Brynmor University Reihe 02 Versuchungen Dominik Gaida Full Chapter

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Brynmor University-Reihe 02 -

Versuchungen Dominik Gaida


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aida/
Dominik Gaida

Brynmor University –
Versuchungen
Roman
Über dieses Buch

Eine Liebe gegen alle Regeln!


Für Nate beginnt das neue Semester an der Brynmor University mit
einem riesengroßen Schock. Denn plötzlich steht Lucas wieder vor
ihm. Derselbe Lucas, dem er in den Semesterferien zufällig in
London begegnet ist und mit dem er eine leidenschaftliche Nacht
verbracht hat. Nur ist Lucas jetzt Dr. Lucas Murphy, sein neuer
Dozent. Sich hier in Brynmor wiederzusehen, als Student und Dozent
… schlimmer hätte es kaum kommen können. Zuerst zwingen sich
die beiden, Abstand zu halten. Nur wird das mit jedem Tag und mit
jeder weiteren Begegnung schwieriger. Doch wenn sie der
Versuchung erliegen, könnte das ihre Zukunft zerstören …
Eine Elite-Uni an der rauen Küste Cornwalls, zwei junge Männer und
eine verzweifelt intensive Liebe. Willkommen an der Brynmor
University, einem Ort voller Geheimnisse.
Vita

Dominik Gaida, 1989 geboren, arbeitet nach einem freiwilligen


sozialen Jahr in Südafrika und seinem Psychologie-Studium heute als
Psychotherapeut. Er hat bereits unter Pseudonym mehrere
Hörbuchskripte geschrieben, mit der Brynmor-University-Trilogie tritt
er erstmals mit seinem eigenen Namen an die Öffentlichkeit. Alle
Bände der Reihe sind unabhängig voneinander lesbar. Als Own-
Voice-Autor möchte er zur Sichtbarkeit der LGBTQIA+-Community
beitragen. Er ist auf Instagram (@dominikgaida) und TikTok
(@dominik.gaida) zu finden.
Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2024


Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Redaktion Kathinka Engel
Zitat auf Seite 174 aus dem Song «Moving On» von Leonard Cohen; Melodie und
Text von Adam Cohen und Patrick Leonard
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-01812-9
Upper: upped by @surgicalremnants
Das Hörbuch Version ist verfügbar bei Hoerbuch.us

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation


Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der
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Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG
behalten wir uns explizit vor.
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(Inhaltsverzeichnis), Landmarks (Navigationspunkte) und semantische Content-
Struktur zugänglich aufgebaut. Sind im E-Book Abbildungen enthalten, sind diese
über Bildbeschreibungen zugänglich.

www.rowohlt.de
Dieses Buch enthält potenziell belastende Inhalte. Wenn du dich
darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage
unter www.endlichkyss.de/brynmor2 eine Content-Note.
Für alle, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unter
Diskriminierung gelitten haben
«It is best to love wisely, no doubt: but to love foolishly is better
than not to be able to love at all.»
William Makepeace Thackeray, Vanity Fair
Playlist

You know I’m no good – Amy Winehouse


I was a teenage anarchist – Against me!
Ache with me – Against me!
Coastline – Hollow Coves
Me and the devil – Soap & Skin
Moving on – Leonard Cohen
Nothing breaks like a heart (Dimitri from Paris Remix) – Mark Ronson
ft. Miley Cyrus
Achilles come down – Gang of Youths
The woods – Hollow Coves
Wildest dreams – Taylor Swift
Delicate, Petite & Other Things I’ll never be – Against me!
The open road – Hollow Coves
Prolog

Hope

D ie Angst umschließt mein Herz wie ein Schraubstock.


«Jean, warte! Verdammt noch mal, jetzt warte doch!»
Aber Jean hört mich nicht. Oder besser gesagt will sie mich nicht
hören. Sie läuft einfach weiter, weg von den Lampions, vom Lachen
und der ausgelassenen Stimmung, die mir plötzlich ziemlich seltsam
vorkommt. Denn wie können die anderen einfach weiterfeiern,
während Jeans Welt gerade in Scherben zerbricht?
«Jean, warte!»
Weil ich im Gegensatz zu Jean Absatzschuhe trage, bin ich nicht
ganz so schnell wie sie, und der Abstand zwischen uns wird immer
größer.
«Jean!»
Vor ein paar Monaten, als sie das letzte Mal so aufgewühlt war,
konnte ich sie beruhigen. Aber jetzt dringe ich einfach nicht zu ihr
durch.
Verdammt.
Jean durchquert den Innenhof mit seinen efeubewachsenen
Fassaden und steuert geradewegs auf das große Eingangsportal zu.
Sie will doch nicht …? In ihrem Zustand?
«Jean!»
Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich bin vollkommen außer
Atem. Trotzdem laufe ich weiter.
Bitte warte auf mich. Bitte sprich mit mir. Wir finden eine Lösung.
Wir haben immer eine Lösung gefunden.
Aber mein stummes Flehen wird genauso wenig erhört wie meine
verzweifelten Rufe. Stattdessen wird eine Autotür zugeschlagen und
ein Motor gestartet.
Als ich den kreisrunden, mit Kopfstein gepflasterten Platz auf der
anderen Seite der Klostermauern erreiche, legt Jean gerade den
Rückwärtsgang ihres Ford Fiesta ein. Mit quietschenden Reifen
schießt sie aus der Parklücke und streift dabei den Kotflügel eines
silbernen Mercedes. Metall schrammt über Metall. Erschrocken über
das Geräusch hält sie inne und wirft einen Blick aus dem Fenster.
Es sind nur ein paar Sekunden, in denen sie zögert. Aber mehr
brauche ich nicht, um zu ihr aufzuschließen.
«Jean!», rufe ich und rüttle an der Beifahrertür. Der Ford ist von
innen verschlossen, und weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll,
schlage ich mit der flachen Hand gegen die Scheibe. «Jean!»
Wie in Zeitlupe wendet sie sich von dem Mercedes ab und mir zu.
Unsere Blicke treffen sich – und unwillkürlich zucke ich zusammen.
In Jeans Augen lodert Enttäuschung. Ärger. Liebe.
Hoffnungslosigkeit.
So viele Gefühle.
Zu viele Gefühle.
«Bitte, Jean, mach den Motor aus! Lass uns in aller Ruhe darüber
sprechen!»
Jean sieht mich an. Für den Bruchteil eines Augenblicks kräuseln
sich ihre Lippen zu einem schwachen Lächeln, und ich schöpfe noch
einmal Hoffnung. Aber dann schüttelt sie den Kopf, legt den ersten
Gang ein und tritt mit voller Kraft das Gaspedal durch.
Nein! Nein, nein, nein!
«Jean!»
Es dauert nur ein paar Sekunden, bis die Rücklichter des Ford
kleiner werden.
Kurz darauf ist Jean in der Nacht verschwunden.
Einundzwanzig Jahre später
Kapitel 1

Lucas

« D u bist zum ersten Mal hier, oder?»


