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Psychopharmakologischer Leitfaden
und
C. Hiemke
Psychopharmakologischer
Leitfaden
für Psychologen und
Psychotherapeuten
1 23
Prof. Dr. med. Otto Benkert Prof. Dr. rer. nat. Christoph Hiemke
1 Ehemals: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Mainz Universität Mainz
Untere Zahlbacher Straße 8 Untere Zahlbacher Straße 8
2 55131 Mainz 55131 Mainz
www.ottobenkert.de
3 Prof. Dr. Dipl.-Psych.
Priv.-Doz. Dr. med. Philip Heiser
Prof. Dr. med. Eberhard Schulz
Martin Hautzinger Universitätsklinik für Psychiatrie und
4 Abt. für Klinische Psychologie und Psychosomatik
Entwicklungspsychologie Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Tübingen im Kindes- und Jugendalter
5 Christophstraße 2 Universitätsklinikum Freiburg
72072 Tübingen Hauptstraße 8, 79104 Freiburg
6
Dr. med. Dipl.-Psych.
Mechthild Graf-Morgenstern
7 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Untere Zahlbacher Straße 8
8 55131 Mainz
9
ISBN-13 978-3-540-47957-4 Springer Medizin Verlag Heidelberg
10 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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14 Springer Medizin Verlag
springer.de
15 © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008
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setzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
17 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine
Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer
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18 Planung: Renate Scheddin
Projektmanagement: Renate Schulz
19 Lektorat: Dr. Astrid Horlacher, Dielheim
Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin
Satz: medionet Prepress Services Ltd.
20 SPIN: 11677833
Vorwort
Dieser Leitfaden ist aus der Idee heraus entstanden, Psychologen und Psychotherapeuten einen
kompakten und aktuellen Überblick über das psychopharmakologische Wissen anzubieten.
Die Darstellung ist etwas ausführlicher, als es für das Wissen im täglichen Umgang mit psy-
chisch kranken Menschen für Psychologen und Psychotherapeuten notwendig ist, dafür kann der
Leitfaden aber auch als psychopharmakologisches Nachschlagewerk genutzt werden.
Die Autoren sind davon ausgegangen, dass bei dem Wunsch nach einer noch tieferen Kenntnis
der Psychopharmakologie auf vorhandene Werke zu diesen Themen zurückgegriffen wird, etwa bei
der Notwendigkeit, Details über Einzelpräparate oder Arzneimittelsicherheit zu erfahren (Benkert
u. Hippius 2007) oder bei dem Wunsch, sich in die Grundlagenforschung und die Literatur zur Psy-
chopharmakologie einzuarbeiten (Holsboer et al. 2008).
Der Kern des psychopharmakologischen Wissens wird in Checkfragen und -antworten für
den (Kinder- und Jugend-)Psychotherapeuten und Psychologen zusammengefasst. Die Antworten
befinden sich am Ende des Buches. Ihnen wird auch in den »Grundlagen« ein ausführlicher Über-
blick über das in der Prüfungsordnung für psychologische Psychotherapeuten geforderte Grundla-
genwissen über Arzneimittel und den Umgang mit Arzneimitteln bei psychisch kranken Patienten
angeboten. In der Sektion »Präparate« werden die einzelnen Psychopharmakagruppen wirkstoff-
spezifisch besprochen. Danach wird die Pharmakopsychiatrie von den Diagnosen geleitet und ist ab
dann störungsspezifisch. Der Leitfaden schließt mit speziellen Aspekten zur Pharmakopsychiatrie.
Dieses Ordnungsprinzip erlaubt dem Leser zwei verschiedene Einstiege in die psychiatrische
Pharmakotherapie: entweder über die Psychopharmakagruppen, mit deren Wirkungsweise und
möglicher Indikation bei den entsprechenden Diagnosen (7 Kap. 5–14) oder über die Krankheits-
bilder entsprechend den ICD-10-Diagnosen (7 Kap. 15–33).
Ohne Psychopharmaka ist eine optimale Therapie bei den meisten psychischen Erkrankungen
nicht mehr vorstellbar, genauso wie eine Behandlung ohne Psychotherapie in der Psychiatrie heu-
te nicht mehr zeitgemäß ist (7 Kap. 4). Über den Synergieeffekt beider Therapieformen ist sich die
Fachwelt weitgehend einig. Für jedes Krankheitsbild werden jeweils die durch Studien belegbaren
besten Möglichkeiten für die Pharmakotherapie, die Psychotherapie oder die Kombination beider
beschrieben.
Dieses Wissen übersichtlich darzustellen, ist den Autoren deswegen so wichtig, weil die Ergeb-
nisse aus Studien für viele Therapien keineswegs eindeutig das Pro oder Contra einer Methode
belegen. So ist etwa das psychotherapeutische Vorgehen bei chronisch depressiven Störungen noch
nicht befriedigend evaluiert; ebenso wenig sind die immer neuen Therapievorschläge mit weiteren
Antidepressiva bei der therapieresistenten Depression empirisch abgesichert.
Die Darstellung des psychopharmakologischen klinischen Wissens geht mit dem Wunsch der
Autoren einher, immer auch die Bedeutung einer Psychotherapie oder einer Kombinationstherapie
herauszustellen. Diese Strategie nimmt in dem Leitfaden einen breiten Raum ein. Soweit Studien
zu diesem Thema in den klinischen Alltag Einlass gefunden haben, werden sie zitiert und entspre-
chend ihrer Wichtigkeit diskutiert. Basis unserer Empfehlungen sind die wissenschaftliche Litera-
tur und die klinische Erfahrung der Autoren, nicht aber allein die Zulassung eines Präparates oder
die Zulassung einer Psychotherapiemethode oder aber die Zusammenfassung von evidenzbasier-
ten Studien.
Sehr ausführlich werden die angebotenen Therapiemöglichkeiten bewertet. Bewährte Therapien
werden bewusst empfohlen, von anderen wird abgeraten.
Jedes Kapitel endet mit einem Beitrag aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychothe-
rapie. So kann schnell erkannt werden, wo mögliche Unterschiede im therapeutischen Vorgehen
bestehen. Störungen, die nur im Kindes- oder Jugendalter auftreten, werden in einem ergänzenden
Kapitel beschrieben (7 Kap. 33).
VI Vorwort
Die Kapitel sind unterschiedlich lang. Ausführlicher werden jene psychischen Krankheiten und
1 deren Therapien beschrieben, mit denen es der Psychotherapeut bzw. Psychologe auch am häu-
figsten zu tun hat, z. B. die depressiven Störungen oder die Angststörungen.
Durch diesen Leitfaden erhoffen sich die Autoren über die Anwendung des aktuellen Wissens
2 hinaus auch einen Beitrag zur noch besseren Kommunikation zwischen Ärzten, Psychotherapeuten,
Psychologen und Psychopharmakologen. Das würde dem Ziel dieses Leitfadens näherkommen,
3 psychisch kranken Patienten die optimale Therapie anzubieten, damit die bestmögliche Lebensqua-
lität erreicht werden kann.
Die intensive Grundlagenforschung und die klinische Forschung in dem Fachgebiet der psychi-
4 atrischen Pharmakotherapie haben der Therapie psychischer Störungen völlig neue Perspektiven
eröffnet. Die Entwicklung der modernen Psychopharmaka gehört mit zu den großen Fortschritten
der Medizin der letzten 50 Jahre. Wir sind heute in der Lage vielen Patienten mit einer Depression,
5 einer Angststörung oder einer Schizophrenie durch die Verordnung des richtigen Psychopharma-
kons und der Auswahl der adäquaten Psychotherapie eine hohe Lebensqualität zu garantieren. Auf
6 einer solchen Basis können auch sozialpsychiatrische Maßnahmen gut eingesetzt werden.
Dieser Gewinn für die Patienten wird in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt. Auch
in diesem Leitfaden werden oft die kritischen Befunde der neuesten Forschung bewusst in den Vor-
7 dergrund gerückt, um dem Therapeuten einen Einblick in den langen Weg bis zur klinischen Eta-
blierung eines Therapieverfahrens zu geben. Dieser methodenkritische Ansatz darf aber in keinem
8 Fall über die vielen Chancen, die sich durch die Psychopharmakotherapie für den einzelnen Pati-
enten schon heute eröffnet haben, hinwegtäuschen.
Allerdings sind viele psychische Krankheiten sehr behandlungsresistent gegen neue Wirkan-
9 sätze potentieller Psychopharmaka und auch die vorhandenen Medikamente stellen den Forscher
oder den Kliniker längst nicht zufrieden. Solange nicht die neurobiologischen Systeme, die den ein-
zelnen Krankheiten zu Grunde liegen, identifiziert sind, wird es kein optimales Psychopharmakon
10 für eine bestimmte Störung geben. Wir befinden uns heute z. B. in der Depressionsforschung, etwa
auf dem Stand der Erforschung des Bluthochdrucks in der inneren Medizin. Auch die Ursachen der
11 Hypertonie sind nur in Ansätzen bekannt und so ähneln sich auch die Therapiestrategien: Es wer-
den Medikamente gewählt, die im Sinne eine Mehrkomponententherapie viele Systeme gleichzei-
tig beeinflussen. Dies ist auch der derzeitige Weg in der Therapie der meisten Störungen in der Psy-
12 chiatrie.
Ob es auf der Basis heutiger biomedizinischer Forschung in absehbarer Zeit eine maßgeschnei-
13 derte Therapie für jeden einzelnen Patienten geben wird – das zumindest wäre aus den bisherigen
molekulargenetischen Forschungen bei psychischen Krankheiten ableitbar –, ist aufgrund der
enormen Kosten, die auf die Gesellschaft zukommen werden, sehr fraglich. Darüber hinaus kennen
14 wir heute nicht einmal ansatzweise die Ursachen für das differenzierte, oft sogar fehlende Anspre-
chen des gleichen Psychopharmakons im Verlaufe einer depressiven oder schizophrenen Erkran-
15 kung bei einem Patienten. Hier gilt es also, die über die Genetik hinausgehenden Faktoren, die die
Plastizität der neurobiologischen Systeme beeinflussen, zu charakterisieren.
Zunächst aber soll das heutige Wissen um die optimale Anwendung der psychiatrischen Phar-
16 makotherapie in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren in diesem Leitfaden gebün-
delt werden.
Dieser Leitfaden geht in Teilen immer wieder auf Texte und Tabellen des Kompendiums der
17 Psychiatrischen Pharmakotherapie, 6. Auflage, zurück. Somit sei auch an dieser Stelle den Koau-
toren dieses Kompendiums für ihre ständige Mitarbeit herzlich gedankt: I. Anghelescu, E. Davids,
18 C. Fehr, G. Gründer, C. Lange-Asschenfeldt, O. Möller, M.J. Müller und F. Regen. Durch die grund-
legenden Artikel von C. Hiemke und die Beiträge zur Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psy-
chotherapie von P. Heiser und E. Schulz kann das Spektrum der psychiatrischen Pharmakothera-
19 pie deutlich erweitert werden.
Inhaltsverzeichnis
5.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 40
I Grundlagen 5.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 43
5.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
1 Pharmakologische Grundlagen . . . . . . . . 3 5.5 Dosierung, Plasmakonzentration und
1.1 Pharmaka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.1.1 Pharmakologisch wirksame Stoffe . . . . . . . . . 4 5.6 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.1.2 Wirkstoffentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5.7 Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . . 50
1.1.3 Arzneimittelwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 5.8 Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.1.4 Therapeutischer Einsatz von Pharmaka . . . . . . 8 5.9 Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.2 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 5.10 Antidepressiva im höheren Lebensalter . . . . . 52
5.11 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und 5.11.1 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
Interaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 (SSRI). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.1 Pharmakokinetik und - dynamik im 5.11.2 Selektive Serotonin-Noradrenalin-
Zusammenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 rückaufnahmehemmer (SNRI). . . . . . . . . . . . 54
2.2 Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5.11.3 Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer 55
2.2.1 Pharmakokinetische Phasen. . . . . . . . . . . . . 14 5.11.4 Noradrenerges/spezifisch serotonerges
2.3 Pharmakodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 ntidepressivum mit α2-Adrenozeptor
2.4 Arzneimittelwechselwirkungen. . . . . . . . . . . 18 antagonistischer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . 55
2.5 Therapeutisches Drug-Monitoring . . . . . . . . . 19 5.11.5 Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer 56
2.6 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5.11.6 Trizyklische Antidepressiva (TZA). . . . . . . . . . 57
5.11.7 MAO-Hemmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
3 Arzneimittelinformation. . . . . . . . . . . . . 21 5.11.8 Pflanzliche Präparate . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.1 Information und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 22 5.12 Antidepressiva in der Kinder- und
3.1.1 Informationen für Therapeuten . . . . . . . . . . . 22 Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.1.2 Informationen für Patienten und Angehörige . . 22 5.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
3.2 Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.2.1 Wissenschaftlich überwachte Information . . . . 22 6 Stimmungsstabilisierer . . . . . . . . . . . . . 61
3.2.2 Primärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 6.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.2.3 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 6.1.1 Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.2.4 Tertiärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 6.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.2.5 Institutionell überwachte Information . . . . . . 23 6.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 63
3.2.6 Datenbankgestützte Information. . . . . . . . . . 25 6.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.3 Bewertung von Informationen und 6.4.1 Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
evidenzbasierter Medizin. . . . . . . . . . . . . . . 26 6.4.2 Antikonvulsiva, Antipsychotika und
3.4 Neue Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.4.1 Neu beobachtete nützliche Wirkungen . . . . . . 27 6.5 Dosierung, Plasmakonzentration und
3.4.2 Neu beobachtete unerwünschte Wirkungen . . 27 Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.5 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6.5.1 Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
6.5.2 Antikonvulsiva und Antipsychotika . . . . . . . . 65
4 Psychopharmaka und Psychotherapie . . . . 29 6.6 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 6.7 Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . . 66
4.2 Grundsätzliche Probleme. . . . . . . . . . . . . . . 30 6.8 Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.3 Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale. . 31 6.9 Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.4 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 6.10 Stimmungsstabilisierer im höheren Lebensalter 66
4.5 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 6.11 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
6.12 Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
II Präparate 6.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
5 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
7 Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
5.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
7.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.1.1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 38
7.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.1.2 Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
7.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 73
VIII Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
AAP atypische Antipsychotika TRH Thyreotropin-Releasing-Hormon
ACh Acetylcholin TZA trizyklische(s) Antidepressiv(um/-a)
AChE Acetylcholinesterase UAW unerwünschte Arzneimittel-
AChE-I Acetylcholinesterasehemmer wirkungen
AD Alzheimer-Demenz VD vaskuläre Demenz
ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperakti- VT Verhaltenstherapie
vitätsstörungen
AKdÄ Arzneimittelkommission der deut-
schen Ärzteschaft
ASP alkoholismusspezifische Psychothera-
pie
BLIPS brief limited intermittend psychotic
symptoms
BPS Borderline-Persönlichkeitsstörung
BPSD behavioral and psychological symp-
toms in dementia
BtM Betäubungsmittel
cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat
CRH Kortikotropin-releasing-Hormon
DA Dopamin
DBT dialektisch-behaviorale Therapie
EKB Elektrokrampfbehandlung
EMDR eye movement desensitization and
reprocessing
EPS extrapyramidalmotorische Störungen
GAD generalisierte Angststörung
GHRH Growth-hormone-releasing-Hormon
HEE high expressed emotions
HPA-Achse Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
nierenrinden-Achse
HKS hyperkinetische Störungen
HWZ Halbwertszeit
IPT Interpersonelle Psychotherapie
KVT kognitive Verhaltenstherapie
MAO Monoaminoxidase
MCI mild cognitive impairment
NA Noradrenalin
NO Stickstoffmonoxid
PLMS periodic limb movements in sleep
PTSD posttraumatische Belastungsstörung
RLS Restless-legs-Syndrom
rTMS repetitive transkranielle Magnet-
stimulation
SIADH Syndrom der inadäquaten ADH-
Sekretion
SNRI selektive Serotonin-Noradrenalin-
rückaufnahmehemmer
SSRI selektive Serotoninrückaufnahme-
hemmer
1.1 · Pharmaka
1 1I
Grundlagen
1 Pharmakologische Grundlagen –3
3 Arzneimittelinformation – 21
Pharmakologische Grundlagen
1.1 Pharmaka –4
1.1.1 Pharmakologisch wirksame Stoffe – 4
1.1.2 Wirkstoffentwicklung – 5
1.1.3 Arzneimittelwirkung – 6
1.1.4 Therapeutischer Einsatz von Pharmaka – 8
1.2 Checkliste – 10
4 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
16 Definition
5 Fertigarzneimittel: 5 Markenname:
– Arzneimittel aus industrieller Fertigung. – Bezeichnung eines gesetzlich geschützten
5 Freiname: Fertigarzneimittels eines bestimmten
– Name eines chemisch definierten Wirkstoffs, Herstellers.
englisch als »generic name« oder »internatio- 5 Generikum:
nal non-propriatary name = INN« bezeichnet – Bezeichnung eines Fertigarzneimittels,
und von der WHO festgelegt. welches unter dem Freinamen (generic
name) nach Ablauf des Patentschutzes auf
dem Markt gebracht wird.
Toxizität und Effekte auf die Reproduktion und Keim- die Kosteneffizienz geführt. Eine Phase V der Medika-
1 entwicklung (Teratogenitätstest). mentenentwicklung kann sich anschließen, wenn für
den Wirkstoff eine neue Indikation gefunden wird.
Definition
2
Phasen der Medikamentenentwicklung am 1.1.3 Arzneimittelwirkung
Menschen, die vor Beantragung einer Zulassung
3 durchlaufen werden müssen: Dosis-Wirkungs-Beziehung
5 Phase I Die Wirksamkeit eines Medikaments hängt ab von der
4 Überprüfung durch klinischen Pharmako-
logen, ob die Daten aus den Tiermodellen
Konzentration am Ort der Wirkung (»effective con-
centration«, EC). Da die Konzentration am Wirkort
auf den Menschen übertragbar sind. Erste in der Regel nicht messbar ist, wird die Wirkung über
5 Hinweise bezüglich Sicherheit und biolo- die Dosis gesteuert, die sich direkt proportional zur
gischer Effekte, erste Daten zur Pharmako- Konzentration verhält. Am Menschen lässt sich die
6 kinetik und Metabolisierung, Erstellung von
ersten Dosierrichtlinien (10–50 Probanden,
Konzentration am Wirkort allerdings aus der Dosis
nur grob abschätzen (Hiemke et al. 2005). Die Kon-
in der Regel »healthy male subjects«, keine zentrations-Wirkungs-Beziehung entspricht einer
7 Risikogruppe). Sättigungsfunktion. Es gibt eine untere Konzentrati-
5 Phase II on, bei der keine Wirkung messbar ist, und eine Kon-
Offene Prüfung der Wirksamkeit und rela-
8 tiven Ungefährlichkeit an einigen selektio-
zentration, mit der ein maximaler Wirkeffekt erzielt
wird. Viele Psychopharmaka sind nicht stimulierend,
nierten Patienten durch klinischen Pharma- sondern inhibierend wirksam. Auch dieser Zusam-
9 kologen und/oder Facharzt, Hinweise auf menhang unterliegt einer Sättigungsfunktion. Bei
therapeutische Wirksamkeit, Dosisbereich, der mathematischen Beschreibung der Konzentra-
Pharmakokinetische Daten und Metabolisie- tions- bzw. Dosiswirkungs-Beziehungen geht man
10 rung (20–100 Patienten). davon aus, dass das Medikament durch Aktivierung
5 Phase III oder Hemmung eines Rezeptors wirkt. Ein maximaler
11 Kontrollierte klinische Prüfung (bevorzugt
randomisiert, doppelblind) zum Nachweis
Effekt ist dann erreicht, wenn der Rezeptor zu 100%
mit dem Medikament beladen ist. Anfangs- und End-
der Wirksamkeit und Überprüfung der punkte der Konzentrations-Wirkungs-Kurven sind
12 Sicherheit an vielen Patienten mit gut defi- oft schwierig zu bestimmen. In der Praxis bewährt
nierten Einschluss- und Ausschlusskriterien haben sich als Kenngrößen für Medikamente, Kon-
durch Facharzt mit Erfahrung in klinischen
13 Prüfungen, (meist über 1000 Patienten).
zentrationen bzw. Dosen, bei denen 50% des maxi-
malen Effektes erzielt werden (EC50, ED50 IC50). Die-
se Größen kennzeichnen die Wirkstärke von Medika-
14 Wenn die Entwicklungsphasen erfolgreich abge- menten (s. unten »Definition«).
schlossen wurden, kann die Zulassung bei der Behör- Bei Kindern und Jugendlichen kann nicht davon
15 de beantragt werden.
Ein Medikament wird dann zugelassen, wenn
ausgegangen werden, dass ähnliche Dosierung wie
im Erwachsenenalter zu ähnlichen Wirkungen füh-
5 das Einsatzgebiet oder der Wirkmechanismus ren. Deshalb müssen entwicklungsabhängige physio-
16 neu sind, wenn logische und psychopathologischen Besonderheiten
5 eine verbesserte Wirksamkeit im Vergleich zur berücksichtigt werden (7 Kap. 2; Schulz u. Fleischha-
Standardbehandlung nachgewiesen wurde, wenn ker 2005).
17 5 eine bessere Verträglichkeit gezeigt wurde, z. B.
weniger Nebenwirkungen oder wenn
18 5 eine neue Darreichungsform entwickelt wurde.
Definition Definition
Die pharmakologische Wirkung eines Pharmakons Die toxische Wirkung eines Pharmakons hängt ab
hängt ab von der Konzentration am Wirkort. Die von der Konzentration am Wirkort. Die Konzentra-
Konzentration am Wirkort ist proportional mit der tion am Wirkort ist proportional mit der Dosis. Es
Dosis. Es gibt charakteristische Kenngrößen, die gibt charakteristische Kenngrößen, die die Wirk-
die Wirkstärke eines Medikaments beschreiben: stärke eines Medikaments beschreiben:
5 EC50: Konzentration des Wirkstoffs, mit der 5 LD50: Dosis des Wirkstoffs, bei der 50% der
50% des maximalen Effektes erzielt wird. behandelten Tiere sterben.
5 IC50: Konzentration des Wirkstoffs, mit der 5 Therapeutische Breite: Quotient von
der Effekt um 50% gehemmt wird. LD50/ED50.
5 ED50: Dosis, mit der 50% des maximalen 5 Therapeutischer Index: Quotient von LD5/
Effektes erreicht wird. ED95, d. h. das Verhältnis der Dosis, bei der
5% der Versuchstiere sterben zur Dosis, bei
der 95% des therapeutischen Effektes erzielt
Therapeutische Breite werden.
Jeder Stoff, der mit dem Organismus Mensch in
Wechselwirkung steht und von therapeutischem Nut-
zen ist, kann auch schädigend, also toxisch, wirken. Als Kenngrößen, die die Sicherheit eines Wirkstoffs
Dies ist seit langer Zeit bekannt und wurde durch beschreiben, haben sich die Größen therapeutische
den Arzt und Philosophen Theophrastus Bomba- Breite und therapeutischer Index bewährt, Quotienten,
stus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493– die aus Kenngrößen zur therapeutischen Wirkstärke
1541), formuliert in dem Satz: »Alle Ding’ sind Gift und zur toxischen Wirkung gebildet werden (s. oben
und nicht ohn’ Gift; allein die Dosis macht, dass ein »Definition«). Bei modernen Arzneistoffen wird ein
Ding kein Gift ist.« Entsprechend ist sogar das lebens- therapeutischer Index von mindestens 1000 ange-
notwendige Wasser bei Überdosierung toxisch, weil strebt.
es zu Elektrolytentgleisungen führt. Daher müssen
bei der Anwendung eines Medikaments immer auch Toleranzbildung
die unerwünschten und toxischen Effekte beschrie- 5 Bei wiederholter Einnahme eines Medikaments
ben werden. Toxische Wirkungen gehorchen wie die kann es durch adaptive Veränderungen zu einer
therapeutischen einer Sättigungsfunktion. Für Medi- Abschwächung der Wirkstärke kommen. Um
kamente wird angestrebt, dass toxische Wirkungen wieder den gleichen Effekt zu erzielen wie zuvor,
möglichst bei deutlich höheren Konzentrationen auf- muss die Dosis gesteigert werden. Dieses Phä-
treten als therapeutische. Eine in der Entwicklung von nomen wird als Entwicklung einer Toleranz
Medikamenten seit langem etablierte Methode ist die bezeichnet. Sie ist reversibel und kehrt nach
Bestimmung der Letaldosis (LD). Die mittlere Dosis, Absetzen des Medikaments wieder auf die Aus-
bei der 50% der Tiere nach einer Behandlung sterben, gangswirkstärke zurück. Toleranz kann durch
ist die sog. LD50. unterschiedliche Mechanismen zu Stande kom-
men. In einem Fall wird durch eine verstärkte
Synthese des inaktivierenden Enzyms (Enzymin-
duktion) der Abbau des Wirkstoffs beschleunigt.
Es steht dann für die Wirkung pro Zeiteinheit
weniger Substanz zur Verfügung. Diese Art von
Toleranz wird als pharmakokinetische Toleranz
bezeichnet. Sie besteht z. B. für das Antikonvulsi-
vum Carbamazepin, eine Substanz, die auch für
die Behandlung bipolarer Störungen eingesetzt
wird (7 Kap. 29). Es ist daher 2–3 Wochen nach
Ersteinstellung auf Carbamazepin notwendig,
die Dosis heraufzusetzen. Die Entwicklung einer
pharmakokinetischen Toleranz kann sich auch
auf die Wirkung anderer Medikamente auswir-
ken, wenn diese vom induzierten Enzym abge-
8 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
Patient, remittiert
in den vergangen Jahren festgestellt, dass das spätere In Phasen der Erhaltungs- und Langzeitthera-
Ansprechen oder Nichtansprechen schon zu einem pie ist eine regelmäßige klinische Überwachung der
relativ frühen Zeitpunkt, nämlich 2 Wochen nach Pharmakotherapie notwendig, um das Risiko des Auf-
Therapiebeginn durch eine frühere Besserung vorher- tretens von Rückfällen zu verringern. Die ärztliche
gesagt werden kann. Daher ist für diese Patienten eine Überwachung beinhaltet auch regelmäßige Kontrol-
objektive Symptomerfassung sinnvoll und offenbar len von Laborparametern (Benkert u. Hippius 2007)
auch eine frühere Anpassung der medikamentösen und ggf. auch die Messung von Medikamentenspie-
Therapie als bisher üblich. geln im Blut (Hiemke et al. 2005), bei Lithium insbe-
sondere aus Gründen der Sicherheit. Bei anderen Psy-
Erhaltungstherapie und Langzeittherapie/ chopharmaka ist eine Blutspiegeluntersuchung wäh-
Rezidivprophylaxe rend der Erhaltungstherapiephase angezeigt, wenn
Psychiatrische Erkrankungen erfordern oft eine Thera- eine Symptomverschlechterung beobachtet wird. Die
pie über Monate, oft auch Jahre (z. B. 7 Abschn. 15.4). Wirksamkeit einer antipsychotischen oder antide-
Während durch die Erhaltungstherapie in den ersten pressiven Behandlung lässt in der Regel nicht nach,
4–6 Monaten versucht wird, das Wiederauftreten der weil die Medikamente nicht mehr wirken, also eine
Symptome durch fortgesetzte medikamentöse Thera- pharmakodynamische Toleranz eintritt, sondern weil
pie zu verhindern, soll die Langzeittherapie bzw. die die Medikamente nicht mehr eingenommen werden.
Rezidivprophylaxe einen möglichst überdauernden, Daher sollten Patienten, die an einer Depression, Schi-
oft lebenslangen Schutz bieten. Das Ziel der Rezidiv- zophrenie oder bipolaren Störung leiden, nachdrück-
prophylaxe ist das Verhindern von neuen möglichen lich darin bestärkt werden, ihre Medikamente konti-
Phasen bei einer unipolaren oder bipolaren Depres- nuierlich einzunehmen.
sion oder bei einer in Schüben auftretenden Schizo-
phrenie. Mit Ausnahme einer Behandlung mit Lithi-
um sind die Dosen für die Erhaltungstherapien oft-
mals gleich hoch wie die bei der Akutbehandlung. In
der Langzeittherapie kann der Versuch einer minimal
effektiven Dosis versucht werden.
10 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
1.2 Checkliste
1
?
2 1. Was versteht man unter dem Begriff Arz-
neimittel?
12
13
14
15
16
17
18
19
20
2.1 ·
11 2
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik
und Interaktionen
2.2 Pharmakokinetik – 13
2.2.1 Pharmakokinetische Phasen – 14
2.3 Pharmakodynamik – 16
2.4 Arzneimittelwechselwirkungen – 18
2.6 Checkliste – 20
12 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
12 Absorption
Distribution
13 Akkumulation Metabolisierung
14 Rezeptor-Bindung
erwünschte und
unerwünschte
Wirkungen
15 Metabolisierung
16 Exkretion
17
. Abb. 2.1. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Ein (Akkumulation), z. B. in Gehirn oder Fettgewebe, und verzö-
18 Stoff tritt mit einem Individuum in Kontakt, indem er z. B.
geschluckt oder injiziert wird (Applikation). Wenn er geschluckt
gert wieder freigesetzt und verteilt. Pharmaka und ihre Meta-
boliten werden entweder unverändert oder nach Metabolisie-
wird, wird er im Magen-Darm-Trakt in die Blutbahn aufgenom- rung ausgeschieden (Exkretion). Metabolisierung und Exkre-
19 men (Absorption). Mit dem Blutstrom wird er verteilt (Distri-
bution) und gelangt dann entweder mit oder ohne chemische
tion zusammengenommen werden als Elimination bezeich-
net. Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion
Umwandlung (Metabolisierung) an seine Zielstruktur (Rezep- (ADME) sind die wesentlichen Prozesse der Pharmakokinetik,
20 torbindung). Über einen Rezeptor im weiteren Sinne entfaltet über die der Organismus auf den Fremdstoff wirkt. Prozesse,
das Pharmakon seine Wirkung unmittelbar oder zeitlich ver- über die der Stoff auf den Organismus wirkt, gehören zur Phar-
zögert. Manche Arzneimittel werden im Gewebe gespeichert makodynamik
2.2 · Pharmakokinetik
13 2
cher können z. B. eine höhere CYP1A2-Aktivität in on sind in der Regel Transportproteine beteiligt, über
1 der Leber aufweisen als Nichtraucher. die die Psychopharmaka bzw. ihre Metabolite unter
Die meisten Psychopharmaka werden von mehr Energieverbrauch entsorgt werden. Psychopharma-
als einem Isoenzym abgebaut, denn CYP-Enzyme ka, die mit Glucuronsäure konjugiert sind, werden im
2 besitzen eine breite und überlappende Substratspezi- proximalen Tubulus unter Energieverbrauch ausge-
fität, und die Rolle der einzelnen Isoenzyme kann mit schleust.
3 der Konzentration variieren. Es gibt allerdings auch
Medikamente, die so gut wie ausschließlich über ein
einziges Isoenzym abgebaut werden, z. B. Nortripty- 2.3 Pharmakodynamik
4 lin über CYP2D6.
Pharmakodynamik umfasst Wirkungen und Wirkme-
Wichtig chanismen von Medikamenten auf den Organismus.
5 Das Konzept geht auf Überlegungen von Paul Ehr-
Alle Psychopharmaka, die Substrate von CYP-Iso- lich und John Newport Langley zurück. Es geht davon
6 enzymen sind, sind auch mögliche Inhibitoren die-
ser Enzyme und können so pharmakokinetische
aus, dass jedes Medikament an einen Rezeptor bin-
den muss, um zu wirken. Pharmakarezeptoren in die-
Arzneimittelwechselwirkungen verursachen. Eini- sem Sinne können unterschiedlichster funktioneller
7 ge neue Antidepressiva sind hochpotente Inhibi- Natur sein, z. B. Enzyme, Hormonrezeptoren, Neu-
toren von CYP-Enzymen. Fluvoxamin hemmt z. B. rotransmitterrezeptoren, Transportproteine, Ionen-
CYP1A2 und CYP2C19 und Fluoxetin und Paroxe-
8 tin hemmen CYP2D6. Diese Antidepressiva sind
kanäle oder DNA. Die meisten Psychopharmaka grei-
fen direkt oder indirekt in die Neurotransmission ein,
daher bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer im Wesentlichen in die neuro-neuronale Übertragung
9 Medikamente vorsichtig einzusetzen. (. Abb. 2.2).
Psychopharmaka modulieren somit die Signalü-
Alle Enzyme, die an der Metabolisierung von Psycho- bertragung innerhalb der Synapse durch Aktivierung
10 pharmaka oder anderen Fremdstoffen beteiligt sind, oder Hemmung, was zu unterschiedlichen Effekten
werden genetisch und epigenetisch reguliert. Da die führt (. Tab. 2.1).
11 Umwelt sehr variabel ist, ist es nicht erstaunlich, dass
sich im Verlauf der Evolution viele fremdstoffmeta- Rezeptorbindung
bolisierende Enzyme entwickelt haben und eine hohe Nach dem Konzept, dass jedes Medikament über einen
12 genetische Variabilität in der Ausstattung der Leber Rezeptor wirkt, unterscheidet man zwei Arten von
mit diesen Enzymen vorliegt (Evans u. Relling 1999). Wirkungen: eine stimulierende und eine hemmende.
13 Genetische Unterschiede sind daher eine Ursache für Dabei wird eine Substanz als stimulierend angese-
die hohe interindividuelle Variabilität, die sich für hen, wenn sie die Wirkung des endogenen Liganden
Plasmakonzentrationen verschiedener Patienten bei imitiert und als inhibitorisch, wenn sie die Wirkung
14 gleicher Dosis findet, und letztendlich auch ein Grund hemmt. Substanzen, die die Rezeptorfunktion aktivie-
für die Heterogenität im Ansprechen auf Psychophar- ren, werden als Agonisten bezeichnet. Eine Substanz,
15 maka oder andere Medikamente. Kommen genetische
Varianten in einer Häufigkeit von mindestens 1% in
welche am Rezeptor die Bindungsstelle für den endo-
genen Transmitter blockiert, aber selbst keine Aktivie-
der Population vor, so spricht man definitionsgemäß rung auslöst, ist ein Antagonist, genauer ein kompeti-
16 von einem genetischen Polymorphismus. Als klinisch tiver Antagonist.
relevant wird er für ein Medikament dann angesehen, Die Wirkstärke von Agonisten und Antagonisten
wenn mindestens 30% der Dosis durch das betreffen- ist abhängig von der Bindung an den Rezeptor. Eine
17 de Enzym metabolisiert werden (Griese et al. 1998). Kennzahl, die dies umschreibt, ist die Affinität des
Pharmakons zum Rezeptor, die Gleichgewichtsdisso-
18 Exkretion ziationskonstante KD. Sie kann experimentell durch
Die Ausscheidung oder Exkretion umfasst alle Pro- Bindungsstudien mit radioaktiv markierten Liganden
zesse, durch die Fremdstoffe und ihre Metabolite nach einfach ermittelt werden kann. Der Wert von KD ent-
19 außen befördert werden. Ausscheidungsorgane sind spricht der Konzentration, die notwendig ist, um die
die Niere, die Leber im Verbund mit der Galle, die Hälfte der Rezeptoren mit dem Pharmakon zu beset-
20 Lunge, die Haut und der Speichel. Für mehr als 90% zen. Die Dimension ist mol/l. Wirksame Psycho-
der Psychopharmaka stellt die Niere das Hauptexkre- pharmaka haben KD-Werte im Bereich von wenigen
tionsorgan dar. An der renalen und biliären Exkreti- nmol/ l.
2.3 · Pharmakodynamik
17 2
NT-Metaboliten
NT
Postsynaptisches
Präsynaptisches NT Neuron
Neuron 3
NT
1
2 NT
. Abb. 2.2. Schematische Darstellung einer Kontaktstelle wichtigste Inaktiverungsmechanismus. Ein weiterer Inaktivie-
zwischen einem präsynaptischen und postsynaptischen Neu- rungsmechanismus ist enzymatischer Abbau durch z. B. Mono-
ron. Solche Kontaktstellen (Synapsen) im Gehirn sind der wich- aminoxidase in der äußeren Mitochondrienmembran (4). Viele
tigste Angriffsort von Psychopharmaka. Im präsynaptischen Antidepressiva wirken durch Hemmung der Wiederaufnahme
Neuron wird Neurotransmitter (NT) gebildet und vesikulär (3) oder durch Hemmung des NT-Abbaus (4), Antipsychotika
gespeichert. Nach Reizung des Neurons wird der NT in den durch Hemmung von post- und präsynaptischen Rezeptoren
synaptischen Spalt freigesetzt. Der NT bindet an postsynap- (1 und 2), anxiolytisch oder hypnotisch wirksame Benzodia-
tische (1) und präsynaptische (2) Rezeptoren, letztere (2) wer- zepine fördern die Aktivierung postsynaptischer Rezeptoren
den auch Autorezeptoren genannt. Der NT wird durch Trans- durch den inhibitorischen Neurotransmitter Gammaamino-
porter (3) unter Verbrauch von Energie wieder in das präsynap- buttersäure (GABA), Lithium wahrscheinlich durch Angriff von
tische Neuron aufgenommen. Dies ist für die meisten NT der Signalkaskaden, die Rezeptoren nachgeschaltet (1) sind
Irreversible Wirkungen
Rezeptor-Signal-Transduktion Normalerweise ist die Bindung eines Medikamentes
Es gibt zwei große Klassen von Neurotransmitter- an seinen Rezeptor reversibel. Die Wirkung lässt nach,
Rezeptoren, ionotrope Rezeptoren und metabotro- indem das Pharmakon vom Rezeptor dissoziiert. Es
pe Rezeptoren. Zu den ionotropen Rezeptoren, auch gibt jedoch Wirkstoffe, die mit ihrem »Rezeptor« eine
Ionenkanal-gekoppelte-Rezeptoren genannt, mit psy- kovalente Bindung eingehen und diesen damit in sei-
chopharmakologischer Relevanz gehören GABAA- ner Funktion lahm legen. Meist handelt es sich dabei
Rezeptoren, über die Benzodiazepine wirken, oder um Giftstoffe. Ein Pschopharmakon mit einem sol-
Acetylcholin-Rezeptoren. Sie bilden einen Ionenka- chen Wirkprinzip ist der Monoaminoxidasehemmer
nal, der bei Aktivierung durch einen Agonisten geöff- Tranylcypromin. Es bindet im aktiven Zentrum des
net wird, bei GABAA-Rezeptoren führt der vermehr- Enzyms und inaktiviert damit das Enzym. Die mess-
te Einstrom von Chlorid-Ionen zu einer Hyperpola- bare Hemmwirkung lässt erst nach, indem neues
risation der Zelle und damit zu einer Hemmung der Enzym gebildet wird.
Reizweiterleitung. Die Mehrzahl der Psychophar-
18 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
6 Transporter
11 Rezeptoren
pie relevant. Es gibt eine Reihe von Psychopharmaka, kation sehr unterschiedlich. Daher ist bei der Einstel-
die Enzyme der Biotransformation hemmen. Von den lung eines Patienten auf ein Psychopharmakon nicht
6 auf dem Markt befindlichen selektiven Serotoninwie- sicher vorhersagbar, welche Medikamentenkonzen-
deraufnahmehemmern (SSRI) sind 3 potente Hemm- trationen aufgebaut werden. Bei der medikamentösen
stoffe von CYP-Enzymen: Fluoxetin und Paroxetin Behandlung von Patienten mit psychischen Erkran-
hemmen CYP2D6, Fluvoxamin hemmt CYP1A2 und kungen sind deshalb und auch wegen pharmakody-
CYP2C19. Weil es viele Patienten gibt, die auf eine namischer Varianzen Dosiskorrekturen oder Medika-
Monotherapie nicht ansprechen, sind Kombinations- mentenwechsel an der Tagesordnung; auch die unsi-
behandlungen in der Praxis der Psychopharmakothe- chere Compliance ist ein Problem bei der Pharma-
rapie nicht zu vermeiden. Um bei einer vorgesehenen kotherapie dieser Patienten. Diese Varianzen und die
Medikamentenkombination abzuschätzen, ob mit pharmakokinetische Variabilität können durch Mes-
Wechselwirkungen zu rechnen ist, sind mehrere Fak- sung der Medikamentenkonzentrationen in Blutplas-
toren zu beachten. ma oder -serum kontrolliert und korrigiert werden.
Blutspiegelmessungen, sog. therapeutisches Drug-
Monitoring (TDM), sind die praktische Anwendung
Wesentliche Faktoren, die bei Medikamen- von pharmakokinetischen Kenntnissen für die Thera-
tenkombinationen zu beachten sind pieoptimierung (Baumann et al. 2004; Hiemke et al.
5 Metabolisierende Enzyme und deren quanti- 2005; Jaquenout Sirot et al. 2006). Die Aufgabe von
tative Bedeutung für den Abbau TDM ist es herauszufinden, ob für die Therapie eines
5 Substrateigenschaften an den arzneimittel- individuellen Patienten eine wahrscheinlich wirksame
metabolisierenden Enzymen Dosis gewählt wurde. Dabei sind die angestrebten
5 Hemmeigenschaften an den arzneimittelab- Blutspiegel (Synonyme: Plasmaspiegel, Serumspiegel,
bauenden Enzymen Plasmakonzentration oder Serumkonzentration) eine
5 Pharmakologische Eigenschaften der wesentliche Orientierungsgröße. Man geht davon aus,
Metabolite dass es für therapeutische und toxische Wirkungen
5 Substrat- und Hemmeigenschaften der jeweils eine minimal effektive Konzentration gibt. Der
Metabolite Bereich zwischen beiden Konzentrationen wird als
5 Therapeutische Breite der Medikamente und therapeutisches Fenster einer Substanz definiert.
ihrer Metabolite
5 Individuelle Gegebenheiten des Patienten
(z. B. Metabolisierer-Status) Typische Indikationen für TDM
5 Vermeidung von Intoxikationen (z. B.
Lithium)
Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind für den 5 Verdacht auf Nichteinnahme der verordne-
verordnenden Arzt kaum überschaubar. Sie unterlie- ten Medikamente
gen einer Systematik, die sich an Substrat- und Hemm- 5 Kein oder ungenügendes Ansprechen bei
eigenschaften arzneimittelabbauender Enzyme orien- klinisch üblicher Dosis
tiert und nicht an pharmakologischen Wirkmechanis- 5 Ausgeprägte Nebenwirkungen bei klinisch
men. Um die Vorhersage von Wechselwirkungen zu üblicher Dosis
erleichtern, sind Computerprogramme hilfreich. Über 5 Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen
das Internet verfügbar sind z. B. die Programme Psi- 5 Kombinationsbehandlung mit einem
acOnline (http://www.psiac.de), Kompendium-online Medikament mit bekanntem pharmakokine-
(http://www.psychiatrische-pharmakotherapie.de) tischem Interaktionspotenzial
oder MediQ (http://www.mediq.ch). 5 Rezidiv unter Erhaltungsdosis
5 Bekannte pharmakogenetische Besonder-
heiten
2.5 Therapeutisches Drug- 5 Kinder und Jugendliche
Monitoring 5 Alterspatienten über 65 Jahre
1 Fazit
8
2.6 Checkliste
9
?
10 1. Welches sind die wesentlichen Phasen der
Pharmakokinetik?
11 2. Was versteht man unter dem pharmakoki-
netischen Begriff Elimination?
3. Was beschreibt der Begriff Verteilungsvolu-
12 men?
4. Welche Enzyme sind mit Blick auf die Metab-
13 olisierung von Psychopharmaka besonders
relevant?
5. Welches Enzym wird durch Rauchen induzi-
14 ert?
6. Welche Psychopharmaka hemmen das CYP-
15 Isoenzym 2D6
7. Welche beiden Typen von Neurotransmitter-
rezeptoren gibt es?
16 8. Wie wirkt Tranylcypromin?
9. Was besagt das Rezeptor-Konzept von
Ehrlich und Langley?
17 10. Welche Gründe gibt es, Plasmaspiegel-
konzentrationen bei Gabe eines Psychophar-
18 makons zu messen?
19
20
3.1 ·
21 3
Arzneimittelinformation
3.2 Informationsquellen – 22
3.2.1 Wissenschaftlich überwachte Information – 22
3.2.2 Primärliteratur – 23
3.2.3 Sekundärliteratur – 23
3.2.4 Tertiärliteratur – 23
3.2.5 Institutionell überwachte Information – 23
3.2.6 Datenbankgestützte Information – 25
3.5 Checkliste – 28
22 Kapitel 3 · Arzneimittelinformation
3.1 Information und Aufklärung enten durch die Informationen im Beipackzettel ver-
1 unsichert werden, wenn sie die Informationen nicht
Definition ausreichend verstehen. Die Aufklärung des Patienten
muss dokumentiert werden, z.B. durch einen Vermerk
2 Für eine erfolgreiche Pharmakotherapie ist eine in der Krankenakte.
valide und zuverlässige Information äußerst wich- Die ausführliche Aufklärung gilt ganz beson-
3 tig: Für Therapeuten, um nach dem neusten Stand ders für Medikamente die »off-label« verordnet wer-
den, d.h. es besteht keine Zulassung des Medikaments
behandeln zu können und für Patienten, um um-
fassend über Wirkungsweise und Risiken infor- für die geplante Indikation. Ein Beispiel ist der Ein-
4 miert zu sein. Wichtige Informationsquellen sind satz von selektiven Serotoninrückaufnahmehemmern
hierbei der Beipackzettel, Fachliteratur sowie das (SSRI) bei der Behandlung von depressiven Syndro-
men bei kinder- und jugendpsychiatrischen Erkran-
5 Internet mit zahlreichen Datenbanken, wie z. B.
Cochrane Library, PubMed u. a. kungen. Dies entspricht einem sog. individuellen
Heilversuch. 70% der im Kindes- und Jugendalter ein-
6 gesetzten Arzneimittel sind für eine solche Anwen-
dung nicht geprüft oder zugelassen. In der Kinder-
3.1.1 Informationen für Therapeuten und Jugendpsychiatrie müssen der Patient und die
7 Bezugspersonen (Eltern, Lehrer) aufgeklärt werden.
Erfahrene Therapeuten wenden bevorzugt Medika- Darüber hinaus wird sich der Patient über die
8 mente an, mit denen sie eigene Erfahrungen erwor-
ben haben. Das betrifft therapeutisch erwünschte
verordneten Medikamente in der Apotheke oder aus
anderen Quellen informieren. Dazu zählt auch das
Eigenschaften ebenso wie unerwünschte Arzneimit- Internet. Es ist hilfreich, wenn der Therapeut Hinwei-
9 telwirkungen und Wechselwirkungen. Neue Erkennt- se auf gute Information geben kann, und er sollte die
nisse mit den alten Wirkstoffen, die Einführung neu- Formulierungen und Inhalte des Beipackzettels ken-
er Medikamente und Nichtansprechen der Patienten nen.
10 machen es notwendig, dass auch der erfahrene The-
rapeut sich stetig neu informieren muss. Es ist für den
11 praktisch tätigen Therapeuten dabei von Bedeutung, 3.2 Informationsquellen
wie mit der Fülle angebotener Information umzuge-
hen ist, um eine Therapie nach dem aktuellen Stand 3.2.1 Wissenschaftlich überwachte
12 des Wissens anzuwenden. Information
6 Nebenwirkungen Hier wird nach festgelegtem Schema auf die Häufigkeit des Auftretens von
Nebenwirkungen hingewiesen:
»Sehr häufig«: bei mehr als 10% der Behandelten,
7 »häufig«: mehr als 1%,
»gelegentlich«: mehr als 0,1%,
9
kaverband die Rote Liste herausgegeben. Sie erscheint 5 Wechselwirkungen
10 jährlich und ist das wesentliche Verzeichnis der in 5 Überdosierung
Deutschland erhältlichen Fertigarzneimittel. Die 5 Intoxikationen
11 Medikamente mit etwa 1500 Wirkstoffen werden lexi-
kalisch nach 88 Indikations- und Wirkstoffgruppen Zusätzlich findet man Angaben über verfügbare
geordnet aufgelistet. Die Rote Liste enthält ein Ver- Packungsgrößen, Preise und Lagerungshinweise,
12 zeichnis der Fertigarzneimittel, alphabetisch geord- Gegenanzeigen sowie Anwendungsbeschränkungen.
net nach Präparatenamen und ein Verzeichnis der Neben- und Wechselwirkungen werden noch einmal
13 Wirkstoffe, alphabetisch geordnet nach den gebräuch- systematisch in einem Sonderteil abgehandelt. Seit
lichen Kurzbezeichungen. In Letzterer findet man für einigen Jahren ist die Rote Liste auch als CD erhält-
die arzneilich wirksamen Stoffe die Eliminationshalb- lich und über das Internet einsehbar. Für Ärzte und
14 wertszeiten angegeben, die sich in der Regel auf leber- Apotheker ist über DocCheck ein kostenfreier Zugang
und nierengesunde Erwachsene beziehen. Des Wei- möglich.
15 teren wird in der Präparateliste angegeben, ob eine
Substanz durch Hämolyse oder Hämoperfusion eli- Fachinformation
miniert werden kann; eine Information, die bei einer Nach § 11 des Arzneimittelgesetztes werden von den
16 Intoxikation von Bedeutung ist. Am umfangreichsten pharmazeutischen Unternehmern über deren Arznei-
und wichtigsten ist in der Roten Liste der Präpara- mittel Fachinformationen (Summary of Product Cha-
teteil. Er enthält kurzgefasste Informationen zu fol- racteristics, SPC) erstellt. Auf 2–6 Seiten wird, mit
17 genden Themen: ähnlicher Gliederung wie in der Rote Liste und im
5 Zusammensetzung der Fertigarzneimittel Beipackzettel, über Anwendungsgebiete, Nebenwir-
18 5 Anwendungsgebiete kungen, Wechselwirkungen, Warnhinweise, Inkom-
5 Dosierung patibilitäten, Dosierung, Notfallmaßnahmen, Phar-
5 Gegenanzeigen makologie des Arzneimittels informiert. Das für die
19 5 Warnhinweise Erstellung verwendete wissenschaftliche Material ent-
5 Anwendungsbeschränkungen stammt in der Regel aus eigenen Studien, die für die
20 5 Anwendungen in der Schwangerschaft und wäh- Zulassung durchgeführt wurden. Für die formale
rend der Stillzeit und inhaltliche Gestaltung liefert die Zulassungsbe-
5 Nebenwirkungen hörde Musterfachinformationen, in Deutschland das
3.2 · Informationsquellen
25 3
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro- zeit werden in erster Linie CD-ROM und Online-
dukte (BfArM). Durch Spontanerfassung von uner- Datenbanken als Medien genutzt, von denen Informa-
wünschten Arzneimittelwirkungen und -wechselwir- tion abgerufen werden. Wichtige Internetseiten sind
kungen (s. unten) kann es dazu kommen, dass neue in . Tab. 3.2 aufgelistet.
Informationen aufgenommen werden müssen, ent-
weder eigeninitiativ durch den Hersteller oder veran- PubMed
lasst durch die Zulassungsbehörde. Von wissenschaft- Zur schnellen Suche von Originalarbeiten stehen ver-
lichen Originalarbeiten unterscheiden sich die Fach- schiedene Datenbanken zur Verfügung, am wich-
informationen im Wesentlichen dadurch, dass die tigsten ist der PubMed-Service, ein weltweit frei
für die Erstellung der Inhalte verwendeten Daten in zugänglicher Service der National Library of Medi-
der Regel nicht dargestellt werden und keine Quellen cine in den USA (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ent-
angegeben werden. Die Richtigkeit der Angaben wird rez/). In dieser Datenbank findet man über 16 Mil-
allerdings durch die Zulassungsbehörde überwacht. lionen Zitierungen aus MEDLINE und anderen wis-
Darüber hinaus werden bei der Abfassung der Texte senschaftlichen Journalen. Sie reicht zurück bis in
auch rechtliche Aspekte berücksichtigt, um den Her- das Jahr 1950. Über PubMed sind auch Zugänge zu
steller haftungsrechtlich zu schützen. Fachinformati- Volltextversionen möglich. Wie weitgehend dies ist,
onen sind eine wesentliche Quelle für Arzneimittel- hängt davon ab, welche Zugänge freigeschaltet sind.
informationen. Die Angaben werden in Lehrbüchern, Für jedermann zugänglich sind in der Regel die sog.
d.h. in Sekundär- und Tertiärliteratur, übernommen. Abstracts, die die wesentlichen Ergebnisse der Origi-
Sie beeinflussen daher das Verschreibungs- und The- nalarbeit darstellen und diskutieren. Man sollte sich
rapieverhalten direkt und indirekt. allerdings auf die Schlussfolgerungen in den Abstracts
nicht blind verlassen, besonders dann, wenn Zahlen-
angaben fehlen. In Abstracts werden von den Autoren
3.2.6 Datenbankgestützte Information Positivbefunde mehr hervorgehoben als Negatgivbe-
funde. Daher ist das Abstract nicht mehr und nicht
Non-Printmedien umfassen alle Informationen, die weniger als eine erste Orientierung über den Inhalt
auf elektronischen Datenträgern abrufbar sind. Der- der Originalarbeit.
Datenbank Internetadressen
Für Experten
ry (http://www.cochrane.de). Damit soll eine wissen- tionsgemäß um eine schwerwiegende UAW. Nach der
schaftlich fundierte Informationsgrundlage des aktu- Berufsordnung für Ärzte müssen UAW der Arznei-
ellen Standes der klinischen Forschung in kurzer mittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ)
Zeit verfügbar gemacht werden, um Entscheidungen gemeldet werden. In der Geschäftsstelle der AKdÄ
im Gesundheitssystem zu verbessern. Die Cochrane werden die eingehenden UAW-Berichte analysiert,
Library wird vierteljährlich veröffentlicht und ist als bewertet und in Zusammenarbeit mit dem Bundesin-
Online-Zugang oder als CD-ROM über den eng- stitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
lischen Verlag Wiley InterScience verfügbar. in eine Datenbank aufgenommen. Bei den Meldungen,
die auch im Verdachtsfall erfolgen sollte, wird insbe-
sondere überprüft, ob bei der Gabe eines Arzneimit-
3.4 Neue Informationen tels bisher nicht bekannte unerwünschte Arzneimit-
telwirkungen aufgetreten sind. Weisen die gewon-
Nach der Zulassung eines Medikamentes kann es vor- nenen Erkenntnisse auf die Möglichkeit von Arznei-
kommen, dass bis dahin nicht bekannte therapeutisch mittelrisiken hin, leitet die zuständige Bundesoberbe-
nützliche oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen hörde (BfArM) die ggf. erforderlichen Maßnahmen
(UAW) beobachtet werden. Auch diese Erkenntnisse auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes ein. Die-
finden Eingang in die Literatur, die wie oben beschrie- se können dann z. B. in Änderungen des Beipackzet-
ben abrufbar ist und bewertet wird. tels bestehen oder gar ein Verbot des Arzneimittels
zur Folge haben. Die AkdÄ teilt die UAW-Meldungen
aus der Ärzteschaft grundsätzlich nur den zustän-
3.4.1 Neu beobachtete nützliche digen Bundesoberbehörden mit. Die Daten aus der
Wirkungen gemeinsamen Datenbank von AkdÄ und BfArM sind
der allgemeinen Öffentlichkeit nicht zugänglich, weil
Bei Einsatz eines zugelassenen Arzneimittels kann deren Interpretation spezielle Kenntnisse und Erfah-
es vorkommen, dass beobachtet wird, dass mit dem rungen voraussetzt. Speziell für die Psychiatrie gibt es
Medikament eine Wirkung erzielt werden kann, die im deutschsprachigen Raum Pharmakovigilanzpro-
bei der klinischen Prüfung nicht beachtet worden ist. gramme (Grohmann et al. 2004; Haen 2004), die die
Dies kann zu einer Indikationserweiterung führen. So Sicherheit der Anwendung von Psychopharmaka ver-
wurde z. B. erkannt, dass Antikonvulsiva, die entwi- bessern sollen.
ckelt wurden, um Krampfanfälle zu verhindern, sta-
bilisierend auf phasische Krankheitsverläufe wirken,
etwa bei bipolaren affektiven Störungen. Diese neu- Fazit
en Erkenntnisse führen nicht automatisch zu einer
behördlich akzeptierten Indikationserweiterung eines Information über Arzneimittel, die für Therapeuten und
Präparates. Die neue Indikation muss beantragt und Patienten leicht und umfangreich verfügbar ist, ist ein
genehmigt werden. Bei individuellen Patienten, die wichtiger Bestandteil des Therapieerfolgs. Therapeuten
auf eine Standardbehandlung nicht oder nicht aus- und Patienten sollten wissen, warum eine medikamen-
reichend ansprechen, kann es sinnvoll sein, eine nur töse Behandlung notwendig ist, was damit erreicht wer-
durch Literatur belegte neue Behandlungsoption zu den kann und welche Risiken damit verbunden sind. Die
nutzen. Wenn so vorgegangen wird, ist es wichtig, dass Fülle der angebotenen Information macht es allerdings
der verordnende Therapeut die Literatur greifbar hat erforderlich, dass man nicht nur wissen muss, wo und wie
und beurteilen kann, ob eine berichtete neue Behand- man Kenntnisse erwirbt, sondern auch wie man zwischen
lungsoption zuverlässig erscheint oder nicht. guter und schlechter Qualität von Mitteilungen unter-
scheiden kann. Gesetzliche Vorgaben und Begutachtung
durch Experten sollen für gute Qualität sorgen, damit
3.4.2 Neu beobachtete unerwünschte Therapieentscheidungen und die vorher erforderliche
Wirkungen Aufklärung des Patienten auf wissenschaftlich fundierten
Erkenntnissen beruhen.
Häufiger als nützliche Wirkungen werden nach der
Zulassung eines Medikamentes unerwünschte Wir-
kungen neu entdeckt. Wenn sie eine stationäre
Behandlung erforderlich machen oder verlängern
oder gar zum Tode führen, dann handelt es sich defini-
28 Kapitel 3 · Arzneimittelinformation
3.5 Checkliste
1
?
2 1. Über welche Inhalte muss ein Therapeut
einen Patienten mindestens aufklären, wenn
3 2.
er ihm ein Medikament verschreibt?
Welches ist die Basis, auf der die Thera-
pieentscheidung gefällt werden soll und
4 nach der die Aufklärung des Patienten
erfolgen soll?
3. Was ist unter dem Begriff Primärliteratur zu
5 verstehen?
4. Welche Art von Originalarbeiten ist zu
6 bevorzugen, wenn man sich über pharma-
kologische Wirkungen eines Medikamentes
informieren will?
7 5. Was verbirgt sich unter der Abkürzung »SPC«
für ein Arzneimittel?
8 6. Welches wesentliche Ziel soll durch die
Cochrane-Datenbank für den Therapeuten
erreicht werden?
9 7. Wie kommt man ohne Verfügbarkeit einer
eigenen Bibliothek zu Zusammenfassungen
(Abstracts) von Originalarbeiten oder Übersi-
10 chtsartikeln (Reviews)?
8. Wie häufig ist mit einer Nebenwirkung zu
11 rechnen, wenn im Beipackzettel für den Pati-
enten steht, dass sie »gelegentlich« auftreten
kann?
12 9. Was ist zu tun, wenn bei einem Patienten
nach Einnahme eines verordneten neuen
13 Medikamentes ein Delir aufgetreten ist,
welches nach Angaben des Herstellers bisher
nicht erwartet worden war und der Patient
14 deshalb stationär aufgenommen werden
musste?
