ergebnisse der Kosten-Effektivitäts-Analyse zum Vergleich der Therapie der tiefen Beinvenen-
thrombose zwischen niedermolekularem und unfraktioniertem Heparin. (Mod. nach Gould et al. 1999)
Inkrementelle Kosten-
Effektivität, $/Lebensjahr 6910
Inkrementelle Kosten-Effektivität,
$/Qualitätsadjustiertes Lebensjahr 7820
neten Kosten zeigten einen deutlichen Vorteil für niedermolekulare Heparine. In einer
hypothetischen Kohorte von 10.000 Patienten ergab sich über die Reduktion venöser
thromboembolischer Ereignisse durch niedermolekulare Heparine eine Einsparung von
967 Arbeitstagen bzw. € 103.700,– und 130,9 Lebensjahren in der Allgemeinchirurgie und
von 5308 Arbeitstagen bzw. € 569.250,– und 784,4 Lebensjahren in der orthopädischen
Chirurgie. Aus Sicht der Krankenhäuser würde die Einsparung durch niedermolekulare
Heparine € 398.050,– pro 10.000 Patienten in der Allgemeinchirurgie und € 1.005.150,– in
der Orthopädie betragen. Eine aktuelle deutsche Studie ergab, dass Patienten nach
Kniegelenkendoprothese oder Hüftgelenkersatz im Durchschnitt für eine Dauer von 38
Tagen (±16) eine parenterale Antikoagulation erhielten (McBride et al. 2004). Von den
309 Patienten erhielten 9% nach Beendigung der parenteralen Antikoagulation eine orale
Antikoagulation, für eine mittlere Dauer von 38 Tagen (±21). Dabei betrugen die mittleren
Kosten für die parenterale Antikoagulation € 61,– (±20) und waren damit weniger als 1%
der Krankenhauskosten. Die Kosten für die orale Antikoagulation nach Entlassung belie-
fen sich auf € 91,– (±84).
Aufgrund der hohen Krankheitsbelastung durch venöse thromboembolische Ereignisse
sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft erscheint eine adäquate Prophylaxe
von Thrombosen und Embolien entscheidend. Für die medikamentöse Prophylaxe ist
neben der Frage der Effektivität in der Vermeidung des Auftretens venöser thromboembo-
lischer Ereignisse für die Zukunft auch die Frage der Kosteneffektivität entscheidend.
2. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenz der venösen thromboembolischen Ereignisse
in der Bevölkerung deutlich an. Wie viel beträgt das relative Risiko pro 10-Jahres-Anstieg
des Lebensalters?
A. 1,1
B. 1,3
C. 1,5
D. 1,7
E. 1,9
▼
26 Teil I · Epidemiologie von Thrombosen und Embolien
4. Internistische Erkrankungen sind ebenfalls mit einem erhöhten Risiko eines venösen
thromboembolischen Ereignisses verbunden. Bei welcher Patientengruppe ist das Risiko
ohne medikamentöse Prophylaxe am höchsten?
A. Bei Patienten nach Myokardinfarkt
B. Bei allgemeinmedizinischen Patienten
C. Bei geriatrischen Patienten
D. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz
E. Bei Patienten nach Schlaganfall
▼
Kapitel 1–5 · Fragen
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II
Teil II Pathophysiologie
Kapitel 6 Gerinnungskaskade – 32
Kapitel 7 Virchow-Trias – 40
Gerinnungskaskade
B. Linnemann, E. Lindhoff-Last
⊡ Abb. 6.1. Phasen der Gefäßwandverletzungsreaktion (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von AstraZeneca
GmbH, Wedel)
▼ ▼ ▼
aussprießen, wodurch schließlich der Blutfluss durch den Thrombus zumindest teilweise
wieder hergestellt wird (⊡ Abb. 6.1, ⊡ Tabelle 6.1).
Im Folgenden sollen die einzelnen Komponenten des Hämostasesystems genauer
betrachtet werden.
Gefäßwand
Protein S
Rezeptoren für uPA, tPA, Fibrinogen, Protein C
Gerinnung hemmt. Daneben wird Tissue Plasminogen Activator (tPA) freigesetzt, der die
Fibrinolyse aktiviert. Die Endothelzellen stellen zudem eine Barriere zwischen dem Suben-
dothel und dem Blut dar. Im Verletzungsfall ist diese aufgehoben, und durch den Kontakt
von Substanzen aus dem subendothelialen Bereich mit Blutbestandteilen kommt es zur
Gerinnungsaktivierung. Subendotheliales Kollagen induziert vermittelt über den von-Wil-
lebrand-Faktor die Plättchenadhäsion und anschließend die Plättchenaggregation. Dane-
ben wird Tissue Factor aus verletzten Gewebszellen wie Makrophagen, Fibroblasten und
Muskelzellen freigesetzt, der parallel die plasmatische Gerinnung startet (⊡ Tabelle 6.2).
Thrombozyten
der sekundären Hämostase und Aktivierung der plasmatischen Gerinnung wird schließlich
Thrombus-assoziiertes Fibrinogen durch Thrombin in Fibrin überführt (⊡ Abb. 6.2).
Plasmatische Gerinnung
Am Ende der plasmatischen Blutgerinnung steht die Bildung eines festen Fibrinthrombus,
der die Wundfläche bzw. Endothelläsion abdeckt. Die plasmatische Gerinnung ist cha-
rakterisiert durch eine sequenziell ablaufende enzymatische Reaktionsfolge, bei der jeder
Gerinnungsfaktor zunächst als inaktives Proenzym vorliegt und nach seiner Aktivierung
den nächsten Faktor aktiviert, indem er bestimmte Fragmente proteolytisch abspaltet. Die
Gerinnungsfaktoren sind in der Regel Serinproteasen.
Der plasmatische Gerinnungsablauf kann auf zwei Wegen gestartet werden:
Bei der extrinsischen Aktivierung kommen Blutbestandteile in Kontakt mit suben-
dothelial gebildetem Tissue Factor (TF). Die intakte Endothelschicht als funktionelle
Barriere zwischen Blut und extravaskulärem Gewebe verhindert physiologischerweise
den Kontakt von Tissue Factor mit den im Plasma vorliegenden Gerinnungsfaktoren.
Erst bei einer Endothelläsion kommt es zur Bindung von Tissue Factor an aktivierten
Faktor VII, und der resultierende Komplex (sog. »extrinsischer Faktor-X-Aktivator-
Komplex«) aktiviert im weiteren die Gerinnungsfaktoren IX und X. Faktor IX selbst
kann ebenfalls Faktor X aktivieren, eine Reaktion, die durch Faktor VIII als Kofaktor
noch beschleunigt wird (⊡ Abb. 6.3; Mann 2003).
Die intrinsische Aktivierung erfolgt unter Beteiligung der Faktoren des sog. Kontakt-
systems, zu denen der Faktor XII (Hageman-Faktor), das Präkallikrein (PK) und das
High-Molecular-Weight-Kininogen (HMWK) gezählt werden. Faktor XII wird dabei
an negativ geladene Oberflächen – in der Regel makromolekulare Strukturen wie z. B.
Endotoxin – gebunden, was zu seiner Aktivierung führt (sog. Kontaktaktivierung).
Faktor XIIa spaltet als Komplex mit Präkallikrein und HMWK den Faktor XI und leitet
so die intrinsische Gerinnung ein. Zusätzlich werden dem Faktor XIIa auch profibri-
nolytische Eigenschaften zugeschrieben. Es konnte gezeigt werden, dass Faktor XIIa
ein direkter Plasminogenaktivator ist (Braat et al. 1999). Während man früher davon
ausging, dass die Aktivierung von Faktor XII am Anfang der intrinsischen Gerinnung
36 Teil II · Pathophysiologie
steht, konnte kürzlich gezeigt werden, dass eine Gerinnungsaktivierung auf intrinsi-
schem Weg auch ohne Faktor XII möglich ist. Diese kommt auch zustande, wenn an
Endothelzellen gebundenes Präkallikrein in Gegenwart von HMWK aktiviert wird. Der
aktivierte Faktor XI aktiviert Faktor IX zu Faktor IXa, der zusammen mit Faktor VIIIa
den sog. »intrinsischen Tenasekomplex« bildet (Kitchens 2002).
Sowohl der extrinsische als auch der intrinsische Weg münden in einer Aktivierung des
Faktors X. Faktor Xa allein ist lediglich in der Lage, geringe Mengen von Prothrombin in
Thrombin umzuwandeln. Erst durch die beiden durch Thrombin aktivierten Kofaktoren
Faktor V und Faktor VIII kommt es zu einer starken Beschleunigung der Gerinnungsvor-
gänge. Einerseits bildet aktivierter Faktor VIII zusammen mit aktiviertem Faktor IX den
sog. »intrinsischen Tenasekomplex«, der wesentlich mehr Faktor X umsetzt als Faktor IXa
6 allein oder der »extrinsische Tenasekomplex« (TF-Faktor VIIa). Über 90% der Faktor-X-
Aktivierung sind auf diesen Weg zurückzuführen. Bei Abwesenheit von Faktor VIII oder
IX fällt daher die Gerinnungsantwort auf eine Endothelläsion wesentlich schwächer aus. Es
resultiert das Krankheitsbild der Hämophilie A bzw. Hämophilie B.
In der Endstrecke der Gerinnung bildet Faktor Xa mit Faktor Va auf aktivierten
Thrombozytenoberflächen den Prothrombinasekomplex, der Prothrombin in Thrombin
umwandelt. Der Prothrombinasekomplex ist hinsichtlich der Thrombinaktivierung etwa
300.000fach stärker wirksam als Faktor Xa allein. Thrombin spaltet dann lösliches Fibrino-
gen in Fibrin. Die Fibrinmonomere lagern sich spontan zu unlöslichen Polymeren zusam-
men und werden schließlich durch thrombinaktivierten Faktor XIII kovalent verknüpft.
Das Resultat ist ein irreversibler Gerinnungsthrombus.
dass ein Mangel an Protein C oder Protein S bzw. eine verminderte Empfindlichkeit gegen
aktiviertes Protein C (APC-Resistenz) mit einer erhöhten Rate thromboembolischer Ereig-
nisse einhergeht (Esmon 2003; Kottke-Marchant 2002b).
Die Regulation des Thrombomodulin-Protein-C-/-S-Mechanismus durch Zytokine und
Komplementfaktoren weist auf eine enge Verknüpfung zwischen Gerinnungssystem und
Immunsystem hin. So bewirken z. B. Interleukin-1E und Tumor-Nekrose-Faktor D eine
Down-Regulation der Thrombomodulinexpression, woraus eine verminderte Protein-C-
Aktivität resultiert. Dies könnte einen Mechanismus darstellen, über den das erhöhte Risiko
für Thromboembolien bei akuten und chronischen entzündlichen Erkrankungen erklärt
werden kann. Andererseits scheint aktiviertes Protein C auch antiinflammatorische Eigen-
schaften zu haben. In Tiermodellen wurde durch Infusion von APC die Ausschüttung von
TNF-D durch aktivierte Monozyten vermindert, ein Effekt, der möglicherweise durch direk-
te Bindung von APC an einen spezifischen Monozytenrezeptor vermittelt wird. Es gibt erste
Hinweise darauf, dass sich durch therapeutischen Einsatz von aktiviertem Protein C bei
schweren septischen Krankheitsbildern die Letalität senken lässt (Bernard 2001; ⊡ Abb. 6.4).
Fibrinolytisches System
Das fibrinolytische System kontrolliert das Ausmaß der Fibrinbildung und bewirkt die Auflö-
sung des fibrinvernetzten Thrombus. Ähnlich wie die Gerinnungskaskade wird auch die fib-
rinolytische Aktivität durch das Verhältnis pro- und antifibrinolytischer Faktoren bestimmt.
Die wichtigsten Faktoren des fibrinolytischen Systems sind das Plasminogen und der Tissue-
Type-Plasminogen-Aktivator (tPA). Nach Aktivierung von Plasminogen zu Plasmin bewirkt
dieses die proteolytische Spaltung von Fibrin in Fibrinspaltprodukte. Die Umwandlung des
im Plasma in inaktiver Form vorkommenden Plasminogens zu Plasmin erfolgt durch den
Tissue-Type Plasminogen-Aktivator (tPA) bzw. den Urokinase-Type-Plasminogen-Aktiva-
tor (uPA). tPA wird in aktiver Form von Endothelzellen sezerniert und ist hauptsächlich für
die Plasminaktivierung verantwortlich. uPA wird im Gegensatz zu tPA als inaktive Vorstufe
Kapitel 6 · Gerinnungskaskade
39 6
⊡ Abb. 6.5. Fibrinolyse (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von AstraZeneca GmbH, Wedel)
Thrombin
Gerinnung Antikoagulation
Virchow-Trias
B. Linnemann, E. Lindhoff-Last
Virchow beschrieb bereits 1856 drei Faktoren, die er als wesentlich für die Thromboseent-
stehung ansah und die unter dem Begriff der Virchow-Trias zusammengefasst werden.
Dabei handelt es sich um Veränderungen der Gefäßwand, der Blutströmung und der
Zusammensetzung des Blutes. Mit der Identifizierung thrombophiler Hämostasestörun-
gen, die entweder mit einer erhöhten Plasmaaktivität von prokoagulatorischen Faktoren
oder einer Funktionseinschränkung von Gerinnungsinhibitoren verbunden sind, wird
insbesondere der Hyperkoagulabilität heutzutage bei der venösen Thromboseentstehung
eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Man muss aber davon ausgehen, dass nicht ein
einzelner Faktor, sondern mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, um die Genese
einer venösen Thrombose zu erklären (⊡ Abb. 7.1).
Alle Gefäße, sowohl die arteriellen als auch die venösen, haben einen ähnlichen dreischich-
tigen Wandaufbau aus Intima, Media und Adventitia. Die wichtigsten zellulären Bestand-
teile der Gefäßwand sind die Endothelzellen und die glatten Muskelzellen. Die glatten
Muskelzellen der Media und die bindegewebigen Bestandteile mit ihrem längs-, quer- und
zirkulärgespannten Fasernetz sind von entscheidender Bedeutung für den Gefäßtonus.
Durch sie wird im arteriellen Gefäßsystem der periphere Widerstand reguliert und im
venösen Gefäßsystem die Anpassung an wechselnde Blutvolumina ermöglicht.
Die Endothelzellen stellen die Barriere dar zwischen Intravasal- und Extravasalraum.
Sie verhindern normalerweise den Kontakt gerinnungsaktiver Substanzen des Blutes mit
denen des Subendothels, aus dem eine Gerinnungsaktivierung resultieren würde. Daher
sind sie ideal positioniert, um regulierend in lokale Gerinnungsvorgänge einzugreifen. Zur
Aufrechterhaltung der Blutströmung synthetisiert das Endothel unter anderem eine Reihe
antithrombogener Substanzen. Zu diesen gehören das Prostazyklin, das Heparansulfat und
der Tissue Plasminogen Activator. Während Prostazyklin, ein Stoffwechselprodukt des
Arachidonsäurestoffwechsels, hemmend auf die Thrombozytenaggregation wirkt, besteht
die Wirkung von Heparansulfat in einer Hemmung der plasmatischen Gerinnung. Wie
Heparin bindet auch Heparansulfat an Antithrombin und verstärkt dessen gerinnungsin-
hibierende Wirkung. Der Tissue Plasminogen Activator hingegen ist einer der wichtigsten
Fibrinolyseaktivatoren. Ein weiterer Mechanismus, über den das Endothel antikoagulato-
Kapitel 7 · Virchow-Trias
41 7
Veränderungen
der Blutzusammen-
setzung
Virchow-
Trias
Veränderungen Veränderungen
der Blutströmung der Gefäßwand
rische Wirkung entfaltet, ist die Interaktion von Thrombomodulin mit Thrombin. Throm-
bomodulin als membranständiger Thrombinrezeptor der Endothelzellen bindet Thrombin
und verändert so dessen Substratspezifität. An Thrombomodulin gebundenes Thrombin ist
nicht länger in der Lage, Fibrinogen zu spalten, sondern aktiviert jetzt Protein C. Zusam-
men mit seinem Kofaktor Protein S bildet aktiviertes Protein C an der Endotheloberfläche
einen katalytisch aktiven Komplex, der die Faktoren Va und VIIIa inaktiviert.
Außer den genannten Faktoren ist noch ein Schutzfilm aus Glykoproteinen, die sog. Gly-
kokalyx, für die Thrombinresistenz des intakten Endothels verantwortlich. Dies bedeutet,
dass im normalen Zustand auf der Endothelzelloberfläche die antikoagulatorischen Reak-
tionen überwiegen, sodass der freie Blutfluss gewährleistet ist, im stimulierten Zustand als
Reaktion auf eine Endothelläsion überwiegen jedoch prokoagulatorische Eigenschaften.
Eine Endothelläsion führt zur Freilegung von kollagenhaltigem subendothelialen Gewe-
be. Vermittelt über von-Willebrand-Faktor und spezifische Glykoproteine auf der Thrombo-
zytenoberfläche kommt es zur Thrombozytenaggregation. Hingegen aktiviert die Bindung
von Tissue Factor (Gewebsthromboplastin) an zirkulierenden Faktor VII a die plasmatische
Gerinnung. Infolge der Gerinnungsaktivierung kommt es zur Ausbildung eines Thrombus.
Verschiedene Faktoren bzw. Mechanismen können zu einer Ablösung oder Schädigung
von Endothelzellen führen. An erster Stelle sind hier mechanische Alterationen infolge von
Traumata und chirurgischen Eingriffen zu nennen, wobei nicht nur das direkte zerstörende
Gewebstrauma eine Rolle spielt. Insbesondere bei Eingriffen an den unteren Extremitäten
erhöht eine Tourniquet-Dauer von mehr als 60 min das Thromboserisiko deutlich. Es wur-
de daher postuliert, das auch eine hypoxische und metabolische Schädigung des Gefäßen-
dothels thrombogen wirkt. Chemische und immunologische Schädigungen des Endothels
werden angenommen bei Entzündungen (Phlebitis, Infektion, Sepsis), Hyperlipidämie,
Nikotinabusus und Transplantatabstoßungen. Im arteriellen Gefäßsystem gelten außerdem
Strömungsturbulenzen an stenosierenden Plaques oder Bifurkationen und erhöhter Scher-
stress als Ursachen für Mikroläsionen des Endothels, auf die sich konsekutiv ein Thrombus
auflagern kann.
42 Teil II · Pathophysiologie
An der Thrombogenese sind sowohl die zelluläre als auch die plasmatische Gerinnung betei-
ligt. Veränderungen der Thrombozytenfunktion sowie eine Verschiebung des Gleichgewichts
zwischen plasmatischen Gerinnungsaktivatoren und -inhibitoren können die Thromboge-
nität des Blutes erhöhen. Einen großen Stellenwert nehmen hier die angeborenen Throm-
bophilien ein wie z. B. die APC-Resistenz oder die Prothrombinmutation. Auf sie wird in
Kap. 8 näher eingegangen. Das Vorhandensein von Kälteagglutininen oder Kryoglobulinen
kann Thrombosen auslösen, diese betreffen hauptsächlich die Mikrostrombahn. Auslöser ist
Kapitel 7 · Virchow-Trias
43 7
in diesem Fall eine Kälteexposition, die antikörperbedingt zu einer Agglutination von Eryth-
rozyten oder Präzipitation von Immunglobulinen führt. Eine erhöhte Blutviskosität erhöht
ebenfalls die Thrombogenität des Blutes. Dies ist der Fall bei einem Anstieg des Hämatokrit
im Rahmen einer Hypovolämie (Exsikkose) oder einer Paraproteinämie beim Plasmozytom.
Bei Polyglobulie, Thrombozytose und myeloproliferativen Erkrankungen ist die Viskosität
aufgrund einer Vermehrung der zellulären Blutbestandteile erhöht.
Unter einer Thrombose versteht man eine intravitale, intravasale, lokalisierte Gerinnung
von Blutbestandteilen. An der Entstehung von Thrombosen sind sowohl die zelluläre als
auch die plasmatische Gerinnung beteiligt. Beide Systeme sind eng miteinander verzahnt.
So kann z. B. die Adhäsion von Thrombozyten am Ort einer Endothelläsion die plasmati-
sche Gerinnung einleiten. Andererseits werden Thrombozyten schon durch geringe Men-
gen Thrombin aktiviert.
Je nachdem, ob die zelluläre oder plasmatische Gerinnung bei der Thrombogenese über-
wiegen, unterscheidet man pathomorphologisch im Wesentlichen zwei Thrombusarten:
Abscheidungsthrombus (thrombozytenreich, arterielle Thrombose),
Gerinnungsthrombus (fibrinreich, venöse Thrombose; ⊡ Abb. 7.2).
Thrombozyt
Fibrin
Hereditäre Thrombophilie
B. Linnemann, E. Lindhoff-Last
⊡ Tabelle 8.1. Häufigkeiten thrombophiler Störungen in der Normalbevölkerung sowie bei Patienten mit
venöser Thrombose
APC-Resistenz (Faktor-V-Leiden-Mutation)
Die häufigste Ursache einer hereditären venösen Thrombose ist die Resistenz von Faktor
Va gegen aktiviertes Protein C (APC-Resistenz). Protein C ist eine Serinprotease, die phy-
siologisch den Faktor Va spaltet und so als Gerinnungsinhibitor der Blutgerinnung entge-
gen wirkt. Der APC-Resistenz liegt in etwa 95% der Fälle eine Punktmutation im Gen des
Gerinnungsfaktors V (Austausch von Arginin durch Glutamin in Position 506 des Faktor-
V-Gens) zugrunde, wodurch der Faktor Va unempfindlich wird für die Wechselwirkung
mit aktiviertem Protein C (APC). Diese Mutation wird nach dem Entdeckungsort in den
Niederlanden als Faktor-V-Leiden-Mutation bezeichnet. Aber auch andere Mutationen
des Faktor-V-Gens, eine Schwangerschaft, die Einnahme oraler Kontrazeptiva, das Vor-
handensein von Antiphospholipidantikörpern und eine erhöhte Aktivität von Faktor VIIIa
haben Einfluss auf die APC-Sensitivität und gehen mit einem erhöhten Thromboserisiko
einher (Dahlbäck 2004).
Kapitel 8 · Hereditäre Thrombophilie
47 8
Prothrombinmutation G20210A
Antithrombinmangel
Protein-C-Mangel
Im letzteren Fall wird ein dysfunktionelles Protein gebildet (qualitativer Defekt). Der Typ
I ist häufiger als der Typ II; es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass sich die beiden Typen
bezüglich der Manifestation von Thrombosen unterscheiden.
Die homozygote Form des Protein-C-Mangels verursacht eine schwere Thrombosenei-
gung. Die Protein-C-Aktivität liegt in diesen Fällen <1%. Homozygote Merkmalsträger wer-
den bereits im Neugeborenenalter klinisch auffällig durch schwere Thromboembolien bis
hin zur Purpura fulminans. Ein heterozygoter Protein-C-Mangel, der mit einer etwa 50%igen
Aktivitätsminderung einhergeht, lässt sich bei 3–5% der Patienten mit venösen Thrombosen
nachweisen. Bis zum 40. Lebensjahr haben durchschnittlich 50% der heterozygoten Merk-
malsträger ein thrombotisches Ereignis erlitten (Kottke-Marchant u. Comp 2002).
Die Thromboseneigung beim heterozygoten Protein-C-Mangel ist abhängig vom Ver-
erbungsmodus. Sie ist bei autosomal-dominantem Erbgang hoch. Die Prävalenz dieser
Form in der Bevölkerung wird auf 1:16.000 geschätzt. Das thromboembolische Ereignis
tritt oft nicht spontan auf, sondern muss getriggert werden. Risikofaktoren sind operative
Eingriffe, Immobilisation, Schwangerschaft oder die Einnahme oraler Kontrazeptiva. Beim
autosomal-rezessiven Vererbungsmodus hingegen ist die Häufigkeit venöser Thrombosen
50 Teil II · Pathophysiologie
im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht erhöht. Die Prävalenz dieser Form in der Bevöl-
kerung wird mit 0,2–0,4% angegeben.
Vom hereditären Protein-C-Mangel sind erworbene Mangelzustände abzugrenzen, wie
sie bei Lebererkrankungen mit Synthesestörung (z. B. Leberzirrhose), bei frischen Throm-
bosen, erhöhtem Verbrauch im Rahmen einer Verbrauchskoagulopathie oder Sepsis und
bei Vitamin-K-Mangel bzw. unter Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (Cumarinen)
auftreten können. Die Synthese von Protein C ist Vitamin-K-abhängig. In der Einleitungs-
phase einer Cumarinbehandlung fallen Protein C und Faktor VII aufgrund der kürzeren
Halbwertszeit schneller ab als die anderen Faktoren des Prothrombinkomplexes, sodass
vorübergehend ein Zustand der Hyperkoagulabilität besteht. Insbesondere bei präexisten-
tem Protein-C-Mangel kann es daher in der Initialphase einer Cumarintherapie zu throm-
boembolischen Komplikationen oder gar einer Cumarinnekrose kommen. Bei einer Cuma-
rinbehandlung sinkt die Protein-C-Konzentration auf Werte von 40–50% ab, die Aktivität
liegt jedoch noch um ein Drittel bis ein Viertel tiefer, da bei der immunchemischen
Bestimmung auch inaktive PIVKA-Proteine (»proteins induced by vitamin-K absence«)
mitbestimmt werden (Willeke et al. 200; Kottke-Marchant u. Comp 2002).
8
Protein-S-Mangel
Protein S, ein Kofaktor des Protein C, wird von der Leber und dem Gefäßendothel gebildet.
Ein Mangel ist ebenfalls mit thromboembolischen Ereignissen assoziiert. Etwa 40% des
Proteins liegen in freier Form, 60% an das Komplementbindungsprotein C4BP gebunden
vor. Nur freies Protein S ist als Kofaktor im Protein-C-Mechanismus antikoagulatorisch
wirksam und liegt bereits primär in seiner aktiven Form vor. Durch Komplexbildung mit
Protein C wird die Proteolyse und Inaktivierung der Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa
beschleunigt. Bei einem heterozygoten Protein-S-Mangel treten gehäuft thromboemboli-
sche Ereignisse auf. Lungenembolien, tiefe Venenthrombosen und oberflächliche Throm-
bophlebitiden sind die häufigsten Manifestationen. Thrombophlebitiden werden bei etwa
50% der Betroffenen beobachtet. Ein homozygoter Protein-S-Mangel führt in der Regel
schon in der Neonatalperiode zu schweren thromboembolischen Ereignissen oder zur letal
verlaufenden Purpura fulminans. Zur Häufigkeit des Protein-S-Mangels in der Normalbe-
völkerung liegen keine konkreten Zahlen vor. In einem Kollektiv schottischer Blutspender
lag die Prävalenz <0,2%. Bei Personen mit heterozygotem Protein-S-Mangel ist das Risiko
für venöse Thromboembolien 2- bis 10fach erhöht.
Bestimmt werden können das Gesamtprotein S, das freie Protein S und die Protein-
S-Aktivität. Der Nachweis erfolgt wie beim Antithrombin- und Protein-C-Mangel primär
über eine Aktivitätsmessung. Beim hereditären Mangel werden drei Typen unterschieden:
Typ I: Verminderung der Gesamtprotein-S-Konzentration und der Aktivität aufgrund
einer Synthesestörung,
Typ II: Verminderung der Protein-S-Aktivität bei normalem Gesamt- und freiem Pro-
tein S aufgrund eines dysfunktionellen Proteins,
Typ III: Verminderung von freiem Protein S und der Aktivität.
Persistierende Faktor-VIII-Erhöhung
Erhöhte Faktor-VIII-Werte werden bei Patienten mit venösen Thrombosen in einer Häu-
figkeit von 20–40% gefunden im Vergleich zu etwa 10% in der gesunden Normalbevölke-
rung. Familienuntersuchungen deuten darauf hin, dass die Höhe des Faktor-VIII-Spiegels
genetisch determiniert ist, allerdings war die Suche nach Faktor-VIII-Genvarianten, die mit
erhöhten Faktor-VIII-Spiegeln einhergehen, bislang erfolglos.
Es ist auch noch nicht geklärt, auf welche Weise ein erhöhter Faktor VIII ein erhöhtes
Thromboserisiko vermittelt. Der Faktor VIII wird überwiegend in der Leber synthetisiert
und in der Zirkulation durch von-Willebrand-Faktor (vWF) stabilisiert. Nach Aktivierung
durch Thrombin dissoziieren Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor. Der aktivierte Fak-
tor VIII bildet einen Komplex mit Faktor IXa, der im weiteren die Aktivierung des Faktors
X beschleunigt. Dieser geht in den Prothrombinasekomplex mit ein. Der aktivierte Faktor
VIII ist somit insbesondere für den intrinsischen Weg der Gerinnungsaktivierung von
Bedeutung. Möglicherweise erklärt sich das mit erhöhten Faktor-VIII-Spiegeln einherge-
hende Thromboserisiko aber auch durch eine verminderte APC-Sensitivität. Es konnte
gezeigt werden, dass bei höheren Faktor-VIII-Spiegeln die Antwort auf aktiviertes Protein
C geringer ausfällt, ohne dass eine Faktor-V-Leiden-Mutation nachweisbar ist.
Von-Willebrand-Faktor und die Blutgruppe sind wichtige Determinanten des Faktor-
VIII-Spiegels. Es findet sich eine positive Korrelation von vWF- und Faktor-VIII-Spiegeln.
