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Kontrakturenprophylaxe

Definitionen
Kontraktur

Dauerverkürzung (lat. contrahere = zusammenziehen) bestimmter Muskeln oder Muskelgruppen.

Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit bis zur Gelenksteifigkeit.

Ursachen: z. B. myogen (durch Verkürzung von Muskeln), dermatogen (durch Narbenverwachsung),
neurogen (z. B. durch Störung des zentralen Nervensystems), fasziogen (bänder-,faszienbedingt z. B.
durch Verletzungen), knöchern (durch Veränderung der knöchernen und knorpeligen Gelenkanteile).
Definitionen
Prophylaxe

Alle Maßnahmen, die die Entstehung einer Krankheit verhindern sollen. Dazu gehören das Erkennen
der Gefährdung, die Auswahl der geeigneten Maßnahmen, die Information und angemessene
Unterstützung der gefährdeten Person bei der Durchführung der Maßnahmen sowie die
Überwachung der Durchführung.
Definitionen
Kontrakturenprophylaxe

Alle Maßnahmen zur Sicherstellung und Erhaltung einer funktionellen Gelenkstellung und eines
physiologischen Bewegungsablaufs. Dies erfolgt über Bewegungsübungen und professionelle
Lagerung.
Risikofaktoren/Ursachen
Sobald ein Mensch, vor allem im höheren Alter, seinen gewohnten Mobilitätsradius reduziert, besteht
bereits ein Kontrakturrisiko. Die Gefahr steigt, wenn Muskelabbauprozesse beginnen oder sich chronische
Krankheitsverläufe verschlechtern. Kommen demenzielle Abbauprozesse hinzu, entsteht ein sehr hohes
Kontrakturrisiko:

AlzheimerPatienten im Seniorenheim haben durch sinkenden Bewegungsradius ein 8-mal höheres Risiko,
Kontrakturen zu erleiden, als ambulant lebende Alzheimer-Patienten. Multimorbide Pflegeheimbewohner
und Menschen nach Schlaganfall und dysreguliertem Muskeltonus bilden eine Kontraktur-
Hochrisikogruppe. Kontrakturen entstehen, wenn Menschen über längere Zeit in einer Position liegen oder
sitzen und dabei die Funktionsstellung der Gelenke ignoriert wird. Ein Spitzfuß entsteht z.B. bereits nach
wenigen Tagen strikter Bettruhe – die Patienten können dann die Ferse nicht mehr bis zum Boden bringen.
Eine andere Ursache für Kontrakturen besteht, wenn die notwendige individuelle Unterstützungsfläche
unter Hohlräumen wie dem unteren Rücken, dem Nacken, der Kniekehle oder dem Fußgelenk nicht
beachtet wird (fehlende oder falsche Positionierung).
Merken

Flächig unterlagern Hohlräume müssen so unterlagert werden, dass Muskeltonus flächig abgegeben
werden kann.
Beispiel Falsche Positionierung

Oft erhalten Patienten im Krankenhaus standardmäßig ein Kissen unter die Kniekehlen und der
Oberkörper wird leicht erhöht. Das Ergebnis:

Die Gelenke sind ruhiggestellt, ohne dass der Muskeltonus (Muskelspannung) sinkt. Denn die
Lenden-Darmbein-Muskulatur (Musculus iliopsoas) als Hüftbeugermuskulatur arbeitet in dieser
Position besonders stark und ist alles andere als entspannt. Wird das Kissen unter den Knien
hervorgezogen und das Kopfteil flach gestellt, klagen die Patienten über Schmerzen in Rücken, Hüft-
und Kniegelenken und können sehr häufig die Beine weder komplett ausstrecken noch aufstellen. Sie
sind „stocksteif“. Deswegen sind körperliche Funktionsverluste und damit verbundene
Pflegeabhängigkeiten mitunter ein hausgemachtes Problem der Pflege.
Kontrakturen können auch angeboren oder frühkindlich erworben sein, z. B. bei der infantilen
Zerebralparese. Sie können Folgen von Unfällen bzw. Operationen sein, z. B. bei Querschnittlähmung. Das
Schulter-Arm-Syndrom ist z. B. eine Folge fehlender Nutzung der oberen Extremität nach Mamma-Ablatio
(Brustamputation). Oder Kontrakturen manifestieren sich im chronischen Krankheitsverlauf bei zentralen
neurologischen Schäden, z. B. bei Multipler Sklerose, Morbus Parkinson und Kleinhirnatrophien. Weitere
Risikofaktoren sind Medikamente (z.B. Neuroleptika), Wunden, Schmerzen, Schonhaltungen und Narben.
Bereits nach 4 – 14 Tagen Ruhigstellung eines Gelenks bildet sich elastisches Bindegewebe um die
Gelenkkapsel (extraartikulär). Der Bewegungsradius des Gelenks (Knie, Hüfte, Schulter) sinkt. Die meisten
Kontrakturen entstehen im Schulter- und Kniegelenk.
Auswirkungen
Kontrakturen führen zur Immobilität und zu einer besonders schweren Form der Bettlägerigkeit.
Schnell entstehen starke personelle Abhängigkeiten in sämtlichen Bereichen der Alltagsaktivitäten
(Bewegen, Ausscheiden, Nahrungsaufnahme) sowie im kognitiven, im kommunikativen und im
sozialen außerhäuslichen Bereich. Steife Gelenke verursachen starke Schmerzen. In schweren Fällen
entstehen in den komprimierten Hautschichten Ulzera, z.B. in der Kniekehle, die schlimmstenfalls zur
Amputation des Gelenks und damit zur Entfernung der betroffenen Extremität führt.
Kontrakturrisiko einschätzen
Spezielle Instrumente zur Feststellung eines Kontrakturrisikos sind bisher nicht bekannt. Klinikeigene

Instrumente zur Bewegungsanalyse erscheinen ausreichend, da sie die Gelenke der Extremitäten und

komplexe Bewegungsabläufe kritisch unter die Lupe nehmen. Die Physiotherapie nutzt z. B.

Performanztests, um die Bewegungsfähigkeiten von Patienten zu analysieren. Der Patient muss dabei

Bewegungsaufforderungen nachkommen, z.B. aus dem Liegen aufstehen oder sich hinlegen. Solche

Tests sollten auch in der Pflege als Hilfsmittel eingesetzt werden, wenn auch eher „spielerisch“ in den

Alltag integriert, z.B.: „Können Sie bitte das Handtuch neben Ihrem Kopf vom Haken nehmen?“ So

können Pflegende beobachten, ob sich der Patient im Oberkörper drehen, den Kopf heben und seine

Finger benutzen kann.


Kontrakturrisiko einschätzen
Teilweise werden auch komplexe Instrumente zur Erfassung des Kontrakturrisikos empfohlen, z.B. das

Resident Assessment Instrument (RAI) oder das Geriatrische Basis Assessment (GBA). Weitere

sinnvolle Items befinden sich in Mobilitätsassessmentinstrumenten wie dem MOTPA von Brach et al.

(2006) für das Krankenhaus und dem EBoMo von Zegelin & Reuther (2007) für das Pflegeheim. Die

Pflegenden können beobachten und erfragen:

• Wie bewegt sich der Patient im Bett (kopfwärts, in Seiten-und Rückenlage, zum Aufsetzen)?

• Wie sitzt der Patient an der Bettkante (frei, d. h. mit Rumpfkontrolle)?