15
16
17
18
19
20
4.1 ·
29 4
4.1 Einleitung – 30
4.4 Schlussfolgerungen – 32
4.5 Checkliste – 33
30 Kapitel 4 · Psychopharmaka und Psychotherapie
therapie und Psychotherapie bzw. zur anfänglichen ale und rasch einsetzende Wirkung der Medikamente
Pharmakotherapie und späteren Psychotherapie eine psychotherapeutische Behandlung überhaupt
widersprechen dieser Behauptung. Es muss zusätzlich erst ermöglicht: Oft ist bei schwer depressiven Pati-
hervorgehoben werden, dass die empirische Befund- enten, bei schweren Zwangsstörungen oder bei psy-
lage zu dieser Hypothese nicht stark ist und keine chotischen Symptomen der Zugang zu den Betrof-
abschließende Bewertung, und schon gar nicht für fenen nicht möglich. Erst der Wirkeintritt der Psycho-
alle Störungsbereiche bzw. alle Medikamentengrup- pharmaka schafft diese zentralen Voraussetzungen für
pen, erlaubt. eine Psychotherapie. Oft kommt eine Medikation dem
Psychotherapeuten befürchten oft, dass sich Pati- subjektiven Krankheitsverständnis der Patienten ent-
enten durch die Empfehlung zur Einnahme von Psy- gegen. Sie können sich als »richtig« (organisch) krank
chopharmaka abgewertet, abgeschoben oder unver- erleben, was im Verlauf jedoch die Möglichkeit eröff-
standen vorkommen und darüber hinaus ungünstige net, allmählich ein psychobiologisches Modell und
Auswirkungen auf die Therapeuten-Patienten-Bezie- damit auch den Wert von Lernen, Selbstkontrolle,
hung entstehen. Auch hier bestimmen eher Vorurteile also Psychotherapie, zu erarbeiten. Die Kombination
als reale Erfahrungen oder gar empirische Belege die aus Pharmakotherapie und Psychotherapie hat folg-
Diskussion. Tatsächlich fühlen sich Patienten durch lich einen synergistischen Effekt, der sich meist gün-
die offene Ansprache und die Erklärung des Nutzens stig auf den Therapieerfolg und den längerfristigen
eines Medikaments, z. B. parallel zu einer Psychothe- Therapieverlauf auswirkt.
rapie, ernst genommen und an Entscheidungsprozes- Bei einigen psychischen Störungen (z. B. bei chro-
sen beteiligt. Das therapeutische Arbeitsbündnis wird nischen Depressionen) hat sich die Kombination aus
eher gestärkt. Fragt man Patienten nach dem Grund Pharmakotherapie und Psychotherapie als eindeu-
einer erfolgreichen Kombinationsbehandlung aus tig besser herausgestellt als die jeweiligen Monothe-
Psycho- und Pharmakotherapie, dann führen sie in rapien. Zur Akzeptanz der Kombinationsbehand-
der Regel die Erfolge auf die Wirkung der Psychothe- lung bei Patienten und bei Therapeuten ist jedoch das
rapie, also auf ihre eigenen Anstrengungen zurück. Wissen über Psychopharmakotherapie und Psycho-
Befürchtungen des psychodynamisch orientierten therapie wesentlich. Durch die psychotherapeutische
Psychotherapeuten bezüglich des Einsatzes von Psy- Begleitung wird die Medikamentencompliance (z. B.
chopharmaka während einer Psychotherapie gehen bei schizophrenen oder bipolaren Patienten) verbes-
vor allem davon aus, dass Regressionsbedürfnisse sei- sert, was sich günstig auf den Verlauf und insgesamt
tens des Patienten gefördert werden und ungünstige auf den Therapieerfolg auswirkt. Schließlich besteht
Auswirkungen auf die Therapeuten-Patienten-Bezie- die berechtigte Vermutung, dass Misserfolge (sog.
hung (Medikament als »symbolischer Dritter«) ein- Non-Responder oder Teilremissionen) in der Psycho-
treten, Gegenübertragungen seitens des Therapeuten therapie durch ergänzende oder nachfolgende Psy-
(Patient ruhig stellen, aggressive Impulse) unerkannt chopharmakotherapie erfolgreich behandelt werden
vorliegen oder Reaktionsbildungen bei Patienten (soll können. Die empirische Befundlage hierzu ist jedoch
ruhig gestellt werden, Fremdkontrolle) hervorgerufen noch sehr schwach.
werden. Diese Befürchtungen entbehren der empi-
rischen Grundlage. Es sind Überlegungen, die aus den
theoretischen Konzepten dieser Therapieform resultie- 4.3 Klinische Kompetenzen und
ren, ohne mit klinischen oder gar empirischen Erfah- Grundmerkmale
rungen übereinzustimmen. Psychodynamisch orien-
tierte Psychotherapeuten sehen heute selbst, dass es an Die Kombination von Psychotherapie und Pharma-
der Zeit ist, sich von »antiseptischen analytischen Atti- kotherapie ist mehr als die simultane Anwendung
tüden, wie z. B. die Kur muss in der Abstinenz durch- von zwei Interventionsformen. Es gilt Interaktionen
geführt werden, frei zu machen« und zu einer ratio- zwischen beiden Behandlungen und die Integrati-
nalen, patientengerechten Abwägung verschiedenster on in einen problembezogenen und zielorientierten
Hilfsmöglichkeiten zu kommen. Ein guter Psychothe- Gesamtbehandlungsplan zu bedenken. Für den Psy-
rapeut sollte sich also von der »Entweder-oder«-Hal- chotherapeuten bzw. den Kinder- und Jugendpsycho-
tung zu einer »Sowohl-als-auch«-Haltung entwickeln therapeuten haben wir es immer mit einem »Dreiecks-
(Rüger 1979). verhältnis« von Patient (bzw. dessen Familie), Psycho-
Die Einnahme von Psychopharmaka hat inso- therapeuten und Pharmakotherapeuten zu tun. Dies
fern Vorteile, als insbesondere bei ausgeprägten Sym- erfordert die von Vertrauen geprägte offene Kommu-
ptomen und einer starken Beeinträchtigung die initi- nikation zwischen allen Beteiligten. Gerade bei Kin-
32 Kapitel 4 · Psychopharmaka und Psychotherapie
dern und Jugendlichen ist die Abstimmung der psy- lung, dann kann der Effekt durch parallele Medika-
1 chotherapeutischen und psychopharmakologischen tion u. U. geschmälert werden. Dies bezieht sich auf
Maßnahmen auf das jeweilige Alter bzw. den jewei- das Erregungsniveau, die Habituation, die kognitive
ligen Entwicklungsstand wichtig. Verarbeitung oder das Vermeidungsverhalten. Folg-
2 Vor dem Beginn einer Kombinationsbehandlung lich sind rechtzeitig vor Durchführung dieser Psycho-
sollte die Indikation sowohl zur Psychotherapie als therapie Absprachen mit Patienten und Psychophar-
3 auch zur Psychopharmakotherapie sowie deren Stel-
lenwert im Gesamtbehandlungsplan geprüft wer-
makotherapeuten zu treffen, um eine Reduktion der
bestehenden Medikation einzuleiten.
den. Zwischen den Beteiligten sollte ein Konsens über
4 die Notwendigkeit der Kombinationstherapie beste-
hen. Bei psychotischen Symptomen, Schizophrenien, 4.4 Schlussfolgerungen
schweren Depressionen, Manien und akuter Suizidali-
5 tät besteht absolute Indikation für eine Pharmakothe- Es ist ethisch bedenklich, wenn ein Psychotherapeut
rapie und die Psychotherapie hat adjuvanten Stellen- seinen Patienten Schaden zufügt, weil er gegen Medi-
6 wert. Bei einigen Angststörungen, leichteren Depres- kamente eingestellt ist, diese im Einzelfall vorenthält
sionen, somatoformen Störungen, Essstörungen oder oder gar gegen empirisch nachweisliche Evidenz die
der Entwöhnungstherapie bei Substanzabhängigkeiten Indikation für eine Pharmakotherapie nicht sieht. Es
7 (nicht bei der Entgiftung) ist die Psychotherapie vor- ist jedoch ebenso problematisch, Patienten, bei ent-
rangig und die Pharmakotherapie hat oft den Stellen- sprechender Indikation, psychotherapeutische Hilfen
8 wert eines additiven Verfahrens. Bei Störungen im
Kindes- und Jugendalter haben bei den meisten Stö-
nicht zukommen zu lassen und allein auf medikamen-
töse Therapie zu vertrauen. Im Einzelfall gilt es immer
rungen psychologische Maßnahmen unter Einbezug abzuwägen, welcher Nutzen bzw. Schaden mit einer
9 der Eltern Vorrang, doch ist bei schweren Störungen, therapeutischen Maßnahme (sei sie psychotherapeu-
z. B. den stark ausgeprägten Aufmerksamkeits- und tisch oder pharmakotherapeutisch) verbunden ist,
Hyperaktivitätsstörungen, heute die Kombination aus welchen subjektiven Motiven heraus ein Patient
10 aus Psychopharmakotherapie und Psychotherapie die eher eine Pharmakotherapie oder eher eine Psycho-
Regel. Zur detaillierteren Diskussion der Indikation therapie favorisiert. Im Zentrum einer jeden Thera-
11 von Psychopharmaka und der Kombination mit Psy- pie stehen das Gespräch und das professionelle, offene
chotherapie, vor allem auch die differenzielle Indika- und aufrichtige Verhältnis zwischen Therapeuten und
tion bei speziellen Patientengruppen bzw. schweren Patienten. In diesem Sinne muss es selbstverständlich
12 Störungsformen, verweisen wir auf die nachfolgenden werden, dass eine gute Psychopharmakotherapie von
Kapitel. einer zumindest unterstützenden, erklärenden, die
13 Ein Psychotherapeut muss folglich über Grundin- Probleme und Konflikte des Patienten verstehenden
formationen zu den verordneten Medikamenten ver- sowie bewältigenden Psychotherapie begleitet wird.
fügen. Diese wird ihm in diesem Leitfaden vermittelt. Dabei ist es sowohl bei der Pharmakotherapie als
14 Auch die Psychotherapeuten sollten in der Lage auch bei der Psychotherapie wichtig auf Hinweise zu
sein, die Patienten über die verordneten Medikamente achten, die eine Störung der Therapeuten-Patienten-
15 zu informieren, um sie dann in Detailfragen auf den
Psychopharmakotherapeuten zu verweisen. Meist hat
Beziehung signalisieren, z. B. dass Patienten zu wenig
kooperativ sind (verordnete Medikation nicht ein-
ein Psychotherapeut sehr viel regelmäßiger und häu- nehmen, ständig über neue aber unwahrscheinliche
16 figer Kontakt zu Patienten, als der Psychopharmako- Nebenwirkungen berichten, Termine versäumen, ver-
therapeut. Die Beobachtung von erwünschten und einbarte Verhaltensübungen oder andere »Hausaufga-
unerwünschten Wirkungen eines Medikaments ist ben« nicht durchführen) oder auf nicht offen gelegte
17 dadurch sehr viel eher möglich. Entsprechend sind Ziele orientiert sind (z. B. Berentung). Solche Pro-
regelmäßige Kontakte zwischen Psychotherapeuten bleme sind nicht durch die Verordnung immer neuer
18 und Pharmakotherapeuten notwendig, um Dosisan- Psychopharmka oder immer neue Vorschläge auf der
passungen, Korrekturen oder Ergänzungen rasch psychotherapeutischen Ebene zu lösen, sondern müs-
durchzuführen. sen direkt angesprochen werden.
19 Sind bestimmte Psychotherapien geplant, etwa
Expositionsübungen im Rahmen einer Angstbehand-
20
4.5 · Checkliste
33 4
4.5 Checkliste
?
1. Welche Beispiele einer sinnvollen Kombina-
tion von Pharmakotherapie und Psycho-
therapie kennen Sie?
2. Wann besteht eine absolute Indikation für
eine Pharmakotherapie?
5.1 ·
35 II
5
Präparate
5 Antidepressiva – 37
6 Stimmungsstabilisierer – 61
7 Antipsychotika – 71
8 Anxiolytika – 83
9 Hypnotika – 95
10 Antidementiva – 105
13 Antiadiposita – 123
Antidepressiva
5.1 Einteilung – 38
5.1.1 Historische Entwicklung – 38
5.1.2 Ordnungsprinzip – 39
5.2 Wirkungsmechanismus – 40
5.4 Indikationen – 43
5.6 Nebenwirkungen – 45
5.8 Wechselwirkungen – 51
5.9 Routineuntersuchungen – 51
5.11 Präparategruppen – 53
5.11.1 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) – 53
5.11.2 Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer
(SNRI) – 54
5.11.3 Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer – 55
5.11.4 Noradrenerges/spezifisch serotonerges Antidepressivum
mit α2-Adrenozeptor antagonistischer Wirkung – 55
5.11.5 Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer – 56
5.11.6 Trizyklische Antidepressiva (TZA) – 57
5.11.7 MAO-Hemmer – 57
5.11.8 Pflanzliche Präparate – 58
5.13 Checkliste – 60
38 Kapitel 5 · Antidepressiva
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18 . Abb. 5.1. Schematische Darstellung einer chemischen
Synapse zwischen 2 Nervenzellen. Der Transmitter selbst –
nach Diffusion (E) mit Rezeptoren auf der postsynaptischen
Seite reagieren (F). Die Inaktivierung des Transmitters erfolgt
oder meist seine Vorstufe – wird von spezifischen Systemen durch Abbau oder Aufnahme an der postsynaptischen Sei-
19 ins Neuron aufgenommen (A). Der aufgenommene Transmit-
ter wird über axonalen Transport an die Nervenendigungen
te (G), durch Rückdiffusion (H) und Aufnahme ins präsynap-
tische Neuron (1) bzw. in synapsebegleitende Gliazellen (J).
transportiert (B) und dort in Vesikeln gespeichert (C). Durch Präsynaptische Autorezeptoren (K) bzw. präsynaptische Heter-
20 ein Aktionspotenzial des Axons und ein damit verbundener orezeptoren (L) können die Menge des freigesetzten Transmit-
Ca2+-Einstrom wird der Transmitter durch Exozytose aus den ters beeinflussen oder auch die Syntheserate regulieren. (Aus
Vesikeln in den synaptischen Spalt freigesetzt (D) und kann Eckert u. Müller 2008)
5.2 · Wirkungsmechanismus
41 5
. Tab. 5.1. Übersicht der pharmakologischen Angriffspunkte von wichtigen Antidepressiva. (Benkert u. Hippius 20071)
1
5-HTTa NAT MAO mACh H1 5-HT2 DA α1 α2
Amitriptylinoxid ++ ++ 0 ++ ++ ++ 0 ++ 0
3 Citalopram +++ +/– 0 0 +/– 0 0 +/– 0
Maprotilin 0 ++ 0 ++ +++ + 0 + 0
9 Milnacipran ++ ++ 0 0 0 0 0 0 0
11 Nortriptilyn + +++ 0 + ++ + 0 + 0
12 Reboxetin 0 +++ 0 0 0 0 0 0 0
15 1
Tabellen wurden hier und in den folgenden Kapiteln direkt bzw. modifiziert aus dem Kompendium der Psychiatrischen Pharmakothera-
pie (Benkert u. Hippius 2007) übernommen.
5-HTT 5-HT-Transporter; NAT NA-Transporter; MAO Monoaminoxidase; mACh Antagonismus an muskarinischen Azetylcholinrezeptoren;
16 H1 Antagonismus an Histaminrezeptoren (Typ 1); 5-HT2 Antagonismus an 5-HT2-Rezeptoren; DA Antagonismus an DA-Rezeptoren; α1 An-
tagonismus an α1-Adrenorezeptoren; α2 Antagonismus an α2-Adrenorezeptoren; +++ sehr stark; ++ stark; + schwach; +/– sehr schwach;
17 0 nicht wirksam.
a Der Serotonin (5-HT)-Transporter, 5-HTT, sorgt für den Transport von Serotonin in das präsynaptische Neuron, beendet damit die
synaptische Wirkung und führt Serotonin wieder zurück in den Neurotransmitterpool. Der 5-HTT-Polymorphismus hat für die thera-
18 peutische Wirkung bei depressiven Patienten wahrscheinlich eine besonders wichtige Bedeutung.
19 Psychopharmaka mit mehreren biochemischen Wir- en Wirkansätzen muss jetzt im Vordergrund stehen
kungsmechanismen (z. B. die dualen Antidepressi- (7 Abschn. 5.1.2).
20 va). Insgesamt scheint aber diese Entwicklungsstrate-
gie jetzt beendet zu sein; die Suche nach völlig neu-
5.4 · Indikationen
43 5
10
18
16
19
15
14
13
12
17
11
9
8
7
6
5
4
3
2
1
44
. Tab. 5.2. Indikationen für Antidepressiva
Kapitel 5 · Antidepressiva
gruppe
Post-Stroke-Depression
Zwangsstörung (F42)
2 Muskarinische Azetylcholin-
rezeptoren
Akkomodationsstörungen, Mundtrockenheit, Obstipation, Sinustachykardie,
Miktionsstörungen, Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit, Delir
7 Hemmung der
Rückaufnahme
Nebenwirkungen
12
Cave 5 Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind SSRI-Mittel
13 der ersten Wahl, weil sie ein günstiges Nebenwir-
5 Grundsätzlich gilt eine QTc-Verlängerung als kungsprofil haben. Allerdings gibt es Einschrän-
Risikofaktor; dies insbesondere in Kombina- kungen: Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkran-
14 tion mit Pharmaka, die selbst wiederum zu kungen nehmen oft auch Aspirin oder Anti-
einer QTc-Verlängerung führen. koagulantien; die Kombination führt häufiger als
15 5 TZA sollten bei kardialer Vorschädigung unter alleiniger SSRI-Therapie zu gastrointesti-
nalen Blutungen (s. unten: »Hämatopoetisches
nicht verordnet werden.
System«). Da es auch unter SSRI einige weni-
16 ge Fälle von Arrhythmien, QTc-Verlängerung,
5 Weitere kardiale Nebenwirkungen sind Tachykar- orthostatischer Hypotension und Elektrolytver-
die und orthostatische Hypotonie. änderungen bei vorherigem unauffälligem kardi-
17 5 Während einer Therapie mit irreversiblen MAO- alem Befund gibt, ist insbesondere bei Patienten
Hemmern (Tranylcypromin) muss eine tyramin- mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine regelmä-
18 arme Diät eingehalten werden, um hypertensive ßige Kontrolle anzuraten.
Krisen zu vermeiden. Dies gilt nicht für Moclo-
bemid in den vom Hersteller empfohlenen Dosie- Vegetative Nebenwirkungen
19 rungen. Darüber hinaus tritt unter ansteigender 5 TZA führen häufig zu ausgeprägten anticholiner-
Dosierung von Tranylcypromin öfter eine ortho- gen Effekten, wie Schwitzen, Miktionsstörungen
20 statische Hypotonie auf. Besonders aufgrund die- oder ausgeprägter Obstipation.
ser kardialen Nebenwirkungen wird die Ver-
schreibung von MAO-Hemmern vermieden.
5.6 · Nebenwirkungen
47 5
Sedierung
5 Eine klinisch relevante Sedierung kann bei Anti- Neurologische Störungen
depressiva auftreten, bei denen die 5-HT2- und 5 Generalisierte zerebrale Krampfanfälle oder Myo-
Histamin-1-Rezeptoren antagonisiert werden. klonien treten unter TZA gehäuft auf. Begün-
Die Sedierung wird bei Agitation oder Schlafstö- stigend sind zerebrale Vorschädigungen, hohe
rungen genutzt; sie kann aber auch störend oder Dosen, rasches Aufdosieren oder schlagartiges
gefährlich bei Arbeit an Maschinen oder beim Absetzen hoher Dosen.
Führen von Kraftfahrzeugen sein. Eine Beein- 5 Tremor, sehr selten rigorartige Tonuserhöhungen
trächtigung der Reaktionsfähigkeit kommt bei der Muskulatur oder dystone Bewegungsstö-
Antidepressiva mit sedierender Komponente rungen treten unter allen Antidepressiva auf.
meist bei Behandlungsbeginn vor und bildet sich
im Verlauf von 2–4 Wochen oft zurück. Patienten Allergische Reaktionen
müssen über die Möglichkeit einer verminderten 5 Allergische Exantheme sind besonders unter
Reaktionsfähigkeit, z. B. beim Autofahren, auf- TZA, aber auch bei allen anderen Antidepressi-
geklärt werden. Der Grad der Sedierung der ein- va möglich.
zelnen Antidepressiva kann der . Tab. 5.5, Spalte
»Sedierung« entnommen werden. Gewichtszunahme
5 Gewichtszunahme kann besonders bei länger-
Hämatopoetisches System fristiger Therapie je nach pharmakologischem
5 Leukopenien und Agranulozytose treten sehr sel- Wirkprofil eines Antidepressivums auftreten
ten unter TZA, aber auch unter Mianserin auf. und die Compliance des Patienten gefährden.
Meist muss die Substanz abgesetzt werden. Regel- Bei Antidepressiva, die 5-HT2- und Histamin-1-
mäßige Blutbildkontrollen bei diesen Präparaten Rezeptoren antagonisieren, tritt die Gewichtszu-
ist deshalb indiziert. nahme häufiger auf (. Tab. 5.5, Spalte »Gewichts-
zunahme«).
Cave 5 Da einer Gewichtszunahme oft eine Verände-
rung des Essverhaltens vorausgeht, können ver-
Es ist möglich, Blutbildveränderungen entspre- haltenstherapeutische Maßnahmen (z. B. Vermei-
chend den Empfehlungen der . Tab. 5.6 frühzei- den hochkalorischer Zwischenmahlzeiten) hilf-
tig, aber niemals sicher zu erkennen. Die Empfeh- reich sein.
lungen können daher nur ein Kompromiss aus
Risikoverhütung und Praxisnähe sein. Bei risiko- Sexuelle Funktionsstörungen
reichen Substanzen müssen Patienten angewie- 5 Unter SSRI treten häufiger verzögerte Ejakula-
sen werden, bei Auftreten von Symptomen wie tion, selten verminderte Libido und Erektions-
Fieber, Halsschmerzen oder Infektionen der Mund- fähigkeit auf. Sie scheinen größtenteils auf eine
schleimhaut keinen eigenen Behandlungsversuch Erhöhung der serotoninergen Transmission an 5-
durchzuführen, sondern den Arzt aufzusuchen. HT2-Rezeptoren zurückzuführen zu sein. Sub-
stanzen mit zusätzlich antagonischer Wirkung an
5 Eine Alteration der Thrombozytenfunktion wird 5-HT2-Rezeptoren, wie Mirtazapin, scheinen die-
selten unter SSRI gesehen. Das Risiko gastro- sen Effekt seltener zu induzieren. Unter Reboxe-
intestinaler Blutungen kann aufgrund gestörter tin können schmerzhafte Ejakulationen auftre-
Thrombozytenfunktionen (verminderte Aggre- ten. TZA mit anticholinerger Wirkung führen
gationsfähigkeit bei herabgesetztem Serotoninge- häufiger zu Erektionsstörungen. Der MAO-Hem-
48 Kapitel 5 · Antidepressiva
Sexuelle Funktionsstörungen
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
Orthostatische Hypotonie
2
EKG-Veränderungen
Gewichtszunahme
3 Nebenwirkungen
Anticholinerge
Sedierung
4
5 Amitriptylin +++ 0 +++ 0 ++ +++ +++ ++ +++
Citalopram 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
6 Clomipramin ++ + + + ++ ++ ++ ++ ++
7 Desipramin + 0 0 ++ + + + + +++
8 Duloxetin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 ?
Escitalopram 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
9 Fluoxetin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
10 Fluvoxamin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
Imipramin ++ 0 + ++ + ++ ++ ++ +++
11 Milnacipran 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
Mirtazapin 0 0 ++ 0 0 + + 0 0
12 Moclobemid 0 0 0 + 0 0 0 0 0
13 Nortriptylin + 0 + + + + + + +++
Paroxetin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
14 Reboxetin 0 + 0 ++ + + 0 0 0
Sertralin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
15 Tranylcypromin 0 0 0 ++ 0 +++ 0 0 +++
Venlafaxin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 +
17 +++ häufig bis regelmäßig; ++ mäßig häufig; + selten; 0 unerheblich oder nicht vorhanden.
18
mer Moclobemid scheint sexuelle Funktionsstö- Absetzsyndrome
rungen kaum zu induzieren. 5 Absetzsyndrome sind nach schlagartigem Abset-
19 5 Da sexuelle Funktionsstörungen das depressive zen von Antidepressiva nach langfristiger Thera-
Krankheitsbild negativ beeinflussen können, sind pie mit TZA, Venlafaxin, Mirtazapin, SSRI (mit
20 diese besonders bei einer Langzeitbehandlung kurzer HWZ, besonders Paroxetin) und auch
sorgfältig zu erfragen. Duloxetin möglich. Symptome sind Schwindel,
Gangunsicherheit, Übelkeit, Erbrechen, grip-
5.6 · Nebenwirkungen
49 5
5.8 Wechselwirkungen
5.9 Routineuntersuchungen
Viele Antidepressiva entfalten Wechselwirkungen mit
anderen Psychopharmaka und Medikamenten. Wäh- Routineuntersuchungen werden zur Therapieüber-
rend man früher nur die pharmakodynamischen wachung bei allen Antidepressiva empfohlen, da es
Wechselwirkungen kannte (s. unten), müssen heu- in seltenen Fällen zu Nieren- und Leberfunktions-
te, nachdem in den letzten Jahren der enzymatsche störungen sowie, besonders unter TZA, zu Blutbild-
Abbau der Psychopharmaka genauer bekannt ist, auch veränderungen und EKG-Veränderungen kommen
die pharmakokinetischen Wechselwirkungen beachtet kann. SSRI und die neueren Antidepressiva erfordern
werden (7 Abschn. 2.4): seltenere Routineuntersuchungen. Kontrollen emp-
fehlen sich dennoch.
Cave
Wichtig
5 Werden mehrere Medikamente gleichzeitig
mit Antidepressiva verabreicht, kann es zu Unabhängig von der Verordnung von Antidepres-
Interaktionen mit dem Resultat einer Erhö- siva sollte bei depressiven Patienten bekannt sein,
hung oder Verminderung der Plasmakonzen- ob eine Herz-Kreislauf-Erkrankung vorliegt. Denn
tration von Antidepressiva kommen. neben dem Suizid ist besonders das Risiko an ei-
5 Besonders wenn die Fluoxetin, Paroxetin ner Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben bei de-
oder Fluvoxamin und TZA kombiniert pressiven Patienten besonders hoch.
werden, können die Plasmakonzentrationen
des TZA stark ansteigen und zu toxischen Eine Übersicht der empfohlenen Kontrollen gibt
Spiegeln führen. . Tab. 5.6. Häufigere Kontrollen sind nötig, wenn ein
untersuchter Parameter pathologisch ausfällt oder
Alle wichtigen Interaktionen sind an anderer Stel- klinische Symptome auftreten, die einer Abklärung
le aufgelistet (Benkert u. Hippius 2007) und müssen bedürfen.
bei Verordnung eines Antidepressivums berücksichti-
gt werden. Wichtig
Plasmakonzentration von Antidepressiva dar, weil eine begleitende Depression die Pro-
1 Die Plasmakonzentration eines Pharmakons ist ein gnose der körperlichen Erkrankung verschlech-
Maß für seine Aktivität nach Verabreichung einer tert. Die Behandlung depressiver Syndrome bei
bestimmten Dosis. In manchen Fällen stellen die somatischen Erkrankungen hat einen signifi-
2 Konzentrationen ein genaues Abbild der Konzentra- kanten Vorteil gegenüber einer Placebobehand-
tion am Wirkort, dem Rezeptor, dar, welche in einer lung oder fehlender Behandlung. Dies ist für den
3 quantitativen Beziehung zum Ausmaß der pharmako-
logischen Wirkung stehen.
Schlaganfall gezeigt und wird für den Herzinfarkt
diskutiert.
5 Für einige Antidepressiva (insbesondere TZA) 5 Depression bei der Parkinson-Erkrankung ist häu-
4 und für spezifische Indikationen ist die thera- fig. Es werden neurochemische Gemeinsam-
piebegleitende Kontrolle der Konzentrationen keiten diskutiert. TZA waren in randomisier-
in Plasma (»Plasmaspiegel«) zur Therapieopti- ten Studien wirksam. Trimipramin und Clomi-
5 mierung sinnvoll. Dies ermöglicht eine individu- pramin sollten wegen der D2-antagonistischen
elle Dosisanpassung für den Patienten, da glei- Komponente gemieden werden. Bei kombinierter
6 che Dosierungen bei oraler Gabe in unterschied- Therapie ist auf einen möglichen Blutdruckabfall
lichem Ausmaß vom Patienten resorbiert und zu achten. Manchmal können auch SSRI zu einer
verstoffwechselt werden. Verschlechterung der extrapyramidal-moto-
7 5 Die Streuung der resultierenden Plasmakonzen- rischen Störung führen.
trationen ist so hoch, dass von einer gegeben 5 Es gibt hohe Evidenzen zum engen, wahr-
8 Dosis nicht zuverlässig auf die Plasmakonzentra-
tion geschlossen werden kann. Dies gilt für alte
scheinlich ursächlichen Zusammenhang zwi-
schen Depression (und Dauerstress) und körper-
und neue Antidepressiva. lichen Folgekrankheiten gerade auch im höheren
9 5 Für einige Antidepressiva existiert eine unte- Lebensalter. An erster Stelle stehen Herz-Kreis-
re und obere Schwellenkonzentration zwischen lauf-Erkrankungen (mit Arteriosklerose und
denen die Plasmakonzentration für einen opti- Hypertonie); diskutiert werden auch Diabetes
10 malen Therapieerfolg eingestellt werden sollte Typ 2 und Osteoporose (7 Abschn. 15.8).
(»therapeutisches Fenster«). 5 Bei geriatrischen Patienten ist immer die Gefahr
11 anticholinerger zentralnervöser Nebenwirkungen
Wichtig (Delir, Verwirrtheits- und Desorientiertheitszustän-
de) zu bedenken, welche insbesondere bei älteren
12 Allerdings ist ein Zusammenhang zwischen an- Patienten auch bei den üblichen Dosierungen
tidepressiver Wirkung und Plasmakonzentration besteht. TZA sind dabei am risikoreichsten.
bei vielen Substanzen, besonders denen, die heu-
13 te als Antidepressiva empfohlen werden, nicht
5 Antidepressiva und Psychotherapie im höheren
Lebensalter 7 Abschn. 15.2.
eindeutig. Die unerwünschten Wirkungen zei-
14 gen jedoch meistens eine Abhängigkeit von der
Plasmakonzentration. Fazit
15 Therapieempfehlung für Antidepressiva im höheren
Lebensalter
16 5.10 Antidepressiva im höheren 5 SSRI sind gerade bei geriatrischen Patienten sicherer
Lebensalter und besser verträglich als TZA. Unter den SSRI sind
TZA
Blutbild × ×× ×× ×× ×× × × ×
Kreatinin × × × × ×
Leberenzyme × × × × × ×
Natrium × × × a ×a ×a ×a
EKG × × × ×a, d
EEG × (×)
RRb, Puls × × × × × ×
Andere Antidepressiva
Blutbildc × × × ×e
Kreatinin × × × ×e
Natrium × × ×a ×a ×a ×a ×a ×a
Leberenzyme × × × ×e
EKG ×a ,d ×d ×d
RRb, Puls × × × ×f
× Kontrollen; die Anzahl der notwendigen Routinekontrollen ist bisher nicht empirisch abgesichert, (×) optional. a Kontrolle bei allen Pa-
tienten über 60 Jahre empfehlenswert. b Unter Venlafaxin in hoher Dosierung ist der Blutdruck häufiger zu kontrollieren, weil es in sel-
tenen Fällen zu anhaltend erhöhten Werten kommen kann. c Für Mianserin empfehlen die Hersteller in den ersten Behandlungsmona-
ten wöchentliche Blutbildkontrollen. d Bei Patienten mit einem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. e Bei langfristig stabilen Patienten
können jährliche Kontrollen ausreichen. f Bei langfristig stabilen Patienten können halbjährliche Kontrollen ausreichen.
Escitalopram 5–10 mg bis 20 mg; Depression, wie Citalopram Sehr geringes Inter-
5 Cipralex® bei Zwangsstörung Panikstörung, aktionspotenzial
20 mg Zwangsstörung
6 Fluoxetin
Fluctin®
Depression 20 mg
bis 60 mg, Panik-
Depression,
Zwangsstörung,
wie Citalopram Starkes Interaktions-
potenzial
störung zunächst Bulimie
7 10 mg, Zwangs-
störung und Bulimie
bis 60 mg
8 Fluvoxamin Depression Depression wie Citalopram Starkes Interaktions-
Fevarin® 100–200 mg, potenzial, leichte
9 Panikstörung Absetzsymptome
150 mg, Zwangs-
störung 250 mg
10 Paroxetin Depression, Depression, wie Citalopram Stärkere Absetz-
Seroxat®, GAD und PTSD Panikstörung, symptome, mäßiges
11 Tagonis® 20 mg bis 50 mg, GAD, Zwangs- Interaktions-
Panikstörung zu- störung, PTSD potenzial
nächst 10 mg,
12 Zwangsstörung bis
60 mg
Depression depressive Störung; GAD generalisierte Angststörung; PTSD posttraumatische Belastungsstörung. Die allgemeinen Hinweise
15 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich für alle SSRI berücksichtigt werden.
16 5 Bei der leichten bis mittelgradigen Depression und 5.11.2 Selektive Serotonin-
bei den Angststörungen sind SSRI-Mittel der ersten Noradrenalin-
rückaufnahmehemmer (SNRI)
17 Wahl, wenn eine medikamentöse Therapie indiziert
ist.
5 Auch bei der schweren Depression entspricht die Neben der Serotoninrückaufnahmehemmung haben
18 Wirksamkeit der SSRI den TZA; nur die SNRI scheinen diese Präparate eine zusätzliche Noradrenalinrückauf-
noch wirksamer zu sein. Die Nebenwirkungen der nahmehemmung. Bei Duloxetin ist sie stärker als bei
SNRI sind aber auch stärker. Venlafaxin (. Tab. 5.8). Venlafaxin hat einen relativ
19 5 Bei Zwangsstörungen sind SSRI Mittel der ersten geringen serotoninblockierenden Effekt. Zwar gibt es
Wahl (7 Kap. 19). Hinweise, dass diese Gruppe in ihrer Wirksamkeit bei
20 5 Bei Suizidalität und der Verordnung von SSRI ist ein schweren Depressionen den SSRI überlegen ist, dabei
häufigeres Monitoring nötig (7 Abschn. 5.6). ist aber noch nicht gesichert, ob dieser Effekt sicher
auf der Noradrenalinkomponente beruht. Die Grup-
5.11 · Präparategruppen
55 5
Depression depressive Störung; GAD generalisierte Angststörung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich für alle
SNRI berücksichtigt werden. Milnacipran steht nicht in allen deutschsprachigen Ländern zur Verfügung.
pe scheint auch bei allen Indikationen, die über die 5.11.3 Selektive Noradrenalin-
Depression hinausgehen, wirksam zu sein. rückaufnahmehemmer
Es bestätigt sich zzt. der Befund, dass diese Grup-
pe einen stärkeren antinozizeptiven Effekt als die SSRI Reboxetin hat einen selektiven Noradrenalinrückauf-
hat. Für Duloxetin und Milnacipran gibt es mehre- nahme blockierenden Effekt (. Tab. 5.9).
re Studien, die eine Wirksamkeit auch bei der Fibro-
myalgie zeigen, für Duloxetin auch bei diabetesbe-
dingtem neuropathischen Schmerz. Fazit
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
5
. Tab. 5.10. D2-Adrenorezeptor-Antagonisten
6
Präparat Dosis (täglich) Indikationen Wichtigste Behandlungshinweise
mit Zulassung Nebenwirkungen;
7 sonst 7 Abschn. 5.6
9 Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
58 Kapitel 5 · Antidepressiva
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
6
. Tab. 5.13. Pflanzliche Präparate (Auswahl)
7
Präparat Dosis (täglich) Indikationen mit Wichtigste Behandlungs-
Zulassung Nebenwirkungen; hinweise
8 sonst 7 Abschn. 5.6
10 Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
5.13 Checkliste
1
?
2 1. Welche Rolle spielte die Noradrenalin-Serotonin- 8. Welche Nebenwirkungen sind unter der Behand-
hypothese der Depression in der Entwicklung lung mit Antidepressiva häufig und stellen
3 2.
der biologischen Psychiatrie?
Was sind die Vorteile der selektiven Serotonin-
deswegen besonders in der Langzeitbehandlung
ein Problem dar?
rückaufnahmehemmer (SSRI) gegenüber den 9. Für welche weiteren psychiatrischen Krankheits-
4 Trizyklischen Antidepressiva (TZA) und den bilder neben der Depression sind Antidepressiva
MAO-Hemmern? zugelassen?
3. Was versteht man unter den modernen dualen 10. Welche Symptome können beim plötzlichen
5 Antidepressiva, welche Neurotransmittersysteme Absetzen von Antidepressiva auftreten?
werden in erster Linie durch sie beeinflusst? 11. Welche Antidepressiva sind bei geriatrischen Pa-
6 4. Beschreiben Sie die Synapsenfunktion bei der tienten, die auch häufig zusätzliche internistische
chemischen Neurotransmission. Wie greifen Erkrankungen haben, zu bevorzugen?
Antidepressiva ein? 12. Welches moderne Antidepressivum ist bei einer
7 5. Was versteht man unter dem Begriff der Depression mit ausgeprägten Schlafstörungen
Wirklatenz bei der Behandlung mit Antidepres- das Mittel der Wahl?
8 6.
siva?
Welche besonderen Probleme ergeben sich aus
13. Wie ist der Einsatz pflanzlicher Mittel, z. B. von
Johanniskrautextrakten, nach der wissenschaftli-
der Wirklatenz der Antidepressiva für die Behand- chen Studienlage derzeit zu beurteilen?
9 lung von depressiven Patienten? 14. Welches Antidepressivum sollte zur Behandlung
7. Welche zusätzlichen Medikamente setzt depressiver Syndrome im Kindes- und Jugendal-
man – neben dem intensiven therapeutischen ter eingesetzt werden?
10 Kontakt mit dem Patienten – bei der Behandlung
von akuter Suizidalität ein?
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
6.1 ·
61 6
Stimmungsstabilisierer
6.1 Einteilung – 62
6.1.1 Ordnungsprinzip – 62
6.2 Wirkungsmechanismus – 62
6.4 Indikationen – 63
6.4.1 Lithium – 63
6.4.2 Antikonvulsiva, Antipsychotika und Antidepressiva – 65
6.6 Nebenwirkungen – 65
6.8 Wechselwirkungen – 66
6.9 Routineuntersuchungen – 66
6.11 Präparategruppen – 68
6.13 Checkliste – 70
62 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
3 Akutbehandlung ma-
nischer Syndrome; Phasen-
Akuttherapie und Prophy-
laxe schizoaffektiver Stö-
Die klassische (euphorische)
Manie spricht gut auf Lithi-
prophylaxe bipolarer affek- rungen; Lithiumaugmenta- um an
4 tiver Störungen, rezidivie-
render manischer Episoden
tion bei therapieresistenter
Depression (7 Kap. 15)
Bei wenigen Vorphasen ist Li-
thium zur Phasenprophyla-
und unipolarer Depression xe zu bevorzugen; weniger
5 wirksam bei Vorliegen zahl-
reicher Vorphasen, bei ge-
mischten Episoden und bei
6 Rapid Cycling
Antiepileptika
7 Carbamazepin Phasenprophylaxe bipo- Manisches Syndrom Die Phasenprophylaxe ist rela-
larer affektiver Störungen tiv wenig abgesichert
8 Alkoholentzugssyndrom
Lamotrigin Prävention depressiver Epi- Hinweise zur Wirkung bei Kein Beleg für antimanische
9 soden bei Patienten mit
bipolaren Störungen;
Rapid Cycling, wenn depres-
sive Phasen überwiegen
Wirkung; nicht zusammen
mit Aripiprazol (Cave: Inter-
aktionen)
10 Valproinsäure Manisches Syndrom Bei häufigen Vorphasen ist
Phasenprophylaxe bipo- Valproinsäure zur Phasen-
11 larer affektiver Störungen prophylaxe gut wirksam (und
Carbamazepin vorzuziehen)
12 Atypische Antipsychotika
Manisches Syndrom (Olan- Hinweise für Wirkung bei: Olanzapin wirkt besser gegen
zapin und Quetiapin) 5 gemischter Episode die manische als gegen die
13 Phasenprophylaxe bipo- und beim Rapid Cycling depressive Phase;
larer affektiver Störungen (Olanzapin und Queti- für Quetiapien gibt es die
14 (Olanzapina und Quetiapin) apin);
5 bipolarer Depression
meisten positiven Studien bei
der bipolaren Störung
(Olanzapin und Queti-
15 apin)
a
Wenn Olanzapin in der akuten Phase wirksam war.
16
Wichtig
17
5 Nach Absetzen einer Lithiumprophylaxe ist 5 Wenn eine Lithiumprophylaxe doch abgesetzt
18 das Rückfallrisiko wahrscheinlich höher als im
naturalistischen Verlauf; mit jeder Phase nimmt
wird, sollte dies langsam über viele Monate
erfolgen.
möglicherweise die Phasenhäufigkeit weiter zu, 5 Nach Absetzen von Lithium kann, wenn es bei
19 evtl. Einmündung in Rapid Cycling. einer erneuten Episode wieder angesetzt wird,
möglicherweise seine Effektivität verlorengehen.
20
6.6 · Nebenwirkungen
65 6
Lithium
Plasmakonzentration ×××× ×a ×a ×a ×a ×a ×a
Kreatinin × ×××× × × × × × ×
24-h-Urinvolumen, × × ×b
Kreatinin-Clearance
Serumelektrolyte × × × × ×
EKG × × ×
EEG × × ×c
RR, Puls × × × × ×d
Körpergewicht, × × × ×d
Halsumfang
Carbamazepin
Plasmakonzentration ×× × × × × × ×d
Blutbild × ×××× × × × × × ×d
Kreatinin × × × ×
Serumelektrolyte × × × × × × × ×d
Leberenzyme × ×××× × × × × × ×d
EKG × × ×
EEG (×) ×c
RR, Puls × × × × ×d
Lamotrigin
Blutbild × × × × ×
Kreatinin × × ×
Leberenzyme × × × × ×
EEG (×) ×c
Valproinsäure
Plasmakonzentration ×× × × × × × ×d
Blutbild × × ××e ×e ×e ×e ×e ×d
Kreatinin × × ××e ×e ×e ×e ×e ×d
68 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
EEG (×) ×c
5 × Kontrollen; (×) Untersuchung optional; a Unter bestimmten Umständen (z. B. Fieber, Durchfälle) sind häufigere Kontrollen ratsam. b Bei
älteren Patienten sind häufigere Kontrollen ratsam. c Bei potenziell neurotoxischen Kombinationen, z. B. mit Antipsychotika, sind ggf.
6 auch häufiger Kontrollen ratsam; bei langfristig stabil eingestellten Patienten sind auch deutlich längere Kontrollintervalle möglich. d Bei
langfristig stabilen Patienten sind halbjährliche Kontrollen ausreichend. e Diese Kontrollen sind laut Hersteller nur erforderlich, wenn die
4-Wochen-Kontrolle pathologische Werte aufgewiesen hat.
7
8 6.11 Präparategruppen1 enten profitieren von einer Monotherapie. Bei der
Kombination von verschiedenen Stimmungsstabili-
In . Tab. 6.3 sind die wichtigsten Stimmungsstabilisie- sierern verbessert sich das therapeutische Ergebnis
9 rer sowie deren Dosis, Nebenwirkungen und Behand- (Kowatch et al. 2005).
lungsweisen wiedergegeben. Eine Übersicht über die
im Leitfaden genannten Wirkstoffe mit den jeweiligen Indikationen
10 Handelsnamen gibt . Tab. A1 im Anhang. Das Indikationsspektrum für Stimmungsstabilisierer
im Kindes- und Jugendalter umfasst zusätzlich zu den
11 bipolaren Störungen noch
Fazit 5 manische Episoden,
5 depressive Episoden und rezidivierende depres-
12 Therapieempfehlung für Stimmungsstabilisierer sive Störungen,
5 Die Stimmungsstabilisierer haben jeweils sehr 5 Persönlichkeitsstörungen,
13 spezifische Indikationen bei der bipolaren affektiven 5 tief greifende Entwicklungsstörungen,
Störung. 5 abnorme Gewohnheiten und Störungen der
5 Die in den . Tab. 6.1 und 6.2 erwähnten Präparate Impulskontrolle,
14 sind in der Praxis unverzichtbar, sie zeigen in der Re- 5 Störungen des Sozialverhaltens,
gel allerdings deutliche Nebenwirkungen und die in 5 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Stö-
15 . Tab. 6.2 vorgeschlagenen Routineuntersuchungen
müssen zur Einhaltung einer Arzneimittelsicherheit
rungen,
5 schizoaffektive Störungen (Leitlinien der Deut-
eingehalten werden. schen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychi-
16 atrie und Psychotherapie, 2003).
Lithium
17 6.12 Stimmungsstabilisierer in der 5 Lithium ist das Medikament der ersten Wahl zur
Kinder- und Jugendpsychiatrie Behandlung akuter manischer Episoden und zur
18 Phasenprophylaxe bei bipolaren affektiven Stö-
Die Stimmungsstabilisierer haben eine relativ geringe rungen im Kindes- und Jugendalter. Es ist jedoch
Effektstärke bei der Behandlung bipolarer Störungen für die Anwendung im Kindes- und Jugendal-
19 im Kindes- und Jugendalter; nur etwa 40% der Pati- ter in Deutschland nicht zugelassen, d.h. bei der
Anwendung im Kindes- und Jugendalter handelt
20 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten es sich um einen individuellen Heilversuch (in
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt den USA ab 12 Jahren zugelassen).
. Tab. A1 im Anhang.
6.12 · Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
69 6
Lithiumsalze
Antiepileptika
Antipsychotika
Olanzapin 5–20 mg; Manie: Beginn Gewichtszunahme, Schläf- Bisher gute Erfahrung be-
Zyprexa® mit 20 mg möglich rigkeit, sonst 7 Abschn. 7.6 sonders bei psychotischen
Symptomen
Antipsychotika
7.1 Einteilung – 72
7.2 Wirkungsmechanismus – 72
7.4 Indikationen – 73
7.6 Nebenwirkungen – 75
7.8 Wechselwirkungen – 77
7.9 Routineuntersuchungen – 78
7.11 Präparategruppen – 78
7.13 Checkliste – 81
72 Kapitel 7 · Antipsychotika
5 Die dopaminerge Überaktivität ist ein wichtiger rungen den konventionellen Antipsychotika deutlich
pathogenetischer Mechanismus bei der Schizo- überlegen, die eher sogar eine depressive Symptoma-
phrenie. Antipsychotika dämpfen die dopami- tik induzieren.
nerge Überaktivität. Die Lebensqualität und das Wohlbefindens von
5 Alle Antipsychotika blockieren D2-artige Dopa- Patienten sind heute wichtige Merkmale während
minrezeptoren. »D2-artige« Rezeptoren (D2/D3/ einer Therapie mit Antipsychotika. Auch hier schnei-
D4) erhöhen die intrazelluläre Konzentration von den die AAP besser ab als konventionelle Antipsycho-
cAMP; D1-artige (D1/5) erniedrigen sie. tika (Lambert u. Naber 2004). Allerdings konnte bis-
5 Der Wirkmechanismus von Aripiprazol unter- her noch nicht gezeigt werden, dass die Bedeutung der
scheidet sich von dem der übrigen Antipsychoti- AAP sich in einer verbesserten psychosozialen Integra-
ka. Er besteht in einer partiellen dopaminagonis- tion niederschlägt; der Langzeiteffekt ist eher – nach
tischen Wirkung an D2-artigen Rezeptoren sowie der jetzigen Studienlage – enttäuschend.
einer partiell agonistischen Wirkung am sero- Oft werden Unterschiede zwischen den AAP
tonergen 5-HT1A-Rezeptor bei antagonistischer gesehen, die aber wissenschaftlich noch nicht nach-
Wirkung an 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren. gewiesen sind. Allein Clozapin hat einen überlegenen
5 Einige Antipsychotika blockieren zusätzlich 5- Effekt.
HT2(A, B, C)-, α1-, α2-, H1-Rezeptoren und muska-
rinische Acetylcholin (mACh)-Rezeptoren (M1– Wichtig
5).
5 Einige Antipsychotika binden auch an 5-HT6- AAP sind Mittel der Wahl bei Verordnung von An-
(z. B. Clozapin, Olanzapin, Ziprasidon, aber auch tipsychotika. Sie haben geringere Risiken für EPS
einige konventionelle Antipsychotika) und 5- und Spätdyskinesien. Allerdings entwickelt sich
HT7-Rezeptoren (z. B. Clozapin, Quetiapin, Ris- unter den meisten AAP relativ häufig ein meta-
peridon, Ziprasidon). bolisches Syndrom (7 Abschn. 7.6). Die Langzeit-
5 Die Bedeutung eines zusätzlichen 5-HT2-Anta- effekte können noch nicht abschließend beurteilt
gonismus ist allerdings als notwendiger Mecha- werden.
nismus umstritten, weil auch ein anderes AAP
(Amisulprid) diese Komponente nicht besitzt.
5 Die Ursachen für das Fehlen oder ein seltenes
Auftreten von EPS bei AAP (»Atypizität«) sind 7.4 Indikationen
nicht vollständig geklärt; eine selektive Blocka-
de von D4- und/oder 5-HT2A/C-Rezeptoren wird Antipsychotika sind nosologieübergreifend wirksam.
diskutiert. Die primäre Indikation der Antipsychotika erfolgt
nach Zielsymptomen und -syndromen. Hauptindika-
tionen stellen die Subtypen der Schizophrenie sowie
7.3 Allgemeine Therapieprinzipien schizotype und wahnhafte Störungen dar und zuneh-
mend für AAP auch die bipolaren affektiven Stö-
Antipsychotika werden bei allen bekannten Indika- rungen.
tionen (7 Abschn. 7.4) im Rahmen eines Gesamtbe- Folgende Indikationen bestehen für Antipsycho-
handlungsplanes (7 Abschn. 30.1) verordnet. tika:
Die notwendigen Handlungsschritte vor Beginn 5 Gesicherte Wirksamkeit bei:
einer Therapie mit Antipsychotika und die Suche nach – schizophrenen Störungen und schizoaffek-
der Präparatepräferenz sind in 7 Abschn. 7.4 aufgeli- tiven Störungen (7 Kap. 30),
stet. – bipolare affektive Störungen (Akutbe-
Unter konventionellen Antipsychotika kommt es handlung der Manie, Phasenprophylaxe)
bei 30% der Patienten zu keiner wesentlichen Ver- (7 Kap. 29),
besserung der Symptomatik und bei 50% der Pati- – psychotische Depression (in Kombination
enten nur zu einem partiellen Ansprechen (Fleisch- mit Antidepressiva) (7 Abschn. 30.2.8),
hacker 1995). Die Wirkung gegen Negativsymptome – bestimmte neurologischen Erkrankungen
und Kognitionsstörungen ist begrenzt (Hawkins et al. (z. B. Tic-Störungen, L-DOPA-induzierte
1999). Primäre Negativsymptome (7 Abschn. 30.2.2) Psychosen) (7 Kap. 32).
zeigen sich resistent gegen konventionelle Antip-
sychotika. Schließlich sind AAP bei affektiven Stö-
74 Kapitel 7 · Antipsychotika
5 Als Begleittherapie sind Antipsychotika mögli- 5 Höhere Dosen verringern aufgrund des mög-
1 cherweise wirksam bei: lichen Auftretens von Nebenwirkungen, insbe-
– Persönlichkeitsstörungen, sondere EPS bei konventionellen Antipsychoti-
– Zwangsstörung, ka, die Compliance. Deshalb sind häufig nied-
2 – Angststörungen, rigere Dosen in Kombination mit Benzodiazepi-
– anderen organischen Psychosen (z. B. Alko- nen, falls Sedierung und schnellere Desaktualisie-
3 holpsychosen),
– nichtpsychotischer Depression,
rung der psychotischen Symptomatik notwendig
sind, vorzuziehen.
– Schmerzsyndromen. 5 AAP sollten in der Akutphase/Positivsympto-
4 matik in der Regel innerhalb einer Woche in den
Darüber hinaus haben Antipsychotika eine unspezi- Zieldosisbereich aufdosiert werden.
fische Wirkung auf psychomotorische Erregungszu- 5 Die Medikation, unter der Remission aufgetre-
5 stände (7 Abschn. 34.1). Eingeschränkt ist der Ein- ten ist, sollte in der niedrigsten, noch hinreichend
satz von Antipsychotika aufgrund von Risiken bei der wirksamen Dosis beibehalten werden. Eine zu
6 Demenz (7 Kap. 31). früh vorgenommene Dosisreduktion führt in der
Mehrzahl der Fälle zu einem Rückfall. Allerdings
ist das Konzept der minimal effektiven Dosis
7 7.5 Dosierung, nicht unumstritten.
Plasmakonzentration und 5 Behandlungsdauer: Kommt es bei schizophrenen
8 Behandlungsdauer Patienten mit schwerer Symptomatik nach
2 Wochen zu keiner Besserung, sollte die Stra-
5 Generelle Dosierungsempfehlungen sind wegen tegie gewechselt werden; bei leichterer Sympto-
9 der Heterogenität der Substanzen nicht möglich. matik kann bis zu 6 Wochen abgewartet werden.
Einzelheiten . Tab. 7.1. Für die Manie gelten wesentlich kürzere Zeitin-
5 Die Messung der Plasmaspiegel zur Erhöhung tervalle.
10 der therapeutischen Effizienz ist bei den Antip- 5 Die Bestimmung der Plasmakonzentration der
sychotika, bis auf Clozapin, von untergeordneter Antipsychotika hat keine große Bedeutung (im
11 Bedeutung. Gegensatz zu den Antidepressiva). Sie ist aber
5 Bei Ersterkrankungen soll man mit relativ nied- notwendig bei der Verordnung von Clozapin und
riger Dosis beginnen, da sowohl ein besseres nützlich bei starken Nebenwirkungen, um ggf.
12 Ansprechen als auch eine größere Sensibilität für eine zu hohe Dosis zu erkennen.
Nebenwirkungen zu erwarten ist.
13 5 Bei akuter, schwerer Symptomatik im Rahmen
von Rezidiven ist sofort mit relativ hoher Dosis zu
beginnen.
14
Wichtig
15
5 Die Antipsychotikatherapie bei schizophrenen 5 Jahre. Nach stabiler Symptomremission können
16 Patienten ist unter Beibehaltung der Dosis für
mindestens 1 Jahr nach der ersten Akutphase
bei der Langzeitbehandlung eine schrittweise
Dosisreduktion über längere Zeiträume und eine
zu verordnen; bei anhaltenden psychosozialen Einstellung auf eine niedrigere Erhaltungsdosis
17 Belastungen ist eher längere Behandlungs- erwogen werden.
dauer (2 Jahre) auch nach Erstmanifestation zu 5 Das Antipsychotikum darf niemals abrupt abge-
18 empfehlen.
5 Nach einem ersten Rückfall sollten die Anti-
setzt werden, sonst erhöht sich das Rückfallrisiko.
Ein sehr langsames Ausschleichen (ähnlich wie
psychotika zunächst unter Beibehaltung der bei Lithium) ist zu empfehlen, z. B. eine Dosisre-
19 Dosis für mindestens 2–5 Jahre weiter gegeben duktion von 20–25% innerhalb von 3 Monaten.
werden, nach mehrmaligen Episoden sogar
20
7.6 · Nebenwirkungen
75 7
Wichtig Wichtig
5 Eine Indikation für eine Langzeitmedikation Vor einem Absetzversuch bei Antipsychotika
über 5 Jahre (ggf. Dauermedikation) liegt muss geklärt sein:
vor: 5 Wie wahrscheinlich ist ein Rückfall? (Erhöhte
– bei floriden Psychosen, die bei Absetzen Wahrscheinlichkeit besteht bei häufigen
der Medikation exazerbierten, früheren Rezidiven, niedrigem prämorbidem
– zur Rezidivprophylaxe bei häufigen psychosozialem Funktionsniveau.)
Episoden, insbesondere wenn Eigen- 5 Sind Prodromalsymptome wahrscheinlich
oder Fremdgefährdung im Rahmen von oder beginnt eine Episode ohne Frühwarn-
Exazerbationen bekannt sind, zeichen? Wie war es bei früheren Episoden?
– bei Schizophrenien mit überwiegender, Wird der Patient Prodromalsymptome
ausgeprägter Negativsymptomatik, erkennen?
– bei chronischen Schizophrenien mit 5 Wie wahrscheinlich ist es, dass der Patient
Residualzuständen. bei einem psychotischen Rückfall Hilfe
aufsucht?
5 Wie schwierig wird es sein, eine Exazerbation
5 Zur Applikationserleichterung bei Patienten, die zu behandeln?
nicht in der Lage sind, regelmäßig orale Antipsy-
Welche Auswirkungen hätte eine Exazerbation
chotika einzunehmen, gibt es Depotpräparate als
(z. B. Suizidversuch in der Anamnese bei impera-
Langzeitmedikation mit Injektionsintervallen von
tiven Stimmen)?
1–4 Wochen. Sie senken das Rückfallrisiko im
Vergleich zur oralen Einnahme. Vorzuziehen ist
beim Einsatz dann ein AAP (Risperdal Consta®;
. Tab. 7.1). Weitere Vorteile sind: Gewährleistung
ausreichender Dosierungen und Erleichterung 7.6 Nebenwirkungen
der Überwachung der Compliance.
Die Verordnung von Depotpräparaten hat aber Bei der Therapie mit Antipsychotika ist regelmäßig
auch Nachteile, besonders bei Erstmanifestation mit dem Auftreten von Nebenwirkungen zu rechnen.
der Erkrankung: Bei der erstmaligen Gabe von Die Patienten leiden längerfristig am stärksten unter
Antipsychotika reagieren Patienten empfindlicher Gewichtszunahme, Depressivität, kognitiven Stö-
auf Nebenwirkungen; der Arzt kann nicht flexibel rungen, Schlafstörungen und sexueller Dysfunktion.
genug auf mögliche Nebenwirkungen und feh- Bei den konventionellen Antipsychotika spielen EPS
lende Wirkungen reagieren; ein Steady State wird eine herausragende Rolle. Allen EPS ist gemeinsam,
langsamer erreicht; es gibt nur ein Depotpräparat dass sie durch psychische Anspannung verstärkt wer-
aus der wichtigen Gruppe der AAP (s. oben). den und im Schlaf sistieren. Unter den meisten AAP
ist das metabolische Syndrom eine wichtige Neben-
Wichtig wirkung.
Bis zu 80% der schizophrenen Patienten unter
Ein Wechsel von einem Antipsychotikum auf ein Antipsychotika-Behandlung nehmen im Verlauf die
anderes ist zu erwägen bei: Medikation nicht wie vorgesehen ein. Das Problem
5 unzureichender therapeutischer Wirkung der Non-Compliance ist von größter klinischer Bedeu-
bzw. Therapieresistenz, tung und erklärt bisweilen die Diskrepanz zwischen
5 störenden Nebenwirkungen oder Eintreten den Ergebnissen kontrollierter Studien und klinischer
von (relativen) Kontraindikationen, Realität. AAP mit geringerem EPS-Risiko können die
5 vorhandenen oder möglichen störenden Lebensqualität erhöhen; die Compliance hat sich aller-
Interaktionen, dings durch die Einführung der AAP nicht wesentlich
5 unzureichender Compliance oder auf gebessert.
Wunsch des Patienten bei eingeschränkter Im Rahmen der Psychoedukation muss versucht
Lebensqualität. werden durch Vermittlung eines Krankheits- und The-
rapiekonzepts die Bedeutung der Medikation zu erklä-
ren sowie durch die Aufklärung über den Umgang mit
76 Kapitel 7 · Antipsychotika
Antipsychotika und deren Nebenwirkungen die Com- 5 Einige konventionelle Antipsychotika werden als
1 pliance zu erhöhen. Ursache für eine Depression bei Patienten mit
Schizophrenie diskutiert. Es ist dann auf ein AAP
Unerwünschte neurologische und umzustellen.
2 zentralnervöse Wirkungen 5 Sedierung, Müdigkeit und Konzentrationsmin-
Besonders konventionelle Antipsychotika, aber deut- derung treten oft nur vorübergehend und i. d. R.
3 lich weniger AAP, können zu EPS-Nebenwirkungen
führen. Es gibt 5 mögliche Syndrome:
auch nur bei Antipsychotika mit anticholinerger
oder antihistaminerger Komponente auf.
5 Frühdyskinesie: 5 Bei 7% der Patienten treten unter konventio-
4 besonders mit hyperkinetisch, dyskinetisch oder nellen Antipsychotika Krampfanfälle auf. Bei zu
dystonen Störungen; sie beginnen in der ersten schnellem Dosisanstieg kann es zu einem Delir
Woche. Anticholinergika können sofort Abhil- (7 Kap. 34) kommen.
5 fe schaffen.
5 Parkinsonoid: Metabolische Nebenwirkungen
6 besonders mit Einschränkung der Feinmoto- 5 Gewichtszunahme, pathologische Glukosetole-
rik, Verlust der Mitbewegungen bis zur Akinese, ranz, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie tre-
Hypo- und Amimie, kleinschrittigem Gang und ten besonders unter AAP auf. Die Gewichtszu-
7 Rigor. Auftreten in der 1.–10. Woche. Anticholi- nahme ist sehr häufig (. Tab. 7.1).
nergika können vorübergehend gegeben werden; 5 Wenn folgenden Kriterien erfüllt sind, spricht
8 die Dosis muss reduziert werden.
5 Akathisie:
man von einem metabolischen Syndrom: Abdo-
minelle Adipositas (Bauchumfang bei Männern
Sitz- und Stehunruhe; sie tritt in der 1.–7. Woche >102 cm, bei Frauen >88 cm), Nüchternglukose
9 auf. Dosisreduktion ist nötig. >110 mg/dl, Triglyceride >150 mg/dl, HDL-Cho-
5 Spätdyskinesien: lesterin erniedrigt (Männer <40 mg/dl, Frauen
Nach Monaten bis Jahren auftretende hyperki- <50 mg/dl), Hypertonie (>130/85 mmHg). Das
10 netische Dauersyndrome, intensive, abnorme, metabolische Syndrom stellt ein hohes Risiko für
unwillkürliche, oft stereotype Bewegungen in der Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar.
11 Zungen-, Mund- und Gesichtsmuskulatur. Kann 5 Die Therapie einer Gewichtszunahme ist schwie-
auch durch abruptes Absetzen der Antipsychoti- rig. Diätetische Maßnahmen sind am Erfolg ver-
ka entstehen. Sehr schwierige Therapie. Sehr sel- sprechendsten. Sie können verhaltenstherapeu-
12 ten unter AAP. tisch unterstützt werden.
5 Malignes neuroleptisches Syndrom: 7 Kap. 34.
13 Cave
Endokrine Begleitwirkungen und sexuelle
Funktionsstörungen
5 Einige Antipsychotika erhöhen dosisabhängig
14 Das maligne neuroleptische Syndrom ist mit ei- den Prolaktinspiegel (PRL-Spiegel) (. Tab. 7.1).
ner Letalität von 20% verbunden; es entwickelt 5 Klinische Folgen hoher PRL-Spiegel können
sich innerhalb von 1–3 Tagen. Symptome sind:
15 5 Rigor,
neben sexuellen Funktionsstörungen bei Frauen
Amenorrhö und Galaktorrhö, bei Männern
5 Quantitative Bewusstseinsstörung, Gynäkomastie sein.
16 5 Fieber, Tachykardie, labiler Blutdruck, Tachyp-
noe, Hyperhidrose, Harninkontinenz,
5 Es wird diskutiert, dass langzeitig erhöhte PRL-
Spiegel für die Entstehung oder Verstärkung von
5 CK-Erhöhung, Leukozytose, Transaminasean- Osteoporose verantwortlich sind, möglicherweise
17 stieg, verursacht durch einen sekundären Hypogona-
5 Renale Komplikationen. dismus aufgrund der PRL-Erhöhung.
18 5 Sexuelle Funktionsstörungen kommen unter
Cave konventionellen Antipsychotika bei 30–50%
der Patienten vor; auch unter AAP treten sie auf
19 Bei Kombination verschiedener Medikamente mit (7 Abschn. 26.6). Der kausale Einfluss von Anti-
anticholinerger Komponente kann ein zentrales psychotika-induzierten PRL-Spiegelerhöhungen
20 anticholinerges Syndrom auftreten (7 Kap. 34.5). auf sexuelle Funktionen ist weiterhin unklar
(Westheide et al. 2007).