Ich nehme noch einen Schluck von meinem Guinness, bevor ich
den Kopf nach links drehe, um zu sehen, wer mich angesprochen
hat – und halte überrascht die Luft an. Ich meine, wie oft kommt es
schon vor, vom vermutlich heißesten Typen in der gesamten Bar
angequatscht zu werden?
Der Unbekannte setzt sich auf den Hocker neben mir. Er ist ein
paar Jahre jünger als ich, hat breite Schultern und schmale Hüften.
Wie ein Schwimmer. In seinen mitternachtsblauen Augen liegt ein
verspielter Ausdruck, und seine dunkelbraunen Haare sind so perfekt
gestylt, dass ich nicht wissen will, wie lange er dafür gebraucht hat.
Das eng anliegende schwarze T-Shirt, die graue Chino und die
strahlend weißen Sneaker unterstreichen mein Gefühl, dass er nichts
an sich dem Zufall überlässt.
Früher hätte ich mir bestimmt verboten, ihn so unverhohlen
anzusehen. Aber diese Zeiten sind lange vorbei.
«Was hat mich verraten?», erwidere ich mit vorgetäuschter
Ernsthaftigkeit.
«Du bist mir vorhin schon aufgefallen, als du reingekommen
bist.» Er zwinkert mir zu. «Um ehrlich zu sein, hast du einen ziemlich
verlorenen Eindruck gemacht.»
Seine Offenheit ist entwaffnend, und plötzlich kann ich gar nicht
anders, als sein Lächeln zu erwidern.
«Ich bin zum ersten Mal hier», sage ich und tippe auf mein
Handy, das vor mir auf dem Tresen liegt. «Bin heute Nachmittag in
Heathrow gelandet und habe auf der Fahrt in die Stadt nach ein paar
Locations für heute Abend gesucht. Und das Comptons of Soho … na
ja, irgendwie klang es ganz vielversprechend.»
«Das Comptons ist eine Institution.» Beinahe ehrfürchtig sieht der
Unbekannte sich um. Für ein paar Sekunden lasse ich meine Augen
noch auf ihm ruhen, dann folge ich seinem Blick. Obwohl es früh am
Abend ist, tummeln sich um uns herum bereits etliche, überwiegend
männliche Gäste. Das Licht goldener Kronleuchter erhellt ihre
Gesichter, die Luft ist von lebhaften Gesprächen und heiterem
Lachen erfüllt, und im Hintergrund läuft You know I’m no good von
Amy Winehouse.
«Bist du häufiger hier?», frage ich.
«Früher, als ich noch in London gelebt habe – ja.» Sein Lächeln
wird etwas wehmütig. «Mittlerweile komme ich nur noch ab und zu
hier vorbei.»
«Wie heißt du?»
Der Unbekannte dreht sich wieder zu mir um – und sieht mir jetzt
so fest in die Augen, dass mir heiß und kalt zugleich wird. «Nate.
Und du?»
«Lucas.» Gerade, als ich ihm zur Begrüßung die Hand reichen
will, legt er mir seine bereits auf die Schulter und beugt sich zu mir.
Wir sind uns jetzt so nah, dass ich den süßlich-herben Duft seines
Parfüms rieche. Ich kenne mich mit so etwas nicht aus, bin mir aber
irgendwie sicher, dass es sich um ein teures Parfüm handelt. Ein
ziemlich teures Parfüm.
«Ich habe eine Schwäche für Menschen, die keine Ahnung haben,
was für eine Ausstrahlung sie besitzen», raunt er mir ins Ohr.
Mein Herz beschleunigt sich schlagartig. «Ach, und ich bin so ein
Mensch?»
Nate lehnt sich wieder zurück, aber seine Hand bewegt sich nicht
einen Millimeter von der Stelle. «Ich täusche mich selten.»
Verwundert hebe ich die Brauen. «Wie alt bist du? Zwanzig?
Einundzwanzig? So ein Selbstbewusstsein hätte ich in deinem Alter
gern gehabt.»
«In meinem Alter?», erwidert Nate schmunzelnd. «Ich bin
einundzwanzig. Aber komm schon, so viel älter kannst du doch gar
nicht sein.»
«Ich bin siebenundzwanzig.»
«Lucas, siebenundzwanzig, heute Nachmittag in Heathrow
gelandet, zum ersten Mal im Comptons und ein bisschen verloren.
Was hat dich hierher verschlagen?»
«Ich bin wegen eines neuen Jobs hier.» Der bringt mich zwar
nicht nach London, sondern nach Cornwall, aber besser, ich
langweile ihn nicht mit Details, für die er sich vermutlich ohnehin
nicht interessiert.
«Und wann geht die Arbeit los?»
«Nächste Woche. Bis dahin will ich mir noch ein bisschen die
Stadt anschauen. Ich war noch nie hier.»
Bei diesen letzten Informationen wird Nates Lächeln eine Spur
breiter und mein Herzschlag noch etwas schneller. «Wenn du einen
Guide brauchst, stehe ich gern zur Verfügung.»
Der Blick, mit dem er mich ansieht, verleiht seinen Worten eine
ziemlich eindeutige Zweideutigkeit.
Wenn du einen Guide brauchst, stehe ich gern zur Verfügung …
Das klingt verlockend. Das klingt sogar sehr verlockend. Gegen ein
bisschen Spaß habe ich nichts einzuwenden, vor allem nicht dann,
wenn der Spaß auch noch so unverschämt gut aussieht.
«Was hältst du davon, mir ein bisschen das queere Nachtleben in
Soho zu zeigen?»
«Worauf stehst du denn so? Techno? Wenn ja, gibt es ein paar
Straßen weiter einen ziemlich guten Club. Das Famous.» Seine Hand
wandert von meiner Schulter über meinen Oberarm. Dann zieht er
sie zurück. Obwohl er mich nur über dem Stoff meines Hemds
berührt hat, glüht meine Haut vor Hitze. Wie es wohl wäre, wenn er
mich darunter berührt? «Jetzt geht da noch nicht viel. Aber in ein
oder zwei Stunden …»
Statt etwas zu sagen, nicke ich nur und nehme dann, weil sich
mein Mund seltsam trocken anfühlt, einen Schluck von meinem
Guinness.
Nate beobachtet mich. «Hätte ja nicht gedacht, dass einem
Amerikaner so etwas schmeckt. Du kommst doch aus Amerika,
oder?»
Mir ist klar, dass er nur ein bisschen Smalltalk machen will. Aber
so belanglos und unverfänglich die Frage auch ist, erinnert sie mich
doch unweigerlich an meine Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die
ich am liebsten für immer vergessen will.
«Ich komme aus Arkansas», sage ich, weil ich nicht nichts sagen
kann.
«Irgendwo im Nirgendwo?»
«Sozusagen.»
«Könnte mir vorstellen, dass du es da als queerer Teenager nicht
immer einfach hattest.»
Genau das ist der Grund, warum ich nicht gern über die
Vergangenheit spreche. Immerhin fühlt sich mein Mund jetzt nicht
mehr ganz so trocken an. «Da, wo ich aufgewachsen bin, ist jede
Form von Sexualität, die von der Norm abweicht, für viele eine
Sünde.»
Nate presst die Lippen aufeinander. «Scheiße. Ich war nie in
Arkansas. Aber ich weiß ganz genau, wovon du sprichst.»
Ich öffne bereits den Mund, um ihn zu fragen, welche
Erfahrungen er gemacht hat, aber genau in diesem Moment tritt ein
Riese von einem Mann auf uns zu. Sein Vollbart wird von
vereinzelten grauen Haaren durchzogen, und seine Augen sind fest
auf Nate gerichtet. Von mir nimmt er nicht einmal Notiz.
«Mr. Cavendish, Sir», sagt der Riese beinahe unterwürfig.
«Mr. Jones», erwidert Nate, wobei seine Stimme plötzlich um
einiges kühler klingt.
«Es ist viel zu lange her, dass Sie uns das letzte Mal die Ehre
erwiesen haben.» Der Mann spricht mit einem Londoner Dialekt, der
so stark ist, dass ich ernsthaft Mühe habe, ihn zu verstehen.
«Manche Leute sehen es nicht gern, wenn ich hierherkomme»,
sagt er, wobei sich ein Schatten auf sein Gesicht legt.
Der Riese – Mr. Jones – nickt mitfühlend. Im Gegensatz zu mir
weiß er offenbar ganz genau, wovon Nate spricht.
«Nun, ich sehe es gern, wenn Sie hier sind. Und ich hoffe, dass
es bis zu Ihrem nächsten Besuch nicht ganz so lange dauert.»
Nate zuckt mit den Schultern, was alles und nichts bedeuten
kann.
«Wie lange sind Sie denn noch in London, Mr. Cavendish?»
«Eine Woche.»
Ich muss Nate nicht kennen, um zu merken, wie unwohl er sich
gerade fühlt. Tatsächlich verfinstert sich sein Blick mit jeder Frage,
die Mr. Jones ihm stellt, noch ein kleines bisschen mehr. Erst, als
Mr. Jones sich verabschiedet und zwischen den anderen Gästen
verschwindet, hellen sich Nates Gesichtszüge wieder ein bisschen
auf.
«Wer war das?», frage ich interessiert.
«Ach, das war Freddie. Der Besitzer des Comptons. Wir kennen
uns noch von früher.» Er räuspert sich. «Sag mal, wäre es für dich in
Ordnung, wenn wir uns doch schon langsam auf den Weg machen?»
«Klar, meinetwegen gern», sage ich und greife ganz automatisch
nach dem Portemonnaie in der Seitentasche meiner Jacke.
Nate legt seine Hand auf meinen Unterarm. Ein weiteres Mal
spüre ich die Hitze, jetzt aber sogar noch stärker, weil Haut auf Haut
liegt. «Lass stecken. Dein Guinness geht auf mich.» Er schiebt dem
Barkeeper eine Zwanzig-Pfund-Note über den Tresen und nickt in
Richtung des Toilettenschilds. «Ich bin gleich wieder da. Und du
rührst dich solange nicht von der Stelle, okay? Meinem Ego würde es
nicht gefallen, wenn ich zurückkomme und feststelle, dass du nicht
mehr hier bist.»
«Ich glaube, dass dein Ego eine ganze Menge verkraftet.»
«Sei dir da mal nicht so sicher.»
Er zwinkert mir noch einmal zu, dann macht er sich auf den Weg
zu den Toiletten. Die meisten Typen, an denen er vorbeikommt,
werfen ihm interessierte, manche sogar beeindruckte Blicke zu.
Keine Frage, wenn er es darauf anlegen würde, könnte er hier jeden
haben. Er müsste nur mit dem Finger schnipsen, und sie würden
reihum auf die Knie sinken.
Aber er will, dass ich auf ihn warte.
Ausgerechnet ich.
Wer ist dieser Kerl?
Kapitel 2