Die Blutgruppeneigenschaften A und B gehen zusätzlich mit höheren vWF- und FVIII-Spie-
geln einher als die Blutgruppe 0. Die höchsten Spiegel haben Personen mit der Blutgruppe
AB (⊡ Tabelle 8.2). Die Faktor-VIII-Spiegel steigen mit zunehmendem Alter an. Auch
Body-Mass-Index, Blutzuckerspiegel, Insulin, Fibrinogen und Triglyzeride scheinen posi-
tiv mit den Faktor-VIII-Spiegeln zu korrelieren (Kamphuisen et al. 2001). Bei Frauen mit
hormoneller Kontrazeption sind die Faktor-VIII-Spiegel signifikant höher als bei Frauen,
⊡ Tabelle 8.2. Faktor-VIII-Konzentration und Blutgruppe als VTE-Risikofaktoren. (Nach Press et al. 2002)
<100 1
100–124 2,3
125–149 3,0
>150 4,8
die keine Hormonpräparate einnehmen (Schmitt et al. 2004). Nur eine persistierende Fak-
tor-VIII-Erhöhung geht mit einem erhöhten Risiko für venöse Thrombosen einher. Eine
vorübergehende Faktor-VIII-Erhöhung ist möglich im Rahmen jeder Akut-Phase-Reaktion
und lässt sich vor allem bei akutem Stress, akuten Thrombosen, Infektionen, entzündlichen
Erkrankungen, Malignomen, Leber- und Nierenerkrankungen, Hyperthyreose und in der
Schwangerschaft sowie nach Operationen nachweisen. Fällt im Rahmen eines Thrombophi-
lie-Screenings ein erhöhter Faktor-VIII-Spiegel auf, so sollte dieser Befund etwa 2 Monate
später nochmals kontrolliert werden. Eine persistierende Erhöhung von Faktor VIII bedeu-
tet ein etwa 5fach erhöhtes Thromboembolierisiko. Das Rezidivrisiko nach thrombemboli-
schem Erstereignis bei persistierender Faktor-VIII-Erhöhung wird mit 25–50% angegeben
(Kamphuisen et al. 2001; Chandler et al. 2002).
Seltene Thrombophilien
Die Dysfibrinogenämie ist eine seltene thrombophile Störung. Es sind weltweit nur einige
Hundert Familien mit hereditärer Dysfibrinogenämie bekannt. Bei der Dysfibrinogenämie
8 wird ein strukturell defektes Fibrinogenmolekül synthetisiert. Nur 20% der betroffenen Per-
sonen weisen eine Thromboseneigung auf, 25% hingegen zeigen eine Blutungsneigung und
55% sind asymptomatisch. (Hayes 2002). Auch für Erhöhungen der Faktoren I (Fibrinogen),
IX und XI ist ein Ansteigen des venösen Thromboembolierisikos beschrieben (CHandler et
al. 2002). So führt eine Hyperfibrinogenämie mit Spiegeln >5 g/l zu einer Verfünffachung
des Thromboserisikos. Für die Faktoren IX und XI wird ein nur geringer Einfluss auf das
Thromboserisiko angenommen. Erst kürzlich wurde ein Zusammenhang zwischen ernied-
rigten Faktor-XII-Spiegeln mit einem gehäuftem Auftreten venöser Thrombosen beschrie-
ben. Bei ausgeprägtem Faktor-XII-Mangel ist in In-vitro-Systemen die Gerinnbarkeit des
Blutes gehemmt, was zu einer Verlängerung der partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) führt.
In vivo führt der Faktor-XII-Mangel aber nicht zu einer erhöhten Blutungsneigung. Ein Po-
lymorphismus (46CoT) im Faktor-XII-Gen hat Einfluss auf die Faktor-XII-Serumspiegel.
Bei homozygoter Ausprägung (T/T-Genotyp) sind die Faktor-XII-Serumspiegel signifikant
niedriger als beim C/C- oder C/T-Genotyp. Das venöse Thromboserisiko scheint bei diesen
Patienten signifikant erhöht zu sein (Kitchens 2002; Tirado et al. 2004). Eine abschließende
Bewertung lässt die derzeitige Datenlage nicht zu. Zu den selteneren hereditären Gerin-
nungsdefekten, die mit einem erhöhten Thromboserisiko in Verbindung gebracht werden,
zählen Störungen der Fibrinolyse wie der Plasminogenmangel, die verminderte Freisetzung
von Tissue Plasminogen Activator (t-PA) und erhöhte Aktivitäten von Plasminogenaktivato-
rinhibitor (PAI) (Brandt 2002). Ihre Bestimmung hat bis jetzt keinen Eingang in die Routine-
diagnostik gefunden. Zum einen fehlt eine Standardisierung der Testverfahren, zum anderen
liegen noch zu wenige oder widersprüchliche Daten für eine abschließende Bewertung vor.
MTHFR-Mutation/Hyperhomozysteinämie
Blut, das unmittelbar nach der Blutentnahme gekühlt und möglichst innerhalb einer Stunde
verarbeitet werden sollte. Bei Unterbrechung der Kühlkette und längeren Transportzeiten
sind die Ergebnisse nicht zu verwerten, da Homozystein in vitro aus Erythrozyten freigesetzt
wird und dadurch falsch zu hohe Homozysteinspiegel gemessen werden. Frauen weisen
in der Regel niedrigere Homozysteinspiegel auf als Männer. Eine leichte Hyperhomozys-
teinämie findet man bei 5–15% der Bevölkerung. Eine Variante des MTHFR-Gens führt in
diesen Fällen bereits zur Hyperhomozysteinämie, wenn die Folsäurespiegel in den niedrig
normalen Bereich abfallen. Die Homozysteinspiegel normalisieren sich in der Regel unter
Folsäuresubstitution. Selten sind Gendefekte im MTHFR-Gen, die zu schwerem MTHFR-
Mangel und zum Krankheitsbild der Homozystinurie führen. Häufige erworbene Ursachen
einer Hyperhomozysteinämie sind neben Vitaminmangel (Vitamin B12, Vitamin B6, Folsäu-
re) eine eingeschränkte Nierenfunktion und eine hypothyreote Stoffwechsellage. Während
die Hyperhomozysteinämie mit einer erhöhten Rate an ischämischen kardio- und zerebro-
vaskulären Komplikationen einhergeht (Press et al. 2002), wird die Assoziation mit venösen
Thrombosen kontrovers diskutiert. Die Datenlage ist für eine abschließende Beurteilung
nicht ausreichend (Key u. McGlennen 2002; The Homocystein Studies Colloboration 2002).
Antiphospholipidsyndrom (APS)
Um die Diagnose eines APS stellen zu können, muss mindestens ein klinisches Kriterium
(vaskuläre Thrombose oder Schwangerschaftskomplikation) vorliegen bei gleichzeitigem
Nachweis von Antikardiolipinantikörpern und/oder Lupusantikoagulans (⊡ Tabelle 8.3).
Die Antikörper müssen dabei eine Persistenz von mehr als 6 Wochen aufweisen (Wilson et
al. 1999). In etwa 80% der Fälle sind Frauen betroffen. An ein Antiphospholipidsyndrom
sollte differentialdiagnostisch gedacht werden bei Patienten mit rezidivierenden spontanen
Thrombosen, bei einem Schlaganfall im Alter unter 50 Jahren sowie bei rezidivierenden
Aborten oder früher schwerer Präeklampsie. Bei nachgewiesenen APL-Antikörpern sollte
die Suche nach antinukleären (ANA) und anti-DNA-Antikörpern folgen, um einen syste-
mischen Lupus erythematodes auszuschließen.
Häufig werden erhöhte APL-Antikörperspiegel im Blut spontan ohne erkennbare
Grunderkrankung gefunden. Es scheint eine familiäre Disposition für Antiphospholipidan-
Kapitel 8 · Hereditäre Thrombophilie
55 8
Für die Diagnose eines APS sollten ein klinisches und ein laborchemisches Kriterium vorliegen. Der Antiphospho-
lipidantikörpertest muss in mindestens 2 Untersuchungen im Abstand von 6 Wochen positiv sein.
tikörpersyndrome zu geben. Die Prävalenz leicht erhöhter APLA-Titer wird mit 2–5% in
der gesunden Normalbevölkerung angegeben. Die Prävalenz steigt mit höherem Lebensal-
ter. Bei Patienten mit systemischem Lupus erythematodes lassen sich in 12–34% der Fälle
Antiphospholipidantikörper nachweisen. Die Inzidenz von thrombotischen Ereignissen
bei Patienten mit APLA beträgt etwa 2 Ereignisse pro 100 Patientenjahre. Grundsätzlich
können Thrombosen in allen Gefäßen und in jedem Organsystem auftreten.
Die meisten thrombotischen Ereignisse bei APS betreffen das venöse System. Am häu-
figsten kommen tiefe Beinvenenthrombosen mit und ohne Lungenembolien vor. Venöse
Thrombosen mit atypischer Lokalisation wie z. B. der zerebralen Sinusvenen oder visze-
raler Venen (z. B. Budd-Chiari-Syndrom) sollten differentialdiagnostisch an das Vorliegen
eines APS denken lassen und eine entsprechende Diagnostik nach sich ziehen. Bei sponta-
nen venösen Thrombosen ohne erkennbaren Risikofaktor werden APLA in 2–10% der Fälle
gefunden. Das Risiko für venöse Thromboembolien ist bei Nachweis von Antikardiolipi-
nantikörpern etwa 2fach, bei Lupusantikoagulans etwa 5- bis 10fach erhöht.
Arterielle Thrombosen betreffen häufig das ZNS, wobei Ischämien im Stromgebiet der
A. cerebri media und Sehstörungen im Sinne einer Amaurosis fugax am häufigsten sind.
Insbesondere bei jungen Patienten mit apoplektischen Insulten sollte immer auch an ein
APS gedacht werden. Hier finden sich in 20–50% APLA, bei älteren Patienten in 10–20% der
Fälle. Patienten mit zerebralen Ischämien aufgrund eines APS sind meist jünger als 50 Jahre.
Bei jungen Schlaganfallpatienten mit APLA ist das Risiko eines erneuten Schlaganfalls ca. 8-
mal höher als bei Patienten ohne APLA. Durch wiederkehrende zerebrale Ischämien kann es
früh im Verlauf der Erkrankung zu einer vaskulären Demenz kommen. Mesenteriale Ischä-
mien und Myokardinfarkte können auf ein APS zurückzuführen sein. Auch Fälle steriler
Endokarditiden sind für das APS in bis zu 38% beschrieben (Hojnik et al. 1996). Verschlüsse
peripherer Arterien mit nachfolgender Gangrän sind eher selten. Rezidivierende Sponta-
naborte (in drei oder mehr aufeinander folgenden Schwangerschaften) sind ein häufiges
Phänomen bei APS. Antiphospholipidantikörper können bei diesen Frauen in einer Häu-
figkeit von etwa 5–15% nachgewiesen werden. Die Aborte entstehen teilweise in der Folge
einer Plazentainsuffizienz auf dem Boden thrombotischer Gefäßverschlüsse. Aber auch eine
Störung der Invasion des Trophoblasten und der Hormonproduktion sind möglich.
Obwohl die Thrombozytopenie häufig bei einem APS zu finden ist, sind Blutungskom-
plikationen selten. Als Ursache für die Thrombozytopenie werden einerseits eine Induktion
56 Teil II · Pathophysiologie
⊡ Tabelle 8.4. Klinische Assoziationen mit APL-Antikörpern (British Society for Haematology 2000)
Die Kenntnisse über den relativen Stellenwert der einzelnen pathogenetischen Faktoren der
Virchow-Trias (s. Kap. 7) in der Thrombogenese verschiedener Krankheitsbilder sind auch
heute noch unzureichend. Grundsätzlich gilt, dass die Entstehung venöser Thrombosen in
der Regel nicht einem Faktor zugeordnet werden kann, sondern dass es sich in der Regel
um ein komplexes, multifaktorielles Geschehen handelt.
Das Thromboserisiko hospitalisierter Patienten wird größtenteils durch die akute
Erkrankung bestimmt. In den chirurgischen Disziplinen ist dies in der Regel der operative
Eingriff selbst. Pathophysiologisch steht die operationsbedingte Aktivierung der Blutge-
rinnung im Vordergrund, deren Ausmaß mit der Schwere des Gewebetraumas korreliert.
Die Angaben über die Häufigkeit venöser Thrombosen bei Patienten ohne Thromboembo-
lieprophylaxe liegen je nach Eingriff zwischen 20 und 80% (Nicolaides et al. 2001; Geerts et
al. 2001). Mit einem besonders hohen perioperativen Thromboserisiko sind große abdomi-
nelle Operationen, orthopädische Eingriffe an den unteren Extremitäten, Polytraumata und
neurochirurgische Operationen behaftet (⊡ Tabelle 9.1).
Hauptverantwortlich für die Gerinnungsaktivierung ist die mechanische Gefäßwand-
schädigung durch das Gewebstrauma. Thrombogene Substanzen des Subendothels kommen
in Kontakt mit Bestandteilen des zirkulierenden Blutes und aktivieren die Gerinnung. Einer-
seits vermittelt vor allem der von-Willebrand-Faktor eine Adhäsion und Aktivierung von
Thrombozyten. Andererseits initiiert der Kontakt von subendothelial vorhandenem Tissue
Factor mit im Blut zirkulierenden Faktor VIIa die plasmatische Gerinnung. Aufgrund des
unterschiedlichen Gehalts an Tissue Factor in den verschiedenen Geweben ist das Thrombo-
serisiko abhängig von dem Organsystem, an dem der operative Eingriff vorgenommen wur-
de. In der postoperativen Phase kommt es im Rahmen einer Akut-Phase-Reaktion vermittelt
über Zytokine wie Interleukin-1 und Tumor-Nekrose-Faktor D zu einem Anstieg prokoagu-
latorischer Faktoren und Hemmung der Fibrinolyse. Regelmäßig kann man nach größeren
chirurgischen Eingriffen einen Anstieg von Fibrinogen, Faktor VIII, von-Willebrand-Faktor
und Plaminogen-Aktivator-Inhibitor nachweisen. Zytokine sind auch für eine verminderte
Thrombomodulinexpression und konsekutiv für eine verminderte Protein-C-Aktivierung
verantwortlich. Das Überwiegen prokoagulatorischer Faktoren erklärt zum Teil das in den
ersten Wochen nach einer Operation gesteigerte Thromboserisiko.
Daneben hat die postoperative Immobilisierung nach größeren Operationen und
vor allem Eingriffen an den unteren Extremitäten Einfluss auf das Thromboserisiko. Die
Immobilisierung mit Ausfall der Wadenmuskelpumpe hat eine Verlangsamung der Blut-
58 Teil II · Pathophysiologie
⊡ Tabelle 9.1. Risikokategorien für chirurgische Patienten. (Aus Encke et al. 2003)
9
strömung vor allem in den unteren Extremitäten zur Folge. Auch die Wahl des Anästhesie-
verfahrens ist von Bedeutung für die Entstehung postoperativer Venenthrombosen. Ein-
griffe mit rückenmarksnahen Anästhesieverfahren (Periduralkatheter, Spinalanästhesie)
oder Lokalanästhesie gehen mit einem signifikant niedrigeren Risiko für venöse Thrombo-
sen einher als Operationen unter Intubationsnarkose.
Hinzu kommen prädisponierende Begleitumstände wie höheres Lebensalter, in der
Vergangenheit abgelaufene Thromboembolien, thrombophile Gerinnungsstörungen, mali-
gne Grunderkrankung, eine Hormonbehandlung, Adipositas oder Varikosis. Je mehr Risi-
kofaktoren ein Patient auf sich vereint, desto höher ist das individuelle Thromboserisiko.
Die Häufigkeit venöser Thrombosen bei hospitalisierten internistischen Patienten ohne
Thromboembolieprophylaxe wird mit durchschnittlich 30% angegeben. Es bestehen jedoch
starke Unterschiede in Abhängigkeit vom akuten Krankheitsbild. Wie bei den chirurgischen
Patienten wird das individuelle Thromboserisiko ebenfalls durch prädisponierende Begleit-
umstände mitbestimmt. Für die Pathogenese venöser Thrombosen in der Inneren Medizin
spielen Gewebsverletzungen bzw. Endothelläsionen keine große Rolle. Hier sind vielmehr
Veränderungen der Blutströmung und der Blutzusammensetzung für die Thrombogenese
von Bedeutung. Ein verlangsamter Blutfluss findet sich generalisiert bei Immobilisierung
oder fortgeschrittener Herzinsuffizienz. Auch eine lokale Strömungsverlangsamung, wie sie
beispielsweise in varikös erweiterten Gefäßen vorkommt, kann die Entstehung von Throm-
bosen begünstigen. In den letzten Jahren wird einer gesteigerten Gerinnbarkeit des Blutes ein
zunehmender Stellenwert in der Pathogenese von Thrombosen eingeräumt. Eine Hyperko-
agulabilität kann durch eine erhöhte Aktivität von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren
oder eine verminderte Fibrinolyse bedingt sein. Die entsprechenden Störungen sind entweder
angeboren oder erworben. Die angeborenen Thrombophilien wurden bereits ausführlich in
Kap. 8 dargestellt. Nachfolgend wird auf die Thrombogenität einiger internistischer Krank-
heitsbilder eingegangen, bei denen erworbene Gerinnungsstörungen hauptverantwortlich
für die pathophysiologischen Abläufe der Thromboseentstehung gemacht werden.
10
Thrombogenität verschiedener
Krankheitsbilder
B. Linnemann, E. Lindhoff-Last
Venöse Thrombosen treten bei hospitalisierten internistischen Patienten mit einer Häu-
figkeit von etwa 16–54% auf. Das Risiko ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkran-
kung und ist insbesondere erhöht bei malignen Tumorerkrankungen, bei fortgeschrittener
Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien III-IV), bei akuten systemischen Infektionen und Sepsis
und bei chronisch entzündlichen Erkrankungen wie der Colitis ulcerosa oder dem Morbus
Crohn. Auch eine terminale Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit und ein nephroti-
sches Syndrom gehen mit einem gesteigerten Thromboserisiko einher. Eine vorbestehende
Adipositas und Varikosis prädisponieren ebenfalls zu venösen Thrombosen (Geerts et al.
2001). Ein bedeutsamer Risikofaktor ist auch das Lebensalter. Während Thrombosen im
Alter zwischen 25 und 35 Jahren mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 30 pro 100.000
Personen auftreten, beträgt die jährliche Inzidenz bei über 70-jährigen Personen 300–500
pro 100.000 Personen. Folglich kommt es im Laufe des Lebens zu einer mehr als Verzehnfa-
chung des venösen Thromboembolierisikos (White 2003). Im Folgenden wird auf spezielle
Pathomechanismen einzelner Krankheitsbilder eingegangen, bei denen gehäuft venöse
Thrombosen auftreten.
Maligne Erkrankungen
um den Katheter herum, die nicht nur die Entstehung von Thrombosen, sondern auch
von Infektionen und septischen Komplikationen begünstigt (Verso u. Agnelli 2003). Die
Entstehung der Katheterthrombosen ist in der Regel multifaktoriell. Der Endothelschaden
durch die Gefäßpunktion, die Beeinflussung der Blutströmung durch den im Gefäßlumen
platzierten Katheter und die tumorassoziierte Hyperkoagulabilität sind hier von Bedeu-
tung (Verso u. Agnelli 2003). Die Applikation von Chemotherapeutika oder eine lokale
Strahlenbehandlung schädigen das Endothel zusätzlich. Auch eine Hormonbehandlung
(z. B. Tamoxifen bei Mammakarzinom) steigert das Risiko venöser Thrombosen. Alter,
Immobilisation und andere Komborbiditäten sind zusätzliche Risikofaktoren wie bei auch
bei Patienten ohne Tumoren. Die Prävalenz venöser Thrombosen bei Karzinompatienten
liegt zwischen 5 und 60% in Abhängigkeit von der Tumorart (Sutherland et al. 2003). Die
stärkste Assoziation mit venösen Thrombosen zeigen das Pankreaskarzinom, das Ovari-
alkarzinom und maligne Hirntumoren. Berücksichtigt man zusätzlich die Prävalenz der
verschiedenen Malignome, so findet man in Zusammenhang mit venösen Thrombosen
am häufigsten Mamma-, Kolon- und Bronchialkarzinome (Lee u. Levine 2003). Aufgrund
des erhöhten Thromboserisikos werden heutzutage eine individuelle Risikoeinschätzung
und ggf. eine medikamentöse Thromboseprophylaxe in Risikosituationen als indiziert
angesehen.
Bei maligner Grunderkrankung sind proximale und Mehretagenthrombosen häufiger
als bei Patienten ohne Malignom. Auch Komplikationen wie eine Progression der Throm-
bose trotz adäquater Behandlung oder tödliche Lungenembolien sind bei Karzinompa-
tienten häufiger. Zudem liegt das Rezidivrisiko nach thromboembolischem Erstereignis
10 bei Tumorpatienten etwa 3fach höher im Vergleich zu Patienten ohne Malignom (Lee u.
Levine 2003). Das Auftreten thrombotischer Komplikationen deutet insgesamt auf eine
ungünstige Prognose des weiteren Krankheitsverlaufs hin. Oft liegt in diesen Fällen ein
fortgeschrittenes oder metastasiertes Tumorstadium vor (Sorensen et al. 2000; Bura et al.
2004; Lee 2003). Ein thromboembolisches Ereignis tritt jedoch nicht nur als sekundäre
Komplikation bei Tumorerkrankungen auf, sondern kann auch Erstmanifestation einer
malignen Erkrankung sein. Insbesondere bei idiopathischen Thrombosen, rezidivieren-
den oder beidseitigen Thrombosen, einer Thromboselokalisation im Oberschenkel- oder
Beckenbereich und bei einem Patientenalter über 50 Jahre sollte auch an die Möglichkeit
einer malignen Grunderkrankung gedacht werden (Bura et al. 2004). Bei idiopathischer
Thrombose besteht eine etwa 10%ige Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten Jahre
an einem Malignom zu erkranken, wobei das Risiko innerhalb der nächsten 6–12 Monate
am größten ist. Aus diesem Grund sollten anlässlich einer idiopathischen Venenthrom-
bose auch ein Tumor-Screening durchgeführt bzw. die empfohlenen Krebsvorsorgeun-
tersuchungen aktualisiert werden. Ob ein solches Screening und eine frühzeitige Thera-
pie die Prognose der Patienten zu verbessern vermag, ist jedoch umstritten (Sutherland
et al. 2003).
Tumorassoziierte Hämostasestörungen sind in über 90% der Tumorpatienten nach-
weisbar. Diese können eine Blutungsneigung bei Tumorpatienten, aber auch ein erhöhtes
Thromboserisiko mit sich bringen. Eine vermehrte Thromboseneigung wird erklärt durch
eine von Tumorzellen vermittelte Gerinnungsaktivierung. Verschiedene Pathomechanis-
men sind hier von Bedeutung:
Thrombozytenaktivierung: Tumorpatienten weisen oft eine mäßige Thrombozytose
auf. Auch lassen sich erhöhte Marker der Thrombozytenaktivierung nachweisen wie
PF4, CD62 und CD63 (Lee 2002). Es ist bekannt, dass Tumorzellen regelmäßig Mem-
Kapitel 10 · Thrombogenität verschiedener Krankheitsbilder
61 10
Inflammatorische Faktoren
Angiogenese
Metastasierung
Prokoagulatorische Faktoren
⊡ Abb. 10.1. Mechanismen der Thrombogenese bei Tumorpatienten. (Nach Lee 2002)
Eine Aktivierung der Blutgerinnung ist ein häufiges Phänomen bei schweren systemischen
Infektionen. In Folge treten gehäuft thrombotische Komplikationen auf. Diese können sich
als venöse Thrombosen oder im Extremfall auch als disseminierte intravasale Gerinnung
(DIC) manifestieren. Nahezu regelhaft sind bei septischen Patienten Marker einer erhöh-
ten Gerinnungsaktivität nachweisbar. Über die Häufigkeit venöser Thromboembolien bei
Infektionen und Sepsis finden sich kaum Angaben in der Literatur. Bei internistischen
intensivmedizinischen Patienten ohne Thromboembolieprophylaxe werden venöse Throm-
bosen durchschnittlich in etwa 30% der Fälle gefunden. Ein erhöhtes Thromboserisiko ist
unter anderem für Patienten mit HIV-Infektion (Fultz et al. 2004), Malaria (Hemmer et al.
1991) und schwere Fälle von Mykoplasmenpneumonie (Mulder u. Spierings 1987) beschrie-
ben. Bei Patienten mit HIV-Infektion kann es bei 10–50% der Fälle zu einem erworbenen
Mangel an Protein C und/oder Protein S kommen, der ursächlich sehr wahrscheinlich an
der erhöhten Thromboseinzidenz dieser Patienten beteiligt ist (Erbe et al. 2003). In einer
Fallkontrollstudie ließ sich bei Patienten mit venöser Thromboembolie häufiger eine Sero-
Kapitel 10 · Thrombogenität verschiedener Krankheitsbilder
63 10
positivität für Chlamydia pneumoniae nachweisen (Emmerich 2002). Auch gibt es Berichte
über das Auftreten von Thromboembolien in Zusammenhang mit akuten Zytomegalievi-
rus-(CMV-)Infektionen. Nur in einem Teil dieser Fälle lag zusätzlich eine Immundefizienz
vor infolge einer HIV-Infektion oder einer Behandlung mit Immunsuppressiva nach Trans-
plantation (Bauduer et al. 2003; Kazory et al. 2004).
Neben systemischen Infektionen können auch lokale Infektionen zu thrombotischen
Komplikationen prädisponieren. Hier sind vor allem die tiefen, oft septischen Venen-
thrombosen bei i.v.-Drogenabusus anzuführen. Am häufigsten ist die V. femoralis commu-
nis betroffen, oftmals findet sich in diesem Bereich zusätzlich eine Weichteilinfektion bzw.
Abszedierung. Häufigster Erreger in diesen Fällen ist Staphylococcus aureus. Schwerwie-
gende Komplikationen sind septische Embolien und Endokarditis (Fäh et al. 2002).
Neben einer allgemeinen Gerinnungsaktivierung im Rahmen lokaler oder systemi-
scher Infektionen sind eine Immobilisierung der Patienten, eine generelle Verlangsa-
mung des Blutflusses infolge peripherer Vasodilatation und Hypotension sowie eine
eventuelle parenterale Ernährung und Medikamentenapplikation über zentralvenöse
Katheter für die Thrombogenese von Bedeutung. Das Ausmaß der Gerinnungsaktivierung
ist von der Intensität der Entzündung direkt abhängig. Das C-reaktive Protein (CRP)
als Marker der Akut-Phase-Reaktion zeigt eine positive Korrelation mit Markern der
Gerinnungsaktivierung, zu denen die Thrombin-Antithrombin-Komplexe (TAT) und die
Prothrombinfragmente 1+2 gehören. Als Ausdruck einer Akut-Phase-Antwort finden sich
in der Regel erhöhte Spiegel von Fibrinogen, Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor.
Außerdem wird vermehrt Tissue Factor exprimiert. Einerseits vermag CRP in Monozyten
rezeptorabhängig die Synthese von Tissue Factor zu induzieren. Andererseits können
Endothelzellen und aktivierte Monozyten auf ihrer Oberfläche Tissue Factor exprimieren,
wenn sie durch Endotoxin, bakterielle Peptidoglykane oder inflammatorische Zytokine
wie TNF-D, IL-1 oder IL-6 aktiviert werden (Bernard et al. 2001). Tissue Factor ist der
Initiator der extrinsischen plasmatischen Gerinnung. Ausgelöst durch Endotoxin, kommt
es außerdem zu einer Kontaktaktivierung des intrinsischen Gerinnungssystems, an der
Faktor XII und High-molecular-weight-Kininogen beteiligt sind. Auf der anderen Seite
sind physiologische Gerinnungsinhibitoren wie Antithrombin und Protein C bei Sepsis
vermindert nachweisbar. Die Ursache hierfür ist in einer verminderten Lebersyntheseleis-
tung, einem Verlust in den Extravasalraum infolge gesteigerter Gefäßpermeabilität sowie
einem erhöhten Verbrauch zu sehen. Außerdem inhibieren Zytokine wie TNF-D und IL-1
die Expression von Thrombomodulin in Endothelzellen, was einen Abfall von aktiviertem
Protein C zur Folge hat. Ein Abfall von Antithrombin oder von aktiviertem Protein C ist
mit einer ungünstigeren Prognose assoziiert. Inzwischen konnte gezeigt werden, dass die
Substitution von aktiviertem Protein C bei einer Sepsis die Letalität senken kann und dies
unabhängig vom auslösenden Erreger (PROWESS-Studie; Bernard et al. 2001). Während
sich in der Frühphase der Sepsis eine gesteigerte Fibrinolyse durch vermehrte Freisetzung
von Tissue-type Plaminogen-Aktivator (tPA) nachweisen lässt, kommt es im weiteren,
vermittelt über Zytokine und Thrombin, zu einer vermehrten Freisetzung von Plasmino-
genaktivatorinhibitor 1 (PAI-1) und thrombinaktivierbarem Fibrinolyseinhibitor (TAFI).
Folge ist eine Hemmung der Fibrinolyse.
Zusammenfassend führen vor allem die Endotoxinämie und die Freisetzung inflamm-
atorischer Zytokine zu einer Aktivierung des Hämostasesystems. Es resultiert eine erhöhte
Thrombogenität mit vermehrtem Auftreten thrombotischer Komplikationen bei systemi-
schen Infektionen und Sepsis.
