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»Am besten läuft das

Immunsystem, wenn man es in


Ruhe lässt!
Anna-Christina Kessler
| 12. Juni 2020, 16:56 Uhr

T-Lymphozyten, bekannter unter dem Namen T-Helferzellen, sind für die Erkennung von Antigenen
zuständig und leiten die Immunantwort des Körpers ein
Foto: Illustration/ Getty Images

Jeder Mensch hat sein ganz individuelles Immunsystem. Mehr als


2000 Gene, Lebensalter, aber auch Vorerfahrungen, die es mit
Infektionen gemacht hat, prägen dessen Abwehrkraft. Kann man
durch mittlerweile überall erhältliche Immun-Booster gezielt das
Immunsystem stärken? Nein, sagt Thomas Kamradt, Professor für
Immunologie an der Universität Jena und Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Immunologie (DGFI). Stattdessen könne man aber
dazu beitragen, dass es nicht geschädigt wird.

Wie die Abwehr von Viren und Bakterien


organisiert ist
Viren und Bakterien können auf vielfältige Weise in unseren Körper
gelangen. Dem eigentlichen Immunsystem vorgeschaltet sind die
Schutzbarrieren der Haut und Schleimhäute. Sie haben die Aufgabe,
schädliche Bakterien oder Viren sowohl mechanisch, chemisch als
auch ökologisch abzuwehren (Haut), abzutöten (Magensäure)
beziehungsweise zu verhindern, dass sich schädliche Bakterien
vermehren (Darmmikrobiom).

Auch interessant: Ayurveda-Ärztin Kulreet Chaudhary: »Wer seinen


Darm umprogrammiert, isst gesünder und nimmt ab!

Setzen sich Eindringlinge durch, beispielsweise durch Risse in der


Haut, stellt sich bei einem gesunden Menschen die körpereigene
Immunabwehr in den Weg. Dabei handelt es sich um ein System aus
Immunzellen, Antikörpern und Botenstoffen, das nichts anderes im
Sinn hat, als Eindringlinge unschädlich zu machen. Dieses System
ist anfällig für Störungen. Doch um es zu verstehen, müssen wir
zunächst eine Unterscheidung treffen.

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Angeborenes vs. erworbenes Immunsystem


Das angeborene Immunsystem legt sofort los, wenn etwas nicht in
Ordnung ist. Es reagiert schnell und immer wieder gleich auf
Erreger. Bleiben wir beim Beispiel mit dem Riss in der Haut, erkennt
es den Gewebeschaden, führt als eine erste Maßnahme Zellen an
den Ort des Geschehens, die schädliche Bakterien auffressen.
Wenn man so will, agiert es ein bisschen stereotyp – aber sehr
schnell.

Über Botenstoffe ruft es einen weiteren Mitspieler auf den Plan: Das
erworbene Immunsystem wartet in den Lymphknoten auf
Einsatzbefehle und reagiert aufgrund von Vorerfahrungen mit
Infektionen. Es agiert, wenn man so will, etwas langsamer, dafür
differenzierter. Es braucht ein bisschen, bis es bestimmte Zellsorten
und Abwehrstoffe bereitstellt – erledigt dies dann aber passgenau
zugeschnitten auf den Erreger.

Warum man ein gesundes Immunsystem


nicht stärken kann
Dieses Zusammenspiel ist komplex, und ein nicht funktionierendes
Immunsystem ist tödlich. Die Evolution hat deshalb gelernt, dass es
einen großen Spielraum geben muss. „Die Bandbreite des Normalen
ist beim Immunsystem enorm“, sagt Kamradt zu FITBOOK. Selbst
wenn sich die Zahl einiger zum Immunsystem gehörenden
Zellsorten vermindere, arbeite es noch genauso zuverlässig. Das
bedeute, dass Menschen mit einem gesunden Immunsystem nicht
nur nichts unternehmen sollten, um eine vermeintliche Stärkung
herbeizuführen – es sei auch gar nicht möglich. „Das
Immunsystem lässt sich nicht verbessern, schon gar nicht wie
einen Muskel trainieren“, sagt der Immunologe im Gespräch mit
FITBOOK – und wird noch ein bisschen deutlicher: „Am besten
Läuft der Laden, wenn man ihn in Ruhe lässt.“