Nate

F uck. Freddie, sein Mr. Cavendish, Sir und seine Fragen haben mich
eiskalt erwischt. Normalerweise bin ich gut darin, eine Maske
aufzusetzen und mir nicht anmerken zu lassen, wie es gerade in mir
aussieht. Ich habe jahrelange Übung darin.
Dank Freddie ist meine Maske gerade allerdings gefährlich ins
Rutschen geraten.
Ich schiebe mich an zwei Kerlen vorbei, die hemmungslos
miteinander rumknutschen.
«Hey, pass doch auf», fährt einer der beiden mich an, als ich
versehentlich mit meiner Schulter gegen seine stoße. Aber ich
schenke ihm keine Beachtung, sondern laufe einfach weiter.
Am Waschbecken spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, was
mich zumindest ein bisschen beruhigt. Gut. Ich bin ins Comptons
gekommen, um ein paar entspannte Stunden und im besten Fall ein
bisschen guten Sex zu haben. Nicht, um mich von Freddie wie ein
Prinz behandeln zu lassen.
Sobald ich den Hahn zugedreht habe, stütze ich mich mit beiden
Händen am Becken ab, betrachte mein Spiegelbild und atme
erleichtert auf. Meine Maske sitzt wieder so fest wie eh und je.
Um einiges gelöster gehe ich zu Lucas zurück, der noch genau da
sitzt, wo ich ihn zurückgelassen habe. Groß, trainiert, mit olivgrünen
Augen, dunklen Haaren und einem Fünftagebart. Die beiden oberen
Knöpfe seines Hemds sind geöffnet, und die Ärmel hat er bis zu den
Ellbogen hochgekrempelt. Er spielt am Verschluss seiner
Armbanduhr herum. Genau wie vorhin wirkt er auch jetzt etwas
verloren. Dass er keine Ahnung hat, wie süß und gleichzeitig heiß er
aussieht, macht ihn verdammt attraktiv.
Unsere Blicke treffen sich, und wir beginnen fast gleichzeitig zu
lächeln.
«Bist du so weit?», fragt er, sobald ich neben ihm stehe.
«Machen wir Soho unsicher», antworte ich, um eine feste Stimme
bemüht.
Draußen schlägt uns eine klirrende Kälte entgegen, aber obwohl
die Temperaturen nur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt liegen,
vibriert die Londoner Nacht vor Leben. An der Kreuzung zwischen
der Old Compton Street und der Frith Street werden wir von einer
Gruppe Frauen angesprochen, die einen Junggesellinnenabschied
feiern. Nachdem wir mit ihnen auf die zukünftige Braut angestoßen
und ein paar Tequila-Shots getrunken haben, laufen wir weiter. Es
dauert nicht lange, bis wir das Famous erreichen. Vor dem Eingang
hat sich bereits eine Schlange gebildet, die fast bis zur nächsten
Straßenecke reicht.
Ohne lange darüber nachzudenken, strecke ich meine Hand aus
und umschließe Lucas’ Finger. Behutsam fahre ich ihm mit dem
Daumen über den Handrücken, woraufhin er den Druck um meine
Hand verstärkt.
«Sieht aus, als müssten wir es noch ein bisschen in der Kälte
aushalten.»
«Nein, müssen wir nicht. Komm.» Zielstrebig ziehe ich ihn an den
anderen vorbei, bis wir beim Türsteher ankommen. Ich kenne ihn
noch von früher. Im Gegensatz zu Freddie stellt er keine Fragen. Und
im Gegensatz zu Freddie hat er mich auch noch nie mit
Mr. Cavendish, Sir angesprochen.
«Kieran, was geht?»
«Nate.» Seine Augen weiten sich überrascht. «Ist verdammt
lange her, Mann.»
«Ist es.» Mir entgeht nicht, dass Lucas mir einen Blick von der
Seite zuwirft. Vermutlich fragt er sich gerade, ob es irgendjemanden
in Soho gibt, der mich nicht kennt. «Können wir …?»
«Ja, klar», sagt Kieran schnell, hebt das samtrote Absperrseil
hinter sich an und winkt uns mit einer knappen Handbewegung an
sich vorbei.
Aus der Schlange der Wartenden höre ich ein paar verärgerte
Rufe. Doch ich beachte sie ebenso wenig wie die Typen, die ich auf
dem Weg zur Toilette angerempelt habe, und eine Sekunde später
übertönt das Wummern des Basses alle anderen Geräusche.
Um uns herum ist es stockdunkel. Das einzige Licht kommt vom
Blitzen der Stroboskope, die Luft ist stickig und die Musik so laut,
dass der Beat jede Faser meines Körpers zum Pulsieren bringt.
Tanzen. Ich will tanzen. Und dann, in ein paar Stunden, wenn wir
völlig fertig sind und uns vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen
halten können, will ich Lucas mit zu mir nehmen und alles andere
vergessen.
Ich führe ihn über den Floor, der zum Brechen voll ist, und eine
gewundene Treppe nach oben. Lucas’ Finger glühen, und seine Hitze
springt wie ein Funken auf mich über. Er läuft so dicht hinter mir,
dass ich seinen warmen Atem in meinem Nacken spüre. Wenn mein
Puls jetzt schon so rast, was wird dann erst passieren, wenn wir uns
noch näherkommen?
Auch auf dem oberen Floor ist ziemlich viel los, aber es ist bei
Weitem noch nicht so voll wie unten.
«Komm.» Es ist so laut, dass Lucas mich nicht hören kann, aber
seine Augen kleben an meinen Lippen, von denen er das Wort
abliest. In seinem Blick liegt ein fast schon greifbares Verlangen.
Er will mich.
Ich will ihn.
Jackpot.
Nur ein paar Sekunden später finden wir uns vor dem DJ -Pult
wieder. Entschlossen mache ich einen Schritt auf ihn zu, sodass sich
unsere Nasenspitzen berühren. Seine Hände wandern über meinen
Rücken zu meinen Schultern, und ich lege meine auf seine Hüften.
Dann drücke ich meinen Oberschenkel gegen seinen Schritt. Ich
höre nicht, ob er keucht. Ich sehe nur, wie sich sein Mund zu einem
überraschten O formt, und grinse ihn an.
Wir tanzen so eng umschlungen, dass nicht einmal ein Blatt
zwischen uns passt. Nach ein paar Songs machen wir einen
Abstecher zur Bar, wo wir zwei Shots bestellen. Sobald wir die Gläser
geleert haben, ordern wir eine weitere Runde.
Gott, wie sehr ich das alles in den letzten Monaten vermisst habe.
Nein, nicht nur vermisst. Ich habe mich danach verzehrt. London.
Ein Kerl wie Lucas. Und eine Nacht, die wie ein verheißungsvolles
Versprechen vor mir liegt. Ich habe viel zu lange das Gefühl gehabt,
die Luft anhalten zu müssen. Jetzt kann ich endlich wieder atmen.
Nach der dritten Runde kehren wir auf die Tanzfläche zurück.
Diesmal ist es Lucas, der mich mit sich zieht, und ich lasse es
geschehen. Selbst, wenn er mich in einen der vielen Dark Rooms
schleppt, würde ich es geschehen lassen. So sehr ich es auch mag,
die Kontrolle zu haben – bei Lucas könnte ich mir vorstellen, sie
abzugeben. Vielleicht ist das nur dem Alkohol geschuldet. Vielleicht
liegt es aber auch daran, dass ich in Lucas’ Verlorenheit ein
Spiegelbild meiner eigenen Verlorenheit erkannt habe. Keine
Ahnung. Und spätestens, als sich seine Arme ein weiteres Mal in
meinem Nacken verschränken, ist es mir auch egal.
Alles verschwimmt. Zeit und Raum, Licht und Schatten, die
wummernden Beats, unsere Bewegungen, und die Menge aus
Feiernden, die sich wie ein einziger Körper über die Tanzfläche
bewegt. Es muss schon weit nach Mitternacht sein, als ich einem
plötzlichen Impuls folge.
«Komm», rufe ich ein weiteres Mal.
Hand in Hand bahnen wir uns einen Weg über den Floor, bis wir
die Treppe erreichen. Statt zurück nach unten führe ich Lucas nach
oben. Am Treppenabsatz erwarten uns ein schmaler Gang und eine
doppelt verglaste Tür.
Kaum, dass ich sie aufgestoßen habe, schlägt uns ein weiteres
Mal klirrende Kälte entgegen. Das Wummern der Bässe dringt jetzt
nur noch gedämpft an meine Ohren.
Wir sind nicht die Einzigen, die es auf die Dachterrasse
verschlagen hat, aber im Vergleich zum restlichen Club ist hier oben
kaum etwas los. Aus dem Augenwinkel sehe ich ein paar Typen in
Lederharnischen. Dann zieht die leuchtende Londoner Skyline meine
ganze Aufmerksamkeit auf sich.
«Das ist …», setzt Lucas neben mir an, verstummt aber, während
wir an das hüfthohe Metallgeländer herantreten. In der Ferne ragen
der Big Ben und die Houses of Parliament in den Nachthimmel auf,
und dahinter strahlt das London Eye.
«… die tollste Stadt der Welt.» Ich verschränke die Hände hinter
dem Kopf und hole tief Luft. Als könnte ich diesen Moment so für
alle Zeit in mich aufsaugen.
Lucas lächelt. «Gleich nach New York.»
Statt etwas zu erwidern, lege ich meinen Kopf auf seine Schulter.
Lucas zögert kurz, dann fährt er mir behutsam mit den Fingern über
den Hinterkopf. Eine Geste, die mir ungleich intimer vorkommt als
unsere bisherigen Berührungen.
«Nate?»
«Ja?»
«Darf ich dich was fragen?»
«Was willst du wissen?»
Er räuspert sich. «Machst du so etwas öfter? Typen in der Bar
anquatschen? Und dann die Nacht mit ihnen verbringen?»
«Wenn es so wäre, hättest du ein Problem damit?»
«Wenn ich ein Problem damit hätte, würde ich nicht hier stehen.
Es ist … es interessiert mich einfach nur.»
Eigentlich ist seine Frage ganz einfach zu beantworten. Ja, so
etwas mache ich öfter. Zumindest vor meiner Zeit in Brynmor. Und
bestimmt hätte es auch in Brynmor die ein oder andere Gelegenheit
gegeben, wenn ich es gewollt hätte. Aber in Brynmor waren meine
Augen nur auf eine einzige Person gerichtet.
Auf Samuel.
Samuel, der ebenfalls keine Ahnung hatte, welche Ausstrahlung
er besitzt.
«One-Night-Stands machen Spaß», sage ich und schiebe Samuels
Gesicht in die hinterste Ecke meines Verstands. «In den allermeisten
Fällen zumindest. Sie sind unverbindlich. Ersparen Stress.»
Außerdem schützen sie vor Enttäuschungen. Wenn du jemanden
nicht kennst, erwartest du auch nichts von ihm. Und wenn du
jemanden nicht wirklich an dich heranlässt, kann er dir auch nicht
wehtun. Aber diese Sätze behalte ich für mich. Sie würden Lucas
einen Blick auf mein wahres Ich ermöglichen. Würden ihm zeigen,
dass sich hinter meiner Maske der Selbstsicherheit ein zerbrechlicher
junger Mann befindet. Und ob er mit diesem zerbrechlichen jungen
Mann in die Kiste steigen würde?
«Du magst Unverbindlichkeit?», fragt Lucas.
Ich hebe den Kopf und sehe ihm fest in die Augen, unschlüssig,
was ich von seinen Fragen halten soll, aber zu neugierig, um ihn
nicht darauf anzusprechen. «Das interessiert dich alles wirklich,
oder?»
Beinahe ertappt zuckt Lucas mit den Schultern. «Ja, schon. Sonst
würde ich ja nicht fragen. Aber … du musst nicht darauf antworten,
wenn du das nicht willst. Du hast dich vor ein paar Stunden
bestimmt nicht zu mir an die Bar gesetzt, weil du tiefschürfende
Gespräche führen wolltest.»
Seine Worte entlocken mir ein Lächeln. «Ja, tiefschürfende
Gespräche standen nicht unbedingt auf meiner Agenda.»
Lucas beißt sich auf die Unterlippe. «Dann hoffe ich, dass ich mit
meinen Fragen nicht die Stimmung kaputt gemacht habe.»
Da ist sie wieder. Die Unsicherheit. Die Verlorenheit. Ich mustere
ihn noch einmal, eingehender, als ich es bisher getan habe. Wenn
ich ehrlich wäre, müsste ich ihm jetzt gestehen, dass er die
Stimmung ganz und gar nicht kaputt gemacht hat. Wenn ich ehrlich
wäre, würde ich ihm antworten, dass ich tief in meinem Herzen auf
der Suche nach jemandem bin, der sich für mich interessiert.
Nicht für mein Aussehen. Nicht für meine Ausstrahlung.
Sondern für mich.
So wie er es ganz offensichtlich tut.
«Nur ein bisschen vielleicht», behaupte ich mit einem
einstudierten Schmunzeln.
Lucas streicht sich mit der Hand über den Hinterkopf. Für einen
Moment erweckt es den Anschein, als wolle er noch etwas sagen.
Eine weitere Frage stellen. Und irgendwie, so seltsam das auch ist,
hoffe ich plötzlich, dass er es tut. Dass er sich nicht einfach so von
mir abwimmeln lässt. Dass er hartnäckig bleibt und versucht, mich
aus der Reserve zu locken.
Innerlich schüttle ich den Kopf. Wie durcheinander ist das bitte
alles? Kein Wunder, dass ich immer um Kontrolle bemüht bin, so
verkorkst, wie es in mir aussieht.
«Komm, lass uns reingehen und noch was trinken», sagt Lucas
jetzt – und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde schwappt eine
unerwartet starke Welle der Enttäuschung über mich hinweg.
Ein kleines bisschen seinetwegen. Aber noch viel mehr
meinetwegen.
Lucas macht bereits Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. Bevor
ich weiß, was ich tue, strecke ich meine Hand nach ihm aus und
umschließe seinen Unterarm, der ebenso vor Hitze glüht wie alles
andere an ihm.
«One-Night-Stands sind toll.» Für diesen einen, kurzen Moment
lege ich meine Maske aus freien Stücken ab. «Aber eine
Beziehung … eine Beziehung wäre noch viel besser.»
«Ja, das sehe ich ganz genauso», sagt er, und seine Lippen
kräuseln sich zu einem Lächeln.
Kapitel 3

