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Otto Benkert · Martin Hautzinger · Mechthild Graf-Morgenstern

Psychopharmakologischer Leitfaden

für Psychologen und Psychotherapeuten

Unter Mitarbeit von

P. Heiser und E. Schulz

für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

und

C. Hiemke

für Arzneimittelinformationen und -interaktionen


Otto Benkert
Martin Hautzinger
Mechthild Graf-Morgenstern

Psychopharmakologischer
Leitfaden
für Psychologen und
Psychotherapeuten

Unter Mitarbeit von


P. Heiser und E. Schulz
für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
und
C. Hiemke
für Arzneimittelinformationen und -interaktionen

Mit Checkfragen und Antworten für Studierende

1 23
Prof. Dr. med. Otto Benkert Prof. Dr. rer. nat. Christoph Hiemke
1 Ehemals: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Mainz Universität Mainz
Untere Zahlbacher Straße 8 Untere Zahlbacher Straße 8
2 55131 Mainz 55131 Mainz
www.ottobenkert.de
3 Prof. Dr. Dipl.-Psych.
Priv.-Doz. Dr. med. Philip Heiser
Prof. Dr. med. Eberhard Schulz
Martin Hautzinger Universitätsklinik für Psychiatrie und
4 Abt. für Klinische Psychologie und Psychosomatik
Entwicklungspsychologie Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Tübingen im Kindes- und Jugendalter
5 Christophstraße 2 Universitätsklinikum Freiburg
72072 Tübingen Hauptstraße 8, 79104 Freiburg
6
Dr. med. Dipl.-Psych.
Mechthild Graf-Morgenstern
7 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Untere Zahlbacher Straße 8
8 55131 Mainz

9
ISBN-13 978-3-540-47957-4 Springer Medizin Verlag Heidelberg
10 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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11 grafische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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14 Springer Medizin Verlag
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16 dere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzge-
setzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

17 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine
Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer
Literarturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
18 Planung: Renate Scheddin
Projektmanagement: Renate Schulz
19 Lektorat: Dr. Astrid Horlacher, Dielheim
Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin
Satz: medionet Prepress Services Ltd.
20 SPIN: 11677833

Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort
Dieser Leitfaden ist aus der Idee heraus entstanden, Psychologen und Psychotherapeuten einen
kompakten und aktuellen Überblick über das psychopharmakologische Wissen anzubieten.
Die Darstellung ist etwas ausführlicher, als es für das Wissen im täglichen Umgang mit psy-
chisch kranken Menschen für Psychologen und Psychotherapeuten notwendig ist, dafür kann der
Leitfaden aber auch als psychopharmakologisches Nachschlagewerk genutzt werden.
Die Autoren sind davon ausgegangen, dass bei dem Wunsch nach einer noch tieferen Kenntnis
der Psychopharmakologie auf vorhandene Werke zu diesen Themen zurückgegriffen wird, etwa bei
der Notwendigkeit, Details über Einzelpräparate oder Arzneimittelsicherheit zu erfahren (Benkert
u. Hippius 2007) oder bei dem Wunsch, sich in die Grundlagenforschung und die Literatur zur Psy-
chopharmakologie einzuarbeiten (Holsboer et al. 2008).
Der Kern des psychopharmakologischen Wissens wird in Checkfragen und -antworten für
den (Kinder- und Jugend-)Psychotherapeuten und Psychologen zusammengefasst. Die Antworten
befinden sich am Ende des Buches. Ihnen wird auch in den »Grundlagen« ein ausführlicher Über-
blick über das in der Prüfungsordnung für psychologische Psychotherapeuten geforderte Grundla-
genwissen über Arzneimittel und den Umgang mit Arzneimitteln bei psychisch kranken Patienten
angeboten. In der Sektion »Präparate« werden die einzelnen Psychopharmakagruppen wirkstoff-
spezifisch besprochen. Danach wird die Pharmakopsychiatrie von den Diagnosen geleitet und ist ab
dann störungsspezifisch. Der Leitfaden schließt mit speziellen Aspekten zur Pharmakopsychiatrie.
Dieses Ordnungsprinzip erlaubt dem Leser zwei verschiedene Einstiege in die psychiatrische
Pharmakotherapie: entweder über die Psychopharmakagruppen, mit deren Wirkungsweise und
möglicher Indikation bei den entsprechenden Diagnosen (7 Kap. 5–14) oder über die Krankheits-
bilder entsprechend den ICD-10-Diagnosen (7 Kap. 15–33).
Ohne Psychopharmaka ist eine optimale Therapie bei den meisten psychischen Erkrankungen
nicht mehr vorstellbar, genauso wie eine Behandlung ohne Psychotherapie in der Psychiatrie heu-
te nicht mehr zeitgemäß ist (7 Kap. 4). Über den Synergieeffekt beider Therapieformen ist sich die
Fachwelt weitgehend einig. Für jedes Krankheitsbild werden jeweils die durch Studien belegbaren
besten Möglichkeiten für die Pharmakotherapie, die Psychotherapie oder die Kombination beider
beschrieben.
Dieses Wissen übersichtlich darzustellen, ist den Autoren deswegen so wichtig, weil die Ergeb-
nisse aus Studien für viele Therapien keineswegs eindeutig das Pro oder Contra einer Methode
belegen. So ist etwa das psychotherapeutische Vorgehen bei chronisch depressiven Störungen noch
nicht befriedigend evaluiert; ebenso wenig sind die immer neuen Therapievorschläge mit weiteren
Antidepressiva bei der therapieresistenten Depression empirisch abgesichert.
Die Darstellung des psychopharmakologischen klinischen Wissens geht mit dem Wunsch der
Autoren einher, immer auch die Bedeutung einer Psychotherapie oder einer Kombinationstherapie
herauszustellen. Diese Strategie nimmt in dem Leitfaden einen breiten Raum ein. Soweit Studien
zu diesem Thema in den klinischen Alltag Einlass gefunden haben, werden sie zitiert und entspre-
chend ihrer Wichtigkeit diskutiert. Basis unserer Empfehlungen sind die wissenschaftliche Litera-
tur und die klinische Erfahrung der Autoren, nicht aber allein die Zulassung eines Präparates oder
die Zulassung einer Psychotherapiemethode oder aber die Zusammenfassung von evidenzbasier-
ten Studien.
Sehr ausführlich werden die angebotenen Therapiemöglichkeiten bewertet. Bewährte Therapien
werden bewusst empfohlen, von anderen wird abgeraten.
Jedes Kapitel endet mit einem Beitrag aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychothe-
rapie. So kann schnell erkannt werden, wo mögliche Unterschiede im therapeutischen Vorgehen
bestehen. Störungen, die nur im Kindes- oder Jugendalter auftreten, werden in einem ergänzenden
Kapitel beschrieben (7 Kap. 33).
VI Vorwort

Die Kapitel sind unterschiedlich lang. Ausführlicher werden jene psychischen Krankheiten und
1 deren Therapien beschrieben, mit denen es der Psychotherapeut bzw. Psychologe auch am häu-
figsten zu tun hat, z. B. die depressiven Störungen oder die Angststörungen.
Durch diesen Leitfaden erhoffen sich die Autoren über die Anwendung des aktuellen Wissens
2 hinaus auch einen Beitrag zur noch besseren Kommunikation zwischen Ärzten, Psychotherapeuten,
Psychologen und Psychopharmakologen. Das würde dem Ziel dieses Leitfadens näherkommen,
3 psychisch kranken Patienten die optimale Therapie anzubieten, damit die bestmögliche Lebensqua-
lität erreicht werden kann.
Die intensive Grundlagenforschung und die klinische Forschung in dem Fachgebiet der psychi-
4 atrischen Pharmakotherapie haben der Therapie psychischer Störungen völlig neue Perspektiven
eröffnet. Die Entwicklung der modernen Psychopharmaka gehört mit zu den großen Fortschritten
der Medizin der letzten 50 Jahre. Wir sind heute in der Lage vielen Patienten mit einer Depression,
5 einer Angststörung oder einer Schizophrenie durch die Verordnung des richtigen Psychopharma-
kons und der Auswahl der adäquaten Psychotherapie eine hohe Lebensqualität zu garantieren. Auf
6 einer solchen Basis können auch sozialpsychiatrische Maßnahmen gut eingesetzt werden.
Dieser Gewinn für die Patienten wird in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt. Auch
in diesem Leitfaden werden oft die kritischen Befunde der neuesten Forschung bewusst in den Vor-
7 dergrund gerückt, um dem Therapeuten einen Einblick in den langen Weg bis zur klinischen Eta-
blierung eines Therapieverfahrens zu geben. Dieser methodenkritische Ansatz darf aber in keinem
8 Fall über die vielen Chancen, die sich durch die Psychopharmakotherapie für den einzelnen Pati-
enten schon heute eröffnet haben, hinwegtäuschen.
Allerdings sind viele psychische Krankheiten sehr behandlungsresistent gegen neue Wirkan-
9 sätze potentieller Psychopharmaka und auch die vorhandenen Medikamente stellen den Forscher
oder den Kliniker längst nicht zufrieden. Solange nicht die neurobiologischen Systeme, die den ein-
zelnen Krankheiten zu Grunde liegen, identifiziert sind, wird es kein optimales Psychopharmakon
10 für eine bestimmte Störung geben. Wir befinden uns heute z. B. in der Depressionsforschung, etwa
auf dem Stand der Erforschung des Bluthochdrucks in der inneren Medizin. Auch die Ursachen der
11 Hypertonie sind nur in Ansätzen bekannt und so ähneln sich auch die Therapiestrategien: Es wer-
den Medikamente gewählt, die im Sinne eine Mehrkomponententherapie viele Systeme gleichzei-
tig beeinflussen. Dies ist auch der derzeitige Weg in der Therapie der meisten Störungen in der Psy-
12 chiatrie.
Ob es auf der Basis heutiger biomedizinischer Forschung in absehbarer Zeit eine maßgeschnei-
13 derte Therapie für jeden einzelnen Patienten geben wird – das zumindest wäre aus den bisherigen
molekulargenetischen Forschungen bei psychischen Krankheiten ableitbar –, ist aufgrund der
enormen Kosten, die auf die Gesellschaft zukommen werden, sehr fraglich. Darüber hinaus kennen
14 wir heute nicht einmal ansatzweise die Ursachen für das differenzierte, oft sogar fehlende Anspre-
chen des gleichen Psychopharmakons im Verlaufe einer depressiven oder schizophrenen Erkran-
15 kung bei einem Patienten. Hier gilt es also, die über die Genetik hinausgehenden Faktoren, die die
Plastizität der neurobiologischen Systeme beeinflussen, zu charakterisieren.
Zunächst aber soll das heutige Wissen um die optimale Anwendung der psychiatrischen Phar-
16 makotherapie in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren in diesem Leitfaden gebün-
delt werden.
Dieser Leitfaden geht in Teilen immer wieder auf Texte und Tabellen des Kompendiums der
17 Psychiatrischen Pharmakotherapie, 6. Auflage, zurück. Somit sei auch an dieser Stelle den Koau-
toren dieses Kompendiums für ihre ständige Mitarbeit herzlich gedankt: I. Anghelescu, E. Davids,
18 C. Fehr, G. Gründer, C. Lange-Asschenfeldt, O. Möller, M.J. Müller und F. Regen. Durch die grund-
legenden Artikel von C. Hiemke und die Beiträge zur Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psy-
chotherapie von P. Heiser und E. Schulz kann das Spektrum der psychiatrischen Pharmakothera-
19 pie deutlich erweitert werden.

20 Mainz und Tübingen, im Herbst 2007 Otto Benkert


Martin Hautzinger
Mechthild Graf-Morgenstern
VII

Inhaltsverzeichnis
5.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 40
I Grundlagen 5.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 43
5.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
1 Pharmakologische Grundlagen . . . . . . . . 3 5.5 Dosierung, Plasmakonzentration und
1.1 Pharmaka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.1.1 Pharmakologisch wirksame Stoffe . . . . . . . . . 4 5.6 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.1.2 Wirkstoffentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5.7 Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . . 50
1.1.3 Arzneimittelwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 5.8 Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.1.4 Therapeutischer Einsatz von Pharmaka . . . . . . 8 5.9 Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.2 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 5.10 Antidepressiva im höheren Lebensalter . . . . . 52
5.11 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und 5.11.1 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
Interaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 (SSRI). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.1 Pharmakokinetik und - dynamik im 5.11.2 Selektive Serotonin-Noradrenalin-
Zusammenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 rückaufnahmehemmer (SNRI). . . . . . . . . . . . 54
2.2 Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5.11.3 Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer 55
2.2.1 Pharmakokinetische Phasen. . . . . . . . . . . . . 14 5.11.4 Noradrenerges/spezifisch serotonerges
2.3 Pharmakodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 ntidepressivum mit α2-Adrenozeptor
2.4 Arzneimittelwechselwirkungen. . . . . . . . . . . 18 antagonistischer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . 55
2.5 Therapeutisches Drug-Monitoring . . . . . . . . . 19 5.11.5 Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer 56
2.6 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5.11.6 Trizyklische Antidepressiva (TZA). . . . . . . . . . 57
5.11.7 MAO-Hemmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
3 Arzneimittelinformation. . . . . . . . . . . . . 21 5.11.8 Pflanzliche Präparate . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.1 Information und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 22 5.12 Antidepressiva in der Kinder- und
3.1.1 Informationen für Therapeuten . . . . . . . . . . . 22 Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.1.2 Informationen für Patienten und Angehörige . . 22 5.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
3.2 Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.2.1 Wissenschaftlich überwachte Information . . . . 22 6 Stimmungsstabilisierer . . . . . . . . . . . . . 61
3.2.2 Primärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 6.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.2.3 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 6.1.1 Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.2.4 Tertiärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 6.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.2.5 Institutionell überwachte Information . . . . . . 23 6.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 63
3.2.6 Datenbankgestützte Information. . . . . . . . . . 25 6.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.3 Bewertung von Informationen und 6.4.1 Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
evidenzbasierter Medizin. . . . . . . . . . . . . . . 26 6.4.2 Antikonvulsiva, Antipsychotika und
3.4 Neue Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.4.1 Neu beobachtete nützliche Wirkungen . . . . . . 27 6.5 Dosierung, Plasmakonzentration und
3.4.2 Neu beobachtete unerwünschte Wirkungen . . 27 Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.5 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6.5.1 Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
6.5.2 Antikonvulsiva und Antipsychotika . . . . . . . . 65
4 Psychopharmaka und Psychotherapie . . . . 29 6.6 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 6.7 Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . . 66
4.2 Grundsätzliche Probleme. . . . . . . . . . . . . . . 30 6.8 Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.3 Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale. . 31 6.9 Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.4 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 6.10 Stimmungsstabilisierer im höheren Lebensalter 66
4.5 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 6.11 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
6.12 Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
II Präparate 6.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

5 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
7 Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
5.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
7.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.1.1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 38
7.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.1.2 Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
7.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 73
VIII Inhaltsverzeichnis

7.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 9.10 Hypnotika im höheren Lebensalter . . . . . . . . 100


1 7.5 Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
9.11
9.12
Präparategruppen . . . . . . . . . . .
Hypnotika in der Kinder- und
. . . . . . . . 101

7.6 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102


2 7.7
7.8
Kontraindikationen und Intoxikationen.
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
77
77
9.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

7.9 Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 78 10 Antidementiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105


3 7.10 Antipsychotika im höheren Lebensalter . . . . . 78 10.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
7.11 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 10.2 Wirkmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
7.12 Antipsychotika in der Kinder- und 10.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 106
4 Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 10.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
7.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 10.5 Dosierung und Behandlungsdauer . . . . . . . . 107
10.6 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5 8 Anxiolytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 10.7 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
8.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 84 11 Medikamente zur Behandlung von
6 8.2.1 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Abhängigkeit und Entzug . . . . . . . . . . . . 109
8.2.2 Buspiron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 11.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
7 8.2.3
8.3
Andere Anxiolytika. . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . .
.
.
.
.
86
86
11.2
11.2.1
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pharmakotherapie von Abhängigkeits-
. 110

8.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110


8 8.4.1
8.4.2
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Buspiron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
87
88
11.2.2 Gesamtbehandlungsplan bei Abhängigkeits-
erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
8.4.3 Andere Anxiolytika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 11.2.3 Medikamente zur Behandlung von
9 8.5 Dosierung, Plasmakonzentration und Alkoholkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 11.2.4 Medikamente zur Rückfallprophylaxe bei
8.6 Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Alkoholabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
10 8.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter Benzodiazepinen . . 90 11.2.5 Medikamente zur Behandlung von
8.6.2 Absetzprobleme unter Benzodiazepinen. . . . . 90 Benzodiazepinabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . 112
8.6.3 Vorbeugung von Benzodiazepinentzugs- 11.2.6 Medikamente zur Behandlung von
11 symptomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Opiatabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
8.7 Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . . 91 11.2.7 Medikamente zur Behandlung von Kokain-
8.8 Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 und Amphetamin-Abhängigkeit . . . . . . . . . . 113
12 8.9 Routinehinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 11.2.8 Medikamente zur Behandlung von Ecstasy-
8.10 Anxiolytika im höheren Lebensalter . . . . . . . . 91 und Eve-Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 113
13 8.11
8.11.1
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
92
92
11.2.9 Medikamente zur Behandlung von
Abhängigkeiten von Psychotomimetika
8.11.2 Andere Anxiolytika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (LSD, Meskalin, Psilocybin) . . . . . . . . . . . . . . 113
14 8.12 Anxiolytika in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
11.2.10 Medikamente zur Behandlung von
Cannabisabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 113
8.13 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 11.2.11 Medikamente zur Behandlung von
15 Nikotinabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
9 Hypnotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 11.3 Medikamente zur Behandlung von
9.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Abhängigkeit und Entzug in der Kinder- und
16 9.2 Wirkmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
9.2.1 Benzodiazepinhypnotika . . . . . . . . . . . . . . . 96 11.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
9.2.2 Non-Benzodiazepinhypnotika. . . . . . . . . . . . 97
17 9.2.3 Andere Hypnotika und schlafinduzierende 12 Medikamente zur Behandlung von
Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 sexuellen Störungen . . . . . . . . . . . . . . . 117
9.3 Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 97 12.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
18 9.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 12.2 Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 118
9.5 Dosierung und Behandlungsdauer . . . . . . . . 98 12.2.1 PDE-5-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
19 9.6
9.6.1
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abhängigkeitsrisiko unter Hypnotika . . . .
.
.
.
.
. 98
. 98
12.2.2
12.3
Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . .
119
119
9.6.2 Andere Nebenwirkungen unter Hypnotika . . . 99 12.4 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
20 9.7
9.8
Kontraindikationen und Intoxikationen. . .
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
. 99
. 100
12.4.1
12.4.2
Erektionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vermindertes sexuelles Verlangen . . . . . . . . .
120
120
9.9 Routinehinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 12.4.3 Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau 120
IX
Inhaltsverzeichnis

12.4.4 Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen . . 120 16 Panikstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155


12.4.5 Gesteigertes sexuelles Verlangen und 16.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 157
Paraphilie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 16.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
12.5 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 16.2.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
12.5.1 PDE-5-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 16.2.2 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
12.6 Medikamente zur Behandlung von sexuellen 16.2.3 β-Rezeptorenblocker in der Therapie von
Störungen im Kindes- und Jugendalter . . . . . . 122 Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
12.7 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 16.2.4 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
16.3 Behandlung der Panikstörung im Kindes- und
13 Antiadiposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
13.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 16.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
13.2 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
13.3 Antiadiposita in der Kinder- und 17 Generalisierte Angststörung . . . . . . . . . . 161
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 17.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 162
13.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 17.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
17.2.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
14 Medikamente zur Behandlung von ADHS, 17.2.2 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Hypersomnien und Bewegungsstörungen 127 17.2.3 Buspiron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
14.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 17.2.4 Pregabalin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
14.2 Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 17.2.5 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
14.3 Medikamente zur Behandlung von ADHS, 17.3 Behandlung der GAD im Kindes- und
Hypersomnien und Bewegungsstörungen in Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
der Kinder- und Jugendpsychiatrie . . . . . . . . 130 17.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
14.3.1 ADHS in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. . . 130
14.3.2 Hypersomnien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 18 Phobische Störungen . . . . . . . . . . . . . . 167
14.3.3 Bewegungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 132 18.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 168
14.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 18.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
18.2.1 Antidepressiva und andere Medikamente . . . . 168
18.2.2 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
III Krankheitsbilder 18.3 Behandlung der phobischen Störungen im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . 169
18.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
15 Depressive Störungen . . . . . . . . . . . . . . 135
15.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 136
19 Zwangsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
15.2 Antidepressiva und Psychotherapie . . . . . . . . 137
19.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 172
15.3 Akuttherapie mit Antidepressiva . . . . . . . . . . 140
19.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
15.4 Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
19.2.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
mit Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
19.2.2 Andere Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
15.5 Ungenügende Response, Therapieresistenz
19.2.3 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
und chronische Depression . . . . . . . . . . . . . 143
19.3 Behandlung der Zwangsstörung im Kindes-
15.6 Andere Medikamente und Verfahren zur
und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Depressionsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . 146
19.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
15.7 Spezielle pharmakotherapeutische
Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
20 Posttraumatische Belastungsstörung . . . . 177
15.7.1 Depressive Episode und rezidivierende
20.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 178
depressive Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
20.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
15.7.2 Dysthymie und Double Depression . . . . . . . . 149
20.2.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
15.7.3 Minor Depression und unterschwellige
20.2.2 Andere Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . 178
Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
20.2.3 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
15.7.4 Rezidivierende kurze depressive Episoden . . . 149
20.3 Behandlung der PTSD im Kindes- und
15.7.5 Atypische Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
15.7.6 Saisonal abhängige affektive Störung . . . . . . 149
20.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
15.7.7 Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
15.7.8 Depression bei körperlichen Erkrankungen . . . 150
15.8 Depression und Stress. . . . . . . . . . . . . . . . . 151
15.9 Behandlung depressiver Störungen im Kindes-
und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
15.10 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
X Inhaltsverzeichnis

21 Akute Belastungsstörung und 25.3 Behandlung von Persönlichkeits- und


1 21.1
Anpassungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . 181
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Verhaltensstörungen im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
21.2 Behandlung der akuten Belastungsstörung 25.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
2 und der Anpassungsstörung im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 26 Sexuelle Funktionsstörungen . . . . . . . . . 215
21.3 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 26.1 Erektionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
3 26.2 Vermindertes sexuelles Verlangen . . . . . . . . . 217
22 Somatoforme Störungen . . . . . . . . . . . . 185 26.3 Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau 217
22.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 26.4 Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen . . 217
4 22.1.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 26.5 Gesteigertes sexuelles Verlangen und
22.1.2 Andere Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Paraphilie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
22.1.3 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 26.6 Substanzinduzierte sexuelle
5 22.2 Spezifische Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Funktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
22.2.1 Somatisierungsstörung und somatoforme 26.7 Pharmakotherapie und Psychotherapie bei
sexuellen Funktionsstörungen . . . . . . . . . . . 218
6 22.2.2
autonome Funktionsstörung . . . . . . . . . .
Hypochondrische Störung . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
188
188 26.8 Behandlung sexueller Funktionsstörungen
22.2.3 Somatoforme Schmerzstörung . . . . . . . . . . . 189 im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . 219
7 22.2.4
22.2.5
Körperdysmorphe Störung. . . . . . . . . . . .
Chronisches Müdigkeitssyndrom. . . . . . . .
.
.
.
.
189
189
26.9 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

22.2.6 Fibromyalgiesyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 27 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-


8 22.2.7
22.2.8
Prämenstruelles Syndrom . . . . . . . . . . . .
Colon irritabile . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
190
190 27.1
störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 222
22.3 Behandlung der somatoformen Störung im 27.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
9 Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . 191 27.2.1 Psychostimulanzien und andere Medikamente 222
22.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 27.2.2 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
27.3 Behandlung von ADHS im Kindes- und
10 23 Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
23.1 Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 27.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
23.1.1 Therapie der Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . 195
11 23.2 Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 28 Abhängigkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . 225
23.2.1 Therapie der Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . 196 28.1 Suchtmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
28.1.1 Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
12 23.3
23.4
Binge-eating-Störung . . . . . . . . . . . . . . . .
Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
197
197 28.1.2 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
23.5 Behandlung der Essstörungen im Kindes- und 28.1.3 Opiate/Opioide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
13 23.6
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 198
. 198
28.1.4
28.1.5
Kokain und Amphetamin. . . . . . . . . . . . . .
Ecstasy und Eve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
231
231
28.1.6 Psychotomimetika (LSD, Meskalin, Psilocybin) . 232
14 24
24.1
Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Primäre Insomnie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
28.1.7
28.1.8
Cannabis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nikotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
232
232
24.1.1 Gesamtbehandlungsplan der primären 28.2 Behandlung der Abhängigkeitsstörungen im
15 Insomnie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . 233
24.1.2 Therapie der primären Insomnie . . . . . . . . . . 202 28.3 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
24.1.3 Therapie der Insomnie bei psychiatrischen
16 Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 29 Bipolare affektive Störungen . . . . . . . . . . 235
24.2 Hypersomnie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 29.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 237
24.3 Narkolepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 29.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
17 24.4 Schlafapnoesyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 29.2.1 Manische Episode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
24.5 Behandlung der Schlafstörungen im Kindes- 29.2.2 Bipolare affektive Störung . . . . . . . . . . . . . . 238
und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 29.2.3 Psychotherapie bei bipolaren affektiven
18 24.6 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
29.3 Behandlung der Bipolaren Störung im Kindes-
19 25
25.1
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 207
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 208 29.4
und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
241
25.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
20 25.2.1 Spezifische Therapie bei Persönlichkeits-
störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
30
30.1
Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 245
30.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
XI
Inhaltsverzeichnis

30.2.1 Akutphase/Positivsymptomatik. . . . . . . . . . . 245 34.6 Notfallsituationen in der Kinder- und


30.2.2 Negativsymptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
30.2.3 Depressive Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . 247 34.7 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
30.2.4 Kognitive Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
30.2.5 Katatone Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . 247 35 Psychopharmaka in Schwangerschaft und
30.2.6 Komorbide psychiatrische Störungen bei Stillzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 35.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
30.2.7 Schizoaffektive Störungen . . . . . . . . . . . . . . 248 35.2 Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
30.2.8 Schwere Depression mit psychotischen 35.3 Antikonvulsiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Symptomen (»wahnhafte Depression«). . . . . . 249 35.4 Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
30.2.9 Schizotype Störungen, wahnhafte Störungen, 35.5 Benzodiazepine und Non-Benzodiazepin-
induzierte wahnhafte Störungen . . . . . . . . . . 249 hypnotika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
30.2.10 Akute vorübergehende psychotische 35.6 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
30.2.11 Langzeittherapie, ungenügende Response und 36 Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit . . . . 287
Therapieresistenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 36.1 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
30.2.12 Psychotherapie und psychosoziale
Interventionen bei Schizophrenie . . . . . . . . . 251
30.3 Behandlung der Schizophrenie im Kindes- und
Anhang
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
A1 Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe
30.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
und die entsprechenden Präparate. . . . . . 292
31 Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
A2 Antworten zu den Checkfragen . . . . . . . . 295
31.1 Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 258
31.2 Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . 258
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
31.3 Nichtmedikamentöse Maßnahmen . . . . . . . . 259
31.4 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Diagnoseverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
32 Bewegungsstörungen in der Psychiatrie . . 261
Pharmakaverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
32.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
32.2 Behandlung von Bewegungsstörungen im
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . 263
32.3 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

33 Spezielle Störungen im Kindes- und


Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
33.1 Tief greifende Entwicklungsstörungen . . . . . . 266
33.1.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
33.2 Trennungsangst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
33.2.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
33.3 Enuresis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
33.3.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
33.4 Bindungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
33.4.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
33.5 Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

IV Spezielle Aspekte der


Psychopharmakotherapie
34 Notfallpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
34.1 Psychomotorische Erregungszustände . . . . . . 275
34.2 Delirante Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
34.3 Stuporöse Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
34.4 Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
34.5 Psychopharmaka als Ursache psychiatrischer
Notfallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
XIII

Abkürzungsverzeichnis
AAP atypische Antipsychotika TRH Thyreotropin-Releasing-Hormon
ACh Acetylcholin TZA trizyklische(s) Antidepressiv(um/-a)
AChE Acetylcholinesterase UAW unerwünschte Arzneimittel-
AChE-I Acetylcholinesterasehemmer wirkungen
AD Alzheimer-Demenz VD vaskuläre Demenz
ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperakti- VT Verhaltenstherapie
vitätsstörungen
AKdÄ Arzneimittelkommission der deut-
schen Ärzteschaft
ASP alkoholismusspezifische Psychothera-
pie
BLIPS brief limited intermittend psychotic
symptoms
BPS Borderline-Persönlichkeitsstörung
BPSD behavioral and psychological symp-
toms in dementia
BtM Betäubungsmittel
cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat
CRH Kortikotropin-releasing-Hormon
DA Dopamin
DBT dialektisch-behaviorale Therapie
EKB Elektrokrampfbehandlung
EMDR eye movement desensitization and
reprocessing
EPS extrapyramidalmotorische Störungen
GAD generalisierte Angststörung
GHRH Growth-hormone-releasing-Hormon
HEE high expressed emotions
HPA-Achse Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
nierenrinden-Achse
HKS hyperkinetische Störungen
HWZ Halbwertszeit
IPT Interpersonelle Psychotherapie
KVT kognitive Verhaltenstherapie
MAO Monoaminoxidase
MCI mild cognitive impairment
NA Noradrenalin
NO Stickstoffmonoxid
PLMS periodic limb movements in sleep
PTSD posttraumatische Belastungsstörung
RLS Restless-legs-Syndrom
rTMS repetitive transkranielle Magnet-
stimulation
SIADH Syndrom der inadäquaten ADH-
Sekretion
SNRI selektive Serotonin-Noradrenalin-
rückaufnahmehemmer
SSRI selektive Serotoninrückaufnahme-
hemmer
1.1 · Pharmaka
1 1I

Grundlagen

1 Pharmakologische Grundlagen –3

2 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und


Interaktionen – 11

3 Arzneimittelinformation – 21

4 Psychopharmaka und Psychotherapie – 29


1.1 · Pharmaka
3 1

Pharmakologische Grundlagen

1.1 Pharmaka –4
1.1.1 Pharmakologisch wirksame Stoffe – 4
1.1.2 Wirkstoffentwicklung – 5
1.1.3 Arzneimittelwirkung – 6
1.1.4 Therapeutischer Einsatz von Pharmaka – 8

1.2 Checkliste – 10
4 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen

1.1 Pharmaka aus der Natur, z. B. aus Pflanzenteilen, extrahierter


1 Stoff sein.
Definition Während früher die meisten Arzneimittel aus
der Natur extrahierte Stoffe waren, sind die meisten
2 Pharmakologie ist die Lehre von den Wechsel- modernen Wirkstoffe das Ergebnis einer chemisch-
wirkungen zwischen Stoffen und Lebewesen. Ein präparativen Darstellung im Labor. Als Ausgangstoffe
3 Stoff, der Wechselwirkungseigenschaften besitzt, werden für die Synthese Vorläuferstoffe eingesetzt, die
dann chemisch modifiziert werden. Bei der Neusyn-
ist im Sinn der Pharmakologie ein Pharmakon.
Psychopharmaka sind solche, die auf das Zentral- these eines potenziellen Arzneistoffes wird zunächst
4 nervensystem wirken und psychische Funktionen vom Hersteller ein Code generiert. Wenn sich ein Stoff
verändern. Die Anwendung von Pharmaka am bei pharmakologischen Tests als interessanter Kandi-
dat darstellt, wird ein Name für den Wirkstoff erzeugt.
5 Menschen ist die Pharmakotherapie. Sie erfolgt
heute in der Regel durch Einsatz von Fertigarznei- Er wird von der WHO als Freiname festgelegt, der
mitteln. dann in der wissenschaftlichen Literatur für den Wirk-
6 stoff durchgängig verwendet wird. Wenn der Wirk-
stoff oder eine Wirkstoffmischung von einem phar-
mazeutischen Unternehmen zur Zulassung gebracht
7 1.1.1 Pharmakologisch wirksame wird, wird ein gesetzlich geschützter Markenname für
Stoffe das Fertigarzneimittel (s. unten) neu erzeugt.
8 Ein Stoff ist im Sinne der Pharmakologie dann ein
Arzneistoffe werden so gut wie nie als reiner Stoff
verabreicht. Sie werden zusammen mit sog. Hilfs-
Pharmakon, wenn er auf den Organismus einwirkt stoffen in eine für den Menschen anwendbare Arz-
9 (Aktories et al. 2006; Brunton 2006). Die Wirkung neiform gebracht. Bis vor gut 100 Jahren wurden Arz-
kann nützlich sein, also erwünscht, und ist so für eine neimittel für den individuellen Patienten ad hoc vom
therapeutische Anwendung geeignet. Sie kann aber Apotheker zubereitet. Letzterer war damit auch ver-
10 auch schädlich, und damit unerwünscht sein, weil sie antwortlich für die Qualität des Präparates. Die heute
toxisch auf den Organismus wirkt. Mit den Stoffen mit bei uns therapeutisch eingesetzten Pharmaka sind in
11 erwünschter Wirkung, den Arzneistoffen, befasst sich der Regel Arzneistoffe, die pharmazeutisch-technolo-
die experimentelle und klinische Pharmakologie, mit gisch hergestellt wurden. Man spricht dann von einem
den schädlichen Eigenschaften von Stoffen und Wir- Fertigarzneimittel. Sie werden im Voraus produziert
12 kungen die Toxikologie. Die Unterscheidung, ob ein und in einer für den Verbraucher bestimmten Form in
Stoff nützlich oder schädlich ist, hängt wesentlich den Verkehr gebracht. Den Verkehr mit Arzneimitteln
13 von der Konzentration ab, in der er eingesetzt wird. regelt das Arzneimittelgesetz. Fertigarzneimittel müs-
Daher ist die Bewertung, ob ein Stoff als therapeutisch sen zugelassen sein. Die in Deutschland dafür zustän-
oder toxisch einzuordnen ist, nicht nur von der Quali- dige Behörde ist das Bundesinstitut für Arzneimittel
14 tät des Stoffes, sondern ganz wesentlich auch von sei- und Medizinprodukte (BfArM). Für die Zulassung
ner Quantität abhängig. Ein Pharmakon kann ein che- müssen Daten über die pharmazeutische Qualität des
15 misch reiner Stoff sein, aber auch ein Stoffgemisch. Es
kann ein chemisch präparativ hergestellter oder einer
Fertigarzneimittels, seine therapeutische Wirksamkeit
und seine Sicherheit vorgelegt werden.

16 Definition

17 Bezeichnung von Stoffen oder Stoffgemischen mit


pharmakologischer Wirkung:
5 Arzneimittel = Medikament:
– Arzneistoff, der technisch mit Hilfsstoffen
5 Pharmakon: durch galenische Zubereitung in eine für
18 – Stoff oder Stoffgemisch mit Wirkung auf ein den Menschen anwendbare Form gebracht
Lebewesen. wurde.
5 Arzneistoff : 5 Arzneiform:
19 – Pharmakon mit therapeutisch nützlicher – Zubereitung eines Arzneimittels mit phar-
Wirkung. mazeutischen Hilfsstoffen, z. B. als Tablette,
20 Injektionslösung, Tropfen oder Salbe.
6
1.1 · Pharmaka
5 1

5 Fertigarzneimittel: 5 Markenname:
– Arzneimittel aus industrieller Fertigung. – Bezeichnung eines gesetzlich geschützten
5 Freiname: Fertigarzneimittels eines bestimmten
– Name eines chemisch definierten Wirkstoffs, Herstellers.
englisch als »generic name« oder »internatio- 5 Generikum:
nal non-propriatary name = INN« bezeichnet – Bezeichnung eines Fertigarzneimittels,
und von der WHO festgelegt. welches unter dem Freinamen (generic
name) nach Ablauf des Patentschutzes auf
dem Markt gebracht wird.

1.1.2 Wirkstoffentwicklung zu untersuchen. Dies ist nützlich, um die Wirkstär-


ke und die Wirkspezifität der geprüften Verbindung
Die Entwicklung eines Arzneimittels ist zeit-, perso- einschätzen zu können. Mit den Bindungsassays kann
nal- und kostenaufwändig. Dies gilt auch und beson- eine Vielzahl von Stoffen innerhalb kurzer Zeit cha-
ders für Psychopharmaka. Für die Behandlung psychi- rakterisiert werden, um Kandidaten zu bestimmen,
atrischer Erkrankungen stehen derzeit etwa 120 Wirk- die in aufwändigen Tierexperimenten geprüft werden.
stoffe zur Verfügung. Fast alle innovativen Psycho- Nachdem erkannt wurde, dass pharmakokinetische
pharmaka sind zufällig an Patienten entdeckt wor- Arzneimittelwechselwirkungen bei der Anwendung
den. Meilensteine waren Chlorpromazin zur Behand- von Medikamenten von erheblicher Bedeutung sind,
lung von Psychosen, Imipramin und Iproniazid zur insbesondere mit Blick auf die Sicherheit der Medi-
Behandlung der unipolaren Depression und Lithium kamente, müssen seit etwa 10 Jahren auch Daten zum
zur Behandlung von bipolaren Erkrankungen. Einzig pharmakokinetischen Interaktionspotenzial erhoben
bei Benzodiazepinen schloss man vor der Anwendung werden. Dazu stehen ebenfalls In-vitro-Testsysteme
am Menschen bereits aus tierexperimentellen Befun- zur Verfügung. Es sind Zellsysteme oder subzellu-
den, dass sie zur Behandlung von Angsterkrankungen läre Fraktionen (z. B. Mikrosomen) mit definierter
geeignet sein könnten. Für die notwendige Entwick- Ausstattung arzneimittelmetabolisierender Enzyme.
lung neuer Psychopharmaka mit verbesserter Wirkung Aus diesen Untersuchungen wird auf Substrat- und
besteht das Problem, dass es für die meisten Erkran- Hemmeigenschaften geschlossen. Wenn bekannt ist,
kungen keine guten Tiermodelle gibt. Daher sind die welche Enzyme an der Metabolisierung der Medika-
Folgeentwicklungen der oben genannten Meilenstein- mente beteiligt sind, können mögliche pharmakoki-
medikamente zunächst bevorzugt durch Abwand- netische Wechselwirkungen für die In-vivo-Situation
lung der chemischen Struktur (trizyklische Antide- am Menschen relativ sicher vorhergesagt werden.
pressiva) entstanden. Nach Aufklärung, über welche Tierexperimente, die den In-vitro-Untersu-
Zielstrukturen (Rezeptoren, abbauende Enzyme oder chungen folgen, liefern Hinweise auf mögliche thera-
Transporter für Neurotransmitter) die unterschied- peutische Anwendungen, aber auch auf die Sicherheit
lichen erwünschten und unerwünschten klinischen der Substanzen. Bei Psychopharmakaentwicklungen
Wirkungen zu Stande kommen, hat man gezielt nach sind die Tierexperimente auch informativ bezüglich
rezeptorselektiven Verbindungen gesucht. So wurden Hirngängigkeit der Testsubstanzen.
z. B. selektive Serotoninrückaufnahmehemmer ent- In diesem Stadium erfolgt in der Regel die
wickelt, wobei der Fortschritt der Entwicklung in der Patentanmeldung, wobei immer einer Reihe von Ver-
Hauptsache in der erhöhten Sicherheit und nicht in bindungen eingebracht werden, um nicht nur auf
einer verbesserten Wirkstärke bestand. einen Wirkstoff festgelegt zu sein, um ähnliche poten-
Für die Suche nach neuen Psychopharmaka zielle Wirkstoffe zu schützen und um die Herstel-
wird heute insbesondere die technische Möglichkeit lung von Nachahmungspräparaten (»me-too«) zu
genutzt, Rezeptoren für humane Neurotransmitter in erschweren. Bereits vor Abschluss der tierexperimen-
Zellsystemen zu exprimieren. Durch sog. Bindungs- tellen Testung beginnt in der Regel die Anwendung
studien kann man an den Zellsystemen prüfen, ob ein am Menschen, die drei Phasen unterscheidet, Phase I
Stoff distinkte Rezeptoren erkennt und möglichst nur bis Phase III, die vor der Zulassung durchlaufen wer-
einen bestimmten Subtyp. So ist es auch möglich, eine den müssen (Kohnen u. Beneš 2007). Weitere laufen-
Aussage über die Stärke und Selektivität der Bindung de Tierexperimente prüfen derweilen die chronische
6 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen

Toxizität und Effekte auf die Reproduktion und Keim- die Kosteneffizienz geführt. Eine Phase V der Medika-
1 entwicklung (Teratogenitätstest). mentenentwicklung kann sich anschließen, wenn für
den Wirkstoff eine neue Indikation gefunden wird.
Definition
2
Phasen der Medikamentenentwicklung am 1.1.3 Arzneimittelwirkung
Menschen, die vor Beantragung einer Zulassung
3 durchlaufen werden müssen: Dosis-Wirkungs-Beziehung
5 Phase I Die Wirksamkeit eines Medikaments hängt ab von der
4 Überprüfung durch klinischen Pharmako-
logen, ob die Daten aus den Tiermodellen
Konzentration am Ort der Wirkung (»effective con-
centration«, EC). Da die Konzentration am Wirkort
auf den Menschen übertragbar sind. Erste in der Regel nicht messbar ist, wird die Wirkung über
5 Hinweise bezüglich Sicherheit und biolo- die Dosis gesteuert, die sich direkt proportional zur
gischer Effekte, erste Daten zur Pharmako- Konzentration verhält. Am Menschen lässt sich die
6 kinetik und Metabolisierung, Erstellung von
ersten Dosierrichtlinien (10–50 Probanden,
Konzentration am Wirkort allerdings aus der Dosis
nur grob abschätzen (Hiemke et al. 2005). Die Kon-
in der Regel »healthy male subjects«, keine zentrations-Wirkungs-Beziehung entspricht einer
7 Risikogruppe). Sättigungsfunktion. Es gibt eine untere Konzentrati-
5 Phase II on, bei der keine Wirkung messbar ist, und eine Kon-
Offene Prüfung der Wirksamkeit und rela-
8 tiven Ungefährlichkeit an einigen selektio-
zentration, mit der ein maximaler Wirkeffekt erzielt
wird. Viele Psychopharmaka sind nicht stimulierend,
nierten Patienten durch klinischen Pharma- sondern inhibierend wirksam. Auch dieser Zusam-
9 kologen und/oder Facharzt, Hinweise auf menhang unterliegt einer Sättigungsfunktion. Bei
therapeutische Wirksamkeit, Dosisbereich, der mathematischen Beschreibung der Konzentra-
Pharmakokinetische Daten und Metabolisie- tions- bzw. Dosiswirkungs-Beziehungen geht man
10 rung (20–100 Patienten). davon aus, dass das Medikament durch Aktivierung
5 Phase III oder Hemmung eines Rezeptors wirkt. Ein maximaler
11 Kontrollierte klinische Prüfung (bevorzugt
randomisiert, doppelblind) zum Nachweis
Effekt ist dann erreicht, wenn der Rezeptor zu 100%
mit dem Medikament beladen ist. Anfangs- und End-
der Wirksamkeit und Überprüfung der punkte der Konzentrations-Wirkungs-Kurven sind
12 Sicherheit an vielen Patienten mit gut defi- oft schwierig zu bestimmen. In der Praxis bewährt
nierten Einschluss- und Ausschlusskriterien haben sich als Kenngrößen für Medikamente, Kon-
durch Facharzt mit Erfahrung in klinischen
13 Prüfungen, (meist über 1000 Patienten).
zentrationen bzw. Dosen, bei denen 50% des maxi-
malen Effektes erzielt werden (EC50, ED50 IC50). Die-
se Größen kennzeichnen die Wirkstärke von Medika-
14 Wenn die Entwicklungsphasen erfolgreich abge- menten (s. unten »Definition«).
schlossen wurden, kann die Zulassung bei der Behör- Bei Kindern und Jugendlichen kann nicht davon
15 de beantragt werden.
Ein Medikament wird dann zugelassen, wenn
ausgegangen werden, dass ähnliche Dosierung wie
im Erwachsenenalter zu ähnlichen Wirkungen füh-
5 das Einsatzgebiet oder der Wirkmechanismus ren. Deshalb müssen entwicklungsabhängige physio-
16 neu sind, wenn logische und psychopathologischen Besonderheiten
5 eine verbesserte Wirksamkeit im Vergleich zur berücksichtigt werden (7 Kap. 2; Schulz u. Fleischha-
Standardbehandlung nachgewiesen wurde, wenn ker 2005).
17 5 eine bessere Verträglichkeit gezeigt wurde, z. B.
weniger Nebenwirkungen oder wenn
18 5 eine neue Darreichungsform entwickelt wurde.

Nach der Markteinführung ist die Erforschung eines


19 Medikaments noch nicht abgeschlossen. Es folgt die
Phase IV, in der die Patienten nach den zugelassenen
20 Indikationen behandelt werden. Es werden seltene
Nebenwirkungen entdeckt und Erfahrungen in Lang-
zeitstudien gesammelt, oder es werden Nachweise über
1.1 · Pharmaka
7 1

Definition Definition

Die pharmakologische Wirkung eines Pharmakons Die toxische Wirkung eines Pharmakons hängt ab
hängt ab von der Konzentration am Wirkort. Die von der Konzentration am Wirkort. Die Konzentra-
Konzentration am Wirkort ist proportional mit der tion am Wirkort ist proportional mit der Dosis. Es
Dosis. Es gibt charakteristische Kenngrößen, die gibt charakteristische Kenngrößen, die die Wirk-
die Wirkstärke eines Medikaments beschreiben: stärke eines Medikaments beschreiben:
5 EC50: Konzentration des Wirkstoffs, mit der 5 LD50: Dosis des Wirkstoffs, bei der 50% der
50% des maximalen Effektes erzielt wird. behandelten Tiere sterben.
5 IC50: Konzentration des Wirkstoffs, mit der 5 Therapeutische Breite: Quotient von
der Effekt um 50% gehemmt wird. LD50/ED50.
5 ED50: Dosis, mit der 50% des maximalen 5 Therapeutischer Index: Quotient von LD5/
Effektes erreicht wird. ED95, d. h. das Verhältnis der Dosis, bei der
5% der Versuchstiere sterben zur Dosis, bei
der 95% des therapeutischen Effektes erzielt
Therapeutische Breite werden.
Jeder Stoff, der mit dem Organismus Mensch in
Wechselwirkung steht und von therapeutischem Nut-
zen ist, kann auch schädigend, also toxisch, wirken. Als Kenngrößen, die die Sicherheit eines Wirkstoffs
Dies ist seit langer Zeit bekannt und wurde durch beschreiben, haben sich die Größen therapeutische
den Arzt und Philosophen Theophrastus Bomba- Breite und therapeutischer Index bewährt, Quotienten,
stus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493– die aus Kenngrößen zur therapeutischen Wirkstärke
1541), formuliert in dem Satz: »Alle Ding’ sind Gift und zur toxischen Wirkung gebildet werden (s. oben
und nicht ohn’ Gift; allein die Dosis macht, dass ein »Definition«). Bei modernen Arzneistoffen wird ein
Ding kein Gift ist.« Entsprechend ist sogar das lebens- therapeutischer Index von mindestens 1000 ange-
notwendige Wasser bei Überdosierung toxisch, weil strebt.
es zu Elektrolytentgleisungen führt. Daher müssen
bei der Anwendung eines Medikaments immer auch Toleranzbildung
die unerwünschten und toxischen Effekte beschrie- 5 Bei wiederholter Einnahme eines Medikaments
ben werden. Toxische Wirkungen gehorchen wie die kann es durch adaptive Veränderungen zu einer
therapeutischen einer Sättigungsfunktion. Für Medi- Abschwächung der Wirkstärke kommen. Um
kamente wird angestrebt, dass toxische Wirkungen wieder den gleichen Effekt zu erzielen wie zuvor,
möglichst bei deutlich höheren Konzentrationen auf- muss die Dosis gesteigert werden. Dieses Phä-
treten als therapeutische. Eine in der Entwicklung von nomen wird als Entwicklung einer Toleranz
Medikamenten seit langem etablierte Methode ist die bezeichnet. Sie ist reversibel und kehrt nach
Bestimmung der Letaldosis (LD). Die mittlere Dosis, Absetzen des Medikaments wieder auf die Aus-
bei der 50% der Tiere nach einer Behandlung sterben, gangswirkstärke zurück. Toleranz kann durch
ist die sog. LD50. unterschiedliche Mechanismen zu Stande kom-
men. In einem Fall wird durch eine verstärkte
Synthese des inaktivierenden Enzyms (Enzymin-
duktion) der Abbau des Wirkstoffs beschleunigt.
Es steht dann für die Wirkung pro Zeiteinheit
weniger Substanz zur Verfügung. Diese Art von
Toleranz wird als pharmakokinetische Toleranz
bezeichnet. Sie besteht z. B. für das Antikonvulsi-
vum Carbamazepin, eine Substanz, die auch für
die Behandlung bipolarer Störungen eingesetzt
wird (7 Kap. 29). Es ist daher 2–3 Wochen nach
Ersteinstellung auf Carbamazepin notwendig,
die Dosis heraufzusetzen. Die Entwicklung einer
pharmakokinetischen Toleranz kann sich auch
auf die Wirkung anderer Medikamente auswir-
ken, wenn diese vom induzierten Enzym abge-
8 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen

baut werden. So kann z. B. durch Einnahme von Wichtig


1 Johanniskraut durch den Inhaltsstoff Hyperforin
ein Enzym der Cytochrom-P450 (CYP)-Fami- Um ein bestmögliches Therapieansprechen zu er-
lie induziert werden und den Abbau des Immun- reichen und das Risiko des Auftretens von Neben-
2 suppressivums Cyclosporin A induzieren. Es gibt wirkungen möglichst gering zu halten, sind vor
Berichte von organtransplantierten Patienten, bei Beginn der Behandlung mit einem Psychophar-
3 denen es durch die Kombination mit Johannis-
kraut zu Abstoßungsreaktionen kam. Von einer
makon folgende Einzelheiten zu beachten:
5 Diagnosestellung;
pharmakodynamischen Toleranz spricht man, 5 Schweregrad der Erkrankung;
4 wenn der Rezeptor, über den das Medikament 5 Dauer der Erkrankung;
wirkt, herunterreguliert wird und damit unemp- 5 Medikamentöse Vorbehandlungen;
findlicher reagiert. Dieser Effekt wird v. a. dann 5 Besonderheiten, die sich auf die Pharma-
5 beobachtet, wenn das Medikament stimulierend, kokinetik auswirken, z. B. eingeschränkte
also agonistisch wirkt. Pharmakodynamische Nierenfunktion oder hohes Alter;
6 Toleranz ist ausgeprägt bei Einnahme von Opioi- 5 Besonderheiten, die sich auf die Pharma-
den, wie Morphin oder Heroin. Sie ist auch mög- kodynamik auswirken, z. B. Begleiterkran-
lich beim Einsatz von Benzodiazepinen. Bei the- kungen oder hohes Alter;
7 rapeutischem Einsatz von Benzodiazepinen zur 5 Suchtanamnese;
Anxiolyse entwickelt sie sich in der Regel nicht. 5 Wirkprofil des Psychopharmakons;
8 Entsprechend ist keine Dosissteigerung notwen-
dig (7 Kap. 8). Bei hypnotischer oder muskelrela-
5 Nebenwirkungen und Kontraindikationen
des Psychopharmakons;
xierender Wirkung ist eher eine Dosissteigerung 5 mögliche Wechselwirkungen des Psycho-
9 bei wiederholter Gabe notwendig. Gegenüber pharmakons mit anderen Medikamenten;
Antidepressiva oder Antipsychotika entwickelt 5 Aufklärung und Information des Pati-
sich keine pharmakodynamische Toleranz.
10 enten über Dosis, Wirkung und mögliche
Nebenwirkungen, bei Bedarf Hinweis auf
Wechselwirkung mit anderen Medikamenten
11 1.1.4 Therapeutischer Einsatz von einschließlich Alkohol oder anderen Stoffen.
Pharmaka
12 Die Behandlung mit einem Pharmakon nennt man Wenn eine Indikation für eine Behandlung mit einem
Pharmakotherapie, die mit einem Psychopharma- Psychopharmakon besteht, dann ist es das Ziel der
13 kon entsprechend Psychopharmakotherapie. Es ist zu Behandlung für den Patienten den bestmöglichen
unterscheiden zwischen Funktionszustand – möglichst eine Remission – zu
5 Akuttherapie, erreichen. Ob letzteres erreichbar ist, hängt von der
14 5 Erhaltungstherapie, Erkrankung und den individuellen Gegebenheiten des
5 Langzeittherapie/Rezidivprophylaxe. Patienten ab. Bei einem Patienten mit einer Demenz
15 Akuttherapie
bei einer Alzheimer-Krankheit ist mit den derzeitig
verfügbaren Medikamenten selten mehr als eine Sta-
Eine Akuttherapie hat das Ziel, bestehende Krank- bilisierung oder Verlangsamung des Verlaufs zu errei-
16 heitssymptome zu heilen oder zu lindern. Eine Aku- chen, während bei einem Patienten mit einer Depres-
tbehandlung mit einem Psychopharmakon setzt sion eine vollständige Remission möglich ist. Bei den
voraus, dass eine Indikation besteht. Die Psychophar- meisten psychiatrischen Erkrankungen, so bei der
17 makotherapie ist Teil eines Gesamtbehandlungsplans, Behandlung depressiver oder schizophrener Erkran-
der auch andere Therapieformen einschließt, wie kungen, tritt eine klinisch relevante Besserung erst
18 Gespräche, Psychotherapie oder sozialpsychiatrische mit einer Verzögerung von Wochen bis Monaten ein.
und physikalische Maßnahmen (Benkert u. Hippius Es kommt oft vor, dass eine geplante medikamen-
2007). töse Behandlung nicht oder unzureichend wirksam
19 ist und eine Änderung der Behandlung erforderlich
ist (. Abb. 1.1). Daher ist es wichtig, den Verlauf der
20 Behandlungen klinisch regelmäßig zu überprüfen. Bei
der Behandlung depressiver (Szegedi et al. 2003) und
schizophrener (Leucht et al. 2007) Patienten wurde
1.1 · Pharmaka
9 1

. Abb. 1.1. Schematische Darstellung des Ver-


Patient, krank laufs einer Psychopharmakotherapie. Ziel der
Behandlung ist das Erreichen einer Remission.
Vorgeschichte Wenn eine Remission nicht erzielt werden kann,
Diagnose ist die Einstellung des bestmöglichen Funktions-
Symptome zustands das Behandlungsziel. Nach Feststellung
der Diagnose und des Schweregrads der Erkran-
Auswahl des Medikamentes und der Dosierung kung und ihrer Vorgeschichte mit früheren Behand-
lungen (Medikation und Ansprechen bzw. Nichtan-
Klinische Symptome sprechen) werden die Medikation und die Zieldosis
Änderung der Dosierung, festgelegt. Die Besserung wird durch regelmäßige
Wechsel der Medikation klinische Kontrollen überwacht. Bei fehlender oder
Besserung, unzureichender Besserung wird eine Änderung
Response Klinische Symptome der Dosierung oder Wechsel der Medikation vor-
genommen. Oftmals ist die Behandlung mit einem
Besserung, Medikament nicht ausreichend
Response

Patient, remittiert

in den vergangen Jahren festgestellt, dass das spätere In Phasen der Erhaltungs- und Langzeitthera-
Ansprechen oder Nichtansprechen schon zu einem pie ist eine regelmäßige klinische Überwachung der
relativ frühen Zeitpunkt, nämlich 2 Wochen nach Pharmakotherapie notwendig, um das Risiko des Auf-
Therapiebeginn durch eine frühere Besserung vorher- tretens von Rückfällen zu verringern. Die ärztliche
gesagt werden kann. Daher ist für diese Patienten eine Überwachung beinhaltet auch regelmäßige Kontrol-
objektive Symptomerfassung sinnvoll und offenbar len von Laborparametern (Benkert u. Hippius 2007)
auch eine frühere Anpassung der medikamentösen und ggf. auch die Messung von Medikamentenspie-
Therapie als bisher üblich. geln im Blut (Hiemke et al. 2005), bei Lithium insbe-
sondere aus Gründen der Sicherheit. Bei anderen Psy-
Erhaltungstherapie und Langzeittherapie/ chopharmaka ist eine Blutspiegeluntersuchung wäh-
Rezidivprophylaxe rend der Erhaltungstherapiephase angezeigt, wenn
Psychiatrische Erkrankungen erfordern oft eine Thera- eine Symptomverschlechterung beobachtet wird. Die
pie über Monate, oft auch Jahre (z. B. 7 Abschn. 15.4). Wirksamkeit einer antipsychotischen oder antide-
Während durch die Erhaltungstherapie in den ersten pressiven Behandlung lässt in der Regel nicht nach,
4–6 Monaten versucht wird, das Wiederauftreten der weil die Medikamente nicht mehr wirken, also eine
Symptome durch fortgesetzte medikamentöse Thera- pharmakodynamische Toleranz eintritt, sondern weil
pie zu verhindern, soll die Langzeittherapie bzw. die die Medikamente nicht mehr eingenommen werden.
Rezidivprophylaxe einen möglichst überdauernden, Daher sollten Patienten, die an einer Depression, Schi-
oft lebenslangen Schutz bieten. Das Ziel der Rezidiv- zophrenie oder bipolaren Störung leiden, nachdrück-
prophylaxe ist das Verhindern von neuen möglichen lich darin bestärkt werden, ihre Medikamente konti-
Phasen bei einer unipolaren oder bipolaren Depres- nuierlich einzunehmen.
sion oder bei einer in Schüben auftretenden Schizo-
phrenie. Mit Ausnahme einer Behandlung mit Lithi-
um sind die Dosen für die Erhaltungstherapien oft-
mals gleich hoch wie die bei der Akutbehandlung. In
der Langzeittherapie kann der Versuch einer minimal
effektiven Dosis versucht werden.
10 Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen

1.2 Checkliste
1
?
2 1. Was versteht man unter dem Begriff Arz-
neimittel?

3 2. Was versteht man unter einem Fertigarz-


neimittel?
3. Was bedeutet der Begriff »therapeutische
4 Breite«?
4. Welche Art von Untersuchung wird in der
Phase III angestellt?
5 5. Was versteht man unter pharmakokineti-
scher Toleranz?
6 6. Bei welchen Psychopharmaka besteht kein
Risiko der Entwicklung einer pharmakodyna-
mischen Toleranz?
7 7. Welche Aspekte müssen vor Einstellung auf
ein Psychopharmakon beachtet werden?
8 8. Warum ist bei vielen Patienten nach Anspre-
chen auf die Akuttherapie eine Weiter-
führung der medikamentösen Einstellung
9 notwendig?
9. Warum scheint es bei der Behandlung mit
einem Antidepressivum sinnvoll, den Verlauf
10 der Besserung in einer frühen Phase durch
objektive Symptomerfassung zu analysie-
11 ren?

12
13
14
15
16
17
18
19
20
2.1 ·
11 2

Pharmakokinetik, Pharmakodynamik
und Interaktionen

2.1 Pharmakokinetik und - dynamik im Zusammenspiel – 12

2.2 Pharmakokinetik – 13
2.2.1 Pharmakokinetische Phasen – 14

2.3 Pharmakodynamik – 16

2.4 Arzneimittelwechselwirkungen – 18

2.5 Therapeutisches Drug-Monitoring – 19

2.6 Checkliste – 20
12 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen

2.1 Pharmakokinetik und Durch Bindung an »Rezeptoren« entfalten sie ihre


1 - dynamik im Zusammenspiel Wirkungen, erwünschte ebenso wie unerwünschte.
Die Wirkungen werden in der Regel durch Abbau der
Medikamente (Metabolisierung) und anschließende
2 Definition
Ausscheidung (Exkretion) über die Niere oder die
Der Begriff der Pharmakokinetik umfasst die Galle beendet. Dieser als Pharmakokinetik bezeich-
3 Absorption, Distribution, Metabolisierung und nete Vorgang steht im Zusammenspiel mit der Phar-
makodynamik, der Wirkung von Pharmaka auf den
Exkretion von Pharmaka. Die Pharmakodynamik
beschreibt die Wirkungen der Pharmaka auf den Organismus. Um einen pharmakologischen Effekt
4 Organismus und deren Wirkmechanismen. Phar- zu erzielen, wird ein Medikament in der Regel nicht
makokinetik und Pharmakodynamik eines Medi- direkt an den Ort der Wirkung appliziert. In den mei-
sten Fällen wird es appliziert und erreicht dann über
5 kamentes können bei Patienten sehr variabel sein.
Ursache hierfür kann eine unterschiedliche gene- die Blutbahn den Wirkort (. Abb. 2.1). Welche Kon-
tische Ausstattung mit Arzneimittel abbauenden zentration ankommt, hängt von der Dosis, aber dar-
6 Enzymen oder mit unterschiedlichen Wirkrezep- über hinaus von den Gegebenheiten des Organismus
toren sein. Bei Kombination von Medikamenten ab. Das Medikament muss Barrieren überwinden,
kann es zu pharmakokinetischen oder pharma- den First-pass-Effekt in der Leber überstehen und im
7 kodynamischen Wechselwirkungen kommen, die Körper verteilt werden. Erst dann bindet es an seinen
beachtet werden müssen. Zielrezeptor und entfaltet seine Wirkungen. Die Bin-
8 dung an den Rezeptor ist nicht dauerhaft anhaltend.
Das Medikament löst sich wieder vom Rezeptor und
Die meisten Psychopharmaka werden oral verab- wird schließlich unverändert oder nach Biotransfor-
9 reicht. Nach der Einnahme werden sie vom Körper mation über die verfügbaren Wege ausgeschieden, im
aufgenommen (Absorption), über den Blutstrom ver- Wesentlichen über Niere und Galle.
teilt (Distribution) und gelangen so an ihren Wirkort.
10
11 Applikation

12 Absorption

Distribution
13 Akkumulation Metabolisierung

14 Rezeptor-Bindung
erwünschte und
unerwünschte
Wirkungen
15 Metabolisierung

16 Exkretion

17
. Abb. 2.1. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Ein (Akkumulation), z. B. in Gehirn oder Fettgewebe, und verzö-
18 Stoff tritt mit einem Individuum in Kontakt, indem er z. B.
geschluckt oder injiziert wird (Applikation). Wenn er geschluckt
gert wieder freigesetzt und verteilt. Pharmaka und ihre Meta-
boliten werden entweder unverändert oder nach Metabolisie-
wird, wird er im Magen-Darm-Trakt in die Blutbahn aufgenom- rung ausgeschieden (Exkretion). Metabolisierung und Exkre-
19 men (Absorption). Mit dem Blutstrom wird er verteilt (Distri-
bution) und gelangt dann entweder mit oder ohne chemische
tion zusammengenommen werden als Elimination bezeich-
net. Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion
Umwandlung (Metabolisierung) an seine Zielstruktur (Rezep- (ADME) sind die wesentlichen Prozesse der Pharmakokinetik,
20 torbindung). Über einen Rezeptor im weiteren Sinne entfaltet über die der Organismus auf den Fremdstoff wirkt. Prozesse,
das Pharmakon seine Wirkung unmittelbar oder zeitlich ver- über die der Stoff auf den Organismus wirkt, gehören zur Phar-
zögert. Manche Arzneimittel werden im Gewebe gespeichert makodynamik
2.2 · Pharmakokinetik
13 2

Pharmakokinetische Prozesse bestimmen wesent- Definition


lich Intensität und Dauer von pharmakodynamischen
Prozessen. Eine seltene aber häufig gefürchtete Ver- Die drei wichtigsten physiologischen Variablen,
änderung ist bei Dauermedikation die Entwicklung die den zeitabhängigen Verlauf der Arzneimittel-
einer Toleranz. Sie ist in der Praxis für Benzodiaze- konzentrationen im Blut bestimmen, sind
pine, Psychostimulanzien oder Opiate bedeutsam. Bei 5 Bioverfügbarkeit (F) Anteil des applizierten
Kombination von Medikamenten kann es zu pharma- Medikamentes, welcher den Wirkort erreicht.
kokinetischen oder pharmakodynamsichen Wechsel- 5 Verteilungsvolumen (V) Quotient der
wirkungen kommen, die beachtet werden müssen. Pharmakonkonzentration im Körper zur
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie muss auch Konzentration im Plasma.
der jeweilige Entwicklungsstand des Kindes bzw. Ado- 5 Clearance (CL) Blut- oder Plasmavolumen,
leszenten bei der Behandlung mit Psychopharmaka aus dem ein Pharmakon in einer definierten
berücksichtigt werden. Dabei werden entwicklungs- Zeit eliminiert wird.
abhängige physiologische und psychopathologische
Für die Praxis ist außerdem relevant:
Besonderheiten berücksichtigt. Sowohl die Pharma-
5 Eliminationshalbwertszeit (t1/2) Zeit, inner-
kokinetik als auch die Pharamkodynamik unterlie-
halb derer die Konzentration des Pharma-
gen von der Neonatalperiode, über das Kindesalter
kons im Plasma um die Hälfte abnimmt.
und die Pubertät hinweg bis hinein in die Adoleszenz,
bedeutenden Entwicklungsprozessen. Unter Zugrun-
delegen von Plasmaspiegelbestimmmungen ist für die
psychotropen Substanzen eine deutliche Altersabhän- Bioverfügbarkeit
gigkeit der auf die Medikamtendosis bezogenen Plas- Unter Bioverfügbarkeit (F) wird die Verfügbarkeit
makonzentrationen dokumentiert. Ursachen hier- eines Pharmakons für systemische Wirkungen ver-
für sind u. a. Veränderungen der Hormone, des auto- standen. Nach dieser Definition ist ein Pharmakon
nomen Nervensystems, der Fettmasse und der Pro- nach i.v.-Gabe zu 100% bioverfügbar. Aus dem Ver-
teinbindung. Zusätzlich bestehen noch alterstypische gleich der Flächen unter den Konzentrations-Zeit-
Veränderungen im ZNS, wie z. B. unterschiedliche Kurven nach intravenöser und extravasaler Gabe
Rezeptordichten und -affinitäten (Schulz u. Fleisch- errechnet sich die relative Bioverfügbarkeit. Für die
haker 2005). meisten Psychopharmaka liegt sie über 50%. Sie kann
jedoch nach oraler Einnahme bei der ersten Passage
durch die Leber individuell sehr unterschiedlich sein
2.2 Pharmakokinetik und durch enzymatischen Abbau erheblich einge-
schränkt werden, durch den sog. First-pass-Effekt. Bei
Die Pharmakokinetik beschreibt und erklärt insbe- eingeschränkter Leberfunktion oder im Alter kann
sondere den zeitlichen Konzentrationsverlauf der die Bioverfügbarkeit erhöht sein.
Medikamente und ihrer Metabolite in Flüssigkeiten
und Geweben des Körpers. Medikamente und so auch Verteilungsvolumen
Psychopharmaka werden vom Organismus in der Das Verteilungsvolumen (V) ist ein Maß für die Ver-
Regel als Fremdstoffe erkannt. Viele Mechanismen teilung der Plasmakonzentration (C) und der im
sorgen dafür, dass unser Körper mit diesen Fremd- Organismus vorhandenen Gesamtmenge (M) des
stoffen nicht oder nur wenig belastet wird. Psycho- Pharmakons:
pharmaka müssen nach meist oraler Einnahme im
V = M/C
Magen oder Darm freigesetzt werden (Liberation).
Während der Passage durch den Magen-Darm-Trakt Die meisten Psychopharmaka weisen wegen ihrer
werden sie aufgenommen (Absorption). In der Leber guten Fettlöslichkeit hohe Verteilungsvolumina auf.
werden sie chemisch modifiziert (Metabolismus) und Für Amitriptylin beträgt z. B. das Verteilungsvolumen
schließlich während der Verteilung im Körper (Dis- 15 l/kg. Daraus ist abzulesen, dass Amitriptylin bevor-
tribution) die Blut-Hirn-Schranke überwinden, um zugt im Gewebe gebunden wird. Aus dem Vertei-
im Gehirn wirksam zu werden, bevor sie dann wie- lungsvolumen kann allerdings nicht geschlossen wer-
der ausgeschieden werden (Exkretion). Absorption, den, wie hoch die Konzentrationen im Gehirn oder in
Distribution, Metabolisierung und Exkretion werden anderen Organen sind.
unter der Abkürzung ADME zusammengefasst.
14 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen

Clearance Tages zu hohe toxische oder zu niedrige unwirksame


1 Die Clearance ist ein Maß für die Fähigkeit des Orga- Konzentrationen eingestellt werden. Die Amplitude
nismus, ein Pharmakon zu eliminieren. Die Clearance ist abhängig von der Halbwertszeit und vom Vertei-
umfasst die Exkretionsleistung der Niere und andere lungsvolumen.
2 Prozesse, etwa die Metabolisierung in der Leber oder Die im Steady State zu erwartende mittlere Plas-
die Ausscheidung über die Galle. Die totale Clearance makonzentration (Css) eines Medikaments lässt sich
3 (CL) ist die Summe aus renaler Clearance (CLR) und
extrarenaler Clearance (CLNR) und lässt sich nach
aus den pharmakokinetischen Kenndaten Bioverfüg-
barkeit (F), Clearance (CL) sowie der Dosis (D) und
i.v.-Gabe einer Einzeldosis eines Medikaments durch dem Dosierungsintervall (τ) berechnen:
4 Messung der Plasmakonzentrationen nach folgender
Css = (F×D)/τ×1/CL
Beziehung ermitteln:
5 CL = M/AUC
Dabei ist M die in den systemischen Kreislauf 2.2.1 Pharmakokinetische Phasen
6 gelangte Menge des Pharmakons und AUC die Flä-
che unter der Konzentrations-Zeit-Kurve. In der Pra- Die meisten Psychopharmaka werden oral als Tablet-
xis wird die Clearance unter Einbeziehung der Biover- ten eingenommen. Bei dieser Darreichungsform kann
7 fügbarkeit (F) berechnet: die Freisetzung (Liberation) für die Pharmakokinetik
bedeutsam sein, während sie bei i.v.- oder i.m.-Gabe in
CL = F × Dosis/AUC
8 der Regel keine Rolle spielt, da das Medikament nach
der Verabreichung zu 100% verfügbar ist. Tabletten-
Eliminationshalbwertszeit formulierungen können den Verlauf der Konzentrati-
9 Die Eliminationshalbwertszeit (t1/2), auch terminale onen im Blut und, daraus resultierend, auch den Wirk-
oder dominierende Halbwertszeit genannt, gibt die eintritt und die Wirkdauer beeinflussen. Bei Darrei-
Zeit an, in der die Konzentration des Medikaments chung der Wirksubstanz als Lösung ist die orale Ver-
10 im Plasma um die Hälfte abgenommen hat. Die Eli- fügbarkeit rasch, da das Medikament vor der Resorp-
minationshalbwertszeit ergibt sich aus dem zeitlichen tion nicht gelöst werden muss.
11 Verlauf der Konzentration im Plasma nach Abschluss Es gibt auch retardierte Psychopharmakaprä-
einer Verteilungsphase aus der Eliminationskonstan- parate, z. B. von Clomipramin oder Venlafaxin, bei
te ke: denen durch galenische Zubereitung eine langsame
12 Freisetzung des Wirkstoffs erreicht wurde. Dies kann
ke = ln2/t1/2
bei Substanzen mit kurzer Halbwertszeit (<4 h) vor-
13 demnach ist: teilhaft sein; es muss dann weniger oft dosiert werden
als bei Gabe einer nichtretardierten Form.
t1/2 = ln2/ke = 0,693/ke
Eine weitere Möglichkeit, die Freisetzung eines
14 Medikaments zu verzögern und lange Zeit anhaltende,
Gleichgewichtszustand (Steady State) wirksame Konzentrationen im Blut aufzubauen, ist
15 Bei Kenntnis der pharmakokinetischen Kenngrößen
lässt sich der zeitliche Verlauf einer Medikamenten-
die Verwendung von chemisch gebundenen Depot-
präparaten (z. B. Haloperidol- oder Fluphenazindeka-
konzentration im Blut berechnen. Ist der therapeu- noat). Bei diesen Depotpräparaten sind Antipsychoti-
16 tische Bereich bekannt, so lassen sich daraus die für ka mit Dekansäure oder anderen langkettigen Fettsäu-
eine Wirkung notwendige Dosis und die Wirkdau- ren über eine obligate Hydroxygruppe verestert. Nach
er ermitteln. Dies ist für eine Einmalgabe möglich. Gabe des Depots wird die Esterbindung enzyma-
17 Noch wichtiger als Berechnungen nach Einmaldosen tisch gespalten. Dadurch wird eine über 1–4 Wochen
sind in der Psychiatrie pharmakokinetische Berech- anhaltende Wirkung erreicht. Depotformen, die als
18 nungen für wiederholte Dosierungen, da die meisten Erhaltungstherapie oder für die Rezidivprophylaxe in
Psychopharmaka über lange Zeiträume verabreicht der Psychopharmakotherapie sehr sinnvoll sein kön-
werden. Nach etwa 5 Halbwertszeiten eines Medika- nen, dürfen aber nur angewandt werden, wenn vorher
19 ments wird ein Gleichgewichtszustand (Steady State) die Verträglichkeit und Wirksamkeit der oralen The-
erreicht. Auch in dieser Phase sind die Konzentra- rapie gesichert wurden.
20 tionen im Blut nicht konstant, sondern mehr oder
weniger fluktuierend. Fluktuationen können für den
Patienten problematisch sein, wenn im Verlauf des
2.2 · Pharmakokinetik
15 2
Absorption Psychotrope Medikamente, die eine geeignete funk-
Die erste pharmakokinetische Phase im engeren Sinne tionelle Gruppe für eine Konjugationsreaktion besit-
ist die Absorption. Bei einem oral eingenommenen zen, gehen in der Regel ohne Umweg über eine Phase-
Psychopharmakon ist dies die enterale Resorption. I-Reaktion in eine Phase-II-Reaktion, so z. B. Oxaze-
Diese hängt ab von der Molekülgröße und von physi- pam oder Lorazepam durch O-Glucuronidierung.
kochemischen Eigenschaften des Pharmakons, insbe- Eine besonders wichtige Phase der Metabolisie-
sondere Ionisierbarkeit und Fettlöslichkeit. Die mei- rung ist die bereits erwähnte erste Passage durch die
sten Psychopharmaka passieren die Magen-Darm- Leber, der sog. First-pass-Effekt. Über den Pfortader-
Wand und müssen dabei, ebenso wie bei der spä- kreislauf fluten aus dem Darm hohe Konzentrationen
teren Wanderung zum Erfolgsorgan, viele biologische der Medikamente an. Wenn das Medikament über
Membranen überwinden. Enzyme abgebaut wird, die in der Leber in großer
Menge vorhanden sind, kann dies zu einer sehr effek-
Distribution tiven Elimination und damit einer geringen syste-
Nachdem Psychopharmaka in die systemische Zir- mischen Bioverfügbarkeit führen.
kulation gelangt sind, werden sie mit dem Blutstrom Am Abbau von Psychopharmaka sind zahlreiche
im Körper verteilt. Im Blut werden die meisten Psy- Enzyme beteiligt:
chopharmaka nicht frei, sondern an Proteine gebun- 5 Enzyme der Cytochrom-P450-Familie,
den transportiert. Das Gehirn ist gut durchblutet, 5 Aldehydoxidasen,
und ein dichtes Netzwerk feinster Kapillaren sorgt 5 Alkoholdehydrogenasen,
für einen raschen Stoffaustausch zwischen Blut- und 5 Epoxidhydrolasen,
Hirnmilieu (Graff u. Pollack 2004). Die meisten Psy- 5 Esterasen,
chopharmaka sind lipophil, daher gelangen sie rasch 5 Flavinmonooxygenasen oder Monooxygenasen
in ihr Zielgewebe, wahrscheinlich über passive Dif- bei Phase-I-Reaktionen und
fusion. Der Übertritt in das Zentralnervensystem ist 5 UDP-Glucuronyltransferasen, Sulfotransferasen
allerdings erschwert, da das Gehirn durch sehr effek- oder Katechol-O-Methyltransferase bei Phase-II-
tive Barrieren – die Blut-Hirn-Schranke und die Blut- Reaktionen.
Liquor-Schranke – vor dem Eindringen von Fremd-
stoffen geschützt ist. Von besonderer Relevanz für den Metabolismus von
Psychopharmaka sind Isoenzyme von Cytochrom-P450
Metabolisierung (CYP), die insgesamt eine große Familie von Enzy-
Bis auf wenige Ausnahmen, z. B. Lithium oder Ami- men darstellen (Ingelman-Sundberg 2004). Mittler-
sulprid, die im Wesentlichen unverändert über die weile sind mehr als 1000 verschiedene Gene im Tier-
Niere ausgeschieden werden, werden die meisten und Pflanzenreich bekannt, die für distinkte CYP-Iso-
Psychopharmaka umfangreich metabolisiert. Dabei enzyme kodieren. Der Mensch besitzt 39 funktionelle
werden Phase-I- und Phase-II-Reaktionen durch- Isoenzyme (Nelson et al. 2004). Die Enzyme der CYP-
laufen. Wichtigster Ort der Metabolisierung ist die Familie sind nicht nur für den Ab- und Umbau von
Leber. Fremdstoffen, sondern auch für die Verwertung und
In Phase-I werden die meist lipophilen Psycho- den Metabolismus von fettlöslichen physiologischen
pharmaka chemisch »funktionalisiert«, indem z. B. Substraten verantwortlich. Die einzelnen Isoenzyme
eine Hydroxylgruppe eingeführt oder eine Sauerstoff- werden CYP-Familien (arabische Ziffern) und -Unter-
gruppe freigesetzt wird. In der Leber können auch familien (großer Buchstabe) zugeordnet. Am Abbau
Metabolite entstehen, die pharmakologisch aktiv sind. von Psychopharmaka sind im Wesentlichen die Iso-
Es gibt auch sog. Prodrugs, bei denen die Muttersub- enzyme CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19, CYP3A4,
stanz nur eine Vorstufe darstellt, die durch Metabo- CYP2D6 beteiligt. Sie werden zu 90–95% in der Leber
lisierung in der Leber aktiviert werden. So werden exprimiert. Das in der menschlichen Leber am stär-
aus dem pharmakologisch inaktiven Amitriptylin-N- ksten exprimierte Isoenzym ist CYP3A4. Es macht
Oxid die aktiven Metabolite Amitriptylin und Nortri- im Durchschnitt 30% der CYP-Isoenzyme aus. Die
ptylin. Expression der einzelnen CYP-Isoenzyme kann inter-
Durch Phase-I-Reaktionen werden Psychophar- und intraindividuell stark variieren. Dies hängt einer-
maka in der Regel hydrophiler, sind aber oft noch seits von der genetischen Ausstattung (Genotyp) des
nicht nierengängig und damit ausscheidbar. Phase-I- Patienten ab (Kirchheiner et al. 2005), variiert aber
Reaktionen sind häufig die Vorbereitung für Phase-II- auch in Abhängigkeit von Alter, Lebensgewohnheiten,
Reaktionen, bei denen Moleküle konjugiert werden. Erkrankung, Medikation oder anderen Faktoren. Rau-
16 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen

cher können z. B. eine höhere CYP1A2-Aktivität in on sind in der Regel Transportproteine beteiligt, über
1 der Leber aufweisen als Nichtraucher. die die Psychopharmaka bzw. ihre Metabolite unter
Die meisten Psychopharmaka werden von mehr Energieverbrauch entsorgt werden. Psychopharma-
als einem Isoenzym abgebaut, denn CYP-Enzyme ka, die mit Glucuronsäure konjugiert sind, werden im
2 besitzen eine breite und überlappende Substratspezi- proximalen Tubulus unter Energieverbrauch ausge-
fität, und die Rolle der einzelnen Isoenzyme kann mit schleust.
3 der Konzentration variieren. Es gibt allerdings auch
Medikamente, die so gut wie ausschließlich über ein
einziges Isoenzym abgebaut werden, z. B. Nortripty- 2.3 Pharmakodynamik
4 lin über CYP2D6.
Pharmakodynamik umfasst Wirkungen und Wirkme-
Wichtig chanismen von Medikamenten auf den Organismus.
5 Das Konzept geht auf Überlegungen von Paul Ehr-
Alle Psychopharmaka, die Substrate von CYP-Iso- lich und John Newport Langley zurück. Es geht davon
6 enzymen sind, sind auch mögliche Inhibitoren die-
ser Enzyme und können so pharmakokinetische
aus, dass jedes Medikament an einen Rezeptor bin-
den muss, um zu wirken. Pharmakarezeptoren in die-
Arzneimittelwechselwirkungen verursachen. Eini- sem Sinne können unterschiedlichster funktioneller
7 ge neue Antidepressiva sind hochpotente Inhibi- Natur sein, z. B. Enzyme, Hormonrezeptoren, Neu-
toren von CYP-Enzymen. Fluvoxamin hemmt z. B. rotransmitterrezeptoren, Transportproteine, Ionen-
CYP1A2 und CYP2C19 und Fluoxetin und Paroxe-
8 tin hemmen CYP2D6. Diese Antidepressiva sind
kanäle oder DNA. Die meisten Psychopharmaka grei-
fen direkt oder indirekt in die Neurotransmission ein,
daher bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer im Wesentlichen in die neuro-neuronale Übertragung
9 Medikamente vorsichtig einzusetzen. (. Abb. 2.2).
Psychopharmaka modulieren somit die Signalü-
Alle Enzyme, die an der Metabolisierung von Psycho- bertragung innerhalb der Synapse durch Aktivierung
10 pharmaka oder anderen Fremdstoffen beteiligt sind, oder Hemmung, was zu unterschiedlichen Effekten
werden genetisch und epigenetisch reguliert. Da die führt (. Tab. 2.1).
11 Umwelt sehr variabel ist, ist es nicht erstaunlich, dass
sich im Verlauf der Evolution viele fremdstoffmeta- Rezeptorbindung
bolisierende Enzyme entwickelt haben und eine hohe Nach dem Konzept, dass jedes Medikament über einen
12 genetische Variabilität in der Ausstattung der Leber Rezeptor wirkt, unterscheidet man zwei Arten von
mit diesen Enzymen vorliegt (Evans u. Relling 1999). Wirkungen: eine stimulierende und eine hemmende.
13 Genetische Unterschiede sind daher eine Ursache für Dabei wird eine Substanz als stimulierend angese-
die hohe interindividuelle Variabilität, die sich für hen, wenn sie die Wirkung des endogenen Liganden
Plasmakonzentrationen verschiedener Patienten bei imitiert und als inhibitorisch, wenn sie die Wirkung
14 gleicher Dosis findet, und letztendlich auch ein Grund hemmt. Substanzen, die die Rezeptorfunktion aktivie-
für die Heterogenität im Ansprechen auf Psychophar- ren, werden als Agonisten bezeichnet. Eine Substanz,
15 maka oder andere Medikamente. Kommen genetische
Varianten in einer Häufigkeit von mindestens 1% in
welche am Rezeptor die Bindungsstelle für den endo-
genen Transmitter blockiert, aber selbst keine Aktivie-
der Population vor, so spricht man definitionsgemäß rung auslöst, ist ein Antagonist, genauer ein kompeti-
16 von einem genetischen Polymorphismus. Als klinisch tiver Antagonist.
relevant wird er für ein Medikament dann angesehen, Die Wirkstärke von Agonisten und Antagonisten
wenn mindestens 30% der Dosis durch das betreffen- ist abhängig von der Bindung an den Rezeptor. Eine
17 de Enzym metabolisiert werden (Griese et al. 1998). Kennzahl, die dies umschreibt, ist die Affinität des
Pharmakons zum Rezeptor, die Gleichgewichtsdisso-
18 Exkretion ziationskonstante KD. Sie kann experimentell durch
Die Ausscheidung oder Exkretion umfasst alle Pro- Bindungsstudien mit radioaktiv markierten Liganden
zesse, durch die Fremdstoffe und ihre Metabolite nach einfach ermittelt werden kann. Der Wert von KD ent-
19 außen befördert werden. Ausscheidungsorgane sind spricht der Konzentration, die notwendig ist, um die
die Niere, die Leber im Verbund mit der Galle, die Hälfte der Rezeptoren mit dem Pharmakon zu beset-
20 Lunge, die Haut und der Speichel. Für mehr als 90% zen. Die Dimension ist mol/l. Wirksame Psycho-
der Psychopharmaka stellt die Niere das Hauptexkre- pharmaka haben KD-Werte im Bereich von wenigen
tionsorgan dar. An der renalen und biliären Exkreti- nmol/ l.
2.3 · Pharmakodynamik
17 2

NT-Metaboliten

NT
Postsynaptisches
Präsynaptisches NT Neuron
Neuron 3
NT
1
2 NT

. Abb. 2.2. Schematische Darstellung einer Kontaktstelle wichtigste Inaktiverungsmechanismus. Ein weiterer Inaktivie-
zwischen einem präsynaptischen und postsynaptischen Neu- rungsmechanismus ist enzymatischer Abbau durch z. B. Mono-
ron. Solche Kontaktstellen (Synapsen) im Gehirn sind der wich- aminoxidase in der äußeren Mitochondrienmembran (4). Viele
tigste Angriffsort von Psychopharmaka. Im präsynaptischen Antidepressiva wirken durch Hemmung der Wiederaufnahme
Neuron wird Neurotransmitter (NT) gebildet und vesikulär (3) oder durch Hemmung des NT-Abbaus (4), Antipsychotika
gespeichert. Nach Reizung des Neurons wird der NT in den durch Hemmung von post- und präsynaptischen Rezeptoren
synaptischen Spalt freigesetzt. Der NT bindet an postsynap- (1 und 2), anxiolytisch oder hypnotisch wirksame Benzodia-
tische (1) und präsynaptische (2) Rezeptoren, letztere (2) wer- zepine fördern die Aktivierung postsynaptischer Rezeptoren
den auch Autorezeptoren genannt. Der NT wird durch Trans- durch den inhibitorischen Neurotransmitter Gammaamino-
porter (3) unter Verbrauch von Energie wieder in das präsynap- buttersäure (GABA), Lithium wahrscheinlich durch Angriff von
tische Neuron aufgenommen. Dies ist für die meisten NT der Signalkaskaden, die Rezeptoren nachgeschaltet (1) sind

Definition makawirkungen wird über metabotrope Rezeptoren


vermittelt, die auch G-Protein-gekoppelte-Rezep-
Agonist: Substanz, die an einen Rezeptor bindet toren genannt werden. G-Proteine sind Bestandteile
und diesen stimuliert. einer den Rezeptoren nachgeschalteten Signalkaska-
Antagonist: Substanz, die an einen Rezeptor bin- de. Durch Aktivierung von G-Proteinen kommt es in
det, ohne diesen zu stimulieren, die jedoch die der Zelle zu einer Veränderung des Stoffwechsels mit
Stimulation durch einen Agonisten hemmt. An- oder Abschalten von verschiedenen Effektorsy-
Intrinsische Aktivität: stimulierende Wirkung stemen, z. B. der Bildung von zyklischem Adenosin-
eines Agonisten. monophosphat (cAMP).

Irreversible Wirkungen
Rezeptor-Signal-Transduktion Normalerweise ist die Bindung eines Medikamentes
Es gibt zwei große Klassen von Neurotransmitter- an seinen Rezeptor reversibel. Die Wirkung lässt nach,
Rezeptoren, ionotrope Rezeptoren und metabotro- indem das Pharmakon vom Rezeptor dissoziiert. Es
pe Rezeptoren. Zu den ionotropen Rezeptoren, auch gibt jedoch Wirkstoffe, die mit ihrem »Rezeptor« eine
Ionenkanal-gekoppelte-Rezeptoren genannt, mit psy- kovalente Bindung eingehen und diesen damit in sei-
chopharmakologischer Relevanz gehören GABAA- ner Funktion lahm legen. Meist handelt es sich dabei
Rezeptoren, über die Benzodiazepine wirken, oder um Giftstoffe. Ein Pschopharmakon mit einem sol-
Acetylcholin-Rezeptoren. Sie bilden einen Ionenka- chen Wirkprinzip ist der Monoaminoxidasehemmer
nal, der bei Aktivierung durch einen Agonisten geöff- Tranylcypromin. Es bindet im aktiven Zentrum des
net wird, bei GABAA-Rezeptoren führt der vermehr- Enzyms und inaktiviert damit das Enzym. Die mess-
te Einstrom von Chlorid-Ionen zu einer Hyperpola- bare Hemmwirkung lässt erst nach, indem neues
risation der Zelle und damit zu einer Hemmung der Enzym gebildet wird.
Reizweiterleitung. Die Mehrzahl der Psychophar-
18 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen

. Tab. 2.1. Beispielhafte Zielstrukturen von Psychopharmaka und deren Wirkung


1
Zielstrukturen Medikament und pharmakologischer Klinische Effekte
Effekt in der Synapse
2 Enzyme

3 Acetylcholinesterase Donepezil (Antidementivum) wirkt hem-


mend; Anstieg der Konzentration des Neu-
Gesteigerte Vigilanz
NW: Schwindel, Übelkeit, Erbrechen,
rotransmitters Acetylcholin Diarrhö, Tremor, Schlaflosigkeit, Verwirrt-
4 heit, Delir, Muskelkrämpfe

Monoaminoxidase Tranylcypromin (Antidepressivum); Anstieg Langfristig depressionslösend


5 der Konzentrationen der Monoamine Nor-
adrenalin, Serotonin und ggf. Dopamin
NW: Kurzfristig Übelkeit, Schlafstörungen

6 Transporter

Dopamin-Transporter Cocain (Suchtmittel) wirkt hemmend; An- Gesteigerte Aufmerksamkeit, Euphorie


stieg der Konzentrationen von Dopamin NW: Schlaflosigkeit, Appetitminderung
7
Noradrenalin- Reboxetin (Antidepressivum) wirkt hem- Langfristig depressionslösend
Transporter mend; Anstieg der Konzentration von Nor- NW: Kurzfristig Tremor, Unruhe, Kopf-
8 adrenalin schmerzen, Miktionsstörungen, Schwin-
del, Schwitzen

9 Serotonin-Trans- Fluoxetin (Antidepressivum) wirkt hem- Langfristig depressionslösend


porter mend; Anstieg der Konzentration von NW: Kurzfristig Appetitminderung, Übel-
Serotonin keit, Diarrhö, Kopfschmerzen, Schlaf-
10 störungen, Unruhe, Schwitzen, sexuelle
Funktionsstörung

11 Rezeptoren

Dopamin-Rezeptoren Haloperidol (Antipsychotikum) wirkt hem- Antipsychotische Wirkung


12 mend; blockiert die Rezeptorstimulation NW: Extrapyramidal-motorische Stö-
rungen, Prolaktinanstieg, antiemetisch,
sexuelle Funktionsstörungen, Störungen
13 der Thermoregulation, neuroleptisches
Syndrom

14 GABAA-Rezeptoren Diazepam (Anxiolytikum); wirkt funktio- Stimulation wirkt angstlösend, schlaf-


nell agonistisch auf den GABA-induzierten induzierend, muskelrelaxierend
Chlorid-Ionenstrom NW: Dysarthrie, Ataxie, Apathie, Schwäche
15 Unerwünschte Effekte treten in Abhängigkeit von der Dosis und von der individuellen Disposition in unterschiedlicher Häufigkeit auf.
NW Nebenwirkungen
16
17 2.4 Arzneimittel- Die meisten pharmakokinetischen Interaktionen von
wechselwirkungen Psychopharmaka betreffen nach derzeitiger Kennt-
nis die Metabolisierung in der Leber. Enzyme der
18 Wenn sich die Wirkung eines Medikaments durch Biotransformation werden gehemmt oder induziert.
die Zugabe eines zweiten Medikaments ändert, liegt Dadurch steigen oder fallen die Wirkspiegel des Medi-
eine Wechselwirkung vor. Diese kann pharmakodyna- kaments ab. Wenn das Medikament einen engen the-
19 mischer oder pharmakokinetischer Natur sein (Jeffer- rapeutischen Bereich hat und die Hemm- oder Induk-
son 1998). tionseffekte ausgeprägt sind, kann es bei therapeutisch
20 Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind in üblichen Dosen zu einer Intoxikation oder zum Wirk-
allen Phasen möglich, während der Resorption, der verlust kommen. Pharmakokinetische Arzneimittel-
Verteilung, der Metabolisierung und der Exkretion. wechselwirkungen sind in der Psychopharmakothera-
2.5 · Therapeutisches Drug-Monitoring
19 2

pie relevant. Es gibt eine Reihe von Psychopharmaka, kation sehr unterschiedlich. Daher ist bei der Einstel-
die Enzyme der Biotransformation hemmen. Von den lung eines Patienten auf ein Psychopharmakon nicht
6 auf dem Markt befindlichen selektiven Serotoninwie- sicher vorhersagbar, welche Medikamentenkonzen-
deraufnahmehemmern (SSRI) sind 3 potente Hemm- trationen aufgebaut werden. Bei der medikamentösen
stoffe von CYP-Enzymen: Fluoxetin und Paroxetin Behandlung von Patienten mit psychischen Erkran-
hemmen CYP2D6, Fluvoxamin hemmt CYP1A2 und kungen sind deshalb und auch wegen pharmakody-
CYP2C19. Weil es viele Patienten gibt, die auf eine namischer Varianzen Dosiskorrekturen oder Medika-
Monotherapie nicht ansprechen, sind Kombinations- mentenwechsel an der Tagesordnung; auch die unsi-
behandlungen in der Praxis der Psychopharmakothe- chere Compliance ist ein Problem bei der Pharma-
rapie nicht zu vermeiden. Um bei einer vorgesehenen kotherapie dieser Patienten. Diese Varianzen und die
Medikamentenkombination abzuschätzen, ob mit pharmakokinetische Variabilität können durch Mes-
Wechselwirkungen zu rechnen ist, sind mehrere Fak- sung der Medikamentenkonzentrationen in Blutplas-
toren zu beachten. ma oder -serum kontrolliert und korrigiert werden.
Blutspiegelmessungen, sog. therapeutisches Drug-
Monitoring (TDM), sind die praktische Anwendung
Wesentliche Faktoren, die bei Medikamen- von pharmakokinetischen Kenntnissen für die Thera-
tenkombinationen zu beachten sind pieoptimierung (Baumann et al. 2004; Hiemke et al.
5 Metabolisierende Enzyme und deren quanti- 2005; Jaquenout Sirot et al. 2006). Die Aufgabe von
tative Bedeutung für den Abbau TDM ist es herauszufinden, ob für die Therapie eines
5 Substrateigenschaften an den arzneimittel- individuellen Patienten eine wahrscheinlich wirksame
metabolisierenden Enzymen Dosis gewählt wurde. Dabei sind die angestrebten
5 Hemmeigenschaften an den arzneimittelab- Blutspiegel (Synonyme: Plasmaspiegel, Serumspiegel,
bauenden Enzymen Plasmakonzentration oder Serumkonzentration) eine
5 Pharmakologische Eigenschaften der wesentliche Orientierungsgröße. Man geht davon aus,
Metabolite dass es für therapeutische und toxische Wirkungen
5 Substrat- und Hemmeigenschaften der jeweils eine minimal effektive Konzentration gibt. Der
Metabolite Bereich zwischen beiden Konzentrationen wird als
5 Therapeutische Breite der Medikamente und therapeutisches Fenster einer Substanz definiert.
ihrer Metabolite
5 Individuelle Gegebenheiten des Patienten
(z. B. Metabolisierer-Status) Typische Indikationen für TDM
5 Vermeidung von Intoxikationen (z. B.
Lithium)
Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind für den 5 Verdacht auf Nichteinnahme der verordne-
verordnenden Arzt kaum überschaubar. Sie unterlie- ten Medikamente
gen einer Systematik, die sich an Substrat- und Hemm- 5 Kein oder ungenügendes Ansprechen bei
eigenschaften arzneimittelabbauender Enzyme orien- klinisch üblicher Dosis
tiert und nicht an pharmakologischen Wirkmechanis- 5 Ausgeprägte Nebenwirkungen bei klinisch
men. Um die Vorhersage von Wechselwirkungen zu üblicher Dosis
erleichtern, sind Computerprogramme hilfreich. Über 5 Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen
das Internet verfügbar sind z. B. die Programme Psi- 5 Kombinationsbehandlung mit einem
acOnline (http://www.psiac.de), Kompendium-online Medikament mit bekanntem pharmakokine-
(http://www.psychiatrische-pharmakotherapie.de) tischem Interaktionspotenzial
oder MediQ (http://www.mediq.ch). 5 Rezidiv unter Erhaltungsdosis
5 Bekannte pharmakogenetische Besonder-
heiten
2.5 Therapeutisches Drug- 5 Kinder und Jugendliche
Monitoring 5 Alterspatienten über 65 Jahre

Resorption, Metabolisierung, Verteilung oder Exkre-


tion von Psychopharmaka ist zwischen verschie-
denen Patienten in Abhängigkeit von Faktoren wie
Alter, Lebensgewohnheiten, Erkrankung oder Medi-
20 Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen

1 Fazit

Medikamente werden in der Regel oral verabreicht. Bevor


2 sie wirken können, müssen sie absorbiert und verteilt
werden. Im Körper werden sie chemisch umgewandelt,
3 bevorzugt in der Leber, und wieder ausgeschieden, meist
über die Niere oder Galle. Die Pharmakokinetik beschreibt
den zeitlichen Verlauf der Medikamente im Körper.
4 Wichtige pharmakokinetische Kenngrößen, die bei
verschiedenen Medikamenten sehr unterschiedlich sein
können und auch von Patient zu Patient variieren, sind die
5 Bioverfügbarkeit, die Clearance, das Verteilungsvolumen
und die Eliminationshalbwertszeit. Die Pharmakodyna-
6 mik beschreibt die Wirkung und Wirkmechanismen der
Medikamente. Die Kenntnis pharmakokinetischer und
-dynamischer Eigenschaften der Medikamente ist eine
7 wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung.

8
2.6 Checkliste
9
?
10 1. Welches sind die wesentlichen Phasen der
Pharmakokinetik?
11 2. Was versteht man unter dem pharmakoki-
netischen Begriff Elimination?
3. Was beschreibt der Begriff Verteilungsvolu-
12 men?
4. Welche Enzyme sind mit Blick auf die Metab-
13 olisierung von Psychopharmaka besonders
relevant?
5. Welches Enzym wird durch Rauchen induzi-
14 ert?
6. Welche Psychopharmaka hemmen das CYP-
15 Isoenzym 2D6
7. Welche beiden Typen von Neurotransmitter-
rezeptoren gibt es?
16 8. Wie wirkt Tranylcypromin?
9. Was besagt das Rezeptor-Konzept von
Ehrlich und Langley?
17 10. Welche Gründe gibt es, Plasmaspiegel-
konzentrationen bei Gabe eines Psychophar-
18 makons zu messen?

19
20
3.1 ·
21 3

Arzneimittelinformation

3.1 Information und Aufklärung – 22


3.1.1 Informationen für Therapeuten – 22
3.1.2 Informationen für Patienten und Angehörige – 22

3.2 Informationsquellen – 22
3.2.1 Wissenschaftlich überwachte Information – 22
3.2.2 Primärliteratur – 23
3.2.3 Sekundärliteratur – 23
3.2.4 Tertiärliteratur – 23
3.2.5 Institutionell überwachte Information – 23
3.2.6 Datenbankgestützte Information – 25

3.3 Bewertung von Informationen und


evidenzbasierter Medizin – 26

3.4 Neue Informationen – 27


3.4.1 Neu beobachtete nützliche Wirkungen – 27
3.4.2 Neu beobachtete unerwünschte Wirkungen – 27

3.5 Checkliste – 28
22 Kapitel 3 · Arzneimittelinformation

3.1 Information und Aufklärung enten durch die Informationen im Beipackzettel ver-
1 unsichert werden, wenn sie die Informationen nicht
Definition ausreichend verstehen. Die Aufklärung des Patienten
muss dokumentiert werden, z.B. durch einen Vermerk
2 Für eine erfolgreiche Pharmakotherapie ist eine in der Krankenakte.
valide und zuverlässige Information äußerst wich- Die ausführliche Aufklärung gilt ganz beson-
3 tig: Für Therapeuten, um nach dem neusten Stand ders für Medikamente die »off-label« verordnet wer-
den, d.h. es besteht keine Zulassung des Medikaments
behandeln zu können und für Patienten, um um-
fassend über Wirkungsweise und Risiken infor- für die geplante Indikation. Ein Beispiel ist der Ein-
4 miert zu sein. Wichtige Informationsquellen sind satz von selektiven Serotoninrückaufnahmehemmern
hierbei der Beipackzettel, Fachliteratur sowie das (SSRI) bei der Behandlung von depressiven Syndro-
men bei kinder- und jugendpsychiatrischen Erkran-
5 Internet mit zahlreichen Datenbanken, wie z. B.
Cochrane Library, PubMed u. a. kungen. Dies entspricht einem sog. individuellen
Heilversuch. 70% der im Kindes- und Jugendalter ein-
6 gesetzten Arzneimittel sind für eine solche Anwen-
dung nicht geprüft oder zugelassen. In der Kinder-
3.1.1 Informationen für Therapeuten und Jugendpsychiatrie müssen der Patient und die
7 Bezugspersonen (Eltern, Lehrer) aufgeklärt werden.
Erfahrene Therapeuten wenden bevorzugt Medika- Darüber hinaus wird sich der Patient über die
8 mente an, mit denen sie eigene Erfahrungen erwor-
ben haben. Das betrifft therapeutisch erwünschte
verordneten Medikamente in der Apotheke oder aus
anderen Quellen informieren. Dazu zählt auch das
Eigenschaften ebenso wie unerwünschte Arzneimit- Internet. Es ist hilfreich, wenn der Therapeut Hinwei-
9 telwirkungen und Wechselwirkungen. Neue Erkennt- se auf gute Information geben kann, und er sollte die
nisse mit den alten Wirkstoffen, die Einführung neu- Formulierungen und Inhalte des Beipackzettels ken-
er Medikamente und Nichtansprechen der Patienten nen.
10 machen es notwendig, dass auch der erfahrene The-
rapeut sich stetig neu informieren muss. Es ist für den
11 praktisch tätigen Therapeuten dabei von Bedeutung, 3.2 Informationsquellen
wie mit der Fülle angebotener Information umzuge-
hen ist, um eine Therapie nach dem aktuellen Stand 3.2.1 Wissenschaftlich überwachte
12 des Wissens anzuwenden. Information

13 Wenn für ein Medikament eine Zulassung zur


3.1.2 Informationen für Patienten und Behandlung einer Erkrankung beantragt wird, dann
Angehörige sind vom Hersteller umfangreiche präklinische und
14 klinische Daten erhoben worden, die der Behörde mit
Vor Beginn einer medikamentösen Therapie muss den Zulassungsunterlagen vorgelegt werden (Kohnen
15 der Patient, und wenn erforderlich auch die Angehö-
rigen, über die Notwendigkeit der Anwendung des
u. Beneš 2008). Die wesentlichen Inhalte werden in
der Investigator-Broschüre zusammengefasst, die in
Arzneimittels und auch über die damit verbundenen der Regel auch nach der Zulassung nicht allgemein
16 Risiken aufgeklärt werden. Dies beinhaltet die Infor- zugänglich ist. Nach der Zulassung werden die auf 4–
mation über die Dosis und die erwarteten therapeu- 10 Seiten kondensierten präklinischen und klinischen
tischen Effekte, aber auch unerwünschte Wirkungen. Eigenschaften international in den Summary of Pro-
17 Der Patient soll verstehen, warum eine medikamen- duct Characteristics (SPC) und national in den Fach-
töse Behandlung für ihn sinnvoll ist. Er muss auch informationen zusammengestellt. Diese Informati-
18 über mögliche unerwünschte Wirkungen aufgeklärt onen sind allgemein zugänglich, und in ihnen findet
werden. Dies muss umso ausführlicher sein, je risiko- der Anwender auch die wesentlichen pharmakolo-
reicher das Medikament ist. Ein Hinweis auf den Bei- gischen Eigenschaften der Arzneimittel beschrieben.
19 packzettel ist nicht ausreichend und nach Rechtspre- Viele Untersuchungen aus der Medikamententwick-
chung auch nicht das Unterzeichnen eines standardi- lung werden als Originalarbeiten (s. unten) publiziert,
20 sierten Aufklärungsbogens. Es muss eine mündliche sowohl vor als auch nach der Zulassung. Nach der
Aufklärung durch den Therapeuten stattfinden. Dabei Zulassung entstehen durch Folgeuntersuchungen, oft
sollte vom Therapeuten bedacht werden, dass Pati- unabhängig vom Hersteller, neue Erkenntnisse. Viele
3.2 · Informationsquellen
23 3

Wechselwirkungen von Medikamenten sind z. B. erst 3.2.4 Tertiärliteratur


nach der Zulassung entdeckt worden oder man findet
Hinweise auf neue Indikationen. Lehrbücher, Standard- und Nachschlagewerke sind
Grundsätzlich wird unabhängig davon, wie die Tertiärliteratur. Bei ihrer Abfassung wird der Stand
Information technisch aufbereitet wurde (gedruckt des Wissens aus Originalarbeiten und Review-Arti-
oder elektronisch), zwischen Primär-, Sekundär und keln kompakt und systematisch aufgearbeitet. In der
Tertiärliteratur unterschieden. seriösen Tertiärliteratur werden gesicherte Erkennt-
nisse dargestellt. Die Tertiärliteratur ist eine Quelle
zur Basisinformation. In Lehrbüchern der allgemei-
3.2.2 Primärliteratur nen Pharmakologie werden grundlegende Prinzipien
erklärt, bezogen auf die Physiologie bzw. Pathophy-
Primärliteratur umfasst die Veröffentlichungen der siologie der Organe, wie Medikamente wirken. In der
Originalarbeiten von Forschungsergebnissen in Jour- Regel wird hier nach Wirkstoffgruppen systematisiert.
nalen. Hier werden Untersuchungen und Studien vor- Damit kann ein Grundverständnis über Wirkungen
gestellt, in denen die Wirkmechanismen bestimmter und Nebenwirkungen von Medikamenten erworben
Medikamente aufgezeigt und deren klinische Wirk- werden, vor allem für Studierende. Spezielle Lehr-
samkeit sowie die erwünschten und unerwünschte bücher differenzieren fachspezifisch und gehen auf
Wirkungen beschrieben werden. Es wird unterschie- Besonderheiten von Einzelmedikamenten ein, in der
den nach Journalen mit und ohne Gutachtersystem. Psychopharmakotherapie z. B. das Kompendium der
Als Informationsquelle sollten unbedingt solche mit Psychiatrischen Pharmakotherapie (Benkert u. Hippi-
Gutachtersystem bevorzugt werden, da die Begut- us 2007). Sie informieren in erster Linie den verord-
achtung erreichen soll, dass für die Untersuchungen nenden Arzt in der Weiterbildung oder den Facharzt.
geeignete Methoden verwendet wurden und dass die
Ergebnisse korrekt ausgewertet und kritisch beurteilt
wurden. 3.2.5 Institutionell überwachte
Information

3.2.3 Sekundärliteratur Beipackzettel


Der sog. Beipackzettel ist eine Gebrauchsinformation,
Sekundärliteratur fasst Originalarbeiten themenbezo- die gesetzlich vorgeschrieben ist. Er muss jeder Medi-
gen zusammen, in sog. Review-Artikeln oder Mono- kamentenpackung beiliegen, meist als gefaltetes Blatt.
graphien. Sie werden üblicher Weise von langjährig Der Beipackzettel ist für den Patienten eine wesent-
erfahrenen Experten verfasst, die in der Lage sind, die liche Informationsquelle; er soll für den bestimmungs-
Originalliteratur zu lesen und durch eigene Erfahrung gemäßen Gebrauch des Präparates sorgen. Gesetzlich
zu bewerten. Auch bei Review-Artikeln sind solche vorgegeben müssen bestimmte Angaben enthalten
aus Journalen zu bevorzugen, die von Expertenkol- sein (. Tab. 3.1).
legen begutachtet wurden. Dies mindert die Gefahr, Nach Befragungen von Patienten werden die
dass in einem zusammenfassenden Artikel ein Inhalt Informationen der Beipackzettel oft nicht verstan-
falsch, einseitig oder unzureichend dargestellt wird. den. Dies kann zu Verunsicherung führen und sogar
Review-Artikel stellen in der Regel den Stand des Wis- zur Nichtanwendung des Arzneimittels. Daher ist die
sens über ein bestimmtes Gebiet dar. Aufklärung des Patienten über das Medikament durch
Zur Sekundärliteratur gehören auch Kurzberichte, den Behandler unbedingt notwendig. Ein einfacher
die über wichtige einzelne Originalarbeiten referie- Hinweis auf den Beipackzettel ist keine ausreichende
ren und/oder diese kommentieren. Beispiele für sol- Aufklärung des Patienten. Er muss über Dosis, mög-
che Literaturquellen im deutschen Sprachraum sind liche Unverträglichkeit und Nebenwirkungen ins Bild
der Arzneimittelbrief, das Arznei-Telegramm oder Mit- gesetzt werden. Je gefährlicher ein Medikament ist,
teilungen der Arzneimittelkommission der Deutschen umso ausführlicher muss die Aufklärung sein.
Ärzteschaft. Kurzmitteilungen werden von Experten
verfasst, die regelmäßig die wissenschaftliche Lite- Rote Liste
ratur sichten und daraus besonders wichtig erschei- Vom Bundesverband der Pharmazeutischen Indus-
nende Artikel auswählen und auf die Inhalte aufmerk- trie wird gemeinsam mit dem Verband Forschender
sam machen. Arzneimittelhersteller, dem Bundesfachverband der
Arzneimittelhersteller und vom Deutschen Generi-
24 Kapitel 3 · Arzneimittelinformation

. Tab. 3.1. Inhaltsangaben des Beipackzettels


1
Anwendungsgebiet Patient erfährt, bei welchen Krankheiten das Medikament angewandt
werden darf
2 Gegenanzeigen Patient erfährt, bei welchen Bedingungen das Medikament nicht angewandt
werden darf, z. B. in der Schwangerschaft
3 Vorsichtsmaßnahmen/Warnhinweise Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen, wenn etwa die Fahrtüchtigkeit
oder das Bedienen von Maschinen eingeschränkt sind
4 Wechselwirkungen mit anderen Hier werden die möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
Mitteln beschrieben und evtl. Warnhinweise gegeben
5 Dosierung, Art und Dauer der Anweisungen zu Dosierung, Einnahmezeitpunkt und -dauer des Präparats
Anwendung

6 Nebenwirkungen Hier wird nach festgelegtem Schema auf die Häufigkeit des Auftretens von
Nebenwirkungen hingewiesen:
»Sehr häufig«: bei mehr als 10% der Behandelten,
7 »häufig«: mehr als 1%,
»gelegentlich«: mehr als 0,1%,

8 »selten«: mehr als 0,01% und


»sehr selten«: weniger als 0,01%

9
kaverband die Rote Liste herausgegeben. Sie erscheint 5 Wechselwirkungen
10 jährlich und ist das wesentliche Verzeichnis der in 5 Überdosierung
Deutschland erhältlichen Fertigarzneimittel. Die 5 Intoxikationen
11 Medikamente mit etwa 1500 Wirkstoffen werden lexi-
kalisch nach 88 Indikations- und Wirkstoffgruppen Zusätzlich findet man Angaben über verfügbare
geordnet aufgelistet. Die Rote Liste enthält ein Ver- Packungsgrößen, Preise und Lagerungshinweise,
12 zeichnis der Fertigarzneimittel, alphabetisch geord- Gegenanzeigen sowie Anwendungsbeschränkungen.
net nach Präparatenamen und ein Verzeichnis der Neben- und Wechselwirkungen werden noch einmal
13 Wirkstoffe, alphabetisch geordnet nach den gebräuch- systematisch in einem Sonderteil abgehandelt. Seit
lichen Kurzbezeichungen. In Letzterer findet man für einigen Jahren ist die Rote Liste auch als CD erhält-
die arzneilich wirksamen Stoffe die Eliminationshalb- lich und über das Internet einsehbar. Für Ärzte und
14 wertszeiten angegeben, die sich in der Regel auf leber- Apotheker ist über DocCheck ein kostenfreier Zugang
und nierengesunde Erwachsene beziehen. Des Wei- möglich.
15 teren wird in der Präparateliste angegeben, ob eine
Substanz durch Hämolyse oder Hämoperfusion eli- Fachinformation
miniert werden kann; eine Information, die bei einer Nach § 11 des Arzneimittelgesetztes werden von den
16 Intoxikation von Bedeutung ist. Am umfangreichsten pharmazeutischen Unternehmern über deren Arznei-
und wichtigsten ist in der Roten Liste der Präpara- mittel Fachinformationen (Summary of Product Cha-
teteil. Er enthält kurzgefasste Informationen zu fol- racteristics, SPC) erstellt. Auf 2–6 Seiten wird, mit
17 genden Themen: ähnlicher Gliederung wie in der Rote Liste und im
5 Zusammensetzung der Fertigarzneimittel Beipackzettel, über Anwendungsgebiete, Nebenwir-
18 5 Anwendungsgebiete kungen, Wechselwirkungen, Warnhinweise, Inkom-
5 Dosierung patibilitäten, Dosierung, Notfallmaßnahmen, Phar-
5 Gegenanzeigen makologie des Arzneimittels informiert. Das für die
19 5 Warnhinweise Erstellung verwendete wissenschaftliche Material ent-
5 Anwendungsbeschränkungen stammt in der Regel aus eigenen Studien, die für die
20 5 Anwendungen in der Schwangerschaft und wäh- Zulassung durchgeführt wurden. Für die formale
rend der Stillzeit und inhaltliche Gestaltung liefert die Zulassungsbe-
5 Nebenwirkungen hörde Musterfachinformationen, in Deutschland das
3.2 · Informationsquellen
25 3

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro- zeit werden in erster Linie CD-ROM und Online-
dukte (BfArM). Durch Spontanerfassung von uner- Datenbanken als Medien genutzt, von denen Informa-
wünschten Arzneimittelwirkungen und -wechselwir- tion abgerufen werden. Wichtige Internetseiten sind
kungen (s. unten) kann es dazu kommen, dass neue in . Tab. 3.2 aufgelistet.
Informationen aufgenommen werden müssen, ent-
weder eigeninitiativ durch den Hersteller oder veran- PubMed
lasst durch die Zulassungsbehörde. Von wissenschaft- Zur schnellen Suche von Originalarbeiten stehen ver-
lichen Originalarbeiten unterscheiden sich die Fach- schiedene Datenbanken zur Verfügung, am wich-
informationen im Wesentlichen dadurch, dass die tigsten ist der PubMed-Service, ein weltweit frei
für die Erstellung der Inhalte verwendeten Daten in zugänglicher Service der National Library of Medi-
der Regel nicht dargestellt werden und keine Quellen cine in den USA (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ent-
angegeben werden. Die Richtigkeit der Angaben wird rez/). In dieser Datenbank findet man über 16 Mil-
allerdings durch die Zulassungsbehörde überwacht. lionen Zitierungen aus MEDLINE und anderen wis-
Darüber hinaus werden bei der Abfassung der Texte senschaftlichen Journalen. Sie reicht zurück bis in
auch rechtliche Aspekte berücksichtigt, um den Her- das Jahr 1950. Über PubMed sind auch Zugänge zu
steller haftungsrechtlich zu schützen. Fachinformati- Volltextversionen möglich. Wie weitgehend dies ist,
onen sind eine wesentliche Quelle für Arzneimittel- hängt davon ab, welche Zugänge freigeschaltet sind.
informationen. Die Angaben werden in Lehrbüchern, Für jedermann zugänglich sind in der Regel die sog.
d.h. in Sekundär- und Tertiärliteratur, übernommen. Abstracts, die die wesentlichen Ergebnisse der Origi-
Sie beeinflussen daher das Verschreibungs- und The- nalarbeit darstellen und diskutieren. Man sollte sich
rapieverhalten direkt und indirekt. allerdings auf die Schlussfolgerungen in den Abstracts
nicht blind verlassen, besonders dann, wenn Zahlen-
angaben fehlen. In Abstracts werden von den Autoren
3.2.6 Datenbankgestützte Information Positivbefunde mehr hervorgehoben als Negatgivbe-
funde. Daher ist das Abstract nicht mehr und nicht
Non-Printmedien umfassen alle Informationen, die weniger als eine erste Orientierung über den Inhalt
auf elektronischen Datenträgern abrufbar sind. Der- der Originalarbeit.

. Tab. 3.2. Internetadressen zum Abrufen von Arzneimittelinformationen

Datenbank Internetadressen

Für Experten

Datenbank für die Suche von Originalarbeiten und Review- http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez


Artikeln

Cochrane-Datenbank für die Bewertung von Therapien nach http://www.cochrane.de


den Kriterien der evidenzbasierten Medizin

Internetportal für medizinische Fachberufe in Europa http://www.doccheck.com/de/

Fachinformationen für Deutschland, einschließlich http://www.fachinfo.de/


EU-Zulassungen

Rote Liste, Verzeichnis von Fertigarzneimitteln in Deutschland http://www.rote-liste.de/

Internationale Fertigarzneimittel basierend auf der http://www.pharmavista.ch/content/default.aspx


ABDA-Datenbank

Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie für http://www.psychiatrische-pharmakotherapie.de/


deutschsprachige Länder

Für Patienten und Angehörige

Datenbank gebräuchlicher Fertigarzneimittel auf der Grund- http://www.netdoktor.de/


lage einschlägiger Fachliteratur
26 Kapitel 3 · Arzneimittelinformation

DIMDI Der aufwendigste Schritt dieser Folge ist die Suche


1 Nach § 67a des Arzneimittelgesetzes (AMG) hat das nach der besten Evidenz. Er erfordert eine kritische
Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation Sichtung der Literatur nach festgelegten Regeln
und Information (DIMDI) den Auftrag, ein zentrales (Sackett et al. 1999). Als Ergebnis der Auswertungen
2 datenbankgestütztes Informationssystem über Arz- wird die Qualität einer Maßnahme mit I bis III beur-
neimittel zu errichten. Unter http://www.dimdi.de/ teilt.
3 findet man amtliche Zulassungsinformationen und
umfassende Informationen zu Zusammensetzung,
I Evidenz aufgrund mindestens einer adäquat
randomisierten kontrollierten Studie
Dosierung, (Kontra-) Indikationen, Anwendung, II-1 Evidenz aufgrund einer kontrollierten nicht-
4 Neben- und Wechselwirkungen von Arzneistoffen randomisierten Studie mit adäquatem Design
und Fertigarzneimitteln im In- und Ausland. Außer- II-2 Evidenz aufgrund von Kohortenstudien oder
dem sind auch packungsbezogene und ökonomische Fall-Kontrollstudien mit adäquatem Design
5 Daten recherchierbar. Die Information entstammt aus II-3 Evidenz aufgrund von Vergleichsstudien, die
etwa 70 Datenbanken. Neben den speziellen Daten- Populationen in verschiedenen Zeitabschnit-
6 banken des Medizinprodukte-Informationssystems ten, an verschiedenen Orten mit oder ohne
findet man weitere Informationen zu Medizinpro- Intervention vergleichen
dukten in den medizinischen Literaturdatenbanken III Meinungen von respektierten Experten,
7 wie MEDLINE, EMBASE und SciSearch. Für seine Lei- gemäß klinischer Erfahrung, beschreibender
stung erhebt das DIMDI Gebühren. Heilberufler mit Studien oder Berichten von Experten
8 DocCheck-Passwort erhalten über dieses Infosystem
kostenfrei Arzneimittelinformationen. Ob eine medizinische Maßnahme für die Diagnose
oder Therapie einer Erkrankung zu empfehlen ist oder
9 nicht, wird mit A bis E klassifiziert
3.3 Bewertung von Informationen A Gute Evidenz, eine Maßnahme zu empfehlen
10 und evidenzbasierter Medizin B Ausreichende Evidenz, eine Maßnahme zu emp-
fehlen
Über die oben aufgeführten Informationsquellen C Ungenügende Evidenz, eine Maßnahme zu
11 gelangt man zu Veröffentlichungen von guter Quali- empfehlen oder nicht zu empfehlen. Aufgrund
tät. Dies wird erreicht durch Begutachtung der Publi- bestimmter Gegebenheiten kann eine Maßnahme
kationen durch Experten in wissenschaftlichen Ein- gerechtfertigt sein.
12 richtungen. Gesetzliche Regelungen haben dafür D Ausreichende Evidenz, eine Maßnahme nicht zu
gesorgt, dass klinische Studien seit 1991 in Europa empfehlen
13 nach den Richtlinien der sog. guten klinischen Pra- E Gute Evidenz, eine Maßnahme nicht zu empfeh-
xis (GCP) durchgeführt werden (Kohnen u. Beneš len
2008). In besonders aufwändiger Weise geschieht die
14 Sichtung der Qualität der wissenschaftlichen Literatur Mit dieser Vorgehensweise lässt sich auch die Daten-
nach den Regeln der sog. evidenzbasierten Medizin lage bezüglich der Anwendung von Psychopharma-
15 (EBM). EBM hat das Ziel, für die medizinische Ver-
sorgung eines einzelnen Patienten, die gegenwärtig
ka für die Behandlung eines individuellen Patienten
überprüfen.
beste Evidenz zu nutzen und angemessen einzusetzen
16 (Sackett et al. 1999). Das bedeutet, eine therapeutische Cochrane-Datenbank und evidenzbasierte
Maßnahme soll nach dem Stand des Wissens durch- Medizin
geführt werden, die in der wissenschaftlichen Litera- Es wurden in den letzten Jahren Institutionen und
17 tur formuliert ist. EBM verbindet so wissenschaftliche Arbeitsgruppen gebildet, die den medizinischen Nut-
und praktische Medizin. zen therapeutischer Verfahren nach dem aufwän-
18 Die Anwendung von evidenzbasierter Medizin digen Procedere der evidenzbasierten Medizin aus-
erfolgt in 4 Schritten: werten. Die bekannteste Einrichtung ist die Cochrane
1. Formulierung einer beantwortbaren klinischen Collaboration. Sie setzt sich zusammen aus Wissen-
19 Frage schaftlern und Ärzten. Nach systematischer und
2. Suche nach der besten Evidenz umfassender Suche wird die Literatur nach den oben
20 3. Kritische Bewertung der Evidenz genannten Kriterien bewertet und daraus Übersichts-
4. Praktische Anwendung der Information arbeiten erstellt, aktualisiert und verbreitet. Dafür
gibt es eine eigene Datenbank, The Cochrane Libra-
3.4 · Neue Informationen
27 3

ry (http://www.cochrane.de). Damit soll eine wissen- tionsgemäß um eine schwerwiegende UAW. Nach der
schaftlich fundierte Informationsgrundlage des aktu- Berufsordnung für Ärzte müssen UAW der Arznei-
ellen Standes der klinischen Forschung in kurzer mittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ)
Zeit verfügbar gemacht werden, um Entscheidungen gemeldet werden. In der Geschäftsstelle der AKdÄ
im Gesundheitssystem zu verbessern. Die Cochrane werden die eingehenden UAW-Berichte analysiert,
Library wird vierteljährlich veröffentlicht und ist als bewertet und in Zusammenarbeit mit dem Bundesin-
Online-Zugang oder als CD-ROM über den eng- stitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
lischen Verlag Wiley InterScience verfügbar. in eine Datenbank aufgenommen. Bei den Meldungen,
die auch im Verdachtsfall erfolgen sollte, wird insbe-
sondere überprüft, ob bei der Gabe eines Arzneimit-
3.4 Neue Informationen tels bisher nicht bekannte unerwünschte Arzneimit-
telwirkungen aufgetreten sind. Weisen die gewon-
Nach der Zulassung eines Medikamentes kann es vor- nenen Erkenntnisse auf die Möglichkeit von Arznei-
kommen, dass bis dahin nicht bekannte therapeutisch mittelrisiken hin, leitet die zuständige Bundesoberbe-
nützliche oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen hörde (BfArM) die ggf. erforderlichen Maßnahmen
(UAW) beobachtet werden. Auch diese Erkenntnisse auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes ein. Die-
finden Eingang in die Literatur, die wie oben beschrie- se können dann z. B. in Änderungen des Beipackzet-
ben abrufbar ist und bewertet wird. tels bestehen oder gar ein Verbot des Arzneimittels
zur Folge haben. Die AkdÄ teilt die UAW-Meldungen
aus der Ärzteschaft grundsätzlich nur den zustän-
3.4.1 Neu beobachtete nützliche digen Bundesoberbehörden mit. Die Daten aus der
Wirkungen gemeinsamen Datenbank von AkdÄ und BfArM sind
der allgemeinen Öffentlichkeit nicht zugänglich, weil
Bei Einsatz eines zugelassenen Arzneimittels kann deren Interpretation spezielle Kenntnisse und Erfah-
es vorkommen, dass beobachtet wird, dass mit dem rungen voraussetzt. Speziell für die Psychiatrie gibt es
Medikament eine Wirkung erzielt werden kann, die im deutschsprachigen Raum Pharmakovigilanzpro-
bei der klinischen Prüfung nicht beachtet worden ist. gramme (Grohmann et al. 2004; Haen 2004), die die
Dies kann zu einer Indikationserweiterung führen. So Sicherheit der Anwendung von Psychopharmaka ver-
wurde z. B. erkannt, dass Antikonvulsiva, die entwi- bessern sollen.
ckelt wurden, um Krampfanfälle zu verhindern, sta-
bilisierend auf phasische Krankheitsverläufe wirken,
etwa bei bipolaren affektiven Störungen. Diese neu- Fazit
en Erkenntnisse führen nicht automatisch zu einer
behördlich akzeptierten Indikationserweiterung eines Information über Arzneimittel, die für Therapeuten und
Präparates. Die neue Indikation muss beantragt und Patienten leicht und umfangreich verfügbar ist, ist ein
genehmigt werden. Bei individuellen Patienten, die wichtiger Bestandteil des Therapieerfolgs. Therapeuten
auf eine Standardbehandlung nicht oder nicht aus- und Patienten sollten wissen, warum eine medikamen-
reichend ansprechen, kann es sinnvoll sein, eine nur töse Behandlung notwendig ist, was damit erreicht wer-
durch Literatur belegte neue Behandlungsoption zu den kann und welche Risiken damit verbunden sind. Die
nutzen. Wenn so vorgegangen wird, ist es wichtig, dass Fülle der angebotenen Information macht es allerdings
der verordnende Therapeut die Literatur greifbar hat erforderlich, dass man nicht nur wissen muss, wo und wie
und beurteilen kann, ob eine berichtete neue Behand- man Kenntnisse erwirbt, sondern auch wie man zwischen
lungsoption zuverlässig erscheint oder nicht. guter und schlechter Qualität von Mitteilungen unter-
scheiden kann. Gesetzliche Vorgaben und Begutachtung
durch Experten sollen für gute Qualität sorgen, damit
3.4.2 Neu beobachtete unerwünschte Therapieentscheidungen und die vorher erforderliche
Wirkungen Aufklärung des Patienten auf wissenschaftlich fundierten
Erkenntnissen beruhen.
Häufiger als nützliche Wirkungen werden nach der
Zulassung eines Medikamentes unerwünschte Wir-
kungen neu entdeckt. Wenn sie eine stationäre
Behandlung erforderlich machen oder verlängern
oder gar zum Tode führen, dann handelt es sich defini-
28 Kapitel 3 · Arzneimittelinformation

3.5 Checkliste
1
?
2 1. Über welche Inhalte muss ein Therapeut
einen Patienten mindestens aufklären, wenn

3 2.
er ihm ein Medikament verschreibt?
Welches ist die Basis, auf der die Thera-
pieentscheidung gefällt werden soll und
4 nach der die Aufklärung des Patienten
erfolgen soll?
3. Was ist unter dem Begriff Primärliteratur zu
5 verstehen?
4. Welche Art von Originalarbeiten ist zu
6 bevorzugen, wenn man sich über pharma-
kologische Wirkungen eines Medikamentes
informieren will?
7 5. Was verbirgt sich unter der Abkürzung »SPC«
für ein Arzneimittel?
8 6. Welches wesentliche Ziel soll durch die
Cochrane-Datenbank für den Therapeuten
erreicht werden?
9 7. Wie kommt man ohne Verfügbarkeit einer
eigenen Bibliothek zu Zusammenfassungen
(Abstracts) von Originalarbeiten oder Übersi-
10 chtsartikeln (Reviews)?
8. Wie häufig ist mit einer Nebenwirkung zu
11 rechnen, wenn im Beipackzettel für den Pati-
enten steht, dass sie »gelegentlich« auftreten
kann?
12 9. Was ist zu tun, wenn bei einem Patienten
nach Einnahme eines verordneten neuen
13 Medikamentes ein Delir aufgetreten ist,
welches nach Angaben des Herstellers bisher
nicht erwartet worden war und der Patient
14 deshalb stationär aufgenommen werden
musste?
15
16
17
18
19
20
4.1 ·
29 4

Psychopharmaka und Psychotherapie

4.1 Einleitung – 30

4.2 Grundsätzliche Probleme – 30

4.3 Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale – 31

4.4 Schlussfolgerungen – 32

4.5 Checkliste – 33
30 Kapitel 4 · Psychopharmaka und Psychotherapie

4.1 Einleitung Wir sprechen daher heute von psychobiolo-


1 gischen oder neurobiologischen Konzepten, die zum
Auch heute noch wird das Verhältnis von Psycho- Verständnis der psychischen Störungen und deren
pharmakologie und Psychotherapie von Nichtwissen, Behandlung erforderlich sind und im Rahmen eines
2 Missverständnissen und Vorurteilen geprägt. Dies Gesamtbehandlungsplans auch Berücksichtigung fin-
liegt zum einen daran, dass Psychotherapeuten, ins- den sollten.
3 besondere die psychologischen Psychotherapeuten,
unzureichend in den Grundlagen, den Möglich-
Mehr und mehr Befunde zeigen, dass durch Psy-
chotherapie nicht nur das Erleben, also die subjektive
keiten und Wirkweisen der modernen Psychophar- Seite einer Störung oder das Denken und Verhalten
4 makotherapie ausgebildet sind. Zum anderen gibt es beeinflussbar sind, sondern eine erfolgreiche Psycho-
unverändert rein psychopharmakologisch orientierte therapie immer auch neurobiologische Prozesse (Neu-
Ärzte, die Möglichkeiten, Stärken, Effekte und Vorge- rotransmitter, Funktionen, Strukturen) verändert. Das
5 hensweisen der modernen Psychotherapie nicht zur ist inzwischen für Zwangsstörungen, Panikstörungen
Kenntnis nehmen. Häufig wird eine Konkurrenzsitu- oder auch Depressionen mittels bildgebender Verfah-
6 ation erlebt, die nicht dem Wohl der Patienten dient, ren nachgewiesen. Gleichzeitig wissen wir, dass eine
sondern eher dem Überlegenheitsnachweis der einen erfolgreiche Pharmakotherapie über die Regulation
oder anderen fachlichen Position. Es beharren manche von z. B. Rezeptorstrukturen in bestimmten Hirnare-
7 Fachvertreter auf einseitigen, rein biologischen oder alen darüber hinaus auch die Funktionsweise neuro-
rein psychologischen Störungsmodellen, die in den naler Systeme moduliert und damit auch das Erleben,
8 meisten Fällen verkürzt, falsch oder wissenschaftlich
überholt sind. Schließlich fehlen für viele Störungsbe-
Denken und Verhalten verändert. Psychotherapie und
Pharmakotherapie wirken zunächst auf unterschied-
reiche noch angemessene Studien, die über den Nut- liche Systeme ein, beeinflussen darüber dann weitere,
9 zen und die differenzielle Indikation der Psychothera- vermittelnde Prozesse, um letztlich zu demselben Ziel
pie bzw. der Pharmakotherapie oder der Kombination zu führen: die Störung zu beheben, zu lindern oder
beider Verfahren, Auskunft geben. durch Substitutionsprozesse ertragbar bzw. bewäl-
10 Psychische Krankheiten sind komplexe Stö- tigbar zu machen. Es verwundert daher nicht, wenn
rungen, die sich in den seltensten Fällen alleine auf in einer Studie (Mayberg et al. 2002) herausgefun-
11 biologische, z. B. genetische Ursachen oder alleine auf den wurde, dass erfolgreiche Pharmakotherapie und
lebensgeschichtliche, traumatische, zwischenmensch- in einigen Fällen auch Placebomedikation zu densel-
liche, also psychologische Ursachen, zurückführen las- ben neurobiologischen und psychologischen Verän-
12 sen. Wir wissen heute, dass z. B. eine Zwangsstörung, derungen führten oder in einer anderen Studie (Gold-
eine Panikstörung, eine Schizophrenie, eine Depres- apple et al. 2004) erste Hinweise geliefert wurden,
13 sion, eine Suchterkrankung oder eine Aufmerksam- dass kognitive Verhaltenstherapie und Antidepressi-
keits- und Hyperaktivitätsstörung durch multiple Fak- va zu vergleichbaren Effekten gelangten, dies jedoch
toren, die in komplexer Interaktion miteinander ste- – zumindest in einzelnen Abschnitten – auf unter-
14 hen, verursacht und in ihrem weiteren Verlauf geprägt schiedlichen neurobiologischen Wegen.
werden.
15 Dies soll an einem Beispiel gezeigt werden: Zur
Bedeutung des Serotoninrezeptors ist im Jahre 2003 4.2 Grundsätzliche Probleme
die wichtige Arbeit von Caspi et al. (2003) erschienen.
16 Sie legt empirische Daten zur Interaktion von Geno- Man hört immer wieder die Äußerung, dass die Ein-
typ, Umwelt (Stress) und Depression vor. Die Auto- nahme von Psychopharmaka negative Auswirkungen
ren konnten nachweisen, dass die Kurzform des Pro- auf die Kooperation und Veränderungsbereitschaft bei
17 motors des 5-HT-Transporter-Gens (s/s) für die ver- Patienten habe. Dies soll zum einen dadurch bedingt
änderte Stresssensivität verantwortlich ist. Indivi- sein, dass die Einnahme von Medikamenten sehr viel
18 duen mit diesen 2 kurzen Allelen (s/s) entwickelten schneller wirke, also zur raschen Symptomreduktion
im Gegensatz zu Individuen mit langen Allelen (l/l) führe und damit dem Patienten die Motivation zur
signifikant häufiger depressive Symptome auf meh- Psychotherapie nehmen könne. Zum anderen wür-
19 rere stressreiche Lebensereignisse. Es wird vermutet, de durch Medikamente eine passive Haltung bei Pati-
dass der l/l-Genotyp bessere Copingstrategien gegen enten gefördert werden, was sich langfristig auf die
20 Stressoren besitzt. Die Befunde sind im Kern mehr- Gesundung ungünstig auswirke. Diese Vermutungen
fach bestätigt (7 Kap. 15). stellen aber eher Vorurteile dar, denn die bislang vor-
liegenden Befunde zur Kombination von Pharmako-
4.3 · Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale
31 4

therapie und Psychotherapie bzw. zur anfänglichen ale und rasch einsetzende Wirkung der Medikamente
Pharmakotherapie und späteren Psychotherapie eine psychotherapeutische Behandlung überhaupt
widersprechen dieser Behauptung. Es muss zusätzlich erst ermöglicht: Oft ist bei schwer depressiven Pati-
hervorgehoben werden, dass die empirische Befund- enten, bei schweren Zwangsstörungen oder bei psy-
lage zu dieser Hypothese nicht stark ist und keine chotischen Symptomen der Zugang zu den Betrof-
abschließende Bewertung, und schon gar nicht für fenen nicht möglich. Erst der Wirkeintritt der Psycho-
alle Störungsbereiche bzw. alle Medikamentengrup- pharmaka schafft diese zentralen Voraussetzungen für
pen, erlaubt. eine Psychotherapie. Oft kommt eine Medikation dem
Psychotherapeuten befürchten oft, dass sich Pati- subjektiven Krankheitsverständnis der Patienten ent-
enten durch die Empfehlung zur Einnahme von Psy- gegen. Sie können sich als »richtig« (organisch) krank
chopharmaka abgewertet, abgeschoben oder unver- erleben, was im Verlauf jedoch die Möglichkeit eröff-
standen vorkommen und darüber hinaus ungünstige net, allmählich ein psychobiologisches Modell und
Auswirkungen auf die Therapeuten-Patienten-Bezie- damit auch den Wert von Lernen, Selbstkontrolle,
hung entstehen. Auch hier bestimmen eher Vorurteile also Psychotherapie, zu erarbeiten. Die Kombination
als reale Erfahrungen oder gar empirische Belege die aus Pharmakotherapie und Psychotherapie hat folg-
Diskussion. Tatsächlich fühlen sich Patienten durch lich einen synergistischen Effekt, der sich meist gün-
die offene Ansprache und die Erklärung des Nutzens stig auf den Therapieerfolg und den längerfristigen
eines Medikaments, z. B. parallel zu einer Psychothe- Therapieverlauf auswirkt.
rapie, ernst genommen und an Entscheidungsprozes- Bei einigen psychischen Störungen (z. B. bei chro-
sen beteiligt. Das therapeutische Arbeitsbündnis wird nischen Depressionen) hat sich die Kombination aus
eher gestärkt. Fragt man Patienten nach dem Grund Pharmakotherapie und Psychotherapie als eindeu-
einer erfolgreichen Kombinationsbehandlung aus tig besser herausgestellt als die jeweiligen Monothe-
Psycho- und Pharmakotherapie, dann führen sie in rapien. Zur Akzeptanz der Kombinationsbehand-
der Regel die Erfolge auf die Wirkung der Psychothe- lung bei Patienten und bei Therapeuten ist jedoch das
rapie, also auf ihre eigenen Anstrengungen zurück. Wissen über Psychopharmakotherapie und Psycho-
Befürchtungen des psychodynamisch orientierten therapie wesentlich. Durch die psychotherapeutische
Psychotherapeuten bezüglich des Einsatzes von Psy- Begleitung wird die Medikamentencompliance (z. B.
chopharmaka während einer Psychotherapie gehen bei schizophrenen oder bipolaren Patienten) verbes-
vor allem davon aus, dass Regressionsbedürfnisse sei- sert, was sich günstig auf den Verlauf und insgesamt
tens des Patienten gefördert werden und ungünstige auf den Therapieerfolg auswirkt. Schließlich besteht
Auswirkungen auf die Therapeuten-Patienten-Bezie- die berechtigte Vermutung, dass Misserfolge (sog.
hung (Medikament als »symbolischer Dritter«) ein- Non-Responder oder Teilremissionen) in der Psycho-
treten, Gegenübertragungen seitens des Therapeuten therapie durch ergänzende oder nachfolgende Psy-
(Patient ruhig stellen, aggressive Impulse) unerkannt chopharmakotherapie erfolgreich behandelt werden
vorliegen oder Reaktionsbildungen bei Patienten (soll können. Die empirische Befundlage hierzu ist jedoch
ruhig gestellt werden, Fremdkontrolle) hervorgerufen noch sehr schwach.
werden. Diese Befürchtungen entbehren der empi-
rischen Grundlage. Es sind Überlegungen, die aus den
theoretischen Konzepten dieser Therapieform resultie- 4.3 Klinische Kompetenzen und
ren, ohne mit klinischen oder gar empirischen Erfah- Grundmerkmale
rungen übereinzustimmen. Psychodynamisch orien-
tierte Psychotherapeuten sehen heute selbst, dass es an Die Kombination von Psychotherapie und Pharma-
der Zeit ist, sich von »antiseptischen analytischen Atti- kotherapie ist mehr als die simultane Anwendung
tüden, wie z. B. die Kur muss in der Abstinenz durch- von zwei Interventionsformen. Es gilt Interaktionen
geführt werden, frei zu machen« und zu einer ratio- zwischen beiden Behandlungen und die Integrati-
nalen, patientengerechten Abwägung verschiedenster on in einen problembezogenen und zielorientierten
Hilfsmöglichkeiten zu kommen. Ein guter Psychothe- Gesamtbehandlungsplan zu bedenken. Für den Psy-
rapeut sollte sich also von der »Entweder-oder«-Hal- chotherapeuten bzw. den Kinder- und Jugendpsycho-
tung zu einer »Sowohl-als-auch«-Haltung entwickeln therapeuten haben wir es immer mit einem »Dreiecks-
(Rüger 1979). verhältnis« von Patient (bzw. dessen Familie), Psycho-
Die Einnahme von Psychopharmaka hat inso- therapeuten und Pharmakotherapeuten zu tun. Dies
fern Vorteile, als insbesondere bei ausgeprägten Sym- erfordert die von Vertrauen geprägte offene Kommu-
ptomen und einer starken Beeinträchtigung die initi- nikation zwischen allen Beteiligten. Gerade bei Kin-
32 Kapitel 4 · Psychopharmaka und Psychotherapie

dern und Jugendlichen ist die Abstimmung der psy- lung, dann kann der Effekt durch parallele Medika-
1 chotherapeutischen und psychopharmakologischen tion u. U. geschmälert werden. Dies bezieht sich auf
Maßnahmen auf das jeweilige Alter bzw. den jewei- das Erregungsniveau, die Habituation, die kognitive
ligen Entwicklungsstand wichtig. Verarbeitung oder das Vermeidungsverhalten. Folg-
2 Vor dem Beginn einer Kombinationsbehandlung lich sind rechtzeitig vor Durchführung dieser Psycho-
sollte die Indikation sowohl zur Psychotherapie als therapie Absprachen mit Patienten und Psychophar-
3 auch zur Psychopharmakotherapie sowie deren Stel-
lenwert im Gesamtbehandlungsplan geprüft wer-
makotherapeuten zu treffen, um eine Reduktion der
bestehenden Medikation einzuleiten.
den. Zwischen den Beteiligten sollte ein Konsens über
4 die Notwendigkeit der Kombinationstherapie beste-
hen. Bei psychotischen Symptomen, Schizophrenien, 4.4 Schlussfolgerungen
schweren Depressionen, Manien und akuter Suizidali-
5 tät besteht absolute Indikation für eine Pharmakothe- Es ist ethisch bedenklich, wenn ein Psychotherapeut
rapie und die Psychotherapie hat adjuvanten Stellen- seinen Patienten Schaden zufügt, weil er gegen Medi-
6 wert. Bei einigen Angststörungen, leichteren Depres- kamente eingestellt ist, diese im Einzelfall vorenthält
sionen, somatoformen Störungen, Essstörungen oder oder gar gegen empirisch nachweisliche Evidenz die
der Entwöhnungstherapie bei Substanzabhängigkeiten Indikation für eine Pharmakotherapie nicht sieht. Es
7 (nicht bei der Entgiftung) ist die Psychotherapie vor- ist jedoch ebenso problematisch, Patienten, bei ent-
rangig und die Pharmakotherapie hat oft den Stellen- sprechender Indikation, psychotherapeutische Hilfen
8 wert eines additiven Verfahrens. Bei Störungen im
Kindes- und Jugendalter haben bei den meisten Stö-
nicht zukommen zu lassen und allein auf medikamen-
töse Therapie zu vertrauen. Im Einzelfall gilt es immer
rungen psychologische Maßnahmen unter Einbezug abzuwägen, welcher Nutzen bzw. Schaden mit einer
9 der Eltern Vorrang, doch ist bei schweren Störungen, therapeutischen Maßnahme (sei sie psychotherapeu-
z. B. den stark ausgeprägten Aufmerksamkeits- und tisch oder pharmakotherapeutisch) verbunden ist,
Hyperaktivitätsstörungen, heute die Kombination aus welchen subjektiven Motiven heraus ein Patient
10 aus Psychopharmakotherapie und Psychotherapie die eher eine Pharmakotherapie oder eher eine Psycho-
Regel. Zur detaillierteren Diskussion der Indikation therapie favorisiert. Im Zentrum einer jeden Thera-
11 von Psychopharmaka und der Kombination mit Psy- pie stehen das Gespräch und das professionelle, offene
chotherapie, vor allem auch die differenzielle Indika- und aufrichtige Verhältnis zwischen Therapeuten und
tion bei speziellen Patientengruppen bzw. schweren Patienten. In diesem Sinne muss es selbstverständlich
12 Störungsformen, verweisen wir auf die nachfolgenden werden, dass eine gute Psychopharmakotherapie von
Kapitel. einer zumindest unterstützenden, erklärenden, die
13 Ein Psychotherapeut muss folglich über Grundin- Probleme und Konflikte des Patienten verstehenden
formationen zu den verordneten Medikamenten ver- sowie bewältigenden Psychotherapie begleitet wird.
fügen. Diese wird ihm in diesem Leitfaden vermittelt. Dabei ist es sowohl bei der Pharmakotherapie als
14 Auch die Psychotherapeuten sollten in der Lage auch bei der Psychotherapie wichtig auf Hinweise zu
sein, die Patienten über die verordneten Medikamente achten, die eine Störung der Therapeuten-Patienten-
15 zu informieren, um sie dann in Detailfragen auf den
Psychopharmakotherapeuten zu verweisen. Meist hat
Beziehung signalisieren, z. B. dass Patienten zu wenig
kooperativ sind (verordnete Medikation nicht ein-
ein Psychotherapeut sehr viel regelmäßiger und häu- nehmen, ständig über neue aber unwahrscheinliche
16 figer Kontakt zu Patienten, als der Psychopharmako- Nebenwirkungen berichten, Termine versäumen, ver-
therapeut. Die Beobachtung von erwünschten und einbarte Verhaltensübungen oder andere »Hausaufga-
unerwünschten Wirkungen eines Medikaments ist ben« nicht durchführen) oder auf nicht offen gelegte
17 dadurch sehr viel eher möglich. Entsprechend sind Ziele orientiert sind (z. B. Berentung). Solche Pro-
regelmäßige Kontakte zwischen Psychotherapeuten bleme sind nicht durch die Verordnung immer neuer
18 und Pharmakotherapeuten notwendig, um Dosisan- Psychopharmka oder immer neue Vorschläge auf der
passungen, Korrekturen oder Ergänzungen rasch psychotherapeutischen Ebene zu lösen, sondern müs-
durchzuführen. sen direkt angesprochen werden.
19 Sind bestimmte Psychotherapien geplant, etwa
Expositionsübungen im Rahmen einer Angstbehand-
20
4.5 · Checkliste
33 4

4.5 Checkliste

?
1. Welche Beispiele einer sinnvollen Kombina-
tion von Pharmakotherapie und Psycho-
therapie kennen Sie?
2. Wann besteht eine absolute Indikation für
eine Pharmakotherapie?
5.1 ·
35 II
5

Präparate

5 Antidepressiva – 37

6 Stimmungsstabilisierer – 61

7 Antipsychotika – 71

8 Anxiolytika – 83

9 Hypnotika – 95

10 Antidementiva – 105

11 Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und


Entzug – 109

12 Medikamente zur Behandlung von


sexuellen Störungen – 117

13 Antiadiposita – 123

14 Medikamente zur Behandlung von ADHS,


Hypersomnien und Bewegungsstörungen – 127
5.1 ·
37 5

Antidepressiva

5.1 Einteilung – 38
5.1.1 Historische Entwicklung – 38
5.1.2 Ordnungsprinzip – 39

5.2 Wirkungsmechanismus – 40

5.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 43

5.4 Indikationen – 43

5.5 Dosierung, Plasmakonzentration und


Behandlungsdauer – 45

5.6 Nebenwirkungen – 45

5.7 Kontraindikationen und Intoxikationen – 50

5.8 Wechselwirkungen – 51

5.9 Routineuntersuchungen – 51

5.10 Antidepressiva im höheren Lebensalter – 52

5.11 Präparategruppen – 53
5.11.1 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) – 53
5.11.2 Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer
(SNRI) – 54
5.11.3 Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer – 55
5.11.4 Noradrenerges/spezifisch serotonerges Antidepressivum
mit α2-Adrenozeptor antagonistischer Wirkung – 55
5.11.5 Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer – 56
5.11.6 Trizyklische Antidepressiva (TZA) – 57
5.11.7 MAO-Hemmer – 57
5.11.8 Pflanzliche Präparate – 58

5.12 Antidepressiva in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 58

5.13 Checkliste – 60
38 Kapitel 5 · Antidepressiva

5.1 Einteilung Zeitgleich wurde von den amerikanischen Psychi-


1 atern der Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hem-
Definition mer) Iproniazid, der bisher als Tuberkulostatikum
verwendet wurde, als Antidepressivum entdeckt (Loo-
2 Antidepressiva sind eine heterogene Gruppe mer et al. 1957).
von Pharmaka, die bei depressiven Syndromen Die Entdeckung, dass MAO-Hemmer antide-
3 unterschiedlicher nosologischer Zuordnung und pressiv wirken und dass der Mechanismus auf einer
Erhöhung der Neurotransmitterkonzentration in den
Charakteristik einen stimmungsaufhellenden
und/oder antriebsverbessernden Therapieeffekt Synapsen beruhen musste, war ein Meilenstein in der
4 haben. Aufgrund dieser Wirkkomponente er- psychiatrischen Forschung und führte zu den »Nora-
hielt die gesamte Gruppe die Bezeichnung »An- drenalin- und Serotoninhypothesen der Depression«.
Mit dem Wissen, dass eine psychiatrische Erkran-
5 tidepressiva«. Zusätzlich sind sie bei einer Reihe
weiterer Störungsbilder, etwa den Angststö- kung ein biochemisches Korrelat hat und durch
rungen (7 Kap. 17) oder den Zwangsstörungen Medikamente beeinflussbar ist, begann die weltwei-
6 (7 Kap. 19) wirksam, sodass der Begriff »Antide- te biologisch-psychiatrische Forschung. Eine Paral-
pressiva« nur einen Aspekt ihrer therapeutischen lele konnten die Forscher am Beispiel einer neurolo-
Potenz darstellt; aus historischen Gründen hat gischen Krankheit, der Parkinson-Krankheit, verfol-
7 man ihn aber beibehalten. Die Bedeutung der An- gen: Durch die Gabe der Dopaminvorstufe L-DOPA
tidepressiva bei den einzelnen Indikationen wird kann der Dopaminmangel in den Stammganglien
8 in den entsprechenden Kapiteln beschrieben. kompensiert werden und ein rascher Therapieerfolg
stellt sich ein. Allerdings musste man schnell feststel-
len, dass sich die Depression durch Substitution von
9 Neurotransmittervorstufen, wie L-Tryptophan für
5.1.1 Historische Entwicklung Serotonin oder L-Tyrosin für Noradrenalin, klinisch
nicht beeinflussen ließ.
10 Die Entwicklung von antidepressiven Substanzen TZA und MAO-Hemmer waren bis in die 1980er-
begann mit der Beschreibung der therapeutischen Jahre hinein die wichtigste Gruppe der Antidepressi-
11 Wirksamkeit des Imipramins bei depressiven Pati- va. Die Entdeckung der selektiven Serotoninrückauf-
enten. Der Schweizer Psychiater Kuhn hatte sich seit nahmehemmer (SSRI) als gleichwirksame Substanzen,
der Entdeckung des Chlorpromazins (7 Kap. 7.1) im aber bei deutlich weniger Nebenwirkungen und gerin-
12 Jahre 1957 mit der klinischen Erprobung von poten- gerer Toxizität, führte seit den 90er-Jahren zur lang-
ziellen Psychopharmaka befasst, weil er schon 1950 bei samen Ablösung der TZA und MAO-Hemmer. Der
13 schwach hypnotisch wirkenden Antihistaminika eine erste SSRI wurde 1977 klinisch angewandt (Benkert et
therapeutische Wirkung bei psychotischen Patienten al. 1977). Die SSRI hemmen relativ selektiv die Rück-
gesehen hatte (Kuhn 1957). Im Rahmen dieser Unter- aufnahmehemmung von Serotonin im synaptischen
14 suchungen behandelte er Patienten mit unterschied- Spalt. Da man Ende der 1980er-Jahre endlich selektiv
lichen psychiatrischen Krankheitsbildern mit Imipra- wirkende Antidepressiva zur Verfügung hatte, war die
15 min und beschrieb das Wirkungsspektrum der Sub-
stanz als »schwaches Chlorpromazin«. Er engte dann
Hoffnung groß, weitere Grundlagen der Depression
über diesen neuen Wirkmechanismus zu erforschen.
seine Untersuchungen auf Patienten mit »endogenen Im jüngsten Schritt der Entwicklung von Antide-
16 Depressionen« ein. Die Ergebnisse dieser Untersu- pressiva versucht man, über die selektive Wirkung der
chungen veranlassten ihn dann zur Feststellung, dass SSRI hinaus gleichzeitig ein zweites Monaminsystem
Imipramin Verstimmungen aufhellen und depressive selektiv zu aktivieren, um die Wirksamkeit zu verstär-
17 Gehemmtheit beseitigen könne. ken. Zumeist ist es neben dem serotonergen noch das
Imipramin gehört zu der Gruppe der trizy- noradrenerge System. Einen allgemein akzeptierten
18 klischen Antidepressiva (TZA). Sie haben eine cha- Begriff für diese »dualen Antidepressiva« hat man
rakteristische Anordnung von 3 Ringen (»Trizyklus«); noch nicht gefunden. Wenn die Serotonin- und die
Unterschiede der Substanzen am Zentralring und/ Noradrenalinrückaufnahme gehemmt wird, spricht
19 oder an der Seitenkette sind zwar strukturchemisch man von selektiven Serotonin-Noradrenalin-Rück-
häufig nur gering, doch resultieren daraus oft erheb- aufnahmehemmern (SNRI).
20 liche qualitative Änderungen des pharmakologischen Da nur 50–70% der depressiven Patienten auf
und klinischen Wirkungsbildes. Antidepressiva beim ersten Therapieversuch respon-
dieren, ist große Forschungsaktivität nötig, um Anti-
5.1 · Einleitung
39 5

depressiva mit völlig neuen Wirkprinzipien zu entwi- 5.1.2 Ordnungsprinzip


ckeln. Der Unterschied von Placebo und den Anti-
depressiva ist immer noch geringer, als man sich ihn Definition
erhofft. Der Unterschied wird aber tendenziell grö-
ßer, je schwerer depressiv die untersuchten Patienten Heute werden die Antidepressiva nach dem pri-
bei Behandlungsbeginn sind (Khan et al. 2004). Auf mären Angriffspunkt im ZNS eingeteilt. Dieses
der anderen Seite wurde auch in einer Metaanalyse Einteilungsprinzip ist zu bevorzugen, da es phar-
von 31 placebokontrollierten Studien ein hoch signi- makologisch am aussagekräftigsten ist.
fikanter Wirksamkeitsunterschied mit Relapsera- 5 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
ten in der Erhaltungstherapie von 41% unter Placebo (SSRI):
und immerhin nur 18% unter Antidepressiva gesehen – Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin,
(Geddes et al. 2003). Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
Tatsächlich nimmt in kontrollierten Studien der 5 Selektive Serotonin-Noradrenalinrückauf-
Anteil jener Studien zu, in denen kein Unterschied nahmehemmer (SNRI, duale Antidepres-
zwischen Placebo und dem neuen Prüfpräparat oder siva):
sogar von lang bewährten Antidepressiva gesehen – Duloxetin, Milnacipran, Venlafaxin
wird. Als Ursache dafür ist die zunehmende Anzahl 5 Selektive Noradrenalinrückaufnahmehem-
von Einflussgrößen auf die antidepressive Behand- mer:
lung anzunehmen. Dabei stellt der pharmakolo- – Reboxitin
gische Effekt des Prüfpräparates nur einen mehrer 5 noradrenerges/spezifisch serotonerges
Behandlungseffekte dar. So wird auch immer wie- Antidepressivum mit α2-Andrenozeptor
der die Methodik der Antidepressivastudien diskutiert antagonistischer Wirkung:
und gerade die Anwendung des Placeboarms in Fra- – Mirtazapin
ge gestellt. Ein weiteres methodisches Problem wird 5 Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehem-
bei der Auswertung von Studien zur Kombination von mer
Psychotherapie und Antidepressiva evident, weil sich – Bupropion
der bekannte Placeboeffekt bei der Anwendung zweier 5 Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hem-
kombinierter Therapien nicht addieren kann und so mer):
eine mögliche Überlegenheit der Kombinationsthera- – Moclobemid
pie nicht nachweisbar ist (Huber 2005). – Tranylcypromin
Die Weiterentwicklung nur der bisherigen Stra- 5 Trizyklische Antidepressiva (TZA):
tegien hat zwar insgesamt zu einer besseren Verträg- – Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin,
lichkeit, nicht aber zu einer besseren Wirksamkeit der Trimipramin
Antidepressiva geführt. Die jüngste Einführung eines 5 Pflanzliche Präparate:
neuen Antidepressivums ist der Noradrenalin-Dopa- – Hypericum-Extrakte
minrückaufnahmehemmer Bupropion.
Agomelatin, ein Melatoninrezeptoragonist, steht
im Zulassungsprozess. Agomelatin hat eine agonis- Das frühere Ordnungsprinzip war einfacher, bezog
tische Wirkung an den Melatoninrezeptoren 1 und sich aber nur auf die chemische Struktur:
2, aber gleichzeitig auch eine 5-HT2C-antagonistische 5 Trizyklische Antidepressiva
Komponente. 5 Tetrazyklische Antidepressiva: Maprotilin, Mian-
Unter den vielen neuen alternativen pharmakolo- serin, strukturchemisch auch Mirtazapin.
gischen Ansätzen ist zu hoffen, dass sich der Cortico- 5 Chemisch neuartige Antidepressiva: Sie zeigen
tropin-releasing-Hormon (CRH)-Rezeptor-1-Antago- untereinander keine strukturchemische Ähnlich-
nist als Antidepressivum bewähren wird. Die Strategie keit mehr, z. B. Duloxetin, Reboxetin, Venlafaxin
leitet sich aus der Vielzahl von empirischen Befunden oder SSRI.
ab, die eine Hyperaktivität des hypothalamisch-hypo-
physär-adrenalen (HPA)-Systems, das u. a. die Aus- Gerade weil die modernen Antidepressiva keiner che-
schüttung des Stresshormons Kortisol reguliert, bei mischen Gruppe mehr zugeordnet werden können,
depressiven Störungen annimmt. Auch der Einsatz ist die Einteilung nach pharmakologischen Gesichts-
von Kortisolsynthesehemmern liegt theoretisch hierin punkten sinnvoll.
begründet. Eine endgültige Bewertung der Wertigkeit
dieser Strategien ist derzeit noch nicht möglich.
40 Kapitel 5 · Antidepressiva

5.2 Wirkungsmechanismus Rezeptorfunktion


1 Die Rezeptorfunktion mit der chemischen Neuro-
Bei der Pathophysiologie depressiver Syndrome sind transmission wird in . Abb. 5.1 erklärt.
Veränderungen des zentralnervösen Stoffwechsels
2 einiger Neurotransmitter (als Ursache oder als Folge Wichtig
anderer Einflussgrößen wie etwa Stressoren) beson-
Im Neuron werden zur Synthese des Neuro-
3 ders relevant für die Entstehung oder Unterhaltung
klinischer Symptome. Dies gilt für Serotonin, NA und transmitter Vorstufen aufgenommen. Neben der
DA. Der eigentliche Wirkmechanismus von Anti- schnellen Freisetzung des Neurotransmitters ist
4 depressiva ist noch unbekannt. Die meisten heute die sofortige Inaktivierung in der Synapse genau-
so wichtig. Dies kann über drei Wege geschehen:
bekannten Antidepressiva beeinflussen pharmakolo-
gisch eines oder mehrere dieser Neurotransmittersy- 5 Die Wiederaufnahme (»reuptake«) in das
5 steme im ZNS. Die folgenden Ausführungen sind zum präsynaptische Neuron (am jeweiligen Trans-
Teil dem Handbuchartikel zu diesem Thema entnom- portermolekül),
5 den enzymatischen Abbau oder
6 men (zit. nach Eckert u. Müller 2008, S. 31–32).
5 durch Aufnahme in die Gliazellen.

