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1. Die vorliegende Rezension wurde am 08.01.

2018 in der Frankfurter


Rundschau verö entlicht und somit allen interessierten Lesern zur Verfügung
gestellt. In ihrer Rezension mit dem Titel „So muss sich das damals
angefühlt haben“ schreibt die Autorin Judith von Sternburg über den Inhalt
des Romans „Unter der Drachenwand“, aber vor allem auch über die Art und
Weise, wie Arno Geiger seine Geschichte und Figuren verpackt und welche
Wirkung diese Art des Schreibens auf den Leser hat.

Über den Titel lässt die Autorin schon einen ersten Blick auf ihre Meinung
zum Roman zu. Mit „So muss sich das damals angefühlt haben“ lässt sich
vermuten, dass der Roman dem Leser einen gefühlsechten Einblick in die
damalige Welt gibt. Gleich zu Beginn erkennt die Autorin Arno Geigers Sinn
für seine „unsentimentale Empathie“ (Z. 2f.) an und erwähnt kurz zwei
weitere Romane von Geiger, in denen Krieg auch ein Thema ist. Außerdem
nennt sie die Art, mit welcher Arno Geiger einen so intimen Blick auf seine
Charaktere zulässt, den privaten Raum, den Geiger allen seinen
Protagonisten gibt.
Im folgenden Abschnitt stellt Judith von Sternburg den Hauptprotagonisten
des Romans vor, Veit Kolbe, und beschreibt kurz seine Lebenslage und
unterstützt mit einem Zitat aus dem Roman seine verzweifelte und kaputte
Situation. Veit Kolbe war zu Beginn des Romans schon fünf Jahre an der
Front gewesen und wurde nun aufgrund einer Kriegsverletzung nach Hause
geschickt und von dort entscheidet er sich, sich an den Mondsee
zurückzuziehen. Veit leidet in Folge des Krieges an schlimmen
Angstzuständen und Depressionen und nimmt Pervitin um mit diesen besser
klarzukommen. Im nächsten Abschnitt stellt die Autorin auch die anderen
Protagonisten vor, zunächst die Darmstädterin Margot, die sich, genau wie
Veit Kolbe, auch in Mondsee zurückgezogen hat, um nicht bei ihrer Familie
sein zu müssen. Infolge dessen stellt die Autorin auch die Mutter der
Darmstädterin vor, die den ganzen Roman über in Form ihrer Briefe an
Margot Teil an der Geschichte hat. Die Autorin stellt auch „den Brasilianer“
vor, ein Auswanderer und Gegenspieler gegen die dort aktuell herrschende
Politik. Als nächstes stellt sie ein junges Liebespaar vor, dessen Happy End
von Anfang an zum Scheitern verurteilt zu seien scheint. Das Mädchen,
Nanni, ist in ein Mädchenlager in Mondsee geschickt worden und so von
ihrem Freund Kurt getrennt worden. Die Kommunikation zwischen den
beiden wird in diesem Roman ausschließlich in Form von Briefen von Kurt an
Nanni dargestellt. Zuletzt wird Oskar Meyer vorgestellt, ein Jude, der den
ganzen Roman über versucht seine Familie zu schützen und ein ansatzweise
erträgliches Leben zu führen. Auch seine Geschichte wird aus seiner Sicht in
Form von Briefen erzählt. Diese Figuren stellt die Autorin immer mit Blick auf
den privaten Raum vor, der dem Leser die Möglichkeit gibt sich zu jedem der
Protagonisten einen ganz intimen Blick zu bilden. Im nächsten Abschnitt lobt
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die Autorin Arno Geigers Art die verschiedenen Charaktere und
Lebenssituationen zusammen zu führen „Die Fäden scheinen so locker zu
hängen, dass man leicht verpassen kann, mit was für einer ausgeklügelten
und gewagten Konstruktion Geiger hier aufwartet.“ (Z. 68 - 71) Arno Geiger
verbindet die Ansammlungen von Briefen mit dem Geschehen in Mondsee,
welches aus Veit Kolbes Sicht im Tagebuch Stil geschildert wird. Die Autorin
stellt dem Leser im nächsten Abschnitt dar, wie Arno Geiger seinen Roman
so scheinen lässt, als sei es keine erfundene Geschichte, sondern eine exakt
so stattgefundene Erzählung. Nicht nur mit seiner Art die Texte zu
formulieren, sondern auch mit Angaben der Protagonisten am Ende des
Romans, wie es ihnen auch in der Zeit nach des Krieges ergangen ist. So
endet die Geschichte seiner Charaktere nicht mit dem Ende des Romans
und hinterlässt einen realen Eindruck. Im nächsten Abschnitt schreibt die
Autorin über die Darstellung von Veit, darüber, dass er in seiner Art den
Roman aus seiner Sicht zu „schreiben“ oft die Rolle des Soldaten verlässt
und eher wie ein richtiger Schriftsteller scheint. Im nächsten Abschnitt lobt
die Autorin aber genau diese Art den Roman zu schreiben, durch die die
Frage, wen in so einer Zeit Schuld tri t immer wieder bei dem Leser
aufkommt.