Lucas

V on der Selbstsicherheit, die Nate bisher ausgestrahlt hat, ist nicht


mehr viel übrig. Die Verletzlichkeit, die stattdessen in seinem Gesicht
geschrieben steht, verleiht ihm etwas Zerbrechliches. Etwas Wahres.
Etwas, das mir den Atem stocken lässt.
«Normalerweise erzähle ich meinen One-Night-Stands so etwas
nicht», gesteht er.
«Dann fühle ich mich geschmeichelt.» Und das tue ich auch. Sehr
sogar. Wie gern ich noch mehr über ihn erfahren würde, behalte ich
für mich. Vielleicht habe ich die Stimmung bis jetzt noch nicht kaputt
gemacht, aber es könnte gut sein, dass das passiert, wenn ich den
Bogen überspanne. Und das möchte ich nicht.
«Komm, tanzen wir noch ein bisschen», sage ich daher.
Nate lächelt mich an. Spätestens jetzt wirkt er wieder so gefasst,
als hätte es diesen flüchtigen Moment gerade eben überhaupt nicht
gegeben.
Nach einem letzten Blick auf die Londoner Skyline folge ich ihm
zurück in den Club, und sobald wir wieder auf der Tanzfläche sind,
verliere ich jedes Zeitgefühl. Alles, was ich wahrnehme, sind Nates
Blicke und seine Berührungen, die meinen Puls in die Höhe treiben.
Immer wieder sind wir uns so nah, dass sein Gesicht mein gesamtes
Sichtfeld einnimmt. Und immer wieder gibt es Momente, in denen
ich mir sicher bin, dass er mich jetzt gleich küsst und ich seine
geschwungenen Lippen endlich auf meinen spüre. Aber bevor es
dazu kommt, zieht er sich jedes Mal aufs Neue zurück.
Ich lächle. Wenn sein Plan darin besteht, die Spannung zwischen
uns ins Unermessliche zu treiben, geht er voll und ganz auf.