64 Teil II · Pathophysiologie
Chronisch-entzündliche Erkrankungen
Nicht nur akute Infektionen, wie oben ausgeführt, sondern auch chronisch-entzündliche
Krankheitsbilder sind mit einem erhöhten Risiko für venöse Thrombosen behaftet. Eine
vermehrtes Auftreten von Thrombosen wurde für die Colitis ulcerosa bereits 1936 beschrie-
ben (Bargen u. Baker 1936; Hüppe et al. 1988). Die Prävalenz thromboembolischer Ereignis-
se bei Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung wird mit 6,2% angegeben.
Das Risiko ist damit etwa 3,6fach höher als bei gesunden Kontrollpersonen (Miehsler
et al. 2004). Die erhöhte Thrombogenität wird vor allem auf den Einfluss inflammatori-
scher Zytokine wie Tumor-Nekrose-Faktor-D und Interleukin-1 auf das Hämostasesystem
zurückgeführt. Diese induzieren unter anderem eine vermehrte Expression von Tissue
Factor auf Endothelzellen und aktivierten Monozyten. Außerdem wird die Expression von
Thrombomodulin auf der Oberfläche von Endothelzellen inhibiert mit der Folge eines
Abfalls von aktiviertem Protein C. Daneben kann eine Hyperhomozysteinämie zu einem
erhöhten Thromboserisiko beitragen. Eine Hyperhomozysteinämie findet sich gehäuft bei
Patienten mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung und ist vermutlich durch einen
Mangel an Folsäure und anderen Vitaminen bedingt. Es konnte gezeigt werden, dass sich
die erhöhte Homozysteinspiegel durch Gabe von Folsäure, Pyridoxin (Vitamin B6) und
Cobalamin (Vitamin B12) senken lassen (Cattaneo et al. 1998). Ob eine solche Substitution
Einfluss auf das Thromboserisiko hat, ist jedoch unklar. Für die rheumatoide Arthritis (RA)
ist ebenfalls ein erhöhtes Thromboserisiko beschrieben, insbesondere in Assoziation mit
dem Vorhandensein von Antikardiolipinantikörpern, die bei der RA in etwa 15% der Fälle
10 auftreten (Seriolo et al. 1999; Merkel et al. 1996). Zusätzlich finden sich häufig erniedrigte
Protein-S-Spiegel. Die Prävalenz venöser Thromboembolien bei RA wird in der Literatur
mit 3,8% angegeben (MIehsler et al. 2004). Eine Assoziation von Antiphospholipidanti-
körpern mit einem erhöhten Thromboserisiko findet sich auch bei Kollagenosen wie dem
systemischen Lupus erythematodes. Hier sind sowohl der Nachweis von Lupusantikoagu-
lans als auch der Nachweis von Antikardiolipinantikörpern mit einem deutlich erhöhten
Thromboserisiko assoziiert (Somers et al. 2002).
Herzinsuffizienz
Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist das Risiko sowohl für arterielle als auch für venöse
Thromboembolien erhöht. Bislang lag das Hauptaugenmerk hauptsächlich auf den arteri-
ellen Thromboembolien. Es wird aber geschätzt, dass etwa 16% aller Patienten mit einer
Herzinsuffizienz in den Stadien NYHA III-IV auch venöse thromboembolische Komplika-
tionen erleiden (Geerts et al. 2001). In einer Autopsiestudie wurden bei Patienten mit dila-
tativer Kardiomyopathie in nahezu 40% der Fälle abgelaufene Lungenembolien gefunden
(Roberts et al. 1987). In einer retrospektiven Fallkontrollstudie zeigte sich, dass ambulante
herzinsuffiziente Patienten ein etwa 2,6fach erhöhtes Thromboembolierisiko im Vergleich
zu Patienten mit normaler linksventrikulärer Funktion aufweisen. Je schwerer die Herzin-
suffizienz und je niedriger die Ejektionsfraktion, desto höher ist das venöse Thromboem-
bolierisiko (Howell et al. 2001).
Pathophysiologisch von Bedeutung sind einerseits eine Verlangsamung der Blutfluss-
geschwindigkeit, andererseits Verwirbelungen an sog. Rezirkulationszonen wie Venen-
klappen, Gefäßgabelungen oder Kalibersprüngen. Die Herzinsuffizienz geht außerdem
Kapitel 10 · Thrombogenität verschiedener Krankheitsbilder
65 10
mit einer Hyperkoagulabilität einher, die sich im Wesentlichen durch eine endotheliale
Dysfunktion erklären lässt. Das im Endothel synthetisierte NO wirkt ebenso wie Prosta-
zyklin antiaggregatorisch auf Thrombozyten und hat zusätzliche vasodilatierende Eigen-
schaften. Eine Endotheldysfunktion geht zum einen mit verminderter NO-Synthese und
erhöhter Thrombogenität des Endothels einher, zusätzlich lassen sich erhöhte Endothelin-
und Angiotensin-II-Spiegel nachweisen. Beide sind starke Vasokonstriktoren, erhöhen
den peripheren Widerstand und drosseln die Perfusion der Peripherie. Bei Patienten
mit Herzinsuffizienz sind außerdem erhöhte Spiegel für von-Willebrand-Faktor (vWF)
und Fibrinogen nachweisbar. Der vWF ist ein im Subendothel lokalisierter Mediator
der Thrombozytenaktivierung. Durch Bindung an den thrombozytenständigen Rezeptor
(GPIb/V/IX) erfolgt die Thrombozytenadhäsion und -aktivierung. Darüber hinaus führen
auch proinflammatorische Zytokine, wie der häufig im Plasma chronisch herzinsuffi-
zienter Patienten nachgewiesene Tumor-Nekrose-Faktor-D, zu einer Aktivierung der
plasmatischen Gerinnung. Die Thrombogenität erhöht sich zusätzlich bei Vorliegen einer
hereditären Thrombophilie.
Neuere Studien (MEDENOX, PRINCE) konnten zeigen, dass bei Patienten mit einer
fortgeschrittenen Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien III und IV) eine Prophylaxe mit nie-
dermolekularem Heparin das erhöhte Thromboembolierisiko signifikant senken kann.
Inzwischen wird eine Thromboembolieprophylaxe sowohl in einem europäischen Consen-
sus Statement (Nicolaides et al. 2001) als auch von der 6. Consensus Conference der ACCP
(Geerts et al. 2001) zumindest für stationär behandlungsbedürftige Patienten mit einer
Herzinsuffizienz empfohlen.
Nephrotisches Syndrom
Das nephrotische Syndrom ist definiert durch das Auftreten einer Proteinurie >3,5 g
pro 1,73 m² Körperoberfläche in 24 h, einer Hypoalbuminämie, von Ödemen und einer
Hyperlipidämie. Es tritt im Rahmen von primären Glomerulonephritiden auf, aber auch
sekundär bei anderen Glomerulopathien, wie sie im Rahmen von Kollagenosen, Vasku-
litiden, Malignomen, einer Amyloidose oder einem Diabetes mellitus vorkommen. Das
nephrotische Syndrom geht mit einer besonders hohen Thromboseinzidenz einher. Bei
Erwachsenen wird eine Häufigkeit thromboembolischer Komplikationen von bis zu 40%
angegeben (Orth u. Ritz 1998). Am häufigsten finden sich Nierenvenenthrombosen (bei der
membranösen GN in 20–30% der Fälle) sowie Thrombosen in den Becken- und Beinvenen.
Nur ein Teil dieser Patienten ist symptomatisch. Wesentlich seltener hingegen sind arte-
rielle Thrombosen (Lee et al. 2000). Sie sind aber wegen ihrer möglichen schweren klini-
schen Folgen wie Myokardinfarkt und Hirninfarkt von besonderer Bedeutung. Die erhöhte
Thromboseneigung wird auf einen Zustand der Hyperkoagulabilität zurückgeführt. Diese
ist bedingt durch erhöhte Spiegel von Fibrinogen, Faktor V und Faktor VIII, einen Mangel
an Antithrombin (aufgrund eines renalen Verlustes), eine erhöhte Thrombozytenzahl und
-aggregation, eine erhöhte Blutviskosität infolge Hypovolämie und eine Hypoalbuminämie
(Orth u. Ritz 1998; Lee et al. 2000). Zusätzlich haben immunologische Vorgänge im Glo-
merulum selbst einen Einfluss auf die Gerinnung. Aus diesem Grund treten Nierenvenen-
thrombosen besonders häufig bei Patienten mit einer membranösen oder fokal-segmental
sklerosierenden Glomerulophritis auf (Sester et al. 1998). Neben der Hyperkoagulabilität
erhöhen der Einsatz von Diuretika und Glukokortikoiden, eine krankheitsbedingte Immo-
66 Teil II · Pathophysiologie
bilisierung und die Verwendung von Venenkathetern das Thromboserisiko (Lee et al.
2000). Die genauen Pathomechanismen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der
Behandlung thrombotischer Komplikationen sind bevorzugt Cumarinderivate einzuset-
zen. Beim Einsatz von Heparinen ist zu beachten, dass bei einem Antithrombinmangel die
Heparinwirkung abgeschwächt sein kann.
Terminale Niereninsuffizienz
Kapitel 6: Gerinnungskaskade
1. Welche der folgenden Reaktionen wird der sekundären Hämostase zugerechnet?
A. Vasokonstriktion
B. Thrombozytenaggregation
C. plasmatische Gerinnung
D. Fibrinolyse
E. Thrombusorganisation
Kapitel 7: Virchow-Trias
3. Welcher der unter dem Begriff der Virchow-Trias zusammengefassten Faktoren ist für
die Entstehung venöser Thrombosen am wichtigsten?
A. Veränderung der Blutströmung
B. Veränderung der Blutzusammensetzung
C. Veränderung der Gefäßwand
D. Bei der Thrombogenese handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, sodass
nicht ein einzelner Faktor, sondern mehrere zusammenkommen müssen, um die Ent-
stehung einer venösen Thrombose zu erklären.
E. Keine der Antworten trifft zu.
▼
Kapitel 6–10 · Fragen
69 6–10
6. Welcher Befund gehört nicht zu den Kriterien, die ein Antiphospholipidsyndrom defi-
nieren?
A. arterielle Thrombose
B. venöse Thrombose
C. Thrombozytopenie
D. wiederholte Spontanaborte
E. Nachweis von Lupusantikoagulans
▼
70 Teil II · Pathophysiologie
10. Welche der folgenden Aussagen zur Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium III und IV trifft
nicht zu?
A. Das Risiko für arterielle Thromboembolien ist erhöht.
B. Das Risiko für venöse Thromboembolien ist erhöht.
C. Eine endotheliale Dysfunktion bedingt eine Hyperkoagulabilität.
D. Eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe senkt das Thromboserisiko nach-
weislich.
E. Je höher die Ejektionsfraktion, desto höher das Thromboserisiko.
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III
Historische Entwicklung
K. Kröger
11 ⊡ Tabelle 11.1. Indikationen für die medikamentöse Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin.
(Nach Riedler 1977)
Krankheitsbild Thromboseprophylaxe
Schweiz. Diese Form der Prophylaxe hatte sich insbesondere beim akuten Infarkt bewährt.
Bezogen auf die Low-dose-Prophylaxe bei internistischen Patienten kommt die Analyse
nicht zu schlüssigen Ergebnissen, wobei die Autoren wiederum die unzureichende Daten-
lage beklagen.
Die erste systematische Untersuchung zum Nutzen einer generellen Heparinprophyla-
xe am allgemein-internistischen Patientengut erschien 1982 (Halkin et al. 1982). An 1358
konsekutiven Patienten der medizinischen Abteilung eines Akutkrankenhauses in Israel
wurde die Wirkung von zweimal täglich 5000 I.E Heparin untersucht. Nach Ausschluss zuvor
definierter Kontraindikationen erhielten alle aufgenommen Patienten mit gerader Patien-
tennummer die Prophylaxe und alle Patienten mit ungerader Patientennummer dienten als
Kontrolle. Um einen unerwünschten Einfluss durch die Patientenselektion abhängig von den
Kontraindikationen auszuschließen, wurden bei der Analyse alle Patienten mit gerader (669,
davon 411 mit Heparin), und alle Patienten mit ungerader Nummer berücksichtigt. Die Mor-
talität lag in der Patientengruppe unter Heparinprophylaxe mit 7,8% signifikant niedriger als
in der Kontrollgruppe mit 10,9%. Der Unterschied nahm mit der Länge des Krankenhaus-
aufenthaltes kontinuierlich zu (p=0,025). Insgesamt konnte die Mortalität durch Heparin um
31,1% reduziert werden. Die Autoren folgerten, dass eine Low-dose-Heparinprophylaxe bei
allen immobilisierten internistischen Patienten, die kein Blutungsrisiko haben, indiziert sei.
1992 erschien eine Arbeit zur Thromboseprophylaxe von J.H. Beer, Leiter des Throm-
boselabors der Medizinischen Klinik der Universität Bern. Sektionsdaten der in der eigenen
Klinik Verstorbenen, hatten ergeben, dass der Anteil an Lungenembolien bei den Verstor-
benen ohne Thromboseprophylaxe in den chirurgischen Fächern bei 50% und in den medi-
zinischen Fächern bei 45,6% lag (Havig 1977). Seine sich daraus ableitenden Empfehlungen
zur Thromboseprophylaxe bei internistischen Erkrankungen sind in der folgenden Über-
sicht aufgeführt. Auf eine Differenzierung der Grunderkrankung oder der Risikofaktoren
nach Schweregraden wurde nicht gesondert eingegangen. So heißt es in der Diskussion:
»Die Dauer der Prophylaxe sollte der Phase der verminderten Mobilität angepasst und
unter Umständen zu Hause weitergeführt (und überwacht!) werden, zumal nur die Spital-
aufenthalte, kaum aber die Phasen der Thrombosegefährdung laufend kürzer werden.«
In Hinblick auf die Einführung der DRGs und der heutigen Diskussion um die optimale
Dauer der Thromboseprophylaxe hat diese vor mehr als zehn Jahren formulierte Forde-
rung nichts an Aktualität und Weitsicht verloren.
Trotz dieser bereits seit langen Jahren bestehenden und begründeten Empfehlungen zur
Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin wurde ihre Handhabung kontrovers disku-
tiert. Daten der Universität Nimwegen zeigten, dass im klinischen Alltag das Thrombose-
risiko internistischer Patienten gering war (Schuurman et al. 2000). So wurden von 1992
bis 1996 6332 Patienten internistisch betreut und nur 39 (0,6%) erlitten eine Thrombose.
Von diesen 39 Patienten hatten 24 eine maligne Grunderkrankung. Daraus errechneten die
Autoren für Patienten mit maligner Grunderkrankung ein Thromboserisiko von 2,7%. Die
Sinnhaftigkeit einer generellen Thromboseprophylaxe bei allen internistischen Patienten
wurde von den Autoren damit in Frage gestellt. Andererseits kann ein solches retrospektiv
analysiertes Register die Ergebnisse zur Reduktion der Mortalität durch eine flächende-
ckende Prophylaxe, die 1982 von Halkin publiziert wurden, nicht widerlegen.
11
12
Neuere Ansätze
K. Kröger
proximale Thrombosen berücksichtigt wurden. Nur für proximale Thrombosen war die
Sensitivität der Kompressionssonographie ausreichend, um als Untersuchungsverfahren
für die Studie zugelassen zu werden.
Die PRIME Studie wurde von 1991 bis 1993 durchgeführt. In der Einleitung der Publi-
kation wird angeführt, dass plazebokontrollierte Studien zur Thromboseprohylaxe bei
internistischen Patienten aus ethischen Gründen nicht mehr vertretbar seien. Ziel dieser
doppelblinden randomisierten multizentrischen Studie war es, die Gleichwertigkeit einer
Prophylaxe mit 40 mg Enoxaparin einmal täglich und einer Prophylaxe mit 3-mal tägli-
cher Gabe von 5000 I.E Calcium-Heparin bei immobilisierten internistischen Patienten
zu belegen. Um die Blindung zu wahren, wurden auch in der Enoxaparingruppe täglich 3
Subkutanspritzen verabreicht, von denen jedoch 2 nur isotone Mannitollösung enthielten
(Lechler et al. 1996).
Einschlusskriterien waren eine Immobilisation für mindestens 7 Tage und ein zusätzli-
cher Risikofaktor: Alter >60 Jahre, Tumor, Adipositas, Z. n. Thrombose, Herzinsuffizienz
NYHA III–IV, Extremitätenparese, Hemi- oder Paraplegie oder schwerer Infekt. Neben
anderen Ausschlusskriterien führten Antiaggreganzien bzw. nichtsteriodale Antiphlogisti-
ka innerhalb der letzten sieben Tage zum Ausschluss. Eine solche Komedikation wurde bei
späteren Studien nicht mehr berücksichtig. Alle Patienten wurden bei Einschluss und nach
Ablauf der 7 Tage sonographisch gescreent. Bei klinisch symptomatischen Patienten wur-
den zusätzliche Untersuchungen durchgeführt. Bei positiven Sonographiebefunden wurde
die Thrombose phlebographisch bestätigt.
Während der 7 Tage traten in der Enoxaparingruppe nur eine Thrombose (0,2%) und in
der Gruppe mit unfraktioniertem Heparin 6 thrombembolische Ereignisse (2 Thrombosen,
12 2 Thrombosen mit Lungenembolie, 2 Lungenembolien, 1,4%) auf. Somit konnte die Gleich-
heit der Studienarme sicher belegt werden. Das Signifikanzniveau für Überlegenheit der
Enoxaparingaben wurde nicht erreicht. Dafür war die Studie auch nicht konzipiert. Schwe-
re Blutungen wurden in der Calcium-Heparingruppe bei 9 und in der Enoxaparingruppe
bei 2 Patienten beobachtet.
Obwohl in dieser Studie der Anteil von Tumorpatienten mit etwa 14% deutlich höher
als in der HESIM-Studie war, fiel auch hier die niedrige Rate an Thrombosen auf. In der
Diskussion der Arbeit wird die mangelnde Sensitivität der Sonographie für Thrombosen
bei asymptomatischen Patienten als eine Ursache für die niedrige Thromboserate ange-
geben.
Die Inzidenz der Thrombose betrug 4,8% in der Enoxaparingruppe und 4,6% in der
Heparingruppe. Relevante Blutungen wurden in der Enoxaparingruppe 1-mal und in der
Heparingruppe 2-mal beobachtet. Durch die Verwendung des Radiofibrinogentests war die
Thromboserate in dieser Studie im Vergleich zu den anderen Studien höher.
In dieser Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Nadroparin im Vergleich zu
Plazebo bei 221 beatmeten Patienten mit akut dekompensierter chronisch obstruktiver
Lungenerkrankung untersucht. Die Studie wurde von 1992 bis 1995 in Frankreich durch-
geführt. Warum die Studie jedoch erst im Jahre 2000 publiziert wurde, bleibt unklar. Aus-
schlusskriterien waren alle blutungsgefährdenden Organveränderungen wie z. B. Ulcera
ventriculi oder zerebrale Veränderungen (Fraisse et al. 2000).
Im Gegensatz zu anderen Studien zur Thromboseprophylaxe wurde Nadroparin in
dieser Studie in körpergewichtsadaptierter Dosis appliziert (45–70 kg: 3800 anti-Xa-Ein-
heiten; 71–110 kg: 5700 anti-Xa-Einheiten). Die Prophylaxedauer betrug maximal 21 Tage.
Primärer Endpunkt war die Inzidenz tiefer Venenthrombosen, die durch regelmäßige
Ultraschalluntersuchungen während der Studie und durch eine Phlebographie am Ende des
Studienzeitraums verifiziert wurden.
Die Thromboseinzidenz war in der Nadroparingruppe mit 15,5% deutlich niedriger als
mit 28,2% in der Plazebogruppe (p=0,045). Schwere Blutungen traten bei 6 Patienten der
Nadroparingruppe bzw. 3 Patienten der Plazebogruppe auf, was sich statistisch als nicht
verschieden errechnete. Fulminante Lungenembolien wurden nicht beobachtet, auch nicht
82 Teil III · Evidenzen für eine Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin
in der Plazebogruppe. Die Autoren weisen daraufhin, dass danach auch nicht systematisch
gesucht wurde.
Im Jahr 2000 erschien eine Metaanalyse zum Thema Thromboseprophylaxe bei internisti-
schen Patienten mit unfraktioniertem bzw. niedermolekularem Heparin. Publiziert wurde
sie von P. Mismetti aus dem Institut für Klinische Pharmakologie der Universität Lyon,
Frankreich. Neben den zuvor beschriebenen Studien wurden einige weitere Studien, die als
primären Endpunkt die Thromboseinzidenz hatten und die Thrombosen mittels Radiofi-
brinogentest, Sonographie oder Phlebographie dokumentierten, berücksichtigt. Studien,
die überwiegend Patienten mit akuten Infarkt oder Apoplex eingeschlossen hatten, blieben
unberücksichtigt (Mismetti et al. 2000).
Zusammen wurden in der Metaanalyse Daten von 15.095 Patienten analysiert. Bei
internistischen Patienten konnte eine Heparinprophylaxe im Vergleich zu einer Kontroll-
gruppe ohne Prophylaxe das Risiko für eine Thrombose bzw. eine klinisch manifeste Lun-
genembolie um 56% bzw. 58% reduzieren (p>0,01), ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen
(⊡ Tabelle 12.1).
Weitere neun Studien verglichen die Wirksamkeit von unfraktioniertem Heparin
gegenüber niedermolekularem Heparin an insgesamt 4669 Patienten. Signifikante Unter-
schiede, bezogen auf die Rate an Thrombosen bzw. Lungenembolien und die Mortalität,
ergaben sich nicht (⊡ Tabelle 12.2). Das Risiko für größerer Blutungen war jedoch unter
niedermolekularen Heparinen um 52% niedriger (p=0,0049).
Die Studien zeigten, dass das Risiko für eine Thrombose bei internistischen Patienten
ohne Heparinprophylaxe bei 19% lag. Damit war nach Einschätzung der Autoren das
12 Thromboserisiko für internistische Patienten vergleichbar mit dem chirurgischer Patienten
(Collins et al. 1988; Leizorovicz et al. 1992), aber niedriger als das Risiko bei orthopädischen
Operationen (Nurmohamed et al. 1992). Andererseits wurde auch herausgestellt, dass das
Thromboserisiko nur durch die systematische Suche nach Thrombosen so hoch war. Die
meisten Thrombosen waren klinisch asymptomatisch und auf distale Venen beschränkt.
Auch wenn dies die klinische Wertigkeit der Thrombosezahlen etwas schmälert, so konnte
doch gleichzeitig das Risiko klinisch relevanter Lungenembolien um 50% gesenkt werden.
Außerdem wiesen die Autoren darauf hin, dass man die Ergebnisse nicht auf alle internisti-
schen Patienten verallgemeinern dürfte und für spezifische Subgruppen die Risiko-Nutzen-
Beziehung detailliert erarbeitet werden muss.
⊡ Tabelle 12.1. Übersicht über die randomisierten und kontrollierten Studien zum Nutzen einer Heparinprophylaxe bei internistischen Patienten. (Nach Mismetti et al. 2000)
Dahan et al. 1986 4/132 12/131 0/135 3/135 1/135 6/135 1/135 3/135
Ibara-Perez et al. 1988 1/33 12/46 0/39 3/46 – – 4/39 0/46
Bergmann et al. 1996 – – 10/1230 17/1244 124/1230 128/1244 – –
Gardlund et al. 1996 – – 34/5917 74/5917 304/5776 333/5917 14/5776 6/5917
Fraisse et al. 2000 13/84 24/85 0/108 0/113 18/108 17/113 6/108 3/113
Total 35/453 76/392 44/7338 99/7505 447/7249 484/7409 25/6262 12/6341
Anteil 7,7% 19,4% 0,6% 0,13% 0,6% 0,65% 0,4% 0,2%
⊡ Tabelle 12.2. Übersicht über die randomisierten und kontrollierten Studien zum Vergleich einer Prophylaxe mit unfraktioniertem Heparin und niedermolekularem Heparin
bei internistischen Patienten. (Nach Mismetti et al. 2000)
Forette et al. 1988 4/146 3/149 0/146 1/149 6/146 7/149 0/146 4/149
HESIM 1996 6/726 4/710 5/810 6/780 23/810 9/780 5/810 4/780
APTE 1996 0/129 1/127 – – 8/129 8/127 1/129 4/127
PRIME 2000 1/477 4/482 0/477 4/482 7/477 11/482 2/477 9/482
EMSG 1996 9/207 10/216 1/216 0/223 7/216 8/223 1/216 2/223
PRINCE 1996 19/239 22/212 1/239 1/212 28/332 30/333 1/332 1/333
Total 48/2057 49/2028 7/2037 12/1996 84/2343 76/2326 10/2243 27/2226
12
13
Aktuelle Studienergebnisse
K. Kröger
Der Gedanke, die Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin nicht auf alle internistischen
Patienten zu übertragen, sondern den Effekt für spezifische Risikogruppen zu überprüfen,
wurde für weitere Studien aufgegriffen. Hierbei galt das Interesse den Hochrisikopatienten.
Die MEDENOX-Study wurde 1996 begonnen. Zum damaligen Zeitpunkt wurde beklagt,
dass die Häufigkeit venöser Thrombosen bei internistischen Patienten noch weitgehend
unbekannt und der Nutzen eines routinemäßigen Einsatzes einer medikamentösen Throm-
boseprophylaxe im internistischen Patientengut nur unzureichend belegt war. Ziel der
MEDENOX-Studie war es daher, die Häufigkeit thrombembolischer Ereignisse im internis-
tischen Patientengut zu untersuchen und gleichzeitig den Nutzen und die Sicherheit zweier
Prophylaxeregime (20 mg und 40 mg Enoxaparin) zur Vorbeugung tiefer Beinvenenthrom-
bosen und Lungenembolien zu sichern (Samama 1999).
In diese doppelblinde randomisierte und plazebokontollierte Studie wurden insgesamt
1102 Patienten eingeschlossen. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem Krankenhaus-
aufenthalt aufgrund einer akuten internistischen Erkrankung wie Herzinsuffizienz NYHA
III und IV oder einer akuten nichtbeatmungspflichtigen Atemwegserkrankung. Patienten
mit einer akuten Infektion, rheumatischen Erkrankung, (einschließlich akuter Lumboi-
schialgie, Arthritis, Wirbelsäulenkompression), oder Dickdarmerkrankung wurden einge-
schlossen, wenn ein weiterer Risikofaktor vorlag. Als Risikofaktoren definiert waren: Alter
>75 Jahre, Tumor, vorausgehende Thrombose, BMI >30 für Männer und >28,5 für Frauen,
Varikosis, Hormonersatztherapie sowie chronische Herz- oder Atemwegserkrankungen.
Verglichen wurde die Wirkung von 20 mg und 40 mg Enoxaparin einmal täglich mit Pla-
zebo. Die prophylaktische Enoxaparingabe begann spätestens 24 h nach Randomisierung
und wurde während des Krankenhausaufenthaltens für 6–14 Tage fortgesetzt. Die Nachbe-
obachtung dauerte zwischen 83–110 Tage und erfolgte zum Teil telefonisch (⊡ Abb. 13.1).
Das Studiendesign unterschied zwischen einem thromboembolischen Ereignis innerhalb
der ersten 14 Tage (primärer Endpunkt) und der ersten 110 Tage (sekundärer Endpunkt).
Eine Bildgebung zur Dokumentation der Thrombosen (Phlebographie; falls diese nicht
möglich: Sonographie) wurde systematisch zu den jeweiligen Zeitpunkten bei 866 Patienten
durchgeführt. Bei klinischem Lungenembolieverdacht wurde ebenfalls eine entsprechende
Kapitel 13 · Aktuelle Studienergebnisse
85 13
Randomisierung
Enoxaparin Enoxaparin
Plazebo
1-mal 20 mg 1-mal 40 mg
n= 371
n= 364 n=367
In dieser offenen randomisierten multizentrischen Studie wurden der Effekt und die
Sicherheit einer Prophylaxe mit Enoxaparin gegenüber einer Prophylaxe mit unfraktio-
niertem Heparin bei 665 Patienten mit schwerer Herz- oder Ateminsuffizienz untersucht
(Kleber et al. 2003). In der Begründung zu dieser Studie heißt es, dass trotz der Empfehlung
einer Internationalen Konsensus-Konferenz aus dem Jahre 1997, den Nutzen der nieder-
86 Teil III · Evidenzen für eine Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin
p=0,0002
16 Placebo
Enoxaparin 20 mg
Enoxaparin 40 mg
12
RRR = 63 %
Patienten (%)
p=0,037
8
RRR = 65 %
4
0
Alle Thrombosen Proximale Thrombosen
Randomisierung
Heparin Enoxaparin
3-mal 5000 I.E. 1-mal 40 mg
n=333 n=332
die Prevent-Studie so angelegt, dass als primärer Endpunkt nur Ereignisse wie klinisch rele-
vante proximale Thrombosen, fatale oder nichtfatale Lungenembolien und der plötzliche
Tod stehen (Leizorovicz et al. 2003).
Die Prevent-Studie ist eine randomisierte doppelblinde multizentrische Studie an 3706
hospitalisierten internistischen Patienten mit erhöhtem Thromboserisiko bei der der Nutzen
von 5000 I.E. Dalteparin über 14 Tage gegen Plazebo getestet wurde. In Kenntnis der Ergeb-
nisse der MEDENOX-Studie wurde mit 5000 I.E. Dalteparin bewusst eine hohe Prophylaxe-
dosis gewählt und auf den Vergleich mit niedrigeren Dosen verzichtet. Die häufigsten Grün-
de für die Hospitalisierung waren eine dekompensierte Herzinsuffizienz, eine akute Atem-
wegserkrankung oder eine Infektion. Zwei Drittel der Patienten waren älter als 75 Jahre.