Die Argumentation von Judith von Sternburg zieht sich durch die ganze
Rezension. Die Autorin verfolgt eine lineare Argumentationsstruktur, indem
sie fast nur positive Argumente über den Roman äußert und diese mit vielen
Zitaten unterstützt. Sie beginnt mit einem Einblick in den Roman, indem sie
die einzelnen Protagonisten vorstellt und somit dem Leser auch einen
Einblick in die Art gibt, wie der Roman geschrieben ist und die einzelnen
Figuren untereinander vernetzt sind. Diese Erzähltechnik lobt sie in dem
nächsten Abschnitt und nennt dort als Beispiel die Begegnung zwischen Veit
Kolbe und Oskar Meyer am Ende des Romans. Diese Begegnung ist die
erste und einzige Verbindung zwischen Oskar Meyer und Veit Kolbe, vorher
wird die Geschichte von Oskar Meyer ausschließlich in Form seiner Briefe
mit in den Roman eingebracht. Im Folgenden lobt die Autorin die Art und
Weise, wie Arno Geiger die Grenzen zwischen der erfundenen Geschichte
und der Realität verschwimmen lässt. „Vieles ist so erstaunlich oder
spezi sch, dass Geiger es sich kaum ausgedacht haben kann.“ (Z. 90f.) Im
Anschließenden Abschnitt äußert Judith von Sternburg ihr einziges negatives
Argument, eine Kritik an der Sprache von Veit Kolbe. Sie meint die Art und
Weise, wie Veit seine Geschichte erzählt, scheint manchmal etwas zu klug
dafür, dass er nur ein einfacher Soldat ist. „Es ist brilliant, dass ihm au ällt,
wie Selbstmitleid und Verächtlichkeit die „fatalsten Gefühlsgeschwister“
darstellen…“ (Z. 101 - 103) Doch dieses Argument entkräftet die Autorin
selbst direkt im nächsten Abschnitt, indem sie anerkennt, wie gut diese Art
zu schreiben gewählt ist, weil diese Methode die Glaubwürdigkeit der
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Geschichte noch einmal unterstützt. Mit einem Zitat aus dem Roman (Z. 114
- 121) bringt die Autorin die Schuldfrage auf, die Veit Kolbe im Laufe des
Romans oft durch den Kopf geht. Mit dieser Argumentationsstruktur gibt die
Autorin dem Leser erst einen Einblick in den Roman, um dann spezi ziert auf
die Wirkung auf den Leser einzugehen. Sie belegt ihre Argumente mit
zahlreichen Zitaten (z.B. Z. 25 - 28, 42f. ), die dem Leser die Möglichkeit
geben sich selbst ein Bild davon zu machen, wie Arno Geiger seinen Roman
verpackt und gestaltet. Die Wirkung ihrer Rezension für den Leser
unterstreicht die Autorin mit verschiedenen rhetorischen Mitteln, wie eine
Personi kation in Zeile 93f. „Die Literatur übernimmt die Regie, komplett.“,
mit der sie verdeutlichen will, wie geschickt Arno Geiger den Roman verfasst
hat. Die Wiederholung der Worte „Verschlungen“ und „privater Raum“
unterstützen die Autorin bei ihrer These, dass Arno Geiger mit seiner Art die
Geschichte zum Leben zu erwecken den Leser komplett in das Gefühl der
einzelnen Protagonisten zieht. Eine Alliteration in Zeile 65 „die Fäden der
Figuren“ präzisiert die Art die Geiger nutzt um die einzelnen Figuren
miteinander in Verbindung zu setzen.