Die Immunbooster-Lüge
Die vielfach empfohlene zusätzliche Einnahme von Vitaminen
(Vitamin C wird am häufigsten genannt) und Spurenelementen, um
den sogenannten Boost für das Immunsystem herbeizuführen ist
aus Sicht des Immunologen wirkungslos. Es gebe, führt er aus,
keine Studien, die gezeigt hätten, dass man jemandem etwas Gutes
tut, wenn man ihm über seinen Bedarf hinaus beispielsweise Vitamin
C zuführt. Ein Überschuss wird von den Nieren abgebaut und mit
dem Urin ausgeschieden.
Wer diesen Zusammenhang verstanden habe, hat aus Kamradts
Sicht schon gewonnen. Bei einem Mangel sieht die Sache natürlich
anders aus. Dieser ist beispielsweise bei Vitamin C, wenn man sich
vernünftig ernährt, in unseren Breitengraden aber extrem selten.
Schon ein 200-Gramm-Schälchen Erdbeeren decken den
Tagesbedarf. Anders liegt der Fall bei Vitamin D: Hier ist es
empfehlenswert, den persönlichen Versorgungsstatus abklären zu
lassen (am besten per Bluttest beim Arzt, etwa 30 Euro).

Auch interessant: Diese Symptome können auf Vitamin-D-Mangel


hinweisen

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Womit wird das Immunsystem schädigen
Stärken lässt sich das Immunsystem laut dem Immunologen nicht,
aber: Schädigen können wir es durchaus. „Wenn Sie jahrelang Junk
Food essen oder dauergestresst sind, zu wenig (dauerhaft unter
sieben bis acht Stunden) schlafen, rauchen und trinken, schädigen
Sie Ihr Immunsystem definitiv“, erklärt Kamradt. Schlafmangel,
Rauchen und Alkohol in größeren Mengen seien besonders
schlimm. Und natürlich summiere sich das über die Lebenszeit.

Auch chronische Krankheiten wie Diabetes und Medikamente


können das Immunsystem schwächen. Antibiotika etwa zerstören
nicht nur die schädlichen Bakterien, deretwegen sie eingenommen
werden. Sie vernichten auch nützliche Bakterien im Darm.

Auch interessant: Wie sinnvoll ist es, seinen Stuhl untersuchen zu


lassen?

Ballaststoffreiche Ernährung ist gut fürs


Immunsystem
Hinweise, dass eine ballaststoffreiche Ernährung (Gemüse!) unser
gutes Immunsystem erhält, gibt es reichlich. Vor allem weiß man das
aus der Erforschung des Darmmikrobioms, die seit einigen Jahren
besonders stark vorangetrieben wird. Die im Darm lebende
Gemeinschaft, bestehend aus Billionen von Bakterien, beeinflussen
neben Stoffwechsel, Körpergewicht und sogar Gehirngesundheit
eben auch das Immunsystem.

Auch interessant: Die irre Darm-Hirn-Verbindung und ihre Folgen


für die Gesundheit

Fazit
So schön die Vorstellung ist, das Immunsystem mit Vitaminpillen
und anderen Nahrungsergänzungsmitteln zu boosten: Wenn man
sich gesund und ausgewogen ernährt und kein Mangel vorliegt, sind
diese Mittel aus Expertensicht nicht hilfreich. Wichtig ist es jedoch,
einen Lebensstil zu verfolgen, der das Immunsystem nicht schädigt.
Eine zentrale Rolle spielt hierbei das Gleichgewicht der Darmflora,
also des Darmmikrobioms.

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