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Informationsblätter primäre Immundefekte

CCI Centrum für Chronische


Immundefizienz

Immunologie bei Deletionssyndrom


22q11

1 Einleitung
2 Das Immunsystem
3 Der Thymus und seine Aufgabe im Abwehrsystem
4 Ursache der immunologischen Störung
5 Das partielle Di George Syndrom
6 Das komplette Di George Syndrom
7 Untersuchungsmethoden
8 Behandlungskonzept
9 Infektanfälligkeit oder Immundefekt?
10 Zusammenfassung
22q11 Informationsblätter primäre Immundefekte

1 Einleitung
Die Bezeichnung 22q11 Deletions-Syn- eine Vielzahl von Problemen haben kön-
drom steht übergeordnet für eine Gruppe nen, ist eine Betreuung durch Ärzte aus
von Syndromen mit unterschiedlich stark mehreren Fachbereichen von Beginn an
ausgeprägten Krankheitszeichen, zu de- wünschenswert und erforderlich. In der
nen das Di George Syndrom (DGS), das Regel stehen zunächst kardiale Proble-
velokardiofasziale (oder Sphrintzen-) me und die Störung des Calciumhaus-
Syndrom (VCFS), sowie die CHARGE haltes im Vordergrund der medizini-
Assoziation gerechnet werden. Das Wort schen Behandlung. Da aber auch das
Syndrom umschreibt eine Ansammlung Abwehrsystem mehr oder weniger stark
von Krankheitszeichen, Fehlbildungen beeinträchtigt sein kann, sollte auch früh
oder Anomalien, die bei einem Krank- eine richtungweisende immunologische
heitsbild immer gemeinsam auftreten. Diagnostik durchgeführt werden, um bei
Es wird bei verschiedenen Erkrankungen vorliegender Abwehrschwäche entspre-
als Sammelbegriff für einen bestimmten chende Vorsischtsmassnahmen treffen
Symptomkomplex verwendet. Die hier zu können.
genannten Syndrome werden alle durch
einen kleinen Defekt, einer sogenannten In diesem Heft möchten wir einen Ein-
Mikrodeletion des Chromosoms 22 in blick vermitteln, wie sich das 22q11
der Region q11verursacht. Dieser Chro- Deletions-Syndrom auf das Abwehrsys-
mosomendefekt führt zu einer komple- tem auswirken kann und welche Diag-
xen frühen embryonalen Entwicklungs- nostik- und Therapiemöglichkeiten zur
störung, die sehr variabel ist. Verfügung stehen.
Da die betroffenen Kinder hierdurch

2 Das Immunsystem
Das menschliche Immunsystem setzt ist die erste natürliche Barriere für Infek-
sich aus verschiedenen Organen und tionserreger z.B. die Haut, Tränenflüssig-
Blutzellen zusammen. Die Hauptaufga- keit, die Flimmerhärchen der Atemwege,
be des Immunsystems ist die Abwehr von der Schleim oder die Magensäure. Wenn
Infektionserregern, ohne dabei dem ei- diese Barrieren überwunden werden,
genen Körper Schaden zuzufügen. Noch wird das Immunsystem aktiviert. Die Im-
bevor das Abwehrsystem in Aktion tritt, munabwehr wird zum größten Teil von

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Aktiver Lymphozyt Lymphozyt im Ruhezustand


Abb. 1 - Die meisten anderen abgebildeten Zellen, mal rosa, mal violett (je nach Färbung) sind Erythrozyten.

bestimmten Blutzellen, den weißen Blut- ser Zellen ist ihr „Gedächtnis“, d.h. die
körperchen (Leukozyten) getragen. Diese Fähigkeit einer stärkeren Reaktion beim
werden unterteilt in Granulozyten, Mo- zweiten Kontakt mit Erregerbestandtei-
nozyten und Lymphozyten. len. Dies macht man sich bei jeder Imp-
fung zunutze.
Man unterscheidet zwei Arme des Im-
munsystems. Über die unspezifische Die T-Lymphozyten werden je nach ihrer
angeborene Immunabwehr kann der Funktion unterschieden in T-Helferzel-
Organismus rasch auf eingedrungene Er- len, und T-Killerzellen. Sie sind v.a. für
reger reagieren, indem diese durch Gra- die Kontrolle von Virusinfektionen ver-
nulozyten, Makrophagen und dendriti- antwortlich, „helfen“ aber auch vielen
sche Zellen phagozytiert („aufgefressen“) anderen Zellen des Immunsystems bei
werden. Diese Antwort erfolgt schnell, deren Aufgaben, so dass sie die Schlüs-
ist aber nur mässig effektiv. selzellen des Immunsystems sind.