7.8 · Wechselwirkungen
77 7
5 Sehr selten kann es, wahrscheinlich unter allen Leber-Gallengangs-System und allergische
Antipsychotika, zu Priapismus kommen (immer Reaktionen
Notfallsituation). 5 Ein vorübergehender Transaminasenanstieg in
der 2.–4. Woche ist häufig, aber selten ein Absetz-
Kardiale Nebenwirkungen grund. Die Werte sind regelmäßig zu bestimmen.
5 Das Risiko für einen plötzlichen Herztod ist 5 Generalisierte Arzneimittelexantheme und Pho-
unter Antipsychotikatherapie insgesamt selten, tosensibilisierung mit erhöhtem Sonnenbrandri-
gegenüber der Normalpopulation jedoch etwa siko sind weitere Risiken, die v. a. unter Phenothi-
um das 2-fache erhöht. azinen auftreten.
5 Eine Vielzahl von Medikamenten, darunter
auch Antipsychotika (genauso wie Antidepressi- Myalgien und Rhabdomyolysen
va, 7 Abschn. 5.6) können die myokardiale Erre- Unter AAP, insbesondere Olanzapin, können Myal-
gungsrückbildung beeinträchtigen und eine Ver- gien mit Erhöhungen der Kreatinphosphokinase auf-
längerung des QT-Intervalles bewirken. Die treten. Sehr seltene Rhabdomyolysen (mit Myoglobi-
Erhöhung der QTc-Zeit ist per se nicht als Risiko nurie) sind mit dem Risiko des drohenden Nierenver-
zu werten, ab QTc>500 ms steigt jedoch das Risi- sagens verbunden.
ko für ventrikuläre Arrhythmien und plötzlichen
Herztod deutlich an.
7.7 Kontraindikationen und
Vegetative Nebenwirkungen Intoxikationen
5 Vegetative Nebenwirkungen (über die kardi-
alen Nebenwirkungen hinaus) kommen unter Für die meisten Antipsychotika gibt es eine Vielzahl
allen Antipsychotika vor. Sie treten bevorzugt zu von Kontraindikationen. Dazu gehören u. a. Bewusst-
Beginn der Therapie auf und zeigen dann i. Allg. seinsstörungen, Leukopenie, Störungen der Harnent-
eine Adaptation. Sie sind bedingt durch die anti- leerung, Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie und
cholinergen Eigenschaften. Seltene aber ernste kardiale Vorschädigung.
Folgen können sein: Miktionsstörungen, Harn- Toxische Verläufe sind unter Butyrophenonen
verhalt, ausgeprägte Obstipation, sehr selten auch und AAP (Ausnahme: Clozapin) relativ selten. Unter
paralytischer Ileus. den trizyklischen Präparaten aus der Gruppe der kon-
5 Häufiger sind Hypotonie und orthostatische Dys- ventionellen Antipsychotika können sie allerdings
regulation mit dem Risiko für Stürze. Kreislauf- vorkommen.
regulationsstörungen erfordern eine Dosisanpas- Auf die Risiken unter Antipsychotika während der
sung oder einen Präparatewechsel. Schwangerschaft und in der Stillzeit sowie beim Auto-
fahren, wird in den7 Kap. 35 und 36 hingewiesen.
Veränderungen des hämatopoetischen
Systems
5 Unter Antipsychotika, besonders den trizy- 7.8 Wechselwirkungen
klischen, können Leukozytosen, Leukopenien
Agranulozytose (besonders unter Clozapin) auf- Wechselwirkungen sind bei Antipsychotika sehr
treten; sehr selten sind sie unter Butyropheno- bedeutsam, weil sie bei einigen Präparaten zu erheb-
nen, wie Haloperidol oder Melperon. Das Medi- lichen Risiken führen können.
kament muss dann sofort abgesetzt werden. Es 5 Die Kombinationen von anticholinerg wirksamen
ist daran zu denken, dass strukturchemisch auch Antipsychotika mit Anticholinergika oder anti-
Olanzapin, Quetiapin und Zotepin trizyklische cholinerg wirksamen Antidepressiva können zu
Substanzen sind. Erregungszuständen bis hin zum Delir führen.
5 Für die AAP Aripiprazol, Amisulprid, Ziprasi-
don und Risperidon hat sich diesbezüglich kein Bei Kombinationen von Antipsychotika mit SSRI ist
erhöhtes Risiko gezeigt. das unterschiedliche Interaktionspotenzial der Sub-
stanzen zu beachten.
Antipsychotika und Alkohol (besonders in größe-
ren Mengen) sollten nicht kombiniert werden (Gefahr
der wechselseitigen Wirkungsverstärkung bis hin zum
Koma).
78 Kapitel 7 · Antipsychotika
5 Die Auswahl bezieht sich auf das Zielsyndrom und 5 Die sedierenden Antipsychotika können zusätzlich
die Notwendigkeit bestimmte Nebenwirkungen zu bei psychomotorischen Erregungszuständen einge-
vermeiden (z. B. bei Diabetes kein Olanzapin (Cave: setzt werden.
metabolisches Syndrom), bei jungen Frauen kein 5 Olanzapin ist auch zur Phasenprophylaxe bei bipo-
Amisulprid (Cave: Prolaktinerhöhung), bei Risiken für laren Störungen zugelassen. Auch Quetiapin ist bei
Herz-Kreislauf-Erkrankungen kein Ziprasidon (Cave: der Indikation wirksam.
QTc-Verlängerung). 5 Haloperidol ist die klassische Referenzsubstanz, gut
5 Wahrscheinlich haben AAP ein günstigeres Wirkungs- wirksam, aber auch nebenwirkungsreich.
profil bei Negativsymptomatik als konventionelle 5 Erhält ein Patient langfristig Antipsychotika, sollte
Antipsychotika. immer überlegt werden, ob nebenwirkungsärmere
5 Alle Antipsychotika haben ein breites Indikations- Präparate indiziert sind.
spektrum; sie wirken relativ sicher bei Schizophrenie 5 Die Compliance ist regelmäßig zu überprüfen, nach
und Manie. Nebenwirkungen zu fragen und Routineuntersu-
chungen durchzuführen.
Atypische Antipsychotika
Risperidon akut: 2–4 mg; Ge- Schizophrenie, Sedierung, Schwin- Neben Clozapin sehr
Risperdal® riatrie: 1 mg; Manie del, relativ deut- geringes Risiko für EPS;
Depot: alle 2 Wo- liche Prolaktiner- auch als Depot (ein-
chen 25–50 mg höhung ziges AAP)
Konventionelle Antipsychotika
3 Flupentixol akut: 10–60 mg Schizophrenie EPS, Müdigkeit, Hochpotentes trizy-
Fluanxol® Erhaltungs- Hypotonie klisches Antipsychoti-
4 therapie: 4–20 mg
Depot: 10–60 mg
kum, auch als Depot
i. m. 2–4 wöchent-
5 lich
Haloperidol 5–10 mg, maximal Schizophrenie, Ma- EPS, Müdigkeit, Butyrophenon, be-
6 Haldol® 40 mg, auch als
Depot möglich
nie, Erregungszu-
stände
Hypotonie währtes Antipsychoti-
kum für die Notfallsitua-
tion. Cave: nicht i.v.
7 Melperon 50–400 mg Erregungszustän- Müdigkeit, Hypo- Butyrophenon, breites
Eunerpan® de bei Psychosen, tonie Einsatzspektrum, auch
8 Schlafstörungen in der Geriatrie
10 NW Nebenwirkung.
Anxiolytika
8.1 Einteilung – 84
8.2 Wirkungsmechanismus – 84
8.2.1 Benzodiazepine – 84
8.2.2 Buspiron – 85
8.2.3 Andere Anxiolytika – 86
8.4 Indikationen – 87
8.4.1 Benzodiazepine – 87
8.4.2 Buspiron – 88
8.4.3 Andere Anxiolytika – 88
8.6 Nebenwirkungen – 89
8.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter Benzodiazepinen – 90
8.6.2 Absetzprobleme unter Benzodiazepinen – 90
8.6.3 Vorbeugung von Benzodiazepinentzugssymptomen – 91
8.8 Wechselwirkungen – 91
8.9 Routinehinweise – 91
8.11 Präparategruppen – 92
8.11.1 Benzodiazepine – 92
8.11.2 Andere Anxiolytika – 93
8.13 Checkliste – 94
84 Kapitel 8 · Anxiolytika
Sedierend Agitation bei akuten Psychosen, Manie, Diazepam: sehr starke Sedation
Prämedikation in der Anästhesie
tors zu GABA und damit die Frequenz der Kana- zierte GABAerge Transmission zurückzuführen
löffnung. Im Gegensatz zu Barbituraten können sind (Lüddens u. Wiedemann 2008).
Benzodiazepine auch in hohen Dosen nicht als 5 Da es im Gehirn spezifische Benzodiazepin-
direkte GABAA-Agonisten wirken, wodurch sich Rezeptoren gibt, geht man davon aus, dass es,
die hohe Anwendungs- und Intoxikationssicher- ähnlich wie bei den Endorphinen am Opiat-
heit erklärt. Rezeptor, endogene Liganden gibt.
5 Die GABAA-Rezeptoren sind als Pentamer ver- 5 Die Wirkungen am Benzodiazepin-Rezeptor-
schiedener Untereinheiten und deren Varianten Komplex können durch einen Benzodiazepinre-
(hauptsächlich: α1–6; β1–3; γ1–3; δ) zusammenge- zeptorantagonisten (Flumazenil) wieder aufgeho-
setzt. Daraus ergeben sich mannigfaltige Rezep- ben werden.
torvariationen sowohl für GABA als auch für 5 Die Trennung von Anxiolytika, speziell der Ben-
Benzodiazepine mit verschiedenen pharmako- zodiazepine von den Benzodiazepinhypnoti-
logischen Profilen, Häufigkeiten und topogra- ka (7 Abschn. 9.2.1) ist künstlich. Benzodiazepine
phischen Verteilungen. Während γ-Einheiten beider Gruppen haben eine mehr oder weniger
für eine Benzodiazepinwirkung notwendig sind, starke sedative Komponente.
scheinen die α-Einheiten die Potenz der einzel-
nen Benzodiazepine zu bestimmen. Es gibt tier- Die pharmakologischen Eigenschaften der Benzodia-
experimentelle Hinweise, dass die anxiolytischen zepine sind in . Tab. 8.1 dargestellt.
Effekte primär durch α2- und/oder α3- enthal-
tende Rezeptoren, die sedativen Eigenschaften
dagegen durch α1- und die muskelrelaxierende 8.2.2 Buspiron
Wirkungen durch α2- und α3-Rezeptoren vermit-
telt werden. Eine differenzielle Wirkung von Ben- 5 Buspiron gehört zur Gruppe der Azapirone und
zodiazepinen an GABAA-Rezeptoren wird z. T. wirkt als vollständiger Agonist an präsynap-
durch eine einzelne Aminosäure bestimmt. tischen 5-HT1A-Autorezeptoren und somit inhi-
5 Es gibt die, aber nicht abgesicherte, Hypothe- bitorisch auf Ausschüttung und Synthese von
se, dass der GABA-Benzodiazepinkomplex bei Serotonin. Postsynaptisch soll Buspiron als par-
Angststörungen verändert und in seiner Emp- tieller Agonist an 5-HT1A-Rezeptoren einen
findlichkeit verstellt ist. direkten serotonergen Effekt besitzen. Auch
5 Die GABAA-Rezeptoren sind jetzt auch ursäch- dopaminerge Eigenschaften werden diskutiert.
lich mit Veränderungen kognitiver Prozesse im Buspiron hat keine Wirkung am GABAA-Rezep-
Alter und pathologischen Zuständen, insbeson- tor. Der anxiolytische Effekt ist am ehesten durch
dere verschiedenen Formen der Epilepsie in Ver- die Summe der komplexen Wirkungen zu erklä-
bindung gebracht worden, die oft auf eine redu- ren.
86 Kapitel 8 · Anxiolytika
Depressive Störungen 7 Kap. 15 Bei Suizidalität, ggf. bei komorbiden Angststörungen; bei
depressivem Stupor: Lorazepam
Alkoholentzugssyndrom 7 Kap. 28 –
Neurologische Erkrankungen 7 Kap. 32 Epileptischer Anfall, möglich auch bei Epilepsie; unwill-
kürlichen Bewegungsstörungen
5
5 Auch ein dauerhafter (monotherapeutischer) 8.4.2 Buspiron
6 Einsatz ist in einigen Fällen v. a. bei Angster-
krankungen (generalisierte Angststörung/GAD; 5 Bei der generaliserten Angsterkrankung hat Bus-
Panikstörung) nach Ausschöpfung anderer The- piron eine wichtige Indikation, 7 Abschn. 17.2.3.
7 rapiemaßnahmen indiziert. 5 Bei suchtgefährdeten Patienten ist Buspiron eine
5 Anders als bei den Antidepressiva gibt es keine Alternative zu Antidepressiva.
8 neuen Zulassungsstudien für Benzodiazepine, die 5 Auch bei Phobie ist Buspiron wirksam.
sich auf die ICD-10-Klassifikation beziehen. Es 5 Insgesamt konnten Wirksamkeitsvorteile von
handelt sich in der Regel um Altzulassungen mit Buspiron gegenüber Antidepressiva nicht gezeigt
9 unspezifischen Syndromnennungen. werden; insbesondere gibt es keine Vergleichsstu-
5 Relativ neu ist die Indikation für Lorazepam bei dien zwischen Buspiron und SSRI bei der GAD.
Katatonie, Stupor und Mutismus (. Tab. 8.2)
10 (Heuser u. Benkert 1986); die früher oft notwen-
dige Elektrokrampftherapie bei diesen Syndro- 8.4.3 Andere Anxiolytika
11 men kann jetzt meistens vermieden werden.
β-Rezeptorenblocker
Cave 5 β-Rezeptorenblocker können beim Überwiegen
12 somatischer Symptome bei spezifischer Phobie
Keine Indikation für Benzodiazepine besteht bei (7 Kap. 18) z. B. bei Redner- und Prüfungsangst
zu hohen chronischen Belastungen im Alltag, im
13 sozialen oder im familiären Bereich. Nur bei aku-
oder Flugangst, als Bedarfsmedikation versucht
werden. Der Wirksamkeitsnachweis ist nicht
ten Belastungen sind Benzodizepine – und dies überzeugend. β-Rezeptorenblocker besitzen nur
14 auch nur kurzfristig – indiziert. geringe sedierende Eigenschaften.
5 Unter den Benzodiazepinen hat nur Alprazolam eine 8.12 Anxiolytika in der Kinder- und
Zulassung bei der Panikstörung. Jugendpsychiatrie
5 Bei akuten Belastungen sollen Benzodiazepine nur
kurzfristig bei Bedarf gegeben werden. Die Anxiloytika, vor allem die Benzodiazepine, haben
auch in der Akutbehandlung der Kinder- und Jugend-
psychiatrie ein breites Indikationsspektrum, sind
jedoch meist für diesen Altersbereich nicht zugelas-
8.11.2 Andere Anxiolytika sen. Die Behandlungsdauer sollte nur wenige Tage bis
einige Wochen dauern.
Es gibt zu den Benzodiazepinen einige Alterna- Generell hat sich die Verschreibungsrate der Ben-
tiven (. Tab. 8.5), die aber nicht so effektiv sind und zodiazepine im Kindes- und Jugendalter in den letz-
eine deutlich längere Wirklatenz haben. Sie können ten 10 Jahren verdreifacht. Es gibt wie im Erwach-
nicht in der Notfallpsychiatrie eingesetzt werden. Die senalter keine neuen Zulassungsstudien für Benzodia-
Nebenwirkungen sind in der Regel gering. Ihr Vorteil zepine. Meistens handelt es sich um so genannte »Alt-
liegt in dem fehlenden Abhängigkeitsrisiko. zulassungen« mit zugelassen Indikationen für unspe-
zifische Syndrome.
Gerade bei ängstlich-depressiven Erkrankungen, die mentengruppen für die längerfristige Behandlung von
1 häufig mit Suizidalität einhergehen, ist teilweise der Angststörungen, da diese Substanzen im Vergleich zu
Einsatz von Benzodiazepinen bis zum Wirkungsein- den Benzodiazepinen kein Abhängigkeitspotenzial
tritt der Antidepressiva unverzichtbar. haben. Für diese Indikation im Kindes- und Jugendal-
2 Zugelassen aus der Gruppe der Benzodiazepine ter sind sie allerdings nicht zugelassen. Der Wirkungs-
ist z. B. Diazepam, das am häufigsten verschriebene eintritt ist deutlich langsamer als bei den Benzodiaze-
3 Benzodiazepin, ab dem 6. Lebensmonat für akute und
chronische Spannungs-, Erregungs- und Angstzustän-
pinen und es treten stärkere Nebenwirkungen auf.
Fluoxetin und Fluvoxamin zeigten gute Wirksam-
de. Allerdings wird in der klinischen Praxis aufgrund keit bei Kindern und Jugendlichen mit GAD, Tren-
4 der deutlich kürzeren Halbwertzeit häufig Lorazepam nungsangst und sozialer Phobie. Sertralin war bei der
eingesetzt, obwohl für die Anwendung im Kindes- GAD im Kindes- und Jugendalter Placebo überlegen.
und Jugendalter keine Zulassung besteht.
5 Buspiron hat auch in der Kinder-und Jugendpsy- Antipsychotika
chiatrie im Gegensatz zu den Benzodiazepinen einen Die konventionellen oder atypischen Antipsychoti-
6 differenzierten Einsatz (7 Abschn. 8.4.2): Es hat kei- ka gehören nicht zu den Medikamenten der ersten
ne antikonvulsive Wirkung, eine geringeres Sedie- oder zweiten Wahl bei der Behandlung von Angst-
rungspotenzial und kann das Ausmaß von Panikatta- störungen. Allerdings werden in der klinischen Pra-
7 cken nicht mindern. Buspiron ist nicht für den Notfall xis häufig Antipsychotika zum Sedieren bei schweren
geeignet, da der Wirkungseintritt langsamer ist. Als Angst- und Belastungsstörungen eingesetzt. Hier
8 mögliche neue Indikationen werden nach Ergebnis-
sen von offenen Studien akute und chronische Angst-
kommen dann vor allem die niedrig-potenten und
atypischen Antipsychotika in Betracht, wobei man
störungen, Zwangsstörungen, posttraumatische Bela- Nutzen und Nebenwirkung gut abwägen muss.
9 stungsstörung, Dysmorphophobie, Hyperaktivität,
Aggressivität, Erregungszustände bei tief greifenden
10 Entwicklungsstörungen und hyperkinetischen Stö- 8.13 Checkliste
rungen diskutiert (Bezchlibnyk-Butler u. Virani 2004;
Green 2001). Eine Zulassung für Buspiron besteht für ?
11 das Kindes- und Jugendalter nicht.
Mehrere Studien konnten die Wirksamkeit der 1. Welche Therapieprinzipien sind bei einer
beiden β-Rezeptorenblocker Propanolol und Pindolol Behandlung mit Benzodiazepinanxiolytika
12 (7 Abschn. 8.2.3) bei Kindern und Jugendlichen mit zu beachten?
Erregungszustände und aggressive Durchbrüche im 2. Worin liegen die Vorteile von Benzodiaz-
13 Rahmen von z. B. autistischen Syndromen, hyperki- epinen?
netischen Störungen, posttraumatischen Belastungs- 3. Wann sind Benzodiazepine indiziert?
störungen und Angststörungen, die vorwiegend mit 4. Welche Nachteile haben Benzodiazepine?
14 somatischen und autonomen Funktionsstörungen 5. Wann können β-Rezeptorenblocker eing-
einhergingen, nachweisen (Bezchlibnyk-Butler u. esetzt werden?
15 Virani 2004; Green 2001). 6. Welche Medikamente sind zur langfristigen
Behandlung von Angststörungen indiziert?
Dosierung der Benzodiazepine 7. Was ist bei der Behandlung älterer Menschen
16 Zu beachten ist, dass Benzodiazepine bei Kindern und mit Benzodiazepinen zu beachten?
Jugendlichen schneller metabolisiert werden, weshalb 8. Worüber sind Patienten bei der Gabe von
Kinder und Jugendliche teilweise kleinere aber dafür Benzodiazepinen unbedingt aufzuklären?
17 häufigere Dosierungen benötigen. Für die empfohle- 9. Welche Absetzsymptome treten beim
nen Tagesdosen gibt es keine spezifischen Leitlinien akuten Absetzten von Benzodiazepinen auf?
18 für das Kindes- und Jugendalter, die Dosierungen ent- 10. Mit welcher Substanzklasse sollten schwere
sprechen denen für das Erwachsenenalter (Bezchlib- und chronische Angststörungen im Kindes-
nyk-Butler u. Virani 2004; Green 2001). und Jugendalter behandelt werden?
19
Antidepressiva
20 Genau wie bei Erwachsenen sind die SSRI und die
dualen Antidepressiva (sowie teilweise noch die tri-
zyklischen Antidepressiva) die wichtigsten Medika-
9.1 ·
95 9
Hypnotika
9.1 Einteilung – 96
9.2 Wirkmechanismus – 96
9.2.1 Benzodiazepinhypnotika – 96
9.2.2 Non-Benzodiazepinhypnotika – 97
9.2.3 Andere Hypnotika und schlafinduzierende Psychopharmaka – 97
9.4 Indikationen – 98
9.6 Nebenwirkungen – 98
9.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter Hypnotika – 98
9.6.2 Andere Nebenwirkungen unter Hypnotika – 99
9.2.2 Non-Benzodiazepinhypnotika
9.3 Allgemeine Therapieprinzipien
5 Die drei im Handel befindlichen Non-Benzodi-
azepinhynotika Zaleplon (Pyrazolopyrimidin), 5 Hypnotika sind, trotz eines vermehrten gezielten
Zolpidem (Imidazopyridin) und Zopiclon (Zyklo- Einsatzes von Antidepressiva bei Schlafstörungen
pyrrolon) wirken aktiv am Benzodiazepinrezep- im Rahmen von Depressionen und Angsterkran-
tor, sind chemisch aber keine Benzodiazepine. kungen, in der Allgemeinmedizin und psychiat-
Hang-over-Effekte und Reboundphänomene tre- rischen Pharmakotherapie unverzichtbar.
ten seltener auf. Toleranz- und Abhängigkeits- 5 Hypnotika sollen prinzipiell erst nach Ausschöp-
entwicklungen wurden sehr selten in Einzelfällen fen anderer Therapiemöglichkeiten gegeben wer-
beobachtet; die Gefahr ist jedoch grundsätzlich den. Die Grunderkrankungen sollen zunächst
gegeben. Tierexperimentelle Daten weisen auf behandelt werden.
eine fehlende Sensitivitätsänderung am GABAA- 5 Da alle Hypnotika Nebenwirkungen
Rezeptor selbst nach längerer hoch dosierter (7 Abschn. 9.6) haben, muss ihr Stellenwert in
Gabe hin. Möglicherweise besteht hierin eine einem Gesamtbehandlungsplan sehr sorgfältig
Erklärung für die bisher beobachteten differenten eingestuft werden. Dies gilt besonders für eine
Effekte gegenüber den Benzodiazepinhypnotika. Langzeittherapie.
5 Im Schlaf-EEG ist die Einschlaflatenz verkürzt 5 Andererseits sollten Schlafmittel in der Not-
und die Gesamtschlafzeit verlängert. Der REM- fallmedizin bei akuten Psychosen oder ande-
Schlaf wird nur unwesentlich beeinflusst. Es wird ren schweren psychischen Erkrankungen und
sowohl ein vermehrter als auch ein verminderter bei suizidalen Patienten vorübergehend auch in
Tiefschlaf im EEG gesehen. Zaleplon verändert höheren Dosen zügig eingesetzt werden.
das Schlaf-EEG am geringsten. 5 Die ausführlichen Therapieprinzipien bei einem
Einsatz von Hypnotika finden sich in 7 Kap. 24.
20
9.7 · Kontraindikationen und Intoxikationen
99 9
Non-Benzodiazepinhypnotika
9.6.2 Andere Nebenwirkungen unter Die häufigsten Nebenwirkungen von Zaleplon, Zolpi-
Hypnotika dem und Zopiclon sind Müdigkeit und Dösigkeit.
Sonst können alle den Benzodiazepinen eigenen
Benzodiazepinhypnotika Nebenwirkungen – aber seltener und weniger stark
5 Bei Verordnung von Benzodiazepinhypnoti- ausgeprägt – auftreten. . Tab. 9.1 gibt eine Übersicht
ka mit langen und mittellangen Halbwertszeiten über die wichtigsten Vor- und Nachteile der Non-Ben-
(z. B. Flurazepam) und mit aktiven Metaboliten zodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika.
kann es am Tag nach der abendlichen Einnah-
me zu Hang-over-Effekten mit unerwünschter Antihistaminika und Chloralhydrat
Tagessedierung, Müdigkeit, Konzentrations- Antihistaminika haben neben der dämpfenden Wir-
schwäche und Einschränkungen der kognitiven kung typische anticholinerge Nebenwirkungen, die
Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit kom- gerade bei älteren Patienten erhebliche Folgen haben
men. Die Verkehrstauglichkeit kann auf Grund können (z. B. Delir). Sie sind toxisch, zeigen Wir-
herabgesetzter Reaktionsfähigkeit vermindert kungsverlust, aber keine Abhängigkeit im engeren
sein. Die gleichen Effekte können bei Präparaten Sinne.
mit kurzer Halbwertszeit auftreten, wenn sie in Chloralhydrat ist ein Aldehyd; es darf bei kör-
hohen Dosen eingenommen werden. perlichen Grundkrankheiten nicht gegeben werden.
5 Tagessmüdigkeit tritt in der Regel bei Präparaten Es führt zu Übelkeit und Verwirrtheitszuständen; es
mit kurzer bis mittellanger HWZ nicht auf, wenn besitzt in Einzelfällen ein Abhängigkeitspotenzial. Die
sie niedrig dosiert werden. therapeutische Breite ist gering, deshalb darf es bei
Suizidalität nicht gegeben werden.
Cave
Besonders bei älteren Menschen und bei Pati- 9.7 Kontraindikationen und
enten mit Leber- und Nierenschäden kann es Intoxikationen
unter Benzodiazepinhypnotika mit langen und
mittellangen Halbwertszeiten relativ häufig zu 5 Die Kontraindikationen der Benzodiazepin-
Kumulationsphänomenen und dadurch bedingt hypnotika sind, wie die der Benzodiazepine
zu vermehrten Nebenwirkungen mit Muskelre- (7 Abschn. 8.7) gering. Auch sind keine Intoxika-
laxation und ataktischen Störungen kommen. tionen zu erwarten.
Die Folge kann eine erhöhte Unfallgefahr mit 5 Die Unverträglichkeit mit Alkohol, Schlafmitteln
Frakturen sein. Deshalb muss gerade bei dieser und Analgetika muss beachtet werden.
Patientengruppe die niedrigst mögliche Dosis 5 Myasthenie, Ataxie, obstruktive Atemwegser-
verschrieben werden. krankungen und Schlafapnoe-Syndrom sind Aus-
schlusskrankheiten.
100 Kapitel 9 · Hypnotika
4 Relativ geringer Wirkungsverlust 5 Tagesmüdigkeita (nur bei Benzodiazepinhypnotika mit langer HWZ)
5 Beeinflussung der Schlafarchitektura
5 Muskelhypotonie und Ataxie, die bei älteren Menschen zu Stürzen
5 führen können
5 Hang-over-Effekte bei Benzodiazepinhypnotika mit langer HWZ
6 a Bei Non-Benzodiazepinhypnotika gering. b Vermehrte Schlaflosigkeit oder Albträume nach plötzlichem Absetzen einer länger dau-
ernden Therapie.
7
5 Abhängigkeitsgefährdete sollen Benzodiazepin- 9.10 Hypnotika im höheren
8 hypnotika und Non-Benzodiazepine nur in Not- Lebensalter
fallsituationen erhalten.
5 Für Chloralhydrat gelten ähnliche Bedingungen. 5 Mit zunehmendem Alter nimmt die Schlafdau-
9 Das Hypnotikum hat bei vielen körperlichen er und -tiefe ab, und es kommt zu längeren Auf-
Krankheiten hohe Risiken. wachphasen. Deshalb ergibt sich eine verstärkte
5 Der antihistaminerge und anticholinerge Anteil Indikation für Hypnotika im höheren Lebensal-
10 an den Antihistaminika schließt die Verordnung ter.
besonders bei älteren Patienten aus (Delirgefahr). 5 Die Verschiebungen der zirkadianen Rhythmik
11 führen im Alter zu einer Müdigkeit am frühen
Abend mit entsprechend früherem Einschlafen
9.8 Wechselwirkungen und einem frühmorgendlichem Erwachen.
12 5 Grundsätzlich sind bei den Benzodiazepinhyp-
5 Wechselwirkungen für Benzodiazepinhypnotika notika und Non-Benzodiazepinen die gleichen
13 7 Abschn. 8.8. Vorsichtsmaßnahmen und Einschränkungen
5 Die Wechselwirkungen für Chloralhydrat und wie bei den Benzodiazepinanxiolytika gültig
Antihistaminika sind zahlreich. (7 Abschn. 8.10).
14 5 Im Alter sollten geringere Dosen gegeben wer-
den, da durch Akkumulationen eine uner-
15 9.9 Routinehinweise wünschte Tagessedierung mit weiterer Ver-
schlechterung des Schlafprofils eintreten kann.
5 Routineuntersuchungen sind nicht angezeigt. 5 Auf die besonderen Risiken im Alter wird schon
16 5 Die Patienten sollen auf folgende Risiken hinge- oben unter 7 Abschn. 9.6.2 hingewiesen.
wiesen werden: 5 Im Alter kann eine Dauermedikation trotz
– Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei grundsätzlichem Abhängigkeitsrisko gerechtfer-
17 gleichzeitiger Einnahme anderer sedierender tigt sein.
Pharmaka und von Alkohol. 5 Vor allem bei dementen und verwirrten Patienten
18 – Es besteht ein Abhängigkeitsrisiko. sowie Patienten mit organischen Grunderkran-
– Beim abrupten Absetzen von Hypnotika kungen ist an die Möglichkeit paradoxer Erre-
kann eine Entzugssymptomatik auftreten. gungszustände mit Agitiertheit, Schlaflosigkeit
19 – Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und und Aggressivität zu denken.
Reaktionsfähigkeit und Tagesmüdigkeit muss
20 bei einigen Präparaten beachtet werden.
– Risiken in der Schwangerschaft und Stillzeit
7 Kap. 35.
9.11 · Präparategruppen
101 9
Zolpidem 10–20 mg abends; meistens reichen 10 mg; 7 Abschn. 9.6 HWZ: 1–3,5 h
Stilnox® beim Aufwachen in der Nacht nur 10 mg
Zopiclon 7,5–15 mg abends; bei Leberschäden und äl- 7 Abschn. 9.6 HWZ: 5 h
Ximovan® teren Patienten nur 3,75 mg
HWZ Halbwertszeit.
Flurazepam 15–30 mg abends 7 Abschn. 9.6; hohes Risiko für HWZ: 1–3 ha;
Dalmadorm® Kumulation Metabolite bis 96 h
Triazolam 0,125–0,25 mg abends 7 Abschn. 9.6; höhere Neben- HWZ: 5–4 hb, nicht
Halcion® wirkungsrate, Reboundphänomene als Durchschlafmittel
und anterograde Amnesie geeignet
2 Diphenhydramin
Dolestan®
50–100 mg abends;
beginnen mit 50 mg
7 Abschn. 9.6, anticholinerge
Komponenten, gastrointesti-
Geringer wirksam als
Benzodiazepinhypnotika
nale Beschwerden
3 Chloralhydrat 250–1000 mg abends; 7 Abschn. 9.6, Übelkeit, Erhebliche Wechsel-
Chloraldurat 500® maximal 2 g tgl. Verwirrtheitszustände wirkungen
4
5 Trimipramin, 25–50 mg) und erst als zweite Wahl 9.12 Hypnotika in der Kinder- und
ein sedierendes Antipsychotikum (z. B. Melperon, Jugendpsychiatrie
6 20–100 mg) gewählt werden.
5 Bei Schlafstörungen mit Suizidalität oder im Rahmen Die Gabe von Hypnotika sollte genauso wie bei
von akuten Psychosen oder anderen schweren Erwachsenen erst nach Ausschöpfen anderer The-
7 psychischen Erkrankungen sind Hypnotika vorüber- rapiemöglichkeiten erfolgen bzw. die Indikationen
gehend auch in höheren Dosen indiziert. sollten sehr eng gefasst werden. 25% der Kinder bis
8 5 Bei Schlafstörungen im Rahmen einer psychiatrischen
Erkrankung, bei der Antidepressiva oder Antipsycho-
zum 18. Lebensmonat haben schon einmal Hypnoti-
ka, allerdings vorwiegend für pädiatrische Indikati-
tika indiziert sind, sollten diese immer vor Schlaf- onen, erhalten.
9 mitteln versucht werden. Zumeist lösen auch die
Antidepressiva oder Antipsychotika, wenn sie gezielt Auswahl des Hypnotikums
Die oben erwähnten Non-Benzodiazepinhypnoti-
10 5
abends eingesetzt werden, die Schlafprobleme.
Bei lang andauernden schweren Schlafstörungen, ka und Benzodiazepinhypnotika (. Tab. 9.2 und 9.3)
ggf. auch bei alkoholkranken Patienten, die langjäh- sind in Deutschland für Kinder- und Jugendliche
11 rig schlafmittelabhängig sind, ist nicht zugelassen, außer zur Prämedikation vor chi-
– der Taperprozess mit dem primären Hypnotikum rurgischen Eingriffen und bei zerebralen Anfallslei-
äußerst langsam durchzuführen (s. auch Benzodi- den. Eine Ausnahme stellt Temazepam dar, welches
12 azepinanxiolytika 7 Kap. 8), ab dem 14. Lebensjahr zur Behandlung von Ein- und
– begleitend ein Antidepressivum oder Antipsy- Durchschlafstörungen zugelassen ist. Das Antihis-
13 chotikum einzusetzen, taminikum Diphenhydramin ist, je nach Dosierung,
– in einem Schlaflabor die Diagnose zu überprüfen, ab dem 12. bzw. 14. Lebensjahr und Chloralhydrat ab
– eine psychologische Therapie dringend indiziert dem 6. Lebensjahr zugelassen.
14 und der Patient einem Programm zum Erlernen Mit Flurazepam konnte über 14 Tage bei 40 Kin-
von Verhaltensregeln (7 Kap. 24) zuzuführen. dern und Jugendlichen bei mit Schlaf assoziier-
15 5 Unter einer Therapie mit Hypnotika muss ein sorgfäl-
tiges Monitoring von Hang-over-Effekten, Rebound-
ten Erkrankungen wie Schlafwandeln, Sprechen im
Schlaf, Zähneknirschen und exzessiven Bewegungen
symptomen, Toleranzentwicklungen und einer während des Schlafs eine signifikante Verbesserung
16 möglichen Abhängigkeit erfolgen. erzielt werden.
5 Hypnotika müssen, wenn sie nicht nur kurzzeitig
17 5
angewandt wurden, sehr langsam abgesetzt werden.
Es gibt eine Reihe von anderen Hypnotika, die aber
wie Chloralhydrat ein deutliches Abhängigkeitsrisiko
18 besitzen, oder wie Diphenhydramin bei schwächerer
Wirkung als bei Non-Benzodiazepinhypnotika
mehr Nebenwirkungen haben. Für Tryptophan und
19 Baldrianpräparate besteht großer Zweifel an einer
Wirksamkeit. Für Melatonin ist in einer großen Zahl
20 von Studien jetzt die Unwirksamkeit gezeigt. Diese
Substanzen können nicht empfohlen werden.
9.13 · Checkliste
103 9
Wichtig
9.13 Checkliste
?
1. Welche Gruppen von Hypnotika kennen Sie?
2. Welche Vorteile haben die modernen
Hypnotika gegenüber den früher häufig
verwendeten Barbituraten?
3. Worüber sind Patienten bei der Vorordnung
von Hypnotika aufzuklären?
4. Welche Risiken haben Benzodiazepinhypno-
tika?
5. Welche medikamentösen Alternativen zu
Hypnotika bestehen, wenn Schlafstörungen
im Rahmen einer Depression auftreten?
6. In welcher Dosierung sollten Hypnotika ver-
abreicht werden und für welche Dauer?
7. Was ist beim Absetzen von Hypnotika zu
beachten?
8. Welche besonderen Risiken bestehen bei der
Gabe von Hypnotika bei älteren Menschen?
10.1 ·
105 10
Antidementiva
skala der Alzheimer’s Disease Assessment-Skala 5 Der Einsatz von AChE-I wird aber auch kritisch
oder CERAD-Batterie, Consortium to Establish a gesehen. Die Kosten-Nutzen-Bewertungen sind
Registry for Alzheimer’s Disease) erfolgen. In die uneinheitlich. In einer placebokontrollierten Stu-
Beurteilung des Therapieverlaufs sollten die Ent- die wurde festgestellt, dass der AChE-I Donepe-
wicklung von kognitiven Defiziten, Beeinträch- zil zwar signifikante Besserungen der kognitiven
tigungen in Aktivitäten des täglichen Lebens, und alltagspraktischen Fertigkeiten im Vergleich
der klinische Gesamteindruck, die Einschätzung zu Placebo erbrachte, jedoch nicht den Zeitpunkt
des Patienten selbst (subjektiv erlebte Verbesse- der Einweisung in ein Pflegeheim oder das Fort-
rungen), die Einschätzung von Angehörigen bzw. schreiten der krankheitsbedingten Behinderung
Pflegenden, die individuelle Verträglichkeit sowie beeinflusste; auch die Lebenszeit wurde nicht ver-
möglicherweise hinzugekommene Begleiterkran- längert. Die Autoren warfen daher die Frage der
kungen oder Kontraindikationen für eine Fort- Kosten-Nutzen Bewertung der AChE-I auf. Aller-
führung der Behandlung eingehen. dings schränken methodische Schwächen die
5 Therapiepausen sollten vermieden werden. Aussagekraft dieser Studie ein. Die Arzneimittel-
kommission der deutschen Ärzteschaft hat aber
ihre eindeutigen Empfehlungen zum Einsatz von
10.4 Indikationen AChE-I und Memantin wiederholt.
10.6 Präparategruppen1
1
. Tabelle 10.1 gibt eine Übersicht über die AChE-I
und NMDA-Antagonist sowie deren Dosierung und
2 wichtigste Nebenwirkungen.
11 Memantin 5 mg tgl. zu Beginn, Mittelschwere bis schwere AD, Insgesamt gering, möglich sind:
Axura®, Ebixa® bis 20 mg nach einem auch als »Add-on«-Therapie Kopfschmerzen
Monat empfohlen Schläfrigkeit
12 Schwindel
Obstipation
samkeitsnachweis gegeben. Andere Antidementiva 1. Welche Effekte können von den derzeitigen
16 oder sog. Nootropika sollten nicht mehr verordnet Antidementiva erwartet werden?
werden.
5 Die Antidementiva haben auch einen Effekt auf die
17 demenzassoziierten Verhaltensstörungen (7 Ab-
schn. 31.2).
18 5 Der Effekt der Antidementiva ist insgesamt beschei-
den und wahrscheinlich nur für die Dauer von bis zu
einem Jahr. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird kon-
19 trovers diskutiert. Dabei ist allerdings zu bedenken,
dass es keine therapeutischen Alternativen gibt.
20 5 Memantin hat gegenüber den AChE-I den Vorteil der
deutlich geringeren Nebenwirkungen.
11.1 ·
109 11
Opiate (z. B.Codein, Buprenorphin, Methadon, Naltrexonz (Nemexin®), alter- Naloxon (Antidot)
Heroin, Methadon) Levomethadon, Clonidin + nativ: Substitution mit Me- (7 Abschn. 14.6.1)
symptomatische Therapie thadonz (Methaddict®), Levo-
methadonz (L-Polamidon®),
Buprenorphinz (Subutex®)
Cannabis – – Benzodiazepine,
Antipsychotika
um tremens indiziert. Allein sind sie nicht ausrei- 11.2.4 Medikamente zur
chend wirksam. Sie werden auch bei der Alkoko- Rückfallprophylaxe bei
holhalluzinose (7 Abschn. 28.1.1) eingesetzt. Alkoholabhängigkeit
5 Die Antiepileptika Carbamazepin und Valproin-
säure haben neben ihrem stimmungsstabilisie- Neben psychosozialen und psychotherapeutischen
rendem Effekt (7 Kap. 6) auch eine Wirkung auf Interventionen stellt die Langzeitverordnung von
Alkoholentzugsymptome; sie sind aber z. Z. nur Medikamenten eine wichtige Strategie bei Alko-
zur Anfallsprophylaxe im Alkoholentzug sinnvoll holkrankheiten dar. Das Verlangen nach Alkohol
einsetzbar. soll durch sie vermindert werden; sie werden auch
5 Das Antidepressivum Doxepin (7 Kap. 5) wird als Anticraving-Substanzen (Craving 7 Abschn. 28.1.1)
häufig noch zur Behandlung leichter Entzugssyn- bezeichnet.
drome gegeben; die Datenlage ist unklar, es han- 5 Acamprosat als NMDA-Rezeptormodulator (glu-
delt sich um eine Therapie zweiter Wahl. taminerg) ist einer Placebobehandlung überlegen
und für die Rezidivprophylaxe der Alkoholab-
hängigkeit zugelassen. Die Verträglichkeit ist gut.
5 Naltrexon ist als μ-Opiatrezeptor-Antagonist in
den USA zur Rückfallprophylaxe zugelassen, in
Europa noch nicht. Naltrexon wird in mehreren
Metaanalysen positiv bewertet. Naltrexon führt
112 Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug
darüber hinaus bei schwerer erkrankten, nicht 5 Intensivmedizinisch kann bei Benzodiazepinin-
1 eindeutig abstinenzmotivierten Patienten zur toxikation in besonderen Fällen das Antidot Flu-
Trinkmengenreduktion, zu einem Rückgang der mazenil gegeben werden.
Anzahl der Trinktage sowie zu einem Rückgang
2 der Anzahl der schweren Trinktage (>5 alkoho-
lische Getränke/Tag). Naltrexon wird gut vertra- 11.2.6 Medikamente zur Behandlung
3 gen. von Opiatabhängigkeit
5 Disulfiram war früher das einzige Präparat, das
zur Rückfallprophylaxe zur Verfügung stand Die Therapie der Opiatabhängigkeit gehört nicht
4 (Aversionstherapie). Heute kann es in speziellen zur Routinetherapie des Psychiaters und ist spezi-
Indikationen in der Rückfallprophylaxe hilfreich ell geschulten Ärzten/Einrichtungen vorbehalten.
sein; wegen der potenziell lebensbedrohlichen Die wichtigen Präparate bei der Entwöhnungsthe-
5 Komplikationen bei Trinkzwischenfällen stellt es rapie werden kurz beschrieben (Antidot Naloxon
jedoch keine Standardtherapie dar. 7 Abschn. 28.1.3).
6 5 Immer wieder wurde geprüft, ob Antidepressiva,
Buprenorphin
auch SSRI, einen rückfallprophylaktischen Effekt
haben. Bisher sind die Studien negativ verlaufen. 5 Buprenorphin ist als Substitutionsmittel bei
7 Opiatabhängigkeit zugelassen (. Tab. 11.1,
7 Abschn. 28.1.3).
8 Fazit 5 Es hat als kombinierter Opiatrezeptoragonist/-
antagonist (partieller μ-Opiatrezeptoragonist mit
Therapieempfehlung zur Rückfallprophylaxe der langsamer Rezeptorkinetik sowie κ-Opiatrezepto-
9 Alkoholabhängigkeit rantagonist) ein besonderes Wirkprofil unter den
5 Die Anticraving-Substanzen Acamprosat und Nalt- klinisch einsetzbaren Opioiden.
5 Der Vorteil der Substanz besteht in der relativ
10 rexon besitzen eine abstinenzerhaltende Wirkung. Die
Wirkung der Kombination ist möglicherweise additiv. breiten Sicherheitsspanne im Vergleich zu reinen
Sie sollten nur in Verbindung mit psychosozialen μ-Opiatrezeptoragonisten.
11 Maßnahmen verordnet werden. 5 Eine Umstellung von Patienten, die bereits auf
5 Acamprosat oder auch Naltrexon sollten für minde- Methadon/Levomethadon stabil eingestellt sind,
stens 12 Monate nach Abschluss einer Alkoholentgif- ist möglich.
12 tungsbehandlung eingenommen werden. 5 Dosis: 6–20 mg täglich.
5 Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit werden 5 Buprenorphin eignet sich aufgrund der langen
13 Acamprosat und Naltrexon sowohl von Hausärzten Halbwertszeit für die Gabe einer entsprechend
als auch von Fachkliniken zur Behandlung alkoholab- höheren Einmaldosis alle 2–3 Tage (»Alternate-
hängiger Patienten häufig nicht weiter verordnet. Die day«-Verordnung). Buprenorphin eignet sich
14 Gründe hierfür sind vielschichtig, die Weiterbehand- ebenfalls für eine »Take-home«-Vergabe. Aller-
ler (Hausarzt/Facharzt/Fachklinik) sollten deshalb dings ist hier zu bedenken, dass Buprenorphin
15 aktiv in die Therapieplanung mit einbezogen werden,
um einen Therapieabbruch zu vermeiden.
nach Auflösung der Substanz zur i.v.-Gabe miss-
braucht werden kann.
5 Erst nach Acamprosat und Naltrexon sollten weitere 5 Buprenorphin ist eine sinnvolle Alternative zur
16 pharmakotherapeutische Versuche unternommen Substitution mit Methadon/Levomethadon mit
werden. breiterem Sicherheitsspektrum und guter Akzep-
tanz durch die Patienten; Überbrückung von Fei-
17 ertagen und Wochenenden ohne tägliche Kon-
11.2.5 Medikamente zur takte möglich.
18 Behandlung von
Benzodiazepinabhängigkeit Methadon/Levomethadon
5 Methadon und Levomethadon sind als Substi-
19 Die therapeutischen Notwendigkeiten bei Benzodia- tutionsmittel bei Opiatabhängigkeit zugelassen
zepinabhängigkeit stehen in 7 Abschn. 8.6.1 bis 8.6.3 (. Tab. 11.1, 7 Abschn. 28.1.3).
20 und 7 Abschn. 28.1.2. 5 Methadon ist ein μ-Opioidrezeptoragonist und
das Razemat aus linksdrehendem Levomethadon
und rechtsdrehendem D-Methadon. Methadon
11.2 · Präparategruppen
113 11
war früher das einzige Substitutionsmittel. Die 11.2.7 Medikamente zur Behandlung
Dosis liegt bei 60–80 mg täglich. von Kokain- und Amphetamin-
5 Levomethadon besitzt die doppelte effektive und Abhängigkeit
analgetische Potenz wie das Razemat Methadon.
5 Bei Dosierungsangaben ist stets darauf zu ach- Die Entzugssyndrome sind in 7 Abschn. 28.1.4
ten, ob diese sich auf Methadon oder Levometha- beschrieben. Eine spezifische Medikation mit kli-
don beziehen! nischem Nachweis steht nicht zur Verfügung.
5 Die Therapie mit Methadon/L-Methadon ist 5 Es gibt Studien bei kokainabhängigen Patienten
hochkomplex und mit hohen Risiken verbunden. mit positiven Effekten von Bupropion, Desipra-
min, Disulfiram, Modafinil, Tiagabin und Topi-
Naltrexon ramat.
5 Naltrexon ist ein μ-Opioidrezeptorantagonist und 5 Bei Angst- und Erregungszuständen im Rahmen
zur Entwöhnungsbehandlung bei Opiatabhängig- eines Kokainentzugs können Benzodiazepine ein-
keit (nach erfolgter Entgiftung) zugelassen. gesetzt werden.
5 Es besitzt kein eigenes Abhängigkeitspotenzial. 5 Bei amphetaminabhängigen Patienten wird vom
5 In der Regel handelt es sich um eine sehr gut Einsatz von SSRI aufgrund negativer Studiener-
verträgliche Substanz. Die Gabe von Naltrexon gebnisse abgeraten.
kann jedoch bei aktiv konsumierenden opiatab-
hängigen Patienten Entzugssymptome auslösen.
Vor Behandlungsbeginn sollte deshalb ein Inter- 11.2.8 Medikamente zur Behandlung
vall von 7–10 Tagen ohne Opiateinnahme gesi- von Ecstasy- und
chert sein. Eve-Abhängigkeit
5 Dosis: 50 mg täglich.
5 Die Therapie mit Naltrexon ist eine sinnvolle Zur Wirkung 7 Abschn. 28.1.5. Eine spezifische Medi-
medikamentöse Unterstützung bei der Entwöh- kation ist nicht bekannt.
nungsbehandlung von Opiatabhängigen nach 5 Bei akut auftretenden Angst- und Erregungszu-
erfolgter Opiatentgiftung bei hoch motivierten ständen sind Benzodiazepine indiziert.
Patienten mit guter Compliance und ausrei- 5 SSRI können protrahierte psychotrope Effekte,
chender sozialer Integration. z. B. Angststörungen und depressive Syndrome,
bei abstinenten Patienten mildern. Es besteht die
Clonidin Gefahr eines Serotoninsyndroms bei gleichzei-
5 Clonidin ist ein zentraler α2-Agonist. Er führt zu tigem Gebrauch beider Substanzen.
einer Aktivitätshemmung noradrenerger Neu-
rone im Locus coeruleus (wichtigstes nora-
drenerges Kerngebiet im ZNS mit hoher Opi- 11.2.9 Medikamente zur Behandlung
atrezeptordichte). Clonidin hemmt Symptome von Abhängigkeiten von
der zentralen noradrenergen Hyperaktivität wie Psychotomimetika
Tachykardie, Hypertonie, Rhinorrhö, Niesen, (LSD, Meskalin, Psilocybin)
Pupillenerweiterung, Piloerektion und innere
Unruhe. Verschiedene andere Kernsymptome des Bei diesen Substanzen sind Horrortrips und Flash-
Opiatentzugs, wie ausgeprägtes Opiatverlangen, back-Psychosen Behandlungsindikationen. Es gibt
dysphorische Stimmung, Schlafstörungen, abdo- keine spezifische Pharmakotherapie der Abhängig-
minelle und muskuläre Schmerzen werden nicht keit. Zur unspezifischen Therapie 7 Abschn. 28.1.6.
gebessert. 5 Konventionelle Antipsychotika verschlechtern
5 Clonidin kann als Entgiftungsmittel beim Opiat- den Zustand, atypische Antipsychotika sind nicht
entzugssyndrom eingesetzt werden. Damit untersucht.
besteht die Möglichkeit zum Einsatz bei einem
vorgesehenen nichtopiat-/opioidgestützten Opi-
at-/Opioidentzugs. Wegen sehr häufiger Thera- 11.2.10 Medikamente zur Behandlung
pieabbrüche ist aber eine opiatgestütze Therapie von Cannabisabhängigkeit
vorzuziehen.
Es gibt noch keine spezifische Therapie zur Proble-
matik der Cannabisabhängigkeit. Hinweise zur mög-
114 Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug
Bupropion Prävention
9 5 Bupropion ist zur Raucherentwöhnung nikotinab- Vorwiegend wird bei Kindern und Jugendlichen ver-
hängiger Patienten in Verbindung mit unterstüt- sucht aufklärende und präventive Maßnahmen einzu-
zenden motivierenden Maßnahmen zugelassen. setzen. Randomisierte und kontrollierte Studien wur-
10 5 Es ist ein kombinierter Noradrenalin- und Dopa- den vorwiegend zur Prävention von Nikotin-, Alko-
minrückaufnahmehemmer. Bupropion ist auch hol- und Cannabiskonsum durchgeführt und konnten
11 als Antidepressivum zugelassen. positive Effekte nachweisen. Dabei waren vor allem
5 Die Behandlung sollte noch während des aktiven soziale Kompetenztrainings und schulbasierte Pro-
Rauchens begonnen werden. Ab der zweiten gramme wirksam (Gilvarry 2000; Thomas u. Perera
12 Behandlungswoche sollte das Rauchen beendet 2006).
werden.
13 5 Empfohlene Behandlungsdauer: 7–9 Wochen. Therapie
5 Die Kombinationsbehandlung von Nikotinpfla- Therapeutisch konnte nachgewiesen werden, dass es
stern und Bupropion wies einen additiven Effekt durch KVT-Gruppenprogramme, Selbsthilfegruppen
14 auf. und Familientherapien zu einer Reduktion des Sub-
stanzkonsums bei Jugendlichen kam (Gilvarry 2000).
Variniclin
15 5 Kürzlich ist der partielle Agonist am nikotiner-
Bei Intoxikationen und bei starken Entzugssymp-
tomen sind medikamentöse Therapien notwendig.
gen Acetylcholinrezeptor Variniclin (Champix®) Die meisten Jugendlichen mit einer Abhängigkeits-
16 zugelassen. Durch die Verdrängung des Nikotins erkrankung zeigen kaum Entzugssymptome (Gilvar-
am Rezeptor wird die euphorisierende Tabakwir- ry 2000).
kung aufgehoben und gleichzeitig das Nikotin- Die Wirksamkeit einer Methadontherapie bei
17 entzugssyndrom gelindert. opiatabhängigen Kindern und Jugendlichen ist noch
5 Variniclin ist hochwirksam. Der abstinenzerhal- nicht endgültig geklärt (Gilvarry 2000).
18 tende Effekt scheint dem Bupropion überlegen zu
sein. Variniclin sollte aber bei affektiven Erkran- Komorbiditäten
kungen nur mit großer Vorsicht verordnet wer- Komorbiditäten wie Ängste und Depressionen sollten
19 den (7 Abschn. 5.11.5). mit SSRI und drogeninduzierte Psychosen mit Anti-
psychotika behandelt werden (Fleischhaker et al.
20 2002).
11.4 · Checkliste
115 11
11.4 Checkliste
?
1. Was ist das Mittel der ersten Wahl zur Alko-
holentgiftung?
2. Welche Medikamente haben sich bei der
Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit
bewährt?
3. Welche Vorteile bietet Buprenorphin bei der
Substitutionsbehandlung der Opiatabhän-
gigkeit?
4. Durch welche medikamentöse Darreichungs-
form lässt sich der Schwarzmarkt für Psycho-
stimulanzien vermindern?
12.1 ·
117 12
12.1 Einteilung der Partner, Voraussetzung für eine adäquate und län-
1 gerfristig erfolgreiche Behandlung (7 Abschn. 26.7).
Sexuelle Störungen konnten bis zur Einführung des Es ist bisher allerdings nicht gelungen medi-
ersten Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmers (PDE-5- kamentöse Ansätze bei den anderen sexuellen Stö-
2 Hemmer) Sildenafil nur sehr bedingt und ohne Wirk- rungen, besonders bei der Frau, zu finden.
samkeitsnachweis behandelt werden. Möglich war die
3 hormonelle Substitution bei Hormondefizit und die
Hemmung der sexuellen Aktivität durch Cyprotero-
nactetat (7 Abschn. 12.2.2 und 7 Abschn. 26.1 bis 26.3 12.2 Wirkungsmechanismus
4 und 26.5).
Beschrieben wird der Wirkungsmechanismus der für
Definition die Therapie relevanten Gruppen, den PDE-5-Hem-
5 mern und den Sexualhormonen. Weitere Ausfüh-
Zur Zeit verfügbare wichtige Präparate zur Be- rungen hierzu und zu den anderen bei Sexualstö-
6 handlung sexueller Störungen:
5 Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmer:
rungen möglicherweise wirksamen Medikamenten
finden sich bei Müller et al. (2008).
Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil
7 5 α2-Antagonist als Mittel gegen erektile
Dysfunktion: 12.2.1 PDE-5-Hemmer
Yohimbin
8 5 Orale PDE-5-Hemmer führen zu einer vermehr-
In den letzten Jahrzehnten gab es viele Ansätze über te Relaxation der glatten Muskulatur und damit
9 Veränderungen des Stoffwechsels der zentralen Neu- einer Erektionsverbesserung. Die PDE-5-Hem-
rotransmitter Dopamin und Serotonin das sexuel- mer verhindern einen Abbau der interazellulären
le Verhalten auch beim Menschen therapeutisch zu Transmitter cAMP und cGMP. Diese akkumulie-
10 beeinflussen. Die Erfolge waren, von den Anfängen ren und führen zur verbesserten Relaxation.
mit L-DOPA (Benkert et al. 1972) bis zu der vorüber- 5 Die einzelnen Schritte in der Kaskade der PDE-5-
11 gehenden Markteinführung des Dopaminagonisten Hemmern zur Regulation der Erektion sind:
Apomorphin nur marginär.
Vorübergehende Alternativen (lokale Applikation > Sexuelle Stimulation o penile NO-Ausschüttung
12 von Prostaglandinen, Schwellkörper-Autoinjektions- durch Endothel- und nonadrenerge-noncholinerge
therapie und mechanische Hilfen (wie z. B. Vakuum- Nervenzellen o Aktivierung der Guanylzyklase o
13 pumpen und Penisprothesen) haben jetzt an Bedeu- cGMP-vermittelte Verminderung des Ca-Einstroms
tung verloren und sind nur bei Kontraindikationen in die glatte Muskulatur des Corpus cavernosum o
oder Nichtansprechen auf PDE-5-Hemmer indiziert. Relaxation der glatten Muskulatur o Bluteinstrom in
14 Als weiteres Präparat ist Yohimbin, ein zentral und Cavernosum-sinusoide o Erektion.
peripher wirkender α2-Antagonist zu nennen. Yohim-
15 bin ist zwar gegen erektile Dysfunktion zugelassen, hat 5 Die endotheliale NO-Synthase synthetisiert aus
aber begrenzte Wirksamkeit und ein hohes Nebenwir- der Aminosäure L-Arginin unter Beteiligung von
kungsrisiko. Tetrahydrobiopterin, Kalzium und Calmodu-
16 Nach Vorschlag der WHO können drei Therapie- lin NO.
stufen unterschieden werden: 5 NO wirkt vor allem als Transmitter bei der zel-
5 primär: Sexualtherapie und orale Pharmakothe- lulären Kommunikation im mikrovaskulären
17 rapie, Gefäßsystem, führt zu einer Relaxation der
5 sekundär: lokale Pharmakotherapie und Vaku- glatten Muskelzellen, hemmt deren Wachstum
18 umsysteme, und blockiert die Plättchen- und Leukozytenag-
5 tertiär: Schwellkörperimplantate. gregation. Androgene und Östrogene modulieren
den Prozess.
19 Erst die Entdeckung der Wirkung der PDE-5-Hemmer
bei Erektionsstörungen führte zu einem Durchbruch
20 in der Therapie sexueller Störungen. Trotz der signifi-
kanten medikamentösen Therapieerfolge ist eine Psy-
chotherapie, wenn möglich immer unter Einbeziehen
12.3 · Allgemeine Therapieprinzipien
119 12
Cave
1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten Die Kombination mit Nitraten oder anderen NO-
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt Donatoren ist eine Kontraindikation.
. Tab. A1 im Anhang.
Tadalafil 10–20 mg 24–36 h; längste HWZ ca. 30 min bis 12 h vor Keine Anpassung der
Cialis® sexueller Aktivität Dosis im höheren Alter
oder bei Diabetes nötig
HWZ Halbwertszeit.
122 Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen
12.7 Checkliste
1 Fazit
?
Therapieempfehlung für Medikamente zur Behand-
2 lung von sexuellen Störungen 1. Welche Medikamentengruppe ist das Mittel
5 Bei Erektionsstörungen sind PDE-5-Hemmer die der Wahl bei der Pharmakotherapie der
7
12.6 Medikamente zur
8 Behandlung von sexuellen
Störungen im Kindes- und
Jugendalter
9
Von den beschriebenen Substanzen und erwähnten
Indikationen kommen für die Kinder- und Jugend-
10 psychiatrie bzw. forensische Jugendpsychiatrie nur
die Antiandrogene zur Behandlung von adoleszenten
11 Sexualstraftätern oder Straftätern mit extrem hohem
Aggressionspotenzial in Betracht. Der Testosteron-
spiegel korreliert bei Kindern und Jugendlichen posi-
12 tiv mit dem Aggressionspotenzial (Scerbo u. Kolko
1994). Bei leichteren Störungen können Straftäter mit
13 Antidepressiva oder Antipsychotika behandelt wer-
den, bei massiven Gewaltverbrechen können dann
die Antiandrogene wie Cyproteronacetat in Erwägung
14 gezogen werden (Geradin u. Thibaut 2004).
15
16
17
18
19
20
13.1 ·
123 13
Antiadiposita
13.4 Checkliste
?
1. Welche Wirkprinzipien der medikamentösen
Therapie der Adipositas kennen Sie?
