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»Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der

Begegnung, aber vergebens drang ich in ihn, die fröhlichen Abendgelage


auf meinem Schiffe zu teilen.«
»Oh, diese deine Schiffsabende sind berühmt und berüchtigt«, meinte
Balbus, »du hast stets die feurigsten Weine.« — »Und die feurigsten
Mädchen«, fügte Massurius bei.
»Wie dem sei, Totila schützte jedesmal Geschäfte vor und war nicht
zu gewinnen. Ich bitte euch! Geschäfte nach der achten Stunde in
Neapolis! Wo die Fleißigsten faul sind! Es waren natürlich Ausflüchte.
Ich beschloß, ihm auf die Sprünge zu kommen, und umschlich abends
sein Haus in der Via lata. Richtig: gleich den ersten Abend kam er
heraus, vorsichtig umblickend und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie
ein Gärtner war er angetan, einen Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine
Abolla umgeschlagen. Ich schlich ihm nach. Er ging quer durch die Stadt
nach der Porta Capuana zu. Dicht neben dem Tore steht ein dicker Turm,
darinnen wohnt der Pförtner, ein alter patriarchenhafter Jude, dem König
Theoderich ob seiner großen Treue die Hut des Tores anvertraut.
Vor dem Tore blieb mein Gote stehen und schlug leise in die Hand:
da flog eine schmale Seitentür von Eisen, die ich gar nicht bemerkt,
geräuschlos auf, und hinein schlüpfte Totila geschmeidig wie ein Aal.«
»Ei, ei«, fiel Piso der Dichter eifrig ein, »ich kenne den Juden und
Miriam, sein herrlich prachtäugiges Kind! Die schönste Tochter Israels,
die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug’ ist
dunkelmeeresblau, und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs.«
— »Gut, Piso«, lächelte Cethegus — »dein Gedicht ist schön.« —
»Nein«, rief dieser. »Miriam selbst ist die lebendige Poesie.« — »Stolz
ist die Judendirne«, brummte Massurius dazwischen, »sie hat mich und
mein Gold geschmäht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um
Geld gekauft.« — »Siehe«, sprach Lucius Licinius, »so hat sich der
hochmüt’ge Gote, der einherschreitet, als trüg’ er alle Sterne des
Himmels auf seinem Lockenhaupt, zu einer Jüdin herabgelassen.«
»So dacht’ auch ich, und ich beschloß, den Jungen bei nächster
Gelegenheit schwer zu verhöhnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber
nichts da. Ein paar Tage darauf mußte ich nach Capua. Ich breche vor
Sonnenaufgang auf, die Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta
Capuana zur Stadt hinaus beim ersten Frührot: und als ich in meinem
Reisewagen über die harten Steine an dem Judenturm vorüberrassele,
denk’ ich neidvoll an Totila und sage mir, der liegt jetzt in weichen

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Armen. Aber am zweiten Meilensteine vor dem Tor begegnet mir, nach
der Stadt zuschreitend, leere Blumenkörbe über Brust und Rücken, in
Gärtnertracht, wie damals — Totila. Er lag also nicht in Miriams Armen.
Die Jüdin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine Vertraute, und wer
weiß, wo die Blume blüht, die dieser Gärtner pflegt. Der Glücksvogel!
Bedenkt nur, auf der Via Capuana stehen all die Villen und Lustschlösser
der ersten Familien von Neapolis, und in jenen Gärten prangen und
blühen die herrlichsten Weiber.«
»Bei meinem Genius«, rief Lucius Licinius, die bekränzte Schale
hebend, »dort leben ja die schönsten Weiber Italiens — Fluch über den
Goten!« — »Nein«, schrie Massurius, von Wein erglühend,. »Fluch über
Kallistratos und den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten
bewirten, wie der Storch aus Kelchgläsern den Fuchs. Laß endlich,
Hausherr, deine Mädchen kommen, wenn du deren bestellt hast: nicht
höher brauchst du unsre Erwartung zu spannen.« — »Jawohl, die
Mädchen, die Tänzerinnen, die Psalterien!« riefen die jungen Leute
durcheinander.
»Halt«, sprach der Wirt, »wo Aphrodite naht, muß sie auf Blumen
wandeln. Dies Glas bring ich dir, Flora!« Er sprang auf und schleuderte
an die getäfelte Decke eine köstliche Kristallschale, daß sie klirrend
zersprang.
Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze
Getäfel wie eine Falltür empor, und ein reicher Regen von Blumen aller
Art flutete auf die Häupter der erstaunten Gäste nieder. Rosen von
Pästum, Veilchen von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblüten
bedeckten wie ein dichtes Schneegestöber in duftigen Flocken den
Mosaikboden, die Tische, die Polster und die Häupter der Gäste.
»Schöner«, rief Cethegus, »zog Venus nie auf Paphos ein.«
Kallistratos schlug in die Hände. Da teilte sich beim Klang von Lyra
und Flöte dem Triklinium gerade gegenüber die Mittelwand des
Gemachs: vier hochgeschürzte Tänzerinnen, ausgesucht schöne
Mädchen, in persischer Tracht, d. h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet,
sprangen Zimbeln schlagend aus einem Gebüsch von blühendem
Oleander.
Hinter ihnen kam ein großer Wagen in Gestalt einer Fächermuschel,
dessen goldne Räder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden,
vier Flötenbläserinnen in lydischem Gewand — Purpur und Weiß mit
goldgestickten Mänteln — schritten vorauf: und auf dem Sitz des

