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Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät

Institut für deutsche Sprache und Linguistik

Arbeitsmaterialien

Grundkurs Linguistik
sowie Übung Deutsche Grammatik in Auszügen

Modul 1 BA Germanistische Linguistik


BA Deutsch
BA Historische Linguistik

Wintersemester 2022/23

basierend auf Mitarbeit und/oder mit Materialien von Anneliese Abramowski, Malte
Belz, Berry Claus, Ingo Fehrmann, Andreas Haida, Katharina Hartmann, Stefan
Hinterwimmer, Hagen Hirschmann, Sabine Krämer, Ewald Lang, Anke Lüdeling,
Antonio Machicao y Priemer, Claudia Maienborn, Christine Mooshammer, Stefan
Müller, Renate Musan, Katharina Nimz, Andreas Nolda, Sophie Repp, Eva Schlachter,
Peter Skupinski, Monika Strietz, Luka Szucsich, Elisabeth Verhoeven, Heike Wiese, Lars
Zeige

korrigiert und formatiert von den studentischen Hilfskräften Karolina Zuchewicz,


Burkhard Dietterle, Martin Klotz, Nico Lehmann, Mareike Lisker, Pia Linscheid und
Henrike Prochno

Herausgegeben im Auftrag des Instituts für deutsche Sprache und


Linguistik der Humboldt-Universität zu Berlin
Vorbemerkungen
Die vorliegenden Arbeitsmaterialien verstehen sich als Begleitlektüre
zum Grundkurs Linguistik, welcher eingeordnet ist in die jewei-
ligen Module 1 des BA-Studiengangs Germanistische Linguistik, des
BA-Studiengangs Historische Linguistik und des BA-Studiengangs
Deutsch. Ebenso ist ein Teil des in der Übung Deutsche Gram-
matik zu bearbeitenden Stoffes enthalten (Kapitel 4.2, 4.3 und 4.4).
Die Arbeitsmaterialien ersetzen nicht die Lektüre eines einführenden
Lehrbuchs.
Der Grundkurs Linguistik führt in Gegenstandsbereiche, Fragestel-
lungen und Methoden der Linguistik ein. Der Schwerpunkt liegt da-
bei auf den verschiedenen Ebenen der grammatischen Strukturbil-
dung – Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik – und auf den So lesen Sie die Randnotizen:
angrenzenden Teilgebieten Phonetik, Graphematik und Pragmatik.
Linguistische Grundbegriffe und Konzeptionen werden unter Rück-
griff auf traditionelle und moderne Analysemethoden am Beispiel des Bitte Lesen
Deutschen erläutert und in ihrem Zusammenwirken beschrieben. Das Informationen, die für grundle-
Vorgehen ist geprägt vom Blick auf die kognitiven Grundlagen von gend erachtet werden, stehen in
Sprache sowie auf die typologische Einordnung des Deutschen in das diesen Kästen.
Spektrum der Sprachen der Welt.
Für den erfolgreichen Abschluss des Grundkurses werden 5 Leistungs-
punkte vergeben. Bedingung für den Erwerb der Studienpunkte ist
neben der regelmäßigen und aktiven Teilnahme am Kurs das Bestehen
Erläuterung
eines seminarbegleitenden Tests. Inhalte des Grundkurses Linguistik
sind wesentlicher Bestandteil der Modulabschlussprüfung. Informationen, die vertiefen oder
beispielhaft sind, stehen in diesen
Die für die einzelnen Kurse ausformulierten Seminarpläne werden Kästen.
von den Seminarleitern / Seminarleiterinnen vorgelegt. Der folgende,
den Arbeitsmaterialien zugrunde gelegte Plan ist eine Groborientie-
rung:
1. Sprache, sprachliches Wissen, Linguistik und Grammatiktheorie
Hinweise, Hervorhebungen und
2. Phonetik, Phonologie und Graphematik Zusatzinformationen finden Sie
3. Morphologie in diesen einfachen Kästen.

4. Syntax
5. Semantik
6. Pragmatik
b In diesen Kästen finden Sie ei-
Zu den Grundkursen wird ein Tutorium angeboten, bitte aktuelle nige Übungen. Dazugehörige Mus-
Aushänge dazu beachten! terlösungen sind auf den letzten
Seiten des Arbeitsmaterials.
So benutzen Sie dieses Arbeitsmaterial
Rechts neben dem Fließtext werden wichtige Informationen in Käs-
ten hervorgehoben, vertiefende und beispielhafte Erklärungen gelie-
fert sowie Hinweise und Zusatzinformationen gegeben, siehe die Käs-
ten auf dieser Seite zur Illustration. In einigen Abschnitten finden
Sie Übungsaufgaben, diese sind mit dem Schreib-Symbol b gekenn-
zeichnet. Musterlösungen zu den Aufgaben befinden sich hinten im
Service-Teil.
Auch Literaturempfehlungen finden Sie im Service-Teil.

i
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen i

1 Sprache, sprachliches Wissen, Linguistik und Grammatiktheorie 2


1.1 Was ist Sprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Arbeitsfelder der Sprachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2 Phonetik, Phonologie, Graphematik 7


2.1 Phonetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.1.1 Gegenstand der Phonetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.1.2 Die Transkription von Konsonanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.1.3 Die Transkription von Vokalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.1.4 Notationskonventionen nach IPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2 Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2.1 Gegenstand der Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2.2 Phonologie I: Strukturalistische Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2.2.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2.2.2 Distinktive Merkmale: Eigenschaften von Phonemen . . . . . . . . . . . . 16
2.2.3 Phonologie II: Generative Phonologie & Phonologische Prozesse . . . . . . . . . . . 18
2.2.3.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.2.3.2 Phonologische Prozesse des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.2.3.3 Reihenfolge der phonologischen Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.2.4 Phonologie III: Silbenphonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.2.4.1 Linearer Silbenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.2.4.2 Hierarchischer Silbenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.2.4.3 Silbengrenzen und Silbifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.2.5 Phonologie IV: Phonologische Ebenen über der Silbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.3 Graphematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.1 Schriftsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.2 Grapheme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.3 Graphematik und Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.4 Graphematische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.3.4.1 Das phonographische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.3.4.2 Das silbische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.3.4.3 Das morphologische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.3.4.4 Weitere graphematische Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

3 Morphologie 35
3.1 Gegenstand der Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.2 Grundlagen der Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2.1 Morphologische Einheiten: Morphem und Allomorph . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2.2 Morphologische Bestandteile des Worts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.3 Wortstruktur: Formale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.3 Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.3.1 Überblick über die Wortbildungsmittel im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.3.2 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.3.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.3.2.2 Klassifikation von Komposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.3.2.3 Wortstrukturregel für Komposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.3.3 Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.3.3.1 Suffigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.3.3.2 Präfigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.3.3.3 Zirkumfigierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.3.4 Partikelverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.3.5 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.3.6 Weitere Wortbildungsmittel im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
3.3.7 Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

1
Inhaltsverzeichnis

3.4 Flexion (Formenlehre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51


3.4.1 Morphologie im Sprachvergleich: Sprachtypen nach Wortstruktur . . . . . . . . . . 53

4 Syntax 55
4.1 Gegenstand der Syntaxtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.2.1 Wortarten/Wortklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.2.2 Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.2.2.1 Liste „primärer“ Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4.2.2.2 Liste „sekundärer“ Satzglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4.2.2.3 Attribute / Satzgliedteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4.2.2.4 Liste von Nebensätzen und Infinitivgruppen in ihrer Satzglied(teil)funktion 63
4.2.3 Argumente & Modifikatoren/Adjunkte bzw. Ergänzungen & Angaben . . . . . . . 64
4.2.4 Subkategorisierung / Wertigkeit / Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.3 Das topologische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
4.4 Satztypen und Satzmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.5.1 Linearität und Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.5.2 Konstituenten & Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
4.5.2.1 Konstituententests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.5.2.2 Phrasen und Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
4.5.3 Die innere Struktur von Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.6.1 Lexikalische Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.6.1.1 V und die Verbalphrase (VP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.6.1.2 A und die Adjektivphrase (AP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.6.1.3 Adv und die Adverbphrase (AdvP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.6.1.4 P und die Präpositionalphrase (PP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.6.1.5 N und die Nominalphrase (NP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.2 Funktionale Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.2.1 D und die Determiniererphrase (DP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.6.2.2 T und die Tempusphrase (TP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
4.6.2.3 C und die CP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.6.3 Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.6.3.1 Bewegung in der TP: Besetzung von T° . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.6.3.2 Bewegung in der CP: Besetzung von C° und SpecCP . . . . . . . . . . . . 86
4.6.3.3 Weitere Bewegungen: Scrambling und Extraposition . . . . . . . . . . . . 88
4.6.3.4 Das Bewegungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.6.4 Ein Vergleich zwischen topologischem und generativem Modell . . . . . . . . . . . . 91
4.7 Anhang: Kurzer historischer Überblick über die Generative Syntax . . . . . . . . . . . . . . 92

5 Semantik 95
5.1 Gegenstand der Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
5.2.1 Merkmalhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
5.2.2 Prototypentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
5.2.3 Sinnrelationen zwischen Wörtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5.3 Satzbedeutung – Satzsemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
5.3.1 Wahrheitsbedingungensemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
5.3.2 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
5.3.3 Sinnrelationen zwischen Sätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
5.4 Thematische Rollen, Argumentstruktur und Lexikoneintrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

6 Pragmatik 107
6.1 Gegenstand / Abgrenzung Semantik – Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
6.2 Kontext und Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6.3 Typen von Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
6.3.1 Semantische Implikation (‚entailment’) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

2
6.3.2 Präsuppositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
6.3.2.1 Präsuppositionstests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
6.3.2.2 Präsuppositionsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
6.3.2.3 Aufhebbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
6.3.3 Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
6.3.3.1 Konventionelle Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
6.3.3.2 Konversationelle Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
6.4 Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
6.4.1 Die Sprechakttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
6.4.1.1 Austin (1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
6.4.1.2 Searle (1969, 1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
6.4.2 Indirekte Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

7 Service-Teil 117
7.1 Literaturempfehlungen für das Basisstudium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
7.1.1 Einführungen in die Linguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
7.1.2 Grammatiken des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
7.1.3 Nachschlagewerke und andere Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
7.1.4 Zum Schmökern und Knobeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
7.1.5 Klassiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
7.1.6 Phonetik, Phonologie, Graphematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
7.1.7 Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
7.1.8 Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
7.1.9 Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
7.1.10 Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
7.2 Allgemeine Sprachwörterbücher (einsprachig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
7.3 Spezialwörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
7.3.1 Lernerwörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
7.3.2 Fremdwörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.3.3 Rechtschreibwörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.3.4 Aussprachewörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.3.5 Rückläufige Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.3.6 Paradigmatische Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.3.6.1 Synonymwörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7.3.6.2 Antonymwörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
7.3.7 Syntagmatische Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
7.3.8 Diachrone Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
7.3.9 Onomasiologische Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

8 Musterlösungen 124
1 Sprache, sprachliches Wissen, Linguistik und
Grammatiktheorie
1.1 Was ist Sprache?
Sprache als System
Sprache ist ein komplexes System, das aus verschiedenen, miteinan-
der interagierenden Teilsystemen besteht. Diese Teilsysteme bezeich-
net man auch als sprachliche Module (Sprache ist „modular“ organi-
siert), grammatische Ebenen oder Komponenten. Wir bedienen uns
im Folgenden des letzten Begriffes. Jede sprachliche Komponente ist
definiert durch:
• ein Inventar von elementaren komponentenspezifisch kategori-
sierten Einheiten
• eine Menge von komponentenspezifischen Regeln zur Kombina-
tion dieser elementaren Einheiten zu wohlgeformten komplexe-
ren Gebilden.
Folgende Komponenten bilden die Grammatik einer Sprache:
Lexikon
• das Lexikon: Wie in (1) könnte ein Eintrag im
» Repräsentation von Wörtern und Wortteilen einer Sprache mentalen Lexikon eines Sprechers
aussehen. Genaueres dazu lernen
mit Information über deren
Sie in den Kapiteln 3.3 und 5.
∗ Aussprache (phonologische Information)
(1) geben
∗ interne Struktur (morphosyntaktische Information) • phonologische Repräsenta-
∗ syntaktische Kategorie (z. B. Verb, Adjektiv) und syn- tion: /ge:b@n/
taktisches Kombinationspotential (s. u.) (syntaktische • syntaktische Kategorie: Verb
Information) • syntaktisches Kombinati-
∗ Bedeutung (semantische Information) onspotential:
erscheint mit einem Sub-
jekt im Nominativ und zwei
• die phonologische Komponente: Objekten im Dativ und
Akkusativ
» beschränkt das Lautinventar der Sprache
• semantische Information:
» regelt z. B. die Kombination der Laute sowie die Verteilung kennzeichnet eine Hand-
von Wort- und Satzakzent lung, in der ein Individuum
verursacht, dass ein anderes
» Einige Fragestellungen: Individuum in den Besitz
Wieso sagt man Rad mit [t] und Räder mit [d]? eines Objekts gelangt

Wieso gibt es im Standarddeutschen keine Wörter, die


nach [a], [o] oder [u] den Laut verwenden, der am Ende
von ich artikuliert wird (vgl. Sie Dach, doch, Tuch)?
Wieso heißt es im Deutschen Projekt, im Englischen aber
project?

• die morphologische Komponente:


» regelt die interne Struktur von Wörtern
» regelt die Bildung „neuer“ Wörter
» Einige Fragestellungen:

2
1.1 Was ist Sprache?

Warum heißt ein Pferdestall auch Pferdestall, wenn nur


ein einziges Pferd darin steht?
Was ist mit Kühestall?
Wie hängen Jäger und jagen zusammen?

• die syntaktische Komponente:


» enthält die Regeln zur Bildung von Phrasen und Sätzen
Das grammatische System der
» Einige Fragestellungen: Sprache interagiert mit den fol-
genden außersprachlichen Ebe-
Wieso kann man sagen die Königin von Schweden aus nen:
Deutschland, aber nicht die Königin aus Deutschland von
• dem artikulatorisch-per-
Schweden? zeptorischen Apparat (den
Warum gibt es einen Unterschied zwischen Max hat sein biologischen Gegebenhei-
Pferd sich selbst überlassen und Max hat sich selbst sein ten zur Produktion und
Pferd überlassen? Rezeption von Sprachlau-
ten)

• dem konzeptuell-intentio-
• die semantische Komponente: nalen System, d. h. dem
» enthält die Regeln zur Bedeutungsherleitung komplexerer Bereich der Kognition, der
Einheiten (komplexe Wörter, Phrasen, Sätze) aus der Be- sich mit Bedeutung befasst
deutung ihrer Bestandteile (Wörter, Wortteile) Letzteres wird wiederum gespeist
durch Weltwissen, Kontextwissen
» regelt, wie man sich auf Objekte in der Welt beziehen kann und analytisches Wissen.
» Einige Fragestellungen:
Was ist der Unterschied zwischen einem Verb wie lächeln
und einem wie belächeln?
Wieso kann ein Satz wie Hanna muss die Katze nicht in
den Garten lassen zwei ganz verschiedene Bedeutungen
haben? Überblick Grammatik
Wieso kann ich mich mit dem Subjekt in der Junge singt Grammatik als Lehrbuch / Nach-
auf einen Jungen beziehen, mit dem Subjekt in kein Junge schlagewerk:
singt aber nicht?
• "traditionelle"präskriptive /
normative Grammatik: ei-
Die sprachliche Strukturbildung wird durch all diese Komponenten
ne solche Grammatik macht
geregelt. Die Abbildung (1.1)stellt ein vereinfachtes Modell für die Ar- Vorgaben für „gute“ Sprach-
chitektur des Sprachsystems dar. verwendung einer einzelnen
Sprache („gutes Deutsch“),
Sprache als Sprachfähigkeit z. B. Duden-Grammatik
Der Begriff Sprache wird oft auch im Sinne von Sprachfähigkeit ver- • deskriptive Grammatiken:
wendet. Sprachfähigkeit meint das zugrundeliegende Sprachwissen wertungsfreie Beschreibung
der SprachbenutzerInnen, welches es ihnen ermöglicht, Sprache zu einer einzelnen Sprache
produzieren und Sprache zu verstehen. Dieses Sprachwissen umfasst
• Grammatik für den Fremd-
Fähigkeiten und Kenntnisse, die die verschiedenen Komponenten der
sprachenunterricht, z. B. Hel-
Sprache betreffen. big/Buscha
Unsere Sprachfähigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass sprachliches Grammatik (i. e. S.) als Lehre
Wissen unbewusst ist. Sprachliche Kenntnisse werden automatisch von den morphologischen und
angewendet, d. h. Sprachverwendung ist automatisiert. Sprachliches syntaktischen Regularitäten einer
Wissen wird im Erstspracherwerb unbewusst erworben und nicht be- Sprache:
wusst erlernt. Wir werden in Kapitel 4.1 detailliert auf das Konzept • unter dieser „traditionellen“
der Sprachfähigkeit, auch Kompetenz genannt, eingehen. Auffassung bleiben Phonetik
und Semantik als Teilberei-
Der Begriff Grammatik che der Sprachwissenschaft
Wir begreifen hier Grammatik als ein System, das Laute und Bedeu- ausgeklammert.
tungen regelhaft einander zuordnet und somit das gesamte Regelsys- Grammatik als Sprachtheorie,
tem einer Sprache umfasst. z. B. die Generative Grammatik

3
1.1 Was ist Sprache?

Abbildung 1.1: Architektur des Sprachsystems

Weitere Arten von Grammatiken finden Sie in der Informationsbox.


Der Unterschied zwischen präskriptiver und deskriptiver Grammatik
sowie Ausführungen zur sog. Generativen Grammatik sind Teil von
Abschnitt 4.1 der Syntax.

Zur Unterscheidung von Objekt- und Metasprache


Wir können uns der Sprache nur über die Sprache nähern, d. h. wenn
wir über Sprache etwas sagen, benutzen wir auch wieder Sprache.
Dies ist natürlich eine Quelle potentieller Verwirrung. Betrachten Sie
folgendes Beispiel:

(2) A: „Du redest heute ganz schönen . . . “


B: „Na was?!“
A: „. . . Unsinn!“
B: „Was hast du gesagt?!“
A: „Oh, ich hab Unsinn gesagt.“
vs.
A’: „Oh, ich hab ‚Unsinn‘ gesagt.“

Wir müssen zwischen der sog. Objektsprache und der Metasprache


unterscheiden. Mit Objektsprache meinen wir die Sprache, über die
der/die LinguistIn spricht, d. h., die Gegenstand seiner/ihrer Unter-
suchung ist. Objektsprachliche Beispiele werden durch Anführungs-
zeichen, Kursivschreibung, Unterstreichung, evtl. alternative Mittel
hervorgehoben:

(3) Das Verb „schlafen“ ist ein intransitives Verb.


´¹¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹¸ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹¶
objektsprachliches Beispiel

4
1.2 Arbeitsfelder der Sprachwissenschaft

Mit Metasprache meinen wir die Sprache, in der LinguistInnen Aus-


sagen über objektsprachliche Beispiele machen, d. h. die Sprache, mit
der sie über Sprache sprechen:

(4) Das Verb „schlafen“ ist ein intransitives Verb.


´¹¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¸¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¹ ¶
metasprachliche F ormulierung

Diese Konventionen haben wir schon seit Anfang dieses Kapitels mit-
tels der Kursivschreibung angewendet.

1.2 Arbeitsfelder der Sprachwissenschaft


Ziel der Sprachwissenschaft im engeren Sinne ist es, das Regelsystem
der Sprachen der Welt zu erforschen und damit die Sprachfähigkeit Teildisziplinen
seiner SprecherInnen.
Dies umfasst z. B. den schon er-
Dies passiert in Teildisziplinen, die den grammatischen Komponen- wähnten artikulatorisch-perzepto-
ten, die wir am Anfang eingeführt haben, entsprechen, also: rischen Apparat, dessen Eigen-
schaften in der Phonetik un-
• Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik. tersucht werden, und auch das
konzeptionell-intentionale Sys-
Darüber hinaus werden sprachliche Aspekte in den Untersuchungs- tem, das bspw. in der Pragmatik
gegenstand der Sprachwissenschaft einbezogen, die, ausgehend von untersucht wird, wo Sprechhand-
der oben beschriebenen Kerngrammatik „nach außen“ verweisen. Des lungen im Mittelpunkt stehen.
Weiteren widmet sich die Sprachwissenschaft gesellschaftlichen Aspek-
ten der Sprachverwendung (in der Soziolinguistik) sowie der Sprach-
verwendung beim Sprechen oder Verstehen (in der Psycholinguistik).
Außerdem wird Sprache auch in ihrer Entwicklung untersucht (dia-
chrone Linguistik (Sprachgeschichte) vs. synchrone Linguistik (Spra-
che zu einem Zeitpunkt).
Im Folgenden werden verschiedene Arbeitsfelder der Sprachwissen-
schaft aufgelistet, die nicht zur Kerngrammatik gehören. Beachten
Sie, dass Aspekte der Kerngrammatik und andere Aspekte der Spra-
che ineinander greifen und dass der Ansatz „nur“ das System untersu-
chen zu wollen ohne bspw. seine Verwendung in Gesprächen etc. einen
idealisierten Ansatz darstellt. Es wurden und werden aber Methoden
entwickelt, um diesem Problem gerecht zu werden.
Lautliche Aspekte der Sprachverwendung

• Phonetik:
untersucht die gesprochene Sprache (unabhängig von ihrer be- Pragmatik
deutungsunterscheidenden Funktion), wie Laute produziert wer-
den, ihre akustischen Eigenschaften, und wie Laute verstanden Warum zieht Bettina in dem fol-
werden. genden Dialog den Schluss, dass
sie und Martin nicht satt wer-
Einige Fragestellungen: Was ist der Unterschied zwischen der den? Wie kommt sie auf die Idee,
Artikulation von nicht und der von dicht? (Wie wird artiku- sich zu bedanken? Was tut sie
liert? Was macht das Velum?) Was ist der Unterschied zwischen mit ihrer Frage am Ende des
der Artikulation von [k] in kahl und Kiel? Dialogs?
Martin: Ich habe zwei kleine ge-
Einfluss des sprachlichen und nicht-sprachlichen Kontexts fangen.
Bettina: O je, davon werden wir
• Pragmatik: nicht satt.
Sprache als Handlung, die durch den unmittelbaren situativen
Martin: Ich geh noch mal ins
Kontext, Absichten der SprecherInnen, gesellschaftliche Kon- Dorf und hol was.
ventionen und dergleichen beeinflusst wird.
Bettina: Prima, danke! Könntest
z. B. Informationsstruktur: du auch Sonnencreme
mitbringen?
Wie wird das Aussehen eines Satzes durch dessen Einbettung in

5
1.2 Arbeitsfelder der Sprachwissenschaft

einen größeren sprachlichen Kontext beeinflusst (dies hat pho-


nologische, syntaktische und semantische Konsequenzen). So
passt Dem Minister hat der Präsident heute den Rücktritt ge-
stattet. in andere Kontexte als Den Rücktritt hat der Präsident
dem Minister heute gestattet?

• Textlinguistik/Diskurslinguistik:
Aufbau von Texten vor allem nach den Gesichtspunkten der Textlinguistik
Kohärenz
Warum empfindet man den fol-
z. B. Rhetorik: genden Absatz als (Teil eines)
Aufbau von Texten nach argumentativen Gesichtspunkten, mit Text(es)?
Fragestellungen wie z. B.: „Wie kann die Königin von England
Weiterbildung ist in der Regel
ihr Volk mit einer Rede dazu bringen, sie zu unterstützen?“
kein Spaß, sondern eine Notwen-
digkeit. Dennoch hat sie, trotz
der andauernden Diskussionen
Sprache in der Gesellschaft – Soziolinguistik: um das lebenslange Lernen, in
Deutschland fast noch Luxussta-
• Untersuchung von Sprache nach soziologischen Gesichtspunkten tus. Anders ist jedenfalls kaum
(gesellschaftliche Klassen, Minderheitensprachen, Kontaktphä- zu erklären, warum der Weg zur
nomene bei Mehrsprachigkeit in einer Gesellschaft) besseren Qualifikation oft mit so
viel Bürokratie gepflastert ist.

Sprache im Individuum
• Psycholinguistik:
Untersuchung von Sprechen und Verstehen, Spracherwerb, Sprach-
störungen, Sprachverlust
• Neurolinguistik:
Untersuchung der Gehirnaktivitäten beim Sprechen und Ver-
stehen, Einfluss von Gehirnverletzungen, -abnormalitäten

Historische Linguistik:
• Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache
(sowohl in Bezug auf das Sprachsystem als auch z. B. auf so-
ziolinguistische Einflüsse)
Einige Fragestellungen: Wie unterscheidet sich Luthers Deutsch
vom heutigen und warum? Wieso heißt es denken/dachte, aber
nicht lenken/ lachte?

Sprache, Schrift und Sprachpflege


• Graphematik:
Analyse und Entwicklung des Schriftsystems
Einige Fragestellungen: Warum wird (du) befiehlst mit <h>
geschrieben und (er) fiel ohne?
• Lexikographie:
Erfassung des Wortschatzes nach bestimmten Gesichtspunkten
Einige Fragestellungen: Gibt es ein Wörterbuch, mit dem ich
herausfinden kann, welche Wörter im Deutschen mit <nk> auf-
hören? Was kann man in einem Synonymwörterbuch nachlesen?

6
2 Phonetik, Phonologie, Graphematik
2.1 Phonetik
2.1.1 Gegenstand der Phonetik
Phonetik ist das Studium sprachlicher Lautsubstanz in ihren messba-
ren physiologischen und physikalischen Eigenschaften.
Laute sind Schallwellen, also Schwankungen des Luftdrucks, die vom
Trommelfell aufgenommen und an das Innenohr weitergeleitet wer-
den. Je nach dem Aspekt, unter dem Laute untersucht werden, lassen
sich folgende Bereiche der Phonetik unterscheiden (nach: Ramers/Va-
ter 1995: 10):
1. Symbolphonetik
• befasst sich vor allem mit der Transkription Symbolphonetik

2. Experimentalphonetik Im Rahmen dieses Grundkur-


ses werden wir uns ausschließlich
• die artikulatorische Phonetik:
mit der Symbol-phonetik befas-
» befasst sich mit der Erzeugung von Sprachlauten durch sen. Um diese gut zu verstehen,
menschliche Sprechorgane; können Sie die einzelnen Laute
selbst artikulieren:
• die akustische Phonetik: Probieren geht über . . .
» untersucht die Eigenschaften von Lauten während des
Übertragungsprozesses, also z. B. ihren Frequenzbe-
reich, ihre Intensität (wie laut sind sie) und ihre ge- IPA
naue Länge; Bei der „Benennung“ von Lauten
• auditive Phonetik bedient man sich eines speziellen
Alphabets. Dies ist das sog. IPA
» befasst sich mit dem Empfang und Verstehen von Sprach- (IPA = International Phonetic
lauten. Alphabet).
An der Erzeugung von Schall wirken eine Reihe von Körperteilen In diesem Alphabet bekommen
mit, die primär andere Funktionen haben als sprachliche, z. B. At- alle Laute ein international ver-
men und Kauen. Bei der Erzeugung von Lauten haben sie folgende bindliches Symbol. So wird der
Aufgaben: sog. Ich-Laut z. B. durch ein [ç]
repräsentiert und der Ach-Laut
• die Lunge als Initiator: durch ein [x]. Die Notwendigkeit
eines solchen Alphabets liegt auf
» Atmung erzeugt einen Luftstrom der Hand: vgl. Sie z. B. die zwei
• der Kehlkopf mit den Stimmbändern als Generator: deutschen Worte Weg und weg
und Sie sehen, dass die Laute, die
» der Luftstrom wird in Schwingungen versetzt durch das geschriebene <e> dar-
• Rachen-, Mund- und Nasenhöhle (Ansatzrohr, Vokaltrakt) mit gestellt sind, ganz unterschiedlich
den verschiedenen Sprechwerkzeugen (Zunge, Lippen, weicher klingen.
Gaumen) als Modifikator: Wir werden im Folgenden auch
das IPA benutzen. Beispiele für
» durch die verschiedenen Stellungen der Artikulationsorga- das Deutsche, an denen Sie sich
ne wird der Rohschall des Kehlkopfs modifiziert zu dem, orientieren können, finden Sie für
was wir als wohlunterschiedene Laute erkennen. die Konsonanten auf Seite 9 und
für die Vokale auf Seite 11. Die
eigentliche IPA-Tabelle finden
2.1.2 Die Transkription von Konsonanten Sie auf Seite 12.
Ein Bild des Ansatzrohres finden
Konsonanten (Mitlaute) sind Laute, bei denen die Artikulationsor-
Sie auf der nächsten Seite.
gane eine Enge oder einen Verschluss im Ansatzrohr, d. h. zwischen
Kehlkopf und Lippen bilden. Wichtige Merkmale zur Klassifikation
von Konsonanten sind:

7
2.1 Phonetik

• Schwingungszustand der Stimmbänder Schwingungszustand


• Artikulationsart (auch -modus) Stimmhaft bei engen Stimmbän-
• Artikulationsort im Ansatzrohr dern, z. B. [b, d, g] vs. stimmlos
• Artikulatoren bei weit auseinanderstehenden
Stimmbändern, z. B. [p, t, k]
Schauen wir uns die Artikulation genauer an:

Artikulationsorte Artikulationsart (-modus)


Die nicht-beweglichen artikulatorischen Strukturen sind:
Wie behindern die Artikulations-
• die oberen Zähne (dental) organe den Luftstrom?
• die Alveolen (Zahndamm hinter Oberzähnen)
• harter Gaumen (palatal) Artikulationsort
• weicher Gaumen (velar)
• Rachen (pharyngal) Wo wird der Luftstrom behin-
dert, d. h. durch welche Artiku-
lationsorgane?
Artikulatoren
Die beweglichen Artikulatoren sind:
Artikulatoren
• die Lippen (labial)
• Zunge: Zungenspitze (apikal) Die Unterscheidung zwischen Ar-
Zungenblatt (laminal) tikulator als beweglichem Teil
Zungenrücken (dorsal) und dem Artikulationsort ist
Zungenwurzel (radikal) nicht immer eindeutig, wie z. B.
• Zäpfchen (uvular) beim Zäpfchen und der Stimm-
ritze.
• Unterkiefer (beeinflusst Stel-
lung der oberen und unte- • Zunge
Bei koronalen Lauten sind
ren Zähne zueinander und
vordere Teile der Zunge be-
die Stellung der Lippen)
teiligt, z. B. bei Zungenspit-
• Stimmritze (glottal) zenlauten (apikale Laute)
und Zungenblattlauten (lami-
Bei der artikulatorischen Beschreibung von Konsonanten werden i. d. R.
nale Laute) wie [t, d, l, n, s,
nicht alle beteiligten Artikulatoren genannt, sondern häufig nur der z, S, Z]. Bei dorsalen Lauten
Artikulationsort. sind hintere Teile der Zunge
beteiligt, also [ç, j, g, k, x, ŋ,
K, ö].
Abbildung 2.1: Artikulationsorte und Ortsmerkmale

8
2.1 Phonetik

Artikulationsarten:
• Plosive (Verschlusslaute; engl. stops) kommen durch völlige Blo-
Glottalverschluss: [P] (Knack-
ckierung des Luftstroms und seine darauf folgende Verschluss-
laut; engl. Glottal stop), wobei
lösung durch plötzliche Öffnung der betreffenden Sprechorgane die Stimmritze verschlossen und
zustande, z. B. [p, b, t, d, k, g, P]. geöffnet wird, z. B. vor dem Vo-
• Frikative (Reibelaute) werden artikuliert, indem im Ansatzrohr kal in Amt.
eine Enge gebildet wird, so dass der Luftstrom durch diese Ver- Sibilanten: Frikative, die auf-
engung und ein Reibegeräusch (engl. friction) entsteht, z. B. [f, grund der Rillenbildung am Zun-
v, s, z, S, Z, ç, x, h]. genblatt einen Zischlaut verursa-
chen, z. B. [s, S]
• Affrikaten sind phonetisch gesehen keine Einzellaute, sondern
enge Lautkombinationen, die aus einem Plosiv und einem fol- Vibranten: Neben den Vibran-
> > ten gibt es im Deutschen noch
genden homorganen Frikativ gebildet werden, z. B. [pf, ts].
ein phonetisch frikatives, uvula-
• Vibranten (gerollte Laute) entstehen durch wiederholte kurze res „r“, das sich phonologisch wie
Kontakte bzw. Verschlüsse. Man spricht von „trills“ (im Volks- ein Vibrant verhält und durch [K]
mund „gerolltes r“), das alveolar gebildete wird repräsentiert repräsentiert wird.
durch [r]. Das uvular produzierte vibrantische „r“ wird durch Gleitlaute: Es ist umstritten, ob
[ö] wiedergegeben. [j] ein Gleitlaut wie das englische
• Approximanten sind durchweg stimmhaft und werden weder [w] in water oder ein Frikativ ist.
durch vollständige Verschlüsse noch durch Reibegeräusche ge- Wir vernachlässigen das hier.
bildet. Dazu gehören: homorgan: Entstehung an glei-
chem Artikulationsort
» Laterale, die entstehen, wenn in der Mundhöhlenmitte ein
Verschluss gebildet wird, während an den Seiten Luft ent-
weicht, z. B. [l].
» Gleitlaute, die durch eine zentrale Verengung artikuliert Obstruenten
werden, welche weiter ist als bei Frikativen, z. B. [j].
Plosive, Affrikaten und Frikative
• Nasale entstehen bei gesenktem Gaumensegel (Velum), das den werden zur Klasse der Obstruen-
Luftstrom durch die Nasenhöhle fließen lässt, z. B. [m, n, ŋ]. ten zusammengefasst.

Tabelle 2.1: Übersicht: Artikulationsorte, Artikulationsarten


IPA-Zeichen Beispiel Ort Artikulator Modus Stimme

[b] Gabe bilabial labial Plosiv stimmhaft


[ç] Milch palatal dorsal Frikativ stimmlos
[d] Dampf alveolar koronal Plosiv stimmhaft
[f] Frosch labiodental labial Frikativ stimmlos
[g] Gans velar dorsal Plosiv stimmhaft
[h] Haus glottal glottal Frikativ stimmlos
[j] Jacke palatal dorsal Approximant stimmhaft
[k] Kamm velar dorsal Plosiv stimmlos
[l] List alveolar koronal Lateral stimmhaft
[m] Milch bilabial labial Nasal stimmhaft
[n] Napf alveolar koronal Nasal stimmhaft
[ŋ] Ring velar dorsal Nasal stimmhaft
[p] Pult bilabial labial Plosiv stimmlos
[ö] Rand uvular dorsal Vibrant stimmhaft
[K] Rand uvular dorsal Frikativ stimmhaft
[r] Rand alveolar koronal Vibrant stimmhaft
[s] Muße alveolar koronal Frikativ stimmlos
[S] Schal postalveolar koronal Frikativ stimmlos
[t] Teer alveolar koronal Plosiv stimmlos
[v] Wald labiodental labial Frikativ stimmhaft
[x] Kachel velar dorsal Frikativ stimmlos
[z] Sinn alveolar koronal Frikativ stimmhaft
[Z] Genie postalveolar koronal Frikativ stimmhaft
[P] _Uhr glottal glottal Plosiv stimmlos
>
[pf] Pferd labiodental labial Affrikate stimmlos
>
[ts] Zahn alveolar koronal Affrikate stimmlos
>
[tS] klatschen postalveolar koronal Affrikate stimmlos
9
2.1 Phonetik

2.1.3 Die Transkription von Vokalen


In einigen Sprachen treten
Vokale (Selbstlaute) sind Laute, bei deren Artikulation der Luftstrom Nasalvokale auf, die durch
ungehindert durch das Ansatzrohr hindurchströmt. Die Ausformung ein Senken des Gaumense-
gels (velum) zustandekom-
der verschiedenen Vokale kommt im Wesentlichen durch eine Verän-
men. Dabei strömt Luft
derung der Zungenposition zustande. Als artikulatorische Merkmale
zusätzlich durch die Nase.
zur Unterscheidung von Vokalen gelten:
Gespanntheit
• Zungenlage: horizontal (vorne, zentral, hinten)
• Zungenhöhe: vertikal (hoch, mittel, tief) Die Gespanntheit bzw. Unge-
spanntheit korreliert im Deut-
• Lippenrundung: Die Lippen sind entweder gespreizt (wie z. B. schen in der Regel mit der Länge:
in [i:]) oder gerundet (wie z. B. in [u:])
• lange Vokale sind gespannt
• Stellung des Gaumensegels (orale vs. nasale Vokale ) z. B. [i:], [y:],
• Gespanntheit/Ungespanntheit der Zungenmuskeln (vgl. Mie- • kurze sind ungespannt, z. B.
te [i:] – Mitte [I], Beet [e:] – Bett [E]) [I], [Y].

Vokale lassen sich im sog. Vokaltrapez anordnen, das schematisch Bei [a] und [a:] sowie [E] und
[E:] ist nur die Länge entschei-
die Artikulationspositionen der Vokale im Mundraum abbildet. Die
dend. In Lehnwörtern kommen
Vokale werden darin je nach Zungenhöhe (hoch-tief) und Zungenlage im Deutschen auch kurze ge-
(hinten-vorn) lokalisiert. spannte Vokale vor:

(1) Knie [kni:] vs. Libelle [li-


Abbildung 2.2: Vokaltrapez: Symbole für Vokale der Sprachen bE@]
der Welt und deren Lage (abstrahiert)
ZUNGENLAGE

vorne (front) mitte (central) hinten (back)

i● y 1● 0 W● u hoch (close)
Dieses Vokaltrapez (-viereck)
IY U halbhoch
stellt artikulatorisch produ-
obermittelhoch zierbare, kategoriale Vokale
ZUNGENHÖHE

e● ø 9● 8 7● o (close-mid) dar. Die deutschen Voka-


le sind unterstrichen und
@ mittel in der untenstehenden Ta-
belle 2.2 aufgeführt. Die
E● œ 3● Æ 2● O untermittelhoch
(open-mid)
Vokale sind in Paaren ange-
ordnet, bei denen der linke
Vokal für ungerundete Lip-
æ 5 halbtief pen und der rechte Vokal
für gerundete Lippen steht.
●Œ a A● 6 tief (open)

Im Zentrum des Vokaltrapez findet sich der Vokal [@] (wie im Wort Bei einer R-Vokalisation
Rabe). Dieser Vokal wird Schwa oder auch Neutralvokal genannt und nach den übrigen Vokalen
ist im Standarddeutschen nicht betonbar, d. h. er findet sich nur in (wie z. B. nach [o:] in Tor
unbetonten Nebensilben. In halbtiefer Zungenhöhe unter dem Schwa [to:5])1 kommt es häufig in-

nerhalb der Silbe zu einer
findet sich das sogenannte Lehrer-Schwa: [5]. Das Lehrer-Schwa stellt
Vokalkombination, also ei-
eine Realisierungsvariante des konsonantischen ‚r‘ dar. Er tritt z. B.
nem Diphthong.
im Silbenauslaut der Wörter Lehrer [le:.K5] und Schieber [Si:.b5] auf.
Diphthonge erhalten in der
Neben Monophthongen mit relativ gleichbleibender Qualität gibt es phonetischen Umschrift meist
auch Diphthonge (Zweilaut, Doppellaut) mit unterschiedlicher Quali- einen Bogen unter bzw. über
tät. Bei der Realisierung von Diphthongen führt die Zunge eine Bewe- den beiden IPA-Symbolen:
gung von einem Vokal zu einem anderen Vokal aus. >
(2) [haUs]

1 Derkleine, nach unten öffnende Bogen unter dem [5] in dem Beispiel Tor ist ein diakritisches Zeichen (siehe Tabelle 2.4)
und bedeutet, dass der Vokal nicht silbisch ist. 10
2.1 Phonetik

2
Tabelle 2.2: Übersicht zur Artikulation deutscher Vokale
IPA-Zeichen Beispiele hoch-tief vorn – hinten Rundung Spannung

[a] kalt tief zentral ungerundet ungespannt


[a:] Kahn tief zentral ungerundet ungespannt
[5] Tor / Schieber halbtief zentral ungerundet ungespannt
[E:] nähme untermittelhoch vorn ungerundet ungespannt
[e:] Reh obermittelhoch vorn ungerundet gespannt
[E] Bett untermittelhoch vorn ungerundet ungespannt
[@] Rabe mittel zentral ungerundet ungespannt
[i:] Brief hoch vorn ungerundet gespannt
[I] Sinn halbhoch fast vorn ungerundet ungespannt
[o:] Hof obermittelhoch hinten gerundet gespannt
[O] Topf untermittelhoch hinten gerundet ungespannt
[ø:] Föhn obermittelhoch vorn gerundet gespannt
[œ] köstlich untermittelhoch fast vorn gerundet ungespannt
[u:] Mut hoch hinten gerundet gespannt
[U] Hund halbhoch fast hinten gerundet ungespannt
[y:] süß hoch vorn gerundet gespannt
[Y] Sünde halbhoch fast vorn gerundet ungespannt

Man unterscheidet schließende Diphthonge (die Zunge bewegt sich


von unten nach oben), z. B. [> > >
aI, aU, OI] – dieses sind die ‚echten’ deut-
schen Diphthonge – und öffnende (die Zunge bewegt sich von oben
nach unten). Letztere findet man z. B. im Bairischen: [guat, > l> iap].
Manchmal werden noch Vokalkombinationen in Lehnwörtern wie Re-
gion als Diphthonge klassifiziert. Hier ist aber zu beachten, dass diese
meist mit einem Gleitlaut ([j] o. [w] (Achtung: anders als [v]!)) und
mit einem Langvokal realisiert werden, z. B.:

(3) [Ke.gjo:n]

2.1.4 Notationskonventionen nach IPA


Das Zeicheninventar des IPA für pulmonale Konsonanten, d. h. Kon-
sonanten, bei denen der Luftstrom aus der Lunge kommt (dies ist
bei allen deutschen Konsonanten der Fall), ist in Tabelle 2.3 darge-
stellt. Diese Tabelle enthält auch nicht-deutsche Konsonanten. Die
deutschen Konsonanten sind eingerahmt. Beispielwörter finden Sie in
Tabelle 2.1, Seite 9.
In der IPA werden weitere hörbare Unterschiede mittels Zusatzzei-
chen (Diakritika) auf segmentaler Ebene gekennzeichnet, siehe Ta-
belle 2.4. Zusätzlich befasst sich die Phonetik nicht nur mit einzel-
nen Lauten, sondern auch mit Aspekten wie Tonhöhe (die in Spra-
chen wie bspw. dem Chinesischen eine bedeutungsunterscheidende
Funktion hat) sowie auch Silbengrenzen, die größere Abschnitte als
nur den Laut betreffen. Auch hierfür gibt es Notationskonventio-
nen.
Im Rahmen des Grundkurses werden nur wenige Diakritika verwen-
det. Wir werden uns später mit der Silbe als größere Einheit befassen
und benötigen zur Darstellung die Suprasegmentalia für:

2 Dieebenfalls im Deutschen vorkommenden nasalierten Vokale [ã] (Gourmand), [Ẽ] (Teint), [Õ] (Restaurant) und [œ̃]
(Parfum) sind aus dem Französischen entlehnte Fremdvokale.

11
2.1 Phonetik

• nicht-silbische Vokale (Bogen unterhalb – auch als Approxi-


mant, z. B. [j], möglich)
• sog. silbische Konsonanten (senkrechten Unterstrich)
• Vokallänge (Doppelpunkt)
• Betonung (Akzent)
• Silbengrenze (Punkt)
• Silbengelenk (Über- oder Unterpunkt)
(siehe Abschnitt 2.2.4 zur Erläuterung dieser Begriffe). Literaturemp-
fehlung zur Phonetik: Pompino-Marschall (2003).

Tabelle 2.3: Phonetische Transkription: Konsonanten (Pulmonal)


Artikulations-
bilabial labiodental dental alveolar postalveolar retroflex palatal velar uvular pharyngal glottal
stelle
Artikulations-
stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth.
modus

plosiv p b t d ú ã c é k g q å P

nasal m M n ï ñ N ð

gerollt à r ö
geschlagen R ó

frikativ F B f v T D s z S Z ù ü ç J x G X K è Q h H
lateral-
frikativ
ì Ð

approximant V ô õ j î
lateral-
approximant l í L Ï

Graue Flächen kennzeichnen unmögliche Artikulationen – schwarz umrandete Felder kennzeichnen die Konsonanten des Standarddeutschen

Tabelle 2.4: IPA-Symbole für Diakritika und Suprasegmentalia


Bezeichnung Symbole Beispiele

entstimmt b [li:bst]
˚ ˚ ˚
dental ” ”s [lIs”.pln]
"
h h
Aspiration p [ph as]

nasaliert ˜ Õ [KEs.to.KÕ:]
> >
Ligatur > ts [tsaIt]
>
nicht-silbisch I [na.tsIo:n]
“ “ “
silbisch n > ]
[laU.fn
" " "
lang : E: [li:.b@]

Hauptbetonung " "le: ["le:z@n]

Nebenbetonung ­ >
­baI >
[Pa5.­baI.t@n]

Silbengrenze . >
[laU.f@]

Silbengelenk t [mat@]
˙ ˙ ˙

12
2.2 Phonologie

2.2 Phonologie
2.2.1 Gegenstand der Phonologie
Im letzten Abschnitt haben wir uns mit der Symbolphonetik befasst,
die sich mit der Transkription und artikulatorischen Klassifikation
von Sprachlauten beschäftigt. Die Phonologie ist eine theoriebilden-
de Disziplin, die zu erfassen sucht, welche Systematik der Verwendung
von Lauten in einer Einzelsprache zugrunde liegt – und auch, welche
Ordnungsprinzipien sprachübergreifend gelten.
Zunächst muss sie das für die jeweilige Sprache erfassen und dazu
feststellen: Minimalpaare
• welche bedeutungsunterscheidenden Laute es in einer Sprache Zur Feststellung des Lautsystems
gibt, Beispiel (4) werden sogenannte Minimalpaa-
• wie Laute in verschiedenen Positionen variieren oder an welchen re gesucht, d. h. in einer Sprache
existierende Wörter, die sich in
Positionen sie auftreten können, siehe Beispiele (5)-(6).
genau einem Laut unterscheiden;
Mit diesen Aspekten befasst sich die strukturalistische Phonologie (s. z. B. für Deutsch:
2.2.2). (4) [v] und [f]
sind bedeutungsunterschei-
Weiterhin untersucht die Phonologie:
dend in
• welche Lautfolgen, die auf der sog. Oberflächenrepräsentation [v>
aIn] vs. [f>
aIn]
unterschiedlich klingen, durch die SprachnutzerInnen trotzdem (Wein vs. fein)
als Varianten eines zugrundeliegenden Musters erkannt werden
können. Siehe Beispiel (7)
(5) nicht vs. Nacht
Antwort auf diese Frage gibt die generative Phonologie (s. Abschnitt ([nIçt] vs. [naxt], aber:
2.2.3). *[naçt] und *[nIxt])
Neben dem Lautsystem untersucht die Phonologie auch Einheiten, die (6) [Str] kann am Wortanfang
größer sind als der Einzellaut, z. B. Silben (s. Abschnitt 2.2.4). Dar- vorkommen, nicht aber am
über hinaus werden auch Aspekte wie Wortakzent (metrische Phono- Wortende:
> vs. *[. . . aStK]
[StKaUx]
logie), Satzakzent, Phrasierung, Pausen, Sprechmelodie (prosodische
Phonologie, Intonation) untersucht, die Sie in einem weiterführenden (7) [gaK.t@n] und [ga:.dn]
"
Seminar kennen lernen können.

2.2.2 Phonologie I: Strukturalistische Phonologie


Es gibt wichtige Gründe anzu-
2.2.2.1 Grundbegriffe nehmen, dass es ein Lautsystem
geben muss: Ein Kind erwirbt
Wir haben in 2.2.1 gesagt, dass in der linearen Phonologie, zu der ein Lexikon von vielen tausend
die strukturalistische Phonologie gehört, ein lineares Ordnungsprinzip Lexikoneinheiten, z. B. Tisch,
zugrunde gelegt wird. Das heißt, dass phonologische Einheiten zwei Tasse, Mann. Sie sind im men-
Arten von Beziehungen (Relationen) eingehen können. talen Lexikon gespeichert als
Folgen von Sprachlauten ([th IS],
Die eine Art sind syntagmatische Relationen. [th as@], [man]) mit je zugeord-
neter˙ Bedeutung und weiteren
• Dies sind Relationen in der linearen Kette, d. h. es ist wichtig, Informationen, s. Kapitel 1.
was vor oder hinter einem Element steht.
Es wird angenommen, dass die
(8) [k] + [K] am Wortanfang, nicht am Wortende phonologische Form leicht wahr-
zunehmen, zu speichern und ab-
Das vor oder danach kann sich bspw. auch auf Position zurufen ist. Dies ist nur möglich
innerhalb des Wortes beziehen, wie in diesem Beispiel. bei einer begrenzten, systema-
tisch organisierten Menge von
Lauten (im Deutschen ca. 40)
Paradigmatischen Relationen sind von den syntagmatische Re-
und einer begrenzten Menge von
lationen zu unterscheiden.
Regeln ihrer Kombination.
• Dies sind Relationen zwischen Elementen, die an der gleichen
Stelle in einer Kette füreinander einsetzbar sind.

13
2.2 Phonologie

(9) [v>
aIn] vs. [f>
aIn]
Hier stehen [v] und [f] in einer paradigmatischen Relati-
on, die man phonologische Opposition nennt. Zwei lautli-
che Einheiten stehen in phonologischer Opposition, wenn
ihr Austausch bedeutungsunterscheidend ist, d. h. [v>aIn]
vs. [f>
aIn] bedeuten etwas Unterschiedliches.
Der einzige lautliche Unterschied zwischen diesen beiden
Wörtern ist, dass wir einmal einen stimmhaften labio-
dentalen Frikativ haben und einmal einen stimmlosen la-
biodentalen Frikativ.

Phone: Das sind die hörbar unterschiedlichen Laute, die wir schon als Schreibung
Grundeinheiten der Phonetik kennengelernt haben.
Phoneme werden zwischen Schräg-
Phoneme: Das Phonem ist die kleinste bedeutungsunterscheidende strichen notiert /. . . / (was wir ab
Einheit des Sprachsystems. /v/ und /f/ sind Phoneme des Deutschen, jetzt immer tun werden), Pho-
weil sie Bedeutung unterscheiden, d. h. sie haben selbst keine Bedeu- ne zwischen eckigen Klammern
tung. [. . . ].

Wie kann ich feststellen, ob ein Laut ein Phonem ist und ob nicht?
Diese Frage ist nicht trivial.
1. Phoneme unterscheiden
Aspiration in der Phonologie:
Deutsche Muttersprachler merken das spätestens, wenn sie im
Englischen die folgenden Wörter lernen: Sie wissen vielleicht, dass im
Deutschen Plosive oft behaucht
(12) bet – bat (aspiriert) werden. Manchmal
‘wetten’ – ‘Fledermaus’ sieht man das noch an altdeut-
scher Schreibung, z. B. <Thor>
In der Schule lernt man meistens, dass der Vokal, der im obigen für <Tor>. Ob und wie viel aspi-
riert wird (was abhängig von der
englischen Wort bat als <a> geschrieben wird, wie ein kurzes
Position des Plosivs, aber auch
ä gesprochen wird, also etwa wie [E] in Bett [bEt]. Nun gibt es vom Sprechtempo ist), ist im
im Englischen aber auch das geschriebene <e> wie in bet, aus- Deutschen nicht bedeutungsun-
gesprochen wie [E] in Bett [bEt]. Deutsche EnglischlernerInnen terscheidend. Also, ob Sie das
sprechen beide Wörter also (zumindest anfänglich) gleich aus. /t/ in <not> aspiriert oder nicht
Englische MuttersprachlerInnen tun das aber nicht. Für sie aspiriert aussprechen, produziert
keinen Bedeutungsunterschied:
sind die beiden Vokale im obigen Beispiel bedeutungsunter-
scheidend, sie sind Phoneme, d. h. wenn sie bat von einem/r (10) [no:t] [no:th ]
Deutschen hören, würden sie wetten verstehen. Im Englischen
Das ist im Hindi anders:
wird das <a> in bat wie [æ] gesprochen. Es liegt tiefer im Vo-
kalraum als das deutsche [E] (siehe Vokaltrapez Abbildung 2.2). (11) [pal] [ph al]
‘sich kümmern um’ ‘Mes-
2. Minimalpaare serblatt’

Phoneme werden also immer sprachspezifisch definiert. Man


kann Phoneme identifizieren, indem man Minimalpaare bildet.
Phonologische Minimalpaare sind Paare von Lautfolgen mit un-
terschiedlicher Bedeutung oder grammatischer Kategorie, die Man kann auch mehr als zwei
sich nur in einem Laut an derselben Position unterscheiden. Lautfolgen miteinander verglei-
chen:
Das Kriterium der Minimalpaarbildung für die Phonemidenti-
fikation ist ein strukturalistisches Kriterium. Nach diesem Kri- (13) [b>
aIn], [d>aIn], [f>
aIn], [h>
aIn],
terium sind auch die folgenden Laute Phoneme des Deutschen: [jaIn], [kaIn], [m>
> > aIn], [n>
aIn],
[p>aIn], [K>
aIn], [z>
aIn], [S>
aIn],
[v>
aIn]
(16) /ŋ/: [vaŋ@] vs. [van@]
˙ ˙ (14) [mo:s], [mi:s], [mu:s], [mUs]
(17) /P/: [m>aIn] vs. [P>
aIn]
(15) [ma.s@], [ma:.s@], [mEs@],
(18) /@/: [kύ@n] vs. [kύIn] [mE:.s@], [mu:.s@], [mI.s@]
˙ ˙
(19) /5/: [le:.K@] vs. [le:.K5]

14
2.2 Phonologie

Allophone: Bei der Minimalpaarbildung sind einige Laute (Phone) Im Abschnitt über die generati-
des Deutschen, die wir im Abschnitt zur Phonetik identifiziert haben, ve Phonologie 2.2.3 werden wir
außen vor geblieben, wie z. B. das [x] und das [ç]. Einige der Phone, sehen, dass es Theorien gibt,
die wir kennengelernt haben, sind nur verschiedene Varianten ein- in denen die Laute in (16)-(19)
und desselben Phonems. nicht als Phoneme betrachtet
werden. Wir werden dort noch
Phoneme werden nicht immer gleich realisiert. Die Umgebung, in der einmal auf diese Frage zurück-
ein Phonem vorkommt, spielt dabei eine wichtige Rolle. Schauen wir kommen.
uns das an einem Beispiel an, bei dem es nur einen feinen phoneti-
schen Unterschied gibt: die Realisierung des Phonems /k/, das nach
dem Minimalpaartest in (13) ein Phonem ist. Hinweis: Allophone

Bsp. Artikulationsort bei Plosiven Bei der Identifikation von Allo-


phonen ist ausschlaggebend, dass
Sprechen Sie die folgenden Wörter aus und achten Sie darauf,
Allophone Lauteigenschaften tei-
wo genau das /k/ ausgesprochen wird:
len müssen.