7
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15
16
17
18 . Abb. 5.1. Schematische Darstellung einer chemischen
Synapse zwischen 2 Nervenzellen. Der Transmitter selbst –
nach Diffusion (E) mit Rezeptoren auf der postsynaptischen
Seite reagieren (F). Die Inaktivierung des Transmitters erfolgt
oder meist seine Vorstufe – wird von spezifischen Systemen durch Abbau oder Aufnahme an der postsynaptischen Sei-
19 ins Neuron aufgenommen (A). Der aufgenommene Transmit-
ter wird über axonalen Transport an die Nervenendigungen
te (G), durch Rückdiffusion (H) und Aufnahme ins präsynap-
tische Neuron (1) bzw. in synapsebegleitende Gliazellen (J).
transportiert (B) und dort in Vesikeln gespeichert (C). Durch Präsynaptische Autorezeptoren (K) bzw. präsynaptische Heter-
20 ein Aktionspotenzial des Axons und ein damit verbundener orezeptoren (L) können die Menge des freigesetzten Transmit-
Ca2+-Einstrom wird der Transmitter durch Exozytose aus den ters beeinflussen oder auch die Syntheserate regulieren. (Aus
Vesikeln in den synaptischen Spalt freigesetzt (D) und kann Eckert u. Müller 2008)
5.2 · Wirkungsmechanismus
41 5

5 Die Blockade dieser Inaktivierungsmechanis- des Neurotransmitters (z. B. Rückaufnahmemechanis-


men stellt einen für Psychopharmaka wichtigen men und Abbauvorgänge) bekannt sind. So hat z. B.
Angriffspunkt dar. So blockieren viele Antide- die Lokalisation eines Rezeptors Bedeutung für sei-
pressiva die neuronale Wiederaufnahme der ne funktionelle Wirkung; ebenso ergibt sich eine dif-
Transmitter NA und Serotonin. Inhibitoren des ferenzielle Wirkung, je nachdem, welcher Rezeptor-
in den Mitochondrien lokalisierten Enzyms subtyp eines Neurotransmittersystems aktiviert wird.
Monoaminoxidase hemmen den intra- und Darüber hinaus entfalten die einzelnen Pharmaka eine
extraneuronalen Abbau aminerger Transmitter. unterschiedlich starke Wirkung an den Komponen-
5 Die Informationsweitergabe wird auf der post- ten eines Neurotransmittersystems (. Tab. 5.1). Die
synaptischen Seite von Rezeptoren übernommen, indirekte oder direkte Stimulation der Rezeptorsy-
die vom freigesetzten Neurotransmitter besetzt steme führt auf der Ebene der intrazellulären Second-
werden und die das über die Besetzung ausgelö- messenger-Systeme und der nachgeschalteten Gen-
ste Signal dann über verschiedene Transdukti- expression zu einer Fülle von adaptativen Vorgängen
onsmechanismen in das rezeptive Neuron weiter- (s. oben), die man mit der antidepressiven Wirkung in
leiten. Ähnlich wie im peripheren Nervensystem Zusammenhang bringt. Zusätzlich stehen die verschie-
ist dieser Teil der chemischen Neurotransmissi- denen Neurotransmittersysteme miteinander in funk-
on im ZNS ein ganz wesentlicher Angriffspunkt tionellen Beziehungen, sodass bei Beeinflussung eines
für Pharmaka. Systems eine indirekte Wirkung auf ein zweites aus-
5 Solche Effekte treten schnell ein. Antidepressiva geübt werden kann. Die Wirkung eines Medikaments
dagegen zeigen ihre volle Wirksamkeit erst nach hängt somit von einer Vielzahl von Faktoren ab.
tagelanger, oft wochenlanger Latenz. Dies hat zu
der Vorstellung geführt, dass akute pharmakolo- Selektive Wirkung
gische Effekte möglicherweise nicht den eigent- Man muss davon ausgehen, dass einzelne Funkti-
lichen Wirkungsmechanismus der Antidepressiva onen des Gehirns bestimmten Kerngebieten bzw.
darstellen, sondern dass adaptive Veränderungen bestimmten Verbänden von Neuronen zugeordnet
der Neurone eine entscheidende Rolle spielen. werden können, die zusätzlich über verschiedenar-
Mit dieser Fähigkeit können die Neurone ihren tigste Querverbindungen modulierende Impulse aus
Funktionszustand verschiedenen Bedingungen anderen Arealen des Gehirns erhalten. Ausgehend
anpassen und überschießende oder ungenügende von dem klinischen Wunsch, bestimmte psychopatho-
Aktivitäten in bestimmten Bereichen des ZNS logische Symptome bzw. Syndrome möglichst selektiv
kompensieren. korrigieren zu können, wird nach Psychopharmaka
Die adaptiven Vorgänge werden durch die akute gesucht, die gezielt bestimmte Funktionen oder gege-
Blockade der neuronalen Wiederaufnahme und benenfalls bestimmte Areale des ZNS beeinflussen.
der damit verbundenen initialen Konzentrations- Diesen selektiven Mechanismus kann man jetzt
erhöhung von NA bzw. Serotonin in den jewei- immer genauer durch die Anwendung bildgebender
ligen Synapsen auf der postsynaptischen Sei- Verfahren studieren.
te angestoßen. An den postsynaptischen Rezep- Die heute in der Regel verfolgte Strategie, bioche-
toren verändert sich nun Dichte und Funktiona- misch hochselektive Psychopharmaka zu entwickeln,
lität, die schließlich zu der antidepressiven Wir- die z. B. nur noch eine Unterklasse eines Rezeptors
kung führen. aktivieren, ist sicher berechtigt, weil so die Chance
besteht, dass eine Beeinflussung dieses hochselektiven
Pharmakologische Wirkprofile Systems dann funktionell nur in spezifischen Are-
Viele Antidepressiva beeinflussen verschiedenste Neu- alen des ZNS relevant wird. Insofern kann diese Stra-
rotransmittersysteme im ZNS (z. B. acetylcholinerge tegie durchaus zu funktionell spezifischen Pharmaka
oder histaminerge Systeme). Effekte auf diese Trans- führen. Die neuen Antidepressiva haben eine deut-
mittersysteme bestimmen oft das klinische Wirkpro- lich stärkere Selektivität als die TZA. Eine klinische
fil der Substanz, also sowohl den eigentlichen antide- Spezifität im Sinne eines besseren oder schlechteren
pressiven Effekt als auch eine Reihe unerwünschter Ansprechens bestimmter Untergruppen depressiver
Wirkungen. Patienten konnte für diese Substanzen bis heute, bis
Komplexe Zusammenhänge ergeben sich dadurch, auf geringe klinische Unterschiede, aber nicht belegt
dass für jedes Neurotransmittersystem Untergruppen werden.
von Rezeptoren, die die zelluläre Wirkung des Trans- Darüber hinaus entwickelt man heute, nach einer
mitters vermitteln, und Inaktivierungsmechanismen Phase hochselektiver Substanzen, ganz bewusst auch
42 Kapitel 5 · Antidepressiva

. Tab. 5.1. Übersicht der pharmakologischen Angriffspunkte von wichtigen Antidepressiva. (Benkert u. Hippius 20071)
1
5-HTTa NAT MAO mACh H1 5-HT2 DA α1 α2

2 Amitriptylin ++ ++ 0 ++ +++ ++ +/– +++ 0

Amitriptylinoxid ++ ++ 0 ++ ++ ++ 0 ++ 0
3 Citalopram +++ +/– 0 0 +/– 0 0 +/– 0

Clomipramin +++ ++ 0 ++ + + +/– ++ 0


4 Desipramin + +++ 0 + + + +/– + 0

5 Doxepin + ++ 0 + +++ ++ 0 +++ 0

Duloxetin +++ ++ 0 +/– +/– 0 + +/– 0


6 Escitalopram +++ +/– 0 0 +/– 0 0 +/– 0

Fluoxetin +++ +/– 0 +/– +/– 0 +/– +/– 0


7 Fluvoxamin +++ +/– 0 0 0 0 +/– +/– 0

8 Imipramin +++ ++ 0 + +/– + 0 + 0

Maprotilin 0 ++ 0 ++ +++ + 0 + 0

9 Milnacipran ++ ++ 0 0 0 0 0 0 0

Mirtazapin +/– 0 0 + +++ ++ 0 + ++


10 Moclobemid 0 0 ++ 0 0 0 0 0 0

11 Nortriptilyn + +++ 0 + ++ + 0 + 0

Paroxetin +++ ++ 0 + 0 0 + +/– 0

12 Reboxetin 0 +++ 0 0 0 0 0 0 0

Sertralin +++ +/– 0 +/– 0 0 + 0 0


13 Tranylcypromin 0 + +++ 0 0 0 0 0 0

14 Trimipramin 0 0 0 ++ +++ + + +++ 0

Venlafaxin +++ + 0 0 0 0 +/– 0 0

15 1
Tabellen wurden hier und in den folgenden Kapiteln direkt bzw. modifiziert aus dem Kompendium der Psychiatrischen Pharmakothera-
pie (Benkert u. Hippius 2007) übernommen.
5-HTT 5-HT-Transporter; NAT NA-Transporter; MAO Monoaminoxidase; mACh Antagonismus an muskarinischen Azetylcholinrezeptoren;
16 H1 Antagonismus an Histaminrezeptoren (Typ 1); 5-HT2 Antagonismus an 5-HT2-Rezeptoren; DA Antagonismus an DA-Rezeptoren; α1 An-
tagonismus an α1-Adrenorezeptoren; α2 Antagonismus an α2-Adrenorezeptoren; +++ sehr stark; ++ stark; + schwach; +/– sehr schwach;

17 0 nicht wirksam.
a Der Serotonin (5-HT)-Transporter, 5-HTT, sorgt für den Transport von Serotonin in das präsynaptische Neuron, beendet damit die

synaptische Wirkung und führt Serotonin wieder zurück in den Neurotransmitterpool. Der 5-HTT-Polymorphismus hat für die thera-

18 peutische Wirkung bei depressiven Patienten wahrscheinlich eine besonders wichtige Bedeutung.

19 Psychopharmaka mit mehreren biochemischen Wir- en Wirkansätzen muss jetzt im Vordergrund stehen
kungsmechanismen (z. B. die dualen Antidepressi- (7 Abschn. 5.1.2).
20 va). Insgesamt scheint aber diese Entwicklungsstrate-
gie jetzt beendet zu sein; die Suche nach völlig neu-
5.4 · Indikationen
43 5

5.3 Allgemeine Therapieprinzipien chen werden. Gleichzeitig kann die Informati-


onsvermittlung über die Nutzen-Risiko-Abwä-
5 Grundsätzlich soll die Verordnung von Antide- gung vertieft werden. Auch kann ein Umsetzver-
pressiva im Rahmen eines Gesamtbehandlungs- such auf ein Antidepressivum mit einem gün-
plans erfolgen, der neben der medikamentösen stigeren Nebenwirkungsprofil eine neue Perspek-
Behandlung psychotherapeutische, psychosozi- tive bringen.
ale und psychoedukative Maßnahmen umfasst.
(7 Abschn. 15.1). Wichtig
5 Die Therapie sollte von Beginn an unter Berück-
sichtigung der Schwere und Art der aktuellen Bei einer Langzeittherapie sind die folgenden Ne-
Symptomatik unter Vermittlung eines Krank- benwirkungen besonders zu beachten; sie sind
heits- und Therapiekonzepts mit dem Patienten für die Entwicklung einer Non-Compliance von
besprochen werden. großer Bedeutung:
5 Bei der Behandlung mit Antidepressiva ist damit 5 sexuelle Funktionsstörungen,
zu rechnen, dass sich erwünschte Therapieef- 5 Gewichtszunahme,
fekte erst im Verlauf von 4–8 Wochen voll ausbil- 5 Sedierung.
den. Typischerweise treten im Behandlungsver-
lauf zunächst Nebenwirkungen, danach erst der
antidepressive Effekt auf. Darüber sollte der Pati-
ent informiert werden, um die Compliance zu 5.4 Indikationen
sichern.
5 Eine zuverlässige Vorhersage eines individuellen Standen früher die depressiven Störungen für eine
Therapieerfolgs bei einem bestimmten Antide- Therapie mit Antidepressiva ganz im Mittelpunkt,
pressivum ist auch heute noch nicht möglich. erweitert sich heute das Indikationsspektrum stetig.
5 Bei der Behandlung mit Antidepressiva besteht Antidepressiva sind bei einer Vielzahl weiterer Indi-
kein Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung. Die- kationen wirksam. Die Indikationen werden in die-
se Befürchtung wird von den Patienten häufig sem Abschnitt nach dem Zulassungsstatus aufgeli-
geäußert. stet (. Tab. 5.2). Dabei ist zu berücksichtigen, dass
5 Die Auswahl des Antidepressivums erfolgt die älteren Antidepressiva schon zugelassen wur-
besonders nach: den, bevor die ICD-Kriterien (Internationale Klassi-
– dem Zielsyndrom, fikation psychischer Störungen) gültig waren. Erst die
– dem früheren Ansprechen und Bevorzugung SSRI und die neueren Antidepressiva sind bei diesen
durch den Patienten, fest umrissenen Diagnosen ausführlich geprüft wor-
– dem Nebenwirkungsprofil. den. Die Darstellung der Diagnosen, bei denen z. T.
5 Prinzipiell ist eine Monotherapie mit einem auch Antidepressiva eingesetzt werden, erfolgt in
Antidepressivum zur besseren Steuerbarkeit 7 Kap. 15–36.
anzustreben. Allerdings gibt es heute immer
mehr Gründe für Kombinationsbehandlungen Weitere Indikationen für Antidepressiva
z. B. im Rahmen einer Augmentationsthera- Zu den folgenden Diagnosen gibt es positive Fallstu-
pie (7 Abschn. 15.5); sie sollten mit einem kla- dien, langjährige klinische Erfahrung mit Antidepres-
ren Rationale erfolgen. Sie beinhalten aber ein siva oder auch schon randomisierte Kontrollstudien.
erhöhtes Risiko von pharmakokinetischen und 5 Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion
pharmakodynamischen Wechselwirkungen 5 Persönlichkeitsstörungen
(7 Abschn. 5.8). 5 Schlafstörungen
5 Besonders bei schweren Erkrankungen sollte die 5 Schmerzsyndrome
Therapie mit Antidepressiva möglichst frühzeitig 5 Fibromyalgie
begonnen werden. Umso schwerer die Krankheit 5 Neurasthenie und Chronic-Fatigue-Syndrom
ist, desto mehr Profit erbringt die Behandlung. 5 Prämenstruell-sysphorisches Syndrom (PMS)
5 Bei akuter Suizidalität sollte die zusätzliche Ver- 5 Klimakterisches Syndrom
ordnung eines Benzodiazepins erwogen werden 5 Entzugssyndrome verschiedener Substanzgrup-
(7 Kap. 6 und 34). pen und Rezidivprophylaxe der Alkoholabhän-
5 Bei Non-Compliance sollten mit dem Pati- gigkeit
enten die Gründe für die Nichteinnahme bespro-
20

10
18

16
19

15
14
13
12
17

11

9
8
7
6
5
4
3
2
1

44
. Tab. 5.2. Indikationen für Antidepressiva

Diagnosen- Zugelassene Indikationen Dazugehörige Syndrome Bemerkungen

Kapitel 5 · Antidepressiva
gruppe

Depressive Depressive Episode (F32a) Mit allen Unterformen F32.0–32.3


Störungen
»Minor depression« und unterschwellige Depression

Saisonal abhängige affektive Störung (SAD, Winterdepression)

Atypische Depression (F32.8)

Rezidivierende depressive Störung (F33) Mit allen Unterformen F33.0–33.4

Anhaltende affektive Störung (F34) Persönlichkeitsstörung

Dystymie (F34.1) und »Double Depression«

Rezidivierende kurze depressive Episode (»recur-


rent brief depression«) (F38.10)

Depression bei körperlichen Erkrankungen Möglich bei allen Depressionsdiagnosen

Depression bei kardiovaskulären Erkrankungen

Depression bei dermatologischen Erkrankungen

Depression bei Demenz

Post-Stroke-Depression

Depression bei Morbus Parkinson

Bipolare Depression (F31) (=bipolare affek- Mit allen Unterformen F31.3–31.6;


tive Störung, gegenwärtig depressive Episode); Risiken bei Antidepressiva (7 Abschn. 5.6)
s. aber 7 Abschn. 29.2.2 bei Rapid Cycling keine Antidepressiva!

Angst- Panikstörung mit/ohne Agoraphobie (F41)


störungen
Generalisierte Angststörung (F41.1) Gemischte Angststörungen

Phobische Störungen (F40)

Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)

Zwangsstörung (F42)

Andere Somatisierungstörung (F45.0) Weitere somatoforme Störungen


Diagnosen
Bulimia nervosa (F50.2)
a In dieser Tabelle wird wegen der Komplexizität der Diagnosen, bei denen Antidepressiva verordnet werden, auf die ICD-10-Diagnosen hingewiesen.
5.6 · Nebenwirkungen
45 5

5.5 Dosierung, Therapieoptimierung sinnvoll. Dies ermöglicht


Plasmakonzentration und eine individuelle Dosisanpassung für den Pati-
Behandlungsdauer enten, da gleiche Dosierungen bei oraler Gabe in
unterschiedlichem Ausmaß vom Patienten resor-
5 Eine langsame Aufdosierung kann den Wirkein- biert und verstoffwechselt werden. Die Konzen-
tritt eines Antidepressivums verzögern; eine zu tration am Wirkort ist die entscheidende Größe
rasche Aufdosierung kann zu vermehrten Neben- für Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Plasma-
wirkungen und zu Complianceproblemen füh- konzentrationen korrelieren mit den Wirkspie-
ren. geln im Gehirn wesentlich besser als die Dosis.
5 Generelle Dosisempfehlungen sind wegen der 5 Ein Zusammenhang zwischen antidepressiver
Heterogenität der Substanzen nur schwer zu Wirkung und Plasmakonzentration ist bei vielen
erstellen. TZA (Zieldosis: 100–150 mg tägl.), Substanzen allerdings nicht eindeutig, insbeson-
Moclobemid und Venlafaxin werden schrittwei- dere nicht bei den SSRI; die unerwünschten Wir-
se innerhalb von 3–7 Tagen erhöht. Bei SSRI und kungen zeigen jedoch oft eine Abhängigkeit von
den neuen Antidepressiva ist es aber in vielen der Plasmakonzentration.
Fällen möglich, von Beginn an mit einer wirk- 5 Am besten belegt ist ein »therapeutisches Fen-
samen Regeldosis zu beginnen. ster« für Nortriptylin; Empfehlungen für Plasma-
5 Bei SSRI ist ein verbesserter Therapieerfolg konzentrationen können zudem für Imipramin,
durch Dosiserhöhungen über die Regeldosierung Desipramin und Amitriptylin gegeben werden.
hinaus bei der Behandlung depressiver Störungen
bisher nicht nachgewiesen worden (. Tab. 5.7).
Allerdings wurde jetzt in einer post-hoc-Analy- 5.6 Nebenwirkungen
se für Escitalopram gezeigt, dass 10 mg bei gerin-
gerem und 20 mg bei stärkerem Schweregrad die Aus dem Ausmaß einer Blockade verschiedener post-
optimale Dosis darstellen. synaptischer Rezeptoren sind typische Nebenwir-
5 Bei Einmalgabe (wie bei den SSRI) ist die Com- kungen abzuleiten (. Tab. 5.3 und 5.4).
pliance, wenn die Substanz gut vertragen wird, 5 Nebenwirkungen treten bevorzugt zu Beginn (2–
oft besser. Wenn Nebenwirkungen auftreten, 4 Wochen) einer Therapie auf. Es können einzel-
kann eine Verteilung der Tagesdosis ohne Dosis- ne oder eine Vielzahl der genannten Effekte auf-
reduktion bereits eine Verbesserung der Verträg- treten.
lichkeit bewirken (z. B. bei sedierender Antide- 5 Im Verlauf einer Behandlung bilden sich die
pressiva Gabe der Hauptdosis zur Nacht; hier- Nebenwirkungen (besonders vegetative Sym-
durch kann sich auch ein zusätzliches Hypnoti- ptome) zurück, ohne dass die Dosierung verän-
kum bei Schlafstörungen erübrigen). dert werden muss.
5 Bei Panikstörungen sollte die initiale Dosierung 5 Einige der Effekte können persistieren (z. B.
besonders vorsichtig erfolgen, da diese Patienten orthostatische Dysregulation, Mundtrockenheit,
auf mögliche Nebenwirkungen oft empfindlich sexuelle Störungen). Eine Dosisanpassung oder
reagieren. Die Startdosis ist geringer als bei der ein Präparatewechsel kann dann notwendig wer-
Depression (. Tab. 5.7), die Erhaltungsdosis meist den.
geringer.
5 Bei Zwangsstörungen sind in der Regel Dosen im Kardiale Nebenwirkungen
oberen Dosierungsbereich der Substanzen erfor- 5 Wichtigste kardiale Wirkung von TZA ist die
derlich (7 Kap. 19). Verlangsamung der kardialen Erregungsleitung.
5 Bei älteren Patienten und Patienten mit Risiko- Im EKG resultieren Blockbilder. Vorbestehen-
faktoren in Bezug auf die unerwünschten Wir- de Erregungsleitungsstörungen oder gleichzeitige
kungen der Substanzen sind meist niedrigere Gabe anderer Medikamente, die solche induzie-
Dosen notwendig (7 Abschn. 5.10). ren können, sind daher kontraindiziert.
5 Für einige Antidepressiva (insbesondere TZA) ist
die therapiebegleitende Kontrolle der Konzentra-
tionen in Plasma oder Serum (»Plasmaspiegel«)
(therapeutisches »Drug-Monitoring«, TDM) zur
46 Kapitel 5 · Antidepressiva

. Tab. 5.3. Nebenwirkungen bei Blockade verschiedener postsynaptischer Rezeptoren


1
Rezeptortyp Nebenwirkungen bei Rezeptorantagonismus

2 Muskarinische Azetylcholin-
rezeptoren
Akkomodationsstörungen, Mundtrockenheit, Obstipation, Sinustachykardie,
Miktionsstörungen, Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit, Delir

3 Histamin-1-Rezeptoren Müdigkeit, Sedation, Gewichtszunahme, Verwirrtheit

5-HT2-Rezeptoren Gewichtszunahme, Sedation

4 DA-Rezeptoren Prolaktinanstieg, Libidoverlust, EPS

α1-adrenerge Rezeptoren Orthostatische Hypotonie, Schwindel, Müdigkeit, reflektorische Tachykardie


5
6 . Tab. 5.4. Nebenwirkungen bei Hemmung der Rückaufnahme von Serotonin und Noradrenalin (z. B. durch SSRI oder
selektive NA-Rückaufnahmehemmer)

7 Hemmung der
Rückaufnahme
Nebenwirkungen

8 NA Tremor, Tachykardie, Unruhe, Kopfschmerzen, Miktionsstörungen, Schwitzena, Mundtrockenheit

5-HT Zu Behandlungsbeginn (erste 2–4 Wochen): Appetitminderung, Übelkeit, Diarrhö, Kopfschmerzen,


Schlafstörungen, Schwitzena, Agitiertheit: sexuelle Funktionsstörungen (diese auch persistierend)
9
Effektvermittelt durch indirekte Rezeptorstimulation an den Rezeptorsubtypen:

10 5 5-HT2A Ängstlichkeit, Agitiertheit, sexuelle Funktionsstörungen


5 5-HT2C Appetitminderung, Reizbarkeit
5 5-HT3 Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen
11 a NA stimuliert die Schweißdrüsen peripher, SSRI wirken zentral auf die Raphekerne mit Regulation der Körpertemperatur.

12
Cave 5 Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind SSRI-Mittel
13 der ersten Wahl, weil sie ein günstiges Nebenwir-
5 Grundsätzlich gilt eine QTc-Verlängerung als kungsprofil haben. Allerdings gibt es Einschrän-
Risikofaktor; dies insbesondere in Kombina- kungen: Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkran-
14 tion mit Pharmaka, die selbst wiederum zu kungen nehmen oft auch Aspirin oder Anti-
einer QTc-Verlängerung führen. koagulantien; die Kombination führt häufiger als
15 5 TZA sollten bei kardialer Vorschädigung unter alleiniger SSRI-Therapie zu gastrointesti-
nalen Blutungen (s. unten: »Hämatopoetisches
nicht verordnet werden.
System«). Da es auch unter SSRI einige weni-
16 ge Fälle von Arrhythmien, QTc-Verlängerung,
5 Weitere kardiale Nebenwirkungen sind Tachykar- orthostatischer Hypotension und Elektrolytver-
die und orthostatische Hypotonie. änderungen bei vorherigem unauffälligem kardi-
17 5 Während einer Therapie mit irreversiblen MAO- alem Befund gibt, ist insbesondere bei Patienten
Hemmern (Tranylcypromin) muss eine tyramin- mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine regelmä-
18 arme Diät eingehalten werden, um hypertensive ßige Kontrolle anzuraten.
Krisen zu vermeiden. Dies gilt nicht für Moclo-
bemid in den vom Hersteller empfohlenen Dosie- Vegetative Nebenwirkungen
19 rungen. Darüber hinaus tritt unter ansteigender 5 TZA führen häufig zu ausgeprägten anticholiner-
Dosierung von Tranylcypromin öfter eine ortho- gen Effekten, wie Schwitzen, Miktionsstörungen
20 statische Hypotonie auf. Besonders aufgrund die- oder ausgeprägter Obstipation.
ser kardialen Nebenwirkungen wird die Ver-
schreibung von MAO-Hemmern vermieden.
5.6 · Nebenwirkungen
47 5

Cave halt) erhöht sein (7 Abschn. »Kardiale Nebenwir-


kungen«) (Wessinger et al. 2006).
Akute Notfälle unter TZA sind:
5 Harnverhalt Cave
5 Paralytischer Ileus und
5 Die Kombination von SSRI mit Aspirin oder
5 das zentrale anticholinerge Syndrom 7 Ab-
anderen Medikamenten, die das Blutungsri-
schn. 34.5.
siko erhöhen, ist zu vermeiden.

Sedierung
5 Eine klinisch relevante Sedierung kann bei Anti- Neurologische Störungen
depressiva auftreten, bei denen die 5-HT2- und 5 Generalisierte zerebrale Krampfanfälle oder Myo-
Histamin-1-Rezeptoren antagonisiert werden. klonien treten unter TZA gehäuft auf. Begün-
Die Sedierung wird bei Agitation oder Schlafstö- stigend sind zerebrale Vorschädigungen, hohe
rungen genutzt; sie kann aber auch störend oder Dosen, rasches Aufdosieren oder schlagartiges
gefährlich bei Arbeit an Maschinen oder beim Absetzen hoher Dosen.
Führen von Kraftfahrzeugen sein. Eine Beein- 5 Tremor, sehr selten rigorartige Tonuserhöhungen
trächtigung der Reaktionsfähigkeit kommt bei der Muskulatur oder dystone Bewegungsstö-
Antidepressiva mit sedierender Komponente rungen treten unter allen Antidepressiva auf.
meist bei Behandlungsbeginn vor und bildet sich
im Verlauf von 2–4 Wochen oft zurück. Patienten Allergische Reaktionen
müssen über die Möglichkeit einer verminderten 5 Allergische Exantheme sind besonders unter
Reaktionsfähigkeit, z. B. beim Autofahren, auf- TZA, aber auch bei allen anderen Antidepressi-
geklärt werden. Der Grad der Sedierung der ein- va möglich.
zelnen Antidepressiva kann der . Tab. 5.5, Spalte
»Sedierung« entnommen werden. Gewichtszunahme
5 Gewichtszunahme kann besonders bei länger-
Hämatopoetisches System fristiger Therapie je nach pharmakologischem
5 Leukopenien und Agranulozytose treten sehr sel- Wirkprofil eines Antidepressivums auftreten
ten unter TZA, aber auch unter Mianserin auf. und die Compliance des Patienten gefährden.
Meist muss die Substanz abgesetzt werden. Regel- Bei Antidepressiva, die 5-HT2- und Histamin-1-
mäßige Blutbildkontrollen bei diesen Präparaten Rezeptoren antagonisieren, tritt die Gewichtszu-
ist deshalb indiziert. nahme häufiger auf (. Tab. 5.5, Spalte »Gewichts-
zunahme«).
Cave 5 Da einer Gewichtszunahme oft eine Verände-
rung des Essverhaltens vorausgeht, können ver-
Es ist möglich, Blutbildveränderungen entspre- haltenstherapeutische Maßnahmen (z. B. Vermei-
chend den Empfehlungen der . Tab. 5.6 frühzei- den hochkalorischer Zwischenmahlzeiten) hilf-
tig, aber niemals sicher zu erkennen. Die Empfeh- reich sein.
lungen können daher nur ein Kompromiss aus
Risikoverhütung und Praxisnähe sein. Bei risiko- Sexuelle Funktionsstörungen
reichen Substanzen müssen Patienten angewie- 5 Unter SSRI treten häufiger verzögerte Ejakula-
sen werden, bei Auftreten von Symptomen wie tion, selten verminderte Libido und Erektions-
Fieber, Halsschmerzen oder Infektionen der Mund- fähigkeit auf. Sie scheinen größtenteils auf eine
schleimhaut keinen eigenen Behandlungsversuch Erhöhung der serotoninergen Transmission an 5-
durchzuführen, sondern den Arzt aufzusuchen. HT2-Rezeptoren zurückzuführen zu sein. Sub-
stanzen mit zusätzlich antagonischer Wirkung an
5 Eine Alteration der Thrombozytenfunktion wird 5-HT2-Rezeptoren, wie Mirtazapin, scheinen die-
selten unter SSRI gesehen. Das Risiko gastro- sen Effekt seltener zu induzieren. Unter Reboxe-
intestinaler Blutungen kann aufgrund gestörter tin können schmerzhafte Ejakulationen auftre-
Thrombozytenfunktionen (verminderte Aggre- ten. TZA mit anticholinerger Wirkung führen
gationsfähigkeit bei herabgesetztem Serotoninge- häufiger zu Erektionsstörungen. Der MAO-Hem-
48 Kapitel 5 · Antidepressiva

. Tab. 5.5. Häufigkeit relevanter unerwünschter Wirkungen von wichtigen Antidepressiva


1

Sexuelle Funktionsstörungen
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö

Letalität bei Überdosierung


Agitation, Schlafstörungen

Orthostatische Hypotonie
2

EKG-Veränderungen
Gewichtszunahme
3 Nebenwirkungen
Anticholinerge

Sedierung
4
5 Amitriptylin +++ 0 +++ 0 ++ +++ +++ ++ +++

Citalopram 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
6 Clomipramin ++ + + + ++ ++ ++ ++ ++

7 Desipramin + 0 0 ++ + + + + +++

Doxepin +++ 0 +++ 0 ++ +++ ++ ++ +++

8 Duloxetin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 ?

Escitalopram 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
9 Fluoxetin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0

10 Fluvoxamin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0

Imipramin ++ 0 + ++ + ++ ++ ++ +++

11 Milnacipran 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0

Mirtazapin 0 0 ++ 0 0 + + 0 0
12 Moclobemid 0 0 0 + 0 0 0 0 0

13 Nortriptylin + 0 + + + + + + +++

Paroxetin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0

14 Reboxetin 0 + 0 ++ + + 0 0 0

Sertralin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 0
15 Tranylcypromin 0 0 0 ++ 0 +++ 0 0 +++

16 Trimipramin +++ 0 +++ 0 ++ +++ +++ ++ +++

Venlafaxin 0 ++ 0 ++ ++ 0 0 0 +

17 +++ häufig bis regelmäßig; ++ mäßig häufig; + selten; 0 unerheblich oder nicht vorhanden.

18
mer Moclobemid scheint sexuelle Funktionsstö- Absetzsyndrome
rungen kaum zu induzieren. 5 Absetzsyndrome sind nach schlagartigem Abset-
19 5 Da sexuelle Funktionsstörungen das depressive zen von Antidepressiva nach langfristiger Thera-
Krankheitsbild negativ beeinflussen können, sind pie mit TZA, Venlafaxin, Mirtazapin, SSRI (mit
20 diese besonders bei einer Langzeitbehandlung kurzer HWZ, besonders Paroxetin) und auch
sorgfältig zu erfragen. Duloxetin möglich. Symptome sind Schwindel,
Gangunsicherheit, Übelkeit, Erbrechen, grip-
5.6 · Nebenwirkungen
49 5

peähnliche Symptome (Abgeschlagenheit, Glie- Suizidalität


derschmerzen), sensible Störungen (Parästhe- 5 Die Frage, ob SSRI bei Jugendlichen bis zum
sien, elektrisierendes Gefühl) und Schlafstö- 24. Lebensjahr (für diese Altersgruppe hat die
rungen. Auch Irritabilität, gedrückte Stimmung, FDA im Mai 2007 eine Warnung ausgesprochen)
psychomotorische Unruhe, Konzentrations- und suizidale Handlungen und Suizidideen auslö-
Gedächtnisstörungen bis hin zur Verwirrtheit sen können, wird kontrovers diskutiert. Es wird
können auftreten. angenommen, dass die bei SSRI und auch SNRI
5 Die Symptomatik ist meist leicht ausgeprägt und im Vergleich zu TZA ausgeprägtere psychomo-
bildet sich spontan nach wenigen Tagen zurück. torische Unruhe sowie auch in Einzelfällen die
Das Wiederansetzen des Antidepressivums führt Entstehung dranghafter suizidaler Impulse zu
meist zu einer umgehenden Rückbildung der Beginn der Therapie eine Rolle spielen könnten.
Symptome. Aufgrund der Datenlage wurde für Paroxetin
ein Warnhinweis ausgesprochen, dass das Risi-
Wichtig ko für suizidales Verhalten bei jungen Erwachse-
nen sowie bei Patienten mit suizidalem Verhal-
Antidepressiva sollen langsam, bei schon lang be- ten oder Suzidideationen in der Vorgeschichte
stehender Therapie, auch über Wochen abgesetzt möglicherweise erhöht sein kann. Zu den neues-
werden. ten Befunden über den Zusammenhang zwischen
verringerter SSRI-Verschreibung und Suizidalität
im Kindes- und Jugendalter 7 Abschn. 5.12.
Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion 5 Suizidversuche mit Überdosierungen sind bei
(SIADH) neueren Antidepressiva (SSRI, Mirtazapin,
5 In sehr seltenen Fällen kann unter Antidepres- Ausnahme: Venlafaxin) viel seltener mit vital
siva (meist in den ersten Behandlungswochen) bedrohlichen Komplikationen als bei TZA bela-
ein SIADH ausgelöst werden. Durch vermehrte stet (. Tab. 5.5, Spalte »Letalität bei Überdosie-
ADH-Sekretion wird Flüssigkeit vermindert aus- rungen«).
geschieden, was sich klinisch als konzentrierte
Harnausscheidung, laborchemisch in Form einer Wichtig
Hyponatriämie zeigt. Die Symptome sind: kör-
perliche Schwäche, Lethargie, Gewichtszunahme, 5 Patienten, Angehörige und behandelnde
Kopfschmerz bis hin zu Verwirrtheit, Krampfan- Psychologen und Ärzte sollten um ein zu
fällen und Koma. Im Verdachtsfall wird das Anti- Beginn der antidepressiven Behandlung
depressivum abgesetzt. möglicherweise zunehmendes oder auch
neu auftretendes Risiko suizidalen Verhaltens
Cave wissen. Zu Beginn einer antidepressiven
Behandlung und im Verlauf sollten Patienten,
Bei alten Menschen sollte, besonders unter SSRI insbesondere bei Vorliegen eines hohen
und Venlafaxin, regelmäßig Natrium überprüft Risikos für suizidales Verhalten (suizidales
werden, um die Vorboten eines SIADH zu erken- Verhalten in der Vorgeschichte oder Sui-
nen. Risiken sind: Alter, weibliches Geschlecht zidideationen zu Beginn der Behandlung),
und die Einnahme von Diuretika. engmaschig überwacht werden.
5 Ein Antidepressivum mit sedierenden
Eigenschaften kann bei suizidalen Patienten
Induktion einer manischen Episode als Monotherapie Vorteile bieten. Beim ge-
5 Unter TZA ist das Risiko für die Induktion ringsten Zweifel sollte begleitend passager
(hypo)manischer Episoden erhöht, wahrschein- ein Benzodiazepin-Anxiolytikum verordnet
lich aber nicht bei den SSRI; 7 Kap. 29, bipolare werden. Dies gilt besonders bei Antidepressi-
affektive Störungen. va ohne sedierende Komponente.
6
50 Kapitel 5 · Antidepressiva

5.7 Kontraindikationen und


5 Die zzt. geführte kritische Diskussion zur Intoxikationen
1 Frage des Suizidrisikos unter den neuen An-
tidepressiva erfordert, depressive Patienten 5 Für alle Antidepressiva gibt es Kontraindikati-
2 besonders zu Beginn der Therapie einem onen; sie sind für MAO-Hemmer und TZA zahl-
engmaschigen Monitoring zu unterziehen. reich und für die neueren Antidepressiva rela-
Sie darf in keinem Falle die Tendenz stützen,
3 Antidepressiva bei entsprechender Indikati-
tiv gering. Sie lassen sich leicht aus dem pharma-
koligischen Profil (. Tab. 5.1), den Angriffspunk-
on seltener zu verordnen oder gar wieder auf ten am Rezeptor ( . Tab. 5.3 u. 5.4) und den uner-
4 die TZA zurückzugreifen. TZA besitzen bei wünschten Wirkungen (. Tab. 5.5) ableiten. Eine
Suizidversuchen ein erhöhtes toxisches Risi- mögliche Einschränkung der Gabe eines Anti-
ko (. Tab. 5.5, letzte Spalte).In der jüngsten depressivums hängt auch von dem Interaktions-
5 Literatur ist man sich darüber einig, dass der potenzial ab (7 Abschn. 5.8).
Vorteil einer Therapie mit Antidepressiva bei 5 Die Verordnung von TZA soll bei folgenden
6 schweren Depressionen zur Verhinderung
von Suizidversuchen groß ist und gerade
Krankheiten wegen der anticholinergen Begleit-
wirkung nicht erfolgen: Prostatahypertrophie,
im Langzeitverlauf die Suizidrate durch SSRI Harnverhalt, Engwinkelglaukom, Pylorussteno-
7 verringert wird (Sondergard et al. 2007). se, paralytischer Ileus und schließlich delirian-
te Syndrome. Auch bei kardialen Reizleitungsstö-
8 Zentrales Serotoninsyndrom
rungen und zerebralen Krampfanfällen sind TZA
kontraindiziert.
5 Eine seltene Neben- bzw. Wechselwirkung ist das 5 Unter MAO-Hemmern kommen hypertone Blut-
9 zentrale Serotoninsyndrom bei Pharmaka mit druckkrisen, besonders nach Diätfehlern mit
serotonerger Wirkkomponente (SSRI, Venlafaxin, tyraminhaltiger Nahrung vor.
TZA, MAO-Hemmer, 5-HT-Agonisten, Trypto-
10 phan, Kokain, Amphetamine, aber auch Lithi- Cave
um).
5 Bei älteren Patienten sollten TZA und
11 5 Es tritt vorwiegend in einer Kombinationsthera-
MAO-Hemmer wegen der höheren Risiken
pie auf und ist als pharmakodynamische Interak-
tion auf der Ebene der serotonergen Neurotrans- bei Grunderkrankungen gar nicht mehr
12 mission im Sinne einer serotonergen Überaktivi- gegeben werden. Einnahmefehler erhöhen
tät zu verstehen. noch das Risiko.
5 Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leber- und
13 5 Es ist eine potenziell lebensbedrohliche Notfall-
Nierenerkrankungen sollte man auf TZA und
situation und tritt überwiegend innerhalb der
ersten 24 h nach Gabe der Medikation auf. MAO-Hemmer bei allen Patienten verzichten.
14 5 Bei bestehenden Leber- und Nierenerkran-
Cave kungen müssen auch die neueren Antide-
pressiva auf mögliche Risiken hin geprüft
15 Das zentrale Serotoninsyndrom besteht aus der werden.
Trias
16 5 Fieber,
5 neuromuskuläre Symptome (Hyperrigidität,
5 Auf die Risiken unter Antidepressiva beim Auto-
fahren wird in 7 Kap. 36, während der Schwanger-
Hyperreflexie, Myoklonie, Tremor), schaft und in der Stillzeit in 7 Kap. 35 hingewiesen.
17 5 psychopathologischen Auffälligkeiten 5 Die Beliebtheit der SSRI ist besonders auf ihre
(delirante Symptome wie Bewusstseins- und Sicherheit bei Überdosierung zurückzuführen.
18 Aufmerksamkeitsstörungen, Desorientiert-
heit, Verwirrtheit, auch Erregungszustände).
Am häufigsten treten Symptome bei Überdo-
sierung noch unter Fluoxetin auf. Es kann dann
Weiterhin möglich sind gastrointestinale Symp- zu gastrointestinalen Symptomen, Müdigkeit
19 tome. Vital bedrohliche Komplikationen ergeben und Tremor kommen. Erst in Dosen, die 75-mal
sich durch epileptische Anfälle, Herzrhythmuss- höher über der Tagesdosis liegen, kommt es zu
20 törungen, Koma, Multiorganversagen oder Ver- kardiovaskulären Symptomen, Krampfanfällen
brauchskoagulopathie. und veränderter Bewusstseinslage (7 Abschn. 5.6,
kardiale Nebenwirkungen).
5.9 · Routineuntersuchungen
51 5

Cave ganz besonders bei älteren Menschen. Es sind


Erregungszustände bis hin zum Delir möglich.
Bei Suizidalität sind TZA und MAO-Hemmer 5 Kombinationen von Antidepressiva mit Sympa-
aufgrund der relativ hohen Toxizität zu meiden thomimetika oder Antihypertensiva sind vorsich-
(. Tab. 5.5, Spalte »Letalität bei Überdosierung«). tig abzuwägen.
SSRI und die anderen neueren Antidepressiva 5 Generell sollten Antidepressiva nicht mit Alko-
(Ausnahme: Venlafaxin) sind dann vorzuziehen. hol in größeren Mengen kombiniert werden. Es
besteht die Gefahr der wechselseitigen Wirkungs-
verstärkung bis hin zum Koma.

5.8 Wechselwirkungen
5.9 Routineuntersuchungen
Viele Antidepressiva entfalten Wechselwirkungen mit
anderen Psychopharmaka und Medikamenten. Wäh- Routineuntersuchungen werden zur Therapieüber-
rend man früher nur die pharmakodynamischen wachung bei allen Antidepressiva empfohlen, da es
Wechselwirkungen kannte (s. unten), müssen heu- in seltenen Fällen zu Nieren- und Leberfunktions-
te, nachdem in den letzten Jahren der enzymatsche störungen sowie, besonders unter TZA, zu Blutbild-
Abbau der Psychopharmaka genauer bekannt ist, auch veränderungen und EKG-Veränderungen kommen
die pharmakokinetischen Wechselwirkungen beachtet kann. SSRI und die neueren Antidepressiva erfordern
werden (7 Abschn. 2.4): seltenere Routineuntersuchungen. Kontrollen emp-
fehlen sich dennoch.
Cave
Wichtig
5 Werden mehrere Medikamente gleichzeitig
mit Antidepressiva verabreicht, kann es zu Unabhängig von der Verordnung von Antidepres-
Interaktionen mit dem Resultat einer Erhö- siva sollte bei depressiven Patienten bekannt sein,
hung oder Verminderung der Plasmakonzen- ob eine Herz-Kreislauf-Erkrankung vorliegt. Denn
tration von Antidepressiva kommen. neben dem Suizid ist besonders das Risiko an ei-
5 Besonders wenn die Fluoxetin, Paroxetin ner Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben bei de-
oder Fluvoxamin und TZA kombiniert pressiven Patienten besonders hoch.
werden, können die Plasmakonzentrationen
des TZA stark ansteigen und zu toxischen Eine Übersicht der empfohlenen Kontrollen gibt
Spiegeln führen. . Tab. 5.6. Häufigere Kontrollen sind nötig, wenn ein
untersuchter Parameter pathologisch ausfällt oder
Alle wichtigen Interaktionen sind an anderer Stel- klinische Symptome auftreten, die einer Abklärung
le aufgelistet (Benkert u. Hippius 2007) und müssen bedürfen.
bei Verordnung eines Antidepressivums berücksichti-
gt werden. Wichtig

Wichtige Vorsichtsmaßnahmen zur Patienten müssen auf folgende Punkte hingewie-


Verhütung von pharmakodynamischen sen werden:
Wechselwirkungen 5 Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei
5 SSRI dürfen nicht mit MAO-Hemmern kombi- gleichzeitiger Einnahme anderer sedierender
niert werden, da die Gefahr eines seltenen zentra- Pharmaka und von Alkohol.
len Serotoninsyndroms besteht (7 Abschn. 5.6). 5 Es dürfen andere Medikamente nur nach
5 Auch Kombinationen von MAO-Hemmern oder Absprache mit dem Arzt eingenommen
SSRI mit L-Tryptophan oder Lithium können, werden.
wenn auch seltener, wegen des synergistischen 5 Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und Re-
Effektes auf die serotoninerge Neurotransmission aktionsfähigkeit zu Beginn der Behandlung
ein Serotoninsyndrom auslösen. muss beachtet werden (7 Kap. 36).
5 Kombinationen von Antidepressiva mit Anticho- 5 Über das Risiko in der Schwangerschaft und
linergika oder anticholinerg wirkenden Antipsy- Stillzeit muss aufgeklärt werden (7 Kap. 35).
chotika (7 Abschn.. 7.8) sollten vermieden werden,
52 Kapitel 5 · Antidepressiva

Plasmakonzentration von Antidepressiva dar, weil eine begleitende Depression die Pro-
1 Die Plasmakonzentration eines Pharmakons ist ein gnose der körperlichen Erkrankung verschlech-
Maß für seine Aktivität nach Verabreichung einer tert. Die Behandlung depressiver Syndrome bei
bestimmten Dosis. In manchen Fällen stellen die somatischen Erkrankungen hat einen signifi-
2 Konzentrationen ein genaues Abbild der Konzentra- kanten Vorteil gegenüber einer Placebobehand-
tion am Wirkort, dem Rezeptor, dar, welche in einer lung oder fehlender Behandlung. Dies ist für den
3 quantitativen Beziehung zum Ausmaß der pharmako-
logischen Wirkung stehen.
Schlaganfall gezeigt und wird für den Herzinfarkt
diskutiert.
5 Für einige Antidepressiva (insbesondere TZA) 5 Depression bei der Parkinson-Erkrankung ist häu-
4 und für spezifische Indikationen ist die thera- fig. Es werden neurochemische Gemeinsam-
piebegleitende Kontrolle der Konzentrationen keiten diskutiert. TZA waren in randomisier-
in Plasma (»Plasmaspiegel«) zur Therapieopti- ten Studien wirksam. Trimipramin und Clomi-
5 mierung sinnvoll. Dies ermöglicht eine individu- pramin sollten wegen der D2-antagonistischen
elle Dosisanpassung für den Patienten, da glei- Komponente gemieden werden. Bei kombinierter
6 che Dosierungen bei oraler Gabe in unterschied- Therapie ist auf einen möglichen Blutdruckabfall
lichem Ausmaß vom Patienten resorbiert und zu achten. Manchmal können auch SSRI zu einer
verstoffwechselt werden. Verschlechterung der extrapyramidal-moto-
7 5 Die Streuung der resultierenden Plasmakonzen- rischen Störung führen.
trationen ist so hoch, dass von einer gegeben 5 Es gibt hohe Evidenzen zum engen, wahr-
8 Dosis nicht zuverlässig auf die Plasmakonzentra-
tion geschlossen werden kann. Dies gilt für alte
scheinlich ursächlichen Zusammenhang zwi-
schen Depression (und Dauerstress) und körper-
und neue Antidepressiva. lichen Folgekrankheiten gerade auch im höheren
9 5 Für einige Antidepressiva existiert eine unte- Lebensalter. An erster Stelle stehen Herz-Kreis-
re und obere Schwellenkonzentration zwischen lauf-Erkrankungen (mit Arteriosklerose und
denen die Plasmakonzentration für einen opti- Hypertonie); diskutiert werden auch Diabetes
10 malen Therapieerfolg eingestellt werden sollte Typ 2 und Osteoporose (7 Abschn. 15.8).
(»therapeutisches Fenster«). 5 Bei geriatrischen Patienten ist immer die Gefahr
11 anticholinerger zentralnervöser Nebenwirkungen
Wichtig (Delir, Verwirrtheits- und Desorientiertheitszustän-
de) zu bedenken, welche insbesondere bei älteren
12 Allerdings ist ein Zusammenhang zwischen an- Patienten auch bei den üblichen Dosierungen
tidepressiver Wirkung und Plasmakonzentration besteht. TZA sind dabei am risikoreichsten.
bei vielen Substanzen, besonders denen, die heu-
13 te als Antidepressiva empfohlen werden, nicht
5 Antidepressiva und Psychotherapie im höheren
Lebensalter 7 Abschn. 15.2.
eindeutig. Die unerwünschten Wirkungen zei-
14 gen jedoch meistens eine Abhängigkeit von der
Plasmakonzentration. Fazit
15 Therapieempfehlung für Antidepressiva im höheren
Lebensalter
16 5.10 Antidepressiva im höheren 5 SSRI sind gerade bei geriatrischen Patienten sicherer
Lebensalter und besser verträglich als TZA. Unter den SSRI sind

17 Antidepressiva sollten viel häufiger in der Geriat-


die Präparate zu wählen, die das geringste pharmako-
kinetische Interaktionspotenzial besitzen (. Tab. 5.7).
rie eingesetzt werden, weil 10% der über 60-Jährigen 5 Auch die neueren Antidepressiva Venlafaxin sowie
18 unter einer behandlungsbedürftigen depressiven Stö- Mirtazapin zeigen eine gute Verträglichkeit bei geriat-
rung leiden. Nur die wenigsten depressiven geriat- rischen Patienten.
rischen Patienten werden jedoch antidepressiv behan- 5 Die Behandlung mit TZA ist aufgrund möglicher
19 delt, viele von ihnen nur mit TZA in zu niedriger arrhythmogener Wirkungen im Alter besonders risi-
Dosierung (Wilson et al. 2001). koreich. Vor Behandlungsbeginn empfiehlt sich daher
20 5 Depressive Störungen stellen einen behandlungs- dringend die Ableitung eines EKG.
bedürftigen und prognostisch relevanten Kom-
plikationsfaktor bei körperlichen Erkrankungen
5.11 · Präparategruppen
53 5

. Tab. 5.6. Empfehlungen für Routineuntersuchungen unter Antidepressiva

Vor- Monate Viertel- Halb-


her jähr- jähr-
1 2 3 4 5 6
lich lich

TZA

Blutbild × ×× ×× ×× ×× × × ×

Kreatinin × × × × ×

Leberenzyme × × × × × ×

Natrium × × × a ×a ×a ×a

EKG × × × ×a, d

EEG × (×)

RRb, Puls × × × × × ×

Andere Antidepressiva

Blutbildc × × × ×e

Kreatinin × × × ×e

Natrium × × ×a ×a ×a ×a ×a ×a

Leberenzyme × × × ×e

EKG ×a ,d ×d ×d

RRb, Puls × × × ×f

× Kontrollen; die Anzahl der notwendigen Routinekontrollen ist bisher nicht empirisch abgesichert, (×) optional. a Kontrolle bei allen Pa-
tienten über 60 Jahre empfehlenswert. b Unter Venlafaxin in hoher Dosierung ist der Blutdruck häufiger zu kontrollieren, weil es in sel-
tenen Fällen zu anhaltend erhöhten Werten kommen kann. c Für Mianserin empfehlen die Hersteller in den ersten Behandlungsmona-
ten wöchentliche Blutbildkontrollen. d Bei Patienten mit einem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. e Bei langfristig stabilen Patienten
können jährliche Kontrollen ausreichen. f Bei langfristig stabilen Patienten können halbjährliche Kontrollen ausreichen.

5.11 Präparategruppen1 gere Toxizität bei Überdosierungen im Vergleich zu


den TZA und MAO-Hemmer haben. Die Einführung
Es werden in den . Tab. 5.7–5.13 nur die wichtigen von Fluoxetin (Prozac®) in den amerikanischen Markt
Antidepressiva aufgelistet. 1988 durch die Firma Lilly ebnete den weltweiten Sie-
geszug für die SSRI. Sie wurden die Mittel der ersten
Wahl bei der Behandlung von leichten und mittel-
5.11.1 Selektive schweren Depressionen und Angststörungen. Bis heu-
Serotoninrückaufnahme- te sind weitere SSRI entwickelt worden, die sich durch
hemmer (SSRI) höhere Selektivität und weniger Interaktionen von
Fluoxetin abgrenzen.
Der durchschlagende Erfolg der SSRI liegt darin, dass
sie die gleiche Wirksamkeit, aber deutlich weniger
unerwünschte Wirkungen (7 Abschn. 5.6) und gerin- Fazit

Therapieempfehlung für SSRI


1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten 5 SSRI sollten bei allen Indikationen immer häufiger die
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt TZA und MAO-Hemmer ablösen; das Nutzen-Risiko-
. Tab. A1 im Anhang. Verhältnis ist bei SSRI besser.
54 Kapitel 5 · Antidepressiva

. Tab. 5.7. SSRI


1
Präparat Dosis Indikationen mit Wichtigste Behandlungs-
Zulassung Nebenwirkungen; hinweise
2 sonst 7 Abschn. 5.6

Citalopram 10–20 mg bis 40 mg Depression, Gastrointestinale Be- Sehr geringes Inter-


3 Cipramil®, Panikstörung schwerden, Müdigkeit, aktionspotenzial
Sepram® Kopfschmerzen,
Libidomangel, Schlaf-
4 störungen

Escitalopram 5–10 mg bis 20 mg; Depression, wie Citalopram Sehr geringes Inter-
5 Cipralex® bei Zwangsstörung Panikstörung, aktionspotenzial
20 mg Zwangsstörung

6 Fluoxetin
Fluctin®
Depression 20 mg
bis 60 mg, Panik-
Depression,
Zwangsstörung,
wie Citalopram Starkes Interaktions-
potenzial
störung zunächst Bulimie
7 10 mg, Zwangs-
störung und Bulimie
bis 60 mg
8 Fluvoxamin Depression Depression wie Citalopram Starkes Interaktions-
Fevarin® 100–200 mg, potenzial, leichte
9 Panikstörung Absetzsymptome
150 mg, Zwangs-
störung 250 mg
10 Paroxetin Depression, Depression, wie Citalopram Stärkere Absetz-
Seroxat®, GAD und PTSD Panikstörung, symptome, mäßiges
11 Tagonis® 20 mg bis 50 mg, GAD, Zwangs- Interaktions-
Panikstörung zu- störung, PTSD potenzial
nächst 10 mg,
12 Zwangsstörung bis
60 mg

13 Sertralin 50 mg bis 200 mg Depression wie Citalopram Leichte Absetz-


Gladem®, symptome, geringes
Zoloft® Interaktions-
14 potenzial

Depression depressive Störung; GAD generalisierte Angststörung; PTSD posttraumatische Belastungsstörung. Die allgemeinen Hinweise
15 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich für alle SSRI berücksichtigt werden.

16 5 Bei der leichten bis mittelgradigen Depression und 5.11.2 Selektive Serotonin-
bei den Angststörungen sind SSRI-Mittel der ersten Noradrenalin-
rückaufnahmehemmer (SNRI)
17 Wahl, wenn eine medikamentöse Therapie indiziert
ist.
5 Auch bei der schweren Depression entspricht die Neben der Serotoninrückaufnahmehemmung haben
18 Wirksamkeit der SSRI den TZA; nur die SNRI scheinen diese Präparate eine zusätzliche Noradrenalinrückauf-
noch wirksamer zu sein. Die Nebenwirkungen der nahmehemmung. Bei Duloxetin ist sie stärker als bei
SNRI sind aber auch stärker. Venlafaxin (. Tab. 5.8). Venlafaxin hat einen relativ
19 5 Bei Zwangsstörungen sind SSRI Mittel der ersten geringen serotoninblockierenden Effekt. Zwar gibt es
Wahl (7 Kap. 19). Hinweise, dass diese Gruppe in ihrer Wirksamkeit bei
20 5 Bei Suizidalität und der Verordnung von SSRI ist ein schweren Depressionen den SSRI überlegen ist, dabei
häufigeres Monitoring nötig (7 Abschn. 5.6). ist aber noch nicht gesichert, ob dieser Effekt sicher
auf der Noradrenalinkomponente beruht. Die Grup-
5.11 · Präparategruppen
55 5

. Tab. 5.8. SNRI

Präparat Dosis (täglich) Indikationen mit Wichtigste Behandlungs-


Zulassung Nebenwirkungen; hinweise
sonst 7 Abschn. 5.6

Duloxetin 60 mg Depression Gastrointestinale Mäßiges Interakti-


Cymbalta® Urologische Beschwerden, onspotenzial
Indikation: Inkon- Schwitzen, Schwindel,
tinenz Schlafstörungen

Milnacipran 100–200 mg Depression Unruhe, Tremor, anti- Keine Hinweise auf


Dalcipran® cholinerge Wirkungen, Interaktionen.
Schlafstörungen, Nicht in allen
sexuelle Funktions- deutschsprachigen
störungen Ländern im Handel

Venlafaxin 75-300 mg, Pa- Depression, GAD, Gastrointestinale Geringes Interakti-


Trevilor® retard nikstörung mit Panikstörung, Beschwerden, Unruhe, onspotenzial
37,5 mg lang- Soziale Phobie Schlafstörungen
sam beginnen

Depression depressive Störung; GAD generalisierte Angststörung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich für alle
SNRI berücksichtigt werden. Milnacipran steht nicht in allen deutschsprachigen Ländern zur Verfügung.

pe scheint auch bei allen Indikationen, die über die 5.11.3 Selektive Noradrenalin-
Depression hinausgehen, wirksam zu sein. rückaufnahmehemmer
Es bestätigt sich zzt. der Befund, dass diese Grup-
pe einen stärkeren antinozizeptiven Effekt als die SSRI Reboxetin hat einen selektiven Noradrenalinrückauf-
hat. Für Duloxetin und Milnacipran gibt es mehre- nahme blockierenden Effekt (. Tab. 5.9).
re Studien, die eine Wirksamkeit auch bei der Fibro-
myalgie zeigen, für Duloxetin auch bei diabetesbe-
dingtem neuropathischen Schmerz. Fazit

Therapieempfehlung für selektive Noradrenalin-


Fazit rückaufnahmehemmer
5 Reboxitin ist eine Alternative, wenn ein eigenstän-
Therapieempfehlung für SNRI diger pharmakologischer Wirkansatz bei fehlender
5 Bei der schweren Depression scheint Venlafaxin den Response gesucht wird.
SSRI überlegen zu sein. 5 Die gastrointestinalen Nebenwirkungen sind zwar
5 Venlafaxin hat einen schnelleren Wirkungseintritt als geringer als bei den SSRI, die urogenitalen Risiken
SSRI. schränken die Indikation bei Männern ein.
5 Die Nebenwirkungen sind unter SNRI etwas stärker
als unter SSRI.
5 SNRI sind bei chronischen Schmerzzuständen wirk-
sam. Der antinozizeptive Effekt ist bei dieser Gruppe 5.11.4 Noradrenerges/spezifisch
aufgrund der dualen Komponente besonders stark serotonerges Antidepressivum
ausgeprägt. mit α2-Adrenozeptor
5 SNRI haben bisher keine Wirkung bei der Zwangsstö- antagonistischer Wirkung
rung, ähnlich wie die SSRI, gezeigt.
5 Ob Duloxetin einen stärkeren antinozizeptiven Effekt Mirtazapin ist die Nachfolgesubstanz von Mianse-
als die anderen SNRI hat, ist noch nicht genügend rin. Chemisch hat es eine tetrazyklische Struktur, aber
evaluiert. nicht die wesentlichen pharmakologischen Eigen-
schaften, die den TZA entsprechen. Unter den Anti-
depressiva sind die Eigenschaften sehr eigenständig.
56 Kapitel 5 · Antidepressiva

. Tab. 5.9. Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer


1
Präparat Dosis (täglich) Indikationen mit Wichtigste Behandlungs-
Zulassung Nebenwirkungen; hinweise
2 sonst 7 Abschn. 5.6

Reboxetin 4, später 8 mg Depression Gastrointestinale Be- Sehr geringes Inter-


3 Edronax® schwerden, Schwit- aktionspotenzial
zen, Kopfschmerzen, Cave: Harnverhalt
Schlafstörungen, bei Männern
4 Tachykardie

Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
5
. Tab. 5.10. D2-Adrenorezeptor-Antagonisten
6
Präparat Dosis (täglich) Indikationen Wichtigste Behandlungshinweise
mit Zulassung Nebenwirkungen;
7 sonst 7 Abschn. 5.6

Mirtazapin 30 mg, Erhö- Depression Müdigkeit, Mund- Geringes Interaktions-


8 Remergil® hung auf 45 mg trockenheit, potenzial, kaum sexuelle
möglich Gewichtszunahme Funktionsstörungen

9 Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.

10 Wesentlich ist die α2-adrenergen Rezeptor blockie- 5.11.5 Noradrenalin-


rende Wirkung. Der verstärkte noradrenerge Tonus Dopaminrückaufnahme-
11 führt zu einer sekundären serotonergen Freisetzung hemmer
in den Synapsen. Mirtazapin blockiert die 5-HT2-
und 5-HT3-Rezeptoren, ist aber auch ein potenter H1- Neu zugelassen als Antidepressivum ist der Nora-
12 Rezeptorantagonist, worauf die wesentlichen Neben- drenalin-Dopamin-Rückaufnahmehemmer Bupro-
wirkungen zurückzuführen sind (. Tab. 5.10). pion (Elontril®). Damit hat sich das Indikationsspek-
13 trum von Bupropion nach seiner Einführung als Rau-
cherentwöhnungsmittel (Zyban®) (7 Abschn. 11.2) auf
Fazit depressive Störungen erweitert. Die Anfangsdosis zur
14 Behandlung depressiver Episoden liegt bei 150 mg/Tag
Therapieempfehlung für Mirtazapin als Einmalgabe. Zu den häufigsten Nebenwirkungen
15 5 Bei Depressionen mit Schlafstörungen ist Mirtazapin
Mittel der Wahl; auch geeignet zur Schlafinduktion
zählen Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Mundtro-
ckenheit sowie gastrointestinale Beschwerden. Von
ohne depressive Störung. Seiten des Nebenwirkungsprofils bietet Bupropion bei
16 5 Mirtazapin hat wie Venlafaxin einen schnelleren einer den SSRI und Venlafaxin vergleichbaren anti-
Wirkungseintritt als SSRI. depressiven Wirksamkeit Vorteile durch fehlende
5 Auch Mirtazapin hat aufgrund seines dualen Wirkme- Gewichtszunahme und geringeren sexuellen Funkti-
17 chanismus wie die SNRI einen antinozizeptiven Effekt. onsstörungen.
5 Mirtazapin lässt sich in der Augmentationstherapie Es muss noch gezeigt werden, dass Bupropion
18 ohne große Risiken mit SSRI und SNRI kombinieren. eine Alternative zu den anderen neuen Antidepressi-
5 Nachteilig ist die Gewichtszunahme. va ist. Deswegen wurde auf eine eigenständige Tabelle
für Bapropion verzichtet.
19
20
5.11 · Präparategruppen
57 5

5.11.6 Trizyklische Antidepressiva 5.11.7 MAO-Hemmer


(TZA)
MAO-Hemmer gehörten zu den ersten Antidepres-
TZA haben einen breiten polypharmazeutischen Wir- siva (7 Abschn. 5.1.1). Die Risiken darunter sind aber
kansatz (7 Abschn. 5.2); dadurch ist das Risiko für heute zu groß, um sie in der Routinetherapie zu emp-
Nebenwirkungen und Komplikationen bei Überdo- fehlen, z. B. hypertensive Krisen. Tranylcypromin ist
sierung hoch. Da die neuen Antidepressiva eine min- ein irrereversibler nicht-selektiver MAO-Hemmer,
destens gleich gute Wirksamkeit haben, sind sie in der wogegen Moclobemid ein selektiver reversibler MAO-
Regel bei den entsprechenden Indikationen vorzu- Hemmer vom A-Typ ist. Die Nebenwirkungen unter
ziehen. Auch die große historische Bedeutung dieser Moclobemid sind gering. Es kommt darunter nicht
Gruppe rechtfertigt heute nicht mehr einen Einsatz zu einer Rückaufnahmehemmung biogener Amine
als Mittel der ersten Wahl. Ein Vorteil der TZA liegt (. Tab. 5.12).
in der Möglichkeit bei unbefriedigender Response das
TDM einzusetzen (7 Abschn. 5.9, . Tab. 5.11).
Fazit

Fazit Therapieempfehlung für MAO-Hemmer


5 Moclobemid ist eine Alternative, wenn ein eigenstän-
Therapieempfehlung für TZA diger pharmakologischer Wirkansatz bei fehlender
5 Der Hauptgrund für den Einsatz von TZA sind die rela- Response gesucht wird.
tiv geringen täglichen Verschreibungskosten bei allen 5 Es gibt Hinweise, dass unter Moclobemid sexuelle
Indikationen. Wenn möglich sollten die Antidepressi- Funktionsstörungen kaum auftreten.
va der obigen Gruppen vorgezogen werden.
5 Die meisten TZA haben aufgrund ihres breiten phar-
makologischen Profils auch einen antinozizeptiven
Effekt.

. Tab. 5.11. TZA (Auswahl)

Präparat Dosis Indikationen mit Zu- Wichtigste Behandlungs-


(täglich) lassung Nebenwirkungen; hinweise
sonst 7 Abschn. 5.6

Amitriptylin 150 mg Depression, Schmerz- Anticholinerge Starkes Interaktions-


Saroten® behandlung Wirkungen, Müdigkeit potenzial, schlaf-
anstoßende Wirkung

Clomipramin 150 mg Depression, Panik- Anticholinerge Starkes Interaktions-


Anafranil® störung, Phobien, Wirkungen, Müdig- potenzial, starke
Zwangsstörung, keit, Unruhe Serotoninrückauf-
Schmerzbehandlung nahmehemmung

Imipramin 150 mg Depression, Schmerz- Anticholinerge Starkes Interaktions-


Tofranil® behandlung Wirkungen, Unruhe, potenzial
Harnverhalt

Nortriptylin 100–150 mg Depression Geringere Neben- Interaktionspoten-


Nortrilen® wirkungen als bei zial, bei Schwanger-
anderen TZA schaft günstigstes
Profil

Trimipramin 150 mg Depression Anticholinerge Starkes Interaktions-


Stangyl® Wirkungen, starke potenzial, schlafan-
Müdigkeit stoßende Wirkung

Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
58 Kapitel 5 · Antidepressiva

. Tab. 5.12. MAO-Hemmer (Auswahl)


1
Präparat Dosis (täglich) Indikationen mit Wichtigste Behandlungs-
Zulassung Nebenwirkungen; hinweise
2 sonst 7 Abschn. 5.6

Moclobemid 300 mg, dann Depression, soziale Geringe vegetative Stark


3 Aurorix® 600 mg Phobie Nebenwirkungen, tyraminhaltige
bei Moclobemid Nahrung muss ver-
kein Risiko für hyper- mieden werden.
4 tensive Krisen Keine Kombination
mit serotonin-
haltigen Medika-
5 menten

Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
6
. Tab. 5.13. Pflanzliche Präparate (Auswahl)
7
Präparat Dosis (täglich) Indikationen mit Wichtigste Behandlungs-
Zulassung Nebenwirkungen; hinweise
8 sonst 7 Abschn. 5.6

Hyperikumex- Wahrscheinlich Depression Kaum Neben- Unterschätztes,


9 trakt 900 mg wirkungen mäßiges Interakti-
onspotenzial

10 Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.

11 5.11.8 Pflanzliche Präparate 5.12 Antidepressiva in


der Kinder- und
Es gibt mehrere Johanniskrautextrakte in verschie- Jugendpsychiatrie
12 denen Präparaten, die ohne Rezeptpflicht zur Behand-
lung der Depression erhältlich sind. Bei der Behandlung mit Antidepressiva im Kindes-
13 Eine größere Anzahl von placebokontrollierten und Jugendalter sind die Auswahlkriterien für ein
Studien zeigt bei leichter bis mittelschwerer Depres- Antidepressivum in erster Linie die klinische Sym-
sion eine Überlegenheit für Johanniskrautpräparate. ptomatik, die sich im Entwicklungsverlauf teilweise
14 Neue Studien zeigen allerdings gegenüber Placebo- erheblich verändern kann, das Nebenwirkungspro-
und Standardantidepressiva uneinheitliche Ergebnisse. fil und die Akzeptanz der Familie hinsichtlich einer
15 Das gilt jetzt auch für die schwere depressive Störung,
obwohl eine erste Studie bei dieser Krankheitsgruppe
medikamentösen Therapie.

unter Hypericum über 24 Wochen einen gleich guten Indikationen


16 Effekt wie ein SSRI gezeigt hat. Die Dosis-Wirkung- Das Indikationsspektrum für Antidepressiva im Kin-
Beziehung von Johanniskrautextrakten ist ungeklärt. des- und Jugendalter, wenn auch Antidepressiva nicht
in allen Fällen die Medikamente der ersten Wahl sind,
17 umfasst zusätzlich zu den oben beschriebenen depres-
Fazit siven Störungsbildern und Diagnosegruppen noch
18 5 hyperkinetische Störungen,
Therapieempfehlung für Johanniskrautextrakte 5 Störung des Sozialverhaltens,
5 Bei der Verordnung von Hypericumpräparaten sollte 5 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen auf-
19 bedacht werden, dass es vom wissenschaftlichen grund einer Krankheit, Schädigung oder Funkti-
Standpunkt zzt. noch sehr viele Unsicherheiten zur onsstörung des Gehirns,
20 Wirksamkeit, Dosis, Präparatewahl und Interaktionen 5 Persönlichkeitsstörungen,
gibt. 5 tief greifende Entwicklungsstörungen,
5 emotionale Störungen des Kindesalters,
5.12 · Antidepressiva in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
59 5

5 elektiver Mutismus, 5 Generell gilt, ähnlich wie im Erwachsenenalter,


5 Ticstörungen, dass SSRI und nun auch die SNRI und Mirtaza-
5 Enuresis, pin die Medikamente erster Wahl sind. Aus Stu-
5 stereotype Bewegungsstörungen, dien bei Erwachsenen ist bekannt, dass es inner-
5 Stottern und Poltern (Leitlinien der Deutschen halb der SSRI-Gruppe keine Unterschiede hin-
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie sichtlich der Effizienz gibt. Deshalb ist es wahr-
und Psychotherapie 2003). scheinlich, dass auch bei Kindern und Jugend-
lichen die Effizienz der SSRI ähnlich sein dürfte.
Wirksamkeit der Antidepressiva bei der 5 Obwohl Hyperikumextrakte bei Kindern und
Depression Jugendlichen sehr häufig verschrieben werden,
5 Die placebokontrollierte Wirkung von Antide- wurde eine positive Wirkung erst in einer Stu-
pressiva im Kindes- und Jugendalter wurde vor- die gezeigt.
nehmlich bei depressiven Störungen untersucht
und hier insbesondere TZA und SSRI. Im Ver- Wirksamkeit der Antidepressiva bei
gleich zu Erwachsenen konnten bei Kindern und anderen Indikationen
Jugendlichen mit depressiven Syndromen allen- 5 Fluvoxamin aus der Gruppe der SSRI ist zur
falls eine marginale Überlegenheit der TZA im Behandlung von Zwangsstörungen ab dem Alter
Vergleich zu Placebos gezeigt werden. Berück- von 8 Jahren und Clomipramin sowie Imipramin
sichtigt man auch noch das ungünstige Neben- aus der Gruppe der TZA sind ab dem Alter von
wirkungsprofil der TZA, so sollten diese nicht 5 Jahren vorwiegend zur Behandlung der funkti-
mehr als Mittel der ersten Wahl verordnet wer- onellen Enuresis zugelassen.
den.
5 Für die SSRI konnte die Wirksamkeit, vor allem SSRI und Suizidalität
für Fluoxetin, bei dem mit Abstand die mei- 5 Das Thema SSRI und Zunahme von Suizi-
sten Studien durchgeführt wurden, gezeigt wer- dalität ist noch nicht abschließend geklärt
den. Da Fluoxetin auch ein geringeres Neben- (7 Abschn. 5.6). Für alle Indikationen im Kin-
wirkungsprofil als TZA bei Kindern und Jugend- des- und Jugendalter und alle Antidepressiva
lichen mit Depressionen hat, ist dieser Wirk- lag das relative Risiko für Suizidideen und suizi-
stoff bei der Behandlung von Depressionen vor- dale Handlungen bei 1,95, und für die SSRI und
zuziehen. Fluoxetin ist seit kurzem ab dem Alter depressive Syndrome im Kindes- und Jugend-
von 8 Jahren bei mittelgradigen bis schweren Epi- alter betrug das relative Risiko 1,66. Bei beiden
soden einer Major Depression zulassen, wenn Gruppen war damit das Risiko signifikant erhöht.
im Vorfeld durch 4–6 psychotherapeutische Sit- Durchschnittlich kamen bei 4% der Patienten, die
zungen keine Verbesserung erzielt werden konn- mit SSRI behandelt wurden, Suizidideen und sui-
te. Fluoxetin sollte nur in Verbindung mit einer zidale Handlungen vor, während in den Placebo-
gleichzeitigen psychotherapeutischen Behand- gruppen nur 2% der Patienten diese Symptome
lung gegeben werden. zeigten. Die Ergebnisse waren nur signifikant,
5 Für andere Antidepressiva stehen noch nicht aus- wenn alle Studien berücksichtigt wurden. In kei-
reichend Studien zur Verfügung, um abschlie- ner Studie kam es zu einem Suizid (Hammad et
ßende Empfehlungen geben zu können (Cheung al. 2006).
et al. 2005; Geller et al. 1999; Heiser u. Rem- 5 Allerdings weist eine neue Untersuchung darauf
schmidt 2002). Auch liegt keine Zulassung für hin, dass parallel zum Rückgang der Verschrei-
eine dieser Substanzen zur Behandlung depres- bung von SSRI in den Jahren 2003–2005 die Sui-
siver Syndrome im Kindes- und Jugendalter vor. zidrate um bis zu 50% bei Kindern und Jugend-
5 Die Dosierungen und Serumkonzentrationen lichen angestiegen ist (Gibbons et al. 2007).
(Cohen et al. 1999) sowie die Wechselwirkungen
und Kontraindikationen entsprechen denen Cave
im Erwachsenenalter. Ebenso sind die Neben-
wirkungen ähnlich; möglicherweise kommt es 5 In den ersten 4 Wochen der Behandlung
durch SSRI zu einer leichten Wachstumsverzö- sollte eine engmaschige Kontrolle bei Ver-
gerung (Weintrob et al. 2002). Die Routineunter- ordnung von SSRI erfolgen.
suchungen sollten mit der gleichen Frequenz wie
im Erwachsenenalter erfolgen.
60 Kapitel 5 · Antidepressiva

5.13 Checkliste
1
?
2 1. Welche Rolle spielte die Noradrenalin-Serotonin- 8. Welche Nebenwirkungen sind unter der Behand-
hypothese der Depression in der Entwicklung lung mit Antidepressiva häufig und stellen

3 2.
der biologischen Psychiatrie?
Was sind die Vorteile der selektiven Serotonin-
deswegen besonders in der Langzeitbehandlung
ein Problem dar?
rückaufnahmehemmer (SSRI) gegenüber den 9. Für welche weiteren psychiatrischen Krankheits-
4 Trizyklischen Antidepressiva (TZA) und den bilder neben der Depression sind Antidepressiva
MAO-Hemmern? zugelassen?
3. Was versteht man unter den modernen dualen 10. Welche Symptome können beim plötzlichen
5 Antidepressiva, welche Neurotransmittersysteme Absetzen von Antidepressiva auftreten?
werden in erster Linie durch sie beeinflusst? 11. Welche Antidepressiva sind bei geriatrischen Pa-
6 4. Beschreiben Sie die Synapsenfunktion bei der tienten, die auch häufig zusätzliche internistische
chemischen Neurotransmission. Wie greifen Erkrankungen haben, zu bevorzugen?
Antidepressiva ein? 12. Welches moderne Antidepressivum ist bei einer
7 5. Was versteht man unter dem Begriff der Depression mit ausgeprägten Schlafstörungen
Wirklatenz bei der Behandlung mit Antidepres- das Mittel der Wahl?
8 6.
siva?
Welche besonderen Probleme ergeben sich aus
13. Wie ist der Einsatz pflanzlicher Mittel, z. B. von
Johanniskrautextrakten, nach der wissenschaftli-
der Wirklatenz der Antidepressiva für die Behand- chen Studienlage derzeit zu beurteilen?
9 lung von depressiven Patienten? 14. Welches Antidepressivum sollte zur Behandlung
7. Welche zusätzlichen Medikamente setzt depressiver Syndrome im Kindes- und Jugendal-
man – neben dem intensiven therapeutischen ter eingesetzt werden?
10 Kontakt mit dem Patienten – bei der Behandlung
von akuter Suizidalität ein?
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
6.1 ·
61 6

Stimmungsstabilisierer

6.1 Einteilung – 62
6.1.1 Ordnungsprinzip – 62

6.2 Wirkungsmechanismus – 62

6.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 63

6.4 Indikationen – 63
6.4.1 Lithium – 63
6.4.2 Antikonvulsiva, Antipsychotika und Antidepressiva – 65

6.5 Dosierung, Plasmakonzentration und


Behandlungsdauer – 65
6.5.1 Lithium – 65
6.5.2 Antikonvulsiva und Antipsychotika – 65

6.6 Nebenwirkungen – 65

6.7 Kontraindikationen und Intoxikationen – 66

6.8 Wechselwirkungen – 66

6.9 Routineuntersuchungen – 66

6.10 Stimmungsstabilisierer im höheren Lebensalter – 66

6.11 Präparategruppen – 68

6.12 Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und


Jugendpsychiatrie – 68

6.13 Checkliste – 70
62 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer

6.1 Einteilung laktisch bei der bipolaren Depression und auch


1 bei Rapid Cycling, wenn depressive Phasen über-
Definition wiegen.
5 Atypische Antipsychotika:
2 Für die Therapie der bipolaren affektiven Störung Neben der bisher bekannten Wirkung der AAP
(7 Kap. 29) werden zwei Substanzklassen unter- bei der Manie hat sich gezeigt, dass die AAP
3 schieden: Olanzapin und Quetiapin auch als Stimmungs-
stabilisierer wirksam sind. Die anderen AAP
5 Stimmungsstabilisierer und
5 adjuvante Pharmakotherapeutika. (7 Kap. 7) sind auf diese Indikation hin noch
4 nicht genügend evaluiert.

Stimmungsstabilisierer (Syn.: »mood stabilizer«) sol-


5 len die Stimmung langfristig ausgleichen und stabili- 6.2 Wirkungsmechanismus
sieren; sie sind für die Therapie und Prophylaxe aller
6 Phasen der Störung gleichermaßen geeignet. Sie wer- Lithium und Antikonvulsiva entfalten die unter-
den über die gesamte Dauer der bipolaren affektiven schiedlichsten zentralnervösen (und peripheren)
Störung verabreicht, unabhängig von der akut beste- Wirkungen. Es ist unbekannt, welche der folgenden
7 henden Phänomenologie. Effekte ihre Wirksamkeit bei bipolaren affektiven Stö-
Von ihnen werden die adjuvanten Pharmakothe- rungen ausmacht. Folgende Systeme werden beein-
8 rapeutika (Antipsychotika, Antidepressiva, Benzo-
diazepine), die nur für spezifische Syndrome geeig-
flusst:
5 Wirkungen auf Signaltransduktionssysteme:
net sind, unterschieden. Atypische Antipsychoti- Einer der wesentlichen Wirkmechanismen des
9 ka (AAP; z. B. Olanzapin oder Quetiapin) haben Lithiums bei affektiven Störungen scheinen des-
eine nachgewiesene antimanische, möglicherweise sen Wirkungen auf Second-messenger-Systeme
sogar eine antidepressive Wirksamkeit bei der bipo- zu sein.
10 laren affektiven Störung. Benzodiazepine können bei 5 Wirkungen auf neuronale Ionenkanäle: Die mei-
der schweren Manie als adjuvante Therapie eingesetzt sten Antikonvulsiva (Valproinsäure, Carbamaze-
11 werden (7 Abschn. 29.2) pin, Lamotrigin) führen zu einer Inaktivierung
Da in neuen Studien darüber hinaus gezeigt wur- spannungsabhängiger Natriumkanäle und damit
de, dass auch einige AAP eine phasenprophylaktische zu einer Reduktion des Natriumeinstroms, sowie
12 Wirkung haben, wird die Abgrenzung der beiden wahrscheinlich auch zu einer Erhöhung der Kali-
Gruppen immer unschärfer. umleitfähigkeit; dies hat eine Reduktion neuro-
13 naler Entladungsfrequenzen zur Folge.
5 Wirkungen auf inhibitorische und exzitato-
6.1.1 Ordnungsprinzip rische Transmittersysteme: Viele Antikonvul-
14 siva (Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotri-
Derzeit sind drei Gruppen von Stimmungsstabilisie- gin, Gabapentin) und auch Lithium verstärken
15 rern bekannt:
5 Lithium:
auf unterschiedlichste Weise die (inhibitorische)
GABAerge Neurotransmission.
Die Therapie der Manie mit Lithiumsalzen wur- 5 Wirkungen auf die serotonerge Neurotransmis-
16 de 1949 von Cade in Australien entdeckt. Erst ein sion: Lithium verstärkt die serotonerge Neuro-
Jahrzehnt später stellte Schou die phasenprophy- transmission auf den verschiedensten Ebenen. Es
laktische Wirkung fest. Lithium ist die klassische verstärkt die Synthese durch eine Erhöhung der
17 Referenzsubstanz zur Behandlung bipolar affek- Tryptophanaufnahme in serotonerge Neurone,
tiver Erkrankungen. führt zu einer verstärkten Serotoninfreisetzung
18 5 Antikonvulsiva: und vermindert dessen Katabolismus. Die Wir-
In den letzten Jahrzehnten wurden die antilep- kungen auf die Dichte von 5-HT2A- und 5-HT2C-
tisch wirksamen Substanzen intensiv auch auf Rezeptoren sind hirnregional unterschiedlich, in
19 ihre antimanische und phasenprophylaktische den meisten Studien wird jedoch eine Abnahme
Wirkung hin untersucht. Valproinsäure (und Car- der Dichte dieser Rezeptoren gezeigt. Auch Olan-
20 bamazepin) sind Substanzen mit guter antima- zapin und Quetiapin führen zu einer Abnahme
nischer Wirksamkeit und sind auch phasenpro- von 5-HT2A-Rezeptoren.
phylaktisch wirksam. Lamotrigin wirkt prophy-
6.4 · Indikationen
63 6

5 Wirkungen auf die Genexpression: Lithium ist 6.4 Indikationen


ein potenter Induktor der fos-Expression. Außer-
dem beeinflusst Lithium die Expression von ver- Jeweils einige Stimmungsstabilisierer (. Tab. 6.1) wer-
schiedenen G-Proteinen und Adenylylzyklasen den bei folgenden Diagnosen eingesetzt:
sowie Peptidhormonen und ihren Rezeptoren. 5 Manische Episode
5 Beeinflussung zirkadianer Rhythmen: Lithium 5 Bipolare affektive Störung mit
bremst zirkadiane Oszillatoren in einer Viel- – manischer Episode im Rahmen einer bipo-
zahl von Spezies. Chronische Behandlung verlän- laren affektiven Störung,
gert zahlreiche zirkadiane Rhythmen unter frei- – depressiver Episode im Rahmen einer bipo-
laufenden Bedingungen. Da bei – insbesondere laren affektiven Störung (sog. bipolare
bipolaren – affektiven Störungen eine Phasenver- Depression),
schiebung (»phase advance«) biologischer Rhyth- – gemischter Episode bei bipolarer affektiver
men vermutet wird, soll Lithium seine Wirkung Störung,
z. T. über diese Phasenverlängerung endogener – Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver
Rhythmen entfalten. Störung,
– Akutbehandlung und Phasenprophylaxe des
Rapid Cycling,
6.3 Allgemeine Therapieprinzipien – Phasenprophylaxe bei schizoaffektiver Stö-
rung,
5 Die Einordnung der Therapie mit Stimmungssta- – Phasenprophylaxe bei rezidivierender unipo-
bilisierern in einen Gesamtbehandlungsplan fin- larer Depression,
det sich in 7 Abschn. 29.1. Dazu gehört auch die – Augmentationstherapie bei therapieresi-
frühzeitige Vermittlung eines Krankheitskon- stenter Depression.
zeptes.
5 Jeder Behandlungsbeginn mit Stimmungsstabi- Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Stim-
lisierern setzt die Abschätzung des individuellen mungsstabilisierer bei den Indikationen wird in
Rückfallrisikos voraus; es ist bei bipolarem Ver- 7 Abschn. 29.2 zusammengefasst. Dort findet sich
lauf deutlich höher als bei unipolarem Verlauf. auch die generelle Indikationsstellung für eine Pha-
Ein entscheidendes Kriterium ist dabei die bishe- senprophylaxe bei einer bipolaren affektiven Störung.
rige Phasenfrequenz. Die Trennung der Indikationen bez. der Zulas-
5 Der Einsatz von Stimmungsstabilisierern muss sung zeigt . Tab. 6.1.
stets sehr sorgfältig abgewogen werden, da es sich
oft um eine Entscheidung über eine jahrelange,
oft sogar lebenslange Therapie handelt. 6.4.1 Lithium
5 Die Compliance ist die Basis für einen Therapie-
erfolg. Eine mangelhafte Lithiumcompliance fin- 5 Lithium ist der am besten geprüfte und seit vie-
det sich häufiger bei schweren Manien, bei Kom- len Jahrzehnten klinisch bewährte Stimmungs-
bination von Lithium mit anderen Stimmungs- stabilisierer.
stabilisierern und bei Lithiumnebenwirkungen. 5 Ein voller phasenprophylaktischer Effekt ist
Auch wenn Rapid-Cycling-Phänomene oder manchmal erst nach Monaten (bis Jahren) fest-
Alkohol- und/oder Drogenabhängigkeit bzw. - stellbar.
abusus auftreten, verringert sich die Compli- 5 Die prophylaktische Wirksamkeit ist beson-
ance. Schließlich ist das Risiko für eine schlechte ders gut, wenn bisher weniger als 3 Episoden der
Compliance bei Persönlichkeitsstörungen, männ- bipolaren affektiven Störung aufgetreten sind.
lichen und allein lebenden Patienten, jüngeren
Patienten und Patienten mit niedrigerer Schulbil-
dung oder geringerem sozioökonomischem Sta-
tus größer.
64 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer

. Tab. 6.1. Indikationen für Stimmungsstabilisierer


1
Stimmungs- Zugelassene Indikationen Weitere Indikationen Bemerkungen
stabilisierer
2 Lithiumsalze

3 Akutbehandlung ma-
nischer Syndrome; Phasen-
Akuttherapie und Prophy-
laxe schizoaffektiver Stö-
Die klassische (euphorische)
Manie spricht gut auf Lithi-
prophylaxe bipolarer affek- rungen; Lithiumaugmenta- um an
4 tiver Störungen, rezidivie-
render manischer Episoden
tion bei therapieresistenter
Depression (7 Kap. 15)
Bei wenigen Vorphasen ist Li-
thium zur Phasenprophyla-
und unipolarer Depression xe zu bevorzugen; weniger
5 wirksam bei Vorliegen zahl-
reicher Vorphasen, bei ge-
mischten Episoden und bei
6 Rapid Cycling

Antiepileptika
7 Carbamazepin Phasenprophylaxe bipo- Manisches Syndrom Die Phasenprophylaxe ist rela-
larer affektiver Störungen tiv wenig abgesichert
8 Alkoholentzugssyndrom

Lamotrigin Prävention depressiver Epi- Hinweise zur Wirkung bei Kein Beleg für antimanische
9 soden bei Patienten mit
bipolaren Störungen;
Rapid Cycling, wenn depres-
sive Phasen überwiegen
Wirkung; nicht zusammen
mit Aripiprazol (Cave: Inter-
aktionen)
10 Valproinsäure Manisches Syndrom Bei häufigen Vorphasen ist
Phasenprophylaxe bipo- Valproinsäure zur Phasen-
11 larer affektiver Störungen prophylaxe gut wirksam (und
Carbamazepin vorzuziehen)

12 Atypische Antipsychotika

Manisches Syndrom (Olan- Hinweise für Wirkung bei: Olanzapin wirkt besser gegen
zapin und Quetiapin) 5 gemischter Episode die manische als gegen die
13 Phasenprophylaxe bipo- und beim Rapid Cycling depressive Phase;
larer affektiver Störungen (Olanzapin und Queti- für Quetiapien gibt es die
14 (Olanzapina und Quetiapin) apin);
5 bipolarer Depression
meisten positiven Studien bei
der bipolaren Störung
(Olanzapin und Queti-
15 apin)
a
Wenn Olanzapin in der akuten Phase wirksam war.

16
Wichtig
17
5 Nach Absetzen einer Lithiumprophylaxe ist 5 Wenn eine Lithiumprophylaxe doch abgesetzt
18 das Rückfallrisiko wahrscheinlich höher als im
naturalistischen Verlauf; mit jeder Phase nimmt
wird, sollte dies langsam über viele Monate
erfolgen.
möglicherweise die Phasenhäufigkeit weiter zu, 5 Nach Absetzen von Lithium kann, wenn es bei
19 evtl. Einmündung in Rapid Cycling. einer erneuten Episode wieder angesetzt wird,
möglicherweise seine Effektivität verlorengehen.

20
6.6 · Nebenwirkungen
65 6

6.4.2 Antikonvulsiva, Antipsychotika Wichtig


und Antidepressiva
5 Lithiumplasmakonzentration für antima-
Die Indikationen und die Vor- und Nachteile von nische Wirkung: 1,0–1,2 mmol/l
Antikonvulsiva und Antipsychotika bei bipolaren 5 Lithiumplasmakonzentration für phasenpro-
affektiven Störungen ist der . Tab. 6.1 zu entnehmen. phylaktische Wirkung: 0,6–0,8 mmol/l
Neue Untersuchungen zeigen ihre immer größere 5 Plasmakonzentration für Lithiumaugmenta-
Bedeutung im Rahmen der Phasenprophylaxe. tion: 0,6–0,8 mmol/l
5 AAP beweisen sich nicht nur als adjuvante Phar-
makotherapeutika, sondern immer mehr auch als
Stimmungsstabilisierer. Wichtig
5 Auf eine Phasenprophylaxe mit konventionellen
5 Die Lithiumserumkonzentration (Blutent-
Antipsychotika (7 Kap. 7) sollte verzichtet wer-
nahme pünktlich 12±0,5 h nach letzter
den, weil dabei im Verlauf häufiger depressive
Tabletteneinnahme, vor Einnahme der
Syndrome beobachtet werden. Daher sollte in der
Medikamente) sollte nach dem in . Tab. 6.2
Regel AAP der Vorzug gegeben werden.
dargestellten Schema kontrolliert werden.
5 Wegen des hohen Risikos einer Induktion eines
Rapid Cycling sollte auf die Verabreichung von
TZA bei bipolaren affektiven Störungen verzich-
tet werden. SSRI sind zu bevorzugen.
6.5.2 Antikonvulsiva und
Antipsychotika
6.5 Dosierung,
Plasmakonzentration und 5 Carbamazepin und mehr noch Lamotrigin müs-
Behandlungsdauer sen sehr langsam aufdosiert werden.
5 Beim Carbamazepin sind antimanische und pha-
5 Die Dosierung richtet sich beim Lithium, Carba- senprophylaktische Plasmakonzentrationen nicht
mazepin und Valproinsäure nach der Plasmakon- definiert; angestrebt werden sollten Plasmakon-
zentration; bei Lamotrigin und den AAP nach zentrationen, wie sie in der Epileptologie Anwen-
klinischen Erfahrungswerten. dung finden (6–12 mg/l).
5 Die Behandlungsdauer muss über Jahre geplant 5 Valproinsäure kann bei manischen Syndromen
werden. Lithiumaugmentation7 Abschn. 15.5. gleich von Beginn an in der Zieldosis verabrei-
cht werden
5 Für Lamotrigin ist keine Plasmakonzentration
6.5.1 Lithium definiert.
5 Es werden für die AAP Dosierungen bis zur Kou-
5 Lithium kann bei manischen Syndromen rasch pierung der Manie gesucht (7 Kap. 7); bei der
aufdosiert werden. Phasenprophylaxe ist die niedrigste wirksame
5 Lithium sollte bei der Prophylaxe mit der Haupt- Dosis indiziert.
dosis abends verabreicht werden, damit neben-
wirkungsträchtige Konzentrationsspitzen vom
Patienten »verschlafen« werden. 6.6 Nebenwirkungen
5 Die tägliche Tabletteneinnahme richtet sich nach
der Lithiumplasmakonzentration, die im Stea- 5 Zahlreiche Patienten nehmen langfristig Lithi-
dy State kontrolliert werden. Steady-State-Bedin- umsalze ohne unerwünschte Wirkungen ein.
gungen sind nach einer Woche erreicht. Aber es muss unter der Einnahme von Lithium
sorgfältig auf neurologisch/psychiatrische, renale,
endokrine, gastrointestinale Nebenwirkungen
und Störungen des Elektrolythaushalts geach-
tet werden (Benkert u. Hippius 2007), die rela-
tiv häufig zu Beginn auftreten, später aber wieder
spontan verschwinden. Initiale Nebenwirkungen
sollten nicht zu einem Behandlungsabbruch füh-
66 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer

ren, deshalb ist die vorherige Aufklärung des 6.9 Routineuntersuchungen


1 Patienten von besonderer Bedeutung.
5 Nach plötzlichem Absetzen treten manische Syn- 5 Unter Lithium und Antikonvulsiva sind spezi-
drome wahrscheinlich häufiger auf als im natura- fische Routineuntersuchungen notwendig; für
2 listischen Verlauf (Absetzmanie). AAP . Tab. 6.2, 7 Abschn. 7.9.
5 Blutbildveränderungen und Hepatotoxizität sind 5 Unter der Therapie mit Lithium sind zusätzlich
3 besonderst ernste Nebenwirkungen unter Anti-
konvulsiva.
Kontrollen der Schilddrüsen- und der Nieren-
funktion einzuhalten.
5 Bei Kombination von zwei Antivonvulsiva kön-
4 nen sich Nebenwirkungen und Wechselwir- Wichtig
kungen verstärken.
5 Nebenwirkungen der AAP7 Kap. 7. 5 Da Lithium und verschiedene Antikonvulsiva
5 als teratogen zu betrachten sind, ist gerade
in dieser Substanzklasse vor Behandlungs-

6 6.7 Kontraindikationen und beginn ggf. ein Schwangerschaftstest


notwendig.
Intoxikationen
5 Unter einer Therapie mit Lithium, Carba-
7 Die wichtigsten Kontraindikationen für Stimmungs- mazepin oder Valproinsäure gehört die
stabilisierer sind: Bestimmung von Plasmakonzentrationen
5 Störungen des Elektrolythaushalts. zu den zwingend notwendigen Routineun-
8 5 Bei Carbamazepin und Valproinsäure muss eine tersuchungen 7 Abschn. 6.9.
Knochenmarkschädigung ausgeschlossen wer-
9 den, bei Lithium eine Nierenfunktionsstörung.
5 Bei den Antikonvulsiva dürfen keine Leberschä-
10 den vorhanden sein. 6.10 Stimmungsstabilisierer im
5 Vorsicht ist bei (allergischen) Hautverände- höheren Lebensalter
rungen in der Anamnese anzuraten.
11 5 Schwangerschaft und Stillzeit 7 Kap. 35; Fahr- 5 Bei älteren Patienten können niedrigere Dosen
tüchtigkeit 7 Kap. 36. bzw. Plasmakonzentrationen notwendig sein,
wenn eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber
12 neurotoxischen Wirkungen bekannt ist.
6.8 Wechselwirkungen 5 Lithium muss bei Manien mit Vorsicht dosiert
13 werden, da bei reduzierter renaler Ausscheidung
5 Unter einer Lithiumprophylaxe sind bei Gabe aufgrund der niedrigen therapeutischen Brei-
von zusätzlichen Medikamenten die möglichen te schnell Intoxikationen auftreten können. Häu-
14 Interaktionen zu beachten. figere Lithiumkontrollen sind angezeigt.
5 Durch eine Enzyminduktion unter Carbamaze- 5 Die Plasmakonzentration zur Lithiumaugmentati-
15 pin können die Plasmakonzentrationen dieser
und anderer, gleichzeitig verabreichter Substan-
on bei alten Patienten ist oft mit 0,4 mmol/l aus-
reichend. Mindestens 3-wöchige Durchführung
zen noch Wochen, nachdem sich zunächst ein einer Plasmakonzentrationsmessung zur sicheren
16 Gleichgewicht eingestellt hatte, wieder abfallen. Effizienzbeurteilung empfehlenswert.
5 Gerade bei der kombinierten Verabreichung von 5 Bei einer Manie im Alter sind die zugelassenen
Antikonvulsiva sind Interaktionen zwischen den AAP aufgrund kardiovaskulärer Risiken oder
17 Substanzen zu beachten, die zur Dosisanpassung anticholinerger Eigenschaften bei kognitiven Vor-
zwingen und deren Nichtbeachtung zu lebensbe- schädigungen nur eingeschränkt empfehlenswert
18 drohlichen Komplikationen führen kann. (7 Kap. 7.10). Auch muss an die Induktion eines
5 Keine Kombination von Carbamazepin mit ande- metabolischen Syndroms (7 Kap. 7.6) gerade im
ren potenziell knochenmarktoxischen Substan- Alter unter einigen AAP gedacht werden.
19 zen (Clozapin).
5 Wechselwirkungen der AAP7 Kap. 7.
20
6.9 · Routineuntersuchungen
67 6

. Tab. 6.2. Empfehlungen für Routineuntersuchungen unter Stimmungsstabilisierern

Vor- Monate Viertel- Jähr-


her 1 2 3 4 5 6 jährlich lich

Lithium

Plasmakonzentration ×××× ×a ×a ×a ×a ×a ×a

Kreatinin × ×××× × × × × × ×

24-h-Urinvolumen, × × ×b
Kreatinin-Clearance

Serumelektrolyte × × × × ×

T3, T4, TSH, ggf. TRH- × × × ×


Test

EKG × × ×

EEG × × ×c

RR, Puls × × × × ×d

Körpergewicht, × × × ×d
Halsumfang

Carbamazepin

Plasmakonzentration ×× × × × × × ×d

Blutbild × ×××× × × × × × ×d

Kreatinin × × × ×

Serumelektrolyte × × × × × × × ×d

Leberenzyme × ×××× × × × × × ×d

EKG × × ×

EEG (×) ×c

RR, Puls × × × × ×d

Lamotrigin

Blutbild × × × × ×

Kreatinin × × ×

Leberenzyme × × × × ×

EKG (×) (×) (×)

EEG (×) ×c

Valproinsäure

Plasmakonzentration ×× × × × × × ×d

Blutbild × × ××e ×e ×e ×e ×e ×d

Kreatinin × × ××e ×e ×e ×e ×e ×d
68 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer

. Tab. 6.2. Fortsetzung


1
Vor- Monate Viertel- Jähr-
her 1 2 3 4 5 6 jährlich lich
2 Leberenzyme, Biliru- × × ××e ×e ×e ×e ×e ×d
bin, Amylase, Lipase,
3 PTT, Quick, Fibrino-
gen, Faktor VIII

4 EKG (×) (×) (×)

EEG (×) ×c
5 × Kontrollen; (×) Untersuchung optional; a Unter bestimmten Umständen (z. B. Fieber, Durchfälle) sind häufigere Kontrollen ratsam. b Bei
älteren Patienten sind häufigere Kontrollen ratsam. c Bei potenziell neurotoxischen Kombinationen, z. B. mit Antipsychotika, sind ggf.

6 auch häufiger Kontrollen ratsam; bei langfristig stabil eingestellten Patienten sind auch deutlich längere Kontrollintervalle möglich. d Bei
langfristig stabilen Patienten sind halbjährliche Kontrollen ausreichend. e Diese Kontrollen sind laut Hersteller nur erforderlich, wenn die
4-Wochen-Kontrolle pathologische Werte aufgewiesen hat.
7
8 6.11 Präparategruppen1 enten profitieren von einer Monotherapie. Bei der
Kombination von verschiedenen Stimmungsstabili-
In . Tab. 6.3 sind die wichtigsten Stimmungsstabilisie- sierern verbessert sich das therapeutische Ergebnis
9 rer sowie deren Dosis, Nebenwirkungen und Behand- (Kowatch et al. 2005).
lungsweisen wiedergegeben. Eine Übersicht über die
im Leitfaden genannten Wirkstoffe mit den jeweiligen Indikationen
10 Handelsnamen gibt . Tab. A1 im Anhang. Das Indikationsspektrum für Stimmungsstabilisierer
im Kindes- und Jugendalter umfasst zusätzlich zu den
11 bipolaren Störungen noch
Fazit 5 manische Episoden,
5 depressive Episoden und rezidivierende depres-
12 Therapieempfehlung für Stimmungsstabilisierer sive Störungen,
5 Die Stimmungsstabilisierer haben jeweils sehr 5 Persönlichkeitsstörungen,
13 spezifische Indikationen bei der bipolaren affektiven 5 tief greifende Entwicklungsstörungen,
Störung. 5 abnorme Gewohnheiten und Störungen der
5 Die in den . Tab. 6.1 und 6.2 erwähnten Präparate Impulskontrolle,
14 sind in der Praxis unverzichtbar, sie zeigen in der Re- 5 Störungen des Sozialverhaltens,
gel allerdings deutliche Nebenwirkungen und die in 5 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Stö-
15 . Tab. 6.2 vorgeschlagenen Routineuntersuchungen
müssen zur Einhaltung einer Arzneimittelsicherheit
rungen,
5 schizoaffektive Störungen (Leitlinien der Deut-
eingehalten werden. schen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychi-
16 atrie und Psychotherapie, 2003).

Lithium
17 6.12 Stimmungsstabilisierer in der 5 Lithium ist das Medikament der ersten Wahl zur
Kinder- und Jugendpsychiatrie Behandlung akuter manischer Episoden und zur
18 Phasenprophylaxe bei bipolaren affektiven Stö-
Die Stimmungsstabilisierer haben eine relativ geringe rungen im Kindes- und Jugendalter. Es ist jedoch
Effektstärke bei der Behandlung bipolarer Störungen für die Anwendung im Kindes- und Jugendal-
19 im Kindes- und Jugendalter; nur etwa 40% der Pati- ter in Deutschland nicht zugelassen, d.h. bei der
Anwendung im Kindes- und Jugendalter handelt
20 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten es sich um einen individuellen Heilversuch (in
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt den USA ab 12 Jahren zugelassen).
. Tab. A1 im Anhang.
6.12 · Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
69 6

. Tab. 6.3. Stimmungsstabilisierera (Auswahl)

Präparat Dosis Wichtigste Nebenwirkungen Behandlungshinweise


7 Abschn. 6.6 u. 7.6

Lithiumsalze

Lithiumcarbonat Entsprechend Plasma- Kognitive Störungen, Regelmäßige Serumkontrol-


Quilonum retard® konzentration Gewichtszunahme, Tremor, len, ab 1,5 mmol/l Gefahr
Durst, Übelkeit und Polyurie der Intoxikation

Antiepileptika

Carbamazemin 200–800 mg bei Somnolenz, Schwindel, Regelmäßige Serumkontrol-


Tegretal®; Timonil® Rezidivprophylaxe Ataxie, Blutbild- und Haut- len, Blutbildkontrolle,
veränderungen Cave: Interaktionen

Lamotrigin 50–200 mg Hautausschlag, Kopf- Cave: Interaktionen; Serum-


elmendos® schmerzen, Schwindel kontrollen bei starken
Nebenwirkungen

Valproinsäure 500–2000 mg Sedierung, Tremor, gastro- Cave: Interaktionen; Regel-


Ergenyl chrono® intestinale Beschwerden, mäßige Serumkontrolle
Orfiril long® Schwindel

Antipsychotika

Olanzapin 5–20 mg; Manie: Beginn Gewichtszunahme, Schläf- Bisher gute Erfahrung be-
Zyprexa® mit 20 mg möglich rigkeit, sonst 7 Abschn. 7.6 sonders bei psychotischen
Symptomen

Quetiapin 50–750 mg; Manie: Sedierung, Schwindel; sonst


Seroquel® Beginn mit 100 mg 7 Abschn. 7.6
a Die Indikationen sind . Tab. 6.1 zu entnehmen.

5 Tatsächlich stützen sich die Empfehlungen auf Antikonvulsiva


zumeist positive Ergebnisse aus offenen Studi- Zugelassen aus der Gruppe der Antikonvulsiva sind
en. Aus diesen Studien wird auch gefolgert, dass Valproinsäure (zugelassen ab Geburt, Vorsicht bei
Lithium gegen Suizidalität protektiv ist (Lopez- Kindern <3 Jahren), Carbamazepin (zugelassen ab
Larson u. Frazier 2006). dem 7. Lebensjahr) und Lamotrigin (zugelassen ab
dem 3. Lebensjahr) zur Behandlung verschiedener
Wichtig Formen zerebraler Anfallsleiden im Kindes- und
Jugendalter.
Da die therapeutische Wirksamkeit durch Lithi- 5 Eine Zulassung im Kindes- und Jugendalter als
um erst nach 1–2 Wochen zu erwarten ist, ist am Stimmmungsstabilisierer bzw. Phasenprophy-
Behandlungsbeginn häufig die Kombination mit laktika liegt nicht vor. Dennoch werden sowohl
Antipsychotika und/oder Benzodiazepinen not- Valproinsäure als auch Carbamazepin häufig bei
wendig. Die Lithiumdosierung bei Kindern und bipolaren Störungen im Kindes- und Jugendalter
Jugendlichen muss teilweise höher sein als bei verordnet, wenn z. B. eine Unverträglichkeit oder
Erwachsenen, da aufgrund der besseren Nieren- eine fehlende Wirksamkeit unter Lithium vor-
funktion Lithium bei Kindern und Jugendlichen liegt oder sie werden jeweils in Kombination mit
schneller ausgeschieden wird. Lithium eingesetzt. Das Indikationsspektrum der
Antikonvulsiva für die Behandlung von bipolaren
Störungen im Kindes- und Jugendalter entspricht
dem im Erwachsenenalter. Die Empfehlungen für
Antikonvulsiva im Kindes- und Jugendalter stüt-
zen sich vorwiegend auf Ergebnisse des Erwach-
70 Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer

senenalters. Die Studienlage ist in dieser Alters- 6.13 Checkliste


1 gruppe bisher nicht überzeugend.
5 Eine Metaanalyse, in die drei doppelblind, pla- ?
cebokontrollierte Studien eingeflossen sind, hat
2 die Effizienz einer Carbamazepinbehandlung bei 1. Welche Rolle spielen Stimmungsstabilisierer
Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstö- nach den neuesten Therapiekonzepten bei

3 rungen und Hyperaktivität untersucht, und kam


zu dem Ergebnis, dass die Behandlung mit Car-
der Behandlung der bipolaren affektiven
Störung?
bamazepin signifikant bei den Zielsymptomen 2. Welche Präparategruppen werden als Stim-
4 überlegen war (Lopez-Larson u. Frazier 2006). mungsstabilisierer eingesetzt?
5 Vor Therapiebeginn mit Valproinsäure bei Kin- 3. Welche Pharmakotherpeutika werden adju-
dern und Jugendlichen muss eine ausführliche vant bei der bipolaren Störung eingesetzt?
5 körperliche Untersuchung erfolgen, denn Kin- 4. Welche Faktoren sind vor Beginn einer
der zwischen 3 und 10 Jahren haben ein größeres Behandlung mit Stimmungsstabilisieren zu
6 Risiko eine Leberschädigung zu entwickeln. berücksichtigen und eingehend mit dem
5 Vor Behandlungsbeginn ist ein Schwanger- Patienten zu erörtern?
schaftstest durchzuführen (7 Kap. 35). 5. Bei welchen Indikationen werden Stim-
7 5 Die Kontrolle der Serumkonzentrationen gehört mungstabilisierer eingesetzt?
zu den regelmäßigen Routineuntersuchungen. 6. Die Einstellung auf Lithium sollte anhand der
8 Benzodiazepine und Antipsychotika
klinischen Symptomatik und der Serum-
konzentration erfolgen. Warum benötigen
5 Benzodiazepine und Antipsychotika können als Kinder und Jugendliche teilweise höhere
9 adjuvante Pharmakotherapeutika zur Behandlung Lithiumkonzentrationen als Erwachsene?
von Erregungszuständen und Schlafstörungen in
der Akutphase einer manischen Episode einge-
10 setzt werden und werden teilweise am Beginn der
Behandlung mit Stimmungsstabilisatoren kom-
11 biniert, bis diese ihre Wirkung entfalten. Posi-
tive Wirksamkeitsnachweise wurden für das AAP
Quetiapin vorgelegt.
12 5 Gerade die atypischen Antipsychotika werden,
wie im Erwachsenenalter, auch häufig zur Pha-
13 senprophlaxe bei Kindern und Jugendlichen ein-
gesetzt, besonders wenn zusätzlich psychotische
Symptome aufgetreten waren.
14
15
16
17
18
19
20
7.1 ·
71 7

Antipsychotika

7.1 Einteilung – 72

7.2 Wirkungsmechanismus – 72

7.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 73

7.4 Indikationen – 73

7.5 Dosierung, Plasmakonzentration und


Behandlungsdauer – 74

7.6 Nebenwirkungen – 75

7.7 Kontraindikationen und Intoxikationen – 77

7.8 Wechselwirkungen – 77

7.9 Routineuntersuchungen – 78

7.10 Antipsychotika im höheren Lebensalter – 78

7.11 Präparategruppen – 78

7.12 Antipsychotika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 80

7.13 Checkliste – 81
72 Kapitel 7 · Antipsychotika

7.1 Einteilung rung kaum geeignet, Positivsymptome zu behan-


1 deln.
Antipsychotika sind eine chemisch heterogene Grup- 5 Andererseits können auch unter AAP in
pe von Pharmaka mit antipsychotischem Wirksam- höheren Dosen EPS auftreten; Akathisien tre-
2 keitsschwerpunkt und unterschiedlichem Nebenwir- ten unter allen AAP einschließlich Clozapin auf
kungsprofil. Der häufig synonym verwendete Begriff (7 Abschn. 7.6).
5 Ein malignes neuroleptisches Syndrom
3 »Neuroleptikum« ist historisch bedingt und wird
international immer mehr durch den Begriff Antipsy- (7 Abschn. 7.6) kann unter allen Antipsychotika
chotikum ersetzt. Dieser weist auf die klinisch bedeut- auftreten.
4 same therapeutische Wirkung bei psychotischen Stö- 5 Langzeitbeobachtungen zum Auftreten von Spät-
rungen, insbesondere schizophrenen Psychosen, hin. dyskinesien (7 Abschn. 7.6) unter AAP sind noch
Eine Einteilung der Vielzahl entwickelter Substan- unvollständig; vorliegende Daten unterstreichen
5 zen ist in der geschichtlichen Entwicklung begründet jedoch das geringere Risiko für AAP.
und nach verschiedenen Gesichtspunkten möglich,
6 z. B. der chemischen Struktur, den dosisabhängig auf- Die »neuroleptische Potenz« ist ein unscharfer, histo-
tretenden antipsychotischen Wirkungen (»neurolep- risch begründeter Begriff, mit dessen Hilfe unter
tische Potenz«) und Nebenwirkungen, insbesonde- Berücksichtigung präklinischer und klinischer Daten
7 re extrapyramidalmotorischen Störungen (EPS), oder (Blockade D2-artiger Dopaminrezeptoren, antipsy-
der »Atypizität«. Die chemische Struktur hat eine chotische Wirksamkeit bezogen auf die verwende-
8 besondere Bedeutung für das Nebenwirkungsprofil. te Dosis) Antipsychotika auf einer Dimension mit
Chlorpromazin (heute nicht mehr verwendet) als
Definition Bezugspunkt angeordnet werden. Bei den konventi-
9 onellen Antipsychotika korreliert die neuroleptische
Die wichtigste Differenzierung heute ist die Ab- Potenz mit dem Ausmaß der D2-Blockade.
grenzung zwischen 5 Hochpotent: in niedriger bis mittlerer Dosierung
10 konventionellen Antipsychotika und gute antipsychotische Wirkung ohne Sedierung.
atypischen Antipsychotika (AAP). 5 Mittelpotent: gute antipsychotische Wirkung mit
11 Unter den konventionellen Antipsychotika wer- mäßiger Sedierung.
den besonders die Gruppe der trizyklischen Anti- 5 Niedrigpotent: in niedriger bis mittlerer Dosie-
psychotika von der Gruppe der Butyrophenonen rung geringe antipsychotische Wirkung bei deut-
12 unterschieden. licher bis ausgeprägter Sedierung.
Unter AAP werden Antipsychotika subsumiert, die
13 im Vergleich mit konventionellen Antipsychotika Die Einteilung der Antipsychotika in hoch-, mittel-
diese Charakteristika aufweisen sollen: und niedrigpotent kann auf die AAP nicht angewandt
5 gute antipsychotische Wirksamkeit, werden.
14 5 weniger extrapyramidale Symptomatik (EPS),
5 Wirksamkeit bei Negativsymptomatik, Bei Anwendung hoher Dosen verwischen sich die
15 5 Wirksamkeit bei Therapieresistenz,
5 geringe Prolaktinerhöhungen.
Grenzen der Einteilung; dann zeigen hochpotente
Antipsychotika zunehmend sedierende Wirkungen
Konventionelle Antipsychotika werden auch An-
und bei niedrigpotenten Antipsychotika nimmt der
16 tipsychotika der ersten Generation, first generati-
antipsychotische Effekt zu.
on antipsychotics (FGA), AAP Antipsychotika der
17 zweiten Generation, second generation antipsy-
7.2 Wirkungsmechanismus
chotics (SGA) genannt.

