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Interkulturalität – Musik – Pädagogik
Band 8
N° 1a
N° 2a
KoMuF Kooperative Musiklehrer/
-innen bildung Freiburg
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KoMuF
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N° 1b Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Kooperative Musiklehrer/
-innen bildung Freiburg
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in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
N° 2b
ISBN 978-3-487-15924-9
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Thade Buchborn
Interkulturalität, Migration und Musikunterricht.
Spannungsfelder zwischen Schulpraxis und Theorie und
daraus resultierende Herausforderungen für Musikdidaktik,
Lehrer*innenbildung und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Bernd Clausen
Musik und Kulturalitäten oder: Vom anhaltenden Fremdeln
in der deutschen Musiklehrendenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Alexander J. Cvetko
Interkulturalität aus Sicht der Historischen Musikpädagogik:
Ausgewählte Einblicke in eine Geschichte der Aporien in
drei Jahrhunderten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Tobias Hömberg
Kulturelle Identität(en).
Ein Literaturüberblick zu pädagogischen Sichtweisen und
Perspektivierungen des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Dorothee Barth
Von eigenen und fremden Kulturen: Dichotome Strukturen
in der Interkulturellen Musikpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Olivier Blanchard
Gleichwertigkeit der Kulturen aus westlicher Sicht.
Eurozentrismus in der Interkulturellen Musikpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Bernhard Weber
Ein didaktisches Denken im Plural: Differenzen aufdecken
und Verborgenes offenlegen.
Impulse für eine zeitgemäße Interkulturelle Musikpädagogik . . . . . . . . . . . . 105
Peter W. Schatt
Begegnungen zwischen Kulturen: Überlegungen zu einer
Topologie für Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Christopher Wallbaum
Dritte Räume oder Musikpraxen erfahren und vergleichen.
Eine glokal kulturreflexive Prozess-Produkt-Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
empirische Perspektiven
Daniel Prantl
Überlagerungen musikkultureller Bruchstücke im Klassenzimmer.
Eine Analyse ausgewählter Sequenzen in zwei videographierten
Klassenmusizierstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Jonas Völker
„… als ob ein Deutscher sowas hört“.
Kulturelle Repräsentationen und ethnische Projektionen im
interkulturell orientierten Musikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Eva-Maria Tralle
„Musik verschiedener Kulturen“.
Wie setzen Berliner Musiklehrkräfte eine Lehrplanvorgabe im
Oberstufenunterricht um? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Joana Grow
Wege durchgängiger Sprachbildung.
Möglichkeiten und Grenzen von Sprachförderliedern als Gegenstand
des Musikunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Claudia Cvetko
Interkulturalität als Anspruch der Musikpädagogik?
Ausgewählte Motive zu Afrika im Musikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . 235
Ganga Jey Aratnam, Silke Schmid, Irena Müller-Brozovic & Bettina Frei
Polyversale Musikpädagogik im glokalen Musiktopos . . . . . . . . . . . 249
Pra xisberichte
Nathalie Glinka
Interkulturelles Singtandem: Umfassend singen und musizieren
im Kindergarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Alexander Riedmüller
Kommunikation auf mehreren Ebenen.
Ein praktischer Ansatz für den Gruppenunterricht in der Grundschule
durch Rhythmik (Musik und Bewegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Marie-Louise Tralle
Bühne unter Strom.
Musikpädagogische Adaption eines theaterpädagogischen Konzepts
zum Perspektivwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Bernd Clausen
Historisch-chronologische Synopse:
USA et al. – DR, BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Gutachter*innen
Dorothee Barth Camille Savage-Kroll
Olivier Blanchard Peter Schatt
Anne Bubinger Silke Schmid
Thade Buchborn Philip Stade
Bernd Clausen Simon Stich
Alexander Cvetko Elisabeth Theisohn
Tobias Hömberg Eva-Maria Tralle
Anna Immerz Johannes Treß
Valerie Krupp-Schleußner Johannes Voit
Wolfgang Lessing Jonas Völker
Isolde Malmberg Christopher Wallbaum
Daniel Prantl Bernhard Weber
Charlotte Rott-Fournier
1
Ott, T. (2006). Musikinteressen von Immigrantenkindern in Kölner Schulen und ihre Erfah-
rungen im Musikunterricht. In G. Noll, G. Probst-Effah, C. Burmeister & A. Reimers (Hrsg.),
Musik als Kunst Wissenschaft Lehre. Festschrift für Wilhelm Schepping zum 75. Geburtstag (S. 359–
374). Münster: MV Wissenschaft.
Hierfür nimmt der Autor eine praxeologische Perspektive auf die Darstellung
und Interpretation interkultureller Situationen im Musikunterricht ein. An-
schließend an den Soziologen Andreas Reckwitz beschreibt er musikkultu-
relle Differenzen in Form von Überlagerungen unterschiedlicher kultureller
Bruchstücke, die in Unterrichtspraktiken verarbeitet werden.
Ebenfalls zwei videographierte Unterrichtssequenzen nimmt Jonas Völker
in seinem Beitrag „… als ob ein Deutscher sowas hört“ in den Blick. In einer kom-
parativen Analyse interpretiert er kulturelle Repräsentationen und ethnische
Projektionen als handlungsleitende Orientierungen der Lernenden. Die rekon-
struierten Vorstellungen werden theoretisch gerahmt und im Hinblick auf die
Zieldimensionen interkulturell orientierten Musikunterrichts musikdidaktisch
diskutiert.
Ausgehend von einem Kooperationsprojekt der Hochschule für Musik,
Theater und Medien Hannover mit drei allgemeinbildenden Schulen in Han-
nover untersuchen Andrea Welte und Jan Jachmann Transformationsprozesse
von Musikimprovisationsunterricht mit neu nach Deutschland zugewander-
ten Schüler*innen und an der HMTMH ausgebildeten Lehrkräften. Mithilfe
ethnografischer Forschungsmethoden machen sie an zwei Unterrichtszenen
das transformativ-interaktionistische Potential von interkulturellen musikpäd-
agogischen Situationen deutlich.
Eva-Maria Tralle widmet sich in ihrem empirischen Beitrag einer verpflich-
tenden Lehrplanvorgabe für den Musikunterricht in der Berliner Oberstufe
und untersucht, wie Musiklehrkräfte diese umsetzen. Ausgehend von thema-
tischen Interviewpassagen mit Berliner Musiklehrkräften rekonstruiert sie
handlungsleitende Orientierungen und normative Anforderungen im The-
menfeld.
Joana Grow untersucht in ihrem Beitrag Wege durchgängiger Sprachbildung
die Eignung von Sprachförderliedern aus Perspektive der Fächer Musik und
Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Ihre Analyse exemplarisch ausgewählter
Sprachförderlieder am Beispiel des grammatikalischen Phänomens Wechsel-
präpositionen offenbart Defizite sowohl in Bezug auf DaZ-didaktische als
auch auf musikdidaktische Anforderungen. Konsequenzen und Potentiale für
den Musikunterricht mit integrierter Sprachförderung werden abschließend
diskutiert.
Claudia Cvetko gewährt mit ihrem Beitrag Interkulturalität als Anspruch der
Musikpädagogik? spannende Einblicke in ihre aktuelle Forschungsarbeit zum
Thema ‚Afrika im Musikunterricht‘. Die Autorin beleuchtet sowohl die Diskre-
panz hinsichtlich der Zieldimensionen innerhalb der Interkulturellen Musik
pädagogik als auch die historische sowie die systematische Dimension des For-
sind. Die Verfasserin hebt entsprechend die besondere Chance des Ansatzes
für die Interkulturelle Musikpädagogik hervor.
Der Überblick über die Themen der Beiträge macht deutlich, wie facettenreich
und zugleich kontrovers der Diskurs um Interkulturalität, Musik und Pädago-
gik nach wie vor ist. Das vorliegende Buch stellt daher gewissermaßen auch
nur einen Zwischenstand in einer Diskussion dar, deren Ende, Stand heute,
also im April 2020, noch lange nicht in Sicht ist. Auch deshalb nicht, weil die
Dinge gesellschaftlich wie institutionell im Wandel begriffen sind. Gesell-
schaftliche Phänomene wie (Alltags-)Rassismus und Rechtsextremismus sind
ebenso Anlass für musikpädagogische Diskussionen wie die wiederkehrende
Frage nach bildungspolitischer Integration der Themen Migration und Flucht.
Unsere Gesellschaften sind vielgestaltig und divers. Deshalb ist es eine wich-
tige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Potentiale von Vielfalt zu nutzen
und Strategien für ein konstruktives Miteinander zu entwickeln und zu leben.
Als zentrale Arenen der Gesellschaft sollte in Schule und Musikunterricht eine
Auseinandersetzung mit u. a. kultureller Heterogenität einen festen Platz ha-
ben. Daraus leitet sich ein Anspruch nach gelingendem interkulturell orientier-
ten (Musik-)Lehren und Lernen innerhalb der Institution Schule ab, der im
Rahmen dieses Sammelbandes erörtert wird.
Abschließend sei allen Autorinnen und Autoren, Gutachterinnen und Gut-
achtern und all jenen, die redaktionell an diesem Band mitgearbeitet haben,
sehr herzlich gedankt (vgl. i. d. B., S. 1). Auch bei Susanne Kittel möchten wir
uns für die wertvolle Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung
des Symposiums herzlich bedanken. Zudem möchten wir uns bei der Hoch-
schule für Musik Freiburg bedanken, die den Band in die Reihe der Schriften
der Hochschule für Musik Freiburg aufgenommen hat. Ein besonderer Dank gilt
der Gisela und Peter W. Schatt Stiftung, die die Herausgabe mit einem groß
zügigen Druckkostenzuschuss möglich gemacht hat.
Wir erhoffen uns mit diesem Band Impulse für konstruktive Forschungs
arbeiten und innovative Entwicklungen in der (Schul-)Praxis und der Hoch-
schullehre zu geben und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!
This article shows secondary music teachers’ strategies for dealing with cultural diver-
sity and migration; it also discusses shared implicit and explicit knowledge that orientate
teachers in their everyday teaching. Findings arise from data collected in group discus-
sions on cultural diversity, migration and music in school. The study shows a discrep-
ancy between teachers’ explicit norms and actual practice. Cultural diversity sits on the
sidelines of music lessons, teachers refer to a normative, ethnic-holistic and static concept
of culture; understanding classical music is the prior goal of the lessons. These findings
are discussed with regard to theoretical positions in the discourse of cultural diversity in
German music education. Discrepancies between the academic discourse and school
practice are revealed and issues and perspectives concerning cultural diversity in music
education in school, research and teacher training are explored.
Als Ausgangspunkt für meine Überlegungen und Bezugspunkt für die anschlie-
ßende Diskussion meiner empirischen Befunde dient ein Rückblick auf den
musikpädagogischen Diskurs. Seit mindestens 40 Jahren1 werden bildungstheo-
retische Grundlagen sowie konkrete Konzepte interkultureller Musikpädagogik
diskutiert: Wichtige Stationen bilden die Arbeiten von Irmgard Merkt (1983),
Reinhard C. Böhle (1996), Wolfgang Martin Stroh (2000), Dorothee Barth (2007),
das Studienbuch Aspekte interkultureller Musikpädagogik, herausgegeben von
Anne Niessen & Andreas Lehmann-Wermser (2012), sowie Beiträge von Thomas
Ott, Bernd Clausen, Peter W. Schatt, Oliver Kautny, Olivier Blanchard und vielen
anderen.2 Zudem sind Unterrichtsmaterialien wie Musik in Schwarzafrika von
Volker Schütz (1992), Vom Umgang mit dem Fremden von Ernst Klaus Schneider
(1996), Interkultureller Musikunterricht von Matthias Kruse (2003), Musik der Welt –
Welten der Musik von Reto Capol (2005), die aktuellen Publikationen von Malte
Sachsse und Peter W. Schatt (2016, 2017) u. a. zentrale Wegmarken. Mittlerweile
sind Aspekte interkultureller Musikpädagogik nicht nur in themenspezifischen
Publikationen zu finden, sondern integrativer Bestandteil vieler neuer Schul-
buchpublikationen (vgl. z. B. Brassel, 2012).
Einhergehend mit ihrer wachsenden Bedeutung wurde die interkulturelle
Musikpädagogik zunehmend ausdifferenziert und um neue thematische
Aspekte erweitert. Dennoch machen mehrere systematisierende Beiträge deut-
lich, dass sich der Diskurs entlang thematisch voneinander abgrenzbarer Li-
nien entwickelt. Bereits im Jahr 2000 arbeitet Dorothee Barth bei der Analyse
von Unterrichtmaterialien und Konzepten „drei Sichtweisen auf Kultur“ her-
aus (Barth, 2000, S. 28):
„1. Interkulturalität als Begegnung von Kulturen: Kultur bezeichnet ein (ethni-
sches) Kollektiv;
2. Interkulturalität als Begegnung mit (fremden) Musiken: Kultur objektiviert
sich in musikalischen Gegenständen;
3. Interkulturalität als individuelle Verortungsmöglichkeit: Kultur bedeutet: ein
Prozeß mit ‚offenen Grenzen‘.“ (Barth, 2000, S. 28–29)
1
Teilthemen des Diskurses sind schon länger Gegenstand des musikpädagogischen Diskurses
(vgl. Clausen, 2011). Allerdings teile ich die Einschätzung von Oliver Kautny, dass sich „die
deutschsprachige IME in den 1980er Jahren überhaupt erst als eigenständige Teildisziplin der
Musikpädagogik herausbildete – eine Phase der IME, die insbesondere mit den Namen Irm-
gard Merkt und Dorit Klebe verbunden ist“ (Kautny, 2010, S. 27).
2
Einen guten Überblick bieten die von Wolfgang Martin Stroh und Thomas Ott zusammenge-
stellten Literaturlisten, die auf der Homepage https://www.interkulturelle-musikerziehung.
de zu finden sind.
zum einen an der Komplexität der Sache: Was ist eigentlich Kultur? Was bedeu-
tet Interkulturalität? In welcher Beziehung steht Interkulturalität mit der Hete-
rogenität unserer Gesellschaft und Migration? Zum anderen stehen Lehrkräfte
vor schier unlösbaren Aufgaben, die sich durch die hohen normativen Ansprü-
che ergeben, die den Diskurs rund um das Themenfeld mitunter bestimmen –
von Bildungsgerechtigkeit bis Völkerverständigung in der Weltgesellschaft
(vgl. Kautny, 2018a und 2018b). Seit dieser Zeit interessiere ich mich für das
Verhältnis von Theorie und Schulpraxis interkultureller Bildung und für die
Sichtweisen der Lehrenden auf dieses Themenfeld. Insbesondere in der Musik-
pädagogik fehlen aktuell allerdings detaillierte Studien zu den Überzeugun-
gen, Einstellungen und zur Handlungspraxis von Akteur*innen im interkultu-
rellen Musikunterricht: Der noch überschaubaren Zahl empirischer Arbeiten
steht eine „Tonne Theorie“ (Ott, 2006, S. 5) gegenüber, wie Thomas Ott es bereits
vor knapp 15 Jahren etwas überspitzt formuliert hat.
Während in den Jahren seit Otts Befund einige spannende Arbeiten zu den
Perspektiven von Schüler*innen entstanden sind3, liegen zu den Perspektiven
von Musiklehrkräften auf Interkulturalität – Musik – Pädagogik sowie deren
Umgang mit Aspekten interkultureller Musikpädagogik in der Unterrichts
praxis bezogen auf den deutschsprachigen Raum bislang wenige Arbeiten vor
(vgl. Knigge, 2012; Ott, 2006).
Susanne Dannhorn (1996) hat im Rahmen ihrer Staatsexamensarbeit Inter-
views mit 20 Musiklehrer*innen an Grundschulen geführt und herausgearbei-
tet, dass interkulturelle Musikpädagogik aus Sicht der Lehrenden in der Aus-
bildung wenig präsent ist, es an Materialien sowie Fortbildungen mangelt und
die Lehrer*innen wenig Motivation verspüren, das Thema verstärkt zu behan-
deln. Isolde Malmberg (2013) hat fünf Projektbeispiele analysiert, in denen
interkulturelle Themen bearbeitet werden, und erhebt Gruppendiskussionen
mit den beteiligten Lehrkräften. Auf dieser Grundlage hat sie Chancen und
3
In den letzten Jahren sind einige spannende Arbeiten zur Perspektive von Schüler*innen und
Jugendlichen entstanden, die in der Hauptsache die Musikpräferenzen insbesondere türki-
scher Migrant*innen fokussieren und sich dabei nicht nur auf den Kontext Schule beziehen
(vgl. z. B. Ott, 2006; Wurm, 2006; Schmidt, 2015; Honnens, 2017). Jonas Völker arbeitet zudem
in seinem derzeit laufenden Dissertationsprojekt heraus, welche impliziten und expliziten
Wissensbestände das Handeln von Lernenden im interkulturell orientierten Musikunterricht
leiten (vgl. Völker, i. d. B.; Buchborn & Völker, 2019).
4
Das Projekt KoMuF – Kooperative Musiklehrer/-innenbildung Freiburg wird im Rahmen des
Programms „Leuchttürme der Lehrerbildung ausbauen“ vom Land Baden-Württemberg
gefördert.
5
In der Durchführung der Studie unterstützen mich Verena Bons, Mirjam Hettich und Eva-
Maria Tralle.
Die Ausführungen des befragten Musiklehrers (Dm) weisen aus meiner Sicht
starke Parallelen zu den zwei Linien des Diskurses zur interkulturellen Musik-
pädagogik auf, die Ott (2012) beschrieben hat (s. o.). Dm beschreibt Interkul
turalität zunächst als „pädagogischen Auftrag“ (#2, 240): „Schüler die (.) n
Migrationshintergrund haben und sich an deutschen Schulen fremd fühlen,
sollen mit unserer Hilfe, dazu befähigt, werden, dass sie sich heimisch füh-
len, an der Schule“ (#2, 240–244). Dieser auf die Schüler*innen mit Migrations-
hintergrund bezogene Ansatz findet seine Entsprechung in der von Ott als
„migrationsbezogene Linie“ (Ott, 2012, S. 115) beschriebenen Facette des Dis-
kurses. In Analogie zu Otts „Linie 2“ (ebd.) beschreibt Dm im weiteren Verlauf
des Ausschnittes „Interkulturalität als Unterrichtsinhalt“ (#2, 246) als weitere
Aufgabe des Musikunterrichts und macht deutlich, dass er die Vermittlung der
Musik anderer Kulturen als eine schwere, wenn nicht gar unlösbare Aufgabe
bewertet (vgl. #2, 246–257).
Neben der Nähe zu den von Ott und anderen identifizierten Diskurslinien
lassen sich in den Ausführungen von Dm aber auch noch weitere Aspekte re-
konstruieren. Indem Dm beschreibt, dass Schüler*innen mit Migrationshinter-
grund dabei unterstützt werden sollten, dass sie sich „heimisch fühlen an der
Schule“ (#2, 242–244), wird eine Defizitorientierung im Umgang mit Lernenden
mit Migrationshintergrund und zugleich eine Orientierung an der sogenann-
ten Mehrheitskultur deutlich. Dadurch, dass in der Argumentationsfigur zwi-
schen der „deutschen Schule“ und Schüler*innen mit Migrationshintergrund,
die sich „an deutschen Schulen fremd fühlen“ (#2, 241), differenziert wird,
zeigt sich zudem eine als Othering (vgl. z. B. Mecheril & Thomas-Olalde, 2011)
bezeichnete Distanzierungspraktik. Ein anderer Aspekt, der in diesem Auszug
insbesondere an der Differenzierung zwischen „deutscher Schule“ und
Schüler*innen mit Migrationshintergrund, aber auch durch die starke Hervor-
hebung der Distanz zwischen dem eigenen „europäischen Musikverständnis“
(#2, 251) und der Musik, „die aus anderen Kulturkreisen komm[t]“ (#2, 249),
deutlich wird, ist die implizite Orientierung an einem statischen und ethnisch-
holistisch geprägten Kulturverständnis.
An der Interpretation dieses kurzen Gesprächsauszuges wird meiner An-
sicht nach ein in der interkulturell orientierten Musikpädagogik altbekanntes
Dilemma deutlich: Durch die Fokussierung auf Migration und Weltmusik wird
Differenz hergestellt bzw. hervorgehoben, anstatt diese zu überwinden, wie
es in dem zumeist normativ geprägten Diskurs zur interkulturellen Bildung
vielfach gefordert wird. Dies gilt für beide ‚Linien‘ des Diskurses. Schüler*innen
mit Migrationshintergrund werden durch die Adressierung als vermeintli-
che Expert*innen oder aber durch die Identifikation als Förderbedürftige zu
‚Anderen‘ gemacht (vgl. z. B. Barth, 2013; Merkt, 2019, S. 172–173; Völker, i. d. B.)
und Weltmusik wird zum Sonderfall in einem sonst eurozentristisch gepräg-
ten Musikunterricht (vgl. z. B. Blanchard, i. d. B.).
Eine Herausforderung für die interkulturelle Musikpädagogik liegt daher
meines Erachtens darin, die enge Perspektivierung auf den Migrationsbezug
der Lernenden und ‚außereuropäische‘ Musik zu überwinden. Musikdidak-
tisch könnte dem dargestellten Dilemma aus meiner Sicht begegnet werden,
indem Otts ‚Linie 1‘ dahingehend erweitert wird, dass der Blick nicht mehr
allein auf die Migrationserfahrung weniger Schüler*innen oder deren (Groß-)
Eltern, sondern vielmehr auf die (musik-)kulturellen Erfahrungen, Interessen
und Verortungen aller Lernenden gerichtet wird. Würden die musikkulturel-
len Verortungen jedes Einzelnen differenziert thematisiert, würden hybride
Überlagerungen und kulturelle Mehrfachverortungen deutlich, die den Nor-
malfall und nicht eine Besonderheit darstellen. Stereotype Zuschreibungen
und Pauschalisierungen, die durch die Überbetonung der ethnischen Herkunft
von Lernenden entstehen, träten in den Hintergrund.
Z. T. finden sich auch in Unterrichtsmaterialien bereits Beispiele für Musi-
kerportraits, die differenziertere Bilder (musik-)kultureller Realität zeichnen.
Im Kapitel Die Kora aus Westafrika im Musikbuch 1 (Brassel, 2012, S. 134–145)
wird der Berliner Musiker Djelifily Sako portraitiert, wodurch einerseits ge-
zeigt wird, dass eine aus Mali stammende Musiktradition auch in Deutschland
lebendig ist, andererseits geht aus dem Portrait hervor, dass Sako neben tradi-
tionellen Kora-Stücken auch Musik von Bach spielt und in Jazzensembles mu-
siziert (vgl. ebd., S. 136) und damit unterschiedlichen Musikkulturen Bedeu-
tungen zuschreibt. Einen ähnlichen Ansatz findet man im von Jonas Völker
entwickelten Unterrichtsmaterial zum arabischen Liebeslied Bint el Shalabiya.
Hier wird der Musiker Samir Mansour portraitiert, der in Damaskus u. a. klas-
sische Tuba im staatlichen Sinfonieorchester gespielt hat und heute als Oud-
Spieler in Stuttgart lebt (vgl. Buchborn & Völker, 2019). Wünschenswert wäre
es, wenn Unterrichtsmaterialien zukünftig noch einen Schritt weitergehen
würden: Warum greift nicht ‚Friederike‘ (s.u.) zur Djembe?
Eine weitere Chance liegt in der Erweiterung der ‚Linie 2‘, dahingehend, den
Musikunterricht grundlegend an der Vielfalt musikkultureller Erscheinungs-
formen zu orientieren, anstatt die sogenannte Weltmusik wie bisher als ‚Son-
derfall‘ zu markieren. Bei allen Musiken wäre dann zu fragen, wie sie musik-
kulturell gegenwärtig und zur Zeit ihrer Entstehung verortet sind und waren.
Weitergehend wäre es aus meiner Sicht lohnend, auch verstärkt die Bezüge
der beiden Linien zueinander in den Blick zu nehmen. Im Musikunterricht
könnten differenzierter die Interessen und musikkulturellen Verortungen der
Wäre es nicht eine spannende Aufgabe für den Musikunterricht, eine Plattform
für die Reflexion der eigenen Position im Verhältnis zu der von anderen
Anwesenden und Nichtanwesenden zu sein? Welche musikkulturellen Erfah-
rungen und Vorlieben bringen sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden
mit in den Unterricht und wie können die zumeist heterogenen musikkulturel-
len Verortungen der Lerngemeinschaft miteinander ins Spiel gebracht werden?
Wie können wir im Musikunterricht musikalische Praxen erlebbar und erfahr-
bar machen? „Prinzipiell interkulturell!“, wie Hans Jünger das 2003 bereits
formuliert hat (vgl. Jünger, 2003).8
Durch die Erweiterung der etablierten Diskurslinien würde die interkultu-
relle Musikpädagogik selbstverständlich ihr spezifisches Profil verlieren. Die
IMP zerrinnt oder alles wäre IMP. Aber vermutlich lassen sich die Ziele der
IMP erst dann erreichen, wenn die Auseinandersetzung mit Migration und
Weltmusik als Spezialaufgaben des Unterrichts und damit die interkulturelle
Musikpädagogik als ‚Sonderform‘ des Umgangs mit dem und den Fremden
überwunden sind. An ihre Stelle würde die Reflexion der musikkulturellen
Verortungen aller Akteure des Musikunterrichts und das Kennenlernen
6
Für einen solchen Ansatz müssten stärker die Lernvoraussetzungen der Schüler*innen beim
Umgang mit für die Lernenden fremden Musikkulturen berücksichtigt werden (vgl. Völker,
i. d. B.).
7
Vgl. dazu auch die Interviewpassage in Abb. 2 „Deutsch-Rap“, #483–490.
8
Christopher Wallbaums Überlegungen zum Kreieren, Erfahren und Vergleichen von „Musik-
praxen“ (vgl. Wallbaum, i. d. B.) bieten aus meiner Sicht spannende konzeptionelle Anknüp-
fungspunkte für einen prinzipiell interkulturell konzipierten bzw. grundsätzlich kultur
reflexiven und -vergleichenden Musikunterricht. Seine Position wurde im Diskurs der
interkulturellen Musikpädagogik bislang allerdings nicht nachhaltig rezipiert.
Während die letzte Passage ein Beispiel dafür war, dass die befragten Lehren-
den sich in der Unterrichtspraxis an einem statischen, ethnisch-holistischen
Kulturverständnis orientieren, verweist folgendes Zitat eher auf eine bedeu
tungs(zuweisungs-)orientierte Position, um die im musikpädagogischen Dis-
kurs mehrheitlich verwendeten Begrifflichkeiten Dorothee Barths zu verwen-
438 vielleicht auch andere Probleme sind ne, die da ne Rolle
den
439 (vgl.
Cf: Barth, 2008). Ein Musiklehrer
└ eigentlich anja;
ga- (.) einer
ja; Schule,
┘ die die Lehrenden
Af: spielen also sch- die die Möglichkeit sich (.) sprachlichberichtet
selbst als „Hotspot“ für Migration und Interkulturalität bezeichnen,
440
441 auszudrücken; die richtigen Begriffe zu finden
Folgendes
442 Cf: jaüber seine Schüler*innen:
443 Bf: ja
444 Af: (.) ähm ne Syntax die man dann irgendwie so erwarten
„Deutsch-Rap“
445 würde. (#3, 447–490)
sowas halt ne,
446 Bf: Das war einfach auch
447 Dm: └ Was ich noch ähm spannend finde ich (.) ä:hm hab mit ner
448 Neunten jetzt im letzten Jahr äh Hiphop gemacht und mit ner
449 Zehnten hab ich äh so in diesen Jazz-Rock-Pop-Bereich
450 reingekuckt, und da ist natürlich erstmal so interessant ok; was
451 hört ihr was habt ihr da für=n Zugang und (.) die meisten sagen
452 halt ja ich hör Deutsch-Rap. #00:12:31-2#
453 Af: mh:m
454 Bf: └ mhm ┘
455 Cf: └ m-hm ┘
456 Dm: Und (.) da wird mir dann auch nochmal bewusst dass die (2)auch
457 gar nicht unbedingt Zugriff auf (.) des kulturelle Erbe ihrer
458 Ef: └ mhm ┘
459 Dm: Eltern oder sonst sowas haben also die (.)hör=n ja jetzt auch
460 Af: └ mhm ┘
461 Dm: nicht das Volkslied ihrer Großmutter aus Anatolien s- ähm
462 Af: └ mhm ┘
463 Dm: sondern (.) die versuchen sich ja auch da- oder die (.) wachsen
464 ja dann hier auch irgendwie auf und; mit der Musik die (.)
465 hier im Radio kommt oder die in den dann Peergroups dann
466 weitergegeben wird
467 Af: Stimmt (.) mhm.
468 Dm: └ Also des is dann irgendwie nochmal (.) so doppelt (.)
469 Kultur-also naja also wirklich
470 Af: └ Ja es is so wie mit der Sprache eigentlich ne?
471 also sie sind in keiner so richtig zuhause weder in der (.) in
472 Dm: └ ja ┘
473 Bf: └ mhm ┘
474 Dm: └ ja
475 die würden jetzt auch keinen Aufsatz auf Türkisch schreiben
476 können wahrscheinlich(.) ja
477 Af: └ Genau ja genau das meine ich und so ist es mi der
478 Bf: └ mhm ┘
479 Af: Musik aber auch ne also sie sind sozusagen in der eigenen
480 Musikkultur eigentlich nicht mehr so richtig drin aber in der
481 hier auch nicht oder nur in=nem ganz bestimmten (.) Bereich;
482 ne?
483 Dm: Aber da weiß ich jetzt auch nicht ob die Schüler aus Marzahn (.)
484 ob die mit Klassik mehr anfangen können
485 Af: Nee @(.)@
Freiburger Hochschulreihe Dm: Des
486 - Interkulturalitä is -halt
t - Musik (.)
Pädagogik also
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466 weitergegeben wird
467 Af: Stimmt (.) mhm.
468 Dm: └ Also des is dann irgendwie nochmal (.) so doppelt (.)
469 Kultur-also naja also wirklich
470 Af: └ Ja es is so wie mit der Sprache eigentlich ne?
471 also sie sind in keiner so richtig zuhause weder in der (.) in
472 Dm: └ ja ┘
473 Bf: └ mhm ┘
474
22 Dm: Thade Buchborn └ ja
475 die würden jetzt auch keinen Aufsatz auf Türkisch schreiben
476 können wahrscheinlich(.) ja
477 Af: └ Genau ja genau das meine ich und so ist es mi der
478 Bf: └ mhm ┘
479 Af: Musik aber auch ne also sie sind sozusagen in der eigenen
480 Musikkultur eigentlich nicht mehr so richtig drin aber in der
481 hier auch nicht oder nur in=nem ganz bestimmten (.) Bereich;
482 ne?
483 Dm: Aber da weiß ich jetzt auch nicht ob die Schüler aus Marzahn (.)
484 ob die mit Klassik mehr anfangen können
485 Af: Nee @(.)@
486 Dm: Des is halt (.) also
487 Af: └ Ja. das muss (.) nich was mit Kul- mit der (.)
488 mit Migrationshintergrund was zu tun haben
489 Bf: └ ne ┘
490 Dm: └ Ja. nicht unbedingt. (.) und
491 Cf: └ Aber welches (.)
492 welches Lied wird denn da abends zum Gute-Nacht-Singen
493 wenn=s- als sie kleiner waren; welches Lied wird denn da
Das
494 Beispiel macht oder
gesungen, deutlich,
wird dass dengar
einfach Reflexionen
kein Liedder hybriden
gesungen und kulturellen
sie
Verortungen der Schüler*innen mit Migrationshintergrund eine Kulturtheorie
zugrunde liegt, die einem bedeutungs(zuweisungs-)orientierten Kulturkon-
zept entspricht. Meine Rekonstruktionen verweisen allerdings darauf, dass
dieses Kulturverständnis in der unterrichtlichen Praxis nicht handlungsleitend
ist, sondern bei der Gestaltung von Unterricht vielfach implizite Bezüge zu
ethnisch-holistischen sowie normativen Kulturkonzepten deutlich werden.
Hier zeigt sich ein Spannungsverhältnis zwischen den normativen Ansprü-
chen der Lehrenden und den impliziten Wissensbeständen, an denen sie sich
in der Handlungspraxis orientieren (vgl. auch Tralle, i. d. B.). Ein „Spannungs-
verhältnis und [eine] notorische Diskrepanz“ (Bohnsack, 2017, S. 54) zwischen
Habitus und Norm gilt in der dokumentarischen Methode als typisch und als
Zeichen dafür, dass „der bisherige Erfahrungsraum und Orientierungsrahmen
einer Transformation unterzogen werden“ (ebd., S. 108), handlungsleitende
Wissensbestände sich also langfristig ändern. Dennoch verweisen die Befunde
darauf, dass es in der schulischen Alltagspraxis schwierig zu sein scheint,
Unterricht auf der Grundlage eines bedeutungs(zuweisungs-)orientierten Kul-
turbegriffs zu gestalten. Das Spannungsverhältnis zwischen Bedeutungsorien-
tierung auf der Ebene des reflexiven Wissens und Orientierung an einem
normativen und ethnisch-holistischen Kulturverständnis auf der Ebene des
impliziten, handlungsleitenden Wissens zeigt die Differenz zwischen den
eigenen Ansprüchen der Lehrkräfte, sozialer Erwünschtheit bzw. Common-
Sense und den Routinen und Handlungsmustern in der Schulpraxis. In dieser
Diskrepanz liegt m. E. nicht selten ein Grund dafür, dass sich Lehrende nicht
kompetent in Fragen der Interkulturalität fühlen und ein ‚schlechtes Gewissen‘
äußern, wenn es um Interkulturalität und Musikunterricht geht.
In diesem Kontext betrachte ich es auch über zehn Jahre nach Erscheinen
von Dorothee Barths Dissertationsschrift Ethnie, Bildung oder Bedeutung? Zum
Kulturbegriff in der interkulturell orientierten Musikpädagogik (2008) als zentrale
9
Für eine detaillierte Analyse dieser Passage vgl. Buchborn & Bons, i. Dr.
Praxis der Ausübung klassischer Musik unabhängig von Alter und Herkunft
verwiesen wird („die spielen ja auch ihren Brahms“; #2, 185).
Insgesamt konnte ich in Bezug auf die Musikkulturen der Lehrenden und
Lernenden und deren Relevanz im Musikunterricht rekonstruieren, dass die
Musikinteressen der Lernenden „Nebenthemen“ (#2, 122) des Musikunter-
richts darstellen, obwohl die Lehrenden von der hohen Begeisterung, Motiva-
tion und von großem Engagement der Lernenden berichten, wenn es um ihre
Musik geht. Ich konnte weitergehend rekonstruieren, dass die Lehrerinnen
und Lehrer die Musikinteressen der Lernenden inhaltlich-musikalisch ab-
werten und sie sich zudem von den Musikkultur(en) der Lernenden abgren-
zen, aber auch ihre eigenen, privaten Musikinteressen in Abgrenzung von
den Inhalten des Musikunterrichts beschreiben (vgl. Buchborn & Bons, i. Dr.).
Ein komplexes Beziehungsgefüge, welches mich zu der Frage führt, welche
Musikkulturen im Zentrum zukünftigen Musikunterrichts stehen sollten,
welche Ziele mit ihrer Thematisierung verfolgt werden sollten und mit wel-
cher Legitimation: „Das Volkslied der Großmutter aus Anatolien“, „Deutsch-
Rap“ oder nach wie vor die „böhmische[n] Dörfer“ aus dem Stilfeld der
k lassischen Musik?
lich auch schon mit dem Gefühl eh in Unterricht gegangen also ich kann
auch den Schülern selber was erzähln was einigermaßen Hand und Fuß hat.
Cf: Anfang der achtziger Jahre [war] World music […] grad ein großer Begriff
aber in meiner Ausbildung hat das nicht viel stattgefunden. und alles
das was ich dann (.) im neu (.) konstruierten Basiskurs elfte Klasse
damals, außereuropäische Musik gemacht habe habe ich mir dann irgendwie
selbst angeeignet.
Af: ich weiß ob’s des an der (.) *HUG damals gab, (.) also ich hab auf jeden
Fall des nich belegt des war nich verpflichtend. und äh dann hab ich’s
auch nich gemacht.
Dm: bei mir is es (.) eh ganz noch viel extremer als bei dir(.)ich habe des
absolut ignoriert im Studium. weil ich mit dem (.) Vorsatz (.) ehm i-ins
Studium hineingegangen bin ich will die klassische Musik verstehen.
Die Auszüge lassen darauf schließen, dass Seminare, die sich auf die durch
Migration im Wandel begriffene Gesellschaft beziehen, in der „zweite[n]
Hälfte der siebziger Jahre“ (Bm) bzw. „Anfang der achtziger Jahre“ (Cf) an
den beschriebenen Studienstandorten noch nicht angeboten wurden. Dies
könnte daran liegen, dass entsprechende Themen im Fachdiskurs auch erst
seit Anfang der 1980er Jahre prominent verhandelt wurden. Allerdings haben
die Lehrkräfte z. T. durchaus Angebote zu „außereuropäischer Musik“ in
ihren Studienprogrammen wahrgenommen. Es sind aber in der Regel keine
Pflichtangebote, sondern eher, wenn auch als z. T. besonders und faszinie-
rend erlebte, Ausnahmen in einer im Kern als klassisch geprägt wahrgenom-
menen Ausbildung. Die Interpretationen ergänzender Gesprächsauszüge
machen deutlich, dass die Lehrkräfte die Erfahrung teilen, sich in der Haupt-
sache durch berufsbegleitende Fortbildungen oder durch die Kooperation
mit außerschulischen Expert*innen auf das Unterrichten von „Weltmusik“
und „außereuropäische Musik“ vorzubereiten. Sie erleben sich in koopera
tiven Settings (z. B. Einladen von Expert*innen in die Schule, Museums- und
Workshopbesuche etc.) in der Regel nicht als Expert*innen, was stimmig zu
der von einem Großteil der befragten Lehrer*innen geäußerten Einschätzung
ist, dass sie sich allgemein nicht gut auf das Gestalten eines interkulturell
orientierten Musikunterrichts vorbereitet fühlen. Daran wird deutlich, dass
die Profilierung der Studienprogramme unmittelbare Folgen für den Musik-
unterricht in den Schulen hat.
Es ist aus meiner Sicht erhellend, die dargestellten Befunde in einem größe-
ren Kontext zu betrachten. Die musikkulturelle Engführung der Musikleh
rer*innenbildung (vgl. Buchborn, 2019) ist eingebettet in ein hegemonial ge-
„The National Curriculum for Music was influenced by the dying throes of the
Thatcher era and an attempt to cling to the vestiges of an education system
governed by twentieth-century, British, upper-middle-class values. Within this
value system, the habitus of the dominant group was largely framed by public-
school education and musically by the western art-music canon.“ (Wright &
Davies, 2010, S. 48)
Zumindest auf der Ebene der Bildungspläne sind also erste Anzeichen von
Veränderungen zu verzeichnen, wenn hier ein Musikunterricht skizziert
wird, der ein breites Musikangebot in den Blick nimmt und fordert, dass die
soziokulturelle Herkunft der Lernenden unterrichtlich mit einbezogen wird.
Meine Ausführungen zeigen allerdings, dass diese Forderungen weder in der
Schulpraxis noch in der Musiklehrer*innenbildung zur Selbstverständlichkeit
geworden sind (vgl. dazu auch Schippers, 2010, S. 42–43). In den letzten Jahren
haben allerdings viele Standorte zumindest die Studienmöglichkeiten im
künstlerischen Hauptfach auf die Stilfelder Jazz und Pop erweitert und auch
entsprechende Pflichtstudieninhalte eingeführt: Jazz-Pop-Arrangement, Welt-
musik, Bigband, Rockband usw. In Freiburg haben wir zusätzlich Bağlama,
Ney, Oud und World Percussion als Haupt- und Schwerpunktfächer einge-
führt. Dennoch ergibt sich die Ausrichtung des Studiums an den Musikhoch-
schulen unweigerlich aus ihrer Vergangenheit als Konservatorien für
Berufsmusiker*innen im Bereich klassischer Musik. Es bleibt also eine wich-
tige Zukunftsaufgabe, die Musiklehrer*innenbildung mit dem Ziel einer stär-
keren musikkulturellen Öffnung weiterzuentwickeln, insbesondere um
Musiker*innen aus allen Praxen musikalischer Gegenwartskultur den Zugang
zum Lehrberuf an der allgemeinbildenden Schule zu ermöglichen.
lichen Diskurs schon seit längerer Zeit gefordert wird, dass pädagogisches
Handeln sich an bedeutungszuweisungsorientierten Ansätzen ausrichten
sollte (s. z. B. Barth, i. d. B.). Die Gründe dafür sind aus meiner Sicht zumindest
anteilig im Diskurs selbst zu suchen: Die enge Fokussierung des Diskurses auf
Weltmusik und Migration und deren direkte Übernahme in die Gestaltung
von Unterrichtsmaterialien und -konzepten trägt bis heute zur Steigerung von
Eurozentrismus bei und fördert Prozesse des Othering. Diese Problemstellung
wird bereits seit einigen Jahren wahrgenommen und sowohl empirisch analy-
siert als auch systematisch bearbeitet, was z. B. an verschiedenen Beiträgen im
vorliegenden Band abzulesen ist. Claudia Cvetko rekonstruiert u. a. ein „Evolu-
tionismusmotiv“ (i. d. B.) bei der Darstellung afrikabezogener Themen und
weist damit implizit normative Kulturrelationen in Schulbüchern nach. Olivier
Blanchard verweist aus hegemoniekritischer Perspektive auf den verdeckt
wirksamen Eurozentrismus in der interkulturellen Musikpädagogik und
Bernhard Weber (i. d. B.) entfaltet anknüpfend an diese Kritik Ansätze für ein
am Poststrukturalismus orientiertes didaktisches Modell für den Musikunter-
richt. Jonas Völker (i. d. B.) zeigt gewissermaßen als Ergänzung zu der im vor-
liegenden Beitrag bearbeiteten Lehrendenperspektive, an welchen kulturellen
Repräsentationen und ethnischen Projektionen sich Lernende in der unter-
richtlichen Auseinandersetzung mit arabischer Musik orientieren.