(20) Kiel, kühl, Kehl Wenn zwei Laute, die nicht pho-
netisch ähnlich sind, in komple-
(21) Kohle, Kuh mentärer Distribution vorkom-
men, sind sie keine Allophone.
Sie merken, dass [k] bei den Wörtern in (20) weiter vorn aus-
Im Deutschen kommen z. B. die
gesprochen wird als bei den Wörtern in (21). Dies ist durch die
Laute [h] und [ŋ] fast nie in der-
Umgebung determiniert: in (20) folgt dem [k] jeweils ein vor- selben Position vor: [h] kommt
derer Vokal, in (21) ein hinterer. Genauer: das [k] in (20) wird im Silbenanlaut vor ([h> >
aIs, haUs])
palatal realisiert, das [k] in (21) velar. Man sagt hier, dass pa- und [ŋ] im Silbenauslaut. Da
latales und velares [k] Allophone sind, d. h. sie sind Varianten [h] aber ein stimmloser glottaler
desselben Phonems. Frikativ ist und [ŋ] ein stimm-
hafter velarer Nasal, die beiden
Das Beispiel, das wir gerade besprochen haben, ist ein Beispiel für sich phonetisch also nicht ähnlich
die sog. komplementäre Distribution von Allophonen. Dies ist ei- sind, sind sie keine Allophone.
ne von drei Varianten, wie die Phonemrealisierung variieren kann:

• komplementäre Distribution:
» Allophone sind komplementär verteilt, wenn sie nie in der
gleichen Lautumgebung vorkommen, aber phonetisch ähn- [ç] und [x]
lich sind. Ein weiteres Beispiel ist folgendes: Es gibt hier scheinbare Gegen-
beispiele: Kuchen vs. Kuhchen
(22) Ach-Laut [x] (velare Realisierung) (‘kleine Kuh’). Dies ist aber kein
Ich-Laut [ç] (palatale Realisierung) wirkliches Gegenbeispiel, weil [ç]
in [ku:.ç@n] die Diminutivendung
Buch, Dach, doch, auch → [x]
einleitet, welche ein sog. eige-
nach hinteren und zentralen Vokalen
nes phonologisches Wort bildet
Milch, manch, Elch, Chinin → [ç] (für diesen Begriff, s. Abschnitt
nach Vorderzungenvokalen, Konsonanten, und im 2.2.5).
Morphemanlaut Am Anfang eines phonologischen
Wortes (auch eines Wortes „ge-
Sie sehen also, dass [x] und [ç] im Deutschen keine Phoneme sind, nerell“) kann grundsätzlich kein
sondern nur Allophone. [x] vorkommen.

• freie Variation:
» Allophone variieren frei, wenn sie in der gleichen Umge-
bung austauschbar sind (ohne dass sich die Bedeutung des
Wortes ändert).

• regionale und soziale Variation:


» spezieller Typ von freier Variation, z. B./r/ als Zungenspitzen-
R (Bayern), als uvularer Frikativ und als uvularer Vibrant.
» [r], [ö] und [K] sind also auch keine Phoneme.

15
2.2 Phonologie

Neben den schon oben diskutierten Lauten gibt es noch einige Pho-
ne des Deutschen, deren Phonemstatus strittig ist: Dies gilt z. B. für
die Affrikaten [pf], [ts] und [tS] und die Diphthonge. Phone, die über
Fremdwörter in das Deutsche gekommen sind, wie [Ẽ] (Teint), [Õ] (Re-
staurant), [œ̃] (Parfum), [dZ] (Jazz), [Z] (Genie) werden manchmal als
periphere Phoneme bezeichnet. Beachten Sie aber, dass sie oft auch
eingedeutscht werden, wie in [bal.kOŋ].

2.2.2.2 Distinktive Merkmale: Eigenschaften von Phonemen

Bei der Einführung des Begriffs Phonem haben wir auf die wichtige
Rolle der Minimalpaare hingewiesen. Betrachten wir noch einmal das
erste Beispiel:
Distinktive Merkmale
> vs. [faIn]
(23) [vaIn] > Roman Jakobson (1896–1982)
hat vorgeschlagen, Laute als
[v] und [f] sind Phoneme. Artikulatorisch unterscheiden sie sich darin, Bündel distinktiver Merkmale zu
dass das eine stimmhaft ist und das andere stimmlos. Ansonsten ist beschreiben. Ein wichtiges Ar-
gument für solch eine Analyse
alles gleich – die beiden Phoneme teilen eine Reihe von Merkmalen: sie
ist, dass Phoneme, die bestimm-
sind beide labiodental, und sie sind beide Frikative. te Merkmale teilen, sich in der
Das Merkmal, in dem sie sich unterscheiden, nennt man distinktives gleichen Umgebung oft gleich
verhalten:
Merkmal.
(24) hausen – Haus
Man kann also folgendes annehmen. Segmente (= Laute) sind nicht > >
[haU.z@n] – [haUs]
die kleinsten phonologischen Einheiten, sondern weiter in Merkma-
le zerlegbar. Jedes Segment lässt sich vollständig von den anderen (25) lieben – lieb
durch die Angabe seiner distinktiven Merkmale unterscheiden. Man [li:.b@n] – [li:p]
geht davon aus, dass Merkmale universell sind, d. h. die Phoneme (26) Kleider – Kleid
aller Sprachen der Welt setzen sich aus einem kleinen universellen [kl>
aI.d5] – [kl>
aIt]
Inventar von Merkmalen zusammen. Dies bedeutet, dass ein Kind
Diese Beispiele illustrieren die
beim Spracherwerb nur mit einem beschränkten Set von Merkma-
sog. Auslautverhärtung im Deut-
len konfrontiert ist, was den Spracherwerb erleichtert: es muss le-
schen: Am Ende eines Wortes
diglich lernen, welche Merkmale in der eigenen Sprache distinktiv werden stimmhafte Obstruen-
sind. ten stimmlos, d. h. das Merkmal
[stimmhaft] spielt hier eine wich-
Phonologische Merkmale sind hauptsächlich artikulatorisch definiert,
tige Rolle.
also angelehnt an die Erkenntnisse der artikulatorischen Phonetik.
Trotzdem sind sie, wie wir gleich sehen werden, abstrakter. Die Merk-
male sind binär, d. h. sie können einen positiven und einen negativen ± konsonantisch
Wert haben, z. B.
Das Merkmal [± konsonantisch]
(27) [± konsonantisch] unterteilt Laute danach, ob ei-
ne Verengung im Ansatzrohr
stattfindet - was meistens bei
Merkmale kann man danach klassifizieren, was genau sie spezifizieren Konsonanten der Fall ist und bei
(siehe ± konsonantisch). Vokalen nicht.
Wenn es einen positiven Wert
Oberklassenmerkmal hat, bedeutet dies, dass der Luft-
strom im Ansatzrohr behindert
Weil das Merkmal [± konsonantisch] die Laute nur grob unterteilt,
wird. Dies kann durch einen to-
heißt es auch Oberklassenmerkmal. Ein weiteres Oberklassenmerkmal
talen Verschluss passieren, wie
ist das Merkmal [± sonorant]. bei Plosiven, Affrikaten und Na-
• Bei einem Laut, der [+ sonorant] ist, fließt die Luft frei durch salen, oder durch eine Verengung
wie bei Lateralen und Frikativen.
Mund oder Nase, so z. B. bei Vokalen, Nasalen, Lateralen, Gleit-
lauten, Vibranten.
Wenn das Merkmal negativ ist,
• Bei einem Laut, der [− sonorant] ist, gibt es keinen freien Luft- gibt es keine Behinderung im
strom durch Mund oder Nase, z. B. bei Plosiven, Frikativen und Ansatzrohr. Das ist der Fall bei
Affrikaten. Diese Laute nennt man auch Obstruenten. Vokalen, Gleitlauten wie /j/ und
sog. Laryngalen, die unterhalb
des Ansatzrohrs gebildet werden,
wie /h/.
16
2.2 Phonologie

Das Merkmal heißt [± sonorant], weil Laute mit dieser Eigenschaft au- Das /h/ ist zwar ein Fri-
tomatisch stimmhaft gebildet werden, d. h. Laute mit dem Merkmal kativ und somit ein Ob-
[+ sonorant] kommen im Deutschen nicht stimmlos vor. Die Ober- struent, wird jedoch hier
klassenmerkmale (es gibt noch ein weiteres zur Unterscheidung von als Laryngal kategorisiert.
Approximanten, auf das wir hier nicht eingehen) erlauben die Auftei- Da es glottal und somit
unterhalb des Ansatzrohr
lung der Laute in vier Klassen:
gebildet wird, trägt es das
Merkmal [+ konsonantisch].
Sonoranten Obstruenten Vokale Laryngale

[kons] + + − −

[son] + − + −

Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über distinktive Merkmale,


die für das Deutsche wichtig sind:

Tabelle 2.5: Distinktive Merkmale für das Deutsche


Behinderung des Luftstroms im Ansatzrohr (Plosive, Affrikaten,
[+kons]: konsonantisch
Frikative, Nasale, Laterale, Vibranten )
Oberklassenmerkmale
freier Luftstrom durch Mund oder Nase; sind stimmhaft (Vokale,
[+son]: sonorant
Nasale, Laterale, Gleitlaute, Vibranten)
dauernd/ mit freiem Luftstrom durch die Mundhöhle artikuliert (Vokale,
[+kont]:
kontinuierlich Gleitlaute, Frikative; Liquide sind umstritten)
Merkmale der [+nas]: nasal mit gesenktem Velum artikuliert (Nasale)
Artikulationsart
mit mittlerer Verengung bei seitlichem Luftstrom artikuliert
[+lat]: lateral
(/l/)
Merkmal der
mit vibrierenden Stimmbändern artikuliert (Vokale, Sonoranten,
Stimmhaftigkeit (= [+sth]: stimmhaft
stimmhafte Obstruenten)
laryngales Merkmal)
mit angehobener Zungenspitze oder angehobenem Zungenblatt
[+kor]: koronal
artikuliert (Alveolare, Postalveolare, Palatale)
am oder vor dem Zahndamm artikuliert (Labiodentale, Alveola-
[+ant]: anterior
re)
[+hoch]: hoch
Merkmale des für Vokale wie in der phonetischen Charakterisierung;
Artikulationsorts [+tief]: tief mittlere Vokale: [–hoch][–tief]
[+hint]: hinten
[+gesp]: gespannt mit Anspannung der supraglottalen Muskulatur
[+lab]: labial Einsatz beider Lippen, bei Vokalen: Rundung

Diese Merkmale aus Tabelle 2.5 genügen, um die Phoneme des Deut-
schen eindeutig voneinander zu unterscheiden, wie in den folgenden
Tabellen ersichtlich ist.
Literaturhinweis: Eine vollstän-
Wie Sie sehen, sind die distinktiven phonologischen Merkmale ab- dige Liste distinktiver Merkmale
strakter als die phonetischen Merkmale. Ziel der Merkmalsspezifikati- finden Sie in Hall (2011) im Ka-
on ist einerseits die Unterscheidung der Phoneme mit möglichst weni- pitel 4 „Distinktive Merkmale“,
wo Sie auch ausführlicher zu
gen Merkmalen, und andererseits die Klassenbildung: ähnliche Laute
diesem Thema nachlesen können.
bilden eine Klasse. Wir haben schon gesehen, dass Laute einer Klasse
sich in bestimmten Kontexten ähnlich verhalten (mehr Beispiele dafür
im nächsten Abschnitt bei der Besprechung phonologischer Prozesse).
Was die genauen Implikationen sind, können wir allerdings im Rah-
men dieses Grundkurses nicht besprechen.

17
2.2 Phonologie

Bemerkungen zu Tabelle 2.6


Tabelle 2.6: Distinktive Merkmale deutscher Konsonantenphoneme
[-sth] p t k f s S ç h *Wir übernehmen hier die An-
nahme Halls (2011), wonach /j/
[+sth] b d g v z Z m n (ŋ) l K j koronal ist, /ç/ aber nicht (das
widerspricht der phonetischen
[kons] + + + + + + + + + + + + − − Beschreibung in Tabelle 2.1)
[son] − − − − − − − + + + + + + − /ŋ/ erscheint zwischen Klam-
[kont] − − − + + + + − − − ± + + + mern, weil der Phonemstatus
umstritten ist (s. nächsten Ab-
[nas] − − − − − − − + + + − − − − schnitt). Aus einem ähnlichen
Grund, erscheint [P] gar nicht in
[lat] − − − − − − − − − − + − − − der Tabelle: trotz der Existenz
[kor] − + − − + + − − + − + − +* − von Minimalpaaren wird [P] in
der Regel nicht als Phonem be-
[ant] + + − + + − − + + − + − − − trachtet, mehr dazu auch unten.
Außerdem erscheint das Merkmal
[lab] nicht in der Konsonanten-
Tabelle 2.7: Distinktive Merkmale deutscher Vokalphoneme tabelle (bspw. für [b] oder [m]),
weil es nicht gebraucht wird,
i: I y: Y e: E E: ø: œ u: U o: O a a: @ um die Laute eindeutig vonein-
ander zu unterscheiden – dies
[kons] − − − − − − − − − − − − − − − −
wird schon durch die anderen
[hint] − − − − − − − − − + + + + + + + Merkmale geleistet.

[hoch] + + + + − − − − − + + − − − − −
Bemerkungen zu Tabelle 2.7
[tief] − − − − − − − − − − − − − + + −
Das Merkmal [± lang] haben wir
[lab] − − + + − − − + + + + + + − − − nicht aufgeführt: Die Länge wird
[gesp] + − + − + − − + − + − + − − − − in der Silbenstruktur dargestellt.
Tiefes Schwa: ebenso wie der
Glottisplosiv und das /ŋ/ (ng)
hat der Lehrerschwa (5) keinen
Phonemstatus, da er mittels pho-
2.2.3 Phonologie II: Generative Phonologie & Phono- nologischer Regeln ableitbar ist.
logische Prozesse
2.2.3.1 Allgemeines

Wir haben bei der Besprechung der phonologischen Merkmale gese-


hen, dass Segmente, die das Merkmal [+ stimmhaft] haben, im Deut-
schen der Auslautverhärtung unterliegen (s. Beispiele (25) bis (26)).
Auslautverhärtung ist ein phonologischer Prozess, d. h. eine regelhaf-
te Veränderung einer Segmentfolge.
Grundannahme der generativen Phonologie ist, dass es zwei Reprä-
sentationsebenen gibt:
1. die zugrunde liegende abstrakte phonologische Repräsentation
und
2. die mit Hilfe phonologischer Regeln abgeleitete phonetische Re-
präsentation:

Nicht vorhersagbare lautliche Eigenschaften sind Bestandteil der pho-


nologischen Repräsentation (s. mentales Lexikon S. 2), vorhersagbare

18
2.2 Phonologie

Eigenschaften können zusätzlich in der phonetischen Repräsentation


vorkommen. Die allgemeine Form der phonologischen Regel sieht so
aus:
A → B / X __ Y
Phonologische Regeln
• A steht für das Eingabe-Segment,
• B für das Ausgabe-Segment, d. h. Segment A wird durch Seg- Phonologische Regeln leiten aus
einem Phonem ein Allophon ab,
ment B ersetzt.
d. h. eine phonetisch realisierte
• Der rechte Teil der Regel nach dem Schrägstrich „/“ gibt die Variante des Phonems. Bei der
relevante Umgebung an, in der der phonologische Prozess statt- Regelformulierung werden zur
findet: Vereinfachung Phonemmerkmale
eingesetzt.
» X steht für die vorangehende Umgebung,
» Y für die folgende Umgebung,
» der Unterstrich stellt das zu ersetzende Element dar, also:
„A wird durch B ersetzt im Kontext von X und Y.“

Für die Auslautverhärtung sieht die phonologische Regel in etwa wie


folgt aus:
(28) [−son] → [−sth] /_#
Das heißt: Ein stimmhafter Laut (hier aus der Gruppe von Lau-
ten, die das Merkmal [son] nicht tragen; siehe dazu Kapitel
2.2.2.2; Distinktive Merkmale) wird zu einem stimmlosen Laut,
wenn er am Ende eines Wortes vorkommt –das Symbol # steht
für Wortende (Achtung: die genaue Regel bezieht sich auf die
Silbengrenze, s. Abschnitt 2.2.3.2.)
Sie mögen sich nun vielleicht fragen, warum man den stimm-
losen Laut vom stimmhaften ableitet und nicht andersherum.
Gibt es im Deutschen nicht vielmehr einen Prozess, der stimm-
lose Laute, wenn sie im Silbeninneren vorkommen, stimmhaft
werden lässt? Betrachten Sie dazu die folgenden Beispiele:

(29) bKa:f –
[bKa:.v@]; [lo:p] –[lo:.b@] Die Entscheidung darf hier nicht
willkürlich erfolgen und es muss
(30) Sa:f – klar dafür argumentiert werden,
[Sa:.f@]; [bo:t] –[bo:.t@] welche Repräsentation die zu-
grunde liegende und welche die
Ob im Inlaut ein stimmhafter oder ein stimmloser Laut er- abgeleitete ist. Mehr dazu lesen
scheint, wird offenbar lexikalisch festgelegt. Die Tatsache, dass Sie u. a. in Grewendorf, Hamm,
im Auslaut keine stimmhaften Obstruenten vorkommen, ist re- Sternefeld (2001) im Kapitel „Pho-
nologische Argumentation“.
gelhaft.
Phonologischer Prozess
Es gibt eine ganze Reihe phonologischer Prozesse, die wir uns in die-
sem Abschnitt anhand von Beispielen anschauen wollen.
Betrachten wir das Phänomen des phonologischen Prozesses selbst et-
was genauer: Wenn ein phonologischer Prozess eine regelhafte Verän-
derung einer Segmentfolge ist, bedeutet dies, dass eine Segmentfolge
von einer anderen abgeleitet ist. Warum wollen wir so etwas anneh-
men? Ist es nicht möglich, dass jedes Wort mit all seinen Aussprache-
varianten im Lexikon gespeichert ist, und wir beim Sprechen einfach
nur die richtige Variante auswählen?
Nach generativen Ansätzen ist das höchst unökonomisch: es sei öko-
nomischer, die Informationsmenge im mentalen Lexikon möglichst
gering zu halten.

19
2.2 Phonologie

Das ist aber nicht der einzige Grund. Betrachten wir wieder das Bei-
spiel der englischlernenden Deutschen. Wenn deutsche LernerInnen
die folgenden zwei englischen Wörter aussprechen, so klingen diese
(zumindest anfangs) gleich, nämlich so wie in der Klammer angege-
ben:

(31) bet – bed [bEt]


‚wetten‘ – ‚Bett‘

Das heißt, Deutsche wenden auch im Englischen die Auslautverhär-


tung an. Diese gibt es aber im Englischen nicht. Das Wort bed wird im
Englischen [bEd] gesprochen, was Deutsche lernen müssen.
Ganz ähnlich werden Sie feststellen, wenn Sie deutsche Muttersprach-
lerInnen ein ganz unbekanntes Wortpaar lesen lassen, z. B. Galdud
– Galdudde, dass auch hier beim ersten Wort Auslautverhärtung
stattfindet, wohingegen beim zweiten Wort das geschriebene <d> als
stimmhafter Konsonant realisiert wird.
Phonologische Prozesse hängen von einer Reihe von Faktoren ab. Sie
werden bspw. ausgelöst durch den Lautkontext, die Position im Wort,
morphologische Bedingungen (Gast –Gäste, Lamm –Lämmer). Die in
Phonologische Prozesse können
diesem Kapitel beschriebenen phonologischen Prozesse sind als obli-
obligatorisch oder optional sein,
gatorisch bzw. optional gekennzeichnet, d. h. einige Prozesse müssen, z. B.:
andere können stattfinden.
• optional: Schwa-Tilgunga
Phoneme in der generativen Phonologie
• obligatorisch: Auslautverhär-
Bevor wir uns den konkreten phonologischen Prozessen, die im Deut- tung
schen vorkommen, zuwenden, betrachten wir noch einmal die Pho-
a Es gibt einen Ausnahmefall, in
nemfrage. Wir hatten Phoneme im Kapitel 2.2.2.1 strukturell über
welchem die Schwa-Tilgung obli-
Minimalpaare definiert. Die generative Blickweise auf phonologische
gatorisch ist. Vgl. S. 21
Prozesse eröffnet eine neue Perspektive auf den Phonembegriff. Wir
hatten oben gesagt, dass bspw. der velare Nasal [ŋ] im struktura-
listischen Sinne ein Phonem ist, da es u. a. folgendes Minimalpaar Der Glottalverschluss oder auch
gibt: das [5] sind im generativen Sin-
ne ebenfalls keine Phoneme, da
(32) /N/: [vaN@] vs. [van@] ihr Vorkommen regelhaft vor-
˙ ˙ hersagbar und nicht lexikalisch
festgelegt ist.
In der generativen Phonologie kann man nun annehmen, dass [ŋ] kein
Phonem ist, weil es niemals in der zugrundeliegenden phonologischen
Repräsentation vorkommt, sondern immer durch eine phonologische
Regel abgeleitet werden kann. Es kommt also nur in der phonetischen
Repräsentation vor (Ramers/Vater 1995: 88ff):

(33) Tank: /tank/ → [taNk]


Die erste Regel, die hier ange-
phonologische Regel(n) phonetische wendet wird, ist die regressive
velare Ortsassimilation, nach der
Repräsentation Repräsenation
ein /n/ vor einem velaren Plosiv
Lexikon
zu einem [ŋ] wird (s. u.). Wie in
(34) und (35) kann danach eine
(34) Gesang: /g@.zang/ → /g@.zaNg/ → [g@.zaN] weitere Regel, hier die Tilgung,
zur Anwendung kommen.

(35) Wange: /van.g@/ → /vaN.g@/ → [vaN@]


˙

20
2.2 Phonologie

2.2.3.2 Phonologische Prozesse des Deutschen

Tilgung von Segmenten (Elision) allg. Regel: A → ∅ / X _ Y


• Schwa-Tilgung (optional):
» vor Sonoranten und im Wortauslaut im Deutschen: geho- Regel
bener Stil / „deutliche Aussprache“ mit Schwa, Umgangs-
/@/ → ∅ / X _ {[+ sonorant];
sprache ohne: absoluter Auslaut}
Die geschweifte Klammer in die-
(36) a. gehen: /ge:.@n/ → [ge:n]
> > ser Regel besagt, dass nach dem
b. hauen: /haU.@n/ → [haUn] Schwa ein sonoranter Laut fol-
c. schnaufen: > > ]
/SnaU.f@n/ → [SnaU.fn gen muss oder das Wortende.
d. Hammel: /ham@l/ → [haml] " Das heißt, dass bei [g@.zaŋ] keine
(ich) schaffe das: ˙ ˙"
/Saf@.das / → [Saf.das]
e. Schwa-Tilgung erfolgt (zumin-
˙ dest nicht im Hochdeutschen).
» Ausnahme: Wenn das Schwa vor einem vokalisierten R
steht, ist die Schwa-Tilgung obligatorisch

R-Vokalisierung Schwa-Tilgung
(37) Drucker: /dKUk@K/ → /dKUk@5/ → [dKUk5]

• /g/-Tilgung (obligatorisch):
Regel
(39) Gesang: /g@.zaNg/ → [g@.zaN]
/g/ → ∅ / [+ nasal, + velar]_]σ
» Die Regel (s.r.) besagt, dass das /g/ nur dann getilgt wird, Das Symbol σ (griech.: sigma)
wenn es sowohl hinter dem velaren Nasal /ŋ/ steht, als steht für ‚Silbe‘ und ]σ für Silbe-
auch am Silbenende (auch wenn /ŋ/ ein Silbengelenk ist, nende.
wie z. B. bei singen).
» Folgt dem /ŋ/ ein Vollvokal, findet keine /g/-Tilgung statt Achtung
(z. B. bei Ingo). Folgt dem /ŋ/ ein Schwa, findet die /g/-
/g@.zaŋg/ selbst ist auch abge-
Tilgung statt (z. B. bei Inge). leitet, s. u. bei der regressiven
» Eine Form der Plosivtilgung. velaren Ortsassimilation.
Bemerkung: Es ist umstritten,
• Geminatenreduktion (optional): ob es die /g/-Tilgung überhaupt
» Geminate entstehen beim „Zusammenstoßen“ gleicher (bzw. gibt. Es gibt kaum Beispiele, an
assimilierter) Laute, z. B. bei der Wortbildung, aber auch denen man sehen kann, dass tat-
über Wortgrenzen hinweg: sächlich ein /g/ zugrundeliegend
vorhanden sein soll (der Prozess
ist ja obligatorisch), bspw. durch
(40) enttäuschen, Schirmmütze
eine andere Silbifizierung:

Geminaten werden meist reduziert, also: (38) Diphthong –diphthongieren


[dIf.tON] –[dIf.tON.gi:.K@n]
>
(41) enttäuschen: [PEnt.tOI.S@n] → >
[PEn.tOI.S@n]

Hinzufügung von Segmenten (Epenthese) allg. Regel: ∅ → B / X _ Y


• Plosiveinsetzung (optional):

(42) Amt [Pampt]; Gans [gants]; rennst [rEntst]

• Glottalplosiveinsetzung („fast obligatorisch“):

(43) Beamte: /b@.am.t@/ → [b@.Pam.t@]


» Die Knacklautsetzung ist auch eine Plosiveinsetzung. Am
vokalischen Silbenanfang einer betonten Silbe wird in der
Regel [P] eingesetzt. Dies kann in schneller Rede wegfallen.

21
2.2 Phonologie

Veränderung von Segmenten durch Assimilation Bei einem regressiven Assimi-


lationsprozess vererbt die rechte
• (allgemeine) regressive Ortsassimilation (optional) Umgebung des betreffenden Lau-
tes Merkmale an den vorange-
(44) sanft: /zanft/ → {[zamft]; [zanft]} henden Laut.

• regressive velare Ortsassimilation (obligatorisch innerhalb


des sog. phonologischen Wortes: s. Abschnitt 2.2.5) Regel

(45) Gesang: /g@.zang/ → /g@.zaNg/ /n/ → [ŋ] / _ [+ velar, + plosiv]

(46) aber: ungern: / Un.gEKn/ → {[PUn.gE5n]; [PUN.gE5n]}

» Präfixe wie un- gelten als eigenständige phonologische Wör-


ter. Deswegen muss es hier keine Ortsassimilation geben
(siehe Abschnitt 2.2.4.3).

• progressive Ortsassimilation (optional) Bei einem progressiven Assimi-


lationsprozess vererbt die linke
Umgebung des betreffenden Lau-
(48) a. Haken: [ha:.kn] → [ha:.kN]
" " tes Merkmale an den folgenden
b. Schuppen: [SUpn] → [SUpm] Laut, häufig bei Nasalen.
˙" ˙ "

Schwa-Tilgung vor Assimilation:


• R-Vokalisierung (obligatorisch): Wir haben oben schon gesehen,
dass ein Schwa in unbetonten
(49) Tor: /to:K/ [to:5]
→ Silben getilgt werden kann, z. B.:

» im Silbenkern und Silbenauslaut: sehr, fern, Kirsche (47) a. Haken:
/ha:.k@n/ → [ha:.kn]
• Wechsel Ich-/Ach-Laut (obligatorisch) b. Schuppen:
"

» siehe auch S. 15, Beispiel (22) /SUp@n/ → [SUpn]


˙ ˙"
» Wird das [ç] vom /x/ abgeleitet oder andersherum? Auch Durch die Schwa-Tilgung gerät
hier bedarf es wieder sorgfältiger phonologischer Argu- der Nasal [n] in diesen Wörtern
mentation. Wir übernehmen die Position von Hall (1992; hinter die Plosive [k] bzw. [p].
2000), nach der Folgendes gilt: Hinter [k] wird [n] oft velarisiert,
so dass ein [ŋ] entsteht. Ebenso
/ç/ → [x] / {[u:]; [U]; [o:]; [O]; [a:]; [a]} _ kann Assimilation des Artikula-
tionsorts an das vorangehende
∗ Die genannte Regel ist einfacher als die umgekehrte,
[p] zur Aussprache des bilabialen
da sie weniger Kontexte berücksichtigen muss, vgl.: [m] führen.
/x/ → [ç] / {vordere Vokale; [n]; [l]; [r]} _ ]+
∗ ]+ steht für Morphemgrenze

• g-Spirantisierung (obligatorisch)
optionale Spirantisierung dia-
(51) freudig, König lektal möglich: in Abhängigkeit
vom linken Kontext als [ç] – nach
» Ein zugrundeliegendes /g/ wird nach /I/ standardsprach- vorderen Vokalen, oder als [x] –
lich im Silbenende zu [ç]. nach hinteren Vokalen realisiert
(50) a. legen
Sonstige Veränderungen von Segmenten
du le[ç]st, inni[ç]st
• Auslautverhärtung (obligatorisch) b. sagen
du sa[x]st
» am Silbenende, siehe S. 19
N.B.: Spiranten und Frikative
>
(52) Kleid: /klaId/ → >
[klaIt] sind Synonyme.

• Aspiration von Plosiven (optional) -


» siehe S. 14

(53) not: [no:t] → [no:th ]

22
2.2 Phonologie

Umstellung von Segmenten (Metathese)


In der Sprachgeschichte ist es mehrmals dazu gekommen, dass zwei (54) engl. horse vs.
Laute miteinander die Plätze getauscht haben. Diese Umstellungen dt. Ross (aus hros)
verschleiern manchmal enge Verwandtschaftsbeziehungen zwischen (55) dt. Born vs.
Wörtern (auch unterschiedlicher Sprachen): dt. Brunnen

2.2.3.3 Reihenfolge der phonologischen Prozesse

Bestimmte phonologische Veränderungen lassen sich nur erklären,


wenn die Reihenfolge der Regelanwendung berücksichtigt wird. Bei
der Besprechung der phonologischen Prozesse sind uns einige Fälle
begegnet, in denen erst ein Prozess angewendet werden musste, be-
vor ein anderer stattfinden konnte. Hier noch einmal zwei relevante
Beispiele:

(56) Haken:
/ha:.k@n/ → [ha:.kn] → [ha:.kN]
" "
(57) Gesang:
/g@.zang/ → [g@.zaNg] → [g@.zaN]

Feeding
In (56) kann die progressive Ortsassimilation erst nach der Schwa-
Tilgung stattfinden. In (57) ist die /g/-Tilgung auf die regressive ve- Wenn bei der Anwendung meh-
lare Ortsassimilation angewiesen. Dies wird deutlich, wenn wir uns die rerer Regeln eine frühere Regel
Regel für die /g/-Tilgung aus 2.2.3.2 in Erinnerung rufen, die besagt, die Bedingungen schafft, unter
dass diese nur nach einem velarem Nasal, [ŋ], möglich ist. denen eine spätere Regel an-
gewendet werden kann, nennt
Schauen wir uns die Ableitung des Wortes Gesang [g@.zaŋ] genauer man dies Feeding. Dies war in
an. Die interessante Frage ist, welche Regel zuerst angewendet werden dem Haken-Beispiel der Fall. Die
muss, damit aus /g@.zang/ [g@.zaŋ] wird. Wir hatten an früherer Stelle Schwa-Tilgung hat die richtige
festgestellt, dass im Deutschen eine Auslautverhärtung stattfindet. Umgebung für die progressive
Offensichtlich sprechen wir Gesang aber nicht [g@.zaŋk] aus. Wie ist Ortsassimilation geschaffen.
das zu erklären?
• Untersuchen wir die Interaktion von /g/-Tilgung und Auslaut- Bleeding
verhärtung genauer.
Wenn bei der Anwendung meh-
Hypothese I: rerer Regeln eine frühere Regel
die Bedingungen zerstört, unter
1. Auslautverhärtung
denen eine spätere Regel an-
2. /g/-Tilgung gewendet werden kann, nennt
man dies Bleeding. Dies haben
/g@.zang/ → [g@.zank] → [g@.zaŋk] → ??? wir in den Gesang-Beispielen ge-
Wir haben hier noch den Prozess der Ortsassimilation ein- sehen. Hier ist die Anwendung
geschoben, da dieser obligatorisch ist. Unabhängig davon der Auslautverhärtung durch die
kann /g/-Tilgung nicht stattfinden, weil nach Anwendung /g/-Tilgung nicht möglich.
der Auslautverhärtung kein /g/ mehr vorhanden ist. Die
Hypothese I ist also falsch.
Hypothese II:
1. /g/-Tilgung
2. Auslautverhärtung
/g@.zang/ → [g@.zaŋg] → [g@.zaŋ]
keine Auslautverhärtung, da erst das /g/ getilgt wurde.

23
2.2 Phonologie

2.2.4 Phonologie III: Silbenphonologie


Die Silbe ist eine rhythmisch-prosodische Grundeinheit, die den Spre-
chern einer Sprache intuitiv zugänglich ist. SprecherInnen können
längere Wörter in deren Silben zerlegen und schon kleinen Kindern
ist die rhythmische Struktur von Reimen zugänglich. Darüber hinaus
stellt die Silbe, wie wir gesehen haben, für viele phonologische Regeln
die entscheidende Domäne dar.

2.2.4.1 Linearer Silbenaufbau

Die Silbe ist in sich strukturiert. Es gibt lineare Beschränkungen be-


züglich der Segmente, die aufeinander folgen können („sonority se- Silbenformen
quencing principle“). Das hat neben rein artikulatorischen Gründen
Onset
auch einen weiteren: die sogenannte Sonoritätshierarchie. In jeder besetzt = bedeckte Silbe
Silbe gibt es ein Segment das den sog. Sonoritätshöhepunkt bildet unbesetzt = nackte Silbe
(der Silbengipfel, Nukleus). Diesem Höhepunkt geht eine Segment- Koda
folge mit zunehmendem oder gleichbleibendem Sonoritätswert voran besetzt = geschlossene Silbe
(der Silbenanfangsrand, Onset) und/oder es folgt ihm eine Reihe von unbesetzt = offene Silbe
Segmenten mit abnehmendem oder gleichbleibendem Sonoritätswert
(der Silbenendrand, Koda). Die Sonorität innerhalb der Silbe gestal-
tet sich also folgendermaßen:

(58) Sonoritätshöhepunkt Sonorität

zum Begriff der Sonorität siehe


Welches Segment einen hohen bzw. niedrigen Sonoritätswert hat, Hall (2011: 231).
zeigt die Sonoritätshierarchie : Phonetisch gesehen entspricht
ein hoher Sonoritätswert oftmals
einer hohen Schallfülle (auditi-
hoch ves Kriterium) und einem hohen
Vokale
Öffnungsgrad (artikulatorisches
Sonoranten

Sonorität

Gleitlaute [j] Kriterium).

Liquide [l, r, ö, K*]

Nasale Zur Sonoritätshierarchie

Obstruenten Bisweilen werden in der Sonori-


(Plosive, Affrikaten, Frikative) niedrig tätshierarchie feinere Unterschei-
dungen gemacht: Frikative haben
einen höheren Sonoritätswert als
Diese macht als universelles Prinzip sprachübergreifend Voraussagen Plosive. Stimmhafte Obstruenten
darüber, was mögliche Silben sind, und was nicht. haben einen höheren Sonoritäts-
wert als stimmlose Obstruenten.
In (59) z. B. geht der Obstruent [b] dem Lateral [l] und dem Vokal K* – Im Deutschen verhält sich
[I] voraus (Silbengrenzen werden durch einen Punkt „.“ gekennzeich- der uvulare Frikativ in der Sono-
net). Die Sonorität nimmt zum Silbengipfel hin immer zu. In (60) ritätshierarchie wie ein Liquid.
kann man sehen, dass die Folge Lateral-Obstruent-Vokal in einer Sil-
be nicht möglich ist. Es ist aber möglich, diese Segmente aufeinander
folgen zu lassen, wenn zwischen dem Lateral und dem Obstruenten
eine Silbengrenze erscheint.

(59) [blIç] in [ne:.blIç]


(60) *[lb@] in *[ha.lb@] / [hal.b@]

Ausnahmen:
Ausnahmen zur Sonoritätshierarchie scheinen die folgenden Wörter
zu bilden. In (61) folgt ein Plosiv auf einen Frikativ, bevor der So-
noritätshöhepunkt erreicht wird. In (62) haben wir das Spiegelbild

24
2.2 Phonologie

für das Silbenende. Wenn nun angenommen werden soll, dass Fri- Lesen Sie dazu in Hall (2000)
o. Wiese (2000). Wir werden
kative größere Sonorität haben als Plosive (s. o.), verletzt dies die
diese Aspekte hier vernachlässi-
Sonoritätshierarchie. gen, indem wir davon ausgehen,
dass die Sonorität zwischen zwei
(61) Spiel: [Spi:l] Segmenten zum Silbengipfel hin
steigend oder gleichbleibend und
(62) Lachs: [laks]
vom Silbengipfel weg fallend oder
gleichbleibend sein muss. Diese
Um dieses Problem zu lösen, wird oft angenommen, dass [S] bzw. [s] Einschränkung wird insbesonde-
extrasilbisch sind, d. h. eigentlich nicht zur Silbe gehören, sondern ein re für die spätere Silbenanalyse
Appendix sind. Dies hat dann Konsequenzen für Prozesse, die auf die von Bedeutung sein.
Silbe beschränkt sind.
Silbengelenke
Es werden nicht immer alle Laute nur genau einer Silbe zugeordnet.
Es gibt auch Laute, die zu zwei Silben gehören. Diese bezeichnet man Silbengelenke im Deutschen
auch als ambisyllabisch oder Silbengelenke.
Zum Beispiel gehört im folgenden Wort das [s] sowohl zur ersten als 1. Silbengelenke kommen im
Deutschen nach betonten
auch zur zweiten Silbe, was durch einen Punkt über oder unter dem
Silben mit ungespanntem,
Symbol gekennzeichnet ist: kurzem Vokal vor: diese dür-
fen nicht offen sein (wenn
(63) essen: [PEs@n] vs. *[ PE.s@n] vs. *[PEs.@n] deutsche Sprecher eine Sil-
˙ bengrenze festlegen müssen,
Im Deutschen muss die zweite Silbe des Wortes mit dem [s] beginnen. entscheiden sie sich aber für
die offene Silbe, s. Variante
Das Zusammenwirken der Regeln (s. Kästchen rechts) bewirkt, dass
2).
[s] ein Silbengelenk ist.
2. Hinzu kommt, dass es eine
2.2.4.2 Hierarchischer Silbenaufbau Silbifizierungsregel gibt, nach
der immer sog. maximale On-
Viele Phonologen gehen davon aus, dass die Silbe nicht nur linear, sets gebildet werden (siehe
sondern auch nicht-linear strukturiert ist, d. h., es wird angenommen, Abschnitt 2.2.4.3 unten).
dass die Silbenstruktur hierarchisch und in sich noch einmal struktu-
riert ist und sog. subsilbische Konstituenten enthält.
In diesem Grundkurs bedienen wir uns folgenden Modells :
σ (σ = griech. Sigma, steht für Sil-
be)

Onset Reim Andere Terminologien:


Onset = Silbenanlaut,
Anfangsrand
Nukleus Koda Nukleus = Silbeninlaut,
Silbenkern,
X X X Silbengipfel
Koda = Silbenauslaut,
Endrand
[m I t]

• Der Nukleus ist dem Sonoritätshöhepunkt gleichzusetzen, ist Nukleus


also meist ein Vokal.
Der Nukleus kann aber auch sog.
• Der Onset enthält die Elemente vor dem Nukleus und die Koda silbische Konsonanten enthalten,
die Elemente danach. d. h. Konsonanten, die bspw.
aufgrund von Schwatilgung den
Um eine solche hierarchische Struktur rechtfertigen zu können, muss Sonoritätshöhepunkt der Silbe
man zeigen, dass sich die Elemente in den einzelnen subsilbischen bilden. Silbische Konsonanten
Konstituenten als Einheit verhalten. werden mit einem senkrechten
Strich unter dem entsprechen-
Evidenz für die Struktur Onset-Reim kommt bspw. aus der Verspre- den Symbol gekennzeichnet (s.
cherforschung. Bei Vertauschungsversprechern werden typischerweise Tabelle 2.4):
Onsets vertauscht, nicht aber Onsets+Nukleus, was dafür spricht,
(64) Mittel [mItl], kanten [kantn]
˙" ˙"

25
2.2 Phonologie

dass nicht Onset und Nukleus eine Einheit bilden, sondern Nukleus
und Koda.

(65) Milchkaffee:
Versprecher z. B. Kilchmaffee, aber nicht *Kalchmiffee

Der Reim bildet auch die Grundlage für das Reimen in der Poe-
sie (Saum – Baum), der Onset spielt keine Rolle. Weiterhin betrifft
die von uns schon vielzitierte Auslautverhärtung eigentlich alle Kon-
sonanten im Reim, oder genauer, in der Koda, und nicht nur den
letzten.

(66) sagt [za:kt]

Silbengewicht
Schließlich ist der Reim die entscheidende Konstituente, wenn es um
das Gewicht der Silbe geht, das bei der Betonungszuweisung in einer Gewicht im Deutschen
Sprache wichtig ist (was wir uns in diesem Grundkurs nicht ansehen
können). Im Lateinischen wird bei einem dreisilbigen Wort z. B. die Im Deutschen findet im Reim ein
sog. Längenausgleich zwischen
vorletzte Silbe betont, wenn sie schwer ist. Wenn die vorletzte Silbe
Nukleus und Koda statt:
leicht ist, wird die drittletzte betont. Ob eine Silbe schwer oder leicht
ist, hängt von der Anzahl der Elemente im Reim ab. Der Reim einer • Ist die Koda leer, so ist der
leichten Silbe im Lateinischen enthält nur einen Kurzvokal, der Reim Vokal im Nukleus lang, zu-
mindest wenn die Silbe be-
einer schweren Silbe enthält einen Langvokal oder einen Kurzvokal
tont ist ([ku:], [kni:] vs. [@] in
und einen Konsonanten.
[le:.z@]).
Skelettschicht • Enthält die Koda zwei oder
Die Diskussion über die Länge der Silbe führt uns zu einem wei- mehr Konsonanten, so ist
teren wichtigen Aspekt der Silbenstruktur. Wir haben gerade ge- der Vokal im Nukleus kurz
hört, dass für die Schwere einer Silbe im Lateinischen ein langer ([bUnt], [zanft]). Je mehr Ma-
Vokal genauso viel zählt wie ein kurzer Vokal und ein Konsonant. terial in der Koda vorhanden
Dies wird über die sogenannte Skelettschicht erfasst, welche sich zwi- ist, desto kürzer ist in der
schen Segmentschicht und Silbenkonstituenten befindet (siehe Wiese Regel der Vokal im Nukleus
(2000)). (gilt aber nicht umgekehrt).

• Zwischen Nukleus und On-


In diesem Grundkurs gehen wir vom folgenden Aufbau der deutschen
set gibt es keinen solchen
Silbe aus. Beispiele (a-n) auf den nächsten Seiten!
Längenausgleich.
• der Nukleus kann enthalten: Literaturhinweis: Hall (2000),
Kapitel „Nichtlineare Repräsen-
» eine X-Position: kurzer Vokal, siehe S. 27 (a), (g), (h), (k)
tationen der Silbe“ und Duden-
silbischer Konsonant; S. 27 (l) grammatik (2005), S. 45, Par.
» zwei X-Positionen langer Vokal, S. 27 (b), (c), (e), (f), (i), 35.
(j) Diphthong, S. 27 (m), (n), (o)
» drei X-Positionen: langer Vokal plus [5], S. 27 (d)
• Affrikaten nehmen eine X-Position ein (für Alternativen vgl.
z. B. Ramers/Vater 1995).
• Silbengelenke nehmen eine X-Position ein, der sowohl mit der
vorangehenden Silbe als auch mit der folgenden Silbe assoziiert
ist, vgl. (g).
• Extrasilbisches [S] wird als zum Onset gehörig repräsentiert.
Die Skelettschicht enthält als Einheitentyp ein ‚X‘. Dieser Typ ist ei-
ne abstrakte Zeiteinheit (Ramers, 2008: 99). Die Silbengipfelposition
befindet sich im Nukleus-Zweig.
Wie viele und welche Positionen im Nukleus enthalten sein können, ist
umstritten. Unterschiede zeigen sich v. a. bei der Repräsentation von
langen Vokalen und Diphthongen.

26
2.2 Phonologie

Abbildung 2.4: Beispiele: Konstituentenmodell

27
2.2 Phonologie

2.2.4.3 Silbengrenzen und Silbifizierung

In einigen Fällen sind innerhalb eines Wortes laut der Sonoritätshier-


archie mehrere Setzungen von Silbengrenzen möglich. Wie werden in
solchen Fällen die tatsächlichen Silbengrenzen gesetzt? Sprechen Sie
das folgende Pseudowort aus:

(67) Promampopfoltin

Hypothese I: Vom Nukleus ausgehend werden zunächst Kodas


maximal angesetzt, dann Onsets.
→ Prom-amp-opf-olt-in
Hypothese II: Vom Nukleus ausgehend werden zunächst Onsets
maximal angesetzt, dann Kodas.
→ Pro-mam-po-pfol-tin

Es scheinen maximale Onsets gebildet zu werden (auch (68)-(69)).

(68) neblich:
?[ne:p.lIç] – [ne:.blIç]
(69) kindisch:
*[kInt.PIS] – [kIn.dIS]

Warum ist dies in (70)-(72) nicht auch so? In den Beispielen erfolgt die
Silbifizierung entsprechend der Morphemgrenze (zu diesem Begriff, s.
nächstes Kapitel), also z. B. Blumen-topf-erde oder Ur-oma. Für Prä-
fixe, die auf einen Konsonanten enden (72), und für Komposita (70)-
(71) gelten maximale Onsets also nicht zwingend. In (69) beginnt das
Suffix mit einem Vokal. Solche Suffixe werden in das Wort phonolo-
gisch integriert, d. h. in die Silbifizierung mit einbezogen, so dass wie-
der maximale Onsets gebildet werden.

(70) Blumentopferde
> >
*[blu:.m@n.to:.pfE5.d@] – [blu:.m@n.tOpf.PE5.d@]
(71) Wegrand:
*[ve:.gKant] – [ve:k.Kant]
(72) Uroma:
*[Pu:.Ko:.ma] – [Pu:5.Po:.ma]

Im Folgenden finden Sie noch einmal eine Übersicht zum Aufbau der
deutschen Silbe:
Onset Nukleus Koda
stimmlose stimmhafte Gleitlaute stimmlose
Sonoranten Vokale /K/ [l] Nasale
Obstruenten Obstruenten [V], [j] Obstruenten
mehrfach
besetzbar
max. 1 öffnend:
unmöglich in Langvokal/ mehrfach
Union, Kurzvokal vokalisiert
betonbaren Diphthong besetzbar
kein [ŋ] Guano
heimischen
Silben:
[s],[x],[ç]
Besetzung beider
kein [K] nach Diphthong
Positionen nur in [kv], [Sv]
Max. 3 Obstruenten im Onset, aber nur mit Diese Position kann
koronalem stimmlosen Frikativ als 1. und entweder ein Kurzvokal
stimmlosem Plosiv als 2. Segment. oder ein
Langvokal/Diphthong
Es besteht eine starke Tendenz, keine leeren einnehmen.
Onsets zu haben. Scheinbar leere Onsets
werden fast immer mit [P] besetzt. Nach ungespanntem
Ausnahmen: wortinterne nicht-betonte Kurzvokal muss immer
Silben [ge:.@n], einige Fremdwörter [po.et]. ein Konsonant folgen.

28
2.2 Phonologie

2.2.5 Phonologie IV: Phonologische Ebenen über der


Das phonologische Wort ist ei-
Silbe ne Einheit, die Morphemen bzw.
Morphemverbindungen entspricht
Eine Ebene über der Silbe haben Sie gerade schon bei der Diskussion
und den Bezugsbereich phono-
der Silbifizierung kennen gelernt: das phonologische Wort.
logischer Regularitäten bildet
Die Silbifizierung erfolgt nur innerhalb des phonologischen Wortes. (vgl. Fuhrhop/Peters 2013) und
Suffixe, die mit einem Konsonanten beginnen sowie Kompositabe- Kapitel 3.2.1.
standteile bilden eigene phonologische Wörter. Auch die regressive
Ortsassimilation bezieht sich auf das phonologische Wort: in dieser
Domäne ist sie obligatorisch, sonst fakultativ: [taŋ.go] vs. [PUn.glYk].
Im Rahmen dieses Grundkurses
Eine weitere wichtige Ebene, die sich zwischen Silbe und phonologi- können wir uns nicht mit größe-
schem Wort befindet, ist der Fuß. Der Fuß ist eine Gruppierung von ren phonologischen Elementen
zwei bis drei betonten und unbetonten Silben, wobei für jede Spra- als der Silbe befassen.
che festgelegt ist, welche der Silben betont ist. Im Deutschen haben
wir in der Regel sog. trochäische Füße, d. h. von zwei Silben wird
die linke betont (es gibt aber viele Ausnahmen, die u. a. durch das
Silbengewicht bedingt sind):

(73) ’Tafel, ’Auto

Die Betonung (der Wortakzent) ist also die phonetische Hervorhe- Im Folgenden seien die Ebenen
bung einer Silbe innerhalb eines Wortes. Dies ist eine lexikalische Ei- über der Silbe nur kurz aufgelis-
genschaft des Wortes. Phonetisch realisiert wird die Betonung durch tet, ohne sie weiter zu kommen-
eine höhere bzw. tiefere Grundfrequenz3 , eine größere Intensität (sa- tieren:
lopp: Lautstärke) und/oder eine längere Dauer. In den Sprachen der • Fuß
Welt sind diese Mittel unterschiedlich wichtig. Im Deutschen spielen
Intensität und Grundfrequenz eine wichtige Rolle. • phonologisches Wort

• phonologische Phrase
Neben der Wortbetonung werden u. a. Phänomene wie Satzakzent
(linguistisch funktionelle Hervorhebung einer Silbe im Satz), Phra- • Intonationsphrase
sierung und die Intonation (Stimmführung, Melodie: z. B. steigend
• phonologische Äußerung
am Satzende bei Entscheidungsfragen, fallend bei Aussagen) unter-
sucht. Sie können in einem weiterführenden Phonologieseminar mehr
dazu lernen.

3 Das gilt nur, wenn auch der Satzakzent auf das Wort fällt.

29
2.3 Graphematik

2.3 Graphematik
Obwohl die Graphematik (auch: Graphemik) ebenso als linguistische Dies hängt unter anderem damit
Teildisziplin angesehen werden kann wie beispielsweise die Phonolo- zusammen, dass der Untersu-
gie, ist ihr nur in wenigen Einführungsbüchern ein Kapitel gewidmet chungsgegenstand der Graphe-
(vgl. Grewendorf et al. 2001, Linke et al. 2004 oder Meibauer et al. matik die geschriebene Sprache
2007, s. aber bspw. Lüdeling 2009). und deren Schriftsystem ist –
die gesprochene Sprache in der
Dennoch: Die Schrift kann ebenso als ein „natürlich“ gewachsenes Linguistik aber häufig Vorrang-
System verstanden werden (Fuhrhop 2009: 3), dessen Einheiten und stellung hat (Meibauer et al.
Regeln sprachwissenschaftlich untersucht werden können. 2007: 2).

2.3.1 Schriftsysteme
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, gesprochene Sprache durch gra- Schreibung
phische Zeichen festzuhalten. Ein verbreitetes System ist jenes der Al-
Grapheme werden in spitzen Klam-
phabetschriften, zu denen auch die deutsche Schrift zählt.
mern dargestellt: <. . . >.
In Alphabetschriften werden die Grapheme (distinktive Einheit eines
Schriftsystems, s. u.) Lautsegmenten zugeordnet, also beispielsweise
der Buchstabe <t> für den Laut [t]. Alphabetschrift

Neben den Alphabetschriften gibt es weitere Schrifttypen. Zu den Die Beziehungen zwischen den
frühsten Schriftsystemen gehören piktographische Schriften (Bilder- Phonemen und Graphemen (und
schriften) wie beispielsweise (alte) Hieroglyphen oder Altchinesisch, umgekehrt) können jedoch sehr
vielfältig sein: Beispielsweise kann
wobei Wörter und Situationen anhand von Bildern dargestellt wur-
der Laut [k] unter anderem als
den. <k> (<Kuss>) oder als <g>
Aus den piktographischen Schriften haben sich logographische Schrif- (<Tag>) verschriftlicht werden;
das Graphem <g> wiederum
ten entwickelt, wofür modernes Chinesisch ein prominentes Beispiel
kann als [g] (<Grund>) oder
ist. In logographischen Schriften steht ein Graphem für ein gesamtes
auch als [ç] (<König>) ausge-
Wort (oder Morphem), z. B.山 für Berg [ùæ̃n]. Die japanischen Schrift sprochen werden.
Katakana oder Hiragana sind wiederrum Beispiele für sogenannte Sil-
benschriften. Hier steht ein Graphem für eine Silbe, z. B.か für die Sil-
be [ka] (Beispiel aus dem Japanischen). b Welche Vorteile könnte ei-
ne Alphabetschrift gegenüber Sil-
2.3.2 Grapheme benschriften und logographischen
Schriften haben und umgekehrt?
Analog zum Begriff des Phonems sind Grapheme die kleinsten be-
deutungsunterscheidenden Einheiten des Schriftsystems. Wie in der
Phonologie lassen sich Grapheme über die Methode der Minimalpaar- Graphem vs. Buchstabe
bildung ermitteln. Zum Beispiel ergeben sich aus dem Minimalpaar
<kein> und <fein> die Grapheme <k> und <f>. Vorsicht: Grapheme sind keine
„Buchstaben“! Aus dem Mini-
Ebenfalls analog zur Phonologie unterscheidet man die Begriffe Gra- malpaar <Bauch> und <Baum>
phem, Graph und Allograph. Letztere werden allerdings nicht so ergeben sich die Grapheme <m>
häufig verwendet und besitzen auch keine eigene gängige Notations- und <ch>, wobei der Digraph
form, sondern werden wie Grapheme in spitzen Klammern geschrie- <ch> aus zwei Buchstaben unse-
ben. res Alphabets besteht. Im Deut-
schen gibt es neben den Digra-
phen auch Trigraphe (<sch>).
2.3.3 Graphematik und Orthographie
Die Graphematik befasst sich mit den distinktiven Einheiten des
Schriftsystems (Graphemen) und mit den zugrundeliegenden Regeln, b Was könnte mit den Begrif-
fen Graph und Allograph gemeint
nach denen wir schreiben. Damit scheint es zunächst schwierig, die sein, wenn Sie sich an die analo-
Wissenschaft Graphematik von der Orthographie (Rechtschreibung) gen Begriffe aus der Phonologie
zu unterscheiden, die sich schließlich ebenfalls mit den Regeln des erinnern?
(„richtigen“) Schreibens befasst.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Graphematik und Orthographie un-
terschiedliche Ansätze haben:

30
2.3 Graphematik

• Während die Orthographie normative Schreibregeln festlegt, Beispiel: Warum schreiben wir
versucht die Graphematik, linguistische Motive für eine sinn- [bUnt] in Völkerbund mit <d>,
volle Schreibung zu formulieren und diese zu erklären. wenn er doch genauso ausge-
sprochen wird wie z. B. [bUnt] in
In der Graphematik werden Prinzipien aufgedeckt und beschrieben, kunterbunt?
anhand welcher wir unsere Sprache verschriftlichen. Diese Prinzipien
(z. B. dass wir Substantive groß schreiben4 ) haben sich über Jahr-
hunderte entwickelt und können daher als genauso „natürlich“ an-
gesehen werden wie beispielsweise die Auslautverhärtung im Deut-
schen.
Die Orthographie hingegen ist kein natürlich gewachsenes System,
sondern ist Resultat politischer Entscheidungen. Eine sinnvolle und
allgemein akzeptierte Vereinheitlichung des Schriftsystems ist keines-
Ein prominentes Beispiel ist die
falls einfach – solch tiefgreifende politische Entscheidungen können
Reform der deutschen Recht-
aber von Erkenntnissen aus der Wissenschaft, eben der Graphema- schreibung von 1996, die sehr
tik, unterstützt werden. Idealerweise orientieren sich die normativen umstritten war und teilweise
Regeln, die durch die Orthographie festgelegt werden, an den in- heute noch ist.
tuitiven Schreibprinzipien, die die Graphematik zu beschreiben ver-
sucht.

2.3.4 Graphematische Prinzipien


Als Alphabetschrift ist das Deutsche, wie viele andere Sprachen auch,
eine lautbasierte Schrift. Das wichtigste Grundprinzip ist somit das
sogenannte phonographische Prinzip, d. h. die Abbildung von Pho-
nemen auf Grapheme.
Jedoch gibt es genügend Beispiele, die verdeutlichen, dass man allein
mit dem phonographischen Prinzip nicht alle Schreibungen erklären
kann. Beispielsweise schreiben wir <Bahn> mit <h>, obwohl in dem
Wort der glottale Frikativ [h] gar nicht zu hören ist.

2.3.4.1 Das phonographische Prinzip

Die Grundlage des phonographischen Prinzips ist die Korrespondenz


zwischen Graphemen und Phonemen, die mittels sogenannter Gra-
phem-Phonem-Korrespondenzen (GPK-Regeln) dargestellt wird. Bei
den Regeln geht es also darum, welches Graphem welchem Phonem
entspricht (Verschriftlichung von Phonemen).
In vielen Fällen besteht eine Beziehung aus einem einfachen Pho-
nem und einem einfachen Graphem, die intuitiv nachvollziehbar ist.
Es gibt aber auch ein paar wenige Ausnahmen. Natürlich kann man
über einige GPK-Regeln streiten, z. B. werden nicht von allen Pho-
nologen die Affrikaten oder Schwa als Phoneme des Deutschen ange-
sehen.
Im Folgenden finden Sie zwei Tabellen, in der alle konsonantischen
und vokalischen GPK-Regeln aufgeführt sind.