14.1 ·
127 14
Atomoxetin Initial: 40 mg tgl.; ma- ADHS, aber nicht Appetitminderung, Kein Abhängigkeits-
Strattera® ximal 100 mg tgl. bei Erwachsenen Schlafstörungen potenzial
zugelassen
Methyl- Initial: 5–10 mg tgl.; ADHS, aber nicht Schlafstörungen, Appetit- HWZ 2 h; Razemat;
phenidat maximal 60 mg; bei Erwachsenen minderung, Tachykardie, BtM-pflichtig
Equasym® Bei Narkolepsie: 20– zugelassen; bei Blutdruckerhöhung
Medikinet® 30 mg tgl. Narkolepsie nur Cave: Missbrauchs- und
Ritalin® Ritalin® zuge- Abhängigkeitsrisiko
lassen
Methyl- Zunächst Dosis mit ADHS, aber nicht Wie oben Retardpräparat;
phenidat unretardiertem Prä- bei Erwachsenen Wirkdauer 12 h;
Concerta® parat herausfinden zugelassen BtM-pflichtig
Medikinet
retard®
Medikamentöse Therapie
9 Therapieempfehlung für Medikamente zur Behand- In der medikamentösen Behandlung sind Psycho-
lung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstö- stimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsaft)
auf Grund ihrer erwiesenen Wirksamkeit Medika-
10 rungen
5 Methylphenidat ist ein wirksames Medikament bei mente der ersten Wahl. Als Medikament der zwei-
ADHS, auch bei Erwachsenen. Es muss »off-label« ten Wahl wird Atomoxetin momentan angesehen,
11 verordnet werden und ist BtM-pflichtig. Es besteht bei zusätzlichen begleitenden emotionalen Auffällig-
ein Abhängigkeitsrisiko. keiten gehört es auch zur ersten Wahl. TZA, Cloni-
5 Modafinil ist bei Narkolepsie und beim Schlafapnoe- din, Modafinil und Antipsychotika sind Medikamente
12 syndrom indiziert. Es hat einen psychoanaleptischen der dritten Wahl und sollten nur angewendet werden,
Effekt. Das Abhängigkeitsrisiko ist noch nicht endgül- wenn die Medikamente der ersten und zweiten Wahl
13 tig geklärt. Es besteht BtM-Pflicht und hat ein hohes nicht wirksam sind oder starke Nebenwirkungen ver-
Nebenwirkungspotenzial. ursachen.
5 Atomoxetin muss sich als neue Therapieoption bei
14 ADHS noch bewähren. Methylphenidat und andere Psychostimulanzien
5 Natriumoxybat kann jetzt bei Narkolepsie wirksam Die Indikation zur Therapie mit Psychostimulanzien
15 eingesetzt werden. Es besteht ein strikt regulierter
Einnahmemodus.
ist gegeben, wenn die Symptomatik ausgeprägt ist
und psychoedukative, psychosoziale und psychothe-
5 »Restless-legs«-Syndrom und »periodic limb move- rapeutische Hilfen nicht umsetzbar oder nicht hilf-
16 ments in sleep« können jetzt mit mehreren dopami- reich waren.
nagonistischen Alternativen behandelt werden. Die Psychostimulanzien sind für das Kindes- und
Jugendalter zur Behandlung der ADHS zugelassen.
17 Die Behandlung sollte in der Regel mit einem schnell
freisetzenden Stimulans beginnen. Beim Methylphe-
18 nidat ist der Wirkungseintritt nach etwa 30 min für die
Dauer von etwa 4 h zu erwarten (Dosis: . Tab. 14.1).
Die Indikation für Retardpräparate ist gegeben,
19 wenn eine verlässliche Mehrfachgabe dieser Präparate
nicht möglich ist und ein stabiler Tageseffekt auf ande-
20 re Weise nicht erreicht werden kann.
Im Rahmen der längerfristigen Behandlung emp-
fiehlt es sich, durch Auslassversuche die Wirksam-
14.3 · Medikamente zur Behandlung …
131 14
Krankheitsbilder
16 Panikstörung – 155
19 Zwangsstörung – 171
23 Essstörungen – 193
24 Schlafstörungen – 199
27 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen – 221
28 Abhängigkeitsstörungen – 225
30 Schizophrenie – 243
31 Demenz – 255
Depressive Störungen
Die Vielfalt von Symptommustern, die bei depres- zu sein (7 Abschn. 4.1). Während sich die bisherigen
1 siven Störungen auftreten können, führte zu Unter- Untersuchungen zu Kandidatengenen aber primär auf
teilungen, die jeweils deskriptiv bestimmte Aspekte die Aminhypothesen der Depression bezogen, wer-
des depressiven Syndroms hervorheben, z. B. den den die neuen Untersuchungen am gesamten Genom
2 Längsschnitt (unipolar–bipolar, Dysthymie, »recur- hypothesenfrei vorgenommen (Barden et al. 2006).
rent brief depression«, Rapid Cycling), die aktuelle Die hirnmorphologischen Veränderungen sind bei
3 klinische Symptomatik (gehemmt, ängstlich–agitiert,
atypisch, melancholischer Subtyp), den Schweregrad
der Depression nicht so evident wie bei der Schizo-
phrenie (7 Kap. 30). Sie finden sich diskret im präfron-
(leichte, mittelschwere, schwere depressive Episode, talen Kortex, im limbischen System und im Hippo-
4 mit oder ohne psychotische Merkmale, Major Depres- campus. Diese Störungen werden mit den Affekt- und
sion, Minor Depression) oder das Auftreten im Rah- Antriebsstörungen depressiver Patienten in Zusam-
men anderer Störungen (bei Schizophrenien, Alkohol- menhang gebracht.
5 abhängigkeit, Demenz). Die wichtigsten Symptome Schließlich finden sich bei einer überwiegenden
der depressiven Episode werden in 7 Abschn. 15.7.1 Anzahl Depressiver eine Hyperaktivität des Hypothala-
6 beschrieben. mus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems (HPA-
Es werden zunächst die allgemeinen Richtlinien Achse) (Holsboer 2000). Eine glucokortikoidbedingte
der Pharmakotherapie der Depression dargestellt. Im Volumenreduktion des Hippocampus ist aber nicht
7 Anschluss werden in 7 Abschn. 15.7 spezielle phar- bewiesen (Müller et al. 2001). Über die Dysregulati-
makotherapeutische Empfehlungen für die einzelnen on der HPA-Achse hinaus gibt es Hypothesen zu einer
8 Untergruppen der depressiven Störung beschrieben.
Die Depressionen bei körperlichen Erkrankungen
gesteigerten zentralen Thyreotropin-Releasing-Hor-
mon (TRH)-Sekretion und auch einer Störung des
nehmen einen immer breiteren Raum ein. Unter somatotropen Systems.
9 7 Abschn. 15.8 werden auch die Zusammenhänge zwi- Mögliche Hypothesen zu neurochemischen Verän-
schen Stress und Depression, die in der biologischen derungen werden, soweit sie auch die Psychopharma-
Psychiatrie sehr wichtig geworden sind, besprochen, kotherapie betreffen, im 7 Abschn. 5.2 (Wirkungsme-
10 obwohl eine akzeptierte Pharmakotherapie für Dau- chanismus der Antidepressiva) besprochen.
erstress zur Prävention der Depression noch nicht exi- Die neurobiologische Forschung bei depressiven
11 stiert. Störungen hat aber trotz dieser vielen Ansätze noch
Die Pharmakotherapie der akuten Suizidali- nicht dazu geführt, dass kausal relevante Systeme
tät wird im Rahmen der Notfalltherapie (7 Kap. 34) identifiziert werden konnten (Holsboer 2008). So gibt
12 besprochen. Der Komplex Nebenwirkungen von es auch bis heute keinen »biologischen Marker« der
Antidepressiva und Suizidalität steht in 7 Kap. 5; unter zur Spezifizierung der Diagnose der Depression einen
13 7 Abschn. 15.7.7 finden sich Hinweise zur Suizidpro- Beitrag liefern könnte.
phylaxe.
alleinigen Psychotherapiebehandlung bei Patienten bination mit KVT. Vermehrte Nebenwirkungen wur-
1 mit einer schweren Depression. den unter der Medikation im Vergleich zur KVT nicht
Im Gegensatz dazu konnte in einer Vergleichsstu- gesehen. Bei einfachem Wechsel (also nicht unter Aug-
die (Hollon et al. 1992), in welcher depressive Pati- mentation) von dem zuerst gegeben Antidepressivum
2 enten mit Imipramin, KVT oder einer Kombinations- Citalopram auf Bupropion, Sertralin, Venlafaxin oder
therapie behandelt wurden, kein signifikanter Unter- KVT konnte kein Unterschied im Wirkungseintritt
3 schied in der Wirksamkeit von Imipramin oder KVT
gezeigt werden. Auch zeigte sich keine signifikante
gesehen werden.
Die Studie zeigt, dass bei mittelschwerer Depressi-
Überlegenheit der Kombinationstherapie (Hautzinger on, bei der im ersten Therapieschritt Citalopram nicht
4 u. de Jong-Meyer 1996). wirksam war, im zweiten Schritt sowohl andere Anti-
DeRubeis wertete in einer Metaanalyse aus dem depressiva als auch KVT wirksam sind. Zeitlich vor-
Jahre 1999 (DeRubeis et al. 1999) 4 vergleichbare kon- teilhaft gegenüber KVT sind dann allerdings in die-
5 trollierte Studien aus, u. a. die Elkin- und die Hollon- ser Studie Bupropion und Buspiron in der Augmen-
Studie. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, dass auch tation.
6 bei schweren depressiven Episoden keine signifikante
Überlegenheit der Pharmakotherapie gegenüber der Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der
Psychotherapie festzustellen sei. In einer Metaana- Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe
7 lyse von 6 kontrollierten Studien (Casacalenda et al. Neben der Akuttherapie haben sich psychotherapeu-
2002) zeigte sich bei leicht bis mittelschwer depres- tische Verfahren auch im Rahmen der Erhaltungsthe-
8 siven Patienten kein signifikanter Wirksamkeitsunter-
schied zwischen Psychotherapie (IPT oder KVT) und
rapie und der Rückfallprophylaxe als wirksam erwie-
sen. Die Wirksamkeit scheint allerdings von der Rezi-
Antidepressiva. divneigung der Patienten beeinflusst zu werden. In
9 Eine Kombinationsbehandlung aus antidepres- der großen Studie der Arbeitsgruppe aus Pittsburgh
siver Medikation und IPT oder KVT allerdings zeigte waren die Erfolge in der Rezidivprophylaxe von Pati-
sich in einer Megaanalyse von 6 Vergleichsstudien enten mit hoher Rezidivneigung unter Imipramin-
10 einer alleinigen Psychotherapie bei schweren Depres- behandlung signifikant besser als unter allen Thera-
sionen überlegen (Thase et al. 1997). pieformen ohne den Einsatz des Antidepressivums
11 (Kupfer et al. 1992).
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der In einer kürzlich veröffentlichten Studie der glei-
Akuttherapie chen Arbeitsgruppe (Frank et al. 2007) wurde bei
12 Die Studien erlauben zusammenfassend den Ein- leichter bis mittelschwerer Depression unter einer
druck, dass in der Akuttherapie eine Kombination IPT-Erhaltungstherapie einmal pro Monat ein guter
13 aus KVT und Antidepressiva einen synergistischen prophylaktischer Effekt gesehen (Beobachtung über
Behandlungseffekt haben (Kocsis et al. 2003), dies 1–2 Jahre). In dieser Studie konnte aber auch gezeigt
umso mehr, desto schwerer die Depression ist. Bei werden, dass bei den Patienten, bei denen zunächst
14 schweren Depressionen finden sich klare additive eine Pharmakotherapie mit einem Antidepressivum
Effekte der Kombination vs. Psychotherapie alleine zur Remission notwendig war, eine spätere IPT-Mono-
15 und Medikation alleine (Thase et al. 1997).
Nach einer neuen Studie bei 200 schwer depres-
therapie für die Rezidivprophylaxe unzureichend war.
Nach den Katamneseergebnissen mehrerer groß-
siven Patienten mit KVT über 16 Wochen ist KVT er kontrollierter Studien liegt ein wesentlicher Vorteil
16 allerdings nur dann so erfolgreich wie ein Antidepres- der Psychotherapie in ihrer längerfristigen Effektivi-
sivum, wenn der Psychotherapeut exzellent ausgebil- tät. Bei psychotherapeutischen Verfahren gibt es Hin-
det ist (DeRubeis et al. 2005). weise, dass eine erfolgreiche Therapie auch nach ihrer
17 Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der haben kann (Klein et al. 2004; Vos et al. 2004).
18 »second-step-therapy« Die Akutbehandlung mit KVT bzw. IPT (allein
Es wurde in der STAR-D-Studie (Thase et al. 2007) oder in Kombination mit Medikamenten) senkt die
gezeigt, dass bei mittelschwerer Depression, bei der Rückfallraten im Nachbehandlungsintervall deut-
19 der SSRI Citalopram allein nicht wirksam war, die licher als medikamentöse Akutbehandlung allein
Augmentation bzw. Kombination (sonstige Strategien (26% vs. 64% im 1-Jahres-Follow-up) (DeRubeis u.
20 7 Kap. 15.4) in einem zweiten Therapieschritt mit dem Crits-Christoph 1998).
Antidepressivum Bupropion oder dem Anxiolytikum Es wurde kürzlich gezeigt, dass es bei Beendigung
Buspiron 3 Wochen früher wirksam war als die Kom- der KVT bei 30,8% der Patienten zu einem Rückfall
15.2 · Antidepressiva und Psychotherapie
139 15
kommt, dagegen bei Absetzen des Antidepressivums renden depressiven Symptomen trotz antidepressiver
bei 76,2% (Hollon et al. 2005). Behandlung, konnte für die Kombinationsbehand-
In einer kontrollierten Studie bei älteren Patienten lung aus KVT und Antidepressiva im Vergleich zu
mit rezidivierender depressiver Störung zeigte sich einer Antidepressiva- Monotherapie gezeigt werden.
eine signifikant geringere Rückfallrate innerhalb von (47% vs. 29%) (Paykel et al. 1999).
3 Jahren unter IPT sowie ein synergistischer Effekt zur In einer neuen Langzeitstudie von der gleichen
antidepressiven Medikation mit Nortriptylin (90%ige Autorengruppe, aber über 6 Jahre, allerdings zeigt sich
Rückfallrate bei Placebo, bei IPT und Placebo 64%, ein Vorteil für die KVT nur in den ersten 3 Jahren.
bei Nortriptylin 43%, bei Nortriptylin und IPT 20%) Über diesen Zeitraum hinaus verschwindet der Vor-
(Reynolds et al. 1999). teil für KVT im Vergleich zum »klinischen Manage-
ment«, um Rückfälle zu verhindern (Paykel et al.
Wichtig 2005). Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der
Arbeit von Fava et al. 2004 bei einem ähnlichen The-
KVT und IPT sind sinnvolle Therapieansätze zur rapieziel. Der Unterschied liegt darin, dass Fava et al.
Prävention weiterer depressiver Episoden auch die Antidepressiva nach Remission abgesetzt hatten,
bei Patienten mit einem erhöhten Rückfallrisiko. während bei Paykel et al. diese weitergegeben wer-
Der medikamentöse Behandlungserfolg ist in den konnten (es waren 60%). Auch war der Anteil von
der Rezidivprophylaxe in der Regel nur so lange chronisch Depressiven bei Fava et al. geringer. Beide
gegeben, wie die Pharmakotherapie fortgeführt Studien zeigten die Bedeutung von KVT in den ersten
wird. Die Antidepressiva sollten allerdings auch Jahren. Über den Vorteil einer fortgesetzten Therapie
weiter verordnet werden, wenn sie anfänglich zu mit Antidepressiva und/oder einer Auffrischungsthe-
einer Remission geführt haben. Die psychothera- rapie (»booster session«) und/oder eines »klinischen
peutischen Verfahren haben wahrscheinlich auch Management« ist bei dieser Patientengruppe nach die-
nach ihrer Beendigung einen rezidivprophylak- sen beiden Studien noch nicht entschieden.
tischen Effekt.
Wichtig
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie der Es spricht nach der jetzigen Studienlage bei chro-
chronischen Depression (Therapieresistenz) nischer Depression aber alles für eine Fortset-
Die Studien erreichen bisher insgesamt kein hohes zung der Therapie mit Antidepressiva und nach
Evidenzniveau. einer ersten KVT für eine »booster session« nach
Die wichtigste Studie mit 681 Patienten verglich 2–3 Jahren.
über 12 Wochen psychologische Therapien mit Anti-
depressiva (SSRI). Angewandt wurde das »Cogni-
tive Behavioral Analysis System for Psychothera- Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie der
py« (CBASP). In dem Verfahren werden behaviora- Depression im höheren Lebensalter
le, kognitive und interpersonelle Strategien integriert. Es besteht ein Mangel an kontrollierten psychothera-
Die Remissionsraten lagen für CBASP bei 33%, für peutischen Studien im höheren Lebensalter. Die KVT
SSRI bei 29%, dagegen bei Kombination der beiden wurde am häufigsten untersucht; sie zeigt sich kurz
Therapien bei 48%. Der additive Effekt der Kombi- (4 Monate) und längerfristig (1 Jahr) Kontrollgrup-
nationstherapie ist signifikant (Keller et al. 2000). In pen überlegen (Hautzinger u. Welz 2004).
den Studien war ein Vorteil für CBASP besonders für Auch die Reminiszenztherapie (d. h. Lebens-
Angstsymptomatik, sexuelle Dysfunktion und Verbes- rückblicktherapie, diese beinhaltet Bearbeitung aller
serung des sozialen Funktionsniveaus zu erkennen. Lebensabschnitte mitsamt ihren Höhen und Tiefen)
Patientinnen mit Kindheitstraumata (körper- scheint wirksam zu sein (de Jong-Meyer et al. 2007;
licher oder sexueller Missbrauch, früher Elternverlust, Bohlmeijer et al. 2003). In einer neuesten Studie bei
familiäre und soziale Vernachlässigung) profitierten Patienten über 70 Jahre allerdings war über einen Zeit-
besonders von der Psychotherapie. In dieser Gruppe raum von 2 Jahren Paroxetin (plus »clinical manage-
schnitt Pharmakotherapie schlechter, die Kombina- ment«) der IPT (plus Placebo) und Placebo (plus IPT)
tionstherapie aber etwas besser als CBASP alleine ab signifikant überlegen (Reynolds et al. 2006).
(Nemeroff et al. 2003).
Einen langfristigen Benefit und eine signifikant
geringere Rückfallrate bei Patienten mit persistie-
140 Kapitel 15 · Depressive Störungen
Rückfall Rezidiv
Zeit
Wichtig
1 Indikation für eine Rezidivprophylaxe
Ziel einer antidepressiven Therapie ist das Errei- Die Indikation für eine Rezidivprophylaxe ist
chen einer Vollremission. Depressive Residual- gegeben, wenn
2 symptome sind ein hohes Risiko für einen Rück- 5 eine dritte Episode aufgetreten ist;
fall. Deswegen sind Erhaltungstherapie und die 5 zwei Episoden in 5 Jahren aufgetreten sind;
3 Rezidivprophylaxe bei einem phasenhaften Ver-
lauf in der Regel indiziert. Auch bei einer ersten
5 über eine weitere schwere Episode innerhalb
der letzten 3 Jahre berichtet wird;
depressiven Episode sollte eine Erhaltungsthera- 5 eine weitere Episode und eine positive Fami-
4 pie über mindestens 6 Monate erfolgen. lienanamnese einer bipolaren Störung oder
einer rezidivierenden Depression bestehen.
5 Erhaltungstherapie Die Indikation wird weiter erhärtet, wenn
5 Nach der Akuttherapie beginnt die Erhaltungs- 5 zusätzlich die Störung vor dem 30. Lebens-
6 therapie. In dieser Phase, für die eine Länge von jahr begann;
5 gleichzeitig eine »Doppeldepression«
6 Monaten und bis zu einem Jahr diskutiert wird,
soll einem Rückfall vorgebeugt werden. Restsym- (7 Abschn. 15.7.2) oder eine Angststörung
7 ptome sollten nicht mehr vorhanden sein (es ist vorhanden ist;
davon auszugehen, dass typische unbehandelte 5 noch Restsymptome während der Erhal-
tungstherapie verblieben sind.
8 depressive Episoden 6 Monate lang andauern).
5 Es ist wichtig, dass die Dosierung, die in der
Akuttherapie zum Erfolg geführt hat, auch beibe-
9 halten wird. 5 Für den Erfolg sind eine gute Psychoedukation
5 Der Behandlungserfolg sollte in mindestens 2- und Compliance entscheidend. Der Hintergrund
monatigen Konsultationen kontrolliert werden. einer langfristigen medikamentösen Behandlung
10 nach Abklingen der subjektiven Beschwerden
Wichtig muss dem Patienten sorgfältig erläutert werden,
11 5 Eine mindestens 6-monatige Erhaltungs-
um die Compliance zu sichern. Dem Patienten
muss spätestens jetzt ein tragfähiges Krankheits-
therapie kann beendet werden, wenn keine modell vermittelt werden, das ihm eine Erklä-
12 weitere Episode anamnestisch bekannt ist rung für die Notwendigkeit langfristiger Medika-
oder eine leichte Episode mehr als 5 Jahre menteneinnahme bei bereits überwundenen psy-
zurückliegt.
13 5 Eine Erhaltungstherapie darf nicht beendet
chischen Beschwerden gibt (7 Abschn. 15.1).
5 Die rezidivprophylaktische Wirkung der Antide-
werden, wenn die Akuttherapie nicht zur pressiva wurde durch einige prospektive Lang-
14 vollständigen Remission geführt hat. zeitstudien belegt. Die bekannteste randomisier-
te Studie (Kupfer et al. 1992) zeigte einen kla-
15 Rezidivprophylaxe
ren Vorteil für Imipramin im Vergleich zu IPT
bei der rezidivierenden Depression. In einer neu-
Die Rezidivprophylaxe der unipolaren Depression en methodisch gut durchdachten Studie mit
16 setzt nach erfolgreicher Akut- und Erhaltungsthera- 299 Patienten mit mindestens 3 depressiven Epi-
pie ein. Sie dauert mindestens 3 Jahre, oft auch lebens- soden in den vergangenen 4 Jahren lag die Zahl
lang. der Rückfälle unter dem SSRI Sertralin (50 und
17 5 Die Weiterführung einer Pharmakotherapie mit 100 mg) signifikant mit 16% unter Placebo mit
Antidepressiva sollte immer die Grundlage der 33% (Lepine et al. 2004). In einer ähnlichen Stu-
18 Rezidivprophylaxe sein. die mit 139 rezidivierenden unipolaren depres-
siven Patienten hatten 27% unter dem SSRI Esci-
talopram und 65% unter Placebo einen Rückfall.
19 Auch unter einer Mirtazapin- bzw. Venlafaxin-
Langzeittherapie kam es zu selteneren Rückfällen
20 in anderen Studien.
15.5 · Ungenügende Response, Therapieresistenz und chronische Depression
143 15
5 Lithium (7 Kap. 6) ist bei unipolarem Verlauf tome im Verlauf einer unipolaren Erkrankung
den Antidepressiva ebenbürtig, besonders gibt es häufig sind und durch psychotherapeutische
gute Hinweise, dass das Suizidrisiko unter Lithi- Intervention in der Regel schnell abgefangen wer-
um sinkt. Aus Gründen der Verträglichkeit und den können
Praktikabilität wird Lithium aber im Routinefall
seltener als Antidepressiva bei dieser Indikation
angewandt. Der Lithiumspiegel sollte zwischen 15.5 Ungenügende Response,
0,6 und 0,8 mmol/l liegen. Therapieresistenz und
5 Da bei einer langfristigen Behandlung das chronische Depression
Nebenwirkungsprofil für die Compliance eine
große Rolle spielt, sind die Vorteile der neueren Über 30% der depressiven Patienten profitieren kli-
Antidepressiva gegenüber den trizyklischen Anti- nisch nicht in ausreichendem Maße von einem ersten
depressiva (TZA) in dieser Indikation besonders Therapieversuch von 8 Wochen mit einem Antidepres-
zu nutzen. sivum; d. h. es ist nicht zu der gewünschten Remissi-
on gekommen. Auch nach einem zweiten Versuch tritt
Die Rezidivprophylaxe sollte in einem 2- bis 3-mona- bei einem Teil dieser Nonresponder keine Remission
tigen Abstand kontrolliert werden. ein. Schließlich verbleibt auch nach mehreren Thera-
pieversuchen eine Restgruppe chronisch Depressiver
Cave von ca. 15%.
3 R e s p o n se
4 P a r t ie l l e
50%
R e s p o n se
5 Non -
R e s p o n se
25%
6 Z e it
7 B e g in n d e r B e h a n d l u n g
Augmentation:
Konsequente Kombination:
Dosiserhöhung AD + Lithiuma
Psychotherapie Wechsel des AD SSRI/Venlafaxin +
erwägen AD + SD-Hormone
Mirtazapin
AD + AAP
Keine Besserung
EKB
. Abb. 15.3. Wichtigste Maßnahmen bei unzureichendem pische Antipsychotika, a 7 Abschn. »Augmentations-und
Therapieerfolg. AD Antidepressivum, PT Psychotherapie, SE Kombinationsstrategien«. (Aus Benkert u. Hippius 2007)
Schlafentzug, SD-Hormone Schilddrüsenhormone, AAP aty-
Wirkung des Antidepressivums, lohnend. Der onen (therapieresistente Depression) ist es allei-
Effekt ist unmittelbar am Folgetag beobachtbar; niger Pharmakotherapie überlegen. Der Vorteil
er hält allerdings meist nur kurzfristig an. der EKB liegt im raschen Therapieerfolg.
5 Die Behandlung erfolgt meist in Serien (1- bis 2- 5 Wichtigste Indikationen sind die schwer
mal pro Woche). Die Patienten wachen entwe- gehemmte Depression (auch mit Suizidalität), die
der die ganze Nacht oder die zweite Nachthälfte Depression mit psychotischen Merkmalen und
durch. Die Durchführung in Gruppen erleichtert die therapieresistente Depression.
das Wachbleiben. 5 Die Behandlung erfolgt, bevorzugt stationär, in
5 Während der Schlafentzugsnacht und am Fol- Serien von 6–12 Sitzungen.
getag darf keine (auch nicht vorübergehende) 5 Die EKB wird in der Regel parallel zu der beglei-
Schlafperiode eintreten. tenden antidepressiven Therapie eingesetzt.
bei Depressionen um das Doppelte; bis auf Elek- auch zu den unterschwelligen Depressionen gezählt,
trokonvulsionstherapie (EKT) war die Besse- sollte aber wegen der schwierigen Behandlungsmög-
rungsrate schlecht (Newton-Howes 2006). lichkeit eine Sonderstellung einnehmen. Bislang ist
keine befriedigende antidepressive Pharmakothera-
pie etabliert. Psychologische Intervention ist in jedem
15.7.2 Dysthymie und Double Falle indiziert.
Depression Rapid Cycling 7 Abschn. 5.4.
14
15 Dauerstress Depression
. Abb. 15.4. Zusammenhang zwischen
Dauerstress/Depression und Folgekrank-
heiten. (Nach Benkert 2005)
16 Imbalanz des
Fehlregulation der
Symphatikus-Parasymphatikus-
Stresshormon-Achse
17 Systems
18 5 Viszerale Adipositas
5 Pulsfrequenz ↑
Störung der 5 Ventrikuläre Arrythmie ↑
5 Erhöhte Insulinresistenz
5 Herz-Frequenz-Variabilität ↓
19 5 Hypertonie Hämostase
5 QT-Variabilität ↑
20
Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
15.8 · Depression und Stress
151 15
5 Die Behandlung mit TZA im Alter ist besonders SSRI auch bei Dauerstress therapeutisch wirk-
risikoreich (u. a. Herzrhythmusstörungen) und sam sein.
sollte vermieden werden. 5 Wahrscheinlich kommt es auch zu einer ver-
5 Bei vielen Hauterkrankungen (Akne, Psoria- minderten Ausschüttung des gefäßerweiternden
sis, Urtikaria) wird eine Komorbidität mit der Transmitters Stickoxid.
Depression gesehen. Antidepressiva sind wirk-
sam. Die H1-Blockade (bei Amitriptylin) kann Zum Thema der Bedeutung des Serotoninrezeptors
man bei Pruritus und Urtikaria auch ohne ist im Jahre 2003 die Arbeit von Caspi et al. (2003)
depressive Symptomatik nutzen. erschienen. Sie legt gleichzeitig empirische Daten
zur Interaktion von Genotyp, Umwelt und Depres-
sion vor. Die Autoren konnten nachweisen, dass die
Kurzform des Promotors des 5-HT-Transporte-Gens
15.8 Depression und Stress (s/s) für die veränderte Stresssensitivität verantwort-
lich ist. Individuen mit diesen 2 kurzen Allelen (s/
Wie eng Dauerstress und Depression zusammenhän- s) entwickelten im Gegensatz zu Individuen mit lan-
gen, wurde schon an den gemeinsamen körperlichen gen Allelen (l/l) signifikant häufiger depressive Sym-
Folgekrankheiten gezeigt (7 Abschn. 15.7). Aber die ptome auf mehrere stressreiche Lebensereignisse. Es
depressiven Symptome (und die Angstsymptome) wird vermutet, dass der l/l-Genotyp weniger stress-
sind auch von den Stressreaktionen auf der körper- empfindlich gegen Stressoren ist. Die Befunde sind im
lichen Ebene, der Verhaltensebene und der kognitiv- Kern mehrfach bestätigt.
emotionalen Ebene kaum auseinander zu halten und
schließlich sind die Stress- und die Depressionsphy- Burnout-Syndrom
siologie auf vielen Abschnitten identisch (Holsboer Das Erschöpfungssyndrom oder Burnout-Syndrom
2000). Man muss davon ausgehen, dass bei der Depres- hat seine Ursachen im Dauerstress mit den gleichen
sion – zumindest für den großen Teil der Depression, Risiken für Folgekrankheiten, besonders den Herz-
die durch Stress verursacht oder durch Stress ausge- Kreislauf-Erkrankungen. Menschen in helfenden
löst ist – primär eine Kontrollstörung der Stressphy- Berufen sind besonders gefährdet. Die Klassifikation
siologie vorliegt (Benkert 2005). Es werden dafür ver- erfolgt in der ICD-10 in einer Z-Kategotie (Probleme
antwortlich gemacht: verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensgestal-
5 Die stressinduzierte Corticotropin-releasing- tung). Im Vordergrund stehen:
Hormon- (CRH-)Hyperaktivität und der ver- 5 Körperliche Erschöpfung mit Energieman-
mehrter Kortisolumlauf bei fehlregulierter HPA- gel, chronische Müdigkeit, Schwächegefühl und
Achse; CRH selbst führt bei Tieren zu depressi- somatoforme Störungen
onsähnlichem Verhalten und Angstzuständen. 5 Emotionale Erschöpfung mit Depression, innerer
5 Das durch Stress konstant aktivierte nora- Leere und Reizbarkeit
drenerge/adrenerge System, das zu Arousal- 5 Geistig Erschöpfung mit Leistungseinbußen, Kre-
und Vigilanzsteigerung und schließlich gestei- ativitätsmangel und dem Gefühl der Sinnlosigkeit
gertem Angstverhalten führt. Dauerstress führt 5 Soziale Erschöpfung mit sozialem Rückzug, dem
schließlich zur Erschöpfung des Noradrenalinsy- Empfinden ausgesaugt zu werden und dem Risi-
stems. Die noradrenerge Hypoaktivität geht mit ko, dass sich der Dauerstress im Arbeitsbereich
motorischer Verlangsamung, kognitiver Hem- auch auf andere Lebensbereiche (Familie, Part-
mung und emotionaler Verarmung einher und ist nerschaft) überträgt.
schließlich von einer Depression nicht mehr zu
unterscheiden. Noradrenalinaktivierende Anti- Psychologische Therapien (Stressbewältigung) ste-
depressiva könnten kompensatorisch eingesetzt hen im Vordergrund. Eine Pharmakotherapie ist nicht
werden. etabliert. Ein »Off-label«-Versuch mit Antidepressiva
5 Eine Dysfunktion des Serotoninrezeptorsystems. kann indiziert sein.
Allerdings sind die Zusammenhänge komple-
xer, als wir sie von der Serotoninhypothese der
Depression (7 Kap. 5.2) (und der Angst) kennen.
Unter anderem senken erhöhte Kortisolspiegel
die Serotoninsynthese. Hypothetisch könnten,
wie bei der Depression und den Angststörungen,
152 Kapitel 15 · Depressive Störungen
15.9 Behandlung depressiver ton et al. (2004) hervor. Dort wird Fluoxetin als
1 Störungen im Kindes- und einzig wirksames SSRI bei Kindern und Jugend-
Jugendalter lichen herausgestellt. Fluoxetin ist deshalb seit
kurzem ab dem Alter von 8 Jahren bei mittelgra-
2 Bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven Stö- digen bis schweren Episoden einer Major Depres-
rungen sind entwicklungs- und altersabhängige Sym- sion in Kombination mit Psychotherapie zugelas-
sen (7 Abschn. 5.12).
3 ptome zu beachten. Gerade bei Kindern wird man
meistens den Verlauf abwarten müssen, um die Dia-
gnose sicherstellen zu können. Kinder mit depressiven Nichtmedikamentöse biologische
4 Störungen weisen häufig eine Verleugnungstendenz Therapieverfahren
und ein großes Schamgefühl auf. Auch gesunden Kin- Die nichtmedikamentösen, biologischen Therapiever-
dern fällt es teilweise schwer, sich über ihre Befindlich- fahren der Depression wurden nur teilweise bei Kin-
5 keit zu äußern. Deshalb ist die Beobachtung von non- dern und Jugendlichen untersucht. Für den Schlaf-
verbalen Signalen, z. B. im Spiel-, Ess- und Schlafver- entzug zeigen sich bei jugendlichen Patienten ähn-
6 halten, wichtig. Je nach Alter bzw. Entwicklungsstand liche Ergebnisse wie für Erwachsene. Naylor et al.
unterscheidet sich die Symptomatik teilweise erheb- (1993) entzogen 17 psychiatrisch erkrankten jugend-
lich. Im Gegensatz zu den depressiven Störungen im lichen Patienten für 36 h den Schlaf. Sie fanden, dass
7 Erwachsenenalter, sind bei Kindern und Jugendlichen die schwer depressiven Jugendlichen sich signifikant
chronische Störungen, mit zunehmender und abneh- hinsichtlich der depressiven Symptomatik besserten,
8 mender Symptomatik, die mit langen Krankheitsepi-
soden, hohen Rückfallraten und großen psychosozi-
während depressive Patienten in Remission oder psy-
chiatrische Kontrollpatienten sich verschlechterten.
alen Einschränkungen einhergehen, häufig (Pine et al. Im Gegensatz zu Erwachsenen blieb der Effekt nach
9 1999; Schulte-Markwort u. Forouher 2005). der Erholungsnacht bestehen.
In einer doppelblind placebokontrollierten Studie
Pharmakotherapie und Psychotherapie konnten Swedo et al. (1997) zeigen, dass es bei Kin-
10 Genauso wie im Erwachsenenalter gilt bei depressiven dern und Jugendlichen mit SAD zu einer signifikanten
Syndromen im Kindes- und Jugendalter, dass bei mit- Stimmungsverbesserung unter Lichttherapie kam.
11 telgradigen und schweren depressiven Episoden sowie Seit der initialen Administration der EKT bei
dann später während der Erhaltungstherapie und Jugendlichen ist diese Behandlung kontrovers betrach-
Rezidivprophylaxe eine Kombination aus antidepres- tet worden. Insgesamt werden EKT bei Kindern und
12 siver Pharmakotherapie und Psychotherapie erfolgen Jugendlichen nur sehr selten angewandt und machen
sollte. In der Akutphase schwerer depressiver Syn- nur ca. 1% aller EKT aus. Die Responserate ist aber
13 drome ist die medikamentöse Therapie führend. generell sehr hoch.
Verschiedene Übersichten (Reinecke et al. 1998; Die repetitive transkranielle Magnetstimulati-
Michael u. Crowley 2002; Compton et al. 2004; Mufson on (rTMS) ist bei Kindern und Jugendlichen so gut
14 et al. 2004) bestätigen die Wirksamkeit von Psycho- wie nicht untersucht, es finden sich nur einige Fall-
therapie (vor allem KVT, doch auch IPT) gegenüber berichte.
15 verschiedensten Kontrollbedingungen, sowie auch
gegenüber antidepressiver Pharmakotherapie.
Die Vagusnervstimulation ist nur bei Kindern
und Jugendlichen mit Epilepsie untersucht. Bei diesen
5 Eine große Studie an 493 Jugendlichen mit Major Studien konnte unter der Vagusnervstimulation auch
16 Depression über 12 Wochen zeigte aber, dass mit eine Verbesserung der Stimmung festgestellt werden
dem Antidepressivum Fluoxetin höhere Remissi- (Martinez et al. 2005).
onsraten (60%) als mit KVT (43%) erzielt werden Bei therapieresistenten depressiven Syndromen
17 konnten; es waren beide aktive Therapien deut- im Jugendalter kommen auch Augmentationsstra-
lich wirksamer als Placebo (35% Remissionsrate). tegien wie die zusätzliche Behandlung mit Lithium
18 Das beste Ergebnis wurde jedoch mit der Kombi- oder Schilddrüsenhormonen, medikamentöse Kom-
nation von Fluoxetin und KVT (71% Remission) binationstherapien oder die zusätzliche Anwendung
erzielt, was auch im Hinblick auf die Suizidalität der oben beschriebenen nichtmedikamentösen, bio-
19 galt. Es wird diskutiert, dass Fluoxetin möglicher- logischen Therapieverfahren in Betracht (Sharan u.
weise eine wirksame Sonderstellung bei der anti- Saxena 1998).
20 depressiven Pharmakotherapie von Kindern und
Jugendlichen einnimmt (March et al. 2004). Dies
geht auch aus der Metaanalyse von Whitting-
15.10 · Checkliste
153 15
15.10 Checkliste
?
1. Viele Patienten stehen Psychopharmaka skep- 8. Wann sollte bei einer unipolaren depressiven
tisch gegenüber, insbesondere bei schweren Störung eine medikamentöse Rezidivprophylaxe
Depressionen sind sie aber unverzichtbar. Welche durchgeführt werden? Welche Rolle spielen
Möglichkeiten zur Förderung der Compliance im psychotherapeutische und psychoedukative
Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans kennen Interventionen?
Sie? 9. Welche Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe bei
2. Wie ist bei der Behandlung der schweren Depres- der unipolaren depressiven Störung kennen Sie?
sion eine Kombinationstherapie von Psycho- 10. Welche Behandlungsoptionen gibt es, wenn ein
therapie (KVT, IPT) und Antidepressiva anhand erstes Antidepressivum nicht zu ausreichendem
der derzeitigen wissenschaftlichen Datenlage zu Therapieerfolg führt?
beurteilen? 11. Was versteht man unter dem Begriff der Augmen-
3. Welche der modernen Antidepressiva sind bei tation, welche Möglichkeiten kennen Sie?
der leichten Depression zu bevorzugen, welche 12. Welche Rolle spielen Benzodiazepine in der
bei der schweren Depression? Depressionsbehandlung, welche Stärken haben
4. Welche Antidepressiva zeigen einen schnellen sie, wo liegen Gefahren?
Wirkungseintritt in den ersten beiden Wochen? 13. Was antworten Sie einem Patienten, wenn er
Welche Bedeutung hat eine individuelle Besse- befürchtet unter einem Antidepressivum eine
rung von ca. 20% in den ersten beiden Wochen Abhängigkeit zu entwickeln?
für den weiteren Behandlungsverlauf? 14. Welche Zusatztherapien neben der medikamen-
5. Einzelne Symptomkomplexe einer Depression tösen und der psychotherapeutischen Behand-
können, je nach pharmakologischem Wirkprofil lung von depressiven Störungen gibt es?
des Antidepressivums, unterschiedlich schnell 15. Bei schweren körperlichen Erkrankungen treten
auf die Behandlung ansprechen. Welche Bei- gehäuft depressive Störungen auf; eine Depressi-
spiele kennen Sie? on wiederum begünstigt körperliche Folgekrank-
6. Wie ist das Risiko für ein Rezidiv nach einer heiten. Welche Beispiele kennen Sie?
ersten depressiven Episode einzuschätzen? Was 16. Als ein Risikofaktor für die Entstehung einer
bedeutet das für die pharmakologische, aber Depression wird Dauerstress diskutiert, welche
auch für die psychotherapeutische Behandlung? Befunde kennen Sie?
7. Was verstehen sie unter dem Begriff »Erhal- 17. Welche Therapie gilt als erste Wahl bei Kindern
tungstherapie«, wie lange sollte sie fortgeführt und Jugendlichen mit mittelgradigen und
werden? schweren depressiven Episoden?
16.1 ·
155 16
Panikstörung
Die Panikstörung ist gekennzeichnet durch rezidi- verschiedene Neuropeptide und Steroide fehlregu-
1 vierende, paroxysmal auftretende Angstzustände liert zu sein (Bandelow et al. 2006; Wiedemann et al.
mit vegetativen Begleitsymptomen (Herzklopfen, 2008).
Atemnot, Schwindel, Übelkeit). Unter Panikatta- Serotonin-Neurone haben in den Raphe nuclei
2 cken versteht man eine Zeitspanne intensiver Angst einen hemmenden Einfluss auf noradrenerge Neu-
oder Unbehagens, welche mit mindestens 4 von rone im Locus coeruleus. Selektive Serotoninrück-
3 14 körperlichen oder psychischen Symptomen ein-
hergeht. Üblicherweise erreicht eine Panikatta-
aufnahmeinhibitoren (SSRI) vermitteln sehr unter-
schiedliche und entgegengesetzte Effekte auf die
cke ihr Maximum innerhalb von 10 min und dau- Angst: Stimulation des 5-HT1A-Rezeptors löst eher
4 ert ca. 30–45 min an. Initial tritt die Panikattacke anxiolytische, Stimulation des 5-HT2A/2C-Rezeptors
oft unerwartet (spontan) auf, später wird sie auch eher anxiogene Effekte aus. Die Aktivierung des Locus
durch angstvoll besetzte Situationen ausgelöst. Oft coeruleus führt zu einer erhöhten Freisetzung von
5 bildet sich parallel ein Vermeidungsverhalten/Ago- Noradrenalin mit den Folgen eines erhöhten Blut-
raphobie aus. Die Agoraphophie kann nach neue- drucks und einer erhöhter Herzfrequenz. Der Nucleus
6 ren Untersuchungen aber auch den Panikattacken paraventricularis des Hypothalamus führt zu einem
vorausgehen (Bienvenu et al. 2006). Da im Rahmen Anstieg der Aktivität des endokrinen Stresshormon-
der Panikstörung vielfältige körperliche Symptome, systems mit einer erhöhten Freisetzung von Cortico-
7 auch isoliert, auftreten, wird die psychiatrische steroiden. Der noradrenerge α2-Rezeptorantagonist
Ursache dieser Krankheit oft viel zu spät oder gar Yohimbin kann Panikattacken über eine erhöhte Ver-
8 nicht erkannt (Maier et al. 1985; Frommberger et al.
1993). Die häufigsten Symptome der Panikstörung
fügbarkeit von Noradrenalin provozieren. Schließlich
verstärken Benzodiazepine die Wirkungen des inhibi-
sind in . Abb. 16.1 dargestellt. torischen Transmitters GABA.
9 Die gesicherte Wirksamkeit von trizyklischen All diese Befunde unterstützen die Hypothese,
Antidepressiva bei Angsterkrankungen ist lange dass Panikattacken in Hirnstammkernen generiert
bekannt (Klein u. Fink 1962). Das klinische Anspre- werden. Diese werden dort durch eine serotonerge und
10 chen auf Imipramin war die Grundlage für die immer noradrenerge Neurotransmission kontrolliert, ähnlich
noch gültige Klassifikation der Angsterkrankungen, wie einige wichtige basale Funktionen des Organis-
11 die damals zur Abgrenzung der Panikstörung von der mus zur Steuerung des Kreislaufs, der Atmung oder
generalisierten Angststörung (7 Kap. 17) führte. des Säure-Basen-Haushalts. Die Folge ist eine basale
Aktivierung des Sympathikus, die aber bei Panikatta-
12 Neurobiologie der Angst. Im Zentrum der neurobio- cken nicht regelhaft mit einer Aktivierung des Stress-
logischen Hypothesen stehen, insbesondere in Bezug hormonsystems und des autonomen Nervensystems
13 auf die verfügbaren Psychopharmaka zur Behandlung einhergeht (Kellner u. Wiedemann 1998).
der Panikstörung, Funktionsstörungen im Serotonin- Die Aktivität des hypothalamisch-hypophysär-
Noradrenalin- und GABA-System. Zusätzlich scheinen adrenalen (HPA) Systems wird durch verschiedene
14
15 . Abb. 16.1. Symptome bei der Panikstö-
rung. (Aus Rupprecht u. Möller 2008)
16
17
18
19
20
16.2 · Therapie
157 16
5 β-Rezeptorenblocker sind bei Angsterkran- 5 Die Kombinationstherapie mit KVT und Antide-
kungen nicht wirksam. Sie schwächen aber die pressiva ist nach einer neuen Studie auch bei der
vegetativen Begleiterscheinungen der Angst ab. unkomplizierten, akuten Panikstörung geringfü-
5 Eine Ausnahme scheinen Angstsyndrome, deren gig günstiger als die alleinige Therapie mit Anti-
Ursache auf kardiovaskulären Erkrankungen mit depressiva oder der alleinigen KVT einzuschät-
erhöhter Herzfrequenz, z. B. bei Mitralklappen- zen (Furukawa et al. 2006).
prolaps, zu sein (Zwanzger et al. 2000). 5 Bei schwerer oder chronischer Panikstörung, ins-
5 β-Rezeptorenblocker werden häufig als Einmal- besondere mit einer komorbiden Depression,
gabe bei psychischen Stresssituatinen wie Lam- sollte immer die medikamentöse Therapie mit
penfieber, Redner- und Prüfungsangst eingesetzt. einer KVT angestrebt werden (Linden 2005).
Der wissenschaftliche Nachweis dieser Wirkung
ist nicht überzeugend.
Fazit
14
15
16
17
18
19
20
17.1 ·
161 17
Generalisierte Angststörung
therapie gegenüber der Pharmakotherapie fest- 5 Benzodiazepine sind auch bei allen anderen Formen
1 gestellt werden (Lader u. Bond 1998; Mitte et al. der GAD sehr wirksam, sollten aber wegen der über-
2005); dabei waren Benzodiazepine in der Regel wiegenden Nachteile nur zu Beginn der Therapie bei
die Vergleichssubstanzen (Gould et al. 1997). schweren Erkrankungen eingesetzt werden.
2 5 Nur in Analogie zu den anderen Angsterkran-
kungen kann geschlossen werden, dass bei leich-
3 ter und mittelschwerer GAD ohne chronische
Entwicklung primär KVT indiziert ist. Bei 17.3 Behandlung der GAD im
schwerer und chronischer GAD kann allein, bes- Kindes- und Jugendalter
4 ser aber in Kombination mit KVT, ein Antide-
pressivum verordnet werden. GAD im Kindesalter ist gekennzeichnet durch exzes-
5 In einer neuen Studie bei Patienten über 60 Jahre sive und unkontrollierbare Sorgen über verschiedene
5 mit gemischten Symptomen von GAD, Phobien Abläufe und Aktivitäten im täglichen Bereich. Der
und depressiven Störungen war ein SSRI (Sertra- Verlauf ist nicht selten chronisch und es liegen häu-
6 lin) KVT überlegen (Schuurmans et al. 2006). fig Komorbiditäten vor. Therapie der ersten Wahl bei
5 Obwohl die psychodynamische Psychotherapie der leichten bis mittelschweren GAD ist die KVT. Bei
gerade bei der GAD immer noch häufig ange- schweren oder chronischen Formen sollte gleich zu
7 wandt wird, sind abgesicherte Evalutionsstudien Beginn der Behandlung ein SSRI gegeben werden. Es
nicht vorhanden. sollte dann auch eine Kombination mit KVT erfolgen
8 (Hudson et al. 2005).
17.4 Checkliste
?
1. Welche Psychopharmaka sind Mittel der
ersten Wahl zur längerfristigen Behandlung
der GAD?
2. Ab wann ist bei den SSRI und dem dualen
Antidepressivum Venlafaxin mit einem
Wirkungseintritt zu rechnen?
3. Welche Medikamente zeigen in Notfallsitua-
tionen eine gute und schnelle anxiolytische
Wirkung?
4. Ab wann ist ein Wirkungseintritt bei einer
Behandlung mit dem nichtsedierenden
Anxiolytikum Buspiron zu erwarten?
5. Welche Vorteile bieten Antidepressiva und
das Anxiolytikum Buspiron gegenüber den
Benzodiazepinen?
6. Über welchen Zeitraum sollte eine Be-
handlung der GAD mit Antidepressiva oder
Buspiron erfolgen?
7. Wann ist bei der Behandlung der GAD eine
Kombinationstherapie aus KVT und einem
Antidepressivum sinnvoll?
18.1 ·
167 18
Phobische Störungen
durchaus eine längere Therapie angebracht. In 5 Bei den anderen phobischen Störungen konnte eine
einer Studie war die Rezidivneigung unter Erhalt generelle Überlegenheit oder Unterlegenheit der
des SSRI deutlich geringer als in der Gruppe, in Kombination von Psychotherapie und Psychophar-
der das Antidepressivum abgesetzt wurde (Stein makotherapie gegenüber der alleinigen Verhaltenst-
et al. 1998). herapie nicht festgestellt werden. Es fehlen aussage-
5 Antidepressiva sollen sehr langsam über Wochen kräftige Vergleichsstudien.
abgesetzt werden. 5 Sollen bei phobischen Störungen Anidepressiva ge-
5 Stehen bei der sozialen Phobie körperliche Sym- geben werden, sind Escitalopram (SSRI) oder Venlafa-
ptome wie Zittern oder Schwitzen im Vorder- xin (duales Antidepressivum) Mittel der ersten Wahl.
grund, werden oft β-Rezeptorenblocker gegeben 5 Bei Response sollte das Antidepressivum mindestens
(7 Abschn.. 16.2.3); der Wirksamkeitsnachweis ist 6–12 Monate weiter gegeben werden.
aber keineswegs überzeugend. 5 Bei nicht voller Remission kann ein anderes Antide-
5 Die Therapie der Agoraphobie ist identisch mit pressivum oder Buspiron, ggf. auch ein Benzodiazipin
der Therapie der Panikstörung (7 Abschn. 16.2). hinzu gegeben werden. Bei Non-Response sind
ähnliche Strategien, wie bei der therapieresistenten
Cave Depression (7 Kap. 15), anzuwenden.
Zwangsstörung
Eine Zwangsstörung ist gekennzeichnet durch wieder- Insgesamt bieten beide Therapieformen zwangs-
1 kehrende, als unsinnig oder quälend erlebte Zwangs- kranken Menschen eine große Hilfe, die Responder-
gedanken und/oder -handlungen. Zwangsgedan- raten sind aber insgesamt noch nicht befriedigend.
ken betreffen besonders aggressive, religiös-blasphe- Bei starker sozialer Isolierung sind psychosoziale
2 mische, sexuelle Gedankeninhalte; ferner Themen der Maßnahmen angebracht.
Symmetrie, Kontamination und des Hortens. Zwangs- Der psychoanalytische Erklärungsansatz war jahr-
3 handlungen umfassen Kontroll-, Ordnungs-, Zähl-,
Wiederholungs-, Reinigungs- und Sammelzwänge.
zehntelang attraktiv. Zwar können Zwangspatienten
hinsichtlich verschiedener Begleitsymptome durch-
Es wird diskutiert, ob nicht eine größere Gruppe aus von einer psychodynamischen Psychotherapie
4 von Krankheiten mit zwangsähnlichen Phänomenen profitieren, für die eigentlichen Zwangstörungen ist
eher zu den Zwangskrankheiten gezählt werden aber ein Wirksamkeitsnachweis bisher nicht erbracht
sollten (»obsessive compulsive spectrum disorder«). (Benkert u. Lenzen-Schulte 2004).
5 Für sie gibt es ähnliche neurobilogische Hypothesen Es besteht eine hohe Komorbidität von depres-
und Therapiestrategien. Dazu gehören insbesondere siven Störungen und Angststörungen. Bei dieser Kon-
6 Impulskontrollstörungen mit aggressiven und sexu- stellation sollte immer frühzeitig ein Antidepressivum
ellen Impulsen (7 Kap. 29), Tics und das Gilles-de-la- gegeben werden. Die Zwangsstörung sollte diagnos-
Tourette-Syndrom (7 Kap. 32). tisch von der ichsyntonen anankastischen Persönlich-
7 keitsstörung getrennt werden.
Neurobiologie der Zwangsstörung. Der entschei-
8 dende Schritt zum Einblick in möglicherweise gestörte
Stoffwechselschritte bei der Zwangskrankheit war 19.2 Therapie
der Behandlungserfolg mit Serotoninrückaufnahme-
9 hemmern. Sie legen eine serotonerge Dysfunktion bei Neben der dominierenden Indikation für KVT und
Zwangspatienten nahe. Unterstützt wird die Hypothe- Antidepressiva wird in seltenen Fällen bei schweren
se durch den Befund, dass es nach Gabe des Serotonin- und therapieresistenten Erkrankungen ein neuro-
10 agonisten m-Chlorophenypiperazin (m-CPP) bei chirurgischer Eingriff vorgenommen (Schruers et al.
Zwangskranken zu einer Verschlechterung der Symp- 2005). Vorher kann noch ein Versuch mit transkrani-
11 tomatik kommt. Bei Gesunden ist m-CPP wirkungs- eller Magnetstimulation, Vagusnervstimulation oder
los. Weiterhin erlauben es heute bildgebende Verfah- Elektrokrampfbehandlung (7 Abschn. 15.6) vorge-
ren, immer intensiver auch topographische Schädi- nommen werden.
12 gungen im Gehirn nachzuweisen. Primäre Störungen
im kortikostriatothalamokortikalen Regelkreis (Kor- Wichtig
13 don et al. 2006) mit besonderer Bedeutung des Stria-
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
tums werden für den Ausfall entscheidender Filtersta-
tionen verantwortlich gemacht, sodass unerwünschte ob
14 Impulse in höhere Gehirnzentren gelangen können. 5 es sich um ein akutes Krankheitssyndrom
so starker Ausprägung handelt, dass den
sofortigen Einsatz eines Antidepressivums,
15 19.1 Gesamtbehandlungsplan ggf. vorübergehend eines Benzodiazepins,
notwendig macht;
16 Es stehen auch bei der Zwangsstörung zwei wert- 5 Suizidalität besteht;
5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
volle Therapiestrategien, psychologische Verfahren
und Antidepressiva, zur Verfügung. Sie sollten in depressive Störung oder eine Angststörung
17 der Regel, wenn irgend möglich, gemeinsam ange- vorhanden sind;
wandt werden (Kordon et al. 2008). Allerdings ste- 5 Substanzmißbrauch bekannt ist;
5 der Patient sich sozial völlig zurückgezogen
18 hen, zumindest bei der leichten Zwangshandlung ver-
hat;
haltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund,
während bei vorherrschenden Zwangsgedanken mög- 5 eher Zwangsgedanken oder Zwangshand-
19 lichst SSRI mit KVT kombiniert angewandt werden lungen vorherrschen;
sollten. Allerdings gibt es noch zu wenige kontrollierte 5 die Krankheit mit motorischen oder sprach-
lichen Tics einhergeht.
20 Studien, um klare Empfehlungen zu geben.
19.2 · Therapie
173 19
5 Benzodiazepine und Buspiron allein sind in der 5 KVT in Kombination mit Exposition und Reak-
1 Regel nicht wirksam. In einer Notfallsituation tionsmanagement war in einer Studie wirksamer
können aber Benzodiazepine kurzfristig verord- als Exposition mit Reaktionsmanagement allein.
net werden. 5 Die Verhaltenstherapie hat einen nachgewie-
2 senen Langzeiteffekt. Durch die in die Therapie
Wichtig integrierte Rückfallprophylaxe wird die Selbstbe-
3 5 Zwänge im Rahmen einer Schizophrenie
handlungskompetenz aufgebaut und aktiviert.
5 Auch Patienten, die unter einer medikamentösen
sprechen nicht auf SSRI an. Antipsychotika Therapie nur eine partielle Response zeigen, pro-
4 sind dann indiziert.
5 Begleitende motorische oder sprachliche
fitieren von einer zusätzlichen KVT, allerdings ist
der Gewinn umso größer desto eher KVT ange-
Tics und Zwangssymptome im Sinne einer setzt wird (Tenneij et al. 2005).
5 überwertigen Idee müssen zusätzlich auch 5 Wird eine komorbide depressive Störung dia-
mit einem Antipsychotikum behandelt gnostiziert, sollte die KVT immer mit einem SSRI
6 werden. kombiniert werden (O’Connor et al. 2006).
5 Wenn die Antidepressiva bei der Zwangsstörung
abgesetzt werden sollen, besteht das Risiko einer
7 Rückfallquote von ca. 80%. Eine parallele KVT ist
Fazit in dieser Situation dringend indiziert.
8 Pharmakotherapie der Zwangsstörung – Bewertung
5 SSRI sind Mittel der Wahl bei Zwangskrankheiten. Fazit
9 5 Eine Indikation ist regelmäßig bei schweren Erkran-
kungen und bei begleitender Depression gegeben. Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psycho-
5 Die Dosis ist höher als bei der depressiven Störung,
10 sie muss langsam aufdosiert werden.
therapie bei Zwangsstörung – Bewertung
5 Zwangshandlungen sprechen generell besser auf
5 Der Therapieerfolg stellt sich viel später als bei der KVT an als Zwangsgedanken.
11 Depression ein (ca. 2–3 Monate). 5 Bei leichten Störungen ist KVT zunächst allein
5 Es ist eine Therapiedauer von mindestens 12–24 Mo- (besonders bei Zwangshandlungen, möglicherweise
naten anzustreben. auch bei Zwangsgedanken) indiziert, bei schweren
12 5 Ein Absetzversuch soll sehr langsam und möglichst Erkrankungen sollten immer KVT und SSRI kombi-
unter dem Schutz einer KVT erfolgen. Das Risiko eines niert werden.
13 Rückfalls ist beim Absetzen sehr hoch. 5 Bei begleitender Depression sollte regelmäßig die
5 Bei Therapieresistenz können auch mehrere SSRI KVT mit einem SSRI kombiniert werden.
nacheinander gegeben werden. 5 KVT hat einen besseren Langzeiteffekt als Antide-
14 pressiva.
5 Bei Absetzversuch der Antidepressiva sollte späte-
15 19.2.3 Psychotherapie
stens mit einer KVT begonnen worden sein.
jahr auftreten. Die Ergebnisse zum Verlauf der juveni- der anderen Studie erwies sich, dass KVT-Gruppen-
len Zwangsstörungen zeigen eine hohe Stabilität der therapie signifikant bessere Ergebnisse als die medi-
Erkrankung und ihrer Komorbiditäten. kamentöse Therapie mit Sertralin erzielte (Sousa et al.
Bei den Zwangsstörungen im Kindes- und 2006).
Jugendalter gelten die gleichen Empfehlungen wie bei
Erwachsenen mit Zwangsstörungen: Bei leichten Stö-
rungen ist zunächst KVT allein indiziert, bei schweren 19.4 Checkliste
Störungen sollte immer KVT und SSRI bzw. Clomi-
pramin kombiniert werden (O’Kearney et al. 2006). ?
Pharmakotherapie 1. Für welches Antidepressivum wurde als
Fluvoxamin aus der Gruppe der SSRI ist ab 8 Jahren erstes eine überlegene Wirksamkeit bei
zur Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen. Zwangsstörungen nachgewiesen? Welcher
Placebokontrollierte Studien wurden mit SSRI Wirkungsmechanismus liegt dem zugrunde?
(Fluoxetin, Fluvoxamin und Sertralin) bei Kin- 2. Welche Antidepressiva werden bei der
dern und Jugendlichen durchgeführt. In allen Studi- Behandlung der Zwangsstörung eingesetzt?
en zeigte sich nach 8–13 Wochen Therapie eine Bes- 3. Welche Dosierungen sind bei der Behand-
serung zwischen 42–49% im Vergleich zu Placebo lung der Zwangstörungen mit Antidepressi-
(Wewetzer et al. 2003). Zu Clomipramin gibt es auch va notwendig?
positive Befunde, allerdings nur mit Studiendauern 4. In welchem Zeitraum kann bei der Behand-
von 5–8 Wochen. lung der Zwangsstörung mit Antidepressiva
mit einem Therapieeffekt gerechnet werden?
Pharmakotherapie und Psychotherapie 5. Wie stark ist der zu erwartende Therapie-
Psychotherapeutisch ist die Verhaltenstherapie und effekt?
hier speziell die Expositionsbehandlung mit Reakti- 6. Wie lange sollte eine Behandlung mit SSRI
onsverhinderung eine effektive Behandlungsmetho- bei entsprechendem Therapieerfolg fortge-
de zur Behandlung von Zwangsstörungen im Kindes- führt werden?
und Jugendalter. Eine Cochrane-Untersuchung aus 7. Was ist beim Absetzen der SSRI zu beachten?
dem Jahr 2006 konnte allerdings nur vier Studien, die 8. Welche pharmakologischen Therapieopti-
die Kriterien für eine kontrollierte Studie erfüllten, in onen gibt es, falls SSRI nicht zum gewünsch-
ihre Metaanalyse aufnehmen (O’Kearney et al. 2006). ten Therapieerfolg führen?
In zwei kontrollierten Studien wurde Psychothe-
rapie und medikamentöse Therapie bzw. deren Kom-
bination bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangs-
störungen verglichen. Dabei zeigte sich in der einen
Studie, dass die Kombination von KVT und Sertralin,
den alleinigen Therapieformen überlegen war, wel-
che wiederum gegenüber Placebo überlegen waren. In
20.1 ·
177 20
Posttraumatische Belastungsstörung
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) diktor der Depression gewertet. Da Alkohol und ille-
1 ist ein Störungsbild, das sich in der Regel innerhalb gale Drogen die Beschwerden der PTSD mildern kön-
von 6 Monaten nach einem traumatisierenden Ereig- nen, ist bei der PTSD eine zusätzliche Komorbidität
nis von außergewöhnlicher Schwere entwickelt und mit Alkohol- und Drogenabusus häufig. Die PTSD
2 sich in wiederholten, sich aufdrängenden Erinne- ist oft bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen zu
rungen oder Wiederinszenierungen des Ereignisses finden. Ein wichtiger Risikofaktor für die PTSD sind
3 in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen äußert,
die von starker Angst oder einem Gefühl der Hilf-
vorbestehende Angsterkrankungen (Kendler et al.