Die starken Diskrepanzen zwischen den Erwartungen und Orientierungen
von Lehrenden und Lernenden in Bezug auf die im Musikunterricht behandel-
ten Musikstile und -kulturen zeigt die Analyse der Passage „Zuckerbrot und
Peitsche“ (vgl. ausführlicher Buchborn & Bons, i. Dr.). Die von mir befragten
Lehrer*innen orientieren sich nach wie vor an einem Musikunterricht, der sich
in der Hauptsache um das ‚kulturelle Erbe‘ der klassischen Musik dreht, auch
wenn sie privat ganz andere Musikvorlieben haben, selbst an dieser ihnen
übertragenen beruflichen Aufgabe zweifeln und zudem von den musikali-
schen Interessen der Schüler*innen sowie deren anders gelagerten Motivation
wissen. Daran wird die starke Wirkung der institutionellen Rahmung des
professionellen Handelns von Musiklehrkräften deutlich, die sowohl in der
Schule als auch in der Musiklehrer*innenbildung stetig aktualisiert und repro-
duziert wird. In diesem Kontext arbeitet Bernd Clausen (i. d. B.) im vorliegen-
den Band heraus, dass in der Musiklehrer*innenbildung die Einbindung einer
Vielzahl musikbezogener Praxen nach wie vor ausbleibt und damit Verände-
rungsprozesse verhindert werden.
Auch meine Rekonstruktionen zeigen, dass die Musiklehrer*innen nach
ihrem Studium mit dem Gefühl in die Schule gehen, für die Vermittlung
heterogener Erscheinungsformen von Musik und für das vielfältige The-
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Die facettenreiche Fachdiskussion der letzten 70 Jahre zur Einbindung von so genann-
ter außereuropäischer Musik, Folklore, Welt- oder Migrantenmusik in den Musikun-
terricht und die Berücksichtigung von inter-/multi- oder transkulturellen Haltungen
oder Ansätzen in der Musiklehrendenbildung in der Bundesrepublik Deutschland un-
terscheiden sich vom angloamerikanischen Diskurs in Abhängigkeit der jeweiligen so-
ziokulturellen und bildungspolitischen Agenden, aber auch der Begriffsverwendung.
Vereinzelt lassen sich Schnittmengen erkennen. Dieser Beitrag skizziert auf der Basis
einer literaturanalytischen Synopse zum einen diese Entwicklungen und argumentiert
zum anderen mit Georg Bollenbecks Deutungsmuster, dass in Deutschland nicht nur
ein Widerspruch zwischen musikdidaktischem und hochschuldidaktischem Handeln
auszumachen ist, sondern ältere Legitimationsfiguren in der Musiklehrendenbildung
weiterhin aktiv sind.
Vorbemerkung
grund der für viele Jahre sehr prominenten, mittlerweile doch recht gesättig-
ten Begriffsklärungen im Themenkreis Inter- und Transkulturalität angemahnt
(vgl. Clausen, 2018). Die dort dargelegten Beobachtungen und Thesen waren
als Impulse für eine Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Exklusions-
prozessen in der Hochschullehre im Fach Musikpädagogik gedacht.1 Sie lassen
sich, so wurde argumentiert, an unterschiedlichen Symptomen festmachen
(vgl. Clausen, 2018, S. 140–144):
(a) Eine Fülle von Unterrichtsmaterialien, auf die auch in der Lehre zurückge-
griffen wird, demonstriert verschiedene unterrichtliche Visionen, denen
mit Blick auf andere Musiken allesamt kein Regel-, sondern ein Sonderfall
musikunterrichtlichen Handelns vorschwebt.
(b) Die Anforderungen bei der Zulassung zu einem Lehramtsstudiengang
Musik schließen mehrheitlich Diversität in den Musikpraxen aus.2
(c) Lehr-/Lerninhalte von Lehramtsstudiengängen Musik sind nach wie vor
in künstlerischer Praxis, Musiktheorie und Musikwissenschaft hauptsäch-
lich monokulturell ausgerichtet.3
Mit dieser Problematisierung soll bereits Erreichtes gar nicht negiert werden.
Jedoch artikuliert die Behandlung von Inter- oder Transkulturalität als Teilbe-
reich der Musikpädagogik nicht nur in der Diktion Exklusivität an einer Stelle,
die eigentlich, nimmt man die intensiven terminologischen Debatten spätestens
seit den 1970er Jahren dazu ernst, ein kulturessentialistisches Verständnis von
Musik grundsätzlich hinterfragen müsste (vgl. Blanchard, 2018, 2019). Das gilt
insbesondere für die im Mittelpunkt dieses Beitrages stehende Hochschullehre.
1 Deutungsmuster
Hermann Josef Kaisers (2002) Vorschlag, ausgehend von den von ihm identifi-
zierten Bedeutungszuweisungen von Musik eine Begriffsbestimmung musika-
lischer Bildung über den Praxisbegriff zu modellieren, hat in den letzten Jahr-
zehnten zweifellos erheblichen Einfluss auf das musikpädagogisch angeleitete
Nachdenken über Musik, vor allem jedoch auf den Musikunterricht gehabt.
1
Vgl. auch Bradley (2006).
2
Juliet Hess (2017) gebraucht z. B. den Begriff „normative music education“. Siehe auch die
Untersuchung zu den Anforderungen in den bundesrepublikanischen Eignungsprüfungen
(Buchborn, 2019).
3
Zu diesem Befund siehe schon Stroh (2000, S. 146). Zum Verständnis von monokulturell vgl. das
Twelve Continuum Transmission Framework (TCTF) (Schippers, 2010a, b).
Nicht gefasst wird damit allerdings die spezifische Bedeutung des Bildungs
begriffs in der Musiklehrendenbildung, obwohl Kaisers Ausführungen prinzi-
piell dazu den Raum öffnen könnten. Denn Kaiser weist u. a. darauf hin, dass
wir in Hinsicht auf den schulischen Musikunterricht immer noch von „Legiti-
mationsfiguren“ vergangener Zeiten leben, die allerdings „nicht länger gelten“
(Kaiser, 2002, S. 6). Daher hätten wir uns von verschiedenen Vorstellungen zu
verabschieden. Für die Lehramtsausbildung ist diese Feststellung angesichts
des Zulassungsszenarios (Eignungsprüfung) und der weitgehend kulturessen-
tialistisch aufgebauten Studienverläufe kaum zutreffend. Denn die von Kaiser
obsolet gewähnten Legitimationsfiguren und Argumentationen für den Mu-
sikunterricht sind in der Musiklehrendenbildung durchaus noch sehr wirk-
sam. Mit dieser Auffassung geht die Ansicht einher, dass für die Hochschul-
lehre eine Trennung zwischen Bildung und Ausbildung nicht hilfreich ist,
sondern vielmehr die Spannungsfelder Wissenschaft (Kunst), Praxis und Per-
son stets neu auszuloten sind (vgl. Huber, 1983).4
Sich musikalischer Bildung als Verbaldefinition, „die einen ganzen Begriff se-
miotisch zusammenfassen will“ (Bollenbeck, 1996, S. 15) zu nähern, muss
scheitern. Um seine Ebenen und ihre Verbindungen zu vergangenen Auffas-
sungen und Überzeugungen zu beschreiben, mithin die kollektiven Einstel-
lungen, die Musiklehrendenbildung beeinflussen, sichtbar zu machen, hilft es,
auf das Interpretationsmodell des Deutungsmusters zurückzugreifen. Bollen-
beck versteht darunter Folgendes:
4
Der Gedanke von Huber macht deutlich, dass in der Musikpädagogik zwar Anlässe zur
Selbstreflexion ihrer Hochschuldidaktik, zuletzt im Umfeld der Studienreform (Bologna-
Prozess), gegeben waren, darüber hinaus gehende Überlegungen aber kaum zu bemerken
sind. Zwar werden Formate (z. B. Forschendes Lernen) in der Musikdidaktik und der musik-
pädagogischen Forschung in den Blick genommen, Versuche über eine (simple) Gegenüber-
stellung von Bildung und Ausbildung mit Blick auf Musiklehrendenbildung sowohl in der
Theoriebildung als auch in der Curriculumentwicklung selbst hinauszugehen, sind dagegen
kaum auszumachen.
5
Eine weitere Ausschärfung der ideologischen Funktion bleibt dieser Beitrag aus Platzgrün-
den schuldig. Angemerkt sei jedoch, dass eine weitere Analyse vermutlich auf Narrative wie
Nation und Identität (vgl. Applegate & Potter, 2002) oder Tradition und Leitkultur (vgl. Ehren-
forth, 2008) stoßen wird, die das Deutungsmuster unterstützen, wenn es sie nicht sogar inkor-
poriert.
2 Ordnungsversuche
Bollenbeck weist darauf hin, dass das Deutungsmuster keine feste Größe sei,
„vielmehr bewährt sich seine Prägekraft in den jeweiligen historischen
Abwandlungen“ (1996, S. 20). Bevor im weiteren Verlauf diese historischen
Dimensionen anhand einer Synopse näher in Augenschein genommen wer-
den, ist es vonnöten, auf die in der deutschsprachigen Fachliteratur zu beob-
achtenden Ordnungsversuche hinzuweisen. Mit ihnen lässt sich die Wirkkraft
des Deutungsmusters beschreiben, weil über die Strukturierungsabsichten
am Vokabular Einstellungen sichtbar werden, die es zugleich kommunikativ
beweglich halten.6
6
Vgl. Bollenbeck (1996, S. 20).
Thomas Ott (2012) identifiziert mit einem geschichtlichen Blick auf den Dis-
kursverlauf zum einen eine migrationsbezogene Linie, die mit dem pädagogi-
schen Interesse am Menschen beginnt, zu dessen Musikkultur führt und fragt,
„ob und wie diese Kultur im Musikunterricht eine Rolle spielen könnte“ (ebd.,
S. 115). Die musikalischen Interessen und Praxen von „Einwandererkindern“
stehen im Fokus (ebd., S. 115), überdies ist der Umgang ein von außen auferleg-
tes Erfordernis. Zum anderen erkennt er eine musikkulturelle Linie. Sie „beginnt
mit dem Interesse an bestimmten Musikstilen und führt (vielleicht) zur Frage
nach den Menschen, die sie geschaffen haben“ und geht von „der intrinsischen
Motivation der Lehrperson und der Lernenden“ (ebd., S. 115) aus. Diese Linie
sei kulturtheoretisch beeinflusst. Mit diesen Hauptlinien will Ott zum einen
historische Entwicklungsstadien zeigen, diese aber zum anderen durchaus
noch als wirksam verstehen.8
7
Vgl. auch Clausen (2013).
8
Vgl. auch die Unterscheidung bei Dorothee Barths Analyse von Unterrichtsmaterialien zwi-
schen einem Ansatz, der das Verstehen und einem, der das Erfahren in den Mittelpunkt stellt.
Beide werden von der Autorin umgehend problematisiert. Der erste, an ein (altes) Verständnis
von Musikethnologie angelehnte Ansatz bringe das Problem der Darstellung der Komplexität
von Musikkulturen mit sich, der zweite werfe die Frage nach Authentizität auf. So ergeben
sich für Barth Unterrichtsmaterialien, die entweder in einer musikethnologischen oder einer
ausländerpädagogischen „Tradition“ stehen (2000, S. 33–34). Barth übersieht in ihrer Ein-
schätzung freilich Entwicklungen in der Ethnomusikologie, vor allem aber in der anglo-
3 Analyse
Es ist nicht die einzige Stelle, in der Schippers auf einen deutschen Musikbe-
griff des 19. Jahrhunderts rekurriert, dem er nach wie vor großen Einfluss auf
musikpädagogisches Handeln über die Grenzen seines Entstehungsraumes
hinweg zuschreibt. Hingewiesen sei zumindest auf seinen Beitrag „Blame it on
the Germans“ von 2004, in dem er die Lehrendenbildung an Musikhochschu-
len kritisch in den Blick nimmt. Diese Sichtweise führt vor dem Hintergrund
des bisher Gesagten zur Frage, wie sich das Deutungsmuster bei einer Gegen-
überstellung von deutschem und englischsprachigem Diskurs verhält. Mit
Hilfe einer Synopse, die den Umgang mit dem Themenkreis Inter-/Multi- und
Transkulturalität etc. im Zeitraum von etwa hundert Jahren (1917–2018) und im
Vergleich mit angloamerikanischen Diskursen (vor allem USA) gegenüber-
stellt, werden die begonnenen Erörterungen bei Clausen (2018, S. 127–128) fort-
gesetzt, um einer Antwort auf diese Frage näherzukommen.9
amerikanischen Music Education der letzten Jahrzehnte und die dort präsenten Problemati-
sierungen des Begriffes Authentizität (z. B. Palmer, 1992; Swanwick, 1994; Johnson, 2000; siehe
auch Kallio, Westerlund & Partti, 2014).
9
Vgl. Clausen in diesem Band.
In der Zusammenschau der Diskurse entlang einer Zeitleiste werden das zeit-
lich Versetzte sowie Ähnlichkeiten und Unterschiedlichkeiten in den beiden
Diskursen recht schnell deutlich. Sie lassen sich mit fünf Beobachtungen über-
blicksartig beschreiben:
(3) In den Vereinigten Staaten wird die Thematik vorwiegend über den natio-
nalen Verband (MENC) in den musikpädagogischen Fachdiskurs eingespeist,
mithin gelenkt.10 Die Wirkung der ISME in Bezug auf die Platzierung solcher
Themen in der deutschen Musikpädagogik kann vorerst als gering einge-
schätzt werden. Die Rollen des VDS (für die letzten Jahre auch des BMU) und
des AfS (1953–2015) sind noch nicht untersucht; der Deutsche Musikrat vertritt
als Dachverband zahlreicher Interessen- und Lobbygruppen eine indifferente
Position, wie an den in den letzten Jahren publizierten Verlautbarungen deut-
lich wird, die den Begriff Vielfalt in den Blick nehmen.11
10
Seit 1934 MENC=Music Educators National Conference; 2011 wurde der Name auf National Asso-
ciation for Music Education (NAfME) geändert.
11
Vgl. z. B. Deutscher Musikrat (2006, 2008). Siehe auch das unter diesem Label in Diktion
bedenkliche und inhaltlicher Substanz recht wirre Konglomerat (Deutscher Musikrat, 2016).
12
Siehe dazu das in allen Einzelbänden dieser Reihe fast wortgleiche Vorwort.
”Music education has its own history of exclusion, a history that continues to
self-perpetuate in part due to the imposition of colonial value judgments upon
musical genres and practices. Rock musicians, West African drumming masters,
North Indian classical musicians and many other specialists, unless they are also
expert in Western art music, are not likely to find spots in North American
university music education programs premised on Western classical music.“
(Bradley, 2006, S. 24)
Das dreimalige Aufblitzen von außereuropäischer Musik hängt einerseits mit ver-
einzelten Beispielen aus der Weimarer Zeit im Umfeld der Musikvermittlungs-
bemühungen der Berliner Musikethnologen und dem Aufkommen der Schall-
platte zusammen, andererseits rückt dieser Begriff kurz nach dem 2. Weltkrieg
und dann über die UNESCO-Kommission besonders in den 1970er Jahren in den
Werden aus dem Gesamtkorpus der Synopse (Clausen, i. d. B.) jene Beiträge
extrahiert, die die Aspekte Musiklehrendenbildung und Hochschuldidaktik
thematisieren, sind im Zeitraum zwischen 1986 und 2018 nach gegenwärtigem
Stand 32 Beiträge auszumachen, die sowohl curriculare Architekturen und
Lehr-/Lernangebote in den Blick nehmen als auch Musiklehrendenbildung in
unterschiedlichen Perspektiven. 26 Aufsätze sind englisch-, sechs deutschspra-
chig: Jens Peter Reiche (1978), der sich auf das Hamburger Modell der 1970er Jahre
(vgl. Rauhe 1971, 1974) bezieht, Ellen Hickmann (1987), Wolfgang Martin Stroh
(2000), Bernd Clausen (2004, 2018) sowie Andreas Kloth (2008). Das in der musik-
pädagogischen Literatur der 1970er Jahre vielfach diskutierte Hamburger Modell
ist nach momentanem Wissenstand das einzige nachweisbare Studienangebot,
das sich musikethnologischen Lehrveranstaltungen geöffnet hat.13 Dabei steht
der Vergleich im Mittelpunkt, wie ihn ja auch Siegmund Helms in seinen Über-
legungen immer wieder hervorhebt.14 Reiche schreibt dazu:
„Bei dem Konzept, das wir für die Einführung des Faches in die Lehrerbildung
an der Hamburger Musikhochschule entwickelt haben, sind wir von der Über
legung ausgegangen, daß sich wissenschaftspraktisches Know-how (I.) und wis-
senschaftstheoretische Reflexion (IV.) aus der Betrachtung des Gegenstands in
13
Inwieweit die Absichten, die Stroh formuliert, im Oldenburger Studiengang umgesetzt wur-
den, ist bisher nicht untersucht.
14
Es war im Übrigen Ellen Hickmann, die, aus dem Schuldienst kommend, ab 1974 einen Lehr-
auftrag für Musikethnologie an der Hamburger Musikhochschule übernahm, bis sie 1976
nach Hannover berufen wurde. Die hochschuldidaktische Bedeutung der Musikethnologie
bestand – wie auch für Kuckertz und Reinhard – eher in einer abbilddidaktischen Funktion
(vgl. Hickmann, 1987).
Gang setzen lassen. Dieser Gegenstand war von vornherein – bezogen auf die
Unterrichtseinheit – nicht als Einzeldarstellung einer bestimmten Musikkultur,
sondern als interkultureller Vergleich definiert.“ (Reiche, 1978, S. 178)
In diesem Kontext sei ein Vorschlag von Erhard Karkoschka (1969) hervorgeho-
ben, der aus historischem Blickwinkel für diese Zeit recht innovativ ist, aller-
dings folgenlos blieb. Der Autor gibt die Ergebnisse einer Studie zu den musik-
theoretischen Abschlussprüfungen wieder und regt Veränderungen an, zu
denen auch die Berücksichtigung „außereuropäischer Musik“ im Theorie
unterricht gehört:
Solche Beispiele sind äußerst rar. Dass die Schaffung einer solchen Wahlmög-
lichkeit bis heute kaum Widerhall im hochschuldidaktischen Musiktheorieun-
terricht findet, verstärkt einmal mehr die oben formulierte Frage nach den
Gründen für diese Resistenz.
3.3.2 Musiklehrendenbildung
„In conclusion, music educators (and arts educators in general) require a philoso-
phy of multicultural education that is conservative in its concern for preserving
the integrity of music cultures (dance cultures, etc.) of the American macrocul-
ture, yet liberal insofar as it goes beyond particular cultural preferences to con-
front beliefs systems, processes, and problems, including the shared concerns of
musicians from emerging music cultures.“ (Elliot, 1990, S. 162–163)
3.4 Resümee
Abgesehen von dem offensichtlichen Befund, dass der deutsche Diskurs die
Musiklehrendenbildung kaum im Blick hat, zeigt die Analyse der Synopse im
Kontrast zu den angloamerikanischen Debatten noch weitere Perspektiven. Es
bestätigt sich zum einen, was oben am Beispiel Kaisers nur angedeutet wurde:
Das Deutungsmuster musikalische Bildung wird durch begriffliche Differen-
zierungen, die von einer Vielzahl von Bezugnahmen und Entlehnungen aus
anderen Wissenschaftsdisziplinen gespeist sind, an jenen Stellen gedehnt, an
denen es gegenüber seinen historisch aufgeladenen kulturessentialistischen
Vorstellungen von Musik herausgefordert wird. Dies schlägt sich in der musik-
pädagogischen Literaturlandschaft nicht nur in den vielfach vertretenen Bei-
trägen zur Begriffsbestimmung nieder, sondern ist auch in der musikdidakti-
schen Literatur (Lehrmittel) in additiver Form (europäische Musik plus andere
Musik) ablesbar. Zum anderen scheitern die wenigen Beispiele, die diese Ein-
stellung auf die Musiklehrendenbildung zu übertragen versuchen, sowohl in
der Vergangenheit (z. B. Karkoschka, Reiche) als auch in der Gegenwart. Das
Deutungsmuster, genauer gesagt das gedehnte Verständnis von musikalischer
Bildung als inter- oder transkultureller Musikunterricht, wirkt zwar auf die
konzeptionellen Ebenen der Musikdidaktik, zieht sich aber bei Inblicknahme
der Hochschuldidaktik auf einen kulturessentialistischen Kern zusammen.
4 Schlussbemerkungen
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Besinnung und Theoriebildung bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts hatte (vgl. Eggebrecht, 1984, S. 315). Mit ihm beginne gar die Reihe der
klassischen Denker zur Humanisierung der Menschheit durch die Musik (vgl.
Abel-Struth, 1985/2005, S. 29), wobei auch seine Vorstellungen vom Volkston
als Grundlage der Humanität für die sich etablierende neuzeitliche Musik
pädagogik zentral seien (vgl. Nolte, 1986, S. 83).
Über seine Positionen zur Erziehung durch Musik ist bereits viel geschrieben
worden (vgl. Cvetko, 2006), überdies ist er in der wissenschaftlichen Musikpä-
dagogik vor allem durch Befürworter einer Transkulturellen Musikpädagogik
in negative Schlagzeilen geraten und zahlreich diskutiert worden (zusam-
menfassend und gegen die Kritiker vgl. etwa Cvetko, 2018, S. 18–22). Doch
mag er hier erneut aufgegriffen werden, da es ihn aus dem engen ostpreußi-
schen Mohrungen umtriebig in die weite Welt zog, er sich mit Interkulturali-
tät, Musik und Pädagogik zusammenhängend auseinandersetzte und sich
einige seiner damit in Verbindung stehenden Aporien (wenngleich mit ande-
ren Etikettierungen) wie ein roter Faden bis heute durch die Geschichte der
Interkulturellen Musikpädagogik ziehen. Herders quälende Fragen, die er
nicht lösen konnte, werden etwa am Beispiel der von ihm gesammelten und
herausgegebenen Volkslieder in besonderer Weise evident. Seine Sammlun-
gen von Volksliedern aus aller Welt, die später den Titel „Stimmen der Völker
in Liedern“ tragen sollten, waren durchaus pädagogisch motiviert und sollten
dazu dienen, den Menschen die Vielfalt zu zeigen, sie aber auch vor dem Ver-
gessen zu retten (für die folgenden Ausführungen zu Herder vgl. Cvetko,
2006, S. 243–253, 185–193 und 382–400; Cvetko, 2008, S. 97–149; Cvetko, 2013,
S. 184–189; Cvetko, 2014, S. 301–307; Cvetko, 2018, S. 18–29).
Herder konnte sich zeitlebens für die Schriftlosigkeit noch nicht zivilisierter
Völker erwärmen, denn deren Gesänge seien das „Archiv des Volkes“ (Her-
der, 1777/ed. 1893, S. 532). Mit Einführung der Schrift sei der größte Teil die-
ses alten ursprünglichen Worts zu Grabe getragen worden. Zu seinen Leb-
zeiten beteiligte er etwa auch Goethe an seinem Projekt, der die Lieder
gerade noch rechtzeitig „aus den Kehlen der ältesten Müttergens“ (Goethe,
1771/ed. 1997, S. 239–240; vgl. auch Braungart, 1996, S. 19–23 und Cvetko,
2006, S. 247, Anm. 1106) aus dem Elsaß mitgebracht haben soll. Gleichwohl
sammelte er die Lieder für die Drucklegung seiner Volkslieder und geriet
damit in eine Aporie, die schon für die Gregorianischen Gesänge galt, deren
Herder konnte sich für den Menschen als Individuum begeistern, er erscheint
in seinen opulenten Werken geradezu als ein rechter Menschenfreund jedes
einzelnen Individuums. Doch so sehr ihm die Individualität am Herzen lag
und seine Perspektive häufig auf den Einzelmenschen gerichtet war (so beim
Singen als Möglichkeit, sich individuell auszudrücken), lässt sich – das ist
typisch für Herder – janusköpfig auch das gerade Gegenteil konstatieren:
„Im Unterschied zu Rousseau, aber auch zu Humboldt, Goethe und Schiller, die
mehr von einer individualisierten Sicht des Menschen ausgehen, betont Herder
die Verankerung des einzelnen im Volksganzen. Er sieht den Menschen nicht nur
in seiner Individualität, sondern und vor allem in seiner Eigenschaft als Mitglied
seines Volkes, in einer Eingebundenheit in kulturelle, gesellschaftliche und his-
torische Bezüge“ (Nolte, 1982, S. 101–102).
Kein Wunder also, dass Herder Lieder nach Völkern sammelt und damit von-
einander abgrenzende Konturen im Sinne von Kulturgemeinschaften schafft.
Befürworter begrüßen das. So beschreibt etwa der Musikwissenschaftler Dra-
gotin Cvetko, junge Slowenen zu Beginn des 19. Jahrhunderts seien begeistert
gewesen ob der national-kulturellen Würdigung der Slowenen in Herders
„Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (vgl. Cvetko, 1975,
S. 148). Kritiker wie Welsch sehen darin die Fundamentalisierung der Diffe-
renz, eine Abschottung der Kulturen, wie Kugeln, die sich abstoßen (vgl.
Cvetko, 2008, S. 100–109). Welsch und seine Befürworter erkennen die Gefahr
eines hermetischen Kulturbegriffs und üben Kritik an einem möglichen Kul-
turrelativismus. Hingegen warnen Welschs Gegner vor einer gewissen Kon-
turlosigkeit im Hinblick auf den Kulturbegriff und sehen die Gefahr einer
globalen Homogenisierung, die zur Auflösung von Interkulturalität führen
kann (vgl. Assmann, 2001, S. 50–54, Cvetko, 2008, S. 118 sowie Cvetko, 2014,
S. 304). Herder selbst, so glaubt die einschlägige Forschung (vgl. Cvetko, 2006,
S. 395–396), wollte die Völker in der zweibändigen Volksliedsammlung nicht
abgrenzen, sondern das gemeinsame Band der Menschheit in allen Zeiten
dokumentieren und mittels zunehmend kultivierterer Lieder zwischen vier
Buchdeckeln ein Abbild des Humanitätsgedankens schaffen (vgl. z. B. Hey-
bey, 1950/51, S. 55).
Damit einher geht die dritte Aporie, denn zum einen scheint lediglich das
Abbilden einer humanisierten Gesellschaft bescheiden wenig zu sein, zum
anderen bleibt der Bildungsauftrag bei Herder damit erstaunlich offen. Dabei
schleicht sich zusätzlich ein Grundproblem ein, mit dem sich auch die moderne
Erziehungswissenschaft beschäftigt: Ist der Mensch als universales Wesen
eine anthropologische Konstante oder wird er kulturbedingt gebildet? Die
(ungelöste) Anlage-Umwelt-Diskussion lässt sich damit also in einiger Klarheit
schon im 18. Jahrhundert finden.
Wenn man so will, setzten sich die Aporien Herders mit anderen Termini und
in anderen Kontexten fort, beschaut man etwa die Entwicklung der Musik
ethnologie seit den 1880er-Jahren, die sich ursprünglich als Vergleichende Mu-
sikwissenschaft verstand und sich gegenwärtig als Ethnomusikologie bezeichnet.
Protagonisten waren etwa Carl Stumpf, Erich Moritz von Hornbostel und Curt
Sachs. Letzter, ein Student Hermann Kretzschmars, beschreibt die Problema-
tik, Gesänge der Forschungsreisenden aufzuzeichnen. Ein Reisender habe gar
die Melodie eines in Afrika gehörten Liedes Monate hindurch vor sich hinge-
pfiffen, um diese dann später in London in Noten aufzeichnen zu lassen. Über-
haupt habe erst das sog. „Centsystem“ eine Möglichkeit geschaffen, andere
Tonsysteme als das europäische zu transkribieren. Ein Kompromiss lag
schließlich in der Erfindung des Phonographen und der Aufzeichnung auf
Wachswalzen (wie man sie noch heute im Berliner Phonogrammarchiv be-
wundern kann), was die Frage hinsichtlich der Schriftlosigkeit vs. Schriftkul-
tur (Aporie 1) noch immer nicht vollständig löste: „Unbefriedigend bleibt nach
wie vor die Umsetzung der phonographischen Aufnahme in europäische
Noten“ (Sachs, 1930, S. 3–8). Unlösbar schien zudem die Frage (Aporie 2) nach
der regionalen Eingrenzung der damals so verstandenen Naturvölker, die in
Theorien der sog. „Kulturkreislehre“ mündeten (vgl. Kohl, 2012, S. 135–137).
Diese Lehre hatte u. a. bei Sachs zur Annahme geführt, bei den Naturvölkern
hätten sich frühmenschliche Zustände getreu gehalten, die man als Vorstufen
der Musikgeschichte auffassen könnte. Schließlich bleiben die Bezüge zur Päd-
agogik nebulös: Auch wenn Sachs seine Vergleichende Musikwissenschaft
(1930) in Leo Kestenbergs Schriftenreihe Musikpädagogische Bibliothek veröffent-
lichte und im Vorwort betont, der Zweck des Buches sei, „daß breiteren musi-
kalischen und pädagogischen Kreisen das Wesen und der erzieherische
Die Frage nach der Schriftlosigkeit vs. Schriftkultur (Aporie 1) bleibt auch im
20. Jahrhundert virulent (vgl. z. B. Suppan, 1970, S. 119–121). Man fragt sich, ob
ursprüngliche Gesänge in ihrer Authentizität erhalten bleiben, wenn man sie
sammelt und aufzeichnet. Bis heute werden schriftlose Kulturen und in dieser
Weise das uns Fremde gewürdigt; so pointiert Thomas Ott für die afrikanische
Musik der Dritten Welt: „Stirbt ein Greis, brennt eine ganze Bibliothek“ (Ott,
1998, S. 311–312), um das komplementäre Potenzial aus dem Fremderleben mit
anderen Kulturen aufzuzeigen. Zudem fehlt es nicht an der „Warnung vor dem
abendländischen Vorsprung, denn dieser lasse zuweilen die Mikro- und Kom-
matöne der anderen Kultur verschwinden“ (Merkt, 1993, S. 147–148). Ferner ist
ein Themenheft der Diskussion Musikpädagogik (4/1999) dem Thema Oral Culture
gewidmet, um (auch in Bezug auf Afrika) Grenzen und Potenziale für den
aktuellen Musikunterricht, insbesondere für den Umgang mit schriftlich
fixierten Noten, herauszuarbeiten.
Als am virulentesten erweist sich die Auseinandersetzung mit der Frage
nach der Auflösung hermetischer Kulturbegriffe zugunsten der Perspektive
auf das Individuum (Aporie 2). In diesem Zusammenhang hat der Philosoph
Wolfgang Welsch 1994 in der Musikpädagogik geradezu einen Tsunami ausge-
löst und viele Befürworter hinter sich bringen können, die einige Sympathien
dafür haben, Kultur nicht holistisch aufzufassen, sondern den kulturellen
Mischling in einer transkulturell verfassten Gesellschaft zu fokussieren (vgl.
Cvetko 2008, S. 100, Anm. 16 und 101–109 sowie Cvetko 2014, S. 301–307 und
Cvetko 2018, S. 21–24). Nur dieser weise der Kultur Bedeutung zu, nicht aber
oktroyierend die Gesellschaft als Kulturgemeinschaft. Hatte Wolfgang Welsch
zu Unrecht Herder als Symbol eines hermetisch verstandenen Kulturbegriffs
zur Veranschaulichung gewählt, so ist ihm entgangen, dass Herder selbst ein
guter Gewährsmann in seinem akademischen Diskurs gewesen wäre, der in
bestimmten Zusammenhängen dem Transkulturellen gar größere Chancen
einräumt als dem Interkulturellen (dem Dazwischen). Das Schwinden der
Grenzen hat weitreichende Folgen, etwa das notwendige Verschwinden der
Musikethnologie und der Ethnomusikologie, wie Martin Greve das eindrück-
lich beschreibt (vgl. Greve, 2002). Es hat gleichermaßen den intensiven Blick auf
das Individuum als Abkehr von Perspektiven auf kulturelle Einheiten oder auf
Individuen im „Volksganzen“ zur Folge. Und es mag eine logische Verkettung
sein: Die Kritik an hermetischen Kulturbegriffen (auch wegen Gefahren in Be-
zug auf einen Kulturrelativismus) sowie die am Universalismus1 (was in Teilen
auch für Herders Volksliedsammlung gilt) führen letztlich auf nur eine Per-
spektive, nämlich auf das Individuum. Standen noch in Conny Froboess’ Schla-
ger Zwei kleine Italiener (1962) die Italiener als pars pro toto für die (!) Italiener
und unterstrichen die Autoren von Musikbuch – Primarstufe B (1975) Stereotypi-
sierungen mit Fragen „Wie singt man in Spanien? Wie in anderen Ländern?“
(S. 9), finden sich auch damals schon Beispiele, welche das Individuum stärker
in den Vordergrund rücken: So wird in Udo Jürgens‘ Lied Griechischer Wein
(1974) als erzählter Geschichte auf Situationen und Sehnsüchte der Männer mit
braunen Augen und schwarzem Haar sowie auf die eines Einzelnen aufmerk-
sam gemacht („… als man mich sah, stand einer auf und lud mich ein … und
wenn ich dann traurig werde, liegt es daran, dass ich immer träume von da-
heim … denn ich fühl’ die Sehnsucht wieder, in dieser Stadt, werd’ ich immer
nur ein Fremder sein, und allein …“), und auch die Autoren des Schulbuchs
Dudelsack. Unser Musikbuch (1976) erzählen die Herkunftsgeschichte von Ali
und seiner neuen Heimat in Deutschland (S. 42–43) (vgl. Cvetko, 2016, S. 76–79).
1
Die „universelle Sprache der Musik“ gibt es nicht (Baumann, 1996, S. 177), auch sei die Vermi-
schung fremder Kulturen mit dem Sound einer universellen „Worldmusic“ eine Gefahr (vgl.
Gruhn, 1998, S. 8 und 10).
Hinsichtlich der hier vorgestellten Aporie 3 findet sich eine Fortsetzung der
Geschichte: Hatte noch Herder geglaubt, er könne mit seinen Volksliedkompi-
lationen das Abbild einer humanisierten Gesellschaft dokumentieren, ohne
dabei der Formulierung eines Bildungsanspruchs Rechnung zu tragen, skiz-
ziert auch Wolfgang Welsch lediglich das Abbild einer transkulturell verfass-
ten Gesellschaft, ebenso ohne eine pädagogisch motivierte Perspektive daraus
abzuleiten (vgl. die fundierte Kritik an Welsch bei Mendívil, 2012, S. 43–61).
Was schließlich heißt das für die Pädagogik, wenn sie zur Kenntnis nimmt,
dass die herkömmlichen Grenzen schwinden und die Gesellschaft bereits
einen transkulturellen Zuschnitt aufweist? Macht es künftige Pädagoginnen
und Pädagogen im Hinblick auf interkulturelle Themen arbeitslos?
Was bleibt?
Aus der Perspektive der Historischen Musikpädagogik wirken besonders die
Aporien 2 und 3 nach: Der Publikationsoffensive Welschs im Jahr 1994 folgte
1996 unmittelbar eine Tagung mit dem Titel „Tage Transkultureller Musik
erziehung“ an der Universität Bamberg. Besieht man den Tagungsband Musik
transkulturell erfahren, findet sich nur wenig, was man mit dem Transkulturel-
len verbinden könnte, die Intention bleibt nebulös. Indessen finden sich in einer
viel späteren Publikation, dem Musiklehrwerk MusiX (2011), Gedanken zur
Transkulturellen Musikpädagogik (vgl. auch Cvetko, 2016, S. 81). Im dazugehöri-
gen Lehrerband heißt es:
„Noch ein weiterer Gedanke spielt hierbei eine wichtige Rolle: Individuen sind
nicht mehr in gleichem Maße wie früher nur von den kulturellen Konventionen
und Traditionen ihres eigenen Kulturkreises geprägt, sondern werden von allerlei
Einflüssen disponiert. Der deutsche Philosoph Wolfgang Welsch nennt das durch
mehrfache kulturelle Anschlüsse geprägte Individuum einer Gesellschaft des-
halb einen ‚kulturellen Mischling‘ …“ (MusiX, 2012, Lehrerband, S. 211, Hervor
hebung von AJC)
Folgende Aspekte sind mit Blick auf diesen Welsch-Bezug hinsichtlich der
praktischen Umsetzung samt daraus resultierender Konsequenzen in MusiX
auffällig (vgl. MusiX, 2011, Schülerband, Kap. 20, S. 232–243, bes. 232–237):
– Das Fremde und das Eigene werden in allgemeiner, recht abstrakter Weise
thematisiert.
– Es findet insgesamt kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit fremden
Kulturen an sich statt. Man gewinnt den Eindruck, holistisch anmutende
Kulturverständnisse sollten vermieden werden.
„Ganz Europa lacht wie du, spitz die Ohren, hör mal zu: HO-HO sagt der
Schotte in seinem Schottenrock, in Italien Signorina singt HI-HI in Rimini. Der
Matrose HA-HA lacht in Hamburgs Hafen laut vom Mast. Ja, in Russland hört
man HU-HU fern aus dem Ural, und in Lettland lächeln nette Letten mit
nem HE-HE-HE.“
Schlussgedanken
Auch Oliver Kautny warnt vor der Gefahr einer Orientierungslosigkeit, wenn
man Homogenisierungsperspektiven meiden wollte, indem man nur noch
durch eine Heterogenitätsbrille schaut, denn auch „Identität – und damit die
wechselseitige Anerkennung von Individuen – [ist] zu einem gewissen Grad
auf Kollektivität, auf Homogenisierung und Vereinfachung angewiesen“
(Kautny, 2012, S. 18, vgl. auch Ott, 2012).
Schließlich bleibt die drittgenannte Aporie nicht weniger virulent: Das Abbil-
den einer humanisierten Menschheit (vgl. Herder), das Abbilden von For-
schungsliteratur (vgl. Rabsch) und auch das Abbilden einer transkulturell
verfassten Gesellschaft (vgl. Welsch) liefern noch keineswegs Ziele Interkultu-
reller Musikpädagogik. Vielmehr gibt es über diese im aktuellen Diskurs noch
immer keinen Konsens. Doch das Bewusstmachen weit zurückliegender und
noch immer aktueller Aporien mag hierfür dienlich sein sowie einer mögli-
chen Tendenz zur Inhaltslosigkeit und Karikatur (MusiX mag hier als ein Bei-
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Ein Literaturüberblick zu pädagogischen Sichtweisen und
Perspektivierungen des Begriffs
Der vorliegende Beitrag betrachtet, wie der Begriff kulturelle Identität in der Inter-
kulturellen Pädagogik und der Migrationspädagogik diskutiert, bestimmt und ge-
nutzt wird. Ausgehend von musikpädagogischen Überlegungen zur Begriffsverwen-
dung werden exemplarische Texte daraufhin befragt, welche Auffassungen von und
zu kultureller Identität dort vertreten werden. Dabei zeigen sich Abweichungen in
Hinblick auf das Verhältnis von Individuen und Kollektiven, den Zusammenhang
von Kultur und Ethnizität, die berücksichtigten Perspektiven und die gezogenen
pädagogischen Schlüsse. Sie bieten Anregungen für weitere musikpädagogische Aus-
einandersetzungen.
This literature review examines how the concept of cultural identity is discussed,
defined and used in German-language intercultural and migration pedagogy. Based on
reflections from a music education point of view on the use of the concept, selected texts
are considered in terms of which perceptions of cultural identity they advocate. This
enables differences to become apparent with regard to the relationship of individuals to
groups, the connections between culture and ethnicity, the perspectives taken into con-
sideration and the pedagogical conclusions drawn. By this means, the literature review
seeks to promote further discussion of these issues in the field of music education.
Kulturelle Identität ist ein vielfach gebrauchter Begriff. Dem verbreiteten Ver-
ständnis zufolge bringt er zum Ausdruck, dass die Identitäten von Menschen
maßgeblich über ihre Teilhabe an einer Kultur definiert seien. So erscheint er
in politischen Debatten und Alltagsdiskursen, um kulturelle Zugehörigkeiten
und Zusammengehörigkeiten zu beschreiben, aber auch festzuschreiben –
suggeriert er doch eine unlösbare Verbindung zwischen Menschen und ihrer
ultur. Dabei findet er sich vor allem in Diskursen, in denen Kultur ethnisch
K
oder national konnotiert wird.