18 So wie bei den Antidepressiva der Serotoninrezeptor


Das zzt. einzige AAP, das alle Forderungen weitge- (und sekundär auch der Noradrenalinrezeptor) und
hend erfüllt, ist Clozapin (7 Abschn. 7.4). bei den Benzodiazepinen der GABA-Rezeptor für
19 Die Übergänge zwischen konventionell (»typisch«) die neurochemische Wirkung im Mittelpunkt stehen,
und »atypisch« sind fließend: ist es bei den Antipsychotika der Dopaminrezeptor.
20 5 Einige konventionelle Antipsychotika weisen ein Es gibt verschiedene Subtypen (D1-5). Die Wirkung
nur geringes EPS-Risiko (7 Abschn. 7.6) auf (z. B. der Antipsychotika auf das glutaminerge System wird
Pipamperon), sind aber auch in höherer Dosie- zunehmend untersucht.
7.4 · Indikationen
73 7

5 Die dopaminerge Überaktivität ist ein wichtiger rungen den konventionellen Antipsychotika deutlich
pathogenetischer Mechanismus bei der Schizo- überlegen, die eher sogar eine depressive Symptoma-
phrenie. Antipsychotika dämpfen die dopami- tik induzieren.
nerge Überaktivität. Die Lebensqualität und das Wohlbefindens von
5 Alle Antipsychotika blockieren D2-artige Dopa- Patienten sind heute wichtige Merkmale während
minrezeptoren. »D2-artige« Rezeptoren (D2/D3/ einer Therapie mit Antipsychotika. Auch hier schnei-
D4) erhöhen die intrazelluläre Konzentration von den die AAP besser ab als konventionelle Antipsycho-
cAMP; D1-artige (D1/5) erniedrigen sie. tika (Lambert u. Naber 2004). Allerdings konnte bis-
5 Der Wirkmechanismus von Aripiprazol unter- her noch nicht gezeigt werden, dass die Bedeutung der
scheidet sich von dem der übrigen Antipsychoti- AAP sich in einer verbesserten psychosozialen Integra-
ka. Er besteht in einer partiellen dopaminagonis- tion niederschlägt; der Langzeiteffekt ist eher – nach
tischen Wirkung an D2-artigen Rezeptoren sowie der jetzigen Studienlage – enttäuschend.
einer partiell agonistischen Wirkung am sero- Oft werden Unterschiede zwischen den AAP
tonergen 5-HT1A-Rezeptor bei antagonistischer gesehen, die aber wissenschaftlich noch nicht nach-
Wirkung an 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren. gewiesen sind. Allein Clozapin hat einen überlegenen
5 Einige Antipsychotika blockieren zusätzlich 5- Effekt.
HT2(A, B, C)-, α1-, α2-, H1-Rezeptoren und muska-
rinische Acetylcholin (mACh)-Rezeptoren (M1– Wichtig
5).
5 Einige Antipsychotika binden auch an 5-HT6- AAP sind Mittel der Wahl bei Verordnung von An-
(z. B. Clozapin, Olanzapin, Ziprasidon, aber auch tipsychotika. Sie haben geringere Risiken für EPS
einige konventionelle Antipsychotika) und 5- und Spätdyskinesien. Allerdings entwickelt sich
HT7-Rezeptoren (z. B. Clozapin, Quetiapin, Ris- unter den meisten AAP relativ häufig ein meta-
peridon, Ziprasidon). bolisches Syndrom (7 Abschn. 7.6). Die Langzeit-
5 Die Bedeutung eines zusätzlichen 5-HT2-Anta- effekte können noch nicht abschließend beurteilt
gonismus ist allerdings als notwendiger Mecha- werden.
nismus umstritten, weil auch ein anderes AAP
(Amisulprid) diese Komponente nicht besitzt.
5 Die Ursachen für das Fehlen oder ein seltenes
Auftreten von EPS bei AAP (»Atypizität«) sind 7.4 Indikationen
nicht vollständig geklärt; eine selektive Blocka-
de von D4- und/oder 5-HT2A/C-Rezeptoren wird Antipsychotika sind nosologieübergreifend wirksam.
diskutiert. Die primäre Indikation der Antipsychotika erfolgt
nach Zielsymptomen und -syndromen. Hauptindika-
tionen stellen die Subtypen der Schizophrenie sowie
7.3 Allgemeine Therapieprinzipien schizotype und wahnhafte Störungen dar und zuneh-
mend für AAP auch die bipolaren affektiven Stö-
Antipsychotika werden bei allen bekannten Indika- rungen.
tionen (7 Abschn. 7.4) im Rahmen eines Gesamtbe- Folgende Indikationen bestehen für Antipsycho-
handlungsplanes (7 Abschn. 30.1) verordnet. tika:
Die notwendigen Handlungsschritte vor Beginn 5 Gesicherte Wirksamkeit bei:
einer Therapie mit Antipsychotika und die Suche nach – schizophrenen Störungen und schizoaffek-
der Präparatepräferenz sind in 7 Abschn. 7.4 aufgeli- tiven Störungen (7 Kap. 30),
stet. – bipolare affektive Störungen (Akutbe-
Unter konventionellen Antipsychotika kommt es handlung der Manie, Phasenprophylaxe)
bei 30% der Patienten zu keiner wesentlichen Ver- (7 Kap. 29),
besserung der Symptomatik und bei 50% der Pati- – psychotische Depression (in Kombination
enten nur zu einem partiellen Ansprechen (Fleisch- mit Antidepressiva) (7 Abschn. 30.2.8),
hacker 1995). Die Wirkung gegen Negativsymptome – bestimmte neurologischen Erkrankungen
und Kognitionsstörungen ist begrenzt (Hawkins et al. (z. B. Tic-Störungen, L-DOPA-induzierte
1999). Primäre Negativsymptome (7 Abschn. 30.2.2) Psychosen) (7 Kap. 32).
zeigen sich resistent gegen konventionelle Antip-
sychotika. Schließlich sind AAP bei affektiven Stö-
74 Kapitel 7 · Antipsychotika

5 Als Begleittherapie sind Antipsychotika mögli- 5 Höhere Dosen verringern aufgrund des mög-
1 cherweise wirksam bei: lichen Auftretens von Nebenwirkungen, insbe-
– Persönlichkeitsstörungen, sondere EPS bei konventionellen Antipsychoti-
– Zwangsstörung, ka, die Compliance. Deshalb sind häufig nied-
2 – Angststörungen, rigere Dosen in Kombination mit Benzodiazepi-
– anderen organischen Psychosen (z. B. Alko- nen, falls Sedierung und schnellere Desaktualisie-
3 holpsychosen),
– nichtpsychotischer Depression,
rung der psychotischen Symptomatik notwendig
sind, vorzuziehen.
– Schmerzsyndromen. 5 AAP sollten in der Akutphase/Positivsympto-
4 matik in der Regel innerhalb einer Woche in den
Darüber hinaus haben Antipsychotika eine unspezi- Zieldosisbereich aufdosiert werden.
fische Wirkung auf psychomotorische Erregungszu- 5 Die Medikation, unter der Remission aufgetre-
5 stände (7 Abschn. 34.1). Eingeschränkt ist der Ein- ten ist, sollte in der niedrigsten, noch hinreichend
satz von Antipsychotika aufgrund von Risiken bei der wirksamen Dosis beibehalten werden. Eine zu
6 Demenz (7 Kap. 31). früh vorgenommene Dosisreduktion führt in der
Mehrzahl der Fälle zu einem Rückfall. Allerdings
ist das Konzept der minimal effektiven Dosis
7 7.5 Dosierung, nicht unumstritten.
Plasmakonzentration und 5 Behandlungsdauer: Kommt es bei schizophrenen
8 Behandlungsdauer Patienten mit schwerer Symptomatik nach
2 Wochen zu keiner Besserung, sollte die Stra-
5 Generelle Dosierungsempfehlungen sind wegen tegie gewechselt werden; bei leichterer Sympto-
9 der Heterogenität der Substanzen nicht möglich. matik kann bis zu 6 Wochen abgewartet werden.
Einzelheiten . Tab. 7.1. Für die Manie gelten wesentlich kürzere Zeitin-
5 Die Messung der Plasmaspiegel zur Erhöhung tervalle.
10 der therapeutischen Effizienz ist bei den Antip- 5 Die Bestimmung der Plasmakonzentration der
sychotika, bis auf Clozapin, von untergeordneter Antipsychotika hat keine große Bedeutung (im
11 Bedeutung. Gegensatz zu den Antidepressiva). Sie ist aber
5 Bei Ersterkrankungen soll man mit relativ nied- notwendig bei der Verordnung von Clozapin und
riger Dosis beginnen, da sowohl ein besseres nützlich bei starken Nebenwirkungen, um ggf.
12 Ansprechen als auch eine größere Sensibilität für eine zu hohe Dosis zu erkennen.
Nebenwirkungen zu erwarten ist.
13 5 Bei akuter, schwerer Symptomatik im Rahmen
von Rezidiven ist sofort mit relativ hoher Dosis zu
beginnen.
14
Wichtig
15
5 Die Antipsychotikatherapie bei schizophrenen 5 Jahre. Nach stabiler Symptomremission können
16 Patienten ist unter Beibehaltung der Dosis für
mindestens 1 Jahr nach der ersten Akutphase
bei der Langzeitbehandlung eine schrittweise
Dosisreduktion über längere Zeiträume und eine
zu verordnen; bei anhaltenden psychosozialen Einstellung auf eine niedrigere Erhaltungsdosis
17 Belastungen ist eher längere Behandlungs- erwogen werden.
dauer (2 Jahre) auch nach Erstmanifestation zu 5 Das Antipsychotikum darf niemals abrupt abge-
18 empfehlen.
5 Nach einem ersten Rückfall sollten die Anti-
setzt werden, sonst erhöht sich das Rückfallrisiko.
Ein sehr langsames Ausschleichen (ähnlich wie
psychotika zunächst unter Beibehaltung der bei Lithium) ist zu empfehlen, z. B. eine Dosisre-
19 Dosis für mindestens 2–5 Jahre weiter gegeben duktion von 20–25% innerhalb von 3 Monaten.
werden, nach mehrmaligen Episoden sogar

20
7.6 · Nebenwirkungen
75 7

Wichtig Wichtig

5 Eine Indikation für eine Langzeitmedikation Vor einem Absetzversuch bei Antipsychotika
über 5 Jahre (ggf. Dauermedikation) liegt muss geklärt sein:
vor: 5 Wie wahrscheinlich ist ein Rückfall? (Erhöhte
– bei floriden Psychosen, die bei Absetzen Wahrscheinlichkeit besteht bei häufigen
der Medikation exazerbierten, früheren Rezidiven, niedrigem prämorbidem
– zur Rezidivprophylaxe bei häufigen psychosozialem Funktionsniveau.)
Episoden, insbesondere wenn Eigen- 5 Sind Prodromalsymptome wahrscheinlich
oder Fremdgefährdung im Rahmen von oder beginnt eine Episode ohne Frühwarn-
Exazerbationen bekannt sind, zeichen? Wie war es bei früheren Episoden?
– bei Schizophrenien mit überwiegender, Wird der Patient Prodromalsymptome
ausgeprägter Negativsymptomatik, erkennen?
– bei chronischen Schizophrenien mit 5 Wie wahrscheinlich ist es, dass der Patient
Residualzuständen. bei einem psychotischen Rückfall Hilfe
aufsucht?
5 Wie schwierig wird es sein, eine Exazerbation
5 Zur Applikationserleichterung bei Patienten, die zu behandeln?
nicht in der Lage sind, regelmäßig orale Antipsy-
Welche Auswirkungen hätte eine Exazerbation
chotika einzunehmen, gibt es Depotpräparate als
(z. B. Suizidversuch in der Anamnese bei impera-
Langzeitmedikation mit Injektionsintervallen von
tiven Stimmen)?
1–4 Wochen. Sie senken das Rückfallrisiko im
Vergleich zur oralen Einnahme. Vorzuziehen ist
beim Einsatz dann ein AAP (Risperdal Consta®;
. Tab. 7.1). Weitere Vorteile sind: Gewährleistung
ausreichender Dosierungen und Erleichterung 7.6 Nebenwirkungen
der Überwachung der Compliance.
Die Verordnung von Depotpräparaten hat aber Bei der Therapie mit Antipsychotika ist regelmäßig
auch Nachteile, besonders bei Erstmanifestation mit dem Auftreten von Nebenwirkungen zu rechnen.
der Erkrankung: Bei der erstmaligen Gabe von Die Patienten leiden längerfristig am stärksten unter
Antipsychotika reagieren Patienten empfindlicher Gewichtszunahme, Depressivität, kognitiven Stö-
auf Nebenwirkungen; der Arzt kann nicht flexibel rungen, Schlafstörungen und sexueller Dysfunktion.
genug auf mögliche Nebenwirkungen und feh- Bei den konventionellen Antipsychotika spielen EPS
lende Wirkungen reagieren; ein Steady State wird eine herausragende Rolle. Allen EPS ist gemeinsam,
langsamer erreicht; es gibt nur ein Depotpräparat dass sie durch psychische Anspannung verstärkt wer-
aus der wichtigen Gruppe der AAP (s. oben). den und im Schlaf sistieren. Unter den meisten AAP
ist das metabolische Syndrom eine wichtige Neben-
Wichtig wirkung.
Bis zu 80% der schizophrenen Patienten unter
Ein Wechsel von einem Antipsychotikum auf ein Antipsychotika-Behandlung nehmen im Verlauf die
anderes ist zu erwägen bei: Medikation nicht wie vorgesehen ein. Das Problem
5 unzureichender therapeutischer Wirkung der Non-Compliance ist von größter klinischer Bedeu-
bzw. Therapieresistenz, tung und erklärt bisweilen die Diskrepanz zwischen
5 störenden Nebenwirkungen oder Eintreten den Ergebnissen kontrollierter Studien und klinischer
von (relativen) Kontraindikationen, Realität. AAP mit geringerem EPS-Risiko können die
5 vorhandenen oder möglichen störenden Lebensqualität erhöhen; die Compliance hat sich aller-
Interaktionen, dings durch die Einführung der AAP nicht wesentlich
5 unzureichender Compliance oder auf gebessert.
Wunsch des Patienten bei eingeschränkter Im Rahmen der Psychoedukation muss versucht
Lebensqualität. werden durch Vermittlung eines Krankheits- und The-
rapiekonzepts die Bedeutung der Medikation zu erklä-
ren sowie durch die Aufklärung über den Umgang mit
76 Kapitel 7 · Antipsychotika

Antipsychotika und deren Nebenwirkungen die Com- 5 Einige konventionelle Antipsychotika werden als
1 pliance zu erhöhen. Ursache für eine Depression bei Patienten mit
Schizophrenie diskutiert. Es ist dann auf ein AAP
Unerwünschte neurologische und umzustellen.
2 zentralnervöse Wirkungen 5 Sedierung, Müdigkeit und Konzentrationsmin-
Besonders konventionelle Antipsychotika, aber deut- derung treten oft nur vorübergehend und i. d. R.
3 lich weniger AAP, können zu EPS-Nebenwirkungen
führen. Es gibt 5 mögliche Syndrome:
auch nur bei Antipsychotika mit anticholinerger
oder antihistaminerger Komponente auf.
5 Frühdyskinesie: 5 Bei 7% der Patienten treten unter konventio-
4 besonders mit hyperkinetisch, dyskinetisch oder nellen Antipsychotika Krampfanfälle auf. Bei zu
dystonen Störungen; sie beginnen in der ersten schnellem Dosisanstieg kann es zu einem Delir
Woche. Anticholinergika können sofort Abhil- (7 Kap. 34) kommen.
5 fe schaffen.
5 Parkinsonoid: Metabolische Nebenwirkungen
6 besonders mit Einschränkung der Feinmoto- 5 Gewichtszunahme, pathologische Glukosetole-
rik, Verlust der Mitbewegungen bis zur Akinese, ranz, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie tre-
Hypo- und Amimie, kleinschrittigem Gang und ten besonders unter AAP auf. Die Gewichtszu-
7 Rigor. Auftreten in der 1.–10. Woche. Anticholi- nahme ist sehr häufig (. Tab. 7.1).
nergika können vorübergehend gegeben werden; 5 Wenn folgenden Kriterien erfüllt sind, spricht
8 die Dosis muss reduziert werden.
5 Akathisie:
man von einem metabolischen Syndrom: Abdo-
minelle Adipositas (Bauchumfang bei Männern
Sitz- und Stehunruhe; sie tritt in der 1.–7. Woche >102 cm, bei Frauen >88 cm), Nüchternglukose
9 auf. Dosisreduktion ist nötig. >110 mg/dl, Triglyceride >150 mg/dl, HDL-Cho-
5 Spätdyskinesien: lesterin erniedrigt (Männer <40 mg/dl, Frauen
Nach Monaten bis Jahren auftretende hyperki- <50 mg/dl), Hypertonie (>130/85 mmHg). Das
10 netische Dauersyndrome, intensive, abnorme, metabolische Syndrom stellt ein hohes Risiko für
unwillkürliche, oft stereotype Bewegungen in der Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar.
11 Zungen-, Mund- und Gesichtsmuskulatur. Kann 5 Die Therapie einer Gewichtszunahme ist schwie-
auch durch abruptes Absetzen der Antipsychoti- rig. Diätetische Maßnahmen sind am Erfolg ver-
ka entstehen. Sehr schwierige Therapie. Sehr sel- sprechendsten. Sie können verhaltenstherapeu-
12 ten unter AAP. tisch unterstützt werden.
5 Malignes neuroleptisches Syndrom: 7 Kap. 34.
13 Cave
Endokrine Begleitwirkungen und sexuelle
Funktionsstörungen
5 Einige Antipsychotika erhöhen dosisabhängig
14 Das maligne neuroleptische Syndrom ist mit ei- den Prolaktinspiegel (PRL-Spiegel) (. Tab. 7.1).
ner Letalität von 20% verbunden; es entwickelt 5 Klinische Folgen hoher PRL-Spiegel können
sich innerhalb von 1–3 Tagen. Symptome sind:
15 5 Rigor,
neben sexuellen Funktionsstörungen bei Frauen
Amenorrhö und Galaktorrhö, bei Männern
5 Quantitative Bewusstseinsstörung, Gynäkomastie sein.
16 5 Fieber, Tachykardie, labiler Blutdruck, Tachyp-
noe, Hyperhidrose, Harninkontinenz,
5 Es wird diskutiert, dass langzeitig erhöhte PRL-
Spiegel für die Entstehung oder Verstärkung von
5 CK-Erhöhung, Leukozytose, Transaminasean- Osteoporose verantwortlich sind, möglicherweise
17 stieg, verursacht durch einen sekundären Hypogona-
5 Renale Komplikationen. dismus aufgrund der PRL-Erhöhung.
18 5 Sexuelle Funktionsstörungen kommen unter
Cave konventionellen Antipsychotika bei 30–50%
der Patienten vor; auch unter AAP treten sie auf
19 Bei Kombination verschiedener Medikamente mit (7 Abschn. 26.6). Der kausale Einfluss von Anti-
anticholinerger Komponente kann ein zentrales psychotika-induzierten PRL-Spiegelerhöhungen
20 anticholinerges Syndrom auftreten (7 Kap. 34.5). auf sexuelle Funktionen ist weiterhin unklar
(Westheide et al. 2007).
7.8 · Wechselwirkungen
77 7

5 Sehr selten kann es, wahrscheinlich unter allen Leber-Gallengangs-System und allergische
Antipsychotika, zu Priapismus kommen (immer Reaktionen
Notfallsituation). 5 Ein vorübergehender Transaminasenanstieg in
der 2.–4. Woche ist häufig, aber selten ein Absetz-
Kardiale Nebenwirkungen grund. Die Werte sind regelmäßig zu bestimmen.
5 Das Risiko für einen plötzlichen Herztod ist 5 Generalisierte Arzneimittelexantheme und Pho-
unter Antipsychotikatherapie insgesamt selten, tosensibilisierung mit erhöhtem Sonnenbrandri-
gegenüber der Normalpopulation jedoch etwa siko sind weitere Risiken, die v. a. unter Phenothi-
um das 2-fache erhöht. azinen auftreten.
5 Eine Vielzahl von Medikamenten, darunter
auch Antipsychotika (genauso wie Antidepressi- Myalgien und Rhabdomyolysen
va, 7 Abschn. 5.6) können die myokardiale Erre- Unter AAP, insbesondere Olanzapin, können Myal-
gungsrückbildung beeinträchtigen und eine Ver- gien mit Erhöhungen der Kreatinphosphokinase auf-
längerung des QT-Intervalles bewirken. Die treten. Sehr seltene Rhabdomyolysen (mit Myoglobi-
Erhöhung der QTc-Zeit ist per se nicht als Risiko nurie) sind mit dem Risiko des drohenden Nierenver-
zu werten, ab QTc>500 ms steigt jedoch das Risi- sagens verbunden.
ko für ventrikuläre Arrhythmien und plötzlichen
Herztod deutlich an.
7.7 Kontraindikationen und
Vegetative Nebenwirkungen Intoxikationen
5 Vegetative Nebenwirkungen (über die kardi-
alen Nebenwirkungen hinaus) kommen unter Für die meisten Antipsychotika gibt es eine Vielzahl
allen Antipsychotika vor. Sie treten bevorzugt zu von Kontraindikationen. Dazu gehören u. a. Bewusst-
Beginn der Therapie auf und zeigen dann i. Allg. seinsstörungen, Leukopenie, Störungen der Harnent-
eine Adaptation. Sie sind bedingt durch die anti- leerung, Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie und
cholinergen Eigenschaften. Seltene aber ernste kardiale Vorschädigung.
Folgen können sein: Miktionsstörungen, Harn- Toxische Verläufe sind unter Butyrophenonen
verhalt, ausgeprägte Obstipation, sehr selten auch und AAP (Ausnahme: Clozapin) relativ selten. Unter
paralytischer Ileus. den trizyklischen Präparaten aus der Gruppe der kon-
5 Häufiger sind Hypotonie und orthostatische Dys- ventionellen Antipsychotika können sie allerdings
regulation mit dem Risiko für Stürze. Kreislauf- vorkommen.
regulationsstörungen erfordern eine Dosisanpas- Auf die Risiken unter Antipsychotika während der
sung oder einen Präparatewechsel. Schwangerschaft und in der Stillzeit sowie beim Auto-
fahren, wird in den7 Kap. 35 und 36 hingewiesen.
Veränderungen des hämatopoetischen
Systems
5 Unter Antipsychotika, besonders den trizy- 7.8 Wechselwirkungen
klischen, können Leukozytosen, Leukopenien
Agranulozytose (besonders unter Clozapin) auf- Wechselwirkungen sind bei Antipsychotika sehr
treten; sehr selten sind sie unter Butyropheno- bedeutsam, weil sie bei einigen Präparaten zu erheb-
nen, wie Haloperidol oder Melperon. Das Medi- lichen Risiken führen können.
kament muss dann sofort abgesetzt werden. Es 5 Die Kombinationen von anticholinerg wirksamen
ist daran zu denken, dass strukturchemisch auch Antipsychotika mit Anticholinergika oder anti-
Olanzapin, Quetiapin und Zotepin trizyklische cholinerg wirksamen Antidepressiva können zu
Substanzen sind. Erregungszuständen bis hin zum Delir führen.
5 Für die AAP Aripiprazol, Amisulprid, Ziprasi-
don und Risperidon hat sich diesbezüglich kein Bei Kombinationen von Antipsychotika mit SSRI ist
erhöhtes Risiko gezeigt. das unterschiedliche Interaktionspotenzial der Sub-
stanzen zu beachten.
Antipsychotika und Alkohol (besonders in größe-
ren Mengen) sollten nicht kombiniert werden (Gefahr
der wechselseitigen Wirkungsverstärkung bis hin zum
Koma).
78 Kapitel 7 · Antipsychotika

Rauchen induziert CYP1A2. Dadurch sind die 7.10 Antipsychotika im höheren


1 Plasmaspiegel von Clozapin und Olanzapin um 20– Lebensalter
50% erniedrigt. Nach vermindertem Rauchen können
die Plasmaspiegel ansteigen! 5 Es besteht besonders in der Notfallpsychiat-
2 rie (7 Kap. 34) und bei Verhaltensauffälligkeiten
Wichtig im Rahmen einer Demenz (7 Kap. 31) ein deut-
3 Kardiovaskuläre Synkopen und/oder Atemstill-
licher Bedarf für den Einsatz von Antipsychoti-
ka. Allerdings hat sich gerade in den letzten Jah-
stand bei gleichzeitiger Clozapin-Einnahme und ren gezeigt, dass die Gabe von Antipsychotika bei
4 Benzodiazepin-Gabe sind beschrieben (i.v.-Appli-
kation von Benzodiazepinen unbedingt vermei-
älteren Patienten mit Demenz mit einem erhöh-
ten Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse ver-
den!). bunden ist.
5 Die Kombinationen mit Clozapin sind grundsätz- 5 Bei Patienten >65 Jahre sollte besonders vor-
lich risikoreich. sichtig aufdosiert werden. Vegetative Nebenwir-
6 kungen sind bei älteren Patienten besonders pro-
blematisch. Hypotonie und orthostatische Dys-
regulation können zu lebensgefährlichen Stür-
7 7.9 Routineuntersuchungen zen führen.
5 Die Kombinationen von anticholinerg wirksamen
8 Unter allen Antipsychotika sind Routineuntersu-
chungen notwendig. Die vorgegebenen Termine sind
Antipsychotika mit Anticholinergika oder anti-
cholinerg wirksamen Antidepressiva können zu
hierbei sehr sorgfältig einzuhalten. Erregungszuständen bis hin zum Delir führen
9 und sollten vermieden werden.
Wichtig 5 Alle Routineuntersuchungen (7 Abschn. 7.9) sind
im höheren Lebensalter sehr gewissenhaft durch-
10 5 Unter allen Antipsychotika muss regelmäßig zuführen.
das Blutbild kontrolliert werden.
5 Patienten müssen angewiesen werden, beim
11 Auftreten von Symptomen wie Fieber, Hals- 7.11 Präparategruppen1
schmerzen, Infektionen der Mundschleimhaut
12 keinen Selbstbehandlungsversuch durchzu- In . Tab. 7.1 werden die wichtigsten Indikationen für
führen, sondern den Arzt aufzusuchen. Antipsychotika aufgelistet.
5 Unter den meisten AAP sind regelmäßig der
13 Blutzucker, die Lipide und das Gewicht zu
5 Neu zugelassen ist Paliperidon (Invega®), ein
aktiver Metabolit des AAP Risperidon. Paliperi-
messen. don hat eine verbesserte, freisetzungsverzögernde
14 5 Unter allen Antipsychotika muss in größeren Pharmakokinetik, sodass eine tägliche Einmal-
Abständen ein EKG abgeleitet werden. Be- dosierung ausreicht. Außerdem sind weniger
sonders bei älteren Patienten muss geprüft
15 werden, ob eine Hypokaliämie besteht; sie
Interaktionen und Plasmaschwankungen zu
erwarten.
muss ggf. korrigiert werden.
16
Die Aufklärung hat bei der Antipsychotikathera- Fazit
pie einen besonderen Stellenwert. Sie wird dadurch
17 erschwert, dass der Patient in der Akutphase nicht Therapieempfehlung für Antipsychotika
durch ein überforderndes Aufklärungsgespräch ver- 5 AAP sollte in der Routinetherapie der Vorzug gege-
18 unsichert werden soll; in diesen Fällen empfiehlt sich ben werden.
ein gestuftes Vorgehen. Die Darlegung der Nutzen- 5 Konventionelle Antipsychotika sind mit stärkeren
Risiko-Abschätzung sollte spätestens nach Einleitung Nebenwirkungen behaftet, besonders EPS.
19 der Stabilisierungsphase erfolgt sein.
Auf eine mögliche eingeschränkte Fahrtüchtigkeit
20 (7 Kap. 36) und die Gefahren durch zusätzliche Ein- 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
nahme von Alkohol und sedierenden Medikamenten Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
muss der Patient frühzeitig hingewiesen werden. . Tab. A1 im Anhang.
7.11 · Präparategruppen
79 7

5 Die Auswahl bezieht sich auf das Zielsyndrom und 5 Die sedierenden Antipsychotika können zusätzlich
die Notwendigkeit bestimmte Nebenwirkungen zu bei psychomotorischen Erregungszuständen einge-
vermeiden (z. B. bei Diabetes kein Olanzapin (Cave: setzt werden.
metabolisches Syndrom), bei jungen Frauen kein 5 Olanzapin ist auch zur Phasenprophylaxe bei bipo-
Amisulprid (Cave: Prolaktinerhöhung), bei Risiken für laren Störungen zugelassen. Auch Quetiapin ist bei
Herz-Kreislauf-Erkrankungen kein Ziprasidon (Cave: der Indikation wirksam.
QTc-Verlängerung). 5 Haloperidol ist die klassische Referenzsubstanz, gut
5 Wahrscheinlich haben AAP ein günstigeres Wirkungs- wirksam, aber auch nebenwirkungsreich.
profil bei Negativsymptomatik als konventionelle 5 Erhält ein Patient langfristig Antipsychotika, sollte
Antipsychotika. immer überlegt werden, ob nebenwirkungsärmere
5 Alle Antipsychotika haben ein breites Indikations- Präparate indiziert sind.
spektrum; sie wirken relativ sicher bei Schizophrenie 5 Die Compliance ist regelmäßig zu überprüfen, nach
und Manie. Nebenwirkungen zu fragen und Routineuntersu-
chungen durchzuführen.

. Tab. 7.1. Indikationen für Antipsychotika (Auswahl)

Präparat Dosis Wichtigste Indika- Wichtigste Neben- Bemerkungen


tionen mit Zulas- wirkungen; sonst
sung 7 Abschn. 7.6

Atypische Antipsychotika

Amisulprid 400–800 mg Schizophrenie, Starke Prolaktiner- Zugelassen als einziges


Solian® 50–300 mg bei auch bei Negativ- höhung AAP bei Negativsymp-
Negativsympto- symptomatik tomatik
matik

Aripiprazol 15–30 mg Schizophrenie Schlaflosigkeit, Keine Gewichtszunah-


Abilify® Angstzustände me, Lipid- und Prolaktin-
aber auch Müdig- erhöhung
keit, Übelkeit

Clozapin 100–400 mg Schizophrenie, Hohes NW-Risiko, Erfüllt alle Kriterien für


Leponex® Manie Agranulozytose, ein AAP, gute Wirkung
Hypersalivation Ca- bei Suizidalität; nicht in
ve: Interaktionen, der Akutphase geeignet
Sedierung

Olanzapin 5–20 mg; Manie: Schizophrenie, Ma- Gewichtszunahme, Breite Anwendungs-


Zyprexa® Beginn mit 20 mg nie, Phasenprophy- Schläfrigkeit erfahrung
möglich laxe bei bipolaren
Störungen

Quetiapin 50–750 mg; Ma- Schizophrenie, Sedierung, Schwin- Keine Prolaktinerhö-


Seroquel® nie: Beginn mit Manie del, Gewichtszu- hung, neben Cloza-
100 mg nahme pin sehr geringes Risi-
ko für EPS

Risperidon akut: 2–4 mg; Ge- Schizophrenie, Sedierung, Schwin- Neben Clozapin sehr
Risperdal® riatrie: 1 mg; Manie del, relativ deut- geringes Risiko für EPS;
Depot: alle 2 Wo- liche Prolaktiner- auch als Depot (ein-
chen 25–50 mg höhung ziges AAP)

Ziprasidon 120–160 mg; Schizophrenie, QTc-Verlängerung Nichttrizyklisches AAP,


Zeldox® eher höher Manie minimale Gewichts-
zunahme
80 Kapitel 7 · Antipsychotika

. Tab. 7.1. Fortsetzung


1
Präparat Dosis Wichtigste Indika- Wichtigste Neben- Bemerkungen
tionen mit Zulas- wirkungen; sonst
2 sung 7 Abschn. 7.6

Konventionelle Antipsychotika
3 Flupentixol akut: 10–60 mg Schizophrenie EPS, Müdigkeit, Hochpotentes trizy-
Fluanxol® Erhaltungs- Hypotonie klisches Antipsychoti-
4 therapie: 4–20 mg
Depot: 10–60 mg
kum, auch als Depot

i. m. 2–4 wöchent-
5 lich

Haloperidol 5–10 mg, maximal Schizophrenie, Ma- EPS, Müdigkeit, Butyrophenon, be-
6 Haldol® 40 mg, auch als
Depot möglich
nie, Erregungszu-
stände
Hypotonie währtes Antipsychoti-
kum für die Notfallsitua-
tion. Cave: nicht i.v.
7 Melperon 50–400 mg Erregungszustän- Müdigkeit, Hypo- Butyrophenon, breites
Eunerpan® de bei Psychosen, tonie Einsatzspektrum, auch
8 Schlafstörungen in der Geriatrie

Pipamperon 120–360 mg, bei Erregungszustän- Müdigkeit, Hypo- Butyrophenon, breites


9 Dipiperon® Schlafstörung, 20–
80 mg zur Nacht
de bei Psychosen,
Schlafstörungen
tonie Einsatzspektrum, auch
in der Geriatrie

10 NW Nebenwirkung.

11 7.12 Antipsychotika in der Kinder- – Schädigung oder Funktionsstörung des


und Jugendpsychiatrie Gehirns,
– tief greifende Entwicklungsstörungen,
12 Die Behandlung mit Antipsychotika stellt in der The- – hyperkinetische Störungen,
rapie schizophrener Psychosen und anderer Störungen – Störungen des Sozialverhaltens,
13 einen Baustein eines multimodalen Behandlungskon- – Bindungsstörungen,
zepts dar (Schulz et al. 2005). – Ticstörungen,
– Enuresis,
14 Indikationen – stereotype Bewegungsstörungen,
5 Die Hauptindikationen für Antipsychotika im – Stottern und Poltern. Der Einsatz von Anti-
15 Kindes- und Jugendalter sind schizophrene und
andere psychotische Störungen sowie Verhal-
psychotika stellt in den meisten Fällen einen
individuellen Heilversuch dar (Leitlinien
tensstörungen mit impulsiven und aggressiven der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
16 Durchbrüchen. Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 2003).
5 Das Indikationsspektrum – wenn auch Anti-
psychotika nicht in allen Fällen die Medikamente Auswahl und Wirksamkeit der
17 der ersten Wahl sind oder die alleinige Thera- Antipsychotika
pieform darstellen – umfasst zusätzlich zu den im 5 In klinischen Studien bei Kindern und Jugend-
18 7 Abschn. 7.4 beschriebenen Störungsbildern und lichen mit schizophrenen Psychosen hat sich
Diagnosegruppen noch: gezeigt, dass die Standardsubstanz aus der Grup-
– manische Episode, pe der klassischen Antipsychotika Haloperi-
19 – Essstörungen, dol gegenüber Placebo überlegen ist. Auch in
– nichtorganische Schlafstörungen, der Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt Clozapin
20 – Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen als Referenzsubstanz für die AAP und es konn-
aufgrund einer Krankheit, te in kontrollierten Studien gezeigt werden, dass
Clozapin gegenüber Haloperidol und Olanza-
7.13 · Checkliste
81 7

pin bei therapieresistenten schizophrenen Stö- Handlungsschritte unter der Therapie


rungen überlegen ist (Kumra et al. 1996; Shaw 5 Die Dosierungen und Serumkonzentrationen
et al. 2006). Allerdings sollte wegen des erhöh- sowie die Wechselwirkungen und Kontraindika-
ten Agranulozytoserisikos Clozapin erst nach feh- tionen entsprechen, soweit bekannt, denen im
lender Wirksamkeit auf zwei andere Antipsy- Erwachsenenalter, wobei die Medikamenten-
chotika eingesetzt werden (Findling et al. 2005). dosis immer entsprechend dem Alter, dem Ent-
Von den wichtigsten AAP gibt es meistens nur wicklungsstand, der Begleitmedikation und der
eine kontrollierte Studie bei Kindern und Jugend- Symptomatik individuell angepasst werden sollte
lichen mit schizophrenen Störungen. Die Ergeb- (Schulz et al. 2005).
nisse aus den kontrollierten und offenen Studien 5 Die Nebenwirkungen sind ebenfalls ähnlich,
sind fast durchwegs positiv. möglicherweise kommt es durch einige AAP
5 Da die meisten AAP für die Therapie Kinder zu einer stärkeren Gewichtszunahme bei Kin-
und Jugendlicher in Deutschland nicht zugel- dern und Jugendlichen, besonders zu Beginn
assen sind, entspricht jede Anwendung einem der Behandlung, im Vergleich zu Erwachsenen
individuellen Heilversuch. Clozapin ist ab dem (Fleischhaker et al. 2007).
16. Lebensjahr für die Behandlung von Psycho- 5 Die Routineuntersuchungen sollten mit der glei-
sen zugelassen. chen Frequenz wie im Erwachsenenalter erfolgen
5 Von den klassischen Antipsychotika sind zur und ebenso die empfohlene Behandlungsdauer
Behandlung von Psychosen im Kindes- und nach einer Remission.
Jugendalter Chlorprothixen (ab 3 Jahren, auch für
Unruhe, Erregungszustände, Schlafstörungen,
Entzug), Fluphenazin (ab 12 Jahren, auch für 7.13 Checkliste
psychomotorische Erregungszustände), Halo-
peridol (ab 3 Jahren), Levomopromazin (keine ?
Altersbeschränkung, auch für Erregungszustän-
de, Schmerzen), Perazin (ab 16 Jahren, auch für 1. Welche Charakteristika weisen die atypisch-
Manie, Erregungszustände) und Pimozid (keine en Antipsychotika auf?
Altersbeschränkung) zugelassen. 2. Welche Indikationen für Antipsychotika ken-
5 Melperon und Pipamperon sind im Kindes- und nen Sie?
Jugendalter vorwiegend zur Behandlung von 3. Welche Applikationsmöglichkeiten für Anti-
Unruhe und Erregungszuständen sowie Schlaf- psychotika gibt es?
störungen zugelassen. 4. Welche Nebenwirkungen treten bei konven-
5 Risperidon hat gute Ergebnisse bei der Behand- tionellen Antipsychotika häufig auf?
lung von Kindern und Jugendlichen mit aggres- 5. Auf welche Nebenwirkungen ist bei
siven und impulsiven Verhaltensauffälligkeiten- atypischen Antipsychotika besonders
gezeigt, die auf eine Störung des Sozialverhaltens, zuachten?
eine Intelligenzminderung oder eine tief greifen- 6. Welches Antipsychotikum hat sich als am
de Entwicklungsstörung zurückzuführen sind, wirksamsten bei der Behandlung von thera-
und hat auch eine Zulassung für die Behandlung pieresistenten schizophrenen Störungen im
solcher Verhaltensauffälligkeiten. Kindes- und Jugendalter gezeigt.
8.1 ·
83 8

Anxiolytika

8.1 Einteilung – 84

8.2 Wirkungsmechanismus – 84
8.2.1 Benzodiazepine – 84
8.2.2 Buspiron – 85
8.2.3 Andere Anxiolytika – 86

8.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 86

8.4 Indikationen – 87
8.4.1 Benzodiazepine – 87
8.4.2 Buspiron – 88
8.4.3 Andere Anxiolytika – 88

8.5 Dosierung, Plasmakonzentration und


Behandlungsdauer – 89

8.6 Nebenwirkungen – 89
8.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter Benzodiazepinen – 90
8.6.2 Absetzprobleme unter Benzodiazepinen – 90
8.6.3 Vorbeugung von Benzodiazepinentzugssymptomen – 91

8.7 Kontraindikationen und Intoxikationen – 91

8.8 Wechselwirkungen – 91

8.9 Routinehinweise – 91

8.10 Anxiolytika im höheren Lebensalter – 91

8.11 Präparategruppen – 92
8.11.1 Benzodiazepine – 92
8.11.2 Andere Anxiolytika – 93

8.12 Anxiolytika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 93

8.13 Checkliste – 94
84 Kapitel 8 · Anxiolytika

8.1 Einteilung Definition


1
Anxiolytika sind angstlösende Substanzen. Die anxi- Verschiedene Gruppen bzw. Substanzen inner-
olytische Komponente wird durch eine beruhigende halb der Anxiolytika unterscheiden sich sowohl
2 und emotional entspannende Wirkung unterstützt. hinsichtlich der strukturchemischen Eigen-
Wegen des zusätzlichen sedierenden Effekts werden schaften als auch des Wirkprinzips (Aufzählung
3 die Anxiolytika auch Tranquilizer genannt.
Der schlafinduzierende, muskelrelaxierende und
nach der Bedeutung):
5 Benzodiazepine:
antikonvulsive Effekt (7 Abschn. 8.4) der Benzodiaze- – z. B. Alprazolam, Diazepam, Lorazepam,
4 pine ist in der Psychopharmakotherapie nicht regel- Oxazepam
haft erwünscht. 5 Gruppe der Azapirone:
Anxiolytika, wie z. B. Buspiron oder β-Rezepto-
5 renblocker sind in üblicher Dosierung nichtsedie-
– Buspiron
5 β-Rezeptorenblocker:
rend. – z. B. Propranolol
6 Das erste Benzodiazepin Chlordiazepoxid (Libri- 5 Antiepileptika:
um®) wurde 1960 eingeführt. Die schnelle Verbrei- – Pregabalin
tung der Benzodiazepine beruhte auf der geringen 5 Antihistaminika:
7 Sedierung, der guten Verträglichkeit und der großen – Hydroxyzin
Sicherheit gegenüber den damals bekannten Sedativa, 5 Trizyklische Substanzen:
8 wie Mebrobamat oder Barbituraten.
Benzodiazepine sind für die Psychopharmakothe-
– Opipramol

rapie unverzichtbare Substanzen. Durch das bekannte


9 Abhängigkeitsrisiko, fehlerhafte Verschreibungen (nur Auch sedierende Antidepressiva und niedrig dosierte
20% verschreibt der Psychiater) und den nichtmedi- Antipsychotika haben eine anxiolytische Wirkung.
zinischen Gebrauch unterlagen sie einer weltweiten
10 Stigmatisierung. Die Verkaufszahlen sanken rapide.
In den USA ist allerdings die Verschreibung wesent- 8.2 Wirkungsmechanismus
11 lich höher als bei uns. Diese Tendenz wurde durch
die Möglichkeit unterstützt, gerade bei der Indikation Exemplarisch wurde die Rezeptorfunktion ausführ-
Angststörungen, die Benzodiazepine durch moderne lich am Beispiel der Antidepressiva und speziell des
12 Antidepressiva zu ersetzen. serotonergen Rezeptors demonstriert (7 Abschn. 5.2).
Eine Kritik an den Benzodiazepinen ist dann aber In diesem Kapitel wird der spezielle Wirkungsmecha-
13 nicht gerechtfertigt, wenn der eigentliche Grund in nismus der Benzodiazepine dargestellt. Biologisches
einer zu häufigen, aber falschen Verordnung liegt. Wirkprinzip der Benzodiazepine ist die Minderung
der Aktivität des Zentralnervensystems (ZNS).
14 Cave

Anxiolytika, insbesondere die Benzodiazepine, 8.2.1 Benzodiazepine


15 dürfen niemals ein Ersatz für notwendige Ge-
spräche, eine Psychotherapie oder Entspannungs- 5 Die Gammaaminobuttersäure (GABA) ist einer
16 verfahren sein. Sie dürfen nicht als Alibi für ein
fehlendes therapeutisches Bemühen herhalten.
der wichtigsten Neurotransmitter im ZNS mit
inhibitorischer Funktion. Hauptwirkort der Ben-
zodiazepine ist der GABAA-Rezeptor. Durch
17 Anxiolytika werden nicht nur isoliert bei Angststö- Aktivierung von GABA kommt es zu einem in
rungen verordnet, sondern finden häufig ihren Ein- die Zelle gerichteten Chlorideinstrom und somit
18 satz als Begleitmedikation (z. B. neben Antidepressi- zu einer Hyperpolarisation. Das Neuron kann
va oder Antipsychotika). dann nur noch vermindert aktiviert werden.
GABA ist der wichtigste, zumeist inhibitorisch
19 wirkende Neurotransmitter im ZNS.
5 Benzodiazepine wirken über eine spezifische
20 Benzodiazepinbindungsstelle auf die Rezepto-
reigenschaften. Durch die Bindung von Benzo-
diazepinen erhöht sich die Affinität des Rezep-
8.2 · Wirkungsmechanismus
85 8

. Tab. 8.1. Differenzielle Wirkung der Benzodiazepine

Pharmakologische Indikationen Bemerkungen zu besonders effektiven


Eigenschaften Präparaten

Anxiolytisch Angststörungen, akute Psychosen, speziell Lorazepam, Alprazolam: hochpotent, aber


Katatonie und depressiver Stupor auch vermehrt Entzugssymptome.
Lorazepam i. m. möglich; deswegen gut
bei Kataonie und Stupor geeignet

Sedierend Agitation bei akuten Psychosen, Manie, Diazepam: sehr starke Sedation
Prämedikation in der Anästhesie

Hypnotisch Schlafstörungen, Prämedikation in der –


Anästhesie

Antikonvulsiv Krampfzustände, Epilepsie Diazepam: deutlich antikonvulsiv

Muskelrelaxierend Muskelverspannung, Spastik Diazepam: therapeutische Wirkung

tors zu GABA und damit die Frequenz der Kana- zierte GABAerge Transmission zurückzuführen
löffnung. Im Gegensatz zu Barbituraten können sind (Lüddens u. Wiedemann 2008).
Benzodiazepine auch in hohen Dosen nicht als 5 Da es im Gehirn spezifische Benzodiazepin-
direkte GABAA-Agonisten wirken, wodurch sich Rezeptoren gibt, geht man davon aus, dass es,
die hohe Anwendungs- und Intoxikationssicher- ähnlich wie bei den Endorphinen am Opiat-
heit erklärt. Rezeptor, endogene Liganden gibt.
5 Die GABAA-Rezeptoren sind als Pentamer ver- 5 Die Wirkungen am Benzodiazepin-Rezeptor-
schiedener Untereinheiten und deren Varianten Komplex können durch einen Benzodiazepinre-
(hauptsächlich: α1–6; β1–3; γ1–3; δ) zusammenge- zeptorantagonisten (Flumazenil) wieder aufgeho-
setzt. Daraus ergeben sich mannigfaltige Rezep- ben werden.
torvariationen sowohl für GABA als auch für 5 Die Trennung von Anxiolytika, speziell der Ben-
Benzodiazepine mit verschiedenen pharmako- zodiazepine von den Benzodiazepinhypnoti-
logischen Profilen, Häufigkeiten und topogra- ka (7 Abschn. 9.2.1) ist künstlich. Benzodiazepine
phischen Verteilungen. Während γ-Einheiten beider Gruppen haben eine mehr oder weniger
für eine Benzodiazepinwirkung notwendig sind, starke sedative Komponente.
scheinen die α-Einheiten die Potenz der einzel-
nen Benzodiazepine zu bestimmen. Es gibt tier- Die pharmakologischen Eigenschaften der Benzodia-
experimentelle Hinweise, dass die anxiolytischen zepine sind in . Tab. 8.1 dargestellt.
Effekte primär durch α2- und/oder α3- enthal-
tende Rezeptoren, die sedativen Eigenschaften
dagegen durch α1- und die muskelrelaxierende 8.2.2 Buspiron
Wirkungen durch α2- und α3-Rezeptoren vermit-
telt werden. Eine differenzielle Wirkung von Ben- 5 Buspiron gehört zur Gruppe der Azapirone und
zodiazepinen an GABAA-Rezeptoren wird z. T. wirkt als vollständiger Agonist an präsynap-
durch eine einzelne Aminosäure bestimmt. tischen 5-HT1A-Autorezeptoren und somit inhi-
5 Es gibt die, aber nicht abgesicherte, Hypothe- bitorisch auf Ausschüttung und Synthese von
se, dass der GABA-Benzodiazepinkomplex bei Serotonin. Postsynaptisch soll Buspiron als par-
Angststörungen verändert und in seiner Emp- tieller Agonist an 5-HT1A-Rezeptoren einen
findlichkeit verstellt ist. direkten serotonergen Effekt besitzen. Auch
5 Die GABAA-Rezeptoren sind jetzt auch ursäch- dopaminerge Eigenschaften werden diskutiert.
lich mit Veränderungen kognitiver Prozesse im Buspiron hat keine Wirkung am GABAA-Rezep-
Alter und pathologischen Zuständen, insbeson- tor. Der anxiolytische Effekt ist am ehesten durch
dere verschiedenen Formen der Epilepsie in Ver- die Summe der komplexen Wirkungen zu erklä-
bindung gebracht worden, die oft auf eine redu- ren.
86 Kapitel 8 · Anxiolytika

8.2.3 Andere Anxiolytika 8.3 Allgemeine Therapieprinzipien


1 β-Rezeptorenblocker 5 Während früher der Einsatz von Anxiolytika in
5 Die β-Rezeptorenblocker, z. B. Propranolol, Pin- der Psychopharmakotherapie einen hohen Stel-
2 dolol oder Atenolol, vermindern β-adrenerg lenwert hatte, ist er durch die Möglichkeit Angst-
vermittelte somatische Symptome der Angst störungen mit den risikoärmeren modernen
3 (Schwitzen, Tremor, kardiovaskuläre und Magen-
Darm-Beschwerden).
Antidepressiva zu behandeln, deutlich zurückge-
gangen.
5 Die klinisch wichtigste Gruppe unter den anxi-
4 Antiepileptika olytisch wirkenden Substanzen sind die moder-
5 Pregabalin ist für die Indikation generalisierte nen Antidepressiva (7 Kap. 5). Für die Erhal-
Angststörung neu in den Handel gekommen. Es tungs- und Langzeittherapie der Angststörungen
5 ist ein lipophiles GABA-Analog, das ursprünglich (. Tab. 5.2) gibt es keine Alternative.
als Antikonvulsivum entwickelt wurde. 5 Für die Akuttherapie allerdings sind unter den
6 Antihistaminika
Anxiolytika die Benzodiazepine unverzichtbar.
5 Wenn Anxiolytika längerfristig verordnet wer-
5 Das Diphenylmethanderivat Hydroxyzin hat eine den, sind sie in einen Gesamtbehandlungsplan
7 H1-antihistaminerge sowie eine adrenolytische einzubinden.
und anticholinerge Wirkung. 5 Wenn die folgenden Vorsichtsmaßnahmen
8 Trizyklische Substanzen
berücksichtigt werden, ist die Therapie mit Ben-
zodiazepinen für den Patienten wertvoll und
5 Trotz einer trizyklischen Struktur – mit dem sicher:
9 Kern von Carbamazepin und der Seitenkette von
trizyklischen Antipsychotika – zeigt Opipramol Wichtig
in therapeutischen Dosen keine Rückaufnah-
10 mehemmung für biogene Amine. Es finden sich 5 Bei Abhängigkeitserkrankungen muss fast
antagonistische Effekte am 5-HT2-, H1- sowie am immer auf den Einsatz von Benzodiazepinen
11 D2-Rezeptor. Opipramol ist ein starker Ligand verzichtet werden (Ausnahme: Notfallsitu-
ation).
an den adrenergen (α1-) und cholinergen Rezep-
toren. Die sedativen Eigenschaften sind auf die 5 In der Notfallsituation, besonders bei akuter
12 antihistaminerge Wirkung zurückzuführen, die Suizidalität und akuten Angstzuständen,
Ursache der anxiolytischen Wirkung ist unklar. müssen auch sehr hohe Dosen appliziert
werden.
13 Antidepressiva 5 Im Regelfall, insbesondere in der Erhaltungs-
5 Von den meisten Antidepressiva ist ein angstlö- und Langzeittherapie, sollte die minimal
14 sender Effekt bekannt. Der Wirkmechanismus ist effektive Dosis verschrieben werden.
in 7 Kap. 5 beschrieben. Es wird vermutet, dass 5 Wenn möglich, sollte der Patient zu einer
individuellen Bedarfsmedikation angeleitet
15 vor allem der serotonergen Wirkung der Anti-
depressiva die angstlösende Komponente zuge- werden.
schrieben werden kann. 5 Absetzversuche sind nach 6 Wochen, bei
16 langfristiger Gabe spätestens nach 6 Mo-
naten einzuplanen; falls sie nicht gelingen,
Antipsychotika
5 Es ist mehrfach gezeigt, dass die konventionellen sind immer wieder neue Versuche in den
17 Antipsychotika in niedrigen Dosen einen angst- Behandlungsplan einzuschieben.
lösenden Effekt haben. Für die atypischen Antip- 5 Nur eine langsame Dosisreduktion schützt
18 sychotika liegen nicht genügend Studien vor. Da vor Entzugssymptomen.
5 Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit zuneh-
aber bei beiden Gruppen das Nebenwirkungsri-
siko im Vergleich zu Antidepressiva zu hoch ist, mender Dosis und Dauer der Einnahme.
19 sollten sie bei Angsterkrankungen nicht gegeben
werden.
20
8.4 · Indikationen
87 8

8.4 Indikationen zu unterstützen oder die Wirklatenz einer ande-


ren längerfristig geplanten Medikation abzukür-
8.4.1 Benzodiazepine zen (z. B. Antidepressiva bei Angsterkrankungen
und Depressionen; Antipsychotika bei schizo-
5 Benzodiazepine sind hochwirksame Substan- phrenen Erkrankungen). Benzodiazepine sind
zen. Sie wirken schnell und zuverlässig, sind gut bei vielen psychiatrischen und internistischen
verträglich und haben eine große therapeutische Notfallsituationen indiziert (z. B. akuter Herzin-
Breite. Der große Vorteil der Benzodiazepine farkt).
gegenüber Antidepressiva oder auch der KVT 5 Zielsymptome sind Angst, innere Unruhe, mus-
liegt darin, dass die Wirkung sehr zügig einsetzt kuläre Spannung, Hypervigilanz, Schlafstö-
(. Tab. 8.3). rungen, akute katatone, mutistische oder stu-
5 Die Indikation für Benzodiazepine muss wegen poröse Zustände, Akathisie und tardive Dyskine-
des vorhandenen Abhängigkeitsrisikos aber stets sien (. Tab. 8.1). Der therapeutische Effekt der
mit Sorgfalt gestellt werden (. Tab. 8.2) Benzodiazepine zielt auf eine rasche Sedierung
5 Die Indikationen für den Einsatz von Benzodi- und Entspannung, ohne in niedrigen Dosie-
azepinen sind nosologieübergreifend und häu- rungen eine nennenswerte Schlafinduktion her-
fig symptomorientiert. In vielen Fällen erfolgt der vorzurufen.
Einsatz als Komedikation, um den Therapieeffekt

. Tab. 8.2. Indikationen für Benzodiazepine

Indikationen Kapitel- Bemerkungen


verweis

Depressive Störungen 7 Kap. 15 Bei Suizidalität, ggf. bei komorbiden Angststörungen; bei
depressivem Stupor: Lorazepam

Panikstörung 7 Kap. 16 Für schnelle Koupierung der Angst: Lorazepam, auch


als Bedarfsmedikation; für Langszeittherapie nur für
Alprazolam durch Studien nachgewiesen

Generalisierte Angststörung 7 Kap. 17 Gute Wirkung bei akuten Angstzuständen; zu Beginn


begleitend mit Antidepressiva; bei non-resonse auf Anti-
depressiva niedrige Dosen auch langfristig möglich (aber
nach Buspiron-Versuch)

Phobische Störungen 7 Kap. 18 Nur als Bedarfsmedikation

Posttraumatische Belastungsstörung 7 Kap. 20 Nur Notfallsituation

Akute Belastungsstörung und 7 Kap. 21 Nur zu Beginn als Entlastung


Anpassungsstörung

Somatoforme Störung 7 Kap. 22 Nur vorübergehend

Schlafstörungen 7 Kap. 24 Möglichst bei primärer Insomnie nur Non-Benzodiazepin-


hypnotika verordnen

Alkoholentzugssyndrom 7 Kap. 28 –

Manische Episode 7 Kap. 29 Als Komedikation

Schizophrenie 7 Kap. 30 Schnelle Koupierung von Angstzuständen, bei kata-


tonem Stupor: Lorazepam; ggf. als Komedikation

Neurologische Erkrankungen 7 Kap. 32 Epileptischer Anfall, möglich auch bei Epilepsie; unwill-
kürlichen Bewegungsstörungen

Notfallspychiatrie 7 Kap. 34 Angstlösung, Sedierung


88 Kapitel 8 · Anxiolytika

. Tab. 8.3. Vor- und Nachteile der Benzodiazepine bei Angsterkrankungen


1
Vorteile Nachteile

2 Sehr schneller Wirkungseintritt Abhängigkeit und Entzugserscheinungen

Sehr gute anxiolytische Wirkung Tagesmüdigkeit bis zur Sedation


3 Gute Handhabbarkeit Wechselwirkungen mit Alkohol

Kaum Wechselwirkungen mit Medikamenten Koordinationsstörungen


4 Geringe vegetative Nebenwirkungen Störungen des Kurzzeitgedächtnisses möglich

5
5 Auch ein dauerhafter (monotherapeutischer) 8.4.2 Buspiron
6 Einsatz ist in einigen Fällen v. a. bei Angster-
krankungen (generalisierte Angststörung/GAD; 5 Bei der generaliserten Angsterkrankung hat Bus-
Panikstörung) nach Ausschöpfung anderer The- piron eine wichtige Indikation, 7 Abschn. 17.2.3.
7 rapiemaßnahmen indiziert. 5 Bei suchtgefährdeten Patienten ist Buspiron eine
5 Anders als bei den Antidepressiva gibt es keine Alternative zu Antidepressiva.
8 neuen Zulassungsstudien für Benzodiazepine, die 5 Auch bei Phobie ist Buspiron wirksam.
sich auf die ICD-10-Klassifikation beziehen. Es 5 Insgesamt konnten Wirksamkeitsvorteile von
handelt sich in der Regel um Altzulassungen mit Buspiron gegenüber Antidepressiva nicht gezeigt
9 unspezifischen Syndromnennungen. werden; insbesondere gibt es keine Vergleichsstu-
5 Relativ neu ist die Indikation für Lorazepam bei dien zwischen Buspiron und SSRI bei der GAD.
Katatonie, Stupor und Mutismus (. Tab. 8.2)
10 (Heuser u. Benkert 1986); die früher oft notwen-
dige Elektrokrampftherapie bei diesen Syndro- 8.4.3 Andere Anxiolytika
11 men kann jetzt meistens vermieden werden.
β-Rezeptorenblocker
Cave 5 β-Rezeptorenblocker können beim Überwiegen
12 somatischer Symptome bei spezifischer Phobie
Keine Indikation für Benzodiazepine besteht bei (7 Kap. 18) z. B. bei Redner- und Prüfungsangst
zu hohen chronischen Belastungen im Alltag, im
13 sozialen oder im familiären Bereich. Nur bei aku-
oder Flugangst, als Bedarfsmedikation versucht
werden. Der Wirksamkeitsnachweis ist nicht
ten Belastungen sind Benzodizepine – und dies überzeugend. β-Rezeptorenblocker besitzen nur
14 auch nur kurzfristig – indiziert. geringe sedierende Eigenschaften.

5 Eine Toleranzentwicklung gegenüber der anxioly- Antiepileptika


15 tischen Wirkung ergibt sich vergleichsweise sel- 5 Pregabalin ist neu für die GAD und die soziale
ten, d. h. eine Dosissteigerung zur Wirkungser- Phobie zugelassen. Der Vorteil gegenüber Anti-
16 haltung der Anxiolyse ist in der Regel nicht not- depressiva kann noch nicht abgeschätzt werden.
wendig. Bekannt ist hingegen eine Toleranzent-
wicklung gegenüber der sedierenden, muskelrela- Antihistaminika
17 xierenden und antikonvulsiven Wirkungskompo- 5 Hydroxizin hat im Vergleich zu Benzodiazepi-
nente. Tiermodelle bestätigen eine raschere und nen eine schwächere anxiolytische Wirkung, zeigt
18 ausgeprägtere Toleranz gegenüber sedativen als aber kein Abhängigkeitsrisiko.
gegenüber anxiolytischen Effekten.
5 Es besteht eine Kreuztoleranz von Benzodiazepi- Trizyklische Substanzen
19 nen zu Alkohol. Längerer Alkoholkonsum macht 5 Opipramol ist bei der GAD und bei somato-
u. U. höhere Benzodiazepindosen notwendig. formen Störungen zugelassen.
20 5 Opipramol ist besonders bei abhängigkeitsgefähr-
Die Vor- und Nachteile einer Benzodiazepinmedikati- deten Patienten eine Alternative zu Antidepressi-
on bei Angsterkrankung sind in . Tab. 8.3 ersichtlich. va oder Buspiron.
8.6 · Nebenwirkungen
89 8
Antidepressiva (um dann die medikamentöse Therapie, z. B. mit
5 Die selektiven Serotoninrückaufnahmehem- einem SSRI, weiter zu führen).
mer (SSRI) und die dualen Antidepressiva sind 5 Bei der Panikstörung werden höhere Dosen als
die wichtigste Medikamentengruppe für die län- bei der GAD benötigt, z. B. für Alprazolam bis zu
gerfristige Behandlung der Angststörungen 10 mg bei der Panikstörung, sonst 2–4 mg.
(7 Abschn. 5.2). 5 Bei Benzodiazepinen mit langen Halbwertszeiten
5 Der Vorteil gegenüber Benzodiazepinen liegt im (. Tab. 8.4) sind häufig einmalige Gaben pro
fehlenden Abhängigkeitspotenzial, der Nach- Tag ausreichend. Bei Substanzen mit kürzeren
teil in der längeren Wirklatenz und häufigeren Halbwertszeiten sind 2–4 Dosierungen pro Tag
Nebenwirkungen. zu wählen. Wenn die sedierende Wirkung pri-
mär gewünscht wird, ist die Hauptdosierung zur
Antipsychotika Nacht zu geben.
5 Konventionelle Antipsychotika (7 Kap. 7) wur- 5 Lorazepam intramuskulär wird sehr schnell
den früher häufiger in niedriger Dosierung auf- absorbiert und eignet sich so besonders gut bei
grund ihrer zusätzlich vorhandenen anxioly- Ängstlicheit und Agitationen im Rahmen akuter
tischen Komponente als Anxiolytika verord- Psychosen, der Katatonie oder dem depressiven
net, besonders häufig als Depotmedikation. Die Stupor. Auch sublingual wird Lorazepam schnell
hohe Nebenwirkungsrate unter Antipsychotika absorbiert.
(7 Abschn. 7.6) sollte ein solches Vorgehen ver-
bieten. Ausnahmen sind abhängigkeitsgefähr-
dete Patienten mit Angststörungen und bestehen- 8.6 Nebenwirkungen
de Kontraindikationen gegen Benzodiazepine. In
solchen Situationen sollte aber zunächst ein Anti- 5 Benzodiazepine haben eine relativ geringe
depressivum eingesetzt werden. Nebenwirkungsquote. Neben der Abhängigkeits-
problematik (7 Abschn. 8.6.1 bis 8.6.3) sind fol-
Cave gende unerwünschte Wirkungen zu beachten:
– Tagesmüdigkeit bis hin zur Schläfrigkeit
Hochpotente, nicht oder kaum sedierende Anti- – Konzentrationsstörung
psychotika (z. B. Fluspirilen) als »Minor-Tranquili- – bei Langzeiteinnahme kann es zu Gleichgül-
zer« sollten bei Angststörungen wegen der sehr tigkeit und eingeschränkter Kritikfähigkeit
hohen Gefahr von Nebenwirkungen nicht mehr kommen
gegeben werden. – anterograde Amnesie bei Gabe rasch anflu-
tender Benzodiazepine
5 Der Einsatz von atypischen Antipsychotika bei 5 Eine depressiogene Wirkung von Benzodiazepi-
Angststörungen ist bisher nur wenig geprüft. nen ist nicht nachgewiesen. Prosuizidale Effekte
von Benzodiazepinen wurden im Sinne einer
Desinhibition diskutiert, sind aber bisher nicht
8.5 Dosierung, bestätigt.
Plasmakonzentration und 5 Auf spezielle Nebenwirkungen im höheren
Behandlungsdauer Lebensalter ist zu achten (7 Abschn. 8.10)

5 Benzodiazepine sollten in möglichst niedrigen, Cave


aber ausreichend wirksamen Dosen verabreicht
werden (. Tab. 8.4). Bei Alprazolam beginnt man Die Fahrtüchtigkeit und Alltagssicherheit unter
z. B. mit 1 mg. Benzodiazepinen ist eingeschränkt.
5 Die Gesamtgabe sollte auf einen möglichst
kurzen Zeitraum (4–6 Wochen) beschränkt wer- 5 Buspiron hat sehr wenige Nebenwirkungen, ins-
den. besondere fehlen die Abhängigkeitsentwicklung
5 Bei einer Indikation zur langfristigen Benzo- und die sedative Komponente. Häufiger sind zu
diazepinverordnung sollte die Dosis so gering Beginn Schwindel und Schläfrigkeit.
wie möglich gehalten werden. Ein Absetzver-
such sollte nach 4–6 Monaten gestartet werden
90 Kapitel 8 · Anxiolytika

8.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter ten und verstärkten Auftreten der ursprüng-


1 Benzodiazepinen lichen Krankheitssymptomatik (d. h. Unru-
he, Angst, Schlaflosigkeit). Diese Symptoma-
5 Bei Anwendung von Benzodiazepinen kann es tik hält nur wenige Tage an.
2 zu Abhängigkeitsentwicklungen kommen. Das – Rückfallsymptome: Die ursprünglichen
Abhängigkeitsrisiko steigt, wenn höhere Dosen Angstsymptome treten nach Absetzen der
3 verabreicht und wenn Benzodiazepine über län-
gere Zeiträume eingenommen werden. Diskutiert –
Benzodiazepine erneut auf.
Eigentliche Entzugssymptome: Sie zeichnen
wird zudem, dass für kurz wirksame Substan- sich dadurch aus, dass sie vor Verordnung der
4 zen wie Alprazolam oder Lorazepam ein erhöhtes Medikation nicht vorhanden waren. Je nach
Risiko der Abhängigkeitsentwicklung oder von Halbwertszeit des eingenommenen Benzo-
Reboundphänomenen gegenüber lang wirksamen diazepinpräparates treten sie ca. 2–10 Tage
5 Substanzen wie Diazepam besteht. nach Absetzen der Medikation auf, erreichen
5 Besonders hoch ist das Abhängigkeitsrisiko schnell ein Maximum und dauern gewöhn-
6 bei unkontrolliertem bzw. nichtmedizinischem lich 5–15 Tage an. Auch Krampfanfälle sind
Gebrauch (häufig im Rahmen einer bestehen- noch nach einem Zeitraum von 2 Wochen
den Alkoholabhängigkeit oder Polytoxikomanie). nach Absetzen beobachtet worden.
7 Bevorzugt werden dabei Hypnotika (7 Kap. 9) mit
raschem Wirkeintritt (z. B. Flunitrazepam).
5 Nach etwa 4-monatiger Einnahme einer the- Leichte Entzugssymptome
8 rapeutischen Benzodiazepindosis muss nach 5 Vermehrte Angst und innere Unruhe
abruptem Absetzen mit Absetz- bzw. Entzugs- 5 Schlaflosigkeit
9 symptomen (s. unten) gerechnet werden. Bei 5 Erhöhte Irritabilität
Einnahme kurz wirksamer Hypnotika können 5 Übelkeit und Erbrechen
Reboundphänomene (7 Abschn. 8.6.2) auch schon 5 Schwitzen
10 nach einigen Tagen beobachtet werden. 5 Tremor
5 Kopfschmerzen
11 Wichtig 5 Muskelverspannungen

Abhängigkeitsentwicklungen ist durch strenge In-


12 dikationsstellung, der Wahl der niedrigst notwen-
digen Dosis und einer Verordnung, wenn möglich Schwere Entzugssymptome
nicht über 4–6 Wochen hinaus, vorzubeugen. Bei
13 einer Verordnung über 6 Wochen hinaus sollten
5 Verwirrtheitszustände
5 Depersonalisation/Derealisation
grundsätzlich Therapiealternativen durchdacht
5 Psychoseartige Zustände, Delirien
14 werden.
5 Ängstlich-depressive Syndrome
5 Krampfanfälle
15 5 Bei der »low-dose dependence« (oder auch »the- 5 Oszillopsien, Dysmorphopsien
rapeutic-dose dependence«), d. h. einer »Abhän- 5 Photophobie
gigkeit« bei Langzeiteinnahme üblicher thera- 5 Hyperakusis
16 peutisch verordneter Dosen, sind nach Absetzen 5 Hypersomnie
sofortige oder protrahiert auftretende Absetzef- 5 Dysästhesien
fekte (s. unten) möglich. 5
17 5
Kinästhetische Störungen
Muskelzittern und -faszikulationen

18 8.6.2 Absetzprobleme unter


Benzodiazepinen
19 5 Nach abruptem Absetzen von Benzodiazepinen
finden sich 3 Typen von Absetzsymptomen:
20 – Reboundsymptome: Nach Absetzen von Ben-
zodiazepinen kommt es als Effekt der GABA-
ergen Gegenregulation häufig zu einem aku-
8.10 · Anxiolytika im höheren Lebensalter
91 8

8.6.3 Vorbeugung von 8.8 Wechselwirkungen


Benzodiazepinentzugs-
symptomen Wechselwirkungen haben bei Benzodiazepinen eine
geringere klinische Bedeutung als bei den Antidepres-
Wichtig siva oder vielen anderen Psychopharmaka.
5 Pharmakodynamisch sind bei Benzodiazepinen
Wichtig ist die stufenweise Dosisreduktion, kein Wirkverstärkungen in Zusammenhang mit eben-
abruptes Absetzen! Absetzen ist in der Regel über falls sedativ wirkenden Substanzen zu beachten,
Wochen notwendig, manchmal über Monate. Die insbesondere bei Substanzen mit GABAergem
ersten 50% einer Benzodiazepindosis können re- Wirkmechanismus (z. B. Barbiturate oder Anti-
lativ zügig, die nächsten 25% deutlich langsamer konvulsiva).
und die letzten 25% nur sehr langsam abgesetzt 5 In pharmakokinetischer Hinsicht muss bedacht
werden. Häufig empfiehlt sich auch eine Pause werden, dass Inhibitoren des Cytochrom-P450
nach den ersten 50%. Die ersten Reduktions- (z. B. Fluoxetin, Fluvoxamin, Grapefruitsaft) die
schritte sollen mindestens eine Woche dauern. Wirkung der Benzodiazepine verstärken kön-
nen. Alle wichtigen Interaktionen sind an anderer
Stelle aufgelistet (Benkert u. Hippius 2007) und
müssen bei Verordnung eines Antidepressivums
8.7 Kontraindikationen und berücksichtigt werden.
Intoxikationen 5 Buspiron, Hydroxyzin und Opipramol dürfen
nicht mit einem MAO-Hemmer zusammen ver-
5 Der große Vorteil der Benzodiazepine liegt auch ordnet werden.
in der relativ geringen Zahl von Kontraindika-
tionen und den fehlenden Intoxikationen bei
oraler Verabreichung. 8.9 Routinehinweise
5 Hervorgehoben werden muss die Unverträglich-
keit mit Alkohol, Schlafmitteln und Analgetika. Auf Routineuntersuchungen, wie sie z. B. bei den
5 Die muskelrelaxierenden Wirkung der Benzodi- Antidepressiva notwendig sind, kann bei den Anxio-
azepine muss bei der Myasthenie und der Ataxie lytika verzichtet werden.
beachtet werden. Dafür müssen die Patienten auf folgende Risiken
5 Vor Gabe von Benzodiazepinen müssen eine hingewiesen werden:
obstruktive Atemwegserkrankungen und ein 5 Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei gleich-
Schlafapnoe-Syndrom ausgeschlossen werden. zeitiger Einnahme anderer sedierender Pharmaka
5 Bei Abhängigkeitsgefährdeten soll mit Benzodia- und von Alkohol.
zepinen sehr vorsichtig umgegangen werden. 5 Es besteht ein Abhängigkeitsrisiko.
5 Beim abrupten Absetzen von Benzodiazepinen
Cave kann eine Entzugssymptomatik auftreten.
5 Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und Reakti-
5 Bei schneller i.v.-Verabreichung von Benzo- onsfähigkeit muss beachtet werden (7 Kap. 36).
diazepinen kann es zu vorübergehender 5 Über das Risiko in der Schwangerschaft und Still-
Atemdepression, Blutdruckabfall und u. U. zeit muss aufgeklärt werden (7 Kap. 35).
sogar zum Herzstillstand kommen.
5 Kontraindikationen für β-Rezeptorenblo-
cker sind obstruktive Lungenerkrankungen, 8.10 Anxiolytika im höheren
Herzinsuffizienz, AV-Überleitungsstörungen, Lebensalter
Bradykardie, insulinpflichtiger Diabetes mel-
litus, Sinusknotensyndrom, Hypotonie und Benzodiazepine können auch im höheren Lebensalter
periphere arterielle Verschlusskrankheit. sicher verordnet werden. Es gibt Hinweise, dass das
Abhängigkeitsrisiko eher geringer ist, sodass niedrige
Benzodiazepindosen auch längerfristig dann verord-
net werden können, wenn keine Alternativen vorhan-
den sind und die Dosis nicht gesteigert wird.
92 Kapitel 8 · Anxiolytika

Einige Regeln sollten beachtet werden: 8.11 Präparategruppen1


1 5 Bei älteren Patienten sind meist niedrigere Dosen
als bei jüngeren Patienten notwendig. 8.11.1 Benzodiazepine
5 Bei Gabe langwirksamer Benzodiazepine besteht
2 die Gefahr der Kumulation (. Tab. 8.4, HWZ). Benzodiazepine sind bei Angstzuständen und in der
5 Kumulation kann zu verstärkten Nebenwir- Notfallpsychiatrie schnell und sicher wirksam; sie
3 kungen und damit zu möglichen klinischen
Komplikationen führen: Hang-over-Phänomene,
sind in der Pharmakopsychiatrie unverzichtbar. Das
Abhängigkeitsrisiko muss aber bei jeder Verordnung
Verstärkung von Müdigkeit und Sedierung, bedacht werden. Bei der Verordnung ist es wichtig
4 Schwindel, Koordinationsstörungen, Ataxie und die Halbwertszeit (HWZ) des Präparates zu kennen.
daraus resultierende Sturzgefahr. Dies gilt insbe- Bei kurzer HWZ sind mehrmalige tägliche Dosen
sondere für Patienten mit Leber- und Nierener- ggf. nötig. Die wichtigsten Benzodiazepine sind in
5 krankungen. . Tab. 8.4 aufgelistet.
5 Unter höheren Benzodiazepindosen sind, beson-
6 ders bei älteren Menschen, paradoxe Disinhibi-
Fazit
tionsphänomene möglich: Agitiertheit, Euphori-
sierung, Erregungszustände, Schlaflosigkeit und
7 Aggressivität. Therapieempfehlung für Benzodiazepine
5 Für die Notfallsituation ist Lorazepam unverzichtbar.
8 5 Bei Angstzuständen jeder Genese wirkt Lorazepam
sicher und schnell angstlösend und sedierend.
5 Bei der GAD haben Alprazolam und Lorazepam ein
9 akzeptables Wirkungs-Nebenwirkungs-Verhältnis.

10 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten


Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
11 . Tab. A1 im Anhang.

12 . Tab. 8.4. Benzodiazepine (Auswahl)

13 Präparat Dosis Indikation mit


Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen
Bemerkungen

Angstzuständea; 7 Abschn. 8.6


14 Alprazolam
Tafil®
2–4 mg tgl.; begin-
nen mit 1 mg Panikstörung
HWZ: 10–15 h

Clonazepam 2–5 mg tgl.; Angstzuständea; 7 Abschn. 8.6 HWZ: ca.40 h;


15 Rivotril® möglich bis 15 mg Erregungszustände i.v. Gabe möglich

Diazepam 2–15 mg tgl.; Angstzuständea; 7 Abschn. 8.6 HWZ: 20–40 h;


16 Valium® möglich bis 60 mg Erregungszustände1; i.v. Gabe möglich
stationär neurologische Erkran-
kungen
17
Lorazepam 0,25–5 mg tgl.; Angstzuständea; stupor- 7 Abschn. 8.6 HWZ: ca 14 h;
Tavor® möglich bis 10 mg und mutismuslösend; auch als Tabs;
18 Präparat für den Notfall- i.v. Gabe möglich
koffer, 7 Kap 34

19 Oxazepam 10–60 mg tgl. Angstzuständea 7 Abschn. 8.6 HWZ: ca 9 h;


Adumbran® Metabolit vieler
Benzodiazepine
20
HWZ Halbwertszeit (aktive Metaboliten der Präparate haben eine noch längere HWZ);
a Altzulassungen beziehen sich noch nicht auf die ICD-10-Klassifikation.
8.12 · Anxiolytika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
93 8

5 Unter den Benzodiazepinen hat nur Alprazolam eine 8.12 Anxiolytika in der Kinder- und
Zulassung bei der Panikstörung. Jugendpsychiatrie
5 Bei akuten Belastungen sollen Benzodiazepine nur
kurzfristig bei Bedarf gegeben werden. Die Anxiloytika, vor allem die Benzodiazepine, haben
auch in der Akutbehandlung der Kinder- und Jugend-
psychiatrie ein breites Indikationsspektrum, sind
jedoch meist für diesen Altersbereich nicht zugelas-
8.11.2 Andere Anxiolytika sen. Die Behandlungsdauer sollte nur wenige Tage bis
einige Wochen dauern.
Es gibt zu den Benzodiazepinen einige Alterna- Generell hat sich die Verschreibungsrate der Ben-
tiven (. Tab. 8.5), die aber nicht so effektiv sind und zodiazepine im Kindes- und Jugendalter in den letz-
eine deutlich längere Wirklatenz haben. Sie können ten 10 Jahren verdreifacht. Es gibt wie im Erwach-
nicht in der Notfallpsychiatrie eingesetzt werden. Die senalter keine neuen Zulassungsstudien für Benzodia-
Nebenwirkungen sind in der Regel gering. Ihr Vorteil zepine. Meistens handelt es sich um so genannte »Alt-
liegt in dem fehlenden Abhängigkeitsrisiko. zulassungen« mit zugelassen Indikationen für unspe-
zifische Syndrome.

Fazit Auswahl der Anxiolytika


Das Indikationsspektrum für Benzodiazepine in der
Therapieempfehlung für andere Anxiolytika Kinder- und Jugendpsychiatrie umfasst
5 Bei abhängigkeitsgefährdeten ängstlichen Patienten 5 die verschiedenen Angststörungen,
kann Buspiron verordnet werden. Vorher sollte ein 5 mittelgradige und schwere depressive Syndrome
Versuch mit Antidepressiva stehen. mit oder ohne Suizidalität,
5 Bei der GAD ist Opipramol eine Alternative zu den 5 akute psychotische Störungen,
Antidepressiva. 5 manische Episoden,
5 Eine neue Alternative bei der GAD ist Pregabalin. Das 5 ausgeprägte Schlafstörungen,
Präparat ist aber erst seit kurzem im Handel, so dass 5 Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen,
Empfehlungen noch nicht gegeben werden können. 5 schwere Erregungszustände.

. Tab. 8.5. Andere Anxiolytika

Präparat Dosis Indikation mit Wichtigste Wirkstoffgruppe


Zulassung Nebenwirkungen

Buspiron 10–30 mg tgl.; Angstzuständea Schwindel, Azapiron


Bespar® möglich bis 60 mg Schläfrigkeit

Propranolol 30–80 mg tgl. Somatische Ängste Müdigkeit, β-Blocker


Dociton® Schwindel,
Kopfschmerzen

Pregabalin 200–450 mg tgl. GAD, neuropathische Benommenheit, Antiepileptikum


Lyrica® Schmerzen Schläfrigkeit,
Libidominderung,
Gewichtszunahme

Hydroxyzin 30–75 mg tgl.; Angstzuständea; Müdigkeit, Antihistaminikum,


Atarax® möglich bis Schlafstörungen Schwindel; sonst Diphenylmethan
200 mg wie TZA

Opipramol 50–200 mg tgl. Somatoforme Müdigkeit, Trizyklisches Piper-


Insidon® Störungen; GAD Schwindel, vegeta- azinylderivat
tive Symptome
a Altzulassungen beziehen sich noch nicht auf die ICD-10-Klassifikation; TZA trizyklische Antidepressiva.
94 Kapitel 8 · Anxiolytika

Gerade bei ängstlich-depressiven Erkrankungen, die mentengruppen für die längerfristige Behandlung von
1 häufig mit Suizidalität einhergehen, ist teilweise der Angststörungen, da diese Substanzen im Vergleich zu
Einsatz von Benzodiazepinen bis zum Wirkungsein- den Benzodiazepinen kein Abhängigkeitspotenzial
tritt der Antidepressiva unverzichtbar. haben. Für diese Indikation im Kindes- und Jugendal-
2 Zugelassen aus der Gruppe der Benzodiazepine ter sind sie allerdings nicht zugelassen. Der Wirkungs-
ist z. B. Diazepam, das am häufigsten verschriebene eintritt ist deutlich langsamer als bei den Benzodiaze-
3 Benzodiazepin, ab dem 6. Lebensmonat für akute und
chronische Spannungs-, Erregungs- und Angstzustän-
pinen und es treten stärkere Nebenwirkungen auf.
Fluoxetin und Fluvoxamin zeigten gute Wirksam-
de. Allerdings wird in der klinischen Praxis aufgrund keit bei Kindern und Jugendlichen mit GAD, Tren-
4 der deutlich kürzeren Halbwertzeit häufig Lorazepam nungsangst und sozialer Phobie. Sertralin war bei der
eingesetzt, obwohl für die Anwendung im Kindes- GAD im Kindes- und Jugendalter Placebo überlegen.
und Jugendalter keine Zulassung besteht.
5 Buspiron hat auch in der Kinder-und Jugendpsy- Antipsychotika
chiatrie im Gegensatz zu den Benzodiazepinen einen Die konventionellen oder atypischen Antipsychoti-
6 differenzierten Einsatz (7 Abschn. 8.4.2): Es hat kei- ka gehören nicht zu den Medikamenten der ersten
ne antikonvulsive Wirkung, eine geringeres Sedie- oder zweiten Wahl bei der Behandlung von Angst-
rungspotenzial und kann das Ausmaß von Panikatta- störungen. Allerdings werden in der klinischen Pra-
7 cken nicht mindern. Buspiron ist nicht für den Notfall xis häufig Antipsychotika zum Sedieren bei schweren
geeignet, da der Wirkungseintritt langsamer ist. Als Angst- und Belastungsstörungen eingesetzt. Hier
8 mögliche neue Indikationen werden nach Ergebnis-
sen von offenen Studien akute und chronische Angst-
kommen dann vor allem die niedrig-potenten und
atypischen Antipsychotika in Betracht, wobei man
störungen, Zwangsstörungen, posttraumatische Bela- Nutzen und Nebenwirkung gut abwägen muss.
9 stungsstörung, Dysmorphophobie, Hyperaktivität,
Aggressivität, Erregungszustände bei tief greifenden
10 Entwicklungsstörungen und hyperkinetischen Stö- 8.13 Checkliste
rungen diskutiert (Bezchlibnyk-Butler u. Virani 2004;
Green 2001). Eine Zulassung für Buspiron besteht für ?
11 das Kindes- und Jugendalter nicht.
Mehrere Studien konnten die Wirksamkeit der 1. Welche Therapieprinzipien sind bei einer
beiden β-Rezeptorenblocker Propanolol und Pindolol Behandlung mit Benzodiazepinanxiolytika
12 (7 Abschn. 8.2.3) bei Kindern und Jugendlichen mit zu beachten?
Erregungszustände und aggressive Durchbrüche im 2. Worin liegen die Vorteile von Benzodiaz-
13 Rahmen von z. B. autistischen Syndromen, hyperki- epinen?
netischen Störungen, posttraumatischen Belastungs- 3. Wann sind Benzodiazepine indiziert?
störungen und Angststörungen, die vorwiegend mit 4. Welche Nachteile haben Benzodiazepine?
14 somatischen und autonomen Funktionsstörungen 5. Wann können β-Rezeptorenblocker eing-
einhergingen, nachweisen (Bezchlibnyk-Butler u. esetzt werden?
15 Virani 2004; Green 2001). 6. Welche Medikamente sind zur langfristigen
Behandlung von Angststörungen indiziert?
Dosierung der Benzodiazepine 7. Was ist bei der Behandlung älterer Menschen
16 Zu beachten ist, dass Benzodiazepine bei Kindern und mit Benzodiazepinen zu beachten?
Jugendlichen schneller metabolisiert werden, weshalb 8. Worüber sind Patienten bei der Gabe von
Kinder und Jugendliche teilweise kleinere aber dafür Benzodiazepinen unbedingt aufzuklären?
17 häufigere Dosierungen benötigen. Für die empfohle- 9. Welche Absetzsymptome treten beim
nen Tagesdosen gibt es keine spezifischen Leitlinien akuten Absetzten von Benzodiazepinen auf?
18 für das Kindes- und Jugendalter, die Dosierungen ent- 10. Mit welcher Substanzklasse sollten schwere
sprechen denen für das Erwachsenenalter (Bezchlib- und chronische Angststörungen im Kindes-
nyk-Butler u. Virani 2004; Green 2001). und Jugendalter behandelt werden?
19
Antidepressiva
20 Genau wie bei Erwachsenen sind die SSRI und die
dualen Antidepressiva (sowie teilweise noch die tri-
zyklischen Antidepressiva) die wichtigsten Medika-
9.1 ·
95 9

Hypnotika

9.1 Einteilung – 96

9.2 Wirkmechanismus – 96
9.2.1 Benzodiazepinhypnotika – 96
9.2.2 Non-Benzodiazepinhypnotika – 97
9.2.3 Andere Hypnotika und schlafinduzierende Psychopharmaka – 97

9.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 97

9.4 Indikationen – 98

9.5 Dosierung und Behandlungsdauer – 98

9.6 Nebenwirkungen – 98
9.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter Hypnotika – 98
9.6.2 Andere Nebenwirkungen unter Hypnotika – 99

9.7 Kontraindikationen und Intoxikationen – 99

9.8 Wechselwirkungen – 100

9.9 Routinehinweise – 100

9.10 Hypnotika im höheren Lebensalter – 100

9.11 Präparategruppen – 101

9.12 Hypnotika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 102

9.13 Checkliste – 103


96 Kapitel 9 · Hypnotika

9.1 Einteilung Die Non-Benzodiazepinhypnotika und die Benzodi-


1 azepinhypnotika werden wegen ihrer guten Verträg-
Hypnotika (Syn.: Schlafmittel oder Antiinsomnika) lichkeit und Arzneimittelsicherheit als Schlafmittel
sind schlaferzeugende Pharmaka. Früher waren Bar- am häufigsten verschrieben. Die Antihistaminika sind
2 biturate die gebräuchlichsten Präparate; sie wirkten zwar rezeptfrei zu kaufen, haben aber dennoch deut-
dosisabhängig sedativ, hypnotisch oder narkotisch. liche Nebenwirkungen (7 Abschn. 9.6). Chloralhydrat
3 Moderne Präparate wie die Benzodiazepinhypnoti-
ka und die Non-Benzodiazepinhypnotika führen (bei
ist zwar ein gut wirksames Hypnotikum, macht aber
abhängig.
oraler Verabreichung) auch in hoher Dosierung nicht Für die letzte Gruppe mit Tryptophan, Melatonin
4 zu einer vollständigen Narkose. und den pflanzlichen Präparaten ist ein wissenschaft-
Ein ideales Hypnotikum sollte keine Veränderung licher Wirkungsnachweis bisher nicht erbracht wor-
des physiologischen Schlafs hervorrufen, nicht zur den. Sie sind wahrscheinlich unwirksam. Sie werden
5 Kumulation führen, keine Toleranz entwickeln, kein deshalb im Kapitel nicht weiter besprochen.
Abhängigkeitspotenzial zeigen und schließlich keine
6 Lähmung des Atemzentrums bei Überdosierung her- Wichtig
beiführen.
Schon 1869 wurde Chloralhydrat als erstes syn- Sedierende Antidepressiva und Antipsychotika ha-
7 thetisches Schlafmittel in Deutschland eingeführt. Es ben ebenfalls einen schlafanstoßenden Effekt; die
wird noch verschrieben, aber durch effektivere Prä- Indikationen sind ausführlich in 7 Abschn. 24.1.2
dargestellt. Unter den Anxiolytika wird der seda-
8 parate immer mehr verdrängt, die insbesondere eine
größere therapeutische Breite besitzen. In der zweiten tive Effekt der Benzodiazepine (7 Kap. 8) gerne
Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Bromide als Hyp- zur Schlafinduktion bei leicht höherer Dosierung
9 notika in Gebrauch, die um 1900 dann von den Bar- genutzt; die Abhängigkeitsrisiken sind dabei, wie
bituraten abgelöst wurden. Aber erst mit Einführung bei den Hypnotika zu beachten.
der Benzodiazepine 1957 stehen Schlafmittel zur Ver-
10 fügung, die ein übersehbares Nebenwirkungsrisiko
haben und bei Überdosierung nicht zu schweren Into-
11 xikationen führen. 9.2 Wirkmechanismus
Auf dem Wege nebenwirkungsärmere Benzodize-
pinhypnotika zu entwickeln, sind die Non-Benzodi- 9.2.1 Benzodiazepinhypnotika
12 azepinhypnotika als nebenwirkungsärmste Schlafmit-
tel bisher der wichtigste Schritt. 5 Eine strenge Unterteilung der Benzodiaze-
13 Definition
pinderivate in Anxiolytika und Hypnotika ist
nicht möglich; beide entfalten ihre Wirkung,
wie die Benzodiazepine, am GABAA-Rezep-
14 Wie bei den Anxiolytika gibt es verschiedene tor (7 Abschn. 8.2.1). Sie zeigen ein einheitliches
Substanzen und Gruppen innerhalb der Hypno- pharmakologisches Profil und wirken dosisab-
tika, die sich sowohl hinsichtlich der strukturche-
15 mischen Eigenschaften als auch des Wirkprinzips
hängig anxiolytisch, sedativ-hypnotisch, muskel-
relaxierend und antikonvulsiv.
unterscheiden (Aufzählung nach der Bedeutung). 5 Durch die pharmakokinetischen Unterschiede ist
16 5 Non-Benzodiazepinhypnotika:
– Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon
eine differenzierte klinische Anwendung gerecht-
fertigt. Für den sedativ-hypnotischen Effekt sind
5 Benzodiazepinhypnotika: jedoch geringgradig höhere Dosen nötig als für
17 – z. B. Flurazepam, Lorprazolam, Lormetaze- die anxiolytische Wirkung. Allerdings muss bei
pam, Temazepam und Triazolam regelmäßiger Anwendung langwirksamer Sub-
5 Antihistaminika:
18 – z. B. Diphenhydramin, Doxylamin, Pro-
stanzen mit aktiven Metaboliten, z. B. bei Dia-
zepam, mit Kumulations- und Hang-over-Effek-
methazin ten gerechnet werden, die bei einem Hypnoti-
19 5 Chloralhydrat kum nicht toleriert werden können. Daher ist
5 Tryptophan, Melatonin und pflanzliche auch Diazepam (7 Kap.. 8) als Hypnotikum nur
Präparate
20 bei gelegentlicher Einnahme geeignet. Auch soll
daran gedacht werden, dass nicht selten schon
durch die anxiolytische Komponente der Benzo-
9.3 · Allgemeine Therapieprinzipien
97 9

diazepine eine schlaffördernde Wirkung erreicht Chloralhydrat


wird. 5 Chloralhydrat ist ein Aldehydderivat und wirkt
5 Benzodiazepine verändern dosisabhängig die am GABAA-Rezeptorkomplex, möglicherwei-
Schlaf-EEG-Parameter. Die Einschlafzeit wird se auch am NMDA-Rezeptor. Bis zu 1000 mg
verkürzt, die Häufigkeit und Dauer nächtlicher werden die Schlafphasen kaum verändert, erst
Wachphasen nehmen ab und die Gesamtschlaf- bei höherer Dosierung kommt es zur deutlichen
zeit ist verlängert. Benzodiazepine führen zu Beeinflussung des Schlafmusters.
einer leichten Reduktion des REM-Schlafs (REM-
Schlaf 7 Abschn. 24.1) und nach Absetzen zu Antidepressiva und Antipsychotika
REM-Reboundphänomenen. Schließlich ist das 5 Die schlafinduzierenden Komponenten beson-
Non-REM-Stadium 2 verlängert, während die ders der trizyclischen Substanzen mit ihren anti-
Tiefschlafphasen (Stadien 3 und 4) verkürzt sind. histaminischen und 5-HT2-antagonistischen
Wirkungen werden genutzt.

9.2.2 Non-Benzodiazepinhypnotika
9.3 Allgemeine Therapieprinzipien
5 Die drei im Handel befindlichen Non-Benzodi-
azepinhynotika Zaleplon (Pyrazolopyrimidin), 5 Hypnotika sind, trotz eines vermehrten gezielten
Zolpidem (Imidazopyridin) und Zopiclon (Zyklo- Einsatzes von Antidepressiva bei Schlafstörungen
pyrrolon) wirken aktiv am Benzodiazepinrezep- im Rahmen von Depressionen und Angsterkran-
tor, sind chemisch aber keine Benzodiazepine. kungen, in der Allgemeinmedizin und psychiat-
Hang-over-Effekte und Reboundphänomene tre- rischen Pharmakotherapie unverzichtbar.
ten seltener auf. Toleranz- und Abhängigkeits- 5 Hypnotika sollen prinzipiell erst nach Ausschöp-
entwicklungen wurden sehr selten in Einzelfällen fen anderer Therapiemöglichkeiten gegeben wer-
beobachtet; die Gefahr ist jedoch grundsätzlich den. Die Grunderkrankungen sollen zunächst
gegeben. Tierexperimentelle Daten weisen auf behandelt werden.
eine fehlende Sensitivitätsänderung am GABAA- 5 Da alle Hypnotika Nebenwirkungen
Rezeptor selbst nach längerer hoch dosierter (7 Abschn. 9.6) haben, muss ihr Stellenwert in
Gabe hin. Möglicherweise besteht hierin eine einem Gesamtbehandlungsplan sehr sorgfältig
Erklärung für die bisher beobachteten differenten eingestuft werden. Dies gilt besonders für eine
Effekte gegenüber den Benzodiazepinhypnotika. Langzeittherapie.
5 Im Schlaf-EEG ist die Einschlaflatenz verkürzt 5 Andererseits sollten Schlafmittel in der Not-
und die Gesamtschlafzeit verlängert. Der REM- fallmedizin bei akuten Psychosen oder ande-
Schlaf wird nur unwesentlich beeinflusst. Es wird ren schweren psychischen Erkrankungen und
sowohl ein vermehrter als auch ein verminderter bei suizidalen Patienten vorübergehend auch in
Tiefschlaf im EEG gesehen. Zaleplon verändert höheren Dosen zügig eingesetzt werden.
das Schlaf-EEG am geringsten. 5 Die ausführlichen Therapieprinzipien bei einem
Einsatz von Hypnotika finden sich in 7 Kap. 24.

9.2.3 Andere Hypnotika und Wichtig


schlafinduzierende
Psychopharmaka Benzodiazepinhypnotika und besonders die Non-
Benzodiazepinhypnotika sind gut verträgliche
Antihistaminika und nichttoxische Schlafmittel. Sie besitzen kein
5 Antihistaminika haben einen zentral dämp- Suizidpotenzial.
fenden Effekt, der bei der Anwendung als Hyp-
notikum genutzt wird. Diphenhydramin z. B. hat
auch einen starken anticholinergen Anteil, der
eine Vielzahl von Nebenwirkungen hervorrufen
kann. REM- und Tiefschlaf wird im EEG verän-
dert. Die Wirkung ist nicht konstant hypnotisch.
98 Kapitel 9 · Hypnotika

Wichtig 9.5 Dosierung und


1 Behandlungsdauer
Sind im Rahmen einer psychiatrischen Therapie
sedierende Antidepressiva oder Antipsychotika 5 Dosierungen . Tab. 9.2 bis 9.4.
2 indiziert, sollte bei Schlafstörungen zunächst die-
ser Effekt genutzt werden (7 Abschn. 24.2.1). Erst Wichtig

3 nach Ausreizung dieser Strategie können auch


Hypnotika gegeben werden. In der Regel kann
5 Schlafmittel sollten möglichst nicht für
längere Zeiträume, d. h. für nicht mehr als
aber die gezielte Gabe am späten Abend den
4 Schlaf positiv beeinflussen.
4 Wochen, verordnet werden.
5 Bei intermittierenden Schlafstörungen ist die
Einnahme von Hypnotika in 4–6 Nächten/
5 Monat vertretbar.
9.4 Indikationen 5 Es sollte mit einer niedrigen Dosis begonnen

6 werden (Ausnahme: Notfallsituation).


5 Die Therapie soll langsam beendet werden.
5 Die Schlafstörung (7 Kap. 24) ist die einzige Indi-
kation für Hypnotika. Sie besteht aus einem Sym- 5 Diese Richtlinien gelten unabhängig von der
7 ptomkomplex aus Einschlafverzögerung, Durch- Wahl des Hypnotikums.
schlafstörungen, Früherwachen mit verminderter
8 Erholsamkeit sowie Störungen der Lebensqualität
und Leistungsfähigkeit am Tag.
5 Wenn keine Antidepressiva oder Antipsychotika 9.6 Nebenwirkungen
9 als Alternative zu den Hypnotika indiziert sind,
sollten in der Praxis zunächst 9.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter
10 – Non-Benzodiazepinhypnotika und, an zwei- Hypnotika
ter Stelle,
– Benzodiazepinhypnotika 5 Die Kriterien für das Abhängigkeitsrisiko,
11 verordnet werden. Absetzsrisiko und der Vorbeugung von Entzugs-
5 Chloralhydrat und Antihistaminika haben eine symptomen bei den Hypnotika sind mit denen
Indikation nach den Non-Benzodiazepinhypno- der Benzodiazepinanxiolytika (7 Abschn. 8.6.1–
12 tika und Benzodiazepinhypnotika. Chlomethia- 8.6.3) identisch.
zol (7 Kap. 11) darf nur in Ausnahmen in der Kli- 5 Auch unter Benzodiazepinhypnotika kann man,
13 nik geben werden. wie bei den Benzodiazepinanxiolytika von einer
5 Bei Abhängigkeitserkrankungen sollte auf den »low-dose dependence« (oder auch »therapeutic-
Einsatz von Hypnotika verzichtet werden (Aus- dose-dependence«), d. h. einer Abhängigkeit bei
14 nahme: Notfallsituation). Alternativen sind schla- Langzeiteinnahme üblicher, therapeutisch ver-
finduzierende Antidepressiva und Antipsychotika ordneter Dosen, sprechen. Sie kann, vor allem im
15 (7 Abschn. 24.1.2). höheren Alter, wenn die Dosis nicht gesteigert
wird, toleriert werden.
5 Beim Absetzen von Hypnotika muss mit protra-
16 hiert zunehmenden Entzugserscheinungen über
Wochen gerechnet werden.
5 Bei Benzodiazepinen mit längerer HWZ
17 (. Tab. 9.3, Flurazepam) ist die Wahrscheinlich-
keit für das Auftreten von Reboundsymptomen
18 (7 Abschn. 8.6.2) bei Langzeitmedikation und
Absetzen der Medikation gering, dagegen bei
Präparaten mit kurzer oder mittellanger HWZ
19 (. Tab. 9.3, z. B. Temazepam) höher.

20
9.7 · Kontraindikationen und Intoxikationen
99 9

Cave 5 Seltener sind paradoxe Reaktionen mit gestei-


gerter Aktivität, Reizbarkeit und Wutreaktionen.
5 Alle sicher wirksamen Hypnotika besitzen Diese Nebenwirkungen sind bei älteren Patienten
ein Abhängigkeits- und Toleranzrisiko. Bei häufiger zu beobachten.
Non-Benzodiazepinhypnotika ist es am 5 Eine depressiogene Wirkung von Benzodiazepi-
geringsten. nen ist nicht nachgewiesen worden.
5 Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit zuneh-
mender Dosis und Dauer der Einnahme. Cave
5 Nur eine langsame Dosisreduktion schützt,
Nach mehrmonatigem Gebrauch können auch
wenn die Hypnotika längerfristig eingenom-
Ataxie, Dysarthrie und allgemeine muskuläre
men wurden, vor Entzugssymptomen.
Schwäche auftreten; bei chronischem Gebrauch
auch ausgeprägte Antriebsstörungen, Initiativ-
5 Antihistaminika zeigen keine Abhängigkeit im und Interesseverlust und mangelnde emotionale
engeren Sinne, haben aber auch keine verlässliche Spontaneität.
schlafinduzierende Wirkung.

Non-Benzodiazepinhypnotika
9.6.2 Andere Nebenwirkungen unter Die häufigsten Nebenwirkungen von Zaleplon, Zolpi-
Hypnotika dem und Zopiclon sind Müdigkeit und Dösigkeit.
Sonst können alle den Benzodiazepinen eigenen
Benzodiazepinhypnotika Nebenwirkungen – aber seltener und weniger stark
5 Bei Verordnung von Benzodiazepinhypnoti- ausgeprägt – auftreten. . Tab. 9.1 gibt eine Übersicht
ka mit langen und mittellangen Halbwertszeiten über die wichtigsten Vor- und Nachteile der Non-Ben-
(z. B. Flurazepam) und mit aktiven Metaboliten zodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika.
kann es am Tag nach der abendlichen Einnah-
me zu Hang-over-Effekten mit unerwünschter Antihistaminika und Chloralhydrat
Tagessedierung, Müdigkeit, Konzentrations- Antihistaminika haben neben der dämpfenden Wir-
schwäche und Einschränkungen der kognitiven kung typische anticholinerge Nebenwirkungen, die
Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit kom- gerade bei älteren Patienten erhebliche Folgen haben
men. Die Verkehrstauglichkeit kann auf Grund können (z. B. Delir). Sie sind toxisch, zeigen Wir-
herabgesetzter Reaktionsfähigkeit vermindert kungsverlust, aber keine Abhängigkeit im engeren
sein. Die gleichen Effekte können bei Präparaten Sinne.
mit kurzer Halbwertszeit auftreten, wenn sie in Chloralhydrat ist ein Aldehyd; es darf bei kör-
hohen Dosen eingenommen werden. perlichen Grundkrankheiten nicht gegeben werden.
5 Tagessmüdigkeit tritt in der Regel bei Präparaten Es führt zu Übelkeit und Verwirrtheitszuständen; es
mit kurzer bis mittellanger HWZ nicht auf, wenn besitzt in Einzelfällen ein Abhängigkeitspotenzial. Die
sie niedrig dosiert werden. therapeutische Breite ist gering, deshalb darf es bei
Suizidalität nicht gegeben werden.
Cave

Besonders bei älteren Menschen und bei Pati- 9.7 Kontraindikationen und
enten mit Leber- und Nierenschäden kann es Intoxikationen
unter Benzodiazepinhypnotika mit langen und
mittellangen Halbwertszeiten relativ häufig zu 5 Die Kontraindikationen der Benzodiazepin-
Kumulationsphänomenen und dadurch bedingt hypnotika sind, wie die der Benzodiazepine
zu vermehrten Nebenwirkungen mit Muskelre- (7 Abschn. 8.7) gering. Auch sind keine Intoxika-
laxation und ataktischen Störungen kommen. tionen zu erwarten.
Die Folge kann eine erhöhte Unfallgefahr mit 5 Die Unverträglichkeit mit Alkohol, Schlafmitteln
Frakturen sein. Deshalb muss gerade bei dieser und Analgetika muss beachtet werden.
Patientengruppe die niedrigst mögliche Dosis 5 Myasthenie, Ataxie, obstruktive Atemwegser-
verschrieben werden. krankungen und Schlafapnoe-Syndrom sind Aus-
schlusskrankheiten.
100 Kapitel 9 · Hypnotika

. Tab. 9.1. Vor- und Nachteile der Non-Benzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika


1
Vorteile Nachteile

2 Große therapeutische Breite


(als Suizidmittel untauglich)
Abhängigkeitsrisikoa

3 Geringe Toleranzentwicklung Entzugsrisikoa

Wenig Wechselwirkungen Rebound-Insomniea,b

4 Relativ geringer Wirkungsverlust 5 Tagesmüdigkeita (nur bei Benzodiazepinhypnotika mit langer HWZ)
5 Beeinflussung der Schlafarchitektura
5 Muskelhypotonie und Ataxie, die bei älteren Menschen zu Stürzen
5 führen können
5 Hang-over-Effekte bei Benzodiazepinhypnotika mit langer HWZ

6 a Bei Non-Benzodiazepinhypnotika gering. b Vermehrte Schlaflosigkeit oder Albträume nach plötzlichem Absetzen einer länger dau-

ernden Therapie.

7
5 Abhängigkeitsgefährdete sollen Benzodiazepin- 9.10 Hypnotika im höheren
8 hypnotika und Non-Benzodiazepine nur in Not- Lebensalter
fallsituationen erhalten.
5 Für Chloralhydrat gelten ähnliche Bedingungen. 5 Mit zunehmendem Alter nimmt die Schlafdau-
9 Das Hypnotikum hat bei vielen körperlichen er und -tiefe ab, und es kommt zu längeren Auf-
Krankheiten hohe Risiken. wachphasen. Deshalb ergibt sich eine verstärkte
5 Der antihistaminerge und anticholinerge Anteil Indikation für Hypnotika im höheren Lebensal-
10 an den Antihistaminika schließt die Verordnung ter.
besonders bei älteren Patienten aus (Delirgefahr). 5 Die Verschiebungen der zirkadianen Rhythmik
11 führen im Alter zu einer Müdigkeit am frühen
Abend mit entsprechend früherem Einschlafen
9.8 Wechselwirkungen und einem frühmorgendlichem Erwachen.
12 5 Grundsätzlich sind bei den Benzodiazepinhyp-
5 Wechselwirkungen für Benzodiazepinhypnotika notika und Non-Benzodiazepinen die gleichen
13 7 Abschn. 8.8. Vorsichtsmaßnahmen und Einschränkungen
5 Die Wechselwirkungen für Chloralhydrat und wie bei den Benzodiazepinanxiolytika gültig
Antihistaminika sind zahlreich. (7 Abschn. 8.10).
14 5 Im Alter sollten geringere Dosen gegeben wer-
den, da durch Akkumulationen eine uner-
15 9.9 Routinehinweise wünschte Tagessedierung mit weiterer Ver-
schlechterung des Schlafprofils eintreten kann.
5 Routineuntersuchungen sind nicht angezeigt. 5 Auf die besonderen Risiken im Alter wird schon
16 5 Die Patienten sollen auf folgende Risiken hinge- oben unter 7 Abschn. 9.6.2 hingewiesen.
wiesen werden: 5 Im Alter kann eine Dauermedikation trotz
– Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei grundsätzlichem Abhängigkeitsrisko gerechtfer-
17 gleichzeitiger Einnahme anderer sedierender tigt sein.
Pharmaka und von Alkohol. 5 Vor allem bei dementen und verwirrten Patienten
18 – Es besteht ein Abhängigkeitsrisiko. sowie Patienten mit organischen Grunderkran-
– Beim abrupten Absetzen von Hypnotika kungen ist an die Möglichkeit paradoxer Erre-
kann eine Entzugssymptomatik auftreten. gungszustände mit Agitiertheit, Schlaflosigkeit
19 – Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und und Aggressivität zu denken.
Reaktionsfähigkeit und Tagesmüdigkeit muss
20 bei einigen Präparaten beachtet werden.
– Risiken in der Schwangerschaft und Stillzeit
7 Kap. 35.
9.11 · Präparategruppen
101 9

9.11 Präparategruppen1 Eine Übersicht über Dosis, Nebenwirkungen und


Halbwertszeiten von Antihistaminika und Chloralhy-
Für die Behandlung von Schlafstörungen stehen Non- drat gibt . Tab. 9.4.
Benzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnoti-
ka an erster Stelle.
Dosis und Halbwertszeit (HWZ) (. Tab. 9.2 und Fazit
9.3) bestimmen den Grad der Nebenwirkungen. Ben-
zodiazepinhypnotika mit relativ kurzer HWZ von 6– Therapieempfehlung für Hypnotika
12 h mit fehlenden oder pharmakologisch nicht rele- 5 Für die Kurzzeitanwendung (3–7 Tage), besonders bei
vanten Metaboliten garantieren eine hinreichend lan- Einschlafstörungen, eignen sich Non-Benzodiazepin-
ge hypnotische Wirkung (z. B. Loprazolam, Temaze- hypnotika, z. B. Zolpidem, als Mittel der Wahl.
pam . Tab. 9.2). Sie kumulieren auch bei wiederholter 5 Bei zu frühem Erwachen unter Non-Benzodiazepin-
Anwendung nicht wesentlich (7 Abschn. 9.6.1)). hypnotika sollte ein länger wirksames Benzodiazepin-
hypnotikum, z. B Temazepam, gewählt werden.
5 Langwirksame Benzodiazepinhypnotika, z. B. Flura-
zepam, können kumulieren und sollten vermieden
1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten werden.
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt 5 Bei bestehender Abhängigkeit kann als erste Wahl
. Tab. A1 im Anhang. ein Antidepressivum (z. B. Mirtazapin, ab 7,5 mg oder

. Tab. 9.2. Non-Benzodiazepinhypnotika (Auswahl)

Präparat Dosis Wichtigste Bemerkungen


Nebenwirkungen

Zaleplon 5–10 mg abends; 7 Abschn. 9.6 HWZ: 1 h


Sonata® bis 20 mg möglich

Zolpidem 10–20 mg abends; meistens reichen 10 mg; 7 Abschn. 9.6 HWZ: 1–3,5 h
Stilnox® beim Aufwachen in der Nacht nur 10 mg

Zopiclon 7,5–15 mg abends; bei Leberschäden und äl- 7 Abschn. 9.6 HWZ: 5 h
Ximovan® teren Patienten nur 3,75 mg

HWZ Halbwertszeit.

. Tab. 9.3. Benzodiazepinhypnotika (Auswahl)

Präparat Dosis Wichtigste Nebenwirkungen Bemerkungen

Flurazepam 15–30 mg abends 7 Abschn. 9.6; hohes Risiko für HWZ: 1–3 ha;
Dalmadorm® Kumulation Metabolite bis 96 h

Lorprazolam 1–2 mg abends; 7 Abschn. 9.6 HWZ: 6–8 ha


Sonin® mit 0,5 mg beginnen

Lormetazepam 0,5–1 mg abends 7 Abschn. 9.6 HWZ: 8–15 hb,


Noctamid®; auch als Tabs
Ergocalm Tabs®

Temazepam 10–40 mg abends 7 Abschn. 9.6 HWZ: 5–14 hb


Remestan®

Triazolam 0,125–0,25 mg abends 7 Abschn. 9.6; höhere Neben- HWZ: 5–4 hb, nicht
Halcion® wirkungsrate, Reboundphänomene als Durchschlafmittel
und anterograde Amnesie geeignet

HWZ Halbwertszeit; a mit aktiven Metaboliten; b mit kaum relevanten Metaboliten.


102 Kapitel 9 · Hypnotika

. Tab. 9.4. Antihistaminika (Auswahl) und Chloralhydrat


1
Präparat Dosis Wichtigste Nebenwirkungen Bemerkungen

2 Diphenhydramin
Dolestan®
50–100 mg abends;
beginnen mit 50 mg
7 Abschn. 9.6, anticholinerge
Komponenten, gastrointesti-
Geringer wirksam als
Benzodiazepinhypnotika
nale Beschwerden
3 Chloralhydrat 250–1000 mg abends; 7 Abschn. 9.6, Übelkeit, Erhebliche Wechsel-
Chloraldurat 500® maximal 2 g tgl. Verwirrtheitszustände wirkungen
4
5 Trimipramin, 25–50 mg) und erst als zweite Wahl 9.12 Hypnotika in der Kinder- und
ein sedierendes Antipsychotikum (z. B. Melperon, Jugendpsychiatrie
6 20–100 mg) gewählt werden.
5 Bei Schlafstörungen mit Suizidalität oder im Rahmen Die Gabe von Hypnotika sollte genauso wie bei
von akuten Psychosen oder anderen schweren Erwachsenen erst nach Ausschöpfen anderer The-
7 psychischen Erkrankungen sind Hypnotika vorüber- rapiemöglichkeiten erfolgen bzw. die Indikationen
gehend auch in höheren Dosen indiziert. sollten sehr eng gefasst werden. 25% der Kinder bis
8 5 Bei Schlafstörungen im Rahmen einer psychiatrischen
Erkrankung, bei der Antidepressiva oder Antipsycho-
zum 18. Lebensmonat haben schon einmal Hypnoti-
ka, allerdings vorwiegend für pädiatrische Indikati-
tika indiziert sind, sollten diese immer vor Schlaf- onen, erhalten.
9 mitteln versucht werden. Zumeist lösen auch die
Antidepressiva oder Antipsychotika, wenn sie gezielt Auswahl des Hypnotikums
Die oben erwähnten Non-Benzodiazepinhypnoti-
10 5
abends eingesetzt werden, die Schlafprobleme.
Bei lang andauernden schweren Schlafstörungen, ka und Benzodiazepinhypnotika (. Tab. 9.2 und 9.3)
ggf. auch bei alkoholkranken Patienten, die langjäh- sind in Deutschland für Kinder- und Jugendliche
11 rig schlafmittelabhängig sind, ist nicht zugelassen, außer zur Prämedikation vor chi-
– der Taperprozess mit dem primären Hypnotikum rurgischen Eingriffen und bei zerebralen Anfallslei-
äußerst langsam durchzuführen (s. auch Benzodi- den. Eine Ausnahme stellt Temazepam dar, welches
12 azepinanxiolytika 7 Kap. 8), ab dem 14. Lebensjahr zur Behandlung von Ein- und
– begleitend ein Antidepressivum oder Antipsy- Durchschlafstörungen zugelassen ist. Das Antihis-
13 chotikum einzusetzen, taminikum Diphenhydramin ist, je nach Dosierung,
– in einem Schlaflabor die Diagnose zu überprüfen, ab dem 12. bzw. 14. Lebensjahr und Chloralhydrat ab
– eine psychologische Therapie dringend indiziert dem 6. Lebensjahr zugelassen.
14 und der Patient einem Programm zum Erlernen Mit Flurazepam konnte über 14 Tage bei 40 Kin-
von Verhaltensregeln (7 Kap. 24) zuzuführen. dern und Jugendlichen bei mit Schlaf assoziier-
15 5 Unter einer Therapie mit Hypnotika muss ein sorgfäl-
tiges Monitoring von Hang-over-Effekten, Rebound-
ten Erkrankungen wie Schlafwandeln, Sprechen im
Schlaf, Zähneknirschen und exzessiven Bewegungen
symptomen, Toleranzentwicklungen und einer während des Schlafs eine signifikante Verbesserung
16 möglichen Abhängigkeit erfolgen. erzielt werden.
5 Hypnotika müssen, wenn sie nicht nur kurzzeitig

17 5
angewandt wurden, sehr langsam abgesetzt werden.
Es gibt eine Reihe von anderen Hypnotika, die aber
wie Chloralhydrat ein deutliches Abhängigkeitsrisiko
18 besitzen, oder wie Diphenhydramin bei schwächerer
Wirkung als bei Non-Benzodiazepinhypnotika
mehr Nebenwirkungen haben. Für Tryptophan und
19 Baldrianpräparate besteht großer Zweifel an einer
Wirksamkeit. Für Melatonin ist in einer großen Zahl
20 von Studien jetzt die Unwirksamkeit gezeigt. Diese
Substanzen können nicht empfohlen werden.
9.13 · Checkliste
103 9

Wichtig

5 Auch bei Kindern und Jugendlichen sind


im Rahmen einer psychiatrischen Therapie
primär sedierende Antidepressiva oder
Antipsychotika indiziert. Erst nach Ausrei-
zung dieser Effekte können auch Hypnotika
gegeben werden.
5 Andererseits sind Schlafmittel bei akuten
Psychosen oder anderen schweren psy-
chischen Erkrankungen und bei suizidalen
Patienten vorübergehend indiziert.
5 Vor allem für die Benzodiazepinhypnotika
gilt, dass sie aufgrund eines hohen Abhän-
gigkeitspotenzials nicht über einen längeren
Zeitraum gegeben werden sollten.

9.13 Checkliste

?
1. Welche Gruppen von Hypnotika kennen Sie?
2. Welche Vorteile haben die modernen
Hypnotika gegenüber den früher häufig
verwendeten Barbituraten?
3. Worüber sind Patienten bei der Vorordnung
von Hypnotika aufzuklären?
4. Welche Risiken haben Benzodiazepinhypno-
tika?
5. Welche medikamentösen Alternativen zu
Hypnotika bestehen, wenn Schlafstörungen
im Rahmen einer Depression auftreten?
6. In welcher Dosierung sollten Hypnotika ver-
abreicht werden und für welche Dauer?
7. Was ist beim Absetzen von Hypnotika zu
beachten?
8. Welche besonderen Risiken bestehen bei der
Gabe von Hypnotika bei älteren Menschen?
10.1 ·
105 10

Antidementiva

10.1 Einteilung – 106

10.2 Wirkmechanismus – 106

10.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 106

10.4 Indikationen – 107

10.5 Dosierung und Behandlungsdauer – 107

10.6 Präparategruppen – 108

10.7 Checkliste – 108


106 Kapitel 10 · Antidementiva

10.1 Einteilung Aufgrund dieser cholinergen Hypothese der AD


1 wurden viele AChE-I als Antidementiva für den kli-
Antidementiva sind zentral wirkende Substanzen, die nischen Einsatz entwickelt. Sie blockieren den ACh-
die Hirnleistung, insbesondere Gedächtnis, Konzen- Abbau im synaptischen Spalt und führen damit zu
2 trations- und Auffassungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, einer längeren Aktivität des Neurotransmitters. Da
Urteilsvermögen und Orientierung verbessern und bisher eine kausale Therapie der AD fehlt muss dieser
3 die Beeinträchtigung sozialer Alltagsaktivitäten mil-
dern können.
Wirkansatz zunächst positiv bewertet werden.
Die drei AChE-I unterscheiden sich geringfügig
Bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Antide- in ihrem Wirkansatz.
4 mentiva ist zu berücksichtigen, dass neben einer Bes-
serung der Symptomatik auch eine Verlangsamung NMDA-Antagonist
der Symptomprogression wichtig ist. Für den Wirk- Es wird angenommen, dass eine Fehlfunktion der glu-
5 samkeitsnachweis sollte eine signifikante Besserung tamatergen Neurotransmission sowohl zur Symptoma-
der Symptomatik auf der kognitiven Ebene, der funk- tik als auch zum Fortschreiten demenzieller Erkran-
6 tionalen Ebene (Aktivitäten des täglichen Lebens) kungen beiträgt. In mehreren präklinischen Modellen
und der globalen Ebene (klinischer Gesamteindruck) konnte durch Blockade von NMDA-Rezeptoren ein
gefordert werden. Beurteilt werden ferner demenz- neuroprotektiver Effekt gezeigt werden. Eine patho-
7 assoziierte Verhaltensstörungen, die Belastung pfle- logische Stimulation glutamaterger Rezeptoren resul-
gender Angehöriger sowie pharmakoökonomische tiert in einer übermäßigen Depolarisation, Kalzi-
8 Aspekte.
Es werden hier nur die Substanzen ausführlich
uminflux in Neurone und Zelluntergang (sog. exzito-
toxische Glutamathypothese).
besprochen, für die eine Wirksamkeit entsprechend Über einen selektiven Antagonismus am
9 den oben genannten Kriterien sicher nachgewiesen NMDA-Rezeptor soll durch Memantin, einem
worden ist, nämlich NMDA(Glutamat)-Antagonisen, einer glutamatge-
triggerten Kalziumüberladung von Neuronen bei
10 Definition pathologisch erhöhten Glutamatkonzentrationen ent-
gegengewirkt werden.
5 Acetylcholinesterasehemmer
11 (Syn.: AChE-Inhibitoren, AChE-I)
Donepezil, Galantamin, Rivastigmin und der 10.3 Allgemeine
12 5 NMDA- (Glutamat-)Antagonist Therapieprinzipien
Memantin.

13 5 Mehrere Behandlungsprinzipien müssen in einen


Substanzen, die zwar früher zugelassen worden sind, Gesamtbehandlungsplan integriert werden: Phar-
aber nur einen, wenn überhaupt, sehr geringen Effekt makotherapie, nichtmedikamentöse sowie pflege-
14 haben wie z. B. Co-dergocrin, Pyritinol, Piracetam, rische Maßnahmen (7 Abschn. 31.3). Wichtig ist
Ginkgo biloba, Nicergolin, sollten nicht mehr verord- die Behandlung auch von chronischen und inter-
15 net werden. kurrenten Begleiterkrankungen, die den Verlauf
entscheidend mit beeinflussen können.
5 Als Ziele der antidementiven Behandlung werden
16 10.2 Wirkmechanismus eine Verbesserung der Symptomatik (Effekt bei
den aktuell verfügbaren Antidementiva jedoch
Acetylcholinesterasehemmer oftmals gering) sowie eine Verlangsamung der
17 Man geht davon aus, dass bei der Demenz bei der Alz- Symptomprogression angestrebt. Aufgrund des
heimer-Krankheit (Syn.: Alzheimer-Demenz/AD) Fortschreitens der Grunderkrankung kommt es
18 ein Acetylcholin-(ACh-)Mangel, allerdings sekundär, bei den degenerativen Demenzen zu einer lang-
vorliegt, der durch AChE-I kompensiert werden kann. samen Symptomprogression im Verlauf; die Ver-
Der Untergang cholinerger Neurone ist einer der kon- zögerung einer Verschlechterung ist ein wesent-
19 sistentesten neurobiologischen Befunde bei der AD. liches Therapieziel. Bei der vaskulären Demenz
Durch die Verlangsamung des Abbaus von ACh durch (VD) kann der Verlauf variabler sein (7 Kap. 31).
20 AChE-I wird die cholinerge Neurotransmission geför- 5 Eine klinische Verlaufskontrolle sollte regelmä-
dert und cholinerg vermittelte kognitive Defizite wer- ßig in halbjährlichen Abständen mittels Fra-
den günstig beeinflusst. gebögen (z. B. ADAS-cog-Skala, kognitive Sub-
10.5 · Dosierung und Behandlungsdauer
107 10

skala der Alzheimer’s Disease Assessment-Skala 5 Der Einsatz von AChE-I wird aber auch kritisch
oder CERAD-Batterie, Consortium to Establish a gesehen. Die Kosten-Nutzen-Bewertungen sind
Registry for Alzheimer’s Disease) erfolgen. In die uneinheitlich. In einer placebokontrollierten Stu-
Beurteilung des Therapieverlaufs sollten die Ent- die wurde festgestellt, dass der AChE-I Donepe-
wicklung von kognitiven Defiziten, Beeinträch- zil zwar signifikante Besserungen der kognitiven
tigungen in Aktivitäten des täglichen Lebens, und alltagspraktischen Fertigkeiten im Vergleich
der klinische Gesamteindruck, die Einschätzung zu Placebo erbrachte, jedoch nicht den Zeitpunkt
des Patienten selbst (subjektiv erlebte Verbesse- der Einweisung in ein Pflegeheim oder das Fort-
rungen), die Einschätzung von Angehörigen bzw. schreiten der krankheitsbedingten Behinderung
Pflegenden, die individuelle Verträglichkeit sowie beeinflusste; auch die Lebenszeit wurde nicht ver-
möglicherweise hinzugekommene Begleiterkran- längert. Die Autoren warfen daher die Frage der
kungen oder Kontraindikationen für eine Fort- Kosten-Nutzen Bewertung der AChE-I auf. Aller-
führung der Behandlung eingehen. dings schränken methodische Schwächen die
5 Therapiepausen sollten vermieden werden. Aussagekraft dieser Studie ein. Die Arzneimittel-
kommission der deutschen Ärzteschaft hat aber
ihre eindeutigen Empfehlungen zum Einsatz von
10.4 Indikationen AChE-I und Memantin wiederholt.

Es ist das Ziel bei der Gabe eines Antidementivums,


dass die Patienten aufmerksamer werden, mehr 10.5 Dosierung und
Anteil an ihrer Umgebung haben, sich intensiver an Behandlungsdauer
Gesprächen beteiligen und auch Tätigkeiten wieder
aufnehmen. Solche Erfolge sind nur bei einem Teil der Dosierung . Tab. 10.1.
Patienten festzustellen. Mindestens sollte aber eine 5 Wissenschaftlich fundierte, gesicherte Aussagen
geringfügige Steigerung der Leistung und des Wohl- zur Behandlungsdauer mit Antidementiva liegen
befindens über einige Monate festzustellen sein. derzeit nicht vor.
5 Zugelassen sind die Antidementiva nur bei der 5 Empfohlen wird anhand der Studienlage bei der
AD, . Tab. 10.1; eine Wirksamkeit wurde aber Einstellung auf ein Antidementivum ein Behand-
auch bei der VD und der gemischten Demenz lungsversuch von mindestens 12 bis maximal
gezeigt. 24 Wochen, sofern nicht Nebenwirkungen die
5 Eine Wirksamkeit besteht für alle Antidementiva Beendigung der Behandlung erfordern. Danach
auch bei den demenzassoziierten Verhaltensstö- wird eine erste klinische Verlaufskontrolle im
rungen (7 Abschn. 31.2). Sinne einer Therapiekontrolle empfohlen. Ergibt
5 Alle AChE-Inhibitoren weisen eine ähnliche Effi- sich auf den verschiedenen Beurteilungsebenen
zienz auf (Behl 2008). Der Vorteil von Memantin (s. oben, Verlaufskontrollen) keine erkennbare
gegenüber den AChE-I besteht in dem geringen Wirkung und/oder eine im Vergleich zum Zeit-
Nebenwirkungsrisiko, nicht aber in einer besse- punkt vor Beginn der Behandlung unverändert
ren Wirksamkeit. schnelle Symptomprogression, sollte ein Präpa-
5 Obgleich eine Vielzahl von klinischen Studien- ratewechsel erwogen werden.
daten zum Einsatz von AChE-I verfügbar ist, 5 Bei sprunghafter Verschlechterung im Verlauf
fehlt bis heute immer noch eine Langzeitstudie, der Behandlung sollte nach Ausschluss verursa-
welche die Effekte dieser Antidementiva auf das chender interkurrenter Erkrankungen und Über-
Fortschreiten der Erkrankung sowie möglicher- prüfung der Diagnose ein Präparatewechsel
weise einen lebensverlängernden Effekt sicher erwogen werden.
nachweisen könnte. 5 Solange ein Nutzen beobachtet wird, keine
5 Auch wenn die Wirksamkeit gegenüber Placebo Unverträglichkeiten auftreten und sich keine
nur gering ist, wird immer wieder darauf hinge- Kontraindikationen für eine Behandlung erge-
wiesen, dass andere Therapiemöglichkeiten gänz- ben, sollte eine antidementive Therapie langfri-
lich fehlen (Hansen et al. 2007). stig fortgeführt werden.
5 Die Kombinationsbehandlungen von Meman-
tin und Donepezil ergaben bei mittelschwerer bis
schwerer AD in einer kontrollierten Studie einen
zusätzlichen Effekt.
108 Kapitel 10 · Antidementiva

10.6 Präparategruppen1
1
. Tabelle 10.1 gibt eine Übersicht über die AChE-I
und NMDA-Antagonist sowie deren Dosierung und
2 wichtigste Nebenwirkungen.

3 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten


Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
4
. Tab. 10.1. Acetylcholinesterasehemmer und NMDA-Antagonist (Memantin)
5
Präparat Dosis Indikationen Wichtigste Nebenwirkungen

6 Donepezil 5 mg tgl. zu Beginn, Leichte bis mittelschwere ADz Übelkeit, Diarrhö


Aricept® bis 10 mg nach einem Appetitlosigkeit
Monat Schlaflosigkeit
7 Appetitlosigkeit
Müdigkeit
Muskelkrämpfe
8 Cave: Herzrhythmusstörungen,
Asthma bronchiale

9 Galantamin 8 mg tgl. zu Beginn, (Wie oben) (Wie oben)


Reminyl® später bis 24 mg

10 Rivastigmin 3 mg tgl. zu Beginn, (Wie oben) (Wie oben)


Exelon® später bis 12 mg Demenz bei Parkinson

11 Memantin 5 mg tgl. zu Beginn, Mittelschwere bis schwere AD, Insgesamt gering, möglich sind:
Axura®, Ebixa® bis 20 mg nach einem auch als »Add-on«-Therapie Kopfschmerzen
Monat empfohlen Schläfrigkeit
12 Schwindel
Obstipation

13 HWZ Halbwertzeit; z zugelassen.

14 Fazit 10.7 Checkliste

15 Therapieempfehlung für Antidementiva


5 Nur für AChE-I und Memantin ist ein gesicherter Wirk-
?

samkeitsnachweis gegeben. Andere Antidementiva 1. Welche Effekte können von den derzeitigen
16 oder sog. Nootropika sollten nicht mehr verordnet Antidementiva erwartet werden?
werden.
5 Die Antidementiva haben auch einen Effekt auf die
17 demenzassoziierten Verhaltensstörungen (7 Ab-
schn. 31.2).
18 5 Der Effekt der Antidementiva ist insgesamt beschei-
den und wahrscheinlich nur für die Dauer von bis zu
einem Jahr. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird kon-
19 trovers diskutiert. Dabei ist allerdings zu bedenken,
dass es keine therapeutischen Alternativen gibt.
20 5 Memantin hat gegenüber den AChE-I den Vorteil der
deutlich geringeren Nebenwirkungen.
11.1 ·
109 11

Medikamente zur Behandlung von


Abhängigkeit und Entzug

11.1 Einteilung – 110

11.2 Präparategruppen – 110


11.2.1 Pharmakotherapie von Abhängigkeitserkrankungen – 110
11.2.2 Gesamtbehandlungsplan bei Abhängigkeitserkrankungen – 110
11.2.3 Medikamente zur Behandlung von Alkoholkrankheiten – 110
11.2.4 Medikamente zur Rückfallprophylaxe bei
Alkoholabhängigkeit – 111
11.2.5 Medikamente zur Behandlung von
Benzodiazepinabhängigkeit – 112
11.2.6 Medikamente zur Behandlung von Opiatabhängigkeit – 112
11.2.7 Medikamente zur Behandlung von Kokain- und
Amphetamin-Abhängigkeit – 113
11.2.8 Medikamente zur Behandlung von Ecstasy- und
Eve-Abhängigkeit – 113
11.2.9 Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeiten von
Psychotomimetika (LSD, Meskalin, Psilocybin) – 113
11.2.10 Medikamente zur Behandlung von Cannabisabhängigkeit – 113
11.2.11 Medikamente zur Behandlung von Nikotinabhängigkeit – 114

11.3 Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und


Entzug in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 114

11.4 Checkliste – 115


110 Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug

11.1 Einteilung 11.2.3 Medikamente zur Behandlung


1 von Alkoholkrankheiten
Die wichtigen Medikamente dieses Kapitels sind erst
in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt worden. Da Clomethiazol
2 es sich um sehr verschiedene Präparategruppen und 5 Clomethiazol ist das Mittel der ersten Wahl für
Indikationen handelt, werden die Eigenschaften unter eine stationäre Entgiftungsbehandlung, sowohl
3 dem jeweiligen Präparat (anders als in den meisten
anderen Kapiteln) zusammengefasst.
bei Alkoholentzugssyndrom als auch bei voll aus-
geprägtem Delirium tremens.
5 Clomethiazol kann bei Delirium tremens ggf. in
4 Kombination mit einem Antipsychotikum (s. un-
ten) gegeben werden
11.2 Präparategruppen1 5 Clomethiazol vermindert sicher verschiedene
5 Entzugssymptome wie Pulsanstieg, Blutdruck-
11.2.1 Pharmakotherapie von spitzen, Ängstlichkeit, psychomotorische Unruhe
6 Abhängigkeitserkrankungen und besitzt eine delirverhütende und krampfan-
fallshemmende Wirkung.
Die . Tab. 11.1 gibt eine Übersicht über die vielfäl- 5 Aufgrund seiner kurzen Halbwertzeit ist es gut
7 tigen medikamentösen Möglichkeiten bei Abhängig- steuerbar und kann sowohl fest dosiert als auch
keitserkrankungen. symptomorientiert verabreicht werden.
8 Da viele Strategien nicht zugelassen sind, aber 5 Clomethiazol ist nicht für eine ambulante
dennoch in der Allgemeinarztpraxis und der Klinik Anwendung geeignet.
angewandt werden, sind die zugelassenen Präparate 5 Dosis: initial 2–4, maximal 24 Kapseln täglich;
9 gesondert ausgezeichnet. Die Reihenfolge der Aufli- Clomethiazol wird über 3–9 Tage abgesetzt.
stung entspricht der Wichtigkeit des Suchtmittels bzw. 5 Clomethiazol ist ein nebenwirkungsstarkes Medi-
des Medikaments in der Praxis. Spezielle Hinweise auf kament.
10 Dosierungen und Nebenwirkungen finden sich dann
ggf. in den anschließenden Kapiteln. Cave
11 Clomethiazol soll maximal 14 Tage und nicht
11.2.2 Gesamtbehandlungsplan bei ambulant verordnet werden. Bereits nach relativ
12 Abhängigkeitserkrankungen kurzfristiger Verordnung kann es zu einer Abhän-
gigkeitsentwicklung kommen.
Es ist bei der Akuttherapie schnell ein Absinken in
13 Bei allen Abhängigkeitserkrankungen hängt der the-
Bewusstlosigkeit, Atemdepression und hypotone
rapeutische Erfolg von der Motivation des Patienten
und der Integration der psychotherapeutischen und Blutdruckreaktionen möglich.
14 psychosozialen Möglichkeiten zusammen mit der
Pharmakotherapie in einem Gesamtbehandlungsplan
Benzodiazepine
15 ab. Um Rückfälle zu vermeiden, müssen immer neu-
robiologische und psychosoziale Faktoren gemein- 5 Benzodiazepine (7 Abschn. 8.2.1) sind eine gleich-
sam berücksichtigt werden. Mit dem Patienten müs- wertige Alternative zu Clomethiazol. Zum Ein-
16 sen konkret formulierte Behandlungsziele erarbeitet satz kommen in erster Linie Benzodiazepine mit
werden. einer langen Halbwertszeit wie z. B. Diazepam.
Die speziellen Maßnahmen werden in den ent- Sie sind aber in Deutschland nicht in dieser Indi-
17 sprechenden Abschnitten besprochen. kation zugelassen; in den USA sind sie Mittel der
ersten Wahl.
18 5 Dosis: nach Entzugsschwere; orientierend: Diaze-
pam 40–80 mg in den ersten 24 h; über 3–5 Tage
absetzen.
19
Andere Medikamente
20 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten 5 Antipsychotika, besonders Haloperidol (5–10 mg),
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt sind nur als Zusatzmedikation bei einem Deliri-
. Tab. A1 im Anhang.
11.2 · Präparategruppen
111 11

. Tab. 11.1. Übersicht über die Pharmakotherapie von Abhängigkeitserkrankungen

Suchtmittel Medikation bei Entgiftung Medikation bei Entwöhnung Medikation bei


Intoxikation bzw.
Antidot

Alkohol Clomethiazolz (Distraneurin®), Acamprosatz (Campral®), Antipsychotika


Benzodiazepine, Carbamazepin Naltrexon , ggf. Disulfiramz (z. B. Haloperidol),
nur bei selbst-
oder fremdgefähr-
dender Agitation

Benzodiazepine Benzodiazepinreduktion – Flumazenil


(7 Abschn. 8.6.2. u. 8.6.8) (Antidot)
(stufenweise Reduktion)

Opiate (z. B.Codein, Buprenorphin, Methadon, Naltrexonz (Nemexin®), alter- Naloxon (Antidot)
Heroin, Methadon) Levomethadon, Clonidin + nativ: Substitution mit Me- (7 Abschn. 14.6.1)
symptomatische Therapie thadonz (Methaddict®), Levo-
methadonz (L-Polamidon®),
Buprenorphinz (Subutex®)

Kokain, Amphet- Bupropion, Desipramin, Imi- Buproprion, Desipramin, Imi- Benzodiazepine,


amine, synthetische pramin, ggf. Benzodiazepine pramin Antipsychotika
Drogen (Ecstacy)

Psychomimetika (LSD, – – Benzodiazepine,


Meskalin, Psilocybin) Haloperidol

Cannabis – – Benzodiazepine,
Antipsychotika

Nikotin Nikotinpflasterz, Nikotinkau- Nikotinpflasterz, Nikotinkau- –


gummiz, Nikotinsublingual- gummiz, Nikotinsublingual-
tablettez tablettez, Bupropionz (Zyban®),
Variniclin (Champix®)z
z zugelassen.

um tremens indiziert. Allein sind sie nicht ausrei- 11.2.4 Medikamente zur
chend wirksam. Sie werden auch bei der Alkoko- Rückfallprophylaxe bei
holhalluzinose (7 Abschn. 28.1.1) eingesetzt. Alkoholabhängigkeit
5 Die Antiepileptika Carbamazepin und Valproin-
säure haben neben ihrem stimmungsstabilisie- Neben psychosozialen und psychotherapeutischen
rendem Effekt (7 Kap. 6) auch eine Wirkung auf Interventionen stellt die Langzeitverordnung von
Alkoholentzugsymptome; sie sind aber z. Z. nur Medikamenten eine wichtige Strategie bei Alko-
zur Anfallsprophylaxe im Alkoholentzug sinnvoll holkrankheiten dar. Das Verlangen nach Alkohol
einsetzbar. soll durch sie vermindert werden; sie werden auch
5 Das Antidepressivum Doxepin (7 Kap. 5) wird als Anticraving-Substanzen (Craving 7 Abschn. 28.1.1)
häufig noch zur Behandlung leichter Entzugssyn- bezeichnet.
drome gegeben; die Datenlage ist unklar, es han- 5 Acamprosat als NMDA-Rezeptormodulator (glu-
delt sich um eine Therapie zweiter Wahl. taminerg) ist einer Placebobehandlung überlegen
und für die Rezidivprophylaxe der Alkoholab-
hängigkeit zugelassen. Die Verträglichkeit ist gut.
5 Naltrexon ist als μ-Opiatrezeptor-Antagonist in
den USA zur Rückfallprophylaxe zugelassen, in
Europa noch nicht. Naltrexon wird in mehreren
Metaanalysen positiv bewertet. Naltrexon führt
112 Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug

darüber hinaus bei schwerer erkrankten, nicht 5 Intensivmedizinisch kann bei Benzodiazepinin-
1 eindeutig abstinenzmotivierten Patienten zur toxikation in besonderen Fällen das Antidot Flu-
Trinkmengenreduktion, zu einem Rückgang der mazenil gegeben werden.
Anzahl der Trinktage sowie zu einem Rückgang
2 der Anzahl der schweren Trinktage (>5 alkoho-
lische Getränke/Tag). Naltrexon wird gut vertra- 11.2.6 Medikamente zur Behandlung
3 gen. von Opiatabhängigkeit
5 Disulfiram war früher das einzige Präparat, das
zur Rückfallprophylaxe zur Verfügung stand Die Therapie der Opiatabhängigkeit gehört nicht
4 (Aversionstherapie). Heute kann es in speziellen zur Routinetherapie des Psychiaters und ist spezi-
Indikationen in der Rückfallprophylaxe hilfreich ell geschulten Ärzten/Einrichtungen vorbehalten.
sein; wegen der potenziell lebensbedrohlichen Die wichtigen Präparate bei der Entwöhnungsthe-
5 Komplikationen bei Trinkzwischenfällen stellt es rapie werden kurz beschrieben (Antidot Naloxon
jedoch keine Standardtherapie dar. 7 Abschn. 28.1.3).
6 5 Immer wieder wurde geprüft, ob Antidepressiva,
Buprenorphin
auch SSRI, einen rückfallprophylaktischen Effekt
haben. Bisher sind die Studien negativ verlaufen. 5 Buprenorphin ist als Substitutionsmittel bei
7 Opiatabhängigkeit zugelassen (. Tab. 11.1,
7 Abschn. 28.1.3).
8 Fazit 5 Es hat als kombinierter Opiatrezeptoragonist/-
antagonist (partieller μ-Opiatrezeptoragonist mit
Therapieempfehlung zur Rückfallprophylaxe der langsamer Rezeptorkinetik sowie κ-Opiatrezepto-
9 Alkoholabhängigkeit rantagonist) ein besonderes Wirkprofil unter den
5 Die Anticraving-Substanzen Acamprosat und Nalt- klinisch einsetzbaren Opioiden.
5 Der Vorteil der Substanz besteht in der relativ
10 rexon besitzen eine abstinenzerhaltende Wirkung. Die
Wirkung der Kombination ist möglicherweise additiv. breiten Sicherheitsspanne im Vergleich zu reinen
Sie sollten nur in Verbindung mit psychosozialen μ-Opiatrezeptoragonisten.
11 Maßnahmen verordnet werden. 5 Eine Umstellung von Patienten, die bereits auf
5 Acamprosat oder auch Naltrexon sollten für minde- Methadon/Levomethadon stabil eingestellt sind,
stens 12 Monate nach Abschluss einer Alkoholentgif- ist möglich.
12 tungsbehandlung eingenommen werden. 5 Dosis: 6–20 mg täglich.
5 Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit werden 5 Buprenorphin eignet sich aufgrund der langen
13 Acamprosat und Naltrexon sowohl von Hausärzten Halbwertszeit für die Gabe einer entsprechend
als auch von Fachkliniken zur Behandlung alkoholab- höheren Einmaldosis alle 2–3 Tage (»Alternate-
hängiger Patienten häufig nicht weiter verordnet. Die day«-Verordnung). Buprenorphin eignet sich
14 Gründe hierfür sind vielschichtig, die Weiterbehand- ebenfalls für eine »Take-home«-Vergabe. Aller-
ler (Hausarzt/Facharzt/Fachklinik) sollten deshalb dings ist hier zu bedenken, dass Buprenorphin
15 aktiv in die Therapieplanung mit einbezogen werden,
um einen Therapieabbruch zu vermeiden.
nach Auflösung der Substanz zur i.v.-Gabe miss-
braucht werden kann.
5 Erst nach Acamprosat und Naltrexon sollten weitere 5 Buprenorphin ist eine sinnvolle Alternative zur
16 pharmakotherapeutische Versuche unternommen Substitution mit Methadon/Levomethadon mit
werden. breiterem Sicherheitsspektrum und guter Akzep-
tanz durch die Patienten; Überbrückung von Fei-
17 ertagen und Wochenenden ohne tägliche Kon-
11.2.5 Medikamente zur takte möglich.
18 Behandlung von
Benzodiazepinabhängigkeit Methadon/Levomethadon
5 Methadon und Levomethadon sind als Substi-
19 Die therapeutischen Notwendigkeiten bei Benzodia- tutionsmittel bei Opiatabhängigkeit zugelassen
zepinabhängigkeit stehen in 7 Abschn. 8.6.1 bis 8.6.3 (. Tab. 11.1, 7 Abschn. 28.1.3).
20 und 7 Abschn. 28.1.2. 5 Methadon ist ein μ-Opioidrezeptoragonist und
das Razemat aus linksdrehendem Levomethadon
und rechtsdrehendem D-Methadon. Methadon
11.2 · Präparategruppen
113 11

war früher das einzige Substitutionsmittel. Die 11.2.7 Medikamente zur Behandlung
Dosis liegt bei 60–80 mg täglich. von Kokain- und Amphetamin-
5 Levomethadon besitzt die doppelte effektive und Abhängigkeit
analgetische Potenz wie das Razemat Methadon.
5 Bei Dosierungsangaben ist stets darauf zu ach- Die Entzugssyndrome sind in 7 Abschn. 28.1.4
ten, ob diese sich auf Methadon oder Levometha- beschrieben. Eine spezifische Medikation mit kli-
don beziehen! nischem Nachweis steht nicht zur Verfügung.
5 Die Therapie mit Methadon/L-Methadon ist 5 Es gibt Studien bei kokainabhängigen Patienten
hochkomplex und mit hohen Risiken verbunden. mit positiven Effekten von Bupropion, Desipra-
min, Disulfiram, Modafinil, Tiagabin und Topi-
Naltrexon ramat.
5 Naltrexon ist ein μ-Opioidrezeptorantagonist und 5 Bei Angst- und Erregungszuständen im Rahmen
zur Entwöhnungsbehandlung bei Opiatabhängig- eines Kokainentzugs können Benzodiazepine ein-
keit (nach erfolgter Entgiftung) zugelassen. gesetzt werden.
5 Es besitzt kein eigenes Abhängigkeitspotenzial. 5 Bei amphetaminabhängigen Patienten wird vom
5 In der Regel handelt es sich um eine sehr gut Einsatz von SSRI aufgrund negativer Studiener-
verträgliche Substanz. Die Gabe von Naltrexon gebnisse abgeraten.
kann jedoch bei aktiv konsumierenden opiatab-
hängigen Patienten Entzugssymptome auslösen.
Vor Behandlungsbeginn sollte deshalb ein Inter- 11.2.8 Medikamente zur Behandlung
vall von 7–10 Tagen ohne Opiateinnahme gesi- von Ecstasy- und
chert sein. Eve-Abhängigkeit
5 Dosis: 50 mg täglich.
5 Die Therapie mit Naltrexon ist eine sinnvolle Zur Wirkung 7 Abschn. 28.1.5. Eine spezifische Medi-
medikamentöse Unterstützung bei der Entwöh- kation ist nicht bekannt.
nungsbehandlung von Opiatabhängigen nach 5 Bei akut auftretenden Angst- und Erregungszu-
erfolgter Opiatentgiftung bei hoch motivierten ständen sind Benzodiazepine indiziert.
Patienten mit guter Compliance und ausrei- 5 SSRI können protrahierte psychotrope Effekte,
chender sozialer Integration. z. B. Angststörungen und depressive Syndrome,
bei abstinenten Patienten mildern. Es besteht die
Clonidin Gefahr eines Serotoninsyndroms bei gleichzei-
5 Clonidin ist ein zentraler α2-Agonist. Er führt zu tigem Gebrauch beider Substanzen.
einer Aktivitätshemmung noradrenerger Neu-
rone im Locus coeruleus (wichtigstes nora-
drenerges Kerngebiet im ZNS mit hoher Opi- 11.2.9 Medikamente zur Behandlung
atrezeptordichte). Clonidin hemmt Symptome von Abhängigkeiten von
der zentralen noradrenergen Hyperaktivität wie Psychotomimetika
Tachykardie, Hypertonie, Rhinorrhö, Niesen, (LSD, Meskalin, Psilocybin)
Pupillenerweiterung, Piloerektion und innere
Unruhe. Verschiedene andere Kernsymptome des Bei diesen Substanzen sind Horrortrips und Flash-
Opiatentzugs, wie ausgeprägtes Opiatverlangen, back-Psychosen Behandlungsindikationen. Es gibt
dysphorische Stimmung, Schlafstörungen, abdo- keine spezifische Pharmakotherapie der Abhängig-
minelle und muskuläre Schmerzen werden nicht keit. Zur unspezifischen Therapie 7 Abschn. 28.1.6.
gebessert. 5 Konventionelle Antipsychotika verschlechtern
5 Clonidin kann als Entgiftungsmittel beim Opiat- den Zustand, atypische Antipsychotika sind nicht
entzugssyndrom eingesetzt werden. Damit untersucht.
besteht die Möglichkeit zum Einsatz bei einem
vorgesehenen nichtopiat-/opioidgestützten Opi-
at-/Opioidentzugs. Wegen sehr häufiger Thera- 11.2.10 Medikamente zur Behandlung
pieabbrüche ist aber eine opiatgestütze Therapie von Cannabisabhängigkeit
vorzuziehen.
Es gibt noch keine spezifische Therapie zur Proble-
matik der Cannabisabhängigkeit. Hinweise zur mög-
114 Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug

lichen Verordnung des Cannabinoid-1-Rezeptoranta- Andere Medikamente


1 gonisten Rimonabant finden sich in 7 Abschn. 28.1.7. Eine mögliche zukünftige Option ist der Cannabi-
noid-1-Rezeptorantagonist Rimonabant (Acomplia®)
(7 Abschn. 13.3).
2 11.2.11 Medikamente zur Behandlung
von Nikotinabhängigkeit
3 11.3 Medikamente zur
Bei der psychischen und physischen Nikotinabhän- Behandlung von
gigkeit (mit Toleranzentwicklung) stehen die Behand- Abhängigkeit und
4 lung des Entzugssyndroms und die Nikotinentwöh- Entzug in der Kinder- und
nung im Vordergrund (7 Abschn. 28.1.8). Jugendpsychiatrie
5 Nikotinersatzstoffe Gerade bei Abhängigkeitserkrankungen im Kin-
5 Nikotinersatzstoffe (Nikotinpflaster, Nikotinkau- des- und Jugendalter hängt der therapeutische Erfolg
6 gummi, Nikotinnasenspray) sind beim Entzugs- besonders von der Motivation des Patienten und den
syndrom wirksam. psychosozialen Belastungsfaktoren ab. Im Kindes-
5 Nikotinersatzstoffe zeigen neben verhaltensthera- und Jugendalter beginnen viele Suchterkrankungen
7 peutischen Maßnahmen (als Selbsthilfeinterven- und die Prognose, ob eine Entgiftung und Entwöh-
tion in Einzel- oder Gruppentherapie) auch bei nung erfolgreich ist, hängt häufig von den ersten
8 der Raucherentwöhnung eine gute Wirksamkeit. Erfahrungen mit einer Therapie ab.