1995; Hautzinger 2006). Erstmalig wurde, wie bei der
losigkeit geprägt sind. Dabei entwickeln sich häufig Depression (7 Abschn. 15.8), auf die Assoziation zwi-
4 emotionaler und sozialer Rückzug, Gefühlsabstump- schen PTSD und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin-
fung, Vermeidungsverhalten bez. an das Trauma erin- gewiesen (Kubzansky et al. 2007).
nernder Stimuli, anhaltende Hypervigilanz, Schlafstö- Eine gebesserte Symptomatik kann nach einigen
5 rungen und kognitive Verzerrungen. Eine PTSD kann Monaten oder Jahren – ganz oder in Teilsymptomen –
sich auch nach alltäglichen Ereignissen wie Unfällen wieder aufflackern. Manchmal dauern Episoden jahr-
6 entwickeln. zehntelang.
Während der größte Teil der Traumatisierten die
Ereignisse bewältigt, kommt es bei einem Drittel zu
7 psychischen Problemen. Dauert die PTSD länger als 20.2 Therapie
3 Monate, wird sie als chronisch eingestuft.
8 In der DSM-IV-Klassifikation wird die PTSD den
Angsterkrankungen zugeordnet, in der ICD-10 wird
20.2.1 Antidepressiva
sie als Reaktion auf Belastungen gesehen. 5 Die meisten positiven Ergebnisse liegen zu den
9 SSRI Paroxetin und Sertralin vor (zugelassen:
Neurobiologie der PTSD. Hyperarousal und Reiz- Paroxetin). Insgesamt sind die Erfolge mit Anti-
barkeit wird als Aktivierung des sympathischen und depressiva bei der PTSD geringer als bei der
10 endokrinen Systems bei Stress gesehen. Aber anders Depression; 40–50% respondieren unter SSRI.
als bei der Depression führt die Dysregulation der Durch SSRI werden sowohl die PTSD-typischen
11 Stresshormonsekretion bei der PTSD zu einem ernied- als auch die komorbiden Begleitsymptome gebes-
rigten peripheren Kortisolspiegel. Dieser Befund sert.
mag für die Sonderstellung der PTSD im Rahmen 5 Man beginnt mit niedriger Dosis für mindestens
12 der Angsterkrankungen sprechen. Im Vergleich zur 8 Wochen und setzt dann auf eine eher hohe
Depression fehlen aber weitgehend abgesicherte wei- Erhaltungsdosis wie bei der Therapie der Depres-
13 tere neurobiologische Befunde (Ehlert 2006). Da die sion.
SSRI wirksam sind, wird auch eine serotonerge Dys- 5 Oft werden Besserungen erst nach langfristiger
funktion postuliert. Auf den genetischen Zusammen- Therapie gesehen.
14 hang zwischen »life events« und Depression wird in 5 Es gibt Empfehlungen zu 1- bis 2-jähriger
7 Abschn. 15.8 hingewiesen. Behandlungsdauer; nach Absetzen ist das Risiko
15 für einen Rückfall groß (Davis et al. 2006).
5 Nach Besserung sollen SSRI sehr langsam abge-
20.1 Gesamtbehandlungsplan setzt werden. Bei Wiederauftreten der Symptome
16 werden SSRI wieder angesetzt.
Die PTSD ist oft eine chronische Erkrankung und 5 Es wird davon ausgegangen, dass eine frühzei-
muss langfristig behandelt werden. Dazu bieten sich tige Intervention mit Antidepressiva einer chro-
17 Antidepressiva und psychologische Verfahren auf der nischen PTSD-Entwicklung vorbeugt.
Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) 5 Kommt es zu keiner Besserung mit SSRI, können
18 an; sie können kombiniert angewandt werden. Der auch andere Antidepressiva versucht werden.
Schwerpunkt liegt allerdings auf der Psychotherapie
(Bradley et al. 2005).
19 Bei der PTSD besteht eine hohe Komorbidität mit 20.2.2 Andere Psychopharmaka
Angststörungen und Depressionen, aber auch soma-
20 toformen Störungen. Während die Angstsymptoma- 5 Zur Therapie der Begleitsymptome der PTSD,
tik über die Zeit eher abnimmt, treten depressive Sym- gerade bei bestehender Komorbidität, können
ptome vermehrt auf. So wird auch die PTSD als Prä- atypische Antipspychotika (AAP) gegeben wer-
20.3 · Behandlung der PTSD im Kindes- und Jugendalter
179 20
2
20.4 Checkliste
3
?
4 1. Welche komorbiden Störungen treten häufig
bei der PTSD auf?
2. Was sind die Therapien der ersten Wahl bei
5 der PTSD?
3. Wann sollten bei der PTSD Antidepressiva
6 eingesetzt werden?
4. Welche Responserate ist bei der Behandlung
der PTSD mit SSRI (Paroxetin und Sertralin)
7 zu erwarten?
5. Wie lange sollte bei der PTSD eine Behand-
8 lung mit Antidepressiva fortgeführt werden?
9
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14
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19
20
21.1 ·
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Wie bei der posttraumatischen Belastungsstörung 5 Zu Beginn können zur Entlastung kurzfristig
21 (PTSD, 7 Kap. 20) sind sowohl bei der akuten Bela- Benzodiazepine (7 Kap. 8) eingesetzt werden.
stungsstörung als auch bei der Anpassungsstörung Bei Suizidalität sollten sie eher vermehrt als in zu
Stressoren die Auslöser der Krankheit. Ganz im niedrigen Dosen angesetzt werden.
22 Gegensatz zu den übrigen ICD-Diagnosen bestimmt 5 Bei Schlafstörungen sind zunächst Non-Benzodi-
bei diesen 3 Krankheitsbildern die Ätiologie die dia- azepinhypnotika (7 Kap. 9) indiziert.
5 Falls sich bei der Anpassungsstörung auch nach
23 gnostische Einordnung. Der Zusammenhang zwi-
schen Stressoren, den verursachten psychischen Stö- psychotherapeutischen Interventionen fort-
rungen, besonders der Depression, und den mög- gesetzt Ängste oder depressive Reaktionen
24 lichen gravierenden Folgekrankheiten, allen voran (ICD 43.21/22) zeigen oder verbleiben, sind
den Herz-Kreislauf-Erkrankungen (7 Abschn. 15.7.8), diese, wie 7 Kap. 15 (»Depressive Störungen«)
ist in der biologischen Psychiatrie ein neues wichtiges beschrieben, zu behandeln. Auch wenn für den
25 Forschungsgebiet. Allerdings wird die Bedeutung des Einsatz von Antidepressiva bei definierten Bela-
Stresses in der Diagnostik und der Therapie psychiat- stungen im Vergleich zu den unipolaren Depres-
26 rischer Erkrankungen insgesamt viel zu wenig berück- sionen kaum systematische Untersuchungen vor-
sichtigt (Benkert 2005). liegen, sollten sie bei Auftreten dieser Komplika-
Bei der akuten Belastungsstörung sind es außer- tion eingesetzt werden.
27 gewöhnliche psychische oder physische Belastungen, 5 Durch den engen Zusammenhang zwischen Dau-
die zu Reaktionen innerhalb von wenigen Minuten erstress und Depression bieten sich auch für bei-
28 nach dem Ereignis führen. Nach einem Zustand der
»Betäubung« und eingeschränkter Aufmerksamkeit
de Konstellationen ähnliche Therapien, also KVT
und Antidepressiva, an.
schwankt die Symptomatik zwischen Angst, Depres-
29 sion, Verzweiflung und Erregung oder auch Rückzug.
Der Zustand hält wenige Stunden bis Tage an. 21.2 Behandlung der akuten
30 Bei der Anpassungsstörung sind die Belastungen Belastungsstörung und
nicht unbedingt von außergewöhnlicher Bedrohlich- der Anpassungsstörung im
keit und sie haben kein katastrophales Ausmaß. Sie Kindes- und Jugendalter
31 werden nach ICD-10 als »Zustände von subjektivem
Leid und emotionaler Beeinträchtigung definiert, die Gerade bei akuten Belastungsreaktion und Anpas-
soziale Funktionen und Leistungen behindern und sungsstörungen im Kindes- und Jugendalter ist der
32 während des Anpassungsprozesses nach einer ent- Entwicklungsaspekt zu berücksichtigen. Der Verlauf
scheidenden Lebensveränderung oder nach belasten- bzw. Übergang in andere psychiatrische Störungs-
33 den Lebensereignissen, wie auch schwerer körper- bilder hängt von der Länge der Deprivation und dem
licher Erkrankung, auftreten«. Die Anpassung an die Schweregrad der Symptomatik ab. Im anglosäch-
neue Situation gelingt nicht. Die Symptomatik beginnt sischen Sprachraum wird die akute Belastungsstö-
34 innerhalb eines Monats und dauert bis 6 Monate an. rung bei Kindern und Jugendlichen häufig auch als
Überdauernd sind oft gemischte Störungen von eher Vorläufersymptomatik einer PTSD angesehen (Mar-
35 subkategorialem Schweregrad, vorrangig Angst und
depressive Reaktionen. Die Störung kann dann bei
ch 2003).
Die Effektivität psychologischer und pharmakolo-
zusätzlich auftretender depressiver Reaktion bis zu gischer Behandlungen ist im Kindes- und Jugendalter
36 2 Jahren andauern, 7 Abschn. 21.1. unzureichend untersucht. Der Schwerpunkt der The-
rapie liegt sicherlich auf der Psychotherapie. Im Rah-
men der Krisenintervention können kurzfristig Ben-
37 21.1 Therapie zodiazepine und/oder atypische Antipsychotika ein-
gesetzt werden, bei einer längerfristigen Therapie
38 5 Spezifische Behandlungsinterventionen sind bei sind Antidepressiva indiziert. Bei den häufig vorkom-
akuten Belastungen wenig erforscht. Der Schwer- menden Schlafstörungen ist die Gabe von Non-Ben-
punkt der Therapie liegt auf der Psychotherapie zodiazepinhypnotika (7 Kap. 9) teilweise angezeigt.
39 mit primärer Krisenintervention zur Bewältigung
der Stressoren.
40
21.3 · Checkliste
183 21
21.3 Checkliste
?
1. Welche Psychopharmaka können bei der
akuten Belastungsstörung zur kurzfristigen
Entlastung eingesetzt werden?
2. Welche Medikamente können längerfristig
bei der Anpassungsstörung – sinnvoller-
weise in Kombination mit psychotherapeu-
tischen Interventionen – eingesetzt werden?
22.1 ·
185 22
Somatoforme Störungen
Der Begriff umfasst je nach Diagnosesystem verschie- fischen Syndromen (7 Abschn. 22.2) wieder. Die Auto-
21 dene Störungsbilder, bei denen körperliche Beschwer- ren des Leitfadens sind sich bewusst, dass auch diese
den im Vordergrund stehen, für die keine (ausrei- Gliederung nur vorübergehend sein wird. Sie hat aber
chende) organische Erklärung gefunden wird. Zur die wichtige gemeinsame Klammer einer ähnlichen
22 Beschreibung des Beschwerdekomplexes wurden bis- Therapiestrategie.
her verschiedenste Begriffe verwendet: z. B. psycho-
23 somatische, psychogene oder funktionelle Beschwer-
den, vegetative Dystonie oder Dysregulation, Hyste-
Das somatische Syndrom bei der depressiven
Störung. Da der Zusammenhang zwischen der
rie, nervöse Beschwerden, Psychoneurose. Früher depressiven Störung und Schmerzen bzw. somatischen
24 wurden die Syndrome unter den Begriffen psychoso- Symptomen in der Psychiatrie eine große Bedeutung
matische Störungen oder psychovegetative Störungen hat (Fava 2002; Peveler et al. 2006), wird auf die von
zusammengefasst. Kapfhammer (2008) erstellte Übersicht aufmerksam
25 Ca. 40% Patienten suchen einen Allgemeinarzt gemacht (zit. S. 959, hier mit zusätzlicher Literatur):
oder Internisten mit körperlichen Beschwerden auf,
26 ohne dass hierfür eine spezifische organische Ursache Das somatische Syndrom bei einer Depressi-
gefunden werden kann (Khan et al. 2003). on markiert den Schweregrad einer depres-
Die meisten Patienten mit einer depressiven Stö- siven Störung. Depressive Patienten mit einer
27 rung oder einer Angststörung leiden unter vegetativen hohen Anzahl von körperlichen Symptomen
und körperlichen Symptomen. profitieren sehr häufig in einem geringeren
28 Die somatoforme Störung ist nicht nur in Bezug
auf das Erscheinungsbild und möglicher Komorbidi-
Umfang von einer antidepressiven Medi-
kation als jene Patienten, die vorrangig nur
täten, sondern auch in Bezug auf die möglichen Ursa- affektive und kognitive Beschwerden auf-
29 chen sehr heterogen (zit. nach Kapfhammer 2008, weisen (Greenberg et al. 2003; Papakostas et
S. 950, hier mit Hervorhebungen): al. 2004). Auch scheint »Somatisierung« ein
5 Patienten, die eine primäre psychische Störung, Prädiktor für ein verstärktes Absetzen einer
30 z. B. Depression, Panik, andere Angststörungen, aufgenommenen antidepressiven Pharma-
Anpassungsstörungen oder psychische Störungen kotherapie infolge von Nebenwirkungen zu
31 durch psychotrope Substanzen vorrangig in ihren sein (Agosti et al. 2002). Nicht voll remittierte
integralen körperlichen Symptomen schildern. Depressionen wiederum stellen sich in erster
5 Patienten, die bei nachweisbarer psychosozi- Linie durch ein chronisches Syndrom multip-
32 aler Problematik oder emotionaler Bedräng- ler somatoformer Beschwerden dar (Akiskal
nis bestimmte körperliche Symptome zeigen, für 1983). In epidemiologischen Untersuchungen
33 die keine ausreichende medizinische Erklärung erhöht sich mit einer steigenden Anzahl
besteht. Typisches Beispiel ist die Konversions- »medizinisch unerklärter Körpersymptome«
störung. das Risiko für eine künftige Major Depres-
34 5 Patienten mit habituell wiederkehrenden, zahl- sion signifikant (Kroenke et al. 1994). Und
reichen medizinisch unerklärten körperlichen wiederum werden depressive Patienten mit
35 Beschwerden und Symptomen, die zu einer über-
mäßigen Inanspruchnahme von Ärzten und kli-
zahlreichen somatoformen Beschwerden im
primärärztlichen Versorgungssystem sehr viel
nischen Einrichtungen führen und mit einer seltener korrekt diagnostiziert und adäquat
36 starken psychosozialen Behinderung einherge- behandelt (Greden 2003).
hen. Typisches Beispiel ist die Somatisierungs-
störung. Patienten mit somatoformen Störungen weisen sehr
37 5 Patienten, die besorgt und überzeugt sind, körper- häufig einen chronischen Verlauf auf. Starkes sub-
lich krank oder in ihrem körperlichen Erscheinungs- jektives Leiden und starke psychosoziale Beeinträch-
38 bild verunstaltet zu sein, ohne dass hierfür ausrei- tigungen charakterisieren weiter das Krankheits-
chende objektive Befunde erhoben werden kön- bild, das durch komorbide psychische Störungen ver-
nen. Als typisches Beispiel imponiert die Hypo- schlimmert wird. Allgemeinärzte und Internisten, die
39 chondrie einerseits, die körperdysmorphe Stö- in der Regel zunächst in der Primärversorgung mit
rung andererseits. diesem Syndrom konfrontiert werden, sind mit der
40 Führung der Patienten oft überfordert.
Die Heterogenität spiegelt sich auch in der Aufzäh-
lung der verschiedensten Diagnosen unter den spezi-
22.1 · Therapie
187 22
störungen und den Erkrankungen dieses Kapitels. nungsgefühl der Brüste, Wassereinlagerung, Gelenk-
21 Eine entscheidende Bedingung für das Auftreten der und Muskelschmerzen.
Erkrankung findet sich im Dauerstress. Die Ursache 5 Die Wirksamkeit von SSRI ist in vielen Studien
ist unbekannt. belegt (Dimmock et al. 2000).
22 5 Die bisherigen Untersuchungen mit Antidepres- 5 Auch unter dualen Antidepressiva (Venlafa-
siva führen zwar zu Besserungen, sogar über xin) und ebenfalls unter Clomipramin kam es zu
23 einen Zeitraum von 3 Jahren, aber überzeugende
kontrollierte Studien fehlen.
Responseraten von bis zu 70%, gegenüber 20%
unter Placebo und 30% unter nichtserotonergen
5 Dexamphetamin (7 Kap. 14) zeigte in einer kon- Antidepressiva (Freeman 2004).
24 trollierten kleinen Studie positive Ergebnisse 5 Die Wirkung wird meist schon im ersten Zyklus
(Olson et al. 2003). gesehen, bereits niedrige Dosen sind wirksam.
5 Antidepressiva können als Dauertherapie und
25 als intermittierende Gabe (in der Lutealphase bis
22.2.6 Fibromyalgiesyndrom zum Ende der Menstruation) gegeben werden.
26 5 Besonders bei intermittierender Gabe entsteht
Das Fibromyalgiesyndrom zeichnet sich durch chro- kein Wirkungsverlust bei längerfristiger Thera-
nische (über mindestens 3 Monate anhaltende) poly- pie (über mehr als 6 Zyklen); nach Absetzen der
27 tope Schmerzen oder Steifheit im Stütz- und Bewe- Medikation gibt es häufig Rezidive.
gungsapparat sowie druckschmerzhafte Muskelansät- 5 Anxiolytika wie Alprazolam und Buspiron
28 ze an typischen Stellen (»tender points«) aus. Zusätz-
lich treten oft Kopfschmerzen, Erschöpfbarkeit,
(7 Kap. 8) scheinen den Antidepressiva unterle-
gen zu sein.
Schlafstörungen, neuropsychiatrische Symptome, gas-
29 trointestinale Beschwerden, andere vegetative Sym-
ptome (Zyanose der Akren, Dermographismus) oder 22.2.8 Colon irritabile
Schwellungsgefühl an Händen und Füßen auf. Die
30 Ursache ist nicht geklärt; es gibt mehrere Hypothe- Bei den Symptomen eines Reizdarms bestimmen
sen zu einer veränderten Schmerzmatrix. Im Liquor multiple rezidivierende abdominelle Beschwerden
31 soll die Substanz P erhöht und Serotonin und Tryp- mit Bauchschmerzen, Missempfindungen, Obstipati-
tophan erniedrigt sein. Stress wird als Auslöser ver- on und Diarrhoe oder Blähungen das Krankheitsbild.
mutet. Häufig findet sich eine begleitende depressive Es bestehen Überschneidungen mit anderen soma-
32 Symptomatik. toformen Störungen, Depressionen, Angststörungen
5 Über Behandlungserfolge mit trizyklischen Anti- und auch Zwangsstörungen.
33 depressiva (z. B. Imipramin oder Clomipramin) 5 In vielen Studien mit Antidepressiva zeigen sich
in niedrigen Dosen bis 75 mg/Tag sowie von zwar Vorteile gegenüber Placebo. Es konnte aber
SSRI (Fluoxetin, Citalopram) wird berichtet. Die nicht nachgewiesen werden, dass auch die Kern-
34 Erfolge sind geringer als bei der Depression. symptomatik der gastrointestinalen Beschwerden
5 Es zeichnet sich, wie bei anderen Schmerzsyn- von einer medikamentösen Therapie profitiert.
35 dromen, auch beim Fibromyalgiesyndrom eine
Überlegenheit von dualen Antidepressiva gegen-
über SSRI ab (z. B. Venlafaxin 75 mg/Tag, Dulo- Fazit
36 xetin 60 mg/Tag). Auch Milnacipran (7 Kap. 5)
zeigte gegenüber Placebo bessere Ergebnisse. Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der
somatoformen Störung – Bewertung
37 5 Psychotherapeutische Interventionen haben
22.2.7 Prämenstruelles Syndrom den wichtigsten Stellenwert bei der Therapie der
38 somatoformen Störung. Für die KVT gibt es für viele
Das prämenstruell-dysphorische Syndrom zeigt kör- Syndrome gute Evaluationsstudien, für die psycho-
perliche und psychische Symptome, die zyklusgebun- dynamisch orientierte Psychotherapie fehlen diese
39 den während der späten Lutealphase auftreten und die weitgehend.
Patientinnen erheblich beeinträchtigen. Es sind Irrita- 5 Besonders für die Therapie des chronischen
40 bilität und Dysphorie, Anspannung, Schlafstörungen, Schmerzes eignet sich auch die Biofeedback- Thera-
vermehrter Hunger nach Kohlenhydraten, Span- pie.
22.3 · Behandlung der somatoformen Störung im Kindes- und Jugendalter
191 22
5 Antidepressiva sind immer indiziert, wenn komorbide meistens eine stationäre Behandlung angezeigt. The-
Depression und Angststörungen vorhanden sind. rapeutisch steht die KVT im Mittelpunkt. Eine kon-
5 Antidepressiva haben auch bei vielen Syndromen trollierte Studie konnte die Wirksamkeit der famili-
dieses Krankheitsbildes einen positiven Effekt; er ist entherapeutischen KVT bei wiederkehrenden Bauch-
aber geringer als bei den depressiven Störungen oder schmerzen im Kindesalter nachweisen. Systematische
Angststörungen. Studien zur pharmakologischen Behandlung bei den
5 Wenn psychotherapeutische Verfahren nicht zur somatoformen Störungen im Kindes- und Jugendal-
Verfügung stehen, ist ein Versuch mit Antidepressiva ter liegen nicht vor, sodass ähnliche Empfehlungen
indiziert. wie im Erwachsenenalter gelten. In der Akutpha-
5 Antidepressiva und Psychotherapie können kombi- se kann vorübergehend ein Benzodiazepin gegeben
niert angewandt werden. werden, bei längerfristiger medikamentöser Behand-
5 Die Langzeiteffekte von Antidepressiva und Psycho- lung sollte eine Therapie mit SSRI erfolgen (Brunner
therapie sind nicht untersucht, genauso wenig wie u. Resch 2005).
Vergleiche zwischen den Therapieformen.
5 Bei dominierenden Schmerzsyndromen, auch in
Form von isolierten Schmerzen bei organischen Er- 22.4 Checkliste
krankungen, sind Antidepressiva mit dualer Wirkung
auf das serotonerge und das noradrenerge Neuro- ?
transmittersystem, wie Duloxetin, Milnacipran und
Venlafaxin, Mittel der ersten Wahl. 1. Welche Gruppen von Antidepressiva sind
5 Beim praemenstruellen Syndrom haben SSRI eine bei der Behandlung von Depressionen mit
positive Wirkung. somatischem Syndrom zu empfehlen?
5 Benzodiazepine und Antipsychotika haben keine 2. Unter welchen Bedingungen können bei
längerdauernde Indikation bei somatoformen somatoformen Störungen vorübergehend
Störungen. Benzodiazepine verabreicht werden?
3. Welche Risiken bestehen beim dem noch
verbreiteten Einsatz von Depotantipsycho-
tika (z. B. Fluspirilen) bei der Behandlung
22.3 Behandlung der somatoformer Störungen?
somatoformen Störung im 4. Welche Medikamente haben sich bei der
Kindes- und Jugendalter Behandlung der somatoformen Schmerzstö-
rung bewährt?
Die häufigsten Symptome der somatoformen Stö- 5. Welchen Stellenwert haben Antidepressiva
rung im Kindes- und Jugendalter sind abdomi- bei der Behandlung von Schmerzsyndromen
nelle Beschwerden, die meistens von Übelkeit, Kopf- bei körperlichen Erkrankungen?
schmerzen, muskulärer Schwäche, Nachlassen der 6. Welche Effekte konnten bei der Behandlung
körperlichen Energie, Rücken- und Gliederschmer- des chronischen Müdigkeitssyndroms mit
zen sowie Nahrungsmittelintoleranzen mit Diarrhöen Antidepressiva erreicht werden?
begleitet sind. Das Klagen über körperliche Beschwer- 7. Welche Gruppen von Antidepressiva werden
den ist häufig als Anpassungsreaktion auf psychoso- bei der Fibromyalgie eingesetzt und mit
ziale Belastungen zu sehen. Neben Trennungsäng- welchem Erfolg?
sten und depressiven Symptomen stellen die somato- 8. Welche psychopharmakologischen Behand-
formen Beschwerden ein Leitsymptom der Schulpho- lungsmöglichkeiten des prämenstruellen
bie (7 Abschn. 33.2) dar. Die klinische Präsentati- Syndroms sind belegt?
on der Symptome wird durch das jeweilige Entwick- 9. Wie ist der Therapieeffekt von Antidepressiva
lungsstadium beeinflusst und hängt davon ab, wie die bei somatoformen Störungen im Vergleich
Bezugspersonen auf die körperlichen Beschwerden zu dem bei Depressionen und Angststö-
reagieren. rungen einzustufen?
Therapie
Bei schweren oder chronifizierten somatoformen Stö-
rungsbildern, die häufig mit erheblichen psychoso-
zialen Funktionseinschränkungen einhergehen, ist
23.1 ·
193 23
Essstörungen
Es gibt 3 Essstörungen, bei denen die Psychopharma- nen eine Ursache für vielfältige komorbide psychische
21 kotherapie in den letzten Jahren immer mehr Bedeu- Störungen sein oder sie verstärken.
tung gewonnen hat: die Bulimia nervosa, die Binge-
eating-Störung und die Adipositas. Neurobiologie der Essstörungen. Die Nahrungsauf-
22 Die Behandlung der Bulimia nervosa und der nahme wird durch eine Vielzahl von Inhibitoren und
Binge-eating-Störung besteht indikationsabhängig Stimulatoren reguliert. Dem Hypothalamus werden
23 mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zumeist
aus einer Kombination aus Psychotherapie und der
Signale über das Ausmaß des Fettgewebes und die
aktuelle Stoffwechsellage über die Hormone Leptin,
Behandlung mit Antidepressiva. Insulin und Adiponectin zugetragen. Dabei spielen
24 Eine Psychopharmakotherapie für die Anorexia gegensätzliche Regulationsmechanismen eine wich-
nervosa ist noch nicht etabliert. tige Rolle. Gegenspieler von Leptin (anorexigen) ist
Eine große Zahl von körperlichen Störungen und Ghrelin (orexigen). Die multiplen hormonellen Ver-
25 Verhaltensauffälligkeiten kann auf unerkannte Essstö- änderungen werden als Adaptationen an das geringe
rungen hinweisen: Körpergewicht gesehen.
26 5 Wachstumsstörungen Es wird angenommen, dass Diät und Fasten zu
5 Große Schwankungen des Körpergewichts einer Störung des genetisch bedingten vulnerablen,
5 Unfähigkeit zur Gewichtszunahme Neurotransmitter- und neuroendokrinologischen
27 5 Veränderte Essgewohnheiten Systems führen, die weitere Komplikationen (z. B.
5 Schwierigkeiten der Nahrungsaufnahme im sozi- komorbide Symptomatik, Körperschemastörung, kör-
28 alen Kontext
5 Abneigung gegen Messung des Gewichts
perliche Hyperaktivität) zur Folge hat, so dass sich
ein Circulus vitiosus mit einer chronifizierten Essstö-
5 Exzessive körperliche Betätigung und häufiges rung ergeben kann. Bei der Anorexia nervosa führt
29 Durchführen von Diäten bereits in frühem Alter eine Gewichtsrestitution bei den meisten Patienten zu
5 Drogenabusus einer Normalisierung der Veränderungen der Hypo-
5 Rasche Erschöpfbarkeit thalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (Herpertz-
30 5 Verspätete Menarche Dahlmann u. Holtkamp 2008).
5 Obstipation oder Diarrhö Der Serotonindysregulation wird bei den Essstö-
31 5 Neigung zu Knochenbrüchen rungen eine besondere Bedeutung zugeschrieben
5 Hypokaliämie (Brewerton 1995). Bei der Anorexia nervosa wird – im
5 Hyperphosphatämie Gegensatz zur Bulimie – ein hyperserotonerger Status
32 5 Metabolische Azidose oder Alkalose postuliert. Zur Ätiopathogenese der Essstörungen exi-
5 Hohe Amylaseserumkonzentrationen stieren insgesamt jedoch nur Hypothesen (Laessle u.
33 Pirke 2006).
Die Adipositas ist eine primär internistische Erkran- Es finden sich auch zerebrale Veränderungen, die
kung, die jedoch zentralnervös mitreguliert wird und sich bei Normalisierung des Essverhaltens zumeist
34 mit psychischen Problemen einhergehen kann (z. B. zurückbilden. Das Zentrum der Gewichtregulation
Anpassungsstörungen, Impulskontrollstörungen). liegt im Nucleus arcuatus des Hypothalamus. Klinisch
35 Deshalb erfordern die für die Adipositas neu zugelas-
senen Präparate jetzt auch eine Besprechung im Rah-
findet sich in der strukturellen Bildgebung bei Ano-
rexia nervosa nicht selten eine »Pseudoatrophia cere-
men der Psychopharmakotherapie. In diesem Zusam- bri«.
36 menhang interessiert auch besonders die Gewichtszu- Bulimische Frauen waren häufiger als Kinder
nahme als Nebenwirkung von verschiedenen Psycho- adipös, haben eine familiäre Adipositasbelastung
pharmaka. und eine frühe Menarche. Es gibt Hinweise, dass ein
37 Ein Maß für das Körpergewicht ist der Body- gemeinsames genetisches Risiko für Bulimia nervosa
Mass-Index (BMI: Körpergewicht [kg] dividiert durch und Adipositas besteht. Der genetische Anteil an der
38 das Quadrat der Körpergröße [m2]). Bei der Adiositas Entwicklung der Adipositas scheint stärker zu sein, als
und dem metabolischen Syndrom (7 Kap. 7) gewinnt früher angenommen wurde. Darüber hinaus spielen
immer mehr der Bauchumfang (Ansammlung von sozioökonomische und psychosoziale Faktoren eine
39 viszeralem Fett) als Maß an Bedeutung. wichtige Rolle in der Ätiologie der Adipositas.
Zentrale und periphere Auswirkungen der ver-
40 änderten Energiezufuhr tragen zur Aufrechterhal-
tung des pathologischen Essverhaltens bei und kön-
23.1 · Anorexia nervosa
195 23
Die monomorphe Symptomatik der Essstörung des Zu Beginn einer Therapie muss
Jugend- und frühen Erwachsenenalters bereitet dif- 5 eine sorgfältige medizinische Untersuchung
ferenzialdiagnostisch kaum Schwierigkeiten. Die durch den Internisten, Endokrinolgen, Gy-
Anorexia nervosa ist eine oft chronische, rezidivie- näkologen und ggf. Pädiater erfolgen; eine
rende Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch einen Klinikeinweisung kann indiziert sein;
starken Gewichtsverlust, der selbst verursacht ist. 5 abgewogen werden, ob eine ergänzende
Hauptkriterien für die Diagnose sind: Körpergewicht Diagnostik durch EEG und CT erfolgen soll;
unter 85% der Norm (bzw. ein BMI ≤17,5), die inten- 5 festgestellt werden, ob komorbide Diagno-
sive Furcht vor einer Gewichtszunahme, eine gestörte sen bestehen;
Körperwahrnehmung und Amenorrhö (Ausblei- 5 hinterfragt werden, ob ein erhöhter Alko-
ben von ≥3 Zyklen). Bei vielen Patienten findet sich holkonsum bekannt ist (bei dem restriktiven
auch eine übertriebene Aktivität. Patienten, die die Subtyp selten);
Mahlzeit erbrechen oder Laxanzienabusus betreiben 5 eine stabile Arzt-Patienten-Beziehung aufge-
(Purging Subtyp) haben eine ungünstigere Progno- baut werden.
se als der restriktive Subtyp. 90% der Erkrankten sind
Die Behandlung soll so früh wie möglich begin-
Frauen.
nen.
Wahrscheinlich spielt für die Entstehung und Auf-
rechterhaltung der Störung die »psychobiosoziale«
Interaktion (genetische, neurochemische, psychoso-
ziale Faktoren) eine wichtige Rolle. Allerdings ist die Therapieziele bei der Behandlung der
Bedeutung sozialer Faktoren, etwa die Idealisierung Anorexia nervosa
schlanker Frauen, keineswegs geklärt. Normalisierung des Essverhaltens und Gewichtszu-
Frauen sind ca. 10-mal häufiger betroffen als nahme und – soweit erforderlich – Stabilisierung inner-
Männer. Der Altersgipfel liegt bei Mädchen bei 17– halb eines adäquaten Gewichtsbereiches (BMI >17,5)
18 Jahren, bei Jungen bei 12 Jahren; Erstmanifestati- und physiologischer Stoffwechselprozesse
onen nach dem 40. Lebensjahr sind selten, aber mög- 5 Verbesserung von Körperwahrnehmung und
lich. Wiederherstellung der eigenen Körperakzeptanz
Es besteht eine hohe Komorbidität zu depressiven 5 Klärung der Ambivalenz gegenüber einer
Störungen, Angststörungen und der Zwangsstörung. Gewichtszunahme
5 Abbau möglicher Reifungsängste
5 Bearbeitung mit der Symptomatik zusammen-
23.1.1 Therapie der Anorexia nervosa hängender bzw. zugrunde liegender Problembe-
reiche
Zur Gewichtsregulierung und zur Besserung der psy- 5 Aufbau von alternativen Fähigkeiten und Erar-
chosozialen Anpassung haben sich psychoeduka- beitung konkreter Lösungsmöglichkeiten
tive und kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnah- 5 Umgang mit gesunder Ernährung
men oder Interpersonelle Psychotherapie als bedingt 5 Einbeziehung der Familie/Partner
erfolgreich herausgestellt. Es gibt keine abgesicher- 5 Realitätstestung und Rückfallprophylaxe bereits
te medikamentöse Therapie; nur bei komorbiden Stö- während der stationären Therapie
rungen können Antidepressiva empfohlen werden
(s. unten, 7 Abschn. »Medikamentöse Therapie«). Die parenterale (Zwangs-)Ernährung sollte nur den
Patienten vorbehalten bleiben, die unter psychoe-
dukativen oder verhaltenstherapeutischen Maßnah-
men keine Gewichtszunahme gezeigt haben. Eine zu
schnelle Gewichtszunahme kann zu generalisierten
Ödemen oder – in Einzelfällen – zu einer Herzinsuf-
fizienz führen.
Die Mortalitätsrate ist mit 0,56% pro Jahr sehr
hoch. Die häufigste Todesursache bei Anorexia ner-
vosa sind ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher
Herztod.
196 Kapitel 23 · Essstörungen
26 5 Training zum Problemlösen und zur Erhöhung Durch das Erbrechen und ggf. Laxanzienabusus
kann es zu deutlichen Laborabnormalitäten kom-
der Stress- bzw. Ärger- und Frustrationstoleranz.
5 Wichtig ist die Einbeziehung des sozialen men. Alkohol- und Drogenmissbrauch muss hin-
27 Umfeldes in die Therapie. Familientherapie zeigte terfragt werden.
auch in Langzeitstudien erste positive Ergebnisse.
28 Medikamentöse Therapie
5 Eine Therapie mit Antidepressiva, auch SSRI, 23.2.1 Therapie der Bulimia nervosa
29 oder anderen Psychopharmaka zeigte bisher kei-
ne Erfolge. Im Gegensatz zur Anorexia nervosa gibt es für die
5 Empfohlen werden kann daher nur ein Versuch Bulimie neben der Psychotherapie (eingeschlossen
30 mit SSRI (z. B. Fluoxetin 20 mg tgl.) bei einer Ernährungstherapien und bewegungstherapeutische
komorbiden Störung, die auf SSRI anspricht. Verfahren) eine zweite Therapieoption mit Antide-
31 pressiva.
Trotz der oft wahnhaft anmutenden Überzeugung der
Patienten, übergewichtig zu sein, waren Antipsycho- Psychotherapie allein und in Kombination
32 tika bislang überwiegend unwirksam. In einer Studie mit Antidepressiva
war Olanzapin, bezogen auf Gewichtszunahme und Konventionelle Verhaltensmaßregeln, auch mit Teil-
33 Therapieakzeptanz erfolgversprechend. nahme an Selbsthilfegruppen, führen bei einem Teil
der Patienten bereits zum Erfolg. Bei hartnäckigen
oder chronischen Störungen und wenn im Vorder-
34 23.2 Bulimia nervosa grund dysfunktionale Gedanken stehen, ist dagegen
KVT indiziert. Besonders zur Rezidivprophylaxe eig-
35 Bei dieser bulimischen Form der Essstörung kommt
es zu häufigen Essattacken ungewöhnlich großer Men-
net sich KVT (Jacobi et al. 2004).
Die interpersonelle Theorie geht davon aus, dass
gen an Nahrungsmitteln während eines bestimmten die Essstörung einen inadäquaten Bewältigungsver-
36 Zeitintervalls mit Kontrollverlust, (mindestens 2- such bei Problemen in sozialen Beziehungen darstellt.
mal pro Woche für 3 Monate; Dauer ≤2 h); rezidivie- IPT hat als psychotherapeutisches Verfahren neben
rendem Erbrechen, exzessiver körperlicher Betätigung der KVT inzwischen Anerkennung erfahren.
37 oder Fasten (auch mindestens 2-mal pro Woche für KVT hat sich in der Kombination mit Antidepres-
3 Monate) und übermäßiger Beschäftigung mit dem siva gut bewährt (Walsh et al. 1997). In einer großen
38 Essen, der Figur und dem Gewicht. Starke Gewichts- Metaanalyse zeigten sich Vorteile für die KVT im Ver-
schwankungen bei Normal- bis Übergewicht sind die gleich zu Antidepressiva (Whittal et al. 1999).
Regel.
39 Dabei werden der Purging-Typ (mit selbstindu- Therapie mit Antidepressiva
ziertem Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien, 5 Trizyklische Antidepressiva und SSRI sind wirk-
40 Diuretika oder Klistieren) und der restriktive Typ sam. Es empfiehlt sich wegen des günstigeren
(ohne regelmäßiges Erbrechen/Laxanzienmissbrauch, Nebenwirkungsrisikos SSRI zu geben.
aber mit anderen unangemessenen, einer Gewichtszu- 5 Zugelassen ist nur der SSRI Fluoxetin.
23.4 · Adipositas
197 23
5 Höhere Dosen SSRI hatten oft einen besseren Therapie der Binge-eating-Störung
Effekt. 5 Konventionelle verhaltenstherapeutische Maß-
5 Die notwendige Dauer der medikamentösen The- nahmen, KVT und IPT haben sich als wirksam
rapie ist noch unklar; 24 Monate Erhaltungsthe- erwiesen. Zur Erhaltung des Therapieerfolgs sind
rapie zur Rückfallprophylaxe scheinen aber gün- »booster sessions« nötig.
stig zu sein. 5 Auch SSRI sind wirksam, wobei der positiven
5 Auch bei der Bulimia nervosa sollten Antide- Wirkung auf die Impulskontrolle besondere
pressiva nur im Rahmen eines Gesamtbehand- Bedeutung zukommt.
lungsplans zusammen mit einer psychotherapeu- 5 KVT und SSRI (Fluoxetin) hatten kombiniert
tischen Intervention erfolgen. eine gute Wirkung.
5 Aussagekräftige Vergleichsuntersuchungen gibt
es nicht (de Zwaan 2002).
Fazit 5 Auch Sibutramin, ein Antiadipositum,
(7 Abschn. 13.2 und 7 Abschn. 23.4) hat eine gute
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psycho- Wirkung bei »binge eating«.
therapie bei der Bulimia nervosa – Bewertung
5 Bereits konventionelle Verhaltensmaßregeln im Rah-
men eines Therapiesettings sind bei vielen Patienten 23.4 Adipositas
wirksam.
5 Bei hartnäckigen Störungen und zur Rezidivprophyla- Adipositas ist ein neues Grenzgebiet der Psychophar-
xe ist die KVT indiziert. makotherapie. Die Erkrankung ist primär eine inter-
5 Auch die Therapie mit SSRI ist wirksam; in Kombinati- nistische Erkrankung (Übergewicht: BMI >25; Adipo-
on mit KVT ist eine bessere Wirkung zu erwarten. sitas: BMI >30). Sie ist mit einem deutlich erhöhten
5 Unter den SSRI ist das Mittel der Wahl Fluoxetin (weil Risiko für Begleiterkrankungen, etwa Diabetes und
es zugelassen ist). Die Dosis wird höher als bei der Schlafapnoe, besonders aber Herz-Kreislauf-Erkran-
antidepressiven Therapie gewählt. Eine 2-jährige kungen, verbunden. 12–18% der erwachsenen Bevöl-
Therapie ist zu empfehlen. kerung sind adipös; die Steigerungsraten sind in den
letzten 50 Jahren rasant. Der beste Prädiktor für ein
erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen ist
der Bauchumfang (Cut-off-Wert: 88 cm für Frauen,
23.3 Binge-eating-Störung 102 cm für Männer, gemesen beim Ausatmen).
In der Psychoparmakotherapie hat eine
Die Binge-eating-Störung ist als Syndrom für die Ess- Gewichtszunahme besonders unter Antipsychoti-
störungen wichtig, aber noch kein allgemein akzep- ka (7 Abschn. 7.6) aber auch einigen Antidepressiva
tiertes Krankheitskonzept. (7 Abschn. 5.6) einen großen Einfluss auf die medika-
Die Binge-eating-Störung kommt etwa doppelt so mentöse Compliance.
häufig wie die Bulimia nervosa vor und ist durch den Darüber hinaus tritt Adipositas bei mehreren psy-
intermittierenden Verzehr großer Nahrungsmengen chiatrischen Erkrankungen, unabhängig von einer
bei fehlender dauerhafter Beschäftigung mit der Figur Psychopharmakagabe, als Symptom oder Teil der Stö-
gekennzeichnet. Da sich im Gegensatz zur Bulimia rung auf. Es gibt viele Hinweise, dass diese Patienten
nervosa keine regelmäßigen, einer Gewichtszunahme mit einem erhöhten Risiko für internistische Erkran-
gegensteuernden Maßnahmen finden, sind die Pati- kungen belastet sind. Besonders ist dabei auf die Fet-
enten meist übergewichtig. Hauptkriterien sind: rezi- tumverteilung in den Bauchbereich z. B. bei Depres-
divierendes »binge eating«; sehr schneller Verzehr von siven zu achten (7 Abschn. 15.8).
Nahrungsmitteln; Essen, bis unangenehmes Völlege-
fühl erreicht ist; Ekel- oder Schuldgefühl nach einem Therapie der Adipositas
»binge«. 5 Die Therapie der Adipositas ist primär interni-
Es findet sich im Gegensatz zur Adipositas ohne stisch.
Binge-eating-Störung eine doppelt so hohe Inzidenz 5 Eine medikamentöse Therapie sollte von verhal-
von affektiven Störungen und Angststörungen, gera- tenstherapeutischen (u. a. Selbsthilfemanuale)
de bei Frauen. und diätetischen Maßnahmen begleitet werden.
198 Kapitel 23 · Essstörungen
5 Medikamentöse Therapien waren bisher bei dern und Jugendlichen mit Anorexia nervosa, beson-
21 Adipositas nicht zugelassen. Nicht zugelassene ders wenn ausgeprägte Körperschemastörungen vor-
»Schlankheitspillen« 7 Abschn. 13.1. lagen. Die Patientinnen haben unter Olanzapin zuge-
5 Als Antiadiposita sind heute 3 Präparate zugel- nommen und die Psychopathologie hat sich gebessert.
22 assen (7 Kap. 13); sie sollten unter internistischer Bei begleitenden affektiven Symptomen kann auch ein
Kontrolle verabreicht werden: SSRI helfen. Besonders effektiv scheint die Kombinati-
23 – Orlistat, ein Lipasehemmer, der nur im Darm
wirksam ist;
on mit Psychotherapie zu sein (Dennis et al. 2006).
Schlafstörungen
Die Klassifikation der Schlafstörungen nach ICD-10 Schlafstörungen bei ca. 10% der Bevölkerung ange-
21 erfolgt in sog. nichtorganische und organische Schlaf- geben (im Alter zunehmend). Die meisten Menschen
störungen (wobei der Begriff »nichtorganisch« hier benötigen mindestens 6 h Schlaf. Die Bedeutung der
ungünstig gewählt wurde, weil alle psychischen Stö- nächtlichen Erholungsphasen auf verschiedene phy-
22 rungen eine biologische Grundlage haben). siologische Prozesse, besonders auf das Gedächt-
nis, wird zunehmend untersucht. Auch gibt es Unter-
Definition
23 suchungen, die auf ein erhöhtes Diabetesrisiko bei
Schlafmangel hinweisen. Der Zusammenhang ist so
Unter den nichtorganischen Schlafstörungen zu erklären: Das Hungergefühl während der Nacht
24 werden die Dyssomnie und die Parasomnie
getrennt. Während für die Parasomnien
wird durch die Produktion von Leptin (7 Kap. 23)
unterdrückt (nachts kennen wir kein Hungerge-
(7 Kap. 32), z. B. Schlafwandeln, Albträume oder fühl); bei Schlafmangel ist das Sättigungsgefühl auf-
25 Pavor nocturnus, keine Indikation für Hypnotika grund zu wenig ausgeschütteten Leptins verringert; es
besteht, ist die primäre Insomnie die wichtigste wird mehr Nahrung als nötig zu sich genommen; das
26 Erkrankung unter den Dyssomnien.
Die Hypersomnie (7 Abschn. 24.2) zählt die
Gewicht steigt.
In den letzten Jahren rückt der Terminus nichter-
ICD-10 auch zu den nichtorganischen Schlaf- holsamer Schlaf in den Vordergrund. Oft stehen neben
27 störungen. der Schlaflosigkeit auch Störungen der Tagesbefind-
Die wichtigen organischen Schlafstörungen sind lichkeit und der Funktionsfähigkeit im Vordergrund.
das Schlafapnoesyndrom (7 Abschn. 24.4), die
28 Narkolepsie (7 Abschn. 24.3) und das Restless-
Die Einführung des übergeordneten Begriffs nichter-
holsamer Schlaf hebt dann allerdings die alten Eintei-
legs-Syndrom (7 Abschn. 24.5). lungen zur Schlafstörung auf; Insomnie und Hyper-
29 Als eigene Gruppe werden Schlafstörungen somnie können nun unter einem Begriff zusammen-
im Rahmen psychiatrischer und körperlicher gefasst werden.
Störungen oder Substanzabusus abgegrenzt. Vor der Hypnotikaverordnung ist eine genaue
30 Schlafstörungen sind ein häufiges Leitsymptom Schlafanalyse notwendig: Beschreibung der Ein- und
vieler psychiatrischer Erkrankungen. Besonders Durchschlafstörungen, Früherwachen, Schlaflänge
31 ausführlich ist der gestörte Schlaf bei affektiven
Erkrankungen dokumentiert; etwa 90% der Pati-
und Häufigkeit der Schlafunterbrechungen.
enten haben eine Insomnie, 10% eine Hypersom- Ursachen der Insomnie
32 nie. Die Schlafstörungen werden dann zusammen Die häufigsten Ursachen sind:
mit der Primärerkrankung behandelt. Die The- 5 Begleitsymptomatik von organischen Erkran-
rapie wird in den entsprechenden Kapiteln und
33 hier in 7 Abschn. 24.1.3 besprochen, weil auch für
kungen (z. B. neurodegenerative Erkrankungen,
Herz- oder Lungenerkrankungen, maligne
diese Gruppe die Regeln der primären Insomnie Erkrankungen, chronische Infektionen)
34 anzuwenden sind. 5 Schmerzsyndrome
Das Chronic-Fatigue-Syndrom wird in 7 Ab- 5 Psychische Stressoren
schn. 5.4 besprochen. 5 Umgebungsbedingten Stressoren (Lärmbela-
35 stung, Schichtarbeit, Jetlag)
5 Schlechte Schlafhygiene
36 5 Körperliche Krankheiten und andere körperliche
24.1 Primäre Insomnie chronische Belastungen, auch häufiges nächt-
liches Wasserlassen
37 Insomnie wird mit dem Begriff Schlafstörungen syno- 5 Nahezu alle psychiatrischen Erkrankungen
nym benutzt, was aber, wie die Übersicht oben zeigt, 5 Konstitutive Faktoren
38 nicht ganz korrekt ist, weil »Schlafstörung« einen 5 Medikationseffekte und Drogen:
Oberbegriff definiert. Unter primärer Insomnie (abge- – Sympathomimetika, Theophyllin
kürzt Insomnie) wird ein Zustand mit ungenügender – Hormone, wie Schilddrüsenhormone, Korti-
39 Dauer oder Qualität des Schlafs über eine längeren sol, Kontrazeptiva
Zeitraum verstanden. – stimulierende Substanzen (Koffein und syn-
40 Ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung berich- thetische Substanzen, z. B. Amphetamine,
tet über zumindest gelegentliche Schlafstörungen. Als Ecstasy), auch L-Dopa
überdauernd oder deutlich beeinträchtigend werden
24.1 · Primäre Insomnie
201 24
34
35
36
37
38
39
40
25.1 ·
207 25
Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen
Nach ICD-10 und DSM-IV werden Persönlichkeits- können, sowie Substanzmissbrauch und -abhängig-
21 störungen als meist früh in der Kindheit oder Jugend keit (v. a. Alkohol, Benzodiazepine).
beginnende, anhaltende Muster von rigiden, nicht
angepassten Denk- und Verhaltensweisen, die sich Psychotherapie bei
22 in nahezu allen Lebensbereichen als Störung für den Persönlichkeitsstörungen
Betreffenden oder die Umwelt äußern, definiert. Die Der Kern der Therapie von Persönlichkeitsstörungen
23 vorherrschenden Symptome, die oft kombiniert auf-
treten, werden dann einzelnen Subtypen von Persön-
liegt in psychotherapeutischen Behandlungsverfah-
ren. Vor allem zwei psychotherapeutische Zugänge
lichkeitsstörungen (oder Diagnosen) zugeordnet. haben sich der empirischen Überprüfung gestellt und
24 können hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf kontrol-
Neurobiologie. Es gibt über die genetischen Befunde lierte Studien verweisen. Dies ist speziell für die The-
hinaus inzwischen eine Vielzahl von nachgewiesenen rapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung die »dia-
25 Veränderungen durch die strukturelle und funktio- lektisch-behaviorale Therapie« (DBT) (Linehan et al.
nelle Bildgebung in frontalen und limbischen Hirn- 2006; Kröger u. Kosfelder 2007) und die »Schemathe-
26 regionen bei Persönlichkeitsstörungen (Schmahl u. rapie« (Young et al. 2003, Giesen-Bloo et al. 2006).
Bohus 2006). Die DBT integriert verschiedene Behandlungsme-
Ätiologisch wird bei den Persönlichkeitsstö- thoden:
27 rungen davon ausgegangen, dass adversive Lebensbe- 5 Verhaltens- und Problemanalyse
dingungen und -ereignisse im (frühen) Kindesalter zu 5 Kontingenzmanagement
28 Veränderungen neuronaler Netzwerke führen (Her- 5 Kompetenz- und Problemlösetraining
pertz-Dahlmann u. Herpertz 2005). 5 Achtsamkeitsübungen
Speziell bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung 5 Akzeptanz- und Validierungsstrategien
29 (BPS) finden sich verminderte Hippocampus- und
Amygdalavolumina, die den Veränderungen bei der Neben der Einzeltherapie ist die Teilnahme an einer
posttraumatischen Belastungsstörung ähneln (Lieb et Gruppentherapie (Skillgruppe) vorgesehen. Die
30 al. 2004). Behandlung erstreckt sich über 2 Jahre. Das Vorgehen
folgt einer klaren Hierarchie. Dabei werden anfangs
31 die Impulsivität, die suizidalen bzw. parasuizidalen
25.1 Gesamtbehandlungsplan Handlungen sowie manipulative Handlungen bear-
beitet, erst dann folgt die Verringerung der Symptom-
32 Spezifische Medikamente zur Behandlung der Per- belastung und in einem dritten Schritt dann die sozi-
sönlichkeitsstörungen gibt es noch nicht, die Therapie ale Anpassung. Die Therapie von Borderline-Persön-
33 erfolgt im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans. lichkeitsstörungen erfordert anfangs bzw. phasenwei-
Dieser beinhaltet psychotherapeutische Maßnahmen se während der DBT auch eine stationäre Behandlung
(v. a. Verhaltenstherapie), psychosoziale Unterstüt- und die zusätzliche Pharmakotherapie.
34 zung und die syndromorientierte medikamentöse und Die Schematherapie ist eine Weiterentwicklung
supportiv-psychiatrische Behandlung. Ein Gesamtbe- der kognitiven Therapie und bearbeitet die in der frü-
35 handlungssplan ist bei Patienten mit Persönlichkeits-
störungen von besonderer Bedeutung, um die einge-
hen Entwicklungsphase etablierten fehlangepassten
Verarbeitungsmuster (Schemata) mittels kognitiver
schränkte Lebensqualität zu verbessern. Methoden (Disputationstechniken, Realitätstesten
36 usw.). Doch auch mit Interventionen zur Analy-
se von Traumatisierungen, Erkennen und Verändern
37 25.2 Therapie von emotionalen Reaktionen, ungeschickten Bewäl-
tigungsformen, Kontrolle von Temperament und
> Es muss immer zunächst geklärt werden, ob sich Impulsivität, kommen Imaginations- und Verhaltens-
38 zusätzlich zu einer bestehenden Persönlichkeitsstö- übungen zum Einsatz. Jeder Persönlichkeitsstörung
rung eine mit Psychopharmaka sicher behandelbare liegt ein bestimmtes Set von Schemata zugrunde, das
psychiatrische Störung (Achse-I-Störung) entwickelt aufgespürt und auf kognitiver und emotionaler Ebe-
39 hat. Besonders häufig sind depressive Episoden, die ne sowie in den Handlungsabläufen verändert wer-
mit Antidepressiva, wegen der besseren Verträg- den muss, um ein wenig belastetes Leben führen zu
40 lichkeit vorzugsweise mit selektiven Serotoninrück- können. Die Schematherapie wird ambulant durch-
aufnahmehemmern (SSRI), gut behandelt werden geführt, erstreckt sich, je nach Persönlichkeitsstörung
über 2–3 Jahre.
25.2 · Therapie
209 25
Psychopharmaka bei 5 Benzodiazepine sollten bei vorherrschender
Persönlichkeitsstörungen Angst nur akut und mit Vorsicht eingesetzt wer-
Bei schweren psychopathologischen Symptomen ist den (Abhängigkeitsrisiko), 7 Abschn. 25.2.1.
der Einsatz von Psychopharmaka frühzeitig indiziert;
er sollte nicht erst nach Ausbleiben des Erfolgs von Wichtig
psychotherapeutischen Maßnahmen erwogen wer-
den. Der Wirksamkeitsnachweis der medikamen- Bei der Pharmakotherapie von Persönlichkeitsstö-
tösen Therapie erfolgte zumeist in offenen oder ran- rungen sollte folgendes psychiatrisch-psychothe-
domisierten Studien mit kleinen Fallzahlen. Große rapeutisches Vorgehen im Vordergrund stehen:
Vergleichstudien, wie sie aus den anderen Kapiteln 5 Die Pharmakotherapie ist in der Regel
dieses Leitfadens bekannt sind, fehlen noch. Dennoch nur auf der Basis einer tragfähigen und
sind aus den bisherigen Studien bereits wichtige The- kontinuierlichen therapeutischen Beziehung
rapieempfehlungen abzuleiten, obwohl Zulassungen sinnvoll.
für diese Indikationen weitgehend fehlen. 5 Die Dosierung sollte individuell, an Zielsymp-
Generell werden bei einer Persönlichkeitsstörung tomen und Nebenwirkungen orientiert,
primär psychotherapeutische Maßnahmen empfoh- erfolgen. Meist sind relativ niedrige Dosie-
len. rungen ausreichend.
5 Die Mitbeteiligung der Patienten bei Aus-
Wichtig wahl und Dosierung ist notwendig.
5 Die Erfolgserwartungen sollten zzt. eher
Die medikamentöse Therapie von Persönlich- niedrig angesetzt werden.
keitsstörungen ist syndromorientiert. Sie richtet 5 Notwendige Kontrolluntersuchungen, Ne-
sich daher nach Zielsyndromen. benwirkungen und Begleiteffekte sind vor-
her zu besprechen, auch die Konsequenzen.
Es können z. B. Ziele über einen Stufenplan
Zielsyndrome für Psychopharmaka bei vereinbart und ausgearbeitet werden.
Persönlichkeitsstörungen 5 Klare »Verträge« mit entsprechenden Maß-
5 Wichtigste Zielsyndrome bei Persönlichkeitsstö- nahmen und Konsequenzen können hilfreich
rungen sind: sein (z. B. bei selbstverletzendem Verhalten
– depressive und andere affektive Symptome, und Suizidalität).
– unkontrollierbare Impulsivität und Aggres- 5 Es sollte eine möglichst sichere Medikation
sivität, und ggf. eine kleine Packungsgröße ver-
– dissoziative und psychotische Symptome. schrieben werden.
Pharmakotherapie
Cave
5 Empfehlungen zur Dauer der Therapie kön-
nen nicht gegeben werden, da sich die meisten 5 Das Suizidrisiko (Intoxikationen!) ist v. a. bei
Studien nur auf eine Behandlung von wenigen Borderline-Persönlichkeitsstörungen groß.
Wochen beziehen.
5 Eine erfolgreiche Pharmakotherapie sollte man
aber längerfristig mit der niedrigsten effektiven
Dosis unter sorgfältiger Überwachung von mög- 25.2.1 Spezifische Therapie bei
lichen Nebenwirkungen fortführen. Auch die Persönlichkeitsstörungen
wirksamen atypischen Antipsychotika (AAP)
sind nebenwirkungsreich (7 Kap. 7). 5 Bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung fehlt
5 Es besteht häufig eine ablehnende Haltung gegen- noch weitgehend ein psychopharmakologischer
über Medikamenten. Die Compliance ist oft Ansatz; das gilt auch für psychotherapeutische
gering mit einer hohen Abbruchrate. Medi- Interventionen.
kamente erzeugen bei manchen Patienten das 5 Auch für Verhaltensauffälligkeiten bei histrio-
Gefühl von Kontrollverlust. Auch kann die Medi- nischen Persönlichkeitsstörungen kann aus den
kation zum Interaktionsfeld werden. wenigen Fallberichten noch keine pharmakolo-
5 Nebenwirkungen werden oft sensitiv oder ver- gische Empfehlung abgeleitet werden.
stärkt wahrgenommen.
210 Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
5 Für die BPS liegen sowohl Studien zur Wirk- jedoch für Stimmungsstabilisierer, v. a. in Anbe-
21 samkeit psychotherapeutischer Verfahren (dia- tracht der möglichen Nebenwirkungen, in dieser
lektisch-behaviorale Therapie, s. oben) als auch Indikation nicht gegeben werden.
Empfehlungen zur symptomatischen medika- 5 Bei therapierefraktärer Angst liegen Einzelfall-
22 mentösen Therapie vor, die sich teilweise auch auf berichte zur Wirksamkeit von Benzodiazepi-
kontrollierte Studien stützen (Lieb et al. 2004). nen (Clonazepam, Alprazolam) vor.Unter Alpra-
5 Die bei BPS gefundenen wirksamen syndromori-
23 entierten Therapiemöglichkeiten lassen sich auch
zolam wurde aber in Einzelfällen Kontrollverlust
berichtet.
für Patienten mit dieser Symptomatik im Rah-
24 men anderer Persönlichkeitsstörungen nutzen. Störungen der Impulskontrolle, Reizbarkeit
5 Für Persönlichkeitsstörungen mit Symptomen, und unkontrollierte Wut, impulsive
die auch im Rahmen von Achse-I-Störungen auf- Aggression, impulsive Selbstverletzung
25 treten und dabei wirksam behandelt werden kön- 5 Im Rahmen einer BPS werden bei impulsiver
nen (v. a. depressive Symptome, Angstsymptome, Aggression, Wut, Reizbarkeit und selbstverlet-
26 psychosenahe Symptome, Zwangssymptome), zendem Verhalten SSRI und Venlafaxin empfoh-
lassen sich zumindest Hinweise für die Sym- len. Gewünschte Effekte auf Wut und impulsive
ptombehandlung bei Patienten mit Persönlich- Aggression treten oft früher und unabhängig von
27 keitsstörungen gewinnen. Dies trifft insbesonde- Wirkungen auf Stimmung oder Angst ein. Auch
re für schizotypische, paranoide, zwanghafte und kann auf Valproinsäure oder ein AAP (Aripipra-
28 selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen zu. zol, Risperidon, Quetiapin, Olanzapin, Clozapin)
zurückgegriffen werden. Für Lamotrigin liegt
Affektstörungen (depressive Stimmung, eine placebokontrollierte Studie bei Patienten mit
29 Angst, Wut, Aggression) BPS vor, die eine überlegene Wirksamkeit zur
5 Bei affektiven Symptomen (insbesondere depres- Reduktion des selbst erlebten Ärgers zeigte.
siven Verstimmungen, Stimmungsschwan- 5 Carbamazepin und Valproinsäure werden bei
30 kungen, Empfindlichkeit gegen Abweisung, impulsiver Aggression häufig eingesetzt. Für Val-
Angst, pathologischem Ärger, Wut und Feindse- proinsäure liegen kleine kontrollierte Studien zur
31 ligkeit) werden SSRI und Venlafaxin empfohlen; Wirksamkeit, insbesondere, wenn SSRI unwirk-
zu den SSRI liegen Studien vor, die sich bis über sam sind. Auch Lithium war bei dieser Indikati-
3 Jahre erstrecken. on wirksam.
32 Bei mangelnder Wirksamkeit eines ersten SSRI 5 Bei impulsiver Aggressivität und schweren Selbst-
sollte nach etwa 6 Wochen ein Versuch mit einem verletzungsimpulsen wurde in Einzelfällen unter
33 zweiten SSRI oder Venlafaxin gemacht werden. Einhaltung der übrigen Kontraindikationen und
Eine Verordnung von Venlafaxin sollte nur dann Kontrollen Clozapin mit Erfolg eingesetzt. Clo-
erfolgen, wenn bei den Patienten kein Suizidri- zapin war Olanzapin überlegen (Krakowski et al.