Die Thrombosen werden am 21. Tag durch eine Kompressionssonographie aller Pati-
enten, die nicht vorher symptomatisch wurden, ausgeschlossen bzw. nachgewiesen. Die
Inzidenz primärer Endpunkte war 2,77% (42/1518) in der Dalteparingruppe und 4,96%
(73/1473) in der Plazebogruppe (p=0,0015). Die Anzahl proximaler Thrombosen war in
der Dalteparingruppe ebenfalls niedriger mit 29 versus 60. Große Blutungen wurden bei 9
(0,49%) Patienten mit Dalteparin und 3 (0,16%) Patienten in der Plazebogruppe dokumen-
tiert (p=0,15).
ARTEMIS: Fondaparinux vs. Placebo for VTE Prophylaxis in Medical Ill Patients
Zusammenfassung
Die Gesamtsicht der Literatur zur Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin führt zu
folgenden Ergebnissen:
Patienten mit internistischen Erkrankung haben ein erhöhtes Thromboserisiko. Dieses
bezieht sich aber überwiegend auf akut erkrankte immobilisierte Patienten und Tumor-
patienten. Die Bedeutung dieses Risikos wird durch die hohe Anzahl von internisti-
schen Patienten mit chronischen Erkrankungen oder diagnostischen Routineeingriffen
im klinischen Alltag bisher weitgehend verdrängt.
Lässt man ältere Studien auf der Basis des Radiofibrinogentests außer Acht, variiert das
Risiko abhängig von der untersuchten Patientengruppe für alle Thrombosen zwischen
– 14,9% (MEDENOX) und 28% (Nadroparin Prevention Study), 10,5% (ARTEMIS)
und für eine klinisch relevante Thrombose zwischen
– 2% (HPSG) und 4,9% (PREVENT).
Eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin bzw. Pentasaccharid reduziert das
Thromboserisiko für alle Thrombosen unabhängig von ihrer Symptomatik auf
– 5,5% (MEDENOX), 10,4% (PRINCE), 15,5% (Nadroparin Prevention Study), 5,6%
(ARTEMIS)
und für eine klinisch symptomatische Thrombose auf
– 0,2% (PRIME), 0,5% (HESIM), 1,2% (HPSG), 0,3% (MEDENOX), 2,77% (PREVENT).
Obwohl es einzelne Studien zu anderen Präparaten gibt, ist von den niedermolekularen
Heparinen bisher nur Enoxaparin zur Thromboseprophylaxe bei internistischen Pati-
enten zugelassen. Grundlage für diese Zulassung bildeten insbesondere die MEDENOX-
13 und die PRINCE-Studie.
14
Schon seit den siebziger Jahren gibt es Hinweise, dass nicht nur chirurgische, sondern auch
nicht chirurgische Patienten in gewissen Risikosituationen durch venöse Thromboemboli-
en gefährdet sind, jedoch mangelte es lange Zeit an aussagekräftigen Studien. Nicht zuletzt
wurde die Durchführung klinischer Studien dadurch erschwert, dass es bei nicht chirur-
gischen Patienten keinen exakt definierbaren Startpunkt für den Beginn eines thromboti-
schen Geschehens gibt und die thromboseauslösenden Faktoren wesentlich vielfältiger sind
als in der Chirurgie, was eine genaue Beschreibung der gefährdeten Patienten zusätzlich
erschwert. So blieben viele Fragen unbeantwortet, bis neuere Studien an klar definierten
Patientenpopulationen mit prospektiv erfasstem Risikoprofil eine bessere Kategorisierung
von nicht chirurgischen Patienten ermöglichten.
Einen wesentlichen Beitrag zur Bestimmung der Inzidenz venöser Thromboembolien
bei nicht chirurgischen Patienten hat die MEDENOX-Studie (Samama et al. 1999) geleistet,
die darüber hinaus noch folgende Fragen beantworten kann:
1. Kann das Thromboserisiko durch eine medikamentöse Prophylaxe gesenkt werden?
2. Mit welcher Substanz kann die Thromboserate verringert werden?
3. Welche Dosierung ist zu verabreichen?
Die günstigen Ergebnisse der MEDENOX- (Samama et al. 1999) und PRINCE-Studien (Kle-
ber et al. 2003) sowie einer weiteren supportiven Studie an Schlaganfallpatienten (Hillbom
et al. 2002) führten im Frühjahr 2000 zur Zulassung der Hochrisikoprophylaxedosierung
von Enoxaparin 40 mg zur Thromboembolieprophylaxe bei nicht chirurgischen Patienten.
Wörtlich heißt es zu diesem Anwendungsgebiet in der Zulassung:
»Primärprophylaxe tiefer Venenthrombosen bei nicht chirurgischen Patienten mit
mittlerem oder hohem thromboembolischen Risiko bei akuten schweren internistischen
Erkrankungen (Herzinsuffizienz NYHA III bzw. IV, Infektionen, respiratorischen Erkran-
kungen), die eine weitgehende Immobilisation zur Folge haben.«
Bisher ist Enoxaparin das erste und einzige niedermolekulare Heparin, das für diese
14 Indikation in Deutschland zugelassen ist.
Obwohl inzwischen weitere Studien zum Einsatz verschiedener Antithrombotika bei
nicht chirurgischen Patienten durchgeführt wurden und die Datenlage sich somit in den
letzten Jahren erheblich verbessert hat, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch
viele Fragen zu dieser Thematik unbeantwortet sind. Als Vorreiter seitens der pharma-
zeutischen Industrie in diesem Indikationsfeld sieht sich die Firma Sanofi-Aventis auch
weiterhin in der Verantwortung, durch Forschungsprojekte und Studien zur Beantwortung
ungeklärter Fragen beizutragen. Im Folgenden werden einige der aktuellen Projekte kurz
vorgestellt, die dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dienen und ggf. die Ableitung
zukünftiger therapeutischer Behandlungsstrategien erlauben.
AT-HOME-Studie
EXCLAIM
EXCLAIM steht für Extended Clinical prophylaxis in Acutely Ill Medical patients und soll
die Frage nach der optimalen Dauer einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe
bei nicht chirurgischen Patienten beantworten. Nachdem MEDENOX gezeigt hatte, dass eine
Prophylaxe mit 40 mg Enoxaparin über im Mittel 10 Tage bei dem definierten Patientengut
zu einer relativen Reduktion des Thromboserisikos um 63% führt, stellte sich in Analogie
zu chirurgischen Hochrisikopatienten die Frage, ob eine über den stationären Aufenthalt
hinaus verlängerte Prophylaxe die Thromboseinzidenz noch weiter senken kann.
Bei EXCLAIM handelt es sich um eine doppelblinde, randomisierte, plazebokontrol-
lierte Studie, in die 5800 Patienten weltweit eingeschlossen werden. Dabei werden Patien-
ten, die die Einschlusskriterien erfüllen, zunächst über ca. 10 Tage mit 40 mg Enoxaparin
behandelt und danach randomisiert einer 28-tägigen Weiterbehandlung mit Enoxaparin 40
mg oder mit Plazebo zugewiesen. Zum Ende des Beobachtungszeitraumes bzw. bei Throm-
boseverdacht auch eher, erfolgt eine Kontrolle mittels Ultraschalluntersuchung. Mit den
Ergebnissen dieser Studie wird 2005 gerechnet.
PREVAIL
PREVAIL ist eine offene, randomisierte Studie, die das Ziel hat, die Wirksamkeit und
Sicherheit von Enoxaparin im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin bei Patienten mit
akutem ischämischen Schlaganfall zu untersuchen. Diese Patienten haben ein besonders
hohes Thromboserisiko, waren aber aus den Prophylaxestudien der Inneren Medizin aus-
geschlossen, sodass hier noch dringender Untersuchungsbedarf besteht. Das Problem der
medikamentösen Thromboseprophylaxe bei Schlaganfallpatienten wird in Kap. 20 noch
eingehender behandelt werden.
Über diese Projekte hinaus engagiert sich Sanofi-Aventis im Bereich der ärztlichen
Fortbildung und der Öffentlichkeitsarbeit, um insgesamt die Sensibilität für das häufig
unterschätzte Krankheitsbild der venösen Thromboembolie bei nicht chirurgischen Pati-
enten zu schärfen und so zu einer optimierten Versorgung zum Wohl der Betroffenen
beizutragen.
92 Teil III · Evidenzen für eine Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin
2. Die Häufigkeit von Thrombosen bei Patienten mit einem akuten Herzinfarkt, ermittelt mit
dem Radiofibrinogentest, lag bei:
A. 10%
B. 20%
C. 40%
D. 70%
E. 100%
3. Was stimmt zu folgender Feststellung? »Die subkutane Heparingabe ist nicht an ein Spital
gebunden, sondern kann sowohl vom Arzt als auch vom Patienten über längere Zeit hin-
weg auch zu Hause durchgeführt werden.«
A. Die Aussage ist falsch.
B. Die Aussage ist überholt.
C. Die Aussage wurde erstmals im Jahre 2000 gemacht.
D. Die Aussage vor mehr als 25 Jahren macht.
E. Die Aussage gilt nur für niedermolekulare Heparine
5. Eine Metaanalyse von sieben Studien an mehr als 15.000 Patienten zur Wirkung eine
Heparinprophylaxe bei internistischen Patienten, die zwischen 1981 und 2000 publiziert
wurden, ergab folgendes Ergebnis!
A. Eine Heparinprophylaxe macht keinen Sinn.
B. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Prophylaxe wird das Risiko für eine Throm-
bose bzw. eine klinisch manifeste Lungenembolie um mehr als 50% reduziert.
C. Eine Heparinprophylaxe erhöht das Blutungsrisiko deutlich.
D. Ein Heparinprophylaxe soll wegen des hohen Risikos einer »heparininduzierten
Thrombozytopenie« nicht durchgeführt werden.
E. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Prophylaxe wird das Risiko für eine Throm-
bose bzw. eine klinisch manifeste Lungenembolie nur mehr 10% reduziert.
6. Welche Kontrollen sind bei einer Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin bei internis-
tischen Patienten notwendig?
A. Thrombozytenkontrolle
B. aPTT-Kontrolle
C. antiXA-Kontrolle
D. Kontrolle der Blutungszeit
E. Rumple-Leede-Test
▼
94 Teil III · Evidenzen für eine Thromboseprophylaxe in der Inneren Medizin
D. Bei allen Patienten mit erhöhten Werten einer Kombination aus Fibrinomonomer- und
D-Dimer-Test wurde nach Ablauf der Prophylaxephase eine beidseitige Phlebographie
durchgeführt.
E. Die Häufigkeit thrombembolischer Ereignisse in der Enoxaparingruppe war bei den
auswertbaren Patienten 8,4% und in der Gruppe mit unfraktioniertem Heparin 10,4%.
Diese Ergebnisse bedeuteten eine Gleichwertigkeit der Prophylaxeregime.
11. Wie hoch ist die phlebographisch gesicherte Gesamtthromboserate bei nicht chirurgi-
schen Patienten ohne eine adäquate medikamentöse Thromboembolieprophylaxe?
A. ca. 5%
B. ca. 10%
C. ca. 15%
D. ca. 20%
12. Welches Studienprojekt soll klären, inwieweit auch nicht chirurgische Patienten von einer
verlängerten medikamentösen Thromboembolieprophylaxe profitieren?
A. AT-HOME
B. EXCLAIM
C. PREVAIL
Kapitel 11–14 · Literatur
95 11–14
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IV
Teil IV Risikoabschätzung
in der Inneren Medizin
Expositionelle Risikofaktoren
S. Haas
KI Konfidenzintervall.
Kapitel 15 · Expositionelle Risikofaktoren
99 15
des (OR 5,75), Bettlägerigkeit oder Immobilisation im Rollstuhl (OR 5,61), Langstreckenrei-
se (OR 2,35) und Infektionskrankheiten (OR 1,95) zur Thromboseentstehung beigetragen.
Die genannten Odds Ratios sind jedoch mit Vorbehalt zu beurteilen, da eine ambulante
Thrombosebehandlung zur Zeit der Durchführung der Sirius-Studie wesentlich seltener als
heutzutage erfolgte und die Studie deshalb möglicherweise andere Patientenpopulationen
widerspiegelt (Samama 2000).
Hinsichtlich der Bewertung des Stellenwerts verschiedener Erkrankungen als Thrombo-
serisikofaktor (expositionelles Risiko) sind plazebokontrollierte Studien am aufschlussreichs-
ten. Die aus einigen prospektiven Studien ableitbare Evidenz wird nachfolgend diskutiert.
Expositionelles Risiko
⊡ Tabelle 15.2. Häufigkeit venöser Thromboembolien bei verschiedenen Schweregraden der Herzinsuffi-
zienz in der MEDENOX-Studie (Samama et al. 1999)
aplus
weitere disponierende Risikofaktoren. VTE venöse Thromboembolie
100 Teil IV · Expositionelle Risikofaktoren
Auch für diese Patientenpopulation sind aus der MEDENOX-Studie wertvolle Erkenntnisse
zum Thromboserisiko ableitbar. Bei Patienten, die wegen einer akuten respiratorischen
Insuffizienz ins Krankenhaus aufgenommen und unter strikter Bettlägerigkeit behandelt
werden, muss ohne prophylaktische Maßnahmen mit einer Thrombosehäufigkeit von 13%
gerechnet werden (Samama et al. 1999). Unter Intensivbehandlung mit Beatmung steigt
das Risiko auf 18% (Fraisse et al. 2000). Im Vergleich zur schweren Herzinsuffizienz ist
der Stellenwert akuter respiratorischer Erkrankungen als Risikofaktor für das Entstehen
venöser Thromboembolien jedoch geringer einzustufen, was nicht nur aus den Daten der
MEDENOX-Studie abgeleitet werden kann, sondern auch aus der PRINCE-Studie hervor-
geht, in der diese beiden Patientenpopulationen mit zuvor festgelegter Stratifizierung und
Randomisierung eingeschlossen wurden (Kleber et al. 2003).
Bei Patienten mit malignen Erkrankungen werden Thromboseraten bis zu 60% beschrie-
ben, wobei die Zahlen bei verschiedenen Karzinomtypen und Behandlungsregimen sehr
unterschiedlich sein können (Sutherland et al. 2003; Otten et al. 2000; Clarke-Pearson et
al. 1984; Marras et al. 2000). Insbesondere chemotherapeutische Maßnahmen können das
Thromboserisiko signifikant erhöhen (Levine et al. 1988; Saphner et al. 1991).
Neurologische Erkrankungen
Das Thromboserisiko ist bei Patienten mit Schlaganfall, insbesondere bei Vorliegen von
Paresen, besonders hoch. Aus gepoolten Daten verschiedener Studien lässt sich eine Häu-
figkeit venographisch nachgewiesener Thrombosen von 55% ableiten, was zur generellen
Empfehlung prophylaktischer Maßnahmen und deren weit verbreitetem Einsatz geführt
hat (Geerts et al. 2001; Nicolaides et al. 2001).
43/288
14
12 10.5%
10 34/323
8
4.96%
6
73/1473
4
2
0
PREVENT ARTEMIS MEDENOX
⊡ Abb. 15.1. Venöse Thromboembolien unter Placebo in PREVENT, ARTEMIS und MEDENOX (Cohen et al. 2003;
Leizorovicz et al. 2004; Samama et al. 1999)
Schlaganfall 11–75
Myokardinfarkt 16–34
Herzinsuffizienz 15–40
Fazit
15
In Analogie zu chirurgischen Patienten, deren expositionelles Thromboserisiko durch Art
und Umfang des chirurgischen Eingriffs bzw. erlittenen Trauma definiert wird, kann auch
bei nicht chirurgischen Patienten ein expositionelles Risiko definiert werden.
Das expositionelle Risiko von nicht chirurgischen Patienten ist durch Art und Ausmaß
einer akuten Erkrankung geprägt, wogegen Übergänge von Exposition zu Disposition
durchaus möglich sind.
Im Vergleich zu chirurgischen Patienten ist jedoch bei nicht chirurgischen Patienten die
Trennschärfe zwischen expositionellem und dispositionellem Risiko geringer, was für die
Abschätzung des Thromboserisikos nach klinischen Gesichtspunkten im klinischen Alltag
jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt.
16
Dispositionelle Risikofaktoren
S. Haas
In Analogie zu chirurgischen Patienten werden in der neueren Literatur auch für inter-
nistische Patienten zwei verschiedene Determinanten des individuellen Thromboserisikos
beschrieben; dabei werden expositionelle bzw. auslösende von dispositionellen bzw. prä-
disponierenden Risikofaktoren unterschieden. Erstere werden durch den Verlauf einer
akuten Erkrankung bestimmt und Letztere beinhalten das Basisrisiko des Patienten, das
angeboren oder erworben sein kann.
Die Evidenz verschiedener Risikokonstellationen kann prinzipiell aus unterschiedli-
chen Studienarten abgeleitet werden:
aus Kohortenstudien,
aus Untersuchungen an Patienten mit manifesten Thromboembolien und nachfolgen-
den Erhebungen verschiedener Risikofaktoren sowie
aus plazebokontrollierten Studien zur primären Thromboembolieprophylaxe mit post
hoc durchgeführten Risikoanalysen.
Dispositionelle Risikofaktoren
Risikofaktors entsprechen. Gedanklich kann man davon ausgehen, dass der Stellenwert
einer malignen Erkrankung als expositionelles Risiko durch das Ausmaß einer tumoras-
soziierten Hämostasestörung geprägt ist, wie z. B. Thrombozytenaktivierung, Expression
inflammatorischer Zytokine und Produktion von so genannten Tumorprokoagulanzien.
Näheres hierzu ist ausführlich in Kap. 10 beschrieben. Auch bei der chronischen Herzinsuf-
fizienz und dem nephrotischen Syndrom handelt es sich um Krankheitsbilder, die generell
das Basisrisiko des Patienten erhöhen, denen bei Änderung des Krankheitsverlaufs jedoch
ebenso der Stellenwert eines expositionellen Risikofaktors zugeschrieben werden kann.
Die Bedeutung des Alters als Risikofaktor steigt mit zunehmendem Lebensalter durch Ver-
schiebungen der Balance im Hämostasepotential und eventuell bedingt durch eine stetige
Zunahme von erworbenen Risikofaktoren.
Bereits im Jahr 1991 wurde von Anderson et al. im Rahmen einer epidemiologischen Unter-
suchung (The Worcester DVT Study) eine exponentielle Zunahme des Thromboserisikos
mit einem Alter ab ca. 60 Jahren beschrieben. Die Inzidenzen venöser Thromboembolien
sind für jede Lebensdekade in ⊡ Abb. 16.1 graphisch dargestellt.
Kapitel 16 · Dispositionelle Risikofaktoren
105 16
Inzidenzen pro 100.000 in der Bevölkerung
300
250 TVT
LE
200
150
100
50
0
0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 >80
Alter (Jahre)
⊡ Abb. 16.1. Zunahme von venöser Thromboembolien mit dem Alter (Anderson et al. 1999)
2,5
TVT
2 LE
RelativesRrisko
1,5
0,5
0
65-69 70-74 75-79 80-84 85-89
Alter (Jahre)
Auch Kniffin et al. (1994) haben eine relative Risikoerhöhung für venöse Thrombo-
embolien mit Zunahme des Alters beschrieben (⊡ Abb. 16.2). Insbesondere die Gefahr der
Lungenembolie ist bei älteren Patienten stark erhöht.
Auf die besondere Rolle verschiedener Formen der Thrombophilie wurde in Kap. 8 bereits
ausführlich eingegangen. In ⊡ Tabelle 16.2 sind die an Thrombosepatienten ermittelten
Häufigkeiten denjenigen der Allgemeinbevölkerung ohne Thrombosenachweis tabellarisch
gegenüber gestellt. Obwohl es keine aus prospektiv kontrollierten Studien ableitbaren
Daten zum exakten Stellenwert des jeweiligen Thrombophiliefaktors als unabhängiger
Thromboserisikofaktor bei verschiedenen Erkrankungen gibt, ist es medizinischer Kon-
sens, dass diese Faktoren das Thromboserisiko in gewissen Risikosituationen zusätzlich
erhöhen. Man also davon ausgehen, dass bei Vorliegen eines oder mehrerer Thrombophi-
106 Teil IV · Expositionelle Risikofaktoren
Hyperhomozysteinämie 10 4,8
Faktor-V-Leiden-Mutation 20 4
Erhöhte Faktor-VIII-Spiegel 25 11
Hyperfibrinogenämie 15 8
liefaktoren die Schwelle zur Manifestation einer Thrombose gesenkt wird. Dies gilt insbe-
sondere für jüngere Patienten ohne zuvor erlittene Thrombose, da bei älteren Patienten
angenommen werden kann, dass eine Thrombose bei Vorliegen dieser Faktoren schon
früher in Erscheinung getreten wäre.
Wie bereits erwähnt, wird das Basisrisiko für venöse Thromboembolien durch verschiede-
ne beim Patienten vorhandene, prädisponierende Umstände definiert. Eine Post-hoc-Ana-
lyse der Medenox-Studie lieferte auch für die Bedeutung und Bewertung der Basisrisiken
wichtige Erkenntnisse, insbesondere hinsichtlich Wirksamkeit einer medikamentösen
Prophylaxe mit einmal täglich 40 mg Enoxaparin (Alikhan et al. 2003). Bei der Auswer-
tung der Wirksamkeit nach vorhandenen, prädisponierenden Risikofaktoren zeigte sich
für Patienten, die älter als 75 Jahre waren und 40 mg Enoxaparin erhielten, eine signifi-
kante Risikominderung der VTE um 78% im Vergleich zu Plazebo (p=0,0001). Für den
Risikofaktor Immobilität, definiert als selbständige Gehstrecke von <10 m am Tag 10 r 4
Tage, konnte ebenfalls die VTE-Rate in der 40-mg-Enoxaparingruppe signifikant um 56%
16 gesenkt werden (p=0,02). Für den Risikofaktor venöse Thromboembolie in der Anamnese
betrug die Senkung 51% verglichen mit Plazebo, was allerdings statistisch nicht signifikant
war, und für Patienten mit Varikosis konnte eine Risikoreduktion von 76% erreicht wer-
den (p=0,05). Ein besonders hohes relatives Thromboserisiko haben Patienten mit einer
chronisch respiratorischen bzw. chronischen Herzinsuffizienz. Bei diesen Patienten betrug
die Risikosenkung unter 40 mg Enoxaparin jeweils signifikant 74% verglichen mit Plazebo
(p=0,005, p=0,04; ⊡ Abb. 16.3). Bei Patienten mit aktivem Krebs in der Vorgeschichte zeigte
die Auswertung eine Senkung der VTE-Rate um 50% in der Hochdosisgruppe verglichen
mit Plazebo (p=0,4). Bei Patienten mit Adipositas (BMI t30 kg/m2 für Männer; BMI
t28,6 kg/m2 für Frauen) ergab sich eine Risikosenkung von 51% für die 40-mg-Enoxapa-
ringruppe im Vergleich zu Plazebo (p=0,3).
Kapitel 16 · Dispositionelle Risikofaktoren
107 16
Chronisch Chronische
Alter VTE- respiratorische Herz-
Risikoreduktion durch Enoxaparin 40 mg (%)
-75,0
* pO2 < 65 %
-100,0
⊡ Abb. 16.3. Subgruppenanalyse der MEDENOX-Studie hinsichtlich Wirksamkeit von einmal täglich Enoxaparin
40 mg aufgetrennt nach verschiedenen dispostionellen Risikofaktoren. (Mod. nach Alikhan et al. 2003)
Fazit
⊡ Tabelle 16.3. Risikofaktoren und VTE-Risiko in MEDENOX: univariate Analyse (Alikhan et al. 2004)
Risikofaktor RR 95%-KI p
Im klinischen Alltag ist wünschenswert, das individuelle Risiko des Patienten einfach, aber
trotzdem möglichst präzise abschätzen zu können. Diesem Wunsch entsprechend wurden
zahlreiche Modelle und Schemata entwickelt, die eine Indikationsstellung zur Thromboem-
bolieprophylaxe erleichtern sollten, wegen entweder zu komplexer oder zu vereinfachter
Darstellung bisher jedoch kaum Anwendung in der Praxis gefunden haben.
Unter der Annahme, dass nur schwer erkrankte Patienten stationär behandelt werden
und die überwiegende Mehrzahl dieser Patienten vermutlich von einer Prophylaxe profitie-
ren würde, wird von einem Expertengremium in USA eine stark vereinfachte Risikoabschät-
zung propagiert. Demnach wird empfohlen, prinzipiell alle Patienten unter dem Aspekt der
Indikation für eine Prophylaxe zu screenen und diese bei Vorliegen von Risikofaktoren
und nicht bestehender Kontraindikation auch durchzuführen (DVT FREE Consensus Panel
2003; http://www.thrombosis-consult.com/VTED%20Pathway%20rev%204.pdf).
In Deutschland wurde im Rahmen einer interdisziplinären Fachplattform ein einfa-
ches, visuell schnell erfassbares Risikoschema entwickelt, das eine rasche Risikoerfassung
nach klinischen Gesichtspunkten ermöglicht (s. ⊡ Abb. 17.1, Risikoschema zur Erfassung
des individuellen Risikolevels). Das Risikoschema zeigt nach Studienlage und klinischer
Expertise gewichtete Risikoklassen von Akutrisiken (expositionelles Risiko), denen gewich-
tete Risikoklassen von Basisrisiken (prädisponierende Risikofaktoren) gegenübergestellt
wurden (Lutz et al. 2002). Bei den Akutrisiken handelt es sich um Risikofaktoren, die durch
die akute Erkrankung oder deren Behandlung entstehen, wohingegen bei den Basisrisiken
Risikofaktoren erfasst werden, die der Patient ohne den Eintritt der akuten Krankheit
bereits aufweist.
Im Gegensatz zu den operativen Fächern, in denen die Risikoklasseneinteilung in
»hoch«, »mittel« und »niedrig« auch unterschiedliche Heparindosierungen erfordert, ist
diese Einteilung bei internistischen Patienten nicht sinnvoll, weil hier allein die Hochrisi-
kodosierung von Heparin und niedermolekularem Heparin als wirksame Prophylaxe ange-
sehen werden kann. Aus diesem Grund wurde für das Risikoschema die zweidimensionale
Betrachtung gewählt, da die therapeutische Konsequenz stets gleich bleibt: Es handelt sich
also um eine Ja- oder Nein-Entscheidung.
Die Akutrisiken der Klassen 2 und 3 erfordern nach Studienlage eine medikamentöse
Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin. Die Klasse 1 führt erst dann zu einer Indika-
tion, wenn weitere Risikofaktoren aus den Basisrisiken additiv hinzukommen. Unabhängig
von dieser Empfehlung ist es dem Arzt überlassen, auf Grund besonderer Umstände die Indi-
Kapitel 17 · Modelle zur Risikoabschätzung
109 17
Risikoschema zur Erfassung des individuellen VTE-Risikos
5 Myokardinfarkt
5 Herzinsuffizienz NYHA III + IV
5 Akut dekompens. COPD ohne Beatmung 2
GESAMTRISIKO
AKUTRISIKO
5 Sepsis
5 Infektion/akut entzündliche Erkrankung
mit nahezu vollständiger Immobilisierung
5 Kein Akut-Risiko 0
Niedriges. . .
0 1 2 3
BASISRISIKO
⊡ Abb. 17.1. Abschätzung der Indikation zu einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe in Abhängigkeit
von Akutrisiken und Basisrisiken bei internistischen Patienten
kationsstellung abweichend vorzunehmen. Der Vorteil dieses Schemas ist, dass es auch zur
Abschätzung des Thromboserisikos bei der Beratung von Patienten hinsichtlich der Gefahr
einer so genannten Reisethrombose verwendet werden kann. Die Akutrisikoklasse 0 ent-
spräche dem temporär durch die Reiseumstände bedingten Risiko (langes Sitzen in beengter
Sitzhaltung) und im Falle einer Basisrisikoklasse 3 (Vorhandensein besonders gewichtiger
prädisponierender Risikofaktoren) wäre eine medikamentöse Prophylaxe ratsam.
Die Arbeitsgruppe von Cohen et al. (2003) hat ein ähnliches Risikoschema zur Erfas-
sung des individuellen Thromboserisikos vorgestellt, das sich lediglich von dem oben
genannten durch eine Differenzierung von evidenz- und konsensbasierten Risikofaktoren
unterscheidet. Als evidenzbasierte Risikofaktoren wurden aus der Kategorie des expositio-
nellen Risikos folgende Faktoren identifiziert:
ischämischer Apoplex mit Parese,
akut dekompensierte chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit und ohne
Beatmung,
Herzinsuffizienz NYHA III und IV,
Sepsis,
aktive maligne Erkrankung,
nahezu vollständige Immobilisierung bei akuter Infektion oder akut entzündlicher
Erkrankung (z. B. Darm oder Gelenke).