Seit seinem Aufkommen in den 1990er-Jahren stehen der Begriff kulturelle
Identität, der Wert und die Gefahren seiner Verwendung international in der
Diskussion. So stellt etwa der britische Soziologe Stuart Hall fest, dass Ethnie
und Nation für die meisten Menschen der Welt zu den wichtigsten Identifika-
tionsquellen gehörten (vgl. Hall, 1994). Andererseits tendiere der Terminus
kulturelle Identität zu Nationalismus und Rassismus: Er diene zur Rechtferti-
gung dafür, Menschen als einer Kultur zugehörig zu vereinnahmen, aber
ebenso Menschen abzuweisen, wenn sie dieser Kultur vermeintlich nicht ange-
hören. Obwohl solche Verstehensweisen von Identität als überholt gelten müss-
ten, hält Hall den Begriff für nützlich, um das Verhältnis von Menschen und
den sie umgebenden Kulturen zu thematisieren (vgl. Hall, 2004).
Im Gegensatz dazu lehnt etwa der französische Philosoph François Jullien
die Bezeichnung kulturelle Identität grundsätzlich ab. Es handle sich um ein
ungeeignetes und gefährliches Konzept, das die Grundlage für interkulturelle
Konflikte schaffe. Dabei hat Jullien vor allem im Sinn, dass Kulturen selbst
sich nicht fixieren und separieren ließen, sondern durch Vielfalt, Mischung
und Veränderung auszeichneten und allen Menschen offenstünden (vgl. Jul-
lien, 2017).
Im deutschsprachigen Raum wiederum vertritt der Philosoph Wolfgang
Welsch die These von der Transkulturalität, wonach Kulturen sich in Zeiten der
Globalisierung und Migration wechselseitig durchdringen würden. Damit
seien auch die Menschen heute von je verschiedenen kulturellen Einflüssen
und Zugehörigkeiten geprägt. Die Vorstellung kultureller Identitäten von Indi-
viduen könne daher nur aufrechterhalten werden, wenn diese Identitäten
transkulturell verstanden würden (vgl. Welsch, 1994, 2017).
Nach Auffassung Wolfgang Niekes ist die Identität eines jeden Menschen aufs
Engste verkoppelt mit den Gruppen, denen er sich zurechnet und zugerechnet
wird. Unter den übergreifenden kollektiven Identitäten schreibt er kulturellen
und ethnischen Identitäten eine gemeinsame Sonderrolle zu, da ihnen eine
herausgehobene Funktion für die Orientierung von Individuen zukomme (vgl.
Nieke, 2007).
Nieke entwirft ein „Ordnungsmodell“ (ebd., S. 86) kollektiver Identitäten, in
dem er sechs elementare „Wir-Identitäten“ ausfindig macht: Geschlecht, Alter,
1
Nieke verweist dabei auf den Lebensweltbegriff des Soziologen Alfred Schütz. Vgl. Schütz,
A. (1932/1993). Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Frankfurt a. Main: Suhrkamp.
2
Nieke bezieht sich hier implizit auf die sozialwissenschaftliche Anerkennungstheorie. Vgl.
etwa Honneth, A. (1992/2003). Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Kon-
flikte. Frankfurt a. Main: Suhrkamp.
Anders als Nieke bezieht Georg Auernheimer den Begriff kulturelle Identität
nicht auf Gruppen, sondern auf Individuen. Dabei beurteilt er das Zusammen-
spiel von Kultur und individueller Identität als weit flexibler (vgl. Auernhei-
mer, 1997, 2012).
Im Verständnis Auernheimers ist die eigene Kultur eines Menschen grund-
sätzlich durch seine Herkunft und seine soziokulturelle Zugehörigkeit vorbe-
stimmt, womit der Kulturbegriff auch hier in die Nähe von Ethnizität rückt.
Auernheimer zufolge wird die Frage nach der kulturellen Identität vor allem
dann virulent, wenn Menschen sich in einer Minderheitensituation befinden,
insbesondere als Migrant*innen. Allerdings dürfe kulturelle Identität nicht mit
kultureller Prägung verwechselt werden, wie er sie etwa im Habitusbegriff
Pierre Bourdieus3 angelegt sieht (vgl. Auernheimer, 2012, S. 73). Kulturelle
Identität gründet Auernheimer zufolge vielmehr darin, sich zu den mit der
Sozialisation erworbenen oder auch von außen zugeschriebenen kulturellen
Eigenheiten in eine spezifische Beziehung zu setzen.
3
Vgl. Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt
a. Main: Suhrkamp.
„Identität meint das Verhältnis zur eigenen Lebensgeschichte und zur Gesell-
schaft, schließt also eine Positionierung ein. Das ist der kaum umstrittene Kern
des Identitätsbegriffs. ‚Kulturelle Identität‘ könnte oder müßte demnach heißen:
mein Verhältnis zu ethnischen Zuordnungen und damit verbundenen sozialen
Erwartungen, mit anderen Worten die Gestaltung meiner ‚kulturellen Rolle‘,
zweitens mein Verhältnis zu meinem ‚Habitus‘, z. B. zu meinen sprachlichen Eigen-
heiten, und damit drittens Art und Ausmaß der Verwendung kulturspezifischer
Symbole für meine Selbstdefinition.“ (Auernheimer, 1997, S. 307)
4
Vgl. dazu auch den Begriff Othering nach Gayatri C. Spivak, etwa Spivak, G. C. (1996). Subal-
tern studies. Deconstructing historiography. In D. Landry & G. MacLean (Hrsg.), The Spivak
Reader. Selected Works of Gayatri Chakravorty Spivak (S. 203–236). London: Routledge.
„Vorherrschend ist derzeit das identifizierende Konzept, das sich aber nicht vom
Bildungskonzept trennen lässt, das in sich selbst Identitäten beansprucht und
produziert. Das Kulturelle als Prozess der Wissensbildung und der künstleri-
schen Produktion bleibt verstrickt in Identitätspolitiken und Identifizierungen.
Umgekehrt müssen kulturelle Identifizierungen nicht statisch verharren, son-
dern können in Bildungsprozesse übergehen, bei denen Identitäten wieder in
Frage stehen.“ (Ebd., S. 118)
5
Siehe etwa Meyer, T. (2002). Identitätspolitik. Vom Missbrauch kultureller Unterschiede. Frankfurt
a. Main: Suhrkamp.
mit der Bedeutung und Verwendung des Begriffs zu bedenken sind. Karl-
Heinz Flechsig resümiert diese Komplexität als „Lernproblem“ (Flechsig, 2002),
das sich der Gesellschaft im Gesamten, aber eben der Pädagogik im Speziellen
stelle.
Zu lernen sei, so Flechsig, dass die Vieldeutigkeit und Missdeutbarkeit des
Begriffs kulturelle Identität – in seinem Bezug auf Individuen zum einen, auf
Kollektive zum anderen, im Entwurf von Selbstbildern einerseits, in der Pro-
jektion von Fremdbildern andererseits – eine besonders sorgfältige Verständi-
gung über seinen Gebrauch erfordere. Es gelte, zu erkennen, dass kulturelle
Identität in Diskursen zu Globalisierung, Nationalismus oder Minderheiten
stets als ein spezifisches Konstrukt verwendet werde. Ein besonders typisches
sei demnach die Gleichsetzung von kultureller Identität mit Nation und Eth-
nie. Dagegen betont Flechsig, unter Verweis auf Auernheimer, dass Menschen
sich bei ihrer persönlichen Identitätskonstruktion in je eigener Weise auf ver-
schiedene kulturelle Bezugssysteme berufen könnten. Dies sei es, was Päda
gog*innen lernen und ihrerseits vermitteln müssten. Im Sinne Mecherils und
Messerschmidts seien sie selbst zu oft in separierenden kulturellen Kategori-
sierungen verfangen (vgl. ebd., S. 64– 67).
Bei Betrachtung pädagogischer Diskurse über kulturelle Identität stellt
Flechsig zugleich eine durchaus entgegengesetzte Tendenz fest. Identitäten
würden dort traditionell mit Blick auf die Sozialisation und Enkulturation der
einzelnen Personen diskutiert.
„Für die europäische Pädagogik bedeutet dies, dass sie von westlichen Vorstel-
lungen von individueller Persönlichkeit, einem individualistisch verstandenen
‚Selbst‘ […] bestimmt wurde. Und da auch die deutsche Pädagogik in ihrem
Mainstream individualistische Erziehungskonzepte bevorzugte, standen auch
Probleme individueller Identität im Vordergrund, während Fragen nach der
Entwicklung kultureller und kollektiver Identität in den Hintergrund traten.“
(Ebd., S. 67– 68)
Alle zitierten Autor*innen beziehen sich auf ein Verständnis, nach dem Kultur
weitgehend mit soziokultureller und damit insbesondere ethnokultureller Her-
kunft gleichgesetzt ist. Ursächlich dafür mag sein, dass sie sich mit eben den
jenigen verbreiteten Diskursen auseinandersetzen, in denen ein solches Ver-
ständnis vorherrscht. Das Augenmerk der Interkulturellen Pädagogik und der
Migrationspädagogik gilt dabei den Innenperspektiven von Menschen mit Mig-
rationsgeschichte, aber auch den Außensichten auf migrantische Gruppen. In
beiden Perspektiven fungieren ethnische Zugehörigkeiten, so die Vermutungen,
als wichtigster Bezugsrahmen kultureller Verortungen. Abweichende Auffas-
sungen zeigen sich hinsichtlich der Frage, inwiefern Menschen in der Definition
ihrer kulturellen Identitäten auf diesen Rahmen verwiesen sind, ihn überschrei-
ten oder sich von ihm ablösen können. Dies betrifft zugleich das Verhältnis vom
Individuum gegenüber dem Kollektiv: Während Wolfgang Nieke die individu-
elle Freiheit kultureller Selbstverortungen stark beschränkt sieht, verteidigen
Georg Auernheimer, Paul Mecheril, Astrid Messerschmidt und Karl-Heinz
Flechsig sie gegenüber äußeren sozialen Zwängen durch eigene oder fremde
Gruppen. Aus ihrer pädagogisch-normativen Sicht halten sie den Begriff kultu-
relle Identität für nutzbar, sofern er die Selbstdefinition der Menschen meint.
Mecheril und Messerschmidt bevorzugen dabei ein Konzept, mit dem die von
ihnen problematisierten Praktiken ethnisierender bzw. kulturalisierender
Zuschreibungen weiterhin thematisierbar bleiben. Nieke und Flechsig machen
wiederum geltend, dass kulturelle Gruppen nicht nur Bezugspunkte individuel-
ler Identitäten, sondern Angebote kollektiver Identifikation darstellten, denen
auch von pädagogischer Seite genügend Aufmerksamkeit zuteilwerden müsse.
Für die weitere musikpädagogische Auseinandersetzung mit kulturellen Iden-
titäten bieten die interkulturell- und migrationspädagogischen Auffassungen
hilfreiche Impulse. Der Überblick legt nahe, bei der musikpädagogischen Be-
trachtung und Verwendung des Begriffs kulturelle Identität eine Multiperspekti-
vität anzulegen, die seine verschiedenen Funktionen in Selbst- und Fremdzu-
schreibungen sowie für Individuen und Kollektive sichtbar macht. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass ethnisch definierten Kulturen eine Sonderrolle zukommt:
Sie dienen der Ethnisierung und Kulturalisierung von außen, können aber
ebenso das innere Selbstverständnis von Menschen prägen. Das in der Musik
pädagogik eingeführte weite, bedeutungsorientierte und konstruktivistische
Konzept von Kultur und kultureller Identität vermag diese Perspektiven zu in-
tegrieren. Dazu ist die Frage mitzudenken, wann Menschen in ihren eigenen
Identitätskonstruktionen auf ethnische Zugehörigkeiten zurückgreifen und wie
sich diese Konstruktionen zu den ethnisierenden Fremdbildern verhalten, die
sich andere von ihnen machen. Zu bedenken ist dann etwa, unter welchen Be-
dingungen Kinder und Jugendliche mit bzw. ohne Migrationsgeschichte die
Möglichkeit haben, ihre ethnischen Verortungen transkulturell zu erweitern
und andere selbstempfundene Zugehörigkeiten zur Geltung zu bringen.
Somit regt der Blick in die Nachbardisziplinen dazu an, die musikpädagogi-
schen Auffassungen von kultureller Identität weiter zu diskutieren und zu re-
flektieren. Dazu müssen zum einen die Diskurse über Kulturen und Identitäten
fortgesetzt werden: Welche begrifflichen Konzepte sind geeignet, die vielge-
staltigen Verhältnisse von Individuen zu Kulturen zu erschließen, zu befragen
und in der pädagogischen Arbeit zu entwickeln? Welche Ziele sollen dabei
verfolgt, welche Normen zugrunde gelegt werden? Welche Aspekte werden
damit hervorgehoben, welche bleiben verborgen? Diese Reflexion kann dazu
beitragen, den Begriff so zu perspektivieren, dass er sich zwischen deskripti-
ven Beschreibungen kultureller Verortungen und pädagogisch-normativen
Anliegen einer interkulturell orientierten Musikpädagogik bewegt. Zum ande-
ren sollten selbstreflexiv die bestehenden musikpädagogischen Diskurse un-
tersucht werden, in denen der Begriff kulturelle Identität gebraucht wird: In
welchen Kontexten ist von kultureller Identität die Rede? Welche Konzepte von
Kultur und Identität werden verwendet, auf wen werden sie bezogen? Welche
Wirkung haben diese Konzepte auf musikpädagogisches Denken und Han-
deln, besonders im Umgang mit den bezeichneten Menschen? Solche Fragen
verfolgt der Autor dieses Beitrags in einem diskursanalytischen Forschungs-
vorhaben (siehe auch Hömberg, 2020).
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Intercultural Music Education (IMP) is more necessary than ever considering the
opportunities and challenges that both a globalised music-cultural landscape and the
migration society pose for music lessons in general schools. An essential condition,
which has so far received little attention in the discourse but which seems to be inescap-
able for the pursuit and achievement of the goals of the IMP, is that false dichotomies in
interculturally-oriented thinking and acting are recognised and overcome. This is
because false dichotomies reinforce stereotypes, clichés, polarisations and the so-called
othering; the article will illustrate this by three examples. A proposal for overcoming
dichotomous patterns of thought consists in a consistent application of the meaning-
oriented concept of culture and a concept of cultural identity based on it.
1
Einen hervorragenden Überblick über den Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg
bietet eine Expertise des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Mig-
ration (2016): Doppelt benachteiligt? Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im
deutschen Bildungssystem.
2
„Eine Person hat dann einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein
Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist.“ (Definition des Statistischen
Bundesamtes 2016). Diese Definitionen können übrigens variieren: In Österreich z. B. haben
Personen einen Migrationshintergrund, „deren beide Elternteile im Ausland geboren wur-
den“. Quellen: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/
Migration-Integration/Glossar/migrationshintergrund.html [20.4.2020]; https://www.statis-
tik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstruk-
tur/bevoelkerung_nach_migrationshintergrund/index.html [20.4.2020].
3
Zum Begriff des Otherings vgl. z. B. Do Mar Castro Varela, M. & Mecherill, P. (2016); zum
Othering in der IMP z. B. Barth (2013a, 2013b).
Dichotomien4 sind per se weder gut noch schlecht. Sie teilen einen Begriff voll-
ständig in zwei einander ausschließende Unterbegriffe – ein drittes ist nicht
möglich (tertium non datur). In der Mathematik und in den Naturwissenschaf-
ten sind sie – zum Beispiel zur Klassifizierung oder in der binären Logik –
selbstverständlich. Sie können empirisch vorfindbar (zwei Seiten einer Münze)
und zur Orientierung und zur Systematisierung sinnvoll und notwendig sein.
Sie können aber auch scheinbar, falsch oder unecht sein, wenn sie vermeintlich
alternativlos einander ausschließende Gegensätze konstruieren, die aber tat-
sächlich ein Drittes (oder Viertes oder Fünftes) zulassen. Konstruktionen
unechter Dichotomien erfolgen auch in der (Musik-)Pädagogik selten in expli-
zit und geplant böser Absicht, doch könnte auch hier ein Zusammenhang zwi-
schen der Konstruktion des Anderen und einer bewerteten Separierung, zwi-
schen Deutungshoheiten und dem darauf beruhenden Machtanspruch
bestehen (vgl. Prieske, 2018). Für die Pädagogik ist zumal interessant, dass das
dichotome Denken (z. B. mit oder ohne Migrationshintergrund) folgenreich sein
kann: Untersuchungen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen haben
gezeigt, dass die Erwartungen von Lehrenden wiederum das Verhalten der
Schüler*innen und ihre Leistungen beeinflussen (können):
4
Altgriechisch: διχοτομια: διχη (entzwei) + τομη (Teilung). Das Problem von echten und unech-
ten Dichotomien wird in vielen Wissenschaftsdisziplinen (von der Philosophie über die
Rechts- bis zu den Naturwissenschaften) seit Jahrhunderten diskutiert. Auch in interkulturel-
len Zusammenhängen ist zuweilen von ihnen die Rede, jedoch hat die Verfasserin keine
Kenntnis über einen diesbezüglich ausgearbeiteten theoretischen Rahmen.
5
Hier wie auch an anderen vergleichbaren Stellen im Text (z. B. europäisch – außereuropäisch)
werden Begriffe kursiv gesetzt, wenn sie im Diskurs zwar verwendet, aber auf zweifelhaften
Konstruktionen, z. B. unechten Dichotomien, beruhen.
ein Gegenbild zur westlichen Musik entworfen? Und vor allem: Wie funktio-
niert die Beziehung zwischen diesen im Diskurs erzeugten Bildern und der
Sicht auf z. B. geflüchtete Kinder und Jugendliche, die im deutschen Bildungs-
system ankommen? Werden sie als selbstbestimmte kulturelle Subjekte
wahrgenommen oder ist unser Blick voreingenommen auch durch orientali-
sierende Klischees (vgl. dazu auch Barth, 2018)?
sie zu spezifizieren als das, was sie sind, allemal. Und auch für Europäer
wäre wohl die Vorstellung, dass europäische Musik als außeraustralische oder
außerasiatische Musik bezeichnet würde, irritierend.6 Die Unterscheidung in
europäische und außereuropäische Musik – besonders auch mit Blick auf die
musikalisch-kulturellen Praxen der Gegenwart – ist sachlich weder gerecht-
fertigt noch hilfreich, sondern nur um den Preis von Auslassungen, Redu-
zierungen und infolgedessen auch sachlicher Fehler und Verzerrungen zu
haben. Dazu fünf Beispiele:
(1) Eine Reduzierung bzw. Auslassung besteht darin, dass mit europäischer
Musik in der Regel die europäische bzw. abendländische Kunstmusik gemeint ist.
Indem Helms von „unsrer eigenen Musik“ spricht, reduziert er diese auf die
abendländische bzw. europäische Kunstmusik und lässt europäische
Volkmusik(en) und Popmusik(en) außen vor. Das ist eine sachliche Verzerrung,
da die Mehrheit der Menschen in Europa (also „wir“) unterschiedliche Stile der
Popmusik eher als ihre Musik betrachten als die abendländische Kunstmusik,
die immer die Musik einer kleinen Elite war und es bis heute ist.
(2) Ob z. B. in Unterrichtsmaterialien unter der Überschrift europäische Musik
tatsächlich die Musik Europas thematisiert oder ob der Fokus nicht eher auf
deutschen und österreichischen Komponisten liegt, wurde an anderer Stelle
bereits hinterfragt (vgl. Karbusicky, 1995; Barth, 2001).
(3) Feste Attribuierungen der europäischen Musik – dass sie zum Beispiel
schriftlich fixiert und auskomponiert ist, dass sie im Wesentlichen auf die Dur-
Moll-Tonalität reduziert und vor allem Darbietungsmusik ist – übersehen
volksmusikalische Traditionen in Europa. Viele von ihnen sind z. B. in ihrer
schriftlosen Überlieferung, im Einsatz improvisatorischer Elemente, in ihrer
ursprünglich funktionalen Verwendung in Alltagssituationen oder im Stimm-
gebrauch anderen musikalischen Praxen außerhalb Europas ähnlicher als der
europäischen Kunstmusik.7
6
Christopher Wallbaum verweist in seinem Beitrag „Der außeraustralische Beethoven. Zwei
Ununterrichtsbarkeitsthesen und ein Lösungsansatz“ auf einen Ausspruch des indischen
Musikers und ehemaligen Präsidenten des internationalen Musikrates Narayana Menon: Ihm
erscheine der Begriff ‚außereuropäische Musik‘ „ebenso absurd wie die Kennzeichnung
Beethovens als außerasiatischen Komponisten“ (Wallbaum, 2008, S. 104; siehe dazu auch Ter-
hag, 1996).
7
Vielleicht begründet dieser Zusammenhang die Tradition, europäische Volksmusik gegen-
über europäischer Kunstmusik abzuwerten. So wirbt der Helbling-Verlag für eine Neuerschei-
nung mit dem Titel „Nationale Schulen“: „Unverbrauchte Werkbeispiele von Mussorgski,
Grieg […] zeigen immer wieder instruktiv die Einflüsse urwüchsiger Folklore auf hochentwi-
ckelte Kunstmusik“. (Broschüre „Musikpädagogik“ Herbst 2019, Neuerscheinungen).
(4) Gleichzeitig haben sich auch Menschen außerhalb von Europa die abend-
ländische Kunstmusik angeeignet und betrachten sie als die ihre – sei es als
Relikt von Missionierung und Kolonisation (wie z. B. in Lateinamerika), sei es
im Zuge eines bewussten Anschlusses an die westliche Moderne (wie z. B. in
Südkorea oder Japan), sei es in kulturell-sozialen Projekten (wie z. B. in Vene-
zuela), sei es weil dem Musizieren im Orchester zugetraut wird, eine neue Art
von Gemeinschaftsempfinden und Verbundenheitsgefühle durch die Musik
hervorzubringen (wie z. B. im West-Eastern Divan Orchestra), oder sei es auf
Grund individueller Entscheidungen. Dem möglichen Einwand wiederum,
dass diese Musik dennoch europäischen Ursprungs ist, kann mit der Frage be-
gegnet werden, ab welchem Zeitraum eine gelebte Praxis den Anspruch eines
Ursprungs überlagern kann. Müssen es 100 Jahre sein oder 200 Jahre? Ab wann
durften Kartoffeln essende Deutsche diese aus Südamerika kommende Pflanze
als die ihrige betrachten? Oder sollten deutsche HipHop-Musiker*innen von
sich sagen, dass sie außereuropäische Musik spielen? Komponierten Charles Ives,
John Cage und George Gershwin außereuropäische Musik?
(5) Schließlich ist eine Trennung in europäische und außereuropäische Musik
angesichts der globalisierten Popkulturen nicht haltbar. Phänomene wie
Cross-Over, Fusion oder andere explizite oder implizite transkulturelle Ver-
schmelzungen prägen das aktuelle Musikleben und treiben wesentliche
Entwicklungen voran. Dass dabei eine globale Musikkultur wie zum Bei-
spiel der HipHop auch lokale Ausprägungen erfährt oder eine lokale Ent-
wicklung wie zum Beispiel der jamaikanische Reggae im globalen Maßstab
aufgegriffen und weiterentwickelt werden kann, ist in der Popkultur eine
Selbstverständlichkeit.
es ist die Rede von einem bedeutungs-, wissens- und symbolorientierten, von
einem semiotischen oder konstruktivistischen Kulturbegriff, von Kultur als
Text, als Zeichensystem, als Bedeutungsgewebe, als Orientierungssystem, als
kollektivem Sinnmuster oder als Wissensordnung. In der Musikpädagogik hat
sich der so genannte bedeutungsorientierte bzw. bedeutungszuweisungsorien-
tierte Kulturbegriff etabliert (vgl. Barth, 2013b). Mit einem bedeutungsorien-
tierten Kulturbegriff können sowohl dynamische und globale Phänomene
musikalischer Entwicklungen (s. o. Themenfeld 1) als auch Konstruktionen
musikalisch-kultureller Identitäten in globalisierten Gesellschaften (s. o. The-
menfeld 2) beschrieben und interpretiert werden. Basieren interkulturelles
musikpädagogisches Denken und Handeln auf einem bedeutungsorientier-
ten Kulturbegriff, werden (unechte) dichotome Strukturen sinnlos: Im ersten
Themenfeld – den Musik(en) der Welt – wird dann nämlich stets die Ebene
der Bedeutungszuweisungen bzw. -konstruktionen der Akteur*innen an Mu-
sik in multiperspektivischen (nicht binären) Annäherungen berücksichtigt –
z. B. in einer Feldforschungssituation. Im zweiten Themenfeld sind Dichoto-
mien als bestimmendes Merkmal zur Beschreibung einer Persönlichkeit bzw.
zur Abgrenzung Kultureller Identitäten ausgeschlossen. Was ist damit ge-
meint?
Gemeinschaften von Menschen werden dann als Kulturen bezeichnet,
wenn ihren Zuweisungen und Konstruktionen von Bedeutungen an Aspekte
ihrer Lebensweise, ihrer Haltung, ihren Vorlieben oder Gewohnheiten ähnli-
che Sinnsysteme und symbolische Ordnungen, ein ähnlich geteiltes Wissen –
bewusst oder unbewusst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt – zugrunde lie-
gen. Folglich partizipieren Menschen in globalisierten und modernen
Gesellschaften an mehreren Kulturen. Sie entscheiden sich für ihre Zugehö-
rigkeiten (in einem gewissen Rahmen) freiwillig und wechseln zwischen
den kulturellen Bezügen und werden somit zu (weitestgehend) selbstbe-
stimmten Konstrukteur*innen ihrer kulturellen Identität. Auf Basis eines
bedeutungsorientierten Kulturbegriffs lässt sich die Beschreibung der „ver-
schiedenen Kategorien, denen wir angehören“ (Sen, 2010, S. 33) lesen als Be-
schreibung von Kultureller Identität, die eben aus dem Zugehörigkeitsgefühl
zu verschiedenen Kulturen besteht (vgl. auch Barth, 2014). Sen bezeichnet
sich selbst u. a. als „Asiaten, Bürger Indiens, Bengalen mit bangladeschischen
Vorfahren, Einwohner der Vereinigten Staaten oder Englands, Ökonomen,
Dilettanten auf philosophischem Gebiet, Autor, Sanskritisten, entschiedenen
Anhänger des Laizismus und der Demokratie, Mann, Feministen, Heterose-
xuellen, Verfechter der Rechte von Schwulen und Lesben (…)“ (Sen, 2010,
S. 33). Einzelne Parameter dieser Kulturen ließen sich möglicherweise als
echte Dichotomie auffassen (Bürger Indiens oder kein Bürger Indiens), bei
anderen würde es bereits schwierig (Mann oder Nicht-Mann?). Auf keinen
Fall aber lässt sich zu der Summe der jeweiligen fluiden und veränderbaren
kulturellen Zugehörigkeiten, also der individuellen kulturellen Identität, eine
Dichotomie sinnvoll formulieren.
Inwiefern die konsequente Fundierung von Theorie und Praxis der IMP auf
einem bedeutungsorientierten Kulturbegriff den Gebrauch unechter Dichoto-
mien in den beiden Themenfeldern der IMP ausschließt, kann hier nur ange-
deutet werden. Doch vor dem zweiten Schritt – der Ausarbeitung eines „Lö-
sungsversuches“ – sollte ohnehin zunächst der erste getan werden: eine
gründliche Auseinandersetzung mit echten und unechten Dichotomien in inter-
kulturellen Zusammenhängen. Dazu möchte dieser Text erste Anregungen
geben – vertiefende Forschungen dazu stehen noch aus.
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The equivalence of cultures, that intercultural music education strives for, relates in a
problematical way to the often neglected reflection of one’s own cultural standpoint. If
we assume that cultural neutrality cannot be achieved, we have to ask ourselves if it is
possible for involved parties to judge the quality of intercultural equality adequately. For
this reason, the following text focuses on intercultural music education as a cultural
system and points to the underlying Eurocentrism. It argues that, from a cultural stud-
ies perspective, a power-relationship, damaging the aspired cultural equality, is over-
looked because of universalised yet culturally constructed parameters (such as music,
rhythm, pitch or harmony). Furthermore, this paper questions if, from this perspective,
equality of cultures can be achieved at all.
Einleitung
immer noch äußerst aktuell. Gemäß einer kritischen Betrachtung von Vogt
(2004, S. 304) ist diese Diskussion oft mit der normativen Forderung verbun-
den, den Schüler*innen Empathie, Solidarität, Respekt, Offenheit und Toleranz
für kulturelle Vielfalt zu vermitteln (siehe auch Kautny, 2018, S. 31–32, 39;
Schatt, 2008, S. 176). Es finden sich Stimmen, die fordern, dass „alle Kulturen
gleichberechtigt und gleichwertig nebeneinander stehen“ (Barth, 2013, S. 187)
können. Vor diesem Hintergrund problematisiere ich im vorliegenden Text,
der als Beitrag zur wissenschaftlich-theoretischen Debatte verstanden werden
kann, drei Aspekte, mit denen meines Erachtens oftmals zu wenig kritisch
umgegangen wird. Erstens das Verständnis von Kultur, das oft zugunsten der
Frage nach dem Verhältnis zwischen Kulturen vernachlässigt wird und des-
halb – trotz Kritik – immer noch stark holistisch ausfällt. Zweitens ein in
musikpädagogischen Überlegungen zum Umgang mit kultureller Diversität
oft anzutreffendes Konzept von Musik, das gerade vor dem Hintergrund der
festgestellten kulturellen Diversität zu einseitig europäisch geprägt ist. Drit-
tens den Anspruch von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit generell.
Diesen Problematisierungen geht eine kulturwissenschaftliche Kulturdefini-
tion voraus, die auch meinen epistemologischen Standpunkt explizieren soll.
Natürlich ist die erwähnte musikpädagogische Diskussion zum Umgang
mit kultureller Diversität im Musikunterricht sehr umfangreich, vielstimmig
und mitunter auch kontrovers.1 Es ist nicht möglich, diese Vielstimmigkeit hier
abzubilden.2 Das Ziel dieses Textes ist jedoch auch keine Pauschalkritik an der
Diskussion, sondern eine Sensibilisierung für problematische Kultur- und Mu-
sikbegriffe. In diesem Sinne sollen die hier referierten musikpädagogischen
Schriften lediglich die Notwendigkeit dieses Nachdenkens verdeutlichen.
Theoretischer Standpunkt
Dem Nachdenken über den Umgang mit kultureller Diversität liegt notwendi-
gerweise eine – explizite oder implizite – Konzeption von „Kultur“ zugrunde.
Die nachfolgenden Ausführungen zu einem kulturwissenschaftlichen Kultur-
1
Siehe diesbezüglich die Literaturlisten von Stroh und Ott auf www.interkulturelle-musiker-
ziehung.de [letzter Zugriff 01.10.2019] sowie die (bereits etwas ältere, aber) sehr umfangreiche
Bibliografie von Helms (2003).
Für eine historiografische Rekonstruktion der sogenannten interkulturellen Musikpädagogik
siehe Ott (2012) und für eine Kritik daran Clausen (2013, S. 9–10 Fn.14, 15–16).
2
An anderer Stelle (Blanchard, 2019) habe ich erstens die wissenschaftlich-musikpädagogi-
schen Konzeptionen zum Umgang mit kultureller Diversität im Musikunterricht differen-
zierter dargestellt (ebd., 2019, S. 74–96) und zweitens das konstitutive Moment von Beschrei-
bungen problematisiert (ebd., 2019, S. 147–155).
begriff sollen deshalb nicht nur „Kultur“ und „kulturelle Diversität“ für den
vorliegenden Text definieren, sondern auch meine theoretische und epistemo-
logische Position explizieren.
Laut Reckwitz (2006, S. 16) verstehen Kulturwissenschaften unter „Kultur“
kollektive Wissensordnungen, vor deren Hintergrund die Menschen der sozi-
alen Welt Sinn verleihen und die dadurch Handeln ermöglichen und ein-
schränken. Wissensordnungen sind somit „nicht […] Epiphänomene, sondern
[…] notwendige Bedingung aller sozialen Praxis“ (ebd., S. 16–17, Hervorh. im
Original). Dabei handelt es sich innerhalb des kulturwissenschaftlichen Pro-
gramms durchaus um eine einheitliche theoretische Perspektive (ebd., siehe
auch Moebius, 2009, S. 8–9; Wirth, 2008, S. 18). Diese erfährt jedoch in der Ver-
ortung der Wissensordnungen eine Ausdifferenzierung. Während mentalisti-
sche Theorieoptionen die Wissensordnungen den interpretativen Sinnver
stehensakten der handelnden Subjekte zurechnen, sehen textualistische
Theorieoptionen Diskurse, Texte, Symbolsequenzen usw. als Träger von Kul-
tur, was weiter unten bei der Problematisierung des Musikbegriffs von Bedeu-
tung sein wird. Laut praxeologischen Theorieoptionen wiederum manifestie-
ren sich Wissensordnungen in den sozialen Praktiken selbst. Soziale Praktiken
sind demnach nur innerhalb einer kollektiven Wissensordnung verständlich
und tragen umgekehrt dazu bei, diese überhaupt erst herzustellen (vgl. Reck-
witz, 2005, S. 97–98). Die kulturwissenschaftlichen Praxistheorien sind Reck-
witz zufolge am vielversprechendsten zur Erklärung kultureller Diversität,
weil sie am wenigsten dazu tendieren, kulturelle Sinngrenzen zu reifzieren
und damit zu essenzialisieren (Reckwitz, 2005, S. 107). Kultur wird hier als
„ein mikrologischer Prozess der ‚bricolage‘, eine alltägliche Bastelarbeit ver-
standen, in dem kulturelle Elemente aus unterschiedlichen räumlichen und
zeitlichen Kontexten zugleich unter dem Druck der Handlungspraxis verar-
beitet, rekombiniert werden“ (ebd.).
Ich nehme deshalb für die nachfolgenden Überlegungen den Standpunkt
der kulturwissenschaftlichen Praxistheorien ein. Vor allem aber fokussiere ich
mit der Hegemonietheorie von Laclau und Mouffe (2012), die innerhalb der
Kulturwissenschaften als Praxistheorie rezipiert wird (z. B. Reckwitz, 2006,
S. 719–720), auf den epistemologischen Aspekt von Kultur, wie er in der oben-
stehenden Definition bereits durch den Hinweis auf das handlungskonstitutive
Moment von Wissensordnungen angedeutet wurde.3
3
Die Hegemonietheorie von Laclau und Mouffe kann an dieser Stelle unmöglich in ihrer Kom-
plexität entfaltet werden (siehe dazu Blanchard, 2019, S. 120–143), sie sei jedoch zur Offenle-
gung meines theoretischen Standpunkts genannt.
Gemäß Laclau und Mouffe (2012) gibt es keine Gesellschaft als eine kulturell geschlossene
und völlig integrierte Entität. Vielmehr wird die soziale Wirklichkeit in Form von Wissens-
ordnungen durch Praktiken diskursiv konstruiert (ebd., S. 131). Da jedes Element des Sozialen
aber überdeterminiert ist, können Wissensordnungen nur als Versuch gesehen werden,
Bedeutung zu fixieren (ebd., S. 148–150). Folglich versucht die Hegemonie einer spezifischen
Wissensordnung, diese temporär zu schließen und dadurch eine spezifische soziale Wirk-
lichkeit zu naturalisieren bzw. nur einen bestimmten Sinn als einzig möglichen zu präsentie-
ren (ebd., S. 175–177).
Dieser Kritik schließe ich mich an, möchte aber die Barth’sche Einklamme-
rung des Zusatzes „ethnisch-“ hervorheben. Meiner Meinung nach wird in der
musikpädagogischen Diskussion der holistische Kulturbegriff zu einseitig mit
Ethnien verbunden, während der Blick auf andere als Kulturen bezeichnete
soziale Gruppen weniger kritisch geprüft wird (vgl. Blanchard, 2018, S. 280–
282, 2019, S. 32–36). Ein holistisches und essenzialistisches Kulturverständnis
ist jedoch primär ein theoretisches, nicht ein inhaltliches Konzept. Wird zum
Beispiel bei einer Untersuchung oder unterrichtlichen Thematisierung einer
Jugendgruppe als Kultur nicht explizit die Konstitution dieser Kultur durch
die Praxis des Untersuchens oder Thematisierens erwähnt, läuft man auch hier
Gefahr dem Kulturessenzialismus zu verfallen. Umgekehrt liegt einer Thema-
tisierung von Ethnien als Kulturen nicht zwingend ein holistisches Kultur
verständnis zugrunde (vgl. Barth, 2014, S. 4).
Der Kulturessenzialismus zeigt sich potentiell auch in der Vorstellung eines
Nebeneinanders von Kulturen bzw. in „Heterogenisierungstheorien“ (Reck-
witz, 2005, S. 103–104), welche die Relevanz und Allgegenwärtigkeit globaler
kultureller Differenzen betonen (ebd.). In der musikpädagogischen Diskussion
sind diese Heterogenisierungstheorien oft anzutreffen (vgl. Blanchard, 2019,
S. 13, 54). Laut einem Aufsatz von Gaul (2013) befindet sich die „Musik(pädagogik)
im Kaleidoskop der Weltkulturen“. Damit assoziiert ist ein Denken von Kultu-
ren als (sich bestenfalls beeinflussende, aber zunächst) voneinander getrennten
Entitäten. Wird dieses kulturelle Nebeneinander nun nicht, wie oben darge-
stellt, als Konstruktion, sondern als soziale Tatsache verstanden, können sich
die jeweiligen Kulturen nur durch ihnen immanente Eigenschaften, also kul-
turelle Essenzen, voneinander unterscheiden.
Ein Nebeneinander von Kulturen ist ohnehin nur von außerhalb desselben
erkennbar. Akzeptiert man aber die eigene kulturelle Eingebundenheit, ak-
zeptiert man auch, dass man dieses kulturelle Nebeneinander so niemals zu
sehen bekommt. Es sei denn, es handelt sich um ein methodologisches Au-
ßerhalb, wie es in ethnologischen und ethnomusikologischen Zugängen übli-
cherweise eingenommen wird, aber dort auch problematisiert wird.4 Damit
wird die Notwendigkeit der Reflexion der eigenen kulturellen Eingebunden-
heit ersichtlich.
4
Laut Clausen (2018, S. 69) stehen Beobachtung, Beschreibung und Deutung sowie, damit ver-
bunden, die selbstreflexive Aufgabe für die Forschenden im Fokus der modernen Ethnomusi-
kologie. Allerdings habe dieser „interpretive turn“ von einer vom Evolutionismus und Diffu-
sionismus geprägten vergleichenden Musikwissenschaft hin zu einer kultur- und
sozialanthropologisch beeinflussten Ethnomusikologie maßgeblich in den Vereinigten Staa-
ten stattgefunden.
Zum Musikbegriff
„Man muss kein Universalist sein, um das Potential eines globalen Repertoires
musikalischer Muster zu sehen […]: der Viervierteltakt und die zusammenge-
setzten Taktarten des Balkans und der Türkei, das Taktteilprinzip (schwer und
leicht) und die fließende afrikanische Rhythmik, proportionale und polymetri-
sche Zeitgestaltung, Diatonik, Chromatik und orientalische Skalen, Drei-
klangsharmonik und Bordun etc.“ (Ott, 2013, S. 148)
Man geht also von „innermusikalischen Eigenschaften der Musik wie Tonhöhen
oder Skalen“ (Niessen & Lehmann-Wermser, 2012, S. 8, Hervorh. O.B.) aus,
wobei die kulturellen Spezifika in deren unterschiedlichen Anwendungen
liegen. Oder, wie Merkt (2013, S. 117) schreibt: „Die Kulturen benutzen alle – es
geht ja gar nicht anders – die Parameter Tonhöhe, Tondauer, Lautstärke und
Klangfarbe, gestalten sie jedoch in großer Vielfalt.“ Es macht allerdings einen
gravierenden Unterschied, ob es „nicht anders geht“, weil die Musik ein spe-
zifisches Wesen hat, mit welchem alle Kulturen arbeiten müssen, oder ob es
„nicht anders geht“, weil „unsere Kultur“ Musik nicht anders denken und
wahrnehmen kann. Auf der Grundlage des oben entfalteten Kulturbegriffs
müsste nämlich, was hier als rein „musikalische“ Angelegenheit verstanden
wird, dringend auch als epistemologische Angelegenheit verhandelt werden.
Wenn es um einen Austausch zwischen Kulturen gehen sollte, müsste die zen-
trale Frage sein, ob die jeweils andere Kultur dieselben „innermusikalischen
Eigenschaften“ bzw. dasselbe „globale Repertoire musikalischer Muster“ oder
„Archetypische“ sieht? Allein wenn man berücksichtigt, dass es Sprachen
gibt, die nicht einmal ein Wort für Musik kennen5 – eine Erkenntnis, die in der
Musikpädagogik nicht neu ist (vgl. Schütz, 1992, S. 17) –, ist dies stark zu
bezweifeln. Es lässt sich daher mit Wallbaum (1998, S. 55 Fn. 7) fragen, woher
„die Gewissheit [kommt], dass es dieses spezifisch oder genuin Musikalische
in der Form gibt, in der es die europäische Musiktheorie beschreibt“.
Fazit
5
Dies ist ausdrücklich nicht wertend gemeint.
nalysen derer Musik verstehen zu wollen oder ein Lied ins Zentrum eines
A
Unterrichts zu stellen, in dem Kulturen miteinander in Dialog treten sollen.