Stunden später stolpern wir auf die Straße. Die Schlange vor dem
Eingang hat sich mittlerweile aufgelöst, die Luft ist noch einmal
kälter geworden, und im Osten kündigt sich mit blassrosa Farben die
Morgendämmerung an.
«Komm mit zu mir», flüstert Nate mir zu, schlingt die Arme um
meinen Hals und streicht mit der Nasenspitze über meine Wange.
Es ist keine Bitte. Es ist eine Aufforderung – und ich zögere keine
Sekunde, ihr nachzukommen. «Ja, gehen wir zu dir.»
Unsere Finger umschließen sich von ganz allein, während wir uns
Hand in Hand auf den Weg zur nächsten Tube-Station machen. Auf
den Straßen herrscht bereits jede Menge Verkehr. Rote
Doppeldeckerbusse, schwarze Taxis und Lieferwagen verstopfen die
Adern der Stadt, auf den Gehsteigen eilen Geschäftsleute ihrer
Arbeit entgegen, aber hier und da sind auch noch vereinzelte
Nachtschwärmer unterwegs.
«Wie kommt ein Junge aus Arkansas nach London?», fragt Nate.
Im Vergleich zu unserem Gespräch im Comptons finde ich es jetzt
deutlich weniger schlimm, mit ihm über meine Vergangenheit zu
sprechen. Als hätten die letzten Stunden und die gemeinsame Zeit
meine Abwehrmechanismen dahinschmelzen lassen. «Ich wollte
schon immer weg von zu Hause», sage ich. «Solange ich
zurückdenken kann.»
«Was du ganz offenbar geschafft hast.»
«Ja. Aber es war ein ziemlich weiter Weg.»
«Und wie?»
«Wie was?»
«Wie hast du es geschafft?»
Ich lasse seine Frage auf mich wirken. «Das Einzige, worauf ich
mich verlassen konnte, war das hier», antworte ich schließlich und
tippe mir mit der freien Hand an den Kopf. «Ich war gut in der
Schule. Ich habe mich angestrengt. Während die anderen Football
gespielt haben, saß ich stundenlang in der Schulbibliothek. Und dann
gab es da eine Lehrerin, Mrs. Wesley, die Potenzial in mir gesehen
hat und mich unterstützt hat. Mit ihrer Hilfe habe ich ein paar Jahre
später die Möglichkeit bekommen, mich auf ein Stipendium zu
bewerben.» Ich seufze. «Du hast ja keine Ahnung, wie aufgeregt ich
vor dem Eignungstest war. Es war der Moment, auf den ich so lange
hingearbeitet habe. Es war meine große Chance. Und die habe ich
genutzt. Ich habe den Test bestanden und das Stipendium
bekommen.»
Mittlerweile haben wir die Tube-Station erreicht. Während wir auf
die nächste Bahn warten, lassen wir uns nicht eine Sekunde lang aus
den Augen. Niemand um uns herum nimmt auch nur die geringste
Notiz von uns. Aber dann, ganz plötzlich, taucht auf der anderen
Seite des Bahnsteigs eine Gruppe von Jugendlichen auf, die laut
grölend in unsere Richtung gestolpert kommt. Wie von der Tarantel
gestochen, ziehe ich meine Hand zurück – und verfluche mich noch
im selben Moment dafür. Wäre ich mit einer Frau hier, hätte ich ihre
Hand bestimmt nicht losgelassen. Und ob ich hier mit einer Frau
oder einem Kerl stehe, sollte keinen Unterschied machen. Aber
irgendwie tut es das leider doch.
Nate betrachtet mich aufmerksam, sagt aber nichts. Er macht
auch keine Anstalten, ein weiteres Mal nach meiner Hand zu greifen.
Als würde er befürchten, mich damit in Verlegenheit zu bringen.
Schweigend warten wir, bis die nächste Bahn einfährt, und zwängen
uns zusammen mit den Berufspendlern in den Waggon. Nach ein
paar Sekunden sind die Jugendlichen aus unserem Blickfeld
verschwunden.
Vom Leicester Square fahren wir mit der Piccadilly Line nach
Westen, passieren die Haltestellen Piccadilly Circus und Hyde Park
Corner. Dann kündigt eine helle Stimme Knightsbridge an.
«Da wären wir», sagt Nate, und wir steigen aus.
Spätestens, als wir ins Freie treten, ist mein Ärger wieder
verraucht. Das Stadtbild, das sich uns bietet, ist ganz anders als das
in Soho. Die Straßen sind sauber, die Häuser prächtig, die kleinen
Vorgärten gepflegt. Wer immer hier lebt, hat Geld. Eine Menge Geld.
«Sieht ziemlich teuer aus», stelle ich überflüssigerweise fest.
«Ja, ist es auch», bestätigt Nate schulterzuckend. «Die Leute, die
hier leben, haben mehr Geld, als sie in ihrem Leben ausgeben
können. Aber glücklicher sind sie deswegen nicht. Und zu etwas
Besserem macht es sie schon lange nicht. Komm, wir sind jetzt fast
da.»
Auf den Straßen sind nur wenige Menschen unterwegs. Alles wirkt
ruhig und friedlich. Nach ein paar Minuten bleiben wir vor einem
großen, weiß gestrichenen Haus stehen.
Nate steigt die marmornen Stufen zu einer Doppelflügeltür nach
oben. Direkt neben der Tür befindet sich ein kleines Zahlenfeld, in
das er einen achtstelligen Code eingibt. Als er bemerkt, dass ich
keine Anstalten mache, mich von der Stelle zu rühren, dreht er sich
zu mir herum. «Was ist?»
Mir liegen so viele Fragen auf der Zunge, dass ich überhaupt nicht
wüsste, wo ich anfangen soll. Vielleicht, warum der Türsteher uns
einfach so in den Club gelassen hat? Oder was zum Teufel seine
Eltern arbeiten, um sich so ein Haus leisten zu können? Oder …? So
schwer es mir auch fällt, ich schlucke die Fragen schnell wieder
hinunter. Weil das hier ein One-Night-Stand ist. Nicht mehr.
«Hoffentlich macht der Butler jetzt gleich kein schockiertes
Gesicht», sage ich nur halb im Scherz und folge ihm nach oben.
Nate grinst. «Es gibt keinen Butler. Und wenn es einen gäbe,
würde ich es darauf ankommen lassen.» Er zwinkert mir zu, dann
wird er wieder ernst. «Keine Sorge. Es ist niemand da. Deswegen
wird auch niemand ein schockiertes Gesicht machen.»
Mit der Fußspitze stößt er die Tür auf, und Sekunden später finde
ich mich in einer schwarz-weiß-gekachelten Eingangshalle wieder.
Das ist alles, was ich auf die Schnelle sehe. Denn kaum, dass die Tür
hinter uns ins Schloss gefallen ist, zieht Nate mich bereits zu sich
heran.
«Das wollte ich schon die ganze Nacht lang tun», flüstert er und
beugt zu sich mir.
Die Hitze, die von ihm ausgeht, raubt mir die Luft. Wir küssen uns
schnell, fordernd und leidenschaftlich. Ich öffne meinen Mund für
seine Zunge und umfasse seinen Hintern mit meinen Händen. Nate
gibt einen tiefen, lustvollen Laut von sich und drückt mich gegen die
Wand neben der Tür.
«Ich will dich», hauche ich zwischen zwei Küssen.
Nate lächelt und fährt mir mit dem Daumen über die Lippen.
«Was genau?»
«Dich», wiederhole ich. «Dich, dich, dich.»
«Wenn das so ist, gehen wir besser nach oben.»
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.
Von der Eingangshalle führt eine breite, mit einem purpurroten
Läufer bedeckte Treppe in die oberen Stockwerke. An den Wänden
hängen goldgerahmte Gemälde, Öl auf Leinwand, die offenbar schon
lange verstorbene Familienmitglieder zeigen. Unter ihren strengen
Blicken erreichen wir Nates Zimmer.
«Lucas.» Er zieht die Tür hinter uns zu und fährt mir mit den
Händen durch die Haare. Sein warmer Atem kitzelt wie eine Feder
auf meiner Haut. Dann küsst er mich ein weiteres Mal. Unsere
Zungen umspielen sich und … Gott, Nate weiß, was er tut. Er weiß
verdammt noch mal ganz genau, was er tut.
Von meinen Haaren wandern seine Hände über meine Schultern,
meine Brust und meinen Bauch. Schließlich legt er eine von ihnen
auf meinen Schritt und drückt zu. Ich stöhne unter der Berührung.
Genieße es, wie er über dem Stoff meiner Hose an meiner Erektion
entlangfährt.
Wenn wir doch nur schon nackt wären.
Wenn ich seine Haut doch nur schon auf meiner spüren könnte.
Ich spreize die Beine etwas, und sein Griff umschließt mich jetzt
fast ganz.
«Ist das gut?», flüstert er und beißt mir ins Ohrläppchen.
«Ja, ist es. Mach weiter.»
Statt meiner Bitte nachzukommen, legt er die Hand, die mich
gerade eben noch gestreichelt hat, auf meinen Hintern. Ich schiebe
ihm meine Hüfte entgegen und spüre, dass er ebenso hart ist wie
ich.
«Komm mit», weist er mich an, gibt mir noch einen letzten,
innigen Kuss und führt mich zum Bett auf der gegenüberliegenden
Seite des Zimmers.
Durch die hohen Fenster fällt schwaches Sonnenlicht. Flüchtig
nehme ich ein Bücherregal wahr und einen Schreibtisch mit
verschnörkelten Beinen, der ebenso gut in einem Antiquitätenladen
stehen könnte. Nichts an diesem Zimmer weist darauf hin, dass hier
ein Kerl Anfang zwanzig wohnt. Aber spätestens, als wir sein Bett
erreichen und Nate sich an der Schnalle meines Gürtels zu schaffen
macht, ist mir sein Zimmer vollkommen egal.
Sein Atem an meinem Hals. Seine Lippen auf meiner Haut. Seine
Hände, die den Gürtel aus dem Bund ziehen, langsam einen Knopf
nach dem anderen öffnen und vorsichtig unter den Bund meiner
Boxershorts gleiten.
Ich stöhne und kralle mich an seinem T-Shirt fest, während seine
Finger erst über meine Eichel fahren und dann meine Hoden
umschließen.
«Bitte, mach weiter», sage ich erneut, und diesmal kommt er
meiner Bitte nach.
Ich schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Hätte
mir irgendjemand heute Nachmittag gesagt, dass ich die Nacht mit
einem Typen wie Nate verbringen würde, hätte ich das als
schlechten Witz abgetan.
Aber Nate ist hier. Ich bin hier. Und ich genieße jede Sekunde.
«Du bist so hart», stellt Nate fest.
«Wundert dich das?», entgegne ich, lasse meine Hände über
seinen Rücken wandern und ziehe ihm in einer fließenden Bewegung
das T-Shirt über den Kopf.
Er ist nicht aufgepumpt wie jemand, der fünfmal die Woche im
Fitnessstudio Gewichte stemmt, sondern athletisch, mit einer
wohlgeformten Brust und einem schlanken Bauch. Am liebsten
würde ich jeden Millimeter seiner Haut mit meiner Zunge erkunden.
Seine Hände umfassen meine Schultern und drücken mich aufs
Bett. Als ich Anstalten mache, ihm die Hose zu öffnen, umfasst er
meine Hand und legt sie zwischen meine Beine. Mit einem
Kopfnicken bedeutet er mir, dass ich weitermachen soll, wo er
gerade eben aufgehört hat. Und während er in quälender
Langsamkeit erst seine Hose abstreift und sich seine weißen
Boxerbriefs auszieht, bis er schließlich komplett nackt vor mir steht,
mache ich auch genau das.
Nate tritt auf mich zu, und ich sehe zu ihm auf. Ich will ihn bereits
in die Hand nehmen, aber jetzt beginnt er damit, mir meine
verbliebenen Kleidungsstücke auszuziehen. Die ganze Zeit über
wechseln wir kein Wort. Alles, was in der Stille des Zimmers zu
hören ist, sind unsere schnellen, tiefen Atemzüge.
Sobald ich komplett nackt bin, rutschen wir von der unteren
Bettkante nach oben. Mit seinem Knie schiebt Nate meine Beine
auseinander und legt sich auf mich. Ich genieße sein Gewicht auf
meinem Körper, winkle die Beine an und verschränke sie über
seinem Hintern. Nate entfährt ein tiefes Keuchen.
«Du sagst Bescheid, wenn ich etwas tue, das du nicht möchtest.»
«Ich glaube, dass du heute Nacht fast alles mit mir tun kannst»,
gebe ich zurück.
Mit seiner Nase stupst Nate gegen meine. «Im Ernst. Ich will,
dass du das hier genießt.»
«Wenn du etwas tust, das ich nicht möchte, lasse ich es dich
wissen, okay?» Ich streiche ihm ein paar Haare aus der Stirn und
sehe ihm fest in die Augen. «Aber das gilt umgekehrt genauso.»
«Okay.»
Wir schließen die Augen und küssen uns ein weiteres Mal.
Und ich hoffe, nein, ich bin mir sicher, dass mir diese Nacht noch
sehr lange in Erinnerung bleiben wird.