110 Teil IV · Expositionelle Risikofaktoren
Dieses Risikoschema basiert auf einer 3u3-Feldertafel und führt prinzipiell zu einer ähn-
lichen Aussage wie die in Abb. 1 gezeigte 4u4-Feldertafel (⊡ Abb. 17.2). Der Vorteil dieses
Schemas liegt in der einfacheren Erfassung der Akutrisiken und der daraus ableitbaren
Konsequenz einer Indikation zur medikamentösen Prophylaxe. Patienten mit einem evi-
denzbasierten Akutrisiko fallen automatisch in die Kategorie des hohen Risikos, was eine
Indikation zur medikamentösen Prophylaxe bedeutet.
Fazit
Das individuelle Thromboserisiko nicht chirurgischer Patienten ist definiert als Summe aus
expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren.
Die aus mehreren randomisierten Studien ableitbare Evidenz eines erhöhten Thrombo-
serisikos ist für zahlreiche internistische Erkrankungen gesichert.
Mit Zunahme des Basisrisikos sinkt die Schwelle der Manifestation einer venösen Throm-
boembolie bei entsprechender Exposition.
Akuter Myokardinfarkt
Herzinsuffizienz NYHA III + IV Hohes
Sepsis
Aktive Krebserkrankung unter Therapie Gesamtrisiko
Nahezu vollständige Immobilisierung
bei akuter Infektion , bei akuter Entzündung
(z.B. Darm, Gelenke)
Nicht vollständige Immobilisierung
Akut-Risiken
Liegender ZVK
Infusion venenaggressiver Lösungen
bei Port
2. Welche der nachfolgenden Erkrankungen sind aus Studien ableitbar mit einem erhöhten
Thromboembolierisiko assoziiert?
A. Sepsis
B. Akute respiratorische Erkrankungen mit Beatmung
C. Akute Herzinsuffizienz Stadium NYHA III und IV
D. Schlafapnoe Syndrom
E. Pericholecystitis
4. Welche der nachfolgenden Faktoren sind prädisponierende Risikofaktoren für eine venöse
Thromboembolie?
A. Faktor V Leiden Mutation
B. Metabolisches Syndrom
C. Protein C Mangel
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E. Anamnestisch bekannte Thrombose
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V
Kapitel 19 Thromboseprophylaxe
bei geriatrischen Patienten – 117
Kapitel 20 Thromboseprophylaxe
bei Schlaganfallpatienten – 119
18
Die Grundlage für die Beurteilung des Thromboserisikos ist unverändert die Pathophy-
siologie im Sinne der Virchow-Trias. Das Zusammenspiel von Blutfluss, Gefäßwand und
Zusammensetzung des Blutes ermöglicht die Betrachtung einer konkreten klinischen
Situation und erlaubt die Erkennung bestehender Einzelrisiken. Für die Beurteilung des
gesamten thrombembolischen Risikos eines Patienten ist es erforderlich, neben den expo-
sitionellen krankheitsbezogenen Risiken auch die patientenbezogenen prädisponierenden
Risiken zu bestimmen. Im Gegensatz zu den operativen Gebieten ist die Datenlage für nicht
chirurgische Patienten weniger gesichert und die Thrombembolieprophylaxe oft nicht
durch ausreichend große Studien belegt.
In der postoperativen Phase fällt die Entscheidung zur Thromboseprophylaxe im
Allgemeinen leicht, bei internistischen Patienten ist die Indikation oft schwer und nur
pragmatisch zu treffen. Pathophysiologisch kommt es auch bei Immobilisation internisti-
scher Patienten zur venösen Stase und damit zur Beeinträchtigung des venösen Blutflusses.
Gemäß der bereits zitierten Virchow- Trias liegt damit ein Hauptrisiko zur Entstehung
einer venösen Thrombembolie vor. Potenziert wird dieses krankheitsbedingte Risiko
Immobilisation noch durch das Vorliegen weiterer individueller prädisponierender und
krankheitsbezogener Risiken.
Allerdings ist der Grad der Immobilisation und damit das Risiko bei konservativen
Patienten nicht eindeutig definiert. So ist unklar, welchen Zeitraum die Immobilisation
umfassen muss und wie ausgeprägt die fehlende Bewegung der unteren Extremitäten zu
bewerten ist.
Uneinigkeit herrscht darüber, ob nur die vollständige Bettruhe oder auch bereits die
Teilmobilisation mit dem kurzen Gang ins Bad oder auf die Toilette beziehungsweise die
Teilmobilisation im Rollstuhl als Hauptrisiko einzustufen ist. Sicherlich führt die fehlende
Betätigung der Muskelvenenpumpe der unteren Extremitäten zur venösen Stase. Der Fak-
tor Bettlägrigkeit alleine begründet aber noch keine medikamentöse Thromboseprophyla-
xe (Lutz 2001).
Der Zustand der Immobilisation ist ein möglicher Faktor für eine Thrombose, konnte
aber bislang für konservative Patienten nicht durch überzeugende Studien als alleiniger
Risikofaktor festgemacht werden. Kommt zur Immobilisation allerdings noch eine akute
Erkrankung hinzu oder bedingt eine akute Erkrankung eine mehrtägige Bettruhe, steigt das
Risiko einer venösen Thromboembolie deutlich an. Klinisch ist es vielmehr bedeutsam, wie
aktuell die Bettlägrigkeit auftritt.
Kapitel 18 · Das Problem der Immobilität
115 18
Bei einer bleibenden Parese nach 4 Wochen oder bei einem dauerhaft bettlägerigen
Pflegepatienten wird die Indikation zur medikamentösen Thromboseprophylaxe nur dann
zu stellen sein, wenn eine weitere akute Erkrankung auftritt, die den venösen Rückfluss
verlangsamt oder die Gerinnungsbereitschaft des Blutes erhöht.
Deshalb findet sich in diesen Fällen in nahezu allen Modellen zur Risikostratifizierung
bei nicht chirurgischen Patienten die Immobilisation als Risikofaktor für eine venöse
Thromboembolie.
Lutz und Haas (2002) haben in einem Risikoschema zur Erfassung des individuellen
Thromboserisikos die Immobilisation zu den Akutrisiken gezählt und dabei zwischen
nahezu vollständiger und nicht vollständiger Immobilisation unterschieden.
Allerdings wurde der Begriff der Immobilisation nicht präzise definiert und besonders
die Bezeichnung »nicht vollständige Immobilisation« erlaubt einen weiten Spielraum.
So bleibt die Ausprägung der Bettlägerigkeit unklar. Die Autoren betonen aber den
Zusammenhang der Immobilisation mit akuten Krankheitsbildern, die zu einer ent-
sprechenden Risikoeinstufung führen. Die vollständige Immobilisation bei einer akuten
internistischen Erkrankung (z. B. Infektion, dekompensierte Herzinsuffizienz) fällt in dem
vorgestellten Schema in die Risikoklasse 2 und bedarf einer medikamentösen Thrombo-
seprophylaxe. Im Rahmen der Akutrisiken führt die nicht vollständige Immobilisation zu
einem niedrigen Gesamtrisiko und bedarf zunächst keiner medikamentösen Thrombose-
prophylaxe.
In der Stellungnahme der Sixth ACCP Consensus Conference on Antithrombotic
Therapy wird die Immobilisation bei internistischen Patienten nur im Zusammenhang
mit akuten Erkrankungen aufgeführt (Geerts et al. 2001). Sie führt hier ebenfalls zu einer
deutlichen Risikoerhöhung.
In einer Übersichtsarbeit unterstreicht Vaitkus (2004) diese Zusammenhänge und stellt
klar heraus, dass aufgrund der vorliegenden schmalen Datenbasis die Immobilisation allei-
ne zunächst nicht eine sichere Indikation zur medikamentösen Prophylaxe darstellt.
Kommen bei bettlägerigen Patienten jedoch akute internistische Erkrankungen hinzu,
sollte eine adäquate medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden. Hier liegen für die
niedermolekularen Heparine die meisten Erfahrungen und die besten Daten vor.
Zwei klinische randomisierte Studien untersuchten bei akut erkrankten internistischen
Patienten die Wirksamkeit von niedermolekularen Heparinen gegenüber Plazebo bzw.
unfraktioniertem Heparin. Die Indikation zur Thromboseprophylaxe wurde in beiden
Studien durch die Bettlägerigkeit festgelegt. Dabei zeigte sich in der plazebokontrollierten
Studie von Dahan et al. (1986) eine eindrucksvolle Reduktion der Inzidenz tiefer Beinven-
enthrombosen unter Enoxaparin (3% vs. 9,1% unter Plazebo) bei vergleichbarer Blutungs-
rate.
Harenberg et al. (1990) verglichen bei bettlägerigen internistischen Patienten die Wir-
kung von Certoparin und unfraktioniertem Heparin. Bei vergleichbarer Thrombosereduk-
tion waren die Blutungskomplikationen unter dem unfraktionierten Heparin signifikant
häufiger.
Ob die verlängerte Bettlägerigkeit ein erhöhtes venöses Thromboembolierisiko birgt,
wurde jüngst in einer Kohortenstudie analysiert (Gatt et al. 2004). Bei über 3 Monate
dauerhaft bettlägerigen, alten Patienten in Alters- und Pflegeheimen wurde die klinisch
nachweisbare Rate an tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien ermittelt und mit
der Anzahl thromboembolischer Ereignisse bei mobilen älteren Bewohnern der Altenheime
verglichen.
116 Teil V · Ungeklärte Fragestellungen
Dabei zeigte sich in beiden Gruppen eine vergleichbar niedrige Inzidenz klinisch rele-
vanter venöser Thromboembolien (13,9 bzw. 15,8 pro 1000 Patientenjahre) und für die
immobilisierten Patienten ergab sich kein erhöhtes Thromboserisiko. Zusammenfassend
konnte in dieser Arbeit bei chronisch bettlägerigen alten Patienten in Alten- und Pflegehei-
men im Vergleich zu mobilen Bewohnern der Altenheime kein erhöhtes Risiko festgestellt
werden.
Eine dauerhafte oder längerfristige medikamentöse Thromboseprophylaxe kann auf-
grund der vorliegenden Studien bei alten und immobilen bzw. pflegebedürftigen Patienten
nicht generell abgeleitet werden. Bettruhe länger als 3 Tage wird in einer Übersicht auch als
weniger relevanter Risikofaktor mit einer Odds Ratio kleiner 2 für das Auftreten von tiefen
Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien bewertet (Anderson u. Spencer 2003).
Unter Berücksichtigung der Begleitrisiken oder Akuterkrankung handelt es sich bei der
Indikation zur medikamentösen Thromboseprophylaxe stets um eine Individualentschei-
dung (Diehm u. Lawall 2002).
Darüber sollten allerdings die allgemeinen Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe
nicht aus dem Auge verloren werden. Die frühzeitige Mobilisierung und die Kompressions-
behandlung fördern den venösen Rückstrom, führen zur Beschleunigung des Blutflusses in
den tiefen Venen und tragen so zur Risikoreduktion bei.
18
19
VTE-Inzidenz VTE-Inzidenz
50–59. Lj. 70–79. Lj.
Ab wann das Alter einen Risikofaktor für eine Blutung darstellt, wird in der Literatur
uneinheitlich beurteilt. Unstrittig steigt die Blutungswahrscheinlichkeit bei älteren Pati-
enten unter oraler Antikoagulation. Mit einem Alter über 70 Jahre fand sich auch eine
Zunahme der Blutungskomplikationen unter Heparin. Deshalb muss bei alten Menschen
die Entscheidung zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe individuell unter
Berücksichtigung der zugrunde liegenden und auslösenden Thromboserisiken und Blu-
tungsrisiken getroffen werden. In einer größeren Studie bei älteren bettlägerigen internis-
tischen Patienten konnte unter unfraktioniertem und niedermolekulare Heparin eine zu
vernachlässigende Rate an schweren Blutungskomplikationen beobachtet werden (Berg-
mann et al. 1996).
Zusammengefasst muss bei älteren mobilen Patienten ohne auslösende Risikofaktoren
keine medikamentöse Prophylaxe mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin
durchgeführt werden. Dies gilt auch für alte Menschen in Pflege- und Altersheimen.
Das kalendarische Lebensalter an sich ist noch keine Indikation zur Thrombosepro-
phylaxe. Tritt jedoch bei alten Menschen eine akute behandlungsbedürftige internisti-
sche Erkrankung auf, die mit einer erhöhten Thrombosewahrscheinlichkeit einhergeht,
muss diesem Risiko Rechnung getragen werden. Hier besteht die Indikation zur venösen
Thromboembolieprophylaxe, insbesondere bei zusätzlicher Immobilität. Aufgrund der
Metaanalyse von Mismetti et al. (2000) zur venösen Thromboembolie Prophylaxe bei inter-
nistischen Patienten liegen die besten Daten für niedermolekulare Heparine vor.
19
20
Thromboseprophylaxe
bei Schlaganfallpatienten
H. Lawall
Der Schlaganfall ist in Deutschland immer noch die dritthäufigste Todesursache nach Herz-
infarkt und malignen Erkrankungen und tritt typischerweise bei älteren Patienten auf.
Die bei Schlaganfallpatienten häufig auftretende Hemiplegie oder Parese der unteren
Extremitäten führt infolge der Immobilität bzw. Stase zu häufigem Auftreten venöser
Thromboembolien.
Bereits 1972 konnten Warlow et al. eine asymptomatische tiefe Venenthrombose in
der gelähmten Extremität in 60% bei Schlaganfallpatienten finden, wogegen sich im nicht
gelähmten Bein nur zu 7% eine tiefe Venenthrombose nachweisen ließ. Diese Häufung der
tiefen Beinvenenthrombose ohne Thromboembolieprophylaxe konnte in den folgenden
Jahren wiederholt bestätigt werden, sodass von einem Gesamtrisiko von 40–60% in der
betroffenen Extremität ausgegangen werden muss. Deshalb weisen Lutz und Haas (2002)
zurecht darauf hin, dass ein ischämischer Insult mit Parese/Plegie der unteren Extre-
mitäten bereits ohne Vorliegen von weiteren Basisrisiken eine Thromboseinzidenz von
über 10% aufweist und deshalb eine medikamentöse Thromboseprophylaxe indiziert ist.
Internistische Patienten mit akutem ischämischen Insult und Hemiplegie/Parese zählen
zur Hochrisikogruppe für das Auftreten einer venösen Thromboembolie und in allen inter-
nationalen und nationalen Empfehlungen wird zusätzlich zu den nichtmedikamentösen
Basismaßnahmen eine medikamentöse Prophylaxe mit Heparin empfohlen (Geerts et al.
2001; Nicolaides et al. 2000).
Für eine Thrombembolieprophylaxe bei Patienten mit akutem ischämischen zerebralen
Insult ist die Überlegenheit von niedermolekularem Heparinen gegenüber unfraktionier-
tem Heparin in 2 Studien belegt (Hillbom et al. 2002). Dies gilt allerdings nicht für einen
längeren Zeitraum bei hemiplegischen Patienten.
Über die Auswirkung auf das neurologische Defizit sind allerdings noch keine Aussagen
möglich.
In einer großen Studie (International Stroke Trial, IST, 1997) wurde der Einsatz von
ASS, in Kombination mit Heparin, Heparin allein oder Plazebo überprüft. Die primären
Endpunkte (Mortalität innerhalb von 14 Tagen, Mortalität und schwere Behinderung nach
6 Monaten) waren weder unter ASS noch unter Heparin verändert. Bei Betrachtung der
sekundären Endpunkte zeigte sich unter anderem jedoch, dass die Lungenembolierate
unter Heparin signifikant niedriger war. Erkauft wurde diese Risikominderung durch eine
etwas größere Anzahl hämorrhagischer Infarzierungen. Diese Beobachtung konnte von
Hillbom et al. (2002) in der bereits oben angeführten Studie bestätigt werden. Allerdings
120 Teil V · Ungeklärte Fragestellungen
waren diese hämorrhagischen Transformationen nicht von klinischer Bedeutung und unter
Enoxaparin signifikant geringer als unter unfraktioniertem Heparin. Trotzdem sollte bei
Patienten mit akutem ischämischen Insult in der Frühphase der Behandlung wiederholt
die Klinik und der morphologische CT-Befund zur Therapiefindung mit herangezogen
werden.
Zusammenfassend gilt für Patienten mit akutem ischämischen Insult und Hemiplegie,
dass neben den Basismaßnahmen (Kompressionsstrümpfe, Frühmobilisation und Reha-
bilitation) niedermolekulare Heparine zur venösen Thromboembolieprophylaxe indiziert
sind. Die Dauer der Anwendung ist noch unklar, für den Zeitraum der akuten stationären
Behandlung sollte sie unter Berücksichtigung der aktuellen Blutungsrisiken jedoch durch-
geführt werden.
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122 Teil V · Ungeklärte Fragestellungen
Teil VI Reiseprophylaxe
Einführung
Obwohl sie kein kein eigenständiges Krankheitsbild ist, hat sich der Begriff der »Reise-
thrombose« im allgemeinen, auch medizinischen Sprachgebrauch, durchgesetzt. Bezeich-
net wird damit eine Thrombose, die im Zusammenhang mit einer längeren Reise und einer
gewissen Immobilität auftritt (Nissen 1997; Partsch et al. 2001; Riedel u. Bohanes 2002;
Schobersberger et al. 2002). Die Zeitspanne des Auftretens einer derartigen Thrombose
nach einer Reise wird unterschiedlich angegeben. Nachvollziehbar sind Zeiträume von 2–4
Wochen, darüber hinausgehende Angaben erscheinen weniger realistisch.
Während zu der im Zusammenhang mit einer Flugreise entstandenen Thrombose
relativ viel Literatur existiert, gibt es weniger Literatur zu Thrombosen, die bei Reisen mit
bodengebundenen Transportmitteln auftreten. Die Ursachen für diese Diskrepanz sind
unklar.
Datenlage
Bis etwa Ende des vorigen Jahrhunderts waren Publikationen über das Auftreten von Rei-
sethrombosen bzw. speziell Flugreisethrombosen überwiegend Fallbeschreibungen bzw.
pathophysiologisch orientierte Untersuchungen (Cruickshank et al. 1988; Eklof et al. 1996;
Homans 1954; Landgraf et al. 2001; Ledermann u. Keshavarzian 1983; May u. Mignon 1981;
Sarvesvaran 1986; Symington u. Stack 1977).
Epidemiologische Untersuchungen, die aufgrund der relativ geringen Inzidenz dieser
Erkrankung eigentlich nur Fallkontrollstudien sein können (Kohortenstudien würden zu
hohe Probandenzahlen erfordern), sind erstmals in den Jahren 1999 und 2000 publiziert
worden. Im Folgenden werden die wichtigsten in den letzten Jahren publizierten Studien
zu diesem Thema kurz beschrieben.
Ferrari et al. (1999) untersuchten Patienten eines Krankenhauses in der Nähe eines
Pariser Flughafens. 160 Patienten mit einer Thrombose wurden 160 Kontrollpatienten, die
im gleichen Zeitraum wegen Brustschmerz, Hochdruck oder Synkope aufgenommen wor-
den waren, gegenübergestellt. In der Gruppe der Fälle hatten 39 (24,4%) eine längere Reise
unternommen (durchschnittliche Dauer 5,7 Stunden), während es in der Kontrollgruppe
Kapitel 21 · Welche Studiendaten gibt es?
125 21
nur 12 (7,5%) waren. Insgesamt 9 (5,6%) Patienten aus der Thrombosegruppe hatten eine
Flugreise hinter sich gebracht, für die Kontrollgruppe gibt es hierzu keine Angaben. Für alle
Reisen ergab sich damit eine Odds Ratio von 3,9 (CI 1,9–8,4).
Samama (2000) fand in einer Untersuchung zu Risikofaktoren für tiefe Venenthrom-
bosen bei ambulanten Patienten bei 494 Fällen und 494 Kontrollen einen Prozentsatz
von Langstreckenreisen von 12,6% in der Fall- und 6,3% in der Kontrollgruppe. Daraus
errechnete sich eine Odds Ratio von 2,35 (CI 1,45–3,8). In dieser Studie, die als Multicenter-
Fallkontrollstudie mit 624 Allgemeinärzten angelegt war, wurden die Thrombosepatienten
mit den Kontrollen alters- und geschlechtsentsprechend gematcht, wobei jedem Thrombo-
sepatienten der erste Patient, der sich mit einer Virusgrippe oder einem nasopharyngealen
Syndrom nach dem Einschluss eines Thrombosepatienten vorstellte, als Kontrolle zuge-
ordnet wurde.
Das Design einer Fallkontrollstudie von Krajenhagen und Mitarbeitern (2000) erscheint
am ehesten geeignet, einen Bias bei der Rekrutierung zu vermeiden. In diese Studie wurden
alle Patienten aufgenommen, die unter dem Verdacht auf ein thromboembolisches Ereig-
nis untersucht wurden. Von den insgesamt 788 in die Studie aufgenommenen Personen,
hatten 186 eine Thrombose und wurden als Fälle den 602 untersuchten Personen, die keine
Thrombose hatten, gegenübergestellt. Der Anteil der Thrombosepatienten, die eine Lang-
streckenreise absolviert hatten, betrug 4,8%, bei den Kontrollen waren es 7,1%. Der Anteil
der Flugreisenden in beiden Gruppen war mit jeweils 2,2% gleich, allerdings waren die
absoluten Anzahlen mit 4 bzw. 13 Langstreckenflugreisenden sehr niedrig. Die aus diesen
Daten errechnete Odds Ratio betrug für alle Reisen 0,7 (CI 0,3–1,4) für Flugreisen 1,0 (CI
0,3–3,0).
In einer prospektiven Studie untersuchten Scurr et al. (2001) 231 Flugpassagiere vor
Antritt und nach einer Flugreise, die innerhalb von 6 Wochen Flugreiseabschnitte von
mind. 2-mal 8 Stunden umfasste. Von diesen trugen 115 Kompressionsstrümpfe Klasse
1 bis zum Knie, während 116 keine Strümpfe trugen. Die Untersuchungen umfassten
einen D-Dimer-Test sowie eine Duplexsonographie der tiefen Beinvenen. Zwölf der
116 Passagiere ohne Strümpfe entwickelten eine symptomfreie tiefe Venenthrombose
der Wadenvenen, während in der Gruppe der mit Kompressionsstrümpfen reisenden
Passagiere keine tiefe Venenthrombose festgestellt wurde, jedoch vier oberflächliche
Thrombophlebitiden. Aus den erhobenen Daten ergibt sich eine Thrombosehäufigkeit
von 10%, allerdings für asymptomatische – in der Arbeit auch nicht näher beschriebene
– Wadenvenenthrombosen.
In einer ebenfalls prospektiven Arbeit mit einem ähnlichen Design untersuchten
Schwarz und Mitarbeiter (2003) das Auftreten von Venenthrombosen bei insgesamt 964
Passagieren nach längeren Flügen (t8 Stunden) und 1213 nicht reisenden Probanden.
Ausgeschlossen waren Patienten, die mit Antikoagulanzien behandelt worden waren oder
die Kompressionsstrümpfe trugen. Prüfparameter waren das Auftreten ultrasonographisch
feststellbarer Wadenmuskelthrombosen und tiefe Venenthrombosen, symptomatische
Lungenembolien und Tod. In der Gruppe der Flugpassagiere traten 27 Thrombosefälle auf
(2,8%), während dies bei den Kontrollen nur 12-mal der Fall war (1%). 20 Passagiere (2,1%)
und 10 Kontrollen (0,8%) hatten eine isolierte Wadenmuskelvenenthrombose, wohingegen
7 Passagiere (0,7%) und 2 Kontrollen (0,2%) eine tiefe Venenthrombose hatten. Eine sym-
ptomatische Lungenembolie wurde bei einem Passagier mit tiefer Venenthrombose gefun-
den. Alle Passagiere, die ein thromboembolisches Ereignis entwickelten, hatten zumindest
einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Venenthrombose (Alter >45 Jahre, erhöhter
126 Teil VI · Reiseprophylaxe
betrug dabei 1% (9 von 878, CI 0,5–1,9). Eine Kontrollgruppe wurde nicht untersucht
(Hughes et al. 2003).
Kelman und Mitarbeiter untersuchten die zeitlichen Beziehungen zwischen Langstre-
ckenflugreisen und venöser Thromboembolie. Sie prüften dazu die Unterlagen von 5408
Patienten, die in den Jahren 1981–1999 in West-Australien mit einer venösen Thrombo-
embolie ins Krankenhaus eingewiesen worden waren und korrelierten diese Daten mit
den Ankunftsdaten internationaler Flüge (Kelman et al. 2003). Sie stellten dabei fest, dass
das Risiko einer venösen Thromboembolie nur 2 Wochen nach einer Langstreckenflug-
reise erhöht war. Das relative Risiko für australische Bürger betrug 4,17 (CI 2,94–5,40),
außerdem wurde ein »Healthy-traveller-Effekt« (»Reisende sind überwiegend gesund«)
beobachtet, vor allem für australische Bürger. Zusammenfassend stellen die Autoren fest,
dass das jährliche Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden, um über 12% steigt, wenn
ein Langstreckenflug jährlich unternommen wird. Das durchschnittliche Risiko, an einer
venösen Thromboembolie, die im Zusammenhang mit einem Flug steht, zu versterben,
ist aber doch sehr gering, verglichen mit dem Risiko, durch einen Autounfall zu Tode zu
kommen.
Das individuelle Todesrisiko durch eine flugbedingte venöse Thromboembolie für
Patienten mit vorbestehenden gesundheitlichen Einschränken ist jedoch wahrscheinlich
größer als das durchschnittliche Risiko von einem Todesfall auf 2 Mio. ankommende Flug-
passagiere (Kelman et al. 2003).
Mit Ausnahme der von Scurr und Mitarbeiter vorgelegten Studie, die eine sehr hohe Inzi-
denz von Wadenvenenthrombosen zum Ergebnis hatte und die z. T. sehr kritisch beurteilt
wurde (Bauersachs u. Landgraf 2001; Hirsh u. O´Donnell 2001; Riedel u. Bohanes 2002),
weisen alle kontrollierten Studien entweder auf ein Fehlen oder auf einen zahlenmäßig
nur geringen Zusammenhang zwischen der Entwicklung einer Venenthrombose und einer
langen (Flug-)Reise hin. Außerdem gibt es eine Reihe von Hinweisen darauf, dass vor allem
Patienten mit vorbestehenden Risikofaktoren während einer solchen Reise eine Thrombose
entwickeln bzw. gefährdet sind, dies zu tun (Belcaro et al. 2001; Kelman et al. 2003; Kesteven
u. Robinson 2001; Schwarz et al. 2003).
An den meisten beschriebenen Studien kann Kritik geäußert werden. Bei den Studien
von Ferrari und Samama ist die Auswahl der Kontrollkollektive möglicherweise problema-
tisch. Die Studie von Krajenhagen, die ein konsequentes Design hat, bei dem ausschließ-
lich Patienten mit einer Symptomatik für eine Thrombose aufgenommen wurden, ist in
Bezug auf Reisen nicht prospektiv angelegt. Eine überzeugend angelegte Studie ist die von
Schwarz und Mitarbeitern, in der 984 Passagiere prospektiv vor und nach einer langen
Flugreise untersucht wurden. Allerdings ist auch hier bei der Rekrutierung der Probanden
bzw. auch des Kontrollkollektivs ein Bias möglich, da es sich um Teilnehmer handelt, die
über eine Medienaktion rekrutiert wurden, was immer die Gefahr in sich trägt, dass beson-
ders gesundheitsbewusste Probanden an einer derartigen Studie teilnehmen.
Nichtkontrollierte Studien, wie die neuseeländische Studie, ergeben lediglich einen Hin-
weis darauf, dass bei einem bestimmten Prozentsatz der Reisenden, hier etwa 1%, mit einer
Thrombose zu rechnen ist. Da aber auch hier das Kollektiv ähnlich wie in der Arbeit von
Schwarz rekrutiert wurde, kann damit keine allgemein gültige Aussage getroffen werden.
128 Teil VI · Reiseprophylaxe
Fazit
21
Fasst man die genannten Daten mit aller Vorsicht zusammen, so ergibt sich momentan
folgendes Bild:
Langstreckenflugreisen im Flugzeug sind per se nicht sonderlich gefährlich, zu einer
Thrombose zu führen, ebenso wenig Langstreckenreisen mit anderen Verkehrsmitteln.
Andererseits treten während dieser Reisen Thrombosen auf, z. T. auch mit der Folge einer
tödlichen Lungenembolie. Betroffen scheinen in erster Linie Patienten zu sein, die schon
ein Risiko für die Entwicklung einer Venenthrombose bzw. einer Lungenembolie in sich
tragen. Dementsprechend kann neben der Empfehlung eines – ganz allgemein gesprochen
– vernünftigen Verhaltens auf einer Reise, es nur sinnvoll sein, die Passagiere zu identi-
fizieren, die ein erhöhtes Risiko haben, während der zusätzlichen »Risikosituation Lang-
streckenreise«, eine Thrombose zu entwickeln, und diese auch gezielt einer Prophylaxe
zuzuführen (Bauersachs u. Landgraf 2001).
22
Risikostratifizierung
H. Landgraf
Unter der Vorstellung, dass das Gesamtrisiko für die Entwicklung einer Thrombose bei
Flugpassagieren unterschiedlich ausgeprägt und eine generelle medikamentöse Prophy-
laxe weder medizinisch noch ökonomisch zu vertreten ist, ist eine Risikostratifizierung
notwendig.
Diese Risikostratifizierung muss die verschiedenen, bereits bestehenden Risikofaktoren
des Flugpassagiers erfassen und diese in einem Zusammenhang mit dem begrenzt einwir-
kenden Risikofaktor »Langstreckenreise« bringen.