• Kann er stehen und gehen (rollt er die Fersen ab, Länge der Gehstrecke)?
Ziele und Indikationen

Ziele und Indikationen der Kontrakturenprophylaxe sind die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der
funktionell richtigen Gelenkstellung und Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines physiologischen
Bewegungsablaufs bei z.B. Immobilität (Unbeweglichkeit) des Patienten, Veränderungen im Bereich
eines Gelenks z. B. durch Entzündungen oder traumatische Schädigung und Schlaganfall (Apoplex) mit
→ Halbseitenlähmung.
Bewegungsübungen
Vorbereitung der Materialien :
Evtl. ein kleines Handtuch
Durchführung

Hände nach → Hygieneplan desinfizieren Patienten über geplante Maßnahme informieren (auch
bewusstlose Patienten!), Fenster und Türen schließen Besucher aus dem Patientenzimmer bitten
bzw. Situation evtl. zur Anleitung von Angehörigen nutzen → Patientenbett auf eine
rückenschonende Arbeitshöhe bringen und auf geraden Rücken während der Tätigkeit achten
Abhängig von den Ressourcen des Patienten werden Übungen komplett von der Pflegeperson
durchgeführt (passive Bewegungsübungen), teilweise unterstützt (aktiv-assistive
Bewegungsübungen) oder vom Patienten selbst (aktive Bewegungsübungen) oder vom Patienten
gegen einen Widerstand durchgeführt (resistive Bewegungsübungen).
Wichtig
Die Festlegung des Übungsprogramms ist Aufgabe des Physiotherapeuten. Sie als Pflegeperson
müssen jedoch ebenfalls die entsprechenden Übungen durchführen bzw. korrekt anleiten können,
um den Patienten auch in Abwesenheit des Physiotherapeuten professionell zu fördern. Bedenken
Sie, dass Sie bei Ihrer Arbeit mit dem Patienten sehr häufig Bewegungsübungen integrieren können.
Wenn der Patient z. B. mit Ihrer Hilfe seine Haare kämmen kann, dann lassen Sie ihm die Zeit, auch
wenn es etwas länger dauert. Damit fördern Sie nicht nur seine Eigenständigkeit, sondern es werden
gleichzeitig die Fingergelenke, das Hand-, Ellbogen und Schultergelenk bewegt.
Fußgelenk

Eine Hand fixiert den Unterschenkel, die andere ergreift den Fuß und bewegt ihn vorsichtig nach
oben und unten. In gleicher Weise kann mit der Hand verfahren werden. Hier evtl. ein kleines
Handtuch unterlegen.
Kniegelenk

Eine Hand liegt auf dem Oberschenkel, die andere ergreift den Unterschenkel und schiebt die Ferse
Richtung Hüfte.
Hüftgelenk

Eine Hand fixiert das Becken, die andere stabilisiert ggf. das Kniegelenk, das Bein wird vom Arm
getragen.
Schultergelenk

Entweder die Pflegeperson führt den Arm des Patienten nach oben Richtung Kopf und fixiert dabei
den Oberarm, oder sie bittet den Patienten, die Hände zu ergreifen und beide Arme nach oben und
unten zu führen.
Wichtig
Nach Beendigung der Bewegungsübung Patienten wieder bequem lagern und Rufanlage und Telefon
in Reichweite bringen.
Nachbereitung

Vor dem Verlassen des Zimmers den Patienten nach dem Befinden und seinen Bedürfnissen
bezüglich Lagerung, Getränken, Belüftung des Zimmers usw. fragen überprüfen, ob Rufanlage und
Telefon in Reichweite sind abschließend Hände nach → Hygieneplan desinfizieren Maßnahme durch
Eintragung in die → Patientenkurve mit Handzeichen und Uhrzeit dokumentieren Blick zurück: Ist der
Patient mit allen Lagerungshilfsmitteln wieder korrekt gelagert worden? Ist das Bettlaken durch die
Bewegungsübungen faltig geworden und muss geglättet werden?
Literaturverzeichnis

Jallal Al-Albtah, A. A. (2015). I care Pflege. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG.
Kirschnik, O. (2016). Pflegetechniken von A bis Z. Thieme.
Susanne Andrae, S. B. (2017). Altenpflege in Lernfeldern. Stuttgart: Thieme.

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