4 Die deutsche Orthographie ist übrigens die weltweit einzige (zusammen mit der relativ jungen luxemburgischen Ortho-
graphie), die noch die Substantivgroßschreibung verfolgt. Alle anderen Länder haben diese, sofern sie je im System
vorgesehen war, abgeschafft (z. B. Dänisch). Motiviert wird diese Besonderheit mit der Bewertung der Schriftsprache
als Sprache für den Leser/die Leserin: Durch die Markierung der Substantive anhand von Großbuchstaben, und damit
der Kenntlichmachung der nominalen Kerne im Satz, ist ein schnelleres und strukturierteres Lesen möglich. Auf der
anderen Seite wird die Substantivgroßschreibung oft als Quelle von Rechtschreibfehlern kritisiert und im Rahmen der
Rechtschreibreform von 1996 wurde sogar diskutiert, die Substantivgroßschreibung abzuschaffen.

31
2.3 Graphematik

Tabelle 2.8: GPK-Regeln für die Konsonanten des Deutschen

Phonem ↔ Graphem Phonem ↔ Graphem


/p/ <p> /s/ <ß>
zwischensilbisch nach Lang-
vokal / Diphthong

/b/ <b> /s/ im Silbenauslaut <s>


/t/ <t> /z/ <s>
/d/ <d> /S/ <sch>
/k/ <k> /ç/ <ch>
/g/ <g> /j/ <j>
/m/ <m> /h/ <h>
/n/ <n> /l/ <l>
> Die Angabe der GPK-Regeln
/K/ <r> / pf / <pf> >
für /ts/ und /k/+/v/ liegt
>
/f/ <f> / ts / <z> in der besonderen Verschriftli-
/v/ <w>
>
/ ts / Nach Kurzvokal im Silbenauslaut <tz> chung dieser Lautkombina-
> tionen begründet, die sich
/k/+/v /5 <qu> / tS / <tsch> nicht aus den vorhergehen-
den GPK-Regeln ableiten
lassen.
Tabelle 2.9: GPK-Regeln für die Vokale des Deutschen

Phonem ↔ Graphem Phonem ↔ Graphem


/ i: / <ie> / u: / <u>
/I/ <i> /U/ <u>
/ e: / <e> / ø: / <ö>
/ E: / <ä> /œ/ <ö> Achtung
/E/ <e> / y: / <ü>
Graphematische Schreibung muss
/@/ <e> /Y/ <ü> nicht orthographisch sein. Die
/ a: / <a> / aI graphematische Schreibung <ban>
</ <ei>
kann mittels GPK-Regeln von
/a/ <a> / aU
< / <au>
/ba:n/ (Bahn) abgeleitet werden,
/ o: / <o> /<
OI / <eu> ist aber nicht orthographisch.
/O/ <o>

Vielleicht wundern Sie sich, dass die Grapheme <c>, <y>, <v> und
<x> nicht aufgeführt wurden. Diese vier Zeichen kommen nur in
Fremdwortschreibungen oder im Kernwortschatz als markierte Schrei-
bungen vor (z. B. <Cello> oder <Vogel>) (vgl. Eisenberg 2013: 306-
307).
Mittels der angegebenen GPK-Regeln lassen sich viele Wörter des b Richtige Schreibung allein nach
Deutschen schon orthographisch richtig schreiben. Allerdings gibt es den GPK-Regeln (dem phonogra-
auch viele Wörter, die, wenn sie rein phonographisch geschrieben wer- phischen Prinzip) z. B. bei: /hu:t/
→ <Hut>, /Sa:l/ → <Schal> u. v. m.
den, orthographisch nicht richtig verschriftlicht sind (z. B. <Bahn>).
Neben dem phonographischen Prinzip wirken nämlich noch weite- Finden Sie fünf weitere Beispiele,
die allein mittels der aufgeführten
re Prinzipien auf die Schreibung ein, die Sie im Folgenden ebenfalls GPK-Regeln schon orthographisch
kennenlernen werden. richtig geschrieben werden.

5 Die
Anlautkombination /k/+/v/ stellt im Gegensatz zu den Affrikaten kein einzelnes Phonem dar (überlegen Sie selbst,
warum!). Sie wird hier allerdings als ein besonderer Fall aufgeführt, da sie durch ein eigenes Digraph verschriftlicht wird.

32
2.3 Graphematik

2.3.4.2 Das silbische Prinzip

Wie das phonographische Prinzip ist das silbische Prinzip eine Regel,
die sich auf die lautliche Ebene der Sprache bezieht. Beide Prinzipien
gemeinsam werden auch zum sogenannten phonologischen Schreiben Wie Sie sich aus der Phonologie
zusammengefasst. erinnern, findet im Deutschen in
betonten Silben ein sogenannter
Beim silbischen Prinzip geht es vor allem um die graphematische
Längenausgleich statt, d. h., bei
Markierung bestimmter Formen in der Silbenstruktur, z. B. der Vo-
Wörtern ohne Endrand wird der
kallänge. Ihnen wird bei den vokalischen GPK-Regeln aufgefallen Vokal lang und gespannt ausge-
sein, dass die langen, gespannten Vokale oft mit dem gleichen Vo- sprochen, bei Wörtern mit mehr
kalgraphem verschriftlicht werden wie die kurzen, ungespannten Vo- als einem Konsonanten im End-
kale (mit Ausnahme von /i:/ und /E:/). Vor allem bei Silben, die rand normalerweise kurz und
nur auf einen Konsonanten enden, helfen verschiedene Regeln des ungespannt (mit Ausnahmen wie
silbischen Prinzips, die Vokallänge oder -kürze entsprechend zu mar- bspw. <Obst>).
kieren.

• Dehnungs-h und Vokalverdopplung Lange, gespannte Vokale

» zeigen an, dass ein Vokal lang und gespannt ist. In <Bahn>, <kahl>, <Moos>,
<Beet> etc. wird die Länge/Ge-
» Die Kennzeichnung ist aber nicht stringent und tritt im
spanntheit angezeigt, aber ein
Falle vom Dehnungs-h nur vor den Sonoranten <m>, <n>, <ii> könnte z. B. in der Schreib-
<l> und <r> auf. schrift leicht mit einem <ü>
» Auch die Vokalverdopplung ist eingeschränkt und aus vi- verwechselt werden
suellen Gründen nur bei <a>, <e> und <o> möglich.

• Silbentrennendes <h> silbentrennendes-<h>


» Das Dehnungs-h darf nicht mit dem silbentrennenden <h> <Ruhe>
verwechselt werden, das eine andere Funktion hat, als Vo- Würde man bspw. Ruhe ohne
kallänge anzuzeigen: <h> schreiben, könnte <ue> als
Umlautschreibung interpretiert
» Es markiert die Silbengrenze zwischen zwei vokalischen werden.
Silbenkernen. Das silbentrennende <h> verdeutlicht die
Segmentierung. <sehen>
Bei sehen ohne <h> könnte das
zweite <e> als Dehnungsschrei-
• Doppelkonsonantenschreibung bung missverstanden werden (wie
in <(die) Seen>.
» Auch die Doppelkonsonantenschreibung gehört zum silbi-
schen Prinzip. Sie zeigt jedoch nicht – wie häufig ange-
nommen – in erster Linie die Kürze des vorhergehenden
Vokals an, sondern markiert ein Silbengelenk. Doppelkonsonanten
» Da – phonologisch – ein Silbengelenk dann vorhanden ist,
<Ratte>, <Mitte> etc.
wenn in der vorhergehenden Silbe ein Kurzvokal auftritt,
Di- und Trigraphen werden aller-
bedeutet Doppelkonsonantenschreibung automatisch auch dings nicht verdoppelt.
immer, dass der vorhergehende Vokal kurz ausgesprochen
wird.
∗ Nur der umgekehrte Fall gilt eben nicht, andernfalls
müssten auch Wörter wie bspw. das Pronomen <man>
Eine besondere Schreibung gilt
mit Doppel-<n> geschrieben werden.
für die Kennzeichnung des Sil-
bengelenks bei <z> (<tz>) und
Aber warum werden dann auch Wörter wie <Bett> oder <Kuss>
<k> (<ck>).
mit doppelten Konsonanten verschriftlicht, wenn es bei einsilbigen
Wörtern kein Silbengelenk geben kann? Hier greift ein drittes wich-
tiges Prinzip der deutschen Schreibung – das morphologische Prin-
zip.

33
2.3 Graphematik

2.3.4.3 Das morphologische Prinzip

Viele Schreibungen können nicht mit Hilfe des phonologischen Schrei-


bens allein erklärt werden. Beispielsweise werden die Wörter <Bäl-
le> und <belle> identisch ausgesprochen, jedoch unterschiedlich ver-
schriftlicht.
Durch diese markierte Form bei
Abgesehen von der Großschreibung des Substantivs fällt auf, dass der Schreibung von <Bälle>
<Bälle> mit Umlaut geschrieben wird. Es handelt sich um eine Wort- wird angezeigt, dass der glei-
form des Lexems <Ball> und daher wird, bis auf die diakritischen che Stamm vorliegt, man spricht
vom morphologischen Prinzip
Zeichen, der gleiche Buchstabe benutzt. Nach diesem Prinzip werden
(oder auch Stammprinzip oder
verwandte Stämme gleich repräsentiert, auch wenn dies der phonolo-
Verwandtschaftsprinzip).
gischen Schreibung widerspricht.
So werden die Wörter <Bett> und <Kuss> mit doppelten Konsonan-
ten geschrieben, weil ihre Pluralformen („Explizitformen“) ein Silben- Schreibung der
gelenk enthalten und dort entsprechend dem silbischen Prinzip Dop- Auslautverhärtung
pelkonsonantenschreibung vorliegen muss.
Oft wird auch die Auslautverhär-
tung als Beispiel für das morpho-
2.3.4.4 Weitere graphematische Tendenzen logische Prinzip genannt:

Neben den genannten Hauptprinzipien gibt es weitere graphematische • [hUnt] wird verschriftlicht
als <Hund> aufgrund der
Tendenzen, die die Schreibung beeinflussen. Sie werden hier nicht als
Pluralform [hUnd@]
„Prinzipien“ aufgeführt, da sie nicht so systematisch umgesetzt wer-
den wie die bisher beschriebenen Regeln. Allerdings muss hierfür nicht
unbedingt das morphologische
• Differenzierung homophoner Formen: Prinzip als Erklärung herange-
zogen werden. Phonologisch ist
» Einige Wörter, die gleich ausgesprochen werden, werden <Hund> als /hUnd/ repräsen-
in der Schrift durch unterschiedliche Graphemfolgen diffe- tiert und kommt erst durch die
renziert, z. B. <Seiten>/<Saiten> oder <Leib>/<Laib>. phonologische Regel der Aus-
» Es gibt allerdings viele Beispiele, wo dies nicht angewandt lautverhärtung zu seiner phone-
tischen Repräsentation [hUnt].
wird (z. B. <Kiefer>/<Kiefer>, <Reif>/<Reif> etc.)
D. h., wendet man die GPK-
• Etymologische Schreibung: Regeln konsequent an (Phonem
zu Graphem), wird <Hund>
» Die Schreibweise „alter“ oder entlehnter Wörter bleibt oft
einfach rein phonographisch ge-
erhalten, auch wenn sie den genannten Schreibprinzipien schrieben.
widerspricht. So schreiben wir beispielsweise <wann> mit
verdoppelten Konsonanten, da es vom mhd. <wanne> ab-
stammt. Auch Wortschreibungen wie <Philosophie> oder
<Handy> können mit der etymologischen Schreibung er-
klärt werden.
• Ästhetische Schreibung:
» Einige Schreibungen werden aus optisch-ästhetischen Grün-
den ausgeschlossen. Dazu gehört unter anderem die schon
erwähnte Vokalverdopplung von <ii> (auch <uu>) und
die Verdopplung von Mehrgraphen wie <ch> oder <sch>.
» Auch die Schreibung von beispielsweise <Spiel> (nicht
<Schpiel>) kann mit ästhetischer Schreibung begründet
werden, da die Schreibsilbe sonst als zu lang empfunden
wird.
Es sollte klar sein, dass bei vielen Schreibungen mehrere Prinzipi- b Versuchen Sie sich zum Ab-
en greifen. Manchmal ist es vielleicht auch nicht einfach, sofort zu schluss an den folgenden Fällen:
entscheiden, warum ein Wort auf diese oder jene Weise geschrieben Warum werden <siehst> und <deh-
nen> mit <h> geschrieben?
wird.

34
3 Morphologie
3.1 Gegenstand der Morphologie
Die Morphologie befasst sich mit der Struktur und dem Aufbau von
Wörtern. Wörter können komplex sein, d. h. aus kleineren Elementen
zusammengesetzt sein:

(1) a. Unter-such-ung
b. hin-aus-weis-en

Die Morphologie untersucht, welche Art von Elementen sich auf wel-
che Art und Weise zu komplexeren Wörtern verbinden. Sie untersucht
dies für die

• Wortbildung, die Ableitung und Zusammensetzung lexikali-


scher Wörter betrachtet, und die Wortbildung
• Flexion, z. B. bei der Deklination von Nomina und der Konju- (2) untersuch(en) – Untersu-
gation von Verben. chung,
(3) Haus + bau – Hausbau
Morphologie
Die Wortbildung gliedert sich in
weitere Gebiete auf.
Flexion Wortbildung

Komposition Derivation Konversion Rückbildung . . .


Die genauen Begrifflichkeiten werden im Laufe dieses Kapitels erläutert.

Bevor wir über die interne Struktur von Wörtern sprechen, müssen
wir uns dem eigentlichen Begriff des Wortes widmen. Was ein Wort
ist, hängt nämlich von der Perspektive ab, die man einnimmt.
b Wie viele verschiedene Wörter
kommen bspw. in (4) vor? Und was
Es gibt je nach Untersuchungsansatz verschiedene Definitionen des
ist ein Wort in (5)?
Wortes, die alle zu verschiedenen Mengen von Einheiten führen:
(4) Wenn hinter Fliegen Flie-
• phonologisches Wort gen fliegen, fliegen Fliegen
Fliegen nach.
» rein phonologische Kategorie: Einheit, die aus phonologi- (5) New York, ad hoc, beim, Crè-
schen Gründen ein Wort bildet, s. 2.2.5. me caramel

• graphemisches bzw. orthographisches Wort


» das, was zwischen zwei Leerzeichen bzw. zwischen einem
Leer- und einem Satzzeichen steht.

(6) die kranken Schwestern vs. die Krankenschwestern

• semantisches Wort
» grob meint man damit ein Konzept (s. Semantikteil); tat-
sächlich kann man ein Wort semantisch aber nicht defi-
nieren, da die Abgrenzung zu größeren Einheiten äußerst
schwierig ist.

(7) Rotkohl vs. Rote Beete

35
3.2 Grundlagen der Morphologie

• lexikalisches Wort (Lexem) = morphologisches Wort


» abstrakte lexikalische Einheit (Basiseinheit des Lexikons)
mit einer oder mehrerer Bedeutungen, die in verschiede- In der Computer- und Korpus-
nen grammatischen Wortformen realisiert werden kann. linguistik wird auch der Begriff
Zusammengehörige Wortformen bilden ein Paradigma. Lemma benutzt.
» Die Zitierform (auch Lemma) ist eine konventionell fest-
gelegte Form eines Paradigmas, das stellvertretend das ge- Zitierform
samte Paradigma benennt.
Zitierform im Deutschen
• Wortform (flexivisches Wort): • bei Nomina der Nominativ
Singular
» Form eines Lexems, (d. h. Element des Flexionsparadig-
mas eines Lexems). • bei Verben der Infinitiv
» die Wortformen eines Lexems bilden sein Paradigma. Die Zitierform von Verben ent-
hält ein freies Morphem und
(8) Lexem: Wortformen: ein gebundenes (s. u. für diese
Begriffe). Die Form des freien
sing- singen, sangst, sangen
Morphems entspricht der Impe-
Fliege Fliege, Fliegen
rativform (z. B. lach oder schlaf),
das gebundene Morphem ist -en.
• syntaktisches Wort
Der Einheitlichkeit halber redet
» das, womit die Syntax arbeitet; kategoriell ausgezeichnete man auch bei unregelmäßig flek-
Wortform (die Meinungen gehen hier auseinander). tierten Verben (die also keine
Imperativform haben, die dem
» hinsichtlich grammatischer Kategorien wie Tempus, Per- Verbstamm entspricht, z. B. geb
son, Numerus oder Kasus spezifiziert – gib) von freien Morphemen.

Die Morphologie befasst sich mit dem lexikalischen Wort und seinen
Wortformen. In diesem Grundkurs betrachten wir nur native Wör-
ter.

3.2 Grundlagen der Morphologie


3.2.1 Morphologische Einheiten: Morphem und Allo-
morph
Wie oben schon gesagt, können Wörter aus kleineren Elementen be-
stehen. Dies sind die Morpheme. Neuere Arbeiten gehen von folgender
In der strukturalistischen Tradi-
Definition aus:
tion sind Morpheme als einfache
Ein Morphem ist die kleinste, in ihren verschiedenen Vorkom- sprachliche Zeichen definiert, die
men als formal einheitlich identifizierbare Folge von Segmenten, nicht weiter in keinere Einheiten
mit bestimmter Lautung und Be-
der (wenigstens) eine als einheitlich identifizierbare außerpho-
deutung zerlegt werden können,
nologische Eigenschaft zugeordnet ist. (Wurzel 1984).
d. h. ein Morphem ist die kleinste
Diese neuere Definition unterscheidet sich von der alten in der explizi- bedeutungstragende Einheit.
ten Nennung von außerphonologischen Eigenschaften anstatt nur der
Bedeutung sowie im Aspekt der verschiedenen Vorkommen bei formal außerphonologisch
einheitlicher Identifizierbarkeit.
Mit außerphonologischen Eigen-
Die Wörter sind also in die angegebenen Morpheme zerlegbar. schaften meint man z. B. gram-
matische Kategorien wie Kasus
(9) Tisches = Tisch + -es oder Numerus, wie in den Bei-
= Bedeutung „tisch“ + Bedeutung/Kategorie „Genitiv Singu- spielen.
lar“
(10) Haustüren = Haus + tür + -en
= Bedeutung „haus“ + Bedeutung „tür“ + Bedeutung /Kate-
gorie „Plural“
(11) (sie) essen = ess + -en
= Bedeutung „ess“ + Bedeutung/Kategorie „3. Person Plural“

36
3.2 Grundlagen der Morphologie

Morphem: Verschiedene Vorkommen


Mit dem Aspekt der ‚verschiedenen Vorkommen’ berücksichtigt man,
dass bspw. die grammatische Kategorie Plural im Deutschen durch
unterschiedliche Formen realisiert wird:

(12) Tür + -en, Kind + -er, Schal + -s, Fenster + ∅


Morphem + Allomorph

In (12) oben finden wir -en, -er, –s bzw. ∅. Diese Formen kann man Ein Morphem ist demnach eine
als Allomorphe, d. h. Varianten, eines abstrakten Pluralmorphems abstrakte Einheit und ein Allo-
bezeichnen. morph die tatsächlich realisierte
Variante des Morphems (erinnern
Morphem: Einheitliche Identifizierbarkeit Sie sich auch an den Allophonbe-
Nun gibt es in der obigen Morphemdefinition noch das Kriterium griff aus der Phonologie).
der formal einheitlichen Identifizierbarkeit. Gerade bei den Plural-
morphemen sieht man gut, dass das ein interessanter Aspekt ist: die
Allomorphe in (12) haben in ihrer Form nichts gemein. Das zugrunde
liegende Pluralmorphem scheint demnach vollkommen abstrakt, also
ohne jede phonologische Form zu sein: es ist nicht besonders sinnvoll
festzulegen, dass bspw. -en das zugrunde liegende Morphem ist, von
dem dann bspw. -s abgeleitet ist.
Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, wie mit diesem Faktum Beispiel mehrerer Plural-
umgegangen werden soll. Manche Linguisten meinen, dass es bes- morpheme
ser sei, anzunehmen, dass es im Deutschen mehrere Pluralmorpheme
• das Morphem {@n}P l
gibt. mit den phonologisch ab-
Dabei verliert man die Verallgemeinerung, dass die verschiedenen For- leitbaren Allomorphen [@n],
[n];
men, die zur Pluralrealisierung benutzt werden, eben alle die gleiche
Kategorie – nämlich den Plural – bezeichnen. Deswegen gehen andere • das Morphem {@K}P l
Linguisten davon aus, dass ein Morphem eben gänzlich abstrakt ist mit den Allomorphen [@K], [5]
und keine zugrundeliegende Form im Lexikon haben muss, sondern usw.
dass ihm nur die verschiedenen Allomorphe im Lexikon zugeordnet Hier wird das Problem umgan-
sind. gen, dass gesagt werden müsste,
dass bspw. Apfelsine und Oran-
ge Allomorphe sind, bei denen
Allomorphie
eins vom anderen abgeleitet ist.
Wir haben eben davon gesprochen, dass Allomorphe phonologisch von
Stattdessen kann einfach ange-
einem abstrakten Morphem abgeleitet werden können. Man spricht nommen werden, dass es sich
dann von der sog. phonologisch bedingten Allomorphie. um zwei unterschiedliche Mor-
pheme mit derselben Bedeutung
(13) phonologisch bedingte Allomorphie: handelt.
• Allomorphe [land] und [lant] durch Auslautverhärtung in
Landes vs. Land
Morphologisch bedingte
• Allomorphe [n] und [@n] durch Schwa-Einsetzung in segeln Allomorphie
vs. formen, turnen
Es gibt auch morphologische
Regularitäten, die die Form ei-
(14) morphologisch bedingte Allomorphie:
> und [h> nes Morphems in einer konkre-
• Allomorphe [haUs] OIz] in Haus vs. Häuser (aber ten Umgebung bestimmen ((14)
>
auch [hOIs] in Häuschen, häuslich) – Neutra mit -er-Plural Punkt 1). Auch hier können wir
und umlautfähigem Stammvokal erhalten immer einen davon ausgehen, dass bspw. das
Umlaut (Fässer, Bücher, Hörner) Allomorph [hOIs] durch morpho-
phonologische Regeln abgelei-
• Allomorphe [kUs] und [kYs] in Kuss vs. Küss -e – im Lexi-
tet ist. Andererseits gibt es Fäl-
kon festgelegt: Maskulina mit der Pluralendung -e erhal-
le, in denen Allomorphe rein
ten manchmal einen Umlaut und manchmal nicht (Tage, lexikalisch bedingt sind, d. h.
Hufe) sie sind im Lexikon festgelegt
und synchron unvorhersagbar
((14) Punkt 2). In beiden Fällen
spricht man von morphologisch
bedingter Allomorphie.

37
3.2 Grundlagen der Morphologie

Es gibt noch einige „besondere“ Morphemtypen, die wir hier kurz Begriffsverwendung
erwähnen wollen, bei denen die einfache Formel eine Form – eine
Bedeutung problematisch ist. Beachten Sie, dass im alltäg-
lichen Sprachgebrauch in der
Es gibt z. B. unikale Morpheme, welche nur in einem einzigen, idio- Morphologie meist von Morphe-
matisierten Kontext vorkommen. Ihre Grundbedeutung ist synchron men gesprochen wird, auch wenn
nicht mehr analysierbar. es sich um konkrete Allomor-
phe handelt. Dies werden wir im
Folgenden auch so halten.
(15) Brom-/Him-beere, Schorn-stein, un-wirsch

Ähnlich verhält es sich mit Wörtern, die sprachgeschichtlich zwar


komplex sind, bei denen dies synchron aber nicht mehr transparent ist
(16)-(17) und Lehnwörtern (18):
(16) Demut ahd. deo (‚Knecht’) + mut (in der Bedeutung ‚Gesin-
nung’/ ‚Stimmung’).1
(17) steh in verstehen
(18) Garderobe → ins Deutsche als komplexes Wort entlehnt; im Frz.
zusammengesetzt aus garde (‚aufpass’) und robe (‚Kleid’)
Weitere Probleme für die Formel eine Form – eine Bedeutung ent-
stehen bei polyfunktionalen oder auch sog. Portmanteau-Morphe-
men, bei denen zwei Bedeutungen in einer Form verankert sind, siehe
„t“ in (19) und auch oben Beispiel (9), wo -es für Kasus und Numerus
steht. Manchmal versteht man unter Portmanteau-Morphemen auch
solche, die aus der Verschmelzung zweier Morpheme entstanden sind
(wie z. B. am).

(19) lacht =
lach + 3.P.Sing.Präs.Indikativ, Aktiv (oder: 2.P.Pl)

Unterklassen von Morphemen


Wenden wir uns von der Problemdiskussion ab (wir werden bei der
Besprechung des sog. Fugenelements noch einmal darauf zurückkom- Lexikalische Morpheme
men) und betrachten wir verschiedene Unterklassen von Morphemen. z. B. Tür oder Kind
Morpheme, die eine lexikalische Bedeutung haben, heißen lexikali- Die lexikalischen Morpheme bil-
sche Morpheme. den eine offene Klasse, die syn-
chron erweiterbar ist (durch Neu-
Morpheme mit einer grammatischen Bedeutung oder Funktion, wie bildung, Entlehnung).
das Pluralmorphem oder das Genitivmorphem, heißen grammati-
sche Morpheme. Sie stehen für grammatikalische Kategorien.
Weiterhin unterscheidet man freie und gebundene Morpheme. Grammatische Morpheme

Für freie Morpheme gilt: z. B. Pluralmorphem [n] und [@n]


Die grammatischen Morpheme
• ein Allomorph kann allein eine Wortform bilden. bilden eine geschlossene Klasse.

(20) Tisch, Haus, schau, gut, . . .

Für gebundene Morpheme gilt:


• treten nur zusammen mit anderen, insbesondere freien Morph-
emen auf. Den größten Teil der gebundenen Morpheme stellen
die Affixe, die im folgenden Abschnitt näher betrachtet werden.

(21) *e (alleinstehend), aber Tische b Sind lexikalische Morpheme


immer frei und grammatische Mor-
pheme immer gebunden?

1 Diese ursprüngliche Bedeutung taucht noch auf in guten Mutes sein, sein Mütchen kühlen und im Englischen in the mood.

38
3.2 Grundlagen der Morphologie

3.2.2 Morphologische Bestandteile des Worts


Eine Wortform kann komplex sein und lässt sich dann wie folgt un-
tergliedern:
• Wurzel (Wurzelmorphem) : Unterste, atomare Basis komple-
xer Wörter, die hinsichtlich Komposition, Derivation und Fle-
xion nicht mehr zerlegbar ist. Sie ist oft, aber nicht immer, frei.

(22) Wurzel ehr:


Ehr-e, Ehr-gefühl, ehr-bar
(23) Wurzel ess:
ess-en, ess-bar

Alle Simplizia sind Wurzeln, aber nicht alle Wurzeln sind Simplizia
(da sie nicht immer frei sind).
• Stamm: ein Morphem oder eine Morphemkombination ohne
Kennzeichnung von Flexion; kann eine Wurzel oder eine kom-
plexe morphologische Einheit sein.

(24) Stamm sag:


sag-st Arten von Affixen

(25) Stamm: belächel: Nach Stellung der Affixe zur Ba-


(be-lächel)-st sis (i.e. zum Stamm bzw. zur
Wurzel) unterscheidet man:
• Affixe: sind nicht-frei vorkommende Morpheme, die der Wort- • Präfix: un-schön, ver-teilen
bildung (Derivation) oder der Wortformbildung (Flexion) die-
• Suffix: teil-bar, Bäck-er
nen. Nach ihrer morphologischen Funktion unterscheidet man:
» Derivationsaffixe (Wortbildungsaffixe): • Zirkumfix: ge-sag-t, Ge-red-e
-ig, -lich, -keit, -ung, . . . ; ver-, be-, ent-, un-, . . . • Infix:
» Flexionsaffixe: » Latein:
-st (kommst), -(e)n (gehen, Betten), -er (Kinder, kleiner), iugum (‘Joch’) →
... iungere (‘verbinden’);
Diese treten natürlich auch in Kombination auf: » Tagalog (Philippinen):
sulat ‘schreiben’ →
(26) un-mensch-lich-e sumulat ‘schrieb’

Affigierung (Präfigierung, Suffigierung etc.) ist also ein morphologi-


scher Prozess, der der Bildung eines derivierten oder flektierten Aus-
drucks dient. Reduplikation
Daneben gibt es weitere morphologische Prozesse wie die Reduplika- (27) Pinkepinke, Heckmeck
tion und die innere Modifikation, die auch im Deutschen vorkommen.
Bei der Reduplikation wird eine Wurzel oder ein Stamm teilweise oder (28) tagtäglich, wortwörtlich
ganz verdoppelt. Bei der inneren Modifikation wird ein segmentaler (29) Yukatekisch (Maya) k’as
Abschnitt der Basis ersetzt. Dies ist z. B. bei der Ablautbildung im ‘schlecht’ k’a’k’as → ‘sehr
Deutschen der Fall, die in der Derivation (s. Abschnitt 3.3.3) und der schlecht’
Flexion (s. Abschnitt 3.4) vorkommt. (30) Sumerisch kur ‘Land’ →
kurkur ‘Länder’
3.2.3 Wortstruktur: Formale Aspekte
Bevor wir uns im folgenden Kapitel der Wortbildung näher widmen,
wollen wir uns einige allgemeine Strukturmerkmale von komplexen (31) Haustürschlüssel
Wörtern ansehen. Haustürschlüssel

Die Struktur eines komplexen Wortes spiegelt den Bildungsprozess


haustür schlüssel
des Wortes wider und steuert seine Interpretation. Wortstrukturen
sind in den meisten Theorien binär, d. h. man geht davon aus, dass
sich maximal zwei Elemente (= Konstituenten von engl. constituent haus tür

39
3.2 Grundlagen der Morphologie

‘Bestandteil’) zu einem komplexen Element verbinden. Der Aufbau (32) Zugverbindung


ist hierarchisch (31)-(32). Zugverbindung

Morphologische Einheiten (Stämme und Affixe) sind kategoriell aus-


gezeichnet, d. h. es wird markiert, ob es sich bspw. um ein Nomen zug verbindung
(N) oder ein Nomen bildendes Element (im Falle von Affixen: Naf )
handelt: verbind -ung

(33) a. Zugverbindung b. Haustürschlüssel


N ver- bind
N

N N N N

V Naf N N

Vaf V haus tür schlüssel

zug ver- bind -ung

Dabei wird auch deutlich, warum die folgende Struktur nicht möglich
ist:
(34) Zugverbindung (falsch)
In diesem Konstituentenstruk-
*N turbaum wird das verbale Affix
ver- von links an ein Nomen ge-
N N bunden und dabei entsteht ein
Nomen. Dies ist nicht möglich,
V af
N denn das Affix ver- kann sich
als verbales Affix nur mit Ver-
ben verbinden. Welche Affixe
V Naf sich mit welchen Basen verbin-
den wird in Abschnitt 3.3.3 be-
zug ver- bind -ung sprochen.

Die Struktur fürZugverbindung (34) zeigt ein wichtiges Merkmal kom- Kopfprinzip
plexer Wörter im Deutschen: bei der Kombination der verbalen Basis -ung ist ein nomenbildendes Af-
verbind mit dem Affix -ung entsteht ein Nomen. Aufgrund der kate- fix, d. h. die Kategorie des Affix
gorienbestimmenden Eigenschaft ist das Affix der Kopf der Struktur. (Naf ) bestimmt die Kategorie
des entstehenden Wortes (N).

Der Kopf bestimmt die Kategorie des Wortes. Nach dem Kopfprin-
zip hat jedes komplexe Wort, das durch Komposition oder Derivation
entstanden ist, einen morphologischen Kopf, der mit Kategorienmerk- Morphosyntaktische Eigen-
schaften
malen versehen ist. Dieser Kopf legt nicht nur die Kategorie, sondern
auch die morphosyntaktischen Eigenschaften des komplexen Wortes Vom Kopf werden Merkmale auf
fest. den sog. Mutterknoten (in der
nächsthöheren Ebene) übertra-
Der Kopf einer Wortstruktur ist im Deutschen die am weitesten rechts gen. Dies nennt man Perkolation.
stehende Konstituente. Es gibt allerdings einige Fälle, die ein Problem Wir werden uns dies noch ge-
für diese Regel darstellen bzw. darzustellen scheinen (z. B. verholzen, nauer bei der Besprechung der
befreunden, beruhigen – es gibt keine Verben *holzen, *freunden, oder einzelnen Wortbildungsprozesse
*ruhigen; zu Wasserablauf siehe die Diskussion im Abschnitt 3.3.5, ansehen.
Beispiel (129)).

40
3.3 Wortbildung

3.3 Wortbildung
3.3.1 Überblick über die Wortbildungsmittel im Deut-
schen
Die Wortbildung befasst sich mit den Bildungsprinzipien für komple-
xe Wörter. Die häufigsten Mittel der Wortbildung, mit denen wir uns
eingängig in diesem Kurs befassen wollen, sind:
• Komposition: Bildung einer komplexen Form, in der zwei (o.
mehr) Stämme auftreten, die einander als Konstituenten ne-
bengeordnet sind.

(35) Edelmut, Baukran, Geisteswissenschaft.

• Derivation: Bildung einer komplexen Form, meist mittels De-


rivationsaffixen, die dem Stamm vorausgehen oder ihm folgen Derivationssuffixe:
können.
(37) -ig, -lich, -keit
» Explizite / äußere Derivation: mittels abtrennbarer Affixe
Derivationspräfixe:
(Grab-ung).
» Implizite / innere Derivation: Veränderung ohne klar ab- (38) ver-, be-, ent-, un-
trennbare Affixe (trink- vs. Trank).
• Konversion: Umsetzung eines Stammes in eine andere Kate-
gorie ohne zusätzliches Morphem oder sonstige Veränderungen.

(36) Nomen Dank vs. Verb dank(en)


Mitunter wird die Konversion auch zur Derivation gerech-
net, dabei nimmt man eine Derivation mit einem Null-
morphem an (s. Abschnitt 3.3.5).

Diesen drei Wortbildungsmitteln ist jeweils ein eigenes Unterkapitel


gewidmet. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe anderer Wortbil-
dungsmittel, die mehr oder weniger produktiv sind und die in Ab-
schnitt 3.3.6 aufgelistet sind. Zum Begriff der Produktivität s. Ab-
schnitt 3.3.7.

3.3.2 Komposition
3.3.2.1 Allgemeines

Die Komposition ist die Kombination von Stämmen. Es werden sog.


Kompositionsglieder zu einem Kompositum kombiniert.
Da der Kopf rechts steht, bestimmt er als rechtes Kompositionsglied, Jedes Kompositionsglied kann
welches z. B. ein Substantivstamm, ein Verbstamm oder ein Adjek- selbst auch wieder ein Komposi-
tivstamm sein kann, die kategoriale Zugehörigkeit des Kompositums. tum (oder allgemeiner, morpho-
Man spricht allgmein von Nominalkomposita, Verbalkomposita oder logisch komplex) sein:
Adjektivkomposita. Ist das rechte Kompositionsglied ein Substan- (39) Kompositum
tivstamm, so ist das Kompositum ein Substantiv. = Erstglied + Zweitglied
= Haus + Tür
(40) weinrot – Rotwein = (Haustür) + Schlüssel
(41) Kartentelefon – Telefonkarte
(42) Fahrrad – radfahr

41
3.3 Wortbildung

(43) a. weltfremd b. Kleinholz c. Radfahrweg

A N N

N A A N V N

welt fremd klein holz N V

rad fahr weg

Wie zuvor schon bemerkt wurde, gibt der Kopf nicht nur katego-
rielle, sondern auch andere Merkmale an die Gesamtstruktur wei- Bei Nominalkomposita bestimmt
ter. der Kopf bspw. auch Genus und
Flexionsklasse:
Fugenelement
Bei der Komposition ist es nicht immer so, dass die beteiligten Stäm- (44) der Kartoffelsalat
die Salatkartoffel
me einfach aneinandergefügt (konkateniert) werden. Manchmal wird
etwas hinzugefügt, manchmal wird etwas getilgt. Einige Beispiele: (45) die Eisschokolade
das Schokoladeneis

(46) a. -es-Einsetzung
[N Landesvater] → [N Land] + -es + [N Vater]

b. -e-Einsetzung
[N Haltestelle] → [V halt] + -e + [N Stelle]

c. -s-Einsetzung
[N Leitungswasser] → [N Leitung] + -s + [N Wasser]

d. Schwa-Tilgung
[N Sprachkurs] → [N Sprache] – -e + [N Kurs]

Bei den hinzugefügten Elementen spricht man meist von Fugenele-


menten. Das impliziert jedoch, dass die hinzugefügten Elemente wie
Fugen zwischen die beteiligten Kompositionsglieder gestellt werden.
Dies ist aus zwei Gründen problematisch. Die Tilgung (eine „nega-
tive Fuge“) kann so nicht erklärt werden. Des Weiteren gibt es Evi-
denz dafür, dass die hinzugefügten Elemente zum Erstglied gehö-
ren:
• sie bleiben bei Koordinationsellipsen (Weglassungen) beim Erst- b Diskutieren Sie anhand der
glied folgenden Beispiele, ob man von
einem Fugen-Morphem sprechen
kann? Wie verhalten sich Form und
(51) Leitungs- und Mineralwasser
Bedeutung zueinander?

• wird das Erstglied getilgt, darf die Fuge nicht erhalten bleiben (47) Häuserfront, Staatengemein-
schaft
(52) * Kinderwagen- und –ersitz (48) Hühnerei, Sonnenschein
(49) Herzenswunsch, Landesvater
• sie werden in der Regel vom Erstglied bestimmt (50) Lieblingsgetränk, Liebesbrief

(53) a. Kuhstall – *Kühestall vs.


*Huhnstall – Hühnerstall
b. aber: Rindfleisch – Rindsleder – Rinderbraten

Zur Darstellung der Fuge im Strukturbaum gibt es unterschiedliche


Notationsvarianten, wie im Folgenden dargestellt (FE steht für „Fu-
genelement“):

42
3.3 Wortbildung

(54) a. N b. N c. N

N N N N N N

kind(s) kopf kind-s kopf N FE

Stammformen kind s kopf


Daher sprechen einige Autoren (z. B. Eisenberg 2013) von Komposi-
tionsstammformen. Die Idee ist hier, dass nicht nur der Stamm ei-
nes Nomens im Lexikon verzeichnet ist, sondern auch die vorkommen-
den Kompositionsstammformen, d. h. der Stamm gemeinsam mit dem
Affix, das zur Komposition benötigt wird, also z. B.

(55) Stamm: kind Stammform-Darstellung:


KS kinder z. B. Kinderwagen N
KS kindes z. B. Kindesentführung
KS kinds z. B. Kindskopf N N
KS kind z. B. Kindfrau
Beachten Sie, dass dies bei der Derivation ähnlich ist. Man spricht kinds kopf
dann von Derivationsstammformen:
(56) hoffnungslos, sagenhaft, weinerlich, Hütt_chen Stammformen

3.3.2.2 Klassifikation von Komposita Das genaue Aussehen der Komposi-


tions- und Derivationsstamm-
Komposita kann man danach unterteilen, was für eine semantische formen ist kaum regelhaft vor-
Relation zwischen der ersten und der zweiten Konstituente besteht. hersagbar. Es scheinen eine Rei-
he von Faktoren eine Rolle zu
Es gibt Komposita, in denen die erste Konstituente die zweite näher
spielen, u. a. phonologische und
bestimmt, und Komposita, bei denen das nicht der Fall ist. Die erste morphologische. Daher ist eine
Gruppe stellen die Determinativkomposita dar und die zweite die Verankerung der Stammformen
Kopulativkomposita. im Lexikon sinnvoll.
• Determinativkomposita
Die erste Konstituente (auch: Bestimmendes/Determinans) be- Beispiele Determinativkom-
stimmt die zweite Konstituente (Bestimmtes/ Grundwort/De- posita
terminatum) näher. Das Kompositum bezeichnet eine Unterart
(57) Wein-flasche vs.
des durch die zweite Konstituente Bezeichneten. Flasche(n)-wein
Die Bedeutungsbeziehung selbst ist vielfältig und kann unter- (Behältnis vs. Getränk)
spezifiziert sein. Es kommen z. B. folgende Beziehungen vor: (58) Stern(en)-himmel vs.
Raum und Zeitbeziehung + kausale Beziehungen Himmel(s)-stern
(59) Fenster-glas vs.
(60) Gartentor, Erdöl, Winterferien, Freudentränen Glas-fenster

Konstitution des Zweitglieds (bestehen aus, Form/Farbe)

(61) Holzkäfig, Kapuzenjacke, Grünspecht

Zweck des Zweitglieds (dient zu, schützt vor)

(62) Gießkanne, Haarband, Regenmantel

Instrumenteigenschaft des Zweitglieds (funktioniert mit)

(63) Benzinmotor, Windrad


Bei adjektivischen Komposita kommen Vergleichsbeziehun-
gen vor (glasklar, aalglatt) und steigernde (bitterernst, tief-
traurig).

43
3.3 Wortbildung

Untergruppen von Determinativkomposita:


Beispiele Possessivkomposita
» Possessivkomposita
(64) Rot-kehlchen = Vogel, kein
Auch bei der Untergruppe Possessivkomposita bestimmt Kehlchen
die erste Konstituente die zweite näher, das Kompositum
bezieht sich aber auf eine dritte Entität. (65) Rot-käppchen = Märchen-
figur, kein Käppchen
» Rektionskomposita (66) Lang-finger = Dieb, kein
Eine wichtige Untergruppe der Determinativkomposita sind Finger
die sog. Rektionskomposita. Hier ist die erste Konstituente
ein Argument der zweiten Konstituente.

Über Rektionskomposita

Deverbale Nomina positum, bei dem die erste Konstituente ein Ar-
Aus Verben können durch Derivation Nomina gebil- gument der zweiten Konstituente ist. Bei Nicht-
det werden (tagen → Tagung). Es handelt sich dabei Rektionskomposita, zu denen die Determinativkom-
um sog. deverbale Nomina. posita in (57)-(63) gehören, besteht keine Argumen-
trelation.
Betrachten Sie folgende Beispiele: Es gibt auch Rektionskomposita, in denen die zwei-
te Konstituente ein nicht-deverbales Nomen oder ein
(67) die Linguisten tagen – die Tagung der Lin- Adjektiv ist, denn auch Nomina und Adjektive kön-
guisten – Linguistentagung nen Argumente nehmen:
(68) die Linguisten besteigen den Watzmann – die
Besteigung des Watzmann – Watzmannbestei- (69) Prüfungs+angst (Angst vor der Prüfung),
gung Todes+sehnsucht (Sehnsucht nach dem
Tod) staats+treu (dem Staat treu), fäl-
Ein Verb bestimmt, mit wie vielen und mit wel- schungs+sicher (vor Fälschung sicher),
chen Argumenten es im Satz erscheint (s. Abschnitt blei+frei (von Blei frei)
4.2.3): tagen in (67) erscheint typischerweise mit ei-
nem Subjekt; besteigen in (68) erscheint mit einem Rektion
Subjekt und einem Objekt. Diese Beziehung zwi- Der Name Rektionskompositum rührt daher, dass
schen einem Verb und seinen Argumenten kann nun man auch sagt, dass ein Verb seine Argumente re-
auch innerhalb eines Kompositums – dem Rektions- giert. Sehen Sie dazu auch die thematischen Rollen
kompositum – realisiert sein: die erste Konstituente in der Semantik in Abschnitt 5.4.
in einem deverbalen Rektionskompositum realisiert Weitere Beispiele sind die folgenden:
ein Argument des der zweiten Konstituente zugrun-
de liegenden Verbs. In (67) ist die erste Konstituente (70) Auto·fahrer (jemand fährt Auto), Wet-
Linguist(en) das Subjekt von tagen, in (68) ist Watz- ter·beobachter (jemand beobachtet das Wet-
mann das Objekt von besteigen. ter), Rotkehlchen·gesang (das Rotkehlchen
Demnach ist ein Rektionskompositum ein Kom- singt)

• Kopulativkomposita Beispiele
Bei Kopulativkomposita bestimmt die erste Konstituente die Kopulativkomposita
zweite nicht näher. Beide Konstituenten sind gleichrangig, es
(71) süßsauer, nasskalt, rot-
gibt Komposita, die aus mehr als zwei Konstituenten bestehen.
grün, Fürst-Bischof, Spieler-
Zwischen den Kompositionsgliedern besteht eine koordinierende
Trainer
(= verknüpfende) Beziehung. Die Bedeutung des Kompositums
ergibt sich additiv aus den Bedeutungen der Konstituenten. (72) schwarz-rot-gold, rot-rot-
grün
Kopulativkomposita weisen ein anderes Betonungsmuster als
Determinativkomposita auf. Während bei Determinativkompo-
sita der Nichtkopf betont wird (s. nächsten Abschnitt), werden
bei Kopulativkomposita alle Konstituenten betont. Die Konsti- b In welchen der Beispiele liegen
Rektionskomposita vor?
tuenten in Kopulativkomposita haben i. d. R. die gleiche Kate-
gorie. Ihre Reihenfolge ist prinzipiell frei, wenn auch meistens (73) Zigarrenraucher – Gelegen-
konventionalisiert. heitsraucher – Kettenraucher
(74) Hochschullehrer – Mathema-
(77) ein ’blau-’grünes ’Hemd tiklehrer
– Kopulativ (75) hitzefrei, kugelsicher
(78) ein ’blaugrünes ’Hemd (76) WDR-Kritiker
– Determinativ

44
3.3 Wortbildung

3.3.2.3 Wortstrukturregel für Komposita

Unter Berücksichtigung der Rechtsköpfigkeit bei der Wortbildung


gilt für Determinativ- und Possessivkomposita die folgende Wortbil-
dungsregel:
• X→YX
Für Kopulativkomposita gilt:
• alle Konstituenten sind von derselben Kategorie, also N → N N.
Außerdem können Kopulativkomposita, wie oben schon bemerkt, Zur Erinnerung: Der Kopf be-
mehr als zwei Glieder haben (z. B. rot-rot-grün). stimmt die Kategorie. „X“ und
„Y“ stehen für die Kategorien
Einige der Kompositionsregeln (aber nicht alle) sind rekursiv, d. h. sie
„N“, „V“, „A“ und „P“, also:
können auf das Ergebnis einer Regelanwendung erneut angewendet
V → Y V’
werden. Das gilt z. B. für N+N-Komposita. Die sich daraus ergebende N → Y N’
Struktur ist immer binär. usw.
Es gibt symmetrisch strukturierte Komposita (79), linksverzweigende
((80) und rechtsverzweigende (81).

(79) [[Groß-raum]-[flug-zeug]]
(80) [[[Berg-bau]-wissenschaft(s)]-studium]
(81) [Bezirk(s)-[jahr(es)-[haupt-versammlung]]]

Komposita können auch strukturell ambig sein (82) und (83):


(82) a. [[Bund(es)-straße(n)]-bau] b. [Bund(es)-[straße(n)-bau]]
(83) a. [[Frau(en)-film]-fest] b. [Frau(en)-[film-fest]]

N N

N N N N

N N N N

frau(en) film fest frau(en) film fest

Mit der Verzweigungsrichtung gehen bei den Determinativkomposita


spezielle Betonungsmuster einher. Bei zweigliedrigen Determinativ- Betonungsmuster
komposita wird, wie oben schon erwähnt wurde, generell der Nicht-
kopf betont. Bei mehrgliedrigen trägt meist der Nichtkopf der ver- (84) [[’Bund(es)-straße(n)]-bau]
zweigenden Konstituente den Hauptakzent, bei symmetrisch verzwei- vs.
[Bund(es)-[’straße(n)-bau]]
genden erhält die linke Konstituente den Hauptakzent.
(85) ’[[Großraum]-[flugzeug]]
Wie schon bemerkt, sind einige Regeln, wie zum Beispiel
• N → A N’
nicht rekursiv. Man kann zwar das Nomen Rot-wein bilden, aber
dieses nicht wieder in die Regel „einfüttern“: [*weiss-[rot-wein]]. Da-
her muss man in solchen Regeln unterschiedliche Symbole für das N
vor dem Pfeil und das N nach dem Pfeil schreiben (hier N’). Wel-
che Regeln in einer Sprache rekursiv sind, kann man nur empirisch
herausfinden.

45
3.3 Wortbildung

3.3.3 Derivation
Derivation ist die Bildung eines Wortes (dem sog. Derivat) aus einem Alternativ kann auch eine sog.
freien Morphem (der Basis) und einem gebundenen Morphem (einem innere Ableitung o. implizite
Affix). Derivation erfolgen, d. h. die Ba-
sis wird verändert (z. B. trink –
Basis Trank, schießen – Schuss, liegen
Der Begriff Basis ist wie der Begriff des Kompositionsglieds ein – legen mit Stammvokalwech-
relativer Begriff: eine Basis kann morphologisch einfach oder kom- sel). Die implizite Derivation ist
plex sein, also selbst auch aus einer Basis und einem Affix abgeleitet im heutigen Deutsch nicht mehr
sein: produktiv.

Freies Morphem
(86) Derivat = Basis + Derivationsaffix
Einigung = einigV + -ung Wenn wir von freien Morphemen
Vereinigung = (ver- einig)V + -ung bei der Basis sprechen, sind Wur-
zeln, die nicht unbedingt frei vor-
kommen können, mit eingeschlos-
Affix sen:
Zur Spezifikation eines Affixes gehören seine phonologische Form, die
Position, an der das Affix mit der Basis verbunden wird, Eigenschaf- (87) ehr-bar vs. *ehr
ten der Basis (s. u.) sowie die Kategorie, die aus der Affigierung resul-
tiert (z. B. -ung bildet ein Substantiv).
Bezüglich der Basis nehmen Affixe folgende Beschränkungen vor:
• Kategorie
Bestimmung der Wortart/
Kategorie
(90) -ung verbindet sich mit Verben
Lesung, Verfügung vs. *Uniformung Bei Derivationen findet häufig
ein Wortartwechsel statt. Oft,
• Argumentstruktur (s. Kapitel 5 für diesen Begriff): Derivations- insbesondere bei Substantiv-Verb-
morpheme operieren auf der Argumentstruktur des Basismor- Derivationen, stellt sich dabei die
phems und verändern sie gegebenenfalls. Frage, welches Wort von welchem
abgeleitet ist.
(91) -bar verbindet sich mit transitiven Verben Ein guter Hinweis ist hier die Se-
lesbar, essbar vs. *schlafbar, *liegbar, *kellerbar, *schön- mantik des Substantivs. Handelt
bar, *unabsteigbar (aber: Der Fahrradreifen ist unkaputt- es sich beim Substantiv um ein
bar!) Objekt o. ä. ist meist das Sub-
stantiv zugrunde liegend, handelt
• Phonologie es sich um einen Vorgang, ist
meist das Verb zugrunde liegend.
(92) -keit verbindet sich nur mit Basen, die auf einer unbe- (88) Reifen bereifen
tonten Silbe enden: (89) abnehmen Abnahme
Wachsamkeit vs.*Freikeit
Einen weiteren Hinweis bilden
• Semantik die Affixe, die zur Derivation
benutzt werden, da diese, wie
oben schon bemerkt, bezüglich
(93) -fach verbindet sich nur mit Zahlen oder Quantitätswör-
der Wortart der Basis, mit der
tern
sie sich verbinden können, be-
dreifach, vielfach vs. *grünfach schränkt sind. Einige Details sind
in den folgenden Abschnitten
• Morphologie genannt.

(94) ge- -e verbindet sich nur mit Simplexverben


Gerenne vs. *Geverkaufe
Wichtig: Bei Affixen geht es im-
mer um Form-Bedeutungs-Paare;
Wie bei der Komposition spielt bei der Derivation die Argument- d. h., dass ein Affix ganz unter-
struktur der beteiligten Morpheme eine Rolle: In Abhängigkeit von schiedliche Bedeutungen (und
der Art der Argumente der Basis sind bestimmte Ableitungen mög- dann auch Beschränkungen) ha-
lich oder ausgeschlossen. ben kann, siehe z. B. Präfix un-
in Beispiel 111 S. 48.

46
3.3 Wortbildung

3.3.3.1 Suffigierung

Derivationssuffixe bestimmen die kategoriale Zugehörigkeit des zu bil- Nomenbildende Suffixe bestim-
denden Stammes, was eine typische Kopfeigenschaft ist. Man nimmt men auch das Genus des ent-
in einigen Analysen an, dass Suffixe wie Stämme selbst eine Kategorie stehenden Derivats, eine weitere
haben, die sie dann an das Derivat weitergeben, z. B.: typische Kopfeigenschaft:

(95) -ung fem


(99) -ung, -heit/-keit, -schaft, -er (u. a.)
(96) -keit fem
bilden Substantivstämme
(97) -bold mask
(100) -bar, -lich, -haft, -ig (u. a.)
(98) -lein neut
bilden Adjektivstämme
(101) -(e)l, -ier
bilden Verbstämme 102’ prüfer

Suffixe können eine lexikalische Bedeutung haben, z. B.: N

(102) V-er → Agens / Instrument, das die V-Handlung durchführt V Naf


(z. B. Prüfer, Kocher, Färber)
prüf -er
(103) V-bar → Fähigkeit, V auszuführen
(z. B. dankbar, verhandelbar, essbar) 103’ dankbar
(104) A-heit → Eigenschaft, A zu sein
(z. B. Sturheit, Schönheit) A

(105) N-isch → Eigenschaft wie N zu sein


V Aaf
(z. B. kindisch, stürmisch)

dank -bar
Die Suffigierungsregel sieht wie folgt aus, wobei „X“ und „Y“ für „N“,
„V“ und „A“. stehen:
• X → Y Xaf
Beispiele für Suffigierung:
(106) a. lesbarkeit b. sachlich c. humorlos

N A A

A Naf N Aaf N Aaf

V Aaf sach -lich humor -los

les -bar -keit

3.3.3.2 Präfigierung

Derivative Präfixe haben im Deutschen keine kategorienverändernde Kategorien der Präfixe


Wirkung. Sie sind damit keine Köpfe.
Obwohl es die Verben feucht(en),
Präfixe sind wie Suffixe dahingehend spezifiziert, mit welchen Basen haupt(en) nicht gibt, gibt es:
sie sich verbinden:
(107) befeucht(en), enthaupt(en)
(108) miss-, de-, in-, re-, trans- (u. a.) verbinden sich mit Substantiv-
Bei den von Adjektiven / Sub-
, Adjektiv- und Verbbasen stantiven abgeleiteten Präfixver-
(109) be-, ent-, er-, ver- (u. a.) verbinden sich nur mit Verbbasen ben in 107 sollte der im Deut-
schen rechts stehende Kopf aber
(110) erz-, un-, ur-, anti- verbinden sich nur mit Substantiv- und
nicht plötzlich links stehen. Man
Adjektivbasen kann nun annehmen, dass ein hy-
pothetisches Verb feuchten durch
Konversion vor der Präfigierung
entstanden ist.