Judith von Sternburg verfasst eine Rezension die einem Lobgesang den
Roman gleicht. Ihre ganze Rezension über, angefangen bei der Vorstellung
der Protagonisten, über die Art, wie Geiger die Stränge zwischen den
Figuren legt und mit seiner Sprache den Roman wie eine wahre Begebenheit
scheinen lässt, zu der Schuldfrage, die den Figuren und somit auch dem
Leser immer wieder durch den Kopf geht, schmückt die Autorin ihren Text
mit Würdigung. Diese Rezension ist auf jeden Fall gleichzeitig eine
Empfehlung den Roman zu lesen und sich selbst ein Bild von Arno Geigers
Weise zu machen, wie er zeigt, wie die verschiedensten Menschen mit dem
Krieg umgehen und alle doch ähnliche Wünsche haben.

2. Im folgenden Text wird Stellung genommen zu der These von Judith von
Sternburg; „scheint dann doch die eines Schriftstellers und weniger die eines
Jungen Soldaten“ (Z. 98 .). Diese These ist zuerst ein Kritikpunkt an der von
Arno Geiger gewählten Sprache für seinen Roman, welcher sogleich
entkräftet wird. In diesem Text wird thematisiert, warum Judith von Sternburg
dieses negativ Argument gewählt hat und ob es überhaupt auf den Roman
zutri t.

In vielen Szenen hat Veit Kolbe einen überraschenden Durchblick auf die
Dinge, die außerhalb und innerhalb von ihm passieren. Veit hat in seiner Zeit
in Mondsee viel Zeit sich mit sich selbst zu beschäftigen. Er macht eine
starke Entwicklung durch, wie zum Beispiel vom Soldaten, der auf sich
selbst achten um sich zu schützen, zu einem Freund, der für die Menschen
die er liebt viel auf sich nehmen würde. „…die Schönheit der Welt existierte,
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hatte schon immer existiert und würde weiterhin existieren. Warum nur war
mir mein Leben immer so grau vorgekommen? Warum? Wozu das alles? Ich
konnte es nicht begreifen. Und gleichzeitig ahnte ich, dass mich die
Emp ndung von Trostlosigkeit bald wieder einholen würde, ob ich nun meine
Hand auf Margots Hüfte hatte oder nicht…“ (S. 302 Z. 5-11) Diese Passage
zeigt deutlich, wie viele Gedanken sich Veit macht. Nicht nur über sein
jetziges Dasein, sondern auch über seine Vergangenheit und seine Zukunft.
Der junge Soldat hat ein sehr selbstre ektiertes Dasein entwickelt, welches
den Leser nicht nur beeindruckt, sondern auch selbst zur Selbstre exion
bewegt. In einer anderen Szene vereinfacht sich die Sprache von Veit; „Und
sie gingen auf den Brasilianer zu. Und die Hündin kam bellend aus dem
Gewächshaus gelaufen. Und der Dünnere schlug die Hündin sofort zweimal
mit einem Stock. Und der Brasilianer legte die nassen Socken über den
Rand des Brunnentroges. Und der Dicke fasste den Brasilianer…“ (S. 176 Z.
3-7). Diese vermehrte Wiederholung des Wortes und lässt Veits Erzählweise
einfacher klingen, hat aber seinen guten Grund. Durch diese
Wortwiederholung wirkt die Szene hastig erzählt, als wollte Veit die ganzen
Geschehnisse so schnell wie möglich auf Papier bringen, ohne etwas zu
vergessen. Diese stumpfe Art der Erzählung unterstützt noch einmal, wie
brutal diese Szene ist, denn hier wird sich nicht viel auf die Wortwahl
konzentriert, sondern ausschließlich auf den Inhalt.

Die These von Judith von Sternburg tri t also zu, in vielen Szenen macht Veit
einen sehr klugen und re ektierten Eindruck, anders, als man es von so
einem jungen Soldaten erwartet hätte. Aber es ist die Ballung aus den
beiden Schreibstilen, die den Leser tief ins Geschehen mit einziehen. Als
Leser eines Buches lenkt man das Geschriebene automatisch auf sich und
denkt über Überlegungen nach, die im Buch gerade eine Rolle spielen. „Wie
wäre ich selbst in dieser Situation?“ „Schätze ich die Dinge, die ich in
meinem Leben habe?“ „Sollte ich vielleicht etwas ändern, um mehr Freude
am Leben zu haben?“. Durch Arno Geigers Art den Roman zu schreiben wird
der Leser noch mehr mit ins Geschehen mit eingezogen und es kommen
Fragen beim Leser auf, die bei einer einfacheren Formulierung, wie man sie
von einem jungen Soldaten erwarten würde, nie so aufkommen würden oder
gar ganz ausbleiben würden.
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