Viel effektiver ist die spezifische Abwehr, Die B- Zellen sind in der Lage, nach
die sich wiederum in eine humorale (in Kontakt mit einem Erreger speziell ge-
„Körperflüssigkeit“ vorliegende) und eine gen diesen Erreger gerichtete Antikörper
zelluläre (von Blutzellen getragene) Ab- (Immunglobuline) zu bilden. Die Im-
wehr einteilen lässt. Zu den Blutzellen munglobuline (Ig) können anhand ihrer
der spezifischen Abwehr gehören B- und Eigenschaften in verschiedene Klassen
T-Lymphozyten, die an ihrer Oberfläche (IgG, IgM, IgD, IgA, IgE) und Subklassen
hochspezialisierte „Fühlarme“ (Rezepto- eingeteilt werden. Antikörper sind fähig,
ren) tragen, die in der Lage sind, Erreger Erreger zu binden und diese dadurch un-
zu binden. Eine wichtige Eigenschaft die- schädlich zu machen.

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Die wichtigsten Organe, die am Immun- erreichen sie ihre volle Reife und in den
system beteiligt sind, sind die Mandeln anderen Lymphorganen sind die opti-
(Tonsillen), die Lymphknoten, das lym- malen Strukturen vorhanden, die für ihr
phatische Gewebe in Darm und Lun- Zusammenspiel im Rahmen einer Infek-
ge, die Milz, das Knochenmark und der tantwort notwendig sind. Das führt zum
Thymus. Im Knochenmark werden die Beispiel zum Anschwellen von Lymph-
Blutzellen gebildet, in Milz und Thymus knoten im Rahmen von Infekten.

3 Der Thymus und seine Aufgabe im Abwehrsystem


Der Thymus liegt mit seinen beiden ova- Pubertät langsam zurück. Das Thymus-
len Lappen hinter dem Brustbein, ober- gewebe selbst hat keine unmittelbare
halb des Herzbeutels. Im Säuglings- und Abwehrfunktion sondern ist notwendig
Kindesalter ist er voll entwickelt, bildet für die Reifung von Lymphozyten. Sie
sich dann aber mit dem Einsetzen der werden als T-Lymphozyten bezeichnet,

Abb. 2 - Thymusdrüse beim Säugling

Luftröhre

Thymus

Lunge

Herz (im Herzbeutel)

Benninghoff/Goerttler: Lehrbuch der Anatomie des Menschen, 10. Auflage © 1968 Urban & Schwarzenberg Verlag München

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da sie im Thymus für ihre späteren Auf- und Fremdantigenen (Erregern) zu unter-
gaben geprägt werden. scheiden. Erst wenn die T- Lymphozyten
die „Thymusschule“ durchlaufen haben,
T- Zellen werden im Knochenmark als sind sie in der Lage, Ihre spezifischen
unreife Vorläuferzelle gebildet und wan- Aufgaben im Immunsystem zu überneh-
dern dann in den Thymus, um dort für men. Bei vollständigem Fehlen jeglichen
ihre spätere Funktion „geschult“ zu wer- Thymusgewebes können keine T-Zellen
den. Einerseits vermehren sie sich im Thy- gebildet werden und es folgt eine schwe-
mus andererseits „lernen“ sie, zwischen re Infektanfälligkeit.
körpereigenen Bestandteilen (Antigenen)

fehlender
Thymusschatten
Thymusschatten
Abb. 3 - Röntgenaufnahmen

4 Ursache der immunologischen Störung

Das 22q11 Deletions-Syndrom führt zu zu einer Anlage- oder Entwicklungsstö-


einer gestörten Entwicklung der dritten rung der Organe, die später aus diesen
und vierten Kiemenbogentasche in der Strukturen hervorgehen.
Embryonalzeit, d.h. es kommt bereits in
den ersten Monaten der Schwangerschaft Hiervon ist unter anderem der Thymus