47
3.3 Wortbildung

Ein Präfix gibt also einen Hinweis darauf, welche Kategorie die Basis
hat. Ein Präfix ist bezüglich der Wortart, mit der es sich verbindet,
etikettiert. Die Etikettierung erfolgt also anders als bei Suffixen, die
das Etikett der Wortart, die sie bilden, tragen.
Die Wortbildungsregel für die Präfigierung sieht wie folgt aus:
• X → Xaf X
Beispiele für Präfigierung:
(111) a. verbrauch- b. unschön c. unmensch

V A N

Vaf V Aaf A Naf N

ver- brauch un schön un mensch

3.3.3.3 Zirkumfigierung

Zirkumfixe sind Affixe, die aus zwei Teilen bestehen, wobei ein Teil Beispiele Zirkumfigierung
vor der Basis und der andere danach steht. Entscheidend bei der Klas-
(112) ge-. . . -ig (geräumig) vgl.
sifikation als Zirkumfix ist, dass weder erster Teil plus Basis noch Ba-
*geräum; *räumig
sis plus zweiter Teil eine Einheit bilden.
(113) be-/ge-/ent-/zer-. . . -t (be-
Zirkumfixe stellen ein Problem sowohl für die binäre Strukturierung jahrt, genarbt, entgeis-
als auch für die Regel der Rechtsköpfigkeit dar. tert, zernarbt)
(114) ge-. . . -e: Gelache
3.3.4 Partikelverben
Bei der Besprechung der Komposition sind wir nicht auf verbale Kom-
posita eingegangen. Doch auch Verben können kompositional zusam-
mengesetzt sein. Diese Verben nennt man Partikelverben. Da die-
se sehr besondere Eigenschaften aufweisen, werden sie oft als geson-
derter Wortbildungstyp angesehen. Partikelverben unterscheiden sich
von Präfixverben wie folgt:
• Die Partikel kann von unterschiedlicher Wortart sein (s. 115- Beispiele Partikelverben
117).
(115) N + V teilnehmen
• Sie ist morphologisch und syntaktisch abtrennbar:
(116) Adj + V festmachen
(118) Ich nehme teil vs. Ich bereife das Auto. (117) Präp + V aufstellen
(119) teilgenommen vs. bereift
(120) teilzunehmen vs. zu bereifen

• Die Partikel wird betont, wohingegen ein Präfix nicht betont


wird, siehe (225 – 226).

(121) Ich habe das Schild um’fahren.


(122) Ich habe das Schild ’umgefahren.

Weitere Partikeln sind: ab-, an-, auf-, aus-, ein-, mit-, nach-
Regel für die Partikelverbbildung (Vorsicht: umstritten):
• V → Part V’

48
3.3 Wortbildung

3.3.5 Konversion
Bei der Konversion wird ein Stamm ohne sichtbare Veränderung in
einen Stamm einer anderen Kategorie überführt. Konversion ist somit
die Umkategorisierung eines Stammes. Es findet ein Wortartwechsel
statt, ohne dass dieser durch ein Affix oder durch ein anderes Mittel
angezeigt wird wie bei der Derivation. Konversionen mit Umlaut sind
auch möglich.

(123) a. Adjektivstamm → Verbstamm b. Verbstamm → Substantivstamm


weitA → weitV schlafV → SchlafN

V N

A V

weit schlaf
Zu unterscheiden sind:
• syntaktische Konversion
Konversion ohne Flexion
(auch: Transposition oder Wortformkonversion; von einigen
Grammatikern nicht zur Wortbildung gerechnet): Wichtig bei der Betrachtung von
Konversionen ist, dass Flexions-
(124) laufV – das LaufenN endungen wie z. B. das Infini-
tivsuffix -en bei weiten keine
(125) gefalleneA – der / die / das GefalleneN Wortbildungsmittel sind.
(126) obdachloserA – ObdachloserN Auch weitet ist ein Verb, das vom
Adjektiv weit abgeleitet ist, es
• morphologische Konversion trägt die Flexionsendung -et.
(auch: Stammformkonversion):

(127) laufV – der LaufN


(128) KleidN – kleidV

Null-Affigierung
Man kann die Konversion auch als einen kombinatorischen Wortbil- Vorteil 2 ist besonders einträg-
dungsprozess mit einem Null-Affix betrachten. Man spricht dann von lich bei komplexen Wörtern wie
Null-Affigierung und nicht von Konversion. Null-Affigierung ist bei dem folgenden, bei dem ohne
Null-Affigierung nicht ohne Wei-
dieser Auffassung, der wir uns hier anschließen wollen, eine Subklas-
teres zu sagen wäre, dass der
se der Derivation.
Kopf die am weitesten rechts
Die Analyse der nicht overten Wortartenwechsel bei Stämmen als stehende Konstituente ist.
Null-Affigierung hat mehrere Vorteile: (129) Wasserablauf
1. Das Prinzip der binären Verzweigung ist gewahrt.
N
2. Das Kopfprinzip ist gewahrt.
N N
Der Strukturbaum sieht wie folgt aus:

(130) a. grasV : b. grünV : V Naf

V V Part V

N Vaf A Vaf Wasser ab- lauf ∅

gras ∅ grün ∅

49
3.3 Wortbildung

3.3.6 Weitere Wortbildungsmittel im Deutschen


Neben den genannten Mitteln der Wortbildung gibt es noch eine Rei-
he weiterer Verfahren, die im Folgenden mit einigen Beispielen auf-
gelistet sind.
• Rückbildung / Reanalyse: SprachnutzerInnen bilden per
Rückbildung Wörter, in dem sie vorhandene Wörter neu ana-
Bei den Rückbildungen ist zu be-
lysieren und scheinbar eine Wortbildungsregel umdrehen. Im
achten, dass die entstandenen
Deutschen typisch bei Verben: Ableitung komplexer Verben aus Verben spezifische Eigenschaf-
komplexen Substantiven, deren Zweitglied von einem Verb ab- ten haben: sie erscheinen z. B.
geleitet ist. in der Regel in letzter Position
im Satz. Verbzweitstellung ist
(132) bauchlanden, schleichwerben problematisch:

(131) In dieser Sendung wird


• Zusammenbildungen: Entweder dreigliedrige Wortbildungen,
man schleichwerben. vs.
da weder die ersten beiden noch die letzten beiden Glieder frei
* Sie werben schleich.
vorkommen (133), oder aber Derivation mit einem nichtlexika- * Sie schleichwerben.
lischen, nicht frei vorkommenden ersten Teil (134).

(133) Schriftsteller:
?Schriftstell + er, ?Schrift + steller, ?Schrift+stell+er
(134) Altsprachler, zielstrebig, zeitlebens

Neben diesen Wortbildungsverfahren gibt es noch folgende Mittel,


um neue Wörter zu produzieren:
• Kontamination (auch Amalgamierung, Wortmischung, -ver-
schmelzung, -kreuzung, Kofferwörter): Wortbildungsverfahren,
das bei der Kombination von Wörtern durch Weglassen eines
Teils eines oder mehrerer Wörter ein neues Wort entstehen lässt.

(135) smog aus smoke und fog; Kurlaub, Brunch

• Zusammenrückungen: aus syntaktischen Phrasen hervorge-


gangen

(136) Vergissmeinnicht, infolge, Möchtegern

• Kurzwortbildung:
» Akronyme (= Inititalwörter), Kombination von Anfangs-
buchstaben; kann phonetisch gebunden (137) oder unge-
bunden (138) sein.

(137) UNO, EDV, UFO


(138) MfG, LG, EU

» Kurzwörter

(139) Krimi, Trafo, Schiri, öko

3.3.7 Produktivität
Wie wir gesehen haben, werden komplexe Wörter durch Regeln er-
zeugt. Einige dieser Regeln erzeugen ‚leichter’ neue Wörter als ande-
re. Einige dieser Regeln produzieren mehr unterschiedliche Wörter als
andere. Man sagt, dass Regeln, die leichter (oder wahrscheinlicher)
neue Wörter produzieren als andere, produktiver sind. Der Begriff der
Produktivität wird ganz unterschiedlich verwendet und Produktivi-
tät hängt von vielen Faktoren ab.

50
3.4 Flexion (Formenlehre)

• Wichtig ist hier, dass der Unterschied kein kategorialer ist, son- Produktivität über Zeit
dern ein quantitativer.
So ist die Adjektivbildungsre-
• Wichtig ist auch, dass die Neubildungen selbst nicht ‚produktiv’ gel auf -sam, die die Wörter in
sein können, sondern nur die Regeln, die diese produzieren. Die (140) hervorgebracht hat, heu-
Produktivität von Regeln kann sich über die Zeit hin verändern. te nicht mehr (oder kaum noch)
produktiv. Man erwartet also
Produktiv erzeugte Wörter sind per Definition regelmäßig – sie sind
nicht, dass es noch viele Neu-
ja gerade durch die Regel erzeugt worden. Ein Wort, das nicht mehr bildungen mit -sam geben wird.
neu gebildet werden muss, sondern als komplexes Wort im (mentalen) Die -ung-Derivation von Verben
Lexikon gespeichert ist, nennt man lexikalisiert. Viele lexikalisierte hingegen ist sehr produktiv –
Wörter sind auch regelmäßig – das heißt, man kann eigentlich gar neben vielen bereits bekannten
nicht unterscheiden, ob sie gerade nach einer Regel gebildet wurden Wörtern wie in (141) sieht man
oder ob sie gespeichert sind. auch neu gebildete Wörter wie
in (142) (aus dem AD2006 Kor-
Aber manchmal verändern sich gespeicherte Wörter hinsichtlich ih- pus) und kann sich leicht weitere
rer Bedeutung oder ihrer phonologischen Eigenschaften (je länger ein Neubildungen vorstellen.
Wort in einer Sprache ist, desto wahrscheinlicher wird das). Das heißt,
(140) empfindsam, geruhsam,
dass es Wörter gibt, die zunächst so aussehen, als seien sie regelmä-
einfühlsam
ßig, die dann aber semantische Besonderheiten haben. Solche Wörter
kann man nur lernen und nicht mehr ableiten. Oft erkennt man die (141) Untersuchung, Entwick-
ursprüngliche Bildungsregel noch, manchmal werden die Wörter wie lung, Bedeutung, Anwen-
dung
Simplizia wahrgenommen.
(142) Die Chlorierung mit Ba-
Blockierung solan DC führt hingegen
Des Weiteren können Wortbildungsmuster produktiv, aber dennoch zu einer Vergilbung.
in bestimmten Fällen blockiert sein, meist weil es schon ein gleichbe-
deutendes Wort im Lexikon gibt (totale Synonymie ist etwas Selte-
nes):
Von einer partiellen Blockierung
spricht man, wenn nicht alle po-
(144) #Stehler (Dieb), #Weckung (das Wecken) tentiellen Lesarten zur Verfügung
stehen:
Typisch für Blockierungen ist, dass das lt. Wortbildungsregel potenti-
(143) Maler vs. Kocher ;
ell bildbare Wort, also bspw. Stehler, durchaus vorkommt. Man findet
letzteres nicht als Han-
blockierte Wörter in Korpora.
delnder, da es schon das
• Beachten Sie, dass in diesem GK nur heute noch produktive Wort Koch gibt.
Muster beschrieben werden. Da bspw. einige Affixe schon lan-
ge in der Sprache sind und dabei ihre Eigenschaften verändert Ehemals produktive Muster
haben, kann es sein, dass es einzelne komplexe Wörter gibt, die
diese Affixe zwar enthalten, aber trotzdem nicht in die heute Früher gab es ein Muster, in dem
noch produktiven Muster passen. sich -bar mit Nomina verbunden
hat. „Überbleibsel“ sind fruchtbar
oder furchtbar.
3.4 Flexion (Formenlehre)
Gegenstand der Flexion ist die Bildung von Wortformen. An Wort- Die Flexion wird schwerpunkt-
formen sind sprachspezifisch und wortartspezifisch verschiedene mor- mäßig in der Übung „Deutsche
phosyntaktische Flexions- oder Einheitenkategorien markiert. Bei der Grammatik“ behandelt.
Flexion wird unterschieden zwischen
• der Deklination von Nomina (im weiten Sinn, d. h. aller no-
minalen Kategorien) und
• der Konjugation von Verben. Komparation
Nominalflexion: Deklination Ob die Komparation von Ad-
Bei substantivischen und adjektivischen Wörtern bezüglich der gram- jektiven – mit den Kategorien
matischen Kategorien: Positiv, Komparativ und Su-
perlativ – zur Flexion oder zur
Numerus: Singular, Plural Wortbildung gehört, ist umstrit-
Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ ten.

51
3.4 Flexion (Formenlehre)

Bei adjektivischen Wörtern zusätzlich:


Genus: maskulinum, femininum, neutrum
Stärke: stark, schwach, gemischt
Verbflexion: Konjugation
Ein finites Verb ist spezifiziert hinsichtlich der grammatischen Ka- Infinite Verben
tegorien:
Ein infinites Verb ist entweder
Person: 1., 2., 3. ein Infinitiv oder ein Partizip I /
Partizip II.
Numerus: Singular, Plural
Modus: Indikativ, Konjunktiv, Imperativ
Tempus: Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt,
Futur I und II
Genus verbi: Aktiv, Passiv
Flexionsparadigma
Die Gesamtheit der Flexionsformen eines Wortes bilden (s)ein Flexi- Verbales Paradigma
onsparadigma.
Ausschnitt: Präteritum-Formen
• Synkretismus: Ein Flexionsparadigma enthält dieselbe Form von rufen
an verschiedenen Positionen, d. h. es gibt eine identische Form Sg. Pl.
für unterschiedliche Funktionen. Synkretismen findet man auch 1. P. rief – -en
in der Nominalflexion
2. P. rief -st -t
(→ Kasussynkretismus, Mischkasus), z. B.
3. P. rief – -en
(145) Nom-Gen-Dat-Akk Sing:
(die) Frau – (der) Frau – (der) Frau – (die) Frau

Flexionsklassen
• Suppletion: Ein Flexionsparadigma enthält nicht-stammver- Flexionsparadigmen lassen sich
wandte Formen. zu Flexionsklassen zusammen-
fassen (vgl. z. B. die Klassen der
(146) Lexem: sein starken und schwachen Verben,
1. Stamm: sei- (sei, seist, seid, sein, seiend) die Klasse der Nomen, die eine
2. Stamm: sind bestimmte Pluralendung neh-
3. Stamm: bin (bin, bist) men).
4. Stamm: ist
5. Stamm: war- (war, warst, waren, wart, wäre,
wäret, wärst, wären)
6. Stamm: wes- (gewesen)
Weiterhin gibt es Kategorien, die
Morphologische Prozesse bei der Bildung von Wortformen durch die Abwesenheit eines Af-
im Deutschen (vgl. 3.3.2) fixes ausgedrückt werden, vgl.
Deutsch Präteritum lern-t-e vs.
Präsens lern-e. In diesen Fällen
• Affigierung: Externe Flexion hat man ein Sprachzeichen mit
Inhalt „Präsens“ und dem Aus-
(147) Kind-er, lach-t druck „Null“. Solche Fälle lassen
sich unter der Annahme eines
Nullmorphems analysieren, in
• Innere Modifikation: Innere (interne) Flexion (Vokaländerung
dem vorliegenden Beispiel eines
am Stamm): Nullsuffixes, also lern-∅-e.
» Umlaut (Nachvornverlagerung des Vokals):
Bogen – Bögen, Sattel – Sättel
» Ablaut: sing- – sang-, halt- – hielt-
» Ablaut + Konsonantenveränderung:
geh- – ging-, steh- – stand-

52
3.4 Flexion (Formenlehre)

Auch die Flexion kann in einem Strukturbaum dargestellt werden.


Beachten Sie aber, dass die am weitesten rechts stehende Konstitu-
ente kein Kopf o. ä. ist. Der Kopfbegriff ist nur für die Wortbildung
einschlägig.
(148) a. Tage b. Koffer (Plural) c. schönes

N N A

N Flex N Flex A Flex

tag -e koffer -∅ schön -es

d. Untaten e. unschönes

N A

N Flex A Flex

Naf N Aaf A

un- tat -en un- schön -es

3.4.1 Morphologie im Sprachvergleich: Sprachtypen nach


Wortstruktur
Die Sprachen der Welt lassen sich nach ihren morphologischen Eigen-
schaften in verschiedene Typen einteilen. Die im Folgenden genannten
Typen nehmen ihren Anfang bereits im 19. Jhd. und sind mit Namen
wie Friedrich und August von Schlegel, Wilhelm von Humboldt und
August von Schleicher verbunden.
Isolierende Sprachen (149) Vietnamesisch:
Die grammatischen Beziehungen zwischen Wörtern im Satz werden khi tôi đến nhà
durch selbständige, syntaktische Formenelemente realisiert. D. h. es als 1P komm Haus
gibt keine gebundenen Morpheme. Zu den isolierenden Sprachen ge-
hören z. B. das Vietnamesische (149) und eine Reihe westafrikanischer ban tôi chúng tôi
Sprachen. ˙
Freund 1P PL 1P
Auch im Deutschen oder Englischen gibt es Formen der Isolation, bắt đấu
etwa Auxiliare (im Deutschen aber mit Flexion verbunden, im Eng- anfangen(ergreif Kopf )
lischen oft ohne Flexion).
làm bài
(150) Ich werd-e gehen. tun Übung
(151) Wir werd-en gehen ‚Als ich zum Haus mei-
(152) I/you/(s)he/we/they will go. nes Freundes kam be-
gannen wir, Übungen
Agglutinierende Sprachen zu machen.’ [Comrie
Grammatische und lexikalische Morpheme mit jeweils einfachen Be- (2001): Aspect. S.40]
deutungen werden aneinandergereiht, d. h. wir finden eine 1:1-Zu-
ordnung von Morphem und Bedeutung/Funktion. Das Resultat sind
hochkomplexe Wörter mit zahlreichen Morphemen. Zu den aggluti-
nierenden Sprachen gehören z. B. das Türkische, das Finnische, das
Ungarische sowie Bantu-Sprachen.

(153) Türkisch

53
3.4 Flexion (Formenlehre)

‘Haus’ ‘Häuser’ ‘dein Haus’ ‘meine Häuser’


Stamm-Plur-Kasus Stamm-Poss2-Kasus Stamm-Plur-Poss1-Kasus
Nom. ev ev-ler ev-in ev-ler-im
Gen. ev-in ev-ler-in ev-in-in ev-ler-im-in
Dat. ev-e ev-ler-e ev-in-e ev-ler-im-e
Akk. ev-i ev-ler-i ev-in-i ev-ler-im-i
Abl. ev-den ev-ler-den ev-in-den ev-ler-im-den
Lok. ev-de ev-ler-de ev-in-de ev-ler-im-de

(154) Türkisch
çalıştırılmamalıymış
‚anscheinend sollte man ihn nicht zur Arbeit veranlassen’
çalış – tIr – Il – mA – mAlI – ymIş
‚arbeit’- – Verursachung – Passiv – Negation – Obligation – Evidenz

Flektierende Sprachen
Im Unterschied zu den agglutinierenden Sprachen tendieren die Mor-
pheme in flektierenden Sprachen zur Polysemasie. Darüber hinaus Polysemasie
kann ein Flexionsmorphem gleichlautend mit einem funktional ande-
ren sein (z. B. -en). Es kommt zu Allomorphie. Bestimmte gramma- Ein Flexionsmorphem trägt ver-
tische Kategorien werden mehrfach markiert (z. B. wird der Plural schiedene grammatische Infor-
im Deutschen durch Affigierung plus Stammvokaländerung kodiert). mationen, z. B. Numerus und
Kasus.
Zu den flektierenden Sprachen gehören die indogermanischen Spra-
chen.
Polysynthetische / inkorporierende Sprachen
Polysynthetische Sprachen sind im Grunde nur besonders reich flek-
tierende Sprachen, sie weisen eine Tendenz zur Inkorporation auf,
d. h. dass lexikalische Morpheme mit anderen lexikalischen (und de-
ren grammatischen) Morphemen verschmolzen werden. Zu den poly-
synthetischen Sprachen gehören z. B. Eskimo, Irokesisch, die Maya-
Sprachen und Nahuatl.
Das folgende Beispiel zeigt ein Nomen im Oneida in isolierter Stel-
lung und dasselbe Nomen in einem Satz – in letzterem Fall wird es
inkorporiert:

(155) Oneida (Irokesisch):


a. ohnaná:taP: o- hnanaPt- aP
‘Kartoffel’ nominales Präfix Kartoffel nomenbildendes Suffix
b. wakathnanaPtu:t2: waP- k- at- hnanaPt- ut- 2:
‘Ich buk Kartoffeln.’ Prät- 1.P.Sg.Nom- srefl- Kartoffel back- perf
Barrie, M. (2006)2

Viele Sprachen weisen Eigenschaften mehrerer dieser traditionellen


morphologischen Typen auf. Dazu gehören der Grad der (phonolo-
gischen) Fusion eines grammatischen Formativs mit seinem Träger,
der Grad der Synthese (= Anzahl der Kategorien oder Morpheme,
die in einem (syntaktischen) Wort auftreten), die semantische Ex-
ponenz (= Anzahl der Kategorien, die in einem grammatischen For-
mativ kodiert sind) etc. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass in
den morphologischen Typen mehrere Eigenschaften zusammengefasst
sind. Weiteres hierzu erfahren Sie in einem speziellen Kurs zur Mor-
phologie.

2 Barrie, M. (2006) Dynamic Antisymmetry and the Syntax of Noun Incorporation.


Diss. University of Toronto. S. 141

54
4 Syntax
4.1 Gegenstand der Syntaxtheorie
Gegenstand der Syntaxtheorie ist die Syntax, griech. Zusammenstel-
lung, aus: sýn ‚zusammen‘ und tàxis ‚Ordnung‘. Die Syntax einer
Sprache ist der Teilbereich der Grammatik, der den Satz- oder Phra-
senbau aus kleineren Einheiten regelt.
Wesentlich dabei ist, dass
• der Satz aus Teilen zusammengesetzt ist, welche wiederum aus Satzbau
kleineren Teilen zusammengesetzt sein können, Dies ist in den folgenden Bei-
• die Teile unterschiedlicher Art sind, spielen verdeutlicht: In Satz (2)
• die Zusammensetzung bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgt. werden ganz offensichtlich lineare
Regeln nicht befolgt, solch einen
Der Satzbau ist charakterisiert durch: Satz gibt es nicht im Deutschen.
Satz (3) kann zwei unterschied-
• die lineare Abfolge der Teile,
liche hierarchische Strukturen
• ihre interne Struktur, insofern diese syntaktisch komplex ist, haben – er ist mehrdeutig: Ent-
d.h. die hierarchischen Verhältnisse. weder sah Paul einen Mann, der
ein Fernglas hatte, oder Paul
Die Syntax einer Sprache ist somit das System von Regeln, das al-
sah einen Mann mittels eines
le syntaktisch wohlgeformten Sätze einer Sprache ableitet und die Fernglases.
nicht wohlgeformten Sätze ausschließt. Das Beispiel (2) ist syntak-
tisch nicht wohlgeformt bzw. ungrammatisch. Syntaktisch nicht wohl- (1) Der kleine Hund sitzt un-
geformte Sätze sind zu unterscheiden von: ter dem Stuhl und jault.
(2) * Jault sitzt und dem Stuhl
• Sätzen, die zwar grammatisch, aber inkorrekt verwendet sind, unter der Hund kleine.
vgl.
(3) Paul sah (den Mann mit
dem Fernglas). vs. Paul
(4) A: Hier ist überhaupt nichts langweilig! sah (den Mann) (mit
B: # Selbst langweilig ist diese Vorlesung nicht. dem Fernglas).

• Sätzen, die zwar keinem grammatischen Prinzip widersprechen,


aber aus Verarbeitungsgründen inakzeptabel sind, vgl.
Präskriptive Regeln
(5) Die, die die, die die, die die Brücken, die für den Ver-
kehr unentbehrlich sind, bauen, unterstützen, belästigen, Im Gegensatz zu präskriptiven
werden bestraft. (Coseriu 1988: 46f.) Regeln geht es bei deskriptiven
Regeln nicht um Stilistik oder
• Sätzen, die aus semantischen Gründen inakzeptabel sind, vgl. Regeln für „gutes Deutsch“ wie:
Es heißt nicht wegen dem Haus
(6) # Der Stuhl streichelt den Hund. sondern wegen des Hauses. Fakt
ist, dass SprecherInnen oft For-
(streicheln verlangt ein belebtes Subjekt) mulierungen wie wegen dem Haus
benutzen. Aber sie würden nicht
Deskriptive Regeln sagen:
Wichtig bei der Beurteilung von Sätzen ist es auch, zwischen deskrip-
tiven und präskriptiven Regeln zu unterscheiden. Bei der Beurteilung (7) * Ich bin wegen das Haus
der obigen Beispiele haben wir uns auf unsere Intuition verlassen: gekommen.
SprecherInnen haben ein Gefühl dafür, was man in ihrer Mutterspra- (8) * Ich bin dem wegen Haus
che sagen kann und was nicht. Das ist unsere sog. muttersprachliche gekommen.
Kompetenz (mehr dazu gleich). (9) * Ich bin wegen Haus dem
gekommen.
Wir brauchen kein Buch für gutes Deutsch, um zu wissen, dass man
das nicht sagen kann. Es ist auch nicht so, dass diese Varianten we-
niger „schön“ als die anderen Varianten sind. Sie sind ungrammatisch.
Sie verletzen Regeln des Deutschen, wie z. B.
• Präpositionen stehen vor einer Nominalphrase,

55
4.1 Gegenstand der Syntaxtheorie

• Artikel stehen vor einer Nominalphrase.


Regeln dieser Art sind deskriptiv. Sie stellen fest, was grammatisch
ist, nicht aber was sozial bevorzugt ist (bspw. um einen guten, gebil-
deten Eindruck zu hinterlassen).
Syntaxtheorien
Die Frage der muttersprachlichen Intuition ist ganz wesentlich in den Kompetenz
sog. generativen Syntaxtheorien. Ziel dieser Theorien ist es, die de- Die Kompetenz ist definiert als
skriptiven Regeln freizulegen, die den linearen und hierarchischen Ge- unsere allgemeine Sprachfähig-
setzmäßigkeiten des Satzbaus zugrunde liegen, und damit die Kompe- keit. Sie ist ein mental („im Geist“)
tenz der SprecherInnen zu untersuchen. verankertes unbewusstes Wis-
senssystem von Regeln und Prin-
Ausgehend von dem Anspruch, die allgemeine Sprachfähigkeit zu un- zipien, das der Produktion und
tersuchen, ergibt sich auch ein bestimmter Adäquatheitsanspruch Rezeption vieler Sätze zugrunde
von generativen Grammatiken. Die generative Grammatik will er- liegt (auch: I-Sprache für inter-
klärungsadäquat sein. Dies unterscheidet sie von früheren Ansätzen, nalisierte Sprache). Die Kompe-
z. B. dem strukturalistischen (de Saussure), die zwar auch schon zwi- tenz äußert sich in der Fähigkeit:
schen dem Sprachsystem („langue“) und seiner Anwendung („paro- • Sätze einer Sprache als gram-
le“) unterschieden, aber nur beschreibungsadäquat sein wollten. Eine matisch wohlgeformt oder
Grammatik ist ungrammatisch zu beurteilen,

• beobachtungsadäquat, • strukturell verwandte Sätze


wenn die von ihr formulierten Regeln alle grammatischen Sätze zu erkennen,
und nur diese zu bilden erlauben,
• beschreibungsadäquat,
wenn sie beobachtungsadäquat ist und den Sätzen der entspre-
Performanz
chenden Sprache intuitiv korrekte Strukturbeschreibungen zu-
ordnet, Die Kompetenz ist zu unterschei-
• erklärungsadäquat, den von der Performanz, welche
wenn sie beschreibungsadäquat ist und eine plausible Hypothe- die Anwendung von Sprachfä-
se über die menschliche Sprachausstattung im Allgemeinen und higkeit in der konkreten Sprech-
situation meint. Oft weicht die
den Erwerb von Sprache liefert.
Performanz von der Kompetenz
Wenn also eine Grammatik erklärungsadäquat sein möchte, spielt ab: SprecherInnen versprechen
die Erwerbbarkeit von Regeln eine wichtige Rolle: dem Kind muss es sich, brechen mitten im Satz ab,
möglich sein, die Regeln zu erlernen. Dabei muss einerseits geklärt wiederholen Wörter. Jedoch wür-
de niemand daraus schließen,
werden, mit welcher Sprachausstattung das Kind zur Welt kommt,
dass sie ihre Muttersprache nicht
und andererseits, wie Regeln aussehen müssen, damit sie mit die- beherrschen.
ser angeborenen Sprachausstattung erworben werden können. Die
Sprachausstattung, mit der wir geboren werden, stellen einige Wis-
senschaftler sich als ein Set von Prinzipien vor, und bezieht sich auf
diese als die Universalgrammatik (UG).

Exkurs: UG

Warum nehmen wir aber an, dass es so etwas kommt, d. h. es muss sich darauf verlassen, dass das,
wie eine UG gibt? Ein wichtiges Argument ist das was es hört, grammatisch ist. Hier gibt es aber das
sog. Poverty-of-the-Stimulus-Argument, das Argu- Problem, dass die Daten, die das Kind geliefert be-
ment vom schlechten Input. kommt, Performanzdaten sind. Wir haben schon ge-
Wenn ein Kind sprechen lernt, macht es ja offensicht- sagt, dass diese fehlerhaft sein können. Andererseits
lich zunächst eine Menge Fehler. Es bekommt jedoch ist es keineswegs so, dass das Kind alles hört, was
keine verlässliche Information darüber, welche Wort- grammatisch ist: Es ist in der Lage, unendlich viele
ketten ungrammatisch sind: es wird zwar hin und Sätze zu formen, die es noch nie gehört hat. Hierbei
wieder korrigiert, aber nicht bei jeder falschen Äu- ist auch zu beachten, dass Kinder Fehler machen, die
ßerung. Außerdem korrigieren unterschiedliche Leute auf die Anwendung von Regeln hinweisen (Überge-
auf unterschiedliche Art und Weise. Trotzdem lernen nerierung).
alle Kinder die Sprache auf dieselbe Art und Weise
(wenn auch in unterschiedlichem Tempo), d. h. die (10) geben – gegebt
Route ist vorgegeben. Insgesamt muss das Kind da- Schläfst du? Ich schläfe.
von ausgehen, dass es nur sog. positive Evidenz be- das Schaf – die Schäfe
(vgl. der Ball – die Bälle)

56
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Obwohl der Input, den das Kind für seinen Sprach- (11) Dt.: das grüne Haus
erwerb erhält, oft schlecht ist, ist das Kind dennoch Span: la casa verde
in der Lage, innerhalb von recht kurzer Zeit seine das Haus grün
Muttersprache zu erlernen.
Das deutet daraufhin, dass das Kind schon mit einer Man geht davon aus, dass das Inventar an Parame-
gewissen Sprachkompetenz, eben einem Set sprachli- tern beschränkt ist (auch aus Ökonomiegründen).
cher Prinzipien, d. h. einer Universalgrammatik ge- Prinzipien und Parameter sind Teil unserer gram-
boren wird. Nun gibt es unterschiedliche Sprachen matischen Kompetenz.
auf der Welt. Wie kommt das, wenn doch allen Men- Ziel generativer syntaktischer Untersuchungen ist es
schen dieselbe UG angeboren ist? demnach, sich einerseits den Einzelsprachen zu wid-
Die Idee ist, dass durch den Input der Zielspra- men, um deren Eigenschaften genau kennenzulernen,
che sog. Parameter gesetzt werden. Dies sind einzel- und andererseits den Gemeinsamkeiten und Unter-
sprachlich spezifische Regeln, die Möglichkeiten dar- schieden zwischen den verschiedenen Sprachen nach-
stellen, die universalgrammatischen Prinzipien aus- zugehen – gibt es Strukturen, die in allen Sprachen
zubuchstabieren. Man nimmt z. B. an, dass es einen ausgeschlossen sind? So möchte man die Prinzipi-
sog. Kopfparameter gibt, der regelt, ob der Kopf ei- en und Parameter der grammatischen Kompetenz
ner Phrase links oder rechts von bestimmten anderen freilegen. In diesem Lehrmaterial werden wir – nach
Elementen der Phrase steht. Was das genau bedeu- einem Überblick über ganz wesentliche traditionel-
tet, schauen wir uns später an (s. Abschnitt 4.5.2.2 le Grammatikbegriffe, die Ihnen z. T. schon aus der
für den Kopfbegriff in der Syntax) – die folgenden Schulgrammatik vertraut sind und die vorrangig in
Beispiele illustrieren den Kopfparameter. der Übung „Deutsche Grammatik“ besprochen wer-
Wir sehen, dass das Substantiv in einer Phrase mit den – Begrifflichkeiten und Erklärungsansätze der
einem Adjektiv in Abhängigkeit von der jeweiligen generativen Grammatik in der Chomskyschen Tra-
Sprache links oder rechts von dem Adjektiv stehen dition kennenlernen, die von Noam Chomsky (1957)
kann: begründet wurde, und die die Basis für viele syntak-
tische Untersuchungen in der Forschung bildet.

4.2 Syntaktische Grundelemente in der tradi-


tionellen Grammatik
Wir haben gesagt, dass ein Satz aus Teilen zusammengesetzt ist. In Hinweis
diesem Abschnitt werden wir uns anschauen, was das für Teile sind. Die Abschnitte 4.2, 4.3 und 4.4
Dies werden wir in den Begrifflichkeiten der traditionellen Grammatik werden in der Übung „Deutsche
tun, die die Basis bilden für eine Annäherung an die Syntax aus Grammatik“ behandelt.
generativer Sicht.

4.2.1 Wortarten/Wortklassen
Lexikalische Wörter werden nach Wortarten klassifiziert. Diese Klas-
sifikation bildet die Basis für eine Beschreibung und Theorie des
Wortbaus (Morphologie) wie auch des Satzbaus (Syntax). Vorschläge
zur Wortartenklassifizierung unterscheiden sich danach, welche Kri-
terien als klassenunterscheidend angesetzt werden: morphologische
Kriterien (z. B. flektierende vs. nicht-flektierende Wortarten), syntak-
tische Kriterien (Kombinationspotential; Eigenständigkeit: kann ein
Wort allein stehen oder nicht) und/oder semantische Kriterien (z. B.
referierende vs. nicht-referierende Wortarten).
Die Übersicht auf der folgenden Seite kombiniert Angaben aus Brandt
et al. (2006:169) und der Duden-Grammatik (2005:133ff).
Traditionellerweise betrachtet man die Wörter als die kleinsten für
den Satzbau relevanten Teile. Wörter können sehr unterschiedliche
Eigenschaften haben, deswegen ist es sehr sinnvoll, sie zu klassifi-
zieren (s. Abschnitt 4.2.1). Die nächsthöhere Ebene über der Wor-
tebene ist die Ebene der Satzglieder, wobei ein Satzglied aus einem
oder mehreren eng zusammengehörenden Wörtern besteht, die ei-
ne bestimmte grammatische Funktion im Satz haben (s. Abschnitt
4.2.2).

57
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Wortklassen
In der folgenden Klassifikation sind zum einen morphologische Merk-
male berücksichtigt: solche, die bei der Bildung der Flexionsformen
der Wörter eine Rolle spielen (bei den Flektierbaren auf der linken
Seite); und zum anderen syntaktische Kombinationsmerkmale (bei
den Nichtflektierbaren, rechte Seite).

Abbildung 4.1: Wortklassifikation


Wort

flektierbar nicht-flektierbar

nach Tempus nach Kasus nicht


konjugierbar deklinierbar funktionsfähig* funktionsfähig

nicht
festes Genus variables Genus
Kasus Kasus
nicht bestimmend bestimmend
komparierbar komparierbar
nicht
nicht ko/subordi- ko/subordi-
funktions- funktions- nierungs- nierungs-
fähig* fähig fähig fähig

Verb Nomen Adjektiv Pronomen Artikel Adverb Adposition Junktion Partikel


*funktionsfähig heißt: Wortklasse kann oder muss selbstständig eine syntaktische Funktion im Satz erfüllen: Pronomen haben
stets Satzgliedfunktion, Adverbien können Satzgliedfunktion haben. (Dieses Kriterium trifft selbstverständlich auch auf die Verb-,
Adjektiv- und Substantiv-Kategorien zu). Die Kategorie Adposition fasst Präpositionen, Postpositionen und Zirkumpositionen
zusammen. Die Kategorie Junktion fasst Konjunktion und Subjunktion zusammen.

morphologische
Wortart syntaktische Eigenschaften Untertypen
Eigenschaften

Nomen (= Substantiv) dekli- kombinierbar mit vorange-


nierbar nach Kasus hendem Artikel und Adjek-
und Numerus; festes tiven
Genus
Pronomen deklinierbar nach ersetzt meistens Substantive • Personal (ich, du, er)
Kasus, Numerus und und Substantivgruppen • Reflexiv (sich, mich)
meist Genus • Reziprok (einander)
• Possessiv (mein, ihr)
• Demonstrativ (dieser, jener)
• Indefinit (jeder, mancher)
• Relativ (der, welcher)
• Interrogativ (wer, was)

Artikel / deklinierbar nach Ka- kombiniert mit nachfolgen- • definite (der/die/das)


Determi- sus, Numerus und Ge- dem Nomen • indefinite (ein)
nierer nus • demonstrative Artikelwörter
(dieser, jener)
• possessive Artikelwörter
(meine, seine)
• negierende (kein)
• quantifizierende
(jeder, manche, alle)

58
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Verb konjugierbar nach nimmt typischerweise Er- • Unterteilung in finite vs. infi-
Person und Numerus; gänzungen (Subjekt, Prädi- nite Verbformen
Kongruenz mit dem kativ, Objekte, seltener Ad- • Untertypen nach Funktion:
Subjekt; markiert für verbiale) Voll, Hilfs, Kopula, Modal
Tempus, Modus • Untertypen nach Anzahl der
Ergänzungen (Valenz):
1 (schlafen); 2 (lieben);
3 (geben)

Adjektiv deklinierbar nach Ge- Verwendungsweisen:


nus, Numerus, Kasus; • attributiv (der laute
komparierbar Sprecher) – Kongru-
enz mit Nomen
• prädikativ (der Sprecher
ist laut)
• adverbial (Er spricht
laut.) – Man spricht
hier häufig von einem
Adverb.
kann z. T. Ergänzungen
nehmen: seines Glaubens si-
cher, ihm treu, der Idee
dienlich
Adverb unflektierbar Verwendungsweisen: Untertypen nach Bedeutung:
• adverbial (Sie isst gern) • Lokal (dort, hier, hin, wo)
Achtung: • Temporal (heute, wann, oft,
Adverb = Wortart;
Adverbial = Satzgliedfunktion: schon, lange)
Sie isst . . . • Modal (so, wie, eilends)
(gern)Adverbial/Adverb
(mit Wonne)Adverbial/P räp.
• Kausal (deswegen, trotzdem)
• attributiv (der Vortrag • Kommentar oder Satz (viel-
gestern) leicht, zugegebenermaßen,
• prädikativ (Sie ist an- leider)
ders) • Zahl (drittens)
Untertyp nach Form:
• Präpositionaladverbien (lt.
Duden). (darauf, hiermit);
bei Helbig/Buscha Pronomi-
naladverbien, hier meistens
Pronomen

Adposition unflektierbar • nimmt Ergänzungen, de- Unterteilung nach relativer Positi-


ren Kasus sie be- on zur Ergänzung:
stimmt • Präposition (in dem Buch),
• allein nicht satzgliedfä- Verschmelzung mit def. Ar-
hig Verwendungswei- tikel möglich (im Buch, ins
sen: Buch)
• adverbial, attributiv, • Postposition (der Aufgaben
prädikativ, als Ob- wegen)
jekt • Zirkumposition (um des lieben
Friedens willen)

Junktion unflektierbar • verknüpft Satzteile und Untertypen nach Art der Ver-
Teilsätze knüpfung:
• nicht satzgliedfähig • Konjunktion: koordinierend
• nicht vorfeldfähig (und, aber)
(und, denn, oder) • Subjunktion: subordinierend
• subordinierende sind in (weil, seit, obwohl)
der linken Satzklam-
mer (s. u.), koordinie-
rende nicht.

59
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Partikel (andere) unflektierba- • Fokus-/Hervorhebungspartikel


re Wortarten (auch, nur, sogar)
• Modal-/Abtönungspartikel
(ja, eben, doch; Das ist
schon übel.)
• Intensitätspartikel/Steige-
rungspartikel
(sehr, ziemlich, besonders)
• Negationspartikel
(nicht)
• Gesprächspartikel
(Grüße und Interjektionen
wie ja, hm, also, nein, doch,
hallo, aua . . . )

Es gibt noch weitere Einteilungen der Wörter in gröbere Klassen, die


auf andere Kriterien Bezug nehmen:
Offene vs. geschlossene Wortklassen Diese Unterscheidung nimmt
Offene Wortklassen lassen sich durch produktive Wortbildung um Bezug auf die potentielle Erwei-
neue Elemente erweitern. Das ist z. B. der Fall bei Nomen (Pinnwand- terung einzelner Wortklassen um
betreuer), Verben (antexten), Adjektive (houselastig) und Adverbien neue Elemente.
(jackentaschenkompatibel designt).
Geschlossene Wortklassen können nicht durch Wortbildungsprozes-
se erweitert werden. Das gilt für Artikel, Konjunktionen, Partikeln,
Präpositionen und Pronomen.
Inhaltswörter vs. Funktionswörter Diese Unterscheidung zwischen
(auch: Autosemantika vs. Synsemantika) Inhalts- und Funktionswörtern
Inhaltswörter sind Wörter mit klarem semantischen Inhalt. Sie be- nimmt Bezug auf den „lexika-
zeichnen Personen, Dinge, Orte, Zustände, Ereignisse, Eigenschaften lischen Gehalt“ eines Wortes,
etc. Inhaltswörter sind Nomen, Verben, Adjektive, Adverbien. ist allerdings im strengen Sinne
nicht haltbar, da auch die Funk-
Funktionswörter sind Wörter ohne konkrete semantische Bedeutung. tionswörter klar definierbare Be-
Sie markieren morphosyntaktische Kategorien und Relationen. deutungen haben – Tempus und
Aspekt haben schließlich auch
4.2.2 Satzglieder eine Bedeutung. Trotzdem wird
die Unterscheidung in lexikali-
Ein Satzglied ist ein Element, dessen Teile eng zusammengehören und sche und funktionale Kategorien
das eine bestimmte grammatische Funktion im Satz hat, d.h. ein Satz- viel benutzt.
glied ist im Gegensatz zur Wortart relational: man kann es nur in Be-
zug auf andere Elemente im Satz, d. h. in seinem Kontext bestimmen. Beachten Sie aber, dass auch fol-
Man erkennt ein Satzglied daran, dass es sich im Aussagesatz vor das gendes möglich ist:
finite Verb (unterstrichen) schieben lässt (man nennt diesen Verschie-
betest auch Topikalisierung): (12) Den Ball weggenommen
hat Peter dem kleinen
Jungen.
(13) Peter hat dem kleinen Jungen den Ball weggenommen.
den Ball weggenommen wird
(14) Dem kleinen Jungen hat Peter den Ball weggenommen. nicht als Satzglied betrachtet:
(15) Den Ball hat Peter dem kleinen Jungen weggenommen. seine Bestandteile den Ball und
weggenommen können auch indi-
(16) Weggenommen hat Peter dem kleinen Jungen den Ball.
viduell verschoben werden. Wir
werden später sehen, dass den
Nach dem obigen Verschiebetest sind folgende Elemente keine Satz- Ball weggenommen trotzdem
glieder: eine Einheit ist, die wir als Kon-
stituente bezeichnen (siehe Ab-
• Teile von Satzgliedern, also Präpositionen, Attribute u. ä., schnitt 4.5.2). Satzglieder werden
• Satznegationen, Junktionen sowie Interjektionen und andere von Konstituenten unterschieden.
Satzäquivalente.

60
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

(17) Peter hat den Ball auf


Darüber hinaus ist der Topikalisierungstest auch für das Prädikat,
das hohe Dach geworfen.
das in manchen Grammatiken als Satzglied gewertet wird, nicht ein-
schlägig (unten mehr dazu). Der Begriff Satzglied ist ein relativer Be- (18) * Auf hat Peter den Ball
griff, d. h. ein Satzglied kann nur bezogen auf einen konkreten Satz das hohe Dach geworfen
bestimmt werden. Eine Wortart kann man auch unabhängig von ei- Aber: Auf ist die Sonne
gegangen, nicht unter.
nem Satz bestimmen. Beachten Sie: Trotz der (verhältnismäßigen)
Eindeutigkeit des Verschiebetests ist man sich nicht ganz einig dar- (19) * Hohe hat Peter den Ball
über, was als Satzglied zählt, und was nicht, s. folgenden Abschnitt. auf das Dach geworfen.
(20) * Nicht hat Peter den Ball
auf das Dach geworfen.
4.2.2.1 Liste „primärer“ Satzglieder

Es folgt eine Liste einfacher Satzglieder. „Einfach“, weil auch Neben-


sätze und Infinitivgruppen als Satzglieder und Satzgliedteile fungie-
ren können. Beispiele dafür finden Sie im Anschluss.
Prädikat
Das Prädikat besteht entweder allein aus einer finiten Verbform (ein-
teilig) oder aus einer finiten Verbform und weiteren Prädikatsteilen
(mehrteilig), also z. B. (wird arbeiten). Es ist der Kern des Satzes, Beachten Sie: Das Prädikat wird
nicht in allen Grammatiken als
weil es den im Satz beschriebenen Vorgang beschreibt. Die Zusam-
Satzglied betrachtet, z. B. in der
mengehörigkeit von Subjekt und Prädikat zeigt sich formal in der Duden-Grammatik. Wenn Sie
Person-Numerus-Kongruenz des Subjekts mit der finiten Verbform den Verschiebetest anwenden,
des Prädikats (du wartest, wir warten). Wie schon bemerkt, kann das merken Sie, dass dieser proble-
Prädikat ein- oder mehrteilig sein. matisch ist.

• einteiliges Prädikat: Sie arbeitet.

• mehrteiliges Prädikat: Sie wird morgen arbeiten.


das mehrteilige Prädikat kann diskontinuierlich sein – es ver- Ich sah ihn kommen.
teilt sich dann auf den linken und den rechten Teil der Satz- Sie hat gestern gearbeitet.
klammer (vgl. Abschnitt 4.3 zum Begriff der Satzklammer). Sie hätte singen müssen.
Sie will gerne arbeiten.
Sie fuhr die Laterne um.

• Besondere Form: Kopulaverb + Prädikativum Er wird ein Sozialfall.


(auch: Prädikatsnomen, Gleichsetzungsnominativ) Sie ist optimistisch.
Einige Grammatiken sehen das Kopulaverb als allein prädi- Er bleibt ein Optimist.
katsbildend an; das Prädikativum ist dann ein eigenständi-
ges Satzglied (siehe unten).

Prädikativ
Das Prädikativ macht auch eine Aussage über das Subjekt des Satzes,
es kann aber auch eine Aussage über das Objekt machen. Der Unter-
schied zum Prädikat ist, dass das Prädikativum nicht verbal ist. Typi-
scherweise ist es ein Nomen oder ein Adjektiv.

• Subjektsprädikativ (z. T. Gleichsetzungsnominativ): taucht Anja ist fleißig.


im Zusammenhang mit Kopulaverben auf Maria wird Abgeordnete.
Hans bleibt Student.

• Objektsprädikativ (z. T. Gleichsetzungsakkusativ) Sie nennen Emil Emilio.


Er sah ihn als Erben an.
Sie halten sie für klug.

Subjekt
• Erfragbar durch „Wer?“ oder „Was?“ Sie gab es ihm.

61
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Objekt

• Genitivobjekt („Wessen?“) Er gedachte der Opfer.

• Dativobjekt / indirektes Objekt („Wem?“) Sie gab es ihm.

• Akkusativobjekt / direktes Objekt („Wen? o. Was?“) Sie sah ihn.

• Präpositionalobjekt Sie wartet auf Godot.

• Objekt zum Prädikativ Sie ist ihr ähnlichP rädikativ .

Der Kasus der Objekte bzw. die


Präposition im Falle des Präpo-
Adverbial (Adverbialbestimmung, Umstandsbestimmung) sitionalobjekts werden vom Verb
Adverbiale werden nach semantischen Gesichtspunkten klassifi- regiert (d. h. bestimmt) bzw.
ziert (für eine umfassende Liste s. Duden-Grammatik 2005: 795ff.) vom Prädikativ.

• Adverbiale Bestimmung des Raumes / Lokaladverbial:


» Ort („Wo?“) Sie wartet auf dem Dach.
» Richtung („Wohin?“) Sie schickt ein Paket nach Hamburg.
» Herkunft („Woher?“) Inge kommt aus dem Schwimmbad.
» Räumliche Erstreckung („Wie weit?") Er ist drei Kilometer lang gelaufen.

• Adverbiale Bestimmung der Zeit / Temporaladverbial:


» Zeitpunkt („Wann?“) Eines Tages sah ich ihn wieder.
» Wiederholung („Wie oft?“) Sie läuft jeden Tag diese Strecke.
» Zeitliche Erstreckung Bis zum Essen kannst du noch lesen.
(„Wie lange / Seit wann / Bis wann?“)

• Adverbiale Bestimmung der Art und Weise / Modaladver-


bial:
» Beschaffenheit / Sosein („Wie?“) Sie arbeitet vorbildlich.
» Quantität („Wie viel?“) Anja arbeitet genug.
» Grad / Intensität („Wie sehr?“) Er peinigt mich bis aufs Blut.
» (Graduelle) Differenz („Um wie viel?“) Der Index stieg um fünf Punkte.
» Stoffliche Beschaffenheit („Woraus?“) Sie schnitzt aus Holz eine Figur.
» Mittel / Werkzeug („Womit / Wodurch?“) Er schneidet Brot mit dem Messer.
» Begleitung („Mit wem?“) Er fährt mit Max nach Paris.

• Adverbiale Bestimmung des Grundes / Kausaladverbial:


» Grund oder Ursache im engeren Sinne / Kausaladver- Das Verbrechen geschah aus Eifer-
bial („Warum?“) sucht.
» Bedingung / Konditionaladverbial Bei Regen fällt das Spiel aus.
(„In welchem Fall / Unter welcher Bedingung?“)
» Folge / Konsekutivadverbial Die Brüder sehen sich zum Ver-
(„Mit welcher Folge / welchem Ergebnis?“) wechseln ähnlich.
» Zweck / Finaladverbial („Wozu / In welcher Absicht?“) Wir fuhren zur Erholung an die See.
» (Wirkungsloser) Gegengrund / Konzessivadverbial Trotz des Regens ging sie spazieren.
(„Trotz welchen Umstands / Mit welcher Einräu-
mung?“)

62
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

4.2.2.2 Liste „sekundärer“ Satzglieder

Prädikatives Attribut (freies / depiktives Prädikativ) zum Subjekt:


Das Subjekt bzw. Objekt des Satzes zeichnet sich durch die Eigen- Paul sitzt singend auf der Treppe.
schaft aus, die vom prädikativen Attribut bezeichnet wird. Man (Paul ist der, der singt.)
unterscheidet daher das prädikative Attribut zum Subjekt und zum Objekt:
zum Objekt. Paul trinkt den Kaffee heiß. (Der
Kaffee ist das, was heiß ist.)

Possessiver Dativ zum Subjekt:


Zwischen dem Subjekt, Objekt oder der Adverbialbestimmung des Der Magen tat dem Kranken weh.
Satzes und dem possessiven Dativ besteht eine ‚Zugehörigkeitsre- zum Objekt:
lation‘ oder ‚Possessivrelation‘ im weiteren Sinne. Man unterschei- Der Arzt operierte dem Kranken
det daher den possessiven Dativ zum Subjekt, zum Objekt und den Magen.
zur Adverbialbestimmung. zur Adverbialbestimmung:
Sie sieht ihrer Freundin in die
Augen.

Freie Dative
Es besteht eine ‚Nutznießerrelation‘ o. ä. zwischen dem freien Da- Anja trägt ihrer Freundin den Koffer
tiv und der gesamten Situation, die der Rest des Satzes beschreibt. zum Bahnhof.

4.2.2.3 Attribute / Satzgliedteile

Attribute (außer dem freien Prädikativ oben) sind keine Satzglie- das Haus meiner Mutter
der. Attribute sind Teil eines Satzgliedes (eines Subjekts, eines das neue Haus
Objekts, einer Adverbialbestimmung, eines Prädikativums) oder der neue französische Film
Teil eines anderen Attributs. die Blumen im Garten

Auch Appositionen werden meist zu den Attributen gerechnet. Bei die Vorlesung Maiers, des einzigen
der lockeren / weiten Apposition besteht Kasus-Kongruenz. Die Professors am Institut
enge Apposition steht stets im Nominativ. die Vorlesung Professor Maiers
die Vorlesung des Professor Maier

4.2.2.4 Liste von Nebensätzen und Infinitivgruppen in ihrer Satz-


glied(teil)funktion

Wie oben schon bemerkt, können auch Nebensätze und Infinitivgrup-


pen Satzglied(teil)funktionen einnehmen. Darüber hinaus haben sie
eine eigene interne Satzstruktur, die wieder nach Satzgliedern analy-
siert werden kann.
A: Satzgliedfunktion
• Subjektsatz / Infinitivgruppe als Subjekt Dass Leslie kommt, freut mich.
(wieder erfragbar durch: „Wer?“ oder „Was?“) Freundlich zu sein gehörte zu ihren
Tugenden.

• Objektsatz und Infinitivgruppe als Objekt Ich glaube, dass Uli besser lacht.
(„Was?“) Er verkündete, bald abzureisen.

63
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

• Adverbialsatz
(„Wann?“ / „Warum?“ / „In welchem Falle?“ etc.)
» Temporalsatz Nachdem es geregnet hatte, began-
nen die Kakteen zu blühen.

» Kausalsatz Weil es geregnet hatte, begannen die


Kakteen zu blühen.

» Konditionalsatz Falls sie den 8-Uhr-Zug nimmt,


kommt sie pünktlich.

» Finalsatz Er beeilte sich, damit er den Zug


noch erreichte.

» Modalsatz Maria hat alle beeindruckt, indem


sie es überzeugend vortrug.

» Konsekutivsatz Der Vortrag war sehr gut, sodass


alle die Thematik verstanden.

» Konzessivsatz Sie hatte noch Hunger, obwohl wir


bereits gegessen hatten.

B: Satzgliedteilfunktion

• Attributsatz und attributive Infinitivgruppe Der Gedanke, dass Uli am besten


lacht, ist lächerlich.

Der Gedanke, das Haus zu verlas-


sen, kam ihm nicht.

• Restriktiver Relativsatz Die Geschichten, die Uli erzählt hat,


sind lächerlich.

• Appositiver / nicht-restriktiver Relativsatz Uli, die am besten lacht, ist glück-


lich.

• Attributive Partizipialkonstruktion Die Autorin, 1960 in Berlin geboren,


veröffentlicht einen Roman.

4.2.3 Argumente & Modifikatoren/Adjunkte bzw. Er-


gänzungen & Angaben
Satzglieder kann man grob in drei Gruppen unterteilen:
• Prädikat
• Subjekt & Objekte
• Adverbial(bestimmungen)
Argumente
Objekte jeglicher Art (wie auch Subjekte) sind sogenannte Argumen-
te (auch Ergänzungen genannt).
Modifkatoren
Adverbialbestimmungen sind nach der ersten Ansicht sog. Modifi-
katoren (auch Adjunkte oder Angaben genannt), nach der zweiten
können sie Modifikatoren oder auch Argumente sein. Argumente und
Modifikatoren sind durch die in der folgenden Tabelle dargestellten
Eigenschaften gekennzeichnet.

64
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Objekt vs. Adverbialbestimmung


Es ist nicht immer einfach, zwischen Objekten und Adverbial zu un-
terscheiden: Relativ unumstritten wird (23) als Adverbial und (22) (21) Sie warten auf Autos.
als Präpositionalobjekt behandelt. Bei (21) kann man argumentieren, (22) Sie warten auf den Brief.
dass es sich um ein Präpositionalobjekt handelt, wenn Autos geliefert
(23) Sie warten auf der Bank.
werden sollen, da die Präposition dann vom Verb vorgeschrieben ist.
Man kann aber auch für eine Adverbial argumentieren, wenn es sich
inhaltlich gesehen um eine Lokalangabe handelt (sie sitzen auf den
Autos).
Argumente / Ergänzungen Modifikatoren / Adjunkte / Angaben
Wie viele Argumente im Satz vorkommen, ist vom Wie viele Modifikatoren im Satz vorkommen, ist
Prädikat abhängig, d. h. ein Verb nimmt 0-3 Ar- vom Prädikat weitgehend unabhängig:
gumente, es ist 0-3-wertig:
(30) Peter gab Maria gestern auf der Ausstel-
(24) Peter gab Maria ein Buch. (3) lung stündlich ein Buch.(3)
(25) Peter küsste Maria.(2) (31) Peter küsste Maria gestern auf der Ausstel-
(26) Peter tanzte. (1) lung stündlich. (3)
(27) Es regnete. (0) (s. u.) (32) Peter tanzte gestern auf der Ausstellung
stündlich.(3)
N. B. Ein zweiwertiges Verb kann u. U. auch ein-
(33) Es regnete gestern auf der Ausstellung
wertig verwendet werden:
stündlich. (3)
(28) Peter trinkt.
(29) Peter trinkt Wasser. (s. u.)