Hier sind in der Literatur mehrere Vorschläge gemacht worden, die vom Prinzip her
diese Voraussetzungen berücksichtigen.
Während auf einem Expertentreffen in Berlin 2001 (Landgraf et al. 2002) die Empfeh-
lung lautete, individuell Häufung und Bedeutung der einzelnen Risikofaktoren zu beurtei-
len, was Erfahrung im Umgang mit diesen Fragestellungen erfordert, kam im Juni 2001 ein
Expertenmeeting, initiiert von den angiologischen und phlebologischen Fachgesellschaften
Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, zu einer mehr schematischen und damit auch
einfacher anzuwendenden Einteilung in verschiedene Risikogruppen. Diese sind nach
verschiedenen Risikofaktoren definiert, eine Prophylaxe ist damit relativ einfach durchzu-
führen (Partsch et al. 2001).
Es werden drei Gruppen unterschieden:
Gruppe 1 – niedriges Risiko: Jede vielstündige Reise in vorwiegend sitzender Position
bedingt bei Reisenden, die ansonsten keine in den weiteren Risikogruppen angeführten
persönlichen Risikofaktoren haben ein niedriges Risiko.
Gruppe 2 – mittleres Risiko: Zusätzlich zu einer längeren Reisedauer sind gegeben
– Schwangerschaft oder postportale Phase oder mindestens zwei der nachfolgend auf-
geführten Faktoren:
– Alter über 60 Jahre,
– klinisch relevante Herzerkrankung,
– nachgewiesene Thrombophilie/familiäre Thromboseneigung,
– große Varizen, chronisch venöse Insuffizienz,
– Ovulationshemmer/postmenopausale Hormonersatztherapie,
– Adipositas mit einem BMI von >30,
– Exsikkose.
130 Teil VI · Reiseprophylaxe
Diese Zusammenstellung erfolgte aufgrund der in der Literatur zu diesem Zeitpunkt (Juni
2001) verfügbaren Daten zu thromboembolischen Risikofaktoren. Eine Evaluation dieser
Risikofaktoren im Hinblick auf ihre Bedeutung bei langen Reisen ist bisher nicht erfolgt.
23
Maßnahmen
H. Landgraf
In jedem Fall sollte, wie bereits ausgeführt, eine individuelle Beratung des Patienten erfol-
gen, auch sollten Notwendigkeit und Dringlichkeit der Reise beurteilt werden. So kann das
Verschieben einer Reise bzw. der Verzicht auf eine mit einer Gefährdung einhergehenden
Reise ein sinnvolles Vorgehen im Falle eines Risikopatienten sein.
Die Anforderungen an das ideale Antithrombotikum bzw. optimale Antikoagulans in
diesem Zusammenhang sind hoch: Neben einer hohen Effektivität und Sicherheit sollten
eine einfache Applizierbarkeit und eine gute Steuerbarkeit vorliegen.
Die heute verfügbaren und auch z. T. in der Thromboseprophylaxe von internistischen
Erkrankungen zugelassenen niedermolekularen Heparine erfüllen diese Anforderungen in
großem Umfang, weswegen sie zum jetzigen Zeitpunkt als die Prophylaxemedikation der
Wahl angesehen werden müssen (Bauersachs et al. 1998; Samama et al. 1999).
Medikamente in oraler Darreichungsform, die genauso effektiv und nebenwirkungsarm
sind, sind derzeit nicht zugelassen. Möglicherweise wird sich hier in den nächsten Jahren
eine Änderung ergeben.
4. Zu den Risikofaktoren, die ein hohes Thromboserisiko mit sich bringen, zählen
A. eine nachgewiesene Thrombophilie
B. familiäre Thromboseneigung
C. Alter über 60
D. anamnestisch bekannte venöse Thromboembolien (auch länger zurückliegend)
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VII
Die Problematik
R.M. Bauersachs
Allein in den Vereinigten Staaten werden über 1 Million Patienten mit Vorhofflimmern
langfristig mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) behandelt (Dunn et al. 2003) und eine
vergleichbare Zahl mit künstlichen Herzklappen. Wegen einer venösen Thromboembolie
(VTE) steht etwa ein weiteres Drittel unter einer Langzeitantikoagulation. Gleichzeitig
sind aber, gerade bei dem älteren Patientenkollektiv, immer wieder interkurrente Eingriffe
erforderlich. Über die Jahre ist damit mit Tausenden von Eingriffen zu rechnen, bei denen
sich die Problematik einer Unterbrechung der oralen Antikoagulation (OAK) stellt. Es
handelt sich dabei vor allem um zahnärztliche Eingriffe, Punktionen und Operationen an
Gelenken, Kataraktoperationen oder Endoskopien mit oder ohne Biopsie.
Obwohl es sich also um ein sehr häufiges klinisches Problem handelt, das mit einem
erheblichen Risiko vergesellschaftet sein kann, auch im Hinblick auf neu auftretende
Thromboembolien oder Blutungen, liegen überraschenderweise bislang keine randomisier-
ten Studien mit klinischen Endpunkten zu dieser Fragestellung vor. Der betreuende Arzt
wird daher oft von der wissenschaftlichen Datenlage alleine gelassen.
Die Sekundärprophylaxe mit VKA ist eine höchst effiziente Therapie (⊡ Tabelle 24.1):
Die Risikoreduktion durch diese Maßnahme beträgt bei der akuten VTE oder bei der
Rezidivthrombose 80%, beim nichtvalvulärem Vorhofflimmern 66%, beim mechanischen
Herzklappenersatz etwa 75% und bei der akuten arteriellen Embolie 66% (Kearon u. Hirsh
1997; Schulman 2003). Eine Unterbrechung dieser hoch effizienten Therapie setzt die Pati-
enten einem erhöhten thromboembolischen Risiko aus, wobei zu berücksichtigen ist, dass
durch den operativen Eingriff selbst ein zusätzliches thromboembolisches Risiko entsteht.
Andererseits besteht während der Eingriffe ein Risiko für Blutungen, das bei einer posto-
perativen Antikoagulation mit intravenös angewendetem unfraktionierten Heparin (UFH)
auf etwa 3% geschätzt wird (Kearon u. Hirsh 1997).
Die wichtigsten Patientengruppen, die von dieser Problematik betroffen sind, sind Pati-
enten mit Herzklappenersatz, Vorhofflimmern und Patienten nach abgelaufener venöser
Thromboembolie. Aufgrund der Datenlage, die sich bislang vor allem aus Fallzusammen-
stellungen ergibt, besteht für manche klinische Situationen noch kein klarer Konsensus
über das präoperative Management von Patienten unter Langzeitantikoagulation. In den
aktuellen Konsensusempfehlungen des American College of Chest Physicians (Hirsh et al.
2001) wird die periprozederale Überbrückung der Antikoagulation (»Bridging«) mit einem
Evidenzgrad 2B-C eingestuft (»Risiko/Nutzen-Abwägung unklar, zumeist basierend auf
Beobachtungsstudien, schwache Empfehlung«). Eine zusätzliche Herausforderung ergibt
Kapitel 24 · Die Problematik
137 24
⊡ Tabelle 24.1. Thromboembolierisiko bei verschiedenen Erkrankungen und die Risikoreduktion durch
orale Antikoagulation (OAK). (Mod. nach Kearon u. Hirsh 1997; Schulman 2003).
Mitralklappenersatz 22 2–4 85
Rezidiv-VTE 15 3 80
VTE (2.–3.Mon) 10 2 80
Nichtvalvuläres Vorhofflimmern 12 4 66
und Z.n. Schlaganfall
Mitralvitium im Sinusrhythmus 8 2 75
sich durch die Tatsache, dass unter den Veränderungen des Deutschen Gesundheitssystems
die stationäre Verweildauer weiter deutlich verkürzt wird, sodass die präoperative stati-
onäre Überwachung und Einstellung einer Antikoagulation mit intravenös appliziertem
Heparin zunehmend vermieden wird und ein wirtschaftlicher Druck für eine ambulant und
subkutan anwendbare Antikoagulation während der Bridging-Phase entsteht.
Die folgende Zusammenstellung ist ein Versuch, die gegenwärtig verfügbaren Daten
zusammenzutragen, die für ein periprozedurales Bridging vorliegen. Damit sollen im
beschriebenen Spannungsfeld von häufiger klinischer Fragestellung, begrenzter wissen-
schaftlicher Datenlage und Arzneimittelzulassung sowie wirtschaftlichen Zwängen mög-
lichst konkrete Empfehlungen für ein möglichst sicheres und effektives Management dieser
Patienten abgeleitet werden.
25
Therapieoptionen
R.M. Bauersachs
Für die Beurteilung des Risikos einer OAK-Unterbrechung und der Frage ob und, wenn
ja, welche Ersatzantikoagulation eingesetzt werden soll, muss einmal der fehlende Schutz
durch die OAK (s. Kap. 24, ⊡ Tabelle 24.1, Spalte »Risikoreduktion durch OAK«) mit
potenzieller Fallmortalität und -morbidität bei eintretendem Ereignis berücksichtigt
werden, wie auch das ggf. durch die alternative Antikoagulation entstehende Blutungs-
risiko.
Für die VTE ist von einer Fallmortalität von 6% auszugehen (Kearon u. Hirsh 1997) und
weitere 2% hätten während der OAK-Unterbrechung mit schweren Langzeitfolgen zu rech-
nen. Darüber kann es in 3–13% nach erneuter Lungenarterienembolie zu einer chronischen
pulmonalen Hypertonie kommen (Pengo et al. 2004).
Die Konsequenzen einer arteriellen Thromboembolie sind vergleichsweise noch
schwerer, da etwa 20% dieser Episoden tödlich verlaufen und 40% in eine schwere per-
manente Schädigung münden (Anonymous 1993, 1994; Caplan et al. 1983; Anderson et
al. 1994).
Die alternative Antikoagulation, die beim Bridging eingesetzt wird, dürfte vor dem Eingriff
kein erhöhtes Blutungsrisiko darstellen, sofern sie nicht zusätzlich zu einer noch therapeu-
tischen OAK verabreicht wird. Dagegen kann eine noch vorhandene Restaktivität des Anti-
thrombotikums während des Eingriffs das Blutungsrisiko erhöhen, wie auch eine zu frühe
Wiederaufnahme der Antikoagulation nach dem Eingriff, wenngleich das Ausmaß dieses
Blutungsrisikos bis dato nicht genau quantifiziert ist: Ein hohes Blutungsrisiko von 11%
wurde für die ersten fünf Tage einer i.v.-Heparintherapie beschrieben (Hull et al. 1999), das
Risiko für schwere Blutungen dürfte in einer Größenordnung von 1–6% liegen (Dunn et
al. 2003). Ungefähr 3% der Episoden von schweren postoperativen Blutungen sind tödlich,
aber die meisten Patienten kommen zu einer Restitutio ad integrum, obwohl in bis zu 50%
dieser Fälle eine Reoperation erforderlich wird (Kakkar et al. 1993). Selten – ungefähr in
1–2% – können permanente Schäden resultieren.
Kapitel 25 · Therapieoptionen
139 25
Rezidiv-VTE 3 0,1
Vorhofflimmern 0,02 a
a
Vorhofflimmern mit vorausgegangener 0,04
Thromboembolie
aRechnerischErhöhung der Mortalität und Morbidität durch Bridging; bunter Annahme einer zusätzlichen
100fachen Erhöhung des VTE-Risikos durch den Eingriff (Kearon u. Hirsh 1997); VTE venöse Thromboembolie
140 Teil VII · Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation
Bei einer Fortsetzung der OAK oder geringfügigem Absenken der INR innerhalb des thera-
peutischen Bereichs ist nicht von einer Erhöhung des Thromboembolierisikos auszugehen.
Dieser Variante muss das situationsbezogene Blutungsrisiko gegenübergestellt werden
und sie eignet sich daher nur für Eingriffe, die ein niedriges Blutungsrisiko aufweisen
(s. Kap. 27).
Ein Verzicht auf die OAK kommt für diejenigen Indikationen in Betracht, die ein niedriges
Thromboembolierisiko aufweisen. Ein Versuch, dieses Thromboembolierisiko gegen das
Blutungsrisiko einer alternativen Antikoagulation abzuwägen, wird in ⊡ Tabelle 25.1 unter-
nommen.
Aufgrund der variablen Wirksamkeit muss UFH engmaschig durch ein Gerinnungsmoni-
toring (APTT) überwacht und entsprechend dosiert werden. In mehreren Studien wurde
gezeigt, dass dies nur bei einem Bruchteil der Patienten suffizient und sicher gelingt (Topol
et al. 1994). Da die intravenöse Gabe von UFH einen stationären Aufenthalt erfordert,
wurde untersucht, ob eine APTT-adjustierte s.c.-Applikation von UFH möglich ist (Hirsch
et al 1996). Die Studie zeigte eine inakzeptable Einstellungsqualität, sodass die Autoren zu
dem Schluss kommen, dass die s.c.UFH-Therapie nicht für einen breiteren Einsatz geeignet
sei. Der Einsatz von UFH erfordert daher i.d.R. einen stationären Aufenthalt. Dennoch ist
auch unter i.v.-UFH die Einstellungsqualität im Vergleich zu NMH häufig unbefriedigend
(Omran et al. 2003). Eine Nutzen-Risiko-Abwägung für den Einsatz von UFH beim Bridging
einer oralen Antikoagulation wird in ⊡ Tabelle 25.1 vorgenommen.
NMH hat sich im Verlauf der letzten Dekade in der Prophylaxe und Therapie der Thrombo-
embolie gegenüber dem UFH durchgesetzt, da es eine Reihe von Vorteilen bietet: Die Wirk-
zeit ist länger, die Eiweißbindung geringer, und die Bioverfügbarkeit insbesondere auch bei
Kapitel 25 · Therapieoptionen
141 25
s.c.-Gabe höher sowie die therapeutische Wirksamkeit reproduzierbarer, sodass eine fixe
Dosierung ohne Laborkontrolle möglich ist. Die Häufigkeit der heparininduzierten Throm-
bozytopenie ist unter NMH seltener als unter UFH (Warkentin et al. 1995), sodass wegen
des sehr niedrigen HIT-Risikos eine Thrombozytenkontrolle bei internistischen Patienten
nicht nötig zu sein scheint (Greinacher 2003) Durch die 1- bis 2-mal tägliche Anwendung
ohne Notwendigkeit zum Gerinnungsmonitoring ergeben sich hier wesentliche Vortei-
le, die das NMH gegenwärtig als optimale Möglichkeit zum Bridging unter ambulanten
Bedingungen erscheinen lassen. Nicht unterschätzt werden darf jedoch bei den NMH die
Gefahr einer Kumulation bei bestehender Niereninsuffizienz, weswegen die diesbezügli-
chen Warnhinweise, insbesondere bei längerfristiger Anwendung in therapeutischer oder
halbtherapeutischer Dosierung beachtet werden müssen (Bauersachs 1998).
26
Bei der akuten Therapie der VTE ist die Effektivität und Sicherheit von NMH im Vergleich
zu UFH mittlerweile durch zahlreiche Studien belegt. In Metaanalysen zeigt sich eine
Überlegenheit bezüglich des Blutungsrisikos und der Gesamtmortalität (van Den Belt et al.
2000). Daher stellt NMH in zunehmendem Maße die Standardtherapie der VTE dar.
In der Sekundärprophylaxe von Rezidivthromboembolien haben sich NMH in mehre-
ren Studien bewährt; ein aktueller Cochrane- Review belegt, dass NMH (meist in halbthera-
peutischer Dosis) eine den VKA vergleichbare Effektivität zeigt, bei gleichzeitig signifikant
überlegener Sicherheit (van der Heijden et al. 2002). Auf Grund dieser Vorteile wird heute
bereits in einem erheblichen Prozentsatz eine Sekundärprophylaxe mit NMH durchgeführt,
nach spanischen Registerdaten bei Thrombosen der oberen Extremität in fast 50% (Arce-
lus et al. 2003). In der Sekundärprophylaxe nach VTE wurden NMH in unterschiedlichen
Dosierungen eingesetzt. Enoxaparin (Clexane) wurde 1-mal tgl. 40 mg eingesetzt (Pini et
al. 1994), während Nadroparin (Fraxiparin) in einer halbtherapeutischen Dosis mit VKA
verglichen wurde (Lopaciuk 1997). In der Sekundärprophylaxe von VTE bei Tumorpati-
enten wurde sowohl Enoxaparin (Meyer et al. 2002) wie auch Dalteparin (Fragmin) (Lee et
al. 2003) in einer dreivierteltherapeutischen Dosis NMH verwendet, und es zeigte sich eine
Überlegenheit im Vergleich zu VKA (Lee et al. 2003). Tinzaparin (Innohep) wurde in thera-
peutischer Dosis zur längerfristigen Sekundärprophylaxe eingesetzt (Pineo u. Hull 2003).
In der ACE-Studie (Stellbrink et al. 2004) wurde Enoxaparin bei Patienten mit Vorhofflim-
mern vor und nach einer Kardioversion verglichen mit i.v.-UFH, gefolgt von VKA. Sowohl
für diejenigen Patienten, bei denen die Kardioversion nach einer 3-wöchigen Antikoagu-
lationsphase ohne vorherige TEE durchgeführt wurde wie auch bei denjenigen Patienten,
die vorab eine TEE-Untersuchung erhielten und bei fehlendem Thrombusnachweis sofort
kardiovertiert wurden, sowie bei denjenigen, die bei Thrombusnachweis eine 3-wöchige Anti-
koagulation erhielten, war das NMH der Standardtherapie mit UFH und Phenprocoumon
Kapitel 26 · Welche Evidenzen für niedermolekulare Heparine gibt es?
143 26
mindestens ebenbürtig. Eingesetzt wurde dabei eine therapeutische Dosis von 2-mal täglich
1 mg/kg Enoxaparin für 3–8 Tage, gefolgt von einer fixen Dosis von 2-mal 40 mg bei Pati-
enten <65 kg und 2-mal 60 mg täglich bei Patienten >65 kg. Bei 496 Patienten traten in der
Enoxaparin-Gruppe insgesamt 2 schwere Blutungen auf, dagegen 6 schwere Blutungen in der
UFH/VKA Gruppe (n.s.). Die Zahl der leichten Blutungen waren gleich, die Zahl der gesam-
ten embolischen Ereignisse betrug 2 unter Enoxaparin und 4 unter UFH/VKA (n.s.). die
Gesamtzahl an Endpunkten war unter Enoxaparin 7 im Vergleich zu 15 unter UFH/VKA (n.s.).
Diese Studie belegt, dass in der Akutphase vor Kardioversion die alternative Antikoagula-
tion mit s.c.-NMH mindestens so sicher und effektiv ist wie die bisherige Standardtherapie.
In einer Bridging-Studie (EASE-Studie, Omran et al. 2003) wurde als Ersatzendpunkt der
Zeitraum bis zum Eintreten einer effektiven Gerinnungshemmung analysiert: Konsekutive
Patienten mit Vorhofflimmern und/oder Klappenprothesen, die eine Langzeit-OAK erhiel-
ten und bei denen eine Herzkatheteruntersuchung geplant war, erhielten randomisiert ent-
weder eine therapeutische Dosis von Enoxaparin subkutan oder UFH i.v. Nach Absetzen der
OAK wurde ab einer INR <1,5 die Intervention durchgeführt. Für das UFH wurde als Gerin-
nungsparameter die APTT, für Enoxaparin der Anti-Faktor-Xa-Spiegel täglich gemessen.
Der Zeitraum bis zum Eintreten einer suffizienten Gerinnungshemmung war mit Enoxa-
parin signifikant kürzer als mit UFH (1,1 vs. 3,7 Tage, p <0,01). Der Prozentsatz von Tagen
mit einer effektiven Gerinnungshemmung während des gesamten perioperativen Zeitraums
war in der Enoxaparin-Gruppe signifikant höher als in der UFH-Gruppe (93% vs. 53,7%,
p <0,0001). Dies Studie lässt die Schlussfolgerung zu, dass mittels Enoxaparin bei chronisch
antikoagulierten Patienten mit Herzklappenprothesen und/oder Vorhofflimmern rascher
und dauerhafter eine effektive Gerinnungshemmung erreicht wird als mit UFH.
Montalescot et al. (2000) untersuchten in einer vergleichenden, nichtrandomisierten Stu-
die 208 konsekutive operierte Patienten mit Einfach- oder Doppelklappenersatz. Sie erhiel-
ten postoperativ entweder eine subkutane Antikoagulation mit UFH oder NMH. Am 2. Tag
der Heparinbehandlung waren lediglich 9% der Patienten mit UFH im therapeutischen
Bereich, während 87% der Patienten mit NMH im Zielbereich von 0,5–1,0 IU/ml lagen.
Johnson und Turpie (1999) evaluierten den ambulanten Einsatz von NMH bei 515
langzeitantikoagulierten Patienten, davon 209 mit mechanischem Herzklappenersatz. Die
Patienten erhielten im Mittel 5-mal vor dem Eingriff eine therapeutische Dosis von 2-mal
1 mg/kg Enoxaparin oder Dalteparin 2-mal 100 Anti-Xa-Einheiten/kg täglich. Die letzte
Dosis wurde 12 h vor dem Eingriff appliziert, und erneut 8–24 h nach dem Eingriff ange-
setzt, bis eine therapeutische INR erreicht wurde. Bei 515 Patienten gab es keine thrombo-
embolischen Komplikationen, zwei schwere Blutungen und 17 kleinere Blutungen.
Berdague (⊡ Tabelle 26.1) evaluierte Enoxaparin, Nadroparin und Dalteparin unmittelbar
postoperativ nach Ersatz von Mitralklappen oder kombinierten Aorten- und Mitralklappen.
Bei 110 Patienten kam es in einem Fall (0,9%) zu einem Schlaganfall und zu 5,4% Blutungs-
komplikationen und einer Todesrate von 5,3%, von denen nach Angaben der Autoren keine
in Bezug zu NMH stand. Ferreira et al. (2003) evaluierten Enoxaparin und Nadroparin bei 20
Patienten mit mechanischem Herzklappenersatz über 10 + 7 Tage: Im mittleren Verlauf von
3,6 Monaten traten keine thromboembolischen Ereignisse oder Todesfälle auf.
144 Teil VII · Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation
Der Einsatz von Heparin bei Patienten mit mechanischen Herzklappen stellt sicher
unter den genannten Indikationen die schwierigste dar: Dies zum einen, da hier die Zahl
der dokumentierten Fälle am geringsten ist (s. ⊡ Tabelle 26.1), zum anderen, weil die
mechanischen Herzklappen eine hohe Thrombogenität aufweisen, die auch bei relativ
kurzer Unterbrechung der Antikoagulation zur Thrombenbildung führen (Kearon u. Hirsh
1997) könnte, was in der oben ausgeführten Abschätzung (s. Kap. 25, ⊡ Tabelle 25.1, Omran
et al. 2003) vielleicht nicht adäquat repräsentiert wird. Daher könnte hier das Erreichen
⊡ Tabelle 26.1. Klinische Studien, die die Wirksamkeit von niedermolekularem Heparin als Bridging-Thera-
pie untersucht hatten. (Nach Jafri 2004)
Mechanische Herzklappen-OP Dalteparin 100 IU/kg, 2-mal tgl. 110 Berdague 1999
Enoxaparin 100 IU/kg, 2-mal tgl.
Nadroparin 100 lU/kg, 2-mal tgl.
einer kontinuierlichen Gerinnungshemmung eine wesentlichere Rolle spielen, als bei Pati-
enten mit Vorhofflimmern oder nach VTE, sodass möglicherweise eine 1-mal tägliche Gabe
von NMH bei mechanischem Herzklappenersatz nicht ausreichen könnte.
⊡ Tabelle 26.1 zeigt, dass mittlerweile eine Vielzahl von veröffentlichten, Peer-reviewed-
Studien oder Kohortendaten über den Einsatz von NMH zum Bridging bei Herzklappen-
patienten vorliegen (Dunn et al. 2003; APPCR Panel and Scientific Round Table 2002; Jafri
2004), die dokumentieren, dass NMH sowohl eine effektive wie auch eine sichere Antikoa-
gulation gewährleistet.
Der Einsatz von VKA ist während der gesamten Schwangerschaft mit erheblichen fetalen
Risiken vergesellschaftet. VKA gehen mit charakteristischen Embryopathien einher und
können in bis zu zwei Drittel der Fälle teratogene Wirkungen aufweisen. Darüber hinaus
sind ZNS-Abnormalitäten und Ophthalmopathien in jedem Trimester in einer Häufigkeit
von ca. 3–5% beschrieben worden (Stevenson et al. 1980). Die Zeit zwischen der 6. und
10. Gestationswoche scheint dabei die gefährlichste Phase darzustellen, während die ersten
6 Wochen der Gestation ein relativ sicheres Intervall für VKA sein sollen. Wenn man jedoch
die Halbwertzeit von 7 Tagen des in Deutschland überwiegend verwendeten Phenprocou-
mon berücksichtigt, bedeutet dies, dass auch nach Absetzen die Substanz noch über sechs
Wochen hinaus im Körper verbleiben kann. Obwohl einige Empfehlungen vorliegen, dass
im zweiten Trimester VKA wieder angewendet werden könnten, sollten wegen der oben
genannten Nebenwirkungen VKA, soweit möglich, während der gesamten Schwangerschaft
vermieden werden (Toglia u. Weg 1996; Lindhoff-Last et al. 2000; Greer 2004).
Da die Heparinmoleküle nicht plazentagängig sind, werden sie als sicher für den Feten
eingestuft. Bezüglich der maternalen Nebenwirkungen ist insbesondere die Osteoporose
zu nennen. In einer prospektiven randomisierten Studien konnte gezeigt werden dass nach
Heparinbehandlung in der Schwangerschaft die Knochendichte unter UFH signifikant
niedriger war als unter NMH (Pettila et al. 2002). In der Schwangerschaft werden NMH seit
über 15 Jahren angewendet, und in der Literatur sind über 1000 Fälle dokumentiert (Lind-
hoff-Last et al. 2000; Lepercq et al. 2001).
Effektivität
Es gibt zahlreiche Hinweise, dass NMH für die Prophylaxe und Therapie von VTE in der
Schwangerschaft mindestens so sicher und effektiv wie UFH ist. Bei über 1000 schwange-
ren Frauen mit erhöhtem Thromboembolierisiko, die mit NMH behandelt wurden, traten
0,6–1,3 VTE und etwa 3% schwere Blutungen auf (Lepercq et al. 2001; Sanson et al. 1999);
diese Blutungsraten liegen im Bereich von normalen Schwangerschaften.
146 Teil VII · Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation
Der Einsatz von NMH bei schwangeren Patienten mit mechanischem Herzklappener-
satz wird noch kontrovers diskutiert (Groce et al. 2002). Es wurden Fälle von Therapiever-
sagen mit – sogar tödlichen – Klappenthrombosen beschrieben, wobei jedoch in einigen
Fällen subtherapeutische Anti-Xa-Spiegel dokumentiert wurden. In einer eigenen Serie
wurden acht schwangere Frauen in einer therapeutischen Dosis von NMH behandelt, mit
vierwöchentlichem Monitoring der Anti-Xa-Aktivität (Bauersachs u. Lindhoff-Last 2003).
Die Antikoagulation war bezüglich thromboembolischer Ereignissen komplikationslos;
bemerkenswert war allerdings, dass es in über einem Drittel ab der 32. Woche zu einer
schweren Herzinsuffizienz im Rahmen einer Schwangerschaftskardiomyopathie kam (Bau-
ersachs u. Lindhoff-Last 2003). Neben der suffizienten Antikoagulation ist also eine enge
kardiologische Betreuung dieser Patienten unverzichtbar.
Bei begrenzter Datenlage sind daher unter sorgfältiger Nutzen/Risikoabwägung und
26 ausführlicher Aufklärung der Patientinnen folgende Alternativen möglich:
1. Absetzen von VKA, sobald die Schwangerschaft bekannt ist (regelmäßige Schwanger-
schaftstests!) und Ersatz mit einer therapeutischen Dosis von NMH bis zur Entbindung.
Präkonzeptionell wäre ein Umsetzen von Phenprocoumon auf Warfarin wegen der
kürzeren Halbwertszeit empfehlenswert.
2. Absetzen von VKA, sobald die Schwangerschaft bekannt ist, und Überbrückung mit
NMH, wie unter 1. beschrieben; erneutes Umsetzen auf Warfarin ab dem zweiten Tri-
menon bis zum Ende der Schwangerschaft, wo erneut auf NMH für die Entbindungspe-
riode umgesetzt wird.
Bei der Alternative einer kontinuierlichen Antikoagulation mit Warfarin, die möglicher-
weise für die Mutter bezüglich der Verhinderung von Thromboembolien am sichersten
wäre, muss auf das hohe fetale Risiko hingewiesen werden; damit wird diese Alternative
allgemein nicht empfohlen (Lindhoff-Last et al. 2000).
Die langfristige subkutane Anwendung von UFH kann wegen der schlechten Einstell-
barkeit und dem variablen Heparinbedarf in der Schwangerschaft und hohem Osteoporo-
serisiko ebenfalls nicht empfohlen werden.
27
Therapiealgorithmen
R.M. Bauersachs
Spezifische Eingriffe
Zahneingriffe
Zahneingriffe sind ein sehr häufiges Problem für Patienten, die eine Langzeit-OAK erhalten.