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betroffen. Das Ausmaß der Störung der Thymus angelegt aber nicht vollständig
Thymusentwicklung ist von Patient zu Pa- entwickelt (hypoplastisch). Von einem
tient sehr unterschiedlich. kompletten Di George Syndrom spricht
man bei fehlender Anlage des Thymus,
In Abhängigkeit von dem Ausmaß dieser der Thymusaplasie (<1% der Patienten).
Störung kann man verschiedene Formen Ein fehlender Thymus auf dem Röntgen-
des Di George Syndroms unterscheiden. bild oder auch bei einer Herzoperation
Ein Großteil der Patienten mit 22q11 ist aber nicht unbedingt mit einer Thy-
Deletion hat eine weitgehend norma- musaplasie gleichzusetzen. Oft gibt es
le Thymusanlage mit einer ausreichen- auch in diesen Fällen noch versprengtes
den Funktion des Immunsystems. Bei Rest-Thymusgewebe, was noch eine hin-
dem sogenannten partiellen Di George reichende T-Zell Reifung erlaubt.
Syndrom (<10 % der Patienten) ist der

5 Das partielle Di George Syndrom


Eine Thymushypoplasie führt zu einer chen können, wie z.B. Herzfehler oder
verminderten Anzahl von T-Zellen im eine Refluxkrankheit. Bei Thymushypo-
Blut. Diese kann sehr variabel sein und plasie steigen in den meisten Fällen die
zu einer mehr oder weniger erhöhten T-Zellzahlen dann innerhalb des ersten
Infektanfälligkeit führen. Es ist daher Lebensjahres spontan auf Werte an, die
wichtig, bei allen Kindern mit DiGeorge keine Infektanfälligkeit mehr nach sich
Syndrom direkt nach Diagnosestellung ziehen.
die T-Zellzahlen zu bestimmen. Hierbei
sind altersentsprechende Normwerte zu Die gestörte Reifung von T-Zellen bei
berücksichtigen. Thymushypoplasie führt nicht nur dazu,
dass zu wenig T-Zellen gebildet wer-
Wird eine Erniedrigung festgestellt, kön- den, sondern auch die „Erziehung“ die-
nen Schutzmaßnahmen wie spezielle ser Zellen verläuft nicht optimal. Die
Hygienemaßnahmen, eine Abweichung Unterscheidung zwischen „Selbst“ und
vom üblichen Impfprogramm und auch „Fremd“ ist gestört, es lässt sich eine
eine vorzubeugende Antibiotikagabe erhöhte Neigung zu Autoimmunerkran-
nötig sein. Dies muss im Einzelfall mit kungen beobachten. Hierbei richtet sich
einem Spezialisten besprochen werden das Abwehrsystem gegen körpereigene
und hängt neben der Thymushypoplasie Strukturen, insbesondere gegen die eige-
auch von anderen Faktoren ab, die eine nen Blutzellen oder die Gelenke.
zusätzliche Infektanfälligkeit verursa-

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Abb. 4 - Sonographie des Thymus

Normale Thymusanlage Rudimentärer Thymus

6 Das komplette Di George Syndrom


Das komplette Di George Syndrom ist wicklungsstörung. Daneben kommt es zu
durch das vollständige Fehlen des Thy- wiederkehrenden Atemwegsinfektionen,
mus charakterisiert. Die Häufigkeit die- häufig mit Erregern, die für den gesun-
ser Form liegt unter 1% aller Kinder mit den Organismus ohne Bedeutung sind.
22q11 Deletionssyndrom. Nicht selten ist ein hartnäckiger Soor-
befall (meist im Mund beginnende, sich
Da aufgrund der fehlenden Anlage des über den Magen- Darm Trakt in den Win-
Thymus keine Immunität aufgebaut wer- delbereich ausbreitende Pilzinfektion).
den kann und durch die fehlenden T- Ansonsten eher harmlose Infektionen mit
Zellen auch die Funktion der B- Zellen Viren, wie z.B. den Varizellen (Windpo-
(Antikörperproduktion) beeinträchtigt ckenerreger), können zu lebensbedrohli-
ist, kommt es zu einer schweren kom- chen Krankheitsverläufen führen.
binierten Störung im Abwehrsystem. Zu
den frühen Krankheitszeichen gehören Das klinische Bild ist vergleichbar einem
bei dieser seltenen Form schwere Infek- schweren kombinierten Immundefekt
tionen des Magen-Darm –Traktes mit (SCID) und stellt einen immunologischen
Durchfällen bis hin zur Gedeih- und Ent- Notfall dar.