«Nathan!» Eine kratzige, tiefe Stimme reißt mich aus dem Schlaf. Sie
klingt gedämpft, weit entfernt, kommt mit dem nächsten «Nathan!»-
Ruf aber bereits ein bisschen näher.
Ich bin hundemüde, mein Kopf brummt, und ich will einfach nur
weiterschlafen. Aber die Stimme macht keine Anstalten zu
verstummen.
«Nathan!»
Spätestens jetzt gebe ich die Hoffnung auf, noch ein bisschen
Ruhe zu finden. Ich blinzle mehrmals. Das helle Sonnenlicht, das
durch die hohen Fenster fällt, brennt wie Feuer in meinen Augen.
«Scheiße.» Langsam rapple ich mich auf. Ich habe keine Ahnung,
wie spät es ist. Zwei andere Dinge weiß ich dafür mit unumstößlicher
Sicherheit.
Erstens: Ich befinde mich nicht im Zimmer des Hotels, in dem ich
gestern Nachmittag eingecheckt habe.
Zweitens: Die lauter werdende Stimme sucht ganz eindeutig nach
Nate. Und der liegt splitterfasernackt neben mir.
«Nate», sage ich, noch immer nicht ganz wach, und rüttle an
seiner Schulter. Seine dunkelbraunen Haare fallen ihm ins Gesicht.
Bestünde nicht die Gefahr, dass gleich jeden Moment jemand bei uns
im Zimmer steht, würde ich sofort da weitermachen, wo wir vorhin
aufgehört haben. «Nate!»
Er gibt einen undefinierbaren Laut von sich, der mir ein kurzes
Schmunzeln entlockt. Ein weiteres «Nathan!» macht mir den Ernst
der Lage schnell wieder deutlich.
Hat er nicht gesagt, wir wären allein? Aber wer brüllt dann so laut
durchs Haus, als würde es ihm gehören?
«Nate, mach schon, wach auf …», setze ich noch einmal an und
jetzt blinzelt er wenigstens. Aber zu spät. Genau in diesem Moment
wird die goldene Klinke nach unten gedrückt und die Tür
aufgerissen.
«Nathan!»
Völlig entgeistert bleibt ein älterer Mann im Türrahmen stehen. Er
hat helle Haut und ist mindestens siebzig, vielleicht sogar schon ein
paar Jahre älter. Sein Blick ist glasklar und nimmt alles auf einmal
wahr. Das Gleitgel und die benutzten Kondome neben dem Bett;
Nate, der sich ganz langsam zu rühren beginnt; und mich, wie ich
mir gerade noch so die Decke um die Hüften schlinge, um einen
letzten Rest von Privatsphäre zu wahren.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Am liebsten würde ich vor
Scham im Boden versinken. Gleichzeitig bin ich aber auch wütend.
Unfassbar wütend.
Was fällt diesem Kerl ein, einfach so in Nates Zimmer zu stürmen?
«Wer sind Sie?» In der Stimme des Mannes liegt eine tödliche
Ruhe. Ich öffne bereits den Mund, um etwas zu erwidern, aber da
hebt er die Hand und bedeutet mir, zu schweigen. «Vergessen Sie
es. Ich will es überhaupt nicht wissen. Ziehen Sie sich etwas an. Und
dann verschwinden Sie aus meinem Haus. Unverzüglich.»
«Fuck, was soll der ganze Lärm?» Nate streckt sich, dreht sich zu
mir um und lächelt. Dann fällt sein Blick auf den Mann und von einer
Sekunde auf die andere gefriert sein Lächeln. «Arthur, was machst
du hier? Ich dachte, du und Margaret kommt erst nächste Woche
zurück.»
«Du erfährst noch früh genug, was ich hier mache. Aber jetzt
verschwindet erst mal dieser Kerl aus meinem Haus.»
Nate funkelt ihn zornig an. «Ich entscheide, wann dieser Kerl
geht.»
«Das ist mein Haus, Nathan. Du entscheidest hier überhaupt
nichts.»
Statt weiterer Widerworte rappelt Nate sich auf und tritt dem
Mann, noch immer splitterfasernackt, entgegen. Die beiden messen
sich mit Blicken. So wie sie sich ansehen, befürchte ich, dass jeden
Moment einer von ihnen dem anderen eine schallende Ohrfeige
verpasst.
«Schon gut», sage ich, um die Situation zu entschärfen, und
schlüpfe in meine Boxershorts, die glücklicherweise direkt neben
dem viktorianisch anmutenden Schreibtisch liegen. «Ich sehe zu,
dass ich von hier verschwinde.»
Nate dreht sich zu mir um. Er ist noch immer wütend, aber jetzt
bin ich mir nicht mehr sicher, ob sich diese Wut nur gegen den alten
Mann richtet oder auch gegen mich. Weil ich der Aufforderung Folge
leiste, statt mich auf seine Seite zu stellen.
Erst, als ich fertig angezogen bin, sehe ich ihm wieder in die
Augen. Das wütende Funkeln ist verschwunden. Dass er jetzt fast
ein bisschen resigniert wirkt, versetzt mir einen Stich in die
Magengrube. Ich habe nicht gewollt, dass wir ausgerechnet so
auseinandergehen. Um ehrlich zu sein, wollte ich heute überhaupt
nicht auseinandergehen. Nein, ich hätte mir gewünscht, noch ein
bisschen mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Ihn noch ein bisschen
besser kennenzulernen. Ich hatte in den letzten Jahren mehrere
One-Night-Stands, aber mit Nate war es irgendwie … anders.
«Ich hoffe, dass du findest, was du suchst», sage ich in
Erinnerung daran, was er mir auf der Dachterrasse offenbart hat.
«Sie sollen gehen!», fährt der Mann mich ein weiteres Mal an.
Aber ich ignoriere ihn und spreche einfach weiter. «Nicht nur One-
Night-Stands. Sondern auch eine Beziehung.»
Der Mann schnaubt vor Wut. «Haben Sie mich nicht gehört?
Wollen Sie, dass ich die Polizei rufe?»
«Keine Sorge, ich bin schon weg», sage ich. Und nach einem
allerletzten Blick auf Nate stürme ich aus dem Zimmer.
Erst als die Eingangstür des Hauses hinter mir ins Schloss fällt
und ich die kalte Januarluft auf meiner Haut spüre, bleibe ich
stehen. Ich bin müde und hellwach zugleich.
Vor allem aber bin ich aufgewühlt.
Was bitte war das eben gerade?
Wer war dieser Mann?
Und was fällt ihm ein, so mit Nate zu sprechen?
Ich drehe mich noch einmal um und betrachte die weiße Fassade.
Vermutlich wäre es das Beste, wenn ich so schnell wie möglich das
Weite suche. Aber plötzlich kann ich gar nicht anders, als das Handy
aus meiner Hosentasche zu ziehen. Ich entsperre den Bildschirm,
ignoriere die acht verpassten Anrufe, die drei Nachrichten auf meiner
Mailbox und die zehn anderen in WhatsApp. Und tippe Nate
Cavendish in die Suchleiste des Browsers ein.
2,9 Millionen Ergebnisse. Okay, das ist eine ganze Menge. Es
braucht ein paar Sekunden, bis ich meinen Nate gefunden habe –
und jetzt setzt mein Herz für einen Schlag aus.
Sein Name ist Nathan Henry Cavendish. Und er ist der letzte
Spross der Cavendish-Familie, einer der wohlhabendsten Familien
des Landes.
Aufgeregt klicke ich ein Bild an, auf dem Nate ein paar Jahre
jünger ist. Neben ihm steht ein grimmig dreinblickender Mann mit
durchgestrecktem Rücken. Laut Bildunterschrift handelt es sich um
seinen Großvater. Sir Arthur Cavendish. Es ist derselbe Mann, der
mich gerade aus dem Haus geworfen hat. Im Hintergrund des Bildes
sind die Schemen des jahrhundertalten Familienstammsitzes zu
sehen.
Für ein paar Sekunden betrachte ich Großvater und Enkel. Dann
schließe ich den Link und öffne einen anderen Eintrag. Es handelt
sich um ein Interview, das die Times vor einem knappen Jahr mit Sir
Arthur geführt hat. Anlass des Interviews war sein Ausscheiden aus
dem House of Lords, dem Oberhaus. In einem Nebensatz erwähnt
Sir Arthur seinen Enkel Nathan, von dem er sich wünscht, dass
dieser eines Tages in seine Fußstapfen tritt und die jahrhundertealte
Familientradition weiterführt.
Plötzlich finden alle Puzzlestücke den richtigen Platz.
Der Besitzer des Comptons, der Nate so unterwürfig mit
Mr. Cavendish, Sir anspricht.
Der Türsteher des Famous, der jemanden wie Nate natürlich nicht
in der Warteschlange stehen lässt.
Das Haus in dieser teuren Gegend.
Das alles ergibt jetzt einen Sinn.
«Nate Cavendish», murmle ich, noch immer etwas fassungslos.
Atme tief durch. Und nach einem letzten Blick auf das Haus mache
ich mich auf den Weg zur nächsten Tube-Station.
Kapitel 4