Denn der Zugang zu anderen Kulturen über deren spezifischen Umgang mit
Rhythmus, Tonhöhe und Harmonie, mit dem sie sich in einen jegliche Praxis
transzendierenden Gegenstand „Musik“ einschreiben, ist ein dezidiert euro-
päischer und es gibt keine Garantie, dass damit die jeweils andere Kultur –
was auch immer darunter verstanden wird – in ihrem Selbstverständnis
abgebildet wird. „The fact that western ears can ‘impose’ pitch on most quasi-
periodic sounds does not make them all music by western definition.“
(Walker, 1996, S. 8)
Diese Erkenntnis ist indes nicht neu. Schon vor über 20 Jahren hat Wallbaum
(1998, S. 64) gewarnt, dass, wenn „ein Fach Musikpädagogik einen wesentlich
medial fokussierten Musikbegriff zu seinem Gegenstand macht und sich von
diesem Standort aus den Musiken anderer Kulturen oder Teilkulturen nähert,
[…] das einen eurozentrisch normativen Kern [hat]“. Allerdings zeigen die
obenstehenden, deutlich jüngeren, Zitate auch, dass sich diese Erkenntnis noch
zu wenig in den wissenschaftlich-konzeptionellen Texten zum Umgang mit
kultureller Diversität im Musikunterricht manifestiert hat. Spätestens wenn
gleichzeitig die Gleichwertigkeit aller Kulturen gefordert wird, ist diese Ver-
nachlässigung aber nicht unproblematisch.
Dieser Forderung möchte ich mich abschließend nochmals zuwenden bzw.
sie grundsätzlich in Frage stellen. Eine Gleichberechtigung der unterschied
lichen Kulturen einzufordern hat nur dann Sinn, wenn sie sich auf Gleiches
beziehen bzw. wenn ihre Diversität auf universelle Konzepte gründet. Dies
wurde allerdings mit dem hier vertretenen, epistemologisch akzentuierten,
Kulturbegriff zurückgewiesen.
Entsprechend stellt sich schließlich nicht länger die Frage, wie eine Gleich-
berechtigung der Kulturen in der Musikpädagogik zu erreichen wäre. Ein
didaktisches Ziel müsste eher in der Reflexion der Unmöglichkeit der kultu-
rellen Gleichberechtigung liegen. Wenn nämlich Musik, Rhythmus, Tonhöhe
und Harmonie kulturell konstruierte Momente sind und keine ontischen
Größen, ist allein der Zuschnitt dessen, was überhaupt als Musik verhandelt
werden kann, hochgradig machtbesetzt. Wenn darüber hinaus berücksich-
tigt wird, dass die Wissensordnungen wahrnehmungskonstitutiv sind, kön-
nen sie von den Subjekten auch nicht einfach hintergangen werden, sodass
dieses Machtmoment jeder interkulturellen Kommunikation inhärent bleibt.
Somit gehörte die Reflexion der kulturellen Konstitution der zur Geltung ge-
brachten Werte und Normen zur dringlichsten Aufgabe einer kultursensiblen
Musikpädagogik.
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Die kritischen Positionen von Blanchard (2018) und Clausen (2013) in Verbindung mit
einem bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff (vgl. Reckwitz 2006) impli-
zieren eine Weiterentwicklung und Modifikation der Interkulturellen Musikpädagogik.
Auf der Basis ausgewählter Denkfiguren des Poststrukturalismus entwickelt der Bei-
trag die theoretische Grundlage für ein Konzept Interkultureller Musikpädagogik,
innerhalb dessen sich Heterogenität, Differenz und Diskriminierung als didaktische
Leitkategorien etablieren. Über eine Transformierung literaturdidaktischer Konzepte
entstehen neue methodische Handlungsmuster, wie Dekonstruktion, Intertextualität
und Diskursanalyse, welche eine zeitgemäße Interkulturelle Musikpädagogik didaktisch
konkretisieren. Ausgewählte Beispiele verdeutlichen eine mögliche unterrichtsprak-
tische Umsetzung.
The critical positions of Blanchard (2018) and Clausen (2013) in combination with a
“bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff” (cf. Reckwitz, 2006, S. 84) imply
an advancement and modification of intercultural music education. Based on selected
figures from post-structuralism, the article develops the theoretical basis for a concept of
intercultural music education within which heterogeneity, difference and discrimination
are established as didactic guide-lines. A transformation of literary didactic concepts
creates new methodological perspectives, such as deconstruction, intertextuality and
discourse analysis, which concretise a contemporary didactic intercultural music educa-
tion. Selected examples illustrate a possible implementation in teaching practice.
Die kritischen Positionen von Clausen (2013), aber vor allem von Blanchard
(2018, 2019) diagnostizieren in den verschiedenen didaktischen Konzepten
und Praxen der Interkulturellen Musikpädagogik (IMP) eine Wiederholung
von Argumentationsmustern, eine mangelnde theoretische Verortung und
„Kultur erscheint vielmehr nun als jener Komplex von Sinnsystemen […] von
‚symbolischen Ordnungen‘, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als
bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln
ermöglichen und einschränken.“ (Reckwitz, 2006, S. 84)
1
Dies manifestiert sich bereits im Aufeinandertreffen von Lehrer*innen- und Schüler*in
nenkulturen.
Die Kritiken von Clausen (2013) und Blanchard (2018, 2019), die bisher nicht
eingelösten Versprechungen einer Interkulturellen Pädagogik und ein modifi-
ziertes Kulturverständnis sowie die damit verbundenen didaktischen Implika-
tionen legen die Schlussfolgerung nahe, dass sich die bisherigen Konzepte
Interkultureller Musikpädagogik als nicht mehr tragfähig erweisen. Eine solch
provokante Aussage generiert gleichzeitig die ebenso dringende wie drän-
gende Frage, mit welcher theoretischen Rahmung und in welcher didaktischen
Gestalt sich eine weitergedachte und zeitgemäße Interkulturelle Musikpädago-
gik (IMP) konstituieren könnte. Im Folgenden versuche ich für ein solches
Projekt erste, aber grundlegende theoretische und praktische Perspektiven zu
entwickeln. Dazu extrahiere ich aus dem Poststrukturalismus relevante Denk-
figuren und übertrage sie in den Diskurs einer IMP. Im Anschluss daran greife
ich zu dessen didaktischer Konkretisierung auf ausgewählte literaturdidakti-
sche Konzepte dieser philosophischen Strömung zurück und übertrage sie in
die Praxis des Musikunterrichts. Ausgesuchte Beispiele verdeutlichen deren
Einsatzmöglichkeiten in der Praxis.
2
Obwohl themenrelevant, können sie aus redaktionellen Gründen an dieser Stelle nicht aufge-
arbeitet werden.
„Jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder in ein System einge-
schrieben, worin er durch das systematische Spiel von Differenzen auf den anderen,
auf die anderen Begriffe verweist.“ (Derrida, 1990, S. 88; Hvh. Weber)
„Das, was ich Text nenne, ist alles, ist praktisch alles. Es ist alles, das heißt, es gibt
einen Text, sobald es eine Spur gibt, eine differentielle Verweisung von einer Spur
auf eine andere“ (vgl. Derrida, zitiert in Engelmann, 1990, S. 20–21).
3
Solche Kontexte lassen sich etwa über Netzwerktheorien der Soziologie (z. B. ANT) erschlie-
ßen (vgl. Weber, 2015a).
Eine weitere bedeutende und relevante Denkfigur Derridas ist die Dekonst-
ruktion, die in diesem Verwendungszusammenhang hauptsächlich aus einer
musikdidaktischen Perspektive beleuchtet wird. Der Begriff der Dekonstruk-
tion (frz. déconstruction = Auflösung, Auseinandernahme und Zerlegung)
führt auf Derrida zurück. Er repräsentiert ursprünglich ein spezifisches Ver-
fahren im Umgang mit philosophischen und literarischen Texten. Zu einem
späteren Zeitpunkt dient es der Analyse und Interpretation von Architektur,
Literatur und Kunst. Derrida möchte damit die in einem Text enthaltenen Dif-
ferenzen aufdecken, um verborgene Verstehenszugänge offenzulegen. „Der
Eindeutigkeit des [hermeneutischen] Sinns stellt er die Mehrdeutigkeit entge-
gen“ (Münker & Roesler, 2012, S. 141).
In der Zusammenschau wird die Dekonstruktion von Texten durch folgende
allgemeine und zugleich für die Unterrichtspraxis relevante didaktische Prin-
zipien charakterisiert (vgl. ebd., S. 140–152).
• permanenter Perspektivenwechsel
• Aufdecken von Widersprüchen, die eine einheitliche Deutung verhindern
• keine einschränkende, sondern eine ausweitende und vervielfältigende
Interpretation, die subjektive Lesarten zulässt
4
Dazu weiterführend Weber, 2015b.
5
Der Begriff „Werkzeugkoffer“ stammt von Bossinade (2000).
6
Semiotisch gedacht, verfügt Musik zwar über eine Syntax und Pragmatik, jedoch nicht über
eine eindeutige Semantik.
4≤ 3 ≤ 5 ≤ 2 ≤
/4œœœœœœœœ4œœœœœœ4œœœœœœœœœœ4œœœœ
Schlagzeug
Notenbeispiel 1: Akzentverschiebung
Schlagzeug
Schlagzeug
Pattern II
Pattern II
Pattern I Pattern II
Pattern
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Pattern II œ œ œ œ œj ‰
‰ ™™ œ œ ‰ œ œ œ œ œjj ‰ ‰ ™™
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Notenbeispiel 2: Repetitive Musik
7
Die subjektiv erstellte Liste an Musikbeispielen ist keineswegs vollständig, sondern kann
beliebig erweitert werden.
Ein weiteres Verfahren aus der Vorschule der Dekonstruktion ist die Wahrneh-
mung und Reflexion von Varianten, beispielsweise über einen Vergleich hin-
sichtlich
• der Aufführung eines „Textes“ durch unterschiedliche Interpreten
• unterschiedlicher Realisierungen eines Musikstückes – live oder vom
Tonträger und
• unterschiedlicher Deutungsvarianten von „Texten“ aus Musikbüchern
oder Musikkritiken.
Nach dem Verfahren einer „zweiten Lektüre“ (vgl. Förster, 2003, S. 241) erstellt
die Lerngruppe zunächst einen eigenen Sinnentwurf eines (musikalischen)
Textes, vergleicht ihn anschließend mit einem zweiten im Hinblick auf Unter-
schiede. Dazu eigenen sich beispielsweise Texte aus Musikbüchern, Kommen-
tare aus Lehrerhandbüchern, Musikkritiken oder wissenschaftliche Abhand-
lungen.
Weitere didaktische Operationen der Dekonstruktion unter dem Motto
„Meine Ohren gehorchen mir nicht“ oder „das Andere im Selben hören“ orien-
tieren sich an Förster (2000, S. 214, 217). Diese Form der Dekonstruktion kann
sich auf ganz unterschiedlichen Textebenen abspielen.
• Ambiguität von Wörtern bzw. Sounds, Klängen und Akkorden verdeutli-
chen.
• Paradigmatische Ordnung der musikalischen Syntax hinterfragen, durch
einen Austausch (musikalischer) Elemente.
• Unterschiedliche semantische Kodierungen eines Textes miteinander ver-
gleichen (Wortfeldübungen).
• Syntagmatische Beziehungen auflösen, indem beispielsweise Formteile
umgestellt werden.
• Uneindeutigkeit der (musikalischen) Syntax über einen Vergleich zwi-
schen einem auditiven, sprachlichen, figürlichen (grafischen) und symbo-
lischen Text aufzeigen.
Neben dekonstruktivistischen Textoperationen kann Intertextualität eine wei-
tere Chiffre und didaktischen Anschluss für einen unterrichtspraktischen
Umgang mit Fremden, Differenten und Diskriminierten bilden.
8
Auch Oberhaus (2013) greift im Rahmen „musikpädagogischer Biografik“ auf Derridas
Begriff der Spur zurück.
Little Sixteen von Chuck Berry in Brian Wilsons Hit Surfin U.S.A. In diesem
Zusammenhang können auch postkolonialistische Aspekte – Aneignung
schwarzer Musik durch einen weißen Musiker – in die Praxis des Unterrichts
mit einfließen. Weniger bekannt sind die 500 gesampelten Verweise auf dem
Album Endtroducing (1996) von DJ Shadow. Eine weitere zunehmend an Bedeu-
tung gewinnende Erscheinungsform dieses Phänomens ist das Mikrosampling
von Texten, aktuell zu finden in den Arbeiten des Sounddesigners und Werbe-
komponisten Michael Fakesch. Aus der Neuen Musik bietet sich das Stück
Sinfonia (Third Movement) von Luciano Berio an, mit Zitaten von Mahler,
Brahms, Debussy und anderen. Ein kompositorisch intendiertes Spiel mit audi-
tiven Verweisen, die in Wirklichkeit keine sind, findet sich in der Komposition
Muzak (2016) von Moritz Eggert.
2.3 Diskursanalyse
Diskurs ist ein zentraler und wirkmächtiger Leitbegriff der Geistes-, Kultur-
und Sozialwissenschaften. In dem hier erörterten Verwendungszusammen-
hang ist er poststrukturalistisch verortet (vgl. Foucault, 1993, 1994).9 Ebenso
9
Auch die Diskursanalyse lässt sich über eine Traditionslinie bis auf Humboldt zurückführen
(Gardt, 2017, S. 4).
Fazit
Die oben genannten Kritiken, die nicht eingelösten Versprechen einer Interkul-
turellen Pädagogik in Kombination mit einem bedeutungs- und wissensorien-
tierten Kulturbegriff und der unhintergehbaren Heterogenität unserer aktuellen
Gesellschaft fordern eine Neuformierung der IMP. Aus einer poststrukturalis-
tischen Perspektive entwickeln sich Begriffe wie Pluralität, Differenz und
Machtdiskurse zu didaktischen Leitkategorien des Musikunterrichts. Die
Begegnung mit dem Fremden und Pluralen wird so zum permanenten Gegen-
10
Beispielsweise die Stilisierungen indianischer Melodien in Dvořáks Sinfonie Aus der Neuen
Welt im Zusammenhang mit seinem Zitat „Nun, ich stellte fest, daß die Musik der Neger und die
der Indianer praktisch identisch war.“ (Dvořák on his New World. In: New York Herald, 15. Dezem-
ber 1893; abgedruckt in Clapham, J. (1979). Dvořák (S. 201–202). Newton Abbot u. a.: David &
Charles; ein weiteres Beispiel wäre der Text des Volksliedes „Lustig ist das Zigeunerleben“ in
seinen verschiedenen textlichen Abwandlungen, insbesondere im Nationalsozialismus.
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Kultur wird in diesem Beitrag als Ergebnis von kommunikativen und interaktiven
Aushandlungsprozessen verstanden, in denen es um Geltung von Bedeutungen und
Bedeutsamkeit geht, und zugleich als eine Aufgabe für solche Prozesse. Musik wird als
Interpretant von Kultur aufgefasst, sodass einzelne Musikstücke als Ergebnisse von
Wahrnehmung und Deutung von – sowie als Anlässe für – Praktiken gelten können,
deren Realisierung wiederum zum Verständnis sowohl der eigenen als auch anderer
Kulturen führen sollte. Dazu werden für den Musikunterricht Beobachtungen an
Musiken vorgeschlagen, die sich als Ergebnisse interkultureller Begegnung darstellen.
In this essay, culture is considered as a result of, and a challenge for communicative and
interactive processes of negotiation which are about the importance of meaning and
relevance. Music is regarded as an interpretant of culture, so single pieces of composi-
tion can be considered as results of perception and interpretation, but also as initiations
of practices, which may lead to an understanding of one’s own culture as well as that of
others. For this purpose, observations of musical pieces, which present themselves as
results of intercultural encounter, are suggested for music education contexts.
Wenn es um Kultur oder Kulturen geht, machen wir es uns gerne mit Meta-
phern bequem: Wir sprechen z. B. – wie auch hier im Titel – von „Begegnungen“
und vergessen dabei leicht, dass nicht Kulturen, sondern nur Menschen sich
begegnen können; wir sprechen von „Inter-“ oder „Transkulturalität“ und blen-
den dabei leicht aus, dass „Inter“ und „Trans“ Raumbegriffe sind – was für den
Veränderungen des realen wie auch des imaginären Raums der Sinnerzeugung
konstatierte schon Michael Alt, als er die „Dislozierung der Musik durch die
technischen Apparaturen“ beklagte (Alt, 1968, S. 16). Diese ist heute zu einer
1
Das „enge Bretterhaus“, von dem im obigen Motto die Rede ist, kann als ein solcher realer
Raum gelten, in dem sich imaginär Anderes ausbreiten kann und soll.
2
Insofern kann das Folgende als – nicht von vornherein beabsichtigter und durchaus anders
fundierter – Versuch einer Antwort auf die Frage gelten, der Olivier Blanchard in seinem
Beitrag in diesem Band nachgeht.
Selbstverständlichkeit geworden, die unser Leben begleitet und die noch wei-
ter fortschreiten wird. Insofern sind wir Zeugen eines Vorgangs, den Ernst
Cassirer als den Kern des Menschlichen beschrieben hat (vgl. Cassirer,
1944/1990): Die fortschreitende Arbeit an der Entwicklung der technischen
Medien lässt uns teilhaben an der fortschreitenden Hervorbringung einer Kul-
tur, deren Merkmale zum einen die potenzielle Verfügbarkeit ihrer Inhalte,
zum anderen deren zunehmende Diversität, aber auch ihre Hybridisierung
sind (vgl. Ahner, 2018). In diesen Merkmalen sind „die Spannungen und Rei-
bungen, die starken Kontraste zwischen den verschiedenen Kräften des Men-
schen“, auf die bereits Cassirer hinwies, unübersehbar: „Sie lassen sich nicht
auf einen gemeinsamen Nenner bringen [, aber; PWS] vervollständigen und
ergänzen einander“ (Cassirer, 1944/1990, S. 345–346).
Aus heutiger Sicht ist insbesondere der erste Teil dieser Feststellung zu un-
terstreichen, verweist er doch bereits auf zentrale Gründe dafür, dass die post-
moderne Kultursoziologie in Anbetracht neuerer Entwicklungen kulturellen
Handelns seit Jean-François Lyotards Das postmoderne Wissen versuchte, „Alter-
nativen zu einem linearen Modell der Moderne als strukturelle Steigerung
(Differenzierung, Rationalisierung, Individualisierung etc.) und als Diffusi-
onsprozess“ zu entwickeln (Reckwitz, 2016, S. 31–32). Eine dieser Alternativen
kultursoziologischer Darstellung – und zugleich eine einleuchtende Konse-
quenz aus dem, was Wolfgang Welsch im Rekurs auf Lyotard als Abkehr von
den großen „Meta-Erzählungen“ charakterisiert hat (Welsch, 1997, S. 32) – ist
Dirk Rustemeyers Vorschlag, Cassirers Vorstellungen einer Semiose zu unter-
ziehen (vgl. Rustemeyer, 2009, S. 51–56), als deren Ergebnis sich Kultur nicht in
der Einheit eines großen Ganzen darstelle, sondern als Kumulation erschlosse-
ner und immer wieder neu zu erschließender Elemente von Sinngenerierung,
die sich insgesamt nicht zu einer Summe fügen, sondern lediglich Einzeich-
nungen in einem „Diagramm“ sind, das auf Kultur als unaufhaltsamen Pro-
zess verweist (ebd., S. 30–38).
Nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern auch vor dem des von Andreas
Reckwitz vorgeschlagenen Konzepts der „Hybridisierung“ (vgl. Reckwitz, 2016,
S. 41–48) muss das Menschenbild Cassirers ebenso wie seine holistische Vorstel-
lung von Kultur diskutiert werden. Festzustellen ist zunächst, dass der Mensch,
der nach Cassirer in Kultur „als den Prozess der fortschreitenden Selbstbefrei-
ung“ (Cassirer, 1944/1990, S. 345) involviert ist, ein Idealtypus ist, dessen Profil
eher von Hoffnungen als von Tatsachen markiert wird. Im Zusammenhang
damit ist der Kulturbegriff, den Cassirer entfaltet, ein universalistischer Begriff,
der die „Einheit“ von „Sprache, Kunst, Religion und Wissenschaft“ (ebd.) um-
fassen soll. Ferner wird man der teleologischen Fortschrittsvorstellung und
Legitim ist eine solche Auffassung von Musik als eine der „symbolischen For-
men“ von Kultur, weil in Musik während ihrer Entstehung im Rahmen einer
komplexen Mimesis all dasjenige einfließt, was ihr bei späterem Gebrauch Gel-
tung verschaffen soll: Wertvorstellungen, Vorstellungen vom Umgang mit
Regeln und Normen nicht nur musikalisch-ästhetischen, sondern auch alltäg-
lich-usuellen Charakters (vgl. Schatt, 2011). Musik ist damit Ergebnis und
Anlass kulturellen Handelns und somit sozial nicht nur fundiert, sondern
auch auf das Soziale ausgerichtet. Sie kann als „tönender Ort“ gelten, von dem
aus Kultur zugänglich werden kann, wenn dieser „Ort“ mit seinen sinnlich
wahrnehmbaren Eigenarten Ausgangspunkt für Handlungen wird, die das
sinnlich Wahrnehmbare auf seine Ursachen und die damit verbundenen bzw.
verbindbaren Bedeutungen im Rahmen von z. B. Normen, Wertvorstellungen,
Orientierungen für Ordnungen, Weltbildern oder Menschenbildern beziehen.
Diese Bedeutungen schlagen sich in Bedeutsamkeitszusammenhängen nieder,
menschlichen Praxen nämlich nach Maßgabe von oder in Orientierung an die-
sen Bedeutungen, die konstitutiv für Sprache, Recht oder Kunst sind.3 Die
besondere Herausforderung an Orientierung in unserer Zeit besteht fraglos in
der virtuellen Omnipräsenz solcher Bedeutungen und Bedeutsamkeiten sowie
in deren Pluralität und Diversität. Diagrammatische Beschreibungen können
diese zwar darstellen, sind aber keine Hilfen für Entscheidungen, vor die der
Mensch sich in seiner Alltagspraxis unausweichlich gestellt sieht.
Bedeutungen und Bedeutsamkeiten können und müssen durch Anerken-
nung Geltung gewinnen, und zwar in einem bestimmten Raum für bestimmte
Zeit und für bestimmte Menschen. Worin Kultur besteht, konstruieren wir
mithilfe dessen, was wir unterscheidend wahrnehmen und wofür wir uns ent-
scheiden: wie wir essen, wohnen, unsere Gärten anlegen, tanzen, singen, spre-
chen, musizieren, beten usw., und indem wir die Bedeutsamkeit dieser Hand-
lungen zusammenfassend und als Orientierungshilfe unter Oberbegriffen wie
Sitte, Gebräuche, Sprache, Musik, Tanz, Theater, bildende Kunst, Religion so-
wie deren Regeln, Normen und Ritualen verorten. Sofern Bedeutungen an
„konkrete sinnliche Zeichen“ (Cassirer, 1921-22/1956, s. o.) gebunden sind, kann
Kultur quasi punktuell gegenständlichen Charakter annehmen und in Gestalt
von Texten, Bildern, Kompositionen, Ritualen usw. in Erscheinung treten. Inso-
fern sind z. B. Bilder, Musikstücke, Aufführungen, fiktionale und nicht fiktio-
nale sowie wissenschaftliche Texte, Werbung, Filme, Gottesdienste sinnlich
wahrnehmbare Ausgestaltungen – quasi Interpretationen – dessen, was wir
unter diese Oberbegriffe fassen, und sie alle sind wiederum interpretationsbe-
dürftig, wobei die Bedeutungen ihrerseits im Rahmen einer komplexen Semi-
ose durch Kommunikation und Interaktion in Geltung gesetzt und ausgehan-
delt werden (vgl. Rustemeyer, 2009, S. 46). Dieser Prozess muss keineswegs rein
3
Rolf Grossmann weist darauf hin, dass sich erst auf der Ebene der „kulturelle[n] Formung von
Klängen“, die für ihre Identifikation und ihre Sinnkontexte zuständig sei, Musik als „abgrenz-
bares System kommunikativen Handelns oder kulturelles Dispositiv“ finden lässt (Gross-
mann, 2013, S. 63).
4
Zahlreiche weitere Beispiele – auch aus dem Jazz und der populären Musik – sind bei Sachsse
& Schatt, 2016 und 2017, zu finden.
weil die „normalen“ Schemata nicht funktionieren. Indem wir die Er-
scheinungen nicht in Übereinstimmung mit den gewohnten Kategorien
tradierter Musik wie Motiv, Thema, Dissonanz und Konsonanz oder Harmo-
niefolge, Spannung und Auflösung bringen, sondern nur als z. B. Wandel, Kor-
respondenz oder Diffusion von Strukturen und Texturen einordnen können,
kann das Werk als „Interpretant“, als tönender Beitrag zum damaligen Diskurs
über Gestaltung und Verlauf von Raum und Zeit in der Musik gelten.
Freilich ist dieser „Interpretant“ selbst durchaus interpretationsbedürftig,
denn diese Komposition ist ein Beispiel für einen Teilbereich der Hochkultur,
dem man zwar irgendwie „begegnen“ kann (wenn man sich denn überhaupt
zum Hören entschließt), zu dem es aber nur unter großen Anstrengungen eine
„inter-“ oder „trans-“ Beziehung geben wird, wenn die Identität des Subjekts,
das sich dieser Begegnung aussetzt, nicht darauf gerichtet ist.
Dieses Beispiel zeigt, dass Musik zwar als „sinnliches Zeichen“ i.S. Cassirers
(1921-22/1956, s. o.) „konkret“ im Rahmen der jeweiligen Praxis wahrnehmbar
ist, dass aber weder ihr „geistiger Bedeutungsgehalt“ (Cassirer, ebd.) feststeht
noch klar ist, wer ihn in welcher Weise an sie knüpft. Anders als bei z. B. Ver-
kehrszeichen, deren Bedeutungen in normativer Weise administrativ gesetzt
und kommunikativ verhandelt sowie zur Geltung gebracht wurden, müssen
Bedeutung und Bedeutsamkeit nicht-repräsentationaler Zeichen immer wie-
der aufs Neue in Kommunikation und Interaktion hervorgebracht werden.
Solche Zeichen vergegenwärtigen und veranlassen zunächst ein Denken in
Strukturen und Relationen, in Verhältnissen und Funktionen und erst dann in
Inhalten – sie eröffnen gewissermaßen einen imaginären Raum, der zur Sinn-
generierung einlädt. Deren Beschreibung ist das Anliegen einer Topologie von
Musik, die in einer diagrammatischen Darstellung von exemplarischen Einzel-
fällen zu bestehen hätte, statt – wie Martin Heidegger es in seiner Topologie
des Seins tat – nach einem umfassenden Sinnhorizont zu fragen, der „alles
Seiende und den Menschen selbst in dessen Wesen verstehbar macht“ (Schle-
gel, 1998, Sp. 1291).
Fällt bei der Suche nach Hilfen für den pädagogischen Umgang mit dem kul-
turell Fremden bzw. kultureller Heterogenität im Musikunterricht der Blick
zunächst auf ältere Vorschläge, so findet man Vorstellungen, die im Span-
nungsfeld von Kompensations-, Abbild- und Verweigerungsdidaktik ange-
siedelt waren. Dabei geraten unterschiedliche Bereiche von kultureller Fremd-
heit in den Blick: die Differenzen zwischen Hochkultur und Jugendkultur
„Dabei wird eine Beziehung zu anderen Menschen und deren Handeln herge-
stellt. […] Entscheidend ist jedoch nicht die Ähnlichkeit, sondern die Herstellung
einer Beziehung zu einer anderen Welt. […] Trotz des Begehrens, ähnlich zu wer-
den, besteht ein Verlangen nach Unterscheidung und Eigenständigkeit. Aus die-
ser Ambivalenz entsteht soziale Vielfalt“ (Wulf, 2005, S. 8).
5
Vgl. dazu den Beitrag von Bernhard Weber in diesem Band.
egegnung mit dem Anderen bzw. den Anderen werden (Krause, 2007; Schatt,
B
2008, S. 222–224) – einer Begegnung, die sich in Praktiken zu bewähren hätte,
die zwischen Auseinander- und In-Eins-Setzung oszillieren.
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einer Historik der Musik. In H.-U. Schäfer-Lembeck (Hrsg.), Musikalische Bildung –
Der Text stellt das Modell „Musikpraxen erfahren und vergleichen“ (kurz: Mev) in den
Kontext der Interkulturellen Musikpädagogik. Dabei spielt das von Homi K. Bhabha
entwickelte Konzept des dritten Raumes in Verbindung mit einem praxeologischen
Kulturbegriff eine Schlüsselrolle zur Beschreibung von kulturell gemischten und offe-
nen Situationen, die das Modell Mev auf verschiedenen Ebenen musikpädagogischer
Praxis generiert. Der Text schreitet von der Darstellung theoretischer Grundannahmen
auf der Makro-Ebene weiter zur Beschreibung zentraler Merkmale dritter Räume bis
zur exemplarischen Darstellung von Mikropraktiken einer ‚auditiven Wissensform,
um schließlich einen Vorschlag für einen ‚schülbezogenen kulturreflexiven Musikun-
terricht‘ abzuleiten.
The text places the model Musikpraxen erfahren und vergleichen (Model for Compara-
tive Praxial Music Education) in the context of intercultural music pedagogy. The
concept of third space developed by Homi K. Bhabha is connected with a praxeological
concept of culture. It plays a key role in the description of culturally mixed and open
situations, which the model generates at various levels of music pedagogical practice.
The text proceeds from the presentation of theoretical basic assumptions at the macro
level to the description of central features of third spaces, to the exemplary presentation
of micro practices of an “auditive Wissenskultur” (technical term of ‘practice theory’ for
a ‘shared implicit knowledge’ what meaningfully connects a complex of practices): to
finally derive a proposal for a ‘pupil-related cultural reflexive music teaching’.
Abb. 1: Dritte Räume finden sich im Modell „Musikpraxen erfahren und vergleichen“ (Mev)
in den Zonen der Musikpraxis und des Vergleichens sowie in einem abgeleiteten Sinn
in der Fundus- oder Korb-Zone.
Die Idee des Modells Musikpraxen erfahren und vergleichen (Mev, siehe
Abb. 1) besteht darin, dass Schüler*innenwesen (ich nenne sie ab jetzt kurz
Schül, Singular das Schül) in der Schule mit musikalischen und musikbezoge-
nen Praktiken, Artefakten, Narrativen und Verkörperungen aus verwandten
Kulturen musikalisch dritte Räume (Musikpraxen) zusammenstellen, deren
mögliche Qualitäten probieren und erfahren und dass sie dann im Lauf der
Schulzeit verschiedene solcher dritten (Musik-) Räume vergleichen, ohne
dass ein normatives Tertium Comparationis von außen an die Vergleichsge-
genstände herangetragen würde. Die Praxis des Vergleichens verschiedener,
selbst gestalteter Musikpraxen lässt sich erneut als dritter Raum beschreiben.
Durch das Praktizieren gewinnen die Schül Erfahrung mit grundverschie
denen Möglichkeiten musikalischer Praxis und durch das distanzierende
1
Vgl. grundlegend Wallbaum, 2007/2013 und im Überblick 2016, kompositionspädagogisch
Wallbaum, 2018c sowie metaphernorientiert Oberschmidt & Wallbaum, 2014 und an zwei
hochschuldidaktischen Fallbeispielen Krämer & Wallbaum, 2014.
2
Zu dessen Rolle zwischen Musikethnologie und Musikpädagogik vgl. Clausen, 2018, S. 71.
3
Vgl. grundsätzliche Überlegungen von Nettl, 1989 und konkrete (auch) Unterrichtsbeschrei-
bungen in Wallbaum, 1993, 1994, 1997, 1998a, 1998b, 2001, 2003, 2010, 2012, 2013. Das in Wall-
baum, 1998a beschriebene Projekt mit Schül enthält in nuce alle Merkmale von Mev. Die
Unterscheidung von jugendlichen Musikkulturen, deren Konturen im Unterricht von den
Schül selbst für das Projekt konstruiert worden waren, wurde von Klingmann (2010) als Fest-
schreibung gelesen und zurückgewiesen. Aus der Mev-Perspektive war das ein Missver-
ständnis. Ders. erwähnt 2012 auch das Konzept des dritten Raumes.
4
Zentraler Gedanke ist, dass Kulturen das Ergebnis von Praktiken sind, aus deren Kombina-
tion oder Konstellation in der Praxis Sinn bzw. Bedeutung entsteht. Auch Dorothee Barth
(2008) beruft sich bei ihrer Verwendung des bedeutungsorientierten Kulturbegriffs auf Reck-
witz (2000). In Wallbaum, 1993, S. 80–84 findet sich ein Bogen von einem kritischen Wittgen-
stein-Zitat zur Ethnomethodologie von 1937 über verschiedene damalige musikpädagogische
Forschungsergebnisse bis zu einem sozialen Praxisbegriff im Sinne der cultural studies. Die
damit verknüpfte musikdidaktische Empfehlung wäre ohne weiteres mit Mev vereinbar.
Zunächst eine kurze Selbstvergewisserung: Was ist eigentlich der Job der Musik-
didaktik? Mir hilft für die Antwort ein kurzer Blick zurück. Aus dem Urknall
entstand unser Universum, irgendwie auch die Erde, auf der Erde die Atmo-
sphäre und Leben, schließlich Menschen. Die haben anfangs in Horden gelebt
und dabei auch musiziert, also gesungen, getrommelt und mit Klängen gespielt
(vgl. Kaden, 1993 u. 2004; Suppan, 1984; Blaukopf, 1982). Die Kinder haben die
verschiedenen Praktiken durch Mitmachen und Darüber-Reden gelernt. Praxis-
theoretisch mit Schatzki (1996, 2001) gesprochen, durch einen nexus of doings and
sayings. Jede Horde hat im Laufe der Zeit ihren nexus of doings and sayings
praktiziert, nicht selten verknüpft mit Tanz und Drogen und Narrativen von
Ahnen, Göttern und aller Dinge Anfang, sozusagen vom Urknall. Und dann
kam irgendwann die Massengesellschaft, in der es verschiedene Lebensformen
(„Kulturen“ oder auch Teilkulturen, Hochkulturen, Subkulturen, Jugendkultu-
ren usw.) und mit ihnen verknüpfte Musikpraxen („Musikkulturen“) gab und
Menschen, die gleichzeitig an verschiedenen Kulturen partizipierten, und es
wurden Staaten gebildet, die Institutionen wie die allgemeinbildende Schule
einrichteten, und darin sollte und soll Musik unterrichtet werden. In der Musik-
didaktik haben wir es daher mit zwei verschiedenen Praktikenkomplexen zu
tun: einerseits der Institution Schule und ihrem Träger, dem Staat einschließlich
der jeweiligen Regierung und ihren politischen Normen und Curricula, anderer-
seits mit Musik, die wissenschaftlich bestimmt sein soll, das heißt gültig für alle
Musikkulturen, die in der Gesellschaft praktiziert wurden und werden und
werden werden (Siehe Abb. 2: Würfel zu Dimensionen der Musikdidaktik).
Den Job der Musikdidaktik sehe ich darin, das Gefüge aus staatlich-poli-
tisch bedingten Vorgaben und solchen, die sich aus dem Begriff von Musik
ergeben, zu verstehen und dann zu kommunizieren. Zusätzlich zu den Prak-
tiken, die über allgemein pädagogische Methoden und verschiedene Musi-
ken in die Unterrichtspraxis gelangen, gibt es noch einen dritten relevanten
Faktor im Unterrichtsgeschehen, nämlich alles, was die jeweilige konkrete
Situation mit sich bringt: das Einzugsgebiet der Schule, die Einrichtung und
Ausstattung der Räume und – meistens werden sie zuerst genannt – die be-
teiligten Personen.
Der Würfel aus Abb. 2 erwies sich auch bei dem Versuch, die Insider-Be-
schreibungen von gefilmten Musikstunden aus sieben Staaten in Bezug auf
ihre Normen zu vergleichen, als geeignet, um die verschiedenen sozialen
Felder, mit deren Praktiken Musikunterricht verwoben ist, in den Blick zu neh-
Abb. 2: Der Würfel zeigt grundlegende Dimensionen der Musikpädagogik, die sich aus einer
Zusammenschau international vergleichender musikpädagogischer Forschung ergeben
(Wallbaum & Stich, 2018, S. 60). Der kleine dunkle Würfel markiert den Ausgangspunkt des
Vergleichs von neun Unterrichtsvideos aus sieben Ländern (Wallbaum 2018a).
men. Es zeigte sich, dass jede der Beschreibungen, die ihren Ausgangspunkt in
jeweils einer Stunde nahmen (siehe den kleinen dunklen Würfel im großen),
zunehmend allgemeiner werdende Bezüge zu Wissen bzw. Diskurspraktiken
aus anderen sozialen Feldern herstellte. Diese reichten von lokalen Lehrplänen
über Ländergrenzen hinweg bis zu Theorien und Ideologien. Z. B. landet Leh-
mann-Wermser (2018) beim Vergleich von zwei grundverschiedenen Musikun-
terrichtsstunden aus Schottland und Niedersachsen, die beide für sich bean-
spruchen können, guten Musikunterricht darzustellen, beim Neoliberalismus
als Tertium Comparationis, von dem her deren Verschiedenheit, die ansonsten
in sich schlüssig ist, erklärbar wird.
Was wie ein Nacheinander auf dem Weg zur Interpretation einer Stunde
erscheint, das mag an verschiedenen Orten – Schule, Uni, Ministerien – erar-
beitet werden, aber ontologisch liegen alle Erarbeitungspraxen auf derselben
Ebene, wie Schatzki (2016) ausführt. Dementsprechend ist es für uns und un-
sere Kinder heute ganz normal, zwischen der lokal erfahrenden Teil neh
mer*innenperspektive – z. B. beim Singen eines Liedes – und der global verglei-
chenden Perspektive – z. B. beim Anhören einer eigenen Aufnahme oder bei
Gesängen auf YouTube – hin und her zu switchen.
Es gibt zur Zeit starke Vorbehalte gegen jede Form von Benennungen zum Bei-
spiel einer Kultur, weil damit zwei Sorgen verbunden werden: Einerseits wird
die Gefahr gesehen, dass eine Kultur als „selbstidentisches“ unveränderliches
System verstanden werden könnte, andererseits besteht die Sorge, dass an
einer Kultur Teilhabende essentialisierend auf die Merkmale dieser Kultur
reduziert werden können. Beide Gefahren bestehen im vorliegenden, praxeolo-
gisch oder praxistheoretisch grundierten Ansatz nicht, weil es hier ausschließ-
lich um das Verstehen und Beschreiben von Praktiken und Praktikenkonstel-
lationen geht, die sich per se in einem steten, manchmal schnelleren, manchmal
langsameren Wandel befinden.
Der Praxisbegriff wird in der Musikpädagogik entsprechend verschiedener
Wissenschaftsdisziplinen unterschiedlich verwendet (ausführlicher siehe
Wallbaum & Rolle, 2018). Während der Begriff in einer philosophischen, auf
Aristoteles zurückgehenden Tradition mit ethischem Fokus verwendet wird
(z. B. bei Elliott, Regelski, Kaiser und Vogt), wird er im vorliegenden Text aus
einer kultursoziologisch geprägten Praxeologie heraus rein formal verwendet.
Prominent vertreten wird er von Theodore Schatzki (1996 u. a.) und in Deutsch-
land wurde er populär gemacht von Andreas Reckwitz (2003 u. a.). Durch den
rein formalen Begriff können verschiedene Arten von Praxis unterschieden
werden, wie ethisch-moralische, aber auch wissenschaftliche, ästhetische, au-
ditive oder pädagogische Praxisformen. Letztlich ist so alles auf Praxis zurück-
führbar. Auch Theorie wird als eine Art von Praxis begriffen: als eine oder die
Praxis des Theoretisierens.
In der soziologischen Praxeologie sind Praktiken die kleinsten Einheiten.
Hillebrandt nennt sie auch „elementare Ereignisse“ (2014, S. 109), in denen wir
soziale Praxis fassen können. Zum Beispiel wird aus einem In-die-Hände-
Klatschen als bloßer Bewegung von Gliedmaßen erst durch die soziale Einge-
bundenheit eine Praktik wie zum Beispiel das Herbeirufen eines Bediensteten,
„Die einzelne Praktik oder ein ganzer ‚Praktikenkomplex‘ – etwa der mitein
ander verknüpfte Komplex von Techniken, die eine fordistische oder eine post-
fordistische Wirtschaftsorganisation oder die Lebensform des Bürgertums des
19. Jahrhunderts ausmachen – ist […] über eine implizite, in der Regel nicht ver-
balisierte Wissensordnung struk t uriert und tendiert zur Wiederholung. In
der Praxis, d. h. der Serie von temporalen Ereignissen, die eine Aktualisierung
der sozial-kulturellen Praktiken durch einzelne Körper, mit bestimmten Artefak-
ten, in präzisen raum-zeitlichen Situationen betreiben, ergibt sich dabei jedoch
immer wieder ein Potential für überraschende Verschiebungen, Modifizierungen
und Eigensinnigkeiten.“ (Reckwitz, 2016, S. 35)
Die praxistheoretische Auffassung der Welt macht den Begriff von Kultur
deutlich, der meinen Überlegungen zugrunde liegt. Eine Kultur ist ein Kom-
plex von Praktiken, deren Konstellation durch Wiederholung – Konvention
oder Tradition – eine gewisse Stabilität gewonnen hat. Man kann in demselben
Sinn auch von Firmen- und Schulkulturen, von Jugend- und Musik- und Erzie-
hungskulturen sprechen. Gemeint sind jeweils Konstellationen von Praktiken
(doings and sayings) sowie durch vorgängige Praktiken geformte Narrative/
Diskurse, Artefakte, Körper und Subjektivierungen.