Häufig wird aus Furcht vor Blutungen die OAK für den Eingriff unterbrochen, obwohl nur
wenige Fälle von schweren Blutungsereignissen nach Zahneingriffen unter therapeutischer
OAK dokumentiert sind (Wahl 2000). Andererseits sind thromboembolische Komplikati-
onen – zum Teil sogar tödlich – mehr als dreimal häufiger zu beobachten, wenn die OAK
unterbrochen wird (Wahl 2000). Nach 2014 Eingriffen bei 774 Patienten unter fortlaufender
OAK im therapeutischen INR-Bereich kam es in 1,6% zu Blutungsereignissen, die nicht mit
lokalen Maßnahmen gestillt werden konnten. Schwere Blutungen traten unmittelbar nach
12 h (0,6% bei 2014 Eingriffen) auf: 8 der 12 Episoden waren assoziiert mit subtherapeuti-
schen INR-Werten während des Eingriffes.
Dagegen hatten 493 Patienten, bei denen die OAK für insgesamt 542 Prozeduren
unterbrochen wurde, 1% thromboembolische Komplikationen, davon 80% tödlich (Wahl
2000). Unter einer Nutzen-Risiko-Abwägung erscheint es sinnvoll, Zahneingriffe unter
therapeutischer Antikoagulation durchzuführen, wobei durch kurzzeitiges Absenken der
INR innerhalb des therapeutischen Bereiches, z. B. durch 2-tägige Pause von Phenprocou-
mon, das Blutungsrisiko minimiert sein sollte. Lediglich für größere Eingriffe und mehrere
Zahnextraktionen mit erhöhtem Blutungsrisiko soll ein Absenken der INR auf 1,5 erfolgen.
Im Falle von lokalen Blutungen können Tranexamsäure- oder Epsilonaminocapronsäure-
Spülungen eingesetzt werden. Unabdingbar ist eine vorherige Verständigung über den
Ablauf mit dem Zahnarzt oder Kieferchirurgen. Bei Herzklappenpatienten darf die Endo-
karditisprophylaxe in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden.
Ophthalmologische Eingriffe
Eingriffe am Auge gehen nur mit minimalem Blutverlust einher, möglicherweise mit der
Ausnahme von Lid- und Orbitaoperationen. Der häufigste Eingriff dürfte die Kataraktope-
ration sein, die unter therapeutischer Antikoagulation ohne signifikante Blutungskompli-
kationen durchgeführt werden konnte (McCormick et al. 1999). Beschrieben waren dabei
148 Teil VII · Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation
Gastrointestinale Endoskopie
Das Blutungsrisiko nach einer Schleimhautbiopsie erscheint niedrig, solange keine zusätzli-
chen hämorrhagischen Diathesen vorliegen. Allerdings kann es nach einer endoskopischen
Sphinkterotomie in 2,5–5% zu Blutungen kommen (Van Os et al. 1999). Zu berücksichtigen
ist vor allem die verzögert auftretende Blutung nach endoskopischer Sphinkterotomie,
Koloskopie oder Polypenentfernung, sodass die Antikoagulation nach diesen Prozeduren
27 nicht unmittelbar wieder aufgenommen werden sollte (Van Os et al. 1999). In einer retro-
spektiven Auswertung waren bei 171 Endoskopien mit niedrigem Blutungsrisiko (z. B.
Gastroskopie) unter fortlaufender OAK keine thromboembolischen oder Blutungsereig-
nisse aufgetreten, genauso wenig wie bei unterbrochener OAK bei Prozeduren mit hohem
Blutungsrisiko, z. B. Polypektomie (Jafri 2004).
Prostataeingriffe
Abdominalchirurgie
Trotz der häufigen Problematik eines abdominellen Eingriffes unter OAK gibt es hierfür
keine größere Datenbasis (Jafri 2004). Man muss davon ausgehen, dass bei größeren abdo-
minal-chirurgischen Eingriffen ein erhöhtes Blutungsrisiko unter OAK besteht, sodass in
der Regel hier eine Unterbrechung empfohlen wird (Rustad u. Myrhe 1963).
In einer prospektiven und randomisierten Untersuchung von UFH und NMH beim
Bridging einer Dauerantikoagulation für elektive Herzkatherisierung kam es bei keinem
der 68 Patienten zu einer schwerwiegenden Blutung oder einem thromboembolischen
Ereignis (Omran et al. 2003); es kam in 19% zu größeren Hämatomen. Unter UFH entwi-
ckelte ein Patient ein Aneurysma spurium. In einer schwedischen Studie wurde bei 3 von
50 antikoagulierten Patienten ein operationpflichtiges Hämatom beobachtet (Radegran u.
Jyrala 1979). Es traten keine thromboembolischen Ereignisse auf.
Dermatologische Eingriffe
Eine retrospektive Analyse von 653 Patienten nach Hautoperationen (Jafri 2004) beinhaltet
auch 127 Patienten unter Warfarin. Patienten mit Resektionsoperation unter laufender
Warfarinbehandlung hatten in 33% mäßige bis schwere Wundkomplikationen (4 von 12),
dagegen nur 2% (1 von 40) Patienten, bei denen die Warfarintherapie unterbrochen wor-
den war; bei 102 Kontrollen kam es zu keiner einzigen Wundkomplikation.
Trägt man die veröffentlichten Berichte über ein periprozedurales Bridging zusammen,
so kam es bei etwa 2000 Eingriffen in 1,6% zu thromboembolischen Ereignissen, ein-
schließlich sieben Schlaganfällen. Diese Rate ist etwa zehnmal höher (Dunn et al. 2003)
als die rein rechnerische Rate (s. Kap. 25, ⊡ Tabelle 25.1, Warkentin et al. 1995) bei nicht-
antikoagulierten Patienten und hohem thromboembolischen Risiko. Legt man die beob-
achtete Rate an Schlaganfällen (0,4%) zugrunde und die bekannte Risikoreduktion durch
suffiziente Antikoagulation, so ließe sich durch das Bridging ein Schlaganfall pro 333
Patienten verhindern (Dunn et al. 2003). Die Blutungsrate für die postoperative Periode
wird für größere Operationen mit 2–4% und für Interventionen mit 0–2% eingeschätzt;
in dieser Analyse wird allerdings eine lediglich zweitägige postoperative Überbrückung
angenommen, was auf die deutsche Verhältnisse mit Phenprocoumon nicht direkt über-
tragbar ist.
150 Teil VII · Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation
Therapiealgorithmen
INR 3,1 2,6 2,2 1,7 1,4 1,2 1,5 1,9 2,4
NMH ()
(ca. 7 30 / ca. 1800 ) gewicht. gewicht. gewicht. gewicht. gewicht. gewicht.
Blutungskontrolle + + + + + + + + +
Auskultation + + + + + + + + +
⊡ Abb. 27.1. Unterbrechung einer oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon für einen geplanten Eingriff: Sche-
matische Darstellung des Algorithmus für ein Bridging mit niedermolekularem Heparin (nach Omran et al. 2003).
Die NMH-Gabe am Vorabend der Operation erscheint nur bei sehr hohem Thromboembolierisiko unverzichtbar;
sie könnte zu signifikanten NMH-Spiegeln während der OP mit erhöhtem Blutungsrisiko führen
Kapitel 27 · Therapiealgorithmen
151 27
Gewichtsadaptiert therapeutische
Dosierung
⊡ Abb. 27.2. Risikostratifzierung für die alternative Antikoagulation: therapeutische Dosierung von NMH bei
hohem Risiko, halbtherapeutische Dosis bei mittlerem Thromboembolierisiko. (Nach Omran et al. 2003)
therapeutische Dosis von NMH eingesetzt, bei niedrigeren Risiko, z. B. chronischen Vor-
hofflimmern, Sekundärprophylaxe der VTE, wird eine halbtherapeutische Dosis verwendet
(⊡ Abb. 27.2).
Bislang wurden weder bei internationalen noch deutschen Übersichten logistische
Probleme ausreichend gewürdigt, z. B. bei der präoperativen ambulanten INR-Diagnostik:
Es ist zu berücksichtigen, dass bei einem geplanten Bridging die INR auch während des
Wochenendes subtherapeutisch werden kann, sodass zu diesem Zeitpunkt die alternative
Antikoagulation unverzüglich angesetzt werden muss. Hierfür muss eine tägliche INR-
Kontrolle mit kurzfristiger Ergebnismitteilung gewährleistet sein. Daher empfiehlt sich bei
ambulantem Bridging, Eingriffe nicht für montags zu planen, und – wegen des Manage-
ments möglicher Nachblutungen – ist auch der Freitag kein idealer Termin für elektive
Eingriffe. Sollte zum geplanten Eingriffstermin die INR nicht weit genug abgefallen sein,
ergeben sich unter Umständen zusätzliche organisatorische Probleme, wie z. B. Absetzen
vom OP-Plan oder Wiederholung der Endokarditisprophylaxe, was durchaus auch für ein
früheres Absetzen der OAK mit längerem Bridging sprechen kann.
28
Bei der Unterbrechung einer Langzeitantikoagulation für einen geplanten Eingriff befinden
sich die betreuenden Ärzte in einem medikolegalen Dilemma:
Einerseits besteht bei ersatzloser Unterbrechung der OAK ein erhöhtes Thromboembo-
lierisiko, andererseits ist der einzige Ersatz der OAK, der auch in der ambulanten Versor-
gung praktikabel ist, nämlich der durch NMH, nicht offiziell zugelassen.
Im Gegensatz dazu hat UFH eine arzneimittelrechtliche Zulassung, die formal auch das
Bridging mit umfasst. Das liegt daran, dass das Arzneimittelrecht und sein Zulassungsbe-
griff rein formal zu betrachten sind. Entscheidend ist der Wortlaut der Zulassung, nicht,
wie es zu dieser Zulassung gekommen ist und welche Daten dahinter stehen. In diesem
Sinne hat UFH eine umfassende »Altzulassung« für die Prophylaxe und Therapie von
Thromboembolien und damit auch für Indikationen, die formal nicht in Studien überprüft
wurden, wie, z. B. Einsatz bei Bridging; selbst für die Standardindikationen wurde UFH
meist nicht nach heutigen »Good-Clinical-Practice«- und »Evidence-Based-Medicine«-
Standards untersucht.
Die subkutane Anwendung von UFH kann aufgrund der Literaturdaten nicht als Stan-
dard bezeichnet werden. Damit wäre aufgrund der Altzulassung das unfraktionierte Hepa-
rin intravenös gegeben die einzig »zugelassene« und dem medizinischen Standard entspre-
chende Bridging-Option, die aber wegen der intravenösen Gabe die stationäre Aufnahme
des Patienten über mehrere Tage erforderlich macht. Zudem zeigen zahlreiche Studien,
dass die Einstellungsqualität der Antikoagulation unter i.v.-Regime deutlich schlechter ist
als mit NMH.
NMH hat pharmakologische Vorteile im Vergleich zu UFH und wurde in zahlreichen
Fällen erfolgreich als Antikoagulans bei Bridging-Situationen eingesetzt. Trotzdem muss
wegen der oben dargestellten Betrachtungsweise des Arzneimittelrechts die Anwendung
von NMH in einer therapeutischen Dosis zur Behandlung und Sekundärprophylaxe von
Thromboembolien rein formal als »Off-label-Use« beurteilt werden. Eine andere Frage
ist die, ob es sich dabei »nur« um einen solchen »Off-Label-Use« handelt oder ob dieser
Einsatz darüber hinaus als nicht ausreichend durch Daten oder langjährige Erfahrung
* Herrn Dr. med. Dr. jur. Rainer Erlinger sei für wertvolle Hinweise und Ergänzungen bei der Erstellung dieses
Kapitels gedankt.
Kapitel 28 · Zulassungsstatus und damit verbunden Aspekte
153 28
gesichert angesehen werden muss. In letzterem Fall stellt dieser Einsatz dann, auch wenn
die Bezeichnung verwundern mag, einen Heilversuch im juristischen Sinne dar, mit gründ-
licher Abwägung von Für und Wider jenseits des Standards. Für den Einsatz von NMH ist
das derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Er befindet sich gegenwärtig auf dem Weg
zum »Standard«, da er in den zahlreichen internationalen Konsensusdokumenten als
Standardprozedur beschrieben und auch in deutschsprachigen »Standardlehrbüchern« der
internistischen Therapie das Bridging mit NMH dargestellt wird (z.B. Schinzel 2004). Dies
gilt vor allem für den Einsatz bei der Sekundärprophylaxe der venösen Thromboembolie
und dem chronischen Vorhofflimmern.
Unterschiedliche Ansichten bestehen vor allem noch immer über den Einsatz von NMH
zur Antikoagulation bei mechanischen Herzklappen (Dunn et al. 2003; Leyh et al. 2003),
insbesondere in der Schwangerschaft. Vor zwei Jahren wurde in den USA die Packungs-
beilage von Lovenox® (Enoxaparin) mit dem Warnhinweis versehen, dass der Einsatz zur
Prophylaxe bei Herzklappenpatienten nicht empfohlen wird (Groce et al. 2002). Anlass war
ein Therapieversagen bei zwei schwangeren Patientinnen mit Herzklappenersatz; bei bei-
den Patienten war die Dosis in der Schwangerschaft nicht angepasst worden, und in beiden
Fällen wurden subtherapeutische Spiegel von Anti-Xa gemessen.
Die meisten NMH sind in der Schwangerschaft zwar nicht mehr streng kontraindiziert,
aber auch nicht offiziell zugelassen; andererseits besteht eine explizite Kontraindikation für
Phenprocoumon während der gesamten Schwangerschaft.
Für die Praxis bedeutet das: Entscheidend in dieser unklaren Situation ist die offene und
ausführliche Information des Patienten über die Problematik der Bridging-Situation sowie
über den Einsatz eines in dieser Indikation nicht explizit zugelassenen Medikamentes, die
über die sonst übliche Patientenaufklärung bei Heilverfahren und dem Einsatz von Medi-
kamenten hinausgehen muss. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand,
dass der Einsatz außerhalb der offiziellen Zulassung erfolgt.
Ohnehin muss der Patient sehr genau über das reale Thromboembolie- und Blu-
tungsrisiko während eines interkurrenten Eingriffes aufgeklärt werden; die Indikation zu
einem solchen Eingriff muss hinterfragt sowie erneut überprüft und die verschiedenen
Therapieoptionen mit ihren Vor- und Nachteilen müssen mit dem Patienten ausführlich
erörtert werden (s. Checkliste ⊡ Tabelle 28.1). Hilfreich sind hier Aufklärungsbögen, die
aber das ausführliche Aufklärungsgespräch nicht ersetzen können, was besonders für
diese Situation gilt.
Darüber hinaus ist im nichtstationären Bereich zu beachten, dass nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (insbesondere Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR
36/00) sich die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung im Regelfall nur
auf die Anwendung im zugelassenen Anwendungsgebiet erstreckt. Eine Ausnahme gilt nur
für schwerwiegende Erkrankungen, für die keine andere Therapie verfügbar ist und bei
denen aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffen-
den Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen ist. Der Off-Label Use von Medikamenten
im Bereich der GKV ist daher mit Risiken in Hinsicht auf Regresse der Krankenkassen
behaftet.
Da andererseits damit ein kostenintensiverer stationärer Aufenthalt vermieden wird,
ist dem Autor bislang kein Regressanspruch in dieser speziellen Situation bekannt ge-
worden.
154 Teil VII · Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation
5. Welche Möglichkeiten werden für die Überbrückung der oralen Antikoagulation bei
niedrigem Thromboembolierisiko empfohlen?
A. ununterbrochene OAK
B. kurzzeitige Absenkung der INR innerhalb des therapeutischen Bereiches
C. Unterbrechung der OAK und Absenkung der INR in einen Bereich um 1,5
D. ersatzloses Absetzen
E. i.v.-UFH (stationär)
F. s.c.-UFH (ambulant)
G. s.c.-NMH (stationär/ambulant)
10. Welche Dosen von NMH werden beim Bridging bei Patienten mit mittlerem Thrombo-
embolie-risiko in den Tagen vor dem Eingriff (bei nicht mehr therapeutischer INR)
empfohlen:
A. gar kein niedermolekulares Heparin.
B. prophylaktische Dose
C. halbtherapeutische Dosis
D. ¾-therapeutische Dosis
E. Volle therapeutische Dosis
11. Bei welchen Eingriffen ist eine fortgesetzte OAK (oder kurzfristige Absenkung innerhalb
des therapeutischen Bereich) möglich?
A. Zahneingriffe
B. kleinere ophthalmologische Eingriffe
C. gastrointestinale diagn. Endoskopie
D. Prostataeingriffe
E. Abdominalchirurgie
F. neurochirurgische Eingriffe und rückenmarksnahe Anästhesie
1. in der Regel möglich
2. im Einzelfall möglich
3. in der Regel nicht möglich
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Kapitel 24–28 · Literatur
157 24–28
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VIII
Einleitung
Seit Trousseaus Zeiten ist bekannt, dass maligne Erkrankungen ein schwerwiegender Risi-
kofaktor für thromboembolische Komplikationen sind. Bei ca. 10% der Tumorpatienten
werden thromboembolische Komplikationen klinisch diagnostiziert, bei Autopsiestudien
von Karzinompatienten wurden in bis zu 50% der Fälle Thrombosen und/oder Embolien
beschrieben. Die Differenz der beiden Zahlen belegt, wie häufig thromboembolische Ereig-
nisse bei Tumorpatienten nicht oder falsch diagnostiziert werden.
Die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen bei Tumorpatienten ist sowohl von
Tumortyp und -stadium als auch von therapeutischen Maßnahmen abhängig. Während
thromboembolische Komplikationen bei Patienten mit Pankreas-, Bronchial- oder Ovarial-
karzinom sehr häufig beobachtet werden, sind Thrombosen bei Patienten mit Ösophagus-
karzinom, Leukämien oder Lymphomen eher selten (Svendson u. Karwinski 1989; Baron et
al. 1998; Rickles u. Edwards 1983).
Die Ursachen thromboembolischer Komplikationen beim Tumorpatienten sind vielfältig
(Kemkes-Matthes 1997): Bei einzelnen Patienten können z. B. große Lymphome im Abdo-
minalraum direkt zur Kompression großer Gefäße und in der Folge zum thrombotischen
Verschluss führen. Bei nahezu allen Tumorpatienten kommt es zur Aktivierung des Gerin-
nungssystems mit konsekutiver Generierung von Thrombin. Thrombin fungiert nicht nur
als Schlüsselenzym der plasmatischen Gerinnungskaskade, sondern gilt darüber hinaus
als potentester Thrombozytenaktivator und hat wesentlichen Einfluss auf die Expression
von Adhäsionsmolekülen: Thrombozyten translozieren unter Stimulation durch Throm-
bin insbesondere Selektin auf die Thrombozytenoberfläche. Bei Endothelzellen – und in
ähnlicher Form auch bei Tumorzellen – kommt es auf der Zelloberfläche zur Expression
der Adhäsionsmoleküle P- und E-Selektin, ICAM-1 und VCAM-1. Die Expression dieser
Adhäsionsmoleküle wiederum bewirkt, dass »Rolling« und »Adhäsion« von Tumorzellen
an der Endothelzelloberfläche ermöglicht wird, und es schließlich zur Migration durch die
Endothelzellbarriere kommen kann (⊡ Abb. 29.1).
Somit kann durch Aktivierung des Gerinnungssystems bei Tumorpatienten nicht nur
die hohe Inzidenz thromboembolischer Komplikationen erklärt werden, sondern es wird
auch klar, dass ein enger Zusammenhang zwischen Gerinnungsaktivierung und Metasta-
sierungspotential besteht.
Kapitel 29 · Prophylaxe bei Tumorpatienten
163 29
Cancer Procoagulant
Gerinnungsaktivierung
Tissue Factor
Endotoxin, TNF a, IL 1ß
Thrombogene Endotheloberfläche,
Adhäsionsmoleküle
Endothel
a Tumorzelle
Tumorzelle
Adhäsionsmoleküle
b Endothel
Neben der Dosierung hat auch die Dauer der NMH-Prophylaxe beim Tumorpatienten
– ähnlich wie bei Patienten nach Eingriffen an den großen Gelenken – erheblichen Einfluss
auf die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen: Es konnte gezeigt werden, dass
prolongierte, 4-wöchige postoperative Gabe sowohl von 40 mg Enoxaparin (Bergqvist et
al. 2002) als auch von 5000 IU Dalteparin (Rasmussen et al. 2003) die Inzidenz thrombo-
embolischer Komplikationen bei Tumorpatienten von 12 auf 4% bzw. von 10 auf 2% im
Vergleich zu 1-wöchiger NMH- und anschließender Plazebogabe senken konnte.
Insbesondere bei Langzeitbehandlung von Tumorpatienten mit gerinnungshemmen-
den Substanzen muss das u. U. individuell erhöhte Blutungsrisiko bedacht werden – indu-
ziert z. B. durch Faktorenmangel bei ausgedehnter Lebermetastasierung, Thrombozytope-
nie durch Knochenmarkinfiltration oder Chemotherapie oder auch durch exulzerierend
wachsende Tumoren. Bergqvist u. Burmark (1995) zeigten jedoch bereits 1995, dass beim
Tumorpatienten eine Verdoppelung der postoperativen Prophylaxedosis von 2500 auf
5000 IE Dalteparin täglich nicht zu einer Erhöhung des Blutungsrisikos führt. Darüber
hinaus konnte im Rahmen der so genannten »CLOT-Studie« (Bergqvist u. Burmark 1995)
gezeigt werden, dass NMH beim Tumorpatienten in der Sekundärprophylaxe nach throm-
boembolischen Komplikationen günstiger ist als eine orale Antikoagulation mit Warfarin:
Nach 1-monatiger Behandlung mit 200 IU Dalteparin/kg KG 1-mal tgl. s.c. und anschlie-
ßend 150 IU Dalteparin/kg KG über 5 Monate traten weniger Thromboserezidive auf als
in der mit Warfarin (Ziel INR 2,5) behandelten Vergleichsgruppe (9% gegenüber 17%).
Bezüglich schwerwiegender Blutungskomplikationen ergaben sich keine Unterschiede.
Kapitel 29 · Prophylaxe bei Tumorpatienten
165 29
»Tumortherapie« durch Gerinnungshemmung?
Thrombosen sind aufgrund ihrer Häufigkeit und ihres Gefährdungspotentials ein wesent-
licher medizinischer Risikofaktor. Aufgrund der nicht seltenen Koinzidenz von Throm-
bosen mit internistischen Erkrankungen (z. B. im Rahmen maligner Erkrankungen) sowie
als Komplikationsgefahr bei chirurgischen Erkrankungen stellen sie einen komplizieren-
den Faktor bei der Behandlung von Patienten mit einer breiten Palette von Grunderkran-
kungen dar.
Prävention, Diagnostik und Therapie von Thrombosen erfolgen unter großem perso-
nellen und apparativen Aufwand. Die wichtigsten Komplikationen stellen sowohl akut (z. B.
Lungenembolie) als auch chronisch (z. B. postthrombotisches Syndrom) eine medizinische
Herausforderung mit der Notwendigkeit der Nutzung erheblicher Ressourcen (z. B. Inten-
sivmedizin) dar. Auch die Prophylaxe mit unfraktioniertem oder niedermolekularen Hepa-
rin stellt als Standardmaßnahme im Krankenhaus einen wesentlichen Kostenfaktor dar.
Die Besonderheiten und Schwierigkeiten bei der angestrebten leistungsgerechten Ver-
gütung durch das DRG-Fallpauschalensystem lassen sich anhand der Thrombose besonders
gut aufzeigen. Die Umstellung des Krankenhausfinanzierungssystems von Tagessätzen auf
DRG-Fallpauschalen führt zu einem Paradigmenwechsel im deutschen Gesundheitswesen
(⊡ Abb. 30.1).
Die Vergütung nach Fallpauschalen fördert ein prozessorientiertes Denken unter
Berücksichtigung der Gesamtkosten eines Falles. Dabei spielt eine differenzierte Bewer-
tung nicht nur der Sach-, sondern vor allem der Personalkosten eine Rolle, da diese den
mit Abstand größten Kostenanteil im Krankenhaus ausmachen. Bei Eintreten einer Kom-
plikation während eines stationären Aufenthaltes (z. B. Auftreten einer Thrombose) führt
die Verlängerung des Aufenthaltes zwar zu einer Steigerung der Kosten bei der bisherigen
Vergütung nach Tagessätzen aber auch zu einer Steigerung der Erlöse. Bei der fallbezoge-
nen Vergütung nach DRG ist die Aufenthaltsdauer des individuellen Falles innerhalb weiter
Grenzen nicht mehr erlöswirksam. Damit ist eine Verlängerung des Aufenthaltes durch
Auftreten einer Komplikation nur noch kosten-, aber nicht mehr erlössteigernd (Bundes-
ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2004). Die Annahme, dass durch ein
fallbezogenes Vergütungssystem auch prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung von
Komplikationen verstärkt durchgeführt werden, liegt zwar nahe, konnte aber bisher wis-
senschaftlich nicht belegt werden.
Kapitel 30 · Auswirkungen der G-DRG’s auf Prophylaxe und Therapie
167 30
Erlöse (E) Kosten (E)
8000 8000
Tagessatz
7000 7000
6000 6000
Kosten
5000 5000
4000 4000
DRG
3000 3000
2000 2000
1000 1000
0 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Verweildauer
(Tage)
⊡ Abb. 30.1. Krankenhausvergütung nach Tagessätzen und DRG-Fallpauschalen. Die bisherige Krankenhaus-
vergütung nach Tagessätzen beinhaltet eine lineare Beziehung von Verweildauer und Erlösen. Bei einem ange-
nommen Kostenverlauf mit starkem Anstieg in der ersten Phase eines Aufenthaltes und dann kumulativ weiter
steigenden Kosten wird die Gewinnzone (definiert als Erlöse oberhalb der Kosten) bei einer Vergütung nach
Tagessätzen im Bereich der langen Verweildauer erreicht. Dieses Prinzip wird bei der Fallpauschalenvergütung
umgekehrt.
Im DRG-System wird auf Grundlage der in der Patientenakte und den Arztbriefen vor-
handenen Informationen die medizinische Nomenklatur (z. B. Phlebothrombose linker
Unterschenkel) in die Diagnose- und Prozeduren-Klassifikationen übersetzt (Institut für
das Entgeltsystem im Krankenhaus, InEK 2003).
Die DRG-Bewertung eines Behandlungsfalles beruht dabei ausschließlich auf den
kodierten Informationen. Deshalb wird eine stattgehabte, aber nicht dokumentierte Throm-
bose bei der Bewertung berücksichtigt.
Die vom DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information)
herausgegebene deutsche Version des ICD-10 für das Jahr 2004 heißt ICD-10 GM Version
2004, wobei GM für »German Modifikation« steht (DIMDI 2003a). Mit dieser Klassifikation
wird beispielsweise die tiefe Beinvenenthrombose mit I80.2 »Thrombose, Phlebitis und
Thrombophlebitis sonstiger tiefer Gefäße der unteren Extremitäten« kodiert. Die individu-
elle Ausprägung, Seitenlokalisation und weitere differenzierte Informationen gehen bei der
Kodierung mit dieser Klassifikation bewusst verloren (⊡ Tabelle 30.1).
Bei jedem Diagnosekode gibt der führende Buchstabe das Kapitel der ICD-10 GM Ver-
sion 2004 (z. B. »I« für Krankheiten des Kreislaufsystems) an. Nach dem Buchstaben für
das Kapitel folgt eine zweistellige Zahl, die die Krankheitsgruppe repräsentiert (z. B. »80«
168 Teil VIII · Zukünftige Entwicklungen
I80.1 V. femoralis Ja
für sonstige venöse Embolien oder Thrombosen). Nach einem Punkt wird der Kode durch
eine weitere Ziffer spezifiziert (z. B. »2« für die Lokalisation der Thrombose in sonstigen
tiefen Gefäßen der unteren Extremität). Findet sich in der Auflistung die zu kodierende
Diagnose bzw. die Lokalisation der Thrombose nicht wieder, wird mit einer ».8« (»Sonsti-
ge Lokalisationen«) als letzter Stelle kodiert. Liegen keine genauen Informationen zu der
30 Erkrankung vor (ist also z. B. nur bekannt, dass der Patient eine Thrombose hatte, aber
nicht die Lokalisation), wird ».9« (für »nicht näher bezeichnet«) kodiert. Die Häufigkeit
der Angabe des Kodes 9 gibt einen Hinweis auf die Dokumentationsqualität, da klinische
Informationen wie die Lokalisation einer Thrombose entsprechend verschlüsselt werden
sollten. Der Anteil von ».9«-Diagnosen sollte daher möglichst gering sein, kann allerdings
aus klassifikationstechnischen Gründen niemals Null betragen.
Die Kodes für Thrombosen mit bekannter Lokalisation (I80.0 bis I80.3) sind schwere-
gradbewertet, d. h. sie können bei der Kodierung als Nebendiagnose über ihre CC-Werte
(Comorbidity and Complication-Wert) die medizinische Fallschwere (Patient Clinical
Complexity Level – PCCL) erhöhen. Diese höhere Fallschwere kann zu einer Erhöhung des
Erlöses führen. Im Gegensatz dazu beeinflussen die unspezifischen Kodes I80.8 und I80.9
die medizinische Fallschwere und damit die Erlöse nicht. Beim ICD-10 GM Version 2005
werden sich die Kodes für die Thrombosen nicht verändern (DIMDI 2004).