Welche Argumente im Satz vorkommen, ist vom Welche Modifikatoren im Satz vorkommen, ist
Prädikat abhängig, genauer: die sog. semantische vom Prädikat unabhängig, genauer: die semanti-
o. thematische Rolle, die diese Argumente in dem sche Rolle, die der Modifikator spielt, ist durch
Ereignis / dem Zustand, der im Satz beschrieben seine eigene Bedeutung, oder die der Präposition,
wird, spielen, ist ebenfalls vom Verb abhängig. mit der er erscheint, bestimmt.
(34) Der Ingenieur sprengte die Brücke. (37) Der Ingenieur sprengte die Brücke am
(Leidender) Abend.
(35) Der Ingenieur sah die Brücke. (38) Der Ingenieur sah die Brücke am Abend.
(Objekt der Wahrnehmung) (39) Der Ingenieur verließ die Brücke am
(36) Der Ingenieur verließ die Brücke. Abend.
(Ursprung)
N.B. Das Verb regnen ist 0-wertig ohne themati-
sche Rolle.
Aus den obigen Eigenschaften ergibt sich auch die Beschränkung der Wiederholbarkeit (Iterierbarkeit):
Argumente derselben grammatischen Funktion Modifikatoren mit derselben semantischen Funk-
sind nicht iterierbar: tion sind iterierbar:
(40) * Der Ingenieur sprengte die Brücke das (41) Der Ingenieur arbeitete in Dresden in ei-
Haus. (nur in einer Koordination möglich: nem schönen Büro.
die Brücke und das Haus)

Dass Argumente obligatorisch sind und Modifikatoren fakultativ, stimmt nur bis zu einem gewissen Grade:
Argumente sind obligatorisch oder fakultativ: Modifikatoren sind immer fakultativ:
(42) Paul verschluckt einen Bonbon. vs. * Paul (44) Paul verschluckt den Bonbon aus Versehen.
verschluckt. vs. Paul verschluckt den Bonbon
(43) Paul liest ein Buch. vs. Paul liest.
Obwohl das Argument hier fehlt, gibt es etwas,
was Paul liest, sog. existenzielle Interpretation.
(Das geht jedoch nicht mit allen Verben!)

65
4.2 Syntaktische Grundelemente in der traditionellen Grammatik

Argument und Modifikator sind semantische Begriffe. In der (genera- Neben den oben diskutierten
tiven) Syntax bedient man sich folgender Termini: problematischen Beispielen ist es
auch beim freien Dativ und beim
Argumente possessiven Dativ nicht klar, ob
diese zu den Argumenten oder zu
• Subjekt
den Modifikatoren gehören.
• Objekte = Komplemente
Modifikatoren = Adjunkte

4.2.4 Subkategorisierung / Wertigkeit / Valenz


Wir haben im vorausgegangenen Abschnitt gesehen, dass der Unter-
schied zwischen Argumenten und Modifikatoren weitgehend auf ih-
rem unterschiedlichen Verhältnis zum Verb begründet ist. Das Verb
bestimmt, mit wie vielen Argumenten es auftritt (oder auftreten
kann – im Falle von fakultativen Argumenten). Darüber hinaus be-
stimmt das Verb auch, mit welchen Argumenten es auftritt. Man
spricht dann von der Wertigkeit, Stelligkeit oder Valenz des Verbs
oder seinem Subkategorisierungsrahmen.
Der Subkategorisierungsrahmen enthält Informationen über: Subkategorisierungsrahmen

• die Anzahl der geforderten Argumente, Diese Information ist der Sub-
• die Art der geforderten Argumente, d. h. kategorisierungsrahmen eines
» ihre syntaktische Kategorie (Objekt (DP) oder Präposi- Verbs – oder anderer lexikali-
scher Elemente, die Argumente
tionalobjekt (PP), mehr zu diesen Begriffen in Abschnitt
nehmen (erinnern Sie sich an die
4.6.1.4)
unterschiedlichen Prädikativa).
» ihre morphologische Realisierung (Kasus)
» ihre semantische oder thematische Rolle (mehr dazu in
Abschnitt 5.4).
lesen ist subkategorisiert für zwei Argumente, die beide syntaktisch
DPn sind (s. Abschnitt 4.6.2.1 für diesen Begriff). Im Folgenden sehen
Sie den Subkategorisierungsrahmen für das Verb:

(45) lesen: DP (DP)


Nom Akk
Agens Thema

• Eine der DPn ist obligatorisch, wird im Nominativ realisiert


und trägt die thematische Rolle Agens (Handelnder) (z. B. Uta
in Uta liest ein Buch).
• Die andere DP ist fakultativ, wird im Akkusativ realisiert und
trägt die thematische Rolle Thema (z. B. ein Buch in Uta liest
ein Buch).

schenken ist subkategorisiert für drei obligatorische Argumente, die


jeweils syntaktisch DPn sind Für dieses Verb sieht der Subkategori-
sierungsrahmen wie folgt aus:

(46) schenken: DP DP DP
Nom Akk Dat
Agens Thema Adressat

• Eine DP ist im Nominativ realisiert und Träger der thema-


tischen Rolle Agens (z. B. Uta in Uta schenkt dem Kind ein
Bild).
• Eine ist im Akkusativ realisiert und Träger der thematischen
Rolle Thema (z. B. ein Bild in Uta schenkt dem Kind ein Bild).

66
4.3 Das topologische Modell

• Eine ist im Dativ realisiert und Träger der thematischen Rolle


Adressat (z. B. dem Kind in Uta schenkt dem Kind ein Bild).

Mehr zu verbalen Argumenten und den entsprechenden thematischen


Rollen erfahren Sie in Abschnitt 5.4.

4.3 Das topologische Modell


Ein wichtiges Modell zur Beschreibung des deutschen Satzbaus in
der traditionellen Grammatik ist das topologische Modell. Es ist ei-
ne Theorie zur Beschreibung von Wortstellungsregularitäten, die den
Satz in verschiedene topologische Felder untergliedert. Wortstellungs-
möglichkeiten des Deutschen werden dabei ausschließlich durch die
Formulierung linearer Bedingungen beschrieben (was einen wesentli-
chen Unterschied zu generativen Modellen darstellt). Wir unterschei-
den die folgenden topologischen Felder:
• Vorfeld
• Mittelfeld
• Nachfeld

Vorfeld linker Teil Mittelfeld rechter Teil Nachfeld


der Satz- der Satz-
klammer klammer

Vorfeld
Wir haben bei der Bestimmung der Satzglieder (Abschnitt 4.2.2)
einen Verschiebetest benutzt, der ein Satzglied in die Position vor
dem finiten Verb im Hauptsatz verschob (= Topikalisierung). Wir
wissen nun, dass diese Position im topologischen Modell das Vorfeld
ist. Eine wichtige Regel für das Deutsche besagt, dass im Vorfeld nur
ein Element stehen darf. Mit „Element“ ist hier eine „phrasale Kon-
stituente“ gemeint, nicht aber ein Satzglied – Erinnern Sie sich an das
problematische Beispiel (12)Den Ball weggenommen hat Peter dem
kleinen Jungen. Auf den Begriff „phrasale Konstituente“ gehen wir
im Detail in Abschnitt 4.5.1 ein.
Satzklammern
Verben können (fast) ausschließlich im linken und/oder rechten Teil
der Satzklammer stehen (zusammen auch „Verbalklammer"genannt),
wobei gilt, dass im linken Teil der Satzklammer finite Verben auftre-
ten, während der rechte Teil der Satzklammer – je nach Satztyp – fini-
te oder infinite Verben beherbergt. Die Verbalklammer ist eine Beson-
derheit des Deutschen. Hier wird das (ansonsten auch im Deutschen
geltende) Prinzip vernachlässigt, dass semantisch Zusammengehöri-
ges auch topologisch benachbart ist, vgl.

(47) Anja hat die Vase gestern auf den Tisch gestellt.

Mittelfeld
Das Mittelfeld ist von der Satzklammer umgeben. Für das Mittel- Wichtige Faktoren bei der Ab-
feld gibt es keine Beschränkung bezüglich der Anzahl der Satzglie- folge sind, ob es sich bei einem
der oder Konstituenten, die dort stehen dürfen. Allerdings lassen Element um ein Argument oder
sich gewisse Tendenzen beobachten, wie z. B. dass meistens satzwer- einen Modifikator handelt. Bei
tige oder nichtsatzwertige große Konstituenten, die für das Mittelfeld Argumenten spielt weiterhin eine
„zu schwer sind“, extraponiert (d. h. ins Nachfeld verschoben) wer- Rolle, ob diese pronominal sind
den. oder nicht.

67
4.3 Das topologische Modell

Außerdem unterliegt die Abfolge der Elemente im Mittelfeld bestimm-


ten Gesetzmäßigkeiten. Diese gelten unabhängig davon, ob es sich um
Verberst- (V1-), Verbzweit- (V2-) oder Verbletzt-Sätze (VL-Sätze)
handelt.

• Stellung der Argumente im Mittelfeld Es gibt aber einige wenige Ver-


» Definita ben, bei denen die Normalrei-
henfolge der Argumente anders
(Nomen mit definitem Artikel: der Mann, das Haus, etc.)
ist:
Die Argumente der meisten deutschen Verben erscheinen, (48) Dann hat der Direktor
wenn sie Definita sind, in der Reihenfolge: die Fünftklässler(Akk) der
Subjekt < ( indirektes Objekt < ) direktes Objekt Strafmaßnahme(Dat) un-
Nom (Dat) Akk terzogen.
(49) Dann hat der Direktor der
Strafmaßnahme(Dat) die
(50) Dann hat der Headhunter der Zulieferfirma
Fünftklässler(Akk) unter-
den Chef abgeworben. zogen – nicht die Sechst-
klässler!
» Pronomina Wir werden in Abschnitt 4.6.3.3
Generell erscheinen Pronomina vor nicht-pronominalen Ar- auf diese Fragen zurückkommen.
gumenten ((51) – (52)).

(51) Dann hat er ihr den Chef abgeworben.


(52) Dann hat er den Chef IHR abgeworben – nicht
IHM.

Liegen alle Konstituenten in pronominaler Form ((53) –


(54)) vor, gilt: Nom < Akk < Dat
Abweichende Wortstellungen sind
(53) Dann hat er ihn ihr abgeworben.
nur in speziellen Kontexten (mit
(54) * Dann hat ihr er ihn abgeworben. spezieller Betonung, hier durch
Kapitälchen markiert) möglich:
• Stellung der Modifikatoren im Mittelfeld
(57) Dann hat der Headhunter
Auch für Modifikatoren gelten Beschränkungen bezüglich ihrer den Chef der Zulieferfirma
Reihenfolge. So erscheinen Satzadverbiale vor Adverbialen der abgeworben – nicht dem
Art und Weise. Mutterkonzern!

(55) Dann hat der Headhunter wahrscheinlich gründlich auf- Die „speziellen Kontexte“ bezie-
geräumt. hen sich auf die sog. informati-
onsstrukturelle Gliederung des
(56) * Dann hat der Headhunter gründlich wahrscheinlich auf- Satzes: in den entsprechenden
geräumt. Beispielen wird immer ein Kon-
trast angeboten: die ZUlieferfir-
Schlussbemerkung zum topologischen Modell: ma – nicht der MUtterkonzern.
Obwohl die Theorie der topologischen Felder wichtige topologische Man sagt, dass Zulieferfirma hier
Fakten des Deutschen erfasst und Generalisierungen erlaubt, ist sie fokussiert ist, was bedeutet, dass
dennoch zu wenig beschränkend („restriktiv“). D. h. das topologische es eine Alternative zu Zulieferfir-
ma gibt (eben Mutterkonzern).
Modell erlaubt grundsätzlich auch die Ableitung von Sätzen, die un-
Aspekte dieser Art werden mit
grammatisch sind. Außerdem erlaubt dieses Modell nur eine grobe Begriffen wie Fokus und Hinter-
Gliederung des Satzes in fünf Felder. Eine feingliedrigere Beschrei- grund, Topik und Kommentar,
bung des Satzes werden wir später mit dem X-bar-Schema kennen Thema und Rhema beschrieben.
lernen. Sie sind nicht Bestandteil des
Grundkurses. Weitere Aspekte,
Die folgende Tabelle ist eine Übersicht darüber, wie die einzelnen die die Abfolge der Argumen-
topologischen Felder besetzt sein können. Sie ist aufgeteilt nach der te im Mittelfeld mitbestimmen
Oberflächenposition des Verbs: befindet sich das Verb an der ersten, sind: die Definitheit vs. Indefini-
der zweiten oder der letzten Position im Satz. Diese Aufteilung reprä- theit der Argumente (das Haus
sentiert unterschiedliche Satztypen, auf die wir im nächsten Abschnitt vs. ein Haus) und die Belebtheit
noch näher eingehen werden. der Argumente (das Haus vs. das
Kind).

68
4.4 Satztypen und Satzmodi

Vorfeld linke SK Mittelfeld rechte SK Nachfeld

Verbzweit (Kernsatz): finites Verb im linken Teil der Satzklammer, Vorfeld ist besetzt.
Anja hat gestern die Vase auf den Tisch gestellt, ohne Maria zu fra-
gen.
Ohne Maria zu fra- hat Anja gestern die Vase auf den gestellt.
gen, Tisch
Die Vase hat Anja gestern auf den Tisch gestellt.
Gestern hat Anja die Vase auf den Tisch gestellt.
Wer hat gestern die Vase auf den Tisch gestellt?
Anja stellt die Vase immer auf den Tisch ohne Maria zu fra-
gen.
Dass Maria die Va- hat Anja gewusst.
se gekauft hat
Anja hat gewusst, dass Maria die Va-
se gekauft hat.

Verberst (Stirnsatz): finites Verb im linken Teil der Satzklammer, Vorfeld ist nicht besetzt.
Hat Anja gestern die Vase auf den gestellt?
Tisch
Stellt Anja die Vase auf den Tisch?
Stell jetzt endlich die Vase auf den
Tisch!
Würde sie doch die Vase bloß auf den stellen!
Tisch
Hätte Anja die Vase auf den Tisch gestellt,

Verbletzt (Spannsatz): finites Verb im rechten Teil der Satzklammer (Nachfeld kann besetzt sein)
bevor sie die Vase auf den Tisch stellt
dass Anja die Vase auf den Tisch stellt
Einmal die Vase auf den Tisch stellen!
Was das für eine blöde Vase ist!
Wer wohl die Vase auf den Tisch gestellt
hat?
Wer die Vase auf den Tisch gestellt
hat?

4.4 Satztypen und Satzmodi


Wir haben bei der Betrachtung des topologischen Modells gesehen,
dass es im Deutschen Verbzweit- (V2-), Verberst- (V1-) und Ver-
bletztsätze (VL-Sätze) gibt, s. Tabelle 11. Die Beispiele in Tabelle
11 zeigen, dass mit diesen Stellungsvarianten unterschiedliche Funk-
tionen verbunden sein können: Normale Aussagesätze sind z. B. in
der Regel V2-Sätze, während Ja-Nein-Fragen als V1-Sätze realisiert
werden.
Im Folgenden wollen wir uns ansehen, wie man Sätze nach ihren
Funktionen klassifizieren kann. Dazu benötigen wir den Begriff des
Satzmodus / Satzart.
Satzmodus
In der Grammatiktradition kategorisiert man bestimmte Arten von
Sätzen wie „Aussagesatz“, „Fragesatz“ oder „Imperativsatz“ mit dem

69
4.4 Satztypen und Satzmodi

Begriff Satzmodus (oder Satzart). Dabei geht man davon aus, dass
eine bestimmte satzförmige Struktur am besten in der Lage ist, eine
bestimmte Sprachhandlung zu realisieren, so z. B. ein Imperativsatz
für eine Aufforderung. Mit Satzmodus meint man somit ein kom-
plexes sprachliches Zeichen mit einer Formseite und einer Funkti-
onsseite (vgl. Altmann 1993; Altmann / Hahnemann 1999), d. h.
der Sprecher wählt eine bestimmte Form aus, um eine bestimmte
Funktion (einen bestimmten propositionalen Inhalt) auszudrücken,
z. B.
• als etwas, das er in der aktuellen Welt für wahr hält,
• als etwas, von dem er nicht weiß, ob es wahr ist,
• als etwas, von dem er will, dass es wahr wird.
Die wichtigsten Satzmodi des Deutschen sind die im Folgenden auf-
gelisteten, wobei die ersten drei als unbestrittene Grundtypen gelten,
während die letzten zwei eher als marginal (wegen der fehlenden ein-
heitlichen Satztypen) angesehen werden:
Proposition (Sachverhalt):
„Uta ihr Auto verschenkt“
Deklarativ → Deklarativsatz (Aussagesatz) Uta verschenkt ihr Auto.
Interrogativ → Interrogativsatz (Fragesatz)
E-Interrogative (Entscheidungsfragesätze) Verschenkt Uta ihr Auto? / Ob
Uta wohl ihr Auto verschenkt?
K-Interrogative (Konstituentenfragesätze, auch: Was verschenkt Uta?
W-Fragesätze, Ergänzungsfragen)
Imperativ → Imperativsatz (Aufforderungssatz) Verschenk doch dein Auto, Uta!
Exklamativ → Exklamativsatz (Ausrufesatz) Was für ein Auto Uta da ver-
schenkt!
Optativ → Optativsatz (Wunschsatz) Verschenkte Uta doch ihr Auto!

Satztyp
Die Formseite, Satztyp oder Formtyp genannt, beinhaltet eine satz-
förmige Struktur, die formale Eigenschaften (Wort- / Verbstellung,
Verbmorphologie, besondere Subkategorisierung oder kategoriale Fül-
lung, Intonation etc.) aufweist. Diese Menge an formellen Eigenschaf-
ten ist für jeden Satztyp spezifisch.
Funktionstyp
Die Funktionsseite, Funktionstyp genannt, meint dagegen die Be-
deutung zum Ausdruck einer Proposition oder zur Ausführung ei-
ner sprachlichen Handlung, die vom spezifischen Satztyp gegeben
wird.
Die Satzmodi ergeben sich aus dem Zusammenspiel verschiedener
grammatischer Mittel auf unterschiedlichen Ebenen (Phonologie, Syn-
tax, Morphologie etc.). Im Folgenden werden die Satzmodi nach der
prototypischen Form und Funktion im Hauptsatz kategorisiert.

• Deklarativ- oder Aussagemodus prototypische Merkmale:


Satztyp: Verbzweit-Aussagesatz » Besondere Subkategorisie-
Funktionstyp: Hierbei handelt es sich um den unmarkierten rung: kein W-Fragepronomen
Satzmodus, der für viele unterschiedliche Funktionen (Sprech- » Verbstellung: V2 (Verb in der
akte) verwendet wird (Behauptung, Mitteilung, Vermutung, Auf- linken Satzklammer)
forderung etc.) » Verbmodus: Indikativ (oder
Konjunktiv)
» Intonation: fallend
(58) Frank kauft jeden Tag Brötchen.

70
4.4 Satztypen und Satzmodi

• Interrogativ- oder Fragemodus: E-Interrogativ prototypische Merkmale:


Satztyp: Verberst-Fragesatz » Besondere Subkategorisie-
Funktionstyp: Relativ unmarkierter Satzmodus, der für Fragen, rung: kein W-Fragepronomen,
Vorfeld leer
Bitten, Aufforderungen verwendet wird, wobei eine Antwort er-
» Verbstellung: V1 (Verb in der
wartet wird (außer bei rhetorischen Fragen).
linken Satzklammer)
» Verbmodus: Indikativ (oder
(59) Kauft Frank jeden Tag Brötchen? Konjunktiv)
» Intonation: steigend

• Interrogativ- oder Fragemodus: K-Interrogativ prototypische Merkmale:


Satztyp: Verbzweit-Fragesatz » Besondere Subkategorisie-
Funktionstyp: Satzmodus, der eine typgerechte Antwort in Ab- rung: W-Fragepronomen im
hängigkeit mit dem W-Fragewort (mit der erfragten Konstitu- Vorfeld
ente) verlangt (außer bei rhetorischen Fragen mit schon). » Verbstellung: V2 (Verb in der
linken Satzklammer)
» Verbmodus: Indikativ (oder
(60) Was kauft Frank jeden Tag? (Was → Brötchen)
Konjunktiv)
(61) Wann kauft Frank Brötchen? (Wann → jeden Tag) » Intonation: steigend (auch
fallend)

• Imperativ- oder Aufforderungsmodus prototypische Merkmale:


Satztyp: Verberst-Imperativsatz (auch V2 möglich) » Besondere Subkategorisie-
Funktionstyp: Satzmodus zum Ausdrücken von Aufforderun- rung: kein W-Fragepronomen,
gen, Bitten, Befehlen, Drohungen, Ratschlägen etc. Subjekt kann in der 2. Person
Singular oder Plural fehlen.
(62) Kauf jetzt endlich die Brötchen! In der Höflichkeitsform wir
das Subjekt (Sie) erwähnt.
(V1, ohne Subjektspronomen „du“)
» Verbstellung: V1 (oder V2)
(63) Kaufen Sie jetzt endlich die Brötchen! (Verb befindet sich sowohl
(V1, mit Subjektspronomen „Sie“) bei V1 als auch bei V2 in der
linken Satzklammer!)
(64) Jetzt kauft doch bitte die Brötchen!
» Verbmodus: Imperativ
(V2, ohne Subjektspronomen „ihr“)
» Intonation: fallend

prototypische Merkmale:
• Exklamativ- oder Ausrufemodus » Besondere Subkategorisie-
Satztyp: Verberst-Exklamativsatz (auch V2 möglich) rung: keine Negation, kann
Funktionstyp: Satzmodus zum Ausdrücken von Überraschung W-Fragepronomen enthalten
(nicht dialogisch) » Verbstellung: V1 (oder V2
oder VL) (Verb befindet sich
(65) Hat er (aber auch) tolle Bäumchen gemalt! (V1) sowohl bei V1 als auch bei V2
in der linken Satzklammer,
(66) Er hat (aber auch) tolle Bäumchen gemalt! (V2) bei VL befindet sich das Verb
(67) Was für tolle Bäumchen hat er gemalt! (V2) in der rechten Satzklammer!)
» Verbmodus: vorwiegend Indi-
(68) Was für tolle Bäumchen er gemalt hat! (VL)
kativ (auch Konjunktiv)
» Intonation: fallend

• Optativ- oder Wunschmodus


prototypische Merkmale:
Satztyp: Verberst-Optativsatz (auch VL möglich mit wenn) » Besondere Subkategorisie-
Funktionstyp: Satzmodus zum Ausdrücken von irrealen Wün- rung: kein W-Fragepronomen,
schen (nicht dialogisch) bei VL mit Subjunktion wenn,
häufiges Auftreten von nur
(69) Hätte er (nur / doch) die Brötchen gekauft! (V1) oder doch
(70) Wenn er (nur / doch) die Brötchen gekauft hätte! (VL) » Verbstellung: V1 (oder VL +
wenn) (Verb befindet sich bei
V1 in der linken Satzklam-
Bei Nebensätzen ist die Subjunktion von besonderer Bedeutung für mer, bei VL befindet sich die
die Bestimmung des Satzmodus. Die Subjunktion ob z. B. leitet einen Subjunktion in der linken
Interrogativ ein, während dass einen Deklarativ einleitet. Satzklammer!)
» Verbmodus: Konjunktiv
» Intonation: fallend

71
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

4.5 Grundelemente und -operationen in der


Generativen Grammatik
4.5.1 Linearität und Hierarchie
Wir haben bei der Beschreibung der syntaktischen Elemente in der
traditionellen Grammatik gesehen, dass es auch Einheiten zu geben
scheint, die weder einem Wort entsprechen noch einem Satzglied.
Trotzdem verhalten sie sich wie eine Einheit unterhalb der Satzebe-
ne. Wir hatten gesagt, dass [den Ball weggenommen] kein Satzglied
ist. Trotzdem kann es sich als Einheit in das Vorfeld des Satzes be-
wegen. Andererseits scheint es aus zwei weiteren Einheiten zu beste- Erinnern Sie sich an folgendes
hen: [den Ball] und [weggenommen], wobei [den Ball] wiederum aus Beispiel aus Abschnitt 4.2.2:
[den] und [Ball] zusammengesetzt ist. Wir haben ziemlich klare In-
(13)’ Peter hat dem kleinen
tuitionen darüber, was hier eng zusammengehört und was nicht. Wir Jungen den Ball wegge-
würden z. B. nicht sagen, dass [Ball weggenommen] eng zusammenge- nommen.
hört und dann erst der Artikel [den] dazukommt. Als wir zu Beginn
des Syntaxkapitels von hierarchischer Struktur sprachen, war genau
(12)’ Den Ball weggenommen
dieser Aspekt der engen bzw. nicht so engen Zusammengehörigkeit hat Peter dem kleinen
gemeint, Jungen.
den Ball weggenommen den Ball weggenommen

den Ball weggenommen den Ball weggenommen

den Ball
Ball weggenommen

Konstituenten
Einfache und komplexe Gliederungseinheiten von Sätzen nennt man
in der generativen Grammatik Konstituenten. Die Idee ist, dass kleine
Konstituenten zu immer größeren Konstituenten verbunden werden,
bis ein ganzer Satz entstanden ist. Die Darstellung in sog. Bäumen,
wie wir sie gerade benutzt haben, ist die gebräuchlichste (Genaues
dazu im nächsten Abschnitt).
Anhand der hierarchischen Baumdarstellung können wir auch die
Mehrdeutigkeit eines Beispiels vom Anfang des Syntaxkapitels an-
schaulich darstellen:

Die Baumdarstellung
Im folgenden Abschnitt werden einige Begriffe zur Baumdarstellung
eingeführt, da Bäume das übliche Mittel sind, um sowohl lineare als
auch hierarchische Beziehungen darzustellen (s. a. 3 das Kapitel zur
Morphologie).
Bäume werden mit folgenden Begriffen beschrieben:

72
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

• Dominanz: Ein Knoten X dominiert einen Knoten Y genau


dann, wenn X auf dem von Y ausgehenden Weg zum Wurzel- Beschränkungen
knoten des Baumes liegt.
Es gibt einige Beschränkungen
» Alternativ spricht man bei dominierten Konstituenten auch darüber, wie Bäume aussehen
von mittelbaren Konstituenten. dürfen. Folgendes ist in den meis-
• Unmittelbare Dominanz: Ein Knoten X dominiert einen Knoten ten Syntaxmodellen verboten:
Y unmittelbar, wenn X der nächste Knoten ist, der Y dominiert. • eine Tochter mit zwei Müt-
tern (multiple Dominanz)
» Alternativ spricht man bei unmittelbar dominierten Kon-
A
stituenten auch von unmittelbaren Konstituenten.
• Mutterknoten: Ein Knoten X ist Mutterknoten eines Knoten
Y, wenn X Y unmittelbar dominiert. B C

• Tochterknoten: Ein Knoten Y ist Tochterknoten eines Knoten


D F G
X, wenn X Y unmittelbar dominiert
• Schwesterknoten: Ein Knoten X ist Schwesterknoten eines Kno- • sich überschneidende Kanten
ten Y, wenn X und Y denselben Mutterknoten haben. A

» Alternativ spricht man bei Schwestern auch von Ko-Konsti- B C D


tuenten.
Außerdem nimmt man heutzu-
• Terminalknoten (auch: Blätter): Ein Knoten ist ein Terminal- tage an, dass jede Verzweigung
knoten, wenn er selbst nicht verzweigt. binär ist, d. h. es werden im-
» Alternativ spricht man bei Terminalknoten auch von pri- mer nur zwei Konstituenten mit-
mitiven Konstituenten. einander verkettet (deswegen
bezieht sich die Definition der
• Präzedenz: Ein terminaler Knoten X präzidiert einen termina- Verkettung auch explizit auf zwei
len Knoten Y, wenn X links von Y steht. Konstituenten die miteinander
verkettet werden).
• C-Kommando1 : Ein Knoten X c-kommandiert einen Knoten Y
genau dann wenn entweder (i) oder (ii):
(i) Y ist die Schwester von X,
(ii) die Schwester von X enthält Y.

Begriffe zum Baum:


A dominiert B, C, D, E;
Knoten (Verzweigungspunkt).Ein Knoten hat
C dominiert D, E;
ein Etikett / Namen / Label. Dieser Knoten
B, D, E dominieren nichts.
ÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐ→

A hier heißt A. Der höchste Knoten im Baum


ist der sog. Wurzelknoten. Der Wurzelknoten A dominiert B & C unmittelbar,
C dominiert D & E unmittelbar.
diese Baums ist A.
A ist die Mutter von B und C,
B C C ist die Mutter von D und E.
B und C sind die Töchter von A,
Dominanz

←Ð Kante / Ast (zwischen Knoten) D und E sind die Töchter von C.


B und C sind Schwestern,
D E D und E sind Schwestern.
P räzedenz
ÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐÐ→ B, D und E sind Terminalknoten.
Wenn Sie einen Baum zeichnen, bei dem Sie nur bestimm- A B präzidiert D und D präzidiert
te Teile interessieren, können Sie phrasale Konstituenten, E (präzidiert = geht voraus).
deren innere Struktur gerade nicht so relevant ist, mit ei- B c-kommandiert C, D und E.
nem Dreieck „abkürzen“. C c-kommandiert B.
B C D c-kommandiert E.
E c-kommandiert D.

1 C-Kommando kommt vom Englischen „constituent command“.

73
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

Exkurs: C-Kommando und Bindung

Indizes den Bruder, genauso wie N das tut. Die untere NP


Peter, ihn und sich sind jeweils mit einem sog. In- referiert auf Peter.
dex versehen: p bzw. k. Elemente mit dem gleichen
Index beziehen sich (= referieren) auf dasselbe Ob- NP
jekt in der Welt. Man sagt auch, dass sie koreferent
sind. In (71) können Peter und ihn nicht koreferent NP N
sein, deswegen ist das p an ihn gesternt. Sie können Bruder
nur auf unterschiedliche Personen referieren (Peter
auf p und ihn auf k). In (72) müssen Peter und sich N
Peters
koreferent sein. Wie wir gleich sehen werden, ist die
hierarchische Struktur entscheidend, und zwar ge-
nauer, die strukturelle Relation C-Kommando, die
C-Kommando
im vorigen Abschnitt eingeführt wurde.
Für die Sätze (71)-(74) ergibt sich die folgende
Baumstruktur. Untersuchen wir die C-Kommando-
Pronomen & Anaphern
Relationen bezüglich der Pronomen und Anaphern.
Einen wichtigen Hinweis auf hierarchische Beziehun-
gen in einem Satz liefert uns das Vorkommen von
Pronomen und Anaphern. Mit Pronomen sind hier
Personalpronomen gemeint wie in (71), mit Ana-
Satz
phern Reflexivpronomen wie in (72).
(71) Peterp wäscht ihn∗p/k . NP VP
(72) Peterp wäscht sichp/∗k .
Betrachten Sie nun folgende Beispiele: Die NP Peter NP N V NP
c-kommandiert sich / ihn. Bruder wäscht
N sich/ihn
(73) Petersp Bruderb wäscht ihnp/∗b/k .
Peters
(74) Petersp Bruderb wäscht sich∗p/b/∗k .
Das Pronomen ihn und die Anapher sich sind kom-
Die NP Peters Bruder c-kommandiert ihn / sich. Die
plementär verteilt, d. h. ihn kann in dieser Struktur
NP Peters c-kommandiert ihn / sich nicht. Die Bei-
auf Peter (p) oder eine dritte Person (k) referieren,
spiele zeigen, dass eine Anapher wie sich von einem
sich kann nur auf den Bruder (b) referieren. Einfache
koreferenten Ausdruck c-kommandiert wird: Peters
Linearität kann für diese Unterschiede nicht verant-
Bruder und sich referieren auf dieselbe Person. Das
wortlich sein. Man könnte vielleicht vermuten, dass
ist möglich, weil C-Kommando vorliegt. Peters und
bspw. das der Anapher näher liegende Nomen, al-
sich können nicht auf dieselbe Person referieren, weil
so Bruder, mit ihr koreferent sein muss. Dies kann
kein C-Kommando vorliegt. Andererseits darf ein
angesichts der folgenden Daten aber nicht stimmen:
Pronomen nicht von einem koreferenten Ausdruck
(75) Der Bruderb von Peterp wäscht ihnp/∗b/k . c-kommandiert werden: das ist für Peters gegeben,
(76) Der Bruderb von Peterp wäscht sich∗p/b/∗k . für Peters Bruder aber nicht.

Unten ist ein stark vereinfachter Strukturbaum für Diese Generalisierungen sind Teil der Bindungstheo-
die Phrase Peters Bruder angegeben (N steht für rie, die die Vorkommen von Pronomen, Anaphern
Nomen, NP für Nominalphrase). Die Phrase Peters und auch sog. R-Ausdrücken, das sind referentielle
Bruder ist eine Nominalphrase, die eine zweite No- Ausdrücke wie Peter, der Junge, ein Mann regelt.
minalphrase einbettet: [NP [NP Peters] Bruder]. Ver- Mehr dazu erfahren Sie in einem weiterführenden
einfacht können wir sagen: die obere NP referiert auf Syntaxseminar.

Die sog. Konstituentenanaly-


4.5.2 Konstituenten & Phrasen se (auch IC-Analyse, immediate
constituent analysis), die auch
Nun haben wir gesagt, dass es einfache und komplexe Konstituenten
außerhalb der Syntaxtheorie an-
gibt. Wie kann man aber ermitteln, was eine komplexe Konstituente
gewendet wird (vgl. z. B. das
ist und was nicht? Wie kann ich systematisch testen, dass bspw. mit Konstituentenmodell der Silbe
dem Fernglas im obigen Beispiel scheinbar enger zusammengehört als in Abschnitt 2.2.4.2 Hierarchi-
Mann mit? Mit dem Fernglas ist nämlich eine sog. Phrase, oder phra- scher Silbenaufbau oben), wurde
sale Konstituente, Mann mit ist das nicht. im Amerikanischen Struktura-
lismus (z. B. Bloomfield 1933:
Language) entwickelt. Die gene-
rative Grammatik baut auf dieser
Analyse auf.

74
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

4.5.2.1 Konstituententests

Konstituententests ermitteln, welche Wörter gemeinsam eine phrasale


Konstituente bilden.
Verschiebeprobe Leider gibt es auch hier proble-
Wie Sie sicher schon erwartet haben, ist die Verschiebeprobe ein Kon- matische Fälle:
stituententest: Was ins Vorfeld geschoben werden kann, ist (vermut-
lich) eine phrasale Konstituente. (77) Gestern getroffen hat er
ihn.

(78) Erna kocht ihren Freunden morgen rote Grütze. Man würde meinen, dass ihn und
getroffen enger zusammengehö-
(79) Rote Grütze kocht Erna morgen ihren Freunden. ren als gestern und getroffen.
(80) Morgen kocht Erna ihren Freunden rote Grütze.
(81) Ihren Freunden kocht Erna morgen rote Grütze.
(82) * Rote kocht Erna ihren Freunden morgen Grütze.
Proform-Test
Ersetzungstest / Substitutionstest Eine Unterform ist der Proform-
Wortfolgen, die sich füreinander ersetzen lassen, ohne dass sich an der Test: Was sich durch eine Pro-
Grammatikalität des Ganzen etwas ändert, sind (vermutlich) phra- form ersetzen lässt, ist (vermut-
sale Konstituenten. lich) eine Konstituente.

(87) mein altes Auto ⎫


⎪ (83) Adam und Eva lebten im



⎪ Paradies glücklich und zu-
(88) das Kind ⎪

⎪ frieden.
⎬ macht mir Kummer
(89) jemand ⎪

⎪ (84) Sie lebten im Paradies


(90) Alex ⎪

⎪ glücklich und zufrieden.

(85) Sie lebten dort glücklich
und zufrieden.

Fragetest (86) Sie lebten dort so.


Wonach sich fragen lässt, ist (vermutlich) eine phrasale Konstituente.
(93) Wer hat das Buch gekauft? Meine Mutter. Beachten Sie, dass dieser Test
(94) Was hast du gelesen? Einen langweiligen Krimi. widersprüchliche Ergebnisse zum
Verschiebetest liefern kann:
(95) Wann fährst du weg? Im August.
(91) Wessen Buch hast du ge-
(96) Wo ist die Butter? Im Kühlschrank.
lesen? Peters.
(97) Wie hat der Nudelauflauf geschmeckt? Sehr lecker. (92) * Peters habe ich Buch ge-
(98) Womit fängt man Mäuse? Mit Speck. lesen.
(99) Was hast du gestern gemacht? Die Familie besucht. Der Verschiebetest liefert hier das
richtige Ergebnis. Wessen-Fragen
sind mit Vorsicht zu behandeln.
Weglassprobe / Eliminierungstest
Eine Wortfolge, die sich in Koordinationen streichen lässt, ohne dass
die Grammatikalität der verbleibenden Konstruktion verloren geht,
ist vermutlich eine phrasale Konstituente. (100) bestätigt diese Annahme.
Beachten Sie jedoch, dass (101)
dies nicht tut. Also macht dieser
(100) Paul liebt seinen Vater, aber Karl hasst seinen Vater.
Test nicht immer die richtigen
(101) Paul liebt Schoko- und Max liebt Vanilleeis. Voraussagen.

Koordinationstest
Bei diesem Test müssen sie abso-
Was sich koordinieren lässt, ist vermutlich eine phrasale Konstituen- lut sicher sein, dass nichts weg-
te. gelassen wurde. Bei (102) funk-
tioniert der Test, bei (103) nicht:
(102) Mein Job und das schlechte Wetter deprimieren mich. Paul wohnt ist keine Konstitu-
ente: in Rom wurde im ersten
(103) Paul wohnt und Karl arbeitet in Rom.
Teilsatz als sog. Ellipse weg-
gelassen und wird automatisch
75 mitgedacht.
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

4.5.2.2 Phrasen und Merkmale


So verlangt warten eine sog. Prä-
Die Konstituententests liefern uns Information darüber, was eine phra- positionalphrase, wohingegen
sale Konstituente sein könnte. Nun wissen wir schon aus der Diskus- grüßen eine sog. Determininie-
sion um die Argumente und Modifikatoren und aus der Betrachtung rerphrase (grob: ein Nomen mit
(sichtbarem oder unsichtbarem)
des Subkategorisierungsrahmens des Verbs, dass es eine wichtige Rol-
Artikel (= Determinierer)) ver-
le spielt, mit welcher Art von Phrasen sich bspw. ein Verb verbin-
langt:
det.
(104) Ich warte auf den Post-
Etwas anders formuliert: ein Verb wie warten verlangt eine Phra- boten. * Ich warte den
se, die präpositionale Merkmale hat, und grüßen verlangt eine, die Postboten.
nominale Merkmale hat. (105) * Ich grüße auf den Post-
Kopf der Phrase boten. Ich grüße den
Postboten.
Woher wissen wir, was für Merkmale eine Phrase hat? Um dies her-
auszufinden, müssen wir den internen Aufbau von Phrasen näher be-
trachten. Phrasen haben – genau wie morphologische Wörter – einen
Kopf. Über den morphologischen Kopf haben wir gelernt, dass dieser
die Kategorie und die morphosyntaktischen Eigenschaften (= Merk- In diesem Abschnitt werden wir
male) des gesamten Wortes festlegt: der Kopf überträgt seine Merk- statt Determiniererphrase No-
male auf das gesamte Wort. Genau so ist es mit den syntaktischen minalphrase sagen. Zum Un-
Phrasen: der Kopf einer syntaktischen Phrase überträgt seine Merk- terschied zwischen diesen bei-
den, siehe Abschnitte 4.6.1.5 und
male auf die Phrase.
4.6.2.1
Der Kopf ist jeweils unterstrichen:

Phrase Beispiel Semantik


Nominalphrase NP (schöne Männer) Individuum / Ding
Verbalphrase VP (das Kind rufen) Ereignis (Ereignisse und Zustän-
de, vgl. Sie die Antwort wissen)
Präpositionalphrase PP (auf der Folie) lokale Relation
Adjektivphrase AP (sehr schön) Eigenschaft

Rein semantisch gesehen bestimmt der Kopf, auf welche Art von
Objekt in der realen Welt sich die Phrase bezieht. Die Zuordnung
ist nicht eins-zu-eins, so können Nominalphrasen beispielsweise auch
zeitliche Relationen beschreiben: den ganzen Tag, aber als erster An-
haltspunkt genügt das hier erst einmal.
Wie zeigt es sich aber syntaktisch, dass der Kopf seine Merkmale an
die Phrase weitergibt? Schauen wir uns drei Beispiele an:

1. Die Form des Verbs hängt im Deutschen von Person und Nu-
merus des Subjekts des Satzes ab: das Verb kongruiert mit dem (106) Die Anwälte meines
Subjekt. Wenn wir nun ein komplexes Subjekt haben, das aus Bruders verlangen viel
mehreren Nominalphrasen besteht, ist es vielleicht nicht im- Geld.
mer einfach zu bestimmen, was der Kopf ist. Doch wenn wir (107) * Die Anwälte meines
annehmen, dass der Kopf seine Merkmale auf die Phrase über- Bruders verlangt viel
trägt, ergibt sich folgende einfache Regel: Es ist der Kopf der Geld.
Subjekts-Nominalphrase, der bestimmt, ob das Subjekt Singu- (108) * Der Anwalt meiner Brüder
lar oder Plural ist. Kopf der Nominalphrase (vorläufig!) die An- verlangen viel Geld.
wälte {meines Bruders / meiner Brüder} ist Anwälte / Anwalt.
(109) Der Anwalt meiner Brüder
Person und Numerus sind also nominale Merkmale, die vom verlangt viel Geld.
Kopfnomen an die gesamte NP weitergegeben werden.
2. Das eigentliche Kategorienmerkmal „Nomen“ ist ebenfalls durch
den Kopf bestimmt. So kann sowohl Schnaps als auch starken
Schnaps in (110) als Komplement des Verbs trinken verwen-
det werden: beide Phrasen sind Nominalphrasen mit dem Kopf
Schnaps.

76
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

3. Schließlich muss auch das Verb selbst Merkmale haben, die be-
stimmen, welche Ergänzungen es benötigt. Wir wissen schon, Selbe Kategorie = gleicher
dass diese Information im Lexikoneintrag des Verbs verankert Kontext
ist. Das Adjektiv starken ist nicht
• Das Merkmal, welches beschreibt, dass ein Verb Ergänzun- der Kopf der Nominalphrase und
gen einer bestimmten syntaktischen Kategorie verlangt – bestimmt demnach auch nicht
ihre Kategorie: Versuchen Sie
bspw. zwei NPn bei trinken –, heißt c-selektionales Merk-
einmal, starken Schnaps in dem-
mal (für categorial selectional feature), traditionell auch
selben Kontext wie starken zu
Subkategorisierungseigenschaft. verwenden. Sie werden sehen,
• Das Merkmal, dem zufolge die Objekt-NP bei trinken auch dass ein solcher Versuch schei-
bestimmte semantische Eigenschaften hat (z. B. muss das tert:
Objekt in der Regel etwas Flüssiges sein: * Er trinkt den (110) Ich sah einen starken
Tisch.), heißt s-selektionales Merkmal (für semantic selec- Menschen.
tional feature), traditionell auch Selektionsbeschränkung.
(111) * Ich sah einen starken
Schnaps Menschen.
Wir haben uns nun einen ersten Überblick darüber verschafft, welche
(ein Mensch, der starken
syntaktischen Grundelemente in der generativen Syntax angenom-
Schnaps trinkt?)
men werden (wir werden noch wesentlich genaueres dazu in Abschnitt
4.6 hören). Wir wissen aber noch nichts darüber, wie die Elemente (112) [N Schnaps] trinken
miteinander kombiniert werden. Die Vorstellung darüber, wie dies (113) [N A starken [N Schnaps]]
geschieht, hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Einen Über- trinken (Achtung: vorläufi-
blick über die Entwicklung der Chomskyschen Syntaxtheorie zu die- ge Notation!)
ser Frage finden Sie in Anhang 1 zu diesem Syntaxkapitel (Abschnitt
4.7). Phrasen derselben Kategorie tau-
chen also in denselben syntakti-
4.5.3 Die innere Struktur von Phrasen schen Positionen auf.

Beim syntaktischen Strukturaufbau geht man davon aus, dass alle


Verzweigung binär ist, d. h. es gibt immer nur zwei Schwestern, nie- Für die Zwecke des Grundkur-
mals aber drei oder mehr. Das ist bei einer Phrase wie ((den Ball) ses verwenden wir hier eine etwas
weggenommen) vom Anfang dieses Kapitels auch recht einleuchtend. vereinfachte Darstellung älterer
Was ist nun aber bei folgendem Beispiel: Annahmen, wie sie in der sog.
Rektions- und Bindungstheorie
(114) (. . . , weil) Peter Limonade trinkt (Chomsky 1981) gemacht wer-
den. Diese Theorie bildet die
Grundlage für spätere generative
Binäre Verzweigung Syntaxtheorien wie der Mini-
Es gibt viele Gründe dafür, warum man nur binäre Verzweigung an- malismus (Chomsky 1995), den
nimmt. Wenn man nun aber nur binäre Verzweigungen erlaubt, muss Sie in späteren Syntaxseminaren
man das Objekt und das Subjekt in diesem Beispiel unterschiedlich kennen lernen können.2
behandeln, d. h. entweder sind Objekt und Verb Schwestern, oder
Verb und Subjekt. Das dritte Element kann dann die Schwester der
daraus entstehenden Kombination sein.
Die erste der genannten Möglichkeiten ist die bessere, weil Objek- (115) a. (weil) der Polizist den
te enger zum Verb zu gehören scheinen als Subjekte. Dies zeigen Ball schmeißt
die folgenden Beispiele, in denen sich die Bedeutung der Gesamt- b. (weil) der Affe den
phrase deutlich bei Ersetzung durch ein alternatives Objekt ändert, Ball schmeißt
bei Ersetzung durch ein alternatives Subjekt aber nicht (siehe (115)- (116) a. (weil) der Polizist die
(117)) Sache schmeißt
b. (weil) der Affe die
Außerdem kann man auch nach einem Verb+Objekt fragen, nach ei-
Sache schmeißt
nem Subjekt+Verb aber in der Regel nicht:
(117) a. (weil) der Polizist
eine Runde schmeißt
(118) Klaus wäscht Geschirr.
b. (weil) der Affe eine
(119) Was macht Klaus? – Geschirr waschen. Runde schmeißt
(120) Was geschieht mit dem Geschirr? – * Klaus wäscht.
2 Eine
recht detaillierte Darstellung der Rektions- und Bindungstheorie auf Deutsch finden Sie in Brandt et al. (2006). Zu
empfehlen für eine Einführung in den Minimalismus (für das Englische) ist Adger (2003).

77
4.5 Grundelemente und -operationen in der Generativen Grammatik

Demnach können wir nebenstehende Struktur annehmen, in der es Verb-Struktur


einen weiteren Knoten (V’) gibt. Darauf gehen wir gleich noch ein.
Hier werden zwei Nominalphra-
sen und ein verbaler Kopf mit-
Das X-bar-Schema in der Rektions- und Bindungstheorie einander verbunden.
Die Struktur, die wir gerade entwickelt haben, entspricht dem sog. X- Korrekt: VP
bar-Schema. Die X-bar-Theorie ist eine Theorie darüber, wie Phrasen
natürlicher Sprachen aussehen können (und wie nicht). Sie wurde in Peter V’
den 1970er Jahren entwickelt und war lange Basis für allen syntak-
tischen Strukturaufbau. Sie sehen, dass der Kopf X° erst mit seinem Limonade trinkt
Komplement die Zwischenprojektion X’ bildet. Diese bildet dann mit
dem Spezifikator die maximale Projektion XP. Wichtig ist, dass es Inkorrekt: VP
eine sog. Projektionslinie X°-X’-XP geben muss (entlang dieser Linie
werden die Merkmale des Kopfes an die phrasale Projektion durch- Peter Limonade trinkt
gegeben). Das X-bar-Schema sieht wie folgt aus (X steht für eine
Kategorie wie V, N etc.):
Maximale phrasale Projektion Xmax oder XP
XP oder X”

Zwischenprojektion X’, auch geschrieben X̄,


Spezifikator: daher X-bar (X-Balken)
YP X’
Schwester von X’
Minimale Projektion X oder X°
ZP X°
Komplement:
Schwester von X°
Kopf der Phrase

Man nennt das auch den endozentrischen Aufbau von Phrasen: je-
de Phrase hat einen Kopf und nur dieser projiziert die kategorialen
Merkmale. Sie können also niemals eine NP mit einer NP zu einer VP
verketten! Wichtig beim X-bar-Schema ist ebenfalls, dass keine der Unmöglich in X-bar
Projektionsstufen ausgelassen werden darf.
Folgendes ist durch das X-bar-
Einer der Vorteile der X-bar-Theorie ist, dass sie ökonomisch ist: sie Schema ausgeschlossen:
fordert die gleiche Struktur für alle Phrasen, unten gleich mehr da-
zu. Aus der Perspektive der Lernbarkeit ist dies vorteilhaft: das Kind
XP XP XP
muss nur eine Struktur erwerben und diese dann anwenden.
Wichtige Kriterien für ein allgemeingültiges Schema sind einerseits, X° YP X’ X° YP
dass es allgemein genug sein muss, um auf alle Sprachen anwendbar zu
sein, und andererseits, dass es gleichzeitig restriktiv genug sein muss, ZP A°
um ungrammatische Strukturen auszuschließen.
Warum dieses Schema?
Auf das Deutsche lässt sich das
Warum hat man nun aber überhaupt angenommen, dass alle Phra-
Beispiel auch übertragen, vgl. Sie:
sen nach einem Schema aufgebaut sind? Schon früh wurden festge-
stellt, dass es auffallende Parallelen zwischen verschiedenen Typen (121) Marie Curie entdeckte
von Phrasen gibt. Chomsky (1970: Remarks on Nominalisation) dis- Radioaktivität. vs.
kutiert dabei englische Beispiele der folgenden Art. Wie Sie sehen, Marie Curies’ Entde-
sind die Strukturen maximal parallel. ckung von Radioaktivität

Die Strukturen sehen aber et-


VP NP was anders aus, weil Deutsch
eine sog. Verbletzt-Sprache ist,
das Verb also rechts von seinem
NP V’ NP N’ Komplement steht (s. o. und
the army the army’s Abschnitt 4.6.1.1 unten). Das
Nomen steht wie im Englischen
V° NP links von seinem Komplement.
destroyed the city N° PP
destruction of the city

78
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

Modifikatoren
Bis jetzt haben wir nur Köpfe und Argumente im X-bar-Schema be- Argumente
trachtet. Wir haben aber gesehen, dass außer Argumenten auch be- Argumente werden vom Kopf
liebig viele Modifikatoren hinzugefügt werden können. Für das Hin- verlangt, aber sie müssen nicht
zufügen von Modifikatoren muss das Schema also erweitert werden. immer obligatorisch realisiert
Modifikatoren sind immer fakultativ und werden vom Kopf nicht ver- werden! (Wäre bspw. die DP Le-
langt. Dementsprechend sollte es in dem X-bar-Schema einen sicht- bensmittel vorhanden, wäre sie
baren Unterschied zwischen Argumenten und Modifikatoren geben. das Komplement.
Während Argumente die Projektionsebene erhöhen (z. B. von V° zu
VP
V’ oder von V’ zu VP), verdoppeln Modifikatoren diese (z. B. von
V’ zu V’ oder von VP zu VP). Es sind zwei verschiedene Darstel-
lungsweisen verbreitet, entscheiden Sie sich für eine! Man spricht bei AdvP VP
der Hinzufügung von Modifikatoren von Adjunktion, die adjungierten
Phrasen heißen Adjunkte. morgen V’


einkaufen

XP XP

YP X’ AP XP
Argumentposition Adjunktposition

BP X’ YP X’
Adjunktposition Argumentposition

ZP X° ZP X°
Argumentposition Argumentposition

4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Zunächst schauen wir auf den
Grammatik Aufbau lexikalischer Phrasen –
also Phrasen, die als Kopf ein
4.6.1 Lexikalische Kategorien Verb, ein Nomen, ein Adjektiv,
oder eine Präposition haben. Da-
Wir werden uns im Folgenden ansehen, wie der deutsche Satz in der nach wenden wir uns den sog.
generativen Grammatik analysiert wird. Beginnen wir mit der Verbal- funktionalen Kategorien zu. Dies
phrase (VP), die wir ja schon für die Erklärung des X-bar-Schemas wird uns schließlich zur Analyse
sowie zur Unterscheidung von Begriffen wie Komplement und Ad- des Gesamtsatzes führen.
junkt betrachtet haben.

4.6.1.1 V und die Verbalphrase (VP)

Eine wichtige Eigenschaft des deutschen Satzes, die wir oben schon
erwähnt haben und die uns schon bei der Besprechung des topologi-
schen Modells begegnete, ist, dass das Verb an verschiedenen Stellen
stehen kann: an erster (V1), zweiter (V2) oder letzter (VL) Positi-
on.
Grundposition des Verbs
Gehen wir im Folgenden zunächst der Frage nach, ob vielleicht eine
dieser Positionen die Grundposition ist, wohingegen die anderen nur
abgeleitet sind. Für den einfachsten Fall würde man wahrscheinlich
annehmen, dass die Grundposition die zweite Position im Satz ist, die-
se kommt schließlich im einfachen Deklarativsatz vor.
Andererseits zeigt sich aber, dass in Hauptsätzen mit einem finiten
und einem nicht-finiten Verb das finite Verb an zweiter Position steht

79
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

und das nicht-finite Verb an letzter. Das nicht-finite Verb ist das
lexikalische Vollverb und es steht somit hinter seinem Objekt. Auch
in Strukturen mit mehreren nicht-finiten Verben oder im Nebensatz
steht das lexikalische Verb in der Regel hinter seinem Objekt und Grundpositionen
nicht davor.
Deklarativsatz:
Ähnliches beobachten wir in fragmentarischen Antworten:
(122) Ich backe Kuchen.

(130) Frage: Was willst du heute machen? Finites + nicht-finites Verb:


Antwort: Kuchen backen (123) Ich will Kuchen backen.
(124) * Ich backe Kuchen wol-
Vergleichen Sie das mit dem Englischen: len.
(125) * Ich will backen Kuchen.
(131) Frage: What do you want to do today?
Antwort: Bake a cake. Mehrere nicht-finite Verben:
(126) Ich habe den Kuchen
Ebenso kann man beobachten, dass in einer Struktur mit einem Parti- backen wollen.
kelverb die Partikel hinten bleibt (in der rechten Satzklammer), auch (127) * Ich habe backen wollen
wenn das finite Verb in die zweite Position (in die linke Satzklammer) den Kuchen.
„bewegt“ wurde:
Nebensatz:
(132) Ich will morgen Clara anrufen. (128) (weil) ich den Kuchen
(133) Ich rufe morgen Clara an. backen wollte.
(129) * (weil) ich backen wollte
(134) * Ich anrufe morgen Clara.
den Kuchen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass deutsche Kinder, wenn Sie


in der Zweiwortphase sind, eben die Reihenfolge Objekt-Verb benut-
zen (im Gegensatz zu englischen Kindern, die die Reihenfolge Verb-
Deutsch ist eine Objekt-Verb-
Objekt benutzen).
Sprache, oder kürzer, eine O-V-
Aus all den oben genannten Gründen nimmt man an, dass die Grund- Sprache. Daher haben wir bei der
struktur im deutschen Satz Objekt-Verb ist. Es folgen einige Beispiele Schilderung des X-bar-Schemas
oben auch den Kopf rechts neben
für VPn im X-bar-Schema:
sein Komplement platziert. Dies
(135) ein Lied singen bedeutet, dass die Verbletztstel-
lung im Deutschen die zugrun-
(136) oft tanzen deliegende Struktur ist. Die an-
(137) dem Bruder ein Geschenk geben deren Verbpositionen sind nach
(ohne Baum – ditransitive Strukturen werden im Grundkurs dieser theoretischen Annahme
nicht analysiert, siehe u. a. Brandt et al. 2006) von der Grundposition deriviert.