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7 Untersuchungsmethoden
Sobald die Diagnose eines 22q11 Syn- einer Durchflusszytometrie. Diese „au-
droms gestellt worden ist, sollte eine tomatisierte“ Untersuchungsmethode
immunologische Laboruntersuchung er- des Blutes ermöglicht es, durch spezielle
folgen, um entsprechende Maßnahmen Markierung bestimmter Merkmale der
ergreifen und Komplikationen vermei- Blutzellen, die T-Zellen zu identifizieren
den zu können. und zu zählen. Sind zu wenig T-Zellen
vorhanden, sollte in weiterführenden
Hierzu sind mehrere Basisuntersuchun- Bluttests die Funktonalität und das Re-
gen im Blut erforderlich. Zur Diagnostik pertoire (die Vielfalt) der verbleibenden
gehören orientierende Untersuchun- T-Zellen überprüft werden.
gen, wie die Bestimmung der Leukozy-
ten durch das Erstellen eines Blutbildes Zudem sollte bei jedem Säugling mit
(auf Lymphozytenzahlen achten), die 22q11 Syndrom eine Ultraschallunter-
Bestimmung der Immunglobuline (beim suchung mit einer Bestimmung des Thy-
Neugeborenen aufgrund des Übertritts musvolumens durchgeführt werden.
mütterlicher Antikörper auf das Kind zu-
nächst nur begrenz,t aussagefähig) und

Abb. 5 - Blutentnahme und anschließende Aufbereitung und Auswertung der Blutproben im Labor

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8 Behandlungskonzept
Die Notwendigkeit prophylaktischer mit einem immunologischen Experten
Massnahmen hängt vom Ausmass des T- individuell abgesprochen werden.
Zell Mangels ab. Bei 90% der Kinder mit
22q11 Deletionssyndrom sind keine be- Einen Anhalt (aber kein „Rezept“) gibt
sonderen Massnahmen erforderlich. Bei Tabelle 1.
T-Zell Mangel sollten die Massnahmen

Partielles DiGeorge-Syndrom (CD4+-T-Zellzahlen < 400/μl im ersten Lebensjahr)


Expositionsprophylaxe Händedesinfektion,
eingeschränkter Kontakt zu infizierten Personen.
Infektionsprophylaxe Cotrim 5 mg/kg in 1 ED, 3 ×/Woche.
VZV-IgG bei Varizellenexposition.
RSV-Prophylaxe durch Palivizumab in den Wintermonaten.
Impfplant Normaler Impfplan bezüglich Totimpfstoffen.
Impfungen geg. Pneumokokken, Meningokokken und Influenza ( +Fa-
milie!).
Kontrolle der Impferfolge gegen Tetanus und Pneumokokken.
Immunologische Basisuntersuchung v or Lebendimpfstoffen.

Komplettes DiGeorge-Syndrom (naive CD4+-T-Zellzahlen < 50/μl)


Alle Kinder alle Maßnahmen wie oben.
Isolation.
nur bestrahlte und CMV-negative B lutprodukte.
gegebenenfalls Immunglobulinersatztherapie.
Bei HLA-id. Geschwistern adoptiver Transfer von reifen T-Zellen
Bei fehlendem Spender Transplantation von Thymusgewebe

Tab. 1 - Immunologische Prophylaxe und Therapie bei DiGeorge-Syndrom. (Empfehlungen des Autors, es gibt
bisher keine evidenzbasierten Leitlinien.)

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Maßnahmen bei partiellem DiGeorge-Syndrom

Expositionsprophylaxe
• Der Kontakt zu erkrankten Personen im engeren Umfeld sollten vermieden
werden.
• Einhaltung von Hygienemaßnahmen wie das Händewaschen und desinfizieren,
sowie das Tragen eines Mundschutzes bei Infekten der betreuenden Person.