Diagnostische und therapeutische Maßnahmen werden mit dem Prozedurenkatalog
OPS-301 kodiert (DIMDI 2003b). Die vom DIMDI herausgegebene deutsche Version des
OPS-301 heißt OPS-301-GM-Version 2004. Auch hier entsteht durch die Klassifikation
ein gewollter Informationsverlust. Beispielsweise wird eine diagnostische Koronarangio-
graphie unabhängig von der Zeitdauer und Anzahl der untersuchten Gefäße mit 1–275.0
(offizieller Kodetext »Koronarangiographie ohne weitere Maßnahmen«) kodiert. Weil der
OPS-301 keine Kodes für die Verschlüsselung von präventiven Maßnahmen enthält, kann
die Thromboseprophylaxe nicht explizit kodiert werden. Die einzige Möglichkeit ist die
Nutzung einer »Analogziffer«, d. h. des Diagnosekodes Z29.8 »Sonstige näher bezeichnete
prophylaktische Maßnahmen«. Anhand der Kodes kann bei der Bewertung des Behand-
lungsfalls daher nicht unterschieden werden, ob es sich um eine Prophylaxe der Thrombo-
se, Pneumonie oder einer anderen Komplikation handelt.
Kapitel 30 · Auswirkungen der G-DRG’s auf Prophylaxe und Therapie
169 30
Diagnostik der Thrombose
Im offiziellen OPS-301 Version 2004 gibt es keine Kodes für laborchemische Maßnahmen
einschließlich der Bestimmung von D-Dimeren, INR und aPTT. Auch die Durchführung
von sonographischen Maßnahmen kann nicht kodiert werden. Für die Erweiterung der
Kodierungsmöglichkeiten wurde ein nichtamtlicher Erweiterungskatalog des OPS-301 ein-
geführt. In diesem Katalog finden sich Kodes für die native Sonographie (»3–00q.1« Sono-
graphie der Blutgefäße der Extremitäten – Vene) und die Duplexsonographie der Extre-
mitätenvenen (»3–02c.1« Duplexsonographie der Blutgefäße der Extremitäten – Vene)
enthält. Für Fälle, die mit einer farbkodierten Duplexsonographie nicht geklärt werden
können, kann die Phlebographie mit dem Kode 3–613 »Phlebographie der Gefäße einer
Extremität«, bei zusätzlicher Darstellung des Abflussbereiches mit 3–614 kodiert werden.
Thrombosen können je nach Zeitpunkt des Auftretens und der Grunderkrankung des
Patienten die Erlöse unterschiedlich beeinflussen. Dabei wird unterschieden zwischen dem
Auftreten einer Thrombose vor oder während eines stationären Aufenthaltes einerseits und
dem Auftreten im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung andererseits.
Die vor oder während eines stationären Aufenthaltes entstandene Thrombose führt bei
richtiger Kodierung mit Angabe der Lokalisation in der Regel zu einer Erhöhung des PCCL-
Wertes. Ausnahmen sind Behandlungsfälle multimorbider Patienten mit Nebendiagnosen,
die zu einer maximalen Fallschwere von 4 PCCL-Punkten führen. Die Erhöhung des PCCL
kann in Abhängigkeit von der Grunderkrankung des Patienten und den durchgeführten
Maßnahmen zu einer Veränderung des Erlöses führen, wenn die entsprechende Basis-DRG
zu den DRG-Fallpauschalen gehört, die über PCCL-Werte beeinflusst werden.
Patienten mit instabiler Angina pectoris werden, falls keine invasiven Maßnahmen
durchgeführt werden, in die Basis-DRG F72 »Instabile Angina pectoris« klassifiziert. Falls
keine weiteren Nebendiagnosen dokumentiert wurden, berechnet sich eine Fallschwere von
0 PCCL-Punkten und es erfolgt eine Eingruppierung in die DRG F72B »Instabile Angina
pectoris ohne äußerst schwere oder schwere CC«. Diese DRG weist die niedrigste Bewer-
tungsrelation innerhalb der Basis-DRG F72 auf. Bei einem Basisfallwert von € 3000,– ergibt
sich für eine Verweildauer zwischen 3 und 12 Tagen ein Erlös von € 1734,– für den gesam-
ten Aufenthalt.
Tritt während des Aufenthaltes eine Thrombose auf und wird diese nicht nur behandelt,
sondern auch dokumentiert, erhöht sich die Fallschwere auf 3 PCCL-Punkte. Dies führt zu
einer Eingruppierung in die F72A »Instabile Angina pectoris mit äußerst schweren oder
schweren CC« mit einem höheren Erlös von € 2613,–.
Bei multimorbiden Patienten verliert die Thrombose allerdings ihren Einfluss auf den
Erlös. Dies wird deutlich an dem Patienten mit instabiler Angina und diabetischem Fuß-
syndrom, bei dem durch diese Begleiterkrankung bereits die höchstmögliche Fallschwere
innerhalb der Basis-DRG erreicht wird (F72A). Da Thrombosen gerade bei solchen Patien-
ten häufig und deren Behandlung besonders aufwändig ist, ist ein Anreiz zur Vermeidung
solcher Komplikationen, aber auch zu einer Selektion dieser Patienten gegeben.
Für bestimmte Maßnahmen wie die PTCA bei akutem Myokardinfarkt oder Durchfüh-
rung einer Knie-TEP sieht das DRG-System keine Erlösdifferenzierung nach Begleiterkran-
170 Teil VIII · Zukünftige Entwicklungen
Instabile Angina pectoris bei einem Patienten mit F72A 2613,– F72A 2613,–
diabetischem Fußsyndrom
kungen oder Komplikationen vor. Deshalb erhöht eine Komplikation wie die Thrombose
bei diesen Fällen den Erlös nicht (⊡ Tabelle 30.2).
Am Beispiel der offen chirurgischen Cholezystektomie lässt sich zeigen, dass die Throm-
bose allein bei einem Teil der DRGs den Erlös nicht beeinflussen. Erst die Kombination
mit weiteren Begleiterkrankungen oder Komplikationen führt zu einer Eingruppierung in
30 die höher bewertete DRG H07A. Der Unterschied in der Gewichtung der Thrombose bei
der Angina pectoris und der Cholezystektomie erklärt sich durch einen unterschiedlichen
Schwellenwert. Bei der F72 führt bereits ein PCCL-Wert von 3 in die höchst bewertete DRG
F72A, während dies bei der H07 erst bei einem PCCL-Wert von 4 der Fall ist.
Die Abrechnungsregeln des G-DRG-Systems sehen vor, dass Wiederaufnahmen wegen
Komplikationen nicht gesondert abgerechnet werden dürfen, sondern mit dem ursprüngli-
chen Aufenthalt zusammenzufassen sind (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung 2004). Wird beispielsweise ein Patient nach Knie-TEP am 19. postoperativen Tag
entlassen und wegen einer tiefen Beinvenenthrombose 6 Tage später in dem gleichen Kran-
kenhaus wieder aufgenommen, greift die sogenannte Wiederaufnahmeregel und der zweite
Aufenthalte kann nicht gesondert abgerechnet werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers
soll so ein ökonomisch motiviertes Fallsplitting oder eine zu frühe Entlassung noch vor
Ausbehandlung der Erkrankung vermieden werden. In der Praxis kann dies allerdings dazu
führen, dass Qualitätsmängel im ambulanten Bereich oder eine mangelnde Compliance zu
einer »Gewährleistungspflicht« des Krankenhauses unabhängig von der dort erbrachten
Behandlungsqualität führen.
Da im Einzelfall der Einfluss der Thrombose auf den Erlös nicht vorhersehbar ist, ist
eine Erlössicherung nur durch eine vollständige und korrekte Dokumentation möglich. Aus
Gründen der medizinischen Dokumentationsqualität wird sowieso generell empfohlen, die
Kodierung nicht von einer möglichen Beeinflussung der Erlöse abhängig zu machen [6].
Die Dokumentationsqualität der Kodierung der Thrombosen ist allerdings in der der-
zeitigen Praxis unzureichend. So zeigt sich in den vom DRG-Institut InEK veröffentlichten
Daten für das DRG-System 2004, dass Thrombosen nur äußerst selten verschlüsselt wurden
(InEK 2003). Beispielsweise gehört die Thrombose bei der Knie-TEP (DRG I04Z mit 8584
kalkulierten Fällen; ⊡ Abb. 30.2) nicht zu den 20 am häufigsten angegebenen Nebendiag-
Kapitel 30 · Auswirkungen der G-DRG’s auf Prophylaxe und Therapie
171 30
⊡ Abb. 30.2. Klinisches Profil der DRG I04Z Knie-TEP (Ersatz des Kniegelenkes und Replantation am Kniegelenk).
Das im G-DRG-Browser veröffentlichte klinische Profil stellt die medizinischen und administrativen Eckdaten für
jede DRG des Fallpauschalensystems 2004 dar. Für die DRG I04Z können die Gesamtzahl der kalkulierten Fälle
sowie die Verteilung von Alter, Geschlecht, Aufenthaltsdauer und medizinischer Fallschwere entnommen werden.
Ausgewählt wurde die Auflistung der Nebendiagnosen mit der deren absoluter und relativer Häufigkeit
nosen. Da die E14.90 als zwanzigste Nebendiagnose mit 318 Fällen in einer Häufigkeit von
0,77% vorkommt, wurden Thrombosen nur in maximal 0,77% der Fälle kodiert. In der
klinischen Realität sind Thrombosen wesentlich häufiger (s. Kap. 1 – Epidemiologie), daher
kann dies nur mit einer mangelhaften Dokumentationsqualität in den kalkulierenden
Krankenhäusern erklärt werden. Auswirkungen dieser mangelnden Datengrundlage ist,
dass die teurere Subgruppe der Patienten mit Thrombose vom DRG-Institut nicht identifi-
ziert werden konnte. Eine Erlösdifferenzierung wurde damit verhindert. Dies widerspricht
dem Prinzip von DRG-Systemen, den Erlös nach Fallschwere zu differenzieren.
Fazit
4. Bei welchen Patientengruppen führen Thrombosen typischer weise nicht zu einer Verän-
derung der Erlöse für stationäre Behandlungen?
1 Thrombosen sind immer erlöswirksam, wenn sie korrekt verschlüsselt werden.
2 Die DRG-Logik berücksichtigt automatisch das Ausmaß der Therapie
3 Ein Großteil der DRGs wird nicht weiter differenziert und es findet keine Bewertung
der Nebendiagnosen statt (Z-DRGs), deshalb können Thrombosen auch nicht immer
erlöswirksam werden
4 Der Erlös für multimorbide Patienten mit vielen Begleiterkrankungen kann durch
Thrombose-Kodes nicht beeinflusst werden, falls bereits der höchstmögliche PCCL-
Schweregrad von 4 erreicht wurde.
A Alle Antworten sind richtig
B Nur 1 und 3 sind richtig
C Nur 3 und 4 sind richtig
D Nur 2 und 4 sind richtig
E Alle Antworten sind falsch
▼
Kapitel 29–30 · Literatur
173 29–30
5. Welche Auswirkungen auf Patienten mit Thrombose können aufgrund der spezifischen
Anreize eines DRG-Fallpauschalensystems erwartet werden?
1 Erhofft werden qualitätssteigernde Effekte, wie sie z.B. durch konsequente Prophyla-
xe oder andere Maßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen eintreten könnten.
2 Es liegen zahlreiche positive Erfahrungen zur Förderung qualitätssichernder Maßnah-
men durch DRG-Einführung in anderen Ländern vor.
3 Neben den gewünschten Effekten können auch wesentlich nachteiligere Auswirkun-
gen wie Patientenselektion zu befürchten sein.
4 Da Vergütungssysteme kaum Einfluss auf medizinische Strukturen haben, ist auch
keine Veränderung in der Therapie von Thrombosen oder Durchführung von Thromo-
boseprophylaxe zu erwarten
A Nur 1 ist richtig
B Nur 2 und 3 sind richtig
C Nur 4 ist richtig
D Nur 2 und 3 sind richtig
E Nur 1 und 3 sind richtig
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Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2004) Verordnung zum Fallpauschalensystem für
Krankenhäuser für das Jahr 2004 (Fallpauschalenverordnung 2004 – KFPV 2004), darin enthalten der G-DRG
Fallpauschalenkatalog 2004
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI – 2003a): Internationale Statistische
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision Version 2004 – ICD-10 GM
Version 2004
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI – 2004): Internationale Statistische
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision Version 2005 – ICD-10 GM
Version 2005
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI – 2003b): Operationen- und Prozedu-
renschlüssel nach § 301 SGB-V. Version 2004 einschl. Erweiterungskatalog – OPS-301 Version 2004
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IX
Teil IX Anhänge
Anhang I:
Leitlinien (Auszüge)
W.H. Geerts et al. (2004) Prevention of venous thromboembolism. The Seventh ACCP Confe-
rence on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy. Chest 126: 338S–400S
Zitat (s. Seite 378S, Punkt 6.0 »Medical Conditions«, Unterpunkt 6.0.1):
»In acutely ill medical patients who have been admitted to the hospital with congestive
heart failure or severe respiratory disease, or who are confined to bed and have one or more
additional risk factors, including active cancer, previous VTE, sepsis, acute neurologic
disease, or inflammatory bowel disease, we recommend prophylaxis with LDUH (Grade
1A) or LMWH (Grade 1A).«
DGIM/BDI (2003) Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin – Leitlinien.
Urban & Fischer, München
Zitat s. Seite 1 f., Kap. 11: Thromboseprophylaxe, Abschnitt E: Erkrankungen der Gefäße:
»Der Nutzen einer primäre Thromboseprophylaxe in bestimmten Risikosituationen ist
unbestritten.
... Im internistischen Krankengut sind Patienten mit Myokardinfarkt und schwerer
Herzinsuffizienz, zerebralem Insult mit Hemiplegie, bestimmten Malignomen, myelo-
178 Teil IX · Anhänge
AI
A II
Anhang II:
Lösungen zu den Aufgaben
2. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenz der venösen thromboembolischen Ereignisse
in der Bevölkerung deutlich an. Wie viel beträgt das relative Risiko pro 10-Jahres-Anstieg des
Lebensalters?
A. 1,1
B. 1,3
C. 1,5
D. 1,7
; E. 1,9
4. Internistische Erkrankungen sind ebenfalls mit einem erhöhten Risiko eines venösen thrombo-
embolischen Ereignisses verbunden. Bei welcher Patientengruppe ist das Risiko ohne medika-
mentöse Prophylaxe am höchsten?
A. Bei Patienten nach Myokardinfarkt
B. Bei allgemeinmedizinischen Patienten
C. Bei geriatrischen Patienten
D. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz
; E. Bei Patienten nach Schlaganfall
8. Eine mögliche Spätfolge einer tiefen Beinvenenthrombose ist das postthrombotische Syndrom.
Welcher gilt als der Hauptrisikofaktor für die Ausbildung eines postthrombotischen Syndroms?
A. Proximale tiefe Beinvenenthrombose
B. Hoher Schweregrad der initialen tiefen Beinvenenthrombose
; C. Rezidivierende, ipsilaterale tiefe Beinvenenthrombose
D. Asymptomatische tiefe Beinvenenthrombose
E. Rezidivierende Lungenembolien
10. In einer Kosten-Effektivitäts-Analyse wurde der Einsatz von niedermolekularem und unfrakti-
oniertem Heparin in der Therapie der tiefen Beinvenenthrombose verglichen. Die Daten zur
klinischen Effektivität basierten auf den Ergebnissen einer Metaanalyse, die 11 randomisierte
Interventionsstudien eingeschlossen hatte. Welche inkrementellen (zusätzlichen) Kosten erga-
ben sich aufgerundet (in US-Dollar) durch den Einsatz von niedermolekularem im Vergleich zu
unfraktioniertem Heparin pro gewonnenem Lebensjahr?
A. ca. $ 1000,–
B. ca. $ 3000,–
C. ca. $ 5000,–
; D. ca. $ 7000,–
E. ca. $ 9000,–
Kapitel 6: Gerinnungskaskade
1. Welche der folgenden Reaktionen wird der sekundären Hämostase zugerechnet?
A. Vasokonstriktion
B. Thrombozytenaggregation
; C. plasmatische Gerinnung
D. Fibrinolyse
E. Thrombusorganisation
182 Teil IX · Anhänge
Kapitel 7: Virchow-Trias
3. Welcher der unter dem Begriff der Virchow-Trias zusammengefassten Faktoren ist für
die Entstehung venöser Thrombosen am wichtigsten?
A. Veränderung der Blutströmung
B. Veränderung der Blutzusammensetzung
C. Veränderung der Gefäßwand
; D. Bei der Thrombogenese handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, sodass nicht
ein einzelner Faktor, sondern mehrere zusammenkommen müssen, um die Entstehung
einer venösen Thrombose zu erklären.
E. Keine der Antworten trifft zu.
6. Welcher Befund gehört nicht zu den Kriterien, die ein Antiphospholipidsyndrom definieren?
A. arterielle Thrombose
B. venöse Thrombose
; C. Thrombozytopenie
D. wiederholte Spontanaborte
E. Nachweis von Lupusantikoagulans
Anhang II · Lösungen zu den Aufgaben
183 A II
Kapitel 9: Unterschiede in der Thrombogenese in Chirurgie und Innerer Medizin
7. Welche Aussagen zum postoperativen Thromboserisiko trifft nicht zu?
A. Postoperativ kommt es im Rahmen einer Akut-Phase-Reaktion zytokinvermittelt zu einer
Gerinnungsaktivierung.
B. Das Thromboserisiko ist besonders hoch bei orthopädischen Eingriffen an den unteren
Extremitäten.
C. Das Thromboserisiko ohne Thromboembolieprophylaxe liegt in Abhängigkeit vom chirur-
gischen Eingriff zwischen 20 und 80%.
D. Zu den wirksamen Maßnahmen der Thromboembolieprophylaxe gehören Krankengym-
nastik und Frühmobilisation.
; E. Eingriffe in Rückenmarksanästhesie gehen mit einem höheren Thromboserisiko einher als
Operationen unter Intubationsnarkose.
10. Welche der folgenden Aussagen zur Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium III und IV trifft nicht zu?
A. Das Risiko für arterielle Thromboembolien ist erhöht.
B. Das Risiko für venöse Thromboembolien ist erhöht.
C. Eine endotheliale Dysfunktion bedingt eine Hyperkoagulabilität.
D. Eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe senkt das Thromboserisiko nach-
weislich.
; E. Je höher die Ejektionsfraktion, desto höher das Thromboserisiko.
184 Teil IX · Anhänge
2. Die Häufigkeit von Thrombosen bei Patienten mit einem akuten Herzinfarkt, ermittelt mit dem
Radiofibrinogentest, lag bei:
A. 10%
B. 20%
; C. 40%
D. 70%
E. 100%
3. Was stimmt zu folgender Feststellung? »Die subkutane Heparingabe ist nicht an ein Spital
gebunden, sondern kann sowohl vom Arzt als auch vom Patienten über längere Zeit hinweg
auch zu Hause durchgeführt werden.«
A. Die Aussage ist falsch.
B. Die Aussage ist überholt.
C. Die Aussage wurde erstmals im Jahre 2000 gemacht.
A II ; D. Die Aussage vor mehr als 25 Jahren macht.
E. Die Aussage gilt nur für niedermolekulare Heparine
6. Welche Kontrollen sind bei einer Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin bei internistischen
Patienten notwendig?
; A. Thrombozytenkontrolle
B. aPTT-Kontrolle
C. antiXA-Kontrolle
D. Kontrolle der Blutungszeit
E. Rumple-Leede-Test
11. Wie hoch ist die phlebographisch gesicherte Gesamtthromboserate bei nicht chirurgischen
Patienten ohne eine adäquate medikamentöse Thromboembolieprophylaxe?
A. ca. 5%
B. ca. 10%
; C. ca. 15%
D. ca. 20%
A II
12. Welches Studienprojekt soll klären, inwieweit auch nicht chirurgische Patienten von einer
verlängerten medikamentösen Thromboembolieprophylaxe profitieren?
A. AT-HOME
; B. EXCLAIM
C. PREVAIL
2. Welche der nachfolgenden Erkrankungen sind aus Studien ableitbar mit einem erhöhten Thrombo-
embolierisiko assoziiert?
; A. Sepsis
; B. Akute respiratorische Erkrankungen mit Beatmung
; C. Akute Herzinsuffizienz Stadium NYHA III und IV
D. Schlafapnoe Syndrom
E. Pericholecystitis
4. Welche der nachfolgenden Faktoren sind prädisponierende Risikofaktoren für eine venöse
Thromboembolie?
; A. Faktor V Leiden Mutation
B. Metabolisches Syndrom
; C. Protein C Mangel
D. Arterielle Verschlusskrankheit
; E. Anamnestisch bekannte Thrombose
4. Zu den Risikofaktoren, die ein hohes Thromboserisiko mit sich bringen, zählen
A. eine nachgewiesene Thrombophilie
B. familiäre Thromboseneigung
C. Alter über 60
; D. anamnestisch bekannte venöse Thromboembolien (auch länger zurückliegend)
190 Teil IX · Anhänge
2. Wie hoch ist die Risikoreduktion durch Antikoagulation bei thromboembolischen Erkrankungen
(z. B. bei der akuten VTE, bei der Rezidivthrombose, beim nichtvalvulärem Vorhofflimmern, beim
mechanischen Herzklappenersatz und bei der akuten arteriellen Embolie)? (1 Antwort)
A. praktisch 100%
B. >90%
; C. 66–80%
D. auf etwa die Hälfte
E. auf etwa ein Drittel
Anhang II · Lösungen zu den Aufgaben
191 A II
Kapitel 25: Therapieoptionen
3. Welche Möglichkeiten werden für die Überbrückung der oralen Antikoagulation bei hohem
Thromboembolierisiko empfohlen?
; A. ununterbrochene OAK
; B. kurzzeitige Absenkung der INR innerhalb des therapeutischen Bereiches
C. ersatzloses Absetzen
; D. i.v.-UFH (stationär)
E. s.c.-UFH (ambulant)
; F. s.c.-NMH (stationär/ambulant)
4. Welche Möglichkeiten werden für die Überbrückung der oralen Antikoagulation bei mittlerem
Thromboembolierisiko empfohlen?
A. ununterbrochene OAK
; B. kurzzeitige Absenkung der INR innerhalb des therapeutischen Bereiches
; C. Unterbrechung der OAK und Absenkung der INR in einen Bereich um 1,5
D. ersatzloses Absetzen
; E. i.v.-UFH (stationär)
F. s.c.-UFH (ambulant)
; G. s.c.-NMH (stationär/ambulant)
5. Welche Möglichkeiten werden für die Überbrückung der oralen Antikoagulation bei niedrigem
Thromboembolierisiko empfohlen?
A. ununterbrochene OAK
B. kurzzeitige Absenkung der INR innerhalb des therapeutischen Bereiches
; C. Unterbrechung der OAK und Absenkung der INR in einen Bereich um 1,5
; D. ersatzloses Absetzen
E. i.v.-UFH (stationär)
F. s.c.-UFH (ambulant)
; G. s.c.-NMH (stationär/ambulant)
10. Welche Dosen von NMH werden beim Bridging bei Patienten mit mittlerem Thromboembolie-
risiko in den Tagen vor dem Eingriff (bei nicht mehr therapeutischer INR) empfohlen:
A. gar kein niedermolekulares Heparin.
B. prophylaktische Dose
; C. halbtherapeutische Dosis
D. ¾-therapeutische Dosis
E. Volle therapeutische Dosis
A II 11. Bei welchen Eingriffen ist eine fortgesetzte OAK (oder kurzfristige Absenkung innerhalb des
therapeutischen Bereich) möglich?
1. in der Regel 2. im Einzel- 3. in der Regel
möglich fall möglich nicht möglich
A. Zahneingriffe ;
B. kleinere ophthalmologische Eingriffe ;
C. gastrointestinale diagn. Endoskopie ;
D. Prostataeingriffe
;
E. Abdominalchirurgie
;
F. neurochirurgische Eingriffe und
;
rückenmarksnahe Anästhesie
4. Bei welchen Patientengruppen führen Thrombosen typischer weise nicht zu einer Veränderung
der Erlöse für stationäre Behandlungen?
1 Thrombosen sind immer erlöswirksam, wenn sie korrekt verschlüsselt werden.
2 Die DRG-Logik berücksichtigt automatisch das Ausmaß der Therapie
3 Ein Großteil der DRGs wird nicht weiter differenziert, es findet keine Bewertung der Neben-
diagnosen statt (Z-DRGs), damit können Thrombosen auch nicht immer erlöswirksam werden
4 Multimorbide Patienten mit vielen Begleiterkrankungen können, falls sie bereits den höchst-
möglichen PCCL-Schweregrad von 4 erreicht haben, durch Thrombose-Kodes nicht weiter
beeinflusst werden
5. Welche Auswirkungen auf Patienten mit Thrombose können aufgrund der spezifischen Anreize
eines DRG-Fallpauschalensystems erwartet werden?
1 Erhofft werden qualitätssteigernde Effekte, wie sie z.B. durch konsequente Prophylaxe oder
andere Maßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen eintreten könnten.
2 Es liegen zahlreiche positive Erfahrungen zur Förderung qualitätssichernder Maßnahmen
durch DRG-Einführung in anderen Ländern vor.
3 Neben den gewünschten Effekten können auch wesentlich nachteiligere Auswirkungen wie
Patientenselektion zu befürchten sein.
4 Da Vergütungssysteme kaum Einfluss auf medizinische Strukturen haben, ist auch keine Ver-
änderung in der Therapie von Thrombosen oder Durchführung von Thromoboseprophylaxe
zu erwarten
A II
A Nur 1 ist richtig
B Nur 2 und 3 sind richtig
C Nur 4 ist richtig
D Nur 2 und 3 sind richtig
; E Nur 1 und 3 sind richtig
A III
Anhang III:
Adressen von Fachgesellschaften/
Organisationen
A III
Sachverzeichnis
F
D
Fachgesellschaften / Organisationen, Adressen
Dalteparin 87, 96, 112, 142–155, 158, 164, 174 (Anhang III) 195–196
Defibrillatoreingriffe, Unterbrechung der oralen Faktor-V-Leiden-Mutation (APC-Resistenz),
Antikoagulation (OAK) 149 Thrombophilie 46–47
DEGUM (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall Faktor-VIII-Erhöhung, persistierende, Thrombo-
in der Medizin e.V.), Adresse / Koordi- philie 51–52
naten 196 fibrinolytisches System 38–39
dermatologische Eingriffe, Unterbrechung der Fragen zu den Themen:
oralen Antikoagulation (OAK) 149 – Lösungen zu den Aufgaben (Anhang II)
Deutsche Liga zur Bekämpfung von Gefäß- 179–194
krankheiten e.V., Adresse / Koordinaten 196 – Teil I (Epidemiologie von Thrombosen und
DGA (Deutsche Gesellschaft für Angiologie / Embolien) 25–27
Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V.), Leitlinien – – Gesamtzahl von Thrombosen und
(Auszüge) 195 Embolien 25
Sachverzeichnis
199 B–H
M O
maligne Erkrankungen, aktive OAK (orale Antikoakulation) 136–154
– dispositionelle Risikofaktoren 107, 110 – NMH (niedermolekulare Heparine) als
– expositionelle Risikofaktoren 100 Alternative bei Pausierung einer OAK
– Thrombogenese 59–62 »bridging« 136–154
MEDENOX, Prophylaxe mit niedermole- – Unterbrechung der OAK 136–145
kularem Heparin (NMH) 84–85, 89–90 – – Checkliste zum »bridging« 154
medikolegale Aspekte, Unterbrechung der – – ersatzlose 140
OAK 152–154 – – medikolegale Aspekte 152–154
Mortalität, venöse Thromboembolie 21–22 – – Morbidität und Mortalität 138
MTHFR-Mutation / Hyperhomozysteinämie, – – NMH (niedermolekulares Heparin)
Thrombophilie 52–53 140–146, 152
Myokardinfarkt – – – Ersatz durch NMH 140
– akuter, expositionelle Risikofaktoren 109 – – – Evidenzen für NMH 142–146
– venöse Thromboembolie 19 – – Risiko
– – – hohes 151
– – – niedriges 151
– – – Nutzen und Risikoabwägung für
N Operationen und interventionelle
Eingriffe 149
Nadroparin 79, 81–82, 85, 88, 95, 112, 142–144 – – Therapiealgorithmen 147–151
Nadroparin Prevention Study, Prophylaxe – – – Abdominalchirurgie 148
mit niedermolekularem Heparin (NMH) – – – Defibrillatoreingriffe 149
81–82 – – – dermatologische Eingriffe 149
202 Sachverzeichnis
– Prophylaxe (s. dort) 76–77, 83, 117–118 – Veränderungen der Zusammensetzung des
– rezidivierende Episoden 20 Blutes 42–43
– Risiko Vorhofflimmern, Unterbrechung der oralen
– – anamnestisch bekannte dispositionelle Antikoagulation (OAK) 136, 142–145
Risikofaktoren 104
– – relatives 3
– Risikoschema zur Erfassung des individuellen
W
VTE-Risikos 109, 115
– Schlaganfall 18–19, 119–120 Wadenmuskelthrombosen 125
– sozialmedizinische und sozioökonomische Warfarin 76, 139, 146, 149–150, 157–158, 164
Bedeutung 23–25
– Traumatologie 10
– Tumorerkrankungen 15–18
– Unterbrechung der oralen Antikoagulation
Z
(OAK) 136
Virchow-Trias 40–44, 68, 114 Zahneingriffe, Unterbrechung der oralen Anti-
– Veränderungen der Blutströmung 42 koagulation (OAK) 147
– Veränderungen der Gefäßwand 40 Zytokine, inflammatorischer, Expression 61