Bupropion Prävention
9 5 Bupropion ist zur Raucherentwöhnung nikotinab- Vorwiegend wird bei Kindern und Jugendlichen ver-
hängiger Patienten in Verbindung mit unterstüt- sucht aufklärende und präventive Maßnahmen einzu-
zenden motivierenden Maßnahmen zugelassen. setzen. Randomisierte und kontrollierte Studien wur-
10 5 Es ist ein kombinierter Noradrenalin- und Dopa- den vorwiegend zur Prävention von Nikotin-, Alko-
minrückaufnahmehemmer. Bupropion ist auch hol- und Cannabiskonsum durchgeführt und konnten
11 als Antidepressivum zugelassen. positive Effekte nachweisen. Dabei waren vor allem
5 Die Behandlung sollte noch während des aktiven soziale Kompetenztrainings und schulbasierte Pro-
Rauchens begonnen werden. Ab der zweiten gramme wirksam (Gilvarry 2000; Thomas u. Perera
12 Behandlungswoche sollte das Rauchen beendet 2006).
werden.
13 5 Empfohlene Behandlungsdauer: 7–9 Wochen. Therapie
5 Die Kombinationsbehandlung von Nikotinpfla- Therapeutisch konnte nachgewiesen werden, dass es
stern und Bupropion wies einen additiven Effekt durch KVT-Gruppenprogramme, Selbsthilfegruppen
14 auf. und Familientherapien zu einer Reduktion des Sub-
stanzkonsums bei Jugendlichen kam (Gilvarry 2000).
Variniclin
15 5 Kürzlich ist der partielle Agonist am nikotiner-
Bei Intoxikationen und bei starken Entzugssymp-
tomen sind medikamentöse Therapien notwendig.
gen Acetylcholinrezeptor Variniclin (Champix®) Die meisten Jugendlichen mit einer Abhängigkeits-
16 zugelassen. Durch die Verdrängung des Nikotins erkrankung zeigen kaum Entzugssymptome (Gilvar-
am Rezeptor wird die euphorisierende Tabakwir- ry 2000).
kung aufgehoben und gleichzeitig das Nikotin- Die Wirksamkeit einer Methadontherapie bei
17 entzugssyndrom gelindert. opiatabhängigen Kindern und Jugendlichen ist noch
5 Variniclin ist hochwirksam. Der abstinenzerhal- nicht endgültig geklärt (Gilvarry 2000).
18 tende Effekt scheint dem Bupropion überlegen zu
sein. Variniclin sollte aber bei affektiven Erkran- Komorbiditäten
kungen nur mit großer Vorsicht verordnet wer- Komorbiditäten wie Ängste und Depressionen sollten
19 den (7 Abschn. 5.11.5). mit SSRI und drogeninduzierte Psychosen mit Anti-
psychotika behandelt werden (Fleischhaker et al.
20 2002).
11.4 · Checkliste
115 11

Lithium hat eine gute Wirksamkeit bei Kindern


und Jugendlichen mit bipolaren Störungen mit Sub-
stanzabusus gezeigt (Gilvarry 2000).
Auf das Thema »ADHS und Sucht« wird in
7 Kap. 28 eingegangen. Kinder mit einer ADHS, die
nicht mit Psychostimulanzien behandelt werden,
haben ein größeres Risiko eine Suchterkrankung zu
entwickeln, als Kinder mit ADHS ohne Psychostimu-
lanzientherapie (Selbstmedikation). Allerdings stellt
ein großes Problem der Schwarzmarkt für Psychosti-
mulanzien (z. B. auf dem Schulhof) dar, wenn Jugend-
liche mit einer hyperkinetischen Störung des Sozial-
verhaltens ihre Medikation mit in die Schule nehmen,
weil sie mittags eine zweite Dosis benötigen. Durch
tägliche Einmalgabe einer Retardmedikation lässt sich
das Problem verbessern (Greenhill 2006).

11.4 Checkliste

?
1. Was ist das Mittel der ersten Wahl zur Alko-
holentgiftung?
2. Welche Medikamente haben sich bei der
Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit
bewährt?
3. Welche Vorteile bietet Buprenorphin bei der
Substitutionsbehandlung der Opiatabhän-
gigkeit?
4. Durch welche medikamentöse Darreichungs-
form lässt sich der Schwarzmarkt für Psycho-
stimulanzien vermindern?
12.1 ·
117 12

Medikamente zur Behandlung von


sexuellen Störungen

12.1 Einteilung – 118

12.2 Wirkungsmechanismus – 118


12.2.1 PDE-5-Hemmer – 118
12.2.2 Sexualhormone – 119

12.3 Allgemeine Therapieprinzipien – 119

12.4 Indikationen – 120


12.4.1 Erektionsstörungen – 120
12.4.2 Vermindertes sexuelles Verlangen – 120
12.4.3 Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau – 120
12.4.4 Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen – 120
12.4.5 Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie – 120

12.5 Präparategruppen – 121


12.5.1 PDE-5-Hemmer – 121

12.6 Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen


im Kindes- und Jugendalter – 122

12.7 Checkliste – 122


118 Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen

12.1 Einteilung der Partner, Voraussetzung für eine adäquate und län-
1 gerfristig erfolgreiche Behandlung (7 Abschn. 26.7).
Sexuelle Störungen konnten bis zur Einführung des Es ist bisher allerdings nicht gelungen medi-
ersten Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmers (PDE-5- kamentöse Ansätze bei den anderen sexuellen Stö-
2 Hemmer) Sildenafil nur sehr bedingt und ohne Wirk- rungen, besonders bei der Frau, zu finden.
samkeitsnachweis behandelt werden. Möglich war die
3 hormonelle Substitution bei Hormondefizit und die
Hemmung der sexuellen Aktivität durch Cyprotero-
nactetat (7 Abschn. 12.2.2 und 7 Abschn. 26.1 bis 26.3 12.2 Wirkungsmechanismus
4 und 26.5).
Beschrieben wird der Wirkungsmechanismus der für
Definition die Therapie relevanten Gruppen, den PDE-5-Hem-
5 mern und den Sexualhormonen. Weitere Ausfüh-
Zur Zeit verfügbare wichtige Präparate zur Be- rungen hierzu und zu den anderen bei Sexualstö-
6 handlung sexueller Störungen:
5 Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmer:
rungen möglicherweise wirksamen Medikamenten
finden sich bei Müller et al. (2008).
Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil
7 5 α2-Antagonist als Mittel gegen erektile
Dysfunktion: 12.2.1 PDE-5-Hemmer
Yohimbin
8 5 Orale PDE-5-Hemmer führen zu einer vermehr-
In den letzten Jahrzehnten gab es viele Ansätze über te Relaxation der glatten Muskulatur und damit
9 Veränderungen des Stoffwechsels der zentralen Neu- einer Erektionsverbesserung. Die PDE-5-Hem-
rotransmitter Dopamin und Serotonin das sexuel- mer verhindern einen Abbau der interazellulären
le Verhalten auch beim Menschen therapeutisch zu Transmitter cAMP und cGMP. Diese akkumulie-
10 beeinflussen. Die Erfolge waren, von den Anfängen ren und führen zur verbesserten Relaxation.
mit L-DOPA (Benkert et al. 1972) bis zu der vorüber- 5 Die einzelnen Schritte in der Kaskade der PDE-5-
11 gehenden Markteinführung des Dopaminagonisten Hemmern zur Regulation der Erektion sind:
Apomorphin nur marginär.
Vorübergehende Alternativen (lokale Applikation > Sexuelle Stimulation o penile NO-Ausschüttung
12 von Prostaglandinen, Schwellkörper-Autoinjektions- durch Endothel- und nonadrenerge-noncholinerge
therapie und mechanische Hilfen (wie z. B. Vakuum- Nervenzellen o Aktivierung der Guanylzyklase o
13 pumpen und Penisprothesen) haben jetzt an Bedeu- cGMP-vermittelte Verminderung des Ca-Einstroms
tung verloren und sind nur bei Kontraindikationen in die glatte Muskulatur des Corpus cavernosum o
oder Nichtansprechen auf PDE-5-Hemmer indiziert. Relaxation der glatten Muskulatur o Bluteinstrom in
14 Als weiteres Präparat ist Yohimbin, ein zentral und Cavernosum-sinusoide o Erektion.
peripher wirkender α2-Antagonist zu nennen. Yohim-
15 bin ist zwar gegen erektile Dysfunktion zugelassen, hat 5 Die endotheliale NO-Synthase synthetisiert aus
aber begrenzte Wirksamkeit und ein hohes Nebenwir- der Aminosäure L-Arginin unter Beteiligung von
kungsrisiko. Tetrahydrobiopterin, Kalzium und Calmodu-
16 Nach Vorschlag der WHO können drei Therapie- lin NO.
stufen unterschieden werden: 5 NO wirkt vor allem als Transmitter bei der zel-
5 primär: Sexualtherapie und orale Pharmakothe- lulären Kommunikation im mikrovaskulären
17 rapie, Gefäßsystem, führt zu einer Relaxation der
5 sekundär: lokale Pharmakotherapie und Vaku- glatten Muskelzellen, hemmt deren Wachstum
18 umsysteme, und blockiert die Plättchen- und Leukozytenag-
5 tertiär: Schwellkörperimplantate. gregation. Androgene und Östrogene modulieren
den Prozess.
19 Erst die Entdeckung der Wirkung der PDE-5-Hemmer
bei Erektionsstörungen führte zu einem Durchbruch
20 in der Therapie sexueller Störungen. Trotz der signifi-
kanten medikamentösen Therapieerfolge ist eine Psy-
chotherapie, wenn möglich immer unter Einbeziehen
12.3 · Allgemeine Therapieprinzipien
119 12

12.2.2 Sexualhormone Antiadrogene


5 Das Antiadrogen Cyproteronacetat führt zu
Androgene einem Abfall von Testosteron (und Östrogen)
5 Wichtige Androgene sind das Dihydrotestosteron mit einer Libido- und Erektionsminderung und
mit der stärksten androgenen Wirkung, Testo- Hemmung der Spermatogenese, die zur Sterilität
steron und Dehydroepiandrosteron (DHEA). führt. Sie ist innerhalb von 3–6 Monaten rever-
Funktionen sind, neben metabolischen Effek- sibel.
ten, die Ausbildung der primären und sekun-
dären Geschlechtsmerkmale, die Spermiogenese
und die Steigerung der sexuellen Appetenz (beim
Mann und der Frau). 12.3 Allgemeine
5 Testesteron hat zwischen dem 20. und Therapieprinzipien
60. Lebensjahr beim Mann einen relativ konstan-
ten Spiegel. Nach dem 60. Lebensjahr wird häu- 5 Die Behandlung sexueller Funktionsstörungen
fig ein deutlicheres Absinken festgestellt und ist besteht, indikationsabhängig mit unterschied-
wahrscheinlich eine wichtige Ursache für die licher Schwerpunktsetzung, zumeist aus einer
häufigen sexuellen Störungen beim Mann im Kombination aus Psychotherapie (in der Regel
höheren Lebensalter. Verhaltenstherapie oder Paartherapie im Rah-
5 Die Unterschreitung eines kritischen Androgen- men einer Sexualtherapie) und medikamentösen
schwellenwertes (Hypogonadismus) geht beson- Maßnahmen im Rahmen eines Gesamtbehand-
ders mit Libidostörungen einher. Auch Reizbar- lungsplans.
keit und Depression können hinzutreten (Meston 5 Dies gilt immer für den Einsatz der PDE-5-Hem-
u. Frohlich 2000), sodass gerne von einem »Kli- mern bei Erektionsstörungen mit vorwiegend
makterium virile« gesprochen wird. psychischen Ursachen. Bei sicher organischen
5 Bei Frauen wird für die nachlassende Libido und Ursachen, besonders auch im Alter, ist eine allei-
andere Sexualstörungen, neben verminderten nige Pharmakotherapie mit begleitender Psycho-
Östrogenen, auch der abfallende Androgenspie- edukation zu akzeptieren.
gel verantwortlich gemacht. 5 Es werden hier die pharmakotherapeutischen
Ansätze beschrieben. Wird eine hormonelle The-
Östrogene und Gestagene rapie erwogen, ist immer der Urologe bzw. Gynä-
5 Bei einem Östrogenmangel kommt es, über die kologe und ggf. der Endokrinologe einzubezie-
vaskulären und metabolischen Effekte hinaus, zu hen.
einer verminderten Lubrikation. Weiterhin kön-
nen Depressionen, besonders auch mit Schlaf- Cave
störungen, verminderter sexueller Aktivität und
kognitiven Einbußen die Folge sein. 5 Die Indikation zur Hormonsubstitution ist
5 Obwohl ein direkter Zusammenhang zwischen durch die kürzlich bekannt gewordenen
diesen klimakterischen Beschwerden mit der Risiken für Mammakarzinom, Herz-Kreis-
Östrogenkonzentration nicht gefunden wurde, lauf-Erkrankungen und Schlaganfall stark
bessert eine Hormonsubtitution die Beschwer- eingeengt.
den, auch die sexuelle Dysfunktion, oft deutlich 5 Nur bei starken klimakterischen Beschwer-
(Bachmann u. Leiblum 2004). Die lokale Appli- den wird vorübergehend die niedrigst mög-
kationen von Östrogenen fördert die Lubrikati- liche Hormonsubstitution empfohlen.
on. Bei einem oft auch bei der Frau vorliegendem 5 Sehr individuell sind die Risiken eines
Androgendefizit wird die Kombination von Östrogenmangels besonders mit Osteopo-
Östrogenen und Androgenen empfohlen. Aller- rose und psychischen Beschwerden und
dings wird die Wirkung in einer neuen Studie sexuellen Dysfunktionen gegen den Nutzen
auch in Frage gestellt (7 Abschn. 15.6). abzuwägen.
5 Gestagene (Progesteron) werden zur Therapie der
sexuellen Dysfunktion der Frau nicht eingesetzt.
120 Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen

12.4 Indikationen 12.4.3 Störungen der sexuellen


1 Erregung bei der Frau
12.4.1 Erektionsstörungen
5 Eine Therapie ist nicht etabliert (7 Abschn. 26.3).
2 5 Bei erektiler Dysfunktion sind PDE-5-Hemmer 5 Es gibt einige Studien zum Einsatz von Sildena-
Mittel der Wahl. Sie werden von der überwie- fil bei sexuellen Dysfunktionen von Frauen, ins-
3 genden Mehrheit der Patienten bevorzugt.
5 Es stehen drei PDE-5-Hemmer zur Verfügung: Sil-
besondere mit Erregungsstörung. Die Ergebnisse
sind nicht einheitlich.
denafil, Tadalafil und Vardenafil (7 Abschn. 12.5).
4 5 Vergleichsstudien zwischen den Präparaten
zeigten keine entscheidenden Unterschiede in 12.4.4 Ejaculatio praecox und
Wirksamkeit und Nebenwirkung. Orgasmusstörungen
5 5 Die Bevorzugung einer Substanz hängt vom indi-
viduellen Einsatzwunsch (Wirkdauer) ab, es 5 Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) können
6 zeichnet sich aber ein Trend zu Präparaten mit zu einer Ejakulationsverzögerung führen. Die-
längerer Wirkdauer ab (7 Abschn. 12.5). se Nebenwirkung kann bei Ejaculatio praecox
5 Langzeituntersuchungen (1–2 Jahre) zeigten kei- genutzt werden.
7 nen Wirkungsverlust. 5 Die Ansprechraten liegen für SSRI zwi-
5 Testosteronsubstitution ist nur bei nachgewie- schen 50 und 85%. Typische Nebenwirkungen
8 senem Hypogonadismus empfehlenswert.
5 Im Rahmen von Anti-Aging-Programmen wird
(7 Abschn. 5.6) treten bei 35% der Patienten auf.
5 Andere sexuelle Funktionsstörungen wie Anor-
häufig bei älteren Männern die Einnahme von gasmie, Libidostörungen oder Erektionsstö-
9 DHEA (7 Abschn. 12.2.2) und niedrigen Dosen rungen können neu hinzutreten.
Testosteron empfohlen. Über das Nebenwir- 5 Die SSRI Sertralin (50–100 mg) und Fluoxe-
kungsrisiko hinaus zeigten kontrollierte Studien tin (20–40 mg) sind in Studien gut geprüft. Eine
10 gegen Placebo keine überzeugenden Wirkungen, Zulassung besteht nicht.
auch nicht auf die Lebensqualität insgesamt. 5 Zu Beginn der Behandlung sollte eine täg-
11 liche Einnahme erfolgen, später kann eine »On-
Cave demand«-Verabreichung folgen (Einnahme 2–6 h
vor dem gewünschtem Sexualverkehr).
12 Bei Männern muss bei einer Testosteron und 5 Nach Absetzen der Therapie kam es in den mei-
DHEA-Therapie immer das Risiko eines andro- sten Fällen wieder zur Ejaculatio praecox wie vor
genabhängigen Zellwachstums, z. B. bei nicht er-
13 kanntem Prostatakarzinom, beachtet werden.
Behandlung.

14 12.4.5 Gesteigertes sexuelles


Verlangen und Paraphilie
15 12.4.2 Vermindertes sexuelles
Verlangen 5 Das Antiandrogen Cyproteronacetat (Androcur®)
ist zur Behandlung schwerer Hypersexualität
16 5 In 7 Abschn. 26.2 wird die risikoreiche Hor- und sexueller Deviationen bei Männern (auch im
monersatztherapie diskutiert. Selbst die positive Rahmen demenzieller Erkrankungen) geeignet
Wirkung von Testosteron ist nicht abgesichert und zugelassen. Die Verordnung erfolgt durch
17 (7 Abschn. 15.6). den Endokrinolgen.
5 Häufigste Nebenwirkungen sind Gewichtszu-
18 Cave nahme und Antriebsstörungen, manchmal auch
Depressionen.
Auf das erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Kompli- 5 Symptomatische Besserungen werden nur bei
19 kationen und Mammakarzinom und ein erhöhtes 35–95% der Patienten erreicht.
Schlaganfallrisiko in der Menopause bei Einnah- 5 Absetzen einer wirksamen Therapie ist mit einem
me von niedrig dosierten Östrogenen, besonders
20 in Kombination mit Progesteron, muss deutlich
hohen Rückfallrisiko verbunden.
5 SSRI können, analog zur Wirkung bei den ver-
hingewiesen werden. wandten obsessiven Erkrankungen, in höheren
12.5 · Präparategruppen
121 12

Dosierungen sowohl eine Verminderung des 12.5.1 PDE-5-Hemmer


sexuellen Verlangens bewirken als auch deviante
sexuelle Phantasien und Praktiken bessern. Es gibt drei PDE-5-Hemmer. Sildenafil war der erste
5 Antipsychotika (7 Kap. 7) können bei Hyperse- zugelassene PDE-5-Inhibitor zur Behandlung der
xualität im Rahmen von demenziellen Störungen erektilen Dysfunktion.
mit Aggressivität versucht werden. Die Effekte 5 Vor einer medikamentösen Behandlung muss
sind nicht sicher. eine Diagnosestellung und Ursachenklärung
5 Als Therapiealternative für Paraphilien und sexu- erfolgen und der kardiovaskuläre Status muss
ell abweichendes Verhalten (Sadismus, Pädophi- bekannt sein.
lie, Exhibitionismus und Voyeurismus) werden 5 Häufigste Nebenwirkungen sind: Kopfschmerzen,
jetzt LHRH-Antagonisten, insbesondere Leupro- Flush, Schwindel und Sehstörungen (erhöhte
relinacetat, weiter untersucht und sind vielver- Lichtempfindlichkeit, unscharfes Sehen.
sprechend. Auch mit dem Gestagen Medroxypro- 5 Patienten, denen von sexueller Aktivität abzura-
gesteron werden gute therapeutische Erfolge ten ist, v. a. mit schweren Herz-Kreislauf-Erkran-
berichtet. kungen (z. B. instabile Angina pectoris, schwe-
re Herzinsuffizienz) sollten keine PDE-5-Hem-
mern einnehmen. Auch Patienten mit Hypotonie
und kürzlich erlittenem Schlaganfall oder Herz-
12.5 Präparategruppen1 infarkt (<3–6 Monate) sollten vor PDE-5-Hem-
mern gewarnt werden. Auch schwere Leberstö-
5 Unter den Medikamenten zur Behandlung sexu- rungen sind ein Ausschluss.
eller Störungen haben die PDE-5-Hemmer zur 5 Wechselwirkungen sind bei allen PDE-5-Hem-
Behandlung von Erektionsstörungen eine domi- mern zu beachten. Besonders ist die Addition des
nierende Stellung. Sie sind wirksam, nebenwir- blutdrucksenkenden Effekts von Antihyperten-
kungsarm und zugelassen. siva oder anderen Substanzen mit blutdrucksen-
5 Auch Cyproteronacetat zur Behandlung der kenden Eigenschaften möglich. Bei Behandlung
Hypersexualität ist zugelassen, sollte aber nur mit α-Rezeptorenblockern besteht erhöhtes Risi-
vom Endokrinolgen verschrieben werden. ko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen.

Cave

1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten Die Kombination mit Nitraten oder anderen NO-
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt Donatoren ist eine Kontraindikation.
. Tab. A1 im Anhang.

. Tab. 12.1. PDE-5-Hemmer

Präparat Dosis Wirkungsdauer Einnahmezeitpunkt Bemerkungen

Sildenafil 25–100 mg 4–5 h ca.1 h vor sexueller Breite Datenbasis


Viagra® Aktivität vorhanden

Tadalafil 10–20 mg 24–36 h; längste HWZ ca. 30 min bis 12 h vor Keine Anpassung der
Cialis® sexueller Aktivität Dosis im höheren Alter
oder bei Diabetes nötig

Vardenafil 5–20 mg 4–5 h ca. 25 min bis 1 h vor Erreicht am schnellsten


Levitra® sexueller Aktivität den gewünschten
Plasmaspiegel

HWZ Halbwertszeit.
122 Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen

12.7 Checkliste
1 Fazit
?
Therapieempfehlung für Medikamente zur Behand-
2 lung von sexuellen Störungen 1. Welche Medikamentengruppe ist das Mittel
5 Bei Erektionsstörungen sind PDE-5-Hemmer die der Wahl bei der Pharmakotherapie der

3 Mittel der Wahl. Sie sind wirksam und risikoarm. Die


Anwendungsbeschränkungen sind aber dringend zu 2.
erektilen Dysfunktion?
Welche sexuellen Störungen sind unter SSRI
beachten. häufig?
4 5 Bei Ejaculation praecox können SSRI versucht werden. 3. Welche Möglichkeiten der pharmakolo-
5 Die hormonelle Therapie bei Libidominderung ist in gischen Behandlung von sexuell deviantem
ihrer Wirkung nicht gesichert und risikoreich. Verhalten kennen Sie?
5 5 Bei gesteigertem sexuellen Verlangen und Paraphilie
ist ein Versuch mit Cyproteronacetat durch den Endo-
6 krinolgen angezeigt.

7
12.6 Medikamente zur
8 Behandlung von sexuellen
Störungen im Kindes- und
Jugendalter
9
Von den beschriebenen Substanzen und erwähnten
Indikationen kommen für die Kinder- und Jugend-
10 psychiatrie bzw. forensische Jugendpsychiatrie nur
die Antiandrogene zur Behandlung von adoleszenten
11 Sexualstraftätern oder Straftätern mit extrem hohem
Aggressionspotenzial in Betracht. Der Testosteron-
spiegel korreliert bei Kindern und Jugendlichen posi-
12 tiv mit dem Aggressionspotenzial (Scerbo u. Kolko
1994). Bei leichteren Störungen können Straftäter mit
13 Antidepressiva oder Antipsychotika behandelt wer-
den, bei massiven Gewaltverbrechen können dann
die Antiandrogene wie Cyproteronacetat in Erwägung
14 gezogen werden (Geradin u. Thibaut 2004).

15
16
17
18
19
20
13.1 ·
123 13

Antiadiposita

13.1 Einteilung – 124

13.2 Präparategruppen – 124

13.3 Antiadiposita in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 124

13.4 Checkliste – 125


124 Kapitel 13 · Antiadiposita

13.1 Einteilung 2 Tagen, erreicht nach 4 Tagen ein Maximum und


1 klingt 2–3 Tage nach Absetzen wieder ab.
Durch die Behandlungsmöglichkeit der Adipositas 5 Sibutramin ist ein dem Antidepressivum Venlafa-
mit Medikamenten erweitert sich auch das Therapie- xin ähnlicher, zentral wirkender kombinierter
2 spektrum der Psychopharmakotherapie. Psycholo- Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehem-
gen und Psychotherapeuten werden im Rahmen der mer; er wirkt aber nicht antidepressiv. Sibutramin
3 Behandlung einer Adipositas immer häufiger auch
mit der Gruppe der Antiadiposita konfrontiert.
wirkt wahrscheinlich über eine Appetitreduktion
und Zunahme der Thermogenese.
5 Rimonabant ist ein Cannabinoid-1-Rezeptoran-
4 Definition tagonist. Die zentrale Gewichtszügelung scheint
aber nur dann wirksam zu sein, wenn die Betrof-
Antiadiposita beschreibt eine Gruppe von Medi- fenen auch konsequent ihren Lebensstil ändern.
5 kamenten, die bei Adipositas regulierend eingrei- Rimonabant ist zwar bei pathologischem Über-
fen sollen. gewicht und gleichzeitigem Vorliegen weiterer
5 Lipasehemmer:
6 Orlistat
metabolischer Risikofaktoren zugelassen, kann
aber zzt. keinesfalls bei gleichzeitig bestehenden
5 Serotonin-Noradrenalinrückaufnahme- psychischen Störungen empfohlen werden.
7 hemmer:
Sibutramin . Tabelle 13.1 gibt einen Überblick über die wich-
5 Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist:
8 Rimonabant
tigsten Antiadiposita sowie deren Dosis und Neben-
wirkungen.

9 Die Therapieprinzipien der Behandlung der Adiposi-


tas finden sich im Kapitel der Essstörungen (7 Kap. 23). Fazit
Dort wird auch auf die Problematik der Gewichtszu-
10 nahme unter Antipsychotika und – seltener – unter Therapieempfehlung für Antiadiposita
Antidepressiva hingewiesen. 5 Eine medikamentöse Therapie sollte immer von
11 Medikamentöse Therapien waren lange Zeit in der verhaltenstherapeutischen (mit Selbsthilfemanualen)
Indikation Adipositas nicht zugelassen und z. T. auch und diätetischen Maßnahmen begleitet werden.
sehr risikoreich. Eingenommen wurden als »Schlank- 5 Eine Empfehlung für eines der 3 Antiadiposita ist auf
12 heitspillen« vor allem Psychostimulanzien, Laxanzien, Grund der relativ kurzen klinischen Erfahrung noch
Diuretika, L-Thyroxin oder Nikotin. Andere zentral nicht möglich; alle haben deutliche Nebenwirkungen.
13 wirksame Präparate wie Fenfluramin und Dexfenflu-
ramin hatten den Nachteil starker Nebenwirkungen;
diese beiden Präparate sind aus dem Handel genom-
14 men. 13.3 Antiadiposita in der Kinder-
und Jugendpsychiatrie
15 13.2 Präparategruppen1 Bei Adipositas sollten sich die therapeutischen Maß-
nahmen im Kindes- und Jugendalter auf die Auf-
16 Über einige Jahre sind die Antiadiposita Orlistat und klärung, Prävention und verhaltenstherapeutischen
Sibutramin im Handel. Über das kürzlich zugelassene Maßnahmen beschränken. Eine medikamentöse The-
Rimonabant müssen zunächst noch weitere Erfah- rapie außerhalb klinischer Studien ist momentan aus
17 rungen gesammelt werden. fachärztlicher Sicht nicht zu empfehlen und nur bei
5 Orlistat ist ein Lipasehemmer, der nur im Darm extremer Adipositas indiziert.
18 wirksam ist. 30% des aufgenommenen Fetts wer- Orlistat und Sibutramin sind zur Behandlung der
den unverdaut wieder ausgeschieden. Die Wir- Adipositas auch im Jugendalter (ab 12 Jahren) zuge-
kung auf die Fettverdauung beginnt nach ca. lassen.
19
20 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
13.4 · Checkliste
125 13

. Tab. 13.1. Antiadiposita

Präparat Dosis Indikation mit Wichtigste Bemerkungen


Zulassung Nebenwirkungen

Orlistat 3-mal 120 mg Adipositas Inkontinenzsymptome Hypokalorische Diät;


Xenical® tgl. mit Diarrhö, Völle- Vorteil: lokale Wirkung
gefühl

Rimonabant 20 mg tgl. Adipositas mit Übelkeit, Schwindel, zusätzlich zu Diät und


Acomplia® vorliegenden me- Depression, Angst Bewegung; Cave: psy-
tabolischen Risiko- chische Störungen
faktoren

Sibutramin 10 mg tgl. Adipositas Appetitlosigkeit, Cave: Hypertonie;


Reductil® Schlaflosigkeit Wechselwirkungen be-
achten (z. B. SSRI)

13.4 Checkliste

?
1. Welche Wirkprinzipien der medikamentösen
Therapie der Adipositas kennen Sie?
14.1 ·
127 14

Medikamente zur Behandlung von


ADHS, Hypersomnien und
Bewegungsstörungen

14.1 Einteilung – 128

14.2 Präparategruppen – 128

14.3 Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien


und Bewegungsstörungen in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie – 130
14.3.1 ADHS in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 130
14.3.2 Hypersomnien – 132
14.3.3 Bewegungsstörungen – 132

14.4 Checkliste – 132


128 Kapitel 14 · Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen

14.1 Einteilung bewahrung der BtM-Rezepte für den einzelnen Pati-


1 enten bietet eine gute Kontrollmöglichkeit des Ein-
Die Präparate dieses Kapitels werden durch Psychosti- nahmeverhaltens.
mulanzien dominiert. Sie können z. T. zur Abhängig- Die Substanz blockiert den Dopamintransporter,
2 keit führen und unterliegen deshalb dem Betäubungs- wodurch es zur Rückaufnahmehemmung von Dopa-
mittel- (BtM-)Gesetz (Methylphenidat, Modafinil). min aus dem synaptischem Spalt kommt (langsamere
3 Unter sorgfältiger ärztlicher Kontrolle sind es aber
wertvolle und sichere Arzneimittel bei Aufmerksam-
Kinetik als das ähnlich wirkende Kokain). Ebenso
erfolgt eine Hemmung der noradrenergen Wiederauf-
keitsdefizit-/Hyperaktivitässtörungen (ADHS) bzw. nahme.
4 hyperkinetischen Störungen (HKS) und Hypersom- Das Präparat muss oft langfristig verordnet wer-
nien. Grundsätzlich kann auch die Behandlung mit den; die BtM-Pflicht erschwert diesen Vorgang. Nur
anderen Psychostimulanzien wie d-Amphetamin, dl- im Hochdosisbereich ist nach 6–9 Monaten eine Wir-
5 Amphetamin und Pemolin erwogen werden; sie sind kungsabschwächung beschrieben.
aber nur zweite Wahl (7 Abschn. 14.3.1). Seit einiger Zeit stehen Retardpräparate von
6 Das neuentwickelte Atomexetin muss sich in der Methylphenidat (. Tab. 14.1) zur Verfügung. Diese
Praxis bei ADHS, ebenso wie das Natriumoxybat bei ermöglichen eine vereinfachte Verabreichung. Es lie-
Narkolepsie noch bewähren. gen jetzt auch erste positive gegen placebokontrol-
7 In der Gruppen der Medikamente zur Behand- lierte Daten über 24 Wochen mit Methylphenidat
lung von Bewegungsstörungen gibt es in den letzten (10–30 mg/Tag) vor.
8 Jahren mehrere Neuentwicklungen (7 Abschn. 14.2),
die auf dem Prinzip der dopaminagonistischen Wir- Wichtig
kung beruhen.
9 5 Die Verordnung von Methylphenidat ist
BtM-pflichtig. Methylphenidat besitzt als

10 14.2 Präparategruppen1 dopaminerg wirkendes Psychostimulans


grundsätzlich ein Missbrauchs- und Abhän-
Atomoxetin gigkeitspotenzial.
5 Die Zulassung bei Erwachsenen bei ADHS
11 Der neue selektive Noradrenalinrückaufnahmehem-
wird noch geprüft.
mer Atomoxetin ist in den USA gut untersucht und
reduziert bei ADHS Impulsivität, Hyperaktivität und
12 Aufmerksamkeitsstörung, ist aber bei Erwachse-
nen nicht zugelassen. Atomoxetin ist eine alternati- Modafinil
13 ve Therapieoption zu den Psychostimulanzien in der Modafinil wird als Psychoanaleptikum bezeichnet und
Behandlung der ADHS. Studienergebnisse und bis- hat ebenfalls einen psychostimulierenden Effekt. Es ist
herige klinische Erfahrungen lassen eine vorläufig bei der Narkolepsie und beim Schlafapnoesyndrom
14 positive Bewertung zu, Langzeitbeobachtungen müs- indiziert. Es gibt Hinweise, dass es auch bei ADHS
sen abgewartet werden. Ein Abhängigkeitspotenzial wirksam ist. Das Ausmaß des Abhängigkeitsrisikos
15 besteht nicht. von Modafinil ist noch nicht endgültig geklärt, es ist
aber deutlich geringer als von Methylphenidat.
Methylphenidat Die Förderung der Wachheit durch Modafinil
16 Methylphenidat wird vor allem bei ADHS und als Mit- scheint über das noradrenerge Transmittersystem zu
tel der zweiten Wahl auch bei Hypersomnien einge- laufen. Daneben wird auch das serotonerge Transmit-
setzt. Methylphenidat muss allerdings bei Erwach- tersystem beeinflusst.
17 senen »off-label« (d. h. mit einem zulassungsüber- Die Responderrate für die Tagesmüdigkeit liegt
schreitenden Einsatz), verordnet werden. Die Pro- bei etwa 70%, eine positive Wirkung auf kataplek-
18 blematik des möglichen Abhängigkeitsrisikos wird in tische Anfälle konnte allerdings nur bei etwa 5% der
7 Abschn. 27.2.1 besprochen. Dort wird auch die kli- Patienten festgestellt werden. Die Therapie bei Narko-
nische Wirkung beschrieben. Die verpflichtende Auf- lepsie ist langjährig.
19
20 1 Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
14.2 · Präparategruppen
129 14

. Tab. 14.1. Medikamente zur Behandlung von ADHS und Hypersomnien

Präparat Dosis Indikation mit Wichtigste Bemerkungen


Zulassung Nebenwirkungen

Atomoxetin Initial: 40 mg tgl.; ma- ADHS, aber nicht Appetitminderung, Kein Abhängigkeits-
Strattera® ximal 100 mg tgl. bei Erwachsenen Schlafstörungen potenzial
zugelassen

Methyl- Initial: 5–10 mg tgl.; ADHS, aber nicht Schlafstörungen, Appetit- HWZ 2 h; Razemat;
phenidat maximal 60 mg; bei Erwachsenen minderung, Tachykardie, BtM-pflichtig
Equasym® Bei Narkolepsie: 20– zugelassen; bei Blutdruckerhöhung
Medikinet® 30 mg tgl. Narkolepsie nur Cave: Missbrauchs- und
Ritalin® Ritalin® zuge- Abhängigkeitsrisiko
lassen

Methyl- Zunächst Dosis mit ADHS, aber nicht Wie oben Retardpräparat;
phenidat unretardiertem Prä- bei Erwachsenen Wirkdauer 12 h;
Concerta® parat herausfinden zugelassen BtM-pflichtig
Medikinet
retard®

Modafinil 200–400 mg tgl. Narkolepsie; Kopfschmerzen; Nervosi- BtM-pflichtig; Cave:


Vigil® Schlafapnoe- tät, Schlaflosigkeit, Angst nicht bei Bluthochdruck
syndrom und Abhängigkeits-
entwicklungen

Natrium- 4,5–9 g tgl. Kataplexie bei Schwindel, Kopf- Regulierter Einnahme-


oxybat Narkolepsie schmerzen, Appetit- modus
Xyrem® losigkeit

HWZ Halbwertzeit; BtM Betäubungsmittel.

Wichtig von Natriumoxybat berichtet, die weit über dem the-


rapeutischen Dosisbereich lagen. Das Auftreten einer
Modafinil untersteht der BtM-Pflicht. Es gibt erste Abhängigkeit in therapeutischen Dosen kann zzt.
Berichte über missbräuchlichen Einsatz als Party- noch nicht ausgeschlossen werden. In seltenen Fällen
droge. Eine Einstellung auf Modafinil sollte nur in wurden Entzugssymptome gesehen.
spezialisierten Facheinrichtungen erfolgen.
Antidepressiva
Antidepressiva mit einer vorwiegend noradrenergen
Natriumoxybat Rückaufnahmehemmung wie Nortriptylin, Desipra-
Natriumoxybat zeigt eine antikataleptische Wirkung min und Reboxetin sowie Venlafaxin mit dem kom-
bei Narkolepsie. biniert serotonerg/noradrenergen Wirkmechanis-
Das Natriumsalz der Gammahydroxybuttersäure mus stellen eine gute Alternative zu den Psychostimu-
wirkt in pharmakologischer Dosis als GABAB-Rezep- lanzien in der Behandlung der ADHS des Erwachse-
toragonist, hat aber auch dopaminerge, opioide und nen dar. Auch für MAO-Hemmer (7 Kap. 5)Tranylcy-
serotonerge Effekte. promin und Selegilin liegen positive Erfahrungen vor.
Der genaue Wirkmechanismus bei Kataplexie ist Die Dosierungen liegen in Bereichen der antidepres-
unbekannt. Es wird angenommen, dass Natriumoxy- siven Behandlung; es sollte in jedem Falle zunächst
bat durch die Förderung des langsamen (δ-)Wellen- mit einer niedrig bis mittleren Dosierung begonnen
Schlafes wirkt und den nächtlichen Schlaf festigt. werden, um die Ansprechrate zu überprüfen.
Die Behandlung muss unter Anleitung eines Antidepressiva sind besonders bei komorbider
Arztes, der Erfahrungen in der Behandlung von Suchterkrankung indiziert. Die Kontrollbedingungen
Schlafstörungen hat, durchgeführt werden. im therapeutischen Setting müssen dann sehr engma-
Es wurde über Fälle von Abhängigkeit nach ille- schig sein (regelmäßiges Drogenscreening).
galer Anwendung von häufig wiederholten Gaben
130 Kapitel 14 · Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen

Dopaminagonisten 14.3 Medikamente zur


1 Dopaminagonisten sind eine neu entwickelte Sub- Behandlung von ADHS,
stanzklasse für die Behandlung von »Restless-legs«- Hypersomnien und
Syndrom (RLS) und »periodic limb movements in Bewegungsstörungen
2 sleep« (PLMS) (7 Kap. 32). Sie werden primär vom in der Kinder- und
Neurologen verordnet. Es sind bei RLS L-DOPA/aro- Jugendpsychiatrie
3 matische Aminosäuredecarboxylase (AADC)-Inhibi-
torpräparate (Restex®). Vorteile von L-DOPA sind der 14.3.1 ADHS in der Kinder- und
schnelle Wirkungseintritt (innerhalb einer Stunde Jugendpsychiatrie
4 nach der Ersteinnahme) und die gute Steuerbarkeit.
Weiterhin gibt es dopaminagonistisch wirkende Multimodale Therapie
Ergot-Derivate (z. B. Bromocriptin, Cabergolin, Lisu- In der Regel ist eine multimodale Therapie notwen-
5 rid, Pergolid) und neue Nicht-Ergot-Derivaten (Ropi- dig. Die wesentlichen Komponenten der multimoda-
nirol, Pramipexol). len Behandlung sind psychoedukative, psychosozi-
6 Die therapeutischen Dosen sind deutlich nied- ale, psychotherapeutische und medikamentöse Inter-
riger als bei der Parkinson-Therapie. ventionen. Die häufig vorkommenden komorbiden
. Tabelle 14.1 gibt eine Übersicht über die Präpa- Störungen bedürfen zu meist ebenfalls einer thera-
7 rate zur Behandlung von ADHS und Hypersomnien. peutischen Intervention. Die psychotherapeutischen
Ansätze basieren auf verhaltenstherapeutischen Prin-
8 Fazit
zipien.

Medikamentöse Therapie
9 Therapieempfehlung für Medikamente zur Behand- In der medikamentösen Behandlung sind Psycho-
lung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstö- stimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsaft)
auf Grund ihrer erwiesenen Wirksamkeit Medika-
10 rungen
5 Methylphenidat ist ein wirksames Medikament bei mente der ersten Wahl. Als Medikament der zwei-
ADHS, auch bei Erwachsenen. Es muss »off-label« ten Wahl wird Atomoxetin momentan angesehen,
11 verordnet werden und ist BtM-pflichtig. Es besteht bei zusätzlichen begleitenden emotionalen Auffällig-
ein Abhängigkeitsrisiko. keiten gehört es auch zur ersten Wahl. TZA, Cloni-
5 Modafinil ist bei Narkolepsie und beim Schlafapnoe- din, Modafinil und Antipsychotika sind Medikamente
12 syndrom indiziert. Es hat einen psychoanaleptischen der dritten Wahl und sollten nur angewendet werden,
Effekt. Das Abhängigkeitsrisiko ist noch nicht endgül- wenn die Medikamente der ersten und zweiten Wahl
13 tig geklärt. Es besteht BtM-Pflicht und hat ein hohes nicht wirksam sind oder starke Nebenwirkungen ver-
Nebenwirkungspotenzial. ursachen.
5 Atomoxetin muss sich als neue Therapieoption bei
14 ADHS noch bewähren. Methylphenidat und andere Psychostimulanzien
5 Natriumoxybat kann jetzt bei Narkolepsie wirksam Die Indikation zur Therapie mit Psychostimulanzien
15 eingesetzt werden. Es besteht ein strikt regulierter
Einnahmemodus.
ist gegeben, wenn die Symptomatik ausgeprägt ist
und psychoedukative, psychosoziale und psychothe-
5 »Restless-legs«-Syndrom und »periodic limb move- rapeutische Hilfen nicht umsetzbar oder nicht hilf-
16 ments in sleep« können jetzt mit mehreren dopami- reich waren.
nagonistischen Alternativen behandelt werden. Die Psychostimulanzien sind für das Kindes- und
Jugendalter zur Behandlung der ADHS zugelassen.
17 Die Behandlung sollte in der Regel mit einem schnell
freisetzenden Stimulans beginnen. Beim Methylphe-
18 nidat ist der Wirkungseintritt nach etwa 30 min für die
Dauer von etwa 4 h zu erwarten (Dosis: . Tab. 14.1).
Die Indikation für Retardpräparate ist gegeben,
19 wenn eine verlässliche Mehrfachgabe dieser Präparate
nicht möglich ist und ein stabiler Tageseffekt auf ande-
20 re Weise nicht erreicht werden kann.
Im Rahmen der längerfristigen Behandlung emp-
fiehlt es sich, durch Auslassversuche die Wirksam-
14.3 · Medikamente zur Behandlung …
131 14

keit zu überprüfen. Persistiert die ADHS in klinisch Antidepressiva


bedeutsamem Schweregrad, so ist eine kontinuier- Trizyklische Antidepressiva haben sich in der Behand-
liche Medikation auch in das Erwachsenenalter hinein lung der ADHS als wirksam erwiesen. Doppelblind-
indiziert. Erwachsene benötigen im Vergleich zu Kin- studien zeigten gegenüber Placebo positive Effekte
dern in der Regel eine auf das Körpergewicht bezoge- für Imipramin und Desipramin. Desipramin kann bei
ne geringere Dosis der Psychostimulanzien. ADHS auch komorbide Tics mindern.
Zahlreiche Studien belegen die signifikante Wir-
kung von Psychostimulanzien in der Therapie der Clonidin
Kernsymptome der ADHS. Die weitaus meisten Stu- Clonidin kann zum Einsatz kommen, wenn sich Psy-
dien liegen für Methylphenidat vor. Hat sich Methyl- chostimulanzien und TZA als unwirksam erwiesen
phenidat als nicht wirksam erwiesen hat, empfiehlt es haben oder kontraindiziert sind.
sich auf Amphetaminpräparate umzusteigen. Es wird
derzeit empfohlen, dass Amphetaminpräparate bei Modafinil
Patienten mit strukturellen Herzerkrankungen nicht In mehreren offenen und placebokontrollierten Stu-
verordnet werden sollen. Pemolin ist ein Psychosti- dien konnte die Wirksamkeit von Modafinil bei Kin-
mulans vom Nicht-Amphetamin-Typ. Pemolin ist dern und Jugendlichen mit ADHS nachgewiesen wer-
potenziell leberschädigend und darf daher nur unter den.
engmaschiger Kontrolle der Leberfunktionsparameter
durch Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie erst- ADHS und Komorbiditäten
verordnet werden, wenn die Behandlung mit Methyl- Bei Kindern mit ADHS und Störung des Sozialver-
phenidat und Amphetamin erfolglos war. In der Pra- haltens ist eine Therapie mit Psychostimulanzien
xis wird dieses Medikament kaum verordnet. positiv wirksam. Bei ausgeprägter komorbider Stö-
Die sorgfältige und regelgerechte Medikation rung des Sozialverhaltens mit Impulskontrollstörung
von Methylphenidat und Amphetaminen hat bei Per- kommt eine Therapie mit dem AAP Risperidon oder
sonen mit ADHS in der Regel selten schädliche uner- ggf. die Kombination von Psychostimulanz und AAP
wünschte Wirkungen. Sie sind dosisabhängig, in der in Betracht.
Regel vermeidbar und treten meistens nur zu Beginn Tics treten bis zu 30% assoziiert mit ADHS auf.
der Therapie auf. Unter der Medikation von Methylphenidat kann es in
Die Entwicklung eines Missbrauchs oder einer Einzelfällen zur Verstärkung einer bestehenden Tic-
Abhängigkeit von Psychostimulanzien ist bei sach- Symptomatik oder zum Neuauftreten kommen. Dann
gemäßer und störungsspezifischer Einnahme nicht kommt eine Therapie mit Atomoxetin in Betracht. Ist
zu erwarten. Eine Dosissteigerung ist auch bei Dau- aufgrund des Schweregrades der ADHS eine Therapie
ermedikation meist nicht notwendig. Katamnestische mit Psychostimulanzienmedikation unverzichtbar, so
Befunde sprechen dafür, dass Kinder und Jugendli- ist es möglich, die Tics medikamentös mit Antipsy-
che mit ADHS, die mit Psychostimulanzien behan- chotika zu behandeln (z. B. mit Risperidon).
delt wurden, seltener und später Tabak, Alkohol und Methylphenidat wirkt auch signifikant auf die
illegale Drogen konsumieren (Remschmidt u. Heiser Kardinalsymptome der ADHS bei Kindern und
2004; Stellungnahme der Bundesärztekammer 2007). Jugendlichen mit Intelligenzminderung. Bei Kindern
mit schwergradiger geistiger Behinderung ist hinge-
Atomoxetin gen häufiger eine entweder paradoxe Wirkung zu beo-
Atomoxetin ist zur Behandlung von ADHS im Kin- bachten oder die Medikation zeigt keinen Effekt.
des- und Jugendalter zugelassen. Darüber hinaus ist
Atomoxetin für die Weiterbehandlung ins Erwachse- Nichtmedikamentöse Behandlungsansätze
nenalter zugelassen. Atomoxetin ist nach Methylphe- Unter den nichtmedikamentösen Behandlungsan-
nidat und Amphetamin die am besten untersuchte sätzen hat in den letzten Jahren das Neurofeedback
Substanz mit guter Evidenzlage. In doppelblinden besondere Beachtung gefunden. Studien konnten zei-
Studien konnte eine signifikante Reduzierung sowohl gen, dass das Neurofeedback zu einer signifikanten
der Kernsymptome der ADHS als auch eine Verbes- Reduktion von Unaufmerksamkeit, Impulsivität und
serung depressiver Symptome und der psychosozi- Hyperaktivität führt (Stellungnahme der Bundesärz-
alen Lebensqualität nachgewiesen werden. Atomoxe- tekammer 2007).
tin kann eine assoziierte Ticstörung lindern.
132 Kapitel 14 · Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen

14.3.2 Hypersomnien 14.4 Checkliste


1
Die Therapie der primären Hypersomnien im Kin- ?
des- und Jugendalter sollten zunächst physikalische
2 und verhaltenstherapeutische Maßnahmen beinhal- 1. Welche Alternativen sind Ihnen zu Methyl-
ten und nur in Ausnahmefällen sollten Psychostimu- phenidat bei der Behandlung der ADHS im

3 lanzien verordnet werden.


2.
Erwachsenenalter bekannt?
Welche Alternativen sind Ihnen zu Methyl-
phenidat bei der Behandlung der ADHS im
4 14.3.3 Bewegungsstörungen Kindes- und Jugendalter bekannt?
3. Welche Medikation ist bei der Behandlung
Das RLS und die PLMS können »off-label« mit Cloni- der Narkolepsie zugelassen?
5 din, Clonazepam, Gabapentin und Dopaminrezeptor-
agonisten behandelt werden (Moore et al. 2006).
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15.1 ·
133 15
III

Krankheitsbilder

15 Depressive Störungen – 135

16 Panikstörung – 155

17 Generalisierte Angststörung – 161

18 Phobische Störungen – 167

19 Zwangsstörung – 171

20 Posttraumatische Belastungsstörung – 177

21 Akute Belastungsstörung und Anpassungsstörung – 181

22 Somatoforme Störungen – 185

23 Essstörungen – 193

24 Schlafstörungen – 199

25 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen – 207

26 Sexuelle Funktionsstörungen – 215

27 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen – 221

28 Abhängigkeitsstörungen – 225

29 Bipolare affektive Störungen – 235

30 Schizophrenie – 243

31 Demenz – 255

32 Bewegungsstörungen in der Psychiatrie – 261

33 Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter – 265


15.1 ·
135 15

Depressive Störungen

15.1 Gesamtbehandlungsplan – 136

15.2 Antidepressiva und Psychotherapie – 137

15.3 Akuttherapie mit Antidepressiva – 140

15.4 Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe


mit Antidepressiva – 141

15.5 Ungenügende Response, Therapieresistenz und


chronische Depression – 143

15.6 Andere Medikamente und Verfahren zur


Depressionsbehandlung – 146

15.7 Spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen – 147


15.7.1 Depressive Episode und rezidivierende depressive Störung – 148
15.7.2 Dysthymie und Double Depression – 149
15.7.3 Minor Depression und unterschwellige Depression – 149
15.7.4 Rezidivierende kurze depressive Episoden
(»recurrent brief depression« nach DSM-IV) – 149
15.7.5 Atypische Depression – 149
15.7.6 Saisonal abhängige affektive Störung
(SAD, Winterdepression) – 149
15.7.7 Suizidalität – 150
15.7.8 Depression bei körperlichen Erkrankungen – 150

15.8 Depression und Stress – 151

15.9 Behandlung depressiver Störungen im Kindes- und


Jugendalter – 151

15.10 Checkliste – 153


136 Kapitel 15 · Depressive Störungen

Die Vielfalt von Symptommustern, die bei depres- zu sein (7 Abschn. 4.1). Während sich die bisherigen
1 siven Störungen auftreten können, führte zu Unter- Untersuchungen zu Kandidatengenen aber primär auf
teilungen, die jeweils deskriptiv bestimmte Aspekte die Aminhypothesen der Depression bezogen, wer-
des depressiven Syndroms hervorheben, z. B. den den die neuen Untersuchungen am gesamten Genom
2 Längsschnitt (unipolar–bipolar, Dysthymie, »recur- hypothesenfrei vorgenommen (Barden et al. 2006).
rent brief depression«, Rapid Cycling), die aktuelle Die hirnmorphologischen Veränderungen sind bei
3 klinische Symptomatik (gehemmt, ängstlich–agitiert,
atypisch, melancholischer Subtyp), den Schweregrad
der Depression nicht so evident wie bei der Schizo-
phrenie (7 Kap. 30). Sie finden sich diskret im präfron-
(leichte, mittelschwere, schwere depressive Episode, talen Kortex, im limbischen System und im Hippo-
4 mit oder ohne psychotische Merkmale, Major Depres- campus. Diese Störungen werden mit den Affekt- und
sion, Minor Depression) oder das Auftreten im Rah- Antriebsstörungen depressiver Patienten in Zusam-
men anderer Störungen (bei Schizophrenien, Alkohol- menhang gebracht.
5 abhängigkeit, Demenz). Die wichtigsten Symptome Schließlich finden sich bei einer überwiegenden
der depressiven Episode werden in 7 Abschn. 15.7.1 Anzahl Depressiver eine Hyperaktivität des Hypothala-
6 beschrieben. mus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems (HPA-
Es werden zunächst die allgemeinen Richtlinien Achse) (Holsboer 2000). Eine glucokortikoidbedingte
der Pharmakotherapie der Depression dargestellt. Im Volumenreduktion des Hippocampus ist aber nicht
7 Anschluss werden in 7 Abschn. 15.7 spezielle phar- bewiesen (Müller et al. 2001). Über die Dysregulati-
makotherapeutische Empfehlungen für die einzelnen on der HPA-Achse hinaus gibt es Hypothesen zu einer
8 Untergruppen der depressiven Störung beschrieben.
Die Depressionen bei körperlichen Erkrankungen
gesteigerten zentralen Thyreotropin-Releasing-Hor-
mon (TRH)-Sekretion und auch einer Störung des
nehmen einen immer breiteren Raum ein. Unter somatotropen Systems.
9 7 Abschn. 15.8 werden auch die Zusammenhänge zwi- Mögliche Hypothesen zu neurochemischen Verän-
schen Stress und Depression, die in der biologischen derungen werden, soweit sie auch die Psychopharma-
Psychiatrie sehr wichtig geworden sind, besprochen, kotherapie betreffen, im 7 Abschn. 5.2 (Wirkungsme-
10 obwohl eine akzeptierte Pharmakotherapie für Dau- chanismus der Antidepressiva) besprochen.
erstress zur Prävention der Depression noch nicht exi- Die neurobiologische Forschung bei depressiven
11 stiert. Störungen hat aber trotz dieser vielen Ansätze noch
Die Pharmakotherapie der akuten Suizidali- nicht dazu geführt, dass kausal relevante Systeme
tät wird im Rahmen der Notfalltherapie (7 Kap. 34) identifiziert werden konnten (Holsboer 2008). So gibt
12 besprochen. Der Komplex Nebenwirkungen von es auch bis heute keinen »biologischen Marker« der
Antidepressiva und Suizidalität steht in 7 Kap. 5; unter zur Spezifizierung der Diagnose der Depression einen
13 7 Abschn. 15.7.7 finden sich Hinweise zur Suizidpro- Beitrag liefern könnte.
phylaxe.

14 Neurobiologie der Depression. Eindeutig weisen die 15.1 Gesamtbehandlungsplan


Zwillings- und Adoptionsstudien auf eine genetische
15 Komponente der affektiven Erkrankung hin, beson-
ders das unterschiedliche Erkrankungsrisiko bei Erst-
Für viele Patienten ist der notwendige Einsatz einer
Pharmakotherapie zur Behandlung einer depres-
gradangehörigen von unipolar und bipolar Erkrank- siven Störung nicht von vorneherein verständlich. Die
16 ten im Vergleich zu Kontrollkollektiven aus der Bevöl- Pharmakotherapie ist immer noch mit vielen Vorur-
kerung (2,5- zu 7-fach). Auch fallen die Konkordanz- teilen behaftet. Die Vermittlung eines Krankheitsmo-
raten bei monozygoten Zwillingspaaren mit etwa 50% dells durch den Arzt oder Psychologen, das für den
17 zu 80% (unipolar versus bipolar) unterschiedlich aus. Patienten verständlich und akzeptabel ist und das
Gerade der letzte Befund gibt Anlass zu der Hypothe- den Einsatz einer medikamentösen Behandlung psy-
18 se, dass über die genetischen Ursachen hinaus auch chischer Beschwerden erklärt, ist unerlässlich. Dies
Umweltfaktoren für die Genese der Depression eine gilt besonders dann, wenn eine langfristige Behand-
entscheidende Rolle spielen. In der letzten Zeit konn- lung mit Antidepressiva notwendig wird, um die
19 ten Kandidatenregionen auf verschiedenen Chromo- Compliance zu erhöhen und Rückfälle zu vermeiden
somen (4, 12, 18, 21, 22, X), besonders allerdings bei (7 Abschn. 15.4).
20 der bipolaren affektiven Störung, identifiziert wer- Es bietet sich an, das prägnante Krankheitsmodell
den. Interessant scheinen bei diesen Untersuchungen einer »Stoffwechselstörung« zu vermitteln. Bioche-
die positiven Befunde am Serotonintransportergen mische Veränderungen sind mit dem Auftreten von
15.2 · Antidepressiva und Psychotherapie
137 15

depressiven oder manischen Symptomen verbunden 15.2 Antidepressiva und


und machen den Einsatz von Medikamenten zur sym- Psychotherapie1
ptomatischen, aber effektiven Therapie notwendig. Bei
diesem Modell kann auf die Analogie zur Behandlung Besonderes Augenmerk wurde in den letzten Jahren
eines Diabetes mellitus oder einer essenziellen arteri- auf den Wirksamkeitsvergleich von Antidepressiva
ellen Hypertonie verwiesen werden, wo ebenfalls eine und Psychotherapieverfahren gelegt.
symptomatische, aber effektive medikamentöse The- In der Akut- und Erhaltungstherapie können
rapie eingesetzt wird, deren Akzeptanz bei den Pati- angewandt werden: die medikamentöse Therapie, die
enten in der Regel gut ist. Psychotherapie als Einzel-, Gruppen- oder Paarthera-
Ein solches Krankheitsmodell behindert auch den pie und eine Kombination beider. Betont werden in
psychotherapeutischen Zugang zu einem Patienten diesen Empfehlungen die Therapien, die die höchsten
nicht, wenn man mit ihm die verschiedenen Aspekte Evidenzgrade beim Wirksamkeitsnachweis erlangt
seines Störungsbildes bespricht. Während durch die haben oder das günstigste Nutzen-Risiko-Verhältnis
medikamentöse Therapie der biologische Aspekt der besitzen. Zur Anwendung spezifischer Psychothera-
Störung symptomatisch, aber effektiv behandelt wird, pien und deren Evidenzstufen s. »Leitlinien: Psycho-
kann etwa eine kognitive Verhaltenstherapie den Pati- therapie Affektiver Störungen« (de Jong-Meyer et al.
enten zunehmend in die Lage versetzen auf der Ebe- 2007).
ne seiner Gedanken und des Verhaltens möglichst Unter den spezifischen psychotherapeutischen
großen therapeutischen Nutzen aus der erzielten kli- Verfahren sind die kognitive Verhaltenstherapie
nischen Besserung zu ziehen und so den Behand- (KVT) und die Interpersonelle Psychotherapie (IPT)
lungserfolg aktiv zu verstärken. auf ihre Wirksamkeit als Monotherapien oder in
Es ist wichtig, psychoedukative Elemente in die Kombination mit Psychopharmaka bei Depressionen
professionelle Therapie der Depression gerade dann am besten untersucht. Der Therapiefokus der IPT liegt
zu integrieren, wenn eine längerfristige Therapie auf der Bewältigung psychosozialer Stressoren; in der
erfolgen muss. Dabei sollen Patient und Angehöri- Praxis ist allerdings die Verfügbarkeit gering. Einzel-
ge mit dem typischen Verlauf der Erkrankung und ne Wirksamkeitsnachweise liegen für die psychody-
den möglichen Behandlungsstrategien in einer Erhal- namische Kurzzeittherapie und die Gesprächsthera-
tungs- und Langzeittherapie vertraut sein. Therapie- pie vor; sie haben aber für die mögliche Therapie der
alternativen können in Familiengesprächen diskutiert Depression auch in Kombination mit Antidepressiva
werden. Die notwendige Medikation mit ihren mög- keine Bedeutung erlangt.
lichen Nebenwirkungen und Risiken bei Kombinati- Es liegen inzwischen weit über 90 kontrollierte
on mit anderen Medikamenten muss dem Patienten Therapiestudien dazu vor (de Jong-Meyer et al. 2007).
bekannt sein. Die individuellen Frühsymptome einer KVT bzw. IPT erreicht nicht nur bessere Ergebnisse in
neuen depressiven Episode werden besprochen. Pati- der Akutbehandlung im Vergleich zu Warte-, Place-
ent und Angehörige müssen den Weg kennen, wie der bo- oder unterstützenden bzw. Clinical-Management-
Therapeut über die ersten Warnsymptome informiert Bedingungen, sondern sie führt auch oft zu vergleich-
werden kann. baren Effekten wie eine psychopharmakologische
Es gibt Hinweise, dass auch ein Problemlösetrai- Behandlung. Allerdings kommen die Ergebnisse nicht
ning, das durch Nichtspezialisten durchgeführt wer- immer zu demselben Schluss.
den kann, bei depressiven Patienten wirksam ist
(Mynors-Wallis et al. 2000). Es ist bei leichten Erkran- Grundlegende Studien
kungen eine Alternative, wenn psychotherapeutische In einer großen Studie zur Akutbehandlung der
Verfahren nicht zur Verfügung stehen. Depression erhielten Patienten IPT, KVT, Imipramin
Verschiedene Übersichten bestätigen, dass kogni- oder Placebo (»clinical management«) (Elkin et al.
tiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Bibliothera- 1989). Nach 16 Wochen zeigte sich eine signifikante
pien (selbständige Bearbeitung eines Arbeitsbuches Überlegenheit der Imipramingruppe gegenüber der
zur Überwindung der Depression) verglichen mit
Wartebedingungen klinisch und statistisch bedeutende
Effekte erzielen (McKendree-Smith et al. 2003). Auch 1 Wegen des großen Forschungsumfangs zur Kombi-
ein über 10 Wochen gehendes spezifisches Gruppen- nationstherapie bei den depressiven Störungen, wird
programm bei unterschwelligen bis leichten Depressi- dieses Kapitel, in Abweichung von der Gliederung der
onen war einer lediglich unterstützenden Maßnahme Kapitel 16-33, an den Anfang gestellt und ausführlich
hochsignifikant überlegen (Hautzinger 2001). besprochen.
138 Kapitel 15 · Depressive Störungen

alleinigen Psychotherapiebehandlung bei Patienten bination mit KVT. Vermehrte Nebenwirkungen wur-
1 mit einer schweren Depression. den unter der Medikation im Vergleich zur KVT nicht
Im Gegensatz dazu konnte in einer Vergleichsstu- gesehen. Bei einfachem Wechsel (also nicht unter Aug-
die (Hollon et al. 1992), in welcher depressive Pati- mentation) von dem zuerst gegeben Antidepressivum
2 enten mit Imipramin, KVT oder einer Kombinations- Citalopram auf Bupropion, Sertralin, Venlafaxin oder
therapie behandelt wurden, kein signifikanter Unter- KVT konnte kein Unterschied im Wirkungseintritt
3 schied in der Wirksamkeit von Imipramin oder KVT
gezeigt werden. Auch zeigte sich keine signifikante
gesehen werden.
Die Studie zeigt, dass bei mittelschwerer Depressi-
Überlegenheit der Kombinationstherapie (Hautzinger on, bei der im ersten Therapieschritt Citalopram nicht
4 u. de Jong-Meyer 1996). wirksam war, im zweiten Schritt sowohl andere Anti-
DeRubeis wertete in einer Metaanalyse aus dem depressiva als auch KVT wirksam sind. Zeitlich vor-
Jahre 1999 (DeRubeis et al. 1999) 4 vergleichbare kon- teilhaft gegenüber KVT sind dann allerdings in die-
5 trollierte Studien aus, u. a. die Elkin- und die Hollon- ser Studie Bupropion und Buspiron in der Augmen-
Studie. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, dass auch tation.
6 bei schweren depressiven Episoden keine signifikante
Überlegenheit der Pharmakotherapie gegenüber der Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der
Psychotherapie festzustellen sei. In einer Metaana- Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe
7 lyse von 6 kontrollierten Studien (Casacalenda et al. Neben der Akuttherapie haben sich psychotherapeu-
2002) zeigte sich bei leicht bis mittelschwer depres- tische Verfahren auch im Rahmen der Erhaltungsthe-
8 siven Patienten kein signifikanter Wirksamkeitsunter-
schied zwischen Psychotherapie (IPT oder KVT) und
rapie und der Rückfallprophylaxe als wirksam erwie-
sen. Die Wirksamkeit scheint allerdings von der Rezi-
Antidepressiva. divneigung der Patienten beeinflusst zu werden. In
9 Eine Kombinationsbehandlung aus antidepres- der großen Studie der Arbeitsgruppe aus Pittsburgh
siver Medikation und IPT oder KVT allerdings zeigte waren die Erfolge in der Rezidivprophylaxe von Pati-
sich in einer Megaanalyse von 6 Vergleichsstudien enten mit hoher Rezidivneigung unter Imipramin-
10 einer alleinigen Psychotherapie bei schweren Depres- behandlung signifikant besser als unter allen Thera-
sionen überlegen (Thase et al. 1997). pieformen ohne den Einsatz des Antidepressivums
11 (Kupfer et al. 1992).
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der In einer kürzlich veröffentlichten Studie der glei-
Akuttherapie chen Arbeitsgruppe (Frank et al. 2007) wurde bei
12 Die Studien erlauben zusammenfassend den Ein- leichter bis mittelschwerer Depression unter einer
druck, dass in der Akuttherapie eine Kombination IPT-Erhaltungstherapie einmal pro Monat ein guter
13 aus KVT und Antidepressiva einen synergistischen prophylaktischer Effekt gesehen (Beobachtung über
Behandlungseffekt haben (Kocsis et al. 2003), dies 1–2 Jahre). In dieser Studie konnte aber auch gezeigt
umso mehr, desto schwerer die Depression ist. Bei werden, dass bei den Patienten, bei denen zunächst
14 schweren Depressionen finden sich klare additive eine Pharmakotherapie mit einem Antidepressivum
Effekte der Kombination vs. Psychotherapie alleine zur Remission notwendig war, eine spätere IPT-Mono-
15 und Medikation alleine (Thase et al. 1997).
Nach einer neuen Studie bei 200 schwer depres-
therapie für die Rezidivprophylaxe unzureichend war.
Nach den Katamneseergebnissen mehrerer groß-
siven Patienten mit KVT über 16 Wochen ist KVT er kontrollierter Studien liegt ein wesentlicher Vorteil
16 allerdings nur dann so erfolgreich wie ein Antidepres- der Psychotherapie in ihrer längerfristigen Effektivi-
sivum, wenn der Psychotherapeut exzellent ausgebil- tät. Bei psychotherapeutischen Verfahren gibt es Hin-
det ist (DeRubeis et al. 2005). weise, dass eine erfolgreiche Therapie auch nach ihrer
17 Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der haben kann (Klein et al. 2004; Vos et al. 2004).
18 »second-step-therapy« Die Akutbehandlung mit KVT bzw. IPT (allein
Es wurde in der STAR-D-Studie (Thase et al. 2007) oder in Kombination mit Medikamenten) senkt die
gezeigt, dass bei mittelschwerer Depression, bei der Rückfallraten im Nachbehandlungsintervall deut-
19 der SSRI Citalopram allein nicht wirksam war, die licher als medikamentöse Akutbehandlung allein
Augmentation bzw. Kombination (sonstige Strategien (26% vs. 64% im 1-Jahres-Follow-up) (DeRubeis u.
20 7 Kap. 15.4) in einem zweiten Therapieschritt mit dem Crits-Christoph 1998).
Antidepressivum Bupropion oder dem Anxiolytikum Es wurde kürzlich gezeigt, dass es bei Beendigung
Buspiron 3 Wochen früher wirksam war als die Kom- der KVT bei 30,8% der Patienten zu einem Rückfall
15.2 · Antidepressiva und Psychotherapie
139 15

kommt, dagegen bei Absetzen des Antidepressivums renden depressiven Symptomen trotz antidepressiver
bei 76,2% (Hollon et al. 2005). Behandlung, konnte für die Kombinationsbehand-
In einer kontrollierten Studie bei älteren Patienten lung aus KVT und Antidepressiva im Vergleich zu
mit rezidivierender depressiver Störung zeigte sich einer Antidepressiva- Monotherapie gezeigt werden.
eine signifikant geringere Rückfallrate innerhalb von (47% vs. 29%) (Paykel et al. 1999).
3 Jahren unter IPT sowie ein synergistischer Effekt zur In einer neuen Langzeitstudie von der gleichen
antidepressiven Medikation mit Nortriptylin (90%ige Autorengruppe, aber über 6 Jahre, allerdings zeigt sich
Rückfallrate bei Placebo, bei IPT und Placebo 64%, ein Vorteil für die KVT nur in den ersten 3 Jahren.
bei Nortriptylin 43%, bei Nortriptylin und IPT 20%) Über diesen Zeitraum hinaus verschwindet der Vor-
(Reynolds et al. 1999). teil für KVT im Vergleich zum »klinischen Manage-
ment«, um Rückfälle zu verhindern (Paykel et al.
Wichtig 2005). Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der
Arbeit von Fava et al. 2004 bei einem ähnlichen The-
KVT und IPT sind sinnvolle Therapieansätze zur rapieziel. Der Unterschied liegt darin, dass Fava et al.
Prävention weiterer depressiver Episoden auch die Antidepressiva nach Remission abgesetzt hatten,
bei Patienten mit einem erhöhten Rückfallrisiko. während bei Paykel et al. diese weitergegeben wer-
Der medikamentöse Behandlungserfolg ist in den konnten (es waren 60%). Auch war der Anteil von
der Rezidivprophylaxe in der Regel nur so lange chronisch Depressiven bei Fava et al. geringer. Beide
gegeben, wie die Pharmakotherapie fortgeführt Studien zeigten die Bedeutung von KVT in den ersten
wird. Die Antidepressiva sollten allerdings auch Jahren. Über den Vorteil einer fortgesetzten Therapie
weiter verordnet werden, wenn sie anfänglich zu mit Antidepressiva und/oder einer Auffrischungsthe-
einer Remission geführt haben. Die psychothera- rapie (»booster session«) und/oder eines »klinischen
peutischen Verfahren haben wahrscheinlich auch Management« ist bei dieser Patientengruppe nach die-
nach ihrer Beendigung einen rezidivprophylak- sen beiden Studien noch nicht entschieden.
tischen Effekt.
Wichtig

Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie der Es spricht nach der jetzigen Studienlage bei chro-
chronischen Depression (Therapieresistenz) nischer Depression aber alles für eine Fortset-
Die Studien erreichen bisher insgesamt kein hohes zung der Therapie mit Antidepressiva und nach
Evidenzniveau. einer ersten KVT für eine »booster session« nach
Die wichtigste Studie mit 681 Patienten verglich 2–3 Jahren.
über 12 Wochen psychologische Therapien mit Anti-
depressiva (SSRI). Angewandt wurde das »Cogni-
tive Behavioral Analysis System for Psychothera- Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie der
py« (CBASP). In dem Verfahren werden behaviora- Depression im höheren Lebensalter
le, kognitive und interpersonelle Strategien integriert. Es besteht ein Mangel an kontrollierten psychothera-
Die Remissionsraten lagen für CBASP bei 33%, für peutischen Studien im höheren Lebensalter. Die KVT
SSRI bei 29%, dagegen bei Kombination der beiden wurde am häufigsten untersucht; sie zeigt sich kurz
Therapien bei 48%. Der additive Effekt der Kombi- (4 Monate) und längerfristig (1 Jahr) Kontrollgrup-
nationstherapie ist signifikant (Keller et al. 2000). In pen überlegen (Hautzinger u. Welz 2004).
den Studien war ein Vorteil für CBASP besonders für Auch die Reminiszenztherapie (d. h. Lebens-
Angstsymptomatik, sexuelle Dysfunktion und Verbes- rückblicktherapie, diese beinhaltet Bearbeitung aller
serung des sozialen Funktionsniveaus zu erkennen. Lebensabschnitte mitsamt ihren Höhen und Tiefen)
Patientinnen mit Kindheitstraumata (körper- scheint wirksam zu sein (de Jong-Meyer et al. 2007;
licher oder sexueller Missbrauch, früher Elternverlust, Bohlmeijer et al. 2003). In einer neuesten Studie bei
familiäre und soziale Vernachlässigung) profitierten Patienten über 70 Jahre allerdings war über einen Zeit-
besonders von der Psychotherapie. In dieser Gruppe raum von 2 Jahren Paroxetin (plus »clinical manage-
schnitt Pharmakotherapie schlechter, die Kombina- ment«) der IPT (plus Placebo) und Placebo (plus IPT)
tionstherapie aber etwas besser als CBASP alleine ab signifikant überlegen (Reynolds et al. 2006).
(Nemeroff et al. 2003).
Einen langfristigen Benefit und eine signifikant
geringere Rückfallrate bei Patienten mit persistie-
140 Kapitel 15 · Depressive Störungen

15.3 Akuttherapie mit


1 Fazit Antidepressiva
Antidepressiva und Psychotherapie im Vergleich – 5 Eine zuverlässige Vorhersage eines individuellen
2 Bewertung Therapieerfolgs bei einem bestimmten Antide-
5 Bei der Akuttherapie der leichten Depression pressivum ist auch heute noch nicht möglich.
5 In der Regel beobachtet man unter einer Behand-
3 ist zunächst KVT allein (z. B. Kurztherapie bis zu
8 Sitzungen über 12 Wochen) oder IPT indiziert. Vor- lung mit einem Antidepressivum eine allmäh-
aussetzung ist die Verfügbarkeit einer spezifischen liche Besserung im Zeitverlauf. Voraussetzung ist
4 Psychotherapie; wenn sie nicht gegeben ist oder eine kontinuierliche antidepressive Pharmakothe-
wenn ein Erfolg durch Psychotherapie nicht gesehen rapie in einer ausreichend hohen Dosierung.
wird, sollten SSRI verordnet werden. 5 Bei der Mehrzahl der Behandlungen ist damit
5 5 Handelt es sich aber um die Akuttherapie einer zu rechnen, dass sich ein ausreichender The-
leichten Depression mit einer mindestens mittel- rapieerfolg (mindestens 50%-Abnahme der
6 schweren Depression in der Vorgeschichte, sollte depressiven Symptomatik) erst im Verlauf der
gleich eine Kombination aus SSRI und KVT (z. B. bis zu ersten 4 Wochen, manchmal auch erst nach 6–
20 Sitzungen über 9 Monate) erwogen werden. 8 Wochen ausbildet. In diesem Zeitraum treten
7 5 Bei der Akuttherapie der schweren Depression sollte häufig zunächst Nebenwirkungen, danach erst
man gleich mit einem SSRI oder mit einem dualen vom Patienten wahrgenommene antidepressive
8 Antidepressivum beginnen. Eine zusätzliche Psycho-
therapie ist nach einer Studie nur dann sinnvoll, wenn
Effekte auf.
5 Der Patient sollte über diesen charakteristischen
der Psychotherapeut exzellent ausgebildet ist. Verlauf informiert werden, um den Therapieer-
9 5 Bei der chronischen Depression, unzureichendem folg nicht durch vorzeitige Beendigung der Medi-
Therapieerfolg bzw. Therapieresistenz ist die kation zu gefährden und die Compliance zu
sichern.
10 Kombinationstherapie anzustreben. Der nachhaltige
zusätzliche Wert der KVT im Vergleich zu Antidepres- 5 Es ist darauf zu achten, dass auch die leichte
siva allein in der Langzeittherapie bis zu 3 Jahren ist depressive Episode erfolgreich behandelt wird,
11 evident. Auch eine große Studie weist bei der chro- denn das Risiko, an einer schweren Depressi-
nischen Depression auf eine notwendige Kombinati- on zu erkranken, ist für Patienten mit leichten
on von Antidepressiva und Psychotherapie hin. Depressionen fünfmal höher als bei Gesunden.
12 5 Auch bei der rezidivierenden Depression mit einem
Rückfall unter Antidepressiva ist die zusätzliche KVT Ziel der Akuttherapie ist die Remission (7 Abschn. 15.5).
13 indiziert.
Wirkungseintritt
5 Bei der Rezidivprophylaxe sollte KVT oder IPT mög-
lichst in Kombination mit einem Antidepressivum 5 Gut verträgliche Substanzen, die rasch aufdosiert
14 (ggf. auch Lithium) eingesetzt werden. Die Rückfall- werden können, führen in den ersten zwei Wo-
rate wird gesenkt. Wenn eine Remission unter einem chen zu einem schnelleren Wirkungseintritt. Für
15 Antidepressivum (mit oder ohne gleichzeitige IPT)
erreicht wurde, ist zur Fortführung der Therapie auch
Venlafaxin und Mirtazapin wurde ein solcher
Effekt in kontrollierten Studien beschrieben (Sze-
weiterhin das Antidepressivum (neben der IPT) nötig; gedi et al. 2003; Katz et al. 2004). Nach 4 Wochen
16 eine alleinige IPT reicht nicht aus. gibt es aber keine Unterschiede mehr zwischen
5 Bei chronischen Depressionen ist zu erwägen, diesen beiden und anderen Antidepressiva.
5 Bei älteren Patienten kann der Wirkungseintritt
17 2–3 Jahre nach erstmaliger KVT eine »booster sessi-
on« anzusetzen. länger dauern.
5 Psychotherapeutische Verfahren können bei De- 5 Je nach dem pharmakologischen Wirkprofil des
18 pressionen im höheren Lebensalter eine sinnvolle Antidepressivums können einzelne Symptom-
Ergänzung zur Therapie mit Antidepressiva sein. komplexe des depressiven Syndroms unterschied-
lich schnell auf die Therapie ansprechen. Unter
19 Mirtazapin besserten sich Schlafstörungen, Agi-
tation und somatische Beschwerden im Behand-
20 lungsverlauf schneller als unter SSRI.
15.4 · Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe mit Antidepressiva
141 15

Wichtig 15.4 Erhaltungstherapie und


Rezidivprophylaxe mit
5 Studien zeigen, dass der individuelle Besse- Antidepressiva
rungsverlauf in den ersten beiden Behand-
lungswochen für die klinische Praxis von Patienten mit einer depressiven Episode entwickeln
großer, bislang nicht genutzter Bedeutung in mehr als 50% der Fälle im Verlauf weitere Epi-
ist und den späteren Behandlungserfolg zu soden, bei 10–20% kommt es zu einen Diagnosen-
prädizieren erlaubt. wechsel hin zur bipolaren Störung (unipolarer Ver-
5 Eine klinische Besserung von mindestens lauf, . Abb. 15.1; zu bipolaren Verläufen 7 Kap. 29).
20% der gesamten depressiven Symptomatik Bei mindestens jedem 5. Patienten klingt die depres-
innerhalb der ersten 2 Behandlungswochen sive Symptomatik nicht vollständig ab, es persistie-
stellt einen hochsensitiven Prädiktor eines ren subsyndromale Bilder, die den Patienten wesent-
späteren Therapieerfolgs dar. lich beeinträchtigen. Etwa 15% der Patienten mit einer
5 Dies bedeutet in der Praxis, dass die Thera- affektiven Störung suizidieren sich im Krankheitsver-
piestrategie bereits nach 2 Wochen über- lauf und bei 50% kommt es im Laufe der Erkrankung
prüft werden sollte. Wenn innerhalb dieser zu einem Suizidversuch.
Zeit keine Abnahme eines »Depression-Sum- Im Verlauf der – auch gut eingestellten – depres-
menscores« von mindestens 20% beobach- siven Erkrankung kann es immer wieder zu kurzen,
tet wird, sollte eine neue Behandlungsstrate- milden depressiven Einbrüchen (»blips«) kommen.
gie erwogen werden (7 Abschn. 15.5). Sie bedürfen keiner medikamentösen Strategieände-
5 Allerdings ist eine frühe Response von 20% rung. Der Patient sollte darüber informiert sein.
keine Garantie für eine langanhaltende Bes-
serung bei jedem depressiven Patienten. Definition

Zur Therapieplanung unipolarer Verläufe werden


unterschieden:
5 Akuttherapie
5 Erhaltungstherapie
5 Rezidivprophylaxe

. Abb. 15.1. Verlaufsschema


Akuttherapie Erhaltungstherapie Rezidivprophylaxe
Ziel: Remission Ziel: Erhaltung Ziel: Verhinderung bei unipolarer Depression mit
der Remission neuer Episoden Risiken des Rückfalls oder Rezi-
6-12 Monate 1 Jahr u. länger divs.
(sonst höheres (sonst höheres
Rückfallrisiko) Rezidivrisiko)
Euthymie

Rückfall Rezidiv

Zeit

Beginn der Behandlung


142 Kapitel 15 · Depressive Störungen

Wichtig
1 Indikation für eine Rezidivprophylaxe
Ziel einer antidepressiven Therapie ist das Errei- Die Indikation für eine Rezidivprophylaxe ist
chen einer Vollremission. Depressive Residual- gegeben, wenn
2 symptome sind ein hohes Risiko für einen Rück- 5 eine dritte Episode aufgetreten ist;
fall. Deswegen sind Erhaltungstherapie und die 5 zwei Episoden in 5 Jahren aufgetreten sind;
3 Rezidivprophylaxe bei einem phasenhaften Ver-
lauf in der Regel indiziert. Auch bei einer ersten
5 über eine weitere schwere Episode innerhalb
der letzten 3 Jahre berichtet wird;
depressiven Episode sollte eine Erhaltungsthera- 5 eine weitere Episode und eine positive Fami-
4 pie über mindestens 6 Monate erfolgen. lienanamnese einer bipolaren Störung oder
einer rezidivierenden Depression bestehen.
5 Erhaltungstherapie Die Indikation wird weiter erhärtet, wenn
5 Nach der Akuttherapie beginnt die Erhaltungs- 5 zusätzlich die Störung vor dem 30. Lebens-

6 therapie. In dieser Phase, für die eine Länge von jahr begann;
5 gleichzeitig eine »Doppeldepression«
6 Monaten und bis zu einem Jahr diskutiert wird,
soll einem Rückfall vorgebeugt werden. Restsym- (7 Abschn. 15.7.2) oder eine Angststörung
7 ptome sollten nicht mehr vorhanden sein (es ist vorhanden ist;
davon auszugehen, dass typische unbehandelte 5 noch Restsymptome während der Erhal-
tungstherapie verblieben sind.
8 depressive Episoden 6 Monate lang andauern).
5 Es ist wichtig, dass die Dosierung, die in der
Akuttherapie zum Erfolg geführt hat, auch beibe-
9 halten wird. 5 Für den Erfolg sind eine gute Psychoedukation
5 Der Behandlungserfolg sollte in mindestens 2- und Compliance entscheidend. Der Hintergrund
monatigen Konsultationen kontrolliert werden. einer langfristigen medikamentösen Behandlung
10 nach Abklingen der subjektiven Beschwerden
Wichtig muss dem Patienten sorgfältig erläutert werden,
11 5 Eine mindestens 6-monatige Erhaltungs-
um die Compliance zu sichern. Dem Patienten
muss spätestens jetzt ein tragfähiges Krankheits-
therapie kann beendet werden, wenn keine modell vermittelt werden, das ihm eine Erklä-
12 weitere Episode anamnestisch bekannt ist rung für die Notwendigkeit langfristiger Medika-
oder eine leichte Episode mehr als 5 Jahre menteneinnahme bei bereits überwundenen psy-
zurückliegt.
13 5 Eine Erhaltungstherapie darf nicht beendet
chischen Beschwerden gibt (7 Abschn. 15.1).
5 Die rezidivprophylaktische Wirkung der Antide-
werden, wenn die Akuttherapie nicht zur pressiva wurde durch einige prospektive Lang-
14 vollständigen Remission geführt hat. zeitstudien belegt. Die bekannteste randomisier-
te Studie (Kupfer et al. 1992) zeigte einen kla-
15 Rezidivprophylaxe
ren Vorteil für Imipramin im Vergleich zu IPT
bei der rezidivierenden Depression. In einer neu-
Die Rezidivprophylaxe der unipolaren Depression en methodisch gut durchdachten Studie mit
16 setzt nach erfolgreicher Akut- und Erhaltungsthera- 299 Patienten mit mindestens 3 depressiven Epi-
pie ein. Sie dauert mindestens 3 Jahre, oft auch lebens- soden in den vergangenen 4 Jahren lag die Zahl
lang. der Rückfälle unter dem SSRI Sertralin (50 und
17 5 Die Weiterführung einer Pharmakotherapie mit 100 mg) signifikant mit 16% unter Placebo mit
Antidepressiva sollte immer die Grundlage der 33% (Lepine et al. 2004). In einer ähnlichen Stu-
18 Rezidivprophylaxe sein. die mit 139 rezidivierenden unipolaren depres-
siven Patienten hatten 27% unter dem SSRI Esci-
talopram und 65% unter Placebo einen Rückfall.
19 Auch unter einer Mirtazapin- bzw. Venlafaxin-
Langzeittherapie kam es zu selteneren Rückfällen
20 in anderen Studien.
15.5 · Ungenügende Response, Therapieresistenz und chronische Depression
143 15

5 Lithium (7 Kap. 6) ist bei unipolarem Verlauf tome im Verlauf einer unipolaren Erkrankung
den Antidepressiva ebenbürtig, besonders gibt es häufig sind und durch psychotherapeutische
gute Hinweise, dass das Suizidrisiko unter Lithi- Intervention in der Regel schnell abgefangen wer-
um sinkt. Aus Gründen der Verträglichkeit und den können
Praktikabilität wird Lithium aber im Routinefall
seltener als Antidepressiva bei dieser Indikation
angewandt. Der Lithiumspiegel sollte zwischen 15.5 Ungenügende Response,
0,6 und 0,8 mmol/l liegen. Therapieresistenz und
5 Da bei einer langfristigen Behandlung das chronische Depression
Nebenwirkungsprofil für die Compliance eine
große Rolle spielt, sind die Vorteile der neueren Über 30% der depressiven Patienten profitieren kli-
Antidepressiva gegenüber den trizyklischen Anti- nisch nicht in ausreichendem Maße von einem ersten
depressiva (TZA) in dieser Indikation besonders Therapieversuch von 8 Wochen mit einem Antidepres-
zu nutzen. sivum; d. h. es ist nicht zu der gewünschten Remissi-
on gekommen. Auch nach einem zweiten Versuch tritt
Die Rezidivprophylaxe sollte in einem 2- bis 3-mona- bei einem Teil dieser Nonresponder keine Remission
tigen Abstand kontrolliert werden. ein. Schließlich verbleibt auch nach mehreren Thera-
pieversuchen eine Restgruppe chronisch Depressiver
Cave von ca. 15%.

5 Es gibt immer wieder diskutiert, ob Antide- Definition


pressiva im Rahmen einer Langzeittherapie
Manien induzieren können. Für TZA ist dies Remission. Das eigentliche Ziel einer antidepres-
gesichert; deshalb sollen sie in der Rezidiv- siven Therapie ist das Erreichen der Symptomfrei-
prophylaxe nicht gegeben werden. heit (Schweregradskala, z. B. Hamilton-Skala ≤7)
5 Für die SSRI sieht man das Risiko, Manien bei sowie der Wiederherstellung des psychosozialen
der unipolaren Depression zu induzieren, Funktionsniveaus.
zzt. als geringer an (7 Kap. 6 für die bipolare Response. In klinischen Studien wird eine Re-
Depression). sponse als eine mindestens 50%-Reduktion der
depressiven Symptomatik, gemessen anhand ei-
ner Schweregradskala, definiert.
Psychotherapie zur Rezidivprophylaxe Partielle Response und Non-Response. Von ei-
(7 Abschn. 15.2)
ner partiellen Response spricht man, wenn die
KVT (zum Teil auch IPT) zeigten sich in der Rück- erreichte Besserung nach etwa 4- bis 6-wöchigen
fallprophylaxe in mehreren Studien der medikamen- Behandlung zwischen 25 und 50% beträgt.
tösen Therapie insgesamt entweder überlegen oder Non-Response liegt also vor, wenn in diesem
gleichwertig, auch additive Effekte sind beschrieben Zeitraum weniger als 25% Besserung eintreten
(de Jong-Meyer 2007). (. Abb. 15.2).
Rezidivprophylaxe mit neuem Rezidiv Therapieresistenz. Für eine Therapieresistenz
5 Wenn es im Rahmen der Rezidivprophylaxe gibt es bislang keine einheitliche Definition. Als
mit einem Antidepressivum zu einem Rezidiv Minimalkonsens sollte von Therapieresistenz
kommt, ist abzuwägen, ob eine Lithiumprophyla- dann gesprochen werden, wenn zwei verschie-
xe zusätzlich eingeleitet werden soll. Bei wieder- dene Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirk-
holtem Rezidiv und bei Versagen einer Prophy- profilen jeweils nach 4–6 Wochen Behandlung in
laxe mit einem Antidepressivum in Kombinati- ausreichender Dosis wirkungslos waren.
on mit Lithium kann auch Lithium zusätzlich mit
Carbamazepin kombiniert werden.
5 Der depressive Patient sollte die für ihn typischen Je nach erreichter Besserung und der Anzahl der
Symptommuster genau kennen, damit schnell erfolglosen Behandlungsversuche können unter-
eine neue Strategie bei einem Rezidiv entwickelt schiedliche Strategien sinnvoll sein. Eine empirisch
werden kann. Der Patient sollte aber auch darü- abgesicherte Reihenfolge der im Folgenden beschrie-
ber informiert sein, dass leichte depressive Symp- benen Therapiestrategien gibt es aber bislang nicht.
144 Kapitel 15 · Depressive Störungen

. Abb. 15.2. Grade der Besse-


1 rung bei der unipolaren Depres-
sion. (Aus Benkert u. Hippius
2007)
2 E u t h y m ie R e m is s i o n

3 R e s p o n se

4 P a r t ie l l e
50%

R e s p o n se

5 Non -
R e s p o n se
25%

6 Z e it

7 B e g in n d e r B e h a n d l u n g

8 5 Stellt sich in den ersten beiden Behandlungswo- Häufigste Strategien


chen eine partielle Response ein, kann zunächst 5 Meistens wird bei fehlender Response die Dosis
9 mit der begonnenen Behandlung fortgefahren erhöht. Diese Strategie kann manchmal erfolg-
werden. Bleibt sie aus, kann schon früh im reich sein, ist aber durch Studien nur für TZA,
Behandlungsverlauf von einer relativ geringen MAO-Hemmer und Venlafaxin belegt. Die
10 Chance, in den nächsten 2–4 Wochen noch eine Bestimmung der Plasmakonzentration des TZA
Response bzw. Remission zu erreichen, ausgegan- kann eine relative Unterdosierung aufdecken
11 gen werden (7 Abschn. 15.3, Wirkungseintritt). (7 Kap. 2). Eine Dosiserhöhung unter SSRI ist in
5 Bei Vorliegen einer Non-Response oder Thera- der Regel nicht mit besseren Behandlungsergeb-
pieresistenz sollte zunächst die Compliance des nissen verknüpft.
12 Patienten, etwa durch Messung des Plasmaspie- 5 Bei fehlender Response wird oft auch das Antide-
gels, sowie die Diagnose überprüft werden. Eine pressivum gewechselt. Es sollte dann ein Antide-
13 vertiefte Psychoedukation und konsequente Psy- pressivum mit einem anderem Angriffspunkt im
chotherapie ist anzustreben. Als Begleittherapien ZNS gewählt werden, z. B. nach erfolgloser Gabe
sind Bewegungs- und Lichttherapie, ggf. auch eines SSRI ein Antidepressivum mit überwie-
14 schon der Schlafentzug (s. unten) frühzeitig ein- gender NA-Rückaufnahmehemmung. Allerdings
zusetzen (. Abb. 15.3). wird dann beim Wechsel auf ein drittes Antide-
15 5 Der Algorithmus der . Abb. 15.3 bezieht sich auf pressivum nur noch eine geringe Remissionsrate
einen ersten Behandlungsschritt mit Antidepres- gesehen (Fava et al. 2006).
siva. Bei fehlender Remission oder sogar Ver-
16 schlimmerung der Symptomatik unter einer KVT Kombinationsstrategien mit zwei
oder IPT im ersten Behandlungsschritt ist recht- Antidepressiva
zeitig ein Antidepressivum parallel einzusetzen. Darunter wird der gleichzeitige Einsatz von zwei Anti-
17 Zwar ist der Zeitpunkt empirisch nicht festgelegt, depressiva mit nachgewiesener antidepressiver Wirk-
sollte nach einem Zeitraum von 4 bis 8 Wochen samkeit in jeweiliger Monotherapie verstanden.
18 aber spätestens erfolgt sein.
5 Es gibt einen additiven Effekt der Kombination
aus Antidepressiva und Psychotherapie, insbe-
19 sondere bei Patienten mit belastenden Konflikten
in der Anamnese (7 Abschn. 15.2).
20
15.5 · Ungenügende Response, Therapieresistenz und chronische Depression
145 15

Therapieerfolg unter Antidepressiva


unzureichend

Optimierung der Behandlung:

Compliance überprüfen Bewegungstherapie


Psychoedukation
Plasmaspiegelkontrolle Lichttherapie
vertiefen
Diagnose überprüfen Schlafentzug

Wenn keine Besserung, zusätzliche Optionen:

Augmentation:
Konsequente Kombination:
Dosiserhöhung AD + Lithiuma
Psychotherapie Wechsel des AD SSRI/Venlafaxin +
erwägen AD + SD-Hormone
Mirtazapin
AD + AAP

Keine Besserung

EKB

. Abb. 15.3. Wichtigste Maßnahmen bei unzureichendem pische Antipsychotika, a 7 Abschn. »Augmentations-und
Therapieerfolg. AD Antidepressivum, PT Psychotherapie, SE Kombinationsstrategien«. (Aus Benkert u. Hippius 2007)
Schlafentzug, SD-Hormone Schilddrüsenhormone, AAP aty-

Wichtig 5 Auch wenn man nach Versagen eines SSRI einen


zweiten SSRI verschreibt, besteht eine Chance auf
Die komplexen pharmakologischen Wirkungen Response von 50%.
geben heute immer früher Anlass, zwei Antide- 5 Kombinations- bzw. Augmentationsstrategien im
pressiva zu kombinieren. Ausschlaggebend sind Vergleich zu KVT (7 Abschn. 15.2).
zwei Gründe:
5 Der oft komplementäre pharmakologische Augmentationsstrategien
Wirkmechanismus des Antidepressivums öff- Unter Augmentation versteht man die zusätzliche
net neue Response-Chancen, z. B. verstärkte Verordnung einer Substanz, für die, wenn sie allein
Serotoninrückaufnahmehemmung durch ei- eingenommen wird, keine antidepressive Wirksam-
nen SSRI und gleichzeitigen präsynaptischen keit besteht.
α2-Antagonismus durch Mirtazapin. Durch
die Blockade des 5-HT2A-Rezeptors (Mirta- Lithium. Bei der am besten belegten Augmentati-
zapin) wird die therapeutische Wirkung der onsstrategie werden Lithiumkonzentrationen, wie
SSRI wahrscheinlich verstärkt. Dies gilt auch bei der Phasenprophylaxe (0,6–0,8 mmol/l), ange-
für Venlafaxin. strebt (7 Kap. 6). Es wird ein synergistischer Effekt
5 Das Wirkspektrum zweier Antidepressiva über die serotonerge Transmission angenommen. Ein
kann eine breitere psychopathologische Therapieerfolg kann nach 2–4 Wochen erwartet wer-
Symptomatik abdecken, z. B. Antriebsstei- den. Die Kombination SSRI und Lithium führte bei
gerung durch Venlafaxin und gleichzeitige 50% der Patienten nach 1–2 Wochen (selten nach
Schlafförderung durch Mirtazapin. 6 Wochen) zu einer Response. Gesicherte Prädiktoren
fehlen bislang. Ergebnisse einer Studie sagen aus, dass
146 Kapitel 15 · Depressive Störungen

eine erfolgreiche Lithiumaugmentation mindestens bei Depressionen ohne psychotische Merkmale


1 1 Jahr fortgeführt werden soll. belegen. Für ihre Eignung als Add-on-Therapie
gibt es immer mehr Hinweise.
Schilddrüsenhormone. In einigen kontrollierten 5 Atypische Antipsychotika haben in der Thera-
2 Studien war die Gabe von T3 (L-Trijodthyronin) zu pie bei depressiven Störungen im Rahmen schi-
einem TZA bei therapieresistenten Patienten, auch zophrener und schizoaffektiver Störungen schon
jetzt einen wichtigen Stellenwert (7 Kap. 7), als
3 bei euthyreoter Stoffwechsellage, erfolgreich. Auch
zusätzliches Thyroxin (T4) in supraphysiologischen Monotherapie bei einer Depression sind sie nicht
Dosen kann zum Therapieerfolg führen. Empfohlen indiziert.
4 werden kann diese Augmentation am ehesten bei sub-
klinischem Hypothyreodismus (hohes TSH, normale Hormone
Schilddrüsenhormone). 5 Ein Einsatz von Östrogenen kann bei Frauen
5 in der Menopause erfolgversprechend sein.
Atypische Antipsychotika. Es gibt zunehmend posi- Bei Frauen ohne depressive Anamnese zeigte
6 tive Berichte, die für den Einsatz dieser Gruppe mit sich eine 2,5-fache höhere Assoziation für eine
Antidepressiva sprechen. Depression in der Menopause im Vergleich zur
Prämenopause (Freeman 2006). Frauen mit
7 Elektrokrampftherapie. Sie ist nach wie vor eine The- bekannter postpartaler Depression sind offenbar
rapiestrategie mit gut belegter Wirksamkeit bei Thera- sensitiv für psychotrope Effekte von Östrogenen
8 pieresistenz. Während diese Therapie in den USA sehr
frühzeitig bei Therapieresistenz eingesetzt wird, gilt
und Gestagenen. Der Einsatz einer Östrogen-
substitution in Kombination ist bei diesen Pati-
sie im deutschsprachigen Raum oft als Ultima Ratio entinnen erwägenswert, als Monotherapie aber
9 (. Tab.. 15.3). meist nicht ausreichend.
Grundsätzlich scheint die Remissionsrate bei
zusätzlicher Hormonherapie einer alleinigen The-
10 15.6 Andere Medikamente rapie mit Antidepressiva überlegen zu sein (Thase
und Verfahren zur 2005). Allerdings muss auf die laufende Diskus-
11 Depressionsbehandlung sion über das erhöhte Risiko des Einsatzes von
Hormonen bei der Frau hingewiesen werden. Ein
Zur Depressionsbehandlung können, neben Antide- Einsatz kommt nur in enger Zusammenarbeit mit
12 pressiva und Psychotherapie, noch weitere Verfahren dem Gynäkologen in Frage.
und Medikamente zur Anwendung kommen. 5 Schilddrüsenhormone haben ihren Einsatz in
13 Benzodiazepine
der Augmentationstherapie bei Therapieresistenz
(7 Abschn. 15.6).
5 Es gibt keine Belege für eine spezifische antide- 5 Testosteron zur Stimmungsregulation ist wei-
14 pressive Wirkung von Benzodiazepinen. Es wur- ter sehr umstritten und kann derzeit bei Män-
de aber in einer Metaanalyse über die Kombina- nern wegen der Gefahr der Induktion manischer
15 tion von Benzodiazepinen mit Antidepressiva im
Vergleich zur alleinigen Therapie mit Antidepres-
Symptome und der Gefahr des Zellwachstums
(besonders Prostatakarzinom) nicht empfohlen
siva ein deutlicher Vorteil für die Kombination werden. Eine neue Studie zeigt, dass bei Frauen
16 beschrieben. die Libido durch Testosteron nicht gesteigert wird
5 Zum kurzfristigen Einsatz in Kombination mit und eine andere Studie, dass bei älteren Män-
Antidepressiva sind Benzodiazepine bei starker nern Dehydroepiandrosteron (DHEA) und nied-
17 Unruhe, Angst, Suizidalität und Panikattacken rige Dosen Testosteron im Vergleich zu Place-
gut geeignet. Nach 2–4 Wochen sollten sie aus- bo ohne Wirkung auf die Lebensqualität (»Anti-
18 geschlichen werden. aging«) waren.
5 Bei stark gehemmt-depressiven Patienten mit
Stupor und Mutismus ist Lorazepam das Mittel Schlafentzug
19 der Wahl (7 Abschn. 8.4.1). 5 Der Schlafentzug ist bei vielen Patienten eine
sinnvolle Zusatztherapie zur Gabe von Antide-
20 Antipsychotika pressiva. Da ca. 50% der Patienten vom Schlafent-
5 Es gibt jetzt einige Studien, die auch eine antide- zug profitieren können, ist ein solcher Therapie-
pressive Wirkung der atypischen Antipsychotika versuch, besonders bei zunächst unzureichender
15.7 · Spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen
147 15

Wirkung des Antidepressivums, lohnend. Der onen (therapieresistente Depression) ist es allei-
Effekt ist unmittelbar am Folgetag beobachtbar; niger Pharmakotherapie überlegen. Der Vorteil
er hält allerdings meist nur kurzfristig an. der EKB liegt im raschen Therapieerfolg.
5 Die Behandlung erfolgt meist in Serien (1- bis 2- 5 Wichtigste Indikationen sind die schwer
mal pro Woche). Die Patienten wachen entwe- gehemmte Depression (auch mit Suizidalität), die
der die ganze Nacht oder die zweite Nachthälfte Depression mit psychotischen Merkmalen und
durch. Die Durchführung in Gruppen erleichtert die therapieresistente Depression.
das Wachbleiben. 5 Die Behandlung erfolgt, bevorzugt stationär, in
5 Während der Schlafentzugsnacht und am Fol- Serien von 6–12 Sitzungen.
getag darf keine (auch nicht vorübergehende) 5 Die EKB wird in der Regel parallel zu der beglei-
Schlafperiode eintreten. tenden antidepressiven Therapie eingesetzt.

Lichttherapie Repetitive transkranielle


5 Die Patienten werden täglich einer Lichtquel- Magnetstimulation
le mit artifiziellem weißem Licht ausgesetzt. Der 5 Die repetitive transkranielle Magnetstimulation
Wirkmechanismus ist noch ungeklärt; es wird (rTMS) ist ein nichtinvasives Verfahren, bei dem
eine Normalisierung (»phase advance«) von zir- kortikale Neurone mit kurzdauernden Magnet-
kadianen Rhythmen, die in der Depression ver- feldern hoher Intensität stimuliert werden. Die
zögert sein sollen, postuliert. Die Response bei bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass
der »seasonal affective disorder« (SAD) tritt repetitive Stimulationen des (bevorzugt linken)
innerhalb von 1–4 Wochen ein. Mehrere kontrol- präfrontalen Kortex antidepressive Wirkungen,
lierte Studien zeigen die antidepressive Wirkung möglicherweise über eine Erhöhung des sero-
der Lichttherapie bei SAD, die der Wirkung von tonergen Tonus, haben können. Ausmaß und
Antidepressiva entspricht. Dauer der antidepressiven Wirkung ist gering.
5 Ein einstündiger täglicher Spaziergang am Mor- rTMS ist nicht zugelassen; es besteht kein Nar-
gen über mehrere Wochen soll einen ähnlichen koserisiko. Eine Indikation ist, wenn überhaupt,
Effekt haben. eher bei leichten bis mittelschweren Depressi-
5 Durchführung: Je nach Stärke der künstlichen onen gegeben.
Lichtquelle erfolgt eine Exposition über 30–
120 min täglich (bei 10.000 Lux 30 min, bei Vagusnervstimulation
2500–6000 Lux 60–120 min), bevorzugt morgens 5 Nach operativer Implantation eines Schrittma-
zwischen 6 und 8 Uhr, über 2–4 Wochen. chers (Narkoserisiko!), der an den linken N. va-
5 Vor Beginn der Lichttherapie ist eine augenärzt- gus angeschlossen wird, erfolgt eine intermittie-
liche Kontrolle anzuraten. Es kann zu Beginn rende repetitive Stimulation, die über Mittelhirn-
über Kopfschmerzen, Sehstörungen, überan- strukturen zu limbischen und kortikalen Are-
strengte Augen, Übelkeit und Müdigkeit geklagt alen geleitet werden soll. Es wird vermutet, dass
werden. Sehr selten sind leichte manische Sym- es durch die Stimulation zu einer Normalisierung
ptome. Lichttherapie soll nicht mit photosen- dieser hyperaktiven Areale kommt. Trotz einiger
siblen Medikamenten (TZA, Hypericum, Pheno- erfolgversprechender Ergebnisse ist die Vagus-
thiazine) gleichzeitig gegeben werden. nervstimulation zur klinischen Anwendung noch
nicht ausgereift.
Bewegungstherapie
5 Es gibt eine Reihe neuer Befunde, die einen genu-
inen antidepressiven Effekt für regelmäßige kör- 15.7 Spezielle
perliche Aktivitätsprogramme beschreiben. pharmakotherapeutische
Empfehlungen
Elektrokrampfbehandlung
5 Die Elektrokrampfbehandlung (EKB) ist ein Nur die Besonderheiten, die über die allgemeinen
Behandlungsverfahren, dessen Wirksamkeit und Empfehlungen hinausgehen, werden bei jeder Dia-
Verträglichkeit bei sachgemäßer Durchführung gnose beschrieben.
gut belegt ist (die Entstehung struktureller zere-
braler Läsionen wurde bei sachgemäßer Anwen-
dung nicht beobachtet); in bestimmten Indikati-
148 Kapitel 15 · Depressive Störungen

15.7.1 Depressive Episode und Wichtig


1 rezidivierende depressive
Störung 5 Aufgrund des günstigeren Nebenwirkungs-
und Risikoprofils sind SSRI und die neuen
2 Die depressive Episode kann im Rahmen einer uni- dualen Antidepressiva den TZA vorzuziehen.
oder bipolaren affektiven Störung auftreten. Oft tre- Auch ist das Risiko, eine Manie zu induzieren,
3 ten zusätzlich die Merkmale eines somatischen Syn-
droms auf. Synonym wird der Begriff melancholischer
bei TZA größer.
5 Zwischen SSRI und TZA gibt es keine Wirkun-
Typ verwandt. Das Syndrom entspricht dem früheren terschiede.
4 Konstrukt der endogenen Depression. Nach der ICD- 5 SSRI haben auch im Vergleich zu den neuen
10 müssen bei Vorliegen des somatischen Syndroms 4 Antidepressiva etwas geringere Nebenwir-
der folgenden 8 Merkmale vorhanden sein:
5 5 Interesseverlust oder Verlust an normalerweise
kungen.
5 SSRI sind geringfügig weniger wirksam im
angenehmen Aktivitäten Vergleich zu Substanzen mit direkter Beein-
6 5 Mangelnde Fähigkeit, auf freundliche Umgebung flussung von mindestens 2 Monoaminsyste-
oder freudige Ereignisse emotional zu reagieren men (Mirtazapin, Venlafaxin). Eine Ausnahme
5 Frühmorgendliches Erwachen; zwei oder mehr ist Escitalopram; es ist der selektivste SSRI.
7 Stunden vor der gewohnten Zeit; Dies zeigt sich nicht nur beim schnelleren
5 Morgentief Wirkungseintritt sondern auch beim andau-
8 5 Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit ernden Effekt und der Remissionsrate.
5 Deutlicher Appetitverlust 5 Beim schweren melancholischen Typ wurde
5 Gewichtsverlust ein Vorteil von Venlafaxin gegenüber SSRI
9 5 Deutlicher Libidoverlust gesehen.
Hinweise für differenzielle Wirksamkeit bei beson-
In diesem Kapitel wird die Therapie der unipo-
10 laren Depression besprochen (bipolare Depression
deren Symptomkonstellationen sind nur in Ansät-
zen vorhanden. Die sedierend-schlafanstoßende
7 Kap. 6).
Komponente (z. B. bei Mirtazapin, Amitriptylin)
11 Die Schwerpunkte der Therapie folgender Dia-
kann man sich bei ängstlich-agitierter Ausprä-
gnosen finden sich in 7 Abschn. 15.2:
gung der Depression, zunutze machen. Jedoch
5 leichte depressive Episode (F32.0)
12 5 mit somatischem Syndrom (F32.01)
wirken auch nichtsedierende Antidepressiva (z. B.
SSRI und MAO-Hemmer) angstreduzierend. Die
5 mittelgradige depressive Episode (F32.1)
initiale Sedierungspotenz ist weitgehend auf den
13 5 mit somatischem Syndrom (F32.11)
Histamin-H1-Rezeptorantagonismus zurückzu-
5 schwere depressive Episode ohne psychotische
führen.
Symptome (F32.2)
14
Die Therapie der schweren depressiven Episode mit
15 psychotischen Symptomen (»wahnhafte Depression«)
(F32.3) wird in 7 Abschn. 30.2.9 beschrieben.
Komorbiditäten mit anderen psychiatrischen Erkran-
kungen
Die Pharmakotherapie einer einzelnen depres- 5 30% der Patienten mit unipolarer Depression
16 siven Episode oder einer wiederholten Depression im haben eine zusätzliche Angsterkrankung (ein-
Rahmen einer rezidivierenden Depression ist iden- schließlich Panikstörung und posttraumatische
tisch. Die Erhaltungstherapie bzw. die Rezidivipro- Belastungsstörung). Eine spezielle Antidepres-
17 phylaxe wird dann allerdings verschieden gestaltet sivapräferenz besteht nicht. Allerdings sollte man
(7 Abschn. 15.4). die Antidepressivadosis, wie bei den Angster-
18 krankungen, langsam aufdosieren.
Unterschiedliche Wirksamkeit von Antidepressiva 5 Ein Drittel der depressiven Patienten gibt eine
bei der depressiven Episode zumindest vorübergehende Abhängigkeitsproble-
19 Die vielen randomisierten Studien der letzten Jahre matik oder Drogenmissbrauch (7 Kap. 11 und 28)
ermöglichen es, Unterschiede herauszuarbeiten. Mehr an. Beide Erkrankungen werden parallel behan-
20 prospektive Studien müssen die Befunde aber noch delt.
absichern: 5 Komorbide Persönlichkeitsstörungen verschlech-
tern nach einer Metaanalyse die »Outcome«-Rate
15.7 · Spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen
149 15

bei Depressionen um das Doppelte; bis auf Elek- auch zu den unterschwelligen Depressionen gezählt,
trokonvulsionstherapie (EKT) war die Besse- sollte aber wegen der schwierigen Behandlungsmög-
rungsrate schlecht (Newton-Howes 2006). lichkeit eine Sonderstellung einnehmen. Bislang ist
keine befriedigende antidepressive Pharmakothera-
pie etabliert. Psychologische Intervention ist in jedem
15.7.2 Dysthymie und Double Falle indiziert.
Depression Rapid Cycling 7 Abschn. 5.4.

Die dystyme Störung ist ein chronisch-depressives


Syndrom, meist leichter Ausprägung. Die Schwere 15.7.5 Atypische Depression
einer depressiven Episode wird nicht erreicht. Es kön-
nen sich wochenlange Perioden der Besserung in den Bei der atypischen Depression ist die affektive Schwin-
chronischen Verlauf einschieben. Tritt ein aktuelle gungsfähigkeit erhalten geblieben. Weiterhin sollten
depressive Episode hinzu (bei 40%), spricht man von (nach DSM-IV) zwei der folgenden Symptome für
der sog. Double Depression; sie ist sehr therapieresi- eine Diagnose vorhanden sein:
stent. Je länger eine depressive Symptomatik anhält, 5 vermehrter Appetit oder Gewichtszunahme,
umso ungünstiger ist der Behanlungsverlauf. Psycho- 5 erhöhtes Schlafbedürfnis,
therapie 7 Abschn. 15.5. 5 ausgeprägtes körperliches Schweregefühl mit
5 Die Wirksamkeit von Antidepressiva, in gleicher Müdigkeit und
Dosierung wie bei der depressiven Episode, ist 5 eine Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung.
bei der Dystymie gesichert. SSRI sind aufgrund
ihrer Verträglichkeit besonders geeignet. Die Die atypische Depression ist eng mit dem weiblichen
Behandlung sollte über 2–3 Jahre erfolgen. Geschlecht assoziiert.
5 Eine Vergleichsstudie mit 94 dystymen Patienten 5 SSRI sind die Mittel der Wahl bei der atypischen
zeigte eine Responserate nach 16 Wochen für den Depression. Die ebenfalls wirksamen MAO-
SSRI Sertralin von 58%, für die Kombination Ser- Hemmer sind bei dieser Indikation zu risiko-
tralin und IPT von 57%, für IPT von 35% und reich.
für unterstützende Psychotherapie von 31%. Die 5 Es gibt erste klinische Hinweise für eine alterna-
Autoren ziehen den Schluss, dass dysthyme Pati- tive (oder additive) Wirksamkeit der KVT (Jarett
enten von der Pharmakotherapie einen größeren et al. 1999).
Vorteil, als von der Psychotherapie haben (Mar- 5 Eine wichtige Hypothese besagt, dass es sich bei
kowitz et al. 2005). der atypischen Depression um eine Form der
bipolaren affektiven Störung II handelt. Deshalb
sollte bei der Diagnose einer atypischen Depres-
15.7.3 Minor Depression und sion besonders sorgfältig nach Symptomen einer
unterschwellige Depression bipolaren Störung gesucht werden.

Die Minor Depression hat einen geringeren Ausprä-


gungsgrad; es sind weniger Diagnosekriterien erfüllt. 15.7.6 Saisonal abhängige
Beide Begriffe werden synonym gebraucht. affektive Störung (SAD,
5 Der Nutzen von Antidepressiva ist bei der Minor Winterdepression)
Depression umstritten. SSRI scheinen wirksam
zu sein. Die phasischen Stimmungsschwankungen stehen in
Abhängigkeit von den Jahreszeiten, meist mit depres-
siven Episoden im Winter. Es kommt oft zu atypischer
15.7.4 Rezidivierende kurze Symptomausprägung (Hypersomnie, Hyperphagie
depressive Episoden mit Kohlenhydratheißhunger).
(»recurrent brief depression« 5 Es wird eine serotonerge Dysfunktion postuliert;
nach DSM-IV) SSRI werden empfohlen.
5 Eine Indikation zur Lichttherapie ist gegeben
Die wiederkehrende kurzzeitige depressive Störung, (7 Abschn. 15.6), auch mit SSRI gleichzeitig.
mit einer zwar sehr kurzen, aber oft sehr schwerer 5 Eine pathophysiologische Rolle konnte Melatonin
Symptomatik bis hin zur Suizidalität, wird manchmal nicht zugeschrieben werden.
150 Kapitel 15 · Depressive Störungen

15.7.7 Suizidalität Wichtig


1
Zur Behandlung der akuten Suizidaltät 7 Kap. 34, Not- 5 Es gibt hohe Evidenzen zum engen, wahr-
fallpsychiatrie. scheinlich ursächlichen Zusammenhang
2 5 Für Lithium (7 Kap. 6) wird ein suizidprotek- zwischen Depression (und Dauerstress) und
tiver Effekt bei langfristiger Therapie in mehreren körperlichen Folgekrankheiten, besonders
3 Studien unabhängig von Alter und Geschlecht
berichtet.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (mit Arterio-
sklerose und Hypertonie); ein Zusammen-
5 Bei schwerer Suizidalität kann auch EKB hang mit Diabetes Typ 2 und Osteoporose
4 (7 Abschn. 15.6) erwogen werden. wird diskutiert (. Abb. 15.4).
5 Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung hatte einen 5 Bei mittelschweren bis schweren Depressi-
positiven Effekt (Hegerl et al. 2006).
5 onen nach einem Herzinfarkt sind SSRI zu
empfehlen.

6 15.7.8 Depression bei körperlichen


Erkrankungen 5 Wenn Diabetes und Depression zusammen auf-
treten, sind SSRI zu empfehlen. TZA sind wegen
7 5 Depressive Störungen stellen einen behandlungs- der möglichen Gewichtszunahme zu meiden.
bedürftigen und prognostisch relevanten Kom- 5 Auch die Depression bei Parkinson-Erkrankung
8 plikationsfaktor bei körperlichen Erkrankungen
dar, weil eine begleitende Depression die Progno-
ist häufig. Es werden neurochemische Gemein-
samkeiten diskutiert. Trimipramin und Clomi-
se der körperlichen Erkrankung verschlechtern pramin sollten wegen der dopamin-antagonis-
9 kann (McConnel et al. 2005). tischen Komponente gemieden werden. SSRI
5 Besonders intensiv wurde dieser Zusammenhang sind die Mittel der Wahl.
bei Herzerkrankungen und Schlaganfall unter- 5 Die Depression ist oft mit der Demenz assoziiert
10 sucht; depressive Symptome nach Herzinfarkt (10–30%); die Depression kann den Beginn einer
oder zerebralen Ischämien (»post-stroke depres- Demenz anzeigen. Davon abzugrenzen ist die
11 sion«) verschlechtern oft die Prognose und Reha- depressive Pseudodemenz bei affektiven Erkran-
bilitationserfolge. kungen mit kognitiv-mnestischen Defiziten.
5 Es gibt Studien, die für einen rechtzeitigen Ein- 5 SSRI sind die Mittel der ersten Wahl bei einer
12 satz von Antidepressiva bei Herzinfarkt und demenzassoziierten Depression. Sie verbessern
Schlaganfall sprechen (Taylor et al. 2005; Glass- auch Verhaltensauffälligkeiten und Alltagsaktivi-
13 mann 2005). Allerdings ist eine Senkung der täten, allerdings nicht die Kognition.
Mortalität durch SSRI bisher nicht nachgewiesen.