Nate

N ach allem, was in der letzten Woche passiert ist, wundert es mich
nicht, dass Arthur darauf bestanden hat, mich persönlich in Brynmor
abzuliefern. So kommt es, dass ich jetzt, an diesem nasskalten
Januarmorgen, neben ihm auf der Rückbank des alten Bentleys
sitze. Während Gregory, der Chauffeur, den Wagen die gewundene
Straße entlangmanövriert, höre ich I was a teenage anarchist über
meine Earpods. Die Musik habe ich so laut aufgedreht, dass sie
bestimmt im ganzen Auto zu hören ist. Arthur lässt sich davon nichts
anmerken. Stattdessen sieht er die ganze Zeit aus dem Fenster, als
gäbe es dort, in den schlohweißen Nebelschwaden, irgendetwas
Spannendes zu entdecken.
Ich sinke noch etwas tiefer in den Sitz und schließe die Augen.
Das Verhältnis zwischen Arthur und mir ist nicht erst angespannt,
seit er erfahren hat, dass ich durch mehrere Klausuren gefallen bin –
und mich dann auch noch in flagranti mit einem meiner One-Night-
Stands erwischt hat. Unser Verhältnis war schon immer angespannt.
Ja, er und Margaret haben mir ein Dach über dem Kopf gegeben.
Haben mich aufgezogen und auf die besten Schulen des Landes
geschickt. Aber einen wirklichen Platz habe ich in ihren Herzen
trotzdem nie gehabt.
Unwillkürlich schlage ich die Augen wieder auf und mache die
Musik etwas leiser. Nach ein paar Minuten passieren wir eine weitere
Hügelkuppe – und am anderen Ende der Straße tauchen die Umrisse
von Brynmor auf.
Schicht für Schicht schälen sich die jahrhundertealten Gebäude,
die mächtigen Mauern und der hohe Kirchturm aus dem Nebel.
Selbst jemand wie ich, der nie hierher wollte, muss zugeben, dass
die altehrwürdige Universität ziemlich beeindruckend ist. Auch bei
einer Witterung wie dieser.
Ich beuge mich nach vorne, um einen besseren Blick zu
erhaschen. Nach und nach erkenne ich auch die anderen Gebäude.
Die gotischen Bauten außerhalb der Klostermauern, in denen sich
die Schlafsäle befinden. Den neuen Campus mit seinen Hörsälen,
Seminarräumen und Forschungslaboren. Die weitläufigen
Sportanlagen, das Rugby- und das Cricket-Feld und den Ort, der mir
von allen der liebste ist. Die Schwimmhalle. Dort habe ich im letzten
Semester fast jede freie Minute verbracht.
Es dauert nicht lange, bis wir den kreisrunden, mit Kopfstein
gepflasterten Platz vor dem Eingangsportal erreichen. Gregory
drosselt das Tempo und parkt den Bentley zwischen einem
Mercedes-Maybach und einem Jaguar. Kaum, dass er den Motor
ausgeschaltet hat, wendet Arthur sich mir zu und tippt sich ans Ohr.
Eine unmissverständliche Aufforderung, dass ich meine Earpods
rausnehmen soll. Weil ich nicht scharf auf einen weiteren Streit bin
und die Verabschiedung einfach nur hinter mich bringen will, schalte
ich die Musik aus und lasse die Earpods in einer Seitentasche meiner
Lederjacke verschwinden.
«Bringen Sie das Gepäck meines Enkels auf sein Zimmer,
Gregory.»
«Ich kann mich selbst darum …»
«Tun Sie, was ich sage», insistiert Arthur, als hätte er mich
überhaupt nicht gehört.
«Sehr wohl, Sir.»
Gregory steigt aus und holt mein Gepäck aus dem Kofferraum.
Schweigend sehen wir ihm hinterher, bis er auf der anderen Seite
des Eingangsportals in einem großen Innenhof verschwunden ist.
Und dann passiert … nichts.
«Wenn du noch etwas loswerden willst, sag es einfach, okay? Ich
bin keiner deiner Angestellten, die du mit deinem bohrenden Blick
einschüchtern kannst.»
Arthur schweigt noch immer.
«Gut, wenn das alles ist …»
Erst jetzt, als ich meine Hand ausstrecke, um die Tür zu öffnen,
stößt Arthur einen frustrierten Seufzer aus. «Nathan, deine
Großmutter und ich wollen doch nur das Beste für dich. Warum um
alles in der Welt musst du es uns so schwer machen?»
Das Beste? Ernsthaft? «Ich glaube, unsere Vorstellungen, was das
Beste für mich ist, gehen ziemlich weit auseinander.»
«Das Beste besteht auf jeden Fall nicht darin, gleich im ersten
Semester durch zwei von vier Prüfungen zu fallen und die Ferien
damit zu verbringen, irgendwelche Schwulheiten auszuleben.»
Normalerweise sitzt meine Maske wie angegossen. Eine Maske,
die ich vielleicht nie gebraucht hätte, wenn ich nicht bei Arthur und
Margaret aufgewachsen wäre. Im Laufe der Jahre ist sie zu einer
überlebenswichtigen Schutzstrategie geworden. Wie im Comptons
kann ich jetzt allerdings nicht verhindern, dass sie ins Rutschen
gerät.
«Schwulheiten?», frage ich tonlos.
Arthur verdreht die Augen. «Oder wie immer man das, was du da
tust, auch nennen mag.»
«Ich bin pansexuell. Ich fühle mich zu Menschen hingezogen.
Was für ein Geschlecht sie haben, spielt für mich keine Rolle.»
«Dann tu deiner Großmutter und mir bitte den Gefallen und fühle
dich beim nächsten Mal wieder zu einer Frau hingezogen», sagt er
mit einer sogar für seine Verhältnisse ungeheuerlichen
Selbstverständlichkeit. Als könnte man Gefühle einfach wie eine
Lampe ein- und ausschalten.
Spätestens jetzt halte ich es keine weitere Sekunde mehr im
Bentley aus. Bevor Arthur mich zurückhalten kann, stoße ich die Tür
auf und trete ins Freie, wo mir augenblicklich frische, salzige
Küstenluft in die Nase steigt. Ich atme tief durch und genieße die
wenigen Sekunden Stille, die mir bleiben, bis …
«Nathan, ich habe genug von dieser pseudo-rebellischen Phase.»
Arthur macht keine Anstalten, um den Bentley herumzulaufen.
Stattdessen stützt er sich mit den Unterarmen auf dem glänzend
polierten Wagendach ab und sieht mich grimmig an. «Du führst dich
schon seit Jahren so auf. Aber seit wir entschieden haben, dass du
nach Brynmor gehst, hat dein Verhalten ein Ausmaß angenommen,
das ich nicht mehr länger toleriere. Die nicht-bestandenen
Klausuren. Dieser Kerl in unserem Stadthaus. Herrgott, sogar diese
furchtbare Musik, die du die ganze Zeit hörst, und …»
«… nichts davon ist pseudo-rebellisch», schneide ich ihm das
Wort ab. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, breite ich die
Arme aus. «Das bin ich. Das alles bin ich. Dir gefällt nicht, was du
siehst? Das ist dein Problem. Nicht meins. So sehr du und Margaret
es euch auch wünscht, ich werde mich für euch nicht noch mehr
verbiegen. Das habe ich schon getan, indem ich zugestimmt habe,
nach Brynmor zu kommen. Aber ich werde nicht versuchen,
irgendjemand anderes zu sein. Weder heute noch morgen noch
sonst irgendwann. Und früher oder später wird dir keine andere
Wahl bleiben, als es akzeptieren.»
Unnachgiebig schüttelt Arthur den Kopf. «Ich bleibe mit Robert in
Kontakt. Wenn mir auch nur ein Wort darüber zu Ohren kommt, dass
du dich in deinem zweiten Semester mit irgendetwas anderem als
mit deinem Studium beschäftigst, wird das ernsthafte Konsequenzen
nach sich ziehen. Und glaub mir, wenn ich das sage, meine ich es
auch so.»
Habe ich wirklich gehofft, mit meinen Worten zu ihm
durchzudringen? Das hat in der Vergangenheit schon nicht geklappt,
warum hätte es also jetzt funktionieren sollen? Nein, um ehrlich zu
sein, überrascht mich seine Reaktion kein bisschen. Aber dass er mir
mit Robert droht? Robert Bellingham, dem Rektor, der schon seit
Jahren in seiner Gunst steht?
Statt etwas zu erwidern, nicke ich nur. Alles, was ich jetzt noch
will, ist einen größtmöglichen Abstand zwischen uns zu bringen.
Arthur macht bereits Anstalten, wieder in den Bentley zu steigen,
hält dann aber noch einmal inne. «Deine Mutter wollte damals
genauso wenig in Brynmor studieren wie du, Nathan …»
Scharf ziehe ich die Luft ein. Wenn er jetzt auch nur ein falsches
Wort sagt, laufen wir Gefahr, dass meine Maske nicht nur verrutscht,
sondern auf den jahrhundertealten Pflastersteinen landet. Über
meine Mutter zu sprechen, ist verdammt dünnes Eis. So dünn, dass
ich für nichts garantiere, sollte es brechen.
«… sie hat geglaubt, dass wir sie mit einem Studium hier für ihre
Aufsässigkeit bestrafen wollten.» Er schüttelt den Kopf. «Aber das
wollten wir nicht. Das wollten wir nie.»
So wie Margaret und er in den letzten Jahren über meine Mutter
gesprochen haben, erscheint mir das nur schwer vorstellbar.
«Sonst noch was?» frage ich gepresst.
Arthur schüttelt den Kopf. «Wir haben unterschiedliche
Vorstellungen davon, was das Beste für dich ist, Nathan. Aber
vergiss nicht, dass du ein Cavendish bist. So – und nicht anders –
werden wir dich auch immer behandeln.»