Es ist selbsterklärend, dass ein solch sozialkonstruktivistischer Begriff von
Kultur diese nicht als starres und unveränderliches Gebilde auffassen kann, son-
dern nur als in lebendiger Veränderung befindlich (vgl. auch Kim, 2018, S. 57).
Ebenso ergibt sich, dass Praktiken aus der einen Kultur mit Praktiken aus einer
anderen neue, hybride Konstellationen eingehen können, die dann Einzelfall
bleiben oder erneut zu Kultur werden können.1 Und wo wir nicht sicher sind, ob
bei einer einzeln sich ereignenden Musikpraxis ein Irrtum oder ein Geniestreich,
eine Mode oder eine kulturspezifische Konstellation von Praktiken vorliegt, da
können wir den Kulturbegriff weglassen und neutral von Musikpraxis sprechen.
Oder wir begrüßen ein ambivalentes Dazwischen als dritten Raum.
4. Dritte Räume
5
Vgl. auch die Beschreibung der Funktion von „ästhetischen Techniken“ alias Praktiken in
Kulturen und schulischen Produktionsprozessen in Wallbaum 2000, S. 258–260.
„Die Ambivalenz führt einen performativen Sinn für […] die Aktivitäten der Refle-
xion und des Urteilens, der Wahl und der Entscheidung [ein]. (Bhabha, 2016, S. 43)
Zwar widersprechen die verschiedensten Spielarten des Fundamentalismus, der
Orthodoxie oder der Erweckungsbewegungen häufig den heutigen verfassungs-
mäßigen Rechten, […] und oftmals verletzen sie unseren Sinn für soziale Gleich-
heit […] und die Freiheit des Individuums. Doch wenn wir sie [die verschiedenen
Spielarten, CW] nur als die ‚andere‘ Seite der Moderne, Demokratie oder Aufklä-
rung betrachten, ‚eignen‘ wir sie uns in einer Art Aufhebung an, die versucht, ihre
[der Spielarten] Singularität einer bestimmten ‚dialektischen‘ Denkmethode
unterzuordnen, der kein umfassender Universalismus zugesprochen werden
kann. Die asynchronen Glaubensüberzeugungen und asymmetrischen Bräuche,
die unsere globale Gleichzeitigkeit (contemporaneity) – national, regional oder ter-
ritorial verstreut, im Westen wie im Osten, Norden oder Süden – ausmachen,
müssen deshalb aus der Perspektive einer ‚Gleichheit-in-Differenz‘ begriffen und
kritisiert werden.“ (Bhabha, 2016, S. 27)
6
Zum komplementären Problem vorauseilender ‚Veranderung‘ vgl. Rolle, 2018, S. 308 am Bei-
spiel eines internationalen Gesprächs über die Rolle eines Teppichs in einer Musikunter-
richtsstunde aus Estland.
begriff sowohl die spatiale als auch die zeitliche Dimension von Tätigkeiten
und deren Spuren. Die zentralen Merkmale dritter Räume sind:
• Raum für Differenz ohne eine übernommene Hierarchie (vgl. Bhabha,
2011, S. 5);
• „eine gewisse Art von Langsamkeit, es gibt ein Festhalten am Moment
des Übergangs“ (Bhabha, 2016, S. 69). Siehe auch oben: Mit Sinn für Perfor-
mativität;
• bei Handlungsbedarf kommt es zu „Figurationen“ bzw. Konstellationen,
in denen anstelle des Konflikts andere Fragen zentral werden. Welche Fra-
gen das sind, bleibt situationsabhängig (ebd., S. 72);
• sie eröffnen „Räume, die zu Veränderungen aller beteiligten AkteurInnen
auf allen Seiten führen können. Im Zuge von Kulturkontakten erfolgen
Transformationen, die ein Dazwischen oder eben einen Dritten Raum
eröffnen“ (Babka & Posselt, 2016, S. 12).
Obwohl oder weil es im vorliegenden Text unter anderem darum geht, das
Modell Musikpraxen erfahren und vergleichen (Mev) aus der Schublade ästhe-
tischer Bildung herauszuholen und den Kulturbezug herauszustellen, sei der
Hinweis erlaubt, dass die Merkmale der hierarchie-entlasteten Symmetrie, der
Vollzugsorientierung (bzw. Performativität) und Offenheit für Differenz auch
grundlegende Merkmale ästhetischer Praxis sind, mit dem einzigen Unterschied
zu „postkolonialen“ gesellschaftlichen Situationen, dass ästhetische Praxis
nicht selten absichtsvoll als solche ermöglicht und aufgesucht wird. Hand-
lungsbedarf (vorletztes Merkmal) entsteht durch die prozess-produkt-didakti-
sche Aufgabe, aus vorliegendem Material eine erfüllende Musikpraxis oder
Situation mit Musik zu gestalten und diese dann so lange probierend zu prak-
tizieren, bis sie als erfüllt erfahren wird.
Mev kann als ein Ansatz beschrieben werden, der unter Berücksichtigung
der Pluralität von sowohl pädagogisch-kulturellen als auch musikkulturellen
Normen einen Musikunterricht modelliert, der einem praxis- und kulturrefle-
xiven Begriff von Musiken und Musikenlernen gerecht wird, ohne einzelne
Musikpraxen einschließlich ihrer Lehr-Lern-Praxen als statische Kulturen er-
scheinen zu lassen.
„Musik ist – in Anlehnung an neuere Theorien der Soziologie der Praxis (Reck-
witz, 2003) – als ein prozessuales Produkt zu betrachten, das aus Interaktionen
von Akteuren mittels bestimmter sozialer Praktiken (Praktikenzusammenhänge
und -elemente) resultiert. Sie ist erst dadurch konstruierbar, dass unterschied
liche Praktiken zueinander in Beziehung gesetzt und ausgehandelt werden.“
(Kim, 2018, S. 55)
Für das Unterrichten von Musik ergibt sich daraus, dass nicht allein Werke
oder Stücke, sondern mit ihnen ganze Praktikenkonstellationen – Praxen – zu
unterrichten sind, und zwar einschließlich je spezifischer Lehr-Lern-Prakti-
ken.8 Das Singen von Mozarts Königin der Nacht in der Oper artikuliert etwas
anderes als der Gesang bei einem Punkauftritt in der autonomen Wagenburg,
auch wenn in beiden Fällen Wut ausgedrückt wird9, und ein experimentelles
Konzert von Laptop-Spielern stellt wiederum eine andere Konstellation dar,
deren Qualität durch eine bloße Darstellung und Analyse akustischer Parame-
ter wie Zeitgestaltung, Stimmung (Pitch), vertikaler und horizontaler Formen
nicht annähernd fassbar wird.
Mev unterscheidet sich insofern von Campbells Modell Teaching Music Glo-
bally (2004), als Campbell den Musikunterricht am Leitfaden – von Wade (2004)
7
Ich favorisiere hier das Wort Narrativ, weil darin über die praxistheoretischen Wörter Saying
oder Diskurs hinaus auch die Erzählung anklingt, die mir für einen praxialen Musikunter-
richt wichtig scheint. Vgl. z. B. Cvetko 2014 und Oberhaus 2016. Vgl. z. B. Cvetko 2014 und
Oberhaus 2016.
8
Thomas Ott (2017) führt an drei Phasen in der Entwicklung des Musikers Konaté vor, dass
und wie sich verändernde Lehr-Lern-Praktiken auch die Aufführungspraxis verändern. Zu
Interferenzen zwischen pädagogischen und musikalischen Praktikenkonstellationen bzw.
Kulturen siehe Wallbaum & Stich, 2016 und Wallbaum, 2018b.
9
Die Beschreibung Die Do-it-yourself-Kultur im Punk. Subkultur, Counterculture oder alternative
Ökonomie? von Anna Daniel (2018) macht exemplarisch deutlich, was für unterschiedliche
Qualitäten in einer Musikpraxis gefeiert werden können.
10
Eine verwandte Unterscheidung zwischen „reiner Musik“ und ästhetischer Bedeutung als
etwas Außermusikalischem findet sich in Deutschland z. B. in der kreativitätsorientierten
Produktionsdidaktik von Nils Hansen (1975; dazu Wallbaum, 2000, S. 67–75). Stefan Orgass
(2007, S. 162) spricht (s)einem entsprechenden Musikbegriff einen biographisch bedingten
„Restdogmatismus“ zu.
„Eine weitere Parallele zur Arbeit der Naturwissenschaftler [Physiker des CERN,
C.W.] liegt zudem darin, dass auch in den eher impulsiv ablaufenden Interakti-
onsdynamiken der Jazzmusiker das Subjekt als Träger eines autonomen Hand-
lungsentwurfes verloren geht. Nicht zuletzt besteht das beschriebene Potential
der Überraschung auch aus dem Erleben, dass nicht nur unklar ist, was man
miteinander tut, sondern auch, wer oder was dabei überhaupt handelt. Und so
wie es sich bei den Physikern um eine Forschergruppe im Zusammenwirken mit
der Eigendynamik des Detektors handelt, so lässt sich auch bei den Jazzmusikern
behaupten, dass improvisierte Musik letztlich der Effekt eines Zusammenwir-
kens aus interagierenden Musikern, klingenden Instrumenten und der räumli-
chen und sozialen Kontingenz einer Konzertsituation ist.“ (Müller, 2018b, S. 50)
Über diese Darstellung der Qualität einer erfüllten Jazzpraxis anhand von
Narrativen hinaus beschreibt Müller auch Aufmerksamkeits-, Körper- bzw.
Leib- und Klangpraktiken, die an einer erfüllten Praxis beteiligt sind (vgl. Mül-
ler, 2018a, S. 327–338). Beträchtlicher Aufwand gilt dabei der Beschreibung von
Zuständen, in denen die Musizierenden sich nicht als autonom Handelnde
verstehen, sondern als „synchronisierte“ Teile eines „Passierens“ (ebd., S. 336).
Vergleichbare Beschreibungen finden sich auch zu einer videographierten
Musikstunde (Bavaria-Lesson und dazu Wallbaum in Cooperation with Kino-
shita, 2018), bei der Gruppenimprovisation mit dem Ziel praktiziert wird, eine
sprachferne Atmosphäre namens RED zu erzeugen. Entgegen der Aussage von
Müller zu nicht „pädagogisch vermittelbaren Komponenten“ (Müller 2018b,
S. 49) gelingt es diesem Lehrer, mittels einer Konstellation von Praktiken eine
Atmosphäre als Komponente von dem und ‚Beweis‘ für das Vorliegen einer
erfüllten (nicht nur Erfüllung suchenden) Musikpraxis zu generieren.
Noch zu klären bleibt, inwiefern die in Bezug auf beide Musikpraxen gefun-
dene Erfüllungsqualität (RED) allein für musikalische Improvisation gilt oder
möglicherweise für viele oder gar alle Musikpraxen. Ein direkter Vergleich
allein dieser beiden Beispiele wirft zum Beispiel die Frage auf, inwiefern das
7. Fazit
Der Begriff des dritten Raumes nach Homi K. Bhabha macht sichtbar, dass und
wie das musikdidaktische Modell Musikpraxen erfahren und vergleichen (Mev)
die kulturelle Dimension von Musik und Unterricht reflektiert. Dritte Räume
sind durch eine übergangsmäßige Hybridität, also Vermischung von – praxeo-
logisch gesprochen – Praktiken, Artefakten, Narrativen bzw. Diskursen und
Verkörperungen bzw. Subjektivierungen aus verschiedenen Kulturen bei (ten-
denziell) symmetrischen Machtverhältnissen gekennzeichnet. Sie sind offen
für Entwicklungen oder Deutungen in unterschiedliche Richtungen. Indem
Musikpraxen erfahren und vergleichen solche dritten Räume zum einen in den
Phasen oder Zonen des Gestaltens und Erfahrens und zum anderen in denen
des Vergleichens von Musikpraxen vorsieht, stellt es eine Möglichkeit dar, Kul-
turalität und kulturelle Vielfalt zu thematisieren, ohne dabei bestehende kultu-
relle Unterscheidungen festzuschreiben. Hier können nicht alle Detailüberle-
gungen wiederholt werden, aber ein Vergleich mit anderen Ansätzen interkul-
tureller Musikpädagogik zeigt, dass Mev eine neuartige und kulturbezogen
reflektierte Möglichkeit für Musikunterricht in einer sowohl globale als auch
lokale Kulturen berücksichtigenden Schule der Zukunft darstellt.
11
Eine Einführung in die Praktiken des Vergleichens und den Umgang mit Tertia Comparatio-
nis mit zahlreichen Illustrationen siehe Wallbaum & Stich, 2018, insbesondere Fig. 10 (S. 54).
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Die Frage nach dem Umgang mit unterschiedlichen und vor allem unbekann-
ten Kulturen, d. h. mit kulturellen Differenzen, bildet den Dreh- und Angel-
punkt des Nachdenkens über interkulturell orientierten Musikunterricht (vgl.
z. B. den Schnittstellenansatz von Merkt, 1993; den erweiterten Schnittstellen-
ansatz von Stroh, 2011; oder die Überlegungen zu interkulturellen Situationen
von Barth, 2010). Und die Auseinandersetzung mit kulturellen Differenzen im
Klassenzimmer ist deshalb zentral, weil sich die Hoffnung auf wünschens-
werte Bildungsprozesse daran knüpft: etwa die Entwicklung einer Haltung,
die sich durch Offenheit und das „wechselseitige Zuerkennen von Eigensinn“
(Ott, 2012) auszeichnet. In diesem Beitrag beschränken wir uns allerdings auf
die Frage, wie sich kulturelle Differenzen im Klassenzimmer zeigen.
Zugleich ist der Kulturbegriff nicht unumstritten und wird verschieden ver-
wendet. Mit dieser Problematik setzt sich Dorothee Barth in ihrer Arbeit (2008)
auseinander. In Anlehnung an Andreas Reckwitz (2000) grenzt sie den bedeu-
tungsorientierten Kulturbegriff von einem ethnisch-holistischen (und von ei-
nem normativen) Kulturbegriff ab. Für das Nachdenken über Interkulturelle
Musikpädagogik plädiert sie dann für die Verwendung eines bedeutungsori-
entierten Kulturbegriffs, von dem sie eine eigene Variante entwickelt.
Der ethnisch-holistische Kulturbegriff geht davon aus, dass Menschen in
kollektive Wissensordnungen und Sinnsysteme eingebunden sind, vor deren
Hintergrund Welt bedeutsam erscheint, und dass diese Wissensordnungen
zugleich an bestimmte Menschengruppen und territoriale Einheiten gebun-
den sind. Diese Gleichsetzung löst der bedeutungsorientierte Kulturbegriff
auf, was die Möglichkeit nicht ausschließt, dass viele Menschen eines Landes
oder einer Region ein bestimmtes Wissen teilen. Demnach ist es problema-
tisch von ‚der afrikanischen Musik‘ zu reden, was nicht bedeutet, dass viele
Menschen in Teilen Afrikas möglicherweise um bestimmte Hör- oder Musi-
zierweisen wissen, die beispielsweise in Europa so nicht verbreitet sind. Und
das meint nicht, dass diese Hör- und Musizierweisen nun für immer nur in
Musiken aus Teilen Afrikas praktiziert werden. Insofern sind Kulturen zwar
zu verstehen als (mehr oder weniger) dauerhafte, kollektive Wissensordnun-
gen und Sinnsysteme, aber nicht als homogene und nicht als statische Gebilde:
In ihnen durchmischen und überlagern sich differente kulturelle ‚Bruch
1
Dieser Text und damit zusammenhängende Überlegungen gehen auf einen Vortrag zum
Symposium in Freiburg und ein Seminar an der HMT Leipzig zurück, welche beide gemein-
sam mit Simon Stich geplant und durchgeführt wurden.
2
Diese theoretischen Überlegungen trägt Barth (2010) an drei videographierte Musikstunden
heran. Sie leitet vom Handeln und Verhalten einzelner Schüler*innen ab, ob ihnen die Musik,
die sie hören und spielen, fremd oder vertraut erscheint. Gleichzeitig problematisiert Barth
den Umstand, dass sich die zugewiesenen Bedeutungen der Schüler*innen nur schwer im
Videomaterial nachvollziehen ließen (und dass auch der zusätzliche Blick in Schüler*innen
interviews, welche sie in einem Fall zurate zog, wenig Aufschluss darüber gab) (vgl. Barth,
2010, S. 207–209). Insofern zeigt sich hier die Schwierigkeit, von ‚äußerlichen‘ Beobachtungen
auf ‚innerliche‘ Prozesse schließen zu wollen.
3
Auch Olivier Blanchard (2018) setzt an dieser Stelle an, um die Diskussion um kulturelle
Diversität in der interkulturellen Musikpädagogik kritisch zu hinterfragen.
4
Barth (2010) vertritt die Auffassung, dass sich beinahe in jeder Musikstunde kulturelle Diffe-
renzen bzw. „interkulturelle Momente und Situationen“ zeigen (Barth, 2010, S. 202), was nicht
bedeutet, dass die Lehrperson ihr Handeln an einem Konzept der interkulturellen Musik-
pädagogik ausrichtet. An dieser Stelle schließt auch unser Beitrag an und präsentiert eine
empirische Studie im Themenfeld Musikkulturen im Klassenzimmer (zur Unterscheidung
der Themenfelder Musikkulturen und Migration in der interkulturellen Musikpädagogik vgl.
z. B. Ott, 2012; auf die Leerstelle qualitativer Unterrichtsforschung im Bereich der interkultu-
rellen Musikpädagogik weist Knigge, 2012, S. 52 hin).
2010). Für die Rekonstruktion kultureller Differenzen wird dann weniger die
Relation zwischen ‚fremden‘ und ‚eigenen‘ Kulturen interesseleitend, sondern es
stellt sich vielmehr die Frage, „wie unter ‚anwesenden‘ lokalen und gegenwärti-
gen Bedingungen kulturelle Elemente aus ‚abwesenden‘ lokalen oder histori-
schen Kontexten verarbeitet werden“ (Reckwitz, 2005, S. 109).
Unser Blick richtet sich darauf, wie musikkulturelle Bruchstücke – also mu-
sikkulturelle „Elemente“ (ebd.) in Form von verbundenen sayings, doings und
Artefakten sowie in Form von Praktiken – aus „‚abwesenden‘ (…) Kontexten“
(ebd.) in den „‚anwesenden‘ lokalen und gegenwärtigen Bedingungen“ (ebd.)
des Musikunterrichts verarbeitet werden.5 Auch Christopher Wallbaum und
Christian Rolle (2018) nehmen eine praxeologische Perspektive auf Musikun-
terricht ein, um zu erforschen, wie musikalische und pädagogische Unterricht-
spraktiken im Musikunterricht verknüpft sind und in welcher Beziehung sie
zu Kontexten jenseits des Klassenraumes stehen. Obwohl Unterricht in der
Regel bedeutet, dass Lehrende Zielsetzungen verfolgen, weshalb sie Unterricht
auf eine bestimmte Art und Weise durchführen, wird anhand der Analysen
von Wallbaum und Rolle deutlich, dass die Frage nach den Intentionen der
Beteiligten aus praxeologischer Perspektive eine untergeordnete oder gar keine
Rolle spielt. Aufgrund der damit einhergehenden Verschiebung des Analyse-
fokus auf Aktivitäten und Vollzüge (und nicht auf ‚innerliche‘ Prozesse, vgl.
Fußnote 2), bieten sich Beobachtungsverfahren als leitender methodischer Zu-
griff an (vgl. hierzu auch Herzmann & König (2016, S. 121–122); Hillebrandt
(2014, S. 70–71)).
Die bisher angestellten Überlegungen geben einen ersten Teil der Antwort
auf die eingangs gestellte Forschungsfrage: Musikkulturelle Differenzen im
Klassenzimmer zeigen sich aus praxeologischer Perspektive als Überlagerun-
gen musikkultureller Bruchstücke aus „abwesenden“ Kontexten, die unter den
„anwesenden“ Bedingungen im Klassenraum in pädagogischen (und musika-
lischen) Unterrichtspraktiken verarbeitet werden.6
5
An dieser Stelle zeigt sich, dass die Theorie unterschiedliche Analysefokusse setzt: Einerseits
stellen Praktiken die zentralen und auch kleinsten Analyseeinheiten dar (s. o.), andererseits
sollen für die Rekonstruktion kultureller Differenzen „kulturelle Elemente“ (ebd.) in den
Blick genommen werden. Beide Aussagen gehen insofern zusammen, als dass in der hier
präsentierten Studie u. a. verbundene sayings und doings analysiert werden, die zum Teil
noch keine Praktiken darstellen, was aber dazu beiträgt, die Unterrichtspraktiken, in denen
diese doings und sayings verarbeitet werden, besser zu verstehen.
6
Die Perspektive der Unterscheidung von musikalischen und pädagogischen Unterrichtsprak-
tiken ist als vorläufige forschungsleitende Heuristik, die den Überlegungen bei Wallbaum &
Rolle, 2018 folgt, zu verstehen.
Methodisches Vorgehen
Nach einer kurzen Anwesenheitskontrolle kündigt der Lehrer für die Stunde
die Arbeit am ‚instrumentalen Führerschein‘ an, woraufhin sich die Schüler*in
7
Die bei Wallbaum (2018) zuerst veröffentlichten Stunden sind zum Nachvollziehen der Ana-
lysen unter https://comparing.video inklusive Begleitmaterial abrufbar. Da die Fälle sehr
umfangreich dokumentiert vorliegen, ergaben sich bei der Bearbeitung unserer Forschungs-
frage keine Einschränkungen. Eine Stunde wurde in Bayern aufgezeichnet, die andere in
Schweden. Die institutionellen Rahmenbedingungen beider Stunden spielen für diese Unter-
suchung jedoch keine Rolle.
Die Stunde beginnt mit den Aufwärmphasen ‚Stille mit Musik‘ und ‚Stopp-
Tanz‘. Bei der ‚Stille mit Musik‘ spielen einzelne Schüler*innen an Monochord
und Sansula, während die anderen aufmerksam zuhören. Die Phase wird
kurz reflektiert. Beim ‚Stopp-Tanz‘ spielt der Lehrer Klavier, während sich die
Schüler*innen passend zur Musik im Raum bewegen sollen.
Anschließend wird das Thema der Stunde, die musikalische Gestaltung ei-
ner Geschichte, präsentiert. Zunächst wird die Geschichte, die in den beiden
letzten Stunden entwickelt wurde, in einem Unterrichtsgespräch in Erinne-
rung gerufen. Für einen Abschnitt der Geschichte sollen die Schüler*innen
dann aus ihrer Sicht passende Instrumente wählen und ausprobieren, welche
Klänge sie an welcher Stelle dazu produzieren wollen.
Schließlich wird im Plenum, moderiert durch den Lehrer, besprochen, wie
die verschiedenen Klangelemente zusammengefügt werden sollen. Am Ende
der Stunde dirigiert der Lehrer zwei Durchläufe der Klanggeschichte.
00:30:32 S18: Geht auch das da? (S1 spielt einen kurzen synkopierten Rhythmus
auf der großen Trommel)
00:30:38 L: (während L den Rhythmus von S1 gestisch und verbal imitiert,
spricht er in ihr Trommelspiel hinein) Wir sind hier nicht beim Fuß-
ball!
00:30:39: Gelächter einiger Schüler*innen.
00:30:42 L: Sechzig, Sechzig…!
00:30:44 S2: (unverständlich) Is eh a Sechziger Fan!
00:30:45 S3: Sechzig! (langgezogen)
00:30:49 S3: Sechzig ist übelst schlecht.
00:30:51 L: (sich unmittelbar an andere S wendend) Von der S, das finde ich,
passt irgendwie auch gut.
8
Schülerin S1: Abb. 10 hinten links an der großen Trommel; S2: nicht abgebildet; S3: Abb. 9
hinten rechts an der Djembe; Lehrperson L: Abb. 9 vorne links.
Das saying des Lehrers „Wir sind hier nicht beim Fußball“ (30:38), welches
sich auf das Trommeln der Schülerin S1 bezieht, verweist unmittelbar auf
einen musikkulturellen Zusammenhang jenseits des Klassenraums – auf
eine Fußballfanmusik. Neben dem Rhythmus weisen Form und Klang der
von der Schülerin S1 verwendeten Trommel (vgl. Abb. 10) Ähnlichkeiten zu
musikalischen Artefakten – Trommeln – auf, wie sie auch bei Fußball-Fange-
sängen unterstützend eingesetzt werden;9 diese Aspekte könnten das die
Sequenz einleitende saying des Lehrers (30:38) geradezu hervorgerufen
haben. Auch die sich anschließenden doings und sayings des Lehrers passen
in das Bild: Er imitiert das Trommeln der Schülerin S1 (30:38) und ruft kurz
danach „Sechzig, Sechzig“ (30:42), was nicht nur im Wortlaut, sondern auch
in Rhythmisierung und Tongebung Fangesängen des Münchner Fußballver-
eins gleicht.10 Die Sequenz lodert kurz auf (vgl. auch im weiteren Verlauf S2
und S3 im Transkript) und wird durch den Lehrer abrupt abgebrochen, da er
sich nun einem weiteren Gestaltungsvorschlag zur Vertonung der Geschichte
zuwendet (30:51).
9
Vgl. ein Fanvideo des TSV 1860 München https://www.youtube.com/watch?v=f3fTX-7i_8g
bei 1:34, 1:40, 1:47 und 2:34 [12.3.2020].
10
Vgl. das Fanvideo in Fußnote 9 ab 1:33.
00:19:54 S4: Oder die einen spielen so eine Liebesmusik. Und dann kommt einer,
der macht mit der Trommel so: duff, duff.
00:20:00 L: Genau.
00:20:01 S5: Ja und es wird immer lauter.
00:20:02 S6: Und dann bumm.
00:20:04 L: Nee.
00:20:06 S6: Und dann wieder traurig, weil sie wieder traurig ist.
00:20:08 S6: Und fängt an zu weinen und dann…
Dirigieren (z. B. ca. 31:20–35:40): Auch das Dirigat des Lehrers, das sich wäh-
rend der Durchläufe der Klanggeschichte gut beobachten lässt, kann als ein
Bruchstück klassischer Musik gedeutet werden. Zusätzlich zu einigen auch in
der ersten Stunde beschriebenen Dirigier-doings (gut sichtbar platzieren, Auf-
merksamkeit bündeln etc.) ähneln die dargestellten Handbewegungen übli-
chen doings im Konzertsaal wie z. B. dem Halten eines Tones (vgl. Abb. 11)
oder dem Andeuten von Staccato (vgl. Abb. 12). Im Gegensatz zu den oben
herausgearbeiteten Spuren klassisch-romantischer Kompositionsprozesse
wird in dieser Sequenz der kulturelle Kontext durch den Lehrer sprachlich
angedeutet. Er kündigt seine doings und sayings explizit als Dirigat an:
00:31:27 L: Hört mal zu! Wir machen das jetzt ein bisschen so: Ich zeige ein biss-
chen an, welche Instrumente dazu kommen. Das heißt, ich bin sozu-
sagen wie so eine Art Dirigent ein bisschen.
Abb. 11: Dirigierbewegung bei 23:05 Abb. 12: Dirigierbewegung bei 32:08
Die Ergebnisse können auf zwei Weisen interpretiert und systematisiert wer-
den. Im Vergleich lassen sich zunächst unterschiedliche Qualitäten einzelner
musikkultureller Bruchstücke beschreiben. Vier Typen werden erkennbar, die
sich darin unterscheiden, ob die musikkulturellen Bruchstücke sprachlich
angedeutet werden oder latent vorhanden sind und ob sich die Logik der
Unterrichtspraxis ihnen öffnet oder eher verschließt.
• Im Falle des ersten Typs deuten sprachliche Äußerungen einen abwesenden
musikkulturellen Zusammenhang von musikkulturellen Bruchstücken in
der Stunde an, wobei sich die Unterrichtspraxis den Bruchstücken öffnet
(Dirigieren in der zweiten Stunde).
• Auch im Falle des zweiten Typs deuten sprachliche Äußerungen einen
abwesenden musikkulturellen Zusammenhang von musikkulturellen
Bruchstücken in der Stunde an, wobei sich die Unterrichtspraxis den Bruch-
stücken eher verschließt (Fußballfanmusik).
• Der dritte Typ zeichnet sich dadurch aus, dass musikkulturelle Bruchstücke
in der Stunde latent vorhanden sind, d. h., musikkulturelle Bruchstücke in
der Stunde weisen Ähnlichkeiten zu abwesenden musikkulturellen Zusam-
menhängen auf, ohne dass dies in der Stunde sprachlich angedeutet würde.
Zudem öffnet sich die Unterrichtspraxis den Bruchstücken (klassisch-
romantischer Kompositionsprozess; Dirigieren in der ersten Stunde; Instru-
mentarium in der zweiten Stunde).
• Auch der vierte Typ beschreibt musikkulturelle Bruchstücke, die in der
Stunde latent vorhanden sind, wobei sich die Unterrichtspraxis diesen eher
verschließt (Instrumentarium in der ersten Stunde).
Neben der Frage nach Qualitäten einzelner musikkultureller Bruchstücke ist
von Interesse, ob es mit Blick auf die gesamte Stunde zur Überlagerung unter-
schiedlicher musikkultureller Bruchstücke kommt. Zudem können Aussagen
darüber getroffen werden, wie musikkulturelle Bruchstücke mit pädagogi-
schen Unterrichtspraktiken verknüpft sind und welche Bedeutung musikkul-
turellen Differenzen damit im Kontext der gesamten Stunde zukommt.
• In allen Phasen der ersten Stunde ist die Reproduktion von Pop-Rock-Musik
zentral, was dazu führt, dass sich nur wenige Überlagerungen unterschied-
licher musikkultureller Bruchstücke finden. Das heißt, die pädagogischen
Unterrichtspraktiken verhindern, dass sich unterschiedliche musikkultu-
relle Bruchstücke überlagern. Musikkulturelle Differenzen werden dem-
nach weit an den Rand des Unterrichtsgeschehens gedrängt, die Stunde
scheint sich ihnen eher zu verschließen.
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Der vorliegende Beitrag schafft einen Einblick in die Vorstellungen und Perspektiven
der Lernenden im interkulturell orientierten Musikunterricht und adressiert damit ein
Forschungsdesiderat innerhalb der deutschsprachigen Fachdiskussion. Anhand zweier
videografierter Unterrichtssequenzen werden handlungsleitende Orientierungen der
Schülerinnen und Schüler mithilfe der dokumentarischen Methode rekonstruiert. Die
Ergebnisse zeigen, dass sich die unterrichtlichen Aushandlungen bezüglich einer als
fremd wahrgenommenen Musik häufig in ethnischen Projektionen manifestieren. Diese
zielen auf die interaktive Konstruktion und Identifikation kollektiver Zugehörigkeiten.
Gerahmt werden die empirischen Erkenntnisse durch aktuelle theoretische Positionen
aus der Erziehungswissenschaft, Musikpädagogik und Soziologie.
The article provides an inside view into the conceptions and practices of students in
intercultural music lessons. Based on video data, student orientations are reconstructed
using the documentary method. The results from this study show that students use
affective and intuitive images to describe ‘unknown’ music and thus tend to identify
collective affiliations. These empirical findings are framed by recent theoretical posi-
tions from educational science, music education and sociology. With a focus on actors’
perspectives, the study addresses a research gap in the German-speaking discourse of
intercultural music education.
Einleitung
Das Themenfeld Interkulturalität und Musikunterricht weist eine große Rele-
vanz und Aktualität innerhalb der deutschsprachigen musikpädagogischen
Diskussion auf. Diese dokumentiert sich sowohl an der Präsenz thematischer
Beiträge im Rahmen von Fachtagungen und -publikationen als auch an „[d]er
1
Im Rahmen dieses Beitrages wird nicht der Anspruch erhoben, den Diskurs in seiner ganzen
Breite abzubilden.
2
Die sich hier abzeichnenden Möglichkeiten einer unterrichtlichen Umsetzung im Sinne eines
didaktischen Prinzips werden im Folgenden nicht vertieft. Stattdessen steht die empirische
Rekonstruktion dieser spezifischen Form von Schülervorstellungen im Fokus der weiteren Aus-
führungen.
Selbstrepräsentation dienen kann (vgl. ebd., S. 139). Diese Strategie tritt insbe-
sondere zutage, wenn kollektive Zugehörigkeiten in Bezug auf ein national oder
ethnisch konzipiertes Kulturverständnis konstruiert werden (vgl. ebd.).
Dorothee Barth etabliert in ihrem Aufsatz „In Deutschland wirst du zum Tür-
ken gemacht!“ (Barth, 2013b) das Begriffspaar projektive und symbolisch inszenierte
Ethnizität sinnverwandt zum Phänomen der kulturellen Selbst- und Fremdreprä-
sentationen. Ausschlaggebend hierfür ist die Beobachtung, dass vor allem Men-
schen mit Migrationshintergrund in ihrer Alltagswelt weiterhin durch die Zuge-
hörigkeit zu einer Ethnie, also über ihre Abstammung, definiert werden. Durch
ethnische Projektionen werden Mitgliedern einer Ethnie Gemeinsamkeiten un-
terstellt, die sie von Mitgliedern anderer Ethnien unterscheiden (vgl. ebd., S. 46) –
oder anschließend an Nohl: anhand ethnisch-kultureller Fremdrepräsentatio-
nen werden kollektive Zugehörigkeiten abgeleitet. Zudem beschreibt Barth das
Phänomen des Übergangs von „ursprünglich diskriminierend und beleidigend
gemeinte[n]“ Fremdzuschreibungen zu „positiv konnotierte[n] Selbstbeschrei-
bungen“ (ebd., S. 45) und leitet aus dieser Bedeutungsverlagerung die Strategie
der symbolisch inszenierten Ethnizität ab. Sie betont gleichfalls die Wechselwir-
kungen von Fremd- und Selbstrepräsentationen, indem sie diese Inszenierungen
„als Reaktion auf jahrzehntelange Projektionen von ethnischen Zuschreibungen
seitens der Mehrheitsgesellschaft“ (ebd., S. 46) beschreibt.
Auch die Musikpräferenzstudien von Wurm (2006), Schmidt (2015) und
Honnens (2017) verweisen auf die Tendenz zur Ethnisierung, sei es durch die
„Essenzialisierung einer ‚imaginären Türkei‘“ (Honnens, 2017, S. 144–145), die
Konstruktion einer „imaginären Grenze“ und damit einhergehend einer Di-
chotomie „‚Ich‘ und die ‚Anderen‘“ (Schmidt, 2015, S. 174) oder durch das Beru-
fen auf eine assoziierte (türkische) Herkunft als „hervorragende Projektions
fläche“ (Wurm, 2006, S. 199).
Fragestellung
Methodisches Vorgehen
3
Zur detaillierten Darstellung des methodischen Vorgehens vgl. Asbrand & Martens, 2018,
S. 153–236.
4
Die Studie wird im Projekt KoMuF – Kooperative Musiklehrer/innenbildung Freiburg vom
Land Baden-Württemberg im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung gefördert.
5
https://www.youtube.com/watch?v=6YUv56Cl4UE [13.04.2020].
6
Mit der Aufgabenstellung wurde ein thematischer Fokus gesetzt. Entsprechend sind die fol-
genden Äußerungen vor dem Hintergrund unterrichtlicher Handlungserwartungen (vgl.
Bohnsack, 2017, S. 106) sowie im Hinblick auf die Orientierung der Lernenden an der Auf
gabenerledigung zu verstehen (vgl. Asbrand & Martens, 2018, S. 20).
Schülerin 1 (Sw1) initiiert das Thema der Sequenz und stellt der Gruppe ihre
Assoziation eines „richtig hässlichen Mann[es]“ vor, der „auf einem Kamel
durch die Wüste reitet“. Sie überführt damit den musikalischen Stimulus in
eine bildreiche Geschichte, aus der eine geographische Zuordnung abgelei-
tet werden kann. Während das Verb „erinnern“ auf eine vorunterrichtliche
Vorstellung verweist, verbleibt die Schülerin mit dem unbestimmten Artikel
„so=[ei]n“ auf einer sehr allgemeinen Ebene und adressiert somit kein kon-
kretes Gegenüber. Zudem lässt sich der Ausdruck „richtig hässlich“ als
bewusst degradierende Äußerung verstehen. Nach Garfinkel haben soge-
nannte Degradierungszeremonien „die Funktion, sich gemeinsamer (Identi-
täts-) Werte oder (Identitäts-) Normen zu vergewissern“ (Garfinkel, 1967,
S. 207, zitiert nach Bohnsack, 2017, S. 305) und sich gleichzeitig dem oder den
Anderen gegenüber abzugrenzen.
Sw2 bestätigt ihre Mitschülerin lachend und scheint damit der Gruppe zu
signalisieren, dass sie Sw1s Assoziationen und ablehnende Haltung teilt.
Zeitgleich zu Sw2 antwortet auch Sw4 auf das aufgeworfene Thema. Sie dif-
ferenziert jedoch und modifiziert den im Raum stehenden Orientierungsge-
halt („arabisch eher“) und schränkt somit gleichzeitig seine Reichweite ein.
Sw5 spricht in der Folge von „Typen“, die einen „Schlitz“ auf Höhe der
Augenpartie haben. Dies ist ebenso wie die anschließende Gebärde eines
Reitenden an der inkorporierten Performanz der Schülerin abzulesen, die
keiner weiteren verbalen Explikation bedarf. Auffällig ist, dass Sw5 hier erst-
mals in den Plural wechselt und damit offensichtlich ein imaginiertes Kol-
lektiv adressiert. Zudem scheint der „Schlitz“ auf eine typische Kleiderord-
nung zu verweisen, indem die Schülerin durch das Adverb „immer“ die Art
und Beschaffenheit der Kleidung als ausschließlich postuliert. Die Verbin-
dung des verbal Geäußerten und des korporierten Ausdrucks deutet darauf
hin, dass Sw5 die Gestalt eines Beduinen oder eines Targi beschreibt. Die
Schülerin artikuliert also einen Höreindruck in Rückbezug auf ihr Inventar
an kulturellen Bildern. Gleichzeitig markiert ihre assoziative Äußerung
„diese Typen“ als Repräsentanten einer bestimmten Herkunftskultur. Es las-
sen sich hier ethnische Projektionen bzw. kulturelle Fremdrepräsentationen
(vgl. Barth, 2013b; Nohl, 2014) nachweisen, indem Menschen allein über ihre
7
Die „Interpretation der Sequenz“ fasst die Ergebnisse der ausführlichen (formulierenden und
reflektierenden) dokumentarischen Interpretation zusammen. Diese knappe Darstellung
dient dem Überblick und der Veranschaulichung der behandelten Themen der Sequenz.
tende Haltung der Schüler (Sm1 & Sm2) gegenüber der Musik zu dokumentie-
ren.
Im Anschluss nimmt Sm1 nochmals rechtfertigend auf den Ausspruch „Ka-
nakenmusik“ Bezug. Mit dem irrealen Vergleichssatz „als ob ein Deutscher
sowas hört“ unterstellt der Schüler den „Deutsche[n]“, dass diese so eine Musik
nicht hören würden. Damit schließt Sm1 sich einerseits der Gruppenmeinung
an, dass es sich um ausländische Musik handeln müsse, andererseits konstru-
iert er eine Distanz zwischen der gehörten Musik und den Musikpräferenzen
der „Deutsche[n]“. Zugleich grenzt er sich mit der pauschalen Ansprache an
den „Deutsche[n]“ selbst vom adressierten Kollektiv ab. Er schafft hier eine
Dichotomie zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Nicht-Deutschen‘, wobei er sich selbst
den ‚Nicht-Deutschen‘ zuordnet. Unklar bleibt zunächst, wie der Schüler selbst
zur Musik steht.
Die Abgrenzung des Schülers gegenüber den „Deutsche[n]“ wird durch die
unmittelbaren Reaktionen seiner Mitschülerinnen und Mitschüler weiter ver-
stärkt. So reagiert Sw2 vermutlich ironisch mit „der scheiß Deutsche“. In die-
sem Fall unterstellt die Schülerin ihrem Mitschüler eine ablehnende Haltung
gegenüber den „Deutsche[n]“. Ebenfalls als direkte Reaktion auf die Aussage
seines Mitschülers Sm1 ist die Aktion von Sm2 zu deuten. Dieser reagiert
parallel zu Sw2 und deutet mit ausgestreckter Hand auf „Julian“, den Schüler
am Nachbartisch. Damit bezieht er einen externen Stellvertreter für die
„Deutsche[n]“ ein und verortet sich somit implizit gleichfalls als Ausländer.
Setzt man Sw3s Reaktion „Du würdest auch nicht so was hören“ in Verbin-
dung mit „als ob ein Deutscher sowas hört“, wird klar, dass auch sie ihren
Mitschüler Sm1 als ‚Nicht-Deutschen‘ sieht. Gleichzeitig legt Sw3 die Unein-
deutigkeit in der Positionierung ihrer Mitschüler offen, indem sie das tatsäch-
liche Hören eben dieser Musik in Frage stellt. Sm2 unterstellt dem „deutschen”
Mitschüler zudem, er würde Kinderlieder hören.
Die Musik dient hier gleich in mehreren Fällen der ethnischen Distinktion:
Sie evoziert die Explikation einer Dichotomie zwischen ‚Deutschen‘ und
‚Nicht-Deutschen‘ und damit die Selbstrepräsentation der Schüler Sm1 & Sm2
als ‚Nicht-Deutsche‘. Unter Berufung auf die gehörte Musik wird eine distan-
zierte, vielleicht sogar ablehnende Haltung der „Deutsche[n]“ gegenüber der
als ausländisch wahrgenommenen Musik unterstellt sowie das Hören von
Kinderliedern als Antagonismus zum kursierenden Begriff „Kanakenmusik“
etabliert und spöttisch als Musikgeschmack der „Deutsche[n]“ ausgelegt.