Infektionsprophylaxe
• In den Wintermonaten ist eine Behandlung mit Synagis zu erwägen, um schwe-
ren Atemwegserkrankung, durch das RS- Virus zu verhindern.
• Nach Kontakt mit Varizellen (Windpockenerreger) sollten die Kinder intravenös,
d.h. über eine Infusion mit speziellen Windpocken- Antikörper behandelt wer-
den um mögliche Komplikationen durch die Infektion zu vermeiden.
• Um das Risiko einer Lungenentzündung mit dem Pneumozystis-Erreger zu ver-
ringern und auch die Anzahl sonstiger bakterieller Infektionen möglichst gering
zu halten kann eine dauerhafte Gabe von Antibiotika notwendig sein.

Impfungen
• Totimpfstoffe können nach Impfempfehlung ohne Risiko verabreicht werden.
Bei fehlenden T-Zellen sind diese Impfungen allerdings wirkungslos.
• Über den Standardimpfplan hinaus sollte gegen Pneumokokken, Meningokok-
ken und Grippe geimpft werden. Auch alle engen Kontaktpersonen sollten eine
jährliche Grippeimpfung erhalten.
• Kontrolle des Impferfolges durch Bestimmung der Impfantikörper.
• Vor Impfungen mit Lebendimpfstoffen (Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, BCG)
müssen immunologische Basisuntersuchungen durchgeführt werden. Diese Imp-
fungen setzen eine Mindestanzahl von T-Zellen voraus.

Allgemein gilt
• Für Kinder mit einer Abwehrschwäche können Krankheitserreger, die für eine
Person mit einem gesunden Immunsystem ohne Bedeutung sind, krankheitserre-
gend sein und somit eine Gefahr bedeuten.
• Die prophylaktischen Maßnahmen werden in Abhängigkeit von dem Ausmaß der
Störung und den klinischen Befunden durchgeführt. Kinder die keinerlei Beein-
trächtigung ihres Immunsystems aufweisen bedürfen keiner weiteren Behandlung
durch einen Immunologen.
• Bei spontaner Erholung der T-Zell-Zahlen können die prophylaktischen Maßnah-
men beendet werden.

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Maßnahmen bei dem kompletten Di George Syndrom

Bei dem kompletten Di George sind alle Maßnahmen wie bei dem partiellen di Geor-
ge Syndrom durchzuführen

Zusätzlich
• Strenge Isolation als Schutz vor Infektionen
• Strikte Einhaltung der Hygienerichtlinien
• antimykotische Prophylaxe, (vorbeugende Gabe von Medikamenten gegen
Pilzinfektionen)
• Gegebenenfalls Verabreichung von Immunglobulinen (Antiköperersatztherapie
übe eine Infusion)
• Rasche und konsequente Diagnostik und Therapie bei Infektionen

Diese vorbeugenden Maßnahmen sind bislang lediglich in den USA und seit
bei dem kompletten Di George Syndrom kurzem auch in England durchgeführt
jedoch nur eine vorübergehende Thera- wird. Eine weitere Therapiemöglichkeit,
pieansatz, um die Zahl von Infektionen die allerdings ein „immunologisch pas-
möglichst gering zu halten. Der einzige sendes“ Geschwisterkind voraussetzt, ist
langfristig erfolgreiche Therapie ist die die regelmässige Transfusion von reifen
Transplantation von Thymusgewebe, die T-Zellen.

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9 Infektanfälligkeit oder Immundefekt?