34 siko besteht (Cave: Intoxikationsrisiko).Danach 2006).
als zweite Option kann eine Augmentation mit 5 Für Quetiapin und Risperidon liegen positive Ein-
35 einem AAP in niedriger Dosis versucht werden.
5 Für die Therapie von aggressiven Affektdurch-
zelfallberichte bei Patienten mit antisozialer Per-
sönlichkeitsstörung vor
brüchen und aggressiven Verhaltensweisen liegen 5 Naltrexon war bei Selbstverletzungstendenzen im
36 positive Studienergebnisse für Haloperidol vor; Rahmen einer BPS erfolgreich.
allerdings sind AAP (z. B. Risperidon, Quetiapin,
Olanzapin) wahrscheinlich in dieser Indikation Cave
37 besser geeignet und trotz fehlender kontrollierter
Studien vorzuziehen. Benzodiazepine sollten auch bei dieser Zielsym-
38 5 Bei Impulsivität, Stimmungsschwankungen und ptomatik nur in Akutsituationen gegeben wer-
den. Einzelfälle von Kontrollverlusten wurden un-
affektiven Symptomen (Aggressivität, Depressi-
vität) können bei zuverlässigen Patienten Lithi- ter Benzodiazepinen berichtet. Möglicherweise
39 um, Carbamazepin und Valproinsäure erwogen sind in Akutsituationen AAP eine Alternative.
werden. Für Valproinsäure liegen kleinere kon-
40 trollierte Studien vor, die eine Wirksamkeit bei
Aggressivität und Irritabilität im Rahmen von
BPS belegen. Eine generelle Empfehlung kann
25.3 · Behandlung von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen …
211 25
Kognitive Symptome und Spezifische Impulskontrollstörungen
Wahrnehmungsverzerrungen 5 Bei spezifischen Störungen der Impulskontrolle
5 Zur Behandlung von Beziehungsideen, Illusi- (pathologisches Spielen, Pyromanie, Kleptomanie,
onen, meist passageren Halluzinationen und Trichotillomanie) haben sich in Fallserien SSRI in
Pseudohalluzinationen und paranoiden Ideen oft höherer Dosierung und über mehrere Monate
sowie der häufig damit verbundenen Hostilität als hilfreich erwiesen, eine Kombination mit psy-
im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen haben chotherapeutischen Interventionen ist in jedem
sich konventionelle hochpotente Antipsychotika Fall zu empfehlen.
(z. B. Haloperidol, Perphenazin, Flupentixol) in 5 Auch ein zweiter Versuch mit einem SSRI scheint
niedriger Dosierung effektiv erwiesen. Allerdings angeraten, bevor ein AAP, ggf. auch in Kombina-
zeigte sich bei längerer Gabe eine geringe Ver- tion versucht werden kann.
träglichkeit aufgrund der bekannten Nebenwir-
kungen (7 Abschn. 7.6).
5 Allerdings sollte trotz fehlender kontrollierter Fazit
Studien den AAP in möglichst niedriger Dosie-
rung unter Einhaltung der üblichen Kontraindi- Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Persön-
kationen und Kontrolluntersuchungen der Vor- lichkeits- und Verhaltensstörungen – Bewertung
zug bei Behandlungsversuchen für diese Zielsym- 5 Die medikamentöse Therapie von Persönlichkeitsstö-
ptomatik gegeben werden. rungen ist syndromorientiert. Sie richtet sich daher
5 Bei dissoziativen Symptomen, insbesondere bei nach Zielsyndromen.
BPS, wird über positive Ergebnisse mit Naltrexon 5 Neben der Psychotherapie kann die medikamentöse
(Dosis meist 25–100 mg/Tag) in Kombination Therapie, obwohl nur wenige kontrollierte Studien
mit Psychotherapie berichtet. bekannt sind, eine wertvolle Therapieerweiterung
sein.
Verhaltensstörungen bei 5 Bei jeder spezifischen Störung muss auf das bis dahin
Intelligenzminderung am besten untersuchte wirksame Präparat zurück-
5 Bei aggressivem Verhalten bei Intelligenzminde- gegriffen werden (7 Abschn. 25.2). Es bleibt aber ein
rung kann zunächst Risperidon versucht werden. individueller Behandlungsversuch.
Andere AAP wurden seither nicht in kontrol- 5 Speziell bei der BPS gibt es drei medikamentöse
lierten Studien untersucht. Bei chronisch aggres- Optionen:
sivem Verhalten ist im zweiten Schritt ein Thera- – SSRI bei vorherrschender Depressivität, Angst
pieversuch mit Valproinsäure oder Carbamazepin oder Ärger,
vorsichtig indiziert. – AAP besonders bei kognitiven Störungen,
5 Bei organisch bedingten aggressiven Störungen – Stimmungsstabilisierer bei vorherrschenden
kann ein Therapieversuch mit β-Rezeptorenblo- impulsiven Störungen.
ckern auch in höherer Dosierung oder mit Cloni-
din erfolgreich sein (langsam aufdosieren).
5 Bei Oligophrenien und anderen geistigen Behin-
derungen tritt nicht selten neben motorischen 25.3 Behandlung von
Stereotypien repetitives selbstverletzendes Ver- Persönlichkeits- und
halten mit z. T. auch mutilierenden Selbstverlet- Verhaltensstörungen im
zungen auf. In dieser Indikation kann auch Ris- Kindes- und Jugendalter
peridon eingesetzt werden.
5 Bei expansiven und disinhibierten Verhaltensstö- Nach ICD-10 ist die Diagnose einer Persönlichkeits-
rungen im Rahmen von Oligophrenien kann ein störung vor Abschluss der Pubertät (ungefähr 16 Jah-
Versuch mit Valproinsäure oder Antipsychotika re) wahrscheinlich unangemessen. Vor diesem Lebens-
(insbesondere Risperidon) empfohlen werden. alter sollte sie nur dann vergeben werden, wenn die
5 Keine Empfehlung kann trotz positiver Fallbe- Mindestzahl der geforderten Kriterien erfüllt ist, die
richte für Naltrexon und Methylphenidat bei gei- spezifischen Verhaltensmuster bereits in der Adoles-
stiger Retardation (IQ <50) und autistischen zenz zeit- und situationsübergreifend auftreten und
Symptomen ausgesprochen werden. zur Einschränkung der schulischen, beruflichen und
sozialen Leistungsfähigkeit führen.
212 Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
40
25.4 · Checkliste
213 25
25.4 Checkliste
?
1. Bei Persönlichkeitsstörungen liegen häufig
komorbide psychiatrische Erkrankungen
(Achse-I-Störungen) vor, auf welche Stö-
rungen ist besonders zu achten?
2. Was bedeutet die Komorbidität von Persön-
lichkeitsstörungen und anderen psychiat-
rischen Erkrankungen für die medikamen-
töse Behandlungsstrategie?
3. Welche Probleme ergeben sich häufig bei
der medikamentösen (Mit)behandlung von
Persönlichkeitsstörungen?
4. Wie erfolgt die Auswahl von medikamen-
tösen Behandlungsoptionen bei Persönlich-
keitsstörungen?
5. Welche Behandlungsoptionen haben sich
bei der Behandlung der Borderline-Persön-
lichkeitsstörung bewährt?
6. Wie werden Störungen des Sozialverhaltens
bei Kindern und Jugendlichen definiert und
welches Medikament ist zur Behandlung
dieser Störungsbilder zugelassen?
26.1 ·
215 26
Sexuelle Funktionsstörungen
Sexuelle Funktionsstörungen sind häufig. Jede 3. Frau chischen Beeinträchtigungen bis hin zur Depression
21 und jeder 4. Mann klagen über chronische sexuelle verbessert (Müller u. Benkert 2001).
Probleme. Insbesondere sind auch Patienten mit psy-
chiatrischen Störungen, wie Depressions- und Angst- Neurobiologie der sexuellen Funktionsstörungen.
22 störungen, Schizophrenien oder Abhängigkeitser- Neben Störungen des peripheren Nervensystems,
krankungen davon betroffen. das die Erektion steuert, und neuroanatomischen
23 Drei Störungsbereiche stehen im Rahmen der
sexuellen Funktionsstörungen im Vordergrund:
und physiologischen Veränderungen des Penis, kann
auch die zentrale Regulation der Erektion gestört sein.
5 Erektionsstörungen bzw. Störungen der Lubrika- Neuropeptide und Steroidhormone spielen dabei
24 tion und der sexuellen Erregung; eine entscheidende Rolle (Hartmann et al. 2006;
5 gestörtes sexuelles Erleben mit Ejakulationsstö- 7 Abschn. 12.2.2). Die Bedeutung des Stickstoffmon-
rungen bzw. Orgasmusstörungen und Schmerzen oxids (NO) wird in Zusammenhang mit den PDE-5-
25 beim Geschlechtsverkehr; Hemmern besprochen (7 Abschn. 12.2.1).
5 Libidostörungen mit vermindertem sexuellem Darüber hinaus entstammen viele der heu-
26 Verlangen. tigen Kenntnisse über die sexuellen Funktionen
und deren Aktivierung bzw. Blockade durch spe-
Sexuelle Funktionsstörungen erfordern eine interdis- zifische Neurotransmitterrezeptoren der Psycho-
27 ziplinäre Diagnostik. Vor Beginn einer Therapie ist pharmakaforschung. Dopaminagonisten können
der Ausschluss organischer und psychiatrischer Ursa- das sexuelle Verhalten verstärken, Dopaminanta-
28 chen zwingend. Gefäßerkrankungen, Diabetes melli-
tus, Hypothyreose und andere endokrine Störungen,
gonisten (z. B. Antipsychotika, 7 Kap. 7) können es
dämpfen. Einige Antipsychotika können auch über
neurologische Erkrankungen und andrologische bzw. die Erhöhung des Prolaktins einen negativen Ein-
29 gynäkologische Beschwerden führen häufig zu sexu- fluss auf das Sexualverhalten haben (7 Kap. 7). Es
ellen Funktionsstörungen, genauso wie urologische wird angenommen, dass eine wichtige dopaminerge
oder gynäkologische Operationen. Regulationzentrale für das sexuelle Verhalten im
30 Während früher überwiegend psychotherapeu- medialen präoptischen Areal (MPOA) des Hypo-
tische bzw. sexualtherapeutische Maßnahmen bei thalamus liegt. Das serotonerge System übt dage-
31 sexuellen Funktionsstörungen angewandt wurden, gen einen inhibitorischen Einfluss auf das sexuelle
hat die Möglichkeit der medikamentösen Behandlung Verhalten aus. Die serotonergen Neurone sind über-
der Erektionsstörungen mit Phosphodiesterase-Typ- wiegend in den Raphekernen lokalisiert. Die sexuel-
32 5-Inhibitoren (PDE-5-Hemmer) eine Therapiewen- le Verhaltenshemmung, insbesondere die Ejakulati-
de eingeleitet. Ein Sexualtherapeut kann sich jetzt bei onshemmung, ist eine Nebenwirkung der selektiven
33 gestörter Erektion mehr auf die mögliche Partnerpro- Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI), kann aber
blematik und andere Ursachenaufarbeitungen (z. B. andererseits therapeutisch zur Ejakulationsverzöge-
Missbrauchserfahrung) konzentrieren, während par- rung genutzt werden.
34 allel die erektile Dysfunktion medikamentös behan-
delt wird. Im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans
35 werden Verhaltenstherapie, Paartherapie und medika- 26.1 Erektionsstörungen
mentöse Maßnahmen mit unterschiedlichen Schwer-
punkten eingesetzt. Die frühere Unterscheidung in psychogene oder
36 Es werden hier vorrangig die pharmakothera- somatogene Ursachen erektiler Dysfunktionen führt
peutischen Ansätze beschrieben. Wird eine hormo- oft nicht weiter, denn in den meisten Fällen sind psy-
nelle Therapie erwogen, ist immer der Urologe bzw. chologische, somatische und soziale Aspekte an der
37 Gynäkologe und ggf. der Endokrinologe einzube- Störung beteiligt. Es besteht eine deutliche Abhängig-
ziehen. Auch wenn die neurobiologischen Ursachen keit vom Alter. Allerdings können auch allein inter-
38 immer mehr in den Vordergrund rücken, sind bei der nistische (z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus), neuro-
sexuellen Funktionsstörung alle psychobiosozialen logische (z. B. multiple Sklerose) oder Zustände nach
Bedingungen, insbesondere die Partnerbeziehung, Operationen (z. B. Prostatektomie) die Ursache einer
39 zu berücksichtigen. Es zeigt sich bei der erfolgreichen Erektionsstörung sein.
Therapie der Erektionsstörungen beispielhaft, wie 5 Der Therapieschwerpunkt bei den Erektionsstö-
40 einerseits Psychotherapie biologische Auswirkungen rungen hat sich seit der Einführung von Sildena-
haben kann, andererseits aber auch die Besserung der fil und weiterer selektiver PDE-5-Hemmer auf die
Erektionsstörungen durch PDE-5-Hemmer die psy- orale Medikation verlagert (7 Abschn. 12.2.1). Die
26.5 · Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie
217 26
Fazit
Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörungen
Hinweise, dass die Therapie mit Stimulanzien im 5 Die Psychotherapie sollte in der Regel mit einer
Kindes- und Jugendalter sogar zu einem ernied- Pharmakotherapie kombiniert werden, da erfah-
rigten Risiko für einen späteren Substanzmiss- rungsgemäß einige Symptome (z. B. Aufmerk-
brauch beitragen kann. Der Einsatz von Psy- samkeit, emotionale Instabilität) eher durch die
chostimulanzien ist aufgrund seiner hohen Pharmakotherapie und andere (z. B. Organisa-
Ansprechrate grundsätzlich zu empfehlen, muss tionsverhalten, Verhalten in Beziehungen) eher
jedoch engmaschig kontrolliert werden. Die ver- durch die Psychotherapie zugänglich sind.
pflichtende Aufbewahrung der BtM-Rezepte für 5 Es liegen bislang nur vorläufige Studien zur
den einzelnen Patienten bietet eine gute Kontroll- Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Maßnah-
möglichkeit. men im Erwachsenenalter vor.
5 Die meisten Erfahrungen liegen in der Erwach- 5 Empfohlen wird eine Variante der Verhaltensthe-
senenbehandlung innerhalb der Gruppe rapie. Sie lehnt sich an die dialektische-behavio-
der Psychostimulanzien mit Methylphenidat rale Therapie (DBT) bei der Borderline-Persön-
(7 Abschn. 14.2) vor. lichkeitsstörung an.
5 Der selektive Noradrenalinrückaufnahmehem-
mer Atomoxetin (7 Abschn. 14.2) reduziert Impul-
sivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstö- Fazit
rung. Ein Abhängigkeitspotenzial besteht nicht.
5 Bei komorbider Suchterkrankung sollte an ein Psychopharmakotherapie und Psychotherapie bei
Alternativpräparat (selektiv noradrenerge Anti- ADHS – Bewertung
depressiva wie Nortriptylin, Desipramin, Reboxe- 5 Methylphenidat und Atomoxetin sind wirksam, aber
tin, ggf. auch MAO-Hemmer oder Venlafaxin) bei Erwachsenen nur »off-label« zu verordnen. Risiken
gedacht werden (7 Abschn. 14.2). Die Kontroll- und Nebenwirkungen sind streng zu beachten, be-
bedingungen im therapeutischen Setting müssen sonders bei Patienten mit Abhängigkeitsproblemen.
dann sehr engmaschig sein (regelmäßiges Dro- 5 Bei Abhängigkeitsproblemen ist die Therapie mit
genscreening). Diese Antidepressiva sind eine Antidepressiva vorzuziehen.
Alternative zu Methylphenidat. Die Dosierungen 5 Empfehlenswert ist es, die medikamentöse Therapie
liegen in Bereichen der antidepressiven Behand- mit Verhaltenstherapie zu kombinieren. Evaluiert ist
lung, es sollte in jedem Falle zunächst mit einer diese Kombination aber nicht.
niedrig bis mittleren Dosierung begonnen wer-
den, um die Ansprechrate zu überprüfen.
5 Modafinil (7 Abschn. 14.2) zeigte in ersten Unter-
suchungen zur ADHS von Kindern und Erwach- 27.3 Behandlung von ADHS im
senen eine gute Wirksamkeit, insbesondere bei Kindes- und Jugendalter
kognitiven Störungen. Die vorliegenden Daten
rechtfertigen den Einsatz dieser Substanz zzt. als Die Behandlung der ADHS sollte grundsätzlich mul-
Medikament der zweiten Wahl bei ADHS. timodal erfolgen und die einzelnen Komponenten
5 Therapiedauer: Nach bisheriger klinischer Erfah- sollten individuell für jeden Patienten abgestimmt
rung sollte eine erfolgreiche pharmakologische werden.
Behandlung über 6–18 Monate fortgeführt wer- An erster Stelle steht die Aufklärung und Beratung
den, bevor ein Reduktions- bzw. Absetzversuch der Eltern, des Patienten und auch anderer Bezugsper-
initiiert wird. sonen (z. B. Lehrer, Erzieher). Es folgen dann, abhän-
gig von Art und Ausmaß der Symptomatik, situativen
Einflüssen und Komorbidität, verschiedene Entschei-
27.2.2 Psychotherapie dungsschritte zur Optimierung der Behandlungsstra-
tegie.
5 Psychologische Therapien sind bei ADHS noch
wenig untersucht. Bei der Anwendung psycho- Medikamentöse Therapie
therapeutischer Verfahren wird, ausgehend von Bei stark ausgeprägter situationsübergreifender hyper-
den Erfahrungen aus der Kinder- und Jugend- kinetischer Symptomatik mit krisenhafter Zuspitzung
psychiatrie, empfohlen, störungsspezifisch vor- sollte eine Pharmakotherapie begonnen werden. Hier-
zugehen. bei sind Psychostimulanzien (7 Abschn. 14.3.1) auf
Grund ihrer erwiesenen Wirksamkeit Medikamente
224 Kapitel 27 · Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen
der ersten Wahl. Unter bestimmten Voraussetzungen wirksam haben sich die alleinige intensive psychoso-
21 ist auch Atomoxetin ein Mittel der ersten Wahl. Die- ziale, verhaltenstherapeutisch orientierte Interventi-
se Medikamente sind für Kinder und Jugendliche on und eine sozialpsychiatrisch-orientierte Therapie
zugelassen. Auf die medikamentöse Behandlung der erwiesen.
22 Komorbiditäten wird in 7 Abschn. 14.3.1 eingegangen. In einer weiteren Studie erzielten zusätzliche psy-
chosoziale und psychotherapeutische Maßnahmen
Psychoedukative, psychosoziale und
23 psychotherapeutische Interventionen
neben der differenzierten, individuellen Medikation
kein besseres Ergebnis als Medikation mit intensiver
Die Behandlung der ADHS von Kindern und Jugend- Psychoedukation, Begleitung der Familie und Krisen-
24 lichen setzt erzieherische und behandlungsorganisa- management (Remschmidt u. Heiser 2004; Stellung-
torische Kooperationen voraus, deswegen ist die Psy- nahme der Bundesärztekammer 2007).
choedukation unverzichtbar.
25 Die psychotherapeutischen Ansätze basieren auf
verhaltenstherapeutischen Prinzipien. Als hilfreich 27.4 Checkliste
26 sind verhaltenstherapeutische Interventionen mit
dem Kind und im Kindergarten bzw. in der Schule ?
sowie das Eltern-Training einzustufen. Die Therapie
27 stützt sich vorwiegend auf operante Techniken. 1. Welche Problematik besteht bei der medika-
Sollte die hyperkinetische Symptomatik weniger mentösen Therapie des ADHS im Erwachse-
28 stark ausgeprägt sein, empfiehlt sich ein Selbstinstruk-
tionstraining und Neurofeedback. 2.
nenalter?
Welche Therapiekomponenten sollten bei
Bei externalisierenden Auffälligkeiten des Kindes ausgeprägter ADHS-Symptomatik im Kindes-
29 in der Schule (ADHS mit Störungen des Sozialverhal- und Jugendalter zum Einsatz kommen und
tens) sollte eine Aufklärung und Beratung der Lehrer worin liegt der Vorteil einer Kombinationsbe-
erfolgen sowie eine Intervention in der Schule vorge- handlung?
30 nommen werden. Sollte dies nicht genügen, empfiehlt
sich eine zusätzlich Pharmakotherapie.
31 Bei externalisierenden Auffälligkeiten des Kin-
des in der Familie können ein Elterntraining und die
Intervention in der Familie hilfreich sein. Wenn dies
32 nicht zu einer Verbesserung der Symptomatik führt,
ist auch hier eine zusätzliche Pharmakotherapie zu
33 empfehlen. Bei schwierigen Therapieverläufen muss
eine komorbide Störung in Betracht gezogen werden,
die dann unter anderem durch soziales Kompetenz-
34 training, Übungsbehandlung sowie Einzel- und Grup-
penpsychotherapie behandelt werden kann.
35 Multimodale Therapie
Aus einer großen pharmakologisch-psychotherapeu-
36 tischen Kombinationsstudie zu ADHS bei Kindern
und Jugendliche ist abzuleiten, dass die Kombination
aus Psychostimulanzien mit einer intensiven psycho-
37 sozialen, verhaltenstherapeutisch-orientierten Inter-
vention aber auch die alleinige ausreichend dosier-
38 te und monatlich kontrollierte Psychostimulanzien-
Medikation signifikant wirksam waren. Die kom-
binierte Therapie hatte zusätzlich noch eine signifi-
39 kante Wirksamkeit in Bezug auf die Entwicklung sozi-
aler Fertigkeiten, eine Verbesserung der Symptomatik
40 komorbider Störungen, Eltern-Kind-Beziehungsstö-
rungen und Schulleistungsprobleme, was die alleinige
medikamentöse Behandlung nicht hatte. Als weniger
28.1 ·
225 28
Abhängigkeitsstörungen
In diesem Kapitel werden die typischen Abhängig- pie beschrieben. Anders als in den übrigen Kapiteln
21 keitserkrankungen mit Entzugssyndromen und Into- folgt die Gliederung hier den wichtigsten Suchtmit-
xikationssymptomen mit der entsprechenden Thera- teln.
22
Definition
33
Therapiephasen bei Abhängigkeit und
34 Sucht
Es können folgende Phasen unterschieden werden:
35 Definition
36 Motivation
Beratung und Motivation zur Durchführung weiter-
versteht man die zusätzliche Anwendung psychothe-
rapeutischer, insbesondere motivationsfördernder
gehender Therapiemaßnahmen, wie z. B. einer Ent- Maßnahmen. Die Entgiftungsbehandlung wird im Re-
37 giftungs- und Entwöhnungsbehandlung steht im Vor- gelfall unter stationären Bedingungen durchgeführt.
dergrund. Es ist eine primär hausärztliche Tätigkeit im Für Patienten, die absprachefähig sind, kein Entzugs-
38 Rahmen mehrerer Kurzinterventionen. krampfanfall oder Delir in der Vorgeschichte haben
und keine relevanten Alkoholfolgeerkrankungen be-
Entgiftung
stehen, kommt auch eine ambulante Entgiftungsbe-
Symptomatische und protektive medikamentöse Be-
39 handlung des (körperlichen) Entzugssyndroms bis zu handlung in Frage.
6
dessen Beendigung. Unter qualifizierter Entgiftung
40
28.1 · Suchtmittel
227 28
Entwöhnung Nachsorge
Psycho- und soziotherapeutische sowie rehabili- In dieser Phase soll die stufenweise soziale und beruf-
tative Maßnahmen zur Behandlung insbesondere liche Wiedereingliederung und Neustrukturierung des
der psychischen Abhängigkeit (z. B. stationäre oder sozialen Umfelds erfolgen. Die Teilnahme an Selbsthil-
ambulante Kurz- oder Langzeittherapie mit unter- fegruppen ist erwünscht.
schiedlichem Behandlungsansatz, v. a. verhaltens-
therapeutische Interventionsstrategien) sind in der
Entwöhnungsphase entscheidend. Unterstützend
kann eine medikamentöse Rückfallprophylaxe bzw.
Substitution eingesetzt werden . Tab. 11.1).
Cave
28.1 Suchtmittel
Der Einsatz von Benzodiazepinen bei Alkoholin-
Im Anschluss an die Darstellung der Abhängigkeits- toxikationen ist wegen synergistischer Effekte am
erkrankungen folgt jeweils die Therapie mit den ent- GABAA-Rezeptorkomplex kontraindiziert.
sprechenden Schwerpunkten.
Alkoholentzugssyndrom
28.1.1 Alkohol 5 Bei unkompliziertem Alkoholentzugssyndrom
kann es u. a. zu Blutdruckerhöhung, Tachykardie,
Alkohol hat einen komplexen physiologischen Effekt Tremor, Ängsten, psychomotorischer Unruhe,
und hat sowohl eine stimulierende als auch sedieren- Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö kommen.
de Wirkung. Alkohol entfaltet eine Vielzahl von Wir- 5 In schweren Fällen entwickelt sich ein Alkoholent-
kungen im ZNS, besonders am dopaminergen und zugsdelir (Delirium tremens, s. unten) oder ein
opioiden System, am GABAA-Benzodiazepinrezep- Grand-mal-Entzugskrampfanfall, in seltenen Fällen
torkomplex, 5-HT3-Rezeptor (stimulatorisch) und eines Status epilepticus.
NMDA-Rezeptorkomplex (inhibitorisch).
Therapie. Der Einsatz einer medikamentösen The-
Alkoholintoxikation rapie ist dringend indiziert. Im deutschsprachigen
5 Bei akuter Alkoholintoxikation können bei Raum ist bei stationärer Behandlung Clomethiazol
schwerer Ausprägung folgende Symptome auf- (7 Abschn. 11.2.3) Mittel der ersten Wahl. Ambulant
treten: werden Tiaprid oder Carbamazepin verordnet.
– Enthemmung, Rededrang, Euphorisierung,
bei schwerer Intoxikation auch aggressives
228 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
phylaxe) und möglicherweise Abstinenzbeendi- 5 Disulfiram (7 Abschn. 11.2.4) war früher das ein-
gungsphase (Rückfall und erneute Motivationsar- zige Medikament, das zur Rückfallprophylaxe
beit) durchläuft. zur Verfügung stand. Wegen potenziell lebensbe-
5 Motivationale Therapie, kognitiv-behaviorale drohlicher Komplikationen bei Trinkzwischenfäl-
Therapie, Vorgehen nach dem 12-Schritte-Modell len stellt es jedoch keine Standardtherapie dar.
der anonymen Alkoholiker stellen erfolgreiche
psychotherapeutische Interventionen in der Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit
Behandlung alkoholabhängiger Patienten dar. Die 5 Bei der Alkoholabhängigkeit besteht eine erhöhte
Kombination dieser Techniken wird unter dem Komorbidität mit anderen psychiatrischen
Begriff der alkoholismusspezifischen Psychothe- Erkrankungen, besonders der Depression und
rapie (ASP) zusammengefasst. Insbesondere die Angststörungen. Mehr als 30% aller alkoholab-
motivationale Therapie ist für die Anwendung im hängigen Patienten leiden an einer behandlungs-
klinisch-psychiatrischen wie auch hausärztlichen bedürftigen Depression; mehr als 10% aller alko-
Alltag geeignet; für alle Techniken stehen praxis- holabhängigen Patienten suizidieren sich. Eine
nahe Manuale zur Verfügung. Antidepressivatherapie bei komorbiden Depres-
5 Die aktive Teilnahme an Selbsthilfegruppen (z. B. sions- oder Angststörungen senkt die Rückfall-
Anonyme Alkoholiker mit einem strukturierten häufigkeit. Ein großer Anteil von Alkoholabhän-
12-Stufen-Programm) ist für viele Patienten in gigen ist nikotinabhängig; auch diese Behandlung
der Nachsorgephase zur Abstinenzerhaltung hilf- unterstützt die Alkoholabstinenzerhaltung.
reich. Eine aus einem 12-Stufen-Programm abge-
leitete Gruppentherapie wurde in einer groß-
en amerikanischen Studie zu psychotherapeu- Fazit
tischen Behandlungsverfahren bei Alkoholab-
hängigkeit (»Projekt Match«) in seiner Wirksam- Pharmakotherapie und Psychotherapie der Alko-
keit bestätigt. holkrankheiten und der Rückfallprophylaxe bei
5 In den letzten 10 Jahren hat die medikamentöse Alkoholabhängigkeit – Bewertung
Rückfallprophylaxe zunehmend ihre Wirksam- 5 Bei Erregungszuständen durch Alkoholintoxikati-
keit erwiesen. Sie muss mit den anderen sucht- onen ist Haloperidol am risikoärmsten einzusetzen.
therapeutischen Hilfen in einen Gesamtbehand- 5 Beim Alkoholentzugssyndrom und dem Delirium
lungsplan eingebunden werden. tremens ist Clomethiazol das Mittel der Wahl.
5 Clomethiazol darf, besonders wegen eigener Ab-
Definition hängigkeitsentwicklung, nicht ambulant verordnet
werden; es darf nicht länger als 2 Wochen gegeben
5 Craving (unstillbares zwanghaftes Verlan- werden.
gen nach Alkohol) wird als Zeichen der 5 Die Rückfallprophylaxe muss zwingend in einem
psychischen Abhängigkeit mit erhöhter Gesamtbehandlungsplan eingebunden werden.
Auftrittswahrscheinlichkeit von Rückfällen Psychotherapeutische Modelle, Selbsthilfegruppen
angesehen. und Pharmakotherapie sind zu integrieren. Eine
Priorität einer Behandlungsform stellt sich hier (wie
etwa bei den Angststörungen oder der Depression)
Pharmakotherapie der Rückfallprophylaxe nicht, da alle therapeutischen Möglichkeiten so inten-
Nur 10% der Patienten erhalten zur Rückfallprophy- siv wie möglich ausgeschöpft werden müssen. Die
laxe die richtige Therapie. Eine Pharmakotherapie ist hohe Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit ist zu
immer dann indiziert, wenn es bereits zu mehreren berücksichtigen.
Rückfällen kam. Es sind in den letzen Jahren mehrere 5 Acamprosat ist zzt. das wichtigste Mittel zur Rückfall-
Optionen entwickelt worden: prophylaxe. Für Naltrexon gibt es positive Studien.
5 Acamprosat (7 Abschn. 11.2.4) ist das Mittel der
ersten Wahl. Es zeigt in Kombination mit kogni-
tiver Verhaltenstherapie eine bessere Wirksam-
keit als die Medikation allein. 28.1.2 Benzodiazepine
5 Naltrexon (7 Abschn. 11.2.4) ist in Europa zur
Alkoholrückfallprophylaxe noch nicht zugelas- Wenn Benzodiazepine länger oder in zu hohen Dosen
sen, wurde aber bereits positiv bewertet. eingenommen werden (zumeist ≥1 Jahr) erhöht sich
230 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
der Patienten und vermindert den Beikonsum Therapie. Zur Aufrechterhaltung der Opiatabstinenz
von Heroin und anderen Drogen. Weitere Vor- kann der Opiatantagonist Naltrexon (. Tab. 11.1)
teile sind die Ermöglichung einer sozialen Rein- eingesetzt werden. Problematisch sind die hohen
tegration, die Distanzierung von der Szene sowie Abbruch- und Rückfallquoten während der Behand-
eine Eindämmung der Beschaffungskriminalität lung. Alternative Behandlungsmöglichkeiten, z. B. die
und ein Wegfall des Infektionsrisikos. Einleitung oder Wiederaufnahme einer Substitutions-
5 Bei Erfolg der Substitutionsbehandlung kann die behandlung sind bei instabilen Patienten zu prüfen.
Einleitung einer »Take-home-Vergabe« bedacht
werden.
28.1.4 Kokain und Amphetamin
Wichtig
Diese Psychostimulanzien hemmen die neuronale
Die Vergabe muss im Rahmen eines Gesamtbe- Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und
handlungskonzepts stehen. Die Substitutionsbe- Serotonin. Damit tritt eine vermehrte Neurotransmis-
handlung sollte daher durch eine entsprechend sion in mesolimbischen und mesokortikalen Projek-
qualifizierte Einrichtung (Schwerpunktpraxis, tionen des dopaminergen Systems (sog. Rewardsy-
Gesundheitsamt, Ambulanz) erfolgen, in welcher stem) auf.
das Substitutionsmittel unter Aufsicht eingenom- 5 Initial kommt es zu einer Stimulation mit eupho-
men wird. rischen Zuständen, Aktivitätssteigerung, erhöhter
Aufmerksamkeit, vermindertem Schlafbedürfnis
5 In einer großen deutschen Untersuchung in meh- und subjektiv erhöhter Leistungsfähigkeit.
reren Städten wird derzeit die Sicherheit und 5 Beim Kokainentzugssyndrom treten die Zeichen
Effektivität einer ärztlich kontrollierten Heroin- der verminderten katecholaminergen Transmis-
vergabe bei Schwerstabhängigen untersucht, die sion mit depressiver Verstimmung, Erschöpfung,
Veröffentlichung der Studienergebnisse liegt noch Angst- und Erregungszuständen auf. Die Sym-
nicht vor, erste vorab über das BMG veröffentli- ptome können bei Kokainabhängigkeit mehrere
chte Analysen sprechen für die Wirksamkeit und Wochen anhalten. Die Therapie ist nur sympto-
Sicherheit des Verfahrens. matisch. Bei Angst- und Erregungszuständen im
Rahmen eines Entzugs können Benzodiazepine
Entwöhnungsbehandlung und eingesetzt werden.
Rückfallprophylaxe der Opiatabhängigkeit
Das Ziel dieses Behandlungsabschnittes ist die »Ent- Therapie. Bislang existiert kein ausreichend unter-
wöhnung«. Sie ist aber für eine Mehrzahl der Pati- suchter pharmakologischer Therapieansatz zur
enten aufgrund der Schwere oder Dauer der Störung Behandlung einer Abhängigkeit von Kokain oder Psy-
sowie erheblicher psychosozialer und medizinischer chostimulanzien.
Komplikationen erst längerfristig erreichbar.
Die Durchführung einer Entwöhnungsbehand-
lung sollte für ausreichend motivierte, psychisch stabi- 28.1.5 Ecstasy und Eve
le opiatabhängige Patienten erwogen werden. Sie wird
in der Regel unter stationären Bedingungen in einer Ecstasy (MDMA, 3,4-Methylendioxymetampheta-
entsprechenden Fachklinik über einen Zeitraum von min) und Eve (MDA, 3,4-Methylendioxyampheta-
8–52 Wochen durchgeführt. Während der Behand- min) sind synthetische (sog. Designer-) Drogen. Es
lung wird häufig ein Prinzip der therapeutischen wird keine physische, aber möglicherweise eine psy-
Gemeinschaft mit definierten sozialen Grundregeln chische Abhängigkeit induziert.
(Ersatzfamilie, Nachreifung) mit verschiedenen psy- 5 Die Wirkung entsteht durch Freisetzung von
choedukativen, verhaltenstherapeutischen und reha- Serotonin aus präsynaptischen Vesikeln bei
bilitativen Maßnahmen angestrebt (z. B. Arbeitsthe- gleichzeitiger Serotoninrückaufnahmehemmung
rapie, berufliche und soziale Reintegration). Die Ein- und Ausschüttung von Dopamin.
leitung einer Entwöhnungsbehandlung erfolgt in der 5 Bei chronischer Anwendung zeigen sich neuroto-
Regel über eine Drogenberatungsstelle und setzt den xische Effekte mit degenerativen Veränderungen
erfolgreichen Abschluss einer Opiatentgiftungsbe- serotonerger Neuronen u. a. im Neokortex und
handlung (s. oben) voraus. im Hippocampus.
232 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
28.3 Checkliste
21
?
22 1. Warum soll Clomethiazol, das Mittel der
ersten Wahl zur Alkoholentgiftung, nicht
23 2.
ambulant verabreicht werden?
Welche Medikamente zur Substitutionsthe-
rapie bei Opiatabhängigkeit kennen Sie?
24 3. Was sind die häufigsten Indikationen für
Entgiftungen und Entwöhnungen in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie und welche
25 therapeutischen Maßnahmen sind indiziert?
4. Warum haben Kinder und Jugendliche mit
26 einer ADHS, die nicht mit Psychostimu-
lanzien behandelt werden, ein größeres
Risiko eine Suchterkrankung zu entwickeln
27 als Kinder mit ADHS ohne Psychostimu-
lanzientherapie?
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
29.1 ·
235 29
Patienten mit bipolarer Störung sind etwa die Hälfte Jedes Syndrom erfordert eine spezielle Pharma-
21 des Jahres nicht symptomfrei. Dabei überwiegen die kotherapie. Besonders schwierig wird die Therapie
depressiven Episoden die manischen um den Faktor 3 dadurch, dass es für die einzelnen Therapien jeweils
(Kupka et al. 2005). Bei der bipoaren Störung besteht Alternativen gibt, die zzt. noch evaluiert werden.
22 ein hohes Lebenszeitrisiko von 10–20% an einem Sui- Bei Patienten mit häufigem Symptomwechsel sub-
zid zu sterben (Goodwin u. Jamison 1990). syndromaler Ausprägung ist ebenfalls an eine bipola-
23 Die Psychopharmakotherapie der bipolaren Stö-
rungen ist deshalb so schwierig, weil sich im Krank-
re Störung zu denken.
heitsverlauf fünf verschiedene Symptomkonstellati- Neurobiologie der bipolar affektiven Störung. Spe-
24 onen einstellen können, die jeweils sorgfältig vonein- zielle Untersuchungen, die für die Psychopharma-
ander abgegrenzt werden müssen. kotherapie von Bedeutung sind, sind bei den einzel-
Schließlich ist die Phasenprophylaxe von diesen nen Syndromen nicht bekannt. Neurobiologisch, über
25 Syndromen zu trennen, dies sowohl für die bipolare die Genetik hinaus, sind zzt. auch keine Unterschiede
affektive Störung als auch für die schizoaffektive Psy- zwischen einer unipolaren (7 Kap. 15) und einer bipo-
26 chose. laren Depression evident. Bei der Manie wird auf-
Deshalb muss mehr als bei jeder anderen psy- grund der guten Wirksamkeit von Antipsychotika,
chischen Störung schon bei der Behandlung der ein- wie u. a. bei der Schizophrenie, auch eine Neurotrans-
27 zelnen Episode der langfristige Verlauf und dessen mitterdysbalance mit einem hyperaktiven dopaminer-
besondere polare Natur berücksichtigt werden. Denn gem System postuliert.
28 es ist möglich, dass die unsachgemäße Behandlung
der akut bestehenden Episode (7 Abschn. 29.2.2) den
langfristigen Verlauf der Störung ungünstig beeinflus-
29 sen kann.
30
Definition
31 Syndrome bei der bipolaren affektiven Störung DSM-IV grenzt von der bipolaren Störung Typ I – bei
Die Manie (Syn.: manische Episode) ist durch situati- der mindestens eine manische Episode diagnostiziert
32 onsinadäquat gehobene Stimmung, Erregung, Hyper- worden sein muss – die bipolare Störung vom Typ II
aktivität, Rededrang (laut, theatralisch) und Größen- ab, bei der neben depressiven nur hypomanische Epi-
ideen gekennzeichnet. Ein manischer Patient kommt soden vorkommen dürfen.
33 Tage lang ohne Schlaf aus. Es kann eine euphorische Die bipolare Depression (Synonym in der ICD-10: bi-
Manie von einer gereizten Manie abgegrenzt wer- polare affektive Störung, depressive Episode) ist phä-
34 den. Bei schweren Ausprägungsformen können Wahn nomenologisch nicht von der unipolaren Depression
und Halluzinationen hinzutreten (Manie mit psy- zu unterscheiden. Treten Wahn oder Halluzinationen
chotischen Symptomen). In der ICD-10 wird die ma- hinzu, liegt eine Depression mit psychotischen Merk-
35 nische Episode von der bipolaren affektiven Störung malen vor.
abgegrenzt, wenn es sich um eine einzelne manische Werden depressive und manische Symptome gleich-
36 Episode handelt.
Die Hypomanie stellt eine leichtere Ausprägungsform
zeitig bzw. in raschem Wechsel beobachtet, wird von
einer gemischten Episode gesprochen.
der Manie dar. Wahn und Halluzinationen werden Rapid Cycling ist durch mindestens 4 Episoden in
37 nicht beobachtet. einem Zeitraum von 12 Monaten gekennzeichnet.
Eine bipolare affektive Störung ist durch minde- Eine Differenzierung zwischen Akutbehandlung und
38 stens zwei affektive Episoden mit mindestens einer
Hypomanie oder Manie charakterisiert (ICD-10).
Phasenprophylaxe, wie bei den anderen Syndromen,
erfolgt beim Rapid Cycling nicht.
39
40
29.2 · Therapie
237 29
5 Ähnlich wie bei der Therapie unipolarer Depres- Das Hauptelement der akuten Therapie der bipo-
sionen sollte auch die Pharmakotherapie bipo- laren affektiven Störung ist die Behandlung mit
larer affektiver Störungen in einen Gesamtbe- Psychopharmaka. Die sehr enge Zusammenar-
handlungsplan eingebettet sein. Entsprechend beit mit einem Psychiater, der auf diesem Gebiet
der Behandlungsphase ist folgende Gewichtung große Erfahrung hat, ist anzuraten. Deshalb sollte
der Therapieschwerpunkte sinnvoll: am Ende einer jeden Erstexploration einer affek-
– In der Akutphase wird – v. a. bei manischen tiven Störung abgesichert sein, ob
Syndromen mit geringer oder fehlender 5 Hinweise für eine bipolare affektive Störung
Krankheitseinsicht – die Pharmakotherapie (auch früher) vorliegen und
im Vordergrund stehen. 5 Hinweise auf psychotische Symptome (auch
– Im weiteren Behandlungsverlauf – Erhal- anamnestisch) bestehen.
tungstherapie und Phasenprophylaxe – neh-
men psycho- und soziotherapeutische Maß-
nahmen an Bedeutung zu.
5 Bei bipolaren affektiven Störungen ist die mög- 29.2 Therapie
lichst frühzeitige Vermittlung eines Krankheits-
konzeptes von großer Bedeutung. Dabei erschei- Die Bewertung der Therapie ist gleichzeitig als Zusam-
nen die folgenden Aspekte wichtig: menfassung vieler Einzeluntersuchungen zu verste-
– Dem Patienten sollte vermittelt werden, hen. Wenn Psychotherapie eine Option darstellt, wird
dass er an einer Störung leidet, bei der die sie erwähnt.
Behandlung der aktuellen Episode ganz Es werden 4 Psychopharmakagruppen differen-
wesentlich den weiteren Krankheitsverlauf ziert gewichtet:
bestimmen kann. 5 Lithium (7 Kap. 6)
– Er muss darauf hingewiesen werden, dass die 5 Antiepileptika (Carbamazepin, Lamotrigin, Val-
Behandlung mit einem trizyklischen Anti- proinsäure) (7 Kap. 6)
depressivum (TZA) das Risiko in sich birgt, 5 Atypische Antipsychotika (AAP); unter ihnen
eine Manie oder sogar ein Rapid Cycling zu sind Quetiapin und Olanzapin besonders intensiv
induzieren; selektive Serotoninrückaufnah- untersucht (7 Kap. 7)
mehemmer (SSRI) haben ein geringeres Risi- 5 Antidepressiva (7 Kap. 5)
ko, eine Manie oder Hypomanie zu induzieren.
Der Patient sollte darüber aufgeklärt wer- Eine Monotherapie mit Benzodiazepinen ist nicht
den, dass es nach heutigem Kenntnisstand indiziert. Bei manischen Episoden können zu Beginn
langfristig günstiger sein kann, bei leichter der Erkrankung sehr hohe Dosen, z. B. Lorazepam bis
Depression auf ein Antidepressivum zunächst 20 mg tgl. als adjuvante Therapie oft sehr hilfreich sein
zu verzichten, auch wenn der akute Behand- (Cave: nicht in Kombination mit Olanzapin) (Indikati-
lungsverlauf u. U. verlängert wird. Bei leich- on für Anxiolytika; vgl. . Tab. 8.2).
ter Depression können eine Verhaltensthera- Die primäre Behandlungsaufgabe liegt in einer
pie und die Gabe eines Stimmungsstabilisie- Besserung der momentanen Krankheitsphase – be-
rers ausreichend sein. sonders auch der Vermeidung eines Suizidrisikos – ,
einer Reduktion der Episodenhäufigkeit und einer
Patienten mit schweren manischen Syndromen sind Stabilisierung der Stimmung und der Lebensqualität
in vielen Fällen nicht einwilligungsfähig bzw. müs- zwischen den Episoden.
sen manchmal auch ohne ihr Einverständnis behan-
delt werden.
Bei Patienten mit einer Manie ist eine unzurei-
chende Compliance häufig der Grund für ein Nicht-
ansprechen.
238 Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen
Cave
Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver
Störung 5 Nach Absetzen einer Lithiumprophylaxe ist
5 In Anlehnung an die bei der unipolaren Depres- das Rückfallrisiko wahrscheinlich höher als
sion gebräuchliche Terminologie (7 Kap. 15) kann im naturalistischen Verlauf; mit jeder Phase
auch bei bipolaren affektiven Störungen nach der nimmt möglicherweise die Phasenhäufigkeit
Akutphase eine Phase der Erhaltungstherapie (zur weiter zu und kann in ein Rapid Cycling
Verhinderung eines Rückfalles derselben Episode) einmünden.
von einer Phasenprophylaxe (zur Vermeidung eines 5 Wenn eine Lithiumprophylaxe doch abge-
Rezidivs der Erkrankung) abgegrenzt werden. setzt wird, sollte dies, wenn irgend möglich,
5 Beim Absetzen einer Pharmakotherapie unmit- langsam über viele Monate erfolgen.
telbar nach Abklingen der akuten Krankheits- 5 Nach Absetzen von Lithium geht, wenn es
symptome ist das Rückfallrisiko erhöht. Umge- im Rahmen einer erneuten Episode einer
kehrt sinkt mit der Dauer der Beschwerdefreiheit bipolaren affektiven Störung wieder ange-
nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome setzt wird, möglicherweise seine Effektivität
das Rückfallrisiko. verloren.
5 Nach einer Episode einer bipolaren affektiven
Störung sollte eine mindestens 12-monatige
Erhaltungstherapie durchgeführt werden. Rapid Cycling
Nach neueren epidemiologischen Untersuchungen
soll ein Rapid cycling bei bis zu 25% aller Patienten
Für den Start einer Phasenprophylaxe gibt mit einer bipolaren affektiven Störung vorkommen.
es zzt. folgende Übereinstimmung: Oft ist v. a. zu Behandlungsbeginn ein Rapid Cycling
5 Schon nach einer ersten manischen Episode mit schnellen Stimmungswechseln schwer abzugren-
muss eine langfristige Phasenprophylaxe zen von einer emotional-instabilen Persönlichkeits-
erwogen werden. störung vom Borderline-Typ, wenn bei dieser affek-
5 Eine langfristige Phasenprophylaxe wird tive Labilität im Vordergrund steht.
nach einer zweiten Krankheitsepisode in
den meisten Fällen unumgänglich sein. Zur
Definition des notwendigen Zeitabstands
zur ersten Phase gibt es allerdings zu wenige
Daten.
240 Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen
40
29.4 · Checkliste
241 29
Schizophrenie
Das komplexe Bild der Schizophrenien wird nach dem Ausbruch psychotischer Symptome Monate oder
21 ICD-10 in verschiedene kategoriale Unterformen Jahre vorausgehen:
und Verlaufsbilder unterteilt. Gleichwohl orientiert 5 Unspezifisches Vorstadium (früh): motorische,
sich die Therapie primär an Zielsyndromen. Bei den soziale, affektive und kognitive Auffälligkeiten
22 Unterformen treten in wechselnder Prägnanz Positiv- bereits in Kindheit und Jugend (häufig retrospek-
und Negativsymptomatik in den Vordergrund. tive Interpretation).
5 Prodromalstadium mit erhöhtem Risiko für den
23 Definition Übergang in eine schizophrene Störung (spät):
Es treten Hochrisikokonstellationen mit kurzen
24 Die ICD-10 nennt folgende Subtypen der Schizo-
phrenie:
vorübergehenden psychotischen Symptomepiso-
den (»brief limited intermittend psychotic sym-
5 Paranoide Schizophrenie. Es ist der häu- ptoms«, BLIPS) mit kurz anhaltenden Positiv-
25 figste Subtyp; im Vordergrund stehen Positiv- symptomen und spontaner Remission auf (aus-
symptome. führlich 7 Abschn. 30.2.2).
5 Hebephrene Schizophrenie. Affektive Verän-
26 derungen prägen das Krankheitsbild (meist Das Risiko für den Übergang eines psychosenahen
flacher, inadäquater Affekt, Manierismen, Prodroms in eine Schizophrenie ist mit etwa 30–80%
27 flüchtige Halluzinationen, inkonsistenter pro Jahr erhöht; gleichwohl ist das Risiko »falsch-posi-
Wahn, ungeordnetes Denken). Typisch sind tiver« Vorhersagen mit etwa 30–60% ebenfalls hoch.
ein früher Beginn und eine schnelle Entwick-
28 lung von Negativsymptomen, besonders
Zwischen psychosenahen Prodromen und der kli-
nischen Erstmanifestation einer schizophrenen Stö-
mit Affektverflachung, Antriebsverlust und rung liegen 1–3 Jahre, die Erstdiagnose liegt bei Män-
29 desorganisiertem Verhalten. nern häufig zwischen 20 und 25 Jahren, bei Frauen
5 Katatone Schizophrenie. Sie wird geprägt zwischen 25 und 30 Jahren, bei Frauen ist zudem ein
durch psychomotorische Störungen mit zweiter Häufigkeitsgipfel (ab dem 45. Lebensjahr) zu
30 Erregung, Stupor, Negativismus, Mutismus, beobachten.
Bewegungsstereotypien und Haltungsver-
31 harren. Vorübergehende isolierte katatone
Symptome können bei jeder anderen
Neurobiologie der Schizophrenie. Neben den für die
Psychopharmakotherapie wichtigen neurochemischen
Schizophrenieunterform und auch bei Systemstörungen in der dopaminergen, serotonergen
32 hirnorganischen sowie affektiven Störungen und glutaminergen Transmission (7 Kap. 7) haben
auftreten. neuroanatomische und jetzt besonders molekularge-
5 Undifferenzierte Schizophrenie. Es ist ein
33 Subtyp, bei dem Positiv- und Negativsym-
netische Befunde für die Pathogenese der Erkrankung
eine große Bedeutung.
ptome weniger prägnant hervortreten. Eine Die neurobiologische Hypothese geht davon
34 Zuordnung zu einer anderen Unterform ist aus, dass genetische und andere biologische Einflüs-
nicht möglich. se zu embryonalen Hirnentwicklungsstörungen im
5 Schizophrenia simplex. Primäre Negativ-
35 symptomatik und kognitive Defizite entwi-
ZNS führen. Es kommt zu einem Verlust nichtneuro-
naler Elemente, den Neuropils, als Korrelat hirnatro-
ckeln sich progredient. phischer Veränderungen im dorsolateralen präfron-
36 5 Postschizophrene Depression. Eine de-
pressive Episode tritt im Anschluss an eine
talen Kortex. Die Degenerationshypothese (es kommt
bei einem Drittel der Patienten zu kognitiven Einbu-
schizophrene Erkrankung auf. Positiv- und ßen mit defizitärem Ausgang) stützt sich auf gut abge-
37 Negativsymptome sind noch vorhanden, sicherte hirnmorphologische Befunde. Wahrschein-
beherrschen aber nicht das Krankheitsbild. lich gelten die Modelle zur Ätiologie der Schizophre-
5 Schizophrenes Residuum. In diesem chro-
38 nischen Stadium stehen die anhaltenden
nie jeweils nur für einen Teil der Patienten.
Neu, aber gut bestätigt, ist die Entdeckung von
Negativsymptome im Vordergrund. den drei Dispositionsgenen: Dysbidin-Gen, Neuregu-
39 lin-1-Gen und G72/DAOA-Gen. Sie kodieren Protei-
Im Verlauf schizophrener Störungen können bis zur ne von der Hirnentwicklung bis zur Stabilisierung der
40 klinischen Erstmanifestation zwei Vorstadien unter- glutamatergen Synapsen. Damit kann gezeigt werden,
schieden werden, die in Umrissen schon Kraepelin dass die Gene nicht für Diagnosen, sondern für Funk-
1919 als Vorläufersymptome beschrieben hatte, die tionen kodieren. Es gibt keinen Hinweis für einen
30.2 · Therapie
245 30
auch in der Akuttherapie der Schizophrenie Die Symptome in dieser Frühphase überlappen
21 bewährt. Sie haben gerade zu Beginn einer The- sich mit depressiven Symptomen (Yung et al. 2003;
rapie geringere Nebenwirkungen als konventi- Häfner u. Maurer 2006) genauso wie bei den im Rah-
onelle Antipsychotika. Besonders ist das Risiko men der voll ausgeprägten Psychose auftretenden
22 für extrapyramidal-motorische Symptome (EPS) Negativsymptomen (Gerbaldo et al. 1995). Somit
deutlich geringer. sind phänomenologisch die Schizophrenie und die
5
23 Die Dosis sollte, wenn möglich, langsam aufdo-
siert werden (7 Abschn. 7.5).
Depression sowohl im Prodromalstadium, als auch in
den Episoden der Negativsymtomatik nur schwer von
5 Kommt es im Rahmen der akuten Symptoma- einander zu unterscheiden (Gerbaldo et al. 1995; Häf-
24 tik allerdings zu ausgeprägten pychomotorischen ner u. Maurer 2006). Es mehren sich somit auch die
Erregungszuständen oder aggressiv-impul- Indizien, die eine von Kraepelin Anfang des Jahrhun-
sivem Verhalten mit Eigen- oder Fremdgefähr- derts angenommene Dichotomie zwischen Schizo-
25 dung, können auch initial sehr hohe Dosen gege- phrenie und Depression immer unwahrscheinlicher
ben werden. Bei Unwirksamkeit der AAP können werden lassen.
26 auch konventionelle hochpotente Antipsychotika
Wichtig
(ggf. parenterale Applikation) versucht werden.
5 Die kurzfristige Gabe von Benzodiazepinen in
27 der Akuttherapie kann schnell Angst und Agi- Patienten im Prodromalstadium müssen als
tation lindern. Die vorübergehende Kombinati- Hochrisikopatienten erkannt werden. Eine konse-
quente Frühtherapie bei Erstmanifestation einer
28 on eines Antipsychotikums mit Lorazepam (bis
zu 10 mg tgl.) ist bei Erregungszuständen in der schizophrenen Störung ist angezeigt. Es ist anzu-
Regel effektiver als eine hohe antipsychotische nehmen, dass KVT im Prodromalstadium die The-
29 Monotherapie. rapie der Wahl ist; Evidenzen liegen aber nicht vor.
5 Erstmalig erkrankte Patienten sprechen besser Eine frühzeitige Antipsychotika-Therapie kann al-
auf eine antipsychotische Therapie an als mehr- lerdings noch nicht generell empfohlen werden.
30 fach Erkrankte. Die Dosis ist auch niedriger.
30.2.8 Schwere Depression mit 5 Bei induzierten wahnhaften Störungen ist vor
psychotischen Symptomen Gabe eines Antipsychotikums zunächst die
(»wahnhafte Depression«) getrennte adäquate Therapie des Wahn-induzie-
renden Patienten anzustreben. Sistiert der indu-
Weil die psychotische Symptomatik bei dieser Dia- zierte Wahn nach etwa 2 Wochen nicht, sollte ein
gnose dominiert, erfolgt hier die Besprechung. niedrig dosiertes AAP (z. B. Risperidon) erwogen
5 Die erste Option ist bei Beginn der Therapie die werden. Psycho- und soziotherapeutische Maß-
Gabe eines Antidepressivums (SSRI). nahmen sind Schwerpunkt der Behandlung, um
5 Bei ausbleibender Wirkung wird dann gegen den ansonsten nicht seltenen Rückfällen vorzu-
die psychotischen Merkmale zusätzlich ein AAP beugen.
(z. B. Olanzapin, Risperidon) bis zum Sistie- 5 Supportive Psychotherapie ist in den meisten Fäl-
ren der psychotischen Symptomatik zu geben. len auch längerfristig indiziert.
Danach wird das Antipsychotikums über 3–
6 Monate langsam unter Beibehaltung des Anti-
depressivums abgesetzt. 30.2.10 Akute vorübergehende
5 Als zweite Option wird von Beginn an das Anti- psychotische Störungen
depressivum mit einem AAP kombiniert.
5 Eine Monotherapie mit einem Antipsychotikum 5 In der ICD-10 werden parallel zur Schizophrenie
ist nicht indiziert. und den schizoaffektiven Störungen unter F23
5 Bei sehr schweren, wahnhaften oder therapie- die akuten vorübergehenden psychotischen Stö-
refraktären Depressionen scheint die EKB einer rungen kategorisiert.
Pharmakotherapie, insbesondere in Bezug auf 5 Es gibt sowohl zur Epidemiologie als auch zur
einen frühen Wirkungseintritt, überlegen zu sein. Therapie keine empirischen Daten. Die Stö-
rungen zeichnen sich durch eine günstige Pro-
gnose aus, allerdings ist die Rezidivgefahr groß.
30.2.9 Schizotype Störungen, 5 Die akute Störung wird mit Antipsychotika, ggf.
wahnhafte Störungen, zusätzlich mit Benzodiazepinen, behandelt.
induzierte wahnhafte 5 Eine Entscheidung über eine Rezidivprophylaxe
Störungen muss im Einzelfall getroffen werden.
2006). Schließlich erleiden auch bei gesicherter Medi- das allerdings mit einem hohen Nebenwir-
21 kamenteneinnahme 20% der Patienten ein Rezidiv. kungsrisiko verbunden ist. Bei pharmakolo-
gischer Therapieresistenz stellt das Umset-
Definition zen auf Clozapin unter individueller Nut-
22 zen-Risiko-Abwägung die Maßnahme der
Man spricht von medikamentöser Therapieresi- ersten Wahl dar (30–60% Erfolgsquote nach
stenz, wenn zwei unterschiedliche Antipsychoti-
23 ka in ausreichender Dosis für jeweils 4–8 Wochen
etwa 6 Wochen bei primären Non-Respon-
dern). Clozapin scheint zusätzlich therapeu-
nicht angesprochen haben. Zu definieren ist tische Wirkungen bez. Suizidalität, Feindse-
24 auch, bei welchen Subtypen eine ungenügende
Response festzustellen ist.
ligkeit, Aggressivität und Rauchverhalten zu
besitzen.
– Kombination von Antipsychotkia.
25 Es erhalten bis zu 25% der ambulanten und
Mögliche Gründe für Therapieresistenz bis 50% der stationären Patienten mindestens
26 unter Antipsychotika zwei Antipsychotika gleichzeitig.
5 Non-Compliance Bei allen Kombinationsbehandlungen von
5 Antipsychotika sind mögliche Komplikati-
27 5
Unzureichende Dosis oder Therapiedauer
Absorptionsstörung onen und auftretende Nebenwirkungen und
5 Pharmakodynamische Gründe für individu- Wechselwirkungen besonders sorgfältig zu
28 elles Nichtansprechen prüfen und regelmäßig zu überwachen.
Konventionelle Antipsychotika sollten wegen
5 Pharmakokinetische Besonderheiten (z. B.
beschleunigter Metabolismus durch Rau- des erhöhten Risikos für EPS nur in Aus-
29 chen, Wirkungsabschwächung durch hohen nahmefällen oder bei zu hohen Risiken
Kaffeekonsum) unter AAP (z. B. metabolisches Syndrom,
7 Abschn. 7.6) verordnet werden.
30 5 Gleichzeitige Drogeneinnahme oder andere
– Augmentationsstrategien.
psychiatrische Komorbidität
5 Falsche Diagnose Bei unzureichendem Ansprechen der
31 erwähnten Therapie können alternativ zu
Kombinationen von Antipsychotika einige,
aber wissenschaftlich nicht abgesicherte Stra-
32 5 Zur Behandlungsoptimierung gibt es also eine tegien angewendet werden. Dazu gehört die
Vielzahl von Strategien, wie Sicherstellung der Kombination mit Benzodiazepinen, Antide-
33 Compliance, Dosisüberprüfung, Plasmaspiegelü- pressiva und Stimmungsstabilisierern.
berprüfung, Reevaluierung der Diagnose und der
Komorbiditäten. Wichtig
34 5 Immer sollten die psychosozialen Stressoren, die
einen ungünstigen Einfluss auf den Behandlungs- Carbamazepin sollte nicht mit Clozapin kombi-
niert werden (erhöhtes Agranulozytoserisiko).
35 verlauf nehmen können, festgestellt werden. Ent-
sprechende Maßnahmen, einschließlich psycho- Auch bei anderen Kombinationen sind die mög-
therapeutischer Interventionen, sind ggf. einzu- lichen Wechselwirkungen sorgfältig zu beachten.
36 leiten.
5 Bei schlechtem Ansprechen auf die bisherige
Therapie oder gar Therapieresistenz gibt es ver-
37 schiedene Möglichkeiten: Fazit
– Wechsel des Antipsychotikums.