14
15 Dauerstress Depression
. Abb. 15.4. Zusammenhang zwischen
Dauerstress/Depression und Folgekrank-
heiten. (Nach Benkert 2005)
16 Imbalanz des
Fehlregulation der
Symphatikus-Parasymphatikus-
Stresshormon-Achse
17 Systems

18 5 Viszerale Adipositas
5 Pulsfrequenz ↑
Störung der 5 Ventrikuläre Arrythmie ↑
5 Erhöhte Insulinresistenz
5 Herz-Frequenz-Variabilität ↓
19 5 Hypertonie Hämostase
5 QT-Variabilität ↑

20
Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
15.8 · Depression und Stress
151 15

5 Die Behandlung mit TZA im Alter ist besonders SSRI auch bei Dauerstress therapeutisch wirk-
risikoreich (u. a. Herzrhythmusstörungen) und sam sein.
sollte vermieden werden. 5 Wahrscheinlich kommt es auch zu einer ver-
5 Bei vielen Hauterkrankungen (Akne, Psoria- minderten Ausschüttung des gefäßerweiternden
sis, Urtikaria) wird eine Komorbidität mit der Transmitters Stickoxid.
Depression gesehen. Antidepressiva sind wirk-
sam. Die H1-Blockade (bei Amitriptylin) kann Zum Thema der Bedeutung des Serotoninrezeptors
man bei Pruritus und Urtikaria auch ohne ist im Jahre 2003 die Arbeit von Caspi et al. (2003)
depressive Symptomatik nutzen. erschienen. Sie legt gleichzeitig empirische Daten
zur Interaktion von Genotyp, Umwelt und Depres-
sion vor. Die Autoren konnten nachweisen, dass die
Kurzform des Promotors des 5-HT-Transporte-Gens
15.8 Depression und Stress (s/s) für die veränderte Stresssensitivität verantwort-
lich ist. Individuen mit diesen 2 kurzen Allelen (s/
Wie eng Dauerstress und Depression zusammenhän- s) entwickelten im Gegensatz zu Individuen mit lan-
gen, wurde schon an den gemeinsamen körperlichen gen Allelen (l/l) signifikant häufiger depressive Sym-
Folgekrankheiten gezeigt (7 Abschn. 15.7). Aber die ptome auf mehrere stressreiche Lebensereignisse. Es
depressiven Symptome (und die Angstsymptome) wird vermutet, dass der l/l-Genotyp weniger stress-
sind auch von den Stressreaktionen auf der körper- empfindlich gegen Stressoren ist. Die Befunde sind im
lichen Ebene, der Verhaltensebene und der kognitiv- Kern mehrfach bestätigt.
emotionalen Ebene kaum auseinander zu halten und
schließlich sind die Stress- und die Depressionsphy- Burnout-Syndrom
siologie auf vielen Abschnitten identisch (Holsboer Das Erschöpfungssyndrom oder Burnout-Syndrom
2000). Man muss davon ausgehen, dass bei der Depres- hat seine Ursachen im Dauerstress mit den gleichen
sion – zumindest für den großen Teil der Depression, Risiken für Folgekrankheiten, besonders den Herz-
die durch Stress verursacht oder durch Stress ausge- Kreislauf-Erkrankungen. Menschen in helfenden
löst ist – primär eine Kontrollstörung der Stressphy- Berufen sind besonders gefährdet. Die Klassifikation
siologie vorliegt (Benkert 2005). Es werden dafür ver- erfolgt in der ICD-10 in einer Z-Kategotie (Probleme
antwortlich gemacht: verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensgestal-
5 Die stressinduzierte Corticotropin-releasing- tung). Im Vordergrund stehen:
Hormon- (CRH-)Hyperaktivität und der ver- 5 Körperliche Erschöpfung mit Energieman-
mehrter Kortisolumlauf bei fehlregulierter HPA- gel, chronische Müdigkeit, Schwächegefühl und
Achse; CRH selbst führt bei Tieren zu depressi- somatoforme Störungen
onsähnlichem Verhalten und Angstzuständen. 5 Emotionale Erschöpfung mit Depression, innerer
5 Das durch Stress konstant aktivierte nora- Leere und Reizbarkeit
drenerge/adrenerge System, das zu Arousal- 5 Geistig Erschöpfung mit Leistungseinbußen, Kre-
und Vigilanzsteigerung und schließlich gestei- ativitätsmangel und dem Gefühl der Sinnlosigkeit
gertem Angstverhalten führt. Dauerstress führt 5 Soziale Erschöpfung mit sozialem Rückzug, dem
schließlich zur Erschöpfung des Noradrenalinsy- Empfinden ausgesaugt zu werden und dem Risi-
stems. Die noradrenerge Hypoaktivität geht mit ko, dass sich der Dauerstress im Arbeitsbereich
motorischer Verlangsamung, kognitiver Hem- auch auf andere Lebensbereiche (Familie, Part-
mung und emotionaler Verarmung einher und ist nerschaft) überträgt.
schließlich von einer Depression nicht mehr zu
unterscheiden. Noradrenalinaktivierende Anti- Psychologische Therapien (Stressbewältigung) ste-
depressiva könnten kompensatorisch eingesetzt hen im Vordergrund. Eine Pharmakotherapie ist nicht
werden. etabliert. Ein »Off-label«-Versuch mit Antidepressiva
5 Eine Dysfunktion des Serotoninrezeptorsystems. kann indiziert sein.
Allerdings sind die Zusammenhänge komple-
xer, als wir sie von der Serotoninhypothese der
Depression (7 Kap. 5.2) (und der Angst) kennen.
Unter anderem senken erhöhte Kortisolspiegel
die Serotoninsynthese. Hypothetisch könnten,
wie bei der Depression und den Angststörungen,
152 Kapitel 15 · Depressive Störungen

15.9 Behandlung depressiver ton et al. (2004) hervor. Dort wird Fluoxetin als
1 Störungen im Kindes- und einzig wirksames SSRI bei Kindern und Jugend-
Jugendalter lichen herausgestellt. Fluoxetin ist deshalb seit
kurzem ab dem Alter von 8 Jahren bei mittelgra-
2 Bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven Stö- digen bis schweren Episoden einer Major Depres-
rungen sind entwicklungs- und altersabhängige Sym- sion in Kombination mit Psychotherapie zugelas-
sen (7 Abschn. 5.12).
3 ptome zu beachten. Gerade bei Kindern wird man
meistens den Verlauf abwarten müssen, um die Dia-
gnose sicherstellen zu können. Kinder mit depressiven Nichtmedikamentöse biologische
4 Störungen weisen häufig eine Verleugnungstendenz Therapieverfahren
und ein großes Schamgefühl auf. Auch gesunden Kin- Die nichtmedikamentösen, biologischen Therapiever-
dern fällt es teilweise schwer, sich über ihre Befindlich- fahren der Depression wurden nur teilweise bei Kin-
5 keit zu äußern. Deshalb ist die Beobachtung von non- dern und Jugendlichen untersucht. Für den Schlaf-
verbalen Signalen, z. B. im Spiel-, Ess- und Schlafver- entzug zeigen sich bei jugendlichen Patienten ähn-
6 halten, wichtig. Je nach Alter bzw. Entwicklungsstand liche Ergebnisse wie für Erwachsene. Naylor et al.
unterscheidet sich die Symptomatik teilweise erheb- (1993) entzogen 17 psychiatrisch erkrankten jugend-
lich. Im Gegensatz zu den depressiven Störungen im lichen Patienten für 36 h den Schlaf. Sie fanden, dass
7 Erwachsenenalter, sind bei Kindern und Jugendlichen die schwer depressiven Jugendlichen sich signifikant
chronische Störungen, mit zunehmender und abneh- hinsichtlich der depressiven Symptomatik besserten,
8 mender Symptomatik, die mit langen Krankheitsepi-
soden, hohen Rückfallraten und großen psychosozi-
während depressive Patienten in Remission oder psy-
chiatrische Kontrollpatienten sich verschlechterten.
alen Einschränkungen einhergehen, häufig (Pine et al. Im Gegensatz zu Erwachsenen blieb der Effekt nach
9 1999; Schulte-Markwort u. Forouher 2005). der Erholungsnacht bestehen.
In einer doppelblind placebokontrollierten Studie
Pharmakotherapie und Psychotherapie konnten Swedo et al. (1997) zeigen, dass es bei Kin-
10 Genauso wie im Erwachsenenalter gilt bei depressiven dern und Jugendlichen mit SAD zu einer signifikanten
Syndromen im Kindes- und Jugendalter, dass bei mit- Stimmungsverbesserung unter Lichttherapie kam.
11 telgradigen und schweren depressiven Episoden sowie Seit der initialen Administration der EKT bei
dann später während der Erhaltungstherapie und Jugendlichen ist diese Behandlung kontrovers betrach-
Rezidivprophylaxe eine Kombination aus antidepres- tet worden. Insgesamt werden EKT bei Kindern und
12 siver Pharmakotherapie und Psychotherapie erfolgen Jugendlichen nur sehr selten angewandt und machen
sollte. In der Akutphase schwerer depressiver Syn- nur ca. 1% aller EKT aus. Die Responserate ist aber
13 drome ist die medikamentöse Therapie führend. generell sehr hoch.
Verschiedene Übersichten (Reinecke et al. 1998; Die repetitive transkranielle Magnetstimulati-
Michael u. Crowley 2002; Compton et al. 2004; Mufson on (rTMS) ist bei Kindern und Jugendlichen so gut
14 et al. 2004) bestätigen die Wirksamkeit von Psycho- wie nicht untersucht, es finden sich nur einige Fall-
therapie (vor allem KVT, doch auch IPT) gegenüber berichte.
15 verschiedensten Kontrollbedingungen, sowie auch
gegenüber antidepressiver Pharmakotherapie.
Die Vagusnervstimulation ist nur bei Kindern
und Jugendlichen mit Epilepsie untersucht. Bei diesen
5 Eine große Studie an 493 Jugendlichen mit Major Studien konnte unter der Vagusnervstimulation auch
16 Depression über 12 Wochen zeigte aber, dass mit eine Verbesserung der Stimmung festgestellt werden
dem Antidepressivum Fluoxetin höhere Remissi- (Martinez et al. 2005).
onsraten (60%) als mit KVT (43%) erzielt werden Bei therapieresistenten depressiven Syndromen
17 konnten; es waren beide aktive Therapien deut- im Jugendalter kommen auch Augmentationsstra-
lich wirksamer als Placebo (35% Remissionsrate). tegien wie die zusätzliche Behandlung mit Lithium
18 Das beste Ergebnis wurde jedoch mit der Kombi- oder Schilddrüsenhormonen, medikamentöse Kom-
nation von Fluoxetin und KVT (71% Remission) binationstherapien oder die zusätzliche Anwendung
erzielt, was auch im Hinblick auf die Suizidalität der oben beschriebenen nichtmedikamentösen, bio-
19 galt. Es wird diskutiert, dass Fluoxetin möglicher- logischen Therapieverfahren in Betracht (Sharan u.
weise eine wirksame Sonderstellung bei der anti- Saxena 1998).
20 depressiven Pharmakotherapie von Kindern und
Jugendlichen einnimmt (March et al. 2004). Dies
geht auch aus der Metaanalyse von Whitting-
15.10 · Checkliste
153 15

15.10 Checkliste

?
1. Viele Patienten stehen Psychopharmaka skep- 8. Wann sollte bei einer unipolaren depressiven
tisch gegenüber, insbesondere bei schweren Störung eine medikamentöse Rezidivprophylaxe
Depressionen sind sie aber unverzichtbar. Welche durchgeführt werden? Welche Rolle spielen
Möglichkeiten zur Förderung der Compliance im psychotherapeutische und psychoedukative
Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans kennen Interventionen?
Sie? 9. Welche Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe bei
2. Wie ist bei der Behandlung der schweren Depres- der unipolaren depressiven Störung kennen Sie?
sion eine Kombinationstherapie von Psycho- 10. Welche Behandlungsoptionen gibt es, wenn ein
therapie (KVT, IPT) und Antidepressiva anhand erstes Antidepressivum nicht zu ausreichendem
der derzeitigen wissenschaftlichen Datenlage zu Therapieerfolg führt?
beurteilen? 11. Was versteht man unter dem Begriff der Augmen-
3. Welche der modernen Antidepressiva sind bei tation, welche Möglichkeiten kennen Sie?
der leichten Depression zu bevorzugen, welche 12. Welche Rolle spielen Benzodiazepine in der
bei der schweren Depression? Depressionsbehandlung, welche Stärken haben
4. Welche Antidepressiva zeigen einen schnellen sie, wo liegen Gefahren?
Wirkungseintritt in den ersten beiden Wochen? 13. Was antworten Sie einem Patienten, wenn er
Welche Bedeutung hat eine individuelle Besse- befürchtet unter einem Antidepressivum eine
rung von ca. 20% in den ersten beiden Wochen Abhängigkeit zu entwickeln?
für den weiteren Behandlungsverlauf? 14. Welche Zusatztherapien neben der medikamen-
5. Einzelne Symptomkomplexe einer Depression tösen und der psychotherapeutischen Behand-
können, je nach pharmakologischem Wirkprofil lung von depressiven Störungen gibt es?
des Antidepressivums, unterschiedlich schnell 15. Bei schweren körperlichen Erkrankungen treten
auf die Behandlung ansprechen. Welche Bei- gehäuft depressive Störungen auf; eine Depressi-
spiele kennen Sie? on wiederum begünstigt körperliche Folgekrank-
6. Wie ist das Risiko für ein Rezidiv nach einer heiten. Welche Beispiele kennen Sie?
ersten depressiven Episode einzuschätzen? Was 16. Als ein Risikofaktor für die Entstehung einer
bedeutet das für die pharmakologische, aber Depression wird Dauerstress diskutiert, welche
auch für die psychotherapeutische Behandlung? Befunde kennen Sie?
7. Was verstehen sie unter dem Begriff »Erhal- 17. Welche Therapie gilt als erste Wahl bei Kindern
tungstherapie«, wie lange sollte sie fortgeführt und Jugendlichen mit mittelgradigen und
werden? schweren depressiven Episoden?
16.1 ·
155 16

Panikstörung

16.1 Gesamtbehandlungsplan – 157

16.2 Therapie – 157


16.2.1 Antidepressiva – 157
16.2.2 Benzodiazepine – 158
16.2.3 β-Rezeptorenblocker in der Therapie von Angststörungen – 158
16.2.4 Psychotherapie – 159

16.3 Behandlung der Panikstörung im Kindes- und


Jugendalter – 159

16.4 Checkliste – 160


156 Kapitel 16 · Panikstörung

Die Panikstörung ist gekennzeichnet durch rezidi- verschiedene Neuropeptide und Steroide fehlregu-
1 vierende, paroxysmal auftretende Angstzustände liert zu sein (Bandelow et al. 2006; Wiedemann et al.
mit vegetativen Begleitsymptomen (Herzklopfen, 2008).
Atemnot, Schwindel, Übelkeit). Unter Panikatta- Serotonin-Neurone haben in den Raphe nuclei
2 cken versteht man eine Zeitspanne intensiver Angst einen hemmenden Einfluss auf noradrenerge Neu-
oder Unbehagens, welche mit mindestens 4 von rone im Locus coeruleus. Selektive Serotoninrück-
3 14 körperlichen oder psychischen Symptomen ein-
hergeht. Üblicherweise erreicht eine Panikatta-
aufnahmeinhibitoren (SSRI) vermitteln sehr unter-
schiedliche und entgegengesetzte Effekte auf die
cke ihr Maximum innerhalb von 10 min und dau- Angst: Stimulation des 5-HT1A-Rezeptors löst eher
4 ert ca. 30–45 min an. Initial tritt die Panikattacke anxiolytische, Stimulation des 5-HT2A/2C-Rezeptors
oft unerwartet (spontan) auf, später wird sie auch eher anxiogene Effekte aus. Die Aktivierung des Locus
durch angstvoll besetzte Situationen ausgelöst. Oft coeruleus führt zu einer erhöhten Freisetzung von
5 bildet sich parallel ein Vermeidungsverhalten/Ago- Noradrenalin mit den Folgen eines erhöhten Blut-
raphobie aus. Die Agoraphophie kann nach neue- drucks und einer erhöhter Herzfrequenz. Der Nucleus
6 ren Untersuchungen aber auch den Panikattacken paraventricularis des Hypothalamus führt zu einem
vorausgehen (Bienvenu et al. 2006). Da im Rahmen Anstieg der Aktivität des endokrinen Stresshormon-
der Panikstörung vielfältige körperliche Symptome, systems mit einer erhöhten Freisetzung von Cortico-
7 auch isoliert, auftreten, wird die psychiatrische steroiden. Der noradrenerge α2-Rezeptorantagonist
Ursache dieser Krankheit oft viel zu spät oder gar Yohimbin kann Panikattacken über eine erhöhte Ver-
8 nicht erkannt (Maier et al. 1985; Frommberger et al.
1993). Die häufigsten Symptome der Panikstörung
fügbarkeit von Noradrenalin provozieren. Schließlich
verstärken Benzodiazepine die Wirkungen des inhibi-
sind in . Abb. 16.1 dargestellt. torischen Transmitters GABA.
9 Die gesicherte Wirksamkeit von trizyklischen All diese Befunde unterstützen die Hypothese,
Antidepressiva bei Angsterkrankungen ist lange dass Panikattacken in Hirnstammkernen generiert
bekannt (Klein u. Fink 1962). Das klinische Anspre- werden. Diese werden dort durch eine serotonerge und
10 chen auf Imipramin war die Grundlage für die immer noradrenerge Neurotransmission kontrolliert, ähnlich
noch gültige Klassifikation der Angsterkrankungen, wie einige wichtige basale Funktionen des Organis-
11 die damals zur Abgrenzung der Panikstörung von der mus zur Steuerung des Kreislaufs, der Atmung oder
generalisierten Angststörung (7 Kap. 17) führte. des Säure-Basen-Haushalts. Die Folge ist eine basale
Aktivierung des Sympathikus, die aber bei Panikatta-
12 Neurobiologie der Angst. Im Zentrum der neurobio- cken nicht regelhaft mit einer Aktivierung des Stress-
logischen Hypothesen stehen, insbesondere in Bezug hormonsystems und des autonomen Nervensystems
13 auf die verfügbaren Psychopharmaka zur Behandlung einhergeht (Kellner u. Wiedemann 1998).
der Panikstörung, Funktionsstörungen im Serotonin- Die Aktivität des hypothalamisch-hypophysär-
Noradrenalin- und GABA-System. Zusätzlich scheinen adrenalen (HPA) Systems wird durch verschiedene
14
15 . Abb. 16.1. Symptome bei der Panikstö-
rung. (Aus Rupprecht u. Möller 2008)

16
17
18
19
20
16.2 · Therapie
157 16

adaptive Antworten moduliert. Stress und Angst füh- Wichtig


ren zu einer erhöhten CRH-Konzentration im Locus
coeruleus und verstärkten die Aktivität noradrener- Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
ger Neurone. Auch Noradrenalin stimuliert die Frei- ob
setzung von CRH. Gleichzeitig dämpft eine vermehrte 5 eine Soforttherapie notwendig ist
Serotoninfreisetzung aus den Raphekernen die CRH- 5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
Neurone im Locus coeruleus (Holsboer 2003). Depression, vorhanden sind
5 Suizidalität besteht
5 Substanzmissbrauch bekannt ist
5 die Panikstörung von einer Agoraphobie
16.1 Gesamtbehandlungsplan begleitet wird
5 organischen Ursachen für die Angst zu
Zur Therapie der Panikstörung stehen wirksame psy- finden sind
chotherapeutische Verfahren und Psychopharmaka, 5 eine positive/negative Haltung zur Pharma-
insbesondere Antidepressiva, zur Verfügung. Leich- kotherapie/Psychotherapie besteht
te bis mittelschwere Panikstörungen können idealer-
weise allein psychotherapeutisch behandelt werden,
bei ausgeprägtem oder chronifiziertem Krankheits- Behandlung der akuten Panikattacke
bild bietet sich eine Kombination beider Verfahren an Meistens kann durch ein beruhigendes Gespräch eine
(7 Abschn. 16.2). akute Panikattacke schnell aufgelöst werden. Bei einer
Auf der psychopathologischen Ebene können schweren Panikattacke kann vorübergehend ein Ben-
Stressreaktionen und akute Angstsymptome, die bei zodiazepine, z. B. Lorazepam, 0,5–1 mg verordnet
der Panikstörung auftreten, kaum unterschieden werden; bei einer bestehenden Antidepressivathera-
werden; auch die Ähnlichkeiten mit der depressiven pie auch additiv.
Symptomatik sind evident. Das ist physiologisch ver-
ständlich. Tatsächlich induzieren Stressoren nicht nur
Depressionen, sondern auch Angststörungen (Ben- 16.2.1 Antidepressiva
kert 2005). Auch ist das Risiko für das Auftreten einer
Depression bei Menschen mit Angsterkrankungen 7- Während leichte Schwergrade sowohl psychothera-
bis 12-mal höher als bei Gesunden (Jacobi et al. 2004). peutisch als auch pharmakologisch behandelt werden
So ist auch die Komorbidität mit Depressionen (und können, ist bei schweren Panikstörungen in der Regel
auch Abhängigkeitssyndromen) hoch. Es gibt also ein Antidepressivum indiziert. Wenn primär eine psy-
viele Gründe, auch leichte Panikstörungen so früh wie chopharmakologische Therapie der Panikstörung,
möglich zu behandeln. Eine unzureichend behandelte z. B. bei Ablehnung einer KVT oder Fehlen eines The-
Panikstörung geht für den Patienten mit erheblichem rapeuten, indiziert ist, sollten in diese allerdings psy-
Leidensdruck und dem Risiko einer Chronifizierung choedukative und verhaltenstherapeutische Elemente
einher. eingeschlossen werden. Dem Patienten sollen die rich-
Eine begleitende Agoraphobie ändert nicht grund- tigen Einstellungen und Verhaltensmaßnahmen ver-
sätzlich das Therapieverhalten, legt aber den Schwer- mittelt werden, um einen dauerhaften Therapieerfolg
punkt eher auf die KVT. zu gewährleisten.
5 Antidepressiva sind bei der medikamentösen
Behandlung der Panikstörung anderen Psycho-
pharmaka vorzuziehen, zumal oft auch depressive
16.2 Therapie Störungsbilder parallel vorhanden sind. Beson-
ders gut untersucht sind: Imipramin, Clomipra-
Vor der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behand- min, SSRI, irreversible MAO-Hemmer und Ven-
lung ist es besonders wichtig mögliche medizinische lafaxin. Ein Wirkungsunterschied zwischen den
Ursachen und Substanzmissbrauch auszuschließen. Substanzgruppen besteht nicht.
5 Wegen der guten Verträglichkeit bieten
sich SSRI (7 Abschn. 5.11.1) und Venlafaxin
(7 Abschn. 5.11.2) als erste Wahl an. Bewährte,
bei der Panikstörung zugelassene SSRI sind: Cita-
lopram und Escitalopram. Auch das duale Anti-
158 Kapitel 16 · Panikstörung

depressivum Venlafaxin ist bei dieser Indikation 16.2.2 Benzodiazepine


1 zugelassen.
5 Die Dosis sollte, anders als bei der Depression, 5 Benzodiazepine sind hochwirksame Anxiolyti-
sehr langsam einschleichend erfolgen, weil Pati- ka. Sie können Panikattacken koupieren und sind
2 enten mit Panikstörung, im Vergleich zu depres- auch in der Behandlung der Panikstörung sicher
siven Patienten, die Nebenwirkungen der Antide- wirksam (Ballenger et al. 1998).
5 Zur schnellen Kupierung von Panikattacken sind
3 pressiva relativ schlecht tolerieren. Häufig werden
zu Beginn der Therapie bei zu hoher Dosis Unru- Benzodiazepine (z. B. Alprazolam 0,5 mg oder
he und Schlaflosigkeit erlebt, manchmal kann die Lorazepam 0,5 mg) gut geeignet, auch i.v.-Gaben
4 Angst anfänglich sogar zunehmen (»jitteriness«). sind in dieser Indikation möglich. Ein überlap-
Empfohlene Initialdosis ist die maximal halbe pender initialer Einsatz von Benzodiazepinen
Zieldosis: Citalopram 10 mg, Escitalopram 5 mg, erscheint wegen der fehlenden initialen Wirkung
5 Venlafaxin 37,5 mg. der Antidepressiva oft sinnvoll.
Die Zieldosis entspricht dann wieder der antide- 5 Benzodiazepine sind zwar auch in der Erhal-
6 pressiven Therapie. tungstherapie und der Rezidivprophylaxe wirk-
Bei Clomipramin können Tagesdosen von 30– sam; die gut belegten Therapiemöglichkeiten
60 mg ausreichen. durch Antidepressiva (s. oben) sind wegen der
7 5 Erst nach 2–4 Wochen ist mit einem gewünsch- nicht vorhandenen Abhängigkeits- und Toleranz-
ten Therapieeffekt zu rechnen; hierüber muss der entwicklungen einer dauerhaften Benzodiazepin-
8 Patient informiert werden, um die Compliance
zu sichern. Eine Wirksamkeit sollte dann in den
medikation vorzuziehen. Weitere Vor- und Nach-
teile der Benzodiazepine . Tab. 8.1.
ersten 8 Wochen gesehen werden. 5 Zur Behandlung der Panikstörung benötigt man
9 5 Bei schwerer Panikstörung kann eine überlap- in der Regel maximal 4 mg Alprazolam (die
pende Behandlung mit Benzodiazepinen indi- Dosis ist höher als bei der generalisierten Angst-
ziert sein (Beginn mit beiden Substanzklassen, störung). Die Startdosis sollte nicht mehr als
10 nach 2–4 Wochen Ausschleichen des Benzodia- 1,5 mg Alprazolam betragen.
zepins). 5 Benzodiazepine können bei der Panikstörung
11 auch als Bedarfsmedikation in sehr niedrigen
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe Dosen (Lorazepam 0,5 mg) angewandt werden,
5 Derzeit sind zur Behandlungsdauer keine all- z. B. bei der Flugangst.
12 gemeinen Empfehlungen möglich. In der Regel 5 Bei akuter Symptomatik sollten Benzodiazepine
wird nach erfolgreicher medikamentöser nicht länger als 1–2 Wochen gegeben werden,
13 Behandlung die Fortführung der Gabe von Anti- nach 4–6 Wochen sollten sie in der Regel abge-
depressiva über 1–2 Jahre empfohlen, um einem setzt sein.
Rückfall vorzubeugen. So konnte gezeigt wer- 5 Nur in Ausnahmefällen, z. B. bei therapiere-
14 den, dass bei Weiterführung der Erhaltungsthera- sistenten Angststörungen und eher auch im
pie mit Antidepressiva in einem hohen Prozent- höheren Lebensalter können langfristig geringe
15 satz der Behandlungserfolg beibehalten wird. Auf
eine ausreichende Therapiedauer von mindestens
Dosen Benzodiazepine (z. B. Lorazepam bis zu
1 mg) toleriert werden.
8 Wochen ist zu achten. 5 Weitere Einzelheiten zu den Benzodiazepinen
16 5 Das Absetzen der Medikation sollte sehr langsam 7 Kap. 8.
erfolgen. 5 Nicht wirksam als Anxiolytikum ist Buspiron
(7 Abschn. 8.2.2) bei Panikstörungen.
17 Therapieresistenz
5 Zum Vorgehen bei Therapieresistenz gibt es zu
18 wenig abgesicherte Studien. Es kann, wie bei der 16.2.3 β-Rezeptorenblocker in der
Depression (7 Abschn. 5.11), eine Kombinations- Therapie von Angststörungen
therapie mit zwei Antidepressiva aus verschie-
19 denen chemischen Gruppen, z. B. SSRI mit einem 5 β-Rezeptorenblocker, z. B. Propranolol oder Ate-
trizyklischen Antidepressivum, versucht werden. nolol, vermindern β-adrenerg vermittelte soma-
20 Die Psychotherapie ist dann zu intensivieren. tische Symptome der Angst (Schwitzen, Tremor,
Herzrasen und Magen-Darm-Beschwerden). Sie
besitzen nur geringe sedierende Eigenschaften.
16.3 · Behandlung der Panikstörung im Kindes- und Jugendalter
159 16

5 β-Rezeptorenblocker sind bei Angsterkran- 5 Die Kombinationstherapie mit KVT und Antide-
kungen nicht wirksam. Sie schwächen aber die pressiva ist nach einer neuen Studie auch bei der
vegetativen Begleiterscheinungen der Angst ab. unkomplizierten, akuten Panikstörung geringfü-
5 Eine Ausnahme scheinen Angstsyndrome, deren gig günstiger als die alleinige Therapie mit Anti-
Ursache auf kardiovaskulären Erkrankungen mit depressiva oder der alleinigen KVT einzuschät-
erhöhter Herzfrequenz, z. B. bei Mitralklappen- zen (Furukawa et al. 2006).
prolaps, zu sein (Zwanzger et al. 2000). 5 Bei schwerer oder chronischer Panikstörung, ins-
5 β-Rezeptorenblocker werden häufig als Einmal- besondere mit einer komorbiden Depression,
gabe bei psychischen Stresssituatinen wie Lam- sollte immer die medikamentöse Therapie mit
penfieber, Redner- und Prüfungsangst eingesetzt. einer KVT angestrebt werden (Linden 2005).
Der wissenschaftliche Nachweis dieser Wirkung
ist nicht überzeugend.
Fazit

Fazit Antidepressiva und Psychotherapie bei Panikstö-


rung – Bewertung
Pharmakotherapie bei Panikstörung – Bewertung 5 Eine erstmanifestierte, unkomplizierte Panikstörung
5 Unter den Antidepressiva sind SSRI oder Venlafaxin kann akut mit einer KVT allein, mit Antidepressiva
Mittel der ersten Wahl. allein oder mit einer Kombination aus beiden behan-
5 Wichtig ist ein einschleichender Beginn mit der maxi- delt werden.
mal halben Zieldosis. 5 Es mehren sich Studien mit einer Präferenz des
5 Mindesttherapiedauer sind 8 Wochen. Einsatzes einer Kombinationstherapie in der akuten
5 Um einem Rückfall vorzubeugen, wird eine Therapie- Behandlungsphase.
dauer mit Antidepressiva über 1–2 Jahre empfohlen. 5 Da nach Absetzen von Antidepressiva das Risiko für
5 Bei Therapieresistenz können auch 2 Antidepressiva einen Rückfall steigt, ist im Rahmen einer Erhaltungs-
aus verschiedenen Gruppen, wie bei der Behandlung therapie die KVT die erste Option. Die zweite Option
der Depression, verordnet werden. ist der langfristige Einsatz von Antidepressiva.
5 Benzodiazepine sind bei Panikstörung sehr wirksam 5 Empfohlen werden KVT-Auffrischungssitzungen
(nur Alprazolam ist zugelassen), sollten aber wegen (»booster session«).
der überwiegenden Nachteile nur zu Beginn der The- 5 Die schwere oder chronische Panikstörung, beson-
rapie bei schweren Erkrankungen eingesetzt werden. ders mit begleitender Depression, sollte möglichst
kombiniert behandelt werden.
Bei immer wiederkehrender Angst vor Panikattacken 5 Bei begleitender Agoraphobie sollte immer eine
können Benzodiazepine als Bedarfsmedikation in sehr KVT – allein oder in Kombination mit Antidepressiva
niedrigen Dosen bereitgehalten werden, z. B. bei der – angesetzt werden.
Angst vor möglichen Panikattacken beim Fliegen.

16.3 Behandlung der


16.2.4 Psychotherapie Panikstörung im Kindes-
und Jugendalter
5 Die KVT ist, besonders wie in einer Studie
gezeigt wurde, bei sachgerechtem Einsatz von Bis zu 90% der Kinder und Jugendlichen mit Panik-
Expositions- und Konfrontationsübungen, bei störungen leiden zusätzlich noch an anderen Angst-
der Therapie der Panikstörung unter den psycho- störungen oder affektiven Störungen (Diler 2003);
therapeutischen Verfahren am besten evaluiert generell gelten für die Behandlung die gleichen Emp-
(Foa et al. 2002). Der Vorteil der KVT liegt in der fehlungen wie für das Erwachsenenalter. Es gilt, dass
aktiven Teilnahme, dem Erlernen der Selbstexpo- leichte bis mittelschwere Panikstörungen meistens
sition und den oft anhaltenden Effekten, beson- psychotherapeutisch behandelt werden können, bei
ders auch nach Abschluss der Akuttherapie und ausgeprägten oder chronifizierten Krankheitsbildern
im weiteren Verlauf nach Beendigung der aku- bietet sich eine Kombination aus Psychotherapie und
ten Therapie. Pharmakotherapie an.
160 Kapitel 16 · Panikstörung

Auswahl der Antidepressiva 16.4 Checkliste


1 Es kommen die gleichen Medikamente wie für das
Erwachsenenalter in Betracht: Antidepressiva (vor- ?
wiegend SSRI, 7 Abschn. 16.1.1), Benzodiazepine
2 (vorwiegend Akutbehandlung, 7 Abschn. 16.2.2) und 1. Welche Möglichkeiten zur Behandlung einer
β-Blocker (7 Abschn. 16.2.3). Für die Behandlung von akuten Panikattacke kennen Sie?

3 Panikstörungen im Kindes- und Jugendalter liegt für


keine der oben erwähnten Substanzen eine Zulassung
2. Welche Behandlungsoptionen bestehen für
eine längerfristige Behandlung der Panikstö-
vor. Auch fehlen kontrollierte Studien für eine Phar- rung?
4 makotherapie von Panikstörungen bei Kindern und 3. Unter welchen Bedingungen ist bei der
Jugendlichen. Es gibt nur einzelne Fallberichte oder Panikstörung eine Kombinationstherapie aus
kleine offene Studien, in denen TZA (Imipramin, KVT und Antidepressiva anzustreben?
5 Desipramin), Benzodiazepine (Alprazolam, Clona- 4. Welche Antidepressiva haben sich bei der
zepam) und SSRI positiv abgeschnitten haben; β-Blo- längerfristigen Behandlung der Panikstö-
6 cker sind nicht untersucht worden (Masi et al. 2006). rung bewährt?
5. Wie sollte eine Panikstörung mit begleiten-
Pharmakotherapie und Psychotherapie der Agoraphobie behandelt werden?
7 Therapeutisch sollten nach einer Psychoedukati- 6. Warum sollte bei der Behandlung der
on kognitiv-(verhaltenstherapeutische) Maßnahmen Panikstörung mit Antidepressiva, wie z. B.
8 erfolgen. KVT ist effektiv bei Kindern und Jugend-
lichen mit Panikstörungen hinsichtlich der Reduk-
den SSRI oder dem dualen Antidepressivum
Venlafaxin, langsam aufdosiert werden?
tion bzw. Remission von Panikattacken, Verminde- 7. Nach welcher Behandlungsdauer mit Anti-
9 rung des Vermeidungsverhaltens, Verbesserung der depressiva ist mit einem positiven Effekt zu
Copingstrategien in früheren Vermeindungssituati- rechnen?
onen und Verminderung der begleitenden depres- 8. Welche Rolle spielen Benzodiazepine bei der
10 siven Symptome. Belegt sind diese Ergebnissen durch Behandlung der Panikstörung. Wo liegen
einzelne Fallberichte über eine Besserung der Panik- ihre Vorteile, wo ihre Gefahren und Risiken?
11 störung bei Kindern und Jugendlichen unter der 9. Über welchen Zeitraum sollte eine pharma-
Kombination von KVT und Pharmakotherapie (Diler kologische Behandlung der Panikstörung
et al. 2003). durchgeführt werden?
12 10. Was ist beim Absetzen von Antidepressiva
bei der Behandlung der Panikstörung mit
13 Antidepressiva zu beachten?

14
15
16
17
18
19
20
17.1 ·
161 17

Generalisierte Angststörung

17.1 Gesamtbehandlungsplan – 162

17.2 Therapie – 162


17.2.1 Antidepressiva – 162
17.2.2 Benzodiazepine – 163
17.2.3 Buspiron – 163
17.2.4 Pregabalin – 163
17.2.5 Psychotherapie – 163

17.3 Behandlung der GAD im Kindes- und Jugendalter – 164

17.4 Checkliste – 165


162 Kapitel 17 · Generalisierte Angststörung

Die generalisierte Angststörung (GAD, früher auch 17.2 Therapie


1 »Angstneurose«) ist gekennzeichnet durch unrealis-
tische oder übertriebene Angst und Besorgnis über Neben der KVT haben besonders 4 Pharmakagruppen
Belange des Alltags (Beruf, Finanzen, Angehörige und gute anxiolytische Wirkung: Antidepressiva, Benzodi-
2 Partner); damit verbunden sind Hypervigilanz, erhöhte azepine, Buspiron und Pregabalin (Mitte et al. 2005;
Aufmerksamkeit, Nervosität und motorische Anspan- Rickels u. Rynn 2002). Vom wissenschaftlichen Stand-
3 nung. Häufig sind Beschwerden der vegetativen Über-
erregbarkeit mit Schwitzen, Herzklopfen, Schwindel,
punkt ist zzt. nicht entschieden, ob die KVT oder eine
Pharmakotherapie bei der GAD wirksamer ist (Mit-
Muskelspannungen oder Oberbauchbeschwerden, te 2005).
4 Übelkeit und Durchfall. Assoziationen auch zu ande- Nicht indiziert sind Antipsychotika. Sie haben
ren Schmerzen, ähnlich wie bei der Depression, sind zwar auch – schon in geringerer Dosierung – eine
typisch. Die Symptome sind oft chronisch mit fluktu- anxiolytische Wirkung, sind aber mit einem zu hohen
5 ierender Intensität und sollten mindestens 6 Monate Nebenwirkungsrisiko behaftet.
vorhanden sein (ICD-10). Unter Belastung verschlim- Mögliche Gabe von β-Rezeptorenblockern bei
6 mern sich die Beschwerden. Die Kriterien für eine Angststörungen 7 Abschn. 16.2.3.
Panikstörung, phobische oder hypochondrische Stö-
rung dürfen für die Diagnose einer GAD nicht erfüllt Wichtig
7 sein. Viele GAD-Patienten haben eine ängstliche-ver-
meidende Persönlichkeitsstruktur. Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
ob
8 Es wird angenommen, dass es bei der GAD, beson-
ders unter Stresssituationen, zu ähnlichen neurobiolo- 5 eine Soforttherapie (mit Benzodiazepinen)
gischen Fehlregulierungen wie bei der Panikstörung notwendig ist
9 (7 Kap. 16) kommt. Im Mittelpunkt der Hypothesen 5 Suizidalität besteht
zur Entstehung der GAD steht die einer Störung zen- 5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
traler Serotoninsysteme. Sie wird primär durch die Depression oder eine Suchterkrankung,
10 Wirksamkeit serotonerger Substanzen gestützt. vorhanden sind (Cave: Benzodiazepine), ggf.
mit Drogenscreening
5 früherer Benzodiazepin- oder Substanzmiss-
11 brauch bekannt ist
17.1 Gesamtbehandlungsplan
5 organischen Ursachen für die vielfältigen
12 Wie bei den anderen Angsterkrankungen (Panikstö- körperlichen Beschwerden zu finden sind
rung, phobische Störungen) sind psychotherapeu- 5 eine positive/negative Haltung zur Pharma-
kotherapie/Psychotherapie besteht
13 tische Interventionen wesentlicher Bestandteil der
Therapie. Psychopharmakologische Strategien haben
nach vorliegenden Studienergebnissen aber die glei-
14 che Wirksamkeit und können, je nach individueller
Wertschätzung der Therapieverfahren, auch als erste 17.2.1 Antidepressiva
15 Option in die Therapie eingebunden werden. Aller-
dings fehlen ähnlich sorgfältig durchgeführte und 5 In frühen Studien konnte bereits gezeigt werden,
abgesicherte Studien wie bei der Panikstörung, der dass das trizyklische Antidepressivum Imipramin
16 Zwangsstörung oder besonders bei den depressiven eine gute anxiolytische Wirkung bei der GAD hat
Störungen, die eine differenzielle Indikation für die (Hoehn-Saric et al. 1988). Allerdings ist der Wir-
einzelnen Therapieverfahren erlauben. kungseintritt im Vergleich zu Benzodiazepinen
17 Es besteht bei der GAD eine hohe Komorbidität um zwei oder mehr Wochen verzögert.
mit depressiven Störungen und Suchterkrankungen. 5 Eine gleich gute Wirkung haben SSRI (z. B. Esci-
18 Dabei werden Alkohol und Benzodiazepine oft zur talopram) und das duale Antidepressivum Ven-
Entlastung bei Ängsten missbraucht. lafaxin. Sie sind Mittel der ersten Wahl bei der
Es gibt Hinweise aus prospektiven Studien die GAD. Allerdings muss auch bei ihnen ein lang-
19 für Risikozusammenhänge zwischen GAD und samer Wirkungseintritt von 2–4 Wochen eingep-
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sprechen. Die Daten lant werden. Der Vorteil der SSRI und von Ven-
20 haben aber nicht die Evidenz wie bei der Depression lafaxin gegenüber Imipramin liegt in der gerin-
(7 Abschn. 15.7.8). geren Nebenwirkungsquote und gegenüber Ben-
17.2 · Therapie
163 17

zodiazepinen in dem fehlenden Abhängigkeits- 17.2.3 Buspiron


risiko.
5 Unter Antidepressiva sprechen bevorzugt psy- 5 Buspiron ist als nichtsedierendes Anxiolyti-
chische Symptome der Angststörung (chronische kum bei der GAD gut wirksam, aber nicht spe-
Besorgtheit, Anspannung, Grübelneigung, Äng- ziell für diese Indikation zugelassen. Es muss
ste im interpersonellen Bereich) an. der langsame Wirkungseintritt von min-
5 Die Dosierung der Antidepressiva entspricht wei- destens 2 Wochen, wie bei Antidepressiva
testgehend (Venlafaxin schon ab 75 mg täglich) (7 Abschn. 8.4.2), bedacht werden.
der Behandlung depressiver Störungen. 5 Buspiron und Benzodiazepine haben eine gleich
5 Antidepressiva sollten bei der GAD im Rah- gute Wirksamkeit (Mitte et al. 2005).
men einer Erhaltungstherapie mindestens 6– 5 Insbesondere bei suchtgefährdeten Patienten ist
12 Monate, eher 1–2 Jahre gegeben werden. Buspiron eine Alternative zu den Antidepressiva.
5 Buspiron ist allerdings für einen Benzodiazepin-
entzug nicht geeignet. Nach erfolgtem Entzug
17.2.2 Benzodiazepine kann Buspiron aber eingesetzt werden. Buspiron
wirkt aber nicht bei der Panikstörung.
5 Benzodiazepine zeigen bei raschem Wirkungs- 5 Dauer der Behandlung mit Buspiron wie bei den
eintritt (wichtig in Notfallsituationen) eine gute Antidepressiva. Dosierung und weitere Einzel-
Wirkung bei allen Angsterkrankungen, so auch heiten 7 Abschn. 8.4.1 und 8.11.2.
bei der GAD.
5 Oftmals kann gerade zu Beginn einer Psycho-
therapie oder bei einer akuten Exazerbation auf 17.2.4 Pregabalin
eine Begleitmedikation mit einem Benzodiazepin
nicht verzichtet werden. Dies gilt auch zur Über- 5 Pregabalin (7 Abschn. 8.2.2 und 8.11.2) ist eine
brückung bis zum Wirkungseintritt von anderen neue Therapieoption und hat kürzlich die Zulas-
anxiolytisch wirkenden Medikamenten. sung für die Behandlung der GAD erhalten. Spe-
5 Bei akuten Angstzuständen sind Benzodiazepine zifische Indikationen müssen noch erarbeitet
Mittel der ersten Wahl. werden.
5 Wegen des chronischen Charakters der GAD
ist von der Notwendigkeit einer längerfristigen
Behandlung (1–2 Jahre) auszugehen. Wenn Ben- 17.2.5 Psychotherapie
zodiazepine langfristig verordnet werden sollen,
ist aber das Problem einer Abhängigkeitsentwick- 5 KVT ist der wichtigste psychotherapeutische
lung zu bedenken. Therapieversuche mit Antide- Ansatz bei der GAD (Zubrägel u. Linden 2005).
pressiva oder Buspiron sind vorzuziehen. Der kognitive Ansatz ist besonders wirksam
5 Besonders hilfreich können Benzodiazepine zur Bearbeitung von ängstlich-dysfunktionalen
bei im Vordergrund stehenden vegetativen Kognitionen (kognitive Umstrukturierung); aber
Beschwerden sein, die manchmal durch Antide- auch der verhaltenstherapeutische Ansatz mit
pressiva zu Beginn der Therapie noch verstärkt Konfrontation mit den Sorgen in sensu ist wert-
werden können. voll.
5 Benzodiazepine sollten nach 4–6 Wochen, 5 Auffrischungssitzungen (»booster session«) sind
zumindest der wesentliche Dosisanteil, abgesetzt zu empfehlen.
sein. Selbst bei chronischer GAD sollte ein völ- 5 Outcomedaten sprechen für einen Effekt nach
liges Absetzen nach 4–6 Monaten gelingen. KVT von bis zu 12 Monaten (Gould et al. 1997).
5 Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten Sogar 8-10 Jahre nach der KVT wurden noch
findet sich keine nennenswerte Dosissteigerung positive Effekte beobachtet (Durham et al. 2003).
über die Zeit der Anwendung. Für die Pharmakotherapie gibt es solche Daten
5 Die Dosierung entspricht der Behandlung der nicht.
Panikstörung. In 7 Abschn. 16.2.2 finden sich 5 Über vergleichende Langzeiteffekte zwischen
auch die weiteren Vor- und Nachteile der Benzo- KVT und Antidepressiva oder Benzodiazepinen
diazepine. gibt es keine gesicherten Daten. Bei der Behand-
5 Weitere Einzelheiten zu den Benzodiazepinen lung der GAD konnte bislang keine generelle
7 Abschn. 8.4.1 und 8.11.1. Überlegenheit oder Unterlegenheit der Psycho-
164 Kapitel 17 · Generalisierte Angststörung

therapie gegenüber der Pharmakotherapie fest- 5 Benzodiazepine sind auch bei allen anderen Formen
1 gestellt werden (Lader u. Bond 1998; Mitte et al. der GAD sehr wirksam, sollten aber wegen der über-
2005); dabei waren Benzodiazepine in der Regel wiegenden Nachteile nur zu Beginn der Therapie bei
die Vergleichssubstanzen (Gould et al. 1997). schweren Erkrankungen eingesetzt werden.
2 5 Nur in Analogie zu den anderen Angsterkran-
kungen kann geschlossen werden, dass bei leich-
3 ter und mittelschwerer GAD ohne chronische
Entwicklung primär KVT indiziert ist. Bei 17.3 Behandlung der GAD im
schwerer und chronischer GAD kann allein, bes- Kindes- und Jugendalter
4 ser aber in Kombination mit KVT, ein Antide-
pressivum verordnet werden. GAD im Kindesalter ist gekennzeichnet durch exzes-
5 In einer neuen Studie bei Patienten über 60 Jahre sive und unkontrollierbare Sorgen über verschiedene
5 mit gemischten Symptomen von GAD, Phobien Abläufe und Aktivitäten im täglichen Bereich. Der
und depressiven Störungen war ein SSRI (Sertra- Verlauf ist nicht selten chronisch und es liegen häu-
6 lin) KVT überlegen (Schuurmans et al. 2006). fig Komorbiditäten vor. Therapie der ersten Wahl bei
5 Obwohl die psychodynamische Psychotherapie der leichten bis mittelschweren GAD ist die KVT. Bei
gerade bei der GAD immer noch häufig ange- schweren oder chronischen Formen sollte gleich zu
7 wandt wird, sind abgesicherte Evalutionsstudien Beginn der Behandlung ein SSRI gegeben werden. Es
nicht vorhanden. sollte dann auch eine Kombination mit KVT erfolgen
8 (Hudson et al. 2005).

Fazit Auswahl der Antidepressiva


9 Genau wie bei Erwachsenen sind die SSRI und die
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der GAD dualen Antidepressiva die wichtigsten Medikamen-
tengruppen für die längerfristige Behandlung von
10 – Bewertung
5 Therapie der ersten Wahl bei der leichten bis mittel- GAD. Sie sind jedoch für diese Indikation im Kindes-
schweren GAD ist die KVT. Medikamentöse Alter- und Jugendalter nicht zugelassen.
11 nativen sind die Antidepressiva Escitalopram oder Es gibt zu SSRI (Fluoxetin, Fluvoxamin und Ser-
Venlafaxin. tralin) und Venlafaxin 5 placebokontrollierte Studien.
5 Bei schweren oder chronischen Formen sollte gleich In allen Studien war Verum dem Placebo signifikant
12 zu Beginn der Behandlung Escitalopram oder Ven- überlegen (Rynn et al. 2007).
lafaxin gegeben werden. Eine Kombination mit KVT Untersuchungen zu Buspiron und Pregabalin,
13 ist sinnvoll. zwei Substanzen, die bei Erwachsenen zur Behand-
5 »Booster sessions« sind angebracht. lung von GAD eingesetzt werden können, gibt es
5 Für die grundsätzliche Anwendung der KVT sprechen zu diesem Störungsbild im Kindes- und Jugendalter
14 positive Langzeiteffekte (wenngleich die Ergebnisse nicht. Es wurden auch noch keine Kombinationsstu-
sich auf wenige Daten beziehen und für Antidepressi- dien mit Psychotherapie durchgeführt.
15 va solche Studien noch nicht vorliegen).
5 Bei bekanntem Substanzmissbrauch oder begleiten-
der depressiver Störung sind immer Antidepressiva
16 indiziert.
5 Die medikamentöse Therapie bei der GAD (Ausnah-

17 me Benzodiazepine) sollte im Rahmen einer Erhal-


tungstherapie mindestens 6 Monate, eher 2 Jahre,
beibehalten werden (nicht Benzodiazepine).
18 5 Handelt es sich um eine akute GAD, ggf. verbun-
den mit Suizidalität, auch in einer Notfallsituation
(7 Kap. 34), sind Benzodiazepine hoch wirksam. Auf
19 das rechtzeitige und richtige Absetzen muss geachtet
werden.
20
17.4 · Checkliste
165 17

17.4 Checkliste

?
1. Welche Psychopharmaka sind Mittel der
ersten Wahl zur längerfristigen Behandlung
der GAD?
2. Ab wann ist bei den SSRI und dem dualen
Antidepressivum Venlafaxin mit einem
Wirkungseintritt zu rechnen?
3. Welche Medikamente zeigen in Notfallsitua-
tionen eine gute und schnelle anxiolytische
Wirkung?
4. Ab wann ist ein Wirkungseintritt bei einer
Behandlung mit dem nichtsedierenden
Anxiolytikum Buspiron zu erwarten?
5. Welche Vorteile bieten Antidepressiva und
das Anxiolytikum Buspiron gegenüber den
Benzodiazepinen?
6. Über welchen Zeitraum sollte eine Be-
handlung der GAD mit Antidepressiva oder
Buspiron erfolgen?
7. Wann ist bei der Behandlung der GAD eine
Kombinationstherapie aus KVT und einem
Antidepressivum sinnvoll?
18.1 ·
167 18

Phobische Störungen

18.1 Gesamtbehandlungsplan – 168

18.2 Therapie – 168


18.2.1 Antidepressiva und andere Medikamente – 168
18.2.2 Psychotherapie – 169

18.3 Behandlung der phobischen Störungen im Kindes- und


Jugendalter – 169

18.4 Checkliste – 170


168 Kapitel 18 · Phobische Störungen

Bei der Phobie werden eher ungefährliche, aber sub- Wichtig


1 jektiv angstauslösende Situationen oder Objekte
gemieden oder unter Angst ertragen. Die Ängste rei- Allzu oft werden SSRI allein schon bei schüch-
chen von leichten Befürchtungen bis hin zu panischer ternen oder gehemmten Menschen verordnet.
2 Angst. Dieser Bereich der leichten Störungen sollte psy-
Die spezifische Phobie wird durch bestimmte Situ- chotherapeutisch behandelt werden. Wenn aller-
3 ationen, wie Höhen und Objekte, oder durch Tiere
ausgelöst. Es wird versucht die phobische Situation zu
dings eine phobische Angst sehr ausgeprägt ist
und sie eindeutigen Krankheitswert hat, besteht
meiden. neben der Psychotherapie auch eine Indikation
4 Bei der sozialen Phobie (Syn.: soziales Angstsyn- für eine pharmakologische Behandlung. Sie sollte
drom) steht die anhaltende Angst vor sozialer Bewer- dann auch rechtzeitig, entsprechend den Vorga-
tungen im Vordergrund. Unterschieden werden bei
5 der sozialen Phobie eine »spezifische Form« (z. B.
ben (7 Abschn. 18.2) behandelt werden, denn es
gibt, wie für die Depression (7 Kap. 15), auch für
Redeangst) und eine »generalisierte Form«, bei der phobische Störungen ein erhöhtes Risiko für das
6 schließlich weite Bereiche sozialer Situationen gemie- Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
den werden. Differenzialdiagnostisch muss die pho-
bische Störung von der ängstlich-vermeidenden Per-
7 sönlichkeit getrennt werden. Das ist aufgrund des
chronischen Verlaufs beider Erkrankungen oft nicht 18.2 Therapie
8 leicht.
Die Agoraphobie ist häufig mit Panikattacken 18.2.1 Antidepressiva und andere
(7 Kap. 16) assoziiert. Sie bezieht sich auf ein breites Medikamente
9 Spektrum von Ängsten das eigene Haus zu verlassen,
Geschäfte zu betreten, sich in Menschenmengen auf- 5 Bei der spezifischen Phobie sind Antidepressiva in
zuhalten bis hin zur Benutzung öffentlicher Verkehrs- der Regel nicht indiziert. Handelt es sich um gele-
10 mittel. gentliche, vorhersagbare Ereignisse, kann nach
Bedarf ein Benzodiazepin (wie bei den Panikatta-
11 cken 7 Abschn. 16.2.2) gegeben werden. Manch-
18.1 Gesamtbehandlungsplan mal ist auch ein β-Rezeptorenblocker wirksam
(7 Abschn. 16.2.3).
12 Mit der Verhaltenstherapie und den Antidepressiva 5 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
gibt es zwei wirkungsvolle Behandlungsoptionen bei (SSRI) und das duale Antidepressivum Venlafa-
13 phobischen Störungen. xin sind die Mittel der Wahl, wenn Antidepressi-
Auf komorbide Störungen, wie andere Angster- va bei den phobischen Störungen indiziert sind
krankungen, depressive Störungen und Substanzmiss- (Muller et al. 2005). Zwar wird für andere Medi-
14 brauch, ist besonders zu achten. Gerade bei dieser kamentengruppen eine Wirksamkeit beschrie-
Patientengruppe besteht oft Suizidalität. Die zusätz- ben (MAO-Hemmer Moclobemid, Clomipra-
15 lichen Symptome entscheiden oft darüber, ob ein
Antidepressivum eingesetzt wird.
min), diese haben aber höhere Nebenwirkungsri-
siken. Unter den SSRI ist zwar Paroxetin beson-
Besondere neurobiologische Normabweichungen ders gut geprüft, hat aber im Vergleich zu dem
16 wurden bisher nicht gefunden. Die Wirksamkeit sero- SSRI Escitalopram Nebenwirkungsnachteile
tonerger Substanzen spricht für eine gestörte sero- (7 Abschn. 5.6). Benzodiazepine sind den SSRI
tonerge Funktion. bei den Phobien unterlegen. Buspiron kann eine
17 Alternative sein.
5 Die Dosis der Antidepressiva wird in der gleichen
18 Höhe wie bei der depressiven Störung gegeben
(7 Abschn. 5.11).
5 Die antiphobische Wirkung von Escitalopram
19 und Venlafaxin tritt oft mit zeitlicher Verzöge-
rung nach der antidepressiven Wirkung auf. Es
20 werden Behandlungszeiträume von 12 Wochen
empfohlen. Um ein Rezidiv zu vermeiden ist aber
18.3 · Behandlung der phobischen Störungen im Kindes- und Jugendalter
169 18

durchaus eine längere Therapie angebracht. In 5 Bei den anderen phobischen Störungen konnte eine
einer Studie war die Rezidivneigung unter Erhalt generelle Überlegenheit oder Unterlegenheit der
des SSRI deutlich geringer als in der Gruppe, in Kombination von Psychotherapie und Psychophar-
der das Antidepressivum abgesetzt wurde (Stein makotherapie gegenüber der alleinigen Verhaltenst-
et al. 1998). herapie nicht festgestellt werden. Es fehlen aussage-
5 Antidepressiva sollen sehr langsam über Wochen kräftige Vergleichsstudien.
abgesetzt werden. 5 Sollen bei phobischen Störungen Anidepressiva ge-
5 Stehen bei der sozialen Phobie körperliche Sym- geben werden, sind Escitalopram (SSRI) oder Venlafa-
ptome wie Zittern oder Schwitzen im Vorder- xin (duales Antidepressivum) Mittel der ersten Wahl.
grund, werden oft β-Rezeptorenblocker gegeben 5 Bei Response sollte das Antidepressivum mindestens
(7 Abschn.. 16.2.3); der Wirksamkeitsnachweis ist 6–12 Monate weiter gegeben werden.
aber keineswegs überzeugend. 5 Bei nicht voller Remission kann ein anderes Antide-
5 Die Therapie der Agoraphobie ist identisch mit pressivum oder Buspiron, ggf. auch ein Benzodiazipin
der Therapie der Panikstörung (7 Abschn. 16.2). hinzu gegeben werden. Bei Non-Response sind
ähnliche Strategien, wie bei der therapieresistenten
Cave Depression (7 Kap. 15), anzuwenden.

Es werden immer noch Antipsychotika bei Pho-


bien und anderen Angststörungen empfohlen.
Dies sollte wegen des relativ hohen Nebenwir- 18.3 Behandlung der
kungsrisikos unterbleiben. phobischen Störungen im
Kindes- und Jugendalter
Soziale Phobien haben eine hohe Prävalenz und
18.2.2 Psychotherapie beginnen meistens im späten Kindesalter bzw. frühen
Jugendalter. Als komorbide Erkrankungen treten häu-
5 Bei den spezifischen Phobien besteht eine klare fig andere Angststörungen und affektive Störungen
Präferenz für Verhaltenstherapie (Hamm 2006). hinzu. Die Patienten sind in der Folge in ihrer emo-
5 Für die soziale Phobie zeigen Metaanalysen ähn- tionalen, sozialen und schulischen Entwicklung stark
lich gute Effekte für die KVT und die Expositi- beeinträchtigt.
onstherapie (Gould et al. 1997). Eine wertvolle Bei der Behandlung phobischer Störungen im
Ergänzung dieser Therapieformen ist das sozi- Kindes- und Jugendalter wird primär KVT einge-
ale Kompetenztraining mit dem Erlernen sozialer setzt. Bei schweren und chronischen Verläufen ist eine
Verhaltensweisen (Stangier et al. 2006). zusätzliche medikamentöse Therapie mit SSRI emp-
5 Die Ergebnisse der psychotherapeutischen Studi- fehlenswert (Mancini et al. 2005).
en bei Patienten mit Panikstörung mit und ohne
Agoraphobie unterscheiden sich nicht (Furukawa Pharmakotherapie
et al. 2006). Einzelheiten 7 Abschn. 16.2.4. Im Kindes- und Jugendalter wurden im Bereich der
phobischen Störungen vorwiegend pharmakologische
Studien zur sozialen Phobie durchgeführt. Es gibt kei-
Fazit ne Placebokontrollierten Studien bei den Störungs-
bildern spezifische Phobien oder Agoraphobien. Im
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psycho- Kapitel Panikstörungen (7 Kap. 16) wird auf Panikstö-
therapie bei phobischen Störungen – Bewertung rungen eingegangen, die häufig mit Agoraphobie ein-
5 Expositionstherapie und kognitive Verfahren sind hergehen. Die Therapie der Störung mit Trennungs-
allein und in Kombination mit Antidepressiva gut angst im Kindesalter, auch als Schulphobie bezeich-
wirksam. net, wird in 7 Kap. 33 beschrieben.
5 Bei der spezifischen Phobie sind primär verhaltens- In mehreren kontrollierten Studien konnte die
therapeutische Maßnahmen indiziert. Wenn die Effizienz der SSRI (Fluoxetin, Fluvoxamin und Par-
Konfrontation mit der angstauslösenden Situation oxetin) gegenüber Placebo bei der Behandlung von
selten ist (z. B. Flugangst) kann bei Bedarf auch ein sozialen Phobien im Kindes- und Jugendalter gezeigt
Benzodiazepin oder ein β-Blocker gegeben werden. werden (Clark et al. 2005).
170 Kapitel 18 · Phobische Störungen

Auch das Benzodiazepin Alprazolam zeigte in


1 einer kontrollierten Studie bei Kindern und Jugend-
lichen mit Überängstlichkeit und Vermeidungsverhal-
ten eine positive Wirkung und kann zur kurzfristigen
2 Therapie unterstützend eingesetzt werden (Mancini et
al. 2005).
3
18.4 Checkliste
4
?
5 1. Welche Antidepressiva sind Mittel der ersten
Wahl bei einer pharmakologischen Behand-
6 lung phobischer Störungen?
2. Wann ist bei phobischen Störungen mit
einer Wirkung von Antidepressiva (SSRI,
7 Venlafaxin) zu rechnen?
3. Wann sind Antidepressiva bei der sozialen
8 Phobie eine sinnvolle Behandlungsindikati-
on?
4. Über welchen Zeitraum sollte eine Be-
9 handlung mit Antidepressiva mindestens
erfolgen?
5. Welche Rolle spielen Antipsychotika bei der
10 Behandlung phobischer Störungen?
6. Warum sollten soziale Phobien im Kindes-
11 und Jugendalter frühzeitig behandelt wer-
den und wie sollte sich die Behandlung bei
einer ausgeprägten Symptomatik gestalten?
12
13
14
15
16
17
18
19
20
19.1 ·
171 19

Zwangsstörung

19.1 Gesamtbehandlungsplan – 172

19.2 Therapie – 172


19.2.1 Antidepressiva – 173
19.2.2 Andere Medikamente – 173
19.2.3 Psychotherapie – 174

19.3 Behandlung der Zwangsstörung im Kindes- und


Jugendalter – 174

19.4 Checkliste – 175


172 Kapitel 19 · Zwangsstörung

Eine Zwangsstörung ist gekennzeichnet durch wieder- Insgesamt bieten beide Therapieformen zwangs-
1 kehrende, als unsinnig oder quälend erlebte Zwangs- kranken Menschen eine große Hilfe, die Responder-
gedanken und/oder -handlungen. Zwangsgedan- raten sind aber insgesamt noch nicht befriedigend.
ken betreffen besonders aggressive, religiös-blasphe- Bei starker sozialer Isolierung sind psychosoziale
2 mische, sexuelle Gedankeninhalte; ferner Themen der Maßnahmen angebracht.
Symmetrie, Kontamination und des Hortens. Zwangs- Der psychoanalytische Erklärungsansatz war jahr-
3 handlungen umfassen Kontroll-, Ordnungs-, Zähl-,
Wiederholungs-, Reinigungs- und Sammelzwänge.
zehntelang attraktiv. Zwar können Zwangspatienten
hinsichtlich verschiedener Begleitsymptome durch-
Es wird diskutiert, ob nicht eine größere Gruppe aus von einer psychodynamischen Psychotherapie
4 von Krankheiten mit zwangsähnlichen Phänomenen profitieren, für die eigentlichen Zwangstörungen ist
eher zu den Zwangskrankheiten gezählt werden aber ein Wirksamkeitsnachweis bisher nicht erbracht
sollten (»obsessive compulsive spectrum disorder«). (Benkert u. Lenzen-Schulte 2004).
5 Für sie gibt es ähnliche neurobilogische Hypothesen Es besteht eine hohe Komorbidität von depres-
und Therapiestrategien. Dazu gehören insbesondere siven Störungen und Angststörungen. Bei dieser Kon-
6 Impulskontrollstörungen mit aggressiven und sexu- stellation sollte immer frühzeitig ein Antidepressivum
ellen Impulsen (7 Kap. 29), Tics und das Gilles-de-la- gegeben werden. Die Zwangsstörung sollte diagnos-
Tourette-Syndrom (7 Kap. 32). tisch von der ichsyntonen anankastischen Persönlich-
7 keitsstörung getrennt werden.
Neurobiologie der Zwangsstörung. Der entschei-
8 dende Schritt zum Einblick in möglicherweise gestörte
Stoffwechselschritte bei der Zwangskrankheit war 19.2 Therapie
der Behandlungserfolg mit Serotoninrückaufnahme-
9 hemmern. Sie legen eine serotonerge Dysfunktion bei Neben der dominierenden Indikation für KVT und
Zwangspatienten nahe. Unterstützt wird die Hypothe- Antidepressiva wird in seltenen Fällen bei schweren
se durch den Befund, dass es nach Gabe des Serotonin- und therapieresistenten Erkrankungen ein neuro-
10 agonisten m-Chlorophenypiperazin (m-CPP) bei chirurgischer Eingriff vorgenommen (Schruers et al.
Zwangskranken zu einer Verschlechterung der Symp- 2005). Vorher kann noch ein Versuch mit transkrani-
11 tomatik kommt. Bei Gesunden ist m-CPP wirkungs- eller Magnetstimulation, Vagusnervstimulation oder
los. Weiterhin erlauben es heute bildgebende Verfah- Elektrokrampfbehandlung (7 Abschn. 15.6) vorge-
ren, immer intensiver auch topographische Schädi- nommen werden.
12 gungen im Gehirn nachzuweisen. Primäre Störungen
im kortikostriatothalamokortikalen Regelkreis (Kor- Wichtig
13 don et al. 2006) mit besonderer Bedeutung des Stria-
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
tums werden für den Ausfall entscheidender Filtersta-
tionen verantwortlich gemacht, sodass unerwünschte ob
14 Impulse in höhere Gehirnzentren gelangen können. 5 es sich um ein akutes Krankheitssyndrom
so starker Ausprägung handelt, dass den
sofortigen Einsatz eines Antidepressivums,
15 19.1 Gesamtbehandlungsplan ggf. vorübergehend eines Benzodiazepins,
notwendig macht;
16 Es stehen auch bei der Zwangsstörung zwei wert- 5 Suizidalität besteht;
5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
volle Therapiestrategien, psychologische Verfahren
und Antidepressiva, zur Verfügung. Sie sollten in depressive Störung oder eine Angststörung
17 der Regel, wenn irgend möglich, gemeinsam ange- vorhanden sind;
wandt werden (Kordon et al. 2008). Allerdings ste- 5 Substanzmißbrauch bekannt ist;
5 der Patient sich sozial völlig zurückgezogen
18 hen, zumindest bei der leichten Zwangshandlung ver-
hat;
haltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund,
während bei vorherrschenden Zwangsgedanken mög- 5 eher Zwangsgedanken oder Zwangshand-
19 lichst SSRI mit KVT kombiniert angewandt werden lungen vorherrschen;
sollten. Allerdings gibt es noch zu wenige kontrollierte 5 die Krankheit mit motorischen oder sprach-
lichen Tics einhergeht.
20 Studien, um klare Empfehlungen zu geben.
19.2 · Therapie
173 19

19.2.1 Antidepressiva sollten Absetzversuche langsam ausschleichend


und möglichst nur unter einer KVT-Kombina-
Es sind überzeugende Wirksamkeitsnachweise für tion erfolgen, z. B. 25% der Dosis in 2 Monats-
Antidepressiva mit überwiegender oder selektiver 5- schritten (s. unten).
HT-Rückaufnahmehemmung wie Clomipramin (tri- 5 Wenn ein Patient nach Absetzversuchen mehr als
zyclisches Antidepressivum (TZA)) bzw. die SSRI Flu- 2 Rückfälle hatte, ist an eine Langzeitmedikation
oxetin, Fluvoxamin und Paroxetin (diese 3 SSRI sind zu denken.
zugelassen), aber auch für Citalopram und Sertralin
vorhanden. Cave
Historisch war Clomipramin schon Ende der
1960er Jahre das erste TZA, von dem eine überlegene Die Antidepressiva dürfen nicht plötzlich abge-
Wirksamkeit bei der Zwangsstörung berichtet wur- setzt werden. Das Rückfallrisiko ist zu hoch. Ein
de. Interessant war die Beobachtung, dass die anderen Absetzversuch sollte sehr langsam erfolgen. Im
TZA diese Wirkung nicht entfalteten. Man erkannte Verlauf sollte die pharmakologische Behandlung
dann bald, dass die Ursache in dem besonders starken durch eine KVT ergänzt werden um langfristige
serotoninwiederaufnahmehemmenden Mechanismus Therapieeffekte zu sichern.
von Clomipramin lag. Damit begann die Suche nach
der Bedeutung des Serotoninstoffwechsels für die neu-
robiologische Hypothese der Zwangsstörung. Therapieresistenz
5 Da kein Unterschied in der Wirksamkeit zwi- 5 Mindesten 30% der Patienten respondieren auf
schen Clomipramin und den SSRI besteht, gelten eine Monotherapie mit einem SSRI nicht. Dann
SSRI aufgrund der geringeren Nebenwirkungen kann
als Mittel der ersten Wahl. Auch innerhalb der – ein anderer SSRI
SSRI gibt es keine Wirkunterschiede. – oder Clomipramin
5 Die Dosis soll langsam auftitriert werden. Es sind – oder im nächsten Schritt eine Kombinations-
meist höhere Dosen als zur Depressionsbehand- therapie aus Clomipramin und SSRI indi-
lung notwendig. Beispiele sind: ziert sein.
– Escitalopram: Beginn mit aufsteigend bis 5 Bei Therapieresistenz zeigten erste Studien auch
maximal 20 mg. eine gute Wirkung durch die zusätzliche Gabe
– Clomipramin: Beginn mit 25–50 mg, maxi- der atypischen Antipsychotika Risperidon oder
mal 300 mg. Quetiapin zu den SSRI.
– Fluoxetin: Beginn mit 10–20 mg, maximal 5 Positive Berichte gibt es zur Kombination von
80 mg. SSRI mit dem Benzodiazepin Clonazepam und
– Fluvoxamin: Beginn mit 50 mg, maximal Buspiron.
300 mg. 5 Die Tiefenhirnstimulation ist bei therapieresi-
5 Der Therapieerfolg stellt sich oft erst nach 2– stenten Zwangsstörungen eine neue Therapie-
3 Monaten ein. Vorher sollte nicht von einer option, die aber noch weiter abgesichert werden
Non-Response ausgegangen werden. muss. Sie bietet gegenüber den früheren neuro-
5 Meist wird nur eine graduelle Besserung von 40– chirurgischen Verfahren den Vorteil, dass nur
50% erreicht. sehr wenig Hirngewebe verletzt wird, da der Ziel-
5 Begleiten depressive Störungen oder Angststö- ort im Gehirn nur elektrisch stimuliert wird.
rungen die Zwangskrankheit, sollten zunächst –
unabhängig von der syndromalen Ausgestaltung
der Zielkrankheit – SSRI verordnet werden. 19.2.2 Andere Medikamente
5 Horten und sexuelle bzw. religiöse Obsessionen
als Symptome einer Zwangskrankheit scheinen 5 Es gibt jetzt mehrere Studien in denen eine Add-
nur mäßig auf SSRI (und KVT) anzusprechen on-Therapie mit SSRI und atypischen Antipsy-
(Rufer et al. 2006). chotika (s. oben, Therapieresistenz) positiv beur-
teilt wird (Schruers et al. 2005). Von neuen Stu-
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe dien sind weitere wichtige Ergebnisse, insbe-
5 Bei der Zwangsstörung ist eine längerfristige sondere bei therapieresisten Zwangskranken zu
medikamentöse Erhaltungstherapie (mindestens erwarten.
12–24 Monate) erforderlich. Bei voller Response
174 Kapitel 19 · Zwangsstörung

5 Benzodiazepine und Buspiron allein sind in der 5 KVT in Kombination mit Exposition und Reak-
1 Regel nicht wirksam. In einer Notfallsituation tionsmanagement war in einer Studie wirksamer
können aber Benzodiazepine kurzfristig verord- als Exposition mit Reaktionsmanagement allein.
net werden. 5 Die Verhaltenstherapie hat einen nachgewie-
2 senen Langzeiteffekt. Durch die in die Therapie
Wichtig integrierte Rückfallprophylaxe wird die Selbstbe-
3 5 Zwänge im Rahmen einer Schizophrenie
handlungskompetenz aufgebaut und aktiviert.
5 Auch Patienten, die unter einer medikamentösen
sprechen nicht auf SSRI an. Antipsychotika Therapie nur eine partielle Response zeigen, pro-
4 sind dann indiziert.
5 Begleitende motorische oder sprachliche
fitieren von einer zusätzlichen KVT, allerdings ist
der Gewinn umso größer desto eher KVT ange-
Tics und Zwangssymptome im Sinne einer setzt wird (Tenneij et al. 2005).
5 überwertigen Idee müssen zusätzlich auch 5 Wird eine komorbide depressive Störung dia-
mit einem Antipsychotikum behandelt gnostiziert, sollte die KVT immer mit einem SSRI
6 werden. kombiniert werden (O’Connor et al. 2006).
5 Wenn die Antidepressiva bei der Zwangsstörung
abgesetzt werden sollen, besteht das Risiko einer
7 Rückfallquote von ca. 80%. Eine parallele KVT ist
Fazit in dieser Situation dringend indiziert.
8 Pharmakotherapie der Zwangsstörung – Bewertung
5 SSRI sind Mittel der Wahl bei Zwangskrankheiten. Fazit
9 5 Eine Indikation ist regelmäßig bei schweren Erkran-
kungen und bei begleitender Depression gegeben. Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psycho-
5 Die Dosis ist höher als bei der depressiven Störung,
10 sie muss langsam aufdosiert werden.
therapie bei Zwangsstörung – Bewertung
5 Zwangshandlungen sprechen generell besser auf
5 Der Therapieerfolg stellt sich viel später als bei der KVT an als Zwangsgedanken.
11 Depression ein (ca. 2–3 Monate). 5 Bei leichten Störungen ist KVT zunächst allein
5 Es ist eine Therapiedauer von mindestens 12–24 Mo- (besonders bei Zwangshandlungen, möglicherweise
naten anzustreben. auch bei Zwangsgedanken) indiziert, bei schweren
12 5 Ein Absetzversuch soll sehr langsam und möglichst Erkrankungen sollten immer KVT und SSRI kombi-
unter dem Schutz einer KVT erfolgen. Das Risiko eines niert werden.
13 Rückfalls ist beim Absetzen sehr hoch. 5 Bei begleitender Depression sollte regelmäßig die
5 Bei Therapieresistenz können auch mehrere SSRI KVT mit einem SSRI kombiniert werden.
nacheinander gegeben werden. 5 KVT hat einen besseren Langzeiteffekt als Antide-
14 pressiva.
5 Bei Absetzversuch der Antidepressiva sollte späte-
15 19.2.3 Psychotherapie
stens mit einer KVT begonnen worden sein.

16 5 Bei vorherrschenden Zwangsgedanken sind KVT


und Antidepressiva wahrscheinlich gleich wirk- 19.3 Behandlung der
17 sam. Bei leichten Störungen ist eine alleinige psy- Zwangsstörung im Kindes-
chologische Therapie zunächst anzustreben, bei und Jugendalter
mittelschweren und schweren Störungen sollte
18 gleich zu Beginn ein SSRI mit angesetzt werden Bei Kindern ist es häufig schwierig rituelle Hand-
(March et al. 1997). lungen von Zwangsstörungen zu unterscheiden. Kin-
5 Dagegen zeichnet sich bei vorherrschenden der mit Zwangsstörungen sind meistens verschlossen
19 Zwangshandlungen generell ein Vorteil für die und ziehen sich zurück, da sie große Ängste haben,
KVT im Vergleich zu Antidepressiva ab. Bei ihre Gedanken und Handlungen mitzuteilen. Als zen-
20 schweren Erkrankungen sollte, falls die KVT trales Element bei den Zwangsstörungen im Kin-
nicht schnell anspricht oder nicht zur Verfügung desalter sind häufig Familienmitglieder eingebun-
steht, mit einem SSRI parallel begonnen werden. den. Die Zwangstörungen können ab dem 4. Lebens-
19.4 · Checkliste
175 19

jahr auftreten. Die Ergebnisse zum Verlauf der juveni- der anderen Studie erwies sich, dass KVT-Gruppen-
len Zwangsstörungen zeigen eine hohe Stabilität der therapie signifikant bessere Ergebnisse als die medi-
Erkrankung und ihrer Komorbiditäten. kamentöse Therapie mit Sertralin erzielte (Sousa et al.
Bei den Zwangsstörungen im Kindes- und 2006).
Jugendalter gelten die gleichen Empfehlungen wie bei
Erwachsenen mit Zwangsstörungen: Bei leichten Stö-
rungen ist zunächst KVT allein indiziert, bei schweren 19.4 Checkliste
Störungen sollte immer KVT und SSRI bzw. Clomi-
pramin kombiniert werden (O’Kearney et al. 2006). ?
Pharmakotherapie 1. Für welches Antidepressivum wurde als
Fluvoxamin aus der Gruppe der SSRI ist ab 8 Jahren erstes eine überlegene Wirksamkeit bei
zur Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen. Zwangsstörungen nachgewiesen? Welcher
Placebokontrollierte Studien wurden mit SSRI Wirkungsmechanismus liegt dem zugrunde?
(Fluoxetin, Fluvoxamin und Sertralin) bei Kin- 2. Welche Antidepressiva werden bei der
dern und Jugendlichen durchgeführt. In allen Studi- Behandlung der Zwangsstörung eingesetzt?
en zeigte sich nach 8–13 Wochen Therapie eine Bes- 3. Welche Dosierungen sind bei der Behand-
serung zwischen 42–49% im Vergleich zu Placebo lung der Zwangstörungen mit Antidepressi-
(Wewetzer et al. 2003). Zu Clomipramin gibt es auch va notwendig?
positive Befunde, allerdings nur mit Studiendauern 4. In welchem Zeitraum kann bei der Behand-
von 5–8 Wochen. lung der Zwangsstörung mit Antidepressiva
mit einem Therapieeffekt gerechnet werden?
Pharmakotherapie und Psychotherapie 5. Wie stark ist der zu erwartende Therapie-
Psychotherapeutisch ist die Verhaltenstherapie und effekt?
hier speziell die Expositionsbehandlung mit Reakti- 6. Wie lange sollte eine Behandlung mit SSRI
onsverhinderung eine effektive Behandlungsmetho- bei entsprechendem Therapieerfolg fortge-
de zur Behandlung von Zwangsstörungen im Kindes- führt werden?
und Jugendalter. Eine Cochrane-Untersuchung aus 7. Was ist beim Absetzen der SSRI zu beachten?
dem Jahr 2006 konnte allerdings nur vier Studien, die 8. Welche pharmakologischen Therapieopti-
die Kriterien für eine kontrollierte Studie erfüllten, in onen gibt es, falls SSRI nicht zum gewünsch-
ihre Metaanalyse aufnehmen (O’Kearney et al. 2006). ten Therapieerfolg führen?
In zwei kontrollierten Studien wurde Psychothe-
rapie und medikamentöse Therapie bzw. deren Kom-
bination bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangs-
störungen verglichen. Dabei zeigte sich in der einen
Studie, dass die Kombination von KVT und Sertralin,
den alleinigen Therapieformen überlegen war, wel-
che wiederum gegenüber Placebo überlegen waren. In
20.1 ·
177 20

Posttraumatische Belastungsstörung

20.1 Gesamtbehandlungsplan – 178

20.2 Therapie – 178


20.2.1 Antidepressiva – 178
20.2.2 Andere Psychopharmaka – 178
20.2.3 Psychotherapie – 179

20.3 Behandlung der PTSD im Kindes- und Jugendalter – 179

20.4 Checkliste – 180


178 Kapitel 20 · Posttraumatische Belastungsstörung

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) diktor der Depression gewertet. Da Alkohol und ille-
1 ist ein Störungsbild, das sich in der Regel innerhalb gale Drogen die Beschwerden der PTSD mildern kön-
von 6 Monaten nach einem traumatisierenden Ereig- nen, ist bei der PTSD eine zusätzliche Komorbidität
nis von außergewöhnlicher Schwere entwickelt und mit Alkohol- und Drogenabusus häufig. Die PTSD
2 sich in wiederholten, sich aufdrängenden Erinne- ist oft bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen zu
rungen oder Wiederinszenierungen des Ereignisses finden. Ein wichtiger Risikofaktor für die PTSD sind
3 in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen äußert,
die von starker Angst oder einem Gefühl der Hilf-
vorbestehende Angsterkrankungen (Kendler et al.
1995; Hautzinger 2006). Erstmalig wurde, wie bei der
losigkeit geprägt sind. Dabei entwickeln sich häufig Depression (7 Abschn. 15.8), auf die Assoziation zwi-
4 emotionaler und sozialer Rückzug, Gefühlsabstump- schen PTSD und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin-
fung, Vermeidungsverhalten bez. an das Trauma erin- gewiesen (Kubzansky et al. 2007).
nernder Stimuli, anhaltende Hypervigilanz, Schlafstö- Eine gebesserte Symptomatik kann nach einigen
5 rungen und kognitive Verzerrungen. Eine PTSD kann Monaten oder Jahren – ganz oder in Teilsymptomen –
sich auch nach alltäglichen Ereignissen wie Unfällen wieder aufflackern. Manchmal dauern Episoden jahr-
6 entwickeln. zehntelang.
Während der größte Teil der Traumatisierten die
Ereignisse bewältigt, kommt es bei einem Drittel zu
7 psychischen Problemen. Dauert die PTSD länger als 20.2 Therapie
3 Monate, wird sie als chronisch eingestuft.
8 In der DSM-IV-Klassifikation wird die PTSD den
Angsterkrankungen zugeordnet, in der ICD-10 wird
20.2.1 Antidepressiva
sie als Reaktion auf Belastungen gesehen. 5 Die meisten positiven Ergebnisse liegen zu den
9 SSRI Paroxetin und Sertralin vor (zugelassen:
Neurobiologie der PTSD. Hyperarousal und Reiz- Paroxetin). Insgesamt sind die Erfolge mit Anti-
barkeit wird als Aktivierung des sympathischen und depressiva bei der PTSD geringer als bei der
10 endokrinen Systems bei Stress gesehen. Aber anders Depression; 40–50% respondieren unter SSRI.
als bei der Depression führt die Dysregulation der Durch SSRI werden sowohl die PTSD-typischen
11 Stresshormonsekretion bei der PTSD zu einem ernied- als auch die komorbiden Begleitsymptome gebes-
rigten peripheren Kortisolspiegel. Dieser Befund sert.
mag für die Sonderstellung der PTSD im Rahmen 5 Man beginnt mit niedriger Dosis für mindestens
12 der Angsterkrankungen sprechen. Im Vergleich zur 8 Wochen und setzt dann auf eine eher hohe
Depression fehlen aber weitgehend abgesicherte wei- Erhaltungsdosis wie bei der Therapie der Depres-
13 tere neurobiologische Befunde (Ehlert 2006). Da die sion.
SSRI wirksam sind, wird auch eine serotonerge Dys- 5 Oft werden Besserungen erst nach langfristiger
funktion postuliert. Auf den genetischen Zusammen- Therapie gesehen.
14 hang zwischen »life events« und Depression wird in 5 Es gibt Empfehlungen zu 1- bis 2-jähriger
7 Abschn. 15.8 hingewiesen. Behandlungsdauer; nach Absetzen ist das Risiko
15 für einen Rückfall groß (Davis et al. 2006).
5 Nach Besserung sollen SSRI sehr langsam abge-
20.1 Gesamtbehandlungsplan setzt werden. Bei Wiederauftreten der Symptome
16 werden SSRI wieder angesetzt.
Die PTSD ist oft eine chronische Erkrankung und 5 Es wird davon ausgegangen, dass eine frühzei-
muss langfristig behandelt werden. Dazu bieten sich tige Intervention mit Antidepressiva einer chro-
17 Antidepressiva und psychologische Verfahren auf der nischen PTSD-Entwicklung vorbeugt.
Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) 5 Kommt es zu keiner Besserung mit SSRI, können
18 an; sie können kombiniert angewandt werden. Der auch andere Antidepressiva versucht werden.
Schwerpunkt liegt allerdings auf der Psychotherapie
(Bradley et al. 2005).
19 Bei der PTSD besteht eine hohe Komorbidität mit 20.2.2 Andere Psychopharmaka
Angststörungen und Depressionen, aber auch soma-
20 toformen Störungen. Während die Angstsymptoma- 5 Zur Therapie der Begleitsymptome der PTSD,
tik über die Zeit eher abnimmt, treten depressive Sym- gerade bei bestehender Komorbidität, können
ptome vermehrt auf. So wird auch die PTSD als Prä- atypische Antipspychotika (AAP) gegeben wer-
20.3 · Behandlung der PTSD im Kindes- und Jugendalter
179 20

den. Sie sind besonders bei psychose-ähnlichen


Zuständen hilfreich. Fazit
5 Es gibt vermehrt Hinweise, dass AAP über die
Psychose-Indikation hinaus eine ähnlich gute Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psycho-
Wirkung wie Antidepressiva haben. Abgesehen therapie bei der PTSD – Bewertung
von der Off-label-Indikation der atypischen Anti- 5 Therapie der ersten Wahl ist KVT oder EMDR. Beide
psychotika ist aber das Nebenwirkungsrisiko, Therapien können gleichwertig angewandt werden.
besonders wegen der Möglichkeit der Induktion Die Vorteile des psychotherapeutischen Verfahrens
eines metabolischen Syndroms (7 Abschn. 7.6), (hier EMDR) sind im längerfristigen Verlauf evident.
höher als bei den Antidepressiva einzuschätzen. 5 Bei schweren Formen, insbesondere wenn sie von
5 Bei Aggressionen im Rahmen einer PTSD kön- starken Angstsymptomen oder Depressionen beglei-
nen auch Antikonvulsiva (7 Kap. 6) verordnet tet werden, kann gleich zu Beginn mit einem SSRI
werden. kombiniert werden.
5 Es gibt keine Indikation für eine Monotherapie 5 Bei fehlender Response oder Partialresponse unter
mit Benzodiazepinen. KVT oder EMDR sollte ein SSRI verordnet werden,
danach bei fehlender Besserung auch ein anderes
Antidepressivum.
20.2.3 Psychotherapie 5 Es gibt keine aussagekräftigen Studien, die Vorteile
einer Kombination gegenüber der Monotherapie mit
KVT und EMDR (»eye movement desensitization Antidepressiva, KVT oder EMDR zeigen würden.
and reprocessing«) (Hofmann 2006; Maercker 2005)
sind etablierte Verfahren. Der Schwerpunkt der ver-
haltenstherapeutischen Arbeit liegt in Expositions-
verfahren und Angstbewältigungstraining. EMDR ist 20.3 Behandlung der PTSD im
eine Variante des Konfrontationsverfahrens mit sug- Kindes- und Jugendalter
gestiven (hypnotischen) Anteilen. In einer Metaanaly-
se konnte zwischen EMDR und der traumafokussier- Damit die Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit
ten KVT kein Unterschied gefunden werden (Brad- PTSD wirksam ist, sollte ein Schutz vor Retraumati-
ley et al. 2005; Butler et al. 2006). Für beide Verfahren sierung und ein vom Patienten als sicher und kontrol-
liegen die meisten positiven Studien vor. Begleitende lierbar erlebtes Umfeld voraus gesetzt sein. Meistens
Angstsymptomatik und Depression wird auch durch ist die Einbeziehung der Bezugspersonen erforderlich
die psychologischen Verfahren parallel gebessert. und hilfreich. Zu Beginn der Therapie ist eine Auf-
KVT und ähnliche psychotherapeutische Verfah- klärung über die psychischen Traumafolgen indiziert
ren gehen meist über 30–40 Therapiekontakte und (Psychoedukation). Anschließend stellt die KVT mit
einen Zeitraum von 6–9 Monaten. Es wird empfoh- Expositionsbehandlung sowie das Erlernen von Tech-
len mit einer derartigen Psychotherapie frühestens niken zur Stressbewältigung die Therapie der Wahl
2 Monate nach dem Trauma zu beginnen. In den dar (Herpertz-Dahlmann et al. 2005). In einigen Stu-
ersten Wochen nach einer traumatischen Erfahrung dien konnte die Wirksamkeit der KVT und EMDR
kommt es meist zur Spontanrückbildung der anfäng- bei Kindern und Jugendlichen mit PTSD nachgewie-
lichen Symptomatik. Studien zur Frühintervention sen werden (Stallard 2006). Placebokontrollierte Stu-
nach einem akuten Trauma zeigten keine positiven dien liegen zu PTSD bei Kindern und Jugendlichen
Effekte (Maercker 2005; Sijbrandij et al 2007). nicht vor.
In einer randomisierten follow-up-Studie konn-
ten zwar bei Vergleich zwischen Fluoxetin und EMDR Pharmakotherapie
während der Akutbehandlung keine eindeutigen Falls eine medikamentöse Behandlung aufgrund des
Unterschiede festgestellt werden, nach 6 Monaten Schweregrads und der Chronizität der Erkrankung
allerdings war das psychotherapeutische Konfrontati- indiziert ist, sollte die Therapie zunächst mit einem
onsverfahren signifikant dem Antidepressivum über- SSRI initiiert werden. Als Alternativen oder als zusätz-
legen (van der Kolk et al 2007). liche medikamentöse Therapie kommt Clonidin bei
starken Erregungszuständen und Impulsivität in Fra-
ge, ein Stimmungsstabilisierer bei ausgeprägter affek-
tiver Begleitsymptomatik und ein AAP bei selbstver-
letzendem Verhalten, Dissoziationsphänomen, psy-
180 Kapitel 20 · Posttraumatische Belastungsstörung

chotischen und aggressiven Symptomen. Bei komor-


1 bidem ADHS sollte der Patient mit Psychostimu-
lanzien oder Atomoxetin behandelt werden.

2
20.4 Checkliste
3
?
4 1. Welche komorbiden Störungen treten häufig
bei der PTSD auf?
2. Was sind die Therapien der ersten Wahl bei
5 der PTSD?
3. Wann sollten bei der PTSD Antidepressiva
6 eingesetzt werden?
4. Welche Responserate ist bei der Behandlung
der PTSD mit SSRI (Paroxetin und Sertralin)
7 zu erwarten?
5. Wie lange sollte bei der PTSD eine Behand-
8 lung mit Antidepressiva fortgeführt werden?

9
10
11
12
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14
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16
17
18
19
20
21.1 ·
181 21

Akute Belastungsstörung und


Anpassungsstörung

21.1 Therapie – 182

21.2 Behandlung der akuten Belastungsstörung und


der Anpassungsstörung im Kindes- und Jugendalter – 182

21.3 Checkliste – 183


182 Kapitel 21 · Akute Belastungsstörung und Anpassungsstörung

Wie bei der posttraumatischen Belastungsstörung 5 Zu Beginn können zur Entlastung kurzfristig
21 (PTSD, 7 Kap. 20) sind sowohl bei der akuten Bela- Benzodiazepine (7 Kap. 8) eingesetzt werden.
stungsstörung als auch bei der Anpassungsstörung Bei Suizidalität sollten sie eher vermehrt als in zu
Stressoren die Auslöser der Krankheit. Ganz im niedrigen Dosen angesetzt werden.
22 Gegensatz zu den übrigen ICD-Diagnosen bestimmt 5 Bei Schlafstörungen sind zunächst Non-Benzodi-
bei diesen 3 Krankheitsbildern die Ätiologie die dia- azepinhypnotika (7 Kap. 9) indiziert.
5 Falls sich bei der Anpassungsstörung auch nach
23 gnostische Einordnung. Der Zusammenhang zwi-
schen Stressoren, den verursachten psychischen Stö- psychotherapeutischen Interventionen fort-
rungen, besonders der Depression, und den mög- gesetzt Ängste oder depressive Reaktionen
24 lichen gravierenden Folgekrankheiten, allen voran (ICD 43.21/22) zeigen oder verbleiben, sind
den Herz-Kreislauf-Erkrankungen (7 Abschn. 15.7.8), diese, wie 7 Kap. 15 (»Depressive Störungen«)
ist in der biologischen Psychiatrie ein neues wichtiges beschrieben, zu behandeln. Auch wenn für den
25 Forschungsgebiet. Allerdings wird die Bedeutung des Einsatz von Antidepressiva bei definierten Bela-
Stresses in der Diagnostik und der Therapie psychiat- stungen im Vergleich zu den unipolaren Depres-
26 rischer Erkrankungen insgesamt viel zu wenig berück- sionen kaum systematische Untersuchungen vor-
sichtigt (Benkert 2005). liegen, sollten sie bei Auftreten dieser Komplika-
Bei der akuten Belastungsstörung sind es außer- tion eingesetzt werden.
27 gewöhnliche psychische oder physische Belastungen, 5 Durch den engen Zusammenhang zwischen Dau-
die zu Reaktionen innerhalb von wenigen Minuten erstress und Depression bieten sich auch für bei-
28 nach dem Ereignis führen. Nach einem Zustand der
»Betäubung« und eingeschränkter Aufmerksamkeit
de Konstellationen ähnliche Therapien, also KVT
und Antidepressiva, an.
schwankt die Symptomatik zwischen Angst, Depres-
29 sion, Verzweiflung und Erregung oder auch Rückzug.
Der Zustand hält wenige Stunden bis Tage an. 21.2 Behandlung der akuten
30 Bei der Anpassungsstörung sind die Belastungen Belastungsstörung und
nicht unbedingt von außergewöhnlicher Bedrohlich- der Anpassungsstörung im
keit und sie haben kein katastrophales Ausmaß. Sie Kindes- und Jugendalter
31 werden nach ICD-10 als »Zustände von subjektivem
Leid und emotionaler Beeinträchtigung definiert, die Gerade bei akuten Belastungsreaktion und Anpas-
soziale Funktionen und Leistungen behindern und sungsstörungen im Kindes- und Jugendalter ist der
32 während des Anpassungsprozesses nach einer ent- Entwicklungsaspekt zu berücksichtigen. Der Verlauf
scheidenden Lebensveränderung oder nach belasten- bzw. Übergang in andere psychiatrische Störungs-
33 den Lebensereignissen, wie auch schwerer körper- bilder hängt von der Länge der Deprivation und dem
licher Erkrankung, auftreten«. Die Anpassung an die Schweregrad der Symptomatik ab. Im anglosäch-
neue Situation gelingt nicht. Die Symptomatik beginnt sischen Sprachraum wird die akute Belastungsstö-
34 innerhalb eines Monats und dauert bis 6 Monate an. rung bei Kindern und Jugendlichen häufig auch als
Überdauernd sind oft gemischte Störungen von eher Vorläufersymptomatik einer PTSD angesehen (Mar-
35 subkategorialem Schweregrad, vorrangig Angst und
depressive Reaktionen. Die Störung kann dann bei
ch 2003).
Die Effektivität psychologischer und pharmakolo-
zusätzlich auftretender depressiver Reaktion bis zu gischer Behandlungen ist im Kindes- und Jugendalter
36 2 Jahren andauern, 7 Abschn. 21.1. unzureichend untersucht. Der Schwerpunkt der The-
rapie liegt sicherlich auf der Psychotherapie. Im Rah-
men der Krisenintervention können kurzfristig Ben-
37 21.1 Therapie zodiazepine und/oder atypische Antipsychotika ein-
gesetzt werden, bei einer längerfristigen Therapie
38 5 Spezifische Behandlungsinterventionen sind bei sind Antidepressiva indiziert. Bei den häufig vorkom-
akuten Belastungen wenig erforscht. Der Schwer- menden Schlafstörungen ist die Gabe von Non-Ben-
punkt der Therapie liegt auf der Psychotherapie zodiazepinhypnotika (7 Kap. 9) teilweise angezeigt.
39 mit primärer Krisenintervention zur Bewältigung
der Stressoren.
40
21.3 · Checkliste
183 21

21.3 Checkliste

?
1. Welche Psychopharmaka können bei der
akuten Belastungsstörung zur kurzfristigen
Entlastung eingesetzt werden?
2. Welche Medikamente können längerfristig
bei der Anpassungsstörung – sinnvoller-
weise in Kombination mit psychotherapeu-
tischen Interventionen – eingesetzt werden?
22.1 ·
185 22

Somatoforme Störungen

22.1 Therapie – 187


22.1.1 Antidepressiva – 187
22.1.2 Andere Medikamente – 188
22.1.3 Psychotherapie – 188

22.2 Spezifische Syndrome – 188


22.2.1 Somatisierungsstörung und somatoforme autonome
Funktionsstörung – 188
22.2.2 Hypochondrische Störung – 188
22.2.3 Somatoforme Schmerzstörung – 189
22.2.4 Körperdysmorphe Störung – 189
22.2.5 Chronisches Müdigkeitssyndrom – 189
22.2.6 Fibromyalgiesyndrom – 190
22.2.7 Prämenstruelles Syndrom – 190
22.2.8 Colon irritabile – 190

22.3 Behandlung der somatoformen Störung im Kindes- und


Jugendalter – 191

22.4 Checkliste – 191


186 Kapitel 22 · Somatoforme Störungen

Der Begriff umfasst je nach Diagnosesystem verschie- fischen Syndromen (7 Abschn. 22.2) wieder. Die Auto-
21 dene Störungsbilder, bei denen körperliche Beschwer- ren des Leitfadens sind sich bewusst, dass auch diese
den im Vordergrund stehen, für die keine (ausrei- Gliederung nur vorübergehend sein wird. Sie hat aber
chende) organische Erklärung gefunden wird. Zur die wichtige gemeinsame Klammer einer ähnlichen
22 Beschreibung des Beschwerdekomplexes wurden bis- Therapiestrategie.
her verschiedenste Begriffe verwendet: z. B. psycho-
23 somatische, psychogene oder funktionelle Beschwer-
den, vegetative Dystonie oder Dysregulation, Hyste-
Das somatische Syndrom bei der depressiven
Störung. Da der Zusammenhang zwischen der
rie, nervöse Beschwerden, Psychoneurose. Früher depressiven Störung und Schmerzen bzw. somatischen
24 wurden die Syndrome unter den Begriffen psychoso- Symptomen in der Psychiatrie eine große Bedeutung
matische Störungen oder psychovegetative Störungen hat (Fava 2002; Peveler et al. 2006), wird auf die von
zusammengefasst. Kapfhammer (2008) erstellte Übersicht aufmerksam
25 Ca. 40% Patienten suchen einen Allgemeinarzt gemacht (zit. S. 959, hier mit zusätzlicher Literatur):
oder Internisten mit körperlichen Beschwerden auf,
26 ohne dass hierfür eine spezifische organische Ursache Das somatische Syndrom bei einer Depressi-
gefunden werden kann (Khan et al. 2003). on markiert den Schweregrad einer depres-
Die meisten Patienten mit einer depressiven Stö- siven Störung. Depressive Patienten mit einer
27 rung oder einer Angststörung leiden unter vegetativen hohen Anzahl von körperlichen Symptomen
und körperlichen Symptomen. profitieren sehr häufig in einem geringeren
28 Die somatoforme Störung ist nicht nur in Bezug
auf das Erscheinungsbild und möglicher Komorbidi-
Umfang von einer antidepressiven Medi-
kation als jene Patienten, die vorrangig nur
täten, sondern auch in Bezug auf die möglichen Ursa- affektive und kognitive Beschwerden auf-
29 chen sehr heterogen (zit. nach Kapfhammer 2008, weisen (Greenberg et al. 2003; Papakostas et
S. 950, hier mit Hervorhebungen): al. 2004). Auch scheint »Somatisierung« ein
5 Patienten, die eine primäre psychische Störung, Prädiktor für ein verstärktes Absetzen einer
30 z. B. Depression, Panik, andere Angststörungen, aufgenommenen antidepressiven Pharma-
Anpassungsstörungen oder psychische Störungen kotherapie infolge von Nebenwirkungen zu
31 durch psychotrope Substanzen vorrangig in ihren sein (Agosti et al. 2002). Nicht voll remittierte
integralen körperlichen Symptomen schildern. Depressionen wiederum stellen sich in erster
5 Patienten, die bei nachweisbarer psychosozi- Linie durch ein chronisches Syndrom multip-
32 aler Problematik oder emotionaler Bedräng- ler somatoformer Beschwerden dar (Akiskal
nis bestimmte körperliche Symptome zeigen, für 1983). In epidemiologischen Untersuchungen
33 die keine ausreichende medizinische Erklärung erhöht sich mit einer steigenden Anzahl
besteht. Typisches Beispiel ist die Konversions- »medizinisch unerklärter Körpersymptome«
störung. das Risiko für eine künftige Major Depres-
34 5 Patienten mit habituell wiederkehrenden, zahl- sion signifikant (Kroenke et al. 1994). Und
reichen medizinisch unerklärten körperlichen wiederum werden depressive Patienten mit
35 Beschwerden und Symptomen, die zu einer über-
mäßigen Inanspruchnahme von Ärzten und kli-
zahlreichen somatoformen Beschwerden im
primärärztlichen Versorgungssystem sehr viel
nischen Einrichtungen führen und mit einer seltener korrekt diagnostiziert und adäquat
36 starken psychosozialen Behinderung einherge- behandelt (Greden 2003).
hen. Typisches Beispiel ist die Somatisierungs-
störung. Patienten mit somatoformen Störungen weisen sehr
37 5 Patienten, die besorgt und überzeugt sind, körper- häufig einen chronischen Verlauf auf. Starkes sub-
lich krank oder in ihrem körperlichen Erscheinungs- jektives Leiden und starke psychosoziale Beeinträch-
38 bild verunstaltet zu sein, ohne dass hierfür ausrei- tigungen charakterisieren weiter das Krankheits-
chende objektive Befunde erhoben werden kön- bild, das durch komorbide psychische Störungen ver-
nen. Als typisches Beispiel imponiert die Hypo- schlimmert wird. Allgemeinärzte und Internisten, die
39 chondrie einerseits, die körperdysmorphe Stö- in der Regel zunächst in der Primärversorgung mit
rung andererseits. diesem Syndrom konfrontiert werden, sind mit der
40 Führung der Patienten oft überfordert.
Die Heterogenität spiegelt sich auch in der Aufzäh-
lung der verschiedensten Diagnosen unter den spezi-
22.1 · Therapie
187 22

Neurobiologie der somatoformen Störung. Das sero-


tonerge System ist in verschiedenen Studien immer 5 eine depressive Störung, Panikstörung oder
wieder mit somatoformen Störungen in Zusammen- generalisierte Angst als Ursache für die
hang gebracht worden (Tölle u. Flor 2006). Für die körperlichen Störungen verantwortlich zu
Psychopharmakotherapie bedeutsam ist daher die machen sind;
Annahme, dass depressive und Angststörungen ähn- 5 Benzodiazepin- oder Substanzmissbrauch –
liche Dysfunktionen der Neurotransmittersysteme wie auch früher – bekannt ist;
die somatoformen Störungen aufweisen. Bei den 5 eine stabile Arzt-Patientenbeziehung aufge-
Schmerzsyndromen sind besonders die serotonergen baut werden kann;
und noradrenergen Neurotransmittersysteme invol- 5 eine positive/negative Haltung zur Pharma-
viert. Beide sind interaktiv über Interneurone in die kotherapie/Psychotherapie besteht;
deszendierende zentrale Hemmung der Schmerzlei- 5 die psychosozialen Ursachen (z. B. aktuelle
tung eingebunden. Besonders effektiv sind deshalb Stressoren, Verluste in der frühen Kindheit,
Antidepressiva mit einer kombinierten serotonergen Missbrauch) bekannt sind.
und noradrenergen Wirkung (7 Abschn. 22.1.1). Diese
Antidepressiva können auch bei isoliertem Schmerz
eingesetzt werden.
22.1.1 Antidepressiva

22.1 Therapie Trotz hoher Prävalenz der Störungsgruppe sind metho-


disch einwandfreie Studien zur medikamentösen The-
Vorrangig sind bei somatoformen Störungen psycho- rapie kaum vorhanden. Therapieempfehlungen beru-
therapeutische Verfahren indiziert. Das Therapieziel hen zumeist auf Beobachtungen aus Studien mit affek-
liegt neben einer Symptomreduktion in einer Bewäl- tiven oder psychotischen Störungen und Angstsyn-
tigung psychosozialer Stressoren und in einer verrin- dromen, jeweils mit begleitenden somatischen Sym-
gerten Inanspruchnahme von ärztlichen Diensten. ptomen. Nach den bisherigen Erfahrungen sind die
Auch Antidepressiva sind bei vielen somato- therapeutischen Effekte von Antidepressiva bei soma-
formen Störungen wirksam. Sie können mit psycho- toformen Störungen geringer als bei der Behandlung
therapeutischen Verfahren kombiniert werden. Da von Angststörungen und Depressionen.
Patienten mit somatoformen Störungen zum großen 5 Bei depressiven Störungen mit somatischen Sym-
Teil von Allgemeinärzten und Internisten versorgt ptomen sind Antidepressiva Mittel der Wahl.
werden, ist auch eine primär psychopharmakologische 5 Es hat sich gezeigt, dass selektive Serotonin-Nor-
Behandlung akzeptabel, wenn psychologisch Verfah- adrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI, duale
ren zunächst nicht zur Verfügung stehen. Die Bedeu- Antidepressiva) bei der Behandlung von Depres-
tung der Antidepressiva auch bei der Krankheitsgrup- sion mit körperlichen Beschwerden und Schmer-
pe der somatoformen Störungen nimmt mit der Ent- zen den selektiven Serotoninrückaufnahmehem-
wicklung neuer wirksamer Substanzen zu. mern (SSRI) überlegen sind. Es sind: Duloxetin,
Milnacipran und Venlafaxin.
Wichtig Deswegen sind – obwohl noch nicht genügend
evaluiert – diese Antidepressiva primär indiziert,
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft, wenn Schmerzen im Vordergrund stehen.
ob 5 Wenn eine psychotherapeutische Maßnah-
5 organische Ursachen sicher ausgeschlossen me nicht sofort gestartet werden kann, sollte
wurden, z. B. Helicobacter pylori; gleich ein Versuch mit Antidepressiva für einige
5 die Möglichkeiten einer medizinischen The- Wochen begonnen werden.
rapie ausgeschöpft sind, z. B. physikalische 5 Die Dosis entspricht der Therapie bei depressiven
Therapie bei Fibromyalgie; Störungen (7 Kap. 15).
5 dann nach Ausschluss der organischen 5 Da zur Dauer der Behandlung keine Daten vor-
Ursachen für die körperlichen Beschwerden liegen, sollte man wie bei der Depression verfah-
weitere medizinische Konsultationen sicher ren (7 Kap. 15).
vermieden werden können;
6
188 Kapitel 22 · Somatoforme Störungen

22.1.2 Andere Medikamente 22.2 Spezifische Syndrome


21
5 Begleitsymptome wie Anspannung oder Angst Es werden hier jene Syndrome erwähnt, für die es
rechtfertigen einen vorübergehenden Einsatz von eigene pharmakotherapeutische Studien oder The-
22 Benzodiazepinen. Zur längerfristigen Behand- rapievorschläge gibt. Grundsätzlich gelten die Emp-
lung sollten aber Antidepressiva gewählt werden. fehlungen nach 7 Abschn. 22.1. Wenn für die wei-
23 Cave
teren Diagnosen, die in der ICD-10 unter somato-
formen Störungen genannt werden, keine medika-
mentöse Therapie bekannt ist, werden die Diagnosen
24 Problematisch ist der immer noch verbreitete
langfristige Einsatz von Depotantipsychotika (z. B.
auch nicht genannt.

Fluspirilen) mit dem Risiko von Spätdyskinesien,


25 auch wenn sie wirksam sein mögen. Gerade auch 22.2.1 Somatisierungsstörung und
für Depotantipsychotika fehlen kontrollierte Stu- somatoforme autonome
26 dien bei den somatoformen Störungen. Funktionsstörung

Die Beschwerden beziehen sich auf multiple Körper-


27 systeme. Im Vordergrund stehen gastrointestinale
22.1.3 Psychotherapie Beschwerden, abnorme Hautempfindungen, aber auch
28 Somatoforme Störungen galten lange als schwer
sexuelle und menstruelle Beschwerden. Bei der soma-
toformen autonomen Funktionsstörung beziehen sich
behandelbar und wurden mit geringen Erfolgsaus- die Körperbeschwerden vorrangig auf Organsysteme
29 sichten eingeschätzt (Rief u. Freyberger 2006). Inzwi- mit autonomer Innervierung. Die klassischen »pycho-
schen liegen bereits einige Therapiestudien und sogar somatischen Erkrankungen« finden sich in dieser
schon Metaanalysen (Looper u Kirmayer 2002) zu Kategorie, z. B. die Funktionsstörungen des kardio-
30 kognitiv und verhaltenstherapeutisch orientierter vaskulären Systems.
Psychotherapie vor. Neue physiologische Erkennt- 5 Es gibt eine positive Studie zum Anxiolytikum
31 nisse (z. B. die Entdeckung von Helicobacter pylo- Opipramol (7 Kap. 8). Die Somatisierungssym-
ri beim Magengeschwür) und pharmakotherapeu- ptome wurden positiv beeinflusst.
tische Erfolge bei einigen Syndromen, erweitern aber 5 Auch unter Johanniskrautextrakt (7 Kap. 5) war
32 zunehmend den alleinigen bisherigen psychothera- unabhängig von der depressiven Symptomatik
peutischen Ansatz. Problematisch bleibt weiterhin das eine Reduktion der körperlichen Beschwerden
33 Fehlen von abgesicherten Evaluationstudien zur psy- feststellbar.
chodynamischen Therapie. 5 Diese beiden Medikamente sind durchaus Alter-
5 KVT ist in der Regel bei somatoformen Stö- nativen zu den gebräuchlichen antidepressiven
34 rungen Wartelisten überlegen, besonders auch Therapieverfahren (7 Abschn. 22.2.1).
bei dem Zielkriterium chronischer Schmerz (But-
35 ler et al. 2006). Die Effektstärken bei Hypochon-
drie und körperdysmorphen Störungen liegen im 22.2.2 Hypochondrische Störung
oberen Bereich, während die Ergebnisse bei kom-
36 plexen somatoformen Störungen und Somatisie- Im Vordergrund steht die beharrliche Beschäftigung
rungssyndromen insgesamt nicht so positiv aus- mit der Möglichkeit an einer schweren Krankheit zu
fallen und bislang bestenfalls im mittleren Effekt- leiden. Die Wahrnehmungssensibilität gegenüber nor-
37 bereich liegen. Aussagen zum Langzeiteffekt sind malen körperlichen Sensationen ist erhöht. Es besteht
zzt. nicht möglich. Krankheitsüberzeugung.
38 5 Auch Biofeedback wird bei chronischem Schmerz 5 Treten hypochondrische Symptome bei anderen
und Reizdarm als erfolgreiche Therapie gewertet. psychischen Störungen auf, so lassen diese sich
5 Es gibt positive Studien zur psychodynamisch in der Regel erfolgreich im Rahmen der psycho-
39 interaktionellen Gruppenpsychotherapie bei ver- pharmakologischen Therapie, z. B. einer depres-
schiedenen somatoformen Syndromen. siven Störung, mitbehandeln.
40 5 Studien, die eine Aussage zum Vergleich Antide- 5 Es gibt Pilotstudien, in denen ein positiver Effekt
pressiva und Psychotherapie erlauben würden, von SSRI gezeigt wurde.
sind nicht vorhanden.
22.2 · Spezifische Syndrome
189 22

22.2.3 Somatoforme Schmerzstörung giforme Schmerzen (Postzosterneuralgie, Trigemi-


nusneuralgie) und Thalamusschmerz. Antidepressiva
Chronischer und quälender Schmerz kann physiolo- sind auch bei Zosterschmerz, besonders als Augmen-
gisch oder durch eine körperliche Störung nicht voll- tation zur Opioidanalgesie, wirksam. Eine Toleranz-
ständig erklärt werden. Emotionale Konflikte oder entwicklung besteht nicht.
psychosoziale Probleme spielen eine wesentliche Rol- 5 Trizyklische Antidepressiva sowie duale Antide-
le. Schmerzäußerungen führen oft zu intensiver per- pressiva (Duloxetin, Mirtazapin, Venlafaxin) mit
sönlicher, sozialer oder medizinischer Zuwendung, kombinierter serotonerger und noradrenerger
was als Verstärkung zur Chronifizierung von Schmerz Wirkung sind besser wirksam als SSRI.
beiträgt. Ferner sind komorbide depressive Störungen 5 Duloxetin ist zur Behandlung schmerzhafter
oder Angststörungen häufig. Polyneuropathien bei Diabetes mellitus zugelas-
5 Der antinozizeptive Effekt der Antidepressiva bei sen. Ob ein möglicher Vorteil für Duloxetin im
chronischen Schmerzen besteht unabhängig vom Vergleich zu anderen Antidepressiva mit ähn-
antidepressiven Effekt. Es mehren sich Studien, lichem Wirkungsmechanismus besteht, ist bisher
die auf den stärkeren antinozizeptiven Effekt für nicht gezeigt worden.
Antidepressiva mit dualer Komponente mit Wir-
kung auf das serotonerge und das noradrenerge
Neurotransmittersystem im Vergleich zu SSRI 22.2.4 Körperdysmorphe Störung
hinweisen (Fishbain 1998).
5 Dennoch gibt es eine Vielzahl von Studien, in Die überwertige Überzeugung, dass ein Körperteil
denen auch der positive Effekt der SSRI nachge- oder das körperliche Erscheinungsbild verunstaltet
wiesen wurde. ist, kennzeichnet diese somatoforme Störung.
5 Patienten mit somatoformer Schmerzsstörung 5 Für die körperdysmorphe Störung wird über
zeigten Besserungen unter dem Antiepilektikums Behandlungserfolge mit verschiedenen SSRI
Topiramat (300–400 mg/Tag). berichtet. In einer kontrollierten Studie mit trizy-
5 Bei chronischem Spannungskopfschmerz war die klischen Antidepressiva war Clomipramin besser
Kombination von Amitriptylin mit Citalopram als Desimipramin. Die körperdysmorphen Symp-
oder Mirtazapin wirksam. tome besserten sich unabhängig von Zwangs-
5 In der Rezidivprophylaxe der Migräne sind neben symptomen.
β-Adrenorezeptorantagonisten (7 Kap. 8) (Prop- 5 Die Dosis der SSRI entspricht der antidepressiven
ranolol, Metoprolol), die Antiepileptika Valproat Wirkdosis.
und Topiramat, Kalziumantagonisten und Sero- 5 Es ist eher von einer Langzeitbehandlung auszu-
toninagonisten auch Antidepressiva mit gutem gehen.
Erfolg eingesetzt worden. Da eine hohe Komor- 5 Bei wahnhaftem Ausmaß haben sich zusätzlich
bidität mit Depression und Angststörungen Antipsychotika bewährt. Aber es gibt Studien, in
besteht, sind Antidepressiva besonders bei par- denen sich auch unter Antidepressiva die wahn-
allelen depressiven oder ängstlichen Störungsbil- hafte Überzeugung gebessert hat.
dern vielversprechend.
5 Eine Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen
soll vermieden werden. Neben den bekannten 22.2.5 Chronisches
Risiken (7 Kap. 8) kann es auch zu einer Senkung Müdigkeitssyndrom
der Schmerzschwelle kommen.
Beim chronischen Müdigkeitssyndrom stehen Müdig-
Schmerzsyndrome unabhängig von einer keit und körperliche und geistige Erschöpfung im Vor-
somatoformen Schmerzstörung dergrund, besonders nach Belastung. Weitere Sym-
Antidepressiva können erfolgreich zur symptoma- ptome sind Muskelschmerzen, Kopf- und Gelenk-
tischen Behandlung chronischer Schmerzzustän- schmerzen, leichte Temperaturerhöhung, Frösteln,
de unterschiedlicher Ätiologie eingesetzt werden; die Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, körper-
gleichzeitige Gabe von Analgetika kann oft reduziert liche Missempfindungen oder schmerzhafte Lymph-
werden. Mögliche Indikationen sind Schmerzsyn- knoten. Der Verlauf ist oft chronisch (mindestens
drome bei Krebserkrankungen, Erkrankungen des 6 Monate). Die diagnostische Einordnung ist noch
rheumatischen Formenkreises, Kopfschmerzen, Lum- unklar; es gibt viele Überschneidungen zur Neu-
balgien, Polyneuropathien (z. B. diabetisch), neural- rasthenie, den depressiven Störungen, den Angst-
190 Kapitel 22 · Somatoforme Störungen

störungen und den Erkrankungen dieses Kapitels. nungsgefühl der Brüste, Wassereinlagerung, Gelenk-
21 Eine entscheidende Bedingung für das Auftreten der und Muskelschmerzen.
Erkrankung findet sich im Dauerstress. Die Ursache 5 Die Wirksamkeit von SSRI ist in vielen Studien
ist unbekannt. belegt (Dimmock et al. 2000).
22 5 Die bisherigen Untersuchungen mit Antidepres- 5 Auch unter dualen Antidepressiva (Venlafa-
siva führen zwar zu Besserungen, sogar über xin) und ebenfalls unter Clomipramin kam es zu
23 einen Zeitraum von 3 Jahren, aber überzeugende
kontrollierte Studien fehlen.
Responseraten von bis zu 70%, gegenüber 20%
unter Placebo und 30% unter nichtserotonergen
5 Dexamphetamin (7 Kap. 14) zeigte in einer kon- Antidepressiva (Freeman 2004).
24 trollierten kleinen Studie positive Ergebnisse 5 Die Wirkung wird meist schon im ersten Zyklus
(Olson et al. 2003). gesehen, bereits niedrige Dosen sind wirksam.
5 Antidepressiva können als Dauertherapie und
25 als intermittierende Gabe (in der Lutealphase bis
22.2.6 Fibromyalgiesyndrom zum Ende der Menstruation) gegeben werden.
26 5 Besonders bei intermittierender Gabe entsteht
Das Fibromyalgiesyndrom zeichnet sich durch chro- kein Wirkungsverlust bei längerfristiger Thera-
nische (über mindestens 3 Monate anhaltende) poly- pie (über mehr als 6 Zyklen); nach Absetzen der
27 tope Schmerzen oder Steifheit im Stütz- und Bewe- Medikation gibt es häufig Rezidive.
gungsapparat sowie druckschmerzhafte Muskelansät- 5 Anxiolytika wie Alprazolam und Buspiron
28 ze an typischen Stellen (»tender points«) aus. Zusätz-
lich treten oft Kopfschmerzen, Erschöpfbarkeit,
(7 Kap. 8) scheinen den Antidepressiva unterle-
gen zu sein.
Schlafstörungen, neuropsychiatrische Symptome, gas-
29 trointestinale Beschwerden, andere vegetative Sym-
ptome (Zyanose der Akren, Dermographismus) oder 22.2.8 Colon irritabile
Schwellungsgefühl an Händen und Füßen auf. Die
30 Ursache ist nicht geklärt; es gibt mehrere Hypothe- Bei den Symptomen eines Reizdarms bestimmen
sen zu einer veränderten Schmerzmatrix. Im Liquor multiple rezidivierende abdominelle Beschwerden
31 soll die Substanz P erhöht und Serotonin und Tryp- mit Bauchschmerzen, Missempfindungen, Obstipati-
tophan erniedrigt sein. Stress wird als Auslöser ver- on und Diarrhoe oder Blähungen das Krankheitsbild.
mutet. Häufig findet sich eine begleitende depressive Es bestehen Überschneidungen mit anderen soma-
32 Symptomatik. toformen Störungen, Depressionen, Angststörungen
5 Über Behandlungserfolge mit trizyklischen Anti- und auch Zwangsstörungen.
33 depressiva (z. B. Imipramin oder Clomipramin) 5 In vielen Studien mit Antidepressiva zeigen sich
in niedrigen Dosen bis 75 mg/Tag sowie von zwar Vorteile gegenüber Placebo. Es konnte aber
SSRI (Fluoxetin, Citalopram) wird berichtet. Die nicht nachgewiesen werden, dass auch die Kern-
34 Erfolge sind geringer als bei der Depression. symptomatik der gastrointestinalen Beschwerden
5 Es zeichnet sich, wie bei anderen Schmerzsyn- von einer medikamentösen Therapie profitiert.
35 dromen, auch beim Fibromyalgiesyndrom eine
Überlegenheit von dualen Antidepressiva gegen-
über SSRI ab (z. B. Venlafaxin 75 mg/Tag, Dulo- Fazit
36 xetin 60 mg/Tag). Auch Milnacipran (7 Kap. 5)
zeigte gegenüber Placebo bessere Ergebnisse. Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der
somatoformen Störung – Bewertung
37 5 Psychotherapeutische Interventionen haben
22.2.7 Prämenstruelles Syndrom den wichtigsten Stellenwert bei der Therapie der
38 somatoformen Störung. Für die KVT gibt es für viele
Das prämenstruell-dysphorische Syndrom zeigt kör- Syndrome gute Evaluationsstudien, für die psycho-
perliche und psychische Symptome, die zyklusgebun- dynamisch orientierte Psychotherapie fehlen diese
39 den während der späten Lutealphase auftreten und die weitgehend.
Patientinnen erheblich beeinträchtigen. Es sind Irrita- 5 Besonders für die Therapie des chronischen
40 bilität und Dysphorie, Anspannung, Schlafstörungen, Schmerzes eignet sich auch die Biofeedback- Thera-
vermehrter Hunger nach Kohlenhydraten, Span- pie.
22.3 · Behandlung der somatoformen Störung im Kindes- und Jugendalter
191 22

5 Antidepressiva sind immer indiziert, wenn komorbide meistens eine stationäre Behandlung angezeigt. The-
Depression und Angststörungen vorhanden sind. rapeutisch steht die KVT im Mittelpunkt. Eine kon-
5 Antidepressiva haben auch bei vielen Syndromen trollierte Studie konnte die Wirksamkeit der famili-
dieses Krankheitsbildes einen positiven Effekt; er ist entherapeutischen KVT bei wiederkehrenden Bauch-
aber geringer als bei den depressiven Störungen oder schmerzen im Kindesalter nachweisen. Systematische
Angststörungen. Studien zur pharmakologischen Behandlung bei den
5 Wenn psychotherapeutische Verfahren nicht zur somatoformen Störungen im Kindes- und Jugendal-
Verfügung stehen, ist ein Versuch mit Antidepressiva ter liegen nicht vor, sodass ähnliche Empfehlungen
indiziert. wie im Erwachsenenalter gelten. In der Akutpha-
5 Antidepressiva und Psychotherapie können kombi- se kann vorübergehend ein Benzodiazepin gegeben
niert angewandt werden. werden, bei längerfristiger medikamentöser Behand-
5 Die Langzeiteffekte von Antidepressiva und Psycho- lung sollte eine Therapie mit SSRI erfolgen (Brunner
therapie sind nicht untersucht, genauso wenig wie u. Resch 2005).
Vergleiche zwischen den Therapieformen.
5 Bei dominierenden Schmerzsyndromen, auch in
Form von isolierten Schmerzen bei organischen Er- 22.4 Checkliste
krankungen, sind Antidepressiva mit dualer Wirkung
auf das serotonerge und das noradrenerge Neuro- ?
transmittersystem, wie Duloxetin, Milnacipran und
Venlafaxin, Mittel der ersten Wahl. 1. Welche Gruppen von Antidepressiva sind
5 Beim praemenstruellen Syndrom haben SSRI eine bei der Behandlung von Depressionen mit
positive Wirkung. somatischem Syndrom zu empfehlen?
5 Benzodiazepine und Antipsychotika haben keine 2. Unter welchen Bedingungen können bei
längerdauernde Indikation bei somatoformen somatoformen Störungen vorübergehend
Störungen. Benzodiazepine verabreicht werden?
3. Welche Risiken bestehen beim dem noch
verbreiteten Einsatz von Depotantipsycho-
tika (z. B. Fluspirilen) bei der Behandlung
22.3 Behandlung der somatoformer Störungen?
somatoformen Störung im 4. Welche Medikamente haben sich bei der
Kindes- und Jugendalter Behandlung der somatoformen Schmerzstö-
rung bewährt?
Die häufigsten Symptome der somatoformen Stö- 5. Welchen Stellenwert haben Antidepressiva
rung im Kindes- und Jugendalter sind abdomi- bei der Behandlung von Schmerzsyndromen
nelle Beschwerden, die meistens von Übelkeit, Kopf- bei körperlichen Erkrankungen?
schmerzen, muskulärer Schwäche, Nachlassen der 6. Welche Effekte konnten bei der Behandlung
körperlichen Energie, Rücken- und Gliederschmer- des chronischen Müdigkeitssyndroms mit
zen sowie Nahrungsmittelintoleranzen mit Diarrhöen Antidepressiva erreicht werden?
begleitet sind. Das Klagen über körperliche Beschwer- 7. Welche Gruppen von Antidepressiva werden
den ist häufig als Anpassungsreaktion auf psychoso- bei der Fibromyalgie eingesetzt und mit
ziale Belastungen zu sehen. Neben Trennungsäng- welchem Erfolg?
sten und depressiven Symptomen stellen die somato- 8. Welche psychopharmakologischen Behand-
formen Beschwerden ein Leitsymptom der Schulpho- lungsmöglichkeiten des prämenstruellen
bie (7 Abschn. 33.2) dar. Die klinische Präsentati- Syndroms sind belegt?
on der Symptome wird durch das jeweilige Entwick- 9. Wie ist der Therapieeffekt von Antidepressiva
lungsstadium beeinflusst und hängt davon ab, wie die bei somatoformen Störungen im Vergleich
Bezugspersonen auf die körperlichen Beschwerden zu dem bei Depressionen und Angststö-
reagieren. rungen einzustufen?

Therapie
Bei schweren oder chronifizierten somatoformen Stö-
rungsbildern, die häufig mit erheblichen psychoso-
zialen Funktionseinschränkungen einhergehen, ist
23.1 ·
193 23

Essstörungen

23.1 Anorexia nervosa – 195


23.1.1 Therapie der Anorexia nervosa – 195

23.2 Bulimia nervosa – 196


23.2.1 Therapie der Bulimia nervosa – 196

23.3 Binge-eating-Störung – 197

23.4 Adipositas – 197

23.5 Behandlung der Essstörungen im Kindes- und


Jugendalter – 198

23.6 Checkliste – 198


194 Kapitel 23 · Essstörungen

Es gibt 3 Essstörungen, bei denen die Psychopharma- nen eine Ursache für vielfältige komorbide psychische
21 kotherapie in den letzten Jahren immer mehr Bedeu- Störungen sein oder sie verstärken.
tung gewonnen hat: die Bulimia nervosa, die Binge-
eating-Störung und die Adipositas. Neurobiologie der Essstörungen. Die Nahrungsauf-
22 Die Behandlung der Bulimia nervosa und der nahme wird durch eine Vielzahl von Inhibitoren und
Binge-eating-Störung besteht indikationsabhängig Stimulatoren reguliert. Dem Hypothalamus werden
23 mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zumeist
aus einer Kombination aus Psychotherapie und der
Signale über das Ausmaß des Fettgewebes und die
aktuelle Stoffwechsellage über die Hormone Leptin,
Behandlung mit Antidepressiva. Insulin und Adiponectin zugetragen. Dabei spielen
24 Eine Psychopharmakotherapie für die Anorexia gegensätzliche Regulationsmechanismen eine wich-
nervosa ist noch nicht etabliert. tige Rolle. Gegenspieler von Leptin (anorexigen) ist
Eine große Zahl von körperlichen Störungen und Ghrelin (orexigen). Die multiplen hormonellen Ver-
25 Verhaltensauffälligkeiten kann auf unerkannte Essstö- änderungen werden als Adaptationen an das geringe
rungen hinweisen: Körpergewicht gesehen.
26 5 Wachstumsstörungen Es wird angenommen, dass Diät und Fasten zu
5 Große Schwankungen des Körpergewichts einer Störung des genetisch bedingten vulnerablen,
5 Unfähigkeit zur Gewichtszunahme Neurotransmitter- und neuroendokrinologischen
27 5 Veränderte Essgewohnheiten Systems führen, die weitere Komplikationen (z. B.
5 Schwierigkeiten der Nahrungsaufnahme im sozi- komorbide Symptomatik, Körperschemastörung, kör-
28 alen Kontext
5 Abneigung gegen Messung des Gewichts
perliche Hyperaktivität) zur Folge hat, so dass sich
ein Circulus vitiosus mit einer chronifizierten Essstö-
5 Exzessive körperliche Betätigung und häufiges rung ergeben kann. Bei der Anorexia nervosa führt
29 Durchführen von Diäten bereits in frühem Alter eine Gewichtsrestitution bei den meisten Patienten zu
5 Drogenabusus einer Normalisierung der Veränderungen der Hypo-
5 Rasche Erschöpfbarkeit thalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (Herpertz-
30 5 Verspätete Menarche Dahlmann u. Holtkamp 2008).
5 Obstipation oder Diarrhö Der Serotonindysregulation wird bei den Essstö-
31 5 Neigung zu Knochenbrüchen rungen eine besondere Bedeutung zugeschrieben
5 Hypokaliämie (Brewerton 1995). Bei der Anorexia nervosa wird – im
5 Hyperphosphatämie Gegensatz zur Bulimie – ein hyperserotonerger Status
32 5 Metabolische Azidose oder Alkalose postuliert. Zur Ätiopathogenese der Essstörungen exi-
5 Hohe Amylaseserumkonzentrationen stieren insgesamt jedoch nur Hypothesen (Laessle u.
33 Pirke 2006).
Die Adipositas ist eine primär internistische Erkran- Es finden sich auch zerebrale Veränderungen, die
kung, die jedoch zentralnervös mitreguliert wird und sich bei Normalisierung des Essverhaltens zumeist
34 mit psychischen Problemen einhergehen kann (z. B. zurückbilden. Das Zentrum der Gewichtregulation
Anpassungsstörungen, Impulskontrollstörungen). liegt im Nucleus arcuatus des Hypothalamus. Klinisch
35 Deshalb erfordern die für die Adipositas neu zugelas-
senen Präparate jetzt auch eine Besprechung im Rah-
findet sich in der strukturellen Bildgebung bei Ano-
rexia nervosa nicht selten eine »Pseudoatrophia cere-
men der Psychopharmakotherapie. In diesem Zusam- bri«.
36 menhang interessiert auch besonders die Gewichtszu- Bulimische Frauen waren häufiger als Kinder
nahme als Nebenwirkung von verschiedenen Psycho- adipös, haben eine familiäre Adipositasbelastung
pharmaka. und eine frühe Menarche. Es gibt Hinweise, dass ein
37 Ein Maß für das Körpergewicht ist der Body- gemeinsames genetisches Risiko für Bulimia nervosa
Mass-Index (BMI: Körpergewicht [kg] dividiert durch und Adipositas besteht. Der genetische Anteil an der
38 das Quadrat der Körpergröße [m2]). Bei der Adiositas Entwicklung der Adipositas scheint stärker zu sein, als
und dem metabolischen Syndrom (7 Kap. 7) gewinnt früher angenommen wurde. Darüber hinaus spielen
immer mehr der Bauchumfang (Ansammlung von sozioökonomische und psychosoziale Faktoren eine
39 viszeralem Fett) als Maß an Bedeutung. wichtige Rolle in der Ätiologie der Adipositas.
Zentrale und periphere Auswirkungen der ver-
40 änderten Energiezufuhr tragen zur Aufrechterhal-
tung des pathologischen Essverhaltens bei und kön-
23.1 · Anorexia nervosa
195 23

23.1 Anorexia nervosa Wichtig

Die monomorphe Symptomatik der Essstörung des Zu Beginn einer Therapie muss
Jugend- und frühen Erwachsenenalters bereitet dif- 5 eine sorgfältige medizinische Untersuchung
ferenzialdiagnostisch kaum Schwierigkeiten. Die durch den Internisten, Endokrinolgen, Gy-
Anorexia nervosa ist eine oft chronische, rezidivie- näkologen und ggf. Pädiater erfolgen; eine
rende Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch einen Klinikeinweisung kann indiziert sein;
starken Gewichtsverlust, der selbst verursacht ist. 5 abgewogen werden, ob eine ergänzende
Hauptkriterien für die Diagnose sind: Körpergewicht Diagnostik durch EEG und CT erfolgen soll;
unter 85% der Norm (bzw. ein BMI ≤17,5), die inten- 5 festgestellt werden, ob komorbide Diagno-
sive Furcht vor einer Gewichtszunahme, eine gestörte sen bestehen;
Körperwahrnehmung und Amenorrhö (Ausblei- 5 hinterfragt werden, ob ein erhöhter Alko-
ben von ≥3 Zyklen). Bei vielen Patienten findet sich holkonsum bekannt ist (bei dem restriktiven
auch eine übertriebene Aktivität. Patienten, die die Subtyp selten);
Mahlzeit erbrechen oder Laxanzienabusus betreiben 5 eine stabile Arzt-Patienten-Beziehung aufge-
(Purging Subtyp) haben eine ungünstigere Progno- baut werden.
se als der restriktive Subtyp. 90% der Erkrankten sind
Die Behandlung soll so früh wie möglich begin-
Frauen.
nen.
Wahrscheinlich spielt für die Entstehung und Auf-
rechterhaltung der Störung die »psychobiosoziale«
Interaktion (genetische, neurochemische, psychoso-
ziale Faktoren) eine wichtige Rolle. Allerdings ist die Therapieziele bei der Behandlung der
Bedeutung sozialer Faktoren, etwa die Idealisierung Anorexia nervosa
schlanker Frauen, keineswegs geklärt. Normalisierung des Essverhaltens und Gewichtszu-
Frauen sind ca. 10-mal häufiger betroffen als nahme und – soweit erforderlich – Stabilisierung inner-
Männer. Der Altersgipfel liegt bei Mädchen bei 17– halb eines adäquaten Gewichtsbereiches (BMI >17,5)
18 Jahren, bei Jungen bei 12 Jahren; Erstmanifestati- und physiologischer Stoffwechselprozesse
onen nach dem 40. Lebensjahr sind selten, aber mög- 5 Verbesserung von Körperwahrnehmung und
lich. Wiederherstellung der eigenen Körperakzeptanz
Es besteht eine hohe Komorbidität zu depressiven 5 Klärung der Ambivalenz gegenüber einer
Störungen, Angststörungen und der Zwangsstörung. Gewichtszunahme
5 Abbau möglicher Reifungsängste
5 Bearbeitung mit der Symptomatik zusammen-
23.1.1 Therapie der Anorexia nervosa hängender bzw. zugrunde liegender Problembe-
reiche
Zur Gewichtsregulierung und zur Besserung der psy- 5 Aufbau von alternativen Fähigkeiten und Erar-
chosozialen Anpassung haben sich psychoeduka- beitung konkreter Lösungsmöglichkeiten
tive und kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnah- 5 Umgang mit gesunder Ernährung
men oder Interpersonelle Psychotherapie als bedingt 5 Einbeziehung der Familie/Partner
erfolgreich herausgestellt. Es gibt keine abgesicher- 5 Realitätstestung und Rückfallprophylaxe bereits
te medikamentöse Therapie; nur bei komorbiden Stö- während der stationären Therapie
rungen können Antidepressiva empfohlen werden
(s. unten, 7 Abschn. »Medikamentöse Therapie«). Die parenterale (Zwangs-)Ernährung sollte nur den
Patienten vorbehalten bleiben, die unter psychoe-
dukativen oder verhaltenstherapeutischen Maßnah-
men keine Gewichtszunahme gezeigt haben. Eine zu
schnelle Gewichtszunahme kann zu generalisierten
Ödemen oder – in Einzelfällen – zu einer Herzinsuf-
fizienz führen.
Die Mortalitätsrate ist mit 0,56% pro Jahr sehr
hoch. Die häufigste Todesursache bei Anorexia ner-
vosa sind ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher
Herztod.
196 Kapitel 23 · Essstörungen

Psychotherapie nahme gegensteuernden Maßnahmen wie Fasten oder


21 5 Ein strukturierter Plan zur Gewichtszunahme übermäßige körperliche Aktivität) unterschieden.
(Ernährungsmanagement) mit kontingentem Mischformen von Anorexia und Bulimia nervo-
Gewichtsvertrag ist die Basis möglicher psycho- sa sind häufig.
22 therapeutischer Bemühungen. Bulimia nervosa tritt oft in Zusammenhang mit
5 Grundsätzlich sind die typischen dysfunktionalen affektiven Störungen und bei Patienten mit Impuls-
23 Kognitionen durch KVT korrigierbar. Auch eine
gezielte IPT war konventioneller Verhaltensthe-
kontrollstörungen, Drogenabhängigkeit, Angst-
störungen, dissoziativen Störungen und (anamne-
rapie überlegen. Allerdings stoßen diese Bemü- stischem) sexuellem Missbrauch auf.
24 hungen bei untergewichtigen Patienten auf groß-
en Widerstand. Insgesamt ist die Reihe an posi- Wichtig
tiven Ergebnissen zur KVT und IPT gering.
25 5 Übungen zur Körperwahrnehmung und Körper- Bei der Abklärung der Diagnose ist auf eine sorg-
akzeptanz, Konfrontationsübungen. fältige internistische Untersuchung zu achten.

26 5 Training zum Problemlösen und zur Erhöhung Durch das Erbrechen und ggf. Laxanzienabusus
kann es zu deutlichen Laborabnormalitäten kom-
der Stress- bzw. Ärger- und Frustrationstoleranz.
5 Wichtig ist die Einbeziehung des sozialen men. Alkohol- und Drogenmissbrauch muss hin-
27 Umfeldes in die Therapie. Familientherapie zeigte terfragt werden.
auch in Langzeitstudien erste positive Ergebnisse.
28 Medikamentöse Therapie
5 Eine Therapie mit Antidepressiva, auch SSRI, 23.2.1 Therapie der Bulimia nervosa
29 oder anderen Psychopharmaka zeigte bisher kei-
ne Erfolge. Im Gegensatz zur Anorexia nervosa gibt es für die
5 Empfohlen werden kann daher nur ein Versuch Bulimie neben der Psychotherapie (eingeschlossen
30 mit SSRI (z. B. Fluoxetin 20 mg tgl.) bei einer Ernährungstherapien und bewegungstherapeutische
komorbiden Störung, die auf SSRI anspricht. Verfahren) eine zweite Therapieoption mit Antide-
31 pressiva.
Trotz der oft wahnhaft anmutenden Überzeugung der
Patienten, übergewichtig zu sein, waren Antipsycho- Psychotherapie allein und in Kombination
32 tika bislang überwiegend unwirksam. In einer Studie mit Antidepressiva
war Olanzapin, bezogen auf Gewichtszunahme und Konventionelle Verhaltensmaßregeln, auch mit Teil-
33 Therapieakzeptanz erfolgversprechend. nahme an Selbsthilfegruppen, führen bei einem Teil
der Patienten bereits zum Erfolg. Bei hartnäckigen
oder chronischen Störungen und wenn im Vorder-
34 23.2 Bulimia nervosa grund dysfunktionale Gedanken stehen, ist dagegen
KVT indiziert. Besonders zur Rezidivprophylaxe eig-
35 Bei dieser bulimischen Form der Essstörung kommt
es zu häufigen Essattacken ungewöhnlich großer Men-
net sich KVT (Jacobi et al. 2004).
Die interpersonelle Theorie geht davon aus, dass
gen an Nahrungsmitteln während eines bestimmten die Essstörung einen inadäquaten Bewältigungsver-
36 Zeitintervalls mit Kontrollverlust, (mindestens 2- such bei Problemen in sozialen Beziehungen darstellt.
mal pro Woche für 3 Monate; Dauer ≤2 h); rezidivie- IPT hat als psychotherapeutisches Verfahren neben
rendem Erbrechen, exzessiver körperlicher Betätigung der KVT inzwischen Anerkennung erfahren.
37 oder Fasten (auch mindestens 2-mal pro Woche für KVT hat sich in der Kombination mit Antidepres-
3 Monate) und übermäßiger Beschäftigung mit dem siva gut bewährt (Walsh et al. 1997). In einer großen
38 Essen, der Figur und dem Gewicht. Starke Gewichts- Metaanalyse zeigten sich Vorteile für die KVT im Ver-
schwankungen bei Normal- bis Übergewicht sind die gleich zu Antidepressiva (Whittal et al. 1999).
Regel.
39 Dabei werden der Purging-Typ (mit selbstindu- Therapie mit Antidepressiva
ziertem Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien, 5 Trizyklische Antidepressiva und SSRI sind wirk-
40 Diuretika oder Klistieren) und der restriktive Typ sam. Es empfiehlt sich wegen des günstigeren
(ohne regelmäßiges Erbrechen/Laxanzienmissbrauch, Nebenwirkungsrisikos SSRI zu geben.
aber mit anderen unangemessenen, einer Gewichtszu- 5 Zugelassen ist nur der SSRI Fluoxetin.
23.4 · Adipositas
197 23

5 Höhere Dosen SSRI hatten oft einen besseren Therapie der Binge-eating-Störung
Effekt. 5 Konventionelle verhaltenstherapeutische Maß-
5 Die notwendige Dauer der medikamentösen The- nahmen, KVT und IPT haben sich als wirksam
rapie ist noch unklar; 24 Monate Erhaltungsthe- erwiesen. Zur Erhaltung des Therapieerfolgs sind
rapie zur Rückfallprophylaxe scheinen aber gün- »booster sessions« nötig.
stig zu sein. 5 Auch SSRI sind wirksam, wobei der positiven
5 Auch bei der Bulimia nervosa sollten Antide- Wirkung auf die Impulskontrolle besondere
pressiva nur im Rahmen eines Gesamtbehand- Bedeutung zukommt.
lungsplans zusammen mit einer psychotherapeu- 5 KVT und SSRI (Fluoxetin) hatten kombiniert
tischen Intervention erfolgen. eine gute Wirkung.
5 Aussagekräftige Vergleichsuntersuchungen gibt
es nicht (de Zwaan 2002).
Fazit 5 Auch Sibutramin, ein Antiadipositum,
(7 Abschn. 13.2 und 7 Abschn. 23.4) hat eine gute
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psycho- Wirkung bei »binge eating«.
therapie bei der Bulimia nervosa – Bewertung
5 Bereits konventionelle Verhaltensmaßregeln im Rah-
men eines Therapiesettings sind bei vielen Patienten 23.4 Adipositas
wirksam.
5 Bei hartnäckigen Störungen und zur Rezidivprophyla- Adipositas ist ein neues Grenzgebiet der Psychophar-
xe ist die KVT indiziert. makotherapie. Die Erkrankung ist primär eine inter-
5 Auch die Therapie mit SSRI ist wirksam; in Kombinati- nistische Erkrankung (Übergewicht: BMI >25; Adipo-
on mit KVT ist eine bessere Wirkung zu erwarten. sitas: BMI >30). Sie ist mit einem deutlich erhöhten
5 Unter den SSRI ist das Mittel der Wahl Fluoxetin (weil Risiko für Begleiterkrankungen, etwa Diabetes und
es zugelassen ist). Die Dosis wird höher als bei der Schlafapnoe, besonders aber Herz-Kreislauf-Erkran-
antidepressiven Therapie gewählt. Eine 2-jährige kungen, verbunden. 12–18% der erwachsenen Bevöl-
Therapie ist zu empfehlen. kerung sind adipös; die Steigerungsraten sind in den
letzten 50 Jahren rasant. Der beste Prädiktor für ein
erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen ist
der Bauchumfang (Cut-off-Wert: 88 cm für Frauen,
23.3 Binge-eating-Störung 102 cm für Männer, gemesen beim Ausatmen).
In der Psychoparmakotherapie hat eine
Die Binge-eating-Störung ist als Syndrom für die Ess- Gewichtszunahme besonders unter Antipsychoti-
störungen wichtig, aber noch kein allgemein akzep- ka (7 Abschn. 7.6) aber auch einigen Antidepressiva
tiertes Krankheitskonzept. (7 Abschn. 5.6) einen großen Einfluss auf die medika-
Die Binge-eating-Störung kommt etwa doppelt so mentöse Compliance.
häufig wie die Bulimia nervosa vor und ist durch den Darüber hinaus tritt Adipositas bei mehreren psy-
intermittierenden Verzehr großer Nahrungsmengen chiatrischen Erkrankungen, unabhängig von einer
bei fehlender dauerhafter Beschäftigung mit der Figur Psychopharmakagabe, als Symptom oder Teil der Stö-
gekennzeichnet. Da sich im Gegensatz zur Bulimia rung auf. Es gibt viele Hinweise, dass diese Patienten
nervosa keine regelmäßigen, einer Gewichtszunahme mit einem erhöhten Risiko für internistische Erkran-
gegensteuernden Maßnahmen finden, sind die Pati- kungen belastet sind. Besonders ist dabei auf die Fet-
enten meist übergewichtig. Hauptkriterien sind: rezi- tumverteilung in den Bauchbereich z. B. bei Depres-
divierendes »binge eating«; sehr schneller Verzehr von siven zu achten (7 Abschn. 15.8).
Nahrungsmitteln; Essen, bis unangenehmes Völlege-
fühl erreicht ist; Ekel- oder Schuldgefühl nach einem Therapie der Adipositas
»binge«. 5 Die Therapie der Adipositas ist primär interni-
Es findet sich im Gegensatz zur Adipositas ohne stisch.
Binge-eating-Störung eine doppelt so hohe Inzidenz 5 Eine medikamentöse Therapie sollte von verhal-
von affektiven Störungen und Angststörungen, gera- tenstherapeutischen (u. a. Selbsthilfemanuale)
de bei Frauen. und diätetischen Maßnahmen begleitet werden.
198 Kapitel 23 · Essstörungen

5 Medikamentöse Therapien waren bisher bei dern und Jugendlichen mit Anorexia nervosa, beson-
21 Adipositas nicht zugelassen. Nicht zugelassene ders wenn ausgeprägte Körperschemastörungen vor-
»Schlankheitspillen« 7 Abschn. 13.1. lagen. Die Patientinnen haben unter Olanzapin zuge-
5 Als Antiadiposita sind heute 3 Präparate zugel- nommen und die Psychopathologie hat sich gebessert.
22 assen (7 Kap. 13); sie sollten unter internistischer Bei begleitenden affektiven Symptomen kann auch ein
Kontrolle verabreicht werden: SSRI helfen. Besonders effektiv scheint die Kombinati-
23 – Orlistat, ein Lipasehemmer, der nur im Darm
wirksam ist;
on mit Psychotherapie zu sein (Dennis et al. 2006).