Nur ca. 10% der Patienten mit Mikro- fektionen geschützt. Dieser „Nestschutz“
deletionssyndrom 22q11 haben bedingt verleiht dem Neugeborenen in den ers-
durch die gestörte Thymusentwicklung ten Lebensmonaten einen Schutz vor
eine echte Abwehrschwäche im Sinne Infektionen. Nach der Geburt fängt das
eines angeborenen Immundefekts, der je Neugeborene an, eigene und zunächst
nach Schwere der Thymushypoplasie un- noch „unerfahrene“ Antikörper zu bil-
terschiedlich stark ausgeprägt sein kann. den. Mit zunehmenden Lebensalter und
Diese Kinder leiden durch die Störung dem Abbau der mütterlichen Antikörper
des Immunsystems an gehäuften Infek- (bis etwa zum 6. Lebensmonat), muss
ten. Diese, durch einen Immundefekt sich das Kind aktiv mit verschiedenen
verursachte Abwehrschwäche, muss von Infektionserregern auseinanderzusetzen
der natürlichen Infektanfälligkeit, der be- und beginnt seine eigene Immunität auf-
sonders im Kleinkindalter auftretenden zubauen. Mit jeder Infektion lernt das
vermehrten Häufung von Infektionen, Immunsystem einen neuen „Auslöser“
unterschieden werden. kennen und kann speziell gegen diese
Antikörper bilden. Dies ermöglicht es,
Das gesunde Neugeborene kommt mit bei wiederholtem Kontakt schneller zu
einem „unreifen“ und noch nicht ge- reagieren, so dass es gar nicht erst zu ei-
schulten Immunsystem zur Welt und ist ner Infektionskrankheit kommt.
zunächst nur durch zuerst über die Pla-
zenta, dann über die Muttermilch über- Bis das Immunsystem Erfahrung mit den
tragenen mütterlichen Antikörper vor In- verschiedenen Krankheitsauslösern ge-

Normale Infektanfälligkeit
Alter (Jahre) Atemwegsinfekte pro Jahr Maximum
<1 6,0 11,3
1-2 5,0 11,7
3-4 4,0 10,5
5-9 5,0 8,7
10 -14 2,7 7,2

Tab. 2 - Normal Infektanfällikeit, Häufigkeit von Infekten pro Jahr bei Kindern und Jugendlichen
(Quelle: Am. J. Epidemiol. 94:269 Pediatrics 79:55)

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sammelt hat erkrankt dass Kind sehr oft. Diese gehäuften Infektionen können
ebenso wie ein echter Immundefekt,
Zu dieser natürlichen, „physiologischen“ immer wieder eine Vorstellung bei dem
Infektanfälligkeit, kann es bei Kindern behandelnden Arzt erforderlich werden
mit einer Grunderkrankung wie z.B. ei- lassen und müssen ursächlich behandelt
nen Herzfehler oder einer chronischen werden. Vorbeugende Maßnahmen zur
Lungenerkrankung zu einer vermehr- Stärkung des Immunsystems umfassen
ten Infektanfälligkeit kommen, die aber Stillen in den ersten 6 Lebensmonaten
nicht durch eine von dem Immunsystem (danach enthält die Muttermilch prak-
bedingte Abwehrschwäche verursacht tisch keine Antikörper mehr), Vermei-
wird. So haben auch Kinder mit dem Mi- dung von Rauchexposition, ausreichen-
krodeletionssyndrom 22q11 verschiede- de körperliche Aktivität und Frischluft,
ner Faktoren, die zu gehäuft auftretenden eine ausgewogene Ernährung und eine
Infektionen führen können. normale Trinkmenge, ausreichend Schlaf
und Vermeidung von Stresssituationen
Wiederkehrende Infekte der Atemwege und Reizüberflutung.
können durch einen Herzfehler begüns-
tigt werden oder auch durch wiederholte Wesentlich ist vor allem die Durch-
kleine Aspirationen, verursacht durch die führung der Schutzimpfungen, die bei
Probleme bei der Nahrungsaufnahme Vorliegen eines echten Immundefekts
(Gaumenspalte, Schluckstörung und Re- individuell angepasst werden sollten.
flux). Zudem kann die durch die Fehlbil- Immunstimulierende Substanzen zeigen
dung hervorgerufene schlechte Belüftung in großen Studien nur einen geringen
des Mittelohres zu gehäuften Entzündun- Effekt, am ehesten können Bakterienex-
gen des Mittelohres beitragen. trakte die Infektrate etwas senken.