Nach Pierre Bourdieu (1982) sind Geschmacksvorlieben als Folge des sozialen
Status anzusehen und dienen der Abgrenzung von Anderen: „Geschmack
klassifiziert – nicht zuletzt den, der die Klassifikationen vornimmt“ (ebd.,
S. 25).8 Zwar fällen die Schüler Sm1 und Sm2 keine eigenen Urteile; die unter-
stellten Geschmacksvorlieben der „Deutsche[n]“ dienen jedoch bereits der eth-
nischen Distinktion. Ebenso wie in der vorhergehenden Sequenz lassen sich
hier kulturelle Repräsentationen erkennen, sowohl in Form von Fremd- als
auch von Selbstrepräsentationen.
8
Vgl. hierzu auch Polzer 2008, S. 19: „In der sozialen Interaktion kann Musik als Ressource der
Identifikation oder der Abgrenzung verwendet werden. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen
Gruppe kann mit Musik zum Ausdruck gebracht werden. Gleichzeitig erfolgt eine kulturelle
Abgrenzung von anderen, deren Musikgeschmack man nicht teilt.“
Ausblick
Der Weg von den hier rekonstruierten, von Distanzierung und Degradierung
geprägten Vorstellungen der Lernenden hin zu den formulierten Zielerwar-
tungen an interkulturell orientierten Musikunterricht scheint ein weiter zu
sein. Dies lässt sich exemplarisch an den im baden-württembergischen Bil-
dungsplan für Musik formulierten prozessbezogenen Kompetenzen nachvoll-
ziehen. Dort heißt es:
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Transformationen im Musikimprovisationsunterricht
Wie Schüler*innen und Lehrer*innen aus kulturellen Differenzen heraus
Musikkultur verändern
oder dem Irak, nach Deutschland zugewandert sind? Was ereignet sich, wenn
erwachsene Pädagog*innen mit Schüler*innen im Kindes- oder Jugendalter
zu tun haben? In unserer Forschung zum interkulturellen musikpädagogi-
schen Projekt ImproKultur haben wir festgestellt, dass derartige Differenzen
erhebliche Veränderungen für Schüler*innen wie Lehrer*innen mit sich brin-
gen können.
1
Derartige Differenzen ließen sich ähnlich auch unter anderen Begriffen fassen (Bohnsack,
2009, S. 15–23). Unser Fokus auf Transformation findet sich in diesen Theorien allerdings
weniger.
Das Projekt ImproKultur, aus dem wir unsere Daten generieren, wird seit 2015
von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH)
zusammen mit drei Hannoveraner Schulen durchgeführt. Es ermöglicht neu
nach Deutschland zugewanderten Kindern und Jugendlichen, gemeinsam mit
anderen Schüler*innen allgemeinbildender Schulen und Musikpädagog*innen
wöchentlich kreativ zu musizieren. Die Unterrichtsgruppen haben eine Größe
von maximal 16 Personen. Lehrende sind fortgeschrittene Studierende und
Alumnae*i der HMTMH, die in Dreierteams unterrichten. Das Projekt zielt
zum einen darauf ab, die Schüler*innen musikalisch, sozial und kommunika-
tiv zu fördern, zum anderen geht es um (Weiter-)Bildung der Lehrer*innen vor
allem in den Bereichen Didaktik der Improvisation, Team-Teaching und
Umgang mit Diversität (vgl. Welte, 2016).
Charakteristisch für die Arbeit in ImproKultur ist ein weitgefasster Improvi-
sationsbegriff: Freie Improvisation findet ebenso statt wie gebundene; Ge-
schichten und Bilder werden vertont, Körperbewegung und Musik in explora-
tiven Übungen miteinander verbunden. Auf diese Weise soll ein produktiver
Umgang mit musikalischer Vielfalt und der Heterogenität der Schüler*innen in
Hinblick auf Alter, Sprachen und Bildungsbiografien ermöglicht werden.
Wir haben den ImproKultur-Unterricht aus mehreren Gründen als For-
schungsfeld zu kulturellen Transformationen gewählt: Eine frühere Untersu-
chung (vgl. Jachmann, 2019) hatte gezeigt, dass sich musikbezogene Handlun-
gen und Bedeutungszuschreibungen von Lehrer*innen und Schüler*innen
besonders deutlich veränderten, wenn die kulturelle Differenz groß war –
wenn also deutlich unterschiedliche Handlungs- und Sichtweisen im Unter-
richt aufeinandertrafen. In Hinblick auf die heterogene Schüler*innenschaft
von ImproKultur bestand die Vorannahme, dass solche Differenzen dort relativ
deutlich zu Tage treten würden. Ein zweiter Grund für die Wahl des For-
schungsfeldes war die relativ offene, improvisationsorientierte Struktur im
ImproKultur-Unterricht. Annahme war, dass sich Transformationsprozesse hier
Ethnographische Methodik
Frau G., Frau L. und Herr C. leiten gemeinsam eine AG an einer Grundschule.
Vor drei Wochen haben sie im Rahmen eines Theaterworkshops eine Übung
kennengelernt, bei der sich zwei Personen auf einem Spielfeld aus neun Fel-
dern improvisierend von Feld zu Feld bewegen und aufeinander reagieren. Es
entstand eine konzentrierte Interaktion: Die Personen auf dem Spielfeld kom-
munizierten pantomimisch miteinander, indem sie sich ostentativ und mit
großem Körperausdruck zu bestimmten Feldern hinbewegten oder dort stehen
blieben, um die Reaktion ihres Gegenübers abzuwarten oder zu provozieren.
Die Lehrenden möchten diese Übung nun in den Kontext ihres Unterrichts
überführen und passen sie dafür an: Auch hier soll es mehrere, verschieden-
farbige Felder auf dem Boden geben. Jedes Feld wird einer Gruppe zugeordnet,
die beginnt, auf Schlagwerk-Instrumenten zu spielen, sobald jemand das Feld
betritt, und ihr Spiel beendet, wenn er das Feld wieder verlässt.
Wie die Lehrer*innen im Interview äußern, haben sie vor der Stunde nur
eine ungefähre Vorstellung davon, was sich ereignen wird. Grundlegend geht
es ihnen darum, die pantomimische Interaktion im Workshop, die sie als spannend
Nach Ende der Filmszene fragt Herr S. die Schülerin G.: „Warum passt das
nicht?“ Sie antwortet: „Musik [passt] nicht für so ’ne Sache.“ Der Lehrer denkt
länger nach, kratzt sich am Kopf und fragt zögernd: „Was – was für Charakte-
ristika hat diese Musik?“ G. antwortet nicht, sondern versucht zu formulieren,
wie Musik klingen müsste, die zu der Szene passt. Herr S. hilft aus: „Soll es so
schneller oder langsamer?“ Sie sagt: „Schneller. Oder so wie tanzen“, streckt
dazu beide Arme von sich und lässt die Hände auf und ab schwingen. Der
Lehrer sagt zögernd und langsam nickend: „O-K?“
Nach der Stunde erzählt Herr S. im Interview: „ich glaube, es war schon am
Anfang ganz interessant zu merken – ich habe ihnen auch den Schnitt von
Rocky gezeigt, und die Gefühle […] dabei waren schon unterschiedlich, ob-
wohl für uns selbstverständlich ist, [dass] die originale Musik so am besten
passte. Es war dann auch nicht zu hundert Prozent bestimmt: Einige meinten,
die Musik von Fauré ist schon richtig, und eine andere Schülerin meinte […],
die originale Musik passt auch nicht so gut. Und schon da merkt man auch eine
Grundschwierigkeit: Was für uns vielleicht selbstverständlich ist, weil wir den
[…] Original-Movie schon kennen, ist für die [Schüler*innen] gar nicht. Das
kann auch positiv sein, ja? Dass man nicht unbedingt an Stereotypen gebun-
den ist.“ Auf die Nachfrage „Stereotypen – was meinst Du damit?“ erläutert er:
„Dass es […] mehr wie […][ein] Stereotyp eigentlich ist, ja? Dass die kräftige
Musik so mit dem Athleten muss so rhythmisch sein. Vielleicht gibt es auch
andere Wege, das zu zeigen, das ist nicht unbedingt (.) die originale Musik
passt natürlich gut zu dem. Aber es kann auch sein, dass irgendeine andere
Musik gut passt.“
Inwieweit spielt hier kulturelle Differenz eine Rolle? Ein offensichtlicher
Unterschied liegt darin, dass der Lehrer den Film Rocky im Gegensatz zu sei-
nen Schüler*innen kennt. Darüber hinaus lässt sich hinter den unterschied
lichen Meinungen, ob die Musik zur Szene passe, auch ein größeres kulturelles
Bezugsfeld ausmachen: In zahlreichen in Hollywood produzierten Sportfilmen
finden sich Montagen, in denen Trainings- oder Sportszenen zusammenge-
schnitten und mit Disco-, Rock- oder Popmusik unterlegt werden. Im Alltags-
diskurs werden sie als „Sports Movie Montage“ oder „Sports Training Mon-
tage“ (Haupert, 2014) bezeichnet. Die Szene aus Rocky gilt als Vertreter dieser
Art von Montage (vgl. Movieclips, 2014). Wenn der Lehrer die Disco-Musik zu
den Bildern des trainierenden Sportlers als selbstverständlich wahrnimmt,
dann vermutlich auch deshalb, weil er auch andere Filme mit ähnlichen Kom-
binationen aus Filmbild und -musik kennt. Einige Schüler*innen besitzen diese
Kenntnis offenbar nicht und halten die Kombination aus Filmszene und Musik
daher auch nicht für üblich.
Die zwei Szenen eröffnen einen Blick darauf, dass und wie Lehrende und Ler-
nende im ImproKultur-Unterricht gemeinsam Handlungsweisen aus der Inter-
aktion heraus konstituierten und veränderten. In der zweiten Szene zeigt sich
zudem, dass kulturelle Differenzen dazu führen konnten, dass die Akteur*innen
ihre Auffassungen zu musikbezogenen Handlungsweisen in Frage stellten
und veränderten.
Über das Forschungsfeld ImproKultur hinaus dürften unsere Interpretatio-
nen eine Relevanz für Interkulturelle Musikpädagogik haben. Zwar lassen sie
sich nicht unmittelbar auf andere Situationen übertragen, aber sie machen
doch darauf aufmerksam, dass interkulturelle Interaktion ein Potenzial für
kulturelle Transformation mit sich bringt und dass dabei bereits kleinste Ver-
änderungen im Zusammenspiel große Wirkung entfalten können.
Es lassen sich Fragen für weitere Forschung formulieren, etwa: Wie zeigen
sich kulturelle Transformationen in Unterrichtssettings, die stärker struktu-
riert sind bzw. klarer vorgegebene Unterrichtsinhalte haben? Was sind Voraus-
setzungen dafür, dass kulturelle Differenzen tatsächlich Änderungen ansto-
ßen? Welche unterschiedlichen Umgangsweisen mit Differenzen lassen sich
beobachten?
Unabhängig von solch offenen Fragen lässt sich feststellen: Eine Interkultu-
relle Musikpädagogik, die Unterricht als transformative Interaktion begreift,
müsste Offenheit und Sensibilität der Lehrenden als Kernkompetenz näher
beschreiben und fördern. Lehrer*innen müssten sensibel für jene kleinen Ver-
änderungen sein, die letztlich große Entwicklungen ergeben, und zugleich ihr
Bewusstsein dafür schärfen, dass auch ihre eigenen Handlungs- und Sichtwei-
sen nicht naturgegeben, sondern kulturell bedingt und damit wandelbar sind.
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Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag ist das im Berliner Lehrplan vorgeschrie-
bene Semesterthema Musik verschiedener Kulturen für den Musikunterricht in der
Oberstufe. Vor dem Hintergrund der Methodologie der praxeologischen Wissenssozio-
logie rekonstruiert der Beitrag auf der Basis von biographisch-narrativen Interviews
mit Berliner Musiklehrkräften sowohl deren handlungsleitenden Orientierungen, als
auch die von ihnen wahrgenommenen normativen Anforderungen. Damit schärft der
Beitrag den Blick auf Lehrkräfte als performative Wissensträger*innen im Kontext einer
Diskussion über Interkulturalität und Musikunterricht.
The starting point for this article is the semester topic “Music of Different Cultures”,
which is prescribed in the Berlin curriculum for high school music lessons. Using the
methodology of the praxeological sociology of knowledge, the article reconstructs, on the
basis of biographical-narrative interviews with Berlin music teachers, both their action-
guiding orientations and normative requirements. In this way, the article foregrounds
the view of teachers as performative carriers of knowledge in the context of a discussion
on interculturality and music teaching.
1. Einleitung
Der folgende Beitrag richtet den Blick auf Musiklehrer*innen als Akteur*innen
in einem Handlungsfeld rund um Interkulturalität, Musik und Pädagogik.
Konkret soll der Frage nachgegangen werden, wie Berliner Musiklehrer*innen
ausgehend von einer Lehrplanvorgabe unterrichten. An Berliner Gymnasien
findet in der Oberstufe Musikunterricht statt, bei dem, laut aktuell gültigem
„Die Schülerinnen und Schüler gestalten Lieder, Musikstücke und Tänze ver-
schiedener Kulturen. Sie erfahren, dass Musik unterschiedlich an die Lebens-
form und Arbeitsweise von Menschen, an ihre Sprache und Religion gebunden
ist. Sie erleben, dass die Musik jeder Kultur von einer Differenziertheit und Kom-
plexität ist, die Außenstehenden zunächst verborgen bleibt und sich erst bei
genauer Betrachtung erschließt. Mit Blick auf die Gegenwart untersuchen die
Schülerinnen und Schüler Angleichungs- und Verschmelzungsprozesse zwi-
schen den Kulturen und sensibilisieren ihre Wahrnehmung für Teilkulturen
innerhalb unserer Gesellschaft.“ (Senatsverwaltung für Bildung & Wissenschaft
und Forschung, 2006, S. 16)
Kultur wird in der Handlungsrichtlinie als etwas präsentiert, was sich in der
Gegenwart durch Effekte der Durchlässigkeit und Interaktion auszeichnet.
Implizit wird damit für den Blick auf Kulturen in der Vergangenheit ein holis-
tischer Kulturbegriff suggeriert. Dieser zeichnet sich auch in der Formulierung
der „Außenstehenden“ ab, deren Einsichten in eine bestimmte Kultur begrenzt
sind. Folglich muss es auch Innenstehende von Kultur geben, sodass Kultur hier
begrifflich auf die Vereindeutigung von Zugehörigkeiten und Identitäten zielt
(vgl. Messerschmidt, 2014).
Im Rahmen einer empirischen Untersuchung sollen die handlungsleitenden
Orientierungen von Musiklehrkräften im Zusammenhang mit der Lehrplan-
vorgabe rekonstruiert werden. Des Weiteren interessieren die normativen
Anforderungen, mit denen sich Musiklehrkräfte bei der themenbezogenen
Unterrichtsgestaltung angesichts der sich stets wandelnden gesellschaftlichen
Debatten in Politik und Gesellschaft, ggf. internen Schulcurricula, professio-
nellem Habitus und vielfältigen Unterrichtsmaterialien konfrontiert sehen. Die
Datenbasis für die Rekonstruktionen bilden biographisch-narrative Interviews
mit Musiklehrkräften, in denen die Befragten unaufgefordert auf die zitierte
Lehrplanvorgabe Bezug nehmen, wenn sie über ihren Umgang mit Interkultu-
ralität im Unterrichtsalltag berichten. Jene Interviewpassagen, in denen die
Lehrkräfte ihren Umgang mit dem verpflichtenden Thema für den Musikun-
terricht in der Berliner Oberstufe beschreiben, bilden daher den Ausgangs-
punkt für den vorliegenden Beitrag. Zunächst werden aber in Form eines
kurzen Literaturberichts bisherige Forschungserkenntnisse zum einen über
1
Mit Inkrafttreten ab dem Schuljahr 2006/2007.
die Lehrplanorientierung von Lehrkräften (2) und zum anderen über die Leh-
rendenperspektive auf Interkulturalität (3) skizziert und das Forschungsinter-
esse formuliert (4). Der Beschreibung des methodischen Vorgehens (5) folgen
dann die Kurzporträts der Biograph*innen (6) sowie die exemplarische Analyse
von Interviewausschnitten zweier Fälle (7 und 8), deren Ergebnisse am Ende in
eine Diskussion münden (9).
4. Fragestellung
5. Methodisches Vorgehen
Für die vorliegende Fragestellung bietet sich die dokumentarische Methode an,
weil sie nicht nur „einen Zugang […] zum reflexiven oder theoretischen, sondern
auch zum handlungsleitenden Wissen der Akteure und somit zur Handlungs-
praxis“ (Bohnsack et al., 2010, S. 40) eröffnet. Die Unterscheidung zweier Wis-
sensebenen ist zentral für den dokumentarischen Ansatz. Das kommunikative
Wissen umfasst jene Wissensanteile, die den Akteur*innen bewusst und für sie
explizierbar sind. Es äußert sich u. a. als ein „Wissen um Normen und Rollenbe-
ziehungen“ (Bohnsack, 2013, S. 179) und wird als „Orientierungsschema“
bezeichnet. Demgegenüber sind die handlungsleitenden oder konjunktiven Wis-
sensanteile dem Bewusstsein der Akteur*innen nicht zugänglich. Sie werden in
der Methodologie der praxeologischen Wissenssoziologie unter dem Begriff des
„Orientierungsrahmen im engeren Sinne“ gefasst und weitgehend synonym
zum Begriff des Habitus verwendet (vgl. Bohnsack, 2014).
Die dokumentarische Methode wurde ursprünglich für die Interpretation
von Gruppendiskussionen entwickelt. Bei der dokumentarischen Interpreta-
tion der hier zugrundeliegenden biographischen Interviews orientiere ich mich
an dem Vorgehen Nohls (2017). Die Interviewpassagen sind biographisch-nar-
rativen Interviews mit Musiklehrer*innen an Berliner Gymnasien entnommen,
die im Rahmen einer biographieanalytischen Studie zu Musiklehrer*innen
und Interkulturalität im Frühjahr 2018 erhoben wurden. Für vorliegenden Bei-
trag habe ich nach thematisch homologen Textpassagen gesucht und zwei
kontrastierende Fälle gefunden, in denen die curriculare Vorgabe Musik ver-
schiedener Kulturen Thema in der auf den Gesprächsimpuls folgenden Stegreif-
erzählung der Befragten ist. In der dokumentarischen Methode ist der Ver-
gleich mit anderen Fällen konstitutiv, um aufzuzeigen, wie dasselbe Thema
auf je unterschiedliche Art und Weise bearbeitet wird (vgl. Nohl, 2017, S. 8).
Die in der formalen Analyse vorgenommene Textsortenunterscheidung ist
angelehnt an die erzähltheoretischen Überlegungen der Narrationsstruktur-
analyse (vgl. Schütze, 1983). Während Erzählungen und Beschreibungen ein
Involviertsein der Erzählenden mit den Geschehnissen in der Vergangenheit
voraussetzen und damit jenes Wissen bergen, an dem sich die Handlungs
praxis orientiert, haben Argumentationen und Bewertungen vorwiegend das
Ziel, Motive und Gründe für Handlungs- und Geschehensabläufe gegenüber
den Interviewer*innen zu plausibilisieren (vgl. Nohl, 2017, S. 23). In ihnen wird
jenes gesellschaftlich geteilte Wissen um Normen kommuniziert, das für die
Interviewsituation in der Gegenwart relevant ist. In der folgenden Analyse
werden sowohl narrative als auch argumentative Passagen berücksichtigt, da
Hf nimmt in der Erzählung über ihre berufliche Praxis wiederholt Bezug auf
das im Rahmenlehrplan vorgeschriebene Semesterthema.
was haben wir denn noch gemacht genau wir haben ne ganze Unter-
richtseinheit indianische Musik oder Musik der amerikanischen
Ureinwohner so heißt es ja jetzt muss ich ja auch noch sehen, dass
ich jetzt hier mich @fachlich@ @.@((beide lachen)) dass das auch @
naja dass das auch@ jetzt hier @.@ nicht ganz so äh ganz aus dem
hohlen @Bauch@ kommt; (Hf 387ff)
äh gerade im vierten Semester (…) biete ich den Schülern also weil
wir einfach auch Schüler haben aus ganz unterschiedlichen oder mit
ganz unterschiedlichen Wurzeln; //mhm// (und) die Großeltern äh: aus
(.) mh:: ja: äh: aus anderen Ländern stammen sie hier geboren wurden
aber ich spüre doch: ähm man versucht zu Hause diese Kultur auch
weiterleben zu lassen. (Hf 427ff)
ähm also im vierten Semester unter dieser Thematik biete ich den
Schülern immer einen eigenen Vortrag an; //mhm// ähm: sich selbst
eine äh Kultur herauszusuchen, ähm die ihnen in irgendeiner Weise
vielleicht am Herzen liegt weil sie selbst Wurzeln in dieser äh
Richtung haben oder weil=es für sie ähm spannend ist sich damit
auseinanderzusetzen und die halten also Vorträge; dazu und das ist
ähm teilweise teilweise auch so berührend ähm wie tief die Schüler
da auch äh eindringen wie sie dann ihre Familie da auch mit integ-
rieren; (Hf 438ff)
Ähnlich wie bei Hf ist auch Cms Erzählung über seine musikunterrichtliche
Praxis gerahmt von einer Bezugnahme auf die institutionelle Norm des Semes-
terthemas Musik verschiedener Kulturen in der Oberstufe:
also ich hab jetzt im vierten Semester auch gemerkt wir dann über
(2) viel Zeit war nicht (.) n paar Exkurse gemacht auch nach Afrika
Indien und Gamelan und so weiter und da über viele verschiedene
Musikarten gesprochen (.) ähm aber dann hab ich immer wieder auch
drauf hingewiesen dass es ja durchaus noch nen den Popsektor neben-
her gibt //mhm// den ich teilweise in in Ghana zum Beispiel sehr gut
kenne ich weiß also was da in den Bussen dudelt die ganze Zeit //
mhm// das is eben keine Trommelmusik und auch schon gar kein Regen-
tanz sondern das is halt //@(.)@// Highlife-Musik (Cm 1274ff)
Cm grenzt sich in dieser Passage von einer Unterrichtspraxis ab, die durch
Begriffe wie „pauschal Sachen“, „Regentanz“ und „Initiationsritus“ durch die
Identifizierung von Eindeutigkeiten charakterisiert wird. Als positiven Gegen-
horizont beschreibt er einen Unterricht als „spannender“, der sich dadurch
auszeichnet, dass Musik als Praxis konsequent aus einer Akteur*innen-Pers-
pektive betrachtet wird. Dieser Positiv-Horizont verbleibt jedoch auf der Ebene
einer Meta-Reflexion und somit bei einem theoretischen Handlungsentwurf,
der auf der Ebene des kommunikativen Wissens ein Orientierungsschema dar-
stellt, welches auch normativen Erwartungen gerecht wird. Dies wird daran
deutlich, dass z. B. Erzählungen aus der Unterrichtspraxis fehlen, in denen sich
das konkretisiert, was Cm für eine gelungenere Unterrichtspraxis zum Semes-
terthema hält. Stattdessen gibt Cm dann in einer darauffolgenden Erzählpas-
sage einen Einblick in seine Handlungspraxis im Kontext des Semesterthemas
Musik verschiedener Kulturen. An dieser Beschreibung wird die Diskrepanz
zwischen der von Cm entfalteten Norm und seiner Handlungspraxis deutlich:
also ich find das Thema sehr sehr spannend ähm habs jetzt zum Bei-
spiel geschafft aus der andern Willkommensklasse einen (.) einen
Bangladeschi (.) zu holen der dann mit seiner Tabla gekommen is und
in meinem Grundkurs dann irgendwie die Tabla vorgestellt hat //mhm//
die wir vorher besprochen hatten und da ähm wars auch mit den Schü-
lern ohne weiteres möglich auch differenziert und komplexer diese
Kultur zu besprechen wir wussten natürlich über Ragas und so was
Bescheid, dann ham die Schüler Fragen gestellt ham auch rausgefun-
den dass dieser Junge eigentlich gar keine Ahnung von Ragas und so
was hat //mhm// dann ham wir ihn gebeten mal Noten aufzuschreiben
dann hat er ähm in Bangla Solmisation an die Tafel geschrieben //
mhm// und die Schüler waren wirklich in der Lage das auch äh zu
verstehen einzuordnen und auch irgendwie aus dem kulturellen Kon-
text heraus kritisch zu bewerten. (Cm 1337ff)
Im Vergleich der beiden Fälle zeigt sich, dass die curriculare Vorgabe für das
Fach Musik in der Oberstufe mit dem Schulhalbjahresthema Musik verschiede-
ner Kulturen als institutionelle Norm von Musiklehrkräften wahrgenommen
und anerkannt ist, alltagspraktisch jedoch unterschiedlich ausgehandelt
wird. Es konnte rekonstruiert werden, dass der Handlungspraxis beider Fälle
angesichts der curricularen Vorgabe eine Orientierung an der Repräsentation
(ethno-nationaler) Vielfalt zugrunde liegt. Im Falle von Hf steht diese Hand-
lungsorientierung in einem Passungsverhältnis zu den Erwartungen, denen
sich Hf rollenförmig gegenübersieht, nämlich die Lehrplanvorgabe als eine
Aufforderung zu verstehen, ethno-nationale Vielfalt im Musikunterricht zu
repräsentieren. Hf bewältigt mit Hilfe dieser Orientierung eine habituelle
Verunsicherung, in der sich ein kurzfristiges Spannungsverhältnis zwischen
ihrem rollenförmigen Orientierungsschema und der wahrgenommenen hyb-
riden Wirklichkeit der Schüler*innen auftut.2 Sotzek et al. (2017, S. 327) spre-
chen hier von „habitusirritierendem Potenzial“, das sich in der Art und Weise
der Bearbeitung des Spannungsverhältnisses zeigt. Demgegenüber konnte
2
Bohnsack (2017) spricht in diesem Zusammenhang auch von der notorischen Diskrepanz
zwischen Norm und Habitus, die ihrerseits habitualisiert und in ein „Routinewissen“ über-
führt wird (vgl. ebd., S. 57).
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Educational Songs
Possibilities and Difficulties in Learning German as a Foreign Language
in the Music Classroom.
The article deals with the question of whether it is possible to sing songs which are
composed specifically for children who learn German as a foreign language, during
music lessons to enhance their language skills. The songs are analysed linguistically
and musically. Results show the perspectives of linguistic, music didactic and music
theory are essential. The article discusses how songs should be composed so that they
can be learned as part of the music curriculum.
1. Einleitung
beigemessen (vgl. Friberg, 1976, S. 187; Merkt, 1993, S. 142 zitiert nach Knigge,
2013, S. 45), da dieser „weniger von der Sprache getragen und beeinflusst“
(Knigge 2013, S. 45) wurde als von konkretem Handeln. Im Gegensatz zu die-
sem defizitorientierten Ansatz zielt die Interkulturelle Musikpädagogik heute
in der Regel darauf ab, alle Schüler*innen zu befähigen, aktiv und selbstbe-
stimmt in der multikulturellen Migrationsgesellschaft einer globalisierten
Welt musikalisch tätig zu werden (vgl. ebd., S.52).
die Perspektive zweier Fächer gerichtet (vgl. Dethlefs-Forsbach, 2005, S. 162). Der
Musikunterricht widmet sich vorrangig der musikalischen Erarbeitung eines
Liedes. Sprachliche Elemente werden dabei durch Melodie und Rhythmus un-
terstützt eingeschliffen, was als ein Beitrag zur integrativen Sprachförderung
gewertet werden kann, die notwendiger Gegenstand jedes Faches ist. Darüber
hinaus müssen Sprachförderlieder als Gegenstand von Musikunterricht den An-
forderungen an Lieder im Musikunterricht gerecht werden.
1
Suprasegmentale Merkmale wie Pausen, Tonhöhe und Intonation oder Akzentsetzungen
gehen über die rein sprachlautliche Ebene hinaus.
Effekte in der Vermittlung von Sprache durch Musik (vgl. Menebröcker & Jor-
dan, 2014; Pathe, 2008). Empirische Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit
einer Sprachvermittlung durch Lieder finden sich bisher nur zum Schriftspra-
cherwerb (vgl. Röber, 2014; Rautenberg, 2012), in der Fremdsprachendidaktik
(vgl. Israel, 2013; Ludke, 2010) sowie in der Grammatikförderung im Bereich
Deutsch als Fremdsprache (vgl. Allmayer, 2009, S. 296). Weiter sind zwei der
musikalischen Förderkonzepte im Bereich Deutsch als Zweitsprache Gegen-
stand von Evaluation (vgl. Bossen, 2010; Gaul & Nagel, 2016). Allgemeinere
didaktische Arbeiten zur Sprachbildung im Fach Musik liegen noch nicht vor
(vgl. Bossen, 2017), eine Sammlung erster Konzepte, Materialien und Best
Practice-Beispiele findet sich bei Barth (2018).
3. Fragestellung
2
Münden & Lindemann, in Vorb.; Graefe-Hessler, Jank, & Marke, 2019; Jank, 2017; Fuchs, 2015;
Stubbenvoll, 2013; Jacobsen, 2012; Arnold-Joppich et al. 2011; Reuther, 2011; Ernst, 2008; Kreff-
ter & Arnold, 1999.
dass der Ambitus der Lieder nicht zu tief sein darf. Es wurde ein Hauptsing-
bereich zwischen f1 und f2 sowie ohne Töne unter c1 (vgl. Ernst, 2008, S. 13;
Fuchs, 2015, S. 121) definiert. Bock & Lugert schließen sich in ihrer Studie
dieser Empfehlung ebenfalls an, wenngleich sie das tiefere Singen im Brust-
register bei Kinderstimmen grundsätzlich als unproblematisch bewerten
(vgl. Bock & Lugert, 2017, S. 14).
2) In acht Publikationen wird ein für die Zielgruppe angemessener Schwierig-
keitsgrad verlangt. Es sollen mögliche Schwierigkeiten in Melodie, Harmonik
und Rhythmus der Lieder betrachtet werden (vgl. u. a. Eisenberg, Schmid &
Tiemann, 2011, S. 167; Ernst, 2008, S. 27; Fuchs, 2015, S. 127). Als herausfor-
dernd beschreiben Eisenberg et al. (2011) im tonalen Bereich u. a. chromati-
sche Elemente oder große Tonsprünge. Im rhythmischen Bereich gelten
Lieder im Dreiertakt als schwieriger zu singen als Lieder im Zweier-/Vierer-
takt, ungerade Taktarten schwieriger als gerade Taktarten. Auch unge-
wohnte Pausen werden als Herausforderungen benannt. Langsame Molllie-
der seien ungewohnter und damit schwerer zu singen. So weisen die
Autor*innen auch darauf hin, dass die Schüler*innen lernen sollten, sich mit
solchen musikalischen Herausforderungen auseinanderzusetzen (vgl. ebd.,
S. 167). Wenn in einem Lied ein musikalisches Phänomen besonders heraus-
gestellt wird, kann es besonders geeignet sein, das musikalische Phänomen
zu lernen (ebd.). Beidinger (vgl. 2015, S. 5) moniert, dass Schulliederbücher in
erster Linie nach textlichen Themen, nicht nach musikalischen Lernmög-
lichkeiten sortiert sind.
3) Die Auswahl der Lieder soll eine musikalische Vielfalt bieten (vgl. Ernst, 2008,
S. 27). Vielfalt bezieht sich dabei auf musikalische Parameter (Tonart, Taktart),
musikalisch-kulturellen Ursprung und musikalische Stile. An dieser Stelle
wird Vielfalt nur auf musikalische Parameter bezogen.
6. Methoden
6.1 Stichprobe
6.2 Auswertungsmethoden
7. Ergebnisse
7.1 Die sprachdidaktische Perspektive
Im Folgenden werden exemplarisch Analysen von den Liedern mit dem Lern-
gegenstand Wechselpräpositionen (Grammatik) dargestellt.
Im „Murro-Lied“ wird erst die lokative Funktion und das Genus Neutrum
geübt. In der dritten Strophe findet sich dann die direktive Funktion in masku-
liner Form. Frage- und Antwortstruktur passen hier nicht zusammen.
Das Lied „Wo sind unsere Sachen?“ fokussiert die lokative Funktion, wobei
das Neutrum und die Pluralformen fehlen. Darüber hinaus wird in der dritten
Strophe bei gleicher Ortslogik die direktive Funktion genutzt.
In beiden Liedern wird der Lerngegenstand der Wechselpräpositionen in der
Strophe angelegt. Es werden jeweils mehrere, aber nicht alle Genera genutzt. Die
3
Bei den drei Expert*innen handelt es sich um schulerfahrene Hochschullehrende, sodass die
Einschätzungen einem Expertenrating ähneln.
zwei Kasus werden nicht gegenübergestellt, ein Kasus wird fokussiert, der an-
dere unvermittelt einmalig genutzt. Die Lerninhalte werden somit nicht in der
jeweils gewünschten sprachlichen Komplexität im Liedtext umgesetzt. Nur
21,8 % der Lieder insgesamt und 27,9 % der Lieder mit einem Lerngegenstand im
Bereich Grammatik weisen die DaZ-didaktisch geforderte Umsetzung auf.
Frage lokativ
lokativ, Dativ
n, Sg einmalig:
direktiv,
Akkusativ
m, Sg
Strophe
Refrain
m, Sg
lokativ, Dativ
2. Vor dem Kopf oder hinter dem Kopf, neben dem Kopf, über dem Kopf. m, Sg
3. Nah bei der Tafel oder fern von der Tafel, auf die Tafel zu, von der Tafel weg. f, Sg
Abb. 2: Wechselpräpositionen im Lied „Wo sind unsere Sachen“ (Gaul & Nagel, 2016)
Der Ambitus der Sprachförderlieder liegt zwischen g und e2, der tiefste Ton
liegt im Median bei d1 vor c1 und h (14 Lieder). Der höchste Ton der Melodie ist
im Median c2 vor d2 und h1. Der tiefste Ton des Hauptsingbereichs, also des
Bereichs, in dem sich die Melodie eines Liedes hauptsächlich befinden sollte
(vgl. Ernst, 2008, S. 13; Mohr, 2013, S. 28), ist d1 vor e1 und c1, der höchste Ton am
häufigsten h1 vor a1 und c2. Die meisten Lieder haben den Ambitus einer
Oktave. Der aus didaktischer Sicht angedachte Hauptsingbereich wird unter-,
aber nicht überschritten. 58 Lieder sind tiefer arrangiert. In 21 Liedern (24 %)
wird der Hauptsingbereich f1–f2 eingehalten, in weiteren 22 Liedern (25 %) um
nur einen Ton unterschritten.
In über 46 % der Lieder aus den Schulmusikbüchern Kolibri (2003) und Duett
(2004) ist der tiefste Ton das c1, 22 % der Lieder weisen einen tieferen Ton auf.
Der höchste Ton ist zumeist c2 vor d2. 8 % der Lieder weisen höhere Töne auf.
Der Ambitus der meisten Lieder umfasst eine Oktave (vgl. Hosbach, 2014,
S. 227). Die Kompositionen der Sprachförderlieder und der Lieder in Schul
musikbüchern scheinen mit Blick auf die Eignung für die Kinderstimme ver-
gleichbar, sie sind eher tief arrangiert.
Kauffeldt et al. (2014) stehen in Moll und im Dreiertakt. Insgesamt fällt diese
Sammlung in puncto Ton- und Taktart als verhältnismäßig vielfältig auf. Die
Sammlung von Gaul und Nagel (2016) kennt ebenfalls einige Lieder in einer
Moll-Tonart, die von Bossen (2012) einige Lieder im Dreiertakt.
29 Lieder vor allem aus der Sammlung Belke und Geck (2016) nutzen drei har-
monische Grundfunktionen. Die meisten Lieder kennen auch die Parallelfunk-
tionen und sind harmonisch eher komplexer. Für die Bücher Kolibri (2003) und
Duett (2004) zeigt Hosbach (vgl. 2014, S. 230), dass 91,8 % bzw. 88,8 % der Lieder
in Dur und 6,3 % bzw. 10,7 % der Lieder in Moll stehen. Die häufigsten Tonarten
sind C-Dur und F-Dur. Dabei nutzen die Lieder in 59 % ein bis drei Harmonien,
in 39 % noch vier bis sechs verschiedene Harmonien. 80 % der Lieder stehen
dabei in einem geraden Takt (2/2 oder 4/4), 3 % in einer komplexeren Taktart
(9/8, 5/4) (vgl. ebd., S. 227). Die Sprachförderlieder sind somit wiederum ver-
gleichbar zu den Liedern der Schulmusikbücher. Bei den Sprachförderliedern
ist der Anteil an Liedern in Moll prozentual gesehen sogar höher.
8. Diskussion
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Erste Bemühungen, die Musik Afrikas in den Musikunterricht einzubinden, lassen sich
bis in die 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückverfolgen. In den 1990er-
Jahren wurden afrikanische Lieder und Tänze schließlich äußerst beliebt, nachdem
Volker Schütz mit seiner musikdidaktischen Publikation „Musik in Schwarzafrika“
(1992) diesbezüglich einen weitreichenden und nachhaltigen Impuls gesetzt hatte.
Gegenwärtig enthalten nahezu alle Musiklehrwerke für die Sekundarstufen auf Afrika
bezogene didaktische Materialien. Die Frage nach den Zielen, die mit der Einbeziehung
dieser Lerninhalte verfolgt werden, ist indes ungeklärt und daher Gegenstand eines
aktuellen Forschungsvorhabens.1
The first efforts to introduce the music of Africa into German music lessons were made
in the 1920s. During the 1990s, African songs and dances became very popular, start-
ing with Volker Schütz’s seminal publication „Musik in Schwarzafrika“ (1992). Almost
every schoolbook published nowadays contains material with reference to African cul-
tures. However, the educational objectives of these references are still undetermined.
Themenauftakt
Vor zehn Jahren stellte der Musiktheoretiker Clemens Kühn in der Zeitschrift
„Diskussion Musikpädagogik“ die Frage: „Muss ein Schulbuch, das heute als
1
Die Zielfrage zum Themenkomplex Afrika im Musikunterricht erforscht die Autorin in ihrem
Promotionsprojekt, das an der Universität Osnabrück am Institut für Musikwissenschaft und
Musikpädagogik realisiert und von Prof. Dr. Dorothee Barth betreut wird. Neben einer histo-
rischen Aufarbeitung des Diskurses über Afrika in der Musikpädagogik und der Herausarbei-
tung von dort genannten Zielen ist eine umfassende Schulbuchanalyse sowie eine Analyse
weiterer didaktischer Materialien aus musikpädagogischen Fachzeitschriften durchgeführt
worden. Der vorliegende Beitrag gibt anhand von zwei Motiven einen Einblick in eine Aus-
wahl der Ergebnisse.
didaktisch auf der Höhe gelten will, Pop und Rock sowie außereuropäische
Musik gleichwertig in die Lerninhalte einbeziehen?“ (Kühn, 2009, S. 3). Der
Hintergrund war folgender: Seinem damals jüngst erschienenen musiktheo-
retischen Arbeitsbuch für die Jahrgangsstufen 7 bis 9/10 mit dem Titel „Musik
erforschen“ sei vorgehalten worden, eben diese beiden Bereiche auszusparen.
Ähnlich erging es ihm mit seiner Schrift „Musiktheorie“ in der Reihe „Ober-
stufe Musik“. Für diese habe der Lugert-Verlag angemerkt, sie ließe sich
„natürlich“ um Beispiele aus diesen Bereichen „ergänzen“. Dies waren für
Clemens Kühn schockierende Einlassungen, die er zum Anlass nahm, in
einer Art Glosse Position zu beziehen und mit drei Thesen eine Antwort zu
geben, was Musikunterricht zu leisten und woran er sich auszurichten habe.
Mit dieser eingangs zitierten Entscheidungsfrage zur gleichwertigen Einbe-
ziehung in die Lerninhalte, die Clemens Kühn selbst im Übrigen als „nicht
originell, aber offenbar unverwüstlich“ (Kühn, 2009, S. 3) bezeichnet, stellt er
eine nahezu als Selbstverständlichkeit zu bezeichnende Vorgehensweise
innerhalb der Schulbuchpraxis nach der Jahrtausendwende in Frage, nämlich
die häufig in Schulbüchern zu beobachtende Thematisierung von Musik
anderer Kulturen.2 Die Frage nach den Zielen solcher Lerninhalte scheint also
nicht klar zu sein.
Ebenso ist hinsichtlich des Forschungsfeldes Afrika im Musikunterricht die
Frage nach den Zielen bislang unbeantwortet: Was sollen Schülerinnen und
Schüler lernen, wenn im (deutschen) Musikunterricht afrikanische Musik, af-
rikanische Kulturen, Tänze und Lieder thematisiert werden? Warum/wozu
werden afrikabezogene Inhalte in einem Musikunterricht einbezogen? Welche
Ziele sind damit verbunden?3
2
Dass Musik anderer Kulturen vermehrt in Schulbüchern nach der Jahrtausendwende enthal-
ten ist, lässt sich anhand der im Rahmen meines Dissertationsprojekts durchgeführten Schul-
buchanalyse bestätigen.