– Sibutramin ein kombinierter Serotonin-Nora- Therapie der Adipositas


24 drenalinrückaufnahmehemmer; Adipositas stellt eine extreme gesundheitliche Bela-
– Rimonabant, ein Cannabinoid-1-Rezeptoran- stung für Kinder- und Jugendliche dar. Bis zu einem
tagonist. Drittel der Kinder und Jugendlichen sind übergewich-
25 5 Über den Einsatz dieser Antiadiposita bei tig. Deshalb sind präventive Maßnahmen vorran-
Gewichtszunahme unter Antipsychotika gibt es gig, wobei Schulprogramme am vielversprechendsten
26 erste positive Ergebnisse. erscheinen (Sharma 2007).
Therapeutisch stehen am Beginn der Therapie die
Psychoedukation und die Motivationsphase. Diese
27 23.5 Behandlung der beiden Punkte sind für den weiteren Therapieverlauf
Essstörungen im Kindes- von entscheidender Wichtigkeit. Nach dem Ausschluss
28 und Jugendalter von internistischen Erkrankungen für die Adiposi-
tas, sollte eine Umstellung der Lebensführung erfol-
Essstörungen beginnen meistens in der Adoleszenz. gen. Dazu sollte die ganze Familie einbezogen werden
29 Der Erkrankungsbeginn für die Anorexia nervosa und eine Ernährungsberatung erfolgen. Danach ste-
liegt bei 14 Jahren, für die Bulimia nervosa zwischen hen verhaltenstherapeutische und diätetische Maß-
16 und 19 Jahren und für die Binge-eating-Störung nahmen sowie bei extremer Adipostias eine medika-
30 zwischen 9 und 12 Jahren. mentöse Therapie im Vordergrund. Die Wirksamkeit
Die Therapie der Essstörungen im Kindes- und der beiden Antiadiposita Orlistat und Sibutramin ist
31 Jugendalter stützt sich auf drei Säulen: in kontrollierten Studien abgesichert (7 Kap. 13). Sie
5 somatische Rehabilitation und Ernährungsthe- sind ab dem Alter von 12 Jahren zugelassen.
rapie
32 5 individuelle psychotherapeutische Behandlung
5 Einbeziehung der Familie 23.6 Checkliste
33 Psychotherapie bei Anorexie, Bulimie und
?
Binge-eating-Störung
34 Für die Psychotherapie dieser drei Erkrankungen 1. Welche Rolle spielen Antidepressiva bei der
konnte eine Effizienz für die KVT und die interper- Behandlung der Anorexia nervosa?
35 sonale Therapie (IPT) nachgewiesen werden. Aller-
dings wurden die Studien vornehmlich bei erwach-
2. Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz
von Antidepressiva bei der Anorexia nervosa
senen Patientinnen durchgeführt. Die Familienthe- sinnvoll?
36 rapie scheint wirksamer als eine einzeltherapeutische 3. Wann ist die Gabe eines Antipsychotikums,
Behandlung zu sein. Auch gruppentherapeutische z. B. Olanzapin, bei der Anorexia nerovsa ,
Verfahren eignen sich im Rahmen des multimodalen sinnvoll?
37 Therapiekonzeptes (Herpertz-Dahlmann 2005). 4. Welche Antidepressiva können zur Behand-
lung der Bulimia nervosa eingesetzt werden?
38 Pharmakotherapie bei Anorexie, Bulimie 5. Welche Gruppe von Antidepressiva ist bei
und Binge-eating-Störung der Behandlung der Bulimia nervosa wegen
Die Empfehlungen für eine medikamentöse Thera- der relativ geringeren Nebenwirkungen zu
39 pie bei Bulimie und Binge-eating-Störung entspre- bevorzugen?
chen denen im Erwachsenenalter und beschränken 6. Welche Antiadiposita sind mittlerweile zuge-
40 sich vorwiegend auf die SSRI. Einige Fallberichte und lassen?
offene Studien berichten über einen positiven Effekt
des atypischen Antipsychotikums Olanzapin bei Kin-
24.1 ·
199 24

Schlafstörungen

24.1 Primäre Insomnie – 200


24.1.1 Gesamtbehandlungsplan der primären Insomnie – 201
24.1.2 Therapie der primären Insomnie – 202
24.1.3 Therapie der Insomnie bei psychiatrischen Erkrankungen – 203

24.2 Hypersomnie – 204

24.3 Narkolepsie – 204

24.4 Schlafapnoesyndrom – 205

24.5 Behandlung der Schlafstörungen im Kindes- und


Jugendalter – 205

24.6 Checkliste – 206


200 Kapitel 24 · Schlafstörungen

Die Klassifikation der Schlafstörungen nach ICD-10 Schlafstörungen bei ca. 10% der Bevölkerung ange-
21 erfolgt in sog. nichtorganische und organische Schlaf- geben (im Alter zunehmend). Die meisten Menschen
störungen (wobei der Begriff »nichtorganisch« hier benötigen mindestens 6 h Schlaf. Die Bedeutung der
ungünstig gewählt wurde, weil alle psychischen Stö- nächtlichen Erholungsphasen auf verschiedene phy-
22 rungen eine biologische Grundlage haben). siologische Prozesse, besonders auf das Gedächt-
nis, wird zunehmend untersucht. Auch gibt es Unter-
Definition
23 suchungen, die auf ein erhöhtes Diabetesrisiko bei
Schlafmangel hinweisen. Der Zusammenhang ist so
Unter den nichtorganischen Schlafstörungen zu erklären: Das Hungergefühl während der Nacht
24 werden die Dyssomnie und die Parasomnie
getrennt. Während für die Parasomnien
wird durch die Produktion von Leptin (7 Kap. 23)
unterdrückt (nachts kennen wir kein Hungerge-
(7 Kap. 32), z. B. Schlafwandeln, Albträume oder fühl); bei Schlafmangel ist das Sättigungsgefühl auf-
25 Pavor nocturnus, keine Indikation für Hypnotika grund zu wenig ausgeschütteten Leptins verringert; es
besteht, ist die primäre Insomnie die wichtigste wird mehr Nahrung als nötig zu sich genommen; das
26 Erkrankung unter den Dyssomnien.
Die Hypersomnie (7 Abschn. 24.2) zählt die
Gewicht steigt.
In den letzten Jahren rückt der Terminus nichter-
ICD-10 auch zu den nichtorganischen Schlaf- holsamer Schlaf in den Vordergrund. Oft stehen neben
27 störungen. der Schlaflosigkeit auch Störungen der Tagesbefind-
Die wichtigen organischen Schlafstörungen sind lichkeit und der Funktionsfähigkeit im Vordergrund.
das Schlafapnoesyndrom (7 Abschn. 24.4), die
28 Narkolepsie (7 Abschn. 24.3) und das Restless-
Die Einführung des übergeordneten Begriffs nichter-
holsamer Schlaf hebt dann allerdings die alten Eintei-
legs-Syndrom (7 Abschn. 24.5). lungen zur Schlafstörung auf; Insomnie und Hyper-
29 Als eigene Gruppe werden Schlafstörungen somnie können nun unter einem Begriff zusammen-
im Rahmen psychiatrischer und körperlicher gefasst werden.
Störungen oder Substanzabusus abgegrenzt. Vor der Hypnotikaverordnung ist eine genaue
30 Schlafstörungen sind ein häufiges Leitsymptom Schlafanalyse notwendig: Beschreibung der Ein- und
vieler psychiatrischer Erkrankungen. Besonders Durchschlafstörungen, Früherwachen, Schlaflänge
31 ausführlich ist der gestörte Schlaf bei affektiven
Erkrankungen dokumentiert; etwa 90% der Pati-
und Häufigkeit der Schlafunterbrechungen.

enten haben eine Insomnie, 10% eine Hypersom- Ursachen der Insomnie
32 nie. Die Schlafstörungen werden dann zusammen Die häufigsten Ursachen sind:
mit der Primärerkrankung behandelt. Die The- 5 Begleitsymptomatik von organischen Erkran-
rapie wird in den entsprechenden Kapiteln und
33 hier in 7 Abschn. 24.1.3 besprochen, weil auch für
kungen (z. B. neurodegenerative Erkrankungen,
Herz- oder Lungenerkrankungen, maligne
diese Gruppe die Regeln der primären Insomnie Erkrankungen, chronische Infektionen)
34 anzuwenden sind. 5 Schmerzsyndrome
Das Chronic-Fatigue-Syndrom wird in 7 Ab- 5 Psychische Stressoren
schn. 5.4 besprochen. 5 Umgebungsbedingten Stressoren (Lärmbela-
35 stung, Schichtarbeit, Jetlag)
5 Schlechte Schlafhygiene
36 5 Körperliche Krankheiten und andere körperliche
24.1 Primäre Insomnie chronische Belastungen, auch häufiges nächt-
liches Wasserlassen
37 Insomnie wird mit dem Begriff Schlafstörungen syno- 5 Nahezu alle psychiatrischen Erkrankungen
nym benutzt, was aber, wie die Übersicht oben zeigt, 5 Konstitutive Faktoren
38 nicht ganz korrekt ist, weil »Schlafstörung« einen 5 Medikationseffekte und Drogen:
Oberbegriff definiert. Unter primärer Insomnie (abge- – Sympathomimetika, Theophyllin
kürzt Insomnie) wird ein Zustand mit ungenügender – Hormone, wie Schilddrüsenhormone, Korti-
39 Dauer oder Qualität des Schlafs über eine längeren sol, Kontrazeptiva
Zeitraum verstanden. – stimulierende Substanzen (Koffein und syn-
40 Ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung berich- thetische Substanzen, z. B. Amphetamine,
tet über zumindest gelegentliche Schlafstörungen. Als Ecstasy), auch L-Dopa
überdauernd oder deutlich beeinträchtigend werden
24.1 · Primäre Insomnie
201 24

– selektive Serotoninrückaufnahmehemmer Roch et al. 2007). Es entwickelt sich an diesem System


(SSRI) ein neuer neurobiologischer Ansatz in der Schlaffor-
– Antibiotika (z. B. Gyrasehemmer) schung.
– Nootropika (z. B. Piracetam) Das hyptothalamisch-hypophysär-adrenale (HPA- )
– Antihypertensiva, z. B. β-Rezeptorenblocker, System stellt das wichtigste stressadaptive System dar,
Diuretika und scheint, wie bei der Depression und den Angststö-
– Alkohol und andere Rauschmittel rungen auch bei der Insomnie von Bedeutung zu sein.
Relativ häufig kommen bei Schlafstörungen eine Ver-
Wichtig minderung des Tiefschlafanteils und eine verkürzte
REM-Latenz vor. Da das Growth-hormone-releasing-
Bei Schlafstörungen müssen immer körperliche Hormon (GHRH) tiefschlaffördernd wirkt, Kortikotropin-
und substanzinduzierte Ursachen ausgeschlossen releasing-Hormon (CRH) dagegen den Tiefschlaf unter-
werden und komorbide psychiatrische Diagnosen drückt, spielt möglicherweise eine Störung der Balance
erkannt werden. zwischen diesen beiden Systemen für die Genese von
Schlafstörungen eine bedeutsame Rolle, insbesonde-
re bei Schlafstörungen von Depressiven. Zudem wird
Neurobiologie der Insomnie. Patienten mit Insom- angenommen, dass viele hypothalamische Neurone,
nien weisen zu etwa 35% eine positive Familienanam- an denen GHRH wirkt, GABAerg sind.
nese für Schlafstörungen auf. Im Alter besteht eine Die multifaktorielle Regulierung des Schlafes wird
höhere Vulnerabilität des Schlafes. weiterhin durch eine Vielzahl schlaffördernder Sub-
Schlafregulierende Substanzen haben einen beson- stanzen (Prostaglandine, Cytokine, Neuropeptide,
deren Einfluss auf »rapid-eye-movement« (REM)- biogene Amine) beeinflusst (Wiegand u. Hajak 2006).
und Non-REM-Schlafepisoden. Der REM-Schlaf ist
durch schnelle Augenbewegungen und allgemeine
Muskelerschlaffung, Steigerung der Temperatur und 24.1.1 Gesamtbehandlungsplan der
des Gehirnstoffwechsels charakterisiert. Die REM- primären Insomnie
Perioden umfassen ca. 25% der Schlafdauer. In die-
ser Zeit treten die meisten Träume auf. Bei REM- Hypnotika sollen prinzipiell erst nach Ausschöpfen
Schlafentzug kann es zu Angstzuständen kommen. anderer Therapiemöglichkeiten gegeben werden. Die
Wirkung von Benzodiazepinen auf die Schlafphasen Grunderkrankungen sollen zunächst behandelt wer-
7 Abschn. 9.2.1. den.
Es wird angenommen, dass insbesondere mono- In der Regel ist eine Kombination aus aufklären-
aminerge »REM-off«- und cholinerge »REM-on«- den Maßnahmen, Verhaltenskorrekturen (Schlafhygi-
Neurone zu diesem zyklischen Verlauf beitragen. ene), KVT und kurzfristigem Einsatz von Hypnotika
Einschlafphasen sind vermutlich an sinkende Entla- indiziert.
dungsraten sertonerger und noradrenerger Neurone Wenn die Insomnie nicht rechtzeitig behandelt
gekoppelt. Trizyklische Antidepressiva (TZA) und wird, werden Tendenzen zur Chronifizierung unter-
SSRI haben eine dosisabhängige REM-reduzierende stützt. Damit geht ein erhöhtes Risiko für die Entwick-
Wirkung (Wilson u. Argyropoulos 2005). lung einer Depression oder von Angststörungen ein-
Unter den schlafregulierenden Substanzen scheint her.
das Orexinsystem für die Schlaf-Wach-Regulation eine Eine weitere schwerwiegende Folge unzurei-
zentrale Rolle zu spielen. Orexin-1 und -2 werden im chender Therapie der Insomnie ist Abusus von Hyp-
Hypothalamus aus dem Präkursormolekül Präproore- notika und Alkohol, oft mit folgender Tagesmüdigkeit
xin gebildet. Orexinerge Neurone projezieren in ver- verbunden. Daraus wiederum kann der Missbrauch
schieden Hirnregionen, die für die Regulation des von Stimulanzien resultieren.
REM-Schlafs und des Non-REM-Schlafs, aber auch Alkohol verkürzt zwar die Einschlaflatenz, unter-
für die Regulation des Appetits und weiterer Stoff- drückt jedoch den REM-Schlaf und führt zu fragmen-
wechselschritte verantwortlich sind. Bei einem Ore- tiertem Schlaf mit frühmorgendlichem Erwachen.
xindefizit kommt es zu erhöhter Müdigkeit und wei-
teren Symptomen der Narkolepsie (7 Abschn. 24.3)
und auch zu metabolischen Störungen wie Adiposi-
tas und Diabetes. Orexinrezeptorantagonisten können
die Symptome bei Orexindefizit abfangen (Brisbare-
202 Kapitel 24 · Schlafstörungen

Wichtig und Beratung des Patienten zur Schlafhygiene all-


21 gemeine verhaltenstherapeutische Techniken und
Ein Schlafspezialist ist zu zuziehen bei Entspannungsverfahren.
5 chronischer Insomnie, wenn eine kurzfristige
22 Gabe von Hypnotika nicht hilft; Hypnotika und Psychotherapie im
5 exzessiver Tagesmüdigkeit; Vergleich
5 Der Vergleich von kombiniert verhaltenthera-
23 5 schlafbezogenen Atemstörungen oder kardi-
alen Problemen; peutisch/pharmakologischer Behandlung gegen-
5 abnormalem Schlafverhalten. über den jeweiligen Einzelverfahren kann auf-
24 grund der wenigen vorliegenden Untersuchungen
nur vorläufig beurteilt werden. In der Tendenz
Auch wenn die Schlafstörungen im Rahmen psychi- zeigte sich in klinischen Studien keine Erhöhung
25 atrischer und körperlicher Störungen nicht in die- in der Effektivität bei der kombinierten Anwen-
sen Abschnitt besprochen werden, soll daran erinnert dung beider Verfahren, hingegen imponierten bei
26 werden, dass Schlafstörungen im Rahmen von Not- verhaltenstherapeutischen Maßnahmen noch 6–
fallsituationen sofort mit Hypnotika behoben werden 12 Monate nach Therapieende weiter bestehende
müssen (7 Kap. 34). Therapieeffekte (Morin et al. 1994).
27 5 In einer Studie bei älteren Patienten schnitt die
Wichtig Gruppe mit nichtmedikamentösen Maßnah-
28 Bei Schlafstörungen mit Suizidalität oder im
men in der Kurz- und Langzeitbehandlung bes-
ser ab als Zopiclon. Die Psychotherapie war hier
Rahmen von akuten Psychosen oder anderen eine Mischung aus Schlafhygiene, Schlafrestrikti-
29 schweren psychischen Erkrankungen sind Hyp- on, Stimuluskontrolle und KVT (Sivertsen et al.
notika vorübergehend auch in höheren Dosen 2006).
indiziert.
30 Verhaltenstherapeutische Techniken und
Entspannungsverfahren
31 5 Schlafhygiene (s. unten)
24.1.2 Therapie der primären 5 Stimuluskontrolle (Schlaf nur im Bett)
Insomnie 5 Schlafrestriktion mit Schlafprotokoll
32 5 Progressive Muskelrelaxation
Nichtmedikamentöse Maßnahmen und 5 Autogenes Training
33 Psychotherapie 5 Paradoxe Intervention
5 Jede medikamentöse Therapie der Insom- 5 Kognitive Fokussierung
nie sollte, wenn möglich, erst nach Ausschöp- 5 Gedankenstopp
34 fen nichtpharmakologischer Verfahren begon- 5 Biofeedback
nen werden. Bei Kombinationsbehandlungen 5 Yoga, Meditation
35 mit pharmakologischen Therapieverfahren
besteht die Gefahr, dass die psychotherapeutische Verhaltensregeln der Schlafhygiene
Behandlung gegenüber der Pharmakotherapie in 5 Einhalten der individuell notwendigen Schlaf-
36 den Hintergrund tritt, da der Erfolg im Vergleich menge: nach dem Aufwachen nicht im Bett liegen
verzögert auftritt und der Zeitaufwand für Pati- bleiben. Wenn notwendig, Schlafzeit verkürzen.
ent und Therapeut größer ist. 5 Einhalten regelmäßiger Schlafzeiten: feste Zeiten,
37 5 Das Grundprinzip nichtpharmakologischer The- um ins Bett zu gehen und um wieder aufzustehen
rapieverfahren zur Verbesserung des Schlafes (auch am Wochenende und im Urlaub).
38 ist die aktive Einbeziehung des Patienten in 5 Verzicht auf längere Tageschlafepisoden. Eine
die Behandlung. Die nichtpharmakologischen Regeneration mit einem »Nap« (Nickerchen)
Ansätze haben den Vorteil, dass sie das Krank- kann jedoch hilfreich sein. Dabei handelt es sich
39 heitsgeschehen im Vergleich zu pharmakolo- um eine Schlafphase von 15–20 min, die auch
gischen Ansätzen kausal beeinflussen und lang- zum Stressabbau genutzt werden kann.
40 fristig wirksam sein können. 5 Angenehme Schlafbedingungen: ca. 17°C, kei-
5 Die wichtigsten nichtpharmakologischen The- ne Gegenstände, die an Arbeit oder Belastungen
rapieverfahren umfassen neben der Aufklärung erinnern.
24.1 · Primäre Insomnie
203 24

5 Ausgeglichene Ernährung: leicht verdauliche Antipsychotika bei der primären Insomnie


Speisen am frühen Abend. 5 Initial sedierende Antipsychotika, haben eine
5 Koffeinkarenz: kein Konsum von koffeinhaltigen schlafinduzierende Wirkung (7 Kap. 7).
Getränken (Kaffee, Tee, Cola) nach 17 Uhr. 5 Unter den konventionellen Antipsychotika sind
5 Verzicht auf Appetitzügler. Melperon (20–100 mg) und Pipamperon (20–
5 Abendliche Alkohol1- und Nikotinkarenz. 80 mg) aufgrund ihrer geringen antidopaminer-
5 Regelmäßige sportliche Betätigung am Vor- und gen und anticholinergen Wirkung vorzuziehen
Nachmittag. und eignen sich auch bei älteren Menschen.
5 Entspannende Abendgestaltung: keine geistig, 5 Bei hartnäckigen Schlafstörungen können aty-
emotional oder körperlich belastenden Betäti- pische Antipsychotika (AAP) mit schlafansto-
gungen am Abend. ßendem Effekt, insbesondere Olanzapin (2,5–
5 Auch am Wochenende oder im Urlaub Beibehal- 10 mg) und Quetiapin (25–150 mg) zur Nacht
tung des Tag-Nacht-Rhythmus. verordnet werden.
5 Individuell ausgerichtete Regelanwendung: 5 Erhalten Patienten ein Antipsychotikum nicht
Umstellung des Alltags in den Bereichen, in zur antipsychotischen Behandlung, sondern zur
denen er am weitesten von den Empfehlungen Schlafinduktion, muss immer berücksichtigt wer-
abweicht. den, dass alle Antipsychotika auch in niedrigen
Dosen deutliche Nebenwirkungen verursachen
Hypnotika bei der primären Insomnie können.
Die Therapie – sowie deren Bewertung – mit Hypnoti-
ka wird ausführlich in 7 Abschn. 9.11 dargestellt.
Fazit
Wichtig
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der
Alle Schlafmittel sollten primären Insomnie – Bewertung
5 in der niedrigst möglichen Dosis verordnet 5 Therapie der Wahl bei der primären Insomnie sind
werden; nichtmedikamentöse Verfahren. Sie umfassen neben
5 nur intermittierend 2- bis 4-mal/Woche der Aufklärung und Beratung des Patienten zur
gegeben werden; Schlafhygiene allgemeine verhaltenstherapeutische
5 nicht für längere Zeiträume, d. h. für nicht Techniken und Entspannungsverfahren.
mehr als 4 Wochen, verschrieben werden; 5 Bei den wenigen Studien zum Vergleich der Effekti-
5 langsam abgesetzt werden; vität bei der kombinierten Anwendung beider Verfah-
5 auf das Auftreten von Reboundphänomenen ren zeigen sich Vorteile für verhaltenstherapeutische
hin beobachtet werden (7 Abschn. 8.6.2). Maßnahmen.
5 Falls keine Kontraindikationen bestehen, können vor
der Wahl von Hypnotika oft auch sedierende Antide-
Antidepressiva bei der primären Insomnie pressiva, bei hartnäckigen Schlafstörungen auch AAP,
5 Antidepressiva mit sedierenden Eigenschaften eingesetzt werden.
(antihistaminischer und 5-HT2-antagonistischer 5 Die Prinzipien der Therapie mit Hypnotika 7 Ab-
Wirkung) wirken schlaffördernd. Die abendliche schn. 9.11.
Dosierung bei primärer Insomnie (ohne depres-
sive Störung oder Angststörung) sind: Amitri-
ptylin (25–50 mg), Doxepin (25–100 mg), Mir-
tazapin (7,5–15 mg), Trimipramin (25–50 mg) 24.1.3 Therapie der Insomnie bei
(7 Abschn. 5.5). psychiatrischen Erkrankungen

Schlafstörungen kommen bei psychiatrischen Krank-


1 Studien weisen in der Mehrzahl auf den kardial-pro- heiten häufig vor. Sie sind i. d. R. durch gezieltes Ein-
tektiven Effekt von 20 g Alkohol bei Männern und 10 g setzen eines schlafinduzierenden Antidepressivums
bei Frauen hin. Der Zusammenhang zwischen diesen bez. Antipsychotikums vor dem Schlafengehen oder
relativ niedrigen Dosen und einer Schlafinduktion durch eine Dosisumverteilung gut zu behandeln. Erst
bzw. Schlafstörung und Abhängigkeitsproblemen bei Nichtansprechen dieser Maßnahmen soll zusätz-
wurde aber bisher nicht grundlegend untersucht. lich ein herkömmliches Hypnotikum gegeben werden.
204 Kapitel 24 · Schlafstörungen

Antidepressiva ne-Levin-Syndrom dar, bei dem rezidivierend in


21 5 Die Wirkung setzt oft sofort, manchmal erst im den Phasen mit vermehrter Tagesschläfrigkeit
Rahmen der Depressionsbehandlung nach 2– noch weitere Verhaltensauffälligkeiten hinzutre-
4 Wochen, ein. Man kann dann nicht erken- ten, z. B. sexuelle Enthemmung und übermäßi-
22 nen, ob die schlafinduzierende Wirkung auf die ges Essen.
Lösung der Depression oder den primär schlaf- 5 Die Therapie der Tagesmüdigkeit bei der pri-
23 fördernden Effekt der Antidepressiva zurück zu
führen ist. SSRI können zu Beginn der Behand-
mären Hypersomnie entspricht den Empfeh-
lungen bei der Narkolepsie (7 Abschn. 24.3).
lung das Schlafverhalten verschlechtern (Wilson 5 Bei 10% der affektiven Störungen kommt es nicht
24 u. Argyropoulos 2005). zu einer Insomnie, sondern zu einer Hypersom-
5 Bei bestehender Therapie mit einem sedierenden nie. Depressive Patienten mit Hypersomnie wer-
Antidepressiva kann die abendliche Dosis erhöht den mit Antidepressiva behandelt.
25 werden, bei zusätzlicher Verordnung dieser Sub-
stanzen zu anderen nicht sedierenden Anti- Weiter treten sekundäre Hypersomnien bei körper-
26 depressiva sind besonders die anticholinergen lichen Erkrankungen (z. B. Hypothyreose, chronischen
Nebenwirkungen zu beachten. Infektionen, entzündlichen Hirnerkrankungen), sub-
5 Bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten sind stanzinduziert (z. B. Missbrauch von Benzodiazepi-
27 Antidepressiva den Benzodiazepinen vorzuzie- nen) und im Rahmen anderer psychischen Erkran-
hen, alternativ können Antipsychotika gegeben kungen (z. B. atypische Depression) auf.
28 werden.

Antipsychotika 24.3 Narkolepsie


29 5 Bei Patienten, die an einer psychotischen Stö-
rung und begleitenden Schlafstörungen leiden, Die Narkolepsie ist eine Störung der REM-Schlaf-
soll zunächst die abendliche Gabe des Antipsy- Regulation. Hauptsymptome der Narkolepsie sind
30 chotikums erhöht werden. Manchmal kann ein Kataplexie (Verlust des Tonus der Skelettmuskulatur
AAP abends in geringen Dosen zusätzlich gege- infolge affektiver Auslenkung wie Freude oder Ärger)
31 ben werden. und erhöhte Tagesmüdigkeit, die oft zu Schlafatta-
5 Bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten sind cken am Tage führt. Im Schlaf-EEG finden sich häufig
Antipsychotika den Benzodiazepinen vorzuzie- sog. Sleep-Onset-REM-Episoden, d. h. Episoden von
32 hen. REM-Schlaf innerhalb der ersten 10 min nach Schlaf-
beginn, häufiges Erwachen und eine Fragmentierung
33 Cave des REM-Schlafs.
Es wird eine multifaktorielle Vererbung ange-
Viele Antidepressiva und niedrigpotente Anti- nommen. Im familiären Umfeld wird häufiges Auftre-
34 psychotika zeigen z. T. ausgeprägte anticholi- ten von vermehrter Tagesmüdigkeit beobachtet. Ätio-
nerge Eigenschaften. Bei älteren Patienten und logisch besteht die Hypothese einer Beteiligung nora-
Patienten mit organischen Vorerkrankungen
35 kann dies zu erheblichen Komplikationen (u. a.
drenerger und serotonerger Systeme und einer Dys-
funktion des Orexinsystems (7 Abschn. 24.1).
Delir, Rhythmusstörungen, Blasenfunktionsstö- 5 Therapeutisch sind Verhaltensmaßregeln indi-
36 rungen) führen (7 Kap. 10). Auch die Nebenwir-
kungen der AAP müssen beachtet werden.
ziert. Es ist ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhyth-
mus und ein stabiles Lebensumfeld anzustre-
ben. Durch regelmäßige Ruhe- und Schlafpau-
37 sen kann Einschlafattacken vorgebeugt werden.
Monotone Arbeitstätigkeiten sind zu vermeiden.
38 24.2 Hypersomnie 5 Medikamentös führt Modafinil (7 Abschn. 14.2)
zu einer deutlichen Verbesserung von Einschlaf-
5 Hauptmerkmal der primären (idiopathischen) attacken und Tagesmüdigkeit. Daher bleibt
39 Hypersomnie ist eine übermäßige Schläfrig- Methylphenidat (7 Abschn. 14.2), trotz seiner
keit mit verlängertem nächtlichem Schlaf und Zulassung bei der Narkolepsie, zweite Wahl nach
40 Schwierigkeiten aufzuwachen oder mit unbeab- Modafinil.
sichtigten und wenig erholsamen Schlafepiso- 5 Natriumoxybat (7 Abschn. 14.2) ist als neue The-
den am Tag. Eine seltene Variante stellt das Klei- rapieoption eingeführt worden. Es steht damit
24.5 · Behandlung der Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter
205 24

erstmals ein Medikament zur Verfügung, das 24.5 Behandlung der


gleichzeitig gegen alle drei Hauptsymptome der Schlafstörungen im Kindes-
Narkolepsie (Kataplexie, Tagesschläfrigkeit und und Jugendalter
gestörten Nachtschlaf) wirksam ist.
5 Antidepressiva (Imipramin, Clomipramin, Ven- Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter kommen
lafaxin, MAO-Hemmer) können die REM-asso- häufig vor und haben eine große Auswirkung auf die
zierten Symptome bei der Kataplexie unterdrü- Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen. Etwa
cken. 4% der Jugendlichen erfüllen die klinischen Kriterien
einer Insomnie. Die Häufigkeit der kindlichen Insom-
nien bei begleitenden neuropsychiatrischen Entwick-
24.4 Schlafapnoesyndrom lungsstörungen oder komorbiden psychiatrischen
Störungen liegt bei 50–75%.
Das Schlafapnoesyndrom ist durch nächtliche Atem- Es finden sich folgende Schlafstörungen:
pausen charakterisiert. Es treten wiederholte Veren- 5 Bei Kleinkindern bis zum 4. Lebensjahr treten
gungen der oberen Luftwege auf, die zu einer zuneh- vor allem die psychophysiologischen Insomnien
menden Abnahme des Blutsauerstoffgehalts führen. (»erlernte Insomnie«) und Schlafstörungen durch
Infolgedessen kommt es zu kurzen Aufwachereignis- rhythmische Bewegung auf.
sen wodurch sich die Verengung der Atemwege löst. 5 Kinder zwischen 3 und 5 Jahren leiden häu-
Die Folge ist eine verstärkte Fragmentation des Schlafs fig unter nächtlichen Ängsten, Alpträumen und
und ein verminderter Tiefschlaf. Unterschieden wer- Non-REM-Parasomnien (z. B. Schlafwandeln,
den ein zentral bedingtes und ein obstruktives Apno- Pavor nocturnus, Enuresis nocturna).
esyndrom. 5 Im Alter von 6–12 Jahren sind inadäquate Schlaf-
Klinische Folgen sind Tagesmüdigkeit mit Ein- hygiene (spätes Einschlafen und frühes Erwa-
schlafneigung, Nachlassen der geistigen Leistungs- chen), nächtliches Zähneknirschen, Restless-
fähigkeit mit Konzentrations- und Merkfähigkeits- legs-Syndrom und »periodic limb movements in
störungen, depressive Verstimmungen, sexuel- sleep« (7 Kap. 32) zu finden
le Funktionsstörungen und morgendlichen Kopf- 5 Im Alter von 13–18 Jahren sind Störungen des
schmerzen. Internistische Folgekrankheiten kön- zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus, Narkolepsie
nen sein: Hypertonie, Herzinsuffizienz, Herzrhyth- und Insomnien führend.
musstörungen und Polyglobulie. Eine obstruktive
Schlafapnoe mit wiederholten Kollapszuständen Parasomnien und Bewegungsstörungen 7 Kap. 32.
des Pharynx im Schlaf ist ein wichtiger kardiovas-
kulärer Risikofaktor. Therapie
Die Diagnosesicherung ist durch eine polysomno- Die primäre Insomnie sollte verhaltenstherapeutisch
graphische Untersuchung im Schlaflabor mit Regis- (z. B. mit Entspanunngsverfahren) behandelt werden.
trierung respiratorischer Parameter möglich. Bei längeranhaltender Insomnie können vorüberge-
5 Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad. hend Hypnotika, Antidepressiva oder niedrigpotente
Allgemeine Verhaltensmaßnahmen umfassen Antipsychotika eingesetzt werden.
Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus, Ver- Für die Störungen des zirkadianen Schlaf-Wach-
meidung von abendlichem Alkoholkonsum, kei- Rhythmus, die sehr häufig bei Kindern und Jugend-
ne Verordnung von sedierenden Medikamenten lichen mit geistiger Behinderung, ADHS oder tief
am Abend, ggf. Gewichtsreduktion. greifenden Entwicklungsstörungen vorkommen, gibt
5 Medikamentöse Therapieoptionen sind Theophyl- es einige Placebo-kontrollierte Studien mit Melato-
lin, das einen atemstimulierenden Effekt hat und nin, die eine positive Wirkung hinsichtlich verlänger-
Modafinil (7 Abschn. 14.2). ter Schlafdauer und reduzierter Einschlafphase nach-
5 Bei schwerer Symptomatik ist eine kontinuier- weisen konnten (van der Heijden et al., 2007) (s. aber
liche Überdruckbeatmung während der Nacht 7 Abschn. 9.1).
notwendig (»continuous positive airways pressu- Bei der Behandlung der nichtorganischen Insom-
re«, CPAP); in manchen Fällen ist auch ein chi- nien sind vor allem die Psychoedukation und ver-
rurgischer Eingriff indiziert; dies gilt insbesonde- haltensmodifizierende Maßnahmen wichtig, bevor
re für die obstruktive Schlafapnoe. ggf. eine medikamentöse Therapie mit Clonazepam,
TZA oder AAP (7 Abschn. 24.1.2) unternommen wird
(Moore et al. 2006).
206 Kapitel 24 · Schlafstörungen

Die Therapie der primären Hypersomnien im Kin- 24.6 Checkliste


21 des- und Jugendalter sollten zunächst physikalische
und verhaltenstherapeutische Maßnahmen beinhal- ?
ten und nur in Ausnahmefällen sollten Psychosti-
22 mulanzien verordnet werden. Für das Kleine-Levin- 1. Bei welcher Gruppe psychiatrischer Erkran-
Syndrom gibt es positive Ergebnisse zu Psychostimu- kungen sind Schlafstörungen besonders

23 lanzien und Lithium.


Bei der Narkolepsie ist eine ausführliche Psychoe-
häufig?
2. Welche Medikamentengruppen zur Behand-
dukation besonders wichtig. Die medikamentöse The- lung von Schlafstörungen kennen Sie?
24 rapie besteht aus Psychostimulanzien (z. B. Methyl- 3. Welche Hypnotika sind Mittel der ersten
phendidat oder Amphetaminpräparate). In Zukunft Wahl bei der Kurzzeittherapie von Schlafstö-
kommt möglicherweise auch Natriumoxybat und rungen?
25 Modafinil bei Kindern und Jugendlichen in Betracht. 4. Welche Grundsätze sollten bei der Verord-
Schlafapnoesyndrome kommen im Kindes- und nung von Schlafmitteln – auch bei den
26 Jugendalter vorwiegend bei Infektionen im Nasen- Non-Benzodiazepinhypnotika – beachtet
Rachenraum oder bei Vergrößerung der Rachen- werden?
mandeln vor. Auch Adipositas ist ein Risikofaktor. 5. Welche Antidepressiva haben sich bei der
27 Es sollten die Grunderkrankungen behandelt werden Behandlung der primären Insomnie (ohne
bevor körperliche Folgen auftreten. komorbide Angst oder Depression) bewährt?
28 6. Welche Gruppen von schlaffördernden
bzw. schlafinduzierenden Psychopharmaka
sollten bei abhängigkeitsgefährdeten Pati-
29 enten verordnet werden?
7. Welche Komplikation kann besonders bei
älteren Patienten bei der Therapie von
30 Schlafstörungen mit Antidepressiva oder
niederpotenten Antipsychotika auftreten?
31 8. Welche Behandlungsmöglichkeiten bei der
Narkolepsie kennen Sie?
9. Welche pharmakologischen Therapieopti-
32 onen gibt es für das Restless-legs-Syndrom?
10. Wie sollte die Therapie von primären Insom-
33 nien im Kindes- und Jugendalter erfolgen?

34
35
36
37
38
39
40
25.1 ·
207 25

Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen

25.1 Gesamtbehandlungsplan – 208

25.2 Therapie – 208


25.2.1 Spezifische Therapie bei Persönlichkeitsstörungen – 209

25.3 Behandlung von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen


im Kindes- und Jugendalter – 211

25.4 Checkliste – 213


208 Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

Nach ICD-10 und DSM-IV werden Persönlichkeits- können, sowie Substanzmissbrauch und -abhängig-
21 störungen als meist früh in der Kindheit oder Jugend keit (v. a. Alkohol, Benzodiazepine).
beginnende, anhaltende Muster von rigiden, nicht
angepassten Denk- und Verhaltensweisen, die sich Psychotherapie bei
22 in nahezu allen Lebensbereichen als Störung für den Persönlichkeitsstörungen
Betreffenden oder die Umwelt äußern, definiert. Die Der Kern der Therapie von Persönlichkeitsstörungen
23 vorherrschenden Symptome, die oft kombiniert auf-
treten, werden dann einzelnen Subtypen von Persön-
liegt in psychotherapeutischen Behandlungsverfah-
ren. Vor allem zwei psychotherapeutische Zugänge
lichkeitsstörungen (oder Diagnosen) zugeordnet. haben sich der empirischen Überprüfung gestellt und
24 können hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf kontrol-
Neurobiologie. Es gibt über die genetischen Befunde lierte Studien verweisen. Dies ist speziell für die The-
hinaus inzwischen eine Vielzahl von nachgewiesenen rapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung die »dia-
25 Veränderungen durch die strukturelle und funktio- lektisch-behaviorale Therapie« (DBT) (Linehan et al.
nelle Bildgebung in frontalen und limbischen Hirn- 2006; Kröger u. Kosfelder 2007) und die »Schemathe-
26 regionen bei Persönlichkeitsstörungen (Schmahl u. rapie« (Young et al. 2003, Giesen-Bloo et al. 2006).
Bohus 2006). Die DBT integriert verschiedene Behandlungsme-
Ätiologisch wird bei den Persönlichkeitsstö- thoden:
27 rungen davon ausgegangen, dass adversive Lebensbe- 5 Verhaltens- und Problemanalyse
dingungen und -ereignisse im (frühen) Kindesalter zu 5 Kontingenzmanagement
28 Veränderungen neuronaler Netzwerke führen (Her- 5 Kompetenz- und Problemlösetraining
pertz-Dahlmann u. Herpertz 2005). 5 Achtsamkeitsübungen
Speziell bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung 5 Akzeptanz- und Validierungsstrategien
29 (BPS) finden sich verminderte Hippocampus- und
Amygdalavolumina, die den Veränderungen bei der Neben der Einzeltherapie ist die Teilnahme an einer
posttraumatischen Belastungsstörung ähneln (Lieb et Gruppentherapie (Skillgruppe) vorgesehen. Die
30 al. 2004). Behandlung erstreckt sich über 2 Jahre. Das Vorgehen
folgt einer klaren Hierarchie. Dabei werden anfangs
31 die Impulsivität, die suizidalen bzw. parasuizidalen
25.1 Gesamtbehandlungsplan Handlungen sowie manipulative Handlungen bear-
beitet, erst dann folgt die Verringerung der Symptom-
32 Spezifische Medikamente zur Behandlung der Per- belastung und in einem dritten Schritt dann die sozi-
sönlichkeitsstörungen gibt es noch nicht, die Therapie ale Anpassung. Die Therapie von Borderline-Persön-
33 erfolgt im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans. lichkeitsstörungen erfordert anfangs bzw. phasenwei-
Dieser beinhaltet psychotherapeutische Maßnahmen se während der DBT auch eine stationäre Behandlung
(v. a. Verhaltenstherapie), psychosoziale Unterstüt- und die zusätzliche Pharmakotherapie.
34 zung und die syndromorientierte medikamentöse und Die Schematherapie ist eine Weiterentwicklung
supportiv-psychiatrische Behandlung. Ein Gesamtbe- der kognitiven Therapie und bearbeitet die in der frü-
35 handlungssplan ist bei Patienten mit Persönlichkeits-
störungen von besonderer Bedeutung, um die einge-
hen Entwicklungsphase etablierten fehlangepassten
Verarbeitungsmuster (Schemata) mittels kognitiver
schränkte Lebensqualität zu verbessern. Methoden (Disputationstechniken, Realitätstesten
36 usw.). Doch auch mit Interventionen zur Analy-
se von Traumatisierungen, Erkennen und Verändern
37 25.2 Therapie von emotionalen Reaktionen, ungeschickten Bewäl-
tigungsformen, Kontrolle von Temperament und
> Es muss immer zunächst geklärt werden, ob sich Impulsivität, kommen Imaginations- und Verhaltens-
38 zusätzlich zu einer bestehenden Persönlichkeitsstö- übungen zum Einsatz. Jeder Persönlichkeitsstörung
rung eine mit Psychopharmaka sicher behandelbare liegt ein bestimmtes Set von Schemata zugrunde, das
psychiatrische Störung (Achse-I-Störung) entwickelt aufgespürt und auf kognitiver und emotionaler Ebe-
39 hat. Besonders häufig sind depressive Episoden, die ne sowie in den Handlungsabläufen verändert wer-
mit Antidepressiva, wegen der besseren Verträg- den muss, um ein wenig belastetes Leben führen zu
40 lichkeit vorzugsweise mit selektiven Serotoninrück- können. Die Schematherapie wird ambulant durch-
aufnahmehemmern (SSRI), gut behandelt werden geführt, erstreckt sich, je nach Persönlichkeitsstörung
über 2–3 Jahre.
25.2 · Therapie
209 25
Psychopharmaka bei 5 Benzodiazepine sollten bei vorherrschender
Persönlichkeitsstörungen Angst nur akut und mit Vorsicht eingesetzt wer-
Bei schweren psychopathologischen Symptomen ist den (Abhängigkeitsrisiko), 7 Abschn. 25.2.1.
der Einsatz von Psychopharmaka frühzeitig indiziert;
er sollte nicht erst nach Ausbleiben des Erfolgs von Wichtig
psychotherapeutischen Maßnahmen erwogen wer-
den. Der Wirksamkeitsnachweis der medikamen- Bei der Pharmakotherapie von Persönlichkeitsstö-
tösen Therapie erfolgte zumeist in offenen oder ran- rungen sollte folgendes psychiatrisch-psychothe-
domisierten Studien mit kleinen Fallzahlen. Große rapeutisches Vorgehen im Vordergrund stehen:
Vergleichstudien, wie sie aus den anderen Kapiteln 5 Die Pharmakotherapie ist in der Regel
dieses Leitfadens bekannt sind, fehlen noch. Dennoch nur auf der Basis einer tragfähigen und
sind aus den bisherigen Studien bereits wichtige The- kontinuierlichen therapeutischen Beziehung
rapieempfehlungen abzuleiten, obwohl Zulassungen sinnvoll.
für diese Indikationen weitgehend fehlen. 5 Die Dosierung sollte individuell, an Zielsymp-
Generell werden bei einer Persönlichkeitsstörung tomen und Nebenwirkungen orientiert,
primär psychotherapeutische Maßnahmen empfoh- erfolgen. Meist sind relativ niedrige Dosie-
len. rungen ausreichend.
5 Die Mitbeteiligung der Patienten bei Aus-
Wichtig wahl und Dosierung ist notwendig.
5 Die Erfolgserwartungen sollten zzt. eher
Die medikamentöse Therapie von Persönlich- niedrig angesetzt werden.
keitsstörungen ist syndromorientiert. Sie richtet 5 Notwendige Kontrolluntersuchungen, Ne-
sich daher nach Zielsyndromen. benwirkungen und Begleiteffekte sind vor-
her zu besprechen, auch die Konsequenzen.
Es können z. B. Ziele über einen Stufenplan
Zielsyndrome für Psychopharmaka bei vereinbart und ausgearbeitet werden.
Persönlichkeitsstörungen 5 Klare »Verträge« mit entsprechenden Maß-
5 Wichtigste Zielsyndrome bei Persönlichkeitsstö- nahmen und Konsequenzen können hilfreich
rungen sind: sein (z. B. bei selbstverletzendem Verhalten
– depressive und andere affektive Symptome, und Suizidalität).
– unkontrollierbare Impulsivität und Aggres- 5 Es sollte eine möglichst sichere Medikation
sivität, und ggf. eine kleine Packungsgröße ver-
– dissoziative und psychotische Symptome. schrieben werden.

Pharmakotherapie
Cave
5 Empfehlungen zur Dauer der Therapie kön-
nen nicht gegeben werden, da sich die meisten 5 Das Suizidrisiko (Intoxikationen!) ist v. a. bei
Studien nur auf eine Behandlung von wenigen Borderline-Persönlichkeitsstörungen groß.
Wochen beziehen.
5 Eine erfolgreiche Pharmakotherapie sollte man
aber längerfristig mit der niedrigsten effektiven
Dosis unter sorgfältiger Überwachung von mög- 25.2.1 Spezifische Therapie bei
lichen Nebenwirkungen fortführen. Auch die Persönlichkeitsstörungen
wirksamen atypischen Antipsychotika (AAP)
sind nebenwirkungsreich (7 Kap. 7). 5 Bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung fehlt
5 Es besteht häufig eine ablehnende Haltung gegen- noch weitgehend ein psychopharmakologischer
über Medikamenten. Die Compliance ist oft Ansatz; das gilt auch für psychotherapeutische
gering mit einer hohen Abbruchrate. Medi- Interventionen.
kamente erzeugen bei manchen Patienten das 5 Auch für Verhaltensauffälligkeiten bei histrio-
Gefühl von Kontrollverlust. Auch kann die Medi- nischen Persönlichkeitsstörungen kann aus den
kation zum Interaktionsfeld werden. wenigen Fallberichten noch keine pharmakolo-
5 Nebenwirkungen werden oft sensitiv oder ver- gische Empfehlung abgeleitet werden.
stärkt wahrgenommen.
210 Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

5 Für die BPS liegen sowohl Studien zur Wirk- jedoch für Stimmungsstabilisierer, v. a. in Anbe-
21 samkeit psychotherapeutischer Verfahren (dia- tracht der möglichen Nebenwirkungen, in dieser
lektisch-behaviorale Therapie, s. oben) als auch Indikation nicht gegeben werden.
Empfehlungen zur symptomatischen medika- 5 Bei therapierefraktärer Angst liegen Einzelfall-
22 mentösen Therapie vor, die sich teilweise auch auf berichte zur Wirksamkeit von Benzodiazepi-
kontrollierte Studien stützen (Lieb et al. 2004). nen (Clonazepam, Alprazolam) vor.Unter Alpra-
5 Die bei BPS gefundenen wirksamen syndromori-
23 entierten Therapiemöglichkeiten lassen sich auch
zolam wurde aber in Einzelfällen Kontrollverlust
berichtet.
für Patienten mit dieser Symptomatik im Rah-
24 men anderer Persönlichkeitsstörungen nutzen. Störungen der Impulskontrolle, Reizbarkeit
5 Für Persönlichkeitsstörungen mit Symptomen, und unkontrollierte Wut, impulsive
die auch im Rahmen von Achse-I-Störungen auf- Aggression, impulsive Selbstverletzung
25 treten und dabei wirksam behandelt werden kön- 5 Im Rahmen einer BPS werden bei impulsiver
nen (v. a. depressive Symptome, Angstsymptome, Aggression, Wut, Reizbarkeit und selbstverlet-
26 psychosenahe Symptome, Zwangssymptome), zendem Verhalten SSRI und Venlafaxin empfoh-
lassen sich zumindest Hinweise für die Sym- len. Gewünschte Effekte auf Wut und impulsive
ptombehandlung bei Patienten mit Persönlich- Aggression treten oft früher und unabhängig von
27 keitsstörungen gewinnen. Dies trifft insbesonde- Wirkungen auf Stimmung oder Angst ein. Auch
re für schizotypische, paranoide, zwanghafte und kann auf Valproinsäure oder ein AAP (Aripipra-
28 selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen zu. zol, Risperidon, Quetiapin, Olanzapin, Clozapin)
zurückgegriffen werden. Für Lamotrigin liegt
Affektstörungen (depressive Stimmung, eine placebokontrollierte Studie bei Patienten mit
29 Angst, Wut, Aggression) BPS vor, die eine überlegene Wirksamkeit zur
5 Bei affektiven Symptomen (insbesondere depres- Reduktion des selbst erlebten Ärgers zeigte.
siven Verstimmungen, Stimmungsschwan- 5 Carbamazepin und Valproinsäure werden bei
30 kungen, Empfindlichkeit gegen Abweisung, impulsiver Aggression häufig eingesetzt. Für Val-
Angst, pathologischem Ärger, Wut und Feindse- proinsäure liegen kleine kontrollierte Studien zur
31 ligkeit) werden SSRI und Venlafaxin empfohlen; Wirksamkeit, insbesondere, wenn SSRI unwirk-
zu den SSRI liegen Studien vor, die sich bis über sam sind. Auch Lithium war bei dieser Indikati-
3 Jahre erstrecken. on wirksam.
32 Bei mangelnder Wirksamkeit eines ersten SSRI 5 Bei impulsiver Aggressivität und schweren Selbst-
sollte nach etwa 6 Wochen ein Versuch mit einem verletzungsimpulsen wurde in Einzelfällen unter
33 zweiten SSRI oder Venlafaxin gemacht werden. Einhaltung der übrigen Kontraindikationen und
Eine Verordnung von Venlafaxin sollte nur dann Kontrollen Clozapin mit Erfolg eingesetzt. Clo-
erfolgen, wenn bei den Patienten kein Suizidri- zapin war Olanzapin überlegen (Krakowski et al.
34 siko besteht (Cave: Intoxikationsrisiko).Danach 2006).
als zweite Option kann eine Augmentation mit 5 Für Quetiapin und Risperidon liegen positive Ein-
35 einem AAP in niedriger Dosis versucht werden.
5 Für die Therapie von aggressiven Affektdurch-
zelfallberichte bei Patienten mit antisozialer Per-
sönlichkeitsstörung vor
brüchen und aggressiven Verhaltensweisen liegen 5 Naltrexon war bei Selbstverletzungstendenzen im
36 positive Studienergebnisse für Haloperidol vor; Rahmen einer BPS erfolgreich.
allerdings sind AAP (z. B. Risperidon, Quetiapin,
Olanzapin) wahrscheinlich in dieser Indikation Cave
37 besser geeignet und trotz fehlender kontrollierter
Studien vorzuziehen. Benzodiazepine sollten auch bei dieser Zielsym-
38 5 Bei Impulsivität, Stimmungsschwankungen und ptomatik nur in Akutsituationen gegeben wer-
den. Einzelfälle von Kontrollverlusten wurden un-
affektiven Symptomen (Aggressivität, Depressi-
vität) können bei zuverlässigen Patienten Lithi- ter Benzodiazepinen berichtet. Möglicherweise
39 um, Carbamazepin und Valproinsäure erwogen sind in Akutsituationen AAP eine Alternative.
werden. Für Valproinsäure liegen kleinere kon-
40 trollierte Studien vor, die eine Wirksamkeit bei
Aggressivität und Irritabilität im Rahmen von
BPS belegen. Eine generelle Empfehlung kann
25.3 · Behandlung von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen …
211 25
Kognitive Symptome und Spezifische Impulskontrollstörungen
Wahrnehmungsverzerrungen 5 Bei spezifischen Störungen der Impulskontrolle
5 Zur Behandlung von Beziehungsideen, Illusi- (pathologisches Spielen, Pyromanie, Kleptomanie,
onen, meist passageren Halluzinationen und Trichotillomanie) haben sich in Fallserien SSRI in
Pseudohalluzinationen und paranoiden Ideen oft höherer Dosierung und über mehrere Monate
sowie der häufig damit verbundenen Hostilität als hilfreich erwiesen, eine Kombination mit psy-
im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen haben chotherapeutischen Interventionen ist in jedem
sich konventionelle hochpotente Antipsychotika Fall zu empfehlen.
(z. B. Haloperidol, Perphenazin, Flupentixol) in 5 Auch ein zweiter Versuch mit einem SSRI scheint
niedriger Dosierung effektiv erwiesen. Allerdings angeraten, bevor ein AAP, ggf. auch in Kombina-
zeigte sich bei längerer Gabe eine geringe Ver- tion versucht werden kann.
träglichkeit aufgrund der bekannten Nebenwir-
kungen (7 Abschn. 7.6).
5 Allerdings sollte trotz fehlender kontrollierter Fazit
Studien den AAP in möglichst niedriger Dosie-
rung unter Einhaltung der üblichen Kontraindi- Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Persön-
kationen und Kontrolluntersuchungen der Vor- lichkeits- und Verhaltensstörungen – Bewertung
zug bei Behandlungsversuchen für diese Zielsym- 5 Die medikamentöse Therapie von Persönlichkeitsstö-
ptomatik gegeben werden. rungen ist syndromorientiert. Sie richtet sich daher
5 Bei dissoziativen Symptomen, insbesondere bei nach Zielsyndromen.
BPS, wird über positive Ergebnisse mit Naltrexon 5 Neben der Psychotherapie kann die medikamentöse
(Dosis meist 25–100 mg/Tag) in Kombination Therapie, obwohl nur wenige kontrollierte Studien
mit Psychotherapie berichtet. bekannt sind, eine wertvolle Therapieerweiterung
sein.
Verhaltensstörungen bei 5 Bei jeder spezifischen Störung muss auf das bis dahin
Intelligenzminderung am besten untersuchte wirksame Präparat zurück-
5 Bei aggressivem Verhalten bei Intelligenzminde- gegriffen werden (7 Abschn. 25.2). Es bleibt aber ein
rung kann zunächst Risperidon versucht werden. individueller Behandlungsversuch.
Andere AAP wurden seither nicht in kontrol- 5 Speziell bei der BPS gibt es drei medikamentöse
lierten Studien untersucht. Bei chronisch aggres- Optionen:
sivem Verhalten ist im zweiten Schritt ein Thera- – SSRI bei vorherrschender Depressivität, Angst
pieversuch mit Valproinsäure oder Carbamazepin oder Ärger,
vorsichtig indiziert. – AAP besonders bei kognitiven Störungen,
5 Bei organisch bedingten aggressiven Störungen – Stimmungsstabilisierer bei vorherrschenden
kann ein Therapieversuch mit β-Rezeptorenblo- impulsiven Störungen.
ckern auch in höherer Dosierung oder mit Cloni-
din erfolgreich sein (langsam aufdosieren).
5 Bei Oligophrenien und anderen geistigen Behin-
derungen tritt nicht selten neben motorischen 25.3 Behandlung von
Stereotypien repetitives selbstverletzendes Ver- Persönlichkeits- und
halten mit z. T. auch mutilierenden Selbstverlet- Verhaltensstörungen im
zungen auf. In dieser Indikation kann auch Ris- Kindes- und Jugendalter
peridon eingesetzt werden.
5 Bei expansiven und disinhibierten Verhaltensstö- Nach ICD-10 ist die Diagnose einer Persönlichkeits-
rungen im Rahmen von Oligophrenien kann ein störung vor Abschluss der Pubertät (ungefähr 16 Jah-
Versuch mit Valproinsäure oder Antipsychotika re) wahrscheinlich unangemessen. Vor diesem Lebens-
(insbesondere Risperidon) empfohlen werden. alter sollte sie nur dann vergeben werden, wenn die
5 Keine Empfehlung kann trotz positiver Fallbe- Mindestzahl der geforderten Kriterien erfüllt ist, die
richte für Naltrexon und Methylphenidat bei gei- spezifischen Verhaltensmuster bereits in der Adoles-
stiger Retardation (IQ <50) und autistischen zenz zeit- und situationsübergreifend auftreten und
Symptomen ausgesprochen werden. zur Einschränkung der schulischen, beruflichen und
sozialen Leistungsfähigkeit führen.
212 Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

Eine Ausnahme macht lediglich die antisozi- Therapie spezifischer


21 ale Persönlichkeitsstörung. Diese Diagnose darf vor Impulskontrollstörungen
dem Alter von 18 Jahren nicht gestellt werden. Die Bei den spezifischen Störungen der Impulskontrolle
entsprechende Diagnose im Kindes- und Jugendal- im Kindes- und Jugendalter gelten die gleichen Emp-
22 ter ist die Störung des Sozialverhaltens. Die verschie- fehlungen wie für das Erwachsenenalter und zwar
denen Störungen des Sozialverhaltens sind durch dis- sollte eine Kombination mit psychotherapeutischen
23 soziales, aggressives oder aufsässiges Verhalten (län-
ger als 6 Monate) mit Verletzungen altersentspre-
Interventionen und SSRI erfolgen.

chender sozialer Erwartungen gekennzeichnet. Diese Therapie von Verhaltensstörungen


24 Störungen können mit deutlichen Symptomen einer Therapeutisch haben sich bei Verhaltensstörungen
emotionalen Störung, zumeist Depression und/oder spezielle Elterntrainings und Familienhilfen bewährt.
Angst, kombiniert sein. Die Interventionen beim Patienten sollten Problemlö-
25 Verhaltensstörungen, wie z. B. Störungen des Sozi- setrainings, z. B. im Sinne von sozialen Kompetenz-
alverhaltens oder ADHS bzw. HKS (7 Abschn. 27.3), gruppen, Veränderungen der Peer-Gruppen, Klärung
26 gehören zu den häufigsten Störungsbildern im Kin- der adäquaten Schulform etc., enthalten.
des- und Jugendalter. Häufig liegt eine Kombination Zur pharmakologischen Behandlungen von Ver-
beider Störungen (Hyperkinetische Störung des Sozi- haltensauffälligkeiten wie Störungen des Sozialverhal-
27 alverhaltens) vor. tens ohne zusätzlichem Vorliegen einer ADHS haben
sich v.a. Risperidon und Lithium als wirksam erwie-
Therapie der Borderline-
28 Persönlichkeitsstörung
sen. Bei Vorliegen einer zusätzlichen ADHS zeigten
Psychostimulanzien, Atomoxetin, Clonidin und
Empirische Befunde zur psychotherapeutischen Risperidon eine Wirksamkeit (Ipser u. Stein 2007;
29 Behandlung der BPS bei Jugendlichen liegen nur 7 Abschn. 14.2). Risperidon hat eine Zulassung für die
vereinzelt vor. Insbesondere fehlen bislang kontrol- Behandlung von Impulskontrollstörungen bei Kin-
lierte Studien. Die Ergebnisse einer offenen Studie zur dern und Jugendlichen mit selbst- und/oder fremdag-
30 DBT mit jugendlichen Patienten sind jedoch viel ver- gressivem Verhalten.
sprechend in Bezug auf Suizidalität und selbstverlet-
31 zendem Verhalten (Fleischhaker et al. 2006). Verhaltensstörungen bei
Die pharmakologische Behandlung zielt auf ein- Intelligenzminderung
zelne Symptome z. B. Depression, Aggressivität, Aggressives Verhalten bei Intelligenzminderung kann
32 Impulsivität und Spannungszustände. Eine Vielzahl mit Risperidon behandelt werden, da eine Zulassung
dieser Symptome spricht auf SSRI an. Eine Verord- für diese Indikation für das Kindes- und Jugendalter
33 nung der SSRI sollte nur dann erfolgen, wenn bei den vorliegt. Andere AAP wurden seither nicht in kontrol-
Patienten kein Suizidrisiko besteht. lierten Studien untersucht, sollten aber bei Nichtan-
Bei hoher Impulsivität und Aggressivität kann sprechen oder zu starken Nebenwirkungen versucht
34 ein Antipsychotikum (z. B. Risperidon) in Erwägung werden. Es können auch niederpotente Antipsychoti-
gezogen werden. Risperidon ist für diese Indikation ka eingesetzt werden. Auch kann eine Medikation mit
35 im Kindes- und Jugendalter zugelassen. Benzodiaze-
pine sollten auch bei dieser Zielsymptomatik nur in
Methylphenidat wirksam sein (IQ >50). Als Medikati-
on der zweiten Wahl gelten Lithium, Valproat, Carba-
Akutsituationen gegeben werden. Ähnliches gilt für mazepin, β-Rezeptorenblocker und Clonidin.
36 die symptomorientierte pharmakologische Behand-
lung anderer Persönlichkeitsstörungen.
Liegen zusätzlich Beziehungsideen, Illusionen,
37 Halluzinationen bzw. Pseudohalluzinationen und
paranoiden Ideen sowie Hostilität vor, können Anti-
38 psychotika verordnet werden.
Bei dissoziativen Symptomen kann ein pharmako-
logischer Behandlungsversuch mit Naltrexon unter-
39 nommen werden.

40
25.4 · Checkliste
213 25

25.4 Checkliste

?
1. Bei Persönlichkeitsstörungen liegen häufig
komorbide psychiatrische Erkrankungen
(Achse-I-Störungen) vor, auf welche Stö-
rungen ist besonders zu achten?
2. Was bedeutet die Komorbidität von Persön-
lichkeitsstörungen und anderen psychiat-
rischen Erkrankungen für die medikamen-
töse Behandlungsstrategie?
3. Welche Probleme ergeben sich häufig bei
der medikamentösen (Mit)behandlung von
Persönlichkeitsstörungen?
4. Wie erfolgt die Auswahl von medikamen-
tösen Behandlungsoptionen bei Persönlich-
keitsstörungen?
5. Welche Behandlungsoptionen haben sich
bei der Behandlung der Borderline-Persön-
lichkeitsstörung bewährt?
6. Wie werden Störungen des Sozialverhaltens
bei Kindern und Jugendlichen definiert und
welches Medikament ist zur Behandlung
dieser Störungsbilder zugelassen?
26.1 ·
215 26

Sexuelle Funktionsstörungen

26.1 Erektionsstörungen – 216

26.2 Vermindertes sexuelles Verlangen – 217

26.3 Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau – 217

26.4 Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen – 217

26.5 Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie – 217

26.6 Substanzinduzierte sexuelle Funktionsstörungen – 218

26.7 Pharmakotherapie und Psychotherapie bei


sexuellen Funktionsstörungen – 218

26.8 Behandlung sexueller Funktionsstörungen im


Kindes- und Jugendalter – 219

26.9 Checkliste – 219


216 Kapitel 26 · Sexuelle Funktionsstörungen

Sexuelle Funktionsstörungen sind häufig. Jede 3. Frau chischen Beeinträchtigungen bis hin zur Depression
21 und jeder 4. Mann klagen über chronische sexuelle verbessert (Müller u. Benkert 2001).
Probleme. Insbesondere sind auch Patienten mit psy-
chiatrischen Störungen, wie Depressions- und Angst- Neurobiologie der sexuellen Funktionsstörungen.
22 störungen, Schizophrenien oder Abhängigkeitser- Neben Störungen des peripheren Nervensystems,
krankungen davon betroffen. das die Erektion steuert, und neuroanatomischen
23 Drei Störungsbereiche stehen im Rahmen der
sexuellen Funktionsstörungen im Vordergrund:
und physiologischen Veränderungen des Penis, kann
auch die zentrale Regulation der Erektion gestört sein.
5 Erektionsstörungen bzw. Störungen der Lubrika- Neuropeptide und Steroidhormone spielen dabei
24 tion und der sexuellen Erregung; eine entscheidende Rolle (Hartmann et al. 2006;
5 gestörtes sexuelles Erleben mit Ejakulationsstö- 7 Abschn. 12.2.2). Die Bedeutung des Stickstoffmon-
rungen bzw. Orgasmusstörungen und Schmerzen oxids (NO) wird in Zusammenhang mit den PDE-5-
25 beim Geschlechtsverkehr; Hemmern besprochen (7 Abschn. 12.2.1).
5 Libidostörungen mit vermindertem sexuellem Darüber hinaus entstammen viele der heu-
26 Verlangen. tigen Kenntnisse über die sexuellen Funktionen
und deren Aktivierung bzw. Blockade durch spe-
Sexuelle Funktionsstörungen erfordern eine interdis- zifische Neurotransmitterrezeptoren der Psycho-
27 ziplinäre Diagnostik. Vor Beginn einer Therapie ist pharmakaforschung. Dopaminagonisten können
der Ausschluss organischer und psychiatrischer Ursa- das sexuelle Verhalten verstärken, Dopaminanta-
28 chen zwingend. Gefäßerkrankungen, Diabetes melli-
tus, Hypothyreose und andere endokrine Störungen,
gonisten (z. B. Antipsychotika, 7 Kap. 7) können es
dämpfen. Einige Antipsychotika können auch über
neurologische Erkrankungen und andrologische bzw. die Erhöhung des Prolaktins einen negativen Ein-
29 gynäkologische Beschwerden führen häufig zu sexu- fluss auf das Sexualverhalten haben (7 Kap. 7). Es
ellen Funktionsstörungen, genauso wie urologische wird angenommen, dass eine wichtige dopaminerge
oder gynäkologische Operationen. Regulationzentrale für das sexuelle Verhalten im
30 Während früher überwiegend psychotherapeu- medialen präoptischen Areal (MPOA) des Hypo-
tische bzw. sexualtherapeutische Maßnahmen bei thalamus liegt. Das serotonerge System übt dage-
31 sexuellen Funktionsstörungen angewandt wurden, gen einen inhibitorischen Einfluss auf das sexuelle
hat die Möglichkeit der medikamentösen Behandlung Verhalten aus. Die serotonergen Neurone sind über-
der Erektionsstörungen mit Phosphodiesterase-Typ- wiegend in den Raphekernen lokalisiert. Die sexuel-
32 5-Inhibitoren (PDE-5-Hemmer) eine Therapiewen- le Verhaltenshemmung, insbesondere die Ejakulati-
de eingeleitet. Ein Sexualtherapeut kann sich jetzt bei onshemmung, ist eine Nebenwirkung der selektiven
33 gestörter Erektion mehr auf die mögliche Partnerpro- Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI), kann aber
blematik und andere Ursachenaufarbeitungen (z. B. andererseits therapeutisch zur Ejakulationsverzöge-
Missbrauchserfahrung) konzentrieren, während par- rung genutzt werden.
34 allel die erektile Dysfunktion medikamentös behan-
delt wird. Im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans
35 werden Verhaltenstherapie, Paartherapie und medika- 26.1 Erektionsstörungen
mentöse Maßnahmen mit unterschiedlichen Schwer-
punkten eingesetzt. Die frühere Unterscheidung in psychogene oder
36 Es werden hier vorrangig die pharmakothera- somatogene Ursachen erektiler Dysfunktionen führt
peutischen Ansätze beschrieben. Wird eine hormo- oft nicht weiter, denn in den meisten Fällen sind psy-
nelle Therapie erwogen, ist immer der Urologe bzw. chologische, somatische und soziale Aspekte an der
37 Gynäkologe und ggf. der Endokrinologe einzube- Störung beteiligt. Es besteht eine deutliche Abhängig-
ziehen. Auch wenn die neurobiologischen Ursachen keit vom Alter. Allerdings können auch allein inter-
38 immer mehr in den Vordergrund rücken, sind bei der nistische (z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus), neuro-
sexuellen Funktionsstörung alle psychobiosozialen logische (z. B. multiple Sklerose) oder Zustände nach
Bedingungen, insbesondere die Partnerbeziehung, Operationen (z. B. Prostatektomie) die Ursache einer
39 zu berücksichtigen. Es zeigt sich bei der erfolgreichen Erektionsstörung sein.
Therapie der Erektionsstörungen beispielhaft, wie 5 Der Therapieschwerpunkt bei den Erektionsstö-
40 einerseits Psychotherapie biologische Auswirkungen rungen hat sich seit der Einführung von Sildena-
haben kann, andererseits aber auch die Besserung der fil und weiterer selektiver PDE-5-Hemmer auf die
Erektionsstörungen durch PDE-5-Hemmer die psy- orale Medikation verlagert (7 Abschn. 12.2.1). Die
26.5 · Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie
217 26

Erfolgsquote ist hoch (PDE-5-Hemmer >80%, geprägter Androgendefizienz vorbehalten blei-


Placebo um 10%). ben sollte.
5 Trotz der medikamentösen Therapieerfolge mit 5 Neben einer möglichen Hormonsubstitution sind
PDE-5-Hemmern ist die psychotherapeutische psychotherapeutische Maßnahmen zu erwägen
Führung, wenn möglich immer unter Einbezie- (Gromus 2002).
hen der Partner, Voraussetzung für eine adäquate
und längerfristig erfolgreiche Behandlung.
5 Weitere medikamentöse Ansätze mit Yohimbin 26.3 Störungen der sexuellen
sind den PDE-5-Hemmern weit unterlegen. Erregung bei der Frau
5 Testosteronsubstitution kann bei nachgewie-
senem Hypogonadismus erfolgreich sein. Darü- 5 Ein spezifisches Störungsbild wie die Erektions-
ber hinaus ist eine Wirksamkeit von Testosteron störung lässt bei der Frau nicht abgrenzen. Ein
bei Erektionsstörungen nicht nachgewiesen wor- Ansatz für eine Pharmakotherapie hat sich nicht
den. ergeben, besonders, da auch die PDE-5-Hemmer
5 Andere Therapieformen, wie intrakavernöse nicht den erhofften Erfolg gezeigt haben. Lokal
Injektionen, Vakuumpumpen oder Implantation sind östrogenhaltige Salben zur verbesserten
einer Penisprothese, spielen seit Einführung der Lubrikation wirksam.
PDE-5-Hemmer in der Therapie der Erektions-
störungen kaum mehr eine Rolle (sekundäre und
tertiäre Therapiestufe, 7 Abschn. 12.1). 26.4 Ejaculatio praecox und
Orgasmusstörungen
26.2 Vermindertes sexuelles 5 Ejakulationsstörungen sind beim jungen Mann
Verlangen häufig. Früher konnten therapeutische Erfolge
allein mit verhaltenstherapeutischen Ansät-
Eine bewährte Pharmakotherapie bei verringerter zen (z. B. Squeeze-Technik) erreicht werden.
Libido steht nicht zur Verfügung. Bei der Therapie Heute kann man die Nebenwirkung Ejakulati-
sind psychische und endokrine Aspekte (Menopau- onverzögerung der SSRI therapeutisch nutzen
se, Androgendefizit) zu berücksichtigen. Es gibt kei- (7 Abschn. 12.4.4).
ne zugelassene pharmakologische Therapie; abhängig 5 Eine etablierte pharmakologische Therapie bei
von der Diagnostik können verschiedene Interventi- Orgasmusstörungen gibt es nicht.
onen erwogen werden:
5 Beim Mann ist die Wirkung einer Hormonsubsti-
tution fraglich (7 Abschn. 12.2.2). Für Testosteron 26.5 Gesteigertes sexuelles
gibt es positive Befunde nur bei Testosteronman- Verlangen und Paraphilie
gel, Dehydroepiandrosteron (DHEA) besitzt ein
Aktivierungspotenzial. Die Wirksamkeit ist aller- Gesteigertes sexuelles Verlangen mit Krankheitswert
dings nicht gesichert. Bei Testosteron und DHEA kann bei der Manie, Schizophrenie, Demenz, Oligo-
besteht zusätzlich das Risiko des Zellwachstums phrenie und bei Persönlichkeitsstörungen auftreten.
in der Prostata. Die Therapie pathologisch gesteigerter Libido hat aber
5 Bei Frauen mit postmenopausaler Libidovermin- auch gerade bei Störungen der sexuellen Orientie-
derung kann ein hormoneller Therapieansatz mit rung (Paraphilie) einen hohen Stellenwert, um sexu-
einem synthetischen Steroid wirksam sein. Tibo- elle Straftaten zu verhindern. Die pharmakologische
lon (Liviella®), ein synthetisches Steroid mit kom- Behandlung kann zwar den gesteigerten sexuellen
binierter östrogenerger, progesteronerger und Drang dämpfen und Verhaltensänderungen bewir-
androgener Aktivität (gonadomimetisch) wur- ken, aber die Paraphilie nicht heilen. Eine begleitende
de bei Libidominderung früher oft verschrieben. Sozio- und Psychotherapie ist deshalb unabdingbar.
(Risiken 7 Abschn. 12.4.2). 5 Das Antiandrogen Cyproteronacetat ist zur
5 Niedrig dosierte Testosterongaben bei sexuel- Behandlung schwerer Hypersexualität und
len Appetenz- und Erlebensstörungen zeigten bei sexueller Deviationen bei Männern zugelassen
Frauen zwar positive Effekte (allerdings nicht in (7 Abschn. 12.4.5). Weiterhin sind das Gestagen
allen Studien); das Nebenwirkungsrisiko bleibt Medroxyprogesteron und LHRH-Agonisten bei
aber unklar, sodass die Therapie Frauen mit aus- Paraphilie wirksam.
218 Kapitel 26 · Sexuelle Funktionsstörungen

5 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) Cave


21 können, analog zur Wirkung bei den verwand-
ten obsessiven Erkrankungen, in höheren Dosie- Bei anhaltender Erektion von über 4 h muss un-
rungen sowohl eine Verminderung des sexuellen verzüglich ein Arzt aufgesucht werden (urolo-
22 Verlangens bewirken, als auch deviante sexuelle gischer Notfall).
Phantasien und Praktiken bessern. Der Effekt ist
23 aber noch nicht befriedigend evaluiert.
5 Bei schwerer Hypersexualität im Rahmen von Therapie bei sexuellen Funktionsstörungen
manischen oder schizophrenen Erkrankungen unter Psychopharmaka
24 werden auch Antipsychotika mit Erfolg einge- 5 Die größten Erfahrungen bestehen für erektile
setzt. Dysfunktionen unter Antidepressiva. Zuwarten
und beraten ist bei leichten oder mittelschweren
25 Störungen unter SSRI nur bedingt hilfreich.
26.6 Substanzinduzierte sexuelle Dosisreduktion oder »drug holidays« (wenn psy-
26 Funktionsstörungen chiatrisch vertretbar) ist unter SSRI (nicht Flu-
oxetin) nur dann eine Option, wenn kein Rück-
Unter einer großen Zahl von Pharmaka, besonders fallrisiko besteht.
27 aber auch Psychopharmaka, kommt es zu sexuellen 5 Bei hartnäckigen Störungen ist ein Wechsel
Funktionsstörungen. Sie sind ein wichtiger Aspekt auf ein Antidepressivum mit weniger sexuellen
28 reduzierter Lebensqualität, besonders unter Antipsy-
chotika und ein häufiger Grund für Non-Compliance.
Nebenwirkungen, wie bei Mirtazapin oder Bupro-
pion (7 Kap. 5) zu erwägen.
Am häufigsten tritt erektile Dysfunktion auf. 5 Nach Ausschluss von Kontraindikationen ist wei-
29 5 Folgende Medikamente und Drogen können terhin die Gabe eines PDE-5-Inhibitors bei Erek-
besonders häufig eine erektile Dysfunktion her- tionsstörungen eine Alternative. Für Sildena-
vorrufen: fil liegen Studien zum Wirksamkeitsnachweis bei
30 – Psychopharmaka: medikamentös induzierter erektiler Dysfunktion
Antipsychotika, Benzodiazepine, Car- vor. Darüber hinaus verbesserten sich parallel zur
31 bamazepin, Lithium, trizyklische Anti- erektilen Funktion auch die depressive Sympto-
depressiva (TZA), SSRI und Venlafaxin matik und die Lebens- sowie Partnerschaftsquali-
(7 Abschn. 5.11.2). tät (s. oben, Einleitung).
32 – Andere Pharmaka: 5 Ein generelles Vorgehen bei Antipsychotika-
ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker, Cimeti- induzierten sexuellen Störungen ist nicht eta-
33 din, Clonidin, Kalziumantagonisten, Kor- bliert, ein individuelles Vorgehen unter Berück-
tikosteroide, Methyldopa, Metoclopramid, sichtigung der psychosozialen Komponenten ist
Reserpin, Spironolacton, Thiazide. angeraten. Zunächst zuwarten und beraten, dann
34 – Drogen: umsetzen auf ein atypischen Antipsychotikum
Alkohol und Nikotin bei chronischer Ein- (das keine Prolaktinerhöhung hervorruft) und
35 nahme; auch Opiate/Opioide.
5 Ejakulationsverzögerungen können unter
schließlich die zusätzliche Gabe eines PDE-5-
Hemmer sind die Optionen.
SSRI auftreten. Schmerzhafte Ejakulationen
36 sind unter dem Antidepressivum Reboxitin
(7 Abschn. 5.11.3) beobachtet worden. 26.7 Pharmakotherapie
37 5 Libidosteigerungen sind für Stimulanzien und und Psychotherapie
Kokain beschrieben. bei sexuellen
5 Priapismus kommt v. a. unter α-adrenolytischen Funktionsstörungen
38 Substanzen, besonders Antipsychotika, vor. Dass
auch andere Mechanismen bei Priapismus invol- Die Behandlung sexueller Funktionsstörungen bei
viert sind, demonstrieren Ereignisse unter Silden- Männern und Frauen ist eine wichtige ärztliche
39 afil, SSRI und Antipsychotika ohne α1-blockie- und psychotherapeutische Aufgabe. Bei Erfolg kön-
rende Effekte. nen komorbide psychische Symptome gebessert und
40 Lebens- und Partnerschaftsqualität gesteigert werden.
Die positiven Wirksamkeitsnachweise für PDE-5-
Hemmer bei der erektilen Dysfunktion sprechen für
26.9 · Checkliste
219 26

eine Pharmakotherapie. Sexuelle Funktionsstörungen 26.9 Checkliste


sind aber oft nur ein Aspekt einer gestörten Bezie-
hung. Eine psychotherapeutische Begleitung und/oder ?
eine breiter angelegte paarorientierte Psychotherapie
sind deshalb sinnvoll (Althof u. Wieder 2004; Levine 1. Was ist bei der Diagnostik von sexuellen
2004). Es liegen spezielle sexualtherapeutische Ver- Funktionsstörungen zu berücksichtigen?
fahren vor, die gut evaluiert sind (Kockott u. Fahrner 2. Eine große Zahl von Substanzen und Phar-
2000). Die Kombinationsbehandlung ist allerdings im maka kann sexuelle Funktionsstörungen
Vergleich zu den Monotherapien nicht evaluiert. auslösen, welche Rolle spielen Psychophar-
Bei bekannten organischen Ursachen der Erek- maka und Drogen?
tionsstörung, gerade auch im höheren Lebensal- 3. Wie sind die pharmakologischen Möglich-
ter (s. oben, Einleitung), und guter Wirksamkeit der keiten zur Behandlung von sexuellen Funkti-
PDE-5-Hemmer, kann auch eine alleinige Pharmako- onsstörungen bei Frauen einzuschätzen?
therapie akzeptiert werden.
Für die Libido- und Orgasmusstörungen, beson-
ders bei der Frau, gibt es keine etablierte Pharmako-
therapie, sodass sexualtherapeutische Maßnahmen im
Vordergrund stehen müssen (Gromus 2002).

Fazit

Pharmakotherapie und Psychotherapie bei sexuel-


len Funktionsstörungen – Bewertung
5 Bei der Pathogenese und der Therapie der sexuellen
Funktionsstörungen sind alle psychobiosozialen
Faktoren zu berücksichtigen. Deshalb ist eine be-
gleitende Psychotherapie bei den meisten Patienten
sinnvoll.
5 Bei Erektionsstörungen sind PDE-5-Hemmer Mittel
der Wahl.
5 Bei vermindertem sexuellem Verlangen kann eine
Hormontherapie nur bei nachgewiesenem Hor-
mondefizit empfohlen werden.
5 Für Libido- und Orgasmusstörungen, besonders bei
der Frau, steht keine risikoarme Pharmakotherapie
zur Verfügung.

26.8 Behandlung sexueller


Funktionsstörungen im
Kindes- und Jugendalter
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es immer
wieder Patienten, die ein gesteigertes sexuelles Ver-
langen und paraphilie Tendenzen zeigen. Ursächlich
für diese Störungen sind häufig Erkrankungen, die
mit kognitiven Defiziten einhergehen. Zur medika-
mentösen Behandlung kommen Antidepressiva, AAP
(v. a. Risperdon) und ggf. Antiandrogene (z. B. Cypro-
teronacetat) in Betracht (Geradin u. Thibaut 2004).
27.1 ·
221 27

Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörungen

27.1 Gesamtbehandlungsplan – 222

27.2 Therapie – 222


27.2.1 Psychostimulanzien und andere Medikamente – 222
27.2.2 Psychotherapie – 223

27.3 Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter – 223

27.4 Checkliste – 224


222 Kapitel 27 · Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö- Beeinträchtigung der aufmerksamkeitsabhängigen


21 rungen (ADHS) bzw. hyperkinetischen Störungen und zielorientierten Informationsverarbeitungspro-
sind zusammen mit den Störungen des Sozialverhal- zesse besteht. In neuropsychologischen Untersu-
tens, die häufigsten psychischen Störungen im Kin- chungen finden sich oft schlechtere Leistungen in
22 des- und Jugendalter (7 Abschn. 27.3). Sie bleiben bei verschiedenen Parametern der exekutiven Funkti-
rund 1/3 der Patienten bis ins Erwachsenalter fortbe- onen (Remschmidt u. Heiser 2004; Stellungnahme der
23 stehen. Die Erkrankung manifestiert sich in der Kind-
heit vorrangig mit Defiziten in der Aufmerksamkeit
Bundesärztekammer 2005).

sowie mit Hyperaktivität und Impulsivität.


24 Häufig resultieren Komplikationen im Lernver- 27.1 Gesamtbehandlungsplan
halten, in verminderter Organisationsleistung und
z. T. erheblichen Fehlanpassungen im Sozialverhalten. Während die Behandlung der ADHS in der Kinder-
25 Diese Leitsymptome finden sich dann im Erwachse- und Jugendpsychiatrie im Sinne einer multimoda-
nenalter wieder, häufig prägen hier Aufmerksamkeits- len Therapie gut etabliert ist (7 Abschn. 27.3), kristal-
26 defizite und emotionale Instabilität die Symptoma- lisiert sich in der Erwachsenenpsychiatrie ein thera-
tik. Für hyperkinetische Störungen (HKS), die nach peutisches Vorgehen erst langsam heraus. Die Thera-
ICD-10 klassifiziert werden, ist zur Diagnosestellung pie mit Psychostimulanzien wird durch die fehlende
27 eine Symptomatik aus Aufmerksamkeits- und Kon- Zulassung und den in der Öffentlichkeit überschätzen
zentrationsstörung einerseits und Hyperaktivität und Risiken einer Abhängigkeitsentwicklung stark einge-
28 Impulsivität andererseits gefordert, für die ADHS,
die nach DSM-IV klassifiziert werden, ist eine Beein-
engt und die psychologischen Therapien sind noch
zu wenig evaluiert. Dennoch empfiehlt es sich schon
trächtigung in einer dieser beiden Hauptbereiche zur heute, trotz reduzierter Forschungsbasis, eine medi-
29 Diagnosestellung ausreichend, weswegen sich auch kamentöse Therapie mit verhaltenstherapeutischen
die Prävalenzzahlen unterscheiden. Techniken zu kombinieren.
Es finden sich gehäuft Komorbiditäten: Persön-
30 lichkeitsstörungen (v. a. antisoziale Persönlichkeits-
störung, Borderline-Persönlichkeitsstörung), Alko- 27.2 Therapie
31 hol- und Substanzmissbrauch bzw. -abhängigkeit,
Angsterkrankungen und affektive Störungen. 27.2.1 Psychostimulanzien und
andere Medikamente
32 Neurobiologie. Die wesentlichen pathogenetischen
Vorstellungen zu ADHS umfassen sowohl genetische 5 Neben dem Psychostimulans Methylphenidat ste-
33 als auch umweltbedingte Ursachen, wobei der gene- hen jetzt Atomoxetin zur Therapie bei ADHS zur
tische Anteil auf 70–90% beziffert wird. Die moleku- Verfügung. Beide Substanzen sind im Erwachse-
lar-genetischen Kopplungs- und Assoziationsstudien nenalter nicht zugelassen und müssen »off-label«
34 konnten vorwiegend dopaminerge und serotonerge verschrieben werden. Erste Hinweise gibt es zur
Befunde replizieren. Kinder mit ADHS weisen ein- Wirksamkeit von Modafenil (7 Kap. 14).
35 deutig höhere Raten an prä-, peri- und postnatalen 5 In den letzten Jahren hat man in der medika-
Komplikationen und psychosozialen Belastungsfak- mentösen Therapie der ADHS auch bei Erwach-
toren auf. senen positive Erfahrungen, besonders mit Psy-
36 Bildgebende Untersuchungen ergaben, dass bei chostimulanzien, gemacht. Bei Erwachsenen
betroffenen Personen die präsynaptischen Dopamin- haben sich beim Einsatz von Psychostimulanzien
Transporter um etwa 70% erhöht sind. Pharmako- Ansprechraten bis zu 78% gezeigt. Die Wirksam-
37 logische und elektrophysiologische Befunde stützen keit erstreckt sich sowohl auf die Kernsymptome
die Hypothese, dass auch das noradrenerge Neuro- Hyperaktivität, Impulsivität und Aufmerksam-
38 transmittersystem und das posteriore Aufmerksam- keitsdefizite als auch auf die komplexen Begleit-
keitsnetzwerk an der Pathophysiologie der ADHS symptome wie soziale Defizienzen, schulische
wesentlich beteiligt sind und strukturelle und funktio- Probleme und Kommunikationsstörungen.
39 nelle Auffälligkeiten im Bereich des präfrontalen Kor- 5 Bedingt durch eine öffentliche Diskussion besteht
tex, des anterioren Gyrus cinguli sowie der Basalgan- Unsicherheit, in welchem Ausmaß eine Behand-
40 glien und ihrer Verbindungen bestehen. lung mit Psychostimulanzien einen Risikofaktor
In hirnelektrischen Untersuchungen konnte nach- für einen späteren Substanzmissbrauch darstellt.
gewiesen werden, dass bei Kindern mit ADHS eine Neuere Untersuchungen ergeben jedoch klare
27.3 · Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter
223 27

Hinweise, dass die Therapie mit Stimulanzien im 5 Die Psychotherapie sollte in der Regel mit einer
Kindes- und Jugendalter sogar zu einem ernied- Pharmakotherapie kombiniert werden, da erfah-
rigten Risiko für einen späteren Substanzmiss- rungsgemäß einige Symptome (z. B. Aufmerk-
brauch beitragen kann. Der Einsatz von Psy- samkeit, emotionale Instabilität) eher durch die
chostimulanzien ist aufgrund seiner hohen Pharmakotherapie und andere (z. B. Organisa-
Ansprechrate grundsätzlich zu empfehlen, muss tionsverhalten, Verhalten in Beziehungen) eher
jedoch engmaschig kontrolliert werden. Die ver- durch die Psychotherapie zugänglich sind.
pflichtende Aufbewahrung der BtM-Rezepte für 5 Es liegen bislang nur vorläufige Studien zur
den einzelnen Patienten bietet eine gute Kontroll- Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Maßnah-
möglichkeit. men im Erwachsenenalter vor.
5 Die meisten Erfahrungen liegen in der Erwach- 5 Empfohlen wird eine Variante der Verhaltensthe-
senenbehandlung innerhalb der Gruppe rapie. Sie lehnt sich an die dialektische-behavio-
der Psychostimulanzien mit Methylphenidat rale Therapie (DBT) bei der Borderline-Persön-
(7 Abschn. 14.2) vor. lichkeitsstörung an.
5 Der selektive Noradrenalinrückaufnahmehem-
mer Atomoxetin (7 Abschn. 14.2) reduziert Impul-
sivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstö- Fazit
rung. Ein Abhängigkeitspotenzial besteht nicht.
5 Bei komorbider Suchterkrankung sollte an ein Psychopharmakotherapie und Psychotherapie bei
Alternativpräparat (selektiv noradrenerge Anti- ADHS – Bewertung
depressiva wie Nortriptylin, Desipramin, Reboxe- 5 Methylphenidat und Atomoxetin sind wirksam, aber
tin, ggf. auch MAO-Hemmer oder Venlafaxin) bei Erwachsenen nur »off-label« zu verordnen. Risiken
gedacht werden (7 Abschn. 14.2). Die Kontroll- und Nebenwirkungen sind streng zu beachten, be-
bedingungen im therapeutischen Setting müssen sonders bei Patienten mit Abhängigkeitsproblemen.
dann sehr engmaschig sein (regelmäßiges Dro- 5 Bei Abhängigkeitsproblemen ist die Therapie mit
genscreening). Diese Antidepressiva sind eine Antidepressiva vorzuziehen.
Alternative zu Methylphenidat. Die Dosierungen 5 Empfehlenswert ist es, die medikamentöse Therapie
liegen in Bereichen der antidepressiven Behand- mit Verhaltenstherapie zu kombinieren. Evaluiert ist
lung, es sollte in jedem Falle zunächst mit einer diese Kombination aber nicht.
niedrig bis mittleren Dosierung begonnen wer-
den, um die Ansprechrate zu überprüfen.
5 Modafinil (7 Abschn. 14.2) zeigte in ersten Unter-
suchungen zur ADHS von Kindern und Erwach- 27.3 Behandlung von ADHS im
senen eine gute Wirksamkeit, insbesondere bei Kindes- und Jugendalter
kognitiven Störungen. Die vorliegenden Daten
rechtfertigen den Einsatz dieser Substanz zzt. als Die Behandlung der ADHS sollte grundsätzlich mul-
Medikament der zweiten Wahl bei ADHS. timodal erfolgen und die einzelnen Komponenten
5 Therapiedauer: Nach bisheriger klinischer Erfah- sollten individuell für jeden Patienten abgestimmt
rung sollte eine erfolgreiche pharmakologische werden.
Behandlung über 6–18 Monate fortgeführt wer- An erster Stelle steht die Aufklärung und Beratung
den, bevor ein Reduktions- bzw. Absetzversuch der Eltern, des Patienten und auch anderer Bezugsper-
initiiert wird. sonen (z. B. Lehrer, Erzieher). Es folgen dann, abhän-
gig von Art und Ausmaß der Symptomatik, situativen
Einflüssen und Komorbidität, verschiedene Entschei-
27.2.2 Psychotherapie dungsschritte zur Optimierung der Behandlungsstra-
tegie.
5 Psychologische Therapien sind bei ADHS noch
wenig untersucht. Bei der Anwendung psycho- Medikamentöse Therapie
therapeutischer Verfahren wird, ausgehend von Bei stark ausgeprägter situationsübergreifender hyper-
den Erfahrungen aus der Kinder- und Jugend- kinetischer Symptomatik mit krisenhafter Zuspitzung
psychiatrie, empfohlen, störungsspezifisch vor- sollte eine Pharmakotherapie begonnen werden. Hier-
zugehen. bei sind Psychostimulanzien (7 Abschn. 14.3.1) auf
Grund ihrer erwiesenen Wirksamkeit Medikamente
224 Kapitel 27 · Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen

der ersten Wahl. Unter bestimmten Voraussetzungen wirksam haben sich die alleinige intensive psychoso-
21 ist auch Atomoxetin ein Mittel der ersten Wahl. Die- ziale, verhaltenstherapeutisch orientierte Interventi-
se Medikamente sind für Kinder und Jugendliche on und eine sozialpsychiatrisch-orientierte Therapie
zugelassen. Auf die medikamentöse Behandlung der erwiesen.
22 Komorbiditäten wird in 7 Abschn. 14.3.1 eingegangen. In einer weiteren Studie erzielten zusätzliche psy-
chosoziale und psychotherapeutische Maßnahmen
Psychoedukative, psychosoziale und
23 psychotherapeutische Interventionen
neben der differenzierten, individuellen Medikation
kein besseres Ergebnis als Medikation mit intensiver
Die Behandlung der ADHS von Kindern und Jugend- Psychoedukation, Begleitung der Familie und Krisen-
24 lichen setzt erzieherische und behandlungsorganisa- management (Remschmidt u. Heiser 2004; Stellung-
torische Kooperationen voraus, deswegen ist die Psy- nahme der Bundesärztekammer 2007).
choedukation unverzichtbar.
25 Die psychotherapeutischen Ansätze basieren auf
verhaltenstherapeutischen Prinzipien. Als hilfreich 27.4 Checkliste
26 sind verhaltenstherapeutische Interventionen mit
dem Kind und im Kindergarten bzw. in der Schule ?
sowie das Eltern-Training einzustufen. Die Therapie
27 stützt sich vorwiegend auf operante Techniken. 1. Welche Problematik besteht bei der medika-
Sollte die hyperkinetische Symptomatik weniger mentösen Therapie des ADHS im Erwachse-
28 stark ausgeprägt sein, empfiehlt sich ein Selbstinstruk-
tionstraining und Neurofeedback. 2.
nenalter?
Welche Therapiekomponenten sollten bei
Bei externalisierenden Auffälligkeiten des Kindes ausgeprägter ADHS-Symptomatik im Kindes-
29 in der Schule (ADHS mit Störungen des Sozialverhal- und Jugendalter zum Einsatz kommen und
tens) sollte eine Aufklärung und Beratung der Lehrer worin liegt der Vorteil einer Kombinationsbe-
erfolgen sowie eine Intervention in der Schule vorge- handlung?
30 nommen werden. Sollte dies nicht genügen, empfiehlt
sich eine zusätzlich Pharmakotherapie.
31 Bei externalisierenden Auffälligkeiten des Kin-
des in der Familie können ein Elterntraining und die
Intervention in der Familie hilfreich sein. Wenn dies
32 nicht zu einer Verbesserung der Symptomatik führt,
ist auch hier eine zusätzliche Pharmakotherapie zu
33 empfehlen. Bei schwierigen Therapieverläufen muss
eine komorbide Störung in Betracht gezogen werden,
die dann unter anderem durch soziales Kompetenz-
34 training, Übungsbehandlung sowie Einzel- und Grup-
penpsychotherapie behandelt werden kann.
35 Multimodale Therapie
Aus einer großen pharmakologisch-psychotherapeu-
36 tischen Kombinationsstudie zu ADHS bei Kindern
und Jugendliche ist abzuleiten, dass die Kombination
aus Psychostimulanzien mit einer intensiven psycho-
37 sozialen, verhaltenstherapeutisch-orientierten Inter-
vention aber auch die alleinige ausreichend dosier-
38 te und monatlich kontrollierte Psychostimulanzien-
Medikation signifikant wirksam waren. Die kom-
binierte Therapie hatte zusätzlich noch eine signifi-
39 kante Wirksamkeit in Bezug auf die Entwicklung sozi-
aler Fertigkeiten, eine Verbesserung der Symptomatik
40 komorbider Störungen, Eltern-Kind-Beziehungsstö-
rungen und Schulleistungsprobleme, was die alleinige
medikamentöse Behandlung nicht hatte. Als weniger
28.1 ·
225 28

Abhängigkeitsstörungen

28.1 Suchtmittel – 227


28.1.1 Alkohol – 227
28.1.2 Benzodiazepine – 229
28.1.3 Opiate/Opioide – 230
28.1.4 Kokain und Amphetamin – 231
28.1.5 Ecstasy und Eve – 231
28.1.6 Psychotomimetika (LSD, Meskalin, Psilocybin) – 232
28.1.7 Cannabis – 232
28.1.8 Nikotin – 232

28.2 Behandlung der Abhängigkeitsstörungen im Kindes- und


Jugendalter – 233

28.3 Checkliste – 234


226 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen

In diesem Kapitel werden die typischen Abhängig- pie beschrieben. Anders als in den übrigen Kapiteln
21 keitserkrankungen mit Entzugssyndromen und Into- folgt die Gliederung hier den wichtigsten Suchtmit-
xikationssymptomen mit der entsprechenden Thera- teln.

22
Definition

23 Riskanter Konsum Kontrollverlust, körperliche Entzugserscheinungen


Die Kriterien für Missbrauch oder Abhängigkeit wer- (Entzugssyndrom bei sistierendem Konsum), Toleranz-
24 den nicht erfüllt, die Substanz wird jedoch übermäßig
konsumiert. Bei einem riskanten Substanzkonsum be-
entwicklung (Dosissteigerung oder Wirkungsverlust),
Konsum trotz nachweislicher Schädigung.
steht ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung eines Miss- Unterschieden werden:
25 brauchs oder einer Abhängigkeit. Nach Ansicht der 5 Körperliche Abhängigkeit: Toleranzentwicklung,
WHO und der Deutschen Hauptstelle gegen Sucht- Kontrollverlust, substanzspezifisches Entzugs-

26 gefahren kann von einem riskanten Alkoholkonsum


ausgegangen werden, wenn eine Frau täglich >20 g
syndrom.
5 Psychische Abhängigkeit: ständiges, zwang-
reinen Alkohols, ein Mann täglich >30 g reinen Alko- haftes Beschäftigtsein mit dem Drogenkonsum
27 hols konsumiert. bzw. der Sicherung der Versorgung mit der Dro-
ge; hohes Rückfallrisiko nach durchgeführtem
Missbrauch/schädlicher Gebrauch
Entzug.
28 Kriterien für Abhängigkeit werden nicht erfüllt. Je-
doch besteht Konsum trotz des Wissens um ein stän- Polytoxikomanie
diges oder wiederholtes soziales, psychisches oder Wiederholter abhängiger Konsum verschiedener psy-
29 körperliches Problem, das durch den Gebrauch der chotroper Substanzen aus wenigstens 3 Substanzka-
Substanz verursacht oder verstärkt wird, und/oder um tegorien über einen Zeitraum von 6 Monaten, ohne
30 Situationen, in denen ihr Gebrauch eine körperliche
Gefährdung darstellt.
dass eine einzelne psychotrope Substanz dominiert.
Sind die diagnostischen Kriterien für eine oder meh-
rere Substanzabhängigkeiten erfüllt, so sind aufgrund
Abhängigkeit
31 Periodische oder chronische Einnahme einer psycho-
der spezifischen therapeutischen Implikationen diese
(z. B. Alkoholabhängigkeit oder Opiatabhängigkeit)
tropen Substanz, durch die der Abhängige und/oder
anstelle der Polytoxikomanie zu verwenden.
32 die Gemeinschaft geschädigt werden. Charakteristisch
sind übermächtiges Verlangen nach der Substanz mit

33
Therapiephasen bei Abhängigkeit und
34 Sucht
Es können folgende Phasen unterschieden werden:
35 Definition

36 Motivation
Beratung und Motivation zur Durchführung weiter-
versteht man die zusätzliche Anwendung psychothe-
rapeutischer, insbesondere motivationsfördernder
gehender Therapiemaßnahmen, wie z. B. einer Ent- Maßnahmen. Die Entgiftungsbehandlung wird im Re-
37 giftungs- und Entwöhnungsbehandlung steht im Vor- gelfall unter stationären Bedingungen durchgeführt.
dergrund. Es ist eine primär hausärztliche Tätigkeit im Für Patienten, die absprachefähig sind, kein Entzugs-
38 Rahmen mehrerer Kurzinterventionen. krampfanfall oder Delir in der Vorgeschichte haben
und keine relevanten Alkoholfolgeerkrankungen be-
Entgiftung
stehen, kommt auch eine ambulante Entgiftungsbe-
Symptomatische und protektive medikamentöse Be-
39 handlung des (körperlichen) Entzugssyndroms bis zu handlung in Frage.
6
dessen Beendigung. Unter qualifizierter Entgiftung
40
28.1 · Suchtmittel
227 28

Entwöhnung Nachsorge
Psycho- und soziotherapeutische sowie rehabili- In dieser Phase soll die stufenweise soziale und beruf-
tative Maßnahmen zur Behandlung insbesondere liche Wiedereingliederung und Neustrukturierung des
der psychischen Abhängigkeit (z. B. stationäre oder sozialen Umfelds erfolgen. Die Teilnahme an Selbsthil-
ambulante Kurz- oder Langzeittherapie mit unter- fegruppen ist erwünscht.
schiedlichem Behandlungsansatz, v. a. verhaltens-
therapeutische Interventionsstrategien) sind in der
Entwöhnungsphase entscheidend. Unterstützend
kann eine medikamentöse Rückfallprophylaxe bzw.
Substitution eingesetzt werden . Tab. 11.1).

Neurobiologie der Abhängigkeitsstörungen. Sub- fremd- oder eigengefährdendes Verhalten,


stanzen, die abhängiges Verhalten induzieren, kön- seltener Angst oder depressive Stimmung;
nen die Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens des – Konzentrations- und Merkfähigkeitsstö-
Striatums stimulieren. Allerdings führt eine direkte rungen, Desorientiertheit, Bewusstseinsstö-
Blockade des Dopaminsystems durch Antipsychotika rungen;
nicht zum Therapieziel, weil damit auch andere wich- – Stand- und Gangunsicherheit: Nystagmus,
tige Verhaltensweisen, wie z.B. Sexualität, blockiert Ataxie, Dysarthrie, Schwindel.
werden. Alkohol und andere Drogen führen durch
komplexe Lernmechanismen zur Toleranzentwick- Therapie. Bei Fremd- oder Selbstgefährdung oder
lung (Abschwächung der Drogenwirkung) und Sensi- Erregungszustände wird Haloperidol (7 Kap. 7;
tivierung (verstärkte Wirkung) bei neuerlicher Expo- 7 Kap. 34) eingesetzt. Leichte und mittelschwere
sition. In engem Zusammenhang mit dem dopamin- Alkoholintoxikationen stellen in der Regel keine Indi-
geren System steht das opioiderge System (Heinz u. kation für eine pharmakotherapeutische Interventi-
Kinast 2008) on dar.

Cave
28.1 Suchtmittel
Der Einsatz von Benzodiazepinen bei Alkoholin-
Im Anschluss an die Darstellung der Abhängigkeits- toxikationen ist wegen synergistischer Effekte am
erkrankungen folgt jeweils die Therapie mit den ent- GABAA-Rezeptorkomplex kontraindiziert.
sprechenden Schwerpunkten.

Alkoholentzugssyndrom
28.1.1 Alkohol 5 Bei unkompliziertem Alkoholentzugssyndrom
kann es u. a. zu Blutdruckerhöhung, Tachykardie,
Alkohol hat einen komplexen physiologischen Effekt Tremor, Ängsten, psychomotorischer Unruhe,
und hat sowohl eine stimulierende als auch sedieren- Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö kommen.
de Wirkung. Alkohol entfaltet eine Vielzahl von Wir- 5 In schweren Fällen entwickelt sich ein Alkoholent-
kungen im ZNS, besonders am dopaminergen und zugsdelir (Delirium tremens, s. unten) oder ein
opioiden System, am GABAA-Benzodiazepinrezep- Grand-mal-Entzugskrampfanfall, in seltenen Fällen
torkomplex, 5-HT3-Rezeptor (stimulatorisch) und eines Status epilepticus.
NMDA-Rezeptorkomplex (inhibitorisch).
Therapie. Der Einsatz einer medikamentösen The-
Alkoholintoxikation rapie ist dringend indiziert. Im deutschsprachigen
5 Bei akuter Alkoholintoxikation können bei Raum ist bei stationärer Behandlung Clomethiazol
schwerer Ausprägung folgende Symptome auf- (7 Abschn. 11.2.3) Mittel der ersten Wahl. Ambulant
treten: werden Tiaprid oder Carbamazepin verordnet.
– Enthemmung, Rededrang, Euphorisierung,
bei schwerer Intoxikation auch aggressives
228 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen

Cave Hepatische Enzephalopathie


21 5 Es kommt zu einem deliranten Syndrom unter-
Clomethiazol ist nicht für die ambulante Anwen- schiedlicher Schwere mit Bewusstseinsstörungen
dung geeignet, da es selbst zu einer Abhängig- bis hin zu Stupor und Koma. Weitere Symptome
22 keitsentwicklung führt. sind: erhöhte Serumammoniakspiegel, psycho-
motorische Unruhe (auch stuporöse Zustands-
23 Eine gleichwertige Alternative zu Clomethiazol sind
bilder), »flapping tremor« der ausgestreckten
Hände. Bei schwerer Ausprägung ist eine Inten-
Benzodiazepine (7 Abschn. 11.2.3) sivüberwachung notwendig.
24
Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens) Rückfallprophylaxe der
5 Das Alkoholentzugsdelir kann sich als eine akute Alkoholabhängigkeit
25 organische Psychose primär oder aus einem Ent- Therapieprinzipien und Gesamtbehandlungsplan
zugssyndrom heraus entwickeln. Klinisch ist das 5 Voraussetzung für die Vermeidung von Alko-
26 Alkoholentzugsdelir u. a. mit einer tief greifen- holrückfällen ist die Berücksichtigung neuro-
den Orientierungsstörung, psychomotorischer biologischer und psychosozialer Faktoren. Die
Unruhe, Auffassungsstörungen, Wahrnehmungs- Behandlung alkoholabhängiger Patienten sollte
27 störungen, optischen Halluzinationen und einer im Rahmen eines individuellen Gesamtbehand-
Umkehr des Tag/Nacht-Rhythmus erkennbar. lungsplanes erfolgen. Dieser schließt pharmako-
28 Unbehandelt endet es in einem Drittel der Fäl-
le letal.
logische, psychotherapeutische und sozialpsy-
chiatrische Methoden ein. Gemeinsam mit dem
Patienten wird ein konkret formuliertes Behand-
29 Therapie. Das Delirium tremens darf nur stationär lungsziel erarbeitet.
behandelt werden. Clomethiazol, ggf. in Kombination 5 Hauptziel in der Behandlung alkoholabhängiger
mit einem Antipsychotikum, ist das Mittel der Wahl. Patienten ist das Erreichen der Abstinenz, das
30 aber bei Bestehen eines hohen Schweregrades
Alkoholfolgekrankheiten zugunsten eher erreichbarer Ziele, z. B. Verhin-
31 Alkoholhalluzinose derung von Folgeschäden, aufgeweicht werden
5 Es treten akustische Halluzinationen mit dialogi- kann. Schon die Verlängerung der Abstinenzpha-
sierenden und beschimpfenden Stimmen, Angst sen kann dann zunächst ein Therapieziel sein.
32 und Verfolgungswahn auf. Es werden bevorzugt
Antipsychotika, z. B. Haloperidol (5–10 mg/Tag) Wichtig
33 verordnet.
5 Die Entgiftung ist i. Allg. stationär als
Eifersuchtswahn qualifizierter Entzug mit psychoedukativen
34 5 Wahnhafte Überzeugungen, vom Geschlechts- Maßnahmen und Motivationsförderung
partner betrogen zu werden bestimmen das vorzunehmen.
5 Die Entwöhnungstherapie findet in an-
35 Krankheitsbild, das fast ausschließlich bei Män-
nern vorkommt. Antipsychotika sind indiziert. deren Ländern überwiegend ambulant, in
Der alkoholbedingte Eifersuchtswahn spricht Deutschland noch überwiegend stationär
36 aber schlechter als der Wahn bei schizophrenen über 2–3 Monate statt. Weniger als 3% der
Alkoholabhängigen unterzog sich im Jahr
Störungen auf eine antipsychotische Behand-
lung an. 2002 einer stationären Langzeitentwöhnung,
37 weniger als 1% beendete ein vom Renten-
Wernicke-Korsakow-Syndrom versicherungsträger finanziertes struktu-
38 5 Verwirrtheit bis zur Desorientierung, Vigilanz- riertes ambulantes Entwöhnungsangebot.
schwankungen, Augenmuskelparesen, Ataxie
(Wernicke-Enzephalopathie) bzw. Desorientiert- 5 Hilfreich ist eine Orientierung am Stufenmodell
39 heit, amnestische Störungen und Konfabulationen der Veränderung, nach welcher der Betroffene
(Korsakow-Syndrom) prägen das Krankheitsbild. einen Kreislauf von Vorahnungsphase (Motiva-
40 Es wird hoch dosiert Vitamin B1 gegeben. tionsarbeit), Entscheidungsphase (Planung der
Behandlung/Entgiftung), Handlungsphase (Ent-
giftung), Abstinenzerhaltungsphase (Rückfallpro-
28.1 · Suchtmittel
229 28

phylaxe) und möglicherweise Abstinenzbeendi- 5 Disulfiram (7 Abschn. 11.2.4) war früher das ein-
gungsphase (Rückfall und erneute Motivationsar- zige Medikament, das zur Rückfallprophylaxe
beit) durchläuft. zur Verfügung stand. Wegen potenziell lebensbe-
5 Motivationale Therapie, kognitiv-behaviorale drohlicher Komplikationen bei Trinkzwischenfäl-
Therapie, Vorgehen nach dem 12-Schritte-Modell len stellt es jedoch keine Standardtherapie dar.
der anonymen Alkoholiker stellen erfolgreiche
psychotherapeutische Interventionen in der Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit
Behandlung alkoholabhängiger Patienten dar. Die 5 Bei der Alkoholabhängigkeit besteht eine erhöhte
Kombination dieser Techniken wird unter dem Komorbidität mit anderen psychiatrischen
Begriff der alkoholismusspezifischen Psychothe- Erkrankungen, besonders der Depression und
rapie (ASP) zusammengefasst. Insbesondere die Angststörungen. Mehr als 30% aller alkoholab-
motivationale Therapie ist für die Anwendung im hängigen Patienten leiden an einer behandlungs-
klinisch-psychiatrischen wie auch hausärztlichen bedürftigen Depression; mehr als 10% aller alko-
Alltag geeignet; für alle Techniken stehen praxis- holabhängigen Patienten suizidieren sich. Eine
nahe Manuale zur Verfügung. Antidepressivatherapie bei komorbiden Depres-
5 Die aktive Teilnahme an Selbsthilfegruppen (z. B. sions- oder Angststörungen senkt die Rückfall-
Anonyme Alkoholiker mit einem strukturierten häufigkeit. Ein großer Anteil von Alkoholabhän-
12-Stufen-Programm) ist für viele Patienten in gigen ist nikotinabhängig; auch diese Behandlung
der Nachsorgephase zur Abstinenzerhaltung hilf- unterstützt die Alkoholabstinenzerhaltung.
reich. Eine aus einem 12-Stufen-Programm abge-
leitete Gruppentherapie wurde in einer groß-
en amerikanischen Studie zu psychotherapeu- Fazit
tischen Behandlungsverfahren bei Alkoholab-
hängigkeit (»Projekt Match«) in seiner Wirksam- Pharmakotherapie und Psychotherapie der Alko-
keit bestätigt. holkrankheiten und der Rückfallprophylaxe bei
5 In den letzten 10 Jahren hat die medikamentöse Alkoholabhängigkeit – Bewertung
Rückfallprophylaxe zunehmend ihre Wirksam- 5 Bei Erregungszuständen durch Alkoholintoxikati-
keit erwiesen. Sie muss mit den anderen sucht- onen ist Haloperidol am risikoärmsten einzusetzen.
therapeutischen Hilfen in einen Gesamtbehand- 5 Beim Alkoholentzugssyndrom und dem Delirium
lungsplan eingebunden werden. tremens ist Clomethiazol das Mittel der Wahl.
5 Clomethiazol darf, besonders wegen eigener Ab-
Definition hängigkeitsentwicklung, nicht ambulant verordnet
werden; es darf nicht länger als 2 Wochen gegeben
5 Craving (unstillbares zwanghaftes Verlan- werden.
gen nach Alkohol) wird als Zeichen der 5 Die Rückfallprophylaxe muss zwingend in einem
psychischen Abhängigkeit mit erhöhter Gesamtbehandlungsplan eingebunden werden.
Auftrittswahrscheinlichkeit von Rückfällen Psychotherapeutische Modelle, Selbsthilfegruppen
angesehen. und Pharmakotherapie sind zu integrieren. Eine
Priorität einer Behandlungsform stellt sich hier (wie
etwa bei den Angststörungen oder der Depression)
Pharmakotherapie der Rückfallprophylaxe nicht, da alle therapeutischen Möglichkeiten so inten-
Nur 10% der Patienten erhalten zur Rückfallprophy- siv wie möglich ausgeschöpft werden müssen. Die
laxe die richtige Therapie. Eine Pharmakotherapie ist hohe Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit ist zu
immer dann indiziert, wenn es bereits zu mehreren berücksichtigen.
Rückfällen kam. Es sind in den letzen Jahren mehrere 5 Acamprosat ist zzt. das wichtigste Mittel zur Rückfall-
Optionen entwickelt worden: prophylaxe. Für Naltrexon gibt es positive Studien.
5 Acamprosat (7 Abschn. 11.2.4) ist das Mittel der
ersten Wahl. Es zeigt in Kombination mit kogni-
tiver Verhaltenstherapie eine bessere Wirksam-
keit als die Medikation allein. 28.1.2 Benzodiazepine
5 Naltrexon (7 Abschn. 11.2.4) ist in Europa zur
Alkoholrückfallprophylaxe noch nicht zugelas- Wenn Benzodiazepine länger oder in zu hohen Dosen
sen, wurde aber bereits positiv bewertet. eingenommen werden (zumeist ≥1 Jahr) erhöht sich
230 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen

das Abhängigkeitsrisiko. Problematik und entspre- – Abdominelle Spasmen, Übelkeit, Erbrechen,


21 chende Therapie werden in 7 Abschn. 8.6.1 dargestellt. Diarrhö
5 Darüber hinaus kann es zu Intoxikationen unter – Pupillenerweiterung
hohen Dosen oder Mischintoxikationen mit – Tachykardie oder Hypertonie
22 anderen sedierenden Substanzen (z. B. Alkohol, – Gähnen und unruhiger Schlaf
Opiate) kommen. 5 Die Entzugssymptome treten 6–8 Stunden nach
5 Symptome sind vor allem: Apathie, Bewusst-
23 seinstrübung, neurologische Symptome, gele-
der letzen Opiateinnahme auf, zeigen ihren Gip-
fel nach 2–3 Tagen und klingen nach ca. 5–
gentlich Doppelbilder, Hypotension, Ateminsuf- 10 Tagen wieder ab.
24 fizienz, Schwindelzustände, Übelkeit und Kopf- 5 In der Regel kommt es zwar subjektiv zu mas-
schmerzen. siven Beeinträchtigungen durch Entzugssym-
5 Therapeutisch steht dann eine primäre Detoxi- ptome, aber objektiv meist nicht zu vital bedroh-
25 fikation im Vordergrund. Als Antidot kann in lichen Symptomen (im Gegensatz zum Delirium
besonderen Fällen die Gabe von Flumazenil tremens).
26 durch Intensivmediziner erwogen werden.
Therapie. Bei Entgiftungsbehandlung kommen opiat-
/opioidgestützte und nichtopiat-/nichtopioidgestützte
27 28.1.3 Opiate/Opioide Therapieverfahren zum Einsatz. Die Auswahl des The-
rapieverfahrens sollte im Hinblick auf den Gesamtthe-
28 Zur Substanzgruppe der Opiate gehören Morphin
und seine synthetischen und halbsynthetischen Deri-
rapieplan des Patienten (z. B. opiatfreie Langzeitent-
wöhnung, Substitution, Krisenintervention etc.) und
vate. Wichtigster Vertreter ist das Heroin. Opiate bin- den subjektiven Präferenzen des Patienten erfolgen.
29 den an spezifische Rezeptoren. Für die erfolgreiche Durchführung eines Opiatent-
5 Den Opiaten gemeinsam sind euphorisierende, zugs sollte ein entsprechend geschultes Behandlung-
tranquilisierende und analgetische Wirkungen steam vorhanden sein; verbindliche Verhaltensregeln,
30 sowie eine Dämpfung des Atem- und Hustenzen- z. B. in Form einer schriftlichen Therapievereinba-
trums, Obstipation und ausgeprägte periphere rung, sollten festgelegt werden, um häufigen Behand-
31 parasympathomimetische Eigenschaften wie z. B. lungsproblemen (Beikonsum, Drogenhandel etc.) zu
Miosis. begegnen.
5 Durch Opiate kommt es zu einer starken phy- 5 Die opiatgestützte Entgiftungsbehandlung wird
32 sischen und psychischen Abhängigkeit. mit dem Opiatagonisten Methadon, Levome-
thadon oder dem Opiatagonisten Buprenorphin
33 Opiatintoxikation durchgeführt (7 Abschn. 11.2.6).
Intoxikationserscheinungen sind wegen des oft beste- 5 Für die nichtopiatgestützte Entgiftung steht Cloni-
henden zusätzlichen Substanzkonsums besonders din zur Verfügung (7 Abschn. 11.2.6).
34 gefährlich. Bei anfänglicher Euphorie kommt es zur
vegetativen Dysregulation. Vigilanzstörungen können Substitutionsbehandlung bei
Opiatabhängigkeit
35 zu Somnolenz und Koma führen. Hinweisendes Symp-
tom ist Miosis. Die Aufrechterhaltung der Therapieteilnahme der
Patienten, die Verbesserung des Gesundheitszu-
36 Therapie. Als Antidot wird Naloxon (Narcanti®) i.v. standes und eine Verhinderung weiterer Folgeschä-
gegeben. Bei zu schneller bzw. hoch dosierter Gabe den stellen die wichtigsten unmittelbaren Ziele in
von Naloxon können Opiatentzugssymptome mit der Behandlung opiatabhängiger Patienten dar. Diese
37 Erregungszuständen auftreten. Therapieziele lassen sich insbesondere für die Mehr-
zahl der schwerer betroffenen, noch nicht ausreichend
38 Opiatentzugssyndrom und stabilisierten Patienten am ehesten mit einer Substitu-
Entgiftungsbehandlung tionsbehandlung erreichen.
5 Die wichtigsten Symptome des Opiatentzugssyn- 5 Zur Substitutionsbehandlung werden die lang-
39 droms sind: wirksamen Opiatagonisten Methadon, Levome-
– Verlangen nach einem Opiat thadon oder der kombinierte Opiatrezeptorago-
40 – Rhinorrhö oder Niesen nist/-antagonist Buprenorphin zusammen mit
– Tränenfluss psychosozialen Begleittherapien eingesetzt. Eine
– Muskelschmerzen oder -krämpfe Opiatsubstitution verbessert die Therapietreue
28.1 · Suchtmittel
231 28

der Patienten und vermindert den Beikonsum Therapie. Zur Aufrechterhaltung der Opiatabstinenz
von Heroin und anderen Drogen. Weitere Vor- kann der Opiatantagonist Naltrexon (. Tab. 11.1)
teile sind die Ermöglichung einer sozialen Rein- eingesetzt werden. Problematisch sind die hohen
tegration, die Distanzierung von der Szene sowie Abbruch- und Rückfallquoten während der Behand-
eine Eindämmung der Beschaffungskriminalität lung. Alternative Behandlungsmöglichkeiten, z. B. die
und ein Wegfall des Infektionsrisikos. Einleitung oder Wiederaufnahme einer Substitutions-
5 Bei Erfolg der Substitutionsbehandlung kann die behandlung sind bei instabilen Patienten zu prüfen.
Einleitung einer »Take-home-Vergabe« bedacht
werden.
28.1.4 Kokain und Amphetamin
Wichtig
Diese Psychostimulanzien hemmen die neuronale
Die Vergabe muss im Rahmen eines Gesamtbe- Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und
handlungskonzepts stehen. Die Substitutionsbe- Serotonin. Damit tritt eine vermehrte Neurotransmis-
handlung sollte daher durch eine entsprechend sion in mesolimbischen und mesokortikalen Projek-
qualifizierte Einrichtung (Schwerpunktpraxis, tionen des dopaminergen Systems (sog. Rewardsy-
Gesundheitsamt, Ambulanz) erfolgen, in welcher stem) auf.
das Substitutionsmittel unter Aufsicht eingenom- 5 Initial kommt es zu einer Stimulation mit eupho-
men wird. rischen Zuständen, Aktivitätssteigerung, erhöhter
Aufmerksamkeit, vermindertem Schlafbedürfnis
5 In einer großen deutschen Untersuchung in meh- und subjektiv erhöhter Leistungsfähigkeit.
reren Städten wird derzeit die Sicherheit und 5 Beim Kokainentzugssyndrom treten die Zeichen
Effektivität einer ärztlich kontrollierten Heroin- der verminderten katecholaminergen Transmis-
vergabe bei Schwerstabhängigen untersucht, die sion mit depressiver Verstimmung, Erschöpfung,
Veröffentlichung der Studienergebnisse liegt noch Angst- und Erregungszuständen auf. Die Sym-
nicht vor, erste vorab über das BMG veröffentli- ptome können bei Kokainabhängigkeit mehrere
chte Analysen sprechen für die Wirksamkeit und Wochen anhalten. Die Therapie ist nur sympto-
Sicherheit des Verfahrens. matisch. Bei Angst- und Erregungszuständen im
Rahmen eines Entzugs können Benzodiazepine
Entwöhnungsbehandlung und eingesetzt werden.
Rückfallprophylaxe der Opiatabhängigkeit
Das Ziel dieses Behandlungsabschnittes ist die »Ent- Therapie. Bislang existiert kein ausreichend unter-
wöhnung«. Sie ist aber für eine Mehrzahl der Pati- suchter pharmakologischer Therapieansatz zur
enten aufgrund der Schwere oder Dauer der Störung Behandlung einer Abhängigkeit von Kokain oder Psy-
sowie erheblicher psychosozialer und medizinischer chostimulanzien.
Komplikationen erst längerfristig erreichbar.
Die Durchführung einer Entwöhnungsbehand-
lung sollte für ausreichend motivierte, psychisch stabi- 28.1.5 Ecstasy und Eve
le opiatabhängige Patienten erwogen werden. Sie wird
in der Regel unter stationären Bedingungen in einer Ecstasy (MDMA, 3,4-Methylendioxymetampheta-
entsprechenden Fachklinik über einen Zeitraum von min) und Eve (MDA, 3,4-Methylendioxyampheta-
8–52 Wochen durchgeführt. Während der Behand- min) sind synthetische (sog. Designer-) Drogen. Es
lung wird häufig ein Prinzip der therapeutischen wird keine physische, aber möglicherweise eine psy-
Gemeinschaft mit definierten sozialen Grundregeln chische Abhängigkeit induziert.
(Ersatzfamilie, Nachreifung) mit verschiedenen psy- 5 Die Wirkung entsteht durch Freisetzung von
choedukativen, verhaltenstherapeutischen und reha- Serotonin aus präsynaptischen Vesikeln bei
bilitativen Maßnahmen angestrebt (z. B. Arbeitsthe- gleichzeitiger Serotoninrückaufnahmehemmung
rapie, berufliche und soziale Reintegration). Die Ein- und Ausschüttung von Dopamin.
leitung einer Entwöhnungsbehandlung erfolgt in der 5 Bei chronischer Anwendung zeigen sich neuroto-
Regel über eine Drogenberatungsstelle und setzt den xische Effekte mit degenerativen Veränderungen
erfolgreichen Abschluss einer Opiatentgiftungsbe- serotonerger Neuronen u. a. im Neokortex und
handlung (s. oben) voraus. im Hippocampus.
232 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen

5 Psychotrope Akuteffekte sind zentrale Stimulati- 28.1.7 Cannabis


21 on und Euphorie. Typisch sind erhöhte Kontakt-
bereitschaft und Empathiegefühle, verminderte Cannabis ist der wichtigste psychoaktive Bestand-
Ich-Abgrenzung sowie erhöhte Emotionalität. Im teil von Haschisch und Marihuana (Gewinnung aus
22 Gegensatz zu Halluzinogenen sind halluzinato- indischem Hanf; Haschisch: Harz der Pflanze, Mari-
rische Effekte seltener, Wahrnehmungsverschär- huana: getrocknete Blätter und Blüten).
5 Als psychotroper Akuteffekt zeigt sich dosisab-
23 fungen häufiger.
5 Später können auftreten: Schlaf- und Appetit- hängig eine anregende bzw. dämpfende Wirkung
minderung, Konzentrationsstörungen, Gereizt- mit Zunahme der Dämpfung bei höheren Dosen.
24 heit sowie Erschöpfungszustände; danach auch Verzerrung von Sinneseindrücken, Euphorie,
Depressionen Angstattacken, paranoide Syn- Entspannung und verändertes Zeitgefühl sind
drome und Depersonalisationssyndrome. typisch, gefolgt von Sedierung. In höheren Dosen
25 treten auch Halluzinationen auf. Horrortrips bzw.
Therapie. Bei akut auftretenden Angst- und Erre- Flashback-Psychosen sind beschrieben.
26 gungszuständen sollten Benzodiazepine verord- 5 Die Substanz besitzt ein Abhängigkeitspotenzial;
net werden. Eine spezifische Pharmakotherapie der es tritt eine Toleranzentwicklung ein.
Abhängigkeit ist bislang nicht bekannt. 5 Bis zu 25% der regelmäßigen Cannabisnutzer
27 berichten über unangenehme psychische
Nebenwirkungen. Langzeitmissbrauch kann zu
28 28.1.6 Psychotomimetika (LSD,
Meskalin, Psilocybin)
schweren Persönlichkeitsveränderungen (amo-
tivationales Syndrom mit Konzentrations- und
Gedächtnisstörungen, Apathie, Desorgani-
29 Die Substanzen dieser Gruppe charakterisiert eine siertheit) führen, die bei Abstinenz über meh-
vorwiegend zentralserotonerge Wirksamkeit durch rere Wochen reversibel sein können. Auch die
einen partiellen Agonismus an Serotoninrezeptoren. Berichte über psychotische Symptome von Can-
30 5 Bereits in sehr geringen Dosen kommt es zur nabiskonsumenten häufen sich. Einige große Stu-
Manifestation psychotischer Phänomene: Stö- dien zeigten eine positive Korrelation zwischen
31 rungen von Stimmung, Denken, Wahrnehmung, der konsumierten Menge an Cannabis und dem
Ich-Erleben, Zeit- und Raumerleben, rauschar- Auftreten von psychotischen Symptomen bzw.
tigen Bewusstseinsveränderungen sowie insbe- schizophrenen Störungen (Hall 2006).
32 sondere optischen und akustischen Illusionen
bzw. Halluzinationen, wobei für die Ausgestal- Therapie. Eine spezifische Pharmakotherapie ist bis-
33 tung des Rauschzustandes neben Art, Dosis und lang nicht bekannt. Die Einmalgabe des Cannabinoid-
Applikation die Umgebungsfaktoren (»Setting«) 1-Rezeptorantagonisten Rimonabant konnte in einer
bedeutsam sind. ersten offenen Studie akute euphorisierende Canna-
34 5 Es resultiert eine schnelle Toleranzentwicklung bis-Effekte aufheben. Zur rückfallprophylaktischen
(bei Kreuztoleranz gegen verwandte serotonerge Wirksamkeit dieser Substanz liegen noch keine Daten
35 Substanzen) mit rascher Rückbildung bei Abset-
zen; physische und psychische Abhängigkeit sind
vor. Rimonabant ist zur Therapie der Adipositas zuge-
lassen (7 Abschn. 23.4).
selten.
36 5 Gefährlich sind Horrortrips mit suizidalen bzw.
fremdaggressiven Impulsen sowie Flashback-Psy- 28.1.8 Nikotin
chosen (noch nach Monaten).
37 Nikotin besitzt eine dosisabhängige Wirkung auf
Therapie. Eine spezifische Pharmakotherapie der nikotinische Azetylcholinrezeptoren (in niedrigen
38 Abhängigkeit ist bislang nicht bekannt. Für die Dosen als Agonist, in höheren Dosen als Antagonist).
Behandlung von Flashbackpsychosen bestehen eben- Die Wirkungen entfalten sich sowohl über den Sym-
falls keine einheitlichen Leitlinien; positive Berichte pathikus als auch den Parasympathikus.
39 existieren u. a. für Benzodiazepine, Clonidin und Nal- 5 Es tritt eine charakteristische biphasische Wir-
trexon. kung mit initialer Stimulation sowie Dämp-
40 fung in höheren Dosen mit psychischer und phy-
sischer Abhängigkeit mit Toleranzentwicklung
auf.
28.2 · Behandlung der Abhängigkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter
233 28

5 Bei Intoxikation kommt es zu Tachykardie, Blut- Prävention


drucksteigerung, peripherer Vasokonstriktion (in Vorwiegend wird bei Kindern und Jugendlichen ver-
sehr hohen Dosen auch Bradykardie und Hypo- sucht, aufklärende und präventive Maßnahmen einzu-
tonie) und v. a. zu Beginn zu Übelkeit und Erbre- setzen. Randomisierte und kontrollierte Studien wur-
chen. Sehr hohe Dosen können zu Atemdepres- den zur Prävention von Nikotin-, Alkohol und Canna-
sion führen. biskonsum durchgeführt und konnten positive Effekte
5 Bei Entzugssyndromen ist die Ausprägung sehr nachweisen. Dabei waren vor allem soziale Kompe-
unterschiedlich: Reizbarkeit, Nervosität, Ruhe- tenztrainings und schulbasierte Programme wirksam.
losigkeit, Konzentrationsstörungen, Benom-
menheit, Müdigkeit, Schwächegefühl, Dyspho- Motivation und Therapie
rie, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Gerade bei Abhängigkeitserkrankungen im Kindes-
Angstzustände, Kopfschmerzen, Obstipation, und Jugendalter hängt der therapeutische Erfolg von
Übelkeit und Erbrechen, Appetitsteigerung und der Motivation des Patienten und den psychosozialen
Gewichtszunahme (u. U. für mehrere Wochen). Belastungsfaktoren ab. Die häufigsten Indikationen
Nikotinersatzstoffe (7 Abschn. 11.2.11) sind, bei für Entgiftungen und Entwöhnungen in der Kinder-
schrittweisem Ausschleichen, therapeutisch hilf- und Jugendpsychiatrie stellen Alkohol- und Cannabis-
reich. abhängigkeiten dar.
5 Entwöhnungstherapie: Neben verhaltensthera- Führend bei der Behandlung sind psychosoziale
peutischen Maßnahmen (als Selbsthilfeinterven- und psychotherapeutische Interventionen. Es konn-
tion in Einzel- oder Gruppentherapie) gibt es bei te nachgewiesen werden, dass es durch KVT-Grup-
der Raucherentwöhnung eindeutige Wirksam- penprogramme, Selbsthilfegruppen und Familienthe-
keitsnachweise für die verschiedenen Nikotiner- rapien zu einer Reduktion des Substanzkonsums bei
satzstoffe und Bupropion (7 Abschn. 11.2.11). Die Jugendlichen kam.
Kombinationsbehandlung von Nikotinpflastern Medikamentöse Therapien sind bei Überdosie-
und Bupropion wies in einer großen placebokon- rungen und bei starken Entzugssymptomen notwen-
trollierten Studie einen additiven Effekt auf. dig und die Empfehlungen entsprechen dann denen
5 Mit dem Cannabinoid-1-(CB1-)Rezeptorantago- im Erwachsenenalter. Erfahrungen mit den Anticra-
nisten Rimonabant (Acomplia®) (7 Abschn. 13.2; ving-Substanzen zur Behandlung von Suchterkran-
noch nicht zugelassen) und dem partiellen Ago- kungen liegen für das Kindes- und Jugendalter nicht
nisten am nikotinergen Acetylcholinrezeptor vor.
Vareniclin (Champix®) (7 Abschn. 11.2.11; zugel- Die Wirksamkeit einer Methadontherapie bei
assen) stehen in Zukunft zwei zusätzliche Thera- opiatabhängigen Kindern und Jugendlichen ist noch
pieoptionen zur Verfügung. nicht endgültig geklärt (Gilvarry 2000).

ADHS, Sucht und Psychostimulanzien


28.2 Behandlung der Kinder mit einer ADHS, die nicht mit Psychostimu-
Abhängigkeitsstörungen im lanzien behandelt werden, haben ein größeres Risiko
Kindes- und Jugendalter eine Suchterkrankung zu entwickeln, als Kinder mit
ADHS ohne Psychostimulanzientherapie (Selbstme-
Im Kindes- und Jugendalter beginnen viele Suchter- dikation).
krankungen und bis zum Alter von 18 Jahren haben Ein großes Problem stellt allerdings der Schwarz-
über 50% der Jugendlichen suchterzeugende Sub- markt für Psychostimulanzien (z. B. Schulhof) dar.
stanzen eingenommen mit z. T. erheblichen psycho- Durch die Gabe von Retardpräparaten, wobei nur eine
sozialen Folgen. Häufig bestehen Komorbiditäten einmalige morgendliche Einnahme nötig ist, lässt sich
wie Angststörungen, affektive Störungen, Psychosen, das Problem vermindern (Greenhill 2006).
ADHS oder Persönlichkeitsstörungen. Ob eine Ent-
giftung und Entwöhnung erfolgreich ist, hängt häufig
von den ersten Erfahrungen damit ab.
234 Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen

28.3 Checkliste
21
?
22 1. Warum soll Clomethiazol, das Mittel der
ersten Wahl zur Alkoholentgiftung, nicht

23 2.
ambulant verabreicht werden?
Welche Medikamente zur Substitutionsthe-
rapie bei Opiatabhängigkeit kennen Sie?
24 3. Was sind die häufigsten Indikationen für
Entgiftungen und Entwöhnungen in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie und welche
25 therapeutischen Maßnahmen sind indiziert?
4. Warum haben Kinder und Jugendliche mit
26 einer ADHS, die nicht mit Psychostimu-
lanzien behandelt werden, ein größeres
Risiko eine Suchterkrankung zu entwickeln
27 als Kinder mit ADHS ohne Psychostimu-
lanzientherapie?
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
29.1 ·
235 29

Bipolare affektive Störungen

29.1 Gesamtbehandlungsplan – 237

29.2 Therapie – 237


29.2.1 Manische Episode – 238
29.2.2 Bipolare affektive Störung – 238
29.2.3 Psychotherapie bei bipolaren affektiven Störungen – 240

29.3 Behandlung der Bipolaren Störung im Kindes- und


Jugendalter – 241

29.4 Checkliste – 241


236 Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen

Patienten mit bipolarer Störung sind etwa die Hälfte Jedes Syndrom erfordert eine spezielle Pharma-
21 des Jahres nicht symptomfrei. Dabei überwiegen die kotherapie. Besonders schwierig wird die Therapie
depressiven Episoden die manischen um den Faktor 3 dadurch, dass es für die einzelnen Therapien jeweils
(Kupka et al. 2005). Bei der bipoaren Störung besteht Alternativen gibt, die zzt. noch evaluiert werden.
22 ein hohes Lebenszeitrisiko von 10–20% an einem Sui- Bei Patienten mit häufigem Symptomwechsel sub-
zid zu sterben (Goodwin u. Jamison 1990). syndromaler Ausprägung ist ebenfalls an eine bipola-
23 Die Psychopharmakotherapie der bipolaren Stö-
rungen ist deshalb so schwierig, weil sich im Krank-
re Störung zu denken.

heitsverlauf fünf verschiedene Symptomkonstellati- Neurobiologie der bipolar affektiven Störung. Spe-
24 onen einstellen können, die jeweils sorgfältig vonein- zielle Untersuchungen, die für die Psychopharma-
ander abgegrenzt werden müssen. kotherapie von Bedeutung sind, sind bei den einzel-
Schließlich ist die Phasenprophylaxe von diesen nen Syndromen nicht bekannt. Neurobiologisch, über
25 Syndromen zu trennen, dies sowohl für die bipolare die Genetik hinaus, sind zzt. auch keine Unterschiede
affektive Störung als auch für die schizoaffektive Psy- zwischen einer unipolaren (7 Kap. 15) und einer bipo-
26 chose. laren Depression evident. Bei der Manie wird auf-
Deshalb muss mehr als bei jeder anderen psy- grund der guten Wirksamkeit von Antipsychotika,
chischen Störung schon bei der Behandlung der ein- wie u. a. bei der Schizophrenie, auch eine Neurotrans-
27 zelnen Episode der langfristige Verlauf und dessen mitterdysbalance mit einem hyperaktiven dopaminer-
besondere polare Natur berücksichtigt werden. Denn gem System postuliert.
28 es ist möglich, dass die unsachgemäße Behandlung
der akut bestehenden Episode (7 Abschn. 29.2.2) den
langfristigen Verlauf der Störung ungünstig beeinflus-
29 sen kann.

30
Definition
31 Syndrome bei der bipolaren affektiven Störung DSM-IV grenzt von der bipolaren Störung Typ I – bei
Die Manie (Syn.: manische Episode) ist durch situati- der mindestens eine manische Episode diagnostiziert
32 onsinadäquat gehobene Stimmung, Erregung, Hyper- worden sein muss – die bipolare Störung vom Typ II
aktivität, Rededrang (laut, theatralisch) und Größen- ab, bei der neben depressiven nur hypomanische Epi-
ideen gekennzeichnet. Ein manischer Patient kommt soden vorkommen dürfen.
33 Tage lang ohne Schlaf aus. Es kann eine euphorische Die bipolare Depression (Synonym in der ICD-10: bi-
Manie von einer gereizten Manie abgegrenzt wer- polare affektive Störung, depressive Episode) ist phä-
34 den. Bei schweren Ausprägungsformen können Wahn nomenologisch nicht von der unipolaren Depression
und Halluzinationen hinzutreten (Manie mit psy- zu unterscheiden. Treten Wahn oder Halluzinationen
chotischen Symptomen). In der ICD-10 wird die ma- hinzu, liegt eine Depression mit psychotischen Merk-
35 nische Episode von der bipolaren affektiven Störung malen vor.
abgegrenzt, wenn es sich um eine einzelne manische Werden depressive und manische Symptome gleich-
36 Episode handelt.
Die Hypomanie stellt eine leichtere Ausprägungsform
zeitig bzw. in raschem Wechsel beobachtet, wird von
einer gemischten Episode gesprochen.
der Manie dar. Wahn und Halluzinationen werden Rapid Cycling ist durch mindestens 4 Episoden in
37 nicht beobachtet. einem Zeitraum von 12 Monaten gekennzeichnet.
Eine bipolare affektive Störung ist durch minde- Eine Differenzierung zwischen Akutbehandlung und
38 stens zwei affektive Episoden mit mindestens einer
Hypomanie oder Manie charakterisiert (ICD-10).
Phasenprophylaxe, wie bei den anderen Syndromen,
erfolgt beim Rapid Cycling nicht.

39
40
29.2 · Therapie
237 29

29.1 Gesamtbehandlungsplan Wichtig

5 Ähnlich wie bei der Therapie unipolarer Depres- Das Hauptelement der akuten Therapie der bipo-
sionen sollte auch die Pharmakotherapie bipo- laren affektiven Störung ist die Behandlung mit
larer affektiver Störungen in einen Gesamtbe- Psychopharmaka. Die sehr enge Zusammenar-
handlungsplan eingebettet sein. Entsprechend beit mit einem Psychiater, der auf diesem Gebiet
der Behandlungsphase ist folgende Gewichtung große Erfahrung hat, ist anzuraten. Deshalb sollte
der Therapieschwerpunkte sinnvoll: am Ende einer jeden Erstexploration einer affek-
– In der Akutphase wird – v. a. bei manischen tiven Störung abgesichert sein, ob
Syndromen mit geringer oder fehlender 5 Hinweise für eine bipolare affektive Störung
Krankheitseinsicht – die Pharmakotherapie (auch früher) vorliegen und
im Vordergrund stehen. 5 Hinweise auf psychotische Symptome (auch
– Im weiteren Behandlungsverlauf – Erhal- anamnestisch) bestehen.
tungstherapie und Phasenprophylaxe – neh-
men psycho- und soziotherapeutische Maß-
nahmen an Bedeutung zu.
5 Bei bipolaren affektiven Störungen ist die mög- 29.2 Therapie
lichst frühzeitige Vermittlung eines Krankheits-
konzeptes von großer Bedeutung. Dabei erschei- Die Bewertung der Therapie ist gleichzeitig als Zusam-
nen die folgenden Aspekte wichtig: menfassung vieler Einzeluntersuchungen zu verste-
– Dem Patienten sollte vermittelt werden, hen. Wenn Psychotherapie eine Option darstellt, wird
dass er an einer Störung leidet, bei der die sie erwähnt.
Behandlung der aktuellen Episode ganz Es werden 4 Psychopharmakagruppen differen-
wesentlich den weiteren Krankheitsverlauf ziert gewichtet:
bestimmen kann. 5 Lithium (7 Kap. 6)
– Er muss darauf hingewiesen werden, dass die 5 Antiepileptika (Carbamazepin, Lamotrigin, Val-
Behandlung mit einem trizyklischen Anti- proinsäure) (7 Kap. 6)
depressivum (TZA) das Risiko in sich birgt, 5 Atypische Antipsychotika (AAP); unter ihnen
eine Manie oder sogar ein Rapid Cycling zu sind Quetiapin und Olanzapin besonders intensiv
induzieren; selektive Serotoninrückaufnah- untersucht (7 Kap. 7)
mehemmer (SSRI) haben ein geringeres Risi- 5 Antidepressiva (7 Kap. 5)
ko, eine Manie oder Hypomanie zu induzieren.
Der Patient sollte darüber aufgeklärt wer- Eine Monotherapie mit Benzodiazepinen ist nicht
den, dass es nach heutigem Kenntnisstand indiziert. Bei manischen Episoden können zu Beginn
langfristig günstiger sein kann, bei leichter der Erkrankung sehr hohe Dosen, z. B. Lorazepam bis
Depression auf ein Antidepressivum zunächst 20 mg tgl. als adjuvante Therapie oft sehr hilfreich sein
zu verzichten, auch wenn der akute Behand- (Cave: nicht in Kombination mit Olanzapin) (Indikati-
lungsverlauf u. U. verlängert wird. Bei leich- on für Anxiolytika; vgl. . Tab. 8.2).
ter Depression können eine Verhaltensthera- Die primäre Behandlungsaufgabe liegt in einer
pie und die Gabe eines Stimmungsstabilisie- Besserung der momentanen Krankheitsphase – be-
rers ausreichend sein. sonders auch der Vermeidung eines Suizidrisikos – ,
einer Reduktion der Episodenhäufigkeit und einer
Patienten mit schweren manischen Syndromen sind Stabilisierung der Stimmung und der Lebensqualität
in vielen Fällen nicht einwilligungsfähig bzw. müs- zwischen den Episoden.
sen manchmal auch ohne ihr Einverständnis behan-
delt werden.
Bei Patienten mit einer Manie ist eine unzurei-
chende Compliance häufig der Grund für ein Nicht-
ansprechen.
238 Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen

29.2.1 Manische Episode Wichtig


21
Der Einsatz von Antidepressiva bei der bipolaren
Fazit Depression ist vorsichtig abzuwägen und das un-
22 terschiedliche Risiko der einzelnen Substanzen bei
Pharmakotherapie bei der manischen Episode – der Therapieentscheidung zu berücksichtigen.
23 Bewertung
5 Eine klassische (euphorische) Manie kann mit Lithi-
um, Valproinsäure oder mit einem AAP behandelt Es ist relativ gut belegt, dass eine antidepressive Phar-
24 werden. Vorteile der AAP sind die im Vergleich zu makotherapie mit TZA bei Patienten mit einer bipo-
Lithium bessere Handhabbarkeit, der schnellere laren affektiven Störung nicht nur das Risiko, eine
Wirkungseintritt und die im Allgemeinen bessere Manie oder Hypomanie zu induzieren, erhöht, son-
25 Verträglichkeit. dern auch zu einer Zunahme der Phasenfrequenz bis
5 Bei gereizten Manien oder bei Manien im Rahmen hin zum Rapid Cycling führen kann (»cycling acce-
26 eines Rapid Cycling sollte einem AAP der Vorzug leration«). Das Risiko, ein Umkippen in die Manie
gegeben werden. Alternativ kann Valproinsäure (»switch«) zu induzieren, ist bei den neueren Antide-
erwogen werden. pressiva (z. B. SSRI) geringer.
27 5 Bei schweren manischen Syndromen, insbesondere Neuere Studien zeigen für die Behandlung mit
mit psychotischen Symptomen, muss oft auf eine SSRI kein erhöhtes Risiko für ein Umkippen in eine
28 Kombinationstherapie zurückgegriffen werden. Am
besten evaluiert sind Kombinationen von Valproin-
Manie (Gijsman et al. 2004; Bauer et al. 2005).
Venlafaxin erhöht das Risiko (im Vergleich zu
säure mit einem AAP (zugelassen: Olanzapin, Queti- Sertralin und Bupropion), besonders bei 4 oder mehr
29 apin, Risperidon) oder Lithium zusammen mit einem Episoden im letzten Jahr (Gijsman et al. 2004; Post et
AAP. Mehrere Studien belegen, dass diese Kombinati- al. 2006).
Entscheidet man sich für die Gabe von Antide-
30 onen wirksamer sind als Valproinsäure, Lithium oder
ein AAP allein. pressiva auch längerfristig (bei der mittelschweren
5 Carbamazepin kann nur im Einzelfall eine Alternative oder schweren bipolaren Depression), sollte dies
31 zu Lithium oder Valproinsäure sein. unter dem Schutz eines Stimmungsstabilisierers erfol-
gen. Dabei wird in den USA die Kombination AAP
und SSRI (dort Olanzapin und Fluoxetin) favorisiert
32 (Bowden 2005).
29.2.2 Bipolare affektive Störung
33 Manische Episode im Rahmen einer Fazit
bipolaren affektiven Störung
34 5 Die Behandlung der manischen Episode im Rah- Pharmakotherapie und Psychotherapie bei bipolarer
men einer bipolaren affektiven Störung folgt Depression – Bewertung
35 den Prinzipien der Behandlung der einzelnen
manischen Episode (7 Abschn. 29.2.1).
5 Leichte depressive Episoden sollten mit Verhaltens-
therapie und Lithium, einem Antikonvulsivum oder
einem AAP (Quetiapin oder Olanzapin) als Stim-
36 Bipolare Depression (ICD-10: bipolare mungsstabilisierer behandelt werden, um das Risiko
affektive Störung, depressive Episode) der Entstehung einer Manie oder eines Rapid Cycling
5 Die Behandlung der depressiven Episode im Rah-
37 men einer bipolaren affektiven Störung gehört
gering zu halten. Die Pharmakotherapie (meist schon
als längerfristige Rezidivprophylaxe ausgewählt) wird
zu den schwierigsten Aufgaben in der Pharma- aufgrund der Schwere früherer Episoden (s. unten)
38 kopsychiatrie. Erst durch die sorgfältige Abgren- individuell sorgfältig abgewogen.
zung dieser Störung von der unipolaren Depres- 5 Bei mittelschweren und schweren depressiven
sion wurde die Sonderstellung evident. Syndromen, insbesondere mit Suizidalität, kann
39 5 Bei der bipolaren Depression sind alle Risiken nicht auf die Gabe eines Antidepressivums verzichtet
wie bei der unipolaren Depression zu beachten werden. Dann sind SSRI indiziert; TZA sind zu meiden.
40 (7 Kap. 15). Die Suizidgefährdung ist in der Regel Es ist jedoch unklar, wann die antidepressive Therapie
höher. beendet werden soll, um das Risiko zu minimieren,
eine Manie oder ein Rapid Cycling zu induzieren.
29.2 · Therapie
239 29

5 Die Behandlungsstrategie der bipolaren Depres-


sion mit Antidepressiva bleibt unsicher wird auch Fazit
weiterhin kontrovers diskutiert und bedarf dringend
weiterer Erforschung. Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver Störung –
Bewertung
5 Valproinsäure ist bei häufigeren Vorphasen, Lithium
bei wenigen Vorphasen zu bevorzugen.
Gemischte Episode bei bipolarer affektiver 5 Olanzapin und Quetiapin haben einen phasenphro-
Störung phylaktischen Effekt. Möglicherweise haben die
anderen AAP den gleichen Effekt.
Fazit 5 Lithium und Olanzapin sind gleich wirksam, wenn
depressive Episoden verhütet werden sollen. Vorteile
Pharmakotherapie der gemischten Episode bei von Olanzapin sind die bessere Handhabbarkeit und
bipolarer affektiver Störung – Bewertung der schnellere Wirkungseintritt.
5 Die vorhandenen wenigen Daten sprechen für eine 5 Lamotrigin ist für die Prophylaxe depressiver Syn-
Wirksamkeit von Valproinsäure und AAP (zugelassen drome im Rahmen einer bipolaren Störung wirksam
Ziprasidon). und zugelassen.