Abb. 6 - Neugeborenes mit DiGeorge-Syndrom

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10 Zusammenfassung
Das Immunsystem sollte bei Kindern mit der T-Zellen keine weitere, regelmäßige
22q11 Deletion frühzeitig abgeklärt wer- Betreuung durch einen Immunologen
den, steht aber nur in wenigen Fällen im erforderlich. Es bleibt allerdings ein er-
Vordergrund der Behandlung. Die Prog- höhtes Risiko einer späteren Autoimmu-
nose ist in den allermeisten Fällen gut, in nerkrankung.
der Regel kommt es zu einer spontanen
Erholung des Abwehrsystems im Verlauf Das komplette Di George Syndroms ist
des ersten Lebensjahres. eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei
der die Prognose wesentlich durch die
Bei partiellem Di George Syndrom ist die Abwehrschwäche bestimmt wird. Die
Einhaltung der notwendigen Maßnah- Schwierigkeiten frühzeitig einen geeig-
men, die der Vorbeugung einer Infektion neten Spender von T-Zellen oder Thy-
dienen, für den positiven Behandlungs- musgewebe zu finden, überschatten
verlauf unbedingt erforderlich. Bei einem häufig die Aussicht auf eine erfolgreiche
Großteil der Patienten ist nach Erholung Therapie.

Abb. 6 - Kind mit DiGeorge-Syndrom

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Der Verein

KiDS-22q11 e.V. ist eine gemeinnützige


Organisation, die sich für Menschen
mit dem Deletionssyndrom 22q11 und
deren Angehörige einsetzt. Gegründet
wurde der Verein 2001 aus zwei regio-
nalen Elterninitiativen und betreut heute
in 12 Regionalgruppen in Deutschland,
Österreich und der deutschsprachigen
Schweiz 1.600 Mitglieder. Der Verein
wird ehrenamtlich geführt von Eltern
betroffener Kinder. Daneben steht dem
Verein ein wissenschaftlicher Beirat mit
namhaften Vertretern aus der Medizin
als Beraterteam zur Seite.

Anliegen von KiDS 22q11 e.V. ist es, Menschen mit dem Deletionssyndrom 22q11 und de-
ren Angehörige zu unterstützen. Aus diesem Grund werden unterschiedliche Aktivitäten für
die betroffenen Familien angeboten. Hierzu gehören:
• Syndrombeschreibungen für Betroffene und Fachleute
• Medizinische Berichte zu verschiedenen Symptomen
• Regelmäßige Newsletter
• Internetseite www.kids-22q11.de mit vielfältigen Informationen, aktuellen Terminen und
einem öffentlichen Forum
• Regionale und überregionale Informationsveranstaltungen mit Referenten aus Wissen-
schaft, Therapie, Pädagogik und Sozialrecht, außerdem Freizeitwochenenden und Fa-
milienstammtische
• Regionale Ansprechpartner, welche die Familien beraten und Kontakte sowohl zu Ärz-
ten und Therapeuten als auch zu andere betroffenen Familien vermitteln
• Freizeiten für Betroffene und Geschwisterkinder

Für einen ersten Kontakt wenden Sie sich bitte an unsere Geschäftstelle:

KiDS-22q11 e.V. Tel.: 0831 / 6971056-0


Albert-Einstein-Str. 5 Fax: 0831 / 6971056-1
87437 Kempten info@kids-22q11.de
www.kids-22q11.de
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Autor/innen:

Henrike Ritterbusch
Prof. Dr. Stephan Ehl
Centrum für Chronische Immundefizienz
Universitätsklinikum Freiburg
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
Tel. +49 (0)761 270-4524
henrike.ritterbusch@uniklinik-freiburg.de
stephan.ehl@uniklinik-freiburg.de

CCI Centrum für Chronische


Immundefizienz
Das CCI ist ein vom BMBF gefördertes interdisziplinäres Forschungs- und
Behandlungszentrum am Universitätsklinikum Freiburg (www.cci-uniklinik-
freiburg.de). Am CCI werden altersübergreifend Patienten mit Immundefizienz
diagnostiziert und behandelt.

Das CCI arbeitet eng zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Im-
munologie (API), die ein bundesweites Netzwerk zur Versorgung von Patienten
mit Immundefizienz darstellt (www.kinderimmunologie.de). Weitere Informa-
tionen zu angeborenen Immundefekten finden Sie über die Deutsche Selbsthil-
fegruppe für angeborene Immundefekte (www.dsai.de).

© 2010 Centrum für Chronische Immundefizienz

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