3
Der Terminus Ziel erweist sich zur Erforschung dieses Themenfeldes jedoch aus drei Grün-
den als problematisch: Erstens existieren im allgemeinen musikpädagogischen Diskurs eine
Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen und Verwendungsweisen des Begriffs Ziel, sodass
Unklarheit darüber besteht, was ein Ziel tatsächlich ausmacht. Zweitens zeigt eine genauere
Betrachtung einer Fülle an afrikabezogenen Materialien in Musiklehrwerken der vergange-
nen Jahrzehnte einen ebensolchen diversen Umgang mit der Benennung von Unterrichtsab-
sichten. Explizit als ein Ziel sind nur wenige ausgewiesen. Drittens nehmen afrikabezogene
Materialien in Musiklehrwerken mitunter Funktionen ein, die anhand der Auflistung von
Intentionen im Lehrerband nicht zu erklären sind, sondern rekonstruiert werden müssen.
Infolgedessen wird nur zur Betrachtung des musikpädagogischen Fachdiskurses, in dem sich
der Terminus etabliert hat, auf den Begriff Ziel zurückgegriffen. In der Darlegung der syste-
matischen Dimension des Forschungsfeldes wird stattdessen der Terminus Motiv – im Sinne
eines Beweggrundes – verwendet.
Tertia bis Unter-Sekunda“ befinden sich beispielsweise innerhalb des IV. Kapi-
tels „Außerdeutsche Volksmusik“ neben Liedern aus Frankreich, Italien, Eng-
land, Island und Schweden auch drei „Lieder aus dem ehemaligen
Deutsch-Ostafrika“ (Musik Teil II, 1928, S. 231). Ebenso wird in dem darauffol-
genden Abschnitt „Die Anfänge der Musik“ ein Melodiebeispiel des
„Negerstamm[es] der Wadschagga am Kilimandscharo“ angeführt, um die
„unterste Stufe“ der „erste[n] Musikentwicklung der Menschheit“ zu veran-
schaulichen, sowie zur Darstellung der Pentatonik, „als die vielleicht älteste
Bildung einer Tonleiter“, neben anderen auf die „Nachkommen der alten Nu-
bier (Nordafrika)“ (Musik Teil II, 1928, S. 235) verwiesen.
Obwohl weitere Forschungen in der Historischen Musikpädagogik folgen
müssten, die noch ältere Quellen dahingehend untersuchen, lässt sich zum
jetzigen Zeitpunkt festhalten, dass sich die musikethnologische Perspektive,
im Besonderen das Thema Afrika im Musikunterricht, über einen Zeitraum von
rund 100 Jahren erstreckt.
Das Schulbuch „Spielpläne Musik 7/8“ aus dem Jahr 1986 enthält innerhalb
des Kapitels „Begegnungen mit Kulturen“ zwei Doppelseiten mit dem Titel
„Musik in Afrika: Musik der Hamar“ (vgl. Spielpläne Musik 7/8, 1986, S. 138–
141). In dem einleitenden Absatz wird auf die Ethnologen Ivo Strecker und
Jean Lydall verwiesen, die seit 1970 die Kultur der Hamar in Südäthiopien
erforschten. Auf diese Einleitung folgt ein Absatz zur Geschichte der Hamar,
daran anschließend werden zwei Instrumente vorgestellt, die Flöte und die
Leier; die Doppelseite enthält Informationen in Textform, Hörbeispiele und
ergänzend dazu Bilder. Auf der ähnlich gestalteten zweiten Doppelseite ste-
hen Gesänge der Hamar im Vordergrund (vgl. Spielpläne Musik 7/8, 1986,
S. 140–141).
Welches Motiv diesen beiden Doppelseiten primär zugrunde liegt, wird
nur durch den dazugehörigen Lehrerband deutlich. In diesem ist ein Brief
abgedruckt, den Rudolf Nykrin, Mitherausgeber von „Spielpläne Musik 7/8“,
an den Ethnologen Ivo Strecker adressiert. Dieser Brief ist hinsichtlich der Mo-
tivfrage besonders aufschlussreich: Zur Beantwortung der Frage, warum
überhaupt afrikabezogene Materialien im Musikunterricht aufgegriffen wer-
den, übernimmt der Musikdidaktiker das Begründungsmuster des Ethnolo-
gen – eine davon separierte didaktische Begründung oder Ausschärfung bleibt
aus. Vielmehr erhofft sich Rudolf Nykrin durch die Offenlegung von Streckers
Argumenten für eine Beschäftigung mit afrikanischen Kulturen die Motiva-
tion der Schüler*innen für diesen Unterrichtsinhalt steigern zu k önnen (vgl.
Spielpläne Musik 7/8, Lehrerband, 1992, S. 106). In seinem Brief schreibt Rudolf
Nykrin Folgendes:
Warum haben Sie das getan? Ich stelle Ihnen diese Frage, weil ich meine, daß
Schüler und Lehrer, die etwas über die persönlichen Motive des Autors dieser
Seiten im Schülerbuch wissen, eher bereit sein könnten, sich im Unterricht mit
dem nicht gerade naheliegenden und leichten Thema zu beschäftigen.
Was lernen wir eigentlich bei all dem – ein wenig über das Leben und die Musik
der Hamar, oder geht es um mehr? …“ (Spielpläne Musik 7/8, Lehrerband, 1992,
S. 160)
Ivo Strecker antwortet gleichermaßen in Form eines Briefes auf die Anfrage
von Rudolf Nykrin. Seine Argumente lassen sich dem Ethikmotiv zuordnen,
denn seiner Einschätzung nach ist die aktuelle Aufgabe der Ethnologie und
ganz allgemein der Beschäftigung mit fremden Kulturen darin zu sehen, gegen
rassische, ethnische und kulturelle Diskriminierungen anzukämpfen: „Wir
müssen lernen, Menschen und Dinge zu achten“ (Spielpläne Musik 7/8, Lehrer-
band, 1992, S. 161). Seine Gedanken stützt Ivo Strecker auf das Vorhandensein
multikultureller Gesellschaften, insofern als „[d]ie neuen Nachbarn“ zwar
interessant seien und unser Leben bereicherten, es aber auch zu Konflikten
komme (vgl. Spielpläne Musik 7/8, Lehrerband, 1992, S. 161). Zu der Frage,
warum ein afrikabezogenes Thema sich hierfür besonders eigne, erläutert Ivo
Strecker die Notwendigkeit einer Kontrastierung, bevor er diese Annahme an
einem konkreten Beispiel der Hamar veranschaulicht:
„Ich glaube, man fängt am besten zuerst mit wenigen Beispielen an, wo Men-
schen in einer sehr anderen Umwelt und unter sehr anderen Bedingungen als
wir leben. Gerade wenn die Unterschiede als groß, aber dennoch begründet und
sinnvoll erkannt werden können, fängt der Lernprozeß an“ (Spielpläne Musik
7/8, Lehrerband, 1992, S. 161).
4
Auf eine Skizzierung der Evolutionismustheorie soll in diesem Rahmen verzichtet werden.
Zur Einführung siehe beispielsweise Kohl, 2012, S. 151–163.
Musikbogen aus Ruanda, eine liberianische Harfe) als Beispiele ausgewählt und
in der Chronologie eben jener Entwicklungsgeschichten weit an den Anfang
gestellt, zuweilen gar in die Vorzeit, wobei die Abbildungen dieser Musikinstru-
mente keine historischen Quellen, sondern zeitnahe Aufnahmen sind. Drittens
werden afrikanische Musikinstrumente als einfache und primitive Ur-Instru-
mente präsentiert, die auf diese Weise einen Gegenpol zur Darstellung scheinbar
hochentwickelter „abendländischer Musikinstrumente“ bilden.
Auf dem Deckblatt des Schulbuches „Sequenzen Musik Sek. I 5/6“ aus dem
Jahr 1976 ist ein Zitherinstrument aus Burundi abgelichtet, das sich innerhalb
des Schulbuches unter der Kapitelüberschrift „Musik aus dem Lautsprecher –
Musik mit Apparaten“ wiederfindet. Fünf Bilder sollen auf dieser Doppelseite
veranschaulichen, „welche Rolle Zupfinstrumente beim Musizieren in ver-
schiedenen Situationen, Zeiten und Kulturen spielen“ (Sequenzen Musik
Sek. I 5/6, 1976, S. 73). Die Teilüberschrift „Zupfinstrumente früher und heute“
deutet auf eine zeitliche Gegenüberstellung hin. Auf der linken Doppelseite
befindet sich das Zitherinstrument aus Burundi neben einer Darstellung mit
5
Auch im oben genannten Schulbuch „Musik Teil II“ (1928) ist ein Evolutionismusmotiv ent-
halten, wenn es um die Darstellung der Anfänge der Musik geht und zur Veranschaulichung
ein afrikabezogenes Beispiel herangezogen wird (s. o.).
Ausblick
Beschreibung stellt ein Novum dar. Gleichermaßen wesentlich ist es, Kontexte
dieser Motive zu erarbeiten und Zusammenhänge aufzuzeigen, um mit einer
holistischen Perspektive auf Basis verfügbarer Materialien eine Theorie über
die Einbindung der Musik aus Afrika in den Musikunterricht rekonstruieren
zu können. Dass dabei dennoch nie sämtliche Motive erfasst werden können,
soll abschließend mit einem weiteren Zitat von Ivo Strecker aus dem besagten
Brief an Rudolf Nykrin untermauert werden:
„Auch die Frage nach dem Sinn der Beschäftigung mit anderen Kulturen ist
schwierig, weil es auf sie unendlich viele Antworten gibt.“ (Spielpläne Musik 7/8,
Lehrerband, 1992, S. 160)
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The field of music in higher education is highly international. This characteristic may be
demonstrated by the example of Basel as a glocal music topos: a place, where global
interconnections intertwined with local embeddings show in a confined space. The phe-
nomenon of the specific conditions for international students in higher music education
has been subject to little research to date. The question is then, which interactions – or
better interaction spheres – among actors and institutional structures can be described,
and which implications do arise thereof? This present contribution incorporates insights
gained from an interdisciplinary empirical analysis, combined with methodological skills
deriving from the fields of music pedagogy, sociology and social anthropology. In line
with Charmaz’s (2006) constructivist Grounded Theory Methodology the paper pres-
ents evolving theories: (a) it broadens sociological theories of social capital to capture the
situation of the highly diverse music communities and (b) introduces the concept of a
Polyversal Music Pedagogy pleading for purposeful ambiguity tolerance when meeting
1. Einleitung
lund und Miettinnen (2016) beschreiben den Weg von der ethnologisierenden
multikulturellen „pars pro toto“-Denkfigur hin zu einer ethisch begründeten
Haltung, die zunehmend die Handlungslogik der Akteur*innen in den Blick
nimmt. Die langjährige Tendenz zu essenzialistischen Ansätzen weicht einer
subjekt- und bedeutungsorientierten Akteur*innenzentrierung (z. B. Barth,
2008; Krupp-Schleußner, 2017). Blanchard (2019) entwickelt darüber hinaus
einen dezidiert praxeologischen Zugang, in dem u. a. auch die prägende Rolle
der Musikhochschulen hinsichtlich o.g. essenzialistischer Ansätze thematisiert
wird (vgl. Blanchard, 2019, S. 17). Eine Abkehr von Letzteren bedeutet jedoch
nicht zwangsläufig, dass migrationsbedingte Diversitätsdimensionen keine
Rolle spielen: „Hier in der Musik sind alle gleich“ (Jey Aratnam et al., 2016,
S. 394). Davon auszugehen, dass dieser z. T. explizit formulierte Grundsatz
oder eine durch Eignungsprüfungen vermeintlich hergestellte „exklusive“
Homogenität der Studierenden die Institution Musikhochschule von ihrer Ver-
antwortung hinsichtlich Diversitätssensibilität entbindet, ist aus soziologischer
Sicht zu hinterfragen. In einer komparativen Studie zur Talententwicklung
(vgl. Petersen, 2018) zeigten sich neben Gemeinsamkeiten durchaus Unter-
schiede zwischen schweizerischen und chinesischen Musikstudierenden, die
z. T. gerade auf unterschiedliche Förderstrukturen im jeweiligen Herkunfts-
land zurückzuführen waren. Doch o.g. Subjektorientierung hat bislang – viel-
leicht unvermeidbar – möglicherweise auch eine gewisse Strukturblindheit
mit sich gebracht. Für einen professionellen Umgang mit Diversität an Musik-
hochschulen wären Erkenntnisse über das Zusammenspiel individueller
Handlungsmächtigkeit (Agency) und struktureller Bedingtheiten in diesem
Kontext eine wichtige Grundlage.
1
“Erasure of race in classical music discourses is part and parcel of the Western imperialistic
agenda that rendered European high culture universal and all other cultures ethnically
marked” (Yang, 2009, S. 23).
2
Die quantitativen Ergebnisse werden im vorliegenden Beitrag nicht vertieft. Siehe hierzu Jey
Aratnam et al., 2016.
In einer ersten Phase des Studiums erhalten die Studierenden oft noch von
den Eltern sowie aus der Herkunftscommunity Unterstützung. Dies kann in
Anlehnung an existierende Theorien (Putnam, 2000; Woolcock, 1998) als Bon-
ding Social Capital (siehe Abb. 1) bezeichnet werden. Viele internationale Musik-
studierende haben tendenziell eine Spezialisierung ausschließlich auf Musik
durchlaufen, bereits im Frühbereich wurde ausschließlich auf die Karte Musik
gesetzt. Dieses monofokussierte Exzellenzstreben (Abb. 1) wird zu Beginn des
Studiums durch die Migrationssituation noch verstärkt – aufgrund weniger
Sozialkontakte ziehen sie sich für intensives Üben zurück: „mindestens ein
Jahr hab’ ich so wirklich wie ein Zombie Musiker so ein (unv.) dort geübt“
(Alina3). Im neuen Umfeld kommt es oft auch zu persönlichen Krisen:
„Es wird sehr viel von uns erwartet. Und vielleicht habe ich mir diesen Leis-
tungsdruck noch stärker gemacht, auch selber. (…) Das hat mich ein bisschen
kaputt gemacht.“ (Alex)
3
Hier und im Folgenden werden den Zitaten der interviewten Personen Aliasnamen zuge-
ordnet.
Abb. 1: Evolvieren des Clouding Social Capital aus Interviewdaten (Fokus Codes)
sowie bestehenden Sozialkapitaltheorien. 4 (Eigene Darstellung)
„Ich persönlich spürte dann Freiheit, dass niemand mich mehr kontrolliert, was
ich mache, ich kann machen, was ich will. Aber andererseits, plötzlich merke ich
dann nachher, dass es niemanden interessiert, einfach“ (Alina).
4
Weiterentwicklung von Sozialkapitaltheorien, vgl. Jey Aratnam 2012, S. 93.
„(…) ich übe dort und (…) dann stehen Leute, die sagen, ja woher kommst du,
wieso spielst du so geil oder so, wie kannst du das so spielen. Dann plötzlich
kommen sehr viel, (…) ein paar Leute kommen sogar zu mir, kannst du uns ein
paar Tipps geben, wie (…) geht jetzt das und so. Wie würdest du das spielen und
so. Und man kriegt gewisse… (…) Also das Niveau war wirklich stark.“ (Alina)
Die Peer-Group spielt im wahrsten Sinne des Wortes „zwischen Tür und
Angel“ eine Schlüsselrolle: Als Motivationscluster im Sinne eines ambulanten
Musical Peering.
„In der Stunde mit Belinda wollte ich mit ihr eine Übung machen und ihr erklä-
ren, wie wir es machen sollen. Da sagte Belinda: ‚Ich habe eine bessere Idee für
die Übung!‘“ (Abe 2017, S. 20)
dierenden wird ein „big boy“, wie ein Alumnus es ausgedrückt hat. Dies ist für
internationale Studierende bedeutsam, da die Kontaktabhängigkeit von der
Lehrperson für sie besonders relevant ist (s. o.).
Beim Clouding Social Capital kommt es nun zu einer Schärfung des Profils der
Musiker*innen in Wechselwirkung mit situativ-persönlichen und strukturel-
len (bspw. rechtlichen oder infrastrukturellen) Gegebenheiten. Wenn in die-
sem Prozess, in dessen Verlauf die befragten Musiker*innen ihr individuelles
Streben nach musikalischen Höhenflügen craze for excellence (vgl. Schmid & Jey
Aratnam, 2017) in einer auf den Basler (Musik-)Kontext abgestimmten Weise
adaptieren, lässt dies überraschende Blickwinkel zu: Über das Habitat Musik-
hochschule hinaus zeigen sich nachhaltige Biotop-Logiken (intra-group related-
ness). Oder wie es eine Alumna ausdrückte, die auf die Frage hin, wie sie sich
denn vernetze, antwortete: „Vernetzen? Ah (…) nein, wir sind doch von der
Schola“. Der Clouding-Prozess macht dann als positive Dynamik Ein-, Ab- und
Entgrenzungsprozesse, Innovation (vgl. Granovetter, 1973, S. 1370–1371), sozi-
ale Mobilität und Erfolg (vgl. Wegener, 1987) erst möglich. Sich gegebenenfalls
abgrenzend vom normativen Qualitätsverständnis der o.g. Exzellenzorientie-
rung entwickeln Musikstudierende sich zu lokal unabhängig agierenden Per-
sönlichkeiten. Gedeihen sie im Linking Social Capital allenfalls noch in einer
‚Biotopie‘, in der die Strukturlogik der Musikhochschule als natürliche Grenze
eines fruchtbaren Biotops empfunden wird, werden sie nun Akteur*innen im
tatsächlich glokalen Musiktopos: Es kommt zu einem immer wieder neuen
selbst-bewussten Download gefühlt grenzenloser ‚globaler‘ Ressourcen in
lokalen Kontexten und dabei erfolgen – um im Bild zu bleiben – laufend
‚Updates‘. Im Mitnahmeeffekt erlaubt Clouding Social Capital auch Entwicklun-
gen über den musikalischen Bereich hinaus, als Verwirklichung persönlicher
Fokussierungen in einem latent (über-)fordernden Musiktopos. Es kann zu
Emanzipierungsprozessen kommen – dann, wenn sich die Monofokussierung
durch eine neue Gewichtung anderer Lebensbereiche weitet. In dieser limbo
zone5 sind krisenhafte Übergänge möglich – bis hin zur Abkehr von der Musik-
szene. Ein alternatives Emanzipationstrajekt besteht im Erwerb eines zusätzli-
chen Masterdiploms in Pädagogik: Dies dient oft dem Ziel der Verlängerung
des Studienaufenthalts und wird im Clouding zum Bestandteil eines neuen,
5
So ein entsprechender Initial Code (Charmaz, 2006).
Polyversale Musikpädagogik
Die Versale als eine vorgestellte, changierende Linie (Abb. 2) betont die viel-
fältigen Nuancen, die sich innerhalb eines identitätskonstitutiven Zuschrei-
bungsmerkmals wie der Herkunft im Prozess von musikbezogener Migration,
Mobilität, Globalisierung und Lokalität ergeben. Die Versalen stehen aber auch
für weitere, auf Strukturen und Handlungen wirkende und diese wiederum
reflektierende Merkmale wie Geschlecht, sozioökonomische Klasse, die Aus-
stattung mit den verschiedenen Sozialkapitalien (vgl. Bourdieu, 1983) bzw. die
Inkorporation milieuspezifischer Habitusformen (vgl. Bourdieu, 2008), die in
unterschiedlicher Ausformung – Versalität – erfahren, zugeschrieben und an-
geeignet (vgl. Farley & Flota, 2012) werden. So erfährt der aus Argentinien
stammende Musikstudierende aufgrund der gesetzlichen Limitierung für el-
terliches Sponsoring eine temporäre Prekarisierung, erwirbt sich aber in dieser
ökonomischen Latenzzeit eine musikalische Potenzialität, die sich anderswo in
einem signifikanten Zugewinn an kulturellem Kapital realisieren lässt. Poly-
versalität entsteht als doppelte Figur einerseits aus dem Zusammentreffen ver-
schiedener Diversitäts- und Ressourcendimensionen einzelner Musiker*innen.
Andererseits verdeutlicht das Bild der Polyversalität ihre strukturbildenen In-
teraktionen und ihre sich glokal ständig aktualisierenden Musiksozialisierun-
gen. Damit macht die Figur der Polyversalität Diversität an Musikhochschulen
bildlich greifbar, indem sie die vielschichtigen Verflechtungen als Vexierbild
mit einer Vielzahl sich kreuzender Versalen abbildet (Abb. 2).
So kann der glokale Musiktopos als multipler Knotenpunkt gedacht wer-
den, in dem die Versalen einzelner Musiker*innen im Sinne individueller Le-
bensentfaltungen und Sozialisationswege und -ziele aufeinandertreffen. Jede
einzelne Versale besteht wiederum aus unendlich vielen Knotenpunkten.
6
Annedore Prengel spricht im Kontext einer Pädagogik der Vielfalt auch von einer „Aufmerk-
samkeit für innerpsychische Heterogenität“ (Prengel, 2006, S. 189).
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Der Artikel beschreibt das Konzept „Elementare Musikpraxis International“ (EMI) des
Fachbereichs Elementare Musikpädagogik der Hochschule für Musik und Theater Ham-
burg, das für zugewanderte Musikpädagog_innen mit einem ersten Abschluss im Nicht-
EU-Ausland entwickelt wurde, sodass diese in Deutschland im Bereich der musikalischen
Frühförderung arbeiten können. Nach Schilderung der Bedarfslage im Sektor der Früh-
pädagogik in Bezug auf Fachpersonal mit Migrationshintergrund werden Problematiken
diskutiert, die bei der Anwerbung von Zugewanderten und Personen mit Migrationsge-
schichte im musikpädagogischen Zusammenhang entstehen. Von einigen Fallbeispielen
ausgehend wird dabei die Entwicklung der EMI-Weiterbildung nachgezeichnet.
Einleitung
„Ich freue mich über Bewerbungen von Lehrpersonen aus anderen Kulturen und
Ländern, sie bereichern das Kollegium und das Angebot der Musikschule.“1
1
Persönliches Gespräch geführt am 23.3.2019.
Diese Worte aus dem Munde der Leitung einer deutschen Musikschule zeugen
einerseits von einer positiven Grundstimmung beim Thema der Eingliederung
von ausländischen und kulturell als anders wahrgenommenen Kolleg_innen.
Gleichzeitig lassen sie die Erwartungshaltung und Hoffnung erkennen, dass
speziell durch diese Personen und ihr vermeintliches kulturelles Anderssein
eine Bereicherung für die Institution auf gleich mehreren Ebenen entstehen
möge. In der geschilderten Sichtweise wird ‚Kultur‘ als Unterscheidungsmerk-
mal zwischen Migrant_innen und Nicht-Migrant_innen herangezogen (vgl.
Mecheril, 2010, S. 145).2 Wie Gereke und ihre Kolleg_innen der Universität
Oldenburg im Zuge des Forschungsprojekts Pädagogische Fachkräfte mit Migra
tionshintergrund in Kindertagesstätten: Ressourcen – Potenziale – Bedarfe betonen,
spiegelt diese Haltung auf institutioneller Ebene oft eine zwar ideologisch
deklarierte, jedoch in der Praxis meist nicht umgesetzte Realität wider (vgl.
Gereke, Akbaş, Leiprecht & Brokmann-Nooren, 2014, S. 12). Als Beleg hierfür
nennen sie eine vergleichsweise geringe Präsenz von pädagogischem Personal
bzw. von Erzieher_innen mit Migrationshintergrund in Kitas, die „im Verhält-
nis zu ihrem Bevölkerungsanteil […] nach wie vor nicht ausreichend in den
Kitas vertreten [sind]“ (ebd., S. 12).
Ein wichtiger Grund dafür ist nach unserer Erfahrung der Mangel an geeig-
neten Fachkräften und an Strategien, diese ins Bildungssystem zu integrieren.
Ein dringender Handlungsbedarf, besonders für die Altersgruppe bis zum
Schuleintritt, lässt sich auch an den aktuellen Zahlen des Statistischen Amts
für Hamburg und Schleswig-Holstein3 ablesen, die auf die hohen Prozentsätze
an Kindern mit nichtdeutscher Erst- bzw. Familiensprache in jener Alters-
gruppe verweisen. Der Mangel an in Deutschland lebenden Fachkräften mit
Migrationsgeschichte führt auf dem deutschen Arbeitsmarkt auch dazu, dass
die wenigen in den Kitas arbeitenden Fachkräfte mit Migrationshintergrund
zu Expert_innen für unterschiedliche ‚Kulturen‘ auserkoren werden und da-
mit eine überfrachtete Erwartungshaltung der Person gegenüber entsteht.
Hierdurch ergibt sich oftmals ein undifferenzierter Blick auf verschiedene
Persönlichkeiten mit ihren individuellen Hintergründen. Diese auftretende
2
Hier sei auch auf Mecherils Kritik an der interkulturellen Pädagogik verwiesen, die immer
nur dann zum Tragen komme, „wenn es um ‚Migrant/innen‘ geht“, und in der er außerdem
beschreibt, wie der in diesem Zusammenhang benutzte Begriff ‚Kultur‘ in diesem Sinne ver-
steckte Konstruktionen von Rassedenken beinhalten kann (vgl. Mecheril, 2010, S. 65–66).
3
Am 1. März 2017 hatten laut Website des zitierten Amts im Elementar- und Vorschulbereich
knapp 39 % der in Hamburg lebenden Kinder einen Migrationshintergrund, von denen wie-
derum etwa 66 % zuhause vorrangig kein Deutsch sprachen [Statistisches Amt für Hamburg
und Schleswig-Holstein, www.statistik-nord.de].
Problematik bestätigt auch die durchgeführte Studie von Gereke et al., die die
Schieflage bei der Erwartungshaltung an pädagogisches Fachpersonal mit und
ohne Migrationshintergrund wie folgt benennen:
Diese von Unter- und Überschätzung geprägte Sichtweise auf das Kollegium
kann kein erstrebenswertes Ziel für pädagogisches Handeln sein, da sie sich
nicht an den realen Fähigkeiten der betreffenden Personen orientiert, sondern
vornehmlich an projizierten Fremdzuschreibungen.4 Die genannten Schwie-
rigkeiten bestehen allerdings nicht nur im Bereich der allgemeinen Frühpäda-
gogik, sondern lassen sich auch auf das Feld der musikalischen Bildung über-
tragen, wie die folgenden Ausführungen zeigen sollen.
4
Vgl. hierzu Barth und ihre Berichte über die auf Jugendliche von der Gesellschaft projizierte
kulturelle Fremdheit und die dadurch ausgelöste Notwendigkeit einer selbst inszenierten
Ethnizität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Kontext der Musikpädagogik
(Barth, 2013).
5
Um die betreffende Person zu schützen, wurde der Name geändert und das Beispiel ange-
passt. Die Einzelfallbeschreibung wurde im Rahmen den realen Begebenheiten nachempfun-
den, Informationen weichen jedoch dort von der Realität ab, wo sie zur Identität der Person
führen könnten.
„Als ich nach Deutschland kam, war es zuerst für mich wichtig, eine feste Arbeit
und eine Wohnung zu finden. Ich habe angefangen die Anpassung als Sozial
pädagogischer Assistent zu machen und arbeite nun Vollzeit in einer Kita. In
Syrien habe ich am Konservatorium studiert und dann als Musiklehrer in der
Grundschule gearbeitet. Ich mache gerade einen Anpassungslehrgang an der
Hochschule für Musik und Tanz Köln für Instrumentalpädagogik. Momentan
kann ich mir nicht vorstellen, private Schüler anzunehmen. Ich habe einfach zu
viel zu tun.“6
Für einen solchen Musiker käme wohl ein Berufswechsel beispielsweise zum
Instrumentallehrer nur in Frage, wenn eine Existenzsicherung in ähnlicher
Weise gegeben wäre wie in seinem aktuellen Beruf. Mit seinem syrischen
Hauptfachinstrument allein ist dies an deutschen Musikschulen in den sel-
tensten Fällen realistisch.
Aus den beschriebenen Überlegungen versuchten wir Konsequenzen für
die Konzeption der Zertifizierungsweiterbildung Elementare Musikpraxis Inter-
national der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zu ziehen, welche im
Folgenden dargestellt wird.
6
Persönliches Gespräch geführt am 20.3.2019.
Der Beginn des Pilotprojektes International Music Education (IME) geht in das
Jahr 2014 zurück, als Dörte Inselmann (Intendanz Stiftung Kulturpalast Ham-
burg) und Almuth Süberkrüb (Studiengangsleitung EMP der HfMT Hamburg)
begannen Ideen zu entwickeln, wie dem musikalischen Fachkräftemangel in
Kitas in Stadtteilen Hamburgs, in denen es wenig kulturelle Angebote gibt,
begegnet werden könnte, um dort möglichst vielen Kindern musikalische Bil-
dung zukommen zu lassen. Nach umfangreicher Planungsphase begann als
Kooperationsprojekt zwischen dem Studiengang EMP und der Stiftung Kul-
turpalast Hamburg ein Pilotdurchlauf in zwei Jahrgängen im Zeitraum von
September 2017 bis Juli 2019. Seit Januar 2018 wird das Projektanliegen musika-
lischer Frühförderung im internationalen Kontext auch im Rahmen des Groß-
projektes Stage_2.0 der Innovative Hochschule7 an der HfMT Hamburg gefördert
und in diesem Kontext stetig ausgewertet, geprüft und weiterentwickelt.
Die Kernidee des Projektes war einerseits, die kulturell sehr heterogen ge-
prägten und musikalisch oft unterversorgten Hamburger Kindertagesstätten
von der musikalischen Expertise nichtdeutschsprachiger Musik-Fachkräfte
profitieren lassen zu können. Andererseits sollten Letztere im beruflichen Tan-
dem mit einer Kita-Fachkraft von deren pädagogischem Know-how lernen
und erste Schritte in den deutschen Arbeitsmarkt gehen können. Durch die
Weiterbildung je eines Erziehers/einer Erzieherin der Kitas im Tandem mit den
Musiker_innen erhielten die Erzieher_innen auch für die Zeit nach Beendi-
gung der Weiterbildungsmaßnahme neue musikalische Perspektiven für den
Kita-Alltag.
Das Ziel einer individuellen Zukunftssicherung der geflüchteten Musiker_
innen hier in Deutschland im Bereich der musikalischen Frühförderung – so
viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – konnte mit der Weiterbil-
dung allenfalls angebahnt werden. So diente die Weiterbildung für einige als
Sprungbrett für eine Erzieher_innenausbildung, eine gesicherte Zukunft als
Musikpädagog_in in Deutschland konnte allein durch dieses Zertifikat jedoch
nicht erreicht werden.
Durch eine Förderung des Europäischen Sozialfonds war es den geflüchte-
ten Teilnehmenden möglich, das IME-Projekt im Zuge eines Freiwilligen-
dienstes BFD Welcome zu absolvieren, bei dem sie ein bis zu 18-monatiges
Praktikum in einer Kita durchführten und so das in der Theorie erworbene
Wissen gleich in der Praxis anwenden konnten. Das erste Konzept für eine
7
Eine gemeinsame Initiative des BMBF und der GWK.
IME-Weiterbildung konnte auf diese Weise erprobt und mit 36 Personen – ein-
gesetzt in 18 Kitas – erfolgreich auf den Weg gebracht werden. So wurden bis
Juli 2019 bei der IME Musiker_innen, Erzieher_innen und andere Interessierte
mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte gemeinsam im Bereich der
musikalischen Frühförderung weitergebildet. Dies geschah durch gemein-
same Besuche von Fortbildungstagen und durch die gemeinsame Arbeit der
Erzieher_innen-Musiker_innen-Tandems in den Kitas. Supervisionen dieser
Einsätze durch ein Team erfahrener Fachkräfte seitens der Hochschule beglei-
teten die Praxis-Erfahrungen. Die praktisch-theoretischen Inhalte der Weiter-
bildung waren dabei aktuelle Erkenntnisse aus dem Fach der Elementaren
Musikpädagogik und audiationsbasiertes Musiklernen (Music Learning The-
ory) nach Edwin E. Gordon, dessen Vermittlung der Obhut der Edwin E. Gor-
don Gesellschaft Deutschland e.V. oblag.
Von den Vorteilen der Nutzung des audiationsbasierten Musiklernens nach
Edwin E. Gordon im Projekt seien an dieser Stelle zwei genannt: Gordons An-
satz geht in der musikalischen Bildung vom Hören und Erleben eines mög-
lichst variantenreichen Repertoires aus und bietet damit gute Möglichkeiten,
unterschiedliche Musikstile und Musiktraditionen in diese Arbeit miteinzube-
ziehen. Zwar entwickelte Gordon seine Music Learning Theory ausgehend von
seinem eigenen Erfahrungshintergrund als Musiker bzw. Musikpädagoge mit
klassischer Musik und Jazz, doch bedeutet dies nicht, dass die Anwendung
allein im Sinne eines solchen Musikbegriffs möglich bzw. gewünscht ist. Viel-
mehr äußerte er stets seine Hoffnung, dass eine Öffnung und Erweiterung mit
Blick auf andere musikalische Stile und Musiktraditionen erfolgen möge.
Da die Vermittlungsweisen beim audiationsbasierten Musiklernen mit de-
nen des Erlernens der Muttersprache vergleichbar sind, bieten sich diverse
Möglichkeiten, Musik im Kita-Alltag lebendig werden zu lassen.8
8
Für weitere theoretische Informationen sei verwiesen auf Gordon, 1990, und in deutscher
Sprache auf Süberkrüb, 2014.
Die Seminare der EMI finden über ein Jahr verteilt geblockt an fünf Wochen-
enden und in zwei Intensivwochen am Standort der HfMT Hamburg statt.
Hierdurch ist Interessierten aus ganz Deutschland eine Teilnahme möglich.
Die in den betreffenden Ländern erworbenen Abschlüsse oder Ausbildungen
im Bereich der Musik oder Musikpädagogik, welche in den meisten Fällen
nicht deckungsgleich mit deutschen Abschlüssen sind, können bei EMI durch
eine zertifizierte berufliche Spezifikation im Bereich der musikalischen Früh-
förderung ergänzt werden. Damit erreicht EMI eine Zielgruppe, die sonst in
Deutschland eher schwer Anerkennung in ihrem angestammten Berufsfeld
erlangt:
„In Syrien habe ich in Damaskus studiert und auch dort in einer Schule gearbei-
tet. Ich hatte Musik und Literatur an zwei Universitäten studiert. Hier in Deutsch-
land kann ich mit diesen Abschlüssen leider nicht arbeiten. Deshalb ist diese
Weiterbildung für mich eine Chance, um in Deutschland arbeiten zu können.“9
Uns ist es ein Anliegen, die verschiedenen Positionen im Blick zu haben sowie
die unterschiedlichen Hoffnungen bzw. Erwartungen zu berücksichtigen und
so zu einem für alle Seiten zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen.
9
Kommentar einer Bewerberin während der Aufnahmeprüfung für den ersten EMI-Durchlauf
am 6.6.2019.
10
Persönliches Gespräch geführt am 23.3.2019.
Zusammenfassung
Literatur
Akbaş, B. & Leiprecht, R. (2015). Pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund in Kinder-
tagesstätten. Auf der Suche nach Erklärungen für die geringe Repräsentanz im frühpädagogi-
schen Berufsfeld. [Differenzverhältnisse] (Bd. 1). Oldenburg: BIS.
Barth, D. (2013). „In Deutschland wirst du zum Türken gemacht!!“ oder „Die ich rief, die
Geister, die werd ich nun nicht los“, Diskussion Musikpädagogik, 57(1), 45–52.
Blanchard, O. (2019). Hegemonie im Musikunterricht: Die Befremdung der eigenen Kultur als Be-
dingung für den verständigen Umgang mit kultureller Diversität (Perspektiven Musikpädago-
gischer Forschung Bd. 9). Münster: Waxmann.
Gereke, I., Akbaş, B., Leiprecht, R. & Brokmann-Nooren, C. (2014). Abschlussbericht For-
schungsprojekt „Pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund in Kindertagesstätten:
Ressourcen – Potenziale – Bedarfe“. Universität Oldenburg. Verfügbar unter https://uol.de/
fileadmin/user_upload/paedagogik/personen/rudolf.leiprecht/01NV1112_Schluss
bericht-uebearb_15.12.14.pdf [15.01.2020].
Gordon, E. (1990). A Music Learning Theory for Newborn and Young Children. Chicago: GIA-
Publications.
Mecheril, P. (2010). Migrationspädagogik. Weinheim und Basel: Beltz.
Süberkrüb, A. (2014). Music Learning Theory: Edwin E. Gordons Theorie des Musiklernens. Zu-
sammenfassung der Kerngedanken in deutscher Sprache. Saarbrücken: Pfau.
This paper describes a possible approach that brings together and connects different
cultures as part of music lessons in a kindergarten. The project took place in the aca-
demic year 2017/2018 at the University of Music Freiburg and was advertised as
“Intercultural Singing Tandem: comprehensively singing and playing music in kinder-
garten“.
Weiße Tücher werden an alle Kinder verteilt, sie schwingen diese durch die
Lüfte. Gerade eben noch erklang ein deutschsprachiges Winterlied, schon erhe-
ben sie sich, lassen ihre Tücher passend zum Winterthema wie Schneeflocken
durch die Lüfte tanzen und bewegen sich zur Musik. Das Besondere dabei: Die
Musik kommt nicht von einer CD. Jede Woche begleitet ein Oud-Musiker mit
irakisch-kurdischen Wurzeln die gesungenen Lieder und wählt Musikstücke
aus seinem Heimatland aus, die er in die Stunde einfließen lässt.
Das Projekt wurde sowohl in der HfM Freiburg unter EMP-Studierenden als
auch in Freiburger Kitas ausgeschrieben. Ein Ausschuss aus EMP-Fachkolle-
gInnen der HfM Freiburg bewertete die eingegangenen Bewerbungen und
Motivationsschreiben. An der hohen Anzahl der Bewerbungen auf Seiten der
Kita-Einrichtungen wurde der große Bedarf an musikpädagogischen Angebo-
ten für diese Zielgruppe deutlich. Ausschlaggebend für das Auswahlverfah-
ren einer Kita als Projektpartner war deren Bedarf an musikalischen Angebo-
ten. Die Wahl fiel auf eine Kita, die aufgrund fehlender Fachkräfte seit langer
Zeit kein Musikprojekt mehr anbieten konnte. An der HfM Freiburg wurde
unter EMP-Studierenden ein Lern-Stipendium ausgeschrieben, das eine Stu-
dentin mit großem Interesse an kultursensibler Arbeit gewann.
Die Auswahl einer/s geeigneten Musikers/Musikerin erwies sich als proble-
matisch. Es musste ein/e MusikerIn gefunden werden, die/der einen Bezug zur
nahöstlichen Musikkultur besitzt, an wöchentlichen Musikstunden teilneh-
men kann und über ausreichende Deutsch-Kenntnisse verfügt, um Abspra-
chen und Unterrichtsplanung gemeinsam durchzuführen. Mit Shaffan Solei-
man konnte ein irakisch-kurdischer Oudspieler mit zusätzlich ausgeprägten
Kenntnissen über das Rahmentrommelspiel gefunden werden.
Das Ziel der Konzeption war eine Verstetigung von Musik und Musikstun-
den in der Kindertageseinrichtung. So wurde eine Grundausstattung an Klein-
Perkussionsinstrumenten für die Einrichtung angeschafft. Zudem erhielten
die ErzieherInnen der Einrichtung die Möglichkeit, an zwei Fortbildungen zur
EMP teilzunehmen. Diese ermöglichten Einblicke in die ganzheitliche Arbeit
des Faches, die wiederum in die Kita einfließen konnten und können. Auch
alle Studierenden des Studienganges EMP an der HfM Freiburg erhielten
durch einen Workshop mit Murat Coşkun über Spieltechniken und praktische
Anwendungen der Rahmentrommel wichtige Impulse für ihre eigene Arbeit.
1
Die Jessen Stiftung erklärte sich bereit, das als „Interkulturelles Singtandem – Umfassend
singen und musizieren im Kindergarten“ beworbene Projekt zu finanzieren.
Jede Projektstunde hatte sowohl ein musikalisches als auch ein erlebnisorien-
tiertes Thema. Als Beispiel sei an dieser Stelle auf das Thema des Prologs
„Winter und Schnee“ verwiesen, wobei das Erlebnisthema teilweise auch
mehrere Projektstunden lang bestehen blieb. So konnten sich die Kindergar-
tenkinder in ein Thema hineinfinden, sich darin vertiefen und dadurch selbst-
tätig und kreativ mit musikalischen Impulsen und Parametern umgehen.
Im Projekt wurden verschiedene Rituale geschaffen. Ein deutschsprachiges
Begrüßungslied und ein kurdisches Abschiedslied umrahmten jede Projekt-
stunde.
Die Wiederholungen des Begrüßungs- und Abschiedsliedes und auch ande-
rer passend zum Erlebnisthema gewählter Lieder war für diese Zielgruppe
von besonderer Wichtigkeit, um neu erlernte Lieder zu festigen. Auch Spiel
formen und Bewegungsgestaltungen wurden wiederholt. Einerseits konnten
die Kinder bereits Versuchtes und Erfahrenes wiederholen und weiterentwi-
ckeln, andererseits wurde somit auch die ganzheitliche Entwicklung der Kin-
der für die pädagogischen Fachkräfte sichtbar und erlebbar.
Das Singen in kindgerechter Stimmlage rief zunächst Befremdung hervor.