38 Allerdings ist ein Umsetzen unter einer schon Pharmakotherapie bei Schizophrenie – Bewertung
bestehenden partiell wirksamen Antipsycho- 5 AAP sollten Arzneimittel der ersten Wahl bei der Be-
tika-Therapie immer mit dem Risiko einer handlung schizophrener Störungen in der Akutphase
39 Exazerbation verbunden. sein. Konventionelle Antipsychotika haben ein zu
Ein Umsetzen in der Stabilisierungsphase hohes EPS-Risiko.
40 sollte sehr behutsam über Wochen erfolgen. 5 Bei der Langzeittherapie ist der Patient über die mög-
Eine Ausnahmestellung unter den Anti- lichen Nebenwirkungen der Antipsychotika, auch der
psychotika hat immer noch das Clozapin, AAP, sorgfältig aufzuklären.
30.2 · Therapie
251 30
Wichtig
36 5 In der akuten Krankheitsphase steht auch im
Kindes- und Jugendalter die Psychopharma-
37 kotherapie im Vordergrund, bevor dann mit
Zurücktreten der akut-psychotischen Sym-
38 ptomatik psycho- und soziotherapeutische
Maßnahmen an Bedeutung gewinnen.
39
40
31.1 ·
255 31
Demenz
lust der Selbstständigkeit. Die AD-Diagnose ist erst sich bei der VD häufiger als bei der AD Aufmerksam-
durch eine autoptische neuropathologische Untersu- keitsstörungen, Verlangsamung der Denkabläufe und
chung zu sichern. der Psychomotorik, depressive Symptome (hier bis
zu 40%, bei AD 15–25%) mit Antriebslosigkeit, aber
Neurobiologie der AD. Typische, aber nicht patho- auch Harninkontinenz, Gangstörungen und andere
gnomonische neuropathologische Befunde sind: intra- neurologische Zeichen.
zelluläre neurofibrilläre Bündel aus hyperphosphory- Die VD stellt die zweithäufigste Ursache einer
liertem Tau-Protein, extrazelluläre Amyloidplaques demenziellen Entwicklung dar. Bei der gemischten
aus Amyloid-β (Aβ) (insbesondere Aβ42, das durch Demenz (VD plus AD) kommt es bei AD-Patienten zu
proteolytische Spaltung des Amyloid-Precursor-Pro- intrakraniellen Blutungen und ischämischen Infark-
teins (APP) durch die β- und γ-Sekretase entsteht), ten (sehr häufig).
Neuronenverlust mit reaktiver Gliose, verminderte Zusätzlich finden sich zahlreiche verschiedene
Aktivität der Acetylcholintransferase, aber auch Alte- Formen von VD, je nach der zugrunde liegenden
rationen anderer Neurotransmittersysteme wie Soma- Genese:
tostatin und Glutamat. Neuere Untersuchungen wei- 5 Post-Stroke-Demenz (nach Einzelinfarkt mit aku-
sen auf Veränderungen des Glukosestoffwechsels und tem Beginn, ca. 17%),
immunologische Störungen hin. 5 Multiinfarktdemenz (vorwiegend kortikale
Demenz, ca. 40%) und
Definition 5 subkortikale vaskuläre Enzephalopathie (mit arte-
rieller Hypertonie assoziiert, ischämische Läsi-
In der Amyloidhypothese der AD wird postuliert, onen überwiegend im Marklager, ca. 40%).
dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
der Anhäufung toxischer Amyloid-β-Peptide (Aβ) Spezielle Demenzformen
im Gehirn, der Bildung von Neurofibrillenbündeln Es gibt neben der AD, der VD und den gemischten
und dem Untergang von Nervenzellkontakten Formen noch eine große Zahl weiterer, entsprechend
und Nervenzellen besteht. Es ist ein wichtiges ihrer Ätiologie definierter Diagnosegruppen.
Ziel der Therapie und Prävention der AD solche Unter diesen ist die Demenz mit Lewy-Körperchen
Anti-Amyloidpharmaka zu finden, die sowohl die (»Lewy bodies«) am häufigsten. Sie zeichnet sich durch
Bildung von Amyloidprotein verhindern als auch charakteristische Lewy-Körperchen in cholinergen
schon gebildete Aggregate abbauen können. Neuronen aus. Typisch sind hochgradige antipsychoti-
kainduzierte (EPS, aber auch sedierende oder anticho-
Es findet sich ein erhöhtes Risiko für die Entwick- linerge) Nebenwirkungen für diese Demenzform.
lung einer AD bei Angehörigen 1. Grades mit AD, Bei Parkinson-Patienten tritt im Verlauf der
bei familiärer Belastung mit Down-Syndrom (Triso- Erkrankung bei 40% der Patienten eine Demenz auf.
mie), bei Vorliegen eines APOE-e4-Allels (besondere Es ist die Demenz bei Parkinson-Syndrom. Als Risiko-
Bedeutung der Chromosomen 21, 14, 1 und 19) und faktoren für das Auftreten dieser Demenz gelten ein
bei Vorliegen kardiovaskulärer Risikofaktoren. akinetisch-rigider Verlaufstyp und höheres Lebensal-
Zur cholinergen Hypothese und der Hypothese ter (meist ≥65 Jahre).
der Fehlfunktion der glutamatergen Neurotransmissi- Demenzen können auch bei Stoffwechseler-
on bei der AD: 7 Abschn. 10.2. krankungen oder auch bei akuten Stoffwechselent-
gleisungen auftreten, z. B. bei Addison-Krankheit,
Vaskuläre Demenz (VD) und gemischte Cushing-Syndrom, bei Nieren- und Leberversagen,
Demenz Hypo- und Hypernatriämie, Hyper- und Hypopara-
Die VD entwickelt sich meist mehr oder weniger thyriodismus oder Hypo- und Hyperthyriodismus.
schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen als Fol- Auch Autoimmunerkrankungen, wie multiple
ge von zerebrovaskulärer Thrombose, Embolie oder Sklerose oder Lupus erythematosus, können die Ursa-
Blutung. che einer Demenz sein.
Somit ist an eine VD insbesondere bei plötz- Weitere Gründe für die Entwicklung einer
lichem Beginn, schrittweisen oder abrupten Ver- Demenz können sein: Intoxikationen oder der Abusus
schlechterungen im Verlauf, Krampfanfällen in der von Alkohol oder anderen Drogen, Intoxikationen
Anamnese und Vorliegen fokal-neurologischer Aus- mit Schwermetallen; infektiöse Krankheiten (Herpes-
fälle zu denken. In seltenen Fällen kann ein einziger virusinfektionen, HIV, Neurosyphilis, Neuroborrelio-
ausgedehnter Infarkt Ursache sein. Zu Beginn zeigen se); Kopfverletzungen oder Epilepsie.
258 Kapitel 31 · Demenz
32.3 Checkliste
Fazit
?
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Bewe-
gungsstörungen 1. Welche Medikamente zur Behandlung des
5 Restless-legs-Syndrom und »periodic limb move- Restless-legs-Syndroms kennen Sie?
ments in sleep« werden i.d.R. durch den Neurologen
mit L-DOPA und Dopaminagonisten behandelt.
5 Die medikamentöse Therapie wird durch spezifische
Verhaltensmaßregeln ergänzt, dies gilt besonders für
die Ticstörungen.
»Theory of Mind« und schwache zentrale Kohärenz che, der intellektuellen, der sozialen und kommunika-
untersucht. tiven Fähigkeiten der Kinder. Die Darm- und Blasen-
kontrolle und motorische Funktionen sind ebenfalls
Atypischer Autismus betroffen. Die Störung tritt in der Regel zwischen dem
Der atypische Autismus wird vom frühkindlichen 2. und 4. Lebensjahr auf und beginnt schleichend.
Autismus dadurch abgegrenzt, dass die Kinder nicht
alle Kriterien nach ICD-10 bzw. DSM-IV erfüllen Überaktive Störung mit Intelligenz-
oder, dass sich Entwicklungsauffälligkeiten erst nach minderung und Bewegungsstereotypien
dem 3. Lebensjahr manifestieren. Diese Kinder sind Betroffene Kinder weisen eine schwere Intelligenzmin-
meist stark intelligenzgemindert. derung (IQ <50) sowie eine erhebliche Hyperaktivität,
Aufmerksamkeitsstörung und stereotype Verhaltens-
Asperger-Syndrom muster auf. Die Erkrankung ist häufig von einer Viel-
Diese Störung wird in der Regel später als der frühkind- zahl von Entwicklungsstörungen begleitet.
liche Autismus und zwar zumeist um das 3. Lebens-
jahr diagnostiziert, was auf die frühe Sprachentwick-
lung und die gute kognitive Entwicklung der Kinder 33.1.1 Therapie
zurückzuführen ist. Die Sprache ist oft elaboriert mit
großem Wortschatz. Die motorische Entwicklung ist Durch therapeutische Interventionen können einzel-
häufig etwas verspätet. Die Patienten haben zumeist ne Symptome bedeutsam gebessert, nicht aber geheilt
eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung. Sie wer- werden.
den dann auffällig, wenn besondere Anforderungen an
ihre soziale Kompetenz und Emotionen gestellt wer- Frühförderung
den (Kindergarten, Schule). Die betreffenden Kinder Die Behandlung muss so früh wie möglich beginnen
sind sowohl in ihrem nonverbalen Verhalten (Gesten, und über längere Zeiträume durchgeführt werden.
Mimik, Gebärden, Blickkontakt) als auch durch ihre Die Behandlung kann die Interaktionsfähigkeit, die
Unfähigkeit, zwanglose Beziehungen zu Gleichaltrigen Anpassung an die Anforderungen des Alltags und die
oder Älteren herzustellen, auffallend. Sie können auch Selbständigkeit verbessern.
emotional nur wenig mitreagieren und somit an den
Emotionen anderer Menschen nur wenig teilhaben. Psychoedukation
Häufig haben sie intensive, eng umgrenzte und teil- Das nicht adäquate Reagieren des Kindes auf Kontakt-
weise unsinnige Sonderinteressen mit lexikalischem versuche der Eltern verlangt eine ausführliche Aufklä-
Wissen. Es dominiert jedoch die reine Wissensspei- rung der Eltern über Art und Schwere der Erkran-
cherung und es gelingt zumeist nicht, das Wissen in kung. Die frühzeitige Entlastung der Familie und
größere Zusammenhänge einzuordnen. wirksame Unterstützung der Hauptbezugsperson
müssen ein wesentlicher Bestandteil des Therapie-
Rett-Syndrom plans sein. Eine individuelle Therapie ohne Einbezie-
Beim Rett-Syndrom kommt es nach zunächst unauf- hung der Bezugspersonen (Kindergarten, Schule) ist
fälliger Entwicklung zwischen dem 7. und 24. Lebens- nicht sinnvoll, weil bei autistischen Kindern ein situa-
monat zu einem vollständigen Verlust des zielgerich- tionsübergreifender Transfer neuer Verhaltensweisen
teten Gebrauchs der Hände mit eigenartigen win- kaum stattfindet.
denden Bewegungsstereotypien. Es kommt zu einem
Verlust der Sprache und einer Verlangsamung des Verhaltenstherapie
Kopfwachstums. Die Störung kommt fast ausschließ- Die gezielte Therapie bezieht sich auf die Entwicklung
lich bei Mädchen vor. Ursächlich hierfür ist eine der sozialen Wahrnehmung, der Kommunikation
Mutation des MECP2-Gens, welches auf dem distalen und der Sprachförderung. Verhaltenstherapeutischen
Abschnitt des X-Chromosoms lokalisiert ist. Tritt die- Techniken kommt ein besonderer Stellenwert zu, wie
se Mutation bei männlichen Individuen auf, so ist sie z. B. verstärkerorientiertem Training, Üben von All-
in der Regel tödlich. tagssituationen anhand von Spielmaterial sowie Ele-
menten des Rollenspiels. Zur Verbesserung der Selbst-
Desintegrative Störung des Kindesalters kontrolle und der Kontaktfähigkeit sind Therapiepro-
Bei der desintegrativen Störung des Kindesalters, gramme, die auf den Abbau von »Theory of Mind«-
auch Hellersche-Demenz genannt, kommt es zu Defiziten abzielen, wichtig. Die Kommunikation
einem Verlust bzw. fortschreitendem Abbau der Spra- kann z. B. durch das Modifikationsprogramm nach
268 Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter
Lovaas verbessert und exzessives, störendes Verhal- Die berufliche Eingliederung muss eine klienten-
21 ten abgebaut werden. Durch Instruktionssysteme wie nahe Betreuung durch strukturierte und schrittweise
TEACCH kann die Selbständigkeit im lebensprak- aufgebaute Arbeitsaufträge und Anleitungen beinhal-
tischen Alltagsbereich und im Spielverhalten unter ten (Leitlinien der Deutschen für Kinder- und Jugend-
22 Betonung von Interaktionselementen trainiert wer- psychiatrie und Psychotherapie 2003; Remschmidt
den. Zur Verbesserung der sozialen Fertigkeiten und 2005).
23 der Kommunikationsfähigkeiten sind Aktivitäten mit
Bezugspersonen (»Peers«) unverzichtbar. Für den
Aufbau der Sprache ist es wichtig, die soziale Bedeu- Fazit
24 tung der Sprache, z. B. durch sprachliches Kommen-
tieren, für das Kind im sozialen Kontext zu erarbeiten Pharmakotherapie und Psychotherapie bei tief grei-
und Einzelelemente sozialer Handlungen zu erfassen. fenden Entwicklungsstörungen
25 5 Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei tief
Pharmakotherapie greifenden Entwicklungsstörungen stellen Psycho-
26 Eine signifikante Verbesserung von restriktiven, repe- edukation, Frühförderung, Verhaltenstherapie und
titiven und stereotypen Verhaltensmustern, Interessen Pharmakotherapie dar. Pharmakologisch hat sich
und Aktivitäten sowie eine signifikante Reduktion von zur Behandlung einiger Kern- und Begleitsymptome
27 aggressivem und selbstverletzendem Verhalten konn- Risperidon bewährt.
te bei Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstö-
28 rungen in mehreren kontrollierten Studien durch Ris-
peridon erzielt werden. Jedoch hat die Risperidonme-
dikation keinen Einfluss auf die soziale Interaktion 33.2 Trennungsangst
29 und Kommunikation. Bei Unverträglichkeit von Ris-
peridon können auch andere AAP wie z. B. Olanza- Die emotionale Störung des Kindesalters mit Tren-
pin, aber auch SSRI, Stimmungsstabilisierer und Clo- nungsangst wird auch als Schulphobie bezeichnet und
30 nidin eingesetzt werden. gehört zusammen mit der Schulangst und dem Schul-
Bei Hyperaktivität und impulsivem Verhalten schwänzen in die Gruppe der Schulverweigerungen.
31 können Risperidon, andere AAP, Psychostimulanzien, Eine Trennungsangst liegt vor, wenn das Kind die
Clonidin und Propranolol in Betracht kommen. Pati- Angst vor der Trennung von der Bezugsperson(en)
enten mit einer überaktiven Störung mit Intelligenz- als überwältigend erlebt, die Angst über die entwick-
32 minderung und Bewegungsstereotypien profitieren lungsphysiologische Alterstufe hinaus andauert und
zumeist nicht von einer Therapie mit Psychostimu- die psychosoziale Entwicklung längerfristig erheblich
33 lanzien. Am ehesten sollte bei vorhandener Indikation beeinträchtigt ist, sodass das Kind z. B. den Kindergar-
mit einem AAP, z. B. Risperidon, behandelt werden. ten oder die Schule nicht mehr besuchen kann. Für die
Bei komorbiden starken Ängsten kann eine Entstehung dieser Störung ist eine Kombination aus
34 Behandlung mit AAP, Buspiron oder Clonidin, bei ängstlicher Disposition und schwierigen Lebensein-
depressiven Syndromen mit SSRI, notwendig sein. flüsse, wie z. B. begründete Ängste vorm Verlassen-
35 Bei zusätzlichen Anfallsleiden sind Stimmungs-
stabilisierer unverzichtbar.
werden, maßgebend.
aber eine Folge der Angst sind. Auch die Bezugsper- haben allerdings eine funktionelle Harninkontinenz,
sonen im Kindergarten und Schule müssen aufgeklärt d. h. es liegt eine organisch bedingte Blasendysfunk-
und teilweise die Kinder dann speziell in der Einrich- tion vor. Unter einer primären Enuresis versteht man
tung in Empfang genommen oder zu Hause abgeholt ein Einnässen ohne längere trockene Periode, wäh-
werden. Ist auch die elterliche Trennungsangst von rend die sekundäre Enuresis durch Wiedereinnässen
Krankheitswert, sollte das erkrankte Elternteil sich nach einer längeren trockenen Periode (>6 Monate)
ebenfalls einer verhaltenstherapeutischen Behand- definiert ist. An Komorbiditäten treten expansive,
lung unterziehen. externalisierende Störungen, wie z. B. Störungen des
Bei mittelschweren Trennungsängsten ist eine Sozialverhaltens und ADHS, häufiger als emotionale,
tagesklinische Behandlung, bei schweren Ängsten introversive Störungen auf.
eine vollstationäre Behandlung indiziert. Es wird
dann zusammen mit dem Kind und den Eltern nach Neurobiologie. Es besteht eine genetisch bedingte
den Ursachen gesucht und es werden Verhaltensplä- Reifungsstörung des Zentralennervensystems. Neuro-
ne für Trennungssituationen erarbeitet. Weitere ver- physiologische Untersuchungen weisen auf eine Stö-
haltenstherapeutische Behandlungsstrategien sind: rung der Hirnstammfunktionen hin. Bei vielen Kin-
Desensibilisierung, Lernen am Modell, Rollenspiele, dern findet man eine vermehrte Urinproduktion,
KVT und Selbstbehauptungsübungen. Veränderungen des zirkadianen Rhythmus des anti-
diuretischen Hormons (ADH) und eine erschwerte
Psychopharmakotherapie Erweckbarkeit.
Falls eine antidepressive Begleitmedikation befri-
stet indiziert ist, empfiehlt sich eine Behandlung mit
einem SSRI. Eine Studie konnte die Wirksamkeit von 33.3.1 Therapie
Fluvoxamin nach vorheriger erfolgloser Verhaltens-
therapie belegen (Blanz et al. 2006). Psychoedukation und Verhaltenstherapie
Zunächst sollten unspezifische Maßnahmen wie Bera-
tung und Beruhigung der Eltern, positive Verstärkung
Fazit und Motivationsaufbau erfolgen. Es sollte auch doku-
mentiert werden, wie oft und in welchen Situationen
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei das Kind einnässt. Falls diese Maßnahmen alleine
Trennungsangst nicht ausreichen, ist die apparative Verhaltenstherapie
5 Die zentralen Therapiekomponenten bei Trennungs- mittels »Klingelhose« oder »Klingelmatte« das Mittel
angst sind Psychoedukation und Verhaltenstherapie. der Wahl. Das Kind sollte darüber gut aufgeklärt und
Falls diese Maßnahmen nicht ausreichend sind, in die Planung miteinbezogen werden. Bei dieser The-
empfiehlt sich eine medikamentöse Behandlung mit rapiemethode ist es wichtig, dass das Gerät jede Nacht
einem SSRI. eingesetzt wird, das Kind komplett nach dem Einnäs-
sen wach wird und die Therapie lange genug fortge-
setzt wird. Ein weiteres effektives, aber aufwändigeres
verhaltenstherapeutisches Programm stellt das »dry
33.3 Enuresis bed training« dar.
begleitenden Verhaltensauffälligkeiten (von Gontard Kind aus der Familie herausgenommen werden muss.
21 2005). Da zumeist umschriebene Entwicklungsrückstände
Zugelassen sind auch Clonipramin und Imipra- vorliegen, sind unter besonderer Berücksichtigung
min; sie werden aber in der Regel nicht mehr verord- des Beziehungsaspektes Krankengymnastik, Ergothe-
22 net. rapie und Logopädie erforderlich. Psychotherapeu-
tische Verfahren können erst eingesetzt werden, wenn
23 Fazit
ein entsprechendes Entwicklungsalter erreicht ist.
Psychopharmakotherapie
24 Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Enuresis Bei Kindern, die sehr unruhig und aggressiv sind bzw.
5 Für die Behandlung einer Enuresis ist zunächst eine unter ausgeprägten Schlafstörungen leiden, kommt
Psychoedukation essentiell, an die sich verhaltens- eine Behandlung mit Antipsychotika (z. B. Risperi-
25 therapeutische Maßnahmen anschließen sollten. Falls don) in Betracht (Pfeiffer u. Lehmkuhl 2005).
diese Maßnahmen nicht erfolgreich sind, kann eine
26 vorübergehende Gabe von Desmopressin wirksam
Fazit
sein.
33.4.1 Therapie
39
Ziel der Behandlung ist die Herstellung und Sicherung
40 eines entwicklungsfördernden, bindungsstabilen Mili-
eus. Häufig ist eine Zusammenarbeit mit dem Jugend-
amt notwendig; manchmal ist es auch nötig, dass ein
34.1 ·
271 34
IV
34 Notfallpsychiatrie – 273
Notfallpsychiatrie
Psychiatrische Notfallsituationen kommen als kri- > Die Kombination Haloperidol mit dem Benzodiazepin
21 senhafte Zuspitzungen im Rahmen psychiatrischer Lorazepam ist gut untersucht. Beide Dosen können
Grundkrankheiten und bei Gesunden (z. B. Agitiert- dann geringer gewählt werden, dadurch wird das
heit, Stupor bei akuter Belastungsreaktion oder Sui- Risiko von Nebenwirkungen verringert. Auch können
22 zidalität bei Anpassungsstörungen) vor. Die medika- Benzodiazepine die Akathisie durch Antipsychotika
mentöse Behandlung erfolgt syndromgerichtet. Fol- dämpfen. Olanzapin sollte nicht mit Lorazepam
23 gende Syndrome stehen im Mittelpunkt:
5 psychomotorische Erregungszustände, auch im
kombiniert werden.
31 Halo- Psychotische und deli- i.m./p.o.: 5–10 mg, Bewährtes Anti- In hohen Dosen
peridol rante Zustandsbilder; bei älteren Patienten psychotikum; hohes kardiotoxisches
Haldol- psychomotorische niedriger (zunächst 1– Wirkpotenzial; Risiko.
32 Janssen® Erregung auch 1,5 mg); ggf. Wieder- hohes EPS-Risiko Cave: nicht i.v.
schwerster Ausprä- holung alle 30 min v. a. im hohen Dosis- Bei Frühdyskine-
gung bereich sien, Biperiden (Aki-
33 neton®)
Olan- Psychotische Zu- i.m.a: initial 5–10 mg; Bewährtes AAP; QTc-Verlängerung
34 zapin
Zyprexa®
standsbilder; psycho-
motorische Erregung
p.o.: initial 10–20 mg;
Wiederholung alle
geringeres
EPS-Risiko
(7 Abschn. 7.6)
möglich;
bei Schizophrenie und 30 min möglich Nicht i.v.a
35 Manie
Melperon Leicht- bis mittelgradi- i.m.: initial 50–100 mg, Gute sedierende Hypotonie
36 Euner-
pan®
ge psychomotorische
Erregung bei geriat-
maximal 200 mg/24 h Eigenschaften bei
mäßiger antipsycho-
rischen und internis- tischer Wirkung: kei-
37 tisch erkrankten Pa-
tienten
ne anticholinergen
Eigenschaften
40 i.v.-Applikation sehr
langsam!
a
Lorazepam nicht mit Clozapin oder Olanzapin kombinieren.
34.1 · Psychomotorische Erregungszustände
275 34
Kooperativ? ja
Gesprächsbereit?
nein Krisenintervention:
5 Gespräch
Spannungsreduktion durch Angebote:
5 gemeinsame Konfliktlösung suchen 5 ggf. Medikation
5 geplante Maßnahmen erklären Erfolg
5 ggf. Essen, Trinken, Zigarette anbieten 5 Absprachefähigkeit
5 Angehörigen nach Wunsch des Patienten beurteilen
einbeziehen oder ausschließen
5 Aufnahmeindikation
klären
kein Erfolg
5 Gefährdung
reevaluieren
5 Stärke und Präsenz (Personal) signalisieren
5 Befugnis ggf. zu Maßnahmen gegen
Erfolg
den Willen des Patienten erklären
5 Entschlossenheit zeigen
kein Erfolg
Hemmung (»Pseudodemenz«) im Vordergrund. Die Bei 90% aller Suizide liegt eine psychiatrische
affektive Resonanzfähigkeit kann bis zur Affektstar- Erkrankung zugrunde (bei ca. 60% eine affektive Stö-
re eingeschränkt sein, häufig besteht Negativismus. rung; Hauptrisikofaktor für einen Suizid ist die Dia-
Blickkontakt ist vorhanden, das Verhalten bei Explo- gnose einer Major Depression). Weitere Risikofak-
ration wirkt passiv-duldend, weniger autistisch und toren sind: schwere Schlafstörungen, konkrete frühere
bizarr als bei der katatonen Schizophrenie. Suizidversuche, fehlende soziale Einbindung oder
Verlust von Bezugspersonen und handlungsweisender
> Notfalltherapie beim depressiven Stupor Charakter der Suizidideationen.
5 Sie besteht ebenfalls aus einer Lorazepam-Medi- Ein generell höheres Suizidrisiko haben Män-
kation (s. oben). ner, ältere und allein lebende Menschen, psychiat-
risch ersterkrankte Patienten sowie alters- und dia-
Stupor bei organischer katatoner Störung gnoseunabhängig Patienten mit schlechtem Behand-
Phänomenologisch besteht Ähnlichkeit mit dem Stu- lungserfolg. Besonders gefährdet sind weiterhin Per-
por bei katatoner Schizophrenie. Differenzialdiagnos- sonen mit Suizidversuchen in der Anamnese und dia-
tisch wegweisend sind pathologische Befunde bei der gnoseübergreifend Patienten mit aktuell depressiver
internistischen bzw. neurologischen Diagnostik. Es oder dysphorisch-agitierter Symptomatik. Gute fami-
kann ggf. Haloperidol verordnet werden. liäre, soziale und berufliche Bindungen sind protek-
tive Faktoren.
Dissoziativer Stupor (psychogener Stupor)
Bei bestehender psychomotorischer Hemmung mit Umgang mit suizidalen Patienten
Mutismus sowie fehlender oder stark eingeschränkter Jede Suizidäußerung eines Patienten ist ernst zu neh-
Reagibilität auf äußere Reize finden sich unauffäl- men, eine ausführliche Exploration ist dann zwingend
lige organische Befunde, anamnestisch sind meistens nötig.
keine psychiatrischen Achse-I-Störungen festzustel- 5 Zur Einschätzung der akuten Gefährdung ist die
len. Diagnostisch wegweisend sind unmittelbar bzw. ausführliche Anamnese wichtig. Bei Verdacht auf
kurz zuvor vorausgegangene belastende Erlebnisse Suizidalität muss diese offen thematisiert werden,
(Fremdanamnese). Häufig liegt eine auffällige Persön- die Absprachefähigkeit des Patienten ist zu beur-
lichkeitsstruktur zugrunde. teilen.
Psychopharmaka in Schwangerschaft
und Stillzeit
Die Pharmakotherapie während der Schwangerschaft unterschieden. Es werden hier nur Beobachtungen
21 ist nicht geregelt, weil kein Psychopharmakon für die- erwähnt, die auch Konsequenzen in der Verordnung
se Indikation speziell zugelassen ist. Durch den häu- haben.
figeren Gebrauch gerade der neueren Antidepressiva
22 und Antipsychotika werden auch mehr unerwünschte
Wirkungen und Risiken in der Schwangerschaft und 35.1 Antidepressiva
23 Stillzeit erkannt. Eine Beeinflussung für das Kind oder
den Säugling durch Psychopharmaka ist zu keiner Während man bisher davon ausging, dass SSRI ohne
Zeit auszuschließen, denn nahezu alle Psychophar- Risiko in der Schwangerschaft gegeben werden könn-
24 maka sind plazentagängig und gehen in die Mutter- ten, ist kürzlich eine Assoziation zwischen SSRI-
milch über. Behandlung nach der 20. Schwangerschaftswoche und
So wird die Gabe psychotroper Medikamente pulmonaler Hypertension beim Neugeborenen deut-
25 während der Schwangerschaft und Stillzeit stets ein lich geworden. Eine solche Assoziation fand sich nicht
sorgfältiges Abwägen zwischen der Exposition des nach Einnahme von Amitriptylin, Imipramin, Nortrip-
26 Kindes auf der einen und dem Risiko des Rezidivs der tylin, Venlafaxin oder Bupropion in der Schwanger-
psychischen Erkrankung der Mutter nach dem Abset- schaft. Für Escitalopram und Fluvoxamin liegen noch
zen der Medikation auf der anderen Seite beinhalten. nicht genügend Daten vor, um eine Risikoabschät-
27 Auch gibt es schwere psychische Krankheiten, die ein zung zu treffen.
Neuansetzen eines Antidepressivums, Antipsychoti- Darüber hinaus fand sich eine Assoziation zwi-
28 kums oder Benzodiazepins erforderlich machen.
Eine Behandlung mit Psychopharmaka insbe-
schen SSRI-Behandlung in der Schwangerschaft
und einer verkürzten Schwangerschaftsdauer, einem
sondere im 1. Trimenon sollte nur dann durchge- geringeren Geburtsgewicht sowie einem schlechteren
29 führt werden, wenn das mit der psychischen Stö- Apgar-Wert. Der Zusammenhang mit dem Apgar-
rung assoziierte Risiko für Mutter und Fetus das mit Wert fand sich jedoch nur bei Einnahme des SSRI im
einer medikamentösen Behandlung verbundene Risi- 3. Trimenon der Schwangerschaft. Auch zeigte sich
30 ko übersteigt. Für Antidepressiva gilt diese Einschrän- eine erhöhte intensivmedizinische Behandlungsnot-
kung nach neueren Beobachtungen auch für die Zeit wendigkeit für Neugeborene, deren Mütter im 3. Tri-
31 nach der 20. Schwangerschaftswoche. menon SSRI eingenommen hatten. Es gibt aber auch
Untersuchungen, die einen solchenZusammenhang
Wichtig nicht finden.
32
5 Aufgrund der bekannten Risiken von Psy-
chopharmaka in der Schwangerschaft und
33 Stillzeit nimmt die Bedeutung engmaschiger
Fazit
scheinen heute TZA unproblematischer als SSRI hin- 5 Es ist daran zu denken, dass rasches Absetzen von
sichtlich erhöhter Perinataltoxizität und der Gefahr Lithium das Rezidivrisiko erhöht und möglicherweise
der Entstehung einer pulmonalen Hypertension zu bei Wiederansetzen von Lithium keine Response
sein. Da unter TZA bisher schon Nortriptylin wegen mehr zu erreichen ist.
der geringsten Nebenwirkungen innerhalb dieser
Gruppe der Vorzug gegeben wurde, könnte dieses
Präparat zzt. das Mittel der Wahl sein.
5 Diese vorsichtigen Empfehlungen sollten aber in kei- 35.3 Antikonvulsiva
nem Fall dazu führen, dass depressiven Schwangeren
eine notwendige Therapie vorenthalten wird. 5 Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure
müssen bei Einnahme im 1. Trimenon als terato-
gen betrachtet werden.
5 Das Risiko für Fehlbildungen bei Kindern epi-
35.2 Lithium lepsiekranker Frauen, die während der Schwan-
gerschaft Antikonvulsiva einnahmen, ist 2- bis 3-
5 Durch Einnahme von Lithium (7 Abschn. 6.4.1) fach gegenüber der Normalbevölkerung erhöht.
während der Schwangerschaft können kardio- Carbamazepin- und Valproinsäureeinnahme
vaskuläre Fehlbildungen ausgelöst werden, selten während des 1. Trimenons erhöht das Risiko für
kann es auch zur Ausbildung einer Ebstein-Ano- Neuralrohrverschlussstörungen (Spina bifida)
malie (Kombination aus Trikuspidalinsuffizienz, und für Verschlussstörungen im Urogenitaltrakt
offenem Ductus arteriosus und Hypoplasie des (Hypospadie). Eine Folsäuresubstitution ist indi-
rechten Ventrikels) kommen. ziert.
5 Auch das Frühgeburtsrisiko ist bei Schwangeren
unter Lithium erhöht.
5 Bei Behandlung der Mutter mit Lithium in den Fazit
letzten Schwangerschaftswochen zeigt das Neu-
geborene u. U. ein Floppy-infant-Syndrom: Lethar- Pharmakotherapie mit Antikonvulsiva in der
gie, muskuläre Hypotonie, Hypothermie, Atem- Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
insuffizienz, abgeschwächte Saugreflexe mit 5 Auf Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure
Ernährungsstörungen. Eine Rückbildung ist sollte während der Schwangerschaft bei psychischen
meist innerhalb von 1–2 Wochen zu erwarten. Erkrankungen verzichtet werden.
Gelegentlich bei Neugeborenen beobachtete Stru- 5 Vom Stillen ist unter diesen Präparaten abzuraten.
men sind innerhalb einiger Monate reversibel. 5 Falls Antikonvulsiva dennoch verordnet werden
5 Bei Einnahme von Lithium während der Stillzeit müssen, ist Folsäure zu geben.
werden beim Säugling Werte zwischen 10 und
50% der bei der Mutter erhobenen Spiegel gemes-
sen. Folgen dieser Lithiumserumspiegel für das
Kind sind unbekannt. 35.4 Antipsychotika
5 Bisher gibt es keinen eindeutigen Nachweis tera-
Fazit togenen Potenzials und einer damit verbundenen
Zunahme von Fehlbildungen nach Antipsycho-
Pharmakotherapie mit Lithium in der Schwanger- tikaexposition. Aber nach pränataler Exposition
schaft und Stillzeit – Bewertung gegenüber Phenothiazinen (z. B. Chlorpromazin)
5 Frauen, die Lithium einnehmen, sollten aufgrund des gibt es Berichte über das Auftreten von Fehlbil-
potenziell teratogenen Risikos grundsätzlich kontra- dungen im Bereich der kardiovaskulären Organe,
zeptive Maßnahmen einleiten. des ZNS und des Skeletts.
5 Bei geplanter Schwangerschaft ist eine Latenz von 5 Die Erfahrungen mit atypischen Antipsychotika
2 Wochen zwischen Absetzen von Lithium und Kon- (AAP) in der Schwangerschaft sind begrenzt. Die
zeption notwendig. umfangreichsten Daten sind für Olanzapin publi-
5 Es sollte grundsätzlich versucht werden, im 1. Trime- ziert; obwohl diese nicht auf erhöhte Fehlbil-
non auf eine Behandlung mit Lithium zu verzichten. dungsraten hinweisen, kann aufgrund der nied-
5 Vom Stillen unter Lithium ist abzuraten. rigen Fallzahlen auch diese Substanz nicht als
284 Kapitel 35 · Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit
unbedenklich gelten. In einer kleinen prospekti- allem in älteren Untersuchungen gibt es Hinweise
21 ven Studie mit Olanzapin, Quetiapin und Rispe- auf das gehäufte Auftreten von Gesichtsspalten.
ridon in der Schwangerschaft fanden sich keine 5 Clonazepam wird hinsichtlich des teratogenen
Hinweise auf erhöhte Fehlbildungsraten. Für die Risikos gegenwärtig als am wenigsten bedenklich
22 anderen AAP liegen nur Einzelfallberichte vor. eingeschätzt.
5 Auf eine ausreichende Zufuhr an Folsäure ist 5 Bei Neugeborenen kann es zum Floppy-infant-
Syndrom (7 Abschn. 35.2) kommen. Auch Ent-
23 besonders bei Patienten, die unter AAP an
Gewicht zunehmen, zu achten. zugssyndrome kommen beim Neugeborenen
5 Bei Neugeborenen, deren Mütter während der nach längerer Benzodiazepineinnahme durch die
24 Schwangerschaft konventionelle Antipsychoti- Mutter vor. Diese Symptome halten meist nur
ka eingenommen haben, muss mit EPS gerechnet wenige Stunden oder Tage an, sie können jedoch
werden, die sich nach einigen Tagen zurück bil- bis zu mehreren Wochen persistieren. Langwirk-
25 den. Perinatalsyndrome wurden jedoch auch bei same Benzodiazepine mit aktiven Metaboliten
Gabe von Olanzapin berichtet. Clozapin ist kon- sind als besonders bedenklich einzuschätzen, da
26 traindiziert. sie im Fetus wegen des unzureichenden Stoff-
5 Antipsychotika können in unterschiedlichem wechsels kumulieren können.
Umfang in die Muttermilch übergehen. Daher ist 5 Benzodiazepine gehen in die Muttermilch über;
27 bei Behandlung mit Antipsychotika vom Stillen die beschriebenen Spiegel sind in der Regel aller-
abzuraten. dings sehr niedrig.
28 5 Klinische Untersuchungen zeigen unterschied-
liche Ergebnisse hinsichtlich Entwicklungsverzö-
Fazit gerungen. Häufig findet sich bei retardierter Ent-
29 wicklung der Kinder bei den Müttern neben der
Pharmakotherapie mit Antipsychotika in der Einnahme von Benzodiazepinen ein Missbrauch
von Alkohol oder Drogen.
30 Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Auf Antipsychotika im 1. Trimenon sollte verzichtet
werden.
31 5 Muss eine Behandlung während der Schwanger- Fazit
schaft durchgeführt werden, sollte ca. 14 Tage vor
dem erwarteten Geburtstermin ein Absetzversuch Pharmakotherapie mit Benzodiazepinen und
32 bzw. zumindest eine Dosisreduktion angestrebt Non-Benzodiazepinen in der Schwangerschaft und
werden, um das Risiko für EPS beim Neugeborenen Stillzeit – Bewertung
33 zu verringern. Bei zwingender Notwendigkeit ist am 5 Benzodiazepe im 1. Trimenon sollten aufgrund
ehesten eine niedrig dosierte Therapie mit Halope- des nicht auszuschließenden teratogenen Risikos
ridol durchzuführen, da hier die größten klinischen vermieden werden. Im 2. Trimenon scheinen geringe
34 Erfahrungen vorliegen. Wenn ein AAP verordnet Gaben von Benzodiazepinen keine Komplikationen
werden soll, erscheint Olanzapin zzt. am wenigsten hervorzurufen.
35 risikoreich.
5 Vom Stillen unter Antipsychotika ist abzuraten.
5 Da die Metabolisierungskapazitäten beim Säugling
nicht ausgereift sind, muss mit ausgeprägten Benzo-
5 Auf die Gabe des Antiparkinsonmittels Biperiden diazepinwirkungen (Sedierung, Lethargie, Trink-
36 sollte in der Schwangerschaft verzichtet werden, da schwierigkeiten) gerechnet werden. Da Benzodiaze-
die Substanz als zumindest gering teratogen einzu- pine jedoch nur in geringem Maße in die Muttermilch
35.6 Checkliste
?
1. Was ist bei der Behandlung einer Depression
in der Schwangerschaft zu bedenken?
2. Welche Antipsychotika haben in der
Schwangerschaft nach dem derzeitigen
Wissensstand das geringste Risiko?
3. Was ist bei einer Behandlung mit Lithium in
der Schwangerschaft und in der Stillzeit zu
beachten?
4. Welche Risiken beinhaltet die Gabe von Ben-
zodiazepinen in der Schwangerschaft und in
der Stillzeit?
36.1 ·
287 36
Fahrtüchtigkeit, Alltagsicherheit und Reaktionsfähig- Das Gutachten »Krankheit und Kraftverkehr« (zuletzt
21 keit können durch psychische Krankheiten und durch 2000 vom Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin
Psychopharmaka beeinträchtigt werden. Deshalb von den Bundesministerien für Verkehr und Gesund-
müssen mögliche Änderungen dieser Eigenschaften heit unter dem neuen Titel »Begutachtungsleitlinien
22 stets abgeschätzt werden, um Einschränkungen durch zur Kraftfahrteignung« herausgegeben), beinhaltet
eine eingeleitete Psychopharmakotherapie frühzeitig Grundlagen zur medizinischen Beurteilung der Fahr-
23 zu erkennen. Im Vordergrund dieser Ausführungen
steht die Fahrtüchtigkeit. Diese, die Reaktionsfähig-
eignung. Es ist eine Stellungnahme, die im Einzelfall,
aber nicht für jeden Patienten Gültigkeit haben kann.
keit und die Alltagssicherheit werden von Psycho- Sinngemäß enthalten die »Begutachtungsleitlinien zur
24 pharmaka im gleichen Sinne beeinflusst. Kraftfahrteignung« u. a. folgende Leitsätze zu psychi-
Es gibt deshalb im Umgang mit Psychopharma- atrischen Grunderkrankungen:
ka einige Regeln: 5 Bei jeder schweren Depression, die z. B. mit
25 5 In der Ein- oder Umstellungsphase mit sedieren- Wahn, stuporösen Symptomen oder akuter Suizi-
den Psychopharmaka muss in der Regel die Fahr- dalität einhergeht, und bei allen manischen Pha-
26 tüchtigkeit für mindestens ca. 14 Tage verneint sen sind die Voraussetzungen zum sicheren Füh-
werden. Diese Zeitspanne kann im Einzelfall ren von Kraftfahrzeugen nicht gegeben, ebenso
erheblich länger sein. wenig wie in akuten Stadien schizophrener Epi-
27 5 Eine stabile Erhaltungstherapie wird in der Regel soden, bei Demenz oder bei organischen Psycho-
die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sen wie einem Delir oder einem Korsakow-Syn-
28 nicht beeinflussen. Die Einnahme von Benzodia-
zepinen, sedierenden Antidepressiva oder Antip-
drom.
5 Grundsätzlich werden nach Abklingen der Akut-
sychotika hingegen kann die Fahrtüchtigkeit auch symptomatik Überprüfungen der Fahrtauglich-
29 langfristig beinträchtigen. keit empfohlen. Die Eignung zur aktiven Wie-
derteilnahme am Straßenverkehr setzt allerdings
Bei einigen Erkrankungen, die von sich aus die Eig- symptomfreie Intervalle voraus. Diese differieren
30 nung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen je nach Grunderkrankung erheblich, z. B. kann
können, kann erst durch die Arzneimittelbehandlung in der Regel nach einer ersten schweren psycho-
31 die Voraussetzung zum Führen von Kraftfahrzeugen tischen Episode nach 6-monatiger Symptom-
wieder erreicht werden. Entscheidend bleibt jedoch freiheit die Fahrerlaubnis wiedererlangt werden.
auch hier, ob eine Arzneimitteltherapie zu einer Besonders günstige Krankheitsverläufe rechtferti-
32 wesentlichen Beeinträchtigung der psychophysischen gen eine Verkürzung dieser Zeit.
Leistungsfähigkeit führt. Bei Unsicherheit in dieser
33 Frage kann ggf. eine verkehrsmedizinische Untersu- . Tabelle 36.1 gibt einen Überblick über die Beein-
chung unter Einbeziehung objektiver Leistungstests trächtigungen der Fahrtüchtigkeit.
erfolgen.
34
Wichtig
35 5 Über eine mögliche Beeinträchtigung der
Fahrtüchtigkeit durch Psychopharmaka
36 sowie über mögliche Interaktionen mit
anderen Arzneimitteln, besonders mit
Alkohol, muss der Patient vor Teilnahme am
37 Straßenverkehr stets aufgeklärt werden. Die
Inhalte der Aufklärung sollten im Kranken-
38 blatt dokumentiert werden.
5 Dem Patienten muss eine Mitverantwortung
und Entscheidungskompetenz zugewiesen
39 werden.
40
Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
289 36
36.1 Checkliste
21
?
22 1. Welchen Effekt haben Antidepressiva auf die
Fahrtüchtigkeit?
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
291 A1
Anhang
Literatur – 311
Diagnoseverzeichnis – 321
Pharmakaverzeichnis – 323
Sachverzeichnis – 325
292 A1 · Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
Chemische Handelsname
Kurzbezeichnung
Pipamperon Dipiperon®
Pregabalin Lyrica®
Propranolol Dociton®
Quetiapin Seroquel®
Reboxitin Edronax®
Rimonabant Acomplia®
Risperidon Risperdal®
Rivastigmin Exelon®
Sibutramin Reductil®
Sildenafil Viagra®
Tadalafil Cialis®
Temazepam Remestan®
Triazolam Halcion®
Trimipramin Stangyl®
Vardenafil Levitra®
Vareniclin Champix®
Zaleplon Sonata®
Ziprasidon Zeldox®
Zolpidem Stilnox®
Zopiclon Ximovan®
295 A2
des Arzneimittels verfasst werden. Sie beschrei- Falle einer versehentlichen Überdosierung oder
21 ben die wesentlichen präklinischen und kli- bei Einnahme in suizidaler Absicht.
nischen Eigenschaften des Arzneimittels. 3. Bei den neuen dualen Antidepressiva wird ver-
6. Die Cochrane-Datenbank liefert für den Thera- sucht neben der möglichst selektiven Aktivierung
A2 peuten Information auf der Grundlage der evi- des Serotoninsystems ein zweites Neurotrans-
denzbasierten Medizin. Über sie wird der aktu- mittersystem – meist das noradrenerge System –
23 elle Stand des Wissens der klinischen Forschung
in kurzer Zeit verfügbar gemacht. Damit sollen
selektiv zu aktivieren und dadurch eine verbes-
serte antidepressive Wirkung zu erreichen bei
Entscheidungen im Gesundheitssystem verbes- gleichzeitig möglichst guter Verträglichkeit.
24 sert werden. 4. Der Neurotransmitter oder meist seine Vorstu-
7. Über den PubMed-Service, ein weltweit frei fe wird ins Neuron aufgenommen. Der Neuro-
zugänglicher Service der National Library of transmitter wird an die Nervenendigungen trans-
25 Medicine in den USA, kommt man über das portiert und in Vesikeln gespeichert. Bei einem
Internet zu Zusammenfassungen (Abstracts) Aktionspotenzial erfolgt ein Ca2+-Einstrom,
26 von Originalarbeiten oder Übersichtsartikeln der Neurotransmitter wird in den synaptischen
(Reviews). Spalt freigesetzt. Die Syntheserate und die Men-
8. Bei der Angabe »gelegentlich« ist in mindestens ge des freigesetzten Neurotransmitters kann
27 0,1% der Verordnungen mit der entsprechenden durch präsynaptische Auto- bzw. Heterorezep-
Nebenwirkung zu rechnen. toren reguliert werden. Nach Diffusion reagiert
28 9. Es handelt sich um eine unerwünschte schwer-
wiegende Wirkung. Sie ist an die Arzneimittel-
der Neurotransmitter mit Rezeptoren auf der
postsynaptischen Seite. Verschiede Mechanismen
kommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) führen zur Inaktivierung des Transmitters: Auf-
29 zu melden, auch im Verdachtsfall. nahme in das präsynaptische Neuron; Aufnah-
me in das postsynaptische Neuron und in synap-
senbegleitende Gilazellen und Abbau des Trans-
30 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 4 mitters. Die Blockade dieser Inaktivierungsme-
chanismen ist ein wichtiger Angriffspunkt für
31 1. Bei schweren Depressionen, psychotischen Sym- Antidepressiva. Viele Antidepressiva blockieren
ptomen oder schweren Zwangsstörungen ist oft die neuronale Wiederaufnahme der Transmitter
erst nach dem Wirkeintritt einer Pharmakothe- NA und Serotonin. Inhibitoren des in den Mito-
32 rapie ein psychotherapeutischer Zugang zu den chondrien lokalisierten Enzyms Monoaminoxi-
Patienten möglich. dase (MAO) hemmen den Abbau aminger Trans-
33 2. Bei psychotischen Symptomen, Schizophrenien, mitter. Auf der postsynaptischen Seite besetzen
schweren Depressionen, Manien und akuter Sui- die freigesetzten Neurotransmitter Rezeptoren,
zidalität besteht eine klare Indikation für eine dadurch werden Signale ausgelöst und in das
34 Psychopharmakotherapie. rezeptive Neuron weitergeleitet.
5. Antidepressiva entfalten ihre volle Wirkung erst
35 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 5
nach einer Latenz von Tagen bis Wochen. Dies ist
der Fall obwohl die Veränderung der chemischen
Neurotransmission und -transduktion im ZNS
36 1. Auf der Basis der Serotonin-Noradrenalinhy- unter der Gabe von Antidepressiva sehr schnell
pothese erfolgte eine intensive Forschung in der erfolgt. Deshalb ist die Vorstellung entstanden,
biologischen Psychiatrie mit dem Ziel Medika- dass die akuten pharmakologischen Effekte nicht
37 mente zu entwickeln, die gezielt die Neurotrans- den eigentlichen Wirkungsmechanismus der
mitterkonzentration im synaptischen Spalt beein- Antidepressiva darstellen, sondern dass adap-
38 flussen und dadurch antidepressiv wirken. Die tive Veränderungen an den Rezeptoren (Verände-
Blockade der Inaktivierungsmechanismen für rungen der Rezeptorendichte und der Funktiona-
die Neurotransmitter Serotonin und Noradrena- lität) auf der postsynaptischen Seite angestoßen
39 lin stellt einen wichtigen Angriffspunkt für viele werden, die schließlich zu der antidepressiven
Antidepressiva dar. Wirkung führen.
40 2. Die selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer 6. Mit einer antidepressiven Wirkung ist nach einer
sind nebenwirkungsärmer als die MAO-Hemmer Wirklatenz von ca. 2 Wochen zu rechnen; nach
und TZA, außerdem sind sie weniger toxisch im 4−8 Wochen sollte ein voller Wirkungseintritt
Antworten zu den Checkfragen
297 A2
feststellbar sein. Ziel ist die vollständige Remissi- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis
on. Typischerweise treten aber mögliche Neben- hin zur Verwirrtheit auftreten. Antidepressiva
wirkungen besonders am Anfang einer Behand- sollten deswegen allmählich abgesetzt werden.
lung mit Antidepressiva auf und bessern sich spä- 11. SSRI sind deutlich besser verträglich als TZA.
ter häufig. Für die Behandlung von depressiven TZA haben das höchste Risiko für kardiale
Patienten, insbesondere bei Suizidalität, bedeutet Nebenwirkungen (arrhythmogen) und cholinerge
dies, dass zu Beginn einer antidepressiven The- zentralnervöse Nebenwirkungen, die bis zum
rapie oft vorübergehend auch Benzodiazepine Delir führen können. Bei der häufig bestehenden
(Anxiolytika) verabreicht werden um die Phase internistischen Begleitmedikation sind die Prä-
der Wirklatenz zu überbrücken. parate zu wählen, die ein niedriges Interaktions-
7. Bei akuter Suizidalität sollte zusätzlich zu der potenzial haben. Auch die dualen Antidepressiva
antidepressiven Behandlung und stützenden Mirtazapin und Venlafaxin sind im höheren Alter
Gesprächen sowie engmaschiger Beobachtung gut verträglich.
auch die Gabe eines Benzodiazepins zur akuten 12. Bei Depressionen mit Schlafstörungen ist Mirta-
Entlastung und Anxiolyse erwogen werden. Das zapin das Mittel der Wahl, es lässt sich zur Aug-
Suizidrisiko ist besonders bei Patienten erhöht, mentation gut mit SSRI oder SNRI kombinie-
bei denen der Antrieb gesteigert, aber die Stim- ren. In niedriger Dosierung ist es auch geeignet
mungsaufhellung noch nicht eingetreten ist. Die zur Schlafinduktion bei Schlafstörungen ohne
meisten der modernen Antidepressiva haben kei- depressive Symptomatik.
ne sedierenden Eigenschaften mehr und können 13. In einzelnen Studien waren Johanniskrautprä-
damit Gefühle der inneren Unruhe und Getrie- parate Placebos bei leichter und mittelschwerer
benheit, die von den Patienten als sehr quälend Depression überlegen. Derzeit gibt es noch viele
erlebt werden, nicht ausreichend abfangen. Unsicherheiten bez. der Wirksamkeit im Ver-
8. Bei den TZA kommen häufig Mundtrockenheit, gleich mit Standardantidepressiva. Johannis-
Akkomodationsstörungen, orthostatische Dys- krautpräparate haben ein beträchtliches Interakti-
regulation, Sedierung und Gewichtszunahme onspotenzial mit anderen Medikamenten, das oft
vor. Bei den SSRI klagen Patienten besonders in unterschätzt wird.
der Anfangsphase öfter über Übelkeit, Erbrechen 14. Kinder und Jugendliche mit depressiven Syndro-
und Diarrhö, Schwitzen, Kopfschmerzen sowie men sollten mit einem SSRI behandelt werden,
Agitation und Schlafstörungen. Bei den dualen allerdings besteht nur für Fluoxetin ein Wirk-
Antidepressiva Duloxetin und Venlafaxin stehen samkeitsnachweis. Fluoxetin ist ab dem Alter von
gastorintestinale Beschwerden im Vordergrund 8 Jahren bei mittelgradigen bis schweren Episo-
und bei Mirtazapin tritt Gewichtszunahme auf. den einer Major Depression zugelassen, wenn
Oft wird unter einer Behandlung mit Antidepres- im Vorfeld durch 4–6 psychotherapeutische Sit-
siva über sexuelle Funktionsstörungen berichtet. zungen keine Verbesserung der Symptomatik
Es ist wichtig mit Patienten über mögliche erzielt werden konnte. Eine engmaschige
Nebenwirkungen zu sprechen, im Verlauf der therapeutische Betreuung ist wegen der mög-
Behandlung wiederholt danach zu fragen und lichen Suizidalität unter SSRI unbedingt nötig
ggf. Verhaltensänderungen zu initiieren, z. B. (7 Abschn. 5.6 u. 5.12).
beim Essverhalten, und ggf. nach Behandlungs-
alternativen zu suchen um die Compliance nicht
zu gefährden. Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 6
9. Antidepressiva werden auch zur Behandlung von
Angststörungen wie sozialer Phobie, generali- 1. Stimmungsstabilisierer sind nach den neuesten
sierter Angst, PTSD und Panikstörung mit und Therapiekonzepten die Basis der Behandlung der
ohne Agoraphobie eingesetzt sowie bei Zwangs- bipolaren affektiven Störung. Durch sie soll die
störungen, Bulimie und zur Behandlung von Stimmung langfristig ausgeglichen werden und es
Schmerzsyndromen. sollen sowohl depressive als auch manische Symp-
10. Beim plötzlichen Absetzen von Antidepressi- tome behandelt werden. Sie werden in der Akut-
va können Symptome wie Schwindel, Gangunsi- behandlung und zur Phasenprophylaxe einge-
cherheit, Übelkeit, Erbrechen, grippeähnliche setzt.
Symptome, sensible Störungen, Schlafstörungen, 2. Als Stimmungsstabilisierer sind Lithium, Anti-
Irritabilität, gedrückte Stimmung, Unruhe sowie konvulsiva (Valproinäure, Carbamazepin, Lamo-
298 A2 · Antworten zu den Checkfragen
trigin) und atypische Antipsychotika (Olanzapin, 2. Die Wirksamkeit von Antipsychotika ist gesichert
21 Quetiapin) indiziert. bei
3. Adjuvant können in depressiven Phasen – falls – schizophrenen und schizoaffektiven Stö-
die depressive Symptomatik mit Stimmungssta- rungen,
A2 bilisieren alleine nicht zu behandeln ist – Anti- – bipolaren affektiven Störungen (Akutbehand-
depressiva (keine TZA) eingesetzt werden. Aller- lung der Manie, Phasenprophylaxe),
23 dings wird diskutiert, ob Antidepressiva, insbe-
sondere TZA manische Phasen induzieren und/
– psychotische Depression (in Kombination
mit Antidepressiva),
oder die Phasenfrequenz erhöhen können. – Schmerzsyndromen,
24 In manischen Phasen können adjuvant Antipsy- – Neurologische Erkrankungen (z. B. Tic-Stö-
chotika und Benzodiazipine verabreicht werden. rungen)
4. Eine Therapie der bipolaren affektiven Störung Als Begleittherapie werden sie eingesetzt bei
25 mit Stimmungsstabilisieren stellt ein langfristiges – Persönlichkeitsstörungen
Behandlungskonzept dar. Stimmungsstabilisie- – Zwangsstörungen
26 rer sollen unabhängig von der akuten Sympto- – Angststörungen
matik kontinuierlich eingenommen werden, also – anderen organischen Psychosen (z. B. Alko-
auch in symptomfreien Phasen. Dies verlangt holpsychose)
27 eine gute Compliance. Insbesondere bei Absetzen – nichtpsychotischer Depression
von Lithium ist das Rückfallrisiko wahrscheinlich Außerdem werden sie in Notfallsituationen bei
28 5.
höher als im naturalistischen Verlauf.
Wichtigste Indikationen für Stimmungsstabilisie-
psychomotorischen Erregungszuständen einge-
setzt.
rer sind: 3. Neben den oralen Antipsychotika gibt es Depot-
29 – Manische Episode präparate mit Injektionsintervallen von 1‒
– Manische, depressive oder gemischte Episo- 4 Wochen. Sie gewährleisten eine ausreichende
de bei bipolarer affektiver Störung sowie die Behandlung bei Patienten, die nicht in der Lage
30 Phasenprophylaxe sind, orale Medikation regelmäßig und kompliant
– Akutbehandlung und Phasenprophylaxe des einzunehmen und verringern dadurch das Rück-
31 Rapid Cyclings fallrisiko.
– Phasenprophylaxe bei der schizoaffektiven 4. Bei den konventionellen Antipsychotika spie-
Störung len EPS wie Frühdyskinesien und das Parkin-
32 – Phasenprophylaxe bei der rezidivierenden sonoid mit Hypomimie, kleinschrittigem Gang
unipolaren Depression und Rigor eine wichtige Rolle. Außerdem können
33 6. Die Lithiumdosierung bei Kindern und Jugend- Akathisie (Sitz-und Stehunruhe), Spätdyskinesien
lichen muss teilweise höher sein als bei Erwach- sowie selten ein malignes neuroleptisches Syn-
senen, da Lithium bei Kindern und Jugendlichen drom auftreten.
34 aufgrund der besseren Nierenfunktion schneller 5. Auch bei den AAP treten zahlreiche Nebenwir-
ausgeschieden wird. kungen auf, besonders wichtig ist das metabo-
35 lische Syndrom mit Gewichtszunahme, patho-
logische Glukosetoleranz, Diabetes mellitus und
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 7 Hyperlipidämie. Es ist ein bedeutsamer Risiko-
36 faktor für die Entstehung von Herz-Kreislauf-
1. Unter AAP werden Antipsychotika zusammen- Erkrankungen.
gefasst, die im Vergleich mit den konventionellen 6. Als wirksamstes Antipsychotikum bei therapie-
37 Antipsychpotika folgende Charkteristika aufwei- resistenten schizophrenen Störungen im Kindes-
sen sollen: und Jugendalter hat sich Clozapin erwiesen. In
38 – gute antipsychotische Wirksamkeit kontrollierten Studien war Clozapin gegenüber
– weniger extrapyramidale Symptomatik (EPS) Haloperdiol sowie Olanzapin überlegen.
– Wirksamkeit bei Negativsymptomatik
39 – Wirksamkeit bei Therapieresistenz
– geringere Prolaktinerhöhungen Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 8
40
1. Benzodiazepine sind in der Akuttherapie psy-
chiatrischer Erkrankungen, z. B. bei akuten
Antworten zu den Checkfragen
299 A2
Angstzuständen oder Suizidalität, unverzicht- 8. Bei der Gabe von Benzodiazepinen muss über die
bar. Bei längerfristiger Verordnung sind sie in Gefahr der Entstehung einer Abhängigkeit infor-
einen Gesamtbehandlungsplan einzubinden. Bei miert werden, insbesondere dann, wenn eine
Abhängigkeitserkrankungen sollte – außer in Behandlung in hoher Dosierung und über einen
Notfallsituationen – auf Benzodiazepine verzich- längeren Zeitraum notwendig ist. Unter Benzo-
tet werden. Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit diazepinen ist die Reaktionsgeschwindigkeit ver-
zunehmender Dosis und der Dauer der Einnah- längert, die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sowie
me. Die Behandlungsdauer sollte auf 4‒6 Wochen die Fähigkeit an Maschinen zu arbeiten.
beschränkt bleiben. Um Entzugssymptome zu 9. Beim abrupten Absetzen von Benzodiazepi-
vermeiden ist ein langsames Absetzen von Ben- nen treten 3 Typen von Absetzsymptomen auf:
zodiazepinen notwendig. Reboundsymptome, Rückfallsymptome und Ent-
2. Benzodiazepine sind hochwirksam, sie wirken zugssymptome. Entzugssymptome treten 2‒
schnell und zuverlässig und haben eine große 10 Tage nach dem Absetzen der Benzodiaze-
therapeutische Breite. pine auf. Sie sind gekennzeichnet durch vermehr-
3. Benzodiazepine werden nosologieübergreifend te Angst und Unruhe, Schlaflosigkeit, Irritabili-
eingesetzt. Die Zielsymptome sind Angst, inne- tät, Übelkeit und Erbrechen, Schwitzen, Zittern,
re Unruhe, muskuläre Spannung, Hypervigi- Kopfschmerzen und Muskelverspannungen und
lanz, Schlafstörungen, katatone, mutistische oder können bis zu Verwirrtheitszuständen, Deper-
stuporöse Zustände sowie unerwünschte Wir- sonalisation und Derealisation, psychoseartigen
kungen von Antipsychotika wie Akathisie und Zuständen und zum Delir reichen.