Cave
Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver
Störung 5 Nach Absetzen einer Lithiumprophylaxe ist
5 In Anlehnung an die bei der unipolaren Depres- das Rückfallrisiko wahrscheinlich höher als
sion gebräuchliche Terminologie (7 Kap. 15) kann im naturalistischen Verlauf; mit jeder Phase
auch bei bipolaren affektiven Störungen nach der nimmt möglicherweise die Phasenhäufigkeit
Akutphase eine Phase der Erhaltungstherapie (zur weiter zu und kann in ein Rapid Cycling
Verhinderung eines Rückfalles derselben Episode) einmünden.
von einer Phasenprophylaxe (zur Vermeidung eines 5 Wenn eine Lithiumprophylaxe doch abge-
Rezidivs der Erkrankung) abgegrenzt werden. setzt wird, sollte dies, wenn irgend möglich,
5 Beim Absetzen einer Pharmakotherapie unmit- langsam über viele Monate erfolgen.
telbar nach Abklingen der akuten Krankheits- 5 Nach Absetzen von Lithium geht, wenn es
symptome ist das Rückfallrisiko erhöht. Umge- im Rahmen einer erneuten Episode einer
kehrt sinkt mit der Dauer der Beschwerdefreiheit bipolaren affektiven Störung wieder ange-
nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome setzt wird, möglicherweise seine Effektivität
das Rückfallrisiko. verloren.
5 Nach einer Episode einer bipolaren affektiven
Störung sollte eine mindestens 12-monatige
Erhaltungstherapie durchgeführt werden. Rapid Cycling
Nach neueren epidemiologischen Untersuchungen
soll ein Rapid cycling bei bis zu 25% aller Patienten
Für den Start einer Phasenprophylaxe gibt mit einer bipolaren affektiven Störung vorkommen.
es zzt. folgende Übereinstimmung: Oft ist v. a. zu Behandlungsbeginn ein Rapid Cycling
5 Schon nach einer ersten manischen Episode mit schnellen Stimmungswechseln schwer abzugren-
muss eine langfristige Phasenprophylaxe zen von einer emotional-instabilen Persönlichkeits-
erwogen werden. störung vom Borderline-Typ, wenn bei dieser affek-
5 Eine langfristige Phasenprophylaxe wird tive Labilität im Vordergrund steht.
nach einer zweiten Krankheitsepisode in
den meisten Fällen unumgänglich sein. Zur
Definition des notwendigen Zeitabstands
zur ersten Phase gibt es allerdings zu wenige
Daten.
240 Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen

29.2.3 Psychotherapie bei bipolaren


21 Fazit affektiven Störungen
Pharmakotherapie bei Rapid Cycling – Bewertung Psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen haben
22 5 Ein Rapid Cycling kann meist nur durch eine Kombi- bei bipolaren Störungen stützenden Charakter. Die
nationstherapie erfolgreich behandelt werden. Die Psychoedukation spielt besonders für die Compliance
23 besten Hinweise für eine Wirksamkeit liegen derzeit
für Olanzapin und, am meisten abgesichert, für Queti-
in der Phasenprophylaxe eine entscheidende Rolle
(Vieta 2004).
apin vor, eingeschränkt auch für Valproinsäure. Die Bedeutung der psychotherapeutischen
24 5 Haben die depressiven Episoden die Behandlungs- Behandlungsverfahren – auch im Vergleich zur Phar-
priorität, sollte zunächst Lamotrigin gewählt werden. makotherapie – kann gegenwärtig nur sehr zurück-
Auch Lamotrigin kann entweder mit Olanzapin oder haltend bewertet werden, weil in den Kontrollgrup-
25 mit Quetiapin kombiniert werden. pen die Patientenzahlen sehr klein sind. Zusätzlich
5 Stehen manische Phasen im Vordergrund sind Valpro- erschweren die heterogenen Episoden und unter-
26 insäure und die AAP vorzuziehen. schiedlichen Phasenhäufigkeiten die Studienauswer-
5 Auf Antidepressiva sollte verzichtet werden. tung (de Jong-Meyer et al. 2007).
Zu den folgenden Verfahren liegen Erfahrungen
27 vor:
5 Kognitive Verhaltenstherapie: Die KVT, sowohl
Phasenprophylaxe bei schizoaffektiver
28 Störung
einzeln als auch in Gruppen, erhöht die Medika-
mentencompliance. Ob auch die Lebensqualität
Die Behandlung des akuten schizomanischen und und soziale Funktionen der Patienten verbessert
29 schizodepressiven Syndroms wird entsprechend der sowie depressive Symptome und Rückfallraten
ICD-10-Klassifikation unter den schizophrenen Stö- reduziert werden, ist noch offen und wird kontro-
rungen im 7 Kap. 30 abgehandelt. vers diskutiert (Scott et al. 2006; Lam 2006). KVT
30 Hier wird die Phasenprophylaxe besprochen, zu scheint dann indiziert, wenn die Erkrankung
der es allerdings nur sehr wenige Studien mit kleinen früh beginnt und noch wenige Episoden aufge-
31 Fallzahlen gibt. treten sind.
5 Familienzentrierte Therapie: Hier stehen Aufklä-
rung über die Erkrankung sowie Vermittlung von
32 Fazit kommunikativen und sozialen Fertigkeiten im
Vordergrund. In einer ersten kontrollierten Stu-
33 Phasenprophylaxe der schizoaffektiven Störung – die über 9 Monate konnten die Rückfallraten in
Bewertung der mit familienzentrierter Therapie behandelten
5 Bisher gibt es kaum eine Absicherung der häufig Patientengruppe gesenkt werden.
34 geübten Praxis, prophylaktisch eine Kombination von 5 Interpersonelle und Sozialrhythmus-Therapie:
Antidepressiva mit Antipsychotika zu geben. Dieses Verfahren entstand aus der interperso-
35 5 Lithium und Carbamazepin haben wahrscheinlich
einen phasenprophylaktischen Effekt bei der schizo-
nellen Therapie, die primär für die unipolare
Depression entwickelt wurde. Die Prinzipien der
affektiven Störung; Carbamazepin hat jedoch Vorteile interpersonellen Psychotherapie wurden um ver-
36 bei rein schizodepressiven Verläufen und bei im haltenstherapeutische Komponenten erweitert,
Vordergrund stehender psychotischer Symptomatik die zum Ziel haben, zirkadiane und Schlaf-Wach-
5 Lithium hat bei der schizoaffektiven Störung wahr- Rhythmen zu stabilisieren, zwischenmensch-
37 scheinlich eine geringere Wirksamkeit als bei der liche Probleme zu mindern und die Medikamen-
bipolaren affektiven Störung. tencompliance zu erhöhen. Erste Befunde zeigen
38 allerdings, dass IPSRT (»interpersonal and social
rhythm therapy«) einer intensiven, regelmäßigen
klinischen Betreuung mit Psychoedukation nicht
39 überlegen ist (Frank et al. 2005).

40
29.4 · Checkliste
241 29

pischen Antipsychotika, wird das Ergebnis deut-


Fazit lich besser (Kowatch et al. 2005).
5 Erst nach der medikamentösen Einstellung sind
Psychotherapie bei bipolaren affektiven Störungen – die Kinder und Jugendlichen meist aufnahmebe-
Bewertung reit für das Erlernen neuer Verfahren. Jetzt kön-
5 Psychoedukation (z. B. Medikamentencompliance, nen Psychoedukation, Übungen zur Verbesse-
Schlafregulation, Selbstbeobachtung von Stimmung rung der Kommunikation und zum Erlernen
und Aktivitäten, Verhalten gegenüber Drogen und von Problemlösungsstrategien in Bezug auf das
Alkohol, Stressbewältigung) sollte neben der Pharma- Umgehen mit den Symptomen der Krankheit
kotherapie bei der bipolaren affektiven Störung sowie Übungen zur Emotionsregulierung und
gezielt in der Akuttherapie und Phasenprophylaxe Impulskontrolle eingesetzt werden. Die thera-
eingesetzt werden. peutischen Techniken hierfür basieren auf fami-
5 Leichte depressive Episoden sollten mit Verhaltens- liären und kognitiv-behavioralen Interventionen
therapie und einem Stimmungsstabilisierer behan- (Kowatch et al. 2005).
delt werden. 5 Durch eine familiäre Psychoedukation bei Kin-
5 Grundsätzlich wird zzt. davon ausgegangen, dass bei dern mit affektiven Störungen konnte nach einer
allen Formen der bipolaren affektiven Störung zusätz- 6-monatigen Nachuntersuchung im Vergleich
liche psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen zu Familien, die keine Psychoedukation erhal-
neben der Pharmakotherapie wertvoll sind. ten hatten, ein besseres Wissen der Eltern über
die affektiven Störungen ihrer Kinder, eine ver-
besserte familiäre Interaktion bzw. Unterstützung
des Kindes und eine verbesserte Ausnutzung
29.3 Behandlung der Bipolaren angemessener Hilfen für die Familien erzielt wer-
Störung im Kindes- und den (Fristad et al. 2003).
Jugendalter
Bipolare Störungen werden oft erst in der späten Ado- 29.4 Checkliste
leszenz diagnostiziert, da das Symptomspektrum im
Kindesalter sehr viel unspezifischer ist und häufig ?
durch wiederkehrende Zyklen von Dysphorie, Hypo-
manie und Agitiertheit gekennzeichnet ist. Häufig tre- 1. Welche Symptomkonstellationen bei der
ten komorbid Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi- bipolaren affektiven Störung kennen Sie?
tätsstörungen (ADHS), Störungen des Sozialverhal- 2. Was versteht man unter Rapid Cycling?
tens, Angststörungen und Suchterkrankungen auf. 3. Welches Risiko besteht bei der Verabrei-
Gerade bei Kindern beginnt die Erkrankung häufig chung von Antidepressiva insbesondere von
mit einer Aufmerksamkeitsstörung. TZA zur Behandlung einer Depression im
Rahmen einer bipolaren affektiven Störung?
Therapie 4. Unter welchen Konstellationen kann bei
5 Die manische Episode wird wie im Erwachsenen- einer Depression im Rahmen einer bipolaren
alter behandelt. affektiven Störung nicht auf die Gabe eines
5 Das Hauptelement der akuten Therapie der Antidepressivums verzichtet werden?
bipolaren affektiven Störung ist auch im Kin- 5. Welche Antidepressiva sollten gewählt
des- und Jugendalter die Behandlung mit Psy- werden?
chopharmaka. Die Quintessenz der Studien zu 6. Von welchen nicht-medikamentösen Thera-
bipolaren Störungen im Kindes- und Jugend- pieformen profitieren Kinder- und Jugendli-
alter (7 Abschn. 6.12) ist: Stimmungsstabilisie- che mit bipolaren Störungen?
rer haben generell eine geringe Effektstärke bei
der Behandlung bipolarer Störungen im Kindes-
und Jugendalter und nur etwa 40% der Patienten
profitieren von einer Monotherapie. Kombiniert
man allerdings die Stimmungsstabilisierer, z. B.
Lithium mit Valproinsäure oder Lithium mit aty-
30.1 ·
243 30

Schizophrenie

30.1 Gesamtbehandlungsplan – 245

30.2 Therapie – 245


30.2.1 Akutphase/Positivsymptomatik – 245
30.2.2 Negativsymptomatik – 246
30.2.3 Depressive Symptomatik – 247
30.2.4 Kognitive Störungen – 247
30.2.5 Katatone Symptomatik – 247
30.2.6 Komorbide psychiatrische Störungen bei Schizophrenie – 247
30.2.7 Schizoaffektive Störungen – 248
30.2.8 Schwere Depression mit psychotischen Symptomen
(»wahnhafte Depression«) – 249
30.2.9 Schizotype Störungen, wahnhafte Störungen,
induzierte wahnhafte Störungen – 249
30.2.10 Akute vorübergehende psychotische Störungen – 249
30.2.11 Langzeittherapie, ungenügende Response und
Therapieresistenz – 249
30.2.12 Psychotherapie und psychosoziale Interventionen bei
Schizophrenie – 251

30.3 Behandlung der Schizophrenie im Kindes- und


Jugendalter – 253

30.4 Checkliste – 254


244 Kapitel 30 · Schizophrenie

Das komplexe Bild der Schizophrenien wird nach dem Ausbruch psychotischer Symptome Monate oder
21 ICD-10 in verschiedene kategoriale Unterformen Jahre vorausgehen:
und Verlaufsbilder unterteilt. Gleichwohl orientiert 5 Unspezifisches Vorstadium (früh): motorische,
sich die Therapie primär an Zielsyndromen. Bei den soziale, affektive und kognitive Auffälligkeiten
22 Unterformen treten in wechselnder Prägnanz Positiv- bereits in Kindheit und Jugend (häufig retrospek-
und Negativsymptomatik in den Vordergrund. tive Interpretation).
5 Prodromalstadium mit erhöhtem Risiko für den
23 Definition Übergang in eine schizophrene Störung (spät):
Es treten Hochrisikokonstellationen mit kurzen
24 Die ICD-10 nennt folgende Subtypen der Schizo-
phrenie:
vorübergehenden psychotischen Symptomepiso-
den (»brief limited intermittend psychotic sym-
5 Paranoide Schizophrenie. Es ist der häu- ptoms«, BLIPS) mit kurz anhaltenden Positiv-
25 figste Subtyp; im Vordergrund stehen Positiv- symptomen und spontaner Remission auf (aus-
symptome. führlich 7 Abschn. 30.2.2).
5 Hebephrene Schizophrenie. Affektive Verän-
26 derungen prägen das Krankheitsbild (meist Das Risiko für den Übergang eines psychosenahen
flacher, inadäquater Affekt, Manierismen, Prodroms in eine Schizophrenie ist mit etwa 30–80%
27 flüchtige Halluzinationen, inkonsistenter pro Jahr erhöht; gleichwohl ist das Risiko »falsch-posi-
Wahn, ungeordnetes Denken). Typisch sind tiver« Vorhersagen mit etwa 30–60% ebenfalls hoch.
ein früher Beginn und eine schnelle Entwick-
28 lung von Negativsymptomen, besonders
Zwischen psychosenahen Prodromen und der kli-
nischen Erstmanifestation einer schizophrenen Stö-
mit Affektverflachung, Antriebsverlust und rung liegen 1–3 Jahre, die Erstdiagnose liegt bei Män-
29 desorganisiertem Verhalten. nern häufig zwischen 20 und 25 Jahren, bei Frauen
5 Katatone Schizophrenie. Sie wird geprägt zwischen 25 und 30 Jahren, bei Frauen ist zudem ein
durch psychomotorische Störungen mit zweiter Häufigkeitsgipfel (ab dem 45. Lebensjahr) zu
30 Erregung, Stupor, Negativismus, Mutismus, beobachten.
Bewegungsstereotypien und Haltungsver-
31 harren. Vorübergehende isolierte katatone
Symptome können bei jeder anderen
Neurobiologie der Schizophrenie. Neben den für die
Psychopharmakotherapie wichtigen neurochemischen
Schizophrenieunterform und auch bei Systemstörungen in der dopaminergen, serotonergen
32 hirnorganischen sowie affektiven Störungen und glutaminergen Transmission (7 Kap. 7) haben
auftreten. neuroanatomische und jetzt besonders molekularge-
5 Undifferenzierte Schizophrenie. Es ist ein
33 Subtyp, bei dem Positiv- und Negativsym-
netische Befunde für die Pathogenese der Erkrankung
eine große Bedeutung.
ptome weniger prägnant hervortreten. Eine Die neurobiologische Hypothese geht davon
34 Zuordnung zu einer anderen Unterform ist aus, dass genetische und andere biologische Einflüs-
nicht möglich. se zu embryonalen Hirnentwicklungsstörungen im
5 Schizophrenia simplex. Primäre Negativ-
35 symptomatik und kognitive Defizite entwi-
ZNS führen. Es kommt zu einem Verlust nichtneuro-
naler Elemente, den Neuropils, als Korrelat hirnatro-
ckeln sich progredient. phischer Veränderungen im dorsolateralen präfron-
36 5 Postschizophrene Depression. Eine de-
pressive Episode tritt im Anschluss an eine
talen Kortex. Die Degenerationshypothese (es kommt
bei einem Drittel der Patienten zu kognitiven Einbu-
schizophrene Erkrankung auf. Positiv- und ßen mit defizitärem Ausgang) stützt sich auf gut abge-
37 Negativsymptome sind noch vorhanden, sicherte hirnmorphologische Befunde. Wahrschein-
beherrschen aber nicht das Krankheitsbild. lich gelten die Modelle zur Ätiologie der Schizophre-
5 Schizophrenes Residuum. In diesem chro-
38 nischen Stadium stehen die anhaltenden
nie jeweils nur für einen Teil der Patienten.
Neu, aber gut bestätigt, ist die Entdeckung von
Negativsymptome im Vordergrund. den drei Dispositionsgenen: Dysbidin-Gen, Neuregu-
39 lin-1-Gen und G72/DAOA-Gen. Sie kodieren Protei-
Im Verlauf schizophrener Störungen können bis zur ne von der Hirnentwicklung bis zur Stabilisierung der
40 klinischen Erstmanifestation zwei Vorstadien unter- glutamatergen Synapsen. Damit kann gezeigt werden,
schieden werden, die in Umrissen schon Kraepelin dass die Gene nicht für Diagnosen, sondern für Funk-
1919 als Vorläufersymptome beschrieben hatte, die tionen kodieren. Es gibt keinen Hinweis für einen
30.2 · Therapie
245 30

monogenen Erbgang. Somit werden wahrschein- 30.2 Therapie


lich keine kausalen, sondern nur risikomodulierende
Gene gefunden. Es wird also bei der Schizophrenie, Wichtig
wie z. B. auch bei den bipolaren affektiven Störungen
und Abhängigkeitserkrankungen, ein polygener Erb- Zu Beginn einer Therapie sollten zunächst fol-
gang angenommen. Weiterhin spielt, wie bei der gende Fragen geklärt sein:
Depression (7 Kap. 15), die Gen-Umwelt-Interaktion 5 Wie schwer ist die Episode?
eine wichtige Rolle. Aber auch diese neuen Befunde 5 Besteht Suizidalität?
können weder zur Frühdiagnostik, noch zur individu- 5 Gibt es ein Risiko der Fremdgefährdung?
ellen Voraussage zur Wirkung eines spezifischen Anti- 5 Kann der Patient ambulant betreut werden
psychotikums beitragen (Falkai u. Maier 2006). oder ist eine stationäre/teilstationäre Be-
Ausführliche Darstellung der Neurobiologie schi- handlung indiziert?
zophrener Erkrankungen findet sich bei Bogerts 5 Können Angehörige oder Sozialarbeiter
(2008). hinzugezogen werden?
5 Ist eine organisch bedingte oder substanzin-
duzierte Störung sicher durch körperliche
30.1 Gesamtbehandlungsplan und Laboruntersuchungen ausgeschlossen?
5 Handelt es sich um eine schizophrene Erster-
Dem Patienten sollte frühzeitig das Konzept eines krankung oder um ein Rezidiv?
Gesamtbehandlungsplans mit den beiden Schwer- 5 Gibt es komorbide psychiatrische Erkran-
punkten einer medikamentösen Therapie und den kungen?
psychosozialen Therapiemaßnahmen erläutert wer-
den:
5 In der Akutphase liegt der Schwerpunkt auf der 5 Wenn Akuität und Zielsymptomatik geklärt sind,
Medikation. können die ersten Behandlungsschritte folgen.
5 In der Stabilisierungsphase und der Phase der Bei der Auswahl des Medikaments sind beson-
Rezidivprophylaxe bzw. Symptomsuppressi- ders zu berücksichtigen:
on (Langzeittherapie) gewinnen psychosoziale – früheres Ansprechen,
Maßnahmen in Kombination mit einer verträg- – Patientenpräferenz,
lichen Antipsychotikabehandlung zunehmend an – Nebenwirkungsprofil und Bereitschaft
Bedeutung. Nebenwirkungen zu tolerieren,
– erwartete Compliance,
Nur auf der Basis einer positiven Arzt-Patienten- – geplante Applikationsform.
Beziehung kann die therapeutische Allianz langfristig
gelingen. Dazu gehören:
5 Therapiemotivation, 30.2.1 Akutphase/
5 Vermittlung eines Krankheitskonzepts, Positivsymptomatik
5 Festigung der Compliance,
5 Einbeziehen von Bezugspersonen bzw. Familien- 5 Ziel jeder medikamentösen Therapie in der aku-
angehörigen. ten Phase einer Schizophrenie sind:
– Symptomreduktion,
Es wird heute eine möglichst frühzeitige Behandlung – Verhindern von Selbst- und Fremdgefähr-
der schizophrener Störungen mit einem atypischen dungen,
Antipsychotikum (AAP) empfohlen (7 Kap. 7). – Versuch der sozialen Eingliederung und
– Erstellung eines mittelfristigen und langfri-
Wichtig stigen Gesamtbehandlungsplans.
5 In der Akutphase ist abzuklären, ob eine Klinik-
Die entscheidenden Ziele bei der Behandlung des einweisung nötig ist.
schizophrenen Patienten sind: 5 Antipsychotika sind zur Akut- und Langzeitbe-
5 Symptomreduktion, handlung der Schizophrenie sicher wirksame
5 Verbesserung der Lebensqualität, Medikamente.
5 Reduktion der Rückfallrate. 5 Atypische Antipsychotika (AAP) (7 Kap. 7) wie
Olazapin, Risperidon und Quetiapin haben sich
246 Kapitel 30 · Schizophrenie

auch in der Akuttherapie der Schizophrenie Die Symptome in dieser Frühphase überlappen
21 bewährt. Sie haben gerade zu Beginn einer The- sich mit depressiven Symptomen (Yung et al. 2003;
rapie geringere Nebenwirkungen als konventi- Häfner u. Maurer 2006) genauso wie bei den im Rah-
onelle Antipsychotika. Besonders ist das Risiko men der voll ausgeprägten Psychose auftretenden
22 für extrapyramidal-motorische Symptome (EPS) Negativsymptomen (Gerbaldo et al. 1995). Somit
deutlich geringer. sind phänomenologisch die Schizophrenie und die
5
23 Die Dosis sollte, wenn möglich, langsam aufdo-
siert werden (7 Abschn. 7.5).
Depression sowohl im Prodromalstadium, als auch in
den Episoden der Negativsymtomatik nur schwer von
5 Kommt es im Rahmen der akuten Symptoma- einander zu unterscheiden (Gerbaldo et al. 1995; Häf-
24 tik allerdings zu ausgeprägten pychomotorischen ner u. Maurer 2006). Es mehren sich somit auch die
Erregungszuständen oder aggressiv-impul- Indizien, die eine von Kraepelin Anfang des Jahrhun-
sivem Verhalten mit Eigen- oder Fremdgefähr- derts angenommene Dichotomie zwischen Schizo-
25 dung, können auch initial sehr hohe Dosen gege- phrenie und Depression immer unwahrscheinlicher
ben werden. Bei Unwirksamkeit der AAP können werden lassen.
26 auch konventionelle hochpotente Antipsychotika
Wichtig
(ggf. parenterale Applikation) versucht werden.
5 Die kurzfristige Gabe von Benzodiazepinen in
27 der Akuttherapie kann schnell Angst und Agi- Patienten im Prodromalstadium müssen als
tation lindern. Die vorübergehende Kombinati- Hochrisikopatienten erkannt werden. Eine konse-
quente Frühtherapie bei Erstmanifestation einer
28 on eines Antipsychotikums mit Lorazepam (bis
zu 10 mg tgl.) ist bei Erregungszuständen in der schizophrenen Störung ist angezeigt. Es ist anzu-
Regel effektiver als eine hohe antipsychotische nehmen, dass KVT im Prodromalstadium die The-
29 Monotherapie. rapie der Wahl ist; Evidenzen liegen aber nicht vor.
5 Erstmalig erkrankte Patienten sprechen besser Eine frühzeitige Antipsychotika-Therapie kann al-
auf eine antipsychotische Therapie an als mehr- lerdings noch nicht generell empfohlen werden.
30 fach Erkrankte. Die Dosis ist auch niedriger.

31 Wichtig Negativsymptomatik. Die Symptome sind stärker als


im Prodromalstadium ausgeprägt. Die Reduktion oder
Möglichst frühzeitig sollte die Behandlung schi- der Verlust normaler Funktionen und Verhaltenswei-
32 zophrener Störungen in der Akutphase mit einem sen wird deutlicher. Die Patienten sind affektflach,
AAP begonnen werden. Die Wahrscheinlichkeit freudlos, sprachlich verarmt, oft ungepflegt, scheuen
des Ansprechens auf eine Medikation nimmt ab
33 und die Prognose für den Patienten wird ungün-
den Augenkontakt und ziehen sich sozial noch wei-
ter zurück. Diese voll ausgeprägten Negativsymptome
stiger, wenn eine akute schizophrene Psychose – treten im Langzeitverlauf in den Vordergrund und
34 insbesondere bei einer Ersterkrankung – längere können ohne wesentliche Positivsymptomatik beste-
Zeit unbehandelt bleibt. hen (»primäre Negativsymptomatik«). In der Akut-
35 phase werden sie häufig von Positivsymptomen über-
lagert (7 Abschn. 30.2.1), im Langzeitverlauf bestehen
oft Überschneidungen mit depressiver Symptomatik
36 30.2.2 Negativsymptomatik (7 Abschn. 30.2.3), EPS und psychosozialen Auswir-
kungen der Erkrankung (»sekundäre Negativsympto-
In den letzten Jahren wurde bei der beginnenden Schi- matik«).
37 zophrenie psychopathologisch ein Prodromalstadium Mit Besserung der Positivsymptomatik geht häu-
herausgearbeitet. Da es der Negativsymptomatik sehr fig ein Verschwinden der Negativsymptomatik einher.
38 ähnelt, wird es in diesem Kapitel beschrieben. Es kann Die Therapie der Negativsymptomatik bleibt wei-
aber jeder Form der Schizophrenie vorausgehen. terhin schwierig. AAP sind gegenüber den konventi-
onellen Antipsychotika zu bevorzugen und die Mit-
39 Prodromalstadium. Die ersten Zeichen sind Depres- tel der Wahl. Bei persistierenden Negativsymptomen
sivität, Unruhe, Ängstlichkeit, Denk- und Konzentra- kann eine Kombination eines AAP mit einem SSRI
40 tionsprobleme, Mangel an Selbstvertrauen, Energie- oder Mirtazapin versucht werden.
verlust, sozialer Rückzug und geringe Leistungsfähig-
keit.
30.2 · Therapie
247 30

30.2.3 Depressive Symptomatik neurokognitiven Störungen keinesfalls Konsequenzen


der antipsychotischen Behandlung sind. AAP sind bei
Depressive Symptome und Suizidalität sind im Rah- der Therapie zu bevorzugen. Gezielte Therapiericht-
men einer Schizophrenie häufig (an der Heiden et al. linien bestehen noch nicht.
2005). Die Depression ist auch das häufigste Symptom
in der ersten psychotischen Episode. Die depressive
Symptomatik kann schwer von einer Negativsympto- 30.2.5 Katatone Symptomatik
matik unterschieden werden (7 Abschn. 33.2.2).
5 AAP haben im Vergleich zu konventionellen Seit dem Wissen um die schnelle Wirkung von Ben-
Antipsychotika (z. B. Haloperidol) günstigere zodiazepinen bei Mutismus und Katatonie (Heuser u.
Effekte. Benkert 1986) ist die Indikation einer Elektrokrampf-
5 Bei Versagen psychosozialer und psychothera- therapie (EKB) kaum mehr gegeben. Nur noch bei der
peutischer Interventionen (supportive Ansät- sehr seltenen lebensbedrohlichen febrilen Katatonie
ze, Stressbewältigungsverfahren; kognitive Ver- wird sie bei schizophrenen Störungen angewandt.
haltenstherapie) sollte eine Dosisanpassung bzw.
Umstellung des Antipsychotikums bei depres- > Bei Stupor und Mutismus oder starker psychomo-
siven Syndromen erwogen werden. torischer Hemmung (katatoniformen Zuständen)
5 Bei Erstmanifestation einer schizophrenen Stö- ist Lorazepam zunächst in einmaliger Dosis von
rung nach Gabe eines AAP für 2–4 Wochen und 2–2,5 mg indiziert (auch als langsame i.v.-Gabe
anhaltender signifikanter Depressivität wird die möglich). Vor dieser Medikation ist differenzialdia-
zusätzliche Gabe eines Antidepressivums (bevor- gnostisch ein malignes neuroleptisches Syndrom
zugt SSRI) empfohlen. (7 Abschn. 7.6) auszuschließen.
5 Auch nach weitgehender Remission der Positiv-
symptomatik und Weiterbestehen oder Neuauf-
treten eines depressiven Syndroms ist nach Opti- 30.2.6 Komorbide psychiatrische
mierung der Antipsychotikatherapie die vorsich- Störungen bei Schizophrenie
tige zusätzliche Gabe von Antidepressiva für ca.
6–8 Wochen indiziert. Komorbide Sucht- und
5 Allerdings soll die zusätzliche Gabe von Antide- Abhängigkeitserkrankungen
pressiva bei schizophrenen Patienten mit depres- Bei einem Großteil der Patienten mit Schizophrenie
siven Symptomen während gleichzeitig bestehen- (insbesondere bei jüngeren Männern) liegt zusätz-
der florider Positivsymptomatik vermieden wer- lich ein Substanzabusus oder eine Abhängigkeitser-
den. krankung vor. Das Risiko für eine solche komorbide
Erkrankung ist bei schizophrenen Patienten etwa 5-
Wichtig fach gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht. Am
häufigsten werden Nikotin und Koffein konsumiert,
Bei ausgeprägter Suizidalität, auch unabhängig bei 20–50% der Patienten besteht zusätzlich Alkohol-
von depressiven Symptomen, ist eine vorüberge- missbrauch oder -abhängigkeit. Weiterhin zeigt sich
hende sedierende Begleitmedikation mit einem eine deutliche Tendenz zu Cannabismissbrauch ab.
Benzodiazepin (Lorazepam oder Diazepam) oft Dabei ist die Induktion einer frühen Manifestation
nötig (7 Kap. 34). einer schizophrener Störungen zu bedenken.
5 Bei Nikotinabhängigkeit (7 Kap. 11) und deren
Behandlung ist der pharmakokinetische Ein-
fluss auf die meisten Antipsychotika (in der Regel
30.2.4 Kognitive Störungen beschleunigter Metabolismus durch Induktion
des CYP-Systems durch Rauchen) zu beachten.
Neurokognitive Defizite (verbales Gedächtnis, Exeku- 5 Bei komorbider Alkoholabhängigkeit muss eine
tivfunktionen, Vigilanz, Wortflüssigkeit, motorische Entgiftungstherapie (7 Kap. 11) erwogen werden;
Fertigkeiten) stellen ein Kernsyndrom schizophrener zur Wirksamkeit bei der Alkoholrückfallprophy-
Störungen dar und sind bei 60–80% der Patienten laxe liegt für Naltrexon in Kombination mit sta-
nachweisbar. Es besteht ein enger Zusammenhang biler Antipsychotikamedikation und psychothe-
zum sozialen Problemlöseverhalten und Alltagsaktivi- rapeutischen Maßnahmen eine kontrollierte Stu-
täten (Green et al. 2000). Es gilt als gesichert, dass die die vor.
248 Kapitel 30 · Schizophrenie

5 Bei komorbider Opiatabhängigkeit (7 Kap. 11) Andere komorbide Syndrome


21 werden zur Schizophreniebehandlung AAP emp- Sehr häufig treten im Verlauf schizophrener Störungen
fohlen. akut behandlungsbedürftige unspezifische psychopa-
5 Bei Vorliegen einer Schizophrenie und einer thologische Symptome auf.
22 Suchterkrankung sind zur Erhöhung von The- 5 Aggressivität und Suizidalität: 7 Kap. 34.
rapiemotivation, Compliance und der länger- 5 Schlafstörungen: AAP mit sedierender Wirkung
23 fristigen Einbindung der Patienten und ihrer
Bezugspersonen integrative Therapieprogramme
sind primär indiziert, aber auch Melperon und
Pipamperon haben eine gute Wirkung (s. auch
von besonderer Bedeutung. Neben einer Antipsy- 7 Abschn. 24.1.2).
24 chotikamedikation ist hier indiziert:
– Motivationsförderung für die Therapie (z. B.
»motivational interviewing«), 30.2.7 Schizoaffektive Störungen
25 – Psychoedukation,
– kognitive Verhaltenstherapie (einzeln oder in Unter schizoaffektiven Störungen treten gleichzei-
26 Gruppen), tig oder abwechselnd Symptome einer Schizophrenie
– Familienintervention, und einer affektiven Störung auf. Nach ICD-10 wird
– sozialpsychiatrische Interventionen. eine schizoaffektive Störung klassifiziert, wenn sowohl
27 eindeutig schizophrene als auch eindeutig affektive
Komorbide Angst- und Zwangstörungen Symptome gleichzeitig oder nur durch wenige Tage
28 Häufig finden sich bei Patienten mit Schizophre-
nie zusätzlich Symptome von Angst- und Zwangs-
getrennt und während der gleichen Krankheitsepiso-
de vorhanden sind. Die Validität der Diagnose wird
störungen, die vor Beginn und nach Abklingen pro- aufgrund neuer genetischer Untersuchungen wissen-
29 duktiv-psychotischer Episoden nachweisbar sein kön- schaftlich immer mehr in Frage gestellt, denn psycho-
nen. Die Abgrenzung einer komorbiden Angst- oder tische, manische und depressive Syndrome kommen
Zwangsstörung von der schizophrenen Kernsympto- sowohl bei der Schizophrenie als auch bei der bipo-
30 matik ist oft nicht möglich. Bei etwa 20–30% der schi- laren affektiven Störung vor.
zophrenen Patienten besteht auch während florider
31 oder residualer psychotischer Episoden eine ausge- Definition
prägte Angst- oder Zwangssysmptomatik.
5 Angst- und Zwangsymptome können, genau wie Es werden nach Überwiegen der Symptome ge-
32 affektive Störungen auch unter Antipsychotika als trennt:
unerwünschte Wirkung auftreten. Die Behand- 5 schizophrene Symptome (schizodominant)
und
33 lung besteht dann in der Regel in der Dosisre-
5 affektive Symptome (affektdominant).
duktion oder im Wechsel auf ein anderes Antip-
sychotikum.
34 5 Ausgeprägte soziale Ängste sind bei schizo- Zur Akutbehandlung der schizoaffektiven Störung:
phrenen Patienten recht häufig. Sie müssen von 5 AAP (z. B. Olanzapin, Risperidon) sind bei
35 einer Negativsymptomatik abgegrenzt werden.
Auch hier sind AAP neben psychotherapeutische
manischer, depressiver oder gemischter Sympto-
matik wirksam.
Maßnahmen erfolgversprechend. Sonst sind die 5 Bei akuter schizomanischer Symptomatik ist die
36 Therapien wie bei den phobischen Störungen zusätzliche Gabe von Lithium indiziert. Bei stark
anzuwenden (7 Abschn. 18.2.1). Allerdings sind erregten Patienten weist die Kombination von
sog. Floddingtherapien bei schizophrenen Pati- Lithium mit Antipsychotika eine bessere Wirk-
37 enten zu vermeiden, da die Gefahr einer Reak- samkeit als eine Monotherapie auf.
tivierung psychotischer Ängste unter starkem 5 Bei schizodepressiver Symptomatik kann die
38 Stress besteht. Kombination eines Antipsychotikums mit einem
5 SSRI haben bei Zwangssymptomen bei schizo- Antidepressivum versucht werden.
phrenen Patienten keine Wirkung; psychothera-
39 peutische Interventionen sind indiziert. Zur Phasenprophylaxe der schizoaffektiven Störung
7 Abschn. 29.2.2. Zur Akutbehandlung der »wahn-
40 haften Depression« 7 Abschn. 30.2.8.
30.2 · Therapie
249 30

30.2.8 Schwere Depression mit 5 Bei induzierten wahnhaften Störungen ist vor
psychotischen Symptomen Gabe eines Antipsychotikums zunächst die
(»wahnhafte Depression«) getrennte adäquate Therapie des Wahn-induzie-
renden Patienten anzustreben. Sistiert der indu-
Weil die psychotische Symptomatik bei dieser Dia- zierte Wahn nach etwa 2 Wochen nicht, sollte ein
gnose dominiert, erfolgt hier die Besprechung. niedrig dosiertes AAP (z. B. Risperidon) erwogen
5 Die erste Option ist bei Beginn der Therapie die werden. Psycho- und soziotherapeutische Maß-
Gabe eines Antidepressivums (SSRI). nahmen sind Schwerpunkt der Behandlung, um
5 Bei ausbleibender Wirkung wird dann gegen den ansonsten nicht seltenen Rückfällen vorzu-
die psychotischen Merkmale zusätzlich ein AAP beugen.
(z. B. Olanzapin, Risperidon) bis zum Sistie- 5 Supportive Psychotherapie ist in den meisten Fäl-
ren der psychotischen Symptomatik zu geben. len auch längerfristig indiziert.
Danach wird das Antipsychotikums über 3–
6 Monate langsam unter Beibehaltung des Anti-
depressivums abgesetzt. 30.2.10 Akute vorübergehende
5 Als zweite Option wird von Beginn an das Anti- psychotische Störungen
depressivum mit einem AAP kombiniert.
5 Eine Monotherapie mit einem Antipsychotikum 5 In der ICD-10 werden parallel zur Schizophrenie
ist nicht indiziert. und den schizoaffektiven Störungen unter F23
5 Bei sehr schweren, wahnhaften oder therapie- die akuten vorübergehenden psychotischen Stö-
refraktären Depressionen scheint die EKB einer rungen kategorisiert.
Pharmakotherapie, insbesondere in Bezug auf 5 Es gibt sowohl zur Epidemiologie als auch zur
einen frühen Wirkungseintritt, überlegen zu sein. Therapie keine empirischen Daten. Die Stö-
rungen zeichnen sich durch eine günstige Pro-
gnose aus, allerdings ist die Rezidivgefahr groß.
30.2.9 Schizotype Störungen, 5 Die akute Störung wird mit Antipsychotika, ggf.
wahnhafte Störungen, zusätzlich mit Benzodiazepinen, behandelt.
induzierte wahnhafte 5 Eine Entscheidung über eine Rezidivprophylaxe
Störungen muss im Einzelfall getroffen werden.

Es gibt eine Gruppe von psychotischen Störungen, die


vorwiegend mit Antipsychotika behandelt werden. 30.2.11 Langzeittherapie,
Bei wahnhaften Störungen, insbesondere im Alter, ungenügende Response und
sind medizinische Faktoren sorgfältig auszuschlie- Therapieresistenz
ßen. In manchen Fällen fällt die Differenzialdiagno-
se schwer, z. B. bei chronischen taktilen Halluzinosen Im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung kommt
(Dermatozoenwahn). es bei etwa 20–30% der Patienten wahrscheinlich auch
5 Akute wahnhafte Exazerbationen (mit Angst und ohne Therapie zu keinem erneuten Rezidiv und weit-
Erregung) sprechen relativ gut auf eine Anti- gehender Erholung (Remission); bei mindestens einem
psychotika-Behandlung an, während langjährig Drittel der Patienten erfolgen jedoch weitere Episo-
bestehende chronische Wahnstörungen häufig den, die sich jeweils durch erneute Prodromalstadien
therapierefraktär sind (z. B. Eifersuchts-, Liebes- ankündigen können und die sich im Anschluss zumin-
oder Querulantenwahn). dest partiell wieder zurückbilden (Teilremission). Ein
5 Sonst sind bei Angst und Erregung auch zusätz- weiteres Drittel der Patienten zeigt einen rasch chro-
liche vorübergehende Gaben von Benzodiazepi- nifizierenden Verlauf mit einem zumindest über Jah-
nen nützlich. re hinweg zunehmenden oder weitgehend stabil wir-
5 Insbesondere bei Liebeswahn (Erotomanie), kenden Restzustand, v. a. mit ausgeprägter Negativ-
hypochondrisch-körperbezogenen Wahninhal- symptomatik, aber auch mit persistierenden Posi-
ten oder Halluzinationen kann aufgrund von kli- tivsymptomen und kognitiven Defiziten. Allerdings
nischen Einzelfallberichten Risperidon in nied- erfüllten sogar 90% aller schizophrenen Patienten nicht
riger Dosierung empfohlen werden. Einzelfäl- die gewünschten Kriterien für Symptomfreiheit, sozi-
le mit Eifersuchtswahn und zwanghafter Kompo- ale Funktionalität und Wohlgefühl, trotz medikamen-
nente wurden erfolgreich mit SSRI behandelt. töser und psychosozialer Maßnahmen (Lambert et al.
250 Kapitel 30 · Schizophrenie

2006). Schließlich erleiden auch bei gesicherter Medi- das allerdings mit einem hohen Nebenwir-
21 kamenteneinnahme 20% der Patienten ein Rezidiv. kungsrisiko verbunden ist. Bei pharmakolo-
gischer Therapieresistenz stellt das Umset-
Definition zen auf Clozapin unter individueller Nut-
22 zen-Risiko-Abwägung die Maßnahme der
Man spricht von medikamentöser Therapieresi- ersten Wahl dar (30–60% Erfolgsquote nach
stenz, wenn zwei unterschiedliche Antipsychoti-
23 ka in ausreichender Dosis für jeweils 4–8 Wochen
etwa 6 Wochen bei primären Non-Respon-
dern). Clozapin scheint zusätzlich therapeu-
nicht angesprochen haben. Zu definieren ist tische Wirkungen bez. Suizidalität, Feindse-
24 auch, bei welchen Subtypen eine ungenügende
Response festzustellen ist.
ligkeit, Aggressivität und Rauchverhalten zu
besitzen.
– Kombination von Antipsychotkia.
25 Es erhalten bis zu 25% der ambulanten und
Mögliche Gründe für Therapieresistenz bis 50% der stationären Patienten mindestens
26 unter Antipsychotika zwei Antipsychotika gleichzeitig.
5 Non-Compliance Bei allen Kombinationsbehandlungen von
5 Antipsychotika sind mögliche Komplikati-
27 5
Unzureichende Dosis oder Therapiedauer
Absorptionsstörung onen und auftretende Nebenwirkungen und
5 Pharmakodynamische Gründe für individu- Wechselwirkungen besonders sorgfältig zu
28 elles Nichtansprechen prüfen und regelmäßig zu überwachen.
Konventionelle Antipsychotika sollten wegen
5 Pharmakokinetische Besonderheiten (z. B.
beschleunigter Metabolismus durch Rau- des erhöhten Risikos für EPS nur in Aus-
29 chen, Wirkungsabschwächung durch hohen nahmefällen oder bei zu hohen Risiken
Kaffeekonsum) unter AAP (z. B. metabolisches Syndrom,
7 Abschn. 7.6) verordnet werden.
30 5 Gleichzeitige Drogeneinnahme oder andere
– Augmentationsstrategien.
psychiatrische Komorbidität
5 Falsche Diagnose Bei unzureichendem Ansprechen der
31 erwähnten Therapie können alternativ zu
Kombinationen von Antipsychotika einige,
aber wissenschaftlich nicht abgesicherte Stra-
32 5 Zur Behandlungsoptimierung gibt es also eine tegien angewendet werden. Dazu gehört die
Vielzahl von Strategien, wie Sicherstellung der Kombination mit Benzodiazepinen, Antide-
33 Compliance, Dosisüberprüfung, Plasmaspiegelü- pressiva und Stimmungsstabilisierern.
berprüfung, Reevaluierung der Diagnose und der
Komorbiditäten. Wichtig
34 5 Immer sollten die psychosozialen Stressoren, die
einen ungünstigen Einfluss auf den Behandlungs- Carbamazepin sollte nicht mit Clozapin kombi-
niert werden (erhöhtes Agranulozytoserisiko).
35 verlauf nehmen können, festgestellt werden. Ent-
sprechende Maßnahmen, einschließlich psycho- Auch bei anderen Kombinationen sind die mög-
therapeutischer Interventionen, sind ggf. einzu- lichen Wechselwirkungen sorgfältig zu beachten.
36 leiten.
5 Bei schlechtem Ansprechen auf die bisherige
Therapie oder gar Therapieresistenz gibt es ver-
37 schiedene Möglichkeiten: Fazit
– Wechsel des Antipsychotikums.
38 Allerdings ist ein Umsetzen unter einer schon Pharmakotherapie bei Schizophrenie – Bewertung
bestehenden partiell wirksamen Antipsycho- 5 AAP sollten Arzneimittel der ersten Wahl bei der Be-
tika-Therapie immer mit dem Risiko einer handlung schizophrener Störungen in der Akutphase
39 Exazerbation verbunden. sein. Konventionelle Antipsychotika haben ein zu
Ein Umsetzen in der Stabilisierungsphase hohes EPS-Risiko.
40 sollte sehr behutsam über Wochen erfolgen. 5 Bei der Langzeittherapie ist der Patient über die mög-
Eine Ausnahmestellung unter den Anti- lichen Nebenwirkungen der Antipsychotika, auch der
psychotika hat immer noch das Clozapin, AAP, sorgfältig aufzuklären.
30.2 · Therapie
251 30

5 Bei Suizidalität und Fremdgefährdung ist eine statio- Definition


näre Einweisung indiziert.
5 Symptomreduktion und Verbesserung der Lebens- Nach dem Vulnerabilitätsstressmodell besteht
qualität sind zwei Therapieziele der Pharmakothera- eine erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit durch
pie. ungünstige Umweltbedingungen, die mit der
5 Die Subtypen bei der Schizophrenie sind zu differen- biologisch-genetischen Prädisposition des Pati-
zieren und ggf. spezifisch zu behandeln. enten interagieren.
5 Bei begleitender depressiver Symptomatik können 5 Ungünstige Umweltbedingungen sind bela-
neben AAP auch Antidepressiva verordnet werden. Es stende Lebensereignisse (»life events«) und
ist dann darauf zu achten, dass sich die psychotische ein überstimulierendes oder feindseliges so-
Symptomatik nicht verschlechtert. ziales Umfeld einschließlich »high expressed
5 Bei katatoniformen Zuständen ist in der Regel Loraze- emotions« (HEE) in der Familie.
pam gut wirksam. 5 HEE in der Familie äußern sich in vermehr-
5 Substanzabusus oder Abhängigkeitserkrankungen ter Kritik oder in übergroßer emotionaler
sind bei schizophrenen Patienten besonders häufig; Anteilnahme. HEE stehen in ungünstigem
neben der Pharmakotherapie sind integrative Thera- Zusammenhang mit Krankheitsverlauf und
pieprogramme anzustreben. Rückfallhäufigkeit.
5 Komorbide Angst- und Zwangsstörungen können mit 5 Eine positive, von gegenseitigem Interesse,
SSRI neben den AAP behandelt werden. Bei akuten Respekt und adäquater Zurückhaltung ge-
Angstsymptomen sind Benzodiazepine hilfreich. prägte Familienatmosphäre und ein entspre-
5 Bei schizomanischer Symptomatik sind neben AAP chender Interaktionsstil führen hingegen
auch Lithiumsalze, bei schizodepressiver Symptoma- zu einer besseren sozialen Anpassung und
tik SSRI indiziert. geringerer Rückfallrate bei durchschnittlich
5 Man spricht von medikamentöser Therapieresi- niedrigeren Antipsychotika-Dosen.
stenz, wenn zwei unterschiedliche Antipsychotika
in ausreichender Dosis für jeweils 4–8 Wochen nicht
angesprochen haben. Den subjektiven Aspekten des Krankheitserlebens
5 Bei Kombinationstherapien müssen die Wechselwir- (Krankheitskonzept, Bewältigung, Lebensqualität)
kungen beachtet werden. sollte im Rahmen psychoedukativer, psycho- und
soziotherapeutischer Maßnahmen frühzeitig Rech-
nung getragen werden. Die subjektive Akzeptanz und
die vorhandenen psychosozialen Ressourcen des Pati-
30.2.12 Psychotherapie und enten sowie das Einbeziehen seiner Lebenswelt haben
psychosoziale Interventionen im Rahmen einer partnerschaftlichen therapeutischen
bei Schizophrenie Allianz in der Langzeittherapie schizophrener Pati-
enten große Bedeutung. Es ist darauf zu achten, dass
Im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans aktive Beteiligung des Patienten, insbesondere in
(7 Abschn. 30.1) gewinnen neben der medikamen- der Frühphase der Erkrankung, auch eine Belastung
tösen Therapie psychoedukative, familientherapeu- sein kann. Vor dem Einsatz eines der möglichen Ver-
tische und kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze fahren ist nach einer Problemanalyse ein individu-
an Bedeutung. Akutphase, Stabilisierungsphase und eller, bedürfnisangepasster Therapieplan zu erstellen
Langzeittherapie werden unterschieden. (Klingberg et al. 2006).
Das Vulnerabilitätsstressmodell ist ein wichtiger
Pfeiler psychosozialer und familientherapeutischer Akutphase
Interventionen bei schizophrenen Patienten. In der Akutphase steht die strukturierende und stüt-
zende Psychotherapie, die supportive Therapie, im
Vordergrund. Aufgrund des Mangels an weiterfüh-
renden psychotherapeutischen Programmen wird
sie in deutschen und internationalen »guidelines« als
Standard empfohlen (DGPPN 2006, NICE 2002, APA
2004).
252 Kapitel 30 · Schizophrenie

Voraussetzung ist die Vermittlung eines verständ- 5 Selbstkontrollansätze zur Rezidivfrüherken-


21 lichen Krankheitsmodells, das auch den Einsatz einer nung (Schlafstörungen, Gereiztheit, depressive
medikamentösen Behandlung im Rahmen der Psy- Verstimmung, Aggressivität, Misstrauen, Angst,
choedukation erklärt. Die Ergebnisse der Metaana- affektive Labilität, reduzierte Belastbarkeit, Be-
22 lysen dazu sind allerdings nicht einheitlich positiv ziehungsideen, sozialer Rückzug)
(NICE 2002; Pekkala u. Merinder 2004). Psychoedu- 5 Interventionsmöglichkeiten bei Rezidivverdacht
23 kation ist vom klinischen Standpunkt besonders dann
unerlässlich, wenn eine langfristige Behandlung mit
organisieren (z. B. Vorstellung beim Psychiater,
Dosissteigerung der Medikation)
Antipsychotika notwendig ist, um die Therapiemoti-
24 vation und Compliance des Patienten zu erhöhen und Das Integrierte Psychologische Therapieprogramm
Rückfälle zu vermeiden. Die Zugänglichkeit des Pati- (Brenner et al. 1994; Briand et al. 2006) soll kogni-
enten für eine solche Aufklärung in der Akutphase tive, soziale und Problemlösungsfertigkeiten (kogni-
25 hängt stark von der Ausprägung der aktuellen Sym- tive Differenzierung, soziale Wahrnehmung, verba-
ptomatik ab. le Kommunikation, soziale Fertigkeiten und interper-
26 Physiotherapie und Ergotherapie fördern das sonelles Problemlösen) verbessern. Eine Metaanaly-
positive Körpererlebens und stärken Kreativität und se über 28 unabhängige Studien ergab, dass das The-
Selbstvertrauen. Patienten können im Rahmen gestuf- rapieprogramm einen signifikant höheren mittleren
27 ter Trainingsprogramme (z. B. kognitives Compu- Therapieeffekt im Vergleich zu Kontrollbedingungen
tertraining) ohne Überforderung an zweckbezogene erzielen konnte (Müller et al. 2007).
28 Tätigkeiten herangeführt werden. Integriert wird die Soziotherapie mit:
5 Belastungserprobung im Alltag,
Stabilisierungsphase 5 Arbeitstraining und
29 In der Stabilisierungsphase wird die Psychoedukation 5 Berufsfindung.
unter Berücksichtigung des Vulnerabilitätsstressmo-
dells fortgesetzt (z. B. Angehörigengruppen, Entspan- In der Langzeittherapie werden die psychotherapeu-
30 nung des Familienklimas, bei konkreten Problemen tischen Strategien zunehmend positiv beurteilt (But-
Entwicklung von Lösungsstrategien). Auf die Thera- ler et al. 2006; Turkington et al. 2006). Die meisten
31 piecompliance ist zu achten (u. a. Umgang mit Neben- Studien gibt es zur KVT. Die Follow-up-Studien wur-
wirkungen, Gewichtsmanagement, Alkohol- und den i.d.R. über ein Jahr geführt. Allerdings wird auf-
Nikotinkonsum, Erkennen von Frühwarnzeichen). grund methodischer Schwierigkeiten die Evidenzdis-
32 kussion auch kontrovers geführt (Schooler et al. 1997;
Langzeittherapie Bailer u. Rist 2001; Stieglitz u. Vauth 2001). Es besteht
33 In der Langzeittherapie gewinnt – zusätzlich zur ein dringender Forschungsbedarf, besonders für psy-
medikamentösen Therapie – die Psychotherapie chotherapeutische Studien zur »effectiveness«, um die
mit dem Schwerpunkt kognitive Verhaltenstherapie Praxisrelevanz zu überprüfen (Puschner et al. 2006).
34 (KVT) zunehmend an Bedeutung. Ein Einsatzschwer-
punkt sind residuale Positivsymptome, soziale Ängste,
Fazit
35 Depressivität und Negativsymptome. KVT als Grup-
pentherapie zeigte gegenüber der üblichen Therapie
allerdings keine signifikanten Vorteile (es besserten Psychotherapie und psychosoziale Interventionen
36 sich nur die negative Selbsteinschätzung und Hoff- bei Schizophrenie – Bewertung
nungslosigkeit; Siddle et al. 2006). 5 Im Gegensatz zu den Angst- und depressiven
Folgende Ziele sollen durch die KVT erreicht wer-
37 den:
Störungen erfolgen die psychotherapeutischen- und
psychosozialen Interventionen allein additiv zur
5 Verbesserung der Medikamentencompliance antipsychotischen Therapie.
38 5 Förderung vorhandener Bewältigungs- und 5 Psychosoziale Interventionen sind ein fester Bestand-
Kompensationsressourcen teil im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans der
5 Verminderung psychosozialer Stressoren Schizophrenie.
39 5 Verbesserung der verbalen Kommunikationsfä- 5 In der Langzeittherapie steht unter den psychothera-
higkeit peutischen Strategien die KVT an prominenter Stelle;
40 5 Verbesserung sozialer Kompetenzen die Ergebnisse sind aber noch nicht eindeutig.
5 Aneignung lebenspraktischer Fertigkeiten
30.3 · Behandlung der Schizophrenie im Kindes- und Jugendalter
253 30

30.3 Behandlung der psychopharmakologische Behandlung der



Schizophrenie im Kindes- Akutsymptomatik,
und Jugendalter – psychopharmakologische Aspekte der Rezi-
divprophylaxe,
Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht stellt sich – psychotherapeutische Maßnahmen,
die Frage, inwieweit man die ICD-10- und DSM-IV- – familienbezogene Maßnahmen,
Kriterien der schizophrenen Störungen auch auf Kin- – spezifische Rehabilitationsmaßnahmen dort,
der anwenden kann. Gerade bei Kindern unter 10 Jah- wo sie indiziert sind.
ren ist dies problematisch, da sie in diesem Alter oft 5 Etwa 40% der Adoleszenten, die an einer Schi-
unter kognitiven und emotionalen Entwicklungsstö- zophrenie erkranken, sollten aufgrund der mög-
rungen leiden. Dies erschwert eine Klassifikation in lichen Chronifizierung ihrer Erkrankung oder
ein System, das für Erwachsene konstruiert wurde. Im aufgrund familiärer Probleme (»high EE«) in
Jugendalter nähert sich die Symptomatik derjeniger einer Rehabilitationseinrichtung weiter gefördert
erwachsener Patienten an. Im Kindes- und Jugendal- werden.
ter kann die Symptomatik situativ stark wechseln. Ins- 5 Dank ihrer besseren extrapyramidalen Verträg-
besondere das Ausmaß affektiver Symptome zeigt eine lichkeit, ihrer überlegenen Wirksamkeit auch auf
hohe intraindividuelle Variabilität. Auch bei sicherer die Negativsymptomatik und der daraus resul-
Diagnosestellung ist eine wiederholte Überprüfung tierenden höheren Lebensqualität der Patienten
im weiteren Verlauf erforderlich; 20% der Schizophre- kommen die AAP der Zielsetzung einer moder-
nien im Jugendalter beginnen mit einer depressiven nen Therapie ziemlich nahe. Es wird empfoh-
Symptomatik (Resch 2005; Remschmidt 2005). len, gerade bei kindlichen und jugendlichen Erst-
manifestationen AAP anzuwenden, obwohl sie
Verlaufstypen zumeist »off-label« verordnet werden müssen.
5 Im Kindes- und Jugendalter können zwei Ver- Trotz der vorhandenen Nebenwirkungen von
laufstypen unterschieden werden: ein schlei- Clozapin empfiehlt es sich, nach zwei erfolglosen
chender, hebephrenie-ähnlicher Verlauf und eine Therapieversuchen mit einem konventionellen
akut einsetzende, schubartig verlaufende, meist Antipsychotikum und/oder AAP, auf Clozapin
paranoid-halluzinatorische Form mit ggf. kata- umzustellen. Auch in der Kinder- und Jugend-
tonen »Zustandsbildern«. Die Störungen verlau- psychiatrie gilt Clozapin als Referenzsubstanz für
fen häufig in Phasen oder Schüben. Bei der »ear- die AAP und es konnte in kontrollierten Studien
ly onset schizophrenia« (EOS) liegt der Beginn gezeigt werden, dass Clozapin gegenüber Halope-
vor dem 18. Lebensjahr, bei der »very early onset ridol und Olanzapin bei therapieresistenten schi-
schizophrenia« (VEOS) vor dem 13. Lebensjahr. zophrenen Störungen im Kindes- und Jugendal-
5 Je früher die Erkrankung allerdings beginnt, ter überlegen ist (Kumra et al., 1996; Shaw et al.,
desto ungünstiger ist die Prognose mit rascher 2006). Clozapin ist ab dem 16. Lebensjahr für die
Progredienz oder schleichendem, unproduktivem Behandlung von Psychosen zugelassen.
Prozess. Erst ab der Pubertät verlaufen schizo- 5 Zugelassene konventionelle Antipsychotika
phrene Psychosen ähnlich wie im Erwachsenen- 7 Abschn. 7.12.
alter, dann auch mit etwas besserer Prognose als
im Kindesalter. Elektrokrampfbehandlung
5 Zusätzlich zur medikamentösen Therapie kommt
Therapie mit Antipsychotika in seltenen Fällen auch die Elektrokrampfbe-
5 In der akuten Krankheitsphase steht im Kin- handlung (EKB) in Betracht. Lebensrettende
des- und Jugendalter, wie im Erwachsenenalter, Wirksamkeit kann die EKB bei der perniziösen
die Psychopharmakotherapie mit Antipsychoti- Katatonie, als extreme Ausprägung der katato-
ka im Vordergrund, bevor dann mit Zurücktre- nen Schizophrenie, haben. Es sei hier erwähnt,
ten der akut-psychotischen Symptomatik psycho- dass die Hauptindikation für EKB im Jugend-
und soziotherapeutische Maßnahmen an Bedeu- alter depressive bzw. bipolare Störungen mit
tung gewinnen. Ansprechraten bis zu 100% sind (7 Kap. 15). Bei
Folgende Behandlungsmaßnahmen sollten im Jugendlichen mit schizophrenen Störungen liegt
Kindes- und Jugendalter zum Einsatz kommen die Ansprechrate bei 42% (Rey u. Walter 1997).
(Remschmidt 2005): EKB ist nicht Therapie der ersten oder zweiten
Wahl bei schizophrenen Störungen und soll nur
254 Kapitel 30 · Schizophrenie

bei therapieresistenten Patienten in Erwägung 30.4 Checkliste


21 gezogen werden (Remschmidt et al. 2001).
?
Pharmakotherapie und Psychotherapie
22 5 Die anfänglich im Vordergrund stehende Phar- 1. Welcher Stellenwert kommt der Behandlung
makotherapie sollte immer mit einem psycho- mit Antipsychotika bei der Schizophrenie zu?

23 und soziotherapeutischen Gesamtkonzept ver-


bunden werden.
2. Was versteht man unter Negativsymptoma-
tik, welche medikamentösen Behandlungs-
5 Voraussetzung für eine psychotherapeutische möglichkeiten kennen Sie?
24 Behandlung sollte eine tragfähige Arzt-Patienten- 3. Unter welchen Bedingungen ist bei der
Beziehung mit Einbeziehung der Angehörigen Schizophrenie die Kombination einer
sein. Im Mittelpunkt stehen die Erarbeitung von antipsychotischen Behandlung mit einem
25 Belastungen und Ressourcen des Patienten. Mit Antidepressivum sinnvoll?
Hilfe von Psychoedukation lassen sich die Rück- 4. Welche Medikation wird bei Mutismus und
26 fall- und Rehospitalisierungsraten senken. Wei- Katatonie im Rahmen von schizophrenen
terhin stehen die Identifizierung individueller Störungen eingesetzt?
Risikofaktoren und die Erarbeitung eines Planes, 5. Welche Psychopharmaka werden zur
27 falls Krisen auftreten, im Mittelpunkt. Behandlung schizoaffektiver Störungen
5 Die psychotherapeutischen Angebote sind vor- eingesetzt?
28 nehmlich verhaltensorientiert. Wichtig ist das
(Wieder-) Erlernen sozialer Kompetenzen.
6. Mit welchen Psychopharmaka wird eine
schwere Depression mit psychotischen
Dadurch kann eine Verkürzung der stationären Symptomen behandelt?
29 Aufenthaltsdauer, Verminderung der Rückfall- 7. Wann spricht man bei der Behandlung
rate und eine Verbesserung bei der Übertragung der Schizophrenie von medikamentöser
von sozialen Fertigkeiten auf Alltagssituationen Therapieresistenz? Welche therapeutische
30 erreicht werden. Auch Problemlösetrainings sind Optionen gibt es?
essenzieller Bestandteil der Therapie. Die Thera- 8. Warum haben schizophrene Störungen mit
31 pie stützt sich auf die Zerlegung von Problemen Beginn im Kindes- und Jugendalter eine
in Teilprobleme, Erarbeiten von Lösungen, Sich- schlechtere Prognose und wie sollten sie
ten von Vorgehensweisen, deren Bewertung und behandelt werden?
32 Umsetzung.
5 Es gibt Mehrkomponentenrehabilitationstrai-
33 nings, die soziale Kompetenz- und Problemlö-
setrainings miteinander verbinden. Dazu gehört
das Integrierte Psychologische Trainingspro-
34 gramm (7 Abschn. 30.2.11), welches für schizo-
phrene Jugendliche modifiziert wurde (Kienzle
35 und Martinus, 1992).

Wichtig
36 5 In der akuten Krankheitsphase steht auch im
Kindes- und Jugendalter die Psychopharma-
37 kotherapie im Vordergrund, bevor dann mit
Zurücktreten der akut-psychotischen Sym-
38 ptomatik psycho- und soziotherapeutische
Maßnahmen an Bedeutung gewinnen.

39
40
31.1 ·
255 31

Demenz

31.1 Gesamtbehandlungsplan – 258

31.2 Medikamentöse Therapie – 258

31.3 Nichtmedikamentöse Maßnahmen – 259

31.4 Checkliste – 260


256 Kapitel 31 · Demenz

Die Demenz (Syn.: demenzielles Syndrom) tritt bei Wichtig


21 verschiedenen organischen Grunderkrankungen auf.
Die wichtigsten Merkmale sind Gedächtnisstörungen Diagnostisch muss immer so früh wie möglich
und kognitive Einbußen mit Verlust der Konzentra- abgeklärt werden, ob dem beginnenden demen-
22 tion, gestörter Informationsverarbeitung und vermin- ziellen Syndrom ein Krankheit zugrunde liegt, die
dertem Urteilsvermögen. Die Demenz tritt am häu- ursächlich behandelt werden kann (z. B. HIV-In-
23 figsten bei der Alzheimer-Krankheit (Syn.: Alzheimer-
Demenz/AD) und bei Gefäßerkrankungen (vaskuläre
fektion, s. unten).

Demenz/VD) auf. Darüber hinaus gibt es eine Viel-


24 zahl von weiteren hirnorganischen Erkrankungen, die Leichte kognitive Störung (MCI)
zu einer Demenz führen, s. unten. Als MCI wird das Vorliegen eines kognitiven Defi-
Die Demenzen werden entsprechend ihrer Ätio- zits (mehr als 1,5 Standardabweichungen unter-
25 logie in verschieden Diagnosegruppen unterteilt. Sie halb der Altersnorm) bezeichnet, das sowohl subjek-
erfordern jeweils einen spezifischen Therapieplan und tiv als auch objektiv zu belegen ist und das nicht zu
26 werden in diesem Kapitel systematisch besprochen. einer Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten führt.
Die leichte kognitive Störung bietet eine Möglichkeit
Wichtig der Sekundärprävention der Demenzen (Maßnahmen
27 7 Abschn. 31.1). MCI-Patienten leiden oft zusätzlich
Allerdings ist im praktischen Umgang mit Pati- an einer depressiven Störung.
enten mit Demenz die Differenzialdiagnose oft
28 sehr schwierig, oft gar nicht möglich. Die Demenz
Als mögliche Prädiktoren eines späteren Übergangs
in eine AD werden u. a. neuropsychologische Unter-
ist in der Regel ein multimorbides Geschehen. suchungen, APOE-Genotypisierung, Liquormar-
29 ker (Aβ42, Gesamt-Tau, hyperphosphoryliertes Tau),
Die ersten klinischen Zeichen einer Demenz sind MRT (hippocampale/entorhinale Atrophie), SPECT
meist unspezifisch. Man spricht dann von leichter und PET eingesetzt und hinsichtlich ihrer Vorhersa-
30 kognitiver Störung (»mild cognitive impairment«, gekraft untersucht.
MCI, s. unten).
31 Allerdings entwickelt wahrscheinlich ein gro- Demenz bei Alzheimer-Krankheit (AD)
ßer Teil dieser Patienten im weiteren Verlauf eine Die AD ist eine primär degenerative zerebrale Erkran-
zu Beginn noch nicht diagnostizierbare Alzheimer- kung mit progressivem Verlust von Nervenzellen.
32 Krankheit. Mehr als 70% der Patienten, die innerhalb Die Folgen sind ein Abbau der intellektuellen Lei-
von 2–3 Jahren eine Demenz entwickelten, hatten stungsfähigkeit, Einschränkung der Bewältigung des
33 vorher ein MCI. Aufgrund der Alterspyramide neh- Alltagslebens und Verhaltensauffälligkeiten. Die Ätio-
men Demenzerkrankungen deutlich zu, mit einer zu logie ist erst in Ansätzen bekannt; es finden sich cha-
erwartenden Verdoppelung der Prävalenz bis 2050. rakteristische neuropathologische und neuroche-
34 mische Merkmale. Die AD beginnt meist schleichend,
Diagnostisches Vorgehen in der Regel nach dem 60. Lebensjahr; nach erster
35 Die Diagnostik stützt sich v. a. auf die genaue Anam-
nese, die Fremdanamnese und den neurologischen,
Diagnosestellung führt sie im Durchschnitt nach 3,1–
6,6 Jahren zum Tode.
psychiatrischen und neuropsychologischen Befund. Die Frühsymptome einer AD werden von der
36 Unterstützend sind standardisierte Testserien und die Umgebung des Patienten häufig erst später wahrge-
zerebrale Bildgebung. Es muss zunächst entschieden nommen, der Patient kann sie überspielen. Zunächst
werden, ob in der klinischen Routineuntersuchung fallen Störungen der Merkfähigkeit und Konzentrati-
37 nur eine Eingangsdiagnostik mit grober Abschät- on, später Gedächtnis- und Orientierungsstörungen
zung der Defizite (zumeist durch den Allgemeinarzt) auf. Schließlich kommt verminderte Urteilskraft hin-
38 erfolgen soll oder ob das Ziel in einer Absicherung zu.
der Diagnose der Demenz liegt, die dann spezialisier- Nicht nur kognitive Einbußen, sondern auch die
ten Zentren vorbehalten bleibt. Die Diagnosegruppen demenzassoziierten Verhaltensstörungen (»beha-
39 sind aufgrund der bestehenden Multimorbidität kli- vioral and psychological symptoms in dementia«,
nisch nur schwer, oftmals auch gar nicht, voneinan- BPSD) mit depressiven Störungen, Apathie, aggres-
40 der zu trennen. sivem Verhalten und Persönlichkeitsveränderungen
(7 Abschn. 31.2) prägen im weiteren Verlauf das
Krankheitsbild und führen schließlich zu einem Ver-
Demenz
257 31

lust der Selbstständigkeit. Die AD-Diagnose ist erst sich bei der VD häufiger als bei der AD Aufmerksam-
durch eine autoptische neuropathologische Untersu- keitsstörungen, Verlangsamung der Denkabläufe und
chung zu sichern. der Psychomotorik, depressive Symptome (hier bis
zu 40%, bei AD 15–25%) mit Antriebslosigkeit, aber
Neurobiologie der AD. Typische, aber nicht patho- auch Harninkontinenz, Gangstörungen und andere
gnomonische neuropathologische Befunde sind: intra- neurologische Zeichen.
zelluläre neurofibrilläre Bündel aus hyperphosphory- Die VD stellt die zweithäufigste Ursache einer
liertem Tau-Protein, extrazelluläre Amyloidplaques demenziellen Entwicklung dar. Bei der gemischten
aus Amyloid-β (Aβ) (insbesondere Aβ42, das durch Demenz (VD plus AD) kommt es bei AD-Patienten zu
proteolytische Spaltung des Amyloid-Precursor-Pro- intrakraniellen Blutungen und ischämischen Infark-
teins (APP) durch die β- und γ-Sekretase entsteht), ten (sehr häufig).
Neuronenverlust mit reaktiver Gliose, verminderte Zusätzlich finden sich zahlreiche verschiedene
Aktivität der Acetylcholintransferase, aber auch Alte- Formen von VD, je nach der zugrunde liegenden
rationen anderer Neurotransmittersysteme wie Soma- Genese:
tostatin und Glutamat. Neuere Untersuchungen wei- 5 Post-Stroke-Demenz (nach Einzelinfarkt mit aku-
sen auf Veränderungen des Glukosestoffwechsels und tem Beginn, ca. 17%),
immunologische Störungen hin. 5 Multiinfarktdemenz (vorwiegend kortikale
Demenz, ca. 40%) und
Definition 5 subkortikale vaskuläre Enzephalopathie (mit arte-
rieller Hypertonie assoziiert, ischämische Läsi-
In der Amyloidhypothese der AD wird postuliert, onen überwiegend im Marklager, ca. 40%).
dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
der Anhäufung toxischer Amyloid-β-Peptide (Aβ) Spezielle Demenzformen
im Gehirn, der Bildung von Neurofibrillenbündeln Es gibt neben der AD, der VD und den gemischten
und dem Untergang von Nervenzellkontakten Formen noch eine große Zahl weiterer, entsprechend
und Nervenzellen besteht. Es ist ein wichtiges ihrer Ätiologie definierter Diagnosegruppen.
Ziel der Therapie und Prävention der AD solche Unter diesen ist die Demenz mit Lewy-Körperchen
Anti-Amyloidpharmaka zu finden, die sowohl die (»Lewy bodies«) am häufigsten. Sie zeichnet sich durch
Bildung von Amyloidprotein verhindern als auch charakteristische Lewy-Körperchen in cholinergen
schon gebildete Aggregate abbauen können. Neuronen aus. Typisch sind hochgradige antipsychoti-
kainduzierte (EPS, aber auch sedierende oder anticho-
Es findet sich ein erhöhtes Risiko für die Entwick- linerge) Nebenwirkungen für diese Demenzform.
lung einer AD bei Angehörigen 1. Grades mit AD, Bei Parkinson-Patienten tritt im Verlauf der
bei familiärer Belastung mit Down-Syndrom (Triso- Erkrankung bei 40% der Patienten eine Demenz auf.
mie), bei Vorliegen eines APOE-e4-Allels (besondere Es ist die Demenz bei Parkinson-Syndrom. Als Risiko-
Bedeutung der Chromosomen 21, 14, 1 und 19) und faktoren für das Auftreten dieser Demenz gelten ein
bei Vorliegen kardiovaskulärer Risikofaktoren. akinetisch-rigider Verlaufstyp und höheres Lebensal-
Zur cholinergen Hypothese und der Hypothese ter (meist ≥65 Jahre).
der Fehlfunktion der glutamatergen Neurotransmissi- Demenzen können auch bei Stoffwechseler-
on bei der AD: 7 Abschn. 10.2. krankungen oder auch bei akuten Stoffwechselent-
gleisungen auftreten, z. B. bei Addison-Krankheit,
Vaskuläre Demenz (VD) und gemischte Cushing-Syndrom, bei Nieren- und Leberversagen,
Demenz Hypo- und Hypernatriämie, Hyper- und Hypopara-
Die VD entwickelt sich meist mehr oder weniger thyriodismus oder Hypo- und Hyperthyriodismus.
schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen als Fol- Auch Autoimmunerkrankungen, wie multiple
ge von zerebrovaskulärer Thrombose, Embolie oder Sklerose oder Lupus erythematosus, können die Ursa-
Blutung. che einer Demenz sein.
Somit ist an eine VD insbesondere bei plötz- Weitere Gründe für die Entwicklung einer
lichem Beginn, schrittweisen oder abrupten Ver- Demenz können sein: Intoxikationen oder der Abusus
schlechterungen im Verlauf, Krampfanfällen in der von Alkohol oder anderen Drogen, Intoxikationen
Anamnese und Vorliegen fokal-neurologischer Aus- mit Schwermetallen; infektiöse Krankheiten (Herpes-
fälle zu denken. In seltenen Fällen kann ein einziger virusinfektionen, HIV, Neurosyphilis, Neuroborrelio-
ausgedehnter Infarkt Ursache sein. Zu Beginn zeigen se); Kopfverletzungen oder Epilepsie.
258 Kapitel 31 · Demenz

31.1 Gesamtbehandlungsplan 31.2 Medikamentöse Therapie


21 Demenz bei Alzheimer-Krankheit (AD)
Die Behandlung der organischen Ursachen, die Aus-
schöpfung der Therapieeffekte mit Antidementiva 5 Das Ziel einer medikamentösen Therapie im
22 und die nichtmedikamentösen Maßnahmen müssen Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans liegt
eng ineinander greifen. Oft ist die Therapie der BPSD in einer Verminderung des Fortschreitens der
mit Antipsychotika (7 Abschn. 31.2) zusätzlich nötig.
23 Ein stetiger Informationsaustausch zwischen den ver-
Erkrankung, einer Verminderung der BPSD und
dem Erhalt der Lebensqualität. Eine frühzeitige
schiedenen Therapeuten ist anzustreben. Nur so kann Behandlung sollte angestrebt werden.
24 man bei der immer zugrunde liegenden Multimor- 5 Die AChE-I Donepezil, Galantamin und Riva-
bidität dem Wunsch nach einer optimalen Fürsorge stigmin sowie der NMDA-Antagonist Meman-
gerecht werden. tin sind gut evaluiert (7 Abschn. 10.6). Kombina-
25 Im Verlauf verschlimmern immer wieder Komor- tionen von AChE-I und Memantin können vor-
biditäten, z. B. depressive Episoden, das Krankheits- teilhaft sein.
26 bild.
Vaskuläre Demenz (VD) und gemischte
Vorübergehend notwendige internistische
Begleitmedikation oder eine Narkose bei kleinen chi- Demenz
27 rurgischen Eingriffen kann zu Veränderungen des 5 Im Vordergrund stehen Interventionen zur Pro-
Stoffwechsels und somit zu einer akuten Symptom- phylaxe vaskulärer Risikofaktoren.
28 verschlechterung führen. Das ist auch bei einschnei- 5 Eine Behandlung der vaskulären Grundkrankheit
denden Lebensereignissen, wie Verlust der Wohnung ist für den Verlauf der VD wichtig.
oder des Partners, möglich. 5 AChE-I und Memantin können »off label« emp-
29 fohlen werden, sind aber noch nicht ausreichend
Prävention evidenzgesichert; dies gilt auch für die gemischte
Es gibt mehrere Ansätze zum Versuch einer Primär- Demenz.
30 prävention der Demenz.
5 Als mögliche protektive Faktoren hinsichtlich des Spezielle Demenzformen
31 Auftretens einer demenziellen Erkrankung gel- 5 Bei der Demenz mit Lewy-Körperchen sind
ten regelmäßige körperliche Aktivität, kogni- AChE- I erfolgsversprechend. Bei einer notwen-
tiv stimulierende Freizeitaktivitäten (z. B. Lesen, digen Antipsychotikaverordnung kann Quetiapin
32 Schreiben, Lösen von Kreuzworträtseln, Musizie- oder Clozapin gegeben werden.
ren, Gesellschaftsspiele), soziale Aktivitäten und 5 Auch für die Demenz bei Parkinson-Syndrom lie-
33 das Vermeiden kardiovaskulärer Risikofaktoren, gen mit AChE-I positive Ergebnisse vor. Bei psy-
z. B. kalorische Restriktion. chotischen Symptomen ist Quetiapin das Mittel
5 Weiterhin wurde eine Risikoreduktion durch der Wahl.
34 regelmäßigen Verzehr von Fisch, Omega-3-Fett- 5 Für die anderen Demenzformen gibt es keine
säuren, mediterrane Diät und moderaten Alko- positiven Studien.
35 holkonsum beschrieben. Die mögliche Wirkung
von Folsäure wird kontrovers diskutiert. Demenzassoziierte Verhaltensstörung
5 Für einen Einsatz von Östrogenen bei postme- (BPSD)
36 nopausalen Frauen fand sich kein Beleg; eher 5 Die Pharmakotherapie der demenzassoziierten
gab es Hinweise, dass bei älteren Frauen Östro- Verhaltensstörungen (BPSD) mit psychomoto-
gene und die Östrogen-Gestagen-Kombination rischer Unruhe, Aggressivität, nächtlicher Des-
37 negative Effekte auf kognitive Funktionen sowie orientierung, desorganisiertem Verhalten oder
ein höheres Risiko für MCI und Demenz haben. paranoidem Erleben kann sich sehr schwierig
38 Auch vor der Gabe von α-Tocopherol (Vitamin E) gestalten.
ist abzuraten. Statine (Lipidsenker) reduzieren 5 Zunächst sollten medizinische, situative und
wahrscheinlich nicht die Inzidenz von Demenz. umgebungsbedingte Auslöser überprüft und ggf.
39 5 Schließlich ist nach derzeitigem Wissensstand modifiziert werden und Stressoren, wenn mög-
eine medikamentöse Behandlung der MCI mit Ace- lich, reduziert werden. Alle nichtmedikamen-
40 tylcholinesterasehemmern (AChE-I) oder ande- tösen Maßnahmen mit Zuwendung, Orientie-
ren Substanzen (Statine, Östrogene, Antiphlogi- rungshilfen oder Tagesstrukturierung sind anzu-
stika, Antioxidanzien) nicht angezeigt. wenden.
31.3 · Nichtmedikamentöse Maßnahmen
259 31

5 Vor einer symptomspezifischen medikamentösen Wichtig


Behandlung von BPSD sollte ein Behandlungsver-
such mit AChE-I oder Memantin stehen. Auf diese Ältere Menschen haben eine erhöhte Suszeptibi-
Weise kann bei leicht ausgeprägten BPSD bereits lität für Sedierung, Parkinsonoid, anticholinerge
teilweise eine ausreichende Besserung, bei ausge- Wirkungen und Orthostase. Oft ist die renale
prägten BPSD eine Einsparung von Antidepressi- Clearance vermindert und der hepatische Meta-
va oder Antipsychotika erreicht werden. bolismus verzögert.
5 AChE-I und Memantin können demenzassoziierte
Verhaltensstörungen günstig beeinflussen, wenn-
gleich das Ausmaß der Verbesserungen insgesamt
gering ist. 31.3 Nichtmedikamentöse
5 Die atypischen Antipsychotika (AAP) Risperidon Maßnahmen
und Olanzapin zeigen nach bisheriger Studienla-
ge den besten Wirksamkeitsbeleg bei BPSD. 5 Die Information, Motivation und Psychoedukati-
5 Risperidon hat als einziges AAP eine formale on des Patienten und der Angehörigen bzw. des
Zulassung in dieser Indikation. Betreuers ist die Basis der Behandlung und sollte
sich auch auf die Einnahme von Antidementiva
Wichtig beziehen. Es sollte besonders betont werden, dass
ein vorübergehender Stillstand des Leistungsab-
Bei älteren Patienten mit Demenz besteht für alle baus bereits ein Erfolg ist. Auch soziale, finanzi-
Antipsychotika ein erhöhtes Risiko für zerebrovas- elle und rechtliche Aspekte sowie Strategien zum
kuläre Ereignisse. Selbstmanagement und zur Problemlösung von
Konfliktsituationen im Umgang mit dem Kran-
5 Die Wirksamkeit von Melatonin (0,3–5 mg zur ken sollten im Rahmen der Angehörigenarbeit
Nacht) bei Patienten mit Schlafstörungen im besprochen werden.
Alter und mit Demenz wird kontrovers diskutiert; 5 Die Informiertheit aller Beteiligten über den dia-
zur Verordnung von Benzodiazepinhypnotika gnostischen und therapeutischen Stand ist die
7 Abschn. 9.10. Basis für die Therapiearbeit (Lautenschlager et al.
5 Die Empfehlungen zum Einsatz von Antide- 2008):
pressiva in der Behandlung depressiver Syn- Für den Bereich der Demenzen und anderer neu-
drome bei Demenz entsprechen den Empfeh- rodegenerativer Störungen sind dabei besonders
lungen zur Behandlung der Depression im Alter zu erwähnen:
(7 Abschn. 5.10). – die Informationen der Deutschen Gesell-
5 In 7 Abschn. 15.7.8 wird besonders auf die Not- schaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
wendigkeit der Gabe von Antidpressiva bei kör- Nervenheilkunde (http://www.dgppn.de),
perlichen Krankheiten, die mit einer Depres- – der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
sion assoziiert sind, eingegangen. Zu nennen (http://www.dgn.org/48.0.html),
ist hier besonders die Depression nach Schlag- – der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft-
anfall (»post stroke depression«), die Vorläu- lichen Medizinischen Fachgesellschaften
fer einer Demenz sein kann. Auch die Depressi- (AWMF) (http://www .uni-duesseldorf.de/
on, die allgemein mit kognitiven Dysfunktionen awmf/ oder http://leitlinien.net/),
auftritt und bei geriatrischen Patienten als Pseu- – der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie
dodemenz bezeichnet wird, kann das erste Zei- und Geriatrie (http://www.dggg-online.de),
chen einer beginnenden Demenz sein. Bei die- – des Deutschen Zentrums für Alternsfor-
sen Depressionen auf organischer Grundlage sind schung (www.dzfa.de) sowie
SSRI indiziert. Wenn SSRI langfristig verordnet – des deutschen Zentrums für Altersfragen
werden, sind die Risikovorbeugungen zu beden- (http://www.dza.uni-heidelberg.de).
ken (7 Abschn. 5.6). 5 Weiterhin ist für eine psychosoziale Entlastung
der Angehörigen zu sorgen, bei denen sich sonst
in über 80% der Fälle depressive Störungen ent-
wickeln können.
5 Psychotherapeutische und persönlichkeitsstüt-
zende Verfahren und verhaltenstherapeutische
260 Kapitel 31 · Demenz

Interventionen können bei leichten bis mittel- 31.4 Checkliste


21 schweren Demenzen eingesetzt werden. Ein kom-
pensatorisches Vorgehen mit dem Ziel, dass der ?
Patient trotz Einbußen im Alltag zurechtkommt,
22 ist anzustreben. 1. Welche Antidementiva sind bei der Behand-
5 Spezielle und verbliebene Fähigkeiten sollten lung der Alzheimer-Demenz evaluiert?

23 gefördert werden. Einfache interne Strategien


(»Memotechniken«) wie Gesichter-Namen-
2. Wie werden vaskuläre Demenz und
gemischte Demenzen pharmakologisch
Assoziationslernen und einfache externe Strate- behandelt?
24 gien (Listen, Kalender, aktive Hinweisreize wie 3. Welche Medikamente werden bei demenzas-
Wecker) zur vereinfachten Umfeldstrukturierung soziierten Verhaltensstörungen eingesetzt?
können hilfreich sein. Informationen zu Per- 4. Was ist bei der Behandlung von Patienten
25 sonen, Zeit und Ort werden in der »Realitätsori- mit einem demenziellen Syndrom zu beach-
entierungstherapie« (ROT) gelernt. ten?
26 5 In der »Milieutherapie« wird versucht, durch
Anpassung des Wohn- und Lebensbereiches
(Schaffung einer überschaubaren, aber anre-
27 genden Umgebung, konstant strukturierter Tages-
ablauf etc.) das Wohlbefinden und die verblie-
28 benen Alltagskompetenzen des Patienten zu för-
dern.
5 Bei schwereren Demenzen scheint die »Erinne-
29 rungstherapie«, die auch emotional entlastend ist
und bei der auf alte Gedächtnisinhalte zurückge-
griffen wird, sinnvoll zu sein.
30 5 Weitere Maßnahmen können die »Validations-
therapie«, die »Selbsterhaltungstherapie« (SET),
31 Ergo-, Musik-, Kunst- und Bewegungstherapie
sowie die multimodale sensorische Stimulation
umfassen.
32 5 Auch bei der BPSD sind nichtmedikamentöse
Maßnahmen mit Zuwendung, Orientierungshil-
33 fen oder Tagesstrukturierung ein erster wichtiger
Therapieschritt.
5 Physiotherapie und sportlichen Aktivität unter-
34 stützen alle Therapiemaßnahmen.
5 Defizite im sensorischen Bereich müssen soweit
35 5
wie möglich behoben werden.
Hilfen im Umgang mit Miktionsstörungen (ins-
besondere Inkontinenz) können auch zur Bes-
36 serung psychiatrischer Begleitstörungen beitra-
gen; Mobilität und Selbstwertempfinden werden
gestärkt.
37 5 Bei bereits eingetretener sozialer Isolierung
sollten die von den Krankenkassen finanzierten
38 ambulanten Soziotherapien genutzt werden.
5 Die Pflege und Medikationseinnahme kann
durch Sozialstationen oder Hausbesuche im Rah-
39 men von Programmen der Institutsambulanzen
psychiatrischer Kliniken verbessert werden. Auch
40 Tageskliniken können die therapeutischen Opti-
onen erweitern.
32.1 ·
261 32

Bewegungsstörungen in der Psychiatrie

32.1 Therapie – 262

32.2 Behandlung von Bewegungsstörungen im Kindes- und


Jugendalter – 263

32.3 Checkliste – 263


262 Kapitel 32 · Bewegungsstörungen in der Psychiatrie

Bewegungsstörungen sind ein Grenzgebiet der Psy- Parasomnien


21 chiatrie. Sie können sowohl dem psychiatrischen als Die folgenden Syndrome sind sowohl mit Bewegungs-
auch dem neurologischen Fachgebiet zugeschrieben störungen als auch mit Störungen des Schlafes asso-
werden. Da Parasomnien zusammen mit Bewegungs- ziiert.
22 störungen oft gemeinsam auftreten, werden sie in die- In Alpträumen werden lebensbedrohliche Ängste
sem Kapitel mit beschrieben. erlebt. Sie treten im REM-Schlaf in den frühen Mor-
23 Restless-legs-Syndrom (RLS) und periodic
genstunden auf. Beim Erwachen ist der Betroffene
orientiert. Dagegen ist Pavor nocturnus an den Tief-
limb movements in sleep (PLMS) schlaf gebunden und geht mit einer vegetativen Erre-
24 Beim RLS kommt es zum Bewegungsdrang der Beine gung und vorübergehenden Desorientierung ein-
(oft mit sensiblen Störungen) und motorischer Unru- her. Pavor nocturnus findet sich zumeist bei Kindern
he. Die Symptome treten ausschließlich in Ruhe auf. und Jugendlichen. Schlafwandeln (Somnambulismus)
25 Es kommt zu einer vorübergehenden Erleichterung tritt im Tiefschlaf auf. Der Betroffene gestikuliert mit
bei Aktivität. Die Symptome sind abends und in der geöffneten Augen im Bett, geht im Zimmer auf und
26 Nacht deutlich ausgeprägter als zu anderen Tages- ab, reagiert kaum auf Ansprache und ist vorüberge-
zeiten. Die Nachtruhe wird gestört. PLMS ist durch hend desorientiert. Zum Ablauf besteht eine Amne-
kurze stereotype Bewegungen bzw. Muskelkontrak- sie. Auch Zähneknirschen (Bruxismus) wird den Para-
27 tionen im Bein mit einem Rhythmus von 20–60 s somnien zugezählt.
gekennzeichnet. Polysomnographie, Bewegungsauf- Enuresis nocturna 7 Abschn. 33.3.
28 zeichnung und Immobilisationstests sichern die Dia-
gnose.
RLS und PLMS treten besonders ab dem 32.1 Therapie
29 50. Lebensjahr und oft auch kombiniert auf. Sympto-
matische Formen des RLS kommen u. a. bei Nierenin- Die Therapie dieser Störungen wird i.d.R. ein Spezia-
suffizienz, rheumatischer Polyarthritis und Eisenman- list mit Schlaflabor übernehmen. Die wichtigen The-
30 gelanämie vor. rapieoptionen werden genannt. Für die Parasomnien
gibt es keine etablierten medikamentösen Therapien.
31 Ticstörungen
Tics sind plötzliche, unwillkürliche Bewegungen Restless-legs-Syndrom (RLS) und Periodic
und/oder Lautäußerungen. Es sind dabei funktio- limb movements in sleep (PLMS)
32 nell zusammenhängende Skelettgruppen gleichzei- L-DOPA und Dopaminagonisten sind die Mittel der
tig oder nacheinander einbezogen. Sie sind typischer- Wahl (7 Abschn. 14.2).
33 weise schnell, abrupt einschießend und weniger als
Ticstörungen
eine Sekunde andauernd, wobei sie sich oft in kurzen
Serien stereotyp wiederholen. Tics sind nicht zweck- Es stehen Psychoedukation und eine symptomzen-
34 gebunden und werden subjektiv als sinnlos erlebt. trierte Verhaltenstherapie (einschließlich Entspan-
Sie variieren über die Zeit in ihrer Erscheinungsform nungsverfahren) im Vordergrund. Bei starken Aus-
35 (Komplexität, Art, Intensität, Häufigkeit) und lassen
sich nach ihrer Qualität (motorisch/vokal) und ihrem
prägungen empfiehlt sich eine medikamentöse The-
rapie mit dem Dopamin2-Antagonisten Tiaprid oder
Komplexitätsgrad (einfach, komplex) unterschieden. dem Antipsychotikum Risperidon.
36 Die Spontanremissionsrate für die einfachen/mul- Alternativ können Clonidin, Benzodiazepine,
tiplen Tics liegt zwischen 50–70%. Von chronischen Baclofen, Antidepresssiva, Cannabinoide und ggf.
Tics wird gesprochen, wenn die Tics länger als ein Jahr Dopaminagonisten angewendet werden.
37 andauern. Treten sowohl motorische als auch und Bei der Komorbidiät mit ADHS sollte bei leich-
vokale Tics länger als ein Jahr auf, wird vom Gilles-de- terer Ausprägung zunächst mit einem Antipsychoti-
38 la-Tourette-Syndrom gesprochen. Die Spontanremissi- kum behandelt werden, bei stärkerer Ausprägung ist
on liegt hier zwischen 3 und 40%. teilweise eine Kombination aus Antipsychotikum und
Pathogenetisch wird davon ausgegangen, dass die Methylphendiat sinnvoll. Bei komorbiden Zwangsstö-
39 Basalganglien und die mit ihnen verbundenen tha- rungen kommt eine Kombination aus Antipsychoti-
lamischen und kortikalen Strukturen betroffen sind kum und Antidepressivum in Betracht (Rothenber-
40 und eine erhöhte dopaminerge Aktivität im Striatum ger et al. 2005).
besteht (Rothenberger et al. 2005).
32.3 · Checkliste
263 32

32.3 Checkliste
Fazit
?
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Bewe-
gungsstörungen 1. Welche Medikamente zur Behandlung des
5 Restless-legs-Syndrom und »periodic limb move- Restless-legs-Syndroms kennen Sie?
ments in sleep« werden i.d.R. durch den Neurologen
mit L-DOPA und Dopaminagonisten behandelt.
5 Die medikamentöse Therapie wird durch spezifische
Verhaltensmaßregeln ergänzt, dies gilt besonders für
die Ticstörungen.

32.2 Behandlung von


Bewegungsstörungen im
Kindes- und Jugendalter
Parasomnien treten zumeist im Kleinkindalter auf.
Die Behandlung der Parasomnien beinhaltet Psycho-
edukation der Eltern und Entspannungsverfahren mit
den Kindern. Eine medikamentöse Empfehlung zur
Behandlung von REM-Parasomnien (Alpträume) im
Kindes- und Jugendalter gibt es nicht. Zur pharma-
kologischen Behandlung der Non-REM-Parasomnien
(Pavor nocturnus, Schlafwandeln) wird Clonazepam
empfohlen. Bei Bruxismus sollte zusätzlich zu den
Entspannungsverfahren eine Vorstellung beim Zahn-
arzt erfolgen.
Enuresis nocturna: 7 Abschn. 33.3
Das RLS und die PLMS haben ungefähr ein Präva-
lenz von 2% bei Kindern und können »off-label« mit
Clonidin, Clonazepam, Gabapentin und Dopaminre-
zeptoragonisten behandelt werden.
Die Ticstörungen beginnen im Median zwi-
schen 6 und 7 Jahren. Etwa die Hälfte der Kinder lei-
det zusätzlich unter einer ADHS oder einer Zwangs-
störung. Auch Schlafstörungen wie z. B. Ein- und
Durchschlafschwierigkeiten, nächtliche Trennung-
sangst, Parasomnien wie Schlafwandeln und Pavor
nocturnus kommen häufig komorbid vor. Die thera-
peutischen Maßnahmen sind die gleichen wie die im
Erwachsenalter und sollten Psychoedukation, Verhal-
tenstherapie und ggf. eine Antipsychotikatherapie mit
z. B. Risperidon beinhalten (Rothenberger et al. 2005)
(7 Abschn. 32.1).
33.1 ·
265 33

Spezielle Störungen im Kindes- und


Jugendalter

33.1 Tief greifende Entwicklungsstörungen – 266


33.1.1 Therapie – 267

33.2 Trennungsangst – 268


33.2.1 Therapie – 268

33.3 Enuresis – 269


33.3.1 Therapie – 269

33.4 Bindungsstörungen – 270


33.4.1 Therapie – 270

33.5 Checkliste – 270


266 Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter

33.1 Tief greifende Frühkindlicher Autismus


21 Entwicklungsstörungen Der frühkindliche Autismus wird auch nach dem
Erstbeschreiber Kanner benannt (Kanner-Syndrom).
Die tief greifenden Entwicklungsstörungen subsumie- Die Entwicklungsauffälligkeiten müssen in den ersten
22 ren eine Gruppe von Störungen, die durch qualitative drei Jahren bereits vorhanden sein. Innerhalb der
Beeinträchtigungen in der gegenseitigen Interaktion Diagnose des frühkindlichen Autismus unterscheidet
23 und Kommunikation und durch ein eingeschränktes,
stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Inter-
man klinisch zwischen
5 »Low-functioning-Autismus«: Personen mit
essen und Aktivitäten gekennzeichnet sind. Diese Stö- Intelligenzminderung und sehr geringen sprach-
24 rungen bestehen von frühester Kindheit an und mani- lichen Fähigkeiten.
festieren sich in den ersten 5 Lebensjahren. 5 »High-functioning-Autismus«: Personen ohne
Die Kernsymptome zeigen eine entwicklungspsy- Intelligenzminderung und mit guten sprach-
25 chologische Variabilität und erhebliche Unterschiede lichen Fähigkeiten.
im Ausprägungsgrad, bleiben aber bis ins Erwachse-
26 nenalter als persistierende Symptomatik erhalten. Etwa die Hälfte der Kinder entwickeln keine oder sehr
Nach ICD-10 umfasst die Gruppe der tief grei- verspätet eine nichtkommunikative Sprache, die spä-
fenden Entwicklungsstörungen die folgenden Erkran- ter (im Schulalter oder danach) einen partiellen kom-
27 kungen: munikativen Charakter gewinnen kann. Viele Kinder
5 Frühkindlicher Autismus zeigen eine Echolalie mit pronominaler Umkehr. Die
28 5 Atypischer Autismus Sprache ist durch grammatikalische Fehler und durch
5 Asperger-Syndrom Neologismen gekennzeichnet. Der Sprechrhythmus
5 Rett-Syndrom ist häufig unmelodisch und abgehackt.
29 5 Desintegrative Störungen des Kindesalters Das Spielverhalten der Kinder mit frühkindlichem
5 Überaktive Störung mit Intelligenzminderung Autismus ist deutlich auffällig und interaktives Spielen
und Bewegungsstereotypien ist kaum möglich. Spielzeug wird oft zweckentfremdet
30 und stereotyp benutzt und häufig zur Selbststimulati-
Das »Autismus-Spektrum« umfasst den frühkind- on von Sinnesbereichen umgewandelt. Zumeist beste-
31 lichen Autismus, den atypischen Autismus und das hen Störungen der Reaktion auf Sprache, Geräusche
Asperger-Syndrom. Diese Bezeichnung soll demons- und Körperempfindungen (Kälte, Schmerzen). Die
trieren, dass die Störungen sich nicht qualitativ unter- meisten Patienten lehnen einen körperlichen Kon-
32 scheiden, sondern quantitativ, d. h. in Bezug auf den takt ab. Die Kinder zeigen ein ängstlich-zwanghaftes
Schweregrad der Störung. Bedürfnis nach Gleicherhaltung des Umfelds und
33 Vor allem beim frühkindlichen Autismus kom- umschriebene Ängste. Der Schlaf-Wach-Rhythmus
men häufig assoziierte Erkrankungen wie Epilepsie, ist häufig gestört.
Chromosomenanomalien (einschließlich fragiles X-
34 Syndrom, Down-Syndrom), tuberöse Sklerose, Neu- Neurobiologie. In mehreren Studien konnte gezeigt
rofibromatose, metabolische Störungen (Phenylke- werden, dass Patienten mit einem frühkindlichen
35 tonurie, Lesh-Nyhan-Syndrom, Histidinämie) und
Infektionen (Röteln, Zytomegalie, Herpes simplex)
Autismus ein erhöhtes Gesamtgehirngewicht, ein
erhöhtes Volumen des Zerebellums sowie Malforma-
vor. Während 30% der Betroffenen eine leichte Beein- tionen im parietotemporalen Kortex aufweisen, wel-
36 trächtigung der Intelligenz aufweisen, haben 40% eine che durch Störungen des neuronalen Wachstums und
deutliche geistige Behinderung, und 30% verfügen der Zellmigration verursacht werden. Weiterhin spre-
über eine durchschnittliche Intelligenz. chen Befunde der funktionellen Bildgebung dafür,
37 Die Prävalenz für die tief greifenden Entwick- dass Prozesse der Gesichtserkennung, mentale Verar-
lungsstörungen liegt bei 30–60/10.000. In Bezug auf beitungsprozesse und exekutive Funktionen verändert
38 den frühkindlichen Autismus wird von einer Häufig- sind. Die Ergebnisse biochemischer Untersuchungen
keit von 5–10/10.000 ausgegangen. Jungen sind beim sind noch sehr heterogen. 30–50% der Kinder mit
frühkindlichen Autismus 3- bis 4-mal häufiger und frühkindlichem Autismus weisen einen erhöhten
39 beim Asperger-Syndrom 8-mal häufiger betroffen, Serotoninblutspiegel auf. Diskutiert werden auch Ver-
wobei Mädchen meist stärker beeinträchtigt sind. änderungen im dopaminergen, noradrenergen und
40 peptidergen System. Zur Erhebung neuropsycholo-
gischer Korrelate autistischer Störungen werden Intel-
ligenzstruktur, exekutive Funktionen, Störungen der
33.1 · Tief greifende Entwicklungsstörungen
267 33

»Theory of Mind« und schwache zentrale Kohärenz che, der intellektuellen, der sozialen und kommunika-
untersucht. tiven Fähigkeiten der Kinder. Die Darm- und Blasen-
kontrolle und motorische Funktionen sind ebenfalls
Atypischer Autismus betroffen. Die Störung tritt in der Regel zwischen dem
Der atypische Autismus wird vom frühkindlichen 2. und 4. Lebensjahr auf und beginnt schleichend.
Autismus dadurch abgegrenzt, dass die Kinder nicht
alle Kriterien nach ICD-10 bzw. DSM-IV erfüllen Überaktive Störung mit Intelligenz-
oder, dass sich Entwicklungsauffälligkeiten erst nach minderung und Bewegungsstereotypien
dem 3. Lebensjahr manifestieren. Diese Kinder sind Betroffene Kinder weisen eine schwere Intelligenzmin-
meist stark intelligenzgemindert. derung (IQ <50) sowie eine erhebliche Hyperaktivität,
Aufmerksamkeitsstörung und stereotype Verhaltens-
Asperger-Syndrom muster auf. Die Erkrankung ist häufig von einer Viel-
Diese Störung wird in der Regel später als der frühkind- zahl von Entwicklungsstörungen begleitet.
liche Autismus und zwar zumeist um das 3. Lebens-
jahr diagnostiziert, was auf die frühe Sprachentwick-
lung und die gute kognitive Entwicklung der Kinder 33.1.1 Therapie
zurückzuführen ist. Die Sprache ist oft elaboriert mit
großem Wortschatz. Die motorische Entwicklung ist Durch therapeutische Interventionen können einzel-
häufig etwas verspätet. Die Patienten haben zumeist ne Symptome bedeutsam gebessert, nicht aber geheilt
eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung. Sie wer- werden.
den dann auffällig, wenn besondere Anforderungen an
ihre soziale Kompetenz und Emotionen gestellt wer- Frühförderung
den (Kindergarten, Schule). Die betreffenden Kinder Die Behandlung muss so früh wie möglich beginnen
sind sowohl in ihrem nonverbalen Verhalten (Gesten, und über längere Zeiträume durchgeführt werden.
Mimik, Gebärden, Blickkontakt) als auch durch ihre Die Behandlung kann die Interaktionsfähigkeit, die
Unfähigkeit, zwanglose Beziehungen zu Gleichaltrigen Anpassung an die Anforderungen des Alltags und die
oder Älteren herzustellen, auffallend. Sie können auch Selbständigkeit verbessern.
emotional nur wenig mitreagieren und somit an den
Emotionen anderer Menschen nur wenig teilhaben. Psychoedukation
Häufig haben sie intensive, eng umgrenzte und teil- Das nicht adäquate Reagieren des Kindes auf Kontakt-
weise unsinnige Sonderinteressen mit lexikalischem versuche der Eltern verlangt eine ausführliche Aufklä-
Wissen. Es dominiert jedoch die reine Wissensspei- rung der Eltern über Art und Schwere der Erkran-
cherung und es gelingt zumeist nicht, das Wissen in kung. Die frühzeitige Entlastung der Familie und
größere Zusammenhänge einzuordnen. wirksame Unterstützung der Hauptbezugsperson
müssen ein wesentlicher Bestandteil des Therapie-
Rett-Syndrom plans sein. Eine individuelle Therapie ohne Einbezie-
Beim Rett-Syndrom kommt es nach zunächst unauf- hung der Bezugspersonen (Kindergarten, Schule) ist
fälliger Entwicklung zwischen dem 7. und 24. Lebens- nicht sinnvoll, weil bei autistischen Kindern ein situa-
monat zu einem vollständigen Verlust des zielgerich- tionsübergreifender Transfer neuer Verhaltensweisen
teten Gebrauchs der Hände mit eigenartigen win- kaum stattfindet.
denden Bewegungsstereotypien. Es kommt zu einem
Verlust der Sprache und einer Verlangsamung des Verhaltenstherapie
Kopfwachstums. Die Störung kommt fast ausschließ- Die gezielte Therapie bezieht sich auf die Entwicklung
lich bei Mädchen vor. Ursächlich hierfür ist eine der sozialen Wahrnehmung, der Kommunikation
Mutation des MECP2-Gens, welches auf dem distalen und der Sprachförderung. Verhaltenstherapeutischen
Abschnitt des X-Chromosoms lokalisiert ist. Tritt die- Techniken kommt ein besonderer Stellenwert zu, wie
se Mutation bei männlichen Individuen auf, so ist sie z. B. verstärkerorientiertem Training, Üben von All-
in der Regel tödlich. tagssituationen anhand von Spielmaterial sowie Ele-
menten des Rollenspiels. Zur Verbesserung der Selbst-
Desintegrative Störung des Kindesalters kontrolle und der Kontaktfähigkeit sind Therapiepro-
Bei der desintegrativen Störung des Kindesalters, gramme, die auf den Abbau von »Theory of Mind«-
auch Hellersche-Demenz genannt, kommt es zu Defiziten abzielen, wichtig. Die Kommunikation
einem Verlust bzw. fortschreitendem Abbau der Spra- kann z. B. durch das Modifikationsprogramm nach
268 Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter

Lovaas verbessert und exzessives, störendes Verhal- Die berufliche Eingliederung muss eine klienten-
21 ten abgebaut werden. Durch Instruktionssysteme wie nahe Betreuung durch strukturierte und schrittweise
TEACCH kann die Selbständigkeit im lebensprak- aufgebaute Arbeitsaufträge und Anleitungen beinhal-
tischen Alltagsbereich und im Spielverhalten unter ten (Leitlinien der Deutschen für Kinder- und Jugend-
22 Betonung von Interaktionselementen trainiert wer- psychiatrie und Psychotherapie 2003; Remschmidt
den. Zur Verbesserung der sozialen Fertigkeiten und 2005).
23 der Kommunikationsfähigkeiten sind Aktivitäten mit
Bezugspersonen (»Peers«) unverzichtbar. Für den
Aufbau der Sprache ist es wichtig, die soziale Bedeu- Fazit
24 tung der Sprache, z. B. durch sprachliches Kommen-
tieren, für das Kind im sozialen Kontext zu erarbeiten Pharmakotherapie und Psychotherapie bei tief grei-
und Einzelelemente sozialer Handlungen zu erfassen. fenden Entwicklungsstörungen
25 5 Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei tief
Pharmakotherapie greifenden Entwicklungsstörungen stellen Psycho-
26 Eine signifikante Verbesserung von restriktiven, repe- edukation, Frühförderung, Verhaltenstherapie und
titiven und stereotypen Verhaltensmustern, Interessen Pharmakotherapie dar. Pharmakologisch hat sich
und Aktivitäten sowie eine signifikante Reduktion von zur Behandlung einiger Kern- und Begleitsymptome
27 aggressivem und selbstverletzendem Verhalten konn- Risperidon bewährt.
te bei Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstö-
28 rungen in mehreren kontrollierten Studien durch Ris-
peridon erzielt werden. Jedoch hat die Risperidonme-
dikation keinen Einfluss auf die soziale Interaktion 33.2 Trennungsangst
29 und Kommunikation. Bei Unverträglichkeit von Ris-
peridon können auch andere AAP wie z. B. Olanza- Die emotionale Störung des Kindesalters mit Tren-
pin, aber auch SSRI, Stimmungsstabilisierer und Clo- nungsangst wird auch als Schulphobie bezeichnet und
30 nidin eingesetzt werden. gehört zusammen mit der Schulangst und dem Schul-
Bei Hyperaktivität und impulsivem Verhalten schwänzen in die Gruppe der Schulverweigerungen.
31 können Risperidon, andere AAP, Psychostimulanzien, Eine Trennungsangst liegt vor, wenn das Kind die
Clonidin und Propranolol in Betracht kommen. Pati- Angst vor der Trennung von der Bezugsperson(en)
enten mit einer überaktiven Störung mit Intelligenz- als überwältigend erlebt, die Angst über die entwick-
32 minderung und Bewegungsstereotypien profitieren lungsphysiologische Alterstufe hinaus andauert und
zumeist nicht von einer Therapie mit Psychostimu- die psychosoziale Entwicklung längerfristig erheblich
33 lanzien. Am ehesten sollte bei vorhandener Indikation beeinträchtigt ist, sodass das Kind z. B. den Kindergar-
mit einem AAP, z. B. Risperidon, behandelt werden. ten oder die Schule nicht mehr besuchen kann. Für die
Bei komorbiden starken Ängsten kann eine Entstehung dieser Störung ist eine Kombination aus
34 Behandlung mit AAP, Buspiron oder Clonidin, bei ängstlicher Disposition und schwierigen Lebensein-
depressiven Syndromen mit SSRI, notwendig sein. flüsse, wie z. B. begründete Ängste vorm Verlassen-
35 Bei zusätzlichen Anfallsleiden sind Stimmungs-
stabilisierer unverzichtbar.
werden, maßgebend.

36 Weitere Therapiemaßnahmen 33.2.1 Therapie


Krankengymnastik und Heilpädagogik sind zur
Behandlung motorischer Defizite und zur Besserung Psychoedukation und Verhaltenstherapie
37 der Wahrnehmungsfähigkeit in Einzelfällen sinnvoll. Leichtere Trennungsängste sind durch eine ambulante
Musiktherapie und Reittherapie können zur weiteren Psychoedukation und Vermittlung verhaltentherapeu-
38 Kontaktaufnahme eingesetzt werden. Bei starken tischer Übungen der Bezugspersonen behebbar. Kind
Eigen- und Fremdaggressionen kann die Festhaltethe- und Eltern müssen wieder die Erfahrung machen,
rapie in moderater Form zur Unterbrechung aggres- dass bei einer Trennung die befürchteten Gefahren
39 siven Verhaltens eingesetzt werden. Eine stationäre nicht eintreten. Dem Kind soll nicht in der Angst
Therapie bzw. eine Aufnahme in eine spezialisierte Zuwendung zukommen, sondern, wenn es erfolgreich
40 Institution ist bei erheblichen Selbst- und Fremdag- die Angst überwunden hat. Es ist zu vermitteln, dass
gressionen, Stereotypien und Ritualen oder bei Über- die begleitenden körperlichen Symptome, wie z. B.
forderung der Familie indiziert. Magen- und Kopfschmerzen, tatsächlich vorliegen,
33.3 · Enuresis
269 33

aber eine Folge der Angst sind. Auch die Bezugsper- haben allerdings eine funktionelle Harninkontinenz,
sonen im Kindergarten und Schule müssen aufgeklärt d. h. es liegt eine organisch bedingte Blasendysfunk-
und teilweise die Kinder dann speziell in der Einrich- tion vor. Unter einer primären Enuresis versteht man
tung in Empfang genommen oder zu Hause abgeholt ein Einnässen ohne längere trockene Periode, wäh-
werden. Ist auch die elterliche Trennungsangst von rend die sekundäre Enuresis durch Wiedereinnässen
Krankheitswert, sollte das erkrankte Elternteil sich nach einer längeren trockenen Periode (>6 Monate)
ebenfalls einer verhaltenstherapeutischen Behand- definiert ist. An Komorbiditäten treten expansive,
lung unterziehen. externalisierende Störungen, wie z. B. Störungen des
Bei mittelschweren Trennungsängsten ist eine Sozialverhaltens und ADHS, häufiger als emotionale,
tagesklinische Behandlung, bei schweren Ängsten introversive Störungen auf.
eine vollstationäre Behandlung indiziert. Es wird
dann zusammen mit dem Kind und den Eltern nach Neurobiologie. Es besteht eine genetisch bedingte
den Ursachen gesucht und es werden Verhaltensplä- Reifungsstörung des Zentralennervensystems. Neuro-
ne für Trennungssituationen erarbeitet. Weitere ver- physiologische Untersuchungen weisen auf eine Stö-
haltenstherapeutische Behandlungsstrategien sind: rung der Hirnstammfunktionen hin. Bei vielen Kin-
Desensibilisierung, Lernen am Modell, Rollenspiele, dern findet man eine vermehrte Urinproduktion,
KVT und Selbstbehauptungsübungen. Veränderungen des zirkadianen Rhythmus des anti-
diuretischen Hormons (ADH) und eine erschwerte
Psychopharmakotherapie Erweckbarkeit.
Falls eine antidepressive Begleitmedikation befri-
stet indiziert ist, empfiehlt sich eine Behandlung mit
einem SSRI. Eine Studie konnte die Wirksamkeit von 33.3.1 Therapie
Fluvoxamin nach vorheriger erfolgloser Verhaltens-
therapie belegen (Blanz et al. 2006). Psychoedukation und Verhaltenstherapie
Zunächst sollten unspezifische Maßnahmen wie Bera-
tung und Beruhigung der Eltern, positive Verstärkung
Fazit und Motivationsaufbau erfolgen. Es sollte auch doku-
mentiert werden, wie oft und in welchen Situationen
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei das Kind einnässt. Falls diese Maßnahmen alleine
Trennungsangst nicht ausreichen, ist die apparative Verhaltenstherapie
5 Die zentralen Therapiekomponenten bei Trennungs- mittels »Klingelhose« oder »Klingelmatte« das Mittel
angst sind Psychoedukation und Verhaltenstherapie. der Wahl. Das Kind sollte darüber gut aufgeklärt und
Falls diese Maßnahmen nicht ausreichend sind, in die Planung miteinbezogen werden. Bei dieser The-
empfiehlt sich eine medikamentöse Behandlung mit rapiemethode ist es wichtig, dass das Gerät jede Nacht
einem SSRI. eingesetzt wird, das Kind komplett nach dem Einnäs-
sen wach wird und die Therapie lange genug fortge-
setzt wird. Ein weiteres effektives, aber aufwändigeres
verhaltenstherapeutisches Programm stellt das »dry
33.3 Enuresis bed training« dar.

Die Enuresis kommt häufig im Kindesalter vor und Psychopharmakotherapie


weist eine hohe spontane Remissionsrate auf. Eine medikamentöse Therapie ist indiziert, wenn
Sie wird als unwillkürlicher Harnabgang ab einem andere Maßnahmen nicht gegriffen haben oder
Alter von 5 Jahren und einem geistigen Intelligenzal- nicht durchgeführt werden können oder eine spe-
ter von 4 Jahren definiert. Organische Grunderkran- zifische Indikation, wie z. B. das Nichteinnässen auf
kungen müssen ausgeschlossen werden. Für das Stel- einer Klassenfahrt, besteht. Das Mittel der Wahl ist
len der Diagnose muss das Einnässen mindestens dann das synthetische Analog des ADH Desmopres-
3 Monate bestehen und die monatliche Häufigkeit sin (Minirin®). Bei ca. 70% der Patienten kommt es
des Einnässens muss 1-mal (<7 Jahre) bzw. 2-mal pro zu einer Reduktion des nächtlichen Einnässens. Das
Monat betragen. Es wird nach tageszeitlichem Auftre- Medikament sollte nicht länger als 12 Wochen ver-
ten des Einnässens zwischen Enuresis nocturna, Enu- ordnet werden. Besonders wirksam ist die Kombina-
resis diurna und Enuresis nocturna et diurna unter- tion von Desmopressin und apparativer Verhaltens-
schieden. Die meisten Kinder, die tagsüber einnässen, therapie, vor allem bei hoher Einnässfrequenz und
270 Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter

begleitenden Verhaltensauffälligkeiten (von Gontard Kind aus der Familie herausgenommen werden muss.
21 2005). Da zumeist umschriebene Entwicklungsrückstände
Zugelassen sind auch Clonipramin und Imipra- vorliegen, sind unter besonderer Berücksichtigung
min; sie werden aber in der Regel nicht mehr verord- des Beziehungsaspektes Krankengymnastik, Ergothe-
22 net. rapie und Logopädie erforderlich. Psychotherapeu-
tische Verfahren können erst eingesetzt werden, wenn
23 Fazit
ein entsprechendes Entwicklungsalter erreicht ist.

Psychopharmakotherapie
24 Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Enuresis Bei Kindern, die sehr unruhig und aggressiv sind bzw.
5 Für die Behandlung einer Enuresis ist zunächst eine unter ausgeprägten Schlafstörungen leiden, kommt
Psychoedukation essentiell, an die sich verhaltens- eine Behandlung mit Antipsychotika (z. B. Risperi-
25 therapeutische Maßnahmen anschließen sollten. Falls don) in Betracht (Pfeiffer u. Lehmkuhl 2005).
diese Maßnahmen nicht erfolgreich sind, kann eine
26 vorübergehende Gabe von Desmopressin wirksam
Fazit
sein.

27 Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Bin-


dungsstörungen
28 33.4 Bindungsstörungen 5 Für die Behandlung von Bindungsstörungen ist ein
entwicklungsförderndes und bindungsstabiles Mili-
Die Definitionskriterien der Bindungsstörungen eus wichtig. Die Patienten profitieren von Kranken-
29 (ICD-10: Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters gymnastik, Ergotherapie, Logopädie und verhal-
(F94.1) und Bindungsstörung des Kindesalters mit tenstherapeutischen Maßnahmen. Bei ausgeprägter
Enthemmung (F94.2)) beziehen sowohl intrapersona-
30 les Verhalten als auch interpersonelles Beziehungsver-
Symptomatik ist eine medikamentöse Behandlung
mit Antipsychotika vorübergehend sinnvoll.
halten mit ein. Das Krankheitsbild wird durch unzu-
31 reichende oder traumatisierende Beziehungen in den
ersten Lebensjahren verursacht und die Symptomatik
ist an das Kleinkind- und Vorschulalter gebunden. Es 33.5 Checkliste
32 können 2 Subtypen unterschieden werden:
5 eine gehemmte Form mit Vermeidung, Rückzug ?
33 und Hypervigilanz,
5 eine ungehemmte Form mit vorwiegend nichtse- 1. Was versteht man unter den Kernsym-
lektivem, distanzlos-diffusem Kontaktverhalten. ptomen tief greifender Entwicklungsstö-
34 rungen und welche medikamentösen
Neurobiologie. Da frühe traumatisierende Bezie- Behandlungsmöglichkeiten kennen Sie?
35 hungserfahrungen in einer vulnerablen Phase, in
der eine erhöhte neuronale und synaptische Plastizi-
2. Welche Therapiekomponenten können bei
tief greifenden Entwicklungsstörungen zu-
tät besteht, auf das Gehirn einwirken, kommt es zu sätzlich zur Pharmakotherapie sinnvoll sein?
36 Veränderungen der synaptischen Verbindungen und 3. Was versteht man unter Trennungsangst und
des neuronalen Netzes. Vorwiegend treten Verände- wie wird sie behandelt?
rungen im limbischen System auf, welches eine wich- 4. Wie wird Enuresis definiert und therapiert?
37 tige Funktion beim Steuern von Emotionen und beim 5. Welche verschiedenen Bindungsstörungen
Lernen hat. gibt es und wie ist die medikamentöse The-
38 rapieempfehlung?

33.4.1 Therapie
39
Ziel der Behandlung ist die Herstellung und Sicherung
40 eines entwicklungsfördernden, bindungsstabilen Mili-
eus. Häufig ist eine Zusammenarbeit mit dem Jugend-
amt notwendig; manchmal ist es auch nötig, dass ein
34.1 ·
271 34
IV

Spezielle Aspekte der


Psychopharmakotherapie

34 Notfallpsychiatrie – 273

35 Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit – 281

36 Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit – 287


34.1 ·
273 34

Notfallpsychiatrie

34.1 Psychomotorische Erregungszustände – 275

34.2 Delirante Syndrome – 276

34.3 Stuporöse Zustände – 276

34.4 Suizidalität – 277

34.5 Psychopharmaka als Ursache psychiatrischer


Notfallsituationen – 278

34.6 Notfallsituationen in der Kinder- und


Jugendpsychiatrie – 279

34.7 Checkliste – 279


274 Kapitel 34 · Notfallpsychiatrie

Psychiatrische Notfallsituationen kommen als kri- > Die Kombination Haloperidol mit dem Benzodiazepin
21 senhafte Zuspitzungen im Rahmen psychiatrischer Lorazepam ist gut untersucht. Beide Dosen können
Grundkrankheiten und bei Gesunden (z. B. Agitiert- dann geringer gewählt werden, dadurch wird das
heit, Stupor bei akuter Belastungsreaktion oder Sui- Risiko von Nebenwirkungen verringert. Auch können
22 zidalität bei Anpassungsstörungen) vor. Die medika- Benzodiazepine die Akathisie durch Antipsychotika
mentöse Behandlung erfolgt syndromgerichtet. Fol- dämpfen. Olanzapin sollte nicht mit Lorazepam
23 gende Syndrome stehen im Mittelpunkt:
5 psychomotorische Erregungszustände, auch im
kombiniert werden.

Rahmen einer Psychose, Verhalten in der psychiatrischen


24 5 delirante Syndrome, Notfallsituation
5 stuporöse Zustände, Die folgenden Maßnahmen sollten der medikamen-
5 Suizidalität. tösen Behandlung des psychiatrischen Notfalls unmit-
25 telbar vorausgehen (. Abb. 34.1):
Auch die Störungen des Bewusstseins gehören zu die- 5 Abschätzung einer akuten Gefahr für Patient,
26 ser Gruppe; sie sind aber in der Regel keine Indikation Untersucher, Personal und/oder sich selbst.
für Psychopharmaka. Eine Ausnahme sind delirante 5 Ausschluss einer unmittelbaren vitalen Bedro-
Syndrome (s. oben). hung durch eine internistische oder chirurgische
27 (Grund)erkrankung.
Auswahl der Notfallmedikation 5 Vorläufige diagnostische Einordnung von Not-
28 Für die Pharmakotherapie psychiatrischer Notfallsitu-
ationen haben sich einige Antipsychotika und Benzo-
fallsyndrom und vermuteter zugrunde liegen-
der psychiatrischer Störung (psychotisch, affek-
diazepine besonders bewährt (. Tab. 34.1): tiv, Intoxikation, reaktiv, Persönlichkeitsstö-
29
30 . Tab. 34.1. Auswahl der wichtigsten Psychopharmaka für die psychiatrische Notfallsituation

Präparat Indikation Dosierung Bemerkungen CAVE

31 Halo- Psychotische und deli- i.m./p.o.: 5–10 mg, Bewährtes Anti- In hohen Dosen
peridol rante Zustandsbilder; bei älteren Patienten psychotikum; hohes kardiotoxisches
Haldol- psychomotorische niedriger (zunächst 1– Wirkpotenzial; Risiko.
32 Janssen® Erregung auch 1,5 mg); ggf. Wieder- hohes EPS-Risiko Cave: nicht i.v.
schwerster Ausprä- holung alle 30 min v. a. im hohen Dosis- Bei Frühdyskine-
gung bereich sien, Biperiden (Aki-
33 neton®)

Olan- Psychotische Zu- i.m.a: initial 5–10 mg; Bewährtes AAP; QTc-Verlängerung
34 zapin
Zyprexa®
standsbilder; psycho-
motorische Erregung
p.o.: initial 10–20 mg;
Wiederholung alle
geringeres
EPS-Risiko
(7 Abschn. 7.6)
möglich;
bei Schizophrenie und 30 min möglich Nicht i.v.a
35 Manie

Melperon Leicht- bis mittelgradi- i.m.: initial 50–100 mg, Gute sedierende Hypotonie
36 Euner-
pan®
ge psychomotorische
Erregung bei geriat-
maximal 200 mg/24 h Eigenschaften bei
mäßiger antipsycho-
rischen und internis- tischer Wirkung: kei-
37 tisch erkrankten Pa-
tienten
ne anticholinergen
Eigenschaften

Loraze- Psychomotorische i.v./i.m.a: initial 0,5– Kurze Halbwertszeit, Hypotonie und


38 pam Erregung leichteren 1 mg keine aktiven Meta- Atemdepression
Tavor® Grades; p.o.: initial 1–2,5 mg boliten; möglich, insbeson-
Angstzustände Ggf. Wiederholung gut steuerbar dere in hohen
39 alle 60 min, maximal Dosen und bei i.v.-
7,5 mg/24 h Gabe;

40 i.v.-Applikation sehr
langsam!
a
Lorazepam nicht mit Clozapin oder Olanzapin kombinieren.
34.1 · Psychomotorische Erregungszustände
275 34

. Abb. 34.1. Handlungsablauf bei psy-


chomotorischen Erregungszuständen.
Agitierter Patient
(Aus Benkert u. Hippius 2007)

5 ruhig und sicher auftreten


5 Patienten ernst nehmen
5 klare, eindeutige Anweisungen geben
5 aktiv und empatisch zuhören
5 Patienten nicht in die Enge treiben
5 Gefährdung evaluieren

Kooperativ? ja
Gesprächsbereit?

nein Krisenintervention:

5 Gespräch
Spannungsreduktion durch Angebote:
5 gemeinsame Konfliktlösung suchen 5 ggf. Medikation
5 geplante Maßnahmen erklären Erfolg
5 ggf. Essen, Trinken, Zigarette anbieten 5 Absprachefähigkeit
5 Angehörigen nach Wunsch des Patienten beurteilen
einbeziehen oder ausschließen
5 Aufnahmeindikation
klären
kein Erfolg
5 Gefährdung
reevaluieren
5 Stärke und Präsenz (Personal) signalisieren
5 Befugnis ggf. zu Maßnahmen gegen
Erfolg
den Willen des Patienten erklären
5 Entschlossenheit zeigen

kein Erfolg

Nach Regelung der Rechtsgrundlage:


5 Medikation auch ohne Einwilligung
des Patienten
5 ggf. kurzfristige Fixierung

rung) durch Fremdanamnese (Polizei, Personal, 34.1 Psychomotorische


Angehörige) und Verhaltensbeobachtung. Eine Erregungszustände
genauere Diagnosestellung ist initial häufig nicht
möglich und hat auch keine Priorität. Psychomotorische Erregungszustände sind durch aus-
5 Festlegung der Behandlungsstrategie und -moda- geprägte Antriebssteigerung sowie motorische Hyper-
lität (freiwillig – unfreiwillig, sofort – nach Auf- aktivität, z. T. mit Gereiztheit, Aggressivität und Kon-
nahme/Übernahme). Besteht Selbst- oder Fremd- trollverlust gekennzeichnet. Oft besteht eine ängst-
gefährdung, muss sofort gehandelt werden; für liche Grundstimmung (v. a. bei psychotischen Erre-
eine Rechtsgrundlage (Unterbringungsbeschluss, gungszuständen und Angststörungen). Erste Anzei-
Betreuung) ist ggf. unmittelbar nach Bewältigung chen sind mangelnde Kooperation, motorische Unru-
der akuten Krise zu sorgen. he, Auf- und Abschreiten, intensives Gestikulieren,
laute Sprache mit Drohgebärden, »Starren«, Reizbar-
keit und Impulsivität. Eigen- und/oder Fremdgefähr-
dung sind möglich.
276 Kapitel 34 · Notfallpsychiatrie

> Notfalltherapie > Notfalltherapie beim deliranten Syndrom


21 5 Die Basistherapie besteht aus einer antipsycho- 5 Beim Alkoholentzugsdelir wird Clomethiazol
tischen Therapie: Haloperidol oder Olanzapin gegeben (7 Abschn. 11.2.3, Cave: Risiken).
(. Tab. 34.1). 5 Eine Alternative sind Benzodiazepine, v.a. Loraze-
22 5 Als Zusatzmedikation kann (nur bei Haloperidol) pam (. Tab. 34.1).
Lorazepam gegeben werden.
23 34.3 Stuporöse Zustände
34.2 Delirante Syndrome
24 Unter einem Stupor wird ein abnormer Zustand psy-
Ein Delir ist eine akute organische Psychose mit chomotorischer Hemmung mit eingeschränkter bzw.
unterschiedlicher, häufig multifaktorieller Genese. aufgehobener Reaktivität auf Umweltreize verstanden.
25 Leitsymptome sind Bewusstseins- , Aufmerksamkeits- Das Wachbewusstsein ist voll erhalten, eine Amnesie
und kognitive Störungen (z. B. mnestische Störungen, entsteht in der Regel nicht. Die Ätiologie ist vielfältig,
26 Verwirrtheit) sowie Desorientiertheit. Zusätzlich kön- das Syndrom kann bei verschiedenen psychiatrischen
nen vorkommen: Wahrnehmungsstörungen mit – v. a. und internistischen Grunderkrankungen auftreten.
optischen – Halluzinationen und illusionären Verken-
27 nungen, erhöhte Suggestibilität, psychomotorische Stupor bei katatoner Schizophrenie
Unruhe und Erregung, z. T. mit Bewegungsstereoty- Die katatone Schizophrenie (7 Abschn. 30.2.5) zeigt
28 pien; außerdem fokal-neurologische Symptome wie
Ataxie, Dysarthrie, Tremor und vegetative Symptome
sich mit psychomotorischer Hemmung, zumeist mit
Mutismus und Stupor. Beobachtet werden kann dabei
wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe, Hyperhidrosis, auch das Phänomen der »wächsernen Biegsamkeit«
29 Hyperthermie und Tachykardie, Blutdruckanstieg. (Flexibilitas cerea): hierbei wird die passiv bewegte
5 Charakteristisch sind die Entwicklung der Sym- Extremität in z. T. grotesken Stellungen beibehalten.
ptomatik bis zum Vollbild innerhalb kürzester
30 Zeit (Stunden bis wenige Tage) und ein Fluktuie- Wichtig
ren der Ausprägung.
31 5 Delirante Syndrome sind potenziell lebensbe- Ein abruptes Umschlagen von katatonem Stu-
por in einen katatonen psychomotorischen Erre-
drohliche Zustände; kontinuierliche Überwa-
chung der Vitalparameter ist dringend geboten. gungszustand ohne offensichtlichen äußeren An-
32 5 Ätiologisch liegen v. a. Entzugssyndrome (haupt- lass ist möglich. Sehr selten handelt es sich hierbei
sächlich Alkohol), Intoxikationen sowie Kompli- um einen Zustand mit lebensbedrohlicher per-
niziöse Katatonie mit Fieber (febrile Katatonie),
33 kationen bei internistischen und neurologischen
autonomer Entgleisung, Akrozyanose, Petechien,
Erkrankungen zugrunde.
Bewusstseinstrübung. Differenzialdiagnose: ma-
34 Diagnostik bei Verdachtsdiagnose Delir: lignes neuroleptisches Syndrom (7 Abschn. 34.5).
5 körperliche Untersuchung,
35 5 Vitalparameter, EKG, Körpertemperatur,
5 laborchemische und hämatologische Parameter > Notfalltherapie beim Stupor bei katatoner Schizo-
(v. a. Alkoholspiegel, Glukose, Elektrolyte, Leber- phrenie
36 und Nierenparameter, Entzündungszeichen, Blut- 5 Indiziert ist ein differenzialtherapeutischer
bild), Versuch mit Lorazepam, z. B. 1–2,5 mg p.o. (z. B.
5 Urinstatus mit Drogenscreening,
37 5 Thoraxröntgen,
Expidet-Formulierung) oder 0,5–1 mg i.v. (maxi-
mal 7,5 mg/24 h).
5 zerebrale Bildgebung, wenn möglich MRT, 5 Bei ausbleibendem Erfolg wird das Antipsycho-
38 5 evtl. EEG zum Ausschluss epileptischer Aktivität, tikum Haloperidol dann verordnet, wenn ein
5 evtl. Lumbalpunktion. malignes neuroleptisches Syndrom ausgeschlos-
sen ist (7 Abschn. 34.5).
39 Wichtig
Depressiver Stupor
Es ist zu beachten, dass sich die Behandlung des
40 Alkoholentzugsdelirs (7 Abschn. 28.1.1) von den
Bei Vorliegen der diagnostischen Kriterien für eine
depressive Episode steht eine ausgeprägte Antriebs-
übrigen Delirformen unterscheidet. minderung mit psychomotorischer und kognitiver
34.4 · Suizidalität
277 34

Hemmung (»Pseudodemenz«) im Vordergrund. Die Bei 90% aller Suizide liegt eine psychiatrische
affektive Resonanzfähigkeit kann bis zur Affektstar- Erkrankung zugrunde (bei ca. 60% eine affektive Stö-
re eingeschränkt sein, häufig besteht Negativismus. rung; Hauptrisikofaktor für einen Suizid ist die Dia-
Blickkontakt ist vorhanden, das Verhalten bei Explo- gnose einer Major Depression). Weitere Risikofak-
ration wirkt passiv-duldend, weniger autistisch und toren sind: schwere Schlafstörungen, konkrete frühere
bizarr als bei der katatonen Schizophrenie. Suizidversuche, fehlende soziale Einbindung oder
Verlust von Bezugspersonen und handlungsweisender
> Notfalltherapie beim depressiven Stupor Charakter der Suizidideationen.
5 Sie besteht ebenfalls aus einer Lorazepam-Medi- Ein generell höheres Suizidrisiko haben Män-
kation (s. oben). ner, ältere und allein lebende Menschen, psychiat-
risch ersterkrankte Patienten sowie alters- und dia-
Stupor bei organischer katatoner Störung gnoseunabhängig Patienten mit schlechtem Behand-
Phänomenologisch besteht Ähnlichkeit mit dem Stu- lungserfolg. Besonders gefährdet sind weiterhin Per-
por bei katatoner Schizophrenie. Differenzialdiagnos- sonen mit Suizidversuchen in der Anamnese und dia-
tisch wegweisend sind pathologische Befunde bei der gnoseübergreifend Patienten mit aktuell depressiver
internistischen bzw. neurologischen Diagnostik. Es oder dysphorisch-agitierter Symptomatik. Gute fami-
kann ggf. Haloperidol verordnet werden. liäre, soziale und berufliche Bindungen sind protek-
tive Faktoren.
Dissoziativer Stupor (psychogener Stupor)
Bei bestehender psychomotorischer Hemmung mit Umgang mit suizidalen Patienten
Mutismus sowie fehlender oder stark eingeschränkter Jede Suizidäußerung eines Patienten ist ernst zu neh-
Reagibilität auf äußere Reize finden sich unauffäl- men, eine ausführliche Exploration ist dann zwingend
lige organische Befunde, anamnestisch sind meistens nötig.
keine psychiatrischen Achse-I-Störungen festzustel- 5 Zur Einschätzung der akuten Gefährdung ist die
len. Diagnostisch wegweisend sind unmittelbar bzw. ausführliche Anamnese wichtig. Bei Verdacht auf
kurz zuvor vorausgegangene belastende Erlebnisse Suizidalität muss diese offen thematisiert werden,
(Fremdanamnese). Häufig liegt eine auffällige Persön- die Absprachefähigkeit des Patienten ist zu beur-
lichkeitsstruktur zugrunde. teilen.

> Notfalltherapie beim psychogenen Stupor Wichtig


5 Reizabschirmung, Distanz vom belastenden
Ereignis bzw. belastenden Faktoren schaffen; Ge- 5 Akut suizidale Patienten sind unverzüglich
spräch in ruhiger, neutraler Umgebung suchen; in Begleitung in eine psychiatrische Klinik
Zeit nehmen. einzuweisen, bei fehlender Krankheitsein-
5 Lorazepam-Medikation (s. oben). sicht oder Behandlungsbereitschaft kann
eine Einweisung nach dem Betreuungsrecht
(BGB) bzw. dem Psychisch-Kranken-Gesetz
34.4 Suizidalität (PsychKG) notwendig werden.