Im Kindergarten werde zwar viel gesungen, erzählte die Kita-Leiterin, doch
seien vor Ort viele der ErzieherInnen unsicher mit ihrer eigenen Stimme und
sängen in einer tiefen, für die Kinder ungesunden Lage.2 Erst nach Wochen
trauten sich die ersten Kinder, einige Bruchstücke mitzusingen.
2
Dieses Problem ist leider kein Einzelfall (vgl. Brünger, 2003, S. 116–123).
Die EMP-Studentin und der Oud-Musiker sollten die Musikstunden des Pro-
jektes als Tandem gestalten. Der pädagogische Impuls kam von der Studentin,
die auch die deutschsprachigen Lieder auswählte, der „orientalische“ musika-
lische Impuls vom Oud-Musiker. Trotz der klaren Aufgabenverteilung waren
zahlreiche Stunden der gemeinsamen Vorbereitung und des gegenseitigen
Kennenlernens notwendig, da beide Protagonisten eigene musikalische Vor-
stellungen in das Projekt mitbrachten.
Zudem war die Herangehensweise innerhalb des Tandems verschieden.
Während die Studentin in der Tradition der Verschriftlichung von Musik durch
Notentext steht, ist der Zugang zu Musik für den Oud-Musiker hauptsächlich
durchs Hören geprägt. Auch zeigte sich, dass die Musikwahrnehmung auf-
grund unterschiedlicher kultureller Prägung und musikalischer Vorerfahrun-
gen verschieden war. Beispielsweise wurde ein vom Oud-Musiker als ruhig
empfundenes Musikstück von allen anderen aufgrund der in orientalischer
Musik üblichen Verzierungen als bewegt und unruhig wahrgenommen.
Auch im praktischen Unterrichtsgeschehen musste sich das Tandem zu-
nächst finden. Die Herausforderung bestand darin, sich durch kurze, nonver-
bale Signale abzusprechen, um auf Impulse der Kinder reagieren zu können
und dadurch situative Arbeit zu ermöglichen. Je besser sich das Tandem non-
verbal verständigen konnte, desto einfacher wurde es, ohne eine Störung des
Spielflusses von der im Voraus geplanten Stunde abzuweichen.
6. Fazit
Literatur
Brünger, P. (2003). Singen im Kindergarten. Eine Untersuchung unter bayerischen und niedersäch-
sischen Kindergartenfachkräften. Augsburg: Wißner.
Busch, V. & Lehmann-Wermser, A. (2018). Musikalische Lebenswelten und kulturelle Teil-
habe. In A. C. Lehmann & R. Kopiez (Hrsg.), Handbuch Musikpsychologie (S. 13–40). Bern:
Hogrefe.
Dartsch, M. (2010). Mensch, Musik und Bildung. Grundlagen einer Didaktik der musikalischen
Früherziehung. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel.
Gembris, H. & Hemming, J. (2005). Musikalische Präferenzen. In: T. Stoffer & R. Oerter
(Hrsg.), Spezielle Musikpsychologie (S. 279–342). Göttingen: Hogrefe.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (KM-BW) (2014). Orientie-
rungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren
Kindertageseinrichtungen. Freiburg: Verlag Herder.
Oberhaus, L. (2018). Künstler*innen in Kitas!? Zur musikalischen Ausbildungs- und Berufs-
situation von ErzieherInnen und transprofessioneller Zusammenarbeit mit Kunst- und
Kulturschaffenden. In T. Krettenauer, H. Schäfer-Lembeck & S. Zöllner-Dressler (Hrsg.),
Musiklehrer*innenbildung: Veränderungen und Kontexte. Beiträge der Kooperativen Tagung
2018 (S. 49–58). München: Allitera.
Oberhaus, L. & Nonte, S. (2016). Inklusion in der frühkindlichen musikalischen Bildung.
Kooperationspotenziale zwischen Erzieherinnen und musikpädagogischen Fachkräften
in der Kita. In J. Knigge & A. Nielsen (Hrsg.), Musikpädagogik und Erziehungswissenschaft
(S. 73–88). Münster: Waxmann.
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2018). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit
Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2017. https://www.destatis.de/DE/
Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Publikationen/
Downloads-Migration/migrationshintergrund-2010220177004.pdf?__blob=publication
File&v=4 [24.04.2019].
Der vorliegende Praxisbericht behandelt die Methode der Rhythmik (Musik- und Bewe-
gungspädagogik) in ihrer Eigenschaft als auf einer vielschichtigen Kommunikation
aufbauendes Prinzip für den Gruppenunterricht unter besonderer Berücksichtigung
der Arbeit mit Kindern verschiedener Erstsprachen. Zunächst wird im Überblick auf
die Arbeitsweise eingegangen und ihre generellen Zielsetzungen beschrieben. Nach
einer kurzen Vorstellung verschiedener nonverbaler Aktionsformen werden beispiel-
haft zwei konkrete Aufgabenformate beschrieben, die vom Autor im Rahmen seiner
Arbeit an kulturell heterogenen Berliner Grundschulen erprobt wurden.
This practical experience report deals with the methods of Eurhythmics (Music and
Movement Education) in its quality as principle for the work with groups, that bases on
a way of communication with several layers, focussing especially on groups of non-
German native speakers. First there is given an overview of the method itself and its
general objectives. A short introduction of different non-verbal forms of interaction is
followed by a description of two specific examples of exercises, which have been tried out
in practice by the author himself in the context of his work in cultural heterogeneous
primary schools in Berlin.
Hintergründe
Musik, Bewegung und Sprache können in ihrer Kombination als Schlüssel zur
Verständigung über verschiedene Sprachgrenzen hinweg dienen. Durch den
gekonnten und flexiblen Einsatz dieser Mittel können Pfade der Verständigung
aufgetan und Kommunikationswege auf vielfältigen Ebenen – sowohl verbal-
kognitiv als auch nonverbal-sensorisch – geschaffen werden. In meiner lang-
jährigen Tätigkeit als Musik- und Bewegungspädagoge haben mich diese Pfade
immer wieder beschäftigt. Unter anderem waren sie ein wichtiges Thema in
meiner Arbeit an zwei Berliner Grundschulen, die allein durch ihre Lage in
den Stadtteilen Mitte und Wedding von einem kulturell sehr heterogenen
Umfeld geprägt sind. Parallel dazu führte ich als einer von zwei Dozent_innen
das Pilotprojekt „Musikalische Sprachförderung durch Rhythmik“ des Lan-
desmusikrats Berlin durch, welches im Jahr 2017 als Begleitung des Deutsch-
lernprozesses für Kinder unterschiedlicher Erstsprachen eingerichtet wurde.
Diese wurden dort in altersgemischten Sprachlernklassen, den sogenannten
Willkommensklassen, intensiv in Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. Beide
Arbeitskontexte hatten gemeinsam, dass es für den Beziehungsaufbau zu den
Kindern für mich unerlässlich war, auf unterschiedliche Kommunikations-
wege zurückzugreifen, da die sprachliche Verständigung aufgrund fehlender
Kenntnisse einer gemeinsamen Sprache oft schnell an ihre Grenzen gelangte.
Dies galt teilweise ebenso für die Beziehungen der Kinder einer Klasse unter-
einander, die oft nur eingeschränkte verbale Möglichkeiten hatten, um sich
untereinander zu verständigen. Es waren also vornehmlich nonverbale Wege
der Kommunikation, die gefunden werden mussten, um überhaupt miteinan-
der in Dialog treten zu können. Dabei griff ich auf die künstlerisch-pädagogi-
sche Arbeitsweise der Rhythmik/Musik und Bewegungspädagogik zurück,
die sich in den beschriebenen Projekten als wirksamer praxisorientierter
Ansatz erwies. Um ein möglichst klares Bild meiner Arbeitsweise zu zeichnen,
werde ich im vorliegenden Bericht zunächst kurz auf verschiedene nonverbale
Interaktionsformen in einer Rhythmikstunde eingehen, danach methodische
Überlegungen zu ausgesuchten Aufgabenstellungen geben und abschließend
kurz über die sich daraus ergebenden Möglichkeiten reflektieren.
Als Methode konzentriert sich die Rhythmik neben der Erweiterung der musi-
kalischen und motorischen Fähigkeiten vor allem auch auf die kognitive, sozio-
affektive, kreative und sensorische Entwicklung des Menschen im Allgemeinen
(vgl. Danuser-Zogg, 2009; Stummer, 2009; Bankl, Mayr & Witoszynskyj, 2009;
Witoszynskyj, Schindler & Schneider, 2006). Um die Entwicklung in den genann-
ten Bereichen zu unterstützen, strebt Rhythmik eine Erweiterung der individuel-
len kommunikativen Möglichkeiten an, wobei der Fokus oft auf nonverbalen
Kommunikationsformen liegt. Zunächst soll durch Wahrnehmungsaufgaben die
Sensibilität der verschiedenen Körpersinne geschult werden, um damit die Ein-
drücke der Umwelt besser aufnehmen und einordnen zu können. Durch gestalte-
rische und improvisatorische Aufgaben sollen gleichzeitig die persönlichen Aus-
drucksmöglichkeiten sowie die Fähigkeit der spontanen Adaption an neue
Gegebenheiten erweitert werden. Die Arbeit in verschiedenen Sozialformen
stärkt dabei sowohl das Gruppengefühl als auch das Vertrauen in die eigenen
Möglichkeiten. Es soll gelernt werden, sich auf andere zu verlassen und Kompro-
misse in der Arbeit mit anderen zu finden, wobei auch die eigenen Leistungen
von anderen anerkannt werden. Bedenkt man, dass das Selbstvertrauen in die
eigenen Fähigkeiten eine wichtige Voraussetzung für die Kommunikation mit
Anderen ist, wird auch dessen Steigerung zu einem wichtigen Ziel. Dieses wird
neben der Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten, der Wahrnehmung
von Anderen sowie der Gesamtsituation und der Erweiterung des körperlichen
Ausdrucksrepertoires auch explizit im Kontext des Sprachhandelns in der
Grundschule eingefordert (vgl. Carls, Jacob & Pieler, 2006, S. 15–17).
Rhythmik bietet für das Erreichen dieser Zielsetzungen eine Fülle nonver-
baler Kommunikationsmöglichkeiten, die in der Kombination von Musik und
Bewegung in der Arbeit mit Gruppen zum Einsatz kommen. Sie unterstützen
die verbale Ebene in komplementärer Weise vor allem dort, wo die sprachliche
Verständigung herausfordernd ist. In diesem Kontext auftretende nonverbale
Interaktionsformen sind u. a.:
• der Einsatz von Gesten, ob mit den Händen oder dem ganzen Körper, und
die musikalische Reaktion der Teilnehmenden oder der Lehrperson dar-
auf;
• musikalische Floskeln mit Bedeutungen und deren Umsetzung in Bewe-
gung1;
1
Zum Beispiel das Spielen einer kurzen Melodie, die den Kindern durch vorige Stunden schon
bekannt ist bzw. erklärt wird und eine Aktion (z. B. „hinsetzen“) bedeutet, die dann nicht
mehr verbalisiert werden muss, sondern nur noch auf einem Instrument gespielt und von der
Gruppe umgesetzt werden kann..
Auf dieser Zielsetzung lag auch das Augenmerk bei meiner Arbeit in den dar-
gestellten Umgebungen an Berliner Schulen. Die einmal in der Woche stattfin-
denden Workshops bzw. Stunden wurden mit einer Gruppe von acht bis 14
Kindern durchgeführt. Bei Willkommensklassen besuchte die ganze Gruppe
die Workshops, bei Regelklassen die Hälfte der Kinder einer normal großen
Klasse der Schuleingangsphase (1. und 2. Klasse). Letztere besuchten zusätz-
lich zum normalen Unterricht meine Rhythmikstunden als Angebot innerhalb
der musikalischen Grundbildung. Diese wurde an den betreffenden Schulen
durch eine Kooperation mit einer öffentlichen Stadtteilmusikschule durch
geführt. Das Pilotprojekt der „musikalischen Sprachförderung“ wurde von
April bis Juni 2017 realisiert. Die Kooperation mit der Musikschule bestand
über mehrere Schuljahre hinweg, von denen ich am Standort Berlin-Mitte im
Schuljahr 2016/17 und am Standort Berlin-Wedding von September 2016 bis
Februar 2018 arbeitete.
Im Folgenden sollen zwei konkrete Beispiele verdeutlichen, welche non
verbalen Interaktionsformen ich in meiner Arbeit in Berliner Grundschulen
Beschreibung: Die Gruppe steht im Kreis. Die Lehrperson (LP) zeigt nonverbal
Möglichkeiten auf, wie der Körper mit Body Percussion zum Klingen gebracht
werden kann, und animiert die Teilnehmenden (TN) zum Mitmachen. Jede
Person soll nun die Anzahl der Silben des eigenen Vornamens in Body Percus-
sion „übersetzen“. Die LP beginnt auf diese Weise mit ihrem Namen und die
TN wiederholen dies geschlossen als Gruppe (unisono). Es soll darauf geachtet
werden, dass alle TN zuerst einmal zuhören und dann gemeinsam als Gruppe
einsetzen: „Eine_r. – Alle.“ Ist das Prinzip verstanden, soll die benachbarte
Person ihren Namen auf die gleiche Weise vertonen. Dies geht nun reihum, bis
alle TN ihren Vornamen in Body Percussion umgesetzt haben. In einer zweiten
Runde sollen die gleichen Perkussionen ohne das Nennen des Namens wieder-
holt werden. Das Prinzip „Eine_r. – Alle.“ bleibt dabei immer bestehen.2
Variationen: a) Es werden keine Namen genannt. Die LP spielt einen kurzen,
selbst erfundenen Rhythmus als Body Percussion vor. Die
Gruppe soll im Prinzip des „Call – Response“ darauf antworten.
Funktioniert dies gut, wird die Leitung an die nächste Person
abgegeben usw.
b) Wie a), jedoch werden nur zwei Klänge ausgewählt, Klatschen
und Stampfen. Die LP gibt einen kurzen Rhythmus vor, den sie
durch einen der Klänge umsetzt (z. B. Klatschen). Die TN sollen
nun mit dem gleichen Rhythmus antworten, jedoch den anderen
Klang nutzen (in diesem Fall: Stampfen).
c) Die nun beschriebene Spielstruktur eignet sich sehr gut, um
damit Begrüßungs-Sprüche oder -Lieder im Rondo zu kombinie-
ren. Der Refrain eines Spruchs/Liedes wird einmal von der gan-
zen Gruppe ausgeführt. Im Anschluss folgen drei bis fünf Teil-
nehmende mit ihren individuellen Perkussions-Floskeln (Namen
oder nicht) und jeweils im „Call – Response“-Prinzip die ganze
2
Hinweis zur Umsetzung: Es kann helfen, die Möglichkeiten für Körperklänge erst einmal
einzuschränken und bspw. nur mit Patschen auf den Oberschenkeln und Fingerschnipsen zu
arbeiten.
Hallo Leute
Beschreibung: Die Gruppe ist im Raum verteilt, die LP ist an einem Instrument
am Rand, z. B. am Klavier. Erklingt Musik, sollen sich die TN bewegen, stoppt
die Musik, soll auch die Bewegung stoppen. Dabei sollte darauf geachtet wer-
den, dass die TN beim Bewegungsstopp ihre Position mit der erforderlichen
Muskelspannung halten, um stabil zu stehen. (Das Vorstellungsbild der „Statue“
kann dabei helfen.) Die LP kann unterschiedliche Bewegungsarten (Laufen,
Gehen, Rückwärts gehen, Hopsa-Lauf, auf einem Bein hüpfen etc.) spielen, wobei
der Rhythmus der Musik immer an die körperlichen und motorischen Voraus-
setzungen der TN angepasst werden sollte. Z. B. haben jüngere Kinder kürzere
Beine und setzen beim Laufen die Füße schneller auf dem Boden auf als ältere/
größere Personen. Manche Bewegungen erklären sich durch Rhythmus und
Melodie des Instrumentalspiels von selbst, andere müssen zwischen der LP und
den TN abgesprochen werden. Dabei können Bewegungen sowohl von der LP
vorbereitet und den TN vorgegeben werden, die LP kann aber auch spontan
Bewegungen der TN aufgreifen und diese am Instrument begleiten.3
Zwei Beispiele als Vorlagen für Improvisationen zum Laufen und Gehen
(vorwärts und rückwärts) für Klavier finden sich im folgenden Notenbeispiel:
Bewegungsbegleitungen
3
Hinweise zur Umsetzung: Bewegungen können im Prinzip auf jedem Instrument begleitet
werden. Als LP ist es ratsam, ein Instrument zu wählen, auf dem man sich die entsprechen-
den improvisatorischen Fähigkeiten zutraut, um den TN ein qualitativ angemessenes musi-
kalisches Erlebnis zu ermöglichen. Gleichzeitig ist es wichtig, die Parameter, die die Bewe-
gungen der TN vorgeben, auf dem Instrument so aufgreifen zu können, wie sie von der
Variationen:
a) Während des Musikstopps können von der LP Anweisungen
an die Gruppe gegeben werden, z. B.: „Mit der Nase an eine
Wand“, wobei die TN diese Aktionen ausführen sollen. Danach
wird wieder Musik gespielt und die TN bewegen sich weiter.
b) Während eines Stopps kann die LP ein Körperteil nennen,
mit dem sich die Teilnehmenden jeweils zu zweit berühren („zu-
sammenkleben“) sollen. Nun spielt die LP eine neue Begleitung,
die sich vom Charakter her gut von der vorherigen unterschei-
den lässt, zu der sich die Personen nun als „zusammengeklebte“
Paare durch den Raum bewegen sollen. Erklingt wieder die ur-
sprüngliche Begleitung, trennen sich die Paare und alle bewegen
sich allein weiter, bis zum nächsten Stopp und einer erneuten
Fusion mit einem anderen genannten Körperteil usw.
c) Es können Materialien/Objekte (z. B. Reifen oder Tücher) an
die TN verteilt werden, mit denen sie sich durch den Raum be-
wegen und unterschiedliche Möglichkeiten der Handhabung
ausprobieren sollen.4 Wer möchte, stellt seine Bewegung vor, die
LP begleitet diese Bewegungsfolge am Instrument und die ge-
samte Gruppe imitiert die vorgestellte Bewegung.
d) Sind den TN schon einige verschiedene Bewegungsarten
durch Wiederholungen aus vorherigen Stunden bekannt (z. B.
Gehen und Laufen), kann deren Rhythmus auf Instrumente
übertragen werden, die von den TN selbst gespielt werden kön-
nen (z. B. Congas). Nun kann eine Person am Instrument die
ganze Gruppe zur Bewegung und zum Stopp anleiten.
Gruppe in diesem Moment ausgeführt werden. Dabei ist das Prinzip eines Dialogs zwischen
Instrument (LP) und Bewegung (TN) wichtig, indem sich beide Seiten „zuhören“ (vgl. Kinski,
2016). Das Klavier ist dafür genauso geeignet wie Melodieinstrumente (z. B. Klarinette, Geige),
Perkussionsinstrumente (z. B. Handtrommel, Schlagwerk) oder die Stimme (z. B. Sprechge-
sang oder für diesen Zweck komponierte Lieder). Es kommt dabei mehr auf den gekonnten
und reflektierten Einsatz als auf die Art des gewählten Instruments an, wobei sich sowohl
durch dessen Klangfarbe und spieltechnische Möglichkeiten als auch durch die Art der Melo-
die- und/oder Rhythmusgestaltung jeweils andere Qualitäten in der Bewegung aufgreifen
bzw. initiieren lassen.
4
Hinweis zur Umsetzung: Das Material sollte auf pädagogisch sinnvolle Weise ausgewählt
(bewegungsanregend, interessant für die Zielgruppe, zweckdienlich für die geplanten Auf-
gaben) und sinnvoll in die Stunde eingeführt werden (bspw. durch eine Spielstruktur, in der
zunächst ein_e TN ein Objekt hat, danach zwei, danach mehr o.ä.; vgl. dazu Blankl et al.,
2009).
Literatur
Bankl, I., Mayr, M. & Witoszynskyj, E. (2009). Lebendiges Lernen durch Musik, Bewegung, Spra-
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Keating, C. F. (2016). The Developmental Arc of Nonverbal Communication: Capacity and
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darstellende Kunst Wien (S. 112–122). Wiesbaden: Reichert.
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gung – Grundlagen und Modelle für Kindergarten, Vorschule und Grundschule (3. Aufl.). Wien:
ÖBV.
Stage on Fire
A Concept for Changing Perspective by Method of Theatre Pedagogy
in Music Lessons
Der vorliegende Praxisbeitrag beschreibt und erläutert eine Methode, die mit der Adap-
tion theaterpädagogischer Mittel eine praktisch-kreative Auseinandersetzung mit
Musik bietet und so einen individuellen und emotionalen Zugang zu unbekannten
Klangwelten schafft. Das hier vorgestellte und in einer 9. Klasse einer Oberschule
(Haupt- und Realschule) durchgeführte Konzept soll deshalb für den Einsatz im
interkulturellen Musikunterricht diskutiert werden.
The modern musical lessons in school give teachers a new challenge: How can I create
the contact for pupils with unknown music? This article will explain a method which
gives the possibility to discover unknown music in a creative and practical way. It
describes and exemplifies a method from theatre pedagogy which offers the possibility to
get an individual and emotional approach to unknown sounds. It will also discuss the
method in context of intercultural music education. The article describes a workshop
which was hold in a 9th grade class (14 to 16 years) in a german Oberschule.1
Idee
1
The german Oberschule is comparable to High school. The age of pupils is from 10 to 16.
daraufhin Standbilder bauen und schließlich eine eigene Szene zur Musik
entwerfen. Dabei bildet die Musik den Ausgangspunkt für einen kreativen
Gestaltungsprozess.
Ablauf
Die Einheit beginnt mit einem Warm-Up, das darauf abzielt, die Wahrneh-
mung für sich selbst, die Gruppe und den Raum zu schärfen. Hierfür eignet
sich ein Raumlauf oder verschiedene Impulsübungen im Kreis. Im Anschluss
an die Wahrnehmungsübungen hören die Lernenden nun den Anfang der
Ouvertüre der Oper Fidelio (vgl. Philadelphia orchestra, Ricardo Muti2,
Anfang bis Min 1:02). Der Ausschnitt beinhaltet in kurzer Abfolge vier musi-
kalische Abschnitte, die sich auf Grund ihrer Prägnanz und jeweils unter-
schiedlicher Charakteristika zur szenischen Umsetzung eignen. Daraufhin
notieren die Teilnehmenden zunächst ihre ersten Assoziationen zur Musik in
einer Einzelarbeitsphase, wobei die Art und Weise der Darstellung (z. B.
Malen, Zeichnen, Schreiben) den Lernenden selbst überlassen ist. Da die
Schülerinnen und Schüler der Lerngruppe wenig Vorerfahrung in der Rezep-
tion klassischer Musik haben, wird die Aufgabe hier bewusst sehr offen
gestellt, um einen individuellen Zugang zu ermöglichen. Bisherige Erfahrun-
gen zeigen, dass es hierbei sinnvoll ist, den Ausschnitt mehrere Male abzu-
spielen, um den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, den zunächst ggf.
ungewohnten Höreindruck zu verarbeiten und produktiv umzusetzen.
Anschließend werden die Ergebnisse für alle gut sichtbar ausgelegt. Die Ler-
nenden arbeiten nun in Partnerarbeit: Jedes Paar wählt eine Mitschrift als
Arbeitsgrundlage für die nun folgende Übung aus. Hierzu entwickeln die
Paare je vier Standbilder (ein Standbild pro musikalischem Abschnitt),
anhand derer die Assoziationen zur Musik deutlich werden sollen. Ob dabei
die Mitschrift als gemeinsame Diskussions- und Ideengrundlage genutzt
wird, bleibt den Schülerinnen und Schülern selbst überlassen. Die anschlie-
ßende Präsentation der Standbilder erfolgt nun zur Musik, wobei die Bilder
mit jedem neuen musikalischen Abschnitt wechseln. Als interessanter Kont-
rast bietet sich hierbei das parallele Präsentieren zweier Gruppen an. Für die
beobachtenden Mitschülerinnen und Mitschüler werden dadurch die jeweils
unterschiedlichen Verständnisse und Interpretationen der Musik sichtbar.
An dieser Stelle schließt eine Reflexionsphase an, um die Lernenden für
2
https://www.youtube.com/watch?v=JC_wGFGYkjs [27.11.2019].
3
Vgl. Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule, 2013, S. 4. Siehe Beschluss der Stän-
digen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland zur
Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule. Laut dieser soll schulische Bildung „eigene
kulturgebundene Prägungen und Deutungsmuster sowie gegenseitige soziale Zuordnungen
und Stereotypisierungen reflektieren, Offenheit gegenüber Anderen und anderen Deutungs-
mustern entwickeln, Widersprüche zu eigenen Deutungsmustern in der Kommunikation mit
Anderen aushalten sowie soziokulturelle Entwicklungsprozesse aus mehreren Perspektiven
betrachten.“
Ausblick
Die Methode eröffnet durch die Körperlichkeit der Standbilder weitere Lern-
zugänge. Dabei machen sich die Lernenden mit den Ausdrucksmöglichkeiten
ihres Körpers vertraut und erweitern somit ihr Repertoire an Ausdruckswei-
sen und damit einhergehend ihre ästhetische Kompetenz. In einem Standbild
verkörpern die Schülerinnen und Schüler etwas und müssen sich gleichzeitig
dazu verhalten. Dieser kreative Umgang mit der Differenzerfahrung ist eine
wichtige Erfahrung im Umgang mit dem Neuen, dem Fremden. Zudem bietet
die Methode die Möglichkeit, Dinge und Emotionen auszudrücken, die schwie-
rig in Worte zu fassen sind. Entsprechend eignet sich das Konzept ebenso gut
für den Einsatz in Lerngruppen mit Sprachbarrieren oder auch im Fremd
sprachenunterricht.
Literatur
Bauer, M. (2012). Die Komplexität der Interkulturalität in der Theaterpädagogik. https://www.
theaterwerkstatt-heidelberg.de/wp-content/uploads/2016/09/TP12-1_AA_Bauer_Mir-
jam.pdf. [12.5.2019].
Jünger, H. (2003). Prinzipiell interkulturell!. http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/juenger/
download/juenger-2003-prinzipiell-interkulturell.pdf. [14.5.2019].
Ott, T. (2012). Konzeptionelle Überlegungen zum Interkulturellen Musikunterricht.
A. Niessen & A. Lehmann-Wermser (Hrsg.), Aspekte Interkultureller Musikpädagogik. Ein
Studienbuch (Musikpädagogik im Fokus, Bd. 2, S. 111–138). Augsburg: Wißner.
Spinner, K. (2001). Spielszenen im Deutschunterricht. Praxis Deutsch, 2001(166), 4–9.
Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
(2013). Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule. https://www.kmk.org/filead-
min/veroeffentlichungen_beschluesse/1996/1996_10_25-Interkulturelle-Bildung.pdf
[16.11.2019].
Historisch-chronologische Synopse:
USA et al. – DR, BRD
USA et al. multicultural, intercultural music education, diversity;
DR, BRD inter-, multi-, transkulturelle Musikpädagogik, -erziehung etc.
Nachfolgende Synopse ist ein Arbeitsmittel, das versucht, anhand der Publikationslage fachliche Strömun-
gen und Schwerpunkte im musikpädagogischen Fachdiskurs zu Inter-/Multi- und Transkulturalität sichtbar
zu machen. Es befindet sich in einer steten Erweiterung und Ergänzung; diese Version bildet den Stand
vom Oktober 2019 ab. Die hochgestellten Ziffern hinter einigen Referenzen verweisen auf die am Ende an-
gegebenen Untersuchungen, die zusätzlich zur Recherche der Einzelbeiträge für die angloamerikanischen
Debatten konsultiert wurden. Die mittlere Spalte erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern
dokumentiert eine subjektive Auswahl von (welt-)politischen Ereignissen oder zentraler Literatur aus ande-
ren Disziplinen, die etwaige Interdependenzen zur musikpädagogischen Diskussion herstellen könnten. Die
Literaturhinweise sind nicht vollständig angegeben, da diese Synopse versucht, Inhalte und Themen wieder-
zugeben und keine bibliografischen Daten. Lehrwerke werden mit einem [L], empirische Untersuchungen
oder Analysen mit einem [U] zu Beginn der jeweiligen Angabe gekennzeichnet; ausgegraute Textabschnitte
verdeutlichen affine Beiträge oder Ereignisse.
Bayern:
1905
Israel Zangwill:
1909
Robert Lachmann:
1910
John Dewey:
1916
musical study by learning how diffe- then, we have already the central idea
rent sounds are obtained from various of German education which can be
instruments of the world.”1 formulated as follows: Kultur is the
heart of the German.“
MSJ Fritz Jöde: Musik und Erziehung Karl Blessinger: Die musikalischen Prob-
[U] John W. Work: The Development of leme der Gegenwart und ihre Lösung: „Ver-
the Music of the Negro from the Folk Song söhnt werden müssen aber auch die
to the Art Song and Art Chorus künstlerischen Gegensätze. Aus der im-
mer schrofferen Herausarbeitung die-
ser Gegensätze sind ja die schwierigs-
ten Probleme entstanden; ihre Versöh-
nung bedingt die Lösung der Proble-
me. Es darf nicht mehr heißen ‚hie ab-
solute Musik, hie angewandte Musik‘,
nicht mehr ‚hie Musiker, hie Laien‘.
Die beiderseits bestehenden Vorurteile
müssen schwinden und gegenseitigem
Vertrauen Platz machen. [...] unsere
1919
[U] Davis Philip: Immigration and DR: Pflicht einer vierjährigen Grund-
1920
Americanization schule
MSNC conference (Cincinnati) USA: Indian Citizienship Act: Nord- III. Reichsschulmusikwoche (Breslau)
“a lecture demonstration on ‘Folk Mu- amerikanische Ureinwohner auf dem
sic in the Philippine Islands’ was deli- Territorium der USA erhalten die
1924
V. Reichsschulmusikwoche
(Darmstadt)
Karl H. Rüdel: „Der heutige Stand des
Kretzschmarschen Reformwerkes und
die Schulmusik: Selbst den Jazz ent-
schuldigen leichtsinnige, angeblich ge-
recht sein wollende Beurteiler mit der
rhythmischen Bereicherung, die er un-
serer Kultur bringen könne! Aber sie
übersehen, oder sie wollen es nicht se-
hen, daß es sich bei ihm um Unkraut
handelt, das unsern Kulturboden ret-
tungslos verseuchen wird, wenn man
es weiter wuchern läßt. Nicht rhyth-
mische Bereicherung haben wir von
1926
Osbourne McConathy: The Music Hour Karl Kiesel, Norddeutscher Lloyd VI. Reichsschulmusikwoche (Dresden)
“…gave increased attention to foreign et al. (Hrsg.): The study of music in Walter Kühn: Die Schallplatte im Dienste
music with songs from China, Fiji, Germany des Musikunterrichts. Bericht über einen
Hawaii, India, Japan, and the Vortrag von Prof. W. Doegen im Verein aka-
Philippines.”1 dem. geb. Musiklehrer Groß-Berlins: „Prof.
Doegen zeigte durch seine völkerkund-
lichen Platten, wie der Musikunterricht
in Querverbindung mit Erdkunde
bezw. Geschichte außerordentlich bele-
bend helfen kann. Für die musikge-
schichtliche Belehrung selbst können
im Sinne der vergleichenden Musikwis-
senschaft den Schülern primitive Stadi-
en musikalischer Entwicklung anschau-
1927
responsible for the notion that the Neg- platte mit begleiteter Vokalmusik [...]
ro is naturally endowed with a supe- bei Gelegenheit der Besprechung der
rior talent for music.“ griechischen Musik.“
Heinrich Möller: Das ausländische Volks-
lied im deutschen Schulunterricht
International conference (Lausanne) DR: New Yorker Börsencrash (Great VIII. Reichsschulmusikwoche (Han-
“evoked considerable among American Depression) nover)
educators in methods of teaching music Paul Mies: Musikalische Eigentümlich-
1929
Lilla Belle Pitts: Music Integration in DR: Ausschluss von Juden aus
the JHS Bildungsinstitutionen
“outlined detailed units for studying DR: Jazz-Verbot im deutschen
1935
[U] Mary E. Allen: A Comparative Study USA: Executive order 9066: In den
of Negro and White Children on Melodic USA lebende Japaner werden in
and Harmonic Sensitivity: “These conclu- Lagern interniert.
sions conform fairly consistently with
those reached by other experimenters
1942
nicht besuchen
Ende 2. Weltkrieg
1945
MENCS (Cleveland)
Mit Pan American Union: Gründung des
1946
lingskonvention
in Schulen
bewegung(en)
BRD: Anwerbeabkommen mit Italien
ISME-Konferenz (Kopenhagen)
“At several of these conferences,
1958
BRD: Anwerbeabkommen mit Spanien, [L] Ilse Obrig: Bunt und froh ist unsere
1960
MENC Western Div. Meeting BRD: Anwerbeabkommen mit [L] Ilse Obrig: Überall ist Kinderland.
Intercultural communication Through der Türkei Kinderspiele aus aller Welt mit Alltag und
Music in the Pacific Areas Festen, Liedern und Geschichten
Gerald Abraham (ISME): Music in the
World of Today
“We occidentals recognize now that it
1961
ISME-Konferenz Wien
MENC (Philadelphia) USA: Civil Rights Act of 1964 [L] Janheinz Jahn: Blues und Work Songs.
Mantle Hood: Music Cultures of the BRD: Hamburger Abkommen Herausgegeben, übertragen und mit einem
World in the American Classroom (lec- BRD: Anwerbeabkommen mit Vorwort von Janheinz Jahn. Mit Melodie-
ture) Portugal orientierungen und einem Essay von Alfons
Claude V. Palisca: Music in Our Schools. Michael Dauer
A Search for Improvement. Report of the
Yale Seminar on Music Education: “It
would be a mistake to shy away from
1964
Donald Berger: Ethnomusicology Past USA: Bilingual Education Act Kurt Reinhard: Einführung in die Musik-
and Present USA: Ermordung von Martin Luther ethnologie (Reihe: Beiträge zur Schul-
King musik)
1968
ISME-Konferenz (Dijon)
USA: Civil Rights Act
Elizabeth May & Mantle Hood: BRD: Anwerbeabkommen mit
Javanese Music for American Children Jugoslawien
1st ISME International Seminar Paulo Freire: Pedagogy of the Oppressed: Siegfried Vogelsänger (1970): „Es müs-
(Stockholm) Demokratisierung und Humanisierung sen also zur Erhellung der musikali-
(sponsered by UNESCO) von Erziehung schen Umwelt neben exemplarischen
A World-Wide View on Music Education; Hans-Georg Noack: Rolltreppe abwärts Werken aus dem Bereich der ‚Kunst-
Music as a social process3 musik’ verschiedener Epochen und
ISME-Konferenz (Moskau) Stile in einem ‚aufsammelnden’ [...] und
“motion was passed by the General ‚orientierendem Unterricht’ [...] auch die
Assembly that ISME edit a Folk-Song Formen der ‚Umgangs- und Gesell-
Encyclopedia consisting of the best ori- schaftsmusik’ und die ‚Musik der
ginal, national folk-songs published Fremdkulturen’ Platz finden.
with a scientific commentary and with a Heinz Antholz: „Der dynamisch offe-
suggestion for performance eleborated ne Kulturbegriff greift aus in Zeit und
[sic] by outstanding composers” 3 Raum. Seine Toleranzspanne schließt
‚Fremdkulturen‘ nicht aus. Mit Musik-
kultur der Gegenwart – die Genitivbe-
1970
Charles Seeger: World Musics in Ameri- Intergovernmental Conference on Marius Schneider: Außereuropäische
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Its Aesthetic and Social Context article nor a decoration, neither an eva- 48 Kinderlieder aus aller Welt
1972
Statement of musical diversity: “ISME sion nor an alibi, but an essential factor
recognizes all musical cultures, the Ori- of life. The right of everyone to have
ental as well as the Occidental, folk mu- access to culture implies duties on the
sics as well as art musics’” 3 part of States.”
Doris Diamant: Ausländische Arbeiter-
kinder in der deutschen Schule
MENC (Atlanta) Carl Dahlhaus et al.: Memorandum über Siegmund Helms: Musikpädagogik und
“offered ways to incorporate African die Lage der Musikwissenschaft in der Bun- außereuropäische Musik
and Native Alaskan musics in the ele- desrepublik Deutschland: „Die Musikwis-
mentary classroom. Discussions of the senschaft stellt einen Teil der Inhalte und
problems and perspectives of multicul- Materialien bereit, die durch die Musik-
tural music education in higher educa- pädagogik – als eigene Forschungsdiszi-
tion were also part of the program.” 2 plin wie als Ausbildungsfach für Musik-
lehrer – vermittelt werden, und sie hat
1976
[...] herbeiführen.“
- Jens Peter Reiche: Hamburger Modell
(Mp.+Mw.)
[U] Klaus Finkel: Untersuchungen zur
Rezeption europäischer und arabischer Mu-
sik im Rahmen der Betreuung jugendlicher
Ausländer
Rudolf Stephan: Musik fremder Kultu-
ren. 5 einführende Studien
[L] Wolfgang Schmidt-Köngernheim:
Musikzauber. Außereuropäische Musik als
Grundlage eines kulturanthropologischen
Zugangs zur Musik im Unterricht der Se-
kundarstufe I
MENC Rudolf Schmitt: Kinder und Ausländer. [U] Klaus Finkel: Musik als Hilfe zur
“It [Minority Awareness Commission] Einstellungsänderung durch Rollenspiel – Kommunikation jugendlicher ausländischer
became the Multi-Cultural Commission eine empirische Untersuchung Arbeitnehmer mit gleichaltrigen Deutschen
[…] to reflect both the many musics Marius Schneider: Außereuropäische Klaus Finkel: Musik als Mittel zur Inte-
1979
found in the United States and around Folklore und Kunstmusik (a.d. Reihe Das gration im Primarbereich mit hohem Aus-
the world, and the committee’s role in Musikwerk. Eine Beispielsammlung länderanteil
the MENC.” 2 zur Musikgeschichte; 1959 ff.) Michael Jenne: Außereuropäische Musik
– Musikkulturen der Welt
ISME-Konferenz (Warschau)
variety.”
John Blacking: A False trail for the Arts? Günther Kleinen et al.: Musikunterricht
Multicultural Music Education and the Sekundarstufen. Folklore. „Die einzelnen
Denial of the Individual Creativity Regionen werden anhand der jeweili-
gen Funktionen der Musikfolklore für
die sie tragenden ethnischen und sozia-
len Gruppen, der Musiziergewohnhei-
ten, der Instrumente, einzelner Lied-
texte und Melodien, musikalischer Stil-
merkmale, der Interaktionen zwischen
Musikausführenden und Zuhörern usw.
beschrieben.“
- Erik Post: Saami Music and Music in UNESCO: “The Plan’s four objectives [L] Rolf Stoll: Musik in China
School: New Tasks for Indigenous People are: acknowledgment of the cultural di-
mensions of development, affirmation [L] Peter Zacher: Sing a song. Lieder der
and enrichment of cultural identities, Völker Nordamerikas. Eine Liedsammlung
broadening participation in culture, and für die Sekundarstufe
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co-operation.”3
der Schul- und Hochschulunterweisung:
1987
ISME-Konferenz (Canberra)
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a multicultural approach Die Welt dreht sich. Ein interkulturelles
Liederbuch (Neuauflage 2001)
Patricia S. Campbell: Lessons from the
world. A cross-cultural guide to music
1991
musical systems
• musical inquisitiveness
• a macro view of humanity
• the willingness to become at
least bimusical
• the willingness to become at
least bicultural“
Andrea Rose: A Place for Indigenous Mu- Hella Brock: Edvard Grieg im Musikunter-
sic in Formal Music Education: “Under- richt. Betrachtungen unter interkulturellen
standing that music education is part of und polyästhetischen Aspekten
a complex social and cultural world is Ernst Klaus Schneider: Vom Umgang
a starting point in viewing it as a vital mit dem Fremden. Treffpunkte außereuro-
force in the reproduction and produc- päischer und europäischer Musik.
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and the universalist-pluralist debate (UNESCO)
„Fazit: Die Musik unserer ‚ausländi-
The Dakar Framework for Action schen MitbürgerInnen‘ ist im herrschen-
den Musikbetrieb zwar vorhanden, aber
Goal 1: Expand early childhood care vollkommen ghettoisiert. Die traditio-
and education nellen Institutionen wie Musikschulen
Goal 2: Provide free and compulsory oder Hochschulen sind weit davon ent-
primary education for all fernt, einen Beitrag zum Leitbild einer
multikulturellen musikalischen Identi-
Goal 3: Promote learning and life skills
tät zu leisten.“
for young people and adults
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Campbell: Multicultural Perspectives, terkulturalität. Eine interdisziplinäre Ein-
Volume III führung: plädiert für Interkulturalität Beyond Borders. Welt – Musik – Pädago-
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better foster such conditions within our rungen interkultureller Bildung Interkultureller Musikpädagogik. Ein
music classrooms? First, we can pay Studienbuch
more attention to the social interactions
of our students and develop projects Karin Rankl: Transkulturation und
that allow for positive peer interactions Musikpädagogik. Zwischen Globalisierung
to develop, paying special attention to und Regionalisierung
the cultural background of our students Tiago de Olivera Pinto & Eva-Maria
when grouping them for projects and von Adam-Schmidtmeier: Transkultu-
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