Obwohl das neue Semester offiziell erst morgen beginnt, ist auf dem
Campus schon eine ganze Menge los. Auf dem Weg zu meinem
Zimmer im Westflügel sehe ich Studierende, die sich von ihren Eltern
verabschieden oder sich nach den Ferien in den Armen liegen. In
den Arkadengängen herrscht ein reges Kommen und Gehen, und die
Luft ist von einem lauten Stimmendurcheinander erfüllt.
In Gedanken bin ich noch immer bei meinem Gespräch mit Arthur.
Ich achte nicht wirklich darauf, wo ich entlanglaufe, aber meine Füße
finden auch so den richtigen Weg. Nachdem ich einen weiteren
Torbogen passiert habe, tauchen vor mir eine flach abfallende Wiese
und der Westflügel auf.
In den letzten Wochen ist es mir gelungen, Brynmor in die
hinterste Ecke meines Verstands zu schieben. Statt mich über die
vermasselten Klausuren zu ärgern, bin ich durch London gezogen,
habe die Anonymität der Großstadt genossen und die Möglichkeiten,
die sich mir dort bieten. Jetzt löst der Anblick des langgezogenen
Gebäudes, in dem sich mein Zimmer befindet, ein unerwartet
wohliges Gefühl aus. Wenn ich ganz ehrlich bin, war das erste
Semester ja nicht nur schlecht. Ich habe viel Zeit in der
Schwimmhalle verbracht, habe Zimmerpartys mit meinen
Kommilitonen gefeiert und Samuel kennengelernt. Samuel, der sich
nicht so für mich interessiert hat, wie ich mich für ihn, aber der im
Laufe der Zeit zu einem guten Freund geworden ist.
Das wohlige Gefühl verstärkt sich, als ich ein paar Minuten später
die Tür zu meinem Zimmer im ersten Stock öffne. Seit meiner
Abreise hat sich hier nichts verändert. Das Bett, der Kleiderschrank
aus Eichenholz, der Schreibtisch am Fenster. Alles ist noch genau so,
wie ich es zurückgelassen habe. Weil Gregory seinen Job wie immer
perfekt gemacht hat, stehen meine Koffer schon neben dem
Schreibtisch.
«Willkommen in Brynmor», flüstere ich zu mir selbst.
Gerade, als ich damit anfangen will, meine Sachen auszupacken,
höre ich ein Fluchen vom anderen Ende des Gangs.
Neugierig drehe ich mich um. Ich kenne diese Stimme. Ich kenne
sie sogar sehr gut.
Ohne lange darüber nachzudenken, setze ich mich in Bewegung.
Ich habe keine Ahnung, wie es sein wird, Samuel wiederzusehen. Im
letzten Semester hat mein Herz bei jeder unserer Begegnungen ein
kleines bisschen schneller geschlagen. Insbesondere bei unserem
Gespräch vor der Bibliothek …
Eigentlich waren wir nur verabredet, um eine Präsentation für
unser Sportpsychologie-Seminar bei Professor McIntyre
vorzubereiten. Aber nachdem Samuel ein paar Tage zuvor im
Speisesaal auf einen anderen Studenten losgegangen war, hatten wir
ziemlichen Redebedarf. Wir waren so offen und ehrlich zueinander
wie nie zuvor. Samuel erzählte mir, nur nach Brynmor gekommen zu
sein, um die Unfallumstände seines Bruders aufzuklären. Und ich?
Ich verstand ihn. Verstand ihn wirklich. Weil ich aus eigener
Erfahrung wusste – und noch immer weiß –, wie es ist, nicht mit der
Vergangenheit abschließen zu können.
«Alles in Ordnung?», frage ich und klopfe an Samuels offen
stehende Zimmertür.
«Was …? Oh, hi! Ja, alles bestens. Komm doch rein.»
Ich folge seiner Aufforderung und trete ein. In der Mitte des
Zimmers beugt sich Samuel gerade über einen großen, an mehreren
Stellen geflickten Reiserucksack. Offenbar ist eine Naht gerissen. Auf
dem Boden liegen Pullover, mehrere Jeans und Sportklamotten.
Als sich unsere Blicke treffen, beginnt Samuel zu lächeln und
richtet sich auf. Die blonden Haare, die dunkelgrünen Augen, das
kleine Grübchen am Kinn. Er sieht genauso aus, wie ich ihn in
Erinnerung habe. Nur eine Sache ist anders, und die hat nichts mit
ihm zu tun, sondern mit mir. Mein Herz schlägt ganz normal.
Offenbar haben mir meine One-Night-Stands also über ihn
hinweggeholfen.
«Warte, ich helfe dir.»
Samuel nimmt mein Angebot mit einem Nicken entgegen.
«Werfen wir die Sachen erst mal aufs Bett. Ich kümmere mich dann
später drum.»
«Bist du auch gerade eben angekommen?», frage ich, während
ich mir ein paar Trainingsklamotten schnappe.
«Ich bin schon seit ein paar Stunden da.» Samuel errötet etwas.
«Aber bis gerade eben war ich noch bei Connor.»
Ich grinse. Na klar, wo auch sonst? «Hattet ihr schöne
Semesterferien?»
Samuels Gesichtsfarbe normalisiert sich wieder. «Ja, und wie. Es
hat gutgetan, mal ein bisschen von hier wegzukommen und so
richtig viel Zeit zu haben. Nur zu zweit.» In wenigen Sätzen berichtet
er mir von der Aussprache zwischen Connor und seiner
Zwillingsschwester Claire, mit der er monatelang nur sporadisch
Kontakt hatte. Offenbar ist die Wiederannäherung der beiden fürs
Erste geglückt. «Zumindest war es ein Anfang. Claire hat ihm erklärt,
warum sie sich zurückgezogen hat. Aber ob die beiden jetzt wieder
regelmäßiger miteinander sprechen? Ich hoffe es. Ich weiß, dass es
Connor wirklich wichtig wäre.»
Mittlerweile haben wir das gröbste Chaos beseitigt.
«Und bei dir?», fragt Samuel interessiert. «Wie waren deine
Ferien?»
Ich wiege den Kopf hin und her. «Ich vermisse London jetzt
schon. Was ich nicht vermisse, sind meine Großeltern.»
«So schlimm?»
«Arthur nervt. Aber das hat er ja immer schon getan.» Ich setze
ein Lächeln auf. «Na ja, London habe ich auf jeden Fall in vollen
Zügen genossen.» Unwillkürlich erinnere ich mich an Lucas. Ich
hatte vor ihm schon ein paar andere Kerle abgeschleppt, aber es ist
der Abend mit ihm, der sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat.
Klar, wegen dem Sex, der ziemlich gut war. Aber vor allem wegen
den Gesprächen, die wir geführt haben, und wegen des aufrichtigen
Interesses, das er an mir gezeigt hat. Als hätte er gespürt, dass es
hinter meiner Fassade eine ganze Menge mehr zu entdecken gibt.
«Erzähl. Wen hast du kennengelernt?»
«Wie kommst du darauf, dass ich jemanden kennengelernt
habe?», erwidere ich und setze eine Unschuldsmiene auf.
Samuel grinst. «Dir ist schon klar, wie verträumt du gerade
geschaut hast, oder?»
Offenbar sitzt meine Maske nach meinem Gespräch mit Arthur
noch immer nicht ganz richtig. «Ich habe niemanden
kennengelernt», wiegle ich ab. «Nicht wirklich zumindest. Es war nur
ein One-Night-Stand. Und bevor du irgendwelche Details wissen
willst: Ein Gentleman genießt und schweigt.»
Wir sehen uns an, dann prusten wir fast gleichzeitig los. Nachdem
wir uns wieder beruhigt haben, quatschen wir für ein paar Minuten
noch über alles Mögliche, bis ich mich wieder auf den Weg in mein
Zimmer machen will.
«Sehen wir uns heute Abend im Speisesaal?», fragt Samuel zum
Abschied.
«Klar», antworte ich.
Und spätestens jetzt bin ich tatsächlich wieder in Brynmor
angekommen.
Kapitel 5

Lucas

A ls ich in St. Keyne aus dem Zug steige, ist der Nebel sodicht, dass
er alle Geräusche um mich herum zu verschlucken scheint. Es ist kalt
und regnet Bindfäden. So und nicht anders habe ich mir Cornwall
immer vorgestellt.
Von Alice Thompson, die mich hier abholen und nach Brynmor
bringen soll, fehlt jede Spur. Weil ich nicht scharf darauf bin, länger
als unbedingt nötig im Freien auszuharren, ziehe ich mein Handy aus
der Tasche und scrolle so lange durch die Liste meiner Kontakte, bis
ich ihren Namen finde. Nach mehrmaligem Klingeln ertönt allerdings
nur die Ansage ihrer Mailbox. Verdammt.
Ich stecke das Handy wieder weg und sehe mich unschlüssig um.
Die Backsteinfassade des Bahnhofsgebäudes ist von braunen
Flechten überwuchert, und die Fenster sind mit Kartonagen
zugeklebt. Keine Frage, dieser Ort hat ganz eindeutig schon bessere
Zeiten gesehen.
Für einen Moment bleibe ich noch wie angewurzelt stehen. Dann
schultere ich mit der einen Hand meine große Reisetasche,
umschließe mit der anderen den Griff des Rollkoffers und setze mich
in Bewegung. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes ziehe
ich mich unter einen Dachvorsprung zurück, um mich zumindest ein
bisschen vor der Kälte zu schützen.
Und warte.
Und warte.
Und warte.
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