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Wagens ruhte, von Rosen übergossen, in halb liegender Stellung
Aphrodite selbst, in Gestalt eines blühenden Mädchens von lockender,
üppiger Schönheit, dessen fast einzige Verhüllung der Aphroditen
nachgebildete Gürtel der Grazien war.
»Ha, beim heiligen Eros und Anteros!« schrie Massurius und sprang
unsicheren Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe.
»Verlosen wir die Mädchen!« rief Piso, »ich habe ganz neue Würfel
aus Gazellenknöcheln, weihen wir sie ein.« — »Laß sie den Festkönig
verteilen«, schlug Marcus Licinius vor. »Nein, Freiheit, Freiheit
wenigstens in der Liebe«, rief Massurius und faßte die Göttin heftig am
Arme, »und Musik, heda, Musik —«
»Musik«, befahl Kallistratos.
Aber noch ehe die Zimbelschlägerinnen wieder anheben konnten,
wurde die Eingangstür hastig aufgerissen, und die Sklaven, die ihn
aufhalten wollten, zur Seite drängend, stürmte Scävola herein, er war
leichenblaß.
»Hier also, hier wirklich find’ ich dich, Cethegus? In diesem
Augenblick!«
»Was gibt’s?« sagte der Präfekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom
Haupt.
»Was es gibt? Das Vaterland schwankt zwischen Szylla und
Charybdis. Die gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza —«
»Nun?« fragte Lucius Licinius.
»Sie sind ermordet!«
»Triumph!« rief der Römer und ließ die Tänzerin fahren, die er
umfaßt hielt.
»Schöner Triumph!« zürnte der Jurist. »Als die Nachricht nach
Ravenna kam, beschuldigte alles Volk die Königin, sie stürmten den
Palast —, doch Amalaswintha war entflohn.«
»Wohin?« fragte Cethegus, rasch aufspringend.
»Wohin? Auf einem Griechenschiff — nach Byzanz!«
Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte
die Stirn.
»Aber das Ärgste ist — die Goten wollen sie absetzen und einen
König wählen. — »Einen König?« sagte Cethegus. »Wohlan, ich rufe
den Senat zusammen. Auch die Römer sollen wählen.«
»Wen, was sollen wir wählen?« fragte Scävola.

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Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt
seiner: »Einen Diktator! Fort, fort in den Senat.«
»In den Senat!« wiederholte Cethegus majestätisch. »Syphax,
meinen Mantel.«
»Hier, Herr, und dabei dein Schwert«, flüsterte der Maure. »Ich führ’
es immer mit, auf alle Fälle.«
Und Wirt und Gäste folgten halb taumelnd dem Präfekten, der, allein
völlig nüchtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Straße schritt.

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DREIZEHNTES KAPITEL

I n einem der schmalen Gemächer des Kaiserpalastes zu Byzanz stand


kurze Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht
ansehnlicher Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken.
Es war still und einsam rings um ihn.
Obwohl es draußen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster,
das nach dem Hofraum des weitläufigen Gebäudes führte, mit schweren
golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleichköstliche Stoffe
deckten den Mosaikboden des Zimmers, so daß kein Geräusch die
Schritte des langsam auf und ab Wandelnden begleitete.
Gedämpftes, mattes Licht füllte den Raum.
Auf dem Goldrund der Wände prangte die lange Reihe der
christlichen Imperatoren seit Constantius in kleinen weißen Büsten:
gerade über dem Schreibdivan hing ein großes mannshohes Kreuz von
gediegenem Golde.
So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam,
neigte er das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war,
von Glas umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes
angebracht.
Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus
darstellend, auf purpurgesäumtem Pergament eine der Wände bedeckte.
Nach langem, prüfendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der
Rechten Gesicht und Augen.
Es waren keine schönen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles,
Gutes und Böses, lag darin.
Wachsamkeit, Mißtrauen und List sprechen aus dem unruhigen Blick
der tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters,
furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen.
»Wer den Ausgang wüßte!« seufzte er noch einmal die knochigen,
Hände reibend. »Es treibt mich unablässig. Ein Geist ist in meine Brust
gefahren und mahnt und mahnt.
Aber ist’s ein Engel des Herrn oder ein Dämon? Wer mir meinen
Traum deutete! Vergib, dreieiniger Gott, vergib deinem eifrigsten
Knecht. Du hast die Traumdeuter verflucht.
Aber doch träumte König Pharao, und Joseph durfte ihm deuten; und
Jakob sah im Traum den Himmel offen, und ihre Träume kamen von dir.

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