(138) am frühen Morgen unter der Dusche Arien singen

X-Bar
VP VP VP

V’ AdvP VP PP VP

DP V° Adv’ V’ am frühen Morgen PP VP


singen
ein Lied Adv° V° unter der Dusche V’
oft tanzen
DP V°
singen
Arien

80
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

4.6.1.2 A und die Adjektivphrase (AP) Beachten Sie übrigens, dass der
Kopf in einer Adjektivphrase
Wie das Verb kann auch das Adjektiv ein Komplement nehmen. Die- hinter, aber auch vor seinem
ses kann z. B. eine PP sein, oder eine DP (siehe die ersten drei Beispie- Komplement stehen kann, im
le unten). Und natürlich können sich Adjektive auch mit Adjunkten Vergleich zur VP, bei der der
verbinden (die letzten beiden Beispiele). Kopf sich immer rechts von Kom-
plementen und Adjunkten be-
fand.
(140) von sich überzeugt
(141) der Mutter ähnlich
In Fällen wie (139) muss man
(142) stolz auf die Leistung die Entscheidung treffen, ob der
(143) äußerst schön Kopf der Phrase schnell ein Ad-
jektiv oder ein Adverb ist. In
(144) über die Maßen glücklich folgender Analyse wird ange-
nommen, dass Adjektive auch
adverbial gebraucht werden kön-
X-bar:3 nen.
(139) [AP sehr schnell] rennen

AP AP AP

A’ A’ AdvP AP

PP A° A° PP Adv’ A’
überzeugt stolz
von sich auf die Leistung Adv° A°
äußerst schön

4.6.1.3 Adv und die Adverbphrase (AdvP)

Adverbien nehmen keine Komplemente, sie können aber Adjunkte


nehmen:
AdvP
(145) [AdvP sehr oft] rennen
AdvP AdvP
In diesem Beispiel ist sehr ein Adjunkt zu oft
und verdoppelt ganz normal die volle Phrase
Adv’ Adv’
(AdvP) (oder die Zwischenprojektion Adv’).

Adv° Adv°
sehr oft

4.6.1.4 P und die Präpositionalphrase (PP)

Der Name Präpositionalphrase ist eigentlich zu einschränkend. Wie PP Argumente


wir wissen, gibt es im Deutschen nicht nur Präpositionen, sondern
Präpositionen (P°) können nicht
auch Postpositionen (150) und Zirkumpositionen (151). Präpositio-
nur DPn als Komplemente neh-
nen stehen links von ihrem Komplement. Postpositionen stehen rechts men, wie in den obigen Beispielen
von ihrem Komplement. Die Analyse von Zirkumpositionen ist kom- gezeigt. Eine Präposition kann
plex und wird hier nicht besprochen. ebenso eine AdvP oder eine wei-
tere PP als Komplement haben.
Auch bei PPn gibt es meist keinen Spezifikator, obwohl auch hier wie-
der diskutiert wird, ob so etwas wie [AdvP fast] in [P P [AdvP fast] [P P (146) seit [AdvP gestern]
unter der Brücke]] vielleicht im Spezifikator der PP stehen könnte (s. (147) bis [PP zu der Uni]
Brandt et al. 2006, Vgl. Fußnote 3).
3 WieSie in den X-bar-Strukturen sehen, hat eine AP meist keinen Spezifikator. Es wird aber diskutiert, dass bestimmte
Elemente wie [AdvP äußerst] in [AP äußerst schön] dort stehen können (genaueres dazu in Brandt et al. 2006).

81
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

(148) von der Uni


(149) fast unter der Brücke
(150) den Fluss entlang
(151) um des lieben Friedens willen

X-bar:
PP PP PP

P’ AdvP PP P’

P° DP fast P’ DP P°
von entlang
der Uni P° DP den Fluss
unter
der Brücke
4.6.1.5 N und die Nominalphrase (NP) Nomen, die von Verben abge-
leitet sind (deverbale Nomen)
haben oft die gleichen Komple-
Eine Nominalphrase besteht aus einem Nomen und seinen Komple-
mente wie die entsprechenden
menten und Adjunkten. Der Artikel wird heute meist nicht mehr zur
Verben (z. B. Eroberung – er-
NP hinzugerechnet. Warum das so ist, wird im nächsten Unterkapitel obern, sich freuen über – Freu-
kurz erklärt (s. Abschnitt 4.6.2.1). Beispiele für NPn: de über). Außerdem finden wir
Komplemente typischerweise bei
(152) Entdeckung der Currywurst Verwandtschaftsbezeichnungen
u. ä., die sog. relationale Nomen
(153) Freude über den Sieg sind (Tante, Tochter, Vater von,
(154) kleiner Hund Chef von . . . ).

X-bar:
NP NP NP

N’ N’ AP NP

N° DP N° PP A’ N’
Entdeckung Freude
der Currywurst über den Sieg A° N°
kleiner Hund
4.6.2 Funktionale Kategorien
Funktionale Kategorien sind Kategorien, die keinen lexikalischen In- Wir werden in diesem Grund-
halt haben, also das, was wir im Abschnitt zur traditionellen Gram- kurs nur drei funktionale Ka-
matik (4.2) als Funktionswörter oder Wörter der geschlossenen Klasse tegorien kennen lernen: D für
bezeichnet haben. Determinierer (z. B. Artikel), T
(für Tempus) und C (für engl.
Complementiser, dt. Komple-
4.6.2.1 D und die Determiniererphrase (DP)
mentierer, z. B. subordinierende
Konjunktionen wie dass). Es
Wir haben oben schon gesagt, dass der Artikel – der zu den sog. De-
gibt in der generativen Syntax
terminierern gehört – heutzutage i. a. nicht als zur Nominalphrase aber wesentlich mehr funktiona-
gehörend begriffen wird. Diese Annahme folgt einem Vorschlag von le Kategorien. Diese können Sie
Abney (1987), der die vorherige Analyse, nach der der Determinie- in einem speziellen Syntaxkurs
rer in der Spezifikatorposition der NP erschien, abgelöst hat (es gibt kennen lernen.
aber auch Meinungen, nach denen die alte Analyse die bessere ist).
Warum sollen wir annehmen, dass der Determinierer nicht zur NP

82
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

gehört? Betrachten Sie die nebenstehenden Phrasen. Die Bedeutung


dieser Phrasen ist zwar ähnlich, aber nicht identisch. Die Unterschie-
de entstehen offensichtlich durch die unterschiedlichen Determinie-
rer.
Arten von Determinierern
Es gibt natürlich verschiedene Determinierer: definite Artikel (der, NP vs. DP
die, das), indefinite Artikel (ein, eine), Nullartikel (z. B. Ich esse gern
∅ Brot), Demonstrativa (dieser, jener), Possessivpronomen (mein, (155) Brief, ein Brief, der Brief,
dein), Quantoren (alle, die meisten). Nicht alle von ihnen stellen so alle Briefe, dieser Brief,
jener Brief, die meisten
Referenz her, wie wir das eben beschrieben haben – das gilt insbe-
Briefe
sondere für die Quantoren, für die man eigentlich auch eine andere
syntaktische Analyse vornehmen kann. Dieses Problem vernachlässi- Brief an sich hat eine Bedeutung:
gen wir hier aber und behandeln alle diese Determinierer syntaktisch
• Brief ≈ wird auf Papier ge-
gleich. schrieben, wird verschickt
Syntaktische Analyse
Die syntaktische Analyse für einen Determinierer und seine NP sieht Brief hat aber keine Referenz:
dann aus wie folgt: die lexikalische Bedeutung wird in der NP re- • es bezieht sich nicht auf etwas
präsentiert, deren Kopf wie gehabt das Nomen ist. Der referentielle in der Welt. Man kann sagen,
Bezug wird in der DP (Determiniererphrase / Determinansphrase) re- dass Brief referentiell offen
präsentiert, deren Kopf ein Determinierer ist (D°). Der Determinierer ist. Der Bezug auf ein Objekt
D°nimmt als Komplement eine referentiell offene NP: in der Welt wird erst durch
den Determinierer geregelt
(unter Berücksichtigung eines
(156) der Brief bestimmten Kontexts).
(157) Wasser
(158) die jüngere Schwester meiner Tante
(159) wir
(160) Max
X-bar:

DP DP DP

D’ D’ D’

D° NP D° NP D° NP
der ∅ die
Brief Wasser AP NP
DP DP
A’ N’
D’ D’
A° N° DP
jüngere Schwester
D° D° NP
wir ∅ D’
Max
D° NP
Ein weiteres Argument dafür, dass Determinierer in einer anderen
meiner
Phrase angesiedelt sind als die Nomen selbst, und zwar als D-Köpfe,
kommt von Phrasen mit adjektivischen Modifikatoren. Nimmt man Tante
aber an, dass der Determinierer ein Kopf ist, der eine NP als Komple-
ment nimmt, ist die Abhängigkeit der Flexionsendung des Adjektivs Ob das Adjektiv schwach oder
(das mit dem Nomen kongruiert) vom Determinierer nicht überra- stark flektiert, hängt vom Deter-
schend: Köpfe bestimmen, welche Arten von Komplementen sie neh- minierer ab. Wenn der Determi-
men. nierer sich im Spezifikator der
NP befindet, ließe sich dies nicht
(161) der lange Brief
gut erklären: Spezifikatoren neh-
(162) ein langer Brief
men keinen Einfluss darauf, wie
andere Teile der Phrase aussehen
83 sollen.
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

4.6.2.2 T und die Tempusphrase (TP)

Wir haben oben bei der Besprechung der VP (Abschnitt 4.6.1.1)


schon kurz über infinite Verben mit ihren Komplementen und Ad-
junkten gesprochen. Ein Satz enthält jedoch nicht nur infinite Verben.
In jedem Satz befindet sich genau ein finites Verb.4 Finite Verben ver-
Finites Verb
ankern den Satz temporal (und modal) im Äußerungskontext. Sie ge-
ben dem Satz eine Referenz, wenn man so will.5 Semantisch kann man Das finite Verb kann das lexika-
sich das so vorstellen, dass die Sätze in (163) und (164) eine Situation lische Vollverb oder ein Hilfs- /
beschreiben, in der es zwischen Max und einem Keks eine Relation Modalverb sein:
des Essens gibt, und zwar so, dass Max den Keks isst. Diese Situation (163) Max isst einen Keks.
muss temporal und modal spezifiziert werden, z. B. findet diese Situa-
(164) Max wird einen Keks es-
tion in (164) in der Zukunft statt.
sen.
Man nimmt an, dass Tempus syntaktisch repräsentiert ist: es ist ja
nicht unerheblich, welches Verb im Satz finit ist und welches nicht:

(165) * Max werden einen Keks isst.

Demnach gibt es eine funktionale Kategorie T(empus). Diese nimmt


die VP als Komplement:
TP
(166) (weil) Max einen Keks essen wird
DP T’
In diesem Beispiel finden wir das Auxiliarverb im Kopf T°. An der
Kopfposition wird das Verb werden basisgeneriert6 , da es keine lexika-
lische, sondern nur eine funktionale Bedeutung trägt. Das lexikalische Max VP T°
wird
Verb dieses Nebensatzes (essen) befindet sich in V°.
einen Keks essen
Die VP ist eine lexikalische Phrase und deswegen muss der Kopf die-
ser Phrase ein lexikalisches Element enthalten. Wie bereits erwähnt,
bestimmt der Kopf das Komplement, welches er nimmt. Wenn es sich
z. B. um das Hilfsverb werden (Bildung der Futurform) handelt, so
nimmt dieser T-Kopf eine VP als Komplement, welche ein Verb im
reinen Infinitiv enthält. Steht jedoch das Hilfsverb haben in der T°-
Position, so nimmt dieser Kopf eine VP als Komplement, welche ein TP
Partizip II enthält.
DP T’
(167) (weil) Max einen Keks gegessen hat
Max VP T°
Das Subjekt hat
Wie Sie an den vorigen Strukturen erkennen können, wird das Sub-
jekt des Satzes in der Spezifikatorposition der TP basisgeneriert. Sie einen Keks gegessen
erinnern sich, dass wir das Subjekt im Abschnitt zur VP 4.6.1.1 nicht
eingeführt hatten. Es wurden nur Strukturen mit Verb und Komple-
ment oder Adjunkt gezeigt. Verbalphrase (VP):
Es gibt die Annahme, dass die Verbalphrase nur aus (infinitem) Verb
(168) * Max einen Keks essen
und Komplementen (oder Adjunkten) besteht. Das Subjekt spielt erst
bei einem späteren Zeitpunkt der Derivation eine Rolle7 , nämlich (169) einen Keks essen

4 Es gibt auch Sätze, die kein finites Verb haben, dieses sind aber fast immer Nebensätze, die von einem Hauptsatz
abhängen: Max versprach Maria [das Auto zu reparieren]. = Max versprach Maria, [dass er das Auto repariert]. Mit
solchen nicht-finiten Nebensätzen werden wir uns in diesem Grundkurs nicht befassen.
5 Diese Referenzfunktion der TP zur VP ist verlgeichbar mit der Referenzfunktion der DP zur NP.
6 „Basisgenerierung“ meint, dass ein Element in einer bestimmten Position „entsteht“ (z. B. ein Verb in V°, oder ein Nomen

in N°). Dieses Element kann unter ganz bestimmten Bedingungen diese Position verlassen (s. Abschnitt 4.6.3).
7 Es gibt jedoch auch andere Theorien, die die Basisgenerierung des Subjekts innerhalb der VP annehmen. Das Subjekt ist

jedoch in der VP nicht sichtbar, andernfalls wären Phrasen wie (168) grammatisch. Diese Theorien müssen das Subjekt
von der SpecVP in die SpecTP „bewegen“ (mehr zur „Bewegung“ später), erst durch die Kongruenz und von finitem
Verb und Subjekt und durch die Nominativzuweisung wird das Subjekt sichtbar.

84
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

erst bei der Derivation der TP. Diese Annahme lässt sich durch die
Beobachtung begründen, dass in einer VP mit einem Infinitiv kein
Subjekt erscheinen darf.
Ein Subjekt wird in einem Satz erst gefordert, wenn ein finites (d. h.
flektiertes) Verb vorhanden ist. Wenn das finite Verb aber erst in der
TP auftritt8 , gibt es keine Notwendigkeit, das Subjekt bereits in der
VP anzunehmen.
Jeder der nebenstehenden Sätze besteht aus einem Hauptsatz und (170) Ich sehe, [dass der Junge
einem Nebensatz. Der Nebensatz ist entweder finit, wie in (170) und den Zaun streicht].
(172), oder er ist infinit, wie in (171) und (173). Um besser zu ver-
(171) Ich sehe den Jungen [den
stehen, dass es sich bei den infiniten Strukturen um Sätze handelt,
Zaun streichen].
beachten Sie, dass diese genau dasselbe bedeuten wie ihre finiten Ge-
genstücke und dass sie ebenfalls jeweils ein lexikalisches Vollverb mit (172) Theo verspricht ihr, [dass
seinem Komplement enthalten. Der Unterschied zwischen den fini- er den Zaun streicht].
ten und den infiniten Sätzen besteht darin, dass in den Sätzen mit (173) Theo verspricht ihr [den
infiniten Verben keine Subjekte im Nominativ auftreten. Das seman- Zaun zu streichen]. vs.
tische Subjekt, also der Junge (der den Zaun streicht), wird entweder * Theo verspricht ihr [er
über eine Akkusativ-DP wie in (171) realisiert, oder gar nicht, s. den Zaun zu streichen].
(173).
Wir haben oben gesagt, dass T° eine Kategorie der Finitheit ist und Wie der Akkusativ am eingebet-
haben das u. a. mit der semantischen Rolle des Tempus als Kom- teten Subjekt entsteht und wie es
ponente der Finitheit begründet. Wenn ein Subjekt nur in finiten sein kann, dass ein Subjekt ganz
Sätzen Nominativ erhalten kann, in infiniten aber nicht, deutet das fehlt, soll uns hier nicht beschäf-
darauf hin, dass es eine Beziehung zwischen T° und der Kasuszu- tigen. Ohne hier auf die Details
weisung gibt: Man nimmt an, dass ein finites T° den Nominativ eingehen zu können oder umstrit-
an das Subjekt zuweist (während V° den Akkusativ an sein Kom- tene Fragen anzureißen, wollen
wir annehmen, dass das Subjekt
plement zuweist ). In (Neben-)Sätzen, in denen es nur infinite Ver-
im Spezifikator der TP stehen
ben gibt, ist auch T° infinit. Ein infinites T° weist keinen Nominativ muss, um die spezielle Beziehung
zu. zu T° zu realisieren.
Die Spezifikator-Kopf-Relation ermöglicht es, eine weitere enge Be-
ziehung zwischen Subjekt und finitem Verb zu erklären. Wir haben φ-Merkmale
schon früher gesehen, dass Verben mit ihren Subjekten in Numerus
und Person (= sog. φ-Merkmale (Phi-Merkmale)) kongruieren. Dies (174) (dass) Max3.P.SG einen
ist eine Form morphologischer Finitheit (bis jetzt haben wir nur von Keks isst3.P.SG .
semantischer Finitheit gesprochen). Diese Kongruenz kann in einer (175) (dass) ich1.P.SG einen
Spezifikator-Kopf-Beziehung ermöglicht werden. Wenn also das Sub- Keks esse1.P.SG .
jekt in SpecTP und das finite Verb in T° steht, können Sie kongru-
ieren. Beachten Sie, dass es in nicht-finiten Sätzen keine Kongruenz
gibt.

4.6.2.3 C und die CP


CP
Die dritte funktionale Kategorie, die hier eingeführt werden soll, ist
die des Komplementierers (engl. Complementizer). Bei der Kategorie C’
Komplementierer handelt es sich um subordinierende Konjunktionen,
also dass, ob, nachdem, obwohl etc.
C° TP
Der Komplementierer nimmt die TP als Komplement. obwohl
Max einen Keks
(176) obwohl Max einen Keks essen wird essen wird
Achtung: vorläufige
Struktur!

8 Zuden infiniten Verbformen gehört nicht nur der reine Infinitiv (essen), sondern auch die Partizipien (gegessen, essend),
da sie unveränderbare Verbformen sind.

85
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

4.6.3 Bewegung
Wir haben gerade einige funktionale Kategorien kennengelernt und CP für Satztypen
gesehen, dass die Phrasen, die sie projizieren, genauso wie die lexi-
Bis jetzt haben wir nur Neben-
kalischen Phrasen aufgebaut sind. Wir haben aber einige wichtige sätze betrachtet. Die CP ist im
Fragen offengelassen. Zum Beispiel wissen wir noch nicht, wie Sätze Deutschen für die Bildung unter-
mit finiten lexikalischen Vollverben modelliert werden. Andererseits schiedlicher Satztypen zuständig.
haben wir noch gar nichts darüber gesagt, wie denn überhaupt der Wie aus Nebensätzen Hauptsät-
deutsche Hauptsatz aussieht. Diesen Fragen werden wir uns in diesem ze deriviert werden, sehen wir im
Abschnitt zuwenden. kommenden Kapitel, wenn wir
das Bewegungskonzept kennen-
4.6.3.1 Bewegung in der TP: Besetzung von T° gelernt haben.

Betrachten wir zuerst noch einmal den Satz mit finitem lexikalischem
Vollverb: TP

(177) (weil) Max einen Keks isst DP T’

Das Verb isst trägt in diesem Satz zwei Arten von Informationen:
Max VP T°
• zum einen ist es der Kopf der Verbalphrase, der bestimmte syn- issti
taktische Merkmale hat, die zum Aufbau der VP führen (wie V’
z. B. welche und wie viele Komplemente werden benötigt).
• zum anderen trägt isst aber auch Tempus- und Kongruenzin- DP V°
formationen: es handelt sich um die Zeitform Präsens in der 3. ti
Person Singular.
einen Keks
Diese Tatsache kann so dargestellt werden, dass sich das Verb isst
von V° nach T° bewegt. Mit Bewegung will man ausdrücken, dass
es eine Relation zwischen zwei Positionen im Baum gibt, wobei in
diesem konkreten Fall die eine Position – V° – mit thematischen,
d. h. lexikalischen Informationen assoziiert ist, die andere – T° –
mit Tempus- und Kongruenzinformationen, d. h. mit funktionalen
Informationen.
Die Spur t

4.6.3.2 Bewegung in der CP: Besetzung von C° und SpecCP Das Kürzel t steht für englisch
trace, dt. Spur. Das bedeutet,
Vergleichen Sie die folgenden Sätze: dass bei der Bewegung des Verbs
von V° zu T° das bewegte Ele-
ment eine Spur hinterlässt. V°
(178) Ich glaube, Max ist gegangen.
ist somit besetzt (von der Spur)
(179) Ich glaube, dass Max gegangen ist. und kann nicht wieder besetzt
(180) * Ich glaube, dass Max ist gegangen. werden. Das tiefgestellte i ist ein
Index und bezeichnet die Spur
(181) * Ich glaube, Max gegangen ist. näher. t ist hier mit isst koindi-
ziert, d. h. die beiden Elemente
Wenn ein Komplementierer wie dass erscheint, muss das Verb im Ne- tragen denselben Index. Dies be-
bensatz am Ende des Satzes stehen. Wenn ein solcher Komplemen- deutet, dass es sich um dasselbe
Element handelt!
tierer nicht erscheint, kann das Verb an zweiter Position stehen. Es
scheint so zu sein, dass das Erscheinen eines Komplementierers und
die Verb-Zweit-Position einander ausschließen. Hier stehen also das
Verb im Verbzweitsatz und der Komplementierer im Nebensatz an
derselben Position. Ein solches Einander-Ausschließen deutet in der
Syntax darauf hin, dass die entsprechenden Elemente an derselben
Position stehen („wollen“).
Wir haben oben gesagt, dass der Komplementierer in der C°-Position
basisgeneriert wird. Das Verb muss sich in die Position C° bewegen:
wir haben ja gesehen, dass das Verb Kopf der VP ist und dann in die

86
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

T°-Position bewegt wird. Die Daten in (178) bis (181) deuten darauf
hin, dass es sich dann weiter in die C°-Position bewegt.
Beachten Sie übrigens, dass man diese Bewegung an der Oberflä-
che auch gut sehen kann. Bei sog. Partikelverben (=Verben, bei de-
nen man die Vorsilbe vom Stamm trennen kann, s. Abschnitt 3.3.4),
bleibt die Partikel am Ende des Satzes – also in der V°-Position –
stehen, wohingegen der Stamm sich erst nach T° und dann nach C°
bewegt:

(182) Ich glaube, dass Peter das Buch abgibt.


(183) Peter gibt das Buch ab_.

CP des Hauptsatzes

CP

DPk C’

Max C° TP
gibti
tk T’

VP T°
ti
V’

DP V°
ab_ti
das Buch

SpecCP
Nun wird Ihnen eine Unstimmigkeit bei der Erklärung aufgefallen
sein: Das Verb steht im Hauptsatz an der zweiten Stelle, der Kom-
plementierer im Nebensatz aber an der ersten. Wie können die beiden
Elemente dann in derselben Position stehen?
Verantwortlich für die unterschiedliche Oberflächenposition besteht
darin, dass im Hauptsatz auch die Spezifikatorposition der CP besetzt
ist, im Nebensatz aber nicht. Die Besetzung der Position SpecCP ist
die Topikalisierung oder Vorfeldbesetzung, die wir aus der traditio-
nellen Grammatik kennen.
In SpecCP kann alles stehen, was phrasal ist. Dazu gehören auch w-
Fragewörter (wer, wem), DPn, AdvPn etc. Betrachten Sie sich noch Wichtig ist, dass es sich dabei
um einen deklarativen Hauptsatz
einmal Tabelle 11 zur Topologie des deutschen Satzes für Beispie-
handeln muss. Entscheidungsfra-
le zur Vorfeldbesetzung. Dort sehen Sie auch, in welchen Strukturen gen (185) und Imperative (186)
das Vorfeld leer bleiben muss. Die Besetzung von C° und SpecCP mit benötigen kein Element in Spec-
unterschiedlichem Material bestimmt im Wesentlichen den Satztyp/- CP:
Satzmodus des deutschen Satzes (vgl. dazu Abschnitt 4.4).
(184) Peter ist rausgegangen.
Betrachten wir ein Beispiel. Wir haben oben gesagt, dass die SpecCP- (185) Ist Peter rausgegangen?
Position im deutschen Hauptsatz gefüllt sein muss. Das sieht man
(186) Geh raus!
sehr gut, wenn man sich Konstruktionen mit intransitiven Verben an-
sieht, von denen ein Passiv gebildet wurde:

87
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

(187) (weil) getanzt wurde


(188) Es wurde getanzt. Extended Projection Princi-
ple

Das Beispiel zeigt, dass bei der Bildung eines deklarativen Hauptsat- Diese Forderung nach der Beset-
zes das inhaltlich leere es im Vorfeld (d. h. in SpecCP) erscheinen zung einer Spezifiziererposition
muss. Man kann nun annehmen, dass die Position C° im Deutschen nennt man auch das Erweiterte
für den Satztyp spezifiziert ist, dass sie bspw. ein Merkmal [Dekl] hat, Projektionsprinzip EPP (Exten-
und dass dieses wiederum mit einem weiteren Merkmal erscheint, wel- ded Projection Principle): die
Projektion soll erweitert werden,
ches fordert, dass die Spezifiziererposition besetzt wird.
so dass sie auch einen Spezi-
fizierer enthält. Das bedeutet
4.6.3.3 Weitere Bewegungen: Scrambling und Extraposition dann im Normalfall, dass ein
vorhandenes Element in den Spe-
Es gibt noch eine Reihe anderer Bewegungen, die für den deutschen zifikator von CP bewegt wird,
Satz ganz wesentlich sind. Im Abschnitt 4.3 (topologisches Modell) also das Vorfeld besetzt wird.
haben wir festgestellt, dass es bestimmte Gesetzmäßigkeiten gibt, die
die Reihenfolge der dort erscheinenden Argumente oder Modifika-
toren bestimmen. Zum Beispiel war die Grundabfolge für definite
DPn: Nom > (Dat >) Akk. Wir haben auch gesagt, dass von die-
ser Grundabfolge in Abhängigkeit vom Kontext abgewichen werden
kann:

(189) Dann hat der Vater den Sohn abgeholt.


(190) Dann hat den Sohn der Vater abgeholt – nicht die Mutter.

Exkurs: Scrambling

Die Umstellung von Argumenten im Mittelfeld CP


nennt man Scrambling (von engl. vermischen,
verquirlen). Eine Möglichkeit, dies zu analysie- AdvPn C’
ren, ist folgende:
Die DP den Sohn im obigen Beispiel bewegt
sich von ihrer Basisposition weg und wird ober- dann C° TP
halb der TP adjungiert. Beachten Sie, dass die hati
TP verdoppelt wird, denn wir hatten Adjunk-
tion als eine Operation definiert, in der Projek- DPk TP
tionen verdoppelt werden.
Wichtig ist auch, dass das Subjekt der Vater den Sohn DP T’
weiterhin im Spezifikator der TP steht, da dort
die Kasuszuweisung und die Kongruenz geregelt
wird. Das Objekt muss über dieser Position an- der Vater VP T°
docken. ti
Es gibt weitere Möglichkeiten das Scrambling
tn VP
zu analysieren (z. B. Adjunktion an VP), auf
die wir hier nicht eingehen wollen. Beachten Sie,
dass derselbe Satz mit einem pronominalen Ob- V’
jekt genauso wie oben analysiert werden kann:

(191) Dann hat ihn der Vater abgeholt. tk V°


abgeholt

88
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

Extraposition

Die letzte wichtige Bewegungsart, die wir hier CP


besprechen wollen, ist die Extraposition. Bei
der Extraposition bewegt sich ein Element aus DPn C’
dem Mittelfeld in das Nachfeld, also hinter das
Verb in seiner Letztposition.
Max C° TP
Diese Bewegung ist besonders „schweren“ Ele-
hati
menten vorbehalten. Extraposition wird ganz
ähnlich wie das Scrambling als eine Bewegung TP CPm
analysiert, bei der die Landeposition eine Ad-
junktionsposition ist. tn T’ die er und seine Schwester
auf irgendwelchen
(192) Max hat Bücher gesammelt, die er
und seine Schwester auf irgendwelchen VP T° Flohmärkten an langen

Flohmärkten an langen Samstagnach- ti Samstagnachmittagen in der


Kölner Innenstadt
mittagen in der Kölner Innenstadt ge- V’ gekauft haben.
kauft haben.

Beachten Sie, dass die Adjunktion hier rechts DP V°


an die TP erfolgt, während sie beim Scrambling gesammelt
links erfolgt. D’

D° NP

NP tm

Bücher

Komplexe Sätze CP
Wenn Sie einen komplexen Satz analysieren möchten, der aus einem
Haupt- und einem Nebensatz besteht, müssen sie zunächst feststel-
DPn C’
len, welcher der beiden Teilsätze der Hauptsatz ist. Dieser bildet
die „Haupt-CP“, also jene, deren CP-Knoten der Wurzelknoten des
Gesamtbaumes ist. Dann müssen Sie feststellen, welche Funktion Paul C° TP
der Nebensatz im Hauptsatz hat (Objekt, Subjekt, Adverbialbe- hati
stimmung): eine Liste von Nebensätzen gibt es im Abschnitt 4.2.2.4 TP CPm
Ein Objektsatz nimmt seinen Ursprung in der Position, in der Ak-
kusativobjekte stehen, also als Schwester von V° (unten die Spur tn T’ dass er kommt
tm ). Dann wird er extraponiert:
(193) Paul hat gesagt, dass er kommt. VP T°
ti
Der Nebensatz kann auch in die Position SpecCP bewegt werden:
V’
(194) Dass er kommt, hat Paul gesagt.
tm V°
Schwere Konstituenten gesagt
Unter „schweren“ Konstituenten versteht man solche, die besonders
lang sind und viel Information tragen. Wie Sie nebenstehend sehen,
(195) Ich habe das, [während
sind z. B. Nebensätze „schwer“. Es wird also Information nach hinten
ich gestern Musik ge-
geschafft, die umfangreich ist und viel Neues enthält. Ein wichtiger hört habe], geschrieben.
Effekt dieser Bewegung ist, dass für den Hörer schnell die semanti-
sche Struktur des Satzes klar wird (welche Argumente nimmt welches (196) Ich habe das geschrie-
ben, [während ich ges-
Verb). Das gilt insbesondere, wenn das Verb am Ende des (Matrix-
tern Musik gehört habe].
)Satzes steht – Sie erinnern sich sicherlich an die Lektüre von Thomas
Mann, bei dem Sätze eine ganze Buchseite umspannen können. Mit (197) Ich habe das [dann] ge-
der Struktur von Relativsätzen befassen wir uns in diesem Grundkurs schrieben.
nicht. (198) * Ich habe das geschrie-
ben [dann].
(nur gut als eine Art
Nachgedanke)

89
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

4.6.3.4 Das Bewegungskonzept

Zuerst haben wir gesehen, dass Elemente, die aus dem Lexikon ent-
nommen werden, mit anderen Elementen verknüpft werden und somit
CP
komplexe Phrasen gebildet werden konnten. Die Positionen, die be-
stimmte Elemente in einer Struktur einnehmen, sind von Bedeutung
für die Funktionen dieser Elemente im Satz. C’

Mit anderen Worten: Wo ein Element basisgeneriert wird, ist von C° TP


Bedeutung für seine Interpretation im Satz. Es ist also im folgen- dass
den Beispiel nicht unerheblich, ob Maria oder Peter in der SpecTP DP T’
basisgeneriert wird, denn das Element, welches in der SpecTP basis-
generiert wird, stellt das Subjekt des Satzes dar, d. h. die „Küssen- Maria VP T°
de“. hat
V’
(199) (dass) Maria Peter geküsst hat.
DP V°
Es ist jedoch auch möglich, Maria in (199) als Akkusativobjekt, d. h. geküsst
als „Geküsste“, zu interpretieren (z. B. als Antwort auf die Frage Peter
„Wen hat der Peter geküsst?“ s. (200)). Dieser Satz ist nämlich struk-
turell ambig. Es hat also zwei mögliche Lesarten, die von der Struktur CP
abhängig sind.
C’
(200) (dass) MARIA Peter geküsst hat.
C° TP
Oberflächen- und Tiefenstruktur dass
Um diese Ambiguität darstellen zu können, brauchen wir die Bewe- DPk TP
gungen. Andernfalls können wir mit der Tiefenstruktur nicht darstel-
len, was in der Oberflächenstruktur zu sehen ist. Mit Tiefenstruktur MARIA DP T’
meint man die zugrundeliegende Struktur, d. h. die Position, in der
die Elemente basisgeneriert wurden. Die Oberflächenstruktur meint Peter VP T°
dagegen die Positionen, in denen die Elemente sich am Ende aller hat
Derivationen (Bewegungen) befinden, d. h. den Satz so, wie er am V’
Ende ausbuchstabiert wird.9
Was Bewegungen i. A. betrifft, so haben wir gesehen, dass sie vor tk V°
geküsst
allem zwei Dinge tun.
• Einerseits ermöglichen sie einem Element, mehrere Funktionen
gleichzeitig zu haben: das finite Verb hat lexikalischen Inhalt Wenn man nun die Forderung
(V°) und trägt gleichzeitig Tempusinformationen (T°). der ökonomischen Strukturbil-
dung stellt, geht idealerweise
• Andererseits wird einem Element ermöglicht, eine bestimmte beides Hand in Hand, d. h. Be-
Funktion zu haben (z. B. die grammatische Funktion Objekt) wegungen sollten immer sichtbar
und trotzdem an einer abweichenden Position im Satz zu er- sein und sie sollten bestimmte
scheinen (wie bei der Extraposition). inhaltliche Konsequenzen haben
(vgl. (199) vs. (200) und die Be-
In der Rektions- und Bindungstheorie wurde angenommen, dass Be- deutung der SpecCP-Besetzung
wegungen10 generell einer ganz einfachen Regel folgen, nämlich Move für den Satzmodus).
α – Bewege irgendetwas irgendwohin. Die Aufgabe von Syntaxtheori-
en besteht nun unter anderem darin, eine Grammatik zu entwickeln,
welche unzulässige Bewegungen ausschließt und nur zulässige Bewe-
gungen erlaubt. So können Sätze der folgenden Art in dem Gramma-
tikmodell ausgeschlossen werden:

9 Die Konzepte der Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur kennen Sie bereits aus dem Kapitel 2.2.3 bei der Unterscheidung
zwischen Phonem und Phon.
10 Es gibt auch eine Klasse von Bewegungen, die generell nicht sichtbar sind, sog. verdeckte oder koverte Bewegungen, die

im Gegensatz zu den sichtbaren oder overten Bewegungen stehen. Koverte Bewegung findet statt, wenn die Struktur
zur Schnittstelle mit der semantische Interpretation geschickt wird (zur sog. Logischen Form). Koverte Bewegung haben
somit immer semantische Gründe. Darauf können wir hier nicht eingehen.

90
4.6 Der deutsche Satz in der Generativen Grammatik

(201) * (dass) geküssti Maria hatk Peter ti tk

Beschränkungen
In der Rektions- und Bindungstheorie wurden zu diesem Zweck ver-
schiedene Filter, Prinzipien u. ä. erstellt, die die allgemeine Regel
Move α beschränken.11
Zunächst sind da einfache Beschränkungen „schematischer“ Natur, Bewegungsgrundsätze
die sich aus den Eigenschaften bestimmter Positionen im Satz erge-
• Phrasen können sich von Spezi-
ben. Es ist z. B. so, dass sich immer nur Kopfelemente in Kopfposi-
fikator- oder Komplementpo-
tionen bewegen V°ßT°ßC°, und phrasale Elemente in phrasale Posi-
sitionen in Spezifikatorposi-
tionen12 . Alle Spezifikator- und Komplementpositionen sind phrasale tionen bewegen.
Positionen. Deswegen kann sich die Subjekt-DP von der SpecTP-
Position zur SpecCP-Position bewegen. Es ist nicht möglich, dass sich • Die Komplementposition kann
ein Kopf in eine Spezifikatorposition bewegt, d. h. nur XPn können nur „direkt“ besetzt werden,
sich in Spezifikatorpositionen bewegen. indem ein Kopf mit einer
Phrase verkettet wird.
Andererseits sind nur Spezifikatorpositionen sog. Landepositionen,
• Bewegung findet immer nur
d. h. Phrasen können sich von Spezifikator- oder Komplementpositio- von unten nach oben statt.
nen in Spezifikatorpositionen bewegen, die Komplementposition kann
dahingegen nur „direkt“ besetzt werden: indem ein Kopf mit einer • Bewegung darf nur lokal sein:
Phrase verkettet wird. Schließlich ist eine ganz wichtige Beschränkung
für die Bewegung, dass sie immer nur von unten nach oben stattfindet. (202) Du sagst, wer am
Das bewegte Element befindet sich also immer über seiner Spur. Tech- Abend kommt – Wer
nisch ist die Beschränkung folgendermaßen: Eine Spur muss von ih- sagst du twer kommt
am Abend?
rem koindizierten Element c-kommandiert werden (s. Abschnitt 4.5.1
für den Begriff des C-Kommandos). (203) Du sagst, wann ich
wen anrufe. – * Wen
Des Weiteren gibt es z. B. Beschränkungen derart, dass Bewegung sagst du, wann ich
u. U. nur lokal sein darf, dass ein Element bspw. nicht immer von ei- twen anrufe?
nem Nebensatz in einen Hauptsatz bewegt werden darf. Beschränkun-
gen dieser Art gehen über diesen Grundkurs hinaus.

4.6.4 Ein Vergleich zwischen topologischem und gene-


rativem Modell
Schließen wir unsere Betrachtungen mit einem kurzen Vergleich des
topologischen Modells mit der generativen Baumstruktur ab.
• Das Vorfeld im topologischen Modell entspricht der SpecCP-
Position, in die nur eine einzelne Phrase hinbewegt werden darf.
• Die Position der linken Satzklammer ist die C°-Position, bei
der entweder ein Komplementierer (dass, ob etc.) basisgeneriert
oder ein finites Verb hinbewegt wird.
• Das Mittelfeld entspricht den Elementen rechts von C° und links
von V°. Dort werden (fast) alle Elemente des Satzes basisgene-
riert.
• Die rechte Satzklammer umfasst die V°- und die T°-Position,
wo sich nur verbale Elemente (inklusive Partikeln von Partikel-
verben) befinden.
• Das Nachfeld ist die Extrapositionsposition (Adjunkt rechts an
der TP). Dorthin werden also schwere Konstituenten bewegt
(z. B. CP-Komplemente).

11 Wir werden in diesem Kurs aus zeitlichen Gründen nicht weiter auf die Filter und Prinzipien eingehen können. Sie werden
hier nur einige wenige Beschränkungen für Bewegungen kennenlernen, die restlichen können Sie in weiterführenden
Syntaxseminaren lernen.
12 Der Unterschied zwischen einer Kopf- und einer Phrasenbewegung wird in dem X-bar-Schema sichtbar durch die Position

des Index‘. Bei einer Phrasenbewegung trägt die gesamte bewegte Phrase den Index (vgl. DPi ), während bei einer
Kopfbewegung nur der bewegte Kopf den Index trägt (vgl. hatk ).

91
4.7 Anhang: Kurzer historischer Überblick über die Generative Syntax

4.7 Anhang: Kurzer historischer Überblick über


die Generative Syntax Phrasenstrukturregeln
Die generative Herangehensweise, die wir in diesem Kapitel kennen- Phrasenstrukturgrammatiken
gelernt haben, baut auf Arbeiten im Amerikanischen Strukturalismus arbeiten mit Phrasenstruktur-
auf, der sich der Sprache durch strukturalistische Verfahren wie Seg- regeln, die Sätze generieren. Sie
mentierung und Klassifizierung näherte (vgl. Sie die Konstituenten- sind die strukturaufbauende Teil-
tests ganz am Anfang). komponente der Grammatik.
Phrasenstrukturregeln sind Er-
Daraus erwuchs die sog. Phrasenstrukturgrammatik und das mit ihr setzungsregeln:
verbundene Konzept eines hierarchischen Strukturaufbaus der Spra-
(204) S → NP VP
che. Ergebnis ist dann ein Baum, der so aussieht:
(205) VP → V PP
(215) Die Vase steht auf dem Tisch. (206) NP → Art N
S (207) PP → P NP

Sie werden ergänzt durch lexika-


NP VP lische bzw. terminale Phrasen-
strukturregeln:

Art N V PP (208) N → Vase


(209) N → Tisch
(210) V → steht
P NP
(211) V → liest
(212) Art → die
Art NP
(213) Art → dem
(214) P → auf
die Vase steht auf dem Tisch

92
4.7 Anhang: Kurzer historischer Überblick über die Generative Syntax

Das Problem dieser Grammatiken ist, bzw. war, dass sie zu wenig re-
striktiv waren, d. h. sie produzierten auch Strukturen, die ungramma-
tisch sind (das Problem der Übergenerierung):

(216) * Die Vase liest auf den Tisch.

Um dieses Problem zu überwinden, hat man in der Frühphase der


generativen Grammatik zunächst Regeln der folgenden Art formu-
liert:

(217) VP → Vintransitiv
(218) VP → Vtransitiv NPAkk
(219) VP → Vditransitiv NPDat NPAkk
(220) VP → VP PPdirekt .

Um den Regelapparat zu reduzieren, ließ man später die Phrasen-


strukturregeln mit einer Lexikonkomponente interagieren, die Infor-
mationen über den Subkategorisierungsrahmen und die Argument-
struktur (semantische Rollen, siehe das Kapitel zur Semantik) des
Verbs enthält, also ähnlich, wie wir das schon im Teil zur traditionel-
len Grammatik kennengelernt haben.
Für die lexikalische Einsetzung gilt: Ein Lexem kann unter einen Ka-
tegorienknoten eingesetzt werden, wenn
• seine Kategorie mit der des Knotens übereinstimmt und
• sein Subkategorisierungsrahmen durch die Umgebung des Kno-
tens erfüllt wird.
Im Folgenden wollen wir ganz kurz skizzieren, wie sich die generative
Grammatik von ihren Anfängen bis heute entwickelt hat.

Geschichte: Generative Grammatik

Chomsky (1957): Syntactic Structures

• endliche Anzahl von Phrasenstrukturregeln


erzeugt sog. Kernsätze

• Kernsätze werden durch bedeutungserhalten-


de Transformationen (Bewegung, Streichung,
Hinzufügung) in unbegrenzte Anzahl von
Nicht-Kernsätzen transformiert

Chomsky (1965): Aspects of the Theory of Anfang der 70er Jahre: Erweiterte Standard-
Syntax (Standard-Theorie (ST) / Aspekte- Theorie (EST)
Modell) • beschränkte syntaktische Strukturbildung
nach dem X-bar Schema
• Konzept der Kernsätze vs. Nicht-Kernsätze
wird durch die sog. Tiefenstruktur vs. Oberflä- • das X-bar-Schema wird im Laufe der Zeit zu-
chenstruktur, ersetzt, wobei die Oberflächen- nehmend restriktiver
struktur wieder durch Transformationen von • auf jeder Stufe der Satzgenerierung findet eine
der Tiefenstruktur abgleitet wird: „Übersetzung“ in eine autonome semantische
Form statt, d. h. semantische Interpretation
bezieht sich sowohl auf Oberflächen- als auch
auf Tiefenstruktur

93
4.7 Anhang: Kurzer historischer Überblick über die Generative Syntax

Mitte der 70er Jahre: Revidierte Erweiterte für Move α ergeben sich aus lexikalischen Ei-
Standard-Theorie (REST) genschaften und allgemeinen Prinzipien, die
• Einführung der Konzeption der Spuren durch die unterschiedlichen Module determi-
niert sind)
• Spuren markieren ursprüngliche Position be- Chomsky (1986): Barriers (Barrieren-
wegter Konstituenten Theorie)
• Oberflächenstruktur enthält somit alle Infor- • Weiterentwicklung der GB-Theorie, Einfüh-
mationen zur semantischen Interpretation rung des Konzepts der Barrieren (Bewegung
kann nicht über bestimmte Grenzen hinweg
• sog. Y-Modell (hat die Form eines Y):
erfolgen)
Chomsky (1995): The Minimalist Program
(Minimalismus)
• Wohlgeformtheit einer sprachlichen Äußerung
wird an ökonomischen Kriterien festgemacht
(die ökonomischste Ableitung ist die favori-
sierte)

• lexikalische Elemente werden morphologisch


Chomsky (1981): Lectures on Government vollständig spezifiziert aus dem Lexikon kom-
and Binding (Rektions- & Bindungstheorie, mend miteinander verkettet (Merge)
„GB“) • Bewegung (Move) dient lediglich der Merk-
• auch: Prinzipien- und Parameter-Theorie malsüberprüfung
• Grundannahme: es gibt universal geltende (ge- • D- und S-Struktur entfallen
netisch determinierte) Prinzipien, innerhalb
derer jede Einzelsprache spezifische Festlegun- • nach dem sog. Spell Out teilt sich die Derivati-
gen trifft, d. h. aus einer begrenzten Anzahl on in einen PF-Abzweig (Phonologische Form
möglicher Optionen eine bestimmte auswählt → phonetische Realisierung) und einen LF-
(Parametersetzung) Abzweig (Logische Form → semantische In-
terpretation) Modell:
• Modularisierung der Syntax (einzelne
Prinzipien-Systeme steuern Teilbereiche der
Syntax: Kasustheorie, Theta-Theorie, Bin-
dungstheorie, Kontroll-Theorie etc.)
• konstruktionsspezifische Bewegungstransfor-
mationen werden durch eine unspezifische Be-
wegungsregel „Move α“ ersetzt (Restriktionen

Andere Generative Grammatikmodelle:


• Generalized Phrase Structure Grammar (GPSG), Anfang der
80er Jahre, wird heute nicht mehr verfolgt
• Head-Driven Phrase Structure Grammar (HPSG), seit Ende der
80er Jahre (s. Sag, I. & Wasow, T. (1999). Syntactic Theory.
Stanford University)
• Lexical Functional Grammar (LFG), seit Ende der 70er Jah-
re (s. Bresnan, J. (2001). Lexical-Functional Syntax. Oxford:
Blackwell).
Diese Grammatikmodelle verfolgen auch den generativen Gedanken,
modellieren die sprachlichen Gegebenheiten aber anders. So findet
vor allem die Metapher der Bewegung Alternativen. Sowohl in HPSG
als auch in LFG gibt es eine lineare und eine nicht-lineare Kompo-
nente. Diese Komponenten sind anders aufgebaut als z. B. Tiefen-
und Oberflächenstruktur der frühen Chomsky-Grammatik. Es gibt
viele weitere alternative Modelle, die Chomsky-Grammatik ist aber
das Modell, das am weitesten verbreitet ist, und in dem die meisten
sprachlichen Phänomene untersucht werden. HPSG und LFG bilden
oft die Basis für die Entwicklung von Grammatikmodellen in der
Computerlinguistik.

94
5 Semantik
5.1 Gegenstand der Semantik
Die Semantik befasst sich mit der Bedeutung natürlichsprachlicher (1) Fritz steht rechts von Ger-
Ausdrücke. Mit sprachlichen Äußerungen vermitteln wir Informati- da. – Gerda steht links von
on über Sachverhalte. Die inhaltliche Beziehung zwischen den jeweils Fritz.
zwei Sätzen in (1)-(3) ist Teil unseres semantischen Wissens. Dieses (2) Washington ist die Haupt-
erlaubt uns auch, den Satz in (4) als mehrdeutig zu erkennen, und den stadt der USA. – Washing-
Satz in (5) als, sagen wir, außergewöhnlich. ton ist nicht die Haupt-
stadt der USA.
Der Bedeutungsbegriff ist vielschichtig. Zunächst müssen wir unter-
(3) Meier hat seinen Makler
scheiden zwischen der Satzbedeutung (auch Ausdrucksbedeutung),
ermordet. – Meiers Makler
der Äußerungsbedeutung und dem kommunikativen Sinn: ist tot.
• Satzbedeutung (auch Ausdrucksbedeutung): (4) Das Geld liegt auf der Bank.
» Wenn man von der Satz- oder Ausdrucksbedeutung spricht, (5) Der greisenhafte Säugling
meint man die wortwörtliche Behauptung, die mit einem trinkt die Banane.
Satz gemacht wird.
» (6) bedeutet, dass eine Person namens Klaus die Eigen-
(6) Klaus hat den ganzen Ku-
schaft hat, zum Zeitpunkt der Äußerung einen bestimm-
chen aufgegessen.
ten Kuchen gänzlich gegessen zu haben. Die Satzbedeu-
tung beachtet also nicht die Interpretation übertragener
Bedeutung wie etwa die Interpretation von Gedichten, das
Verstehen von Ironie oder von sprachlichen Bildern wie
Metaphern.
• Äußerungsbedeutung:
» Die Äußerungsbedeutung meint die Realisierung / Pro-
duktion eines Satzes in einem bestimmten, situativen Kon-
text.
» Wenn Klaus aus dem Beispiel bspw. den Kuchen zwei Uhr
nachmittags an seinem 11. Geburtstag, dem 23. November
2014, gegessen hat, kann Satz (6) um drei Uhr desselben
Tages geäußert werden und wahr sein. Man spricht auch
vom sog. Äußerungskontext.
• Kommunikativer Sinn:
» Der kommunikative Sinn bezieht sich auf dasjenige, was Pragmatik
der/die SprecherIn eigentlich mit der Äußerung eines Sat-
zes meint. Der kommunikative Sinn einer
Äußerung ist nicht mehr Un-
» Im Falle des Kuchen essenden Klaus könnte dies z. B. sein, tersuchungsgegenstand der Se-
dass Klaus Bauchweh hat und der Sprecher dies mit obi- mantik, sondern der Pragmatik,
gem Satz kommentiert. Der Sprecher meint dann: wir brau- die im nächsten Kapitel dieses
chen uns nicht zu wundern, dass Klaus Bauchweh hat, Lehrmaterials behandelt wird:
denn er hat ja den ganzen Kuchen gegessen. Vielleicht will die Pragmatik untersucht u. a.
der Sprecher aber auch sagen, dass dringend neuer Kuchen den gesamten Sprechakt einer
her muss, da Klaus’ Gäste bald eintreffen werden. Äußerung.

Unsere semantische Kompetenz erlaubt uns also die Produktion und


das Verstehen sinnvoller Äußerungen, das Erkennen von Bedeutungs-
beziehungen zwischen Äußerungen (und Teilen von Äußerungen), die
sprachliche Bezugnahme auf die Welt (so wie sie sich uns darstellt),
sowie die Beurteilung von Sätzen nach Sinn und Wahrheitsbedingun-
gen (mehr zu diesem Begriff s. Abschnitt 5.3.1.)

95
5.1 Gegenstand der Semantik

Was genau mit Bezugnahme auf die Welt gemeint ist, wurde zu Be-
ginn des vorigen Jahrhunderts u. a. von Ferdinand de Saussure (zur
Inhalts- und Ausdrucksseite sprachlicher Zeichen) und Karl Bühler
(Organonmodell) untersucht.
Im Folgenden sehen Sie eine Darstellung des semiotischen Drei-
ecks in dem dargestellt ist, wie sich sprachliches Zeichen und Welt
zueinander verhalten.

Abbildung 5.1: Semiotisches Dreieck1

Wie Sie sehen, gibt es keine direkte Beziehung zwischen einem Aus-
druck und einem Gegenstand in der Welt (einem Referenten). Ein Beachten Sie, dass das Referieren
Ausdruck referiert nicht: Sprecher referieren mit einem Ausdruck über mit einem Ausdruck nicht mit al-
den Begriff auf einen Referenten. Im linguistischen Alltag sagt man len Ausdrücken möglich ist, wie
trotzdem, dass ein Ausdruck auf etwas referiert (wie im Syntaxteil z. B. Funktionswörtern.
getan, z. B. Abschnitt 4.6.2.1).
Extension
Die Menge der Referenten, auf die ein Ausdruck über den Begriff in
der aktuellen Welt (zu anderen Welten, s. u.) referiert, nennt man Ex-
tension. Die Extension des Ausdrucks Blume ist also die Menge aller
gegenwärtig tatsächlich vorhandenen Blumen.
Denotation
Die Beziehung zwischen Ausdruck und Extension nennt man Deno- Schreibweise Denotation
tation. Der Ausdruck Blume denotiert die Menge aller Blumen in
der aktuellen Welt. Im Gegensatz hierzu ist beim Referieren für ge- Denotation wird durch doppelte
wöhnlich nur ein einzelnes2 konkretes Objekt bzw. Individuum das Klammerung ausgedrückt:
Gegenstück in der aktuellen Welt und nicht die Menge aller Referen- (7) [[Blume]] : die Denotation
ten. Dieser Unterschied wird besonders deutlich, wenn man Eigen- von Blume
namen wie Spiderman mit einfachen Nomen wie Blume vergleicht.

Denotation von Verben


Wir haben bis jetzt nur Nomen betrachtet. Was ist aber die Deno-
tation von Verben, bspw. des Verbs schlafen? Schlafen denotiert die
Menge der Schlafenden. Ein Individuum schläft, wenn es in der Men-
ge der Schlafenden enthalten ist. Ausdrücke wie schlafen – und auch
Blume – sind Prädikate.
Prädikate
Prädikate sind Mengen von Individuen mit einer bestimmten Eigen-
schaft, wie z. B. der Eigenschaft zu schlafen, oder eben der Eigen-
schaft Blume zu sein.

1 nach
Ogden / Richards (1923): The meaning of meaning. NY: Harcourt Brace.
2 Pluralische
Ausdrücke können natürlich auch referieren. Wie damit umgegangen wird, lernen Sie in einem weiterführenden
Semantikkurs.

96
5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik

Intension
Der Extension gegenüber steht die Intension. Die Intension des Aus-
drucks Blume ist die Menge aller Blumen in allen möglichen Welten,
d. h. in allen vergangenen, gegenwärtigen, zukünftigen, erdachten,
geträumten etc. Welten. Wenn man weiß, welche Objekte bzw. Indi-
viduen zu dieser Menge gehören, kennt man die „eigentliche“ Bedeu-
tung eines Ausdrucks, den Begriffsinhalt, also bspw. „ist eine Pflanze,
hat Blütenblätter . . . “
Es gibt Ausdrücke, die die gleiche Extension haben, aber eine unter-
schiedliche Intension. Beispiel (8) ist eines der klassischen Beispiele
(8) der Morgenstern – der
von Gottlob Frege, auf dessen Unterscheidung zwischen Sinn und Be-
Abendstern
deutung die Bedeutungsanalyse nach Intension vs. Extension basiert).
Morgenstern und Abendstern sind Bezeichnungen für die Venus, die (9) der Mann, der mein Vater
Extension ist demnach identisch, aber die zwei Begriffe unterschei- ist – der Mann, der meine
Mutter geheiratet hat
den sich in der Intension; Morgenstern bezieht sich auf die Venus,
wenn sie morgens sichtbar ist, und Abendstern auf die Venus, wenn (10) der gegenwärtige König von
sie abends sichtbar ist. Darüber hinaus gibt es Ausdrücke, die in der Frankreich
aktuellen Welt keine Extension haben, wie (10), und Ausdrücke, die (11) Einhorn
nur in erdachten Welten eine Extension haben, wie (11). Die Inten-
sion von (11) ist so etwas wie „ein pferdeähnliches Wesen, das ein
langes Horn auf der Stirn trägt“.