Spätdyskinesien. Sie werden in vielen Notfallsi- 10. Die SSRI haben eine gute Wirksamkeit bei der
tuationen eingesetzt, bei psychiatrischen Erkran- GAD, Trennungsangst und sozialer Phobie im
kungen, aber auch bei internistischen Erkran- Kindes- und Jugendalter gezeigt. Allerdings muss
kungen wie z. B. beim akuten Herzinfarkt. am Anfang einer Therapie mit SSRI eine engma-
4. Benzodiazepine haben ein Abhängigkeitsrisi- schige ärztliche Kontrolle erfolgern, da es zu Sui-
ko; bei der anxiolytischen Wirkung tritt aber – zidideen und suizidalen Handlungen kommen
im Gegensatz zu der sedierenden Komponen- kann.
te ‒ kaum eine Toleranzentwicklung ein. Sie tre-
ten in Wechselwirkung mit Alkohol. Sie kön-
nen zu Müdigkeit bis zur Sedation führen sowie Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 9
zu Koordinationsstörungen und Störungen des
Kurzzeitgedächtnisses. 1. Die beiden wichtigsten Gruppen der Hypnotika
5. Wenn somatische Symptome im Vordergrund sind die Non-Benzodiazepine und die Benzodi-
stehen (Zittern, Schwitzen), z. B. bei spezifischen azepinhypnotika, andere Hypnotika wie Antihis-
Phobien wie Prüfungsangst oder Flugangst, kön- taminika und Chloralhydrat haben eine deutlich
nen auch β-Rezeptorenblocker als Anxiolytika geringere Bedeutung.
eingesetzt werden. 2. Sie haben eine viel größere therapeutische Breite,
6. Die wichtigste Medikamentengruppe zur län- auch Überdosierungen führen nicht zu schweren
gerfristigen Behandlung von Angststörungen Intoxikationen, dies ist besonders im Zusammen-
sind Antidepressiva, ihr Vorteil gegenüber den hang mit Suizidalität wichtig. Sie sind nebenwir-
Benzodiazepinen liegt im fehlenden Abhängig- kungsärmer als die früheren Hypnotika.
keitspotenzial, ihr Nachteil in der Wirklatenz. 3. Die Patienten müssen über das Risiko einer
7. Bei älteren Menschen sind oft geringerer Dosen Abhängigkeit bei langfristigem Gebrauch aufge-
von Benzodiazepinen notwendig als bei jüngeren klärt werden sowie über Wechselwirkungen mit
Menschen. Bei langwirksamen Benzodiazepinen Alkohol und Medikamenten wie z. B. Schmerz-
besteht die Gefahr der Kumulation mit Schwin- mitteln. Insbesondere bei länger wirksamen Ben-
del, Koordinationsstörungen, Ataxie und sich zodiazepinhypnotika ist auf Hang-over-Effekte
daraus ergebener Sturzgefahr. Es können para- mit Tagesmüdigkeit, reduzierter Konzentration
doxe Reaktionen auf die Gabe von Benzodiaze- und Reaktionsgeschwindigkeit hinzuweisen.
pien auftreten mit Erregungsphänomenen wie 4. Bei Benzodiazepinhypnotika besteht – insbeson-
Agitiertheit, Euphorisierung, Erregungszustän- dere wenn sie längerfristig eingenommen wer-
den, Schlaflosigkeit und Aggressivität. den – ein Abhängigkeitsrisiko. Die Dosis wird
dabei meist nicht gesteigert, man spricht dann
300 A2 · Antworten zu den Checkfragen
von einer »low-dose-dependence«. Beim Abset- werden; es findet gute Akzeptanz durch die Pati-
21 zen muss mit protrahiert zunehmenden Entzugs- enten.
erscheinungen über Wochen gerechnet werden. 4. Durch die relativ neuen retardierten Psycho-
Das Absetzen muss deswegen langsam erfolgen. stimulanzienpräparate, die nur einmalig mor-
A2 5. Bei Schlafstörungen im Rahmen einer Depressi- gens eingenommen werden und über mindestens
on ist es sinnvoll den schlafinduzierenden Effekt 8 Stunden wirken, lässt sich der Schwarzmarkt
23 sedierender Antidepressiva synergistisch zu nut-
zen. Im Gegensatz zur depressionslösenden Wir-
für Psychostimulanzien vermindern, da die Pati-
enten ihre Medikamente nicht mehr z. B. mit
kung reichen zur Schlafinduktion oft niedrige in die Schule nehmen und diese dort verkaufen
24 Dosierungen aus und der schlafverbessernde können.
Effekt tritt schnell ein.
6. Hypnotika sollten in möglichst niedriger Dosie-
25 rung, wenn möglich nur intermittierend (2- bis Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 12
4-mal pro Woche, verabreicht werden. Sie sollten
26 nur für max. 4 Wochen verschrieben werden. 1. Bei der pharmakologischen Behandlung erektiler
7. Bei längerem Gebrauch müssen sie sehr langsam Dysfunktion stehen die PDE-5-Hemmer an erster
abgesetzt werden. Stelle. Sie sind wirksam, nebenwirkungsarm und
27 8. Die Möglichkeit paradoxer Reaktionen (Erre- zugelassen. Der kardiovaskuläre Status muss vor
gungszustände mit Agitiertheit, Schlaflosigkeit der Gabe abgeklärt werden, bei schweren Herz-
28 und Aggressivität) nimmt mit dem Alter zu, ins-
besondere bei dementen, verwirrten Patienten
Kreislauf-Erkrankungen dürfen sie nicht einge-
setzt werden.
und organischen Grunderkrankungen. Bei lang- 2. Unter SSRI kommt es häufig zu einer verzögerten
29 wirksamen Benzodiazepinen besteht die Gefahr Ejakulation bei Männern, auch Frauen berichten
der Kumulation. über Anorgasmie. Diese Nebenwirkungen wer-
den häufig nicht spontan angegeben, sondern erst
30 bei gezielter Nachfrage berichtet. Sie sind aber ein
Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 10 wichtiger Grund für Non-Compliance.
31 3. Die Pharmakotherapie pathologisch gesteigerter
1. Bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz lie- Libido bei Männern kann insbesondere bei Stö-
gen für AChE-I (Donepezil, Galantamin, Riva- rungen der sexuellen Orientierung (Paraphilie)
32 stigmin) und den NMDA-Antagonisten Meman- eingesetzt werden, um Straftaten zu verhindern.
tin Wirksamkeitsnachweise vor im Sinne einer Zugelassen ist das Antiandrogen Cyproteronace-
33 leichten Verbesserung des Störungsbildes sowie tat. Es dämpft den gesteigerten sexuellen Drang
einer Verlangsamung des Fortschreitens der und kann damit auch eine Verhaltensänderung
Erkrankung bewirken, aber die abweichende sexuelle Orien-
34 tierung nicht heilen. Ein begleitende Sozio- und
Psychotherapie ist unabdingbar.
35 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 11
1. Clomethiazol ist das Mittel der ersten Wahl zur Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 13
36 stationären Alkoholentgiftung, es behandelt Ent-
zugssymptome (Puls- und Blutdruckanstieg, 1. Orlistat ist ein Lipasehemmer, der nur lokal im
Ängstlichkeit, Unruhe), es hat außerdem eine Darm wirksam ist und dort die Aufnahme von
37 delirverhütende und krampfanfallhemmende Lipiden um etwa 30% reduziert.
Wirkung. Sibutramin ist ein zentral wirksamer kombi-
38 2. Positive Effekte (Verringerung des Suchtdrucks, nierter Serotonin-Noradrenalinrückaufnahme-
Craving) sind für Acamprosat und Naltrexon hemmer, der wahrscheinlich über eine Appeti-
belegt. Acamprosat ist zugelassen. treduktion und eine Zunahme der Theramogene-
39 3. Buprenorphin hat durch sein besonderes Wirk- se wirkt.
profil am Opiatrezeptor eine große Sicherheits-
40 spanne. Aufgrund der langen Halbwertszeit kann
eine höhere Einmaldosis alle 2‒3 Tage verabreicht
Antworten zu den Checkfragen
301 A2
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 14 eine erfolgreiche Psychotherapie auch nach ihrer
Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt
1. Bei der Behandlung der ADHS im Erwachsenen- hat.
alter können noradrenerg wirkende Antidepres- 3. Bei einer leichten bis mittelschweren Depression
siva wie Nortriptylin, Desipramin und Reboxe- sind SSRI indiziert. Bei einer schweren Depres-
tein sowie Venlafaxin mit einem kombiniert nor- sion ist zu empfehlen gleich die neuen dualen
adrenergen/serotonergen Wirkmechanismus ein- Antidepressiva einzusetzen.
gesetzt werden. 4. Für Venlafaxin und Mirtazapin wurde in kon-
2. Methylphenidat ist auf Grund seiner erwiesenen trollierten Studien in den ersten beiden Behand-
Wirksamkeit das Medikament der ersten Wahl lungswochen ein schneller Wirkungseintritt
bei der Behandlung von Kindern und Jugend- (frühe Response von 20%) beschrieben. Nach
lichen mit ADHS. Bei Unverträglichkeit oder 4 Wochen Behandlungszeit gab es dagegen kei-
Unwirksamkeit kann auf das andere gängige Psy- nen Unterschied mehr zwischen den verschie-
chostimulanz Amphetaminsaft gewechselt wer- denen Antidepressiva. Die frühe Response von
den. Als Medikament der zweiten Wahl wird Ato- mindestens 20% Verbesserung des Depressions-
moxetin angesehen, bei zusätzlicher begleitender summenscores in den ersten beiden Behand-
emotionalen Auffälligkeiten gehört es auch zur lungswochen ist bei allen Antidepressiva ein
ersten Wahl. TZA, Clonidin und Antipsychotika hochsensitiver Prädiktor für den späteren
sind Medikamente der dritten Wahl. Behandlungserfolg. Tritt sie nicht ein, so ist auch
3. Zur Behandlung der Narkolepsie wird Modafinil ein späterer durchschlagender Therapieeffekt
eingesetzt, es hat ein Abhängigkeitspotenzial und eher unwahrscheinlich.
ist BtM-pflichtig. 5. Unter Mirtazapin verbessern sich wegen der
sedierenden Komponente Schlafstörungen, Agi-
tiertheit und somatische Beschwerden schneller
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 15 als unter SSRI.
6. Patienten mit einer depressiven Störung entwi-
1. Wichtig ist die Vermittlung eines akzeptablen ckeln in mehr als 50% im Verlauf weitere depres-
und verstehbaren Krankheitsmodells durch den sive Episoden. Patienten sollten deswegen über
Arzt oder Psychologen und die Entwicklung die Möglichkeit eines Rezidivs informiert werden
eines Gesamtbehandlungsplans, in den psycho- und Frühsymptome einer Depression kennen.
therapeutische, psychoedukative und medika- Die pharmakologische Therapie sollte mit einer
mentöse Behandlungsstrategien integriert sind. Erhaltungs- und ggf. Langzeittherapie fortgeführt
In Bezug auf die medikamentöse Behandlung werden, zu frühes Absetzen von Antidepressiva
bietet es sich dabei an, die biochemischen Verän- birgt ein hohes Rückfallrisiko. In der Psychothe-
derungen bei einer Depression als »Stoffwechsel- rapie sollte das Thema eines möglichen Rückfalls
störung« darzustellen, z. B. in Analogie zu einem angesprochen werden. KVT und IPT habe sich
Diabetes oder einer essenziellen Hypertonie, wo auch im Sinne einer Rückfallprophylaxe bewährt.
ebenfalls eine zwar symptomatische, aber sehr 7. Wegen der Gefahr einer erneuten Depression
effektive Therapie vorgenommen wird. Bei einer sollte auch bei einer ersten depressiven Episo-
schweren Depression kann eine Behandlung mit de nach Remission eine Weiterbehandlung über
einem Antidepressivum einen psychotherapeu- mindestens 6 Monate erfolgen. Diese Erhaltungs-
tischen Zugang erst möglich machen. Eine sym- therapie sollte mit der Dosis fortgeführt werden,
ptomatische medikamentöse Behandlung führt die zum Behandlungserfolg geführt hat. Bei mehr
oft zu einer Verbesserung der Möglichkeiten mit als 20% der Patienten klingt die depressive Sym-
Problemen und Stressoren umzugehen und adä- ptomatik nicht völlig ab, dann darf die Erhal-
quate Problemlösestrategien zu entwickeln. tungstherapie nicht beendet werden.
2. Für die Akuttherapie der schweren Depressi- 8. Die Indikation für eine medikamentöse Rezidiv-
on ist von einem synergistischen Effekt von KVT prophylaxe ist gegeben:
und einer Behandlung mit Antidepressiva auszu- – bei einer dritten depressiven Episode,
gehen. ‒ Der Effekt der medikamentösen Thera- – oder wenn zwei depressive Episoden inner-
pie ist in der Regel nur so lange gegeben wie die halb der letzten 5 Jahre aufgetreten sind
Pharmakotherapie fortgeführt wird, für psycho- – oder eine weitere schwere depressive Episode
therapeutische Verfahren gibt es Hinweise, dass innerhalb der letzten 3 Jahre aufgetreten ist
302 A2 · Antworten zu den Checkfragen
– oder eine weitere depressive Episode und die 13. Antidepressiva haben im Gegensatz zu Benzodi-
21 positive Familienanamnese einer bipolaren azepinen auch bei langer Behandlungsdauer kein
oder einer rezidivierenden Depression vor- Abhängigkeitspotenzial. Allerdings können bei
liegt. abruptem Absetzen Absetzeffekt auftreten; Anti-
A2 9. Zur Rezidivprophylaxe bei der unipolaren depressiva sollten deswegen allmählich abgesetzt
Depression gibt es verschiedene Möglichkeiten: werden.
23 – Weiterführung der Pharmakotherapie mit
Antidepressiva,
14. Schlafentzug, Bewegungstherapie, Lichttherapie,
EKT.
– Lithium ist der Behandlung mit Antidepressi- 15. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwi-
24 va ebenbürtig. Der Plasmaspiegel sollte dabei schen Depression und körperlichen Folgeerkran-
zwischen 0,6 und 0,8 mmol/l liegen kungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-
– KVT erwies sich der medikamentösen Thera- 2-Diabetes und Osteoporose. Auch körperliche
25 pie als gleichwertig Erkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall)
– Additive Effekte sind anzunehmen gehen oft mit einer Depression einher, die die
26 10. Wenn das erste Antidepressivum trotz aus- Prognose einer Rehabilitationsbehandlung ver-
reichender Dosierung keinen ausreichenden schlechtert und die Mortalität erhöht. Auch bei
Behandlungserfolg bringt, die Besserung nach Morbus Parkinson und Demenz sind Depressi-
27 einem Behandlungszeitraum von 4‒8 Wochen onen häufig.
nur 25 bis 50% beträgt, ist ein Wechsel des Anti- 16. Durch Dauerstress kommt es zur CRH-Hyper-
28 depressivums auf ein Antidepressivum mit einem
anderen Angriffspunkt im ZNS angezeigt. Führt
aktivität und vermehrter Kortisolausschüt-
tung. Bei fehlregulierter HPA-Achse wird das
auch dieses nicht zu einer ausreichenden Wir- noradrenerge/adrenerge System konstant akti-
29 kung, ist eine Kombinationstherapie aus zwei viert, dies führt zu Arousal- und Vigilanzsteige-
Antidepressiva mit komplementärem pharmako- rung mit gesteigertem Angstverhalten. Schließ-
logischem Wirkmechanismus indiziert. lich kommt es zu einer Erschöpfung der Nora-
30 11. Außerdem gibt es Augmentationstrategien mit drenalinsystems, die mit motorischer Verlang-
Substanzen, die für sich alleine keine antidepres- samung, kognitiver Hemmung und emotionaler
31 sive Wirkung entfalten. Am besten belegt ist die Verarmung einhergeht. Erhöhte Kortisolspie-
Augmentation mit Lithium, es wird dabei ein gel senken die Serotoninsynthese. Die Regulati-
synergistischer Effekt mit Lithium angenom- onsmechanismen sind komplex. Der Serotonin-
32 men. Schilddrüsenhormone können hilfreich rezeptor spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine
sein, insbesondere bei subklinischem Hypopa- Kurzform des Promotors des 5-HT-Transporte-
33 rathyreoidismus. Atypische Antipsychotika wer- Gens (s/s) geht mit einer erhöhten Stresssensiti-
den zusammen mit Antidepressiva eingesetzt. vität einher. Menschen mit dieser Konstellation
Der Einsatz von Hormonen kann bei Frauen in entwickeln signifikant häufiger depressive Symp-
34 den Wechseljahren und bei postpartaler Depres- tome bei stressinduzierenden Lebensereignissen
sion sinnvoll sein, eine individuelle Risikoabwä- als Menschen mit dem Genotyp l/l, der Langform
35 gung ist dabei zu treffen. Die positive Wirkung
der Elektrokrampftherapie (EKT) bei Therapie-
des 5-HT-Transporte-Gens.
17. Die Therapie der Wahl bei mittelgradigen und
resistenz ist belegt. Die repetitive transkranielle schweren depressiven Syndromen im Kindes-
36 Magnetstimulation (rTMS) ist derzeit nicht zuge- und Jugendalter besteht aus der Kombination
lassen, eine Indikation ist allenfalls bei leichten eines SSRI (am ehesten Fluoxetin) mit KVT.
bis mittelschweren Depressionen gegeben. Die
37 Vagusnervstimulation ist ebenfalls noch nicht zur
routinemäßigen klinischen Anwendung ausge- Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 16
38 reift.
12. Benzodiazepine werden häufig in der ersten 1. Die wichtigste Intervention bei einer akuten
Behandlungsphase einer Depression gemeinsam Panikattacke ist nach Ausschluss einer orga-
39 mit dem Antidepressivum verabreicht, um die nischen Erkrankung das beruhigende Gespräch
Phase der Wirklatenz des Antidepressivums zu und die Information über die Entstehung von
40 überbrücken. Insbesondere bei Suizidalität wer- Panikattacken. Medikamentös kann eine akute
den Benzodiazepine zur akuten Entlastung einge- Panikattacke schnell und wirkungsvoll mit einem
setzt.
Antworten zu den Checkfragen
303 A2
Benzodiazepin (z. B. Lorazepam oder Alprazo- 10. Die Antidepressiva sollten langsam abgesetzt
lam) koupiert werden. werden. Bei der Reduktion der Dosis sollte wie-
2. Zur längerfristigen Behandlung einer Panikstö- derholt geprüft werden, ob erneut Symptome der
rung bieten sich neben der Psychotherapie, insbe- Panikstörung auftreten. Ist dies der Fall, so sollte
sondere der KVT, Antidepressiva an. die Medikation erneut erhöht und fortgeführt
3. Bei schwerer oder chronischer Panikstörung und, werden. Eine sinnvolle Alternative stellt eine
insbesondere wenn eine komorbide Depression zusätzliche KVT in der Ausschleichphase dar, da
vorliegt, ist eine Kombinationstherapie aus KVT für die KVT ein guter Therapieeffekt über den
und einem Antidepressivum indiziert. Da bei- Behandlungszeitraum hinaus belegt ist.
de Verfahren Zeit brauchen bis ein Therapieeffekt
eintritt, können anfänglich vorübergehend auch
Benzodiazepine zur akuten Entlastung indiziert Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 17
sein.
4. Das erste Antidepressivum, das bei der Panikstö- 1. Antidepressiva sind Mittel der ersten Wahl zur
rung gute Therapieeffekte erbrachte, war Imipra- längerfristigen Behandlung der GAD. Bewährt
min. Mittlerweile werden wegen der deutlich bes- haben sich die SSRI, z. B. Escitalopram; sie haben
seren Verträglichkeit SSRI oder das duale Antide- vergleichsweise wenige Nebenwirkungen. Sie
pressivum Venlafaxin eingesetzt. werden in der gleichen Dosierung verabreicht wie
5. Ist eine Panikstörung von einer Agoraphobie bei der Depressionsbehandlung. Außerdem zeigt
begleitet kommt der KVT mit Expositionsbe- das duale Antidepressivum Venlafaxin eine gute
handlung eine besondere Bedeutung zu. Diese Wirkung bereits bei einer Dosierung von 75 mg
kann mit Antidepressiva kombiniert werden. (bei der Depressionsbehandlung werden übli-
6. Die Behandlung mit Antidepressiva sollte – cherweise 150 mg verabreicht).
anders als bei der Depression – langsam ein- 2. Bei den SSRI und Venlafaxin muss mit einem
schleichend erfolgen, da Patienten mit Panikstö- langsamen Wirkungseintritt über einen Zeitraum
rung Nebenwirkungen von Antidepressiva sehr von 2‒4 Wochen gerechnet werden. Sie kön-
schlecht tolerieren und die Angstsymptomatik nen deswegen vorübergehend mit Benzodiazepi-
sich vorübergehend sogar verstärken kann. nen kombiniert werden, um diese Zeitspanne zu
7. Mit einem deutlichen Therapieeffekt ist bei einer überbrücken.
Behandlung mit Antidepressiva erst nach einer 3. In akuten Notfallsituationen, die sich durch ein
Zeit von 2‒4 Wochen zu rechnen. Vorüberge- Gespräch alleine nicht entspannen lassen, ist die
hend können zusätzlich Benzodiazepine verord- vorübergehende Gabe von Benzodiazepinen indi-
net werden. ziert.
8. Benzodiazepine sind hochwirksame Anxiolytka. 4. Bei Buspiron, das bei der GAD eine gute Wirk-
Sie können Panikattacken koupieren. Sie wirken samkeit zeigt, ist wie bei den Antidepressi-
schnell und sicher. Sie haben kaum Wechselwir- va von einem langsamen Wirkungseintritt über
kungen mit anderen Medikamenten und geringe 2 Wochen auszugehen.
vegetative Nebenwirkungen. Allerdings besteht 5. Sowohl Antidepressiva als auch Buspiron haben
die Gefahr der Abhängigkeit und von Entzugser- kein Anhängigkeitspotenzial, dies ist insbesonde-
scheinungen. Sie können zu Sedierung, Koordi- re bei Patienten mit einer Suchtanamnese wich-
nationsstörungen und Störungen des Kurzzeitge- tig.
dächtnisses führen. Sie beeinträchtigen das Reak- 6. Eine medikamentöse Behandlung der GAD mit
tionsvermögen (Autofahren, Arbeit an Maschi- Antidepressiva oder Buspiron sollte sich minde-
nen). Sie verstärken die Wirkung von Alkohol. stens über 6 Monate erstrecken. Es ist zu empfeh-
9. Die Gabe von Antidepressiva wird über einen len die Medikation als Erhaltungstherapie über
Zeitraum von 1‒2 Jahren empfohlen, um einem 2 Jahre fortzuführen und langsam auszuschlei-
Rückfall vorzubeugen. Dieser lange Behand- chen. Frühes schnelles Absetzen birgt ein hohes
lungszeitraum bietet für die Patienten die Chance Rezidivrisiko.
unter dem Schutz der antidepressiven Medikati- 7. Bei mittelschwerer oder schwerer GAD, beson-
on neue Verhaltensweisen zu etablieren und sich ders wenn sie durch eine Chronifizierung kom-
bei begleitender Agoraphobie mit bisher vermie- pliziert ist, ist eine Kombinationstherapie ange-
denen Situationen zu konfrontieren. zeigt.
304 A2 · Antworten zu den Checkfragen
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 18 Depression notwendig. Dies macht eine langsame
21 Aufdosierung notwendig.
1. SSRI und das duale Antidepressivum sind Mittel 4. Es kann recht lange dauern bis sich bei der
der ersten Wahl bei der Behandlung phobischer Behandlung der Zwangsstörungen mit SSRI ein
A2 Störungen. Dabei ist der SSRI Paroxetin beson- durchgreifender Erfolg einstellt. Oft ist dies erst
ders gut geprüft, hat aber Nachteile gegenüber nach 2‒3 Monaten der Fall.
23 Escitalopram.
2. Die antiphobische Wirkung dieser Antidepres-
5. Meist wird durch eine Behandlung mit SSRI nur
eine graduelle Besserung mit einer Verminde-
siva tritt oft zeitlich verzögert und später als die rung der Symptomatik von 40‒50% erreicht.
24 antidepressiven Effekte ein, also etwa nach 2– 6. Es soll über einen Zeitraum von 12‒24 Monaten
4 Wochen. behandelt werden.
3. Wenn die soziale Phobie stark generalisiert und 7. Beim Absetzen der SSRI besteht ein hohes Rezi-
25 chronifiziert ist und insbesondere wenn es auf- divrisiko (80%). Die Medikation sollte sehr lang-
grund der immer stärker werdenden Einengung sam herunterdosiert werden. Oft ist es sinnvoll
26 zur sozialen Isolation zusätzlich zu einer komor- parallel eine KVT durchzuführen, um das Rezi-
biden (sekundären) Depression gekommen ist. divrisiko zu reduzieren.
4. Antidepressiva sollen bei phobischen Störungen 8. Falls SSRI nicht erfolgreich sind, kann ein
27 über mindestens 12 Wochen gegeben werden. Behandlungsversuch mit Clomipramin gemacht
Frühes Absetzen führt häufig zu Rezidiven. Des- werden, dies ist allerdings mit mehr Nebenwir-
28 wegen ist ein längerer Behandlungszeitraum von
6–12 Monaten und sehr langsames Absetzen über
kungen verbunden. Clomipramin kann auch in
Kombination mit einem SSRI eingesetzt werden.
Wochen zu empfehlen. Es gibt auch Belege für einen verbesserten The-
29 5. Wegen des relativ hohen Nebenwirkungsrisikos rapieeffekt bei einer Kombination mit atypischen
sollten bei phobischen Störungen kein Antipsy- Antipsychotika (Risperidon und auch erste
chotika gegeben werden. Belege für Quetiapin). Positive Berichte gibt es
30 6. Soziale Phobien im Kindes- und Jugendalter weiter für eine Kombination eines SSRI mit Lithi-
sollten frühzeitig behandelt werden, da die Pati- um, dem Benzodiazepin Clonazepam und dem
31 enten durch diese Störungsbild in ihrer emo- Anxiolytikum Buspiron.
tionalen, sozialen und schulischen Entwick-
lung stark beeinträchtigt sein können und sich
32 Komorbiditäten, wie andere Angststörungen Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 20
und affektive Störungen, entwickeln können. Bei
33 schweren und chronischen Verläufen ist thera- 1. Bei der PTSD besteht eine hohe Komorbidität
peutisch eine Kombination aus KVT mit SSRI mit Angststörungen, Depressionen und somato-
anzustreben. formen Störungen.
34 2. Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der
Psychotherapie, etabliert haben sich KVT und
35 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 19 EMDR (»eye movement desensitization and
reprocessing«).
1. Der erste überzeugende Wirkungsnachweis bei 3. Bei schweren Formen der PTSD, bei begleitenden
36 Zwangsstörungen gelang für das trizyklische schweren Angststörungen und Depressionen sind
Antidepressivum Clomipramin, ein Antidepres- SSRI indiziert, ebenso bei fehlender Response
sivum mit einer starken serotonergen Kompo- oder Partialresponse unter KVT oder EMDR.
37 nente. Da die anderen TZA nicht wirksam waren, Zugelassen ist Paroxetin; für Sertralin gibt es
entwickelte sich daraus die Hypothese, dass der positive Befunde.
38 Serotoninstoffwechsel bei den Zwangsstörungen 4. Die Responserate liegt bei 40–50%.
eine wesentliche Rolle spielt. Dies bestätigt sich 5. Es wird eine Behandlungsdauer von 1‒2 Jahren
durch die Wirksamkeit der SSRI. empfohlen. Die Antidepressiva sollen langsam
39 2. Bei der Behandlung von Zwangsstörungen wer- abgesetzt werden.
den in erster Linie Serotoninwiederaufnahme-
40 hemmer eingesetzt.
3. Bei der Behandlung von Zwangsstörungen
sind höhere Dosen als bei der Behandlung der
Antworten zu den Checkfragen
305 A2
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 21 depressiva und unter Clomipramin waren hohe
Responseraten zu verzeichnen.
1. Zur kurzfristigen Entlastung können Benzodiaze- 9. Der therapeutische Effekt von Antidepressiva bei
pine eingesetzt werden. somatoformen Störungen ist geringer als bei der
2. Zur längerfristigen Behandlung von Anpassungs- Behandlung von Angststörungen und Depres-
störungen (insbesondere mit depressiver Reak- sionen. Psychotherapeutischen Interventionen
tion und Ängsten) können Antidepressiva ein- kommt der größte Stellenwert zu. Synergieeffekte
gesetzt werden. Obgleich bisher systematische durch eine Kombination von Antidepressiva und
empirische Untersuchungen fehlen, bieten sich Psychotherapie sind bisher nicht untersucht.
wie bei der Behandlung der Depression und der
Angststörungen SSRI und das duale Antidepres-
sivum Venlafaxin an. Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 23
3. Für sexuelle Störungen bei Frauen steht bisher 4. Patienten mit ADHS, die nicht mit Psychostimu-
keine etablierte Pharmakotherapie zur Verfü- lanzien behandelt werden, neigen eher zur Selbst-
gung. medikation mit Drogen (z. B. Cannabis, Kokain,
Speed, Alkohol) um die Symptome zu mindern.
ab und die Prognose wird ungünstiger, wenn eine kos – die Umsetzung auf Clozapin, das unter den
21 akute schizophrene Psychose längerfristig unbe- AAP immer noch eine Ausnahmestellung inne
handelt bleibt. Die möglichst frühzeitige Behand- hat und auch bei primären Non-Respondern oft
lung mit AAP wird empfohlen. In der Stabilisie- zu Erfolg führt. Allerdings hat es ein erhöhtes
A2 rungsphase und in der Phase der Rezidivprophy- Nebenwirkungsrisiko und bedarf der kontinuier-
laxe bzw. Symptomsuppression (Langzeitthera- lichen psychiatrischen Kontrolle.
23 pie) gewinnen psychosoziale Maßnahmen und
die Vermittlung eines Gesamttherapiekonzepts
Eine weitere Option ist die Kombination von
Antipsychotika. Dabei sind mögliche Nebenwir-
zunehmend an Bedeutung. Zunehmend wird kungen und Wechselwirkungen besonders sorg-
24 KVT additiv zur Medikation eingesetzt. fältig zu prüfen und zu überwachen.
2. Negativsymptomatik ist gekennzeichnet durch 8. Kinder und Jugendliche mit schizophrenen Stö-
Denk- und Konzentrationsprobleme, Mangel an rungen sind aufgrund des frühen Krankheitsbe-
25 Selbstvertrauen, Energieverlust, mangelnde Lei- ginns in ihrer emotionalen, sozialen, schulischen
stungsfähigkeit, affektive Verflachung und sozi- und körperlichen Entwicklung beeinträchti-
26 alen Rückzug mit Reduktion der psychosozi- gt. Zusätzlich zur psychopharmakologischen
alen Funktionsfähigkeit. Die Therapie ist schwie- Behandlung der Akutsymptomatik und zur Rezi-
rig und oft langwierig. AAP sind gegenüber den divprophylaxe, sind psychotherapeutische und
27 konventionellen Antipsychotika zu bevorzugen. familienbezogene Maßnahmen sowie spezifische
Bei fortbestehender Negativsymptomatik ist eine Rehabilitationsmaßnahmen indiziert.
28 Kombination eines AAP mit einem SSRI oder mit
Mirtazapin sinnvoll.
3. Depressive Symptome und Suizidalität kommen Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 31
29 im Rahmen einer Schizophrenie häufig vor, ins-
besondere in der ersten depressiven Episode. 1. Positive Effekte bei der Behandlung der Alz-
Bei noch florider Positivsymptomatik sollte die heimer-Demenz sind für AChE-I wie Donepe-
30 Gabe eines Antidepressivums vermieden wer- zil, Galantamin und Rivastigmin belegt sowie für
den. Besteht nach weitgehender Remission der den NMDA-Antagonisten Memantin.
31 Positivsymptomatik ein depressives Syndrom, so 2. Bei der Behandlung der vaskulären und der
ist die zusätzliche Gabe eines Antidepressivums gemischten Demenzen sind ebenfalls AChE-I
(insbesondere eines SSRI) zu empfehlen. und der NMDA-Antagonist Memantin zu emp-
32 4. Bei Mutismus und Katatonie ist die Gabe von fehlen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine
Lorazepam (zunächst 2–2,5 mg) indiziert. »Off-label«-Behandlung, da (noch) nicht genü-
33 5. Bei der Behandlung der schizoaffektiven Stö- gend empirische Belege für eine Zulassung vor-
rung sind AAP bei manischer, depressiver und liegen.
gemischter Symptomatik wirksam. Bei akuter 3. Bei der Behandlung von demenzassoziierten Ver-
34 schizomanischer Symptomatik ist die zusätzliche haltensstörungen werden neben AChE-I und
Gabe von Lithium indiziert. Überwiegt die schi- dem NMDA-Antagonisten Memantin atypische
35 zodepressive Symptomatik, so kann die Kombi-
nation eines Antipsychotikums mit einem Anti-
Antipsychotika eingesetzt. Risperidon und Olan-
zapin zeigen die besten Wirkungen, zugelassen ist
depressivum versucht werden. derzeit nur Risperidon.
36 6. Die erste Option bei der Behandlung einer wahn- 4. Patienten mit einem demenziellen Syndrom sind
haften Depression ist die Therapie mit einem oft multimorbid und haben ein höheres Alter, sie
Antidepressivum. Remittiert die psychotische reagieren deswegen oft empfindlich auf Medi-
37 (wahnhafte) Symptomatik nicht, so wird im zwei- kamente, z. B. mit orthostatischen Beschwerden
ten Schritt zusätzlich ein AAP hinzugefügt. Die und anticholinergen Nebenwirkungen.
38 zweite Option, ist die sofortige Kombination
eines Antidepressivums mit einem AAP.
7. Von Therapieresistenz spricht man, wenn zwei Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 32
39 ausreichend hoch dosierte Antipsychotika über
einen Behandlungszeitraum von jeweils 4– 1. Beim Restless-legs-Syndrom sind L-DOPA und
40 8 Wochen nicht zu einem ausreichenden The- Dopaminantagonisten Mittel der Wahl
rapieeffekt geführt haben. Die erste Option ist –
nach Abwägung des individuellen Therapierisi-
Antworten zu den Checkfragen
309 A2
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 33 (>6 Monate) definiert ist. Therapeutisch sollten
anfänglich die Beratung der Eltern sowie eine
1. Zu den Kernsymptomen der tief greifenden Ent- Dokumentation des Einnässens erfolgen. Falls
wicklungsstörungen gehören qualitative Beein- diese Maßnahmen nicht ausreichen, ist die appa-
trächtigungen der gegenseitigen Interaktion und rative Verhaltenstherapie mittels »Klingelhose«
Kommunikation sowie ein eingeschränktes, ste- angezeigt. Eine medikamentöse Therapie mit
reotypes, repetitives Repertoire an Interessen und Desmopressin ist indiziert, wenn andere Maß-
Aktivitäten. Das am besten untersuchte Medika- nahmen nicht erfolgreich waren.
ment bei tief greifenden Entwicklungsstörungen 5. Bindungsstörungen beziehen sowohl das intra-
ist Risperidon. Durch Risperidon konnten in den personale Verhalten als auch das interperso-
meisten Studien eine signifikante Verbesserung nelle Beziehungsverhalten mit ein. Es werden
von restriktiven, repetitiven und stereotypen Ver- zwei Subtypen unterschieden. Der erste Typus
haltensmustern, Interessen und Aktivitäten sowie ist gekennzeichnet durch ein gehemmtes Verhal-
eine Reduktion von aggressiven und selbstverlet- ten mit Vermeidung, Rückzug und Hypervigi-
zenden Verhaltensweisen erzielt werden. lanz, während der zweite Typus durch ein unge-
2. Am Anfang der Behandlung steht eine ausführ- hemmtes Verhalten mit vorwiegend unselek-
liche Psychoedukation. Therapeutisch profitieren tivem, distanzlosem Kontaktverhalten geprägt ist.
die Patienten von einer Frühförderung, welche Das wichtigste Behandlungsziel ist ein entwick-
die Interaktionsfähigkeit, die Anpassung an die lungsförderndes und bindungsstabiles Milieu
Anforderungen des Alltags und die Selbständig- herzustellen. Da zumeist umschriebene Entwick-
keit verbessern kann. Verhaltenstherapeutische lungsrückstände vorliegen, sind häufig Kranken-
Interventionen zielen darauf ab, die Entwicklung gymnastik, Ergotherapie und Logopädie erfor-
der sozialen Wahrnehmung, der Kommunikati- derlich. Psychotherapeutische Verfahren kön-
on und der Sprachförderung anzubahnen bzw. nen erst eingesetzt werden, wenn ein entspre-
zu verbessern. Eine stationäre Therapie bzw. eine chendes Entwicklungsalter erreicht ist. Bei aus-
Aufnahme in eine spezialisierte Institution ist bei geprägter Symptomatik kommt eine vorüber-
erheblichen Selbst- und Fremdaggressionen, Ste- gehende Behandlung mit Antipsychotika (z. B.
reotypien und Ritualen oder bei Überforderung Risperidon) in Betracht.
der Familie indiziert.
3. Die emotionale Störung des Kindesalters mit
Trennungsangst, die auch als Schulphobie Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 34
bezeichnet wird, liegt vor, wenn das Kind die
Angst vor der Trennung von der Bezugsper- 1. Bei schweren psychomotorischen Erregungs-
son als überwältigend erlebt, die Angst über die zuständen hat sich die Gabe von Haloperidol
entwicklungsphysiologische Alterstufe hinaus bewährt.
andauert und die psychosoziale Entwicklung län- 2. Das Benzodiazepin Alprazolam wirkt schnell und
gerfristig erheblich beeinträchtigt ist. Leichtere zuverlässig anxiolytisch, es hat eine kurze Halb-
Trennungsängste sind durch eine ambulante Psy- wertzeit und ist damit gut steuerbar. Es kann
choedukation und Vermittlung verhaltensthera- in höherer Dosierung depressiven Stupor lösen
peutischer Übungen der Bezugspersonen beheb- und ist in Kombination mit Haloperidol gut zur
bar. Schwere Trennungsängste müssen häufig sta- Behandlung psychomotorischer Erregungszu-
tionär behandelt werden. Falls eine Begleitmedi- stände geeignet.
kation befristet indiziert ist, empfiehlt sich eine 3. Bei suizidalen Krisen hat sich – neben inten-
Behandlung mit einem SSRI. siven Gesprächen und ggf. auch einer Unterbrin-
4. Die Enuresis wird als unwillkürlicher Harnab- gung auf einer beschützten psychiatrischen Stati-
gang ab einem Alter von 5 Jahren definiert. Je on – die vorübergehende Gabe von Benzodiaze-
nach tageszeitlichem Auftreten des Einnässens pinen bewährt. Sie sind schnell und gut wirksam
wird zwischen Enuresis nocturna, Enuresis diur- und können die Hoffnungslosigkeit lindern, die
na und Enuresis nocturna et diurna unterschie- oft mit Suizidalität verknüpft ist.
den. Unter einer primären Enuresis versteht man
ein Einnässen ohne längere trockene Periode,
während die sekundäre Enuresis durch Wieder-
einnässen nach einer längeren trockenen Periode
310 A2 · Antworten zu den Checkfragen
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321
Diagnoseverzeichnis
demenzassoziierte Verhaltensstörung
A (BPSD) 258 I
Depression bei körperlichen
Abhängigkeitsstörungen 225 Erkrankungen 150 induzierte wahnhafte Störungen 249
Absetzsyndrome 48 Depression mit psychotischen Intelligenzminderung
Adipositas 197 Merkmalen 236 – Verhaltensstörungen 211
Agoraphobie 168 depressive Störungen 135
akute Belastungsstörung 181 depressiver Stupor 276
Akutphase/Positivsymptomatik desintegrative Störung des Kindes- K
– Schizophrenie 245 alters 267
Alkoholabhängigkeit 111 dissoziativer Stupor 277 Kanner-Syndrom 266
Alkoholentzugsdelir 228 Double Depression 149 katatone Schizophrenie 244
Alkoholentzugssyndrom 227 Dysthymie 149 Kleine-Levin-Syndrom 204
Alkoholhalluzinose 228 Kleptomanie 211
Alkoholintoxikation 227 Klimakterium virile 119
Alpträume 262
E Kokainentzugssyndrom 231
Anorexia nervosa 195 körperdysmorphe Störung 189
early onset schizophrenia 253
Anpassungsstörung 181
Eifersuchtswahn 228, 249
Asperger-Syndrom 267
atypische Depression 149
Ejaculatio praecox 217 L
Enuresis 269
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyper- leichte kognitive Störung (MCI) 256
EPS-Nebenwirkungen 76
aktivitätsstörungen 221 Liebeswahn 249
Erektionsstörungen 216
Autismus 266
– atypischer 267
F M
B Fibromyalgiesyndrom 190 malignes neuroleptisches Syn-
Floppy-infant-Syndrom 283 drom 76, 278
Binge-eating-Störung 197 Manie mit psychotischen Sym-
frühkindlicher Autismus 266
bipolare affektive Störung 235 ptomen 236
Funktionsstörungen
bipolare Depression 236, 238 manische Episode 238
– Antipsychotika 77
bipolare Störung – im Rahmen einer bipolaren
– gemischte Episode 236 affektiven Störung 238
– Typ I 236 G metabolisches Syndrom 76
– Typ II 236 Migräne 189
Borderline-Persönlichkeits- gemischte Demenz 257 Minor Depression 149
störung 208, 212 gemischte Episode Multiinfarktdemenz 257
Bulimia nervosa 196 – bipolare Störung 236
Burnout-Syndrom 151 generalisierte Angststörung 161
Gilles-de-la-Tourette-Syndrom 262 N
C Narkolepsie 204
H Nikotinentzugssyndrom 233
chronisches Müdigkeitssyndrom 189
Colon irritabile 190 hebephrene Schizophrenie 244
hepatische Enzephalopathie 228 O
D hyperkinetische Störungen 222
Hypersomnie 204 Opiatabhängigkeit 112, 230
hypochondrische Störung 188 Opiatentzugssyndrom 230
Delir 276 Opiatintoxikation 230
Hypomanie 236
Delirium tremens 228 Orgasmusstörungen 217
Demenz 255
– bei Alzheimer-Krankheit 256
– mit Lewy-Körperchen 257
– bei Parkinson-Syndrom 257
322 Diagnoseverzeichnis
Schlafwandeln 262
21 P Schmerzsyndrome Z
– unabhängig von einer somato-
Panikstörungen 45, 155 formen Schmerzstörung 189 Zähneknirschen 262
22 paranoide Schizophrenie 244 Schulphobie 268
Schwangerschaft 282, 283
zentrales anticholinerges
Paraphilie 217 Syndrom 279
Parasomnien 262 sexuelle Erregung zentrales Serotoninsyndrom 50, 278
L pathologisches Spielen 211 – Störungen bei der Frau 47, 217 Zwangsstörungen 45, 171
Pavor nocturnus 262 sexuelle Funktionsstörungen 47, 215,
periodic limb movements in sleep 218
D (PLMS) 262 – substanzinduzierte 218
Persönlichkeits- und Verhaltens- sexuelles Verlangen
störungen 207 – gesteigertes 217
25 Phobie – vermindertes 217
– soziale 168 Somatisierungsstörung 188
somatoforme autonome Funktions-
26 – spezifische 168
phobische Störungen 167 störung 188
postschizophrene Depression 244 somatoforme Schmerzstörung 189
27 Post-Stroke-Demenz 257
posttraumatische Belastungs-
somatoforme Störungen 185
Spannungskopfschmerz 189
störung 177 Störungen des Sozialverhaltens 212
28 prämenstruelles Syndrom 190 Stupor bei katatoner
Schizophrenie 276
primäre Insomnie 200
Pseudodemenz 259 subkortikale vaskuläre Enzephalo-
29 psychogener Stupor 277 pathie 257
psychomotorische Erregungs- Suizidalität 49, 150, 277
zustände 275 – Kindes- und Jugendalter 59
30 psychotische Störungen Syndrom der inadäquaten
– akute vorübergehende 249 ADH-Sekretion (SIADH) 49
Pyromanie 211
31
T
R
32 Ticstörungen 262
Rapid Cycling 236 Trennungsangst 268
Recurrent brief depression 149 Trichotillomanie 211
33 Restless-legs-Syndrom (RLS) 262
Rett-Syndrom 267
U
34 rezidivierende depressive
Störung 148
überaktive Störung mit Intelligenz-
rezidivierende kurze depressive
minderung und Bewegungsstereo-
35 Episode 149
Rhabdomyolyse 77
typien 267
undifferenzierte Schizophrenie 244
unterschwellige Depression 149
36 S
V
37 saisonal abhängige affektive
Störung 149
vaskuläre Demenz 257
schizoaffektive Störungen 240, 248
38 – Phasenprophylaxe 240
very early onset schizophrenia 253
schizophrenes Residuum 244
Schizophrenia simplex 244 W
39 Schizophrenie 243, 247
– depressive Symptomatik 247 wahnhafte Exazerbationen 249
– katatone Symptomatik 247
40 – kognitive Störungen 247
Wernicke-Korsakow-Syndrom 228
Winterdepression 149
Schlafapnoesyndrom 205
323
Pharmakaverzeichnis
In das Pharmakaverzeichnis sind die chemischen Kurzbegriffe kursiv und die Handelsnamen in gerader Schrift aufgenommen.
Eine fettgedruckte Seitenzahl verweist auf die tabellarische Beschreibung im jeweiligen Teil »Präparategruppen«.
B E J
Baldrianpräparate 102 Johanniskrautextrakt 58, 188
Ebixa 108
Bespar 93
Edronax 56
Biperiden 274
Buprenorphin 111, 112, 230
elmendos 69
Elontril 56
L
Bupropion 39, 56, 114, 218
Equasym 129
Buspiron 85, 88, 91, 93, 94, 163 Lamotrigin 62, 69, 239, 283
Ergenyl chrono 69
Leponex 79
Ergocalm Tabs 101
Levitra 121
C Escitalopram 54, 157, 162, 173
Levodopa 289
Eunerpan 80, 274
Levomethadon 111, 112, 230
Campral 111 Exelon 108
Levomopromazin 81
Carbamazepin 62, 69, 210, 211, 227, Librium 84
283
Champix 111, 114
F Lithium 143, 210, 239, 283
Lithiumcarbonat 69
Chloraldurat 500 102 Liviella 217
Fevarin 54
Chloralhydrat 96, 97, 99, 102 Lorazepam 92, 158, 247, 274
Fluanxol 80
Chlordiazepoxid 84 Lormetazepam 101
Fluctin 54
Chlorprothixen 81 Lorprazolam 101
Flumazenil 85, 111
Cialis 121 L-Polamidon 111
Fluoxetin 53, 54, 59, 120, 152, 173,
Cipralex 54 Lyrica 93
196, 197
Cipramil 54
Flupentixol 80
Citalopram 54, 157
Clomethiazol 110, 111, 227
Fluphenazin 81
Flurazepam 101
M
Clomipramin 57, 173
Fluvoxamin 54, 59, 173, 175, 269
Clonazepam 92, 263, 284 Medikinet retard 129
Clonidin 111, 113, 131, 230, 232 Melatonin 96, 102, 259
324 Pharmakaverzeichnis
29 O Seroxat 54
Sertralin 54, 120, 178
Sibutramin 124, 125, 197
Z
30 Olanzapin 69, 73, 79, 203, 239, 245,
248, 249, 274
Sildenafil 120, 121, 216, 218 Zaleplon 97, 101
Solian 79 Zeldox 79
Opipramol 86, 88, 91, 9393, 188
Sonata 101 Ziprasidon 73, 79
31 Orfiril long 69
Orlistat 124, 125
Sonin 101 Zoloft 54
Stangyl 57 Zolpidem 97, 101
Oxazepam 92
Stilnox 101
32 Strattera 129
Zopiclon 97, 101
Zyban 111
P Zyprexa 69, 79, 274
33 Paliperidon 78
T
Paroxetin 54, 178, 282
Tadalafil 121
34 Perazin 81
Pimozid 81
Tafil 92
Tagonis 54
Pindolol 94
Tavor 92, 274
35 Pipamperon 80, 81, 203
Tegretal 69
Pramipexol 289
Temazepam 101
Pregabalin 86, 88, 93, 163
36 Propranolol 93, 94
Testosteron 217
Theophyllin 205
Prozac 53
Tiaprid 227, 262
37 Tibolon 217
Q Timonil 69
Tofranil 57
38 Quetiapin 69, 79, 203, 210, 239, 245, Tranylcypramin 57
258 Trevilor retard 55
Quilonum retard 69 Triazolam 101
39 Trimipramin 57, 102
Tryptophan 96, 102
40
325
Sachverzeichnis
– Manieinduktion 237 Arzneimittel
A – Non-Compliance 43 – Definition 4
– Panikstörungen 156 Asperger-Syndrom 267
Abhängigkeitsstörungen 226 – Persönlichkeitsstörungen 210 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyper-
Absetzsyndrome – pharmakologische Angriffs- aktivitätsstörungen
– Antidepressiva 48 punkte 42 – Neurobiologie 222
Absorption 12, 15 – Plasmakonzentration Augmentationsstrategien 145
Acetylcholinesterasehemmer 106 – Plasmaspiegel 45 Autismus
ADHS – primäre Insomnie 203 – Neurobiologie 266
– multimodale Therapie 130 – Psychotherapie 137 Azapirone 84
Agonist 17 – Rezidivprophylaxe 142
Agoraphobie 168 – Routineuntersuchungen
Agranulozytose – Schwangerschaft und Stillzeit 280 B
– Antipsychotika 77 – Suizidalität 49
– trizyklische Antidepressiva Barbiturate 84, 85, 96
Akathisie 76
– – Entwicklung 38 Beipackzettel 23, 24
Akkumulation 12
– – Therapieempfehlung 57 Belastungsstörung 181
Alkoholabhängigkeit
– Wechselwirkungen 51 – posttraumatische 177
– Rückfallprophylaxe 228
– Wirkungseintritt 140 Benzodiazepine 289
Alkoholentzugsdelir 228
– Wirkungsmechanismus 40 – Abhängigkeit 90
Alkoholentzugssyndrom 227
– Zwangsstörung 173 – Alkoholkrankheit 110
Alkoholfolgekrankheiten 228
Antidepressivastudien – generalisierte Angststörung 163
Alkoholhalluzinose 228
– Methodik 39 – Indikationen 87
Alkoholoabhängigkeit
Antiepileptika 84 – Panikstörungen 158
– Rückfallprophylaxe 111
– Alkoholkrankheit 111 – paradoxe Reaktionen 99
Allianz, therapeutische 251
Antihistaminika 84, 97, 99 – Schlaf-EEG 97
Alpträume 262
Antiinsomnika 96 – Schwangerschaft und Stillzeit 284
Amphetamin 231
Anticraving-Substanzen 111 – Wirkungsmechanismus 84
Amyloidhypothese 257
Antikonvulsiva 62 Benzodiazepinhypnotika 96
Androgene 119
– Schwangerschaft und Stillzeit 283 Benzodiazepin-
Angst
Antipsychotika 76, 289 rezeptorantagonisten 85
– Neurobiologie 151
– Absetzversuch 75 Beta-(β-)Rezeptorenblocker 84, 86
Anorexia nervosa 195
– Alkoholkrankheit 110 – Angststörungen 158
Anpassungsstörung 182
– als Anxiolytika 86, 89 Bewegungsstörungen 130, 261
Antagonist 17
– atypische Antipsychotika Bewegungstherapie 147
Antiadiposita 124
– – Definition 72 Bilanzsuizid 277
Antiandrogene 119
– – Stimmungsstabilisierer 62 Bindungsstörungen 270
Antidepressiva 289
– Begleittherapie 74 Binge-eating-Störung 197
– ADHS 129
– Behandlungsdauer 74 Bioverfügbarkeit 13
– Akuttherapie 140
– gesicherte Wirksamkeit 73 bipolare affektive Störung 236, 239
– Angsterkrankungen 89
– Insomnie 203 – Phasenprophylaxe 236, 239
– chemische Struktur 39
– kardiale Nebenwirkungen 77 BLIPS
– Definition 38
– Kombination 250 – Schizophrenie 244
– Dosierung 45
– konventionelle Antipsychotika 72 – Depression 141
– Drug-Monitoring 45
– – Definition 72 Blutungen, gastrointestinale
– duale Antidepressiva 38, 187
– Langzeiteffekt 73 – SSRI 47
– – Schmerzen 187
– Lebensqualität 73 Bromide 96
– generalisierte Angststörung 162
– Persönlichkeitsstörungen 210 Bruxismus 262
– Gewichtszunahme 47
– psychosoziale Integration 73 BPSD (Verhaltensstörung, demenzasso-
– hämatopoetisches System 47
– Routineuntersuchungen 78 ziierte) 258
– historische Entwicklung 38
– Schwangerschaft und Stillzeit 283 Bulimia nervosa 196
– im höheren Lebensalter 52
– vegetative Nebenwirkungen 77 Burnout-Syndrom 151
– Indikationen 43
– Wechsel 250 Buspiron 168
– kardiale Nebenwirkungen 45
– Wirkungsmechanismus 72 – Wirkmechanismus 85
– Kombinationsstrategien 144
326 Sachverzeichnis
Dispositionsgene
21 C – Schizophrenie 244 F
Distribution 12, 15
Cannabis 232 Dopaminagonisten 130, 289 Fachinformation 24
22 Cannabisabhängigkeit 113 Dopaminrezeptor 72
Dosis-Wirkung-Beziehung 6
Fibromyalgiesyndrom 190
Carbamazepin 67 first generation antipsychotics 72
Chloralhydrat 97 Double Depression 149 Flashback-Psychosen 232
23 Chlordiazepoxid 84 Drug-Monitoring 19 Flexibilitas cerea 276
cholinerge Hypothese Dysthymie 149 Floppy-infant-Syndrom 283
– Demenz 106 Folsäuresubstitution 283
24 Clearance 13, 14
E Frühdyskinesie 76
Cochrane-Datenbank 26
Colon irritabile 190
25 Craving 229
Ebstein-Anomalie 283 G
EC50 7
cycling acceleration 238
Ecstasy 231 GABA 84
S Cytochrom P450 15
Ecstasy-Abhängigkeit 113 GABAA-Rezeptoren 85
ED50 7 GABA-Benzodiazepinkomplex 85
D Effekt Gammaaminobuttersäure (GABA) 84
27 – antinozizeptiver generalisierte Angststörung
D2-artige Rezeptoren 73 – – Antidepressiva 189 – Antidepressiva 162
Eifersuchtswahn 228
28 Degenerationshypothese
– Schizophrenie 244 Ejaculatio praecox 217
Generikum 5
Gestagene 119
Delirium tremens 228 Ejakulationen, schmerzhafte 218 Gewichtszunahme
29 Demenz
– bei Alzheimer-Krankheit 256
Ejakulationsverzögerungen 218
Elektrokrampfbehandlung (EKB) 147
– Antidepressiva 47
– Antipsychotika 76
-- cholinerge Hypothese 106 – Kindes- und Jugendalter 253 Gleichgewichtszustand (Steady
30 -- Neurobiologie 257 Eliminationshalbwertszeit 13, 14
Entgiftung 228
State) 14
– Prävention 258
demenzielles Syndrom 256 – qualifizierte 226
31 Depotpräparate 75 Entspannungsverfahren H
Depression – Insomnie 202
– atypische 149 Entwicklungsstörungen, tief Hang-over-Effekte 99
32 – bipolare 236 greifende 266 Haschisch 232
– blips 141 Entwöhnung Heroinvergabe, ärztlich
– Erhaltungstherapie 142 – Definition 227 kontrollierte 231
33 – Genetik 136 Entwöhnungstherapie 228 Herzinfarkt
– hirnmorphologische Entzugssymptome – Antidepressiva 52
– Benzodiazepine 90 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 46
34 Veränderungen 136
– Hormone 146 Enuresis 269 high expressed emotions 251
– bei körperlichen Erkrankungen 150 EPS-Nebenwirkungen 76 Hormonersatztherapie 120
Horrortrip 232
35 – Krankheitsmodell 137
– Neurobiologie 136
Erektionsstörungen 216
Erhaltungstherapie 5-HT-Transporter-Gen 30
– Noradrenalin- und Serotonin- – Bedingungen 9 hyperkinetische Störungen 222
36 hypothesen 38 Erregungszustände, psycho-
motorische 275
Hypersomnie 204
Hypnotika
– mit psychotischen Merkmalen 236
– Relapserate 39 Essstörungen 193 – Abhängigkeit 98
37 – Remission 143 – Neurobiologie 194 – pflanzliche Präparate 96
Hypomanie 236
– rezidivierende Eve 231
– – Therapie 148 Eve-Abhängigkeit 113 hypothalamisch-hypophysär-adrenales
38 – rezidivierende kurze 149 evidenzbasierte Medizin 26 System (HPA) 39, 156
– Therapie 148 Exkretion 12, 16 Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
– wahnhafte eye movement desensitization and nierenrinden-System 136
39 -- EKB 249 reprocessing (EMDR) 179
depressive Episode, s. Depression
40 Designerdrogen 231
Desorientiertheit 276
DHEA-Therapie 120
327
Sachverzeichnis
Placebo 39 SSRI 53
21 Polymorphismus 16 S – Angst
Polytoxikomanie – Bulimia nervosa 196
– Definition 226 SAD 149 – depressive Störungen 140
22 post-stroke depression 150
posttraumatische Belastungsstörung
Schilddrüsenhormone 146 – Ejaculatio praecox 120
– Entwicklung 38
schizoaffektive Störung 240
(PTSD) 177, 181 – Phasenprophylaxe 240 – generalisierte Angststörung 162
23 – Neurobiologie 178 Schizophrenie 244 – Insomnie 202
Priapismus 218 – katatone 276 – Manieinduktion 237
Prodromalstadium – – Stupor 276 – Panikstörung 157
24 – Schizophrenie 246 – Neurobiologie 244 – Persönlichkeitsstörungen 210
Pseudodemenz 277 – Prodromalstadium 244 – phobische Störung 168
– depressive 150 – Therapieresistenz 249 – Plasmakonzentration 45
25 Psilocybin 232 – unspezifisches Vorstadium 244 – posttraumatische Belastungs-
Psycho- und Pharmakotherapie Schlaf, nichterholsamer 200 störung 178
– Kombinationsbehandlung 31 – prämenstruelles Syndrom 190
S Psychoanaleptikum 128
Schlafanalyse 200
Schlafapnoesyndrom 205 – somatoforme Störung 187
Psychomimetika 232 Schlaf-EEG – und Suizidalität 59
27 – Abhängigkeit 113
Psychopharmaka
– Benzodiazepine 97
Schlafentzug 146
– – Kindes- und Jugendalter 59
– Therapieempfehlung 53
– Fahrtüchtigkeit 288 Schlafhygiene 202 – Wechselwirkung 18
28 – Schwangerschaft 282
Psychostimulanzien 222
Schlafmittel 96 – Zwangsstörung 172
Steady State 14
Schlafstörungen 199
Psychotherapie – nichtorganische 200 Stimmungsstabilisierer 289
29 – Medikamentencompliance 31 – organische 200 – Definition 62
PTSD, s. posttraumatische Belastungs- Schlaf-Wach-Regulation 201 – Indikationen 64
störung Schlafwandeln 262 – – Übersicht 64
30 Schlaganfall Störungen
– Antidepressiva 52 – hyperkinetische 222
R Schmerzen – leichte kognitive 256
31 – duale Antidepressiva 187 – mnestische 276
Rapid Cycling 236, 239 – phobische 168
Schmerzstörung 189
rapid-eye-movement 201 – – Antidepressiva 168
32 Rauchen 78
Schmerzsyndrome 187
seasonal affective disorder 147 – schizoaffektive 240
Reboundsymptome 90 – – Phasenprophylaxe 240
second generation antipsychotics 72
recurrent brief depression 149
33 Redner- und Prüfungsangst 159
Sedierung
– Antidepressiva 47
– somatoforme 185
Stress 151
Reizdarm 190 Stresshormonachse, PTSD 178
Selbsthilfegruppen 229
REM-Schlaf 201
34 Restless-legs-Syndrom 130, 262
Serotonin (5-HT)-Transporter 42
Serotoninregulation
Stupor
– depressiver 276
Rett-Syndrom 267 – dissoziativer 277
– Essstörungen 194
35 reuptake 40
Rezeptorbindung 16
Serotoninsyndrom, zentrales 50, 278, – psychogener 277
279 Suchtmittel 227
Rezeptoren, glutamaterge 106 Suizidalität 277
Sexualhormone 119
36 Rezeptor-Signal-Transduktion 17
Rezidivprophylaxe
sexuelle Funktionsstörungen 215 – unter Antidepressiva 49
– Antidepressiva 47 switch 238
– Bedingungen 9 Syndrom 190
– Antipsychotika 76
37 Rhabdomyolyse 77
– Neurobiologie 216 – delirantes 276
riskanter Konsum – demenzielles 256
SIADH 49
– Definition 226 – der inadäquaten ADH-Sekretion
38 Rote Liste 23
Sleep-Onset-REM-Episoden 204
SNRI (SIADH) 49
Rückfallsymptome – malignes neuroleptisches 76, 278
– Therapieempfehlung 53, 55, 56
– Benzodiazepine 90
39 somatoforme Störung 185
Somnambulismus 262
– metabolisches 76
– prämenstruelles 190
Sozialrhythmus-Therapie 240 – – SSRI 190
40 Spannungskopfschmerz 189
Spätdyskinesien 76
– somatisches 196
– – depressive Störung 196
– zentrales anticholinerges 278
329
Sachverzeichnis
T V Z
Testosteron Vagusnervstimulation 147 Zwangsgedanken 172
– Stimmungsregulation 146 Venlafaxin 168 Zwangshandlungen 172
Testosteronsubstitution 217 Verhaltensstörung, demenzassoziierte Zwangsstörung
Testosterontherapie 120 (BPSD) 258 – Antidepressiva 173
therapeutic-dose dependence 90, 98 Verteilungsvolumen 13 – – Dosierung 45
therapeutische Breite 7 Verwirrtheit 276 – Neurobiologie 172
therapeutisches Fenster 52 Vulnerabilitätsstressmodell 251
– Plasmakonzentration 45
Therapieresistenz
– Depression 143
W
– – Algorithmus 145
– Schizophrenie 249 Wechselwirkung 18
Ticstörungen 262 Wernicke-Korsakow-Syndrom 228
Tiefenhirnstimulation 173 Winterdepression 149
Toleranz Wirkstoffentwicklung 5
– pharmakodynamische 8 Zähneknirschen 262
– pharmakokinetische 7
Toleranzbildung 7
Trennungsangst 268
TZA (trizyklische Antidepressiva)
– Manieinduktion 237