Suizidalität kommt als Symptom bei allen psychiat-


rischen Erkrankungen vor. Besonders häufig treten > Wichtige Fragen:
sie im Rahmen unipolarer oder bipolaren Störungen, 5 Bestehen schon konkrete Vorstellungen oder
schizophrenen Psychosen, alkoholbezogenen und sind schon Vorbereitungen getroffen?
Persönlichkeitsstörungen (besonders Borderline-Per- 5 Drängen sich Suizidgedanken passiv auf?
sönlichkeitsstörung) auf. 5 Wurden Suizidabsichten bereits angekündigt?
Auch unabhängig von psychiatrischen Krank- 5 Haben sich zwischenmenschliche Kontakte in der
heitsbildern, z. B. im Terminalstadium schwerer letzten Zeit reduziert?
somatischer Erkrankungen, als »Bilanzsuizid«, in
Lebenskrisen, bei Verlusten und Trennungen, dras- > Notfalltherapie bei Suizidalität
tischen von außen kommenden Änderungen der 5 Die Therapie ist stets abhängig von der Grund-
Lebensweise, schweren Kränkungen kann Suizidali- erkrankung, grundsätzlich sollte kombiniert
tät auftreten. pharmako- und psychotherapeutisch vorgegan-
gen werden.
278 Kapitel 34 · Notfallpsychiatrie

5 Immer ist für einen ausreichenden Nachtschlaf 34.5 Psychopharmaka als


21 (v. a. Durchschlafen) zu sorgen. Empfehlenswert Ursache psychiatrischer
ist ggf. eine Dosisverteilung des sedierenden Notfallsituationen
Antipsychotikums bzw. Antidepressivums eher
22 am späten Abend. Auch kann die zusätzliche Psychopharmaka können selbst, über die bekannten
Verordnung eines Schlafmittels notwendig sein. Nebenwirkungen wie Unruhe, Umtriebigkeit, Erregt-
5 Bei Suizidalität bei psychotischen Angst- und
23 Erregungszuständen ist eine konsequente
heit hinaus (besprochen in den jeweiligen Kapiteln),
Notfallsituationen induzieren; die drei typischen wer-
antipsychotische Behandlung (ggf. zusätzlich den im Folgenden besprochen. Die Therapie erfolgt in
24 passagere Gabe von Lorazepam 2–4 mg/Tag) der Regel in der Notfallmedizin.
indiziert.
Benzodiazepine haben einen sehr schnellen Malignes neuroleptisches Syndrom
25 Effekt und können die Hoffnungslosigkeit, die Beim malignen neuroleptischen Syndrom handelt es
oft Anlass der Suizidalität ist, vorübergehend sich um eine sehr seltene Nebenwirkung einer Anti-
26 lindern. psychotikatherapie, vorwiegend bei hohen Dosen
5 Bei Suizidalität im Rahmen depressiver Stö- hochpotenter Antipsychotika, in Einzelfällen auch
rungen werden ebenfalls zunächst Benzodiaze- unter AAP, jedoch auch bei normaler Dosierung. In
27 pine (z. B. Lorazepam) gegeben. der Regel tritt es innerhalb von 2 Wochen nach Beginn
Die konsequente antidepressive Pharmako- der Antipsychotikatherapie auf; dabei besteht vitale
28 therapie ist in der Akut- und Notfallsituation
wegen der langen Wirklatenz zweitrangig. Bei
Gefährdung. Die Symptome entwickeln sich inner-
halb von 24–72 h.
hochsuizidal depressiven Patienten kann die EKB Die Symptome sind: extrapyramidale Störungen
29 (7 Abschn. 15.6) lebensrettend sein. mit Rigor, Akinesie, z. T. auch Dys- und Hyperki-
5 Bei suizidalen Krisen bei Persönlichkeitsstö- nesien, Stupor, fluktuierende Bewusstseinsstörungen
bis zum Koma sowie autonome Funktionsstörungen
30 rungen sind auch primär Benzodiazepine (z. B.
Lorazepam) indiziert. mit Tachykardie, (labiler) Hypertonus, Tachy- bzw.
5 Bei Suizidalität im Rahmen von Suchterkran- Dyspnoe, Hautblässe oder -rötung, Hypersalivati-
31 kungen steht zunächst die stationäre Entgiftung on, Hyperhidrose und Harninkontinenz. Im Labor ist
im Vordergrund (7 Kap. 28). besonders die Kreatinkinase (CK) erhöht.
32 Suizidprävention Zentrales Serotoninsyndrom
Wichtigste Maßnahme zur längerfristigen Suizid- Beim zentralen Serotoninsyndrom (7 Abschn. 5.6)
33 prävention bei psychiatrischen Erkrankungen ist die kommt es zu seltenen Neben- bzw. Wechselwirkungen
Durchführung einer Erhaltungstherapie bzw. Rezidiv- von Pharmaka mit serotonerger Wirkkomponente,
prophylaxe (je nach Diagnose antipsychotisch, antide- v. a. bei SSRI, Venlafaxin, Mirtazapin (additiv), TZA,
34 pressiv bzw. phasenprophylaktisch oder kombiniert). MAO-Hemmer, 5-HT-Agonisten, Tryptophan, Koka-
in, Amphetamine, aber auch Lithium (vorwiegend in
Wichtig
35 der Kombinationstherapie als pharmakodynamische
Interaktion auf Ebene der serotonergen Neurotrans-
Je akuter und ausgeprägter die Suizidalität ist, mission im Sinne einer serotonergen Überaktivität).
36 desto mehr muss zunächst die sedierende Kom-
ponente der medikamentösen Therapie betont
Es ist potenziell lebensbedrohlich und tritt überwie-
gend innerhalb der ersten 24 h nach Applikation auf.
werden. Eine kontinuierliche Überwachung und Die Symptome sind: Trias aus Fieber (»Schüttel-
37 Betreuung des Patienten ist selbstverständlich. frost«), neuromuskulären Symptomen (Hyperrigidi-
Der Patient sollte möglichst frühzeitig mit dem tät, Hyperreflexie, Myoklonie, Tremor) und psychopa-
38 auch langfristig weiterbehandelnden Arzt in Kon-
takt gebracht werden, um ein Vertrauensverhält-
thologischen Auffälligkeiten (delirante Symptome wie
Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen, Des-
nis aufzubauen. orientiertheit, Verwirrtheit, z. T. Erregungszustän-
39 de). Weiterhin gastrointestinale Symptome wie Übel-
keit, Erbrechen, Diarrhö; vital bedrohliche Komplika-
40 tionen durch epileptische Anfälle; Herzrhythmusstö-
rungen; Koma; Multiorganversagen; Verbrauchskoa-
gulopathie.
34.7 · Checkliste
279 34
Zentrales anticholinerges Syndrom Im Rahmen von Intoxikationen, aber auch von
Das zentrale anticholinerge Syndrom tritt auf bei anderen Krisen, kann oft eine Eigen- und Fremdge-
Überdosierung bzw. Intoxikation mit anticholinerg fährdung mit Suizidalität, selbstschädigendem Ver-
wirksamen Pharmaka (z. B. Clozapin, TZA) sowie halten, Aggressionen und Delinquenz bestehen. Dann
additiv bei deren Kombination, aber auch bereits in sollte sofort gehandelt werden und der Notarzt und/
normalen Dosisbereichen. Es ist potenziell lebensbe- oder die Polizei verständigt werden. Die medikamen-
drohlich. töse Akuttherapie besteht dann häufig aus Antipsy-
Die Symptome sind: anticholinerge Symptome chotika und/oder Benzodiazepinen.
wie trockene Haut und Schleimhäute, Hyperthermie,
Mydriasis, Harnverhalt, Obstipation (bis zum para-
lytischen Ileus), Tachykardie und Herzrhythmusstö- 34.7 Checkliste
rungen.
Bei der agitierten Verlaufsform kann sich eine deli- ?
rante Symptomatik, Desorientiertheit, Verwirrung,
Sinnestäuschungen, motorische Unruhe und Agita- 1. Welches Antipsychotikum hat sich bei der
tion, Dysarthrie und zerebrale Krampfanfälle ent- Behandlung von schweren psychomoto-
wickeln, bei der sedativen Verlaufsform kommt es zu rischen Erregungszuständen bewährt?
Somnolenz bzw. Koma. 2. Welche Rolle spielt die Behandlung mit Ben-
zodiazepinen, insbesondere mit Alprazolam,
in Notfallsituationen?
34.6 Notfallsituationen 3. Welche Medikation ist bei suizidalen Krisen
in der Kinder- und indiziert?
Jugendpsychiatrie
Alle Notfälle des Erwachsenenalters können auch bei
Kindern und Jugendlichen vorkommen und sollten
dann ebenso wie bei Erwachsenen behandelt werden.
Notfälle bzw. Krisen in der Kinder- und Jugend-
psychiatrie werden durch schwerwiegende psychopa-
thologische Symptome, Eigen- und Fremdgefährdung
und gravierende Mängel im Betreuungs- und Bezugs-
system definiert. Bei Mängeln im Betreuungs- und
Bezugssystem wie Deprivation mit Misshandlung,
sexuellem Missbrauch oder Gedeihstörungen sollte
man sich an staatliche Institutionen, wie z. B. Jugend-
amt, Gesundheitsamt, Polizei oder Familiengericht,
wenden.
Häufige Notfälle in der Kinder- und Jugendpsy-
chiatrie stellen Intoxikationen dar. Im Kindesalter
sind es noch vorwiegend akzidenzielle Vergiftungen,
während in der Adoleszenz hauptsächlich Intoxikati-
onen mit Alkohol, Drogen und Medikamenten vor-
kommen. Durch Intoxikationen mit chemischen oder
pflanzlichen Drogen können Psychosen ausgelöst
werden. Dann ist häufig eine medikamentöse Thera-
pie mit Antipsychotika und Benzodiazepinen nötig.
Einige Drogen induzieren extrem psychotisches Erle-
ben (z. B. LSD) und einige verursachen starke vegeta-
tive Nebenwirkungen (z. B. Stechapfel). Wann immer
der Verdacht auf eine unklare oder starke Intoxikation
besteht, empfiehlt es sich, sofort eine Notfallambulanz
aufzusuchen oder den Notarzt zu rufen und Rück-
sprache mit einer Vergiftungszentrale zu halten.
35.1 ·
281 35

Psychopharmaka in Schwangerschaft
und Stillzeit

35.1 Antidepressiva – 282

35.2 Lithium – 283

35.3 Antikonvulsiva – 283

35.4 Antipsychotika – 283

35.5 Benzodiazepine und Non-Benzodiazepinhypnotika – 284

35.6 Checkliste – 285


282 Kapitel 35 · Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit

Die Pharmakotherapie während der Schwangerschaft unterschieden. Es werden hier nur Beobachtungen
21 ist nicht geregelt, weil kein Psychopharmakon für die- erwähnt, die auch Konsequenzen in der Verordnung
se Indikation speziell zugelassen ist. Durch den häu- haben.
figeren Gebrauch gerade der neueren Antidepressiva
22 und Antipsychotika werden auch mehr unerwünschte
Wirkungen und Risiken in der Schwangerschaft und 35.1 Antidepressiva
23 Stillzeit erkannt. Eine Beeinflussung für das Kind oder
den Säugling durch Psychopharmaka ist zu keiner Während man bisher davon ausging, dass SSRI ohne
Zeit auszuschließen, denn nahezu alle Psychophar- Risiko in der Schwangerschaft gegeben werden könn-
24 maka sind plazentagängig und gehen in die Mutter- ten, ist kürzlich eine Assoziation zwischen SSRI-
milch über. Behandlung nach der 20. Schwangerschaftswoche und
So wird die Gabe psychotroper Medikamente pulmonaler Hypertension beim Neugeborenen deut-
25 während der Schwangerschaft und Stillzeit stets ein lich geworden. Eine solche Assoziation fand sich nicht
sorgfältiges Abwägen zwischen der Exposition des nach Einnahme von Amitriptylin, Imipramin, Nortrip-
26 Kindes auf der einen und dem Risiko des Rezidivs der tylin, Venlafaxin oder Bupropion in der Schwanger-
psychischen Erkrankung der Mutter nach dem Abset- schaft. Für Escitalopram und Fluvoxamin liegen noch
zen der Medikation auf der anderen Seite beinhalten. nicht genügend Daten vor, um eine Risikoabschät-
27 Auch gibt es schwere psychische Krankheiten, die ein zung zu treffen.
Neuansetzen eines Antidepressivums, Antipsychoti- Darüber hinaus fand sich eine Assoziation zwi-
28 kums oder Benzodiazepins erforderlich machen.
Eine Behandlung mit Psychopharmaka insbe-
schen SSRI-Behandlung in der Schwangerschaft
und einer verkürzten Schwangerschaftsdauer, einem
sondere im 1. Trimenon sollte nur dann durchge- geringeren Geburtsgewicht sowie einem schlechteren
29 führt werden, wenn das mit der psychischen Stö- Apgar-Wert. Der Zusammenhang mit dem Apgar-
rung assoziierte Risiko für Mutter und Fetus das mit Wert fand sich jedoch nur bei Einnahme des SSRI im
einer medikamentösen Behandlung verbundene Risi- 3. Trimenon der Schwangerschaft. Auch zeigte sich
30 ko übersteigt. Für Antidepressiva gilt diese Einschrän- eine erhöhte intensivmedizinische Behandlungsnot-
kung nach neueren Beobachtungen auch für die Zeit wendigkeit für Neugeborene, deren Mütter im 3. Tri-
31 nach der 20. Schwangerschaftswoche. menon SSRI eingenommen hatten. Es gibt aber auch
Untersuchungen, die einen solchenZusammenhang
Wichtig nicht finden.
32
5 Aufgrund der bekannten Risiken von Psy-
chopharmaka in der Schwangerschaft und
33 Stillzeit nimmt die Bedeutung engmaschiger
Fazit

Psychotherapie bei leichten und mittel- Pharmakotherapie mit Antidepressiva in der


34 schweren psychischen Erkrankungen zu. Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Wenn ein Psychopharmakon bei schweren 5 Durch die Ergebnisse der oben genannten Studie zur
Erkrankungen dennoch verordnet werden
35 muss, ist die niedrigste effektive Dosis über
Assoziation von SSRI-Behandlung von Schwangeren
nach der 20. Schwangerschaftswoche und pulmo-
die kürzeste Behandlungszeit zu wählen. naler Hypertension bei Neugeborenen muss die
36 5 Die Indikation zur Behandlung mit Psycho-
pharmaka muss in der Schwangerschaft
Empfehlung zur Verordnung von Antidepressiva in
der Schwangerschaft weiter eingeengt werden.
besonders eng gestellt werden. Die Eltern 5 Bei leichten und mittelschweren Depressionen sollte
37 sind ausführlich über die möglichen Risiken auf die kognitive Verhaltenstherapie oder die inter-
aufzuklären. personelle Psychotherapie zurückgegriffen werden.
38 5 Bei der Auswahl des Antidepressivums sollte berück-
Bei Beschreibung der Risiken wird die Wirkung des sichtigt werden, dass SSRI mit erhöhter Perinataltoxi-
Psychopharmakons auf zität und einem erhöhten Risiko für eine pulmonale
39 5 Teratogenität, Hypertension einhergehen können. Paroxetin sollte in
5 Perinatalsyndrome (Perinataltoxizität) und der Schwangerschaft nicht gegeben werden.
40 5 postnatale Entwicklungs- und Verhaltensstö- 5 Werden die Risiken der Depression für die Mutter
rungen (Verhaltenstoxizität) höher als die Risiken für das Kind eingestuft und ist
somit eine Indikation für Antidepressiva gegeben,
35.4 · Antipsychotika
283 35

scheinen heute TZA unproblematischer als SSRI hin- 5 Es ist daran zu denken, dass rasches Absetzen von
sichtlich erhöhter Perinataltoxizität und der Gefahr Lithium das Rezidivrisiko erhöht und möglicherweise
der Entstehung einer pulmonalen Hypertension zu bei Wiederansetzen von Lithium keine Response
sein. Da unter TZA bisher schon Nortriptylin wegen mehr zu erreichen ist.
der geringsten Nebenwirkungen innerhalb dieser
Gruppe der Vorzug gegeben wurde, könnte dieses
Präparat zzt. das Mittel der Wahl sein.
5 Diese vorsichtigen Empfehlungen sollten aber in kei- 35.3 Antikonvulsiva
nem Fall dazu führen, dass depressiven Schwangeren
eine notwendige Therapie vorenthalten wird. 5 Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure
müssen bei Einnahme im 1. Trimenon als terato-
gen betrachtet werden.
5 Das Risiko für Fehlbildungen bei Kindern epi-
35.2 Lithium lepsiekranker Frauen, die während der Schwan-
gerschaft Antikonvulsiva einnahmen, ist 2- bis 3-
5 Durch Einnahme von Lithium (7 Abschn. 6.4.1) fach gegenüber der Normalbevölkerung erhöht.
während der Schwangerschaft können kardio- Carbamazepin- und Valproinsäureeinnahme
vaskuläre Fehlbildungen ausgelöst werden, selten während des 1. Trimenons erhöht das Risiko für
kann es auch zur Ausbildung einer Ebstein-Ano- Neuralrohrverschlussstörungen (Spina bifida)
malie (Kombination aus Trikuspidalinsuffizienz, und für Verschlussstörungen im Urogenitaltrakt
offenem Ductus arteriosus und Hypoplasie des (Hypospadie). Eine Folsäuresubstitution ist indi-
rechten Ventrikels) kommen. ziert.
5 Auch das Frühgeburtsrisiko ist bei Schwangeren
unter Lithium erhöht.
5 Bei Behandlung der Mutter mit Lithium in den Fazit
letzten Schwangerschaftswochen zeigt das Neu-
geborene u. U. ein Floppy-infant-Syndrom: Lethar- Pharmakotherapie mit Antikonvulsiva in der
gie, muskuläre Hypotonie, Hypothermie, Atem- Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
insuffizienz, abgeschwächte Saugreflexe mit 5 Auf Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure
Ernährungsstörungen. Eine Rückbildung ist sollte während der Schwangerschaft bei psychischen
meist innerhalb von 1–2 Wochen zu erwarten. Erkrankungen verzichtet werden.
Gelegentlich bei Neugeborenen beobachtete Stru- 5 Vom Stillen ist unter diesen Präparaten abzuraten.
men sind innerhalb einiger Monate reversibel. 5 Falls Antikonvulsiva dennoch verordnet werden
5 Bei Einnahme von Lithium während der Stillzeit müssen, ist Folsäure zu geben.
werden beim Säugling Werte zwischen 10 und
50% der bei der Mutter erhobenen Spiegel gemes-
sen. Folgen dieser Lithiumserumspiegel für das
Kind sind unbekannt. 35.4 Antipsychotika
5 Bisher gibt es keinen eindeutigen Nachweis tera-
Fazit togenen Potenzials und einer damit verbundenen
Zunahme von Fehlbildungen nach Antipsycho-
Pharmakotherapie mit Lithium in der Schwanger- tikaexposition. Aber nach pränataler Exposition
schaft und Stillzeit – Bewertung gegenüber Phenothiazinen (z. B. Chlorpromazin)
5 Frauen, die Lithium einnehmen, sollten aufgrund des gibt es Berichte über das Auftreten von Fehlbil-
potenziell teratogenen Risikos grundsätzlich kontra- dungen im Bereich der kardiovaskulären Organe,
zeptive Maßnahmen einleiten. des ZNS und des Skeletts.
5 Bei geplanter Schwangerschaft ist eine Latenz von 5 Die Erfahrungen mit atypischen Antipsychotika
2 Wochen zwischen Absetzen von Lithium und Kon- (AAP) in der Schwangerschaft sind begrenzt. Die
zeption notwendig. umfangreichsten Daten sind für Olanzapin publi-
5 Es sollte grundsätzlich versucht werden, im 1. Trime- ziert; obwohl diese nicht auf erhöhte Fehlbil-
non auf eine Behandlung mit Lithium zu verzichten. dungsraten hinweisen, kann aufgrund der nied-
5 Vom Stillen unter Lithium ist abzuraten. rigen Fallzahlen auch diese Substanz nicht als
284 Kapitel 35 · Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit

unbedenklich gelten. In einer kleinen prospekti- allem in älteren Untersuchungen gibt es Hinweise
21 ven Studie mit Olanzapin, Quetiapin und Rispe- auf das gehäufte Auftreten von Gesichtsspalten.
ridon in der Schwangerschaft fanden sich keine 5 Clonazepam wird hinsichtlich des teratogenen
Hinweise auf erhöhte Fehlbildungsraten. Für die Risikos gegenwärtig als am wenigsten bedenklich
22 anderen AAP liegen nur Einzelfallberichte vor. eingeschätzt.
5 Auf eine ausreichende Zufuhr an Folsäure ist 5 Bei Neugeborenen kann es zum Floppy-infant-
Syndrom (7 Abschn. 35.2) kommen. Auch Ent-
23 besonders bei Patienten, die unter AAP an
Gewicht zunehmen, zu achten. zugssyndrome kommen beim Neugeborenen
5 Bei Neugeborenen, deren Mütter während der nach längerer Benzodiazepineinnahme durch die
24 Schwangerschaft konventionelle Antipsychoti- Mutter vor. Diese Symptome halten meist nur
ka eingenommen haben, muss mit EPS gerechnet wenige Stunden oder Tage an, sie können jedoch
werden, die sich nach einigen Tagen zurück bil- bis zu mehreren Wochen persistieren. Langwirk-
25 den. Perinatalsyndrome wurden jedoch auch bei same Benzodiazepine mit aktiven Metaboliten
Gabe von Olanzapin berichtet. Clozapin ist kon- sind als besonders bedenklich einzuschätzen, da
26 traindiziert. sie im Fetus wegen des unzureichenden Stoff-
5 Antipsychotika können in unterschiedlichem wechsels kumulieren können.
Umfang in die Muttermilch übergehen. Daher ist 5 Benzodiazepine gehen in die Muttermilch über;
27 bei Behandlung mit Antipsychotika vom Stillen die beschriebenen Spiegel sind in der Regel aller-
abzuraten. dings sehr niedrig.
28 5 Klinische Untersuchungen zeigen unterschied-
liche Ergebnisse hinsichtlich Entwicklungsverzö-
Fazit gerungen. Häufig findet sich bei retardierter Ent-
29 wicklung der Kinder bei den Müttern neben der
Pharmakotherapie mit Antipsychotika in der Einnahme von Benzodiazepinen ein Missbrauch
von Alkohol oder Drogen.
30 Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Auf Antipsychotika im 1. Trimenon sollte verzichtet
werden.
31 5 Muss eine Behandlung während der Schwanger- Fazit
schaft durchgeführt werden, sollte ca. 14 Tage vor
dem erwarteten Geburtstermin ein Absetzversuch Pharmakotherapie mit Benzodiazepinen und
32 bzw. zumindest eine Dosisreduktion angestrebt Non-Benzodiazepinen in der Schwangerschaft und
werden, um das Risiko für EPS beim Neugeborenen Stillzeit – Bewertung
33 zu verringern. Bei zwingender Notwendigkeit ist am 5 Benzodiazepe im 1. Trimenon sollten aufgrund
ehesten eine niedrig dosierte Therapie mit Halope- des nicht auszuschließenden teratogenen Risikos
ridol durchzuführen, da hier die größten klinischen vermieden werden. Im 2. Trimenon scheinen geringe
34 Erfahrungen vorliegen. Wenn ein AAP verordnet Gaben von Benzodiazepinen keine Komplikationen
werden soll, erscheint Olanzapin zzt. am wenigsten hervorzurufen.
35 risikoreich.
5 Vom Stillen unter Antipsychotika ist abzuraten.
5 Da die Metabolisierungskapazitäten beim Säugling
nicht ausgereift sind, muss mit ausgeprägten Benzo-
5 Auf die Gabe des Antiparkinsonmittels Biperiden diazepinwirkungen (Sedierung, Lethargie, Trink-
36 sollte in der Schwangerschaft verzichtet werden, da schwierigkeiten) gerechnet werden. Da Benzodiaze-
die Substanz als zumindest gering teratogen einzu- pine jedoch nur in geringem Maße in die Muttermilch

37 schätzen ist. übergehen, raten einige Autoren dennoch nicht


prinzipiell vom Stillen ab.
5 Für die Non-Benzodiazepinhypnotika liegen nur
38 wenige Daten vor; sie sollten in Schwangerschaft und
35.5 Benzodiazepine und Non- Stillzeit nicht gegeben werden.
Benzodiazepinhypnotika
39
5 Eine definitive Aussage zur Teratogenität von
40 Benzodiazepinen, besonders bei Gabe im 1. Tri-
menon, kann zzt. nicht gemacht werden. Vor
35.6 · Checkliste
285 35

35.6 Checkliste

?
1. Was ist bei der Behandlung einer Depression
in der Schwangerschaft zu bedenken?
2. Welche Antipsychotika haben in der
Schwangerschaft nach dem derzeitigen
Wissensstand das geringste Risiko?
3. Was ist bei einer Behandlung mit Lithium in
der Schwangerschaft und in der Stillzeit zu
beachten?
4. Welche Risiken beinhaltet die Gabe von Ben-
zodiazepinen in der Schwangerschaft und in
der Stillzeit?
36.1 ·
287 36

Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit

36.1 Checkliste – 290


288 Kapitel 36 · Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit

Fahrtüchtigkeit, Alltagsicherheit und Reaktionsfähig- Das Gutachten »Krankheit und Kraftverkehr« (zuletzt
21 keit können durch psychische Krankheiten und durch 2000 vom Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin
Psychopharmaka beeinträchtigt werden. Deshalb von den Bundesministerien für Verkehr und Gesund-
müssen mögliche Änderungen dieser Eigenschaften heit unter dem neuen Titel »Begutachtungsleitlinien
22 stets abgeschätzt werden, um Einschränkungen durch zur Kraftfahrteignung« herausgegeben), beinhaltet
eine eingeleitete Psychopharmakotherapie frühzeitig Grundlagen zur medizinischen Beurteilung der Fahr-
23 zu erkennen. Im Vordergrund dieser Ausführungen
steht die Fahrtüchtigkeit. Diese, die Reaktionsfähig-
eignung. Es ist eine Stellungnahme, die im Einzelfall,
aber nicht für jeden Patienten Gültigkeit haben kann.
keit und die Alltagssicherheit werden von Psycho- Sinngemäß enthalten die »Begutachtungsleitlinien zur
24 pharmaka im gleichen Sinne beeinflusst. Kraftfahrteignung« u. a. folgende Leitsätze zu psychi-
Es gibt deshalb im Umgang mit Psychopharma- atrischen Grunderkrankungen:
ka einige Regeln: 5 Bei jeder schweren Depression, die z. B. mit
25 5 In der Ein- oder Umstellungsphase mit sedieren- Wahn, stuporösen Symptomen oder akuter Suizi-
den Psychopharmaka muss in der Regel die Fahr- dalität einhergeht, und bei allen manischen Pha-
26 tüchtigkeit für mindestens ca. 14 Tage verneint sen sind die Voraussetzungen zum sicheren Füh-
werden. Diese Zeitspanne kann im Einzelfall ren von Kraftfahrzeugen nicht gegeben, ebenso
erheblich länger sein. wenig wie in akuten Stadien schizophrener Epi-
27 5 Eine stabile Erhaltungstherapie wird in der Regel soden, bei Demenz oder bei organischen Psycho-
die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sen wie einem Delir oder einem Korsakow-Syn-
28 nicht beeinflussen. Die Einnahme von Benzodia-
zepinen, sedierenden Antidepressiva oder Antip-
drom.
5 Grundsätzlich werden nach Abklingen der Akut-
sychotika hingegen kann die Fahrtüchtigkeit auch symptomatik Überprüfungen der Fahrtauglich-
29 langfristig beinträchtigen. keit empfohlen. Die Eignung zur aktiven Wie-
derteilnahme am Straßenverkehr setzt allerdings
Bei einigen Erkrankungen, die von sich aus die Eig- symptomfreie Intervalle voraus. Diese differieren
30 nung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen je nach Grunderkrankung erheblich, z. B. kann
können, kann erst durch die Arzneimittelbehandlung in der Regel nach einer ersten schweren psycho-
31 die Voraussetzung zum Führen von Kraftfahrzeugen tischen Episode nach 6-monatiger Symptom-
wieder erreicht werden. Entscheidend bleibt jedoch freiheit die Fahrerlaubnis wiedererlangt werden.
auch hier, ob eine Arzneimitteltherapie zu einer Besonders günstige Krankheitsverläufe rechtferti-
32 wesentlichen Beeinträchtigung der psychophysischen gen eine Verkürzung dieser Zeit.
Leistungsfähigkeit führt. Bei Unsicherheit in dieser
33 Frage kann ggf. eine verkehrsmedizinische Untersu- . Tabelle 36.1 gibt einen Überblick über die Beein-
chung unter Einbeziehung objektiver Leistungstests trächtigungen der Fahrtüchtigkeit.
erfolgen.
34
Wichtig
35 5 Über eine mögliche Beeinträchtigung der
Fahrtüchtigkeit durch Psychopharmaka
36 sowie über mögliche Interaktionen mit
anderen Arzneimitteln, besonders mit
Alkohol, muss der Patient vor Teilnahme am
37 Straßenverkehr stets aufgeklärt werden. Die
Inhalte der Aufklärung sollten im Kranken-
38 blatt dokumentiert werden.
5 Dem Patienten muss eine Mitverantwortung
und Entscheidungskompetenz zugewiesen
39 werden.

40
Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
289 36

. Tab. 36.1. Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit unter Psychopharmaka

Psychopharmaka Eigenschaften Einfluss auf Fahrtüchtigkeit

Antidepressiva Sedierend (z. B. Amitriptylin, Doxepin, Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung


Mirtazapin) und in den ersten 2 Wochen nach Errei-
chen der Zieldosis eingeschränkt; Beein-
trächtigung auch während Erhaltungs-
therapie möglich

Nichtsedierend (z. B. Desipramin, Fahrtüchtigkeit oft nicht eingeschränkt;


Duloxetin, MAO-Hemmer, Nortriptylin, Beeinträchtigung kann im Einzelfall
Reboxetin, SSRI, Venlafaxin) jedoch auch längerfristig fortbestehen

Antipsychotikaa Zu Beginn der Behandlung Sedierung Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung


und Einschränkung der Konzentrations- und in den ersten 2 Wochen nach Errei-
fähigkeit, orthostatische Dysregulation chen der Zieldosis eingeschränkt; Beein-
(besonders Phenothiazine mit alipha- trächtigung auch während Erhaltungs-
tischer Seitenkette, z. B. Levopromazin) therapie möglich

Sedierender Effekt bei Clozapin, Bei Clozapin, Olanzapin und Quetiapin


Olanzapin und Quetiapin kann länger muss mit längerer Einschränkungszeit
anhaltend sein gerechnet werden

Benzodiazepine Sedierend, Konzentrationsstörung und Fahrtüchtigkeit in Einstellungsphase und


(auch Non-Benzodiaze- Funktionsstörungen der Muskulatur Erhaltungstherapie dosisabhängig ein-
pinhypnotika) bekannt, Amnesie möglich geschränkt; bei längerer Halbwertszeit
Hang-over möglich

Dopamin-Agonisten Übermäßiger Schläfrigkeit; gelegentlich Es muss mit längeren Einschränkungen


(Levodopa, Pramipexol, plötzliches Einschlafen, auch ohne vor- gerechnet werden
Ropinirol) herige Warnzeichen

Opioid-Agonisten Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung


(Buprenorphin, Methadon) und in den ersten Wochen nach Dosis-
stabilisierung eingeschränkt; Beeinträch-
tigung auch während stabiler Dosis mög-
lich

Stimmungsstabilisierer Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung


eingeschränkt; Beeinträchtigung auch
5 Carbamazepin Bei Therapiebeginn Benommenheit, während Erhaltungstherapie möglich
Schwindel, ataktische Störungen und
Müdigkeit bekannt

5 Lamotrigin Oft verschwommenes Sehen, Schwin-


del und Müdigkeit, auch Reizbarkeit;
Tremor und Ataxie

5 Lithium Als initiale Nebenwirkungen leichte


Müdigkeit und feinschlägiger Tremor
bekannt

5 Valproinsäure Bei Therapiebeginn Sedierung, Tremor


und ataktische Störungen bekannt
a Konventionelle Antipsychotika beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit i.d.R. stärker als atypische Antipsychotika.
290 Kapitel 36 · Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit

36.1 Checkliste
21
?
22 1. Welchen Effekt haben Antidepressiva auf die
Fahrtüchtigkeit?

23 2. Was ist bei der Gabe von Antipsychotika in


Bezug auf die Fahrtüchtigkeit zu beachten?
3. Welche Auswirkung hat die Gabe von Benzo-
24 diazepinen auf die Fahrtüchtigkeit?

25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
291 A1

Anhang

A1 Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und


die entsprechenden Präparate – 292

A2 Antworten zu den Checkfragen – 295

Literatur – 311

Diagnoseverzeichnis – 321

Pharmakaverzeichnis – 323

Sachverzeichnis – 325
292 A1 · Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate

A1 Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe


22
und die entsprechenden Präparate
23 Chemische
Kurzbezeichnung
Handelsname Chemische
Kurzbezeichnung
Handelsname

24 Acamprosat Campral® Haloperidol Haldol

Alprazolam Tafil® Hydroxyzin Atarax®

25 Amisulprid Solian® Hyperikumextrakt (diverse Präparate)

Amitriptylin Saroten® Imipramin Tofranil®


26 Aripiprazol Abilify® Lamotrigin Elmendos®, Lamictal®

27 Atomoxetin Strattera® Levomethadon L-Polamidon®

Buprenorphin Subutex® Lithiumsalze Quilonum retard®


(Lithiumcarbonat)
28 Bupropion Elontril®1, Zyban®2
Lorazepam Tavor®
Buspiron Bespar®
29 Carbamazemin Tegretal®, Timonil®
Lormetazepam Noctamid®; Ergocalm
Tabs®
Chloralhydrat Chloraldurat 500®
30 Lorprazolam Sonin®
Chlordiazepoxid Librium® Melperon Eunerpan®
31 Citalopram Cipramil®, Sepram® Memantin Axura®, Ebixa®
Clomethiazol Distraneurin® Methadon Methaddict®
32 Clomipramin Anafranil® Methylphenidat Equasym®, Medikinet®,
Medikinet retard®,
Clonazepam Rivotril®
33 Ritalin®, Concerta®,
Clozapin Leponex®
Milnacipran Dalcipran®
34 Cyproteronacetat Androcur®
Mirtazapin Remergil®
Diazepam Valium®
Moclobemid Aurorix®
35 Diphenhydramin Dolestan®
Modafinil Vigil®
Donepezil Aricept®
36 Naltrexon Nemexin®
Duloxetin Cymbalta®
Natriumoxybat Xyrem®
37 Escitalopram Cipralex®
Nortriptylin Nortrilen®
Fluoxetin Fluctin®
Olanzapin Zyprexa®
38 Flupentixol Fluanxol®
Opipramol Insidon®
Flurazepam Dalmadorm®
39 Orlistat Xenical®
Fluvoxamin Fevarin®
Oxazepam Adumbran®
40 Galantamin Reminyl®
Paliperidon Invega®
1
als Antidepressivum; 2 als Mittel zur Raucherentwöhnung
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
293 A1

Chemische Handelsname
Kurzbezeichnung

Paroxetin Seroxat®, Tagonis®

Pipamperon Dipiperon®

Pregabalin Lyrica®

Propranolol Dociton®

Quetiapin Seroquel®

Reboxitin Edronax®

Rimonabant Acomplia®

Risperidon Risperdal®

Rivastigmin Exelon®

Sertralin Gladem®, Zoloft®

Sibutramin Reductil®

Sildenafil Viagra®

Tadalafil Cialis®

Temazepam Remestan®

Triazolam Halcion®

Trimipramin Stangyl®

Valproinsäure Ergenyl chrono®,


Orfiril long®

Vardenafil Levitra®

Vareniclin Champix®

Venlafaxin Trevilor® retard

Zaleplon Sonata®

Ziprasidon Zeldox®

Zolpidem Stilnox®

Zopiclon Ximovan®
295 A2

Antworten zu den Checkfragen


Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 1 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 2

1. Pharmakon mit therapeutisch nützlicher Wir- 1. Absorption, Distribution, Metabolisierung,


kung. Exkretion
2. Ein Fertigarzneimittel ist ein Arzneimittel aus 2. Zusammenfassung von Metabolisierung und
industrieller Fertigung. Exkretion
3. Therapeutische Breite bezeichnet den Quotienten 3. Verteilungsvolumen Quotient der Pharmakon-
LD50/ED50, d. h. das Verhältnis der Dosis, bei der konzentration im Körper zur Konzentration im
50% der Versuchstiere sterben, zur Dosis, bei der Plasma
50% des therapeutischen Effektes erzielt werden. 4. Die CYP-Isoenzyme 1A2, 2C9, 2C19, und 3A4
4. Phase III einer klinischen Prüfung umfasst kon- 5. CYP1A2
trollierte Studien (randomisiert, verblindet) zum 6. Paroxetin, Fluoxetin
Nachweis der Wirksamkeit und Überprüfung der 7. Metabotrope und ionotrope Rezeptoren
Sicherheit an vielen Patienten mit gut definierten 8. Tranylcypromin ist ein irreversibler Hemmstoff
Einschluss- und Ausschlusskriterien. von Monoaminoxidase
5. Bei pharmakokinetischer Toleranz findet eine 9. Medikamente wirken über einen Rezeptor
Induktion arzneimittelmetabolisierender Enzyme 10. Vermeidung von Intoxikationen (z. B. Lithium),
statt. Dadurch wird der Abbau der Wirksubstanz Verdacht auf Nichteinnahme der verordneten
beschleunigt. Es muss eine höhere Dosis gewählt Medikamente, kein oder ungenügendes Anspre-
werden. chen bei klinisch üblicher Dosis, ausgeprägte
6. Kein Risiko der Entwicklung einer pharmako- Nebenwirkungen bei klinisch üblicher Dosis,
dynamischen Toleranz besteht bei den meisten Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen, Kom-
im therapeutischen Einsatz befindlichen Psycho- binationsbehandlung mit einem Medikament
pharmaka, z. B. Antidepressiva, Antipsychotika, mit bekanntem pharmakokinetischem Interak-
Antidementiva. Ausnahme sind Benzodiazepine, tionspotenzial, Rezidiv unter Erhaltungsdosis,
Opioide, Amphetamine. bekannte pharmakogenetische Besonderheiten,
7. Diagnosestellung, Schweregrad der Erkrankung, Kinder und Jugendliche, Alterspatienten über
Dauer der Erkrankung, medikamentöse Vor- 65 Jahre
behandlungen, Besonderheiten, die sich auf die
Pharmakokinetik auswirken, Besonderheiten,
die sich auf die Pharmakodynamik auswirken, Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 3
Suchtanamnese, Wirkprofil des Psychophar-
makons, Nebenwirkungen und Kontraindikati- 1. Die Aufklärung des Patienten beinhaltet Infor-
onen des Psychopharmakons, mögliche Wechsel- mation über Dosis, zu erwartende therapeu-
wirkungen des Psychopharmakons mit anderen tische Effekte und unerwünschte Wirkungen. Der
Medikamenten, Aufklärung des Patienten über Patient soll verstehen, dass eine medikamentöse
Dosis, Wirkung und mögliche Nebenwirkungen. Behandlung notwendig ist.
8. Eine Erhaltungstherapie ist oft notwendig zur 2. Die Therapieentscheidung und die Aufklärung
Verhinderung eines Rückfalls, insbesonde- des Patienten sollen auf wissenschaftlich fun-
re wenn in der Vorgeschichte mehrere Episoden dierten Erkenntnissen beruhen.
vorkamen. 3. Primärliteratur umfasst die Veröffentlichungen
9. Neuere Studien haben gezeigt, dass die Besserung von Forschungsergebnissen in Journalen in Form
in einer frühen Phase das spätere Ansprechen der Originalarbeiten.
oder Nichtansprechen vorhersagt. 4. Zu bevorzugen sind immer Publikationen in
Journalen mit Gutachtersystem.
5. SPC bedeutet »Summary of Product Characteri-
stics«. Den SPC entsprechen in Deutschland die
Fachinformationen. Sie müssen für jedes Arznei-
mittel nach gesetzlicher Auflage vom Hersteller
296 A2 · Antworten zu den Checkfragen

des Arzneimittels verfasst werden. Sie beschrei- Falle einer versehentlichen Überdosierung oder
21 ben die wesentlichen präklinischen und kli- bei Einnahme in suizidaler Absicht.
nischen Eigenschaften des Arzneimittels. 3. Bei den neuen dualen Antidepressiva wird ver-
6. Die Cochrane-Datenbank liefert für den Thera- sucht neben der möglichst selektiven Aktivierung
A2 peuten Information auf der Grundlage der evi- des Serotoninsystems ein zweites Neurotrans-
denzbasierten Medizin. Über sie wird der aktu- mittersystem – meist das noradrenerge System –
23 elle Stand des Wissens der klinischen Forschung
in kurzer Zeit verfügbar gemacht. Damit sollen
selektiv zu aktivieren und dadurch eine verbes-
serte antidepressive Wirkung zu erreichen bei
Entscheidungen im Gesundheitssystem verbes- gleichzeitig möglichst guter Verträglichkeit.
24 sert werden. 4. Der Neurotransmitter oder meist seine Vorstu-
7. Über den PubMed-Service, ein weltweit frei fe wird ins Neuron aufgenommen. Der Neuro-
zugänglicher Service der National Library of transmitter wird an die Nervenendigungen trans-
25 Medicine in den USA, kommt man über das portiert und in Vesikeln gespeichert. Bei einem
Internet zu Zusammenfassungen (Abstracts) Aktionspotenzial erfolgt ein Ca2+-Einstrom,
26 von Originalarbeiten oder Übersichtsartikeln der Neurotransmitter wird in den synaptischen
(Reviews). Spalt freigesetzt. Die Syntheserate und die Men-
8. Bei der Angabe »gelegentlich« ist in mindestens ge des freigesetzten Neurotransmitters kann
27 0,1% der Verordnungen mit der entsprechenden durch präsynaptische Auto- bzw. Heterorezep-
Nebenwirkung zu rechnen. toren reguliert werden. Nach Diffusion reagiert
28 9. Es handelt sich um eine unerwünschte schwer-
wiegende Wirkung. Sie ist an die Arzneimittel-
der Neurotransmitter mit Rezeptoren auf der
postsynaptischen Seite. Verschiede Mechanismen
kommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) führen zur Inaktivierung des Transmitters: Auf-
29 zu melden, auch im Verdachtsfall. nahme in das präsynaptische Neuron; Aufnah-
me in das postsynaptische Neuron und in synap-
senbegleitende Gilazellen und Abbau des Trans-
30 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 4 mitters. Die Blockade dieser Inaktivierungsme-
chanismen ist ein wichtiger Angriffspunkt für
31 1. Bei schweren Depressionen, psychotischen Sym- Antidepressiva. Viele Antidepressiva blockieren
ptomen oder schweren Zwangsstörungen ist oft die neuronale Wiederaufnahme der Transmitter
erst nach dem Wirkeintritt einer Pharmakothe- NA und Serotonin. Inhibitoren des in den Mito-
32 rapie ein psychotherapeutischer Zugang zu den chondrien lokalisierten Enzyms Monoaminoxi-
Patienten möglich. dase (MAO) hemmen den Abbau aminger Trans-
33 2. Bei psychotischen Symptomen, Schizophrenien, mitter. Auf der postsynaptischen Seite besetzen
schweren Depressionen, Manien und akuter Sui- die freigesetzten Neurotransmitter Rezeptoren,
zidalität besteht eine klare Indikation für eine dadurch werden Signale ausgelöst und in das
34 Psychopharmakotherapie. rezeptive Neuron weitergeleitet.
5. Antidepressiva entfalten ihre volle Wirkung erst
35 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 5
nach einer Latenz von Tagen bis Wochen. Dies ist
der Fall obwohl die Veränderung der chemischen
Neurotransmission und -transduktion im ZNS
36 1. Auf der Basis der Serotonin-Noradrenalinhy- unter der Gabe von Antidepressiva sehr schnell
pothese erfolgte eine intensive Forschung in der erfolgt. Deshalb ist die Vorstellung entstanden,
biologischen Psychiatrie mit dem Ziel Medika- dass die akuten pharmakologischen Effekte nicht
37 mente zu entwickeln, die gezielt die Neurotrans- den eigentlichen Wirkungsmechanismus der
mitterkonzentration im synaptischen Spalt beein- Antidepressiva darstellen, sondern dass adap-
38 flussen und dadurch antidepressiv wirken. Die tive Veränderungen an den Rezeptoren (Verände-
Blockade der Inaktivierungsmechanismen für rungen der Rezeptorendichte und der Funktiona-
die Neurotransmitter Serotonin und Noradrena- lität) auf der postsynaptischen Seite angestoßen
39 lin stellt einen wichtigen Angriffspunkt für viele werden, die schließlich zu der antidepressiven
Antidepressiva dar. Wirkung führen.
40 2. Die selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer 6. Mit einer antidepressiven Wirkung ist nach einer
sind nebenwirkungsärmer als die MAO-Hemmer Wirklatenz von ca. 2 Wochen zu rechnen; nach
und TZA, außerdem sind sie weniger toxisch im 4−8 Wochen sollte ein voller Wirkungseintritt
Antworten zu den Checkfragen
297 A2

feststellbar sein. Ziel ist die vollständige Remissi- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis
on. Typischerweise treten aber mögliche Neben- hin zur Verwirrtheit auftreten. Antidepressiva
wirkungen besonders am Anfang einer Behand- sollten deswegen allmählich abgesetzt werden.
lung mit Antidepressiva auf und bessern sich spä- 11. SSRI sind deutlich besser verträglich als TZA.
ter häufig. Für die Behandlung von depressiven TZA haben das höchste Risiko für kardiale
Patienten, insbesondere bei Suizidalität, bedeutet Nebenwirkungen (arrhythmogen) und cholinerge
dies, dass zu Beginn einer antidepressiven The- zentralnervöse Nebenwirkungen, die bis zum
rapie oft vorübergehend auch Benzodiazepine Delir führen können. Bei der häufig bestehenden
(Anxiolytika) verabreicht werden um die Phase internistischen Begleitmedikation sind die Prä-
der Wirklatenz zu überbrücken. parate zu wählen, die ein niedriges Interaktions-
7. Bei akuter Suizidalität sollte zusätzlich zu der potenzial haben. Auch die dualen Antidepressiva
antidepressiven Behandlung und stützenden Mirtazapin und Venlafaxin sind im höheren Alter
Gesprächen sowie engmaschiger Beobachtung gut verträglich.
auch die Gabe eines Benzodiazepins zur akuten 12. Bei Depressionen mit Schlafstörungen ist Mirta-
Entlastung und Anxiolyse erwogen werden. Das zapin das Mittel der Wahl, es lässt sich zur Aug-
Suizidrisiko ist besonders bei Patienten erhöht, mentation gut mit SSRI oder SNRI kombinie-
bei denen der Antrieb gesteigert, aber die Stim- ren. In niedriger Dosierung ist es auch geeignet
mungsaufhellung noch nicht eingetreten ist. Die zur Schlafinduktion bei Schlafstörungen ohne
meisten der modernen Antidepressiva haben kei- depressive Symptomatik.
ne sedierenden Eigenschaften mehr und können 13. In einzelnen Studien waren Johanniskrautprä-
damit Gefühle der inneren Unruhe und Getrie- parate Placebos bei leichter und mittelschwerer
benheit, die von den Patienten als sehr quälend Depression überlegen. Derzeit gibt es noch viele
erlebt werden, nicht ausreichend abfangen. Unsicherheiten bez. der Wirksamkeit im Ver-
8. Bei den TZA kommen häufig Mundtrockenheit, gleich mit Standardantidepressiva. Johannis-
Akkomodationsstörungen, orthostatische Dys- krautpräparate haben ein beträchtliches Interakti-
regulation, Sedierung und Gewichtszunahme onspotenzial mit anderen Medikamenten, das oft
vor. Bei den SSRI klagen Patienten besonders in unterschätzt wird.
der Anfangsphase öfter über Übelkeit, Erbrechen 14. Kinder und Jugendliche mit depressiven Syndro-
und Diarrhö, Schwitzen, Kopfschmerzen sowie men sollten mit einem SSRI behandelt werden,
Agitation und Schlafstörungen. Bei den dualen allerdings besteht nur für Fluoxetin ein Wirk-
Antidepressiva Duloxetin und Venlafaxin stehen samkeitsnachweis. Fluoxetin ist ab dem Alter von
gastorintestinale Beschwerden im Vordergrund 8 Jahren bei mittelgradigen bis schweren Episo-
und bei Mirtazapin tritt Gewichtszunahme auf. den einer Major Depression zugelassen, wenn
Oft wird unter einer Behandlung mit Antidepres- im Vorfeld durch 4–6 psychotherapeutische Sit-
siva über sexuelle Funktionsstörungen berichtet. zungen keine Verbesserung der Symptomatik
Es ist wichtig mit Patienten über mögliche erzielt werden konnte. Eine engmaschige
Nebenwirkungen zu sprechen, im Verlauf der therapeutische Betreuung ist wegen der mög-
Behandlung wiederholt danach zu fragen und lichen Suizidalität unter SSRI unbedingt nötig
ggf. Verhaltensänderungen zu initiieren, z. B. (7 Abschn. 5.6 u. 5.12).
beim Essverhalten, und ggf. nach Behandlungs-
alternativen zu suchen um die Compliance nicht
zu gefährden. Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 6
9. Antidepressiva werden auch zur Behandlung von
Angststörungen wie sozialer Phobie, generali- 1. Stimmungsstabilisierer sind nach den neuesten
sierter Angst, PTSD und Panikstörung mit und Therapiekonzepten die Basis der Behandlung der
ohne Agoraphobie eingesetzt sowie bei Zwangs- bipolaren affektiven Störung. Durch sie soll die
störungen, Bulimie und zur Behandlung von Stimmung langfristig ausgeglichen werden und es
Schmerzsyndromen. sollen sowohl depressive als auch manische Symp-
10. Beim plötzlichen Absetzen von Antidepressi- tome behandelt werden. Sie werden in der Akut-
va können Symptome wie Schwindel, Gangunsi- behandlung und zur Phasenprophylaxe einge-
cherheit, Übelkeit, Erbrechen, grippeähnliche setzt.
Symptome, sensible Störungen, Schlafstörungen, 2. Als Stimmungsstabilisierer sind Lithium, Anti-
Irritabilität, gedrückte Stimmung, Unruhe sowie konvulsiva (Valproinäure, Carbamazepin, Lamo-
298 A2 · Antworten zu den Checkfragen

trigin) und atypische Antipsychotika (Olanzapin, 2. Die Wirksamkeit von Antipsychotika ist gesichert
21 Quetiapin) indiziert. bei
3. Adjuvant können in depressiven Phasen – falls – schizophrenen und schizoaffektiven Stö-
die depressive Symptomatik mit Stimmungssta- rungen,
A2 bilisieren alleine nicht zu behandeln ist – Anti- – bipolaren affektiven Störungen (Akutbehand-
depressiva (keine TZA) eingesetzt werden. Aller- lung der Manie, Phasenprophylaxe),
23 dings wird diskutiert, ob Antidepressiva, insbe-
sondere TZA manische Phasen induzieren und/
– psychotische Depression (in Kombination
mit Antidepressiva),
oder die Phasenfrequenz erhöhen können. – Schmerzsyndromen,
24 In manischen Phasen können adjuvant Antipsy- – Neurologische Erkrankungen (z. B. Tic-Stö-
chotika und Benzodiazipine verabreicht werden. rungen)
4. Eine Therapie der bipolaren affektiven Störung Als Begleittherapie werden sie eingesetzt bei
25 mit Stimmungsstabilisieren stellt ein langfristiges – Persönlichkeitsstörungen
Behandlungskonzept dar. Stimmungsstabilisie- – Zwangsstörungen
26 rer sollen unabhängig von der akuten Sympto- – Angststörungen
matik kontinuierlich eingenommen werden, also – anderen organischen Psychosen (z. B. Alko-
auch in symptomfreien Phasen. Dies verlangt holpsychose)
27 eine gute Compliance. Insbesondere bei Absetzen – nichtpsychotischer Depression
von Lithium ist das Rückfallrisiko wahrscheinlich Außerdem werden sie in Notfallsituationen bei
28 5.
höher als im naturalistischen Verlauf.
Wichtigste Indikationen für Stimmungsstabilisie-
psychomotorischen Erregungszuständen einge-
setzt.
rer sind: 3. Neben den oralen Antipsychotika gibt es Depot-
29 – Manische Episode präparate mit Injektionsintervallen von 1‒
– Manische, depressive oder gemischte Episo- 4 Wochen. Sie gewährleisten eine ausreichende
de bei bipolarer affektiver Störung sowie die Behandlung bei Patienten, die nicht in der Lage
30 Phasenprophylaxe sind, orale Medikation regelmäßig und kompliant
– Akutbehandlung und Phasenprophylaxe des einzunehmen und verringern dadurch das Rück-
31 Rapid Cyclings fallrisiko.
– Phasenprophylaxe bei der schizoaffektiven 4. Bei den konventionellen Antipsychotika spie-
Störung len EPS wie Frühdyskinesien und das Parkin-
32 – Phasenprophylaxe bei der rezidivierenden sonoid mit Hypomimie, kleinschrittigem Gang
unipolaren Depression und Rigor eine wichtige Rolle. Außerdem können
33 6. Die Lithiumdosierung bei Kindern und Jugend- Akathisie (Sitz-und Stehunruhe), Spätdyskinesien
lichen muss teilweise höher sein als bei Erwach- sowie selten ein malignes neuroleptisches Syn-
senen, da Lithium bei Kindern und Jugendlichen drom auftreten.
34 aufgrund der besseren Nierenfunktion schneller 5. Auch bei den AAP treten zahlreiche Nebenwir-
ausgeschieden wird. kungen auf, besonders wichtig ist das metabo-
35 lische Syndrom mit Gewichtszunahme, patho-
logische Glukosetoleranz, Diabetes mellitus und
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 7 Hyperlipidämie. Es ist ein bedeutsamer Risiko-
36 faktor für die Entstehung von Herz-Kreislauf-
1. Unter AAP werden Antipsychotika zusammen- Erkrankungen.
gefasst, die im Vergleich mit den konventionellen 6. Als wirksamstes Antipsychotikum bei therapie-
37 Antipsychpotika folgende Charkteristika aufwei- resistenten schizophrenen Störungen im Kindes-
sen sollen: und Jugendalter hat sich Clozapin erwiesen. In
38 – gute antipsychotische Wirksamkeit kontrollierten Studien war Clozapin gegenüber
– weniger extrapyramidale Symptomatik (EPS) Haloperdiol sowie Olanzapin überlegen.
– Wirksamkeit bei Negativsymptomatik
39 – Wirksamkeit bei Therapieresistenz
– geringere Prolaktinerhöhungen Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 8
40
1. Benzodiazepine sind in der Akuttherapie psy-
chiatrischer Erkrankungen, z. B. bei akuten
Antworten zu den Checkfragen
299 A2

Angstzuständen oder Suizidalität, unverzicht- 8. Bei der Gabe von Benzodiazepinen muss über die
bar. Bei längerfristiger Verordnung sind sie in Gefahr der Entstehung einer Abhängigkeit infor-
einen Gesamtbehandlungsplan einzubinden. Bei miert werden, insbesondere dann, wenn eine
Abhängigkeitserkrankungen sollte – außer in Behandlung in hoher Dosierung und über einen
Notfallsituationen – auf Benzodiazepine verzich- längeren Zeitraum notwendig ist. Unter Benzo-
tet werden. Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit diazepinen ist die Reaktionsgeschwindigkeit ver-
zunehmender Dosis und der Dauer der Einnah- längert, die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sowie
me. Die Behandlungsdauer sollte auf 4‒6 Wochen die Fähigkeit an Maschinen zu arbeiten.
beschränkt bleiben. Um Entzugssymptome zu 9. Beim abrupten Absetzen von Benzodiazepi-
vermeiden ist ein langsames Absetzen von Ben- nen treten 3 Typen von Absetzsymptomen auf:
zodiazepinen notwendig. Reboundsymptome, Rückfallsymptome und Ent-
2. Benzodiazepine sind hochwirksam, sie wirken zugssymptome. Entzugssymptome treten 2‒
schnell und zuverlässig und haben eine große 10 Tage nach dem Absetzen der Benzodiaze-
therapeutische Breite. pine auf. Sie sind gekennzeichnet durch vermehr-
3. Benzodiazepine werden nosologieübergreifend te Angst und Unruhe, Schlaflosigkeit, Irritabili-
eingesetzt. Die Zielsymptome sind Angst, inne- tät, Übelkeit und Erbrechen, Schwitzen, Zittern,
re Unruhe, muskuläre Spannung, Hypervigi- Kopfschmerzen und Muskelverspannungen und
lanz, Schlafstörungen, katatone, mutistische oder können bis zu Verwirrtheitszuständen, Deper-
stuporöse Zustände sowie unerwünschte Wir- sonalisation und Derealisation, psychoseartigen
kungen von Antipsychotika wie Akathisie und Zuständen und zum Delir reichen.
Spätdyskinesien. Sie werden in vielen Notfallsi- 10. Die SSRI haben eine gute Wirksamkeit bei der
tuationen eingesetzt, bei psychiatrischen Erkran- GAD, Trennungsangst und sozialer Phobie im
kungen, aber auch bei internistischen Erkran- Kindes- und Jugendalter gezeigt. Allerdings muss
kungen wie z. B. beim akuten Herzinfarkt. am Anfang einer Therapie mit SSRI eine engma-
4. Benzodiazepine haben ein Abhängigkeitsrisi- schige ärztliche Kontrolle erfolgern, da es zu Sui-
ko; bei der anxiolytischen Wirkung tritt aber – zidideen und suizidalen Handlungen kommen
im Gegensatz zu der sedierenden Komponen- kann.
te ‒ kaum eine Toleranzentwicklung ein. Sie tre-
ten in Wechselwirkung mit Alkohol. Sie kön-
nen zu Müdigkeit bis zur Sedation führen sowie Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 9
zu Koordinationsstörungen und Störungen des
Kurzzeitgedächtnisses. 1. Die beiden wichtigsten Gruppen der Hypnotika
5. Wenn somatische Symptome im Vordergrund sind die Non-Benzodiazepine und die Benzodi-
stehen (Zittern, Schwitzen), z. B. bei spezifischen azepinhypnotika, andere Hypnotika wie Antihis-
Phobien wie Prüfungsangst oder Flugangst, kön- taminika und Chloralhydrat haben eine deutlich
nen auch β-Rezeptorenblocker als Anxiolytika geringere Bedeutung.
eingesetzt werden. 2. Sie haben eine viel größere therapeutische Breite,
6. Die wichtigste Medikamentengruppe zur län- auch Überdosierungen führen nicht zu schweren
gerfristigen Behandlung von Angststörungen Intoxikationen, dies ist besonders im Zusammen-
sind Antidepressiva, ihr Vorteil gegenüber den hang mit Suizidalität wichtig. Sie sind nebenwir-
Benzodiazepinen liegt im fehlenden Abhängig- kungsärmer als die früheren Hypnotika.
keitspotenzial, ihr Nachteil in der Wirklatenz. 3. Die Patienten müssen über das Risiko einer
7. Bei älteren Menschen sind oft geringerer Dosen Abhängigkeit bei langfristigem Gebrauch aufge-
von Benzodiazepinen notwendig als bei jüngeren klärt werden sowie über Wechselwirkungen mit
Menschen. Bei langwirksamen Benzodiazepinen Alkohol und Medikamenten wie z. B. Schmerz-
besteht die Gefahr der Kumulation mit Schwin- mitteln. Insbesondere bei länger wirksamen Ben-
del, Koordinationsstörungen, Ataxie und sich zodiazepinhypnotika ist auf Hang-over-Effekte
daraus ergebener Sturzgefahr. Es können para- mit Tagesmüdigkeit, reduzierter Konzentration
doxe Reaktionen auf die Gabe von Benzodiaze- und Reaktionsgeschwindigkeit hinzuweisen.
pien auftreten mit Erregungsphänomenen wie 4. Bei Benzodiazepinhypnotika besteht – insbeson-
Agitiertheit, Euphorisierung, Erregungszustän- dere wenn sie längerfristig eingenommen wer-
den, Schlaflosigkeit und Aggressivität. den – ein Abhängigkeitsrisiko. Die Dosis wird
dabei meist nicht gesteigert, man spricht dann
300 A2 · Antworten zu den Checkfragen

von einer »low-dose-dependence«. Beim Abset- werden; es findet gute Akzeptanz durch die Pati-
21 zen muss mit protrahiert zunehmenden Entzugs- enten.
erscheinungen über Wochen gerechnet werden. 4. Durch die relativ neuen retardierten Psycho-
Das Absetzen muss deswegen langsam erfolgen. stimulanzienpräparate, die nur einmalig mor-
A2 5. Bei Schlafstörungen im Rahmen einer Depressi- gens eingenommen werden und über mindestens
on ist es sinnvoll den schlafinduzierenden Effekt 8 Stunden wirken, lässt sich der Schwarzmarkt
23 sedierender Antidepressiva synergistisch zu nut-
zen. Im Gegensatz zur depressionslösenden Wir-
für Psychostimulanzien vermindern, da die Pati-
enten ihre Medikamente nicht mehr z. B. mit
kung reichen zur Schlafinduktion oft niedrige in die Schule nehmen und diese dort verkaufen
24 Dosierungen aus und der schlafverbessernde können.
Effekt tritt schnell ein.
6. Hypnotika sollten in möglichst niedriger Dosie-
25 rung, wenn möglich nur intermittierend (2- bis Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 12
4-mal pro Woche, verabreicht werden. Sie sollten
26 nur für max. 4 Wochen verschrieben werden. 1. Bei der pharmakologischen Behandlung erektiler
7. Bei längerem Gebrauch müssen sie sehr langsam Dysfunktion stehen die PDE-5-Hemmer an erster
abgesetzt werden. Stelle. Sie sind wirksam, nebenwirkungsarm und
27 8. Die Möglichkeit paradoxer Reaktionen (Erre- zugelassen. Der kardiovaskuläre Status muss vor
gungszustände mit Agitiertheit, Schlaflosigkeit der Gabe abgeklärt werden, bei schweren Herz-
28 und Aggressivität) nimmt mit dem Alter zu, ins-
besondere bei dementen, verwirrten Patienten
Kreislauf-Erkrankungen dürfen sie nicht einge-
setzt werden.
und organischen Grunderkrankungen. Bei lang- 2. Unter SSRI kommt es häufig zu einer verzögerten
29 wirksamen Benzodiazepinen besteht die Gefahr Ejakulation bei Männern, auch Frauen berichten
der Kumulation. über Anorgasmie. Diese Nebenwirkungen wer-
den häufig nicht spontan angegeben, sondern erst
30 bei gezielter Nachfrage berichtet. Sie sind aber ein
Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 10 wichtiger Grund für Non-Compliance.
31 3. Die Pharmakotherapie pathologisch gesteigerter
1. Bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz lie- Libido bei Männern kann insbesondere bei Stö-
gen für AChE-I (Donepezil, Galantamin, Riva- rungen der sexuellen Orientierung (Paraphilie)
32 stigmin) und den NMDA-Antagonisten Meman- eingesetzt werden, um Straftaten zu verhindern.
tin Wirksamkeitsnachweise vor im Sinne einer Zugelassen ist das Antiandrogen Cyproteronace-
33 leichten Verbesserung des Störungsbildes sowie tat. Es dämpft den gesteigerten sexuellen Drang
einer Verlangsamung des Fortschreitens der und kann damit auch eine Verhaltensänderung
Erkrankung bewirken, aber die abweichende sexuelle Orien-
34 tierung nicht heilen. Ein begleitende Sozio- und
Psychotherapie ist unabdingbar.
35 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 11

1. Clomethiazol ist das Mittel der ersten Wahl zur Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 13
36 stationären Alkoholentgiftung, es behandelt Ent-
zugssymptome (Puls- und Blutdruckanstieg, 1. Orlistat ist ein Lipasehemmer, der nur lokal im
Ängstlichkeit, Unruhe), es hat außerdem eine Darm wirksam ist und dort die Aufnahme von
37 delirverhütende und krampfanfallhemmende Lipiden um etwa 30% reduziert.
Wirkung. Sibutramin ist ein zentral wirksamer kombi-
38 2. Positive Effekte (Verringerung des Suchtdrucks, nierter Serotonin-Noradrenalinrückaufnahme-
Craving) sind für Acamprosat und Naltrexon hemmer, der wahrscheinlich über eine Appeti-
belegt. Acamprosat ist zugelassen. treduktion und eine Zunahme der Theramogene-
39 3. Buprenorphin hat durch sein besonderes Wirk- se wirkt.
profil am Opiatrezeptor eine große Sicherheits-
40 spanne. Aufgrund der langen Halbwertszeit kann
eine höhere Einmaldosis alle 2‒3 Tage verabreicht
Antworten zu den Checkfragen
301 A2

Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 14 eine erfolgreiche Psychotherapie auch nach ihrer
Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt
1. Bei der Behandlung der ADHS im Erwachsenen- hat.
alter können noradrenerg wirkende Antidepres- 3. Bei einer leichten bis mittelschweren Depression
siva wie Nortriptylin, Desipramin und Reboxe- sind SSRI indiziert. Bei einer schweren Depres-
tein sowie Venlafaxin mit einem kombiniert nor- sion ist zu empfehlen gleich die neuen dualen
adrenergen/serotonergen Wirkmechanismus ein- Antidepressiva einzusetzen.
gesetzt werden. 4. Für Venlafaxin und Mirtazapin wurde in kon-
2. Methylphenidat ist auf Grund seiner erwiesenen trollierten Studien in den ersten beiden Behand-
Wirksamkeit das Medikament der ersten Wahl lungswochen ein schneller Wirkungseintritt
bei der Behandlung von Kindern und Jugend- (frühe Response von 20%) beschrieben. Nach
lichen mit ADHS. Bei Unverträglichkeit oder 4 Wochen Behandlungszeit gab es dagegen kei-
Unwirksamkeit kann auf das andere gängige Psy- nen Unterschied mehr zwischen den verschie-
chostimulanz Amphetaminsaft gewechselt wer- denen Antidepressiva. Die frühe Response von
den. Als Medikament der zweiten Wahl wird Ato- mindestens 20% Verbesserung des Depressions-
moxetin angesehen, bei zusätzlicher begleitender summenscores in den ersten beiden Behand-
emotionalen Auffälligkeiten gehört es auch zur lungswochen ist bei allen Antidepressiva ein
ersten Wahl. TZA, Clonidin und Antipsychotika hochsensitiver Prädiktor für den späteren
sind Medikamente der dritten Wahl. Behandlungserfolg. Tritt sie nicht ein, so ist auch
3. Zur Behandlung der Narkolepsie wird Modafinil ein späterer durchschlagender Therapieeffekt
eingesetzt, es hat ein Abhängigkeitspotenzial und eher unwahrscheinlich.
ist BtM-pflichtig. 5. Unter Mirtazapin verbessern sich wegen der
sedierenden Komponente Schlafstörungen, Agi-
tiertheit und somatische Beschwerden schneller
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 15 als unter SSRI.
6. Patienten mit einer depressiven Störung entwi-
1. Wichtig ist die Vermittlung eines akzeptablen ckeln in mehr als 50% im Verlauf weitere depres-
und verstehbaren Krankheitsmodells durch den sive Episoden. Patienten sollten deswegen über
Arzt oder Psychologen und die Entwicklung die Möglichkeit eines Rezidivs informiert werden
eines Gesamtbehandlungsplans, in den psycho- und Frühsymptome einer Depression kennen.
therapeutische, psychoedukative und medika- Die pharmakologische Therapie sollte mit einer
mentöse Behandlungsstrategien integriert sind. Erhaltungs- und ggf. Langzeittherapie fortgeführt
In Bezug auf die medikamentöse Behandlung werden, zu frühes Absetzen von Antidepressiva
bietet es sich dabei an, die biochemischen Verän- birgt ein hohes Rückfallrisiko. In der Psychothe-
derungen bei einer Depression als »Stoffwechsel- rapie sollte das Thema eines möglichen Rückfalls
störung« darzustellen, z. B. in Analogie zu einem angesprochen werden. KVT und IPT habe sich
Diabetes oder einer essenziellen Hypertonie, wo auch im Sinne einer Rückfallprophylaxe bewährt.
ebenfalls eine zwar symptomatische, aber sehr 7. Wegen der Gefahr einer erneuten Depression
effektive Therapie vorgenommen wird. Bei einer sollte auch bei einer ersten depressiven Episo-
schweren Depression kann eine Behandlung mit de nach Remission eine Weiterbehandlung über
einem Antidepressivum einen psychotherapeu- mindestens 6 Monate erfolgen. Diese Erhaltungs-
tischen Zugang erst möglich machen. Eine sym- therapie sollte mit der Dosis fortgeführt werden,
ptomatische medikamentöse Behandlung führt die zum Behandlungserfolg geführt hat. Bei mehr
oft zu einer Verbesserung der Möglichkeiten mit als 20% der Patienten klingt die depressive Sym-
Problemen und Stressoren umzugehen und adä- ptomatik nicht völlig ab, dann darf die Erhal-
quate Problemlösestrategien zu entwickeln. tungstherapie nicht beendet werden.
2. Für die Akuttherapie der schweren Depressi- 8. Die Indikation für eine medikamentöse Rezidiv-
on ist von einem synergistischen Effekt von KVT prophylaxe ist gegeben:
und einer Behandlung mit Antidepressiva auszu- – bei einer dritten depressiven Episode,
gehen. ‒ Der Effekt der medikamentösen Thera- – oder wenn zwei depressive Episoden inner-
pie ist in der Regel nur so lange gegeben wie die halb der letzten 5 Jahre aufgetreten sind
Pharmakotherapie fortgeführt wird, für psycho- – oder eine weitere schwere depressive Episode
therapeutische Verfahren gibt es Hinweise, dass innerhalb der letzten 3 Jahre aufgetreten ist
302 A2 · Antworten zu den Checkfragen

– oder eine weitere depressive Episode und die 13. Antidepressiva haben im Gegensatz zu Benzodi-
21 positive Familienanamnese einer bipolaren azepinen auch bei langer Behandlungsdauer kein
oder einer rezidivierenden Depression vor- Abhängigkeitspotenzial. Allerdings können bei
liegt. abruptem Absetzen Absetzeffekt auftreten; Anti-
A2 9. Zur Rezidivprophylaxe bei der unipolaren depressiva sollten deswegen allmählich abgesetzt
Depression gibt es verschiedene Möglichkeiten: werden.
23 – Weiterführung der Pharmakotherapie mit
Antidepressiva,
14. Schlafentzug, Bewegungstherapie, Lichttherapie,
EKT.
– Lithium ist der Behandlung mit Antidepressi- 15. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwi-
24 va ebenbürtig. Der Plasmaspiegel sollte dabei schen Depression und körperlichen Folgeerkran-
zwischen 0,6 und 0,8 mmol/l liegen kungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-
– KVT erwies sich der medikamentösen Thera- 2-Diabetes und Osteoporose. Auch körperliche
25 pie als gleichwertig Erkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall)
– Additive Effekte sind anzunehmen gehen oft mit einer Depression einher, die die
26 10. Wenn das erste Antidepressivum trotz aus- Prognose einer Rehabilitationsbehandlung ver-
reichender Dosierung keinen ausreichenden schlechtert und die Mortalität erhöht. Auch bei
Behandlungserfolg bringt, die Besserung nach Morbus Parkinson und Demenz sind Depressi-
27 einem Behandlungszeitraum von 4‒8 Wochen onen häufig.
nur 25 bis 50% beträgt, ist ein Wechsel des Anti- 16. Durch Dauerstress kommt es zur CRH-Hyper-
28 depressivums auf ein Antidepressivum mit einem
anderen Angriffspunkt im ZNS angezeigt. Führt
aktivität und vermehrter Kortisolausschüt-
tung. Bei fehlregulierter HPA-Achse wird das
auch dieses nicht zu einer ausreichenden Wir- noradrenerge/adrenerge System konstant akti-
29 kung, ist eine Kombinationstherapie aus zwei viert, dies führt zu Arousal- und Vigilanzsteige-
Antidepressiva mit komplementärem pharmako- rung mit gesteigertem Angstverhalten. Schließ-
logischem Wirkmechanismus indiziert. lich kommt es zu einer Erschöpfung der Nora-
30 11. Außerdem gibt es Augmentationstrategien mit drenalinsystems, die mit motorischer Verlang-
Substanzen, die für sich alleine keine antidepres- samung, kognitiver Hemmung und emotionaler
31 sive Wirkung entfalten. Am besten belegt ist die Verarmung einhergeht. Erhöhte Kortisolspie-
Augmentation mit Lithium, es wird dabei ein gel senken die Serotoninsynthese. Die Regulati-
synergistischer Effekt mit Lithium angenom- onsmechanismen sind komplex. Der Serotonin-
32 men. Schilddrüsenhormone können hilfreich rezeptor spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine
sein, insbesondere bei subklinischem Hypopa- Kurzform des Promotors des 5-HT-Transporte-
33 rathyreoidismus. Atypische Antipsychotika wer- Gens (s/s) geht mit einer erhöhten Stresssensiti-
den zusammen mit Antidepressiva eingesetzt. vität einher. Menschen mit dieser Konstellation
Der Einsatz von Hormonen kann bei Frauen in entwickeln signifikant häufiger depressive Symp-
34 den Wechseljahren und bei postpartaler Depres- tome bei stressinduzierenden Lebensereignissen
sion sinnvoll sein, eine individuelle Risikoabwä- als Menschen mit dem Genotyp l/l, der Langform
35 gung ist dabei zu treffen. Die positive Wirkung
der Elektrokrampftherapie (EKT) bei Therapie-
des 5-HT-Transporte-Gens.
17. Die Therapie der Wahl bei mittelgradigen und
resistenz ist belegt. Die repetitive transkranielle schweren depressiven Syndromen im Kindes-
36 Magnetstimulation (rTMS) ist derzeit nicht zuge- und Jugendalter besteht aus der Kombination
lassen, eine Indikation ist allenfalls bei leichten eines SSRI (am ehesten Fluoxetin) mit KVT.
bis mittelschweren Depressionen gegeben. Die
37 Vagusnervstimulation ist ebenfalls noch nicht zur
routinemäßigen klinischen Anwendung ausge- Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 16
38 reift.
12. Benzodiazepine werden häufig in der ersten 1. Die wichtigste Intervention bei einer akuten
Behandlungsphase einer Depression gemeinsam Panikattacke ist nach Ausschluss einer orga-
39 mit dem Antidepressivum verabreicht, um die nischen Erkrankung das beruhigende Gespräch
Phase der Wirklatenz des Antidepressivums zu und die Information über die Entstehung von
40 überbrücken. Insbesondere bei Suizidalität wer- Panikattacken. Medikamentös kann eine akute
den Benzodiazepine zur akuten Entlastung einge- Panikattacke schnell und wirkungsvoll mit einem
setzt.
Antworten zu den Checkfragen
303 A2

Benzodiazepin (z. B. Lorazepam oder Alprazo- 10. Die Antidepressiva sollten langsam abgesetzt
lam) koupiert werden. werden. Bei der Reduktion der Dosis sollte wie-
2. Zur längerfristigen Behandlung einer Panikstö- derholt geprüft werden, ob erneut Symptome der
rung bieten sich neben der Psychotherapie, insbe- Panikstörung auftreten. Ist dies der Fall, so sollte
sondere der KVT, Antidepressiva an. die Medikation erneut erhöht und fortgeführt
3. Bei schwerer oder chronischer Panikstörung und, werden. Eine sinnvolle Alternative stellt eine
insbesondere wenn eine komorbide Depression zusätzliche KVT in der Ausschleichphase dar, da
vorliegt, ist eine Kombinationstherapie aus KVT für die KVT ein guter Therapieeffekt über den
und einem Antidepressivum indiziert. Da bei- Behandlungszeitraum hinaus belegt ist.
de Verfahren Zeit brauchen bis ein Therapieeffekt
eintritt, können anfänglich vorübergehend auch
Benzodiazepine zur akuten Entlastung indiziert Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 17
sein.
4. Das erste Antidepressivum, das bei der Panikstö- 1. Antidepressiva sind Mittel der ersten Wahl zur
rung gute Therapieeffekte erbrachte, war Imipra- längerfristigen Behandlung der GAD. Bewährt
min. Mittlerweile werden wegen der deutlich bes- haben sich die SSRI, z. B. Escitalopram; sie haben
seren Verträglichkeit SSRI oder das duale Antide- vergleichsweise wenige Nebenwirkungen. Sie
pressivum Venlafaxin eingesetzt. werden in der gleichen Dosierung verabreicht wie
5. Ist eine Panikstörung von einer Agoraphobie bei der Depressionsbehandlung. Außerdem zeigt
begleitet kommt der KVT mit Expositionsbe- das duale Antidepressivum Venlafaxin eine gute
handlung eine besondere Bedeutung zu. Diese Wirkung bereits bei einer Dosierung von 75 mg
kann mit Antidepressiva kombiniert werden. (bei der Depressionsbehandlung werden übli-
6. Die Behandlung mit Antidepressiva sollte – cherweise 150 mg verabreicht).
anders als bei der Depression – langsam ein- 2. Bei den SSRI und Venlafaxin muss mit einem
schleichend erfolgen, da Patienten mit Panikstö- langsamen Wirkungseintritt über einen Zeitraum
rung Nebenwirkungen von Antidepressiva sehr von 2‒4 Wochen gerechnet werden. Sie kön-
schlecht tolerieren und die Angstsymptomatik nen deswegen vorübergehend mit Benzodiazepi-
sich vorübergehend sogar verstärken kann. nen kombiniert werden, um diese Zeitspanne zu
7. Mit einem deutlichen Therapieeffekt ist bei einer überbrücken.
Behandlung mit Antidepressiva erst nach einer 3. In akuten Notfallsituationen, die sich durch ein
Zeit von 2‒4 Wochen zu rechnen. Vorüberge- Gespräch alleine nicht entspannen lassen, ist die
hend können zusätzlich Benzodiazepine verord- vorübergehende Gabe von Benzodiazepinen indi-
net werden. ziert.
8. Benzodiazepine sind hochwirksame Anxiolytka. 4. Bei Buspiron, das bei der GAD eine gute Wirk-
Sie können Panikattacken koupieren. Sie wirken samkeit zeigt, ist wie bei den Antidepressi-
schnell und sicher. Sie haben kaum Wechselwir- va von einem langsamen Wirkungseintritt über
kungen mit anderen Medikamenten und geringe 2 Wochen auszugehen.
vegetative Nebenwirkungen. Allerdings besteht 5. Sowohl Antidepressiva als auch Buspiron haben
die Gefahr der Abhängigkeit und von Entzugser- kein Anhängigkeitspotenzial, dies ist insbesonde-
scheinungen. Sie können zu Sedierung, Koordi- re bei Patienten mit einer Suchtanamnese wich-
nationsstörungen und Störungen des Kurzzeitge- tig.
dächtnisses führen. Sie beeinträchtigen das Reak- 6. Eine medikamentöse Behandlung der GAD mit
tionsvermögen (Autofahren, Arbeit an Maschi- Antidepressiva oder Buspiron sollte sich minde-
nen). Sie verstärken die Wirkung von Alkohol. stens über 6 Monate erstrecken. Es ist zu empfeh-
9. Die Gabe von Antidepressiva wird über einen len die Medikation als Erhaltungstherapie über
Zeitraum von 1‒2 Jahren empfohlen, um einem 2 Jahre fortzuführen und langsam auszuschlei-
Rückfall vorzubeugen. Dieser lange Behand- chen. Frühes schnelles Absetzen birgt ein hohes
lungszeitraum bietet für die Patienten die Chance Rezidivrisiko.
unter dem Schutz der antidepressiven Medikati- 7. Bei mittelschwerer oder schwerer GAD, beson-
on neue Verhaltensweisen zu etablieren und sich ders wenn sie durch eine Chronifizierung kom-
bei begleitender Agoraphobie mit bisher vermie- pliziert ist, ist eine Kombinationstherapie ange-
denen Situationen zu konfrontieren. zeigt.
304 A2 · Antworten zu den Checkfragen

Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 18 Depression notwendig. Dies macht eine langsame
21 Aufdosierung notwendig.
1. SSRI und das duale Antidepressivum sind Mittel 4. Es kann recht lange dauern bis sich bei der
der ersten Wahl bei der Behandlung phobischer Behandlung der Zwangsstörungen mit SSRI ein
A2 Störungen. Dabei ist der SSRI Paroxetin beson- durchgreifender Erfolg einstellt. Oft ist dies erst
ders gut geprüft, hat aber Nachteile gegenüber nach 2‒3 Monaten der Fall.
23 Escitalopram.
2. Die antiphobische Wirkung dieser Antidepres-
5. Meist wird durch eine Behandlung mit SSRI nur
eine graduelle Besserung mit einer Verminde-
siva tritt oft zeitlich verzögert und später als die rung der Symptomatik von 40‒50% erreicht.
24 antidepressiven Effekte ein, also etwa nach 2– 6. Es soll über einen Zeitraum von 12‒24 Monaten
4 Wochen. behandelt werden.
3. Wenn die soziale Phobie stark generalisiert und 7. Beim Absetzen der SSRI besteht ein hohes Rezi-
25 chronifiziert ist und insbesondere wenn es auf- divrisiko (80%). Die Medikation sollte sehr lang-
grund der immer stärker werdenden Einengung sam herunterdosiert werden. Oft ist es sinnvoll
26 zur sozialen Isolation zusätzlich zu einer komor- parallel eine KVT durchzuführen, um das Rezi-
biden (sekundären) Depression gekommen ist. divrisiko zu reduzieren.
4. Antidepressiva sollen bei phobischen Störungen 8. Falls SSRI nicht erfolgreich sind, kann ein
27 über mindestens 12 Wochen gegeben werden. Behandlungsversuch mit Clomipramin gemacht
Frühes Absetzen führt häufig zu Rezidiven. Des- werden, dies ist allerdings mit mehr Nebenwir-
28 wegen ist ein längerer Behandlungszeitraum von
6–12 Monaten und sehr langsames Absetzen über
kungen verbunden. Clomipramin kann auch in
Kombination mit einem SSRI eingesetzt werden.
Wochen zu empfehlen. Es gibt auch Belege für einen verbesserten The-
29 5. Wegen des relativ hohen Nebenwirkungsrisikos rapieeffekt bei einer Kombination mit atypischen
sollten bei phobischen Störungen kein Antipsy- Antipsychotika (Risperidon und auch erste
chotika gegeben werden. Belege für Quetiapin). Positive Berichte gibt es
30 6. Soziale Phobien im Kindes- und Jugendalter weiter für eine Kombination eines SSRI mit Lithi-
sollten frühzeitig behandelt werden, da die Pati- um, dem Benzodiazepin Clonazepam und dem
31 enten durch diese Störungsbild in ihrer emo- Anxiolytikum Buspiron.
tionalen, sozialen und schulischen Entwick-
lung stark beeinträchtigt sein können und sich
32 Komorbiditäten, wie andere Angststörungen Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 20
und affektive Störungen, entwickeln können. Bei
33 schweren und chronischen Verläufen ist thera- 1. Bei der PTSD besteht eine hohe Komorbidität
peutisch eine Kombination aus KVT mit SSRI mit Angststörungen, Depressionen und somato-
anzustreben. formen Störungen.
34 2. Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der
Psychotherapie, etabliert haben sich KVT und
35 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 19 EMDR (»eye movement desensitization and
reprocessing«).
1. Der erste überzeugende Wirkungsnachweis bei 3. Bei schweren Formen der PTSD, bei begleitenden
36 Zwangsstörungen gelang für das trizyklische schweren Angststörungen und Depressionen sind
Antidepressivum Clomipramin, ein Antidepres- SSRI indiziert, ebenso bei fehlender Response
sivum mit einer starken serotonergen Kompo- oder Partialresponse unter KVT oder EMDR.
37 nente. Da die anderen TZA nicht wirksam waren, Zugelassen ist Paroxetin; für Sertralin gibt es
entwickelte sich daraus die Hypothese, dass der positive Befunde.
38 Serotoninstoffwechsel bei den Zwangsstörungen 4. Die Responserate liegt bei 40–50%.
eine wesentliche Rolle spielt. Dies bestätigt sich 5. Es wird eine Behandlungsdauer von 1‒2 Jahren
durch die Wirksamkeit der SSRI. empfohlen. Die Antidepressiva sollen langsam
39 2. Bei der Behandlung von Zwangsstörungen wer- abgesetzt werden.
den in erster Linie Serotoninwiederaufnahme-
40 hemmer eingesetzt.
3. Bei der Behandlung von Zwangsstörungen
sind höhere Dosen als bei der Behandlung der
Antworten zu den Checkfragen
305 A2

Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 21 depressiva und unter Clomipramin waren hohe
Responseraten zu verzeichnen.
1. Zur kurzfristigen Entlastung können Benzodiaze- 9. Der therapeutische Effekt von Antidepressiva bei
pine eingesetzt werden. somatoformen Störungen ist geringer als bei der
2. Zur längerfristigen Behandlung von Anpassungs- Behandlung von Angststörungen und Depres-
störungen (insbesondere mit depressiver Reak- sionen. Psychotherapeutischen Interventionen
tion und Ängsten) können Antidepressiva ein- kommt der größte Stellenwert zu. Synergieeffekte
gesetzt werden. Obgleich bisher systematische durch eine Kombination von Antidepressiva und
empirische Untersuchungen fehlen, bieten sich Psychotherapie sind bisher nicht untersucht.
wie bei der Behandlung der Depression und der
Angststörungen SSRI und das duale Antidepres-
sivum Venlafaxin an. Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 23

1. Bisher zeigten sich keine klaren Erfolge bei der


Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 22 Behandlung der Anorexia nervosa mit Antide-
pressiva oder anderen Psychopharmaka.
1. Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnah- 2. Patientinnen mit einer Anorexia nervosa leiden
mehemmer (duale Antidepressiva) sind bei der häufig an komorbiden Störungen wie Ängsten,
Behandlung von Depressionen mit somatischem Zwängen oder einer Depression. Liegt diese Kon-
Syndrom den Serotoninwiederaufnahmehem- stellation vor, dann ist eine Behandlung mit Anti-
mern überlegen. depressiva sinnvoll.
2. Wenn Ängste und Anspannung einen starken 3. Die Behandlung mit einem Antipsychotikum,
Leidensdruck verursachen ist der vorüberge- z. B. Olanzapin, kann bei schweren und chro-
hende Einsatz von Benzodiazepinen zu rechtfer- nischen Ausprägungen der Anorexia nervosa zur
tigen. Sie werden insbesondere eingesetzt, um die leichten Sedierung bei starkem Bewegungsdrang
Wirklatenz bei der Behandlung mit Antidepressi- zur Verbesserung inhaltlicher Denkstörungen
va zu überbrücken. sowie der Körperschemastörung und zur Appe-
3. Beim langfristigen Einsatz von Depotantipsycho- titsteigerung sinnvoll sein.
tika besteht das Risiko von Spätdyskinesien. 4. Bei der Bulimia nervosa habe trizyklische Anti-
4. Bei der Behandlung der somatoformen Schmerz- depressiva und SSRI positive Ergebnisse erbracht.
störung haben sich besonders Antidepressiva mit 5. SSRI sind nebenwirkungsärmer als die älteren tri-
dualer Komponente bewährt, die sowohl auf der zyklische Antidepressiva, sie sollten deswegen die
noradrenerge als auf das serotonerge System ein- erste Präferenz haben. Zugelassen ist nur Fluoxe-
wirken. Es mehren sich Studien, die auf einen tin.
stärkeren antinocizeptiven Effekt hinweisen als 6. Zugelassen sind Sibutramin, ein Serotonin-Nor-
bei den selektiven Serotoninwiederaufnahme- adrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI), der
hemmern. auch bei »binge eating« wirksam ist und Orlistat,
5. Antidepressiva werden mit Erfolg bei der ein Lipasehemmer, der nur im Darm wirksam
Behandlung chronischer Schmerzen bei orga- ist und die Fettresorption vermindert. Die neu-
nischen Erkrankungen wie Krebs, rheumatischen este Zulassung ist der Cannabinoid-1-Rezeptor-
Erkrankungen, neuralgiformen Schmerzen u. a. antagonist Rimonabant.
eingesetzt, dadurch kann die Gabe von Analgeti-
ka oft reduziert werden. Es kommt nicht zu einer
Toleranzentwicklung. Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 24
6. Eine Behandlung mit Antidepressiva führt beim
chronischen Müdigkeitssyndrom leider nur zu 1. Schlafstörungen sind bei den affektiven Stö-
geringen, nicht überzeugenden Besserungen. rungen besonders häufig, 90% der Patienten lei-
7. Duale Antidepressiva (z. B. Venlafaxin, Dulo- den unter einer Insomnie, 10% unter einer
xetin) sind den SSRI – wie auch bei anderen Hypersomnie.
Schmerzsyndromen – überlegen. 2. Hypnotika: Non-Benzodiazepin und Benzodia-
8. Beim prämenstruellen Syndrom ist die Wirk- zepinhypnotika, sedierende Antidepressiva und
samkeit von SSRI belegt, auch unter dualen Anti- sedierende Antipsychotika.
306 A2 · Antworten zu den Checkfragen

3. Für die medikamentöse Kurzzeittherapie – z. B. 3. Viele Patienten mit Persönlichkeitsstörungen ste-


21 in einer akuten Belastungssituation – sind Non- hen Medikamenten skeptisch gegen über; es ist
Benzodiazepinhypnotika Mittel der Wahl. oft schwierig, »compliantes« Verhalten zu errei-
4. Zuerst sollten die nichtmedikamentösen Verfah- chen; insbesondere bei Patienten mit BPS ist
A2 ren ausgeschöpft werden. Wenn Schlafmittel zum selbstschädigendes Verhalten und Suizidalität zu
Einsatz kommen, sollten sie berücksichtigen.
23 – in der niedrigst möglichen Dosis verordnet
werden,
4. Die medikamentöse Behandlung erfolgt syndrom-
orientiert; dabei sind die wichtigsten Zielsyn-
– möglichst nur intermittierend 2- bis 4-mal/ drome:
24 Woche gegeben werden, – depressive und andere affektive Zielsyn-
– nur für kurze Zeiträume verschrieben wer- drome,
den, – unkontrollierbare Impulsivität und Aggres-
25 – langsam abgesetzt werden. sivität,
5. Antidepressiva mit sedierenden Eigenschaften – Dissoziation und psychotische Symptome.
26 (Amitriptylin, Doxepin, Trimpramin, Mirtaza- 5. Bei der BPS haben sich drei medikamentöse
pin) wirken schlaffördernd. Bei der primären Optionen bewährt:
Insomnie werden niedrige Dosierungen verwen- – SSRI bei vorherrschender Depressivität,
27 det. Ihre Wirkung setzt sofort ein. Angst oder Ärger,
6. Bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten sind – AAP bei psychotischen Symptomen,
28 sedierende Antidepressiva und Antipsychotika
Benzodiazepinen und Non-Benzodiazepinhyp-
– Stimmungsstabilisierer bei vorherrschenden
impulsiven Störungen.
notika vorzuziehen. 6. Die verschiedenen Störungen des Sozialver-
29 7. Sedierende Antidepressiva und Antipsychoti- haltens sind durch dissoziales, aggressives
ka können wegen ausgeprägter anticholinerger oder aufsässiges Verhalten mit Verletzungen
Eigenschaften besonders bei älteren Patienten zu altersentsprechender sozialer Erwartungen
30 einem Delir führen. gekennzeichnet. Die Symptomatik muss min-
8. Neben einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhyth- destens 6 Monate vorhanden sein. Bei extremen
31 mus und einem stabilen Lebensumfeld führt Ausprägungen wird medikamentös am häufigsten
Modafinil zu einer deutlichen Verbesserung der mit Risperidon, für das auch eine Zulassung für
Narkolepsie, Mittel der zweiten Wahl ist Methyl- diese Indikationen vorliegt, behandelt.
32 phenidat.
9. Das Restless-legs-Syndrom wird mit L-DOPA-
33 Derivaten und Dopaminagonisten behandelt. Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 26
10. Die primäre Insomnie im Kindes- und Jugend-
alter sollten immer verhaltenstherapeutisch mit 1. Bei sexuellen Funktionsstörungen ist eine umfas-
34 z. B. Entspanunngsverfahren und Verbesserung sende Diagnostik notwendig, die psychobioso-
der Schlafhygiene behandelt werden. Bei länge- ziale Faktoren in einem integrativen Konzept
35 ranhaltender Insomnie können vorübergehend
Hypnotika, Antidepressiva oder ggf. auch Anti-
zusammenfasst (z. B. Medikamentenanamnese,
körperliche und psychiatrischen Erkrankungen,
psychotika eingesetzt werden. Im Gegensatz zu Sexualanamnese, Partnerschaftskonflikte), aus
36 Erwachsenen ist auch die Behandlung mit Mela- dem sich die entsprechenden therapeutischen
tonin erfolgversprechend. Optionen und ggf. ihre Kombinationen ableiten
lassen.
37 2. Die häufigste sexuelle Funktionsstörung unter
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 25 Psychopharmaka und Drogen ist die erektile
38 Dysfunktion. Besonders häufig wird sie hervor-
1. Bei Persönlichkeitsstörungen ist insbesondere auf gerufen durch Psychopharmaka (Antipsychoti-
depressive Episoden sowie Substanzmissbrauch ka, Benzodiazepine, Stimmungsstabilisierer und
39 bzw. -abhängigkeit zu achten. Antidepressiva, insbesondere TZA) und Alkohol,
2. Komorbide depressive Episoden können gut mit Nikotin sowie Opiate/Opioide. Ejakulationsver-
40 Antidepressiva behandelt werden, dabei bieten zögerungen können unter SSRI auftreten.
sich wegen der guten Verträglichkeit SSRI an.
Antworten zu den Checkfragen
307 A2

3. Für sexuelle Störungen bei Frauen steht bisher 4. Patienten mit ADHS, die nicht mit Psychostimu-
keine etablierte Pharmakotherapie zur Verfü- lanzien behandelt werden, neigen eher zur Selbst-
gung. medikation mit Drogen (z. B. Cannabis, Kokain,
Speed, Alkohol) um die Symptome zu mindern.

Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 27


Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 29
1. Es gibt auch im Erwachsenenalter positive
Befunde zur Behandlung des ADHS mit Psycho- 1. Bei der bipolaren affektiven Störung kommen
stimulanzien wie Methylphenidat und für den 5 verschiedene Syndrome vor: Manische Episode,
selektiven Noradrenalinrückaufnahmehemmer Hypomanie, Depression, gemischte Episode und
Atomoxetin, aber beide Medikamente sind nicht Rapid Cycling.
zugelassen. Zurzeit werden die meisten Patienten 2. Rapid Cycling ist durch mindestens 4 Episoden
im Erwachsenenalter mit Antidepressiva behan- in 12 Monaten charakterisiert.
delt. 3. Bei der Verabreichung von Antidepressiva, insbe-
2. Kinder und Jugendliche mit ausgeprägter ADHS- sondere von TZA, zur Behandlung einer Depres-
Symptomatik sollten mit Psychostimulanzien und sion im Rahmen einer bipolaren affektiven Stö-
Verhaltenstherapie behandelt werden. Bei Unver- rung besteht das Risiko eine Hypomanie, eine
träglichkeit der Psychostimulanzien und/oder Manie oder ein Rapid Cycling zu induzieren.
zusätzlichen emotionalen Auffälligkeiten kann Auch bei Venlafaxin ist das Risiko erhöht.
Atomoxetin verordnet werden. Der Vorteil die- 4. Bei einer Depression im Rahmen einer bipolaren
ser Kombinationstherapie liegt darin, dass nicht affektiven Störung kann auf die Gabe eines Anti-
nur die Kernsymptome der ADHS (Aufmerk- depressivums nicht verzichtet werden, wenn eine
samkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivi- schwere depressive Episode vorliegt, insbesonde-
tät) reduziert werden, sondern es auch möglich re wenn sie mit Suizidalität einhergeht.
ist, die sozialen Fertigkeiten, die Symptomatik 5. Wenn bei einer depressiven Episode im Rahmen
komorbider Störungen, die Eltern-Kind-Bezie- einer bipolaren affektiven Störung die Behand-
hung und die Schulleistungsprobleme zu verbes- lung mit einem Antidepressivum unverzichtbar
sern. ist, sollten SSRI gewählt werden, da bei ihnen das
geringste Risiko besteht, einen »switch« in eine
Hypomanie oder Manie hervorzurufen oder ein
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 28 Rapid Cycling zu induzieren. Zusätzlich sollte ein
Stimmungsstabilisierer gegeben werden.
1. Die Einnahme von Clomethiazol kann zu einer 6. Kinder- und Jugendliche mit bipolaren Störungen
Abhängigkeitsentwicklung führen, deswegen profitieren zusätzlich zur Therapie mit Stim-
bedarf der Einsatz dieses Medikamentes der mungsstabilisieren von einer ausführlichen Psy-
strikten ärztlichen Kontrolle. choedukation und kognitiv-behavioralen Inter-
2. Zur Substitutionsbehandlung werden langwirk- ventionen, wie z. B. Übungen zur Verbesserung
same Opiatagonisten wie Methadon und Levo- der Kommunikation und zum Erlernen von Pro-
methadon eingesetzt sowie Buprenorphin, das blemlösungsstrategien in Bezug auf das Umge-
sowohl agonistische als auch antagonistische hen mit den Symptomen der Krankheit sowie
Eigenschaften am Opiatrezeptor hat. Übungen zur Emotionsregulierung und Impuls-
3. Die häufigsten Indikationen für Entgiftungen kontrolle. Weiterhin hat sich eine ausführliche
und Entwöhnungen in der Kinder- und Jugend- Psychoedukation der Bezugspersonen als wirk-
psychiatrie stellen Alkohol- und Cannabisabhän- sam gezeigt.
gigkeiten dar. Zu den wichtigsten Behandlungs-
strategien gehören psychosoziale und psychothe-
rapeutische Interventionen. Als wirksam haben Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 30
sich dabei KVT-Gruppenprogramme, Selbst-
hilfegruppen und Familientherapien erwiesen. 1. In der Akutphase der Erkrankung liegt der
Bei Überdosierungen und starken Entzugssym- Schwerpunkt auf der antipsychotischen medi-
ptomen ist eine medikamentöse Therapie not- kamentösen Behandlung. Die Wahrscheinlich-
wendig. keit des Ansprechens auf Antipsychotika nimmt
308 A2 · Antworten zu den Checkfragen

ab und die Prognose wird ungünstiger, wenn eine kos – die Umsetzung auf Clozapin, das unter den
21 akute schizophrene Psychose längerfristig unbe- AAP immer noch eine Ausnahmestellung inne
handelt bleibt. Die möglichst frühzeitige Behand- hat und auch bei primären Non-Respondern oft
lung mit AAP wird empfohlen. In der Stabilisie- zu Erfolg führt. Allerdings hat es ein erhöhtes
A2 rungsphase und in der Phase der Rezidivprophy- Nebenwirkungsrisiko und bedarf der kontinuier-
laxe bzw. Symptomsuppression (Langzeitthera- lichen psychiatrischen Kontrolle.
23 pie) gewinnen psychosoziale Maßnahmen und
die Vermittlung eines Gesamttherapiekonzepts
Eine weitere Option ist die Kombination von
Antipsychotika. Dabei sind mögliche Nebenwir-
zunehmend an Bedeutung. Zunehmend wird kungen und Wechselwirkungen besonders sorg-
24 KVT additiv zur Medikation eingesetzt. fältig zu prüfen und zu überwachen.
2. Negativsymptomatik ist gekennzeichnet durch 8. Kinder und Jugendliche mit schizophrenen Stö-
Denk- und Konzentrationsprobleme, Mangel an rungen sind aufgrund des frühen Krankheitsbe-
25 Selbstvertrauen, Energieverlust, mangelnde Lei- ginns in ihrer emotionalen, sozialen, schulischen
stungsfähigkeit, affektive Verflachung und sozi- und körperlichen Entwicklung beeinträchti-
26 alen Rückzug mit Reduktion der psychosozi- gt. Zusätzlich zur psychopharmakologischen
alen Funktionsfähigkeit. Die Therapie ist schwie- Behandlung der Akutsymptomatik und zur Rezi-
rig und oft langwierig. AAP sind gegenüber den divprophylaxe, sind psychotherapeutische und
27 konventionellen Antipsychotika zu bevorzugen. familienbezogene Maßnahmen sowie spezifische
Bei fortbestehender Negativsymptomatik ist eine Rehabilitationsmaßnahmen indiziert.
28 Kombination eines AAP mit einem SSRI oder mit
Mirtazapin sinnvoll.
3. Depressive Symptome und Suizidalität kommen Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 31
29 im Rahmen einer Schizophrenie häufig vor, ins-
besondere in der ersten depressiven Episode. 1. Positive Effekte bei der Behandlung der Alz-
Bei noch florider Positivsymptomatik sollte die heimer-Demenz sind für AChE-I wie Donepe-
30 Gabe eines Antidepressivums vermieden wer- zil, Galantamin und Rivastigmin belegt sowie für
den. Besteht nach weitgehender Remission der den NMDA-Antagonisten Memantin.
31 Positivsymptomatik ein depressives Syndrom, so 2. Bei der Behandlung der vaskulären und der
ist die zusätzliche Gabe eines Antidepressivums gemischten Demenzen sind ebenfalls AChE-I
(insbesondere eines SSRI) zu empfehlen. und der NMDA-Antagonist Memantin zu emp-
32 4. Bei Mutismus und Katatonie ist die Gabe von fehlen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine
Lorazepam (zunächst 2–2,5 mg) indiziert. »Off-label«-Behandlung, da (noch) nicht genü-
33 5. Bei der Behandlung der schizoaffektiven Stö- gend empirische Belege für eine Zulassung vor-
rung sind AAP bei manischer, depressiver und liegen.
gemischter Symptomatik wirksam. Bei akuter 3. Bei der Behandlung von demenzassoziierten Ver-
34 schizomanischer Symptomatik ist die zusätzliche haltensstörungen werden neben AChE-I und
Gabe von Lithium indiziert. Überwiegt die schi- dem NMDA-Antagonisten Memantin atypische
35 zodepressive Symptomatik, so kann die Kombi-
nation eines Antipsychotikums mit einem Anti-
Antipsychotika eingesetzt. Risperidon und Olan-
zapin zeigen die besten Wirkungen, zugelassen ist
depressivum versucht werden. derzeit nur Risperidon.
36 6. Die erste Option bei der Behandlung einer wahn- 4. Patienten mit einem demenziellen Syndrom sind
haften Depression ist die Therapie mit einem oft multimorbid und haben ein höheres Alter, sie
Antidepressivum. Remittiert die psychotische reagieren deswegen oft empfindlich auf Medi-
37 (wahnhafte) Symptomatik nicht, so wird im zwei- kamente, z. B. mit orthostatischen Beschwerden
ten Schritt zusätzlich ein AAP hinzugefügt. Die und anticholinergen Nebenwirkungen.
38 zweite Option, ist die sofortige Kombination
eines Antidepressivums mit einem AAP.
7. Von Therapieresistenz spricht man, wenn zwei Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 32
39 ausreichend hoch dosierte Antipsychotika über
einen Behandlungszeitraum von jeweils 4– 1. Beim Restless-legs-Syndrom sind L-DOPA und
40 8 Wochen nicht zu einem ausreichenden The- Dopaminantagonisten Mittel der Wahl
rapieeffekt geführt haben. Die erste Option ist –
nach Abwägung des individuellen Therapierisi-
Antworten zu den Checkfragen
309 A2

Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 33 (>6 Monate) definiert ist. Therapeutisch sollten
anfänglich die Beratung der Eltern sowie eine
1. Zu den Kernsymptomen der tief greifenden Ent- Dokumentation des Einnässens erfolgen. Falls
wicklungsstörungen gehören qualitative Beein- diese Maßnahmen nicht ausreichen, ist die appa-
trächtigungen der gegenseitigen Interaktion und rative Verhaltenstherapie mittels »Klingelhose«
Kommunikation sowie ein eingeschränktes, ste- angezeigt. Eine medikamentöse Therapie mit
reotypes, repetitives Repertoire an Interessen und Desmopressin ist indiziert, wenn andere Maß-
Aktivitäten. Das am besten untersuchte Medika- nahmen nicht erfolgreich waren.
ment bei tief greifenden Entwicklungsstörungen 5. Bindungsstörungen beziehen sowohl das intra-
ist Risperidon. Durch Risperidon konnten in den personale Verhalten als auch das interperso-
meisten Studien eine signifikante Verbesserung nelle Beziehungsverhalten mit ein. Es werden
von restriktiven, repetitiven und stereotypen Ver- zwei Subtypen unterschieden. Der erste Typus
haltensmustern, Interessen und Aktivitäten sowie ist gekennzeichnet durch ein gehemmtes Verhal-
eine Reduktion von aggressiven und selbstverlet- ten mit Vermeidung, Rückzug und Hypervigi-
zenden Verhaltensweisen erzielt werden. lanz, während der zweite Typus durch ein unge-
2. Am Anfang der Behandlung steht eine ausführ- hemmtes Verhalten mit vorwiegend unselek-
liche Psychoedukation. Therapeutisch profitieren tivem, distanzlosem Kontaktverhalten geprägt ist.
die Patienten von einer Frühförderung, welche Das wichtigste Behandlungsziel ist ein entwick-
die Interaktionsfähigkeit, die Anpassung an die lungsförderndes und bindungsstabiles Milieu
Anforderungen des Alltags und die Selbständig- herzustellen. Da zumeist umschriebene Entwick-
keit verbessern kann. Verhaltenstherapeutische lungsrückstände vorliegen, sind häufig Kranken-
Interventionen zielen darauf ab, die Entwicklung gymnastik, Ergotherapie und Logopädie erfor-
der sozialen Wahrnehmung, der Kommunikati- derlich. Psychotherapeutische Verfahren kön-
on und der Sprachförderung anzubahnen bzw. nen erst eingesetzt werden, wenn ein entspre-
zu verbessern. Eine stationäre Therapie bzw. eine chendes Entwicklungsalter erreicht ist. Bei aus-
Aufnahme in eine spezialisierte Institution ist bei geprägter Symptomatik kommt eine vorüber-
erheblichen Selbst- und Fremdaggressionen, Ste- gehende Behandlung mit Antipsychotika (z. B.
reotypien und Ritualen oder bei Überforderung Risperidon) in Betracht.
der Familie indiziert.
3. Die emotionale Störung des Kindesalters mit
Trennungsangst, die auch als Schulphobie Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 34
bezeichnet wird, liegt vor, wenn das Kind die
Angst vor der Trennung von der Bezugsper- 1. Bei schweren psychomotorischen Erregungs-
son als überwältigend erlebt, die Angst über die zuständen hat sich die Gabe von Haloperidol
entwicklungsphysiologische Alterstufe hinaus bewährt.
andauert und die psychosoziale Entwicklung län- 2. Das Benzodiazepin Alprazolam wirkt schnell und
gerfristig erheblich beeinträchtigt ist. Leichtere zuverlässig anxiolytisch, es hat eine kurze Halb-
Trennungsängste sind durch eine ambulante Psy- wertzeit und ist damit gut steuerbar. Es kann
choedukation und Vermittlung verhaltensthera- in höherer Dosierung depressiven Stupor lösen
peutischer Übungen der Bezugspersonen beheb- und ist in Kombination mit Haloperidol gut zur
bar. Schwere Trennungsängste müssen häufig sta- Behandlung psychomotorischer Erregungszu-
tionär behandelt werden. Falls eine Begleitmedi- stände geeignet.
kation befristet indiziert ist, empfiehlt sich eine 3. Bei suizidalen Krisen hat sich – neben inten-
Behandlung mit einem SSRI. siven Gesprächen und ggf. auch einer Unterbrin-
4. Die Enuresis wird als unwillkürlicher Harnab- gung auf einer beschützten psychiatrischen Stati-
gang ab einem Alter von 5 Jahren definiert. Je on – die vorübergehende Gabe von Benzodiaze-
nach tageszeitlichem Auftreten des Einnässens pinen bewährt. Sie sind schnell und gut wirksam
wird zwischen Enuresis nocturna, Enuresis diur- und können die Hoffnungslosigkeit lindern, die
na und Enuresis nocturna et diurna unterschie- oft mit Suizidalität verknüpft ist.
den. Unter einer primären Enuresis versteht man
ein Einnässen ohne längere trockene Periode,
während die sekundäre Enuresis durch Wieder-
einnässen nach einer längeren trockenen Periode
310 A2 · Antworten zu den Checkfragen

Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 35


21
1. Bei leichten und mittelschweren Depressionen ist
psychotherapeutischen Interventionen der Vor-
A2 zug zu geben. Ist bei einer schweren Depression
eine medikamentöse Behandlung notwendig, so
23 ist die Gabe des TZA Nortriptylin zu empfehlen.
2. Bei zwingend notwendiger Behandlung mit Anti-
psychotika in der Schwangerschaft sollte, wegen
24 der großen klinischen Erfahrung mit diesem Prä-
parat, Haloperidol in möglichst niedriger Dosis
gewählt werden. Unter den atypischen Antipsy-
25 chotika ist nach derzeitigem Stand Olanzapin am
wenigsten risikoreich.
26 3. Lithium hat ein teratogenes Risiko (kardiovasku-
läre Fehlbildung). Es sollte im 1 Trimenon des-
wegen nicht gegeben werden. Bei einer geplanten
27 Schwangerschaft sollte eine Latenz von min-
destens 2 Wochen zwischen dem langsamen
28 Absetzten von Lithium und der Konzeption
bestehen. Auf das Stillen sollte bei einer Lithium-
behandlung verzichtet werden.
29 4. Benzodiazepine sollten im 1 Trimenon mög-
lichst nicht gegeben werden, ältere Studien erga-
ben Hinweise für das vermehrte Auftreten von
30 Gesichtsspalten. Geringe Dosen scheinen sich im
2 Trimenon nicht negativ auszuwirken. Bei Gabe
31 in der Zeit vor der Geburt kann es zum Floppy-
infant-Syndrom führen und auch zu Entzugssym-
ptomen beim Neugeborenen.
32
33 Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 36
1. Unter den nichtsedierenden Antidepressiva (z. B.
34 SSRI) ist die Fahrtüchtigkeit oft nicht einge-
schränkt. Unter sedierenden Antidepressiva ist
35 sie während der Aufdosierungsphase und in den
ersten beiden Wochen nach Erreichen der der
Zieldosis eingeschränkt.
36 2. Unter der Behandlung mit Antipsychotika ist die
Fahrtüchtigkeit während der Aufdosierung und
in den ersten beiden Wochen nach erreichen der
37 Zieldosis eingeschränkt, dies kann auch während
der Erhaltungstherapie der Fall sein, insbesonde-
38 re bei Antipsychotika mit sedierendem Effekt.
3. Unter der Gabe von Benzodiazepinen ist die
Fahrtüchtigkeit generell eingeschränkt.
39
40
311

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321

Diagnoseverzeichnis
demenzassoziierte Verhaltensstörung
A (BPSD) 258 I
Depression bei körperlichen
Abhängigkeitsstörungen 225 Erkrankungen 150 induzierte wahnhafte Störungen 249
Absetzsyndrome 48 Depression mit psychotischen Intelligenzminderung
Adipositas 197 Merkmalen 236 – Verhaltensstörungen 211
Agoraphobie 168 depressive Störungen 135
akute Belastungsstörung 181 depressiver Stupor 276
Akutphase/Positivsymptomatik desintegrative Störung des Kindes- K
– Schizophrenie 245 alters 267
Alkoholabhängigkeit 111 dissoziativer Stupor 277 Kanner-Syndrom 266
Alkoholentzugsdelir 228 Double Depression 149 katatone Schizophrenie 244
Alkoholentzugssyndrom 227 Dysthymie 149 Kleine-Levin-Syndrom 204
Alkoholhalluzinose 228 Kleptomanie 211
Alkoholintoxikation 227 Klimakterium virile 119
Alpträume 262
E Kokainentzugssyndrom 231
Anorexia nervosa 195 körperdysmorphe Störung 189
early onset schizophrenia 253
Anpassungsstörung 181
Eifersuchtswahn 228, 249
Asperger-Syndrom 267
atypische Depression 149
Ejaculatio praecox 217 L
Enuresis 269
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyper- leichte kognitive Störung (MCI) 256
EPS-Nebenwirkungen 76
aktivitätsstörungen 221 Liebeswahn 249
Erektionsstörungen 216
Autismus 266
– atypischer 267
F M
B Fibromyalgiesyndrom 190 malignes neuroleptisches Syn-
Floppy-infant-Syndrom 283 drom 76, 278
Binge-eating-Störung 197 Manie mit psychotischen Sym-
frühkindlicher Autismus 266
bipolare affektive Störung 235 ptomen 236
Funktionsstörungen
bipolare Depression 236, 238 manische Episode 238
– Antipsychotika 77
bipolare Störung – im Rahmen einer bipolaren
– gemischte Episode 236 affektiven Störung 238
– Typ I 236 G metabolisches Syndrom 76
– Typ II 236 Migräne 189
Borderline-Persönlichkeits- gemischte Demenz 257 Minor Depression 149
störung 208, 212 gemischte Episode Multiinfarktdemenz 257
Bulimia nervosa 196 – bipolare Störung 236
Burnout-Syndrom 151 generalisierte Angststörung 161
Gilles-de-la-Tourette-Syndrom 262 N
C Narkolepsie 204
H Nikotinentzugssyndrom 233
chronisches Müdigkeitssyndrom 189
Colon irritabile 190 hebephrene Schizophrenie 244
hepatische Enzephalopathie 228 O
D hyperkinetische Störungen 222
Hypersomnie 204 Opiatabhängigkeit 112, 230
hypochondrische Störung 188 Opiatentzugssyndrom 230
Delir 276 Opiatintoxikation 230
Hypomanie 236
Delirium tremens 228 Orgasmusstörungen 217
Demenz 255
– bei Alzheimer-Krankheit 256
– mit Lewy-Körperchen 257
– bei Parkinson-Syndrom 257
322 Diagnoseverzeichnis

Schlafwandeln 262
21 P Schmerzsyndrome Z
– unabhängig von einer somato-
Panikstörungen 45, 155 formen Schmerzstörung 189 Zähneknirschen 262
22 paranoide Schizophrenie 244 Schulphobie 268
Schwangerschaft 282, 283
zentrales anticholinerges
Paraphilie 217 Syndrom 279
Parasomnien 262 sexuelle Erregung zentrales Serotoninsyndrom 50, 278
L pathologisches Spielen 211 – Störungen bei der Frau 47, 217 Zwangsstörungen 45, 171
Pavor nocturnus 262 sexuelle Funktionsstörungen 47, 215,
periodic limb movements in sleep 218
D (PLMS) 262 – substanzinduzierte 218
Persönlichkeits- und Verhaltens- sexuelles Verlangen
störungen 207 – gesteigertes 217
25 Phobie – vermindertes 217
– soziale 168 Somatisierungsstörung 188
somatoforme autonome Funktions-
26 – spezifische 168
phobische Störungen 167 störung 188
postschizophrene Depression 244 somatoforme Schmerzstörung 189
27 Post-Stroke-Demenz 257
posttraumatische Belastungs-
somatoforme Störungen 185
Spannungskopfschmerz 189
störung 177 Störungen des Sozialverhaltens 212
28 prämenstruelles Syndrom 190 Stupor bei katatoner
Schizophrenie 276
primäre Insomnie 200
Pseudodemenz 259 subkortikale vaskuläre Enzephalo-
29 psychogener Stupor 277 pathie 257
psychomotorische Erregungs- Suizidalität 49, 150, 277
zustände 275 – Kindes- und Jugendalter 59
30 psychotische Störungen Syndrom der inadäquaten
– akute vorübergehende 249 ADH-Sekretion (SIADH) 49
Pyromanie 211
31
T
R
32 Ticstörungen 262
Rapid Cycling 236 Trennungsangst 268
Recurrent brief depression 149 Trichotillomanie 211
33 Restless-legs-Syndrom (RLS) 262
Rett-Syndrom 267
U
34 rezidivierende depressive
Störung 148
überaktive Störung mit Intelligenz-
rezidivierende kurze depressive
minderung und Bewegungsstereo-
35 Episode 149
Rhabdomyolyse 77
typien 267
undifferenzierte Schizophrenie 244
unterschwellige Depression 149
36 S
V
37 saisonal abhängige affektive
Störung 149
vaskuläre Demenz 257
schizoaffektive Störungen 240, 248
38 – Phasenprophylaxe 240
very early onset schizophrenia 253
schizophrenes Residuum 244
Schizophrenia simplex 244 W
39 Schizophrenie 243, 247
– depressive Symptomatik 247 wahnhafte Exazerbationen 249
– katatone Symptomatik 247
40 – kognitive Störungen 247
Wernicke-Korsakow-Syndrom 228
Winterdepression 149
Schlafapnoesyndrom 205
323

Pharmakaverzeichnis
In das Pharmakaverzeichnis sind die chemischen Kurzbegriffe kursiv und die Handelsnamen in gerader Schrift aufgenommen.
Eine fettgedruckte Seitenzahl verweist auf die tabellarische Beschreibung im jeweiligen Teil »Präparategruppen«.

Clozapin 73, 74, 77, 78, 79, 80, 81, 258


A Concerta 129 G
Cymbalta 55
AADC-Inhibitorpräparate 130 Cyproteronacetat 119, 120, 217 Galantamin 108, 258
Abilify 79 Gladem 54
Acamprosat 111, 229
Acomplia 114, 125
D
Adumbran 92
H
Dalcipran 55
Agomelatin 39
Dalmadorm 101 Halcion 101
Akineton 274
Desipramin 111 Haldol 80
Alprazolam 92, 93, 158
Desmopressin 269 Haldol-Janssen 274
Amisulprid 73, 79
DHEA 146, 217 Haloperidol 80, 81, 110, 111, 274
Amitriptylin 57
Diazepam 92, 94, 247, Hydroxyzin 86, 88, 91, 93
Anafranil 57
Diphenhydramin 97, 102 Hyperikumextrakt 58
Androcur 120
Dipiperon 80
Aricept 108
Distraneurin 111
Aripiprazol 73, 79
Atarax 93
Disulfiram 111, 112, 229 I
Dociton 93
Atomoxetin 128, 129, 131, 223 Imipramin 57, 111, 142, 156, 162
Dolestan 102
Aurorix 58 Insidon 93
Donepezil 108, 258
Axura 108 Invega 78
Duloxetin 54, 55, 187, 189, 190

B E J
Baldrianpräparate 102 Johanniskrautextrakt 58, 188
Ebixa 108
Bespar 93
Edronax 56
Biperiden 274
Buprenorphin 111, 112, 230
elmendos 69
Elontril 56
L
Bupropion 39, 56, 114, 218
Equasym 129
Buspiron 85, 88, 91, 93, 94, 163 Lamotrigin 62, 69, 239, 283
Ergenyl chrono 69
Leponex 79
Ergocalm Tabs 101
Levitra 121
C Escitalopram 54, 157, 162, 173
Levodopa 289
Eunerpan 80, 274
Levomethadon 111, 112, 230
Campral 111 Exelon 108
Levomopromazin 81
Carbamazepin 62, 69, 210, 211, 227, Librium 84
283
Champix 111, 114
F Lithium 143, 210, 239, 283
Lithiumcarbonat 69
Chloraldurat 500 102 Liviella 217
Fevarin 54
Chloralhydrat 96, 97, 99, 102 Lorazepam 92, 158, 247, 274
Fluanxol 80
Chlordiazepoxid 84 Lormetazepam 101
Fluctin 54
Chlorprothixen 81 Lorprazolam 101
Flumazenil 85, 111
Cialis 121 L-Polamidon 111
Fluoxetin 53, 54, 59, 120, 152, 173,
Cipralex 54 Lyrica 93
196, 197
Cipramil 54
Flupentixol 80
Citalopram 54, 157
Clomethiazol 110, 111, 227
Fluphenazin 81
Flurazepam 101
M
Clomipramin 57, 173
Fluvoxamin 54, 59, 173, 175, 269
Clonazepam 92, 263, 284 Medikinet retard 129
Clonidin 111, 113, 131, 230, 232 Melatonin 96, 102, 259
324 Pharmakaverzeichnis

Melperon 80, 81, 102, 203, 274


21 Memantin 107, 108, 258 R V
Methadon 111, 112, 230
Methylphenidat 128, 129, 204, 223 Reboxetin 55, 56 Valium 92
22 Milnacipran 55, 187, 190
Minirin 269
Reductil 125 Valproinsäure 62, 69, 210, 211, 239,
Remergil 56 283
Mirtazapin 55, 56, 101, 140, 142, 218, Remestan 101 Vardenafil 121
L 246 Reminyl 108 Variniclin 111, 114
Moclobemid 57, 58 Restex 130 Venlafaxin 54, 55, 140, 142, 158, 162,
Modafinil 128, 129, 131, 204, 205, 223 Rimonabant 114, 124, 125, 232 187, 190
D Risperdal 79 Viagra 121
Risperidon 79, 81, 210–212, 245, 248, Vigil 129
N 249, 259, 262, 268
P Ritalin 129
Naloxon 111, 230
Rivastigmin 108, 258
X
Naltrexon 111, 113, 210, 211, 229,
26 231, 232
Rivotril 92
Ropinirol 289 Xenical 125
Narcanti 230 Ximovan 101
Natriumoxybat 129, 204 Xyrem 129
27 Nikotinpflaster 111 S
Noctamid 101
Nortrilen 57 Y
28 Nortriptylin 57
Saroten 57
Sepram 54
Seroquel 69, 79 Yohimbin 118

29 O Seroxat 54
Sertralin 54, 120, 178
Sibutramin 124, 125, 197
Z
30 Olanzapin 69, 73, 79, 203, 239, 245,
248, 249, 274
Sildenafil 120, 121, 216, 218 Zaleplon 97, 101
Solian 79 Zeldox 79
Opipramol 86, 88, 91, 9393, 188
Sonata 101 Ziprasidon 73, 79
31 Orfiril long 69
Orlistat 124, 125
Sonin 101 Zoloft 54
Stangyl 57 Zolpidem 97, 101
Oxazepam 92
Stilnox 101
32 Strattera 129
Zopiclon 97, 101
Zyban 111
P Zyprexa 69, 79, 274
33 Paliperidon 78
T
Paroxetin 54, 178, 282
Tadalafil 121
34 Perazin 81
Pimozid 81
Tafil 92
Tagonis 54
Pindolol 94
Tavor 92, 274
35 Pipamperon 80, 81, 203
Tegretal 69
Pramipexol 289
Temazepam 101
Pregabalin 86, 88, 93, 163
36 Propranolol 93, 94
Testosteron 217
Theophyllin 205
Prozac 53
Tiaprid 227, 262
37 Tibolon 217
Q Timonil 69
Tofranil 57
38 Quetiapin 69, 79, 203, 210, 239, 245, Tranylcypramin 57
258 Trevilor retard 55
Quilonum retard 69 Triazolam 101
39 Trimipramin 57, 102
Tryptophan 96, 102

40
325

Sachverzeichnis
– Manieinduktion 237 Arzneimittel
A – Non-Compliance 43 – Definition 4
– Panikstörungen 156 Asperger-Syndrom 267
Abhängigkeitsstörungen 226 – Persönlichkeitsstörungen 210 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyper-
Absetzsyndrome – pharmakologische Angriffs- aktivitätsstörungen
– Antidepressiva 48 punkte 42 – Neurobiologie 222
Absorption 12, 15 – Plasmakonzentration Augmentationsstrategien 145
Acetylcholinesterasehemmer 106 – Plasmaspiegel 45 Autismus
ADHS – primäre Insomnie 203 – Neurobiologie 266
– multimodale Therapie 130 – Psychotherapie 137 Azapirone 84
Agonist 17 – Rezidivprophylaxe 142
Agoraphobie 168 – Routineuntersuchungen
Agranulozytose – Schwangerschaft und Stillzeit 280 B
– Antipsychotika 77 – Suizidalität 49
– trizyklische Antidepressiva Barbiturate 84, 85, 96
Akathisie 76
– – Entwicklung 38 Beipackzettel 23, 24
Akkumulation 12
– – Therapieempfehlung 57 Belastungsstörung 181
Alkoholabhängigkeit
– Wechselwirkungen 51 – posttraumatische 177
– Rückfallprophylaxe 228
– Wirkungseintritt 140 Benzodiazepine 289
Alkoholentzugsdelir 228
– Wirkungsmechanismus 40 – Abhängigkeit 90
Alkoholentzugssyndrom 227
– Zwangsstörung 173 – Alkoholkrankheit 110
Alkoholfolgekrankheiten 228
Antidepressivastudien – generalisierte Angststörung 163
Alkoholhalluzinose 228
– Methodik 39 – Indikationen 87
Alkoholoabhängigkeit
Antiepileptika 84 – Panikstörungen 158
– Rückfallprophylaxe 111
– Alkoholkrankheit 111 – paradoxe Reaktionen 99
Allianz, therapeutische 251
Antihistaminika 84, 97, 99 – Schlaf-EEG 97
Alpträume 262
Antiinsomnika 96 – Schwangerschaft und Stillzeit 284
Amphetamin 231
Anticraving-Substanzen 111 – Wirkungsmechanismus 84
Amyloidhypothese 257
Antikonvulsiva 62 Benzodiazepinhypnotika 96
Androgene 119
– Schwangerschaft und Stillzeit 283 Benzodiazepin-
Angst
Antipsychotika 76, 289 rezeptorantagonisten 85
– Neurobiologie 151
– Absetzversuch 75 Beta-(β-)Rezeptorenblocker 84, 86
Anorexia nervosa 195
– Alkoholkrankheit 110 – Angststörungen 158
Anpassungsstörung 182
– als Anxiolytika 86, 89 Bewegungsstörungen 130, 261
Antagonist 17
– atypische Antipsychotika Bewegungstherapie 147
Antiadiposita 124
– – Definition 72 Bilanzsuizid 277
Antiandrogene 119
– – Stimmungsstabilisierer 62 Bindungsstörungen 270
Antidepressiva 289
– Begleittherapie 74 Binge-eating-Störung 197
– ADHS 129
– Behandlungsdauer 74 Bioverfügbarkeit 13
– Akuttherapie 140
– gesicherte Wirksamkeit 73 bipolare affektive Störung 236, 239
– Angsterkrankungen 89
– Insomnie 203 – Phasenprophylaxe 236, 239
– chemische Struktur 39
– kardiale Nebenwirkungen 77 BLIPS
– Definition 38
– Kombination 250 – Schizophrenie 244
– Dosierung 45
– konventionelle Antipsychotika 72 – Depression 141
– Drug-Monitoring 45
– – Definition 72 Blutungen, gastrointestinale
– duale Antidepressiva 38, 187
– Langzeiteffekt 73 – SSRI 47
– – Schmerzen 187
– Lebensqualität 73 Bromide 96
– generalisierte Angststörung 162
– Persönlichkeitsstörungen 210 Bruxismus 262
– Gewichtszunahme 47
– psychosoziale Integration 73 BPSD (Verhaltensstörung, demenzasso-
– hämatopoetisches System 47
– Routineuntersuchungen 78 ziierte) 258
– historische Entwicklung 38
– Schwangerschaft und Stillzeit 283 Bulimia nervosa 196
– im höheren Lebensalter 52
– vegetative Nebenwirkungen 77 Burnout-Syndrom 151
– Indikationen 43
– Wechsel 250 Buspiron 168
– kardiale Nebenwirkungen 45
– Wirkungsmechanismus 72 – Wirkmechanismus 85
– Kombinationsstrategien 144
326 Sachverzeichnis

Dispositionsgene
21 C – Schizophrenie 244 F
Distribution 12, 15
Cannabis 232 Dopaminagonisten 130, 289 Fachinformation 24
22 Cannabisabhängigkeit 113 Dopaminrezeptor 72
Dosis-Wirkung-Beziehung 6
Fibromyalgiesyndrom 190
Carbamazepin 67 first generation antipsychotics 72
Chloralhydrat 97 Double Depression 149 Flashback-Psychosen 232
23 Chlordiazepoxid 84 Drug-Monitoring 19 Flexibilitas cerea 276
cholinerge Hypothese Dysthymie 149 Floppy-infant-Syndrom 283
– Demenz 106 Folsäuresubstitution 283
24 Clearance 13, 14
E Frühdyskinesie 76
Cochrane-Datenbank 26
Colon irritabile 190
25 Craving 229
Ebstein-Anomalie 283 G
EC50 7
cycling acceleration 238
Ecstasy 231 GABA 84
S Cytochrom P450 15
Ecstasy-Abhängigkeit 113 GABAA-Rezeptoren 85
ED50 7 GABA-Benzodiazepinkomplex 85
D Effekt Gammaaminobuttersäure (GABA) 84
27 – antinozizeptiver generalisierte Angststörung
D2-artige Rezeptoren 73 – – Antidepressiva 189 – Antidepressiva 162
Eifersuchtswahn 228
28 Degenerationshypothese
– Schizophrenie 244 Ejaculatio praecox 217
Generikum 5
Gestagene 119
Delirium tremens 228 Ejakulationen, schmerzhafte 218 Gewichtszunahme
29 Demenz
– bei Alzheimer-Krankheit 256
Ejakulationsverzögerungen 218
Elektrokrampfbehandlung (EKB) 147
– Antidepressiva 47
– Antipsychotika 76
-- cholinerge Hypothese 106 – Kindes- und Jugendalter 253 Gleichgewichtszustand (Steady
30 -- Neurobiologie 257 Eliminationshalbwertszeit 13, 14
Entgiftung 228
State) 14
– Prävention 258
demenzielles Syndrom 256 – qualifizierte 226
31 Depotpräparate 75 Entspannungsverfahren H
Depression – Insomnie 202
– atypische 149 Entwicklungsstörungen, tief Hang-over-Effekte 99
32 – bipolare 236 greifende 266 Haschisch 232
– blips 141 Entwöhnung Heroinvergabe, ärztlich
– Erhaltungstherapie 142 – Definition 227 kontrollierte 231
33 – Genetik 136 Entwöhnungstherapie 228 Herzinfarkt
– hirnmorphologische Entzugssymptome – Antidepressiva 52
– Benzodiazepine 90 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 46
34 Veränderungen 136
– Hormone 146 Enuresis 269 high expressed emotions 251
– bei körperlichen Erkrankungen 150 EPS-Nebenwirkungen 76 Hormonersatztherapie 120
Horrortrip 232
35 – Krankheitsmodell 137
– Neurobiologie 136
Erektionsstörungen 216
Erhaltungstherapie 5-HT-Transporter-Gen 30
– Noradrenalin- und Serotonin- – Bedingungen 9 hyperkinetische Störungen 222
36 hypothesen 38 Erregungszustände, psycho-
motorische 275
Hypersomnie 204
Hypnotika
– mit psychotischen Merkmalen 236
– Relapserate 39 Essstörungen 193 – Abhängigkeit 98
37 – Remission 143 – Neurobiologie 194 – pflanzliche Präparate 96
Hypomanie 236
– rezidivierende Eve 231
– – Therapie 148 Eve-Abhängigkeit 113 hypothalamisch-hypophysär-adrenales
38 – rezidivierende kurze 149 evidenzbasierte Medizin 26 System (HPA) 39, 156
– Therapie 148 Exkretion 12, 16 Hypothalamus-Hypophysen-Neben-
– wahnhafte eye movement desensitization and nierenrinden-System 136
39 -- EKB 249 reprocessing (EMDR) 179
depressive Episode, s. Depression

40 Designerdrogen 231
Desorientiertheit 276
DHEA-Therapie 120
327
Sachverzeichnis

Lithiumaugmentation Nikotinabhängigkeit 114


I – im höheren Lebensalter 66 Nikotinersatzstoffe 114
Lithiumprophylaxe NMDA-Antagonist 106
IC50 7 – Absetzen 64 NMDA-Rezeptoren 106
Imipramin Locus coeruleus 151 Non-Benzodiazepinhypnotika 97
– Entdeckung 38 low-dose dependence 90, 98 – Schwangerschaft und Stillzeit 284
inadäquate ADH-Sekretion (SIADH) 49 LSD 232 Non-Compliance
Insomnie – Antipsychotika 75
– Alkohol 201 Non-REM-Schlafepisoden 201
– Antipsychotika 203
M Noradrenalin-Dopaminrückaufnahme-
– Neurobiologie 201 hemmer 56
Magnetstimulation, repetitive
– primäre 200
transkranielle 147
-- Antidepressiva 203
– Ursachen 200
malignes neuroleptisches O
Syndrom 76, 278
intrinsische Aktivität 17
Manie off-label 22
Isoenzyme 15
– Neurobiologie 236 Opiatabhängigkeit
MAO-Hemmer – Entwöhnungsbehandlung 231
J – Entdeckung 38 – Substitutionsbehandlung 230
– Therapieempfehlung 57 Opiatentzugssyndrom 113, 230
Johanniskrautextrakte Marihuana 232 Opiatintoxikation 230
– Therapieempfehlung 58 Marker, biologischer 136 Opioid-Agonisten 289
Mebrobamat 84 Orexinsystem 201, 204
Medikamentencompliance Östrogenmangel 119
K – Psychotherapie 31
Medikamentenentwicklung
kardiale Nebenwirkungen 77 – Phasen 6
P
– Antidepressiva 45 Medroxyprogesteron 121
– Antipsychotika 77 Meskalin 232 Panikstörungen
Kataplexie 204 metabolisches Syndrom 76 – Antidepressiva 45
Katatonie Metabolisierung 12, 15 Paraphilie 217
– febrile 276 Methylphenidat Parasomnien 262
– perniziöse 276 – ADHS 128 Parkinson-Erkrankung
kognitive Störung, leichte 256 Migräne 189 – Depression 52
Kokain 231 Minor Depression 149 Parkinsonoid 76
Kombinationsbehandlung Missbrauch Patienteninformation 22
– Psycho- und Pharmakotherapie 31 – Definition 226 Pavor nocturnus 262
Krampfanfälle 76 Mitralklappenprolaps 159 PDE-5-Hemmer 118, 217
Kumulationsphänomene 99 mnestische Störung 276 periodic limb movements in sleep
mood stabilizer 62 (PLMS) 130, 262
Persönlichkeitsstörungen 207
L Müdigkeitssyndrom, chronisches 189
– Neurobiologie 208
Pharmakodynamik 12, 16
Lampenfieber 159 N Pharmakokinetik 12, 13
Langzeittherapie Pharmakon
– Bedingungen 9 Nachahmungspräparate 5 – Definition 4
LD50 7 Nap 202 phase advance 63
Leuprorelinacetat 121 Narkolepsie 204 Phasenfrequenz 238
LHRH-Antagonisten 121 Negativsymptomatik Phasenprophylaxe
Libidosteigerungen 218 – und Prodromalstadium 246 – bipolare affektive Störung 236, 239
Lichttherapie 147 – Schizophrenie 246 Phobie
Lipasehemmer 124 neuroleptische Potenz 72 – Agoraphobie 168
Lithium Neuron 17 – soziale 168
– Plasmakonzentration 65 Neuropils 244 – spezifische 168
– Routineuntersuchungen 67 Neurotransmission phobische Störung
– Schwangerschaft und Stillzeit 283 – serotonerge 62 – Antidepressiva 168
– Wirkungsmechanismus 62 – – Lithium 62 Phosphodiesterase-Typ-5-
– zirkadiane Ryhthmen 63 Nikotin 232 Hemmer 118
328 Sachverzeichnis

Placebo 39 SSRI 53
21 Polymorphismus 16 S – Angst
Polytoxikomanie – Bulimia nervosa 196
– Definition 226 SAD 149 – depressive Störungen 140
22 post-stroke depression 150
posttraumatische Belastungsstörung
Schilddrüsenhormone 146 – Ejaculatio praecox 120
– Entwicklung 38
schizoaffektive Störung 240
(PTSD) 177, 181 – Phasenprophylaxe 240 – generalisierte Angststörung 162
23 – Neurobiologie 178 Schizophrenie 244 – Insomnie 202
Priapismus 218 – katatone 276 – Manieinduktion 237
Prodromalstadium – – Stupor 276 – Panikstörung 157
24 – Schizophrenie 246 – Neurobiologie 244 – Persönlichkeitsstörungen 210
Pseudodemenz 277 – Prodromalstadium 244 – phobische Störung 168
– depressive 150 – Therapieresistenz 249 – Plasmakonzentration 45
25 Psilocybin 232 – unspezifisches Vorstadium 244 – posttraumatische Belastungs-
Psycho- und Pharmakotherapie Schlaf, nichterholsamer 200 störung 178
– Kombinationsbehandlung 31 – prämenstruelles Syndrom 190
S Psychoanaleptikum 128
Schlafanalyse 200
Schlafapnoesyndrom 205 – somatoforme Störung 187
Psychomimetika 232 Schlaf-EEG – und Suizidalität 59
27 – Abhängigkeit 113
Psychopharmaka
– Benzodiazepine 97
Schlafentzug 146
– – Kindes- und Jugendalter 59
– Therapieempfehlung 53
– Fahrtüchtigkeit 288 Schlafhygiene 202 – Wechselwirkung 18
28 – Schwangerschaft 282
Psychostimulanzien 222
Schlafmittel 96 – Zwangsstörung 172
Steady State 14
Schlafstörungen 199
Psychotherapie – nichtorganische 200 Stimmungsstabilisierer 289
29 – Medikamentencompliance 31 – organische 200 – Definition 62
PTSD, s. posttraumatische Belastungs- Schlaf-Wach-Regulation 201 – Indikationen 64
störung Schlafwandeln 262 – – Übersicht 64
30 Schlaganfall Störungen
– Antidepressiva 52 – hyperkinetische 222
R Schmerzen – leichte kognitive 256
31 – duale Antidepressiva 187 – mnestische 276
Rapid Cycling 236, 239 – phobische 168
Schmerzstörung 189
rapid-eye-movement 201 – – Antidepressiva 168
32 Rauchen 78
Schmerzsyndrome 187
seasonal affective disorder 147 – schizoaffektive 240
Reboundsymptome 90 – – Phasenprophylaxe 240
second generation antipsychotics 72
recurrent brief depression 149
33 Redner- und Prüfungsangst 159
Sedierung
– Antidepressiva 47
– somatoforme 185
Stress 151
Reizdarm 190 Stresshormonachse, PTSD 178
Selbsthilfegruppen 229
REM-Schlaf 201
34 Restless-legs-Syndrom 130, 262
Serotonin (5-HT)-Transporter 42
Serotoninregulation
Stupor
– depressiver 276
Rett-Syndrom 267 – dissoziativer 277
– Essstörungen 194
35 reuptake 40
Rezeptorbindung 16
Serotoninsyndrom, zentrales 50, 278, – psychogener 277
279 Suchtmittel 227
Rezeptoren, glutamaterge 106 Suizidalität 277
Sexualhormone 119
36 Rezeptor-Signal-Transduktion 17
Rezidivprophylaxe
sexuelle Funktionsstörungen 215 – unter Antidepressiva 49
– Antidepressiva 47 switch 238
– Bedingungen 9 Syndrom 190
– Antipsychotika 76
37 Rhabdomyolyse 77
– Neurobiologie 216 – delirantes 276
riskanter Konsum – demenzielles 256
SIADH 49
– Definition 226 – der inadäquaten ADH-Sekretion
38 Rote Liste 23
Sleep-Onset-REM-Episoden 204
SNRI (SIADH) 49
Rückfallsymptome – malignes neuroleptisches 76, 278
– Therapieempfehlung 53, 55, 56
– Benzodiazepine 90
39 somatoforme Störung 185
Somnambulismus 262
– metabolisches 76
– prämenstruelles 190
Sozialrhythmus-Therapie 240 – – SSRI 190
40 Spannungskopfschmerz 189
Spätdyskinesien 76
– somatisches 196
– – depressive Störung 196
– zentrales anticholinerges 278
329
Sachverzeichnis

T V Z
Testosteron Vagusnervstimulation 147 Zwangsgedanken 172
– Stimmungsregulation 146 Venlafaxin 168 Zwangshandlungen 172
Testosteronsubstitution 217 Verhaltensstörung, demenzassoziierte Zwangsstörung
Testosterontherapie 120 (BPSD) 258 – Antidepressiva 173
therapeutic-dose dependence 90, 98 Verteilungsvolumen 13 – – Dosierung 45
therapeutische Breite 7 Verwirrtheit 276 – Neurobiologie 172
therapeutisches Fenster 52 Vulnerabilitätsstressmodell 251
– Plasmakonzentration 45
Therapieresistenz
– Depression 143
W
– – Algorithmus 145
– Schizophrenie 249 Wechselwirkung 18
Ticstörungen 262 Wernicke-Korsakow-Syndrom 228
Tiefenhirnstimulation 173 Winterdepression 149
Toleranz Wirkstoffentwicklung 5
– pharmakodynamische 8 Zähneknirschen 262
– pharmakokinetische 7
Toleranzbildung 7
Trennungsangst 268
TZA (trizyklische Antidepressiva)
– Manieinduktion 237

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