5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik


Die Wortbedeutung ist der für alle Sprecher verbindliche, d. h. kon-
ventionalisierte Inhalt eines Wortes. Die Wortbedeutung ist kontex- Bedeutungsaspekte, die in kon-
tunabhängig, variiert also nicht. Aufgabe der lexikalischen Semantik kreten Äußerungssituationen „da-
ist es, die Bedeutung eines Wortes, also seinen invarianten Inhalt, zu zukommen“, gehören nicht zur
erfassen und ihn auf eine bestimmte Weise zu repräsentieren. Hierfür Wort- bzw. lexikalischen Bedeu-
gibt es verschiedene Herangehensweisen, die sich unterscheiden be- tung, vgl. die Unterscheidung
züglich der Auffassung darüber, was zur Bedeutung eines Wortes ge- zwischen Satzbedeutung und Äu-
hört und wie diese Bedeutung zu repräsentieren ist. ßerungsbedeutung im vorigen
Abschnitt.
5.2.1 Merkmalhypothese
Annahme: Die Wortbedeutung setzt sich aus elementaren abstrakten
Inhaltselementen, sog. semantischen Merkmalen oder Komponenten, Beispiel Merkmalbündel
zusammen. Diese sind semantische Primitiva, das heißt nicht weiter
(12) Frau
zerlegbare Bedeutungselemente. Die Bedeutung eines jeden Wortes [–ABSTRAKT, +BELEBT,
lässt sich durch ein Merkmalbündel erfassen (Komponentenanalyse / +HUMAN, +WEIBLICH,
Dekomposition). +ERWACHSEN]

Semantische Merkmale weisen folgende Eigenschaften auf: (13) Mann


[–ABSTRAKT, +BELEBT,
• Merkmale sind binär +HUMAN, –WEIBLICH,
(ein Element hat das Merkmal oder nicht) +ERWACHSEN]

• Merkmale sind geordnet (14) Kind


([ABSTRAKT] als oberstes Merkmal) [–ABSTRAKT, +BELEBT,
+HUMAN, ±WEIBLICH,
• Merkmale sind distinktiv, –ERWACHSEN]
d. h. sie grenzen Wortbedeutungen voneinander ab
• Aus dem Vergleich von Merkmalen gewinnt man Aussagen über
Bedeutungszusammenhänge (z. B. Bedeutungsähnlichkeit / Be-
deutungsopposition),
• Merkmale erlauben Einteilungen in semantische Klassen

(15) [+MENSCHLICH]: Onkel, Frau, Witwer, Malerin, Baby,


der Erbe, . . .

97
5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik

(16) [+BELEBT]: Tiger, Erzieher, Bruder, Tischlerin, Kran-


ker, Rednerin, . . . b Versuchen Sie, das klassenbil-
dende Merkmal für die folgenden
(17) [+WEIBLICH]: Löwin, Henne, Kuh, Mädchen, Nonne, Zusammenstellungen zu bestimmen!
Schwester, . . .
(18) [ ]: töten, verdunkeln,
Ähnlich kann man bspw. Bewegungsverben, Wahrnehmungs- zerbrechen, wecken, . . .
verben u. ä. klassifizieren. (19) [ ]: lehnen, kleben, lie-
gen, stehen, haben, . . .
Die Merkmaltheorie hat folgenden Anspruch: Dekomposition muss
(20) [ ]: kommen, schlendern,
notwendig und hinreichend sein, d. h. jedes Merkmalbündel muss kriechen, bringen, tragen, . . .
die Bedeutung eines Wortes genau erfassen und eindeutig von der
(21) [ ]: sehen, riechen, hören,
Bedeutung anderer Wörter abgrenzen. Kognitionspsychologisch im- fühlen, . . .
pliziert dies, dass Kategorien (= Konzepte einer Klasse von Entitä-
ten) klar umgrenzt, d. h. durch eine Menge von Merkmalen eindeutig
definiert sind. Jeder Vertreter einer Kategorie erfüllt alle Merkma-
le.
Der Merkmalansatz ist aus folgenden Gründen problematisch:
• Status der Merkmale: Grundkategorien von Perzeption und Ko-
gnition?
• Was genau sind semantische Primitiva? (Lässt sich WEIBLICH
weiter aufgliedern?)
• Gibt es ein festes Inventar von Merkmalen?
Prototypische Spiele:
• Wie viele semantische Merkmale / Primitiva gibt es?
„Betrachte z. B. einmal die Vor-
• Semantisches vs. enzyklopädisches Wissen? (z. B. STEIN, LUFT) gänge, die wir Spiele nennen. Ich
• Unsicherheit in der Kategorisierung, z. B. Teich – Tümpel – meine Brettspiele, Kartenspie-
Weiher le, Ballspiele, Kampfspiele usw.
Was ist diesen gemeinsam? (. . . )
• Passend nur für bestimmte Wortklassen (Nomen, Verben vs. wenn du sie anschaust, wirst
Präpositionen, Partikeln). du zwar nicht sehen, was allen
gemeinsam ist, aber du wirst
5.2.2 Prototypentheorie Ähnlichkeiten, Verwandtschaf-
ten sehen. (. . . ) Schau z. B. die
Im Gegensatz zur Merkmaltheorie nimmt die Prototypentheorie nicht Brettspiele an, mit ihren mannig-
an, dass die Bedeutung von Wörtern eindeutig definiert werden kann, faltigen Verwandtschaften. Nun
d. h. dass etwas eindeutig Vertreter einer Kategorie ist oder nicht. geh zu den Kartenspielen über:
Stattdessen geht die Prototypentheorie von folgenden Annahmen aus: hier findest du viele Entspre-
chungen mit jener ersten Klasse,
• nicht alles, was unter einen Begriff fällt, weist die gleichen Merk- aber viele gemeinsame Züge ver-
male auf schwinden, andere treten auf.
Wenn wir nun zu den Ballspie-
• es gibt typische Vertreter einer Kategorie und es gibt Grenzfälle len übergehen, so bleibt manches
• die Grenze zwischen Kategorien ist nicht immer klar zu ziehen. Gemeinsame erhalten, aber vie-
les geht verloren. – Sind sie alle
Aus der nebenstehenden Erklärung prototypischer Spiele folgt: unterhaltend? (. . . ) Oder gibt es
überall ein Gewinnen oder Ver-
• Es gibt typische, aber nicht notwendige Merkmale, die eine Ka- lieren, oder eine Konkurrenz der
tegorie bestimmen. Spielenden? Denk an die Pati-
encen. In den Ballspielen gibt es
• Es gibt „bessere“ und „schlechtere“ Vertreter einer Kategorie.
Gewinnen und Verlieren; aber
• Ein Prototyp ist die mentale Repräsentation des besten Vertre- wenn ein Kind den Ball an die
ters einer Kategorie (Spatz für Vogel o. ä.). Wand wirft und wieder auffängt,
so ist dieser Zug verschwunden.
• „Periphere“ Vertreter einer Kategorie weisen Ähnlichkeit mit Schau, welche Rolle Geschick
dem Prototyp auf (teilen bestimmte Merkmale mit ihm, andere und Glück spielen (. . . ). Man
nicht). kann sagen, der Begriff ‘Spiel’ ist
ein Begriff mit verschwommenen
Sprachliche Indizien für den Prototypenansatz sind sog. Heckenaus- Rändern.“ (Wittgenstein (1960):
drücke (engl. hedges) wie z. B. eigentlich, so eine Art: Philosophische Untersuchungen)

98
5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik

(22) Eigentlich ist Rhabarber ein Gemüse.


(23) Das ist so eine Art Insekt.
(24) Das ist ein Raubtier par excellence.

Die Prototypentheorie ist primär eine kognitionspsychologische Theo-


rie der Kategorisierung (Rosch 1973; Rosch / Mervis 1975), die dann
auch eine bestimmte Konzeption der Wortbedeutung liefert.
Kognitionspsychologische Annahmen: Die Vertreter einer Kate- Definitorische Merkmale von
gorie sind unterschiedlich repräsentativ oder typisch für die Katego- Vogel
rie. Der ideale Repräsentant ist der Prototyp (z. B. der Prototyp der • ‘kann fliegen’: gilt nicht für
Kategorie Vogel entspricht eher einem Spatz oder Rotkehlchen als Strauße, Pinguine, Küken,
einem Pinguin, Strauß etc.). Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie er- Kiwis
gibt sich aus dem Grad der Ähnlichkeit mit dem Prototyp. Die Vertre-
ter einer Kategorie verfügen somit nicht über alle gemeinsamen Eigen- • ‘hat Flügel’: gilt nicht für Ki-
wis (Flügel sind verkümmert)
schaften (nicht alle Vögel haben Federn, nicht alle Vögel können flie-
gen etc.). Zwischen den Vertretern einer Kategorie besteht sog. „Fa- • ‘hat Federn’: Pinguine?
milienähnlichkeit“ (Wittgenstein).
Prototyp
Die Bedeutung eines Wortes ist ein Bewusstseinsinhalt / Schema
/ kognitives Bild / psychische Repräsentation eines prototypischen
Unklar ist der repräsentationale
Vertreters einer Kategorie. Der Prototyp kann aufgefasst werden als Status von Prototypen: Handelt
tatsächlich existierender bester Vertreter einer Kategorie oder als ab- es sich um mentale Bilder (Ab-
strakte, so nicht existierende Entität, die die typischen Eigenschaften strakta?) oder eine Liste von
der Kategorie auf sich vereinigt. Die Referenten, auf die man sich mit (semantischen) Merkmalen, die
einem Wort beziehen kann, weisen mehr oder weniger große Ähnlich- den Prototyp beschreiben?
keit mit dem Prototypen auf. Die Referenten reichen von den besten
Vertretern einer Kategorie bis zu den am wenigsten repräsentativen.

5.2.3 Sinnrelationen zwischen Wörtern


Eine der zentralen Fragestellungen der Semantik ist, welche Zusam- Mentales Lexikon
menhänge zwischen den Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke beste- Unter dem mentalen Lexikon
hen. Aussagen darüber sind damit immer auch mit Annahmen über versteht man die Art und Wei-
die Organisation des mentalen Lexikons verbunden. Zwischen den se, wie unser Gehirn die Wörter
Bedeutungen von Wörtern bestehen Beziehungen (semantische Re- einer oder mehrerer Sprachen
lationen, Sinnrelationen), die sich systematisch erfassen lassen. Die verwaltet.
wichtigsten sind:
Synonymie
Semantische Relation der Bedeutungsgleichheit. Zwei Ausdrücke sind
synonym, falls sie sich nur in ihrer Laut- oder Schriftform, nicht dage-
gen in ihrer Bedeutung unterscheiden. Bezogen auf semantische Merk-
male auch: Zwei Wörter sind synonym, wenn sie in allen (denotativen)
Merkmalen übereinstimmen.
Definition Synonymie: a↔b (‘↔’ Bikonditional Beispiele Synonymie
– s. Abschnitt 5.3.2
für die Symbole) Wenn x ein a ist, dann ist es auch
ein b und umgekehrt. (symmetri-
Das Kriterium zur Bestimmung von Synonymie ist, dass die jeweiligen sche Bedeutungsrelation)
Ausdrücke in allen Kontexten füreinander ersetzbar sind. Meist gibt
(25) Apfelsine ↔ Orange;
es jedoch konnotative oder regionale Unterschiede: Sofa ↔ Couch;
anfangen ↔ beginnen;
(26) Antlitz – Gesicht – Visage – Fresse Samstag ↔ Sonnabend;
Zündholz Streichholz
(27) entschlafen – sterben – abkratzen – krepieren

(28) Brötchen – Schrippen – Semmeln


(29) Knust– Bödeli– Scherzerl– Krüstchen– Knäusle– Kanten

99
5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik

Hyponymie / Hyperonymie
Semantische Relation der lexikalischen Unter- bzw. Überordnung. B
ist ein Hyperonym von A, wenn B ein Oberbegriff von A ist. A ist
ein Hyponym von B, wenn A ein Unterbegriff von B ist. M.a.W. A
ist ein Hyponym von B, wenn A alle Merkmale von B enthält, aber
nicht umgekehrt.
Definition Hyponymie: a→b (‘→’ Implikation) Beispiele Hyponymie

• Kohyponyme haben dasselbe Hyperonym. Kohyponyme schlie- Wenn x ein a ist, dann ist es auch
ein b, aber nicht umgekehrt.
ßen einander aus (Relation der Inkompatibilität).
(30) Stute – Pferd – Säugetier –
(33) Nelke, Aster, Primel, Lilie Tier
(Kohyponyme zum Begriff Blume) (31) stehlen – nehmen
(32) ultramarin – blau – farbig
Hyponymie und Hyperonymie sind Basis für sog. Taxonomien, das
sind hierarchische Gliederungen in Ober- und Unterbegriffe:

(34) Lebewesen

Tier Pflanze

Fisch Vogel Säugetier ... ... ... ...

Karpfen Plötze Schleie

Meronymie
Bei Meronymien handelt es sich um Teil-Ganzes-Beziehungen. Auch Beispiel Meronymie
diese können in hierarchischen Strukturen ähnlich wie die Taxono-
mie in (34) dargestellt werden. Man spricht dann von Mereologien. (35) Zehe – Fuß – Bein – Kör-
per

Lexikalische Mehrdeutigkeit (Ambiguität)


• Homonymie: Homonyme sind in ihrer Ausdrucksform (Aus- Beispiele Homonymie
sprache oder Orthographie) identisch, unterscheiden sich jedoch
in ihren Bedeutungen, die etymologisch in keinem Zusammen- (36) Kiefer – Kiefer
hang stehen. Homonyme sind oft, aber nicht immer, durch un- (37) Reif – Reif
terschiedliche Genera und/oder unterschiedliche Pluralformen
gekennzeichnet.
» Homophonie: gleiche Aussprache, unterschiedliche Or-
thographie

(38) Lehre – Leere


(39) mahlen – malen Beispiele Polysemie
(40) Seite – Saite (43) Die Schule erhält einen
(41) to – two – too Anstrich.
(44) Die Schule veranstaltete
» Homographie: gleiche Orthographie, nicht notwendiger- ein Fest.
weise gleiche Aussprache (45) Die Schule langweilt Uli.

(42) Montage – Montage ([mo:nta:g@] – [mOnta:Z@]) (46) das Kleid in dem Schrank
(47) die Blumen in der Vase
• Polysemie: ein Wort hat verschiedene Bedeutungsvarianten, (48) der Kratzer in der Tisch-
die auf eine gemeinsame Kernbedeutung zurückführbar sind, platte
d. h. in einem etymologischen Zusammenhang stehen.

100
5.2 Wortbedeutung – Lexikalische Semantik

Antonymie
Oberbegriff für semantische Relationen der Gegensätzlichkeit. Wenn
x ein a ist, ist es nicht ein b.
Definition Antonymie: a → ¬b (‚¬’ Negation)

• Kontradiktorische Antonymie (auch: Komplementarität): Beispiele kontradiktorisch

» Die Bedeutungen der Wörter schließen sich strikt aus. Wenn x ein a ist, ist es nicht ein
b, und wenn x nicht ein a ist, ist
» Die Negation des einen Wortes ergibt die Bedeutung des es ein b.
anderen Wortes; ein Drittes ist ausgeschlossen.
(49) tot – lebendig
Definition: (a → ¬b) & (¬a → b) (‚&’ Konjunktion) (50) gerade – ungerade
(51) anwesend – abwesend
• Konträre Antonymie (52) organisch – anorganisch
» Die Bedeutungen zweier Wörter stehen im Gegensatz zu-
einander, aber es gibt Zwischenstufen, so dass beide Ei-
genschaften nicht gleichzeitig zutreffen können, aber sie Beispiele konträr
können beide zugleich nicht zutreffen.
Wenn x ein a ist, ist es nicht ein b,
Definition: (a → ¬b) & (b → ¬a ) und wenn x ein b ist, ist es nicht
ein a.
Den Unterschied zwischen konträren und kontradiktorischen (53) groß – klein
Begriffen kann man gut anhand von Mengendiagrammen (sog. (Zwischenstufe: mittelgroß)
Venndiagramme) sehen: (54) steigen – fallen
(Zwischenstufe: konstant)
(60) reich – arm : konträr
(55) heiß – kalt
(61) reich – nicht-reich : kontradiktorisch (Zwischenstufe: lauwarm)

Bezogen auf die Menge aller Menschen: (56) blau – rot


(Zwischenstufe / Drittes: gelb)

(57) glücklich – traurig


(Zwischenstufe: weder glücklich
reich arm noch traurig)

(58) betrunken – nüchtern


(Zwischenstufe: beschwipst)

Das große Rechteck stellt die Menge aller Individuen dar. Dar- (59) lieben – hassen
in sind Reiche (weißes Viereck) und Nicht-Reiche (der graue (Zwischenstufe: mögen)

Rest) enthalten. Die Menge der Nicht-Reichen enthält Arme


und andere, z. B. normal Wohlhabende. Man kann also nicht-
reich sein und gleichzeitig nicht-arm. Die Eigenschaften reich
vs. arm sind konträr. Man kann aber nicht nicht-reich sein und
gleichzeitig reich. Die Eigenschaften reich vs. nicht-reich sind
kontradiktorisch.
Sprachliche Indizien für das Vorliegen von konträrer Antony-
mie:
» Graduierbarkeit (schnell – schneller – am schnellsten)
» Modifizierbarkeit durch Adverbien (sehr / ziemlich / ganz
klein)
» merkmaltheoretisch: in allen Merkmalen bis auf eines gleich

(62) kurz – lang


[RÄUMLICHE EIGENSCHAFT, LÄNGEBEZOGEN, UN-
TERHALB EINER NORM / OBERHALB EINER NORM]

Nicht alle Bereiche unseres Wortschatzes weisen Relationen der Ähn-


lichkeit / Opposition und Hierarchie auf (z. B. Abstrakta wie Idee,
Hypothese).

101
5.3 Satzbedeutung – Satzsemantik

5.3 Satzbedeutung – Satzsemantik


5.3.1 Wahrheitsbedingungensemantik
Die Bedeutung eines Satzes kann man über dessen Wahrheitsbedin-
gungen erfassen. Man hat also die Bedeutung eines Satzes dann er- Der Begriff ‚Wahrheitsbedingun-
fasst, wenn man weiß, unter welchen Bedingungen er wahr und unter gen’ geht auf Wittgenstein (1921)
welchen Bedingungen er falsch ist, d. h. wenn man weiß, wie die Welt zurück. Er präzisiert den Begriff
beschaffen sein muss, damit der entsprechende Satz eine wahre Aus- der Bedeutung in folgender Wei-
sage in dieser Welt ist. se: „Die Bedeutung eines Satzes
zu kennen heißt, notwendige und
Wahrheitsbedingungen eines Satzes lassen sich ganz unabhängig da- hinreichende Bedingungen für
von bestimmen, ob ein Satz in der aktuellen Welt (im aktuellen Dis- die Wahrheit bzw. Falschheit des
kursuniversum) wahr oder falsch ist. Damit der Satz (63) als wahr Satzes (= seine Wahrheitsbedin-
oder falsch eingestuft werden kann (damit er überhaupt einen Wahr- gungen) zu kennen.“
heitswert bekommt), muss es eine als Anna identifizierbare Person
und ein als grüner Hut identifizierbares Objekt, d. h. ein zur Menge
der Hüte und zur Menge der grünen Objekte gehörendes Objekt im
aktuellen Diskursuniversum geben. Damit dieser Satz wahr ist, muss
auf Anna zutreffen, dass sie einen grünen Hut auf dem Kopf hat. Das
Wahrheitswert
ist die Wahrheitsbedingung für diesen Satz.
Jeder Satz hat einen Wahrheits-
(63) Anna trägt einen grünen Hut. wert:
• 1 für wahr oder 0 für falsch.
Ob der Satz tatsächlich wahr ist, hängt von der Welt ab, in der er Beachten Sie aber: Nicht alle
geäußert wird. Man kann den Satz auch verstehen, ohne zu wissen, Aspekte der Bedeutung können
ob er tatsächlich wahr ist. Diese Auffassung von Bedeutung hat sich mit der Wahrheitswertesemantik
als sehr erfolgreich erwiesen. Man nennt diesen Ansatz Wahrheits- erfasst werden. Einige Aspek-
bedingungensemantik (auch modelltheoretische Semantik). Er wurde te dieser Art werden Sie in der
Pragmatik kennenlernen.
wegweisend von Gottlob Frege geprägt (Über Sinn und Bedeutung
1892).
Kompositionalitätsprinzip
Ein wichtiges Prinzip in der Wahrheitsbedingungensemantik ist das Kompositionalität
Kompositionalitätsprinzip (Gottlob Frege): Die Bedeutung eines kom-
plexen Ausdrucks ergibt sich aus der Bedeutung seiner unmittelbaren Die Bedeutung eines Satzes er-
gibt sich kompositional aus der
syntaktischen Teile und der Art und Weise, wie sie sich syntaktisch
Bedeutung der einzelnen Wör-
zusammensetzen. Das Kompositionalitätsprinzip enthält somit zwei ter des Satzes und der Art ihrer
wesentliche Annahmen: syntaktischen Kombination. Wie
dies genau aussieht, können wir
• Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks lässt sich aus den
in diesem Grundkurs nicht be-
Bedeutungen seiner Teilausdrücke herleiten;
handeln, einen kurzen Einblick
• Die Verarbeitung der Bedeutung der Teilausdrücke wird durch werden Sie im Abschnitt 5.4 er-
die syntaktische Struktur des komplexen Ausdrucks gesteuert. halten, wenn wir uns Lexikonein-
träge unter dem Gesichtspunkt
5.3.2 Aussagenlogik der Argumentstruktur ansehen.
Ansonsten wird der komposi-
Über die Wahrheit von Sätzen hat man sich schon in der Antike tionale Aufbau von Sätzen Ge-
Gedanken gemacht, und zwar in der Logik, begründet von Aristote- genstand eines weiterführenden
Semantikseminars sein.
les. Die Logik bildet einen wichtigen Grundstein für Analysen in der
Wahrheitswertesemantik.
Die Aussagenlogik ist ein Teilgebiet der Formalen Logik (Theorie des
Schließens, s. n. S.; allg.: Lehre des folgerichtigen Denkens). Untersu-
chungsgegenstand der Aussagenlogik sind Verknüpfungen von einfa-
chen (d. h. nicht weiter analysierten) Aussagen. Die Bedeutung einer
Aussage wird als deren Wahrheitswert aufgefasst.
Von zentralem Interesse ist die Frage, in welcher Weise der Wahr-
heitswert einer komplexen Aussage von den Wahrheitswerten der in

102
5.3 Satzbedeutung – Satzsemantik

dieser Aussage enthaltenen Teilaussagen in Abhängigkeit von der Ver-


knüpfung mit unterschiedlichen wahrheitsfunktionalen Konnektoren
/ Junktoren bestimmt wird. Es folgt eine Übersicht über das Vokabu-
lar der Aussagenlogik sowie die sog. Wahrheitswertetafeln.
p, q Aussagen / Sätze
wahrheitsfunktionale Konnektoren / Junktoren:
¬ nicht Negation
∧ (&) und Konjunktion
∨ oder (lat. vel) Disjunktion
→ wenn, dann Konditional (materiale Implikation)
↔ genau dann, wenn Bikonditional (materiale Äquivalenz)

• Negation
p ¬p ¬p ist wahr genau
1 0 dann, wenn (gdw.) p
0 1 falsch ist

Wahrheitswertverteilung Wahrheitswertverteilung
der Einzelaussage(n) für komplexe Aussage

• Konjunktion
p q (p ∧ q)
1 1 1 p ∧ q ist wahr gdw. p wahr
1 0 0 ist und q wahr ist. Siehe
0 1 0 Beispiele (64b)-(64d).
0 0 0

• Disjunktion (einschließendes oder)


p q (p ∨ q)
p ∨ q ist wahr gdw. min- Man unterscheidet zwischen ein-
1 1 1
destens einer von p und schließendem oder (Disjunktion)
1 0 1 q wahr ist. Siehe Beispiel und ausschließendem, entweder-
0 1 1 (64a). oder oder (Kontravalenz – mit
0 0 0 dem Symbol „:“)

• Materiale Implikation
p q (p → q)
1 1 1 p → q ist falsch gdw. p
1 0 0 wahr ist und q falsch.
0 1 1 Siehe Beispiel (64c).
0 0 1

• Materiale Äquivalenz
p q (p ↔ q)
1 1 1 p ↔ q ist wahr gdw. p und
1 0 0 q beide wahr oder beide
0 1 0 falsch sind.
0 0 1

(64) a. Es regnet oder es regnet nicht. (p ∨ ¬p)


b. Es donnert und es regnet nicht. (p ∧ ¬q)
c. Wenn es donnert und blitzt, dann ist es ungemütlich. ((p ∧ q) → s)
d. Es regnet und es regnet nicht. (p ∧ ¬p)

103
5.3 Satzbedeutung – Satzsemantik

(64a) ist immer wahr, egal wie die Welt aussieht (ob die Werte für p
und/oder q 1 oder 0 sind). Es handelt sich hierbei um eine Tauto-
logie .
Tautologie
Wahrheitswert berechnen
Tautologien sind logisch wah-
Dies kann man mit den Wahrheitswerttabellen berechnen. Dafür be- re Aussagen, d. h. es ist völlig
legt man die vorhandenen Variablen mit 0 oder 1. Sei n die Anzahl der unerheblich, ob p den Satz Es
unterschiedlichen Variablen, es ergeben sich 2n Möglichkeiten. Für 1, regnet darstellt oder irgendeinen
2, 3 Variablen ergeben sich bspw. 2, 4, 8 Möglichkeiten. Dann löst man anderen. Sie wissen z. B., dass
die Gleichung von innen nach außen auf, d. h. man berechnet erst den Robinson Crusoe wurde an einem
Wert für die enger zusammengehörigen Teile der Gleichung, in (64a) Freitag geboren oder Robinson
(wiederholt in (65)) zuerst ¬p. Crusoe wurde nicht an einem
Freitag geboren wahr ist, obwohl
Das ergibt für p = 1 den Wert 0 und für p = 0 den Wert 1. Dann geht Sie wahrscheinlich nicht wissen,
es schrittweise nach außen. In (64a) wird also der Wert von p durch die ob Robinson Crusoe an einem
Operation oder mit dem Wert von ¬p verknüpft, der gerade für jede Freitag geboren wurde. Entschei-
Zeile berechnet wurde. Das Ergebnis sehen Sie in der Spalte am wei- dend ist die logische Form der
testen rechts. Wenn dort am Ende der Berechnung immer „1“ steht, Verknüpfung.
handelt es sich um eine Tautologie. Das ist hier der Fall. (64b) und (65) Es regnet oder es regnet
(64c) (wiederholt in (66)) sind abhängig davon, wie die Welt aussieht. nicht.
Diese Sätze sind kontingent.
p ¬p (p ∨ ¬p)
1 0 1
(66) Wenn es donnert und blitzt, dann ist es ungemütlich.
0 1 1
p q s (p ∧ q) ((p ∧ q) → s)
1 0 0 0 1
1 0 1 0 1
1 1 0 1 0
1 1 1 1 1
0 0 0 0 1
0 0 1 0 1
0 1 0 0 1
0 1 1 0 1

In Abhängigkeit von der Welt – wie p, q, s belegt sind –, ergibt sich


ein entsprechender Wahrheitswert, hier meist 1, aber auch einmal 0.
Das heißt, die Sätze sind von der Welt abhängig, kontingent. (64d)
schließlich ist eine Kontradiktion. Dieser Satz ist immer falsch: das
Ergebnis der Berechnung ist immer 0. Kontradiktionen sind logisch
falsche Aussagen.
Eine wesentliche Beschränkung der Aussagenlogik ist, dass sie sich
nur mit ganzen Sätzen befasst, für deren eigentlichen Inhalt sie sich
nicht interessiert. Dies ist im Hinblick auf Sprache unbefriedigend,
vgl. ein Beispiel aus Schwarz & Chur (2007: 134):
(67) Der Weihnachtsmann ist verheiratet, aber: Semantik ist sehr b Berechnen Sie den Wahrheits-
interessant oder es gibt Einhörner. Wenn das alles stimmt, wert dieses Textes für die darunter
dann ist Semantik sehr interessant oder auch nicht, oder es beschriebene Welt (Behandeln Sie
stimmt nicht, dass der Weihnachtsmann verheiratet ist und es dazu die Konjunktion aber wie den
wahrheitsfunktionalen Junktor ∧.)
keine Einhörner gibt.
Sie können sehr wohl den Wahrheitswert für diesen Text berechnen,
für eine Welt, in der z. B. der Weihnachtsmann verheiratet ist, Se-
mantik sehr interessant ist und es keine Einhörner gibt. Trotzdem ist
der Text unsinnig.

104
5.4 Thematische Rollen, Argumentstruktur und Lexikoneintrag

5.3.3 Sinnrelationen zwischen Sätzen


Semantische Relationen zwischen Sätzen ähneln denen zwischen Wör-
tern.
• Paraphrasen („synonyme Sätze“)
Wahrheitswert-Bedingung: Zwei Sätze p und q sind synonym
gdw. in allen Situationen, in denen p wahr ist, auch q wahr ist
und umgekehrt.

(68) Die Orange ist im Korb.


Die Apfelsine ist im Korb.
(69) Alles ist möglich.
Nichts ist unmöglich.

• Implikation (Inklusion)
Wahrheitswert-Bedingung: Ein Satz p impliziert einen Satz q,
wenn in allen Situationen, in denen p wahr ist, auch q wahr ist
(aber nicht notwendigerweise umgekehrt).

(70) Luise hat ein Rennrad.


Luise hat ein Fahrrad.
(71) Ein Affe sitzt am Computer.
Ein Tier sitzt am Computer. Prädikatenlogik
(72) Uli öffnete vorsichtig die Tür.
Die Prädikatenlogik interessiert
Uli öffnete die Tür. sich, anders als die Aussagenlo-
gik, für den Inhalt von Sätzen,
• Kontradiktion arbeitet aber nicht, wie durch das
Wahrheitswert-Bedingung: Ein Satz p und ein Satz q sind kon- Kompositionalitätsprinzip gefor-
tradiktorisch zueinander gdw. immer wenn p wahr ist, q falsch dert, parallel zum syntaktischen
ist, und wenn p falsch ist, q wahr ist. Strukturaufbau. Grundlegend
sind dabei Existenzquantor und
(73) Alle Menschen sind sterblich. Allquantor.
Manche Menschen sind unsterblich. • Existenzquantor: ∃ „(mind.)
(74) Uli ist Schwimmer. ein“ / „es gibt“: ∃x P(x) ist
wahr gdw. es mindestens ein
Uli ist Nichtschwimmer.
x gibt, das P erfüllt.

• Kontrarität • Allquantor: ∀ „alle“: ∀x P(x)


Zwei Sätze sind konträr zueinander gdw. sie nicht gleichzeitig ist wahr gdw. es kein x gibt,
wahr sein können, aber beide gleichzeitig falsch sein können. das P nicht erfüllt.
Die Prädikatenlogik ist nicht Teil
(75) Der Kaffee ist heiß. des Grundkurses, kann aber in
Der Kaffee ist kalt. Folgeseminaren behandelt wer-
den.

5.4 Thematische Rollen, Argumentstruktur


und Lexikoneintrag
In diesem Kapitel werden wir uns dem Zusammenspiel zwischen dem
Verb (Prädikat) eines Satzes und seinen Argumenten widmen und
dabei auch auf die Frage eingehen, wie ein Lexikoneintrag für ein
Verb aussehen kann. Den Begriff Argument haben wir schon mehr-
fach in diesem Lehrmaterial verwendet, so in der Morphologie und
in der Syntax. Die Tabelle auf S. 65 gab eine Übersicht über wich-
tige Eigenschaften von Argumenten. Dort fiel auch der Begriff der
thematischen / semantischen Rolle, der in der Diskussion von Ver-
bargumenten sehr wichtig ist.

105
5.4 Thematische Rollen, Argumentstruktur und Lexikoneintrag

Thematische Rollen
Thematische Rollen (auch: Semantische Rollen, Theta-Rollen, θ-Rollen)
kodieren semantische Relationen zwischen einem Prädikat und seinen
Argumenten. Die thematische Rolle, die einem Argument zugeordnet
wird, gibt somit Auskunft über dessen Funktion in der durch das
Verb bezeichneten Situation. Wichtige thematische Rollen sind fol-
gende:
• AGENS: Urheber der durch das Verb bezeichneten Handlung /
des Geschehens
• PATIENS / THEMA: Entität, die einer Handlung bzw. ei-
nem Zustand unterliegt, durch Handlung betroffenes (affizier- Beispiel them. Rollen
tes) Objekt
(76) Alexagens fällt den
• ADRESSAT (GOAL): Adressat der Handlung / Ziel einer Be-
Baumpatiens .
wegung
(77) Veronikaagens schenkt
• QUELLE (SOURCE): Entität, von der eine Handlung ausgeht Alexgoal einen Diaman-
/ Ursprungsort einer Bewegung tenpatiens .
• ORT / LOKATION: Ort der bezeichneten Situation (78) Die Havel fließt vom
Müritz-Nationalparksource
• INSTRUMENT: Mittel zur Durchführung der Handlung / un- in die Elbegoal .
belebte Kraft oder unbelebtes Objekt, das verursachend an der
(79) Alex wohnt in BerlinOrt .
Handlung beteiligt ist
(80) Der Bohrerinstrument
• EXPERIENCER: Entität, die einen mentalen / emotionalen fräßt sich durch das
oder physischen Zustand erfährt oder wahrnimmt Gestein.
• POSSESSOR: Entität, die ein (möglicherweise abstraktes) Ob- (81) Ichexperiencer friere.
jekt besitzt
Thematische Rollen sind ein wichtiges Beschreibungsinstrument in
der Semantik und für die Schnittstelle der Semantik zur Syntax. Das
Konzept der thematischen Rollen ist dennoch mit Problemen behaf-
tet. Unter anderem ist es äußerst schwierig, eine endliche Liste thema-
tischer Rollen für die Klassifikation jeglicher Art von Argument auf-
zustellen, da Verbbedeutungen u. U. sehr spezifisch sind (vgl. Sie auch
die folgende Übungsaufgabe).

(82) Anna kauft eine Zeitung.


(83) Maria besitzt einen Schaukelstuhl.
(84) Peter stellt die Vase auf den Tisch.
(85) Heidi öffnet die Tür mit der Brechstange.
(86) Peter gibt Maria das Buch. b Benennen Sie die thematischen
(87) Peter bäckt einen Kuchen. Rollen für die in den Sätzen (82)-
(96) enthaltenen Verben!
(88) Die Vase steht auf dem Tisch.
(89) Die Ampel ist grün.
(90) Peter fürchtet streunende Hunde.
(91) Streunende Hunde ängstigen Peter.
(92) Der Zug fährt von Marburg nach Gießen.
(93) Peter ist eingeschlafen.
(94) Uta rollt das Fass in die Garage.
(95) Das Fass rollt in die Garage.
(96) Es regnet.

106
6 Pragmatik
6.1 Gegenstand / Abgrenzung Semantik – Prag-
matik
Es gibt verschiedene Auffassungen vom Untersuchungsgegenstand der Morris’ Bestimmung des Gegen-
Pragmatik: standbereichs der Pragmatik ist
sehr weit gefasst: er inkludiert in
• Pragmatik untersucht das Verhältnis zwischen Zeichen und Zei- den Bereich der Pragmatik eben-
chenbenutzern. Nach Morris (1938) ist Pragmatik somit ein so biologische, psychologische
Forschungszweig innerhalb der Semiotik (= Wissenschaft der und soziologische Phänomene,
Zeichen), der sich mit den Regeln befasst, die das Verhältnis die in das Verhältnis Zeichen –
Zeichen – Sprecher bestimmen: Sprecher hineinspielen.

Semiotik

Syntaktik (Syntax) Semantik Pragmatik

formale Beziehung Beziehung der Zeichen Beziehung von Zeichen


der Zeichen zu den Gegenständen, zu den Interpretanten /
untereinander auf die sie anwendbar sind den Zeichenbenutzern

• Pragmatik untersucht die Aspekte der Bedeutung, die nur kon-


textabhängig bestimmt werden können, unter Bezugnahme auf
Sprecher, Hörer, Zeit, Ort, Sprechsituation allgemein.
» deiktische Ausdrücke: ich, du, hier, jetzt, gestern
» anaphorische Ausdrücke: er, dieser, kurz davor
• Pragmatik untersucht die Aspekte der Bedeutung, die nicht
durch Wahrheitsbedingungen und damit nicht durch eine se-
mantische Theorie erfasst werden (d. h. sich nicht kompositio-
nal herleiten lassen).
» Präsupposition: Anna hat aufgehört zu rauchen.
(→ Anna hat mal geraucht)
» Implikatur (Ironie): Frau Müller ist heute besonders freund-
lich. (→ ganz unausstehlich)
» Implikatur: Anna hat zwei Kinder. (→ und nicht mehr)
» Sprechakt: Würdest du die Tür von außen schließen?
(→ Verschwinde!)
Diese drei Auffassungen schlie-
Deiktische Ausdrücke
ßen sich nicht gegenseitig aus. Pragmatik als Studium der
Es gibt Überschneidungsbereiche. Präsuppositionen kontextabhängigen Bedeutung
Trotz verschiedenster Definitions-
versuche ist die genaue Bestim- Implikaturen
mung dessen, was Pragmatik zu
Konnotationen
untersuchen hat, nach wie vor um- Pragmatik als Studium der
stritten (vgl. die Diskussion in Le- Sprechakte nicht-wahrheitskonditionalen
vinson 2000: 1-54). Für eine Über-
Bedeutung
sicht der verschiedenen, von prag- Diskurs und Konversation
matischen Theorien behandelten
Phänomenbereiche (in Abhängigkeit von der jeweiligen Definition) vgl. die nebenstehende Darstellung
(aus: Krifka, VL Pragmatik, Folien Was ist Pragmatik?, Folie 15).

107
6.2 Kontext und Referenz

6.2 Kontext und Referenz


Es lassen sich drei Arten von Kontext – und damit drei verschiedene
Quellen von Kontextwissen, das in die Interpretation von Äußerungen
einbezogen wird – unterscheiden:
• Faktoren der aktuellen Äußerungssituation
Sprecher, Hörer, Sprechzeit, Sprechort / Wahrnehmungsraum,
soziale Beziehung zwischen Sprecher und Hörer etc.
• Diskurs (sprachlicher Kontext)
vorhergehende und nachfolgende Äußerungen, Diskurs-Thema
• Hintergrundwissen
Weltwissen, gemeinsam geteiltes Wissen (Common Ground: Wis-
sen, das nicht im aktuellen Diskurs eingeführt, Sprecher und
Hörer aber bekannt ist), sozio-kulturelles Wissen etc.
Kontextabhängige Referenz I: Deixis
Deixis kann ganz allgemein als Vorgang des Zeigens gefasst wer-
den. Mittels deiktischer (auch: indexikalischer) Ausdrücke verweist
der Sprecher auf Elemente der aktuellen Sprechsituation. In diesem
Sinne ist die Interpretation deiktischer Ausdrücke kontextabhängig,
d. h. deiktische Ausdrücke besitzen keine kontextunabhängige Refe-
renz. Unterschieden werden:

• Temporaldeixis (Zeitbezug) Gestern war ich im Kino. (vs.


Am 27.8.92 war ich im Kino.)

• Lokaldeixis (Ortsbezug) Hier ist es kalt. (vs. In Berlin ist


es kalt.)

• Personaldeixis (1./2. P. Sg/Pl) Ich gehe mit dir ins Kino. (vs.
Maria geht mit Eva ins Kino.)

• Objektdeixis (3. P., Dem.Pron., etc.) Das / Es nervt. (vs. Das Her-
umgehupe nervt.)

• Sozialdeixis (u. a. du vs. Sie) Ich kenne dich. (vs. Ich kenne
Sie.)

Kontextabhängige Referenz II: Anaphorik


Auch die Interpretation anaphorischer Ausdrücke ist kontextabhän-
gig. Anaphorische Ausdrücke verweisen auf eine sprachliche Einheit
Man spricht auch von Textdeixis.
im vorhergehenden sprachlichen Kontext zurück, genauer: sie sind
mit dieser koreferent. Anaphorische Ausdrücke sind damit ebenso
kontextabhängig wie deiktische Ausdrücke. Der Unterschied besteht
in der Art des Kontextes.1

(1) Dort steht eine Ampel. Es sieht so aus, als ob sie kaputt ist.

Anapherninterpretation kann zusätzlich durch andere Wissensquellen


(z. B. Weltwissen) gesteuert werden.
(2) Gestern ist meine Nachbarin mit dem Auto gegen eine Ampel
gefahren. Sie ist umgefallen.
(3) Gestern ist meine Nachbarin mit dem Fahrrad gegen eine Am-
pel gefahren. Sie ist umgefallen.
1 DieBehandlung anaphorischer Ausdrücke fällt im Allgemeinen nicht in den Bereich der Pragmatik, sondern in den der
Syntax bzw. der Semantik.

108
6.3 Typen von Folgerungen

6.3 Typen von Folgerungen


Der Begriff Folgerung umfasst alle Arten von Schlüssen, die aus der
Äußerung eines Satzes gezogen werden können. Dabei gibt es verschie- Folgerungen
dene Arten von Schlüssen, die sich in ihren logischen Eigenschaften
und den Bedingungen ihrer Gültigkeit unterscheiden. Im Folgenden unterscheiden wir
• semantische Implikation
6.3.1 Semantische Implikation (‚entailment’) (auch: semantische Folgerung
/ Entailment)2 ,
Definition: „p impliziert semantisch q (geschrieben p ⊧ q) gdw. jede
• Präsupposition und
Situation, die p wahr macht, q wahr macht (oder: in allen Welten, in
denen p wahr ist, ist q wahr).“ (nach Levinson 2000: 176) • Implikatur (konventionell vs.
konversationell).
(4) A: Der Präsident wurde erschossen.
B: Der Präsident ist tot.
p impliziert semantisch („entails“) q.
In der semantischen Repräsentation des Verbs erschießen ist
enthalten, dass die getroffene Entität als Resultat der Hand-
lung tot ist.
(5) A: Lee kissed Jenny.
B: Lee touched Jenny.
p impliziert q.
Wenn man jemanden küsst, kann man ihn nicht nicht berühren.

6.3.2 Präsuppositionen
Der Begriff der Präsupposition ist ein (auch traditionell) kontrovers
diskutierter Begriff der Pragmatik. Zu unterscheiden ist zwischen se-
mantischen und pragmatischen Präsuppositionskonzepten, wobei der
Unterschied nicht so sehr in der Art der beschriebenen Phänomene
liegt, sondern in der Perspektive, aus der man diese(lben) Phänomene
betrachtet. Semantische Präsuppositionstheorien fassen Präsupposi-
tionen als Eigenschaften von Ausdrücken auf, vgl.:
Ein Satz p präsupponiert semantisch einen Satz q gdw.
(i) in allen Situationen, in denen p wahr ist, q wahr ist,
(ii) in allen Situationen, in denen p falsch ist, q wahr ist.
Pragmatische Präsuppositionstheorien fassen Präsuppositionen als Ein Sprecher präsupponiert (prag-
Bedingungen auf, die der Sprecher bei der Äußerung eines Satzes für matisch) mit der Äußerung eines
erfüllt hält. Präsuppositionen haften in dieser Sichtweise also weniger Satzes p einen Satz q, wenn er
den Ausdrücken, als den Sprechern an.3 davon ausgeht, dass q gemein-
sames Wissen von Sprecher und
6.3.2.1 Präsuppositionstests Hörer ist.

(Einigermaßen) unabhängig von der Einordnung als semantisches oder


pragmatisches Phänomen gibt es Tests, um Präsuppositionen von
Assertionen (dem wahrheitsfunktionalen Gehalt einer Äußerung) zu
unterscheiden.

2 Der Begriff der semantischen Implikation ist von dem der materialen Implikation (Vgl. Abschnitt 5.3.2) zu unterscheiden.
Im Kontrast zur materialen Implikation spielt bei der semantischen Implikation die Semantik der Teilaussagen eine
entscheidende Rolle. Der Schluss basiert hier auf der lexikalischen Semantik der Teilausdrücke und damit verbundenen
sog. Bedeutungspostulaten (s. u.).
3 Vgl. Stalnakers (1972, 1973, 1974; in: Stalnaker 1999) Begriff des Common Ground als der Menge der Annahmen, von

denen Sprecher und Hörer annehmen, dass sie diese teilen. Ähnlich Chierchia & McConnell-Ginet (2000: 280): Wenn
ein Satz S eine Aussage p präsupponiert, wird angezeigt, “that p is already part of the background against which S is
considered, that considering S at all involves taking p for granted”.

109
6.3 Typen von Folgerungen

• Negationstest Anwendung
Präsuppositionen bleiben erhalten, wenn der entsprechende Satz Präsuppositionstests
negiert wird, siehe (6a). (Kontrast zur semantischen Implikati-
on!) (6) Anna hat aufgehört zu rau-
chen.
• Modalisierungstest (Präs.: Anna hat geraucht.)
Präsuppositionen bleiben erhalten, wenn der entsprechende Satz
modalisiert wird, siehe (6b). (vs. semantische Implikation!) a. Es ist nicht der Fall,
dass Anna aufgehört
• Fragetest hat zu rauchen.
Präsuppositionen bleiben erhalten, wenn der Satz als Entschei- (Präs. bleibt: Anna
dungsfrage / Ja-Nein-Frage (oder auch Aufforderung) formu- hat geraucht.)
liert wird, siehe (6c). (vs. semantische Implikation!) b. Anna hat wahrschein-
lich / vielleicht aufge-
• Konditionalisierungstest
hört zu rauchen.
Präsuppositionen bleiben erhalten, wenn sie im Konditional (Präs. bleibt: Anna
auftauchen, siehe (6d). (vs. semantische Implikation!) hat geraucht.)
Die Tests zeigen, dass Präsuppositionen nicht durch die Wahrheitsbe- c. Hat Anna aufgehört zu
dingungen eines Satzes erfasst werden. Andernfalls wären sie negier- rauchen?
bar, erfragbar und Gegenstand modaler Qualifikation. Es gibt jedoch (Präs. bleibt: Anna hat
geraucht.)
dennoch einen Zusammenhang zwischen den Wahrheitsbedingungen
eines Satzes und involvierten Präsuppositionen: Man sagt, dass die d. Wenn Anna aufgehört
hat zu rauchen, dann
mit einem Satz verbundenen Präsuppositionen erfüllt sein müssen,
ist ein Wunder pas-
damit diesem Satz überhaupt ein Wahrheitswert zugeordnet werden
siert.
kann. (Präs. bleibt: Anna
hat geraucht.)
6.3.2.2 Präsuppositionsauslöser

Präsuppositionen sind ganz offensichtlich an bestimmte Aspekte der


Oberflächenstruktur gebunden. Man unterscheidet verschiedene Ar- Wahrheitsbedingungen und
ten von sog. Präsuppositionsauslösern („presupposition triggers”), Präsupposition
vgl. auch die ausführliche Liste in Levinson (2000: 183-187). (≫ be-
deutet „präsupponiert“) (7) Anna hat gestern aufgehört
zu rauchen.
• Eigennamen
• ist wahr, wenn Anna bis ges-
tern geraucht hat und seit
(8) Kepler starb im Elend.
gestern nicht mehr raucht,
≫ Es gab ein Individuum namens Kepler.
• ist falsch, wenn Anna bis ges-
• Definite Nominalphrasen (DPs im X-Bar-Schema) tern geraucht hat und auch
gestern weitergeraucht hat,
(9) Der König von Frankreich ist kahlköpfig. • kann kein Wahrheitswert zu-
≫ Es gibt (genau) einen König von Frankreich. geordnet werden, wenn Anna
bis gestern nicht geraucht
• Verben der Zustandsveränderung hat, unabhängig davon, ob
(weitere Beispiele: anfangen, beginnen, öffnen, verlassen, ver- sie gestern geraucht hat oder
lieren, schmelzen etc.) nicht.

(10) Es hat aufgehört zu regnen.


≫ Es hat geregnet.

• Temporaladverbien

(11) Das Licht ist noch an.


≫ Das Licht war bisher an.

• Faktive Verben
(weitere Beispiele: bedauern, bemerken, entdecken, bereuen etc.)
(im Kontrast dazu: Karl glaubt, hofft, denkt, ist zuversichtlich,
dass . . . )

110
6.3 Typen von Folgerungen

(12) Lee weiß, dass Alex schwanger ist.


≫ Alex ist schwanger.

6.3.2.3 Aufhebbarkeit

Präsuppositionen sind typischerweise nicht aufhebbar („non cancella-


ble“), vgl. 13. Es gibt aber Ausnahmefälle, in denen Präsuppositionen
durch kontextuelle Informationen aufgehoben werden können, entwe-
der durch den unmittelbaren sprachlichen Kontext 14 oder durch den
Diskurskontext 15.
(13) n Es hat aufgehört zu regnen
≫ Es hat geregnet
# Es hat aufgehört zu regnen. Tatsächlich hat es gar nicht geregnet.
(14) Es hat nicht aufgehört zu regnen.
≫Es hat geregnet.
Es hat nicht aufgehört zu regnen. Tatsächlich hat es gar nicht geregnet.
≫ Es hat geregnet.
(15) Wenigstens wird Yelda nicht bereuen, ihren Doktor gemacht zu haben.
≫ Yelda hat ihren Doktor gemacht.
Diskurskontext: Alle Gesprächsteilnehmer:innen wissen, dass Yelda ihren
Doktor nicht gemacht hat.

6.3.3 Implikaturen
Das Konzept der Implikaturen geht auf H. P. Grice (1989) zurück. Begrifflichkeiten
Implikaturen sind – ganz allgemein – Bedeutungsaspekte einer Äuße-
Achtung: dieser Begriff ist nicht
rung, die nicht explizit gesagt und somit nicht durch die Wahrheits- zu verwechseln mit implizieren /
bedingungen eines Satzes erfassbar sind. Im Kontrast zu dem, was Implikation bzw. folgern / Folge-
gesagt wird, d. h. durch die Semantik der beteiligten Ausdrücke be- rung, siehe oben!
schreibbar ist, werden Implikaturen implikatiert.
Grice unterscheidet zwei Arten von Implikaturen: konventionelle
Implikaturen und konversationelle Implikaturen. Das Konzept der
konventionellen Implikaturen ist umstritten und wird teilweise unter
andere Phänomenbereiche der Pragmatik subsumiert.

6.3.3.1 Konventionelle Implikaturen

Konventionelle Implikaturen sind konventionell mit der Bedeutung ei-


nes Ausdrucks verbunden, haben jedoch keinen Einfluss auf die Wahr-
heitsbedingungen. (Das ist die Crux des Konzepts der konventionellen
Implikaturen: sie gehören zu einem Ausdruck dazu, bestimmen jedoch (16) aber vs. und
nicht die Bedingungen, unter denen er wahr ist.) Ein klassisches Bei-
a. Jürgen ging zum La-
spiel (und eins der wenigen, von H. P. Grice selbst gegebenen) ist den, aber er kaufte
(16). nichts.
Die Konjunktion aber hat dieselben Wahrheitsbedingungen wie die b. Jürgen ging zum Laden
Konjunktion und (vgl. Abschnitt 5.3.2), ist aber mit einer zusätzli- und er kaufte nichts.
chen Bedeutungskomponente behaftet, die sich vereinfacht als „Kon- (17) Maria geht zu Paul, aber
trast / Gegensatz“ zwischen den Konjunkten beschreiben lässt. aber sie wird sich heute nicht
suggeriert in (16), dass die eingebettete Proposition (Jürgen kauft von ihm bekochen lassen.
nichts) im Kontrast zu einer Erwartung steht, die mit dem ersten
Konjunkt verbunden ist. Man kann somit im umgekehrten Fall mit-
tels aber (und der damit verbundenen konventionellen Implikatur)
eine Erwartung „induzieren“, die ohne aber gar nicht bestanden hät-
te.
Es gibt zwischen Präsuppositionen und konventionellen Implikaturen
viele Gemeinsamkeiten, die manche Autoren dazu veranlassen, beide

111
6.3 Typen von Folgerungen

Phänomene als ein und dasselbe zu analysieren, vgl. Karttunen /


Peters (1979).
Levinson (2000a: 131) gibt weitere Beispiele, die konventionelle Im- (18) jedoch, übrigens, jeden-
plikaturen auslösen, wie diskursdeiktische (18) und sozialdeiktische falls, also, immer noch,
Einheiten (19). Nach Levinson (2000a: 131) gibt es keinen Unter- außerdem etc.
schied in den Wahrheitsbedingungen zwischen du und Sie in einem
(19) mein Herr, gnädige Frau,
Beispiel wie (20). Der einzige Unterschied betrifft das indizierte „ge- Kumpel, Hochwürden, du
sellschaftliche Gefälle“, das durch die Wahl des Pronomens bestimmt vs. Sie
wird.
(20) Du bist Professorin. vs. Sie
Konventionelle Implikaturen werden als nicht aufhebbar („not cancel- sind Professorin.
lable“) betrachtet, d. h. der Sprecher kann sie nicht, ohne sich selbst
zu widersprechen, bestreiten. Sie sind jedoch ablösbar / abtrennbar
(„detachable“). Damit ist gemeint, dass es immer eine Paraphrase
gibt, die dasselbe besagt ohne die mit dem ursprünglichen Ausdruck
verbundene Implikatur (z. B. und statt aber, du statt Sie).

6.3.3.2 Konversationelle Implikaturen

Im Gegensatz zu konventionellen Implikaturen, die konventionell mit Schreibweise


einem Ausdruck verbunden sind, sind konversationelle Implikaturen „+>“ steht für ‘implikatiert kon-
Folgerungen, die nur in bestimmten Äußerungssituationen (d. h. in versationell’:
Abhängigkeit vom Kontext) entstehen. Grundlegend für das Konzept
der konversationellen Implikatur ist die Annahme, dass es allgemei- (21) A: Hast du das Papier für
ne Prinzipien gibt, die die Konversation steuern und deren Befolgung das Seminar gelesen?
B: Ich hatte die Absicht.
Sprecher und Hörer sich (im Normalfall) gegenseitig unterstellen. Das
(+> nein)
übergeordnete Prinzip ist das Kooperationsprinzip, das sich (nach
Grice 1989) in vier Maximen ausbuchstabiert.
Kooperationsprinzip
Gestalte deinen Beitrag zur Konversation so, wie es dem Zweck und
der Richtung des Gesprächs, in dem du dich befindest, angemessen
ist:
• Maxime der Qualität: Versuche deinen Beitrag so zu machen,
dass er wahr ist (sage nichts, was du für falsch hältst oder wofür
du keine Anhaltspunkte hast).
• Maxime der Quantität: Mache deinen Beitrag so informativ
wie erforderlich (nicht mehr und nicht weniger Information als
nötig).
• Maxime der Relevanz: Sage nur Relevantes. Scheinbare Maximverletzung
• Maxime der Modalität: Rede klar und unzweideutig, kurz
Bei der scheinbaren Verletzung
und bündig, geordnet.
sieht es auf den ersten Blick nach
Konversationelle Implikaturen kommen auf ganz unterschiedliche Wei- einer Verletzung aus; die Annah-
se zustande: me der Implikatur zeigt dann,
dass die entsprechende Maxime
• durch die Befolgung von Maximen, doch, wenn auch auf Umwegen,
• durch die scheinbare Verletzung von Maximen, befolgt wurde
• durch die offensichtliche Hinwegsetzung über eine Maxime („flou-
ting“). skalare Implikatur
Durch die Zugrundelegung des Kooperationsprinzips, dessen Befol- Bei skalaren Implikaturen liegt
gung der Hörer dem Sprecher unterstellt, werden auch Verstöße ge- ein Wert auf einer Skala, z. B.
gen Maximen versucht zu interpretieren. In diesem Sinne behindert <alle, viele, einige, wenige>;
das Verletzen von Maximen nicht die Kommunikation, solange man die Verwendung von einige in
dies zu interpretieren weiß. Maximen sind somit nicht Regeln, die (22f) impliziert, dass ein stärke-
notwendigerweise befolgt werden müssen. Sie sind jedoch notwendig rer Wert wie „alle“ nicht zutrifft,
enthält aber die schwächeren
Werte wie „wenige“.

112
6.3 Typen von Folgerungen

in dem Sinne, dass nur in Bezug auf sie Verletzungen wahrgenom-


men werden können, die ihrerseits systematisch interpretiert werden
können.

(22) a. Verletzung der Alex hat sich heute von seiner +> Alex war heute nicht zu er-
Qualitätsmaxime sympathischsten Seite gezeigt. tragen.
(Ironie)
b. Verletzung der Schönes Wetter heute. +> Das Wetter ist scheußlich.
Qualitätsmaxime Kontext A: Es regnet.
(Ironie)
c. (scheinbare) Kontext B: Alex redet laut über +> Wechsele schleunigst das
Verletzung der Herr Schmidt, sieht aber nicht, Thema!
Relevanzmaxime dass dieser hinter ihr steht.
d. Befolgung der Alex trifft sich heute Abend mit +>1 Alex trifft sich nicht mit ih-
Quantitätsmaxime einem Mann. rem Mann.
+>2 Alex trifft sich nicht mit
mehr als einem Mann.
e. Befolgung der Alex hat vier Kinder. +> Alex hat vier Kinder und
Quantitätsmaxime nicht mehr.
(„skalare
Implikatur“)
f. Befolgung der A: Wo sind die Kinder? +> Nicht alle sind im Schwimm-
Quantitätsmaxime B: Einige sind im Schwimmbad. bad.
(„skalare
Implikatur“4 )
g. Verletzung der (als Empfehlungsschreiben für +> Herr X eignet sich nicht für
Quantitäts- u./o. einen Kandidaten für einen Lehr- diese Position.
Relevanzmaxime stuhl der Philosophie)
Sehr geehrte Damen und Her-
ren, Herr X spricht ein gutes
Deutsch, seine Handschrift ist
leserlich und sein Besuch der
Übungen war regelmäßig.
h. Befolgung der Gib das Salz. +> Gib das Salz jetzt.
Relevanzmaxime
i. (scheinbare) A: Wo ist Susi? +> Wenn Susi einen gelben VW
Verletzung der B: Vor Michaels Haus steht ein hat, guck doch mal bei Michael
Relevanzmaxime gelber VW. nach.
j. Befolgung der Leslie ließ sich scheiden und hei- +> Leslie ließ sich erst scheiden
Maxime der ratete Elliott. und heiratete danach Elliott.
Modalität
k. Verletzung der Gehen Sie zur Tür, drücken Sie +> Ihnen beschreib ich’s lieber
Maxime der den Griff im Uhrzeigersinn so ganz genau, bevor Sie wieder was
Modalität (Fasse weit hinunter wie möglich und falsch machen (Spott)
dich kurz!) ziehen Sie die Tür dann zu sich
heran.
l. Verletzung der A: Kaufen wir was für die Kin- +> Das Wort „Eis“ sollten wir
Maxime der der? in Gegenwart der Kinder lieber
Modalität B: Aber kein E-I-S. nicht aussprechen.

Partikularisierte vs. generalisierte Implikaturen


Innerhalb der konversationellen Implikaturen unterscheidet Grice zwi-
schen partikularisierten und generalisierten Implikaturen. Partikula-
risierte Implikaturen entstehen ausschließlich in bestimmten, ausge-

113
6.4 Sprechakte

wählten Kontexten, vgl. die Beispiele (22b) und (22g) oben. Genera- Aufhebung von Implikaturen
lisierte Implikaturen hingegen erscheinen in allen Normalkontexten, Im Folgenden sind die Implika-
sind also unabhängig von bestimmten Kontextmerkmalen, vgl. (22d) turen von (22d), (22f) und (22i)
bis (22h). aufgehoben.
Aufhebbarkeit (22d)’ Alex trifft sich heute
Konversationelle Implikaturen sind im Gegensatz zu konventionellen Abend mit einem Mann,
Implikaturen aufhebbar („cancellable“), d. h. man kann sie durch zu- und zwar mit ihrem eige-
sätzliche Informationen löschen, ohne sich selbst zu widersprechen. nen.
Konversationelle Implikaturen sind jedoch nicht ablösbar („detacha- (22f)’ A: Wo sind die Kinder?
ble“), d. h. eine Paraphrase (die per definitionem denselben Inhalt B: Einige sind noch im
vermittelt) würde die Implikatur genauso transportieren. Schwimmbad, eigentlich
sogar alle.

6.4 Sprechakte (22i)’ A: Wo ist Susi?


B: Vor Michaels Haus
Die sog. Sprechakttheorie geht auf Arbeiten von J. L. Austin (1962, steht ein gelber VW. Aber
How to do things with words) und in der Folge J. R. Searle (1969, das tut ja nichts zur Sa-
Speech acts) zurück. che, sie hat ja gar kein
Auto.
6.4.1 Die Sprechakttheorie
6.4.1.1 Austin (1962)

Austins Untersuchungen waren eine Reaktion auf folgende, bis da- kein propositionaler Gehalt
hin weit verbreitete Annahmen: Der Aussagesatz ist der grundlegen-
ohne Sachverhalt:
de Satztyp. Sprache dient primär dazu, Sachverhalte auszudrücken.
Die Bedeutung von Äußerungen ist primär in den Begriffen „wahr“ / (23) Entschuldigung!
„falsch“ fassbar. Gegen diese Annahmen führt Austin Beobachtungen (24) Hallo!
in (23)-(27) an.
(25) Drei Bier, bitte!
Sog. performative Äußerungen wie in (28)-(31) unterscheiden sich (26) Lieber Himmel!
von konstativen Äußerungen, die wahr oder falsch sein können. Mit (27) Du Idiot!
performativen Äußerungen wird nichts assertiert, sondern es wer-
den Handlungen vollzogen (engl. to perform), die Tatsachen schaf-
fen.
performative Äußerungen
Performative Äußerungen sind weder wahr noch falsch, sie können
lediglich dahingehend beurteilt werden, ob sie erfolgreich sind oder nicht bezüglich „wahr“ / „falsch“
nicht – ist das Schiff in (30) hinterher getauft, oder nicht, evtl. weil beurteilbar:
der Sprecher gar nicht das Recht hatte, das Schiff zu taufen –, d. h. (28) Ich verspreche dir, ein Taxi
hier geht es um Erfolgsbedingungen statt um Wahrheitsbedingun- zu nehmen.
gen. Für die Formulierung von Erfolgsbedingungen sind u. a. soziale (29) Hiermit erkläre ich die
Konventionen maßgeblich. Olympischen Spiele für
eröffnet.
Die Beispiele in (28)-(31) sind sog. explizit performative Äußerun-
gen: sprachliche Indikatoren hierfür sind z. B. hiermit oder perfor- (30) Ich taufe dieses Schiff auf
mative Verben wie versprechen, warnen, taufen, wetten in der 1. den Namen "Fliegender
Person Singular Präsens Indikativ. Daneben gibt es implizit (pri- Holländer“.
mär) performative Äußerungen (du irrst vs. ich behaupte, dass du (31) Ich wette mit dir um 10
irrst). Euro, dass sie nicht er-
scheint.
Die Sprechakttheorie nach Austin
Annahme: Alle Äußerungen konstituieren sprachliche Handlungen,
also Sprechakte (→ „to do something with words“). Das gilt auch
für die grundlegenden Satzarten:

114
6.4 Sprechakte

Satzart Sprechakt
Aussagesatz Assertion
Fragesatz Frage
Imperativsatz Aufforderung
Wunschsatz Wunsch

Der Sprechakt ist bei Austin in drei Ebenen unterteilt: Beispiel Sprechakt

lokutionärer Akt – Akt des Etwas-Sagens (32) Die Nordwand hat Schwie-
illokutionärer Akt – die damit vollzogene Handlung rigkeitsgrad 6.
(Befehl, Aussage, Warnung etc.)
• illokutionärer Akt: Informati-
perlokutionärer Akt – die Wirkung auf den Hörer
on, Empfehlung, Warnung
Sprechaktklassifikation nach Austin (1962) • perlokutionärer Akt: Angst,
Anstachelung, Meiden der
Verdiktive: geben einen Befund, z. B. beschreiben, freisprechen
Wand etc.
Exerzitive: geben eine Entscheidung für eine bestimmte Hand-
lung, z. B. befehlen, empfehlen
Kommissive: verpflichten den Sprecher auf eine bestimmte Hand-
lung z. B. versprechen, garantieren
Expositive: stellen eine Ansicht in einem Argument dar z. B.
bestätigen, leugnen
Behabitive: stellen eine Reaktion auf das Verhalten anderer dar
z. B. entschuldigen, gratulieren, segnen, verfluchen

6.4.1.2 Searle (1969, 1976)

Searles Kritik an Austin betrifft vor allem die Tatsache, dass die Sprechaktkriterien
von Austin aufgestellte Sprechaktklassifikation keine Kriterien er-
Wesentliche Kriterien sind:
kennen lässt, anhand derer sich die verschiedenen Sprechakttypen
systematisch voneinander unterscheiden lassen. Searle verfeinert und • Unterschiede im illokutio-
systematisiert die Theorie von Austin dahingehend, indem er solche nären Zweck,
Kriterien explizit einführt. Searle spezifiziert sog. Glückens- / Ge- • Unterschiede in der Art, wie
lingensbedingungen für Sprechakte. Diese definieren, unter welchen das Verhältnis „Wort“ – „Welt“
Bedingungen ein bestimmter illokutionärer Akt erfolgreich ist (und perspektiviert wird,
sind dementsprechend für die verschiedenen Sprechakttypen unter-
• Unterschiede im jeweils aus-
schiedlich zu modellieren). gedrückten psychischen Zu-
Sprechaktklassifikation nach Searle (1976) stand,

Repräsentative verpflichten den Sprecher auf die Wahrheit • Unterschiede in der Orien-
(später: Assertiva): der ausgedrückten Proposition z. B. vermu- tierung (Sprecher- vs. Hörer-
ten, sagen, schwören, sich beschweren, ent- Orientierung).
gegnen Für das Glücken eines Satzes als
illokutionärer Akt müssen nach
Direktive: Sprecher versucht, den Hörer zu einer be-
Searle folgende Bedingungen er-
stimmten Handlung zu bewegen z. B. fragen, füllt sein:
befehlen, vorschlagen
• Bedingungen des propositio-
Kommissive: verpflichten den Sprecher auf eine bestimmte nalen Gehalts („propositional
Handlung z. B. versprechen, drohen, anbieten conditions“),
Expressive: drücken einen psychischen Zustand des Spre- • Einleitungsbedingungen („pre-
chers aus z. B. danken, begrüßen, entschuldi- paratory conditions“),
gen, gratulieren
• Aufrichtigkeitsbedingungen
Deklarationen: Sprecher bringt die Welt in Übereinstim- („sincerity conditions“),
mung mit dem Inhalt der ausgedrückten Pro-
• wesentliche Bedingung(en)
position z. B. taufen, einstellen, befördern,
(„essential conditions“).
den Krieg erklären

115
6.4 Sprechakte

6.4.2 Indirekte Sprechakte


In den seltensten Fällen werden Sprechakte durch explizit performati- Illokutive Indikatoren
ve Äußerungen realisiert. Meist (vorausgesetzt die Kommunikations- Hierzu zählen v. a. Satzmodusin-
situation ist „normal“) dienen sog. illokutionäre Indikatoren zur Iden- formationen, d. h.
tifikation der illokutiven Funktion des Sprechakts.
• Verbstellung (Unterscheidung
Stimmt der durch diese formalen Mittel indizierte Satzmodus nicht zwischen Aussage-, Frage-,
mit der üblicherweise damit verbundenen illokutiven Funktion über- Aufforderungssatz etc.),
ein, spricht man von indirekten Sprechakten. Für die angemessene • Intonation,
Interpretation der Äußerung (die vom Sprecher avisierte illokutive
Funktion) spielt hier der Kontext eine wesentliche Rolle. Dieser kann • Partikeln,
bewirken, dass • Verbmodus.
• die illokutionären Indikatoren neutralisiert werden

(33) Ich rate dir, hier Stillschweigen zu bewahren.

• eine Äußerung zusätzlich zu dem durch die illokutionären In-


dikatoren indizierten illokutionären Akt X den Vollzug eines
weiteren illokutionären Akts Y darstellt

(34) Kannst du mir die Tür aufhalten?

• eine Äußerung zusätzlich zu dem durch die illokutionären In-


dikatoren signalisierten illokutionären Akt X den Vollzug eines
weiteren Akts Y mit anderem propositionalen Gehalt darstellt

(35) Dort ist die Tür.

Die Rekonstruktion des intendierten Sprechakts kann man erschließen Erfolgsbedingungen


/ inferieren, vgl. Searle (1975, Indirect speech acts), das Kooperations-
(36) Können Sie mir das Salz
prinzip vorausgesetzt. Dazu muss der Hörer
geben?
• die wörtliche Bedeutung des Sprechakts berechnen, → illokutive Indikatoren
signalisieren: Frage
• einen Grund dafür finden, dass die wörtliche Bedeutung nicht → intendierter Sprechakt:
als eigentliche oder einzige gemeint sein kann (→ Rekurs auf Aufforderung
den situativen Kontext),
Eine Aufforderung hat die folgen-
• Wissen über die Erfolgsbedingungen von Sprechakten haben. den Glückensbedingungen:
Diese Bedingungen werden durch indirekte Sprechakte angesprochen. 1. Einleitende Bedingung:
Für das konkrete Beispiel in (36) heißt das: der Adressat erschließt die Adressat ist fähig, die Hand-
illokutive Funktion „Aufforderung“, indem er die Frage Können Sie lung auszuführen
mir das Salz geben? als einleitende Bedingung eines anderen Sprech- 2. Ernsthaftigkeitsbedingung:
akts – nämlich der Aufforderung – identifiziert. Sprecher will, dass Adressat
die Handlung ausführt
Gründe für indirekte Sprechakte
Das eben skizzierte Prinzip zur Herleitung (der Interpretation) indi- 3. Inhaltsbedingung:
rekter Sprechakte macht transparent, welche Vorteile indirekte Sprech- Sprecher sagt, dass Adressat
akte gegenüber direkten Sprechakten besitzen. Durch indirekte Sprech- die Handlung in der Zukunft
akte werden Sprechakte nicht direkt ausgeführt, sondern nur eine ausführt
Erfolgsbedingung für diesen Sprechakt angesprochen. Der Sprecher 4. Wesentliche Bedingung:
entzieht sich somit den „Folgen“, die mit einer direkten Ausführung Sprechakt ist ein Versuch vom
verbunden wären. Zum anderen lässt er dem Adressaten einen grö- Sprecher, den Adressaten zur
ßeren Spielraum für dessen Interpretation (→ Höflichkeit, Wahren Ausführung der Handlung zu
des Gesichts). Darüber hinaus wird ein direkter Rekurs auf Status / bewegen
Machtverhältnisse vermieden.
“It seems safe (. . . ) to conclude that both speech acts in general
(thanks, apologies, compliments, invitations etc.) and indirectness
will vary from culture to culture.” (Saeed 2003: 236f.)

116
7 Service-Teil
Der Service-Teil bietet Ihnen zum einen Literaturempfehlungen für das Basisstudium und andererseits eine
Auswahl allgemeiner und spezieller Wörterbücher des Deutschen, die sich im Verlauf Ihres Studiums – je
nach aktueller Fragestellung – als wertvolle Hilfsmittel erweisen können.

7.1 Literaturempfehlungen für das Basisstudium


7.1.1 Einführungen in die Linguistik
Akmajian, A. / Demers, R. A. / Harnish, R. M. (2001): Linguistics. An Introduction to Language and Communication. 5th
edition. Cambridge, MA: MIT Press.
Brandt, P. / Dettmer, D. / Dietrich, R.-A. / Schön, G. (2006): Sprachwissenschaft. Ein roter Faden für das Studium der
deutschen Sprache. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Köln: Böhlau.
Busch, A. / Stenschke, O. (2008): Germanistische Linguistik: eine Einführung. 2. Auflage. Tübingen: Narr. [Als eBook über
das HU-Netz erhältlich: http://www.digicontent.narr.de/17414/9783823374145.pdf]
Clément, D. (2000): Linguistisches Grundwissen. Eine Einführung für zukünftige Deutschlehrer. 2. Auflage. Opladen: West-
deutscher Verlag.
Coseriu, E. (1988): Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft. Tübingen. Francke. Fromkin, V. / Rodman, R. /
Hyams, N.M. (2006): An Introduction to Language. 8th edition. Wadsworth: Cngage Learning Services.
Grewendorf, G. / Hamm, F. / Sternefeld, W. (2001): Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der
grammatischen Beschreibung. 12. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Helbig, G. (1992): Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Unter dem besonderen Aspekt der Grammatiktheorie. 8.
Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Keller, J. / Leuninger, H. (2004): Grammatische Strukturen – Kognitive Prozesse. Ein Arbeitsbuch. 2., überarbeitete und
aktualisierte Auflage. Tübingen: Narr.
Linke, A. / Nussbaumer, M. / Portmann, P. (2004): Studienbuch Linguistik. 5., erweiterte Auflage. Tübingen: Niemey-
er.
Lüdeling, A. (2009): Grundkurs Sprachwissenschaft. Stuttgart: Klett.
Meibauer, J. et al. (2015): Einführung in die germanistische Linguistik. 3., aktualisierte Auflage. Stuttgart / Weimar:
Metzler.
Radford, A. / Atkinson, M. / Britain, D. / Clahsen, H. / Spencer, A. (2009): Linguistics. An Introduction. 2nd edition.
Cambridge: Cambridge University Press.

7.1.2 Grammatiken des Deutschen


DUDEN (2016): Die Grammatik. Band IV. 9. Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut.
Eisenberg, P. (2013): Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 4. Auflage. Stuttgart: Metzler.
Eisenberg, P. (2013): Grundriß der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 4. Auflage. Stuttgart: Metzler.
Engel, U. (2002): Kurze Grammatik der deutschen Sprache. München: Iudicium.
Flämig, W. / Heidolph, K. E. / Motsch, W. (Hrsg.) (1984): Grundzüge einer deutschen Grammatik. 2. Auflage. Berlin:
Akademie Verlag.
Granzow-Emden, M. (2014): Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten. 2., überarbeitete Auflage 2014. Tübingen:
Narr. [Als eBook über das HU-Netz erhältlich: http://www.digicontent.narr.de/16883/9783823378839.pdf]
Helbig, G. / Buscha, J. (2013): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Stuttgart: Klett Spra-
chen.
Hentschel, E. / Weydt, H. (2003): Handbuch der deutschen Grammatik. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin: de
Gruyter.
GRAMMIS: http://www.ids-mannheim.de/grammis
Schäfer, R. (2016): Einführung in die grammatische Beschreibung des Deutschen. 2., überarbeitete Auflage (Textbooks
in Language Sciences 2). Berlin: Language Science Press. [Als eBook über das HU-Netz erhältlich: http://langsci-
press.org//catalog/book/101]
Zifonun, G. / Hoffmann, L. / Strecker, B. (2001): Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bände. Berlin: de Gruyter. (=
IDS-Grammatik)

7.1.3 Nachschlagewerke und andere Hilfsmittel


Asher, R. E. / Simpson, J. M. Y. (eds.) (1994): The Encyclopedia of Language and Linguistics. Oxford: Pergamon.
Bußmann, H. (2008): Lexikon der Sprachwissenschaft. 4., durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage. Stuttgart:
Kröner.
Crystal, D. (1992): An Encyclopedic Dictionary of Language and Languages. Oxford: Blackwell.
Crystal, D. (1995): Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache. Frankfurt a. M.: Campus-Verlag.
Germanistik: Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen (1960-). Tübingen: Niemeyer.
Glück, H. (Hrsg.) (2005): Metzler Lexikon Sprache. 3., neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: Metzler.
Hansel, J. (1991): Bücherkunde für Germanisten. 9. Auflage. Berlin: Schmidt.

117
7.1 Literaturempfehlungen für das Basisstudium

Kreuder, H.-D. (2008): Studienbibliographie Linguistik. 4., völlig neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Stuttgart: Stei-
ner.
Kürschner, W. (2008): Grammatisches Kompendium. 6., aktualisierte Auflage. Tübingen: Francke.
Permanent International Committee of Linguists (Hrsg.) (1939-). Linguistic bibliography / Bibliographie linguistique.
Dordrecht: Kluwer.
Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Hrsg.) (1979-). Bibliographie linguistischer Literatur. Frankfurt a. M.:
Klostermann.

7.1.4 Zum Schmökern und Knobeln


Crystal, D. (1995): Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache. Frankfurt a. M.: Campus-Verlag.
Everett, D. (2010): Das glücklichste Volk: Sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas. München: Deutsche Verlags-
Anstalt.
Handke, J. / Intemann, F. (2000): Die interaktive Einführung in die Linguistik 2.0. Ein interaktiver Kurs für Studierende der
Sprachwissenschaften. Ismaning: Max Hueber Verlag. (CD-ROM, ISBN 3-19-001653-4)
Macheiner, J. (2005): Das grammatische Varieté oder: Die Kunst und das Vergnügen, deutsche Sätze zu bilden. München:
Piper.
Pinker, S. (1998): Der Sprachinstinkt. München: Knaur.

7.1.5 Klassiker
Hoffmann, L. (Hrsg.) (2000): Sprachwissenschaft. Ein Reader. 2., verbesserte Auflage. Berlin: de Gruyter.

7.1.6 Phonetik, Phonologie, Graphematik


Phonetik / Phonologie
DUDEN (2006): Das Aussprachewörterbuch. Band VI. 6. Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut.
Grewendorf, G. / Hamm, F. / Sternefeld, W. (2001): Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der
grammatischen Beschreibung. 12. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Kap.3
Hall, T. A. (1992): Syllable structure and Syllable Related Processes in German. Tübingen: Niemeyer.
Hall, T. A. (2011): Phonologie. Eine Einführung. 2. Auflage. Berlin: de Gruyter.
Flämig, W. / Heidolph, K. E. / Motsch, W. (Hrsg.) (1984): Grundzüge einer deutschen Grammatik. 2. Auflage. Berlin:
Akademie Verlag. 839-990.
Maas, U. (1992): Grundzüge der deutschen Orthographie. Tübingen: Niemeyer.
Meibauer, J. et al. (2007): Einführung in die germanistische Linguistik. 2., aktualisierte Auflage. Stuttgart / Weimar:
Metzler.
Nerius, D. (Hrsg.) (2007): Deutsche Orthographie. 4., neu bearbeitete Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut.
Christina Noack (2010): Phonologie. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Kegli 10.
Pompino-Marschall, B. (2009): Einführung in die Phonetik. 3. Auflage. Berlin: de Gruyter.
Ramers, K.-H. (2001): Einführung in die Phonologie. 2. Auflage. München: Fink. (UTB 2008)
Ramers, K.-H. / Vater, H. (1995): Einführung in die Phonologie. 4., korrigierte und aktualisierte Auflage. Hürth: Gabel
Verlag.
Wiese, R. (2000). The Phonology of German. Oxford: Oxford University Press.

Graphematik
Augst, G. / Blüml, K. / Nerius, D. (Hrsg.) (1997): Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik.
Tübingen: Niemeyer.
Dudengrammatik (2005), 7. Auflage, Kapitel „Der Buchstabe und die Schriftstruktur des Wortes.“
Fuhrhop, N. (2009). Orthographie. 3., aktualisierte Auflage. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Staffeldt, S. (2010). Einführung in die Phonetik, Phonologie und Graphematik des Deutschen. Tübingen: Stauffenburg.

7.1.7 Morphologie
Überblick
Bauer, L. (2003): Introducing Linguistic Morphology. Edinburgh: Edinburgh University Press. (2. Auflage)
Bergenholtz, H., Mugdan, J. (1979): Einführung in die Morphologie. Stuttgart: Kohlhammer.
Bhatt, Ch. (1990): Einführung in die Morphologie. Köln: KLAGE 23.
Booij, G. (2010): The Grammar of Words. An Introduction to Morphology. Second Edition. Oxford, Oxford University
Press.
Booij, G.; Lehmann Ch.; Mugdan J. (2000, eds.): Morphologie – Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion
und Wortbildung – An International Handbook of Inflection and Word Formation. Vol. I (HSK 17.1). Berlin, New York:
de Gruyter.
Booij, G.; Lehmann, Ch.;. Mugdan, J.; Stavros Sk. (eds.) (2004): Morphologie. Morphology. Ein internationales Handbuch
zur Flexion und Wortbildung. An International Handbook of Inflection and Word- Formation. 2. Halbband/Volume 2.
Berlin, Mouton de Gruyter.
Grewendorf, G.; Hamm,F.; Sternefeld,W. (1987): Sprachliches Wissen. Eine Einführung in die moderne Theorien der gram-
matischen Beschreibung. Frankfurt. A.M..: Suhrkamp.
Haspelmath, M., Sims, A. D. (2010) Understanding Morphology. 2nd edition. London: HODDER Education.

118
7.1 Literaturempfehlungen für das Basisstudium

Lieber, R. (2010): Introducing Morphology. Cambridge: University Press.


Olsen, S. (1986): Wortbildung im Deutschen. Stuttgart: Kröner.
Spencer, A. & Arnold M. Z. (1998 eds.): The handbook of morphology. Oxford: Blackwell.
Spencer, A. (1991): Morphological Theory: An Introducture to Word structure in Generative Grammar. Oxford: Black-
well.
Wurzel, W. U. (2000): Was ist ein Wort? In: Thieroff, R.; Tamrath, M.; Fuhrhop, N.; Teuber, O. (eds. 2000): Deutsche
Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: Niemeyer, 29-42.

Einige empirische Beschreibungen zu Flexion und Wortbildung im Deutschen


Altmann, H. & Kemmerling, S. (2011): Wortbildung fürs Examen. Studien- und Arbeitsbuch. Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Donalies, E. (2005): Wortbildung des Deutschen. Ein Überblick. 2. überarbeitete Auflage. Tübingen: Narr (Studien zur
deutschen Sprache)
Duden. Die Grammatik (2005), Bd. 4, 7., völlig neu erarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenre-
daktion. Mannheim: Bibliographisches Institut.
Eichinger; L. M. (2000): Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen: Narr.
Elsen, H. (2011): Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin, Boston. De Gruyter Studium.
Eisenberg, P. (2013): Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 4. Auflage. Stuttgart: Metzler.
Erben, J. (2000): Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 4., aktualisierte Auflage Berlin: Erich Schmidt.
Fleischer, W. & Barz, I. (1992): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer.
Szigeti, Imre (2017): Derivation. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Kegli 20.
Thieroff, R. und Vogel, P. M. (2009). Flexion. Kurze Einführungen in die germanistische Linguistik 7. Heidelberg: Univer-
sitätsverlag Winter. Kegli 7.

7.1.8 Syntax
Abraham, W. (1992): Wortstellung im Deutschen. In: L. Hoffmann (Hrsg.), Deutsche Syntax. Berlin: de Gruyter. 484-
522.
Abney, S. (1987). The English Noun Phrase in ist Sentential Aspect. Unpublizierte Dissertation. Cambridge, MA: MIT.
Online verfügbar unter: www.vinartus.net/spa/publications.html
Adger, D. (2003). Core Syntax. A Mimimalist Approach. Oxford: Oxford University Press.
Altmann, H. / Hahnemann, S. (2005): Syntax fürs Examen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Altmann, H. / Hofmann, U. (2008): Topologie fürs Examen. Studien- und Arbeitsbuch. 2., überarbeitete und ergänzte
Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Borsley, R. D. (1997): Syntax-Theorie. Ein zusammengefaßter Zugang. Tübingen: Niemeyer.
Brandt, P. / Dettmer, D. / Dietrich, R.-A. / Schön, G. (2006): Sprachwissenschaft. Ein roter Faden für das Studium der
deutschen Sprache. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Köln: Böhlau.
Chomsky, N. (1981): Lectures on Government and Binding: The Pisa Lectures. Dordrecht: Foris Publications.
Chomksy, N. (1982): Some Concepts and Consequences of the Theory of Government and Binding. Cambridge, MA: MIT
Press.
Chomsky, N. (1995): The Minimalist Program. Cambridge, MA: MIT Press.
Dürscheid, C. (1989): Zur Vorfeldbesetzung in deutschen Verbzweitstrukturen. Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
Dürscheid, C. (2012): Syntax. Grundlagen und Theorien. 6., aktualisierte Auflage. Reihe: UTB. Göttingen: Vandenhoek &
Ruprecht. [Als eBook über das HU-Netz erhältlich (Volltextsuche): https://www.utb-studi-e-book.de/mylibrary/]
Engel, U. (2009): Syntax der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin: Schmidt.
Frey, W. / Pittner, K. (1998): Zur Positionierung der Adjunkte im deutschen Mittelfeld. Linguistische Berichte 176: 489-
534.
Fries, N. (2009): Fries on CD. Vorträge und Vorlesungen 2002-2009. (Kapitel: Syntax für BA.) [Erhältlich im Institutsse-
kretariat oder online bestellbar unter: fries@anaman.de]
Grewendorf, G. (2002): Minimalistische Syntax. Tübingen / Basel: A. Francke Verlag.
Grewendorf, G. (1991): Aspekte der deutschen Syntax. Eine Rektions-Bindungsanalyse. 2. Auflage. Tübingen: Narr.
Grewendorf, G. / Hamm, F. / Sternefeld, W. (2001): Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der
grammatischen Beschreibung. 12. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Haftka, B. (1996): Deutsch ist eine V/2-Sprache mit Verbendstellung und freier Wortfolge. In: Lang, E. / Zifonun, G.
(Hrsg.), Deutsch – typologisch. Berlin: de Gruyter. 121-140.
Höhle, T. (1986): Der Begriff ‘Mittelfeld’. In: Weiß, W. et al. (Hrsg.), Textlinguistik contra Stilistik. Tübingen: Niemeyer.
329-340.
Lohnstein, H. (2000): Satzmodus – kompositionell. Zur Parametrisierung der Modusphrase. Berlin: Akademie Verlag.
Müller, S. (2013): Grammatiktheorie, 2. Auflage. Stauffenburg-Einführungen. Tübingen: Stauffenburg.
Musan, Renate (2008): Satzgliedanalyse. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Kegli 6.
Pittner, K. / Berman, J. (2015): Deutsche Syntax: Ein Arbeitsbuch, 6. Auflage. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag
GmbH & Co. KG.
Ramers, K.-H. (2000): Einführung in die Syntax. München: Wilhelm Fink Verlag.
Welke, K. (2011): Valenzgrammtik des Deutschen: eine Einführung. Berlin: de Gruyter.
Welke, K. (2007): Einführung in die Satzanalyse: die Bestimmung der Satzglieder im Deutschen. Berlin: de Gruyter
Wöllstein, A. (2010): Topologisches Satzmodell. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Kegli 8.

119
7.1 Literaturempfehlungen für das Basisstudium

Wöllstein-Leisten, A. et al. (2006): Deutsche Satzstruktur: Grundlagen der syntaktischen Analyse. Tübingen: Stauffen-
burg.

Syntax Erstspracherwerb:
Clahsen, H. (1988): Normale und gestörte Kindersprache. Amsterdam: Benjamins.
Clahsen, H. / Penke, M. (1992): The acquisition of agreement morphology and its syntactic consequences: new evidence
on German child-language from the Simone-corpus. In: Meisel, J. (ed.), The acquisition of verb placement. Dordrecht:
Kluwer.
Clahsen, H. / Eisenbeiss, S. / Penke, M. (1996): Lexical learning in early syntactic development. In: Clahsen, H. (ed.), Gene-
rative perspectives on language acquisition. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins.
Kaltenbacher, E. (1990): Strategien beim frühkindlichen Syntaxerwerb. Tübingen: Narr.
Tracy, R. (1991): Sprachliche Strukturentwicklung. Tübingen: Narr. Penner, Z. / Weissenborn, J. / Friederici, A. (2002):
Sprachentwicklung. In: Karnath, H.-O. / Thier, P. (Hrsg.), Neurospychologie. Berlin / Heidelberg: Springer. 677-
684.
Weissenborn, J. (1990): Functional categories and verb movement: The acquisition of German syntax reconsidered. In:
Rothweiler, M. (Hrsg.): Spracherwerb und Grammatik. Linguistische Berichte (Sonderheft 3). Opladen: Westdeutscher
Verlag. 190-224.
Weissenborn, J. (Hrsg.) (1992): Theoretical Issues in Language Acquisition. Hillsdale, NJ: Erlbaum.
Weissenborn, J. (2000): Der Erwerb von Morphologie und Syntax. In: Hannelore Grimm (Hrsg.) Sprachentwicklung (En-
zyklopädie der Psychologie, Themenbereich C: Theorie und Forschung, Serie III: Sprache). Göttingen u. a.: Verlag für
Psychologie. 141-169.

7.1.9 Semantik
zum Einstieg:
Larson, R. / Segal, G. (1995): Knowledge of Meaning. Cambridge, MA: The MIT Press.
Löbner, S. (2003): Semantik. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter.
Lohnstein, H. (1996): Formale Semantik und natürliche Sprache: Einführendes Lehrbuch. Opladen: Westdeutscher Ver-
lag.
Primus, Beatrice (2012): Semantische Rollen. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Kegli 12.
Saeed, J. I. (2003): Semantics. 2nd edition. Oxford: Blackwell.
Schwarz, M. / Chur, J. (2007): Semantik. Ein Arbeitsbuch. 5., aktualisierte Auflage. Tübingen: Narr.

zur Vertiefung
Formale Semantik / Logik
Bach, E. (1989): Informal Lectures on Formal Semantics. New York: SUNY.
Bierwisch, M. (1982): Formal and Lexical Semantics. Linguistische Berichte, 80/82. 3-17.
Bierwisch, M. (1983): Semantische und konzeptuelle Repräsentationen lexikalischer Einheiten. In: Ruzicka, R. / Motsch,
W. (Hrsg.), Untersuchungen zur Semantik. Berlin: Akademie Verlag. 61-99.
Chierchia, G. / McConnell-Ginet, S. (2000): Meaning and Grammar. An Introduction to Grammar. 2nd edition. Cambridge,
MA: The MIT Press.
Heim, I. / Kratzer, A. (1998): Semantics in Generative Grammar. Oxford: Blackwell.
Kutschera, F. von / Breitkopf, A. (2007): Einführung in die moderne Logik. 8., neubearbeitete Auflage. Freiburg: Al-
ber.
Lohnstein, H. (1996): Formale Semantik und natürliche Sprache: Einführendes Lehrbuch. Opladen: Westdeutscher Ver-
lag.

Prototypentheorie
Kleiber, G. (1998): Prototypensemantik. Tübingen: Narr.
Rosch, E. (1973): On the internal structure of perceptual and semantic categories. In: Moore, T. E. (ed.): Cognitive Deve-
lopment and the Acquisition of Language. New York: Academic Press. 111-144.
Rosch, E. / Mervis, C. (1975): Family Resemblances: Studies in the Internal Structure of Categories. Cognitive Psychology,
7: 573-605.
Rosch, E. (1978): Principles of Categorization. In: Rosch, E. / Loyd, B. B. (eds.), Cognition and Categorization. Hillsdale:
Erlbaum. 27-48.

Spracherwerb
Barrett. M. (1995): Early lexical development. In: Fletcher, P. / MacWhinney, B. (eds.), The Handbook of Child Language.
Cambridge, MA. 361-393.
Bloom, P. (2002): How children learn the meaning of words. Cambridge, MA: MIT Press.
Bowerman, M. (1977): The acquisition of word meaning: an investigation of some current concepts. In:
Johnson-Laird, P. / Watson, P. (eds.), Thinking: Readings in Cognitive Science. Cambridge, MA. 239-253.
Meibauer, J. / Rothweiler, M. (Hrsg.) (1999): Das Lexikon im Spracherwerb. Tübingen: A. Franke Verlag.

Zweiebenensemantik
Bierwisch, M. (1982): Formal and Lexical Semantics. Linguistische Berichte, 80/82. 3-17.

120
7.2 Allgemeine Sprachwörterbücher (einsprachig)

Bierwisch, M. (1983): Semantische und konzeptuelle Repräsentationen lexikalischer Einheiten. In: Ruzicka, R. / Motsch, W.
(Hrsg.), Untersuchungen zur Semantik. Berlin: Akademie Verlag. 61-99. (= studia grammatica 22)
Lang, E. (1994): Semantische vs. konzeptuelle Struktur: Unterscheidung und Überschneidung. In: Schwarz, M. (Hrsg.), Ko-
gnitive Semantik / Cognitive Semantics: Ergebnisse, Probleme, Perspektiven. Tübingen: Narr. 25-40.
Maienborn, C. (1996): Situation und Lokation: Die Bedeutung lokaler Adjunkte von Verbalprojektionen. Tübingen: Stauf-
fenburg. (= Studien zur deutschen Grammatik 53.)

Überblicksartikel
Lang, E. (1983): Die logische Form eines Satzes als Gegenstand der linguistischen Semantik. In: Motsch, W. / Viehweger, D.
(Hrsg.): Richtungen der modernen Semantikforschung. Berlin: Akademie Verlag. 65-144.
Steinbach, M. (2002): Semantik. In: Meibauer, J. et al. (Hrsg.), Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart,
Weimar: Metzler. 162-207.
Wunderlich, D. (1991): Bedeutung und Gebrauch. In: Wunderlich, D. / Stechow, A. von (Hrsg.), Handbuch Semantik (HSK
6). Berlin: de Gruyter. 32-52.

7.1.10 Pragmatik
Austin, J.L. (1994): How to do things with words. 2nd edition. Harvard: Harvard University Press.
Grice, H.P. (1975): Logic and Conversation. In: Cole, P. / Morgan, J. (eds.): Speech Acts. (Syntax and Semantics 3), New
York / San Francisco / London: Academic Press. 41-58.
Grice, H.P. (1978): Further notes on logic and conversation. Syntax and Semantics 9: Pragmatics. New York: Academic
Press.
Harras, G. (2004): Handlungssprache und Sprechhandlung. Eine Einführung in die theoretischen Grundlagen. 2. Auflage.
Berlin: de Gruyter.
Karttunen, L. / Peters, S. (1979): Conventional implicatures. In: Oh, C.-K. / Dinneen, D. A. (eds.), Presupposition, New
York. 1-56.
Levinson, S. (2003): Pragmatik. 3. Auflage. Tübingen: Niemeyer.
Levinson, S. (2000): Presumptive Meanings: The Theory of Generalized Conversational Implicature. Cambridge, MA: The
MIT Press.
Meibauer, J. (2008): Pragmatik. Eine Einführung. 2. Auflage. Tübingen: Stauffenburg Verlag.
Pafel, J. (2002): Pragmatik. In: Meibauer, J. (Hrsg.), Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart / Weimar:
Metzler. 208-250.
Searle, J. R. (2005) [1969]: Speech Acts. An Essay in the philosophy of language. 27th print. Cambridge: Cambridge
University Press.
Searle, J. R. (1975): Indirect speech acts. In: Cole, P. / Morgan, J.L. (eds.), Syntax and Semantics 3: Speech Acts. New
York: Academic Press. 59–82.
Searle, J. R. (1976): A classification of illocutionary acts. Language in Society 5: 1-23. (dt. Version: ders., Eine Klassifikation
der Illokutionsakte. In: Kußmaul, P. (Hrsg.) (1980), Sprechakttheorie: Ein Reader, Wiesbaden. 82–108.)
Stalnaker, R. (1999): Context and Content. Essays on Intentionality in Speech and Thought. Oxford: Oxford University
Press.

7.2 Allgemeine Sprachwörterbücher (einsprachig)


Wahrig, G. † / Krämer, H. / Zimmermann, H. (Hrsg.) (1980-1984): Brockhaus-Wahrig: Deutsches Wörterbuch in sechs
Bänden. Wiesbaden, F. A. Brockhaus / Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt.
DUDEN (2002): Bedeutungswörterbuch. Band X. 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim: Bibliographisches
Institut.
DUDEN (2001): Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zwölf Bänden. 3., vollständig überarbeitete und aktualisier-
te Auflage. Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Mannheim: Bibliographisches Institut.
DUDEN (2006): Deutsches Universalwörterbuch. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim: Bibliographisches
Institut.
Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. In zwei Bänden. Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von G.
Kempcke. Berlin: Akademie-Verlag, 1984.
Wahrig, G. (2000): Deutsches Wörterbuch. Mit einem „Lexikon der deutschen Sprachlehre“. Neu hrsg. von Wahrig-Burfeind,
R.. 7., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage. Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln.
Gütersloh / München: Bertelsmann / Lexikon Verlag. (1. Auflage 1966: Das große deutsche Wörterbuch)
Klappenbach, R. / Steinitz, W. (Hrsg) (1961-1977): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 6 Bände. Berlin:
Akademie-Verlag.

7.3 Spezialwörterbücher
7.3.1 Lernerwörterbücher
Götz, D. / Haensch, G. / Wellmann, H. (Hrsg.) (2007): Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Neu-
bearbeitung 1998. Berlin / München: Langenscheidt.
Pons Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache. (Neue Rechtschreibung) Stuttgart: Klett, 2006.

121
7.3 Spezialwörterbücher

Kempcke, G. (Hrsg.) (2000): Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Berlin / New York: de Gruyter.

7.3.2 Fremdwörterbücher
DUDEN (2007): Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. 4., aktualisierte Auflage. Hrsg. und
bearb. vom Wissenschaftlichen Rat und der Dudenredaktion. Mannheim: Bibliographisches Institut.
DUDEN (2006): Fremdwörterbuch. Band V. 9., aktualisierte Auflage. Hrsg. und bearb. vom Wissenschaftlichen Rat der
Dudenredaktion. Mannheim: Bibliographisches Institut.
Wahrig-Burfeind, R. (Hrsg.) (2007): Wahrig. Fremdwörterlexikon. Gütersloh / München: Bertelsmann Lexikon Verlag.

7.3.3 Rechtschreibwörterbücher
L. Götze, L. / Heller, K. / Pinkal, M. (Hrsg.) (2007): Wahrig. Die deutsche Rechtschreibung. Gütersloh / München: Wissen
Media Verlag.
Duden, K. (1880): Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Nach den neuen preußischen und
bayerischen Regeln. Leipzig: Bibliographisches Institut.
Der Große Duden. Wörterbuch und Leitfaden der deutschen Rechtschreibung. Bearb. von der Dudenredaktion des VEB
Bibliographisches Institut Leipzig unter Mitwirkung mehrerer Fachwissenschaftler. 18. Neubearbeitung 1985. Leipzig:
VEB Bibliographisches Institut, 1985.
DUDEN (1986): Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter. Band I. 19., neu bearbeitete und erweiterte
Auflage. Hrsg. von der Dudenredaktion. Auf der Grundlage der amtlichen Rechtschreibregeln. Mannheim / Wien /
Zürich: Dudenverlag.
DUDEN (1991): Rechtschreibung der deutschen Sprache. Band I. 20., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hrsg.
von der Dudenredaktion. Auf der Grundlage der amtlichen Rechtschreibregeln. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich:
Dudenverlag. [= Einheitsduden].
DUDEN (1996): Rechtschreibung der deutschen Sprache. Band I. 21., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hrsg.
von der Dudenredaktion. Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. Mannheim / Leipzig / Wien /
Zürich: Dudenverlag.
DUDEN (2000): Die deutsche Rechtschreibung. Band I. 22., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hrsg. von der
Dudenredaktion. Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich:
Dudenverlag.
DUDEN (2009): Die deutsche Rechtschreibung: Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der neuen amtlichen
Regeln. Band I. Hrsg. von der Dudenredaktion. 25., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim:
Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus.
Fuhrhop, Nanna (2005): Orthografie. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Kegli 1.

7.3.4 Aussprachewörterbücher
DUDEN (2006): Das Aussprachewörterbuch. Band VI. 6., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bearb. von M. Mangold in
Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion. Mannheim: Bibliographisches Institut.
Großes Wörterbuch der deutschen Aussprache. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1982.
Siebs, T. (1969): Deutsche Aussprache. Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch. Hrsg. von H. de Boor,
H. Moser, Chr. Winkler. 19., umgearbeitete Auflage. Berlin / New York: de Gruyter. (1. Auflage Köln 1898: Deutsche
Bühnensprache. Hochsprache).

7.3.5 Rückläufige Wörterbücher


Mater, E. (1989): Rückläufiges Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 6., unveränderte Auflage. Leipzig: VEB
Bibliographisches Institut. (1. Auflage 1965).
Muthmann, G. (1991): Rückläufiges deutsches Wörterbuch. Handbuch der Wortausgänge im Deutschen, mit Beachtung
der Wort- und Lautstruktur. 2. Auflage. Tübingen: Niemeyer. (= Reihe Germanistische Linguistik, 78), (1. Auflage
1988).

7.3.6 Paradigmatische Wörterbücher


7.3.6.1 Synonymwörterbücher
Bulitta, E. / Bulitta, H. (2007): Wörterbuch der Synonyme und Antonyme. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag.
(1. Auflage 1983).
DUDEN (1986). Sinn- und sachverwandte Wörter. Wörterbuch der treffenden Ausdrücke. 2., neu bearbeitete, erweiterte
und aktualisierte Auflage. Hrsg. und bearb. von W. Müller. Mannheim / Wien / Zürich: Dudenverlag. (= Der Duden,
Bd. 8; 1. Auflage 1972).
DUDEN (2006). Das Synonymwörterbuch. Ein Wörterbuch sinnverwandter Wörter. Band VIII. 4., neu bearbeitete Auflage.
Mannheim: Bibliographisches Institut.
Peltzer, K. / Normann, R. von (2000): Das treffende Wort. Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke. 27. Auflage. Thun: Ott
Verlag. (1. Auflage 1955).
Görner, H. / Kempcke, G. (Hrsg.) (1989). Synonymwörterbuch. Sinnverwandte Ausdrücke der deutschen Sprache. 12.
Auflage. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut. (1. Auflage 1973).
Textor, A. M. (2006): Sag es treffender. Ein Handbuch mit über 57 000 Verweisen auf sinnverwandte Wörter und Ausdrücke
für den täglichen Gebrauch. 9. Auflage. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

122
7.3 Spezialwörterbücher

Kempcke, G. (Hrsg.) (2003): Wörterbuch Synonyme. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

7.3.6.2 Antonymwörterbücher
Agricola, C. u. E. (1992): Wörter und Gegenwörter. Antonyme der deutschen Sprache. 2. Auflage. Mannheim / Leipzig /
Wien / Zürich: Dudenverlag. (= Duden-Taschenbücher 23).
Müller, W. (1998): Das Gegenwort-Wörterbuch. Ein Kontrastwörterbuch mit Gebrauchshinweisen. Berlin / New York: de
Gruyter.

7.3.7 Syntagmatische Wörterbücher


DUDEN (2001): Stilwörterbuch der deutschen Sprache. Grundlegend für gutes Deutsch. Band II. 8., völlig neu bearbeitete
Auflage von G. Drosdowski. Mannheim: Bibliographisches Institut. (1. Auflage 1934).
Helbig, G. / Schenkel, W. (1991): Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben. 8., durchgesehene Auflage.
Tübingen: Niemeyer. (1. Auflage Leipzig 1969).
Sommerfeldt, K.-E. / Schreiber, H. (1994): Wörterbuch zur Valenz und Distribution der Substantive. 3. Auflage Tübingen:
Niemeyer. (1. Auflage Leipzig 1977).
Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum deutschen Sprachgebrauch. Überarb. Neufassung der 14. Auflage Hrsg. von E.
Agricola unter Mitwirkung von H. Görner und R. Küfner. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich: Dudenverlag, 1992. (1.
Auflage Leipzig 1962).

7.3.8 Diachrone Wörterbücher


Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig: Hirzel, 1854-1960; Quel-
lenverzeichnis. Leipzig: Hirzel, 1971. (Nachdruck: München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1984; dtv 5945).
DUDEN (2001). Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Die Geschichte der deutschen Wörter bis zur
Gegenwart. Band VII. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage von G. Drosdowski. Mannheim: Bibliographisches
Institut. (1. Auflage 1963).
Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 8. Auflage, durchgesehen und ergänzt von W. Pfeifer. 2 Bände. Berlin: Akademie-
Verlag, 1997. Ungekürzte, durchgesehene Auflage München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2006. (1. Auflage 1989, 3
Bände).
Kluge, F. (2002): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durgesehene und erweiterte Auflage. Bearb. von
E. Seebold. Berlin / New York: de Gruyter. (1. Auflage 1883)
Paul, H. (2002): Deutsches Wörterbuch. 10., überarbeitete und erweiterte Auflage von H. Henne und G. Objartel unter Mitar-
beit von H. Kämper-Jensen. Tübingen: Niemeyer. (1. Auflage Halle/Saale 1897).

7.3.9 Onomasiologische Wörterbücher


Dornseiff, F. (2004): Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen. 8., völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin / New York:
Walter de Gruyter. (1. Auflage 1933).
Wehrle, H. / Eggers, H. (1993): Deutscher Wortschatz. Ein Wegweiser zum treffenden Ausdruck. 16. Auflage Stuttgart:
Klett. (1. Auflage Eßlingen 1881).

123
8 Musterlösungen
Kap. 2.3.1, S. 30
Alphabetschriften haben gegenüber Silben- und logographischen Schriften den Vorteil eines minimalen Grapheminventars,
denn mit den Graphemen einer Alphabetschrift werden Phone oder Phoneme verschriftlich, derer es in einer Sprache stets
weniger gibt als daraus kombinierbare Silben bzw. Wörter. Alphabetschriften ermöglichen eine lautungsnahe Schreibung,
sodass Leser die Lautung ihnen unbekannter Wörter ablesen können. Auch können Schreiber abweichende Lautungen ver-
schriftlichen.

Silbenschriften haben gegenüber Alphabetschriften nur dann einen Vorteil, wenn eine Sprache mit einfacher Phonotaktik,
d. h. mit nur wenigen Silbentypen, verschriftlicht werden soll. Logographische Schriften haben gegenüber Alphabetschriften
hingegen den Vorteil, dass mit ihnen eben gerade nicht die Lautung, sondern die Bedeutung verschriftlicht wird. Schreiber
und Leser derselben logographischen Schrift können Sprecher von gegenseitig lautsprachlich unverständlichen Dialekten
sein.

Kap. 2.3.2, S. 30
Graph: kleinste, nicht weiter analysierbare Einheit eines Schriftsystems Graphem: kleinste bedeutungsunterscheidende Ein-
heit eines Schriftsystems (eine Menge von Graphen) Allograph: ein Graph als Realisierung eines Graphems (als Element
einer Menge von Graphen)

Kap. 2.3.4.1, S. 32

/mIlç/ → <milch>
/bIr.n@/ → <birne>
/nu:.d@l/ → <nudel>
/bro:t/ → <brot>
/mIt/ → <mit>

Kap. 2.3.4.4, S. 34
<siehst> Stammprinzip: Übernahme des silbentrennenden <h> aus <sehen>
<dehnen> silbisches Prinzip: <h> zwecks Anzeige von monomorphematischem Langvokal und Sonorant, sog. Dehnungs-
<h>

Kap. 3.1, S. 35

(4) 9 orthographische Wörter (Buchstabenketten zwischen Leer- und Satzzeichen)


5 Lexeme (wenn, hinter, Fliegen, fliegen, nachfliegen)
5 Lemma (wenn, hinter, Fliegen, fliegen, nach)
(5) 7 orthographische Wörter
4 Lexeme
7 Lemma

Kap. 3.2.1, S. 38
Nein, lexikalische Morpheme sind nicht immer frei. Auch sind grammatische Morpheme nicht immer gebunden. Sie sind
vielmehr als ein Kontinuum zu betrachten. Häufig entwickeln sich grammatische Morpheme über die Zeit aus lexika-
lischen Morphemen. In der Phase des Übergangs können lexikalische Morpheme dann immer mehr nur noch gebun-
den auftreten, bis die ursprüngliche lexikalische Bedeutung verblasst. Im Deutschen sind z. B. alle regelmäßigen verba-
len (lexikalischen) Wurzeln stets gebunden, denn sie können nur flektiert (sprich mit Affixen versehen) verwendet wer-
den.

Über das Deutsche hinaus gilt es zudem zu beachten, dass in sog. isolierenden Sprachen generell alle Morpheme frei sind,
hingegen in polysynthetischen Sprachen alle Morpheme gebunden.

Kap. 3.3.2.1, S. 42
Morpheme sind die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache. Ein Morphem verbindet eine Bedeutung mit
einer Form.

Fugenelemente haben keine Bedeutung. Angesichts ihrer formalen Ähnlichkeit zu Flexionssuffixen könnte man meinen, dass
sie den Nichtkopf eines Kompositums für Plural oder Genitiv markieren, vgl. (47) bzw. (49). Dies stünde allerdings in
Konflikt mit der singularischen Interpretation einiger derart markierter Nichtköpfe (48): ein Hühnerei ist ein Ei von nur
einem (!) Huhn, der Sonnenschein ist der Schein unserer einzigen Sonne. Auch die nichtpossessive Interpretation einiger
„genitivisch“ markierter Nichtköpfe wäre ein Problem: das Lieblingsgetränk (50) ist nicht das Getränk eines Lieblings. In
einigen Fällen gäbe es zudem einen Konflikt mit dem Deklinationsparadigma des Nichtkopfs: Liebes in Liebesbrief (50) ist
weder eine Form des Genitivs noch des Plurals von Liebe.

Kap. 3.3.2.2, S. 44

(73) Zigarrenraucher
(74) Mathematiklehrer

124
8 Musterlösungen

(75) kugelsicher
(76) ambig: Kritiker angestellt beim WDR (kein Rektionskompositum), Kritiker, der den WDR kritisiert (Rektionskom-
positum)

Kap. 5.2.1, S. 98

(18) +ZUSTANDSÄNDERUNG
(19) +ZUSTAND
(20) +BEWEGUNG
(21) +WAHRNEHMUNG

Kap. 5.3.2, S. 104


Der Text ist eine Tautologie, weil er eine logische Implikation beschreibt, die in jeder beliebigen Welt wahr ist, nicht nur in
der vorgegebenen.

Beweis:
Wir verstehen den Text zunächst als eine materiale Implikation von einer Prämisse auf eine Konklusion. Prämisse: „Der
Weihnachtsmann ist verheiratet, aber: Semantik ist sehr interessant oder es gibt Einhörner.“ Konklusion: „Semantik [ist]
sehr interessant oder auch nicht, oder es stimmt nicht, dass der Weihnachtsmann verheiratet ist und es keine Einhörner gibt.“
Eine materiale Implikation ist genau dann und nur dann falsch (!), wenn zugleich die Prämisse wahr, aber die Konklusion
falsch ist.

Anders ausgedrückt: Wenn die Konklusion wahr ist, dann ist auch die materiale Implikation wahr, unabhängig vom Wahr-
heitswert der Prämisse. (Wenn die Konklusion falsch ist, dann ist der Wahrheitswert der materialen Implikation die Negation
des Wahrheitswerts der Prämisse.) Wenn wir zeigen können, dass die Konklusion in unserem Text eine Tautologie ist, dann
können wir auch sagen, dass die materiale Implikation von der Prämisse auf die Konklusion eine Tautologie ist; dann können
wir sagen, dass die Prämisse die Konklusion logisch impliziert. Wir können zeigen, dass die Konklusion in unserem Text
eine Tautologie ist. Sie beschreibt eine Disjunktion:

Disjunkt 1: „Semantik [ist] sehr interessant oder auch nicht.“

Disjunkt 2: „[E]s stimmt nicht, dass der Weihnachtsmann verheiratet ist und es keine Einhörner gibt.“

Disjunkt 1 beschreibt wiederum eine Disjunktion:

Disjunkt 1.1: „Semantik [ist] sehr interessant.“

Disjunkt 1.2 „Semantik [ist . . . ] nicht [sehr interessant].“

Eine Disjunktion ist genau dann und nur dann wahr, wenn mindestens ein Disjunkt wahr ist. Die Disjunktion einer beliebigen
Aussage und der Negation dieser Aussage ist eine Tautologie, denn es ist notwendigerweise entweder die Aussage selbst oder
ihre Negation wahr. Disjunkt 1 ist also eine Tautologie, weil Disjunkt 1.2 die Negation von Disjunkt 1.1 ist. Die Disjunktion
einer beliebigen Aussage und einer Tautologie ist eine Tautologie, weil die Tautologie stets wahr ist. Auch die Konklusion
in unserem Text ist also eine Tautologie. Somit ist auch die materiale Implikation von der Prämisse auf die Konklusion eine
Tautologie. Der Wahrheitswert der Prämisse ist unerheblich. Der Text beschreibt also eine logische Implikation von einer
Prämisse auf eine Konklusion, weil die materiale Implikation von der Prämisse auf die Konklusion notwendigerweise wahr
ist. Der Text ist also eine Tautologie.

Kap. 5.4, S. 106

(82) AGENS, PATIENS (92) AGENS/PATIENS, QUELLE, ZIEL


(83) POSSESSOR, POSSESSUM für Agens spricht:
Nominativ, Stellung im Vorfeld Interpretation
(84) AGENS, PATIENS, ZIEL von „Zug“ im Sinne von ‘Personengruppe’
(85) AGENS, PATIENS, INSTRUMENT für Patiens spricht:
(dekausative) Ableitung von der transitiven Kon-
(86) AGENS, REZIPIENT, PATIENS struktion „x fährt den Zug“ Interpretation von
(87) AGENS, PATIENS „Zug“ im Sinne von ‘Schienenfahrzeug’
(88) PATIENS, ORT (93) EXPERIENCER
(89) — (94) AGENS, PATIENS, ZIEL
(90) EXPERIENCER, STIMULUS (95) PATIENS ZIEL
(91) STIMULUS, EXPERIENCER (96) —

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